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Full text of "Vorlesungen über Anthropologie; für den Selbstunterricht bearbeitet"

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PRESENTED 





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THE UNIVERSITY OF TORONTO 


BY 
THE UNIVERSITY OF STRASSBURG 





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GERMANY, 


JANUARY IOTH, 1891 



































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Anthropologie, 
für den ü 


Seishunterrigt 


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bearbeitet 


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vom 


Dr. Karl Ernft von Baer,” 


ordenttidem Öffentlihen Lehrer der Boologie und Proſector an ber Univerfität 
zu Königöberg, des Königl. —— Muſeums daſelbſt Director, der Kal: 
ferl, Leopold. Akademie der Natur der naturforſchenden Gefellfchaft zu 
Danzig, der Kurländifchen Geſellſchaft fü 5* und Kunſt, der Koͤnigl. 

deutſchen, ber ökonomifch = phyſtkaliſchen/ und der mediciniſchen ir 


Geſellſchaft zu Königäberg Mitgliebe., KEN 








Erfier Theil » 
mit 11 Kupfertafeln in Queerfolio, 





2 — — 


Koͤnigsberg 1824. 
5 Bei den Gebrüädbern Bornträgenr 


The world was made to be inhahited by beasts, hut etudied 
and eontermplated by man; ’tis the debt of our reason we ow& 
unto God, and the homage we pay him for not being beasts. 


Religio medici p. 7. 











DB or r ede. 





| Sa ſechs Zahren habe ie ee vor einem gebil- 


deten Publitum Vorträge über den Menf hen gehal- 
ten. Wie fie die Entftehung des vorliegenden Buches ver⸗ 


anlaßt haben, will ich dem Leſer einfach erzählen, weil ich 
- ihm auf diefem hiſtoriſchen Wege am beſten ſagen kann, was 


. 


ich zu geben die Abſi cht hatte und wie ich es zu geben ver⸗ 
ſuchte. 


Waͤhrend der erſten Reihe von — wurde ih 


von einigen meiner Zuhörer aufgefordert, ihnen ein Buch 
«über den Bau und Die Lebensverhaͤltniſſe des Menſchen zum 
Privatſtudium zu empfehlen. Es ſollte in der Serſtellu— 16 
faßlich feyn, das Befchriebene durch Abbildungen dem Auge 
verfinnlichen, und vorzüglih das Wefentlihe beruͤckſichti— 
gen, beffen Kenntnif der: gebildete Menſch von ſich fordern 
muß. Diefe Bitte ſetzte mich in einige Verlegenheit, da 
ich damals gar keine populaͤre Behandlung der Lehre vom 
Menſchen, am wenigſten eine mit Kupfern ausgeſtattete, kann⸗ 


te. Indeſſen war es mir aus fruͤhern Jugendjahren erin— 
| *2 


— — iv rn 


nerlich, daß mich Wunſch kosmologiſche unterhal⸗ 
tungen angezogen hatten. Ich mußte mich alſo begnügen, 


— 


auf dieſes Buch zu verweiſen. Die Empfehlung bewog mich 


zu einer neuen Durchſicht deſſelben. Jetzt erſchien es mir 
freilich anders, als fruͤher. Seinen Werth will ich ihm 
nicht abfprechen ‚ vielmehr gebe ich gern zu, daß es feine 
Aufgabe gut gelößt hat. Allein diefe Aufgabe ift nicht, ei— 
nem denkenden Menfchen Belehrung über fich felbft zu ge 


ben. Für den Unterricht von Kindern war es beftimmt, 


und wenn ed auch Erwachfenen mancherlei Kunde geben kann, 


ſo hat es doch nicht die Abſicht, tiefer, als bis an die Ober⸗ 
flaͤche, zu fuͤhren. | 


Ich Hatte nun Beranlaffung, mich nad), —— | 


Arbeiten umzufehen, und lernte manches Bud) fennen, das 
in feiner Sphaͤre trefflich genannt werden mag; bald war 
aber diefe Sphäre nur unter grümblichen Phyfiologen zu füs 


N chen, Die angeregt werden Fonnten zu neuen Gedanken 


oder zu einem philofophifchen Ueberblick der durch die Er: 
fahrung ihnen befannten Thatſachen; bald fchienen fie nur 
| beftimmt, die Anforderungen einer flüchtigen Neugier zu ber 

friedigen, ohne eine ernſtere Erkenntniß veranlaſſen zu wol⸗ 


len; faſt alle konnten fuͤr den, welchem nicht noch andere 
Unterrichtsmittel zu Gebote ſtehen, nur geringen Vortheil 
verſprechen, weil ihnen Abbildungen fehlten. Ich wuͤßte in 


der That außer Lehmanns Abriß der Lehre vom Men- 
fchen für höhere Schulklaſſen keines, welches auch nur 
die wichtigften Organe in Kupfer geftochen darſtellte. Lehe 


manns Buch iſt loͤblich, wird jedoch für Anfprüche, die Uber 


* 


— V — 


das Mittelmaͤßige hinausgehen, zu dürftig feyn, Es muß 
Bücher geben, welche auch dem Nichtarzt mehr fagen Eins 
nen. Die Naturwiſſenſchaft muß endlich in die allgemeine 
Menfchenbildung eingeführt werden, und nicht mehr das 
Heiligthum bleiben, das Wenige bewahren. Warum foll 
' man denn vom gebildeten Menſchen immer noch verlangen, 
daß er die fieben Könige Roms, deren Dafeyn durchaus‘ 
problematifch ift, hinter einander nennen Eönne, und es ihm 
nicht zur Schmach anrechnen, wenn ihm der Bau des eige 
nen Körpers völlig fremd ift? Die Naturwiſſenſchaften 
werden allmaͤhlig immer mehr in den Kreis des Schulunter⸗ 
richts eintreten, wo ſie nicht ſchon eingetreten ſind, und die 
Kenntniß des menſchlichen Koͤrpers wird wohl zuerſt darin 
Platz nehmen, nicht nur um ihres eignen Werthes willen, 
ſondern auch, weil ſie dem Studium den Schluͤſſel zur 
Kenntniß anderer Zweige der Naturgeſchichte giebt. 

Dieſe Betrachtungen bewogen mich, einer Aufforde— 
rung zur Herausgabe meiner Vorleſungen nachzugeben. 
Doch mußten ſie, um dem Beduͤrfniße, das ich zu erkennen 
glaubte, moͤglichſt zu entſprechen ,bedeutend umgeformt 
werden. Sie mußten zur Selbſtbelehrung dienen koͤnnen. 
Daher wurde ihnen eine nicht kleine Sammlung von Abbil- 
dungen beigegeben. Was in den Vorlefungen felbft vorge— 
zeigt worden war, mußte mit einiger Vollftändigkeit durch 
Kupfertafeln anfchaulich gemacht werden. Plan und Anlar 
ge ift im Wefentlichen geblieben. Selbſt die Anrede iſt dem 
mündlichen Vortrage "gemäß beibehalten ‚worden, weil ich 
hoffte, Daß Die oft wiederkehrende Verweiſung auf die Abs 


— VI — — 


| bildungen dadurch ein wenig an Eintoͤnigkeit verlieren wuͤt⸗ 
de; Auch glaubte ich in der Darſtellung deutlicher zu ſeyn, 
weann ich meine Lefer mir als Zuhörer gegenwärtig vorftellte, | 
“  Werftändlichkeit in den Befchreibungen war mir immer ein 
Hauptaugenmerk Meine Lefer dachte ich mir auf derſelben 
wiffenfchaftlichen Stufe, die ich bei meinen Zuhörern fand. 
Diefe waren, in Hinſicht ihrer übrigen Berhältniffe, zwar fehr 
verfchieden, alle waren jedoch) wiſſenſchaftlich gebildet, und 
eines ernfteren Vortrags nicht ungewohnt, Die größte Zahl 
derfelben befland aus Studirenden. Nur mit dem Snhalte 
des zu behandelnden Gegenftandes ‚waren fie völlig unbes 
. Tannt, Sie winjchten das ſinnlich Erfennbare mit einiger 
Vollſtaͤndigkeit in ihr Gedächtnig aufzunehmen, fehienen je- 
doch — wenn von dieſem aus Blicke in das innere Walten der 
Natur gewagt wurden, nicht weniger erfreut von der ewig 
gleichen Geſetzmaͤßigkeit in derfelben. — Haben mir Leſer 
in beſondern Verhaͤltniſſen vorgeſchwebt, ſo waren es Juͤng⸗ 
linge und Männer, die ſich in die Kenntniß der Naturge— 
ſchichte einführen wollen, ohne einen vollftändigen Kurfus 
der Medizin machen zu Eönnen. Hierher möchten alfo viele 
Schullehrer ‚gehören. In der wiffenfchaftlihen Bearbei— 
tung der Thiergefchichte wird der anatomifche Theil täglich 
einflußreicher, fo daß die neuern Handbücher faft alledem 
Lefer unverftändlich bleiben, der feine anatomifchen und. phy⸗ 
fiologifchen Kenntniſſe mitbringt. Dieſe Ruͤckſicht war es 
vorzuͤglich, die mich bewog, der deutſchen Benennung, wo 
es irgend noͤthig ſchien, Die in der Kunſtſprache üblichen hin⸗ 
zuzufuͤgen. Seitdem die Anatomen angefangen haben, die⸗ 


— VII — 


ſe mit deutſchen Namen zu vertauſchen, ſcheinen die Zoolo— 
gen. die aus der griechiſchen und lateiniſchen Sprache ftam- 
‚menden Namen mehr in den Gebrauch zu ziehen. Wer na= 
turhiftorifche Bücher aus der neuern Zeit benugt, wird da— 
daher oft vom linken Atrium des Herzens, vom Fornix und 
Corpus callosum , von der Carotis und der Sclerotica 

leſen. "Meine Lefer ſollten alfo beiläufig diefe Kunſtausdruͤcke 
Eennen lernen, theild im Texte felbft, theils in der Erklaͤ— 
rung der Abbildungen, Es ſchien pedantifch, hierin eine 
ſchulgerechte Gleihmäßigkeit behaupten zu wollen ; denn 
während es manchem Lefer nüglich feyn wird, zu erfahren, 
daß die Gefäßhaut des AugeöfChoroidea heißt, fhien es 
überflüffig, den Jateinifchen Namen des Auges oder der 
Leber beizufegen, Die Lefer kennen entweder Diefe Namen 
oder Eennen fie nicht, in beiden Fällen wäre es unnüß, fie 
zu geben, Auch habe ich mehrmals eine deutſche Benennung 
bei vielen Theilen aufgeführt, wenn mehrere Namen in ges 
lefenen Schriften vorfommen. Wo fein Mißverftändniß zu 
befürchten war, habe ich auch wohl mit diefen Benennungen 
abgewechſelt, um an den Gebrauch derfelben zu gewöhnen. 
Hin und wieder verdankt eine Benennung ihre Stelle einem 
befondern Umftande, So habe ich, ‘dem biedern Siebenkaͤs 
zu Liebe, ein Paar obfolete Namen, aus dem Hirnbau aufzu- 
nehmen nicht unterlaffen Eönnen, 

Was ich mir unter einer vollftändigen Bearbeitung ber 
Anthropologie denke, findet fich in der erſten Vorlefung ans 
gegeben. Diefe Aufgabe ganz zu lößen, ift gewiß das Hoͤch⸗ 
fie, was die Wiffenfchaft leiften kann ; denn alle Verhältnife 





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— VIII an An 


fe, in welchen der Menſch zu der ganzen Schopfung und zu 
andern Menfchen ſteht, müllen auf dem Wefen des Men: 
ſchen beruhen. ine fo weite Aufgabe ſchwebte mir aller- 
dings auch vor. Allein nur in rein naturhiftorifcher Hin- 
fit habe ich fie ausführlicher zu bearbeiten unternehmen 
dürfen , manches Verhältnig des Menfchen wollte ich nur 
kurz berühren, und über manches andere (3.8. des Menfchen 
ald Staatsbürger) werde ich nur wenige Worte fagen koͤn⸗ 
nen. — Wie die Behandlung getheilt ift, wird in der erften 
Borlefung aus einander gefeßt. Der gegenwärtige erfte Band 
giebt die Befchreibung der Theile des menfhlichen Körpers 
und ihrer Berrichtungen vollftändig ‚ und kann für N ich als 
ein Ganzes betrachtet werden. 
| Ich bin nicht in gleichem Maaße ausführlich geweſen, 
wie man es von einem anatomiſchen Handbuche für Medi⸗ 
ziner erwarten würde, ſondern habe mich nach dem Beduͤrfniſ⸗ 
fe meiner Leſer gerichtet. So erhalten fie Feinesweges ein voll: 
fländiges Verzeichniß gller Muskeln, Dies wäre überflüffig, 
felbft für den, der diefes Werk benutzt, um dadurch den Weg 
zur Zoologie und vergleichenden Anatomie ſich zu bahnen; ; denn 
die vergleichende Muöfellehre ift ein Zweig der vergleichenden 
Anatomie, der nad) dem jetzigen Stande der Wifjenfchaft 
nur von ſolchen Männern getrieben werden kann, die das 
ganze Biel ihres Lebens in das Studium der. Naturwiffen: 
ſchaft ſetzen. Dagegen wird man es mir Dank wiſſen, daß 
ich andere Theile, die mehr allgemeines Intereſſe haben, 
ausführlicher behandelte, z. B. das Sehvermoͤgen, von dem 
man hier mehr finden dürfte, als in den meiften phyſiologi⸗ 


# % 82 
—— IX — “ 


ſchen Handbüchern wenn Ka bei uns nicht jeder Nerven⸗ 
faden des Auges mit einem befondern Namen benannt ift. 
"Weil das Auge gerade jo viel Verehrer hat, ald denkende 
Menfchen auf der Welt find, fo habe ich auch eine ganze 
Kupfertafel diefem Organe gewidmet, und ich glaube in der 
That, daß die Durchſchnittsfigur diefer Tafel für die Beleh— 
zung zweckmaͤßiger ift, als irgend eine biöher erfchienene, 
Kenner wiffen freilich, welchen unerreichbaren Meifter ich da= 
zu benugt, ja faft copirt habe; allein die Ilumination muß. 
die Verftändlichkeit für Perfonen, die nicht ſelbſt zergliedert 
haben, erhöhen. — So wenig als für die Ungleichmäßige - 
keit werde ic) ‚ig für — arena Tadel verdies 
nen. 


Zum — rathe ich meinen eigentlichen Leſern 
(ich meine diejenigen, welche aus dieſem Buche lernen wol⸗ 
len), ſich wo moͤglich ein Skelet oder wenigſtens einen Schd= 
del anzufchaffen, da der Beſitz eines Skeletes die Verftänd« 
lichkeit aller- Theile erhöhen wird, der Beſitz eines Schäbels 
aber faft unentbehrlich if. Deshalb, und weil ein folcher 
überall zu haben ift, wurde er hier zur Erfparung des 
Raums nur im Eleinen Maaße abgebildet. — Endlid bes 
nuße man Gelegenheit, der Sektion eines — Koͤr⸗ 
pers —* 


Auch mit den Männern vom Fache, bie ich nicht als 
Leſer, fondern als Durchblaͤtterer betrachte, habe ic) noch 
ein Wort zu fprechen. “Die eigentlichen Lefer mögen es 
überfchlagen. | 


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Mas und für wen ich hie; erfieht man n theils 
aus dem oben Geſagten, theils lehrt es eine fluͤchtige Anſicht 
des Buches, Die Aufeinanderfolge möchte nicht fogleich Elat 
werden, befonders da jest nur der erſte Theil vor Augen 
liegt. Ich bin von der in den Lehrbüchern. dev Phyfiologie 
gewöhnlichen Ordnung ganz abgewichen. Sie beginnen in 
der Regel mit der Betrachtung des Lebens, und unterfuchen 
dann Die einzelnen Aeußerungen deffelben, Diefer Gang 
entfpricht zwar der Natur, in fo fern aus der Einheit des 
Lebens alle einzelnen Erfcheinungen deſſelben hervorgehen. 
Für den Unterricht fcheint ev mir aber unpaffend, Die Wiſ⸗ 
ſenſchaft felbft hat fich nicht fo gebildet, fondern aus dem 
Verein der Erfahrungen-den Begriff des Lebens entwickelt, 
Kur auf diefem Wege Fann ‚auch der einzelne Lernende zu 

- einer Erfenntniß vom Wefen des Lebens gelangen. Erſt 
wenn er ‚auf foldye Weiſe diefe Erkenntniß in ſich entwicelt 
hat, mag er es unternehmen, aus dem Allgemeinen das 
Einzelne zu deduciven. Statt den Lernenden zu betäuben 
und zu verwirren, indem man mit einer Betrachtung der 
allgemeinen Berhältniffe des Lebens beginnt, folte man 
wohl verſuchen, auf umgekehrtem Wege in ihm eine Erkennt⸗ 
niß deffelben allmaͤhlig fich ſelbſt entwickeln und lebendig were 
den zu laffen. Sch habe diefen ſynthetiſchen Weg gewählt, 
und hoffe, daß in meinen Lefern, wenn fie aufmerkſam find, 
eine fiefere Anficht des Lebens won felbft fich bilden werde, 
fo daß wir im zweiten Theil nur. zu überblicken und zufam= 
menzufafien haben werden, was hier vorbereitet liegt. Es 
find dadurch zwar Wiederholungen unvermeidlich geworden, 


— Xi — 


doch halte ich dieſe nicht immer für einen Nachtheil. Ich 
wünfchte nur, daß ich die angenommene Methode ganz con- 
fequent hätte durchführen koͤnnen — allein ich überzeugte 
"mich bald, daß dadurch der Vortrag fehr viel Länger gewor— 
den wäre. Ich habe mir daher erlaubt, oft im Anfange 
eines Abſchnitts fon eine allgemeine Leberficht des Baues 
und der Wirkung dev allgemeinen Syſteme und Apparate 
ded Körpers zu geben. Wenn man fich die Mühe geben 
wollte, bei fireng wiflenfchaftlicher Bearbeitung der Phnfios 
logie von den Einzelheiten, die die Erfahrung giebt, zu 
dem Allgemeinen fortzufchreiten, fo würde zum großen Ge= 
winn der Wiflenfchaft das Feſtbegruͤndete von dem Ange: 
nommenen, Ergaͤnzenden ſich ſchaͤrfer ſondern. 

In den zweiten Theil habe ich auch Manches verſetzt, 
was dort in beſſerem Zuſammenhange ſteht. Die Entwi⸗ 
ckelungsgeſchichte haͤtte mit gleichem Rechte hier und dort 
Pla nehmen koͤnnen. Sie iſt in den zweiten aufgenom= 
men, um die Ungleichheit beider Theile nicht nocdy mehr zu 

erhöhen, und weil fie auch: dort * eben ſo gut * 
als hier, 

Faſt nirgends ſind die Namen der Beobachter ange⸗ 
fuͤhrt, weil ich annahm, daß dieſe meinen Leſern unbekannt 
ſeyn würden; nur Männer, deren Ruf ſich überall verbrei= 
tet hat, werden hie und da genannt, und Phyfifer häufiger 
als Phyfiologen und Anatomen, Vielleicht that ich darin 
Unrecht, befonders gegen diejenigen, welche nicht ganz fremd 

‚ im Gebiete der Naturwifjenfchaft find, und welche wohl wife 
fen, daß bei mancyen Lehren die Meinungen gar fehr getheilt 


En | XII ı — — — 


ſind. Indeſſen ſchien es mir unpaſſend, in einem populaͤ⸗ 
ren Vortrage durch Anfuͤhrung von Autoritaͤten einen gelehr⸗ 
ten Schein anzunehmen. Ueberdies wäre es dann unver: 
meidlich gewefen, die Gegner einer Meinung mit fprechen 
zu laffen, und nad) dem Vortrage beider Parteien eine Ue⸗ 
‚ berzeugung auszuwählen. Die Lefer hätten alfo doch nur, 
was ich ihnen ausfuchte, und- wären fo weit, als fie jetzt find, 
wenn fie mir dad Vertrauen ſchenken, daß ich nad) dem 
Maaß meiner Kräfte und Kenntniffe geprüft habe. Auch 
glaube ich wohl darauf bedacht geweſen zu ſeyn, durch die 
Art der Darſtellung dem Leſer offenbar zu machen, mit wel: 
chem Grade von Sicherheit man eine Lehre aufnehmen Eönne, 


Daß ich nicht ohne Kritik die Arbeiten der Phyſiologen 
benutzt habe, werden hoffentlich die Beurtheiler dieſer Schrift 
zugeben, fo wie ich es ihrem Scharfblick uͤberlaſſe, aufzus 
finden, was mir eigenthümlich ift. Vielleicht bringe ih | 
- Manches an einem andern Drte ausführlicher zur Sprache, 
— Sch wünfchte meinen Leſern, fo viel es eine Wiſſen— 
Thaft, wie die Phyfiologie , erlaubt, das Feftbegründete 
zu geben, deswegen find neuere Meinungen, die ſich nod) 
nicht einer allgemeinen Verbreitung zu erfreuen haben, oft. 
unberucfichtigt geblieben. Wo aber ein neuer Gedanke 
durch fo hervorleuchtende Wahrheit fi) Bahn bricht, wie 
etwa Dölingers Lehre von der Abfonderung, für welche Die 
vergleichende Anatomie und die neueften Unterfuchungen über 
die Entwidelung der drüfigen Organe fo vollgültiges Zeug- 
niß abgeben, da darf man nicht nach dem Alter feines Bür- 


ne XIII — — 


gerrechts fragen. Wenn mir eine Lehre noch in der Unter⸗ 
ſuchung zu ſchweben ſchien, wie die hochgeprieſenen Verſuche 
von Wilſon Philipp, die mich, je mehr ich fie ſtudire, um 
defto mehr in Zweifel und ‚Verwirrung verfegen, habe ich 
mich der Kürze fehr befleißigt. — Für die gründliche Kennt: 
niß einer Wiſſenſchaft und für die weitere Ausbildung iſt es 
von der hoͤchſten Wichtigkeit, daß man klar einſehe, wel⸗ 
hen Grad von Sicherheit eine angenommene Lehre beſitze. 
Bei dem Unterricht des Laien darf man wohl zuweilen eine 
Lehre, die fi mit dem übrigen Gebäude der Wiffenfchaft 
innig verwebt hat, mit aufnehmen, jo lange man fie nicht 
durch eine andere zu erjegen weiß, auch wenn man fie wirk⸗ 
lich nur fuͤr einen Luͤckenbuͤßer haͤlt. So habe ich bei der 
Lehre vom Magenſaft dieſem trefflichen Deus"ex machi- 
na, den fein Menfch mit feinen Sinnen wahrgenommen haf, 
meiner eignen Weberzeugung Gewalt anthun, zu müffen ‚ges 
glaubt, Die Betrachtung des Lebens in feiner Gefammts: 
heit wird für manche Lehre, welche durch fpecielle Unterfus 
hung nicht völlig erkannt werden kann, einen neuen Ge⸗ 
ſichtspunkt gewähren, und mir Gelegenheit geben, im zwei⸗ 
ten Bande als mein eigner Gegner aufzutreten, So habe 
ich in dem vorliegenden Bande oft auf die Zweckmaͤßigkeit 
im Bau hingewiefen, und ald Zeleologe gefprochen. Im 
2ten Theile fol verfucht werden, diefe Zweckmaͤßigkeit von 
einer höhern Nothwendigkeit abzuleiten. 

Kenner des Fachs werden, wenn ihnen diefes Buch in 
die Hand fällt, bemerken, daß die Abbildungen größten: 
theils Eopien fehr bekannter Originale find. Ich glaube 


mn XIV tn 


nicht, daß Hierin ein Grund zu einem Vormurfe liegt; 
- der Zweck gebildeten Nihtanafomen eine brauchbare 
Sammlung in die Hand zu geben, leidet dadurch nicht. 


Da ich leider felbft nicht zeichne und in Königsberg Fein ge- 


ſchickter Zeichner iſt, der nicht faft feine ganze Zeit dem In: 
terrichte widmete, fo war es meine urfprüngliche Abficht, 
nur Copien zu geben, Ganz unerwartet fand ich bei der 
Ausfuͤhrung, daß ſehr viele anatomiſche Abbildungen ſich 

fuͤr meinen Zweck gar nicht eigneten. Da ich die Zahl der- 
felben nicht übermäßig vermehren durfte, und doch eine 
Vollſtaͤn digkeit zu erreichen wuͤnſchte, fo konnten eine Men- 
ge Abbildungen, welche nur Einzelnes zeigen, gar nicht be- 
nutzt werden, insbeſondere da es dem Laien vorzuͤglich auf 
die Kenntniß der Lage und Verbindung ankommen muß, 
die der Anatom ſchon beim erſten Beginnen feines Studiums 
gewinnt. Caldani's Sammlung häfte mir vielleicht manche 

"Sorge erſpart, wenn ic) fie hätte benugen Eönnen. Die neue- 
ſten anatomischen Werke haben mehr die gegenfeifige Lage be⸗ 


ruͤckſichtigt, als die Altern. In der Regel zeigten fie aber 


nicht genug’ in einer Anſicht. Ich habe daher wirklich für 
die Abbildungen mehr Neues hinzufügen müffen, als ans 
fänglich meine Abficht war, theils find Abbildungen zufam- 
mengeſetzt, theils if in einer Figur-ein und der andere Theil 
imn einer andern Lage dargeftellt, um mehr Gegenftände zu⸗ 

gleich zu zeigen. Einige Abbildungen find auch ganz neu ‘ 
nad) Präparaten gezeichnet, und ich muß einem geſchickten 
biefigen Kuͤnſtler, Herrn Raufchke, vielen Dank dafür fa= 
gen, feine wenigen Mußenftunden dem Entwurfe oder dev 


’ 


— — XV — — 


Copie von Zeichnungen gewidmet zu haben. — Endlich be⸗ 
merke ich noch, daß die erſten Tafeln ſchon vor mehr als 
zwei Jahren geſtochen find, z. B. die von den Gefäßen fruͤ— 
her, als das Werk von Münz zu und gekommen war. 

Die Verlagshandlung hat, indem fie den Stich der 
Kupfertafeln Herrn Schröter übertrug, und auch übrigens 
für ein gefälliges Aeußere des Buches forgte, gewiß alle For= 
derungen, die man an fie machen kann, erfüllt. Möge ihr 
dafür der Dank des Leſers zu Theil werden. 


Wenn diefes Buch der Naturwiffenfchaft in einzelnen | 
Fächern oder in ihrer Gefammtheit neue Verehrer gewinnen 
follte, wenn es manchem Freunde berfelben, ber nicht auf 
Univerfitäten das vollftändige Studium der Anatomie und 
Phyſiologie zu machen Gelegenheit hatte, Belehrung ges 
währt, fo ift der einzige Wunfch erfüllt, den ich bei der 
Herauögabe deſſelden hegte. 


Koͤnigsberg, den 27. Julius 1824. 


Der Verfaſſer. 


NB. &; toitb zwar "beim Gebrauche des Buches PER bald klar 
werden, daß ich bei der Verweiſung auf die Abbildungen die 
Angabe der Tafel nicht wiederholt habe, wenn die Figur auf 

derſelben Tafel ſteht, die in dem jedes Mal vorliegenden Abs 

Schnitte ſchon angefuͤhrt iſt; indeſſen will ich dieſe Bemer⸗ 
kung noch voranſchicken, um ein langes Suchen zu vermeis 
den. Jeder Kleinere oder größere Abfchnitt Hat feine ihm 
vorzüglich zugehörige Tafel, Wo keine neue Zahl genannt 
wird, ſucht dev Leſer auf der, die er zunächft für dieſen bs 
ſchnitt benutzt. Daſſelbe gilt für bie Figuren, Wird keine 
neue —“ ſo ſucht man in der zuletzt an: 


* 








ueberſicht 
des 





(Erfte Borlefung.) 
Einleitung 
Würde der Anthropologie . . | .. 


Disciplinen, in welde die Anthropologie zerfͤllt u ; — 
Aufgabe und Einrichtung dieſer Vorleſungen NEN HEART, 


ie 


2. »Erfte Abtheilung. 
Roy arephte 


(Bweite Borlefung. > 


IL. Allgemeine Erläuterungen „.. . 1-3, 
A. Anatomifhe . . ... 2 2 
a. bie äußere Geftalt betreffend. 
eK 
Rhythmus * * * . » ® * ⸗ 8, 
b. Den innern Bau betreffend. 
Einfahe und zufammengefeßte Theile 4— 5. 
Elementarfornten 


x 


Blüffigkeitn . 2. .% oe.» 6. 

Bafern Do a ET We RR N ne ba Ve Ya 7, 

Blaͤttchen — e — . ” > “ » [2 e 8. 

Kuͤgelchen .. » P} . * - . x 9, 

B. Chemiſche — ⸗ J ” “ 10—23, 
Chemiſche Proceſſe "im Körp eo, 11. 


Nähere Beſtandtheile Cihierifihe Sof) sc 
Epweißfioff: «0.04% r 
Gallert — — — — — — [3 “ . » . 14. 
Baferftoff 15 

Rabe Berwandiiäaft diefer Stoffe 16. 
Fett — — * ⸗ x, — — 17. 
Oemnzonnn 1 


* * 


Seite 


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Thieriſches Waff er 


Salze . 
tie Veſtandtheile 

©. Phyſiologiſche 
Ertegbarkeit . 
Verrichtung 
(Dritte Borlefung.) 


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U. Das Knochenſyſtem. 


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A. Von den Knochen uͤberhaupt 
Allgemeiner Charakter derſelben 
Chemiſche Beſchaffenheit. 
Aeupere Geftaltung 
Snnerer Bau. 

Rebentheile der Knochen 
Mark und Märkhaut . » 
Beinhaut. Bänder . 

Berbindungen der Knochen 
Unbemeglide . 


Bewegliche ( Gelenke) . 
und ET Pe 


+ 


Verrichtungen 
Knochen 


(Bierte Borlefung.) 


B. Befähreibung. des Kuocengerüftes 


Kopf 
Rumpf . 


Bliebmaafen F 
IH. Syſtem des Sähleimfoffes oder 


gewebes 


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(Bünfte Botlefung.) 


w. Musteliyftenm . 


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A, Die Muskeln für ſich betrachtet . 
Bau ber 
‚Muskeln des animalifchen und piaſtiſchen —— 49, 
Snnerer Bau der Muskeln 
Aeußere Geſtaltung 
Chemiſche Zerlegung 

Thaͤtigkeit der Muskeln 


uskeln 


Stärfe derſelben 
Einfluß der Musrelthätigkeit 


Allgemeine Gejege in ber Anordnung un 


+ 


* 


* 


* 


+ 


Dauer der Eontrattionen 
Schnelligkeit derſelben 


* 


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— keit der Muskeln 
ehfte Vorleſung. ) 


unb Bewegungen 


Gtellungen 
Stehen 
Knien 
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' 0 Gehen . * 6 * * EITENT — + + 6% 72 
A RP ae Pr FR BEE GE Er Ya 75. 
ne 0 —— KR Re Par e 780 76 
nr Schwimmen ° . ’” Dee; % 72. —7 
Bewegung ee Giieder Aa rare 73. 80 
* uebung der Muskelkraft TEL BAR ——— 8 
(Siebente Borlefung. .) 277 won 
V. Vom Biute und dem Gefäpfyfieme 75—100. 85 — 130 
A. Das tem. überhaupt s „ x = 75— 90, .85— 121 
Kreislauf a a TR Fu Tr. 84 
= Blut — = ei * ‘“ » > “ > > % * 77, 86 
Das rar 2" 0 — EIER * + . . + 78, 00 
en Bau » > ae A ‘ — + ._r. * 79 92 
bäfigteit beffelben v2: URL TB “94 
- Dein ee RE LE De 8 97 
F eberga ar Arterien in Venen ! . 2 8% 99 
Haargef EL Fa 83. 100 
* — —— 101 
Aus hauchung — — — er * E72 + [3 —8 86. 103 
Sekretion (Dräfen)” ei. 103 
Den en were « * 2" 4 ri , 87, 105 
Saugabern — — 4 — \ « 88, 109 
2 Umänderung bes Blutes in den Lungen 2: 89, 112 
Muͤckblick auf den Kreislauf . . 2 x. .:.9% 113 
(Ahte Vorlefung.) | E 
'» Befhreibung der groͤßern Stämme ....91—100, 12 
a, u Ar Kreislauf | 
Aort a — . + 4 * * » + * * 91. 122 
4 Garotid en — — 92. N 125 
Schlüfelbeinfhlagadern Pe, S 123. 
Herabfteigende Aorta 2.0... 124 
a A 125 
Untete 126 
 Keanzvenen des Herzend x. +... R. 127 
Etaber: : . .... a nalen IB, 123 
Tu nnte Keeitlauf” „7. a 000 m OB 129 
- & Saugadern J — Ze Ser SET; 100, 129 
(Neunte Vorlefung) j 
VI. Retsenfuftem 0er + a. 10.189.380 — 190 
N As Aeußere Geftaltung, » > a: —— 101, 130 
Innere Sertur ., . R— Fe ER 131 
— —— ne —— 
a Pig st Nerven ir a a * 132 
nterichie wir en animali en und plaſtiſchen 
Nerven — * + ji ih 105. 136 
Animatifches Nervenfoftem EM i 
| Peripheriihe Enden °. . . 41006. 138 
er Ne 107, 140 
—* Gentraltheile: „ie re. 108, 144 
—8 Rüdenmart ° N? OR \ 
se 2 Bar . a We A a ee * 109 "146 
rn Reeden: 9 mi, an 2 OR 14 
” Wirkſamkeit 111, 150 


Hirn % “ — — u ur m 2 ® ® —9 


/ 


vo. 


(Behnte Vorlefung) 


a. Bu . ; 
Keußere Geftaltung deffeisen 

Großes Hirn „ . » 

Kleines Hitn . . » 

DVerlängertes Mark . 

1 Hüllen des Hitns 4 


Ba 2-5 5 
. u ve 22» 


.». ». 2 » ® 


Gefäße deffeiben . 
Baferung des Hirns 
Entwidelung des Rüdenm 
‚Zu. dem Eleinen Hirn 
Zu dem gronen Hirn 
Hirnnerven .. RER 
bh. Thaͤtigkeit des Hiens —J 
In ihm aͤußert ſich das Bewußtfeyn 
Sein Berhältniß zu andern Organen 
Vom plaftifhen Nervenfyftiem . +. - 
Geftaltung 7 Ja, Serge RR SRnr vaaae J 
Verrichtung 
Verhaͤltniß zum animalifchen Rt. S 
Supett 
— — 
(Eilfte Vorleſung.) 
Bom Auge * ... . , + hu ‘ 
A. Bau des Auges » . 2er 
Augenhöhle und Augentieber A 
Thränenorgane und Meibom: Drüfen 
Augapfel 
Harte Haut und Hornhaut. 
TE Te ed 
Regenbogenhaut . » » 
Netzhaut . ——— 
Straplenblätthen. N 
Durdfihtige Maffen des Aug 
Waͤßrige Feuchtigkeit . 
Kryſtalllinſe Bi 
Glaͤskoͤrßber 
Muskeln des Achapteie 
Gefaͤße — Ei 
Nerven — — 
(3woͤlfte Vorleſung.) 
B. Verrichtung des Auges. Vom Sehen 


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eg der Lichtſtrahlen durch das Auge 


. 28 2» » » 


FE RE 1. ee FEN 


$. 


112 — 124, 
112 — 122, 
— 
113, 
114, 


* 


116, 
117, 


120, 
121, 


2 — 124, 
123, 


“tr ru mir. — .. 
[SS] 


5129, 


130 — 160, 
130 — 144, 
Er ‘ 131. 


; n “ 132, 


u. re 2 tt 2 4 -. 9 9 >» * 
© 
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»  ı 2 0 4 8 8 2 ee >» 


145 — 160, 


.. 149% 


‚ammeln der Lichrfirahlen aus verfchiedenen 


Entfernungen . — 

18 Auge iſt adhromatifch 

ngekehrtes Bild im Auge 
as Einfahfehen . . 
theile beim Sehen . 
eben lernen * Ne 
rungen beim Sehen * 
einheit des OR 


.» 2» %» ® 
PS er Er Sr ve} 


»..2 » 0. 


2 * . 


115. 


— 
m Hirn 119. 
3 


Geite 


158 — 183 


— 1 — — 


Beur des Eindrucs * 
WVerſchiedene Empfindlichkeit der Re Aal, 
daraus Be PERL 
— 155, 
„Undoltominenheiten, bie von ber Brechung 
er Lichtſtrahlen abhaͤnge16. 


Nicht ſehende Stelle im Aude . ...'. 157, 

> Daß Sehen der Karben . u... 18% 

Verhältniß des Auges zu andern Sheilen 159, 

Diätetit der Augen . ‘0 2006 
(Dreizehnte Borlefung. y \ 

4 Al de Ohr 4 * 2) . ‘. . f} [) 161— 175, 

A. Vom Bau des Ohrs ee, 161768, 

DI. 2.2 ee ee ———— 

Mittleres Ohr. Zrommelböhle » . .„ . 163 

2 1 a at EP En a .., 

Vorhof — ae A NE 2 U 165. 

Bogengänge . wine ala 166, 

Shnede . 5 serie Bert 

Nerven und Gefäße des Ohrs Pi 77 

B. Verrihtungen des Ohts. Vom Bun 169 — 175, 

Bom Shall überhaupt .. » 416 

Verrichtungen des aͤußern Obts Te, * 

— des mittlern Ohrö . 2." 171, 


des innern ODhbrs  . . 172 
. Hören duch Erſchuͤtterung der Sqhaͤdelk no⸗ 


den. . 
Urtheile beim Hören” und Unvollfommenheis 


Re Bine 2 0:0 0a 0 BZ 
- Mufitaliiches Gehör . 0:2 aa 
‘ (Vierzehnte Borlefung.) 
IX, Bon der Naſe wre HUT 8 176 — 184, 
A, Bau des. Organes N a, 176 —181, 
Innere Nafe 
Rafenhöhle 0 . . * > “ > * 177. 
Muſcheln IC, . ne N. An rn RU. 178. 
en ee ee 
Shleimhaut und Nerven x» x... 180. 
k —— 
B. Vom Geruch TR UNE FE 152 — 134, 
Bon den tiehbaren Stoffen Re N 
Wie man riecht . . ee 
‘ Einwirkung des Geruche auf den uͤbrigen 
SL es . 
X, Bon der unge u * > P} > > ra 1855 — * 
A. Bau berfelben 2 2 2 2 a. 185— 137, 
et Be an 
Ueberzug berfelben «2 2.2.02 0 00%..18% 
Merasmsder Zunge + 22 01 W540. 
B. Bom Geihmad . . . . + 188—190, 
» Bon den fhmectbaren Dingen 0.70 ale —— 
Geſchmacksempfindung in ben verfchiebenen 
Gegenden bes Munde . . . . .. 189 
Beziehung zu andern Berrichtungen AA 


240 
242 
243 
243 


9247 — 290 
947 — 257 
247 


- 


v NR —— RR 
» * — 
ir MR hr } 
Vo KT — 4 
ASunfzehnte Borlefung.) ER, Bi E zur 
XL Vom Taftorgan .„ .. ... . 191-199. 804-906 
Befhreibung des Organe , 2. 11. 804 
N — 306 
Zu. Von der 205, 807 — 820 
A, Bauderfelben . 2... ... . + 194—200, 307 316 
Rederhbaut .; a en 
Malpighiſcher Schieim ei Re a EYE 309 
- Oberhaut + * + Er « s . % IJ . — 310 
Naͤgel te. Wr N 4 —— — 312 
Haare Te Seen] — J — * e ‘ . u 199, 813 
NT 5 0 Sb 
B. Verrichtung der Haut » +. . 201203. 316 — 320 
Transſpiration — RE ER — ‚816 
Einfaugung . -» inne... 0r ı York. A 820 
Empfindung in der "Haut riere.ch, © 820 
XIU. Bergleihung der Sinne. .„. .. ..204&—210, 320— 845 
Der Hautfinn ift bie Grundlage aller Einnes: WR 
empfindung  . . a 320 
Die Sinne ergaͤnzen ſich gegenteicig. 7 "824 
Sie entwideln ſich almählig » .-. » . 206 ı 826 
und wirken. auf, unfere. geiftige Ausbildung 207. 327 
Weſentliche Verhaͤltniſſe der Sinne unter ein— 
837 
Bank Dar inne Zu: . — 341 
— 344 
XV. Bon der Verdauung a. 211 —249, 346 — 410 
A. Bon dem Verdauungsapparate und den: einzel 
ben Momenten der Verdauung .. . 211—248, 346 — 391 
(Sechzehnte Vorlefung.) 
a, Bom PVerdauungsapparate überhaupt . . 212%, 847 
1. unbbhle re ee ——— 847 
BIDBENn 2.0 En RN ie 21 L 248 
" Zaͤhne * EU Shi mail jpc Tr zu’ Ar 215, 349 
Bau Serfeiten PT wi... aa. 
Berfhiedene Arten sr er, a 851 
Entwidelumg "cr. tn. 218, „852 
WVeirderbniß berfelben et 1554 
Mechanismus’ des Kauens“ . . 2.220. 856 
i Epeiheldrüfen und Speichel... . "2 359 
2. Das Gaumenfegl 2.00 au 562 ° 
2 eeupiple Dt IE "83; 
4. Schlundfopf .« .r . . BR u, 363 
Vom Riederſchlucken EM Pre, 9: 564 
Ternerer Verlauf des — ——— 22 365 
9. In der Bruſthoͤhle. — ——9 — Er 366 
6. In der Bauhhöhle‘. ... 2.» — BR 
- Baudfel .°. er 
Gekroͤfe und ee 372 
7. Magen. Deffen Bau "288, ; 373 
* Verrichtung EEE er 375 
wind Trennen 878 


8, Darm ar ep 





u » Seite 

— — selten rn 878 

ae mmdarm Pa EL 7 Ser ie er 236. 380 

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‚Grimmdarnf Pe WIE WW: mer De ne Far De 235, 835 

: M ſtdarm ET ER RR EN SEE I ee 239, 386 

(1 . re 240, 886 
10, Hülfsor ane | 

she — P >» R > * — E23 * * y 

Bau ei eibrüfe ’ + * * 9 2 » . 

PR DEERSSEEEE 391 


(Siebzehnte Vorleſung.) 
B. Bon den allgemeinen Verhaͤltniſſen ber Ber: 
hy en, & r ’ — 244 — 249, 393 — 410 
Bebürfniß nad Naͤhrung. "Hunger ” 244, 393 


Mobififationen des Hungerd 2 o 26. 401 
Durſt Rx * . . * * * — — * > 246. ? 404: } 
Nahrung nn 77 406 
Rahrungemittel — 408 
Diaͤt — + — * * * [2 % ” . ” 249, 410 


‚(Uhtzefnte Vorlefung.) F e 
XV. Bon dem Athmungsapparate ,' 250-261, 422 —446 
A, Bau des Apparate . 2 2270 2 200-2354, 422 —430 


Kehlkopf en NRZ 251, 422 
Zuftröhre 252, 427 
— Lung en “ “ > - .» .» . * ° 253, 428 
| "Bruftkoften und äußere Umgebung der Lun: sr 100 E 
gen Au a Be De ee 254 430 
». Verrichtung deffelben . » . ».. . 255—%l. 432 - 446 
WMechanismus des — dr ———— 
Modifikationen . . —— 486 
Chemiſche Verhaͤltniſſe der Arhmung 
„Umänderung der atmofphärifchen Luft 267. 443 
6 Einfluß verfhiedener Gasarten »_. 258. 444 
Umänderung des Blutes u. 0 2 “1 2% 445 
Aushaudung der Lungen ,„ . » » » ..260.: , ı 446 
Wechſelwirkung zwiſchen Athmung und an⸗ | 
‚bern Berrihtungen u. » v0 u... 26. 446 


(Neunzgehnte Borlefung.) 
XVI. en der’ —“ und der Spra 
5 ae N 262 — 271. 448 — 474 


Wae bie Stimme if. ER N 448 
Wie fie gebildet wird . 263. _ 449 
Welchen Antheil die verfiiebenen Orga: 
ne haben - » N . 264. 452 
Mobifikationen der Stimme... . 265. 456 
Eprade - - 266. 459 
Pildung der Raute und Xetitulationen 267. 462 
et RITTER 463 
EB ia Ber a Ehe el a 466 
ee. c nr, IB 463 
Bauchſprache - -» ra De 


“ 271. ä 474 


* 


xvo. Von dem Harnapparate 
A. Harnapparat 24 05. 


B. 


J 


XVIIL BEHRADERT FOR DE des Mannes 230 — 287. 
. ‘ [7 * . E7 [} * . » . . [ o_ 281. 
Saamenleiter . . Fe a a RE [ —— 
Saamenfirang . 0 een 2 ne. BE 
Saamenblafen nr ee 
Borfteherdrüfe » . » ws RE . CE 


Maͤnnliche Ruthe 


XIX. 


——— 


(Ein und zwanzigfte 


Weibliche Bruͤſt RT 


(Bwansioßs Borlefung. ) 


» 


| 
E11 
S 

© 


Nieren . . “ “ * — —— 273. 
ee, 6 5, 8 55 ee SEE 
Harnblafe » . » — “ e 3— * 275. 
de hd “ . “ . > . ® . ® 276. 
Harn . » . “ . a nd . « . 277. 
Bereitung deſſelden . eo . . 0. 2783. 
parleine. » va une 


Borlefung.) \ 


Gegenfeitiger. Einfluß zwiſchen den Zeugungsor⸗ 
ganen und andern Zheilen 0. 10 287. 


(Bwei und zwanzigſte Borlefung.) 


Generationsorgane des Weibes 288 — 295. 


Eyt rſtoͤcke — 289. 
Muttertrompeten » a a ‚290. 
N Gebärmutter -® ® . 4 « . ss . ‚® . 291. 


Mutterfheidte - sv =. r 

Keußere Schaamöffnuung . - h 

Wechſelwirkung zwiſchen dem Generations oſyſt m 
und den uͤbrigen Era > 


(Drei und zwanzigfte —— 


ee der Gefhledter, Zwitter— 
bildu 
Berhäitniß ber Geflechter Korpertid und ei: 

. 296 — 298. 


ig ;_» » 2} 
Switterbildung N DENN 299 — 300. 
Männliche- Zwitter = -- 1° ne 0 2... 801. 
Geſchlechtsloſe... ee 00 BO“ 
.ı eo 803, 


Weibliche Zwitter * 


296 Pan 303. 


512 — 519 


512— 513 
514 —515 
516 
519 
519 


— 








Erfie Bortefüng 
Ginteitung 


Errme * ſelbſt! Das iſt der. Duell aller Weieheit ſag⸗ 
ten große Denker der Vorzẽeit, und man grub den Sag mit golde— 
nen Buhftaben in die Tempel der. Götter. Sic felbft zu erken⸗ 
nen erklaͤrte Linne fir den weſentlichſten unbeſtreitbaren Vorzug 
bes Menfchen vor allen uͤbrigen Gefchöpfen. * In der That weiß 
ich Eeine Unterfugung, melche des freien und denfenden Menfchen : 
würbiger wäre), als die Erforfhung feiner felbft. Denn fragen’wir 
uns nach dem Zwecke unſers Daſeyns, fo werden wir ihn unmöglih 
außer und fegen koͤnnen. Für und felbjt-find wir dal. ‚Das 
fagt uns eine innere durch feine falfche Argumentation zu übertö- 
nende Stimme, das [ehrt uns aber auch die Naturwiffenfhaft-auf 


‚ jedem Schritte. Schon das Thier fucht feine Umgebung zu feinem 


Bortheil zu verwenden und gegen die Angriffe der Auffenwelt fich zu 
vertheidigen. Dazu gab ihm.die Natur nicht nur die Kraft und 
die Waffen, fondern fie verlieh ihm auch, als gütige Mutter, bie 


‚Sähigkeit, feines Lebens fich zu freuen. Sollte fie ihren Liebling, 


den Menfchen, weniger veich ausgeftattet haben? Gewiß nice! 
Diefem gab fie, neben den thierifchen Genuͤſſen, die höheren Freu⸗ 
ben, die aus feinen geiftigen Anlagen hervorgehen. Darum wird 
das Leben des Menſchen um ſo reicher, je mehr er ſeine Anlagen 


entwickelt, und es muß ihm Zweck ſeyn, an der Ausbildung ſeiner 


— 





Lin er ab bekanntlich ein Verzeichniß aller ihm bekannten RR: Hans 
teine, unb ſuchte für jealiche Art bie weſentlichen Charactere, 


is die fiefich vor allen übrigen unterichheibet, Fuͤr den Menſchen gibt er 
kein e— Unterſcheidungszeichen alö: Nosce fe ipsum! 
a’ 


— 2 —— 3 
ſelbſt zu arbeiten. Wie vermag er aber das, ohne fich zu bemuͤhen, 
ſich ſelbſt, ſo viel in ſeinen Kraͤften ſteht, in geiſtiger und phyſi— 
ſcher Hinſicht kennen zu lernen? In geiſtiger und phyſiſcher Hin- 
ſicht, ſage ich, denn ſo wie das Geiſtige des Menſchen mit ſeinem 
Koͤrperlichen innig verbunden iſt, fo daß fie ſich gegenfeitig bedin- 
gen, fo. iſt es ein vergebliches Bemühen, das, was wir Seele 
nennen, zu verftehen, wenn man ihr Organ, den Körper, aus 
dem Auge verliert, Nur in der innigen Verbindung beider.befteht 
das Menfchenleben, Darum kann man nicht in der Forfchung den 
‚Leib von der Seele abflreifen, wie einen fremden, hindernden 
Balg, der [händlid an die Thierheit erinnert, und die Naturfor⸗ 
ſchung lehrt, daß ein veraͤnderter Bau des Koͤrpers nicht en 
kann, ohne Veränderung der in ihm lebenden dee. 


So fordert die Achtung des Menſchen gegen ſich ſelbſt ihn 
auf, ſeines Daſeyns Raͤthſel zu loͤſen. 


Aber auch nicht unerfreulich iſt die Erfuͤllung bieſer ih; 
. denn, was könnte erfreulicher feyn, als die Wiffenfhaft vom Mens 
ſchen, deſſen Geift das Höchfte zu erfaffen firebt, deffen Körper der. 
ebeifte ift, den die Exde trägt, und ber grade.in der Möglich- 
keit der Selbfierkenntnig fih über alle Mitgeſchoͤpfe 
erhaben fuͤhlt? Wie hoch ſteht überhaupt dieſe Wiffenfchaft ſchon 
ihrer Aufaabe nad) unter ihren Schweftern,. da fie das denfende 
Wefen, von dem alle übrigen Wiffenfchaften ausgingen, zum Ges 
genftande ihrer Unterfuhling macht! — 


Wohl erkennen wir, daß uͤber uns etwas Hoͤheres iſt, von 
dem wir uns ſelbſt abhaͤngig fuͤhlen. Aber dieſen Unendlichen 
koͤnnen wir nicht unmittelbar erforſchen, nur aus ſeinen Werken 
lernen wir ihn verſtehen. Und wollen wir ihn verſtehen lernen, 
wo faͤnde ſich ein wuͤrdigerer Gegenſtand als wieder der Menſch? — 
Die Anordnung des Weltgebaͤudes erfuͤllt den Forſcher mit Begei 
ſterung, aber obgleich der Gegenſtand unendlich viel groͤßer iſt, ſo 
ſind doch die Kraͤfte, die hier walten, einfacher, als in lebenden 
Körpern. Daß unter dieſen keiner dem Menſchen an Vollkom—⸗ 
menheit gleich komme, laͤßt ſich durch Vergleichung mit voͤlliger 
Sicherheit beſtimmen. Darum iſt kein anderer ſo geeignet, den 
Scharfſinn zu beſchaͤftigen, kein anderer reißt uns ſo maͤchtig zur 


Bewunderung bin, indem Fein anberer fo große Mannigfaltigkeit, 
von fo hoher Einheit gehalten, entfaltet. Wie verliert fidy hier 


die Anfangs kalte Beobachtung des Naturforſchers unwillkuͤhrlich in 


einen Hymnus, wenn er ſieht, wie die verſchiedenſten Thaͤtigkeiten 
ohne gegenfeitige , Störung in harmonifhem Einklange vor fich 
gehen! — Das Blut. ferömt duch den ganzen Bau unfers 
Körpers, ernährt und belebt Alles. Das Herz erweitert und 
verengt fih, um es aufzunehmen und fortzuftoßen, während die 


Lungen ſich heben und ſenken. Der Verdauungsapparat treibt 
die Speiſen durch feinen Kanal und ſondert die ernaͤhrende Fluͤſ— 


ſigkeit ab. Dieſe wird in die Bahn des Blutes aufgenommen, 
und mit großer Geſchwindigkeit weiter gefuͤhrt — alles, ohne 
daß wir es bemerken. Das Muskelſpiel gehorcht unſerm Wil⸗ 
len, noch ehe er uns ſelbſt klar geworden iſt. Der Nerve 
leitet die Eindruͤcke, welche der Koͤrper empfaͤngt, und bringt ſi ſie 
im Hirne zum Bewußtſeyn, und mit unſern Sinnen ſaugen 
wir ſogar das Weltall ein. Ueberall ift Leben in uns „übers 
all Thätigkeit! Neuer Stoff wird angefegt und der alte ent- 
fernt, Stüffigkeiten werden bereitet umd andere zerfeßt.. Ge— 
heimnißvoll entwickelt ſich der Keim zum neuen Menſchen, und 


naͤhrt ſich, bis er ans Licht tritt, daſſelbe Leben zu führen, 


das ihm die Entftehung gab. Und alle diefe VBerrichtungen 
duch den Mechanismus des Körpers felbft vollzogen, wie wun: 
derbar find fie durch eine äußere Dede zu Einem ſchoͤnen 
Ganzen vereint, bei deſſen Betrachtung man nicht die tanfend- 
fältigen Bewegungen des Innern ahnet. . Und über ihnen thront 
ruhig der denkende Geift, der ſich einen Abglanz des Unendli— 


chen fühlt, der mit feinen Faͤhigkeiten die Erde unterthan 


machte und den Blisen des Himmels den Weg vorfchrieb. 


Laut ſpricht auch die Gefchichte über den Werth der An- 
thropologie, indem fie Zeugniß ablegt, daß beim Aufleben der 
Kultur in einem Volke die erſten Fragen, die- den mündig 
werdenden Geiſt befchäftigten, den Urfprung | des Menfchen und 
fein Berhältnig zur Natur betrafen; ja, man fann behaupten, 
daß eben darin das Erwachen der Kultur beftche, daß der 
Menſch Kunde über fein Dafeyn fordert, 


1? 


1 6 N 
2% i 


— 


1% 


N Nur bei übermächtig ARSOR PR Ausbiung der 


Wiſſenſchaften, bei Zertheilung derſelben in eine Menge Zwei— 
ge, wurde es moͤglich, daß Dieſer ſich dem Dienſte des Staa⸗ 
tes, Jener ber Kirche widmete, Einer nach dem Lauf der Ster- 
ne und ein Anderer nach der Form der Pflanzen fragte, ohne 

vorher. zu fragen: Was bin ich ſelbſte | 


Sol ich F vom Nusen fprehen,. fo iſt es in der 
That ſchwer zu fagen, wozu die Kenntniß vom Menfchen, im 
weiteſten Umfange betrachtet, nicht nüse, Sie ift der Boden, 
von dem aus Mir geiſtige und_Eötperliche Leiden Unſerer und 
"Anderer lindern und befämpfen kenen, auf dem unfere Erzie⸗ 
hungskunft und Stantseinrihtungen aufgebaut "werden müffen, 
Berhältniffe, unter deren Einflüffen wir vom erften bis zum 
legten Athemzuge ſtehen. Leben wir doch alle ein Menſchenle— 
ben, mie wäre es möglich, daß die: — mit Kane 
‚ ben ung nicht täglich“ — wuͤrde! aa 


8 


| Andem ich, hingeriſſen von der Aufgabe der hei 
gie, nicht umhin kann, dem menfchlichen Gefchlehte die Er⸗ 
Eenntniß feiner felbft und, feiner . Beftimmung als hoͤchſtes Ziel 
aufzuſtecken, Eönnte ih Sie faft verleiten, hier Aufſchluß über 
die wichtigften Angelegenheiten der Menfchheit und zwar genuͤ⸗ 
genden Aufſchluß zu erwarten. 


Darum muß ich erinnern, was aber von Ihnen ſchon 
bemerkt fepn wird, daß die Kenntnif des Menſchen  diefen 
Preis, diefe Verehrung nur in fo fern verdient, als fie etwas 
‘zu Erteichendes, zu Bollendendes zu ſeyn verfpricht. Vollendet 
iſt ſie aber noch nicht. Seit feiner Entwickelung arbeitete un⸗ 
ſer Geſchlecht an dieſer Selbſterforſchung, ohne die Aufgabe ge— 
loͤſt zu haben, und es wird ſtets daran arbeiten, ohne an das 
Biel zu gelangen, Denn, um ſich ganz zu begreifen, müßte 
der Menſch aufhören Menſch zu Iron, und etwas Groͤßeres 


* werden. un ’ — a 


, 


* 


Um wenigſten duͤrfen dieſe Vorleungen jene hohen An⸗ 
ſpruͤche machen, da ihr. Zweck nur iſt, einige Umriſſe von dem | 
in unferm Fache Geleifteten fo zu verzeichnen, daß fie auch 


’ dem‘ klar werden, deſſen Arbeiten außerhalb deſſelben liegen. 
Sie wiſſen wohl, wie weit fie oft hinter ihren eigenen Anfor— 
derungen zuruͤckbleiben werden, . und wollen fich freuen, wenn 
es ihnen gelingt, für: die fchmierigften. Dinge aud nur eine 
— vom Verhaͤltniſſe zu geben | 


’ 





Fuͤr den 1 Inbegeif alles deffen, was wie vom Menfehen 
miffen, ließ fich Eein palfenderes Wort finden, als Anthro: 
pologie, das aus den bekannten griechifhen Wörtern > 
avdommog, der Menſch, und Aöyog,. die Lehre, gebildet, — 
nem Wortbegriffe nach die ganze Lehre‘ vom Menſchen umfast.. 
Eine vollendete Anthropologie müßte alfo.den Menfchen in ak 
L.; Relationen betrachten. — 


J 


Exfuͤllt fie dieſe Anforderungen, fo if ihr Umfang aller⸗ 


J ein unendlicher, und eine Menge Wiſſenſchaften gehören 


in ihren Bereich,» von denen wir die zunaͤchſt verwandten mit 


Einem Blicke uͤberſehen wollen, theils um dabey einige Venen: 


nungen kennen zu lernen, die dem nicht fremd ſeyn duͤrfen, 
der ſich mit der Anthropologie beſchaͤftigt, theils um einer Zer— 
ſplitterung unſerer Wiſſenſchaft eine kurze Huldigung darzu⸗ 
— en, R 


Ihre waͤhlen ſi ich entweder dem einzelnen 
 Dinfigen zum Gegenſtande, oder 1 e ‚betrachten ihn im Ber: 
| hättmife zu Andern. 


ge dem individuellen Menfchen Tann die Unterfuchung 
| wieder ausgehen auf das, Geiftige deffelben, wo fie. den Namen 
Divhologie, Seelenlehre erhalten bat, oder zweitens auf 
das Rörpeiite. - 


In dieſer Sphaͤre beſchreibt die ——— Bar 
Mann äfande, den Bau und die Zufammenfegung des 
Körpers. Diefer etwas -unpaffende Name ift nicht von dem 
Gegenftande ber Wiſſenſchaft hergenommen, fondern von dem 


r 


Wege, auf welchem man in der Bearbeitung berfelben ging, 
und der kein anderer feyn Eonnte, als Zerlegung des Leibes 
durch geeignete Inſtrumente. Die Zerlegung nannten die Grie— 
hen Avarow, ein Wort, womit man fpäter, hin die Wiſſen⸗ 
ſchaft ſelbſt bezeichnete. » Man hat daher fatt Anatomie das 
Wort Somatologie, die Lehre vom Leibe, im Gegenfas 
zu der Lehre von der Pſyche gebraucht. In unfern Tagen ift 
der Ausdeud Morphologie, Formenlehre, vorgefchlagen, 
befonders in fo fern man die Geftaltung nicht als ganz zufäls - 
tig anfieht, fondern nah dem Grunde der Geftaltung fucht. — 
Die Anatomen hatten, um den Bau des menfchlihen Körpers 
beffer zu verſtehen, ihn mit den. übrigen thierifchen Körpern 
verglichen. So entffand die vergleihende Anatomie, 
die man beffer die allgemeine Anatomie oder Morphologie nen- 
nen Eönnte. Aus der Maffe der von ihr gefammelten Erfahrun⸗ 
gen unterfchied man durch die Benennung Anthropotomie,* 
Menfchenzergliederungstunde die Beſchreibung des menſchlichen 
Baues von der Zootomie, der Befchreibung der Thierkoͤrper. 


Der Leib der Menſchen iſt aber nicht bloßer Koͤrper, ſon⸗ 
dern ein lebendiger, deſſen einzelne Theile zur Erhaltung des 
Ganzen thaͤtig find. Die Wiſſenſchaft von dieſen Thaͤtigkeiten 


wurde Phyfiologie genannt. Da alle einzelne Verrichtun⸗ 


gen Bezug haben auf das allgemeine Leben und gleichſam ein- 
zelne Ausdruͤcke deſſelben find, fo konnte man eine allgemei- 
ne und eine fpecielle Phyfiologie unterfheiden, von 
welchen: legtere das Leben. als Ganzes unterfuht, weshalb fie in 
unſern Tagen den Namen Biologie, Lebenslehre erhalten hat. 
Der lebende menſchliche Organismus weicht ferner, wie 
die Erfahrung zeigt, von ſeinem Normalzuſtande ab, und gibt 
o Stoff für die Pathologie, die Lehre von der Krankheit. 
RE —J J 





* Man ſieht Leicht, daß mehrere ber hier genannten Wiſſenſchaften in einan- 
der ‚übergreifen und nur nad) den verſchledenen Anfichten,’ die man aufs 
fat, oder nad) den Sweden , die man bei Bearbeitung berfelben verfolgt, 
begränzt werden. Einige Benennungen bezeichnen ganz denfelben Gegen 
ftand.” So bezeiinen Unthropotomie und Unatomie die Kennt: 
niße vom Bau des menſchlichen Körpers, wenn man, wie es die Gewohn— 
heit eingeführt. hat, das legte Wort bloß auf den Menſchen bezieht... Da 
man aber auch den Bau des thieriichen Körpers darunter begreifen ann, 
und begriffen hat , fo wuroe ein neues Wort veranlaßt. en 


i N —— 7 — 


Se mehr, bie Dinfslgie bearbeitet wurde, um deſto mehr 
erkannte man den innigen Zuſammenhang zwiſchen dem Koͤrper 
und dem in ihm lebenden Unkoͤrperlichen, der menſchlichen See— 
le. Diefe Unterfuchungen. faßte man in - ber Anthroponn: 
mie zuſammen. Ihr Gegenſtand iſt das Eigenthuͤmliche in 
der Menſchennatur im Gegenſatze zu der Zoonomie, der 
Lehre von der Thierheit. 

Die Anthreponomie ift daher ihrem Gegenftande nach mit 
der Pinchologie verwandt. Weil aber Iegtere häufig auf nicht 
naturhiſtoriſchem Wege bearbeitet worden war, fo hatten die 
— Veranlaſſung, von einer andern Baſis aufzubauen, 


"Die Wiffenfchaften, die den Menſchen im Verhältniffe zu 


— oder dem ganzen Menſchengeſchlechte, beruͤckſichtigen, 


unterſuchen entweder dieſes in ſeiner Entwickelung — in der 


Geſchichte (die Kulturgeſchichte oder phyſiſche Ge— 


ſchichte des Menſchengeſchlechtes, von welcher wir 


kaum einzelne Bruchſtuͤcke beſitzen, ſeyn kann) — oder ohne | 
Ruͤckſicht auf die »Beit, mohin man Ethnographie, 


Staatöwiffeniähaft, Rehtsphilofophie, und ei⸗ 
ne Menge anderer Forfhungen, in fo fern fie aus der Natur 
des Menfhen hervorachen, als zum Umkreiſe a 
Unterfuhungen gehörig, jtellen muß, 3 


In dieſer weiten Ausdehnung iſt jedoch die —— 


noch nicht als Ganzes bearbeitet worden. Es haben vielmehr die 
Schriftſteller bald die koͤrperlichen bald die geiſtigen Verhaͤltniſſe in 
ihren Werken vorzuͤglich, oder allein ins Auge gefaßt. Die Rechts⸗ 
philoſophie und Staatswiſſenſchaft haben erſt angefangen, ihre an⸗ 
thropologiſche Wurzel zu erkennen. 

Was wir in unſern Vorleſungen, und in welcher Reihenfol- 
ge wir es zu. geben gedenken, faffen wir in Folgendem zufammen. 


Die Tendenz des Ganzen ijt, aus dem anthropologifhen 

Wiffen dasjenige hervorzuheben, was jeden gebildeten Menfchen 
intereſſirt. Es foll’daher mit Dinweglaffung alles desjenigen Spes 
ciellen, was nur dem wichtig ift, den das Studium des Menfchen 
allein befhäftigt, foviel von den bisherigen Ergebniffen der Forfhung 
‚Über den Menfchen mittheilen, als erforderlich ift, um eine vollftandi- 
ge Ueberfiht von dem: Bau und ben Lebensverhältniffen des menſch⸗ 


5 


* 


er 


lichen Körpers zu Wahen, ind den —— der eStperficen | 
Verrichtungen mit den ‚geifligen zu erkennen. Es wird ſich dabei 
mancherlei Gelegenheit finden, aus ben wiffenfchaftlichen Ergebnif⸗ 


ſen Folgerungen für das practiſche Leben zu machen. — 


Ich habe übrigens ein Publicum vor Augen, dem die Kennt— 
niß vom Menfchen fremd, das aber fonft , an —J— Be⸗ 
ſchaͤftigungen gewöhnt iſt. 


Der ganze Vortrag ſoll in drey Abtheilungen — 


In der erſten werden wir den einzelnen Menſchen nach ſeinen 
Theilen und deren Verrichtungen kennen zu lernen ſuchen. Dieſer 
Abſchnitt würde alſo eine Ueberſicht der Anatomie und ſpeciellen 


Phyſiologie liefern, eine Verbindung, die man mit dem Namen ber 


Anthropographie, d. h. der beſchreibenden Menfchenkunde 


‚belegt, „indem fie den Menfchen feinem, Hau und Leben nah bes 
Schreibe. Es liegt in dem Zwecke, den ich mir —— WIN: daß 


diefer Theil der Längfte feyn wird. 


Die zweyte Abtheitung hat das Verheſtniß der Menſchen zur 
ganzen Natur im Auge. Hier fol der Menſch mit allen Übrigen. 
lebenden Weſen verglichen, und fein Standpunct unter ihnen bes 
ſtimmt werden. Das kann aber nicht geſchehen, ohne die erſte 


Abtheilung als Materiale zu benugen, um daraus den Begriff von 


Drganifation und Leben zu entwickeln, die uns hinüber führen wer⸗ 
den zu Fragen über die menfchliche Seele, Sie verdient daher vor 
den übrigen Abtheilungen den Namen bev ee nomie 
und Biologie, 


Sind wir auf bieſe Weife mit dem Menſchen bekannt BR | 
den, fo fol: - P 


— 


Drittens ſein Verhaͤltniß zu andern Menſchen, oder das ganz 


ze Menſchengeſchlecht unfre Aufmerkſamkeit De Wir wer- 


den fragen, 06 es mehr als eine Species von unſerm Geſchlechte 
gibt, und welche Abarten fich unterfcheiden laffen, welche Einflüf- 
fe, Elimatifche Verhältniffe und Lebensweiſe auf unſre Organifation 


» „haben, was Zeit und Kultur an ihr zu verändern vermögen ? 


Sou auch diefer Abſchnitt einen Namen erhalten, fo muͤſſen 
wir das nicht ganz gute Bor An 122); oh —9 dazu waͤhlen. ii 











Erfte Ybtheilung 
Antbeoposranbie 





CARE Zweite Borlefung 
Allgemeine Erläuterungen, 


* | * N —* ‚$ Xu; 


Ns dem mitgetheiften Plane code diefe Vorlefungen vom 


Speciellen zum Allgemeinen übergehn, fo daß fie zuerft den 


Nenſchenkoͤrper nad) feinen einzeimen Theilen befchreiden und deren 


* Verrichtungen angeben, nachher aber aus den geſammelten Mate⸗ 
rialien allgemeine Folgerungen entwickeln. Indeſſen muͤſſen zum 
— des Einzelnen gewiſſe Grundlehren und eingefuͤhrte 
enennungen gelaͤufig ſeyn Dieſe werde ich daher voranſchicken, 
amd aus. Her und einigen Bemerkungen, die im weitern Verlaufe 
feinen (hie lichen Pab finden, den Stoff zur heutigen Unterpal- 
ung ‚wählen, — RT 


$. 2. Werfen wir einen Bid auf * umjerglieberten 
Menfhen, fo bemerken wir eine hohe Symmetrie dev beiden feitlis 
hen Hälften. Wo wir rechts einen Theil ſehen, iſt links ein 
ähnlicher.” Alte Theile, die einzeln find, Nafe, Kinn, Mund 
liegen in einer Ebene, die man fi ſenkrecht, durch den ganzen 
Körper gelegt, denken kann, und melde ihn in zwey gleiche Hilfe 


* 


— 10 — | 


‚ten theilen würbe) Diefe Ebene theilt auch digenigen Orga⸗ 
ne, die nur in einfacher Zahl da find, in zwey gleiche Hälften, 
denn fie find, auf der rechten Seite eben fo gebildet wie auf ber lin- 
fen. Im, Innern des Leibes ift diefe Symmetrie nicht zu bemer- 

ken. Die Lungen find doppelt, aber nicht einander gleich, Xes 

ber, Magen, Milz find Theile, die nur einzeln vorkommen, aber 
fie liegen nicht in der Mittelebene und befiehen nicht aus zwey gleis _ 
* Hälften, | 


$. 3. 7 Obgleich der Körper ein Ganzes ift, fo laſſen ſich 
doh an ihm gewiſſe Abfchnitte oder Negionen unterfcheiden. Es 
wäre überflüffig, fie hier zu nennen, da fie aus dem gewöhnlichen 
Sprachgebrauche allgemein befannt find,. aud die Abtheilungen des 
SKnochengerüftes, Die wir durchgehn werden, barnach benannt 
find. — Nur-in dem Umfange des Bauches haben die Anato: 
men die. Namen vervielfältigt, oder die Benennungen fo ge 
braucht, wie fie nicht immer gebraucht werden. Da wir diefe Be- 
‚nennungen auc anwenden werden, um bie Lage ber innern Theile 
zu befchreiben,, fo merken wir uns hier Folgendes. — Man denkt 
fi) eine Linie, welche den unterften Theil der Rippen beider Seiten 
; berührt, und eine zweite Linie, melde von dem obern Rande des 
einen Hüftbeins zum obern Rande des andern Huͤftbeins gezogen 
wird. Der Theil der Bauchhoͤhle, der uͤber der erſten Linie liegt, 
heißt die O berbaudhgegend, der Theil unter der zweiten Li⸗ 
nie die Unterbauchgeg! end. Der breite Gürtel zwifhen 
beiden ift die Mittelbauhgegend. Im ber Oberbauchges 
gend ift der Raum zwifchen den untern Rippen bie Magenge: 
gend. Der oberfte Theil derfelben iſt etwas vertieft und heißt 
die Herzgrube (Tab. I. Sig. 1. a). Zu beiden Seiten bede— 
Een die untern Nippen zwei Räume, die man die Unterrtip- 
pengegenden (Hypohondrien) (b, b) nennt In der 
Mitteibauchgegend Liegt in dev-Mitte die Nabelgegend; rechts 
und links davon unter den Hppochondrien die. Darmgegen- 
den (c, ©), und von diefen nad ‚hinten, nach dem Nüdgrat zu 
— die fendengegenden,; In ber Unterbauchgegend heißt 
> der unterfte Theildie Shamgegend (e). Zu beiden Seiten‘ 
derfelben nach den Hüftbeinen hinauf, längs des Urfprungs der 
Oberſchenkel, verlaufen die Leiftengegenden (d) 


— II 


Die — Abtheilungen des Koͤrpers muͤſſen ein be⸗ 
ſtimmtes Verhaͤltniß haben, um ein kraͤftiges Leben hervorzubrin⸗ 


gen. Je zweckmaͤßiger und daher je geſunder eine jede Partie ger 


baut if, um dejto mehr fpricht das Ganze unfer Schönheitsgefühl 
an. Man war darum bemüht, die Verhältnijfe eines normalen 
Körpers aufzufinden, theils aus wiffenfhaftlihem Intereffe, theils 
um den bildenden Künften ein Mufter zur Nachbildung zu geben, 
"Obgleich die Refultate der Vergleihungen nicht ganz im Einzelnen 
übereinflimmen, indem Einige ein Verhaͤltniß ald mufterhaft anfes 
hen, das Andern nicht ganz vollkommen fheint, fo kann man doch 
folgende Verhaͤltniſſe fuͤr einen wohlgebauten Körper annehmen. 


Die Miste der ganzen Länge des Korpers muß in die Scham⸗ 
gegend fallen, fo daß der Kopf mit dem Rumpfe die eine Hälfte und 
die untern Ertremitäten die andere Hälfte ausmahen. Werden 
diefe Hälften wieder halbiert, fo trifft N der ganzen Länge von 
oben auf die Mitte der Bruft in gleiche Höhe mit den Achfelhöhlen, - 
4 der Länge von unten gemeffen unter das Knie, Die Hälfte des 
“ oberften Viertheils iſt die Kopflänge, - diefe ift alfo T/ der ganzen 
Körperlänge. Die Mitte des 2ten Viertheils fällt zwifchen die 
Herzgrube und den Nabel, Eine Kopflänge beträgt auch die Ent: 
fernung von der Achſelgrube bis zur Ellenbogenbeuge und die Länge 
des Fußes. Die Länge des Gefichtes ift %, der Kopflänge (nad) 
Andern 9,7 derfelben, was nur einen Unterfchied von 5 gibt), 
fo daß der ganze Körper 10 Gefichtslängen enthält. in regelmaͤ⸗ 
Big gebildstes Geſicht läßt fich der Länge nad) in 3 Theile theilen, 
von denen die Stirn den erften, die Nafe den zweiten und ber 
Mund mit dem Kinne den dritten Theil einnimmt. Eben fo viel 
beträgt die Länge des Ohrs, und der Hals redet 1), Gefihtes 
theile. Die Hand enthält eine, der Mittelfi inger 1, und der Daus 
men I, Geſichtslaͤngen. Die groͤßte Breite des —— Koͤr⸗ 
pers iſt in der Schultergegend nicht ganz 3 Geſichtslaͤngen. 


Alle dieſe Maaße ſind vom erwachſenen maͤnnlichen Koͤrper 
genommen. Ein Kind von einem Jahr hat 4 feiner Kopflaͤngen 
zur Höhe (da der Kopf verhältniimäßig größer ift), und «ein Kind 
vom zten Jahre 5 feiner Kopflingen. Es ift halb fo lang als im 


erwachſenen Zuftande, 


a Der — 7 — Asıper befteht aus einer Menge be: 
terogener Theile. Man kann zweierlei Arten von Theilen unter- 
ſcheiden. Einige derſelben kommen fehr vielfach wiederholt. im - 
Körper vor, und alle diefe Wiederholungen find fi im innern Bau 
(Tertur) und daher auch in ihren Verridjtungen weſentlich gleich. 

Sie leiden auch an denfelben Krankheiten. Dean nennt die Ge- 
- jammtheit aller folcher gleichartigen Theile ein organifhes 
Syſtem. So finden ſich eine Menge Knochen, Muskeln, Ges 
faͤße (ſo nennen die Anatomen die Adern), und uͤberall Schleim⸗ 
ſtoff Zellſtoff), Unter den organiſchen Syſtemen find einige allge⸗— 
mein im ganzen Koͤrper verbreitet, fo daß faſt Fein Theil ihrer ent- 
behit. Diefe bilden auch räumlich ein Ganzes, d. h. es hängen 

‚alle Abtheilungen deſſelben Spftems zufammen. So ift es mit 
dem Nervenfoftem, dem Gefaͤßſyſtem und dem Schleim⸗ Dörr 


Rellfloff. — 


6.5. Es finden ſich dagegen Theile, die nur einzeln oder 
doppelt vorkommen. Sie find mit andern Theilen, die von ihnen 
verfchieden find, verbunden, und haben mit diefen eine gemein- 
ſchaftliche Hauptverrihtung. So dienen zum Athmen die Lungen, 
die Luftröhre, der Kehlkopf. Den ganzen Verein nennen wir ei= 
nen Apparat, und die einzelnen’ Theile Organe, info fern 
fie, jeder-für fih, eine befondere Verrihtung haben. So iftdie 
Luftroͤhre ein Organ aus dem Athmungsapparate. Solche Orga: 
ne fönnen nicht ganz einfach gebaut ſeyn, fondern müffen Theile. 
der. allgemein verbreiteten Syfteme in fich enthalten, da, wie ans 
"geführt worden ift, diefe fi in alle Organe hineinziehen. Die 
Organe heißen daher auch sufammengefeste Theile 

‚ im Gegenfag zu den einfachen, von denen ber vorige $. handels 
‚te, Indeſſen iſt zu bemerken, daß dieſer unterſchied nicht ganz 
ſchneidend iſt, denn auch die Nerven haben einige Gefaͤße und die 
Gefaͤße einige Nerven. Nichts kann im lebenden Körper gang ein: 
fach gebaut feyn, wenn es Antheil am Leben habenfo, © 


.., Einige Organe find’im Innern des Leibes verborgen. Diefe 
nennt mah "Eingeweide, und zwar Drüfen, wenn fie eine 
eigenthümliche Slüffigkeit bereiten. Die Anatomen haben, dem _ 
gewöhnlichen Sprachgebrauche zuwider, alle Organe Eingeweide 


— — 13 — 


genannt, ſo deß fi fe i in * aelehre Splanchnologic ge⸗ 
woͤhnlich auch die aͤußern RRFORt z. B. das Auge, ab⸗ 
handeln. 


{ 


F. 6. _ Berlegt man bie einfügen oder zufommengefeßten 
du mechaniſch bis in ihre letzten, kleinſten Beſtandtheile, fo 


findet man feſte und flüffige Elementarformen., Die Fluͤſſig— 


feiten, bie als folhe im menſchlichen Körper vorkommen, find 
auch in der Form, wenn man fich fo ausdruͤcken darf, von den uns 
organifchen verſchieden. Die thierifchen Fluͤſſigkeiten find nämlich 
nicht homogen, fondern enthalten Eleine, weiche, mehr oder weni— 
get Eugelige Koͤrperchen, die in einer wahren Fluͤſſigkeit ſchwimmen. 


Das Verhaͤltniß der enthaltenen halbfeſten Kuͤgelchen zu der fluͤſſi⸗ 


gen Grundlage iſt ſehr verſchieden, und um fo größer, je wichtiger 
die organifche Flüffigkeit für das Leben des ganzen Körpers iſt. So 
find die Kuͤgelchen zahlreich im Blute, dagegen ſehr felten im Hars 
ne, ber für den Körper nicht mehr brauchbar, nur die Beffimmung 
hat, ausgeſchieden zu werden. Auch die ſogenannten feſten Theile 
enthalten flüffige Stoffe gebunden in fih, und zwar um fo mehr, 
je weicher fie. find. Daher kommt 06, daß die Maffe der Fluͤſſig⸗ 
keit, wenn wir die freie und die gebundene zuſammen nehmen, die 


feſte Maſſe ſehr uͤherwiegt. Man kann jene wohl fuͤr doppelt ſo 


viel als dieſe halten. Davon uͤberzeugt man ſich durch ſolche Lei⸗ 
chen, die ausgetrocknet werden, ehe ſe ie in — uͤbergehen 
koͤnnen. 


$. 7. Die — Maſſen — * fie —— gan, ohne ver 
gelmäßiges "Gewebe oder in drei verfchiedenen Elementarformen. 
Eine ift die Fa ſer. Sie erfcheint ung beym erften Blide als Linie, 
indem Breite und Dide fehr gering find gegen die Länge. - Die 
Subftanz der Fafer kann dabei fehr mannigfach ſeyn, fo daß eine 


Knochenfafer, Muskelfafer, Sehnenfaſer fehr verfchiedener Natur 


if, Der Ausdrud Fafer zeigt nur an, daß die Subftanz fi in 
der —— angeſetzt hat. 


68. Die zweite Form iſt die Blattform, in welchem 
Länge und Breite beträchtlich find gegen die geringe Dide, fo daß 
man eine bloße, Fläche zu fehen glaubt. Große Blätter bilden mei: 
ſtens oeſchloſſene Säde. 


ee 
er) > U . 


— 14 — 
6. 9. Eine dritte Grundform find Kuͤgelchen, im wel: 
chen Eeine der drei Dimenfionen vorwaltet, Sie pflegen nicht ſcharf 
begraͤnzt zu fein, | 


$. 10. Es muß der Miffenfehaft von großem Intereſſe ſeyn, 
auch zu wiffen, aus welden Stoffen der. menfchliche Körper che- 
milch zufammengefegt iſt. Leider ſtoͤßt man aber bei diefer Unter 
fuhung auf unüberwindlihe Schwierigkeiten, welche der Chemie der 
lebenden Körper. überallinden Weg treten, Die Theile, welche der 
Chemiker dus den Pflanzen und Thieren zu feinen Unterfuchungen 
‚nimmt, find fhon aus dem lebendigen Zufammenhange geriffen und 
von dem Augenblice ihrer ostrennung an, gehen in ihnen Veraͤnde— 
zungen vor, die dem Leben nicht mehr angehören. Mögen diefe 
Veraͤnderungen in den vegetabilifchen Theilen auch gering feyn, fo 


ſind ſie doc in den thierifchen fo bedeutend, daß fie ſchon durch un- 


fere Sinne leicht zu erkennen find. Das Blut, das wir aus der 
Ader eines lebenden Thieres fliegen laffen, werändert in wenigen 
Minuten feine Farbe und Confiftenz und fängt an in mehrere Theis \ 
le fih zu fcheiden. Was num der Netorte übergeben wird, ift 
kaum mehr das Blut eines lebenden Thieres zu nennen, fondern 
ein Product des Blutes, Andere Schwierigkeiten finden fich bey 
‚der Unterfuhung felbfl. Nur durch gewaltfame Mittel laffen ſich 
biefe Subſtanzen zerlegen, und um fo ſchwieriger iſt es zu beſtim⸗ 
men, ob das, mas wir dabei erhalten, ſchon früher in ihnen ent: 
Halten war, ‘oder erſt durch die Kunſt erzeugt iſt, je mehr die Na- 
tur in dem lebenden Thiere ganz andere Wege einfchlägt, um bie 
chemifche Befchaffenheit der einzelnen Theile zu erzeugen und umzu— 
ändern, Eine andere Schwierigkeit findet man, wenn man das 
Verhaͤltniß der einzelnen chemiſchen Beſtandtheile genau angeben 
will, darin, daß daſſelbe nach dem jedesmaligen Zuſtande des Wohl⸗ 
befindens, nach Alter und Außeren Verhaͤltniſſen deffelben Thieres, 
bejonders in den Fluͤſſigkeiten, ſich verändert. Was von der thieri⸗ 
ſchen Chemie überhaupt gilt, hat auch fuͤr die Chemie des menſchli⸗ 


chen Körpers vorzuͤgliche Gültigkeit, an welchem erſt eine bedeuten⸗ 


de Zeit nad) dem Tode die Unterfuchung vorgenommen werden darf. 


Deffen ungeachtet dürfen wir unfere Anfprüche an die Chemie 
nicht aufgeben, ' Sie lehrt uns wenigſtens die größere oder gerin: 


/ 


— 15 — 
geringere Aehnlichkeit der verſchiedenen Theile, moͤgen nun die 
Stoffe, die ſie uns als Beſtandtheile nennt, Produete der Kunſt 
oder in den unterſuchten Gegenſtaͤnden fruͤher enthalten geweſen 
ſeyn. 


Was uns bey demſelben Verfahren aͤhnliche Beftandtpeile 


‚gibt, dürfen wir als Ähnlich in feiner chemifchen Befchaffenheit ans 


fehen, und wir können immer mit Grund fchliefen, daß die Na— 
tue zue Hervorbeingung ähnlicher Gemifche ähnliche Proceffe ans 
wendet. Auch hat die neuere Chemie fih bemüht, *bei ihren Un— 
terfuchungen auf die Verhältniffe des Lebens mehr Rüdfiht zu 


nehmen und dadurch manches intereffante Nefultat geliefert. Dar— 


um werden wir bey Betrachtung der einzelnen Theile des Körpers 


immer auf ihre chemifches Verhaͤltniß auch Nüdfiht nehmen,  Eir 


nige allgemeine Bemerkungen aber mögen hier vorangehen. 


$. 11, Es ift feinem Zweifel unterworfen, daß im lebenden 
Körper unaufhörlich die mannigfaltigften chemifchen Proceffe vor 


ſich gehen. Es ift in ihm nämlich ein befländiges Bilden und Um⸗ 


bilden zu feiner Selbſterhaltung, das von den chemiſchen Proceffen 
in leblofen, 3. B. gährenden Maffen ſich dadurch unterfcheidet, daß 


das Refultat im geſunden Zuſtande immer faſt ganz daſſelbe bleibt, 


naͤmlich Erhalten der normalen Beſchaffenheit des Koͤrpers. Denn, 
obgleich ganz ſtreng genommen, die chemiſche Beſchaffenheit des 
Leibes und ſeiner einzelnen Theile in jedem Augenblicke um etwas, 
ſey es auch noch ſo wenig, von der Beſchaffenheit des naͤchſt vorher: 
gehenden abweicht, ſo ſind doch die Graͤnzen, zwiſchen welchen die 
Miſchung der einzelnen Theile ſchwanken kann, ohne daß fie zu ih— 


\ 


ven Zwecken untüchtig werden, ziemlich eng, und der lebende Koͤr⸗ 


per erfest fogleich jeden entfichenden Mangel, wenn er nur das 
ihm nothwendige Material von Auffen erhalten kann. So darf 
man mit Recht fagen, daß die chemifchen Veränderungen unter 
ber Herefchaft des Lebens erfolgen, Ja, der lebende Körper ift 
ein größerer Chemiker als die beruͤhmteſten Scheidekuͤnſtler in ihren 
Laboratorien; denn er kann einen Stoff, den wir für einfach, hal 
ten, aus Stoffen bereiten, die jenen nicht in fich enthielten. So, 


um ein Benfpiel von andern Thieren zu wählen, find die Eyer der, 


Boͤgel von einer Kalkſchaale umgeben, die fih im Leibe des legen- 
den Vogels bilder, Darüber angeftellte Unterfuchungen "haben ges 


0 Te 
* 


„ 


lehrt, daß die Maffe von Kalk, melche ein Huhn in einer beſtimm⸗ 


* 


ten Zeit zur Bekleidung ſeiner Eyer verbraucht, viel groͤßer iſt, als 


die Quantitaͤt Kalk, welche es waͤhrend dieſer Zeit durch die Nah⸗ 


rungsmittel zu ſich genommen hatte. Thiere, deren Nahrung ſehr 


wenig Stickſtoff enthält, wie die von Vegetabilien lebenden, beſi⸗ 
gen dennoch nicht wenig Stickſtoff in faſt allen Theilen Yan 
—J— 


$.. 12. Der lebende khierifee Körper ändert alfo die chemi: 


3, ſche Beſchaffenheit der aufgenommenen Stoffe um, indem er dar 


aus die Beſtandtheile feiner felbft bildet. Er erzeugt zuvoͤrderſt 


- Stoffe, die in den meiften Theilen des Leibes vorfommen, aber 


# 


nicht einfach find, fondern auf chemifchem Wege ſich wieder in bie 


‚einfachen uoffe gertegen lajfen, die wir aus der Chemie der leblo⸗ 


fen Körper nennen. Jene zufammengefegten: Stoffe finden fich da: 
gegen in lebloſen Körpern nicht, ja in vegetabilifchen auch nur mit 
mancherlei Mobiftcntionen. Wir Eönnen fiedaher mit Recht thie- 
riſche Stoffe nennen, indem ſie Producte des thieriſchen Lebens 
ſind. Sie ſind es, welche wir bei der Zerlegung zuerſt erhalten. 
Man nennt fie daher auch nähere Beftandtheile im Ge 
genfag zu den einfachen Stoffen, in die fie fich wieder zerlegen. laf 
fen, und welche bie — DENE ge: 
nannt werden. — 


Die nähern ———— der organiſchen en find ao 
aus mehr als zwei einfachen Beftandtheilen zufammengefegt. Bi— 
näre Verbindungeh gehören dem unorganifhen Reiche an. Die ver 
getabitifchen Stoffe beftehen .meiftens aus 3 Elementen, und die 
thierifchen enthalten faft immer vier, . wenigfteng die am meiften 
verbreiteten. » Man hat fchon die Viergahl für weſentlich in der 


- chemifchen Compofition der thierifchen Körper erachtet; indeffen fin- 


det fich im Fette Fein Stickſtoff nah den, beiten Chemikern, und 
oft Eommen zu den vier am meiften verbreiteten Stoffen, Sauer: 
ftoff, Stickſtoff, Wafferftoff und Kohlenftoff noch andere hinzu, ° 
die vielleicht ka weniger wefentlid; find. $ 


Die im —— Koͤrper am meiſten — thierl⸗ 
ſchen Stoffe der naͤhern Beſtandtheile im chemiſchen Sinne find: 
Giweisftoff, Gallert, Zaferftoff, Schleim, 

| | — 


— 


— —— 
— 


im 
thieriſches Waffer, Fett, Osma zom und Milch— 
ſaͤ ure. Auch der faͤrbende Beſtandtheil des Blutes iſt nicht blos 
auf dieſe Fluͤſſigkeit beſchraͤnkt. — Einige andere Stoffe finden fi r 
nur. in gewiffen einzelnen Theilen oder Stuff igfeiten. | 


Br ir 9 
273. De Eyw eißftoff hat feinen Namen vom Eys 


weiß in den Eyern der Vögel, welches et mit vielem Waffer ver« 
miſcht, groͤßtentheils bildet. Er iſt weiß, ohne merklichen Ge 
ſchmack und Geruch, loͤſt ſich in kaltem Waſſer auf, aber nicht in 
kochendem, Ueberhaupt gerinnt er im einer. Hitze, die über,60° 


Reaumur iſt. So geronnen loͤſt er ſich nicht. wieder in Waffer 


auf. In Saͤuren und Weingeiſt iſt er gar nicht auflöslic, aber ° 


- sehr leicht in Alealien. Eingetrocknet wird er zu einer gelblichen, 


ſproͤden/ beunfteinähnlichen Mae. — Im feine entfernten Bes 
fiandtheite zerlegt, gibt er Uber die Hälfte Kohlenſtoff, faſt U 
Saursfioft; Y Stidftoff und Yı3 Waſſerſtoff. 


| Sg "Die Gallert (Gelatina, ‚Gluten) Eh fi m: ’, 


heißem Waſſer leicht auf, daher fie durch Kochen aus Knorpeln, 
Knochen und Häuten gewonnen wird. Sie bildet dann mit dem 
Waſſer eine dicke Fluͤſſi gkeit. Laͤßt man fie etwas erkalten und ab⸗ 
dunſten, ſo bildet ſie eine weiche zitternde Maſſe, von einer Con⸗ 
ſiſtenz, die man im gemeinen Leben ſulzig nennt. In den aus 


thieriſchen Theilen bereiteten Geldes macht fie einen anſehnlichen 


Beſtandtheil aus. Ganz ausgetrocknet gibt fie einen ſproͤden, halbs 


durchſichtigen Körper mit glefigem Bruche. Wir kennen fie in dies 


fem Zuftande unter dem Namen des Leims, weswegen mehrere 


Chemiket dieſen Stoff überhaupt. den thieriſchen Leim nennen. So 
eingetrocknet loͤſt er ſich in heißem Waſſer wieder auf. In Wein⸗ 
geiſt iſt die Gallert nicht aufloͤsbar, aber wohl in Säuren, wodürch 


ſie leicht vom Eyweiß zu unterſcheiden iſt. Vom Gerbſtoff wird 
fie aus ihren Verbindungen niedergeſchlagen, fie hat. weniger als 
die Hälfte ihres Gewichte an Kohle, über Y, Sauerftoff, Über % 
Stickſtoff und faſt Yo Waſſerſtoff. | 


$. 15. Der Kaferftoff (Fibrine) iſt eine dritte häufig 
vorfommende Subftanz, namentlich find Blut und Muskelfleiſch 
reich daran. Durch Peitſchen oder Quirlen iſt er vom Blute leicht 


trennbar, und > dann als ein fabiges Gewebe, ba. eben ſo 
, 2 


—— — 18 — 

wenig Geſchmack und Geruch hat, als die beiden vorher genannten 
Stoffe. Er verbindet ſich nicht mit Waſſer, Säuren oder Wein⸗ 
geiſt, aber wohl mit Alcalien. Die leichte Gerinnbarkeit, die er 
ſelbſt im Lebenden Körper, aber mehr noch nach dem Tode zeigt, 
characterifict ihn befonders, Er ‚enthält mehr als die Hälfte feines 
Gewichtes an Kohle, Stickſtoff, fat eben fo viel Sauerſtoff 
und Y4 Wafferftoff. | | 


$. 16. Sehr merkwuͤrdig iſt es, daß bie drei: bieher cha⸗ 
racteriſirten thierifchen Stoffe, die am weiteſten verbreitet im 
menſchlichen Körper vorfommen, nad dem Inhalte ber chemifchen 
Elemente einander fo fehr ähnlich find. * Sie erfcheinen alle drei 
als Mopdificationen einee Grundmifhung, die man die thierifche 
nennen Eönnte. ** Der Zaferfloff ift unter den, genannten thieris 
ſchen Stoffen am reichften an Stidfloff.e 


I 


6. 17. Das Fett kommt mehr für fih, als in die Mi⸗ 
ſchung anderer Theile eingehend, vor. Es hat chemifch große 
Aehnlichkeit mit den. fetten Delen der Pflanzen, ift aber im menſch⸗ 
lichen Körper weniger flüffig als in den meiften Pflanzen, Am 
flüffigften ift e8 in den Knochen als Mark, feſter im Zellgewebe, 





»Nach den franzöfifhen Chemikern Gay⸗Luͤ fſae und? Thenard verbal; 
ten ſich die Elemente in den drey genannten Stoffen auf folgende Weiſe: 


im Eyweig _ in ber Gallert im Faſerſtoff 





Sauerftoff 23,872. 27,207 19,685 

Waſſerſtoff 7,540 7,914 7,021 

Stickſtoff 15,705 16,998 * 19,934 

Kohlenſtoff 62/863 „47,888 53,360 
$Summa 100 100 100 


wm Daß bie thierifchen Stoffe weſentlich nur Modificationen einer Grundmi⸗ 
ſchung find, gibt eben bie große Schwierigkeit An det Aufzählung der eins 
zelnen Stoffe. Jeder einzelne Stoff Eommt im den verſchiedenen Theilen wies 

der modificirt vor. Das Eyweiß im Hirne ift ein andres als bad Eyweiß 

im Blute. Da ſich nun keine fcharfen Gränzen finden laffen, fo find meh— 

tere Chemiker ber Meinung, einige bisher aufgezählte thierifche Stoffe 

müfe man ganz eingehen laffen, wie 4 8. die Gallert, welde in 

der Art, wie umfere kuͤnſtliche Gallert fie zeigt, nirgends vorkommt, und 

bie grobe Chemiter unfrer Zeit für Eyweiß in halbgeronnenem Zuftande 
erklären. Damit iheint jebody nichtö gewonnen, denn die Gallert in den 
Knochen iſt doch gewiß vom Eymeiß des Hirns chemifch-fehr verſchieden; 
‚warum follte man fie nicht heſonders benennen? Da bie thierifhe Mis 
hung an jeber Stelle bed Körpers befonderd mopificirt wird; ſo hat 
man neuerlich fait in jeder befondern Flüffigkeit, z. B. in ber Galle, im 
Harn, im Speichel u, f. w., einen befondern Stoff gefunden, ver mit 
den allgemeinen thieriſchen Stoffen verbunden iſt. Von dieſen Stoffen fpä: 
ter bey Gelegenheit dieſer Fluͤſſigkeiten. — —— # Ei 


* — 19 — 


beſonders unter der Haut und in der Bauchhoͤhle. Bei erhoͤhter 
Temperatur wird indeſſen auch dieſes flüffig. Es verbinder ſich 
eben ſo wenig mit Waſſer als mit Weingeiſt, und iſt leichter als 
beide. Mit Alcalien verbindet es ſich zur Seife. Das Fett iſt 
fehr verfchieden. Im der Regel enthält es über 24 feines Ges 
wichtes an Kohle, 7, Waſſerſtoff, noch weniger RT und 
vielleicht gar Om Stickſtoff. 


$. 18. De Schleim — ſich in allen ſolchen Hoh⸗ 
len des Koͤrpers, die ſich mittelbar oder unmittelbar nach außen 
öffnen. Er iſt im Weingeiſt unaufloͤslich; Waſſer ſaugt er ein, 
wird davon durchſichtig und zieht ſich in Fäden. In der Wärme 
gerinnt er nicht wie Eyweiß, und bildet, mit Waffer gefod;t, keine 
Gallert, kommt aber übrigens doch der Natur des Eymweißes nahe. 


$. 19. Waffer fommt nie in reinem Zuſtande im Koͤr⸗ 
per vor, fondern nur mit Eyweißſtoff und einigen Sälzen verbuns 
den. Man Eann diefe Verbindung thieriſches Waffer 
nennen. Es findet ſich nicht nur in den Fläffigkeiten, fondern aud) 
in den feften Theilen, und ift frei in allen folchen Höhlen des Kör« 
pers, die feinen Ausgang nah augen haben. Es ift in legteren 
geößtentheils in dunfiförmigem Zuftande, 


$. 20. Osmazom ift ein von den neuen Chemikern 
aufgeftellter näherer Beſtandtheil des thierifchen Körpers, der aber 
noch etwas Problematifches hat. Aus Fleifhbrühe laͤßt ſich diefer 
Stoff mit Weingeift als vörhlich brauner Ertract ausziehen. Es 
hat den Geruch der Brühe, und ihm fchreibt man den Eräftigen 
Geruch und Gefhmad des Nindfleifhes in gebratenem. und gekoch⸗ 
tem Zuflande bei. » Im Fleifche der Huͤhner und jungen Kälber 
findet fi) wenig oder nichts von diefem Stoffe. Ausgezeichnete 
Chemiker (z.B. Berzelius) haben gezeigt, daß ihm immer milch⸗ 
faures oder falzfaures Natrum beygemifcht ift, und es bleibt daher 
fraglich, ob ohne diefe Vermiſchung der rein thierifche. Theil des 
Osmazoms ein eigenthümlicher Stoff ift, ' 


8. 21. Sm menſchlichen Koͤrper kommen endlich noch in den 
verſchiedenſten Theilen Salze vor, als Kochſalz, ſalzſautes Kali, 
milchſaures Natrum, milchſaures Ammonium, phosphorſaurer 

2 2 


\ 


* 


— 


Kate und Talk ꝛc. Man Bann die * nicht zu den agenncen 
thieriſchen Subſtanzen zaͤhlen, da ſie ſich auch in unorganiſchen | 
Körpern finden. Nur die milchſauren Salze fcheinen hievon eine 
Ausnahme zu machen, ‚weil die Milhfäure nur in ‚organifhen, 
Körpern fich entwickelt, und in mancherlei Verbindungen mit Aica⸗ 
lien faſt uͤberall im thieriſchen Koͤrper vorkommt. Andere Saͤuren, 
und aus ihnen gebildete Salze, ſind in beſondern Fluͤfſi gkeiten des 
Körpers gefunden worden, und find um fo mehr dem unorganifchen 
Reihe ftemd, fo die Harnfäure. Da fie auch im thierifhen Koͤr⸗ 
. per nur in einzelnen Theilen oder Fluͤſſigkeiten ſich ——— über: 
A wir Y e fürs ei ganz. 


—6 22. Da die nähern Beſtandtheite ra "Körpers — 
ducte des Lebens ſind, ſo iſt ihre Kenntniß fuͤr jetzt der Phyſiolo⸗ 
gie wichtiger, als die der entferntern Beſtandtheile. Uebereinſtim— 
mung oder Verſchiedenheit in jenen laͤßt auf Uebereinſtimmung oder 
Verfchiedenheit in den Lebensäußerungen ſchließgen. So iſt ein 
weſentlicher Beſtandtheil in der Muskelſubſtanz — Faſerſtoff. 
Theile, welche keinen Faſerſtoff enthalten, haben die Eigenſchaften 
der Muskeln nicht, wenn F auch aͤußerlich einige Aehnlichkeit mit 
ihnen zeigen,“ 

8 23. Die dahl der einfachen. ober.entfernteren Befant: 
heile unferes Körpers iſt nicht fehr groß. Folgende hat man mit 
Beſtimmtheit gefunden: , Sauerſto ff, Stidftoff, Waſ— 
ſerſtoff, Kohle, Schwefel, Phosphor; von Me—⸗ 
tallen das Eiſen, mehtere Alealien, und alcaliniſche Er: 
den, oder vielmehr, da die Chemie ſie nicht mehr als einfach be⸗ 
trachten kann, ihre metalliſche Baſis, naͤmlich Natrum (Sodi- 
um), Kali (Kalium), Kalberde (Calcium), Talkerde 
(Talcium), Kieſeler de (Silicium), und endlich muß man 
auf die Grundlage der Salz ſaͤur e (Chlorine) und der Fluß⸗ 
ſpath ſaͤure, aus dem Vorkommen beyder Säuren. Kae 


8:24. Urn die Rebensäuferungen bir einzelnen Zheite ans | 
geben zu fönnen, ift es.nothwendig, hier auch etwas Allgemeines 
in diefer Hinſicht zu berüdfichtigen, und mit einigen Ausdruͤcken 
bekaunt zu machen, die nicht nur in der Sprache der Aerzte das 


—— 
- 


Buͤrgerrecht erhalten Hasen, ſondern zum Theil in die Sprache 


des gemeinen Lebens hergegangen find, 
A: 


nn auf einen Theibeines lebenden Thiere etwas Yan 
—— ſo erfolgt eine Veraͤnderung in dem Theile, welche nicht 
unmittelbar von der äußern. Einwirkung abhängt, fondern wovon 


der Grund in dem Antheil am Leben Liegt, den ein ſolcher Theik 


hat, Wenn wie z. B. einen Muskel bloß legen, und’ ihn mit eis 
ner Nadel rigen, fo zieht fich der, Muskel zuſammen. Das kann 
nicht unmittelbar Folge ‚von der Bewegung ber Madel ſeyn, denn 
einen lebloſen Koͤrper wuͤrde die Nadel nur nach dem Maaße der 


Kraft, mit der fie bewegt wird, verlegen, “in weichere mehr, in 


härtere: weniger oder gar nicht eindringen, Ein Schlag’auf:das 


Auge hat die Folge, daß wir eine Lichterfcheinung haben. Hier 


muß durch den Schlag eine Veränderung im Auge vorgegangen 
ſeyn, vermoͤge welcher wir Licht zu ſehen glauben. Die Faͤhigkeit 
des lebenden Koͤrpers, Veraͤnderungen einzugehen, welche nicht all⸗ 
einige Folgen der äußern Einwirkungen find, nennt man ſeine Er— 
tegbarkeit ober Reizbarkeit. "Sie fehen feicht ein, daß 
damit gar Feine Erklärung gegeben wird, ſondern daß diefes Wort 
nur die Eigenthuͤmlichkeit de$ lebenden Koͤrpers und ſeiner einzelnen IN 

Theile bezeichnet. 


as, was die Veraͤnderung ce heißt dee Neiz, (in 
jenen Sällen der Nabelftih und der Schlag). . Die-Veränderung 
felöft nennt man die Yckion, ’ oder in fo fern fie auf die Ein= 
wirkung des Neizes erfolgt, ohne von ihr unmittelbar abhängig. zw 
feyn, die Reaction. So if bie Zufammenziehung des Muss 
kels feine Reaction gegen den Reiz der Nadel. In den verſchiedenen 


Theilen iſt nicht nur die Empfaͤnglichkeit fuͤr den Reiz, ſondern 


auch die Art der Reaction, gar ſehr verſchieden. Wenn wir einen 
Bloß gelegten Nerven eines Thieres mit einer Nadel rigen, fo zieht 
ſich diefer nicht zufammen, fondern das Thier empfindet einen 
Schmerz. | | 


Dagegen hat ein jeder Theil eine gewiffe Form ber Neaction 


gegen ſehr verfchiedene Reize, ein offenbarer Beweis, daß die Art der 


Reaction von der individuellen Beſchaffenheit der Theile abhängt. 
So zieht ſich der Muskel nit blos auf eine mehanifche Reizung 


zufammen, fondern auch, wenn wir ihn galvaniſiren, oder auch, 
‚wenn das Thier durch feinen Willen auf ihm: witkt. Im Auge 
wird Lichtempfindung veranlaßt ducch leuchtende Körper, durch eis 
nen Schlag, dur Galvanifiren und Buch mancherlei Krankheits⸗ 
zuftände, Sie fehen aus dem Gefagten, daß der Reiz nicht immer ı 
ein außerer iſt, ſondern auch ein innerer aus dem Körper ſelbſt 
hervorgehender, feyn kann. Im Lebenden Körper ift immer ein 
‚Theil ein Reiz für den andern, freylich in fehr verfhiedenem Gra⸗ 
de und auf ſehr verfchiedene Weife. So wirft der Nerve ald Reiz 
auf den Muskel und dieſer auf jenen, —— 


6.25. Da die Reaction eines jeden Theiles eine eigenthuͤm⸗ 
liche Form hat; fo folgt daraus, daß er feine Thaͤtigkeit nur auf 
eine gewiſſe Weife äußert. Der Muskel z.B. zieht fich zufammen, 
und nähert dadurch die Theile, an die er angeheftet ift, einander, 
das Auge empfindet das Licht, das Ohr den Schall. Sie dienen 
alſo dem thierifchen Körper, jedes auf befondere Weife, die man ihre 
Verrihtung, oder mit einem Kunftausdrude, Function 
nennt. Die Function ift die Summe ber einzelnen Reactionen auf 
die — Reize. — 


es 





24, 








. Dritte Borlefung. 
DasKnochenſyſtem. 


2, $.. 26. 


— 


Radım wie und an bie Betrachtung der einzelnen Theile des 
menfhlihen Körpers wenden, wird es am beften ſeyn, dasjenige 
organifhe Syſtem zuerft Eennen zu lernen, das durch Starrheit und 

Feſtigkeit dem ganzen Körper feine Geſtalt gibt und erhaͤlt. 5 


Dies find die Knochen , die härteften und fefteften Theile des 
Körpers, die. Jahrhunderte hindurch unter günftigen Umftänden der 
Zerfegung widerftehen, Der äußern Luft und befonders ber 
Feuchtigkeit ausgefegt, zerfallen fie jedoch endlich auch in Staub. 


6. 27. Die Dauerhaftigkeit und Härte verdanken bie Kno⸗ 
chen ihren chemifchen Beftandiheilen. In Eeinem Theile des Körs 
pers find fo viel erdige Stoffe mit den eigentlichen thierifchen ver 
bunden, Es enthalten nämlich die Knochen 74, ihres Gewichtes 
an feſter Gallert, über Y, phosphorfaurer Kalkerde, über Yo 
Eohlenfaurer Kalkerde. Der Eleine Reſt, der noch übrig bleibt, iſt 
flußſpathſaurer Kalk, Eohlenfaurer Talk und Natron mit etwas 
Salzfäure verbunden. Nur ein Deittheil ift alfo thierifcher Stoff. 
Diefer bildet die Grundlage des ganzen Knochens und gibt ihm eine 
gewiffe Gefchmeidigkeit, vermöge welcher dünne Knochen ſich etwas 
biegen laffen, und die fi auch in dideren Knochen dadurch offens - 
“bare, daß fie weniger bruͤchig find, als fie bey geringerem Gehalt 
an Gallert feyn würden. In manchen Krankheiten verringert fi) 
wirklich der Gehalt an Gallert. Dadurch werden bie Knochen fo 
brüdig, daß fie fchon durch geringe Kraft zerbrochen werden, Man 


* 


Y 


kennt Fälle, wo Leute beim Umdrehen im Bette fi die Knochen 


brachen. Dann iſt freilich immer allgemeine Zerfisrung im Koͤr⸗ 


per und ın dieſen Theilen beſonders. Knochen, die lange in der 
Erde gelegen haben, ſind eben deshalb gewoͤhnlich bruͤchig, da ihre 
Gallert, wenn auch langſam, doch allmaͤhlig zerſtoͤrt wird, Schnell 
kann man die Gallert eines friſchen Knochens zerſtoͤren, wenn man 
ihn einer großen Hitze ausfest, wodurch die erbigen Theile zulegt 
auseinander fallen. — Umgekehrt kann man duch eine leichte 
Operation die erdigen Theile aus dem Knochen entfernen. Wenn 
man Knochen it Scheidewaſſer (Cerduͤnnte Salpeterſaͤure) tot, fo 
‚verbinden fich die erdigen Beftandtheile mit der Säure, immt 
man num den Knochen, fo bald dieſe Verbindung erfolgt ift, aus 
dem Scheibeivaffer, und waͤſcht ihn ab, fo hat man einen Körper, 
der vollkommen die. Geſtalt bes Knochens hat; aber nur aus Gallert 
beſteht und daher vollkommen biegſam cn In einer Frankh it, 
bie man bie Knochenerweichung nennt, vermindert fi fi ch der erdige 
Beſtandtheit der Knochen ſo, daß diefe biegſam werden. "Bat fie e 
einen hohen Graͤd — ſo laſſen ſich dieſe Knochen mit leicht r 
Muͤhe zerſchneiden. Ich Habe das Skelet eines erwachſenen Frau⸗ 


enzimmers geſehen, deſſen Knochen fo erweicht waren, daß das 


Oberarmbein ſich in ſich ſelbſt zuſammengeſchoben hatte, wie ein 
lederner Schlauch. Dieſe Dame hatte die Schublade eo Com⸗ 
mode ausziehen wollen, a. die — mit der die Recien 





- — — rn nr Er . % iX 


y . J ” 


* Vedermann kann iefen. Verſuch rteicht feste ala, St der RR mir 
* ſehr dick 3. B. der Sberarmtnochen einer Rabe, fo läßt er fh ſo bier 


gen, das man beide Enben zufammenbtingen, oder den Knochen tin aföse 
mig um ben Finger biegen kann. — Dur’ fortaeiegtes Kochen in won 


Sitze kann man die Gallert aud dem Knochen ausſcheiden. Um» 

thigen Grad der Dise ıu erlangen, muß das Gefäh feft Serfehtofen Ken, 

bamıt die Dämpfe nicht entweichen koͤnnen, weil ſonſt wie —— 
itze den gewoͤhnlichen Siedepunkt nicht merklich überfteigt Eine bazır 
Ku dienfiche Vorrichtung gibt der papintantihe Topf, beffen \edel auf daß 
ru 2er ®efiß aufgeſchraubt wird. „Papin, der, Erfinder diefer Mafchine, madyte 
don im ı7ten Sahrhunderte beim Könige Karl U. von England e 
Borichlag, wermittetft berfelben aus Thierkaochen Galler im} ach 


aus zukochen, um fie als geiunde Nahrung In Hofpifälern zu Arte 1 0 


Ein Scherz verhinderte die Eusführung feiner. Vorſchlags 


. namlich an.ber Tafel des Königs ein Bund mit einer Bittſchrift am x —— 


e #3 Inhaltes: „Sr. Maͤeſtaͤt möchten die Hunde einer Speife ni 

erauben, die ſie lange als ihr Eigenthum angefehen hatten,’’ Man 
Fann fi denten, daß der Spott Lachen erregte — und bie aufe Sache 
ftürzte. Erſt in’! neuen Beiten hat man 'in.vielen Ländern Europa’s die 


Bereitung der Knodenfuppen im Großen ausäefunrt und auf ſolche Weiſe 


dieſe wenig benutzten auge zu einer ergſebigen Quelle von ernaͤhrender 


Sprife —— 


3 


— 


— Er & Yan. N 


den PR gegen * —* gezogen hatten, war’ leterer auf 
die — Art — — worden. 
ge Sr © vetſchieden auch bie: Acßer⸗ Kor der —— 

* mag, ſo laſſen fich doch drei Hauptformen unterfcheiden. In 
einigen iſt die Länge ſehr vorherrſchend über die Breite und Dicke. 


Dieſe langen Knochen enthalten meiftens im Innern eine bes 


deutende Höhle (Ausnahme hiervon machen nur das Schluͤſſelbein 


und die Rippen) ; weswegen fie Roͤhr enkn o ch en genannt wer⸗ 


den. In der Seen Figur unſrer Saten Tafel iſt ein ſolcher Knochen 
der Laͤnge nad) durchgeſaͤgt abgebildet worden. In d fieht mar 


bie Höhle. — Andere Knochen (mie die Schutterblätter, Die mei⸗ 


ſten Knochen des Schaͤdels, das Bruſtbein) ſind flach zu nennen, 
indem die Dicke nur gering iſt gegen die Breite, ‚Knochen, in 
denen weder die Laͤnge noch die Breite vorherrfcht, ſind rundlich 
ober irregelmaͤßig, durch welches Wort nur bezeichnet werden foll, 
daß ihte Form ſich nicht auf die fruͤher genannten einfachen zuruͤck⸗ 
fuͤhren laͤßt, obglelch ihrer ſcheinbaren Irregularitaͤt immer eine Ger 
fegmäßigfeit zum. Grunde Liegt. — Eine Verlängerung, die, aus 
der Hauptmaffe des Knochens herbortritt, nennt man einen Fort? 


faß (Processus) (Tab. U. Fig. 5. @, ß, 6). Hat ein Knos 


hen ein halbkugeliges, zugerundetes: Ende, ſo nennt man diefeg 
feinen Kopf. Dergleihen Köpfe finden fi vorzuͤglich an dem 
Gelenken. Oft ift der Kopf ducch einen verfehmälerten Theil mit 
dem Haupttheil, dem Körper des Knochens, verbunden. - Eine 


ſolche Verſchmaͤlerung heißt ein Hals. » (Beides ſieht man deut⸗ 


lich am ee ſgentetein Tab. L. Gig, I, 28,) 


it 


629. Ueber den innern Bau der Knochen: bemerken. wir, 


daß in allen die außere Maffe fefter ift, als die inneres: Die aͤuße, 
Maſſe, die man Kindenfubfanz nennt, iſt aus dicht 


uſammengedraͤngten Knochenfaſern gebildet. In den Knochen des 
— liegen die Faſern zu eng zuſammen, um ſie mit dem Au⸗ 


einzeln unterſcheiden zu Esnnen, ne durch die fehr feinftreifige 
berfläche der Knochen werden fie angedeutet. In Knochen von 
ganz jungen . indern find die Faſern etwas mehr gefchieben. Deuts 


lich erkennt n ſie aber an den Knochen größerer See: Säugethies 


| we, ;. Bde Wallſiſche, auch einiger Fiſche. Die innere Knochens 


x 


Ye » u. F 
U: ————— 


maſſe ift viel-loderer, indem fie hier viele, Luͤcken Gellen) zwiſchen 
ſich 1äßt. In dieſer inneren oder fhwammigen £noden-: 
ſubſtanz iſt die Saferung nicht zu erkennen, Die platten Kno- 
chen-enthalten zwifchen zweien ſtarken Lagen Nindenfubflanz etwas 
ſchwammige Maſſe; die Roͤhrenknochen zeigen in der Mitte rund 
um bie innere Höhlung eine fehr ſtarke Lage von Rindenfubftanz, 
fo daß fie ungeachtet ihrer Höhlung doch die fefteften find; an beiden 
Enden find fie dider, aber die Enden beftehen aus ſchwammiger 
Maffe mit einem ſchwachen Ueberzuge von Rindenfubftanz. Die 
rundlichen Knochen find die loderfien, indem ihre Rinde nur fehr 
bünn iſt. Tritt in diefen eine Zerflörung, 3. B. ein Beinfraß ein, 
‘fo iſt der Verlauf der Krankheit immer raſcher, als in andern. 


630. Zu dem Bau ber Knochen, gehören noch einige we 
fenttiche Theile, als das Mark, die Markhaut, die Beinhaut, 
Bänder, Knorpel, Gelenkfapfeln, Blutgefäße. 


Das Mark iſt eine gelbliche oder roͤthliche halbfluͤſſige Maſ⸗ 
fe, die man als eine eigene Modification des thieriſchen Fettes an⸗ 
fehen kann. Wenigftens ſtimmt e8 mit diefem in feinem chemi⸗ 
Then Verhalten überein. Das Mark liegt in den Eleinen Lüden 
der ſchwammigen Knochenſubſtanz, und ift um fo mehr mit Blut- 
waſſer verbunden, je kleiner dieſe Luͤcken ſind. Mehr in Maſſe an: 
gefammelt findet es ſich in den Höhlen den Roͤhrenknochen, die da- 
von auch Markhöhlen heißen. Hier it das Mark deutlich 
von einer fehr zarten Haut umfchloffen, die man Markhaut der 
Knochen nennen kann. Wozu das Mark den Knochen diene, kann 
man nicht mit Beftimmtheit Tagen. Indeſſen möchte feine phyfio- 
logiſche Bedeutung nicht ſehr von ber des gemeinen Fettes verfchies 
den feyn, welches, wie wir ſehen werden, als ein Ueberſchuß der 
Ernaͤhrung zu betrachten iſt. 


— 6 Yeußerlich wird jeder Knochen von. be Beinhaut 

(Periosteum) einer fehr feften, aus weißlichen Faſern gebildeten, 
unempfindlichen Haut umgeben (Tab. I. Fig. 3. a). Sie fheint 
die Ernährerin des Knochens zu ſeyn. Es gehen nicht nur durch 
fie die Blutgefäße,; welche den Knochen das Blut zuführen, fons 
dern man fiehbt auch, daß bei dem Wachſen biefer Theile der neue 
Zufag fich dicht unter der Beinhaut bilder, Das lehren befonders 


Beobachtungen an Thieren, die mit, Faͤrberroͤthe gefüttert wurden; 
vom Genuß der. Färberröthe werden. nämlich die Knochen roth, 
vorzüglich aber die noch in der * begriffenen Theile derſelben. 


Die Beinhaut geht. von einem Knochen zum andern 
über, ſo daß fie Einen zufammenhängenden Ueberzug über das 
ganze Knochengeruͤſte macht. Daraus folgt nothwendig, daß jeder 
einzelne Knochen an dem Ende, mit welchem er einen andern Kno— 
chen berührt, nicht unmittelbar von diefer Haut bekleidet wird, 
Auf diefe Weife hält die Beinhaut duch ihre Feſtigkeit alle Knochen 
zuſammen. An einzelnen Stellen geht eine Partie der Beinhaut 
mehr von der Übrigen geſondert, und bald mehr, bald weniger 
verdidt, zumeilen fo, daß fie einem Strange gleicht, ‚von einem 
Knochen zum andern über. Solche Uebergänge nennt man Baͤn— 
der. Sie ſind ſehr feſt und reißen nicht leicht vom Knochen ab, 
da ſie in deſſen Beinhaut ſich feftfegen. Man hat Beifpiele, daß 
erwachſene Menfchen an einem Eleinen Gliede, z. B. am letzten 
Gliede eines Fingers aufgehängt wurden, und die Verbindungen 
diefes Gliedes mit dem daran ſtoßenden flarf genug waren, die Laſt 
des ganzen Koͤrpers zu tragen. Die Baͤnder ſowohl als die Bein⸗ 
haut ſind ohne Nerven und in geſundem Zuſtande ohne Empfin⸗ 
dung, in krankhaftem aber werden ſi ſie ſchmerzhaft, und die Baͤn⸗ 
der erzeugen, wenn ſie gedehnt werden, ſehr heftige Schmerzen. 
Ernährende Blutgefaͤße erhalten fie aber immer, Unſere Fig. 11 
in Zab. II zeigt eine Abbildung der Bänder, welche die Knochen bes 
Fußes äulemmen halten, 


$ 32. Die Knochen fügen fih auf verfchiedene Teife an 
"einander, Die Verbindung ift nämlich. entweder ſo, daß der eine 
Knochen gegen ben andern bewegt werben kann, ober nicht, Bei 
der unbeweglichen oder feften Verbindung legt fich häufig ein Faſer⸗ 
Enorpel (d. h. ein folder Knorpel, der in feiner Maffe Faſern ents 
bält) zmwifchen beide, und ift mit ihnen eng verwachſen. In an-⸗ 
dern Faͤllen greifen die vielfach gezadten Nänder in die gezadten 
Ränder des andern ein. Man nenut biefes eine Naht. Nähte 
find nur zwifchen den Knochen des Schädels (fiehe Tab. U..Fig. 1, 
‚2 und 3). Liegen dünne Ränder blos an einander, ohne Zaden 
. zu bilden und ohne deutlichen Faſerknorpel zwiſchen fih, fo nennt 


man dieſe Verbindung eine Harmoni e ober "far Naht. Man 


ſieht fie zwiſchen den Knochen des Geſichtes. Im Alter verwach⸗ 
ſen unbeweglich verbundene Knochen ſehr haͤufig mit CE fo 
—* man die Naͤhte, Harmonien u. 9 w. nicht * erkennt. 


Lide ö ö i er‘ 


& 33. "Die bemeglihe Verbindung Wweier Se heißt 
überhaupt ein Gelenk. Die Enden, welche dag Gelenk bilden, 
find immer ſehr glatt, und überdies von einer duͤnnen Lage Knor⸗ 
pel bekleidet, wodurch die Beweglichkeit gar fehe befoͤrdert wird, 
indem die Knorpel elaſtiſch und an ihrer Oberflaͤche ſehr glatt ſind. 
Der chemiſchen Beſchaffenheit nach iſt der Knorpel der in den Kno⸗ 
chen enthaltenen Gallert nahe verwandt, obgleich er auch) eine ſehr 
geringe Menge von phosphosfaurem und kohlen ſaurem Kalk 
enthaͤlt. Wahrſcheinlich iſt auch dieſer Antheil an erdigen Theilen 
ganz unwefentlih. Dann ift der Knorpel mit der weichen Grund» 
Tage der Knochen ganz identiſch. Im innern Bau zeigen die Knor— 
pel gar kein beſtimmtes Gewebe, * Da die Beinhaut i immer von 
einem Knochen zum andern übergeht, fo umfchließt fie das Gelenk in 
Form eines Sackes, deſſen eines Ende in die Beinhaut des einen 
Knochen, das andere Ende aber in die Beinhaut des andern Kno⸗ 
chens ſich fortfest. Man nennt einen folhen Sad eine Gelenf- 
Tapfel. (Eine Gelenkkapfſel ift Tab. II. Fig 12 abgebildet. Sie 
iſt aufgefhnitten, das obere Ende ſteht noch mit dem Hüftbeine [*, 
das untere Ende mit dem Schenkelbeine [**] in Verbindung.) Das 
Innere der Gelenkkapſel ift uͤberdies von einer ſehr duͤnnen Haut 
bekleidet, welche als ein geſchloſſener Sack ſich an die innere Wand 
der Gelenkkapſel und an die Gelenkflaͤchen beider Knochen anlegt. 
Dieſe innere Bekleidung heißt die Synovialhaut. In der 
Höhfung, bie fie umfchliekt, wird eine eyweißhaltige Fluͤſſigkeit, 
die Ne I ng Te (Synovia) erzeugt, welche das ganze 
"Selen? im Innern feucht erhält, und gleichfam einölt. Nur felten 
iſt auch im Innern des Gelenkes ein Band (wie Tab, U. dig. 12 4); 
dann iſt auch diefes von der Synovialhaut überzogen. Die Be 
weglichkeit der Gelenke ift ſehr verſchieden. Einige laſſen nur eine 





.. Dadurch ———— ſich die Knorpel an ben Gelentenden von ben. feier 
R befprochenen ——— 


i — 29 


einge Bewogung zu, indem zwei flache Knochenenden aneinander 

lüegen. Man nennt fie ſtraffe Gelenke. Andere erlauben eis 
ne Bewegung nach allen Richtungen (freie. Gelenke). Dann 
ift das Ende des einen Knochens halbfugelig, und die Gelenkflaͤche 
des andern ſchalenfoͤrmig vertieft. Iſt die Vertiefung ſehr anfehn⸗ 
lich, fo wird die freie Beweglichkeit: dadurch wieder befchräntt; 
und bag Gelenk heißt ein Nußgelenk. Eine vierte Form des 

P Gelenkes erlaubt die Annaͤherung und Entfernung der Knochen nur 
in) Einer Ebene, Dieß gibt ein. Charnie rgelenk (Gyn- 
glimus), ‚Endlich dreht ſich zuweilen ein Knochen mit feiner Are 
um die Are eines andernKnochen — Drehgelente, Bon al 
len dieſen Formen werden wir Beifpiele bei —— des Kno⸗ 
———— finden. 


6. 34. Nicht ſelten wird *8 äußere Gewalt, 3.8. einen ° 

Fall oder Stoß das Gelenkende eines Knochens von dem andern ent 
fernt. Seltener geſchieht es aus innern Urfachen, indem z. B. dur 
krankhafte Zuftände eine Gelenkkapſel fi ch mit ſo viel Fluͤſſigkeit an⸗ 
fuͤlt, daß die Knochen dadurch auseinander getrieben werden, 
Man nennt diefe Dislocationen Verrenkungen, oder mit eis 
mem Kunftausdrude Lurationen, Wir werden bei der Durchs, 
ſicht der einzelnen Öelenke finden, dag die Natur allerlei. Vorkeh⸗ 
rungen getroffen hat, um die Verrenkungen ſelten zu machen. 
Bald ſchuͤtzen Knochenvorſpruͤnge das Gelenk, bald dient ein ſtar⸗ 
ker Apparat von Bändern zum Zuſammenhalten der Knochen. Ge— 
gen geringere Gewalt find auch die Muskeln wirkfam, die das Ge⸗ 
lenk umgeben, indem fie im Augenblide, wo ein Knochen feine Las 
ge zw verändern beginnt, durch den mechanifchen Reiz zu Contrac⸗ 
‘tionen erregt werden, welche den Knochen wieder in feine alte Lage 
preffen. Iſt aber eine Gewalt fo ſtark, daß fie diefe Hinderniffe 
überwindet, fo erfolgt dennoch die Verrenkung. Die Bänder und 
Gelenkkapſeln werden dabei entweder nur ausgedehnt, oder zertifs 
fen, je nachdem ihre Länge und der Bau der Gelenker die Ausdeh— 
nung geſtattet oder nicht. Das verrenkte Glied verliert feine natuͤr⸗ 
liche Form, da der Knochen feine Stelle verändert hat. Die Ume 
gebungen fchwellen von dem ungewohnten Neize an. Derſelbe 
veranlaft die Muskeln zu flarken Zufammenziehungen, die tun 
den Knochen mit-vieler Kraft an bee neuen Stelle halten. Man 


fieht daher leicht ein, warum ber Wundarzt mit großer Gewalt das 
verrenkte Glied vom benachbarten Knochen abzieht, damit der Kno⸗ 


chen wieder am die gehörige Stelle kommen koͤnne. Iſt z. B. eine 


Berrentung im Huͤftgelenke (Tab. U. Fig. L. i) erfolgt, fo hat _ 


der Kopf des Oberfchenkelbeins feine Gelenkgrube verlaffen, und 


kann nicht wieder hinein, weil ihm der vorfpringende Rand der 


" Grube hinderlich ift, und die Muskeln ihn überdieß an das Hüft: 


bein, (27) andrüden. Zieht nun der Wundarzt das Oberſchenkel— 
bein (28) vom Hüftbein (27) binlänglic ab (das nennt man die 
Ertenfion), und Gehälfen halten den Rumpf und mit ihm das 
Hüftbein zuruͤck (Gontraertenfion), fo fpringt, wenn nicht alle Ver: 
bindungen völlig zerriffen find, der Kopf des Schenkelbeins in der 
Regel in feine alte Lage zuruͤck, ſobald er den Rand der Grube er: 
reicht hat, Ruhe und andere zwedmäßige Mittel dienen nur ‚zur 
Unterfiigung der Natur in ihrem Beſtreben die Verlegungen wieder 
zu heiten. Es ift immer vathfam, wenn man von dem Unglüde 
einer Verrenkung betroffen ift, fich fo bald als möglich geſchickten 
Haͤnden anzuvertrauen, denn oft wird die Wiedereinſetzung unmoͤg⸗ 
lich, wenn die Verrenkung lange gewaͤhrt hat. Es bildet ſich dann 
eine neue Gelenkgrube für den aus der Stelle gewichenen Gelenk: 


kopf. — Aus innen Krankheitsurfachen verwächft dagegen zuweilen. 
ein aͤchtes Gelenk, indem es ſich vorher entzündet, und daͤnn in⸗ 


nerhalb der Gelenkkapſeln und Baͤnder ſich Knochenerde abſetzt, ſo 
daß zuletzt aus beiden Knochen ein einziger wird. De ang 
fungen erzeugt z. B. die Sicht, 


$. 35. Es ift hier noch anzugeben, weihen Nugen die Kno— 
chen für den Körper gaben, und welchen Antheil fie am *—— | 
Reben nehmen. 


Den vorzüglichfien Nugen gewähren fie durch ihre Sefigket, | 
indem fie ein Geräfte bilden, welches den ganzen Körper trägt, 
und in einer befiimmten Form erhält.” Die übrigen Theile des 
Körpers find fo weich, daß fie ohne die Knochen in eine unfoͤrmliche 


- Maffe zufammenfinken würden.  Gie dienen ferner den meiſten 


Muskeln zu feſten Anſatzpunkten. Die Muskeln aber bewegen die . 


“ Theile, an welche fie fich fegen. Dadurch dienen aud) die Knochen 


der Bewegung des Körpers, Auch ſchuͤtzen fie die innen Theile def 


feiben, indem fie bald ein volftändiges Knochengehaͤuſe bilden, wie 


wie der Schädel zum Schutz des Gehirnes, bald ein unvollſtaͤndiges 
Gehaͤuſe, wie die Rippen zum Schutz der Lungen und des Herzens. 
Ihr Antheil am Leben ift fehr gering, da fie unempfindlich find, 
und Eeine eigene Beweglichkeit beſitzen. So find auch die Knochen 
nicht erregbar für die meiften Reize. Indeſſen kann ein Schlag 
oder eine innere Urfache die Knochen in Entzündung verfegen. In 
andern Erankhaften Zuftänden vereitert der Knochen, mas man 
Beinfraß (Caries) nennt, zumeiten treibt er auch uncegelmäs 
Bige Auswuͤchſe hervor (Eroftofen), y e 


$. 36. -Am meiften zeigen die Knochen in der Art ihres 
Wahsthums und der Fähigkeit fich zu reproduciren, wenn fie ſchad⸗ 
haft geworden find, ihren Antheil am Leben. So lange der Koͤr⸗ 
per wächlt, wählt auch der Knochen mit. Die neue Maffe, die 
ſich anſetzt, bildet fich zwar unter der Beinhaut, und macht daher 
eine Schicht, die den ſchon gebildeten Theil umgibt. ' Allein, dies - 
fer bleibt keinesweges ftehen, fondern dehnt ſich nach allen Richtun⸗ 
gen aus, fo daß die Roͤhrenknochen erft allmaͤhlig ihre Höhlung er⸗ 
halten; dabei wird die Maffe immer umgeändert, indem allmählig 
neuer Stoff ſich anfest und der alte entfernt wird, obgleich langſa⸗ 
mer als in den übrigen Theilen. — Bei der erftien Entwidelung 
ift vom Knochen nichts da, als die Grundlage von feſter Gallert, 
öhne die erdigen Theile. Da, wie wir gehört haben, diefe Grunde 
lage im Wefentlihen mit den Knorpeln übereinftimmt, fo pflegt 
man zu fagen: Jeder Knochen iff anfangs Enorpelig. Der Knors 
pel hat faft ganz die Form des zukünftigen Knochens, nur find die 
Fortfäge kaum merklich. Allmaͤhlig fegt fich in.den Knorpel an bes 
flimmten Stellen etwas phosphorfaure Kalkerde ab. Man nennt 
folhe Stellen Verknoͤcherung s punkte. In einigen Kno— 
chen iſt ein Verknoͤcherungspunkt, in anderen ſind mehrere. So 
faͤngt die Verknoͤcherung in Roͤhrenknochen immer an drei verſchie— 
denen Punkten an, in der Mitte und an beiden Enden. Von 
den Verknoͤcherungspunkten aus geht der Anſatz von Knochenerde 
ſtrahlenfoͤrmig immer weiter (die gte Figur der Tab. I. zeigt ein 
Scheitelbein in der Berfnöcherung) , bis die verfhiedenen Verknoͤche— 
rungspunfte, wo deren mehrere find, zu einer Maffe verwachſen. 
In den Roͤhrenknochen find das ganze Kindesalter hindurch die bei⸗ 
den Enden noch nicht mit dem Mittelftüd durch Knochenmaffe ver- 


% 


\ 


bunden, 10 Die: Knochen des Schaͤdels laſſen, da fie von der Mitte 
aus fih bilden,» während ber. Foͤtusperiode und noch einige Beit nad) 
der Geburt Läden zwifchen fi (Zab, I. $ig.. 10), von denen wie 
ſpaͤter ausführlicher ſprechen werden. Be jünger ein Knochen iſt, 
um deſto uͤberwiegender iſt die Gallert gegen bie Knochenerde. Des⸗ 
halb brechen die Knochen der Kinder nicht ſo leicht als die Knochen 
alter Perſonen. * Allmaͤhlig wachſen aus den Knochen die Fortſaͤtze 
‚hervor, von denen die meiſten noch ihren eigenen Knochenpunkt ha⸗ 
ben. — Auch wenn ein Knochen gebrochen wird, zeigt en fein Leben, 
denn aus den abgebrochenen Enden erzeugt ſich ein neuer Stoff 
(allus), welcher im Anfang einer dichten Gallert gleicht, bald 
aber fih von vielen Punkten aus mitden kalkigen Beftandtheilen 
füllt und als neue Knochenmaſſe die beiden Endenmit einander vers 
bindet.) ‚Der, Gallus wird mit dem alten Knochen eine Maffe. Im: 
mer tritt. er aber, fiber den Umfang des Knochens etwas hervor, und 
geht, wenn er zwiſchen den gebrochenen, Enden eines Hoͤhlenkno⸗ 
chens ſich bildet, duch das Innere. deſſelben, ſo daß er die Höhle 
in zwei Höhlen ſcheidet. Dadurch wird die, Bruchſtelle nach der 
Heilung noch ſtaͤrker, als ſie vorher war, und man hat eine Men: 
ge Beiſpiele, daß Knochen leichter an einer andern Stelle brachen, 
als an der durch Callus geheilten. Sind: die gebrochenen Enden 
nicht in ihre urſpruͤngliche Lage gebracht; fondern Liegen fie 3. ®. 
neben einander, fo verwwachfen fie. dennoch, das gebrochene lieb 
wird aber dabei ſehr verkürzt und’verunflaltet. - Darum ift die Sor= 
ge des Wundarztes darauf: gerichtet, durch Schienen, Binden oder 


ande 





*Dagegen find fie viel mehr geneigt, falfhe Formen anzunehmen, beſonders 
in ſchwaͤchlichen Kindern, in denen die Verknoͤcherung langfam erfolgt. 
Die Mütter irren nur fehr, wenn fieglauben, dag Sal, Stoß und an- 
dere heftige Einwirkungen ihre Lieblinge verbiegen. Allerdings erzeugen 
diefe zuweilen Entzündungen der Knochen, und in Folge derfelben Verun— 
ftalfungen , jedoch nur felten. Viel wirkfamer ift der almählige Drug, 
! .. wenn er lange fortwirkt. Die Aerzte haben beobachtet, daß Kinder ſchief 
geworden find, wenn ihre Wärterinnen fie immer nur auf einem Arm 
steugen, und die Kinder nicht lebhaft genug waren, um ſich ſelbſt viel Kin 
und her zu bewegen. Bei ſchwaͤchlichen Kindern kann der Nüdgrat vun dem’ 
Drude des eigenen Körpers fchief werden. Noch in fpätern Sahren wirft 
1.7 „der Den. auf bie Form der Knochen. Wer fih gewöhnt, am Schreibtiſch 
‚immer auf einen Arm ſich zu fügen, läuft Gefahr, eine hohe Schulter 
zu befommen. . Drud:und Ausdehnung find aber auch bie beiten Mittel, 
die Knochen wieder gerade zu machen, fo lange dad Wahöthun nicht auf: 
gehört hat. Ale Maſchinen zur Gerabeliretung ber Wirbeljäule haben 
den Zweck, bie verkürste Geite allmählig auszudehnen und die entgegenges 


c 


fegte an der Vergrößerung zu hindern, 


nie ee. — 
I ee u ee 

' andere Vorkehrungen die gebrochenen Enden unverruͤckt in ihrer 
Rage zu erhalten, was um fo leichter gelingt, je mehr der Bruch 
queer durch den Knochen geht. Iſt der Bruch fehr fchief, und find 
dabei auch noch die Sinochenenden zerfplittert, fo ift die Verkuͤr⸗ 
. ‚zung des Gliedes ſehr ſchwer zu verhüten, indem die Muskeln die 

Knochenenden ftets Aus der gehörigen Rage zu ziehen geneigt find. 

Wenn ein gebrochener Knochen häufig bewegt wird, ſo heilen die, 
Enden wohl gar nicht zufammen, fondern es bildet fich ein neues‘ 
falfches Gelenk — ihnen. Ey 


Zumeilen ſurbt ein Theil eines kranken Knochens ganz ab 
und loͤßt ſich von der Beinhaut los. Iſt dieſe noch geſund, fo, 
ſieht man die merkwuͤrdige Erſcheinung ’ daß" von ihrer innern 
Flaͤche aus ſich eine neue geſunde Knochenmaſſe bildet, woraus 
allmaͤhlig ein Knochen: wird, der das todte Stuͤck einſchließt. Der 
neue Knochen verwaͤchſt mit den nicht abgeſtorbenen Theilen des 
alten und das todte Stuͤck wird durch irgend eine Oeffnung, die 
ſich bildet, heraus geſtoßen. Man hat ſchon Stuͤcke von mehreren 
Zollen, * mit ; theils ohne Huͤlfe ach — kommen 


N 











Vierte Vorlefung. Ri en 


Befgreisung des Snoöengeräfsb, im. 
Einzelnen. e ee 
Ge a > ‚37. * ur "4 Ya — 


Na bem wir die Knochen im Allgemeinen betrachtet haben, 
wollen wir raſch das ganze Knochengeruͤſte in ſeinen einzelnen Thei⸗ 
len uͤberblicken. Sämmtliche Knochen des menſchlichen Koͤrpers, 
mit Ausnahme des Zungenbeins in der Wurzel der Zunge, ſind 
durch die Beinhaut zu einem zuſammen haͤngenden Ganzen verbun⸗ 
den, welches das Knoch enger uͤ ſt e oder das Skelet ger 
nannt wird. Da von der Form des Knochengeruͤſtes die Form bes. 
Körpers vorzüglich abhängt, fo finden wir in jenem die Abſchnitte 
wieder, welche wir am unzergliederten Körper wahrnehmen. So 
unterfcheiden wir Kopf, Rumpf und Gliedmaaßen oder sa e⸗ 
mitaͤten (Rab. IL Sig. 1.). 


F. 38. Die Knochen des Kopfes bitden. mit ‚einander 
theild ein feſtes Gehaͤuſe (Schäden für das Gehirn , theils dies 
feſte Grundlage der Theile des Geſichtes — Da Schädel 
wird dor den Fahren der Maunbarkeit aus 8 Kuchen zufam: 
mengefegt, im fpätern Alter find es nur 7, indem zwei mit ein⸗ 
ander verwachfen. Einige von dieſen Knochen gehoͤren ganz zu 
den flachen. Sie ſind muſchelfoͤrmig gewoͤlbt, und bilden mit ih⸗ 
ven zackigen Rändern Naͤhte. Das Stirnbein nimmt die 
vordere Gegend des Schaͤdels ein ( Tab II. Fig. 1. 1. Big. 3.1. 
Zab. VI. Sig. 6. 1.). Es bildet zugleih die, Dede der Augen⸗ 
hoͤhle. Oben auf dem Schädel ſtoßen zwei gleichgebildete Knochen 
an einander, die man nach ihrer Lage Scheitelbeine nennt, 
(Tab: II. Fig. 1. 2. Fig. 3. 2.). Sie verbinden ſich in der 
Mitte des Scheitels durch bie Pfeilnaht, und die Naht, durch 


* 


-- 


— 35 — — 


welche ſie fi an das RN fügen, heiße bie Kranznaht, 
oder Kronennäht. Den hinten Theil bes Schädels bilder das 
Hinterhauptsbein (Big. 3. 3.5 Big. 2. 3. Tab VI. 
8ig. 6. 3). * Es zieht fi im der Form eines Dreiecks —— 
die beiden Shheitelbeine und bildet mit ihnen die Lamdanaht, 
ſo genannt nach ihrer Aehnlichkeit mit dem gleichnamigen griechi— 
ſchen Buchſtaben. Derſelbe Knochen zieht ſich auch nach unten 
und bildet einen Theil von der Baſis der Schaͤdelhoͤhle (Fig. 2. 
3.). Die Schläfenbeine nehmen die untern Regionen von 
der Seitenfläche des Schädels ein ( in Fig. ı. Fig.2. und Fig. 3). 
Auf jeder Seite ift ein Schläfenbein. Es ift nur zum Theil flach. 
Diefee Theil, die Schuppe genannt, Iegt ſich durch die 
Schuppen naht an das Scheitelbein feiner Seite (Fig. ı. 4, 
Fig. 3. 4). Nach hinten bildet er eine Hervorragung von ber Form 
einer größen Bruſtwarze — den Bigenfortfag ($ie. ı. are, - 
zwiſchen diefem und dem Schuppentheile ift die Offfnung eines ı 
‚Kanals (d in Fig. 1. Fig. 2. und Fig: 3.)5 es ift der Eingang 
in das innere Ohr. Der unterfte Theil des Schlaͤfenbeins iſt nicht 
flach, ſondern pyramidenfoͤrmig. Er heißt wegen ſeiner beſondern 
Haͤrte Felſenbein, enthaͤlt die innern Theile des Ohrs und 
nimmt Antheil an der Baſis der Schaͤdelhoͤhle. (Man fi ſieht ihn 
von der untern Flaͤche Tab. I. Fig. 2. 4.* und beſſer von der obern 
Seite d. h. von der Schäbelhöhle aus Tab. VE Fig. 6. 4. 9. 
Endlich ſieht man in der Bafis der Schädelhöhle noch zwei Kinos 
hen von ſehr zufammengefegter Form, das Keilbein und das 
Siebbein, Das erftere nimmt die Mitte der Schädelbafis eim. 
(Tab. VI. Fig. 6. 5.): Bon dem mittlern Theile, der, von der 
Schädelhöhle angefehen, einige Aehnlichfeit mit einem Sattel hat 
und Türkenfattel genannt wird (Ebend. 5. *) gehen nach den. 
Seiten flügelförmige Verlängerungen aus, die die Geftalt diefes 
‚Knochens fehr unregelmäßig mahen. Es verwächft in ſpaͤtern Fahr 
ren mit dem Hinterhauptsbein zu Einem Knodyen. In der kleinen 
Luͤcke zwiſchen dem Stirnbein und dem Keilbein bemerkt man von 


— 


PEN N 





a Da wir bei Veſchrelbung be⸗ Knodengeruſtes ri immer auf bie zmelte 
ertafel verweiſen muͤſſen, ſo wird bieje nicht mehr befonders genannt 
ı, und wenn nur eir Babl ober ein bloßer Buchſtabe angeführt wird, 
R dat man immer in ber PR Bigur iu ſuchen. 
3 2 


der Schaͤdelhoͤhle aus das Siebbein (Tab. VI. Kig. 6. oh De 
größte Theil dieſes Knochens zieht fih in die Nafe hinein und 
hilft auch die Augenhöhlen bilden, Die Platte, welche man in 
der Baſis der Schaͤdelhoͤhle ſieht, iſt von vielen kleinen Loͤchern 
wie ein Sieb durchbohrt. Die Alten glaubten, hier floͤßen die 
Unreinigkeiten aus dem Hirne ab und kaͤmen als Naſenſchleim in 
die Naſe. Allein die Loͤcherchen haben eine ganz. andere Beſtim⸗ 
mung; denn fie laffen, wie wie ſpaͤter ſehen werden, feine Ner⸗ 
ven fuͤr die Naſe durchgehen. Ueberhaupt muß bemerkt werden, 
daß die vielen Löcher, welche mir im Umfange des Schaͤdels, bes 
fonders in deffen Bafis bemerken, dazu beflimmt find, Nerven 
oder Gefäße durchzulaſſen. Das bei weitem. größte unter dieſen 
Löchern ift, im Hinterhauptöbeine und heißt das Hinterhauptö« 
loc) (Sig. 2. X. Zab. VI. Fig. 3. x: ). Zur Seite deijelben 
fieht. man auf der untern Fläche zwei laͤngliche Hoͤcker (Fig. 2.), 
vr welche der Schädel auf dem erflen PURE ruht, 


Alte Schaͤdelknochen ſi nd ſehr feſt mit eiitandee verbunden, 
befonders in den Nähten, fo daß feine plögliche Gewalt fie von 
einander trennen kann. Viel leichter werden die Knochen ſelbſt 
zerbrochen. Das fieht man, wenn ein ſtarker Schlag auf den 
Schaͤdel gefuͤhrt wird, oder ein Schuß in denſelben geht. Aber 
eine von innen langſam, doch ſtark wirkende Kraft reißt ſi e aus 
ihren Fugen. So kann man ſich leicht einen Schaͤdel in ſeine 
einzelnen Knochen zerlegen, wenn man ihn vom Hinterhauptsloche 
aus mit trocknen Erbſen anfuͤllt, die Oeffnung dann mit etwas 
Werg und einem Sthöhen Holz fo verſchließt, daß keine Erbſen 
dort heraus dringen koͤnnen. Laͤßt man nun den ſo gefuͤllten Schaͤ⸗ 
del einige Tage in einem Gefhire mit Waſſer ſtehen, fo faugen 
die Erbfen das Waffer ein, ſchwellen auf und treiben die Br 
aus einander, — 


8.39. Aut den Sefihtstnohen sähfe man bie. vier⸗ 
zehn uͤbrigen Knochen des Kopfes. Unter dieſen ſind wieder einige 
paarig, andere unpaarig. Zu den erſtern gehören die beiden Ober⸗ 
kieferbeine (7), welche in der Mitte aneinander flogen, und 
von deren Geſtalt bie Form des Gefichtes beſonders abhaͤngt. 
Sie umſchließen faſt ganz den vordern Eingang in die Naſe, bils 


® 


den größteneheits den Voden berfetben (Fig. 2. 7.) und zugleich 
die Dede d der Mundhöhle, Sm untern Rande jedes Oberfiefer 
beins ſind die acht Zahnloͤcher zur Aufnahme der Zaͤhne ſeiner 
Seite. Im Innern enthaͤlt jedes Oberkieferbein eine anſehnliche 
Hoͤhle, die mit der Naſe in Communication ſteht. Nach hinten 
ſtoßen die beiden Gaumenbeine (Fig. 2. 10.) an die Ober— 
Eieferbeine und ergänzen mit ihnen die harte Scheibewand zwifchen 
Naſen⸗ und Mundhöhle, oder den Enöcherneh Gaumen. Ein ans 
derer Theil der Gaumenbeine trägt zus Bildung der Seitenwand 
ber Nafe bei und ift fo verfiedt, bag man ihn in unfern Abbilduns 
gen, nicht fieht. Nach außen von den Oberkieferbeinen erkennt 
‚man dagegen deutlih die Joch beine oder Wangenbeine 
‘(8), die auf der andern Seite jih an einen Fortſatz des Schlaͤfen⸗ 
being anfegen und mit diefem gemeinfchaftlih einen Bogen, ber 
Jochbogen, bilden, der über eine flahe Grube (Schläfen- 
grube) weggeht. Zwiſchen den obern Theilen der Oberkieferbeine 
liegen die beiden kleinen Naſenbeine (9.), den obern Rand 
der Nafenöffnung begrängend und den Naſenruͤcken bildend, Noch 
Heiner und dünner find bie Thraͤnenbeine, welche man im 
innern Augenwinkel findet, Man ſieht in ihnen den Anfang des 
Thraͤnenkanals, der in die Nafe führt, Im Innern der Nofen« 
Höhle findet man ferner einen unpaarigen Knochen, das Pf lu g⸗ 
f ch arbein, das, in der Mitte der Naſe liegend, Antheil hat, 
an der Bildung einer Scheidewand, welche die innere Nafe im zwei 
Höhlen theilt. Ein ſenkrechtes Blatt vom Giebbein und nad 
vorn ein fenkrechter Knorpel machen diefe Scheidewand nolftändig. 
Man ficht das Plugfcharbein am beften am fleletirten Kopfe, 
wenn man von hinten in die Naſenhoͤhle blidt, wo man es.in 
der Mitte zwifcheh den beiden hinten Nafenöffnungen. erkennt. 
Auf jeder Seite findet fih in der Nafenhöhle ein gewundener düns 
ner Knochen, die untere Mufchel genannt. — Alle biss 
ber befchriebene Gefichtsfnochen find mit den Schädelfnohen zw 
einem Ganzen feft. verbunden. Der Unterkiefer hingegen, 
aus Einem Knochen beftehend (11.), füge fih nur durch zwei Ges 
lenke an den Schädel, und zwar an die Schläfenbeine. Diefe Ges 
lenke erlauben Bewegungen nach allen Richtungen und im Innern 
des Gelenkes findet ſich ein Knorpel, durch den die Beweglichkeit 
noch eigen wird, Der Gelenkkopf des Unterkiefer bleitet dabei 


a nn 38 ee 


‚aus feiner Betentgeuhe ein wenig . einen vorliegenden Höder, 
"und von da wieder zuruͤck. ine Verrenkung .ift nur nach vorm 
moͤglich. Der Unterkiefer enthält ale 16 unteren Zähne, 


$.40. Im Rumpfe unterfheiden wir eine Reihe Kno⸗ 
hen, meldye über einander liegen und zufammen gleichfam eine 
‚Säule bilden, und andere Knochen, die gemeinfchaftlich. mit diefer 
‚Säule eine Art von ‚Sehäufe, den Bruſtkaſten, bilden. «1. 


Zene Säule, Wirbelfäule oder Ruͤckgrat genannt, 
ft als der Stamm des ganzen Skeletes zu betrachten. . Die Wir: 


belſaͤule befteht aus 24 ausgebildeten und mehreren unvollkomme⸗ 


nen Wirbeln, "Die vollfommenen oder wahren Wirbel find. alfe 
von einander getrennt; und im Ganzen ringfoͤrmig gebaut, wie die 
zte Figur zeigt, die uns einen getrennten Wirbel von der untern 
Flaͤche ſehen laͤßt. Ein ſolcher Wirbel hat vorn einen dickern Theil, 
Wirbelkoͤrper (8.) genannt. Alle Wirbelkoͤrper liegen 
über einander und fie find es, welche die Aehnlichkeit mit einer Saͤule 
erzeugen. Zwiſchen den Körpern liegen weiche FaferEnorpel, bie 
fi etwas zufammendrüden laffen und daher eine geringe Bewer 
gung zwiſchen jedem Wirbelpaare geftatten. Da folder bemeglis 
hen Stellen fih fo viele finden, als Lüden zwiſchen den Wirbeln 
find, fo iſt die Beweglichkeit der ganzen Wirbelfäule doch ſehr ans 
ſehnlich bei großer Feſtigkeit. Durch das Gewicht des Koͤrpers 
werden die Zwiſchenknorpel etwas zuſammengedruͤckt, fo daß ber 
Körper am Abend, befonders wenn man viel geflanden hat, merk, 
lich Eürzer ift, als am Morgen. Von dem Wirbelkörper geht nach 
hinten ein Bogen, der mit ihm ringförmig eine tüde (Fig. 5.X.) 
umfaßt. Die Lüden aller Wirbel liegen über einander und bilden 
einen Kanal, der das Rüdenmark aufnimmt, _ Von dem Wirbel- 
bogen gehen mehrere Kortfäge aus, einer nad) hinten, der D orn⸗ 
fortſatz (u), zwei andere nach der Seite, bie Queerfort- 
faͤtze (8), an diefe Fortfäge Heften fih Muskeln, um die Wirbel 
zu bewegen. Zwiſchen ihnen find Eleinere Kortfäse (5), die nah 
a und nad) unten jleigen, um mit entfprechenden Fortfägen ber 

enachbarten Wirbel Eleine Gelenke zu bilden. Sie heißen. die 
9 fen oder Gelenffortfäge. Ueberhaupt bat alſo jeder 
Mirbel firben Fortfäge, drei für Muskelanfäge beflimmte, ferner 
zwei —— und la herabfleigende Getenkfortfäge, * 


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j) 
j 


7 


— 39 — 


Die ſieben oben Mirbel nennt man Haldwirbel, weil fie 

‚im — liegen (12. yo Unter ihnen find‘ befonders die beiden er⸗ 

ſten merkwuͤrdig, "da fie einen eigenthuͤmlichen Bau haben, um 

dem Kopfe eine größere Beweglichkeit zu geftatten. Sie find’ im 
"der 6ten Figur abgebildet. Der erfte Halswirbel (Fig. 6.1.) heißt 

der Traͤger oder Atlas, meil der Kopf mit den beiden Hoͤ— 
ern am Rande des Hinterhauptstöhke ($. 38.) auf den beiden Ge: 
lenkfortſaͤtzen (@.) diefes Knochens ruht, und mitihnen durch ein Selen? 

verbunden iſt welches dem Kopfe erlaubt, fi ch vorwärts und ruͤck⸗ 

waͤrts zu neigen "Die Drehung des Kopfes nad) den Seiten ge⸗ 

ſchieht nicht in dieſem Gelenke; denn ein Gelenk, welches Bewe⸗ 
gung nach alten Seiten geſtattet, iſt nie fehr feſt, und eine Ver-⸗ 

renkung zwiſchen dem Kopfe und erſten Halswirbel wuͤrde wegen 
des Druckes auf das Ruͤckenmark faſt immer toͤdtlich ſeyn. Dage⸗ 
gen finden wir eine Vorrichtung, durch welche der Atlas und mit ihm 

zugleich der Kopf ſich um den zweiten Halswirbel, den Dreher 

Epiſiropheus) (Fig 6. II.), drehen laͤßt Vom Körper des 

Drehers (II. *) ſteigt naͤmlich ein zahnförmiger Fortſatz (v. Yge⸗ 

rade in die Hoͤhe und legt ſich mit einer glatten Gelenkflaͤche vorn 
an den Atlas an. Ein ſtarkes Band geht von der Spige biefes 

FSortſatzes an den Schädel, und ein anderes geht queer hinter ihm 
weg, zu beiden Seiten‘ fih an den Atlas fügend, fo daß er nicht 
"peicht von der Stelle ruͤcken kann, wohl aber der Atlas fich um den 
Bahtifortfag herum drehen laͤßt Da der Kopf dieſe Bewegung mit 

dem Atlas theilt, indem‘ er’ mit ſeinen Gelenkfortſaͤtzen verbunden 

iſt fo ſieht man, wie hier auf eine hoͤchſt kuͤnſtliche Weife die freie 
Bewegung des Kopfes auf zwei Gelenke, ein Charniergelenk und 
ein Drehgelenk, vertheilt iſt. Nur eine ſehr große Gewalt, 3. B. 
ein Sturz von der Höhe herab auf den Kopf, kann bie feſten Ver⸗ 

bindungen des Zahnfortſatzes zerreißen.  Diefer Zufall, den man 
im gemeinen’ Leben das Genicbrehen'nennt, iſt tödtlich, indem . 
der Zahnfortfag, feine Bänder zerreißt/ und fich in das Rüden: 

mark drückt, oder üabbricht, wenn die Bäder der Gewalt twiders 
ſtehem, und eine Verrenkung zwiſchen Dem erſten und zweiten Dalds 
"wirbel geſtattet. In vielen Ländern iſt es Sitte, daß der Schärfe 

richter den Gehaͤngten aus aller Kraft einen Stoß ins Genit giebt, 
wodurch die: erften’ Halswirbel verrenft werden. ine Verrenkung 
zwiſchen den tiefein Halswirbelm ift nicht ganz fo toͤdtlich, indeſ⸗ 


‚fen immer gefährlich, amd ich kann nicht umhin diefe Gelegenheit 
zur Warnung gegen die uͤble Sitte zu benutzen, Kinder aufzuheben, 
indem man ſie an ‚beide Schlaͤfen faßt. Schon mehrmals ſind da⸗ 
durch Verrenkungen der Halswirbel erzeugt worden, die zwar nicht 
‚immer — doch immer. fehr: seräheih waren. 
Auf bie fiben. Helewirbel: folgen zwölf Rüden-- ** 
Bruſtwirbel, an welche ſich die Rippen anlegen. Sie hel⸗ 
fen bie hintere Wand ber Brufthöhle bilden, Unter ihnen. ftehen 
fünf. Lendenmwirbel-(13.), die größten unter allen; denn die 
Wirbel nehmen von. oben nah unten an Maffe zu: Die Lenden⸗ 
wirbel begrängen die Bauhhöhle nach hinten, > Das lebte Lenden⸗ 
wirbelbein ruht auf- einem großen Knochen, dem Heiligen 
bein oder Kreußbein (14.). Man erkennt in ihm» bie 
| Spuren. von fünf, oder in feltnern Fällen von ſechs verwachſenen 
Wirbeln, die von oben nad unten an Größe abnehnien, Eben ſo 
fest, fi, der Kanal für das Ruͤckenmark in ihn fort. Unter dem 
Kreubein endet die Wirbelſaͤule mit vier kleinen Knoͤchelchen, in 
welchen die Wirbelbildung kaum noch zu erkennen iſt, indem ſie 
keinen Kanal mehr. ‚bilden Helfen. Sie heißen die Steißbeime oder 
Kududsbeine (Fig, 4. 14. *). Wo das. Kreugbein aus 
ſechs verwachſenen Wirbeln beſteht, finden ſich gewoͤhnlich nur drei 
Steißbeine. — Die Wirbelfaͤule bildet 4 Kruͤmmungen. Im 
Halſe iſt fie nach vorn, in der Bruſt nad) hinten, im Lendentheile 
wieder nach vorn und im Kreuzbein noch einmal nach hinten gebo⸗ 
‚gen. ‚Sind. diefe, Biegungen übermäßig: ſtark, oder find Ausbie— 
‚gungen nach ber Seite da, fo hat man die ROTORDENER * von 
al des us Dr 


4:4 


* 


— 4. Bmätf Pan Rippen (is.I-XI) — 
mit ihren hintern Enden an die Bruſtwirbel und biegen ſich dann 
bogenfoͤrmig fo, daß die andern Enden’ nad vorn kommen. Un 
dieſen finden ſich Knorpel (die Rippenknorpel) Die 7 
obeen Rippen heften ſich mit ihren, Knorpeln unmittelbar an das 
Bruftbein. , Man. nennt: fie die wahren‘ Rippen. Die 
5 untern ober die falfchen Rippen erreihen dag Bruſtbein 
nidt,,. fonderh die unterſte ift ganz frei, die 8te, 9te, Tote 
Rippe und meiſtens die zrte legen aber ihre Knorpel an einander. 


— 4AV — 


Nicht ſelten iſt jedoch die Axte eben fo frei als die Tate Rippe. 
Das Bruſtbein (16.) beſteht in erwachſenen, aber noch jun⸗ 
gen Menſchen aus 3 Stuͤcken, von denen das unterſte erſt im ſpaͤ⸗ 
term Alter zu verknoͤchern pflegt. An das Bruſtbein legen ſich die 
‚Knorpel der wahren Wirbel an. Die 12 Bruſtwirbel, 24 Rippen 
und das Bruftbein bilden zufammen ein Ganzes, das einem faßs 
Förmigen Korbe gleicht und dee Bruftfaften (Thorax) ges 
nannt wird, Die Lüden zwiſchen dem Knochen find von Muskeln 
und Häuten ausgefüllt und fo giebt der Bruſtkaſten eine fefte Hülfe 
fuͤr die Bruſteingeweide. Der Bruſtkaſten ift beweglich, indem die 
Rippen nicht nurmit den Wirbeln, fondern auch mie dem Bruſtbein 
durch ein Gelenk, das eine geringe Bewegung geftatter, verbunden 
find. Durch eigene Muskeln können nun die Rippen nach oben 
gezogen werden, wodurch der Bruftfaften erweitert und verkürzt. 
wird. Andere Muskeln und das eigene Gewicht ziehen die Nippen 
* — * unten, wodurch der Druptafen verengt und derläns 


”.: 
W 3 


see $. 42. "Sn u öbern Gliedmaßen, ober dem 


Amen, erkennen wir vier Hauptabfchnitte, die durch fehr bewegliche . 
Gelenke von einander gefchieden find: die Schulter, den Oberarm, 
den Vorder⸗ oder Unterarm und „die Hand. 


SL ur u 


Die Schulter enehäte zwei Knochen: das Schlüffelbein 
and das Schulterblatt. Das Schlüffelbein (17, iſt ein 
langer, nicht hohler, etwas gebogener Anochen, der. an einem Ende 
ſich durch ein Gelenk mit dem Bruſtbein und an dem andern Ende 
mit dem Schulterblatt verbindet. Erſtere Verbindung bildet zwar 
nur ein ſtraffes Gelenk, aber auch eine geringe Bewegung an dieſer 
Stelle erzeugt doch ſchon wegen Laͤnge des Schluͤſſelbeins eine an⸗ 
lehnliche für das Schulterblatt. Dort iſt die einzige Stelle, wel— 

die obere Extremität mit. dem Rumpfe verbindet; Das 
Schulterblatt (18.). auf der bintern Flache des. Bruſtka⸗ 
ſtens liegend, ift ‚bekanntlich. faſt dreiedig ; die laͤngſte Seite des 
eiecks ift gegen die Wirbelſaͤule gekehrt. Diefer Seite gegens 
über, nach außen alfo, ift ein Winkel des Dreiecks verdickt und bildet 
eine. flache Gelenkgrube für das Schultergelenk. 


we 
Der ‚Oberarm enthält nur einen ſtarken ars 
das Dberarmbein (9). Das obere Ende deffeiben, in ei⸗ 
nen runden Gelenkkopf auslaufend, legt ſich in die Gelenkgrube des 
Schulterblattes. Aus diefer Bildung fchon laͤßt fich erkennen, daß das 
Schultergelenk zu den freien Gelenken gehört, wovon man fich leicht. . 


+ durch. Bewegung des Oberarms überzeugen kann. Ja das 


Schultergelenk zeigt die allgemeine Form der freien Gelenke am 
deutlichſten, indem die runde Gelenkgrube ziemlich flach, der Ge⸗ 
lenkkopf des Oberarms aber. faſt kugelig iſt. Je freier ein Gelenk 
iſt, um deſto mehr iſt es Verrenkungen ausgeſetzt,. Um dieſes Ge⸗ 
lenk zu ſichern, bildet das Schulterblatt zwei Fortſaͤtze, einen uͤber 
dem Gelenke (die Schulterhoͤhe) und einen andern vor dem⸗ 
ſelben (Schulterhaken). Ihr Schutz iſt denn auch fo Eräftig, daß 
nach dieſen Richtungen keine Verrenkung erfolgen kann, wenn nicht 
die Knochenfortſaͤtze abgebrochen werden, was auch faſt nie ge⸗ 
ſchieht, weil das Schulterblatt fo beweglich iſt, daß es jedem Stoße 
nachgiebt. Nach außen wird das Gelenk von einer ſtarken Muss 
kellage geſchuͤzt und beſonders dadurch, daß durch die Gelenkkapſel 
eine Sehne des zweikoͤpfigen Armmuskels geht die immer bemuͤht 
if, den Kopf des Oberarms in der Gelenkgrube zu erhalten. „ Nur 
nach unten hat das Gelenk keine Verſtaͤrkung und twiektich. ‚weiß 
man aus den Tagebuͤchern großer chirurgiſcher Inſtitute, daß dieſe 
Verrenkung nach unten ſo oft vorkommt, als alle uͤbrigen Verren⸗ 
ee am ganzen Körper zufammen DEREN ’ x % 
Im un terarm ſind zwei Knochen, das Crenbogenhitn. 
(20.)' und die Speiche (er. J. Beide find im Ellen bog en⸗ 
gelenke (pP) mit dem Oberarmbein verbunden, das Ellen: 
bogenbein aber viel inniger als die Speiche Dieſes Gelenk 
iſt ein Charniergelenk, denn es geſtattet nur den Unterarm dem 
Oberarme zu nähern (Beugung) oder davon zu entfernen (Stre: 
ckung), alfo Bewegung in einerlei Ebene. Man braucht nur "den 
Oberarm mit der andern Hand zu halten,‘ um ſich zu überzeugen, 
daß es dann unmoͤglich iſt, den Vorderarm auf die Seite zu bewe⸗ 
gen. Die Seitenbewegung koͤnnen wir nur völlführen a indem wie 
den Oberarm im Schultergelenke bewegen. Im Eenboaengelent 
ſieht man den allgemeinen Charakter der Charniergelenke gut aus: 
geprägt. Das Gelenkende des Oberarms hat nicht die Geſtalt eines 


ey, . 


runden Kopfes, fondern einer Rolle mit abwechfelnden Vertiefungen 
und. Erhabenheiten, Die Vertiefungen greifen in Erhabenheis 
ten des Vorderams ein; ſtarke Verrenkung kann daher nur hoͤchſt 
felten eintreten, Ueberdies halten feitliche Bänder die Knochen feſt 
an einander. Am Ellenbogenbein iſt ferner vorn ein Fortfag, ber 
in eine Grube des Oberarms bei der Beugung des Gelenks eingreift, 
und hinten ein noch ftärkerer Fortſatz, der Ellenbogenhoͤcker (Fig, 7. 
zZ), der in eine hintere Grube des Oberarm beider Streckung ein⸗ 
greift. So wie oben das Ellenbogenbein feſter mit dem Oherarm 
‚verbunden iſt, ſo iſt dagegen das untere Ende der Speiche in- 
niger mit der-Dand verbunden. Ellenbogenbein und Speiche aber 
find gegen einander beweglich, indem die Speiche fich um das Ellen⸗ 
bogenbein dreht. Bei diefer Drehung wird die Hand mit bewegt, 
fo, daß bald ihre Rüden-, bald die Hohlhandfläche nach oben ge: 
Eehrt iſt. In unferer Abbildung fehen wir die — der beiden 
Vorderarme in windeicc kage. 

* Die Hand beſteht aus ſehr vielen einzelnen Knochen. Der 
oberſte Theil derſelben (22) wird die Handwurzel (Carpus) 
‚genannt: Sie enthaͤlt acht unregelmaͤßige Knochen, die mit brei⸗ 
ten Flaͤchen an einander liegen und deshalb nur ſehr wenig unter 
ſich beweglich ſind. Zuſammen bilden ſie ein kurzes Gewölbe, das 
durch eim freies Gelenk (9) mit dem Unterarm verbunden iſt. Die 
einzelnen Knochen der Handmwurzel bilden 2 Reihen. Die Knochen 
der obern Reihe heißen, von der Seite des‘ Daumens an: Kahns 
‚bein, Mondbein, dreiediges& Bein, und Erbfen- 
bein,. welches. letztere aus der Neihe etwas vorfpringt umd bewes· | 
licher ift, als die andern. In der zweiten Neiherfinden ſich von 
derſelben Seite an: das große und kleine vielwinke⸗ 
lige Bein, das kopffoͤrmige Bein, und das Ha= 
kenbein. Alle haben ihre Benennungen von der Geftalt, — 
An die Handwurzel ſetzen ſich fuͤnf Roͤhrenknochen (23), die zu: 
ſammen die Mittelhand bilden, Vier derſelben find ſehr eng 
mit der Handwurzel und unter ſich verbunden. Sie tragen die vier 
laͤngern Finger. Der fünfte Mittelhandknochen ſteht von den an⸗ 
‚dern ab, iſt ſehr ‚beweglich, und giebt, da er den Daumen trägt, 
dieſem die Faͤhigkeit fi unabhängig von den andern Fingern zu bee 
wegen, ja ſich diefen entgegen zu flellen, wodurch wir bie Zähig- 


keit erhalten, mit der Hand Gegenftände feft zu faſſen und jene auf 
das mannigfadhfte zu bewegen. Im lebenden Menfchen liegen zwis 
ſchen den Mittelhandknochen außer den Bändern noch Muskeln, 
weswegen wir fie nicht erkennen, wie im Skelete, an welchem fie 
beim erſten Anblide der Anfang der Finger zu feyn ſcheinen. SSes 
des Fingerglied enthaͤlt ſeinen eigenen Roͤhrenknochen, von denen 
alſo im Daumen zwei, in jedem andern Finger drei ſind. Sie 
‚werden durch Charniergelenke unter ſich verbunden, mit dem Mit: 
telhandknochen bildet aber das erſte Glied eines jeden Fingers ein 
freies Gelenk (s). Endlich find noch zwei Kleine erbfengroße 
Knoͤchelchen (die Sefambeine) zwifchen dem Mittelhandknochen 
‚und erſten Gliede des Daumens auf der untern Fläche zu erkennen. 
Man fchreibt ihnen gewöhnlich die Beflimmung zu, Muet ein ei⸗ 
nen vortheilhaftern Anſatzpunkt zu geben. 


$. 43. In dee untern Extremität erkennen wir 
leicht eine. Uebereinftimmung des Fußes mit der Hand, des 
Unterſchenkels mit dem Unterärm und des Oberfden- 
kels mit dem Oberarm, State der Schulter iſt hier die Hüfte, 
die aber mit. dem untern Theile der Wirbelfäule, namentlich mit 
dem Kreuzbeine, fo eng verwachfen ift, daß man fie eben fo wohl zu 
dem Rumpfe rechnen kann, als zu der untern Eptremität. In der 
That pflegen auch die Anatomen die Hüften als Theile des Rum⸗ 
pfes anzufehen, da fie benfelben von unten begrängen, 
Jede Hüfte enthält einen breiten Knochen, das Hüftbein 
(27), auch wohl fonderbarer Weife das ungenannte Bein. 
‚benannt, Beide find mit dem Kreuzbeine durch Knorpelmaſſe un: 
“beweglich verbunden (Fig. 4. g). Eben fo verbinden fie fih vorn. 
mit einander in der Shambeinfuge (h) "Dadurch ent: 
fieht ein großer unfoͤrmlicher Ring‘, der das Beden heißt. 
Durch die Höhlung des Beckens muß Alles gehen, was auf natür= 
lihem Wege aus der Bauchhöhle hervortreten fol. Das Hüftbein 
iſt fehr ungleihförmig gebaut und einzelne Abfchnitte deffelben, die 
in der Jugend durch Knorpelmaffe gefchiedene Knochen find, haben 
eigene Namen erhalten. Der obere flache, etwas nach außen gebo= 
gene Theil (Fig. 4.,27'), das Darmbein, unterftüst ver 
moge feiner, Stellung die Därme in ihrer Lage, ‚Das Sitzbein 


— 45 — 


(27") Heise am meiften nach unten und bildet daſelbſt einen flums 
pfen Höder, auf welchem der Körper beim Sigen ruht, den Giß- 
beinhoͤcker (Ebendaf. *). Das Schambein endlich 
(27) macht den Schlußſtein nach vorn und hat ſeinen Namen 
davon, daß die aͤußern Geſchlechtstheile ſich an daſſelbe befeſtigen. 
Zwiſchen Scham⸗ und Sitzbein bleibt eine Luͤcke, das eirunde 
Loch. Alle drei Theile ſtoßen in der tiefen Gelenkgrube für das 
Hüftbein (i), oder der Pfanne, zufammen, 


Der Oberſchenkel wird, wie der Oberarm, nur von 
Einem Knochen, das Oberſchenkelbein (28), gebildet. 
An ſeinem obern Ende iſt ein großer kugeliger Gelenkkopf durch 
einen Hals mit dem uͤbrigen Knechen verbunden, 


Die Tiefe der Pfanne wird durch Knorpel, die DER an ihren 
Umfang legen, noch vermehrt, und fo haben mir hier denn ein 
Nußgelent, das feltener Verrenkungen ausgefegt ift, als das Ober- 
armaelent, obgleich es noch mehr der Gewalt ausgefegt ift, ba die 
Köpfe ber Dberfchenkelbeine den ganzen Rumpf zu tragen haben. 
Das runde Band (Fig. 12 +) im Innern des Gelenkes nie ade 
feine Feſtigkeit in mancher Hinficht. 


I 


Der unterſchenkel enthält außer zweien Rohrenkno⸗ 
hen, dem Schienbeim (30) und Wadenbein (31), 
noch einen Kleinen Knohen (29), die Kniefcheibe, die an 
der vordern Flaͤche des Kniegelenkes beweglich iſt. Das Schien⸗ 
bein iſt dee ſtaͤrkſte Knochen des Unterſchenkels, das Wadenbein 
legt ſich an daſſelbe nur wie ein Strebepfeiler an. "An der Bil⸗ 
bung des Kniegelenkes (k) Hat dns Wadenbein gar einen, 
ander Bildung des Fußgelenkes (I) aber einen geringen Antheil, 
Das Kniegelen gehört zu den Charniergelenken, indem das untere 
Ende des Oberfchenfelbeing eine Role bildet, Die Gelenkflaͤche des 
Schienbeins iſt zu beiden Seiten, jedoch nur wenig, vertieft. Dadurch 
- wird auch eine geringe Seitenbewwegung für den Unterfchenkel moͤg⸗ 
lich, Die geringe Vertiefung der Gelenfgruben maht das Ger 
lenk ſchwach. Es find deswegen viele und ftarfe Hülfsbänder da. 
Das ftärkfte heftet die Kniefcheibe an das obere Ende des Schien⸗ 
beine.” Bwifchen dem Oberfchenfelbein und Schienbein liegen * | 
Paar halbmondfoͤrmige Knorpel (k) im Kniegelenke. 


4 


% 


I 


In dem Fuße Taffen ſich die Bupnurget (Tärfus), - 


'  gittelfuß, ‘(Metatarfus)‘ und die Zehen unterſcheiden. 
Die Fußwurzel (32) iſt viel größer. als die Handwurzel, obgleich 


ſie nur ſieben Knochen enthaͤlt. Der erſte davon iſt das Sprung 


bein, welches mit dem Unterſchenkel ein Charniergelen®. bildet, 
indem ſowohl das Schienbein, als das Wadenbein zur Seite des 
Gelenkes Vorſpruͤnge bilden (der äußere und innere Knöchel), die 
dem Gelenke große Feftigkeit geben. Unter dem Sprungbein liegt 
das große Ferfenbein (33), das nach hinten und. unten ei» 


nen ſtarken VBorfprung, den Ferfenhöder, (Fig. ır. 33 *) mad, 


der dem Körper eine der Hauptftügen zur Aufrechthaltung gewährt. 
Meiter nach vorn ſtoͤßt das Ferſenbein an das Kahnbein und 
nach der Seite der kleinen Zehe an das Wuͤrfelbein. Vor dem 
Kahnbein liegen endlich noch die drei Keilbeine. Ale Knochen 


a Tußwurzel floßen zwar mie die Knochen dev Handmwurzel mit 


Gelenkflächen an einander, da diefe.aber breit und flach find, fo 


wird doch keine merkliche Bewegung zwifchen den einzelnen Knochen: 


geftattet. Auf diefelde Weiſe find die fünf Mittelfußfnocen (34) 
mit der Fußwurzel verbunden , und bilden mit dieſer gemeinfchafte 
Uich ein Gewölbe, das ſich mit drei vorragenden Punkten auf den 
Boden ſtuͤtzt. 


iR 


S 44. Eine Bergleihung der obern Gliedmaaßen mit den 


| untern zeigt eine Uebereinſtimmung im Allgemeinen in der Zahl der 


Abtheilungen, fo wie der Gelenke, und entfprechend Knochen in je 


der Abtheilung. Indeffen zeigen fich auch überall, befonders in 
der, Bildung der Gelenke Verfchiedenheiten, melde alle zu einem 
Haupfrefultat führen: daß in der untern Ertremität überall mehr 


Stärke und Feſtigkeit, in der obern mehr die freie und vielſeitige 


Beweglichkeit bezweckt iſt. Es leuchtet alſo ſchon aus dem Kno— 


chenbau hervor, daß die untern Extremitaͤten beſtimmt find, den 


Koͤrper zu tragen, die obern aber zum Greifen und zur Verrichtung 
der verfchiedenften Arbeiten. So find die Hüftbeine unbeweglich 
mit’ der Wirbeifäule verbunden, während die Schulter nur mit eis 
nem £leinen Gelenke ſich an das Brufibein fügt. Das Darmbein 
läßt ſich mit dem Schulterblatte, das Schambein mit dem Schluͤſ⸗ 


ſelbein vergleichen, und das Sitzbein hat Uebereinſtimmung mit dem 


Schulterhaken, wofuͤr nur die vergleichende Anatomie den naͤhern 


= 


—— 47 —— \ 


—— fuͤhren kann. She das. Rate Schultergelenk iſt unten 
die tiefere Pfanne, Auch ber Hals der Oberſchenkelbeme bezieht 
fih auf bie aufrechte Haltung und Bewegung des Körpers, indem 


die Muskeln, die den Rumpf auf den Oberſchenkeln halten, Das 


durch vortheilhaftere Anfagpunfte erhalten. Dem Ellenbogenbein 
entſpricht das Kniegelenk. Die Kniefheibe, die ſich hier finder, ift 
auch keine ganz eigene, fondern nur eine-modificirte Bildung. Man 


kann fie mit dem Ellenbogenhoͤcker vergleichen. Sie unterfcheidet 


fich nur dadurch, daß fie vom Echienbein abgelöft ift. Sie liegt 
eben fo auf der Stredfeite und das ſtarke Band der Kniefcheibe er= 
fegt die Gontinuität des Knochens, indem e8 die Knieſcheibe i immer 
nah am Schienbein erhält, zugleich aber der Kniefcheibe erlaubt, im⸗ 
mer die vordere Fläche des Kniegelenkes zu bededen, während eine 
Knochencontinuität nothwendig bei ſtarker Beugung die Kniefcheibe 
von dem Gelenke entfernen würde, Die Knochen des Unterfhene 
kels Eönnen ſich nicht um einander drehen, wodurch die Feſtigkeit 
ganz verloren gehen würde. Da nun ferner ftatt des freien Hande 


gelentes unten’ fi das charnierförmige Fußgelenk findet, ſo iſt of⸗ | 


fenbar der Fuß viel weniger mannigfacher Bewegung fähig, als die. 
Hand. Im Fuße ſelbſt bleibt immer noch daffelbe Verhaͤltniß, in⸗ 
dem die große Zehe eng an den andern anliegt und nicht den uͤbri⸗ 
gen —* ——— — werden kann. 


5 
FT Kir 





Der Kopf enthaͤlt mit Einfhluß der Zähne uhd der Ohrknoͤ— 
chelchen 60 Knochen, der. Rumpf, wenn wir das Bruſtbein als 
einen, ‚einzigen Knochen aufzählen „54, jede obere Ertremität 34, 
(beide68),- jede untere Extremitaͤt 33, (beide 66), und das ganze 


Skelet 248. Dazu kommen noch 5 Aunarnbein 


BE Ir 





. mt ee 


Seligewebe Beitfoff,‘ Söteimgenee 
© oder Shieritoff, 


eng} | | 
4 Bevor wirizu andern organiſchen Syſtemen Übers 
gehen muͤſſen wir noch eines Stoffes "erwähnen, der im ganzen 


— aa iſt ia eigentlich die Grundlage deſſelben auſsmacht, 


e 


und den man PR gewbhnlich gell gemwebe genannt hat, von. 
dem Anſehen, den er im todten Körper hat. Man findet naͤmlich 
in 2eichnamen zwifchen den einzelnen ausgebildeten Zheilen eine 
unförmlihe Maffe, die man ihrer Zähigkeit wegen in Fäden ziehen 
kann. Laͤßt man diefe Maffe gefrieren, fo erſtarrt die enthaltene 
Sluͤſſigkeit zu Eleinen Eiskoͤrnchen, deren Umgebung nothwendig 
‚die Form einer Zelle haben muß. Man ſchloß daraus, die Maſſe 
muͤſſe aus unregelmäßigen Zellen beftehen, die theild aus Kleinen 
DBlättchen, theild aus Faͤden gebildet würden, und gab ihre den 
Namen Zellgewebe, Die Zellen fchienen nicht gefchloffen zu feyn, 
da man bemerkte, daf Fluͤſſigkeiten von einem Orte zum andern 
ſich bewegen koͤnnen. Laͤßt man irgend ein Organ lange im Waſ⸗ 
ſer liegen, ſo loͤßt es ſich zuletzt in ein fadiges Weſen auf, woraus 
man ſchloß, daß das Zellgewebe auch die Grundlage aller uͤbrigen 
Organe bilde, und die beſonders geſtalteten Fäden, wie Musfels 
und Nervenfafer, die Gefäßen, f. w, nur darin eingeſenkt ſeyen. 
Indeſſen ift das fogenannte Zellgewebe im lebenden Thier eine zähe, 
halbflüffige, ganz formlofe Maſſe, die nur nah dem Tode durch 
den Verluſt eines Theils ihrer Flüffigkeit ein fefteres -Anfehn ges 
winnt, und in welcher man nur auf Eünfllichem Wege die Fäden. 
(3. B. duch Zerrung) und Blättchen (durch Gefrieren und Luftein« - 
‚blafen) erzeugt. Der Name Zellgewebe ift ganz unpaffend und 
man bat es deshalb neuerlich Schleimgemwebe (der geringen 
Gonfiftenz wegen) genannt Das-Wort Schleimgemwebe erinnert 
aber an den Schleim, der chemiſch verſchieden iſt, und nur in den 
innern Höhlen bereitet wird. Das Schleimgewebe iſt chemifch viel⸗ 
mehr als eine Modification der Gallerte zu betrachten. Er iſt daſ⸗ 
ſelbe, was wir bereits als thieriſche Grundlage der Knochen kennen 
gelernt haben, wo er jedoch feſter geronnen iſt. Er bildet ur: 
fprünglich die Grundlage des ganzen Körpers, indem die beftimmte 
Drganifation aller einzelnen Theile in den frühern Perioden 
des Fötuszuftandes fich in ihn hinein bildet, wovon wir und ums 
ſtaͤndlicher bei Gelegenheit der Entwickelungsgeſchichte belehren wer— 
den. In den Luͤcken, wo ſich kein Theil ausbildet, bleibt der 
Stoff ungeformt. Ganz einfach gebildete Thiere, wie Infufions- 
thiere , Polypen, Medufen beftehen nur aus diefer Grundlage. 
Sie ift alfo ber urfprüngliche, unamsgebifdete, ungeformte Stoff des 
thieriſchen Körpers, auf beffen .ch bemiſche Miſchung wir ſchon (im 
| $. 26.) 


x 


— — 49 — 


F. 16) hinweifen. Darum iſt der Name Thierſt off, den man 
auch neuerlich gebraucht hat, wohl feiner Natur am beften entfpres 
chend, wenn man ihn nicht mit dem Ausdrucke: Thierifche Stoffe, 


den wir bloß in — Hinſicht gebraucht haben, verwechſelt. 


re 46: Das Zellgewebe (diefe Benennung ift leider noch ims 
mer bie gewöhnliche) bildet alfo.nicht nur. die Grundlage aller Drgas 
ne (elementarifches Zellgew.), fondern füllt auch die Lüden zwiſchen 
ihnen aus (atmofphärifches Bu). Letzteres iſt immer weicher, in= 
dem es reicher an thierifchem Waſſer iſt, das man aber nicht in ein» 
zelnen Höhlungen erwarten darf, fondern als einen Theil feiner 
Subftanz bildend. Mehrt fih das Waffer Kbermäßig, fo entſteht 
eine Krankheit, die wir die Waſſerſucht, und zwar Hautwaffer 
fucht im Gegenſatz zu den Arten von Wafferfucht, nennen, bie in 
gefchloffenen Höhlen ihren Sig haben. Es fchwellen dabei die un« 
tern Theile des Körpers befonders an, weil das Waffer, vermöge 
feiner eigenen Schwere, durch das atmofphärifche Zellgewebe nad) uns 
ten ſinkt. Durch das Zellgewebe wird es auch erflärlih, wie mans 
che andere Flüfjigkeiten ihren Ort verändern, wie z. B. Eiter ente 
fernt von dem Orte, an dem er gebildet wurde, hervortritt. Noch 
auffallender ift die Wanderung fefter Körper, die in den Leib einges 
derungen find. Verſchluckte Nadeln Hat man aus allen Gegenden 
des Leibes, Togar aus der Schulter und der Hand, hervortreten fes 
ben. Sie hatten, indem fie den Darm duchbohrten, Beſchwer⸗ 
den gemacht, nachher aber feine; *) ein Beweis, daß fie im Zell: 
gemwebe fortgewandert waren, dem mit den aha: die Sähigfeit zu 


—— fehlt. 


Winnie 47. Im Zellgewebe fammelt ſich ferner Fett an, das 
aber nicht wie das thierifche Waſſer in feine Mifhung eingeht,. ſon⸗ 
dern in Eleinen Kluͤmpchen fi anhaͤuft. Es ſcheint dem Körper 
wenig zu nügen, fo lange er fich wohl befindet; denn daß es ein 
ſchlechter Wärmeleiter ift, und ſtarke Perfonem daher weniger fies 
ven, ift unbedeutend, Das Fett ift vielmehr ald ein Ueberſchuß 





2 3} / 


5 Neuerlich find einem Srauenzimmer in Kopenhagen allmählig 273 Nadeln aus 
den verfchiedenften Theilen des Körpers abgegangen und zulegt nod Too 
Nabeln aus einem Geſchwuͤr in ber Achfelgrube, 

Tr 


der Ernährung zu betrachten, weswegen kraͤftige Körper, und befon- 
ders bei vieler Ruhe, mehr Fett anzufesen pflegen, als fchwächliche, 
Wenn dagegen die Ernährung des Körpers leidet, entweder. durch 
Mangel an Nahrungsftoff, oder indem Krankheit die Ernährung 
auf dem gewöhnlichen Wege unterdruͤckt, verbraucht der Körper den 
Borrath von Fert zurfortwährenden Umbildung feiner Theile (fiehe 
6. 87 und 88). _ Dierin Liegt zum Theil der Grund, daß der Körper 
nad) langen Entbehrungen, Arbeiten oder Krankheit an Volumen 
abnimmt. Zuweilen ift die Fetterzeugung Erankhaft erhöht, mie 
man befonders bei Kindern beobachtet hat, die daran flarben. Das 
Webermaaß von Fett macht die Bewegung fehr befhwerlih, nicht 
nur wegen des Gewichtes, das der Körper dadurch erhält, Tondern 
auch weil e8 die Muskeln in ihrer Contraction hindert. Indeſſen 
iſt kräftige und anhaltende Bewegung das befte Gegenmittel, 





Fünfte Borlefung ang — 





§. 48. 


Ales was man im gemeinen Leben Fleiſch nennt, iſt im thieri⸗ 
ſchen Koͤrper in einzelne Partien geſondert, die bei den Anatomen 
Muskeln heißen. Ein Blick auf unſere dritte Kupfertafel 
wird es deutlich machen, wie unter der Haut die einzelnen Muskeln 
neben einander liegen. Nur das umgebende Zellgewebe und die 
Hautdecken machen, daß wir aͤußerlich wenig davon erkennen, ob⸗ 
gleich bei jeder kraͤftigen Bewegung einzelne Muskeln ſtaͤrker her⸗ 
vortreten. Bei genauerer Beobachtung findet: man, daß die mei- 
ften nicht zu tief liegenden Muskeln entfprechende Erhebungen des 
äußeren Umfangs erzeugen. Man fieht diefe auch deutlih, wenn 
die Beleuchtung nur von einer Seite kommt, etwa von einer Fadel 
oder hellen Lampe, Die feichten Vertiefungen zwiſchen ben Erha- 


— — —— 


benheiten zeigen dann merkliche Schatten, da fie nicht von zerſtreu⸗ 
tens Lichte beleuchtet werden. Die Künftler des Alterthums müffen 
mit großer Genauigkeit diefe Unebenheiten ſtudirt haben; denn wenn 
man ihre Meifterwerke.auf eben ſolche Weife von der Seite beleuche 


tet, fo muß man die Treue bewundern, mit welcher die Schatten - 


den Muskelbau wie ein Gemälde darftellen. Ich war nicht wenig 
erftaunt, an dem berühmten Torſo in Dresden die Graͤnzen und 
einzelnen Zacken des großen Saͤgemuskels (Taf. II. Sig. 1.35.) 
u. ſ. w. beim Fackelſchein deutlich zu erkennen. 


8.49. Die Muskeln find, tie bald näher gezeigt werben 
fol, die vorzüglichften Organe der Bewegung. Sie find aber dar⸗ 
in unter ſich verfchieden, daß wir einige willführlich bewegen koͤn⸗ 
nen, andere nicht. Erſtere nennt man die willführlihen 
Muskeln, oder die Muskeln des animalifchen Le— 
bens. Letztere ‚bewegen fich unabhängig von unferm Willen im 
Dienfte derjenigen Proceffe,. durch welche der Körper ſich felbft bils 
det und erhält. Man nennt fie die Musfeln des vegetati- 
ven oder. plaftifchen, d. h. bildenden. Lebens... Von jenen 
foll hier ausführlich gefpeohen werden, von diefen ‚nur verglei— 
Gungsweife, da wir, in der Lehre von der Verdauung, Athmung, 
und, dem Herzen wieder auf fi fie zuruͤckkommen muͤſſen. 


6. 50. Die Muskeln der erſtern Art nehmen faſt ganz den 
Kaum zwifhen den Knochen und der äußern Haut ein. Ihre Map 
fe ift daher fehr anfehnlih, und man kann rechnen, daß in einem 
Eräftigen Körper die Hälfte des Gewichtes den Muskeln angehött, 
Die — derſelben iſt zwiſchen 5 und 600, 


Legt man einen folhen Muskel bloß, ſo ſieht man eine * 
—* Maffe, in der man mehrere einzelne Partien — Büns 
del — unterſcheidet. "Ein jedes Bündel befteht wieder aus meh: 
teren Faden, und bie Fäden Iaffen ſich bei gehöriger Sorgfalt 
in ganz dünne einfahe Fafern theilen. Der Durchmeſſer der 
einfachen Faſern iſt ſehr Elein, oft nur der 1000ſte Theil einer Kis 
nie, ja, nach einigen Meffungen noch weniger, Ob die Faſern 

hohl find, oder ſolid, laͤßt ſich ſchwer entfcheiden, indem ein duͤn⸗ 
* durchſichtiger Faden) auch wenn er ſolid ift, folhe Schat⸗ 
ten an der Seite hat, als ob er hohl wäre, Die meiſten Anatos 


N 4°? 


— 52 — 


men unferer Zeit halten fie jedoch mit großer Wahrfcheinlichkeit 
für folid. Die Lüden zwifchen den einzelnen Muskeln nicht nur, 
fondern auch zwiſchen ihren einzelnen Bündeln und Fäden, füllt 
das Schleimgewebe aus, welches alſo jeden Muskel umgiebt, und 
ſich in zahlloſen Fortſetzungen in fein Inneres zieht. Ale Mus—⸗ 
keln enthalten Blutgefäße, und es treten Nerven in fie ein, die 
ſich in ihnen vielfach veräfteln, Die willkuͤhrlichen Muskeln erhal⸗ 
ten namentlich ihre Nerven vom Gehirn und vom Ruͤckenmark. — 
Die rothe Farbe der Muskeln hängt ihnen nur lofe an, denn wenn 
fie eine Zeit im Waffer gelegen haben, fo erfcheinen fie faft weiß, 


d. 51. Die Muskeln des animalifhen Lebens heften ſich 
an Knochen oder an die Haut, und zwar find die meiften mit bei— 
den Enden an Knochen geheftet; einige fisen mit einem Ende an 
einem Knochen, mit dem andern an ber Haut. Nur ein Paar 
Muskeln find volfiändige Haut⸗ Muskeln, To daß fie an feinen 
Knochen befefligt find. Eigentlich fisen die Muskelfafern nirgends 
unmittelbar an den Knochen, fondern fie heften ſich an weiße glaͤn⸗ 
zende Faſern, die fih in die Beinhaut verweben. Dieſe pflegen 
‚am einen Ende des Muskel länger und deutlicher zu feyn, ale am 
andern. "Bilden die glänzenden Faſern einen runden Strang, fo 
nennt man diefen eine Sehne, breiten fie fich aber in eine Fläche 
aus, fo heißen fie Aponeurofen Die Sehnen haben’ wenig 
Blutgefäße und Feine Nerven, fie find auch unempfindli, für ge= 
woͤhnliche Reize; bei ſtarker Zerrung entzüunden fie ſich aber und 
ſchmerzen. Sie nehmen an der Bewegung feinen andern Antheil, 
als daß fie von den Muskeln gezogen werden, und dadurch weiter 
auf die Knochen würken. Geht die Sehne eines Muskels weit in 
das eigentliche Muskelfleifch hinein, indem die Muskelfafern fich 
von beiden Seiten an die Sehne heften, wie der Bart einer Geber 
an den Schaft — , fo. heißt der Muskel ein gefiederte zur Se 
gen ſich die Muskelfafern nur von einer Seite an die Länge einer. 
Sehne an, fo ift er halbgefiedert; An dem Eingange zu 
innern Hoͤhlen liegen Muskeln, deren Faſern ringfoͤrmig um einan⸗ 
der laufen, Man nennt fie Ringmuskeln, oder Schließ— 
muskeln, weil fie den Eingang in die Höhle verſchließen koͤnnen 
(fieheden Kingmustel der Augenlieder und der BT —— 
UN, Sig 6 m 13). 


6. 52. Bei der —* zieht det Muskel bie beiden 
—539 Fan welche er ſich heftet, gegen einander. Von dieſen iſt in 
der Regel der eine mit dem ganzen Stamme des Koͤrpers enger ver— 
bunden als der andere, der lebtere wird daher gewoͤhnlich gegen den 
erſten bewegt. So ſehn wir in ber 4ten Figur der Tab. I. 
den zweibäuchigen Armmustel (24) mit einem Ende an das 
Schulterblatt (A), mit dem andern an die Speiche geheftet. Er 
wird in der Negel die Speiche und mit diefer den ganzen Vorderarm 
‚gegen die Schulter und den Oberarm bewegen. Wird daaegen der 
Vorderarm befeitigt, indem man z. B. mit aller Kraft einen feften 
Balken umfaßt, fo zieht diefer Muskel das Schulterblatt, und mit 
ihm den ganzen Rumpf gegen den Balken. Go kann man mit 
telſt derjenigen Muskeln, welche fonft nur die Arme und Hände 
u beiwegen, den ganzen Leib gegen die Gliedmaafen aufziehn, wie 
beim Anhängen und Auffhwingen an eine erhöhte Stange, Das: 
jenige Ende des Muskels, welches an dem feftern Punkte figt, 
heißt fein Kopf. Iſt der Kopf doppelt, fo heißt derMuskel zmeis 
koͤpfig, wie der eben betrachtete. Das andere Ende, das am 
beweglichern Theile figt, wird der Schwanz genannt, die vers 
dickte Mafje zwifchen beiden der Bauch, Es giebt auch zwei⸗ 
baͤuchige Muskeln. Bei diefen ift die Maffe des Bauches 
durch eine Zmwifchenfehne getheilt. Die Stelle, am ber der Kopf 
feſt ſizt, beißt dr Urfprung, die Befefligungsftele des 
Schwanzes der Anſatzpunkt. Die plaftifhen Muskeln um: 
geben mit ihren ſtark verwebten Zafern innere Höhlungen, wels 
he fie durch ihre Wirfamkeit verengen. Man Fanın daher bei ih— 
nen keinen Ba und Schwanz unterfcheiden. 


6. 53. Die chemifche Unterfuhung der Muskeln Hat ges 
geigt, daß 3/4 ihres Gewichtes Waffer if. Das übrige Viertheil 
enthält vorzüglich Saferftoff, ferner Osmazom, den färbenden Bes 
flandtheil des Blutes, Eiweiß, Galler, phosphorfaures Natrum 
und phosphorfauern Kalk, falzfaures und milhfaures Natrum, 
Biele der letztern Beftandtheile gehören vielleicht den dem Muskel 
beigemifchten fremden Theilen, den Gefäßen, den Nerven und dem 
Zellſtoff. Der Faſerſtoff charakterifiet die Muskelfafer beſonders. 
Das Dsmazom giebt der Brühe von Muskelfleifch den Eräftigen Ge— 
such und Gefhmad, ift aber ſelbſt vielleicht zufammengefegt (vergl, 


$. 18). Die Sehnen rm a” in —— Waſſer J * zu 
Hauert auf, 


' 6. 54. Tenn man einen Muskel in einem [ebenen Ihiere 
bloß legt, und ihn dann mit einem fpigen Werkzeuge reizt, fo erz 
; zittern feine einzelnen Theile, wobei der Muskel fich verkürzt, und 
alſo Urfpeung und Anfasftelle einander nähert, Daffelbe fieht man, 
wenn man den Muskel electrifirt, galvanifirt, oder chemifche Reiz⸗ 
mittel anbringt. Indem fich der Muskel verkürzt, ſchwillt er zus 
gleich in feinem Bauche an. Es entfteht dabei die Trage, ob der 
Muskel fi bei der Zuſammenziehung in feiner Maffe verkleinert 
oder nicht. Es Eönnte nämlich feyn, daß die VBerdidung des Mus- 
kelbauches eben ſo viel an Raum betruͤge, als die Verkuͤrzung der 
Laͤnge nach. Verſuche, welche zum Zweck dieſer ſchwierigen Unter⸗ 
ſuchung angeſtellt wurden, indem man einen oder mehrere Mus⸗ 
keln durch Reize zwang, unter Waſſer ſich zu contrahiren, und da= 
bei das Sinken des Waſſers beobachtete, laſſen fchließen, daß wirke - 
lich das Volumen des Muskels bei der Zufammenziehung vermins 
dert wird. Dies ift aud) fhon dadurch wahrſcheinlich, daß jeder 
Muskel bei der Contraction härter wird.  Diefelben Erfcheinungen 
fieht man am Muskel, wenn man ihn. nicht unmittelbar reizt, fons 
dern den Nerven galvanifirt, der in ihn eingeht. Da nun im le: 
benden Thiere die Muskeln des animalifchen Lebens durch den Wils 
len bewegt werden, diefer aber auf einen Muskel nicht mehr wirken 
Eann, deffen Nerven man vorher durchſchnitten hat, fo läßt ſich 
daraus fchließen, daß der Wille vermittelft der Nerven die Muskeln 
zur Thaͤtigkeit anregt. 


Die befondere Form der Erregbarkeit, vermöge welcher 
ein Muskel, auf den ein Reiz einwirkt, fich contrahirt, 
heißt JIrritabilitaͤt. Die Irritabilitaͤt erliſcht nicht 
gleih nah dem Tode, und bleibt im Allgemeinen um fo 
länger, je plöglicher der Tod erfolgte, und je Eräftiger vor: 
her das Leben war. An einem  Guilfotinirten konnte man 
9 Stunden nad) dem Tode einen Theil des Herzens noch zu Con⸗ 
tractionen reizen. Mach Tangfamen Abzehrungen, befonders aber 
nach Einwirkung von manchen Giften, 3. B. der Blaufäure, er: 
liſcht die Irritabilitaͤt bald. Sie ſchwindet auch ſchnell, wenn der 
Muskel nicht’ immer neuen: Zuſchuß von Arterienblut, oder von 


Sauerftoffgas (in kuͤnſtlichen Verſuchen) erhält. So verlieren 
die Muskeln fehr bald die Fähigkeit fich zu contrahiren, wenn ber 
Tod durch Erſtickung erfolgte, wodurch die gehörige Mifhung des 
Blutes gehindert wird, 


§. 55. Nach jeder — in den Muskeln folgt ein 
Buftand der Ausdehnung, von der wir noch nicht entfcheiden wollen, 
ob fie ein bloßes Aufhören der Zufammenziehung, oder felbft ein 
activer Zuftand ift, War die Contraction mit großer Anftrenaung 
verbunden, oder hat fie lange anaehalten, fo bleibt der Muskel eine 
Zeitlang unfähig, thätig zu feyn; und wenn auch derfelbe Reiz fort: 
gefegt einwirkt, fo dauert es doch eine Zeit lang, bis wieder eine. 
Eontraction erfolgt. Man fieht hieraus, daß der Muskel, nad) 
bem er thätig gewefen, "der Ruhe bedarf, Die Empfindung von 
diefem Beduͤrfniß nah Nuhe nennen wie Müdigkeit.  Fortgefegte 
Uebung kann die Müdigkeit längere Zeit abhalten, und der Wille 
hat einige Herrfchaft über fie, jedoch nur eine befchräntte. Man 
‚hat öfter gefehen, daß Soldaten, ermuͤdet von den Anftrengungen 
einer langwährenden Schlacht, fich auf dem Schlachtfelde hinwarfen, 
um einige Augenblide Ruhe zu genießen, unbefümmert um die 
Gefahr, die das feindliche Feuer ihnen bereitete. — Damit die 
Müdigkeit nicht zu bald erfolge, ift im Bau unfers Körpers die 
Einrichtung getroffen, daß bei den gewöhnlichen Bewegungen vers 
fchiedene Muskeln in ihrer Thätigkeit mit einander abwechfeln. 
Unfere verſchiedenen Stellungen fönnen um fo länger ausgehalten 
werben, je geringer dabei die Anftrengung dev Muskeln ift, und 
je mehrere von ihnen zugleich wirkend einander unterflügen. Wir er 
leihtern uns die Stellungen, indem wir fie ein wenig (meiftens 
unwillkuͤhrlich) etwas verändern, 3. DB. indem wir uns balt mehr 
auf den einen, bald mehr auf den andern Fuß fügen, ober durch 
eine Eleine Bewegung das Stehen unterbrechen, 


6.56. Die Schnelligkeit, mit der die Gontractionen erfols 
gen, iſt gewiß in allen Muskeln verfchieden, Sie hängt ab, I) 
von der Art des Neizes, 2) von der Größe der Muskeln und 3) _ 
‚von der Uebung. Am fchneliften ift die Contraction, die ein elecs 
triſcher Schlag erzeugt; fie gleicht: hierin dem Blige. Wie viel die 
Uebung thut, kann man-überall erkennen, am beutlichjlen aber 


wohl, wenn man die geläufigen Bewegungen der Finger eines gu⸗ 
ten Klavierfpielers mit den fehmerfälligen Bewegungen eines Unges 


übten vergleicht. ' Kleinere Muskeln contrahiren fi immer ſchnel— 


ler als größere. ‚So kann der gefchictefte Balletfpringer die Vibra⸗ 
tionen des Fußes nicht fo raſch machen, als die Zunge, wenn fie 
ben Buchſtaben r lang aussieht, oder die Muskeln des Kehlkopfs 
bei Erzeugung eines Trillers. Darum ift e8 auch unmöglih, ein 
abfolutes Maag für die Schnelligkeit der Muskelcontractionen zu 
finden So hat man berechnet, dag, weil man eine Rede von 
1500 Buchſtaben in einer Minute ſprechen Fann, und überbieß zur 
Bildung einiger Buchſtaben, 3. B. bes.r, mehrere Tremulationen - 
erfordert werden, zur Gontraction eines Muskels der Ste Theil eis 


ner Tertie, oder der 480ſte Theil einer Secunde hinreidhe, Hier 


ift ein vielfachee Verfehn, und das größte liegt darin, daß man ans 
nimmt, jeder Buchftabe werde einzeln ausgefprochen, während wir 
doc zum Ausſprechen einer Sylbe nur einer oder weniger Bewegun⸗ 
gen der Kehlkopfs und der Mundtheile — Doch davon mehr 
bei der Lehre von der Stimme. J— 


—J— Die Stärke, mit der die Muskeln wirken, richtet 
ſich: 1) nad der Größe der Muskeln 2) nach der Kraft des eins 
wirkenden Reizes. Geringer ift 3) der Einfluß der Uebung. In 
erfter Hinficht ſteht die Stärke im Gegenfag zu der Schnelligkeit. 
Den aten Einfluß beweifen manderlei krankhafte Affectionen ber 
Muskeln, z. B. Krämpfe, durch welche fie fo far werden, daß fie 
ihre gewöhnliche Witkfamkeit vielfach übertreffen. Wenn man 
Leute, welche fih im Aufheben großer Laften fehen laffen, genau 
beobachtet, fo fieht man, daß fie vor dem Aufheben alle Kraft ih— 
res Willens fammeln, und darauf mit aller Gewalt deffelben die 
Laſt faffen. Sie bringen fie dann immer raſch in eine Lage, in 
welcher ein großer Theil der Laft von dem Knochengerüfte felbft ges 
tragen wird, Es werden Beifpiele angeführt, daß bei plöglicher 
Anftrengung, wie beim Werfen mit der Schleuder, Muskeln, die 
Knochen zerbrahen, an die fie fi anheften. In andern Fällen 
wurden 300 Pfd. mit dem Unterkiefer aufgehoben, melde alfo von 
den Musfeln getragen wurden, die diefe Knochen bewegen. Die 
Uebung ftärkt die Muskeln, vorzüglich indem fie fie vergrößert. 
Auch wird der Muskel dabei fefter, So werden bei Schmieden die 


I 


am Oberarm liegenden Aufheber des Vorderarms, bei Taͤnzern bie 
Wadenmuskeln ftärker, Jeder Muskel, der keine Uebung hat, 
wird ſchwaͤcher. So fand fih, nachdem das fchöne Gefchlecht lan ' 
ge geglaubt hatte, noch ſchoͤner zu werden, wenn es fich in einen eis 
jernen Panzer einfhnüre, und die Aerzte endlich gegen die verderb⸗ 
lichen Schnürleiber eiferten, daß bei vielen wirklich die Ruͤckenmus⸗ 
Eeln die Kraft verloren hatten, den Nüdgrat ohne Ermüdung gras 
be zu fireden. Da fieht man, hieß 08, daß wir viel zw zart von 
der Natur gebaut find, um ohne aͤußere Stüge uns zu halten, 
Nein, Madame, man fieht nur, daß fie ihre Muskeln nicht ge 
—* haben. 4 


8. 58. Die Muetstipätigti hat mannigfachen Sinfug 
auf die Übrigen Verrichtungen im Körper, fo wie diefe wiederum 
auf die Musfelthätinkeit Einfluß haben. So fehn wir, daß Eräf: 
tige Uebung der Muskeln die Bewegung des Blutes befördert, und 
die Erzeugung der befondern Flüffigkeiten aus demfelben vermehrt. _ 
„Außerdem geht die größte Wirkung auf Beförderung der Verdau⸗ 
ung, obgleich bald nad) dem Effen, wo die Kräfte des Körpers für 
den erften Act der Verdauung in Anfpruch genommen werden, eine 
ſtarke Bewegung des Körpers hemmend ift und fehr ermüdet, Auch 
das Nervenſyſtem feheint durch. mittelmäßige Bewegung der wills 
führlihen Muskeln freier in der Ausübung feiner Verrichtungen zu 
werden — ſtarke Anſtrengung der Muskeln ermübdet aber auch 
das Nervenfyftem. — Umgekehrt haben die andern Verrichtun: 
gen Einfluß auf die Mustelthätigkeit, vor allen aber die Athmung, 
wovon wir fpäter Hören werden, und das Nervenſyſtem. Da Iegtes 
tes die innern Reize flr das Muskelſyſtem abgıcbt, fo ift e8 natuͤr⸗ 
lich, daß die jedesmalige Erregung des Nervenſyſtems auf die Aeu— 
Ferungen der Muskelthätigkeit unmittelbaren Einfluß hat. Auftes 
gende Leidenfchaften geben eine flärkere Herrſchaft über die Muskeln, 
weil der Reiz ffärker ift. Kranke Zuftände koͤnnen diefelbe Erſchei⸗ 
nung geben. So find die Kraftaͤußerungen der Tobſuͤchtigen unges 
heuer. Daher Eönnen Eranfhafte Zuftände in den Muskeln erfcheis 
nen, während der Grund derfelben nur im Nerven oder etwa im 
geftörten Verhättniffe der Muskeln zu den Nerven liegt. So die 
Lähmung, die ihren Grund in der Unthätigkeit.eines Theils des 
Nervenfpftems hat, und der Krampf, der in einem regelwidtis 


gen, von unferm Willen nicht abhängigen Einfluß der Nerven Auf 
die Muskeln zu beftehen ſcheint. — Urſpruͤnglich werben die 
Muskeln des thierifchen Lebens duch unfern Willen zur Thaͤtigkeit 
angeregt. Der Wille ſelbſt aber wird oft durch das Befinden bes 
ganzen Körpers beftimmt. Daher mag e8 kommen, daß nach lan- 
ger Uebung der Muskeln das Eörperliche Beduͤrfniß Bewegungen in 
den willführlichen Muskeln veranlaffen kann, ohne daß wir uns 
des Willens zu der Bewegung bewußt würden. 


$. 59. Um die Gefege kennen zu lernem, nach welchen bie 
Muskeln in unferm Körper angeordnet find, muͤſſen wir zuvoͤrderſt 
unterſuchen, wie ſie auf die Theile wirken, an die ſie ſich anheften. 
Verlieren fie ſich in die Haut, fo ziehen fie wie Seile den entfpres 
chenden Theil der Haut an. est ſich ein Muskel an einen Kno— 
chen, fo wird nicht eine einzelne Stelle deſſelben, fondern der gan 
ze Knochen zugleich bewegt. Seine Unbiegfamkeit made ihn zum 


Hebel, ’ 


Es wird nicht Überflüffig feyn, folgende Gefege aus der Leh⸗ 
te vom Hebel von der Phyſik zu entlehnen, damit fie uns ud die” 
BL gegenwärtig find. 

, Der mathematifche Hebel iſt eine unbiegfame Linie (der 

J——— Hebel ein unbiegfamer Körper), die ſich (der fi fih) um 

einen feften Punkt durch entgegengefeßte Kräfte bewegen läßt, 


Die Knochen: find für die Muskelbewegung phyſiſche Hebel, 


‚2, Um den Gegenſatz beider Kräfte Eurz zu bezeichnen, pflegt 
man fie Kraft und Laſt (oder Widerfiand) zu nennen. 
Der Ausdrud Kraft und Gegenkraft iſt vielleicht beffer, da 
er das antagoniftifhe Verhaͤltniß angiebt und zugleich nicht 
‘hindert, von beiden Kräften am Hebel zu fprehen, wie 
man wohl zu thun pflegt. 
3. Der Ruhepunkt (Mittelpunkt der Bewegung), der Punkt, 
auf den die Kraft, und der Punkt, auf den bie Gegenfraft 
(Laſt) wirkt, Eönnen eine verfchiedene Lage am Hebel haben, 


a) Im Hebel der erften Art (dem doppelarmigen) iſt der 
Ruhepunkt zwiſchen Kraft und Laſt gelegen. 


») Im Hebel der zweiten Art (dem einarmigen) iſt der 
Ruhepunkt an dem einen Ende des Hebeld. 


Re; ‚Hebelarm nennt man den Theil des Hebels, der zwiſchen 
dem Ruhepunkt und dem Punkt, auf welchen die Fan oder 
bie Gegenkraft wirkt, liegt. 


Die Hebelarme koͤnnen gleich oder ungleich Kg 


5. Wenn Kraft und Laft ſich umgekehrt verhalten, wie. ihre ents 
fprechenden Hebelarme, fo ift der Hebel im Gleichgewichte. 


Eine kleinere Kraft am laͤngern Hebelarm kann alſo einer 

groͤßern am kuͤrzern Hebelarm das Gleichgewicht halten, und 
dieſelbe Kraft wird um ſo mehr wirken, je laͤnger ihr Hebel⸗ 
arm iſt. 


6. Die ganze Kraft iſt nur dann wirkſam, wenn die Rihiun | 
ihrer Mirkfamfeit fenkrecht auf dem Hebelarm ſteht. Je 
Schiefer hingegen der Winkel ift, um deſto mehr geht von der 
Kraft verloren, und zwar fo viel, als durch die Feftigkeit des 

. Debelarms unwirkfam gemacht wird, woraus fich beweifen 
läßt, daß die Wirkungen der Kräfte an denfelben Debelarmen 
ſich verhalten, wie die Sinus der Winkel, die fie mit ben 

Hebelarmen machen. 


er Die Wirkfamkeiten der. Kräfte (Momente ber Kräfte) richten 
ſich nad Obigem: 
I. nad) der Größe der Kräfte. (für ſich Elar. ), 
2, nad) dem. Sinus der Richtung (Mr, 6,), 
3; na dem umgekehrten Berhältniffe der Hebelarme 
(Nr. 5.) 


8 Sind ſich die Wirkſamkeiten der Kräfte nicht gleich, fo ers 
folgt Bewegung nach der überwiegenden Seite, 


9. Die Geſchwindigkeit dieſer Bewegung verhaͤlt ſich fuͤr die 
Kraͤfte wie die entſprechenden Hebelarme. 


Die Kraft am langen Hebelarm bewegt ſich aber ſchneller als 
die Kraft am kurzen Hebelarm. 
10, Man ficht hieraus unmittelbar, daß die Laſt um fo ſchneller 
bewegt wird, je kürzer der Debelarm ift, auf den die bewes 
gende Kraft wirkt. “ 


Ye 


8. 60, Das Gelenk, welches einen Knochen mit feinem 
(ruhend gedachten *) Nachbar verbindet, giebt für feine Bewe— 
‚gung ben feften Punkt, und zwar liegt diefer nicht in der Gelenfflä- 
che ſelbſt, ‚fondern im Innern des vorragenden Theiles, er mag. 
ein: Gelenkkopf oder eine Rolle ſeyn. Der wirkende Muskel iſt die 
bewegende Kraft. Der Widerſtand, den das Glied entweder durch 
‚fein eigenes Gericht, oder durch Hinzutreten anderer Kräfte, als 
Gewicht eines fremden Körpers oder die Wirkfamkeit anderer Mus: 
keln, der Bewegung entgegenfest, ift die zu uͤberwindende Laft. 
| Knochen, die unbeweglich mit einander verbunden find, machen zus 
Aare Einen Hebel, 


8. 61. Die Knochen dienen einigen Muskeln als Hebel der 
erſten, andern als Hebel der zweiten Art. — In Tab. II. Fig. 4 
fehn wir einen Beuger und einen Streder bes Vorderarms. Erſterer 
(24) kommt mit zwei Köpfen vom Schulterblatte und ſetzt ſich an 
einen Hoͤcker der Speiche. Ein anderer Beuger, der nicht abgebils 
det ift, Eommt vom Oberarmbein und fegt fi) an eine Vorragung 
des Elienbogenbeins. Für die Mirkfamkeit beider ift der Vorder— 
arm ein Hebel der zweiten Art, denn der fefle Punkt Liegt in der 
Mole des Oberarmbeins (wie punktirte Linien von der Speiche aus 
andeuten). Der Streder des Ellenbogengelent® (26) kommt 
vom Schulterblatt und Oberarmbein und fest fih an den Ellenbo—⸗ 
genhöder. Da diefer über das Gelenk hinaus ragt, fo ift der Kno⸗ 
chen für den Streder ein Hebel der erſten Art. 


Muskeln, die in bemfelben Theile eine entgegengefegte Bes 
wegung hervorbringen, nennt man Antagoniften Am 
deutlichfien find Beuger und Streder der Charniergelenke Antago— 
niften. Für Gelenke von mannigfaher Beweglichkeit ift oft die 
gemeinfchaftliche Wirkung mehrerer Muskeln der Wirkung eines 
einzelnen Muskels entgegengefegt. Ueberhaupt wirken viel haͤufi— 
ger mehrere Muskeln gruppenweife gemeinfchaftlih, als einer als 
lein. So wie wir ung bejlimmt haben, eine Bewegung hervorzu- 
‚bringen, treten die nee die gemeinfchaftlich dazu fähig find, 





“ Der andere XX deſſen ungeachtet in einem andern Gelenke —* be⸗ 
wegt werden, nur im Verhaͤltniß zum erſten Knochen ruhend. 


» 


& — — 61 — 
im Thaͤtigkeit, ohne daß wir uns ber Einwirkung auf jeden einzel. 
nen Muskel bewußt waͤren. 


62. Für bie Anordnung. der Muskeln gelten inte 
allgemeine Säge: 


F Der Muskelapparat, der zur Behhung eines 4 
dient, entſpricht immer der Gelenkverbindung dieſes Knochens mit 
dem uͤbrigen Skelete, ſo daß diejenigen Bewegungen, die das Ge— 
lenk geſtattet, auch von den Muskeln wirklich ——— werden 
koͤnnen. 


So ſind an dem freien Sultergelenke Mustein, bie das 
Dberarmbein nach allen Seiten bewegen können, für das 
Ellenbogengelent nur Beuger und Strecker. Die Speiche 
wird durch Drehmuskeln um das Ellenbogenbein gedreht. — — 
Nie geht ein Muskel von einem Knochen zu einem andern, 
der unbeweglich mit ihm verbunden ift, oder gar von einem 

Ende eines Knochens zum andern Ende deſſelben. Es zeigt 

" vielmehr die vergleichende Anatomie, daß, wenn zwei Kno⸗ 
hen, die im Menfchen beweglich. verbunden find, ‚in andern 
Thieren zu einem Ganzen verwachfen gefunden werden, bie 
bewegenden Muskeln nicht mehr, da fi ind, 


IE Die Muskeln befeftigen fih fo an bie Knochen, daß ein 
bedeutender Theil der Kraft verloren geht; denn es ift: 


1. ihr Anfaspunft fat immer fehr nahe am Nuhepunft. 
Sie wirken alfo auf einen Eurzen Hebelarm. 
u a ift der Winkel, den fie bei dem Anfegen mit dem Knochen 
bilden, faſt immer ſehr ſchief. 


Es iſt im erſten Augenblicke ſehr auffallend baß iu der Mus: 
kelbewegung die Kräfte nicht fo angebracht find, daß fie die größt- 
möglihe Wirkung hervorbringen, da man gewohnt: iſt, in den 
Merken der Natur die höchfte Zweckmaͤßigkeit zu bemerken. Sn» 
deffen erkennt man. bald, daß grade ‚diefe Anordnung der groͤß⸗ 
ten Zweckmaͤßigkeit entfpricht; denn die Kürze: dee Hebelarme, 
auf bie bie Muskeln wirken, erzeugt: 


“2, größere Schnelligkeit, der Bewegung. Je kuͤrzer der Hebels 
arm ber bewegenden Kraft ift, um defto ſchneller iſt die Be⸗ 


* 


wegung der Laſt (h. 89. N. 10.). Ein Blick aufunfereigte 


Figur zeigt, da der feſte Punkt in der Rolle des Oberarms 
liegt, daß ſowohl der Beugemuskel (24) als der Streckmus⸗ 


kel (26) auf ſehr kurze Hebelarme wirken. Die Laſt liegt, 


wenn bloß der Arm aufgehoben wird, in dem fuͤr Hand und 
Vorderarm gemeinſchaftlichen Schwerpunkte, und iſt dann 


leicht zu bewegen. Haͤlt aber die Hand ein bedeutendes Ge⸗ 


>» 


wicht. P' fo faͤllt der gemeinfchaftlihe. Schwerpunkt faſt 


‚ganz in den Schwerpunkt des. Gewichtes, Nun ift ſchon 


aus der Anficht der Abbildung erkenntlich, daß, während der 
Muskel eine Eleine Contraction macht, die Laft fich durch eis 
nen ’anfehnlichen Raum von Pnach P’ bewegt, und daß Über: 
haupt die Bewegung der Laſt in bemfelben Verhältnig ſchnel⸗ 
ler iſt, in welchem ihr Debelarm den der Kraft übertrifft, 


Größere Yusdeknung der Bewegung. 


Gefegt der Beuger (24) koͤnnte fih nur um * ſeiner 
Laͤnge contrahiren, ſo wuͤrde, wenn er ſich etwa an die Mitte 
des Vorderarms fegte, feine Verkürzung um ſeiner Laͤnge 
eine nicht fehr ausgedehnte Bewegung des Vordetams erzeus 
gen." Um der Bewegung eben die Ausdehnung zu geben, 
müßte fih der Muskel etwa um 5 feiner Länge contrahiren, 
Seine Action müßte alfo fehr viel groͤßer ſeyn. Der Eurze 


Hebelarm iſt alſo in dieſer Hinſicht eine ann: der Spatz | 


ſamkeit mit den eigenen Kräften, 2 


Das Ebenmaaß der Glieder, ©: | — we iD 


"Dücdy die kurzen Hebelarme wird es möglich, dag der 
Körper in den verfchiedenften Stellungen doch die Form der ein⸗ 
zeinen Abſchnitte wenig verändert. 'Segtefih der Beuger des 
Borderarms etwa in der Nähe der Handwurzel feſt fo wäre 


"0 die. Wirkfamkeit der Kraft fehe groß, aber bei dem Annäherw 
des Vorderarms an den Oberarm würde der Muskel fih'ndths 


wendig weit vom Ellenbogengelenk entfernen und ber Arm 


eine ganz neue breite Form’ annehmen. | “80h 


! Wirklich glaubt man im Muskelbau ein Streben der Na- 
tur zu erkennen, die Form der Glieder zu bewahren, indem 
die Muskeln, welche ihrer Stellung nach. bei der Contraction 


= 


ihre Lage merklich verändern wuͤrden, durch Bänder und eigene 
Sehnenfheiden gehalten werben. Nur ein Paar Beifpiele'da= 
von. Die Muskeln, welche die Finger bewegen, haben ih: 
re Bäuche am Vorderarm, ihre langen Sehnen laufen über 
und unter der Handwurzel und Mittelhand zu den Fingerglies 
dern. Da nun die Handwurzel felbft ſehr beweglich ift, fo 
daß fie einen merklichen Winkel mit dem Vorderarm machen 
kann, fo würden dadurch die Sehnen der Fingerbeuger und 
Fingerſtrecker ganz aus ihrer Lage gehoben werden, wenn fie 
nicht durch queer über fie weglaufende Bänder (wir- fehen fie 
bei Sig. I. Y- an der Handwurzel, und bei ß an den Finger: 
gliedern felbft) in der Lage erhalten würden. Die meiften 
Sehnen gehen in diefer Gegend überdies ducch eine Art von 
Scheide, die eine Fortſetzung der Beinhaut ift, und alſo feft 
am Knochen, hängt. (Man fieht in unferer Abbildung eine 


folhe Scheide nah am rechten Handgelenke, eine, Sehne, bie, 


zum Daumen geht, umfaffen. Am dute hi ganz —5* 
che Bänder (I) und Scheiden.) 


Der Berluft, den die fchiefe Snfertion der Muskeln hervor⸗ 
bringt, iſt fuͤr jeden Augenblick der Bewegung verſchieden und 
konnte daher nicht ganz vermieden werden. 


Mir werfern unfern Blick wieder auf bie 4te robilbung. 

Der Arm fey in völliger Streckung. Fänge nun der Beuger an 

zu wirken, ſo bildet im Anfange feine Sehne einen fehr fchiefen 

- Winkel mit dem Vorderarm, Je weiter die Bewegung fortgeht, 

um deſto größer wird der Winkel, und in ber abgebildeten Lage 

von P’ ift er ein rechter. Da der Urfprung des Muskels für den 

. zu bewegenden Theil ein fefter Punkt feyn muß, fo ift es uns 

vermeidlich, daß mit jedem Augenblide der Bewegung Die 
Richtung dev Kraft ſich ändert. 


Wir folgern aus Obigem: 


I. Bei der Anotdnung der Muskeln find Wirkſamkeit der 
Kraft, Schnelligkeit und Ausdehnung. der Bewegung, fo wie das 
Ebenmaaß der Glieder, gleichmaͤßig gegen einander abgewogen (wenn 
man ſich fo ausdruͤcken darf), und nad) der Beſtimmung der eih- 
zelnen Glieder iſt bald diefe bald jene Ruͤckſicht mehr beachtet, 


k — 64 — 


Mir ſahen ſchon früher, daß manche Vortheile ſich gegenfei- 
tig aufheben, wie z. B. ein langer Hebelarm der Staͤrke der 
bewegenden Kraft guͤnſtig, der Schnelligkeit aber nachtheilig iſt. 
Beruͤckſichtigt man dieſes, ſo kann man die Zweckmaͤßigkeit in 
dem Muskelbaue nicht verkennen. Im zweiten Theile unſerer 

Vorleſungen wollen wir verſuchen zu zeigen, daß im organiſchen 
Koͤrper die Zweckmaͤßigkeit nothwendig iſt. Hier begnuͤgen wir 
uns, die ——— aus der Beobachtung zu erkennen. 


Als Beweis, daß nad) den befondern Beſtimmungen der Be⸗ 
wegung eines Theils ſich der Muskelbau modificirt, hier Ei⸗ 
niges. Vergleicht man die Muskeln der obern und untern 
 Eprtremität, fo findet man in der obern mehr die Schnelligkeit, 
in der umtern mehr die Stärke beguͤnſtigt. Die Stellungen 
"und Bewegungen, deren wir im Leben am meiften bedürfen, 
findam meiften begünftigt. Alle Muskeln, die den Körper 
aufrecht erhalten, haben ziemlich lange Hebelarme, und ma: 
chen in der aufrechten — die — Winkel mit 
ihren, N: 


iv. Diele kleine Vortheile find für bie Rustsiistfamtsie 
—— | / 
| & it die Friction möglichft vermieden, durch bie Glätte der 
Gelenkflaͤchen, duch das Schleimgemwebe zwifchen den Muskeln, und 
unter der Anfagftelle fehr vieler Muskeln finden fi ich ganz dünne, 
mit etwas Feuchtigkeit angefülte Side, die Eeinen andern Zweck 
zu haben fcheinen, ald bie Beweglichkeit der Muskeln zu befördern, 
Mann nennt fie Söäleimbeutel (bursae mucosae). So 
find auch die Sehnenfcheiden ini Innern von einer dünnen Haut 
ausgefleibet, die eine fchleimige Feuchtigkeit bereitet, wie die Sy— 
novialhaͤute. Die meiften Muskeln fegen ſich an Sortfäge, wos 
durch der Winkel ihrer Infertion vergrößert wird. _ Einige von dies 
Ten find fehr bedeutend, mie der große Rollhuͤgel am Oberſchenkel⸗ 
bein und der Ferſenhoͤcker am Fuße. Sie dienen folhen Muskeln, die 
den ganzen Körper tragen müffen. Denfelben Vortheil gewährt die 
Verdickung der Gelenkenden der Knochen, über. welche die Sehnen 

weg⸗ 


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weggehen, um mit groͤßeren Winkeln ſich an die Knochen zu 
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“= Mir wollen verſuchen, an einem Beiſpiele die Kraft au berechnen, die ein 
Mauskel aufbieten muß, um eine mittelmäßige Wirkung hervorzubringen, 
‚Ein ftarfer Mann kann ein Gewicht: von 55 Pfund, das an ben Ellenbogen 
6 wird, mit aufgehobenem Arme traägen. Rechnet man noch das 
Te Gewicht des Armes zu 5 Pfund, fo find überhaupt 60 Pfund zu tragen, 
ö " Der Arm wird durdy den dteiedigen Muskel (23 unferer Abbildung) aufs 
» gehoben. Die Fafern dieſes Muskels fesen fih ungefähr am Ende des er: 
sten Dritteld vom Oberarm an. Wirkte der Muskel unter einem rechten 
Mintel, jo hätte er, da fein Hebelarm 1; vom Hebelarm der Laſt iſt, eis 
ne Kraft von 180 Pfund anzuwenden, Allein er fest fih unter einem 
ehr fpisen Winkel an, den man ungefähr auf 100 fchägen kann, Die 
kſamkeit des Muskels wird fih nun zu ber ganıen entwidelten Kraft 
verhalten, wie sin. 10°: sin. tot. — 0,1756: ı. Die Wirkfamkeit ift 130 
Pfund. Aus Obigem läßt fih berechnen , daß der Muskel mit einer Kraft 
von 1037 Pfund auf ben Dberarm wirkt. Mit berfelben Kraft muß ber 
- Muskel aber auch auf das entgegengefeste Ende, ben feſten Punkt an ber 
- Schulter, wirken, ſo daß er — eine Kraft von 2074 Pfund aufbietet. 
Man vente fih nur ſtatt des Muskels ein Geil, weldes mit dem einen 
Ende an einem in die Dede befeftigten Nagel hängt, und mit dem andern - 
Ende an ein Gewicht gefnupft ift. Wenn nun dur) irgend eine innere Ur⸗ 
ache das Geil veranlaßt würde, ſich zufammen zu ziehen „ fo waͤrde es mıt 
y jerfelben Kraft, mit der es dad Gewicht hinauf zieht, auch bemüht ſeyn 
ben Nagel herab zu ziehen, ber z. B. auögeriffen würbe, wenn er nicht 

' +feft genug fäße. Diefes auf den Muskel angewendet, macht e& wohl au: 
genen ” daß der Muskel bie Hälfte feiner Anfirengung an dem Wir 

ande des feiten Punktes verliert. —— 

33relli, der die Wirkſamkeit der Muskeln genau berechnet hat, 
bringt noch einen Verluſt, den der dreieckige Muskel dadurch erleitet, daß 
Bi Muökelfafern fi in einem Winkel an die Sehnenfaſern anſetzen, in 





ng, und nimmt für bie Anſtrengung biefed Muskels 2568 Pfund am 
‚der Winkel zeiten Muskel und Sehnenfafern Laßt ſich FZrade am 
dreiedigen Armmuskel nit einmal mit mittelmäßiger Genauigkeit beſtim⸗ 


men, weswegen ich ihn ganz ausgelaſſen habe. — 


Dos gegebene Beiſpiel wird hinreichen, bie Kraft der Muskelcontrac⸗ 
lionen auſchaulich zu machen. Manche Muͤskeln, wie die großen Gefäß: 
mus keln und die Wadenmuskeln, find noch viel färter, % 


Borelli Hat überdies eine befondere Hypotheſe über die Art und Weiſe 

der ee —— Er denkt ſich, Jede einfache Muskelfafer beitunde 

kn us Reihe überaus kleiner Blaͤshen, und bei der Gontraction bes 

| Mustel tustels fuchten dieſes Bläschen fi auszudehnen, hinderten ſich aber durch‘ 

geẽgenſeitigen Drud. Nach diefer Anficht meinte er, daß bei ber Wirkung 
eined größern Muskels — eine ungeheure Kraft von mehreren Hun— 

—* derttauſend oder einer Million und mehr Drunden aufgeboten würde. Als 


lein feine Hypotheſe ift durch nichts begründet, und man hat nicht nötht 
ſich vor dieſ⸗ Bahlen zu erſchrecken. » ht nöthig, 
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6rcAhfe Borlefung 


Bon ben verfchiedenen Stellungen und Bene: 
gungen des Körpers. 


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— A 668. Ä 


Wi haben die ARUBREIOULIGLTE im Allgemeinen kennen gelernt. 
Es wird nun nicht ohne Intereſſe ſeyn zu unterſuchen, wie die 


Muskeln die gewöhnlichen Stellungen und Bewegungen des Koͤr⸗ 
pers hervorbringen. - Bei erfteren Eommt e8 darauf an, den Kötper - 
in einer gewiffen Form in Ruhe zu erhalten. Diefe Unterfuhungen 
entlehnen wir aus ber Phyſik in folgenden angeneikign Sägen: 


1. Wenn ein fefter Körper durch drei verfchiebene Ebenen und 
von jeder in zwei der Maffe nad) gleiche Hälften getheilt wird, fo 


ſchneiden ſich die Ebenen in einem Punkte, den man den Schwer⸗ A 


punft nennt, weil die Schwere des ganzen Körpers fo wirkt, als 
ob fie in biefem Punkte vereint wäre, 


Der menfhliche Körper bat eigentlich Keinen feſten 

Schwerpunkt, da er aus einzelnen beweglichen Gliedern beſteht. 

Jedes Glied hat feinen eigenen Schwerpunkt. Nach’ den verfchies 

denen Stellungen. des Körpers ift der gemeinfchaftlihe Schwer: 

> punkt verfchieden. Bei grader aufrechter Stellung. fällt er in die 
| Beckenhoͤhle zwiſchen die Schambeinfuge und das Kreuzbein. 


4 2. Ein Körper bewegt ſich nach der Richtung der Schwere fo | 


lange, bis der ——— den tiefſten moͤglichen RES er⸗ 
reicht hat. 


3. Ein feſter Körper ruht dagegen, wenn ſein —— 
unmittelbar unterſtuͤtzt iſt, oder mittelbar, indem andere Theile des 
Koͤrpers ſo unterſtuͤtzt ſind, daß der — gehindert wird, 


tiefer zu —— 


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. 
2 
3 


Jede Stellung unſers Koͤrpers iſt nur dadurch moͤglich, 
daß erſtens durch die Muskeln die einzelnen Abſchnitte in einer 
beſtimmten Lage gehalten werden, und daß zweitens der aus 

diefer Stellung refultirende Schwerpunkt unterfiügt wird, 


4. Ein fefter Körper ruht um fo fiherer, ie näher der Schmwets 
punkt der Unterftügungsfläche und je größer dieſe Fläche ift, weil 
die Bewegung, die der Körper machen kann, ohne daß fein Schwer⸗ 
punkt aufhoͤet unterftügt zu feyn, um deſto größer ift, 


6 sc ‚Unter den Stellungen betrachten wir zuerfi dad Ste: 
ben. Hier ruht der Kopf auf dem Atlas, und durch diefen auf 


‚dem obern Theile der Wirbelfäule. Sein Schwerpunkt fällt vor 


dieſe Unterffügung. Er muß daher duch Muskeln, die von den 
Halswirbeln zu dem Hinterkopf gehen (Zab. U. Fig. 1. 20. und 
vorzüglich einige darunter Liegende Muskeln), gehalten werden, 
die auf ihm als einen Hebel der erften Art wirken. Der Rumpf 
mit den obern Ertrömitäten zieht die Wirbelfäule nad) born, da 
fein Schwerpunkt vor diefer liegt. Es müffen daher (tiefere, in 


der Abbildung nicht fichtbare) Rüden: Muskeln, welche vom Beden. 


fommen, und ſich an die Fortfäge der Wirbel anfegen, die Wirbel: 
fäule grade ziehn. Jeder Wirbel bildet mit feinem Dornfortfage 
einem Hebel der erſten Art. Die untern Wirbel (die Lendenwir- 
bet) müffen dabei am meiften gehalten werden; daher man hier 
zuerft, nad) langem Stehen, Ermuͤdung fühlt. Durch die Kruͤm⸗ 


mungen, die die MWirbelfäule macht, wird fie mehr geeignet, bie 


ganze Laſt zu fragen, die auf ihr ruht; denn nad) den Gefegen der _ 
Mechanik trägt ein elaftifcher Körper um fo mehr, je mehr Kruͤm⸗ 
mungen er bildet. Fuͤr elaſtiſch kann aber die Mirbeifäule wegen 
der Zwifchenwirbelfnorpel gehalten werden. Die auf ſolche Weife 
fteif gemachte Wirbelfäule pflanzt die ganze Laſt des Numpfes auf 
das Becken fort. Das Becken ruht wieder auf den Koͤpfen der ' 
Schenkelbeine. Die Geſaͤßmuskeln (37 und 38), e von der 
hintern Fläche des Bedens zu der Hintern Fläche des Schenkelbeins 






‚gehen, hindern. dad Becken mit dem Rumpfe nad vorn zu fallen, 


Andere Muskeln (welche in unferer Abbildung verdedt find) gehen 

von der vordern Fläche des Beckens und der Lendenmirbel an die 

vordere Fläche des Scheukelbeins, und halten das Becken, wenn 

es geneigt ſeyn follte, nach hinten zu falten. * groͤßte Geſaͤß⸗ 
5 


DT 


mustel (37) läuft zugleih von innen nach außen, und kann bar 
durch den Rumpf hindern auf die Seite zu fallen, Die Muskeln 
haben um ſo weniger zu halten, je ‚mehr, die Laft des Numpfes auf 
die Linie druͤckt, die. durch beide Köpfe des Schenfelbeins geht, weil ; 
hier bie Loft unmittelbar auf den Knochen ruht. Darum find wie 
immer. unwillkuͤhrlich und zur eic genen Erleichterung bemüht, den 
Rumpf auf dieſen beiden Zapfen im Gleichgewichte zu erhalten, So 
‚pflegen corpulente Perſonen ſehr grade aufrecht, auch wohl etwas 
zuruͤckgelehnt, den Körper zu tragen, indem bei ihnen die Zunahme 
der Maffe mehr auf der Bauch» ald auf der Ruͤckenſeite ift, der 
Schwerpunkt aber weiter nach vorn fallen wuͤrde, wenn ſie gebuͤkt 
gingen, Sehr magere Perſonen ſtehen dagegen mit geringerer An⸗ 
ſtrengung, wenn fie etwas mehr nach vorn geneigt ſind. Es 
druͤckt alfo die ganze Laſt des Leibes auf das obere Ende beider 
Schenkelbeine. Dieſe würden daher niederſin ken, indem ihre un⸗ 
tern Enden nach vorm gedruͤckt wuͤrden, wozu die Abrundung der⸗ 
ſelben fie ſehr geneigt macht, wenn nicht der, ſtarke Streder des 
Unterſchenkels (39), ber von der vordern Fläche des Schenkelbeins 
kommt, und ſich an die Knieſcheibe (£) fest, es durch feine Con⸗ 
traction hinderte. Die ganze Laſt wird num auf das Schienbein 
fortgepflanzt. Das obere Ende diefes Knochene hat duch den Oruck 
des Schenkelbeins eine Neigung nad) vorn zu fallen. Die flarken 
Wadenmus keln (42) hindern es daran, indem fie, vom Oberſchen⸗ 
kel und Unterſchenkel kommend, mit. einer ſehr dicken Sehne 
(Achilbesfehne) ſich an den Ferſenhoͤcker fegen, und dadurch 
den ganzen Körper auf dem Fuße ruhen laſſen. Die Achillesſehne 
(man wird leicht! errathen, daß ſie von dem Eintauchen des grie— 
chiſchen Helden in den Styr ihren Namen hat, bei welcher Opera⸗ 
tion Frau Thetis ihren Sohn hier gehalten haben muß,) fegt ſich 
nicht nur in einem rechten. Mintel. an, fondern aud an einen vers 
haͤltmaͤßig | ingen Hebelarm, den die vorragende Ferſe bildet, Das 
burch werde die Wadenmuskeln fähig, die ganze Laſt des Körpers 
zu tragen. Der Raum, der dabei zwifchen"diefer Sehne und den 
uͤͤhrigen Muskeln bleibe, ift mit Fett angefuͤllt. Die Knochen ber 


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—— muͤſſen fi * nach vorn — um * gemeinfafttiäen | 
———— der Be und Pond ih über, bie Köpfe der ER 
zu bringen, | 


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FSußwurzel und bes — find fo eng mit — verbunden, 
dag fie als ein. Ganzes zu betrachten find. Es ruht nicht unmittel 
bar mit feiner ganzen Zläche auf dem Boden, fondern mit 3 vor 


fpringenben Hödern, dem Berfenhöder (Tab. IL. ig. ır. 33. *), 


einem Höder, den der Mittelfugfnochen der fünften Zehe nad) aus 
fen (ebend, 34 *) und einem dritten Höder, den der Mittelfußs 


knochen der großen Zehe nach innen bildet. (*) Bekanntlich ſteht 


eim Körper am fefleften, der in drei Punkten unterftügt wird. Die 
zwiſchen ihm liegenbe Woͤlbung giebt dem Menſchen uͤberdies mehr 
als irgend einem andern Thiere die Faͤhigkeit, durch Umfaſſen der 
Unebenheiten-des Bodens ſich feſter zu halten; ein Vortheil, den 
wir freilich durch unfere ſtark befohlten Stiefeln und Schuhe zum 
Theil wieder einbüßen. Die drei genannten Höder begrängen bie 


Flaͤche, auf welcher der Körper unmittelbar ruht, - Der Lwiſchen⸗ 


raum zwifhen‘den Hoͤckern ift von ſtarken Fettpolſtern ausgefuͤllt, 
wedurch der Druck mehr aleichmäfig vertheilt wird, damit die Haut, 
über den Hödern weniger leidet. Zu demſelben Zwecke iſt bie Haut 
unter der Sußfohle dicker und unempfindlicher, als an irgend einem 
andern Theile des Körpers. Willkuͤhrlich vergrößern wir diefe Flaͤ⸗ 
Hr indem wir bie Zehenglieder an dem Boden andruͤcken, fo daß 


der ganze Umfang des Fußes, und, da man meiſtens auf beiden 


Fuͤßen ſteht, der Umfang beider Fußplatten und der zwiſchen ih⸗ 


nen liegende Raum die Flaͤche geben, die uns beim Stehen unters - 


fügt, Für alle Muskelthätigkeit, die dem Körper beim Stehen 
En ſ ind die Knochen Hebel der eiften Art. 


Da ein * Koͤrper um deſto feſter ſteht, je — die 6 
—— iſt, ſo ſteht auch der Menſch unſicherer, wenn er beide 


Fuͤße eng zuſammenſtellt. Sie zu weit zu entfernen, vermehrt die 


Sicherheit: nicht, und vermehrt die Anftrengung, indem: weniger 
von der Laft des Körpers unmittelbar von den Knochen getragen- 
wird, und mehr von den Muskeln gehalten werden muß. Auch ver⸗ 


liert die Feſtigkeit, wenn die Laͤnge oder Breite der Unterſtuͤtzungs⸗ 


Slaͤche zu ſehr die andere Dimenſion uͤberwiegt, indem ein Stoß. 
von dieſer Seite den Schwerpunkt des Koͤrpers leicht uͤber die Unter: 


flügungsfläe verruͤckft. Das iſt befonders der Fall, wenn man. 


rinen Fuß gerade vor den andern ſetzt; dann hat man nur Feftig: 


keit gegen einen Stoß, der von vorn oder von hinten kommt, Un» . 


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— 70 — — a 
willkuͤhrlich nehmen kin biefe Stellung an, wenn wir einen Yngeif 
von vorn erwarten, Mehr vergrößert wird die Unterftügungsfläche 
durch das feitliche Auseinanderfpreizen der Füße, da wegen ber Laͤn⸗ 
ge des Fußes die Unterſtuͤtzungsflaͤche nie ſo ſchmal wird, als wenn 
ein Fuß vor dem andern ſteht. Jene Stellung giebt daher den Aus⸗ 
druck des Trotzes und der Widerſetzlichkeit, indem wir uns durch ſie 
in den Stand ſetzen, einem Angriffe kraͤftigen Widerſtand zu lei⸗ 
ſten, und hierin liegt der Grund, daß ſie unſchicklich erſcheint. 
Vor Perſonen, denen wir unfere Achtung und Ergebenheit bezeus 
‚gen wollen, ericheinen wir mit eng zufammen gezogenen Füßen, ja, 
bei dem Gruſſe ziehen wir die vorher weiter ſtehenden Füße enger 
zufammen. Es’ift die natkclichfte Pantomime der Submiſſion. 
. Die Sitte, das Haupt zu neigen, ift eben fo wenig zufällig, fon» 
dern phnfiologifch begründet, wie wir, fpäterhin zeigen merden. * 
Schließlich bemerke ih noch, daß man am ficherften , und zugleich, 
bequemften fleht, wenn beide Fußfpigen etwas nad) außen gerichtet 
find (man hat den Winkel, den die Füße bei der ficherften Stellung 
etwa gewinnen, auf 38° 50’. beftimmt),. und die Füße etwas 
meiter von einander entfernt find, als die Länge eines Fußes be» 
trägt. Das gewöhnliche Stehen kann ziemlich lange ausgehalten 
‚werden, weil im Körper alle Vorkehrungen getroffen find, um es 
zu erleichtern. Das Stehen, auf den Fußfpigen iſt viel anftrengen- 
der, ba bie unterflügende Fläche geringer ifl. Man ruht dabei ges 
woͤhnlich auf dem Ballen. der großen Zehe (dem Höder, den. der 
Mittelfußknochen der genannten Zehe mit dem erſten Gliede bildet). 

Ein Stehen auf der aͤußerſten Spitze des Fußes, d. h. auf den Ze⸗ 
hengliedern ſelbſt, kann nur einen Augenblick ausgehalten werden, 
da in dieſer Stellung die Beugemuskeln der Zehen, die nicht ſtark 
ſind, den ganzen Koͤrper tragen ſollen. 


Beim Stehen auf einem Fuße zieht man ben Numpf mehr 
auf die Seite diefes Fußes hinüber, fo da fein — vom 
Kopfe des SERIEN unterſtuͤtzt wird. 





— 1 
2». * Damit fol jedoch nicht behauptet werben, daß nicht manche Sitte auf blos 
1 Ber Convention beruht. - Wenigſtens fehe gr nicht ein, was das Aneinan⸗ 
derfhlagen ber Nafen, das bei Arandyen Völkern ber Südfee und der ı 
BAG von Kuerita Eitte iſt, für eine phyſiologiſche Bebeutung 
haben follte r 


PN — 71 NER 
865, Das Knieen iſt eine durch den Bau des Körpers 
nit begünftigte Stellung. Allerdings ift der Schwerpunkt dabei 
der Unterfiügungsfläche näher, und die Muskeln haben einen gerin⸗ 
gen Theil der Laft des Köıpers zu tragen; allein Mb Haut, die oh⸗ 
ne Settpolfter die Kniefcheibe überzieht, leidet zu fehr, indem nut 
ein fehr Kleiner Umfang derfelben den Boden berührt. in Kiffen 
unter den Knieem erleichtert diefe Stellung daher fehr, indem der 
Drud mehr vertheilt wird. ' | | 


8. 66. Beim Sisen haben die Muskeln nur den Kopf 
und Numpf zu halten, wenn diefe Theile nicht angelehnt werben; 
die untern Ertremitäten find in Ruhe. Jene obere Hälfte des Reis 
bes drückt dabei auf die Sigbeinhöder, die zu diefem Zwecke abge 
rundet find. Durch die Breite des Beckens, welche die Sitzbein⸗ 
hoͤcker mehr entfernt, wird die Unterftüägungsfläche vergrößert. Den: 
noch würde fie zu wenig Ausdehnung haben, wenn nicht ein weis 
bes Polfter von Fett und Muskeln den Knochenhöder bekleidete, 
und wenn nicht der obere Theil des Dberfchenkels, oder zumeilen det 
ganze Oberfchenkel, die Unterfiügungsfläche vergrößerte. * Se mehr 
man duch Lehnen Rumpf, Kopf und Arme unterflügen kann, um 
deſto weniger Muskelkraft wird angewendet, und ein Sigen mit 
Antehnung alter diefer Theile fordert Feine Anſtrengung der wilfführs 
lihen Muskeln, geftattet daher auc, den Schlaf, und unterfcheidet . 
fi vom Liegen nur dadurch, daß der Körper, je mehr er ſich der 
ſenkrechten Lage naͤhert, um deſto mehr auf fich felbft drüdt; denn . 


4 67. das Liegen iſt diejenige Stellung des Koͤrpers, in 
welcher alle Ötieder, der eigenen Schwere folgend, fo tief ſinken, 








- 


” Sch Tann, biefe Gelenenheit nicht vorüber gehen laſſen, ohne diaͤtetiſche 
Regeln für das Sitzen zu geben. Sie find wichtiger, als man glaubt, € 
iſt bekannt, daß eine Lebensart , bie vieles Sitzen erforbert, der Gefundhe # 
ehr nachtheilig it. Sie ſchadet nit nur negativ durch Unterlaffen ber 
mohlthätigen Bewegung ($. 58.), ſondern pofitiv durch Zufammenbrüden 
bed Unterleibed, wodurch bie Blutbewegung in bemfelben und die Vers 
bauung gar fehr leidet. Diefer Drud wird nod) vermehrt, wenn man ben 

Leib gegen einen Schreibtiſch überbiegt. Man follte daher, wenn man nun 
3 einmal nicht mehr Beweaung haben kann, ba der Körper fo ‘gebaut iſt, 

daß es 4 feinem Wohlbefinden erforderlich ift, wenigſtens einen Theil des 

Tages in aufrechter Stellung zusubringen, einige Arbeiten ſtehend verrich⸗ 

teh, und fi gewöhnen, auf einem fonenannten.Bode zu figen, an wel⸗ 

em-die Schenkel zur Seite herabhängen. ES fit am beiten, wenn bie 
üße auf Queerleiſten oder auf den Boden geftüht werden können. Den 
ha orzug biefed Sitzes vor einem Stuhle, Tann id aus eigener Er⸗ 
ahrung nicht genug preifen. Unter den Stühlen find bie bartgepoliterien 
beffer alö die nadhgiebigen , auf denen das Geſaͤß zu tief einfinkt, 


Er; 


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73 
als e8 bie Unterfiäkungsfläge erlaubt, und in welcher bie Sättr 
nicht nach der Längenachfe des Körpers wirkt, fondern nad irgend 
einer Queerach ‚man mag nun auf der Seite, dem Rüden oder 

‚dem Bauche li Es iſt die Lage, welche fuͤr die Schwaͤche am 


bequemſten iſt, welche am laͤngſten ausgehalten werden kann, 


beſonders weil der Druck auf viele Punkte vertheilt iſt. Nichts bes 
ſto weniger leiden nach langem Liegen in Krankheiten zuletzt dieje⸗ 
nigen Stellen, wo die Knochen der Haut ſehr nah ſind, wie die 
Gegend des Kreuzbeins und des großen Rollhuͤgels. Sie entzuͤnden 


ſich und werden zulegt brandig, ein Leiden, das man das Durch⸗ Ü 


liegen nennt, und dad man am beften, verhätet, wenn man einen 
ſchwachen Kranken öfters umlegt, und ihm eine Unterlage giebt, die 
durch ihre Elaſticitaͤt fich leicht an die Ungleichförmigfeiten des Koͤr⸗ 
pers anlegt. Am vorzuͤglichſten iſt ſie, wenn ſie zugleich kuͤhl if 
3 ©. meiche Hirſch⸗ oder Elenshaͤute. 


$. 68. Die Bewegungen unſers Körpers find —— pars 5 
tiell, indem einzelne Theile des Körpers gegen einander bewegt wer⸗ 
ben, ober fie ſind allgemeine Drtsbewegungen. Wir betrachten von 
legteren das Gehen, Springen, Laufen und Schteimmen, um die : 
Art und Weiſe kennen zu lernen, wie der Koͤrper ſie bewerkſtelligt. 
Die paſſiven Bewegungen, in denen er von aͤußern Kraͤſtan fe ſich 
bewegen läßt, gehören nicht hierher. | 


& 


$. 69. Beim Gehen wird ber Söiye durch abıwechfeinde 
Bewegung und Stredung der untern Gliedmaaßen fort bewegt. Wir 
nehmen. an, der Körper fiehe auf beiden neben einander gehaltenen 
Süßen, Um fich fort zu bewegen wird das eine Bein im Hüft:, 
Knie» und Fußgelenke zugleich gebeugt. Diefe Ertremität wird 
daadurch etwas verkürzt, und der Fuß entfernt-fih vom Bodin, von 
der Ferſe an nad) vorn. Der Leib neigt fich unterdeffen etwas ge 
‚gen den feſtſtehenden Fuß, damit fein Schwerpunft von dieſem um- 
terflügt werde. Das aufgehobene Bein wird vorwärtd bewegt, ins 
dem der Rumpf ſich zugleich etwas um die Pfanne der unterftügten 
Seite dreht, To daß die Hüfte der andern Seite nach vorn gerichtet 
“wird. Jenes erfte Bein wird dann von der Kerfe nach der Spike 
zu niedergefegt, -indem das Beden und mit ihm der Rumpf etwas 
nieder ſinkt. Nun treten ſaͤmmtliche Streckmuskeln des vorwärts. 
bewegten Deines in Thätigkeit, es wird in 3 Allen feinen 2 


* 


a a wech Be | 
I 
grade gemacht, und der Rumpf auf diefes Bein gehoben, Der’ er⸗ 
ſte Schritt iſt gemacht. Das zuruͤckgebliebene Bein wird wieder in 
ſeinen Gelenken gebeugt, aufgehoben, vorwaͤrts geſetzt, wobei der 
Rumpf ſich um das andere Huͤftgelenk wie um eine Angel dreht, 
und dann etwas nach vorn nieder ſinkt; das vorgeſetzte Bein wird 
geſtreckt, hebt den Rumpf ‚wieder, dreht ihn um feine Hüfte 
u. ſ. w. fort. Man fieht, daß beim Gehen der Schwerpunkt des 
Körpers nicht nur durch das Sinken und Erheben eine Schlans 
genlinie beſchteibt, deren Kruͤmmungen nach unten und oben gehen, 
ſondern auch durch das wechſelſeitige Stuͤtzen auf das rechte und 
linke Bein eine Schlangenlinie, deren Kruͤmmungen nach rechts 
‚und links gehen. Je ſchneller die Schritte auf einander folgen, 
um deſto unmer£licher find diefe Schwankungen, indem faum die 
Neigung des Körpers nad) dem einen Fuße begonnen hat, wenn 
ſchon der andere Fuß die entgegengeſetzte Neigung veranlaßt. Wirk— 
lich wuͤrden wir aber nie in grader Richtung gehen koͤnnen, da wir 
ſie mit jedem Schritte verlieren, wenn nicht das Auge die Abwei⸗ 
chungen zu verbeſſern lehrte. Darum koͤnnen wir nicht grade fort⸗ 
gehen, wenn wir uns die Augen verbinden laſſen. Das Gehen 
auf ebenem Boden ermuͤdet wenig, da Streck- und Beugemuskeln 
immer mit einander abwechfeln. Ich weiß nicht, welchen Vortheil 
eg bringen fol, daß man das Militair zwingt, mit gradgeſtrecktem 
Knie: und Fuß gelenke das Bein beim Marſchiren vorzufegen, ein 
großer Kraftverluſt iſt aber gewiß damit verbunden. Die Streck⸗ 
muskeln des Kniees kommen zu keiner Ruhe, und die Laſt, die 
die Aufhebemuskeln des Oberſchenkels zu überwinden haben, bes 
kommt einen längern Hebelarm. Auch ift es uns fo natuͤrlich, die 
faͤmmtlichen Beuger oder fäinmtlihen Streder einer-Ertremität zus 
gleich wirken zu laſſen, daß Fein Volk und fein einzelner Menfch 
ohne Zwang einen Gang hat, in weigem das Knie fih art 
. während das Hüftgelent gebeugt wird. 


So einfach audy die Bewegung bes Sehens ift, fo — 
ſie doch jedes Individuum auf eine andere Weiſe. Die kleinen Ver⸗ 
ſchiedenheiten ſind ſo unendlich groß, daß nicht nur das Auge, ſon⸗ 
dern ſelbſt das Ohr bekannte Perſonen an dem Gange unterſchei⸗ 
det. Einem genauen Beobachter müßte es nicht ſchwer fallen, aus 
dem den Character, beſonders in manchen Beziehungen, au es. 


Eonnen. Anders geht der Träge, anders ber IE —— der 
Menſch mit unruhig veraͤnderlichem Sinne.“ — Gewiſſe Formen 
des Gehens verwirft die gute Sitte. Es iſt aber nicht blos herge⸗ 
brachte Gewohnheit, dieſe oder jene Art fuͤr anſtaͤndig zu halten; 
wir moͤchten vielmehr behaupten, je mehr eine Bewegung Herr⸗ 
ſchaft uͤber den Koͤrper beurkunde, um deſto mehr entſpreche ſie un⸗ 
ſerm aͤſthetiſchen Gefuͤhl, weil wir erkennen, daß der Menſch um 


deſto höher fteht, je mehr er ſich beherrſchen kann. Darum iſt es 


unanſtaͤndig bei jedem Schritte den Koͤrper tief niederſinken zu laſ⸗ 
ſen, unanſtaͤndig den Oberkoͤrper an der Drehung des Beckens zu 
viel Antheil nehmen zu laſſen, fo daß die Arme wie an den Schul⸗ 
tern aufgehängte Pendel hin und her ſchwingen, unanfländig den 
Fuß an dem Boden hinzufchleifen, | 


Geehen wir eine Anhöhe hinauf, fo muß offenbar * vorge⸗ 
ſetzte Fuß den Koͤrper bei jedem Schritte um ſo viel erheben, als 
die Erhebung der Flaͤche beträgt. Die Streckmuskeln haben alfo 
viel mehr zu leiften, und ermüben leichter. Die fchiefe Flaͤche 
macht überdieß, daß die Wadenmuskeln in einem fpisen Winkel 
wirken, und daß bei ber Unterflügung die Knochen nicht die ganze 
Laft des Körpers tragen. Die letztern Nachtheile werben durch ebe= 
ne Stufen gehoben. Beim Niederfleigen wird der Rumpf ſtark 

zuruͤckgehalten durch die Stredinusfeln des Nüdens, und er muß 
beim Niederlaffen, auf den vorgeſtreckten Fuß durch die Hintern 
Muskeln des andern Being gehalten werden. Daher erzeugt das 
Herabſteigen Ermüdung in den Küden » Stredern und den hin 
tern Muskeln der untern Ertremität. 


Es iſt außerordentlich, wie weit es der Menſch im Gehen. 
bringen Eanrn. Daß Fußgänger auf langen Reifen 6 deutſche Meis 


len täglich zurüdlegen, iſt gar nicht felten‘, und zu einer täglichen 
Neife von 5 Meilen kann es unſtreitig jeder gefunde Menſch bei ei- 


niger Uebung bringen. Ich felbft habe 9 Meiten an Eurzen Okto⸗ 


bertagen zurückgelegt, Da man aber nach gehoͤriger Uebung und mit 





* ind bat mir immer gefchienen, als ob Pr der Eurzen Shitkerung, die S als 
Iufi Gay. KV. von Gatili ußerer Perfänlichkeit entwirft, die 
Paar Worte über die Ungleidim IN; feines Ganges befonbers geeignet 
ine ‚einen. wüften, in allen PERS ungeregelten TR zu mas 





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ee N — — 


Aufwand aller Kraͤfte noch ſehr viel mehr leiſtet, haben Sie gewiß 


ſchon aus engliſchen Wetten erfahren. * Wie weit man feine Fuß⸗ 
veifen ausdehnen Eönne, haben mande berühmte Bußgänger ges, 
zeigt.** Der neuefte unter ihnen, Cochrane, iſt von St. Petersburg 
über Kaſan, Orenburg Nertſchinſk, an die Nordweſtkuͤſte Sibiriens, 


und von da nach Kamtſchatka gegangen. Die Faktoren der eng⸗ 
liſch? nordamerikaniſchen Handelscompagnie machen im Norden von 


Amerika Reifen von mehr als 1000 engl. Meilen, wobei fie ihre 
Lebensbedärfniffe auf Eleinen Schlitten felbft ziehen. Ueberhaupt 
feheint es, daß in unwirthbaren Gegenden der Menſch weiter vor» 
dringen kann, wenn er ſich auf feine eignen Kräfte, als wenn er 
fi) auf Thiere verläßt. Ich glaube daher, daß die einzige Mögs 
lichkeit, den Pol zu erreichen, in Scoresby's Vorfchlag liegt, im 
Winter mit Eleinen Handſchlitten über das Polareis die Reife zu 
unternehmen. Man ſollte den Vorſchlag zu realiſiren unternehmen, 
blos um zu verſuchen, was menſchliche Kraͤfte vermögen, +** 
" | 

5870. Das Springen befteht in einem plöglichen 
Aufſchnellen des ganzen Körpers, Man beugt ſaͤmmtliche Gelenke 


der untern Gliedmaaßen, und ſtreckt fie dann plöglih, Wenn der 


y 





or i } 


* Nah einer ſolchen Wette ſollen in 24 Stunsen gegen 20 beutfche Meilen. y 


zuruͤckgelegt ſeyn. 


” Da die Tendenz biefer Schrift bie Nuͤtlichkeit iſt, fo kann ich mich nicht 
enthalten, einen guten Kath für Fußgänger hier anzuhängen. Ein Paar 
Geume’fhe Schuhe, die einen Spaziergang nad Syrakus aushalten, find 
dem Fußreifenden freilich fehr zu wuͤnſchen, 'aber mit andern Künfteleten 
Lädt ſich dabei nicht viel ausrichten. Uebung und Luſt am Gehen müffen 
Bas Meifte thun. An beiden wird es den Kreunden der Natur nicht fehlen. 

dere thun viel beffer, fih auf Reſſorts ſchaukeln zu laſſen. 


Eine wichtige Hegel iſt ed, auf Bußreifen dad Mittagsmahl nur auf bie 
nothwenbigite Stärkung zu beihränfen „ und die Evena, nad alter Sitte, 
vr Hauptmahlzeit zu machen. Jenes fey kraͤftig, erfriſchend, aber nie ber 

wantität nad) groß. Der Kraftverluft ift fehr bedeutend, wenn man ie 
zwingt, mit angefülltem Magen zu, gehen. Am beiten iſt ed, man haͤl 
gar keine Mittagsmahlzeit, fondern nımmt am Vormittage ein Frühftüd, 
wo möglidh mit etwas Wein. Bon früher Sugend an ein Freund der Fußs 

. reifen, ‚habe ich erft prierat, was ſich in dem Fache leiften läßt, nachdem 
id) dieſe goldene eye vom Herrn Drof, Schulteß erhielt „ den man zu 
den großen Fußgaͤngern unfrer Zeit zählen kann. Man wird fih au in 


- öfonomifcher Hinfiht wohl dabei befinden., Die erfte Regel erleichtert bie 


Befolgung der zweiten. Sie heißt: Kehre früh eim ins Nachtquartier, 

\ Bon ber nähtlihen Ruhe darf man ſich ungeftraft nach angeftrengter Bes 
wegung nichts entziehen, und wenn am Fruͤhmorgen bie Vögel unter dem 
immel ihr Hallelujah fingen, muß man dabei feyn. Dad giebt Ktaft und 
Sreubdigkeit für den ganzen Tag! 


 Mahrlic der nefunde, nicht verzärtelte Menſch hat viele Ausdauer! Das 
lehren die Auffen, die jaͤhrlich auf Spigbergen überwintern, 


. 


x 


Pr 


Boden nicht nachgiebt, fo wirft der durch die Stredung erzeugte 
Stoß den Körper nach mechaniichen Gefegen fo hoch in bie Höhe, 
bis das Gewicht des Körpers die Kraft überwunden hat, von wel: 
chem Augenblicke an er wieder nieder fült. Man fieht leicht, daß 


auf ganz weichem Boden Fein Sprung möglich ift, ein elaflifcher 


Boden vergrößert aber den Sprung, indem die Kraft, mit welcher 


derſelbe ſeine fruͤhere Stellung einnimmt, nachdem er nieder ge- 


\ 


druͤckt war,‘ fich mit der Kraft des Sprunges ſummirt. Während. 
wir die Gelenke der untern Ertremität vor dem Sprunge beugen, 


werden auch der Kopf, der Rumpf und bie: obern Gliedmaaßen ge⸗ 


ſenkt, und gleichzeitig mit dem Sprunge wieber gehoben, was zum 
Aufſchnellen des Koͤrpers ſo viel beitraͤgt, als a — der Erhe⸗ 
bung Widerſtand entgegenſetzen. 


Die Richtung des Sprunges bins, von ber Richtung des 
Stoßes gegen den Schwerpunkt ab. Für den Sprung gerade in 
die Höhe ift e8 am beſten, ſich beider Beine zugleich. zu bedienen, 
für den Sprung nach vorn aber wirkfamer, wenn man durch Stre⸗ 
Kung eines Beines mit etwas. vorwärts gerichtetem Leibe fich fort 
ſtoͤßt, um fo dem Stoße die gehörige Richtung, zu geben, Der ans 
dere Fuß wird vorgefegt, fängt den Körper beim Niederfallen auf, 
und unterflügt feinen Schwerpunft. Der Anlauf ift dem Sprunge 
nad vorn ſehr foͤrderlich, indem die Geſchwindigkeit, die der Koͤr⸗ 
per. dadurch erhält, ſich mit ber Geſchwindigkeit, die ihm der 
Sprung giebt, verbindet. Beide Vortheile, den des Anlaufs und 
des elaflifchen Bodens, vereinigt das Tramplain, durch welches 
man bie größten Sprünge ausführen kann, Einige Breter werden 
auf Geruͤſte ſo befeſtigt, daß ſie erſt abſchuͤſſig und hernach horizon⸗ 


tal weggehen, und nur an wenigen Stellen unterſtuͤtzt ſind, um 


nicht an Elaſticitaͤt zu verlieren. Der Anlauf längs der abſchuͤſſi— 


gen Fläche vermehrt die Geſchwindigkeit überaus, und nur durch 


diefe Vorrichtung wird es den Springern möglich, über eine Reihe 
aufgehobener Bajonette BRABMIBEITDN, und fi um in der * 
umzuſchlagen. ER ’ 


$. 7. Der Lauf iſt nicht etwa ein beſchleunigtes Gehen, 
ſondern beſteht aus einer fortgeſetzten Reihe von Spruͤngen, indem 
immer ein Bein um das andere nach einer kleinen Bewegung ſich 
ſtredt den Koͤrper auſhebt, und nach vorn u. das andere unters 


EN © * rs 


a — 77“ — — 


deſſen vorgeſette ihn auffaͤngt — fi beugt, ſtreckt u. ſ. w. So 


giebt es immer ganz kurze Zwiſchenmomente, in welchen der Koͤr⸗ 


per nicht unterſtuͤtzt ift, fondern in der Luft fchwebt, wodurch f 9 
da APR vom Pan — * — unterſcheidet. 
— 72. Der Menſch — ſich faſt immer auf feſtem Bo⸗ 
Zur Bewegung in Fluͤſſigkeiten iſt er wenig geſchickt. Nas 
Ba Haben alle Berfuche, durch ‚eigene Muskelkraft zu fliegen, es 
nur fo weit bringen koͤnnen, daß man, von einer Höhe ſich nieder: 


laſſend, langfam genug niederfälkt, um nicht Schaden zu leiden, und 


ſelbſt diefe Verſuche gehören nicht hierher, da fie nur mit —* 
chen Fluͤgeln u. ſ. w. bewerkſtelligt werden konnten. 


Zur Bewegung im Waſſer beſitzen wir wenige Anlage, die 
durch Uebung zu einiger Fertigkeit ausgebildet werden kann. In⸗ 
deſſen werden wir ſie immer mittelmaͤßig nennen muͤſſen, wenn wir 
uns mit vielen andern Thieren vergleichen. Die Urſache liegt dar— 
in, daß unſer Körper für den aufrechten Gang organiſirt iſt. * 


Zum Shwimmen wird zweierlei erfordert: daß man 1. im 
Waſſer nicht nur nicht niederſinke, ſondern noch uͤber demſelben ges 
—* herborrage, um athmen zu koͤnnen, und dann 2. daß man 
ſich im Waffer willkuͤhrlich fortbewege. Bekanntlich ſi ſinkt ein Koͤr⸗ 
per in einer Fluͤſſigkeit zu Boden, wenn er ſchwerer iſt als die 
Quantitaͤt Fluͤſſigkeit, die er aus der Stelle treibt; iſt er aber 


x \ 
— - - * 





Den Beweis wird man ſogleich erhalten. Dat die Kunft zu ſch immen Ser 


Menfchen nicht angeboren ift, wie feloft Phyfiologen behauptet häben, 


dern erlernt werben muß lehren die vielen Unglüdsfälle im Waffer, Es 
AR darum ein thörichter Kath, den man oft hören muß, ſich nur auverfichte 
lich ins tiefe Walfer Bu ftürzen, man werde fchon nothwendig ſchwimmen 
muͤſſen. Be 
das Schwimmen. Ich weiß "wohl, dag manche erfonen, die vergeblich 


verfucht hatten, dad Schwimmen zu lernen, eö pl slich konnten, als fie in 


die Nothivendigkeit verfegt warten, es zu üben, ' Aber man merke, fie hats 

ten ſchon die zum Schwimmen erforderlichen Bewegungen derfucht , ober 

hatten fih mweniaftens von ber Nothwendigkeit, eine Horizontale Stellung 

2.45 anzunehmen, vorher feft überzeugt Ein Menſch; der ohne alle Vorbereitun 

Ins Waffer faͤlt, macht unwillkührlich die Bewegungen, durch bie er 3 

dem Lande ſich unterfiubt, ex hält alfo va Leib ſenkrecht, und ba er ih 

zugleich bemüht, einen großen Theil des Körperd aus dem Waffer hervor 

tr gubeben, 16 verfchmendet er einen ſolchen Kraftaufwand, daß er ertrinken 
wird, wenn keine Fulfe kommt, 


\ 


ft gut, um dad Ertrinken zu lernen, aber nicht für . 


Man bar ar N billig mit Nouffeau wundern, baß fo viele Bau 


mit großem Aufwand von Geld und Zeit reiten lernen, und das 
m achläffigen, ‚obgleich fie nicht voraus ſehen können, ob Ye Vers 
s nahtäifigung ihnen nicht einit das Leben Eoftet, 


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— 783 N IR j \ 


Leichter, fo ſinkt er. fo tief ein, bis die aus der Stelle getriebeneStäf- | 


ſigkeit fo viel wiegt, als er ſelbſt. 
\ 

2 Der menfchliche Körper hat —— gleiches Gewicht mit 
dem Waſſer. Ja, Verſuche die uͤber dieſen Gegenſtand angeſtellt 
wurden, gaben das uͤberraſchende Reſultat, daß die Zahl der Per: 
fonen, die leichter find als Waffer, größer ift als die Zahl derer, die 
ſchwerer find. Perfonen mit großen Settanhäufungen, oder von 
loderem Gewebe im Körperbau, find befonders leichter als Waſſer. 
Allein, das Leichterſeyn iſt faſt immer ſo gering, daß nur ein ſehr 
kleiner Theil des Kopfes aus dem Waſſer hervorcagt. Wegen des 
aufrechten Ganges ift aber unfer Geſicht nach vorn gerichtet, und wir 
mauͤſſen, außer der Ruͤckenlage, in jeder andern Stellung einen groͤßern 


Theil des Kopfes uͤber dem Waſſer halten koͤnnen, um zu athmen. 


Geuͤbte Schwimmer verfichern auch, daß ihnen die Nüdenlage am 
wenigften Unftrengung koſte. Sie iſt und aber zu ungewohnt, um 
fie ohne Uebung erhalten zu Fönnen. Die fenkrechte Stellung ift 
uns die natürlichfte. Man fieht hieraus, daß die übrigen Saͤug⸗ 
thiere viel vortheilhafter für dag Schwimmen organifirt find, weil 


ihre Naſe an der Spitze des Kopfes liegt und es alfo hinlaͤnglich 


ift, dieſe Spitze über dem Waſſer zu erhalten (tie der Hund) und 
weil fie die horizontale Stellung auf dem Lande Thon gewohnt find, 
und im Waffer durch diefelben Bewegungen, durch. die fie auf dem 
Lande gehen, fich fortrudern. Sie fhwimmen daher, fo wie fie 
ins Waffer gerathen, indem fie gehen wollen; der Menfch aber 
nicht. Nur wenige find fo leicht, daß ihnen ein großer Theil des 
Kopfes über dem Waſſer hervorragt. Vielleicht kommt dieſes Ver⸗ 


haͤltniß bei einigen Voͤlkern haͤufiger vor, z. B. bei den Italienern. 


Wenigſtens hat ein Italiener ein dickes Buch uͤber die Schwimm⸗ 
kunſt geſchrieben, in welchem er in allem Ernſt behauptet, der 
Menſch ſchwimme von Natur wie ein Stuͤck Holz, und ertrinke nur 


durch die unnuͤtzen Bewegungen, die er unternehme. Er raͤth da⸗ 


her, bei einem Schiffbruche ſich ganz ruhig zu verhalten und vom 
Waſſer wegtragen zu laſſen, verſichert auch, mit mehreren Perſo⸗ 


nen Verſuche angeſtellt und gefunden zu haben, daß fie eben fo. 


wohl Über Waſſer blieben, als er. Da das mitteländifche Meer 
reicher an Salzgehalt iſt, ald irgend ein anderes, fo muß es aller: 
dings nicht fo tief ſinken laffen, Indeſſen bleiben diefe Angaben 


f . a * By 
\ ur u Be 


füe den größten Theil der Menfchen immer fehr uͤbertrieben. Ein 
Staliener aus früherer Zeit, Paul Mochia, war feeilih fo 
leicht ,. daß er nur bis an die Bruft ins Waffer fant, Wenn man 


ihn auf den Boden 309, fo flieg er wie Kork grade in die Höhe, 


Er ſoll ſogar auf dem Waffer gefhlafen haben (??), Man fand 
"ihn 30 Pfund (nady andern Angaben nur 22 1%, * leichter als 
eine gleiche Quantitaͤt Waſſer. 


Um nicht zu ſinken, muß man zuvoͤrderſt den Geis — 
halten, wobei man die Bruſt fo viel möglich durch Einathmen aus⸗ 


dehnt, und die Flächen der Händeigegen das MWaffer bewegen. Der 


Widerſtand, den diefes ausübt, hebt den Körper. Gewöhnlich vers 
bindet man damit zugleich die Fortbewegung, indem man mit dev 
Hand» und Fußfläche den Stoß nad) hinten und nur ein wenig nach 
unten führt. Man kann Arme und Beine der rechten und linken 


Seite gleichzeitig oder auch abwechfelnd. bewegen. Schwimm-Meis_ 


fer erklären die erſte Methode für beffer; indeffen dlrfte doc) die 
letztere natürlicher feyn, da die Säugthiere fo ſchwimmen. Die 
erfte (nad der die Froͤſche ſchwimmen) giebt aber den Vortheil, 
daß der Leib nicht hin⸗ und herſchwankt, wodurd immer ein Theil 
von der Wirkung des Stößes aufgehoben wird. Um mit der größ- 


ten Erſparniß von Kräften zu ſchwimmen, muß man beide Arme & 


etwas nach vorn ſtrecken, fo daß die Handflaͤchen an einander liegen, 
und bie Ferfen fo nah als möglich an das Gefäß ziehen. Dann 


bewegt man beide Hände mit mittlerer. Geſchwindigkeit, indem die 


Finger an einander liegen und eine kleine Hoͤhlung bilden, fo in eis 


nem Bogen nad) hinten, daß die Höhlung zuerft nad) unten und 
außen und dann nad) hinten gerichtet ift. Gleichzeitig mit diefer 


Bewegung werden die Fußfohlen nad) hinten geſtoßen. Arme und 


Beine müffen nun einen Augenblick in dieſer Lage bleiben, um den 
Stoß auswirken zw laffen. Dann werden die Öliedmaafen lang⸗ 
fam nad) vorn geführt, jedocd, fo, daß die Hand mit bem Daumens 
ande das Waſſer durchfchneidet. Durch übereilte Bewegungen 
wird ungemein viel Kraft, verſchwendet. 


‚Die kuͤnſtlichen Vorrihtungen zum Schwimmen, Korkjacken, 


Arne Blaſen u. dgl, haben alle den Zweck, durch ihr ges 
ringes fpeeififches Gewicht einen anfehnlichen Theil des Körpers oh⸗ 
ne Muskelthaͤtigkeit uͤber dem Waſſer zu erhalten. 


-; 


% 


un — 80 rn rn i 
Mie weit man fhwimmen Eönne? In neuern Zeiten iſt bes 
fanntlih Lord Byron über den Hellefpont gefhwommen, um 
die Wahrheit der Erzählung von Hero und Leander zu erproben. 
Snfelbewohner, befonders die fogenannten Wilden, leiſten viel in 
dieſer Kunſt, wobei ſie ſich zugleich uͤben, lange unter Waſſer zu 
bleiben. Einige koͤnnen das Tauchen eine halbe Viertelſtunde oh» 


Me zu atmen aushalten, Der berühmtefte Schwimmer ift wohl 


Pesce Gola (Niclas der. Fiſch), ein Sicilianer, deſſen Gefhichte 
- freilich mit argen Uebertreibungen angefülle iſt; denn daß er mehre: 
te Zage hinter einander unter Waffer habe zubringen können, for» 


dert mehr Glauben, als man gewähren darf, Sicherer mag es 
ſeyn, daß er als Bote von der Kuͤſte nach den benachbarten‘ Inſeln 


gedient habe. Koͤnig Friedrich von Neapel veranlaßte ihn, in die 
Charybdis zu tauchen, indem er einen goldenen Becher in ben Ab⸗ 
grund warf. Cola brachte ihn gluͤcklich nach drei Viertelfiunden 
wieder herauf. Die Befchreibung, die er von dem Grunde des 
Strudels machte, bewog den Koͤnig, durch einen zweiten Becher 
ihn zu einem zweiten Verſuche zu reizen, von welchem Cola aber 
nicht wieder zuruͤck kam. ‚Schillers Muſe hat feinen Tod verherr⸗ 
licht. | $ h 

) 2 zu ö — 
Selten und ſchwierig iſt die Kunſt des Waſſertretens. 
Sie beſteht in der Fertigkeit, durch ſenkrechte Tritte mit den Fuͤßen 
ſich aufrecht im Waſſer, und einen eo! des — über demfels 
ben A erhalten, ! 


. 


$. 73 Der partielfen Bewegungen, zu denen der Menfch 
fähig ift, giebt e8 fo viele, daß wir ein eigenes Buch für fie ber - 
ſtimmen müßten, wenn wir fie aufzählen wollten, Es follen daher 


nur wenige Einzelnheiten.hier erwähnt werden, 


Die Mannigfaltigkeit der Bewegungen des Geſichtes fest uns 
in Erſtaunen. Zahlloſe Eleine Verfchiedenheiten drüden die gering» 
fien Abänderungen unfers Innern aus, Die ate Figur der Taf, 
III. giebt uns ein Bild von allen Muskeln, welche ſtrahlenfoͤrmig 
vom ganzen Umfange des Geſichtes ſich in den Mundrand verlieren, 
und ihn nach allen Richtungen bewegen, wie man aus dem Ders 

| laufe 


— — 81 — 


laufe dieſer kleinen Muskeln erſehen kann. * Am ſie dem Auge 
anſchaulicher zu machen, iſt eine Abbildung gewaͤhlt, die ſie etwas 
hart und ſcharf begraͤnzt darſtellt. Sie ſind in eine Fettmaſſe ein⸗ | 
gehuͤllt und mehrere trennen fich in diefer noch in einzelne Bündel, 
Der Schließmuskel des Mundes (13) ift der Antagonift von al⸗ 
len, indem er die Lippen an einander drängt, und fie mehr oder 
weniger nad) vorn hervorfchiebt (beim-Spigen des Mundes) je 
- nachdem mehr der äußere oder innere Theil diefes Ringmuskels 


** 


Seſonders kuͤnſtlich, wenn man ſich dieſes Ausdruckes bedie⸗ 
nen darf, iſt auch die Muskulatur der Hand. Der Daumen hat 
feine eigenthuͤmliche Bewegung und daher eigene Muskeln, In 
ig. 3 fehen wir die rechte Hand von der Hohlhandflähe aus, Die 
Sehnen 31 und 32 gehören zweien langen, am Vorderarm liegen- 
ben Muskeln, die den Daumen bewegen. 33 und 34 ziehen ihn 
gegen die übrigen Finger und erlauben uns die Hand hohl zu ma= 
hen. Die übrigen Finger haben faſt einerlei Beweglichkeit (der 
Zeigefinger beſitzt jedoch mehr Unabhängigkeit durch einen eigens 
thuͤmlichen Streckmuskel; naͤchſt ihm der Eleine Finger)! Wir fes 
hen hier die Sehnen zweier Beugemusteln, bie einen (29) find 
tiefer und duchbohren die andern mehr oberflächlichen (30), ins 
dem erftere ſich an das Zte, Iegtere an das ate Glied jedes Fingers 
fegen. Bon diefer Einrichtung, zu der noch mehrere Nebenfehnen 

kommen, die fir nicht näher befchreiben koͤnnen, ſcheint es Herz 
zuruͤhren, daß wir das zweite und dritte Glied immer nur zugleich 
beugen können, Eine ähnlihe Einrichtung findet man an den 


Zehen, 


$. 74. Wir Eönnen die Muskellehre nicht verlaſſen, ohne 
die — zu machen, wie oft wir durch kleine, im Anfange 
wohl durch Erfahrung gelernte, ſpaͤter zur Gewohnheit gewordene 
Bewegungen die Wirkſamkeit der Muskeln unterſtuͤtzen, bald um 
den Winkel zu vergroͤßern, in welchem eine Muskelſehne ſich an 
ben Knochen fest, bald um die Laſt dem feſten Punkt der Bewes 





* 





* Eine genauere Aufzaͤhlung der einzelnen Muskeln findet man in der Erklaͤ⸗ 
zung ber Abbildungen, 6 


* 


— — 82 — 


gung naͤher zu bringen. So wiſſen wir es kaum, daß wir, um 
von einem Stuhle aufzuſtehen, den Oberleib nach vorn beugen und 
die Fuͤße zuruͤckſtellen. Durch die erſte Bewegung wird der Schwer⸗ 
punkt des aufzuhebenden Rumpfes nach vorn naͤher an das Knie 
gebracht, durch die letztere wird der feſte Punkt der Bewegung, die 
Unterftügung des Fußes, unter den Schwerpunkt geſtellt. Mau 
mache den Verſuch, von einem Stuhle aufzuſtehen, ohne die Fuͤße 
zuruͤckzuſtellen und den Oberleib nach vorn zu beugen. Es kann 
nicht gelingen, weil der Hebelarm, auf den die zu hebende Laſt 
wirkt, viel zu lang iſt. — Wollen wir ein bedeutendes Gewicht 
vom Boden aufheben, fo kann das freilich mit vollig fenkrecht herab 
geftredtem Arm gefhehen, indem wir die Streder und Beuger 
zugleich wirken laſſen. Sol das Gewicht aber höher gehoben, wer: 
den, fo neigen wir ben Oberleib herab, damit das Ellenbogen: , 
gelenE fich beuge, und die Aufheber des Vorderarms unter einem groͤ⸗ 
bern Winkel wirken können, (Berge. Fig. 4 Taf. U). 


Se größer die Uebung, defto beffer vermögen wir die Muskeln 
unſers Körpers zu benugen. Darum kann die Wohlthätigkeit der 
gumnaftifchen Uebungen nicht genug gepriefen werden. Wir haben 
fchon oben ($. 58) gefehen, wie die Muskelbewegung im Körper 
unmittelbar nügt und mie dienlich fie alfo der Gefundheit feyn muß. 
Bon hohem Werthe ift aber auch das Bewußtſeyn der durch Uebung 
erlangten Herrſchaft über die Kräfte des Körpers, Es giebt den 
noͤthigen Muth in Gefahren, ' 











Siebente Vorlefung. | 
Vom Blute und den Gefäßen 


ih 





| $. 75. 

De ganze Maffe unfers Körpers, fo wie alle Fluͤfſigkeiten, 
die aus ihm ausgeſchieden werden, erzeugen ſich allmaͤhlich aus ei⸗ 
‚ner allgemeinen Fluͤſſigkeit, dem Blut,.das eben zu diefem Zwe⸗ 
de in den ganzen Körper verbreitet wird. Nur fehr. wenige Theile, 
und zwar nur folde, die aus dem Lebensproceffe gleichfam heraus⸗ 
gerüdt find, empfangen Fein Blut. Dahin. gehören die Nägel, 
die Oberhaut, ber Schmelz der Zaͤhne, Theile, welche, fo. wie 
fie gebildet. fi ind, aufhören lebendig zu ſeyn, und dem Körper. nur 
mechaniſch durch ihren Schutz oder dergleichen nuͤtzen. Das Blut 
iſt in beſondern Kanaͤlen enthalten, die ſich in den Koͤrper verzwei⸗ 
gen und daher im Ganzen ein baumfoͤrmiges Anſehen haben. Dieſe 
Kanaͤle nennt man im gemeinen Leben Adern, in der Kunſtſprache 
Gefaͤße. Sie haͤngen alle zuſammen mit dem Herzen , in wel⸗ 
ches fie. ſich mittelbar. oder unmittelbar einmünden, . Das Herz iſt 
gleichfam der Mittelpunkt dieſes Syſtems von Roͤhren, und es ver 
giett die, Bewegung des Blutes; denn das Blut ruht nicht, fondern 
wird gegen alle Theile des Leibes getrieben, und kehrt von ihnen 
‚ wieber in das Herz zuruͤck. Diejenigen Gefäße, welche das Blut 
vom Herzen wegführen, heißen Schlagadern oder Arte- 
rien, Aus dem ganzen Körper Eehrt das Blut durch andere Adern 
in das Herz zuruͤck, die Venen oder Blutadern. In dies 
fem Kreislaufe wird viel Blut verbraudt, theild um neue Theile 
zu bilden, theils um bie alten umzuformen, theild um Fluͤſſigkei— 
ten auszufcheiden.. Das Blut bedarf daher eines neuen Zufchuffes, 
und diefen erhält es dutch die EIHEFUITE, oder Saug⸗ 


n ' 1 


adern, die theild aus dem Darme neuen Stoff aufnehmen, den 
die Speifen geben, theils aber auch aus den ſchon gebildeten Thei- 
Aalen flüffige Be abführen, = | 


$. 76. So wird durch das — eine ſtete hand: 


lung des Körpers möglich, und es würde dazu eine Derzhöhle mit _ 


ihren Schlag = und Blutadern vielleicht hinreichen, wenn das Blut 
immer in aleichmäßiger Mifchung bliebe, Aber das Blut wird auf 
dem Wege fo umgeänders, daß es hellroth aus dem Herzen firömt 
und dunkelcoth wieder zurückkehrt. Um wieder in feine nefprünge 
liche Mifhung umgewandelt zu werden, wird es durch ein Organ 
getrieben, welches das Blut der Einwirkung der dufern Luft aus: 
fest, Diefes Organ ift die Luinge, in ihr giebt das Blut der Luft 
Stoffe ab, und nimmt andere Stoffe wieder auf, Wie das mög: 
lich werde, wollen wir fpäter unterfuchen. Hier kommt 68 nur 
darauf an, zu zeigen, worin das Weſen des Kreislaufs beſteht. 
Es beſteht darin, dag alles Blut, bevor es in den Körper zur Er: 
nähtung vercheilt wird, vorher durch die Lange geführt werben muß, 


um dafelbft die gehörige Befchaffenheit- zu befommen, durch die es 
fähig wird, zur Ernährung zu dienen und alle Theile in dem ihnen 


zukommenden Erregungs: Zuftande zu erhalten. Den Einfluß der 


— 


Lunge auf das Blut erkennt man vorzüglich aus der Umfaͤrbung des 


eingeſtroͤmten dunkelrothen Blutes in hellrothes Blut. Daß nur 
diefes hellrothe Blut im Stande ift, alle lebenden Theile in ihren 


Berrichtungen zu erhalten, fieht man daraus, daß ein Muskel auf— 


hört fich zu contrahiren, wenn er gar kein ober nur dunkles Blut 


erhält, fo wie das Hirn, und was von ihm abhängig ift, ebenfalls 
erſtirbt, wenn det Zufluß des helcothen Blutes gehemmt wird. 


Die Lunge bildet auf die angegebene Weife einen Gegenſatz 
zu dem ganzen übrigen Körper. Nach diefem Gegenfage bewegt 
fih das Blut und geht immer von einem derfelben zu dem andern 
über. Dadugh entfteht eine Bewegung, die nur in fofeen Kreis- 
lauf genannt werden kann, als die Bewegung ohne Endpunkt 
ift, * Es iſt in dieſem Kreislaufe die Aufnahme in das Herz 





* Der Kreiölauf w Blutes ift erft im ırten Sahrhunberte durch einen * 
laͤnder, W illiam 2 nr v * allgemein bekannt geworden. Lange glaub⸗ 


| und das Aus ſtoßen aus demſelben keinesweges der Zweck, ſondern 


nur das Mittel der Bewegung. Das ſieht man ſchon daraus, daß 
bei vielen niedern Thieren das Herz ganz fehlt und dennoch) das 
Blut auf die Refpivationg - Organe geführt wird, und von da zus 
ruͤckehrt. Ueberall aber erleidet das Blut eine Umwandlung in den 
Defpirations- Organen, und in dem Übrigen Körper bie entgegenges . 
fegte Umwandlung, obgleich nicht in allen Thieren alles Blut duch 


bie Reſpirations⸗Organe geht. Im Menſchen und den uͤbrigen 


Saͤugethieren wird aber alles Blu durch die Lunge gefuͤhrt, und 
ſo kann man die Bahn des Blutes als aus zwei Haͤlften beſtehend 
betrachten; die eine Hälfte ift der Weg aus dem Körper in die Lunge, 
die andere Hälfte der Weg aus der Lunge in den Körper. m jener 
Bahn ift das Blut dunker, in diefer heil gefärbt. In jeder Hälfte 
ber Bahn teifft das Blut einmal auf das Herz. Das Herz des Mens 
ſchen und der Säugethiere befteht nämlich aus zwei Hälften, einer 
techten und einer linken, und jede Hälfte wieder aus einer Vor⸗ 
fammer, die das Blut aufnimmt, und einer Kammer, die es weis 
ter endet. Die rechte Hälfte des Herzens liegt in det Bahn des 
dunkeln Blutes, die linke in der Bahn des hellen Blutes; beide wir⸗ 
fen, wie Poftftationen, den Kauf. durch einen neuen Stoß befördernd, 
Um dad Wefentliche der Blutbewegung Elar zu machen, lege ich Ih: 
nen in der gten Figur der IV. Zafel eine ideale Zeichnung des Kreis: 
laufs vor. Die eine Hälfte diefer Bahn ift blau gezeichnet, und 
ſtelt die Bahn des dunkeln Blutes vor, die andere Hälfte iſt vorh, 
und zeigt die Bahn des ducch die Luft in der Lunge gerötheten Blus 
te6, Die Gefäßftämme, die wie hier fehen, repraͤſentiren die 
Summe altee Gefäßftämme, die ſich wirklich im Körper finden, fo 
dag wir durchaus nicht eine Abbildung der Form nad, fondern nur 
der Idee nach haben. Darum ift auch das Herz in zwei Hälften 
getheilt dargeſtellt. I naͤmlich iſt die Vorkammer und II die Kam— 
mer der rechten Herzhaͤlfte. Der Gefaͤßſtamm, der aus dieſer Kam: 
mer tommt, repraͤſentirt den Weg des Blutes in die Lunge, Wir 
haben. alfo in unferer Figur oben die Lunge, oder das eine Ende ber 
Bluthahn. Aus der Lunge kehrt das Blut geroͤthet zuruͤck in die 


nd 





N; 
fie die meiften Aerzte, bie Arterien enthielten kein Blut, ſondern eine 
"Art gebenögeifter, Diefer- Glaube war wohl dadurch veranlaßt, baßman 


ms bem Babe die Arterien gewöhnlich Teer findet. 


nn s * 


Vorkammer der linken Herzhaͤlfte — II — geht in die Kammer 
— IV — und wird von dieſer in ben ganzen Körper fortgeftoßen. 
Sn den ganzen Körper fage ih, denn in diefer Vertheilung des Blus 
te8 ift die Lunge wieder eingefchloffen, weil ihre ernährende, Gefäße 
von denen, die zur Umtvandlung ded Blutes dienen, verfchieben 
find und ‚mit der linken Herzhälfte in Verbindung ſtehen. Nach⸗ 
dem das Blut in dem Körper feinen Zweck erfuͤllt hat, kehrt es 
wieder in die erſte Hälfte der Bahn zurück. Man nennt nun die Be⸗ 
wegung des Blutes aus der rechten Herzhaͤlfte durch die Lunge i in die 
linke Herzhälfte den Eleinen Kreislauf, und die Bahn 
aus der linken Herzhälfte duch den ganzen Körper in die ‚rechte 
Herzhälfte den großen Kreislauf, Sie fehen leicht, „daß 
die obere Hälfte unferer Abbildung. den Eleinen, die untere den. 
großen Kreislauf darſtellt. Beide find aber eigentlich nur die Haͤlf⸗ 
‚ ten des wahren Kreislaufs, fo wie die Bahn. des dunkeln. und, des 
hellen Blutes auf eine andere Weiſe die Haͤlften find, fo. daß dieſe 
letztern Hälften fowohl am Eleinen als am ‚großen Kreislaufe Antheil 
haben. Nachdem wir auf dieſe Weiſe einen Ueberblick ‚Über. das 
Wefentliche des Kreislaufs erlangt haben, wollen mir die ‚Haupt: 
theile des Gefaͤßſyſtems naͤher kennen lernen. Vorher wird es ann 
gut ſeyn uns mit der Natur des Blutes bekannt zu machen. 


§. 77. Das Blut iſt —— eine 1e vothgefäthts mr 192 
keit, welche merklich ſchwerer ift, als das Waffer, Wie, viel Blut 
- im menfchlichen Körper fich befinde, iſt nicht leicht zu beftimmen. 
Selbſt bei Thieren, die man, zu diefem Zwecke duch Verblutung 
getoͤdtet hat, ift die Abſicht nicht ganz erreicht worden, da in, den 
feinen Gefäßen immer. eine Menge Blut zurüd bleibt, Bei 9) en: 
a: ‚wo ſolche Verſuche nicht angeſtellt werden koͤnnen, man 


NER zT 


gen und gemeffen worden. Aus diefen Angaben hat man ul eine 
Blutmenge von 26 bis 28 Pfd. gefchloffen. Vergleichen wir. ‚aber. 
den Menfchen mit andern Säugethieren, fo ſcheint diefe Schägung 
viel zu groß. Sefchlatptete Schaafe geben nur einige Pfunde Blut. 
Es dürfte nicht zu wenig feyn, wenn man im gefunden Menfchen 
etwa den zoten Theil feines Gewichtes auf das Blut rechnet. Was 
die Schaͤung des —— Bu Verdlutungen anlangt, ſo if 


zu bemerken, daß fle meiftens bei Krankheiten angeftellt wurden, 
Sie eine zu große Blutmenge erzeugen umd eben deßhalb die Blutung 
veranlaffen, Befonders muß man fid hüten, aus einer langſamen 
Verblutung auf die Blutmenge zu fehließen, weil der Körper vers 


lornes Blut ſehr vafch durch neuerzeugtes zu erfegen bemüht ift, be⸗ 


ſonders wenn er an uͤbermaͤßiger Blutbildung leidet. So kennt 
man Beiſpiele, daß durch Hämorrhoiden täglih 5 Pfd. und mehr 
Blut abgegangen iſt. Durch oft wiederholte Aderläffe fol eine Per: 
fon in Jahresfriſt 1000 Pfd. Blut verloren haben (12). Daß 
aber bei einer hingerichteten Miffethäterin wirklich 24 Pfd. Blut 
- aufgefangen wären, darf man aus vielen andern Gründen bezwei⸗ 

feln. Waͤre der Vorrath von Blut ſo groß, ſo wuͤrde ſchwerlich 
ber Verluſt von wenigen Pfunden fo bedeutende Störungen veran: 
I od als man bei gefunden Menſchen bemerkti, 


"Unter dem Mikrofkope fieht man, daß das Blut im (ebenben 
Köıpet nicht eine gleichmäßige Slüffigkeit ift, fondern, daß Eleine 
weiche, faft runde, jedoch ſtark abgeplattete Koͤrperchen ſich in dem⸗ 
feiben finden. Diefe Körperhen, die etwa 3000 eines Zolles im 
Durchmeffer haben, werden Blutkuͤgeichen over Blut: 


blaͤschen, neuerlich auch Blut koͤrner genannt, Sie muͤſ⸗ 
fen in einer Fluͤſſigkeit ſchvimmen, welche das Mikroſkop ihrer 


Durch ſichtigkeit wegen zwar nicht unmittelbar erkennen laͤßt, auf 


die man aber aus der Art, wie ſich die Blutkuͤgelchen bewegen, 


ſchließen kann. Die Blutkuͤgelchen ſelbſt ſcheinen aus einem durch⸗ 
ſichtigern innern Theil und einer dunkler gefaͤrbten Umgebung zu 
beſtehen. Laͤßt man das Blut aus der Ader fließen und verduͤnnt 
es mit Waſſer, ſo loͤſen ſich die Blutkuͤgelchen bald auf, — 
zerſtoͤrt ſich leicht die dunklere Hülle, * 


Wenn man eine größere Quantität Blut aus einer Aber laͤßt, 
fo geht ſogleich eine Veränderung mit ihm vor, Zuvoͤrderſt ver⸗ 
fluͤchtigt ſich ein Theil als Dunſt mit einem beſonderen Geruche, 
das Blutgas. Der uͤbrige größte Theil bleibt zuruͤck und fons 





⸗ Wien fieht an Intkügelchen zuweilen ſchwache Spuren einer eigenthäm- 
33 ar lein deßhalb fie ' r Shiere ansehen, wie geſche⸗ 
if doc) viel zu weit gegangen. 


* 


m 8 em : 

‚dert fi) in zwei Maffen. Die eine ift-flüffig.und gelblich und heißt 
Blutwafferz ein anderer Theil gerinnt, nimmt zuerft die Ges 
flalt des Gefäßes an, worin das Blut aufgefangen wird, und zieht 
- fih dann von den Rändern des Gefüßes nach der Mitte zufammen, 
ift auf der Oberfläche, die die Luft berührt, hellroth, nach unten 
aber dunkel gefärbt. „Man nennt ihn den Blutkuchen. Er 
erfcheint nach jedem Aderlag in dem Blutwaſſer fhwimmend, * 
Eine weitere chemifche Zerlegung zeigt, daß der Blutkuchen aus ei- 
nem färbenden Theile des Blutes (Cruor), auch wohl Blut- 
rot h genannt, und. Saferftoff befteht. In dem färbenden Theile 
bes Blutes fcheint Eifen und phosphorfaure Kalkerde enthalten zu 
ſeyn, oder. eigentlich die Möglichkeit zue Bildung derfelben; denn 
merkwürdig iſt es, daß man beide Subftanzen in. der Afche des fär- 
benden Theils in ziemlicher Menge findet, obgleich in dem nicht 
verbrannten Gruor fi diefe Subftanzen durch Feine chemifchen Mit: 
tel erkennen laſſen **. - Sie entfliehen alfo erſt durch Zerjlörung des 
Cruors. Außerdem enthält die Aſche des Cruors etwas phosphors 
ſauren Talk und Kohlenfäure, In dem Blutwaſſer hat man vor- 
zuͤglich eine Auflöfung des Eyweißes in Waffer gefunden, mit eis 
nem Eleinen Gehalte von denjenigen Salzen, welche faft überall in 
den thierifchen Flüffigkeiten vorfommen,, nämlich ſalzſaures Nas 
rum oder Kocfalz, . falzfaures Kali, -milchfaures und phosphor- 
faures Natıum und Osmazom, Gallert ift in einem Theile des 





So lange das Blut im Iebenden Körper fich befindet, gerinnt e8 in ben grö- 
2 Gefäßen , in denen es flark bewegt wird, gar nicht; in den letzten 
erzweigungen gerinnt e3 im Dienfte der Ernährung ($. 85). Wird beim 
Tode. dad Herz noch mit Blut gefüllt, ohne daß es bie Kraft hat fi 
zufammen zu ziehen, fo gerinnf dad Blut auch in ihm. Ein folded Ge— 
zinnfel im Herzen nannten bie alten Aerzte einen Herzpolypen, und hielten 

ihn für die Urfache ded Todes. Go lange das Herz kräftig wirkt, Tann 

fich wohl kein Polyp in ihm erzeugen, — 


+ Sn dem Eiſen vermuthet man den Grund der Färbung des Blutes, und man 
hat daher verfucht, unter dem Einfluſſe des Galvanismus, kuͤnſtliches 
Blut zu bilden. Ein Chemiker feste der Einwirkung der Voltaifchen 
Säule eine Mifhung von Eymweiß, weißem phosphorfauren Eifen, Koch— 
ſalz und Waſſer aus, und die Flüffigkeit röthete ſich wirklich; allein es 
erwieß fich fpäter, daß die Nöthung von einem orydirten Goldbrahte ent= 
fand. Fourcroy hatte geglaubt, daß phosphorfaures Eifen die rothe 
Farbe des Blutes erzeuge, allein Berzelius bemweif’t, daß aud kei⸗ 
ne Phosphorſaͤure im Blute iſt, mit Ausnahme der ſehr geringen Men⸗ 
ge. die das Blutwaffer enthält. Die Phosphorfäure muß fi alfo auch 

eim Mebergange ded Blutes in feſte Theile bilden, wie fie beim Gin: 
aͤſchern des Cruors fich bildet, 


Blutes, — + Der Buftand diefer Fluͤſſigkeit, in welchem es außer: 
"halb des Körpers in Blutkuchen und Blutwaſſer fih aufloͤſt, ift 
ſchon ein Zuſtand der Zerſtoͤrung, und es ift fehr ſchwer zu beftims 
men, tie diefe Theile zu den Blutkuͤgelchen und der Fluͤſſigkeit, in 
der fie ſchwimmen, fid verhalten. Indeſſen fheint es, daß ber 
Blutkuchen, vörzüglich wenigſtens, aus den Blutkügelchen fich bilde, 
‚ja diefe geben wohl noch, indem fie zum Blutkuchen gerinnen, eis 
nen Theil des Blutwaffers her, — Aus dem Blute werben alle 
Theile des Körpers gebildet, obgleich das Blut nicht alle chemifchen 
Beftandtheile des ganzen Körpers enthält. Wir fehen alfo hier, 
daß unter dem Einfluffe des organifchen Lebens die chemifchen Stoffe 
nicht nur von einander-gefondert und mit einander verbunden, fons 
dern felbft neu gebildet werden, Wenn nber auch das Blut wirt: 
lich alle Beftandtheile des Körpers enthielte, fo wäre die Umbildung 
doch nicht geringer; denn der Körper erzeugt ſich ja erft das Blut. 
aus den heterogenften Nahrungsmitteln, Alstdings hat die. ches. 

mifche Befchaffenheit der Nahrungsmittel einen Einfluß auf bie 
Befchaffenheit des Blutes, allein doch einen fo geringen, daß das. 
Blut immer: feinen Hauptdaracter behält und die Abweichungen 
kaum zu erkennen find. Größer find die Veränderungen, die das 
Blut nach den verfchiedenen Gefundheitszuftänden erleidet,‘ Im 
Entzündungen iſt die Quantität. des Faferfloffes bedeutend größer, 
‚und bildet auf dem aus der Ader gelaffenen Blute einen glänzenden 
Ueberzug, den die Aerzte die Spedhaut nennen, und woraus fie 
unter Anderm auf den Zuftand der Krankheit fließen. Bald ift 
das Blut dider, bald-flüffiger. Es iſt nicht zu bezweifeln, daß 
ſich das Blut nach den verſchiedenen Zuſtaͤnden der Geſundheit und 
Krankheit tauſendfaͤltig umaͤndere, obgleich unſere Unterſuchung 
nur die ſta kſten Abweichungen wird entdecken koͤnnen. Dennoch 
eifern die dem mit Recht gegen die gewöhnlichen, aus früheren mes 
bicinifchen Schulen ſich herfchreibenden Anfichten der Laien von Ber: 
derbniß des Blutes und Schärfen in demfelben. Theils denkt man 
ſich die Abweichungen in der Zufammenfegung | des Blutes zu bedeus 
tend, da es doch .nur in engen Gränzen variiren kann, ohne dem 
Reben ein Ende zu machen, theils glaubt man, daß Erankhafte Bil 
dungen, 5. B. Ausfchläge, ihrem chemiſchen Stoffe nach in dem Blus 
te enthalten waren, obgleich biefe von der Haut gebildet werben, 
Usberhaupt kann eine Umänderung oder Verderbniß bes Blutes niche 


Ss 90 ' 


feyn, ohne Umänderung des uͤbrigen Dtganiemus, der das Blut 
bereitet, Es kommt nur darauf an, ob mehr die feften Theile, 
oder mehr das Blut urfprünglich leide. In manchen Krankheiten 
ſcheint wirklich das Blut vorzüglich und früher zu Teiden Und nur 
‚die Krankheit auf die feften Theile zu verfegen. So in manden 
Bauffiebern ; denn Verſuche an Thieren haben gelehrt, daß verdor⸗ 
bene Luft, in die Blutadern getrieben, ein wahres Faulfieber er: 
zeugt, ah dem gelben Sieber wird es nicht anders jeym 
8. 78: Unter den einzelnen Theilen des Gefähfsftemes 68 
trachten wir zuerft das Herz. Es kann feiner Geftält nach mit 
einem flumpfen Kegel verglichen werben, der aber auf der einen 
Seite etwas flach ifl. Das Herz liegt in der Bruſthoͤhle mehr 
nach links als nach rechts, jedoch nicht gang im der linken 
Hälfte Die Baſis des Kegels ift naͤmlich nach der Mitte, 
gegen die MWirbelfäule, zu gekehrt, Die Spige ift nad links 
gegen die ſechſte Rippe gerichtet und ſteht tiefer als die Bas 
fie. Die flahe Seite des Kegeld liegt nach) unten gegen 
das Iwergfell, die gewölbtere Seite nach oben (vergleiche Fig. I 
bee IV. Tafel). . Das Herz ift aber noch umgeben von einem Sie, 
‚den man den Herzbeutel nennt und den man auf der roten 
Tafel Fig. 1. à ſieht. Der Herzbeutel umgiebt das Herz zuvoͤr⸗ 
derft ganz Tofe, fo daß ein Raum zwifchen ihm und dem Her: 
zen bleibt; unten iſt er an das Zwerchfell angewachſen / oben legt er 
ſich an die großen Gefaͤßſtaͤmme an, welche aus dem Herzen her⸗ 
vortreten; hier ſchlaͤgt ſich der Sack aber nun ſo um, daß er zuerſt 
bie Gefaͤßſtaͤmme und nachher das Herz ſelbſt eng bekleidet. Cs 
hat der Sad alfo zwei Hälften, von denen bie innere das Herz 
eng, die äußere daffelbe nur Iofe umgiebt. Beide Theile bilden 
ein zufammenhängendes Ganzes und find in einander hineingeftülpt, 
Um hiervon eine richtige Vorftellung zu haben, nehme man eine 
Schweinsblafe, die im Waſſer erweicht ift, "und in welche man ein 
wenig Waffer gefülle hat. Man drüde nun, — die Blafe 
wieder zugebunden iſt, die geballte Fauſt gegen dieſe Blaſe, und 
biege die Blaſe uͤberall zuruͤck, bis an die Handwurzel, ſo wird die 
eine Haͤlfte der Blaſe die Fauſt unmittelbar bekleiden, die andere 
aber etwas davon abſtehen. Grade ſo iſt das Verhaͤltniß des Herz: 
beutels‘, die Fauſt vertritt hier die Stelle des Herzens, die Hand: 


— 9 — 


wurzel die Stelle der großen Gefaͤßſtamme. Es iſt nur der Unter⸗ 
ſchied, daß zwiſchen der aͤußern und innern Haͤlfte des Herzbeutels 
im geſunden Zuſtande kein Waſſer iſt, ſondern nur ein feuchter 
Dunſt, ‚der nad dem Tode zu einigen Quentchen Waſſer gerinnt; 
In Erankhaftem Zuftande kann fich aber hier wirkliches Waffer ans 
fammeln und zwar in bedeutenden Quantitäten. Man nennt dieſe 
Krankheit, die Wafferfucht des Herzbeutels. Wirwerden im Koͤr⸗ 
per noch mehrere ſolcher Säde finden ,. die gegen ſich felbft einge: 
ftülpt find... and. mit dem eingeflülpten Theile ein Organ befleiden, 
zwiſchen beiden Theilen aber einen feuchten Dunft enthalten. Man 
Brot deröfe Baͤut e. Do zurüd zum: Herzen, 

— — | 

Das To fetbft befteht aus Mustetfubflang: Man. kann es 
nee einen hohlen. Muskel nennen. Die Hoͤhlung iſt aber nicht 
einfach ‚sondern vierfach. Zwei kleinere Höhlen liegen nad der 
Bafis des Herzens CTaf. Ve Fig. 1. A, C). Ihre Wände: befte- 
hen. aus weniger dicken Muskellagen und man nennt-fie Vork a m⸗ 
mern. oder Vorhoͤfe, da in fie die Venen ſich ergießen, Zwei 
andere Höhlen liegen nad) der Spige des Herzens zu: (B, D), haben 
ſtaͤrkere Wände und ſchicken die Arterien ab. Man.nennt fie 
Herzkammern oder Bentriteln, - Eine jede. Herzkam⸗ 
mer fieht mit der Vorkammer ihrer Seite durch eine weite Deffnung 
in Verbindung, unter ſich aber haben fie Feine Gemeinſchaft. Es 
wird naͤmlich das Herz durch eine Scheidewand, die von der Baſis 
nad) der Spitze verläuft und in unſrer Abbildung durch den Schat⸗ 
ten bei angedeutet iſt, in zwei vollig. getrennte Haͤlften getheilt. 
Jede dieſer Haͤlften enthaͤlt eine Vorkammer und eine Kammer, 
Da das Herz ſchief ſteht, ſo iſt die rechte Haͤlfte zugleich die vordere, 
und die linke zugleich die hintere. * Ich habe ſchon fruͤher geſagt, 
daß durch die rechte Hälfte das dunkle, Blut geht, und durch. die 
linke Hälfte das hellrothe Blut. Daraus folgt, daß die Venen, 
welche in die rechte, Vorkammer gehen, aus: dem Koͤrper kommen, 
die Arterie aber, die aus der rechten Kammer entſpringt, Lungen⸗ 





x u \ - ' 
3 Xafel IV. 73 1 ift 1. bie rechte Vorkammer, 8. die reote Kammer, 
11, die linte Vorkammer, IV, bie Linke Kammer, Diefelben Zahlen has 
Dep efette, Bedeutung in ber sten Figur, wo mon dad nero hinten 


ärterie iſt. Die Venen, weiche im bie linke Vorkammer münden, 
find dagegen Lungenvenen, amd die Arterie, welche aus ber linken 
Kammer kommt, iſt Körperarterie. Im unferer Abbildung zeige 
die Richtung d Pfeile an, * Gefaͤße Arterien und welche Ve⸗ 
nen a y 


% 


$. 79,7 Wir wollen bie bier Hoͤhlen bes Sergens genauer 
und einzeln betrachten, In jeder Vorkammer laͤßt ſich eine größere 
‚Haupthöhle, der Wenenfad von einem blinden Anhange unter 
ſcheiden, dem Herzohr (g für die rechte, h für bie linke Bor 
kammer). In die innere Höhlung der Vorfammern ragen die un: 
regelmäßigen Musfelbündel vor, aus welchen die Vorkammern ge: 
bildet werden, Die rehte Vorfammer nimmt durch eine 
obere Oeffnung die obere Hohlvene auf (vergleiche $. 95) (Taf. IV. 
Fig. 1. a.). Tiefer nach unten’ iſt eine zweite große Oeffnung 
welche unſere Abbildung nicht zeigt, da ſie nach hinten liegt; durch)“ 
dieſe tritt die untere Hohlvene ein ($. 96). Durch eine dritte 
Keine Deffnung ergießt ſich die a des — 9 Kr 


Die sehte Herzkammer hat viel Biene Winde als 
die Vorkammer, und die Muskelbuͤndel bilden in ihre Höhlung viel 
flärkere Vorſpruͤnge. Man erblidt das negförmige Anfehn diefer 
innern Höhlung in Fig. 2., wo in B'die rechte Kammer aufgeſchnit⸗ 
ten iſt. Die Scheideivand der Herzkammern ift etwas gegen die 
rechte Kammer gewölbt, fo daß diefe Höhlung ſich ein “wenig um 
die linke Kammer herumdreht. Durch eine weite Deffnung fteht 
fie in Verbindung mit der Vorkammer ihrer Seite: An den Um: 
fang biefer Deffnung ift eine Häutige Klappe befeftigt die Drei= 
zipflige Klappe, welche wie ein Vorhang in das Innere der 
Kammer mit mehreren Zipfeln hineinragt. Die Zipfel Hängen aber 
nicht frei, fondern es befeftigen fich an fie mehrere der vorragenden 
Muskeln. Sie heißen namentlih Warzenmuskeln. Im der 2ten 
Zigur fieht man bei 1 einen ſolchen Muskel, bei kaber einen Zi⸗ 
pfel der genannten Klappe. Es ift ſchwer, in einer Abbildung eine 
genügende Anficht von dem Innern der Herzkammern zu geben, "bes 
fonders weil die Deffnung zwifchen Vorkammer und Kanımer und 
‚die abgehende Schlagader neben einander liegen, und man nicht 
duch einen Schnitt beide Oeffnungen bloß legen kann, In unfes 


rer Dten Figur geht der Schnitt durch die Schlagaber, weswegen 


die Klappe an ber andern Deffnung nur unvollftändig zu fehen iſt. 
Sch möchte Daher rathen, daß Sie ſich das Herz irgend eines Thiers 
geben Taffen, und diefes auffchneiden. Fuͤhren fie den Schnitt 
durch die Arterie, fo werden Sie die Einmündung aus der Vorkam⸗ 
mer und die daran befeftigte Klappe zur Seite liegen fehen, und 
leicht mit einem Griffel oder dergl. beim Aufheben der einen Hälfte 


der Klappe. den Durchgang finden, — Die Muskeln, die an die Bis 


pfel der Klappe fich anfegen, verhindern das Zuruͤckſchlagen diefer Klap⸗ 
pe gegen bie VBorfammer, Wenn dagegen eine Flüffigfeit, und nament⸗ 
lid) das Blut, aus der Borkammer in die Kammer getrieben wird, fo 
drängt fie die Zipfel dieſer Ereiöförmigen Klappe aus einander und tritt. 
ganz ungehindert in die Kammer, nach der Spige zuſchießend, und 
verfchließt zugleich mit der einen Hälfte der auseinander getriebenen 
Klappe ben Eingang ın die Mündung der Schlagader. Wenn dats 
auf die Kammer fich zufammenzieht, um das empfangene Blut aus⸗ 
zutreiben, fo werden auch die Zipfel diefer Klappe duch die Muss 
Eeln einander genähert, und das Blut, welches bis gegen die Spige 
bes Herzens vorgetrieben war, brüdt felbft die Zipfel der Klappe 
gegen die befchriebene Mündung, und indem es fich. fo den Ruͤcktritt 


in die Vorkammer verfchließt, wird eg durch die Zufammenziehung 


der Kammer in den Urfprung der Arterie getrieben, . Die Arterie, 
welche aus der rechten Kammer kommt, iſt die Lungenarterie, wie 
wie ſchon fruͤher ſahen. Am Urſprunge derſelben find drei halb—⸗ 


mondfoͤrmige Klappen (m), welche nad) unten und an der Seite 


an die Arterienwand angeheftet find, nac’oben zu aber frei ſtehen, 


fo daß fie wie Taſchen gegen die innere Höhlung vorragen. Man 


fieht leicht, daß das Blut, indem es aus der Kammer hervorgetries. 
ben wird, diefe Klappen an die Wand der Arterie andrüdt. Wenn 
aber das Blut zuruͤckfallen will, fo drüdt e8 die Klappen von der 
Wand ab und fült gleichfam die Taſchen, die ſich dann mit ihrem 
freien Rändern an einander legen und die Communication zwifchen 


der Arterie und der Kammer ſchließen. Im der Mitte des freien 


Randes ift in jeder Klappe ein Eleines Knoͤtchen. Es ſcheint, daß 
dieſe 3 Kustchen durch das Aneinanderlegen die Communication 
noch vollſtaͤndiger hemmen. 


J 


Die linke Vorkammer iſt von der rechten Vorkam— 
mer eben nicht ſehr verfchieden, empfängt aber die Lungenvenen 
(Taf. Ve Fig. 1. 0.5 Taf. IV. Fig. 3. 97. 9). In der Schei- 
dewand zwiſchen beiden Vorkammern findet ſich eine verduͤnnte Stel- 
te, die eyförmige Grube, welche vor der Geburt des Men- 
fchen offen ift, indem in dieſer ki Lebensperiode die rechte und 


linke Herzhaͤlfte nicht vollſtaͤndig geſchieden ſind, woruber wir uns 


belehren wollen, wenn wir Pie e Entwickelungẽgeſchichte unterſuchen. 


Zwiſchen der linken Vorkammer und Kammer zeigt ſich wie— 
der eine Oeffnung, die auch mit einer Klappe verſehen iſt, die man 
die zweizipflige oder Muͤtzenklappe nennt. Sie 
wirkt eben fo, wie die Klappe in der rechten Kammer. Die Mus- 
Eelwände in der linken Kammer find viel dicker, als die ihrer Nach: 
barin. Auch bedarf dieſe Höhlung einer größern Kraft zur Fort— 
bewegung des Blutes, da aus ihr der Stamm aller Schlagadern 
für die Ernährung des ganzen Körpers entfpringt, die Aorta. Der 
Urfprung der Aorta kruͤmmt ſich Anfangs nach rechts, und ift das 
ber von der Lungenfchlagader in unferer ıften Abbildung der V. Ta- 
fel verdedt; man fieht fie jedoch im’ fernern Verlaufe bi d. Sie 
ift gerade fo mit 3 halbmondförmigen Klappen an. ihrer 
beſebt, wie die ——— | 


8 80. Das Herz ift ein Muskel, Mir wilfen, bag Mus: 
keln fih zufammenziehen, wenn Reize auf fie einwirken, Den 
Reiz für das Herz giebt das einftrömende Blut. Bei der Zufam- 
menziehung des Herzens muß fich feine Höhle verengern, und das 
empfangene Blut austreiben. Indeſſen ift das Herz doch Fein ge 
woͤhnlicher Muskel; denn es dehnt fih auch in allen feinen Höh- 
lungen aus, und diefe Ausdehnung ift feine bloße Erſchlaffung. 
Davon kann man ſich uͤberzeugen, wenn man das Herz eines Ie- 


Bi 
. 

13 
Be 


benden Thiers umfaßt. Man fühlt dann, daß es mit ziemlicher 


Gewalt die andruͤckenden Finger aus einander treibt, Sa, man hat 
diefe Beobachtung felbft an einem Menfchen gemacht, dem ein Kno⸗ 
chenfraß das Bruftbein’ zerftört hatte, und deffen Herz man daher 
fafjen Fonnte.* Auch ift das Herz ganz befonderd zur Thaͤtigkeit dis⸗ 





* Sch weiß wohl, daß der Drud, den das in der Ausdehnung begtiffene Herz 
auf die Band ausübt, und die Kraft, mit der e8 ein Gewicht von mehreren 


——7cc—— 
ponirt; denn es ermuͤdet nicht fo bald als die gewöhnlichen Muskeln, 
fondern ift das ganzeLeben hindurch thätig.  Ueberdieß ſteht das Blut 
nicht ganz indem Verhaͤltniß zu dem Herzen, wie andere Neige zu 
andern Muskeln; denn das Herz fehlägt auch noch eine Zeit lang 
fort, wenn es kein Blut mehr empfängt, beſonders in folchen 
Tieren, bei denen alle getiennten Theile lange fortleben. So fieht 
man z. B. das. Herz, das man einem lebendigen Froſche oder Fi— 
ſche ausgefhnitten hat, noch lange fich bewegen. * Etwas. ähn- 
liches findet man in allen denjenigen Muskeln, welche der Will: 
kuͤhr nicht unterworfen find. Das Herz wird aber mit Nerven ver— 
fehen, auf welche unfer Wille nicht einwirken kann, was wir bei 
einer andern Gelegenheit näher ‚erörtern wollen... = = 


Die Ausdehnung der Herzhöhlen heißt mit einem Kunftauss 
deude Diastole,. und die Zufammenziehung Systole. 
Beide Zuftände find nicht für das ganze Herz gleichzeitig, fondern 
die beiden Vorkammern wechfeln mit den beiden Kammern. Waͤh— 
end eritere in der Zufammenziehung begriffen find, befinden fich 
die legtern in der Ausdehnung, und während diefe ſich zuſammen— 

‚ziehen, “dehnen jene fich aus. Bei der Zufammenziehung der Kam 
mern verkürzt fich diefer Theil des Herzens und weil in demfelben 
Momente die Vorkammern ſich ausdehnen, hebt fi) die Spitze und 
fchlägt an die 5te Rippe an, was man um fo deutlicher empfindet, 
je lebhafter die Zufammenziehung des Herzens if. Der. Hersfhlag 
ift um fo häufiger, je jünger dev Menfch ift. Bei der Geburt er= 
folgt er 130 bis 140 mal in der Minute, im dritten Lebensjahre 
90 bis roo mal, im Mannesalter etwa 70 mal und beim Greife 
60 bie 65 mal. Uebrigens haben viele Verhältniffe Einfluß dar— 
auf; flarke Bewegung und aufregende Leidenfchaften. befchleunigen 
den Herzſchlag. Wie durch die Bewegung des Herzens das Blut 
fortgeftoßen wird, iſt nach dem Vorhergefagten fchon Klar, Beide 





funben in biefem Zuſtande aufhebt, nicht entfcheidenbe Beweiſe find, ba 

affelbe erfolgen würde, wenn das Derz blos durch dad Blut, das burdy 
andere Kräfte hinein getrieben würde, ausgedehnt würde. Allein ich habe 
bie Selbſtthaͤtigkeit der Ausdehnung in der Entwidelung bed Huͤhnchens 
auf eine Weife beobachtet, die mir gar feinen Zweifel läßt. — 


Im Herzen der Menſchen und Saͤugethiere behält die rechte Kammer laͤn⸗ 
ger die daͤhigkeit fi) zufammen zu Mei. als bie — 


— 66 — 
Vorkammern ziehen durch ihre Ausdehnung wie Pumpen das Ve— 
nenblut ein und preffen e8 bei ihrer Zufammenziehung in die Herz 
kammern. "Indem fich diefe zufammenziehn, werden durch das’ 
Blut ſelbſt die Klappen vor die Einmündung der Vorkammern ge: 
flogen, und das Blut, das gegen die Spige des Herzens getrieben 
war, muß fid in einem fcharfen Winkel umbiegen, um durch die 
Arterien einen Ausweg zu finden. Hier hindern die halbmondför- 
migen Klappen den Rücktritt deffelben während der num folgenden 
Erweiterung der Herzkammern. Indeſſen muß der Theil des Blu: 
tes, welcher fich zwifchen den halbmondförmigen Klappen befindet, 
wieder in die Herzkammer zurüdfallen. Auch wird das Blut, wel⸗ 
“ches bei anfangender Contraction der Herzkammern ſich innerhalb 
der muͤtzenfoͤrmigen und innerhalb der dreizipfligen Klappe befindet, 
ohne in die Hoͤhlung der Kammern ſelbſt gelangt zu ſeyn, wieder in 
die Vorkammern zuruͤckgepreßt. Eben ſo werfen die Vorkammern 


bei jeder Contraction einen Theil des Blutes in die Hohlvenen zu⸗ 


ruͤck. Diefes Zuruͤckwerfen ift zumeilen bis weit in das Venenſy— 
ftem hinein fuͤhlbar. An der Einmündung der untern Hohlvene 
ift zwar eine unvollfommene Klappe, die Euftahifche Klap- 
pe genannt, fie iſt aber nicht groß genug, um das Zurücdwerfen 
zu hindern, oft aud kaum erkennbar. Bedenkt man nun nod, 
daß das Blut beim Einftrömen in die Höhlen des Herzens zwifchen 
die vorragenden Muskelbündel tritt, und’ dann wieder herausge- 
preft wird, fo fieht man, daß das Gefchäft des Herzens nicht blos 
darin befteht, das Blut fortzuftoßen, „ fondern daß es auch durch 
das Hinz und Herwerfen des Blutes und durch das Durcheinander= 
rühren deffelben diefe Flüffigkeit inniger mifcht. Davon überzeugt 
man fih, wenn man in die Venen eines lebenden Thiers etwas 
Luft eintreibt, die dann im Herzen mit dem Blute zu einer ſchau⸗ 
era Slüffigkeit gefchlagen wird, 


— 


Man moͤchte gern mit welcher Kraft das Herz ſein 


Blut austreibt; leider find aber ale Verſuche, dieſe Kraft unmit- 
telbar zu meffen oder zu berechnen, fruchtlos gewefen. ine un- 
mittelbare Meffung des Stoßes, den das Herz ausübt, ift ohne 
fehe bedeutende Verletzung nicht möglich, und deshalb fehr unfis 
cher. Das Berechnen hat noch weniger gelingen wollen, weil jede 
— einzelne a im organifchen Körper von den andern 
auf 


— 97 — N 


auf die mannigfaltigfte Weife abhängig iſt. Da ſich nun die Kraft 
der einzelnen gegenſeitigen Einfluͤſſe unaufhoͤrlich deraͤndert, und 
ſich überhaupt nicht meſſen laͤßt, fo wird auch sine darauf gegtuͤn⸗ 
dete Berechnung unmoͤglich. So iſt es mehr laͤcherlich als der Wiſ⸗ 
ſenſchaft foͤrderlich, daß einige Ältere Phyſiologen die Kraft des Her⸗ 
zens auf 180,000 Pfund, andere auf 5 Unzen geſchaͤtzt haben. 
Die neuerm Phyfiologen feheinen an der Auflöfung diefer Frage ganz 
zu verzweifeln. Daß der Stoß nicht unbedeutend ift, lehrt folgen= 
des einfache Erperiment. Wenn man ein Knie feft über das. andes 
ve ſchlaͤgt, fo wird eine Arterie, welche in der Kniekehle liegt, da⸗ 
durch zuſammengepreßt. Der Stoß, den das Herz auf alles Arte: 
vienblut ausübt, iſt far genug, nicht nur den übergefchlagenen 
Fuß, fondern auch ein anſehnliches, an ben. Fuß gehängtes. Ges 
wicht: mit jedem Pulsfchlage aufzuheben. An Geköpften hat mar 
URAN: daß das Pi 7 Fuß hoch fprigte, 


6,81. Wenden wir. und nun an ben aroßen Kreistauf, —3 
zwar an die Arterien deſſelben. Sie ſind alle Verzweigungen 
der Aorta. Die Wand der Arterien iſt ziemlich ſtark und ſo ela⸗ 
ſtiſch, daß das Gefaͤß in ſeiner Hoͤhlung offen erhalten wird, wenn 
auch kein Blut mehr darin iſt. Dieſe Feſtigkeit und Spannkraft 
haͤngt vom Bau der Arterienwand ab, welche aus drei verſchiedenen 
Lagen zuſammen geſetzt iſt. Die aͤußere Lage beſteht aus einer Art 
verdichteten fadigen Zellgewebes. Die zweite: Schicht, bie ftärkfte 
von allen, wird dagegen aus Ereißförmigen, nur. hie: und da etwas 
über einander greifenden, feften und .elaftifchen Fafern ‚gebildet. 
Die innerfie Schicht endlich iſt überaus dünn, ohne alle Saferung, 
und eine unmittelbare Fortfegung eines eben fo bünnen Haͤutchens, 
welches auch die Höhlen des Herzens von innen: bekleidet. Aus ihr 
find die halbmondförmigen Klappen am Urfprunge des Arterienftams 
mes gebilbet. So dünn fie ift, fo hat fie doc) eine ziemliche Fe⸗ 
fiigkeit. Wenn man einen Faden um eine. Arterie legt und 
ihn ſtark zufammenzieht, fo wird bie bruͤchige mittlere Schicht 
durch denſelben zerſchnitten, aber die aͤußere und innere Schicht 
bleiben noch ſtark genug, um dem Andrange des Blutes zu wider⸗ 
ſtehen. Die mittlere gefaſerte Schicht ſcheint der Natur der Seh⸗ 
nen ſehr nahe zu ſtehen. Eine Muskelhaut iſt ſie gewiß nicht, wie 
man früher a behauptet. hat. ı Im der Sig. 5. Taf. V. fieht 

7 


x 


"R 
* 


man die einzelnen Schichten einer ſtarken Arterie. ‚Bei j\ iſt die 


Äußere oder Zeliſchicht noch ungetrennt aufliegend. Sn B iſt die aͤu⸗ 
ßere Schicht abgetrennt und zuruͤckgeſchlagen, wodurch die mittlere 
Schicht entbloͤßt erſcheint. In C endlich iſt auch die mittlere 


Schicht zuruͤckgeſchlagen, und man ſieht den Kanal der Arterie nur 


von der innerſten Schicht umgeben. — Die Waͤnde der Arterien 
erhalten aus den benachbarten Theilen wieder ihre eignen, aus bes 
nachbarten Aeften kommenden, ernährenden Blutgefäße und feine 


Nerven aus dem — (LT 


Daß das Sue i in den Arterien vom —— wegfließt, fieht 
man daraus, daß es aus einer verwundeten Arterie immer aus dem 
Ende ftrömt, welches dem Herzen näher ift, und zwar ſtuͤrzt es mit 
ſolcher Gewalt hervor, daß man aus einer geöffneten Schlagader 
von mittlerer Weite fich fehr fchnell verbiuten kann. Schnuͤrt man 
eine Schlagader mit einem Faden zu, fo firbt der Theil, zu wel: 
em die Arterie geht, fehr bald ab, weil er Eein Blut mehr erhält, 
wenn nicht Nebenäfte aus dem Stamme der Arterie mit Nebenäften. 
dee intern Verzweigungen derfelden zufammenhängen, im weichem 
Falle fi diefe Nebenäfte erweitern, und wieder neues Leben in 
den-Theil bringen, So müffen die Wundärzte zuweilen, wenn eis 
ne Arterie EranE oder verwundet worden ift, dieſe unterbinden, und 
man’ fieht, wenn der Ausgang günftig iſt, und eine hinlängliche 
Anzahl don communicirenden Nebenäften da iſt, wie an den Armen 
und Beinen, daf nad) einigen Zagen wieder neues Leben und neuer 
Puls ſich in dem BORN jeigt, zu a — die Arterie be 
re Ser 


30 Eonchenn der —* treibt neues Blut in in die Aor⸗ 
Da alle Körperatterien Verzwelgungen der Aorta ſind, ſo wirkt 
—J Stoß auf alle zugleich. Das neu hinzukommende Blut ſucht 
nämlich die ſchon angefuͤllten Arterien noch mehr außzudehnen, die 
zeſchlaͤngelten Arterien werden dadurch etwas mehr geſtreckt. Der 


Stoeß pflanzt ſich auf die Umgebung fort. Das iſt ed, was man 


Puls nennt. Iſt die Umgebung der Arterie vollkommen wei, 
fo verliert fi) der Stoß bald darin; Liegt dagegen die Arterie auf 
feffen Theilen auf, fo wird ber Stoß bemerkbarer. Darum kann 


man ben Puls nur da-deutlich-fühlen „wo die Arterie nahe an einem 


Nnochen Tiegt; 3. B. an der Schläfe und am untern Ende des Vor: 
derarms. Indeſſen wird die Arterie durch den Andrang der nenen 
Blutmaſſe doc etwas ausgedehnt , zieht ſich aber vermöge ihrer 
Eraftieität wieder zufammen, und befördert dadurch das Forttreiben 
des Blutes, . Daher kommt e8, daß aus einer geöffneten Arterie 
das Blut zwar ſtoßweiſe ausſpritzt, aber in den Zwiſchenzeiten zwi⸗ 
ſchen den einzelnen Stoͤßen, die vom Herzen abhaͤngen, doch nicht 
aufhoͤrt zu fließen. Man ſieht leicht ein, daß in den legten feinen 
Verzweigungen der Arterie der Lauf des Blutes mehr gleichmäßig 
feyn muß, da bier die Einwirkung des Herzens geringer ift, dage— 
gen der immer in einer Spannung erhaltene Stamm der Arterie 
ſtets bemüht ift fih zufammen zu ziehen und dag Blut gleichmaͤ⸗ 
Fig fortpreßt. Mac dem Tode, oder wenn man-fonft den Andrang 
von neuem Blute hindert, verengern fich die Arterien merklich, 
woraus man ſchließen kann, daB während des Lebens diefe Gefäße 
nie dazu kommen, fich fo weit zufammen zu ziehen, als fie F' 
— “a — ** — 


682. Wie ſich die Acterien enden, nachdem fie fich — 
in immer feiner werdende Zweige getheilt haben, iſt in der That 
nicht fo leicht zu ſagen, als man nach den vielfachen, darüber an⸗ 
geſtellten Verſuchen und Beobachtungen glauben ſollte. Ein Theil 
der Schwierigkeit liegt in der Feinheit des Gegenſtandes, da die 
legten Verzweigungen nur mit bewaffnetem Auge geſehen werden 
koͤnnen. Starke Vergroͤßerungsglaͤſer laſſen ſich indeſſen faſt nur 
bei Gegenſtaͤnden anwenden, die einige Durchſichtigkeit haben, und 
nicht auf dicke Maſſen, wie die meiſten Theile unſers Koͤrpers ſind. 
Will man aber ganz kleine Stuͤckchen heraus ſchneiden, ſo entleeren 
ſich die durchſchnittenen Gefaͤße. Man hat daher vorzüglich ſolche 
thieriſche Theile zur Unterſuchung wählen muͤſſen, welche mehr oder 
"weniger durchſichtig find, wie die Schwimmhaͤute der Froͤſche, die 
Stoffen der Fiſche, das Gekröfe der meiften. kleinern Thiere, oder 
auch ganz junge, und deswegen durchſichtige Thierchen ſelbſt. Un: 
tee diefen ift die junge Fifhbrut und das.Küchlein im Ey in den 
erften Tagen feiner Entwidelung zur Unterſuchung beſonders geeig— 
net, Berner hat man die Adern der Reichname von Menfchen und 
Thieren mit gefärbten Fluͤſſigkeiten angefült, um die Kandte zu fe: 
ben, welche im Leben das Blut eingenommen hat. Es würde endlos 


y. 


J 


— 100 — 


ſeyn, wenn ich unternaͤhme, Ihnen auch nur eine Ueberſicht zu 
geben von al’ den Berfuhen, welche man angeftellt, und den Fol 
gerungen, die man gemacht hat, um über diefe Sache Licht zu er» 
halten, Daher kann ich Ihnen auch nur Andeuten, was noch eis 
nigen Phnfi ologen, oder allen, zweifelhaft ſcheint, ohne die Gründe 
für und wider volftändig entwideln zu koͤnnen. 

Unbeſtreitbar ſcheint es, daß Arterienenden unmittel⸗ 
bar in Venen uͤbergehen, ſo daß das Arterienblut nur umkehrt, 


um ins Venenblut zu kommen. Dafuͤr ſprechen viele Beobach⸗ 


tungen an Thieren, dafuͤr ſpricht der Umſtand, daß ſolche Fluͤfſig— 
keiten, welche faͤhig ſind, in feine Kanaͤle einzutreten, aus den 
Arterien unmittelbar in die Venen getrieben werden koͤnnen. Al— 
lein diefer Verſuch gelingt nicht immer und nicht an allen Theilen 
des Körpers, und zwar um fo weniger, je älter ber Menfch mar, 
deffen Leihnam man ausſpritzt. Man kann daraus wenigſtens fol« 
gern, daß bie unmittelbaren Uebergänge eng, und ich glaube auch, 
daß fie nicht fehr zahlreidy find. In den Venenäften, die ſchon 


weit genug find, um das Blut in ihnen mit bloßem Auge deutlich 


zu erkennen, ift e8 merklich dunkler, als im den Arterien. Diefe 
Schnelle Umwandlung wäre unbegreiflih, twenn das Denenblut ganz 
daſſelbe Blut wäre, welches eben in der Arterie war, 


* 


6.83. Gewiß ſcheint es ferner, daß in vielen Theilen bes 


Roͤrpers die Arterien fi zuletzt in überaus feine Kanaͤle theilen, 


welche nur ſehr wenige Blutkuͤgelchen mit vielem Blutwaſſer aufzu⸗ 
nehmen ſcheinen, und deswegen faſt ungefaͤrbt ſind. Wenn man 
ſich ganz wenig die Haut ritzt, ſo gelingt es zuweilen, blos eine 
durchſichtige nicht gefaͤrbte Fluͤſſigkeit hervor zu locken. In viele 


Theile, welche und ungefärbt erſcheinen, kann man feine Stüffigs 


Seiten Eünftlich eintreiben, und das Mikroſkop zeigt dann, baß dieſe 
in befondern Kanälen liegen. War die Flüffigkeit etwa roth ges 
färbt, fo erfheint der ganze Theil geröthet, Man ſchließt daraus, 
daß die gefärbte Flüffigkeit in eine Menge Kanaͤlchen eingedrungen 
ift, welche früher kein völlig torhes Blut aufnahmen. Diefe Gän- 
ge nun, die unter. fi gewöhnlich negförmig zufammenzuhängen 
fheinen, hat man Haargefäße genannt. Sie unterfcheiden 
fih nur darin von den Arterien, daß in ihnen kein Puls mehr zu 


N 


—E iſt, und daß fie Fein voͤllig rothes Blut mehr führen. 
Auch ſind die Arterienwaͤnde uͤberaus verduͤnnt, und es ſcheint, bag 
die legten Verzweigungen gar Feine gefonderten Wände haben, fo 
dag man fie nur hohle, in die thieriſche Maffe eingegrabene Gän- 
ge nennen koͤnnte. Es ift die Gefaͤßwand gleichfam verfhmolzen 
in die Übrige Maffe des Körpers. Kinige neuere Phyfiologen Bas 


ben zwar die Haargefaͤße ganz geleugnet; allein, biefes fcheint mir 


nur auf einen Wortftreit zu führen. Allerdings find die Haarges 
füge nicht von den Arterien abfolut verfhieden, fondern deren legte 
Endigungen, wo fie die Arteriennatur verloren haben. Sie kön: 
nen fie aber im Erankhaftem Zuftande annehmen, und biefer Fall 
tritt in der Entzuͤndung ein. Ein entzuͤndeter Theil iſt roͤther als 
gewoͤhnlich, und man ſieht Blutgefäße, wo ſonſt keine zu erkennen 
waren. Mit den Haargefaͤßen ſtehen wieder die erſten Anfaͤnge der 
Venen in Verbindung, fo daß der Uebergang vom wenig gefärbs 
ten Blute in unendlich vielen und engen Kanälen erfolgt, ber Ue⸗ 
bergang vom gefärbten Blute in nicht fo zahlreichen weitern Kands 
Ion. Sehr merkwürdig ift es, daß die Weife, wie ſich die Haats 
gefaͤße verzweigen, nach der Natur der Organe verſchieben iſt. So 
iſt fie im Muskel eine befondere, und kommt fo in keinem Theile 
vor, der nicht die Fähigkeit Hat, fich nach Art der Muskeln zu cons 
trahiren. Es laufen nämlich‘ die legten Meifer in ber Laͤngenrich⸗ 
tung parallel mit den Mustelfafern. 


So groß auch bie Zahl der FERN ift, fo ift boch be 


Meinung, daß der ganze Körper aus nichts als Gefäßen beftehe, 
wahrer Unfinn, und nichts weniger, als aus der Berkantung her⸗ 
aehend. 


$. 84. Ein bedeutender Theil des Arterienblutes wird ver⸗ 
braucht, ohne in das Venenblut zuruͤckzukehren. Diefes Blut er: 
naͤhrt nämlich Ale Theile, wie wir ſchon früher fagten, das 
„beißt, es gehtin die Maffe des Körpers über. Wie das gefchieht, ift am 
menfhlihen Körper nicht zu beobachten. Aber an jungen Fifchen und 
an noch einfachern Thieren hat man bemerkt, mie einzelne Blutfüs 
gelben in. jenen feinften Gängen, die Eeine Gefäßhaut mehr haben, 
on der umgebenden Maffe gleihfam hängen blieben, und mit ihr vers 
ſchmolzen. Nur um diefes Phaenomen mit einem paffenden Ausdrucke 


— 108 —— 


zu belegen, nicht aber eigentlich zue Erklärung der Sache (denn 
die wahre Erklärung liegt nur in der allgemeinen Idee des thieris 
fchen Lebens und Körpers, die. wir hier bei Betrachtung des Einzel 
nen nicht entwickeln koͤnnen), wollen wir ſagen, daß zwiſchen den 
Blutkuͤgelchen und dem Körper des. Thiers, deſſen Grundmaſſe, 
der Thierſtoff oder das ſogenannte Zellgewebe, nichts: iſt als feſtge— 
wordenes Blut, eine Anziehung, d. h. eine innere Nothwendigkeit, 
ſich zu verbinden, fatt findet, _Diefelbe Anziehung muß. unter den 
einzelnen Blutfügelchen feyn, Deswegen gerinnten fie außerhalb des 
‚ Körpers zum Blutkuchen. Im lebenden Körper wird aber biefe 
gegenfeitige Anziehung. von der Anziehung des Thierſtoffs oder Zells 
gewebes und der in ihm entwickelten Theile beherrſcht, weswegen 
das Blut nicht in ſich gerinnt. In den größeren Stämmen, wo 
das. Blut von der Einwirkung des Zellgewebes mehr entfernt iſt, 
wird, nach meiner Meinung, wenigftens, durd) die Bewegung das 
Gerinnen des Blutes gehindert, Daß in den Gängen, bie no 
von giner eigenen Haut bekleidet find, der flüffige Theil des Blutes 
durch diefe Haut ducchdeingt, ift ſehr möglich, nur ift e8 unwahr⸗ 
ſcheinlich, daß Blutfügelhen durch eine folhe Haut dringen koͤnn⸗ 
ten; denn Löcher ober Deffnungen in. der Haut hat man nie gefe= 
hen, und fie anzunehmen, iſt gegen alle Phnfiologie. Dafuͤr 
fpricht. auch der Umftand,. daß bie kleinen Gefäßchen, welche bie 
Arterienwand ernähren, nicht aus dem Stamme. derfeiben felbft, 
fondern aus benachbarten Gefäßen kommen. Cine wahre Er 
nährung erfolgt atfo. nur. in den testen: Verzweigungen des Arte: 
rienſyſtemes. Warum aber hier das Blut an einer Stelle zur 
Muskelfafer, an einer andern zum Nervenmark, und an einer drife 
ten zum bloßtn Bellgemebe gerinnt, iſt eine Trage, die wir duch 
| Unterfuhungen unmittelbar nicht Iöfen, deren Beantwortung wie 
nur ahnen! fönnen,< Die Anziehung des Muskels zum Blute muß 
sine andere feyn, als die Anziehung des Nerven und bes Zellge⸗ 
webes, vermöge deren die Blutkügelchen im legten ohne ‚ein bes 
ſtimmtes Verhaͤltniß in der Richtung, im Muskel aber in der Laͤn⸗ 
genrichtung anſchießen; denn allerdings ſcheint die Muskelfaſer ur⸗ 
ſpruͤnglich aus an einander gereihten Blutkuͤgelchen zu beftehen, deren 
gegenfeitige-Begränzung, wo fie ſich berühren, beim Feſtwerden aufs 
hoͤrt. Man kann weiter gehen und vermuthen, daß beim. Uebere 
gange in das Diustelheilh die Biusfügeichen wenig. verändert mer 


* 





— — 103 — 1 
den; daß fe dagegen die dunkler gefärbte Huͤlle verliere, wenn fie 
zu Kuͤgelchen des Nervenmarks werden, und bag eben deshalb in 
diefen das Eyweiß ſo ſeht vorherrſcht ($. 103.). Andere Verhaͤlt⸗ 
niſſe wirken alſo auf das Blut im Muskel ein, umd andere, ‚im { 
Nerven... Eben dieſer verfchiedene, Einfluß macht auch, daß die 
Saargefaͤße ſich nach der, Beſchaffenheit der Organe verſchieden vers 
theilen; denn bald werden wir ſehen, daß der Lauf des Blutes den 
Gang der Gefaͤße beſtimmt, und nicht umgekehrt. Wir haben 
bier die Blutkügelchen ‚als. den wefentlichften Theil des Blutes 
vorzüglich. betrachtet ,; indeffen wird. daſſelbe mehr oder weniger 
aud für den flüffigen Theil des Blutes gelten, ‚ben. man. überhaupt 
nicht als den. Kügelhen ganz heterogen anſehen darf. Diefe find 
nur feſter geronnene , etwas ifolirte. Theile ‚der Fluͤſſigkeit, aus der 
neue Kuͤgelchen gerinnen koͤnnen, ſo wie die RE { 9 oh 
wide im die Sf gkeit aufloͤßen. — 


4 2] 


gl 85. * der taſſtze Theil des Blutes buch eine * 
Gefaͤßwand dringen kann, iſt nicht zu bezweifeln, wie man daraus 
fieht, daß in allen geſchloffnen Hoͤhlen des Koͤrpers ein feuchtet 
Dunſt ſich findet, der nur ans dem Blute kommen Eann. Die 
Bereitung des Dunftes, deſſen wir fchon beim Herzbeutel (8. 78. ) 
‚ewähnt haben, nennt man die YAushauchung oder die Aus: 
bünftung, wenn yon der äußern Haut die Nede ift, durch wel⸗ 
che eben fo ein Theil des Blutes entweiht, Fuͤllt man mit einee 
kuͤnſtlichen Fluͤſſigkeit eine Arterie an, die an eine jener innern Höhe 
Jungen ſich verzweigt, fo fieht man oft, daß der duͤnnſte Theil dee 
Slufſigkeit durch die Arterienwand dringt, und die ſeroͤſe Haut, 
melde die innere Höhlung bekleidet, feucht macht, oder gar ſich 
daruͤber voͤllig ergießt. Nichts ſpricht dafuͤr, daß die Arterie wirk⸗ 
lich dur feine Muͤndungen in die Hoͤhle ſich öffne. "Sole Oeff⸗ 
nungen würden wohl die feinen Injectionsmaſſen zeigen. Man 
muß daher glauben, daß das Blut gleichfam durchſchwitzt oder hin⸗ 
durchdringt, wie Waſſer und andere Fluͤſſigkeiten jede ganz dünne. 
Haut, die darauf liegt, aud auf der andern Seite feucht machen, 


"8.86. Nicht fo einig find bie Phnfiologen über die Art, wie 
die beſondern Fluͤſſigkeiten, die an- verſchiedenen Stellen des Koͤr⸗ 


— 1604 —— 


perd ſich bilden, und entweder im Koͤrper veibrcucht ‚ ‚ober auf vers 
fhiedenen Wegen ausgeleert werden, 3. DB. die Galle, der Speir 
el, der Harn, bereitet werden. Daß das Blut den Stoff zu Er- 
zeugung dief@® Fluͤſſigkeiten giebt, iſt unbezweifelt; denn hindert 
man den Zutritt des Blutes zu den Drganen, welche jene Fluͤſſig⸗ 
keiten bereiten, ſo hoͤrt die Erzeugung derſelben auf. Hier muͤſſen 
wir zuvoͤrderſt das Allgemeine vom Bau jener Organe kennen ler⸗ 
nen. Die Anatomen nennen fie Druͤſen und ihr Geſchaͤft 
Secretion, Sie find aber fehr verfchieden von einer andern 
Art Organe, die auch Drüfen heißen, und befonders im gemeinen 
Reben diefen Namen führen ($. 88,), In den Drüfen, von be 
‚nen hier die Rede ift, finder man zweierlei Kandle, Blutgefäße 
naͤmlich, und Kanäte, welche die eigenthümliche Fluͤſſigkeit führen, 
die die Drüfe bereitet. Die legtern fließen gewöhnlich in einen 
Hauptflamm zufammen , der ſich dahin begiebt, wo die Fluͤſſigkeit 
ergoffen werben fol. Man nennt den Dauptgang den Ausfüh- 
rungsgamg, und die.anderen Kanäle, welche in ihn einmuͤn⸗ 
den, find als feine Aeſte zu betrachten, Es entfteht nun bie Sras 
ge, ob die letzten Verzweigungen der Blutgefaͤße unmittelbar in die 
Aeſte des Ausfuͤhrungsganges übergehen oder nicht? Ob z.B, die 
Adern der Leber nach vielfachen Verziveigungen zu den feinften Ae⸗ 
ſten der Gallengaͤnge werden, ſo wie die Arterien in die Venen 
übergehen ? In diefem Falle müßte man annehmen, daß das Blut 
in feinem Durchgange durch die Gefäße fo umgewandelt würde, daß 
der Zheil, ber in die Gallengänge kommt, zur Galle würde, obs 
gleich ein anderer Theil, und wohl der. größere, durch die Venen 
wieder zuruͤckkehrte. Die 8te Figur unſerer Vten Tafel kann wohl 
als Erläuterung diefer Vorftellungsweife dienen, obgleich fig eigents 
ih etwas anderes vorftellt. Es wäre nur eine grobe Verfinnlihung 
vom Uebergange der Arterienäfte in. den Ausführungsgang; denn 
dieſe Uebergäuge müßten unendlich viel feiner feyn. Nach einer 
andern Vorſtellungsweiſe ift der Ausführungsgang mit allen feinen 
| Heften völlig von den-Veräftelungen ber Blutgefäße durch den Zell⸗ 
ſtoff oder das Schleimgewebe des Organs geſchieden. Das Blut er⸗ 
naͤhrt die Maſſe dieſes Organs, wie jeden andern Theil des Koͤrpers, 
und ausd der Maſſe des Organs tritt allmaͤhlig die eigenthuͤmliche Fluͤſ⸗ 
ſigkeit in die Aeſte des Ausfuͤhrungsganges, ungefähr fo, wie wir bei 
ber Bereilung des neuen Venenblutes und der Lymphe ſehen werden. 


* 


Welche Anſicht die richtige fen, haben tauſendfaͤltige Injee— 
tionen unentſchieden gelaſſen. Sie ſprechen fuͤr die eine faſt eben 
fo laut, als für die andere. Zuweilen konnte man die Injections— 
Maffe aus der Arterie in den Ausführungsgang treiben, zumeilen 
aber auch aus der Bene. In andern Fällen gelang dies nicht, und 
ſelbſt wenn es immer gelänge, würde es doch nicht entſcheidend 
feyn, da auch durch die Arterienwand die Fünftlichen Flüffigkeiten 
in die Grundmaffe der Drüfe, und aus diefer in ihre Ausführungs- 
gänge wandern Fönnten. Die vergleichende Anatomie entfcheidet 
ſich jedoch mit fehr ſtarken Gründen für die legte Anficht, indem 
fie lehrt, daß die meiften Drüfen bei niedern Thieren blinde Säde 
ober ziemlich weite Röhren find, welche erft im höheren Thieren 
fich verzweigen, * | J RACE: z 


“87: So Hat das Bfut eine Menge Theile abgegeben ‚und 


kommt mit veränderter Befhaffenheit in die Venen. Doch nicht 


alles Blut kehrt in die Venen des großen Kreislaufs oder diejenigen 
Venen zuruͤck, welche fich unmittelbar in die rechte Vorkammer des 
Herzens ergießen. Aus den verdauenden Organen wird das Blut 
in die Leber geführt, und ift in einem befonderen Gefäße enthalten, 
das man die Pfortader nennt, die wir jegt unberuͤckſichtigt 
laffen (vergl. $. 98.). Vom Bau der übrigen Venen laͤßt ſich 
Folgendes fagen: Sie haben fehr viel dünnere Wände als die 
Arterien. Sie geben daher dem Blute nur geringen Widerftand, 
und können von ihm ſehr anfehnlich ausgedehnt werden. Man er: 
kennt in ihrer Wand nur zweierlei Lagen deutlih, und eine Spur 


von einer mittleren. Die aͤußere Haut iſt faft wie die Zellhaut der 


Arterien, jedoch dünner; die innere Haut entjpricht der innerften 
Arterienhaut, unterfcheider fich aber dadurch, daß fie zahlreiche 





— 


Es iſt kein hinlaͤnglicher Einwand gegen bie erwaͤhlte Anſicht, daß zuweilen 
in krankhaftem Zuſtande die Druͤſen Blut fecerniren, mie ber blutige Harn 
@. f. w. lehren, Auch die Schleimhäute größerer Höhlen fecerniren, und 
zwar *4 oͤfter, Blut, und doch nimmt man nicht an daß Blutgefäße ſich 
offen in den Uterus oder den Darm münden. Daffelbe, gilt von dem Blut— 
ken. Wir fehen daraus nur, baß bie Gecretion fi) jo vermehren 
n, daß das Organ, noch che bad Blut völlig ſich in fine Maffe umge: 
wandelt hat, baffelbe austreibt, wenn jenes in dem Buftande einer fehe 
en Keizung fi) befindet. Der Bluterguß, ber in manchen Krankheiten 
aus fehr verſchiedenen Stellen erfolgt , mie im gelben Fieber, fcheint mir 
nur 34 en, mit weicher Kraft der Organismus untaugliches Blut nach 
allen Hichiungen fortzutreiben fi bemuͤht (vergl. $. 87.). 


Klappen bildet. Die mittlere Faſerhaut der Arterie fehle hier alfo. 
Indeſſen wollen viele Anatomen eine andere mittlere, Haut gefehen 
‚haben, welde aus Rängsfafern gebildet feyn foll.: Sch babe indefs 
fen bis jegt nie wahre Längsfafern in den Wänden der Venen fins 
den Eönnen, felbft nicht bei den ‚größten Thieren. Oft ſieht man 
zwar Streifen, die der Länge nach verlaufen, in ihnen, betrachte ich 
aber dieſe Streifen unter dem Mikroffope, fo fheinen fie mir aus 
irregelmäßig durch einander gewebten Faſern zu beſtehen. Wie dem 
auch fey, fo viel ift gewiß, daß dieſe mittlere Schicht immer fehr 
viel dünner iſt, als die mittlere Schicht in den Arterienwaͤnden, 
weswegen denn ‚die. Venen zufammenfallen, wenn fie vom, Blute 
entleert find. Die Klappen ſind fo gebaut, daß fie mit einem 


| 3 Bande (abasdig. 3 .Taf. V.) angehefter find, mit einem andern 


Bande aber (ac a frei in die Höhlung hineinragen. Sie find 
alfo auch wie Taſchen geformt, ‚deren ‚eine Wand von der Venen: 
haut, die andere Wand von der Klappe ſelbſt ‚gebildet wird... Der, 
freie Rand, und alſo der Eingang in die Tafche, ift immer nach 
dem Herzen zugekehrt. Man fieht nun, daß das Blut, wenn es 
nad dem Herzen zuſtroͤmt, die Klappen an die Venenwand ans 
druͤckt; daß es dagegen, wenn e3 von dem Herzen zuruͤck finfen 
will, die Klappen abdrüdt, indem es die Taſchen ausfüllt, daß 
alfo die Klappen den Nüdkritt hindern. Die 4te Figur, ein 
Durchſchnitt einer Vene, in welhem der Pfeil den Blutſtrom ans 
deutet, verfinnlicht diefes Verhaͤltniß. Die Klappen ftehen bald 
einfach, gewöhnlich aber zu zwei zufammen , feltener zu-drei. Su 
den größten Venen, naͤmlich in den Hohlvenen, fehlen fie ganz, 
und dadurch wird ed möglich, daß bei jeder Gontraction der Vor— 
Eammern ein Theil des Blutes in die Venenſtaͤmme zurüdgeworfen 
wird. Die Zahl der Venen ift größer, als die der entfprechenden 
Arterien, fo daß in der Regel neben jeder Arterie zwei Venen lie⸗ 
gen, Außerdem findet fich an vielen Theilen des Körpers; namente 
lich an den Ertremitäten, dicht unter der Haut noch eine Lage von 
Denen, die man häufig im lebenden Menſchen durchſchimmern 
ſieht. Ueberhaupt ſind die Blutadern weniger geſchuͤtzt, als die 
Schlagadern. Zwar ziehen ſich alle Gefaͤße nach der Beugeſeite 
der Gelenke, ſo daß z. B. in der Schultergegend die groͤßern Staͤm⸗ 
me in der Achſfel ſich verbergen; indeſſen liegen die Venenſtaͤmme 
immer weniger tief, als die Arterienflämme. Die Venen find 


— 4107 — 


nicht REN fondern auch weiter als die Arterien. Nach 
einem ungefähren Meberfchlage [hast man die Durchmeffer der Ve— 
nen eines beftimmten Theils anderthalbmal fo groß, als den Durchs 
me der entfprechenden Arterie. Da fi die Durhfchnitte von 

indern wie die Quadrate ihrer Durdymeffer verhalten, fo kant 
man annehmen, daß die Weite der Benen im Allgemeinen fich zu 
der Weite der Arterien verhält, wie 9 zu 4. Auch darin find die 
Venen von den Schlagadern unterfchieden, daß die Aeſte nicht blos 
mit den Stämmen zufammienhängen , fondern auch häufig, befons 
ders in den Eleinern Zweigen in einander einmuͤnden, ſo daß die, 
'baumförmige Geftalt nicht ganz vollfommen iſt. Solche Zufams 
menmündungen von Aeften oder Zweigen untereinander, nennt 
die Kunftfprache Eee en. Sie kommen bei den Artes 
un en mon EIER TRITT N ET 


Man fieht fchon aus dem Bau: ber * ai in m Bu Ä 
nen das Blur nad dem Herzen zuſtroͤmt, wovon man fich leicht 
durch Verfuche überzeugen Fann. Bindet man eine Bene durch ein 
umgelegtes Bändchen zu, fo ſchwillt fie in dem von dem Herzen 
entfernteren Theile durch das zuftrömende Blut an. So kann man 
durch Umbinden des Armes oder. durch Umfaffen mit dersandern 
Hand machen, daß die Venen «auf dem Ruͤcken der Hand ans 
ſchwellen; indeffen wird der Kreislauf dadurch nicht ganz gehemmt, 
da die oberflächlichen Venen mit den tiefer liegenden, die von dem 
Drucke weniger zufammengepreßt werden, an vielen Stellen zufams 
men hängen.  Deffnet man eine Vene, fo tritt das: Blut zuerſt 
mit einem Sprunge hervor, fließt dann aber mehr gleichmäßig fort, 
nicht floßweife, und zwar aus dem von dem Herzen abgekehrten 
Theile, Die vielen Anaflomofen der Venen ſcheinen geeignet, 
manche Ungleichmäßigkeit beim Nüdfluß des Blutes auszugleichen, 


Die Benen empfangen das Blut theild aus den wenigen uns 
mittelbaren Uebergängen der Arterien in diefelben (F. 82,), theils 
aus den Daargefäßen , die auf der einen Seite allmählich in Artes. 
rien, auf der audern Eeite allmählich im Venen übergehen. Da 
aber ein großer Theil des Arterienbiutes unaufhoͤrlich in die Körpers 
maſſe übergeht, oder im befondere Fluͤſſigkeiten umgewandelt wird, 
fo kehrt lange nicht alles Arterienblut unmittelbar in die Venen 


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zuruͤck. Dagegen ſcheinen die erften Anfänge bee Venen unaufs 


hörlich neues Blut aus dem feften Theilen aufzunehmen. Beobach— 
tungen haben es gelehrt, daß, fo wie aus dem Arterienbiute, 


Blutkuͤgelchen in die Grundlage aller Theile übergehen und mit | 


ihnen verfchmelzen, eben fo aus den verfchiedenen Theilen des Kör- 


pers fich Theile Losreißen, die die Form von Blutkügelhen und von 
der mwäfferigen Grundlage des Blutes annehmen, und dem Strom 


bes Venenblutes fich beimifhen. So ift alfo in allen nicht abges 


ſtorbenen Theilen des Körpers ein ſteter Wechfel der Stoffe, Aus 


dem Xrterienblute gerinnt neue Maffe, und die alte Maffe wird 
fluͤſſig, um fi mit dem Venenblute zu verbinden, Wie groß das 


Derhältniß des ohne Umwandlung aus den Arterien in die Venen | 


überftrömenden Blutes zu dem unaufhörlich ſich zerfegenden und 


neu ſich bildenden Blute ift, laͤßt fi) durchaus nicht beftimmen, 


Erklärlich wird es aber durch das neu gebildete Blut, wie das Ve: 
nenblus von dem Arterienblute in feiner Färbung und chemifchen 
Mifhung fo fehr abweichen Wins; und wie bie — ſchein⸗ 


bar ſo raſch erfolge. — 


Unbezweifelt iſt es auch, daß durch die Waͤnde der Venen, 
beſonders der feinern, Stoffe, welche man in ihre Umgebungen ges 
bracht hat, durchdringen. Dan nennt diefe Erfcheinung das Aufs 
faugen der Venen, darf es fich aber ja nicht denken wie ein mwah- 
res Saugen, das die Venen ausübten. Die Vene ift vielmehr 
der Kanal, in welchem der flüffige Organismus, denn fo kann man 
das Blut nennen, dem Herzen zuſtroͤmt. Was in den Bereich 
diefes Stromes kommt, bewegt fich in derfelben Nichtung, und 
‚geht alfo diefelbe Bahn. Miechende oder ſtark gefärbte Fluͤſſigkei⸗ 


= 


ten, die man in die Bauchhöhle gießt, findet man bald. in den Bes 


nen wieder, die innerhalb der Bauchhöhle verlaufen. Eben fo ift es 
mit Stoffen, die man in den Darmkanal bringt. Cie werden lan⸗ 
ge nicht alte, wie man früher wohl glaubte, duch das gleich zu 
befchzeibende Syftem der Saugadern- dem Blute zugeführt, fondern 
gehen großentheils in die Benen Uber. Dadurch wird es auch er 
klaͤrlich, wie manche Mittel fo raſch auf den Körpew wirken Eönnen, 
während die Saugadern nur langſam ihren Inhalt in das Blut 
‚ entleeren. Man kann mehrere Maaß Mineralmaffer in wenigen 


Stunden trinken, und es geht faft eben fo ſchnell durch den Harn 





— — 109 — — 


‚ wieder ab. "Es ft nicht möglich, daß dieſe ganze Quantitaͤt vor⸗ 
her durch die Saugadern gegangen if, Wird Kampfer auf irgend 
einem Wege in den Körper gebracht, fo riecht bald der Athem nad) 
diefem Mittel, indem das Venenblut, das den Kampfer aufgenoms - 
men hatte, es in den Lungen wieder fortftößt. Mit einem Hunde 
machte man das graufame Erperiment, ihm den ganzen Schenkel 
vom Leibe abzuloͤßen, mit Ausnahme der Arterie und Vene, welche 
unverletzt blieben, um. den Schenkel noch mit dem Kreislaufe in 
Verbindung zu erhalten. Nachdem daflır geforgt war; daß audy 
fämmtlihe Saugadern durchſchnitten waren, vieb man in die Pfote 
des abgettennten Schenfels etwas von dem ſtaͤrkſten bekannten 
Pflanzengifte, dem Upasgifte ein, und in wenigen Minuten war 
der Hund todt. Diefer und fo viele andere Verfuche zeigen, daß 
fremde Stoffe nicht blos von den. Venen aufgefogen werden, indem 
fie ihre Wände durchdringen, fondern auch dadurch, daß fie in die 
Maſſe des Körpers übergehen, und indem ſich diefe unaufhoͤrlich 
theilweife in Blut ummwandelt, demfelben beigemifcht werden. — 
Se mehr die Venen vom Blute entleert find, um deſto ſtaͤrker iſt 
ihre Fähigkeit aufzufaugen. Ein Aderlaß bringe in der Negel 
nicht ſowohl durch den Blutverluft ſelbſt, als Ba die m” 
bung der —— Pen 


Oboleich die einzelnen * des organiſchen Koͤrpers in der 
chemiſchen Miſchung eine gewiſſe Uebereinſtimmung zeigen, ſo ſind 
fie einander doch nicht gleich. Es iſt daher wahrſcheinlich, ja ges 
wiß, daß das Arterienblut hier mehr und dort weniger von feinen 
einzelnen chemiſchen Beftandtheilen abfest. Es wird im Hirne 
mehr Epweißftoff, im ‚Muskel mehr Faſerſtoff verlieren. Das 
ruͤckkehrende Blut ift alfo eigentlich in jedem Venenaſt verfchieden. 
Die Verfchiedenheit wird nur dadurch etwas ausgeglichen, daß die 
Benen aufgelößte Theile der Organe mit fortnehmen, und bie 
Gleichfoͤrmigkeit des Blutes wird endlich in den größeren Venenſtaͤm⸗ 
‚men duch) Vermifhung wieder bergefkelt. 


6.88. Sie fehen aus bem — daß die Venen 
fetöft einen Theil des in flüffige Sorm umgemwandelten Organismus 
in das Blut zuruͤckfuͤhren. Außerdem find noch befondere- Gefäße 
da, die man Saugadern oder Lymphgefäße nennt. 


— 90 — 


Dies ſind ſehr enge Rondie, die im ganzen Kıper vorkommen, 
vorzüglich aber, ‚zahlreich von’ den Därmen entfpringen. Ihre 
Wand beſteht aus zwei duͤnnen Haͤuten, von denen die innere ſehr 


zahlreiche faſt immer paarige Klappen bildet, die ganz die Form 


der Klappen in den Venen haben. Die — Haut pflegt da, wo 


in der innern Klappen ſind, eine Einſchnuͤrung zu zeigen, wodurch 
das ganze Gefaͤß das Anſehen einer Perlenſchnur ober eines Roſen⸗ 
kranzes gewinnt. Nur in den groͤßern Stämmen iſt dieſes Anſehn 
weniger. deutlich. Stark vergroͤßert ſieht man eine Saugader 


Sig. 7. Taf. V. Die Saugadern find ſehr zahlreich, und folgen 
im Allgemeinen dem Laufe der Venen. Da fie indeſſen ſo eng find, 
dag man fie in den meiften Theilen nur mit Mühe. oder gar nicht 
mit dem: bloßen Auge erkennt, ſo ift die Summe ihrer Durchſchnit⸗ 
te doch ſehr viel geringer, als die Durchfchnitte der Denen. Sie 
hängen hie und da mit einander zufammen, und nachdem ſie eine 
Strecke verlaufen ſind, pflegen mehrere zugleich in eine lympha— 


tiſche Druͤſe uͤberzugehen. Die Lymphdruͤſen darf man 


nicht mit jenen Druͤſen verwechſeln, die wir früher ($. 86.) ber 
fchrieben, haben... Sie find Eleine rundliche Körper, bie faft überall, 
doch vorzüglich in: den Gelenken, im Gekröfe, an der Luftroͤhre 
und am Halfe vorkommen, Man fieht. die Lymphgefäße, bevor 
fie in die Drüfe eintreten, fih in Aeſte ſpalten. Auf der andern 
> Seite der Drüfe treten wieder Eymphgefäße mit mehreren Murzeln 
hervor. Doc) find die legtern ‚weiter, und weniger zahlreich, als 
die erſtern. - Unterfuht man den Bau einer. Lymphdräfe, indem 
man die Saugadern mit Quedfilber füllt, fo glaubt man im erften 
Augenblicke eine Menge blinder Saͤckchen zu erfennen, aus denen 
die Drüfe befteht, mie fie die, Jote Figur der Vten Tafel darftelt. 
Die fortgefeste Unterfuhung-hat aber gelehrt, daß die blinden Saͤ— 
‚de nur ein Schein find, und daß die Lymphdruͤſen aus eng ver⸗ 
ſchlungenen Verzweigungen der Saugadern beſtehen, wie Fig. 9. 
in geringerer, und Fig. 8. in ſtaͤrkerer Vergrößerung zeigt. Die 
‚verfchlungenen Saugaderzweige gehen auf der einen Seite in die 
eintretenden, auf der andern Seite in die austretenden Saugadern 
über, . Die ganze’ Drüfe kann man -mit einem verwirrten Knaͤul 
vergleichen, in welchem die einzelnen Kandle durch Bellgewebe zu: 
fammengehalten werden. Die fcheinbar blinden Säde find nichts 
als die vom Zellgewebe weniger. bededten Umbiegungen der Gänge. 


P — 114 — 

ii A den Saugadern muß fih die enthaltene Fluͤſſigkeit auch 
nad) dem Hörzen zu bewegen, wie ber Bau der Klappen lehrt, und 
das Unterbinden und Deffnen einzelner Saugadern, Die Flüffigs 
keit, die fie führen, ift wenig gefärbt, in denen, die vom Darme 
Eommen, jedoch weißer, weswegen dieſe Tegtern auh Milch ges 
fäße beißen. Mann nennt die in ihnen enthaltene Fluͤſſigkeit 
Chylusz in den Übrigen Saugadern heißt fie Lymphe. In 
beiden finden fih Kuͤgelchen, jedoch nicht fo zahlreih, als im Blus 
te, und in einer größern Quantität Fluͤſſigkeit ſchwimmend. 
Nachdem die Milhgefäße und die übrigen Saugadern durch mehrere 
Drüfen durchgegangen find, ergießen fie ſich endlich am verſchiede⸗ 
nen Stellen in die Venen, Die meiften treten vorher in einen 
Hauptgahg zufammen, den Bruſtgang ($. 100.), welcher meit 
genug ift, um eine, für die chemifche Unterfuhung hinlängliche 
Quantität Flüffigkeit zu geben. Dieſe zeigt fi hier dem Blute 
ziemlich ähnlich, jedoch mehr Waſſer enthaltend, und, mas am 
Merkwürdigften ift, fie röthet fih, wenn man fie der atmofphäris 
ſchen Luft oder dem Sauerftöffgafe ausfegt, und deutet dadurch auf 
die Fähigkeit, in der Zunge in Blut verwandelt zu werden. | 


1 Woher erhalten die Saugadern die Stoffe, die fie führen? 
Die Milchgefaͤße nehmen fie aus dem Darme auf, und der Chylus, 
den fie führen, iſt nichts, als der für die Ernährung brauchbare, 
und zu diefem Zweck umgewandelte Theil der Speifen, worauf wir 
bei der Lehre von der Verdauung wieder zuruͤckkommen werden. - 
Merkwürdig ift ed, daß nah DVerfuhen an lebenden Thieren die 
Mithgefäße faſt nur die zur Ernährung brauchbaren Theile aufs 
nehmen, und es den Darmvenen überlaffen, Medicamente, Gifte 
und ähnliche ſtark wirkende Dinge aus dem Darme aufzufaugen, 
Die Saugadern, die aus dem übrigen Körper Fommen, nehmen 

“die flüffig gewordenen Theile der einzelnen Organe auf, und ers 
gänzen auf diefe Weife die Thätigkeit des Venenſyſtems. Ihre 
gemeinſchaftliche Wirkſamkeit ift fo groß, daß auch die fefteften Kno— 
hen allmählich umgebildet werden, * Wie fi die Venen und 





vr; 





/ “ Daher bad Paraboron, daß jeder Menſch nad Werlauf einiger Jahre ein 
———— BR kauen; er nen * —— in ae fon 
Di nur fehr langfam 0 arn erfchwinden , u 
gen bie eumabtiehe Umwandiung; denn nicht zum Organismus geh 


es 


k — 112 — 


Saugadern in das Aufſaugen theilen, iſt ſchwer zu beſtimmen; in 
deſſen giebt es Thiere, wo die Saugadern ganz fehlen „und die Bes 
nen das Gefhäft der Auffaugung allein verrichten müffen, Die Lym⸗ 
phe bewegt fih nur langfam in den Saugadern, und die Bewegung 
geht noch eine Zeit lang nad) dem Zode fort. Der Grund der Bewe⸗ 
gung ſcheint nicht blos ein mechanifcher, wie in unorganifchen Haar: 
töhren, zu feyn, fondern von der größern oder geringern Lebensthätigs 
keit der Saugadern abzuhängen, und von dem größern oder geringern 
Beduͤrfniſſe des Körpers nach neuem Nahrungeftoff, So find fie bei 
anhaltendem Hunger fehr viel thätiger, und man- kann daher mit 
Recht fagen, daß der Organismus um fo mehr von ſich felbft zehrt, 
je weniger er Nahrung von außen erhält. In manchen Krankheiten 
feinen dagegen die Saugadern, vielleicht auch die Venen, ſehr 
unthaͤtig, wie in. den verfhiedenen Arten der Wafferfucht, wo bie 
fi) bildende Feuchtigkeit nicht gehörig ind Blut zurüdgeführt wird. 
Eine befondere Krankheit des Saugaderfpfiems find, die Scto= 
pheln. Hier ſcheint der Inhalt der Saugadern in der Bewes 
gung zu floden, die Druͤſen fchwellen dadurch an, und erhärten 
auch wohl, mit einer feften eyweißähnlichen Maffe ſich füllend. * 


Die grögern Saugaderftämme ergiegen ſich in die Venen nicht 
weit vor dem Eintritte derfelben in die rechte Hälfte des Herzens, 
Durch die Bewegungen diefes Organs wird die Lymphe bald mit 
dem Benenblute vermifcht. Wolftändig erhält das Blut die zur 
Ernährung nöthige Mifhung aber erſt in den Lungen buch) den 
kleinen Kreislauf wieder, 


F. 89. Die die Luft in den Lungen auf das Blut eintwirke, 
werden wir erft beim Athmen näher unterfuchen können; paffend 
wird es aber feyn, ‚hier von. der Umänderung bes Blutes felbft zu 


[pres 





Stoffe werden nur langſam entfernt, weil fie nicht in gehörigem Verhaͤlt⸗ 

niß zum Blute ſtehen. Nur wenn fie nachtheilig auf den Körper wirken, 

„wendet biefer alle Kraft auf, fie zu entfernen. Auch muß man nicht glaus 

! den, ald ob bei der Umwandlung grade jedes einzelne Partikelchen, nadr 
dem ed gedient hat, abmärfchiren müßte. 


% Anmert. Es ift Faum nöthig zu bemerken, daß ed fehr unrichtig. ifl, 
wenn man im gemeinen Leben fagt: „dieſes ober jened Kind hat Drufen.“ 
Druͤſen haben wir alle. Man follte vielmehr fagen: bei jenem Kinde find 
die Drüfen angefhwollen. — Gcrophulofe Kinder pflegen einen unmäßigen 
Appetit zu haben. Je mehr man fie efien läßt, um befto ärger wird dad 

‚Mebel, wie man aus dem oben Gefagten leicht folgern kann, y 





| 
— 113 — 


ſprechen. Das in die Lunge tretende venoͤſe Blut iſt, wie ſchon 
oft geſagt wurde, dunkelroth, es hat ferner einen ſchwaͤchern Ges 
ruch, weniger fpecififches Gewicht und enthält mehr Blutwaſſer, 
als das feharlachrothe aus der Lunge zuruͤckkehrende Arterienbiut. Yes 
nes hat eine Temperatur von 319 R., diefes von faft 32°. Jenes 
Eat mehr Capacität für die Wärme, als diefes. Im Eleinen Kreis: 
laufe ift der unmittelbare Uebergang aus der Arterie in die Venen 
‚unverkennbar. Die Umänderung muß in dem Blute bei diefem 
Webergange erfolgen, und fie muß abhängig feyn vom Sauerftoff: 
gaſe; denn nur im einer Luftart, welche das Sauerſtoffgas fo ent= 
hält, daß es leicht ausgefchieden werden kann, erfolgt diefe Umaͤn— 
derung. Eben fo röthet fich Venenblut, das man aus einer Ader 
laͤßt und der Einwirkung des Sauerftoffgafes oder der atmofphäris 
ſchen Luft ausſetzt. Buvörderft giebt das Blut eine Menge Koh: 
lenfäure von ſich, welche durch die Lunge entweicht. Dabei verliert 
die äußere Luft grade fo viel Sauerftoffgas, als zur Bildung der 
ausgeathmeten Kohlenfäure erfordert wird. Es entfteht nun die 
Trage, ob der Sauerfloff, den die Luft dabei einbüße, zur Bildung 
der Kohlenfäure verwandelt wird, fo daß alfo das Blut eigentlich 
nur Kohlenfloff verliert, oder ob die Kohlenfäure ganz aus dem 
Blute kommt und dagegen der freie Sauerftoff aus der atmoſphaͤri⸗ 
fhen Luft fi mit dem Blute verbindet; mit einem Worte, ob das 
Blut bloß decarbonifirt, oder auch orydirt wird? Vielfach mobifis 
cirte Verſuche fprechen dafür, daß neben der Abgabe der Kohlenſaͤu⸗ 
re eine wahre Aufnahme von Sauerfloff ftatt findet. (Davon 
mehr bei ber Athmung.) | 


Die Umänderung, die das Blut auf der Graͤnze zwifchen Artes 
rien⸗ und Venenſyſtem erleidet, ift um fo weniger genau zu meffen, 
da fie in mehr verborgenen Theilen erfolgt, und nad) den Gegenden 
variiert, Indeffen muß fie im Allgemeinen der Umwandlung. in der 
Lunge entgegengefegt feyn, und die Wirkung derfelben aufheben. 
Im Ganzen fcheint immer etwas mehr Venenblut im Koͤrper vor⸗ 
handen als Arterienblut. 


6. 90. Es wird endlich noͤthig ſeyn, noch einen Ruͤcblick 
auf den ganzen Kreislauf zu werfen und namentlich zu erwaͤgen, 
welche Kraͤfte und auf welche Weiſe ſie ihn hervorbringen. Wir 


wiffen, das das Herz das Blut mit Gewalt fortſtͤſe Da bie 
Arterien immer mit Blut angefült find, fo pflanzt fi der Stoß 
der eben hinein gepreßten Quantität Blut in einem unmeßbaren 
Beitraume durch das ganze Syſtem der Arterien big zu den Eleinern 
Zweigen fort, Deswegen fühlen wir den Pulsfhlag in allen Theis 
len des Körpers gleichzeitig. * Das durch dem Herzfchlag neu eins 
gedrungene Blut muß die Hoͤhlung der Arterien ein wenig auszu⸗ 
dehnen ſtreben, dieſer Ausdehnung widerſteht aber die Arterien⸗ 
wand vermoͤge ihrer Elaſticitaͤt, und fie iſt daher unaufhoͤrlich bes 
müht, das Arterienblut zufammen zu preffen, und dadurch heraus 
zu treiben. Nach dem Herzen kann das Blut nicht zuruͤck; die 
Klappen die am Urſprunge der Arterien ſtaͤmme ſich befinden, hin⸗ 
dern es daran. Es muß alſo in die feinern Reiſer und Haacgefaͤße 
eindringen, wo ohnehin die Waͤnde der Arterie uͤberaus ſchwach ſind 
und zuletzt ganz aufhören, - Zwar find die Wände der engern Zwei⸗ 
ge im Verhaͤltniß zu der Weite der Gefäße immer noch ziemlich 
ſtark, ja vieleicht ſtaͤrker als die Wand der Arterie im Verhaͤltniß 
zu ihrer Weite; allein, da die Arterien ſtets angefüllt find, . fo 
gilt das Hydroftatifche Gefeg, daß bei angefüllten Gefäßen der Drud 
fi gleihmäßig nach dem Verhältniffe der Oberfläche vertheilt, fo 
daß alfo auf eine Quadratlinie der Eleinften Gefäßreifer eben fo viel 
Drud wirkt, als auf eine Duadratlinie der Aortenwand; es kommt 
alfo nur die abfolute Dicke der Arterienwand in Anfchlag, nicht die 
velarive. ** — Ich muß hier nothiwendig gegen eine Anficht fpres 
den, die Sie noch häufig in folhen Büchern vertheidigt finden, 

welche nicht aus der neuften Zeit find, Man glaubte lange, die Kreis— 





e Es iſt durchaus irrig, wenn man glaubt, daß das Blut, welches wir im 
Puls ſchlase über der Hand fühlen, dafielbe fey, das der damit gleichzei⸗ 
tige Herzſchlag ſo eben ausſtieß. Daß gäbe eine ungeheure, kaum zu bes 
technende Geſchwindigkeit für die Blutbewegung „ die eben zu der gewaltie 
gen Ueberihägung der Kraft ded Herzens verleitet hat. Nur der Stoß. 

pflanzt fi) in unmeßbarer ——— von dem Herzen nach den Ar⸗ 

ER fort, nicht das Blut ſelbſt erade fo wird, wenn man in eine 

..  „ angefüllte Röhre von neuem Stüffigkeit einzutreiben fucht, der Stoß bis 

„and Ende der Köhre veripürt, obgleich biefe, wenn fic ie keine Deffnung 
bat, gar nichts ausfließen läßt. 


* Man findet nicht ſelten noch jetzt in phyſi ologiſchen Schriften die Behaup: 
tung: die kleinſten —— in ofore dem Undrange des Blutes 
mehr, als die größern Gefäße. Die e Behauptung koͤnnte nur wahr ſeyn, 
wenn das Blut in der Arterie nicht ein Eontinuum bildete, fondern abfaß- 
weiſe floͤße ſo daß der Stamm leer wuͤrde, waͤhrend ſich die Aeſte fuͤl⸗ 

len ‚wie man wohl vor Bich at ſich die Sache hie und da Sg e 





fafern in der mittleren Schicht ber Arterienwand feyen wahre Mus» 
kelfaſern und übten gegen das enthaltene Blut Muskelcontractionen 
‚ aus. Man dachte ſich alfo, die Arterienwand zöge fi zufammen, und 
zwar follte die Zufammenziehung von dem Herzen nach der Periphes 
rie des Körpers mit großer Schnelligkeit fortlaufen und ein mächti- . 
ges Huͤlfsmittel zur Fortbewegung des Blutes feyn. Diefe Anſicht 
ift gewiß unrichtig; denn die Cirkelfafern haben, außer der Faferung, 
‚mit den Muskeln gar feine Aehnlichkeit. Sie find weißgelb und 
verhalten fi auch in chemifcher Hinſicht mehr wie Sehnenfafern. 
Gegen gewöhnliche Muskelreize zeigen fie keine Empfindlichkeit; 
nur ſtarke Säuren u.'dergl. bringen eine langfame Gontraction, oder 
vielmehr eine Verfchrumpfung, hervor; denn diefer Einfluß. ift viels 
mehr ein chemifcher, als ein lebendiger. Auch hat man bei leben 
den Thieren vergeblich nad) einer Contraction der Arterien gefucht, 
welche nach diefer Anficht ungefähr fo erfolgen müßte, wie im 
Darme, + - | 
So groß nun auch der Einfluß des Herzens auf die Bewe⸗ 
Hung des Blutes feyn mag, fo ift er doch gewiß nicht der einzige 
Grund derfelben; denn wirkte das Herz allein, fo müßte der An— 
drang des Blutes nad) allen Theilen immer gleichmäßig feyn, mo: 
gegen fehon die alltäglichfte Erfahrung ſpricht. Das Blut dringt 
bald gegen diefen, bald gegen einen andern Theil jtärfer an, je 
nachdem er ſich in einem hoͤhern Zuftande der Reizung befindet. Es 
ift alfo die Bewegung des Blutes auch von dem Erregungszuftande 
ber einzelnen Theile, zu denen es geht, abhängig. Man hat 
durch Berfuche bewiefen, daß der Blutlauf in dem verfchiedenen 
heilen von dem Einfluffe der dahin gehenden Nerven abhängig. iſt. 
So Hört die Citeulation im Fuße eines Froſches bald auf, wenn 
man den Schenfelnerven ducchfchneidet. Die Nerven find aber die 
- Mittel, wodurd der Erregungszuftand der einzelnen Organe von 


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° Ein ſehr entſcheidender Grund’ genen biefe Meinung liegt auch in der Er: 
fah ‚ daß bei alten Perſonen nicht ſelten ein Theil bed Arterienſyſtems 
r verknoͤchert, und fi) alfo nicht mehr zufammenzieben FannnEine Vers 
erung in kurzen Streden ift fo häufig ‚ı daß Perfonen über 60 Jahr 
felten sand frei davon find. Zuweilen aber nehmen bie Werknöcherungen 
eine © von einer ober mehreren Spannen ein, und umfaffen ben 
Umfang größerer Arterien mit ihten Aeiten. Der Blutlauf if 

zwar etwas erſchwert, aber keinesweges mn 


ar ten 116 u 


dem aanzen Organismus abhängig ift, und gemwiffermaßen möglich, 
wird, Die Erfahrungen über den Einfluß der Nerven lehren alfo 
nichts weiter, als was wit vorhin ausfprachen, da der Erreaungss 
zuftand der Organe auf die Blutbewegung Einfluß hat. Diefen Eins 
fluß Eönnen wir ein Anziehen und ein Abftoßen des Blutes nennen, 
wenn wir e$ uns nur Elar machen, daß wir damit bie Erſcheinung 
nicht erflären, fondern nur einen bequemern Ausdrud für das waͤh—⸗ 
len, was die Erfahtung lehrt. Sie fällt faſt ganz mit ber Anzie⸗ 
hung der Blutkuͤgelchen gegen die fehon gebildeten Theile zufammen, 
die wie (im $. 84.) ausführlich betrachtet haben. Dort ſprachen 
wir nur.von einer Anziehung, die ganz in der Nähe wirft, weil 
nur diefe mit aus den dort befprochenen Phänomenen der Ernährung - 
folgte” Denken wir uns die Anziehung, fo wie die Abftoßung, bie 
wir ohne Erwähnung des Wortes bei den Venen gezeigt haben (9. 87.), 
nur etwas mehr in die Ferne wirkend, fo haben wir das, was hier 
betrachtet werden fol. Ob die Wirkfamkeit diefer fo genannter 
Anziehung in der Nähe und Ferne auf demfelben Grunde beruht, 
oder nicht, bleibt jegt unberucfichtigt, wo wir nur die Phänomene 
unterfuhen. Es giebt Wuͤrmer, bei denen gar Eein Herz ift, und -- 
bei denen fich doc) das Blut regelmäßig bewegt. Bei der Entwides 
lung des Küchleins im. Ey fieht man in der erfien Hälfte des zwei⸗ 
ten Tages der Bebrütung, bevor noch Gefäße und ein Herz da find, die 
neugebildeten Blutkuͤgelchen fih in regelmäßigen ‚Bahnen nach dem 
Keim bes Fötus bewegen und von ba zuruͤckkehren. Erſt allmäh- 
lich befommen diefe Bahnen Wände und werden zu Gefäßen. Hier 
ift alfo offenbar Bewegung, die nicht vom Herzen bedingt wird, 
Eben fo bildet fih in unferm Körper, bei Heilung von Wunden, in 
dem Schleimftoffe Blut; das Blut bewegt fich allmaͤhlich nach den 
ſchon gebildeten Venenaͤſten zu, und ergießt ſich in ſie, grade als 
ob die neugebildete Maſſe das Blut von ſich triebe. Da zu gleicher 
Zeit die Arterienaͤſte in die neue Maſſe hineinwachſen, ſo wird ſie 
allmaͤhlich in das Leben des Organismus mit hineingezogen. Oef⸗ 
ter ſind ſchon kleinere ganz abgeſchnittene Theile angeheilt worden, 
obgleich es unmoͤglich iſt, daß ein ſolcher Theil grade ſo angeheftet 
wird, daß die durchſchnittenen Blutgefaͤße zuſammen paffen. Es 
bildet ſich vielmehr Schleimſtoff oder ſogenanntes Zellgewebe zwi⸗ 
ſchen beiden Schnittflaͤchen, und dieſer neu gebildete Stoff uͤbt ſeine 


— 217 — — 
Anziehung auf das benachbarte Blut, und die Abſtoßung auf das 
Blut aus, das er ſelbſt erzeugt. * 


Die Athmungsorgane ziehen das dunkle kohlenſtoffreiche Blut 
an, und floßen das geroͤthete fauerftoffreiche Blut wieder von ſich, 
fo lange wenigftens, als fie von atmofphärifcher Luft oder Sauer: 
ſtoffgas ausgedehnt werden, wozu freilich die Ausdehnung ber Lun⸗ 
ge und des Bruſtkaſtens noch als mechanifches Hülfsmittel hinzu: 
tritt. Zerſchneidet man den Nerven, ber zur Lunge geht, fo hört 
bie Lebensthätigkeit derfeiben auf und das Herz ift nicht mehr im 
Stande, das Blut durch diefes Organ zu treiben. Die übrigen 
Organe des Körpers ziehen dagegen das Arterienblut an und floßen 
das Venenblut zuruͤck, fo lange ihr Leben Eräftig genug ifl. Man 
könnte daher die Gefäße mit vollem Nechte nur die Bahnen nennen, 
auf welchen der fefte Organismus den flüffigen (das Blut) ans 
zieht und abſtoͤßt. Es fcheint mir, ald ob es Ihnen nun auch Ela: 
rer werben müßte, wie unaufhörlich ein Theil des Arterienblutes 
fih in die Maffe der Organe ummandelt, und dagegen’ ein Theil 
ber ſchon geformten Maffe flüffig wird und in den Strom. des Ve— 
nenbiutes übergeht. . Das Beduͤrfniß der Umgeftaltung hängt mit 
bem Anziehen und Abftogen des Blutes auf das innigfle zufam:» 
men und ift wohl der urfprünuliche Grund davon; denn die forts 
währende Umgeftaltung fehen wir in der ganzen Thierreihe, felbft 
da, wo noch) fein Blut ift, wie in den Polypen. Sobald ein ges 
fondertes Blut ſich zeigt, ſchreibt die fortwährende Umgeflaltung 
der Körpermaffe der Bewegung des Blutes die Bahn vor. 


Da die Organe, zu welchen bas Blut geht, auf die Bewegung 
deffelben Einfluß haben, fo wird natürlich diefer Einfluß verfchies 
ben ſeyn, nad den Veränderungen im Erregungszuftande der Or— 
gane, bie Veränderungen mögen nun in den Organen felbft her 
vortreten durch Äußere, Einfluͤſſe, oder ihnen buch die Nerven vom 
übrigen Organismus mitgetheilt werden, MiBenn aus einer geoͤffne⸗ 





* Die 6te Abbildung unfrer IV. Tafel — — die Bildung der Gefaͤße in 
ihren letzten Verzweigungen. Ein ſtaͤrkerer Strom von arteriellem Blute 
t ‚ um zur Vene zu werben. Weiter nach unten gehen einzelne 
lutkuͤgelchen aus ihm ab und allmählich in die Vene; dieſen folgen im⸗ 
mer neue nah, und. fo wird ſich allmaͤhlich das neue Gefäß bilden, das 

im Unfange nur ein Weg ber Blutkuͤgeichen if. 


— ‚118 — 


ten Armven⸗ das Blut nicht ak ARTEN ausfließt, fo darf man 
nur die Finger bewegen, um bie Blutbewegung zu befördern, +Ues 
berhaupt erhöht ſchon jede gefunde Thätigkeitsäußerung eines. Orga⸗ 
nes die Bluteirculation durch daſſelbe, mehr aber noch manche krank⸗ 
hafte. So entzuͤndet ſich ein Theil, der ſtark gereizt wurde, und 
zieht mit. größerer Kraft als ſonſt das Blut an, ja Haargefäge, 
welche früher ein nur wenig gefärbtes Blut führten, erweitern fich, 
und werden zu wahren Arterien. Wie der Andrang des Blutes 
vermehrt wird, fo Wird, auch die Umwandlung in feſte Maſſe ver⸗ 
mehrt, der Theil vergrößert ſich, und erſt allmaͤhlich kann er bie 
neugebildete Maffe wieder in Venenblut umwandeln; ja, wenn ſich 
während der Entzündung etwas erzeugt hat, was gar nicht zum Or⸗ 
ganismus gehört, fo wird e8 meiftens gar nicht mehr aufggfogen, . 
wie allerlei krankhafte Gebilde zeigen. Eben fo vermehrt ein Pflas 
ſter von fpanifhen Fliegen den Andrang des Blutes nach der Stelle ber 
Haut, auf der es liegt, und das Blut fondert eine Menge Blutwaſ⸗ 
fer aus, wodurch die Oberhaut in Form einer Blaſe erhoben wird. 
Sn andern Fällen wird blos das Zuruͤckfließen des Blutes verhindert 
und es bleibt gleichfam fioden, was eine häufige Folge einer vors 
hesgegangenen Schwähung eines Theiles ift. Oder der Andrang 
des Blutes wird vermindert, wie durch die Anwendung des Ealten 
Waſſers. Oft liegt aber der Grund des vermehrten ober vermin⸗ 
derten Zuftrömens von Blut gar nicht in dem Organe, welches 
daran leidet, Einige Seelenzuftände, wie der Zorn, die Beſchaͤ⸗— 
mung, koͤnnen plöglid das Blut in die Wange treiben, während 
beim Schreden umgekehrt das Blut von allen dußern Theilen des 

- Körpers zuruͤcktrit. Man hat fhon gefehen, daß von heftigem 
Zorn die überfüllten Venen an der Stirn geborften find; doch wir 
haben Beweife genug, daß außer dem Herzſchlage, der für den ganz 
zen Körper gleichmäßig ift, noch der Lebenszuſtand der einzelnen Theis 
le auf die Blutbewegung einwirkt. Im Allgemeinen kann man be: 
haupten, daß der Einfluß des Herzens auf die größern Gefaͤßſtaͤm⸗ 
me ftärker ift, daß Dagegen in den feinften Gefüßenden der andere 
Einfluß mehr wirke. So lehrt die Beobachtung, daß in den Haar— 
gefäßen das Blut faft gleihmäßig fortfliege und eben fo in den. fei- 
nern Denenzweigen, * In den groͤßern Venenſtaͤmmen iſt die 


— 


Nach dem: Tode findet man gewöhnlich Bein Hut mehr J den Arterien. 
Dieſer Umſtand ſcheint zu beweiſen, daß die Thaͤtigkeit des iu in 










- 
“ 


nz 


— 119 — 
Blutbewegung faſt wieder ſtoßweiſe, weil die Vorkammern bei je- 
der Erweiterung eine Quantität Blut einziehn. Wie der Stof, 
ber durch die größern Arterienftämme geht, ſich allmählich verlieren 
koͤnne, iſt dadurch erklaͤrbar, daß er zum Theil durch die Reibung 
des Blutes an den Arterienwänden verloren gehen mag, vorzuͤglich 
aber dadurch, daß die Wände ber feinern Verzweigungen nachgies 
biger find. * Man hat aud) beobadytet, daß die Bewegung des 
Blutes in den Haargefäßen langfamer ift, als in den ſtaͤrkern Are 
terien, und befonders in den feinen Anfängen. der Venen viel lang: 
famer als in den Stämmen, Beides erklärt man dadurch, daß 
die Summe der Zweige um fo mehr Weite haben foll, je öfterer fie 
veräftelt find. Die s2te Figur der V. Tafel fol uns diefes Ver: 
haͤltniß deutlicher machen. In A ift eine flarke Arterie, etwa 
die Aorta felbft. Die Summe ihrer Aeſte B, die wir hier der 
beffern Weberficht wegen aus einem Punkte entftehen'laffen, fol 
nun weiter feyn, als A, und die Summe der Veräftelungen des 
beitten Grades C wieder größer als B, fo wie diefe noch einmal 
übertroffen werden foll von den Aeſten des vierten Grades D, 
Denken wir uns nun den Stamm A im Cylinder A’, die Sum⸗ 
me ber Aeſte B im Cylinder B‘, u. f. w., fo haben wir eine Reihe 
über einander ftehender Cylinder, welche im ‚Durchmeffer immer 
zunehmen, Wir können daher das ganze Arterienſyſtem mit einem 
abgefehnittenen Kegel‘ vergleichen, deſſen engerer Theil aa nad) 
dem Herzen zu=, und deffen weiterer Theil bb vom Herzen abge: 
kehrt iſt. Dffenbar wird nun eine beſtimmte Quantität Blut, die 
aus dem Herzen’ ausgetrieben wird, den engern Theil fchneller 
bucchlaufen, als einen eben fo langen Abſchnitt des weitern Theis 
168. Indeſſen muß ich bekennen, daß. mir die zunehmende Weite 
bes Arterienſyſtems noch nicht ganz eriwiefen ſcheint. Summirt 
man'die Durchmeſſer der abgehenden Aeſte, fo find diefe freilich 


N 





u ] 


ber Regel früher aufhört, als bie Anziehung, bie die Dtgane auf dad Arte: 
tienblut ausüben, und ihr Wegtreiben des Wenenblutes. 


Auf die Beweaung bed Blutes in den Venen hat die Gontraction der Herz⸗ 
tammern gewiß nur fehr wenigen Einfluß. Dadurch wird ed moͤglich, daß 
der Audfluß des Blutes aus einer geöffneten Blutader fo bald aufhört, 
während durdhfchnittene Schlagadern nur dann ſich fließen, wenn fie eng 

find, Die ftärkern Schlagadern muß der Wunbarzt nach jeber Operation 
unterbinden , damit ſich ber Operirte nicht verblute. 


J 


— 120 —— 


viel groͤßer ais der Durchmeſſer bes Stammes; allein die Weite der 
Cylinder verhält fih nicht wie bie Durchmeffer, fondern wie bie 
Quadrate der Durchmeffer. Daraus folgt, daß, wenn eine Ar⸗ 
terie ſich in 4 Aeſte fpaltet, deren Durchmeffer halb fo groß iſt, 
als der Durchmeffer des Stammes, die Aefte doch noch nicht an 
Weite zugenommen haben. Es müffen mwenigftens 5 folcher Aeſte 
abgehen, wie wir in unferer Figur angenommen haben, um ein 
zunehmendes Verhältnig zu erzeugen. Darauf haben freilich die 
Anatomen, die ein Zunehmen der Weite behaupten, bei‘ ihren 
Meffungen Nüdficht genommen. Bedenkt man aber, daß, je weis 
ter die Veräftelung geht, um deſto mehr verhältnigmäßig auf bie 
Dide der Arterienwand gerechnet werden muß, und daß man doch 
nicht füglich die innere Weite, fondern nur die Äußere Dicke meffen 
kann, fo wird man gern zugeben, daß die Zunahme der Weite in 
dem Arterienſyſteme wenigftens gering ift, und daß es fraglich bleibt, 
ob die Abnahme der Bewegung. in den feinften Beräftelungen nicht 
mehr von dem fleten Feftwerden eines Theiles vom Blute abhängt. 
Unzweifelhaft ift e8 aber, daß im Venenſyſteme die Summe der 
BVeräftelungen bedeutend meiter ift, als die Stämme, und daß das 
Venenſyſtem einen Kegel bildet, deffen peripherifcher Theil fih viel 


v 


mehr erweitert, als in unferer Abbildung *. | 


Es würde überflüffig feyn, hier noch befonders von dem Ein- 
fluffe des Blutes und der Girculation auf dag Gefammtleben des 
Organismus und feine einzelnen Theile zu fprehen, da theile Din- 
ge wiederholt werden.müßten, die wir ſchon ausführlich befprochen 
haben, theild DVerhältniffe aus einander zu fegen wären, auf die 
wir in Zukunft kommen. Sch will hier nur noch von der Erands 
fufion oder der Umfülung bed Blutes aus einem Thiere in das 
andere etwas fagen. Es ift befannt, daß ein bedeutender Verluſt 
an Blut alle Lebensverrichtungen ſchwaͤcht, und daß ein zu großer 
Verluſt den Tod herbeifuͤhrt. Man fiel daher auf den Gedanken, 





* Die Zeit, in welcher der Umlauf des Blutes erfolgt, iſt vollkommen unbe⸗ 


ftimmbar , da in den Arterien new hinzutretendes Blut fi immer mit 


dem alten miſcht. Es ift nur ein verkehrtes Streben nad) beftimmten _ 
Maaßen, wenn ältere Phyſiologen berechnen, der Kreiölauf erfolge in 
23Y, Secunde. Es giebt kein Maag dafür!  Diefe Angabe der Zeit bes 
zuht übrigens auf falſchen Vorausſetzungen und ift zu klein. 


| — I2I — 

kranken Menſchen und Thieren, beſonders ſolchen, die viel Blut 
verloren hatten, das Blut geſunder Thiere einzuſpritzen. Einem 
Hunde wurde das Blut eines Schafes eingeſpritzt und er befand 
ſich wohl dabei; ein tauber Hund ſollte ſogar das Gehoͤr mit dem 
neuen Blute wieder befommen haben. Einem Pferde wurde das 
Blut von vier jungen Schafen beigebraht, und man glaubte neu» 
es Leben in ihm zu bemerken. Kranken Menfchen, befonders fol- 
hen, denen man ein verborbenes Blut zufchrieb, fchenkte man ges 
fündes, bald von Thieren, bald von Menfchen. Zumeilen waren 
bie Erfolge glücklich, zumeilen nicht. Ein Eöniglicher Prinz ward 
ein Opfer diefer Verſuche und man verbot fie in Frankreich. Auch 
in Italien ftarben Menfchen nad) der Transfufion, worauf fie auch 
dort verboten wurde uud bald außer Credit Fam, In neuefter 
Zeit hat man fie wieder verfucht, und es fcheint aus diefen Verſu⸗ 
hen zu folgen, daß keinesweges jedem Thiere das Blut anderer 
Thiere wohl befomme. Man Eann daraus fchließen, daß das Blut 
jeder Thierart, ja eines jeden Individuums, etwas Befonderes habe; 
benn je mehr man von dem fremden Blute in die Adern fprigt und 
je mehr man dem Thiere von feinem eigenen Blute abzapft, um fo 
bedenklicher ift der Erfolg. Wir Hatten daher wohl Recht, das 
Blut den flüffigen Organismus zu nennen. Wie zu dem menfchlis 
chen Koͤrper die Lunge des Menfchen gehört, fo bedarf er auch zum 
Wohlbefinden feines eigenen Blutes, und Fann von fremdem Blute 
ohne Nachtheil wohl nur fo viel aufnehmen, als er ſchnell nach feis 
ner Individualität umbilden Eann, | 








Achte Bariciune 
Beföreibung der groͤßern Gefattaͤnme. 





$. 9 I. 


Hu Blut, das in den Körper vertheilt werben fol, tritt, wie wir 
ſchon oben fagten, duch die Aorta aus der linken Herztammer. . 
Am Urfprunge diefer Hauptfchlagader des ganzen Körpers finden 
fich die drei Halbmoundförmigen- Klappen, von welchen auch ſchon ge: 
lehrt wurde, daß fie das Zurüdfallen des Blutes dadurch verhins 
dern, daß fie fih an einander legen, fobald das Blut gegen das 
Herz zu ſinken beginnt. Dichk über diefen Klappen gehen die beir 
den Schlagadern ab, die das Herz felbit mit Blut verforgen und 
die Sie in der ıften Figur unſerer IV. Tafel auf dem Herzen ges 
zeichnet finden. Die Aorta (a derfelben Figur) ift kaum aus dem 
Herzen hervorgetreten, fo bildet fie einen Bogen, durch welchen fie 
‘ Hinter die Lungenfchlagader (@) und auf die Wirbelfäule kommt. 
Sie ſteigt nun auf der Wirbelfäufe durch die ganze Brufthöhle hin- 
ab, in der Tiefe-derfelben liegend, und deingt durch eine Luͤcke des 
Zwerchfells in die Bauchhoͤhle, in welcher fie fich endlich bei r theilt. 
Sie heißt in diefem Verlaufe herabfleigende Aorta, und'giebt meh: 
rere Aeſte ab (m. n. 0. p. q.), die wir einzeln nennen werben. 
Mir kehren aber vorher zurücd zu dem Bogen der Aorta (a). Aus 
biefem Bogen kommen die Schlagadern für den Kopf, den Hals 
und die Arme, überhaupt alfo für den obern Theil des Körpers, 
und zwar find e8 4 Hauptflämme, bie dieſe Theile verforgen, die 
beiden Kopffhlagadern und die beiden Schlüffelbein- 
fhlagadern, Diefe entfpringen aber nicht mit 4 getrennten 
Mündungen aus dem Bogen der Aorta, fondern die Kopffchlagader 
und bie Schlüffelbeinfchlagader der linken Seite nur haben einen 


getrennten Uefprung ; auf ber rechten Seite entflehen flo aus einem 
gemeinfchaftlihen Stamme (b), ber über einen Zoll lang if. Im 
weitern Verlaufe find fih die Adern beider Seiten gleih. In ber 
Figur 2. fieht man bei a den Bogen der Aorta, in b den gemeins 
fchaftlihen Stamm der Kopffchlagader und Schlüffelbeinfhlagader 
ber rechten Seite; in c! die rechte Kopffchlagader, in A! die 
rechte Schlüffelbeinfchlagaderz; in c? den Anfang der linken Kopf: 
fchlagader, und in d? den Anfang ber linten Saräfierbeinfätag- 
aber, 


$. 92. Beide Kopfſchlagadern (oder Carotiden) fleigen 
num an der Seite der Luftröhre indie Höhe. Sie find es, welche 
eine Verlegung des Halfes fo gefährlich machen, ba man fi in 
wenigen Secunden aus diefen Schlagadern verbiuten kann, Wenn 
ber Berfuh, dutch einen Schnitt in den Hals fih das Leben zu 
nehmen, nicht gelingt, fo liegt der Grund faft immer darin, daß 
der Schnitt nicht auf der Seite des Halfes begonnen wurde, fons 
bern an der vordern Fläche deffelben. Vorn liegt die Luftröhre, und 
wenn diefe ganz durchfchnitten wird, erfolge zwar auch der Tod, 
allein man muß fehr tief fehneiden, um die Luftröhre ganz zu teens 
nen, — Wenn die Kopffchlagader bis in die Höhe des Kehlkopfs 
hinauf geftiegen ift, fo theilt fie fich in zwei Hauptäfte, in die aͤu⸗ 
Fere (e) und die innere Kopffchlagader (f). Die Außere Kopf: 
fhlagader verforgt alle Theile des Gefichtes, fo mie die Außen 
Theile des übrigen Kopfes, mit Blut, was in unferer Abbildung 
weiter durchgeführt ift. Wir fehen hier einen Aft an den Kehlkopf 
gehen (8), einen zweiten in die Zunge (h), ein dritter (i) ſteigt 
über den Unterkiefer und ift hier auf dem Rande beffelben durchzu⸗ 
fühlen, verforgt dann die Lippen und die aͤußere Nafe mit Blut. 
Ein anderer Aft (k) fteigt vor dem Ohr zur Schläfe empor und ift 
bier auf dem unterliegenden Knochen auch fühlbar, Noch andere 
a ‚gehen hinter dag Ohr und an das Hinterhaupt. 


Die innere Kopffchlagader verforgt das Gehirn und ein Aſt 
von ihr dringt in das Auge und hängt durch kleine Zweige im ins 
nern Are mit der äußern Kopffchlagader zufammen. ra 


6. 93, Die Schlüffelbeinfchlagader führt dieſen PR 
weil * aus der Bruſthoͤhle kommend unter 5m Schlüffelbeine forte 


m. 124 — 


geht, um in ben Arm zu gelangen. Bevor fie in ben Arm dringt, 
geht von ihr ein flarker Aft ab, der durch die Löcher in ben Quer: 
fortfägen der Halswirbel in die Höhe fleigt (Fig. 2 1) und dann 
buch das Hinterhauptsloch in die Schädelhöhle dringt, wo er fich 
mit den beiden innen Kopffchlagabern zu einem länglichen Kreife 
verbindet, Aus diefem Kreife entftehen nun bie Schlagadern, bie 
in das Hirn dringen (fiehe Taf. VI. Fig. 8.). Außer diefem Afte, 
den man die Wirbelſchlagader nennt, gehen noch andere 
Gefäße an die innere und aͤußere Fläche des Bruſtkaſtens. Dann 
aber kommt unfere Schlagader in die Achfelhöhle, und aus diefer in 
ben Arm, wo fie Armfchlagader heißt. (Fig. ı.u). Sie 
fleigt am Oberarm herab und theilt fi in der Ellenbogenbeuge in 
zwei Hauptäfte, von benen der eine (v), bie Ellenbogen: 
ſchlagader, an diefem Knochen herabläuft, die andere (w), bie 
Speihenfchlagader, längs der Speiche herunter läuft. 
Sie liegt fo nahe auf der Speiche auf, daß man hier ihren Schlag 
deutlich fühlen’ tan, ‚weswegen diefe Stelle über dem Daumen 
vorzüglich zur Unterfuchung des Pulfes benugt wird. Auf der Flä- 
che der Hand bilden die genannten Schlagadern, indem fie zufams 
menfließen, ein. Paar Über einander liegende Bogen. Den tiefer 
fieht man in unferer Abbildung an der rechten Hand bei x, den 
oberflächlichen am ber linken bei y. Aus dem legtern gehen Zweige 
ab, die fi fo an die Finger vertheilen, daß auf jeder Seite jedes 
Singers eine liegt (2). 


$. 94.» Indem bie herabfteigende Aorta durch die Bruſthoͤh⸗ 
le laͤuft, giebt ſie in alle Zwiſchenraͤume der Rippen Aeſte ab, die 
in unſerer Abbildung angegeben ſind. Wo ſie durch das Zwerchfel 
geht, verſorgt fie zuerſt dieſen Muskel mit kleinen Aeſten (m), 
dbann aber giebt fie einen ſehr ſtarken Aſt (m), welcher ſich faſt ſo⸗ 
gleich in 3 Zweige theilt, von denen der eine fuͤr den Magen, ein 
zweiter fuͤr die Leber und der dritte fuͤr die Milz beſtimmt iſt. Alle 
drei aber anaſtomoſiren mit ihren feinern Verzweigungen unter ein⸗ 
ander. Es folgt darauf ein ſtarker Aſt (0) fuͤr den engen und ei⸗ 
nen Theil des weiten Darms. Tiefer nach unten iſt noch ein Aſt 
(q) für den zweiten Theil des weiten Darms. Weber dieſer untern 
Darmfhlagader entfiehen zwei ſtarke Aeſte für die beiden 
Nieren, die hier von den Nierenvenen bedeckt find, und außerbem 


— 125 — 


die beiden Saamenſchlagadern (p), die das Merkwuͤrdige 
haben, daß fie ſehr ſchwach find, und doch weit verlaufen muͤſſen, 
bis fie an den Ort kommen, ven fie mit Blut verforgen follen, 
nämlich die Hoden im Manne und die Eyerftöde im Weibe. | 


Endlich theilt fich die Aorta in der Gegend bes vierten Len—⸗ 
denwirbelbeins in die beiden Huüftbeinfchlagadern (r). Nur ein 
fehe dünner Zweig fleigt aus dem Theilungspunfte grade hinab, 
Jede Hüftbeinfchlagader theilt fic wieder in zwei ftarfe Aeſte (s). 
- Der innere davon fleigt in die Bedenhöhle herab und verforgt bie 
hier liegenden Organe. Er ift in unferer Abbildung nicht ganz 
vollftändig bis ans Ende zu fehen. Der andere Hauptaft, die 
Schenkelſchlagader (t), giebt zuerft einige Eleine Aeſte am 
bie Bauchmuskeln und an die aͤußern Gefchlechtötheile, und tritt 
dann an die vordere Fläche des Schenkels, kruͤmmt fich aber bald 
um die innere Seite des Oberfchenfelbeing herum (t') und komme 
dadurch im die Kniekehle. Hier theilt fich die Schenkelfchlagader _ 
faft eben fo in eine Schienbein = und eine Wadenbein« 
ſchlagader, wie die Armfchlagader fih in der Ellenbogenbeuge 
theilt. Da diefe Theilung auf der hintern Fläche liegt, fo kann 
unfere Abbildung fie nicht zeigen. Wir fehen nur einen Aft, der 
zwifchen beiden Knochen durchdringt, am der ordern Fläche des 
Schienbeins herabfteigt, und auf dem Rüden des Fußes fich vers 
zweigt, i — 

$. 95. Die Venen des Körpers ergießen ſich, mie ſchon 
bei Befchreibung des Herzens gefagt worden, durch drei Münduns - 
gen in die rechte Vorkammer diefes Organes. Diefen drei Muͤndun⸗ 
gen entfprechen drei Stämme, der Stamm der obern Hohlvene, ber 
Stamm der untern Hohlvene und bie Kranzvene des Herzens, 


Die obere Hohlvene (7). nimmt das Blut aus dem 
Kopfe und den obern Ertremitäten auf. Aus dem Hirne naͤmlich 
fammelt fi das Blut zuvoͤrderſt in Kandle, welche von der harten 
Hirnhaut eingefchloffen werden, und Blutleiter heißen, im 
Grunde aber nichts find, als Venen. Dieſe Blutleiter hängen 
unter einander zufammen und die ftärfften unter ihnen, die queren 
Blutleiter, ergießen ſich durch eine Deffnung, welche ſich zwifchen 


dem Hinterhanptöbein und Telfenbein befindet, in eine weite Bene, 
die am Halfe herabfteigt, an der Kopffchlagader dußerlich anliegend 
- (Big. 1° 2.). Dan nennt fie-die innere Droffelader 
oder innere Jugularvene. Ihr entfptiht eine äußere 
Sugularvene (X), melde von den dußern Theilen des Kopfes 
das Blut aufnimmt und am Halfe fo nahe unter der Haut vers 
läuft, daß man fie bei vielen Menfchen durch die Haut durchſehen 
: Kann, befonders wenn ſtarke Bewegung oder Affeete den Rüdflug 
des Blutes aus dem Kopfe erfchweren. Man erblidt zahlreiche 
Berzweigungen diefes Gefäßes auf dem Kopfe unferer Abbildung. 
Die Stämme der Außern und innern Jugularvene jeder Seite hän: 
gen mannigfach zufammen, und die Außer Jugularvenen beider 
Seiten pflegen wieder unter fi zufammen zu hängen, 


In der obern Extremitaͤt find zuvörberft Venen, welche bie 
Arterien begleiten und tiefer liegen, und außerdem oberflächliche 
Denen, die auf dem Rüden der Hand befonders zahlreich fin nd, und 
fih an den Unterarm hinauf ziehen. Sie fammeln fih allmählich) 
in zwei Stämme, wovon der eine bei 4 nad) oben und ber andere 
bei 5, mehr nach unten, am Oberarm liegt. Beide werden im der 
Ellenbogenbeuge durch ein mittleres Gefäß, (6.) die Median: 
dene, mit einander verbunden. Diefe Vene ijt es, welche am 
bäufigften beim Aderlaß geöffnet wird. Die oberflächlichen Blut 
adern gehen an mehreren Stellen in die tiefern über, fo daß fie mit 
diefen in der Gegend des Schlüffelbeins nur einen Stamm bilden, 
die Schlüffelbein: Blutader (3). Die Schlüffelbein- 
vene jeder Seite verbindet fich mit den beiden Jugularvenen zu eis 
nem gemeinfchaftlichen Stamme. Endlich fließen die beiden Stäms 
me von beiden Seiten zufammen , fo daß der linke Stamm ſich in 
den rechten ergießt. Dadurch entfteht das weite —— das man 
die obere Hohlvene nennt (7). 


6. 96. Die untere Hohlv Ss führt das Blut aus 
ben untern Ertremitäten,, den Gefchlechtötheilen und Harnwerkzeu⸗ 
gen zurüd, fo wie das- Blut aus der Leber. - Aus den übrigen 
DVerdauungsorganen aber empfängt fie Eein Blut (vergl. $. 98). 
In den untern Eytremitäten giebt es auch) tiefere und oberflächliche 
Hautvenen, Die erſteren begleiten die Schlagadern. Bon den 


—— 127 — 


lesttern iſt eine kuͤrzere an der aͤußern Seite des Unterſchenkels, und 
an der innern Seite des Ober» und Unterſchenkels ſteigt eine lange 
Bene herauf, "die man die Rofenader oder Frauenader 
zu nennen pflegt (To), weil bei ſchwangern Frauen das Blut leicht 
im diefee Ader flodt und Erweiterungen bildet. Nachdem fie fich 
mit der tiefern Schenkelvene verbunden hat, ſteigt der gemeinfchafts 
lihe Stamm in die Bauchhoͤhle, der entfprechenden Arterie folgend, 
nimmt Venen auf, die die Bedenarterien begleiten, und beide 
Stämme verbinden fich endlich zu der großen untern Hohlvene (8), 
‚welche an der Wirbelfäule auf der rechten Seite der herabfteigenden 
Aorta hinauffteigt. Außer einigen Venen aus der Lendengegend 
nimmt die untere Hohlvene vorzüglich noch die Nierenvenen auf (9), 
und die Saamenvenen, die aus den Hoden kommen, eben fo lang 
find, als die Saamenfchlagadern, und bald unmittelbar in bie untere 
Hohlvene, bald in eine Nierenvene fich endigen. In unferer Abs 
bildung fieht man rechts den erften und links den ten Fall darges 
ſtellt. Endlich münden ſich in die untere Hohlvene kurz vor ihrem 
Eintritt in das Herz noch die Lebervenen (über 8). Obere und 
untere Hohlvene find indeffen nicht ganz von einander getrennt, ſon⸗ 
dern durch ein Gefäß (11) in der Bruftpöhle, die unpaarige 
Rippendene, mit einander verbunden. Es nimmt die genanns 
te Vene vorzüglich die Blutadern auf, welche an der Wand des 
Bruſtkaſtens zwifchen den Rippen verlaufen, Sie ergießt fih, hine 
ter dem Herzen fortlaufend, in die obere Hohlvene, und hängt mit 
- ihrem untern Ende mit mehreren Zweigen ber untern Hohlvene zu= 
fammen. Da fid) in ihr Feine Klappen finden, fo läßt fie das Blut. 
der einen Hohlvene in die andere übertreten, wenn in einer von beis 


den eine Störung des Erguffes in das Herz ftatt findet. Sie 


ſcheint daher eine fehr wohlthätige Einrichtung, um wine * kleine⸗ 
re — “ gefaͤhrlich zu machen. * 


F. 97. Sehr klein iſt der Bereich des dritten Venenſtam⸗ 
mes, der Kranzvene des Herzens. Sie nimmt naͤmlich nur 
Blut auf, welches in der Maſſe des Herzens circulirt hat. Theil— 
weiſe ſieht man fi e in der Iſten und zZten Figur unfrer IV. Zafel 
abgebildet. . Shre Ausmündung in die rechte Borkammer —9* in der 
Naͤhe der een beider Vorkammern. 


m 


— 125 — 


$ 98. Es iſt Schon mehrmals gefagt worden, daß das 
Blut aus den Verdauungsorganen nicht unmittelbar in bie untere 
Hohlvene tritt, fondern zur Leber geführt und. in diefer vertheilt 
wird. Mir finden alfo in der Bauchhöhle ein eigenthümliches, 
gleihfam eingefehloffenes Gefäßfyftem, welches man die Pfort: 
ader nennt. “Obgleich dunkel gefärbtes Blut führend, kann die 
Pfortader doch kaum eine Vene genannt werben; denn nur bie eine 
Haͤlfte ift venoͤs, die andere in fo fern wenigſtens arteridß, als fie 
das Blut vertheilt, In unferer sten Figur fehen Sie den wefent- 
lichen Theil der Pfortader abgebildet. Ganz ift fie nicht gezeichnet 
worden, da, wenn der ganze Darm abgebildet wäre, diefer die 
übrigen Organe größtentheild verdedt haben würde, Mir fehen 
bier bei D einen Theil des Darmes. Aus ihm kommen zahleeiche 
Benenzmweige, welche vielfach mit einander anaftomofiren, und zus 
legt in einen - Stamm ($), bie Gefrösvene, übergehen. Aus der 
| Milz (M i) kommt ein anderer ftarker Benenflamm (e) und verbins 
ſich mit der vorigen. Beide verlaufen hinter dem Mägen, der hier 
(Ma) gleihfam duckhfichtig gezeichnet ift, um den Zufammen- 
hang der Gefäße nicht zu unterbrechen, Nachdem endlich noch eine 
dünnere Bene (£), die vom Magen kommt, aufgenommen worden 
ift, geht der gemeinfchaftlihe Stamm an die Leber (7) und wird 
bier arterids, das heißt, er vertheilt ſich, in unendlich viele Zweige 
gefpalten, in vie Maffe der Leber (L), In welchem Verhaͤltniß die 
Dfortader zu der Leber und zu ihren übrigen Gefäßen fteht, wollen 
wir bei Gelegenheit diefe® Organes genauer beruͤckſichtigen. Hier 
nur ein Wort über die Pfortader ſelbſt. Man fieht leicht aus ber 
‚gegebenen Darftellung, daß feine Äußere Kraft das Blut in der 
Pfortader bewegt. Es wird von keinem Herzen getrieben; ja, es 
fehlen fogar die Klappen in dieſen Kanälen. Die innern Bedin- 
gungen der Blutbewegung, aus dem Bedürfniffe der Organe hers 
vorgehend, die wir früher als Anziehung und Abſtoßung characteris 
firt haben, müffen ‚allein auf die Fortbewegung des Blutes in ber 
Pfortader wirken. Daraus folgt, daß der Erregungszuftand der 
Drgane den unmittelbarften Einfluß auf die Blutbewegung im 
Pfortaderſyſtem hat, und wirklich weiß der praftifche Arzt, daß nur 

| gar zu oft auch geringere Abweichungen im Gefundheitszujtande der 
verdauenden Organe Störungen in der Ölutbewegung des Unterleis _ 
bes hervorbringen, die in. taufendfältiger Form als hypochondriſche 
und 


und Haͤmorthoidalbeſchwerden die Kunſt des Arztes erproben. Wer 
wegung des Körpers und Vermeidung aller Einflüffe, melde die, 
Verdauung flören, find die Mittel, den geregelten Srutiauif in der 


Pfostaber zu unterflügen. 


$. 99. Dies wäre der große Kreislauf mit der Pfortader, 
als eingefchobenem Gefaͤßſyſteme. Vom Eleinen Kreislaufe haben 
wir nur wenig zu fagen. Die Lungenfchlagader kommt einfach aus 
der rechten Herzkammer (@ in Fig. 1. und Fig. 3.) und theilt 
fi unter dem Bogen der Aorta in zwei Aefle, einen rechten und 
einen linken, von denen jeder in die entfprechende Lunge feiner 
Seite geht, und auf eine Weiſe fich verzweigt, die erft bei Geles 
genheit der Lungen näher aus einander gefegt werden Fann. Die 
Bahl der Lungenvenen, die in bie linke Vorkammer ſich ergießen, 
ift 4 der 5 (9% 9%Y. Sig. 3.). Obgleich in unferer dritten 
Abbildung die Lungenfchlagader roth und die Lungenvenen blau ges 
zeichnet find, übereinftimmend mit den Schlagadern und Venen des 
übrigen Körpers, fo wird es Ihnen doch gegenwärtig ſeyn, daß 
bie erſtere pres; und bie letztern helle Blut führen, 


6 100. Die Saugadern fi find fo. zahlreich und fo v0 vers 
ſchieden in allen Körpern, dag wir fie nur fummarifch in ihrem Laus 
fe betrachten Fönnen, und es mag uns hinlänglic feyn zu wiffen, 
daß die Saugadern aus der untern Ertremität, und aus dem größ: 
ten Theile der Bauchhoͤhle, nachdem fie durch eine Menge Drüfen 
hindurch gegangen find, welche befonders in der Gegend der Gelen⸗ 
fe liegen, fich auf den obern Lendenwirbelbeinen in einen Stamm 
vereinigen, den man den Bruſtgang zu nennen pflegt (in 
Taf. V. Fig. 6. b iſt der Anfang). Bruftgang heißt diefer Ka— 
nal, meil er durch die ganze Ränge der Bruft auf den Wirbelbeinen 
verlaͤuft, um ſich endlich in die linke Schluͤſſelbeinvene zu ergießen, 
nachdem er vorher die Saugaderſtaͤmme von der linken obern Extre— 
mitaͤt und der linken Seite des Kopfes und Halfes aufgenommen 

hat. Die Weite diefes Ganges kommt einer. ſtarken Rabenfeder 
glei und ergießt die Lymphe tropfenweife in das Venenblut. Binz 
det man an einem lebenden Thiere den Bruftgang vor der Einmuͤn⸗ 
dung zu, ſo flirbt das Thiet gewöhnlich (wenn auch nicht 
immer) Tangfam ab, weil das Blut zu wenig neuen Zuſchuß er⸗ 


9 


— 150 — 


haͤlt. Denn allerdings muͤnden ſich noch an andern Stellen Saug» 
adern in die Venen ein, indeſſen nur mit kleinern Zweigen. Die 
ſtaͤrkſte dieſer Einmuͤndungen iſt auf der rechten Seite der Bruſt 
in die rechte Schluͤſſelbeinvene. Hier iſt eine Art von zweitem, 
aber kleinerem Bruſtgange, welcher gewoͤhnlich die Saugadern von 
der Oberflaͤche der rechten Leberhaͤlfte, der rechten Haͤlfte der Bruſt, 
der rechten obern Extremitaͤt, und von der rechten Seite des Kopfes 
und Halſes aufnimmt. Viel kleiner find die Saugaderſtaͤmme, 
die ſich in andere Theile des Venenſyſtems ergießen, und in den ver⸗ 
ſchiedenen Körpern ſehr verſchieden find. 











Neunte Vorleſung. 
Bom Nervenſyſtem. 





N. OR, | 

F aſt in allen Theilen des Koͤrpers findet man weiße veraͤſtelte Faͤ⸗ 
den, die unter dem Namen Nerven bekannt ſind. Verfolgt 
man die Staͤmme, welche die Aeſte aufnehmen, ſo findet man, 

daß ſie endlich in gewiſſe groͤßere aus derſelben Maſſe gebildete Thei⸗ 
le uͤbergehen. Die meiſten, namentlich von den aͤußern Theilen 
des Körpers, von den Gliedmaaßen u. ſ. w. ſammeln ſich gegen 
das G chirn und das Ruͤckenmark, und treten in deren Sub⸗ 
ſtanz ein. Hat man die Zergliederung aber in der Bauchhoͤhle bes 
gonnen, fo leiten die Nerven ben Unterfuchenden nicht unmittelbar 
in die genannten Theile, fondern in irregelmäßige, platte oder 
rundliche Koͤrper, die wir nur gleih Nervenfnoten nennen 
wollen. DBerfolgt man umgekehrt die Nerven in der entgegengeſetz⸗ 
ten Richtung, fo wird man in der Megel finden, daß fie fih in im» 
mer mehr Aeſte theilen, je weiter man.gelangt, und. daß bie legten 
Enden in.die verfchiedenften Organe übergehen. Nur fehr-wenigen, 
meiter unten zu nennenden Theilen fehlen die Nerven ($..126). 

Man erkennt hieraus, daß das Nervenfpitem ſtrahlenfoͤrmig gebaut 
if, ‚mithin yon entraltheilen und peripherifchen 


Enden der einzelnen Strahlen gefprochen werben Fanıı, — Das 
Nervenſyſtem ift aber auch ein Continuum, indem die Knoten mit 
ihren Nerven nicht ifoliet da ſtehen, fondern duch Zwifchenfäden 
ſich mit den Nerven verbinden, die zum Bereich des Hirnes und 
Rüdenmarkes gehören. : Das Nervenfyftem wäre alfo in feiner To— 
talform dem Gefäßfyftem ahnlich, befonders wenn wir die Nervens 
Enoten mit dem viel größern Hirn und Rüdenmark (denn diefe bei⸗ 
den werden nur durch den Sprachgebrauch gefchieden , eigentlich bil 
den fie, wie wir bald- erkennen werden, zufammen einen einzigen 
Gentraltheil) vergleichen, welche fo überwiegen, baß fie als das 
Gentrum des ganzen Syſtems erfcheinen. — Des im Allgemei: 
nen ſtrahlenfoͤrmigen Baues ungeachtet, geht nicht ſelten von einem 
Nerven zum andern ein Faden hinüber, Verbinden ſich zahlreiche 
Faͤden auf vielfahe Weife, fo nennt man bie Verbindung ein Se | 


flecht. (Taf. VI. Sig, 8.) 


§. 102. Um die Tertur des Nervenſyſtems kennen zu ler⸗ 
nen, zerlegen wir einen Nerven. Wir finden ihn umgeben von eis 
ner ziemlich feften Scheide, die fich glänzend weiß zeigt. — 
Stein Nerve nicht gefpannt, fondern liegt er fihlaff da, ſo ver 
kürzt er fih etwas, und die Scheide bildet an feiner Oberfläche klei⸗ 
ne kaum erkennbare Fältchen, die befonders den dünnen Nerven 
ein Ausfehn geben, als ob gezadte Streifen darauf verliefen, die 
aber bei dem Anziehn des Merven verſchwinden. Im Innern der 
Scheide fieht man den Nerven in einzelne Bündel getheilt, diefe 
in Faͤden, und die genauefte Unterfuchung läßt in den legten wies 
der Fafern- — Man erkennt leicht, daß die verſchiede⸗ 
nen Abſchnitte entſtehn, indem von der Peripherie aus die Reiſer 
und Aeſte zuſammentreten, fo daß ſich ein Aſt noch weit in das Ins 
nere eines größeren Nerven, der ihn aufnimmt, ald Bündel und Fäs 
den verfolgen laͤßt. Indeſſen bleiben diefe Fäden nicht ganz von 
einander getrennt, fondern verbinden ſich mannigfach, befonders 
im Berlaufe einiger Nerven ($. 107). Zwiſchen ihnen iſt eine 
wenig organifirte Maffe, die man deshalb Zellgewebe nennen muß, 
Ein Durchſchnitt zeigt, daß es um die Bündel Röhren bildet, des 
ven Döhlungen die Bündel aufnehmen. Eben fo ift Zellgemwebe, 
jedoch ein viel zarteres, zwiſchen den einzelnen Fäden und Fafern, 
Die Nervenfafern find alfo auf ähnliche Weife an einander gefügt, 

. 9 2 


— 1532 — 


wie die Muskelfaſern. Unter dem Mikroſkop erſcheint bie Faſer 
als eine Reihe an einander liegender kleiner, nicht ganz regelmaͤßi⸗ 
ger Kuͤgelchen, deren Luͤcken eine halbfluͤſſige Maſſe ausfuͤllt. Sie iſt 
ſo weich, daß ſie ihre Feſtigkeit nur durch die umhuͤllende Scheide 
zu erhalten ſcheint. — Dieſe eigentliche Nervenmaſſe heißt das 
Nervenmark im Gegenfag zu der Nervenſcheide (Reu— 
vilema), zu der man alles Umhuͤllende, fo wohl das innere Zell⸗ 
gewebe als die äußere Scheide, rechnet. In die Nervenſcheide zie⸗ 
den ſich Gefäßchen, die den Nerven ernähren, 


Auf den erften Anblick feinen die Centraltheile verſchieden, 
indem fie viel weicher find. Der Unterfchied befteht aber nur darin, 
daß die Hüllen hier in Form von gefonderten Häuten diefe Theile 
Yofer umgeben ($. 108), welche felbft nur die Nervenmaffe ent: 
halten, und zwar entweder in Form von Fafern, die nur durch das 
zartefte Zellgewebe verbunden find, oder in einer Maffe ohne 
Tertur. 


F. 103. Die chemiſche Unterſuchung der Nervenmaſſe hat 
gelehrt, daß derſelben Waſſer iſt. Im übrigen Fuͤnftheil iſt 
ein halbgeronnenes Eyweiß der weſentliche Beſtandtheil; mit dieſem 
iſt eine nicht ganz unbedeutende Menge Schwefel und Phosphor, 
zwer Modificationen des thierifchen Fettes, und mehrere Salze, als 
phosphorſaure Talk» und Kalkerde, uͤberſaures phosphorfanres Als 
Eali und mildfaures Natrum beigemifht. — Die Nervenmaffe 
ift in Alkalien auflößlich, die Mervenfcheiden widerſtehen benfelben 
aber, weshalb wir durch Hülfe der Alkalien die Nervenfheiden für 
fich allein als Röhren darftelen Eönnen.» Säuren zerſtoͤren dagegen 
die Nervenfcheiden, und mahen, daß das eymweißhaltige Nervens 
mar? etwas fefter gerinnt, So wird die innere Zertur eines. Ners 
von deutlicher, nachdem er einige Zeit in Scheidewaffer gefegen hat, 


§. 104. Bevor wir einzelne Theile des Mervenfpftems nach 
ihrem Bau und ihrer Wirkfamkeit näher unterfuhen, müffen wir 
zuvörberft und zu belehren fuchen über die Verrihtung, welche 
das Nervenfyftem überhaupt ausübt und welchen Zwecken e8 im Or⸗ 
ganismus dient... Es wird Ihnen fihon aus dem gemeinen Leben 
bekannt ſeyn, welche große Wichtigkeit man den Merven zuſchreibt, 


— 1353 — 


daß man von ihnen viel, fehe viel erwartet, und namentlich alles 
von ihnen ableitet, mas uns bumkel im den Lebensverhältniffen 
Scheint, Allerdings ift gar Vieles dunkel in ben Verrichtungen bie 
fes Theile, vorzüglich aber, weil wir uͤberall fo gern die Art und 
Weiſe der Wirkfamkeit erklären möchten; denn was die Nerven zu 
thun haben, ift uns auf jeden Fall Elarer, als wie fie es thun, 
Fragen wir zuvörderft nach dem, mas die einfahfte Beobachtung 
lehrt und fuchen wir daraus und eine —5* Anſicht zu entwi⸗ 
ckeln. 


Werden ſaͤmmtliche Nerven, die zu irgend einem Theile gehn, 
duchfchnitten, fo empfinden wir eben fo wenig diefen Theil, als 
Eindruͤcke, welche von außen auf ihn gefchehen. Es ift, grade fo, 
als ob en gar nicht mehr zu unferm Organismus gehörte. Druͤckt 
man einen Nerven ohne ihn zu zerftören, fo findet dieſelbe Erfcheis 
nung flatt. Laͤßt man dann mit dem Drude nach, fo teitt die Ems 
pfindung von neuem ein. Wir ſchließen daraus, daß die Nerven 
die Wege find, durch. welche die Empfindung möglich wird. 
Aber was heißt Empfindung? Sie ift wohl das Bewußtfeyn von 
irgend einem Erregungszuftande ber, Theile unferer ſelbſt; denn 
Dinge außer und empfinden wir nicht unmittelbar, ſondern nu 
indem fie auf ung einwirken, db. h. in diefem oder jenem Theile un: 
ſers Körpers eine beftimmte Erregung hervorbringen. Je mehr 
Merven ein empfindender Theil befist, um defto lebhafter und mans 
nigfacher ift die Empfindung in ipm, — Durchſchneiden wir eis 


nen Nerven, der zu einem willkuͤhrlichen Muskel geht, fo Finnen 


wir diefen Mustek nicht mehr bewegen. Aeußere Neize, bie auf 
ihn einwirken, fie mögen unmittelbar auf feine Subſtanz anges 
bracht werden oder mittelbar auf das Nervenende, das fi in ihn 
einfenkt, bringen noch Contractionen in ihm hervor, aber unferm 
Willen gehorht er nicht mehr. Daſſelbe gefchieht, wenn ein fol 
her zum Muskel gehender Nerve gedrüdt wird, und der Einfluß des 
Willens zeigt fi wieder, fobald der Druck aufhört. Wir fchließen 
hieraus weiter, daß die Nerven die Wege find, durch welche 


unfer Wille auf die Muskeln wirft, um fie zur Bewegung 


zu veranlaſſen. Ein Theil, deſſen Nerven durchſchnitten find, 
hört bald auf fein Gefhäft in harmonifchem Einklange mit dem 
übrigen Organismus fortzufegen. Der Magen verbaut nicht mehr, 


F 


wenn feine Merven entfernt worden find, ober er verbaut wenigs 
ftens nicht regelmäßig, wenn er auch nicht gleich todt ift, fondern 
bringt Erbrechen und dergl. hervor, Eben fo fällt die Zunge uns 
thätig zufammen, wenn ich ihre Nervenverbindung frenne, und die 
Niere bereitet unter denfelben Umftänden keinen Harn mehr, ' Mit 
einem Worte, ein jedes Organ hört auf," feine Schuldigkeit zu 
thun, wenn es nicht mehr durch Nerven mit dem übrigen Drganiss 
mus in Verbindung flieht. Wenn man alle feine Nerven durchs 
Schnitten hat, fo ift es grade fo, ald ob man das ganze Organ ent 
fernt hätte, mag ed auch immerhin an feiner Stelle bleiben, und 
feine übrigen Verbindungen unverletzt ſeyn. Wir koͤnnen daher 
wohl ſagen, daß durch das Nervenfyftem alle Theile des Dr: 
. ganismus zu einem Ganzen verknüpft werden; denn durch 
die Nerven wirkt ein Theil auf den andern. Der Erreaungszu- 
ftand eines Drganes hat auf den Zuftand eines andern Einfluß. 
Das Nervenfyftem vermittelt diefe Einwirkung, Kaum hat der 
Magen Speiſen aufgenommen, fo verbreitet fih rin Gefühl von 
Kraft in den ganzen Körper, und bie geftörte Verdauung wirkt eben 
fo ftörend auf andere Verrichtungen ein. Daß aber alle Nerven 
än-gleihem Grade der Empfindung, See Bromulk und der Ver: 
knuͤpfung der organifhen Thätigkeiten‘ dienen, fol hier nicht bes 
hauptet werden, im Gegentheil werden wir bald fehen, daß bie 
verſchiedenen Theile des: Nervenſyſtems bald mehr dem —— bald 
made dem: anbern Zwecke dienen. | p 

Auf Weife FARBEN bie u alle Kite Biekungen 
——— Man weiß es nicht. Die Beobachtung lehrt nur, daß 
keine Bewegung dabei zu erkennen iſt, und das iſt der Grund, wars 
am und die Art dieſer Thaͤtigkeit ſo dunkel ſcheint. Immer glau⸗ 
ben wir, die Art der Verrichtung beſſer zu verſtehen, wenn wir 
eine Bewegung dabei bemerken, obgleich in der That uns die Be⸗ 
wegung oft eben fo. unverſtaͤndlich iſt. So ſehen wir im Muskel 
‚zwar unverkennbare Bewegung, uͤber das Wie? koͤnnen wir jedoch 
keine genuͤgende Antwort geben. Der Wahn, daß die Sache vers 
ſtaͤndlicher ſeyn wuͤrde, wenn eine Bewegung dabei erfolgte, hat 
zu einer Menge: Hypotheſen über die Nervenwirkſamkeit Veranlaſ⸗ 
ſung gegeben, welche die Nerventhaͤtigkeit in eine mechaniſche Form 
‚brachten, ‚So dachten fich Einige, die Eindrüde, die * die Enden 


— 135 —— 
der Nerven geſchehen, wirkten mechaniſch auf die Kuͤgelchen des 
Nervenmatks und der Stoß wuͤrde nach der Länge bes ganzen Ner⸗ 
ven bis zu feinem Gentralende fortgepflangt, wie ein Stoß auf ei⸗ 
ne Reihe an einander Tiegender Billardkugeln ſich bis zur letzten 
* fortpflanzt und dieſe in Bewegung bringt. Schade nur, 
dag die Weichheit und nicht ſcharf begraͤnzte Form der Kuͤgelchen 
des Nervenmarks eine ſolche Anſicht ganz unſtatthaft macht. Ans 
dere meinten," die Nerven ſeyen mit Saiten zu vergleichen, welche 
bald von aͤußern Eindrücken, bald von unferm Willen in Schwins 
gungen gebracht würden und die Schwingungen: nach den Enden 
fortpflanzten. Aber alle Eigenſchaften, durch welche die Saiten 
faͤhig werden zu ſchwingen, ihre Härte und ihre Gefpanntheit, feh⸗ 
len den weichen und ſchlaffen Nerven gänzlich. Nur ein wenig befs 
fer war die Hypothefe, daß die Nerven eine uͤberaus zarte Fluͤſſig⸗ 
keit bald hierhin bald dorthin ergoͤſſen und fo Empfindung und Bes 
wegung hervorbraͤchten. Wie die andern Hppothefen "beruht aber 
auch biefe auf gar feiner Erfahrung und. feiber lehrt fie eben fo wes 
nig; denn es entfteht nun die neue Frage, wie wird der Erguß bes 
Nervengeiftes oder die Schwingung der Saite, oder die. Bewegung 
der Markkuͤgelchen für uns zur Empfindung, d. h. wie gelangen fie 
zu unfetm Bewußtſeyn? Diefe Schwierigkeit wird auch nicht ges 
hoben, wenn wir die Nerventhätigkeit für eine elektrifche ober gals 
vanifche erklären, Es ift wahr, die Nerven haben in ihrer Wirk 
ſamkeit manche Aehnlichfeit mit dem Galvenismus, So unter 
andern in der Gefchwindigkeit, mit der fie einen Reiz zum Hirne 
fortpflangen und von da aus wieder auf die Muskeln wirken. Wenn 
ein fremder Körper auf unfer Auge ftößt, fo bringen wir mit Blis 
geefchnelle die Hand vor dag bedroßte Organ. Man hat es vers 
ſucht, die Gefhwindigkeit der -Merventhätigkeit zu berechnen, und 
bat 17000 Fuß für die Sekunde finden wollen. Ich nenne Ihe 
nen diefe Zahl nur, um die Schnelligkeit anfchaulicher zu machen ; 
denn in der That hat die Angabe gar feinen Werth, da unſer Koͤr⸗ 
per viel zu Elein iſt, um eine für die Meffung folder Gefhwindigs 
£eit hinlängliche Entfernung zu geben. Wichtiger iſt es, daß ein 
galvaniſcher Strom einen fehlenden Theil eines Nerven erfegen 
kann, wie Verſuche beweifen,, in denen man burchfchnittes 
ne Nervenenden durch einen galvanifchen Strom verband, Man 
bat beobachtet, daß die Verdauung, die nach Durchſchneidung des 


136 — 


Lungenmagennerven aufgehoͤrt hatte, wieder fortging, als man 
den Magen durch eine galvaniſche Kette mit dem obern Theil des 
Nerven verbunden hatte. Wir koͤnnen ferner behaupten, daß die 
Nerven fo auf die Muskeln einwirken, wie die galvaniſche Elektrici⸗ 
tät. Aber serflären können wir die Merventhätigkeit damit nicht, 
fondern fie nur mit diefer allgemeinen Naturkraft vergleichen, auch 
wohl behaupten, daß die Nerven wirklich Elektricität hervorbringen, 
wovon die eleftrifchen Fifche die deutlichften Beweife abgeben. Doc) 
angenommen, bie Kraft, mit der die Nerven wirken, fey buchaus 
ädentifch mit der galvanifchen, fo bleibt immer noch die Frage übrig, 
wie vermag unfer Wille den Galvanismus zu erregen? Marum 
offenbart er ‚fih nicht ohne Unterlaß? Warum nicht im ganzen 
Nervenſyſtem? Ja, unfer Wille laͤßt oft nur einzelne Fäden eines 
Nerven in Thätigkeit treten, während andere ruhen. Won außen 
kommende Einwirkung der Elektricität erregt immer den. vr Ner⸗ 
ven in allen Bein Brig, 


Es ea —J—— nicht auf eine Erklärung an, 22 


nur darauf, das Wefentliche der Erſcheinungen richtig aufzufaffen. 


Das werben wir wohl nah Obigem ſo ausſprechen koͤnnen: Das 
Nervenſyſtem fammelt alle lebendige Erregung zu einer 
Einheit und vermag aus. Diefem Sammelpunfte der Er: 
zegung wieder auf die einzelnen Organe einzuwirfen. Das 
Nervenſyſtem ift, wie Keil fagt, der eigentliche Leib unferd Ich. 


Die übrigen Theile find der Leib dieſes Leibes, die nährende und 


fhügende Borke diefes zarten Mares, — Die befondere Art der 
Nerven» Erregbarkeit haben die Phyſiologen Senfibilität ge 
nannt im Öegenfage zu der Erregbarkeit der Muskeln oder anderer 


$. 105. Schon im Anfange der heutigen Vorlefung ($. 
101) ‘erwähnte ich eines Unterfchiches, der zwifchen den Nerven 
fi) findet, Einige fammeln fih in einen großen Gentraltheil 
(Hirn= und Ruͤckenmark)/ andere dagegen in Eleinere Ans 


ſammlungen von Nervenmaffe (die Nervenknoten oder 


Ganglien, wie fie die Kunſtſprache nennt). Dadurch entfliehen 
zwei Hauptabtheilungen im Nervenſyſtem, welche in ihrem Bau 
und mehr noch in ihren Verrichtungen von einander abweichen... Sn 


{ 


2* 


— 187 — 


bes, erſten Abtheilung liegt ber große einfache Centtaltheil in der 
Mitte und die Nerven, die mit ihm verbunden find, zeigen fich in 
den beiden Hälften des Körpers vollfommen ſymmetriſch; bie Ner— 
ven ſelbſt find wenig unter einander verbunden, fall ganz weiß und 
ziemlich feſt. In dem andern Nervenſyſteme bemerken wir eine 
Menge Fäden, welche fich negförmig mit einander verflechten, mit 
biefen Negen die Gefäpftämme umfhlingen und mit einer großen 
Menge Ganglien zufammenhängen; die Nervenfäden ſelbſt ſind et= 
was vöthlih und weniger feft, überhaupt auch weniger in runde 
Stränge gefammelt, fondern Überall Geflechte bildend, und das 
Ganze diefes Netzes ift unfpmmetrifh, Die erfte Abtheilung hat 
ihren Gentraltheil in der mittlern Säule des Knochengerüftes, im 
dem Rüdgrat und Schädel nämlich, und ihr peripherifches Ende in 
allen Sinnesorganen und allen der Willkuͤhr unterworfenen Muss 
keln, ſo wie in der ganzen äußern Oberflähe und allen Theilen der 
äußern Gliedmaaßen. Sie können hieraus. fchon fließen, dag. 
Empfindung und Bewegung vorzuͤglich von diefem Theile des Ner⸗ 
venfuftems abhängig ift, Man nennt es deöwegen das anima= 
liſche Nervenſyſtem. Einen Ueberblick deſſelben haben Sie 
in der erſten Abbildung unſrer VI. Tafel. Die zweite Abtheilung 
des Nervenſyſtems iſt faſt ganz in die Bauch⸗ und Bruſthoͤhle ein⸗ 
geſchloſſen (Fig. 8). Sie verſorgt alle innern Organe der ges 
nannten Höhlen mit Ausnahme des Zwerchfells, als eines will- 
kuͤhrlichen Muskels, der beide Höhlen fcheidet. Eine Fortfegung 
diefer Abtheilung zieht ſich aber.auch am Halfe hinauf, um die bils 
denden Organe und die Blutgefäße im Kopfe zu verforgen. Mar 
nennt diefe ganze Abtheilung das Rumpfnervenſyſtem oder 
das Ganglienſyſtem. Da die Organe, an welche fie Ner— 
ven giebt, zut Gelbfibildung des Organismus und zur Erzeugung 
der verfchiedenen Stoffe wirken, welche er für fich ſelbſt "bereitet 
ober aus ſich ausfcheidet, fo heißt diefes Nervenſyſtem auch das 
plaftifche, oder das Nervenfyflem des reproduetiven, plaſtiſchen 
Lebens, Beide Nervenfyfteme dürfen Sie ſich aber nicht als völlig 
getrennt denken; fie hängen vielmehr duch eine Menge Fäden zus 
fammen, und die Thätigkeit des einen hat Einfluß auf die Thaͤtig⸗ 
Beit des andern. Auch ift die Verfchiedenheit mehr eine relative ald 
eine abfolute; was das eine Nervenfpftem vermag, bas vermag 
auch, jedoch in ſchwaͤcherm Grade oder auf modificirte Weife, das 


x — 138 a 


ändere. So —7 ber Bau nicht vollkommen ziehe ſon⸗ 
dern es finden fü ch Abſchnitte im Nervenſyſtem, welche in der Mitte 
ſtehen, "und wenn Auch bie Nervenknoten im plaſt iſchen Syſteme 
vorherrſchend find, fo fehlen ſie doch im animaliſchen auch nicht 
ganz, fo wie auch dieſes an einzelnen Stellen Geflechte hat. Der 
Unterſchied bleibt indeffen immer groß‘ genug , wenn auch die Graͤn⸗ 
- gen nicht ganz ſcharf zu ziehen find. Sa, es haben Phyſiologen 
behauptet, daß man ganz ohne Grund die Nerven der Baucheinge⸗ 
weide für Nerven anſehe. Wollen wir nun die Wirkſamkeit der 
Nerven genauer kennen lernen, fo ** wir — ke — 
Soſteme gefordert vera. i 


$. 106. Menden wir uns zuerſt an bad ani tie Mer: 


venfpftem! Die peripherifchen Theile oder bie Enden diefes Ner⸗ 


venſyſtems liegen, wie geſagt, in denjenigen Theile, "welche deut- 
lid) empfinden, und denen, die willkuͤhrlich bewegt werden koͤnnen. 
Weber die Enden felbft iſt unſre Kenntniß leider duͤrftige Nachdem 
ein Nerve fich vielfach verzweigt hat," find: die letzten Reiſer ſo duͤnn 
und zart, daß es faſt unmöglich ſcheint, ihre Graͤnze genau zu be⸗ 


ſtimmen. Nur im Auge und im Ohr, dieſen hoͤhern Sinn esorga⸗ 


nen, liegt das Nervenende frei da, von einer flüffigen oder halbfluͤſ⸗ 
figen Maſſe bedeckt. Da hier die Fähigkeit: zu empfinden beſon⸗ 
ders Hoch ausgebildet ift, fo muß man von diefen Organen überges 
hen zu folhen; deren Empfindlichkeit fi ihnen nähert, weit ſich 


dermuthen läßt, daß die Nervenenden, dort noch mit "einiger Bes 


flimmtheit ſich werden finden laſſen. "Ein ſolches Otgan iſt die 
Zunge. In ihe kann man die Nervenfaͤden bis in die Nähe der 
Erhöhungen (FJungenwaͤrzchen, Papillen) verfolgen, 
die ſich auf der Oberfläche der Zunge befinden, und in melden die 
Empfänglickeit für die Geſchmacks-Eindruͤcke ihren. beſonderen 
Sitz hat. In der Papille ſelbſt iſt das Nervenende nicht mehr als 
ſcharf begraͤnzt zu unterſcheiden, ſondern loͤßt ſich gleichſam darin 
auf, mit Blütgefaͤßen und Zellgewebe zu einer gleichfoͤrmigen etwas 
erhöhten Maffe fich verwebend, — In der äußern Haut finden 
wir ſehr deutlich auf der innern Fläche der Hand und auf der Fuß⸗ 
platte in Reihen ftehende Papillen. Kleine Höder in der übrigen 
Haut pflegt man ebenfalls für weniger ausgebildete Papillen anzu: 
feyen: Bivar find die Papillen in der Haut des Menſchen und der 


“- 


— 139 — 


meiſten Säugthiere, ‚mit Ausnahme der Hand⸗ und Fußfläche, Höchft 
undeutlich, ja fo unvolllommen . ‚ausgebildet, dag man ſie ganz laͤug⸗ 
nen koͤnnte; allein in einigen Säufthieren, mie in den Delphinen, 
ift die ganze innere Lane der Haut mit unzähligen Papillen befegt 
und der nervenreiche Müffel des Efephanten zeigt ſie ohne alle Zer— 
gliederung äußerlich, Ihre unvollkommene Ausbildung im größten 
Umfange der menfchlihen Haut iſt uns nur ein Beweis wie wenig 
die Nervenenden hier iſolirt ſind. Noch mehr ift dies der Fall in 
ben bedeckten Theilen, 3. B. in den Muskeln, wo die Nerven, nach 
vielfacher Theilung mit den zasteften Reiſern jich netzfoͤrmig verbin- 
dend, die Muskelbuͤndel umfaffen, dis fie fich den Auge entzie— 
hen. Sie werden dabei immer dünner und weicher, indem die 
Scheide ſich allmaͤhlig verliert. "Auch fcheint die weiße Farbe der 
Nerven in den legten Enden mehr grau zu werden, Wir glauben 
daher, daß die peripherifchen Enden der Nerven fih in eine Maffe 
‚auflögen, welche nicht mehr wahre Nervenmaffe iſt, aber auch nicht 
etwas, welches vom Nerven völlig verfchieden if, fondern eine all 
mählige Umbildung deffelben, und welche daher die Fähigkeit zur 
empfinden hat, die in Eranfhaftem Zuſtande fich noch mehr erhöhen 
ann, Eine folhe Maffe ift aber die allgemeine Grundmaffe des 
ganzen Körpers, das Schleimgewebe oder unpaffend fo aenannte 
Zellgewebe, das früher (9.45 — 47) ausführlich beſprochen worden 
if. Daß diefe Mäffe, welche als unausgebildeter thierifcher Stoff 
die Fähigkeiten aller Theile des Körpers in geringem Grabe in fich 
vereint, auch empfinden Eönne, ehren vorzüglich die niederften 
Thiere, die Polypen, Medufen u. f. w., die ganz aus diefem 
Stoffe beftehen und nit ohne Empfindung find, Nur im den 
Sinnesorganen fcheinen die Nervenenden um fo mehr ifolirt, je 
größer die Fähigkeit zu empfinden, und je mehr das Organ für eine 
befondere Art der Empfindung gebaut if. Nach diefer Anfiche: ift 
die Frage, wie ein mit empfindenden Nerven begabtes Organ in 
allen Punkten empfindlich feyn Eönne, da doch nicht Überall ein 
Mervenfaden liege, ganz einfach lößbar. Eben fo bejteht ja nicht 
ber ganze Körper aus Blutgefäßen, und dennoch ift überall Gefäß: 
‚thätigkeie. Denken wir ung einmal die Grundmaffe zwifchen eis 
nem recht feinen Gefäßnege bis ins Ungeheure vergrößert, um das 
Verhaͤltniß anfchaulicher zu machen! Zwiſchen den Blutgefäßen 
nun kann ber Stoffwechfel, das Ab» und Zuſtroͤmen der Fluͤſſigkeit, 


— 140 — 


nicht ganz gehemmt ſeyn, weil fonft nur bie Begraͤnzung des Blut⸗ 


ſtromes ſich aͤndern koͤnnte. Daß dieſe Anſicht nicht hypothetiſch 


iſt, beweiſen die niedern Thiere, bei denen gar keine, oder nur 
wenige Gefaͤße vorkommen, unlaͤugbar. Eben ſo darf man ſich 
vorſtellen, obgleich es weniger erweisbar iſt, daß die Empfindung 
nicht an ſcharf begraͤnzten Stellen aufhoͤrt, ſondern daß der Nerve 
und mit ihm die Nervenkraft allmaͤhlich in die Grundmaſſe der Or⸗ 
gane übergeht. — Humboldt und Neil erklaͤrten die Erfah 
zung, daß ein empfindender Theil, 3. B die Haut, überall empfinds 
lic) fey, wo man fie mit einer Nadel berührt, auf folgende Weife: 

die Nerven, meinten fie, endeten ſcharf begrängt, und ein jeder 
Nerve wirke auf eine gemwiffe Entfernung. Sie dachten ſich daher 
eine Nervenatmofphäre, und beflimmten diefe fogar auf ı 4 Linie, 
Mach unferer Ueberzeugung ift vielmehr die Senfibilität der Grund⸗ 
maffe des Körpers dem Schleimgemwebe eigenthuͤmlich und die wirt: 
lich ausgebildeten Nerven find nur die Leiter diefee Fähigkeit, die 
Berbindungsglieder zwifchen der Peripherie des Nervenfpflems, zu 
der alle mit Nerven begabten Organe gehören, - und den Centralmaf- 
fen; deshalb wir auch bei jenen nieberften Thieren Empfindlich⸗ 


keit ohne ausgebildete Nerven finden, > 


$. 107. Die Peripherie des animalifhen Nervenfuftems 


percipirt die Eindruͤcke, oder mit andern Worten, fie wird zus 


voͤrderſt duch die Einflüffe erregt. Die Nerven ſelbſt machen e8 
möglich, daß die Erregung des peripherifchen Theiles auf den Gens 
traltheil wirkt, und daß eben fo der Gentraltheil auf den: peripheri« 


Shen Einfluß hat. Man fagt daher, fie leiten die Eindrüde, 
In der That irrt man, wenn man den Nervenftämmen felbft eine 


große Empfänglichkeit Für Meize zufchreibt. Diefe ift in den En» 
ben der Nerven viel höher entwidelt. Wenn man einem lebenden 
Thiere einen Nerven bloß legt und ihn Leife berührt, ihn auch wohl 
auf die Seite fchiebt, fo lange er nicht gefpannt ift, fo fheint das 
Thier weniger davon zu empfinden, ald wenn man bie Haut ober 
einen andern Theil, in welchem Nerven fich enden, berührt. Selbft 
ein ſcharfes Duchfchneiden, nicht mit Quetſchung verbunden, iſt nicht 





« Raͤher durdigeführt wird biefer Gegenſtand ine zweiten Theil. 


. 


— I4I — 


ſehr ſchmerzhaft, im ſolchen Nerven jedoch mehr, bie vorzuͤglich zur 
Empfindung dienen, als in Bewegungsnerven. Das Zerren und 
Quetſchen erregt jedoch großen Schmerz. Auch ſcheint es, als ob 
das durchſchnittene Ende eine Zeit lang nach dem Schnitte empfind⸗ 
licher wuͤrde, vielleicht weil ſich die Durchſchnittsflaͤche entzuͤndet. 
Merkwuͤrdig iſt auch die Erfahrung, daß Perſonen, die ein Glied 
verloren haben, nicht ſelten bald nach dem Verluſt deſſelben Schmerz 
zen in ihm zu haben glauben. So haben Perſonen, denen ein 
Bein abgeſchnitten wurde, uͤber Schmerzen in der großen Zehe des 
abgeſchnittenen Fußes geklagt. Lehrt dieſe Erfahrung nicht, daß 
ſie eine Reizung, die im durchſchnittenen Nerven vielleicht durch den 
Verband oder dergleichen hervorgebracht wird, ſo empfinden, als 
ob ſie in dem peripheriſchen Ende des Nerven ihren Sitz haͤtte? 


Summirt man alle Zweige, welche ein Nerve abgiebt, ſo 


ſcheinen ſie zuſammen einen groͤßern Umfang einzunehmen als der 


Stamm ſelbſt. Ja, in einigen Nerven, welche in einem ziemlich 
langen Verlaufe keine merklichen Aeſte abgeben, ſieht man ganz 
deutlich, daß ſie um ſo ſtaͤrker werden, je mehr ſie ſich von den 
Centraltheilen entfernen. Man kann daraus folgern, daß die Ner⸗ 
ven nach der Peripherie hin an Volumen zunehmen. 


Wir haben ſchon Verſuche kennen gelernt (F. 104), welche 
die Leitungsfaͤhigkeit der Nerven überhaupt beweiſen. Noch ges 
nauer wird der Weg der Leitung durch folgende Verſuche gezeigt. 
Wenn man in einem lebenden Thiere einen ziemlich langen Nerven, 
der im feinem ganzen Verlaufe Aeſte abgiebt, wie etwa der Huͤft⸗ 
beinnerve, bloß legt und ihn in der Mitte zufammendrüdt, fo 
bemerkt man, daß eine Neizung des Nerven unter ber zufammenges 
drüdten Stelle Bewegung in den Theilen hervorbringt, welche uns 
terhalb der Reizung Nervenfäden erhalten; ‚dagegen empfindet das 
Thier nichts von diefer Reizung. Wird aber der oberhalb der Com⸗ 
preffion befindliche Theil mechanifch oder chemifch erregt, fo giebt 
das Thier Schmerz zu erkennen, jenfeit der Compreſſion ift dabei 
feine Bewegung, die fich fogleich zeigt, wenn man mit dem Drude 
nachlaͤßt. Man comprimire ven Nerven an zwei von einander ent= 
fernten Stellen und reize ihn zmwifchen beiden, fo empfindet das 
hier nichts davon, es erfolgt aber Bewegung in ben Muskeln, 


\ 


— 1 — 


deren Nerven: von der gereizten Stelle an bis zur untern m. Colupteſ⸗ | 


fion vom Nervenftamm abgehen. Wird nun die untere Compreſ⸗ 
ſion aufgehoben, ſo erſtreckt ſich die Bewegung ſogleich bis an das 
letzte Ende des Nerven; wird die obere Compreſſion aufgehoben, ſo 
wird der immer an derſelben Stelle angebrachte Reiz empfunden, 
Man fieht ohne weitern Commentar, daß, damit die Reizung zur 
Empfindung werde, eine Continuität des Nerven von da bis zu den 
Centraltheilen, damit fie Bewegung hervorrufe, seine Gontinwität 
don der gereizten Stelle bis zu. dem beweglichen Theile, erfordert wer: 
de. Wir erinnern und nämlich, daß die Luſammendruͤckung eines 


. Nerven wie einesmomentane Trennung wirkt (F. 104). Wir 


werden alfo wohl fagen Eönnen, daß eine Leitung nach den Eentral- 


theilen Empfindung, eine Leitung nad der Peripherie Bewegung 


hervor bringt. In Theilen, die Feiner deutlichen Muskelbewegung 
fähig find,, fieht man wenigſtens eine Art Anfchwellung oder Tur⸗ 
gescenz in den Nervenpapillen und eine verjtärkte Bewegung der 

ernährenden Säfte 


In Erankhaften Zuftänden kann bald die eine, bald die andere 
Leitungsfähigkeit der Nerven aufhören, fo daß Lähmung mit unges. 
ftörter Empfindung, oder UnempfindlichEeit mit ungeftörter Beweg- 
lichEeit fich zeigt. Das fogenannte Einfchlafen eines Gliedes, nad: 
dem ein Drud auf einen Nerven eine Zeit lang gewirkt hat, iſt eine 
ſolche voruͤbergehende Laͤhmung. Sehr. haͤufi ig ſind Laͤhmung und 
Unempfindlichkeit mit einander verbunden. Es muß indeſſen bes 
merkt werden, daß beide Zuſtaͤnde nicht immer in den Nerven ſelbſt 


ihren Grund haben, fondern oft in den Gentraltheilen, da deren 


Mitwirkung zur Empfindung und willkuͤhrlichen Bewegung erfor: 
dert wird, wie wir bald ſehen werben. \ 


Mir haben ſo eben zu den Verfuchen uͤber die Nerventhätig: 
feit einen Nerven gewählt, der faft in gleihem Maaße der Bemwe: 
gung und Empfindung dient. Allein nicht alle Nerven find für beis 
be Richtungen der Tätigkeit gleich wirkſam. Einige Hirnnerven 
endigen blos in Muskeln, wie 3. Budie Nerven für die Yugenmus» 
keln, andere haben mit den Muskeln gar feine Gemeinfhaft, wie 
3. B. der Sehnerve, der nur für die Lichtempfindung beſtimmt iſt 
Die meiften Nerven, namentlich alle Nerven des Nüdenmarkes, 


wirken auf beiderfei Weife. Es wat daher natuͤrlich zu fragen, od 
in diefen legtern vielleicht beide Geſchaͤfte auf verſchiedene Faͤden 
vertheilt ſind, da ſie immer aus einer betraͤchtlichen Anzahl von 
Fäden beſtehen. Der Bau der Nerven widerſpricht aber dieſer 
ſonſt ſehr zufagenden Vermuthung ſehr beſtimmt. Die einzelnen 
Faͤden, aus denen ein Nervenſtamm beſteht, bleiben nicht im gan⸗ 
zen Verlaufe getrennt, ſondern verbinden ſich und verſchmelzen 
mannigfach im Innern der Nerven (wie die. Jote Abbildung deuts 
lich zeigt). Man koͤnnte daher jeden Nervenflamm feinem innern 
Baue nach. mit einem, langgezogenen Geflechte vergleihen. Diefe 
Verflehtung ift grade in den Nerven des Nüdenmarkes fehr deut⸗ 
lich, in mehreren Hirnnerven, und namentlich in den empfindens 
den, bleiben dagegen die Faͤden mehr‘ von einander getrennt. - Ganz 
unftatthaft fheint die Meinung, daß das Nervenmark zu den Gen: 
tealtheilen leite, die Nervenſcheide aber von diefen zur Peripherie, 
Die Nervenſcheiden zeigen .fich vielmehr nach Verſuchen fehr unthätig: 


| Indeſſen ift auch nirgends die Trennung vollftändig.. Kein 
Muskelnerve iſt für die Empfindung ganz unthaͤtig; denn jeber 
Muskel ſchmerzt, wenn er Eünftlich gereizt wird. - Den- gefunden 
‚Muskel empfinden wir freilich nicht Deutlich, weil jede Empfindung 
ja nur ein Bewußtwerden von einer Veränderung im. Erregungszus 
ftande iſt. Und follten diejenigen Empfindungsnerven, die man 
befonders als ſolche anfieht, gar nicht auf Bewegung wirken ? Ich 
glaube, man darf es nicht laͤugnen. Wir haben ſchon das Turges⸗ 
eirte der Nervenpapillen erwähnt Eben fo fcheint jeder erregte 
Merve einen Zufluß von Säften nach feinem peripherifchen, Ende zu 
erzeugen und vielleicht ‚befieht das Anfchwellen der Nervenpapillen 
nur darin. Diefen Zufluß von Säften bemerken wir auch beim 
Sehnervens „Sobald er gereizt wird, entfieht ein. ſolcher Zuflug 
in der Negenbogenhaut (vergl. 9.135). Den Einfluß der Ners 
ven auf die Blutbewegung zeigen Verfuche deutlich und noch größer 
werden-wir biefen Einfluß bei den Kumpfnerven finden... Der Uns 
terfchied iſt alfo nur relativ und wenn wir in Zukunft von Empfins 
dungs- und Bewegungsnerven fprechen, fo foll damit nur gejagt 
werden, daß ſie mehr im ber einem oder, der andern Richtung 
wirken, 


Diefer Unterſchied geht aber noch; weiter, Die Art der Em: 
pfindung ift in den verfchiedenen Nerven verfchieben, Der Seh— 
nerve empfindet das Licht und der Hörnerve den Schall, fo wie ber 
‚ Bungennerve den Gefhmad, Sticht man fi mit einer Nadel 
langſam in den Nüden der Hand, fo wird man eine andere Em⸗ 
pfindung haben, als wenn man in die Hohlhand ſticht. Hiervon 
kann der Grund nun entweder in einer verfchiedenen Befchaffenheit 
der Nerven und verſchiedenen Empfindlichkeit derfelben, oder auch 
in einer Verfchiedenheit der Organe liegen, in denen fie enden, 
Darüber werden wir einige Fingerzeige erhalten, wenn wir die ein⸗ 
zelnen Sinnesorgane mit einander vergleichen ($. 206). 


| $. 108. Den Centraltheil des animalifchen — 
bilden Hirn⸗ und Ruͤckenmark. Beide find, wie ſchon geſagt, nur 
Ein Öanzed, wovon das Hirn das obere, die, Eolbige Ende bil- 
det, das Ruͤckenmark aber das untere verbünnte, Der Sprachge⸗ 
brauch hat beide wohl nur deshalb unterfchieden, weil man den Zus 
Tammenhang des Ganzen nit leicht mit einem Blicke überfieht. 
Deffnet man die Schädelhöhle, fo findet man in derfelben das 
Hirn. Man fieht aber dann nichts vom Nüdenmark, Oeffnet 
man dagegen den Kanal, den die MWirbelbeine bilden, fo findet 
man in ihm das Nüdenmark, und überfieht nicht fogleich deſſen 
Yebergang in das Hirn. Wenn man. aber die Nüdenwirbel bis 
zum Hinterhaupte aufbricht, fo überzeugt man fi), daß das Rü- 
ckenmark durch das Hinterhauptdloch in die Schädelhöhle tritt und 
fi dafelbft zum Hirn entwidelt. Ja, der Uebergang ift fo all 
mählig, daß diefer Centraliheil in der Schädelhöhle felbft im An⸗ 
fange noch faft ganz die Form des Nüdenmarkes hat. Man kann 
daher zweifelhaft feyn, bis wie weit man die Graͤnzen des Ruͤcken⸗ 
markes rechnen fol, Indeſſen find die Anatomen doc mit Recht 
darin übereingefommen, die Stelle des Gentraltheiles, welche in- 
nerhalb des Hinterhauptsloches liegt, als die Gränze zwifchen Ruͤ⸗ 
denmark und Hirn anzunehmen, obgleich wirklid in dem Organe 
ſelbſt hier erfl der Anfang einer Umbildung zu bemerken iſt. Unſe— 
ve erfte Abbildung zeigt den Zufammenhang des Ganzen von der 
bintern Fläche angefehn fehr gut. In A iſt das Hirn und in BB 
das Rüdenmark, | 


Diefes 


2 


Y 


Dieſes Gentralorgan befteht ebenfalls aus Nervenmaffe, wie 
die Nerven ſelbſt. Allein die Nervenmaffe liegt hier zufammen 
und iſt nicht durch Scheiden in befondere Stränge getheilt. Wir 
finden vielmehr einige allgemeine Hüllen, welche das Ganze umges 
ben, und der Stamm des Knochenſyſtems, die Wirbelfäule nämlich 
und dee Schädel, bilden wieder eine noch feftere harte Hülle um 
jene Häutigen Hüllen; und fo wird diefer wichtigfte Theil des gans 
zen Körpers möglichit gegen äußere Verlegungen geſchuͤtzt. Die Ners 
venmaffe finden wir aber unter doppelter Form in dem Gentraltheit. 
Sie ift nämlich theils weiß und zeigt dann mehr oder weniger deut- 
liche Fafern , die nur durch ein Faum merkliches Schleimgewebe von 


einander getrennt find; theils ift fie mehr grau, faft möchte ich ſa⸗ 


gen halb durchſichtig, und zeigt Feine Faferung, mo fie dann ein 


Gemiſch von Schleimgemwebe und Nervenmark zu feyn fcheint, auch 


mehr Blutgefäße aufnimmt, als die weiße Maffe. Man führt 
auch wohl eine gelbe und eine ſchwarze Maffe an, die jedoch nur 
Modificationen der grauen Subftanz find und nur in befchränften 
Regionen vorfommen, Meil in den Windungen des großen Hirs 
nes die graue Maffe die äußere Umgebung bildet und die weiße nach 
innen liegt, hat man jene auch KRinden= oder Cortical— 
Subftanz und diefe Mark: oder Medullar-Subftanz 
genannt, Beide Benennungen find aber fehr fchleht, da keines— 
weges jene überall nach außen und diefe nach innen liegt. Mir 
werden. vielmehr fehen, daß fie im Ruͤckenmarke eine umgekehrte | 
Lage haben und daß wirklich die umgekehrte Benennung phnfiolos 
giſch die gichtigere feyn würde. Beide Subftanzen find für die 
Derrihtungen des Körpers nicht von gleicher Bedeutung. Die 
weiße Maffe fcheint überall mehr eine leitende Thaͤtigkeit auszuuͤben 


und deswegen beftehen auch wohl die Nerven nur aus ähnlicher Subs - 


ſtanz; die graue Maffe hingegen barf man als diejenige anfehen, 
zu welcher die äußern Erregungen geleitet werden, und von welcher 
umgekehrt die innern nad außen wirkenden Erregungen ausgehen. 
Sie ift der innerfte Heerd der fenfibeln Thätigkeit. Eben deshalb 
fheinen fi die Safern der weißen Maffe überall in die graue einzus 
ſenken, wodurch Gall veranlaft wurde, die graue Maffe als bie 
Ernährerin der weißen anzufehen. Allein man findet nicht überall 
die Duantität der grauen Maſſe in Uebereinſtimmung mit der Qua—⸗ 
Io 


fickt der in fe eintretenden weißen Dafe wie es wi müßte, w wenn 
die weiße Maffe ihrem * aus der grauen wien⸗ 


8.109. Das Radenmert ‚gleicht einem — u 
fenkrecht in den Kanal der Wirbelfäule hineinhängt; Obgleich fein 
Name von einer Verwechfelung mit dem Knochenmarke herſtammen 
mag, fo darf ich doch wohl hoffen, daß Sie dieſe beiden voͤllig ver⸗ 
ſchiedenen Dinge gehörig von einander unterfcheiden werden. Das 
Knochenmark ($. 30) findet fih im Innern des Knochengewebes 
und. gehört dem Knochen ſelbſt an; das Ruͤckenmark iſt nicht im 
Innern der Knochenſubſtanz, ſondern wird nur von den. ringfoͤrmi⸗ 
gen Wirbeln umſchloſſen, und für die thieriſche Oekonomie find. beide 
Theile unendlich unterfchieden. — Das Rüdenmark füllt lange 
nicht den ganzen Wirbelkanal aus, ſondern iſt an ſeiner breiteften 
Stelle innerhalb der Halswirbel nur 7 Linien breit, wird dann in 
den obern Ruͤckenwirbeln duͤnner und darauf in den untern Ruͤcken⸗ 
wirbeln, mo die Nerven ber untern Extremitaͤten ſich mit ihm ver⸗ 
binden, wieder. etwas breiter. Im erſten Lendenwirbel verſchmaͤ⸗ 
lert es ſich aber ſehr, und hoͤrt bald voͤllig auf, indem nur noch ein 
ganz duͤnner Faden, der bald alle Nervenſubſtanz verliert, ſich her⸗ 
abzieht. Es iſt alſo das Ruͤckenmark bei weiten nicht ſo lang, als 
der Kanal in der Wirbelſaͤule. Die Hüllen des Rüdenmarks 
find dreifach. ' Eine fipröfe Haut (C), aus-flarken Faſern zuſam⸗ 
mengemwebt, umgiebt es ziemlich lofe und verlängert fid) bis in das 
Kreuzbein, fo dag zwifchen ihr und dem Ruͤckenmarke eine merkliche 
Luͤcke bleibt. Sie heiße die harte Ruͤckenmarkshaut. 
Eine andere Haut, die weiche Ruͤckenmarks haut, ums: 
ſchließt das Ruͤckenmark ganz eng und ſenkt ſich in die Furchen defs 
ſelben, von denen wir ſogleich ſprechen werden, ein. In ihr ſind 
alle Blutgefäße enthalten, welche das Ruͤckenmark ernähren, und 
aus ihr treten fie in diefes Drgan, Man muß fie daher zu den Ges 
faͤßhaͤuten zählen. Eine ganz dünne gefäßlofe Haut umkleidet die: 
zulegt genannte von außen und die vorher beſchriebene von innen, 
ſo daß fie eine doppeite Lage bildet und die Höhlung zwifchen Ruͤ⸗ 
denmark und harter Ruͤckenmarkshaut unıgiebt. Sie heißt Spine 
newebenhbaut, gehört zur Klaffe der feröfen Häute und haucht 
einen feuchten Dunft in die Lüde aus, die ſie auskleidet. Wie 
überall, fd kann auch hier der feuchte Dünft krankhaft vermehrt und 





zu einer Waſſeranſammlung gefteigert werden. Dergleichen Waſſer⸗ 
fuchten des Ruͤckenmarks oder eigentlich des Wirbelfanalg werden 
durch den Drud auf das Ruͤckenmark ſehr gefährlich und entwickeln 
ei in der Fötusperiode, | 
Das Ruͤckenmark zeigt in der ganzen Mitteltinie feiner vors 
gr Flaͤche eine: tiefe rinnenförmige Spalte. Auf der hintern 
Flaͤche ift eine ähnliche, jedoch nicht fo deutliche Einfenktung, die 
"man äußerlich weniger, als in dem innern Gewebe, erkennt, Beide 
Spalten des Ruͤckenmarks ſieht man in der Abbildung des Durchs 
ſchnittes (Fig. 9. a. b.). Nach außen iſt das Ruͤckenmark ganz 
‚von weißer Subftanz gebildet, ein Queerdurchſchnitt zeigt aber im 
Innern graue Subftanz und zwar in Form eines Kreuzes ,- von 
dem 2 Schenkel nad) vorn gehen, zu beiden Seiten der vordern 
Spalte (Big. 9. c.c.), und 2 Schenkel nad) hinten, zu beiden 
Seiten der hintern Spalte (d. d.). Da das Ruͤckenmark überall 
im Durchſchnitte das graue Kreuz zeigt, fo folgt: daraus, daß die 
graue Maffe einen Mittelförper mit vier vorfpringenden Leiſten bil 
def, welche ducch das ganze Ruͤckenmark laufen. Jede diefer vier 
Leiften ift von weißer Maffe umgeben, So bildet das Ruͤckenmark 
gleichſam vier Stränge, von denen die beiden vordern und die beis 
den hinterm durch die Spalten deutlich getrennt find‘, jeder vordere 
aber mir dem Hintern Strange von derfelben Seite innig verbunden 
iſt. Es iſt nämlich die weiße Maffe, welche fih auf der Seite zwi⸗ 
ſchen den Schenkeln des grauen Kreuzes befindet, dem vordern und 
hintern Strange gemeinſchaftlich. Dieſe Maſſe €. k.) wollen wir 
die Seitenſtraͤnge nennen, dabei aber eingedenk bleiben, daß ſie 
nicht neben den * Straͤngen da ſind, ſondern dieſen gemeinfchafte 
lich angehoͤren. (g. 8. zeigt den Umfang det vordern und h..h. 
ben — der Hintern re | 


| Ganz in der Mitte des Ruͤckenmarkes, im Innern des grau: 
she beim queeren Durchſchnitt erfcheint, zeigt fich 
in früher Jugend ein fehr enger Kanal. Diefer enge Kanal ift im 
Rüdenmark aller Thiere bleibend‘; im erwachfenen Menfchen 
ſchwindet er aber allmahlig. (Bei e ift feine Stelle.) | 


$. 170, Das Ruͤckenmark ftcht mit 30 Nervenpaaren in 
Verbindung, Da es gleichgültig ift, ob wir die Nerven als in die 
| 10° 


— — 148 —ñ— 


Centraltheile ſich einſenkend, oder aus ihnen hervorgehend betrach⸗ 
ten, * für die Beſchreibung aber die letztere Anſicht bequemer iſt, 
fo wollen wir ung der auf diefe Anficht ſich beziehenden und allge: 
mein gebrauchten Ausdruͤcke bedienen, und Eönnen es hier um fo 
mehr, da die Nerven des Nüdenmarkes nie fo vollftändige Em: 
pfindungsnerven find, als einige Hirnnerven, Es ift vielmehr in 
ihrer Thätigkeit die Bewegung vorherrſchend. Nach dieſer Anficht 
wird die Verbindung der Nerven mit dem Centraltheile der Urfprung 
genannt. Alle entfpringen mit doppelten Wurzeln, einer vordern 
und einer hintern, aus dem Ruͤckenmarke. Erſtere fommt aus den 
vordern, legtere aus den hintern Strängen des Ruͤckenmarks und 
fämmtlihe Wurzeln liegen in einer. graden Linie hinter einander, 
gegen welche die Schenkel (oder Keiften) der grauen Maſſe gerich⸗ 
tet ſind. An dieſen ſcheint der innerſte Urſprung der Nerven. Jede 
Wurzel beſteht wieder aus vielen hinter einander liegenden Fäden, 
die ſich fammeln, um gemeinfhaftlih durch ein Loch der Härten 
Nüdenmarkshaut zu gehen. Kaum find fie ducchgegangen, fo er⸗ 
halten fie einen Ueberzug der genannten Haut, bie nun als Nerven⸗ 
fheide die Nerven bekleidet.  Gleih nach dem Durchgange durch 
die harte Haut verbinden ſich die vordere und hintere Wurzel zu ei⸗ 
nem gemeinfhaftlihen Nervenftamm, nachdem die hintere Wurzel 
vorher im einen rundlichen Nervenknoten angefhwollen war, an 
welchem die vordere (Fig. 9.1. K) Wurzel keinen Antheil hat. 
Die Stämme der Nüdenmarkönerven treten aus den Luͤcken hervor, 
welche ſich fets da zwifchen zwei Wirbeln finden, wo der. Wirbel: 
bogen an dem Wirbeltörper anfist. Nun geht die Vertheilung der 
Nerven an. Ueberhaupt werden alle äußern Theile des Rumpfes und 
die Ertremitäten ganz von Ruͤckenmarksnerven verforgt. Es find 
alfo vorzäglich die willführlihen Muskeln und die Äußere Haut, 
denen das Nüdenmark Nerven ſchickt. Die Organe im Innern 
der Bruft und Bauchhöhle find, wie wie twiffen, davon ausgefchlof- 
fen; allein wo diefe Organe an die außere Oberfläche treten, wie 
am After und den aͤußern Gefchlechtstheilen, erhalten fie ebenfalls 





° Mollte man confequent ſeyn, To müßte man bie Empfindbungdnerven ald in 
die Gentraltheile fi einfentend, die Bewegungsnerven als heraustret nd 
betrachten. Hier zeigt ſich aber dadurch eine Schwierigkeit, . daß die meis 
fien Nerven ber Empfindung und Bewegung zugleich dienen... 0° 


u 149 —— 


Faͤden von Ruͤckenmarksnerven, ſo wie oben der Mund von Hirn⸗ 
nerven verſorgt wird. Ueberdieß giebt jedes Nervenpaar noch ein 
oder mehrere Verbindungsfaͤden an das |plaftifche Nervenſyſtem ab. 
Unter fi) find die Ruͤckenmarksnerven audy durch herüber laͤufende 
Aeſte verbunden, beſonders bilden die Nerven fuͤr die Extremitaͤten 
anſehnliche Geflechte, ehe fie im dieſe Theile uͤbergehen. Es wäre 
durchaus uͤberfluͤſſig, hier alle einzelnen Nerven vollſtaͤndig zu be⸗ 
ſchreiben. Folgende allgemeine Ueberſicht mag und genügen: 


Im Allgemeinen werben die Nerven mach der Negion der 
Wirbelfäule benannt, aus der fie hervortreten. So zähle man 
acht Halsnervenpaare (dig. x. I-VIII), wovon das erfte 
aus ber Lie zwifchen dem Hinterhaupt und dem Atlas, das legte 
zwiſchen dem ſiebenten Halswirbel und erſten Ruͤckenwirbel hervor: 
tritt, zwölf Rüden: grven (IX—XX), fünf Lendenz 
nerven (XXI — V) und fünf Kreuzbeinnerven 
(XXVI — XXX) auf jeder Seite. Die vier obern Dalsneryen 
verzweigen fi an den Nggen und den Hinterkopf. Der Zte und 
4te bilden uͤberdieß noch gemeinfchaftlich den Zwerchfellsner— 
ven («), deſſen Name den Ott feiner Beſtimmung angiebt. Die 
vier untern Öalenerven verbinden fic zu dem Armgeflechte (a), 
aus welchem fämmtlihe Nerven für die obere Ertremitaͤt hervorges 
ben, Die größten unter diefen find der Speihennerve (P), 
der längs der Speiche und an der Streckfeite des Vorderarms herab 
Luft, der Mittelnerve (7), der an ber Beugfeite des Vor⸗ 
derarms niederfleigt und der Ellenbogennerve (8), der in 
der Mitte des Armes zwifchen dem Ellenbogenhöder und dem innern 
Gelenkhöder des Dberarmbeing liegt,, wo er leicht von einem Stoße 
leidet, und dann dem Ellenbogenbeine bis zur Hand folge, Affe 
drei Nerven geben im Verlaufe viele Aeſte ab und namentlich vera 
forgen die beiden legten die Papillen an den Zingerfpigen. 


Die Ruͤckennerven verzweigen fi in die Zwifchenräume zwi⸗ 
ſchen den Rippen) Die Lenden= und Kreuzbeinnerven bilden eben« 
falls ein Geflecht, das die Nerven für die untere Ertremität giebt, 
namentlih den Schenkelnerven (e), für die vordere Seite 
des Oberſchenkels, und den Huͤftn erven (9 ), den ſtaͤrkſten des 
ganzen Körpers, für die Hintere Fläche des Dberfchenkels, den Un» 
terſchenkel und den Fuß, 


u 
—* Be 


“/4 RR 150 — « 


 Meberblidt man in unferer 2ten Figur ſaͤmmtliche Nuͤcken⸗ 


marksnerven, ſo ſieht man, daß die obern in horizontaler Richtung 


vom Ruͤckenmarke abgehen und die Harte Ruͤckenmarkshaut nach 
kurzem Verlaufe erreichen. Die untern Nerven ſteigen aber immer 
mehr herab, und da der Kanal, den die harte Ruͤckenmarkshaut bil: 
det, wiel länger ift, als das Ruͤckenmark felbft,, fo verlaufen fie eine 
ziemlich lange Strede, Bis fie dieſe Haut erreichen. ° Auf: diefe 
Weiſe fieht das untere Ende be es Ruͤckenmarks mit den aus demfel- 
ben heranstretenden Nervenfüden faft aus, wie der Schweif eines 
Pferdes, und wurde in der That von den ältern —— der 
| Pferdeſchweif (Cauda —— genannt. 


$. ııı. € if immer —— von den Verrichtungen ei⸗ 
nes einzelnen Theiles des Nervenſyſtems zu ſprechen, da die vers 
fhiedenen Theile deffelben mehr oder weniger aemeinfchaftlidy wir: 
ten, Indeſſen müffen wir doch zu erforſchen fuchen, in wie fern 
das Nücenmark mit dem Hirne in feiner Wirkfamkeit überein 


ftimmt, oder fih davon unterfcheidet, ag werden folgende 


Tau die nöthige Auskunft geben. 


—— man die Wurzel irgend eines Nerven vom Htaen 


| —* ab, ſo kann das Thier, wie ſich erwarten ließ, den Theil nicht 
mehr bewegen, zu welchem jener Nerve gehört, und auch die Em: 
pfindung geht in ihm verloren, Durchſchneidet man das Rüden: 
mark etwa in feinem untern Theile der Quere nach, fo hört ſogleich 
- Bemeglichkeit und Empfindung in allen denjenigen Gegenden auf, 
welche aus dem abgefihnittenen Theile des Ruͤckenmarks ihre Nerven 
erhalten. Meizt man nun auf mechaniſche Weife oder dur den 
Galvanismus das abgefchnittene Ende des Ruͤckenmarks, fo entſte⸗ 
ben Zudungen in jenen gelähmten heilen. Wir ſchließen daraus, 
daß das abgefehnittene Stüd des Nüdenmarks zwar noch im Stan: 
de ift, durch feine Nerven Bewegung hevvorzurufen, daß aber der 
Wille des Thiers nicht mehr auf diefes Ende zu wirken vermag. 
Daffelbe finder-ftatt, an welcher Stelle auch der Duchfchnitt ges 


\ 


macht ſeyn mag, Es laͤßt fich aber auch beweifen, daß in dem ab⸗ 


geſchnittenen Theile des Ruͤckenmarks die Faͤhigkeit, die durch die 
Neroen dahin geleiteten Erregungszuſtaͤnde zu percipiren, nicht ſo— 
gleich aufgehört hat, Durchſchneidet man naͤmlich das Rüden: 


" — 151 — — 
mark etwa in ſeiner Mitte oder: noch * nach dem Hirne zu, und 
bringt man nun einen fehr ſtarken Neiz auf einen der untern 
Ruͤckenmarksnerven an, fo entfieht ein Buden,. nicht nur in 
dem Beeic des gereizten Nerven, fondern auch in andern Thei— 
ten. Das Eönnte nicht gefchehen, . wenn nicht die Reizung des 
Bent auf das durchſchnittene Ende des Ruͤckenmarks fortgepflanzt 
wäre, und diefes nicht wieder von innen aus auf die andern Ner— 
ven als Eentraltheil gewirkt hätte, Das abgefchnittene Ruͤckenmark 
hat alfo die Nervenreizung aufgenommen, ohne daß das Thier diefe 
Neizung empfunden hat. Iſt das Ruͤckenmark aber nicht durch— 
Schnitten, fo wird jede Neigung, die duch die Nerven zuerſt auf das 
Ruͤckenmark geleitet wird, Tebhaft empfunden. Daſſelbe erfolgt, 
wenn man das Ruͤckenmark felbft unmittelbar reizt. Mit einem 
Morte, die Reizungen des Ruͤckenmarkes kommen nur dann zum 
Bewußtſeyn, wenn das Ruͤckenmark mit dem Hirne in Verbindung 
it, und nur dann kann das Bewußtſeyn durch das Rüdenmark 
Bewegungen hervorbringen. Der Theil, aus welchem das Bes 
wußtſeyn urſpruͤnglich wirkt, oder in welchem es, wie man ſich 
ausdruͤckt, feinen Sitz hat, iſt mithin das Ruͤckenmark nicht, fon: 
bern vielmehr das Hirn. Das Nüdenmark fteht unter der: Herr: 
Schaft des Hirns und iſt das Mitteiglied zwifchen diefem und dem 
Rumpfe. Was die Nerven für die einzelnen Theile find, das ift das 
Rüdenmark für den ganzen Rumpf und die Extremitäten. Es iſt 
gleihfam die Summe aller feiner Nerven, Es Ieitet ohne Zweifel 
durch ſeine weiße gefaſerte Maſſe die Erregungen von den Nerven 
zum Pin und vom Hirn zu den Nerven. 


J Wie bei den Einftlichen Verſuchen an Zhisten die Did 
fhneidung des Ruͤckenmarks, oder die fonftige Zerſtoͤrung eines Theile 
von ihm, bie Einwirkung des Hirmes auf den untern Theil des 
Körpers aufhebt, fo ſieht man diefe Unterbrehung auch in krank— 
‚haften Zuftänden. Es entfieht eine Lähmung der untern Ertremi: 
täten, wenn der untere Theil des Ruͤckenmarks gedrückt wird, et⸗— 
wa durch Erguß von Flüffigkeiten in den Wirbelkanal, oder durch . 
Berfhiebung verfchiedener Theile der MWirbelfäule, ferner nad 
krankhafter Zerftörung des Nüdenmarks, Eine folche Zerftörung ers 
folgt 3.8. , wenn ducd) einen Fall oder andere Verlehung det Wirs 
beifäule eine Entzündung und Vereiterung im Rüdenmark ferbft 


h | a. 15T Fe ” 
fih ausbildet, Auch nah Ausfchweifungen im Gefchlechtätriebe 
entfteht zumeilen ein Schwinden im Nüdenmarfe, Es ift mark 
würbig, wie lange das Leben bei einer ſolchen Zerftörung des uns 
tern’ Endes noch beſtehen kann. Je näher an dem Hirne die Zer⸗ 
ftörung ift, um defto ſchneller endet fie das Leben. . -Cine bedeutene 
de Quetfchung des Rüdenmarks in den»oberften Halswirbeln tödtet 
ſogleich. Ich habe einen Menfchen gefehen, der an der Rüden: 
barre.litt, und feit Jahren alle Empfindung und Bewegung in der 
untern Hälfte feines: Körpers verloren hatte, Sein Denkvermoͤgen 
war nicht im geringften geſtoͤrt. Es hatte "etwas Furchtbares, hier 
einen lebenden-Kopf und ein Paar lebende Arme auf einem Rum: 
pfe zu fehen, der zwar athmete, aber übrigens dem mwollenden und 
empfindenden Ich ganz fremd zu feyn ſchien. Nach dem Tode fand 
man das Ruͤckenmark in feiner untern Hälfte ganz vereitert, 


Ob das Ruͤckenmark in allen feinen Theilen gleichmäßig von 
dem Gehirn zue Peripherie und umgekehrt leiten Eönne, iſt eine 
Stage, welche die Phyſiologen in neuerer Zeit fehr befchäftigt hat, 
Man durhfchnitt die hintern Wurzeln der Nerven für die obere oder 
untere Ertvemität und bemerkte, daß die Empfindung in diefen 
Theilen erlofhen war, daß die Bewegung aber noh dem Willen. 
des Thiers gehorchte. Es wurden num bie vordern Wurzeln allein 
durchſchnitten, während die hintern unverlegt blieben, und die Em: 
pfindung blieb, aber die Beweglichkeit hörte auf. Man zerſtoͤrte 

darauf an andern Thieren, bei denen die Nerven unverlegt waren, 
die hintern Stränge dee Ruͤckenmarks, und auch hierdurch war 
die Empfindung unterhalb der verlegten Stelle aufgehoben, Bere 
ſtoͤrung der vordern Stränge des Ruͤckenmarks hatte den Verluſt der 
Beweglichkeit zur Folge. Es fiheint daher, daß die vordern Straͤn⸗ 
ge des Rüdenmarks, und die vordern Wurzeln der Nerven von 
dem Hirne zur Peripherie leiten, die hintern Stränge ynd hinten 
Wurzeln aber von der Peripherie zum Hirn, Darauf mag es zur 
meilen beruhen, daß bei mandyen Krankheiten des Rüdenmarks 
‚nur die Bewegung, bei andern.nur die Empfindung aufhört. Sn: 
deſſen glaube ih nicht, daß dieſe Berrichtungen fo vollftändia ges 
fchieden find, als einige Efperimentätoren meinen, weil nicht alle 
Faſern des Ruͤckenmarks gleichmäßig in einerlei Richtung fortzuges 
ben feinen, . Im Allgemeinen behalten fie wohl diefelbe Richtung. 


— 15353 — 
u 
Daraus mag es fich etwa erklaͤren, daß es uns leichter wird, ben 
Arm und das Bein berfelben Seite in gleihmäßiger Richtung im 
Kreiſe zu drehen, als in entgegengefegter, weil im erſtern Sale 
| — Faͤden nach einander wirken re | * 


5 








—Sehnte Vorlefung. 
a.nt. tb. .n.0 





443112. 


Un die Form und den Bau bes Hirns gehörig kennen zu 
lernen, wird es paſſend ſeyn, vorher feine aͤußere Geſtaltung und 
dann ſein inneres Gewebe und namentlich ſeinen — 
mit dem Ruͤckenmark zu unterſuchen. 

Das menſchliche Gehirn beſteht, wie das Gehirn aller Thiere, 
aus mehreren Abtheilungen. Saͤmmtliche Abtheilungen ſind beim 
Menſchen mehr, als bei irgend einem andern Thiere, in eine nach 
allen Seiten gerundete Maſſe vereint. Wir werden im zweiten 
Theile unſerer Vorleſungen ſehen, daß eben in dieſer Annaͤherung 
an die Kugelform eine weſentliche Auszeichnung des menſchlichen 
Gehirns beſteht. Ein MOTOR ih liegt in feiner Größe Es 
** im Durchſchnitte 234 — 3 Pfd. und zuweilen mehr, — 


Die — des Gehirns find das große Hirn 
(Sig. ı. a), das kleine Hirn (b) und das fogenannte ver= 
längerte Mark (c) oder der Theil, welcher die genannten 
Abſchnitte mit dem Rüdenmarfe in Verbindung fest. Zwiſchen 

dem großen und- Eleinen Hirne finden ſich nod) die VBierhügel, 
ein Theil, welcher das, Verbindungsglied zwifchen beiden ift, von 
dem großen Hirne aber ſo bedeckt wird, daß man bei ber Definung 
des Schädels nichts davon fieht. 


* 


Bee a; 
113. Das große Hirn (/Cerebrum) nimmt dei 
größten Theil der Schädelhöhle ein, namentlich bie vordere 
und obere Gegend derfelben. Seiner ganzen Länge nad if 
es von. oben durch eine tiefe Spalte getheilt. Die beiden. 
Hälften, die dadurch entfichen, werden die Halbkugeln oder 
Hemifphären I des großen Hirns genannt. Ihre Ober: 
fläche ift nicht ‘glatt, fondern zeigt unregelmäßig gewundene Er-- 
babenheiten, zwiſchen welchen tiefe Furchen eingehen. Die un- 
tere. Flaͤche der Hemifphären ift nach der’ Baſis der Schädel: 
hoͤhle und dem Naume, ben die übrigen Hirntheile einnehmen, 
nicht fo regelmäßig gewoͤlbt, als die obere. Namentlich findet 
fi) eine ſeht ſtarke Queerfurhe, die Sylvifhe Grube, ? 
welche der vorragenben Leifte, die das Stirnbein mit dem klei— 

nen Flügel des Keilbeins bildet, entſpricht. Es ſcheidet diefe 

Furche den vordern Hirnlappen 3 von dem mitt- 
lern ? ab. Sener ruht auf dem Stirnbein, diefer auf den 
großen Flügeln des Keilbeins. Weniger abgegränzt iſt die Ver⸗ 
laͤngerung nad hinten oder ber hintere Lappen, 9 wel: 
cher fih nach dem Hinterhaupte erftredit, über dem Kleinen Hirne 
liegend. Diefer ganze Umfang der Hemifphären zeigt überall 





1 Die einzelnen Abtheilungen ober Theile des Hirns liegen größtentheild fo 
über und in einander, daß es fehr fchwer wird von dem Bau biefed Dre 

— gans dem Anfänger eine deutliche Unſchauung zu geben \ 
Abvbbildungen ber einzelnen Theile würden zu gar nichts fruchten, ba bie 
Kenntniß, der ‚gegenfeitigen Lage die Hauptfchwierigkeit if. Mir haben 
deshalb auf unferer 6ten Tafel nur Abbildungen gegeben, bie bad Kirn 
ans oder wenigſtens größere Abſchnitte beffelben zeigen. ir fehen eine 
nſicht von hinten (Fig, 1), eine zweite von unten (Big. 5), einen ſenk⸗ 
rechten Durchſchnitt (Fig. 2) und einen horizontalen Durchſchnitt 
(Big. 7) ſo wie eine Abbildung der auptfaſerung von der Seite 
angeſehen (Fig. 4), und eine Anſicht des kleinen Hirns mit durch— 
fhnittenem Wurm (Big. 6). Damit der Leer die verſchiedenen Theis 
le in jeder diefer Anfichten wieder finden Eönne, ift jeder Theil in den Fi⸗ 
guren 2, 4, 5, 6,und 7 mit bemfelben Buchitaben bezeichnet. Die Dirns 
nerven haben roͤmiſche Ziffern erhalten, nach der Neihenfolge i ved Aus⸗ 
gangs aus der Schäbelhöhle, fo daß auch Fig. 2, 3 und 5 hierin mit ein- 

ander fiimmen. Nur Fig. rift abweichend beziffert worden. 

Die Hemifphären bes großen Hirns fieht man in Fig. r von Hinten bei 
h, in Fig. 2 von innen und in Fig. 5 (bei r’, r’’ und x‘) von unten. 


2.9 in Dig. 5 \ 

3. r’ in Sig.5, 4 und 7. 

4. * ebend. ' 

5. x‘ ebend, und in Fig. ı bei b von hinten, 


! 


. vonder 


— 1 55 — — 
deutliche und nicht ſymmetriſche Windungen. Die Oberfläche jeder 
Windung wird von einer Lage grauer Hirnmaffe gebildet, das In⸗ 
nere derſelben befteht aber aus weißer Maffe. Je tiefer man in die 
“ Hemifphären eindringt, um deſto mehr findet man weiße Maffe, bis 
man endlich wieder auf —* ſtoͤßt, die in ve Innern graue 
Re — 


Bevor. wir zu Dielen übergeben, wollen wir no einmal die 
untere Fläche. des großen Hirns anſehen, um einige Theile zu be⸗ 
merken, die in der Mitte liegen, keine Windungen zeigen, ‚über 
haupt nicht mehr zu den Hemifphären gerechnet werden koͤnnen. & 
bemerken wir zwei runde deutlich”aefaferte Körper, die von hinten 
nah vorn und von innen nach außen ſich erſtrecken, und in die ver- 
beiten Theile der Hemifphären Üüberzugehen ſcheinen. Sie beißen 
die Schenkel des großen Hirns (Crura cerebri), ® 
find der Länge nad gefafert und äußerlich aus weißer Maffe gebil⸗ 
det, verdecken aber tief im Innern eine fehr dunkle Hirnfubflanz, 
welche ſchwarze Subflanz genannt worden ift, indeifen- nur durch 
flärkere Färbung von der gewöhnlichen grauen Maffe ſich „unterfcheis 
det. Vor den Hirnſchenkeln fieht man die Markkuͤgelchen 
(Corporamammillaria s, candicantia), 7 zweiserbfenförmige 
weiße Hervorragungen. Bor den Markkügelchen hängt eine runde 
roͤthliche Verlängerung, der Trichter, 8 herab, die im Innern 
hohl ift und mit dem untern Ende an eine ganz eigenthümliche 
Maffe, die fogenannte Schleimdrüfe (Glandula pituita- 
via) oder den Hirnanhang, ? ſich anfuͤgt. Vor dem Trich⸗ 
ter ſieht man die kreuzfoͤrmige Verbindung beider Sehnerven. Die 
Schleimdruͤſe iſt von dem übrigen Hirne faſt ganz abgeſondert und 
liegt — in die Grube des Tuͤrkenſattels. Hier iſt ſie 

harten Hirnhaut faſt ganz bedeckt; nur der kleine Theil 
bleibt frei, der ſich mit dem Trichter verbindet. Beim Heraus: 
nehmen des Hirns aus der Schaͤdelhoͤhle bleibt dieſer Körper im 





6, p in Sig. 7 von unten, in Fig. 4 von ber Äufern Seite. 
7. tz in Sig. 5. 
8.7 in Fig. 2 von innen, Fig. 5 don unten. - 
9. + im Big. 3 (zur Hälfte gezeichnet) und o in Fig. ı Taf. IX. | 


— 150 — 


mer in ſeiner Grube zuruͤck. Seine roͤthliche ſchwammige Maſſe 
hat ſo wenig Aehnlichkeit mit dem uͤbrigen Gehirn, daß man in 
der That zweifelhaft ſeyn koͤnnte, ob er zu ihm gehoͤre; indeſſen 
iſt das Hirn das einzige Organ, mit dem er in Verbindung ſteht. 
Druͤſig iſt er gewiß nicht, wie der Name zu glauben verleiten 
koͤnnte; denn es fehlt in jeder Hinſicht ein drüfiger Bau. Wir 
werden bald fehen, daß man den Hirnanhang als das legte seid 
ſam abgeftorbene Ende des Hirns anfehen muß. 

Menden wir das Hirn um, damit wir von A obern Flaͤ⸗ 
che aus es weiter nach innen unterfuchen Eönnen! Werden hier die 
beiden Hemifphären aus einander gebogen, fo fieht man im Boden 
der Spalte einen weißen Körper, der wie eine Brüde beide Demi: 
fphären mit einander verbindet. Er ift in der That ein nicht fehr 
dicker Körper, der gleich dem Bogen einer Brüde nach beiden Sei: 
ten fidy in die Hemifphären hinein ausbreitet, und, ba jede Hemis 
fphäre eine Höhle enthält, zugleich zur Dede, diefer Höhle wird. 
Nach vorn und hinten ift der Balken (corpus callosum), 19 
denn fo wird diefer Körper genannt, kniefoͤrmig umgebogen und 
aus der Umbiegung verlängert er ſich nach beiden Seiten in gewiffe 
Tpeile der Hemifphären. Von der Mitte der untern Fläche des Balz 
tens hängt der Länge nach ein dünnes Blatt herab, bie du vrih ſich⸗ 
tige Scheidewand, (Septum pellucidum). 21 Im Grunde 
find es aber zwei ganz dünne Blätter, die neben einander herabhaͤn⸗ 
gen und ſogar eine kleine Luͤcke zwiſchen ſich laſſen. Man hat dieſe 
Luͤcke die fünfte Hirnhoͤhle 12 genannt, fie iſt aber von den 
übrigen Hirnhöhlen völlig getrennt, und auch ihrem Wefen nach ver⸗ 
fhieden. Der untere Rand der durchfichtigen Scheidemand ftößt auf 
das Gewölbe fFornix), 73 deſſen Befchreibung in kurzen 
Worten zu geben mir befonders ſchwierig fcheint, Man ſieht in 





10. Der Balken ift in unfern Abbildungen nur im Durchfehnitte bargefteltt, und 
zwar bei x in Fig. 2. Der hinterfte Theil ift in Fig. 7 zurüdge! Hlagen, das 
Uebrige weggeſchnitten. 


ı1. v in Fig. 2 von ber Seite zu ſehen, in Fig. 7 dad unteriie Ende im 
Durchſchnitt. 
12. & in Fig. 7. 


13. in Sig. 2. In Fig. 7? find die Hintern Schenkel durchſchnitten und zurüd: 
geſchlagen; bie durchſchnittenen vordern Schenkel fieht man dicht der der 
vordern Commiſſur o, 


der zweiten Figur am untern und Hintern Rande dee bucchfichtigen 
Scheidewand einen weißen Streif. Er fiellt die eine Hälfte des 
Gemwölbes vor. Es kommen nämlich zwei ſtrangfoͤrmige Körper 
(vordere Schenkel des Gemwölbes) dicht neben eine 
ander aus der Mitte der Hirnbafis, feigen im Bogen in die Höhe 
gegen das hintere Ende des Balkens, wobei fich die beiden Stränge 
allmählig von einander entfernen, und in dee dreiedigen Lüde, die 
fie zwifchen fich laſſen, bleibt dadurch die untere Fläche des Balkens 
unbebedt. Der Balken hat aber überall Queerfireifen. Man fieht 
alfo hier ein Dreied mit Queerftreifen, das man die Harfe 1* 
(Psalterium) genannt hat, das aber nichts als ein Theil des Bal⸗ 
kens ift. Die hintern Schenkel des Gemwölbes gehen in die Seitens 
theile und verbinden fich mit den hintern Schenkeln des Balkens, 


‚ Wenn man das große Hirn in folher Tiefe queer durchſchnei⸗ 
bet, daß der Schnitt grade auf die untere Fläche des Balkens trifft, 
fo ſieht man in jedee Hemifphäre eine anfehnlihe Höhlung, die 
Seitenhirnhöhle oder den Seitenventrifel, 1° 
Jeder diefer Ventrikel läuft in drei Verlängerungen (Hörner) 
aus. Das vordere Horn 1° ift eine Verlängerung, die 
fi) in den vordern Hirnlappen hineinzieht, : ein hinteres 
GHorn 17 geht eben fo in den Hintern Hirnlappen, beide find an 
ihren Enden gefchloffen; nad) den Seiten fteigt aber das herab= 
gehende Horn 1° hinunter und erreicht die: Bafis des Hits 
nes. Durd) diefe legte Verlängerung iſt alfo jeder Ventrikel nach 
außen offen. Auch unter einander flehen fie in Verbindung. Zwar 
liegt die ducchfichtige Scheidewand und das Gewölbe zwiſchen bei⸗ 
den Seitenhoͤhlen; allein unter dem Gewölbe ift offene Communis 
cation. Die Wandungen der Seitenventrikel find nicht eben, es 
ragen vielmehe Eleinere und größere Exhabenheiten in fie hinein, die. 
batd mehr, bald weniger ausgebildete Theile des Gehirnes find, 


Br 





14. x in Fig. 7 


I. 5 
16. #’, in Sig. 7 
17. 5’ 


18 „7% ber Anfang ift audgezeichnet, dab in * Tiefe aa Ende durch «ir 
nen punktirten Umriß angedeutet in Big. 7 


=..158 — 


Ich will de Vogelklauen, 77 einer ſchmalen Erhabenheit im 
hintern Horne nicht weiter erwaͤhnen. Aber groͤßer und wichtiger 
für die ganze Hirnbildung ift das Ammonshorn oder der 
Seepferdefuß (Corna Ammoönis, Pes hippocampi), 20 
ein gedrehter Wulſt, der das herabfteigende Horn begleitet und mit 
ihm an die Bafis des mittleren Hirnlappens gelangt, Neben dem: 
felben liegt dag Band (Taenia). Im Mitteltheit jeder Hirn- 
Höhle fieht man nad vorn eine Länglidhe Erhabenheit, den ge— 
freiften Körper (Corpus striatum). 21° Er iſt Außer: 
ch aus grauer Maffe gebildet, und innerlich wechſeln ‚graue und 
weiße Maffe wie Strahlen mit einander. Hinter ihm iſt eine zweite 
rundliche Erhabenheit, welche aͤußerlich weiß erſcheint, aber im Ins 
nern auch graue Maſſe enthaͤlt. Man nennt ihn den Sehhuͤgel 
(Thalamus opticus), weil aus ihm eine Verlaͤngerung ſich herab⸗ 
zieht, und weil er auf der Bafis des Hirns zum Sehnerven mird, 
Beide Schhügel find Häufig durch eine weiche Maffe (Commissü- - 
va mollis) verbunden, Zwiſchen dem geſtreiften Koͤrper und dem 
Sehhuͤgel iſt noch ein ſehr ſchmaler bandfoͤrmiger Markſtrei⸗ 
fen. Es wird zum naͤhern Verſtaͤndniß * ſeyn zu bemerken, 
daß der geſtreifte Koͤrper und der Sehhuͤgel auf der Stelle aufſitzen, 
wo der Schenkel des großen Hirns in die Hemiſphaͤre übergeht, Ue⸗ 
ber den Sehhügeln ift der Raum, wo beide Seitenventrikel mit 
einander comminieiren. Btifchen‘ den beiden Sehhuͤgeln bleibt 
aber eine noch tiefer nach unten eindringende Luͤcke, die fogenannte 
dritte Hirnhöhle, 22 von der Sie nad) ber gegebenen Dar⸗ 
ſtellung ſogleich bemerken werden, daß fieiin ganz offener Commu— 
nication mit den Seitenhoͤhlen ſteht. Vor und hinter der dritten! 
Hienhoͤhle ſind weiße £ Queerbaͤnder, die vordere 20 und hin— 
tere * Commijfur genannt Unter der vordern Commiſ⸗ 
ſur verlängert ſich unſere dritte Hienhoͤhle in die Hoͤhlung des Trich⸗ 
ters, und unter der Hintern Commiſſur ſieht man den Anfang eines 


_ 





19. w in Fig. 7. 
20. v ebenda. 
21. uin Sie. 7. 
22. 6, in Fig 2 im Durchſchnitte in Sig. 7 von oben. 
23. o in. Fig. 2.4008 7. 
24. n Big. 7. 


— — 159 — — 


hohlen Ganges (der Bafferleitung des Sylvius), 
" welche die dritte Hirnhoͤhle mit der zwiſchen dem Eleinen Hirne und 
dem verlängerten Marke liegenden vierten Hirnhöhle in Verbindung 
fegt. Nach einer obfoleten.und'obfeönen Benennung hieß der Eins 
gang in den Trichter vulva und der Eingang in die Wafferleitung 
anus Cerebri. Bedeckt wird die Wafferleitung von den fogenanns 
ten Vierhügeln, auf die wie nım übergehen müffen. 


Zwifchen dem großen und Kleinen Gehirn, und bedeckt von dem 
hintern Umfang des großen Hirns, Liegt ein Theil, welchen man die 
Vierhuͤgel (Corpora quadrigemina ) 25 nennt, weil er mit 
feiner obern Fläche ein vorderes und ein hinteres Paar Exrhabenhei- 
ten bildet. (Nates et Testes). Diefer Hirntheil ftößt vorn an die 
hintere Commiffur und geht dort in das große Hirn über. Hinten 
fest er fih fort in das Eleine Hirn. Er enthaͤlt graue Maffe in 
feinem Innern, Ueber diefem Theile, aber nicht unmittelbar mit 
ihm ‚verbunden, liegt die Zirbeldrüfe (Conarium), 26 ein 
vöthlicher weicher Körper von der Größe einer Exbfe, jedoch etwas 
kegelfoͤrmig ausgezogen, welcher in feinem Innern bei ertwachfenen 
Menfchen kleine harte Koͤrnchen, den fogenannten Hirnf and, 
enthält. ı Chemiſche Unterfuhungen zeigen in diefen Koͤrnchen bie 
Mifhung der Knochen. Die Natur der Zirbel mag: mit der des 
Dithanhanges Webereinffimmung haben, wenigftens ift die Maffe 
eben: fo abweichend von der übrigen Hirrimaffe, aber auch die Zirs 
bei ſteht mit dem übrigen Hirn in unmittelbarer Verbindung. Auf 
jeder Seite geht nämlich ein dünner Faden (Stiel der Zir— 
J an den Sehhuͤgel und dieſen Theil — —* dem Bea 

ar ir 2. — Kg 

a) 4 
rl: 4 Das Heine Hirn nimmt den untern Kaum bes 
Hinterhauptes: ein und füllt. alfo vorzüglich die Hoͤhlung, die das 
Dinterhauptsbein bilder, aus. Von oben wird es von den hintern 
Lappen des großen Hirns bedeckt. 





25. m in Fig. 2. im Durchichnitte, in Fig. 7. von oben. 
26. » Big. 2 


—— 160 — — 

Auch im kleinen Hirn ſehen wir zwei ſeitliche Theile, bie 
Hemiſphaͤren ?7 des kleinen Hirns, melde breiter und hoͤ⸗ 
her ſind als der Mitteltheil, der Wurm (Vermis) 28 Die 
Windungen des Eleinen Hiens find von denen des großen fehr ver: 
fchieden. Sie liegen nämlich parallel über einander und find viel: 
mehr Blätter, als wahre Windungen. Die Zahl der Blätter be- 
laͤuft fi auf mehrere Hundert. Jedes Blatt iſt auf beiden Seiten 
don grauer Subftanz bekleidet, in deren Mitte fich die weiße Sub- 
ſtanz hinein zieht. Nach dem Innern der Hemifphären’ zu, wo 
die Blätter zufammenftoßen, fteht die Markfubftanz des eimen 
Blattes mit. der des andern in Verbindung, und es entſteht eine 
Anfammlung von weißer Maffe, die wir das Marklager??nens 
nen. Daffelbe Verhaͤltniß if im Wurme. Wenn man nun eine 
Hemifphäre oder den Wurm fenkrecht durchſchneidet, fo hat der 
Durchſchnitt der Markfubflanz die Form eines verzweigten Baumes, 
deffen Aeſte überall einen Nand von grauer Maffe haben. , Diefe 
‚Anficht des Durchſchnittes hat man den Lebens baum genannt, 
. der alfo Eein befonderer Theil ift, -fondern nur eine Durchſchnitts— 
figur. 39. Im Durchſchnitt dee Hemiſphaͤren fieht man überdies 
innerhalb des Stammes vom Kebensbaum eine zadige graue Figur, 
die daher rührt, dag in der Mitte jeder Hemiſphaͤre ſich ein Körper 
von grauer Maffe befindet, welcher der gezahnte Körper 
(Corpus ciliare, Corpus dentatum) 31 genannt wird. Bor 
der Stelle aus, wo die Hemifphären mit dem Wurme zufammen- 
hängen , fieht man auf jeder Seite dreierlei weiße ſtrangfoͤrmige 
Verlängerungen ausgehen, welche zwar nicht ganz iſolirt find, aber 
doch deutlich genug hervortreten, um fie leicht zu erferinen. Man 
pflegt fie die Schenkel oder Arme des kleinen Hirns 
‚ zu nennen, Sie verbinden das Kleine Hirn mit den benachbarten 
Theilen. Der hintere Schenkel 22 geht in das verlängerte 
Mark über, der untere Schentel der Brüdenarm 
fleigt auf, den Boden des Hirns, den Schenkel des großen Hirns 
’ | | um⸗ 





27. ein Sig. 1.5 g in Fig. 2. 4. 5. und 6. 
28. din Sig. 1.5 hin Sig. 2. und 6, 

29. e di. 4 

30% h ig. 2 

31. f ın Sig. 4 

32, bin Sig, 2 und 4, 


⸗ — — 161 — — 


* und verbindet ſich mit dem der gegenuͤber liegenden Sei⸗ 

te in dee Bruͤcke oder dem Hirnknoten (Pons Varolii),33 

Der vordere Schenkel oder Bindearm 3* geht zu den 

Vierhügeln , und ift seben die Verbindung zwifchen diefem Theil 

und dem. Eleinen Hirn, deren wir oben erwähnten. Zwiſchen bies 

fen.beiden Schenteln ift ein dünnes Markblatt ausgefpannt, bie 
irnklappe (Valvula cerebri), 35 die das hintere Ende der 
ylvifchen — uͤberdeckt, ſo wie die Vierhuͤgel. 


158. Der letzte Theil des Hirnes fuͤhrt den ungeſchickten 
Namen des verlängerten Markes (Medulla oblongata), 
weil er eine offenbare Fortſetzung des Ruͤckenmarkes iſt, und ſich 
von dieſem auch in der Form wenig unterſcheidet. Nur oben, wo 
er an bie Bruͤcke ſtoͤßt, zeigt er eine merkliche Umwandlung. Hier 
ſieht man auf feiner hintern Flaͤche eine tiefe Grube, welche ſich uns 
ter den Wurm des kleinen Hirns verlängert; es iſt die vierte 
Hirnhöhle, 36 deren unteres Ende die Rautengrube, 37. 
auh Schreibfeder (Calamus scriptorius) heißt. Die Räns 
der diefer Höhle bilden zwei firangförmige Körper, die nichts find, 

als das Teste Ende der hintern Schenkel des Eleinen Hirns. Mes 
ben ihnen liegen an ber Seite eyrunde Erhabenheiten, die Oli— 
ven, 33 und an der vordern Fläche find auch die vordern Stränge 
des Ruͤckenmarks angefchwollen und bilden die Pyramiden, 39 


$. 116. Umgeben wird. das Hirn von dreierlei Häuten, wel⸗ 

che fich in die gleichnamigen Häute des Nüdenmarks fortfegen. Die 
aͤußerſte Huͤlle bildet die harte Hirnhaut (dura mater), 
die fich jedoch viel enger an die Knochen des Schädels anlegt, als 
die harte Rüdenmarkshaut an die Wirbelfäule. Auch iſt kein’ gro⸗ 
* Raum zwiſchen der harten Hirnhaut und dem Hirne ſelbſt. Es 





33. i, in Big: 2. im Durchſchnitte, in Big. 4. von ber Seite und in Big. 5 
von unten 
34: k Fig. 6. 
5 1 Sig. 6. (etwas eingefchnittem). 
36. ß Big. 2 und 6. 
Ye @ ig. 2 und 6. 
38. e ig. 5 und 6. 
39. 4 Big. 2,5, 6% 
II 


— — 462 — 


wird vielmehr das Hirn fo eng eingeſchloſſen, daß feine Windun⸗ 
gen fi auf die innere Fläche des Schaͤdels abdruͤcken. Indeſſen 
fünt das Hirn die Schädeihöhle nur im Augenblide det durch die 
Blutgefäße erfolgenden Ausdehnung völlig aus, Die härte Hirn⸗ 
haut bildet Vorragungen in die Schäbelhöhle. Eine ſolche Vorra⸗ 
gung fpannt fi aus von beiden vorfpringenden Winkeln ber Fels 
fenbeine nach der Mitte des Hinterhauptes hin, Sie heißt das 
‚&elt (Tentorium), 40 liegt zwifchen dem kleinen Hirne und 
dem bintern Lappen des großen Hirns, und laͤßt nur eine hinlaͤng⸗ 
liche Luͤcke fuͤr die Verbindung zwiſchen dem großen und kleinen 
Hirne. Eine andere blattfoͤrmige Fortſetzung der harten Hirnhaut 
geht vom Zelte laͤngs der Mitte der Schaͤdeldecke fort bis zum Sieb⸗ 
bein, heißt die große Sichel (Falx major), *Xund liegt in 
der tiefen Spalte zwifchen beiden Hemifphären des großen Hirns, 
Eine Eleine Sichel ſpringt auch ein wenig zwifchen die —— 
de⸗ kieinen Hirns vor⸗ 


Die weiche Hirnhaut (pia mater) umgiebt bie 
Maffe des Hitns ganz eng, enthält bie. Blutgefäße deffelben, und 
ſenkt ſich in alle Vertiefungen des Hirns ein. Sie bekleidet nicht 
nur jede einzelne Windung, ſondern dringt auch durch das abſtei⸗ 
gende Horn des Seitenventrikels und: unter dem hintern Umwurf 
des Balkens in die innern Hoͤhlungen ein, die fie mit Gefaͤßge⸗ 
flechten verforgt. Die Spinnew ebenhaitt (Arachnoidea) 
bekteidet mit der einen Hälfte die innere Fläche der harten Hirn⸗ 
‚haut, mit der andern Hälfte die äußere Fläche der weichen Hirn⸗ 
baut, ohne jedoch in die einzelnen Mindungen fih einzufenken. 
Sie ift fo dünn, daß Webung dazu gehört, um fie zu-fehen. , Man 
erkennt fie jedoch, nachdem die harte Hirnhaut zuruͤckgeſchlagen ift, 
als ein dünnes Häutchen, das über die Windungen weggeht, Bläf’t 
man durch ein Eleines eingefchnittenes Loch Luft zwiſchen ſie ie und Bit 
Windungen, fo wird fie deutlicher, \ © 


K. 1177. Das menſchliche Gehirn enthaͤlt eine hie Menge 
Blut, wohl den fehsten Theil der ganzen Blutmaſſe. Wir haben 


FIRE | 





48, Fig. I. € 
414 ig: L & 


— 163 — — 


ſchon gehoͤrt, daß die beiden innern Kopfſchlagadern und die beiden 
Wirbelſchlagadern an das Hirn treten. Merkwuͤrdig iſt eßs, daß 
beide ſich mehrmal winden, bevor ſie durch die harte Hirnhaut durch⸗ 
gehn. Es ſcheint alſo, daß ein zu ſtarker Stoß des Blutes ver 
hindert werden folle. Die beiden innern Kopfſchlagadern verbinden 
ſich mit den Wirbelſchlagadern die vorher in einen Stamm zuſam⸗ 
mengetreten waren, zu einem Ringe. Theils aus dem Ringe ſelbſt, 
theils aus fruͤher abgehenden Aeſten der Wirbelſchlagader kommen 
alle Arterien Tin das Hirn und das Ruͤckenmaͤrk her. 
— » 

Die Yenen , die aus dem Hirne kommen, treten bald in die 
harte Hirnhaut. Sie fuͤhren hier den beſondeen Namen von 
Blutleitern (Sinus), weil fie eingeſchloſſen in der harten 
Hirnhaut bei flüchtiger Unterfuhung Feine Venen zu feyn feheinen. 
Sie) hängen vielfach unter ſich zuſammen, und die größten liegen 
da, wo die Sichel und das Zelt am Knochen anfigen. Die Quer: 
blutleiter *2 im Zelte führen das meifte Blut aus dem Hirne, 
treten aus. dem Loche zwifchen dem Hinterhauptsbein und Felſenbein 
hervor, und heißen nun Jugularvenen. Kleinere Blutleiter gehen 
aus dem Hinterhauptsloche heraus, und bilden —— u die 
Winbelarterien begleiten, | 

ee ſcheint das Hin wenig ober gar nicht zu ents 
halten, 


Die harte Hirnhaut hat ihre eigenthämlichen ee. 
‚von denen die größern auf die innere dad; der Bahnstnogen Ab: 
druͤcke machen. — 


8218, Sie werden erſtaunt ſeyn über die Menge von Nas 
“men, bieich Ihnen bei der Befchreibung des Hirned genannt babe. 
Dennoch Fönnte die Zahl derfelben Leicht verdreifacht werden, wenn 
wir alle Benennungen aufnehmen wollten, welche neuere Zergliede— 
zer bald für Eleinere Abtheilungen größerer Haupttheile, bald zum 
Erfag für die älteren, zum Theil fonderbaren und laͤcherlichen Nas 





42. Big. 3. k. 
11% 


men vorgefchlagen haben, » Es muß Shnen , wenn fie alfe dieſe 
Ausdruͤcke zum erften Male hören, ſcheinen, als ob das Hirn aus 
einer zahliofen Menge einzelner Organe zufammengefegt wäre. Das 
ift in Einer Hinfiht wahr, in einer andern aber ganz unwahr, 
Diele, was mit befonderem Namen "belegt ift, kann nicht als ges 
fonderter Theil angefehen werden, iſt vielmehr nur eine Kleine Bors 
ragung oder nur eine beffimmte Anficht eines Theiles. Alte Ab⸗ 
ſchnitte des Hirnes find aber nicht nur zuſammenhaͤngend, ſondern 
auch ſo wenig geſchieden, daß ſie an den Graͤnzen in benachbarte 
‚Gebilde übergehen, ohne daß man Anfang und Ende genau ange⸗ 
ben kann. Zwar haben immer die einzelnen Organe! eines zuſam⸗ 
mengefesten Apparates eine gewiffe Kebereinfiimmung in der Bil 
dung und einen innigen Zuſammenhang, allein man kann doch die 
Gränze zwifchen Speiferöhre und Magen , zwifchen Magen und 
Darm, zwifchen Kehlkopf und Lufteöhre mit Beftimmtheit nachwei⸗ 
fen. Nur an einigen Stellen iſt die Begranzung weniger deutlich. 
So bilder ſich die Luftröhte almählig in die Lungen um und man 
kann mit Net die Lungen nur das untere Ende der Luftröhre nen» 
nen. In demfelben Verhältnig flehen die Theile des Gehirnes zu’ 
einander, — Das Wefentlihe im Bau des Gehirnes ift feine Fa⸗ 
ferung. Die Faſern laufen aber aus einem Theile in den anderh 
über und verweben ſich alle innig zu Einem Ganzen. Indeſſen 
laufen die Faſern nicht ununterbrochen fort, fondern flogen an ver- 
fhiedenen Stellen auf ungefaferte graue Maffe, aus welcher wieder 
neue Faſern entjtehen. In neueren Zeiten haben die Anatomen alle 
gemein die Ueberzeugung ausgeſprochen, daß vorzüglich die, Ber: 
hältniffe der Faſerung und überhaupt die Art, wie die einzelnen 
Theile in einander kbergehen umd zu Einem Ganzen verbunden find, 
die gehörige Einfiht in den. Bau deffelben gewähren, und ung zu 
einer Erkenntnig der Wirkfamkeit und Bedeutung der einzelnen Ab⸗ 
ſchnitte fuͤhren koͤnnen. Dieſe Unterſuchungen, von Gall vorzuͤg⸗ 
lich angeregt, ſind noch keinesweges zu einem Endrefultate gebracht, 
und werben vielleicht nie ganz vollendet werden, Es finden fih 
hier der Schwierigkeiten fehr viele, Die Faferung iſt in vielen 
Gegenden fo undeutlich, dag man fie ohne Tünftliche Zubereitung 
Richt erkennen kann. Man pflegt daher das Hirn in Weingeift oder 
in Säuren zw erhärten, wodurch die Faferung deutlicher wird. 
Dann ift man jedoch nicht ganz ficher, ob die chemifche Einwirkung 


% 


— 


bieſer Stäffigkeiten nicht einen Schein von Faferung erzeugt, der 
urfprünglich gar nicht da war. Indeſſen ift diefe Beforgniß in der 
That nicht bedeutend‘, da bei ber Eünftlihen Erhaͤrtung des Hirnes 
die Saferung in Allen Theilen deffelben wefentlich diefelbe bleibt. 
Biel wefentlicher ift die Schwierigkeit, die daraus erwaͤchſt, daß 


die Saferung fehr mannigfah, if. Man kann faft immer nur fa: 


‚gen, die Faſern laufen aus diefem Gebilde größtentheils im diefes - 


oder jenes über. Außerdem finden ſich andere Fafern im geringerer 
Maſſe, die einen andern Verlauf haben. Diefer Schwierigkeiten 

ungeachtet feheint es mir nothwendig, Ihnen die Hauptrefultate 
der bisherigen Forſchungen uͤber die innere Textur des Hirnes mit— 
zutheilen. Sch habe jedoch die Beſchreibung des Hirnes und Be: 


nennung feiner einzelnen Theile, nebſt einer Beſchreibung der Huͤl⸗ 


Jen, vorangeſchickt, weil die Darftellung feines innern organifchen 


Zuſammenhanges nur dann verftändlich werden. kann, wenn man 
mit der Lage und Geftaltung der Theile ſchon bekannt ift. * 

= \ * 

6. 119. Die Baſis der Kenntniß vom innern Bau des Hir⸗ 
ned macht die Lehre der neuern Anatomen, daß das Hirn eine his 
here Entwidelung des Rüdenmarkes iſt. Diefer Satz muß jebod) 
gehörig gefaßt werden. Er fol nicht behaupten, daß wirklich das 
Hirn im Embryo aus dem Ruͤckenmarke herausgewachfen ſey. So 
gefaßt wäre die Behauptung unrichtig; denn grade in demjenigen 
Embryo, den man am leichteften und häufigften in den erften Pe= 
rioden feines Merdens beobachten Eann, im Embryo des Huhns, 
fehe ich mit der'geößten Beftimmtheit, daß das Hirn nicht aus dem 
Ruͤckenmarke herauswaͤchſt, fondern aug einer flüffigen Maſſe an 
derfelben Stelle anfchießt, die e8 während des ganzen Lebens ein: 
‚nimmt. Die und da mag man wirklich das Gegentheil geglaubt 
haben, weil nicht ganz felten menfchliche Mipgeburten vorfommen, 
denen das Hirn fehlt, obgleich bag Ruͤckenmark ba iſt. Allein, es 





— 


moͤchte daher meinen Leſern ben Rath geben, vor allen Dingen ſich zu 
bemühen, aus den $. 114 — 117. eine recht lebendige Anfchauung vom Hirn⸗ 
| su erlangen. Da ben meilten die Gelegenheit fehlen wird, öfter 
menſchliche Hirne zu fehen, fo fchlage ich vor, Hirne von Säugethieren zu 
umterfuchen. Sie find mehr Iang geftredt, enthalten aber doch biefelben 
Theile, die im menſchlichen Hirne befchrieben find, mit Ausnahme ber 
weiter unten zu beſprechenden Niechfortfäge, bie bei Ihieren viel mehr 
entwidelt find. 


— 166 — — 


| find auch Faͤlle beobachtet worden, wo ein bloßer Kopf ohne Rumpf, 
und alfo ohne Ruͤckenmark, ‚geboren wurde, So fehr felten dieſe 
auch ‚find, fo beweifen fie doc, daß das Hirn nicht aus dem Rüe 
| denmarke emportreibt wie Fine Blume ang dem Grengeh ; 

Jener oben außgefprochene Ss fol nur fehren, daß Hirn - 
and Ruͤckenmark Ein Ganzes bilden, wovon dieſes das meniger 
entwickelte untere Ende ausmacht, jenes aber, diefelben Theile ente 
haltend, die das Nüdenmark zufammenfegen, dadurch ſich unters 


* ſcheidet, daß ſie hier in andern Formen und Verhaͤltniſſen auftre⸗ 


ten , und zwar in höherer Ausbildung, indem die Elemente des 
Ruͤckenmarkes, bie in feiner ganzen Länge faft ganz gleichmäßig ſich 
verhalten, im Hirne in mannigfache Gebilde ſich umaͤndern, die 
zwar duch manche Uebereinftimmung ihren gemeinfamen Urfprung 
beurfunden, fich aber in anderer Hinficht merklich unterfcheiben, 


Die urfprüngliche Uebereinſtimmung zwifchen Hirn und Ruͤ— 
ckenmark lehrt eine vielfache Aehnlichkeit. Wie im Innern des 
Ruͤckenmarkes ein bohler Kanal fich finder, fo find Höhlungen im 
Gehirn, welche unter ſich mit dem urſpruͤnglichen Ruͤckenmarkska⸗ 
nal zufommen hängen. Auch in dem Hirne find die Höhlungen 
in der erften Entwickelung größer, als im fpäten Alter; indefjen 
find fie zu weit, um fich jemals ganz zu fehließen. Der Rüden- 
markskanal ift umgeben von grauer Maffe, Daffelbe gilt von den 
Hirnhöhlen. Hier ift jedoch die graue Maffe nicht in der Form von 
Straͤngen, fondern zu eigenthümlichen Organen umgebildet,. bie 
noch einen dünnen Ueberzug von weißer Maffe haben, weswegen fie 
auf den erften Anblick nicht geam’erfcheinen. Auch eine vordere und 
hintere Spalte fehlt dem Birne nicht, vielmehr fehen wir es feiner‘ 
ganzen Länge nad) durch eine obere und untere Spalte (denn was 
im Ruͤckenmarke vorn und hinten liegt, kommt im Hirne nad) oben _ 
und unten zu liegen) in zwei Hälften getheilt. Selbſt die Brüde, 
bie auf der untern Fläche von einer Seite zur andern verläuft, iſt 
mit einer Laͤngsfurche bezeichnet. Deutlich erkennt man die Urs 
ſpruͤngliche Einheit yon Hirn und Nüdenmark wohl aus dem ale 
mähfigen Webergange, der Beine beftimmte Gränze auffinden läßt. 
Das verlängerte Mark ift unten dem Ruͤckenmarke ganz gleich, oben 
beginnt aber fhon die Hirnbildung; denn es zeigt Theile, bie dem 


/ 


— — 167 —— 
gitcenmatte * find, und bereitet fih vor, in das Hin * 
zugehen. Es iſt nicht mehr Ruͤckenmark und iſt doch noch nicht 
wahres Hirn. — Den beſten Beweis von der Identitaͤt beider 
Theile giebt die Faſerung, die ſich aus dem Ruͤckenmarke ununter— 
brochen bis tief in das Hirn verfolgen läßt. — Mit dieſer unmit- 


telbaren Einſtrahlung des Ruͤckenmarkes in das Hirn iſt noch eine 


mittelbare verbunden. An einzelnen Stellen, wie in ben Sehhuͤ— 
geln und den — Koͤrpern, ſind große Anhaͤufungen von 
grauer Hirnmaſſe. In dieſen grauen Maſſen ſieht man die Fort⸗ 
ſetzungen der Ruͤckenmarksfaſern eingehen. Einige der Faſern ſtrah— 
len hindurch, die meiſten bleiben jedoch in den grauen Maſſen, aus 


denen auf der entgegengeſetzten Seite dafuͤr andere weiße Faſern 
ausſtrahlen, um in die Bildung des Hirnes uͤberzugehen. Hier 


haben wir alfo einen mittelbaren Uebergang, mehr oder weniger 
duch graue Maffe unterbrochen. Da ein ganz ähnliches Verhaͤlt⸗ 


niß zwifchen den Ganglien und ihren Nerven ftatt finder, fo nennt 


man jene Anhäufungen mit Recht Hirnganglien. 


Aber nicht das ganze Hirn befteht aus Faſern, he unmit⸗ 
telbar⸗ oder mittelbare Fortſetzungen der Faſerung des Ruͤckenmarkes 
ſind. Man kann daher im Gehirn den eigentlichen Stamm von 
der B elegung unterſcheiden. Jener iſt die Umbildung des Ruͤ⸗ 
ckenmarkes. Dieſe beſteht aus darauf gelagerten Theilen, die zwar 
mit dem Stamme innig verbunden ſind, allein ihre Faſern nicht 
aus ihm ziehen. - Zu der Belegung gehören zum Beiſpiel die Coms 
miffuren, welche von einer Hälfte des Hirnes zur andern hinüber 
gehen, und bie gleichnamigen Theile beider Seiten verbinden, — 
Wenn man den Bau des Ruͤckenmarkes genau genug unterfuchen 
könnte, um zu beftimmen, ob nur ununterbrochene Längenfafern 
in ihm find, ober ob es auch ifolirte Faſern enthält, die bald in die 
Duere, bald in die Länge verlaufen, fo ließe ſich entjcheiden, ob 
die Belegungsmaffe eine Eigenthümlichkeit des Hirnbaues, oder ob 
‚fie auch nur die Höhere Ausbildung eines Bernättnifiee ift, das dem 
Rüdenmarte fehlt. 


4 120. Wenden wir uns nun zuerſt an den — 
Durch die Halswirbel tritt das Ruͤckenmark faſt ſenktecht, jedoch ete 
was nach vorn geneigt, in die Schaͤdelhoͤhle ein. Hier nimmt es 


im verlängerten Marfe an Maffe zu, und theilt fich in vier Fortſe— 
kungen, von denen zwei nach hinten gehen, und die Schenkel des 
kleinen Hirnes werden, zwei andere ſich nach vorn begeben, um in 
das große Hirn uͤberzugehen. Sie ſind die Vorbildungen fuͤr die 
Schenkel des großen Hirnes und enthalten die Oliven und Pyrami⸗ 
ben. Wir wollen jie die vordern Arme des verlängerten Markes 
nennen. 


Me 


Di grauen Stränge bilden num den Kern ber Berlängerun- 


gen in bie beiden Hauptabtheilungen des Hirnes, und find von weis 


N 


per Nervenmaffe bekleidet. Won den weißen Straͤngen des Rüden: 
markes gehen die hintern zum größten Theile, aber doch nicht ganz, 
in die Schenkel des Eleinen Hirnes über, Der innerſte Theil diefer 


‚Stränge verläuft nämlich) in die vordern Arme, des verlängerten 


Markes oder den Uedergang zum großen Hirne, Die Seitenftränge 
theilen ſich, fo daß fie fi) fowohl nach hinten in vie Schenkel des 
Kleinen Hirnes, als auch nach) vorn in die Schenkel des großen Hits 


nes fortfegen. Die vordern Stränge des Nüdenmarkes fiheinen 


zwar ganz in das große Hirn Überzugehen, «aber durch die hinten, 
Stränge wird auf bie fo eben angeführte Weife sine theilmeife Kreu⸗ 
zung in die Richtung von vorn nach hinten gebildet. Außerdem iſt 
eine theilweife feitliche Kreuzung an der vordern Fläche des yerläns 
gerten Markes im erfien Anfange der Pyramiden. Diefe Theile 
entſtehen nämlich, indem aus der Mitte des Ruͤckenmarkes Stränge 
hervorfommen , zu denen ein Theil der Seitenſtraͤnge hinzutritt. 


\ Diefe legten Faſern Ereuzen fi jedoch am Urfprunge der Pyramis 


ben, fo daß die von der vechten Seite auf die linke Seite hinüber 
treten, und AR die linken nach rechts arhen, 


Die Schenkel des Eleinen Hirnes weichen , Kuh fie *— 


hinten geben, aus einander und treten unmittelbar in bie Hemiſphaͤ⸗ 
ren des kleinen Hirnes uͤber, und zwar in das mittlere Marklager 


derſelben. Hier entwickelt ſich der innere graue Strang zu der 
grauen Maffe, die wir unter dem Namen des gezahnten Körpers 
fennen. In diefen Körper verliert ſich ein Theil der weißen Fafern 
vom Schenkel des Eleinen Hirned, und von feinem Umfange aus ge: 
hen die Markfafern ab, die die Demifphären des kleinen Hirnes 
bilden. Die gezahnten Körper find alſo die Ganglien für das Eleine _ 


’ 


— — 169 —— 


Hirn. Die Markfaſern, bie von ihm ausgehen, legen ſich in 

Blaͤtter zuſammen, und dieſe Blaͤtter ſind wieder in mehrere duͤnne 

Blaͤttchen geſpalten. Jedes einzelne Blatt, ſo wie jede Unterab⸗ 

theilung deſſelben, iſt mit grauer Maſſe bekleidet, die von der 

grauen Maſſe des gezahnten Koͤrpers ganz getrennt iſt. Der Wurm 

wird aus denſelben Blaͤttern gebildet, die hier indeſſen weniger vers 
zweigt und ſchmaͤler find. 


Nur ein Theil der Blätter kann ald eigentliche Tortfegung bes 
Hirnſtammes gelten. Andere Blätter, die auf und zwifchen diefen 
liegen, muͤſſen als Belegung betrachtet werden; denn ihre Saferung 
aͤßt fich in Stränge verfolgen, die nicht in die Schenkel des Eleinen 

Hirnes übergehen. Diefe Stränge find die Brücdenarme und 
die Bindearme, 


Aus dem Marklager jeder Hemifphähre tritt nach außen ein 
Brüdenarm als dider Strang hervor, und wendet fih nad) vorn 
und unten, Hier begegnen ſich beide Arme und bilden eine untere 
Commiffur, die Brüde nämlih, Die mehr nach außen liegenden 
Safern gehen um die hier liegenden Schenkel des großen Hirnes her: 
um und bilden den Außerlich fichtbaren Theil dev Bruͤcke. Mehr 
nach innen liegt aber» eine andere Portion, die quer durch. die 
Längsfafern der Hirnfchenkel hindurch geht, und ſich mit ihnen in 
rechten Winkeln kreuzt. — Es findet fih im Innern der Brüde, 
wo dieſe Faſern in verfchiedenen Lagen zwiſchen den Faſern der 
Hirnſchenkel hindurch ſtreichen, graue Maſſe. 


Die Bindearme gehen nach vorn und oben und verknuͤpfen 
das kleine Hirn mit dem großen, indem fie in die Sehhuͤgel einges 
hen, Sie bilden die Seitenwand der Wafferleitung und tragen die 
Vierhügel. 


$. 121. Verfolgen mir den Uebergang des Nücdenmarkes in 
das große Hirn, fo finden wir zuvörderft an den vordern Armen des 
verlängerten Markes die Pyramiden, die, wie gefagt, theild aus 
den gekreuzten Safern der Seitenftränge gebildet werden, theild aus 
eignen aus dem Innern hervortretenden Faſern. Neben den Pyra⸗ 
miden liegen die Dliven, bie im Innern einen gezahnten grauen 


— 


\ u 1 70 u 


Körper enthalten, der aber wieder weiße Maffe einſchlieft Sie 
feinen daher ifolirte Ganglien und aus den vordern grauen Straͤn⸗ 
gen entwwidelt. Sie werden von Fafern umgeben, die aus den bors 
dern weißen Strängen des Nüdenmarkes hervortreten. Die Faſern 
der Pyramiden gehen nun zwiſchen den Faſern der Bruͤckenarme 
duch und liegen vor der Brüde frei, wo fie als die eigentlich foge- 
nannten Schenkel des großen Hirnes erfcheinen. Die Faſern von 
den Dliven und ihren Umgebungen gehen hinter der Bruͤcke weg und 
liegen auf der innern Seite der Schenkel des großen Hirnes. Aus 
diefen Elementen entwickeln fich zuvörderſt die Ganglien des größern 
Hirnes. Zu dieſen kann man wenigſtens 2 Paar zählen, die Seh— 
Hügel und die geflveiften Körper. Jeder geſtreifte Körper befteht 
wieder aus zwei Hälften, einer mehr freiliegenden innern [dem ges 
ſtreiften Körper im engern Sinne (u)] und einer äußern (ü), wel: 
che von einigen Anatomen unter dem Namen Linfenkern als 
befonderes Hirnganglion betrachtet wird, wodurch die Zahl derſelben 
auf 3 Paar für das große Hirn ſteigt. Alte drei hängen auf jeber 
Seite, jedoch nur unvollftändig, unter einander zufammen, und 
ſind wohl wefentlih als nicht volftändig ifolirte Entwidelungen der 
vordern grauen Ruͤckenmarksſtraͤnge zu betrachten. Sie ſtehen nach 
hinten auch mit den Vierhuͤgeln in Verbindung, die ich jedoch, 
weil ſie weniger mit der Maſſe des großen Hirnes verſchmolzen ſind, 
Verbindungsganglien zwiſchen dem kleinen und großen Hirn nennen 
moͤchte. Jene eigentlichen Ganglien des großen Hirnes find unter 
einander durch Beſonderheiten verſchieden. So ſind die Linſenkerne 
ganz in die Markmaſſe der Hemiſpaͤhren eingeſenkt und weit von 
einander entfernt. Die geſtreiften Koͤrper ſind einander naͤher und 
ragen mehr hervor, fo daß ihre eine Oberflaͤche die Wand der Sei— 
tenhoͤhlen des großen Hirnes bilden hilft. Die Sehhuͤgel find ein⸗ 
ander noch mehr genaͤhert und aus dem Hirnſtamme gleichfam hers 
vorgehoben. Die Vierhügel find faft gänzlich zufammengerüdt und 
vom Hirnſtamme entfernt. Daraus läßt fih wohl vermuthen, daß 
jedes einzelne Ganglienpaar in ſeiner Beſtimmung von den andern 
Paaren unterfchieden feyn wird. Indeſſen ift die Uebereinſtimmung 
in anderer Hinficht groß genug. ES treten in fie Markfafern auf 
der einen Seite ein, und auf der andern Seite andere heraus, Die 
aus den Ganglien des großen Hirnes ausftcahlende Maffe bildet ein 
großes gebogenes Blatt, der Stabfranz genannt, welches ſich 


> 


i 


— A — 


mit ſeinen Faſern ununterbrochen bis an die aͤußere Flaͤche des gro⸗ 
fen Hirnes fortfegt, und deffen Rand fih in Form von Windun: 
gen endet, Ihm gehört aber lange nicht die ganze Maffe der Hirn⸗ 
windungen, fondern'nur die mittleen Windungen jeder Hemifpähre 
faft von einem Ende derfelben biß zum andern. Die obern und un: 
‚tern Windungen werden von Belegungsmaffe gebildet, 


Ueberhaupt muß man alle übrigen Theile des großen Hirnes 
als Belegungsmaffe betrachten, da ihre Faſerung fich nicht in den 
Hirnſtamm verfolgen läßt, Die Belegungsmaffe ift auf die man⸗ 
nigfaltigfte Weife angeordnet, — An einigen Stellen bilder fie 
Commiffyren, deren Fafern in die Quelle verlaufen und gleichfam 
Hirntheile yerfnüpfen. Zu bdiefen gehören die vordere und die 
hintere Gommiffur, und vor allen Dingen der Balken, der nichts 
ift, als eine lange und breite Commiſſur für die Maffe der Hemi⸗ 
fphären. Er ſtrahlt zu beiden Seiten in die obern Windungen dets 
felben aus, Tiefere Hirntheile werden durch die vordere und hin⸗ 
tere Commiffur verbunden. Den wahren Commiffuren entges 
gengeſetzt, find gewiffe Theile, welche einige von einander vers 
ſchiedene Gebilde derfelben Seite, - die der Fänge nach verlaufen, 
durch ihre Faferung verbinden, Zu diefen gehört das Gewöls 
be, deffen vordere Schenkel aus den Sehhügeln hervortreten, an 
die Bafis des Gehirnes Fommen , bier ſich in einem fcharfen 
Winkel einkniden, dadurch die Markkügelchen bilden, ſich wieder 
erheben, fich an einander fegen, und in einem Bogen uͤber die drits 
te Hienhöhle weggeben, ſich wieder von einander trennen, um als 
hintere Schenkel in’s Ammonshorn und deffen Saum überzugehen. 
— Andere Gebilde mit Längsfaferung liegen in den Windungen 
bes Gehirnes ſelbſt. Eine ſolche Lage von Längsfafern bildet die. 
innerfien, der großen Sichel zugefehrten Windungen jeder Hemis 
fphäre. Innerhalb der Belegungsmaffe giebt es auch Ganglien,. 
wenn man alle Anfammlungen von grauer Maffe im Gehirne fo 
nennen kann. Zu diefen gehört das Ammonshorn im herabſteigen⸗ 
* Horne der Seitenhoͤhle. 


Nicht alle —— die aus dem verlaͤngerten Mark in 
das große Hirn treten, gehen in die Hirnganglien und den Stab: 
franz über, in Eleiner Reſt verliert fich in den Trichter, der mit 


dem Hirnanhange, obgleich) nad) unten und nicht nach vorn vom 
Hirne gelagert, ald das legte wenig ausgebildete, gleichfam erfter- 


bende Ende des ganzen Gentraltheils vom Nervenfpftem zu betrach- 


‚ten iſt. So iſt ja auch im Trichter das legte Ende der innern Höh: 


le, und e8 treten in ihm die Nefte der vordern und hintern Straͤn⸗ 


ge des Ruͤckenmarkes zuſammen. 


Au⸗ Windungen des großen Hirnes ſind von grauer af. 


fe bedeckt, die mit der grauen Maſſe der Hirnganglien nicht zuſam⸗ 


menhängt. Die Windungen find, wie die vorhergehende Darftel: 


lung gezeigt haben wird, die Raͤnder von gefalteten Blaͤttern. Ir—⸗ 


rig aber iſt die Anſicht, daß alle Windungen oder gar das ganze 


Hirn eine gefaltete Haut ſey. Zu einer ſolchen Haut laͤßt ſich das 
Hirn nur durch vielfaͤltiges Zerreißen der Blaͤtter umwandeln. 


Die Hoͤhlungen des Hirnes haͤngen auf folgende Weiſe zuſam⸗ 
men. ‚Indem die Schenkel des kleinen Hirnes aus einander weis 
hen, öffnet fih zwifchen ihnen die Nautengrube, die mehr nad) 
oben ſich in die vierte Hirnhöhle verlängert. Diefe hat auf jeder 
Seite unter dem Marklager des Eleinen Hirnes eine Eleine feitliche 


‚Erweiterung , die fuͤr das Eleine Hirn das darſtellt, was der mehr 


ausgebildete Seitenventrifel für das große Hirn iſt. Bedeckt wird 
die vierte Hirnhöhle vom Wurm und der Hirnklappe, die man als 
eine verbünnte Verlängerung des Wurms anfehen kann. Weiter 
nach vorn und oben verengt fich die vierte Hirnhöhle zur Waſſerlei⸗ 
tung, deren Boden von dem Uebergange des verlängerten Markes in 
das große Hirn und deren Dede von den Bierhügeln gebildet wird. 
Zwiſchen den Sehhuͤgeln erweitert fi die Wafferfeitung wieder zut 
deitten Hirnhöhle, die fih unmittelbar hier in die Höhlung des 
Teichters fortfegt, und zugleich feitlich ficy in die Seitenhirnhöhlen 
entmwigkelt. Die Höhlen oder Hirnkammern find alfo mit Ausnahme 


ber sten Dirnhöhle nur verfchiedene Abfchnitte einer gemeinfhaftli= 


hen Höhlung, In den Hirnhöhlen ift im gefunden Zuffande ein 
feuchter Dunft. Sm Erankhaften kann fich dagegen allmählig eine 
große Menge Waffer anhäufen, die das Hirn nach allen Richtun- 
gen ausdehnt, und die Schädelfnochen von einander treibt, Gols 
che Wafferanfammlungen bilden fich befonders bei Kindern, derem 
Schaͤdelknochen noch nicht mit einander verwachſen find und dem 


” 


Drude des Waffers nachgeben. Mann nennt die Krankheit den 
innen Wafferkopf. 
+ $. 122. Die Nerven, welche in das Hirn eingehen, ober, 
wie man zu fagen pflegt, aus ihm entfpringen, treten fämmtlich 
in den Hirnſtamm und nicht indie Belegung, und zwar empfängt 
der Hirnſtamm um fo mehr Nerven, je näher und Ahnlicher er dem 
Nüdenmarke ift, in feinem untern Theile alfo mehr, als in dem 
oben. Man zählt überhaupt zwölf Paar Hirnnerven, indem man 
alte Faſern, die gemeinfchaftlich durch ein Loch der harten Hirnhaut 
gehn , und von diefer einen gemeinfchaftlihen Weberzug erhalten, 
zu einem Nerven rechnet, Eigentlich follte man aber, wenn man 
die Hirnnerven mit den Ruͤckenmarksnerven vergleicht, mehrere zu⸗ 
fammen für einen Nerven anfehen, wie wir gleich erfennen werden. 
Mir wollen die Nerven nad ihrem Verlaufe kurz befchreiben, wo⸗ 
bei das Hirnende wieder als Urfprung betrachtet werden mag, und 
wollen dabei die Berrichtung diefer Nerven unterfuchen, 

Man zähle die Nerven von vorn nach Hinten. Die vorbern 
gehen, mie unfere Abbildung zeigt, aus dem Hirne nach vorn, die 
hinteren mehr in die Quere, ja etwas nach hinten, fo daß ſie faft 
ftrahlenförmig, wie von einem Mittelpuncte, aus dem Hirne tres 
ten, Noch mehr bemerkt man biefes ftrahlenförmige Auseinander: 
‘fahren, wenn man die fimmtlichen Nerven des animalifchen Lebens 
mit einem Blicke überfieht, und die-vorderften Hirnnerven mit den 
lesten Rüdenmarkönerven und den zwifchen ihnen fiegenden were 

‚gleicht, ee‘ 


Das erſte Paar find die fogenannten Riechnerven* 
‚(Nervi olfactorii ), welche wir aber als Theile des Hirns betrach⸗ 
ten zur müffen glauben, und übereinflimmend mit den Thieren, wo 


J 
u J 


|. Pr: 4 4 





Bei Beſchreibung der Hirnnerven werben bie Abbildungen nit Immer an⸗ 
eführt werben, weil. diefe fehon hinlaͤnglich für das —— bezeichnet 
nd. In ber zten Figur ſieht man ben Urſprung ſaͤmmtlicher Rerven aus 

dem Gehirn, und bie römifchen Ziffern I. bis XiI. bezeichnen die Nerven: 
patre. Sn ber ten Figur fieht man bie Hegenfeitine Lage und den Ver: 
lauf der meiften Hirnnerven. Die Aeſte find ‚mit arabiſchen Bahlen bezeich- 
net, jo daß V. 2, den zweiten Aft bed fünften Paars bezeichnet, 


* 


* — 


— 


fie viel ſtaͤrker ſind, Riechfortſaͤtze nennen ſollten. Am vordern 
Ende ſchwellen ſie etwas an, und bilden die Riechkolben 
(Bulbi cinerei). Aus dem Riechkolben treten eine Menge kleiner 
Fäden hervor, die durch die Köcher des Siebbeins (Fig. 3. @) — 3 
gen, ſich auf der innern Fläche der Näfe verzweigen , und die .eie 
ee Empfindungsnerven dieſe Organes abgeben, | 
Das. zweite Nervenpaar oder der Schnerve (N. opticus) 
kommt aus dem Sehhligel jeder Seite, mit einem kleinern Theile 
auch aus dem vordern Paar der VierHhael, und kruͤmmt fih um 
den Schenkel des größer Dirnes herum. Auf der-untern Fläche des 
Gehirnes nähern fich vor dem Trichter beide Sehnerven, und ver⸗ 
miſchen fi zum Theil, jo daß die Figur eines Kreuzes entſteht 
(Fig. 11.). Ein Theil des rechten Sehnerven geht von dieſer 
Kreuzungsftelle in das rechte Auge über, ein anderer Theil geht 
hinüber zum linken Schnerven, und mit diefem in das linke Auge. 
Eben fo geht der Sehnerve der linken Seite zum Theil im das linke 


‚und zum Theil in das rechte Auge, Hierdurch iſt e8 erflärlich, dag 


bei) der Zerſtoͤrung des: einen Auges der Sehnerve derfelben Seite 
bis zur Keeuzungsftelle verſchrumpft, hinter der Kreuzung aber ges 
wöhnlich der Nervenſtamm der andern Seite, obgleich in feltenen 
Faͤllen auch. wohl der Nervenſtamm derfelben Seite verdirbt. Ueber 


diefe Kreuzung haben die Anatomen viel geftritten, indem einige 


behaupteten, die Verbindung fey nur aͤußerlich, und jeder Nerve 
bliebe auf feiner Seite, andere dagegen zu fehen glaubten, daß der 
Sehnerve vollitändig in das Auge der entgegengefegten Seite ginge. 
Die theilweife Kreuzung lehrt nicht nur eine genaue unterſuchung, 
ſondern auch ein merkwuͤrdiger Fall, wo in einer Mißgeburt nur 
das linke Auge da war. Hier kam der Sehnerve aus der linken 
Seite des Gehirnes, ſchickte aber nach rechts hinuͤber einen Neben⸗ 
aſt, der ſich an der harten Hirnhaut endete. Mehr moͤchte es frag⸗ 
lich ſeyn, ob man nicht den Theil des Sehnerven, der hinter der 
Kreuzung liegt und ſich um den Hirnſchenkel windet, noch zu den 


Theilen des Hitnes ſelbſt zaͤhlen ſollte. Der Sehnerve tritt durch 


eine beſondere Oeffnung des Schaͤdels, das optiſche Loch (Fig. 3. 6), 
in die Augenhöhle ein, und breitet fidy innerhalb des Augapfels auf 
eine fpäter ($. 144.) zu befchreibende Weife aus, Er ift nur bes 


ſtimmt, das Licht im Auge zu empfinden. 





Das dritte Nervenpaar Augenmuskelnerve (N. oculi 
motorius), kommt aus den Schenkeln des großen Hirnes hervor und 
geht durch die obere Augenhöhlenfpalte (Fig. 3. y) ebenfalld in bie 
Augenhöhle, verzweigt fich aber nur in Muskeln (vergl. $. 144.). 


Ehen fo geht das vierte Hirnnervenpaar (N, trochlearis s. 
- patheticus), das aus der, Gegend der Hirnklappe kommt, durch 
die obere Augenhöhlenfpalte, und iſt nur für dem oberen fchiefen 
Muskel des Augapfels beſtimmt,. Dieſer Nerve iſt der duͤnnſte 
— 


Das fuͤnfte Merbenpaar, der breitheilige Nerve (N. 
trigeminus), hat einen fehr weiten Umfang feiner Verbreitung, 
und ift der ftärkfte von allen Hirnnerven. Man fieht ihn feitlich 
aus der Btüde hervortreten, allein feine Wurzeln laffen ſich in die 
Brüfe hinein verfolgen. - Sie gehen in die durch die Bruͤcke durch⸗ 
ſtrahlenden Fortfegungen des verlängerten Markes zu den Hirns 
ſchenkeln. Hier bilden die Wurzeln zwei Hauptlagen, eine größere 
and eine Fleinere, Außerhalb der Brüde treten bie Wurzeln zus- 
fammen, und zwar vereinigen fich die Fäden der größern Wurzel 
in ein großes halbmondförmiges Ganglion, wie die hintern Wurs 
zeln der Nüdenmarkönerven (F. IIo.). Die Fäden der kleinern 
Wurzel nehmen an diefem Knoten feinen Antheil, Nun fpaltet 
fich der Nerve noch innerhalb der-Schädelhöhle in’ drei Hauptäfte, 
wovon der erfte durch die. obere Augenfpalte geht, und ſich im, Auge, 
in. der Nafe und an der Stirn verzweigt. Der zweite Aft geht 
durch eine befondere Deffnung, bie man das runde Loch (Fig. 3. 0) 
nennt, aus der Schädelhöhle, und verzweigt fih auf dem weichen 
und harten Gaumen , verforgt alle Zähne der obern Kinnlade, und 
tritt durch das untere Augenhöhlenloc an die äußere Fläche des Ger 
fihts, wo er ſich an die Augenlieder, die aͤußere Nafe und die 
Dberlippe vertheilt, mit feinen legten Reifern immer mit dem Ans 
tlitznerven fich verbindend. Der dritte Aft geht durch das eyförmige 
Loch (Fig. 3: 8), und nimmt bie Eleinere Wurzel, die nicht in das 
Gatıglion übergegangen war, ganz in fich auf, außerdem kommen 
aber noch mehr Baden aus dem Sanglion hinzu. Er theilt ſich 
bald in mehrere ſtarke Zweige, von denen einige in die Kaumuss 
keln gehn, und diefe fcheinen befonders aus den Fäden gebildet zu 


— 


aan 176 —— 


werden, welche mit dem Nervenknoten nicht in Verbindung ſind, 
andere zu den aͤußeren Theilen des Ohrs ſich wenden, noch andere 


br — des Unterkiefers mit Zweigen verſehn, und vom Kinn 


s ſich in dieſes und in die Unterlippe verbreiten. Ein ſtarker Aſt 
2 in die Bunge, und ift der eigentliche ——— der⸗ 
ſelben. 


Das ſechſte Hirnnervenpaar (N. abducene) ift wieder nur 


Elein und tritt am hinten Nande der Bruͤcke aus dem verlängerten 


Marke hervor, geht eine ziemliche Strecke zwifchen ber harten Hirn⸗ 


haut und dem Schädel, und dann durch die obere Augenhöhlen- 


fpalte, am in ben äußern geraden Augenmuskel zu enden, 


Der fiebente —** iſt an den achten eng angeſchloſſen. 
Beide kommen hinter der Bruͤcke aus dem verlaͤngerten Marke, und 
zwar ſcheint der Hoͤrnerve beſonders von der Wand der vierten 


Hirnhoͤhle zu kommen, und gehen in das Felſenbein (Fig. 3. &). 


Hier endet das achte Paar in den innern Xheilen des Ohrs, um 
den Schall zu empfinden; er heißt daher der Hörnerve (N, 
acusticus). Der fiebente Nerve, Antlignerve (N. facialis), 


geht aber durch den Knochen hindurch, nachdem dr innerhalb des 


Knochens einen Eleinen Zweig vom zweiten Aft des fünften Paare 
aufgenommen und einem andern (bie Paufenfell-Saite) 
durch die Trommelhöhle hindurch zu dem Zungennerven vom dritten 
Aft des fünften Paars gefhidt hat, Er felbft verbreitet fich mit 
vielen Zweigen, die zahlreiche Verbindungen mit einander eingehen, 
in. das ganze Gefiht, wobei er überall mit den Endigungen des 
fünften Nervenpaars anaftomofirt. - Es giebt kaum eine Gegend im 
Geſichte, welche nicht zugleich Nerven vom fünften und vom fiebens 
ten Paare erhielte. Verſuche an Thieren haben bewiefen, daß durch 


den Antlignerven die Bewegungen im Gefichte hervorgebracht were 


der. Durcfehneidet man nämlic, den Stamm dieſes Nerven, fo 
geht die Beweglichkeit in den Lippen, Nafenflügeln und Augenlie 
dern verloren und die Haut des Gefichts hängt fehlaff herab. Durchs 
ſchneidet man hingegen bie Aeſte des fünften Nervenpaars fo weit 
man fie erreichen kann, denn fie verlaufen-Tange in Knochen, bevor 
fie an die äußere Oberfläche treten, fo verliert dagegen das Geſicht 
feine Empfindung, Man fieht alfo, m das fünfte Nervenpaar 


vor⸗ 


— 177 —— 
vorzuͤglich ne iſt weswegen er ſich auch in * 
Sinnesorgane verzweigt und bald Huͤlfsnerven bald die eigentlichen 
Sinnesnerven abgiebt.. Dies kann jedoch nicht ganz von feinem 
dritten Aſte gelten, da viele Zweige deffelben in die Kaumuskeln ges 
hen. Merkwürdig iſt es nun, daß grade diefe- Zweige die Eleine, 
durch Eeinen Nervenknoten unterbeochene Wurzel des fünften Paa—⸗ 
res aufnehmen, wodurch das fünfte Nervenpaar viele Aehnlichkeit 
mit den Rüdenmarkönerven hat, bei denen die vordere, mit den 
Knoten nicht verbundene Wurzel auch der Bewegung, die durch einen 
Knoten gehende Wurzel der Empfindung dient. ! s 


* Er ‚Kat | 
Der neunte i zehnte und eilfte Nerve gehen fehr habe neben 


duch das fogenannte geriffene Loch zwifchen Felſenbein 
und Hinterhauptsbein. (Fig. 3.9) Ihre Wurzeln treten in ei⸗ 
ner fortlaufenden Reihe aus dem verlängerten Marke zwiſchen ao 
flrangförmigen Körpern und den Dliven hervor, 


Das neunte Paar’ Heißt Sungenfchlv nd£opfnerve 
(m. ‚glossophäryngeus), weil es in den hinten Bit ver * 
in den Schlundkopf ſich vertheiit. 


Das zehnte Paar hat von feinem Tangen Verlaufe ben Na: 
men des berumfbhweifenden (N. vagus) erhalten. Es 
ſteigt nämlich längs dem Halſe herab, geht in die Bruſthoͤhle ein, 
verſorgt die Speiferöhre, die Lungen und zum Theil das. Herz mit 
einer Menge Zweige, die fich geflechtartig verbinden. Zulegt Fommt 
es an den Magen, breitet fi dort auch in-ein Geflechte aus, mel 
ches ganz unmerklich in die Öeflechte des Rumpfnervenſyſtems übers 
geht. Ueberhaupt muß man von diefem Nerven fagen, daß er eine 
doppelte Natur hat, Sein unterer Theil, fo weit er in der Bruſt⸗ 

‚ und Bauchhoͤhle liegt, hat durch feing Geftaltung und feine Wirk 
ſamkeit fo. viele Webereinitimmung mit den übrigen Rumpfneiven, 
daß man ihn als zu diefem Syſtem gehörig betrachten kann. So 
wirft er auf die Verdauung und Athmung und bringt Bewegungen 
hervor, die nicht unmittelbar vom Willen abhängen. Der Halss 

theil, der fi in den Kehlkopf und den Schlundkopf verzweigt, ; 
ſtimmt mehr mit den übrigen Hirnnerven. Er heißt nad den 
Hauptorganen , an die ex geht, auch der Lungenmagen- 
‚ nerve, —* 
12 


Arten een 178 — 


| Das eilfte Hiennervenpaar hat auch einen weiten, aber uͤbri⸗ 
gens einfahen Verlauf, denn es zieht ſich in bie Schulter⸗ und 
Ruͤckenmuskeln Merkwuͤrdig iſt ſein Urſprung, da er mit vielen 
weit getrennten Wurzeln innerhalb des Kanales fuͤr das Ruͤcken⸗ 


mark aus dieſem entſpringt. Dieſe Wurzeln treten dann durch das 


Hinterhauptsloch in die Sdhaͤdelhoͤhle ein, nehmen noch einige Faͤ⸗ 
den vom verlängerten Mark auf, und gehen dann ſogleich wieder 
durch die oben genannte Deffnung als ein vereinter Nerve hervor. 
Er entfpringt, wie man hieraus fieht, aus dem Nüdenmark und 
A zugleich. Nicht nur beim Durchgange durch den Schaͤdel liegt 
dieſer Nerve dicht an dem ſtaͤrkeren herumſchweifenden Nerven, deſ⸗ 
fen ſchwaͤcherer Nebenaſt er auf den erſten Anblick fcheint, ſondern 
beide verbinden ſich auch nach dem Austritte auf mehrfache Weiſe. 
Dadurch hat ſich das eilfte Paar den Namen u Beinerven 
(N. accessorius Willisii) erworben, 


Das letzte Hlennervenpaar tritt mit zwei oder drei Wurzeln, 
bie wieder aus einzelnen Fäden beftehen, zwifchen den Dliven und 
den Pyramiden hervor , geht durch eine befondere Deffnung des 
Hinterhauptsbeind heraus, und verzweigt fich in, die Muskeln des 
Zungenbeins und der Zunge, wovon es den Namen des Sun: 
‚genfleifänerven Bi hypoglossus) erhält, RR 


Betrachtet man die Hinter einander liegenden Wurzeln des 


.gten, Toten und IIten Paars und die Wurzeln des oten Paats, 
fo fieht man, daß fie zwei Neihen darſtellen, welche zu einander 
daſſelbe Verhaͤltniß haben, welches die beiden Wurzelreihen der Ruͤ⸗ 
ckenmarksnerven zeigen. Das 12te Hirnnervenpaar kommt aus 


den vordern, die drei andern Nerven aus den hintern Straͤngen des 
verlaͤngerten Markes. Bedenkt man nun, daß das gie, Tote 


und zıte Paar beim Austritt aus dem Schädel ſo eng an einander 
liegen, daß man ſie faſt fuͤr einen Nerven anfehen könnte, wie 
man früher auch wirklich gethan hat, und wie wir hier für einen 
Augenblick es auch thun wollen, fo wird man zugeben, daß dieſer 


Nervenſtamm mit dem zwölfte zufammen einem Nüdenmarksner- 
ven entfpricht, von dem wie hin.tece Wurzel ſich in mehrere einzelne 


Partien getheilt (das gte, zote, zıte Paar), und -fih nicht 
mit der vordern Wurzel (dem 12ten Paar) vor der Vertheilung 


- } —8 
⸗ 


verbunden hat. Die Uebereinſtimmung wird dadurch noch größer, 
daß in dem neunten und zehnten Nerven an der Stelle ihres Aus: 
teittes wirklich Ganglien find. Man wird daher wohl der Anficht 
Raum geben koͤnnen, daß die Hirnnerven ſich auf den Typus der 
Ruͤckenmarksnerven zurtuͤckbringen laſſen, oder, was daffelbe iff, 
modificirte Ruͤckenmarksnerven ſind. Die Hauptmodification ſcheint 
"darin zu beſtehen, daß theils einzelne Fäden einer Nervenwurzel, 
theils aber auch die Wurzeln felbft von einander getrennt bleiben. 
3 So ſcheinen das gte, zote, LLte und 12te Paar zuſammen einem 
Nüdenmarkfönerven zu entfprechen, deffen einzelne Wurzeln nicht 
zur Bereinigung gekommen find, Weiter nach vorn ift wahrſchein— 
"lich die Trennung nod) größer. So entfleht zwar das zte Nerven: 
paar aus 2 Wurzeln, allein die vordere ift fo klein, daß es fcheint, 
mehrere Fäden feyen davon getrennt worden und zu ‚felbftftändigen 
Nerven umgewandelt. — Indeſſen kann man nicht mit Beftimmt- 
heit behaupten, daß fämmtliche Hirnnerven den Ruͤckenmarksnerven 

. entfprechen; denn die Sinnesnerven namentlich haben fo manches 
Eigenthämliche, Sie find weicher und nicht mit Ganglien verfehen, 
gr müßte denn bie Kreugungsftelle der Sehnerven und das vordere | 

nde des Riechkolbens dafuͤr anſehen wollen + 


6. 123. Das Hirn iſt der Mittelpunkt der Nerventhaͤtigkeit, 
das Sensorium-commune der Aerzte. Keine Empfindung wird 
vollftändig, ohne daß der empfindende Nerve mit einem entfprechens 
den , gefunden Hirntheile in unmittelbarer Verbindung iſt. SE 
ein folcher Hirntheil krank oder ganz zerflört, fo wird auch die Func⸗ 
tion des Nerven krankhaft oder fie hört ganz auf. So erzeugt eine 

_ Vereiterung der Sehhügel Blindheit und eine Verwundung der Ur⸗ 
fprungsftelle des Hörnerven Zaubheit. , Eben fo müfjen diejenigen 
Theile, aus welchen Bewegungsnerven entfpringen , oder’ die mit 
der Faſerung des Rüdenmarks in unmittelbarer Verbindung find, 





Anmerkung. So wie das Hirn eine höhere Ausbildung des Ruͤckenmarks 
if, entitanden durch ein Auseinanderweichen und Wudjern ber Stränge des 
Ridenmarks, und fo wie bie Dirnnerven mit aus einander getriebenen eins 
zelnen Partien der Küdenmarkönerven verglichen werben Sonnen, fo hat 
man auch erkannt, daß die Schaͤdelknochen dur bie Maffe des Hirnes 
aud einander getriebene Wirbel find. Bei Thieren, wo bie Hirnmaſſe klei⸗— 
ner ift, ift die Wirbelähnlichkeit ganz unverkennbar. Man kann bie eine 
er ee — ber Wirbel nachweiſen. Das Pinterhauptöbein bildet dem 

sten dieſer Wirbel, bie vorberen find aber jeder in mehrere einzelne Kno⸗ 
hen getheilt, 
12° 


Bun 


— 180 — 


— ſeyn, damit —— wiläpetich hervorgerufen. werden 
tönne, Eine Verwundung eines Schenkels vom großen Hirn er⸗ 
zeugt Laͤhmung nach der entgegengeſetzten Seite des Rumpfes und 
häufig eine Lähmung der am Kopfe, beſonders in der Augenhoͤhle 
befindlichen Muskeln derfeiben Seite. Die Faſerung des Hirnes 
giebt hierüber den Auffhluß, da in den Pyramiden, dem. erſten 
Anfange ber Hirnſchenkel, ſich eine Menge Faſern finden, die aus 
der entgegengefegten Seite des Nüdenmarkes kommen, bie Nerven 
fuͤr die meiften Augenmuskeln aber aus dem Hirnſchenkel ihrer Sei⸗ 
te entfpringen. Berlegungen der Seh huͤgel und geſtreiften Koͤrper, 
ſie mögen durch Verwundungen oder krankhafte Zuſtaͤnde veranlaßt 
ſeyn, pflegen aus demſelben Grunde dieſelbe Wirkung zu haben. 
Zwar kennt man auch Faͤlle, wo die Verletzung eines Hirnſchenkels 
“eine allgemeine Laͤhmung auf derſelben Seite erzeugte, ‚allein dann 
mag die Verlegung befonders die nicht gekreuzten Faſern getroffen 
haben. Wie in den Nerven ſo wirkt auch im Hirne der Druck mit 
der Zerſtoͤrung in ſo fern gleich, als er ſeine Verrichtungen aufhebt, 
und zwar um fo mehr, je ploͤtzlicher er erfolgt. Blut, das ſich in 
die Schaͤdelhoͤhle ergießt und auf das Hirn druͤckt, ober ein Druck, 
den man unmittelbar auf das bloßgelegte Gehirn eines Thieres än- 
wendet, erzeugt Bewegungslofigkeit und. hebt die ——— auf, 
indem das Bewußtfenn unterdrüdt wird, “ 


Unglaublich) ſcheint es aber, wie lange das Hirn einen , allmäh- | 
lig wachfenden Druck ertragen kann. So wird es im innern Waf: 
ferkopfe jahrelang durch das Waſſer, das fi in den Hirnhöhlen 
‚findet, ausgedehnt, ſo daß die Maffe des Hirns ſich faft zu einer 
Blaſe ertweitert, und von ihm wieder die Kopfknochen aus einander 
‚getrieben werden. Die Wirkung des Drudes ift ſehr verſchieden 
nach den Theilen, auf die der Drud unmittelbar wirkt, Vor Kur: 
zem erzählten öffentliche Blätter von einem Menfchen, der durch 
einen Fall einen Eindruck des Schädels erhalten hatte und nach dem⸗ 
feiben über ein Jahr in. völliger Bewußtloſigkeit und Unfähigkeit. 
fid) zu bewegen zugebracht hatte, bie die Band. des MWundarztes das 
eingebrüdte Knochenſtuͤck entfernte. Im der ganzen Zwifchenzeit 
hatte der Menſch nur ein plaſtiſches Leben gelebt. 


Ueberhaupt iſt es hoͤchſt merkwuͤrdig und wide wie ine 
bedeutende Verlegungen das Hirn ertragen Fann, ohne daß das Le: 


— A181 — 


ben aufhoͤrt, ja oft fogar ohne bedenfönde Störung für die Übrigen 
Verrichtungen des Körpers. Durch Vertvundungen im Kriege find 
oft anfehnliche Theile der Windungen mweggefchnitten, und die Ver— 
mwundeten wurden dennoch geheilt, Man hat oft in den Leichen von 
Menfhen Vereiterungen in den Demifphiten gefunden, von denen 
man. im Leben nichts geahndet hatte. In neuern Zeiten hat man 
fogar bei Kindern das Hirn mehrmals durhbohrt, um das Waffer 
aus ben Hirnhoͤhlen abzuzapfen, und manche haben dieſe Dpera- 
tion wohl zwanzig Mal erdulden muͤſſen. Verſuche an Thieren 
haben gezeigt, daß das Leben lange fortbeſteht wenn auch bedeu⸗ 
tende Theile der Belegungsmaſſe des Hirns weggenommen werden. 
Je tiefer man aber dringt, um ſo lebensgefaͤhrlicher werden die 
Verwundungen. 
Dies fuͤhrt und auf bie Verſchiedenheit in den Verrichtungen 
der einzelnen Hirntheile; einen Gegenftand, der zu den fchmwierig> 
‚ Ten Aufgaben der Phpfiologie gehört, da in dem Gehirne eine fo 
große Monnigfaltigkeit in ber Bildung ſich offenbart, und dennoch 
alle einzelnen Theile ohne fchatfe Gränzen in einander übergehen, 
und eben fo im Leben bes Gehirnes die verſchiedenen Nichtungen, 
in denen es ſich äußert, zahlloſe, nicht ſcharf begraͤnzte Modificas 
tionen einiger Hauptverrichtungen find, Wir werden diefen Gegen⸗ 
fland in der aten Hälfte unferer Vorlefungen , wenn wir uns au 
die Kragen über die Seele wenden, ausfuͤhrlicher berüdfichtigen. 
‚ Hier mag es genug feyn, darauf aufmerkfam zu machen, daß das 
Selbftbewußtfeyn, die Bafis aller phyfiſchen Tätigkeit, fi ih im: 
Sirne aͤußert. Der Beweis hiervon liege [hon in dem früher Ge- 
fagten. Ein Organ umfers Körpers kann auf irgend eine Weife 
durch dußere Dinge erregt werden, wir werden ung diefer Erregung 
nicht bewußt, wenn das Hirn duch Drud in feinem Leben ge= 
hemmt wird; Eeine Zerftörung eines anderen Organes, felbft des. 
Ruͤckenmarks nicht, hebt das Bewußtſeyn auf, wogegen Drud, 
- ja ſelbſt ſtarke Erſchuͤtterung des Hirnes, das Bewußtſeyn vernichtet. 


| $, 124. Daß das Hirn, abgefehen davon, daß es die pfy= 
bilden Thaͤtigkeiten vermittelt, für das Leben felbit, und auch für 
da8 plaftifhe Leben von der größten Wichtigkeit fen, laͤßt ſich errg⸗ 
then, wenn auch nicht alfe Theile deffelben, wie wir früher fahen, 


* 


in gleich naher Besiehung mit dem übrigen Organismus, ſtehen. 
Das Hirn, als Ganzes genommen, tft dem Körper unentbehrlich. 
-Bei Säugethieren. erfolge nach MWegnahme deſſelben ſogleich der - 
Tod. Zum Theil mag er dadurch herbeigefihrt werden,” daß der 
Stamm des herumfchiweifenden Nerven, der die Lungennerven auf 
nimmt, getrennt vom Gentraltheil ,» gelähmt werden muß. 
Das Befinden des Hirnes wirkt auf das Befinden des Magens, 
und umgekehrt erleidet das Hirn wieder einen Einfluß vom Unterlei⸗ 
be, Geſtoͤrte Verdauung erzeugt Kopfweh, ja in andern Fällen 
Krämpfe, die mit Bewußtloſigkeit verbunden find. Noch inniger 
ift die Wechfelwirfung zwifchen dem Hirn und dem Gefäßfnftem. 
Das Hirn bedarf zu feiner Erregung einer gewiffen Quantität von 
Blut, und zwar von Ürterienbiut. Mangel an Blutzufluß hebt die 
Thätigkeit des Hirnes auf, und ein zu ſtarker Andrang erzeugt 
Stumpfheit des Bewußtſeyns. Ein noch größerer hebt das Ber 
wußtſeyn ganz auf, oder zerſtoͤrt auch das Leben des Hirnes aufi im⸗ 
mer, beſonders wenn die Ueberfuͤllung durch Venenblut gefchieht. 
Sie wijfen, daß man eine plögliche Ueberfüllung des Hirnes mit 
Blut einen Schlagfluß nennt, Nicht immer iſt dabei eine 
wirkliche Zerreißung der Blutgefäße und Erguß des Blutes, Mit 
dem Ausdruck Nervenſchlag bezeichnet man nur ein. plögtiches Auf 
hören der Lebensthätigkeit im Hirn, das nicht unmittelbar. von 
einem Blutandrange bedingt wird, Der Grund Fann fehe verfchier 


den feyn, im einer Zerſtoͤrung im Nervenfyftem, oder in einer plöge 


lichen gewaltfamen Aufregung deſſelben beflehen. Bon den Perſo⸗ 
nen, welche Zerſtoͤrungen im Hirne hatten, ohne daß dieſe bedeu- 
tend auf die übrigen Verrichtungen im Hirn UBER, fterben vie⸗ 
le ih am Schlage— 


Wie in allen Theilen des Nervenſyſtems, ſo zeigt ſich auch 
im Hiene keine eigenthuͤmliche Bewegung bei feinen Verrichtungen. 
Dagegen erleidet das Hirn eine paffive Bewegung, und zwar eine 
Doppelte, ° Ein jeder Pulsichlag hebt das Hirn und laßt es ‚gleich 
darauf wieder finfen. Die Hirnfchlagadern, die "im Augenblicke, 
wo fie mit neuem Bl fute gefüllt werden, ſich fireden, mögen die 
Haupturfache der Erhebung feynz einen geringern Antheil hat. auch 
wohl die momentane Anfüllung des Hirnes ſelbſt. Eine weite 
Bewegung fällt mit dem Athmen zufammen. Bei jedem Anfuͤllen 


der * mit Luft ſenkt ſich das sim, und bei PER Ausathmen 
der Luft hebt es ſich wieder. Bei Kindern, bei denen ſich die Luͤ— 
cken zwiſchen den Schaͤdelknochen noch nicht geſchloſſen haben, ſieht 
man beiderlei Bewegungen in dieſen Luͤcken oder Fontanellen ſehr 
wall. am eh hebt ſich das Hirn, ‚wenn die Kinder ſchreien. 


—X 125. Eine’ allgemeine Anfiht vom Fiaſtiſchen Nervenſy⸗ 
haben Sie ſchon Früher erhalten ($. 105.). Sie wien, 
daß es in lang gezogenen Netzen bie Gefäße der Bruſt⸗ und Bauch⸗ 
Höhle überzieht und feine legten Enden in die bildenden Organe eins 
ſenkt. Die einzelnen Nervenfaͤden ſind weniger weiß, als die Faͤ⸗ 
den des animaliſchen Nervenſyſtems, und das Ganze iſt unſymme⸗ 
triſch; nur wo dieſes Nervenſyſtem an die animaliſchen Nerven ſich 
anfugt, zeigt ſich mehr Symmetrie. Auch iſt es ſchon erwaͤhnt 
worden, daß die Nerven, an die wir uns jetzt wenden, mit vielen 
Nervenknoten in Verbindung ſtehen, und daß davon der Name des 
Ganglienſyſtems hergenommen iſt. ine Anſicht unſerer Sten Ab⸗ 
bildung macht dieſe Verhäteniffe anfhaulic und eine ausführlide - 
Befchreibung überfläffig. Auch find diefe Nerven nur im Allge⸗ 
meinen in einem Körper fo gebildet, wie im andern. Die einzel- 
nen Fäden und eben ſo die Nerventnoten —— —* ins unend· 
liche | 


Man kann zufoͤrderſt das Nervenneg ſabſt von feiner Anhef⸗ 
tung an das animaliſche Nervenſyſtem unterſcheiden. Indem Ner⸗ 
vennetze ſind ganz unregelmaͤßig zerſtreute Knoten, welche alle als 
kleine Centraltheile fuͤr diejenigen Nerven zu betrachten ſind, die 
ſich in ſie einſenken. Die groͤßten liegen hinter dem Magen an dem 
Urſprunge der Unterleibs⸗ Schlagader. Von dieſen Knoten iſt man— 
cher wohl einen Zoll lang, wenn ihre Zahl nut gering iſt; kleiner 
find fie, wenn mehrere da find, | 


Man nennt die Verbindung dieſer Ganglien das © onnen= 
gefledht (Plexus coeliacus s. solaris) ($ig. 8. a) und bes 
. trachtet fie mit Recht als eine Art Centralmaffe, die diber bie an⸗ 
dern Abſchnitte des plaſtiſchen Nervenſyſtems ein Uebergewicht aus⸗ 
übt, und von welcher aus Geflechte ſich längs den Schlagadern au 
den Magen, bie Leber, die Milz, den Dam, die u bie. 
Harnblafe und die Hoden ziehen. 


> 


einen großen Theil der Derznerven mit, und geht, ohne anfehnliche 


Die Verbindung det plaſtiſchen — mit den tif 
ift folgende. Zwiſchen wei Wirbeln der Wirbelſaͤule iſt ein Ner⸗ 
venknoten (bbbb u.f. w. — » Nur am Harfe ift die Zahl geringer ; 
denn in ber ganzen Länge deſſelben finden ſich nur zwei oder drei. 
Dieſe Knoten ſtehen ſaͤmmtlich durch einen oder ein paar Fäden mit 
ben. benachbarten Ruͤckenmarksnerven in Verbindung, _ ‚Sie find 
aber auch unter ſich durch ziemlich ſtarke Faͤden verbunden, ſo daß 
aus den Nervenknoten und. ihren Verbindungsfäden eine ununter⸗ 
brochene Reihe entſteht, welche man ſonſt wohl als den Stamm des 
plaſtiſchen Nervenſyſtems anſah und aus Hirnnerven entſpringen 
ließ. * Nachdem ſich nämlid die Nervenfnoten an ben. Bruſt⸗ und 
Bauchwirbeln durch Zwiſchenfaͤden verbunden haben, gehen aͤhnliche, 
aber duͤnnere, Verbindungsfaͤden zu dem Nervenknoten am Halſe 
(c. d.), und vom oberſten Halsknoten ſteigen kleine Zweige auf 
waͤrts zu Aeſten des sten und Öten Hirnnervenpaares. _ Dieſe ſi nd 
es, welhe Sie in aͤltern Büchern als Wurzeln bes Ipmpathifchen 
Nerven befchrieben finden werden, der alfo, fo ſchwach anfangend, 
ſich gar fehr verſtaͤrken und dann in Knoten anſchwellen müßte. 
Alein dieſe Fäden, find keinesweges bie legten. Es gehen vielmehr 

vom. oberften Halsknoten noch andere Faͤden ab, weiche bie. Kopf: 
ſchlagader umſtricken, in der Schaͤdelhoͤhle noch ein Ganglion 
‚(Ganglion caroticum) bilden, und mit dem Knoten des zten 
Nervonpaares und dem Ciliarknoten in der Augenhoͤhle in Verbin⸗ 
dung fliehen. . Alle diefe Fäden find nichts weiter als Verbindungen 
der Graͤnz⸗ Ganglien (fo wollen wir die Nervenfnoten an der Wir- 
beifäule nennen) mit Hirnnerven, uͤbereinſtimmend mit den Ber- 


‚ kindungsfäben, bie zu dem Rüdenmarknerven gehen, 


Das plaſtiſche Nervenſyſtem verbindet ſich ferner mit den letz⸗ 
ten Zweigen des Zwerchfellsnerven (e). Am: engften- find unſre 
Nerven durch den herumſchweifenden Nerven mit dem Hirne vers 
knuͤpft. Von dem Magen aus zieht ſich naͤmlich ein Nervengeflecht 
an der Speiſeroͤhre herauf (F) (der Uebergang ſelbſt iſt hier durch, 
das Zwerchfell verdeckt), nimmt die Nerven von den Lungen und 





Es heißt biefe Reihe von Sanglien unb Berbinsungsfäben, ale Ein nie 
betrachtet, der große Sntercofialnerve, 


a 2 — — 
% E 


| Kuioten zu bilden, in den unnfügrbeifeiben Nerven (g) uͤber, der 

in feinem oben Theile wenigitens ein wahrer Htennerve iſt (vergl. 
$. 122.). Man fieht alfo Hier einen ganz allmähligen Uebergang 
der plaftifhen Nerven in Hirnnerven " Der Wendepunkt, mo der 
herumſchweifende Nerve anfängt die Natur eines Hirnnerven anzus 
nehmen, mag da feyn, wo er einen Aft an den Kehlkopf hinauf 
mat, den man den zurücklaufenden nennt (h). 


*. 126, Au) die plaflifchen Nernen erzeugen Bewegung, 
Durch ſie wird naͤmlich die Bewegung des Darms, des Magens, 
des Herzens und der Lungen hervorgerufen. Durch ſie nur werden 
die Secretionen der druͤſigen Organe moͤglich; denn nah Durchs 
ſchneidung der Nerven hoͤrt die Leber auf Galle und die Nieren den 
Harn zu bereiten. Auch der Magen bereitet nicht mehr aus ſeinen 
Waͤnden den zur Verdauung nothwendigen Magenſaft. Was iſt 
aber Secretion anders, als das Fortbewegen einer aus dem Blute 
ausgeſchiedenen Fluͤſſigkeit. Dieſe Bewegungen, die die plaſtiſchen 
Nerven hervorrufen, — * unſern Willen * unſer 
Bee — 72 


| Sie Leiten ferner den Ereegungszuftand. der a Drgane 
auf bie Ganglien bin, von welchen aus wieder andere Organe er= 
regt werden. So erzeugt eine Krankheit der Leber Verftimmung 
des Magens, und ein mit unverdaylihen Stoffen überfülter Ma- 
gen zieht auch den Darm in Mitleidenfhaft. Weil die plaftifchen 
Nerven den Erregungszuftand eines Organs auf andere unmittelbar 
einwirken laffen, heißt das ganze Syſtem diefer Nerven auch dew/ 
ſympathiſche Nerve, als deſſen Stamm man den Inter 
coftalnerven oder jene Verbindung der Gränz: Ganglien gewöhnlich 
 onfieht. Zu unferm Bewußtſeyn kommt jedoch die Erregung nicht, 
die die plaftifchen Nerven leiten, oder mit andern Worten, wir em⸗ 
pfinden fi fie nicht, 


Wir fühlen nichts von dem, was in gefundem Zufkande i in 
der Leber, in der Niere oder im Darme vorgeht. Das ift eben 
das Eigenthämliche der plaftifchen Nerven, daß fie thätig find, oh— 
ne daß wir es fühlen und ohne daß wir es wollen. “Auch darin uns 
terſcheiden fie ſich von den animaliſchen Nerven, daß fie, ohne aus» 
zuruhen, unabläffig thätig find, im Schlafe wie im Wachen, 


7 
— 180 — 


Worin mag der Grund liegen, daß bie Thaͤtigkeit der plaftiz 
Then Nerven ohnesunfer Bewußtfeyn erfolgt? Die Ganglien ſchei— 
nen den Grund zu enthalten. . ©ie find die Sammelpunfte für die 
Wirkſamkeit biefer Nerven und hemmen bie Sog: der Ein- 
drüde ‚zum Gehirn. 


“ Es it, um bildlich zu a als ob bie Leitung bier ge: 
brochen würde. Um uns in diefer. Meberzeugung noch mehr zu 
befeftigen, wollen wir den Bau der Ganglien näher unterfuchen. 


Bevor die Nerven in ein Ganglion eintreten‘, —— fi e 

fich in mehrere Fäden. Diefe fi find auf dag mannigfachfte unter ein= 
ander verwebt (vergl, Sg 13.) und verlieren ſich in die graue 
Maſſe des Sanglion. Im Mefentlichen ift diefe graue Maffe mit 
der grauen. Maffe vom Hirn und Nüdenmarf übereinftimmend, 
nur von einem fefteren Zellgewebe umgeben. Auf der andern Geis 
te des Nervenknoten treten wieder weiße Fäden aus ihm heraus, die 
fich zu Nerven verbinden. So ſind die Nervenknoten ſchon ihrem 
Dau nach mit kleinen Hirnen zu vergleichen, die die Nerven-Kei- 
zungen in fi ſammeln. — Aber auch im animalifhen Nervenfy: 
ſtem find ja Ganglien? Allerdings! In dieſen Nervenknoten ſehen 
wir indeſſen die weißen Nervenfaͤden, obgleich getheilt und in graue 
Maſſe eingefenkt, doch ununterbrochen durch dieſelbe hindurch ge⸗ 
hen. So wird es uns denn leicht begreiflich, wie ſie die Nerven⸗ 
leitung weniger ſtoͤren, obgleich fie nicht ohne Einfluß bleiben mö- 
gen, befonders auf bie Leitung des Willens, 


Fe Ueberhaupt iſt die Scheidung — dem plaſti⸗ 
ſchen und dem animalen Nervenſyſtem nicht vollſtaͤndig. So wie 
beide durch verbindende Faͤden an einander geknuͤpft ſind, ſo ſind 
ſie es auch in ihrer Wirkſamkeit. Eine dunkle Empfindung von 
dem Lebenszuſtande der bildenden Organe haben wir auch in aefun- 
den Tagen. Sie giebt das Gefühl des Wohlſeyns. Bei geftörter 
Gefundheit wird das dunkle Gefühl Iebhafter und erzeugt die mans 
nigfaltigen Empfindungen ‚von Unmwohlfeyn. Die Aerzte nennen 
die dunkle Empfindung von dem Zuftande der plaftifchen Organe 
das Gemeingefuͤhl. Je größer die Störung in der Harmo⸗ 
nie der plaftifchen Proceffe ift, um fo lebhafter wird unfer Bewußt⸗ 


‘ 


ſeyn davon in Kenntniß gefest. Ein Erankes Drgan der Bauch hoͤh⸗ 
le empfinden wir nur zu gut, und der Einfluß des piaftifchen Ner⸗ 
venſyſtems auf das animaliſche wird durch die Veränderung, bie 


unſer Fuͤhlen 1 Mollen und Denken in gefunden und in kranken Ta⸗ 


gen erleidet, offenbab. 


Die kranke Leber erzeugt ibie — Mißmuths atne 
Verdauung bricht die Kraft des Willens, und unterdruͤckte Ath: 
mung feffelt. den Gedanken und giebt das. Gefühl der Angft, . Wir 
werben alfo wohl eingeftehen, daß, obgleich die einzelnen. Senfa- 
tionen oder Erregungen der plaftifchen Nerven nicht zu unferm Be: 
mwußtfeyn gelangen, der allgemeine Einfluß. derſelben auf das Ber 
wußtſeyn nicht gering iſt. Ueberhaupt moͤgen ſchwaͤchere Erregun⸗ 
gen der plaſtiſchen Nerven nicht zum Bewußtſeyn kommen, aber 
wohl ſtaͤrkere. So haben Verſuche gelehrt, daß mechanifche. Rei⸗ 
zungen eines Sangliong vom plaftifchen Syſtem feinen: Schmerz 
verurſachten, aber wohl galvanifche, Andere Erfahrungen — mit 

toerden von ihnen erſt fpäter fprechen — machen es wahrfheinlich, 
daß die plaſtiſchen Nerven, wenn die Rerven des animaliſchen Le⸗ 


bens in Unthaͤtigkeit verſunken ſi Ind, ihre. Funktionen Bun hl 


übernehmen, | 


J 


\ [1 


"Ehen fo unverkennbar ift ber Einfluß, den das — 
Nervenſyſtem auf das plaſtiſche ausuͤbt. Der Zorn bewirkt einen 


Erguß der Galle, und auf den Kreislauf wirken alle Affecte auf die 
verfchiebenfte Weife. Man hat bei Thieren das Hirn und Ruͤcken⸗ 


mark entblößt und diefe Theile mit Weingeift, mit einem Aufguß 


von Tabak u. f. w. befeuchtet, und bei erfterem eine Verftärkung 


des Kreislauf, bei legterem eine Verminderung deffelben bemerkt, 
Wollte man aber aus folhen Verſuchen und Beobachtungen auf 
eine völlige Abhängigkeit der plaftifhen Nerven von den animalis 
[hen fliegen, fo daß etwa die Wirkfamkeit dev erfleren eben fo 
abhängig von Hirn und Ruͤckenmark wäre, ald die Wirkfamfeit der 
animalifhen Nerven, fo würde man doch fehr irren, Man kann 
das Nüdenmark eines Thieres nah am Kopfe duchfchneiden, und 
obgleich es, was die Empfindung und willkührliche Bewegung bes 
trifft, todt ift, fo befteht doch das plaftifche Leben ungeftört eine 
Zeit lang fort, Ja, man hat das Nüdenmark ganz weggenoms 


J 
* 


— 188 war 


men, und wenig Einfug auf den Sersfehfng bemerkt. Die Unab- 
hängigfeit des plaſtiſchen Nervenſyſtems wird auch vorzuͤglich durch 


einige Mißgeburten erwieſen, die ohne Hirn und Ruͤckenmark ge⸗ 


boren wurden. Nach der Geburt konnten fie freilich nicht fortleben, 
weil fie nicht athmen konnten; allein bis zum Augenblide der Ges 
burt hätten fie fich doch nicht entwickeln Eönnen, wenn nicht die Er⸗ 
nährung und Bildung des ganzen Körpers ohne Hirn und Rüden: 
mare vom plaftifchen Nervenſyſtem ganz allein beforgt wäre, Ja, es 
fcheint, daß bei voͤlliger unthaͤtigkeit des Hirnes und Ruͤckenmarkes 
das ptaſtiſche Nervenſyſtem ſeine Herrſchaft auf Koſten des anima⸗ 
lüſchen mehr ausdehnt. So hat man bei Bloͤdſinnigen es auch in 


der Maſſe wuchernd gefunden, Sie ſehen leicht, daß das Verhaͤlt⸗ 


niß beider Haͤlften des Nervenſyſtems etwas complicirt iſt. Eine 
Menge Verſuche, die man grade in neuerer Zeit angeſtellt hat, um 
diefes Verhaͤltniß genauer zu beftimmen, haben wenige ſichere Re⸗ 
fultate gegeben, fondern zeigen, daß zu einer vollftändigen Kennt- 


niß der verwickelten Verhältniffe viel fehle, Es würde daher auch) 


unferm Zwecke wenig entfprechen, fie hier durchzugehen. Nur fo 
viel ift im Allgemeinen unverkennbar, daß die Abhängigkeit nah 
den verfchiedenen Regionen des plaftifchen Syſtems verfchieden iſt. 
Se inniger und unmittelbarer der Zufammenhang und Webergang 
beider Syſteme, um deſto bedeutender auch ihr gegenfeitiger Eins 


. fluß, Die Lungennerven, die ganz in den herumfchweifenden Ne 
- von, den wir fehon als Mittelglied zwifchen beiden Nervenfpftemen | 
betrachtet haben ($. 122.), übergehen, beduͤrfen des animaliſchen 


Nervenſyſtems am meiſten. Sie ſind ſogleich gelaͤhmt, wenn das 
Hirn bis auf feine Baſis zerſtoͤrt, oder wenn ber Stamm des Va- 
gus zerfchnitten wird. Weniger abhängig find die Nerven des Her: 
ui, die nur zum Theil mit dem herumfchweifenden fich verbinden 


und zum Theil mit der Oanglienreihe, die ald Stamm der plafti- 


{hen Nerven betrachtet wird. In der Bauchhöhle find die Magen: 
nerven aus Ähnlichen Gründen abhängiger, als die Nerven der 
übrigen Organe. Die Verbindungsfäden, die auch hier zum Nüs 
denmark gehen, müffen weniger wefentlich feyns denn zur bem Bei: 
fpiel, das ich früher von dem ungeſtoͤrten Fortbeflehen der plafli- 
ſchen Proceffe bei zerfiörtem Ruͤckenmark erzählt habe ($. ıız.), 
koͤnnte ich nody mehrere hinzufügen, Uber felbft da, wo einzelne 


— Abſchnitte des Nervenſyſtems weniger vollſtaͤndig von einander ab⸗ 


J Bee a * —* 


—— 189 — 


Yale fo daß fie ohne lan beftehen können, zeigen fie ge 
' genfeitigen Einfluß, fo lange jedes feine Beftimmung  vollftändig 
ausfüllt. Fehlt einer, fo kann oft der andere ohne ihn eine Zeit 
= beſtehen. | | 


$. 198. Es bildet das Hervenfoftem, um Ani, einem all⸗ 
gemeinen Ueberblick zu ſchließen, ein zuſammenhaͤngendes Ganzes, 
nicht nur ſeiner Form nach, ſondern auch in ſeinen Verrichtungen. 
Thatſachen, welche zu dieſer Ueberzeugung führen ,. find fchon viel⸗ 
fach angeführt worden. Thaͤtigkeit in einer Negion des Nervenfys 
ſtems erregt die Thätigkeit in andern Regionen. ‚Die Art des wech⸗ 
felfeitigen Einfluffes hängt theild von dem innerften Weſen der ver: 
ſchiedenen Organe, theils von der Art der Thaͤtigkeit ab. So zieht 
ein krankes Organ oft ein entfernt liegendes in Mitleidenſchaft, 
wenn beide in ihrem Geſchaͤffte eine gewiſſe Uebereinſtimmung ha⸗ 
ben. Während in der Gebärmutter der Foͤtus fich entwidelt, "bil: 
det fich die weibliche Bruft aus. Wenn die innere Haut der Nafe 
gereizt wird, erfolgt ‚eine Erampfhafte Zufammienziehung der Ath⸗ 
mungsorgane. Einen folhen nähern Einfluß zweier Organe nennt 
man eine Sympathie. Zuweilen wird fie durch eine nähere 
Berbindung der Nerven vermittelt, wie die Reizung des Kehlkopfes 
auf den Magen wirkt, zumeilen aber nicht, wie bei jener Sympa= 
thie zwifchen der Gebärmutter und den Brüften, wo der- Einfluß. 
durch das ganze Nervenſyſtem hindurch wirken. muß. _ Manche 
Sympathieen zwifchen Organen , die in ihrer Verrichtung wenig 
mit einander übereinftimmen, find den Phyfiologen befonders merk: 
würdig, wie das Hervorbrechen des Bartes bei Entwidelung der 
männlichen Gefchlechtstheile und Veränderungen im Kehlkopf zu 
derfelben Zeit. Anders find wieder die Sympathieen in Eranfhaf: 
tem Zuftande; auf ein Erankes Organ wirkt faft jedes andere Or» 
gan lebhafter ein, als während der Gefundheit. Jede unterdrüdte 
Transfpiration der Haut, jede Ueberladung des Magens hat auf 
eine fchwindfüchtige Lunge mehr Einfluß, als auf die urfprünglich 
affieirten Organe felbft. Nicht felten wirkt ein in feinen Verrich- 
tungen geftörtes Drgan fo auf ein anderes ein, daß es ſelbſt gefund 
bleibt und dem andern gleichfam die Krankheit überträgt, oder es 
übergiebt dem andern fein eigenes urfprüngliches Geſchaͤfft. Bon 
dieſen Derhältniffen werden wir indeſſen beſſer ſprechen koͤnnen, 


wenn wir das harmonifche Zuſammenwirken aller Theile des Orga⸗ 
nismus beſonders betrachten, und bei Unterfuchung der einzelnen. 
Drgane noch mehr Thatſachen vorher geſammelt haben werden 


6. 129. Hier'mahen wir nur noch die Bemerkung, daß 
einigen wenigen Theilen bie Nerven ganz fehlen, der Oberhaut, 
den Nägeln, den Haaren, dem Schmelz der Zähne. In den Kno— 
chen, Knorpeln, Bändern und Sehnen fcheinen auch, feine andern 
Nerven zu feyn, als die zu den Gefaͤßen gehören.* Auch in Theilen, 
die nur duch Krankheit entftanden find und nicht urſpruͤnglich zum 
Körper gehören, fehlen die Nerven, 


# 


4 





T 


* Der FE Swan will in allen Siefen Theilen Nerven entbedt — 
Bis die Erfahrung ſeine Entdeckung beſtaͤtigt Hat, wollen wir noch bei 
dem Ergebniß fruͤherer unter ſuchungen bleiben. | 


u 








* 





Eilfte Borfefung. | 
el Wat: Sf: Ah Ar Rap A 





RAU GA ERQ, 


Indem ich zu dem erften und höchften Sinnesorgan mic mens 


de, fühle ich, mie ſchwer es iſt, nicht in einen Hymnus auf ein- 
Organ ſich zu verlieren, das uns die Gottheit in den Spuren ihrer 
Merke auffuchen lehrt, und uns die Welt auffchließt, bis zu einer 
Entfernung, die unfer Geift nicht zu denfen vermag. Wahrlich, 


diefem Sinne verdankt das Menfchengefchlecht mehr als die Hälfte 


‚feiner Bildung. Wie tief ftünde e8 ohne ihn! Außer dem Don- 


ner der Molken umd dem Braufen des Windes würde nichts die 
Ahnung einer Allmacht erweden, ja, die Kenntniß der Schöpfung 
ſelbſt wäre über unfere Atmofphäre hinaus unmöglich, und mit dem 
Himmel über ung gingeder Himmel in uns verloren. Wohl weiß ich, 
daß in unfern jegigen Lebensverhältniffen es zweifelhaft feyn Eann, 
welche Entbehrung fehmerzlicher ift, ob die des Gehörs oder die des 
Gefichtess bedenkt man aber, daß bie größte Maffe der Erkenntniffe, 

die auch der Blindgeborne durch Mitteilung von Andern erhält, 
urfprünglich durch den Gebrauch des Gefichtes erlangt worden ift, 
fo wird man wohl nicht anflehen zuzugeben, daß, wenn dem ganz 
zen Menfchengefchlechte einer diefer Sinne abgehen follte, es ohne 


Auge unendlic) elender feyn würde, als ohne Ohr, 


Aber nicht blos die Würde des Auges für unfere geiffige Aus» 
bild auch fhon fein Bau muß zur Bewunderung Hinreißen, 
Es gebt zwei Formen in unferm Köper, bie weder der rohefte 
Menſch, noch der emſigſte und an ihre Unterſuchung gewoͤhnteſte 
Zergliederer betrachten kann, ohne von einer Art ſchauervoller Eher 


’ % 


N f —— 
— 192 — 
furcht ergriffen zu werden — das ſo erhaben gewoͤlbte Gehien mit 
ſeinen geheimnißvollen Windungen und die wundervolle Re 


der innern hast des Auges. 


Die — des Auges iſt der hoͤchſte Par für die zi 
higkeit des denkenden Menſchen und zugleich der ſprechendſte Be⸗ 
weis von ſeiner Ohnmacht. Der Triumph feines Witzes iſt fie, 
Wweil er mit mathematiſcher Sicherheit den Weg berechnen kann, den 
die Lichtftrahlen nehmen, um in der Tiefe des Auges die Empfin- 


— dung des Sehens hervorzulocken. Es iſt ihm gelungen, aus leb⸗ 


loſen Stoffen dieſes Organ kuͤnſtlich nachzubilden, fo daß diefem 
Menfchenwerke nichts fehlt, . ale das Bewußtſeyn von dem Bilde, 
das in ihm ſich formt, Die Ohnmacht unferes Wiffens zeige hin: 
. gegen der Ausdruck des Auges, den wir empfinden, aber nicht be- 
greifen. Jeder Zuſtand des Gemüthes fpricht fi im Auge aus, ohne 
daß wir eine Veränderung in der Form oder Mifhung deffelben 
angeben Eönnen, ja ohne daß wir im Stande find, in; Worte zu 
faffen, : worin.diefer Ausdruck liegt. Es ift.der innerſte Seelenzu⸗ 
ſtand, der Zorn, wie die Liebe, die Freude, wie die Sorge, wel⸗ 
che aus dem tauſendfach veraͤnderten Glanze des Auges unmittelbar 
in die Seele eines Andern hinuͤber leuchtet. Ich moͤchte das Auge 
das Organ nennen, durch welches das Gemüth unmittelbar. fich. 
uns offenbart, während der Verſtand nur in Worten zu ung redet. 
Es iſt leicht mit Worten ein Anderes auszuſprechen, als wir im 
Innern fuͤhlen, wer aber mit dem Auge lügen will, muß das Ge⸗ 
fuͤhl in Pr erwecken, Das er ausdruden möhte, 


| ur 131; Der weſentliche Theit des Ann iſt * a 
mige Körper, den wir den Augapfel nennen. Bevor wir fei- 
nen innern Bau unterfuchen,, werfen wir einen Blick auf die Lage 
and, die äußere Umgebung deffelben. Auf jeder Seite der Nafe ift 
im Anochengerhfte des Kopfes eine Höhle, beftimmt zur Aufnahme | 
des Auges — die Augenhöhle (Tof U Fig. 1 a, Taf. 
VII Fig. 16). Sie gleicht fall einer vieredigen Pyramide und 
' die Aren beider Pyramiden laufen in einem Winkel von beinahe 45 
‚Grad gegen ‚einander, Das Stirnbein, das, Jochbein, das Keil 
‚bein, dee Oberkiefer, das Siebbein, das Tihränenbein und ein 
kleiner Theil des Gaumenbeins bilden air TORR und laſſen zwei 

Spal⸗ 


By) 


Spalten zwiſchen ſich (a, in welche Nerven und Gefaͤße 
eintreten. In der Spitze der Hohlpyramide iſt noch eine beſondere 
runde Oeffnung (c), die den Sehnerven durchlaͤßt. So iſt das 
Auge durch ein feſtes Gemaͤuer geſchuͤtzt, nur von vorm dem Lichte! 
zugänglich und die vorfpringenden Ränder der Augenhöhle machen, 
daß nur felten eine Äußere Verlegung diefes kuͤnſtliche Werkzeug 
trifft. Damit aber der Augapfel von der harten Umgebung nicht 
gerieben werde, ift ber Kaum zwifchen ihm und der Wand der 
Höhle, befonders aber der Raum hinter dem Auge, von einer Menge 
Fett ausgefüllt, Hierzu Eommen noch die Muskeln, fo wie die 
Merven und Gefäße, die zum Auge gehen, fo daß es hinlaͤnglich 
mit weichen Polftern umgeben ift. Das Schwinden jenes Fettes 
ift dee Grund vom ‚tiefern Zuruͤcktreten des Auges in feine Höhle 
nach langen Krankpeiten oder Sorgen, — Auch die vordere Flaͤ⸗ 
he des Auges ift mehr oder weniger bedeckt duch. die Augenlie— 
der, die, wie weiche Vorhänge, duch Umfchlagungen der aͤußern 
Haut gebildet werden und zwifchen fich die Augenfpalte laffen, 
Es ſteigt nämlich die Haut von der Stine vor dag Auge herab, 
Schlägt fih am Rande der Augenliederfpalte um und fleigt dann, 
zarter werdend und mehr geröthet durch Blutgefäße, an der hintern 
Fläche des obern Augenliedes in die Höhe, geht dann vom Augen⸗ 
liede über zur vordern Fläche des Augapfels und uͤberzieht auch dies 
fen mit einem höhft zarten Ueberzuge. Man nennt den Theil der 
Haut, der die hintere Fläche des Augenliedes und die vordere des 
Auges bekleidet, die Bindehaut (Conjunctiva s. Adnata), 
Ganz ebenfo, wie aus der Stirnhaut das obere Augenlied ſich forte 
fest, fleigt aus dev Haut der Wange dad untere Augenlied hinauf, 
Die dritte Abbildung auf unferer Tafel VII zeigt den Theil ber 
Bindehaut, der die Augenlieder von hinten’ bekleidet, in e, e, e; 
denn wir fehen hier die abgelößten Augenlieder von der hintern Fläs 
che. Wie die Bindehaut von den Augenliedern übergeht zur vor: 
dern Fläche des Augapfels, erkennt man aus. der Durchſchnittsfigur 
I5beik und, Ueber der Hornhaut ift die Bindehaut fo zart und 
ſo eng angeheftet, daß man fie nur fehr unvollftändig darſtellen 
Bann. Auf der weißen Haut aber liegt fie ziemlich Iofe auf, wie 
man Bi Be ber a leicht bemerkt, 


13 


2) 


a A ee 
RER 


) —— 194 2 


In jedem Augenliede, und zwar nah an ſeinem Rande, iſt ein 
gebogener Knorpel enthalten, der wohl dazu dient, dem Augenliede 


die noͤthige Feſtigkeit zu geben und die Raͤnder der Augenlieder ge⸗ 


ſpannt erhaͤlt, waͤhrend der uͤbrige Theil ſich faltet. (Taf. VII 
Fig. 15 zeigt bei h, ĩ die BR im Durchſchnitte, Fig. 11 aber 
ifoliet von der vordern Klähe). Im Nande jedes Augenliedes figt 
eine Neihe gebogenet Haare, bie fo geformt find, daß fie ihre Kruͤm⸗ 
mungen gegen einander Eehren, und, wenn das Auge gefchloffen ift, 


Staub und andere fremde Theile vom Auge abhalten (Taf. VII 
Sig. 15 0, d). Wenn durch Krankheit die Ränder des Augenlies 
„des ih nach innen drehen, fo reiben diefe Wimpern (Cilia) 


den Augapfel und erregen Entzündung. , Das giebt die Krankheit, 


die unter dem Namen des Haarwuchſes bekannt iſt. Zumeilen je- 


doch entſtehen auf der Hintern Fläche des Augenliedes felbft, andere 
Haare, die noch einen höhern Grad diefer Krankheit hervorbrin- 
gen. — Ueber dem Anfange des obern Augenliebes finden ſich 


‚noch mehr Eurze und flarfe Haare, die man die Nugenbrau- 


nen (Supercilia) nennt. Sie fcheinen Eeinen andern Nutzen 


‚ zu haben, als das Auge von oben zu beſchatten, was fie um fo 


befjer thun Eönnen, je dichter und dunkler fie find. Wirklich will 


man bemerkt haben, daß das Dunkelfärben der Augenbraunen die 


Sehkraft des Auges vermehrt. — 
. Die Ungenlieder find ſehr beweglich, und koͤnnen mit det 


größten Schnelligkeit das ‚Auge bedecken und entblößen. Das 


Schließen der Augenlieder geſchieht durch einen kreisfoͤrmigen Mus⸗ 
kel, den unſere Tafel IU Fig. 2 bei 6 zeigt. Dieſer Muskel, der 
Augenliedfhließer, umgiebt nut einem äußern größer 
Theile den Eingang der Augenhöhle, ein ſchwaͤcherer innerer Theil 
liegt innerhalb der beiden Augenlieder (Fig. 15 fg). Wenn er wirkt, 
fo nähert er beide Yugenlieder, und die Augenfpalte wird gefchloffen. 
Geöffnet wird fie durch einen langen ſchmalen Muskel, der aus 


dem Boden ber Augenhöhle fommt, und über den Augapfel fort in 


das obere Augenlied acht, das er bei feiner Wirkung aufhebt (Fig. 
15). Das untere Augenlied ſinkt dann von felbft nieder. (Taf, 
Vu Big. 15 iſt ein Durchſchnitt des fo gefchloffenen Auges.) 


$. 132. Das Schließen der Augenlieder gefchieht nicht 


blos um das Auge zu bedecken, fondern auch um den vordern Theil 


beffelben immer feucht zur erhalten. Es find nämlich zweierlei’ Fluͤſ— 
figkeiten, welche über das Auge ausgegoffen werden, eine ölige 
und eine wäßrige. Die ölige wird bereitet in einer Reihe Drüfen, 
die wir im obern Augenliede finden (Fig. 3. f, f); man nennt fie 
die Meibomifhen Drüfen. Ihre Ausmändungen fieht 
man in einer Reihe von Punkten am Rande des Augenliedes (Fig. 
2,3). Die andere Fluͤſſigkeit ift die Shränenflüffigkeit, 

deren Hauptbeftandtheil Waffer ift, mit einem geringen Inhalt 
von Salzen, namentlich von Kochſalz und Alkali und einem ey: 
weißähnlichen Stoffe... Es liegt im äußern Winkel der Augenhöhle 
eine eigene ziemlich große Drüfe (Fig. 3. 8), welche die Thränen 
unaufhörlich bereitet, und durch einige fehr enge Kandle (h) un: 
ter das obere Augenlied ergießt. Durch die Bewegung des Augen 
liebes werden nun beide Flüffigkeiten immer über den Augapfel und 
namentlich über die Hornhaut ausgebreitet.“ Sobald im Auge das 
Beduͤrfniß der Anfeuchtung entfteht, fchließen wir unwillkuͤhrlich 
‚ die Augenlieder, fo wie wir fie unwillkuͤhrlich fchliegen, wenn ir 
gend ein außerer Koͤrper dem Auge Gefahr droht. 


‚Ein anderer Apparat ift am Auge, der den überfläffigen Seit 
der Thränen aus dem Auge ab in die Nafe leitet. Betrachten wir 
nämlich ein Auge aufmerkfam, fo fehen wir, daß die Augenlieder 
fpalte im innern Augenwinkel nicht ſpitz auslaͤuft, ſondern rund 
ausgefchnitten ifb (Fig. 1. d). Dadurch entfteht Hier eine Grus 
be, indem die Augenlieder nicht eng an den Augapfel, wie im übris 
gen Umfange, anfchliegen, In diefer Grube fammelt ſich der Theil 
ber Slüffigkeiten, der nicht zum bloßen Anfeuchten gebraucht wird, 
und die Augenlieder felbft treiben ihn durch ihre Bewegungen das 
bin. Die Grube Heißt davon der Thränenfee, und ein ſchwam⸗ 
miger Körper im Boden derfelben die Thraͤnenkarun— 
kel te). 

Meben dieſer erkennt man noch ein fhmales halbmond— 

förmiges Fältchen (£), welches für das menfchliche Auge eben 

das ift, was fih im Auge der meiften Säugethiere und befonders 

der Vögel fehr viel mehr entwickelt und beweglich zeigt und mit dem 

Namen des deitten Augenliedes belegt wird. Die Vögel können 

diefe Falte raſch vor das Auge ziehen, wodurch es piöetich truͤbe er⸗ 
13 


ſcheint. Im Menfchen ift fie überhaupt nur fehr menig ausgebil- 
bet und daher unbeweglich. Aus jenem Raume nun werden die 
Thraͤnen durch einen ünftlihen Apparat wieder aufgefogen. Am 
Rande jedes Augenliedes ift an der Stelle, wo der Ausschnitt des 
innern Augenwinfeld anfängt, eine Eleine Erhabenheit — Thraͤ— 
nenpapille (Fig. 2. g und Fig. 3. k) — und auf ber Spige die: 
fer. Exrhabenheit eine Deffnung — der Ehränenpunft. Es 
ift diefe Erhabenheit nach innen gegen den Thränenfee gerichtet und 
man fieht fie leicht, wenn man fein eigenes Augenlied vor einem 
- Spiegel hervorflülpt. Jeder Thränenpunkt iſt der Anfang eines 
kurzen hakenförmig gebogenen Kanals. Beide Thraͤnenka— 
naͤle laufen bededit von der Haut gegen die Nafe zu, eine Eurze 
Strede von wenigen Linien, und umfaffen die Thränenfarunfel, 
Sie münden ſich beide in eine Eleine fadförmige Erweiterung, wel⸗ 
he an der Seite der Nafenmwurzel Liegt — den Thränenfad 
(Big. 2.1). Aus dem Thraͤnenſach endlich führt ein ziemlich weis 
ter Gang (k) durch die Knochen in die Nafe — der Ehränen- 
gang. Zwiſchen dem Thränenfad und dem Thränengange iſt 
aber eine etwas verengte Stelle, die fich zumeilen Erankhaft ſchließt. 
Dann ſammeln ſich die Thraͤnen im Thraͤnenſacke an, ſchwellen 
ihn auf und erzeugen zuweilen eine Oeffnung, die aus dem Thraͤ⸗ 
nenſacke grade nach außen dringt. Man nennt fie eine Thränen- 
fifte, Sie kann geheilt werden, wenn es gelingt, den Thraͤnen⸗ 
gang wieder zu eröffnen. — So wird immer Thränenflüffigkeit 
bereitet, und was nicht auf dem Auge verbunftet, wird auf un⸗ 
merkliche Weife in die Nafe geleitet. Vermehrt fich die Secretion 
der Thränen, worauf bekanntlich der Gemüthszufland einen merf- 
würdigen Einfluß hat, fo mehrt fi der Zufluß der Thränen in 
die Nafe, und wir fehen ung genöthigt zu fhnauben, Iſt der Er= 
guß der. Thraͤnenfluͤſſigkeit noch ſtaͤrker, fo koͤnnen die Thraͤnen⸗ 
punkte nicht genug aufnehmen und die Fluͤſſigkeit fließt in Tropfen, 
als Thraͤnen, uͤber den Rand des untern Augenliedes. Iſt in ei— 
nem Auge die Thraͤnenbereitung immer zu ſtark fuͤr die Ableitung 
duch die Thraͤnenpunkte u. f. w.,. fo ſagt man, es leide an 
Thraͤnentraͤufeien. * 


§. 133. Wenden wir ung num an den Augapfel ſelbſt, fo 
darf ich es als bekannt vorausfegen, daß er faft die Geſtalt einer 


Kugel hat (die Laͤngenare ift nämlich in wi Dieget ıry% Linien 
bis einen Zoll groß, die Queeraxe etwas Eleiner) und daß er aus 
* gebildet wird, welche durchſichtige —* umfhliegen, 


Die Haͤute liegen in 3 Lagen Über einander und jede Lage hat 
die Form einer hohlen Kugel. Keine Haut aber ift vollſtaͤndig 
Eugelig, fondern jede laͤßt nach vorn eine Luͤcke, in welche eine ans 
dere, jedoch ähnlich gebaute Haut eingefegt ift. Die Äußerfte Lage 
dieſer Häute bildet die harte oder weiße Hauf (Scleroti- 
ca), eine ſehr fefte, aus dichten Faſern zuſammen gewebte, nach hin⸗ 
ten faſt eine Linie dicke, nach vorn aber duͤnner werdende Haut, 
welche undurchſichtig iſt fehr wenige Gefäße und Feine Nerven ent⸗ 
hätt. Sie bildet nur den größern Theil einer Kugel, Statt des 
fehlenden vordern Theiles iſt eine andere Haut, die Hornhaut, 
angefügt, welche ſtaͤrker gewoͤlbt und durchſichtig iſt, keine Faſe⸗ 
rung zeigt, ſondern aus mehreren ganz homogenen uͤber einander kie⸗ 
genden Blaͤttern gebildet iſt. Wegen ihrer ſtaͤrkern Woͤlbung ragt 
fie wie ein Uhrglas hervor. Man erkennt fie leicht, wenn man 
das Auge von der Seite anfieht. Was man aber das Weiße im 
Auge nenne, iſt der vordere Theil der harten oder weißen Haut. * - 
Die Duchyfichtigkeit der Hornhaut erlaubt den Lichtſtrahlen den 
Einteitt in das Auge. Wenn fie fich theitweife verdunkelt, was 
nach Verwundungen oder nady Krankheiten gefchehen kann, fo ſe— 
hen wir weiße Flecken in diefem Theile des Auges; breitet fich die 
Verdunkelung weit aus, fo heißt fie ein Maal, Bemerken müf- 
fen wie noch, daß im hinteren Theile der harten Haut, jedoch nicht 
ganz in der Are, fondern etwas nach innen zu, eine runde fiebförs 
mig durchloͤcherte Stelle ift, durch welche der Schnerve eintritt, 
Die’ ganze Form des von den umgebenden Theilen entblößten Augs 
apfels fehn wie in Fig. 4 mit einem anhängenden Theile des Seh: 
nerven. Es iſt Hier bekleidet von der harten oder weißen — un 
oben ficht man die Hornhaut vorragen, ** 


i 





A 
a4 Der: vorbere Theil der harten, Haut heißt in einigen Schriften auch Albu- 
Sinea, Irrig wird diefe zuweilen ald eigene Haut beſchrieben. 


zwiſchen der harten Haut und der nädftfolgenden , der Aderbaut , Liegt ein 
eg Schleim, den einige Anatomen als eine eigene Haut beforishen 


— ⸗ 198 — 


6. RAN —— der beſchriebenen Haut liegt eine zwei⸗ 
ke, die Aderhaut, Gefäßhaut (Choroidea), melde von | 


den vielen Blutgefaͤßen, die fie enthält, ihren Namen hat, . Sie _ 


ift viel dünner als die harte Haut, und erfcheint nach dem Tode, 

wenn die Adern ihr Blut verloren haben, dunkelbraun, Werden 
aber. die, Adern duch. künftlihe Mittel mit vorher Maffe angefüllt, 
fo. erhält die ganze Haut durch den Reichthum an Adern ein rothes 
Anfehn,. wie in unfeer sten Figur, in welcher die Hornhaut, und 
der größte Theil der weißen Haut entfernt find; von der letztern if 
nur der hintere Theil (b) um den Eintritt des Sehnerven (a) 
zuruͤckgeblieben. Man ſieht alſo den Umfang der Aderhaut faſt 
ganz. Sie beſteht aus zwei eng an einander gehefteten Blaͤttern, 
von welchen das aͤußere die meiſten Blutgefaͤße enthaͤlt, das andere 
aber an der innern Flaͤche mit kurzen Flocken beſetzt ſt. Man 
nennt das innere Blatt, nach einem alten Anatomen, insbeſondere 
noch die Ruyſchiſche Haut (Membrana Ruyschiana )...* 
In und an ihre Sloden fegt ſich eine ſchwarze oder vielmehr. ganz 
bunfelbraune Maffe ab, die man das ſchwarze Pigment 
nennt. Ihre innere Flaͤche erſcheint deshalb ſchwarzbraun gefaͤrbt. 
In der sten Figur, welche die vordere Hälfte diefer Haut darſtellt, 
wie fie von hinten betrachtet erſcheint, fieht man ihre innere Fläche 
im aͤußern Umfange der Figur: (a). Das vordere Ende diefer Haut 
iſt aͤußerlich mit einem weißen Ringe (Fig. 5. e) umgeben, deſſen 
Natur noch nicht ganz klar iff; man nennt; ihm das Strahlen- 
band.oder Ciliarband. ‚Nach, innen zu.bildet die Haut eine 
Menge faltenförmiger  VBorengungen-— den Faltenkranz oder 
Ciliarkoͤrp et. (Corpus ciliare)... — deſſen einzelne Vorra⸗ 
gungen Ciliarfortſaͤtze heißen. — Man ſieht dieſen Cili⸗ 
arkoͤrper in Fig. 8 beib, wo man, auch. erkennt, daß ein. ſchwarzer 
gezackter Saum den Ciliarkoͤrper nach hinten umgiebt. Es legt 
ſich dieſer Theil mit ſeinen Fortſaͤtzen vor die vordere Flaͤche der Lin⸗ 
ſlepſet wie die — Figur deutlich zeigt. Mir ſcheint es, daß 


> 


— — 





hd; 36 Habe kuͤnſtliche Augen geſehen, in denen beide Blaͤtter, bie Im’ menſchlichen | 
Auge fehr,eng an einander: cha ſind, Weſonders dargeltelt waren, fo 
daß es fchien, als ob vier voͤllig detrennte Haͤute die durchſichtigen Maſſen 

des Ange umgäben,. teje Benterfung ſchien mir hier nicht flüffig, 

damit Beſitzer ſolcher —— Augen ſich in denfelben ——— Könnten, 





. 


ber Eiliarkörper nur vom aͤußern Blatte der Aderhaut gebitdet, wird, 
Es ift ups Faltenkranz mit vielem ſawatien Pigment bedeckt. 


| & — Eben ſo wenig, als die harte —— umgiebt die 
Aderheut den ganzen Augapfel. Sie hört vielmehr beim Ciliar— 
bande ‚auf, und in bie Luͤcke, die fie läßt, ift eine andere Haut eins 
‚ gefügt, die Regenbogenhaut, Blendung oder Sris, 
Sie bildet den Theil, den wir im gemeinen Leben den Augenſtern 
nennen. Ihrer Befchaffenheit nach ift fie der Aderhaut fehr ähns 
lich; denn auch fie enthält fehr viele Gefäße, welche aus der Aderz 
baut im fie übertreten. Man fieht diefe Gefäße fehon mit bloßen 
Auge fo zufammenmünden, daß fie am dußern Umfanae und am 
innern Rande einen Gefüßkteis bilden. Es fchlieft nämlich die 
‚Regenbogenhaut die Lüde, welche die Gefäßhaut übrig laͤßt, nicht 
ganz, fondern faft in der Mitte, jedoch etwas mehr nach dem in⸗ 
nern Augenwinkel, bleibt eine runde Deffnung, die Pupille oder 
das Sehloch, wodurch den Lichtfirahlen der Eintritt in das 
Auge möglich ift. Die Pupille (Fig. 5. g. Fig. 8..d) iſt alfo 
‚nichts als eine Lüde, ein leerer Raum. Sie erfcheint uns aber 
ſchwarz, weil wir duch fie hindurch auf den dunkeln Boden des 
Auges fehen. Nur in kranken Augen, die wenig ober gar Fein 
Ihwarzes Pigment haben, wie in den Augen der Albinos, oder, 
um ein Beifpiel von Thieren zu nehmen, in den Augen ber weißen 
Mäufe und Kaninchen, ift die Pupille roth, weil man durch ſie die 
—— der nicht ſchwarz gefärbten Aderhaut erkennt, * | 


So ähnlich * die Regenbogenhaut der — * 
8 Gefaͤßreichthum wird, ſo iſt ſie doch nicht ein Theil von ihr, 
ſondern laͤßt ſich leicht von ihr abloͤßen. Eine ſolche Abloͤßung muͤſ⸗ 
ſen die Augenaͤrzte zuweilen unternehmen, wenn der mittlere Theil 
der Regenbogenhaut an einen andern Theil des Auges angewachſen 
und dadurch die wahre Pupille verſchloſſen iſt. Durch das Abtren⸗ 
nen der Regenbogenhaut von der Gefaͤßhaut entſteht nun eine Luͤcke 
oder kuͤnſtliche Pupille, die dem Lichte einen neuen, wenn auch une 


- 





— 


une Sn der Fig. 72 fieht man ein fehe ſtark vergrößented Stuͤck, welches aus ber 
Aderhaut und Regenbogenhaut ausseſchuitten iſt. Die Gefäße find mit 
rother Maffe Ss 


= 200. m 


vollkommenen Zutritt erlaubt. — Die Negenbogenhaut befteht 
ſehr deutlich aus zwei Blättern. Das vordere Blatt ift glatt 
und gefüßreih, das hintere Blatt mit einer ſtarken Lage von 
ſchwarzem Pigmente bedeckt. Letzteres wird auh die Trauben: 
haut (Uvea) genannt. Am innern Rande hängen beide Blät- 
ter zufammen. Bon der. eigenthumlichen Färbung des vordern 
Blattes, mehr aber noch von der ſtaͤrkern oder ſchwaͤchern Lage: von 
Pigment auf der Traubenhaut, hängt die Färbung des Augenfter- 
nes ab, welche bekanntlich fehr mannigfaltig feyn Tann, "blau, 
gran, grünlich, braun und fchwarzbraun, Je dunkler das Haar 
und die Haut find, um deſto dunkler ft in der Negel die Negendos 
genhaut. Dieſelben Urfachen nämlich, welche einen ſtaͤrkeren Nies 
derſchlag von Färbeftoff in der Haut erzeugen, vermehren die Aus: 
Scheidung des Pigmentes im Auge» Da nun in heißen Ländern 
ber menfhliche Körper mehr zur Ausfcheidung des Kobhlenftoffes, 
des Hauptbeftandtheils färbender Subftanzen in organifchen Kör- 
pern ‚ geneigt ift, fo find dort auch dunkle Augen häufiger, als in 
Falten Ländern. Die Negenbogenhaut ift nicht fo gewölbt wie 
die Aderhaut, fondern hängt faft ganz fentrecht wie ein Borhang 
im vorbern Theil des Auges. She großer Nervenreihthum macht 
“ fie fehr empfindlich) und hat wohl Einfluß auf die Fähigkeit, ſich 
auszudehnen und zufammenzüziehen. Da die Negenbogenhaut ring⸗ 
förmig die Pupille umgiebt, ihr äußerer Rand angeheftet, ihe ins 
nerer Nand aber frei ift, fo muß fie fich bei der Ausdehnung gegen 
die Pupille vergrößern und diefelbe verengem,. bei ber Verkleinerung 
aber die Pupille erweitern. Dieſe Veränderungen der Regenbogen⸗ 
baut find befonders abhängig von der Einwirküing des Lichtes auf 
die Neghaut des Auges; denn Verſuche mit Brenngläfern zeigen, 
daß ein ſtarkes Licht, auf die Negenbogenhaut felbft geworfen, diefe 
unbemweglich läßt, Sobald das Licht aber durch die Pupille auf die 
Netzhaut fällt, bewegt fih die Regenbogenhaut ſtark, und zwar 
dehnt fie fich bei ftärkerm Lichte aus, und verengt alfo die Pupille, 
Aud) beim Bemühen, nahe zu ſehen, wird die Pupille enger. Es 
ift fehr viel unter den Phyſiologen gefteitten worden, durch welches 
Mittel die Negenbogenhaut fich gegen die Pupille ausdehnt und ſich 
wieder zufammenzieht. Einige wollen Muskelfafern in ihr erkannt 
haben, und zwar am ande frahlenförmig gegen die Mitte zufams 
menlaufende Muskelfaſern, um die Pupilfe herum aber kreisfoͤrmi⸗ 


—⁊ 


— — 201 in un 


98. Durch erftere, meinen fie, würde die Pupille erweitert, indem 

die Neaenbogenhaut fich nach dem Umfange zuruͤckzieht, durch legtes 
re die Pupille berengt, indem die Negenbogenhaut ſich erweitert. 
Dieſe Faſern find auch in der That deutlich genug, aber fie fehen 
nicht ganz fo aus, wie fonft gewöhnlich die Muskelfafern im menfch« 
lichen Körper, Deswegen glauben die meiften Phyſiologen, daß 
die Jris fich dadurch ausdehnt, daß ihre Gefäße ſich mit zuſtroͤmen⸗ 
dem Blute füllen, 


$. 136. Die innerfte Lage der Häute des Yugapfels ift 
bei weitem die zartefte. Cie wird von der Netzh aut (Retina) 
gebildet, Diefe hat das Anfehn eines matt gefchliffenen Glaſes, 
diefelbe milchweiße Farbe und unvollfommene Duchfichtigkeit, Wir 
ſehen fie in der 6ten und 13ten Figur, wo die beiden andern Häus 
te weggenommen find. "Auf ihrer innern Fläche hat fie noch eine 
fehe zarte Bekleidung, welche ein Paar Blutgefäße enthält, und 
gewöhnlich nicht befonders unter den Häuten des Augapfels aufges 
zaͤhlt wird, Die Neghaut if nichts als eine dünne Ausbreitung 
der Nervenfubftang des Sehnerven. Diefer tritt nämlich an die 
fiebförmige Deffnung der harten Haut. Seine Nervenfcheide gehe 
in die harte Augenhaut über; die Nervenfubftanz aber tritt duch 
die Löcher der fiebförmigen Platte, dringt auch durch die Gefäghaut 
und breitet ſich aus als Neghaut oder Markhaut auf der ins 
nern Fläche der Gefaͤßhaut, zwifchen diefer und dem Glaskoͤrper. 
Nach vorm reicht fie nicht fo weit als die übrigen Häute, denn fie 
hört am zadigen Bande des Ciliarkörpers auf. - Schr merkwuͤrdig 
ift es, dag in der Netzhaut des Menſchen und der Affen eine: beſon⸗ 
ders gebildete Stelle vorkommt, melde allen übrigen Thieren fehlt. 
Diefe Stelle liegt im Boden des Auges ziemlich in der Are: deffelz 
ben. Es write nämlich der Sehnerve nicht ganz. in der 
Are des Auges, fondern merklich nad) innen von derfelben in dem 
Augapfebein ($. 133). Eine Linie nad) außen von dem Eintrit⸗ 
te des Sehnerven liegt diefe Stelle, die man den gelben Fled 
‚nennt, Es iſt hier die Neshaut ſtark gelb gefärbt und die gelbe 
Stelle pflegt fi in zwei Wülften oder Falten etwas zu erheben. 
Zwiſchen dieſen Falten iſt ein dunkles Fleckchen, welches dadurch 
zu entſtehen ſcheint, daß die Markſubſtanz hier uͤberaus duͤnn 
iſt. Dieſes Fleckchen heißt gewoͤhnlich das Centralloch, weil 


e8 auf den eflen id ein wirkliches Loch ſhan (di. 
6, c), h Be 


$.. 137. Vom vordern Rande der Neghaut erſtreckt fi 
ein ſehr dünnes und ſtark gefaltetes Häuthen — das Strah- 
lenblättchen, nad der Mitte und heftet fi endlich an die vor- 
dere Hälfte der Linfenkapfel. Man fieht es in Fig.,6 beid und 
in Fig. 15 bei m. Anfangs ift es fehr eng an die unten zu bes 
fchreibende Haut des Glaskoͤrpers angeheftet, gegen die Linfe zu 
- trennt es fich aber von der genannten Haut, Dadurch entfteht eine 
Lüde, die Freisförmig um den Rand det Linfe läuft, und die man 
ben — —— Kanal nennt. Vergl. Fig. 15, & 


9. 138. Die buschfichtigen Maffen, welche von den Haͤu⸗ 
ten des Augapfels eingeſchloſſen werden, ſind dreifach, die waͤßrige 
Feuchtigkeit, die Kryſtalllinſe und der Glaskoͤrper. Man nennt fie 
wohl nach einer alten Sitte die drei Feuchtigkeiten des Auges; al- 
lein auf die Keyftalllinfe paßt diefe Benennung gar —* und ai 
den — nur halb. 


N 139. ‚Die waͤßrige Beudtigkeit nimmt den 
Raum ein, der zwifchen ber gewölbten Hornhaut und der vordern 
Flaͤche der Linſe übrig bleibt. Die Regenbogenhaut ragt mitten in 
diefe Feuchtigkeit hinein und theilt den Raum in zwei Abtheilungen; 
die man Kammern nennt, Die vordere Augenfammer wird 
vorn durch die Hornhaut, hinten durch die Regenbogenhaut be: 
gränzt; die hintere Augenfammer, die viel kleiner iſt, vorn duch 
die Regenbogenhaut, hinten durch die Linſe und den Ciliarkoͤrper 
Big. 15. die vordere, 'n die hintere Yugentammer). Da in 
der Mitte der Negenbogenhaut die Pupille ift, fo ſtehen durch diefe 
beide Augenkammern mit einander in — Das gilt je⸗ 
doch nur für den gebornen Menſchen. Im Foͤtus iſt die Pupille ge⸗ 
fohloffen. Es ift nämlich die ganze vordere Augenkammer von ei⸗ 
ner dünnen Haut ausgekleidet, welche uͤber die Jris und die Pupils 
le weggeht: Vielleicht wird die hintere Augentammer von einer 
ähnlichen fadförmigen Haut bekleidet, die jedoch noch nicht voll: 
ftändig gefannt ift. Der Theil diefer Haut, der die Pupille über: 
zieht, iſt die Pupillarmembran oder die a A 


\ — 


— — 203 — 

fiſche Haut genannt worden.” Er enthält feine Dlutgefäge, 
wie unſere gte Figur bei c zeigt, wo b die Jris vorftellt. Dieſe 
fackföͤrmige Haut mag dazu dienen, die waͤßrige Feuchtigkeit im 
Foͤtus zu bereiten. » Sie zerreißt aber einige Wochen vor der Geburt 
und dann ift die Pupille geöffnet. — Die wäßrige Feuchtigkeit 
verdient ihren Namen mit allem Rechte; denn fie ift dem Waſſer 
fehr aͤhnlich, vollkommen ducchfichtig wie dieſes und nur ein wenig _ 
fhwerer. Sie beficeht aus 98 Theilen Waffer, einem Theil von 
Kochſalz und anderem Salze und fehr wenigem Eyweiß. Sie er- 
hält die Hornhaut: gefpannt und durchſichtig; denn mo fie fehlt, 
wird diefe fchlaff und dunkel «So ift das Anfehn der Hornhaut 
eines ber beften Kennzeihen vom Tode, weil nad) dem Tode die 
waͤßrige Feuchtigkeit ſchnell abnimmt. Während des Lebens erzeugt 
ſie ſich dagegen ſehr bald wieder, wenn ſie durch Verwundungen 
der en zum Theil ausgefloffen ift. 


8. 140. — rpBastlinfe--Sopfolähtpene 
hat ihren Namen von ihrer Ducchfichtigkeit und Linfenförmigen Ge 
ftalt. Sie ift nämlich auf der vordern und hintern Fläche gemölbt, 
und zwar auf der legtern mehr, jedoch fo, daß immer ihre Queerare 
viel groͤßer iſt, ald eine Längenare, die mit der Are des ganzen Au⸗ 
ges zufanmmenfällt, Je jünger der Menfch ift, um defto’ ftärker 
iſt die, Linſe gemölbt, doch iſt fie es nie fo fehr, als die Eugelige 
Linfe der Fiſche und andrer Wafferthiere, In der ıöten Figur 
fehen wit bei a; die Linfe eines neugebornen Kindes, bei 8 denfel- 
ben Theil aus einem fehsjährigen Kinde und bei F' aus einem er 
wachſenen Manne. Die flärker gewoͤlbte Fläche iſt immer die hin⸗ 
tere. Die Linſe iſt zwar ein fefter Körper, allein der Äußere Theil 
iſt viel weicher, als der inneres Eine beſondere Textür laͤßt fich im 
feifchen Zuſtande nicht deutlich ſerkennen, obgleich fie‘, mit heißem 
Waſſer oder Säuren behandelt ; ſich in uͤber einander liegende Blaͤt⸗ 
tee trennt, die aus concentriſchen Faſern zu beſtehn ſcheinen, und 
ſich in mehrere Segmente theilen. Sie beſteht aus 58 Theilen 
Waſſer, 36 Theilen einer eyweißaͤhnlichen Subſtanz und einigen 
Salzen, Der Reichthum an Eyweiß macht, daß fie in heißem Waſſer, 
in Weingeiſt und Säuren gerinnt. Die Linſe iſt eingeſchloſſen in 
eine duͤnne durchſichtige, aber verhaͤltnißmaͤßig feſte Haut, die 
Linſenkapſel. Zwiſchen dieſer und der Linſe ferbft, iſt eine 


— 204 u k 


fehe geringe Menge Stüffigkeit, die Morgagnifche Fluͤſ⸗— 
figfeit, aus welcher die Linfe ſich zu bilden und umzubilden 
ſcheint; denn es gehen gar keine Gefaͤße unmittelbar in die Linſe, 
fie hängt vielmehr frei in ihrer Kapſel. Dennoch erleidet fie Ver: 
aͤnderungen; denn außer der allmaͤhligen Abplattung im Alter, wird 
auch ihr Kern in ſpaͤtern Jahren feſter und etwas gelblich. Eine 
Krankheit iſt es, wenn ſie ſich verdunkelt, und mehr oder weniger 
grauweiß wird. Diefe Krankheit iſt unter dem Namen des gran: 
en Staars (Cataracta) befannt, und man unterfcheidet eis 
nen Linfenflaar, einen SKapfeljtaar, und einen Morgagnifchen 
Staar, je nachdem die Linfe felbft, ihre Kapfel, oder die Fluͤſſig⸗ 
Eeit zwifchen beiden fich verbunfelt hat: Da nun die Umänderung 
in der Linfe nicht unmittelbar durch Blutgefäße gefhieht, fo erfolgt 
fie fehr langfam. Man darf daher nicht hoffen, daß eine verbun- 
kelte Linfe durch die Natur ſelbſt oder duch Mittel aus der Apothes 
£e hell gemacht werden Eönne, Das Aufbeilen der Linfe ift nur 
hoͤchſt felten gelungen, und wohl nie, wenn bie Verdunkelung be⸗ 
deutend war. Es ſcheint nicht Überflüffig, dieſes hier zu. erwähs 
nen, da faft überall von Zeit zu Zeit fih Menſchen finden, die 
den Staarblinden verfprehen, fie ohne Inſtrumente buch innere 
-Mittel zu heilen. Wer ſich ihnen anvertraut, gewinnt nichts, - 
Läuft aber Gefahr, daß die Augen ihm fo verborben werden, daß 
fie auch zur Operation unfähig. bleiben. Die Operation des grauen 
Staars ift, von geſchickten Händen ausgeführt, faft ſchmerzlos und 
ihr Zweck ift kein anderer, als die verdunfelte Kryſtalllinſe zu ent: 
fernen. Dieſer Zweck wird erreicht, indem ber Wundarzt entwes 
der mit dem. Staarmeffer. eine. fo. große Deffnung in bie Horns 
haut fehneidet, daß er durch diefe die Linfe heraus nehmen kann, _ 
nachdem er fie vorher. aus ihrer Kapfel gelößt hat; oder dag man 
von der Seite mit einer ſogenannten Staarnadel in das Auge eins 
gehet, das Inftrument auf die Linfe führt, und dieſe aus ihrer Las 
ge herab und nach unten in den. Ölaskörper hineindruͤckt wobei; die 
Linfe freilich im Auge bleibt, allein nicht mehr den Lichtftrahlen 
den Weg zur Neshaut verfperren kann. Leider hat man DBeifpiele, 
daß folche niedergedrücte Linſen fi wieder auftichteten. Nach eis 
ner dritten neuen Methode flicht man ein Inſtrument durch die 
Hornhaut ein, und zerfchneidet damit die Linſe in mehrere Stüde, 
die man in die vordere Augenfammer zieht, damit: ſie Hiervon der 


— — 205 — 
— Feuchtigkeit aufgeloͤßt werden, und das Auge — 
ſeine Helle wieder echält, 


$ 141. - Der Glaskoͤrper (Corpus vitreum) nimmt 
den größten Raum im Auge ein. Er ſteht zwifchen feften und 
flüffigen Körpern, in der Mitte. Der Hauptbeftandtheit ift eine Fluͤſ⸗ 
figkeit, die aus 98 Theilen Waſſer, 1%, Theilen Kochfalz und ets 
was Eyweiß befteht. Diefe Stüffigkeit wird von einer fehr zarten 
Haut — Haut des Glasförpers (Membrana hyalo- 
idea) — nicht nur eingefchloffen, fondern es ziehen fih auch 
viele Verlängerungen diefer Haut in das Innere des Körpers und 
bilden, wie es fcheint, Bellen. « Daher fommt es, daß man ben 
Glaskoͤrper verletzen kann, ohne daß alle Fluͤſſigkeit auf einmal aus⸗ 
fließt. Der Glaskoͤrper iſt ſo weich, daß man ſeine Form nicht 
vollſtaͤndig ſehen kann, wenn man ihn aus dem Auge nimmt, in⸗ 
dem er ſich durch —⸗ Schwere abplattet. Seine Geſtalt iſt 
aber aus der Durchſchnitts⸗Figur (Fig. 15) leicht kenntlich. Nach 
hinten iſt er gewoͤlbt, uͤberall an die Netzhaut ſich anlegend, nach 
vorn hat er eine Vertiefung, die die Linſe einnimmt. 


F. 142. Nachdem wir den Bau des Augapfels Eennen ges 
*z* haben, werfen wir einen Blick auf die Muskeln, die ihn bes 
wegen, auf die Blutgefäße, die ihn ernähren, und auf die Nerven, 
die ihm Empfindung geben. Sechs Muskeln fegen ſich an den Aug— 
apfel; vier von ihnen heißen grade, und zwei fchiefe. Dievier 
graden Augenmuskeln entfpringen im Boden der Augenhöhlen, 
vom Umfange des Loches für den Sehnerven, wo fie den eintres 
tenden Sehnerven umgeben; fie verlaufen von da nad vorn,. und 
verlieren fi in Die vordere Fläche der harten Augenhaut, indem fie 
über den hinteren Theil des Augapfels weglaufen. Sie find nach 
den vier Hauptregionen vertheilt. Der eine liegt über dem Aug— 
apfel und fest fih von oben an die Sclerotica an, weswegen er 
der obere grade Augenmuskel heißt. Er rollt das Auge fo, daß 
die Hornhaut und die Pupille fih nad oben rihten. in zweiter 
Liegt unter dem Augapfel und rollt das Auge nach unten. Ein 
beitter komme von der äußern Seite und zieht das Auge nad) außen. 
Der vierte endlich befeftigt fih eben fo an die innere Seite und 
zieht das Auge nach innen, So verweben fie ſich, von vier entges 


% 


x 


— 


\ 


— 206 —n— 


gengeſetzten Seiten kommend, in die vordere Hälfte * hatten Au⸗ 
genhaut. Man ſieht fie in unſrer 14ten Abbildung, wo fie jedoch 
etwas aus der Lage gezogen find, um die zugleich dargeftellten Ner⸗ 
ven nicht zu verdecken. So iſt der aͤußere grade Muskel c etwas 
herabgedruͤckt, in d fieht man den obern graden Muskel, in e den 
untern. Der innere liegt im tiefen Schatten bei fe — Bon den 
fchiefen Augenmuskeln entfpringt der eine (Fig. 14. g), den man ben 
obern (Musculus trochlearis) nennt, gleihfals aus der Gegend 
des optifhen Loches in der Augenhöhte, und geht nach vorn und 
oben in den innern Augenwinkel. Bier läuft feine Sehne über ei- 


ne knorplige Rolle, die an das Stirnbein befeftigt iſt (Big. 16. 


e. Fig. 14. h). Bon der Rolle aus biegt fi) die Sehne nach 
hinten, und verliert fich ziemlich weit hinter dem Ende der graben 
Augenmusteln in die harte Augenhaut. Man fieht leicht aus unſe⸗ 
rer Abbildung, daß es nur durch die Mole möglich ward, einen 
langen Mustek anzubringen, welcher in der Richtung wirkte, die 


der legte Theil der Sehne diefes Muskels hat (g’). Hätte der 


Muskel dagegen feinen Urfprung unmittelbar an der Stelle, wo die 
Note ift, fo wäre er Eurz, Eönnte fich) wenig zufammenziehn und 
nicht bedeutend auf den Augapfel wirken. Diefer obere fhiefe Au⸗ 
genmusfel wirkt nun auf den Augapfel nach der Richtung des letz— 


‚ten Theild feiner Sehne, das heißt, er zieht den mittleren Theil 
des Augapfels nad) innen und oben. Er führt daher auch bei den 


Anatomen den Namen des pathetifchen, Ein unterer fehie: 


fer Augenmusfel entfpringt vom untern Rande der Augenhöhle, 
ſteigt unter dem Augapfel etwas nad) außen und verliert fih in die 


äußere Seite der harten Augenhaut (bei i ift das letzte Ende deffel- 
ben). Er rollt das Auge fo, daß die Pupille einwärts und auf- 
wärts gekehrt wird, Beiden mannigfachen Bewegungen des Au: 
ges wirken nicht nur diefe Muskeln An hinter e einander ‚ fondern 
gewöhnlich mehrere zugleich, 


$. 143. Die Shlagader, welche das Auge mit Blut ver⸗ 
ſieht, iſt ein Aſt der Hirnſchlagader. Man kann ſchon hieraus ſe— 
hen, wie nah verwandt das Auge mit dem Hirne ſeyn muß. Dieſe 
Augenſchlagader vertheilt ſich mit mehreren Aeſten in die aͤußern 
Theile des Auges. Schwaͤchere Zweige dringen durch die harte 
Haut in die Gefaͤßhaut ein, und erzeugen in dieſer, ſo wie in der 


i 


— — 207 — 


— das reiche Gewebe von Adern, welches wir in unfe- 
rer zoten Figur fehen. Ein fehr dünner Zweig, die Central: 
arterie, dringt in den Sehnerven und mit diefem duch das Sieb 
in der harten Haut (Fig. 15. 29) in den Augapfel ein, einige 
Reiſer verlaufen auf der Neghaut, andere gehen durch den Glas» 
koͤper bis zum hinteren Theile der Linfenkapfel. Die Venen gehen 
aus dem innern Auge in die Blutleiter der harten Hirnhaut, andes 
ve Denen, befonders von den äußern Theilen des Auges, ergießen fich 
in 1 die Gefihtsvenen, 


$. 144. An Nerven ift das Auge fehr reich. Vier Paar 
Sirnnerven find blos für das Auge und feine Muskeln beftimmt, 
und außerdem der größte Theil vom erften Aft des fünften Paars. 
Man fieht in unferer I4ten Figur diefe Nerven mit den entfprechen- 
den Zahlen bezeichnet... Der eigentlihe Empfindungsnerve des Au- 
ges ift der Sehnerve (I.), welher, wie wir wiffen, aus 
dem Schhügel und zum Theil aus dem vordern Paar der Vierhuͤgel 
des Gehirnes tritt und nach ‚erfolgter theilweifer Kreuzung mit dem 
gleihnamigen Nerven der andern Seite durch das Loch im Boden 
der Augenhöhle geht, die fiebförmige Deffnung der harten Haut 
Rah und ſich ald Neghaut im Augapfel ausbreitet 0. 122). 


Der. erfte Aft des fünften Nervenpaars (V. * verſorgt 
nicht nur die Thraͤnendruͤſe und geht mit andern Aeſten an die 
Stirn, ſondern ſendet auch eine Menge duͤnner Reiſer, die man 
Ciliarnerven nennt, theils unmittelbar, theils nachdem er 
vorher mit dem Augenmuskelnerven einen Nervenknoten (Giliar- 
Enoten) gebildet hat (©), durch die harte Augenhaut, dann 
zwifchen diefer und der Gefäghaut in die Iris, im welche diefer 
Reichthum von Nerven ſich verliert. Man fieht in der sten Figur 
die Nerven über die Gefäßhaut verlaufen (d). — 


Der obere fchiefe Augenmuskel erhält allein den dünnen vier 
‚ ten Dirnnerven (IV), welcher deshalb der pathetifhe Nerve ges 
nannte wird, da der Muskel unter andern auch diefen Namen führt, 
fo wie der äußere grade Augenmuskel den fechften Hirnnerven (VI). 
Der dritte Hirnnerve (III) verforgt die Übrigen Augenmuskeln, 
und heißt daher der Augenmuskelnerve. Daß er Antheil an der 


- 


— 


— 20 — 


Bildung des Ciliarknotens hat, und von dieſem aus alſo auch An⸗ 
theil an den Nerven, die in der Blendung RS ‚it 1 eben ge: 
fagt worden. 


J 








Zwoͤlfte Borlefung. 
ee  - 





$. 145. 


2 Beftimmung des Auges ift das — des Lichtes. 
Wir nennen es Sehen, in ſo fern wir aͤußere Gegenſtaͤnde dadurch 
erkennen. Um zu erfahren, auf welche Weiſe das Licht auf unſer 
Auge wirkt, iſt es nicht noͤthig vorher die ſchwierige Frage zu loͤſen, 
was das Licht eigentlich ſey, ob ein ſelbſtſtaͤndiger Stoff, oder eine 
bloße Thaͤtigkeits-Aeußerung der leuchtenden Körper. Wir koͤnnen 
uns immer des Ausdrudes Lichtftrahlen bedienen, ohne zu entfchei- 
den, ob fie die Wege find, auf welchen fid ein Lichtftoff bewegt, 
oder bloß die Richtung, in welcher das Licht wirkt, 


Es ift befannt, daß ein jeder leuchtende Punkt nah allen 
Richtungen geradlinig leuchtet oder fein Licht ausſtrahlt. Bon 
diefen Strahlen fällt ein Theil auf die vordere Fläche des Augapfels. 
Da aber die weiße Haut und die. Blendung weder bucchfichtig find, 
noch Lichtempfindung haben, fo kann das Auge nur diejenigen Licht: 
ſtrahlen benugen, welche duch die Pupille einfallen und zu der 
Netzhaut gelangen, die als eine Ausbreitung von Mervenmaffe die 
Faͤhigkeit befigt, Licht zu'empfinden. Sie bilden zuſammen einen 
Kegel, defjen Spitze in dem leuchtenden Punkte, und deffen Bafis 
in dem Sehloche liegt. Der Strahlenkegel erleidet aber im Auge eis 
ne Deränderung, indem er durch die einzelnen Theile deffelben durch- 
geht. Um biefe Veränderungen gehörig zu — erinnern wir 


uns an einige Sie der Phyſik. 
Wenn 


—X* 


Wenn ein Lichtſtrahl aus einem weniger dichten Koͤrper auf 
einen dichtern, jedoch durchſichtigen Koͤrper faͤllt, ſo geht er nur 
dann ungebrochen fort, wenn feine Richtung ſenkrecht auf der Flaͤ⸗ 
che dieſes Körpers ift;. fällt er aber [chief ein, wie ED auf AB in 
Sig. 17, wo AB bie Oberfläche des dichtern Körpers ift, fo wird 
er nach dem Perpendifel zu gebrochen. Es heißt dann der Winkel, 
den der Lichtſtrahl ED mit dem Perpendifel CD macht, der Ein: 
fallswinfel. Der Winkel, den die urfprünglihe Nichtung 
des Strahles EF mit der neuen Richtung deffelben DG mad, 
heißt der gebrohene Winkel, und der Winkel, den die 
neue Richtung des Strahles DG mit dem Perpendikel CH madıt, 
heißt der Brehungswinfel, Die Phyfiter haben bewiefen, 
daß zwifchen dem Einfallswinkel und dem Brechungswinkel ein Ver: 
haͤltniß ſtatt findet, welches ſich nach der Dichtigkeit der beiden 
Mafjen richtet, durch die der Lichtftrahl geht. Eigentlich -find es die 
Sinus diefer Winkel, welche in den beſtimmten Verhältniffe blei⸗ 
ben; allein da ſehr Eleine Winkel fich faft ganz fo verhalten, wie 
ihre Sinus, fo kann man diefe für die Sinuffe felbft nehmen. Die 
Phyſik lehrt ferner, dag für Kugelflähen die Richtung bes Radius 
für jeden Punkt der Fläche die Stelle des Perpendikels der ebenen 


Flaͤchen vertritt, Faͤllt alfo ein Lichtſtrahl fchief auf die Kugelflaͤche 


eines dichten Körpers, fo wird er nad) dem Radius zu gebrochen; 
kommt er aus einem dichtern Körper in einen bünnern, fo wird er 
eben fo vom Radius ab gebrochen. (Vergleiche Fig. 18.) wo DG 
ber gebrochne Strahl für den erfien, und DH für den zweiten Fall 


if.) 


Nicht nur die duchfichtige Hornhaut, fonbern auch die foges 


nannten Slüffigkeiten im Innern des Augapfels find von gemwölbten 


Flaͤchen begrängt, die fich der Kugelgeftalt wenigftens fehr nähern. 
Allerdings ift die Hornhaut nicht völlig ein Kugelfegment, wie wie 
in der Folge erweifen werden, und von der Linfe läßt es fich auch 
nicht duch Meffung mit volllommener Sicherheit: ausmachen, ob 
ihre vordern und hintern Flächen kugelfoͤrmig oder parabolifch ges 


woͤlbt find. So viel ift jedoch gewiß, daß biefe Flächen fich der 
Kugelform fehe nähern, und da nur der mittlere Theil derfelben ben 


Lichtſtrahlen den Durchgang läßt, fo koͤnnen wir fie immer als ku⸗ 
gelig annehmen, obgleich die Flächen gegen den Umfang die Kugels 
14 


u un 210 — 
form veraͤndern, um in einem abgerundeten Rande in einander 
überzugehen. Ein Theil vom Nugen der. Kegenbogenhaut befteht 
daher darin, den Umfang der Linfe zu. bedecken, welcher die Licht 
ſtrahlen anders brechen würde, als die Mitte: Der Name Blen— 


Ve iſt alfo ſehr —— fuͤr — 


xaſſen wir rk aus einem — — Punkte A (Fig. un) 
einen Strahlenkegel fenkreht auf die Hornhaut fallen, ſo geht bee 
mittelfte Strahl A 2 ungebrochen dur) die Are des Auges, alle 
übrigen Strahlen aber werden gebrochen, und um fo mehr, je weis 
ter ſie von der Are entfernt find, und zwar find die Theile des Au: 
ges fo geordnet, daß die Außeren Strahlen. immer ‘genen den 'mitts 
leren Strahl gebrochen werden. A 1: fey der aͤußerſte Strahl des 
Strahlenkegels, der in die Pupille fällt: Auf der Hornhaut anges 
langt, wird er, da diefe gewoͤlbt und dichter als die Luft iſt, gegen 
die Are zu gebrochen. Auf der Hintern Fläche derfelben wuͤrde er 
wieder. abgebrochen werden, und da beide Flächen faft parallel zu 
feyn.fcheinen, fo wide der gebrochene Strahl hinter der Hornhaut 
diefelbe Richtung haben, ‘die er vor derfelben als einfallender Strahl 
hatte, wenn er nicht auf die waͤßrige Feuchtigkeit traͤfe. Man 
pflegt daher, wenn man den Weg der Lichtſtrahlen durch das Auge 
unterfucht, die Brechung, die: fie duch die Hornhaut erhalten, 
ganz auszulaffen, und diefe Haut nur im fofern zu berüdfichtigen, 
als fie die vordere Wölbung der wäßrigen. Feuchtigkeit beſtimmt, 
oder, mit andern Worten, man nimmt die Hornhaut unendlich bünn 
an. Da fie jedoch faft eine Halbe Linie die ift, fo hat fie wenig— 
ſtens den Einfluß, daß fie dutch die doppelte Brechung der Strah⸗ 
len dieſe einander mehr naͤhert, wenn ſie auch ihre Richtung nicht 
veraͤndert. Sie ſammelt daher ſchon etwas die Strählen, ‚und 
läßt eine groͤßere Menge derſelben durch die Pupille fallen, als ohne 
dieſe Sammlung moͤglich ſeyn wuͤrde. Die Woͤlbung der Horn⸗ 
haut, welche einem Halbmeſſer von 0,33294 Londner Zoll ents 
ſpricht, iſt zugleich die vordere Woͤlbung der waͤßrigen Feuchtigkeit. 
Das Brechungsvermoͤgen dieſer Fluͤſſigkeit verhält ſich zu dem ber 
Luft, wie : 1,3766; fo muß ſich alſo auch der Sinus des Ein⸗ 
fallswintels A 1’ P- zum Sinus des Brehungs= Winfeld @ 1‘ vers 
halten. Nun fällt der Strahl auf die vordere Flaͤche der Linſe; der 
BGalbmeſſer diefer Flaͤche if 0,3308 Londner Zoll, Die Bres 


— —— 


chungskraft der Linfe iſt aber ſehr derſchieden. Die außerſte Lage 


derfelben bricht das Licht nicht viel flärker, als die waͤßrige Feuch⸗ 


tigkeit das Centrum aber in dem Verhaͤltniß zum Waſſer, wie 1: 


1,439, und die gefammte Linfe wie 1 : 1,3839. Wuͤßte man, 
‚in welhem Berhältnig die Brechungskfraft von den äußern Flächen 
der Linfe zu dem Mittelpunkt zunimmt, fo ließe fich der frumme - 


- Weg berechnen, den die Lichtffrahlen nach der zunehmenden Bte⸗ 


chungskraft in der Linſe beſchreiben. Da man dieſes aber nicht 
weiß, fo muß man die mittlere Brechungskraft der Berechnung 


- zum Grunde legen, 7 fey der Mittelpunkt für die vordere Woͤl⸗ 
bung der Linfe, fo * 10 der Einfallswinkel und 79%: der Bre⸗ 
chungswinkel. Auf der Hintern Fläche der Linſe angelangt, geht 


der Sttahl aus einem dichtern Körper in einen dünnern, den Glas: 
koͤrper nämlih. Da aber die Fläche des letztern concav, die des 
erſtern conver ift, fo wird der ſchiefe Strahl noch einmal gegen den 
mittlern graden Strahl gebrochen. Der Halbmeffer der Hintern 
Fläche der Linfe ift = 0,25056 engl. Zoll, Die Brechungskraft 
des Glaskoͤrpers aber ift ein wenig ftärker‘, als die der wäßrigen 
Feuchtigkeit, fo daß der Sinus des Einfallswinkels Hı$, wenn g 


der Mittelpunkt der Hintern Woͤlbung der Linfe ift, ſich zu dem 


ſto ſchwaͤcher gebrochen. So koͤnnen alle Strahlen des Strahlen· 
kegels ſich in einem Punkte ſammeln, wie die Lichtſtrahlen, die — 


Sinus des Brechungs⸗ Winkels na in runden Zahlen wie 3% # 
verchatt — 


1 J 
—2 


Se weiter der leuchtende Punkt vom Auge entfernt iſt, um 
deſto Eleiner ift der Winkel, welchen det Auferfte Strahl des Strafe 
lenkegels mit der Are macht, und um defto früher vereinigt ſich der 
gebrochene Außerfte Strahl mit dem Mittelftrahl ina. - Die zwie 


fhen beiden einfallenden Strahlen kommen um fo weniger ſchief 
auf die Kugelflaͤchen, je näher fie der Are find, und werden um des 


eine Glaslinfe gehen, fi im Brennpunkte derfelben vereinigen, * 


Fälle dieſer Punkt a grade auf die Neghaut, fo hat diefelbe die Ich» 





»Eigentli —— ſich won ſaͤmmtlichen Strahlen, bie auf eine Linſe, 
deren Fl —— find, fallen, nur ‚diejenigen im la 
bie der or des Strahlenfegelö nabe liegen. Für die Kryſtalllinſe fi HR, 
alle auffallenden Lichtſtrahlen der Are bed Strahlenkegels ziemlie 
weßwegen wir vorläufig eine vollfommene Bereinigung — wein 


14°? 


f 


ne 212 — 

baftefte Empfindung von dem Punfte A. Gute Augen find fo ge 
baut, daß die Strahlen aus Entfernungen von 12 — 16 Bollen 
fi am vollftändigften auf der Neshaut fammeln, Faͤllt der Ver 
einigungspunft fammtlicher gebrochenen Strahlen vor die Netzhaut, 
fo fahren fie von da wieder aus einander und kommen weniger vers 
eint auf bie Netzhaut. Eben fo find fie nicht gehörig vereint auf 
der Nebhaut, wenn ihr Vereinigungspunft hinter diefelbe fällt. 
Se näher nun der leuchtende Punkt ift, um defto mehr divergicen 
die Strahlen deſſelben, und um deſto weiter Liegt der Punkt, in 
den fie vereinigt werden, und umgekehrt, je weiter der leuchtende 
Punkt, um deſto früher werden feine Strahlen bei gleichmäßiger 
Befchaffenheit des Auges vereinigt. Daher koͤmmt es, daß das 
Auge Gegenftände die näher oder ferner find, als feine deutliche 
Sehweite, nicht ſo deutlich ſieht. 


Wir haben einen leuchtenden Punkt angenommen, der in der 
Are des Auges lag, nehmen wir einen andern Punkt B, fo iſt das 
Berhältniß wenig verändert. Auch hier werden die Strahlen des 
ganzen Strahlenkegeld gefammelt, indem fie gegen einen Haupt: 
ſtrahl zu gebrochen werden. Der Hauptftrahl ift derjenige, der 
durch den Mittelpunkt der Linfe geht Bb, und den man ald ganz 
ungebrochen anjieht, Er liegt bei fchief auffallendem Strahlenkegel 
keinesweges in der Are deffelben, fondern um fo mehr nad) einer 
Seite, je größer der Winkel ift, den der Strahlenkegel mit der Are 
des Auges macht. Geſetzt e8 fiele von einem leuchtenden Puntte 
von unten her ein Steahlenkegel auf das Auge, und die Are des 
Strahlenkegels machte mit der verlängerten Augenare einen Winkel 
von 45°, Jo wird die Are des Strahlenfegeld gegen ben obern 
Rand der Linfe fallen, und der durch den Mittelpunkt der Linfe ge 
hende Hauptflrahl muß weiter nach tinten liegen. Bei Eleineren 
Winkeln ift der Unterfchied weniger bedeutend. In der That bleibt 
auch der Hauptftrahl nicht ohne einige Brechung; denn der Strahl 
der duch den Mittelpunkt der Linfe geht, erleidet eine aanz Fleine 
Brechung beim Eintritt in diefelbe und beim Austritt aus ihr, und 
beide Brechungen heben fich nicht ganz auf, da die hintere Hälfte 
der Linfe flärker gewoͤlbt ift, als die vordere. Die feitlichen Strah— 
len fammeln fich gegen den Hauptftraht. Diefes Sammeln ift al« 
lerdings nicht fo vollkommen, als beim Strahlenkegel, der in ber 


Are des Auges liegt, was durchzuführen hier gu viel Raum neh⸗ 
men würde, wovon ſich aber Jedermann bei genauer Unterſuchung 
leicht Überzeugen wird. Wir führen dieſes nur an, weil hierin 
zum Theil der Grund liegt, warum jedes Auge feine Are auf den 
Punkt richtet, den es befonders betrachten will, 


Man fieht, daß durch die Richtung des Hauptſtrahles Bb, 
bie Stelle b auf der Netzhaut beftimmt wird, im welcher das Licht 
bed Strahlenkegels ſich ſammelt. Da die Winkel, unter welchen 
ſchiefe Strahlenkegel auffallen, felten fehr bedeutend find, fo pflegt 
man der Kürze halber auch bei fchief auffallendem Kichte den Haupt: 
firahl mit der Are des Strahlenkegels gleich zu fegen. Weil ſich 
nun bie Hauptſtrahlen oder Aren im Mittelpunkte der Linfe fchneis 
den, fo fieht man leicht, daß ein außer dem Auge nach oben Fiegens 
der Punkt fich auf der Netzhaut nach unten abbildet‘ und überhaupt 
in der Neghaut die Stellen, wo die Strahlenkegel fich fammeln, 
die umgekehrte Lage des leuchtenden Punkts haben müffen, 


| 5. 146. Wir haben bisher nur den Fall beruͤckſichtigt, in 
welchem Tammtlihe Strahlen, die aus einem leuchtenden Punkte 
in unſre Pupille fallen, wieder in einen Punkt gefammelt werden. 
Wir haben aber auch darauf hingewiefen, daß daffelbe Auge, wenn 
in ihm Eeine Veränderungen vorgehen, nur die Strahlen aus einer 
beftimmten Entfernung in einen Punkt fammeln kann. (Bergl, 
ben vorigen $.) Mam hat nun die Frage aufgeworfen, woher es 
komme, daß daffelde Auge in verfchiedener Entfernung ziemlic) 
deutlich fieht. So lieſt ein gefundes Auge eine feine Schrift in einer 
Entfernung von 8, 12 bis 16, ja wohl 24 und mehr Bollen, 
Man hat daher vielfah angenommen, daß das Auge, indem es 
ſich bemüht, nähere Gegenftände zu fehen, ſich mehr im vordern 
Theile wölbe, und in feiner Laͤngenaxe verlängere. Dadurch wir: 
de die Hornhaut in Verbindung mit der wäßrigen Feuchtigkeit die 
Licht ſtrahlen ftärker zufammenbrechen, und die Verlängerung des 
Auges würde es möglich machen, daß bei einer weitern Entfernung 
bes Sammelpunktes von der Linfe derfelbe dennoch auf die Neg: 
haut fiele. Die geraden Augenmuskeln follen nad der gewöhnlich 
ſten Anſicht durch ihre Contraction diefe Veränderung im Auge 
besvorbringen, indem fie, von 4 Seiten an den Augapfel ſich anle⸗ 


— 214 — 


gend, dielen im — zufammenbeüdten, in des Are 
verlängerten, und. die Hornhaut dadurch woͤlbten. Ich «halte diefe 
Annahme aber. für ganz unbegruͤndet, weil die genannten Muskeln 
ben Augapfel nicht in ſeiner ganzen Woͤlbung umgeben/ und ihr 
Druck daher, wenn er ſtark genug waͤre, die Form des Augapfels 
zu veraͤndern, diefen i in den Zwifchenräumen der Muskeln hervor: 
treiben. und. alfo, unregelmäßig :maden müßtes Uud) wuͤrden bie 
Muskeln wohl, wenn fie zugleich und mit Kraft. wirkten, ben Aug⸗ 
“apfel. guchdziehn, ‚was ‚man nicht. bemerkt. Ueberdies verweben 
ſich die Sehnen dieſer Muskeln: in den vordern Theil der harten, 
Haut, und es ſcheint mir vielmehr, daß, wenn fie gemeinschaftlich 
wirken, fie ben vordern Zheil. des Augapfels mit der Hornhaut 
flacher machen muͤßten. Nach einer andern Annahme, ſoll dur 
Veränderungen im Auge die Linſe ihre, Wölbung veraͤndern. Eine 
ſolche Veraͤnderung iſt jedoch in der Linſe ſelbſt nicht denkbar, ſondern 
koͤnnte hoͤchſtens in der Linfen kapſel ſich ereignen. Wuͤrde dieſe mehr 
verflacht oder mehr gewwölbt, fo hätte diefer Umfland allerdings: Ein 
fluß auf die Brechungskraft der Linfe, wenn ein Unterfchied in der 
Brechungskraft dev, moörgagniſchen und waͤßrigen Feuchtigkeit ſtatt 
findet. Ein merklicher Unterſchied iſt durchaus nicht wahrſchein⸗ 
lich, und. fehlt diefer Unterſchied, ſo kann das Abflachen der Linſe 
keinen Einfluß haben. Auch koͤnnen wir keinen Apparat im Auge 
nachweifen, der die Linſenkapfel flacher oder gewoͤlbter zu machen 
im Stande wäre, Rad ‚einer, dritten Annahme ſoll die Linſe ſich 
im Auge ein wenig hin und her bewegen „für nahe Gegenſtaͤnde 
nach ‚vorn ruͤcken, fuͤr entferntere zuruͤcktreten um den Abſtand 
von der Netzhaut nach der groͤßern oder geringern Divergenz der ein⸗ 
falenben Lichtſtrahlen zu verändern. ai Meinung ſcheint mir 
fpricht, die ich. ‚jeden Augenblick. an: meinem eignen Yugesmaden\ 
kann. - ‚Wenn ich ‚einen, Gegenftand meinem Auge ſo nahe als moͤg⸗ 
lc, ‚bringe „ohne, daß der Gegenfland mir undeutlich wird (für 
mein Auge eine Entfernung von. weniger. ald 4 8oll), ſo ſehe ich 
Diefen Gegenftand nur.mit einiger Anftvengung deutlich. Sch kann 
dann ploͤblich und wilkuͤhrlich ohne daß das Auge ſeine Lage im 
geringften verändert, durch Nachlaffen „der, Willensanftrengungibes 
wirken, ‚daß, das Bild undeutlich wird. . Ich glaube dabei eine Ber 
| wegung im Auge zu empfinden, und zwar habe ich das dunkle Ge⸗ 


& — 215 —f *— 

fühl, als ob Etwas im Auge zuruͤcktrete. Mache ich daſſelbe Er» 
periment vor dem Spiegel, ſo ſehe ich gar keine Veraͤnderung in der 
Hornhaut, aber wohl eine: Erweiterung der vorher verengten Pu⸗ 
pille, Es ſcheint mirndaher möglich daß die-Linfe, bei der Bes 
muͤhung in der Näheszwfehen, nach vorne tritt: Das kann da⸗ 
durch bewirkt werden, daß die Eilinrfortfäge, "die vor dem Rande 
ber Linſe liegen, fih von Blut entleeren, Im Augenblide, wo 
das Bemühen, nahe zu fehen, aufhört, nehmen fie vielleicht mehr 
Blut auf, und drängen die Linfe um ein weniges zuruͤck. "Da 
bie Gefäße der  Ciliarfortfäge mit denen. der Blendung zuſammen⸗ 
hängen , dieſe abersbatdımehr bald weniger Blut enthält, je nach⸗ 
dem ſie erweitert oder verengt iſt, ſo ſcheint eg auch nicht unmoͤg⸗ 
lich, daß die Ciliarfortſaͤtze bald vom Blute ſtrotzen, bald nur we 
nig davon enthalten/ ſo daß dieſe beiden Theile ſich gegenſeitig ihres 
Ueberfluſſes entladen oder ihren: Bedarf ſchnell aus einander auf 
nehmen könnten, Damit ffimmt #8 auch vollkommen, dag bei 
dem Bemühen, nahe: zu fehen, die Blendung gegen die * 
ſich vergroͤßert, * 8 rg Do fs — **— 


J Hl 


Indeſſen ift dog woht en — u Einfe * RE 
—* die Fähigkeit, im: verſchiedener Entfernung deutlich zu ſehen, 
ſcheint mehr darauf zu beruhen ‚daß Feineswenes für das deutliche 
Sehen das Sammeln: Irdes Strahlenkegels auf einen geſonderten 
Punkt ecfordert Wird. Wenn wir deutlich ſehen, fo koͤnnen wie 
doch nicht alle einzelnen Punkte eines beleuchteten Gegenſtaändes 
wirklich unterfheiden. Das Mikroſkop zeigt uns eine Menge 
Punkte, die unſer Auge nicht vom einander trennen konnte. Es 
mögen daher wohl immern die Strahlen der einzelnen Punkte mehr 
oder wenger (zufammanfallen, wir empfinden den Eindruck · nur 
maſſenweiſe/ von kleinen Flaͤchen > nicht "von einzelnen Punkten, 

und es er für ein reg ae ie eine zuteichen⸗ 
Beh Vs ei Gon i ee I te 
— TETDDGER 7 er) J u 00 —X 
m pötgefen are Genen me Den ie ene ns sm N 
der (Erfahrung ; iſt und‘ was durch Vermuthung > 


wird, ar re icht beitrittene "ae Erfahrun dag.die Puy 
af —8 nor ke Gegenſtaͤnde Hr 8 Zus era Korvanh 


Ve RER Ne an SEN 
RE — ——— 





—  DI6 — 


de Menge Strahlen für die kraͤftige Reizung ber Netzhaut in einem 
beftimmten Raume gefammelt werden, mögen auch die Samm⸗ 
lungspunkte der Strahlenkegel felbjt ein wenig vor ober hinter die 
Netzhaut fallen. Das deutliche Sehen ift ja etwas Nelatives. Uns 
terfuchen wir aber die Entfernung, in welcher wir am beutlichften 
fehen, fo werden wie finden, daß diefe Entfernung gar fehr bes 
graͤnzt iſt. Für den Fall, daß die Hornhaut, die Linfe und der 
Glaskoͤrper vollkommne Kugelabfehnitte bildeten, ift auch das Sams 
meln der Kichtftrahlen auf einen Punkt phyſiſch unmöglich, da die 
von der. Are entferntern Strahlen früher zufammengebrochen; werden, 
als die nähern, und hiernach fehon jeder einzelne Strahlenkegel 
fi unvollkommen fammelt. Diefens Uebelftande wird einigermans 
Ben dadurch vorgebeugt, daß bei Betrachtung naher Gegenftände 
die Pupille fih verengt und nur die mittlern Strahlen auffallen 
läßt. Immer aber kann die unregelmäßige Sammlung der Licht> 
ffrahlen meine Behauptung unterftügen ‚daß wir gar keinen Grund 
haben anzunehmen, daß für das, mas wir deutliches Sehen nen« 
nen, alle Lichtſtrahlen eines Strahlenkegels vollkommen in einen 
Punkt gefammelt werden müßten. Don bdiefer Annahme hängt 
aber die vielfache Annahme von Umänderungen der ganzen Form 
oder einzelner Theile des Auges bei dem Bemühen, in verfchiedenen 
Entfernungen zu fehen, ab. Wenn folhe Veränderungen auch fi 
ereignen, wie ich nad) meinen eigenen Verſuchen glaube, ſo halte 
ich fie jedoch für zu unbedeutend, um blos dadurch in * 
—— ſehen zu koͤnnen. im 


6, 147: Wenn durch eine Stastinfe Sicht einfälk, ‚fo * 
melt es ſich nicht nur, ſondern es wird auch zum Theil in Farben 
gebrochen, weshalb Gegenſtaͤnde, bie man durch eine Linſe betrach— 
tet, mehr ober weniger farbige Raͤnder zeigen, Andere Koͤrper, 
ja andere Arten von Glas, geben eine andere Farbenzerfireuung; 
und bei gehörigen Verhältniß zwifchen zwei Körpern kann die Fars 
benzerfireuung des einen durch die des andern aufgehoben werben, 
Darauf beruhen die achromatifchen oder aus verfhiedenen Glaßars 
ten zufammengefeäten Linfen, welche feine Sarbenfäume ‚geben, | 
Da das Auge keine Farbenränder an einfach beleuchteten: Gegenftän: 
den fieht, fo ift es wahrfcheinlih, daß, die buchfichtigen Maſſen 
des Auges ein ſolches Verhaͤltniß der Farbenbrechung unter einan, 


der Haben, mie bie einzelnen Theile der achromatifchen Linfen 
Vielleicht zerſtreuen fie die Farben aber urfprünglich gar nicht, wie 
man au von manchen Maffen aus der unbelebten Welt erfah— 
en hat, 


$. 148. Bir haben bisher nur die Abbildung Eines Punks 
tes auf der Neshaut unterfuht, Bon jedem Gegenflande, ven 
wie betrachten, fammeln ſich die Licheftrahlen der verfchiedenen 
Punkte auf verfchiedene Stellen der Neghaut, fo daß dadurch ein 
Bild entfteht. Es ift aber die Lage diefes Bildes verkehrt gegen 
die Lage des Gegenftandes. Unfere Abbildung zeigt deutlich, daß 
der Strahlenfegel aus dem Punkte B, welcher unter dem Punkte A 
liegt, fich nothwendig in dem Punkte b oberhalb des Sammlungs⸗ 
punktes a in der Netzhaut bildet, So ift ed mit allen Punkten, 
ba ihre Stelle auf der Netzhaut beſtimmt wird durch die Richtung 
bes Hauptſtrahls im Steahlenfegel, die Hauptſtrahlen ſchneiden 
fi aber im Mittelpunkte der Linſe. (Vergl. $. 145.) Was 
oben liegt, ſteht im Bilde nad) unten, was rechts liegt, fieht nach 
links, | 


Die umgekehrte Stellung des Bildes hat die Phyfiologen in 
Beorlegenheit geſetzt. Um zu erklären, wie es kommt, daß wir 
nicht alle Gegenftände verkehrt fehen, haben einige fogar die umge: 
kehrte Stellung des; Bildes Iäugnen wollen. Man kann fich aber 
von dem Ungrunde diefer Behauptung leicht überzeugen, wenn man 
das Auge aus einem Leihname nimmt, den Theil der harten - 
Haut, welcher in der Augenaxe liegt, vorfihtig wegſchneidet, und 
das Auge fo ftellt, daß die Hornhaut gegen das Fenſter gerichtet ift, 
Dann bildet fich nicht nur diefes, ſondern jeder Gegenſtand, den 
man vor. das Auge hält, umgekehrt auf dem hinterm Theile dev 
Meshaut ab. Mocdy leichter ift der Verſuch mit den Augen der weis 
Sen Kaninchen oder anderer Thierkakerlaken anzuftellen, In dies 
ſen Augen ift die Gefäßhaut fo wenig gefärbt ($, 135), und die 
Harte Haut ift fo durchſichtig, daß man ohne weitere Fünftliche Mit⸗ 
tel das Bild hinten durchſehen kann. Sa, man kann fich Teicht 
überzeugen, daß die ducchfichtigen Maffen des Auges grade fo wie 
es die Optik lehrt, auf die Geftaltung des Bildes: wirken. Wenn 
man durch einen Schnitt in die Hornhaus einen Theil der wäßrigen 


— * 


Geuchtigkeit ausfließen laͤßt fo wird das Bild undeutlich. Daſſel— 
be geſchieht, wenn durch einen Schnitt i in die harte Haut ein Theil 
des Glaskoͤrpers entfernt wird. Laͤßt man aber die waͤßrige Feuch⸗ 
tigkeit ausfließen, und nimmt man zugleich die Linſe heraus ‚fo 
daß nur der Glaskoͤrper zuruͤckbleibt, fo fieht man blos einen hellen 
— * — zu einem ganz BEN NER * 
Auf Re fonberhariee —— Fund Andere gefallen, * 
A fie ‚behaupteten, das Auge werfe als ein Hohlfpiegel das em⸗ 
pfangene Bild noch einmal zurücd,. mobei es wieder. aufgerichtet 
wuͤrde. Offenbar muͤßte aber dieſes zuruͤckgeworfene Bild noch ein⸗ 
mal vom Auge empfunden — ** und die — * m 
— — Eee N 
| Bon folchen —— Meiningen: if — Sk: Ernie 
Theil der Phyfiologen weit entfernt; indeffen begnügen fie ſich mit 
einer Anficht, deren Unrichtigkeit, "wenn ich nicht irre auch er⸗ 
weislich iſt. Sie fagen nämlich, die: Gegenſtaͤnde erſchienen uns 
wirklich umgekehrt durch den Sinn des Geſichtes, allein, da die 
Lage der Dinge nur etwas Relatives ſey, fo bleibe, bei der Umkeh⸗ 
zung allen Lagen, doch das alte'Verhältnig ; wir mennten ja nur 
das unten, was nach unſern Füßen zugekchrt.ift,) und das oben, 
was nach unſerm Kopfe zu liegts Kopf und Fuͤße wuͤrden aber auch 
umgekehrt, und ſo bliebe alles im urſpruͤnglichen Verhaͤltnißg uns 
gefaͤhr ſo, wie die Gegend, wie für uns oben iſt fuͤr unſere Ge⸗ 
genfuͤßler unten wird, weil ihre Fuͤße dagegen gerichtet ſind. Die 
uͤbrigen Sinne ſollen dem Auge nicht widerſprechen, weil wir von 
Kindheit an gewohnt find; die Gegenſtaͤnde zu unſern Fuͤßen zu 
finden; die: in der Netzhaut ſich oben abbilden. Mit dieſer Erklaͤ⸗ 
rung koͤnnte man zufrieden ſeyn ‚(vorausgefekt, dag? wir" wirklich 
das: Bild im Auge urſpruͤnglich empfi nden), wenn man blos das 
Berhä Imiß: von oben. und unten betrachtet. "Sie ſcheint jedoch nicht , 
zu genügen,s wenn wir das Verhaͤltniß von’ außen und innen an 
unſerm eignen Körper beruͤckſichtigen Den ſtaͤrkſten Beweis gegen 
dieſe Erklärung giebt aber die Erfahrung, daß Blindgeborne, nach⸗ 
dem ſie die, Fähigkeit zu ſehen erhalten hattem, die Gegenftände 
nicht in verfehrter Lage fahen , was offenbar erfolgen müßte, went 
fie vorher ihre Vorſtellungen über räumliche Verhaͤltniſſe blos durch 


« — 


— 219 — 


das Taſtorgan * —* nun abet ka durch das ph 


(Berg sr) © er Anl 

1 Das’ Mänpeafte in jener — liegt Vieh! daß fe 
annimmt, wir empfänden das Bild als ſolches. Dmwar verfichern 
die Anhänger diefer Anficht, fie feyen weit entfernt zu glauben, daß 
das Bild von der Seele gleihfam durch ein zweites Auge, das hin⸗ 
ter der Nethaut ſaͤße, geſehen würde. Allein es kommt doc faſt 
auf daſſelbe hinaus, wenn man glaubt, daß das Bild als ſolches und 
in ſeiner Lage empfunden oder von unferm Bewußtſeyn wahrgenom⸗ 
men würde, — —— aber mßte es als Bild wahrgenommen 
werden, wenn feine Lage zu unferm Bewußtſeyn kommen ſollte. 


Warum glaubt man denn nicht, daß wir beim Hören die Klangfi⸗ 


guren gewahr werben, die das erſchuͤtterte Ohr vom Schall getrof⸗ 
fen, gewiß bildet? Dder warum empfinden wir nicht die Art und 
Meife der Erſchuͤtterung des Labyrinths? Dwifchen dem’ Bilde im - 
Auge und den Klangfiguren des Ohrs, iſt nut der Unterfchieb, daß fuͤr 
den fremden Beobachter jenes leichter" zu bemerken ift, als dieſe. Für r 
die fubjective Beobachtung haben fi fie gleichen Werth. Es ſcheint 
mir bielmehr, daß das Bild nur zu betrachten iſt als die Summe 

derjenigen Punkte der Neshaut, welche bie Lichtſtrahlen auffangen 
und von ihnen‘ erregt werden. Ein jeder diefer Punkte empfindet 
nicht nur die Natur des Lichts nach ſeinen verſchiedenen Modifica⸗ 
tionen in Helle und Färbung, ſondern auch. die Richtung” deſſelben. 
Wenn daher ein Punkt aus der Höhe herab’ von dem unkern Theile 
der Netzhaut empfunden wird, ſo erſcheint er oben, weil dieſe Stel⸗ 
le der Netz haut in ſolcher Richtung erregt wird, Wir erkennen, 
um Auf unfere Abbildung zurädzukommen , nicht die Punkte a, b, 

fondern nur, daß dieſe Punkte i in der Richtung Aa, Bb: befeuchs 
tet werden, Die Richtung ift ja eben etwas efentliches beim Lich⸗ 


| te, das, woburd das Licht zum Strahl wird, und. Leuchten iſt 


vielleicht. nichts Anders, als Einwirkung von einem ‚Punkte aus 
nad) allen Punkten im Raume in graden Linien fort. ‚Empfänden 


wir das Bild im Auge, fo müßten wir auch offenbar, feine Kruͤm⸗ 


mung ‚erkennen, da es auf der gewoͤlbten Nebhaut nur krumm 
ae kann. 


6. 149. Schwieriger ſchein die RR —** es komme, 


daß wie mit beiden” Augen einfach fehen, Die Antwort, daß mir 


deshalb einfadh fehen, weil unſer Bewußtſeyn einfach iſt, Eönnte 
für die häufigften Fälle gelten, wo wir genau hinfehen, um eine 
Sache kennen zu lernen. Dann iſt unfer Bewußtfeyn, man ers 
laube mir den Ausdrud, in eine Einheit gefammelt. Wir können 
aber unfer Bewußtſeyn gleichfam vertheilen, * und fo. die Empfin= 
dung in beiden Augen beobachten ; dennoch erfcheint uns der betrach⸗ 
tete Gegenſtand einfach, wenn wir nicht befondere Mittel anwenden, 
ihn doppelt zu fehen. Er erfcheint ung nämlich einfach, wenn ſich 
die Axen beider Augen zugleich auf ihn richten. Da wir aber mit 
dem Theil der Neghaut, der in der Augenaxe liegt, am deutlichften 
ſehen, fo ift es uns von Kindheit an zue Gewohnheit gemorden, 
die Augenaren auf den Gegenftand zu richten, ben mir deutlich ſe— 
hen wollen, ja bei größern Gegenſtaͤnden richten fi die Augenaren 
nur auf eine Stelle, und wenn ber ganze Gegenſtand überfehen 
werden fol, fo fahren fie vafch an ihm herum, So ſehen wir, 
wenn wie Eeine Nebenabficht haben, nur mit einem Eleinen Theil 
der Neshaut, und außer dem. betrachteten Gegenftande empfinden 
wir im übrigen Sehfelde nur unbeflimmte Bilder. * Wir glaus 
ben aber das ganze Sehfeld deutlich zu uͤberſehen, weil wir in je 
dem Augenblide, wenn fih eine Veranlaffung dazu findet, auch 
im übrigen Sehfelde die Gegenftände beffer wahrnehmen Eönnen, 
theils durch Bewegung der Augen, theils ohne biefelbe. Es ift 
nämlich unbezweifelt,. daß wir auch mit den Theilen der Netzhaut 
fehen koͤnnen, die außer der Are liegen, wenn wir unfere Aufmerk⸗ 


I 





* Daß die Einheit des Bewußtſeyns nicht unmefentlich für bie Einfachheit des 
Gehend mit doppelten Organe ift, erkennt man wohl daraus, Daß bei eins 
tretenber Bemwußtlofigkeit, kurz vor dem Einfchlafen oder beim Schwindel 
und bei Anwandlungen von Ohnmadten, ja auch beim bewußtlvfen Hinz 
ftarren, die Gegenftände zuerft doppelt erfcheinen und dann die Bilder ders 
felben bunt durch einander fhimmern. Es fheint nur, als ob in jenen 
Fällen dad geftörte Bewußtfeyn uns hindere, beide Augenaren gehörig zw 
firiren, Denn, daß die Einheit ded Bewußtſeyns dad Einfochfehen nicht 
unmittelbar bewirkte, erkennen wir daraus, daß und alle Gegen ände dop= 
pelt erfcheinen, wenn wir durch einen Drud auf das eine Auge die Rich— 
tung feiner Axe verändern, je j 


* Daß bie Gegend bed gelben Fleckes mit dem fogenannten Gentrallod bie 
am beutlichften fehende Stelle der Neshaut fey, iſt eine fehr nahe liegende 
DVermuthung, da diefe Stelle mehr oder weniger der Axe des Auges ents 
fpriht. Allein die Eleinen Fältchen feheinen grade hier die Neshaut unre— 
gelmäßig zu machen. Manche Anatomen behaupten zwar, bie Salten feyen 
im Leben gar nicht da, Allein ih muß bekennen, daß ich 4 davon nicht 
Habe überzeugen können, obgleich ich ed zu finden gewuͤnſcht Habe, Biel: 
leicht fehen wir blos wegen bed vollkommnern Gammelnd. der Strahlenke⸗ 

‚gel ($. 145) in der Are des Auges am deutlichſten. 4* 


+ 


ſamkeit darauf richten So können wir die Handlungen eines 
Menfchen beobachten, obgleich wir die Aren unferer Augen in einem 
Mintel von 60 Graden von ihm wegrichten, wenn es und darauf 
anfommt, unfere Beobachtung vor ihm zu verbergen. In fünftlichen 
optifhen Verfuchen, von denen wie auch einige Eennen lernen wols 
len, kann man die Augenare auf einen Punkt richten und dennoch 
zugleich einen andern beobachten. Wir Eönnen alfo, wenn unfer 
Mile darauf gerichtet ift, wirklich zweierlei Bilder zugleich aufe 
faffen, und zwar fehon mit einem Auge. Kin Doppelfehen mit 
beiden Augen kann unfer Wille noch leichter bewirken, wie wir for 
gleich Hören werden. Wir Eehren zuruͤck zu ber Erfahrung, daß 
wir auf einen Gegenftand, den wir ohne Nebenabficht beobachten 
wollen, die Aren beider Augen aus Gewohnheit, ja faft aus Noth⸗ 
wendigfeit richten. Mach der früher entwidelten Anfiht empfin- 
den wir aber nicht die Abbildung des Gegenftandes auf unferer Netz⸗ 
haut, fondern nur die Richtung der Lichtfrahlen aus ihm. Wir 
fehen ihn daher in der Are beider Augen; wo fich beide Axenrich⸗ 
tungen fohneiden, da erfcheint uns der Gegenſtand; alfo nur an 
einer beffimmten Stelle im Raume, an der Stelle nämlih, bie er 
wirklich einnimmt, | 


Man hat diefe Erklärung nicht gelten Yaffen wollen. So hat 

Gall z. B. behauptet, wir fähen in der That nur mit einem Auge; 
es fei nämlich das eine Auge immer fcharffichtiger ald das andere, 
Die Eindrüde des ſchwaͤchern Auges würden fo uͤberwogen von dem, 
Eindrüden des ftärkern, daß wir fie gar nicht empfinden. Gall 
hat Recht für diejenigen Perfonen, bei denen bas eine Auge fehr 
viel ftärker ift als das andere, die meiften Menfchen aber fehen mit: 
beiden Augen zugleich, und nur fie folche Entfernungen mit einem 
Auge, für welche e8 ihnen ſchwer wird, beide Augen zufammen zu 
richten, d. h. für ſehr Eleine, in feltnen Fällen auch wohl für fehr 
große Entfernungen, nad ber Verfchiedenheit der Augen. Man 
kann ſich leicht beobachten, ob man mit einem oder beiden Augen 
fieht, wenn. man vor einem Lichte einen Bleiftift fo hält, daß es 
mit beiden Augen angefehen fcheint. Der Bleiſtift bedede die Mitte 
bes Lichtes; fchließt man nun abwechfelnd das eine Auge, fo wird 
immer das Licht an der entgegengefegten Seite hervortreten, wenn 
man vorher den Bleiſtift mit beiden Augen ſah; fah man ihm aber 


— 009 u 

mit einem Auge, fo wird beim Schließen des  eitOegeNeTEgER die Pa: 
ge des Lichtes nicht verändert erfcheinen. Im erftern Falle fällt der 
Schatten des Bleiſtifts auf die Naſe, im zweiten auf das Auge, 
welches allein gefehen hat. Damit der Verſuch gelinge, iſt es je 
doch nothwendig, daß wir unſere Aufmerkſamkeit auf den Bleiſtift 
heften, daß wir nur dieſen deutlich zu ſehen uns bemuͤhen, weil 
wir nur dann die Augenaxen auf ihn richten, * 


—* wir — mit zwei Augen ſehen, wenn * das 
eine mehr dabei wirkt als das andere, lehren viele Eleine Verſuche 
Halten wir. ung 3. B. eine Nähnadel vor das eine Auge, fo dap fie, 
der Länge nach mehr oder weniger in der Are des Auges liegt, ſo 
koͤnnen wir, wenn wir das andere Auge fehließen, einen Faden nicht 
fiher in das Oehr der Nadel leiten, weil wir wohl die Richtung 
des Oehrs gegen unfer Auge, aber nicht deifen Stelle erkennen ; oͤff⸗ 
nen wie nun dad andere Auge, fo erkennen wir fogleich, melde 
Stelle im Raume das Oehr der Nadel einnimmt, und wir Eönnen 
ben u. mit Leichtigkeit einfädeln. F la 


Bi hiecher ſcheint unſre Erklaͤrung des Einfachfehens ganz 
natuͤrlich und genuͤgend. Allein eine große Schwierigkeit liegt dar⸗ 
in, daß wir wirklich die meiſten Gegenſtaͤnde doppelt ſehen, ohne 
uns deffen bewußt zu. werden. Wir fehen nämlich nur den Punkt, 
auf den wir die Augenaxen richten, einfach, alle nähern oder wei⸗ 
tern empfinden wir doppelt, aber fo ſchwach, daß wir es ohne ber 
fondere Beobahtung nicht bemerken. Ein Verſuch kann uns davon 
Veicht überzeugen. Stellen wir einen Folianten ſenkrecht auf den 
Tiſch und zwifchen die Blätter diefes Folianten einen Bleiftift, fo 
daß er grade in die Höhe ſteht, und befefligen wir num einen @ten 
Bleiſtift, oder, zur beffern Unterfcheidung, eine Stange Siegellad 
in eineh andern Folianten, etwa 122 bis 2 Zuß hinter dem erften 


F 





Der Verſuch mit dem Bleiſtift vor dem Lichte tehrt nur, ob unſere Augen — 
ziemlich gleich gutzſind, oder ob das eine bedeutend beſſer ſieht. Folgender 
Verſuch iſt aber eñtſcheidend fuͤr dad Sehen mit beiden Augen. Man halte 
vor das eine Auge ein blau gefärbted Glas und vor dad andere ein rothes. 
Sieht, man nun einen Begenitand mit beiden Augen zugleih an, fo er 
Scheint er violet, Nimmt man ein gelbes und ein blaues Glas; fo ers 
Yun er grün. Seine Farbe ſcheint zufammengefegt aus der Farbe beider 

er, 


— 2935 — 

Bleiſtift, fo werden wir, wenn wir zuchdtretend bie Augen auf den 
erſten Bleiſtift richten, den zweiten doppelt fehen, oder umgekehrt, 
wenn wir den hinterm fcharf anfehen, den vorderen doppelt erbliden, 
Dies wird verfinnlicht durch unfre 19te Figur, in welcher C der 
Punkt ift, auf den wir die Augenaren richten, E ein Gegenftand 
vor. und F ein anderer hinter demfelben. Es find naͤmlich beide 
Faͤlle in einer Abbildung zugleich dargeftellt.. Die Erfahrung lehrt 
nun, daß fowohl Fats E unfern Augen doppelt erfcheinen. Die 
Phyſiker druͤcken dies durch das Gefeg aus: Nur die Gegenftände, 
welche im Horopter liegen, erfcheinen ung einfach, alle. andern-dops 
pelt. Der Horopter ift nämlich eine Ebene, welche man ſich durch 
den Punkt C, aufiden unfre Augen gerichtet find, ſenkrecht auf die 
Ebene der Augenaren und parallel mit der vordern Fläche der Aus 
gen gelegt, denft = HO. So ift eine Wand, auf welcher wir 
einen  Gegenftand betrachten, der Horopter für denfelben, wenn 
wir geade vor dem Punkte ſtehen. — Diefe Erſcheinung deuten 

bie Phyſiker auf folgende Weife: | | F 


Wenn wir den Gegenſtand G anfehen, fo richten wir die. Axen 
beider Augen auf ihn, Ce und Ce’ find die Augenaren. Aus 
jedem andern Punkte des Horopters fallen die Strahlenkegel beide 
nad links von dem Arenpunkte c auf die Netzhaut, wenn der 
Punkt im Hotopter nach rechts von C, oder beide nad rechts, went 
er links von C liegt, wovon man fich Leicht überzeugt, wenn man 
in unferer Abbildung aus einem folhen Punkte in HO grade Li: 
nien durch die Mitte der Augenpupillen zieht, * Iſt Überdies der 
Horopter nicht fehe nahe am Auge, fo find die Winkel, die diefe 
„Linien mit den Augenaren machen, fich ziemlich gleih und die 
Stellen in der Netzhaut gleich weit von den Arenpunften im Auge 
c, © entfernt. » Solhe Punkte nun, die nad) eiher Seite. (nad) 
rechts ober nach links, nach oben oder nach unten): im gleicher Ent⸗ 
fernung von den Arenpunkten Liegen ‚ nennen die Phyſiker über- 
einftimmende Punkte Die Lichtſtrahlen aus Gegenjtäns 
den," die näher oder weiter, als der Horopter liegen, treffen nicht 





— 


Im: 


* Menn ber —** die Flaͤche iſt, in ber wir die Gegenſtaͤnde einfach fer 
ben, fo ift er. ‚nicht eine Ebene, fond ine el 
Be ee yuneet ang foWdern eine Aupifde 


auf übereinflimmende, fondern auf entgegengefeste Punkte im Sins 
ne der Phyfiler; denn die Strahlen des nähern Gegenftandes E 
fallen in beiden Augen nad) außen von den Axenpunkten c, c, naͤm⸗ 
lich nad) e, e, die Strahlen des weitern Gegenſtandes F aber nah 
innen von c, cauff, f. Es zeigen uns hiernach die Bilder auf 
übereinflimmenden Punkten der Netzhaut die Gegenftände einfach, 
auf den andern aber doppeit. Die Phyſiker überlaffen es nun den 
Phyſiologen, entweder nächzumeifen, daß die Übereinflimmenden 
Punkte auch anatomifch übereinflimmen , ober zuzugeben, daß der 
fortwährende Gebrauch unferer Augen uns belehrt hat, daß wirk⸗ 
lich die Bilder auf übereinftimmenden Punkten der Neshaut, fo 
wie die Bilder in der Are ſelbſt, nur von Einem Gegenſtande her⸗ 
Men. 


| Allein, die erftere Anforderung muß durchaus verworfen wer⸗ 
den, da es vielmehr anatomifch nachgemwiefen werden kann, daß 
die beiden innern Haͤlften der Augäpfel und die beiden dußern mit 
einander übereinftimmen, nicht aber die linke Hälfte des einen mit 
der linken Hälfte des andern. Gegen die andere Annahme läßt fi 
‘auch vielerlei einwenden, was uns hier zu weit führen würde. Be: 
nigftens haben die Erfahrungen, die an Perfonen gemacht worden 
find, die.erft in fpätern Jahren das Geficht erhielten und fehen ler 
nen mußten, Feine entfcheidenden Materialien für diefe Anficht ges 
liefert. Wenn aber einmal von Gewöhnung die Rede feyn foll, fo: 
fcheint e8 mir viel einfacher anzunehmen, daß die Richtung unfrer 
Augenaren diefe Zäufhung hervorbringt. Es iſt nämlid gewiß, 
dag wie urfprünglich durch das Auge allein feine Erkenntniß von 
der Entfernung der Gegenftände erhalten, was wir bald näher un 
terfuchen wollen. Wir lernen aber früh, daß wir auf nähere Öes 
genftände die Augenaren näher zufammen richten, ald auf entferns 
tere. Wir werden uns alfo bald gewöhnen, bie Richtung beider 
Augen mit der Entfernung der Gegenflände in Webereinftimmung 
zu beingen, oder diefe nach jener abzumeffen. Wenn wir nun die 
‚Augen auf den Gegenftand C sichten, fo empfinden wir eben da⸗ 
durch deſſen Entfernung und fegen den Gegenſtand E, von dem 
wir eine fhwächere Empfindung haben, aud dahin, weil wir die 
Entfernung nach der Richtung der Augenaren fhägen. Die Rich— 
tungen , in welchen wir ben Gegenftand E mit beiden Augen fehen, 
durchs 


\% — PR 225 — — a 


durchſchneiden ſich in E, und, indem wir die Augen anf die Entfer: 


nung bes Horopters eingerichtet haben, verfegen wir den Gegens 


ſtand ih die Entfernung des Horopters, d, h. mit dem rechten 


Zuge nad) e’ und mit dem Linken nach e”, Der Gegenftand F ers 
ſcheint uns aus demfelben Grunde in f und £’, mit dem einzigen Un⸗ 


- terfchiede, daß beide Bilder den Augen ihrer Seite angehören, weil 


e und 


die Richtungen fich nicht vor C Ereugen, Wenn man, indem man 
den Berfuch mit dem Horopter anſtellt, die Augen abwechfelnd 


fliegt, fo wird man fich leicht überzeugen, daß die Bilder in 
* vom rechten, e“ und f dagegen vom linken Auge abhaͤn⸗ 
— 


a wie es denn nicht anders kann. 


* & 150, Wir ee von dem Einfluſſe der — ge⸗ 
ſprochen. Es iſt noͤthig naͤher aus einander zu ſetzen, wie wenig 
wir durch unſere Netzhaut unmittelbar erkennen. Weder die Form, 
noch die Entfernung, noch die Groͤße der Koͤrper erkennen wir durch 
ſie allein, wie man wohl glauben koͤnnte, weil wir uns nicht be⸗ 
wußt ſind, daß wir bei jedem Blicke urtheilen und das Gedaͤchtniß 
uns die Erfaͤhrungen zur Benutzung aufbewahrt, welche wir von 
Kindheit an in Bezug auf das Sehen gemacht haben. Wirklich 


‚empfindet unfere Netzhaut nur die Maffe (der Ausdehnung und 


Dichtigkeit nad) und die Qualität des Lichtes, welches von irgend 
einem Gegenſtande in unſer Auge gelangt, und es ifk für diefes 


- Organ ganz einerlei, ob wir einen wahren Körper vor und haben 


oder ein demfelben vollkommen entfprechendes Bild, 


2 


2.4 


Locke, dem die Frage vorgelegt wurde, ob wohl ein Blinde 


geborner, ber ploͤtlich das. Geficht erhielte, eine Kugel oder einen 


‚Würfel als ſolche erkennen würde? antwortete: Nein — Die 


Erfahrung hat feinen Ausfpruch volltommen beftätigt. Durch das 


Ocxgan des Getaftes lernen wir erſt, daß ein verſchiedener Grad⸗-der 


Beleuchtung mit einer 'verfchiedenen Lage der beleuchteten Fläche 


- Übereinftimme und dadurch Iernen wir die Geftaltung fehen, Durch 


baffelbe Mittel innen wir aber auch geräufche werden, , Wenn 


man in eine Metallplatte eine vertiefte Figur eingräbt und biefe 


mit einer glänzenden Maffe ausfüllt, fo glauben wir eine erhaben 


Sigur zu fehen, weil wie aus dem ſtaͤrbern Leuchten auf e eine Erha⸗ 


benheit ſchließen. 
15 


— 220 — 
Noch viel — kann unſer Yuge die Entfernukhpiiihies 
telbar mefjen. Alein, da wie mit dem Axenpunkte der Netzhaut 
(fo wollen wir simmer den Punkt nennen, in welchem die Augen⸗ 
are auf die Neshaut trifft) am deutlichften fehen, fo richten wir, 
fo bald. wir etwas ſehen wollen, die Aren beider Augen auf den Ge: 
genftand. Allmaͤhlig lernen wir durch Beihuͤlfe anderer Sinne, 
“namentlich des Taftfinnes, diefe Entfernung meffen und die Ueber- 
einftimmung einer beſtimmten Anftrengung der Muskeln , durch 
welche wir das Auge vegieren, mit den Entfernungen kennen. 
Daß wir auf diefe Weife die Entfernungen meſſen, ſcheint mie 
daraus Elar, daß wir über geringere Entfernungen, für welche der 
Winkel der Augenaren merklich verfchieden ift, viel ficherer urtheis 
Im, als über größere Entfernungen, für welche die Augenaxen 
faft parallel laufen. Schon friiher haben wir gefehen, daß wir nur 
mit beiden Augen zugleich die Stelle richtig beftimmen, in der ein 
Gegenftand ſich befindet. Die Erfahrung hat gezeigt, daß Perfonen, 
die ein Auge verlieren, anfangs die Entfernungen der nähern Ge: 
genſtaͤnde ſehr unficher beſtimmen. Allmaͤhlig freilich fernen, fie 
diefelben beſſer beurtheilen, jedoch nie fo gut als Zweiaͤugige Wahr: 
fcheinlich dienen ihnen dazu diefelben Mittel, die ung in der Schäs 
gung entfernterer Gegenftände leiten, die Menge der zwifchentie: 
genden Körper, die größere oder geringere Helligkeit des gefehenen 
Gegenftandes und die ſchon früher erhaltene Kenntnig von der 
Größe derfelben. — Aus. dem erſtern Gründe fcheinen ums die 
Entfernungen auf einet glatten Flaͤche, z. B. auf dem Meeresſpiegel, 
geringer als auf einem bewachſenen Boden ,. die Entfernungen in 
den höhern Luftregionen viel geringer Als auf der Erde. — Die 
Luftmaſſe ſchwaͤcht das Licht je dichter fie ift, und fie macht, daß 
Gegenſtaͤnde aus weiter Ferne ung nebelig erfcheinen. Deshalb 
beurtheilen wir nach der groͤßern oder geringern Klarheit die Entfer⸗ 
nung dei — ein Urtheil, das die Maler ſehr wohl zu 
benutzen wiſſen. In der groͤßern Helligkeit mag ein zweiter Grund 
liegen, warum uns Dinge, die hoch in der Luft find, weniger ent⸗ 
feent fcheinen, als in der Tiefe. Die Lichtffrahlen kommen von 
— durch Luftſchichten, die weniger getruͤbt find, - 


ir Daß die Kenntniß der Größe eines Gegenftandes uns über 
feine Entfernung urtheilen laͤßt, ruͤhrt daher, daß wir auch bie 


F 


— Re Ar) x A — 
J * J 
4 ‘ 
En 
* — 


— 227 — 


ig. 21.) ſieht, ſo empfindet es nach dem früher Ges 


wo ſtatt der Lichtkegel nur die Hauptſtrahlen zur Bezeichnung der 


Richtung angegeben ſind,) unter demſelben Winkel, unter welchem 


es einen halb ſo kleinen, aber auch halb fo nahen Gegenſtand a b fe= 
ben würde. Da in dem Dreieck, welches das Auge mit der Haupts 


| are des Gegenſtandes bildet, der Winkel am Auge unmittelbar er⸗ 


kannt wird, ſo wird durch die Entfernung CB die Groͤße der Bil: 
der beffimmt. Kennt man aber die Größe, fo beſtimmt man dat» 
nach im Geifte die Entfernung, und umgekehrt, wenn man die » 
Entfernung kennt, fo denkt man ſich darnach die Gröge. * 


F 
N 


— N ‚ i 
‚Seren wir und nun in der Schaͤtzung der Entfernung, fo ir⸗ 
ren wir uns auch nothwendig in der Schägung der.Größe, *.. &o 
feinen uns ale Himmelskoͤrper Elein, weil wir für diefe unge- 
heuern Entfernungen gar tein Mittel zur Schaͤtzung beſitzen. Da 
und die Gegenftände in bebeugenden Höhen näher ſcheinen als fie 
find, 3. B. fliegende Voͤgel oder Thurmknoͤpfe, ſo ſcheinen ſie 


uns auch kleiner als auf dem Boden im derſelben Entfernung, *** 





yo — Nu 


wre, 
Wenn wie eine Neihe Bäume betrachten, fo halten wir fie für Lang, 
wenn wir bie legten Bäume unter einem fehr Kleinen Sehwinkel fehen. 
v Dies benugen die Maler , wenn fie eine Allee darftellen wollen, indem fie 
die hintern Baume Hein zeichnen. Cine richtige Perfpective in ber Zeich—⸗ 
nung ift im Stande, dem Auge Entfernung zu geben, 


* Als Knabe Habe ich mir oft das Vergnügen folgender Ueberraſchung ges 
macht. Ic ftelte mic; auf dad Glacis einer Feftung, fo weit vom bededs 
ten Gange entfernt, baß ich ben Graben nicht fehen konnte. Die gegen: 

über liegenden Haͤuſer erfchienen mir nun nahe und fehr Elein. Ging ih 
auf fie zu, bis ih den Graben überfehen konnte, ſo traten ploͤtzlich die 
Käufer zurüd und wurden in demfelben Augenbiide viel größer. 


ve. Hierzu kommt noch , daß mir alle aufrecht ftehenden Begenftände in der 
e wirklich unter einem größern Gefichtörvintel fehen, als in ver Höhe, 
Sehen wir 4. B. einen Menſchen in der Ebene in einer Entfernung dom 
Er Buß ‚. fo. ift die Länge des Menſchen der Sinus unjerd Sehwinkels. 
chen bir ihn in derſelben Entfernung auf einem Thurme, fo iſt ber Wins 
Bet Bleiher, weil bie Länge bed Menſchen nicht ſenkrecht auf einem Schenkel 
’ unfers Sehwintels ſieht. * 


2 
—2* 


15 


> 


\ 


3: 


— 228 — ar 9 


Die Bewegung der Gegenftände erkennen wir mit dem Auge 


cheils aus ihrer veraͤnderten Stellung gegen andere Gegenftände, | 


theils aber auch aus der veränderteh Richtung der aus benfelben im 


unfer Auge fallenden Lichtſtrahlen. Diefe Richtung verändert fi 
aber auch, wenn wir ung felbft ober unfer Auge bewegen, Die 
eigne Bewegung halten wie immer gegen die veränderte Richtung 
der. Strahlen aus dem Gegenſtande um darnach zu ſchließen, ob 
ſich dieſer bewege, oder nicht, Aus dieſem Grunde i irren wir aber auch 


| nicht felten in unferm Urtheil. Wenn wir die eigene Ortöveräns 


‚derung nicht gewahr werden, fo glauben wir, die. andern Gegens 
ftände beivegen fi, wenn ihre Lage zu andern Dingen oder die 
Richtung ihrer Lichtſtrahlen fich verändern. Eben fo ſchließen wit 
auf die Annäherung eines Gegenftandes, wenn er ‚uns allmählig 
groͤßer erfcheint, und auf die Entfernung, wenn er immer 5 3 
werden jene. 


151. So ift anfet Sehen. immer mit einem ——— 


tigen Beurtheilen verbunden, da wir, wie geſagt, im Grunde 
nichts weiter empfinden, als die Ausdehnung und die Dichtigkeit, ſo 


wie die Modification (Farbe) des Lichtes, die und ein Koͤrper ins 


Auge, fendet.. Die meiften diefer Beurtheilungen find uns aber ſo 
zue Gewohnheit geworden , daß wir uns ihrer nicht mehr be⸗ 
mußt find. Es wird daher aus dem Geſagten leicht begreiflich, 
"daß wir dad Sehen erſt lernen muͤſſen und urfprüngli nur bie 
Lichtempfindung haben. Davon Überzeugt man ſich auch Leicht, 
wenn man kleine Kinder beobachtet. Dieſe ſcheinen in den erſten 
Wochen nach der Geburt nicht einmal einer deutlichen Lichtempfin⸗ 

dung zu genießen, wenigſtens findet man an ihnen keine beſtimmte 
Aeußerung dieſer Empfindung. Bald nachher, im Anfange des 
zweiten Monates etwa, wenden ſie ihre Augen nach dem Lichte. Es 
ſcheint mit unwiderſtehlicher Gewalt ihre Augen auf ſich zu ziehen. 
Sie gewöhnen ſich dadurch, beide Augenaxen auf denſelben Ge⸗ 


genſtand zu richten, und dieſe Gewohnheit bleibt fuͤr das ganze 


uͤbrige Leben, ſo daß man, ſelbſt wenn nur das eine Auge gebraucht 
wird, mit dem Finger deutlich fuͤhten kann, wie auch das andere 
geſchloſſene Auge ſich bewegt. Merkwuͤrdig iſt es nur, daß die 
heterogenen Muskeln ſich an eine ſolche uͤbereinſtimmende Wirk⸗ 


ſamkeit gewoͤhnen koͤnnen, daß der aͤußere gerade Muckel des einen 


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— — — 229 u . 


Auges tminer mit dem Innern Muskel des andern Kujls zugleich 
thätig iſt. Gewoͤhnt man ſich in der Kindheit nicht an diefe übers 
einftimmende Bewegung beider Augen, fo entfteht diefer Mangel 
am na" den wir Schielen‘ nennen, * Bu 
E⸗ bedarf nicht: der Erinnerung baß die gleichmaͤßige 8 
gung der Augen nicht bloße Gewohnheit iſt, ſondern, wie ſchon 
angegeben wurde, wohl dadurch veranlaßt wird, daß wir in der 
Augenare am deutlichſten ſehen. Darum ſchielen auch diejenigen 
nicht nothwendig, weiche erſt im ſpaͤtern Alter — eine Staar⸗ 
operation die EHER zu 1 ehen erhielten, | 


| Ys € einen Beweis, daß wir die Kunſt zu sehen wirklich fe 
duch Uebung und Urtheil erlernen, will ich bie, Geſchichte eines 


Blindgebornen erzählen, dem im vorigen Jahrhunderte der englifche 


Wundarzt Ehefelden us eine Operation das * ht gab, 


‚Der Blinde Ku zwar vorher eine geringe Empfindung vom 


Lichte gehabt, indeffen doch eine fo ſchwache, daß deshalb die Beob⸗ 
achtung nicht ald unvolllommen angefehen werben darf, da das 


Auge feine Degenfiände unterſcheiden konnte. 


Er hatte ſich von der Operation keinen anbein Volthei ver⸗ 
ſprochen, als den, leſen und ſchreiben zu lernen, aber im Garten 
z. B., glaubte er, koͤnne es ihm nicht mehr gefallen als vorher, dag 
er auch im blinden Zuſtande ſich in demfelben zurecht zu fi finden ges 
wußt hatte,” Nach der Operation verficherte er , daß jede neue 
Sache ein neuer Genuß für ihu fey, und die Groͤße feines Vergnuͤ⸗ 
gens koͤnne er nicht ausdruͤcken. Als er ein Jahr nachher an die, 
Seekuͤſte geführt wurde, wo ex eine fehe weite Ausſicht hatte, 


nannte er das eine neue Art des Sehens und ein neues Vergnügen. 


‚Seine Dankbarkeit gegen den, der ihm das Geficht wieder gegeben 
ie war fo groß daß er ſie nicht zu bergen vermochte. Er 





————— 


* un man bad Schiefen nicht. vermeiden, wenn man in der Kinberftube 

häufig Eicht brennt, wodurd dad Kind gewöhnt wird, denfelben Gegenſtand 

eiden Augen zu faffen? &o viel ift geiviß, daß man fi dad Schie⸗ 

* angewoͤhnen kann, wenn man es in früher Kindheit ‚oft verſucht, db. h. 
ri vo die u, mit beiden Augen nach einem Punkte m ſehen, 


2 ‚ h } DE aa 


Eonnte ion in ber erſten Beie nicht ohne —— ſehen und 


wenn ſein Wohlthaͤter an einem Tage nicht erſchien, an dem er ihn 


erwartet hatte, ſo brach er in ein heltiges — aus. 


} 
7 


— us er zuseft fah, erkannte er die FORM er nicht, 


‚wenn fie ihm auch vorher duch den Taſtſinn volftändig bekannt 


waren; ein Beweis, daß nur die Uebung, Vergleihung mit dem 


Taſtſi inne und daraus entſpringendes Urtheil uns die Geſtalt der Koͤr— 


per ſehen lehrt, Noch weniger konnte er die Entfernungen beurtheilen, 


‚vielmehr hatte er die Empfindung, als ob alle Gegenſtaͤnde, die er er— 
blickte, dicht auf den Augen laͤgen. Er verglich dieſe Empfindung 
mit dem Taſten durch die Haͤnde. Erſt allmaͤhlig ſchienen die 


aͤußern Dinge zuruͤck zu treten; indeſſen duͤnkten fie ihm lange ſehr 


groß. Nur allmaͤhlig nahm dieſe ſcheinbare Größe ab. Als ihm 
nach einiger Zeit auch das andere Auge operirt wurde, erſchienen ihm 
die Gegenſtaͤnde wieder ſehr groß, Ion nicht ganz in dem Maafe, 
als nach der erflen Operation, 


’ 
. 


Er erkannte auch die Geftalt der Dinge nicht, fondern nahm 
zur Erkennung derfelben immer den Taſtſinn zu Hülfe Man 
hatte geglaubt, er wuͤrde Gemälde fogleich verſtehn, aber erſt nach 


zweien Monaten bemerkte er mit Erſtaunen, daß ſie Erhoͤhungen 


und Vertiefungen darſtellten. Bis dahin waren fie ihm als bunte 
Flaͤchen erſchienen und er war nicht wenig verwundert, daß die 
Gemälde ſich nicht fo anfuͤhlten, wie fie ausſahen. Er fragte, 
| welder v von En Sinnen ihn Beträge, 


+ 


Wie (ehe er vor der Operation bie Empfindungen des Ge- 


‚ fihtes, von denen er hatte fprechen hören, auf die Empfindungen 
des Taſtens bezogen hatte, fieht man unter andern daraus, daß er 
‚ glaubte, alle Dinge, die feinem Gefühl angenehm waren, müßten 
auch fchön ausfehen, Er. war verwundert, daß die Speifen, die 
ihm am: beften ſchmeckten, nicht auch am beften ausfähen, Er ers 
tartete, bie Perfonen, die er am meiften liebte, würden auch bie 
ſchoͤnſten ſeyn. — Glatte Dinge geflelen feinem Auge am mei- 


ften, obgleich er nicht angeben fonnte, worin das MWohlgefalen - 


begründet war, — 


\ 


u 


4 * Ur * r f i ’ 


uUm die vielen neuen Sadın, die er taͤglich ſah, kennen zu 


Hewi ‚betaftete er.fie genau, uͤnd erft dadurch erhielt er eine deut⸗ 


liche Vorftellung von ihnen. Die Menge der neuen Vorftellungen 
—5 ihn aber Beer gar ſehr. 


"Helle Farben —— ihn an, am m mn Said; die 
Ama Farbe war ihm au 


Ghefelden hat fpäter noch einige Blindgeborne geheilt nd 
verſichert, fie hätten alle auf ähnliche Weife das Sehen gelernt, und 


feiner habe im Anfange die Augen gehörig zu lenken gewußt: Bei 


ſaͤhe. — Das Verkehrtfehen wird zwar nach einer andern Bes 


obachtung behauptet; allein diefe Beobachtung muß uns fehe vers 


daͤchtig erſcheinen, da fie ganz ifolivt da fieht. Ich felbft war bei 
Derfuhen zugegen, die mit einer Perfon angeftellt wurden, welche 
zwar in der früheften Kindheit geſehen, aber das Geficht fo. fruͤh 
durch den Staar verloren hatte, daß ihr keine Erinnerung vom Sehen 


zuruͤck geblieben war. Sie war ſchon ziemlich alt, als man die 
Verſuche mit ihr anſtellte. Es wurde ein lang zugefpigtes fchwars _ 


328 Dreieck auf weißem Grunde ihr vor das Auge gehalten und fie 


mußte die Form beifelben in der Luft mit der Hand beſchreiben 


und auch mit dem Finger die Richtung angeben, in der ihr die Spitze 
des Dreiecks erfchien! Man ſah durchaus nicht, da die unmit⸗ 
telbare Anſchauung ihr das Dreieck verkehrt zeigt. — Ih kann 
deshalb nicht umhin, die Meinung zu verwerfen, daß ung die. Ge— 


Henftände urfprünglich verkehrt erſchienen, und verweiſe auf die im 


Ss. 148 gegebene Erklärung.. 


; ih 152. Da wir die Kunft des ‚Sehens erft erlernen muͤſ⸗ 
ſen, ſo iſt es natuͤrlich, daß wir oft in unſerm Urtheil irren und 


falſch ſehen. Auf manche dieſer Taͤuſchungen habe ich ſchon fruͤher 
($. 150.) aufmerkfam gemacht. Es giebt aber noch eine Menge 
anderer, die in irgend einer Eigenthuͤmlichkeit unſers Auges ihren 


Grund haben, den wir in vielen Faͤllen anzugeben im Stande ſind, 


zuweilen aber auch nicht. So find alle früher aufgefuͤhrten Grün: 
de, warum uns Entfernungen in der Höhe geringer fheinen, als 


in der Ebene, in der That nicht hinteichend, um das Phänomen zu 


keinem ließ fich aber bemerken, daß er bie Gegenftände: verkehrt 


pP) 


| noch nicht gehoͤris ergruͤndet. 


— 
—* 


* 


rk bdas fo Auffallend iſt, Fr ung die Enefernutg weinr 
Sterne am Horizont wenigſtens zweimal, ‚, ja wohl dreimal, fo ges 
- vorkommt als im Zenith, felbft wenn im: erſteren Falle die Dun⸗ 


kelheit uns hindert, die Maſſe der auf der Ebene liegenden Gegen⸗ 
ſtaͤnde als Maaãß der Entfernung vollſtaͤndig zu benutzen. Eben 'o 

fheint uns auch das Himmelsgewoͤlbe weit flacher, als eine Sat 
Fugel, Mißt man mit einem Jnſtrument die Höhe am Himmd, 


- bie unferm unbewafineten Age die Hälfte des Gewoͤlbes zu feyn 
ſcheint, fo findet man fie nit 459, fondern nur 239 bie.30°. 


Die Urſache hiervon mag wohl im Bau des — liegen, aber 


* 


Ein anderes Phänomen feine dem eben bemerkten entgegen: 


‚gefeßt. Wenn man Parallellinien, die ‚nah am einander ftehen 


(etwa eine halbe Linie entfernt), auf ein weißes Blatt Papier 


‚zeichnet, und das Blatt fo vor fich hält, daß die Linien eine hori⸗ 


zontale Lage haben, fo koͤnnen die meiſten Augen fie beſſer und in 

vößerer Entfernung von einander unterfcheiden., als wenn daſſelbe 
Blatt fo gehalten wird, daß die Linien perpendiculär flehen. Im 
erftern Falle find die Abſtaͤnde der Linien fenkrecht, im lattern hori⸗ 


| zontal, wie bier, 




























































































Den Grund hiervon können wir nur in einer Abweichung von 


A der Kugelgeſtalt fuchen, die entweder im ganzen Auge oder in ei⸗ 
nem Theile deffelben flatt findet. Am häufigfien weicht wohl bie 
„Hornhaut von der Kugelflaͤche ab. Dieſe ift im den meiften Augen 


(allerdings Eomnıt in einigen Ausnahmen ber entgegengefegte Fall 
vor) im Queerdurchmeſſer ‘größer. als im Höhenducchmeffer, und 


zuweilen, fo fehr, daß dev Unterfchied über eine halbe Linie beträgt. 


Sie iſt dann deu Queere nad) weniger gewölbt als der Höhe nach, 


‚und fammelt die Strahlen in der erftern Richtung weniger, als in 


der letztern. Hieraus folgt, daß, wenn die Strahlen in der ſenk— 


— — 


rechten Ebene auf der Netzhaut in einen Punkt Gef werden, 


die Strahlen in der horizontalen Ebene noch nicht gefammelt find, 


Ein jeder phyfifher Punkte muß fi ich alfo auf der Netz haut wie eine 
Eleine horizontale Linie abbilden, die queer liegt. Sieht nun ein 


folches Augetine horizontale Linie an, fo bildet ſich dieſe als Linie 


ab, und die Zwiſchenraͤume swifchen ben Linien werden nicht ver⸗ 


engt. Anders iſt es bei Betrachtung einer ſenkrechten Linie. 
jeder Theil derſelben iſt ein Punkt, der ſich als Queerſtrich ab— 
‚bildet, und fo erſcheint die Linie als eine Summe über einan⸗ 
ber fiehender Queerſtriche, oder, mit einem Worte, die Linie 
wird breiter, und alfo, wenn mehrere Linien zufammen ſtehen, 
ber Zwiſchenraum zwifchen ihnen verengt; bie Linien verdecken 
— die Zwiſchenraͤume. 


mE 


zig 203; Es muß in hohem Grade * Bewunderung 


erregen, unter welchem kleinen Sehwinkel ein gutes Auge noch im 
Stande iſt, einen Gegenſtand zu unterſcheiden. Dennoch koͤnnte 


es eine Graͤnze für ben Sehwinkel geben. Indeſſen find die Aus’ 
gen unter ſich in Hinſicht dieſer Fähigkeit fehr verfchieden und auch 


für jedes einzelne Auge laͤßt fich der Winkel nicht angeben, da er 


verfchieden ausfällt nach dem Glanze, der ſtaͤrkern oder geringern 
Beleuchtung‘, ja nad der. Geflalt des betrachteten Gegenſtandes. 
So ſehen wir die Fixſterne ihres ſtarken Lichtes wegen deutlich, ob⸗ 


gleich die Meßkuͤnſtler nicht im Stande ſind, die Kleinheit des 
Winkels anzugeben, unter dem ſie uns erſcheinen. Gegenſtaͤnde, 
bie, blos beleuchtet find, kann das Auge lange nicht unter fo klei— 
nem Sehwinkel erkennen. Es ift natuͤrlich, daß ein größerer Sehe 
winkel in der einen Dimenfion nicht die Kleinheit deffelben in einer 
‚andern Dimenfion völlig ‘erfegen kann, in Haar, das mehrere 
Zell lang ift, kann nicht fo weis gefehen werden, wie eine Kugel 
von einem Bol Durchmeſſer. Merkwuͤrdig genug iſt es, daß 
dennoch bie eine Dimenfion die andere einigermanfen ergänzen 
kann, Nehmen wir z.B. ein Auge, welches eine Kugel unter eis 
nem Winkel von einer Minute nicht mehr erkennt, fo fieht doch 
daſſelbe Auge einen Stab, deſſen Dicke den Sehwinkel von ı Min. 
giebt, wenn der Sehwinkel feiner Länge 5 Min, beträgt. Es ift 
deshalb ummöglich, die geringfie Kleinheit des Winkels, unter wels 
Hem ein Auge fehen kann, im Allgemeinen zu beflimmen, So 


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t —— 234 — — 


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find denn auch ‚bie Verſuche, die dariiber belehren follten, gar fehr 
verſchieden ausgefallen. Einige geben ihn zu 20 Secunden und 


‚andere viel geringer an. — Ein Naturforſcher konnte einen Fa- 


den von 9 bis Y4g Zoll Durchmeſſer in einer Entfernung von 


4 Fig * und berechnet den Sehwinkel auf 2 SDR 


h J machte einſt mit meinen 836 Berfuhe, fiber die 
Sehweite. Es fanden fich zwei unter ihnen, die ein’ menfchliches 


Haar — das Überdies das heilfte war, welches fih in der Ver- 
fammlung fand — in einer Entfernung von 28 Fuß fehr deutlich 
ſahen, wenn es auf einer weißen Slähe lag. Die Die des Haars 


mochte etwa 0 einer Linie betragen. Der Sehwinkel war alfo 
etwa eine Secunde. Wie Elein das Bild auf der Neghaut dabei 
fey, läßt fich, vorausgefest, daß fih alle Strahlen genau auf ei- 
nem Punkt fammelten, leicht berechnen. ‚Die Entfernung bes 
Mittelpunkts der Linſe von der Netzhaut wollen wir auf 8 Linien 
beflimmen, Dann’ wäre die Breite jenes Bildesnur — 0,0005 
Lin. Noch weiter geht Haller ‚ indem er bemerkt, daB, wenn 


man auf dem! Durchſchnitte eines ganz dünn vergoldeten Silber- 


drahts das Gold vom Silber unterfcheidet, obgleich die Dicke des 
erftern nicht einmal 0,00000L Linie beträgt, das Auge einen Seh— 
winkel auffaßt,, deſſen Bogen jene Dicke des Goldes iſt. Das 


“ würde, wenn man die Entfernung des Drahted vom Mittelpunkt 


der Linfe nur zu 50 Linien annimmt, einen Winkel von 0,004 
Gecund. geben und auf der Neghaut ein Bild entwerfen, deſſen 
Breite 0,00000016 Linien betrüge. Unfere Einbildungsfraft 
vermag nicht diefes Kleine Maaß fich vorzuſtellen. Allein, es wird 
hier auch zu viel worausgefest. Namentlich muß beim Durchſchnei⸗ 
den des Drahtes nothmwendig Etwas vom Goldüberzuge ſich um: 
legen und wir fehen daher viel mehr. als den bloßen Durchſchnitt defz 
ſelben. Wir wollen überhaupt aus diefen Berechnungen dem allge: 
meinen Schluß ziehen, daß das Auge überaus kleine Sehwinkel 
auffaffen Eann, daß fich aber das Maaß derfelben nicht beſtimmen 
laffe, da fo viel von der Lichtmenge und andern Umſtaͤnden ab» 
hängt. Wir glauben überhaupt, daß es gar kein Maaß für die 


Kleinheit des Sehwinkels giebt, wenn. nur eine hinlängliche Licht: 
‚ menge ins Auge fällt. Das beftätigen uns die Fixſterne. 


- 


1 


7 —J PS * 


— — F Tr 


| & 154 Die Sichteindihete , welche unfre Nethaut em⸗ 
pfaͤngt, dauern eine Zeit lang in ihr fort. So wird beim ſchnellen 
Schließen und Oeffnen der Augenlieder das Sehen gar nicht geſtoͤrt. 

Der erhaltene Eindruck muß alſo während der Bei wegung ber Aus. 
genlieder fortdauern. Aus demſelben Grunde erſcheint uns ein 
Koͤrper, der ſehr raſch im Kreiſe gedreht wird, als ein Kreis, wenn 
naͤmlich der Koͤrper einen Umſchwung beſchrieben hat, ehe noch der 
Eindruck, den er an der erſten Stelle machte, aufgehoͤrt hat. 
Man will durch Verſuche gefunden haben, daß ein Körper den Um- 
ſchwung in hoͤchſtens 8 Tertien vollendet haben muß, um dieſen 


Eindruck hervorzubringen. Dagegen muß aber auch ein Koͤrper = 


eine beflimmte Beit hindurch auf unſer Auge einwirken; um gefe- 
hen werben zu koͤnnen. Eine abgefchoffene Kanonenfugel wird, 
nicht geſehen, weil fie zu ſchnell ihren Weg vollendet. .— Um— 
gekehrt fcheint uns ein Körper ſtill zu ſtehen, der ſich ſo langſam 
bewegt, daß wir die Umaͤnderung des Sehwinkels in einem kurzen 
Zeitmaaß nicht unterſcheiden koͤnnen. So der Stundenzeiger an 
einer Uhr, fo aud die Himmelskoͤrper, von denen einige ſich zwar 
mit ungeheurer Schnelligkeit bewegen, aber in fo. großer Entfers 
nung, daß bie Umänderung des Sehwinkels nur in {ehe langen 
Silben Bra werden kann. 


$. 155. Sehr: —“ iſt auch die Fähigkeit der Nege 
haut den Lichtveiz zu empfinden. ‚In einigen Augen ift die Em: 
| pfindlichkeit fo groß, daß ein geringes Licht zum Sehen hinreicht, 
ein ſtaͤrkeres Licht, aber, als zu großer Reiz, das Auge blendet. 
Man nennt einen ſolchen Zuſtand Tagblindheit. In die⸗ 
ſem Falle find, namentlich die Albinos, deren Aderhaut, des ſchwar⸗ 
zen Pigmentes entbehrend, das uͤberfluͤſſige Licht nicht binden kann. 
In der unpaſſend ſo genannten Nachtblindheit iſt das Auge 
far ſchwaches Licht zu unempfindlich und fieht bei diefem gar nicht. 
Nach jeder fehr ſtarken Reizung des Auges wird es unempfindlich 
für dem Lichtreiz ; fo nach einem Blitz. Wer lange auf einem - 
Schneefelde ging und ploͤtzlich in eine helle Stube tritt, dem ſcheint 
dieſe dunkel. Dagegen kann ein langer Mangel an Licht die Ems ' 
pfänglicheit des Auges überaus erhöhen. Leute, die jahrelang in. 
unterirdifchen Kerkern ſchmachteten, erzählen, daß diefe ihnen Ans 
fangs völlig finfter erfchienen, — Almählig bemerkten fie einen 


fchtonchen — und endlich konnten ſie wirklich die * 
— in ihrem Kerker ſehen. —* 
Wenn bie Neshaut die Kähigfeit, bas ih zu empfinden, ver⸗ 

liert, fo. entfteht daraus eine Unfähigkeit zu fehen, ohne dag man 
im Auge eine andere Umänderung. bemerkte, als eine mehr ober 
weniger volllommne Unbeweglichkeit der Blendung, deren Bewe— 
‚gung, wie wir wiffen, von der Reizung der Netzhaut abhängt. Man 
nennt diefe Krankheittden ſchwarzen Staar, im Gegenfab zum 
grauen Staar, bei welchem das Innere des Auges wegen ber ver» 
dunkelten Kiyflalllinfe grau erfheint, Der ſchwarze Staar iſt of: 
fenbar nicht durch eine Operation zu heilen und auch nur ſelten ge⸗ 
lingt es, durch innere Mittel der Netzhaut die Empfaͤnglichkeit für 
— Lichtreize wieder zu geben. Zuweilen erfcheint das Innere des Au— 

‚ges gruͤnlich, wobei das Schvermögen mehe oder weniger geſtoͤrt 
if, Diefen Zuftand nennt man den grünen Staar, Er iſt mei— 
fiens in einer Verderbniß des Glaskoͤrpers begründet, er der fpäter 
auch die Netzhaut Antheil. nimmt, 


Sn feltenen Fällen fieht ein Auge alle Gegenſtaͤnde doppelt. 


Daran ſind oft Geſchwuͤre in der Hornhaut ſchulb, die dieſer Haut 


mehrere Facetten geben, ſo daß ſie die Lichtſtrahlen deſſelben Strah⸗ 
lenkegels nach zwei verſchiedenen Punkten hin bricht. Am ſonder⸗ 
barſten iſt aber der ſehr ſeltene Fall, wo Perſonen laͤngere oder kuͤr⸗ 
zere Zeit hindurch alle Gegenſtaͤnde nur halb ſahen, z. B. nur den 
untern Theil derſelben. Wollten fie auch den obern Theil Überfe- 
hen, ſo mußten ſie ſich hoch uͤber die Gegenſtaͤnde ſtellen; — ein 
Beweis, daß ſie nur die Strahlen zu empfinden im Stande aa | 
die von unten er; oben — 


$. 156. Doch wir wollen — das ganze Heer der RER 
Eranfheiten durchgehen ,. fondern hier nur noch die fehr häufigen 
Unvollkommenheiten, des Auges in Hinſicht auf die Entfernung feis 
nes deutlichen Sehens näher erörtern, die — 
und Fernſichtigkeit. 


Der Kurz ſich tige fieht nur in ſehr geringer Entfernung 
deutlich; uͤbrigens kann das Auge gut ſeyn, z. B. fähig, ſehr 





. ' 2 k ' 
J ſcharf zu umterfcheiden: Der Kurzſichtige hat eine deutliche Seh⸗ 
weite von 8, 6, ja von 4, oder gar nur 3 Zollen. Der Grund Liegt 
in der zu ſtarken Brechungskraft ſeiner Augen, vermoͤge welcher 
nur Strahlen, die urſpruͤnglich ſtark divergiren, auf der Netzhaut 
ſich gehoͤrig ſammeln, um ein deutliches Bild hervorzubringen. 
Iſt ein Gegenſtand weiter, fo divergiren die einzelnen Strahlen 
feiner leuchtenden, Punkte weniger, fie werden daher merklich vor 


dieſe erreichen. Die fpecielle Urſache des übermäßigen Brehungss 
vermoͤgens im Auge kann in der: zu großen Wölbung der Hornhaut 
und, was damit zufammenhängt, einer zu großen Quantität der 
waͤſſerigen Feuchtigkeit, ferner einer zu ſtark gewoͤlbten Linfe und ' 
; einer zu großen Länge des Glaskörpers liegen, Auch Eönnen ‘die 
durchfichtigen Maffen des Auges zu Dicht feyn, wodurch fie an 
Brehungsvermögen gewinnen. In der Regel werben wohl mehs 
vere dieſer Urſachen gleichzeitig da feyn, get, 





Der Fehler wird bald angeboren, bald durch fortgeſetztes Se— 
hen auf nahe Gegenftände erworben, ober mehr ausgebildet, wenn 
‚ine urſpruͤngliche Anlage dazu da war. Auch allgemeine Krank: 

heiten können diefen Zuſtand hervorbringen, Perſonen mit’ ges 
ſchwaͤchter Verdauung find häufig kurzſichtig. Auch. bleibt nad 
fangen Sieben, befonders.folhen, die mit einem Andrange des 
Blutes nach dem Kopfe verbunden find, zuweilen Kurzfichtigkeit zus 

sche, Es ſcheint, daß der Andrang des Blutes nad dem Kopfe 

eine Ueberfuͤllung des Auges mit waͤßriger Feuchtigkeit hervor⸗ 
bringt, * | AN: 2 


Da Kurzʒſichtige immer das Auge beim betrachteten Gegens 
‚Stande ſehr nahe bringen müffen, fo find fie in Gefahr, das Uebel 
ſtets zu vermehren, Auch verlieren ihre Muskeln leicht die Faͤhig⸗ 


4 * 
TER. una — N 





» Sn Bilberts Annalen der Phyſik las ih vor kinigen Jahren bie Bes 
Bgaytung baß nad) Anwendung von Blutegeln in ber Augengegend oͤf⸗ 
ermichtigkeit ſich einfinde. Das könnte die Blutegel in einen ubelm 
Werbäct bringen, ber weniger ihnen ald dem Menſchen ſchaden würbe, 
Sie find Aber aanz unfehuldig.  Diefelben Krankheitöformen , welche ben 
Gebrauch der Blutegel in der Augengegend erfordern, Fönnen Kurzſichtig⸗ 
keit erzeugen, Nicht die Anwendung dieſes Heilmitteld, aber wohl feine zu 
feäte, oder nicht hinlaͤngliche Angenduns kann Urſache der. Kurzſichtigkeit 
erden, ” 


der Netzhaut gefammelt und fahren wieder aus einander, bevor fie 


TE 
! ’ Nude, I EN — 3 


1 


keit, die gene parallel zu halten. "Dies veraulche fe, um um 
das Unangenehme eines Undeutlichſehens zu vermeiden, wozu noch 
kommt, daß faſt alle Gegenſtaͤnde außerhalb des Horopters liegen 
und alſo doppelt geſehen werden — dies veranlaßt fie, den Blick 
gar nicht: aufzuſchlagen, wenn fie nicht einen nahen Gegenftand 
faſſen koͤnnen, oder auf der Straße die Augen auf den Boden zu 
‚richten, der nie fo weit iſt, um nicht mit einiger Beſtimmtheit ge⸗ 
fehen werden zu können, Woher es fomme, daß man bei bedeu- 
tender Hurzfichtigkeit am beften fieht, wenn die Lichtftrahlen von 
‚oben oder von der Seite in das Auge fallen, weiß ich nicht mit Be: 
ſtimmtheit anzugeben, Auffallend aber ift 48, daß folche Perfo- 
nen beim Lefen häufig das Buch entweder zur Seite halten oder 


fo, daß ihnen- die Kichtfirahlen vor der Stirn — ins zuge 
fallen. —J 


Um in groͤßerer Entfernung J— zu ſehen, maſſen ſich 
Kurzſichtige ein concaves Glas vor das Auge ſtellen. Diefes Glas 
macht, daß die parallelen oder faft parallelen Strahlen aus em- ' 

ander gebrochen werben, ſo, als ob fie aus einem nähern Punkte 

time. Es verſteht fich von felbft, daß die Stärke der Höhlung, 
diefes Glaſes fich nach dem Grade der Kurzfichtigkeit richten muͤſſe. 

Wenn ein Kurzfichtiger nur in der Entfernung von 6 Zollen deut- 
lich fehen kann, fo muß das Glas die aus größeren Fernen kom⸗ 
menden Strahlen fo brechen, als ob ſie aus einem 6 Zoll weiten 
Punkte kaͤmen. Man nennt dies die negative Brennweite des Gla⸗ 
ſes. Es iſt eine ſehr wichtige Regel fuͤr Kurzfichtige, daß fie nur 
jo (Harfe Glaͤſer wählen, als gerade nothwendig iſt. 


ſie zu ſtarke concave Glaͤſer, ſo wird bas Auge im⸗ 
mer mehr an Strahlen, die ſtark divergiren, gewoͤhnt und die Kurz⸗ 
ſichtigkeit nimmt zu. Dagegen iſt es eine ſchlechte Lehre, die ſelbſt 
von den beſten Augenaͤrzten gegeben wird, daß man nur Glaͤſer zu 
waͤhlen habe, welche nicht verkleinern, weil folche, die verkleinern, 
ſchaͤdlich ſeyn ſollen. Es ift vielmehr leicht zu erweifen, daß uns 
concave Glaͤſer nothiwendig die Gegenftände Eleiner zeigen, als wir | 
fie mit bloßen Augen — Der RR laſſe es fi nur 





* Sch habe Kurzfi tige mit großer Aengſtlichkeit nad) concaven bnen fuchen 
ſehen, die nicht. verkleinern, 


ten 2; u u Zi ee A "in . 
— Anh); t r . . i f 
ie — x * 

* * 


zur a ad daß er Glaͤſer waͤhle, welche ſo wenig vetlei⸗ 
nern als möglich, ohne den 8Zweck der groͤßern Deutlichkeit für die 

. Ferne aufzuheben. Ferner ift es immer vathfamer, ſich einer 
Brille mit concaven Gläfern , als eines einzigen Glafes, zu bedies 
nen, weil’befonders der Kurzfichtige fich leicht gewöhnt, nur Ein 
Auge zu gebrauchen, und diefes dann in der Kurzfithtigkeit vafch 
zunimmt. . Sind beide Augen fchon fehr ungleih, fo ift es am 
beiten, die beiden Glaͤſer der en cinzeln RR den Augen zu 
wählen. 

—J | Pi 

, er Die Fernf ihtigfeit iſt der Kurzſi aen entgegenge: 
ſetzt. Das Auge bricht die Lichtſtrahlen nur ſchwach. Der Grund 
kann in zu geringer Woͤlbung der Hornhaut und der Linſe, in Kürze, 
des Auges, im der zu geringen Menge der wäßrigen Feuchtigkeit 


mw. liegen. Solche Perfonen müffen ein Buch, um es lefen 


zu Eönnen, weit von fich weg halten, oder koͤnnen gar nicht mehr 
ohne Brille leſen, weil bei der großen Entfernung, in der fie das 
Bud) halten müßten, um die Steahlenkegel zu ſammeln, der Seh⸗ 
winkel zu klein wuͤrde. 


Wiahrend die — in der Regel beſa fehen, wenn 
das Licht von oben in ihr Auge dringt, fo laffen die Fernfichtigen 
es dagegen am liebſten von unten einfallen und biegen deshalb den 
Kopf gern zuruͤck, wogegen die Kurzfichtigen ihn nach unten neigen, 


00 Mit zunehmendem Alter wird in der Negel die Hornhaut, fo 
tie Auch die Linfe, fläher. Alte Leute haben daher eine natürliche 
Anlage zur Sernfichtigkeit, weshalb diefer Fehler fich bei ihnen viel 
häufiger findet, als der entgegengefegte. In den erſten Lebens: 
jahren find Hornhaut und Linfe dagegen gewölbter, weswegen man 
in der Jugend am meiften fich hüten muß, die Anlage zur Kurz: 

hs fichtigkeit duch Verwoͤhnung zu erhöhen, —— Wegen der allmaͤh⸗ 

uügen Verflachung der Linſe und der ganzen — im Alter glaubt 
man gewöhnlich, Kurzfichtigkeit müffe fi im Alter mindern; al: 
fein nur ein ſchwacher Grad von Kurzfichtigkeit wird durch die na= 
türlihe Umänderung des Auges allmaͤhlig verbeffert. Iſt die Kurz: 

ſichtigkeit beträchtlich, fo darf man darauf nicht hoffen, vielmehr 
(eher die tägliche Erfahrung, daß fie mit dem Alter zunimmt, ber 


— 21410 — 
ſonders bei Perſonen, bie viel leſen und ſchreiben muͤſſen. Es iſt 
um ſo mehr anzurathen, daß man ſein Auge gewoͤhne, auch ferne 
Gegenſtaͤnde zu faffen Iſt man in der Wahl der Hohlgläfer 
recht vorfihtig, fo daß man fie fo flach als möglich wählt, fo darf 
man wohl hoffen, bie Surafipeigteis, — etwas au verbeffern, 

wenn fie Br ſchon allzu kart ih * 

Daß ee Fernſi chtige ſich der eonveren Str er —— — 
um deutlich zu ſehen, verſteht ſich von felbfh Auch er muß diefe 
ſo ſchwach wählen, als, ohne den Zwed derDeutlichkeit zu vernich⸗ 
ten, moͤglich iſt, und eine Brille ift aud ihm — als ein 
einfaches ſo ——— Kae: * 

Augen, denen man des grauen Staares wegen bie Linſe zer⸗ 
ſtoͤrt hat, ſind darin den Fernſichtigen gleich, daß ihr Auge nach 
der Operation die Strahlen. viel zu ſchwach bricht. Sie können 
daher ohne eine Brille mit. ſtark converen Gläfern nicht deutlich 
oe —— 


$. 157. An dieſe Betrachtungen über Fehler der Augen rei⸗ } 
hen wir die Bemerfung , daß in jedem menfchlichen, Auge nad) _ 
- innen von der Are eine Stelle fich findet, welche unfähig iſt, ein 
Bild zu empfangen, d. h. welche nicht ſieht. Man kann ſich da= 
von leicht durch folgenden Verſuch überzeugen, ber nach feinem Erz 
finder der Mariottifche heißt, Man befeftige an die Wand einen 
Bogeh — und — auf dieſen einen ir Fleck, etwa 


| ’ ER in 
di. 





‘ 
. di 22.2 N . 4 = 
® 4 


* Die koncave Sitte nut ſchon habt, daß fie geiosänt, die —— 
auf einen entferntern Punkt zu richten, und fo einen Sauptfehlee der Br 
ſichtigkeit unmittelbar verbeſſert. 


> Eine convexe Brille fol fo gewählt werben, * ſie ſo wenig als * 
Ha Daß fie gat nicht vergrößert, iſt eine Forderung der Unmoͤg⸗ 
ich keit. 


a Sch Habe oft Perſonen, bie unbekannt mit dem Bau deö Auges, auch 
wohl mit den Gefehen der Brechung des Lichtes „ baren, über bie Au— 
genärzte lagen hören, wenn Gtaar = Patienten na der Dperation nicht 
ſo ſcharf fehen konnten ald vorher, Man wirb ats dem Gefagten leicht 
erfehen, daß die Forderung, nach zerftörter oder. entfernter Zinfe vollkommen 
‚zu jehen, eine, Unmöglichkeit einjchließt. Da man Semandem , dem der 
graue Stear operitt if, Feine neue Linſe ins Auge feßen kann, fo fest 
man fie ihm vor dad Auge — nämlich bie Staarbrille mit ig AUHDERER. 


Glaͤſern. 


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u We Sie des Auges. Wird nun auf die eine Seite, 48. 
mach dechts, ein zweiter Fleck einen Fuß weit vom erſten gezeichnet, 
ſo trete man zuerſt nah an das Blatt Papier, grade vor den erſten 
Su und, ‚indem man das rechte Auge feſt auf den nach Links lies 
Fleck richtet, "trete man langfam zurüd. Im Anfange wird 

1 beide Flecken ſehen. In einer Entfernung von einigen Fuß 

— — aber der Fleck zur rechten Hand dem Auge plöglich, 
Tritt man noch weiter zuruͤck, fo wird der Fleck zur rechten Hand 
wieder ſichtbar. Daſſelbe geſchieht, wenn man neben den erſten 
Fleck nach links einen zweiten zeichnet, das rechte Auge fchliegt, mit 
dem linken den erften Fleck betrachtet, und fi) von ihm aus grabe 
zuruͤck siehe. Man kann den Verſuch taufendfältig umändern, in: 


dem: man 3 oder 4 Fiecke zugleic ——— Sr fie in einert 


Zraden Linie wie gen); | | al 
Mer. a a op De 9 * Ey 2 


® 


—J wird man bemerken, wenn· man das rechte Auge auf A richtet 


und von A aus zuruͤcktritt, daß zuerſt B, dann im größerer Entfer⸗ 


nung C, und endlich D verſchwindet. Se größer die Entfernung 
der beiden betrachteten Punkte iſt, um deſto weiter muß man zuruͤck⸗ 


treten damit der eine verſchwinde Vergleicht man nun die Ent⸗ 


fernung der beiden Punkte mit dem Abſtande, in welchem fi fie ver⸗ 
ſchwinden, ſo kann man daraus die Entfernung der nicht ſehenden 
Stelle der Netzhaut von ihrem Arenpunkte finden. Dieſe⸗ Entfer⸗ 
nung heiße x, der Abſtand unſrer Linſe von dem Punkte A ſey 
= K, die Entfernung des Punktes A vom ſchwindenden Punkte B 
fey = $, und die Entfernung des Mittelpuntts der Linfe (mo ſich 
die Strahlen ſchneiden) vom Axenpunkte der Metzhaut ſey = r, 
ſo haben wir, da die — im Mittelpunkte der Linſe 


Shtz eitelw inkel bilden: R : — tr x, ode x — * Auf 


dieſe Weiſe laͤßt ſich durch Verſuche finden, daß der nichtfehende 
Theil der Netzhaut auf die Eintrittsſtelle des Sehnerden trifft. 
Durch Berſuche, die ſich Jedermann leicht erſinnen wird, kann 
man auch den Umfang der nichtſehenden Stelle berechnen, welcher 
wieder auf den Umfang der Eintrittsſtelle des Sehnerven paßt. War: 
um aber diefe Stelle nicht ſieht, iſt etwas ſchwerer zu beantworten ; 
vielleicht ‚weil die Stelle etwas erhaben iſt, und ur bie Lichtkegel 
Pk j 1 


h — BAR EM 


je 


ſich hier gar zu wenig ſammeln koͤnnen, wenn das Auge ſich einge⸗ 


richtet hat, daß es einen andern Gegenſtand aus derſelben Entfer- | 
nung ——— ſi eht. 


Daß aber beim Gebrauche eines einzelnen Auges im ge⸗ 
woͤhnlichen Leben gar nicht bemerken, wie eine Stelle unſerm Blicke 
ganz ſchwindet, mag beweiſen, wie wenig wir die Gegenſtaͤnde in 


dee Regel gewahr werden, die nicht. in der wo. des Auges liegen 


6 149) 


8.158. Wir haben bisher faft nur das Licht in Einfiche des 
bloßen Leuchtens beachtet. Aber auch für die beſondern Mobifica- 
tionen des Lichtes, die wir Farben nennen, hat das Yuge Em: 
pfindung,,- obgleich nicht jedes Auge in diefer Hinficht gleich ſcharf 
iſt und manche Augen die Farben wenig unterfcheiden. Am haͤu⸗ 
’ figften find unter diefen wohl folhe, die die, feinern Schattirungen 
zwiſchen blau und roth nicht unterfcheiden. Seltener find die Fälle, 
wo Augen nur einzelne Farben unterfcheiden Eönnen, in Mann 
ſah im Regenbogen blos: blau und gelb, ein Knabe unterfchied blos 
roth, gelb und purpur; ja man hat Perſonen beobachtet, fuͤr die 
es gar keine Farben gab, obgleich fie hell und dunkel ſehr wohl un: 
terfcheiden Eonnten. Sie hatten blos Empfindung für das Leuchten 
des Lichtes, und die ganze Natur muß ihnen erſchienen Vegas. wie 
eine mit Tuſch gezeichnete Landſchaft. 


So wit än zu helles Licht Unfähigkeit zu fehen erzeugt, fo 
macht der Eindrud einer ſehr lebhaften Farbe, da das Auge auf 
‚ eine Zeit lang die Fähigkeit diefe Farbe zu empfinden verliert, und 
88 fieht num im weißen ober ungefärbten Lichte die entgegengefegte 
Farbe, Nach Betrachtung eines glänzend rothen Gegenftandes 
fieht das Auge auf einem weißen Papiere einen grünen Fleck von 
demfelben Umfange. Gelb erzeugt auf diefelbe Weife Violet, Blau 
Drange, Schwarz ein glänzendes Weiß. Aus der Phyſik ift aber 
bekannt, dag Roth und Grin, Gelb und Violet, Blau und Oran⸗ 
ge zufammen weißes Licht geben. - Das Auge zerlegt gleihfam wie 
ein Priema das weiße Licht und empfindet die eine Mobdification 
des Lichtes nicht, fonbern fieht nur die andern Farben, ie die erſte⸗ 
xe zum weißen Lichte ergänzen, 


x 


— 


— 243 — 


$. 159. Das Auge iſt uns ber Spiegel für die geſamm⸗ 

te Außenwelt, und der Außenwelt dient er als Spiegel unferer Sees 
le. Schon im Anfange der vorigen Vorlefung haben wir ung däts 
auf aufmerkſam gemacht, wie der Glanz des Auges auf eine uner⸗ 
klaͤrbare Weiſe ſich verändert und der Ausdruck unfers innerſten Les 
bens wird, Es iſt aber nicht blos dieſes Leuchten aus dem Augs 
apfel feldft, auch fein: ganze Stellung und feine Umgebungen ers 
leiden fo mannigfache Veraͤnderungen nach unſerm Gemuͤthszuſtan⸗ 
de, daß ſie die ſprechendſten Zeugen unſrer Leidenſchaften werden. 
Das Drehen des Augapfels nach dem aͤußern Augenwinkel druͤckt 
Verachtung aus, das Aufrichten deſſelben nach oben läßt uns ſtille 
Sehnſucht erkennen, das Herabſenken des obern Augenliedes zeigt 
Beſchaͤmung oder Beſcheidenheit an, das Aufziehen deſſelben, fo. 
daß das Weiße über dem Augenftern fichtbar wird, iſt der Ausdrud 
der Verwunderung, oder, wenn die Stirn ſich zugleicy runzelt, des 


Zornes; die Trauer preßt einen reichlihern Erguß von Thränen 


aus, Doch, wer von uns Tieft nicht täglich in den Augen feiner 
Nebenmenfchen! Es wäre überflüffig, hier eine Anleitung dazu 
. zu geben. Wir wollen nur auf die innige Verbindung aufmerkfam 
machen, in welcher das Auge mit der Hirnthäsigkeit fteht. — Ob 
gleich e8 mit dem übrigen Körper weniger eng zufanimenhängt, fo 
nimmt es dod) an deffen Wohl= und Uebelbefinden Antheil, Wie 
oft ziehen Krämpfe die Augenmusteln in Mitleidenfhaft! Merk: 
würdig iſt es, daß befonders der Zuſtand der Verdauungsorgane 
auf das Auge Einfluß Hat, Wie trübe wird der Blick bei Unters 
leibsbeſchwerden! 8 | 


Dagegen ift dad Auge nicht das einzige Organ von ung, auf 
welches das Licht Einfluß hat. Der ganze Körper erfährt diefen 
Einflug. Alle Berrichtungen deffelben werden lebendiger durch das 
Licht. Bei Mangel am Licht wird der Körper bleih, aufgebunfen 
und träge. Der Blinde bebarf diefes wohlthaͤtigen Lebenshauches 
zu feinem Wohlbefinden eben fo wohl, als der Sehende. 


$. 160. Ich kann den Vortrag Über das Auge und feine 
Verrichtungen nicht ſchließen, ohme einige Lehren über die Schos 
nung und Behandlung diefes koͤſtlichen Organes hinzuzufügen, — 
das leider nur zu leicht duch unvernänftige rg, Schaden 
I 





ohren kann aka dann a auf die födnften Se reuben un» 

ers Lebens Verzicht zu leiſten. Man ſollte recht viele Sorgfalt 
die Erhaltung defjelben « ‚wenden, aber man verfäumt fie nur gu oft, 
da das Auge uns erſt dann an die erlittenen Gewaltihaͤtigkeiten er⸗ 
innert/ wenn es in der Regel zu ſpaͤt iſt. Nur kurz wollen wir 
. hiereinige Hauptregein zuſammen faſſen, * ek t u | 
ae und ſchon A HARD aufgehalten, ne m AN br Ne | 

5 an: — * "erg — 
"Bine ——— —9 if e, das Kuge nicht zu fie 
———— Durch fortgeſetzte angeſtrengte Thaͤtigkeit muß auch 
das beſte Auge leiden, und es iſt hohe Zeit, — Ruhe au rd 
wenn es uns de Schmerʒ daran erinnert. 








Het IB a %; Br. 
EN: Bin 
‚ir 


duyag! Ein zweiter Rath von: — geringerem m Geeiäte ide, das 
"Zunge vor zu raſchem Wechfel i in der Stärke des Lichtes zu bewahren, 
Die Natur hat: uns in der Dämmerung: einen, Mint gegeben, für 
den allmaͤhligen Uebergang aus einem ſchwachen Lichte in ein ſtarkes 
Lit. Stuben, welche zu einer Zeit des Tages ſehr hell, zu einer 
andern fehe dunkel find, haben ſchon viele: Augenuͤbel erzeugt. Auf: 
dem fchnellen Wechfel einer größern und geringern Helligkeit ſcheint 
auch der Nachtheil zu beruhen, den fladernde Kichte auf das Auge 
haben. Der raſche Wechſel des Lichtes. kann aber nicht blos eintre⸗ 
ten in der Zeit, ſondern auch im Raume. So iſt es ſehr ſchaͤlich 
fürt das Auge, wenn in demſelben Zimmer ‚ein Kaum: ſtark erleuch⸗ | 





er | Ei: ifk, und der andere wenig oder gar nicht. Aus dieſem Grunde 


ſind diejenigen Licht⸗ und Lampenſchirme ganzı zu verwerfen, wels 
che alles Licht blos auf den Schreibtiſch ſammeln und es vom uͤbri⸗ 
| gen Dimmer völlig. abhalten, ‚Man brauche: eutweder gar einen 
ſolchen Schiem „oder, ‚wenn man ihn gebrauchen will, um das un⸗ 
. mittelbare Auffallen eines hellen Lampenlichtes auf das Auge zu ver⸗ 
hindern, welches alferdings, wenn die Lampe ‚nahe ſteht, fuͤr viele 
Augen zu ſtark iſt, *ſo ſey der Schirm klein, etwa eine bloße 
— um n nur das Auge zu verhden,; ot wenn — 





RL. N 
N f u N —2 


9 'Tienn ich won meinem Zuge auf frembe Augen ſchließen BE r Siem 
ni Arbeiten bei Licht eine "einfache oder ae eh Kerze viel’ Wohle) er ht 
eine Lampe, befonderd die Urgandf Di Zampe, bie mir pie ne Hug 
glänzend iM Indeſſen muß in ren ne ag IR Ka Fuge We 
Tragen, 
\ 





Pt N 


— 8 — TEEN, } 


Ban *E Hals raten, nicht innen F— 
Dreh einen bedeutenden Theit des Lichtes durhläßt, 4. B. 


; 
| 


e 


aus gen gefärbten Papier, oder aus grünem Taft verfertigt, Die 
ne find um fo Thädlicher, je mehr fie auf der innern Fla⸗ 
1, kiht gegen bie — — u, f w veflectiven 
ea ET TE Re ar 

Das Auge vederf/ wer & kleinere Geeitiub⸗ deutlich 1 

Hen fol, eines inlaͤnglichen Lichtes; allein zu viel wird ihm auch 
fchaͤdlich So iſt es bekannt, daß das Sehen auf eine Flaͤche, die 
von der Sonne unmittelbar erleuchtet wird, dem Auge ſehr ſchadet. 
Auch gegen Licht, welches von glaͤnzenden Flaͤchen oder einer wei⸗ 
gen Wand refleclirt wird, find die meiften Augen empfindlich. Das 
Erſtere erfahren die Arbeiter in Metall und die Kupferſtecher. Das 
von weißen Wänden benachbarter Häufer durch das Fenſter auf den 






Arbeitstiſch zuruͤkgeworfene Licht, beſonders wenn bie Wände 
"unmittelbar von der Sonne befchienen werden, hat Thon überaus ‘ 


viel Menfchen, und befonders Gelehrte, blind gemacht. “ — Man 
bemerkt ferner, daß das Auge mehr angegriffen wird, wenn des 
Arbeitstiſch von vorn, als wenn er von der Seite beleuchtet wird. 


Der Örund mag entweder darin liegen, dag das "Auge eine feitliche 
‚Beleuchtung beffer vertraͤft, als eine, die unmittelbar durch die 


Pupille auf den Boden der Netz haut dringt/ oder darin, daß es dent “ 


Auge fchader, wenn es durch die Augenlieder hindurch don einem 


| ſtarken Lichte beleuchtet wird. Auf die nachtheiligen Wirkungen 
des durch die Augenlieder dringenden Lichtes führen auch manche 


andere Erfahrungen. So wirkt es auf manche Augen unguͤnſtig, 


wenn während des Schlafes das Tageslicht ſie erreicht. Faͤllt aber 


EEE 


ſtatt des einfachen Zageslichtes der Sonnenfchein einem Schlafenden 
auf das Geſicht, * leiden wohl ser Augen F oder bein vo 
* Einſluß. 


Porfonen mit empfinbtiehen Augen’ verſichern auch, baß * 
die Verbindung von Tageslicht und Kerzenlicht ſeht beſchwetlich fal⸗ 





* ——— —J— biefer * findet man Mm: Abams, Br und ei BE 


berg über einige wichtige Piligten gegen bie L. — herausgegeben 0% 


” ömmerzi fi 
| Een gar {ehr einpiedte RR 00 OR WERNER — 


; ’ — RT J — na 


— 246 — 


le. Es waͤre alſo rathſam, nicht eher ſich des kuͤnſtlichen Lichtes zu 
bedienen, als bis das Tageslicht ſehr abgenommen hat, oder, wenn 
doch das erſtere ſchon im Anfange der Dämmerung gebraucht wer— 
den ſoll, den Reſt des Tageslichtes durch Fenſterladen abzuhalten. 


Eben ſo ſchaͤdlich iſt es, bei ſehr geringem Lichte das Auge 
vom Auffaffen Eleinever —— brauchen zu ol; 


Dagegen ift das pair Bar dem Auge immer wohlthätig, 
„wenn es ruhen kann. 


Bei ERS Arbeiten, die ein Nahefehen fordern, ift es 
raͤthlich, in Paufen das Auge auf fernere Gegenſtaͤnde zu richten, 
und bei irgend einer Anlage zur Kurzfichtigkeit, befonders aber in 
der Jugend, die £leinern Gegenftände, wie das zu leſende Buch oder 
das zu befchreibende Papier, fo weit ald möglich vom Auge zu hals 
ten. In der Seitenlage, nod mehr aber in den Nüdenlagen lefen 
zu. wollen, if ſehr ſchaͤdlich. 

Für Kurzfichtige und MWeitfichtige habe ich ſchon hie und da 
einen Rath eingeſtreut, und ich wiederhole nur noch, daß die Aus 
gengläfer forgfältig gewählt und beide Augen damit zugleich verſe⸗ 
‘hen werden muͤſſen. Dieſe Augenglaͤſer muͤſſen ſo nahe als moͤg⸗ 

lich vor dem Auge ſtehen, weil fie dann weniger verkleinern und 
vergrößern, und bürfen nicht mit einem breiten Rande eingefaßt 
ſeyn, damit das Auge nicht in einem engen Naume helle und dunfs 
fe Stellert zugleich fehe. Die Gläfer müffen regelmäßig gefchliffen 
und gleihförmig hell ohne Streifen und Schrammen feyn. Die 
grünen fogenannten Gonfervationsbrillen helfen den meiften Augen 
nichts, fondern fehaden, weil fie allen nicht grünen Gegenftänden 
eine fhmusige Farbe geben, und das Auge fi mehr anftrengen 
muß, die getrübten Bilder ber Gegenftände zu unterſcheiden. Noch 

ſchaͤdlicher find Brilfen, in denen die Gläfer in Röhren eingefaßt 
find, da fie erfiens die Gläfer weit vom Auge entfernen, und zweis 
tens die Ausdünftung zurüdhalten, wodurch das Auge ſtets in eis 
nem erfchlaffenden Dunſtbade bleibt. Dadurch wird nun das Aus 
ge immer empfindlicher und bedarf immer mehr einer Abhaltung 
von der äußern Luft, “Auch von ben Eleinen länglichen Gläslein 


— — 247 rn 
Über und unter benen das Auge wegfehen kann, iſt nis au hal⸗ 
ten. Sie können nur ſchaden. 


Gefunden Augen ift ed wohlthätig, wenn man fie Morgens 
mit kaltem Waffer waͤſcht. Für Eranke Augen kann ich aber Fein 
allgemeines Heilmittel angeben, fondern es ift immer raͤthlich, fich 
bald an einen verfländigen Arzt zu wenden. Selbſt das Mafchen 
mit kaltem Waffer ift kranken Augen nicht i immer .. und zu: 
weilen fehr nachtheilig, | s 


en” 
rt Dreizehnte Borlefung. | 
22 2 bb u 


— 














$. 161. 


| 
Den zweiten Pag in der Reihe der Sinne nimmt das Gehör. 
ein, Wir wollen hier wieder den Bau des Organes zuerſt betrach⸗ 
ten und dann zu ſeiner Function uͤbergehen. 


Das Organ für das Gehör iſt bekanntlich das Ohr. Man 
kann in ihm drei Hauptabtheilungen unterfheiden, das Außere 
Ohr, zur Aufnahme des Schalles, das mittlere, Ohr ober 
die Trommelhöhle, zur Fortpflanzung des Schalles auf die dritte 
weſentlichſte Abtheilung, das innere Ohr, oder das Laby- 
rinth. Ale 3 Theile liegen nahe zufammen, und die beiden 
— ſi ind eingeſchloſſen im Felſenbein. 


6. 162. Das aͤußere Ohr iſt an die Schlaͤfe angebefe 
tet. Man unterfcheidet an ihm zuvörberft einen nittlern Theil, 
der eine muldenförmige Vertiefung bildet, die Mufchel (Con- 
cha) genannt, und einen umgebenden Rand. Der außerfte Theil 
biefes Randes iſt aufgeworfen und heißt die Leiſte (Helix), 





*9 


(af. vill; &in, r.b). Dei Anfang ber Leiſte iR in der Hufe; 
‚von to aus fie ſich nach oben und hinten biegt. : Bon der Reifte 
wird eine zweite Vorragung, bie Gegenleifte (Anthelix) (e, 
eingefchloffen, bie nad) oben fi fih in zwei Schenkel theilt, und buch 
eine Furche von der Leiſte getrennt if. : Die Gegenteifte Läuft oben 
in zwei Schenkel aus, zwiſchen denen eine kahnfoͤrmige | 
Grube if, unten verliert fie fih in eine kleine Vorragung (d), 
welche die Gegenede (Antitragus) heißt: Det Gegenedie ges 
genüber vor bem. Eingange in das Ohr liegt die Ede (Tragus) 
fe), von der Gegenede duch einen rundlichen Ausſchnitt geſchie⸗ 
ben. Unter beiden iſt das Ohrlaͤppchen (Lobulus) (f). 
Die Muſ Hel (8): hat ihren Namen von der mufchelförmigen 
Vertiefung. Im Boden der Mufchel, etwas nad vom, ift ein 
tiefer Gang, ber dußere Gehörgang (a), bemerkbar, wel: 
| ar etwas gekruͤmmt tief nach innen Ya 


Das Rakete Ohr wird mit genannten n Rändern und 
Berkisfungen faft ganz von einem. Knorpel gebildet, der nur mit 
Haut bekleidet iſt. In der zweiten Figur der Vlliten Tafel fehen 

wir dieſen Knorpel fuͤr ſich abgebildet, und bemerken, daß er uns 
beinahe ganz bie Form des aͤußern Ohrs wieder giebt; nur fehlt 
ihm das Ohrlaͤppchen, welches aus Haut und dem unter ihr liegen⸗ 
den Zellgewebe beſteht, und weicher u als ‚bie — 
BI des Ohrs. 


An den Ohrknorpel ſetzen J mehrere Dustein am. ‚Einer | 
(a) kommt von oben aus der Schläfengegend und befeflige fih an 
ben, oben Theil des Ohrs. Er heißt.der Anfzieher des | 
| Ohrs, iſt bei weitem groͤßer als die andern, beſonders mehr aus⸗ 
gedehnt, indeſſen iſt er doch nur duͤnn. Man ſieht ihm in dee Abe 
bildung auf.der Villten Tafel nicht fo vollftändig als Taf. IU, Sig. 
ı umd Big. 2. bei 4. Ein Anzieher des Ohrs (B) kommt von 
der Gegend des Jochbogens, und zwei oder drei Zürüdzieher (7, 6) 
vom Zitzenfortſatze des Schläfenbeins. "Alle liegen oberflählih und 
‚haben ihren Urſpeung in ber Haut. Außer ihnen giebt es noch ei⸗ 
nige ganz kleine, aber doch verhaͤltnißmaͤßig nicht ſo duͤnne Mus: 
Pen, welche mit beiden Enden am Ohrknorpel feftfigen, und bie- 
“ fen in ſich ſeibſt kruͤmmen und biegen müßten, wenn fie wirken. 


* 





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Mei Po ſicht eich — Leiſte M&,'6), einin’ an —* 


9— — — an FR en, (9. ware vet —X 
108% PETER: ’ 

—— eifiheknörgit —*— Bien ‚inte Sehdegäng —* a 3* 
det den Anfang deſſelben. Dieſer erſte Theil wird davon etwas un⸗ 
paſſenb der knorplige Gehoͤrgaug genannt. Der tiefere Theil des 
Ganges wird ganz vom Schlaͤfenbein gebildet. Sie werden ihn 
leicht an jedem Schaͤdel finden. Man nennt ihn den Enöchernen 


\ Gehoͤrgang, muß ihn aber nicht als einen befondern, vielmehr nur- 


— al r 


als die Fortfegung des knorpligen Gangesvanfehen. Der ganze 
Gehoͤrgang kruͤmmt ſich zweimat, da er zuerſt etwas nach hinten 
und dann wieder nach vorn geht. Indem die Haut, die das aͤuße⸗ 
re Ohr bekleidet, ſich nach innen: zieht, um aud die Wandı'des 
Gehoͤrganges zu bekleiden, veraͤndert ſie ihre Natur, wird duͤnner 
und ſondert aus kleinen Hoͤhlungen eine ſchmierige bittre Fluͤſſigkeit 
aus, welche hellgelb iſt, allmaͤhlig aber dunkler wird und durch 
Austrocknung zu einer feſten Maſſe erhaͤrtet. Hundert Theile die⸗ 
ſes Ohrenſchmalzes beſtehen aus 62,5 eines braunen Bits 
terartigen Oels, und 37,5 Eyweiß, das Waſſer ungerechnet; wel⸗ 
ches aulmaͤhlig verdunſtet· Das Ohrenſchmalz mag den Gehoͤrgang 
und das im Boden deſſelben befindliche Trommelfell vor eindringen⸗ 
dem Staube und andern fremden Koͤrpern bewahren Denſelben 
Nuͤtzen haben kleine Haͤrchen, die am Eingange des Ganges ſich 


finden, Wenn eine zu große Menge ausgetrodueten Ohrenſchmal⸗ 


zes im Gehörgange liegt, fo wird fie fehr häufig eine Veranlaſſung 
= Somerhorigteit, indem ſi ſie die Einsicuung auf das Trommel⸗ y 

rag eh —R 
Pi De: X | 


> 
g 
1 * 


rg: g 163% Der mittlere She des Ohts oder bie he ms _ 
meihs hle (Cavitas tympani), iſt von ſehr geringem Umfange; 


Er bildet naͤmlich eine kleine Hoͤhle im Felſenbein, welche nach au⸗ 


en zu, durch eine ausgeſpannte Haut, das Trom melfell oder 
Paukenfell (Membrarmı tympani), von dem aͤußern Gehoͤr⸗ 
gange getrennt iſt. Nach innen ſtoͤßt ſie an das Labyrinth, iſt 


aber nicht im ganzen Umfange verſchloſſen, ſondern communieirt 


durch die Euſtachiſche Roͤhre mir der Rachenhoͤhle; nach hinten ſteht 


Ee außerdem mit kleinen Knochenzellen in offener Verbindung, die 


Heim Innern des. zisenförmigen Knodyenfortfages vom Schlafdein 


\ 
v 


— 250 — 


befinden. Rechnet man dieſe Verlaͤngerungen ab, ſo iſt die eigent⸗ 
liche Trommelhoͤhle ſehr eng; ſie mißt kaum in irgend einer Rich— 
tung 3% Linien. Dennoch umſchließt fie eine Reihe von kleinen 
Knoͤchelchen, Hammer, Ambos und Steigbügel ‚genannt, von 
denen der erfle in das Zrommelfell eingewachfen ift und der legte 
auf eine Oeffnung ftößt, die in das Labyrinth * Wir wol⸗ 
len dieſe Theile einzeln DRIN, 


Das Trommelfell, ein dünnes, rundliches Häutchen, 

iſt fehief im Boden des Außen Gehörganges ausgefpannt, Es 
ſteht nämlich diefe Haut mit dem innern Rande tiefer und mit dem 
äußern höher und ift zugleich gegen den Gehörgang etwas concav, 
gegen die Trommelhöhle alfo conver. Bon der Stellung des Trom- 
melfells wird unfere dritte Abbildung die befte Vorftellung geben. 
Sn h ift der äußere Gehörgang und fchief gegen ihn fteht das Trom⸗ 
melfell i. Sein äußerer Umfang iſt angefügt an einen knoͤchernen 
Ring k, der freilich nur in der früheften Kindheit ſelbſtſtaͤndig iſt, 
bald aber zu dem knoͤchernen Gehoͤrgange ſich entwickelt und mit 
dem Schlaͤfenbein zu einem Ganzen verwaͤchſt. In dem Trommel⸗ 
fell laſſen ſich drei Schichten unterſcheiden. Die mittlere iſt das 
Trommelfell ſelbſt. Sie iſt ziemlich feſt und ich moͤchte ſie fuͤr eine 
ſehnige Haut halten. Indeſſen will man bei recht großen Thieren, 
wie beim Elephanten und Wallfiſche, bemerkt haben, daß ſie aus 
Muskelfaſern beſteht. Beim Menſchen find wenigſtens dieſe Mus: 
kelfaſern nicht erkennbar. Nach außen wird fie von einer dünnen 
Haut uͤberzogen, welche das letzte Ende der aͤußern Haut iſt, die 
den aͤußern Gehoͤrgang bekleidet. Nach innen hat ſie einen andern 
Ueberzug, welcher einen Theil einer noch zartern Haut bildet, die 
den ganzen Umfang der Trommelhoͤhle uͤberzieht und durch die zu 
beſchreibende Euſtachiſche Roͤhre mit der Schleimhaut des Racheuns 
zuſammenhaͤngt. Wie alle Schleimhaͤute, deren Natur wir bei den 
Verdauungs-Organen kennen lernen werden, ſondert auch die Haut 
der Trommelhoͤhle unaufhoͤrlich eine waͤßrig⸗ſchleimige Fluͤſſigkeit 
ab, welche durch die Euſtachiſche Roͤhre abfließt. 


Das groͤßte unter den Gehoͤrknoͤchelchen iſt der Hammer 
(Malleus). Man fieht ihn in dig. 5 einzeln, in den Figuren 3 
und 4 aber im Bufammenhange mit andern Xheilen. Das eine 


— 251 — 


Ende dieſes — iſt verduͤnnt (i) und heißt der Seiff, das 
andere Ende, der Kopf (m), ift verdidt. Aus der Mitte 
trite sein langer, fehr Dünner Fortſatz (1): hewor, und in 
der Nähe deſſelben ift ein ganz kurzer. Der Griff des Hammers ift 
in das Trommelfell eingewachſen, fo daß einerfeits durch Bewegung 
des Zrommelfelld der Hammer bewegt wird, umgekehrt aber auch 
durch Bewegung des Hammers das Trommelfell mehr oder weniger 
gefpannt wird. Es ift nun ferner der lange Fortfag in eine Furche 
des Schläfenbeing eingefügt, feft genug, um nicht auszufallen, aber 
doch nicht fo feſt, daß der Hammer fich nicht etwas hin und her bes 
wegen könnte; denn in der That ragt ein Theil: des langen Forts 
fages aus der Furche hervor. An den Hammer ſetzen ſich 2 bis 3. 
ganz kleine Muskeln an, bei weiten bie Eleinften des ganzen Körpers. 
Der eine heißt der Spanner des Trommelfells, meil 
er bei Eu Wirkung den Griff des Hammers nach innen zieht, wor 
durch fi die Wölbung des Trommelfells verflärft, und diefe Haut 
alfo mehr gefpannt wird (Fig. 4, k). Ein anderer befeftige fih an 
ven langen Zortfag des Hammers, kann diefen nach vorn ziehen 
und man glaubt gewöhnlich, daß er dadurch das Trommelfell fla— 
cher zu machen im Stande ift, oder es erfchlafft, wie man fi) aus: 
drüdt. Zuweilen iſt noch ein dritter da (W), der vom obern Ran⸗ 
de der Trommelhoͤhle kommt und fi fih an den Griff des Hammers 
befeftigt. Er Liegt fo, daß er diefen Griff nach außen zieht und 
dadurch) das Trommelfell flacher macht. _ Sehr oft fehlt er aber, 


- 7: Der Ambos (Incus‘) hat faft die Geftalt eines Baden: 
zahns (m in den Figuren 3, 4. 5.). Der mittlere Theil zeigt eis 
ne vertiefte Gelenfflähye (m!) , in welcher der Kopf des Hammers, 
durch eine Gelenkkapſel gehalten, liegt. Von diefem Körper gehen 
‘zwei Sortfäße ab. Der eine ift kürzer (Fig. 5.n) und an die 
Wand der Trommelhoͤhle durch ein Band angeheftetz ein anderer 
längerer Fortſatz (n?) liegt frei in der Trommelhoͤhle, und zwar 
parallel mit dem Hammer. Um Ende deffelben ift ein Eleines 
Knoͤpfchen, welches zuweilen getrennt ift, und dann das Linſen— 
beinchen oder der rundlihe Knochen des Sylvius 
(mad) einem alten Anatomen): genannt wird. Zaͤhlt man’ biefen 


Knochen für fih, fo beläuft ſich die Zahl der Gehoͤrknoͤchelchen auf 
vier, 


\ 





% ai Steigbige ” (Stapes‘) Führe feinen EEE m 
tem Rechte," denn er hat ganz diefe Geftalt. Er endet in ine 
zundliche Platte, der Fußtritt (oT), "auf ‚welcher ein Bügel mit 2 
Schenkeln aufſitzt, und auf der Mitte dieſes Buͤgels fi fieht man ein 
Eleines Knöpfen. , Sn Fig. 5 fehen wir bei o den. Steigbügel von 
der Seite beiroF aber den Fußtritt von unten. Der Tange Fort 





ſatz des Amboſes berührt den Knopf des Steigbügeld und der Zu - 
tritt defjelben ſtoͤßt auf eine Deffnung im knoͤchernen Theil des ins | 
nen Ohrs, welche das epförmige Fenſter genannt wird. Ein be— 
ſonderer Eleiner Muskel, aus einer Höhle des Schläfenbeins kom. 


mend ſetzt ſi ſich an den Knopf des ‚Steigbügels und fheint bei fei⸗ 


ner Wirkung den Steigbügel: ein wenig — das — —— se 


hinein — * koͤnnen. 





ae Yo 57 


Man # eht aus bem ———— baß die — n Tr 





kndͤchelchen am einander flogen, und daß alfo eine Erfchlitterung, 
welche vom Trommelfell aus auf den Hammer wirkt, fortgepflanzt 


wird bie zum eyrumden Senfter; denn Eeiner der Knochen ift fo 


feſt verwachſen, daß er nicht ein wenig hin und her ſchwingen koͤnn⸗ A) 
"ge. Sie find jedoch duch) Bänder genug befefligt, um nicht bei Be⸗ 


wegungen ganz ihre Stelle zu verlieren.” Auch verwaͤchſt in ſpaͤtern 


. Sahren der: lange Fortſatz des Rainer mit dem hen ir VATER 
me. er urſprinueh liegt. ASS 


‚Die oft * Enfagifge —— die a 
trompete iſt ein Kanal, der aus der Zeommelhöhle in die Ra⸗ 


chenhoͤhle geht. Man ſieht diefe. Nöhre in ber sten Fig. beis. Zu⸗ 


voͤrderſt ift in der knoͤchernen Wandung der Trommelhoͤhle eine uns 
regelmaͤßige Oeffnung, und an dieſe iſt ein trompetenfoͤrmiger Knor⸗ 
pel angeſetzt, der ſich allmaͤhlich erweitert, und ſich an einer Skelle 
ausmuͤndet, die hinter der Naſe liegt, etwas uͤber dem weichen 


Gaumen (Vergleiche Fig.” 9 derſelben Tafel bi Der 
Kaum, in welhem hinten Mundhöhle und Nafenhöhle zuſammenſto⸗ 


Gen, wird die Rachenhoͤhle genannt. Auf der Graͤnze zwifchen der eiz 


gentlichen Rachenh oͤhle und Naſenhoͤhle iſt eben bie Deffiung der 

N Ohrtrompete Die Schleimhaut der Rachenhoͤhle zieht ſich durch 
dieſen Kanal, wie wir ſchon fagten, in die Trommelhoͤhle hinein. 
So weit ſie die Euſtachiſche Roͤhre bekleidet, iſt ſie noch ziemlich 


* — 253 — 


dick, ——7 — Veſchafenheit der Soleimhdute Sie 
entzuͤndet ſich haͤufig, beſonders nach Verkaͤltungen, wobei fie denn 
zuweilen ſo anſchwillt, daß die Communication zwifchen Trommel⸗ 
Höhle und Rachenhoͤhle unterbrochen wird. Eine Folge davon iſt 
Schwerhoͤrigkeit, ‚weil die Feuchtigkeit der Trommelföhte nicht abe 
fliegen Tann, ſondern die Höhle ausfällt. Die Verſtopfung bee 


Odhrtrompete kann bleibend werben und. bleibende Harthoͤrigkeit er⸗ 


geugen; ein Uebel, welches die Aerzte duch Einfprügungen in 
die Deffnung der Trompete zu heben ſuchen. Die verſteckte Lage 


dieſer Deffaung Be: es nur nen —* eine — dort 
— en Hu: 


ai hr 
D * 


ee 6 Deri irinete it bes Ohres if nicht. viel größer 
* den mittlere, und wird von den vielen gewundenen Gängen, 
die er enthaͤltt, das Labyrinth genannt. Es find dieſe Gaͤn⸗ 
ge von einer uͤberall geſchloſſenen Haut ausgefüllt ‚welche Waſſer 
enthält, und an welche bie Gehoͤrnerven treten, Aue häutigen Gänge: 
und Höhlen: ſind aber wieder von. einer. eben fo geformten Enöchernen 


Kapſel eingeſchloſſen, welche im Foͤtus um das häutige Labyrinth ſich 


bildet. Aumaͤhlig waͤchſt das Felſenbein immer mehr an, um⸗ 
ſchließt das knoͤcherne Labyrinth (ſo nennt man die Knochenkapſel, 
die das haͤutige Labyrinth umgiebt), und verwaͤchſt vollſtaͤndig mit 


ihm, fo daß im erwachſenen Menſchen das knoͤcherne Labyrinth mit 
dem Felſenbein voͤllig eins ift, und nur eine Hoͤhlung des Felſen⸗ 

beins ausmacht. Das knoͤcherne Labyrinth ſehen wir fuͤr ſich dar⸗ 
geſtellt in Sig: 6 und in Fig. 3.1. Sonift ed eigentlich nur darſtell⸗ 


bar im, Foͤtus und in ganz jungen Kindern, wo das Felfenbein noch 
weich. iſt und ſich wegſchneiden laͤßt. Im Erwachſenen aber find die 
Graͤnzen, wie aus dem Vorigen erhellt, nicht mehr ſo ſcharf anzu⸗ 


geben. In dem Labyrinthe laſſen ſich drei Theile unterſcheiden, 


* Beh bie: Bogmigänge * die Sqchnece — — 


we J ER „ Der Borhof (Vestibulum) fe eine Feine 
Hoͤhle/ did an bie Trommeihoͤhle anſtoͤßt, jedoch mit ihrer Höhe 
lung nicht communicirt ; wohl aber mit der Höhlung der Schnede 
und der Bogengaͤnge. Das haͤutige Labyrinth nämlich iſt voͤllig 
geichieden won der Trommelhoͤhle. In dem knoͤchernen Labyrinthe 
if da, wo es den Vorhof bildet, eine laͤngliche Lüde, das vorher 


‚erwähnte eyrunde Senfter ( Fenestra ovalis), in welchem eine duͤn⸗ 
ne Haut ausgeſpannt iſt, auf der wieder der Fußtritt des Steigbuͤ⸗ 


gels ruht (6.163). (Big. 6. u). Das häutige Labyrinth bils 


det im Vorhof eine fadförmige Ertveiterung, die man bei x in Fig. 
8 fieht, wo das Labyrinth ſtark vergrößert und geöffnet "abgebildet 
if. In diefen münden die häutigen Bogengänge ein, Außer ihnen 
iſt noch ein kleiner geſchloſſener Sad im Vorhof. 


$ 266.4: Die Bogengänge oder halbzirkelför- _ 
mig en Kanäle (Canales 5emicirculares) find drei an der 
Zahl, jeder aus einem ſtark — Kanal beftehend. Der ei⸗ 
ne p! liegt nach oben, der andere p? nach hinten, und ber dritte 
- pe nad) außen. Jeder haͤngt durch zwei Schenkel mit dem Vorhof 
zuſammen, jedoch muͤnden ſich zwei Schenkei der beiden erſten Ka⸗ 
naͤle gemeinſchaftlich, ſo daß nur 5 Oeffnungen im Vorhofe find. 
Der Anfangstheil der Schenkel iſt merklich zu Blafen ( Ampullae) 
(2, y) erweitert. Durch die 5 Oeffnungen ziehen ſich haͤutige Roͤh— 
ren aus dem Sacke des Vorhofs, ſo daß in den Bogengaͤngen 
wiederum das haͤutige Labyrinth ganz die Form des knoͤchernen hat. 

⸗* 

86167. Der dritte Theil des Labyrinthes hat vollkommen 
die Geftalt einer Schnede, wie fein Name: andeutet, Die Spige 
diefer Schnede ift ein wenig nad) unten gekehrt‘ (vergleiche Fig. 3). 
Sie bildet drittehalb Windungen, die um eine mittlere Säule, die 
Spindel, herumlaufen. Diefe Säule, die wir in der 7ten 
Figur, einem ſtark vergrößerten Durchſchnitte der knoͤchernen Schnes 
de, in der Mitte fehen, ift hohl. Wir fehenin der eben genann⸗ 
ten Abbildung innerhalb jeder Windung ein knoͤchernes Blatt, wel⸗ 
ches fark in die Windung hineinragt (w). Es durchſchneidet 
nicht die ganze Windung, fo daß die Enöcherne Schnecke nur Einen 
fortlaufenden gewundenen Gang bildet. Allein die Haut, die bie 
Schneckenhoͤhlung auskleidet, iſt völlig in zwei über einander lie- 
gende Gänge getheilt, welche an diefem Enöchernen Spiralblatt an 
einander ſtoßen, und oben an der Spige der Spindel ſich mit ein- 
‘ander verbinden. Die häutige Schnede alfo befieht aus zweien 
über einander liegenden und gemeinfd,aftlic) fih windenden Gän- 
gen oder Treppen. Nur der eine von diefen Gängen, der 
naͤmlich, welcher der Spitze der Schnecke vo. ift, mündet fi in 


{ BERN: 255 — — 


den Vorhof, der andere findet ſein Ende am runden Fenſter, in 
welchem aber auch eine Haut ausgeſpannt iſt (Tympanum 
secundarium), fo daß immer die offene Communication zwiſchen 
dem häutigen Labyrinth und der Trommelhoͤhle gehemmt iſt. Die 
obere Treppe muͤndet aber offen in den Vorhof, wie denn uͤberhaupt 
die einzelnen Abſchnitte des haͤutigen Labyrinths unter einander zu⸗ 
fammenhaͤngen. Das haͤutige Labyrinth iſt mit einer waͤßrigen 
Fluͤſſigkeit angefuͤllt. Auf beſonderm Wege kann das Waſſer, wel 
ches das Labyrinth anfuͤllt, abfließen. Aus dem Vorhof naͤmlich 
und aus der Schnecke gehen durch die Knochenmaſſe hindurch zwei 
aͤußerſt enge Kanäle, die man Waſſerleitungen nennt, in die Blut⸗ 
leiter der harten Hirnhaut, Sie können — **— das — in das 
Venenblut fuͤhren. 


$. 168. Endlich werden wie nach den Nerven des Ohrs 
fragen müffen. Wie im Auge, fo müffen wir auch hier den eis 
gentlihen Sinnesnerven, oder den für das Auffaffen der Eindrüde 
des Schalles beftimmten Nerven, von den Hülfsnerven unterfheis _ 
den, Jener iſt der Hörnerve oder das achte Paar der Hirnnerven. 
Er tritt gemeinfchaftlih mit dem ten Nervenpaare in eine Deff: 
nung, die man auf der innern Fläche des Felfenbeins von der Schä= 
delhoͤhle aus fieht, und etwas unfchiclich den innern Gehörgang 
nennt (Taf. VI. Fig. 3. 8). Auf dem Boden diefer Grube 
trennt fich das fiebente Nervenpaar, um durch einen befondern Ka⸗ 
nal des FSelfenbeins zu gehen. : Der Hörnerve aber geht nur in 
das Labyrinth. - Der Boden des innern Gehörgangs ift in das Las 
byrinth eingefenkt zwifchen Schnede und Vorhof, fo daß der Nerve 
nicht weitzu gehen hat. Er theilt fi in 2 Aefte. Der eine (Taf, 
VII. Sig. 8. A) dringt in den Vorhof, und zwar geht er an bie 
Säde des Vorhofes und an die blafenförmigen Erweiterungen ber 
Bogengänge, So wie der Sehnerve fi im Auge zur Neghaut 
ausbreitet, fo breitet fi dee Dörnerve auf der innen Fläche des 
häutigen Vorhofs und der Erweiterungen der VBogengänge aus, 
nachdem er vorher auf der aͤußern Fläche der blafigen Erweiterungen 
ſich gefledptartig verzweigt hat. Im mweitern Verlaufe des Bogen⸗ 
gänge iſt der Nerve nicht zu erkennen. ° Der zweite Hauptaft geht 
in den Boben der Schnecke. Die Art feiner Verbreitung ift hier 
fehr fonderbar, Zuvoͤrderſt find alle feine Fäden etwas um einan- 


blatt aufhörtz.feinen Lauf zwiſchen den beiden zuſammenſtoß enden 


⸗ 


Er tritt in die Spindel der Schnecke ein. "Nun muß man wiſſen, 


daß in dem knoͤchernen Spiralblatte, welches, wie wir fruͤher ſa⸗ 
hen, in: die Windungen der Schnecke hineinragt, eine unzählige 


Menge hoͤchſt feiner Kanäle, ſich findet, ‚die in der Fläche des Blat⸗ 


tes liegen, fordaß fie mit seinem Ende ſich in die Spindeliöffnen, 
und mit dem andern Ende nach dem freien Rande bes Spiralblatts. 


Hat man Einbildungskraft genug, um ſich bie: Spindel vecht groß 


‚genug zu denken, fo daß ein Menſch darin ſtehen Eönnte, und "bes 
haͤlt man alle Verhaͤltniſſe der Schnede im Auge, ſo wird man 
leicht einſehen, daß die innern Oeffnungen der Kanaͤle des Spiral⸗ 
blattes dem Beobachter im Innern der Spindel als eine aufſteigende 

- Spirallinie bildend erfcheinen müßten. In jede diefer Deffnungen . 

ſchickt der Nerve einen Faden ab, welcher durch den entfprechenden 


der RER fo daß der ganze Nerve einem gebtehten Seite ige | 


— 


Knochenkanal des Spiralblattes laͤuft, und da, wo das Spiral⸗ 


haͤutigen Gaͤngen fortſetzt, um ſich ohne Zweifel zuletzt in dieſe 
Gaͤnge zu verlieren. Da die Weite der Schneckenwindungen im⸗ 
mer abnimmt ſo ſind natuͤrlich die zuletzt abgehenden Nervenfaͤden 


viel groͤßer als die erſten, und man kann die ganze Reihe von Ner⸗ 


venfaͤden in Hinſicht ihrer Laͤnge mit den Saiten eines een 


dens vergleichen, ber —— — —— 
in Sie. 8⸗ — ko A en ' 


— * 
in . r ” mar 2. J JE 


Bon dei Sätfonersin ie eng, zu —— — die rom 


| — laͤuft ein zarter Nerve, welcher als duͤnner Faden zwiſchen 


dem ſiebenten und achten Nervenpaare aus dem Hirne tritt, den 


liegt, hat er den Namen der Paukenfelle Saite erhalten. 
Er iſt es aber nicht, dem das Trommelfell ſeine Empfindung ver⸗ 


danktz denn er giebt ihm keine Aeſte, ſondern ſteht nur mit ſehr 
kleinen Aeſtchen in Verbindung mit den Nerven des Trommelfells. 
Indeſſen find einige Phyſiologen geneigt zu glauben, daß doch die 


Erſchuͤtterungen des Trommelfells auf ihn einwirken, da er ziemlich 


dicht hinter ihm verläuft; eine Vermuthung bie nicht viel Wahr⸗ 


ſcheinlichkeit hat, da wir ſonſt kein Beiſpiel kennen, daß ein Ner⸗ 


ve die Minen: bader un: ſeitliche mechaniſche —— | 
gen 


erſtern Merven in feinem. Knochenkanale begleitet, dann aber ſcharf 
umbiegt und durch die Trommelhoͤhle laͤuft. Weil er hier ganz frei 


gen erregt zu werben. Ueberdies hat das Trommelfell noch feine 
befondern Nerven, die vom Zten Aft des fünften Paars fommen. 
Diefer Aſt, fo wie der Antlignerve und einige Dalsnerven, geben _ 
auch dem Augen Ohr Zweige. Wie der Augapfel, fo erhaͤlt auch 
das innere Ohr fein Blut aus Hitnarterien, und zwar nicht aus der 
innern Garotis, Tauben aus der Berʒweigung der Wirbelſchlag⸗ 
be, 


| $. 169. Das Gehör befteht in der Fähigkeit den Schall 

zu empfinden. Schall heift aber der Eindrud, den ein in feinem 
Innern in Schwingungen gerathener Körper auf unfer Ohr macht, 
Der Sprachgebrauch legt uns hier eine Feffi! auf, indem er diefen 
Zuſtand der innern Bewegung eines Körpers nur in fo fern Schall 
nennt, als er auf uns den mis. diefem Worte bezeichneten Ein= 
druck macht. Man gebraucht alfo den Ausdrud Schall nurin 
fubjectiver Bedeutung. . Die Phyfiker find genöthigt, baffelbe 
Wort, da ein anderes fehlt, auch in objectiver Bedeutung anzus 
wenden, um den Zuftand der Dinge außer ung bamit zu bezeichnen, 
der in unferm Ohr bie Schallempfindung erregt. Wir wollen ih— 
nen darin folgen. 


Wenn ein Körper gegen einen andern Bert with, fo kann 
der Anſtoß entweder den geſtoßenen Koͤrper ganz aus ſeiner Stelle 
bewegen oder blos einzelne Theile ſeiner Maſſe aus der Lage gegen 
die andern treiben. Nach der Verſchiedenheit des Stoßes, der Maſ— 
ſe und Subſtanz des bewegten ſowohl, als des ruhenden Koͤrpers, 
und nach dem Grade und der Art der Befeſtigung des letztern, wird 
dieſer bald mehr in eine allgemeine Ortsbewegung ber ganzen Mafs 
fe, bald mehr in eine innere Bewegung feiner Theile verfegt wer: 
den, oder es werben beide Bewegungen zugleich eintreten. Eine 
innere Bewegung der einzelnen Theile muß nach jedem Stoß oder 
Driud mehr oder weniger Statt finden, aber nicht immer eine Orte: 
bewegung. Letztere ift daher auch ſtets mit erflerer verbunden, nicht 
aber bie innere Bewegung ber einzelnen Theile immer mit einer 
Drtöbewegung. — «Wenn in einem Körper gar Fein Streben waͤ⸗ 
ze, die .gegenfeitige Lage feiner einzelnen Theile zu erhalten, fo. 
wuͤrde die Bewegung derfelben nur ihre Verfchiebung zur Folge ha⸗ 
"ben, und damit aufhören, In fo fern ein Körper aber elaflifch iſt, 

Ä 17 | 


—R 
| : 


d. h. in fo fern man in ihm ein Streben bemerkt, die urfprängliche 
Lage feiner Theile mit einer gewiffen Kraft wieder herzuftellen, ent 
- fteht in ihm eine Bewegung ber aus ber Lage gedrängten Theile zu 
ihrer urfprünglichen Stelle. Vermoͤge der: dabei erhaltenen Ge⸗ 
ſchwindigkeit gehen fie noch über die urfprünglihe Stelle hinaus. 
So entſteht eine erfte Schwingung, bie nothwendig wieder eine 
zweite erzeugt, Go würde es unaufhörlich fortgehen, wenn der 
"Körper vollkommen elaftifh wäre, Dieſe innere ſchwingende Be⸗ 
wegung eines Koͤrpers zur Wiederherſtellung der gegenſeitigen Lage 
ſeiner Theile iſt es, welche in unſerm Ohr die Empfindung des 
Schalles erregt. Sie iſt der Schall in bblectiver Hinſi re 
Kein Körper iſt vollkommen elaftif keinem fehlt aber auch 
die Elaſticitaͤt gaͤnzlich. Es iſt daher keiner ganz unfähig zu ſchal⸗ 
Der objective Schall iſt nicht immer mit einem ſubjecti⸗ 
ven Schall fuͤr uns verbunden. Eine ſehr ſchwache innere Schwin⸗ 
gung iſt uns naͤmlich nicht hoͤrbar. Daher kommt es, daß wir nicht 
immer einen Schall hören, wenn ein Körper von einem andern be: 
vühet wird, obgleich jedesmal Schwingungen in ihm entftehen müf: 
fen. — Zuweilen find aber die Schwingungen lebhaft und ſtark 
genug, um mit dem Auge gefehen und mit der Hand gefühlt zu 
werden, und dennoch hören wir nichts. Dann find die Schwingun: 
gen nicht ſchnell genug, Man hat nämlich gefunden, daß wenig⸗ 
ſtens 30 Schwingungen in einer Secunde erfolgen müffen, um von 
unſerm Ohr als Schall empfunden zu werben, Ueber die größte Zahl 
von Schwingungen, | die für unfer Ohr noch hörbar find, ift die 
Meinung det. Beobathter getheilt, Nach Chladni ift eine Orgel: 
pfeife von Yrs Fuß Länge wohl kaum unterfcheidbar, ine. fols 
che Pfeife AM über 16000 Sqwingungen in einer Secunde. 


Ein fallender Körper ſchwingt nach allen Richtungen ar 
auch nicht allen — gleich ſtark) und ſetzt durch ſeine 


* BE — 





* ni pfle eden nur diejenigen, Säreinguhoen, bie wir hören , für Shatr gelten 
en, und die uͤnhoͤrbaren nicht. Indeſſen giebt” es zwifchen "beiden 
— weſentlichen Unterſchied. Waͤre unſer Ohr empfindlicher, ſo muͤß⸗ 
—* wir uͤberall Schall hoͤren. — Eine ſchwach geſpannte Schaut kann 
— durch Anſchlagen in Schwingungen verſetzen, die dad Ohr nicht hoͤrt 
vͤber das Auge ſieht und zählt. Wird die Schnur mehr gefpannt, fo fängt — 
Re an zu Bine: ie Schwingungen find aber nicht mehr: zahlb ar 


J 


erzitternde Dberfihe‘ bie anftogenden Körper in Sqwingungen, 
die den Schall nach ihrer Feſtigkeit und Elaſticitaͤt, uͤberhaupt nach. 
Ihrer ganzen Anlage zu fchallen, in fich wiederholen, Diefe Er: 
ſcheinung nennt man Fortpflanzung des Schalles. Sie erfolgt nach 
allen Richtungen im Raume durch feſte und fluͤſſige Koͤrper. Das 
gewoͤhnliche Medium der Fortpflanzung‘ des Schalles bis zu uns 
ferm Ohr iſt die Luft, die das Gefchäft um fo beffer verrichtet, je 
elaſtiſcher, und, was damit zufammenhängt,: je dichter fie ift, und 
jerweniger freie Dünfte ſie enthaͤlt. Feſte Koͤrper, wenn fie die 
gehörige Elafticität haben, mer aber den ae noch * 
* als die Luft. oe re * 


Die — * ſelenden * nennt man Schau⸗ 
wellen und die Richtung der Fortpflanzung des Schalles, Schall: 
ſtrahlen. Da eine Schyallwelle immer die fie umgebende Luftſchicht 
in Schwingungen fegt, fo find die Schallſtrahlen ſenkrecht auf dem 
Scyaltwellen. In der Luft find, wenn ſich Feine äußere Begräns 
zung oder ſonſt kein Hindernif fi findet, die Schallwellen 2: Linie hi 2 
und bie — —— bie see, —— 


Sue die Schallwelle auf. — eine —— ſo birkt * X 
Verhaͤltniß des Umfangs derſelben auf fie ein. Die Einwirkung 
der Schallwelle auf die Flaͤche, an welche ſie ſtoͤßt, verhält ſich of⸗ 

fenbar zur ganzen Kraft des Schalles wie der Kegel von Schall⸗ 
ſtrahlen, der auf die Ebene‘ (die wir und vorläufig Freisförmig den— 
Een) trifft, zu der ganzen Kugel dev Schallwelle, Die Spitze bes 
Kegels liegt in dem: Punkte, von dem der Schall ausgeht... Man 
ſieht Teiche ein, daß dieſelbe Fläche eine um deſto größere Einwirs 
Fung vom Schalle erfährt, je ſenkrechter die Schalfftrahlen auf fie 
falten, weit der Steahlenkegel um fo größer ift, je weniger ſchief 
der Finfolewinfei der Schallſtrahlen iſt. 


- Eine ſolche Faͤte if das aͤußere Ohr. Bevor wir aber zu 
dieſem uͤbergehen, wollen wir noch einen Blick auf die Modificatio— 
nen des Schalles werfen. Vorher bemerke ich auch noch, daß eine 
Flaͤche die Schallwellen unter eben dem Mintel zuruͤck wirft, unter 
dem fie auffallen, und zwar um fo vollſtaͤndiger, je elaftifchet fie 
iſt. Sie wirkt alſo auf.den Schall. wie bie hu. * das 

ı7* 


|’ 


— 260 v 


Licht." Deshalb kann auch der Schall durch Flachen ve von alle 
Krümmung gefammelt werden, wie in den Hörröhren und andern 
Werkzeugen. Der wefentlichfte Unterfchied befteht darin, "daß für 
das Zuruͤckwerfen ber Schallwellen die Glätte meniger nothwendig 
Ar als für das Meflectiven des Lichtes. Ja, oft find es mehrere 
einzelne, nicht einmal zufammenhängende Eleine Flächen, die gemein- 
ſchaftlich den Schall zuruͤckwerfen. Es hat alfo das Anſehn, als 
ob es nicht ſowohl die Körper, denen die Flaͤchen angehoͤren, als 
die vor ihnen zuſammengepreßte Luftfchicht ift, die die Schallwellen 
zur uͤkwirft. Daß durch das Zuruͤckwerfen ber Schall aus einem 
größern Umfang in einen Eleinen gefammelt werben kann wenn die 
veflectirenden Flächen 55 gebaut ſi * wie in Hoͤrrͤhren, 
erinnere ich nur. | 


n N; J 
Na 


Wir — eine —— große Mannigfaltigkeit be Sat: 


(68 und die Sprache ift fehr reich an Wörtern zur Bezeichnung dies 


fer verſchiedenen Modificationen..* ' Der Sprachgebrauch hat hier 


— 


m 





I z 


, * 65 wird meinen Lefern vielleicht nicht unangenehm ſeyn wenn wir Bier ei⸗ 


ont 


1% 


ne Eleine — jedo bei weiten nid 8* vollſtaͤndige — Ueberſicht von Aus⸗ 
druͤcken, die fuͤr die verſchiedenen Säle m Deutfchen gebraucht werben, 
> Hinzufügen, . um bie oben ſtehende Behauptung von ber Reichhaltigteit, 1 der 
Sprache für dieſe Sphäre der EIRERONUAR — zu ag a 


a Allgemeine Wörter für den Shall, 


—* 


— — 


Churren Knaſftern Kniſtern Knattern. Knuittern.! 
Knarren. Knracken. Klappern. Klappen. MET Kla t⸗ 


Shall. Klang. Ton. Hall, MWiederhalk, Bersufg: a 
Eine Menge Beiwörter werben zur nähern Bezeichnung bes Schalls ge: 
braucht: Hoch, tief, Bell: dumpf, hohl— —— aim — 


dend iharf, laut, Te ife. 
. Befondere Arten von Schaͤllen 
a ‚Mauptfächtiä von lebloſen feften Körpetn hervorgebracht 


aſſeln. Praffeln. Schnarren. Schnurren. Harren. 


fhen. Klingen Klingeln. Knirfyen. Klopfen. Kraden 
Rollen Rumpyeln Poltern Picken. Pickern Tiden 


'Zieern, Sänappen Shnippen Schrapen. Pohen _ 


b. Bon, — — Keane vom Baier hervorgebracht. | 


Zröpfeln. Platihen Patien, Orie fhern Hi E Tora. 
-Raufgen. Bıllern. Sarabele Prude 1% Pigmpen, Byat 
"Hiben Strullen. Blubbern 


Bon elaſtiſchen Flüffigkeiten,, von der Luft herootgenmaöt, 


“4 


a 
Yon: Deulen. Knurren. Murren Murtfen Eupamen: 


Braufen Saufen. Säufeln, Ballern. Donmern. FA 


Ten. Bifhem — — 7 Blappım ——— 


Duffen: 
— Laute, 


‚Welten. — Brren. — Wiehern. Mian: 
 Mädern Tuckern. Quaten Quwarsem, Duatfen AQuäls 


\ J 


j 
— DO 3 


- allein auf den Eindruck Rüde genommen, den anſer Dh: er⸗ 
leidet. Die Phyſiker ſahen ſich dagegen genoͤthigt, die Bedeutung 
einiger Ausdruͤcke genauer zu —— um gewiſſe Begriffe da⸗ 
* — Wr 


Einen Schall, der eine Zeit Tang gleichmäßig anbätt, hat 
man einen Klang genannt. Zur Hervorbeingung eines Klan⸗ 
ges wird eim Körper, der bedeutende Elaſticitaͤt hat und in feiner 
ganzen Maffe gleichartig ift, erfordert. Dem Klange völlig ent- 
gegengefegt ift das Geraͤuſch, das aus lauter ungleichartigen Schaͤl⸗ 
len ig * 

Mit dem Ausdrude ‚Stätte — — das anf ber 
Mirkfamkeit eines Schalled. Die Stärke ift abhängig: 
I. von der Größe des fallenden Körpers, 
‚2. don feiner größern oder geringern Fähigkeit zu — 
die aus feiner innern Beſchaffenheit und feiner Form her: 
‚ vorgeht, | 

3. von der Ausdehnung der Schwingungen, bie wieder von 
der Kraft des erregenden Stoßes abhängen. Je mehr ein 
ſchallender Koͤrper oder einzelne Theile deffelben aus ber 
Lage gebracht waren, um deſto ausgebehnter find die nad): 

folgenden Schwingungen. x 





— 


- fen) Duietes, Schnuͤffeln. Söhnuppern, Girren. 8wit⸗ 
ſchern. Kräben Kraͤchzen. Glucken. Gackeln. Gackern. 
Schnattern. Kollern. Kullern. 


e, Meñſchliche Laute, außer ben 3. in andern Rubriten vorkommenden 
uhſten. Prubiten. öbnen. Schnarchen. Scähnalzen, 
laden: Schluͤrfen. Krunffen Schluchſen Aechzen 

——— Schreien. Plärren Kreiſchen. Gingen Spre— 
Laden. Lifpeln Lallem ERROR gtüßern. Bis 
(wein, Kiechern. Jauchzen. Sobeln 


f. Manche Ausdruͤcke braucht man allein oder vorstati von mufitalifhen In⸗ 
ftrtumenten: als Klimpern. Dudeln. Flöten wuf.w 
Die Ueberſicht diefes —— — iſt uns — — dem Reihthum in 
mander andern Hinſicht wichtig. Wir werden baranf zuruͤckkommen, wenn 
im 2ten Theile vom Urfprunge ber Sprache bie Rebe feyn wird. Borläu: 
—*53 mache ich nur darauf aufmerkſam, daß, mit Ausnahme einiger Provin— 
= Außdrüde, wohl kaum zwei Wörter ganz einerlei. Bedeutung haben, 
0 verwandt diefe auch feyn mag, baß bei weitem bie meiften dem Schalle 
nad) gebildet find, ben fie bezeichnen, und daß fehr viele zugleich für den 
Act gebraucht werben, ber einen beffimmsen Schall herverbringt, wie 
Klo ‚ Klingeln, Rollen uw. f. w. , fo daß ed oft zweifelhaft iff, 06 ein 
er mit zu ven Bezeichnungen beä Schalles gezählt werben barf, oder 
J 


— 202 — 
Die Menge der Schwingungen in einer beſtimmten Zeit giebt 
ein ganz beſonderes Verhaͤltnißg, das wir, nach dem Eindruck auf 
unſer Ohr, hoch und tief zu bezeichnen pflegen, Ein Klang heißt in 

Bezug auf feine Höhe oder Tiefe ein. Ton, Der Ton, oder die 

Zahl der Schwingungen eines Körpers in beflimmter Zeit, hängt 

—* den Verhaͤltniſſen deſſelben, nicht von dem erregenden Stoße, 
Bei unregelmaͤßig geformten Koͤrpern iſt es ſchwer und meiſt 

ee mit Genauigkeit zu erforfchen, nach welchen Gefegen die 

Verhaͤltniſſe des fchallenden Körpers auf die Tonhöhe wirken, . 

= Defto beffer ift e8 bei tönenden Saiten und hohlen Röhren 

(3: B. Drgelpfeifen), wo die Luftſaͤule tönt, gelungen, Die Phy⸗ 

fie hat naͤmlich bewieſen, daß bei Saiten: 

a die Zahl der Schwingungen in einer beffimmten Beit (zB. 
einer Secunde) ſich verhalten umgekehrt wie die Längen 
der Saiten, umgekehrt wie bie Ducchmeffer der Saiten und 
direct wie die Quadratwurzeln ber fpannenden Kräfte, | 

Die Zahl der Schwingungen ift alfo um fo größer, ober der Ton 

um fo Höher, je kürzer und dünner bie KEN ift, und je mehr fie 
gefpannt wir. | ; — 


Bei Pfeifen verhält ſich die Zahl der Schwingungen (oder 
Höhe des Tons) mupgefehnt mie die Laͤnge der Pfeife. 


Wir werden dieſe Saͤtze bei Gelegenheit der menſchlichen 
Stimmorgane mehr in Anwendung bringen. Hier wurden ſie nur 
angeführt, um auf das mathematiſche Verhaͤltniß der Toͤne, mo: 
für das Ohr eine befondere Empfänglichkeit hat, in einem der fol 
genden Paragraphen aufmerkfam machen zu können, - 


6170, Wir haben genug vom Schall und von Tönen ges 
ſprochen. Es wird Zeit feyn, daß wir unterfuhen, melden Ein- 
druck fie auf das Ohr machen. — Wie wir fhon in anatomiſcher 
Hinſicht drei Abſchnitte im Ohr unterfchieden haben, fo können - 
wir fie auch in phyſiologiſcher Hinſicht unterfcheiden.. Der eine 
nimmt den Eindrud des Schalles auf, der andere leitet ihn fort und 
im inneen Ohr wird er für ung zur Empfindung. So viel ift ges 
wiß! Wollen wir aber die Vorgänge mehr ins Einzelne verfolgen, 


fo flogen wir auf ungeprune —— und auf elaen in uns 
ferer Extenninif. | —* - 


Diefe finden ſich fehon; wenn wir bie Beeictungen des dus 
fern Ohrs genauer unterſuchen. Gewiß iſt es, daß bie Schall 
ſtrahlen von ihm zuerft aufgenommen und dem Gehörgange zuge: 


leitet werden.‘ Aber welchen Zweck erfüllen die einzelnen Erhabens 


heiten und Vertiefungen, die Leiften und Furchen? Sie fehlen 


dem thierifchen Ohr faft allgemein. Im Ohre der Affen find jie 


noch zu erkennen, obgleich fie auch dort nicht mehr ſcharf ausgebil: 
bet find. Im Außern Ohr des Pferdes, des Rindes, der Katze, 
des Hafen fehen wir dagegen nur einen tutenförmigen Theil, der un: 
fere Ohrmuſchel * Leiſte und Gegenleiſte zu ſeyn ſcheint. 


Wirklich hat ein älterer Arzt behauptet, daß jeder nich: 
Theil unfers aͤußern Ohrs die Schallwellen, von welcher Seite fie 
auch kommen mögen, fo zurüdwirft, daß fie, entweder ſogleich 
oder nad mehrmaligem Zurüdwerfen in ben Gehörgang kommen. 


Er hatte das Ohr eines fcharfhörenden Mannes Fünftlich nachbilden 


laffen und will ſich an demfelben, indem er von allen Seiten Linien 


auf die Theile des Ohrs zog und unter demfelben Winkel wieder zu: 


® 


ruͤckgehen ließ, von der Wahrheit diefes Satzes überzeugt haben. 
Allein, es ift nicht möglich, daß die Leifte und die Fahnförmige 


Grube in den Gehörgang reflectiren. Dahin kann nur die Mufchel 


wirken, umd zwar vorzüglich für die von vorn und von unten kom⸗ 


menden Schallfirablen,, ferner die Ede für die von hinten, und bie 


Gegenecke Für die von oben kommenden Strahlen. Der von der. 


- Seite fommende Schall trifft die ganze Fläche des Ohrs. Die 
Leiſte, die Eahnförmige Grube und der obere Theil der Geaenleifte 


(der untere Theil derfelben bildet den Rand der Muſchel,) reflectis 


ren gewiß nicht in den Gehoͤrgang. Wir muͤßten fie für unnüs - 
anſehen, wenn wir nicht annehmen wollen, daß der ganze Ohrknor⸗ 


pel in leiſe Schwingungen geraͤth, was gar nicht unwahrſcheinlich 
iſt, ja fich auch leicht beweifen läßt. ‚Wenn man fi beide Ohren 
fo verffopft, dag man den Schlag einer Taſchenuhr, die in der Näs 


„he des Dhrs gehalten wird, nicht mehr vernimmt, fo fann man 


den Schlag berfeiben wieder hören, wenn man bie Uhr an den Ohr: - 
knorpel hält, Da Hier der Schal unmoͤglich durch die Luft in dem 


verftopften Gehoͤrgang geleitet werben Fann, fo folgt, daß der Ohr: 
Enorpel auch durch Vibrationen feiner eignen Maffe den Schalt fort: 
pflanzt. *. Warum er grade. diefe Kruͤmmungen hat, wird ſchwer⸗ 
lich durch die glaͤnzendſten Kortfchritte der Akuſtik jemals ausge 
mittele werden koͤnnen. Auch dürfen wir nicht allzu ängftlich den 
Nugen jedes Laͤppchens angeben wollen, fonft laufen wie Gefahr, 
der Natur Zwecke anzudichten, die ihr ganz fremd find. Ein Sta: 
liener Eönnte etwa fagen, das Ohrlaͤppchen iſt gefchaffen, um klei— 
ne Ringe darin zu tragen, und ein Neuſeelaͤnder wuͤrde behaupten, 
das Ohrlaͤppchen habe die Beſtimmung, einen tuͤchtigen Schiffsna—⸗ 
gel oder einen anſehnlichen Thierknochen aufzunehmen. Doch, im 
Ernſte geſprochen, der Naturforſcher uͤberzeugt ſich taͤglich, daß die 
Natur zwar nie etwas dem Zwecke eines Organs Zuwiderlaufendes 
bildet, daß aber oft Etwas vorkommt, was weniger unmittelbar 
dem Zwecke zu / entſprechen ſcheint, weil die Natur in allen ihren 
Bildungen eine gewiſſe Uebereinſtimmung beobachtet. So find die 
Formen von demſelben Organ in verſchiedenen Thieren gleichſam 
Variationen auf einerlei Thema, und Etwas, das in einem Thier 
einflußreich und wichtig erſcheint, fehlt in einem andern nicht ganz, 
kann aber bei den uͤbrigen Veraͤnderungen, die das Organ erleidet, 
wo nicht uͤberfluͤſſig, doch unweſentlich erſcheinen. So iſt es auch 
mit dem aͤußern Ohr. In den meiſten Saͤugethieren, namentlich 
in den eigentlichen Vierfuͤßern, iſt es eine lange Tute, welche vom 
Kopfe abſteht und ganz darauf berechnet iſt, die Schallſtrahlen wie 
durch ein Hoͤrrohr gegen den Gehoͤrgang zu ſammeln. Indem das 
Ohr ſich in Affen und Menſchen mehr flach an den Schaͤdel anlegt, 
faltet ſich ſein vorderer und oberer Rand, um ſi ich ebenfalls dem 
Schaͤdel mehr zu naͤhern. Dieſe Faltung iſt es, welche die kahn⸗ 
foͤrmige Grube und die Leiſte bildet. Wollten wir nun fragen, 
warum ſich das Ohr der Menſchen und Affen mehr an den Schaͤdel 
Test, fo würden wir ung nur in ein Mes von Fragen und ungenuͤgen⸗ 
den Antworten verlieren, die zu eroͤrtern Zeit und Raum hier 
nicht erlauben. So viel iſt klar, daß das menfchlihe Ohr den Schall 
‚nicht fo gut auffängt, als das Ohr der meiften Thiere, befonders 
derjenigen, für deren er es von der Brain Wichtigkeit 


/ 





. Bei dal und tauben Perfonen findet man nicht felten den Ohrknorpel fehr 
af. \ „ ; \ 


! 


| ift, bie geringften —— ber Luft zu erkennen. So iſt 


das aͤußere Ohr am meiſten entwickelt in den Fledermaͤufen die in 
naͤchtlichem Dunkel ihrer Beute nachgeben, und für die e8 eine 
größere Wohlthat ift, den leiſen Fluͤgelſchlag des Nachtſchmetter⸗ 
ngs zu vernehmen, als es ung ſeyn würde, wenn ſolche leiſe Be— 
wegungen auch auf uns einwirkten. Dagegen fehlt das aͤußere 


Ohr den Thieren, die im Waffer leben, wo die Schwingungen der 


Luft fie nicht erreichen Eönnen, wie den Seehunden, den MWallfi- 
fhen und eigentlichen Fiſchen. Ein inneres Ohr haben fie jedoch 

au, und da ed ſich Leicht erweifen Läßt, daß fie hören koͤnnen, fo 
muͤſſen fie wohl die Erſchuͤtterungen des Waſſers durch die Knochen 
des Kopfes empfinden. Eben fo ift es bei manchen Landthieren, 
3. B. bei den Schlangen, deren Gehör eben deshalb ein wenig 


Stumpf iſt. Den Schlangen und den eigentlichen Fiſchen fehlt übers 


dies auch das Trommelfell. Die Vögel: dagegen, die mit einem 
guten Gehör verfehen find, haben Trommelfell und Trommelhoͤhle, 


nebft einem kurzen Gehörgange — aber das . Dp fehlt auch 
ihnen, 


Wir koͤnnen daraus ſchließen, um aus dem * Gebiete 
der vergleichenden Anatomie wieder heimzukehren, daß das aͤußere 
Ohr, das nur den Saͤugethieren zukommt, wohl nicht der weſent⸗ 
lichſte Theil des Ohrs ſeyn kann, ſondern nur ein Huͤlfsorgan, ge— 
eignet den Schall aufzunehmen und zu ſammeln. Das finden wir 
auch durch die Erfahrung bei Menſchen beſtaͤtigt, die durch einen 


Zufall oder durch den Willen aſiatiſcher Despoten, wie jener be⸗ 
ruͤhmte Miniſter des Kaiſers von Japan im Wandsbecker Boten, 


ihren Ohrknorpel verloren haben. Sie werden nur fuͤr leiſere 


Schaͤlle unempfindlich. Ich kenne einen Mann, dem ein Saͤbel—⸗ 


hieb den obern Theil des aͤußern Ohrs geraubt hatte. Sein Gehoͤr 
hatte wenig dadurch gelitten. | 


So lange alfo das innere Ohr die gehörige Empfindlichkeit 
befist, Fann das Äußere Ohr allenfalls entbehrt werden; allein es 
| wird ſehr wichtig, wenn jenes ſtumpf wird — ja es reiht dann 


oft nicht einmal aus. Schwerhoͤrige pflegen wohl, um einen Spres 


chenden zu berfichen, die Leifte des Ohrs mit der Hand nad) vorn 
‚zu druͤcken, um die auffangende Fläche zu vergrößern, ı oder. die 


Rt 
v N 


— 266 — % 
* 
Hohlhand gleichſam als ein Schallgewoͤlbe an das Ohr anzuſetzen. 
Sie ſchaffen dadurch das menſchliche Ohr gleichſam in ein thieriſches 


um, Ein Hoͤrrohr iſt nichts weiter, als ein kuͤnſtliches, fuͤr das 


Sammeln der Schallſtrahlen vortheilhafter gebautes —— Ohr, 
das man in das gewoͤhnliche angeet 


| Die Thiere haben noch ben Vorzug, ihre Ohrmuſchel den 9 
Schallſtrahlen entgegen richten zu koͤnnen. Sie find zu dieſem 
Zwecke mit ganz anfehnlichen Muskeln begabt. Im Menfchen find 


die Muskeln, welche, vom Kopfe Eommend, fid) an das Ohr fegen, 


fo ſchwach, daß fie nur wenig wirken können. In der Ueberzeus 


gung, der Menſch werde in Feiner Hinſicht den Thieren nachſtehen, 
hat man ſich überredet, nur ber cultivirte Europäer habe aus Dan: 
gel an Uebung den Gebrauch feiner Ohrmuskeln verlernt, der Wil: 


de aber Eönne das Ohr bewegen. in Unbefangener fieht leicht ein, : 


daß, wenn wir eine nicht ganz unbedeutende Anlage zur Bewegung 
des Ohrs erhalten hätten, Eeine Gewohnheit und feine Kultur uns 


um die Uebung berfelben gebracht hätte. Sind wir auch nicht fo - 


viel in den Wäldern, als die Irokeſen, fo giebt e8 doch in unfern 
Stuben, von der Wiege an bis zum Sterbelager; genug zu hören 
‚und zu horchen. Jener Glaube hätte nur dann einiges Gewicht, 
wenn erwiefen werden Eönnte, daß die Ohrmuskeln nur für das 
Hören in der $erne gebraucht würden. Auch giebt es feine ſichere 
Erfahrung, daß die Wilden wirklich ihr Ohr mehr beivegen. Ue— 
berdies ift die Fähigkeit den Ohrknorpel hinauf und zuruͤck zu ziehen 
keineswegs fehr felten, ja man kann wohl behaupten, daß fie hau: 
fig iff, wenn man nicht, worauf e8 hier ankommt, nach einer 
felbftftändigen Bewegung der Ohrmuskeln fucht. Fordert man näm: 
lich eine große Anzahl Perfonen auf, das Ohr zu bewegen, fo wird 
man finden, daß wenigftens die Hälfte derfelben einige Bewegung 
hervorbringen Tann. Unter diefen find einige, bei denen die Be- 
wegung faft unmerktich ift, bei andern ift fie auffallender. Da fi 


aber die Kopfhaut immer mit bewegt, fo ift e8 ſchwer zu entfcheiden, 


ob das Ohr blos durch das Anfpannen der Kopfhaut, auf welche 
befondere Muskeln an der Stimm (Taf, II. Fig. 2 bei T) und am 


Hinterhaupt (Ebend. Fig. 1, 2). wirken, gerät werde, oder 
duch feine eigenen Muskeln. Ich glaube dreh wiederholte Vers 


ſuche mic) überzeugt zu haben, daß zwar die Muskeln der Kopf: 


— 


haut am meiften dabei thätig find, und bei vielen Perfonen bie 
Bewegung allein hervorbringen mögen, daß aber bei einigen wirk— 
lich das Ohr durch feine eigenen Muskeln bald mehr hinauf, bald 
mehr zuruͤck gezogen wird. Hiernach waͤren alfo die Ohrmus⸗ 
keln zwar nicht immer unthaͤtig, indeſſen bleiben fie doch immer 
unwirkſam. Sie können das äußere Ohr niht nad) dem Schalle 
hinrichten. Sie find. vielmehr ein fehr vedender Beleg für jenen 
früher ausgeſprochenen Sag, daß im Menfchen Theile vorfommen, 
die nur nach der Analogie anderer Thiere, für die fie wirklich Ber 
deutung haben, da find, im Menfchen aber Feine Wirkung ber- 
vorbringen, Noch viel weniger Wirffamkeit Bann man den Eleinen 
Muskeichen zufchreiben, die auf dem Ohrknorpel feibft liegen (Taf. 
VI. Fig. 2.5599) Man hat zwar behauptet, daß fie die 
‚einzelnen Theile des Knorpeld gegen einander anfpannten; man 
kann aber die Behauptung buch nichts erweifen. — 


X * 171. Nachdem der Schall gegen ben —— des 
fern Gehoͤrganges geſammelt worden iſt, pflanzt er ſich durch dieſe 
Roͤhre fort. Aus akuſtiſchen Verſuchen wiſſen wir, daß die Kruͤm⸗ 
mung einer gleichmäßigen Roͤhre auf den Schall felbit keinen Ein- 
flug ausübt. . Die Krümmungen des Gehörganges Fönnen wir hier 
alfo ganz unbeachtet lafjen, und ihren Zweck etwa darin fuchen, 
das Trommelfell mehr gegen.das Eindringen fremder Körper zu 
fhüsen, Der Schall muß das Trommelfell in Schwingungen vers 
fesen. Die Spannung des Trommelfels wird ohne Zweifel durch 
. bie. fleinen Muskeln, die ſich an die Gehörfnöchelchen fegen, ver⸗ 
aͤndert. Daruͤber ſind die Phyſiologen unter ſich einig. Schwerer 
iſt es aber zu entſcheiden, wie jeder einzelne Muskel wirkt, und in 
welchen Faͤllen ihre Wirkſamkeit hervottritt. ‚Davon weiter unten 
ein Mehreres, 


Das Teommelfell ift auch noch nicht der Theil‘ des Ohrs, in 
dem wir den Schall vernehmen. Sch will zwar nicht behaupten, 
daß wir von den Erfchätterungen des Zrommelfelld gar Eeine un: 
‚mittelbare Empfindung haben könnten 5; gewiß iſt fie aber nur 
hoͤchſt dunkel, und vielfaͤltige Erfahrungen beweiſen, daß wir nicht 
an diefer Stelle hoͤren, ja, daß das Trommelfell kein nothwendiges 
Organ für das Gehör iſt, ſondern nur ein Huͤlfsorgan, das ung 


4 


} N 268 — 
die Faͤhigkeit giebt, leiſere Schaͤlle zu vernehmen. Das Trommel: 
fell kann naͤmlich durchbohrt oder durch Eiterung ganz zerſtoͤrt wer⸗ 
den, ohne andere Folge als eine Schwerhoͤrigkeit, beſonders fuͤr 
entferntere Schaͤlle. Zuweilen zerreißt wohl ein ſehr ſtarker Schall 
dad Trommelfell, indeſſen ſcheinen daruͤber wirklich wenige bes 
ſtimmte Erfahrungen geſammelt zu ſeyn. Viel haͤufiger iſt es, 
daß nach einer Entzuͤndung im Innern des Ohrs der Eiter ſich durch 
das Trommelfell einen Weg nach außen bahnt. Solche Perſonen hoͤ⸗ 
von dann gewöhnlich einen plöglichen Schall im Ohr. Dieſe Zerſtoͤ⸗ 
zung ift ſo häufig, daß gewiß Jedermann unter feinen Bekannten 
einen Fall diefer Art finden wird. Sa, es ift fogar von einem 
Anatomen behauptet worden, daß das Trommelfell ohne fremde Ur—⸗ 
ſache, vermöge feiner erften Bildung, eine enge fpaltförmige Deff- 
nung habe, Diefe Behauptung ift jedoch irtig, wie man ſchon 
daraus fieht, daß nicht alle Menfchen den Tabaksrauch aus dem 
Munde zum Ohre hinaustreiben Eönnen, wie diejenigen zu thun 
im Stande find, deren Trommelfell ducchgeriffen ift und bei denen 
die Euſtachiſche Röhre nicht verfiopft, ſazen beſund um offen iſt. 


Jeder Ton bringt im Trommelfell eine befonbere Vibration 
‚hervor, die und, wenn wit fie beobachten Eönnten, eigenthümlihe 
— iguren zeigen wuͤrde. 


| Der Weg, duch welchen die Vibrationen des Trommelfels 
weiter wirken, kann ein doppelter ſeyn. Sie koͤnnen die Luft in 


+ ber Trommelhoͤhle in Schwingungen ſetzen und mittelbar durch dieſe 


die Haut des runden Fenfters der Schnede. Durch bie Haut. des 
runden Zenfters wird dann das Waffer in den Gängen der Schnede 
erſchuͤttert. Dieſer Weg zur Fortpflanzung des Schalls bis ins ins 
nere Ohr iſt ganz unläugbar. Allein der Schall Eönnte fi auch 
durch die Gehoͤrknoͤchelchen nach dem eyförmigen Fenfter und durch 
diefes in den Vorhof fortpflanzen. Gewoͤhnlich Halt man dieſe 
Fortleitung für die wefentlichfte. Da namlich) der Hammer mit 
feinem dünnen und langen‘ Fortfage in die knoͤcherne Wand der 
Trommelhoͤhle eingefügt ift, ſo kann der Übrige Theil des Ham⸗ 
mers, der Kopf und der Handgriff, auf dem langen Fortſatze wie 
auf einer elaftifchen Feder hin und her ſchwingen. Anden Schwin- 
gungen des Trommelfells nimmt der Handgriff duch feine Einfüs 


gung in baffelbe'unmittelbaren Anthei. Der Kopf des Hammers 
pflänzt die Erſchuͤtterung auf den Ambos fort und diefer durch fei- 


nen längern Fortfas und das daran. befeftigte Linfenbeindhen auf 


den Knopf des Steigbügels, der bei jeder Bewegung in das * 


ge Fenſter bineindehdt, 


Gegen diefe gewoͤhnliche Anficht laſſen ſich indeffen manche 
ſehr gewichtige Einwendungen machen. | 


Buvorderft Has man bemerkt, daß zumeilen durch Eiterung der 
Hammer mit dem Ambos: verloren geht, ohne die Fähigkeit zu hs 
ven aufzuheben. * Sie wird nur mittelmäßig geſchwaͤcht. Geht 
aber auch der Steigbügel verloren ſo erfolgt — weil * 
das —* aus dem — — x 


Ferner machen die neuern Phyfiologen darauf aufmerkfam, . 
daß eine Reihe von 3 —4 einzelnen Eleinen Knoͤchelchen viel wenis 
ger geeignet ift, einen Schall fortzupflanzen, ald es ein einzelner 
Knochen thun würde. Da man überdies am Hammer und am 
Steigbügel kleine Muskeln bemerkt, welche diefe Knochen bewegen 
£önnen, fo find einige Phyfiologen der Meinung, daß die Knochen 
mehr ald Hebel zur Anſpannung der Membranen wirken. Der 
Spanner des Trommelfells nämlich (fiehe oben $. 163) muß, da 
er von innen kommt und fih unterhalb des langen Kortfages an 


den: Anfang vom: Griff des Hammers feftfegt, dieſen nach innen: 
ziehn und dadurch zugleich das Trommelfell mehr anfpannen, 


Die andern Muskeln des Hammers, die indeffen nicht immer 


da find, Eönnten dagegen den Griff des Hammers nach außen bes 


wegen, und dadurch das Trommelfell flacher machen. Legteres, mein: 


te man bisher, erfolge, wenn die Fortpflanzung ſtarker Schälle ge 
mäßigt werben foll, Erfteres, wenn man auf ſchwache Schälfe horcht. 





— Sn „se Regel ift zwar eine ſpoͤter eintretende Taubheit ölge vom Verluſt 

eier Knochen, fo wie von einer fehr bebeutenden Berfiörung des Troms 

meets Da aber die Taubheit nicht fogleich eintritt, fo fiedt man hier⸗ 

aus nur, baf ber unmittelbare Zutritt der Äußern Luft” an bie innern Theile 

des Ohrs ne wirkt, daß aber zur Boclempfahung mwenigitend nicht 
alle Gehören ochelchen unumgänglid) nöthig find, 


\ 
4 * x — 


— — — — — 


Jetzt hat aber ein framzoͤſi ſcher Naturforſcher, nach Verſuchen uͤber 
ſchallende Membranen das Gegentheil behauptet. Eine ſtark ge⸗ 
ſpannte Membran ſoll durch den Schall in ſchwaͤchere Vibrationen 
gerathen, als eine ſchwach geſpannte. Hiernach nimmt er an, das 
Trommelfell werde mehr geſpannt, wenn ein ſtarker Schall gemid» 
Bigt tuerben fell, ‚und werde flacher bei leiſern Tönen, 3 

3 Muskat des Steigbuͤgels iſt fo geſtellt daß er bei feinen 
Contractionen dieſen Knochen in das eyfoͤrmige Fenſter hinein druͤckt. 
Die Phyſiologen, welche den Gehoͤtknoͤchelchen die Beſtimmung, den 
Schalt fortzupflanzen, abſprechen, glauben nun, daß der Steigbuͤ—⸗ 
gel in den Vorhof hinein gedruͤckt werde, ſey es durch die ganze Rei⸗ 
he der Gehoͤrknoͤchelchen oder durch ſeinen eignen Muskel allein, um 
die Erzitterungen des Waſſers im Labyrinthe gleich nach empfange⸗ 
nem Eindrucke des Schalles durch das runde Fenſter aufhoͤren zu 
machen, damit der Schalleindruck nicht durch die nachfolgenden Er: 
zitterungen getruͤbt werde Ob es zur ſcharfen Auffaſſung des 
Schalles nothwendig iſt, daß die erregte Vibration. des Labyrinth⸗ 
waſſers gedaͤmpft werde, wage ich nicht zu beſtimmen. Ueberhaupt 
habe ich hier nur einige der noch nicht geloͤßten Zweifel erhoben, 
um zu zeigen, wie unſicher unſre Theorie des Gehoͤrs noch iſt. Es 
war viel vom Glauben und wenig vom Wiſſen die Rede. 1 


Die * der Trommelhoͤhle kann ſich bei den —— Vibra⸗ 
tionen etwas in die Zellen des warzenfoͤrmigen Fortſatzes vertheilen, 
vorzuͤglich findet ſie aber durch die Euſtachiſche Roͤhre eine Commu⸗ 
nication mit der Rachenhoͤhle und hat in ihr einen Ausweg, wenn 
fie zu ſtark comprimirt ſeyn ſollte. Man ſchreibt auch der Euſta⸗ 
chiſchen Roͤhre den Nutzen zu, die ſchleimige Fluͤſſigkeit, die in der 
Trommelhoͤhle bereitet wird, abzuleiten, Allein, ſtuͤnde die Trom⸗ 
melhoͤhle nicht mit der Rachenhoͤhle in offener Verbindung, fo wür- 

de fie wahrfcheinlich gar nicht. von einer Schleimhaut bekleidet ſeyn 
und keinen Schleim bereiten. Wichtiger ift auf jeden Fall die Com: 
munication der Luft in der Trommelhöhle mit der aͤußern. So hat 
zuweilen bei Verſtopfung der Euſtachiſchen Roͤhre eine Durchbohrung 
des Trommelfells oder des warzenfoͤrmigen Fortſatzes, wenigſtens 
für einige Zeit, das Gehör wieder hergeſtellt. Merkwuͤrdig iſt es, 
daß bei Leiden der Trompete, auch wenn ſie nicht verſtopft wird, 


— 271 —— 


das Gehör verloren gehen kann. Ein Hauptzweck⸗ ber Ohrtrompete 
Scheint überdies darin zu beftehen, den Schall der eigenen Stimme 
in die Trommelhöhle zu leiten. So hört man, wenn man mit 
den Fingern fich beide Gehörgänge verftopft, dennoch feine eigene 
Stimme fehr deutlich. Diefes Hören Eönnte allerdings auch durch 
die Schädelfnodhen vermittelt werden, wie wir bald fehen werden; 
allein die vergleichende Anatomie giebt ung für die Meinung, daß 
man vermittelft der Euſtachiſchen Röhre unmittelbar fich felbft hört, 
. einige Gründe, Nur diejenigen Thiere, die eine Stimme hervor: 
zubringen im Stande find, haben eine Euſtachiſche Röhre, und 
zwar iſt fie bei allen mit dem einen Ende gegen den Kehlkopf und 
mit dem andern gegen das Trommelfell gerichtet, x 


 & 172. Wenn fi fhon.im mittleren Ohr fo viele Zweifel 
fuͤr eine beftimmte phyfiologifche Deutung der einzelnen. Theile fine 
den, fo mehren ſich diefe noch im innern Ohr. Es ift nicht bloß - 
dem Namen nad ein Labyrinth. für die Pppfiologen. Nicht bes 
zweifelt darf e8 werben, daß das Waffer des Labyrinthes durch fortz 
gepflanzten Schall von det Trommelhöhle aus, entweder blos duch 
das runde Fenſter oder auch zugleich duch das eyförmige Fenſter, in 
Schwingungen verfegt wird. Mit Grund Fann man annehmen, 
daß die von dem Waffer des Labyrinthes befpühlten Enden des Hörs 
nerven die Bewegung des Waſſers percipiren, und daß eben in der 
‘ Aufnahme dieſes Eindruckes die Empfindung des Hörens: begründet 
iſt. Aber zu welchem Zwecke alle diefe gekruͤmmten Bogengänge, 
dieſe beiden gewundenen Gänge der Schnede, diefe Säde des Vor: 
hofs und diefe Ampullen, diefe Wafferleitungen? Warum haben’ 
fie. diefe und feine andere Geſtalt? Mit Sicherheit Eönnen wir 
folhe Fragen nicht beantworten, da der innere Theil des Ohrs den 
Derfuhen faft ganz entzogen iſt. Indeſſen will ic Einiges-anfühs 
ren, was ſich aus dem Bau dieſer Theile beim Menſchen ſelbſt, 
oder nach Anleitung der vergleichenden Anatomie, mit einiger Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit ſchließen laͤßt. 


| Am offenkundigſten iſt wohl der Nutzen ber Waſſerleitungen. 
Sie koͤnnen das Waſſer aus der Schnecke und dem Vorhofe ablei— 
ten, wenn es durch den Druck von beiden ſo genannten Fenſtern 


* —* 
» 


ſtark comprimirt ehe ſollte.* Waſſer laͤßt ſich auch durch den 
ſtaͤrkſten Druck nicht ſehr comprimiren. Es wuͤrde alſo gegen die 
Nerven preſſen, wenn es nicht Auswege faͤnde. — 


Wir wiſſen aus dem fruͤher Geſagten, daß im Innern der 
Schnecke zwei Gaͤnge uͤber einander laufen, daß der obere Gang 
ſich in den Vorhof einmuͤndet und der untere auf das runde Fenſter 
ſtoͤßt. Die ſchallende Luft der Trommelhoͤhle wirkt alſo zunaͤchſt 

auf die Schnecke. Erinnern wir und nun, daß beide Gaͤnge buch 
ein Spiralblatt getrennt werden, ‚in welchem Nervenfäden mit im⸗ 
mer abnehmender Länge liegen, auf deren Enden die Erzitterungen 
des Waſſers einwirken, fo liegt der Gedanke nahe, daß die einzel: 
nen Nerven nach Verhältniß ihrer Länge der Höhe und Ziefe der Tö- 
ne entfprechen, daß etwa, fo wie Saiten von verfchiedener Länge 
geeignet find verfchiedene Töne hervorzubringen, auch Nerven von 
beftimmter Länge die verfchiedenen Toͤne zu unterfcheiden geſchickt 
find, Beweiſen läßt fich jedoch hier nichts und am menigften darf 
man annehmen, daß die Nerven in Schwingungen geriethen, wie 
die Saiten. Mag jene Anfiht immerhin Vermuthung bleiben, 
da wir nicht wiffen, wie ein Nervenfaden empfindet; fo viel ſcheint 
gewiß, daß wir die Modificationen des Schälfes mehe mit der 
Schnecke empfinden, mit den Bogengängen dagegen nur die Er⸗ 
ſchuͤtterung des Schalles überhaupt und vielleicht die Richtung deſ⸗ 
felben, Da den Fifchen ein dußered Ohr und ein Trommelfell ganz 
fehlt, fo müffen ſich die Schalfhwingungen des Waſſers durch die 
Schaͤdelknochen dem ganzen Kopfe des Fifches mittheilen und ſich 
auf diefe Weife den intern Gehörorganen mittheilen, Dieſe befte- 
ben aber nur aus Bogengängen, dem Vorhof und aewiffen Stein- 
fäden. Eine Schnede fehlt. Eben fo ift e8 mit den Schlangen, 
die mehr durch Erſchuͤtterung des Bodens ald duch die Luft hören, 
- Zein Trommelfel haben (mit Ausnahme der Blindſchleiche) und 
denen auch die Steinfäce fehlen. Je mehr ſich aber bei Vögeln 
und Säugethieren eine deutliche Trommelhöhle entwickelt, um deſto 
mehr bildet ſich auch eine Schnede aus. Der Maulwurf, dem fein 
| Wohn: 





⸗Eben biefed Teljte Abfliefen de& Mafferd macht 28 aber auch ameifeinaft, 06 


ver Steigbügel die Bellimmung haben kann, ald Dämpfer auf bie Schwin 
gungen des Labyrinthwaffers zu wirken, pfer auf die Schwin⸗ 


' 


4 
— 2753 — 
Wohnort in der Erde auch ſelten ſchallende Luft zufuͤhrt, der aber 
für die Erſchuͤtterungen in der Erde ſehr empfindlich iſt, hat die 
Natur zwar die Schnecke nicht ganz verſagt, die keinem Saͤuge— 
thiere fehlt, allein ſeine Bogengaͤnge ſind doch viel mehr entwickelt. 
Man kann alſo, wie geſagt, aus der Vergleichung der Hoͤrwerk⸗ 
zeuge folgern, daß die Bogengaͤnge beſtimmt find, die Erſchuͤtte⸗ 
rung des Schalles uͤberhaupt und zwar durch die Schaͤdelknochen 
aufzunehmen. Vielleicht empfinden ſie zugleich die Richtung. 
Wenigſtens iſt es merkwuͤrdig, daß bei allen Thieren, die Bogen⸗ 
Hänge haben, naͤmlich den Fifchen , Amphibien, Voͤgeln und Säu- 
gethieren, drei Bogengaͤnge auf jeder Seite des Kopfes find, die 
eine folche Stellung haben, daß, von welcher Seite auch der Schall 
kommen mag, er immer einen Bogengang ber Länge nad) und die 
andern der Queere nad) trifft, in dem Waſſer diefes Bogenganges 
alfo eine andere Art von Erfhütterung hervorbringen wird, als im 
den andern. | HiRTias ieh, 4 
$..273.. Aber hört denn auch dev Menfh duch Erſchuͤtte⸗ 
rung des Schädels? Allerdings! wenn man ſich beide Ohren mit. 
dem Fingern’ verfiopft; fo kann man einen laut Sprechenden noch 
recht wohl verſtehen. Man hört aber noch beffer mit den Schädelz 
fnochen , wenn ein fefter Leiter den fchallenden ‚Körper: mit dem, 
Schädel verbindet." Wenn man z.B. das eine Ende eines Linea⸗ 
les auf den Nefonanzboden eines Klaviers fegt und das: andere Ende’ 
mit den. Zähnen faßt, fo hört man die Töne bes Klaviers auch mit 
verflopften Ohren fehr laut. Diefe Erfahrung konnte wohl nie: 
ganz unbeachtet bleiben, fie iſt aber vorzüglich feit der Mitte desı 
‚vorigen Jahrhunderts vielfältig beſprochen worden, als ein tauber 
Mann zufällig mit einer Thonpfeife ein eben gefpieltes Inſtrument 
berührte und nicht wenig erftaunt war,. die. Mufik zu vernehmen. 
Der: Sohn, ein angehender Arzt, benuste diefe Beobachtung, ı um 
feinem Vater das Gehoͤr durch Fünftlihe Mittel wieder zu verſchaf⸗ 
- fon. Er ließ einen hölzernen Stab verfertigen, den der Vater 
zwifchen. ähnen hielt und gegen deſſen anderes Endeder Sohn 
ſprach· * erzählt auch von einer Frau, die ſich ihrem tau=- 





Ein bölgerner Stab iſt unbequem und wenig elegant. Ein Pariſer Arzt 
hat daher den Stab in eine Rohre von gefältiger Form verwandelt * 
ein Klarinetten Mundftüc angefegt, das der Schwerhoͤrige mit den Zaͤh⸗ 
nen faht, Die Sache iſt ganz diefelbe, : rer 
18 


F — 
* 


— — 274 — — CR > 


ben Manne nur derfländlich machen Eonnte, wenn fie gegen feinen 

Ellenbogen ſprach. Die Wahrheit diefer Erzählung will ich zwar 
nicht verbürgen, weil die Stelle nicht fehr vortheilhaftifb, da ber 
Weg vom Ellenbogen bis zum Schädel an mehreren Stellen von 
Gelenkkapſeln unterbrochen ift und auf jeden Fall die Beifpiele haͤu⸗ 
figer find, wo Frauen dem Manne ihren Willen * den eigenen 
Ellenbogen kund thun. 

Man hat neuerlich behaupten — diſe Hoͤren Neu den 
ganzen Kopf bei derftopften Ohren werde nicht durch die Schädels 
knochen vermittelt, fonbein der Antlignerve, beifen Gentralende 
nah an dem Hoͤrnerven Anliegt, habe die Faͤhigkeit die Schallein⸗ 
drüde mit feinen peripherifchen Enden aufzunehmen und fie dem 
Hoͤrnerven mitzutheilen. Daher fol es Eommen ‚ daß man mit 
verſtopften Ohren den Schlag einer Uhr nicht gleich gut buch alle 
Theile des Kopfes, an die man die Uhr hält, hören Fan, Diefe 
Meinung fheint Mir ganz ungegruͤndet; denn man hört den Schlag 
am beften, wenn die Uhr das Selfenbein berührt, alfo dem Ohre 
am naͤchſten ift, und der Schlag iſt wenig oder gar nicht hörbar, 
wenn bie Uhr die Wange oder die Lippen berührt, Theile, bie veich 
an Verziweigungen des Antlignerven find, Noch entfcheidender ift 
folgender Verſuch. Man nehme eine Zafhenuhe in den Mund. 
Wenn fie nur die weichen Theile berührt und von den Zähnen ent» 
fernt bleibt, fo hören viele Perfonen den Schlag garnicht, andere 
mit empfindlicherem Hoͤrwerkzeug vernehmen ihn ganz leife. So 
bald man aber die Uhr mit den Zähnen berührt, wird der Schlag 
ſogleich hell und deutlich. Die Zähne ftehen aber mit dem Antlitz⸗ 
nerven in Feiner Gemeinfchaft. Ueberhaupt ift das Hören durch 
den Schädel immer um fo deutlicher, je ununterbrochener die Vers 
bindung durch feite Theile vermittelt wird, Aus diefem Grunde 
ſcheint auch das Ohr in das feſte Selfenbein eingegraben zu ſeyn 





Man könnte faſt behaupten, daß wir durch den gan 

per hoͤren; wenigftens iſt eine fcharfe Graͤnze zwifchen ein: 

ven Hören und dem Empfinden einer Erfhütterung durch den ganz 

zen Körper kaum zu ziehen, Perfonen, die mit einem guten Ges 

hoͤr begabt find, pflegen. auf die Empfindung einer Erſchuͤtterung 

nicht zu merken, da fie mehr auf den Schall achten, ber faft mit 
2 % 


- — — 275 u — | 

jeder Erfchlitterung verbunden if. Taube und Schwerhörige find 
aber aufmerkffam darauf. Man hat hierin ein fehr einfaches. Mit» 
- tel, eine fimuliste Taubheit zu erkennen. Stoͤßt man naͤmlich mit 
dem Fuße auf den Boden, fo pflegen taube Perfonen, durch die 
Erſchuͤtterung aufmerkfam gemacht, fich umzufehen. Der Dann, 
der ſich täub ftellt, beachtet nur den Schall, glaubt fi nicht ums 
fehen zu muͤſſen und wird leicht verrathen, 


8.174. Wie beim Sehen verbindet fih auch beim Hören 
das Urtheil mit der Empfindung. So beurtheilen wir die Entfer- 
nung bei Schälen, die uns bekannt find, nach der Stärke, des 
Eindrudes auf das Ohr, da die Wirkung des Schalles ſich umge⸗ 
kehrt wie das Quadrat der Entfernungen verhaͤlt. Deshalb koͤn⸗ 
nen Bauchredner durch Daͤmpfen der Stimme ihr eine bedeutende 
ſcheinbare Entfernung geben. Bei unbekannten Schaͤllen iſt das 
Urspeil über bie Entfernung‘ ſehr unſicher. | 


Sn Hinficht des Lichtes glaubten wie mit Beſtimmtheit bes _ 
haupten zu koͤnnen, daß die Richtung des Lichtfirahles ganz unmits 
telbar empfunden werde, Nicht fo leicht iſt es zu entſcheiden, wie 
wie. Kenntniß von der Richtung des Schalles erhalten, ‚und die 
Meinungen find deshalb getheilt. Es fheint, daß nicht jedes Ohr. 
gleich. ſicher die Nihtung angiebt, woraus folgern würde, daß wir 
fie nicht ganz fo unmittelbar empfinden , als die Richtung des 
Lichtſtrahls. Nach Verfuchen mit meinem. Ohr erkenne ich durch 
Erſchuͤtterung der Schädelfnochen bei verftopften Ohren und ges 
fhloffenen Augen die Richtung des Schalles, ziemlid genau, was 
vieleicht. von ber verfchiedenen Art: der, Erſchuͤtterung in den einzel⸗ 
nen Bogengängen abhängen. mag. Mehr Zäufhungen iſt das Hös 
von durch das aͤußere Ohr unterworfen, obgleich es in gewöhnlis 
hen Verhältniffen mit mehr Beſtimmtheit die Richtung‘ angiebt, 
Es ſcheint nämlich, daß wir über die Richtung nad) dem Eindrude 
urtheilen, den der Schall auf den Ohrknorpel oder. auf das Trom⸗ 
melfell macht. Se fenkrechter das aͤußere Ohr von den Schallftrahs 
len getroffen wird, defto ficherer ift das Urtheil, Deshalb pflegen 
wie, wenn wir-aufhorchen, das eine Ohr gegen die Richtung des 
Schalles zu halten. —  Verftopfe ich den rechten Gehörgang, 

und halte ih dann einen fhellendan Körper gegen die rechter Seite 
| 18 ? 


— 2976 — 


des Kopfes, ſo — das Urtheil übe die Richtung des Stheles an⸗ 


fiher; ich kann aber nicht ſagen, daß er mir deshalb am linken 


Ohr zu liegen ſchiene, wie man wohl behauptet hat. Ich bin mir 
nur bewußt, ihn mit dem linken Ohr: zu hören. Halte ich den 
fhallenden Körper nach vorn, fo fiheint er mir etwas mehr nach 
links zu liegen, als er in der That liegt. Richte ich z.B. mit vers 
bundenen Augen einen Stod nad) dem Schall, fo macht diefer nach 
‚links einen merklichen Winkel mit der Richtung des ſchallenden Koͤr⸗ 
pers gegen meinen Kopf. Halte ich den Körper ganz links, fo iſt 
das Urtheit ficher. Befindet ſich der fchallende Körper hinter mir, 
To iſt wieder das Urtheil um einen bedeutenden Winkel falſch. Bu 
ſolchen Verſuchen darf man aber‘ nicht zu Laute Schälle wählen, 
die zugleich auf die Schaͤdelknochen wirken. Eine Taſchenuhr wird 
am beſten dazu dienen. 


Die Taubheit oder Unfaͤhigkeit zu hoͤren kann einen 
ſehr mannigfachen Grund haben, bald in einer voͤlligen Verſto— 
pfung oder Verwachſung des aͤußern Gehörganges, oder einer An⸗ 
füllung der Trommelhöhle und der Euſtachiſchen Röhre, bald in ei: 
ner Unempfindlichkeit des Hörnerven beftehen. "Die erſtern Arten 
der Zaubheit find Haufig nicht vollſtaͤndig. Voruͤbergehende 
Schwerhörigkeit ift bekanntlich eine gewöhnliche Begleiterin von 
‚tatarrhalifchen Leiden, wenn fie fich bis in die Ohrtrompete oder 
Maukenhöhle erftreden. Angeborne Taubheit erzeugt zugleich eine 
Unfähigkeit zu fprechen und ſolche Perfonen heißen daher. Taub: 
ſt um me. Man hat auch Individuen beobachtet, welche nur für 
gewiſſe Arten von Schal empfaͤnglich oder unempfaͤnglich waren 
Die Beiſpiele von Muſikern, die die menſchliche Rede nicht vers 
ftanden, aber die Toͤne eines muſikaliſchen Inſtrumentes genau un⸗ 
terſchieden, find nicht ganz ſelten. Ja, ein Menſch ſou keinen 
andern Schall als den eines Kuhhorns vernommen haben! — Das 
mit das Ohr noch mehr Aehnlichkeit mit dem Auge in feinen Krank: 
heiten zeige, finden ſich aud) —* Beiſpiele von BERN die 
doppelt Besen, 


| Man hat Beobachter, daß ein geſundes Ohr etwa TO * 
in einer Secunde als geſondert unterſcheiden kann, und folgert 
daran, daß 108 Secunde hinreiche, um einen Schall zu empfinden, 


* 


— 77 — 


Hierauf beruht die Möglichkeit eines Eon. Wenn nämlich eine 
zuruͤckwerfende Fläche fo weit ift, daß der Schall Hin und zuruͤck 
; — %o Serunde braucht, fo koͤnnen wir den Wiederhall 
- vom Schalte felbft unterfcheiden. Es pflanzt ſich aber ein Schall 
in einer Secunde etwa 1050 Fuß weit fort (etwas mehr oder we: 
niger nad) der Wärme und übrigen Beſchaffenheit der Atmefphäre). 
Sn einem Zehntheil einer Secunde geht er alfo 105 Auf. Die 
wieberhallende Fläche muß mithin über 50 Fuß entfernt ſeyn. Iſt 
fie näher, fo Hören wir Fein Echo, weil der Wiederhalf unfer Ohr 
trifft, ehe die Empfindung des Schaltes vorüber iſt. Er verſtaͤrkt 
nur den Schall und verwirrt ihn, wie in großen Saͤaͤlen. 


$. 175. Zum Schluffe muͤſſen wir noch die Fähigkeit unfers 
Ohrs, die Töne nach ihrer Höhe und Tiefe zu unterfcheiden, in Be 
trachtung ziehen. Mit diefer Fähigkeit ift die Anlage vereint, von 
mander Verbindung von Tönen fehr angenehm und von andern 
Berbindungen fehr unangenehm angeregt zu werden, Die Aufein- 
anderfolge der Töne wird bekanntlich Melodie und die gleichzeis 
tige Verbindung von Tönen Accord genannt, fo wiedie Aufeinan- 
derfolge von Accorden Harmoni ie. Accorde, die angenehm auf 
unſer Gehör wirken, heißen Conſonanzen, bie unangenehm 
wirkenden Diffonanzen. Die Fähigkeit, nicht nur genau die 
Tiefe und Höhe der Töne zu unterſcheiden, ſondern auch den 
verſchiedenen Eindruck ihrer Verbindungen lebhaft zu empfinden, 
nennt man gewoͤhnlich das muſikaliſche Gehör. Obgleich 
das muſikaliſche Gehoͤr ſehr verſchieden ausgebildet iſt, ſo ſcheint 
doch die Anlage dazu nirgends ganz zu fehlen und die Conſonanzen 
und Diſſonanzen muͤſſen mit der Natur des Menſchen in einem bes 
ſtimmten Verhältniffe fiehen, da nie einem Ohr das als Diffonanz 
erfcheint, was dem andern eine volfommne Conſonanz ift, obgleich 
manches Ohr fo wenig mufikalifch it, daß es keinen Unterfchied 
ſeht lebhaft empfindet. Es liegt daher die Frage fehe nahe, worin 
es liege, daß Eonfonanzen wohlchuend auf uns wirken, Diffonans 
zen aber unangenehm aufregen? Iſt nun auch der legte Grund 
nicht vollftändig zu erkennen, da die Empfindung überhaupt uns 
‚als etwas Einfaches, nicht näher zu Erklärendes erfcheint, fo würde 
doc) die Erkenntniß einer Gefegmäßigkeit uns auch hier, wie über« 
al, ftatt der Erkenntniß des Grundes felbft genügen können, Die 


J 


3 


Phyſiker Gin ale Beantwortung diefer Frage folgendes Sees aufs 
geftellt: - ’ 


Se einfacher bie Bahlenverhältniffe zweier Töne, um * an⸗ 
genehmer iſt ihre Verbinduug fuͤr das Ohr. 


Um dieſes Geſetz verſtehen und anwenden zu können, muͤſſen 


ir einen Abftecher in die Phyſik machen, 


Der Ton beruht, wie wir früher im Vorbeigehen bemerkten, 
auf der Zahl der Schwingungen in einer beflimmten Zeit. Die 
Phyſik lehrt, wie man in fehr tiefen Zonen die Zahl der Schwins 
gungen zählen. kann, und wie man aus diefen Beobachtungen auf 
bie hörbaren , aber nicht mehr zahlbaren, Schwingungen weiter 
ſchließt. Es ergiebt ſich dabei, daß dieſelbe Saite — denn an 


Saiten ſind die Erſcheinungen am einfachſten, weswegen wir ſie 


bier auch vorzüglich im Auge behalten wollen — um fo zahlreichere 


Schwingungen in derfelben Zeit macht, je kuͤrzer fie ift, wenn die 


Spannung. diefelbe bleibt, und zwar verhält ſich die Anzahl der 
Schwingungen bei gleicher Spannung genau umgekehrt wie die 


Länge der Saite. Vergleiht man die Zahl der Schwingungen 


zweier Zone in einer beftimmten Zeit, etwa in einer Secunde, mit 


einander, fo erhält man dadurch den Zahlenmwerth der Töne. 


Um aber den Zahlenwerth einfacher auszudrüden und zu überfehen, 
‚pflegt man einen Gruudton auszumählen, die Zahl feiner Schwin- 
gungen ‚in einer beflimmten Zeit — ı zu fegen und darnach den 
Zahlenwerth anderer Töne zu beflimmen z. B. = ı1:%. Diefer 
Ausdruck zeigt, daß, während der Grundton eine Schwingung macht, 
der andere anderthalb Schwingungen macht, oder, daß während 
der Grundton 2 mal ſchwingt, der andere zmal ſchwingt. Cs 
giebt alfo, wenn ber Grundton = 1 if, der dabei gefundene Werth 
eines andern Tons in feinem Nenner bie Schwingungen bes Grund» 
tons und in ſeinem Zaͤhler ſeine eigenen Schwingungen in derſelben 


Zeit an. 


# 


MWird nun eine Saite, die den Grundten C angiebt, ‚auf die 


‚Hälfte verkürzt, fo giebt fie einen Ton, der mit dem Grund. 


tom viele Aehnlichkeit hat, aber um ein Bedeutendes höher if. 
Man nennt überhaupt den Unterfchied zweier Tone ein Inter: 


PER 279 — 


wall, Das Intervall vom — zu dleſem RE ihm aͤhnli⸗ 
‚hen Ton wird eine Octave genannt, weil das Ohr zwiſchen 
beiden noch ſechs Haupttöne, die Secunde, Terz, Quars 
te, Quinte, Serte und Septime, unterfcheidet, deren 
Aufeinanderfolge dem Ohr angenehm iſt, und die hinlänglich von 
einander verfchieden find, um jeder einen befondern Charakter zu of⸗ 
fenbaren. Die Anzahl der Schwingungen des um eine Octave hoͤ⸗ 
bern Zons ift nach Obigem doppelt fo groß , als bie Anzahl ber 
Schwingungen des Grundtons in derfelben Zeit, oder der Zahlen: 
werth der Detave ift = 2, Ueber der Octave wiederholen ſich dies 
felben VBerhältniffe der Töne, weshalb es überflüßig ift, hier bie 
Verkürzung ber Saite auf weniger ald bie Hälfte zu beruͤckſichtigen. 


Wird die Saite auf 24 verkürzt, fo erhält man die Quin— 
fe. Ihr Bahlenwerth ift 2, , oder der Grundton verhält fich zur 
Quinte in Hinſicht der Schwingungen wie 21. 3. 


Die Verkürzung der Saite auf 7, ihrer Länge giebt bie 
uarte⸗ deren Zahlenwerth alſo H ift. | 

& findet man weiter, daß die Ter z ſich zum — 
verhaͤt = 5:45 bie Secunde = 9 ; 8; die Serte = 
5:35 bie GSeptime = 15: 8. 


Bekanntlich bezeichnet man bie Haupttöne mit folgenden Buch⸗ 
ſtaben, unter die wir die zugehörigen Zahlenwerthe fegen: 


N ae ER © na ; 9 
E % 57 % 3%, 5,7; % 


Sch erinnere nur noch einmal, damit es uns fuͤr die Folge gegen: 
wärtig ift, daß ein jeder dieſer Brüche mit feinem Nenner bie 
Schwingungen des Grundtons und mit. dem Zähler bie Schwinguns- 
gen des Tons, dem er angehört, in einerlei. Zeit angiebt. 


“0 


f “ Die Aufeinanderfolge diefer Hauptöne heißt bei ben Mufitern 
bie Diafonifhe Zonleiter. Die Intervalle zwifchen den‘ 
einzelnen Toͤnen find ungleich, wie man leicht findet, wenn man 


# 


— 280 — 


die Zahlenwerthe in einander dividirt, um das Verhaͤltniß des einen 
zum andern zu finden. Das Intervall zwiſchen C und D * — 

aber D vehät ſich zu E= %: * 5 29a 

10. Das Intervall ift mithin I uf. w. Sinnihes Inter 

valfe find folgende, 


BED. RE 


| MN 7% "Ns * % 0) Ra 


Die Intervalle find alfo von dreifachem Werther ER ' 


9% oder große ganze Töne, 

20% oder Eleine ganze Töne, 

195 ober große halbe Toͤne. * 
Durch die Ungleichheit der Intervalle wird es RN für 
jeden einzelnen Ton der Tonleiter alle die Abftände anzugeben, die 
man für einen andern angeben kann. So haben wirzwar ©: E 
= 4:5 wWwF:A=% : 5% oder wieder = 4:5, aber 
rar Btonnen wir daſſelbe Internal nicht angeben, da ſich E:G = 
%:haT 5:6 verhält. Zwifhen A und c.ift auch das In⸗ 
tervall 5 : 6, für © ift es dagegen nicht da. — Die Mufie 
würde nun febr befchränft feyn, wenn es völlig unmöglich wäre, 
von einem Tone aus diefelbe Folge von Intervallen anzugeben, die 
man von einem andern hat. Um das zu Eönnen müffen die Inter- 
valle fo lange-getheilt werben, bis fi fi e entweder inter einänder gleich 
‚werben, oder, wenn dag nicht möglich ift, die Unterfchiede fo gering 
find, daß das Ohr fie nicht empfindet. 


F 


au — Theilung giebt das oben gefundene fehr einfa= 


che Verhaͤltniß 5 : 6 Veranlaſſung. Es ift naͤmlich das Intervall 


6% dem Ohr wohlgefälig. Man nennt es die Fleine Terz 
und hat nur deswegen die Eleine Terz von CG nicht mit unter die 


‚Haupttöne aufgenommen, weil fie fehr nah an der großen Zerz % 





* um mich nicht zu tief in die Theorie ber Muſik zu EN, babe ich die 


Haupttoͤne als gegeben angeſehen. Wie fie aus dem Dreiklange entwidelt 
werben Eönnen, möge man in Chladni’s Axuſtik (1802) nachleſen, ei- 
nem Buche, 008. 8 gedem, der uͤber dieſe Gegenſtaͤnde fi) vollftändig belehren 
will, gewiß viel Fi Beni sewähten wird. ; 


7 — 231 — 


—— 


ſteht. Zwiſchen beiden iſt das Intervall = 25%,,, welches die 
Muſiker einen kleinen halben Ton nennen. Dieſes Ins 


tervall von einem kleinen halben Ton giebt man nun jedem, Haupt-⸗ | 


tone, um die größeen Intervalle zu theilen, und man bezeichnet es, 
wenn man es auffteigend zur höhern Dctave giebt, duch Anhäns 
gung der Endigung is an den Hauptton, als Cis, Dis, u. 


N Daffelde Sntervall, jedem Hauptton abfteigend gegeben, wird 


durch die Endiaung es ausgedrüdt, al® Ces, Des, u, f. w. 
(Man fpricht jedoch ſtatt aes : as und flatt hes : b.) 


Die fo erhöhten und verminderten Haupttöne find leicht zu 
berechnen , indem man für die Erhöhung den Zahlenwerth bes 
Haupttones mit 2,4 multipliciet , für die Verminderung aber 
mit demfelben Intervall dividirt. SoiftFs = 4 x % = 
Nahe: Fest 2:9 Ya sie 
Folgende Tabelle giebt in der erſten Columne eine Ueberſicht 
der. Zahlenwerthe allee Haupttöne und ihrer Erhöhungen und Ver: 
minderungen um einen Eleinen halben Ton. In der zweiten Co⸗ 
lumne iſt der Werth zur leichtern Vergleichung in Decimalbruͤchen 
ausgedruͤckt. 


—— — 


L. 
4 


———— 


r 
= 





—— 


—— 
—Nx 


J 


F X — —— 


a ne 
J 
—— 





= 


7 
E 


me 
b9—8.— 


8x8 


T 
Ta 


— 








gu 








Li 





"Es - Kleine Terz 
Dis - Uebermäßige Se) 


” 


J 


Tabelle uͤber die Tonverhaͤltniſſe. 


GC. - Dctave Pr) 


. His » Uebermäßige Sp: 


time .-3 = 


11 Ce » Berminderte Dcta: 


Ve =.-8'8.38 


H + Große Eeptime 


B - Kleine Septime 


Ais = Uebermäßige Serte 


A - Große Serte 
As - Kleine Serte = 
Gis = UebermäßigeQuin: 
ul 
G » Quinte :. 8» 
Ges - Verminderte (fal: 
ſche) Quinte = 
Fis = Webermäßige Quar: 
te 
F + Quate ⸗⸗ 
Eis - Uebermäßige Terz 
Fes - Verminderte Quar⸗ 
te. .?+ 
E - Große Ley =» 


- 


— PR N AU | 


u.» 3 8 


Pr 


€ 


2 


2 
2 
cunde ⸗2 


D - Große Secunde 
Des - Kleine Secunde 


= 


*. 
TT® Cis - Uebermäßige Prime 


* Grundton Prime 





Zahlenwerth der In- Zahlenwerth der In⸗ 
tervalle ohne Tem⸗ tervalle nah ber 
peratur.. gleihfhmebenben 
2 Me Temperatur. 
2 2,0000 
XII | 2,00000 
7764) 1,9531 7/4 | 
48 1} 
A 198 | XI | 1,88775 
; /s 1,875 h Br 
* 1,8 
— X | 1,78180 
277211,7361”/, |) ° 
% |1,6666°%, | IX | 1,68179 
* 1,6 | 
“ ’ VII 1,58740 
"hs | 1,5625 |) Ps 
%| 5 | VIE I 1,4983ı } 
36 I ” 
ha| 344 vr] zgrgar 
25,8 |1,3888% 
* 1,3333 % 
a 1,3020 * | r 1,33484 
| 128 | Ivy 
" 1,2 2 
| 225 | 4 5992 
% 1,2 era 
II -1,18921 
75), |1,1718% ER 
IR "v5 | 1,12246 
16/,,.|1,0666%, | I | 1,03946 
25/. , 41,0416%, — 
/a4 en 4 3 
1 1,0000 —* 1,00000 























J 


Ueberblicken wir nun die Zahlenwerthe der einzelnen Toͤne, 
fo finden wir fie bald durch kleinere, bald durch größere Zahlen 
ausgedrüdt, Jene zeigen ein einfacheres Verhältni zum Grundton im 
der Anzahl der Schwingungen an, diefe ein weniger einfaches. So 
ſchwingt die reine Quinte 3 mal, während der Grundton 2 Schwins 


gungen macht. Den der verminderten Quinte gehen 36 Schwins 


gungen auf. 25 Schwingungen des Grundtond. — Nad dem 
oben mitgetheilten Gefeg : „Se einfacher die Zahlenverhältniffe 


‚zweier Töne find, um deſto angenehmer iſt ihre Verbindung dem 


Ohr“, können wir nun hier die Confonanzen von den Diffonanzen 
unterfcheiden. Zu den Gonfonanzen kann man alle Intervalle zaͤh⸗ 


len, deren Nenner nicht größer ift ald 5, oder wo aufje L, 2, 3, 


4, ober 5 Schwingungen des Grundtons eine Schwingung des ans 
bern Tones fällt. | | 


Die volllommnern Confonanzen find: die Octave (1:2), 
bie Quinte (2 : 3) und die Quarte (3 : 4). Unvollkomm⸗ 
nere Confonanzen find: die große Terz (4 : 5), bie Eleine 
Terz (5 : 6), die kleine Sexte (5 : 8) und bie große Orte (3:5). 

Unvolllommene Diffonanzen find: die große Secunde 
(8 : 9) und die Eleine Septime (9 : 16). Vollkommene 
Diffonanzen: die Kleine Secunde (15 : 16), die große Sep— 
time,(8 : 15) und die verminderte (oder falfhe) Quinte 
(25:36). 


Man pflegt ſich den Grund der Conſonanz wohl auf folgende 


Weiſe zu denken oder wenigſtens dadurch zu verfinnlichen, daß man 


annimmt, wir empfänden das Zufammenfalfen der Schwingungen eis 





ER, 

* Warum bier nur 12 Sntervalle aufgeführt find, wird man aus dem Fols 
Bes erfeben, Die Kleine Septime ift mit dem MWerthe aufgenommen, 
en fie ald umgekehrte große Secunde hat, und nicht nad) dem, welchen 
erhält, wenn man einen #leinen halben Ton von ber großen Geptime 
sieht. Der Mufiter braucht namlich diefelben Intervalle, die er für ben 
Grundton auffteigend hat, auch‘ für die Octave abfteigend, So fällt die 
ekehrte Quinte auf die Quarte,. Wenn man nämlid den Werth ber 
Quinte (de) in die Octave (2) divibirt , fo erhält man %, oder bie Quats 
te. Eben fo ifi die Eleine Secunde die Umkehrung der großen Terz, bie 
roße Secunde die Umkehrung ber Eleinen Zerz, die große Geptime bie 
meehrung ber kleinen Secunde, Die Umkehrung der großen Secunde ift 

36/, , weldyen Werth man gewöhnlich der Kleinen Septime giebt, . 


% 


x | 

— 234 h — } 
nes Tones ‚mit. dem Grundtone, und diefe Empfindung. ATEM uns 
eine Befriedigung. Darum fey die Dctave am wohlgefaͤlligſten, 
weil ſie am oͤfterſten mit dem Grundton zuſammen ſchwingt, naͤchſt 
ihr die Quinte u. ſ. w. wie folgende Abbildung zeigt, 


Grundten. . a 5 . ee he 
Octave RE Pa 
RE 
Terz bs BE MT : RR A ; . | . 


Die größeren Punkte zeigen hie die zuſammenfallenden 
Schwingungen, die kleinern die nicht zuſammenfallenden an. Das 
Ohr ſoll nun, ohne daß es zum deutlichen Bewußtſeyn kommt, 
empfinden, wie jede ste Schwingung der Terz auf eine — des 
Grundtons fallt u, ſ. w. 


So die Lehre der Phyſiker, wir haben ſprechen laſſen, oh⸗ 
ne ihnen ins Wort zu fallen. Es erheben ſich aber einige Beden⸗ 
Een gegen diefe Lehre. Wir wollen mit Zweifeln gegen die fo eben 
entwidelte · Anſicht vom unmittelbaren Empfinden des — 
fallens der Schwingungen — 


ige im Zuſammenfallen der ——— der Grund des 
Wohlgefallens fuͤr das Ohr, ſo muͤßte eine geringere Unreinheit 
eines Tones, durch Verſtimmung eines Inſtrumentes hervorge⸗ 
bracht, viel unertraͤglicher ſeyn, als eine groͤßere, wobei z. B. G 
wieder ein einfacheres Verhältniß zu C hat. Was würde aus der 
Dctave werden, wenn ih c um oo Secunde fpäter anſchlage 
als GC? Die Schwingungen würden nie zufammen fallen. — 
‚Dagegen laͤßt ſich einwenden, daß zwei zugleich tönende Saiten 
wohl fo auf einander wirken Eönnten, daß die eine die andere be- 
fiimmt, ein gewiffes mathematifches Berhältniß zu ihr in den 
Schwingungen anzunehmen, wenn fie diefem Verhaͤltniß ſchon 
ſehr nahe iſt, daß alſo eine wenig verſtimmte Quinte dennoch als 
Quinte ſchwingt, wenn fie mit dem Grundton zugleich augeſchla⸗ 
gen wird, oder daß unfer Ohr unfähig ift, Eleinere Unterfchiede zu 
bemerken. Geſetzt, dieſe Gegengründe Eönnten gelten! Wie will 


; —— 285 — — 

man dann erklaͤren, daß die große Terz, die nur auf die vierte 
Schwingung des Grundtons faͤllt, dem Ohr wohlgefaͤlliger iſt ats 
die große Serte, bie auf die dritte Schwingung des Grundtons 
fan? Vielleicht, Fönnte man dagegen bemerken , empfindet das 
Ohr auch die nicht zuſammenfallenden Schwingungen unmittelbar, 
und deren find im der Sexte freilich mehr als in der Terze. Wie 
kaͤme es aber dann, daß uns der Dreiklang ſo wohl gefaͤllt, obgleich 
hier eine Menge Schwingungen außer. den’ zuſammenfallenden, 
zwiſchen ihnen nicht zufanimentreffen? Hat nicht überhaupt jedes 
Sntervall etwas fo Befonderes in der Empfindung, daß wir diefe 
nicht blos auf ein häufigeres oder felteneres Zufammenfallen bezie⸗ 
ben können? Sollte endlich das Ohr, wenn es fein genug ift, 
um zu’empfinden, daß dag G bei der dritten Schwingung auf die 
te des G fällt, * nicht auch zugleich bemerken , dag eine Schwine 
gung des Ginur 34 einer Schwingung des Ceiſt und dag alſo in 
demfelben Augenblicke, in dem‘ ne — —,esc— —— * | 
felbe auch —* | l 


— * * 4 
nt! # .. Y ne ; * 597* an a6 
J u 10 SER E A — ‘.“ 


So verwictelt man ſich in eine he Scwierigkeiten und 
| san wenn man den Grund‘ des Wohlgefallens ini Zu— 
fammenfallen der Schwingungen fucht. Andy werden die Phyſiker 
nicht im Ernſte daran glauben, fondern nur eine Verſinnlichung 
der Verhältniffe * ea zu den ——— 
ſen Aue | As EG) 

Ein Einf, die * ganze — Arne: be= 
— darin, daß wir die Töne gewöhnlich nicht fo hören’ wie daB 


— — ſie — und dennoch fid fuͤr rein 
halten, 


Um biete au ion, men wir 4, RE ie zurüd 
| ehren. : a: 11% 0'273 


Ki Sboleich die Intervalle durch Einſchaltung ber halben Töne 


fehr vermehrt wurden, fo. find: fie doch keineswegs gleich unter ſich 





* Dazu gehört nicht wenig! Das ste c’am Klavier fchwingt etwa 128 mal 


ee €, welches drei Octaven Höher ift, alfo 1024 mal in einer Se 
cunde 


geworben, wie man leicht. findet, wenn man die Intervalle ziwie 
fhen den, durch Vergrößerung oder Verminderung der. Haupttöne 
entflandenen Tönen mit den Intervallen zwifchen ihnen und den 
Haupttoͤnen ſelbſt vergleicht. So iſt das Intervall zwiſchen Cis 
und Des 1284 55 das Intervall zwiſchen Des und Diaber 2524. 
Dagegen geht zwiſchen E und F, und zwiſchen H und c, wo 
urſpruͤnglich die Eleinften Intervalle waren, der erhöhte Ton über 
den naͤchſt obern verminderten hinaus, Ferner laffen fich immer 
noch nicht von jebem Ton diefsiben Intervalle rein angeben, Fuͤr 
D % würde die große Terz (%) auf ig = 1, 4061, 
alſo zwiſchen Fis und. Ges: fallen.  Denfelben ı Mangel des 
Zufammentreffensg findet man faft. überall . in . unferer Zon- 
leiter und es kann gleich -hinzugefeßt werben, daß es 
immer fo bleiben wird, wie man auch die Intervalle einthei- 
len. mag, ſo lange man die. Reinheit der Schtwingungsverhältniffe 
als Bafis der Eintheilung betrachtet. Man darf daher ein muſika⸗ 
‚lifches Inſtrument, das bleibende Stimmung hat, nicht rein nach 
den Schwingungsverhältniffen ſtimmen, fondern einige Töne höher 
und ‚andere niedriger ffimmen, um brauchbare Intervalle für alle 
Töne zu: haben. .. Man nennt diefes temperiren und. das Quan- 
tum, : welches einem Ton abgenommen: oder zugegeben wird, eine 
Schwebung. Nach mehrfachen Verſuchen, eine dem Ohr wohl 
gefällige. Temperatur den muſikaliſchen Werkzeugen zu geben, hat 
man fi für die gleihfchwebende Temperatur entſchieden. Nach 
diefer betrachtet man ganz nahe liegende Töne als einerlei, wie Cis 
und Des, E und Fes. » Die dadurd) erhaltenen. 12 Intervalle 
innerhalb einer Octave macht man ganz gleih, ſo daß GC : Cs = 
Cs D=D: Dis = Dis : Ew ſ. we fih verhaͤlt. 


Das giebt folgende geometrifhe Progreffion: 
C: & :D= DB: E : FE : u ae: 


ER 2*2 22 aha » ofh2 » 2*2 oz ; aha : 
12 12 12 12 18. 1e 12 
N 6, 7 
Ver eıyaı Yernfahı Yatıyan Yaıya 
ms Ars 


o°h2 : a2 vr oe . oa m 


— — — fat": 2, 


Berechnet man hiernady die Werthe ber einzelnen Intervalle 
(eine Berehnung, die mit Logarithmen leicht angeftellt wird), fo 
findet man fie fo, wie fie in der Iegten Columne unferer Tabelle ans 
gegeben find. 

- Wir dürfen nun fragen, ob diefe gleichſchwebende Tempera- 
tur fo viel Beifall finden könnte, ob fie felbft dem Ohr der Virtuos 
fen genügen £önnte, wenn fie fo bedeutend von dem abwiche, was 
nach der Annahme, daß die einfachen Schwingungsverhältnijfe 
dem Bedürfniffe unfers Ohrs utfprünglich entfprächen, von dieſem 
gefordert würde. Entweder, find alfo jene durch die einfachen 
Schwingungsverhältniffe gefundenen Töne gar nicht Diejenigen, 
bie unfer mufifalifches Ohr verlangt, oder man muß geftehen, daß 
biefes fich eine nicht unbeträchtliche Abweichung recht wohl gefallen 
läßt; eine Abweichung, bei der die Einfachheit der Schwingungss - 
verhaͤltniſſe ganz verloren geht. Man vergleiche nur die beiden Eos 
lumnen unferer Tabelle unter einander. VRR IE RL EA | 

Diefer Zweifel wird noch bedeutender, durch die Bemerkung, 
daß die Temperatur keinesweges blog durch die Unvollkommenheit 
der Infteumente mit bleibender Stimmung nothwendig wird, ſon— 
dern, daß das Ohr mehrere Intervalle wirklich anders, zu fordern 
fheint, als die Schwingungsverhältniffe fie angeben. ° Laͤßt man. 
nämlich mehrere Intervalle genau nad den angenommenen Schwin⸗ 
gungsverhaͤltniſſen auf einander folgen, ſo erhaͤlt man einen Ton, 
der von dem verſchieden iſt, den das Ohr zu fordern ſcheint. Geht 
man z. B. durch mehrere Quinten fortlaufend aufwaͤrts, ſo haben 
dieſe Toͤne nicht mehr das gehoͤrige Verhaͤltniß zu der fortlaufenden 
Reihe der Octaven. Nach 12 Quinten ſollte man auf den Schluß 
der zten Octave (oder den Anfang der Sten) treffen. Man fteht 
aber etwas davon ab, wie diefe Vergleichung zeigt. ' 








c c c 0 c c 


9) 
—2 


—— 8 116 32 64 128 



































gld ale h|fis Jeis gis| dis b f c 
3 19 @zer 243) 729 j2187: 6561119683: 59099| ı77a7 | 531441 
2 14 Blı6. 32/1 .64 . (128. 256] 512 1024| 2048 | 4096 





a 


— 283 —— m 

531448: 
4096 
die Quinten wiederholen mag, ſie werden nie mit den Dctaven zu⸗ 
ſammen fallen, weil irgend eine Potenz von 3%, nie einer Potenz 
, von 2gleich iſt.· Macht man bie Quinte ſo groß, daß die 12°* 
Duinte gerade auf den Schluß der 7" Octave trifft, fo muß die 
An in der rote" Potenz feyn = 27, oder die einzelne Quinte 


— 


iſt faſt 130, alfo größer als 3 Die oft m man ER 


= Nur“ fo wie wit ihren Werth oben nach der glelchſchweb enden 
Temperatur angaben, Diefer Werth der Duinte weicht nicht fehr 
von. dem. duch die Schwingunsverhältniffe gefiindenen ab. — 
» Größer iſt die Abweichung bei der großen Terz. Das Ohr ſcheint 
zu verlangen, daß drei N a, die Octave ausfüllen, ‚Dar: 


nach waͤre die Toy = Mr BER — 2*, gleich dem — * den 
die gleichſchwebende Temperatur angiebt . 


Wenn aber die wahren Werthe der Toͤne, wie unſer Ohr fie | 
fordert, nicht mit denen übereinflimmen folkten, welche die Phyſi⸗ 
ker als die richtigen anſehen, wie war es möglich, daß diefe den: 
noch als die richtigen angenommen. werden Eonnten. Der Grund 
ſcheint blos in den Schwingungsgeſetzen der klingenden Koͤrper und 
einer Verwechſelung der Reinheit der von ihnen hervorgebrachten 
Toͤne mit den Forderungen unſers Ohrs zu liegen, Wenn zwei 
Saiten (daffelbe gilt auch für andere Körper) zugleich erklingen, I 
erzeugen fie Nebentöne und ein unangenehmes Schwirren, wenn 
nicht ihre rl in einem rationalen Verhaͤltniß zu einan⸗ 
der ſtehen. Zwei Saiten geben ein ungemiſchtes Intervall, wenn 
fie in dem Verhältnig von 4: 5 fehmwingen, * das Interdau 


wird ſchwirrend, ‚wenn das Verhaͤltniß = ı : % 2iff, Daraus 
folgte noch nicht, dag 54 dementfpricht, was wir von einer Verz 
verlangen. Man hat alfo eine Reinheit, die in den Geſetzen der 
Schwingungen tönender Körper liegt, mit den se anfere 


Ohrs verwechfelt. Wenn aber unfer Ohr das Intervall ge ver: 
langt, fo fieht man leicht, daß die Unmoͤglichkeit, es ganz rein herz 
vorzubtingen, nur in den Werkzeugen liegt, 


Indeſſen feheint doch zwifchen den Tönen, als Pesbußten ber 


Eiyalkhmingungen. und üntjes6t Empfindung (Borflelung) von 
den 


den Tönen ein gewiſſes Verhältniß zu beſtehen. Schon der Um, 
ftand, dag man die Schwingungsverhältniffe zur Schaͤhung unferer 
Empfindung für die Töne anwenden konnte, führe darauf hin. 
Bebenft man, "daß für unfere Empfindung alle Octaven gleich 
groß find und ber Umfang einer Dctave alle Zonverhältnijfe eins 
ſchließt, die eine continuicliche Linie von Anfange der Octave bis 
zum Ende derfelben bilden, daß wir ferner bei jedem⸗Ton wohl em⸗ 
pfinden, wie. weit er vom Anfange oder vom Ende ber Dctave ab 
fteht, nicht aber wie viel mal der Anfang der Octave in ihm ents 
halten ift, fo Überzeugen wir uns, daß das Ohr die geometrifche 
Reihe der Intervalle wie eine arithmetifche auffaßt. Da nun die 
objectiven Verhältniffe der Töne geometrifch find, die fubjectiven 
aber arithmetifch, fo kann man fagen, daß jeder Fon nad dem 
Logarithmus feines Zahlenwerthes empfunden wird. —  Ueberfes - 
ben wir die oben für die gleichfchwebende Temperatur angegebes 
nen Werthe , fo finden- wir, daß die dort aufaeftellte geome— 
teifche Progreffion : 1 : 2'ı2 ; afın ae, :: ı 2U2: 2, 
für unfere Empfins 
dung die arithmes 
tifhe ‚Progreffion : ae Ma Yen. uni, He n y, 
giebt. A | RR 
Damit foll aber weder behauptet werden, daf die Intervalle, 
wie ſie unſer Ohr begehrt, voͤllig gleich unter ſich ſind, noch daß 
die Empfindung eines Tones in der unmittelbaren Schaͤtzung ſeines 
Abſtandes von einem Endpunkte der Octave beſteht. Was die 
Gleichheit der Intervalle anlangt, ſo wurde oben gezeigt, was dazu 
gefuͤhrt hat, und es wurde nur wahrſcheinlich gemacht, daß die Ans . 
nahme ber völligen Gleichheit von den Forderungen unfers Ohrs 
nicht merklich abweichen koͤnne und oft wohl ganz damit ER 


treffe. 


Das Eigenthümliche, das jedes Intervall für unfer Ohr hat, 
fheint nicht in ber unmittelbaren Erfenntniß feines Abftandes von 
dem Anfange und Ende der DOctave zu beftehen, fondern vielmehr 
die Folge diefes Abftandes zu feyn. Da nämlich im Umfange- eis 
ner Octave alle möglihen Zonverfchiedenheiten liegen, von einem 
Ende zum andern fortfhreitend, fo daß an den beiden Enden der 
vollkommenſte Gegenſatz ift, fo hat ein in der Mitte liegender Ton 


19 


— 290 an 


\ N ; * 


25 


-- um fo mehr uebereinimmung mit dem Grundtone, je naͤher er 
ihm iſt. In ſo fern er vom Grundtone abliegt, bildet er aber auch 
einen Gegenſatz mit ihm. Der Gegenſatz und die Uebereinſtim⸗ 
mung zwifchen beiden Tönen eines Intervalls werden zugleich em⸗ 
pfunden und beide fiören und hemmen einander. Die daraus re 
fultirende Empfindung eines Intervalls iſt mithin das Refultat der 
gegenfeitigen Hemmung (des Kampfes gleihfam) zwiſchen dem 
Quantum Webereinftimmung und dem Quantum Gegenfag in zwei⸗ 
en Zönen. Wählen wir zur größern Deutlichkeit fogleich ein bes 
flimmtes Beifpiel! Wie nehmen von der Detave Cc ein Deittheik, 
Der Segenfas zwifchen diefem Drittheil und C ift gleich der Größe 
ihres Abftandes = 5. Die Uebereinftimmung ift = 25; dem 
um fo viel ſteht das Drittheil ab von c, und zwar nad der Richtung‘ 
C Hin. Die Empfindung, welche wir haben, wenn ‚bie Webereins 
flimmung zweiet Töne doppelt fo groß ift, als ihr Gegenfag, nens 
nen wir eben die große Terz. — Je mehr der Kampf zwifchen 
beiden Kräften, dem Gegenſatz und ber Uebereinflimmung, zu eie 
nem -beffimmten (und bemerkbaren möchte man fagen) Reſultate 
führt, um deſto wohlgefälliger ift das Intervall dem Ohr, Darin 
fcheint das Characteriftifche jedes Intervalle zu liegen. In der 

‚ arithmetifhen Mitte der Detave find fi) Mebereinflimmung und 
Gegenfag gleih. Die Störung iſt vollftändig , aber es erfolgt 
Erin weiteres Nefultat. Darum ift hier dev Punkt der größten Dis⸗ 
harmonie. Die Quinte fcheint dagegen die Stelle zu feyn, wo der 
Gegenfag ſtark genug ift um die Uebereinfimmung ganz zu übers 
winden, fo daß fie nicht mehr ſtoͤrend einwirkt. Durch die Ueber⸗ 
windung derſelben ift aber ber: Gegenſatz geſchwaͤcht. Indeſſen 
bleibt immer die Quinte der Octave am aͤhnlichſten. Durch Rede. 
nung läßt fih nun finden, daß bie Quinte nad) viefer Annahme. 
fehe nah an 4, Abftand von dem Grundton haben muͤſſe, Man 

die gleichfchwebende Temperatur fie fielt, * 


2 





” Die Rechnung eh kann Bier nit ungefteitt werden, er Er eine niöt 
gan —5 Entwickelung —* Grund ſaͤtze erfordern würde, unb dad mufifas 
Tiihe Gehör und ſchon länger aufgehalten und mehr Zahlen gegeben hat, 
«18 manchem Lefet lieb ſeyn bürfte. Ich werde zufrieden feyn, ivenn «8. 
wir gelungen {ft , die Unzulänglichteit der gewöhnlichiten Meinung über das 
——— unfeee Zonempfindingen zu den —X Toͤnen Be 
ber. am Sehl diefes Paragraphen ———— 9 








| Vierzehnte Borlefung. 
n Bon ber Nafe und der Zunge 


6. 176. 


Die Nafe ift das Organ des Geruchſinnes. Schr weſentlich 
weicht ihr Bau vom Baue des Auges und des Ohrs ab. In ihre 
fowohl, als in der Zunge, ift nicht mehr eine hautförmige Nerven: 


ausbreitung, melde die Sinneseindrüde unmittelbar empfängt, 


ſondern nur eine nervenreiche Schleimhaut, welche in ber Nafe ein 
Enscherne Höhle genau auskleidet. 2 


Bon der Befchaffenheit ber Schleimhäute werden wir bei Ges 
legenheit der Verdauungsorgane zu fprechen Gelegenheit haben, 
Hier mag die Bemerkung genügen, daß alle innere Höhlungen, 
welche nicht ganz verfähloffen find, fondern durch eine Deffnung mit 
der äußern Haut in Verbindung ftehen, von einer Art von Häuten 
ausgekleidet werden, die man Schleimhäute nennt, weil fie ſtets 
einen Schleim ausſcheiden, ber ihre Oberflaͤche ſchluͤpfrig erhaͤlt. 


Die Naſe ift zum Theil in den Knochen des Kopfes enthalten 
und zum Theil ragt fie nach außen vor. Darnach unterfcheidet 
man eine innere und eine Außere Nafe, Jener Theil ift der mes 
ſentliche. 





kennen lernen will, muß fie an ber Quelle aufſuchen, in Herbarts 
- Abhandlung über bie Eonverhältniffe, im Königöberger Archiv für 
Dhilofophie und Mathematik x. Bb. I. Sb hier das Weſen je⸗ 
bed einzelnen Tones aus dem Verhältnis von Gleichheit und Gegenfag 


richtig hergeleitet it, muß wohl Pſychologen, die zugleich Mufiter find, 


gu tſcheidung überlaffen bleiben. Die Prinzipe ſchienen mir aber fo 
berzeugend, daß ich mic, nicht entfchliegen konnte, fie ganz zu übergehen, 
Befonberd ba ber Segenftand von fo hohem Sntereffe it. Sch wüsie nicht, 
An welcher Sphäre die Pſyche ſich weniger verhuͤllt beobachten ließ. 


19 ? 


! 


4 


I) 


—— — 


5. 177. Die innere Naſe beſteht in einer großen 
Knochenhoͤhle, bie unter dem vordern Theile des Schaͤdels liegt 
und von dem Dberkieferbeine, den Gaumenbeine und Siebbeine 
(Niechbeine) umgeben wird. Nach vorn geht fie in die äußere 
Naſe uͤber und nach hinten in die Nachenhöhle, Durch den Gau—⸗ 

men wird fie von ber Mundhöhle getrennt, | 


Der Gaumen befteht aber aus zweien Theilen. Der vor 
dere heißt der. harte Gaumen und iſt eine Knochenplatte, welche die 
Dherkieferbeine und Gaumenbeine bilden (den Durchſchnitt fiehe 


Zaf. VI Fig. 9. zwiſchen Mund: und Naſenhoͤhle und Taf. IX. 


Big. 1. bey 7.). Vom hinten Rande des harten Gaumens 
hängt der weiche Gaumen oder das Gaumenfegel herab (Taf. VIH. 
ig. 9. L.), ein muskuloͤſer Theil, welcher am feinem hintern 
. Rande der Nafenhöhle und Mundhöhle freie Communication läßt. 
Daher kommt es, daß man leicht Rauch oder ähnliche Dinge duch 
den Mund einziehen und aus der Nafe herausftofen Fann.  Ums 
gekehrt kann man leiht Dinge, die man in bie Nafenhöhle eingezos 
gen hat, wenn fie weit genug nach hinten gelangten, durch den 
Mund: wieder ausmwerfen. Die Nafenhöhle wird! ferner, fo weit 
der Enöcherne Gaumen reicht, durch eine Scheidewand in zwei Hälfe 
- ten getheilt. Dieſe iſt hinten Enöchern und beſteht aus dem Pflug- 
ſchaarbein (Taf. IX. Fig. 1. 6.) und nad) vorn aus einer fenk: 
rechten Platte des Siebbeines und einer anfehnlichen Knorpel 
platte (4) 


Die Scheidewand macht, daß die Nafenhöhle mit zwei Deff: 
nungen hinten in die Nachenhöhle übergeht, welche‘ man die beiden 
hinteren Naſenloͤcher (Choanae) nennt (man fieht fie 
in Taf. U. Fig, 2. hinter dem harten Gaumen). 


6. 178. Sn jeder der beiden fo gebildeten Höhfungen finden 
fih Vorfprünge von dünnen Knochenblaͤttern, welche mehr oder we⸗ 
niger gewunden ſind, und davon Muſchein heißen. Die obere und 
‚mittlere Muſchel jeder Seite (Taf. VIII. Sig. 9. 1.2. wo fie mit. 
"Haut bekleidet find) beſtehen aus Verlängerungen des Siebbeins ; 
die untere Mufchel (3) if, wie wir RN ein befonderer 
Knochen, * 


Durch bie nach innen vorfpringenden Mufchein werben Halb: 
kanaͤle uͤberdeckt, welche Nafengänge (Meatus narium) 
— und deren auch drei find (I. II. III). 


u: > * Mir jeber Nafenhöhle ftehen Überdies noch Neben: | 
Höhlen in Verbindung, welche von Knochen faft umfchloffen wer: 
ben und nur mit engen Deffnungen in die Nafe ſich einmünden. 
Bu biefen gehören zwei Höhlen im Keilbein, viele Eleine Höhlen 
im Siebbein (die Siebbeingellen) und die beiden Stirn- 
beinhöhlen, welche in der Gegend des Augenbraunbogens 
zwiſchen beiden Tafeln des Stirnbeins Liegen (F). Eine noch 
groͤßere Höhle umfchließt jedes Oberkieferbein, die Kieferhöhle 
oder Highmors hoͤ hie. Die Keilbeinhoͤhlen und die hinteren 
Siebbeinzellen münden fich in die benachbarten oben Nafengänge, 
bie vorderen Siebbeinzellen aber gemeinfchaftlich mit den Stirnbein⸗ 
hoͤhlen in die mittleren Nafengänge. (Diefe Verbindung ift durch 
bie Sonde (B, 8) bezeichnet.) Außerdem münden in die mittles - 
zen Nafengänge auch noch die Kieferhöhlen. Im den untern Na: 
fengang Öffnet fich dagegen der Thraͤnenkangl (). 


$. 180. Die ganze Fläche der Nafenhöhlen mit den Mus 
ſcheln, den Gängen, den Nebenhöhlen und der mittlern Scheides 
wand wird von einer Schleimhaut bekleidet, welche man nad) einem 
alten Anatomen, der diefe Gegend fehr genau befchrieben bat, 
au die Schneiderfhe Haut nennt. *. . Sie iſt ziem⸗ 
lich die und erzeugte befanntlih den Nafenfhleim. In 
den Nebenhöhten ift fie jedoch viel dünner und fcheint mehr eine 
waͤſſerige Feuchtigkeit, — als einen Schleim zu bereiten.‘ Da die’ 
Nebenhoͤhlen von allen Seiten die Nafe umgeben, fo kann bei jes 
der Stellung des Kopfes Fluͤſſigkeit aus ihnen in bie Naſenhoͤhle 
esgoffen werden, 


Die Nerven ber. innern Nafe haben eine. doppelte Quelle. 
Sie kommen nämlich entweder unmittelbar aus dem Riechkolben (b), 


d aut 6 bie Naſenpol ypen, die entweder 
"Zn Zt Naſenhoͤhle Fate Bro oben in N ebenhöhlen ihren Sig haben. 


x 





— 194 


dringen durch die Loͤcher des Siebbeins, bie dadurch und durch das 
Hinzutreten der Schleimhaut ausgefuͤllt werden, und verzweigen 
ſich auf der Scheidewand, der oberen und ber mittleren Muſchel (c). 
Sie muͤſſen die eigentlichen Sinnesnerven der Naſe ſeyn; denn man 
hat gefunden, daß bei voͤlligem Mangel des Serucfi nnes Briefe 
Nerven fehlten. . 


Die andern Merven find Verzweigungen bed sten Paars und 

befonders feines zweiten Aſtes (e). Sie verbreiten fi befonders 
auf dem hinteren Theil ber Nafe und der untern Mufchel (£). 
Sie ſcheinen nur ale Hülfsnerven zu dienen, werden aber wohl 
nicht ganz ohne Geruhsempfindung feyn, wie bie flärkere Entwis 
Eelung der unteren Mufchel bei fharfriehenden Thieren vermuthen 

läßt. Die Nebenhöhlen erhalten feine eigenen Nerven, 


$.18r. Die Außere Nafe ift an die innere una | 
Die Scheidemand der leiteren verlängert fich bis in die äußere Mafe, 
und fo entftehen die beiden vorderen Nafenlöcher oder Nüftern, Un 
der Wurzel wird die Äußere Nafe von den heiden Mafenbeinen ges 
bildet ($ig. 10. A), im übrigen Umfange von einem Knorpel: Ge 
süfte. In der Seitenwand ber Nafe find zwei größere Knorpel, 
der eine (C), mehr oben liegend, ragt mit feinem unteren Rande 
frei in die Nafenpöhle hinein. Der andere (EI) iſt gewoͤlbt und 
bilder den Nafenflüget, . 2% | 


An der Wurzel des Pafenfihgeis giebt er eine gebogene Vers 
längerung, welche zuweilen getrennt ift oder gar aus mehreren Knor⸗ 
peln befteht (Fig. 20. auf der linfen Spite). Endlich zieht fich 
auch die Fnorplige Scheidemand bis an den Rüden der Naſe (A). 
Die Schleimhaut ift in der dußeren Nafe trodner und zwar um fo 
mehr, je mehr fie fi dem Naſenloche naͤhert. An dieſer Ueber⸗ 
gangsſtelle figen bekanntlich gebogene etwas fteife Härchen, An 
die Knorpel der Außeren Naſe befeftigen fih Muskeln, die zwar 
nicht ſtark find, allein doc einige Bewegung hervorbrin 
Sie ziehen die Nafenflügel hinauf (beim. Nafenrümpfen) o 
herab oder entfernen fie beide von einander, Bei Zhieren iſt 





ihre Wirkſamkeit viel größer. — Die Nerven kommen vom erſten 
und zweiten Aft des sten Paare. au. 


8.282. Das Riechen befteht in der Empfindung ber in ber 
Luft enthaltenen Theile. Wie diefe Theile in der Luft enthalten 
‚find, können wir nicht immer. beftimmen; doch fo viel ift gewiß, 
daß wir nur in fo fern Gegenftände riechen, als von ihnen Theile 
ſich derflüchtigen. Metalle und Erden riechen wir deshalb nicht, 
und wenn einige von ihnen, fobald fie gerieben werden, einen Ge 
ruch entwideln, fo kann diefer wohl nur. dadurch entſtehen, daß fich 
wirklich einige Xheile verflüchtigen. , Vielleicht entfleht au dabei 
ein electrifcher Zuftand, der fich der Luft mittheilt, und nen itte 
* wirkt auf we —— ein. 

Wie ara die Duanticät des verflächtigeen Stoffes ſeyn u 
ohne die Einwirkung auf unfere Geruchönerven zw verlieren, iſt 
befannt genug. Eine Eleine Quantität. Moſchus ann jahrelang 
nad allen Seiten Geruch verbreiten ein merklich an- Ri zu 
— — 


Bu Es ift aber nicht genug, daß von einem Körper ſich Theile vers 
flüchtigen 5; ſie müffen auch eine folche chemifche Beſchaffenheit 
haben, daß fie auf unfere Riechnerven wirken... Worin diefe Bes 
ſchaffenheit beſteht, laͤßt ſich nun freilich nicht genau angeben. 

So haben wir nur eine ſchwache Empfaͤnglichkeit fuͤr das Waſſer, 
welches doch ſtark verdunſtet. Viele Thiere wittern dagegen das 
Waſſer ſehr weit; ein Beweiß, daß die Empfaͤnglichkeit für dens 
ſelben Eindruck bei verſchiedenen Thieren fehr ungleich iſt. Ueber— 
haupt ſteht der Menſch den meiſten Thieren in der Entwi ckelung des 
Geruchſinnes gar ſehr nah. Wie ungeheuer iſt die Spuͤrkraft des 
Hundes; der der Spur. des Wildes meilenweis folgt ‚. ober bie 
- Sachen „die fein Here: berührt has, nad mehreren Tagen an dem 
anhaftenden Geruche wieder erkennt. Die Pflanzenfreffer unter den 
Thieren unterfcheiden durch den Geruch die Schädlichfeit von Pflan⸗ 
zen, die für uns faſt gar feinen Geruch haben. Ueberhaupt fcheint 
ber Öeruchfinn bei den meiften Säugethieren mit dem Gefhmadfinn 
in noch näherer Verbindung zu ftehen, als bei ung. Obgleich wir 
ſchon mit ziemlicher Sicherheit aus dem Geruche einer Speife auf 


— 200 — 


ihren Geſchmack chuehen koͤnnen, ſo gehen doch die Thiere barin 
- viel ficherer, Der gegenfeitige Einfluß beider Sinne ift ſchon durch 
bie nach Hinten mögliche Sommunication zwifchen Nafen: und Mund: 
höhle erflärbar, indem fie die durch die Nafe eingezegene Luft auf 
die Wände des Mundes und der Zunge gehen läßt. Bei den meis 
ften Säugethieren geht überdies noch ein offener Kanal aus der Nas 
fenHöhfe durch den vordern Theil des Gaumens in die Mundhöhle. 
Diefen Kanal hat man nur bei fehr wenigen Menfchen offen ge 
funden; gewöhnlich laßt er im menfchlichen Körper nur einen Ners 
ven und ein Paar Gefäße durchgehen und iſt übrigens verſchloſſen. 
Vorzuͤglich mag aber der ſcharfe Geruch der meiſten Thiere darauf 
beruhen, daß ihre Muſcheln vielmehr getheilt ſind, als die menſch⸗ 
lichen, und alfo eine viel größere riechende Fläche bilden und darauf, 
daß ihre Riechkolben fehr viel ſtaͤrker I und un a 
abgeben, 
$. 183. Da wir Buch den Geruch die in ber euft enthals 
tenen Theile erkennen, fo riechen wir beim Einathmen. Um recht 
fharf zu riehen, pflegen wir daher die Luft in ſchnell auf einander 
folgenden Zügen einzuathmen. Wenn wir einen unangenehmen 
Geruch vermeiden wollen, fo ift das wirkfamfte Mittel freilich, 
Mund und Nafe zuzuhalten, Allein in diefem Zuſtande Eönnen 
wir nicht fange verweilen und wie werden nun, wenn wir zum 
Athmen gezwungen find, duch den Mund einathmen. ' Dann ift 
die Geruch$» Empfindung viel fchmwächer, wir. haben aber eine Ems 
pfindung, welde ein merfwärbiges Gemiſch von Gefhmad und 
Geruch ijt, und welche ohne Zweifel ihren Sig in der Gegend hat, 
wo Mund und Nafe in einander übergehen. Die fchärffte Geruchs⸗ 
Empfindung haben wir dagegen in der Mitte der Nafe, wo bie in 
der Luft enthaltenen Theile von der Feuchtigkeit, von der bie 
Schleimhaut im gefunden Zuftand überzogen ift, aufgelößt werben, 
‚ bie Schleimhaut duschdeingen und auf die Nervenenden wirken, 
’ St bie Schleimhant der Naſe durch Krankheit troden, fo hört ber 
Gerud) auf. — Die äußere Nafe hat weniger Empfänglichkeit 
für den Geruch, als die innere; dennoch bemerkt man eine Ab» 
nahme des Geruches bei Perfonen, die die äußere Mafe verloren 
haben, wahrſcheinlich weil die Schleimhaut der innern Naſe durch 
unmittelbare Beruͤhrung mit der Luft leidet. Die Nebenhoͤhlen 


— ‘297 Tr. 


"Binnen wohl nit unmittelbar den Geruch empfinden; denn in ber 
Haut, welche fie auskleidet, endigen Feine Nerven. Auch laͤßt 
ſich aus dem Umftande, daß fämmtliche Nebenhöhlen in jüngeren 
" Kindern noch fehlen und ſich erft allmaͤhlich mit dem übrigen Wachs⸗ 
thum entwideln, folgern , daß fie zue Empfindung des Geruches 
nicht nothwendig, ja faum wefentlihe Hülfsmittel find. She 
- Hauptnugen ſcheint darauf zu beruhen, daß fidy die zu riechende 
Luft in ihnen etwas .anfammelt und nicht ſoleich durch die Naſe 
in die Luftroͤhre geht. 


Da wir die Luft, die wir zum Athmen brauchen, gewoͤhnlich 
durch die Naſe einziehen, ſo iſt dieſes Sinnesorgan gleichſam ein 
Waͤchter, der uns vor dem Einziehen der ſchaͤdlichen Luft warnt. 
Es giebt freilich Luftarten, die den Athmungsotganen ſehr ſchaͤdlich 
ſind und doch wenig auf die Naſe wirken; allein’ dieſe Luftarten 
kommen entweder in der Natur nirgends oder an fehr wenigen und 
beſchraͤnkten Orten vor. Bon der gewöhnlich uns umgebenden 
Luft kann man behaupten, daß fie um fo nachtheiliger für unfere 
Gefundheit ift, je unangenehmer fie auf die Nafe einwirkt, So 
iſt es mit der Luft, welche Theile fauler Körper enthält: — —⸗ 


$. 184. "Die Einwirkung der Geruͤche hängt theils von ber 
Quantität des riechenden Stoffes und theild von der verfchiedenen 
‚Empfänglichteit ab, ‚die unfere Niechnerven für biefen oder jenen 
‚Stoff haben. So bemerkten wir fhon, daß das Waffer einen 
fehr geringen Eindruck macht. Del dagegen hat: einem ſtaͤrkeren 
Geruch, obaleich es langſamer verdunſtet. So ift aud der Eins 
druck deſſelben Stoffes für verfchiedene Perfonen nach ihrer Eörpers 
lichen Anlage verfhieden.: ‚Der Gerud) vom Mofhus ift Einigen 
"angenehm und Andern Höchft zuwider. Der Geruch des ftinfenden 
Aſand, dem gefunden Manne höchft widerlich, iſt hyſteriſchen 
Frauen zumeilen nit unangenehm. — 1 Eine zu große Maffe des 
riechenden Stoffes, wenn er auch in’ geringeren Quantitäten ange: 
s nehm iſt, wirkt immer unangenehm und erregt nicht felten Kopfs 
ſchmerz. Ueberhaupt ift die Einwirkung des Geruches auf den 
‚übrigen "Körper, ° und : befonders‘" auf das Gehirn, ſehr 
groß. — 1 | 


v: 
— 298 u an 


$. 185.0. Das mwefentlihfte Organ bes Geſchmacks iſt bie 
Zunge und ber wefentlichfte Theil der Zunge ift eine nerwenreiche, 
über ein Muskelgewebe ausgefpannte Schleimhaut, Das Innere 
der Zunge befteht nämlich faft ganz aus Muskeln, bie fi auf die 
‚mannigfaltigfle Weife unter einander verflechten. Man fieht, daß 
die Natur den Zweck gehabt hat, der Zunge bie — Be⸗ 
weglichteit zu geben. 


Die Zunge ruht auf einem bogenförmigen Knochen, u 
Zungenbein (Taf. IX, Fig. 3 und 4. a) (Os hyoideum), 
‚welches aber wieder aus fünf einzelnen Stüden befteht, einem mitt: 
leren, dem Körper, und zwei Paar Seitentheilen, die man bie 

großen und’ Eleinen — nennt. 

Das Zungenbein iſt, um ihm recht viel Beweglichkeit zu ge⸗ 
ben, gar nicht unmittelbar mit dem uͤbrigen Skelet verbunden, 
ſondern haͤngt nur durch zwei ſchwache Baͤnder an dem Schaͤdel an. 
Seine Lage iſt während der Ruhe Hinter dem Kinne, zwiſchen bei- 

den Aeſten des Unterkiefers (Taf. IX. Fig. I; 11.) An das 
Bungenbein.fegen fih Muskeln, welche theild von unten vom | 
Bruſtbein (Taf. IX. Fig. II, 10.), vom Schulterblatt (ebend. 
11.) und vom Kehlkopf, theild von oben her von einem griffelförs 
migen Sortfage des Schläfenbeined (14), und enblid von vorn 
aus dem Winkel des Kinnes (12), zuihm kommen. Durch dies 
fen zufammengefesten Muskel» Apparat iſt das m; * 
allen Richtungen — 


Bom ganzen Umfange bes Büngenbäine echebt fich wien eine 
Muskelpartie in die Zunge und verläuft in ihe von ‚hinten nad 
vorn. Ein anderes fehr ſtarkes Muskelpaar kommt aus dem ins 
nern Winkel des Kinnes in die Zunge und verbreitet fich in ihr fä= 
herförmig, vorzüglich von vorn nah hinten (Taf. IX. Fig I. 10 *). 
Ein drittes Muskelpaar kommt feitlih und vomoben vom griffel⸗ 
foͤrmigen Fortſatz des Schlaͤfenbeins Dieſe drei Paar Muskeln 
verweben ſich auf das mannigfaltigſte, ſo, daß die einzelnen Buͤndel 
einander durchkreuzen, und ſie find es, welche die nn der — 
bilden, I 


So erhaͤlt denn die Zumge nicht nur durch das Zungenbein 
. eine große Beweglichkeit, fondern ift auch in ihrem vorbern freien 
Ende nah. allen Richtungen beweglih. Aus der eriten Abbildung 
ber IXten Zafel kann man fehen, wie die Zunge hervor geſtreckt 
werden muß, wenn die hintern Faſern des Kinnzungenmuskels 
(20*) ſich zufammen ziehen. Iſt fie hervorgeſtreckt, fo ziehen 
bie vordern Fäden deſſelben Muskels, nody mehr aber die vom Zuns 
genbein Eommenden, fie wieder zuruͤck. Die Mannigfaltigkeit der 
Bewegung braucht die Zunge nicht blos für das Schmeden, fons_ 
dern mehr noch im Dienfte der Verdauung, indem fie ‚die Nahrung 
auf die Zähne leitet, und zur Bildung vieler: Buchftaben beim 
. Sprechen. 


6. 186. Hier intereffirt und die Zunge blos als Geſchmacks⸗ 
organ und deshalb ift uns der Muskelbau weniger wichtig als die 
Schleimhaut, die diefe Muskeln uͤberzieht. Die obere Fläche der 
ganzen Zunge und aud die untere Fläche der Zungenfpige wird 
von ihr. bekleidet. Auf der untern Fläche, ift fie glatt und bilder, 
nur in der Mitte eine Falte, das Zungenbändden. Bei 
gehöriger Bildung ift das Zungenbändchen lang genug, um das 
Ausſtrecken der Zunge nicht zu hindern; bekanntlich ift e8 aber zu⸗ 
weiten ſo kurz, daß es die Kinder am Saugen hindert, und dann 
durchſchnitten werden muß. So häufig, wie Mütter und Ammen 
glauben, kommt die Mifbildung jedoch Eeineömweges vor. Biel 

häufiger beruht die Weigerung zu faugen auf anderen Urſachen. 


Auf der m Fläche der Zunge fehen wir caft unzählige Eleine 
Erhabenheiten , die Bungenwärzchen oder Papillen. 
Sie find von fehr verfchiedener Geſtalt und Größe. Nach hinten 
zu, an der Wurzel alfo, fehen wie die größten. Sie fliehen in eis 
nem Winkel zufammen, deſſen Spige nach hinten gerichtet ift (Taf. 


© VL Sig. 12, a), ihre Zahl ift nicht groß, etwa zwoͤlf. Sie 


heißen. die abgeftugten oder eingezäunten Wärz- 
den (Papillae vallatae, truncatae) , weil fie wie abgeftugte 
verkehrt ſtehende Kegel am untern auffigenden Ende dünner find, 
am freien Ende dagegen breiter werden, und von einer Erhöhung 
wie von einem Wale umgeben find. Eine zweite Art, die kopf⸗ 
oder ſchwammfoͤrmigen Waͤrzchen (Papillae clava- 


tae, capitatae), findet fich auf der ganzen obern Fläche ber Zun« 
ge vertheilt und hat die Form von einem Stecknadelkopfe (b). 
Noch andere find ſchmaͤler und länger, fie heißen die Fegelför: 
migen (Papillae conicae), von welchen man wieder bie dünn» ⸗ 
ſten als fadenförmige (Papillae “filiformes) unters 
ſcheidet. Sie find die zahlreichften und faft auf dem ganzen Ums 
fange der Zunge zu fi nden, 


Die genaueflen anatomifhen Unterfuhungen haben in ben 
Zungenwaͤrzchen ein feines Gefäßneg unterfcheiden laffen (in Fig. 
13 fieht man bei A ein vergrößertes Wärzchen der erſten Art) und 
zwifchen den Mafchen des Gewebes eine Maffe ohne deutliche Dr: 
‚ganifation, Bis in die Nähe des Anheftungspumktes eines Wärz: 
chens kann man Nervenfaͤden verfolgen, die in die des 
Waͤrzchens ſich zu verlicren ſcheinen. — 


$. 187. Die Nerven ber Zunge find dreifach. Es ſenkt 
fi nämlich in fie von jeder Seite ein flarker Zweig vom Zten Aft 
des sten Nervenpaares, der Zungennerne (Nervus lin- 
gualis), ein Aft vom Zungenſchlundkopfnerven und. ber größte 
Theil bes Zungenſleiſchnervene oder des 12ten Paare, ein. | 


Der Boinrestnsihbeäh titten geht nicht weit nach vorn und 
Laßt fi nur bis an die abgeftumpften Wärzchen verfolgen. Der 
Bungennerde und der Zungenfleifchnerve verbinden fich vielfach 
unter einander und ſchicken dann Fäden an die übrigen Wärzchen, 
welche jedoch allein dem Zungennerven anzugehören ſcheinen, fo, 
daß diefer als der eigentlihe Sinnesnerve im vorbern Theil ber 
Bunge angefehen werden muß. Da der Zungenfleifchnerve zu: 
gleich, die Muskeln verforgt, welche das Zungenbein bewegen, fo 
Theint er überhaupt nur Muskelnerve zu feyn. Diefe Anſicht has 
‚ben Verlegungen an Menfchen und Verfuche an Thieren als richtig 
erwiefen. Ber Zerflörung des Zungennerven hörte der Geſchmack 
auf, bei Zerſtoͤrung des 12ten Paares wurde die Zunge immer ges 
laͤhmt, obgleich zumeilen, vielleicht wegen der Verbindung mit dem 
‚Bungennerven, auch die Gefhmadsempfindung litt, 


# 


— | 301. — | / 


6. 788. Der Geſchmack ift die Empfindung, melde in ben 
Mund gebrahte Stoffe nach ihrer verfhiedenen Beſchaffenheit in 
der Mundhöhle und befonders auf der Zunge hervorbringen. Wie 
der Geruch der Sinn für die chemifche Beſchaffenheit der Luft und 
der in ihr enthaltenen Theile ift, fo benachrichtigt der Geſchmack 
uns von der chemifchen Befchaffenheit der Dinge, in fofern fie im 
Speichel und dem Schleime , der die Zunge überzieht, auflöslich 
find. Nur was entweder von ſelbſt flüßig iſt, oder durch die 
Keuchtigkeiten des Mundes flüßig gemacht wird, bringt einen wahs 
ven Geſchmacks⸗Eindruck hervor. Dinge, die ganz unauflöslic) 
find, wie Glas, die meiften Steine m. f. w. erregen zwar auch 
eine ganz dunkle Empfindung auf der Zunge; wenn man aber diefe 
Empfindung genau beobachtet, fo erkennt man, daß fie bald durch 
die Kälte, bald durch die Befchaffenheit der. ‚äußeren Ober: 
fläche hervorgebracht wird, und daß fie mithin mehr einem Taften 
zu vergleichen ift, als einem Schmeden.  Ueberhaupt fcheint es 
mir, daß jedesmal mit dem Schmeden ein ganz unvollfommnes 
Taſten verfnupftift. Der befannte Metallgeſchmack moͤchte dagegen 
ein wahres Schmecken ſeyn; denn das von der Zunge befeuchtete 
Metall orydirt ſich wohl in einer ganz dünnen Schicht, und wir 
fchmeden dann dieſes Oxyd. Die geringe Quantität deffelben darf 
uns nicht in Zweifel fegen; denn für Dinge, die einen. merkfichen 
Eindrud auf die Zungen-Papillen mahen, iſt diefes Organ eine: 
fehr empfindliche Waage. Die Zunge eines geübten Weinfchmes 
ders unterfheidet ja nit nur die nahe verwandten Meinforten, 
fondern erkennt aud) die einzelnen Sahrgänge derfelben, Indeffen mag 
das Schmeden der Metalle zuweilen auch auf dem Empfinden eines. 
galvaniſchen Berhältniffes beruhen, Wenigftens erregt mic auch das 
Gold einen befonderen Metallgefhmad und nad) unfern chemifchen 
Kenntniffen ift es doch nicht wahrſcheinlich, daß, bie Feuchtigkeit 
ber Zunge das Gold orydirt, befonders da es durch das Befeuchten 
feinen Glanz nicht verliert. — Da zum Schmeden bie Auflögung 
des ſchmeckbaren Stoffes erfordert wird, fo Hört der Geſchmack auf, 
wenn in krankhaftem Zuſtande die Zunge troden wird, 


6.1289. Die Phpfiologen haben fich -geftritten, ob die 
Zunge das einzige Geſchmacks-Organ fey oder nicht, Mir ſcheint 


/ — 302 — — 


e8 ganz unlaͤugbar, daß wir mit dem ganzen Umfange der Mund, 
Höhle, namentlich mit dem Bahnfleifche, und nody mehr mit dem 
harten und weichen Gaumen, fchmeden, und daß auf der Zunge der 
Geſchmack nur am fiärfften und die Verſchiedenheit der Eindrüde 
am Eenntlichften if. Man überzeugt fich leicht davon, wenn man 
den Gaumen mit fhmedbaren Dingen beftreiht. Sa, ich möchte 
fogar das fogenannte Stumpfwerden der Zähne, das durch Säus 
von entſteht, mit zu der Gefhmads: Empfindung rechnen. Es 
ſcheint auf einer Empfindung im Bahnferne zw beruhen, 
nachdem die harten Maffen des Zahnes von der Säure durchdrune 
gen find. Daß im ganzen Umfange der Mundhöhle eine dunkle 
Geſchmacksempfindung ihren Sig hat, lehren auch mehrere Bei: 
fpiele von Menfhen, denen die Zunge urfprünglicy fehlte oder die 
durch Verlegungen ihre Zunge verloren und dennoch nicht allen Ger 
ſchmack eingebüßt batten. Auch erhält der Gaumen und der übrige 
Umfang der Bunge Nerven vom zweiten Aft des sten Paars. 


Die Sefhmadsempfindung tft fogar nad) den verfchiedenen 
Gegenden des Mundes und der Zunge ſelbſt verfhieden. Die 
Suͤßigkeit empfinden wir ftärfer auf der Spige der Zunge, bie 
Bitterkeit auf der Wurzel derfelben ; der faure Gefhmad wirkt 
mehr auf den vorderen Theil des Mundes, der alkalinifche mehr 
auf dem hinteren. Diefen Unterfchied bemerken wir befonders in 
dem fogenannten Nachgefhmade oder in dem längeren Verweilen 
des Gefhmadeindrudes. Den bitteren Nachgeſchmack haben wir 
auf der Zungenwurzel, den Nahgefhmad ſcharfer Dinge im hin: 
teren Theil des Mundes überhaupt, und befonders auf dem des 
meichen Gaumens; dagegen wird die vorbere Gegend des Mundes 


durch Säuren mehr afficirt. 


— 


6. 190. Der Geſchmack iſt beſonders zum Erkennen der 
Beſchaffenheit der Nahrungsmittel beftimmt und hat darum feinen 
Sitz am Eingange zum Verdauungskanal. Er ift der Wächter Über 
die Zuträglichkeit ‚der Nahrungsmittel. Zwar ift er kein fo ficherer - 
Leiter, als die Nafe für die meiften Thiere, indem manche ſchaͤd⸗ 
liche Dinge wenig ober einen füglihen Gefhmad haben ; aber mit 


0 77—— 


- Sicherheit können mir diejenigen Nahrungsmittel verwerfen, wel⸗ 
che auf der Zunge einen unangenehmen Eindruck hervorbringen. 
Die Arzneikörper machen nur ſcheinbar hiervon eine Ausnahme, 
denn fürs Erſte taugen fie nicht zu einer fortgefegten Nahrung und_ ' 
fürs Zweite haben bie Aerzte vielfah beobachtet, daß, wenn auch 
nicht alle, doc) mehrere Arzeneien den Kranken um fo weniger übel 
ſchmecken, je mehr fie für ihren Zuſtand paffen. So ſieht man 
oft, daß Kranke Quaſſia umd andere hoͤchſt bittere Mittel: ohne 
Widerwillen, ja mit einem gewiffen Wohlgeſchmack, nehmen, 
wenn diefe. Mittel für ihren Zuftand verht paffend find, 


\ 





Funf; ehnte ® or fees 


Vom Zaftfinne und ber Haut. 
Vergleichung der Sinnen. 


6. ıgr. 


N Di Organ für den Zaftfinn ift nicht wie die Übrigen Sinnesors 


gane im Kopfe enthalten, fondern am Ende der oberen Ertremitäs 
ten. Es ift auch viel weniger felbftftändig entwidelt und nur eine 
Modification des autemgnen —— 


An der innern Flaͤche der Hand namlich und ins Beſondere 


an den Fingerſpitzen find die Hautwaͤrzchen ſtaͤrker ausgebildet und 


ſtehen in Reihen dicht zuſammengedraͤngt. Hierzu kommen noch 
einige Vorrichtungen, welche die Faͤhigkeit zu taſten ſehr erhoͤhen. 


Dahin kann man die Naͤgel rechnen, welche den Fingerſpitzen einen 


feſten Ruͤckhalt gewaͤhren. Unter der Haut der Finger liegt ein 
lockeres Zellgewebe, wodurch die Haut gleichſam ausgepolſtert wird, 


‚um ſich an die Oberflaͤche des unterſuchten Körpers anſchmiegen zu 
koͤnnen. An einzelnen Stellen iſt die Haut enger an die Unterlage 


angeheftet. Es entſtehen dadurch die groͤßern Furchen, die wir an 
der innern Flaͤche der Hand und der Finger bemerken. Bei der 
Zuſammenbeugung dieſer Theile bilden ſie nach innen gehende Fal⸗ 
ten. Durch das Knochengeruͤſte, welches in jedem Finger in meh⸗ 
rere bewegliche Glieder getheilt iſt, wird die Moͤglichkeit, die Ge⸗ 
genſtaͤnde zu umfaſſen, gegeben, und die eigenthümliche Beweglichkeit 
des menfchlihen Daumens, vermöge welcher wir ihn den andern 
Fingern entgegen fegen und einen Gegenfland von zweien Seiten 
umfaffen koͤnnen, giebt der Hand erſt die rechte Tuͤchtigkeit zum 
Zaften, Wir können daher mit dem Fuße, obgleich an den Zehen 
faft diefelbe Unordnung der Wärzchen Statt findet, doch Feinesweges 

fo 


fo gut taften, als-mit ber „Sand, weil die große Zehe lange nicht 
die Beweglichkeit des Daumens hat. Ueberdies find die Zehen kuͤr⸗ 
zer als die Finger und ihre Oberhaut iſt bedeutend dicker. — Die 


Hand ſelbſt iſt wieder auf dem Unterarm nach allen NE 


In allen Berhäftniffen, dit bie —— zu — in der 


— Hand erhoͤhen, ſteht die vordere Ertremität der Thiere 
ſehr zuruͤck. Nur in den Affen findet fih noch ein frei beweglicher 


Daumen, in den Übrigen Thieren ift feine Beweglichkeit nur fo 
groß, als die der andern Finger, häufig ift er auch fehr verkürzt 
und gleichfam verkuͤmmert; in fehr vielen Thieren fehlt er ganz. 


Wo die Spige der Zehen von einem Hufe eingefchloffen ift, kann 


natürlich von einem Taftorgan gar nicht die Rede feyn. Selbſt in 
den Affen fcheinen die langen fchmalen Finger mehr zum Halten 
beim Klettern, als zum Taſten gefhidt. Indeſſen ift ihr Taftors 


* gan dem menfchlihen immer am ähnlichften und fie haben auch an 
' den Hinterfüßen wirklihe Hände. In allen andern Thieren ſteht 


ber Taftfinn gar fehr zuruͤckk. Wo die Füße ganz unfähig dazu find, 
hat er in andern Theilen feinen Sig. So gebrauchen die — 
pfen * Enten ihren Sqhnabet zum Taſten. 


Bei den Säugethieren, bie eine zum Kiffer verlängerte Nafe 
haben, roie der Maulwurf, das Schwein und am meiſten der Ele 
phant, dient die Spige ihres Nüffels als Zaftorgan. Bei mans 
hen andern Thieren geben die Lippen einen, jedoch fehr. unvollſtaͤn⸗ 
digen Erfas. Man hat nody andere Theile für Taſtorgane erklärt, 
namentlich die Barthaare der Kagen, der Seehunde und vieler Nas 
gethiere, fo wie die weichen Fäden, welche vom Maule mehrerer 
Fiſche herabhängen. Allein, dieſen legteren Theilen fehit ſogar 
die ſelbſtſtaͤndige Beweglichkeit ganz und ſie ſind daher zu einem 
wahren Taſten voͤllig unfaͤhig. Allerdings koͤnnen ſie, wenn ſie 
berührt werden, eine Empfindung veranlaſſen, aber dieſelbe Fähig- 
keit Hat die ganze aͤußere Oberfläche jedes Thiers, wenn fie nicht 
von harten Keuften und Schildern eingehülle ift. Auch ‚die uns 


laͤugbaren Surrogate unſers Zaftorgans, die Rüffel und ‚die ‚mit 


empfindlicher Haut Überzogenen Schnäbel find keinesweges geeignet, 


die Form der Körper fo vollfiändig zu erforfchen, als unfere Hände, 


20 


— 306 ' — 


Bald haben jene PR zu viel, bald zu le fefte oder empfin⸗ 


dende Theile. Bei keinem von ihnen laͤßt ſich die taſtende Flaͤche 


in fo weitem Umfange an den zu unterfuchenden Körper anlegen, 
als wir es eg mit beiden Händen zugleich koͤnnen. 

| Es iſt daher nicht zu bezweifeln, daß der Menſch in Hinfiht 
ſeines Taſtorganes einen großen Vorzug vor den uͤbrigen Thieren 
habe. Man ſieht auch, daß die Thiere mehr durch andere Sinne, _ 
und namentlich durch den Geruch, die Befhaffenheit fremder Kör: 
per zu erkennen ſuchen. Mehrere Naturforfcher find fo. weit ges 
gangen, bie höhere Geiſtesbildung des Menfhen von feinem Taſt⸗ 
organe herzuleiten, welches ihm nur mannigfaltige Vorſtellungen von 
Formen .geben kant, : Sa, Büffon Hält es für möglich, daß die 
höhere Seiftesbildung, duch welche ein Menſch fi vor dem andern 
unterfcheidet, aus dem frübzeitigen und vollftändigen Gebrauche der 
Hände entſtehen koͤnne und raͤth Kinder früh an den * Gebrauch 
der Haͤnde zu gewoͤhnen. — 


J 


Welcher Auebilbung ı hei menfchliche, Sof ihig ik, leh⸗ 
en und Blinde, die durch fortgefegte Uebung es fd weit brach⸗ 
ten, das Gepräge der Münzen dur die Finger zu erkennen 
‚oder die von den Farben abhängige Verfchiedenheit in ber 6⸗ 
mauchet Gegenſtaͤnde zu unterſcheiden. — * 

193 Durch den Taſtſinn A wir die — op: 
fifchen Berhättniffe der Dinge, namentlich ihre Größe, Form und 
Diptigkeit. Auch ihre Schwere erforfchen. wie durch den Zaftfinn, 
jedoch nur auf mittelbare Weiſe, indem wir die FRIÄNRONRSENGNERG 
ſchaͤten, die zum Aufheben der Koͤrper erfordert wird: | 


Das Erkennen bet Temperatut iſt eigentlich nicht RR Ä 
des Taftfi nnes, fondern kommt der ganzen äußern Oberfläche. zu, 
und nur, weil wie. die Hand am miannigfaltigften bewegen. können 
wenden wir fie an, um bie Temperatur der — Ferinen zit 
keinen. | 4 | 

Ueberhaupt ift der Taſiſimn nur eine —— Modification 


des Cmpfindungsosemögchs, welches dei ganzen vu ——— 
zukoͤmmt. 


= 397 — 


u} 194. ‚Hiervon nehmen mir Veranlaffung, zu der Be⸗ 


trachtung der Haut uͤberzugehen, welche ſich keine ln A 
* ſinden moͤchte. 


ir 


Die —— Hautdecke (Cutis), welche den ganzen 
außern Umfang unſeres Körpers umgiebt, beſteht aus mehreren 
übereinander liegenden Schichten. Diefe haben weder gleiche Staͤr⸗ 
fe, noch gleichen phyſiologiſchen Werth, wenn man fich diefes Aus: 
druckes bedienen darf. Es iſt vielmehr die eine Schicht, die Les 
deehaut, bei weitem die ſtaͤrkſte und wefentlihfte, fo daß die ans 
dern nur als Nebentheile erfcheinen, 4 


Wit wiſſen, daß zwifchen den einzelnen Theilen, welche mehr 
oder weniger ſich der Oberflaͤche naͤhern, ein ſehr wenig organiſirtes 
Zellgewebe ſich findet. Dadurch werden ſchon die Luͤcken groͤßten⸗ 
theils ausgefuͤllt, und die aͤußere Form gleichmaͤßiger gemacht. Im | 
gefunden Menfchen Liegt eine Lage von Fett Über den verfchiedenen 
Theilen des Körpers ausgebreitet, wodurch noch mehr die einzelnen 
Erhöhungen und Vertiefungen verdedt werden. Im langwierigen 
Krankheiten nimmt das Fett fehr ab und bie äußere Oberfläche wird 
davon uneben. Meit aber die Fettlage fo inconftant ift, auch nicht 
in allen Gegenden fich findet, pflegt man fie nicht mit unter den 


Hautſchichten aufzuzaͤhlen. Außer ihr kann man drei Schichten 


annehmen die Lederhaut, den ORTE} Schleim und die 
——— 


— 195. Die Lederhaut (Coriinh) iſt unter — 
gruen wie gefagt, bei Weiten die ſtaͤrkſte und der weſentlichſte ‚Theil 
der Haut. Sie ift es, welche in den Thierhäuten zu Leder verar⸗ | 
beitet wird. So giebt fie auch aus der menfchlihen Haut, wenn 


ſie dem Gerben unterworfen wird, ein Leder das keinesweges fo 


duͤnn iſt, als man wohl gewöhnlich glaubt. Wir find naͤmlich 
gewohnt, die menfhlihe Haut nur im lebenden Zuſtande zu fühlen, 
wo fie von wäßrigen und öligen Feuchtigkeiten immer weich erhalten 


wird. Die Die ift jedoch ſehr verfchieden, am beträchtlichften auf 


dem Ruͤcken, geringer auf der Hand; am zarteften iſt die Haut 
auf den kLippen und der Spitze des —— Gliedes. 


20 


= 


| pflegt. —— 


— 308 — 


— — wir die Rederhaut auf der unteren Flaͤche, mit der. 
1 auf der Bettlage oder ben an die Oberfläche tretenden Theilen 
aufſitzt, fo finden wir dieſe innere Flaͤche uneben und voll. unre⸗ 
gelmäßiger Vertiefungen, in welche fi das Bett wie in Mafchen 


hineinzieht. Das Gewebe der Lederhaut ſelbſt ſcheint hier aus Faͤ⸗ 


den zu beſtehen, die die Maſchen bilden. Indeſſen moͤchte ich nicht 
behaupten, daß die Lederhaut aus wahren Fäden zuſammengewirkt 
iſt, denn nach außen zu ift das Gewebe mehr gleichmäßig, bie A | 
ſchen verengern fih und ſchwinden an der aͤußern Flaͤche ganz. 

Lederhaut laͤßt hier nur noch aͤußerſt enge roͤhrenfoͤrmige Shen er 


die Gefäße. und Nerven, fo wie etwas weitere für die Haare offen. 
‚Diefe find es, welche wir auf der Oberfläche eines ieden bearbeiteten 


Leders als Punkte erkennen, und weine man * zu nennen 


’ 


| z Die Lederhaut iſt ſehr reich an fein verzweigten Arterien und 


Denen, Nach einer wohlgelungenen Injection wird fie daher faft 
ganz von der Injectionsmaſſe gefaͤrbt. Ohne diefe kuͤnſtliche Faͤr⸗ 
bung, und wenn wir von dem in den Gefaͤßen enthaltenen Blute 
abſehen, finden wir die Subſtanz der Lederhaut in allen Völkern 


| i nur wenig gefärbt. Auch endigen eine Menge Nerven in ber Leder⸗ 


haut, und an der außern Flaͤche derſelben ſieht man mehr oder mes 
niger deutlich Eleine Erhöhungen, Hautwaͤrzchen nämlich, 


welche zu den Nerven in demfelben Verhältniffe ſtehen mögen, als 


die Bungenwärzchen zu den Zungennerven. Wir wiffen ſchon, daß 
fie auf der inneren Fläche der Hand und der Finger am meiſten aus— 


gebildet ſind, indeffen;glaubt man fie auch. deutlich an andern Stel⸗ 


len zu erkennen, wenn durch ein ——— die EEE ntae 
PAAR iſt, 

4,5% 

I: Die Pr Empfindlichkeit ber ‚Haut, —— die Oberhaut 
durch seine Verletzung entfernt iſt, mag uns von dem Daſeyn und 
der Wirkſamkeit der Hautnerven noch näher uͤberfuͤhren. Die Les 
derhaut ift zwar fehr ausdehndar und kann fich wieder zufammens 


ziehen, wenn bie Ausdehnung nachlaͤßt, indeffen iſt ihre Elafticis 


tat. doch immer befhränft und deswegen iſt fie wohl an einzelnen 


Stellen, namentlich in der Nähe der Gelenke, enger angeheftet, 


wodurch die dutchen in der Haut entitehen, Zwifchen den — 


— 309 — 


regelmaͤßigen Furchen ſind Hhlloſe kleine unregelmaͤßige wie hir 
fie aus der Handwurzel in Fig. 14 abgebildet fehen. Hier ſtellt 3 
die Lederhaut und 4 die Fettlage vor. 


= 


ae $. 196. Im teßenden Menfchen liegt an der aͤußern Flaͤche 
ber Lederhaut die Oberhaut ziemlich eng angeheftet.  Daffelbe fins 
su wir Eurze Ben nad. dem Tode. 


Eine PEN Beit nach demfelben Tr ‚oder wenn man einen 


Theil der Haut eine Zeit lang im Waffer, befonders in warmen 


Waſſer kiegen laͤßt, loͤßt fich die Oberhaut leicht ab, und man fins 


det zwifchen beiden Schichten eine dünne Lage eines ſchleimigen 


Stoffes. Dieſen hat man nach einem Anatomen Stalieng den 
Malpighifhen Schleim genannt. Viele Zerglieberer 
laͤugnen ihn im lebenden Körper, da er nur längere Zeit nach dem 
Tode oder durch kuͤnſtliche Vorrichtungen darzuftellen ift. Diefer 
Meinung möchte ich indeffen nicht beiftimmen, weil bei mehreren 
Thieren eine anfehnliche, nicht organiſtrte Maffe zwifchen ben beiden 


andern Hautſchichten liegt, und weil ſich eine ſolche mittlere Lage, 
“und zwar eine fehr dunkel gefärbte, in ber Haut. der Neger deutlich 


erkennen laͤßt. Ueberdies ficht man ſelbſt in Europaͤern in man⸗ 
chen Krankheiten eine Vermehrung derſelben. Auch iſt zwar die 
Oberhaut in den verſchiedenen Voͤlkern verſchieden gefaͤrbt, indeſſen 
boch nicht hinlaͤnglich, um daraus' die verſchiedene Faͤrbung der 
ganzen Haut zu erklaͤren. Wir muͤſſen vielmehr erkennen, daß 
in ber verfchiedenen Entiwidelung und Färbung des Malpighifchen | 


Schleims die Berfchiedenheit der allgemeinen Hautfarbe vorzüglich 


begründet if. Zugeben wollen wir dagegen, daß im Europäer dies 
fe Schicht aͤußerſt wenig entwickelt ift, und daß fie in der That nur 


aus einem ausgeſchiedenen Stoffe befteht, der immer. bereit iſt, zu 


einer Oberhaut zu erhärten, wenn diefe- auf irgend eine Weiſe ver⸗ 
loren geht. Ausgezeichnete Anatomen wollen auch gefunden haben, 


daß die festen Enden der Hautgefaͤße die Lederhaut durchdringen, 


und fich nesformig auf ihr verbinden, fo daß nicht blos eine Schleims 


lage, ſondern auch ein hödft zartes Gefaͤßnetz die Lederhaut bede⸗ 


RW 


den’ müßte, Mir ift es indeffen bei der feinften Injection nicht 
gelungen, ein Gefaͤßnetz auf ber Leberhaut zu enthedien , vielmehr 
ſchienen die Gefäße immer in den Hautwaͤrzchen zu enden, die von 


— 310 — — 


ber feinen ( rothgefaͤrbten) Injectionsmaſſe geroͤthet wurden. In⸗ 


beffen maaße ich mir Fein entſcheidendes Urtheil an, da es andere 
Gründe sieht, an ein folhes Gefaͤßnetz zu glauben, 


ei8 0 


$. 197. Die Oberhaut (Fpidermis) bildet. die Aus 


herſte Lage. Sie iſt ohne Gefaͤße und ohne Nerven, daher auch 
ohne Empfindung. So kann man in der Hohlhand, wenn man 


recht vorſichtig iſt, in die Haut ſich eine Naͤhnadel laͤngs der Hand» 


flaͤche einſtechen, ohne Schmerz zu empfinden, indem man die Les 
derhaut vermeidet. Ueberhaupt ift die Oberhaut, diefe Außerfte 
Schicht des lebenden Körpers, kaum mehr lebendig zu nennen, ‚Sie 
iſt vielmehr ein ausgefchiedener. Theil, den bie Blutgefäße der Le- 
derhaut zuförberft als Malpighiſchen Schleim ausſondern, und def» 
ſen oberſte Lage dann als Oberhaut erhaͤrtet. So wird ſie auch im⸗ 
mer ſehr bald neu erſetzt, wenn ſie an irgend einer Stelle durch Ver⸗ 
wundung oder ähnliche Urfachen verloren gegangen ifl, Hat die 


- Berwundung blos die Oberhaut entfernt, fo bleibt nicht einmal eine 


Marbe zuruͤck, weil die Lederhaut den fehlenden Theil der Oberhaut 
vollftändig und fo wieder bildet, mie er früher war, * Dat dagegen 
die Verwundung einen Theil der Lederhaut mit entfernt, und iſt die 
Luͤcke zu groß, als daß die Wundränder der Lederhaut fih blos ein: 
fad) an einander Iegen Fönnten, fo-bilder fich eine Narbe, indem 
Die Lederhaut nie wahrhaft neu gebildet wird, fondern in ber Luͤcke 
nur ein feftes Zellgewebe anſchießt, dem die gehörige Färbung und 
uͤbrige DOrganifation der Haut fehlt, Die Oberhaut erneuert ſich 
. Überdies während des ganzen Lebens, ohne durch Verlegung ent: 
fernt zu ſeyn, und die alte Oberhaut faͤllt immer in Fleinen unre— 
gelmäßigen, kaum bemerklichen Stuͤckchen ab, während ſich unter 
ihr die neue bildet... In vielen Thieren ift die Erneuerung der 
Oberhaut periodifch, und heißt dann das Häuten, das z. B. bei 
Schlangen einmal im Jahre erfolgt, in manchen niedern Xhieren, 
wie. in den Raupen aber fich öfter wiederholt, * In vielen Haut: 
krankheiten des Menſchen geht das Abfterben der alten Dberhaut 
and die Erzeugung der neuen fehr viel raſcher als gewoͤhnlich vor ei 


2 i N * 
a 





N 


TB biefon sShleren faͤllt jedoch die Oberhaut qht in Beinen ——— ab, 
ſondern fie bleibt ein zaufammenhängendes Ganze. 


i —— 3 TI — | — 
Die Haut iſt dann mit bännen-Fleienartigen Schuppen bedenkt, die 
unaufhoͤrlich abfallen, - oder fie loͤßt ſich auch in —— Roman 
los, wie nach dem Scharlachfieber. 


u Die Epidermis ift von fehr ungleiher Die, In der Hohl 
band und befonders der Fußfohle ift fie fehr di, in den übrigen 
. Gegenden aber meiftens dünn. Cie ift es, welche nach Anwendung 
% vom Blafenpflaftern die ſogenannte Blaſe bildet. 
Von —* Lochern oder Poren der Oberhaut wiffen bie Laien 
ſehr viel, die Anatomen. aber fehr wenig, oder vielmehr nichts. 
Sieht man die Haut eines lebenden Menfchen an, fo glaubt man. 
; ‚freilich in verfchiedenen Gegenden deutlich Deffnungen zu fehen, 3. 
- DB, ander Nafenfpige, bei vielen Menfchen auch auf der Wange, 
Genaue Unterfuhungen zeigen hier aber nicht Deffnungen, fondern‘ 
nur ſeht enge und verhaͤltnißmaͤßig tiefe Hoͤhlungen, welche nicht 
die Oberhaut durchloͤchern. Es ſenkt ſich naͤmlich dieſe in ſie ein 
und umkleidet die ganze Höhlung, fo daß ihr Zuſammenhang kei— 
nesweges unterbrochen wird, Wir werden auf diefe Höhlungen, 
bie unter dem Namen Hautbälge bekannt find, weiter unten ($, 
200) zurüdfommen, — Eben fo ift es mit den Haaren, Auch 
diefe durchbohren Feinesweges die Oberhaut, welche vielmehr in die 
roͤhrenfoͤrmige Grube, in der das Haar figt, fich hineinzieht und 


ſie auskleidet. Andere Deffnungen hät Fein zuverlaͤſſiger Beobach⸗ 


ter finden Eönnen. Auch läge ſich Quedfilber, das fonft durch die 
feinften Deffnungen zu dringen vermag, nicht durch die Oberhaue 
durchdruͤcken. Man glaubte nur ehemals die Poren annehmen zu 
müffen, ‚weil die Dautausdünftung und der Schweiß bie Oberhaut 
durchdringen und eben ſo aus der Außenwelt Stoffe in die Haut 
aufgenommen werden. So wenig dieſe Erfahrungen gelaͤugnet 
werden koͤnnen, ſo darf man darum doch nicht auf Oeffnungen 
ſchließen, die von der Beobachtung — werden. Wergl. 


jo ) 


Aus welchem Gewebe mag die Oberhant befiehen? Man fieht 
eigentlich nur ein einfaches Blatt oder wo der unterliegende Mal- 
pighifche Schleim (bei diefer Benennung müffen wir ſchon flehen 
bleiben, obgleich eigentlich die Benennung Eyweiß richtiger. feyn 


— 312 — Ra) 


würde) neue Lagen von Oberhaut gebildet hat, ein mehrfahes 
Blätt ohne geregelte Tertur, und die Maffe diefes dünnen Blattes 
iſt — fo fonderbar e8 Anfangs Elingen mag — weſentlich nichts 
als Hoınmaffe. Sie verhält ſich Chemifch mie dieſe, ift bei ges 
woͤhnlicher Temperatur ſchwer aufiögtich und widerſteht deshalb der 
Faͤulniß und der Verdauung fehr lange. Nur bei ſehr großer Hige 
läßt ſich die Hornmaſſe zerftören, Sie iſt nichts als eine — 
Modification von Eyweiß. 


z. 198. Die Oberhaut iſt von ber gewoͤhnlichen Hornmaſ⸗ 
fe, wie wir fie hinlaͤnglich von fo vielen Thieren kennen, nur durch 
größere Weichheit unterfchieden. Cie fann aber durch Drud erhär: 
tet werden, und dann erzeugt fie Schwielen, die dem gewöhnlichen 
Horn viel näher Eommen. Die Hühneraugen find Wucherungen 
biefer Art und’ Vermeidung, von Drud das ficherfte Mittel, fie zu 
verhüten.. Auch die Warzen find aͤhnliche Wucherungen der Ober: 
haut, die aber nicht vom Drude, fondern von einer krankhaften 
Befhaffenheit der Haut erzeugt werden. Man hat fogar Fälle bes 
obachtet, wo den Menfchen wirkliche hornige Theile aus verfchiebe: 
nen Stellen der Haut hervorwuchſen. Haͤufiger kommen ſolche 
krankhafte Hornbildungen bei Thieren vor, | 


An beftimmten Stellen find die Hornbildungen am menſchli⸗ 
schen Körper regelmäßig — die Nägel nämlich an ber obern 
Fiäche der Finger und Zehen. Bei allen Säugethieren mit Aus: 
nahme der Wailfifche, bei den Vögeln, Eidechfen und SchildErd- 
ten iſt diefelbe Nagelbildung an den Sehen, obgleich in fehr ver . 
Thiedener Ausdehnung, denn die Hufe find nichts anders als ſolche 
Mägel, die aber fo groß find, daß fie das legte Glied nicht blos von 
oben bededen, fondern faft ganz einhüllen. Bei vielen Thieren 
geht die Hornbildung noch viel weiter, wie namentlich an unſerm 
Nindvieh, bei dem zwei Knochenzapfen des Stirnbeins mit einer 
hornigen Scheide uͤberzogen find. Die Voͤgel haben außer ber Spi⸗ 
- ge der Zehen noch eine hornige Bekleidung auf ihrem Schnabel und 
ben Beinen. Hier iſt es vorzüglich, wo man ſich von dem Ueber: 
gange ber Dberhaut in Horn Überzeugen kann, indem bie erflere 
nur flellenweife in Horn verwandelt iſt und eben badurd) die mans 
nigfachen Schilder bilder. Ich koͤnnte die Faͤhigkeit der Oberhaut 


—F 


rn 


| in Horn Übersugehen noch dadurch erwweifen, baf ich zeigte, wie 


das Schildpatt nur die verhaͤrtete Oberhaut der Schildkröten ift, Als 
fein ed wird Zeit feon, a den Nägeln unfrer Singer —— 


Daz dieſe Nägel ber Oberhaut angehoͤren, erkennt man leicht, 
wenn man den Finger eines Leichnams eine Zeit lang in warmen 


Waſſer liegen laͤßt. Der Nagel geht dann mit der Oberhaut ab. 
Man fieht dabei, daß die gewöhnliche Oberhaut eine Falte bildet, 


die den hinterm und den feitlichen.Rand des Nageld aufnimmt, und 


daß die Oberhaut fih darauf in die untere Flaͤche des Nagels vers 


liert. Devhinterfie Theil des Nagels oder feine Wurzel ift in dies 
fer Falte verſteckt, der vordere Theil ift frei. An diefem erfennt 


. man hinten den Mond, der fich durch weißere Farbe vom übrigen 


töthern Nagel unterfcheidät, Die Verſchiedenheit der Färbung 
fheint von der Beſchaffenheit der darunterliegenden Lederhaut 
abhängig zu ſeyn. Das ſtreifige Anfehn des Nagels hängt 
wohl von Streifen ab, die die Lederhaus unter ihm zeigt und die, 
ohne Zweifel aus, Reihen von zufammengedrängten Nervenpapilfen 


‚ beftehen. Daher der ungeheure Schmerz, wenn der Nagel abge 


riffen wird. Daß der Nagel unaufhörlic wählt, indem er von 
hinten nach) vorn ſich weiter hervorfchiebt, lehrt die tägliche Erfahs . 
rung. Wenn ein Nagel ohne Verletzung der Lederhaut verloren 
geht — etwa durch Eiterung — fo erzeugt er fich eben ſo wohl 
wieder als jeder andere Theil der Oberhant.  Dft kommt jedoch der 
neue Nagel dem alten an Glaͤtte und Regelmaͤßigkeit nicht gleich. 
Wird hingegen die unter dem Nagel liegende Lederhaut aeftönt, ſo 
bitber fi ich kein nouer Nagel, | 


$. 199. Zum Bereich der Haut und namentlich der Obers 


haut gehören auch die Haare, deren Beſchaffenheit ung jetzt auch 


befchäftigen fol, Sch habe Sie (8. 197) auf die vielfachen For⸗ 
men aufmerffam gemacht, unter welchen die Hornmaffe in den 


thieriſchen Körpern vorfommt, damit 28 Sie weniger befremdet, 


wenn Sie erfahren, dag auch die Haare hornig find. Chemifc vers 
halten fie fich eben jo und es wäre nicht fehr unpaffend, die größe 
ren Hornmaſſen der Thiere als aus zuſammengewachſenen Borſten 
(die nichts weiter find als verdickte Haare), beſtehend zu betrachten. 
Sicht man 5. Bo das Horn eines Ochſen an, fo bemerkt man eine 


* 


* * 1 
2 


deutliche Streifung in ibm, als * Borften eng: * einander —* 
den waͤren. An der Baſis alter Hörner ſieht man auch wirklich 
hornige Fäden oder Borften mit dem einen Ende von der übrigen 
Hornmaffe abftehen. Noch viel deutlicher ift diefes am Horn des 
Nafehorns. So wie man aber wahre Hörner anſehen kann als 
aus verwachfenen Borften beftehend, fo kann man von den Borften 
und Haaren fagen, daß 08 einzeln fiehende hornige — Ba Faͤ⸗ 
den ſind. 


Die Haare find ſo wenig verweslich, daß man fie nach Jahr⸗ 
tauſenden noch in den Gräbern wieder findet. Bei der ehemifchen 
Berlegung fand man einen erhärteten. ſchleimigen Stoff, unftreitig 
das modificirte Eyweiß, das überall die Hornmaffe bildet, eine Eleis 
ae Quantität Del, welches nad) der verfchiedenen Farbe des Haars 
auch verfchieden gefärbt ift, und wohl den Grund der Färbung des 
Haars abgiebt. Es fand fich ferner eine bedeutende Menge Schwer _ 
fel, eine verhältnißmäßig anfehnlihe Quantität Kiefelerde und in 
der Afche phosphorfaurer, Eohlenfaurer und Mchwefelfaurer Kalk, 
Kochſalz, Eiſen (am Ra in Hama Paaren): und atwae Man⸗ 
| —— | I Ir 


Sn. Der genauern Angabe vom Bau der Haare flimmen die 
Beobachter niht ganz Überein, indem einige die Haare für hohl 
‚erklären und andere für ſolide. Auch über die Bildung des unten 
Endes find fie nicht. ganz einig. Hier muß alfo jeder feinen eige= 
nen Beobachtungen folgen. : Mir zeigt das Mikroſkop im Haar, 
wenn ich das aͤußere Ende zuerft nicht berudfichtige, zweierlei Subs 
flanzen. Die eine liegt nad) außen, -ift hornig und hat die Ge 
ſtalt einer feſten Scheide oder Rinde (Fig. 20. y). In 
dieſer hornigen Scheide liegt eine zweite Subſtanz, melde in blon⸗ 
den und dünnen Haaren ſehr wenig gefächt ift. Dann könnte man 
das ganze Haar für hohl halten... Allein in dunklen Haaren und 
au in hellgefärbten Haaren, wenn fie eine bedeutende Stärke ha— 
ben, wie in den Barthaaren, iſt die innere Subſtanz dunkler ge: 
färbt als die Scheide. Man nennt fie das Mark des Haares 
(Fig. 20.2). Sie ift nicht eigentlich flüffig, denn fie fließt beim 
Ouichſchneiden des Haars nicht aus und verändert ihre Stelle nicht, 
‚wenn man bad — unter dem Mikroſkope druͤckt. Indeſſen 


bein fie BURN Adffig en zu fern, und d allmäpig zu 
bertrodnen, etwa fo, wie das Innere der Federn auch in der ers 
ſten Entwickelung derſelben fluͤſſig ift, sund nachher. austrodnet. 
Iſt fie ausgetrocknet, fo ift fie wenigſtens in dunklen Haaren nicht 


mehr gleichmaͤßig, ſondern an einer Stelle mehr angehaͤuft, an eis 


mer andern weniger. — Das untere Ende des Haars iſt weich 


und wird allmählich feft, indem fih das Haar dabei verlängert. 


- Darin befleht eben das Wachſen des Haare, daß ed vom untern 
Ende aus immer mehr erhärtet. Grade fo ift e8 mit der Feder; fo 
“ fange die Spuhle mit dem blutigen Waffer gefüllt ift, bleibt das 


unterfie Ende derfelben weich, und indem diefes fich nach oben bin 


vergrößert und verhärtet, treibt es die Feder hervor, bi$ das un⸗ 
terfte Ende felbft erhärtet und die Feder nun die Form hat, wie wir 
‚fie an den Schreibepofen Eennen. Eine Zeit lang fißt fie dann noch 
in der Haut feft, wird aber endlich lofe, um einer neuen Feder Plag 


zu machen, bie fich an derfelben Stelle bildet. So fällt: auch das 


Haar bei den meiften Säugethieren ein oder zweimal jährlich aus. 


Das Haar des Menſchen wähft, fo lange er gefund und jung iſt, 


. immer fort und fällt nur im Alter und in Krankheiten aus. Eins 


zelne Haare gehen freilich wohl zu allen Zeiten verloren. Zieht 
man ein Haar aus»der Haut des Kopfes oder aus ben: Augenbrau⸗ 


nen aus, ſo ſieht man ſchon mit bloßen Augen das untere Ende 


dicker als das übrige Haar, Man nennt daͤs untere Ende deshalb . 


die Haarwurzel oder Haarzwiebel, Anden Federn ift 
das untere Ende faſt gar nicht verdickt, ſo lange ſie wachſen, und 
wenn ſie ausgebildet ſind, ſo iſt es ſogar verengt. Hier muß ich 
bemerken, daß die Feder (und dieſe muß uns immer leiten, da ſie 
wegen der betraͤchtlichern Größe viel ſicherer zu beobachten iſt) -urs 
ſpruͤnglich aus einer hornigen Kapfel hervorwaͤchſt, die ſich nachher 
eng an die Spuhle anlegt. Während der Maufer fieht man fie 
fehe gut, An den größern Barthaaren der Thiere fehe ich aun deut⸗ 
lich, daß das untere Ende des Haars faſt gar nicht verdickt iſt, und 


dag nur die hornige Kapſel ihm das didere Anfehn giebt. Es \ 


ſcheint aber fajt, daß die Haare, je flärfer fie find, um defto wenis 


- ger am untern Ende ſich verdiden. Bei ſchwachen Haaren ift die - 


Kapfel fo dünn, daß fie nicht immer beutlih iſt. Gewiß ift es, 


daß bie fogenannte Haarzwiebel nicht mit einzelnen Faſern in der 


Haut wurzelt, wie etwa eine Blumenzwiebel in der. Erde, Ueber 


„ 


— 


— ‚316 —— 


Heat haben zwar die Haare in fo fern Arhauchken mit den plian⸗ 
zen, als fie durch bie Stuffigkeit der umgebenden Hauttheile ſich er⸗ 
nöhren, aber fie find doch ſehr wefentlich von den Pflanzen vers 
ſchieden. Esift, wie wir hörten, immer nur der unterfte Theit- 
des Haare, welcher waͤchſt, das Uebrige iſt tobt, fo wie es gebils 
det iſt. Es gehet nämlich Fein MWechfel der Stoffe mehr in ihm 
vor, wie bei einem wahren Wachſen. Auch fehlen ihm die dazu 
noͤthigen Gefäße und Nerven. Das Haar felbft ift bekanntlich un: 


empfindlich. Der Schmerz, den man beim Ausziehen des Haare 


empfindet, kommt vom ber air, der Hautnerven in dr Umges 
bung des Haars. 


Daß die Kanäle, in denen Haare figen, von der Oberhaut auß; 
geftllet find, iſt ſchon bemerkt worden. Gewöhnlich gehen dieſe 
Kanäle etwas fehief durch die Haut (Fig. 18). Wo die Oberhaut 
fehr dick iſt, und aus mehreren Schichten befteht, wie in ber Hand» 
fläche und auf der Zußfohle, wachfen eine Haare, Außer diefen 
Gegenden hat die Haut wohl überall mehr oder weniger Haare, bie 
nach den verſchiedenen Regionen bekanntlich in ihrer Staͤrke fehr vers 


fhieden find. Es wäre überfläffig, die vorzüglich behaarten Stel: 


Ion zuinennen. Der Durchmeffer eines Kopfhaars ift bei Männern 
etwa Yon eines Zolles, bei fehr blonden Männern und bei Frau⸗ 


enzimmern nur Yooo Boll — —— meſſen dagegen 


50 Soli in der Dicke. 


200. Mir erwähnten eher cs er en Gru⸗ 
ben, die in einigen Gegenden der Haut vorkommen. Es find längli- 
che oder röhrenförmige Vertiefungen, in welche ſich eine blind endende 
Berlängerung der Oberhaut hineinzieht, grade wie in die Kanäle, 
in welchen die Haare fisen. Sm ihnen bildet fi jedoch) Fein Haar, 


vielmehr ſondern fie eine oͤlige Fiüffigkeit aus, die die Haut ges 
ſchmeidig made, Man nennt fie Hautbälge ober Talg— 


druͤſen (obgleich fie nicht den Bau wahrer Drüfen haben) (Cry- 
ptae schaceace). Sie find aber nur im Geſichte — erkennbar. 


$. 201. Die Haut ſchuͤtzt und deckt den ganzen Körper. 


Sie fſchließt ihn gleichſam ab gegen die Außenwelt. Ale Einwirs 


Fungen berfelben find viel — da, wo die Haut verletzt iſt. Sie 


— 


—— 317 —— 


verſchließt Ihn aber nicht ganz gegen bie Außenwelt, vielmehr uns 


terhaͤlt fie einen lebhaften Verkehr mit derfeiben. In jedem Aus 
genblicke geben wir Stoffe aus unferm Körper, die nicht mehr ges 
braucht werden, dur die Haut ab und nehmen dagegen ang ber 
— Stoffe auf. 


‚Die Ausſcheidung dur. die Haut erfcheint unter zweierlei 


; gewöhnlich erfolgt fie in Dunftform und heißt dann Haufs 
ausduͤnſtung, Transpiration— Perfpiration, 
oder wir fehen fie-tropfbar kuͤſſis, und nennen ſie Schweiß. 


Die Hausausduͤnſtung erfolgt ſehr allmaͤhlich, * ohne Uns 
terlaß. Weil die Dunftformıfür unfere Sinne wenig bemerkbar 
ift, find wir gewoͤhnlich geneigt, fie nur für gering zu halten. So 


langſam fie nun auc) erfolgt, fo ift fie doc fehr bedeutend, weil 


das Organ, die Haut nämlich, fo ausgedehnt ift. Man kann die 
Oberflaͤche eines erwachfenen Menjchen auf 2500 Quadratzoll ſchaͤ⸗ 


zen, die unaufhoͤrlich aus duͤnſten. Wirklich zeigen auch die Bes 


obachtungen, daß wir-auf diefem Wege mehr von den aufgenomnics 


nen Stoffen abgeben, als auf jedem andern. Schon ein Arzt des | 


ı8ten Jahrhundertes, Sanctorius, wägte ſich und die eingenommes 
ne Nahrung, ſo wie die Quantität der, duch den Stuhl und als 
Harn abgehenden Etoffe jahrelang und glaubte. zu finden, daß wir 
der aufgenommenen Nahrung und Getränke durch die Haut vers 
lieren und nur % durch andere Ausleerungen. Allein, feine Nefuls 
tate find zu unbeflimmt, da er auf den Siofocäfet F die Lun⸗ 
ei ss keine * — nahm. | 


Biete waren zwei feangsfifche Raturforſcher, Lavoiſi ier und 
Sẽguin in ihren Unterſuchungen über dieſe Verrichtung. Letzte⸗ 


rer kroch in einen Sad von Wachstaffent, deffen Deffnung.ihn um 


WR u WE 


den Mund herum mit einer. Mifchung von Terpentin und Pech zus 
geftebt wurde, fo daß nur ber Mund zum Athmen offen blieb. Auf 
einer genauen Wage ließ er ſich mit dem Sade wägen, nachdem er 
eine beftimmte Zeit in demfelben gewefen war. Nach abgeftreifter 
Hülle wurde er allein. und der Sad für fih, dem Gewichte nad), ges 
nau beftimmt. Durch folhe mannigfaltig wiederholte Verſuche, 
wurde num gefunden, daß der Menſch im Durchſchnitt fall 53 Uns 


RN u un ı Ed 


zen in 24 Stunden durch die Haut ausduͤnſtet. Die Ausduͤnſtung 
fanden fie ſehr verfchieden nach der Tageszeit und der aufgenomme ⸗ 
nen Nahrung. "Gleich nad der Mahlzeit ift fie’ am geringften, 
während der fernern Verdauung aber am ftärkften.. Getränke vers 
mehrten die Ausdünftung ſehr. Die ftärffte Ausdänftung war zu 
3 Unzen2 Gros 48 Grains * in der Minute, ein Quantum, wel: 
ches in 24 Stunden faft 5 Pfd. betragen wide, und die Bauen: 
— betrug nur ein Drittheil davon. J 

Aus andern — weiß man, daß bei Er⸗ 
regung des Gefaͤßſyſtems, ſie mag durch Bewegung, innere Koͤrperzu⸗ 
ſtaͤnde oder Medicamente — * Ben und ie Mei —— die 
eigen za er" 

Das ber Stoff der ———— aus Yen Blutgefigen den 

Haut kommt / ift nicht zu bezweifeln. Er muß die Oberhaut durch⸗ 


dringen, da ſich Feine offenen Kanaͤle in ihr finden laſſen. Die 


Ausduͤnſtung gehört zu den Mitteln, die der Koͤrper anwendet, um 
ſich in einer gleichmäßigen Temperatur zu erhalten. Cie hat aber 


gewiß au’ Einfluß auf chenifhe Umwandlung des Blutes, eine 


Umwandlung / die wir fuͤr jetzt freilich noch nicht genauer beſtimmen 
koͤnnen, da man die chemiſche Beſchaffenheit der Ausduͤnſtungs⸗ 
Materie noch nicht genau genug hat unterſuchen gelernt, Ein Che: 
miker hat zwar eine Flanellwefte, die er auf dem bloßen Leibe 
mehrere Tage trug, nachher auskochen laffen und das Waſſer un- 
terfucht. "Allein man fieht Teiht, daß eine folhe Unternehmung 


wenig Sicherheit gewährt. Aus andern’ Verſuchen kann man ſchlie⸗ 
ßen, daß die Hautausduͤnſtung viel Kohlenſtoff und auch eine nicht 


unbedeutende Menge Mafferftoff erzeugt. Eine Hand mehrere 
Stunden in einem verſchloſſenen Gefäß mit Sauerſtoffgas gehal- 


ten, verwandelt diefes in Kohlenfäure. In Ermangelung einer 


volftändigen chemifhen Analyfe der dunſtfoͤrmigen Hautausdüns 
fung muß man fi) * mit Ye des Seien bes 
—— | 





w, 


» vanzöfifhem Zro ewichte. Das Ptund iſt faſt einem Bf en. Pfun⸗ 
Mes Kanten * Unzen/ die Une 8 up ‚ ein Sro8 —X 


Starke —— im "Gefägfoftem, eine höhe Tempera⸗ 
tur der Umgebung und’ eine ſolche Beſchaffenheit der atmoſphaͤri⸗ 
ſchen Luft, die ſie nicht geeignet macht, Feuchtigkeiten ſchnell aufs 
zunehmen — ſie mögen nun einzeln oder gemeinſchaftlich wirken, 
madyen, daß der Schweiß in Tropfen, die zufammenfliefen, auf der 
Haut erſcheint. Man ſieht ihn als die nicht in Dunſtform überges 


gangene Perſpirations-Materie an. Das iſt fie Wohl auch, als 
lein es laͤßt ſich nicht entſcheiden, ob die Hautſchmiere (F. 200) 


nicht einen bedeutenden Antheil daran hat, da dieſe ſich ebenfalls 


‚ bei größerer Wärme vermehrt. So fieht man, daß Perfonen, die 


ſtarke Hautbälge haben, beim Schwigen mehr im Gefi ichte glänzen, 
als andere. Dieſer Glanz aber ruͤhrt wohl von einer Beimiſchung 


oͤliger Theile her. — Berzelius fand im Schweiße feines Angeſich⸗ 


tes außer dem Waſſer milchſaures Natrum, ſalzſaures Kali und Nas 


‚tum, Osmazom und vorwaltende Milchſaͤure, weswegen ein aus⸗ 


dünftender Körper Lackmuspapier röthet. Der Schweiß ift aber 
gewiß im verfhiedenen Gegenden des Körpers fehr verſchieden, wie. 


ſchon unfer Geruchsorgan ohne chemifche Analyſe belehrt. Auch 


nach den Geſundheitszuſtaͤnden und nad den verſchiedenen Arzneis 
mitteln verändert fich der Schweiß fehr. Sogar fremde Stoffe, die 
in den Körper gefommen find, werden ausgedünftet. So hat man 
bemerkt, daß bei Perfonen, die Schwefel oder Quedfilber innerlich 
nehmen, metallene Ringe u. ſ. w. — weil —— Nie Yan; 
die Haut dringen, 


Durch die Hautausdänftung IE wie alle 


Thiere, undbefonders die warmblätigen, eine eigenthümliche Uts 


‚ 
j 
{ 


mofphäre um fi. Je mehr num diefe Atmoſphaͤre durch einen 
Luftzug entfernt wird, um defto mehr iſt die neu hinzugetretene 
Luft, die nicht mit folchen Dünften angefüllt iſt, geneigt, dieſel⸗ 


ben aufzunehmen, Wir werden daher bei bewegter Luft mehr aus⸗ 


dünften und weniger fchwigen. Sch erwähne dieſes allzubefannten 


8 Umſtandes nur, um zu bemerken, daß auch jene Verfuche mit dem 


Sacke uns nicht genau angeben können, wie viel ein Menſch in 
freier Atmoſphaͤre ausduͤnſtet. Wahrfcheinlich beträgt die Ausdüns 
fung mehr als Lavoifier und Seguin finden konnten. 


—— 320. —— 

$. 202. So wie bie Haut an bie Auſſenwelt Tribut zahlt, 
ſo nimmt fie dagegen auch aus der Auffenwelt Stoffe auf. Das 
lehren die in der Luft enthaltenen Anftekungsftoffe, und befonders 
die Anftedung duch Berührung oder durch; Kleider, denn bei der 
Aufnahme von Stoffen aus der Luft ift e8 immer fchwer zu unters 
ſcheiden, wie vielen Untheil die Lungen daran haben mögen. Man 
bat jedoch gefunden, daß eine Hand, in eine Slafche mit Gasarten 
gehalten, etwas von ihnen aufnimmt. Deutlicher ift die Auffaus 
gung von Fluͤſſigkeiten. Wenn man fi) ‚mit Zerpentinöl wäfcht, 
fo erhält der Harn einen Veilchengeruch, grade fo, als ob man 
das Mittel eingenommen hätte. Nach einem warmen Bade wiegt 


" der Körper mehr als vorher, Man kann fogar durch Bäder Kranke 


ernähren, wenn die Berdauungsorgane ihrem Gefchäfte nicht mehr 
vorftehen koͤnnen, und daß Bäder den Durft vermindern, iſt allge: 
mein bekannt. Die Aerzte laſſen eine Menge Mittel, beſonders 
in Salbenform, einreiben, die fo wirken, als ob fie innerlich 'genoms 
‚men wären. Alle diefe Dinge feheinen die Oberhaut wie einen 
. Schwamm zu durchdringen und dann in die Lumphgefüße und Des 
nen der Haut zu ‚gelangen, Sie. werden um fo beffer aufgefogen, 
je mehr fie die Oberhaut erweichen. Iſt diefe verlegt, fo erfolgt 
die Auffaugung immer raſcher und. volljtändiger, 


6. 203. Hier am Schluſſe der Sinnesorgane muß uns 


beſonders die Faͤhigkeit der Haut, die Einwirkungen der Auſſenwelt 


zu empfinden, wichtig ſeyn. Alles, was irgend eine Stelle unſerer 
Oberflaͤche beruͤhrt, wird als Etwas außer uns liegendes erkannt. 
Dieſe Erkenntniß bezieht ſich beſonders auf die Form (ob fluͤſſig 
oder feſt) und Geſtaltung des einwirkenden Gegenſtandes und auf 


ſeine Temperatur. Man ſieht ſogleich, daß dieſer Hautſinn oder 


dieſes Gefuͤhl, wie man die der Haut beiwohnende Faͤhigkeit zu em⸗ 
pfinden auch wohl nennt, mit dem Taſtſinne nah verwandt iſt und 
ſich weſentlich nur dadurch unterſcheidet, daß wir beim Taſten den 
Gegenſtand umfaſſen und angreifen, weswegen wir durch das Taſt⸗ 
organ eine volftändigere Vorftellung von der ai: ber Körper er⸗ 
halten, 8 


$. 204. Das Zaftorgan ift alfo eine höhere Ausbitdung der 
Haut in Bezug auf bie Faͤhigkeit äußere Dinge zusempfinden. Aber 
nicht 


ı SE | ? | y k 
* J ⸗ 0 
Me . 


nit blos das Taſtorgan, auch bie andern PR find ho⸗ 
her entwickelte und auf beſondere Weiſe modificirte Ausbildungen 


des allgemeinen Gefuͤhls und nach der beſondern Modificatiom auch 


faͤhig geworden, beſondere Arten von Einwirkungen der Auſſenwelt 
zu empfinden. Den Hautſinn kann man mit Recht als die Bafis 
aller) Sinnesempfindung anſehen/ Man kann ihn eben deshalb 
nicht mit unter die wahren Sinne aufnehmen, weil er die Mutter 
aller iſt, und durch keine Beſonderheit ſich auszeichnet. Am we— 


nigſten unterſcheidet ſich von ihm der Taſtſinn oder die Fähigkeit, 
die raͤumlichen Verhaͤltniſſe der Körpers zu erkennen, ‚und das Or⸗ 
gan des Taſtſinnes ift wirklich die Haut ſelbſt/ jedody mit mehr aus: 
gebildeten Gefühlswärzchen, als fie in andern Gegenden hat. Der 


Geſchmack und Gerudy find. Taſtſinne für die chemifchen Verhätt- 
niffe, und deshalb werden fie im die Eingänge der plaftifchen Appa⸗ 
rate gefiellt, ‚bie die chemäfchen Laboratorien unfers Körpers find, 

Die Zunge ift noch ganz deutlich dem Taſtorgane ähnlich, gleichfam 
ein großer nach allen Richtungen beweglicher Finger, der neben der 
Fähigkeit zu ſchmecken wirklich noch das Geſchaͤft des Taſtens aus⸗ 
übt. Aber dieſer Finger iſt nicht trocken, ſondern da er nicht die 


aͤußere Befchaffenheit der Dinge unterfucht, fondern die innere, fo 


ift er mit einer Fluͤſſigkeit übergoffen, melde als allgemeines Auf⸗ 


loͤſungsmittel fuͤr die ſchmeckbaren Dinge wirkt. Und Fönnte man 
das Riechen nicht ein Zaften der im der Luft enthaltenen Theile nens 


nen’? . In der menſchlichen Nafe fehlt freilich die Beweglichkeit 
faſt ganz, ſie iſt aber auch unnuͤtz, da die Luft vermittelſt des Ath⸗ 


miens durch die Lungen’zu dem Sinnesorgan hinbewegt wird, und 


ſich vermoͤge ihrer Elaſticitaͤt auf der ganzen Flaͤche derſelben aus⸗ 
nt, Im Thieren hat die aͤußere Naſe auch wirklich mannigfache 
Beweglichkeit, Je mehr fie fich verlängert und je mehr fie Beweg⸗ 


lichkeit erhält, um defto mehr wird fie auch wahres Taflorgan, wie 


in den verfchiedbenen Formen von Rüffeln. Abgefonderte Nerven: 


papillen find in der menfchlicyen Nafe nicht recht deutlich, in. der 


Nafe mander Säugethiere fieht man dagegen die Nervenpapilien 


ganz offenbar. — Das Gehör koͤnnte man ein Getaft nennen, 


welches die innerliche (fchwingende) Bewegung der Körper empfins 


der, fo wie die Finger die aͤußerliche Bewegung erkennen, und’ daß 


Geſicht ein Getaft für die uns nicht näher bekannte Eigenfchaft des 


RENEN Dieſe beiden hoͤchſten Sinne weichen indeffen in ihrem 
| 21 


2 


— 322 — 


Bau fo ſehr von den andern ab, daß für den erſten Blick faſt gar 
nichts Gemeinſames zu bemerken iſt. Sollten ſie deshalb wirklich 
ganz verſchieden feyn? So arbeitet die Natur nicht. Sie modi- 
fieirt ein und denfelben Gedanken ſo vielfach in ihren Werken, daß 
er uns leicht ein ganz anderer ſcheint. In der Naſe ſchon ſahen 
wir die Nervenwaͤrzchen, von einander nicht mehr geſchieden, in eine 
gemeinſame Haut ſich ausbreiten. Im Ohr gehen die einzelnen 
Faͤden auch an eine Haut, die aber in ſich geſchloſſen iſt und eine 
Fluͤſſigkeit enthaͤlt, und im Geſichtsorgane hat der Sehnerve nur 

Faͤden bis er ven Augapfel erreicht, im Augapfel breiten ſich fämmt- 
liche Fäden in eine gleichmaͤßige Haut aus, welche an durchſichtige, 

dem Waſſer mehr oder weniger ähnliche Maffen ſtoͤßt. Sollten wir 

„nicht das ganze innere Ohr und den Uugapfel eine große, mehreren 
"urfprünglich getrennten Nervenfüden : gemeinfhaftliche Papille nen= 
nen Eönnen? Ich denke wohl.» Im Ohr find fie noch etwas mehr 
getrennt; denn jede Ampulle der Bogengänge iſt wohl urfpünglich eis 
ne Nervenpapille,, die durch einen Bogengang mit der benachbarten 
verbunden wird. Die unorganiſiete (gewiß eyweißſtoffige) Maſſe, 
bie man: in den Zungen» und Hautpapillen findet, hat ſich im Aus 
ge in die epmweißftoffigen duchfichtigen Maffen von mannigfacher 
Dichtigkeit (Linſe, Glaskoͤrper und waͤßrige Feuchtigkeit) umge⸗ 
formt. Im Ohr erſcheint ſie als fluͤſſige Lymphe im Gegenſatze zu 
der hier mehr als irgendwo erhaͤrteten aͤußern knoͤchernen Umgebung. 

Um uns vom der Wahrheit dieſer Lehren zu überzeugen, 
werfen wie einen Blid in die ‚vergleichende: Anatomie. Sie 
lehrt uns, daß auf niedern Stufen: der thikeifhen ‚ Bildung, 
wo fi) nody geringe Mannigfaltigkeit zeige, wirklich die Sinne 
aus der Haut almählig ſich Ausbilden. Sie Lehre, daß in 
den niedern Thieren dieſelbe Merpenpapille mehrere Arten: von 
Sinneseindehden empfängt, bie aber alle unvolllommen find. 
Se mehr fih die Sinne von, einander trennen, um deſto lebhafter 
und um deſto verſchiedener unter fi find die Wahrnehmun- 
gen. In den Polypen bemerkt man eine. Empfindung für das 
Licht ohne Spur von einem Auge. > Die ganze Fläche des Thiers 
bat dieſe Empfaͤnglichkeit für den Lichtreig, ) Man kann ſie nicht 
Sehen nennen, denn fie iſt noch nicht: mit einem Unterfheiden ber 
Gegenftände durch das Geficht verbunden. Statt deffen kann man 
den Poiypen ein Taſten in die Ferne zufchreiben, weil fie mit ihren 





v ER die Nähe der Beute noch vor der Beruͤhrung erkennen und 
dieſe Drgane ihnen ausftreden. Die leifen Bewegungen im 
Waſſer, die ME Eeinften Wuͤrmchen hervorbringen, find es wahrs 

ſcheinlich, die den Polypen ihre Nähe verrathen. 


Die erſte Spur von Augen finden ſich in vielen Würmern auf 

‚dem vordern Theil des Körpers. Sie beftehen in dunklen Erhoͤ— 
hungen der Oberfläche, an melde feine Nervenfaͤden gehen. Es 
find deutliche ifolirte Hautwärschen. Auch Eönnen die Thiere mit 
ihnen nod nicht fehen, wie man aus, vielfachen Verſuchen weiß. 
Solche Spuren von Augen hat zum Beifpiel der gewöhnliche Blut: _ 
egel. Sie find an ihm aber wegen der dunklen Farbe des ganzen. 


Körpers von einem Ungeübten fehwer zu erfennen. Deutlicher find | 


— 


fie an einigen andern weniger dunkel gefaͤrbten Arten von Blutegeln. 
Daß man diefe Hautpapilfen aber wirklih für die Anlage zur Bil 
dung von Augen anfehen müffe, erkennt man bei Vergleihung von 
vielen Würmern unter einander. Bei einigen derfelben find nam: 
lich diefe Hautpapillen ſchon etwas mehr entwidelt und enthalten 
dann in ihrem Innern eine Linfe und einige auch einen Glaskoͤr⸗ 
per. Da nun Linfe und Glaskörper nothwendig das Licht fammeln,' 
fo wird eine ſolche Stelle gewiß mehr den Eindruck des Lichtes em: 
pfinden, als die übrige Haut. Immer nod) ift aber fein wahres 
. Sehen dadurch bewirkt. Allmäplig, wenn wir nämlich immer 
mehr Augen vergleichen, finden wir, daß der dunkle Ueberzug , der 
eine feine Gefaͤßhaut ift, im der Mitte eine unbedeckte Deffnung 
läßt, durch welche das Licht ungefhwächt eintritt. Aus dem dunf: 
fen. Ueberzug fe nun eine Choroiden geworden, die erſt [päter in ei⸗ 
ne wahre Choroidea und eine Iris ſich theilt. Die Oberhaut iſt 
ſtets gewoͤlbt über einer ſolchen Hautpapille, die den erſten Vers 
ſuch zur Bildung eines Auges macht. Sie woͤlbt ſich allmaͤhlig 
immer mehr und wird voͤllig durchſichtig, vertritt alſo die Stelle der 
Hornhaut, die freilich noch nicht wahre Hornhaut iſt, da ſie nicht 
mit einer Sclerotica, ſondern mit der aͤußern Haut verbunden iſt. 
Ein ganz bekanntes Beiſpiel mag das Geſagte erlaͤutern. An un—⸗ 
ſern gewoͤhnlichen Schnecken mit Gehaͤuſe kennt Jedermann die 

vier Fuͤhlfͤden. Die groͤßern derſelben endigen mit einem etwas 
verdickten Ende von der Geſtalt eines Stecknadelknopfes. Der 
(ware Punkt im Innern des Knopfes iſt das ange; denn mit dem 

21? 


Mikroſkop erkennt man eine te Linſe und einen — datin Ein 
ſtarker Nerve laͤuft im Innern des Fuͤhlfadens zu dem ſchwarzen 

Punkte. Es muß ber Sehnerve ſeyn. 353 dieſes Auge 

mehr Organ des Taſtens als Sehorgan. Hält man einer Schne— 
de, die ruhig kriecht, ein Stäbchen entgegen, fo zieht fie das Fühls 
horn nicht eher zuruͤck, als bis es das Stäbchen berührt hat, reis 
ih muß man das Stäbchen vorfihtig an feine, Stelle‘ bringen ; 
denn das Taſtorgan iſt ſo fein, daß es eine Bewegung der Luft ge⸗ 
wahr wird, die unſern Sinnen durchaus entgehen würde, Daſſel⸗ 
be Taſtorgan ift auch Riechorgan; denn halte ich riechende Dinge 
der Schnecke entgegen, ſo zieht ſie ihre Fuͤhlhoͤrner lange vor der 
Beruͤhrung zurüd. Man koͤnnte ohne große Paradorie es auch 


Geſchmacksorgan nentten, weil Dinge, bie nicht riechen, aber, 


wenn fie befeuchtes find, chemifh auf die Haut wirken, auch 
ſehr empfindlich auf die Fuͤhlfaͤden wirken. Indeſſen will ich hierauf 
kein Gewicht legen, da die ſtets feuchte Haut der Schnecke überall 
von falzigen und ähnlichen auf unfern Geſchmack wirkenden Dingen 


afficirt wird." Der wahre a er * ſeinen Sitz in 


der IR haben, 


Die u deutliche Spur eines hrs ift in — Keebfen. — 
unter den großen Fuͤhlhoͤrnern ſieht man naͤmlich eine kleine kegel⸗ 
foͤrmige Erhabenheit der Schaale. Nicht der ganze Kegel iſt von 
der harten Schaale umſchloſſen; dieſe laͤßt vielmehr eine runde 
Luͤcke, in welcher eine elaſtiſche Haut ausgeſpannt ift, fähig die 
Schallſchwingungen der Luft und ohne Zweifel auch des Waſſers 
aufzufaſſen. Hinter der Haut, bie die Stelle des runden oder des 
eyfoͤrmigen Fenſters in unferm Ohr erfegt, endet der Hötnerv an- 
einem Eleinen Bläschen. Alſo au das Ohr fehen wir aus der dus 
fern Haut ſich entwideln. Das ift. freilih nur da möglih, wo 
die äußere Haut nicht ganz weich ift. IE die Haut weih, To liegt 
das Ohr in innern feſtern (Enschernen oder: Enorpeligen) Zheilen und 
man kann es als eine nicht bie an die aͤußere Haut — 
betrachten. | “= 

8205. Nach dem Öbigen follte man es nicht mehe wun⸗ 
derbat finden, daß die Sinne einander ergänzen Eönnen, und daß 
befonders der Zaftfinn beim Verluſte von Auge und Ohr ihre Stelle 


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— 325 — 


einigermaaßen erſetzt. Ich habe ſchon erwaͤhnt, wie fein der Taſt⸗ 


finn unterſcheiden lernt, wenn das Auge nichts unterſcheidet. In 
vielen Blinden » Inftituten unterweiſt man die Kinder in Leſen, 
indem man die Buchftaben tief in Papier eindrüden läßt, fo daß 
fie auf-der andern Seite ſtark hervorragen. Obgleich man biefen 


Buchſtaben für den Unterricht eine große Form giebt, fo wuͤrde ein 


Sehender doch nicht die Geſtalten mit den Fingern unterfcheiden. 


Die Blinden lernen es gewöhnlich bald.” Ba von manchen Blin- 


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den wird erzaͤhlt, daß ſie die Zeichnungen der Kartenblaͤtter durch 


das Gefuͤhl erkannten. Man behauptet ſogar, daß einige Blinde 
alle Farben mit allen kleinen Abweichungen unterſcheiden lernten. 

Das mag indeſſen etwas zu viel behauptet ſeyn, da ſie doch nur die 
Farbeſtoffe (Pigmente) fühlen konnten, den Eindruck, den dieſo 
machen, aber fuͤr jedes einzelne Pigment erſt mußten kennen lernen. 
Das Gelbe hat nicht etwa als Gelbes eine beſondere Form, ſon⸗ 
dern nach der Beſchaffenheit des Pigmentes wird es bald weicher, 


‚bald rauher anzufühlen ſeyn. Der Prof, von Baczko, felbft ein 


Binder, der fich mit den Fähigkeiten feiner Ungluͤcksgefaͤhrten viel; | 
fach befchäftigt hat, bezweifelt wohl mit Grund die Wahrheit jener 
Angaben. An feinem eigenen Beifpiel hat en aber gezeigt, daß es 
möglich ift, die Hauptfarben des Tuches durch das Gefühl zu uns 
terfheiden. Schwarz ſchien ihm immer am rauheſten. Die Ber: 
änderung der Oberfläche ift wohl Folge des Faͤrbungsproceſſes. Die 
Farben lebender Koͤrper, die von kleinen Umaͤnderungen der innern 
chemiſchen Miſchung abhaͤngen, konnte er durchaus nicht unter⸗ 


ſcheiden 
Wie unmittelbar das Aufhoͤren einer Sinnesempfindung die x 


“andern ſchaͤrft, lehrt ung eine Angabe von Hauy, der in Paris 
‚ein Blinden» Inftitut fliftere und fie buch das Getaft zu unterrich⸗ 


ten begann. Unter zwölf Blinden blieben nur drei zuruͤck, und. 
zwar die, melde noch einen Schimmer fahen, Nicht allein das 
Getaft, fondern alle übrigen Sinne, erlangen eine höhere Ausbil 


dung , wenn ber eine fehlt. Baczko erzaͤhlt von ſich, wie ſicher 


ihm fein Geruch und fein Gehör leiteten. An dem Geruche erkann⸗ 
te er viele Mineralien, an denen man gewoͤhnlich keinen Geruch be⸗ 
merkt. Durch das ſcharfe Unterſcheiden des Wiederhalls lernten 
viele Blinde in langen Öängen und auf der Straße ohne Huͤlfe ume 


bergeben, 


* 


> 
> 


— 326 — _ 


Als Beiſpiel der Höhern Ausbildung anderer Sinne nach dem 


‚ Verlufte des Gehoͤrs will ich nur einen authentiſchen Fall von einem 


tauben Frauenzimmer erzählen, welches ſich mit einem andern un⸗ 


terhielt, indem es, wenn diefes ſprach, bie Bruſt deſſelben mit 


den Fingern beruͤhrte. Angeſtellte Verſuche zeigten, daß es jedes 
einzelne Wort duch dieſes Taſten richtig verſtand. uch bei ge⸗ 
ſunden mit allen Sinnesorganen gehoͤrig ausgeſtatteten Menſchen 
hilft ein Sinnesorgan unaufhoͤrlich dem andern, beſonders vervoll⸗ 
kommnet der edelſte Sinn, das Auge, alle uͤbrigen Eindruͤcke, und 
wir laſſen ihn uͤberall, ohne ung deſſen bewußt zu werden, mitwir⸗ 
ken. Eine ganz alltaͤgliche Erfahrung iſt, daß ein Tabaksraucher, 
dem man die Augen verbindet, nicht mehr weiß, ob feine Pfeife 
noch brennt. Weinkenner folen mit verbundenen Augen die Weine 
nicht mehr fiher unterfcheiden. 


$. 206. Um nun zu jener Feinheit ber Sinne zu gelangen, | 
muß man fie gehörig üben. Wir haben ſchon beim Auge erkannt, 
dag man das Sehen lernen müffe. Es ift mit den andern Sinnen 
nicht anders. Uns ift nicht viel mehr als die Anlage angeboren, 
auf die fünffache Weife der Sinnesempfindungen die Einwirkung 
der Auffenwelt aufzunehmen, aber die Nöthigung zum Öebraud der 
‚Sinne ift fo groß, daß wir, ohne vorher etwa, durchdachten Plan, 
ohne Abſicht und Wahl fie üben, und dann erſt kann, wenn man 
die gehörige Herrſchaft uͤber die Sinne ana hut, eine — 
ge Uebung unternommen werden. 


Auch ſelbſt die Faͤhigkeit, durch die Sinne zu —— fehlt 
in der erſten Entwickelung des Menſchen. So lange er noch einge⸗ 
ſchloſſen iſt in dem muͤtterlichen Körper, find: feine Sinnesorgane 
mehr ober weniger verſchloſſen. Vor der Pupille iſt die Pupillar— 
membran ausgeſpannt, die Trommelhoͤhle iſt mit einer ſchleimigen 
Fluͤſſigkeit angefuͤllt, und im aͤußern Gehoͤrgang liegt eine kaͤſige 
Maſſe. In der Naſe ſind die Muſcheln kaum und die Nebenhoͤh⸗ 
len noch gar nicht gebildet. Vor der Geburt bereiten ſich alle Sin⸗ 
nesorgane vor, ſich der Auſſenwelt zu öffnen. _ Der Vorhang vor 
der Pupille wird weggezogen, die Trommelhöhle fängt an fih zu 
entleeven, die Naſe fih auszubilden. Gleich nad der Geburt 
ſcheint aber doch nur der Geſchmack einer Sinnesempfi indung fähig 


und. auch biefe ift fehr undollfommen ; denn die Unterfhiebe der 


ſchmeckbaren Koͤrper werben wenig bemerkt, Erſt allmaͤhlig lernt 


das Kind ſeine Taſtotgane gebrauchen erſt allmaͤhlig bemerkt man 
Eindrücke des Geruches, des Lichtes und des Schalles. Die Welt, 
dem Neugebornen eine finſtere Nacht und todte Stille, erſchließt ſich 


auf ſolche Weiſe allmaͤhlig ſeinen Sinnen, und gelangt auf dieſen 


Wegen zu ſeinem Bewußtſeyn. 


F. 207. Die Sinne bleiben das ganze Leben hindurch un: 
fere Lehrer, Was würde der Menſch feyn ohne alle Sinnesem» 
pfindung? In der That, diefe Frage ift fchwer zu beantworten. Es 
würde faft nur das Selbfibewußtfeyn übrig bleiben, und auch die⸗ 
ſes wuͤrde kaum entwickelt ſeyn ohne —— von Etwas das 


nicht zu unſerm Ich gehoͤrt. 


unſere geiſtigen Anlagen werden dutch die Sinne ausgebildet, 
und zwar haben fie einen fehr verfchiedenen Einfluß. Geruch und 
Geſchmack beichren uns über Gegenflände der thierifchen Bedürfnif: 
fe. Geſicht und Gehör Haben eine weit größere Wirkung auf die 
geiftige Ausbildung. Der Taſtſinn für fih allein ſcheint nicht viel | 
wirken zu fönnen; allein er vervollſtaͤndigt ſehr die Vorſtellungen, 
bie wir durch die andern Sinne erhalten, Menſchen, die ohne 
Geſicht und Gehör geboren wurden, kamen nie zu einer geiftigen 
Ausbildung, die fie über die Tiere erhob. Wie dieſe waren fie 
nur den Bebürfniffen des Leibes unterwärfig-und fie fanden noch 
unter den Thieren, weil ihnen die Mannigfaltigkeit der Vorſtellun⸗ 


gen abging. Fehlt nur einer dieſer hoͤhern Sinne, ſo iſt noch 


menſchliche Bildung moͤglich, aber ſchwerer zu erreichen als bei voll⸗ 
kommener Entwickelung aller Sinne. Ihre Unterricht durch An-⸗ 
dere würde der Blinde gewiß hinter dem Tauben zuruͤckbleiben. Al⸗ 
lein die, Mittheilung anderer Menſchen und der Erſatz, den der Taft: 


finn gewährt, macht die Ausbildung des Blinden noch ‚leichter als 


bie des Tauben. Dennoch wird man finden, daß die Ausbildung 


der Blindgebornen ſehr viel ſchwieriger iſt, als die Bildung derjenis 


gen, welche, wenn auch kurze Zeit, ſehen Eonnten. Unter dieſen 
haben Manche ſelbſt in wiſſenſchaftlichen Faͤchern ſich ausgezeichnet. 

Bekannt iſt der im S2ten Lebensjahre erblindete Mathematiker 
Saunderſon, Profeſſor zu Cambridge, der uͤber ſeine ven 


| — 8 
ſchaft mit Beifall Ia8, und fie durch ‚eigene Arbeiten erweiterte. 
Eulern wollen wir hier nicht nennen, da er erſt in ſpaͤtern Jahren 
erblindete. Blinde Dichter hat es feit H omers Zeiten viele ge: 
‚geben, Noch mehrere haben fih im der Mufit fehr ausgezeichnet 
(wie Duͤlon ) * Zu den für den Menfchenkenner merkwürdigen 
Blinden gehört ohne Zweifel auch der Koͤnigsberger Hiſtoriker von 
Baczko Diefer war erſt im 2oſten Jahre blind geworden, und 
hatte feit dem Verluſte dee Geſichtes nicht nur feine fruͤhern man⸗ 
nigfachen Kenntniſſe ſehr erweitert, ſondern ſich neue: erworben. 
Methodiſch Hatte er feine übrigen Sinne ausgebildet und eine ſolche 
Sicherheit im Unterſcheiden der Formen durch das Getaſt erworben, 
daß er waͤhrend ſeiner Blindheit ſich eine Naturalienſammlung an⸗ 
legte und in derſelben alle einzelnen Gegenſtaͤnde unterſchied. Die 
at, wie er einen ihm dargereichten neuen Gegenſtand unterſuchte, 
war mir immer ſehr merkwuͤrdig. Er umklammerte ihn gleichſam 
gegen die Gewohnheit der Sehenden, mit der ganzen Hand, fo 
daß er die Handfläche mit zum Taͤſten anwendete, wodurch er denn 
fon mit dem erften Griffe eine- Vorſtellung von dev Geſtalt und 
Form deffelben erhielt. Am merkwuͤrdigſten blieb das wahrhaft 
Ä ungeheure Gedaͤchtniß dieſes Mannes, das ihn faͤhig machte, mehr 
| als ein halbes Dusend Sprachen zu treiben und ihm feine hiſtori⸗ 
ſchen Kenntniſſe ſtets gegenwärtig erhielt, Wie ſehr der Mangel 
des Gefichtes dig Aufmerkfamkeit fammelt, konnte man an Bacz⸗ 
ko's Vortraͤgen ſehen, in denen er, ohne zu ſtocken, eine ganze: 
Stunde fortfahren konnte. Das Gefagte mit dem; was. noch zu 
ſagen war, ſich ſtets gegenwaͤrtig erhaltend, wußte er es in voͤllig 
conſequente Verbindung zu bringen, ohne durch die Anfuͤhrung von 
Jahreszahlen oder aͤhnlichet — — die er en 
Ä geſtoͤrt zu hir dan | 


©o kann Außkauennee Fleiß und natürliche Antage — 
maaßen die Hinderniſſe uͤberwinden, die der Mangel des Geſichtes 
der geiſtigen und moraliſchen Ausbildung in den Weg legen, beſon⸗ 
ders wenn der erfien Jugend die Vorftellungen durch das Geſicht 
nicht fehlten. "Bei Blindgebornen bleibt‘ bie Ausbildung immer | 
unvollftändig. Doch hat ung die Blindheit ſchon fo lange beſchaͤf⸗ 
tigt, daß ich die Schwierigkeit für die Ausbildung des Blinden nicht 
a ch aus einander fege, ——— lieber — ein Buch von 





_ 
4 
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⸗ ‚er 


—3 — 329 — 

#, 

Baczko: „Weber mich felbft und meine unstüädegtflfehen, 
» die Blinden. Leipzig. 1807 verweiſe. * 

FA wollen wie ung an bie angeborne Taubheit wenden, 
und über dieſe einen erfahrnen Mann, den Dr. Itard, Arzt am 
Taubſtummen⸗ Inftitute su Paris, fprechen ln Itard theilt 
zuvoͤrderſt bie Taubſtummen in 5 Klaſſen: 1. in ſolche, die zwar 
‚bie menſchliche Rede hoͤren, wenn man gan; langfam aus der Nähe 
und ſcharf articulirt zu ihnen ſpricht, aber eine geläufigere Sprache 
doch nicht verſtehen und daher.nie fprechen lernen; 2. in folche, 
die bie einzelnen Eonfonanten nicht zu unterfcheiden vermögen ;, a 
in andere, die nur die Vocale vernehmen und z. B, aus dem Wor⸗ 
te „chapeau“ nur dag a und das o hören; 4 in ſolche, die nur 
Kine ſeht ſtarken Schall empfinden, und 5. in voͤlig Taube. 


* er —— — 


* Itard's Worte, indem er uͤber die Folgen der angebornen | 
Baubpeit ſpricht ſn ind folgende; 


Durch die angeborne ober fruͤh eintretende Taubheit, wird das 
Individuum, welches ſich im dieſem krankhaften Zuſtand Befindet, 

in geiſtiger Hinſicht einzig auf ſich allein beſchraͤnkt; eg bleibt ſtumm 
und ſeine geiſtigen Faͤhigkeiten mehr oder weniger unentwickelt. 
Man huͤte ſich zu glauben, daß dieſe Folgen im graden Verhaͤltniß 
zu den verſchiedenen Graden der Taubheit ſtehen, die den Taub⸗ 
ſtummen, nach meiner eben aufgeſtellten Eintheilung, dem Kinde, 

; welches hören und fprechen kann, ‚mehr oder weniger nahe bringen, 
Mit dem Sinne des Gehoͤrs verhält es fich nicht wie mit den ans 


bern, bie auch im urfprünglich geſchwaͤchten Zuftand ihrer Beſtim⸗ hr 


mung Genüge leiften können; denn er, der bei der geiftigen Ents - 
wickelung des Menfhen, als gefelligen Weſens, die Hauptrolle 
E m. erheifcht eine vollkommene aa: Hat er dieſe nicht, 





. ze 


* Bus ift gewiß — Anttxovalogen intereffant ,ı da eB nicht nur 

2 viele merkwaͤrdige Blinde Nachricht giebt. ſondern auch Blide in bie 
A gen und moraliſchen Fulgen ber Blindreit wirft. Bon großem SIntereffe 

nd überbies die Angaben der Mittel, die ber Verfaſſer anwandte, um 
beim Studium den Mangel des Gefie tes zu erfegen. —* ließ er ſi 
wenn fein Vorleſer bie Schriftzuge einer Urkunde nicht verſtand, dieſe in 
bie eine Hand zeichnen und kildete fie mit ber andern aus einem Macheflode 
auf einem Viiche nad, fo daß er fie reihenweife dann mit ben Fingern 
durchleſen konnte. 


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* —3J —* — x f J * 


* J u 
— 330 — 


ſo bleibt er unthaͤtig und die drei erſten Klaſſen der Zauben find, fox 
gut wie die 2 legten, zur Stummheit verdammt. Kinder, welche 
im erſten Grade taub find, unterfcheiden ſich von ſolchen, die ein 
gewoͤhnliches Gehoͤr haben, nur dadurch, daß letztere einen Genuß 
darin finden, zu hoͤren und zu horchen, dagegen dieſes fuͤr erſtere 
eine ermuͤdende Arbeit, eine immer angefirengte Aufmerkfamfeit 
wird, die ihrem Alter gar nicht angemeffen ift. Sie verftehen 
‚zwar leicht einzelne, langſam und näher ihrem Ohre ausgeſprochene 
Worte; allein fo bald die Rede in den Zon der Unterhaltung übers 

gebt, vernehmen ſie dleſecs nicht mehr deutlich.“ 
„Die Unterhaltung ift eine ſehr ſchwierige Moſt deren Lau⸗ 

te alle in einer Tonart geſetzt ſind, und dieſe verſchmelzen ſich leicht 

in einem Ohre, das mit dem wunderbaren Spiel der menſchlichen 

Stimme nie hat vertraut werden koͤnnen. Im reiferen Alter 
kann der Sinn des Gehoͤrs geſchwaͤcht werden, ohne die Faͤhigkeit 
zu verlieren, an der Unterhaltung Antheil nehmen zu koͤnnen; denn 
dann kommen Uebung und Sachkenntniß dem geſchwaͤchten Organ 

zu Huͤlfe. Ein halbes Wort, ein halber Sag, bie man deutlich 
verſtanden hat, laſſen den fehlenden Theil, der das Ohr nur dun⸗ 
kel reizt, leicht errathen. Im zarten Kindesalter dagegen kann 
ſelbſt das; was man verſtanden hat, wegen des Fehlenden nicht bes 
griffen werden, und der ganze Satz geht alfo verloren. Und fo 
gefhieht es, daß dergleichen. Kinder, welche der Nede eine ununs 
terbrochene Aufmerkfamkeit widmen müffen, um fie zu verfiehen, 
endlich des Zuhöreng müde werden, und bei geringer Taubheit doch 
ftumm bleiben. Sollten auch einige derfelben, die mehr Nachah⸗ 
mungstrieb und Aufmerkſamkeit, als gewöhnlich, befisen, ober 
von forgfamen und fachverftändigen Ueltern mit Gewalt dazu ange- 
halten werden, einige Worte fagen lernen, fo gefchieht dieß noch 
mit einer, unvollfommen artikulirten ausdrucksloſen, uͤbelklingen⸗ 
den Stimme, und ihre Worte haben eben fo wenig innern Zuſam⸗ 
menhang, als die Gedanken, welche ſie einkleiden ſollen. Die 
merkwuͤrdige Uebereinſtimmung, welche zwiſchen dem Grade, ihrer 

Taubheit und der Vollkommenheit ihrer Sprache herrſcht, iſt fuͤr 
mich ſtets ein Gegenſtand des lebhafteſten Intereſſe geweſen. In 
‚ihren Saͤtzen trifft man weder Fürs noch Bindewoͤrter, noch abſtrakte 
Hauptwoͤrter, ſondern eine ungeordnete Zuſammenſtellung von Bei⸗ 


—8 38 I —— 


F 





rtern, Hauptwoͤrtern und einigen Zeitwoͤrtern, die fi e Mindib 
im Infinitiv anwenden. in mehr als 1ojäbriges Kind, das 
mir vor 8 bis 9 Jahren. vorgeftelit wurde, und mir viel Berftand 
und eb baftigkeit zu haben ſchien, drücte ſich folgendermaaßen aus: 
Paris fehr ſchoͤn; Alphons sufeieden; fehen die Kaiferin u. Ya 
fi 


nber und ſelbſt Sünglinge, an denen ſich erſt nach dem 4ten oder 
ten Jahre Spuren von Harthoͤrigkeit gezeigt haben, alſo in einem 
Alter, wo man fih ſchon mit Leichtigkeit und Nichtigkeit über eine 
Arne felbft abſtrakter Gegenftände auszudruͤcken vermag, eben fo - 
ungebildet reden hört, weil ihr, Ideenkreis eben fo beſchraͤnkt iſt. 
Nicht minder intereſſant iſt es zu beobachten, wie die Rede nach und 
nach alle ihre Eroberungen aufgeben muß, wenn der Sinn des Ges 
boͤrs ſpaͤter geſchwaͤcht worden iſt. Die Stimme verliert in Kurzem 
alle, Anmuth, allen Wohlklang; jeder Tag verwifcht ein More aus 
dem Gedächtnis, und mit ihm. den Begriff, deſſen Zeichen es war. 
Die Anftrengung, welche das Zuhören erheifht, vernichtet dem. 
Wunſch zu reden, vorzüglich zu fragen. Der Arme fieht fih nun 
blos auf die unvollſtaͤndigen Redensarten beſchraͤnkt, durch welche 
Kinder ihre Beduͤrfniſſe oder Freude zu erkennen geben, und gehoͤrt 
dann bald der Klaſſe von Halbſtummen an, von EN wir eben 
geredet haben.‘ 


0 „Eine noch weit wunderbatere Erſcheinung ift aber, das man 
— 


Gehen wir nun von dieſer erſten Klaſſe der Be re; 
die noch einige Worte hören laffen, zu den folgenden herunter, fo 
wird die Stummheit immer vollfommener, und wir fehen endlich 
ein Weſen vor und, das milten in einem civilifivten Staate mit 
feines Gleichen Leinen Verkehr hat; das, mie ein Thier, zwar 

- Stimme, aber Feine Sprache hat, weil diefe ein Produkt der 

Nachahmung ift, und nur vermittelft des Gehörs unter redenden 

Menſchen erlernt werben ann. Ließe ſich keine menfchliche Stims 

me an ber Wiege des Kindes hören, fo würde es. nie reden, fons 

dern ‚die Stimme irgend eines Thiered von ſich geben, welche in 
ſein Dr gebrungen wäre.” 


„Wie wollen nun die traurigen Folgen, die aus der Abwe⸗ 
des Gehoͤrſinnes entſpringen, weiter verfolgen. Nachdem 
‚wir fo eben aufgeſtellt haben, daß dieſe Taubheit Stummheit mit 


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* Bringt, won wien nun RR wie biefer boppelte Fehlet 
zwiſchen dem Taubſtummen und der intellectuellen Welt eine dop⸗ 
pelte Schranke zieht, die eines Theils verhindert, baß er ſeine Ge⸗ 
danken und Gefuͤhle uns mittheilen kann; und andern Theils es 
uns unmöglich macht, ihn von unſern Meinungen und Kenntnif- 
fen zu unterrichten. . Noch ein Weg fleht ihm offen, auf welchem 
‚er Verkehr mit der Gefeitfchaft haben kann; er fieht, er beobachtet, 
er. horcht mit den Augen; allein bie beweglichen, fih immer neu 
. geftaltenden Bilder, auf bie fich feine Blicke und feine Aufmerkſam⸗ 


keit heften, ſind fuͤr ihn bedeutungsloſe Erſcheinungen, de⸗ 


ren Auslegung ihm keine Stimme geben kann. Denn unfere Sin: 
ne bedingen fich gegenfeitig fo fehr, daß das bloße Sehen, ohne die 
Fähigkeit zu hören, wenn es auch noch fo treue Dienfte leifter, doch 
gleichſam ſeine geiſtigen Beziehungen verliert, indeß daſſelbe fuͤr 
den hoͤrenden Menſchen eine Quelle aller geiſtigen Erkenntniß 
wird, Fuͤr den Taubſtummen iſt es nur ein. Vehikel zu Empfindun- 
gen und Gendffen, das wohl feinen Nahahmungstrieb in Thätig- 
Zeit fegt, aber fein Denkvermoͤgen unentwidelt läßt. So bilder 
er ſich zu einem hoͤchſt feltfamen Wefen, das äußerlich in Sitten 
und Gebraͤuchen dem civilifieten Menfchen gleicht und in feinem Sn- 
nern die ganze Rohheit und Unwiſſenheit des Wilden beibehält; und 
ſelbſt diefer Hat vor jenem den unberechenbaren Vorzug voraus, daß 
er, bei aller feiner Befchränktheit, doch vermöge der Sprache in 
die Geſetze, ‚Sitten, Religion und das Inteteſſe feines Stammes 
eingeweiht wird. Diefe Gefege und Verhaͤltniſſe der Gefellfchaft 
find dem Taubſtummen faft gaͤnzlich unbefannt. Die Gefchichten, 
welche der MWißbegierde ber Kinder fo reiche Nahrung geben, find. 
ihm nicht mitgetheilt worden, da er weder leſen noch hören Bann. 

Die Macht der Könige, der Ruhm der Helden, die mörberifchen 
Feldzuͤge der Eroberer, die gefahrvollen Abenteuer derjenigen, bie 
ferne Gegenden bereift haben, die Eühnen Thaten eines berüchtigten 
Raͤubers, die endlich den werdienten Lohn empfangen; alles bleibt 
ihm fremd. Der ungluͤckliche Taubſtumme kaunn alfo alle die Ma: 
terialien nicht benugen, vermittelft welcher wir gemeiniglich die te 
ften Begriffe von Geſetzen, Regierungen, Brett und mienfchliz * 
er Gerechtigkeit u. f. w. in uns aufbauen: In feiner tiefen Un: 
wiffenheit fieht er ohne den geringften geiftigen Mugen bie Tyet⸗ 
fachen, — ihm Licht uͤber alles geben koͤnnten.“ — | 


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roceß, über eine ihr zu Theil gewordene ehrenvolle Auszeichnung, 
allgemeine Freude; er nur kann ben Grund berfeiben nicht bes 
greifen. Neben ihm forbert der Tod einen Menfchen ab, ohne 
| ihm eine DBeranlaffung zum Grauen oder Nachdenken zu geben, 
“Die erften Worte: „niemald — mehr, „ewige, Trennung“ 
„wir find alle fterblich”, „eine andere Welt” u. f. wi. Hat er theil® 
noch nie gehört, theils würden fie in ihm nicht einmal den erha⸗ 
benen Gedanken an unfere Vergänglichkeit und Unfterblichkeit her⸗ 
Pi vorrufen koͤnnen. Er, der. von allem gefelligen Umgang ausges 
flogen ift, kann allein Leinen Antheil an bem Intereffe feines 
 Baterlandes nehmen. Kriegesheere durchziehen und verwuͤſten 
J feine Gegend; politiſche Umwaͤlzungen verbreiten Schrecken in der 
Familien; ber begluͤckende Friede zieht wieder ein, und ein König 
beſteigt den Thron feiner Väter wieder; alle diefe wichtigen Wechſel 
der Umftände werfen in feinen Geift Eeinen erleuchtenden Strahl, 
geben Bien Seelenfräften Eeinen Stoff zur a 


# 4 Zudeſſen laͤßt ſich dieſe Unbekanntſchaft mit allen Dingen 
| und dieſer Abgang aller Mutterideen, melde nothwendig Folgen 
de angebornen Zaubheit find, weit Teichter duch Nachdenken fie 
wahr erkennen, als fih auf dem Wege der Erfahrung und durch 
Ausforſchung des Kranken darthun. . Durch einfache Fragen, bie 
Man an einen, Blindgebornen richtet, kann man leicht deffen 
Begriffe, oder "vielmehr die, welche ihm abgehen, kennen 
lernen. In feinen Antworten. werden wir alle die Läden 
wiederfinden , ‚bie ber Mangel eines Sinnes in feinem Geis 
fie gelaffen hat. Doc der Zaubgeborne Fann auf dieſe Leiche 
te und ainziehende Urt nicht ausgeforfht werden. Wie will, 
man überhaupt den Geift und das Herz eines Gefchöpfes ergründen, 
dem wir uns auf feinem. Wege mittheilen Eönnen, und welches fein 
ganzes Weſen veraͤndert hat, wenn man es endlich durch die Erzies 
| ‚hung in den Stand gefegt hat, fich ung zu eröffnen. Wil man 
dann, um feinen feühern Zuftand beurtheiten zu koͤnnen, fein Ges 
dachtniß über das, was er gethan habe, und was er gewefen ſey, 
zu Rathe ziehen, fo erfcheinen ihm feine damaligen Vorſtellungen 
nur mod) als verworrene Erinnerungen, als Gebanken ohne Anhal⸗ 
‚ tepunkt, wie und etwa die Erinnerung dunkle Rüdgefühle vorgau— 


* „Im feiner Familie herrſcht * B. uͤber einen gewonnenen 


















u — 
”. 
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43 


kelt, wenn wir ih derſelben fo nah, als möglich, gegen di Zeit 
unferer Geburt vorzudringen fuhen, Sollte er ſich jedoch in be- 
fimmten Worten über die Gefühle und Voͤrſtellungen feiner fangen, 
dunkeln Kindheit verbreiten, fo fey man gegen fein Urtheil‘ miß⸗ 
trauiſch; denn er ſchildert dann ſeinen fruͤhern Zuſtand nicht, wie 
er ihn in den Erinnerungen aus der Vorzeit vorfindet, fondern er 
deutet ihn nach ſein en gegenwaͤrtigen Einſichten.“ 


„Aus diefer ungleichen Verteilung. des Lichts in dem Geifte 
der Zaubjiummen ensjlehen zwei ſich fcheinbar widerfprechende An: 
lagen: nehmlich ein gewiffes Mißtrauen, verbunden mit der.gröf- 
ten Reichtgläubigkeit, welche fie. dem Betruge ſehr ausſezt. Shnen 

hr die Menſchenkenntniß ab, welches das fiherfte Verwahrungs> - 
mittel dagegen iſt, und: biefe laͤßt fih. nicht aus Büchern, fondern 
nur aus dem Umgange und der Unterhaltung mit Menfchen Iernen. 
Daher bleibt der Taubftumme in diefer Hinficht immer in einem 
Zuftand von halber aa den Gefesgeber "wohl berůͤcſſichtigen 
ſollten.“ — 


0. „Nachdem wir nun bie BL, welche die angeborne 
Zaubheit der Entwidelung wer Geifteskräfte in den Weg legt, in 
ihren Umriſſen angegeben haben, wollen wir nun auch in der Kürze 
unterfuhen,, in wie fern fie den Gefühlen des Herzens ſchaden 
kann; und wir werden finden, daß diefe eben ſowohl durch jenes 
VUebel auf einen engen Kreis biſchragt werden, als die Geiſtes— 
gaben. 


De Menſch kann nur liebevoll und ak fein, wenn er aufs 
geklärt und gebildet if. Die Beredfamkeit einiger Philefophen, 
die mit ihren Sophismen gegen die Aufklärung zu Felde gezogen 
find, hat diefer Wahrheit nichts ſchaden Fönnen. Cie gaben ihr 
‚Schuld, da fie die Menfchen verderbe; allein fie fchilderten fie 
fehr weislich nur in ihrem legten Stadium. Die Aufklärung ift. 
gleihfam das Leben des gefelligen Körpers, das, wie im organi- 
fen, feinen Gulminationspunft hat. Wird das Lebensprincip 
bis zu diefem gefteigert, fo entftehen die traurigen Folgen, und wo 
es erſt Thaͤtigkeit hervorbrachte, da verurſacht es nun Stockung 
und Brand. So verhaͤlt ed ſich auch, mit der Ueberverfeinerung. 

Will man ein dl ka urtheil uͤber bieſen Gegenſtand faͤllen, ſo 


° 3 
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— "335° — — 





| N peotanıre man die Givilifation in allen ihren Abftufungen; an 
Menſchen, wo fie im hoͤchſten und niedrigften Grade ſichtbar ift, 


und vorzuͤglich an ſolchen, bei denen fie, wie bei den Taubſtum⸗ 


men, nur die Außenfeite überfirnißt hat. Kein ‚menschliches Me: 
fen ift im Allgemeinen fuͤhlloſer und ſchließt fi) weniger feft an, 
als ein Taubſtummer ohne Unterricht, und felbft wenn diefer ſtatt 
gefunden hat, ift ein ſolcher gewöhnlich Feiner dauernden Anhäng- 


- welche unfern Geift in feinen innerften Tiefen ergreifen, machen auf 
ihn geringen Eindruck. Nur die Bande der Natur koͤnnen ihn zur 
Aeußerung lebhafter Gefühle vermögen 5 wenigſtens ſchließe ich dieß 
aus dem Schmerze, der in ihm vorzugehen ſcheint, wenn er * bei 


Wied dieſe vörhbergehende Trauer bald durch eine ſolche Gleichguͤltig⸗ 
keit erfegt, daß er zuweilen die Nachricht von dem Tode eines fei 


geht ganz natürlich zu. Die Taubſtummen find nicht derfelben Liebe 
© gegen ihre Aeltern fähig, wie wir.  Bwar waren fie ber Gegenftand 
der zärtlihen Sorgen eines Vaters und einer Mutter 5 ‚allein ihr 
der Mütter gewöhnlich begleiten, und den ‚größten Theil, derſelben 


haͤtten ſtumme Aeltern gehabt; koͤnnten wir dieſelbe Zaͤrtlichkeit fuͤr 


„buch ihre Thaten fort; durch jene langen Ergiefungen ihrer Zärt: 


bargen, wie viel Kummer und Opfer wir ihnen Eofteten, und noch 
. mehr, wie viel Hoffnung fie auf und bauten. Was ift der legte 





oder vielmehe nur diejenigen, welche die, dem rührenden Gegen- 
4 fand: — Beredſamkeit aus ihrer Seele ſchoͤpfen koͤnnen.“ 


Sekbetkeit welche Aberhaupt fehr felten unter den Men: 
ſchen anzutreffen tft, ift dieß unter den Taubſtummen noch in weit 
geringerm Grade, Ohne mich lange bei Belegen zu diefer Behaup- 
% tung aufzuhalten, will ich nur anführen, daß ber berühmte Stifter 





fie, dieſelbe Achtung für ihr Andenken hegen? Ich meine, das 
R legtere Lebt im Findlihen Gemüthe mehr durch ihre Meorte, als. | 


lichkeit, jene erſten Unterhaltungen mit ung, wo fie ung forgfältig ver⸗ 


Abſchied für den Taubflummen? Zwar iſt auch das Schweigen be⸗ 
redt; allein nur mir Redende können deffen Sprache verftehen, 


— 


| uchkeit fähig, und alle Neizungen der Freude und des Schmerzes, . 


- der Aufnahme in unfer Inſtitut von feinen Aeltern trennt. Doch 


ner Verwandten ohne wirkliche Betruͤbniß vernimmt; und dieß 


DV 


Ohr vernahm nie die Ausbrüche der Liebe, welche die Liebfofungen | 


R ausmachen. Wie wollen den umgekehrten Fall annehmen , wie " 


4 N * Er A San: Pt 
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— 8 
* 
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— 336 — 


unſerer Anſtalt bei ben meiſten unſerer Zoͤglinge eben Feiner ‚großen 

Liebe genieft. — Sie haben auch wenig Sinn für Freundſchaft. 
Will man naͤmlich eine habituell gewordene Anhaͤnglichkeit mit bies 
ſem Namen belegen, fo trägt biefe wieder das Gepräge des Reicht= 
finn®, der.alle ihre Neigungen charatterifirt. Die Bande, ‚welche 

fie während ihres Aufenthalt® im Inftitute vereinigen, find gelöft, 

„fo bald fie wieder in ihre Familie zuruͤckkehren. Eolte ihre Tren⸗ 

tung auch einen Briefiwechfel zu Folge haben,- fo geräth diefer, aus 

Mangel an Stoff, bald in’s Stoden. Bor einigen Jahren geries 
then ein Paar Briefe, die ein-aus unferm Inftitute Entlaffener an 

einen unferer Zöglinge gefchrieben hatte durch Zufall in meine 

Haͤnde. Er ſprach darin von nichts, als wie entzuͤckt er daruͤber 

waͤre, daß er auf immer unſere Anſtalt verlaſſen haͤtte; ferner 

von dem, Was feiner Eigenliebe ſchmeichelte, als: von den Beſu⸗ 
chen, die er erhielte, den Schmaͤuſen, zu denen er geladen wuͤrde, 

den 5 Damen, die ihn neben ſich auf ſchoͤne Sophas ſetzen 

ließen, u. ſ. w. Auch kein Wort von Freundſchaft, von Trauer, 
oder der gefuͤhlvollen Begeiſterung, die den ne 
‚einen jo ein walnichen Anſtrich giebt.“ 


Wir haben den Doctor Itard in feinen etwas Wohtreichen 
Demonftrationen nicht unterbrochen, weil fein Gemälde .von dem 
Einfluffe eines mangelnden Sinnes fehr Iebendig ift, und Nies 
mand mehr Gelegenheit gehabt hat, in Hinficht der Taubſtummen 
mehr Erfahrung-zu machen „. als er, Indeſſen fcheinen die Farben, 
die er auftraͤgt, etwas zu ſtark gewählt zu feyn und manche Vor⸗ 
wuͤrfe, die Itard den Zaubftummen macht, dürften wohl, zum 
Theil wenigftens, auf das Inſtitut zuruͤckfallen. Es ſteht unter der 
Verwaltung von Fatholifchen,Geiftlichen, ‚die nie, felbft Väter wa— 
ren, und einer muͤtterlichen Pflege und Liebe, ſey ſie auch nur eine 
etecen — entbehren die Zöglinge ganz. Deshalb darf 
man fi nicht wundern, daß fie keine Anhcucae a die An⸗ 


ſtalt gewinnen. 


Unbeſtreitbarer als die Sinderniffe für bie Ausbildung des 
Gemüthes, find die Hinderniffe, bie die Taubheit ber Ausbildung: 
des Geiftes in den Weg legt. Dennoch werben fie durch Ausdauer 
und ausgezeichnete Geiſtedanlagen überwunden, — Maſſi eu, 

| OECD, 


sein Bögling des Taubſtummen · Inſtituts zu Paris, hat durch die 
treffenden geiſtvollen Antworten, die er auf vorgelegte Fragen geges 
ben hat, eine Art Berühmtheit erlangt. In Berlin und in Königs» 
berg find taubftumme Zöglinge fo weit gebildet, daf fie felbft dem 
Unterricht in den Zaubftummen: Anftalten vorftehen, und in ihrer 
'geiftigen Ausbildung find — hinter den — aicht zuruͤck⸗ 
geblieben. 


Wir werden bei einer abe Gelegenheit hören , daß bie 


Taubſtummen unter fidy einen gewiffen Grad der Ausbildung ent: 


wideln, fo dag man folgern kann, wenn nur taubftumme Men: 


ſchen auf der Welt wären, ihre Anlagen Eeinesweges ganz unentwi⸗ 
ckelt bleiben wuͤrden. 


Der Einfluß, den der Mangel eines Sinnes auf die Ausbil 
dung ausübt, ift verfchieden nach dem fehlenden. Sinne In 
Zaubftummeninftituten ſchienen mir dieZöglinge immer leidenfchafte 
licher, als in Blinden» Inftituten. Die Unmöglichkeit, durch die 


Sprache ihre Empfindungen und Wuͤnſche mitzutheilen, fcheint 
der Grund, daß die Zaubflummen defto mehr Ausdrud in ihre 


Mienen und jede einzelne Bewegung legen, fo daß fie in feter Leis 


denfchaft zu ſeyn das Anfehn haben. Dabei ift ihre Aufmerkſam—⸗ 


keit auf ihre äußern Umgebungen immer fehr gefpannt. - Die Zoͤg⸗ 
linge eines Blinden» Inflituts find mehr innerlich lebendig und die 


ruhige Heiterkeit, die auf ihren Öefichtern meiftens zu lefen ift, hat 


etwas unendlich Ruͤhrendes. Der Blindgeborne fcheint weit wenis 


ger feine Entbehrungen zu fühlen als der Taubgeborne. Noch 
‚ mehr wird wohl der Taubgewordene von feinem Ungluͤck gedrüdt, 


Gewöhnlich iſt diefer verfchloffen und trübfinnig. 


6. 208, Wir haben bemerkt, daß der Einfluß, den bie 
Sinnesorgane auf unſre Ausbildung ausüben, fehr verfchieden ift. 
Gefiht und Gehör find viel einflußreicher, - Nur die Vorftelungen, 
die diefe Sinne geben, laſſen fich als Gegenftände der Kunft behan- 

dein. Sie find auf jeden Fall die höhern Sinne, 


Eben fo verfchieden ift die Ausdehnung der Sphäre, in wel- 
der die Sinne wirken, Das Getaft unterrichtet uns nur über Ge: 
22 


% 


* 


genſtaͤnde die uns beruͤhten. Der Geſchmack wird auch nur von 
Gegenſtaͤnden erregt, die mit unſrer Mundhöhle in Beruͤhrung 
kommen; allein waͤhrend wir das Zaflorgan an den Gegenftand 
ſelbſt anlegen müffen, den mir untetfuchen‘ wollen, zeigt der Ge: 
ſchmack doch darin eine größere Freiheit, daß wir die zu ſchmecken⸗ 
den Dinge zu ihm hinfuͤhren. Hoͤher ſteht in dieſer Stufenfolge 
ber Geruch, der zwar auch durch unmittelbaren Contact riechbarer 
Theile mit der Schleimhaut der Naſe erregt wird, indeffen ung von 
dem Dafeyn eines Körperd unterrichtet , der mehrere Hundert 
Schritte entfernt feyn kann. Die Wirkungsfphäre des Gehoͤrs dehnt 
ſich für die lauteſten Schälfe wohl auf 20 Meilen aus. Der Be 
reich dee Augen allein geht über unfern Planeten hinaus und darf 
— unendlich BER: werden. 
/ l 
Die Sinneseindchete find weſentlich unter KERN verſchie⸗ 
den. Das Getaſt kann man den mechaniſchen Sinn nennen, ba 
e8 und von den Formverhältniffen der Dinge unterrichtet. Ge 
ſchmack und Geruch find chemifhe Sinne, da fie fih auf die Mi- 
fhungsverhältniffe beziehen. Gehör und Geſicht Finnen wir dyna⸗ 
mifche Sinne nennen, da fie und von gewiffen allgemeinen Thaͤ⸗ 
tigfeiten der Körper, dem Schallen und Leuchten Kunde geben; 
denn wenn wir auch durch das Geficht die Geſtalt der Körper ge: 
wahr werden, fo geſchieht e8 nur in fo fern fie leuchten, 
Es entſteht nun die wichtige Frage, 05 die Berfehiebengeit 
der Sinnes eindruͤcke blos auf der mechaniſchen Einrichtung der Sin⸗ 
nesorgane ober auf einer verſchiedenen Gereabnine en. —— 
ven beruht e 
Die mechaniſche Einrichtung iſt gewiß von der größten Wich- 
tigkeit, und wir finden eine unverkennbare und Bewunderung erre⸗ 
gende Hebereinftimmung in dem Bau eines Sinnesorganes mit dem 
Gegenſtande feiner Wirkſamkeit. Durchſichtige Koͤrper laſſen das 
Licht bis auf die Netzhaut dringen. Eine leichtbewegbare Fluͤſſig— 
keit in elaſtiſche Roͤhren eingeſchloſſen, und dieſe umhuͤllt von fes 
ſter Knochenmaſſe, muͤſſen dem Ohr die vorzuͤgliche Fähigkeit, den 
Schall zu empfinden, geben. Die Nafe am Eingange der Athmunge- 
organe, die Zunge am Eingange des Verdauungskanals gelagert 


y 


und mit auftößender Zuſteten uͤbergoſſen — muͤſſen fe nicht von 
ber Beſchaffenheit der eingebrachten Körper Kunde erhalten ? Die 


Y ‚große Beweglichkeit des Taſtorganes — macht fie nicht befonders 


geeignet, die Form zu erkennen? Ich darf mich nicht darauf eins 
laſſen, die Zweckmaͤßigkeit ausführlich zu zeigen, die in dem Bau je- 
des Sinnesorgane für. die Art. feiner Empfindungen in die Augen 


fpringt, weil bei den einzelnen Sinnen gen PR binapnies 


ſen iſt. 


Durch dieſe Atveämäßigkeit ift aber noch nicht erwiefen, daß 
nur auf der Ducchfichtigkeit der Hornhaut und ‚der fogenannten drei 


. Slüffigkeiten das Sehen beruht, daß etiva ein Auge, qn die Fingers 


nerven gefegt, auch fehen würde, oder der Sehnerve hören würde, 
wenn er, ſtatt der Linfe und des Glasförpers, mit Gehoͤrknoͤchelchen 


in irgend einer, Verbindung fände. Wir Finnen uns vielmehe 


überzeugen, daß im Sehnerven eine andere Empfänglichkeit, als 
im Hoͤrnerven iſt; denn der Sehnerve hat nicht blos dann Lichtem⸗ 
pfindung, wenn er durch Außeres Licht erregt wird, - fondern auch 


> wenn ein Schlag das Auge trifft, oder innere krankhafte Zuftände 


nur zu dem Theil des Gehirnes, in welchem der Hörnerve ‚endet, 
erregt Ohrenſauſen, als ob. das Drgan von einem aͤußern Schalle 
geteoffen würde, » Bei Leiden in dem Verdbauungsorganen haben 
wir bald diefen bald jenen Gefhmad a der Zunge ohne alle aͤußere 
—— 


Iſt es daher nicht unlaͤugbar, daß jedes ————— auf eine 
beſondere Form empfindet, und daß die mannigfachſten Erregungen 
deſſelben auf ähnliche Weiſe von uns aufgefaßt werden. Die Em: 
Pfindung der Sinnesorgane beruht aber auf ihren Nerven. In dies 
fen muͤſſen verfchiebene Fähigkeiten liegen, die. wohl mit ihrer ver» 


ſchiedenen Verbindung mit dem Hirn und einem Unterfchiede in 


bem innerften Bau zufammenhängen ; denn jeber dieſer Nerven hat 


etwas Eigenthuͤmliches, wie wir ſchon fruͤher gezeigt haben. Man 


kann daraus weiter ſchließen, daß überhaupt die Nerven des gan- 


zen Körpers jeder nach feiner Zage, Derbindung und Beſtimmung ua 
verfchieden feyn werden, wenn auch ber Unterfchied in den andern 


Nerven weniger offenbar ift, Im diefen iſt wirklich die Mebereins 
22 2 


auf das Auge wirken. Ein Andrang des Blutes zum Ohr oder auch 


ſtimmung ſo geoß, daß wir die Verſchiedenheit nur wenig gewahr 
werden. Von ihnen auf die Sinnesnerven zuruͤckblickend, koͤnnen 
wir fragen, ob denn den Sinnesempfindungen gar nichts Gemein: 
fames zum Grunde Tiegt, und ob ihre Tätigkeit von den übrigen Ner⸗ 
von aanz abweicht? Beruͤckſichtigen wir was ſchon früher ($. 204.) 
über die allmaͤhlige Entwidelung der Sinne in der Thierreihe ges 
fagt wurde, wo wir ung überzeugten, daß in demfelben Degan mehr 
als eine Art. von Sinnesempfindungen erregt wird, erfahren wir, 
daß manche Blinde mit ber ganzen Oberfläche des Körpers empfinden, 
ob die Sonne fcheint oder nicht, daß man Taube beobachtet hat, 
welche flarfe Schaͤlle durch andere Gegenden des Körpers als das. 
Ohr undeutlih empfanden , bedenken wir, daß zwifchen dem Ges 
such und Gefhmad eine ſolche Webereinftimmung ift, daß fie offen- 
‚bar als Modificationen Eines Sinnes betrachtet werden koͤnnen, und 
fommen wir darauf zuruͤck, daß allen Sinnesorganen ein allgemei= _ 
ner Zypus zum Grunde liegt ($. 204.), fo gelangen wir leicht zu 
der Ueberzeugung, daß auch die verfchiedenen Sinnesempfindungen 
im Grunde nur Mobificationen eines allgemeinen Sinnes find. 
- Beim Menfchen läßt fich diefes zwar nicht empiriſch nachweifen, 
‚ aber wohl bei niedern Thieren. Diefer allgemeine Sinn ift dem 
Gemeingefühl in fo fern entgegengefegt, ald das Bemeingefühl in eis 
nem Empfinden des. Zuſtandes unſers eigenen Koͤrpers beſteht, der 
allgemeine Sinn in einem Bewußtwerden von der Einwirkung dufs 
ferer Dinge, ‚vermittelt vu Drgane unfers Körpers, befteht. 


i Das Gemeingefühl if daher fubjectiv, der algemeine Sinn 
— ‚oder Sim ſchlechtweg — oͤbbjectiv. * 


Die Otgane, durch welche der Sinn wirkt, find die Sinnes⸗ 
organe und die ganze Außere Bedeckung des Körpers oder die Haut, 
und jener früher beſprochene Hautfinn ift wohl nichts als ein Reſt 
des allgemeinen Sinnes, In niedern Thieren, wo bie fpeciellen 
Sinne fehlen, ift die Haut einer viel mannigfachern Empfindung 
fähig. Die. Sinnesempfindung bildet fih, wenigſtens im Mens 





* BEN fpeciellen Sinne find nicht gleich, fonbern einige mehr, andere weniger 
object iv, 


4* PR | 
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* 


ſchen, in 5 Hauptmodificationen aus. Fuͤr jede iſt ein beſonderes 
Organ da. Die allgemeine Baſis dieſes Organs, die Haut, iſt 
der fuͤnffachen Form der Sinnesempfindung in einem niedern Grade 
faͤhig. Hierin ſcheint das wahre Verhaͤltniß der Sinne ausge 
fprochen, Sie find die Formen, unter denen wir von ber Außen⸗ 
welt erregt zu werden fähig find, 


8. 209. Daß wir mit unfern fünf Sinnen ale Verhältniffe 
ber Außenwelt aufzufaffen im Stande find, ift keinesweges beweis— 
bar. Wenn es nun Berhältniffe geben follte, welche von unfern 

- Sinnen nicht aufgefaßt werden, fo. gehen fie flr unfere Erfahrung 
ganz verloren. Ja mir könnten eben fo wenig eine Vorfiellung von 
einer uns fehlenden Art von Sinnesempfindung haben, als ber 
Blinde eine Vorftelung von Farben hat. Nicht einmal eine wer 
fentlihe Abweichung von unfern Sinnesempfindungen können wie 
gehörig Eennen lernen, obgleich die Thieve und von dem Dafeyn wer 
fentlicher VBerfchiedenheiten in den Sinnesempfindungen überführen 
können. So iſt die Nafe der Fiſche nach hinten verſchloſſen, läßt 
alfo wicht die Luft durchſtreichen. Man bemerkt auch nicht, daB 
die Fifhe den Kopf aus dem Waſſer heben, um zu riechen. Es 
fcheint alfo wohl, daß fie im Waffer riechen, entweder bie Befchafs 
fenheit des Waffers feldft, oder der in ihm enthaltenen Lufttheite 
empfindend. Bon welcher Art mag aber die durch dieſes Organ 
hervorgebrachte Empfindung fern? Won unferm Riechen muß: fie 
fi ohne Zweifel unterfcheiden. Ob fie wohl mit unferm Schmes 
den Aehnlichkeit Haben mag? Wir find nicht im Stande darüber 
zu entfcheiden. Wir Eönnen nur, auf Vergleichung geftüst, mit 
Beftimmtheit behaupten, daß das’ Drgan wirklich eine Nafe ift. 
Wie bei ung und allen Thieren mit Lungen gehen. die vorderften 
Nerven, die Niechnerven, zu diefen Theilen, Wir dürfen daher eine 
gewiſſe Aehnlichkeit mit unſrer Fähigkeit zu riechen in ihnen annehs 
men; bis zu welchem Grade aber die Achnlichkeit geht, wird 
uns wohl ein ewiges Geheimniß bleiben. | 


Noch ‚abweichender mögen die Sinneseindeide in Thieren 
feyn, deren Bau weniger Aehnlichkeit mit dem Bau unfers Koͤr⸗ 
pers hat, So fehen wir, daß einige Thiere die geringfien Veräns 
derungen in der BefchaffenHeit der Atmofphäre empfinden, die für 


Ä —.. en‘ | 
unfere Sinne verborgen bleibt. Der Laubfeofh, der Schlamm: 
peizker, die Spinnen und viele andere Infecten verkünden‘ ung, fo 
„wie unfere Wertergläfer, Veränderungen im Dunſtkreiſe, die wir 
erſt erkennen, wenn die Folgen derfelben, Auflöfung oder- rn 
“ bung der in der Luft enthaltenen Dünfte, hervortreten. 


Es koͤnnten wirklich in manchen Thierformen ganz befondere 
Sinnesempfindungen. hervorgebracht werben, Uns ER e im: 
mer verborgen bleiben, 


Wenn au die Art eines uns fehlenden Sinnes nie ** 
mittelt werden kann, fo waͤre es doch ſchon intereffant,. das Da- 
ſeyn eines folhen Sinnes zu beweifen. Aber auch das hat noch 
nicht gelingen wollen,’ da, wie wir eben fahen, fich nicht beſtim⸗ 
men läßt, bis wie weit unfere Sinne fich modificiren Eönnen. "Die 
graufanien Verſuche, "die ein italienifcher Naturforfher, Spalan⸗ 
zani, unternahm, um zu beweifen, daß Sledermäufe durch einen 
uns fehlenden Sinn von der Nähe fremder Körper unterrichtet wer: 
den, find zu berühmt geworden, als daß mir ihrer hier nicht ers 
wähnen follten, Deshalb theile ich folgende Eurze Nachricht mit: 


„Spalanzani machte zufällig die Entdedung, daß die ge 
blendeten Fledermäufe eben fo handelten, als wenn fie ihe Geficht 
hätten. Seine Erfahrungen wurden durch eine Menge von Verſu— 
chen anderer italienifcher Gelehrten beftätigt. Dies leitete ihn auf 
die Vermuthung, daß die Fledermäufe einen Sinn mehr, als an⸗ 
dere Thiere, hätten, der ihnen eben bie Dienſte leiſtete als die Au⸗ 
gen.“ | 

SFledermaͤuſe von verfchiedener Gattung wurden auf zweierlei 
Urt geblendet; entweder durch einen glühenden Eifendraht, oder 
man ſchnitt die Augaͤpfel, die man mit einem kleinen Haken her⸗ 
vorzog, mit einer feinen Scheere ab; in einigen Faͤllen wurden 
noch die Augenhoͤhlen auch mit Klebewachs ausgefuͤllt. Dem ohn⸗ 
erachtet zeigten dieſe Thiere nach der Blendung ſich eben ſo beherzt 
und erfahren bei ihren Bewegungen in der Luft, als andere Thiere 
dieſer Art, die den Gebrauch der Augen hatten; ſie flogen geſchickt 
im Zimmer herum, ohne an irgend einen Körper deſſelben anzufto: 
gem, vermieden vorgehaltene Stäbe, und flohen befonders die Hand 
eines Menſchen oder eine * weit mehe als andere lebloſe Koͤr⸗ 


* 


J 





— z8 — — 


per. Man ließ eine Fledermaus ohne Augen in einen breiten und 
unterirdiſchen Gang fliegen, der gegen die Haͤlfte ſeiner Laͤnge ſich 
unter einem rechten Winkel wendete, Sie durchſtrich in der Mitte 
des Ganges die eine Hälfte beffelben, und da fie an den Winter 
bingefommen war, fo wandte fie fih, und ging aus dem einen 
Arm des Ganges in den andern, und zwar fo, daß das fliegende 
hier bei feiner Beugung um viele Fuße von beiden Seitenwänden 
entfernt blieb, Einmal kam fie während ihres Fluges unter ein 
Loc im Gewölbe, bei einer Entfernung von anderthalb Fuß; fie 
veränderte unvermuthet ihre Richtung, um fich darin zu-verfteden. 
In einem Garten machte man in-freier Luft ein verfchloffenes Gehe: 
ge von Netzen, das ſechs Ellen lang, fünf Ellen breit und vier El: 
len body war, um: die Gewalt des Luftfloßes von den Wänden wo 
nicht ganz aufzuheben, doch auf das Eleinfte Moment zu bringen. 





- Bon der Dede diefes Käfigs hingen ſechszehn Fäden von Bindfaden 


herab. Man ließ zwei Fledermaͤuſe, eine blinde und eine fehende, 
in benfelben hinein, beide fliegen nie mit dem Kopf oder mit dem 
Körper am die Fäden an, hoͤchſtens nur mit den Flügelfpigen. -Die 
blinde Fledermaus entfloh unterdeffen durch die großen Mafchen des 
Netzes, flog viel in der. Höhe, und Lange Zeit über der Gartenflaͤ⸗ 


he herum, fie umfehwebte eine Hohe Cypreſſenlaube, ohne fih zu" 


- fegen, und bewegte fich endlich mit einer ſchnellen Flucht ſtufenwei— 


fe immer mehr gegen das nächte und einzige Dach des Orts, wo 
wir fie aus dem Gefichte verloren. In Bimmern, wovon das eine 
einen rauhen Vorfprung, das andere Leiften hatte, geſchah es 
fehr felten, daß die vom Fluge ermuͤdeten Fledermäufe ſich vergeb⸗ 
lich an glatte Stellen derfelben anzuhängen fuchten, fondern fie 


haͤngten fi an den rauhen Vorfprung, oder.nahmen geradezu ihren 


Tlug gegen bie Leiften, worauf fie ſich fegten. In einem Zimmer, 
das mit vielen Baumzweigen befegt war, worin viele Lichter auf 


den Tiſchen fanden, oder worin viele feidene Fäden von dem Bo—⸗ 


ben, durch Gewichte gefpannt, herunter hingen, mußten fie durch 
die Baumzmweige, ohne fie zu berühren, durch die Fäden und durch 
die Lichter fo geſchickt durchzugehen , daß fie dieſelben nicht ausloͤſch⸗ 
ten, noch fi die Flügel verbrannten. Wenn eine geblendete le: 
dermaus aus Mattigkeit an die Dede oder Wände ſich anfeste, und 
man um ſie herum ein Gitterwerf, etiva einen oder zwei Fuß von 
ihr entfernt, anbrachte, in welchem blos ein Kleiner Ausgang, ent: 


— 4 — 


weder oben oder unten, oder zur Seite, vorhanden war, das Thier 
dann erſchreckte, um es zur Flucht zu reizen; ſo fand es ſehr oft bein 
erſten Fluge, andere Male nach einigen Kreiſungen, den Ausgang aus 
feinem Gefaͤngniß, und flatterte in der Stube umher, Naͤherte man 
‚einer ruhenden Fledermaus aufs langfamite die Hand, fo konnte man 
» fie doch faſt niemals ‚greifen, fondern fie machte ſich vorher, ehe 
man fie erreichen Eonnte, eiligft auf bie Flucht. Eben diefes er= 
folgte auch, wenn man eine lange Ruthe langfam gegen dieſelbe 
hin bewegte. Stellte man ihr während ihres Fluges im Zimmer 
Netze entgegen, fo vermied fie diefelben, und flog darhber weg.” 


Indeſſen bemeifen alle dieſe Verfuche Feinesweges das Dafeyn 
eines eigenthümlihen Sinnes. Es ift hoͤchſt wahrſcheinlich, daß 
die Sledermäufe durch die zarten und weit ausgebreiteten Fluͤgel und 
vielleicht durch die großen aͤußern Ohren den Widerſtand empfinden, 
den ein feſter Körper der durch ihren Flug bewegten Luft entgegen⸗ 
fest. Es erlangen felbft blinde Menfhen, ohne diefen empfindli=. 
chen Apparat zu befigen, durch genaue Beobachtung des Wider: 
ftandes der Luft die Fähigkeit, die Nähe einer Wand oder einer ho= 
hen Dede zu bemerken, ohne fie zu berühren. So berichtet Bacz⸗ 
fo über fich felbft.- Saunderfon foll fogar die Bäume im Garten 
durch den EEE der Luft empfunden haben, 


Das mehr als fünf Sinne in der Thierwelt vorfommen, iſt 
alſo fehr möglich, ja wahrfcheinlih. Gewiß find wenigſtens große 
Maodificationen von unfern Sinnen. Allein volftändig erkannt 
werden fie wohl nie von und. Am menigften lehren die Verſuche 
mit Sledermäufen einen eigenen Sinn, 


$. 210. Noch weniger kann man denen beiftimmen, melde 

im Menfchen mehr ald 5 Sinne annehmen. Büffon und Andere 
führten die Gefchlechtstuft als fehften Sinn auf. Auch Hunger 
, amd Durft, ja felbft der Trieb zum Harnen und zum Stuhl, follten 
beſondere Sinne feyn. Da diefe Empfindungen und aber nur von 
Zuftänden unfers eigenen Körpers belehren, und nicht von der Be: 
fchaffenheit äußerer Dinge, fo fehle ihnen die nothmwendigfte Eigen- 
fchaft des Sinnes — Empfindungen — die äußere Objectivität. Sie 
gehören in den Bereich des Gemeingefühls, find Modificationen 


Bi * u. \ e > \ | 
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beſſelben, fo wie bie Außen Sinne befondere Mobificationen einer all⸗ 


gemeinen Sinnesempfindung für Einwirkungen der Außenwelt find. 


. Sm Gemeingefühl ift ung der eigene Körperzuftand Object, in dem. 


Sinnesempfindungen die Außenwelt, So viel wir uns auch bei 
Betrachtung eines Gegenftandes Mühe geben mögen, in der Webers 


zeugung, daß derfelbe nur durch unfer Auge auf ung wirkt, ihn im 


feinem Eindrude auf das Auge zu empfinden — wir empfinden ihn. 


immer nur außerhalb deffelben. Ich weiß wohl, daß man behaup⸗ 


tet hat, andere Sinne, und namentlih das Getaft, wären mehr 


ſubjectiv, d.h. wie würden ung dabei mehr der im Organe hervorges 


zufenen Erregung bewußt, Cine Gradation gebe ich gern zu, Doch 


bleibt wohl immer pine große Kluft zwifchen dem am wenigften ent; 


eo äußern Sinn und dem Gemeingefühl. Kt 


Will man "aber das Gemeingefühl den innern Sinn 
nennen, fo mag das gelten, fo lange man ſich des Unterfchiedes 
zwifchen Außerm und innerm Sinne bewußt bleibt. Dann find 
Hunger und Durft, Geſchlechtsluſt u, f. w. auch befondere 
innere Sinne zunennen. Nur darf man fie nicht durch / die 
Zahlen * 7 ı, in die Reihe der wahren Sinne aufnehmen. 








Sehözehnte Vorleſung. 


Vom. Verda uungdappar at | 


⸗1 


 Macvem wir die allgemeinen organifchen Spflsme (6. 5 unſers 


Koͤrpers durchgegangen ſind und von dem Nervenſyſtem aus den Ue-⸗ 


bergang zu den Sinnesapparaten gemacht haben, wenden wir uns 
zu den uͤbrigen Organen, und zwar zuerſt zu den verdauenden und 
athmenden. Die erſteren nehmen feſte und tropfbar fluͤſſige, die leg: 
teren luftfoͤrmige Stoffe auf. Beide geben aber auch der Außenwelt 
Stoffe ab. — Sowohl die Organe der Verdauung als die Organe 
der Athmung bilden zufammenhängende Apparate, Ferner bleibt 
uns noch ein Apparat zu beruͤckſichtigen, durch den. unfer Körper nur 
der Außenwelt abgiebt, was er ald nicht mehr brauchbar aus fich 


ji ausfcheidet,. der Darnapparat, und endlich diejenigen Organe, 





deren Zweck fih nicht auf das Individuum bezieht, dem fie augehör 


ren, fondern die zur Erhaltung der Öattung die Keime neuer Ins 
dividuen erzeugen — die Gefchlechtstheile. Alle diefe Apparate 
heißen plaftifch, weil fie die Beftimmung haben, etwas zu bes 
reiten und der Organismus duch fie ſich ſelbſt und neue Indivi⸗ 
duen feiner Art bildet und erhält. Man kann auch das Gefaͤßſh— 


ſtem zu den plaflifhen Theilen sählen , da das Gefaͤßſyſtem das 


Blut, jenen allgemeinen Bildungsftoff, enthält. Wir haben das 
Gefaͤßſyſtem aber früher aufgeführt, theils, weil es den Character 


eines allgemeinen Syſtems hat, und theilg, weil wir nah Voran⸗ 


ſchickung defjelben die Gefäße der einzelnen Organe beffer beruͤckſich⸗ 
tigen Eonnten. Man wird aber im Berfolge fehen, daß e8 feiner 
Verrichtung nach er dem Verdauungs⸗ und Arppnganer 
rate liegt. Ä 


Kur. * * 
* > A 
PY Rh 


er f eur) 347 — — 
[4 

* * 212. Der ganze erbaningeanparat beſteht aus einem 

J  Ranale, der vom Munde anfängt, in die Rachenhoͤhle übergeht, 
ſich als Speiferöhre durch die Brufthöhfe zieht, in der Bauchhöhle 
ſich zum Magen ‚erweitert, ald Darm fih in der Bauchhoͤhle win: 
bet und endlich im After fich endet, und aus Nebenorganen,. 

r welche mit dem verdauenden Kanale in mannigfacher Verbindung 
ſtehen. Rechnet man die Milz ab, die auch wirklich weniger we⸗ 
ſentlich fuͤr die Verdauung ſelbſt iſt, als fuͤr die Umwandlung des 

Blutes, ſo kann man von allen dieſen Nebenorganen ſagen, daß 
ſie eine Fluͤſſigkeit bereiten, die zur Auflöfung der apfapnoitimenen 
- Nahrung. dient. 

- Der verbauende Kanal felbft bereitet auch "auflößende Fluͤſſig⸗ 
keiten. Es wird naͤmlich die ganze innere Fläche dieſes Kanals 
von einer Schleimhaut gebildet. Das Weſen einer Schleim- 
haut bejteht darin, daß fie ſtets einen Schleim über: ihre Fläche 
ergießt und fich dadurch feucht und weich erhält, "Kleine Grübchen, 
die das bewaffnete Auge in diefer Haut entdeckt, bereiten wohl vors 
züglich den Schleim, und es find diefe Schleimgruͤbchen fuͤr 
die Schleimhaut eben das, was die Hautbaͤlge fuͤr die aͤußere Haut 
ſind. Faſt an allen Stellen iſt ferner die Schleimhaut des Ver— 
dauungskanals mit kleinen plattgedruͤckten Vorragungen — Zot— 
ten, befest: Sie find mit den Hautpapillen zu vergleichen, ragen 
aber bei Weitem mehr vor, und die etwas plattgedrüdte Geſtalt 
macht, daß fie unter dem Vergrößerungsglafe (Taf. X. Fig. 10.) 
mehr das Anfehn Kleiner Hautläppchen haben. "Die innere Fläche. 
der Schleimhaut ift auch vom Anfange des Kanals bis zum Magen 
und am unterfien Ende deutlich mit einer Oberhaut bekleidet, die 
man freilich in der Mitte des Kanals nicht findet, Die äufere 
Flaͤche der Schleimhaut des Verdauungskanals ift faft überall von 
einer Muskellage umgeben, oder fie heftet ſich auch, wie im obern 
Umfange der Mundhöhle. und Nachenhöhle, an Knochen an, Ues 
berall wird die Schleimhaut, fo wie die aͤußere Mustellage derfels 
ben, mit Nerven und Blutgefäßen verfehen. Im größten Umfan— 
ge derfelben kommen die Nerven aus dem Syſteme der Numpfner- 
ven. Zudem Anfangstheil kommen jedoch Hiennerven und zu dem 
legten Ende Rüdenmarksnerven. 
6. 213. Den Anfang des RN Kanals bildet zuvoͤr⸗ 
eſt die Mundhöhle, Nach oben wird fie bedeckt vom harten 


Gaumen, ber von einer Schleimhaut bekleidet iſt; nach hinten fieht 
man den weichen Gaumen oder das Gaumenfegel ats 
die Gränze der Mundhöhle an. Sie ſteht jedoch hier unter dem 
weichen: Öaumen mit der Nachenhöhle in offener Gemeinfchaft. 
Den Boden der Mundhöhle bilder die Zunge mit ihren weichen Um⸗ 
gebungen und die vordere Graͤnze derfelben machen bie Zippen, fo 
wie der Unterkiefer und. ein vorfpringender Rand der Oberkiefer⸗ 

beine die Seitenwand darſtellen. 


Im ganzen Umfange der Mumdbähte ift lebhafte Empfindung, 
ja fie ift ſelbſt Sig eines Sinnes, Es wird diefer Anfangstheil 
des verbauenden Kanals ferner volftindig von der Willkuͤhr bes 
herefcht, Durch Herabziehen und Aufheben des Unterkiefers wird die 
Höhle geöffnet oder geſchloſſen. | 


$. 214, Zum vollftändigen Schließen ber — dienen 

die Lippen, dieſe muskuloͤſen Vorhaͤnge vor dem Eingange in 
die Mundhöhle, Wir wiffen fhon, das im Innern der Lippen ein 
anſehnlicher Kreismusfel liegt (Taf, IX. Fig. 2. 6.) — der 
Schließer des Mundes, durch, defien Wirkfamkeit beide 
‚ Xippen bald blos an einander gezogen, bald feſt zufammengepregt 
werden. ZSiehen ſich beſonders die aͤußern Faſern des Ringmuskels 
zuſammen, ſo wird der Mund zugeſpitzt. Wir wiſſen auch, daß 
vom ganzen Umfang des Geſichts ſtrahlenfoͤrmig kleine Mus 
keln entfpringen, die fih in den. Mundfchließer verlieren und die 
"Rippen nady allen Richtungen von einander entfernen Eönnen (Taf. 
1. Fig. 2.). Der Mundfchließer, felbft heftet fih mit der Mitte 
feiner obern Hälfte an die Nafenfcheidewand an, und kann dadurch 
die Mitte der Oberlippe aufheben. Nach dem Mundwinkel zu ſen⸗ 
‚Ten fi in die Oberlippe dev Aufheber der Oberlippe 
und des Naſenfluͤgels (7.), der eigene Aufhe— 
ber der Dberlippe (8). In den Mundwinkel ſelbſt ge: 
‚ben der Eleine und der große Wangenmuskel (9. I0,), 
‚ber Aufheber des Mundwinkels (zwiſchen beiden voris 
gen ſichtbar und nicht mit einer eigenen Zahl bezeichnet); fie heben 
den Mundwinfel mehr oder weniger fhief in die Höhe. Grade 
nach der Seite wird der Mundwinkel durch den breiten Baden= 
muskel (12.) gezogen. Nach unten wird ber Mundfchlieger gezo= 
gem durch dem dreiedigen Herabzicher des Mundwinkels 


| (14.) und den vieredigen Herabzieher der —— — 


pet 15.). Bon legterem bedeckt ift au ein Feiner RT ber 
das Kinn etwas heraufzieht. 


Alle diefe Muskeln tragen zue Bildung der weichen Munde 
wände bei, befonders bildet der breite Backenmuskel die Seiten: 


- wand der Mundhöhle und drüdt durch feine Wirkfamkeit die Wäns 


de ber Mundhöhle gegen die Zahnreihe. Er heißt daher auch der 


Trompetenmuskel, da er die in bie Mundhöhle aufgenom- 
mene Luft beim Blafen eines Inſtrumentes außtreibt, 


Die äußere Haut wird bekanntlich an den Nändern der Lips 
pen plöglich zarter, umd von den vielen Blutgefäßen geröthet. Sie 
fteigt auf die innere Seite der Lippen herab, und geht ganz allmaͤh— 
lig in die Schleimhaut des Mundes über (Taf. IX, Fig. ı — 8.9.), 
Ueberall Fann man, fo wie hier, die Schleimhäute als Einftülpuns 
gen der Außern Haut betrachten. — An der innern Fläche der Lip— 
pen bildet die Schleimhaut in der Mitte jeder Lippe eine kleine Fal- 
te, die man das Lippenbändchen (ebend. dig. 9, 4 und 12. ) 
nennt, 


$. 215. Die eippen laffen die Speifen in die Mundhoͤhle 
gelangen, und die Zähne beginnen fogleich die Umwandlung derfels 
ben, und zwar auf mechaniſchem Weg * Verkleinern und Zer⸗ 
malmen. 


Der erwachſene Menſch hat 32 ori: von denen 16 in 


dem Unterkiefer und eben fo viele in dem Zahnrand der Oberkiefer⸗ 


beine eingefügt find. . Sie find auf beiden Seiten gleich vertheilt, 
fo, daß eine Reihe von 8 Zähnen fich auf beiden Seiten oben und 
unten ‚wiederholt. Die 8 Zähne jeder Neihe find, aber unter ſich 
verſchieden, und zwar Fann man drei Arten von Zähnen, Schnei— 
Dezähne, Eckzaͤhne und Backenzaͤhne, unterſcheiden. 


Doch bevor wir diefe Unterſchiede beruͤckſichtigen, bemerken wir die 


allgemeinen Eigenſchaften der Zaͤhne uͤberhaupt. 


Die Zaͤhne ſind mit einem Theile eng in Hoͤhlen der Kiefer⸗ 
beine (Zahnhoͤhlen) eingefügt oder eingekeilt, wie man zu far 
gen pflegt. In Fig. ır. der Taf. IX. ift das Äußere Blatt der 
Kiefer weggebrochen, und man fieht daher diefen eingefchloffenen 


Theil, Man nennt ihn die Wurzel. Er ift immer dunner als 
der hetvorragende Theil, und in den hintern Zaͤhnen getheilt. 


An dem aus dem Knochen hervorragenden Teile des Zahns 
unterſcheidet man die breitere, auch im lebenden Menſchen voͤllig 
hervorragende Krone vom Halfe, dem Uebergange aus der 
Wurzel in die Krone, der vom Zahnfleifch umgeben wird, — Das 
Zahnfbeifch ift ein feftes elaflifches, mit der Schleimhaut des 
Mundes überzogenes Zellgewebe, reich an — 5 von 
geringer Empfindlichkeit. 


$. 216. Der Zahn beſteht aus dreierlei Susftanzen: udem 
Zahnkern, 2. dem Enöchernen Theil, und. 3. dem Schmelz. — 
Zerfhlägt man einen trodnen Zahn, fo findet man im Innern 
deffelben eine Höhle, in der etwas eingetrodinete 2 iſt. Sie iſt 
der Reſt einer weichen Subſtanz, welche im Innern des friſchen 
Zahns liegt, ſehr empfindlich iſt, und der Zahnkern heißt (Fig. 
16, 3. — Sig. 15. 3.). So lange der Zahn nicht fehr alt und 
dem Ausfallen nahe ift, fi ndet man an der Spiße der Wurzel, und 
wenn mehrere Wurzeln da find, an der Spitze jeder Wurzel, eine 
fehr feine Oeffnung, durch welhe man oft kaum eine Borſte eins 
fuͤhren kann. Dennod) acht durch jede ſolche Oeffnung eine kleine 
Arterie, eine Bene und ein Nervenfaͤdchen (Fig. 15. a. b.). Beim 
Ausreißen des Zahns werden diefe Blutgefäße und Nervenfaͤden 
—— Daher der Blutverluſt und der Schmerz. 


Der Zahnkern wird mit Ausnahme der kleinern Oeffnungen 
in der Wurzel von einer feſten knoͤchernen Subſtanz (Fig. 15. 2. 
— Fig: 16. 2.) überall umgeben, melde die‘ Hauptmaffe des. 
Zahns ausmadıt. Sie ift der Knochenmaffe ſehr ähnlich, unters 
ſcheidet ſich jedoch dadurch, daß die Enorpelige Grundlage nicht aus 
einer gleichförmigen, ſondern blaͤttrigen Maſſe beſteht, in welche ſich 
der Kalk abſetzt und dadurch, daß dieſe Maſſe, wenn fie zerſtoͤrt iſt, 
ſich nicht regenerirt wie Knochen. 


Ganzʒ verſchieden von dieſem— iſt der Schmelz (substantia 
vitrea), der wie eine Tute (Fig. 16. 1. Fig. 15. I.) auf dem 
Enöchernen Theile fist, ihn aber nicht ganz.einfchließt, fondern nad) 
der Wurzel zu aufhört. _ Der Schmelz oder das Email der Zaͤh— 
ne ift viel härter als Knochen, und Fann mit Recht fleinig genannt 


— — 385 I — 


r werden. Er hat Eeine Enorpelige Grundlage, ſondern loͤßt ſich in 
Säuren ganz auf, Berzelius fand in ihm 85, 2 phosphorfauren 


Kat, 3, 3 flußſpathſauren Kalt, 8, o kohlenſauren Kalt, 1, 5 
phosphorfauren Talk, 2, 0 Waffer und häutige Maffe. Er über 
sieht wie eine fefte Glaſur den Zahn und fhüst ihn vor Verderbniß 
Wegen des großen Webergewichtes an erdigen Theilen ift er aber 
brüchig, und wenn er abgefprungen oder fonft zerſtoͤrt iſt, ſo ent⸗ 


ſteht leicht eine Verderbniß des ganzen Zahns. Der unbedeckte knoͤ⸗ 


cherne Theil wird durch Knochenfraß zerſtoͤrt, und die Verderbniß geht 


— 


bis zu der innern Hoͤhle fort. — Der Schmelz zeigt einen ſtreifi— 


gen Bruch, ſcheint alſo wohl aus eng an einander liegenden Kafern 
gebildet. Er ift eine blos abgefonderte und zu feinem Grade des 


Lebens gelangte Maſſe. Er kann ſich daher * wieder —— 
wenn er ganz oder aum Theil zerſtoͤrt ift. ; 


Nur der innerfie Theil des Zahnes, der Kern, ift einer Ems 


‚ pfindung fähig. Hier hat daher der Zahnſchmerz ſeinen Sitz. Man 


ſieht leicht, daß der Kern weſentlich mit einer Nervenpapille uͤber⸗ 
einſtimmt, und kann die Zaͤhne wohl Nervenpapillen nennen, 


über welche ein knoͤcherner und ſteiniger Ueberzug gezogen iſt. Dies ° 
ſe Anfi icht wird durch die a der Zaͤhne beftäs - 


tigt. 


$. 217. Die vorderſten Zaͤhne heißen Säneideräpns 
(dentes incisores), weil ihre. Kronen. faft wie Meiſſel zuge⸗ 
ſchaͤrft ſind. Die Wurzel iſt einfach. Sie werden vorzuͤglich 
zum Abbeißen gebraucht. Es ſind oben und unten 41 * uͤber⸗ 
haupt’ 8. (Big. 11.1.2, ) | 


Die Eckzaͤhne, Hundszähne oder Yugemzöb: 


me (dentes canini) find den Schneidezähnen ziemlich ähnlich. Die 
Krone iſt jedoch nicht eigentlich meiffelförmig zugefcharft, fondern bil- 


Y 


f 


ERSTEN FRE v 


beteine ftumpfe, Feilförmige Spise, befonders wenn fie nicht abge: 
rieben iſt, und die Wurzel, die auch einfach iſt, uͤbertrifft die 


Wurzel der Schneidezaͤhne an Laͤnge. Der Name Augenzahn 


mag eben daher ruͤhren, daß die Spitze der Wurzel der obern Eck⸗ 
Dach bis im die Nähe der Augenhöhle reicht. Im unferer Abbil- 
"bung (Fig. ır. 3.) iſt die Wurzel noch etwas kurz. Auf jeder - 
Seite iſt oben und unten ein einzelner Eckzahn, überhaupt alſo 4. 


Alle Hintern Zähne, im jeder der vier Meihen 5, und über 

haupt 20, heißen Backen zaͤhne (dentes molares), Sie 
find nicht ganz gleich. Die beiden vorderften jeder Reihe nämlich 
haben nur zwei Spigen auf ber Krone, und ihre Wurzel ift entwe⸗ 
der einfach oder zeigt. nur durch eine Längsfurche eine Spur von 
Teilung. Die drei hintern haben mehrere Spitzen auf der Krone, 
und ihre Wurzeln find meiftens dreifach, auch wohl vierfach, bie 
Wurzel’ des legten Badenzahns ift —9 — wieder weniger getheilt, 
als die der vorhergehenden. 
8.218, Die Zähne entwickeln ſich —v in beſondern Saͤ⸗ 
den; vom Boden dieſes Sackes waͤchſt gegen die Hoͤhlung eine Her- 
vorragung wie ein Pilz hervor, ° Diefe Vorragung ift der zufünfs 
tige Zahnkern. Die Säde bilden ſich ſchon fehr früh während der 
Fötusperiode in weiten Ninnen beider Kiefer. , Etwa in der Mitte 
der Schwangerfchaft Überzieht fich der Zahnfern im Innern des 
Zahnſaͤckchens mit einem Enöchernen Ueberzuge, der wie eine Tute 
von der Krone gegen bie Wurzel waͤchſt. Die äußerften Spigen der 
Krone find es, welche zuerft den Enöchernen Ueberzug erhalten. 
Bald darauf fieht man über der Knochenlage noch die Lage von 
Schmelz. Es wird alfo wirklich der Zahnkern von diefen beiden 
Subftanzen allmählig bekleidet, und zwar von det Krone nad der 
Wurzel zu. Dadurch wird die Communication-zwifhen dem Zahn⸗ 
ern und der unter ihm liegenden Maffe immer mehr verengt, 


Man weiß, daß zweierlei Zähne auf einander cofgen, Die: 
jenigen, welche ſich zuerft bilden, heißen Milch zaͤhne oder 
Wechfelzähne Sie brechen bekanntlich nicht zugleich hervor. 
Nachdem fie fih nämlid in den Zahnfäden gebildet (Big. 17.), 
' und in diefen den Enöchernen und jteinigen Ueberzug erhalten ha— 
ben, werden fie allmählig fihtbar. Zuerſt erfcheinen bie mittelften 
Schneidezähne, dann die Schneidezähne zur-Seite der erflern. Je—⸗ 
ne fommen in der Regel im 6ten oder 7ten Monat nach der Geburt 
zu Tage; dieſe einen oder zwei Monate fpäter. Gewöhnlich kom⸗ 
‚men die untern zuerft und dann die entfprechenden obern hervor, 
Etwa am Ende des erfien Jahres kommen die erften Badenzähne, 
ein halbes Jahr darauf die Eckzaͤhne und gegen Ende des aten Sah- 
res die aten Backenzaͤhne hervor, Dann ii die erfte Zahnreihe voll⸗ 

| Be, endet, 


} 





u 853 — 


Eckzahn und den beiden erſten Backenzaͤhnen auf jeder Seite oben 
und unten. Die Aufeinanderfolge iſt conſtant, aber nicht die Zeit 
des Ausbruches; denn es ift gar nicht felten, daß Kinder die erſten 
Zaͤhne am Ende eines Jahres bekommen, und andere im 4ten, 
Sten Monat, oder ſie gar mit auf die Welt bringen. Sie wiſſen 
— auch, daß der Zahnausbruch gewöhnlich von mancherlei Erankhaf- 
ten Erſcheinungen begleitet if. Nur ift es ganz itrig, wenn man 
j im. gemeinen Leben glaubt, daß biefe daher entſtuͤnden, daß der 
Zahn ſich aus dem Kiefer heraus bohren muͤſſe. Er iſt, wie ich 
fruͤher fagte, gar nicht von der Knochenfubftanz des Kiefers bedeckt, 
- fondern alle Zähne bilden ſich in einer tiefen Ninne bes Kiefers. 


Ei wi. Be | 
endet, welche aus 20 Zaͤhnen beſteht, zwei Schneidezaͤhnen, einem 


Za, die Zähne find in dieſer fruͤhern Periode gar nicht eng von 
Knochenmaſſe eingefhloffen, die Zahnhoͤhle umſchließt fie erſt ſpaͤ⸗ 


ter, Wohl liege aber das Zahnfleiſch über dem Zahne, und muß 
ſich von einander theilen, um diefen hervortreten zu laſſen. Zus 

gleich wird auch der Sad zerriffen, in welchem der Zahn ſich urs 
 fprünglich bildete. Die Reizung, welche das Zahnfleifch dabei er- 


führt, und welche ſich auch andern Theilen mittheile, fcheint beſon⸗ 


ders die Erankhaften Erfheinungen zu verurſachen. Es iſt darum 
ſehr unzweckmaͤßig, wenn man zahnenden Kindern fefte Dinge zum 
Beißen giebt, indem man glaubt, daß der Zahn ſich dadurch Leiche 
te durchbeißt. Durch den Drud auf das gereizte,- etwas entzuͤn⸗ 


dete Zahnfleifch wird diefes nur, noch mehr gereizt, und man ver 


} wiehrt das Uebel, ſtatt es zu vermindern. 


Br Die Wurzeln * Mucchzaͤhne verlaͤngern ſich nie bis zu dem 
Grade, daß die Oeffnung in ihrer Spitze ſich ſehr verengerte oder 
ganz ſchloͤſſe. Sie bleibt immer weit. Ehe die Milchzaͤhne her— 
’ vorgebrochen find, haben fich fchon unter und etwas feitlich von ih: 

nen die Säde fuͤr die bleibenden Zähne zu bilden angefangen (Fig. 
18.). Diefe Säde bleiben mit ihrem Inhalt fehr ange unentwis 


welcher die bleibenden Zähne hervorbrechen, ift noch weniger genau 
beftimmt, und richtet ſich vorzüglich nach der Körperbefchaffenheit 
des Kindes, Es ift ziemlich willkührlich, wenn man das fiebente 
BE als die Periode des Zahnwechſels annimmt. Sie währt meh: 


2 | 23 





delt, Almählig vergrößern fie fich aber fo, daß fie die. Milchzaͤh⸗ 
ne aus ihrer Stelle treiben, die dann ausfallen. Die, Zeit, in 


- 


a A  ; 
} Ra 
F a Be 


ee 


rere Jahre hindurch. Zuerſt bricht der dritte bleibende Badenjahn 
hervor, der keinen Milchzahn auszutreiben hat, und das Kind hat 
nun 24 Zaͤhne; dann fällen allmaͤhlig die Milhzähne aus, und 
werden durch die bleibenden erfegt. Im TZten oder 14ten Jahre 
beicht der vorlegte bleibende Badenzahn hervor und fehr fpät, mei⸗ 
fiens erſt in den Jahren der Pubertaͤt der letzte Backenzahn, der 
daher auch der Weisheitszahn heißt. Zuweilen erſcheint er erſt im 
vierzigſten Jahre, und in manchen Faͤllen kommt er gar nicht zum 
Durchbruch. Auch in den bleibenden Zaͤhnen wachſen die harten 
Theile, die Knochenſubſtanz und der Schmelz, von der Krone ge- 
gen die Wurzel zu. Die Wurzel verlängert fich daher immer, und 
die Deffnung in der Spige wird dabei immer mehr verengt, bis fie 
ſich endlich fchließt. Dann Eann der Zahn nicht mehr ernährt wer⸗ 
den, wird allmählig loder, und fällt am Ende aus, — die 
Zahnhoͤhlen —v 


8. 219. Der Zahn iſt mit dem ſteinartigen Sämelge a feis 
ner Krone überall bedeckt, um ihn, da er nicht nur bloß liegt, fons 
dern dem Reiben an den Speifen feiner Beftimmung gemäß ausge: 
ſetzt ift, zu verwahren. Indeſſen wird diefer Schmelz doch allmaͤh⸗ 
lig abgerieben. Fleiſchnahrung und gekochte vegetabilifhe Nahrung 
veibt zwar feht langfam ab; allmählig fieht man indeffen die Spi⸗ 
gen der Zähne flumpfer werden ,. und da der Schmelz fich nicht wies 
der neu erzeugt, wird er dünner, verliert fih dann an einzelnen 
‚Stellen, und läßt die Knochenſubſtanz frei Liegen, die jetzt viel 
Schneller abgerieben wird, und fich eben fo wenig wieder erzeugt; 
der Bahn wird dadurch im der Mitte vertieft, indem der Aufßere 
Hand * des langſatat ſich abreibenden Schmelzes mehr her⸗ 
vorſteht.* 


Auch durch zufaͤllige Urfachen Tann. der — sel Were 
den. m iſt es nicht —595 — große Hitze oder ploͤtz⸗ 





Noch deutlicher ſieht man den Unterſchied in ber Härte des Schmelzes und 
ber Knochenfubitanz an den Zähnen. der grasfreſſenden Thiere. Die unges 
kochten Vegetabilien reiben naͤmlich viel mehr vom Zahn ab. So ſieht 
man einen Pferdezahn nie ganz. Noch ehe die Wurzel fich gebildet hat, 
ift ein fehr bedeutender Theil der Krone abgerieben. Die vorfpringenden 
Leiften an ben Zähnen der Pferde und Wiederkäuer werben von Schwelzla⸗ 

gen gebilbet, die vr Abreiben Iangfamer weichen, 


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* be; ———“ von Räte und Higei im Schmelze Riſſe erzeu⸗ 
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gen.. Auch mit metallenen Werkzeugen Fann man den Schmelz 


Ä leicht verlegen ; daher es eine nicht zw verachtende Negel ift, Eeine 


fehe harten Dinge zu Zahnflochern zu wählen. Die gewoͤhnlichſte 
Urſache von ſchadhaften Zähnen liegt aber nicht in ſolchen Zufällige 


keiten, fondern in der Gefundheit aller Übrigen Organe des Koͤr— 
pers, befonders der Verdauungsorgane, Menfchen mit fchwacher 
Verdauung haben gewöhnlich fchlechte Zähne, und durch die. Ver— 
derbniß der Zähne werden die VBerdauungsleiden immer noch mehr 
vermehrt; denn eine vollftändige Verkleinerung der, Speifen duch 


tüchtige Zähne und die damit verbundene. Vermiſchung mit Speir - 


chel iſt für die Verdauung fehr wefentlich. Thun die Zähne nicht 


ihre Pflicht, fo müffen die andern Organe, namentlich der Magen, 
ſich viel mehr anftrengen. Um die Verderbniß der Zähne durch 
Leiden der VBerdauungsorgane zu begreifen, müffen wir annehmen, 
daß der Zahnkern an der Schwäche der übrigen Verdauung sorgane 
Antheil nimmt, und die feſten Theile des Zahnes, die er ja Be, 
nicht ſtark genug erzeugen —* 


Der Zahn leidet von chemiſchen Einfluͤſſen, und um ſo 


leichter, je ſchwaͤcher die Verdauung iſt. Nicht blos die ſtaͤrkern 


chemiſchen Subſtanzen, auch der anhaͤngende Schleim des Mundes, 
der bei ſchwacher Verdauung beſonders zur Verderbniß geneigt iſt, 
und als Bodenſatz den ſogenannten Weinſtein * abfegt, ‚greift 
die Zähne an. Das tägliche Reinigen ber Zähne von den anhäns 
genden fremden Theilen ift-daher eine fehr wichtige diätetifche Re— 
gel, und um fo unerlaßlicher, je ſchlechter die Zähne ſchon find. 
Schon viele Menfchen leiden blos deswegen häufig an Zahnfchmerz, 
weil fie gegen die Neinlichkeit fündigen, und: es ift nicht ganz fel- 
ten, daß biefes Uebel, das der Kunft des Arztes nur zu häufig trogt, 
ausbleibt, wenn man die Zähne oft und forgfältig von dem anhän- 
genden Schmuge befreit. — Doch genug von diefer Pflege der 
Zaͤhne, bie fo einfach ift, daß eine befondere Belehrung. überflüffig 
fcheinen koͤnnte, wenn — die * Erfahrung das Gegentheil 


zeigte. 


Zu 





. Der ee! Anfangs nichts als ein weicher Niederfchlag ded Munde 
. ſchleims. Allmählig fammelt fi in ihm PUR OFTEN Kalk, 


23? 


6 





— — 


$. 220. Wir werden jegt, nachdem wir den Bau der einzel⸗ 
nen Zähne Eennen gelernt haben, zu der Unterfuchung übergehen 
muͤſſen, wie die Zaͤhne gemeinſchaftlich zum Verkleinern der Speis 
fen wirken. Die Zähne find feſte Keile, beftimmt die Speifen zu 
verkleinern, und um diefer Beftimmung genügen zu koͤnnen, find 
fie in die Kiefern eingefügt. Der Oberkiefer ift mit dem Schädel 
"zu einem feften Ganzen verbunden, ber Unterkiefer hat dagegen eis 


ne deſto mannigfaltigere Beweglichkeit gegen den Oberkiefer. 


Wir haben ſchon fruͤher geſehen, daß der Gelenkfortſatz des 
Unterkiefers auf jeder Seite in eine ſeichte Grube am Schlaͤfenbein 
eingreift, und daß er in dieſer Grube nach allen Seiten ſich bewegen 
aͤßt, auch auf den davor © liegenden Gelenthöder treten kann. 

Die Muskeln, die diefe Bewegung ausführen, nennt man 
überhaupt Kaumusteln. Es find folgende panrige Muskeln, 
weshalb wir fie nur von der einen Seite befehreiben wollen, Der 
ſtarke Schläfenmuösfel (Musc, temporalis) ($ig. 2. 3.) 
kommt mit Freisförmigem Umfange vom untern Theil des Scheitel: 


beins und vom Schläfenbeine, geht, indem die Faſern zufammen- 


laufen, unter dem Jochbogen fort, und fest fih an den Kronenfort⸗ 
fag des Unterkiefers (Dig. 11.c.), Er zieht den Unterkiefer mit 
großer Gewalt gegen den Oberkiefer in die Höhe. Man kann das 


Anſchwellen diefes Mustels beim Beißen deutlich fühlen und fehen, 


— Der eigentlich fogenannte Kaumusfel (M. Masseter) ift 
auch ſtark, aber kuͤrzer als der vorige. Er kommt vom Jochbogen, 
ſetzt ſich an den Winkel des Unterkiefers (Fig. 2. 5.), und ift in 
zwei Lagen, eime äußere und eine innere, getheilt. Auch er drüdt 
den Unterkiefer an den Oberkiefer an, und zwar gerade in die Höhe, 
während der Schläfenmußtel ihn beim Aufheben zugleidy nach hin⸗ 
ten zieht, Auf die Seite wird der Unterkiefer durch zwei Muskeln 
bewegt, die in unfrer Abbildung verdeckt find. Sie liegen nämlich 
an der innern Fläche jeder Hälfte der Unterfinnlade, kommen von 
den herabfleigenden flügelförmigen Fortfägen des Keilbeins, fegen 
fi an die innere Flaͤche des Unterkiefers, und heißen Fluͤg el⸗ 
muskeln AM. pterygoidei). Sie wirken wahrſcheinlich bald 
auf der einen, bald auf der andern Seite. Contrahiren ſi ich die 
auf der rechten reg fo ziehen fie die rechte Haͤlfte des Unterkiefers 


— 


* 


* 


* 


a An 


— gegen die Mittellinie bes Kopfs, und ſchieben alfo die linke 
Ar mehr nach der linken Seite hin. Der innere Fluͤgelmuskel 
dient zugleich zum Aufheben und der aͤußere zum ee; 

der untern Kinnlade. — 


\ 


2: r Das Herabziehen des Unterkieferd kann ſchon durch feine 


Schwere bewirkt werden. Dahin wirket auch der Muskel, der 


vom Unterkiefer an das Zungenbein geht (Fig. 2. 12.) und ber 
zweibäuhige Musfel des Unterkiefers (M.bi- 


* u 


venter, maxillae) heißt. - Er hat, wie der Name fagt , zmei 


Baͤuche. Der eine fest fi) hinter den zigenförmigen Fortfag des 


— 


Schlaͤfenbeins, und der andere (Fig. 2. 13.) an ben untern Rand 


des Kinnes. Zwiſchen beiden Baͤuchen iſt eine Sehne, die durch 


einen Muskel des Zungenbeins (14.) hindurch geht, und, vermit—⸗ 
telſt einer aponeurotifchen Ausbreitung, mit dem Zungenbein ver« 
bunden ift. Deshalb zieht. der vordere Bauch bei feiner Guss: 
tion den Unterkiefer gegen dag Sungenbein heish h 


BR bie Manmnigfaltigkeit diefer did, die geringe 
der Grube des Kiefergelenkes und die abgerundete Form des 
Gelenkkopfes am Unterkiefer, iſt es uns moͤglich, dieſen Knochen 
nach allen Richtungen zu bewegen, wie wir leicht daraus erſehen, 


daß wir ihm eine drehende Bewegung geben koͤnnen. Dieſe Man⸗ 


nigfaltigkeit der Bewegung kommt nicht allen Thieren zu. Bei 


Vergleichung der verſchiedenen Familien von Saͤugethieren finden 


wir vielmehr, daß, wenn einem Thiere nur eine beſtimmte Art von 
Nahrung angewieſen iſt, es auch nur auf einfoͤrmige Weiſe ben Un- 
terkiefer zur Verkleinerung dieſer Nahrung zu bewegen im Stande 
fee — Die Fleiſchfreſſer Haben eine ſehr tiefe Gelenkgrube fuͤr das 


Kiefergelenk. Sie umſchließt den. Gelenkkopf eng, und ba dieſer 


ganz queer ſteht, ſo iſt fuͤr den Unterkiefer nur die Bewegung von 
oben nach unten moͤglich. Für dieſe Bewegung find auch der Kau⸗ 
muskel und der Schlaͤfenmuskel ſehr groß, und die Knochen find 
fo geformt, daß die Ausdehnung derſelben vermehrt wird. Man 
kann fich davon leicht überzeugen, wenn man den Schädel einer Kas 
be anſieht. Der Rand der Schlaͤfengrube reicht: hier hoch hinauf, 
der Jochbogen iſt ſtark nad) der Seite gewoͤlbt, um einem, ſtarken 


| Schläfenmustel Raum zu geben, Er ift aber auch nach oben ge- 


woͤlbt, um den Kaumuskel zu vergrößern. Dieſe Anordnung ent⸗ 
ſpricht dem Bau der Zähne, die mit ſchneidenden Kanten und Spi⸗ 
gen befegt find, Die Raubthiere zerfchneiden oder zerbeißen alfo 
ihre Nahrung. — Nehmen wir dagegen den Kopf eines Nager 
thiers, etwa eined Hafen, fo finden wir auch hier eine ziemlich 
tiefe Gelenkgrube, die fi von vorn nad hinten zieht. Eben fo 
dehnt fich der Gelenkkopf der Länge nah aus, Die Hauptbewe⸗ 
gung iſt ein Schieben von vorn nad) hinten, Diefer Bewegung | 
entfpricht auch die Anordnung der Muskeln. Der Kaumuskel zieht 

den Unterkiefer mehr nach vorn, als er ihn aufhebt. Der flache 
ZJochbogen hat nur für einer Eleinen Schläfenmusfel Raum, der 
beim Aufheben den Unterkiefer auch zugleich zurüd zieht. Die Bes 
wegung von vorn nah hinten ift in den NMagethieren alfo vorwäls 
tend, damit fie mit ihren ſchneidenden Vorderzaͤhnen deſto beffer 
Rinden und andere Dinge nagen koͤnnen. Das Zerkauen auf den 
Backenzaͤhnen wird auch durch das Vorwaͤrtsſchieben und Zuruͤckzie⸗ 
hen des Unterkiefers bewirkt. — ine dritte Art der Bewegung, 
die von einer Seite zur andern geht, kommt vorzuͤglich dem Unter⸗ 
kiefer der Wiederkaͤuer zu. Die Gelenkgrube des Kiefers iſt ſehr 
flah. Der Schlaͤfenmuskel und der Kaumuskel find wenig entwi⸗ 


Melt, die Fluͤgelmuskeln find dagegen von ſehr anfehnlicher Größe, 


‚ Das Futter wird duch die Bewegung des Unterkiefers zwifchen den 


Badenzähnen zermalmt, die zu — Zwecke mit — | 
a verfehen find. 


Das Gebiß derjenigen Thiere, 2 ſehr —— 
Nahrung angewieſen ſind, vereinigt alle 3 Arten der Bewegung, 
und die Zähne derfelben vereinigen bie Eigenheiten der Naubthier- 
zähne mit den Eigenfchaften der Zähne von Wiederfäuern und Na⸗ 
gern. So iſt es auch mit den Kieferbewegungen und den Zaͤhnen 
des Menſchen. Wir koͤnnen aus dieſem Umſtande ſchließen, daß 
er, vermoͤge ſeines Gebiſſes, nicht auf eine genau beſtimmte Nahe 


rung angewieſen iſt. Daſſelbe findet ſich in den — et 
dauungsorganen beftätigt. 


g. 221. Die Speiſen werden wiederholt zwiſchen die Zaͤhne 
gebracht, um fie Durch die mechanifche Einwirkung derfelben zu ver⸗ 
fleinern. Das Gefchaͤfft liegt beſonders den Backenzaͤhnen ob /zu⸗ 


J— 
voͤrderſt, weit ihre breiten hoͤckrigen Kronen mehr zermalmen und 
weil fie von den Kaumuskeln ſtaͤrker gegen den zu zerdruͤckenden Ge 
genftand beivegt werden können, da fie einen kuͤrzern Hebelarm ha= 
ben, als die Schneidezähne, deren Form und Lage nad) vorn mehr 


- auf das Abbeißen berechnet if. Won der Zunge, ben Lippen und 
den weichen Seitenflähen der Mundhöhle, namentlich dem Baden 


muskel, werden die Speifen immer wieder zwifchen die Zähne ges 
bracht. Sie werden beim Kauen mit Speichel vermifcht, der zur 
— fernern Aufloͤſung derſelben mit beiträgt, 


| 6. 222. Der Speidel ift eine ziemlich helle, immer 
mit etwas Schleim vermifhte Flüffigkeit, deren Hauptbeſtandtheil 


Waſſer ift. Von diefem enthält er 992, 9; außerdem die gewöhns 


lichen Salze, falzfanres Kali, falzfaures Natrum, milchſaures 


Natrum, Dsmazom und eine eigenthümliche thierifche Materie, bie 


man in neuern Zeiten Speicheiftoff genannt has Sie ift im 
Waffer auflögtih. Ob der Schleim, der mit dem Speichel ver— 
bunden ift, und ber fi) von diefem trennt, wenn man den Speis 
el ruhig fiehen läßt, im Munde erzeugt wird, ober urfprünglich 


‚ mit dem Speichel zugleich ausgefchieben wird, iſt ſchwer zu beſtim⸗ 


men. Indeſſen ift es wahrfheinlih, daß aus den Speicheldrüfen 
auch etwas Schleim kommt, da ihre Ausführungsgänge von einer 
Schleimhaut ausgekleidet find, die mit der Schleimhaut bes Mun⸗ 


bes im Zuſammenhange ſteht. 


Es wird naͤmlich der Speichel in —— Druͤſen —— 


| dert, bie in dee Umgebung der Mundhöhle liegen. 3 Paar von 


ihnen find größer und werden insbefondere die Speihheldrü« 
fen genannt. Sie beftehen aus mehreren Lappen, die wieder in 
Eleinere Abſchnitte (Koͤrnchen) zerfallen. Jedes Koͤrnchen hat feis 
nen Ausführungsgang, von denen viele zufammentreten, um eis 
nen oder mehrere Hauptkanaͤle zu bilden, 


Das größte Paar der Speicheldruͤſen liegt auf jeder Seite un- 
ter dem Ohr und hinter dem auffteigenden Afte des Unterkiefers, 
die Ohrſpeicheldruͤſe CParotis) (Fig. 2. 8.), De 
Ausfuͤhrungsgang ift einfach und anſehnlich. Er führt den Nas 
men des Stenonifchen Ganges, läuft queer in den Ba— 
den fort, und durchbohrt den Badenmuskel, um in der Gegend 


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des 2ten oder zten Badenzahns in die Mundhöhle ſich zu öffnen 
(Big. 9. 13.). Wird er in diefem Verlaufe durch eine Verwuns 
dung zerfchnitten, fo dringt ber Speichel immer fort nach außen her⸗ 
vor — ein Zufall, den man eine Speichelfiftel nennt. 
Nicht ganz felten ift, Wie in unſrer Abbildung (Fig. 2,), an dem 
Ausführungsgange noch eine Eleine Nebendrüfe, 


Ein anderes Paar von Speicheldrüfen liegt nach innen und 
unten vom Winkel des Unterkiefers auf jeder Seite, und führt den 
Namen Kieferdrüf e (Glandula maxillaris s. submaxilla- 
is) (Fig. 2. 9.). Sie ift faft eyfoͤrmig, zwar nicht ſo groß als 
bie Ohrſpeicheldruͤſe, aber doch viel größer, als wir fiein der Ab⸗ 
“bildung fehen, wo nur der. untere Theil-hervorragt. Der Ausfüh: 
rungsgang diefer Drüfe heißt der Wharton’fhe Gang, und 
mündet unter der Zunge neben dem Zungenbaͤndchen. Außerdem 
bat bie Kieferdruͤſe meiſtens mit der legten Speicheldruͤſe der Unters 
terzungendruͤſe einen gemieinfchaftlichen Ausführungsgang — 
Bartholinianus), der ſich neben dem vorigen oͤffnet. 


⸗ Die 4J435—— (Glandula —J 
iſt bei weitem kleiner, als die beiden vorigen. Sie iſt platt und 
liegt dicht vor der vorigen, mit ihrem hintern Ende an das vordere 
Ende an jener ſich anfuͤgend; ihre Lage iſt daher unter dem freien 
Theil der Zunge zwiſchen dem hier befindlichen. Theil der Mund: 
* Haut. und einigen Muskeln, die vom Kinn zum Zungenbein ſich er⸗ 
ſtrecken. (So iſt fie in unſrer Abbildung verdeckt von den Muskeln 
12 und 13.) Ihre Ausfuͤhrungsgaͤnge (Ductus Riviniani) vereinigen 
fih nicht in einen gemeinſchaftlichen Stamm, ſondern durchbohren 
die Haut des arnn neben der Zunge mit vielen kleinen Oeffnungen. 


Außer den Paar hier beſchriebenen groͤßern Speicheldruͤ⸗ 
ſen kommen im Umfange des Mundes noch mehrere kleinere vor, die 
in der Mitte zwiſchen den wahren Speicheldruͤſen und bloßen 
Schleimgruben zu ſtehen ſcheinen. Sie beſtehen naͤmlich auch aus 
einzelnen Koͤrnchen, deren Ausfuͤhrungsgaͤnge ſich mehr oder weniger 
zu gemeinſchaftlichen Kanälen vereinigen. Sie finden ſich vorzuͤg⸗ 

lich in den Lippen amd Baden, Ob die Fiäffigkeit, die fie aus» 
fonbern, mehr die Befchaffenheit des Speichels oder des Schlei⸗ 
mes hat, laͤßt fich nicht —— da in der Mundhoͤhle ſich alle 


— 


— 361 — — 
bite Fluͤſſigkeiten FE und uͤberdies der Speichel, aus den 
wahren Speicheldruͤſen ſelbſt genommen, nie ohne Schleim iſt. 
Ich möchte glauben, daß, jemehr einzelne Schleimhoͤhlen zuſam⸗ 
men treten, und jemehr dadurch eine Druͤſe mit einfachen und lan⸗ 
‚gen Ausführungsgängen entfteht, um defto mehr auch die bereitete 
Fluͤſſigkeit von dee Befchaffenheit des. Schleims zu der des Speis 
chels übergeht, ſo daß die wahren Speicheldruͤſen ſelbſt nichts ſind, 
als mehr ausgebildete und von der Mundhoͤhle abgeſonderte, ſelbſt— 
ftaͤndig entwickelte Schleimhoͤhlen-Anhaͤufungen. Zuweilen bildet 
ſich aus den nicht waͤſſtigen Theilen des Speichels innerhalb der 
Druͤſen oder ihrer Ausfuͤhrungsgaͤnge ein Niederfchlag, der eine 
bedeutende Feftigkeit erlangt, und nun die Form eines Eleinen 
Steinhens hät. Solche feſte Heine Maffen heißen Sp eich el⸗ 
ſteine. Sie verhalten ſich zu dem Speichel, wie die Harnſteine 
zum Harn ($. 279:), koͤnnen aber nie eine anſehnliche Größe er- 
langen. Ob fie in ihren chemifchen Beſtandtheilen ſo mannigfal⸗ 


tig ſind, wie die Harnſteine, weiß man noch nicht, da wenige un— 


terſucht ſind. Dir MaBfchEOR waren reich an ——— 
Kalk. 


Die —— ſind — zwiſchen und an den —— 
gelagert, daß ſie bei der Bewegung derſelben waͤhrend des Kauens 
mannigfach gedruͤckt, und zum Erguß des Speichels aufgeregt wer⸗ 
den. Außer der mechaniſchen Vorrichtung, die den Speichel 
zwingt, waͤhrend des Kauens ſich reichlicher zu ergießen, hat die 
Natur noch dafür geforgt, daß die Erregung des Appetiteg. auch 
auf die Speiheldräfen wirkt. Wird nämlich die Begierde nah 
Speifen auf irgend eine Weife erregt, durch den Hunger, durch 
den Anblick derfelben oder durch bloße lebhafte Vorftellung, fo era 
folgt ein reichlicher Erguß von Speichel. Es muͤſſen alſo wohl die⸗ 
jenigen Nerven, welche auf die Secretion des Speichels Einfluß 
haben, durch die Begierde * Speiſe auf eigen one Art er⸗ 
regt werden. 


Der durch das Kauen zertheilte, mit Speichel und etwas atmo⸗ 
ſphaͤriſcher Luft vermiſchte Biſſen muß nun weiter geſchafft werden. 
Ehe wir ihn auf dieſem Wege begleiten, und den Mechanismus, 
durch den das Niederſchlucken bewirkt wird, unterſuchen, wollen 
wir den Bau der dabei wirkenden Theile kennen lernen. 


* 


Y u — 


— 


-$ 223. Die hintere Graͤnze der Mundhoͤhle bilder der 
weihe Gaumen Vom Hintern Rande des harten Gaumens 
‚($ig. 9. 5.) hängt der weiche Gaumen wie ein Vorhang nach unten 
und zugleich nach hinten herab (Fig. 9. — 6,7,8. und im fen 
rechten Ducchfchnitte Fig. 1.), Er beißt deshalb auh der Gau > 
menvorhang, das Gaumenfegel (Velum palatinum). 
Man erkennt ihn deutlih, wenn man einem Andern in den weits 
geöffneten Mund blickt. Won der Mitte des mweihen Gaumens 
fieht man dann einen unpaarigen  Eegelförmigen Körper, das 
Zaͤpfchen (Uvula), herabhängen (Fig. 9. 6.). Auf dem 
Zaͤpfchen finden fich viele Schleimgruben. Im Innern deſſelben 
find fenkrechte Muskelfafern (IM. azygos uvulae), die das Zaͤpf⸗ 
chen verkürzen können. Zu beiden Seiten deffelben läuft das Gaus 
menfegel in zwei Bogen aus. Der vordere von ihnen (7) zieht fih 
in die Zungenmwurzel und der hintere (8) in den Schlundfopf aus, 
Erfterer heiße dr Zungengaumenbogen (Arcus glosso- 
palatinus) und fegterer dr Schlundfopfgaumenbogen 
(Arcus pharyngopalatinus), Beide enthalten Ereisförmige Mus: 
kelfaſern, duch deren Zufammenziehung der Eingang in die Ka: 
chenhöhle (Isthmus,faucium.) verengert werdet; kann. — Zwei 
andere Muskelpaare kommen von den Knochen des Schaͤdels, na⸗ 
mentlich vom Felſenbein und Keilbein, auch von der Ohrtrompete, * 
‚und endigen. fi im weichen Gaumen, den fie.bei ihrer Wirkfamkeit 
aufheben; der eine zieht ihn. gerade in bie ‚Höhe ( Aufheber des 
Gaumens), der andere ( Öaumenfpanner) fpannt ihn mehr nah 
der Seite aus und erweitert den Eingang in den Rachen. 


ei diefer. Gelegenheit bemerken wir zwei yfoͤrmige Koͤrper, 
von denen jeder auf einer Seite, zwiſchen dem vordern oder Zun⸗ 
gengaumenbogen und dem hintern oder Schlundkopfgaumenbogen, 
liegt (Big. 9,9.) Man nennt fiedie Mandeln (Tonsillae), 
Sie find leicht in dem aufgefperrten Munde eines Anderen zu erken⸗ 
nen. Auf ihrer Oberfläche fieht man viele tiefe Gruben; denn fie 
beftehen nur aus tiefen und zufammengehäuften Schleimgruben, 
die durch etwas ——— verbunden werden, — Beim Nieder⸗ 





. Sie 4 daher in der aͤltern Kunſtſprache bie ſchwerfaͤlligen Namen 
Muse. petrosalpingostaphylinus und Musc. s—9 


2 - 
k, 
i 


}, 


(luden wwerden ie gepreßt und ergießen auf den Biſſen eine ken 


titaͤt Schleim. — In Halsentzundungen fchwellen fie fehr an, und 


koͤnnen eine Gefahr zu erſticken herbeiführen. In Tafer VIM. Fig. 
12, wo die Gaumenbogen ——— ſind, ſi ſieht man ſie undere 
bie in E und E. 


224. Der Raum hinter * Mund hoͤhle, der mit der 


: Mund: und Nafenhöhle zugleich Gemeinfchaft hat, mird die Ra: 
chenhoͤhle (Fauces) genannt, Wir fehen einen Durchſchnitt 


von ihr in der erſten Abbildung dev. Taf. IX. Sie. dehnt ſich von 
75 bis 14 aus. Der Zuſammenhang mit der Nafenhöhle ift zwar 
nicht dargeſtellt, da die Scheidewand der Nafe abgebildet iſt. Doc 
wird man ſich leicht vorftellen fönnen, wie vor ber Stelle, im der 


man die Zahl 15 fieht,, die hintere Naſenoͤffnung in den Rachen 


—— san Uebergang zeigt no die gte Bu ‚der asia 
VL — 


$. 225. en: der Macenpöhte ift die Höhe —* Sl Tale 


kopfs nicht verfehfeden. Die hintere MWand der Rachenhoͤhle, die 
vor den Koͤrpern der Wirbelbeine liegt (in unſrer 2, Figur ift fie 


mit keiner beſondern Ziffer bezeichnet, aber deutlich vor den Hals⸗ 


wirbeln etkennbar), beſteht aus einer Muskellage. Die Muskel⸗ 
faſern laufen von vorn nach hinten und oben, ſo daß ſie nach vorn 
einen weiten Raum, eben die Rachenhoͤhle, leer Taffen: Dadurch 
bilden fie zufammien einen ſchief abgefchnittenen Trichter, deffen 
Spitze ſich hinter dem Kehlkopf in die Speiſeroͤhre verlaͤngert, defz 
ſen weiterer Theil aber nach hinten zu ſich an den vorderſten 
Theil des Hinterhauptsbeines und zur Seite auch ah "den Kno— 
hen des Schaͤdels befeftigt. "Man nennt den ganzen Trichter 
Schlundkopf (Pharyn&);" Die erwähnten Muskeln bilder 
drei uͤber einander liegende Schichten, die SchlundFopf: 
Ihnürer In der roten Figur ſieht man den Schlundkopf von 
Hinten)’ wo er ganz gefchloffen iſt. 6 ift der untere Schlundkopf⸗ 
ſchnuͤrer, ſeine Faſern kommen zu beiden Seiten vom Kehlkopf und 
vereinigen ſich in der Mitte; 7 iſt der mittlere Schlundkopfſchnuͤ⸗ 
rer, der vom Zungenbeine ſeinen Urſprung nimmt, und 8 der obes 
te, der vom Unterkiefer, der Zungenmwurzel und den abſteigenden 
Flügeln des Keilbeins kommt, und fi) an den zapfenförmigen Theil 


| des Hinterhauptsbeines anfegt: Außerdem verliert fih auch * 


auf jeder Seite ein vom Griffelfortfag ( 2) kommender Muskel, * 
Griffelſchlundkopfmuskel (9), in der Maſſe des 
Schlundkopfs, und iſt befonders geeignet, den Schlundkopf aufzu⸗ 
heben, waͤhrend die id ihn in feiner weh 
RANG EHI —— 


Man fieht aus der gegebenen Befchreibung leicht, daß es will: 
Luͤhrlich ift, wenn man die obere Hälfte diefer Höhlung Rachen», 
and die untere hintere Hälfte Schlundkopfhöhle nennen will, denn 
es ift wenigfteng Feine Gränze anzugeben. - Aus unfrer erften Figur 
muß es ſchon deutlich werden, dag im Boden biefer Höhle, und 
zwar vor, dem Eingang in die Speiferöhre, fich der Eingang in den 
Kehlkopf (12 und 13) finder, woruͤber wir ausführlicher, bei 
Getegenheit des. Arhmungsapparates , zu. ſprechen haben werben. 
Hier erwähnte ich diefer Anordnung nur, um darauf aufmerkſam zu 
maden, daß der Biffen, der niedergeſchluckt wird, uͤber den 
kopf weggleiten muß. | — 

9. “ir Nachdem eine Quantität Speife ——— Kauen 
gehörig verkleinert und durch Beimiſchung von Speichel weich ge⸗ 
macht worden iſt, wird ſie niedergeſchluckt. Das Niederſchlucken 
wird durch eine ſehr zuſammengeſetzte Muskelbewegung bewirkt. 
Zuerſt wird die Speiſe auf der obern Flaͤche der Zunge geſammelt, 
was ſchon Folge des Kauens iſt, dann hoͤrt das Kauen auf einen 
Augenblick auf, die Zunge wird an den harten Gaumen angedruͤckt 
und zwar von ber Spitze an, fo daß fie, indem ſie ſich erhebt, 
den Biſſen nach hinten gleiten laͤßt. Zugleich erhebt und verkuͤrzt 
ſich der Schlundkopf, beſonders durch Huͤlfe der Griffelſchlundkopf⸗ 
muskeln. Indem ſich der Schlundkopf erhebt, muß ſich auch der 
hintere Bogen des weichen Gaumens erheben, da er ſich in den 
Schlundkopf verliert. Der Gaumenvorhang wird dadurch horizon⸗ 


tal ausgeſpannt, und indem ſich die Muskelfaſern des hintern Baus 


menbogens contrahiren, wird bie Communication mit ber Nafenhöhs 
le faft ganz ‚aufgehoben, der Webergang aus. der Mundhöhle ‚in 
den. Schlundkopf: dagegen noch mehr erweitert; Daher, auch nur 
dann etwas in. die Nafe zu dringen: pflegt, wenn man einen.großen 
und fehr weichen. Biffen niederzuſchlucken fi bemuͤht, den der 
Schlundkopf kaum faſſen kann. Indem ſich der Schlundkopf er⸗ 


$i „ 


J— 


Habe, wird ee auch zugleich mit dem vor ihm liegenden Kehlkopf 
nach vor bewegt. Dieſer, der zugleich mit erhoben wird, koͤmmt 
nun ganz unter die gewölbte Zungenmwurzel zu liegen, an die er fo 
angedruͤckt wird, daß der Kehldeckel (12) von der Zungenwurzel 
niedergedruͤckt wird, und der Biſſen von der Zungenwurzel herab 
über den Kehlkopf weg in den Schlundkopf faͤllt. Kaum ſind die 
Waͤnde des Schlundkopfs von dem Biſſen berührt, fo ziehen ſich 
I die Schlundkopffehnürer zufammen, und-drüden die Speife duch 
| die untere Spise des Schlund£opfes in die Speiferöhre hinein, da 
die aufgehobene Bunge und das horizontal geftellte Gaumenſegel den 
Ruͤcktitt in Mund und Nafe kindern. Sunge, Kehlkopf und 
Schlundkopf finfen nun wieder nieder, und der Biffen geht duch 
die Speiferöhre weiter fort. Der ganze Mechanismus, obgleich 
ſehr zufammengefegt, wirft faft in einem Augenblide, indem, eine 
Bewegung die andere vafch und mit Nothwendigkeit nad) fi zieht, 
um die Gemeinfchaft zwifchen der Luftröhre und Naſenhoͤhle nur 
kurze Zeit hindurch zu water: 


$. 227. Bis an die untere Öränze des Schlundkopfs iſt 

die Verdauung der Willkuͤhr unterworfen,” von hier an aber nicht 
mehr. Ja ſchon im Schlundkopfe feinen freier Wille und Noth— 
wendigfeit die Herrſchaft unter einander zu theilen. Es wird der 
Schlundkopf nämlich durch die aufgenommene Speife zu Contrac= 
tionen gereizt, biefe Speife wird nothwendig fortgefchafft. Ges 
woͤhnlich geht fie den natürlichen Weg in die Speiferöhre, allein, 
es liegt noch in unfrer Macht, fie mit einiger Anflrengung wieder 
in die Mundhöhle zuruͤck zu bringen, Iſt fie aber die Gränge zwi⸗ 
fhen Schlundfopf und Speiferöhre paffirt, fo hört die Macht uns 
fers Willens auf, und fie wird unaufhaltfam weiter verarbeitet. — 

- Bon ‚hieran ift auch der Nahrungskanal eine gefchloffene und mit 
einer Muskelfchicht uͤberall umgebene, durch die Bruft: und Baud)- 
böhle gehende, freiliegende, nicht an knoͤcherne Theile angeheftete 
Roͤhre. Die Muskellage beftcht überall aus zweien über einander 
liegenden Lagen von Faſern. Mehr nach) innen, der Schleimhaut 
am naͤchſten, ift eine Schicht von ringförmigen Muskelfaſern. 
Diefe wird bedeckt von einer Schicht von Längsfafern. — In Big. 
“4. fieht man ein Stüdchen des dünnen Darmes. An beiden Enden 
deffelben erkennt man die Längsfafern, Im der Mitte find fie weg · 


genommen, und man fieht die tiefer Tiegenden Ningfafern, Durch 
diefe Anordnung ber Muskelfafern kann fich jeder Theil des Nah⸗ 
rungstanals in feiner Höhlung verengern und in feiner Länge, vers 
kuͤrzen. Die Veranlaffung zu ihrer Wirkfamkeit giebt immer der 
Reiz, den die in jebem Theil enthaltenen Speifen auf die Wände: 
‚des Kanals ausüben. — Die Weite des Kanals ift in den u 
denen Abſchnitten fehr — 


$. 228. Am meh ift wohl im — Zuſtande der 
durch die Bruſthoͤhle gehende Theil, die Speiſer oͤhre (Oeso- 
phagus) oder der Schlund, Der Ausdend Schlund. ift unbes 
flimmt, da man im gemeinen Leben auch wohl den Schlundkopf fo 
bezeichnet. Daher wollen wir bei der Benennung Speiferöhre bleis 
ben. Von der unten Gränze des Schlundkopfs hinter dem Kehl 
kopfe fängt dieſe Nöhre am, geht dann am Halfe und dur bie 
ganze Brufihöhle hinab, hinter der Luftröhre und dem Herzen, vor 
‚der Reihe ber Bruftwirbel, liegend. Links von ihr, befindet fi die 
‚herabfteigende Aorta. Gegen das Ende der Brufthöhle beugt ſich 
‘ die Speiferöhre nach linke vor der Aorta vorbei, geht hier durch 
eine für fie beſtimmte Deffnung des Zwerchfells hindurch, und ges 
langt in die Bauchhoͤhle, wo fie bald in den Magen (bei * in Fig. 
2. Taf. X.) übergeht. . Sie fieht, wenn fie Teer ift, eng aus, 
und hat auf der innern Fläche Längsfalten, weil ihre Schleimhaut 
weit genug iſt, um ſich aud für den Ourchgang ſtarker Biffen aus⸗— 
zudehnen. Die Muskellage ift ſtark, und fobald Speife in die 
Speiferöhre gekommen ift, wird die Muskelſchicht diefes Kanals 
zur Contraction erregt, die Wände ziehen fi um den aufgenoms 
menen Biffen zufammen, und indem die Verengerung der Höhle 
vom Schlundfopfe nad dem Magen fortgeht, wird die Speife ſehr 
Schnell in diefen hineingetrieben, und im Durchgange mit Schleim 
von der. innen Fläche der Speiferöhre übergoffen. Man fieht alfo, 
daß die Speiferöhre fich gegen die Speifen,, die fich durch fie hindurch 
bewegen, nicht wie ein todter Kanal verhält, Die Aerzte halten es 
auch Für einen Beweis von großer Schwäche, und alfo für ein uͤb⸗ 
les Zeichen, wenn in Krankheiten das, mas ber Kranke nieder: 
ſchluckt, mit einem vernehmbaren Schall in den Magen gleichſam 
hineinfält, weil fie darin einen Beweis von dem geringen Leben in 
der EN haben, 


6. 229. Bevor wir dem — —“ in ber Bauch⸗ 
hoͤhle weiter folgen, iſt es nothwendig, einen Blick auf bie 
Höhle ſelbſt zu werfen. 


de ganze Numpf enthält zwei große Höhlen, die Brufte 
+ Höhle und die Bauchhöhle. Beide find von einander dur das 
3werchfell getrennt, Diefes iſt ein wahrer Muster, der aber 
nicht viel dider, als eine fehr ftarke Haut ift. Er entfpringt vom 
ganzen untern Rande: der Brufthöhle, d. h. von allen untern Rip— 
pen und mit einigen abgefonderten Partien, die man die Schens 
Bel des Zwergfells nennt, von den Lendenwirbeln. Aus allen dies 
fen. Gegenden laufen die Muskelfafern gegen. den Mittelpunkt zus 
fammen. In der Mitte hat das Zwerchfell einen fehnigen Theil. 
Es ift aber das Zwerchfell nicht horizontal ausgefpannt, fondern ſehr 
ſtark nach oben gegen die Bruftnöhle gemölbt. Wir werden im Ka 
pitel von der Athmung fehen, daß die Wölbung beim Ausathmen 
' zunimmt und beim Einathmen ſich verflacht. - Aus dem Gefagten! 
‚folgt, daß das Zwerchfell, von der Bauchhoͤhle aus betrachtet, eine 
£effelförmige Vertiefung zeigt, und daß die Bauchhoͤhle in der Mit 
- tellinie des Leibes weiter hinaufreiht, ald am Rande der unten | 
Rippen. Man darf fih daher nicht wundern, wenn wir im Kols 
genden bei der Befchreibung der Lage der Baucheingeweide einige 
Drgane nennen werden, die in der Bauchhöhle liegen und doch vor - 
den Rippen bebedt find. In Taf. X. Fig. 1. fieht man bei iii 
den vordern Rand des Iwerchfells, der aber, weil ee von den Rip⸗ 
pen abgetrennt iſt, ſich ſchon etwas hinaufgezogen hat, und die 
Leber weniger bedeckt, als im Leben der Fall iſt. — Im Zwerchfell 
ſind einige Oeffnungen, um Kanäle durchzulaſſen, die aus der 
Bruſthoͤhle in die Bauchhöhle gehen. , So findet fih etwas nach 
links eine Deffnung für den Durchgang der Speiferöhre, in der 
. Mitte und nah an der MWirbelfäule, zwifchen den Schenkeln des 
Zwerchfells, eine Luͤcke fuͤr den Durchgang der Aorta. und nach rechts 
ein Loch fuͤr den Durchgang der untern großen Hohlvene. Zwiſchen 
den Schenkeln des Zwerchfells gehen ferner der Bruſtgang, die her— 
umſchweifenden Nerven und etwas ſeitlich die Ganglien-Reihen des 
plaſtiſchen Nervenſyſtems durch. Dieſer Durchgaͤnge ungeachtet iſt 
das Zwerchfell auf der obern und untern Fläche fo von feröfen Haͤu⸗ 
ten uͤberzogen, bs zwifchen der Höhlung der Bruft und des Bau 


— 308 — 


ches durchaus keine — ift, wie wir fogteich (om pr 
den, | 


Die —— if wWeran geſchloſſen. Nach hinten beach die 
Reihe der Lenden⸗ oder Bauchwirbel, oben das Zwerchfell, der uns 
tere Theil der Bauchhoͤhle reicht bis in den Raum des Bedens hin: 
ein, und biefee Abfchnitt wird daher aud mit dem befondern Nas 
men bee Bedenhöhle belegt. Nach unten ift aber der Aus⸗ 
gang des Bedens auch duch Muskeln verfchloffen, welche nur das 
Ende des Darmes und die Gefchlechtstheile. mit ben Harnwegen 
hindurch gehen laffen. Der ganze übrige Umfang der Bauchhöhle, - 


die Seitenwände alfo und die vordere Wand werden von den breiten 


und ſtarken Bauhmusfeln gebildet, die wir zum Theil auf . 
der Taf, II. (bei 3. 6.) ſehen. Zuvoͤrderſt geht ein fehr flarker 
fehniger Streifen in der Mitte der vorderen Körperfläche vom untern 
Ende des Bruftbeind (Taf, II. Fig. 1. 16.) zu der Schambeinfuge 
(Taf. I. Fig. 4. h)herab, Diefer Streifen wird von den Anatos 
men die weiße Linie (Linea. alba) genannt. Die Bauch— 
musfeln fegen ſich nun, theild mit ihren breiten Sehnen, theils 
mit den Muskelfafern felbft , an die Bauchwirbel, an die Rippen, 
an die vorfpeingenden Ränder des Bedens an, und umgeben und 
Tchließen dadurch die Bauchhoͤhle. Ein Paar, die geraden Baucı- 
musfeln, fleigt von den Rippen gerade zum Beden herab, ein Paar 
Yäuft ganz in die Queere, oben an die Rippen, unten an das Be 
den flogend, hinten an die Queerfortfäge der Bauchwirbel fi ans 
fegend und vorn in die weiße Linie fich verwebend. In andern has 
ben die Faſern eine ſchiefe Richtung, mie in dem oberflächlichften 
von allen, den wir (Zaf. IH. Fig. 1. 36.) abgebildet fehen, Das 
Nefultat dieſes mannigfachen Verlaufes ift, daß die Bauchhöhle 
‘von allen Seiten verengt wird, wenn ſaͤmmtliche Bauchmuskeln 
zugleid) wirken. Wir fegen fie in Wirkfamkeit, wenn wir Etwas 
aus den Organen der Bauchhöhle hervorpreffen wollen. Sie Eön- 
nen aber auch einzeln wirken. So ziehen die geraden Bauchmus⸗ 
feln allein wirkend die Bruft gegen das Beden herab, die fchiefen 
an. a aber a den Rumpf. 


— 


Die Bauchhoͤhle umſchließt eine Menge Theile. Oeffnen wir 
die Bauchhoͤhle eines Menſchen von der vordern Flaͤche aus, ſo 
ſehen 


’ 


— am meiſten nad oben in ber Woͤlbung des Zwerchfells drei 
große Organe, rechts naͤmlich die Leber, die die rechte Unterrip⸗ 
pengegend (vergl. $. 3.) ganz einnimmt und links noch etwas über 


die-Mittelinie' hinüber ragt (Tafı X. Fig. 1. k.) Nach links vom 


der Leber und, etwas von ihrem untern Rande bededt iſt der Magen, 
der. dem. Beobachter größer, oder Eleiner erfheint, ie nachdem er 
mehr oder weniger. ausgedehnt iſt (ebend. J. . Er nimmt im Ganz 
zen die Magengegend zwiſchen den falſchen Rippen beider Seiten 
ein, dehnt ſich jedoch ſtark nach links in die linke Untexrrippen gegend 
aus. Am meiſten nach links endlich und zugleich etwas nach hin⸗ 
ten finden, wir die Milz (Fig. 2, r. Die Mittel: und. Unter 
bauchgegend: fehen wir von. den vielen Windungen des Darms faft- 
- ganz ausgefüllt, und zwar fehen wir. in der. vechten Darm, ‚oder, 
Düftgegend ben ‚Anfang des weiten. Darms (Fig... bei u; unten, 
und zur linken ‚Hand des Beobachters); von. hier, fleigt der weite 
Darm in.die Höhe, Frimmt ſich ‚babei, aber. etwas nach hinten im 
bie-Lendengegend, weswegen wir den aufſteigenden Theili in unfrer 
Abbildung. nicht fehen, dann verläuft.er unter dem Magen. in der. 
Mabelgegend von der, rechten Seite queer heruͤber nach der linken 
(ebend, u, u unter dem Magen), fleigt hierauf wieder nad hinter 
gekrümmt in die linke Leiſtengegend und geht als Maſtdarm laͤngs 
der Kruͤmmung des Kreuzbeins und vor dieſem Knochen bis zum 
After fort. Die übrigen Windungen des Darms ‚gehören dem en⸗ 


| gen, Darme (ttt) an. Ein großer, ‚Theil der Darmwindungen 


wird aber überdies noch bedeckt von ‚einer ſehr duͤnnen Haut, die 
vom Magen herabhängt, und ‚das Neg heißt (m).. — ‚Andere 
Theile liegen mehr. nad der hintern Wand der Bauhhöple, und 
find daher Anfangs bei Eröffnung derfelben nicht fihtbar. Dahin 
gehören die. großen Gefaͤßſtaͤmme, die vor der Wirbelſaͤule herab⸗ 
ſteigen, naͤmlich nach der linken Seite die Aorta (Taf. X. Fig, 2. 
8.) und nad). der vechten Seite die untere Hohlvene (ebend. 11.). 
Bu, beiden Seiten von. ihnen in ben Lendengegenden finden fi ch die 
Mieren (a), Ueber den Nieren find, Die Nebennieren, und von 
den Nieren fteigen die beiden Harnleiter (BB) in die Bedenhöhle 
hinab. In diefer liegt dev Maſtdarm am meilten nach hinten, und 
die Harnbiafe nad) vorn dicht hinter dem Schaambeine. Zwiſchen 
beiden ift im weiblichen Gefchlechte die Scheide mit der, Gebaͤrmut⸗ 
ter, welche die Eyerftöde zu beiden Seiten hat. Im männlichen 


24 


” 


Geſchochte finden ſich in der . swifchen Sarbrafe und ma 
darin die beiden BR N 
San Y 2 Ma ; oe F 
J —— Yen — ——— * die Bauchhoͤhle⸗ 
ſo ausgefuͤllt daß nicht ein leerer Raum bliebe, welcher die 
eigentliche Bauchhoͤhle ausmacht. Wenn man nämlich den Bauch 
von vorn öffnet, fo fieht man nicht nur Luͤcken ziifchen den Win⸗ 
dungen des Darms und den andern verdauenden Organen, ſondern 
man erkennt auch Leicht, daß dieſe Luͤcken nach vorn zuſammenflie⸗ 
gen. Die fer un ausgefuͤllte Raum det Bauchhoͤhle hat nothwendig 
eine ſehri itregelmaͤßige Geftatt. ° Er iſt überall umkleidet von einer 
bünnen'’feröfen Haut, ' welche! malt‘ das Bauchfell '(Peritö- 
niscurh') nennt· Das Bauchfell überzieht nicht nur die inhere Flaͤ⸗ 
che der Bauchmuskeln und die untere Flaͤche des Zwerchfells ſon⸗ 
deen auch alle verdauenden Organe fo daß es fich in die Zwiſchen⸗ 
raume, die dieſe von einander ttennen, mehr oder wemiger hinein⸗ 
sieht, and die Stgane felbft meht ober weniger. et Bor 
den Hatnwerkzeugen und den großen Blutgefaͤßen ſteigt Aber das 
Bauchfeli gerade, herab, ohne fie zu umhuͤllen ar obere En: 
de der Blaſe iſt etwas vom Bauchfell bekleidet. "Man pflegt daher 
die Eingeweide der Bauchhoͤhle wohl einzutheilen in folche, die vom 
Bauchfell bekteiber find, und im ſolche, die hinter ii liegen. Bu 
den erften gehören dann die verdauenden Organe, und zu den an⸗ 
dern alle uͤhtigen. Indeſſen iſt der Unterſchied nicht ganz ſchnei⸗ 
dend, da, wie gefagt, auch die Blafe in einem Eleinen Umfange, 
und mehr noch die Gebärmukter nit den’ Eyerſtoͤcken vom Bauchfell 
uͤberzogen wird, dagegen aber der Tegte Theil des Maſtdarms kei⸗ 
nen Ueberzug von ihm erhält. Wichtiger noch iſt die Bemerkung, 
daß eigentlich kein Organ ganz innerhalb der Höhle des’ Bauchfells 
liegt, und die verdauenden Otgane gleichfam nur gegen das Bauch⸗ 
fell hineingedruͤckt find. Es bedeckt naͤmluch das Bauchfell, wie 
ale feröfen Häute, einen voig geſchloſſenen Sack. Um uns von 
dem Berhältniffe dieſes Sades zu den verdauenden Organen. eine 
richtige Vorfiellung zu machen, welche zu erlangen immer ſchwieri 
iſt, wie ich aus anatomiſchen Vortraͤgen aus Erfahrung weiß, fo 
denken wir und einmal diefen Sad recht groß, fo groß, da wir 
als Beobachter in demfelben figen koͤnnten. Werden num allerlei 
Theile tief in dieſen Sad hineingedrüdt, ohne ihn zu zerreißen, fo 


N 


— 


— u 371 — — 


werden wir aus dem Innern des Sackes die Form der Theile uͤber⸗ 


ſehen koͤnnen, aber wir ſehen ſie nur mit einem Ueberzuge dieſes 
Sackes bedeckt, und ein Theil von der Oberflaͤche des eingedruͤckten 
Organes muß nothwendig von dem Sacke unbedeckt bleiben, und 
wird von ung nicht geſehen. Grabe fo iſt das Verhaͤltniß des Bauch— 


fells. Es bekleidet zwar mit continuirlicher Fläche die Bauchmus⸗ 
keln und das Zwerchfell, aber in den Abrigen Umfang deffelben find 
| die verdauenden Organe hineingedrüdt, von oben hinein der Ma- 
gen und die Leber, von hinten ber Darm, von unten die Organe 
der Beckenhoͤhle. Bon allen diefen Organen bleibt ein Theil unbe: 


deckt vom Bauchfell, z. B. der obere Theil der Leber. Am weites 


ſten iſt der Darm hineingeſchoben, und von dieſem bleibt nur ein 
fomater, gegen die Wirbelfäule gekehrter Streifen unbedeckt, wo: 


von wir booleich bei Betrachtung des Gektoͤſes, uns —— 
wollen. | 


Wonn wir bie —— ſo PER wie alfo nicht die 
Dont der verdattenden Organe ſelbſt, fondern wir ſehen fie nur 
durch die Bekleidung des Bauchfells hindurch, und denjenigen Theil 


ihrer Oberflaͤche welcher vom Bauchfell nicht bekleidet wird, koͤn—⸗ 


nen wir ohne Zerfehneidung oder Zerreifung des Bauchfells natuͤr⸗ 


| lich ar nicht ſehen. Dieſe unbekleideten Raͤume find immer weni⸗ 


ger glatt und glänzend, als die bekleidete Oberfläche; denn das 


Bauchfell iſt, wie alle ſeroͤſen Haͤute, auf der innern nach der 


Hoͤhlung zugekehrten Flaͤche glatt und von ſetoͤſer Feuchtigkeit glaͤn⸗ 
zend, es ſondert auch ſtets einen feuchten Dunſt in die Hoͤhlung 


ab. Wenn in krankhaftem Zuſtande die Aushauchung ſich ver⸗ 


mehrt und die Wiederaufſaugung ſich vermindert, ſo ſammelt ſich 
dieſer Dunſt an, gerinnt zu einem dicken eyweißhaltigen Waſ 
ſer, und dehnt die Bauchhoͤhle aus, es entfteht mit einem Worte 


eine Bauchwaſſerſucht. Sie ſehen num leicht ein, warum 
man in dieſer Krankheit den Bauch anbohten kann um das über: 
3 fläffige Waſſer auszuleeren, ohne die Eingeweide zu verletzen. Die 
eben gegebene Beſchteibung wird Sie auch wohl vor dem ganz gemei— 
nen Irrthum bewahrt haben ‚ welcher Magen: und Bauchhoͤhle 
verwechſelt, und glaubt, eine Deffnung im die Bauchhoͤhle müffe 
auch eine Deffnung in den verdauenden Canal ſeyn. Der verbauens 


de Canal geht vielmehr durch die Bauchhoͤhle — und beide 
24* 


Höhlungen haben gar Feine unmittelbare Communikation, weswegen 
auch Etwas, das in der Höhlung des Bauchfells Liegt, nicht durch 
den Darm abgehen kann, und umgekehrt die Bauchhoͤhle gefhtoffen 
iſt, obgleich durch den Darm ein offener Weg geht. 


6. 231. Das Gekroͤſe und die Netze find nur Theile des 
Bauchfells. Gefröfe (Mesenterium) heißt befanntlich die 
hautförmige Platte, durch welche der Darm an die hintere Wand 
Des Bauches, und befonders an die Wirbelfäule, befefligt zu ſeyn 
fheint. Dee Rand diefer Platte, welcher am Darm befeftige ift, 
iſt viel länger, als ber andere, der an die hintere Bauhmwand 
ftöst. Daraus: folgt, daß das Gekroͤſe gefräufelt iſt, wie eine 
Manſchette. Durchſchneidet man das Gekroͤſe, fo finder fih, daß 
es aus zwei Platten befteht, zwifchen welchen etwas Zellgewebe, 
und bei gefunden Perfonen ziemlich viel Fett Liegt. Verfolgen wir 
beide Platten nach hinten zu, fo fehen wir, daß fie zu beiden Sei: 
ien in das Bauchfell übergehen, In der That ift das Gekröfe nichts 
weiter, als ein Theil des Bauchfells, eine große Kalte, die dadurch 
entftanden ift, dag der Darm gleihfam von hinten tief in bie 
Bauchhoͤhle hineingebrüdt ift, und einen Theil des Bauchfells vor 
ſich hergefchoben hat, Darum fieht man auch beide Platten des 
Bauchfells am Darm auseinander treten, und den Darm überzie- 
ben. An dee vordern freien Fläche des Darmes gehen beide Plat- 
ten in einander über. Wo fie hinten aus einander treten, iſt eben 
jener vom Bauchfell nicht bededite Streifen, deffen wir früher ers 
wähnten. Innerhalb des Gekröfes liegen alle Arterien, die zum 
Darme verlaufen, ſo wie die Venen und Saugadern, die von ihm 
abgehen, und auch hie Nerven, die zum Darme gelangen, 


Zwei andere — des Bauchfells nennt man Ne 
tze (Omenta oder Epiploa). Das große Netz( Omentum 
gastrocolicum) ( Fig. 1. m.) ift eine fehr anfehnliche Verlänge- 
rung des Bauchfelld, welche von dem untern Bogen des Magens 
gegen die Bedenhöhle frei herabhängt, und den größten Theil der 
Därme von der vordern Fläche bedeckt. Am unten Rande beugt 
e8 fih um, ſteigt wieder.in die Höh, und fegt fich an den queeren 
Theil des Grimmdarms. Co ift e8 alfo eigentlich mit einem gang 
platt gedrückten Beutel zu vergleichen, Es enthält wenig Blutge⸗ 


faͤße, und wohl fehwerlich andere Nerven, als bie für biefe ber 
ſtimmt find. Es fammelt fich leicht Fett im Nege an. Seine 
Beftimmung ift Höhft dunkel, und hat bie Phyſiologen zu manchen 
lächerlichen Hypothefen veranlaft. So foll das Netz beſtimmt feyn, 
die Därme warm zu erhalten. Was Eönnte wohl das dünne Meg 
bier wirken, im Verhältniß zu den flarfen Bauchmuskeln und den 
aͤußern Bedelungen mit ihrer Fettlage! Wahrlich, das hiefe 
unter einen Pelz einen Flor nehmen, um füch nicht zu verfälten. 
Denn gerade fo wie der Flor ift das Meg nicht eine ununterbro= 
bene Haut, fondern mit vielen Luͤcken verfehen. Ueberdies liegt 
das Mes bei vielen Thieren gar nicht vor ben Därmen, und fcheint 
in allen Berhältniffen einem abgeftorbenen Theile gleih, Sch 
möchte daher glauben, daß das Netz im erwachfenen Menfhen gar 
keine Berrichtung hat, und Daß es fih nur auf feine Entwidelungss 


geſchichte bezieht, 


Das Eleine Netz —— gastrohepaticum) (Sig, 

2, n.) ift ein Webergang des Bauchfelld vom Magen nad) ber, Leber 
bin, kommt an Ausdehnung dem großen Netze bei weitem nicht 
gleich, und iſt auch wohl weſentlich von ihm verſchieden. Sol 
che. Uebergänge von- einem Drgan zum andern, oder von der 
Wand der Bauhhöhle zu einem Organe kommen überall vor. 
Man nennt fie etwas unpaffend Bänder. Allerdings dienen fie da⸗ 
zu, die Lage der Organe zu fihern, dürfen aber mit den Knochens 
bändern nicht verwechfelt werden, da fie nicht aus fibröfen Faſern 
beftehen. Wenn Sie daher von Bändern an ber Leber, am Mas 
gen, am der Milz, oder überhaupt'an Organen ber Bauchhoͤhle hoͤ⸗ 
ren, fo dürfen Sie immer nur an Uebergänge, Verlaͤngerungen und 
Falten des Bauchfells denken. ? 


$. 232. Nah Betrachtung der Bauhhöhle kehren wir zu 
dem Theil des verbauenden Kanales zurüd, der buch die Baud)- 
hoͤhle läuft, Er befteht aus dem Magen und dem Darme, 


Der 'Magen (Ventriculus) ift der erfle ſackfoͤrmig er— 
tweiterte Theil des verdauenden Kanales, in welchen die Speifes 
roͤhre übergeht, nachdem fie durch das Zwerchfell getreten iſt. Dies 
fer Uebergang heißt der Magenmund ( Cardia) (Fig. 2. * und Fig. 
3: *), Am andern Ende communicies der Magen mit dem Date 


— 7 


me, und biefe Stelle wird der Pförtner (Pylorus) (Big 2.** 
und 3. **) genannt. Beide fliehen einander aber nicht gegenuͤber, 
vielmehr ift der Magen fd gekruͤmmt, baß der obere: konkave Nand 
ſehr viel Eürzer ift, als der untere Fonvere, Unter. dem Magenmund 
geht die Höhlung des Magens in eine flumpfe Verlängerung aus 
(Fig. 3. 3.), die manıden Blindfad oder Magemgrund 
nennt. Die ‚Sage. des Magens iſt in ber erflen und zweiten Figur 
dargeftellt. Im Ganzen liegt er in der Mitte der Oberbauchgegend, 
welche davon Magengegend genannt wird, und: wovon ber Winter, 


welcher an die untere Spige des Bruſtbeins ſtoͤßt, “bie Herzgrube ge⸗ 


nannt wird, obgleich das Herz von dieſer Stelle ziemlich entfernt liegt. 
Bon dieſer Mitte geht ein größerer Theil, und namentlich der Blind⸗ 
ſack, in die linke Unterrippengegend, ein Fleinerer in bie rechte Uns 
tereippengegend „.fo daß der Magen: vielmehr nach links: als nach 
rechts liegt. Der Magenmtınd fteht dabei höher im der Wölbung 
des Zwerchfells, als der Pförtner. Die gegenfeitige Stellung der 
großen und der Eleinen Kruͤmmung ift verfchieden, je nachdem ber 
Magen im Verdauen begriffen ift oder nicht. SI fe der Magen Ieer, 
fo ift die große oder Eonvere Krümmung mehr nach unten und: nur 
wenig nach vorn gerichtet, die Eleine oder konkave Krümmung liegt 
nad) oben und etwas nach hinten. In diefer Stellung iſt die vor⸗ 
dere Flaͤche des Magens zum Theil von der Leber verdedt, und wenn 
der Menſch lange gehungert hat, ſo ſieht man nach dem Tode oft 
nur einen ſchmalen Streifen vom Magen, bevor die Leber aufgehoben 
wird. Wird aber der Magen mit Speiſen angefuͤllt, ſo dehnt er 
fih aus, Es ift aber die untere große Krümmung frei, dagegen 
ber obere Magenmund dur die Deffnung im Zwerchfell an feiner 
Stelle befeftigt, und auch der Pförtner durch fogenannte Bänder 
gehalten wird, Darans folgt, daß der Magen ſich um dieſe beiden 
feften Punkte, wie um zwei Angeln, dreht. _ Die große Krümmung 
dreht fih nach vorn gegen die Bauchmuskeln, die vordere Fläche 
wird zue obern, und die hintere zur untern Flaͤche. Die Leber 
wird. dabei aufgehoben und gegen dag Zwerchfell gebrüdt, weswegen 
bei ſtarker Ueberfülung des Magens die Bruſthoͤhle —— und 
das Athmen erſchwert wird. 


Wir haben ben Magen ſchon einen Sad genannt, und bier 
fen Namen verdient er vollflommen; denn feine Wände find im 


Verhaͤltniß zu der Weite ber Höhlung nur duͤnn. Den menſchli⸗ 
hen Magen dürfen Sie ſich ja nicht ſo muskuloͤs denken, wie den 
Magen der koͤrnerfreſſenden Voͤgel, z. B. ber Huͤhner. Die ganze 
Dicke des Magens betraͤgt kaum eine Linie. Doch finden wir hier 
mehrere Lagen verſchiedener Haͤute über einander... Am meiſten nach 
außen ift der glänzende Ueberzug des Bauchfells. ‚Wird biefer ab⸗ 
gezogen, fo findet man eine Muskellage, beſtehend nach außen aus 
Längsfafern (Big. 3: 2.), die vom Magenmunde aus verlaufen; 
und am meiften oberflächlich liegen. Unter ihnen find Ringfafern 
(3): Man nimmt-aud eine befondere Schicht von ſchiefen Faſern 
an (4) doc fcheinen diefe der gebogenen Form, bed; Magens ihren 
Urfprung zu verdanken, und bald zu den Längsfafern, 'balb zu dem 
- Ringfafern zu gebören. Am Pfoͤrtner find die Ringfafern ſehr 
verftärkt, und bilden einen anfehnlihen ringförmigen Vorſprung 
nad) innen, wodurch der Uebergang aus dem Magen in den Darm 
verengt, und bei der Zufammenziehung dieſer Faſern ganz verfhlofs 
fen werden kann. Unter ber Muskelhaut iſt eine Lage von dichtem 
Zellgewebe, und auf diefe folgt: ganz nad) innen die Schleimhaut, 
die im menfchlihen Magen aͤußerſt weich iſt, und Feine deutlichen 
Zotten zeigt, ı Wenn der Magen leer-ift, fo zieht ſich die Muskel 
haut fo. zuſammen, daß die Schleimhaut große ieregelmäßige Falten 
bildet, die bei der Ausdehnung des Magens wieder verſchwinden. 
Es finden fich aber außerdem Außerfi feine Falten, die in ber Textur 
der Schleimhaut liegen und nit verſchwinden. Zwiſchen ihnen 
find Schleimgeaben. Ueberhaupt: findet man im Magen immer 
mehr; oder ‚weniger Schleim, der theild aus ber Mundhöhle und 
Speiferöhresmit Speichel vermischt herabfließt, und theild von dem 
Wänden des Magens felbft bereitet wird, befonders. wenn dieſe durch 
Nahrung oder einen andern Inhalt gereizt merden.. So findet man 
auch im Magen der Thiere, die man vor dem Toͤdten Hungern lie; 
Schleim, aber mehr noch , wenn fie vorher Nahrung zur fih nahmen, 
bie dann von Schleim duchweicht wird. Man hat Thiere nach lan⸗ 
gem Faften vor dem Tödten Steine verfchluden Laffen, um-bie Quan⸗ 
titaͤt dieſes Schleims zu vermehren, weil Alles, was in-den Magen 
kommt, einen ſtaͤrkern Erguß von Schleim erzeugt, 


6. 233 Hat der Magen Nahrung aufgenommen, fo vers 
ändert er zuvörberft feine Stellung auf bie angegebene Weife ı: Es 


ſcheint mie dieſes Aufſchwellen des Magens keinesweges von ber 
mehanifhen Ausdehnung durch die Speiſe allein abzuhängen, ſon⸗ 
dern eine wahre Lebensäußerung, eine Turgescenz deffelben zu fern ; 
denn Speifen, die den Magen ſtaͤrker reizen, und unverbauliche 
Dinge machen ihn: "bei gleicher Quantität mehr auffehwellen als 
Teiche verdauliche. Auch das Gefühl der Sästigung, welches Auf 
die Aufnahme von Nahrung folgt, richtet ſich nicht "blos nad 
der Quantität, ſondern nad der Qualität der Nahrung. Die 
Speife wird’ nun von, den Flüffigkeiten, bie fi im Magen finden, 
durchweicht/ "und dieſe Ftüffigkeiten üben einen fehr ſtarken chemi- 
Then Einfluß auf alles Verdauliche aus, Man fieht die Speifen, 
100 fie die Wände des Magens berühren, fich auflößen, während 
das, was in der Mitte des Magens liegt, nur langfam diefen Ein- 
flug erfaͤhrt. So wird’ z. B. ein Stud hart gefochtes Eyweiß am 
Umfange allmählig weich gemacht; Fleiſch, welches man eingeſchloſ⸗ 
Ten in metallenen Nöhren oder Kugeln, die ducchlöchert waren, 
von Thieren verfchluden ließ, wurde völlig aufgelößt, und gab 
einen deutlichen Beweis von der chemifchen Wirkſamkeit diefer Fluͤſ⸗ 
figteiten, Da man einem ſchleimigen Stoffe eine fo ſtarke Einwirs 
Zung nicht zufchreiben zu dürfen glaubte, fo nannte man die'Slüfs 
ſigkeit, welche dieſe Einwirkung hervorbringt, Magenfaft, 
und ſuchte ihre chemiſche Zuſammenſetzung zu erforſchen. Ob nun 
in dem Magen außer dem Schleim noch eine beſondere Fluͤſſigkeit 
ausgeſondert werde, oder ob der Schleim, welcher allen Schleim⸗ 
haͤuten zukommt, im Magen fo modificirt iſt, daß er auf bie 
Speiſen aufloͤßend wirkt, laͤßt ſich durch die Erfahrung nicht bes’ 
ſtimmen, da man im erſten Falle beide nie von einander wird ſon⸗ 
dern Eönnen, um fie allein chemifch zu prüfen. Auch iſt die Stage 
ſehr unweſentlich, da im zweiten Falle der Schleim des Magens 
nur durch einen befondern chemifchen Zufag die Fähigkeit erhalten 
Kann, anders zu wirken, als etwa der Nafenfchleim. Es fheinen 
Daher die -Ertlamationen einiger neueren franzöfifchen Phyfiologen, 
daß es gar keinen Magenfaft gebe, fehr leer, Schlimmer iſt es, 
daß wir über die chemifche Natur der Fluͤſſigkeiten im Magen, trog 
Der mehrfahen Unterfuchungen, wenig ſichere Kenntniffe haben. 
Bald mollte man eine vorwaltende Säure, bald ein vorwaltendes 
Alkali in ihnen gefunden haben. Wir wiffen nur, daß fie, auch 
in überaus kleinen Quantitäten, die Milch gerinnen machen daß 


fie fehr verfchiedene Stoffe aufzuloͤßen im Stande ſind. Im Ma: 
gen der Fleiſchfteſſer verdauen fie Fleiſch, und im Magen der Gras⸗ 
freſſer das Gras. Das kann wohl ſchwerlich bei einerlei chemiſcher 
Beſchaffenheit geſchehen. Auch lehren die Unterſuchungen der bez 
ſten Beobachter, daß in den erſteren Thieren der Magenfaft alkali— 
niſch und in den letztern vorwaltend ſauer iſt. Hieraus laͤßt ſich 
Thon vermuthen, daß in denjenigen Thieren, welche ſehr verſchie— 
dene Nahrung verdauen, wie der Menſch, diefe Fluͤſſigkeit weder 
immer ſauer noch immer alkaliniſch iſt, ſondern nad der Beſchaf⸗ 
fenheit der eben aufgenommenen Nahrung ſich veraͤndert. Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit erhaͤlt dieſe Vermuthung durch die widerſprechenden Ne= 
fultate'ver chemiſchen Zerlegungen, und die Erfahrung, daß die Be- 
reitung der verdauenden Saͤfte des Magens von der Nervenreizung 
abhaͤngt, zeigt uns noch naͤher, wie dieſe Abweichungen moͤglich 
werden, Es Haben naͤmlich vielfache Verſuche gelehrt, dag nach 
Durchfchtieidung der Lungenmagennerven die Verdauung ſtille fteht, 
obgleich die Muskelcontractionen des Magens nicht ſogleich aufhö- 
ren. Es muß alfo der chemifhe Prozeß der Verdauung nad) 
Durchſchneidung jener Nerven ploͤtzlich abgebrochen —* wenn 
— Brei —* —* Seit lang Ing * 


Auer: dem —* Einfluß des Magens auf die Nahrung 
iſt eben die mechanifche, die bie Muskelhaut ausübt, zu beruͤckſich⸗ 
tigen. Waͤhrend der Verdauung erfolgen Iangfame Contractionen 
im Magen, wodurch die Speifen herumbewegt und mit dem Ma⸗ 
genſafte beſſer gemiſcht werden. Dieſe mechaniſche Einwirkung iſt 
lebhafter in der rechten Haͤlfte des Magens in der Naͤhe des Pfoͤrt⸗ 
ners, waͤhrend die chemiſche in der linken Haͤlfte vorzuherrſchen 

ſcheint. Bald nach der Aufnahme der Nahrung bildet ſich eine uns 
vollfommene Einſchnuͤrung im Magen, woburd er in eine Eleinere 
rechte Pförtnerhätfte und in eine größere linke Mitzhälfte* ſich theilt. 


In der letztern wird die Speife aufgelößt, und nachdem fie einen 


gewiffen Grad von Aufloͤßung erlangt hat, wird fie- in die rechte 
Hälfte gefhoben. Hier nun wird) fie allmählich im eine graue 
dicke halbfluͤſſige Maſſe umgewandelt, die man den Speif ebrei 





* So kann man bie rechte Hälfte von der anhingensen Milz nennen, 


— 978 — 


(Chymus) nennt,. Im Speiſebrei iſt die ueſpruͤngliche eſchaf⸗ | 
fenheit ‚der, meiſten Speifen, beſonders der thierifchen., ; nicht, mehr 
zu erkennen; indeſſen ift er doc verſchieden nach den, ‚Hauptverfchies 
denheiten der. Nahrungsmittel, .: Durch Contractionen, die vom 
Pfoͤrtner aus nach dem Blindſacke des Magens: hingehen, wird der 
Inhalt der Pfoͤrtnerhaͤlfte mehrmals in die Milzhaͤlfte zuruͤckgetrie⸗ 
ben, bald aber durch entgegengeſetzte Contractionen wieder in die 
Pfoͤrtnerhaͤlfte bewegt, wobei ein kleiner Theil des Chymus durch 
den Pfoͤrtner ſelbſt in den Darm gepreßt wird⸗ — if 
ans Sim aweltend. mi — — V—— ner nan 
— — er 
Bufeförmige, Stoffe. find. ‚im — in MR Quantitaͤt 
vorhanden, und; zwar find. fie von der atmoſphaͤriſchen Luft wenig 
verfchieden , jedoch immer reicher an Kohlenſaͤure. Vom Waſſer⸗ 
ſtoff, der im Darme in, großer Menge vorkoͤmmt, enthalten fie 
wenig. Vielleicht iſt jene Luft mit den Speiſen zugleich ** 
und im Dayen mit dort gande Rabienbiurs verbundene Ani 
— vu 1703 5 ii 
* 2 a Vom Plormer re ——— der Darm ;ibiefer roͤh⸗ 
otlandlin Theil des Verdauungskanals. Man unterſcheidet in 
ihm zwei Hauptabſchnitte, von denen der erſte laͤnger und enger 
iſt, und der enge oder duͤnne Darm, (Intestinum te-. 
nue) genaunt wird, der andere hingegen der weite oder di— 
 de.Darm (Intestinum ‚crassum);, Der ganze Darm: ift 
mehr als fünf Mat fo. lang, als ‘der ganze Körper, wovon etz 
wa ein Sechstheil auf den weiten Darm kommt. Der Durchmeſ⸗ 
ſer des engen Darmes iſt ungefaͤhr ein Zoll; im weiten Darme be⸗ 
trägt er im Durchſchnitt ı Boll. + Im engen Darm unterſcheidet 
man wieder den erſten Theil als Bmwölffingerdarm vom Krummdarm, 
und im weiten — den — ſGitimmdarm nal: Ab 
Darm nn | | Be — ** 


6. 235. ———— — der 
erſte Abſchnitt des Darmes, der nicht frei an einem Gekroͤſe hängt, 
fondern vom Greimmdarm: Gekroͤſe bedeckt iſt, nach ſeiner Laͤnge 
genannt, die etwa zwoͤlf Queerfingerbreiten betraͤgt. Er beginnt 
vom Pfoͤrtner, geht von dieſem nach der Leber zu, macht da eine 
Krümmung, ſteigt dann herab (Fig. 2. 8.), kruͤmmt ſich aber 


4 


Be — (509 — 


bald wieder kommt nach vorne geht: durch das Grimmdarm · Ge⸗ 
kroͤſe (Fig a Bude) asdiege nun freiund heißt darauf Krummdarm. 
‚Er liegt alſo etwas tief, und man fieht;bei. der Oeffnung der Bauch⸗ 
hoͤhle nur feinen. Anfangs Er beſteht aus, den gewöhnlichen. Haͤu⸗ 
ten des. verdauenden Kanales. 1. Seine: Schleimhaut Hat. fehr viele 
amd anfehnliche Zotten und große kreisfoͤrmige Querfolten (Valvur 
lae Rerkringii,s.,oonniventes); wodurch die Schleimhaut eine ſehr 
piel groͤßere Oberflaͤche hat, als die Muskelhaut. Am merkwuͤt⸗ 
digſten iſt auf der aan FEN Fläche, eine von. einem laͤnglichen Wulſie 
unmgebene Grube. In dieſe Grube muͤnden naͤmlich dicht neben 
einander der Gallengang und. der Ausfuͤhrungsgang aus der Bauch⸗ 
ſpeicheldruͤſe. (In Fig. 13. iſt die Sonde 1.2. in den Ausfuͤh⸗ 
rungsgang der Bauchſpeicheldruͤſe und die Sonde v2. in den Gal⸗ 
lengang eingefuͤhrt.Aus dieſen Oeffnungen ergießt ſich die Galle, 
die von der Leber abgeſondert wird, und der pankreqtiſche Saft, 
ben die Bauchſpeicheldruͤſe bereitet. Beide Fluͤſſigkeiten vermiſchen 
ſich alſo im Zwoͤlfſingerdarm mit dem Speiſebrei, und wirken auf 
deſſen fernere Verarbeitung ein; : Die Galle kommt aus der Les 
ber und der Öalienblafe. Ueber diefe Organe, ſo wie uͤber die Art, 
wie Galle gebildet wird, werden. win, ſpaͤter (FN242. ) handeln, 
Die Galle iſt bekanntlich eine gelbe, oder wenn ſie laͤngere Zeit in 
der Gallenblaſe aufbewahrt wurde, gruͤnliche ſehr bittere Fluͤſſig⸗ 
keit. Man hat ſie bis vor Kurzem fuͤr eine Art fluͤſfiger Seife ers 
klaͤrt, beſtehend aus einer waͤſſrigen Aufloͤſung von den: in thieri ⸗ 
ſchen Fluͤſſigkeiten gewöhnlichen. Alkalien und. Salzen, verbunden 
mit einem eigenthuͤmlichen Harze. Berzelius hat aber gezeigt, 
daß dieſes fogenannte Gallenharz kein Harz iſt, ſondern ein eigen= 
thuͤmlicher Stoff / Gallenſt off der dem Eyweiß des 
Blutes verwandt iſt, und die harzige Natur nur durch die Behand⸗ 
lung mit Säuren unter den. Haͤnden der Chemiker erhalten. hat. 
Man muß befennen, ‚daß unfere Kenntniß von ber ehemifchen Ein⸗ 
wirkung der Galle dadurch nicht fehr gewonnen hat; denn die Uns 
terfuhung an lebenden Thieren beweißt deutlih, daß in dem Spei⸗ 
febrei eine fehr große Veränderung vorgeht, fobald ſich die Galle mit 





* In Fig. * fieht man bie Kalten und Botten deutlich auf ber innern Klär 
eined Theils vom engen Darm. 


— (1580 — 


ihm vermiſcht.“ Noch unbekannter iſt die chemiſche Beſchaffenheit 
der Fluͤſſigkeit aus der Bauchſpeicheldruͤſe oder des pankreatiſchen Saf⸗ 
tes. Dieſe ergießt ſich nämlich in ſo geringer Quantität," daß man in 

geoͤffneten Thieren ihn nur nach langen Zwiſchenraͤumen, oft von 
Viertelſtunden tropfenweiſe hervorkommen ſieht. Man hat deswe⸗ 
‚gen nie eine hinreichende Quantität zur Unterſuchung erhalten koͤn⸗ 
nen und nur ſo viel bemerkt, daß er vorwaltend alkaliniſch iſt, 
im Uebrigen aber dem Speichel aͤhnlich ſieht. Seiner geringen 
Quantitaͤt wegen kann er auch nur wenig einwirken. Hunden hat 
man dieſe Druͤſen auch ausgeſchnitten, ohne daß ſie daran merklich 
zu leiden ſchienen. Die Galle dagegen ergießt ſich in ſehr kurzen 
Zwiſchenraͤumen von Zeit und in großen Tropfen, welche ſich auf 
die Oberflaͤche des Zwoͤlffingerdarms ausbreiten. Waͤhrend der 
Verdauung iſt ihr Erguß vermehrt, und wenn ein Thier hungert, 
ſcheint nur ſehr wenig Galle in den Darm zu kommen. Sie häuft 
fi) dann mehr in der Gallenblafe an '($. 242:). In den Magen 
kommt die Galle in geſundem Zuſtande entweder gar nicht oder in 
ſehr geringer Quantitaͤt, fo viel nämlich, als waͤhrend der Deff- 
nung des Pfoͤrtners ſich in den Speiſebrei nach oben verbreitet. 
Bei Leiden-der Verdauungsorgane wird hingegen leicht die Bewe— 
Hung im Zwoͤlffingerdarm geſtoͤrt, und ſtatt die Galle nach unten 
weiter zu treiben, treibt ev fie rüdwärts in den Magen. Die 
Einwirkung der Galle auf den Speifebreii ift von der Ausmuͤn⸗ 
dungsftelle des Oallenganges bis zum untern Ende des Darmkanals 
bemerklich. Wir wollen fie daher im weitern ‚Berlaufe des dünnen 
* — 


er 236. Srü mmdarm nennen wir den bei weitem groͤ⸗ 
Bern Theil’ des engen Darmes, welcher frei liegt, und durch ein 
eigenes Gekroͤſe befeftigt ift. "Nachdem nämlich der Zmölffinger- 
darm durch das Gekroͤſe des Queergrimmdarmes durchgetreten iſt 





»Die vollſtaͤndige Analyſe iſt nad Berzelius 


Waſſer 907, 4 
Ballenftoff 80,0° 
Zhierifher Schleim der Gallenblafe aufgetöpt in der Galle 3,0 
Alkalien und ee: wie fie allen abgeſonderten ——— 
ieB gemein find“ 9,6 
1 — 


($. 236.), erhaͤlt er den Namen des Ktrummdarms. ‚Dieter fuͤllt 
einen großen Theil der Bauchhoͤhle aus, und liegt namentlich in 
der Mittelbauchgegend und Unterbauchgegend (Fig. Lotts).s Ar 
dem. rechten Huͤftbein ſenkt er ſich endlich in den weiten Darm . 
Man unterſchied fruͤher wohl ſeinen obern Theil unter dom Na⸗ 
men Leerdarm Gejumum) von dem untern Theile, dem ge⸗ 
wundenen Darm (lleum), weil man jenen in der Regel 
weniger mit Speiſebrei angefuͤllt treffen ſollte, Indeſſen iſt dieſe 
Unterfcheidung durchaus willkuͤhtlich; denn man findet keinen Unter⸗ 
ſchied im Bau, das Kennzeichen von der Leerheit iſt ungegruͤndet, 
und man kann auch keine beſtimmte Graͤnze angeben. Des 
Krummdarm erhält: eine aͤußere Bekleidung vom Bauchfell. Auf 
dieſe folgt die Muskelhaut, welche aus einer vollſtaͤndigen Schicht 
von Laͤngsfaſern und einer zweiten von np —— —* 


zur. 


ale die Mustelhaut. - alten und Zotten r ind im bee Theile er 
ker entmwidelt. Auch diefer Theil des Darmes wird, wie der ganze 
verbauende Banılı; ſtets von einem Slam uͤbergoſſen. Rd: 


Wie im. Zwolffingerdarm, fo beinge * im — “ 
der Speiſebrei eine Bewegung hervor, die hier nur noch beſſer zu 
beobachten iſt. Es zieht ſich naͤmlich ein Theil des Darmes zu⸗ 
ſammen, und dieſe Zuſammenſchnuͤrung geht langſam nach un⸗ 
ten fort. In einem geoͤffneten Thiere ſieht man die Zuſammen⸗ 
ſchnuͤrung auch wohl nach oben fortlaufen. Ob dieſe ruͤcklaufende 
Bewegung nicht blos Folge von den Leiden des Thieres iſt, oder 
auch beim Wohlbefinden deſſelben Statt findet, laͤßt ſich ſchwer bes 
ſtimmen, doch iſt ſo viel gewiß, daß die Bewegung nach unten 
vorherrſchend ſeyn muß; denn der Inhalt des Darmes wird allmaͤh⸗ 
lig immer weiter bewegt. Man nennt ſie die wurmfoͤrmige 
oder mit einem fremden Kunſtausdrucke die periſtaltiſche 
Bewegung. Durch fie wird der Speiſebrei mit der Galle, dem 
panfreatifhen Safte und dem dazu ergoffenen Darmfchleime immer 
inniger gemifcht. „ Dev Speifebrei- verliert dabei fein gleichmäßiges 
geauliches Anfehn, und zerſetzt fi duch chemifche Wirkung in’2 


Theiter in Diefe- Trennung in zwei Katz acheent Stoffe ſcheint of⸗ 
fenbar aus undem dehemiſchen Einflufſe der Galle auf den Speifebtei 
helvorzügehent Man hat auch "augerHatb · des Koͤrpers eine ganz 
aͤhmiche Trermung bemerkt; wenn: Galle dem’ Speifebrei beige⸗ 
wife wurden Dalder"Speifebter unter’ der —— wo fh die 
Galle ergleßt keine vorwaltende Säure Hat,’ fat‘ deſſen der Gat- 
lenſtoff im dem Theil des Speiſebreis der ſich in Koth umwandelt, 
in Form von Fettwachs zu erkennen iſt fo mug wohl die vorwal⸗ 
tende Saͤure/ Die der Speifebrei urſpruͤnglich Hatte, die Galle ger? 
ſetzt und den Gallenſtoff in dieſes Fettwachs umgewandelt haben. 
Es ſondert ſich naͤmlich eine weißliche Fluͤſſigkeit ab, die in duͤn⸗ 
dem Ueberzuge ſich an die Zotten und Falten det Sthleimhaut haͤngt, 
und der Mibch ſaft (Chylus) heißt. Das iſt der zur Ernaͤh⸗ 
rung ausgeſchiedene Theil.“ Dieubrige Maſſe iſt von der beige: 
miſchten Galle gelb ‚gefärbt, und wird -je weiter ‚fie im Darme her⸗ 
abſteigt uͤm deſto mehr braun und verliert an "Far geeit. Mir 
werdett? von dieſem nicht verbrauchten Theile des Speiſebreis fehen, 
daß er i zum — a) ‚Bilder, und als’ ſolcher aucee⸗ 
teert wird, urn on a BEN R ' * share REG 
SKnn-3%7 ya FREIE IE INI TH 
Der aa —— in ie Me deb Baniten Aber, 
geführt. Es finden fih nämlich im Gekroͤſe ‚eine Menge weiter 
Suugaderm,t welche während der Verdauung mie einer weißen, dem 
aͤußern ainſehn nach der Mil "ähnlichen Fluͤ gkeit ſich fuͤllen 
Man nennt ſie von dieſem Auſehn auch die Milchg efaͤße (Va- 
sa lactea) eine Benennung‘, diennicht ganz "puffendift, da fie 
leicht zu Verwechſelungen mit den Kanaͤlen fuͤhren kann, die in der 
weiblichen Bruſt die Milch bereiten. Die Milchgefaͤße des Darmes 
ſammeln ſich allmaͤhlig in’ eine‘ geringere‘ Anzahl von Stämmen, 
folgen im Ganzen dem Laufe der Blutgefäße Im Gekröfe, ſammeln 
fi in Iymphatifchen Druͤſen ( Glandülae mesentericae 8. mesa- 
raicae);,' treten auf der andern Seite‘ dieſer Gekroͤsdriifen (Taf. 
VMEIHELLIC.) wieder heraus, um das untere Ende des Bruft: 
ganges [$. 700.) zufammenzufeßen. Durch den Bruſtgang wird 
nun endlich der aus dem Darme gewonnene Nahrungoſtoff in bie 
Blutmaſſe übergeführt, Den erſten Anfang” diefer Milchgefaͤße 
muß man wohl in der Schleimhaut des Darmkanals ſuchen; allein, 
wenn man früher glaubte, daß fie Auf den Spisen der Zotten ſich 


| — — gleichſam wie geöffnete — den Milchſaft 
einſchluͤr ften fo haben neuete Unterſuchungen dieſe Anſicht wider⸗ 
legt Socgfaͤltige mikroſkopiſche Unterfüchungen zeigen keine offe— 
nen Mandimgen auf den Votten, "und man muß daher glauben , 
daß die Lotten gleichſam wie Schwaͤmme den Milchſaft aufnehmen, 
indem fie von ihm ſich durchdringen laſſen. In der That ſcheinen 
die Zotten waͤhtend der Verdauung/Nein⸗ wenig anzuſchwellen. 
Auf jeden Fall haben diefe Zotten für den thieriſchen Koͤrper dieſelbe 
Beſtimmung/ die vie Wurzeifaͤſerchen für die Pflanzen Haben’, und 
man Baia Tagen) daß im thierlſchen Körper die Wüizetfafern nad 
der innern Fläche des Darmes gekehrt find, "um den hier durchge⸗ 
| teiebenen Mahrungeſte —— A —* RT 
. Kimitfu sit: .e..i ist EBENE EI rg 
Ac Wit haben ſhon ra die —— daß 
auch die Venen heiten Stöff aufnehmen. > uni mente iſt!diefes 
Auffaugungsvermoͤgen bon den Darmvenen durch Verſuche erbtefen 
worden Deanche miedetgeſchtuckte Stoffe finden fi” in der White 
maſſe fo ſchnell wieder; daß fie unmoglich den langſamen Weg SH 

den Bruſtgang⸗ gewan dert· feyn koͤnnen. Aus vlelen Verfuche 

ſcheint Fu folgen/ daß faſt nur die zur ——— Me 
von den Michgefaͤßen aufgeſogen wird, daß ändere, "zur Ernaͤh⸗ 

tung nicht tauglichen Stoffe mehr von den Venen’ anfgehommen 

werden, und manche Stöffe vielleicht ih keinem von diefen Kansten 
Aufnahme finden. "Seht merkwuͤrdig iſt es wenigſtens vaß thie⸗ 
riſche Gifte, "die die heftigſten Wirkungen Yeröorbtingen' wenn ſie 
auch in geringer Quantität durch · Verwundung unmittelbar in die 
Maſſe des Blutes oder in ihmphatiſche Gefäße gebracht werden, da⸗ 
gegen gar keine ſchaͤdlichen Wirkungen hervorbringen, wenn man ſie 
verſchluckt. So kann man das Wuthgift des Hundes, welches 
bei der geringſten Verlegung der Haut’ noch nach langer Seit feine 
zerſtoͤrende Kraft äußere, ohne Nachtheil verſchlucken laſſen. Eben 
ſo unſchaͤdlich iſt das Schlangengift, wenn es in den Magen 
Arie "fo lange die Wände deffelben nicht verlegt find. Die Jau⸗ 
che krebſiger Geſchwuͤre, Thieren eingegeben, machte dieſe nicht 
krank. Dieſe Erfahrungen koͤnnen nur auf zweifache Weiſe erklaͤrt 
werden, entweder durch Zerſtoͤrung und chemiſche Zerſetzung, wel⸗ 
che der Prozeß der Verdauung auf die thieriſchen Gifte ausuͤbt, oder 
durch die Annahme, daß die Saugadern und Venen des Darmes 


nicht geeignet ſind taidliche ‚Stoffe aufzunehmen, ſondern bie 
Aufnahme derſelben gleichſam verweigern. Die letztere Erklaͤrungs⸗ 
art ſcheint die richtigere, indem auch vegetabiliſche und mineraliſche 
Gifte ſchwaͤcher durch den Darmkanal witen⸗ a8, wenn ——— 
telbar a Von onſhet rien > EU HERE UHR TUR, 
EUREN it * Bu er ee # 
et a7. Sn u rg an ik es, wo bie. Som 
des Darmk anals ſich ploͤtzlich aͤndert. Es ſenkt ſich hier der enge 
Darm, ſchief in den weitem Darm. Er verlaͤngert ſich naͤmlich ſo 
in die Hoͤhlung des weiten Darmes ‚hinein, dag dadurch zwei klap⸗ 

penfoͤrmige Vorſpruͤnge entſtehen (Fig. 8.88.) welche eine ſchma⸗ 
Ye Spalte zwiſchen ſich laſſen. Man ſieht leicht aus der Abbildung 
diefer. Grim mdarmklappe (Valvula Coli s. Bauhini), 
daß die Stoffe, welche durch den dünnen ‚Darm (1) herabbewegt 
werben, die: „Klappe, nothwendig aus einander treiben, und in ‚ben 
weiten, Darm gelangen, daß aber. ‚umgekehrt der Inhalt des weiten 
Darmes nicht mehr zuruͤck kann, ſondern, daß er ſich ſelbſt die 
Klappe verſchůeßt, wenn er gegen ſie andraͤngt. ‚Nur in eines 
fürditerlichen Krankheit, wo. der Ausgang. durch den After duch 
irgend ein. Hinderniß völlig ‚gehemmt..ift, überwindet die Muskel: 
Eraft des durch, feinen Inhalt immer, gereizten. weiten ‚Darmes alle 
Schwierigkeiten, und, treibt den Koth, ‚vielleicht indem bie Klappe 
in, den. engen. Darm. ‚hinein, umgefchlagen wird, in dieſen Darm, 
von dem. er dann. immer ruͤckwaͤrts fortbewegt und am Ende ausge⸗ 
brochen wird, indem der Organismus, auf jebe; Weife bemüht ift, 
den nicht, mehr. brauchbaren und. fchädlichen Stoff zu entfernen. 
Mit Recht verdient wohl; diefes Kothbrechen: den Remen miserere, 
den. ihm die Here gegeben baden: | Ä ed 


han Da oe Ps „Darm nicht gecabe in vo Anfang. a um 
Darms, fondern- einige Boll vom Anfang entfernt, ſich einfenkt, 
fo ragt ein ſtumpfes blindes Ende des legtern vor, welches den Na: 
men Blinddarm..(Coecum) (Fig, ’8. und Fig. IL..v.) 
fuͤhrt. Weit derfelbe. fi vom Grimmdarme in keiner Hinficht mes 
ſentlich unterfcheidet, iſt es uͤberfluͤſſig, ihn befonders zu befchreis 
ben. Eines duͤnnen wurmfoͤrmigen Anhanges (Pro- 
cessus vermiformis) (Fig. 11. x.) muͤſſen wir aber noch erwaͤh⸗ 
nen, Es iſt ein etwas gemundener Kanal von ungefähr 3 a 
is 


F 


und der Dicke eines ſtarken Negenwurms, der eine Menge 


Schleimgruben enthaͤlt, mit dem einen Ende ſich frei in den Blind⸗ 


zen Blinddarm lang zu nennen, erreicht jedoch die Länge des ' 


dieſer Theile nur in feinem innen Blatte lang ift, mit dem aͤußern 
Blatte aber bald in die Bauchwand übergeht. Unter dem Ueberz 


u 2 ut A m 1) FE Ze 
he 


Darm mündet, und mit dem andern blind endet, Die Lage des 


blinden Endes und alfo die Richtung des ganzen wurmförmigen 


Fortfages ift ſehr verſchieden, bald mehr nad links, bald nach 
aa ; bant nach unten gerichtet. 


F. Der Seimmdarm (Colon) ift gegen den kur⸗ 


Krummdarms bei weitem nicht. Diefen umgiebt er in einem großen 
Bogen, da er yom rechten Hüftbein aus auf der rechten Seite des 
Bauches in die Höhe ſteigt (Fig, Ir. uf). Unter‘ dem rechten 
Leberldppen macht er eine Beugung, geht dann etwas über dem 
Mabel queer hinüber nad) der linken Seite (Queergrimmdarm u), 
macht unter der Milz eine zweite Beugung , fleigt auf der linken 
Seite des Bauches herab und macht an dem linken Darmbein eine 
Sförmige Krümmung (Sromanum s. Flexura #liaca} und 


” 


wird nun zum Maſtdarm. Der Grimmdarm ift nicht fo frei bes 


weglich, ald der Krummdarm. Der auffteigende und abfteigende 
Theil iſt naͤmlich an die Bauchwand angeheftet, indem das Gekroͤſe 


juge, welchen das Gefröfe als Theil des Bauchfells bilder, ift die 
Muskelhaut anders angeordnet, als im engen Darme; Die Länge: 


fofern bedecken naͤmlich nicht den ganzen Umfang des. Darmes, ſon⸗ 


dern bilden drei ziemlich female von einander getrennte Bündel, 
die man unpaffend Bänder (Ligamenta Coli) genannt hat. In 
der zıten Figur fehen wir in der ganzen Länge des Grimmdarms 


einen ſolchen Streifen und deutlicher in Figur 5 bei 2. Die ringe 


förmigen Muskelfafern find daher im größten Umfange von: den 
Längsfafern nicht bedeckt. Die 3 Streifen von Laͤngsmuskeln find 
kürzer als der übrige Umfang des Darmes; daher kommt es, daß 
diefer zu den: Seiten beutelförmige Erweiterungen’ bildet. Die 


Schleimhaut ift von der. des dünnen Darmes merklich verſchieden. 


Sie iſt dicker, hat keine deutlichen Zotten, ſondern ſehr kleine ma— 

ſchenfoͤrmige Erhabenheiten. Auch fehlen die regelmäßigen Queer⸗— 

falten; ſtatt ihrer ſind ganz große unregelmaͤßige Erhabenheiten 

(dig. 8. u). Viel weniger Saugadern entſpringen von biefem 
25 


N 


Theil des — als vom âû— und man ſieht, daß 
das Geſchaͤft der Verdauung groͤßtentheils vollendet iſt, wenn die 
verarbeitete Nahrung hier ankommt. Indeſſen wird ein Reſt von 
Milchſaft noch aufgeſogen, und der gelbe Theil des fruͤhern via 
brei’8 wird. hiee immer confiftentee und dunkler gefärbt, Im 
Grimmdarme nimmt er aud erſt den flinkenden Geruh an, und 
heißt nun Koth. Die Fortbewegung bed Kothes erfolgt lange 
fam, ift jedoch) von der im Krummdarm nicht verfchieden. 


An dem Grimmdarin häufen fich bie Gafe reichlich an, Man 
fand bei Hingerichteten kein Sauerfloffgas, dagegen eine anſehnli— 
he Menge von Eohlenfaurem Gas und Stidftoffgas, und weniger 
gekohltes oder gefchmwefeltes Waſſerſtoffgas. Es verändert ſich aber‘ 
die Befchaffenheit diefer Gafe gar. fehr nach den Nahrungsmitteln 


‚ und dem Buflande der Verdauung. 


6. 236. Mafdarın (Intestinum rectum) heißt end- 
lich der legte Theil des verdauenden Kanals, der von der S foͤrmi⸗ 
gen Krümmung an durch die Bedenhöhle an der vordern Wand des 
Kreuzbeins herabfteigt. In feinem Bau unterfcheidet er fi vom 
Grimmdarmie dadurch, daß er in der untern Hälfte nicht mehr vom 
Bauchfell umEleidet wird, und daß die Längsmuskeln, die auf dem 
Grimmdarm getrennt waren, ſich wieder vereinigen, den ganzen 
- Darm umgeben und dabei an Maſſe ſehr zunehmen, Schon hier⸗ 
aus fieht man, daß feine Hauptbefiimmung ift, den Koth auszu: 
treiben.  Anfehnlihe Schleimgruben machen den Weg ſchluͤpfrig. 
Die Bildung des Kothes ift hier verändert, und beſonders confiften- 
ter als mehr nach oben, Er enthält zum Theil die unverdauten 
Nefte der aufgenommenen Nahrung, "3. B. die hornigen Theile 
von thierifcher Speife, die Gefäßbündel und die feſtern Saamens 
koͤrner von Pflanzen, außerdem die deutlihen Spuren vom Gal: 
lenftoff, einen Eleinen Theil von Eyweiß und Salzen, mehr von 
einem eigenthümlichen Ertraktivfloff. Der Hauptbeſtandtheil ift 
dem — nach, wie bei allen weichen Theilen, das Waſſer. 


$. 240. Die Stelle, wo der Maſtdarm ausmuͤndet, oder 
dee After, iſt durch einen zuſammengeſetzten Apparat von Mus- 
keln, welche ihre Nerven vom Ruͤckenmark erhalten, ber Willkuͤhr 


unterworfen. Zuvoͤrderſt iſt die Deffnüng Aelbſt von einem 


BEIDE WED U DIE GEBR 1 


Schließmuskel umgeben; ber ſtets im einem. geringen Grade 
von Gontraction zu feyn fiheint, und nur der Wirkung von’ der 

aut des Maſtdarmes die den Koth herdortreibt nach⸗ 
giebt⸗ "Andere Muskeln, die Aufheber des Afters, koͤn⸗ 
nen dieſe ganze Gegend in die Hoͤhe ziehen.Obgleich nun unſer 
Wille eine Herrſchaft uͤber die Ausleerung der Excremente ausuͤbt, 
ſo iſt doch das Beduͤrfniß dazu, wenn der Maſtdarm angefuͤllt iſt, 
fehr groß, und wie Überall, wo eine der Willkuͤhr gehorchende 
Verrichtung zum Wohlſeyn des Koͤrpers nothwendig iſt, erinnert 


dieſer mit gebieteriſcher Strenge an die she dieſer Verrich⸗ 


tung und zwingt gewiſſermaßen den Willen. Im Moment des 
Ausleerens wirken wir nicht blos mit dem untern Ende des Dars 
mes, ſondern faſt der ganze Körper tritt zugleich im Thaͤtigkeit 
Die Bruſt wird ausgedehnt, damit das Zwerchfell herabtritt und 
die Bauchhoͤhle verengert. Durch Anfpanriung der Bauchmuskeln 
wird die Verengerung dieſer Höhle vermehrt und der gemeinſchaft⸗ 
liche Diud wirkt auf den Ausgang der Beckenhoͤhle; indem ſich zus 


‚gleich die ſtarken Lingsmusteln des Darmes conttahiren, wird dee 


Widerftand der Schließmuskeln überwunden.” Nach der Ausla⸗ 
dung des Kothes zeigt ein Gefuͤhl von Wohlbehagen, wie noth⸗ 
wendig dieſet at 14-4 — an —— ie 

—8 241. ir —* jegt —* zu ven. ——— de 
— der Leber,‘ der ——— und der AR 
—— möffen, 2 ® | | 


— 


‚Die Leber if der Knapp dar, das; 2 —— des Re 


| — Sie fuͤllt die rechte Unterrippengegend Aus, und ragt mit 


ihrem linken Ende bis in die ünke Unterrippengegend vor, and 
zwar um ſo mehr, je juͤnger der Körper üiftyifo auch; in unferer 


Bio Ur, wo wir fie aus dem Leibe’ eines Kindes abgebildet fehen.’ 


© Leber iſt nach oben gegen das Zwerchfell ſtatk gemölbt und 
duch das Bauchfell an daſſelbe angeheftet. Eine Falte des Bau: 


fells, das Aufhaͤngeband der Leber, ſteigt vom Zwerch— 


fell ſenkrecht herab (0) in einem Einſchnitt vom untern Rande det 
Leber. Im ümtern ſcharfen Rande geht die gewoͤlbte obere Flaͤche 
in eine konkade untere uͤbetAuf dieſer unteren Flaͤchen ſehen wir 


25° 


— 388 — 


mehrere Furchen und Vertiefungen. In einer derſelben liegt die 
Gallenblaſe (p). In einer andern treten alle Gefaͤße ein, die 
zur Leber gehen. Sie wird deswegen die Pforte (Porta) ges 
nannt, und giebt wiederum det Pfortader ihren Namen, Hinter 
der Leber iſt ein beſonderer Einſchnitt, durch welchen bie untere 
Hohlvene hinaufſteigt und im —— die Lebervenen Kant 
nimmt, md % 


Di Beber ift wetentiä eine, eDrhfe, b. ſie it gebitbet * 
einer ſtarken Verzweigung von Gefaͤßen, und ſondert eine eigen⸗ 
thuͤmliche Fluͤſſigkeit, die Galle, ab. Allein ſie unterſcheidet ſich we⸗ 
ſentlich von allen uͤbrigen Druͤſen dadurch, daß ſi ſich in ihr nicht blos 
Arterien verzweigen und Venen aus ihr abgehen, ſondern auch das 
Venenblut der Pfortader in fie geführt wird. Es find alfe folgende 
Acten von Gefäßen in der Leber: 1) Lebernrterien, welche Zweige 
der Bauchſchlagader find (vergleiche. 941) ‚und nicht fo weit. 
ſind, als die Maffe des: Drganes erwarten, ließe; 2), ‚die anfehnli= 
chen Lebervenen, die fich unmittelbar. in bie untere Hohlader ergie- 
ßen; 3) die ganze eine Hälfte des Pfortaderſyſtemes (5,98), 
diejenige nämlich, welche man die arteriöfe nennen kann Sie 


ER verzweigt fi mit, zahlreichen und weiten Aeſten in die Subſtanz 


dieſes Organes. Als eine vierte Claſſe von Gefaͤßen kann man. 
Fu die Kanäle anfehn, welche die fi) bildende Galfe ausfüh- 
Es find diefe Gänge viel enger als; die Blutgefaͤße. End— 
* beſitzt die Leber noch, wie alle Organe, ihre Saugadern. Aber 
die Leber unterſcheidet ſich nicht nur dadurch von den uͤbrigen Druͤ⸗ 
ſen, daß ſie das Pfortaderſyſtem aufnimmt, ſondern daß ſie aus 
dem venoͤſen Blute deſſelben, und nicht aus: dem Arterienblute, die 
Galle zu ſecerniren ſcheint. Man hat naͤmlich an Thieren die Le⸗ 
berarterien unterbunden, ohne daß die Bereitung der Galle auf⸗ 
hoͤrte. Dagegen ſtand dieſe ſtill, wenn man den ‚Hinzuteitt des 
Pfortaderblutes hinderte. Auch iſt die Galle ſo abweichend von 
allen uͤbrigen Secretionen, daß eine Ausſcheidung aus einer an⸗ 
dern ao des — an, dadurch. Be wird. 


Die — 5 die Sale, bereiten En weiter eüpten, 
vereinigen ſich außerhalb der Leber in einen gemeinfchaftlichen., 
Gang, den Tebergang: (Ductus hepaticus) ($ig. 13. b), 


— 389 — 


welcher gegen den Bwölffingerbarm verläuft. Bevor’ er biefen er: 
reicht, verbindet er fich in einem fpigen Winkel mit dem Bla⸗ 
ſengange (Ductus cystieus) (Fig. 13. a), welcher der Aus: 
führungsaang der Gattenblafe ift. Beide Gänge bilden nun einen 
"gemeinfehaftlichen weiten Kanal, ber unter dem Namen des Gallen: 
ganges (Ductus choledochus) bie fruͤher beſchtiebene Stelle des 
Zwoͤlffingerdarmes ($. 236) erreicht. Mar fieht leicht daß er 
ſowohl aus der Leber als aus der Gallenblaſe Galle in den Darm 


Abfuͤhrt. Die Gallenblafe (Vesica fellea) iſt ein Hänge 


licher Sad auf der untern Fläche ber Leber mit lang ausgezogenem 
Halfe, Die innere Flaͤche diefer Blafe wird‘ von einer Schleim⸗ 


haut gebildet, die maſchenfoͤrmige Erhoͤhungen zeigt und am Haife 


der Blafe eine beſondere ſchraubenfoͤrmige Falte bildet. Eben die— 
ſer Hals verlaͤngert ſich in den Blaſengang. "Die duͤnne Gallen⸗ 
blaſe iſt nicht fähig, die Galle, welche fie enthaͤlt, ſelbſt zu berei⸗ 
ten, Dieſe Galle kommt vielmehr aus ber Leber durch ben Leber: 
gang, und geht in die Gallenblafe über, fo fange der Magen ‚nicht 
verbaut, "und im ‚Swölffingerdarm das Beduͤrfniß der Galle nieht 
herrſcht. "So iſt alfo die Gallenblaſe eine Art Vorrathskammet 
fuͤr dieſe Fluͤfſi gkeit; indeſſen bleibt die Galle hier nicht ganz un⸗ 
verändert, fondern wird bitteren, conſiſtenter und dunkler ‚gefärbt, 

"Das Geſchaͤft der Leber iſt von großer Wig ugteit für den 
ganzen Körper. "Die Bereitung der Galle feine nämlich nit 
blos-für-die Verdauung nothwendig, ſondern auch für die Enffer: 
nung getwiffer Stoffe aus dem Blute, und in fo fern kann man bie 
Leber immerhin Reinigungsorgan nennen und ihre VBerrichtung mit 
der der Lunge veräfeichen. Wenn die Reber Beine Galle aus⸗ 
ſondert/ fen es, indem bet Gallengang durch Gallenſteine verſtopft 
wird, oder wenn iegend eine Erankhafte Verſtimmiing Urſache das 
von iſt, fo enthaͤlt das Blut den Gallenſtoff / der au tegeimäßigem 
Wege durch die Leber ausgefondert werben follte. Die ‚Folge de 
von ift nun, daß diefer Stoff fich in andere Organe ausfondert, 
namentlich "füllt er die ganze aͤußere Haut an, ' In der Gelb: 
fücht, venn fo Heißt bekanntlich diefe Erſcheinung vertritt wirk⸗ 
lich die Haut die Stelle der unthätigen Leber. Dann find die Ei 
cremente weiß und von geringem Geruche, was don dem margel: 


den Gallenerguß in den Darmkanal abhängt, — ' Die Leber iſt 


am BP —— 


ferner, wichtig, aut fe die Blutbewegung im- Pfottaderſyſtem be⸗ 
herrfcht. Nach ihrem: Befinden und ihrem Bedarf von Benenbiut 
richtet fi ich die langſamere ober raſchere Bewegung in biefen, Gefaͤ⸗ 
‚sen. Der, Erregungszuffand‘t der Reber iſt aber wieder fehr abhaͤn⸗ 
gig von andern Organen und namentlich vom Hirne. Aufregende 
Leidenſchaften wie Zorn und Aerger, wirken ehr heftig. auf, die Leber 
‚and, vermehren ‚den, Ballenerguß, ‚aus ihr. > Darum, ſuchten auch 
die Alten ben. Sig des Gemuͤthes in; der. Leber. » Große Hitze, bes 
Tondere mit, Feuchtigkeit verbunden, ſo wie fette und ſtark reizende 
Nahrungsmittel, ‚regen bie Leber ebenfalls fehr auf. ‚Darum find 
Keberkrankheiten in heißen Ländern einheimifch, und zeigen ſich bei 
uns in heißen Sommern häufiger. als im Winter, Vegetabiliſche 
Nahrung, ſaͤuerliche Getränke vermindern, das Uebermaaß der Le⸗ 
berthaͤtigkeit und ſind daher beſonders im PORN dwhen — 
Bu die, in PeBeePieRF Leite geneigt ind. in ii g 
Shi, — Bithen f ch in N Galens ober Rebergängen nad 
häufiger aber. in der Gallenblaſe, feſte Maſſen, die man G alten 
ſteine nennt. ie find gewöhnlich: gelbbraun und, zundlic, wenn. 
fie einzeln, liegen; von. ediger Form aber, wenn. fie die ganze. Gal⸗ 
lenblaſe ‚mehr oder weniger anfüllen, fo; daß ſie ſich bei ihrer Aus⸗ 
bildung gegenſeitig hindern. Beim Zerſchlagen zeigen ſie uͤberein⸗ 
ander liegende Schichten und, Strahlen, die vom Mittelpunkt zum 
Umfang laufen... - Einige beſtehen aus, mahrem verhärteten Gallen⸗ 
floff „andere aus einer. Wallrath aͤhnlichen Se ‚die, durch 
gen des Galtenftoffes fich ‚gebildet‘ haben RR; a 
*— 242. Die. Baudipeihelbräfe, Dagen- 
ö raf e (Pancreas) hat ihren deutſchen Namen, von einer ‚großen 
Aehnlichkeit mit ‚ben. Speicheldruͤfen im Umfange deg. Mundes. 
Sie iſt weißlich, veſteht aus Koͤrnchen, hat jedoch eine viel anſehnli⸗ 
chere Groͤße als irgend, eine Speicheibräfe. Ihre Lage iſt hinter dem 
Magen, fo daß, ‚man „fie ‚bei Eröffnung ber Bauchhoͤhle nicht ſieht, 
und, hier liegt, je He vor der Wirbelfäule. Im Ganzen kann man 
ihre, Form. hammigrfä rmig nennen. » Der. breitere Theil — 89 pf 
des Pant reas (Big. 12,ab).— egt innerhalb der Kruͤm⸗ 
mung des Zwoͤlffn vgerdarms, an, dieſen eng angeheftet. In der 
aten, Figur ſieht man ‚einen, Theil der. -Drüfe unter, dem Magen 


‘ ” 


| — — 391 — — 


hervorragen. Das andere verduͤnnte Ende iſt gegen bie Milz ge 
kehrt (Fig. 12. ©), Durd) die ganze Länge der Druͤſe (d) läuft 
ber Ausführungsgang (Ductus pancreaticus s. Wirsungianus), 
deffen ng in ben Zwoͤlffingerdarm wir früher kennen ge 
want re 


RR g. 243. Als Huͤlfsorgan fuͤr die Verdauung betrachtet 
man gewöhnlich auch bie Milz. Dieſes blaurothe Organ von 
ziemlich weicher Gonfiftenz ift an den Blindfad des Magens anges 
beftet (Big. 2. 2) und zugleich durch ein fogenannted® Band an 
das Zwerchfelt befeſtigt. Den Umfang kann man epförmig nennen. 
Die Fläche, welche vom Magen ab und gegen die Rippen gekehrt 
ift, iſt gemwölbt, die dem Magen zugekehrte vertieft, letztere hat 
einen Einfhnitt, der den Gefäßen zum Eintritt dient (Big. 14.). 
Merkwuͤrdig ift für die Milz die bedeutende Weite ihrer Blutgefäße, 
Es ift nicht nur ihre Schlagader, fondern auch ihre Blutader weis 
tee als in irgend einem andern Drgan von berfelben Größe, Ers 
fiere fommt aus der Bauchſchlagader und fegtere geht in die Pfort⸗ 
aber. Dieſes Verhältnig mug man berüdfichtigen, wenn man die 
Berrichtung der Milz erkennen will. Daß fie auf die Verdauung 
Einfluß hat, läßt fih aus dem Umftande ableiten, daß fie ihr 
Blut der Pfortader abgiebt, wie e8 alle verbauenden Organe, mit 
Ausnahme der Leber, thun, Genauer ihren Antheil an der Verdau⸗ 
ung zu beflimmen, hat mancherlei Schwierigkeiten, —— die 
Phyſiologen vielerlei Hypotheſen aufgeſtellt haben. Keine iſt ganz 
vollſtaͤndig erwieſen. Oft hat man die Milz den Thieren wegge— 
ſchnitten, ohne entſchiedenen Nachtheil für dag Leben zu bemerken. 
Indeſſen bemerkte man, daß die Quantitaͤt der Galle abnahm und 

* zugleich dicker wurde. 


Gegwiß iſt der Einfluß Milz nicht ganz einfach, ſon⸗ 

dern complieirt und eben deswegen kann fie ohne ſehr großen Nach⸗ 
theil fehlen, weil andere Drgane fie bann mehr oder weniger erfes 
ben. Am wenigſten läßt fich ein Nugen der Milz bezweifeln, ber 
darin befteht „ fo lange der Magen leer ift, eine größere Blutmaſſe 
- aufzunehmen, als während der Ausdehnung diefes Organs, Sie 
wird dadurch ein Regulator für die Blutbewegung, da der Magen 
‚eine ſeht verfhiedene Quantität in feinen fehr verfchiedenen Zuftäns 


| 


den aufnimmt. Es iſt nicht gar Tange her,, dag man der Milz 
noch ein anderes Gefchäft zufchrieb, das Gefchäft aus dem Magen 
die Fluͤſſigkeiten und namentlich die Getränke ſchnell aufzunehmen, 

Ein englifcher Phyſiolog, Home, glaubte durch Verſuche den 
vollſtaͤndigen Beweis geführt zu haben, daß nach dem Zrinen die 
Fluͤſſigkeit fchnell in die Milz tritt und dieſe ausdehnt. Aus dem 
Magengeunde treten in der That Eleine Venen hervor, bie ſich mit 
der Milzvene verbinden, und in der Milz ſelbſt findet man kleine 
Bläschen, die ſich mit der Fluͤſſigkeit anfuͤllen könnten, "Allein 
fpäter fand man Ausdehnung der Milz nach der Aufnahme von Ges 
traͤnke nicht immer beſtaͤtigt. Auch laͤßt ſich nicht recht einfehen, 
warum das Getränk, wenn ed von jenen Eleinen Blutadern aufge: 
nommen wird, nicht fogleich durch die Milzvene abgeführt wird. — 

Da die Milz bei feinem Thiere vorkommt, welches nicht vothes 
Blut und ein Pfortaderfyftem hat, fo kann man nicht verkennen, 
daß die Milz auf die Erzeugung des Pfortaderblutes Einfluß haben 
muß. : Sie fcheint alfo auch die Beftimmung zu haben, Atterien⸗ 
blut in das Blut der Pfortader umzuwandeln, und kann in biefer 
Hinficht ale ein vorbereitendes Drgan für die Verrichtung der Leber 
gelten.  Diefer Meinung find denn auch die meiften Phyſiologen 
‚neuerer Zeit, Es entfleht dabei nur die Frage, wie es die Milz 
möglich mache, Arterienblut in venöfes zu verwandeln, da zu eis 
ner folhen'chemifhen Umwandlung erförderlih ift, daß ein Stoff 
aus dem Arterienblute entfernt ober ein anderer zugefügt wird, Waͤ⸗ 
re die Milz eine Drüfe, welche einen befondern Stoff ausſchiede 
und ableitete, fo wäre- hieraus die Umwandlung des Blutes zu er» 
klaͤren. Allein man hat aller Müherungeachtet keinen Ausfuͤh⸗ 
tungsgang an der Milz entdeden Finnen, und dody ift die Maffe 
des Blutes, welches durch die Milz geht, zu groß, als daß der 
bloße Anfag der Maffe von der Milz ſelbſt die Umwandlung be: 
wirken koͤnnte. Es gehen: aber viele Saugadern duch die Milz, 
und daraus wird es fehr wahrſcheinlich, daß der Inhalt der Saug- 
adern aus dem Arterienblute der Milz Sauerfloff aufnimmt,; um 
ſich felbft zur Blutbildung vorzubereiten, wodurch das Arterienblut 
der Di in Venenblut NEN * 


a — 











ri neh — Sieb ente hate Borlefung 
or der Verdauung 





Wi ws Red | $, 244: 


Sur ber legten —2 lernten wir den — — *x* ducch 
welchen unſer Körper auf die dargebotene Nahrung einwirkt, um 
fie in feine Mafje umzuwandeln. Wir haben’ auch die einzelnen 
Einwirkungen der verfchiedenen Abfchnitte des verdauenden Appara⸗ 
tes unterfucht. Es wird nun noͤthig ſeyn, einige allgemeine Dlide 
auf ae ® Verrichtung zu werfen. 


Die Erfahrung lehrt daß jeder organiſche Koͤrper nur be⸗ 
ſteht durch ſtete Umwandlung ſeiner ſelbſt, und zwar umfaßt dieſe 
Umwandlung 3 Momente. 1. Aufnahme von neuem Stoffe aus 
der Außenwelt und Umwandlung deffelben; 2. Bildung des eiges 
nen Körpers aus diefem Stoffe und 3. Entbildung des eigenen Koͤr⸗ 
perd (duch Secretion und Ercretion) und Nüdgabe des Stoffes 
an die äußere Natur. Nur der erſte diefer Momente iftvöllig abs 
hängig von der aͤußern Natur; die beiden andern ſtehen blos unter 
der Herrſchaft des Lebens in jedem Organismus. ' Sie: gehen alſo 
immer fort, und weil fie ununterbrochen fortgehen, fordern fie auch, 
daß das erſte Moment erreicht werde. Gefchieht diefes nicht, ſo 
müffen Störungen auch in den andern Momenten der Selbſtbil⸗ 
dung eintreten, die am Ende ein Aufhören des ganzen Lebenspro⸗ 
ceffes herbeiführen. Je niedriger das. Leben und mit ihm das Ges 
baͤude des Organismus entwicelt ift, um deſto weniger feft bes 
ſtimmt ift das quantitative Verhältnig einer jeden Verrichtung, 
um deſto mehr hängt fie von andern Verhältniffen ab. Solche 
Abhängigkeit zeigt hier denn auch die Ernährung und Secretion von 
ber Verdauung, Sie fteigen und finten, je nachdem aus der aͤu⸗ 


— 2 — 


Fern Natur ihnen reichlicher oder weniger reichlicher neuer Stoff 
zugeführt wird, So können Snfecten, Spinnen, Schneden und 
die Amphibien fehr lange hungern, ohne zu ſterben. Im Körper 
der Höhern Thiere und des Menfchen nehmen Ernährung und Aus: 
Theidung allerdings auch ab, wenn die Verdauung nicht neue Vor: 
väthe giebt; allein ihre Abnahme ift in viel ſchwaͤcherem Maaße. 
Sie koͤnnten aber nicht beſtehen, wenn die Verdauung ganz fehlte. 
Dieſe wird von ihnen in beſtaͤndiger Thaͤtigkeit erhalten. Man 
hat beobachtet, daß bei Menſchen, welche lange gefaſtet hatten, der 
Schleim, den der Magen und die Daͤrme ausſonderen, in Speiſe— 
brei umgewandelt wurde, aus dem ſich Chylus ausſondern konnte. 
Man darf alſo ſagen, daß ſich der Koͤrper ſelbſt verdaut. So zeigt 
die alltaͤgliche Erfahrung, daß der Stuhlgang fortbeſteht, wenn 
Kranke auch in langer Zeit nichts gegeſſen haben. Je laͤnger bei 
uͤbrigem Wohlbefinden die Nahrung fehlt, deſto lebhafter wird 
das Beduͤrfniß nach Nahrung. Das Gefühl von dieſem Beduͤrf⸗ 
niſſe nennen wir Hun ger. Dieſe ehnfiologifäe Sripeinung 
verdient, daß wir bei ihr verweilen, 

Fragen Sie mid, was ber Hunger ift, fo weiß, ich darauf kei⸗ 
ne andere: Antwort ald die. fo eben entwicelte Anficht vom Wefen 
des Hungers zu: geben. Es ift das gefühlte Beduͤrfniß nach Nahe 
zung, es iſt alfo eine buch das Beduͤrfniß nad Nahrung 
erzeugte Umänberung unſers Gemeingefühls. - So lange wie 
nicht im Stande find zu erklären, wie unfer Körperzuftand uͤber— 
haupt fuͤr uns in einem: gewiſſen Grade objectiv werden kann, Eins 
nen wir unmöglich) vom Hunger, einer Modification deffelben, eine 
befondere Erklärung geben, -» Gewiß iſt ber Hunger für die Vers 
dauung eben das, was das Athmungsbeduͤrfniß fuͤr die Athmung 
iſt — eine Mahnung des Eörperlihen Bedürfniffes an unfern 
Willen, eine Anmahnung, bie immer heftiger wird, je mehr das 
Beduͤrfniß fleigt;, Die Anmahnung dee Athmungsbeduͤrfniſſes übers 
waͤltigt immer zuletzt die Freiheit des Willens, denn es. giebt ein 
Beifpiel, daß ein Menfch freiwillig geftorben wäre, indem er das 
Athmen ıunterließ, obgleich es in unferer Macht fieht, eine Zeit 
lang dieſe Verrichtung zu unterlaffen. Wo die Kraft des Willens 
nicht fehr groß aft, wird fie auch durch den Hunger befiegt. Als 
fein oft hat der fefte Entſchluß, fich der vorgefegten Nahrung zu 
enthalten, bie Kraft des Hungers überwunden, 


— 395 — 


Von der Frage über das MWefen des FEN iſt aber doch die 


wo wodurch er zunächit veranlaßt wird, verſchieden, und biefe 


Frage iſt es eigentlich, die die Phyſiologen vielfach beſchaͤftigt und 

zu deren Loͤfung man verſchiedene Verſuche gemacht hat, Es kommt 
Bier darauf an, zu erkennen, welchen Weg die Natur eifchlägt, 
um das Gefühl, des Hungers zu erregen. — Der Hunger ent- 
ſteht, indem die Magenwaͤnde, wenn der Magen leer iſt, ſich an 
einander. reiben — ſagten einige aͤltere Phyſiologen. Na dieſer 
Meinung - wäre. bie mechaniſche Wirkung dev Magenwaͤnde feine - 
naͤchſte Veraniaſſung. Allein die Wand des Magens iſt nicht ſehr 
empfindlich gegen mechaniſche Einwirkung. Wenn wir einen har- 
ten Koͤrper verſchlucken, ſo druͤckt und reibt dieſer gewiß ſehr viel 
ſtaͤrker gegen die Waͤnde — wir fuͤhlen ihn aber kaum, nachdem 
er durch den Magenmund hindurch gegangen iſt, und auch, wenn er 
uns Beſchwerde macht, ſo hat dieſe keine Aehnlichkeit mit dem 
Hunger. — Genuͤgender iſt die Meinung, daß der Magenſaft 
durch fein längeres Verweilen in der chemiſchen Mifchung fich vers 
ändert, , und indem ‚er fchätfer wird), „die Magenwaͤnde ſtark reizt, 
Zwar bleibt der Magenfaft. nicht. ſo lange im Magen liegen ,: als | 


‚man -fonft wohl zu glauben geneigt war, vielmehr wird er, wie.ges 


fagt, mit dem Schleime und. Speichel aus der. Mundhöhle und 


Speiferöhre. allmählich verdaut — allein es ift ſicher, daß diefe 


Slüffigkeiten um defto mehr mit den ihnen eigenthuͤmlichen Beftand» 
theilen gefättigt find, je länger das Faften gedauert hat. — In⸗ 
deſſen iſt es nicht zu verfennen, daß der Hunger eigentlich in dem 
Erregungszuftande der Nerven des Magens befteht. Das folgt 
ſchon aus dem Weſen des Hungers als Mobdification des Gemein⸗ 
gefühls.. Es laͤßt ſich aber auch aus der Erfahrung erkennen. Nicht 
bloße mechaniſche Anfuͤllung des Magens mit unverdaulichen Din 
gen ſtillt den Hunger , auch nicht chemifche:Neutralifirung des Mas 
genſaftes, dieſer mag nun ‚vorwaltende Säure ‚oder. Afalescenz 
haben, fondern das Verſchlucken von Stoffen, auf die die Verdau— 


‚ung einwirken kann, und zwar ſtillen ſie den Hunger um ſo kraͤfti⸗ 


ger, je verdaulicher ſi fie ſind. Ein wenig Fleiſchbruͤhe ſaͤttigt mehr 
als eine große Menge Leber oder ähnliche. Dinge, mit denen Mens 
ſchen in großer Hungersnoth ihr Leben friſten mußten. Außer den 
Nahrungsmitteln ſtillen aber auch ſolche Dinge ben Hunger, bio 
unmittelbar. auf das Nervenſyſtem einwirken, narkotiſche Dinge, 


die die Empfindlichkeit der Nerven abfumpfeir, wie Opium und 


mit geringeter Kraft der Tabaksrauch und auf andere Weiſe die ſpi⸗ 
rituoͤſen waſſerſtoffreichen Dinge, die die Thaͤtigkeit der Nerven er— 
hoͤhen, wie Weingeiſt und Aether. Der Hunger beſteht alſo of⸗ 
Fenbar®r einem eigenthuͤmlichen Erregungszuftande, der Magennits 
ven dieſer Erregungszujtand mag nun zum Theil‘ erzeugt werden; 
durch die Reizung der Saͤfte des "Magens, zum Theil und wohl 
vorzůglich durch das Ausbleiben des normalen Reizes ‚ für den bie 
Magennerven befonders organiſirt find. Ein jeder Theil unſers 
Koͤrpers will in der Verrichtung, zu der er beſtimmt iſt thaͤtig 
ſeyn. Unterbleibt dieſe Thaͤtigkeit eine Zeit lang,“ ſo erfolgt eine 
Veraͤnderung indem Erregungszuſtande feiner Nerven, die nur ge⸗ 
hoben wird, wenn wir das Organ wieder in die Fi dafſelbe bes 
ſtimmte Thaͤtigkeit verfegen. "Mach langer Ruhe beduͤrfen wir der 
Bewegung und nach langem Faſten ſehnt ſich der Magen ebenfalls 
"ach Arbeit in feiner Sphäre. Alle Theile des Nerbenſyſtems koͤnnen 
ſich an eine Periodieität gewöhnen. Wer ſich an einer beſtimmten 
Stunde des Tages eine ſtarke Bewegung made Wird; ſo lange er 
gefund ift, bei Annäherung diefer Stunde das Bebtiefniß lebhafter 
fuͤhlen. So iſt es auch im Magen. Wer zu beſtinimten Zeiten 
Nahrung zu ſich zu nehmen gewohnt iſt, fühlt den Hunger zu die 
Ten Zeiten lebhafter. Iſt die Zeit vorüber, fo nimmt der Huriget 


ab, bis er durch anhaltendes Fajten fo ſtark geworden IE 2 er 


oo während‘ a Abnahme beftig bleibt, 


Die — des Hungers ſind * en⸗ all⸗ 
gemein. Zu jenen gehoͤrt ein dumpfer zuſammenziehender Schmerz 
in der Magengegend und das Gefuͤhl von Leere in der ganzen 
Bauchhoͤhle. Man empfindet (wenn ich Erfahrungen an mir 
ſelbſt fuͤr allgemein guͤltig anſehen darf) mit ziemlicher Beſtimmt⸗ 
heit die Form des Magens, die wir, ſo lange er regelmaͤßig uud 
nicht im Uebermaße in Anſpruch genommen iſt, nicht erkennen, als 
- einen zuſammengefallenen Sack. Unterſuchungen an Thieren und 
menſchlichen Leichen zeigen wirklich den Magen verengt im Innern, 
viele Runzeln bildend, feine Gefäye mit wenigem Blute angefuͤllt, 
obgleich die inneren Magenhaͤute hin und wieder geroͤthet ſind. Im 
Magen findet ſich nur etwas ſchleimige Fluͤſſigkeit. Die Gallen⸗ 
Blafe flrogt von zurüdgehaltener Galle, — Die allgemeinen Er: 


= 


—S sah: Folgen des Hungers find: Allgemeine Schwaͤche 
in den Muskeln, Abmagerung, allmähliche Abnahme und verän« 
derte Beſchaffenheit der Ausſonderungen; darum ſparſamer und 
uͤbeltiechender Harn und Darmkoth, Abnahme der ganzen Bluts 
menge, Schwaͤche des Pulſes, Stimmloſigkeit, Kaͤlte der Haͤnde 
und Fuͤße, Ohnmachten und endlich der Tod. — Es wird Ih⸗ 
nen vielleicht nicht unintereffant feyn, wenn ich die Sefhichte einer -' 
eigenwilligen Verhungerung erzähle, ‚wie fie. eine englifche Zeitfchrift 
vr Kurzem mittheilte. Cie macht nicht nur. den Vorgang beim 
VBerhungern anfhaulich, fondern zeigt auch bie BR des Willens 


Be. das thierifche Beduͤrfniß. 


r „Xntonio Viterbi ki als. Mitfhulbiger eines Mor- 
des, welchen er bis zum legten Augenblide ftandhaft laͤugnete, von 
der. Gerichtöbehörde, deren Mitglieder feine, perfönlihen Feinde 
waren, zum Tode verurtheilt, Nachdem er vergebens appellirt 
batte, faßte er den. Entfchluß, im. Gefängniffe feinem, Leben ein 
Ende zu machen. Zu diefem Zweck enthielt, ev ſich drei Tage hin⸗ 
buch aller Nahrungsmittel, verfhlang darauf ‚eine große Menge 
derſelben in der Hoffnung, daß das Uebermaaß im Genuſſe, nach 
ſo langem Faſten, den Tod herbeifuͤhren wuͤrde; allein die Natur 
erfuͤllte nicht ſeinen Wunſch. Da weihte er ſich freiwillig dem Hun⸗ 
gertode, und wurde nicht wankend in ſeinem Vorſatze, obgleich er 
zweimal gefährlich erkrankte, und erſt am auften Tage den Geiſt 
aufgab. Während der erſten drei Tage fühlte Viterbi die allmaͤh⸗ 
lich ſteigende Pein des Hungers; doch ertrug er fie mit demſelben 
- Muthe, wie früher. Der Miniſter, welchen man hiervon benach⸗ 
richtige hatte, gab den Befehl, Waffer, Brod, Wein und Brühe 
täglich ihm vor die Yugen zu fegen. Viterbi verrieth kein Zeis 
Hm von Schwaͤche und ſchrieb mit gewoͤhnlicher Leichtigkeit ſein 
Tagebuch nieder. — Am zten Tage geſellte ſich zum Hunger 
die Qual des Durſtes, welche am 6ten einen ſolchen Grad erreich⸗ 
te, daß er feine Lippen von Zeit zu Zeit benehte, und ſich mit et» 
was Waſſer gurgelte, um den brennenden Schmerz im Schlunde 
zu lindern: » Doch feinem Entfchluffe treu bfeibend, ſchluckte er 
feinen einzigen Tropfen hinunter, Am 6ten waren. bie Kraͤf⸗ 
te ein wenig geſunken; indeffen blieb feine Stimme tönend, der. 
Puls regelmaͤßig und eine natuͤrliche Waͤrme uͤber den ganzen 


Körper tem Einige Stunden naͤchtlichen Schiafes erquickten 
ihn.“ u Ki 


„Bis zum roten war ber Durft, troh * — —— 
mehr und mehr geſtiegen. An dieſem Tage uͤbermannte ihn 
der Schmerz fo fehr, daß er feinen Krug mit Waſſer ergriff und 
unmaͤßig trank. Die Schwäche hatte in den legten drei Tagen 
auffallend zugenommen; Stimme und Puld waren febe ſchwach u und 
die en kalt.“ 

Am one: Tage biftivte et ein Kader Haches er 
bis dahin ſelbſt gefuͤhrt hatte, und unterzeichnete das Geſchriebene. 
— In der Nacht zum roten flieg die Schwaͤche aufs aͤußerſte, der 
Puls Tank, der ganze Körper wurde Falt, und tief nagte bie Pein 
des Durftes. Am 13ten ergriff der Ungluͤckliche, in dem Wahn, 
daß fein Zod nahe fey, von Neuem den Waſſerkrug und trank zwei⸗ 
mal, worauf die Kälte zunahm. Er freute ſich feines Endes, leg- 
te ſich auf das Bett, und fagte zu den ihn bewachenden Soldaten: 


Schauet her, wie ſchoͤn ich mich gebettet habe. Nach einer Bier: 


telftunde forderte er etwas Branntwein. Da der MWärter keinen 
vorräthig hatte, Tchlürfte er von dem ihm dargebotenen Mein etwa 
einen Theelöffel voll, worauf die Kälte plöglich aufhörte, und ein 
vier Stunden langer Schlummer ſich einftellte. Beim Erwachen 
am r4ten Morgen wurde er wüchend über die Zunahme feiner Kraͤf⸗ 
te, ſchalt die Waͤrter, daß fie ihn hintergangen hätten, ſtieß den’ 
Kopf gegen die Mauer und würde ſich fo geföbtet haben, hatte die 
Wache ihn nicht davon zuruͤckgehalten.“ 


„Waͤhrend der beiden folgenden Zage widerſtand er der Nei⸗ 
gung zum Trinken, und fpülte fih nur dann und wann den Mund 
mit Waffer aus, Im den Nächten fühlte er fich zwar erſchoͤpft, 
doh am Morgen wiederum geſtaͤrkt. Dann ſcheieb er 
SE ;“ 


„Am ı7ten Tage (5 Uhr Morgens) waren h reif Räte 
faft ganz verfallen, der Puls kaum zu fühlen, die Stimme unver: 
nehmbar, und der Körper erftarrt; man glaubte, daß er im naͤch⸗ 
ften Augenblide nicht mehr ſeyn würde, Abends um zo Uhr be 


I 


BE u u a 2 uk a 


Ei, 0. 1 2, Mi 


fand er fich etwas beffer; Pult, Stimme und Wärme hoben fidh: 
— Vom ırzten bis zum 2often Tage wurde er in feinem Ent 
fchluffe zu flerben nur noch unerſchuͤtterlicher. — Am ıogten Tas 
ge überwältigte ihn das Gefühl des Hungers und Durftes dergeftalt, 
daß er Anfangs einige Thränen vergoß. Allein fein unbezwingbas 
res Gemüth bot fogleich diefem Tribute menfchlicer Natur Trog. 
Für einen Augenblick ſchien er wieder im Befig feiner vollen Kraft 
zu ſeyn, und er fagte in Gegenwart des Kerfermeifters und dee 
Wache: Ausdauern will ih, was auc die Folge feyn mag; der 
Geift fol ftärker feyn als der Körper, die geiffige Kraft fol nicht. 
wanken, wenn auch die Eörperliche täglich mehr verfällt, Bald 
nach diefen Worten befiel ihn Schüttelfroft und eifige Kälte, beſon⸗ 
ders längs den Lenden und Schenken. — Am roten fühlte er 
von Zeit zu Zeit eine fehmerzhafte Empfindung im Herzen und Saus 
fen vor den Ohren. Am Nachmittage wurde der Kopf ihm ſchwer, 


- doch blieb fein Sehvermögen ungetrübt, und er unterhielt fich, wie 


gemwöhnlidy, mittelſt Zeichen mit der Hand. Am 2often erklärte 
Biterbi dem Arzte und Gefangenwärter, daß er feine Lippen nicht 


- wieder benegen würde, und fagte im Gefühl feines herannahenden 


Endes: Ich bin bereit die Welt zu verlaffen. An diefem Tage 
erfüllte der Tod die Wuͤnſche eines Mannes, welcher ſich ihn viel- 


‚ leicht unter allen Menfhen am eifrigften: erfehnt, und dem er feine 


freubdenlofe Ruhe fo lange verfagt hatte. — Die Aushändigung 
des Tagebuch, welches Viterbi bis zu feiner legten Stunde fort: 
geführt hatte, wurde den Verwandten von ber Behörde verweigert,“ 


Die Zeit, wann fich der Hunger nach der Sättigung wieder 
einftellt, und wie lange der Menfh ohne alle Speife leben kann, 
iſt mach dem Alter und der übrigen Körperkonftitution fehr verſchie— 
den. Je jünger der Menfch ift, um defto fchneller ftellt ſich der 
Hunger wieder ein, weil der Stoffwechfel defto rafcher' erfolgt, und 
um defto früher unterliegt ihm der Körper, mit Ausnahme jedoch 
des hinfälligen Greifenalters, - welches nicht fo viel Ausdauer hat, 
als das reifere Mannsalter. Wo ganze Familien dem Hungertode 
Preis gegeben waren, ftarben immer die Kinder nady dem Alter auf 
einander folgend zuerſt. Die Zeit, in welcher ein Erwachfener 
dem Hunger unterliegt, nimmt man im Durchfchnitte etwa auf 8 
Tage an; indeffen find die Fälle nicht ganz felten, wo der Hunger 


/ 


erſt nach 2 bis 3 Wochen töbtete, befonders wenn dabei getrunken 
wurde, wie in dem oben erzählten Beifpiele. Wir bemerkten ſchon, 
dag Perſonen deſſelben Alters nach der Verſchiedenheit ihrer Körpers 
Eonftitution. Fängere oder Eürzere Seit ohne Nahrung feyn koͤnnen. 
Sm Ganzen gilt.die Regel, daß je Eräftiger der Körper ift, um des 
ſto raſcher und ungeflümer der Hunger eintritt. . Schwaͤchlinge Ie- 
ben daher länger ohne Nahrung als Athleten, Frauen känger als 
Männer. Bei flarker Bewegung, bei ſtarker Athmuug und raſcher 
Erneuerung des Dunſtkreiſes, den die Haut um uns verbreitet 
{$. 202.), iſt das Beduͤrfniß nad Nahrung groͤßer. Bebeuten- 
den Einfluß hat auch die Schwäche der Verdauungsorgane bei übrir 
gens gleichen Verhaͤltniſſen. Bekannt ift es, wie lange man in 
Krankheiten jede Nahrung entbehren kann. — Die Phnfiologen 
Taler Zeiten haben eine Menge Erzählungen von Perfonen aufbes 
wahrt, die mehrere Monate, ja mehrere Jahre hindurch Feine Nah: 
rung zu fich genommen haben follen, ohne daß man fie für krank 
hielt, . Viele der Altern Beifpiele mögen ungegründet feyn; benn 
auch in.neuerer Zeit, wo man mehrere Faͤlle genau beobachtete, er- 
gab fi fehr häufig Betrug. Indeſſen find manche Faͤlle von mehr⸗ 
jaͤhrigem Faſten außer allen Zweifel geſezt. Bumeilen waren es 
melandpolifche-Männer, bei weitem häufiger Hyfterifche Frauenzim⸗ 
mer; fie. brachten die meifte Zeit im Bette zu, waren Fraftlos und 
mager und, ſo viel mir bekannt iſt, wurde in allen genau beöbachtes - 
ten Fällen Waſſer getrunken. Hieraus, erfieht man, daß foldye 
Derfonen keinesweges zu ben gefunden gezahlt werden Finnen, und. 
man barf.weiter folgern, daß, wo das Leben auf eine fehr niedrige 
Stufe herabfinkt; wo e8 gleichfam nur noch im Körper fortſchleicht, 
das Waffer als Nahrungsmittel zur Erhaltung des Lebens hinrei⸗ 
hen kann. — 

. Eben diefe vita minima iſt «8, welche es mögtic macht, 
daß Thiere, waͤhrend des Winterſchlafs mehrere Monate hindurch 
ſich aller Nahrung enthalten. Es iſt zugleich der *6⸗ 
ſehr ſchwach und die Blutbewegung uͤberaus langſam. In dem 
Winterſchlaf der Saͤugethiere iſt die Aufſaugung des im Herbſte in 
der Bauchhoͤhle —A Fettes zur fortgehenden Blutbil- 
dung ——— *In Amphibien ie der ala noch) tie 

fer 


Es ift oben bie Nefotption durch die Saugabern gemeint. Das — 
der eigenen Pfoten iſt bekanntlich eine alberne Jabel 





Ein u , F * 


a PETE WU 


— 401 — 


fer herabgeſunken. In beiden ſcheint die Einwirkung der Außens 
welt zuerſt den Athmungsproceß und den Kreislauf zu vermindern, 
und erft dadurch das Nahrungsbedürfniß abzunehmen. So zeigen 
auch vielfältige Erfahrungen, daß gefunde Menfchen, welche vers 
[hättet wurden, früher. den Hungertod flarben, wenn fie durch 
binlängliche Luft zu Eräftigem Athmen aufgeregt wurden. War 
gar keine Luft. zum Athmen da, fo farben fie freilich noch früher dem 
Erftikungstod. Am längften lebten aber.biejenigen, zu denen die 
äußere Luft noch einigen, wenn auch erfhwerten, Zutritt hatte, 
Sch, Eenne einen Fall, wo ein Menſch, von Stroh Üüberfchüttet, 
nah 4 Wochen mit ſchwachem Leben herausgezogen. wurde. Man 
muß annehmen, daß in folhen Fällen die Athmung almählig auf 
das geringfte Maaß herabfant, | | 


N 00245 Wir Haben fhon von den Modificationen des - 


Hungers fo eben etwas gehört. Laffen Sie uns bei dieſem Gegen« 
ſtande verweilen. Wir unterfcheiden zuvoͤrderſt von dem wirklichen 
Hunger die bloße Eß lu ſt oder den Appetit. Die Eßluſt ift das 
erfte Erwachen des Bedärfniffes von Nahrung. Sie wirkt Feines 
weges [hmwächend auf den Körper ein, fondern- erhöht vielmehr defs 
fen Lebenskraft, und gibt uns ein behagliches Gefühl. Die Eßluſt 
beftimmt uns nicht nur zu Aufnahme von Speifen, fondern erregt 
auch nach manchen Speifen ein größeres Verlangen, ald nach an 
dern, Bei übrigens vollfommener Gefundheit dürfen wir der Eß⸗ 
luft, als einem Winke der Natur, mit Zuverfiht folgen, - Sie 
ift ein Zeichen, daß die Verdauungsorgane bereit find , neuen 
Stoff aufzunehmen. Sind diefe dazu nicht fähig, fo fehlt die Ef 
luſt, oder die Natur ruft gar das entgegengefegte Gefühl hervor, den 


Ekel, oder den Widerwillen gegen Nahrung. Die Erſcheinung des 


Ekels ift ung übrigens wohl ein redender Beweis, daß der Hunger 
auf einer Thätigkeit des Nervenſyſtems beruht; denn die mechani— 


| fhen und chemiſchen Erklärungen über Entſtehung des Hungers 
bkoͤnnen uns nicht Aufſchluß geben über die Entſtehung feines Ge⸗ 
genſatzes, des Ekels. — Je gefunder der Menfch- ift, um deſto 


genauer giebt feine Eßluſt auh die Quantität der erforderlichen 


‚ Nahrung an. Es giebt wirklich Perfonen, bei denen die Eßluſt 


plöslic, aufhört, wenn fie gerade die gehörige Quantität von Nah— 
zung zu fih genommen haben, Dies fharf — Maaß ver⸗ 
— 


I * 


— 402 —⸗ 


lieren freilich die meiſten Menſchen, ins Beſondere der cultivirte Eu⸗— 
ropaͤer, bei dem die verfeinerte Kuͤche durch Gaumenkitzel das Verlan⸗ 
gen der Eßluſt zu erhöhen bemüht iſt. Indeſſen irrt man ſehr, wenn 
man glaubt, daß der uncultivirte Menfch hierin det Natur treuer 
folgt. Man muß nämlich unter den wenig gebildeten Völkern dies 
jenigen, welche von animalifcher Koft leben, von denen unterſchei— 
den, welche allein oder vorzüglich vegetabiliſche Nahrung genießen. 
Untern den letztern herefcht im Ganzen mehr Mäßigkeit und genaue: 
ve Befolgung der Anforderungen der Natur, Sene Völker aber zei- 
gen ung die Fuͤgſamkeit des menfchlichen Körpers, ° Cie pflegen 
nah Art der Raubthiere in ungeheuern Quantitäten zu effen, und 
Eönnen dann wieder lange Zeit hindurch hungern. Diefe Unregelmaͤ⸗ 
pigkeit hängt nicht etwa vom Klima ab; denn fie zeigt ſich im Es: 
Eimo eben fo wie im Afrikaner. Es giebt.bei folhen Völkern auch 
£eine beftimmte Zeit für das Mahl.- Betrachten wir aber die von 
Begetäbilien lebenden gentigfamern fogenannten Wilden oder Halb: 
wilden, fo ſcheint es, daß in den Verrichtungen des menfchlichen 
Körpers die Veranlaffung liegt, zweimal täglich zu effen, was bie 
Sitte in den eultivirten Völkern beibehalten hat. Dagegen ſcheint 
die Gewohnheit, nach der nächtlichen Ruhe ein fogenanntes Fruͤhſtuͤck 
‚zu nehmen, eine Erfindung der —— denn wir finden ſi ſi e bei 
wilden Voͤlkern nicht, 


Auch in Hinficht der Qualität giebt die Eßluß dem RER 
Menfhen an, was ihm am meiften zuträglich feyn wird, So 
fühlen wir im Sommer, und befonders während der Hike, mehr 
- Neigung zur Pflanzenkoſt als zur thierifchen Nahrung. Wir erken- 
nen darin einen Reſt des ———— der jedes Thier zu der ihm 
zutraͤglichen Nahrung fuͤhrt. In Krankheiten tritt die Begierde 
nach einer beſondern Nahrung nicht ſelten mit Ungeſtuͤm hervor, 
und Sie alle werden Beiſpiele kennen, wo auf die Befriedigung eis 
ner ſolchen befondern Begierde auffallende Befferung im Krankheits⸗ 
zuftande eintrat. Indeſſen möchte ich doch rathen, gegen die For: 
derungen der Eßluſt in Krankheiten vorfihtig zu ſeyn; nicht felten 
führen fie irre, und befonders in der Periode der Befferung, wenn, 
nachdem die Höhe einer Krankheit uͤberwunden ift, alle Verrichtun⸗ 
gen des Körpers in das gehörige Verhältnig zuruͤckzutreten anfan⸗ 

gen, erzeugt uns das Gemeingefuͤhl ein Wohlbehagen, in welchem 


wir nicht erkennen, „wie ſchwach noch einzelne Verrichtungen find, 
So können wir leiht, wenn wir nicht, gehörig empfinden, was ber 


De Ze 2 Zu .r 


Magen zu v. vermag, ihm mehr zutrauen, als feine Kräfte 


ah 


br Wenn bie Eßluſt ober der Hunger gar nicht mehr mit dem 
Beduͤrfniſſe des Körpers im Verhältniß ſteht, fo ift diefes Mißver— 
haͤltniß ſelbſt als Krankheit zu betrachten. Die Aerzte unterſchei— 
den von ſolchem Erankhaften Hunger mehrere Arten, je nachdem 
er blos in der Quantität oder auch in der Qualität ſich irrt. Es 


kann uns bier nicht intereffiren, alle diefe Arten ducchzugehen, 


4 


E 
- 


Nur der Freßſucht oder derjenigen Krankheit will ich. erwähnen, 


- in welcher Menfhen, zur Stillung eines quälendes Gefühle, Din: 


ge verfhluden, die gar nicht verbaut werden fönnen, die vielmehr 


nur durch ihren mechanifchen Neiz einwirken, oder verdauliche Din⸗ 


Eu u 2 iR 


ge in folhen Maffen verzehren, daß fie mit dem, was verbaut were 
den Fann, gar nicht im Verhaͤltniß ſtehen. 


Die mebicinifchen Säriften erzählen viele Veiſpiele dieſer 
Kt, - Eins der berühmteften ift Jacob Kahle zu Wittenberg, den 
man, wegen feiner Virtwofität im Effen, Freß⸗Kahle nannte. Er 
verzehrte nicht nur eßbare Dinge in ungeheuern Quantitäten, 3.8. 
ein Mal acht Schod Pflaumen mit den Steinen, und ein anderes 
Mal einen Scheffel Kirfchen mit den Kernen, fondern er verfchlang 


auch ganz unverdaulihe Dinge: ald Glas, Portellan, Schiefer 
- amd Kiefelfteine. Er ſoll öfters mit den Speifen die irdenen 
Schuͤſſeln und Zeller, mit dem Kaffee die Taſſe verfhludt haben 


# 





N 


Ein Mal verfchlang er ein bleiernes Schreibzeug mit Dinte, Streus 
fand, Federn und Federmeffer. Hiernach bürfte man fich nicht 
wundern, daß er ein Mal zum Fruͤhſtuͤck ein Spanferkel mit Haut 
und Haaren vergehrte, und dennoch zum Mittagsmahl einen mit 


- telmäßigen Hammel mit dem Fell wählte. Matten, Mäufe, Eu- 


ln, Raupen und Heufchreden foll er öfter verzehrt haben. Einem 
durchreiſenden Pohlen hatte er den Dudelfad verfhlungen, und den 
Eigenthuͤmer ſo in Schrecken geſetzt, daß dieſer, um nicht ſelbſt ei— 


ne Beute von der ungewöhnlichen Gier zu werden , die Slucht ers 


griff. — Doch Sie bemerken wohl, daß diefe Erzählung gar zu 


R ſehr mit Fabeln untermiſcht ift, um ihr volftändigen Glauben bei: 


26 ? 


zumeffen. Indeſſen habe ich fie nicht unerwaͤhnt laſſen wollen, ba 
fie unter allen die befanntefte ift, und man fich bemühte, duch Abs 
hörung und Bereidigung der Zeugen von der Sicherheit der Anga- 
ben fich zu vergewiſſern. — Von einem andern Freſſer zu Ste 
feldt, mit Namen Kohlnicker, wird erzählt, daß er täglich meh: 
rere Pfund Steine verfhludt habe, daß er einst im ſteben Stunden 
2% Pfund Nindfleifh und 20 Maaß Wein, und ein anderes Mat 
17 Heringe und 17 Kannen Bier zu fi) genommen habe; ja, daß 
er für eine Reife nach Holland Steine mitgenommen habe, um an 
diefem nothwendigen Bedürfniß nicht Mangel zu leiden. Bei der 
Section fand man in der That mehr ald ein Pfund Steine im Ma: 
gen. Mehr beglaubigt ift die Steßgier eines franzöfifhen Boot$- 
Enechts Bazile, in deffen Magen man bei der Section ein Stüd 
Zonnenreif von 19 Zoll Länge, nebft 25 andern Stüden Holz, 
von 3 bis 8 Zoll Länge, einen hölzernen Löffel, 35 zinnerne 
Löffel, 2 Stüde von einem blechernen Trichter, ein ganzes Meffer, 
ein Stüd Glas, 2 eiferne große Nägel, ein Pfeifenfutteral nebft 
‚andern Dingen zugleich vorfand. Seine Gefährten erzählten, daß 
er häufig, vom Hunger gequält, Stüde Kalk aus den Mauern ges 
ziffen und verzehrt habe. — Ob bei folchen Menfchen in Folge von 
Eranthaften Umänderungen ein ähnliches Beduͤrfniß zur Verſchlu—⸗ 
dung fefter Körper entfteht, mie es bei Eörnerfreffenden Vögeln zur 
Zerreibung der feſten Körner normal ift, wollen wir nicht entfcheis 
den, * | 


6, 246. Um die gehörige Beſchaffenheit des Blutes zu er⸗ 
halten, muͤſſen wir nicht nur die gehoͤrige Menge von naͤhrenden 
Stoffen zu uns nehmen, ſondern wir beduͤrfen auch einer gewiſſen 


x 


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* Aft Iegen fi ungebilbete Menſchen wenn fie fich fonft durch Leine Eigen- 
ſchaften auszeichnen koͤnnen, auf dad Verſchlucken unverdauliher Dinge, 
So muß es auch bei Kahle gemwefen ſeyn, deſſen Geſchichte aus der Quelle 
kennen zu lernen ich Leider nicht Gelegenheit gehabt habe, Er erinnert an 

einen ameritanifchen Bootsknecht, ber, um. zu tenomiren, allmählig 36 Ta⸗ 
Ichenmefier verſchlang. Wunderbar ift ed oft, wie die Natur foldhe Angriffe 

überwindet, Die4 len Meffer waren ihm glüdlich abgegangen. Eine zweite 
Dofis von 14 Meffern machte ſchon mehr Beſchwerbe und bedeutendes Leiden. 
Die legte Portion von 18 Meijern brachte ihm aber ein höchft quaaloolles 
Krantenlager und den Tod. Wer in diefer Kunft fi) zeigen will, verſchlu— 

. te glatte Dinge, 3: B. abgerunbete Kiefel. Dieſe gehen faſt immer ab. 
Meier find ihlimmer, am ſchlimmſten aber fiechende Dinge, wie ſpitzige 
Glasſtuͤcke, Gabeln u. f. w. Eine Wahnfinnige hatte vor einigen Jahren 
ein Paar Gabeln verſchluckt, die aus dem. Nabel wieder hervorkamen, 


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— 46 — 


Quantitaͤt Fluͤſſigkeit. Iſt die Nahrung ſelbſt fluͤſſig, ſo iſt das 
Beduͤrfniß nach Getraͤnk gering. Indeſſen wird es bei den mei— 
ſten Menſchen doch nicht völlig unterdruͤkt. Wir nennen bas Be: 
duͤrfniß nach Getränt Durft, Diefer hat feinen Sig vorzüglich 
im Munde und im Schlundkopfe, weniger im Magen ſelbſt. Er 
wird zunaͤchſt hervorgerufen durch Trockenheit dieſer Theile, wenn 
ihre Blutgefäße nicht. genug Seuchtigkeit ausfondern, wovon uns 
das Nervenſyſtem in Kenntniß fegt. Jede vermehrte Ausfonderung 


. von Slüffigkeiten aus dem Blute vermehrt ben Durſt, ins Befondere 


aber die Ausdünftung durch die Haut. Es ſcheint dann wirklich, 
als ob nicht blos in dem Mangel an Flüffigkeit, fondern darin ber 
Durft begründet werde, daß die ausfondernde Thätigkeit , flatt 
nad) der aͤußern und innern Fläche des Körpers gleihmäßig zu wir= 
fen, blos nad außen gerichtet ift. Es ift befannt, daß, wenn 
die Wärme der Atmofphäre und ftarke Bewegung zugleich alle Aus» 
fonderung des Körpers nach, der aͤußern Oberfläche richten, nicht 


felten ein Durft entfteht, der duch häufiges Waffertrinten gar nicht 


gelöfht wird. Ueberhaupt ift es nicht blos die Befeuchtung, was 
der Durft verlangt. Wie der Hunger geftillt wird durch narkotiſche 
und wofferfloffreihe Dinge, fo wird dagegen der Durft vermindert, 
durch Slüffigkeiten, in welchen Säure vorwaltend ifl. Dele 3. B. 
löfchen den Durft gar nicht, fondern vermehren ihn nur. Wie 
wenig bie bloße Befeuchtung wirkt, lehrt das Beifpiel vieler Schiffe 
brüchigen, bie den quälenden Durft nicht durch Meerwaſſer ſtillen 
Eönnen. -Eine Bleikugel in den Mund genommen, wirkt mehr, 
als jenes zur Stillung des Durftes, Das orybirte Blei wirkt wie 
eine unvollkommene Säure. In diefer Hinficht ſteht der Durft dem 
Hunger gegenüber, Die Folgen des Durftes zeigen ſich noch, früs 
her als die Folgen des Hungers, und greifen den Körper gewaltiger 
an, befonders wirken fie unmistelbarer auf das Nervenfyftem, Ein 


beaͤngſtigendes Gefühl ergreift den Leidenden, die Seelenkräfte, die 


bei Dungernden bis zum legten Yugenblide ausharren, werden bald 
geftört, Die Phantafie wird zu einem Uebermaaß erregt, und das 
Leben endet in einer Art Raferei. Geben wir die Gefchichte der 
Schiffbruͤche durch, fo finden wir joiel größere Ausfhweifungen in 


‚ben Fällen, wo es der Mannfhaft an Waffer gebrach, als in bew 


Fällen einer bloßen Hungersnoth, Mit Schauder erinnert man 
ſich nody an die Erzählung vom Schiffbruch der Medufa, die vor 


einigen Jahren in der Nähe ber afrikanifchen Küfte ftrandete. 150 
Mann wurden auf ein Floß gefegt; unter diefen brach bald 'eine 
ſolche Raſerei aus, daß ſie ſich ohne allen Zweck gegenſeitig morde⸗ 
ten oder uͤber Bord warfen. Einige traͤumten im Wahnſi inn nach 
Verlauf von wenigen Tagen in ihren Hangemutten zu liegen. An: 
dere fahen um fih ein gluͤckliches Eden mit den a— ri | 
men prangend, 


$. 247.. Der Menfh nimmt feine Nahrung BE orga= 
‚nifchen Natur. Die Ausnahmen von diefer allgemeinen Regel find 
hoͤchſt felten. So erzählt Humboldt, daß ein Volk in Suͤd⸗Ame⸗ 
rika, die Ottomaken, Monate hindurch ihren Hunger mit einer fet— 
ten Erde flillen. . La Billardiere fah, daß die Bewohner von 
Neu» Caledonien in Zeiten von Hungersnoth einen geünlichen 
Speckſtein verzehren. Gewiß muß in diefen Erden ein Stoff ent- 
halten feyn, der fih in die Maffe des Blutes umwandeln läßt, 
Das Waffer, womit fi) hyfterifche Srauenzimmer nach den früher 
erzählten VBeifpielen ($. 244.) das Leben friſteten, zählen wir 
nicht zu den unorganifchen Subftanzen, da es vielmehr die chemi: 
fche Grundlage aller ——— Koͤrper iſt, und BERN. in If e umge⸗ 
wandelt wird. 


Die organiſchen Kr fi ind nun entweder animaliſch oder 
vegetabiliſch. Für beide Klaſſen iſt der Menſch gleichmaͤßig organi⸗ 
ſirt. Vergleichen wir naͤmlich den Bau der pflanzenfreſſenden 
Thiere mit dem Bau der Fleiſchfreſſer, ſo finden wir, daß die An— 
ordnung der menſchlichen Verdauungsorgane zwiſchen beiden in der 
Mitte ſteht Seine Zaͤhne ſind von doppelter Art; die Echaͤhne 
ſpitz, wie in Raubthieren, die Backenzaͤhne mit ſtumpfen Kronen 
verſehn, wie in Pflanzenfreſſern. Daß die Bewegung der Kiefern 
im Menſchen ale Arten der Bewegung, die in den Übrigen Saͤuge⸗ 
thieren einzeln vorkommen, in ſich vereint, haben wir fhon ($. 
220.) gefehen. Der Magen ift nicht fo duͤnnwandig wie in Fleiſch⸗ 
freffern, und nicht fo dickwandig, wie in Pflanzenfteffen. Der 
Darm ift weder fo lang, als in den erftern, noch fo kurz, als in 
den letztern. Der weite Darm iſt in den Fleiſchfteſſern ſehr kurz, 
und vom engen Darm wenig unterſchieden. In den Pflanzenfref- 
fern ift er um fo länger, jemehr fie blos von Vegetabilien leben. 


4 
J 
1 


* 


ET WAL EWR 


- 


Dar weite Darm bes Menſchen bat in biefer Hinficht eine mittlere 


Länge, Des Blinddarm fehlt den Raubthieren entweder ganz, ober, 
was man fo nennt, iſt nichts, ald dag vorragende Ende bes weiten 
Dormes, In den Pflanzenfreffern ift er groß, und durch feine eis 
genthämliche Struktur von dem übrigen weiten Darme unterfchies 
den, Im Menfchen ift außer dem vorragenden Ende des Grimme 
darmes jener murmförmige Fortfag, ben man für eine Verkuͤmme⸗ 
rung bes Blinddarmes der Pflanzenfreffer halten Fan. — So iſt 
der Menfh von der Natur auf Nahrung aus beiden organischen 
Reihen angewiefen, und man kann kaum ſagen, welche ihm im 
Allgemeinen zuträglicher fey. Es giebt ganze Völker, namentlich 
nad) den Polen zu, welche blos von thierifcher Koſt leben, Eine 
Menge Menfchen dagegen naͤhrt ſich, vorzüglich in wärmeren Klis 
maten, von vegetabilifcher Koft. Dennoch findet man nit, dap 
die chemifche Befchaffenheit ihrer Körper merklich. verſchieden wäre 
Der Verdauungs- und Ernährungsproceh muß alfo ans heterogenen. 
Dingen denfelden Stoff bereiten, —- Indem der Verdauungsgppas 
rat des Menfchen zwifchen denen der Phytophagen und der Zoophas 
gen im der Mitte ſteht, kann er aber weder nach der einen, noch 


nach der andern Richtung fo Eräftig wirken, als dieſe. Die Muss 


kelkraft des verbauenden Kanals und die chemifche Befchaffenheit der 
verbauenden Säfte vermögen weder, wie in Naubthieren, Knochen 
und Sehnen aufzulößen, noch, wie in den Wiederkaͤuern, Gras und 
andere feftere grüne Pflanzentheile zu verdauen, Der Menſch muf 
diefe Unvolllommenheiten durch feine geiſtigen Fähigkeiten erfegem 
Die Kunft des Koches ift weſentlich eine vorläufige, außerhalb des 
Körpers vorgenommiene Verdauung. Dich das Feuer, es mag 
mit oder ohne Waffer einwirken ‚wird die chemifche Befchaffenheit 


der Nahrungsmittel zerftört und verdaulicher gemaht. Die Natur 


ſelbſt muß dieſe Vorbereitung. erheifchen, weil alle Völker fie üben, 


wenn fie nicht etwa. von fäftigen Früchten Ieben. Obgleich ‘der 
Ä Körper auf vegetabilifche und animalifche Nahrung zugleich angewie⸗ 


fen ift, for ift ihm doch nad) befonderer Bildung oder äußern Vers 
hältniffen bald die eine, bald die andere mehr erfprießlich, Im 


- Ganzen ift wohl die animalifche Koft nährender. So erfegt fie 


ſchneller den Verluſt durch anbaltendes Faften, Bei flarker Vers 
dauungskraft giebt jedoch auch die vegetabiliſche Koft hinlängliche 
Nahrung. . 


— 8 — 


* 


6. 248: Die. Nahrungsmittel müffen in 3facher 


Hinficht betrachtet werden, in fofern fie —— leicht Rn 
und veizend find. | stm 
Eine Suffanz ift um fo Bi nährend , jemehr fie von ben 
chemifchen Stoffen des Körpers enthält, oder diefen wenigftens na: 
he verwandt iſt. Darum find nur die organiſchen Stoffe nährend, 
und vorzüglich der Eymeißfloff. Der Körperivermag zwar fi Stof- 
fe zu bereiten, die nicht urfprünglich in den Nahrungsmitteln ent> 
halten waren, aber das Maaß dieſer Kraft ift. oft befchränkt, und 
28 ift ihm daher erfprießlicher, wenn er den Stoff mehr oder weni- 
ger vorbereitet findet. So erzeugen zwar die Wiederfäuer aus einer 
Nahrung, die gar keinen Stickſtoff enthält, eine große Quantität 
deffelben für den Aufbau ihres Körpers. Die Raubthiere haben 
dieſelbe Fähigkeit, jedoch in viel geringerem Maaße, weil fie nad) 
ihrer ganzem Organifation auf Nahrung angemwiefen find, die reich 
an Stieftoff if. Man hat Hunden eine Zeit lang nur Nahrung 
gereicht, die Feinen Stickſtoff enthält, ais Buder und Butter, Sie 
magerten fehr. ab, und flarben endlih nach 3 bis 4 Wochen, In 
wie weit dem menſchlichen Körper die Fähigkeit, feine chemifchen Be: 
ftandtheile ſich ſelbſt zu bereiten, beigegeben ift, laͤßt fich durch 
Verſuche nicht ermitteln; doch lehrt die tägliche Erfahrung, daß er 
befjer gedeiht, wenn feine Nahrungsmittel feinem Körper gleich oder 
ähnlich find. Man kann daher annehmen, daß ſolche Stöffe ent- 
weder unmittelbar iR mit ‚gernge: Veränderung in * — 


Ein Nahrungsmittel — leicht zerſetzbar ſeyn, um durch die 
Verdauung umgewandelt werden zu koͤnnen. Es kommt alſo nicht 
blos die Quantität des naͤhrenden Stoffes, ſondern auch die Ver—⸗ 
daulihkeit in Betracht. So find. Sehnen, ‚Knorpel und Knochen 


ſehr nährend, da ihr Hauptbeftandtheil Gallert iſt. Aber fie wi- 


derſtehen, vermöge ihres feften Gewebes, der Verdauungskraft. 
Bermag die Kunft ihre Confiftenz zu zerſtoͤren, wie in den gewähls 
ten Beifpielen durch den Papinianifchen Topf, fo find fie fehr zu= 
träglih. Man fieht hieraus leicht, daß es ein eitled Beginnen ift, 
den Werth der Nahrungsmittel blos nach dem Verhältniffe der che- 


miſchen Beftandtheile beftimmen: zu wollen. Hiezu kommt nod, 


daß für den einen Menfchen etwas unverdaulich iſt, was ber ſtaͤrke— 


/ 


— 409 — 


re Magen des Andern verbaut; Es giebt wiſſenſchaftliche Arbeiten, 


worin berechnet wird, wie viel Gallert, Eyweißſtoff w. ſ. w. in ei: 


| nem Körper vorkommt, wie viel er alfo nährende Theile enthalte, 


Diefe chemifhen Zarationen haben gar keinen Werth. Um nur bei 
bem Eymweiß ſtehen zu bleiben, fo kommt fehr viel daraufan, in 
welcher Form es da ifl, Iſt es in ganz flüffiger Auflöfung, fo 


: wird es leicht verdaut „-ift es feſter geronnen, fo geht die Verdaus 


ung viel ſchwerer, und iſt ed ganz hart, fo wirken die Berdauungr 
ſaͤfte fo-langfam ‚ein, daß man wohl beider aueh: Angie yon 
im Magen verhungern koͤnnte. ' 


Endlich müffen auch, die Nahrungsmittel durch ihren Di 
auf, die Verdauungsorgane einwirken, um dieſe zur Thaͤtigkeit zu 
erregen. So iſt Fett ſehr naͤhrend, aber wenig reizend, und giebt 
daher fuͤr ſich allein eine ſchlechte Nahrung; eben ſo die vegetabili⸗ 
ſche Staͤrke. Man kann faſt behaupten, daß die Nahrungsmittel 
um ſo weniger reizen, je naͤhrender ſie ſind. Es ſind naͤmlich die— 
jenigen Stoffe am meiſten reizend, bei denen in ihrer Miſchung ein 

der mehrere Stoffe ſtark vorherrſchen. Dinge, in denen der Waſ⸗ 
ferftoff, Stickſtoff oder Sauerſtoff in vorzuͤglicher Menge vorherr⸗ 
um ift, wirken natuͤrlich ſtaͤtker auf unfern Körper, als folche, 

ie ihm durch gleichmäßige Vertheilung der Stoffe mehr aͤhnlich find. 
Iſt die Fähigkeit zu reizen ſehr groß, fo nimmt der Organismus 
etwas ihm fo Fremdes gar nicht mehr auf, oder er ſucht es auf dem 
nähften Wege durch Harn- und Lungenausbünftung fortzufchaffen. 
Solche Dinge heißen, in. fofern wir, fie bei unſern Speifen gebraus. 
hen, Gewürze. Sie dienen nur die Verdauungskraft ſtaͤrker 
gegen die wahren Nahrungsmittel aufzuregen, 


Die nährenden Stoffe aus dem Thierreiche find: Gallert, 
Eyweißſtoff, Osmazom, Fett und Saferftoff. Der letztere iſt für 


ſich am ſchwerſten verdaufich, aber wohl in Verbindung mit andern 


Stoffen. Die nährenden Stoffe aus dem Pflanzenreiche find: 
Gummi, Zucker, fettes Del, Stärkmehl, Pflanzen» Eyweißitoff 
und Kleber, Die erftern Stoffe find Leicht verdaulich, die letztern 
ſchwerer. 


Die Getränke kann man fluͤſſige Nahrungsmittel nennen, 


fie verlieren eben fo wie die feften Nahrungsmittel um fo mehr 


— 410 u 


die Fähigkeit zu ernähren, je ſtaͤrker fie veizem So Können 
Rum und Weingeift nicht mehr zu den Nahrungsmitteln gezählt 
werden, wenn vom unmittelbaren Ernähren die Nede if. Der 
Mein fteht gernbennf der Gränge, fo daß er zu gleicher * Rom 
und BAR: = | 

a 249. &ı erwarten vieleicht, baß ich bei kat gen ‚ 
ſtande, der täglich, ja faft ftündlih, Einfluß auf unſre Gefund- 
heit hat, Regeln für die Aufnahme von Nahrung‘ und Getränten 
gebe. Diefem Wunfche möchte ich gern genuͤgen; allein Sie fe: 
hen fchon aus dem Vorhergehenden, daß bei ber Mannigfaltigkeit 
der zu beruͤckſichtigenden Verhältniffe einige fcharf beftimmte Regeln 
wenig fruchten Eönnen. Mill ich aber die Verſchiedenheit der Nah⸗ 
rungsmittel nach allen ihren Qualitaͤten, und dann ihre Zutraͤg⸗ 
lichkeit im Verhaͤltniß zu den verſchiedenen Organiſationen und den 
Einfläffen der übrigen Lebensart gehörig erwägen, fo koͤnnte ein 
ſtarkes Werk daraus werden, aus welchem Sie dennoch keineswe⸗ 
ges gruͤndliche Belehrung ſchoͤpfen wuͤrden. Der gegenſeitige Ein⸗ 
fluß aller einwirkenden Berhältniffe ift fo mannichfach, daß ein 
Maaß und Gewicht ſich nirgends geben laͤßt. Es iſt Sache des 
Arztes dieſes aus jedem vorkommenden Falle zu berechnen, wobei 
er, wenn in Krankheitsfaͤllen die genaue Beſtimmung wichtig iſt, 
Erfahrung, Scharfſinn und Gelehrſamkeit in gleichem Maaße ans 
wenden kann. Gerade in dieſer Hinſicht kann ſich der große Arzt 
vor dem Pfaſcher zeigen. — Wir aber wollen der Weisheit und 
Guͤte des Schoͤpfers danken, daß er durch wunderbare Einrichtun⸗ 
gen unſers Koͤrpers, die die meiſten Menſchen gar nicht bebenfen, 
uns vor Schaden ficherte, und uns in den Stand feste, das Hinz 
zutreten ärztlicher Hülfe zu vermeiden. Sch meine vor allen Dins 
gen die Fähigkeit des Körpers, ſich in den einzelnen Verrichtungen 
dem Bedürffniffe anzupaffen: Wir haben ſchon gehört, daß die 
verdauenden Säfte fih nach Beſchaffenheit der. aufgenommenen Nah» 
rung modificiven ($..233.), daß die Contractionen des Magens 
von den auf fie wirkenden Reizen abhängig find, daß der Erguß der 
Galle ſich nach dem Beduͤrfniß derſelben verändert, daß von der ein: 
genommenen Speife, wenn fie mehr betrug, als der Körper forders 
te, lange nicht alle ernährenden Theile aufgenommen werden. In 
der That, bedenken Sie, wie ſchrecklich es wäre, wenn ber Körper 


i Ka 411 — 


h\ einer Meſchine zliche, deren einzelne Theile gteichmäßig von einer 





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erregenden Kraft in Thaͤtigkeit geſetzt wuͤrden. Die Spannung 
der Uhrfeder wirkt durch das ganze Raͤderwerk gleichmäßig fort, um 
das Nefultat, die Bewegung der Zeiger, hervorzubringen, Semehe 
bie Spannung der Feder erhöht wird, um fo mehr waͤchſt auch in 
bemfelben Maaße das Nefultat. Jedo Veränderung in dem erregenden 
Moment pflanztfich alfo unverändert fort bis zu dem letzten Zwecke. — 

° Wie beuntuhigend würde es für ung feyn, wenn das Verdauungsges 
ſchaͤft unfers Körpers auf ähnlichen Verhältniffen beruhte, wenn die 
kleinſte Abweichung von einem fehatf begrenzten Maaß das Refuls 
tat der Verdauung änderte. Mit chemifchen Probiermitteln und 
den feinften Waagen in der Hand müßten wir die Biffen unter 
ſuchen und abwägen. Gluͤcklicher Weife ift der Körper Feine todte 
Mafchine, und die Zwiſchenglieder vom erſten Anfange einer Ver— 
richtung bis zu ihrem Nefultat wirken immer umaͤndernd ein, und 


= zwar, fo lange die Gefundheit in voller Kraft befteht, fo umändernd, 


dag bei verſchiedener aͤußerer Aufregung das Reſultat doch wenig 
verſchieden iſt. Um dieſes zu erreichen, mußte freilich der me 
hanismus * Koͤrpers fo complicirt werden, wie er iſt. 


| —* wollen wir dankbar erfennen, daß uns in dem Gefuͤht 
vom eignen Koͤrperzuſtande ein aufmerkſamer Arzt beigegeben iſt, 
ber uns nie verlaͤßt, der es uns ſagt, wenn wir einen Fehler bes 


gangen haben. Es kommt nur darauf an, daß wir uns uͤben, 


* 
J 





dieſen Arzt zu befragen. Verachten Sie feine Rathſchlaͤge ja nicht, 
wenn Beweiſe eingetretener Verdauungsſchwaͤche zut Aufmerkſam⸗ 
keit aufregen! Bei völliger Geſundheit rathe ich, nicht zu aͤngſt⸗ 
AUch zu ſeyn, und ſich auf diefe zu verfaffen. In der That ift das 
alte Sprühmwort: dem Gefunden ift alles gefund, nur zur Härfte 
albern, und kann nur dem Thoren gefährlich werden. Es iſt ein 
Gluͤck, dag gefunde Menfchen eben nicht fehr zu großer Vorficht in der 
Diät geneigt find, Sind aber Beweife von Verdauungsſchwaͤche da, 
dann fage ich, lerne man den eignen Körperzuftand über das, was 
heilfam wirkt, befragen. Wenn wir nad) der Mahlzeit, einen uns’ 


, angenehmen Drud in der Magengegend, Beſchwerde im Athmen, 


große Ermüdung, Unluft oder Benommenheit des Kopfes, viel 


J leicht gar Kopfſchmerz empfinden, ſo haben wir zu viel oder etwas 


Unpaſſendes gegeſſen. Schlafloſe Naͤchte, mangelnde Munterkeit 


I) 


— 412 — 


am andern Tage find oft Folgen einer ungeregelten Abendmahlzeit. 
Bei gehoͤriger Aufmerkfamkeit findet man bald, was dem Körper 
nicht zufagt, und zwei Perſonen werden faſt nie eine völlige Webers 
einſtimmung hierin erkennen. Will nun eine geregeltere Diaͤt den⸗ 
ve 5* ſo iſt es Zeit, den Arzt zu rufen. 


+ 249. Da für jedes Indibiduum die erſprießliche Diät 
verfchieben ift, fo kann man nur wenig allgemein Gültiges fagen. 
Indeſſen mwill ich doch einige allgemeine Lehren ‚geben, die freilich) 
ſo einfach find, daß fie Jedermann Eennt, aber weil fie von vielen 
Menfchen nicht geübt werden, » ift es * ganz uͤberſſgs ſie 
oft zu wiederholen. EL 


Das Hauptgefeg bleibt immer: man richte feine Diät ein, 


wie die Natur es zu fordern fcheint! Es ift nur ſchlimm, daß 


nicht alle Menſchen die Natur zu befragen verfichen, und bestes 
gen das Hauptgefeg für fie erläutert: werden muß. Sie werben aber 


‚finden, daß alle Regeln, die ich anzugeben im Begriffe bin, fi 


auf diefes Gefeg zurüudführen laffen. Oft glaubt man auch ganz 
auf dem Wege der Natur zu feyn, wenn man aus Unkunde auf 


ſchlimmen Abwegen fich befindet. . So wäre es ein großer Irrthum, 


wenn man ungekochte Speifen für. beffer halten wollte, weil die 
Natur fie unmittelbar liefert. Sn England bildete fic vor mehreren 


- Sahren eine Geſellſchaft, welche wie die Braminen nur von Fruͤch⸗ 


ten leben wollte. Schade nur, daß ſi ie SERIEN nicht nach Indien 
verſetzen konnten. 


Auf die Frage, wann und wie oft man eſſen ſoll? laͤßt ſich Eei- 
ne andere Antwort geben, als: fo oft fich der Hunger einflellt. Da 
aber eine genaue Befolgung diefer Negel alle unfere geſellſchaftlichen 
Verhältniffe zerftören würde, fo effe man nad der im Lande einge- 


führten Sitte, und zwar nur fo viel, daß man beim Eintritt der 


naͤchſten Mahlzeit neue Eßluſt verfpärt. — Am wichtigften iſt die 
Quantität der Speifen. In diefer Hinfiht wird am. meiſten ge 
fündigt, und man kann ohne Uebertreibung behaupten, daß bie 
meiften Menfchen zu viel effen. Was Über den Bedarf des Körpers 
ift, „das bleibt in geringem Grade unnüs, in höherem. wird. es 
ſchaͤdlich. Man bedenke immer, daß nicht, was gegefjen wird, 


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— — 413 —“ 


ſondern blos, was wirklich verdaut wird, dem Koͤrper nuͤtzt. Da 


aber das Beduͤrfniß nach der Koͤrperbeſchaffenheit und der Lebensart 


ſehr verſchieden iſt, ſo laſſe man die goldne Regel gelten, nie bis 


zur vollſtaͤndigen Sättigung, die immer ein Anfang von Ueberſaͤt— 
tigung ift, zu effen. Durch das Zuvieleffen wird häufig in ber 

Kindheit fhon das Gefühl für das. gehötige Maaß zerftört. Eine 
firenge Mäßigkeit kann wieder dahin zurückführen. Es ift eine 
große Thorheit, ſchwaͤchliche Perfonen dadurch frärfen zu wollen, 
daß man fie zum Effen nöthigt. In den Magen kann man wohl 
mehr hineinzwängen, als er verlangt; aber die Mitchgefäße kann 
man nicht zwingen, mehr aufzunehmen, als fie aufzunehmen ges 
neigt find. — Wie fol man effen? Man effe vor allen Dingen 
langfam, und Faue gut! Das Kauen iſt eine Vorarbeit ber Ver: 
dauung. Deswegen haben wir fchon Pflege der Zähne ernfllich an 


gerathen ($. 219.). Durch das langfame Effen wird der Biffen 


mit dem Speichel und mit Luft, deren Einfluß. wir vielleicht noch 
nicht gehörig zu würdigen wiſſen, ‚deffer gemifht. Den Haupsvor> 
theil des langfamen Effens glaube ich mit Wilfon Philipp darin 


zu finden, daß der vorräthige Magenfaft, von dem doc wohl ur: 


ſpruͤnglich das Gefühl des Hungers veranlaßt wird, fich beffer mit 


der allmählig antommenden Speife vermifcht, und daher die Eßluſt 
uns mit mehr Sicherheit das gehörige Maaf angiebt. Wer in Eis 
le große Biffen hinunterfchlingt, fühlt nicht die allmählige Abnah- 
me des Hungers, fondern eine plögliche Ueberfättigung. Der Mas 


genſaft kann nicht fogleich die größern Maffen durchdringen. Er 


wirft noch auf die Wand des Magens, umd ift doch vielleicht fchon 
nicht mehr hinlänglich für die Verdauung der genoffenen Speife, 
Iſt er endlich eingedrungen, fo fühlt man die Ueberfättigung. Man 
eſſe ferner, fo viel möglih, im heiterer forgenlofer Stimmung. 
Der edelfte Theil unfers Körpers, das Hirn, durch welches wir 
uns fo hoch über die Thierwelt erheben, ift mit dem Magen, der 
uns an die Thierwelt gefefjelt Hält, wunderbar eng in Hinficht des 
Wohlbefindens verfnäpft. In einem geſchaͤtzten Buche wird das 
Lachen als eins der größten Verdauungsmittel gerühmt. Wer es 


‚alfo kann, "dee lache zwifchen jeder Schuffel! Doc ernſthaft ges 


ſprochen, es ift phyfiologifch fehe merkwürdig, daß in fröhlicher 
Geſellſchaft unfre Verdauungskraͤfte viel ftärfer find, als ohne dies 
fe Mancher Schlemmer würde der Quantität von Speifen bald 


— 414 — — 
erliegen, wenn er fie allein verzehren ſollte, ſtatt fie in großen Cir—⸗ 
keln einzunehmen. Wann man trinken foll, ob vor, während 
oder nach der Mahlzeit, iſt mannigfach entfchieden worden, Es, 
Scheint doc), daß das Trinken gegen Ende der Mahlzeit dert meis 
ſten Menſchen am zuträglichften if, Ich kenne wenigſtens Perſo— 
nen, bei denen ſich nicht unbedeutende Verdauungs-Beſchwerden 
- verloren, als fie ſich gewöhnten, bei Beendigung der Mahlzeit zu 
trinken, ſtatt die Mahlzeit damit zu eröffnen, wie es ihre frühere 
Sitte war, Nach der Mahlzeit fol man Feine anftrengende Arbeit, 
am wenigften Geiftesarbeiten vornehmen; denn die Kräfte müffen, 
wenigſtens ſo lange der Magen ſeinen Inhalt noch nicht groͤßten⸗ 
theils verſendet hat, für die Verdauung verwendet werden; nach 
der Körperbefchaffenheit ein bis zwei Stunden lang. Wer eine 
flarke Verdauung hat, mag immerhin nad einem alten lateinifchen 
Spruche: ftehen oder taufend Schritte gehen; bei fchwächerer Vere 
dauung wird größere Ruhe nüslich fern, befonders wenn man die 
Ruhe fo einzurichten weiß, daß man Andrang des Blutes nach dem 
Kopfe vermeidet. Doc ich fehe ſchon, daß ich zu tief in das aͤrzt⸗ 
liche Gebiet hinein mich verliere, und will nur gleich hinzufügen, 
daß man Furz vor und kurz nah. der Mahlzeit nicht Tabak rauchen 
fol, weil dadurch die Erregbarkeit der Magennerven verringert 
wird, welche zus gehörigen Verdauung erfordert wird, 


Sie wollen auch wiffen, was Sie effen follen. Sch berufe 
mich auf das früher Geſagte: was Ihnen wohl befommt, > Im ber 
That ift für den Gefunden die Küdficht auf die gehörige Qualität 
der Nahrung weniger wichtig, als die Ruͤckſicht auf die Quantität, 
Aber, werden Sie meinen, die Phyſiologie wird doch fagen Eön- 
nen, welche Speifen am verbaulichften find. Das kann fie jedoch 
nur feht unvollftändig. Der Einfluß. der Speifen auf Franke Men: 
ſchen ift freilich fehr auffallend, und der Arzt fucht ihn Eennen zu 
fernen, findet jedoch, daß er nach der WVerfchiedenheit der Krank: - 
heiten ſehr verfehieden ift. Davon ein Wort nachher. Ueber die 
Beit, welche ein gefunder Magen braucht, um die verfchiedenen 
Speifen zu verdauen, Eönnen verhältnifmäßig zu der Wichtigkeit 
des Gegenftandes wenig. fichere Beobachtungen gefammelt werden, 
weil das Gefühl dem Gefunden wenig daruͤber fagt, und weil man 
die Menfchen nicht nach dem Genuſſe verfehiedener Nahrung und 


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— 

— 

* * 


| — — 415 —— 
‚in verſchiedener Zeit nach Einnahme berfelben öffnen kann Sa, 
fuͤr Hunde und Kaninchen kann die Phyfiologie einen vollftändigen 
Coder der Diät geben. Don den erfteren z. B. wurde eine große 
Menge von einem Phyſi iologen geoͤffnet, nachdem er ihnen die 
mannigfachſte Nahrung vorgefetzt, und ſie eine, zwei und mehr 
Stunden nach dem Freſſen getoͤdtet hatte. Es war die Nahrung 
ſorgfaͤltig gewogen, und der Reſt, den mar im Magen fand, mwurs 
de wieder gewogen, Daraus ergab fich eine vollſtaͤndige Reihe von 
Reſultaten. Es zeigte ſich das rohe Fleiſch verdaulicher, als ge— 
kochtes, dieſes verdaulicher, als gebratenes. Schweinefleiſch wurde 
ſchneller verbaut, als jedes andere, und das Kalbfleiſch am lang- 
- famften. Fett wurde gut verbaut, rohe Kartoffeln aber ſchlecht; 
auch Knochen und Knorpel, wenn fie-nicht zu groß waren, hatten 
nad) mehreren Stunden bedeutend an Gemicht verloren, Leider find 
das aber nur Beiträge zur Hundediät, die ſich keinesweges auf den 
Menfchen anwenden läft. Davon mag uns Herr Goffe, ein 
> Sranzofe, überzeugen, der die Fähigkeit hatte, fich willkuͤhrlich zu 
erbrechen, indem er Luft in den Magen ſchluckte. Das unfaubere 
Talent benuste ex zu einer Reihe von Verfuchen über die Verdau— 
lichkeit der Speifen, die wenigftens für feinen Magen Gültigkeit 
hatten. Er gab das Genoffene in verfchiedenen Zeiträumen, von 
einer halben Stunde bis auf viele Stunden, von fih, und fand, 
daß es nad) einer halben Stunde in feiner Befchaffenheit und feinem 
Gewichte wenig verändert war, Nach einer Stunde fanden ſich die 
meiſten Speiſen in einen Brei umgewandelt, und hatten durch den 
beigemiſchten Magenſaft an Gewicht gewonnen. Der Geſchmack 
war unveraͤndert. Nach zwei Stunden betrug das Ausgebrochene 
nur die Haͤlfte des Genoſſenen. Das Ergebniß ſeiner Verſuche, in 
Hinſicht der Verdaulichkeit, theilen wir ſummariſch mit. 


Leicht verdaulich fand er folgende Speiſen, welche in einer 
- oder anderthalb Stunden fchon in Speifebrei verwandelt waren. Aus 
dem Thieveeicher junges Geflügel, als Hühner, Tauben, junges 
Kalb» und Hammelfleifch; weich gefottene Hühnereyer; Kuhmilch; 
Fiſche, in Waffer gekocht und wenig gefalzen, wurden leichter: ver 
daut, als gebrätene oder mit Del oder Weinbrühe zubereitete, Aus 
dem Pflanzenreihe: Spinat, Sellerie, Spargel und ähnliche Ges 
muͤſe, gekochte Aepfel, befonders wenn Zucker und Zimmt hinzu: 


— 4116 — | 
T 

kommt; friſches Kernobſt nur dann, wenn das Fleiſch ſehr zart iſt; 
gekochter Reiß und Graupen; Brod, das wenigſtens einen Tag 
alt iſt, am beſten ohne Butter (ſchwarzes Brod war ſchwerer ver⸗ 
daulich als weißes); endlich Ruͤben und Kartoffeln. — Weniger 
verdaulich waren: Schweinefleiſch, Eyerkuchen, uͤberhaupt hart ge⸗ 
kochtes Eygelb und gekochtes Blut. Aus dem Pflanzenreiche: vos 
he Kraͤuter, die als Salat gegeſſen werden, als Laktuk, Kreſſe 
2. f. w.;5 bie Miſchung von Del und Weineſſig erſchwert die Der: 
dauung dieſer Kräuter noch, aber Pfeffer und Salz befördern fies 
Braunkohl ift leichter zu verdauen als Weißkohl, und Überall die 
Blattfubftanz leichter ald die Adern; Zwiebeln, Nettig, rothe Nü: - 
ben, das Fleiſch von groben Obftarten, frifch gebadenes und war: 
mes Brod, Backwerk, befonders folches, wozu viel Butter und 
. Fett genommen wird, Weberhaupt hindert das Braten in Butter, 
Del und Fett die Verdauung. — Bu den unverbaulichen Speifen zählt 
unfer Erperimentator diejenigen, welche nur fehr langfam und mit gro- 
ßem Kraftaufiwande oder gar nicht von feinem Magen aufgelößt 
wurden. Dahin gehören aus dem Thierreiche: hart gefochtes Ey: 
- weiß, das Fett und die Sehnen nebft den Knochen der Thiere, 
Aus dem Pflanzenreihe: Schmwämme, Morheln und Zrüffeln, 
ölige Fruchtkerne, als Nüffe und Mandeln, fo wie das ausgepreß: 
te Del derfelben und der Dliven, die Schaalen der mehliaen Fruͤch⸗ 
te, des Öetreides, der Erbſen, Bohnen, Linfen nebſt den Hülfen 
( vulgo: Schoten) der legtern; die Äußere Haut von Stein= und 
Kernobft, das innere Sehäufe des Kernobftes, 


Das Gewürze wi veizende Getränke im geringen Quantitaͤ⸗ 
ten bie Verdauung befördern, wurde beflätigt, Auch Buder und 
alter Kafe zeigte denfelben Nutzen. ! 


‚ Obgleich diefe Nefultate nur von Einem Magen gegeben find, 
und auch diefer kaum ganz gefund feyn Eonnte, da er folchen Erpe: 
rimenten unterworfen wurde, fo dürften fie doch als ziemlich allge⸗ 
mein guͤltig angenommen werden koͤnnen. Sie ſind aber gewiß 
nicht fuͤr jede krankhafte Verdauung paſſend. Bei Verdauungs- 
ſchwaͤche kommt es überhaupt nicht blos auf die ſchnellere oder lang⸗ 
ſamere Verdauung an, ſondern auch die uͤbrige Einwirkung auf den 
Körper iſt zu beruͤckſichtigen. So laſſen die Aerzte manche ſehr ver: 

dauli⸗ 


dauliche Nahrungsmittel vermeiden, welche leicht Fieberbewegun⸗ 
gen hervorbringen, wie etwa weich gefottene Eyer, und rathen lies 
ber zu Speiſen, die reich an Gallert und Pflanzenſchleim ſind, 
weil ſie dieſe Nebenwirkung nicht haben. Um jedoch auch fuͤr Ver⸗ 
dauungsſchwaͤche ſo viel moͤglich einen diaͤtetiſchen Rath zu geben, 
will ich einen engliſchen Arzt, Wilſon Philipp, ſprechen 
laſſen, den ſeine Kunſtgenoſſen fuͤr den genaueſten Beobachter der 
Verdauungsbeſchwerden halten. Er hat mehrere Jahre feines Le 
bens der Unterfuchung des Verbauungsgefhäftes gewidmet, und es 
bei Menfchen als Arzt, bei Zhieren als Erperimentator kennen ges 
lernt. Sie werden: einigen Unterſchied zwiſchen diefen Angaben 
und denen bes Sranzofen bemerken, wiewohl in den wefentlichften 
Punkten doch Webereinftimmung zu erkennen iſt. „Zähe, Täuetlis - 
che und fette Nahrungsmittel, nebft verhältnigmäßig vieler Fluͤſſig⸗ 
feit find am fchwerften verdaulih. Es wird einleuchten, daß ein 
ſchwacher Magenfaft, wie wir hier einen ſolchen anzunehmen has 
ben, eine große Verdünnung nicht vertrage, ohne fehr an Wirk: 
famkeit zu verlieren. Die diefer entgegengefegte Lebensordnung ift 
daher die pafjendfte für Verdauungsſchwaͤche. Im erfien Zeitraume 
der Berdauungsfhmwäche iſt eine aus ziemlich: viel thierifcher ng 
—* —— Brod beſtehende Diät die beſte.“ 


Shalen, die rich an thieriſcher Gallert * an Pflanzen⸗ 
ſhiein find, ſcheinen unſerem Gewaͤhrsmanne nicht ſehr leicht vers 
daulich, beſonders die letztern, weil ſie, wie man im gemeinen 
Leben ſagt, ſtopfen. Nur wegen ihrer geringen Geneigtheit zu 
Fieberbewegungen findet er fie raͤthlich. Eyer, jedoch nur weich ges 
ſotten und in geringer Quantitaͤt, ſind anzurathen, wenn nicht Fie⸗ 
| berbewegungen es verbieten. 

Woher es ruͤhre, baß Hammelfleiſch fie die meiften Magen 
h; * * leichter zu verdauen ſey, als Rindfleiſch, ließe ſich ſchwer 
angeben. Die meiſten Arten Wildpret find leicht verdaulich. Kir 
ſche werden meiſtens, abgeſehen von der ſchwer verdaulichen Bruͤ⸗ 
he, mit der man fie ißt, minder leicht verdaut als das Fleiſch von 
Landthieren; und da fie Zugleich weniger naͤhren, fo find fie in bein 
den Ruͤckſichten weniger zur Speiſe für Verdauungsſchwaͤche geeig- 
net, obſchon ſie von den meiſten Arten (wohl im Gegenſatz zu dem 


27 


— rn 418 u 


Fleiſch der Lachſe), welche nicht fo Leicht Fieber erregen, gleich dem 
thierifchen Schleim, den Namen leichte erhalten haben; ein Aus: 
druck, der fo oft in Hinficht auf die Leichtverdaulichkeit truͤgt daß 
es nothwendig ift, biefe — deſſelben * unbeachtet zu 
ah 


Das fettefte Fleiſch belaͤſtigt den Magen unter gleichen Um: 
fänden am meiften. Aus diefem Grunde find Schweinefleifh und 
die Zungen vieler Thiere fchwer zu verdauen, Eben: deswegen find 


Gänfe und Enten die am ſchwerſten verdaulichen Arten. vom Geflü- 


gel, Truthuͤhner find fchwerer zu verbauen ald Hühner, welche 
nad dem Dammelfleifh im Ganzen vielleicht unter den allgemein 
gebräuchlichen thierifchen Nahrungsmitteln das leichtefte find, wenn 
man die Haut wegläßt. Unter den verfchiedenen Arten von Wild: 
pret ift der Faſan am [chwerften zu verbauen. Der magere Theil 
des Mildprets iſt wohl die am leichteſten zu verdauende ‚Speife, 


- Hafen und Rebhüner Tcheinen in dieſer Hinfi icht —* eu Zr 
mit dem Hammelfleifche zu ſtehen.“ = he 


2 „Wenige Bag find fchwerer —* — als feifches Sep. 
Daſſelbe laͤßt ſich von allen Stoffen ſagen, welche durch das Kauen 
einen zaͤhen Teig bilden, der vom Magenſafte nicht leicht durch⸗ 
drungen wird. Ein ſolcher Zeig iſt fo ſchwer verdaulich, daß ich 


mehr als einen Dyspeptiſchen (d. h. Menſchen mit ſchwacher Ver: 


dauung) kennen lernte, deſſen Magen friſches Brod nur dann vers 
trug, wenn es in geſchmolzene Butter getaucht worden war Hier 
wurde einer der ſchwer verdaulichſten Stoffe (Butter) Leichter ver⸗ 
daut als der zähe Zeig, der durch deſſen Sufag nicht a ra 


‚Seifee Gemuͤſe find wegen ihrer Neigung: zur Säprung im 
Ganzen bei der Verdauungsſchwaͤche fhädlih. Einige Gemüfe 
find jedoch dies in höherem Grade als andere," Erbfen, Bohnen, 
Kohl und wäßrige Kartoffeln fand ich als die ſchlimmſten. Mehlis 
ge Kartoffeln, Rüben und Brokoli gehören zu den beften. Man 
Sollte fie immer weich Eochen. Rohe Gemüfe aller Urt liegen ſchwer 
im Magen, Lattich oder Salat pflegt dies am wenigften zu thun, 
Die zähen faſerigen und — een find am io 
zu verdanem,’ 


u 419 — — 


Fruͤchte ſind auch ſchwer verdaulich, beſonders die kuͤhlenden 
Fruͤchte, Melonen, Gurken u. ſ. w., naͤchſt dieſen die ſchleimigen Fruͤch⸗ 
te, Stachelbeeren, Birnen u. ſ. wi, Aepfel und Erdbeeren fand ich im 
Ganzen leichter. Wir finden aber häufiger eigenthümliche Ems 
pfänglichkeit im Magen in Betreff der Früchte als der andern Nah: 
rungsmittel. Obſt, Sohannisbeeren, Maulbeeren u. f. w., alle 
eingemächte Früchte find fchwer verdaulich, — die große Menge 
Zuder vermehrt fehr ihre Unverdaulichkeit (?). Manche Verdaus 
ungsſchwache vertragen den Zuder fo wenig, daß Einige, melde 
ich Eennen lernte, fogar der geringften Menge beim Thee ſich ent— 
halten mußten, (Iſt jedoch wohl fehr ungewöhnlich.) Die meiften 
Magen vertragen das Saure beffer, als das Säuerliche,” 


„Brod ift nicht fchlechter, wenn e8 hart ift, wenn es nur ge- 


hbrig zerfaut wird, Alle harte und zähe thierifche Nahrungs- 


mittel, zumal gefalzen, wodurch fie noch härter werben, find ſchwer 
verdaulich. Das geräucerte Fleiſch fcheint durch feine Härte ben 
Magen zu beläftigen. Harte und zähe thierifhe Speiſen können 


nicht zu einem fo weichen Brei zerfaut werden, wie dies beim har⸗ 


ten Brode der Fall iſt.“ 
Wenige allgemein gebraͤuchliche Nahrungsmittel ſind ſo 


ſchwer verdaulich als Butter, Sie ſcheint es in höherem Grade 


als das Fett vom Fleiſche zu feyn (2). * Hammelfett iſt nicht fo 
Schwer verdaulich ala Ochfenfett, und das Fett vom Wildpret ift 
leichter zu verdauen als beides. Daffelbe kann man vom Schild: 
Erötenfett. fagen, Aber alle Arten von Fett werden von einem) 
ſchwachen Magen nicht vertragen, und dasjenige, wovon wir am 
meiften zu efjen geneigt find, ift gewöhnlich aus dieſem Grunde 
das Schlimmfte, Wir haben wenig Erfahrung über das Del in uns 
ferem Vaterlande. Könnte ich mich auf das Ergebniß einiger Bei⸗ 
fpiele verlaffen, fo würde ich fagen, Dlivenöl werde von einem 


daran gewoͤhnten Magen beifer vertragen, als Butter, und wahr: 


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4 


b 


ſcheinlich als die meiften Arten Fett.“ 
Alle fettigen Stoffe werben ſchwer verbaulicher gemacht, 


durch das Braten (2), wie bei vielen unſerer Gerichte; doch bes 


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— 
— 


Ich erlaube mir hier und da einen Zweifel, da ich leider felbft einen Baro⸗ 
meter für die Verdaulichkeit in mir trage, a 
27 


— 


- 


ww 420 ur in 


merkt man in einzelnen Faͤllen folche Eigenthümlichkeiten, daß ich 
von einem Verdauungsſchwachen erfuhr, daß er gebratenen Schin⸗ 
ken fehr wohl verdaute,. indeß er Hammelfleifh nicht verbauen 
Eonnte; als wenn der ftärkere Neiz des erfleren eine Abfonderung 
des Magenfaftes bewirkte, wo dies durch den mildern Reiz des 
Hammelfleifhes nicht geſchah. Bon diefem Umſtande ſcheint es 
herzuruͤhren, daß der Magen oft ein wenig von irgend etwas, wo⸗ 


nach dem Kranken fehr gelüftet, verbauet, und daß die Eßluſt zu- 


weilen fi vermehrt, nachdem wir zu effen beginnen, Kaͤſe ift im 
Allgemeinen noch ſchwerer zu verbauen, als Butter oder Fett. Mit 
ihrer fertigen Befchaffenheit verbindet er die Härte und Zaͤhigkeit 
der trodenen und zufammengedrüdten geronnenen Milch, welche 
ſich nicht, leicht fein zertheilen läßt. Mitch und Rahm, nebft ihren 
Zubereitungen, werben gewöhnlich um fo fehwerer vertragen, je 
groͤßer ihre Fettigkeit ift; aber derfelbe Antheil Rahm, mit ae 
vermiſcht, iſt verbaulicher ald Milch.“ 


J 


„Viele Würze iſt ſchaͤdlich, ſowohl durch die unnatärlice 


Auftegung, welche dadurch entſteht, und wodurch auf einige Zeit 
die Kraft des Magens verflärkt wird, mit nachfolgender Schwäche, 


als dadurch, daß fie uns verleitet, zu viel zu effen, Sie hat aud), 
gleich andern ſtarken Reizmitteln, das Vermoͤgen, die weitere 


Entwickelung ber Krankheit herbeizuführen.“ = _ gr hr 


„Hinſichtlich der Fluͤſſigkeiten iſt augenſcheinlich das 8 Bafır 
beftimmt zue gehörigen Verdünnung unferer Speife. Bei Ber: 
dauungsſchwaͤche ift gewöhnlich große Neiaung zum Trinken, Man 
darf ihre nicht. zu fehr nachgeben. (Bei Neigung zu Verflopfungen 
ſoll jedoch Mafierteinten große Erleichterung fhaffen.)‘ 


Anter den. reigenden Siäffigkeiten find bie ſchwaͤchern mehr 
anzurathen, z. B. die gewuͤrzhaften Waſſer.“ 


Die ſchaͤdlichſten Fluſſigkeiten dieſer Claſſe ſind bekanntlich 
diejenigen, welche ihre reizende Eigenſchaft der Gegenwart des 
Weingeiſtes verdanken. In betraͤchtlicher Menge genoſſen, wirken 
ſie nicht nur nachtheiliger, als vielleicht irgend ein anderes Reizmit⸗ 
tef, auf die Verdauungswerkzeuge, ſondern erſtrecken auch ihre ver⸗ 
derblichen Wirkungen auf andere Theile det Organismus,” 


—— 42I — 


Sleich den meiften Eräftig auf ben thierifchen Körper wirken⸗ 
ben Stoffen, befigen fie ſowohl ſchaͤtzbare als verberbliche Eigen- 
haften; und wären erftere auch nicht fo ausgezeichnet, als ſie es 
wirklich find, fo Eönnen fie bei ihrem fo allgemeinen Gebrauche uns 
ter einer oder der andern Geftalt und bei der in den meiſten Men- 
ſchen fo feft gewurzelten Gewohnheit, welche ihren beftändigen Ges 
brauch erfordert, felten ganz entzogen werden, in früher Jugend 
ausgenommen, ohne mehr Schaden als Nugen zu ſtiften.“ Ä 


„Ein Jeder wird zugeben, daß der Meingeift in jeder Form 
dem geſunden, nie daran gewoͤhnten Menſchen unnoͤthig iſt; und 
daß, haͤtte man nie ein anderes Getraͤnk, als Waſſer gekannt, ob» 
gleih wir dann den Mangel eines (in vielen Fällen ohne Zweifel 
bes ſchaͤzbarſten) Reizmittels fühlen würben, eine große Anzahl der 
ſchrecklichſten Krankheiten, denen wir ausgefegt find, feltner feyn 
würde,‘ 


Es folgen nun weitere Erörterungen über bie Getränke. Die 
deftillieten Getränke find [hädlicher als die durch Gährung hervor- 
gebrachten. Die erfleren zerftören, in großen Quantitäten genoffen, 
ficher die Gefundheit. Ueber die Auswahl unter ben legtern befras 
ge ſich Feder ſelbſt. Es ift noch leichter uͤber die Zuträglichkeit vom 
Getränken ſich vr zu belehren, als über die — der 

Speifen. 


Bor allen Dingen aber bewahre man bie Gefundheit feiner 
Berdauungsorgane. Es ift bekannt, was fie zerſtoͤrt. Webermaak 
- im Effen und im Genuß geiftiger Getränke, Ausfhweifung jeder 
- Urt, befonders auh im Gefchlechtstriebe, ‚figende Lebensart, an« 
haltende Geiftesarheiten, Zuſammendruͤcken des Unterleibes. Tuͤch⸗ 
tige Bewegung, heitere Gemüthsftimmung find die Hauptmittel 
zur Erhaltung ber Verdauungskraft. 








Ahtzehnte Borlefung. 
Bon dem Athmungsapparate, 





8.050, 


Wi haben es ſchon oft erwaͤhnt, daß das Blut zur Ernaͤhrung 


erſt dann tauglich wird, wenn es der Einwirkung der aͤußern Luft 
ausgeſetzt iſt. Dieſe Einwirkung wird bewirkt in dem Athmungs⸗ 


apparate,. der zu vollenden beflimmt ift, was die Verbauungsorga- 


ne einleiten, Weil der Athmungsapparat eine Vorrichtung ift, 
welche Luft in unfern Körper ein und ausftrömen läßt, fo ift an 
ihm auch die Vorrichtung getroffen, durch welche, wir Laute in der 
Luft hevvorbringen. Von diefer Beziehung ſpaͤter. — Das 
Ganze befteht aus einem Kanale, der in der Rachenhoͤhle anfängt, 
in die Bruſthoͤhle hinabſteigt, und ſich hier taufendfältig verzwei⸗ 
gend in die Lungen ſich umbildet. Der oberſte Theil der Roͤhre iſt 
von dem übrigen verſchieden gebaut, und führt den Namen Kehl⸗ 
kopf, während diefer Luftröhre genannt wird. Die innere Fläche 
des Kanales und feiner Aeſte ift mit einer Schleimhaut überkleidet, 
welche gegen jeden andern Stoff, als die dußere Luft und ihren eig- 
nen Schleim, ſehr empfindlich ift. Man fieht leicht ein, daß, wenn 
durch irgend eine Kraft die Maffe der Lungen ausgedehnt, oder 
zufammengebrüdt wird, die äußere Luft durch die Luftröhre wie 
durch die Röhre eines Blafebalges, ein» und austreten muß. ©o ift 
es in der That auch im lebenden Menfchen. Doch wir wollen, die 
einzelnen Abfchnitte für fich:betrachten, und dann die Wirkung des 
Ganzen beim Athmen und bei Bildung der Stimme unterfuchen, 


6.251. Die Lage des Kehlkopfs (Luftröhren- 


fopfö, Larynx) haben wir ſchon bei Gelegenheit der Verdau⸗ 


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ungswerkzeuge kennen gelernt. Die Rachenhoͤhle naͤmlich geht 


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Nr — 423 — — 


nach hinten durch den Schlundkopf in die Speiſeroͤhre uͤber, nach 


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F 


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vorn in den Kehlkopf.  Diefer liegt alfo vor dem Schlundkopfe, 
hinter und unter der Zungenwurzel (Zaf. IX. Fig. 1. 12 u. 13.), 
Der’ Kehlkopf befteht aus einem Geruͤſte von Knorpeln, bie durch 
Bänder unter ſich und mit dem Zungenbein befeftigt find, und durch 
Muskeln gegen einander bewegt werden. Durch eine Haut find fie 
fo mit einander verbunden, daß fie das Anfangsſtuͤck einer Röhre 
darftellen, | | A 


Der größte unter jenen Knorpeln heißt Schildknorpel 


C(Cartilage thyreoidea) (Fig. 3 bis 6. 1.). * Er bildet keinen 


vollftändigen Ring, fondern nur den vorbern Umfang eines folden, 
Er befteht aber wieder aus zwei faft vieredigen Hälften, die in der 
Mitte ohne Trennung zufammenftoßen, und hier einen vorragen⸗ 
den Höder bilden, den man bei magern Männern fehr deutlich vor= 


ſtehen ſieht. * Bei Frauen ift die Vorragung nicht fo ſtark. 


Nach Hinten zu läuft jede Hälfte des SchildEnorpels in ein aufitei- 


gendes Horn, welches das Zungenbein faft erreicht, und ein ab⸗ 


der hintern (Fig. 4. 2.). 


fleigendes Horn aus, welches fi) an den Ringknorpel anlegt. 


Dr Ringknorpel (Cartilago cricoidea). hat feinen Ma: 
men davon, daß er einen vollftändigen Ning bildet (2); er ift je: 
doch im der vordern Hälfte (Fig. 3. 2.) bedeutend niedriger, als in 


\ 
‘ 


vo 


Ueber dem hinteren Theile des Ringknorpels liegen zwei kleine⸗ 


re dreieckige und etwas gebogene Knorpel, die man die gieß— 
 bedenförmigen oder Schnepfenknorpel (Cartila- 
gines arytaenoideae) genannt hat, weil fie zufammen eine Eurze 


I 





* Sn den Figuren 3. 4. 5 und 6. ber gten Tafel fieht man ben Kehlkopf von 
verſchiedenen Seiten und zwar theild blos dad Knorpelgerüfte, theild auch 

“7, den Kelhkopf in unverlegtem Buftande mit feinem Hautüberzuge. Big: 3 
zeigt das bloße Knorpelgerüfte von vorn; Fig. 4 daſſelbe von binten; Sig. 5 
giebt die Anficht des umzergliederten Kehlkopfs von Hinten und etwas von 
oben; Big. 6. denjelben ganz von oben, fo daß man in feine fpaltformige 
Deffnung hineinſehen kann, Ueberall find dieſelben Theile mit benfelben 
Biffern bezeichnet. v 


m Sn manden Gegenden von Deutfchland wird biefe Vorragung der Abamıss 
Apfel genannt. — ” s ven | 


’ 


Yusgußeögte eines Gofäßes darftelen (3). Auf der oben Spitze 
eines jeden dieſer Knorpel iſt wieder ein kleines Knorpelchen, der 


Santoriniſche Knorpel, den wir in unſerer Aetiduns 
nicht beſonders basgpftelt fehen, 


Alle diefe Knorpel verknoͤchern leicht und im hihem IR fin: 
bet man fie gewöhnlich ganz oder theilwerfe in Knochen verwandelt. 
Ein anderer Knorpel aber ift dem Verknoͤchern weniger ausgefegt. 
Es ift ver Kehldeckel (Epiglottis), welcher mit einem fpigen 
‚Ende in den innern Winkel, den beide Hälften des SchildEnorpels 


bilden, durch Bandmaffe befeftigt ift, und mit einem — Ende 
nad) oben und hinten frei hervorragt. 


Die einzelnen Knorpel find unter fich durch Eleine Gelenke ver» 
bunden, welche ihnen, wenn auch befchränfte, doch fehr mannig» 
faltige Bewegungen geſtatten. Damit fie aber nicht zu fehr aus 
der Lage kommen, werden fie unter ſich und mit den benachbarten 
Theilen durch Eurze und ſtarke Bänder verbunden, So hängt der 
SchildEnorpel mit feinen aufſteigenden Hörnern und feinem Mit— 
teltheil am Zungenbein, und mit ihm ift der ganze Kehlkopf und 
überhaupt der Refpirationsapparat an das Zungenbein angehängt. 
Wird daher durch einen Schnitt die Verbindung zwifchen Zungen⸗ 
bein und SchildEnorpel getrennt, fo ſinkt der Kehlkopf mit der Luft: 
xöhre am Halfe herab, und das Zungenbein zieht fih hinauf, — 
Der Ringknorpel ift durch Bandmaſſe an die Luftröhre angeheftet, 
fo wie durch ein anderes Band an die Mitte vom untern Rande des 
SchildEnorpels. Die untern Hörner des SchildEnorpels, fo wie 
der äußere Winkel jedes Gießbeckenknorpels, find dagegen durch 
Gelenke an den Ringknorpel angefügt. Der Ringknorpel iſt über- 
haupt als der feſte Punkt im Kehlkopf zu betrachten und die andern 
Knorpel werben gegen ihn durch Eleine-MugEeln bewegt, Dieſe 
Muskeln des Kehlkopfs find zu zahlreich, um fie hier einzeln aufzu⸗ 
führen, und ohne vielfache Abbildungen würde ihre Beſchreibung 
nicht verfländlich feyn. Das Wefentlichfte ift, daß fie den Ring- 
Enorpel und Schildfnorpel gegen einander ziehen, vorzüglich aber 
die gießbeckenfoͤrmigen Knorpel einander nähern, und von einander 
entfernen, oder auch fie nad) hinten zuruͤckbiegen Eönnen. Die letz⸗ 
tere Wirkſamkeit iſt für uns die wichtigfte, da durch fie der Ein- 


u. - Mio 
X 4 - — — 425 — — 


gang in den Kehlkopf, oder die Stimmritze, verengt und erweitert 
wird. Es geben nämlich von den beiden Schnepfenfnerpeln zwei 
Paar firaffe Bänder nach dem innern Winkel des SchildEnorpels, 
Sie ragen frei in die innere Höhlung des Kehlkopfs vor und heißen 
Stimmbänder (Ligamenta glottidis), Stimmrißen- 
bänder, Kehlbänder, Sie liegen über einander, ſo daß 
man ſie als die obern und’ untern Stimmbänder unterfcheis 
det. Die untern find die mwefentlihern. Man fieht in der sten 
Sigur das obere Paar, in der 6ten Figur beide Paare von oben 
- (5 und 6.) und in der erften Figur erblidt man in dem ſenkrecht 


durchſchnittenen Kehlkopf (bei 13) das obere: und untere Stimm- 


band der rechten Seite, Die Spalte, welche diefe Bänder zwifchen 
ſich laffen, heißt die Stimmrise (Glottis) und iſt der einzi⸗ 
ge Weg in die Achmungsorgane, Da die Stimmbänder an bie 
Schnepfenfnorpel befeftigt find, fo müffen fie nothwendig von eins 
ander. entfernt werden und die Stimmrige erweitern, wenn jene 
Knorpel von einander abgezogen werden, und fich dagegen nähern, 
wenn diefe zufammengezogen werden... Wenn die Schnepfenfnor= 
pel zurüdgebogen werden, fo muͤſſen offenbar die Stimmbänder 
mehr gefpannt feyn, als wenn fie in gewöhnlicher Stellung oder 
gar etwas nach vorn gezogen find. Hierauf werben wir bei der 
Theorie der Stimme zurüdfommen, | 


Dem Kehldedel fchreibt man gewöhnlich die Beftimmung zur, 
die Stimmeige beim Schluden zu bedecken, damit die Speiſen in 
die Epeiferöhre gelangen Fönnen, ohne in die Luftröhre zu fallen, 
In neueren Zeiten hat man ihm diefe Beſtimmung flreitig gemacht, 
weil man fand, daß Hunde, denen man den Kehldedel weggefchnitz 
ten hatte, dennoch ſchlucken konnten, und weil man fich darauf bes 
tief, daß mehr oder weniger vom Kehldedel auch beim Menfchen 
duch Geſchwuͤre zerftört war, ohne fie am Schluden zu hindern, 
Wir haben auch fhon früher ($. 226.) gehört, daß beim Nieder- 
fhluden der Kehlkopf unter die Zungenwurzel gezogen und ſchief 
geftellt wird, fo daß die Speifen leicht über ihn mweggleiten. Ins 
beffen ift e8 immer nicht zu laͤugnen, daß der Kehldedel zu größerer 
Sicherung der Stimmrige dient, und daß er eben durch jene Bewe— 
gung des Kehlkopfes befjer auf die Stimmrige niedergelegt wird, 
indem er ohne den Drud von der Zungenwurzel etwas aufgeklappt 


— 0— 


ſteht (Fig. 1.). Fehlt der Kehldeckel, es ſey durch Vereiterung 
oͤder wenn er bei Verſuchen an Thieren weggeſchnitten wird, ſo iſt 
auch das Schlucken, beſonders der Fluͤſſigkeiten, ſehr beſchwerlich, 
was wohl beweiſt, daß er beim Schlucken einen weſentlichen Nutzen 
haben muß, — Durch einen ungluͤcklichen Zufall, durch einen 
Berfuh zum Selbſtmord naͤmlich, bei welchem der Kehlkopf vom 
Zungenbein getrennt war, erhielt ein Arzt Gelegenheit, die Bewe⸗ 
gungen der Stimmbänder am lebenden Menfchen zu betrachten. Er 
ſah, daß bei jedem Einathmen diefe Bänder fich weit von einander 
entfernten, und die Stimmeige bis auf ro bis ır Linien Breite 
öffneten, beim Ausathmen jedes Mal fi) wie gerollte Wüljte einan- 
der näherten, und mehr hervorfprangen, als man in Leichnamen be- 
merkt. Er konnte zugleich beobachten, dag beim Einathmen ſich 
der Kehldeckel erhebt und beim Ausathmen, wo fich alle Theile des 
Nefpirationsapparates gegen fich und an das Bungenbein näher zu= 
ſammenſchieben, zuruͤcklegt. Hieraus wird es erklaͤrlich, wie beim 
Schlucken zuweilen etwas Fluͤſſigkeit oder kleine Theile der gekauten 
Speiſen in die Luftroͤhte kommen. Diefer Zufall findet Statt, wenn, 
man während des Schludens zu fprechen fich bemüht, oder auch 
nur recht lebhaft denkt. Wenn man naͤmlich ſehr lebhaft und ploͤtz⸗ 
lich an einen Gegenſtand denkt, fo macht man unwillkuͤhrlich Ber 
wegungen, als wollte man ſprechen. Der Anfang dieſer Bewe⸗ 
gungen beſteht aber darin, daß man ploͤtzlich Luft einzuathmen ſich 
beſtrebt und den Kehlkopf, wenn er unter der Zungenwurzel verbor⸗ 
gen war, hervorzieht, wie wir beim Anfang einer Rede uns mit 
uff zu verſorgen gewohnt fi * — 


Die Schleimhaut, welche bie innere , Zäihe bes ARE 
überzieht, iſt gegen jeden fremden Körper fehr empfindlich und er- 
vegt die Nefpivationsorgane zu fehr Iebhaften Contraktionen, bis 
jener Körper ausgehuftet ift. Won der Schleimhaut bemerken wir 
nur noch, daß fie auf jeder Seite zwifchen dem obern und untern 
Stimmbande eine längliche Vertiefung bildet, die Morgagni- 


he Taſche genannt (Fig. 1. 13, ) 


Bor dem Kehlkopf liegt ein PER: Körper, den man 
Schilddrüfe (Glandula thyreoidea) nennt, der aber feine 
wahre Druͤſe ift, da ihm jeder Ausfühtungegang fehlt, Er em: 

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pfaͤngt viel Blut und iſt ſehr geneigt, ſich auszudehnen, mo er 
„dann Kropf heißt. Zuweilen ift jedoch der Kropf eine Wucherung 
des Zellgewebes im Umfange des Kehlkopfs. Die — er 
ER ift ſeht dunfel, 


Die Nerven des Kehlkopfs kommen vom Lungenmagennerven 
oder dem fogenannten herumſchweifenden Nerven her, 


g 252. Die Luftröhre (Trachea, aspera Arteria) 
| ift ein ceylindrifcher Kanal, der vom Kehlkopf aus am Halfe herab vor 
der Speiferöhre in die Brufthöhle fich verlängert und dort fich vers 
zweigt. Er enthält bis zu feiner Theilung etwa 20 Knorpelbogen, 
- bald einige mehr, bald einige weniger. Sie find überhaupt nicht 
ganz regelmäßig und nicht felten auf einer Seite gefpalten, * Wie 
aber find fie vollftändige Ringe, wie an den Luftröhren der Vögel, 
fondern bilden in ruhigem Zuftande etwa zwei Drittheil eines Kreis 
fes. Wird die Luftröhre der Länge nach ausgedehnt, fo nähern 
ſich etwas die beiden abftehenden Enden der hufeifenförmigen Knor⸗ 
pelbogen. Zwiſchen ihnen find Süden mit fibröfer Haut ausges 
- füllt. An der Hintern Fläche der Luftröhre bleibt, da die Knor⸗ 
pel nicht gefchloffen find, ein weicher Zwiſchenraum (Fig. 4:), 
den eine Muskelhaut ausfuͤllt. Sie befteht aus ziemlich ſtarken 
Querfaſern, welche an die abſtehenden Enden der knorpligen Halb⸗ 
ringe ſich befeſtigen. Durch die letztern koͤnnen die Halbringe ſtaͤr— 
ker zuſammengebogen werden, um die Luftroͤhre zu verengen und 
zu verlängern. Auf der innern Flaͤche der Luftroͤhre ſieht man 
noch viele ſchwaͤchere, der Laͤnge nach verlaufende Faſern, die ich 
nicht umhin kann fuͤr Muskelfaſern zu halten, weil ſie in groͤßern 
Thieren mit dieſen eine uͤberaus große Aehnlichkeit beſitzen. Ich 
muß aber bemerken, daß die meiſten Anatomen fie nicht dafuͤr wol⸗ 
len gelten laffen. Sind es Muskelfafern, fo wird durch fie die 
gleichmäßige Verkürzung eine felbftthätige Bewegung feyn. Soll: 
ten es feine Muskelfaſern feyn, fo würde die Luftröhre beim Aus— 
athmen ($. 255.) nur zufammengefhoben werden. Den inner 
ften Ueberzug bildet die Schleimhaut, welche fih aus dem Kehlko— 
- pfe hieher fortfegt. Sie hat dieſelbe Empfindlichkeit. Aeußerlich 
ift die Luftröhre von einem dichten Zellgewebe umgeben, welches die 
Abwechſelungen von Knorpeln und fibröfer Haut durchfehimmern 


1 


laͤßt. Im umferer dritten Abbildung fieht man oben (7,7).bie 


Knorpel ganz frei, unten aber die Luftröhre, fo wie fie ohne kuͤnſt⸗ 
liche Trennung fich zeigt, Ä 


In der Brufthöhle, und zwar in der Gegend bes dritten Bruft- 
wirbels, theilt ſich die Luftröhre in 2 Aefte, welche venfelben Bau 
haben, nur etwas enger als der Stamm find (8. 8.). Die Luft: 
röhrenäfte (Bronchi) gehen in die Zunge ein, indem fie ſich wie: 
der in Nebenäfte (Bronchia) theilen (9). Am untern Theil 
der Luftröhre fowohl, als an ihren Aeften fieht man anfehnliche 
ſchwarzblau gefärbte Drüfen (10) Es find lymphatiſche Druͤ⸗ 
ſen, die den hier verlaufenden Saugadern angehoͤren und die 
ſchwarze Farbe vielleicht dem in ihnen abgelagerten Kohlenſtoff ver⸗ 
danken. | 


$. 253. Man fpricht im gemeinen Leben wohl von der 
Zunge in der einfachen Zahl, Indeſſen find im menfhlichen Kör- 
per wirklich 2 völlig getrennte Lungen (Pulmones). Sie fül 


len den größten Theil der Brufthöhle aus und liegen hier zu beiden 
; Seiten des Herzens und der größern Gefaͤßſtaͤmme (Taf, X. Fig. 
‚2. e, e.). Ihre Geſtalt ift etwas ſchwer zu beſchreiben; indeſſen 


koͤnnten beide zufammen mit einem ſtumpfen Kegel verglichen wer- 
den, deffen etwas ausgehöhlte Bafis auf dem Zwerchfell ruht, und 
deffen Spige den obern verengten Raum der Brufthöhle einnimmt, 
Jede Lunge ift für fich gegen bie. Rippenwand Eonver, nad unten 
gegen das Zwerchfell, und eben fo nach innen gegen das Herz, konkav. 
Die linke Lunge ift fhmaler, da das Herz einen größeren Raum in der 

linken Hälfte der Bruft als in der rechten einnimmt, Sie fleigt das 
bei weiter nach unten herab, weil das Zwerchfell auf der linken Sei- 
te tiefer hinunter geht, als auf der rechten, wo fie der Leber einen 
grögern Raum gewährt. Die vechte Lunge ift dagegen breiter und 
hat überhaupt mehr Umfang. Die rechte Lunge finden wir in 3, 
“and bie linke in 2 Hauptlappen getheilt, die durch tiefe Einſchnitte 
getrennt werden (Taf. IX. Fig. 8.). Jeder Hauptlappen (Lo- 
bus pulmonis) beſteht wieder aus vielen kleinen Läppchen (Lo- . 
buli), -die durch einen dünnen, bald zu befhreibenden Ueberzug 
zufammengehalten werden, fo daß fie am aͤußern Umfang der Lun⸗ 

ge wie an einander gereihte Pflafterfteine ausfehen, | 


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E . 
3— Die Conſiſtenz der Lungen iſt weicher und ſchwammiger als 
in irgend einem andern Organ, Der Grund davon Liegt in ihrem 
Bau. Sie befteht nämlich wefentlih aus fehr vielfältig getheilten 
Zweigen der Luftröhre, uͤber derem Iegte Enden feine Gefäßnege 
ausgebreitet find. Um fich hiervon eine richtige Vorftellung zu ma« 
hen, kehren Sie zuruͤck zu den Aeſten der Luftröhre. Ich habe 
geſagt, daß diefe Aefte beim Eintritt in die Lungen ſich theilen. 
‚Diefe Theilung wiederholt ſich im mweitern Verlauf fehr oft, wobei 
die Zweige immer dünner werden, die Knorpel abnehmen, untegel- 
mäßig werden und zulegt ganz verfchwinden. Denken Sie fi) 
dieſe Verzweigung fo oft ſich wiederholend, daß die Zahl der letz⸗ 
ten Reiſer viele Zaufende beträgt, und denken Sie ſich diefe Neis 
fer zu einer Maffe zufammen gehalten, fo haben Sie eine 
richtige Vorſtellung vom Bau der Lunge. Sie ift nichts weis 
ter, als die unzählige Mal getheilte Luftröhre, Wenn man von 
der Luftröhre aus erwärmtes Wachs in die Lunge fprigt, fo werben 
fi ihre Verzweigungen mehr oder weniger vollitändig anfüllen; 
laͤßt man nun die ganze Maffe der Lunge faulen, fo bleibt diefer 
Inhalt der Luftwege in Form eines Baumes, der fich in zahlloſe 
Aeſte und Reifer ſpaltet, zurück, Davon verfucht die 7te Figur eine 
Abbildung zu geben. Blaͤſ't man aber Luft in die Luftröhre einer 
Zunge ein, fo dehnt ſich die ganze Lunge aus, und die legten En⸗ 
den der Reifer, die die äußere Oberfläche erreichen, fchwellen ein mes 
nig an, ſo daß fie wie Eleine Bläschen ausfehen. . Man hat fie 
 Lungenbläshen oder Lungenzellen genannt. Jene _ 
Snjektion mit Wachs belehrt uns aber, daß die Vläschen nichts. 
als die blinden Enden der legten Neifer find. Die beſchrie— 
denen Luftwege leeren ſich, wenn fie einmal angefüllt worden find, 
und das gefchieht beim erften Athemzuge, nie ganz wieder von Luft 
aus. Daher ſchwimmt eine Lunge auf dem Waſſer, und daher 
— ihre große Leichtigkeit. 





— 


⸗ 


Die Luftwege bilden indeſſen doch nicht die ganze Lunge. Die 
Blutgefaͤße, die wir ſchon öfter (F. 99. u. ſ. w.) erwaͤhnt haben, 
ſind eben fo weſentlich. Die Lungenarterie ſchickt in jede Lunge 
einen Dauptaft, welcher den Luftroͤhrenaſt begleitet, fich wie biefer 
verzweigt, und auf den legten Reiſern deſſelben, wo ihre Haut 
ganz dünn geworden ijt, ein aͤußerſt feines Gefäßneg bildet, Aus 


— 


— 430 — 
dem feinen Gefaͤßnetze ſammelt ſich das Blut, nachdem es eine 
hellrothe Farbe angenommen hat, wieder in kleine Reiſerchen, die 
zuſammenlaufen, mit benachbarten ſich verbinden und die Anfaͤnge 
der Lungenvenen werden, von denen wir wiſſen, daß ſie das geroͤ⸗ 
thete Blut in die linke Vorkammer des Herzens fuͤhren. In der 
zıften Abbildung der VII. Tafel iſt eine mikroſkopiſche Darſtellung 
dieſes Verhaͤltniſſes. Ein kleines Aeſtchen der. Luftwege iſt mit 
Queckſilber angefuͤllt, und ſieht, weil die ſchwere Maſſe deſſelben 
die letzten Reiſer gewaltig ausdehnt, wie aus Blaſen gebildet aus. 
Ein kleiner Zweig der Lungenarterie iſt roth, und ein Zweig der 
Lungenvene hellblau gefärbt, Die Netze find bald mehr, bald weni⸗ 
get, vollſtaͤndig ſichtbar, und theild mit rother, theils mit blauer 
Maffe angefült. Außer diefen Gefäßen find aber noch Eleinere Xr- 


terienund Venen da, — die Bronchialgefäße — , die zur Ernaͤh⸗ 


rung der Lungen bejtimmt find, indem die früher befchriebenen, wie 
wir fhon aus. der Darſtellung des Kreislaufs wiffen, die Lungen: 
arterien und Denen zur Leitung des Blutes, das dem Einfluß der 
aͤußern Luft ausgefest werden fol,  beftimmt find. Indeſſen ift 
zweifchen den Bronchialgefaͤßen und den Rungengefäßen doch eini: 
ge Communication und namentlich ergießen fi mehrere Bron⸗ 
BEER, in die Lungenvenen, — | 


"Daß zwifchen diefen mandherlei Betitm etwas Zeuſtof if, 
verfkeht fih von ſelbſt; indeffen zeigt er fi in fo geringer Duanti- 


tät, daßımansimmerhin fagen kann, die Zunge beftehe aus Lufts 


und Blutgefäßen, wozu noch Saugadern kommen. Es find die: 
ſelben, welche durch die dunklen Drüfen an der Luftröhre gehen. 
Ihre Nerven erhalten die Lungen vom Lungenmagennerven, ber 
an den Luftroͤhrenaͤſten negartige Verzweigungen bildet, Er zeigt 


hier nicht diesEigenfchaften eines der Willkuͤhr unterworfenen Ner— 


ver. — Die Farbe der Lungen iſt ſehr verſchieden, je nachdem 
ſie vor dem Tode ſich gehoͤrig von Blut entleerten oder nicht. Mit 
Ausnahme von jungen Perſonen j ind die Lungen — — 
* geſledt. 


* PP Um: den Mehanigmus des Athmens zu verſtehen, 
muͤſſen wir nun auch einen Blick auf die Umgebungen der Lungen 
werfen. Wenn man die Bruſthoͤhle oͤffnet, ſo ſcheinen die Lungen 


— 431 un 


aanz frei an ben Luftröhrenäften und den Lungengefaͤßen zu hängen. 
Das ift in gewiffer Hinfiht auch wahr, in einer andern jedoch) 
nicht; denn jede Lunge:ift eben fo von einer feröfen Haut umgeben, 
wie das Herz vom Herzbeutel,. d. b.08 ift für jede Lunge ein duͤn⸗ 
ner Sad da, in den fie gleihfam hineingedrüdt ift, wie das Herz 
in den Herzbeutel, oder wie die verdauenden Organe in das Bauch⸗ 
fell. Die äußere Oberfläche einer jeden Lunge finden wir nämlich 
von einner dünnen, glänzenden und feuchten Haut bekleidet, wel⸗ 
che die einzelnen Läppchen zufammenhält, in die Einfchnitte zwifchen 
den geößern Lappen aber fi hineinzieht. So umſchließt fie die 
ganze Lunge bis an die Stelle, wo die Gefäße in fie eintreten. Hier 
fhlägt fie fih um, und bekleidet die,innere Fläche des Bruſtka⸗ 
ſtens von derſelben Seite. Von den Gefaͤßſtaͤmmen naͤmlich ver 
laͤngert ſie ſich nach vorn bis zu den Seitenwaͤnden des Bruſtbeins, 
und nach hinten an die Stelle, wo die Rippen ſich an die Wirbel⸗ 
fäute anlegen, und überzieht num als ein continuirliches Blatt die 
innere Fläche der Rippen und der zwifchen den Rippen liegenden 
Muskeln, Beide Hälften, diejenige, welche die Lunge bekleidet - 
und die an der Nippenwand, bilden einen zufammenhängenden ges 
ſchloſſenen Sack, der aber ſehr zuſammengedruͤckt iſt, da die aͤuße⸗ 
re Flaͤche der —5 ganz nahe an den Rippen liegt. Im Innern 
diefes Sackes zwiſchen Lunge und Rippenwand iſt nur ſehr wenig 
feuchter Dunſt, der das Verwachſen der Lunge mit dieſer Wand 
hindert.* Nach Entzündungen auf der Oberfläche der Lunge, oder 
in den Muskeln des Bruſtkaſtens wird jedoch häufig etwas gerin⸗ 
nende Lymphe ausgefchieden, welche die Lunge an die Rippen hef: 
tet. Nach Seitenftichen iſt dieſe Ausſchwitzung fo gewoͤhnlich, daß 
man in Leichen alter Perſonen ſelten die Lunge ganz frei findet. 
Iſt die Anheſtung nicht in ſehr weitem Umfange erfolgt, und iſt 
dabei nur das Gewebe der Lunge nicht ſelbſt verdorben, ſo iſt der 
Nachtheil auch eben nicht fehr groß. — Die feroͤſe Haut, wel⸗ 
de die Lunge: bekleidet, führt den ungefhidten Namen; des Bruſt⸗ 
fels (Pleura). Sie werden erkannt haben, daß es zwei völlig 
getrennte Säde ** und daß man eigentlich von 2 Bruſtfellen 


4 





» Wie Pr ——— ſerdſen Haͤuten, kann auch in dieſer ber feuchte Dunſt ſich 
krankhaft vermehren, und zu einem Iymphatifchen Waſſer gerinnen. Dies 
iſt dad Wefen der Bruftwaflerfucht , in der durch Ausdehnung der Säde des 
Brutfells Athmung und Kreislauf ehr erſchwert werden. 


nn 432 — 7 5 

ſprechen follte. An den großen Gefäßftämmen find fie einander 
am naͤchſten, hinter dem Bruſtbein und vor der Wirbelfäule ſtehen 
fie weiter von einander ab, , Hier würde man alfo, wenn man. die 
Bruſt quer durchſchnitte, dreieckige Lücken fehen. In der vordern 

Luͤcke liegt das Herz mit einigen Blutgefaͤßen, in der hintern Luͤcke 
die Luftroͤhre, die Speiſeroͤhre, die herabſteigende — der 
Bruſtgang und die Interkoſtalnerven. 


Beide — mit ihren Bruftfeten —* Herzen mit 
einem Theil der Blutgefäpftämme und der Speiferöhre, find einge: 
ſchloſſen vom Bruſtkaſten. Wie 'wiffen, daß dieſer ein End- 
chernes Gerüfte enthält, das aus den Bruftwirbeln, den Rip: 
pen und dem Bruſtbein beſteht. Man uͤberſieht es auf der 
Uten Kupfertafel und. erkennt dort leicht, daß der Bruſt— 
kaſten im Ganzen cylindriſch, aber oben und unten verengt iſt, und 
alſo mit der Geſtalt eines Faſſes verglichen werden kann. Die Luͤ⸗ 
den zwiſchen den Knochen des Reurafenk, werben durch Muskeln 
und dichten Zelftoff ‚völlig ausgefüllt. In dem Zwiſchenraume 
zwiſchen zwei Rippen liegt eine doppelte Lage von Muskeln, welche 
man Zwiſchenrippenmuskeln nennt. Nach oben uͤber der erſten 
Rippe liegen Muskeln, die von den Halswirbeln an die erſten Rip⸗ 
pen herabſteigen. Der Übrige Raum wird von Blutgefaͤßen und 
dichtem Zellſtoff ausgefuͤllt. Nach unten ſpannt ſi br wie wir wif- 
’ fen, das Zwerchfell aus, fekt ih an alle untere Rippen und kehrt 

feine Wölbung nad oben. - So bildet der ganze Bruſtkaſten e eine 
velcuagens Hoͤhle, die man die Bruſthoͤhle nennt. | 


$. 058. Menn die Bruſthohie durch irgende einen Medi 
nismus erweitert oder verengt wird, fo muͤſſen ſich die Lungen auss 
dehnen oder zufammenfalfen, und es muß, wie wir gleich ſehen 
werben, dadurch Luft in die Lunge eins und austreten, 


f 


Um einzuſehen, wie die Bruſthoͤhle erweitert mo kann, 
erinnern wir und, daß die Rippen ſowohl an der. Wirbelfäule, als 
an dem Bruftbein etwas beweglich find, Werben die Rippen nach 
. oben gezogen, fo drehen fie fich ein wenig, ſo daß die äußere Fläche 

fid) etwas nach oben kehrt. Diefe Bewegung wird verrichtet 
durch die.Rippenhalter und die Zwiſchenrippenmuskeln, die die 
tiefen Rippen gegen bie obern anziehen, . Won ben Bruſtwirbeln 
A gehen 


—*— 
— 


— 4 — 


’ 


x gehen noch andere kurze Muskeln, die man Nippenbeber nennt, an 


die genannten Knochen und unterftügen dieſe Bewegung.  Bugleich 
wird das Bruftbein duch den ſtarken Warzenbruftbeinmustel (Taf, 
I, 8ig. 2. 16.) nad) oben gezogen. Am meiften aber wirkt 


— das Zwerchfell, welches ſich bei feiner Contraktion mehr verflacht, 
"and, da die Leber. mit den übrigen Organen der Oberbauchgegend 


nicht hinlänglich herunter treten kann, bei ſtarker Wirkung zugleich 


den Bruftkaften hinauffchiebt. Alle diefe Bewegungen vergeößer 
den Raum der Bruſthoͤhle. Durch das Aufheben der Rippen wird 


fie im Umfang weiter, durch das Abflahen des Zwerchfells ges 


winnt fie an Länge, Da nun der Raum zwifchen dem Bruſtkaſten 


und den Lungen nicht nur ſehr eng, Tondein auch überall gefchlofz 
fen. ift, fo würde hier ein Iuftleerer Raum entftehen, wenn nicht 
die Lungen ſich ausbehnten, Da ferner die Lungen nichts find als 
Verzweigungen der Luftröhre, und diefe mit der äußern Luft im ge= 
wöhnlichen Zuftande in offener Verbindung fteht, fo muß die äußes - 
te Luft mit eben der Kraft in die Lungen hineingebrüdt werden, mit 
der der Bruftkaften ausgebehnt wird, nach dem allgemeinen Gefeg 
bes Gleichgewichtes bei elaftifhen Stüffigkeiten. * Man hat die 


Kraft, mit der die äußere Luft auf die innere Släche der Lungen 


drückt, auf mehrere Hundert Pfund berechnet, — Wenn die äußes 
re ‚Luft nicht durch die Luftröhre eintreten Eönnte,. fo würde inner= 


halb der Lungen, wenn auch nicht ein luftleerer Raum, doch eine, 


ſehr verduͤnnte Luft feyn. Alte Kräfte, welche den Bruſtkaſten aus⸗ 
dehnen, find aber nicht im Stande, gegen den Drud ber aͤußern 


Luft dieſe Ausdehnung in einem bedeutenden Grade hervorzubrins ⸗ 


gen. Davon überzeugt man fich leicht, wenn man die Stimmrige 


willkuͤhrlich verfchließt, und num verfucht, den Bruſtkaſten zu er- 


| 


weitern, ober foenn man während des Einathmens bie Stimmrige 
fließt.  Sogleidy hört die weitere Ausdehnung der Bruſthoͤhle 


auf. Daß in jenem Einftrömen der äußern Luft das Einathmen be= 


- 


fieht, bedarf Feiner nähern Auseinanderfegung, — Wir können 


= 


* 





*Aus der gegebenen Darſtellung wird es klar, wie durch eine Verletzung bed 
Sruſttaſtens dad Athmen erſchwert wird, Sit 3.8. eine Wunde zwiſchen zwei 
Nippen eingedrungen, fo iſt die VBruftihöhle nit mehr ein gefchloffener 

: Raum, es kann num bei der Ausdehnung biefer Höhle zur Herſtellung 
bes Gleichgewichtes in der at eben fo wohl die Luft in den einen Sad des 
Bruſtfells als durch die Luftröhre in die Zungen felbft eintreten, 


28 


—6 — — a 


willkuͤhrlich ſchwach und ſtark einathmen. In gewöhnlihem Zu⸗ 

flande, wo wie, ohne darauf aufmerkfam zu feyn, und ohne duch 
einen Erankhaften Zuſtand gehindert zu werden, einathmen, ift bie 
Wirkung der genannten Muskeln hinlaͤnglich. Ya, wenn gar eis 
ne Störung da ift, wirkt das Zwerchfell faft allein, und immer 
giebt es das Hauptmittel zur Vergrößerung der Brufthöhle Das: 
her bemerkt man eine große Schwierigkeit im Athmen, wenn man 
in Thieren den Zwerchfellsnerven unterbindet und dadurch dieſen 
Muskel laͤhmt. Es koͤnnen aber noch andere Kraͤfte hinzutreten, 
wenn irgend ein Hinderniß dem Athmen entgegen tritt. So ges 
ben von der Schulter und dem Oberarm Muskeln an die obern 
Nippen, welche diefe aufheben Eönnen, wenn der Arm befeftigt 
ift. Darum flemmen fih Perfonen, melde in Krankheiten nur 
mit großer Anftvengung athmen, gern mit den Armen an. — 


Auf das Einathmen folgt das Ausathmen. Alle Muskeln, 
welche den Bruſtkaſten erweiterten, und namentlich das Zwerchfell, 
erfchlaffen in ihrer Thätigfeir. Andere Muskeln treten dafür in Wirk: 
famfeit. Durch das Herabtreten des Zwerchfells werden die Bauch» 
musteln gefpannt. Sie ziehen ſich auf diefen Reiz zufammen, 
ziehen die untern Rippen und mit diefen auch die obern herab, und 
verengern wieder den Umfang ber Bruſthoͤhle. Daffelbe thun auch 
andere Muskeln, die von den Lendenwirbeln zu den Rippen hin⸗ 
aufſteigen. Zugleich zieht ſich die Lunge, welche uͤber das Maaß 
ihrer natuͤrlichen Elaſticitaͤt ausgedehnt war, zuſammen. Auch 
moͤgen die Laͤngsfaſern auf der innern Flaͤche der Luftwege, wenn 
ſie Muskelfaſern ſind, ſelbſtthaͤtig dazu beitragen. Wie ſtark aber 
auch ohne diefe die Lunge vermoͤge ihrer Elaſticitaͤt zuſammenſinkt, 
fieht man an todten Lungen, die man mit Gewalt aufgeblafen hat, 
worauf fie bald zufammenfallen. Die Verengerung der Brufthöhle 
und das Zufammenfallen der Lungen treiben die Luft wieder aus 
der Ruftröhre hinaus, "und mit diefem Ausathmen ift dee Athem⸗ 
zug vollendet. Im gewöhnlichen gefunden Zuſtande folgt das Aus: 
athmen bald auf das Einathmen, und dann tritt eine Furze Paufe 
ein, nad welcher das neu erwachte Beduͤrfniß nach Luft einen 
neuen Athemzug veranlaft. Die Zahl der Athemzüge ift in den 
verfchiedenen Perfonen fehr verfchieden, Einige Phofiologen fans 
den, daß fienur zı Mal, andere, daß fie 15 Mat in einer Minute 


athmeten, andere wollen bemerkt *— daß fie 26 bis 27 Athem⸗ 
zuͤge in derſelben Zeit machten. Die letzte Angabe ſcheint mir auf 
jeden Fall zu groß, und dadurch veranlaßt, daß man bei dem Der 
fuche auf das Athmen aufmerkfam war, und deshalb häufiger ath⸗ 
mete, als gewoͤhnlich. Ich wenigſtens mache nicht einmal 15 
Athemzuͤge in der Minute. Wenn die Zahl 20 etwa die mittlere. 
wäre, fo würden die Menfchen im Durchſchnitt 28,800 Mal in 24 
Stunden athmen. Eben fo wenig Öleichförmigfeit iſt in der 
Duantität Luft, welche eingezogen und ausgeftoßen wird. Nach 
Davy nimmt * bei gewoͤhnlichem Einathmen 10 — 13 Cu 
bikzoll, nad Allen und Pepys 16,5 C. 3., nach Andern (ge⸗ 
wiß zu viel) 40 C. 3. atmoſphaͤriſche Luft ein. Bei angeſtreng⸗ 
tem Athmen ift die Quantität viel größer. Davy fand, daß bei an⸗ 
geftrengtem Einathmen die Lungen 240 ©. 3. enthalten, und bei 
angeftrengtem Ausathmen nur noh 35 C. Zoll zurückbleiben. Bei 
gewöhnlihem Einathmen enthalten fie nah ihm 118 6. 3., bei 
gemöhnlihem Ausathmen 108 C. Zol. Sie haben hierin einen 
neuen Beweis, wie ſchwer fih an phyfiologifche Prozeffe ein. Maag 
anlegen laͤßt, fehen aber auch von Neuem beftätigt, in welchem 
weiten Umfange die Lebensprozeſſe variiren fönnen, um nad dem 
Debürfniffe des Organismus das Leben ungeflört zu erhalten. » Se 
nachdem durch die übrigen Verhältniffe des Oraaniemus, fie feyen 
nun in ihm bleibend oder voruͤbergehend, der Bedarf an Luft grös 
Fer oder geringer ift, wird mehr oder weniger Luft eingezogen und 
das Einziehen häufiger oder feltner erneuert, Wir haben es ſchon 
als wefentlic für eine richtige Erkenntniß des Lebens erfannt, daß 
feine einzelnen Verrichtungen nicht wie die Arbeit einer Mafchine 
in ungeftörter Gleihförmigkeit fortgehen, fondern, daß eine jede 
einzelne abhängig ift von dem Fortgange ber andern. Davon fol 
uns das Athmen bald noch mehrere fprechende Beweiſe geben. 
PR aber wollen wir noch das Athmen an fi weiter betrachten. 


Hier ſtoßen wir zuerft auf die Frage, worin der Grund der 
Ahmungsbewegung liege? eine Frage, die den Phnfiologen viel 
‚ Nachdenken verurfacht hat, So leicht nämlich der Mechanismus 
des Athmens eingefehen wird, fo ſchwierig ift es einzufehen, welcher 
Grund diefe Bewegungen erregt, und um fo ſchwieriger, da es 

—— * ſind, die den Bruſtkaſten erweitern, und ſie 
28 A Fr 


—— — 


| dennoch) ohne unfer Berpuftfegn thätig — nd, Wir koͤnnen nm 


eine Zeit lang den Athem anhalten, wir koͤnnen mehr oder weniger 
tief einathmen, aber waͤhrend der groͤßten Zeit unſeres Lebens ath⸗ 
men wie, ohne es zu wiſſen, im Schlafe, wie im Wachen. — 

So viel fheint offenbar, dag man die Erfpiration bei Unterfuhung 

diefer Frage ganz unberüdfichtig gt laffen kann, da man fie wohl als 
eine nothwendige Folge der Inſpiration anfehen darf, ‚Die In⸗ 
ſpiration fheint wohl wefentlich ein unwillkuͤhrlicher Akt. Ale 
toillführlichen Bewegungen muß der Menfch ausüben lernen. Es 
Scheint, als ob er erft allmählich die Herrſchaft über fie gewaͤnne. 
So die Bewegung der Glieder, das Gehen, das Sprechen. Das 
Athmen wird im erften Augenblicke nach der Geburt vollftändig voll- 
zogen. Die bedingende Urfache muß ein innerer Reiz, feyn, wie 
der, welcher die Bewegungen des Herzens und des Darmes hervor- 
ruft. Dieſer innere Meiz geht wohl aus dem Beduͤrfniß des Blu⸗ 
tes nach Luft hervor, und zwar nad) einer Luft, die nicht lange in 
den Lungen verweilt hat, Man mag immerhin das läftige Gefühl, 

welches bie Anhäufung von Benenblut in der rechten Kammer und 
dem Stamm der Lungenarterie hervorbringt, als die nächte Urſache 
anſehen. Das ift einerlei. Die Schwierigkeit beruhf nur darauf, 
anzugeben, wie der innere Meiz ober diefes Bebürfnig nach Luft, _ 
welches auf jeden Fall zuvoͤrderſt auf die Lungen einwirkt, die aͤu⸗ 
fern der Willkuͤhr gehorchenden Muskeln in Thätigkeit ſetzt; denn 
daß man den Reiz zur Athmungsbewegung außerhalb der Athmungs⸗ 
organe, etwa in dem Schlagen des Herzens gegen das Zwerchfell, 
voodurch diefes in feiner Ruhe ewig aufgeftört würde, oder gar in 
dem Reiz der äußern Luft auf die Bauchmuskeln fuhrt, ift durchaus 
unphyfiologifh. Wollen wir lieber fagen, daß zwifchen den Lun⸗ 
gen und den bewegenden Muskeln des Bruſtkaſtens ein ſolcher Con: 
fenfus beftehe, daß ein Reiz auf bie erftern die legtern in Thaͤtig⸗ 
keit ſetzt! damit haben wir freilich genau genommen, keine Er⸗ 
klaͤrung des Phaͤnomens, ſondern nur einen Ausdruck fuͤr daſſelbe; 

aber ein ſolcher Ausdruck fuͤhrt uns wenigſtens von der |. 
En ab, wie eine unrichtige Erklaͤrung thun wuͤrde. 


— 256. Mir konnen auf zwei verfehiehenen Megen bie zuft 
einziehen und ausſtoßen, durch den Mund und durch die Naſe. 
Durch den Mund athmen wir gewoͤhnlich nur, wenn wir unſere 


" Stimme hören laffen, oder wenn ein Hinderniß dem Dutchgang durch 
die Naſe entgegenfieht. Beide Wege gebrauchen wir, wenn wir in 
- Eurzer Zeit viel athmen wollen, wienach langem Laufe und andern ans 
geſtrengten Bewegungen. Der gewoͤhnliche Weg fuͤr die Luft in die 
Lunge und aus derſelben iſt die Naſe, und es iſt merkwuͤrdig, daß 
in der Rachenhoͤhle ſich die Wege fuͤr die Ernaͤhrung und Athmung 
kreuzen. Da naͤmlich die Speiſeroͤhre Hinter der Luftroͤhre liegt, 
der Mund aber unter der Naſe, ſo geht die Speiſe quer durch die 
Bahn der Luft hindurch, und eben ſo der Luftſtrom durch den Spei⸗ 
ſeweg. Der Kehldeckel ſcheint die ausgeathmete Luft nach der Na- 
ſe zu leiten, und eben ſo die eingeathmete von dem Eintritt in die 
Mundhoͤhle abzuhalten, und das Gaumenſegel bewegt ſich auf eine 
merkwuͤrdige Weiſe, um den Kanal, den die. Luft gehen ſoll, voll⸗ 
ftändiger zu machen. Es hebt ſich in die Höhe, und verdeckt mehr 
oder weniger den Eingang in die hintern Nafenöffnungen, wenn wir- 
durch den Mund athmen. Es fenkt ſich nieder, und zugleich ers 
hebt fich die Zunge (vorzuͤglich fo Tange die Lippen nicht: gefehloffen 
find) gegen den Gaumen, wenn wir durd die Nafe atmen. Dies 
fe Bewegungen werden leicht erkannt, wenn man einge Perfon in 
den. Mund fieht, welche bald. durch die Nafe bald — den Mund 
Luft ausſtoͤßt. 


Manche beſondere Modifikationen des Ein⸗ und Ausathmens 
find mit eigenthuͤmlichen Namen belegt, Wir wollen einige derfel- 
ben näher ins Auge ſaſſen. 


Das Gaͤhnen iſt ein langſames und tiefes 9 
verbunden mit Spannung mehrerer willkuͤhrlicher Muskeln, vorzuͤg⸗ 
lich der Muskeln des Unterkiefers zur weitern Eröffnung des Muns 
bes, und bei ſtaͤrkerem Gähnen der Muskeln dev Arme oder, des 

. ganzen Körpers, Es fheint, dag dabei die Luft vorzüglich. an ben 
- Gaumen: und aud) wohl in den Schlundfopf dringen ſoll. Auch 
wird fie gegen die Euftachifche Röhre geprefit, weswegen man zus 
weilen ein Klingeln im Ohre hört. Das Gaͤhnen wird hervorges 
rufen duch große Ermüdung und Langfamkeit des Blutumlaufs, 
daher es in Krankheiten ein Zeichen von Erſchoͤpfung ifl, Man 
kann es wohl als einen leichten Krampf anfehen, den das Beduͤrf⸗ 
niß nad) Lufteinflug auf das Blut bei ſchwacher Athmung in ent⸗ 


ferntern Theilen erregt. Auf das tiefe Einathmen folgt ein lang: 


fames paffives Ausathmen, wobei jedoch die Mundhöhle noch er⸗ 
weitert bleibt. | 


Das Seufzen ift ebenfalls ein Iangfames und tiefes Eins 
athmen, worauf aber ein fchnelles Ausathmen folgt mit merklicher 
Verengerung der Stimmritze. Auch das Seufzen beruht auf dem 
Beduͤrfniß, den Kreislauf zu befoͤrdern. Man ſeufzt daher nach 
großem Blutverluſt, auch in Krankheiten, die auf geſtoͤrter Athmung 
beruhen. In geſunden Tagen wird das Seufzen mehr durch pſy⸗ 
Side N hervorgerufen, duch Trauer und Sehnfucht, 


Das Schluchzen ift ein heftiges Einathmeh in einzelnen 
Stoͤßen. Es ift meiftens mit Weinen verbunden, Das Weinen 
felbft möchte ich aber nicht zu den Modifikationen des Athmens zäh: 
ten, indem es oft (in koͤrperlicher DU nur in einem Erguß von 
Thränen beſteht. 


Das Krk ift ein Eurzes und häufiges Einäthinen, 
das bei großer Befchleunigung des Kreislauf durch ſtarke Bewegun⸗ 
gen oder Affekte dem Blute hinlängliche Luft zuführen foll oder bei 
geftörter Athmung in Krankheiten der Lingen erfegen fol, was der 
Bolltommenpeit in ber Ausdehnung der Lungen abgeht. 


Das Schluden oder Schludfen befteht in einer 
krampfhaͤften Zuſammenziehung des Zwerchfells, wobei zugleich die 
Stimmritze ſich ſchließt, indem der Kehldeckel ſich auf dieſelbe fchlägt. 
Davon ruͤhrt vielleicht der befondere Schal. Da nun feine Luft 
in die Lunge eintreten und den Bruſtkaſten erweitern kann, fo wird 
derſelbe bei der Verflachung des Zwerchfells ſtark in die. Höhe ge- 
fhoben. Auf diefen Krampf folat immer Ausathmung. Es ent- 
flieht entweder von befondern Reizen, die geradezu auf das Zwerchfell 
- wirken, oder durch Störung der Verbauungsorgane, die dns Zwerch⸗ 

rl in Mitleidenfchaft siehen, 


In den bis jegt befprohenen Modifikationen des Athmens 
iſt die Inſpiration vorwaltend; folgende find Abaͤnderungen der Er: 
ſpiration. Meiſtens geht eine Einathmung voran, um die noth⸗ 


öm, = 


mwendige Quantität von Luft herbeizufchaffen, und es muß das Ein: - 
athmen wohl zuweilen wiederholt werden. 

j Huften ift ein plögliches Eurzes Ausathmen, bei bem bie 
Lungen felbft vorzüglich thätig zu feyn fcheinen. Die plöglich aus: 
geftoßene Luft erzeugt einen Schall bald im Kehlkopf, bald vielleicht 


in der Luftröhre ſelbſt durch Zuruͤckprallen vom Kehlkopf. Die Urs 


fache des Huſtens befteht wohl immer in einer Reizung ber Luftroͤh⸗ 
renaͤſte und ihrer Verzweigung in bie Lunge, hervorgebracht entwe⸗ 
ber durch Schleim, Blut, Eiter, bie fi in der Lunge felbft er: 
‚seugten, oder durch eingebrungene, fremde Körper, deren Berüh: 
"rung die Luftröhre nicht vertragen kann, (bei Erankhafter Neizbar- 


keit ift felbft die gewöhnliche atmofphärifche Luft zu veizbar, beſon⸗ 


ders wenn fie kalt ift) oder endlich durch Mitleidenfchaft, : wenn 


- entferntere Organe leiden. Der ununterbrochene Huften läßt Feine 


vollftändige Einathmung zu Stande kommen, und wirkt daher auf 
das Gefäßfpftem wie eine lange Unterdrädung des Athmens, 


Niefen hat wie das Schludfen feinen Grund in seinem 
Krampfe des Zwerchfells. Da es aber mit ploͤtzlichem Ausathmen 
verbunden ift, fo ift e8 im diefer Hinfiht dem Schlucken entgegen« 
gefest, und muß entweder in einem plöglichen Aufhören der Thäs 
tigkeit des Zwerchfells oder in ‚einer Vermehrung feiner Wölbung 
beftehen. Wenn ich mich auf mein eigenes dunkles Gefühl verlafs 
fen kann, möchte ich wohl glauben, daß das Zwerchfell uͤber den 
Zuſtand der Woͤlbung, den es während ber Ruhe hat, ſelbſtthaͤtig 
hinausgehen kann. Indeſſen ift man gewöhnlich geneigt, dem 
Zwerchfell nur das Vermögen fich zu verflachen zuzufchreiben. Beim 


Nieſen wird der Luft eine Beit lang der Ausweg verfperrt, und 


dann wird fie mit Gewalt in die Nafe getrieben. Es entfteht am 


häufigften duch Reizung der Nafe, auch wohl durch Leiden der Un» 


terleibsorgane. Durch Aufmerffamkeit kann man biefen krampf⸗ 
haften Zuftand, wenn er fih allmählich zu entwideln beginnt, uns 
terdruͤcken, fo wie durch Reiben der aͤußern Nafe, wenn die Reis 
zung zum Niefen gering ift. Die Erfehütterung des ganzen Körs 
per, die das Niefen begleitet, läßt einen behaglichen Zufland zus 
xuͤck. Zuweilen foll es mit uͤbeln Folgen begleitet geweſen ſeyn. 


Irrig iſt es aber, wenn man die Sitte, einem Nieſenden Gluͤck zu 


Lu ER ! h 8 * SI N 
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— 440 — a 
wuͤnſchen, von einer gefaͤhrlichen Krankheit herleitet, die im Mittelalter 
geherefcht und Häufig mit Niefen den Tod herbeigeführt Haben foll — 
denn fhon Plinius (Lib. 28. c. 2.) und Ariftoteles (Hist. 
anim. LI. c. IL.) var nah dem Urfprunge dieſer Sitte. 


su DAR Laden befteht in haufi igen und ſchnellen Ausath⸗ 
mungen mit Geraͤuſch, wobei die Luft gegen den Gaumen getrie⸗ 
ben wird." Damit find Bewegungen der Muskeln des Gefi ts 
verbunden. Die Mundmwinkel ziehen ſich zuruͤck und hinauf, die 
Lippen entfernen ſich von einander, die Augenlieder treten dagegen 
naͤher zuſammen. Außer dieſen Bewegungen im Geſichte wird das 
Lachen wohl vorzuͤglich durch ein abwechſelndes Steigen und Sin⸗ 


ken des Zwerchfells, wobei allmaͤhlich die übrigen Muskeln den 


Bruſtkaſten ſinken laſſen, hervorgebracht. Das Lachen folgt be— 


anntlich auf bie Erkenntniß des Komifhen, indeffen iſt es nicht. 


felten Frankhaft, und dann ein fahrer Srampfzufland, der eben 
nichts Froͤhliches hat. Auch ein Kigel der Hautnerven, borzüglic 

an den Sußfohlen, unter der Achſel und am Halſe erregt dieſen 
— 


Das Kelten oder Stöhnen iſt auch "eine RN | 


Art des Ausathmens, wobei die Lunge langfam zuſammengedruͤckt, 
die Stimmrige aber fo wenig geöffnet wird, daß hier ein befonderer 

Ton ſich bildet, Es iſt immer ein Zeichen, * die ae nur 

‚mit Mühe erfolgt, 


- Das Schnarch en iſt ein Athmen, verbunden mit ei⸗ 


nem beſondern Geraͤuſch, das vom Gaumenſegel und dem Zaͤpf⸗ 


chen herruͤhrt. Dieſe Theile erſchweren der Luft den Durchgang, 


Bun: 


ohne ihn ganz zu hemmen. Das Schnarchen hört man am häufigften . 


bei Perfonen, die fehe feft fchlafen, beſonders wenn fie auf dem 
Ruͤcken liegen, Das Zäpfchen liegt grade fo vor der Stimmritze, 
daß es von jedem Luftzuge erzittert — entweder beim Ausathmen, 
oder Mein —“ oder bei beiden Bewegungen zugleich, 


guweiten — auch das Athmen vom Koͤrper zu andern — 


Een, als die Reſpiration ſelbſt, verwendet. Wir brauchen nämlich, 
die Lunge, wie einen Blaſebalg, bald um eiwas einzupumpen, bald 


* 
um atwas auniſtohen. So ande) wie fie zum Saugen, 
Nachdem die Lippen an einen Gegenſtand fo feft angedruͤckt find, 
daß Feine Luft zwifchen den Lippen und dem Gegenftande eindrin⸗ 
gen kann, machen wir mit dem Bruſtkaſten die Bewegung des Eins 
athmens und hindern, dutch Aufhebung des Öaumenfegels die Com⸗ 
munikation mit, ber Naſe. Mit derfelben Kraft, mit der wir die 
Lungen auszubehnen uns bemühen, wird jener Gegenftand gegen 
unſere Mundhöhle durch die Äußere Luft gedrüdt. Iſt er flüffig, 
fo tritt er indie Mundhöhle ein. Enthält er blos eine Fluͤſſigkeit, 
welche durch Kleine Deffnungen‘ heraustreten kann, wie etwa die 
Milch aus der Mutterbeuft, fo ſtroͤmt die Fluͤſſigkeit mit Gewalt 
aus diefen Deffnungen hervor, und ergießt fich in die Mundhöhle, 
Das eben nennen wir ſaug en. Auch beim gewöhnlichen Trinken 
faugen wir. in der Regel ein wenig, wenn wir nicht etwa bie Fluͤf⸗ 
ſigkeit von oben herab in den Mund hineinſtuͤrzen. Wir tauchen 
naͤmlich die Lippen oder wenigfiens eine Lippe „(wenn die andere 
fih an den Rand des Gefaͤßes feat) in die Fluͤſſigkeit ein. Ob- 
gleich dabei der Raum fuͤr den Eintritt der aͤußern Luft in die 
Mundhoͤhle nicht ganz verſchloſſen iſt, ſo iſt er doch ſo verengt, 
ba bei flärferer Ausdehnung von der Lunge mit der äußern Luft 
auch zugleich das Getränk in die Mundhöhle tritt. Auch trinken 
wir ſicheret und mit weniger Anſtrengung, wenn wir die Lippen 
tief eintauchen. Sind die Lippen ſo wenig eingetaucht daß mit 
vieler Luft wenig Fluͤſſi igkeit eintritt, ſo nennen wir dieſes Schluͤ r⸗ 
fen. There, bei denen der Mund; weit gefpalten iſt, die Nafe 
aber an der Spige der Schnautze fteht, wie etwa der Hund, koͤn⸗ 
nen das Waſſer nicht einſaugen, weil es zugleich durch Mund und 
Naſe eintreten wuͤrde. Sie muͤſſen daher das Waſſer mit der Zun⸗ 
ge, wie mit einem Löffel, auflecken. Beim Pferde ſteht die Nafe 
ſchon etwas zuruͤck, und feine Lippen haben eine eigenthuͤmliche Ber 
weglichkeit/ vermoͤge welcher die hintere Haͤlfte der Rippen in der 
Naͤhe der Mundwinkel geſchloſſen bleibt, während die vordere Haͤlf⸗ 
te fihhöffnet und zugleich die Naſe mehr in die Hoͤhe ſchiebt. Der 
Elephant ſaugt das Waſſer wirklich in den vordern Theil der Nafe 
(Ruͤſſel ein, um es nachher aus dieſer in das Maul hinein zu 
‚blafen. So giebt es hundertfache Weiſen, durch welche die verſchie— 
denen Thiere ihre Getränke aufnehmen. Immer ſtimmt der Bau 
der Organe mit der Art, wie fie fich daber Benehmen So iſt die 


innere Fläche ber Nafe bei. ben meiften Thieren ſehr empfindlich, 

beim Elephanten aber nicht, da er auf feinem andern Wege ſich 
fein Getränk verfhaffen kann. Doch wir Eehren von diefen Bes 
trachtungen, die und leicht zu weit führen könnten, zu unferm 
Gegenftande zuruͤck. 


Die Athmungsorgane, ſagte ich, werden auch gebraucht, um 
fremde Dinge nicht nur aus dieſen Organen ſelbſt, ſondern auch 
aus der Naſe und dem Munde herauszuſchaffen. Es werden die 
Lungen raſch und mit Kraft zuſammengedruͤckt, um jene laͤſtigen 
Dinge herauszublaſen. So haben wir ſchon früher darauf aufmerk⸗ 
fam gemacht, mie die Lunge fih fogleih Frampfhaft zufammen- 
zieht, fobald nur ein Weniges von Speife oder Trank die Stimm: 
ritze unmittelbar berührt oder im Begriffe iſt, in die Luftröhre hin⸗ 
abzuſinken. Es wird ſogleich hinausgeſtoßen. 


Das Raͤuspern beſteht faſt in demſelben Akt, if jedoch 
ſchwaͤcher und wird von der Willkuͤhr hervorgerufen. . Es befteht 
in kurzen Luftftößen, wodurch wir uns bemühen, die Stimmrige 
‚und überhaupt den Kehlkopf, auch wohl das Gaumenfegel, von an: 
hangendem Schleim zu reinigen. , Es find mehrfache Bewegungen, 
bie wir mit dem Ausbrud des Räusperns bezeichnen. Sie haben es 
mit einander gemein, daß fie die Stimmorgane reinigen und gleich> 
Tam zurechtſtellen. Daher pflegt man beim Anfang einer Rede fich 
zu raͤuspern. in häufiges und unmillführliches Näuspern giebt 
immer eine gewiffe Unficherheit in der Beherrfhung der Stimmor⸗ 
gane zu erkennen, und laͤßt uns daher einen ängftlihen oder nicht 
feften Charakter ahnen. Ein lautes auffallendes Näuspern kann 
. aber aus dem Wunfche, fich bemerkbar zu machen, hervor gehen. 


Duch das Schnauben entfernen wir den Schleim, ober 
irgend einen eingedrungenen fremden veizenden Körper aus der Nas 
fe. Die Nafenkanäle find aber fo weit, daß der ftärkite Luftſtrom, 
den die Lungen geben Eönnen, einen feftfigenden Schleim nicht her= 
austreibt, Hier muß die Kunft zu Hülfe kommen, und darum 
verftehen Kinder nicht ſich zu ſchneutzen. Man lernt aber bald, 
daß die Nafenflügel zufammengedrüde werden'müffen, und daß, 
während man einen Luftftoß gegen die Nafe richtet und zugleich mit 
dem Gaumenfegel und der gegen den Gaumen angebrüdten Zungen⸗ 


3 Rn den Eingang in bie Mundhohle seitlich; mit dem Drud 
auf die Nafenflügel etwas nachgegeben werden muß, damit die Luft 
durch eine enge Spalte hinausfährt, und den vor- ihr liegenden 
Schleim vor fi Herftöße. — Auch beim Ausfpeien wirkt _ 
der Luftftoß aus der Lunge. Nachdem nämlich durch die Zunge der 
Speichel oder Schleim etwas gefannmelt worden iſt, wird der mittz 
lere Theil der Bunge an den Gaumen angedrüdt. Dann folgt ein 
Luftſtoß aus der Lunge, die Zunge entfernt fich ein wenig vom 
. Gaumen, der Luftfirom fährt durch die fo entflandene Spalte und 
reißt den Speichel mit fich fort. 


$. 257. Um die Wirkung des Athmens auf den Körper 
und den Zufammenhang diefer Verrichtung mit dem übrigen Leben 
kennen zu lernen, wollen wir zuvörderft die Veränderungen unter 
ſuchen, welche die Luft dabei erleidet. Es ift die ausgeathmete 
Luft immer eine andere als die eingeathmete. Da die Natur uns 
die atmofphärifche Luft zum Einathmen angewiefen hat und wir 
faft immer nur diefe athmen, fo wollen wir vor allen Dingen: diefe 
beruͤckſichtigen. Die atmofphärifche Luft befteht,. wie die Chemie 
lehrt, aus einem Gemifch von 79 Theilen Stidgas und zı Theis 
len Sauerftoffgas, mit einer fehr geringen Quantität fohlenfaurem 
Gas, welche nicht den rooften Theil des Ganzen ausmacht. 
Kommt diefe Luft in die Lunge, ſo wird fie zuvoͤrderſt erwärmt. 
Beim Ausathmen ift die Quantität der Luft kaum merklich verrin⸗ 
get — nicht um 0,01. Die Qualität ift aberigang anders. 
Das Sauerfloffgas hät abgenommen, dagegen ift viel kohlenſaures 
Gas dazu gekommen, ° Der Stiftoffgehalt der Luft bleibt in der 
Megel nach den neueften und vorfihtigften Verſuchen unverändert. 
Die Luft ift ferner mit feuchten Dünften angefült. Die Duantis 
taͤt der Kohlenfäure, die fich in der ausgeathmeten Luft nach ‚einem 
Athemzuge zeigt, ift fehe verfchieden nach der Körperbefchaffenheit, 
nach der Schnelligkeit und Tiefe der Athemzuͤge. Natuͤrlich muß» 
ten alfo die Angaben der Erperimentatoren fehr abweichen, * Gans 





” In 100 Theilen auögeathmeter Luft waren bei Berthollet 5,53 — 13,825 
bei Muss 395 — 4,5; bei Menzies 5; bei Al len und Pepys jet 
9,55 “ yesut 23 3— 4,15 bei einem Freunde von Letzterem 4,63. bei 
ray 6,2 — 6,5; bei Surine 10 Theile INNEN, 


i — “— 
je geihen von S zeigten, daß fe in berfeben 9 Den 
ſchen ſtark abweicht; I, nach den Tageszeiten — fie iſt am groͤß⸗ 
ten zwifchen TI — 1 UhrMittage, am geringften in der Nacht; a, 
nach der Stimmung des Gemuͤthes: bei heiterer Stimmung iſt ſie 
groͤßer als bei trauriger; z, nach der Bewegung und andern Ver: 
haͤltniſſen des Koͤrpers. — Nach mehrmaligem Athmen derſel⸗ 
ben Luft iſt ihre Abnahme bedeutender. Die ſpaͤtern Athemzuͤge 
erzeugen im Verhaͤltniß zu dem — Sauerſtoff weniger 
Baer | % 18% 2 


$. Pe Zum Athmen iſt nur eine Luft tauglich, Bis 
Sauerſtoffgas in einer Verbindung enthält, aus der es leicht (dureh 
Anziehung des Blutes) ausgefchieden werden kann, ober reines 
Sauerſtoffgas. So wird auch die atmofphärifche Luft, nachdem 
ihe Gauenftoffbergebrt ift, zum Athmen untauglich. Die untaug> 
lihen Gasarten führen früher: oder fpäter den Tod herbei. Dry» 
dirtes Stickgas Finnen Menfchen und Thiere eine kurze Zeitlang 
athmen. Viele Gasarten tödten ſogleich/ indem: ſich die Ach» 
mungsorgane krampfhaft vor ihnen verfchließen. Dahin gehoͤren die 
entſchieden ſauren Gasarten, als kohlenſaures, ſalzſaures, ſchwef⸗ 
Aligſaures Gas Sehr merkwuͤrdig iſt der Einfluß, den einige zum 
fortgeſetzten Athmen untaugliche Gasarten, die man jedoch einige 
Mal fuͤr ſich allein oder in Verbindung mit Sauerſtoffgas ohne uͤble 
Folgen einziehen kann, auf den ganzen: Körper ausüben, Waffer 
ſtoffgas macht Anfangs heiter, dann ſchlaͤfrig; bei groͤßern Quan⸗ 
titaͤten iſt die letztere Wirkung vorherrſchend. Salpetergas bringt 
die erſte Wirkung ſtaͤrker und bleibender hervor, indem es eine un⸗ 
gewoͤhnliche Heiterkeit erzeugt. In einer: amerikaniſchen Unter⸗ 
richts⸗Anſtalt hatten die Schuͤler ſich oͤfter dieſes Gas ſelbſt be 
reitet, um ſich mit Huͤlfe deſſelben einen frohen Tag zu bereiten, 
Auf reizbare und lebendige Subjekte wirkte es ſo ein, daß zuweilen 
Irreſeyn eintrat und die Huͤlfe des Arztes geſucht werden mußte. 
Ein ſchwermuͤthiger Lehrer derſelben Anſtalt heilte ſich durch dieſes 
Gas, das er einnahm, als ihn ſeine Verſtimmung zu gelehrten 
Arbeiten unfähig machte. Er fühlte eine erſtaunenswuͤrdige Kraft⸗ 


zunahme, nebft dem Gefühle eines volfommenen Wohlbefindens, 


Dieſes zeigte fich in einer ungewöhnligen Neigung zum Scherz und 
zur Froͤhlichkeit und einem Wachsthume der Muskelkraft, Die 





—— 445 —— 


ſtaͤrkere Wirkung des Gafes dauerte 30 Stunden lang. Nachdem 

| fie etwas nachgelaffen hatte, war doch die Nachwirkung in Entfer 

nung der Schwermuth (menigftens einige Monate hindurch, nad) 
welcher Zeit die Nachricht durch den Druck bekannt gemacht wurde) 

f geblieben. Der Geift warheiter, ohne ungewöhnliche Froͤhlichkeit. 

F Bugteic hatte der Gebrauch) des Gafes eine befondere Neigung zum 
Genuß des Zuckers hinterlaſſen (7). 


mens auf das Blut anlangt, fo mußte fie fo lange dunkel ſeyn, als 
- man die Zufammenfegung der atmofphärifchen Luft nicht kannte. 
Sobald diefe von Lavoifier entdeckt war, ſchien es feinem Zwei⸗ 
fel mehr unterworfen, daß das Sauerſtoffgas aus der Luft in dab 

Blut übergehe und aus diefem dafür Kohlenfäure austrete. Als 
- aber vor mehreren Jahren zwei genaue Erperimentatoren, Allen 

und Pepys, zeigten, daß die Kohlenfäure, welche die audgeath- 


- | 
| % 2 59. Was nun die unmittelbare Cihiwietung ı bes Ath⸗ 


mete Luft enthält, grade fo viel Sauerfloff zur Bildung erfordert, _ ” 


als die eingeathmete Luft verliert, wurde diefe allgemein angenomz 
mene Theorie wankend. Es fchien nach ihren Verſuchen möglich, 
daß der Körper blos das Beduͤrfniß habe, feinen Kohlenftoff der 
eingeathmeten Luft abzugeben, ohne etwas MWefentlihes von ihr 

aufzunehmen. Mac) diefer Anficht wäre die Kohlenfäure der auge 
geathmeten Luft gebildet aus dem Sauerfloffe der eingeathmeten 

Luft und dem Koblenftoffe des Biutes, Es waren auch die meiften. 
Phyſiologen zur Annahme diefer Anficht geneigt, Allein vergleicht 
man die vielen neuern und älteren, unter mannigfachen Umſtaͤnden 
angeftellten Verſuche, fo muß man fie verwerfen, und die Webers 
zeugung gewinnen, daß das Blut allerdings Sauerfloff aufnimmt, 
und daß die Kohlenfäure, wenn auch nicht ganz, doc größten 
theils als foldye aus dem Blute fommt und alfo ihren Antheil Sau⸗ 
erſtoff aus demſelben mitbringt. Auf dieſe Weiſe nehmen die Lun⸗ 
gen bei jedem Athemzuge freien Sauerſtoff auf, und geben unges 
fähr eben fo viel gebundenen Sauerftoff (in der Kohlenfäure) ab, 
- Die Gruͤnde dafür find: I. Bei einigen Lungenkrankheiten wird 
| weniger Kohlenfäure ausgeathmet ald Sauerftoff verbraucht wird, 
2. Ahmet man diefelbe Luft öfter ein, fo wird allmählich immer 
weniger - Kohlenfäure ausgeathmet. Der Verbrauch von Sauers 
ſtoffgas nimmt nicht in demſelben Maaße ab, man fieht alfo, daß, 


Ba a 


0 = 

wo bie Luft mehr mit Kohlenfäure angefuͤllt ift, fie weniger chemfs 
The Affinität zu der Kohlenfäure des Blutes hat und weniger davon 
aufnimmt. 3. Endlich bildet ſich auch Kohlenfäure, wenn man 
Kuft eingeathmet bat, die gar feinen Sauerſtoff enthält. — Sn 
Hinſicht auf das Stickgas der atmofphärifchen Luft ift das Blut der 
Lungengefäße im Ganzen indifferent.. Der Stickſtoff des Blutes 
muß mit diefem in einem Öleichgewicht fich befinden; denn im der 
Negel wird der Stickſtoffgehalt der atmofphärifchen Luft wenig oder 
gar nicht verändert. Ahmet man aber Luft ein, die gar kein 
Stickgas enthält, fo wird mit dem Ausathmen Stickgas abgegeben, 
und zwar in bedeutender Quantität eine fehr lange Zeit hindurch 
(mie man duch Verſuche mit Thieren weiß), fo daß es fcheint, 
daß fi nun Stickgas aus dem Blute entbindet. Iſt dagegen die 
eingeathmete. Luft ſehr reich an Stickgas, fo verliert fie etwas von 
demfelben. | 


Daß mit diefer chemifchen Umänderung eine Veränderungin 
der Farbe und übrigen Belchaffenheit des Blutes erfolgt, haben 
wir fchon (F. 89.) aus einander geſetzt. Es darf auch kaum noch 
erinnert werden, daß die chemifche Einwirkung durch die verbünnte 
Schleimhaut, die auch in den feinften Verzweigungen der Luftröhre 
nicht ganz fehwindet, und durch die Wände von den Gefäßnegen ber 
fo genannten Zungenzellen hindurch wirken muß. Eine Beſtaͤti⸗ 
‚gung davon finden wir in der Erfahrung, daß auch außer dem Kör- 
per Blut, in eine feuchte vo eingeſchloſſen, Br Be 
5 wird, 


$. — Die Lungenausduͤnſtung kommt aus den waͤßrigen 
Theilen des Blutes und wird nicht, wie man ſonſt wohl glaubte, 
aus Waſſerſtoff und Sauerſtoff erſt zuſammengeſetzt. So gehen 
auch Stoffe, die man in kleinen Quantitaͤten in die Venen unmits 
telbar. eintreibt, wie Wafferftoffgas, Pboevbewagecs und rie⸗ 
‚sende Stoffe, unmittelbar * die Lunge weg. 


$. 261. Das Athmen if bekanntlich zum Leben fo unent= 
behrlic), daß ein Hindernig im Athmen fehr bald tödtet. Unter: 
drüdung des Athmens tödtet theils dadurch, daß die überfüllten 
Lungenarterien Eein neues Blut mehr aufnehmen Eönnen und des⸗ 


x 


halb der ganze Kreislauf fill fiehen muß, theils dadurch, daß die 
rechte Herzkammer, wenn fie ihr Blut nicht in die Lunge verfenden 
kann, auch nicht gehörig das Venenblut aufzunehmen im Stande 
if. Dadurch entfleht leicht eine tödtliche Ueberfüllung des Hirns 
mit Blut. Was nun zuerft tödtet, ob Stillſtand des Kreislaufes 


ee 


Ä (Stiefluß) oder Ueberfüllung und Bluterguß im Hirn (Schlag: 


fluß), iſt niche immer leicht zu beflimmen. An Erhängten will 
man gefunden haben, daß fie bald am Schlagfluß, bald am Stid- 

fluß ftarben, je nachdem der Strict angelegt wurde und den Ruͤck⸗ 
tritt des Blutes aus dem Hirne erlaubte oder nicht, . 


Nach der erften und unmittelbarften Einwirkung des Athmens 
auf den Kreislauf wirkt es auch auf alle übrigen Verrichtungen. 
Kräftiges Athmen verftärkt die Eßluſt. Die Muskelkraft ſteht im» 
- mer mit ber Athmung auf gleicher Stufe, fo wie umgekehrt ſtarke 
Muskelbewegung ſtaͤrkeres Athmen und fchnellere Blutbewegung ers 
zeugt. Aufregende Gemüthsbewegungen, wie Freude, Hoffnung, 
vermehren bie Nefpivation. Sie wird gewaltig im Zorn, und 
wirklich kann diefer nur in Subjeften mit flarker Bruft in feiner gans 
zen Kraft hervortreten. Er geht in Aerger über, wo die Ath⸗ 
mungsorgane zu ſchwach find, feinen Anforderungen zu folgen. 
Sram, Furcht, Schred vermindern das Athmen. Umgekehrt er 
zeugt ein Hindernig im Athmen Angft bis zum hoͤchſten Grade, 
Schwache Refpirationsorgane haben Furchtfamkeit und Kraftlofige 
keit zur Folge. Im der wahren eiternden Schwindfucht ift zwar die 
Athmung für den ganzen Körper zu gering, allein in den gereizten, 
in geringer Entzündung begriffenen Lungen ift doch die Thätigkeit 

größer, als fie ſollte. Eine Folge davon find die trügerifchen Hoffe 
nungen, die diefe Kranken bis zu dem legten Augenblick nicht ver= 
laſſen. — Die Eleinften Bewegungen in unfrer Seele haben auf 
die Athmung Einfluß, Wenn wir auf etwas merken, fei es mit 
dem Auge, dem Ohr oder dem Geifte, fo halten wir den Athem an. 

Nach beendigter Spannung ber Aufmerkfamkeit folgt dann ein ties 

fer Athemzug, 


*2 9 Eher Ban, N, 
R 2 * Re "vr 
A 





⸗ D 


Reundehnte Bortefung, 
Bon der Stimme und der Sprache. 





F. 262. 


Wir wenden uns nun an einen Gegenſtand, der zwar in phyſio⸗ 
logiſcher Hinſicht von dem Inhalte der vorigen Vorleſung ſehr weit 
entfernt liegt, in anatomiſcher Hinſicht aber ſich an ihn anſchließt 
— an die Unterſuchung, wo und wie ſich die menſchliche Stimme 
bildet, und welchen Mechanismus wir beim Sprechen üben, | 


Arlle Thiere haben die Fähigkeit, ihren innern Lebenszuftand 
durch Bewegungen zu offenbaren, Dieſe Anlage, welche nod) Fei- 
nen allgemeinen Namen hat, wollen wir das Aeußerungsvermoͤ— 
gen nennen, Es kann nur durch Drgane wirken, welche unter 
der Herrſchaft des Willens ftehen, und zwar wird es in ihnen als Bes 
wegung hervortreten. — Den Inbegriff diefer Yeußerungen nen= . 
nen wir Gebaͤrde, wenn fie fi auf Bewegungen beſchraͤnken. 
Einige Thiere haben überdies die Fähigkeit, ihren innern Lebenszu⸗ 
ſtand zu offenbaren, indem fie die Luft- in. Schallſchwingungen ver- 
fegen. Diefe Fähigkeit nennt man die Stimme. Gie finder, 
ſich nur in den Thieren, welche duch Lungen athmen und daher _ 
einen gehörigen Vorrath von Luft zur Erzeugung des Schalles in _ 
ſich aufnehmen können, d. h. bei den Säugethieren, Vögeln und 
Amphibien. Einige niedere Thiere innen aud einen Schall her» 
vorbeingen, allein diefer Schaf ft unmittelbar abhängig von ihren 
Gebärden, . und unmefentlich für diefe felbft, bloße Folge der Harz. 
ten Bedeckungen der bewegten Theile. Das Zirpen der Heufchre- 
den, der fingende Ton, den einige Käfer durch Bewegung bes Kos 
pfes hervorbringen, find nur Begleiter der Gebaͤrde. So iſt bei 
a 2 allen. 





ee 
2 


- allen Bögeln bie Bewegung der Flügel eine der ausdrucksvollſten 


Gebärden; daß aber der Truthahn im Zorne mit den Flügeln 
rauſcht, iſt unmefentlic fuͤr die Gebaͤrde ſelbſt, und nur Folge von 
der harten Reibung der Federn gegen den Boden. So müffen wir 


einen Unterfchied zwifchen der Stimme und ber, Gebaͤrde, auh 


wenn fie einen Laut hervorbringt, vor allen Dingen erkennen. In⸗ 
deſſen find in der tiefften Beziehung zu den Lebenserfcheinungen 


Gebaͤrde und Stimme dennoch näher verwandt, als man beim ers 


ſten Blide gewahrt. Der Wille kann aud nicht unmittelbar die 


— 


| stuft herefchenden Organe, Man Eönnte die Stimme alfo wohl eis 
ae Gebärde der Athmungsorgane nennen, Bei dem vernünftigen 

 Menfchen,, wo die Öebärde zur Hetzumn wird, wird die Stimme 
zur Sprache. 


Ihrer urſpruͤnglichen Bedeutung nach ſteht die Stimme als 
Gebaͤrde von den plaſtiſchen Proceſſen weit ab. Da ſie aber durch 
ein plaſtiſches Organ ausgeuͤbt wird, ſo iſt ſie anatomiſch an das 
plaſtiſche Leben geknuͤpft. Der Theil des Reſpirationsapparates, 


der von dem Willen am vollſtaͤndigſten behertſcht wird, iſt es, in 


welchem die Stimme ſich bildet. Sehr oͤkonomiſch benutzt die Na- 
tur die aus der Lunge hervorgetriebene Luft, tum: durch fie — dem 
Organismus eine weite Wirkungsſphaͤre zu geben. 


$. 263. Die Eiiume ift mithin Product der Reſpira⸗ 


tion und ber willführlihen Bewegung. Bei gewöhnlicher Athmung 


entfteht Feine Stinnme, Allerdings wird durch die Bewegung des 
Luftſtroms und duch die Bewegung des Bruſtkaſtens "der Ath— 
mungsapparat etwas erſchuͤttert. Man kann dieſe Erſchuͤtterung 
auch durch das Ohr erkennen, wenn man Jemand ſich ganz nah ge 
gen das äußere Ohr athmen ist. Noch befjer Hört man es, wenn 
man einer athmenden Perfon eine hohle Röhre auf den. entblößten 
Bruſtkaſten fest und das Ohr an das andere Ende diefer Roͤhre 
haͤlt. Man unterfcheidet dann fogar genau bie verfchiedenen Arten 
des Atherhholens, ob es leicht und ungehindert vor ſich geht, ja 
man ann bei gehöriger Uebung die Hinderniffe des Athmens durd 
das Ohr unterfcheiden. : Die Aerzte haben in neuerer Zeit ein In 
ſtrument erfunden, das Stethoſkop, das weſentlich aus ei 
* 29 


Stimme hervorbringen, fondern nur durch Bewegung der uͤber die 


— — — 


ner feſten hohlen Roͤhre beſteht, und deſſen ſie ſich mit Erfolg bes 
dienen, um die Krankheiten ber Bruſt zu hoͤren. — Diefe Erſchuͤt⸗ 


terungen find aber nicht hinreichend, um einen vernehmbaren Schall 


in ber umgebenden Luft zu. erzeugen. Um diefen hervorzubringen, 


muß die Luft duch eine engere Deffnung hindurd, gedrängt werden, 


damit fie an Geſchwindigkeit gewinne; denn nur mit einer gewiffen 


Geſchwindigkeit gefchehende Schwingungen empfinden wir als 


Shall ($. 169:), Der Schall kann ſich alfo nur da erzeugen, 
wo wir den Luftſtrom in engere Grenzen einzufihließen im Stande 
find. Diefe Fähigkeit üben wir vorzäglih in unferm Kehlkopf 
durch Verengerung der Stimmrike aus, Man hat gefunden, daß 
die Stimmrige wenigftens auf Yo oder Yo Zoll verengert werden 
muß, um einen Schall hervorzubtingen. Die Stimmeige iſt in- 
deffen nicht die einzige Stelle, wo wir den Luftficom in fo enge 
Grenzen fchliegen, daß er ſchallt. Wir haben fhon früher gehört, 
daß ein tiefes Herabfinken des Gaumenfegeld und Zaͤpfchens das 
Schnarchen erzeugt. Sn fo fern wir es willführlich hervorbringen 


koͤnnen, darf es als eine Modification der Stimme betrachtet wer: 


den. Zwiſchen ber Zunge und dem harten Öaumen iſt eine neue 
Stelle zur. Bildung eines Lautes (mie beim Ziſchen), und die legte 
zwifchen den Lippen duch beren ‚gehörige Sormung, wie im Pfeis 
fen. f 


Daß der Kehlkopf das Hauptwerkzeug fuͤr die Bildung der 
Stimme im Menſchen und in den Saͤugethieren iſt (bei Vögeln iſt 
e8 der fogenannte untere Kehlkopf an der Theilungsitelle der Luft: 
röhrenäfte), lehren Verſuche an lebenden Thieren und an Leichnas 
men. Durchſchneidet man einem lebender Säugethiere die Luftroͤh⸗ 
ve, fo wird es unfähig, eine Stimme hervorzubringen, Wenn 
man in dem Keichname eines Menfchen oder eines Säugethiers 


durch Blafebälge Luft in die Luftröhre felbft oder in die Aeſte derfel- 


ben einbläfet, fo entfleht auch Fein Schall, fo lange man den Kehl: 


kopf ſchlaff Liegen laͤßt. — Allein fo bald man ihn fo drüdt, daß 


die Stimmrige verengert wird, und befonders, werm man zugleich 
durch paffende Entfernung der Knorpel die Stimmbänder ans 
fpannt, und dabei Luft durch die Luftröhre eintreibt, fo entfleht 
im Kehlkopf ein Ton, der mehr oder weniger mit der eigenthümlis 
chen Stimme des Thiers übereinfommt, nur nicht fo genau bes 


—i — 45: —— 


fimmt, und noch weniger vielfad) modulirt if. Die mannigfaltige 

Beweglichkeit der Eleinen Muskeln des Kehlkopfs kann der Äußere 

Drud nie erfegen, — Bliebe. noch ein Zweifel übrig, fo würde 

‚die kuͤnſtliche Sprachmaſchine, deren id) bald ausführlich emähne} 
| werde, denſelben loͤſen. 


Die Phyſiologen und Phyſiker haben ſich fruͤher geſtritten, 

durch welchen Körper urſpruͤnglich der Schall erzeugt würde. Eini⸗ 
nige behaupteten, die Stimmbänder glichen aefpannten Saiten, 
die, durch den Luftzug erfchüttert, tönten. Je mehr fie gefpannt würz 
den, deſto höher würde der Ton. So gliche der Kehlkopf einem 
Saiteninftrument , das. durch die vorbeiftreichende Luft. zum Tönen 
gebracht würde, wie eine Aeolsharfe. Allein gegen diefe Anſicht 
laͤßt fich. der fehr bedeutende Einwand machen, daß die Stimmbänz 
der durch die Muskeln des. Kehlkopfs unmöglich fo ſtark gefpannt 
werben fönnen, um die Töne der menfchlichen Stimme, befonders 
die höhern, hervorzubeingen. Andere Phyfiologen fagten dagegen, 
der fchallende Körper. fey die durchſtroͤmende Luft felbft.. Die 
- Stimmeige könne in jedem Grade bis zum. völligen. Verſchließen 
verengt werden, und fey daher im Stande, auch die höhern Töne 
hervorzubringen — unſere Stimmorgane feyen alfo- ein wahres 
Blasinftrument, und die Stimmrige bilde das Mundftüd dazu, 
deffen Verengerung den Ton Höher mache, Dagegen laͤßt ich bemer⸗ 
fen, daß die Stimmbänder doch nicht blos zur Verengerung ber 
Stimmritze dienen Finnen, fondern ihrer Lage und ihrem Bau nad) 
nothwendig mit fehwingen müffen. Sa, man kann ihre Schwins 
| gungen bei Verfuchen fogar fehen, Wie einflußreich die Beſchaf— 
fenheit der Stimmbänder ift, lehrt überdies die vergleichende Ana⸗ 
tomie. Anders ift die Stimme, wenn diefe Bänder dünne Haut⸗ 
falten ſind, und anders, wenn ſie dicke Wuͤlſte bilden. Die neuern 
Phyſiologen ſind daher mit Recht der Meinung, daß zwar die Luft 
der urſpruͤnglich ſchallende Koͤrper iſt, daß aber ihre Schallſchwin⸗ 
gungen die umgebenden Theile auch in Schwingungen verſetzen, die 
wieder auf die Luft zuruͤckwirken. Am meiſten gilt dieſes fuͤr die 
Stimmbaͤnder, die als vorſpringende Falten eine Art Gewoͤlbe uͤber 
den hervordringenden Luftſtrom bilden, ein Gewoͤlbe, das nur in 
der Mitte durch die Stimmritze eine Oeffnung hat. Wir koͤnnen 
F —* Stimmorgane daher ein Blasinſtrument mit ſchallendem 


29 ? 





„Ra 
— 


ge 
— 


- 75 


Mundftücd nennen. Wenn wie es mit mufikalifchen Inſtrumenten 
dergleichen, fo finden wir eine geringere AehnlichEeit mit den DOr- 
gelpfeifen, bei denen die Luft allein den Schall herborbringt, und 
nur die Öeftalt der Röhre und des Mundloches in fo fern Einfluß 
haben, als fie die Richtung des Anſtoßes und die Ausdehnung der 
Schwingungen beſtimmen. Mehr Aehnlichkeit haben die Rohr: 
werke, bei denen die eine Lippe des Mundloches (ein elaftifches 
Blatt) mit ſchwingt. Indeſſen ift doch ein nicht geringer Unter- 
fchied da> An der menfchlihen Stimmrige ſchwingen beide Lippen 
(die Stimmbänder), und zwar als weiche, durch aͤußere Berhält 
nilfe in Spannung gehaltene Theile, anders als das Blatt in den 
Rohrwerken. Die ——— bilden alſo ein Blasinſtrument 
ganz eigener Na | 


Obeleich in der Stimmritze die meiſten Laute, die wir her⸗ 
vorbringen, erzeugt werden, fo haben doch alle Theile des Reſpi— 
rationgapparats mehr oder weniger Antheil daran, und wir haben 
ſchon gehört, daß der Schall fi) auch an andern Stellen bilden 
kann; immer. aber wirken die andern Theile wenigftens mit, um 
den Schall zu mobificiven. Wir müffen überhaupt, um die Bil: 


| ‚ dung eines einzelnen Zautes zu verfiehen, den Urſchall, den Mit- 


ſchall und den Nachſchall unterſcheiden. Den Urſchall erzeugt die 
durch eine enge Oeffnung mit einer gewiſſen Geſchwindigkeit gepreß⸗ 
te Luft. Se nachdem die Theile, die die Oeffnung bilden (Stimm: 
bindet, Zunge und Gaumen, die Lippen), mehr ober meniger 
mitfchallen, entfleht das, was wir Mitfchall genannt haben. Den 
Mitſchall Hören wir nicht für fih, Tondern als eine Modification 
des Urfchalles. Die Form und innere Befchaffenheit der Theile, 
an welche die in Vibrationen verfegte Luft anftößt, erzeugen noths 
wendig einen Widerſchall oder Nachſchall, der zwar in der That et⸗ 
was fpäter entſteht, als der Urſchall, aber wegen der Kürze der Ne- 
fpirationsorgane in einem fo Eurzen Zwiſchenraume, daß er für un« 


ſer Ohr mit diefem zufammenfällt, und uns ebenfalß, nur als Ums 


— erſcheint. 


§. 264. Hiernach wollen wir die einzelnen Abſchnitte des 
Reſpirationsapparats kurz uͤberblicken, um zu erkennen, welchen 
Antheil ſie an der Bildung der Stimme haben. 


1 Frauenzimmer ſprach. Die Mitwirkung der Luftroͤhre zur Bildung 


ae u 
e 


N — 
Die Lungen find nur ‚mittelbare Werkzeuge für bie Stimme, 


indem fie wie Blafebälge den nöthigen Luftſtrom erzeugen. .ı Die 
Stimmbänder find fo gebaut, daß wir fie nur dann vollftändig bes 


herrſchen koͤnnen, wenn der Luftſtrom von unten aus den Lungen 


kommt. Die Stimme im Kehlkopf Eönnen wir alfo nur beim Aus— 


athmen gehörig bilden, Eine im Einathmen erzeugte -Kehlkopf: 
Stimme ift unfiher, rauh und verfagt oft. Es fcheint, daß bie 
einfteömende Luft die wenig geöffnete Stimmrige Teicht ſchließt, 
theild durch Aneinanderdrüden. der Stimmbänder , theils durch 
Herabdruͤcken des Kehldeckels. Weniger groß iſt der Unterfchied 
an. andern Stellen, 3. B. in der Lippenfpalte. Wir pfeifen fait 
mit gleicher Leichtigkeit im Einathmen und Ausathmen, jo mande 
Perſonen nur im Einathmen. * | uaen 


Die Luftröhre erzeugt zwar nicht den urfprünglichen Schalt, 
‚allein fie fchallt nah. Das fühlt man beutlich beim lauten Spre⸗ 


chen ober Schreien in der Lufreöhre bis in die Bruſt hinein, und 
wie haben früher gehört, daß ein Frauenzimmer aus der Erſchuͤtte⸗ 
rung ber Bruft mit den Fingern fühlen konnte, was ein anderes 


der Stimme fieht man auch daraus, daß bei Kruͤmmungen des 
Ruͤckgrates, wo die Luftröhre gedruͤckt oder gekrümmt ift, die Stimme 


nie ganz rein if. Ein großer Theil des durch bie Ausathmung 


nach oben getriebenen Luftficoms wird zuruͤckgeworfen, weil er fid), 
nicht fogleich durch die verengte Stimmritze drängen kann, und er— 
zeugt dieſen Nachſchall, wozu die Elaſticitaͤt ihrer Knorpel fie beſon— 
ders geſchickt macht. Daß ſie auch auf Hoͤhe und Tiefe des Tones 


Einfluß hat, werden wir bald ſehen. 





fr „,4# 
BE IE 


* Da bie Sprache nur ein befonderer Gebrauch ber Stimme ift, fo gilt daſ⸗ 
felde für die Sprache. Wenn wir ganz leife für uns fpreden oder murs 
mieln, i e Stimmritze nicht in voller Thaͤtigkeit, und es wird uns 
faſt eben fo leicht beim Einathmen als beim Aus athmen. Kempolen 
—* daher ganz Recht, wenn er ſagt, daß Betende oft ohne abzuͤſetzen eben 
ſo viele Worte zum Munde hinein ais heraus murmeln; wenn er aber be⸗ 
hauptet, ‚unter dem gemeinen Haufen manches geſchwaͤzige Weib bemerkt 
zu haben ‚dad ber —* mit ſo viel Eifer daß ed, um kei⸗ 
nen Augenblick zu verlieren, faſt immer unter dem Athemholen ga e Redens⸗ 
arten hineinwaͤrts fprady,” fo ſcheint er ber. Redekunſt bed ſchönen Ge⸗ 
ſGlechtes doc faſt zu viel zugetraut zu. haben. Wahrend bes Sprechens 
Bann ſich die Stimmrise nie gehörig erweitern, und einem! Manne wenig⸗ 


* J fiend würbe bie Luft ausgehen — wie man ‚zu fügen pflegt — wenn er 


während des Infpiratiom fprechen wollte. : 


u. 


Der ganze Kehlkopf nimmt an der Bildung der Stimme An— 
theil, wenn aud die Stimmbänder, und befonders die untern, 
fie vorzüglich erzeugen. Die gebogenen Knorpel des Kehlkopfs bils 
den eine Reſonanz, die um fo ftärfer ift, je flärfer die Knorpel und 
je weiter die ganze Höhlung if. So hängt die furchtbare Stimme 
des Löwen von der Weite und Stärke feines Kehlkopfs ab, worin 
er alle übrigen Thiere übertrifft. Die Morgagnifchen Zafchen ver= 
mehren wahrſcheinlich auch die. Nefonanz, in fo fern ihe Boden auf 
den elaftifchen Schildfnorpel trifft. So lehrt die Vergleichung der 
Thiere. Bei vielen derfelben find mehr und anfehnlicyere Nebenfäs 
de am Kehlkopf. Liegen diefe ganz zwifchen weichen Theilen, fo 
iſt die Stimme fhwah. Liegen fie aber an Knorpeln oder Knochen 
an, fo wird die Stimme fehr erhöht. : Der Kehldediel giebt bei 
manchen Rauten auch wohl eine Reſonanz; body ift diefer Einfluß 
nicht groß, wie man aus einzelnen Fällen weiß, wo der Kehldeckel 
zerſtoͤrt war. Mehe wirkt. er, indem er zur Verengerung ber 
Stimmritze beiträgt, und der ausftrömenden Luft eine Richtung, ge⸗ 

gen die Naſe oder den Mund giebt. 


Der Schlundkopf it nicht ohne Einfluß. —* die Bildung ber 
Stimme, je nachdem er mehr verengt und erhoben wird, 


— | ‘ | i 
Größer ift der Einfluß des Gaumenfegeld und des Zaͤpfchens. 
Wir wiffen bereits, daß diefe Theile fich hinaufſchlagen koͤnnen, 
und dann den Eingang in die Nafe: größtentheils werfperten, oder 
ſich herabfenken und mit Hülfe der Zungenwurzel dadurch der Luft 
den Eingang in die Mundhöhle verfchließen. Wenn das Gaumen: 
fegel mangelt, fo gehen auch diejenigen Laute, die nur durch den 
Mund gehen follten, zugleich in die Nafe, Das nennt man duch 
die Naſe ſprechen —— 


| Die Naſe ha vorzüglich durch ihre Nefonanz Einfluß. Sit 
das Gaumenfegel aufgehoben, wie bei den meiften Lauten, fo hört 
man keine Refonanz, wenn die Nafe zugleich offen iſt. Eine Re- 
Tonanz der Nafe ift aber in allen Lauten, in denen M und vors 
kommen, wahrſcheinlich, weil dabei das Gaumenſegel gefenkt iſt. 
Iſt die Naſe verſtopft oder wird ſie vorn zugehalten, ſo giebt ſie 
auch bei geringem Andrang der Luft eine Reſonanz, weil der Luft 


EEE 


der Ausweg verfperrt if. Es ift alfo ganz falfch, wenn man von 
folchen Perfonen fagt, fie ſpraͤchen duch die Nafe,  Bielmehe laſ⸗ 


J fen fie gar keine Luft durch die Naſe Heraus, 


EV — 


Der harte Gaumen ſelbſt wirkt als Gewölbe, an welches bie 


‚Luftwellen anprallen. Noch mehr wirkt er durch den Hinzutritt 


der | 
Zunge. Da diefe nach allen Richtungen im Ganzen und in 

ihren einzelnen Theilen beweglich ift, fo brauchen wir fie als ein 
weiches verfchiebbares und leicht zu formendes Kiffen, um die Ge- 
ſtalt der Mundhöhle auf die mannigfaltigfte Weiſe zu verändern. 
Bald erhebt ſich die Spige, bald die Wurzel, und bei andern Ge- 
legenheiten ber mittlere Theil berfelben gegen ben Gaumen, entiwer 
ber im der ganzen Breite oder nur in der Mittellinie. Ber Bildung 
der einzelnen Laute dev Sprache wird ihr vielfacher Nugen offen- 
bar ($. 270.). Wenn fie gänzlich fehlt, fo werden die meiften 
artikulirten Töne unmöglich. Faſt eben fo nachtheilig ift der ange: 
borne Mangel des harten Gaumens, da denn viele Bewegngen 


der — unnuͤtz BR 


Auch die Zibn⸗ ſind zur Bibung. einiger Buchitaben noth— 
wendig, indem die Zunge oder die Lippen fich an fie oder vor fie 
legen (bei $, S, Sch), und es ift befannt, wie unbeutlich die 
Sprache der alten Perfonen wird, die ihre Zähne verloren haben; 
denn auch die nicht unmittelbaren , durch die Zähne gebildeten 
Buchſtaben verlieren an Schärfe und Beftimmtheit, wenn fie über 
lauter weiche Theile weggleiten, 


Die Lippen endlich bilden durch die Geſtalt, die fie der. Munde 
Öffnung geben, durch ihr Anlegen oder Entfernen von den Zähnen, 


die Deffnung, aus der der Laut hervorfommt, auf mannigface 


Weiſe um, 


Es laͤßt ſich leicht überfehen, daß, da die Stimme an fo vielen 


i- Stellen modificirt werden kann, die Mannigfaltigkeit der Laute, 


die der Menſch hervorbringen kann, durchaus unendlich iſt. Kein 
Thier kommt ihm in diefer Hinſicht einigermaßen nahe. Den nie= 
deren Lungenthieren fehlen eine Menge diefer Theile, Die Lippen, 


— | Be 


dad Gaumenfegel , ber Kehldedfel geht den Amphibien und Voͤ— 
geln ganz ab. Auch der übrige Kehlkopf ift weit einfaher, Die 
Säugethiere haben zwat im Allgemeinen biefelben Theile, allein 
durch geringe Abweichungen werden fie viel weniger brauchbar. Ges 
ringere Beweglichkeit ‘der Lippen, weite Mundfpalte, veränderte 
Stellung des Gaumenſegels rauben ihnen viele Modificationen in 
der Stimme, die faft immer fih auf wenige Laute beichräntt, — 


Hoͤchſt bewunderswuͤrdig ift es, wie ſparſam die Narr in 
der Anordnung unfrer Stimmorgane verfahren ift. Diefelben Theis 
Ve, die zum Schlingen dienen, find auch für- diefen Zweck zugleich 
benugt; denn. außer ben Stimmbändern koͤnnen wir wohl feinen 
Theil nennen, der blos für die Stimme da wäre, Geringe Umän: 
derungen, die zum Theil von der horizontalen Stellung des Leibes 
abzuhängen ſcheinen (wovon mehr im aten Bande!), und dag vier: 
füßige Thier verliert die Fähigkeit, die Töne zu artikuliren, und 
mithin die Fähigkeit zu fprechen, abgefehen von dem Mangel an Be: 
griffen, ohne welche freilich eine Sprache aufhört Sprache zu fepn. 


8.265. Die Stärke de Scmine hängt ab von der 
Quantität der ausgeathmeten Luft, von der Kraft, mit der fi fi e her⸗ 
vorgetrieben wird, und von der Nefonanz der benachbarten Theile. 
Darum ift die Stimme flärfer bei gewölbter geräumiger Brnft, bei 
kraͤftiger Keibesbefchaffenheit, ſchwaͤcher, wo die Lungen durch Krank: 
heit leiden. Stärker ift fie bei Männern als bei Weibern und Kin 
dern, weil dort die Knorpel des Kehlkopfs größer und fefter van: * 


Die Höhe und Tiefe der Stimme beruht auf der groͤ⸗ 
fern oder geringern Zahl von Schwingungen, welche bie ausſtroͤ⸗ 
mende Luft macht. Die Schwingungen ſind um ſo zahlreicher fe: 
enger bie Stimmrige ift, und je flärfer die Stimmbänder ange⸗ 
ſpannt werden. Um einen hoͤhern Ton hervorzubringen, verengern 
wir alfo die Stimmritze, indem wie durch die Muskeln des Kehl: 
. Eopfs die Bänder, vorzüglich die untern, nähern. Datum ver: 
fagt die Stimme oft, wenn man bei geringerer Uebung der Mus- 
Eeln oder fonftiger Unfähigkeit einen hohen Ton hervorzubringen fich 
bemüht. Man fchließe dann die Stimmeige völlig. Zugleich wird 
der Kehlkopf bei Hervorbringung eines hohen Tons ſtark in die Hoͤ⸗ 


I) 


j & x nn 457 — 


he gehoben. Dadurch wird der Ton auf mehrfache Weiſe erhoͤht. 
Der Kehlkopf wird nämlich vorzüglich von vorne aufgehoben, duch 


die Muskeln, welche das Zungenbein. aufheben (Tafı IX. ig. 2, 
12, 13, 14,), und durd andere, "die vom Zungenbein an die 
vordere Fläche des Schildfnorpels gehen. Durch diefes Aufheben 
vom vordern Theil des Kehlkopfs werden die Stimmbänder, bie 
von vorn nach hinten verlaufen, mehr gedehnt und gefpannt; zus 
gleich wirb der Weg, den die fchallende Luft von der, Stimmrige 
bis zu der Mundhoͤhle zuͤruͤckzulegen hat, dadurch verkuͤrzt, und 
da dieſer Weg, wenn wir den Stimmapparat mit einem Blasin⸗ 
firument vergleichen, die Länge der ſchallenden Luftſaͤule beſtimmt, 
wie bie Nöhre eines Blasinftrumentes, fo muß der Ton erhöht wer: 
den nach dem allgemeinen Gefeg, daß der Ton einer fchallenden 
Luftſaͤule fih erhöht, jemehr diefe ſich verkürzt, Es wird ferner die 
Luftroͤhre dadurch verlängert; und wie wichtig diefe Verlängerung ift, 
fieht man aus dem Umftande, daß Sänger, bie ſich nicht ganz in 
ihrer Gewalt haben, beim Singen hoher Töne den Kopf zuruͤckbeu— 
gen. Beim erften Anblick follte mai glauben, daß die Verlänges 


rung dee Luftröhre den Ton tiefer machen muͤſſe. Allein’hier paßt 


der Vergleich mit dem Blasinftrumente nicht; denn in der Luftröhs 


| re bilder fich ja nicht der urfprünglihe Schall: Vielmehr wird 


durch die Verengerung der Luftröhre die Bewegung der Luft bis zur 
Stimmrige befchleunigt. Zugleich wird jene mehr gefpannt, und 


ihr Nahfhall wird daher höher feyn. Umgekehrt wird zur Hervors 


beingung tiefer Töne die Stimmrige erweitert, die Spannung der 


Bänder verringert, der Kehlkopf gefenkt, und zur Unterfiügung 


diefer an die die Luftroͤhre verfürzt und erweitert, der 
Kopf gefenkt. Die Stimme ift bei Weibern hoͤher als bei 
Männern , weit bei ihnen die Stimmrige urfprünglidh enger ift, 
Auch haben wohl die groͤßere Zartheit und Elaſticitaͤt der Stimm⸗ 
baͤnder und übrigen Theile des Kehlkopfs darauf Einfluß.” So wird 


die Stimme, wenn ſie ſich in den Jahren der Pubertät bei Mänz 
nern umändert, nicht blos ſtaͤrker, fondern auch zugleich tiefer durch 


eine um dieſe Zeit mit den Geſchlechtstheilen zugleich — 


Man in den Knorpelm des. Kehikopfe, 


Die Reinheit der Stimme hängt ab von einer Ne Dion 
portion alfer dazu beitragenden Theile, ift alſo unendlicher Abſtu⸗ 


— 48 — — 


fungen faͤhig. Auch iſt eine gehoͤrige Befeuchtung, beſonders der 

Stimmbaͤnder, nothwendig. Wo fie fehlt, oder von nicht gehötis 

ger Befchaffenheit if, wie im Katarıh, wird. die Stimme taub, 

Das Einathmen mander Gasarten, z. B. bes Vaſſerſtoffgaſes, 
macht ſie ven und pfeifend. 


Als: befondere Modificationen der Stimme bemerken wir das 
Mfeifen, das hervorgebraht wird, indem die Luft zuerft durch 
‚eine enge Spalte, zwifchen dem Enöchernen Gaumen und der Zun> 
genmwurzel, und dann durch eine enge Deffnung, die die Lippen 
bilden, herausgetrieben wird, Die letztere Verengerung ift bie 
weſentlichere. 


Das Schnalzen entſteht, indem man die Zunge an den 
Gaumen druͤckt, ſie dann ſchnell zuruͤckzieht, und die Sue durch die 
plöglih entſtandene Deffnung treibt, 


Das Wimmern entfleht Bu leife Erzitterung des Gaus 
menfegels. | ER 


Beim Zifcheln wird die Luft durch eine. enge Deffnung 
zwiſchen Gaumen und Zungenwurzel duch und dann ah den 
Zähnen vorgetrieben. 13) 


Der Gef ang befteht in einem Wechſel von Tönen nach 
ihrer Höhe und Stärke, welche vorzüglich im: Kehlfopf gebildet 
werden, Mehrere der hier angeführten Modificationen der Stim: 

me find unmittelbare Ausdrüde von Eörperlichen oder Gemuͤthszu⸗ 

-fländen. Der Gefang namentlich: verdient die Sprache des Ge 
muͤths genannt zu werden, fo wie die eigentliche Sprache der Dolls 
metfcher des Geiftes iſt. Man giebt gewöhnlich. can, daß die ’ 
menſchliche Stimme drei Detaven umfaffe, Jedoch find die meiften 
Menfchen nur einen Theil diefer Octaven zu fingen fähig. Diejes 
nigen nämlich, ‚welche die tieferen Töne vollkommen hervorbringen, 
wie in der Regel die Männer, find nicht im Stande die höhern Toͤ—⸗ 
ne rein zu fingen, während die Weiberftimmen tiefe Töne nicht herz 
vorzubeingen fähig find. Madame Gatalani fol jedoh in ihrer 
Stimme einen Umfang yon drei und einge halben Detave befigem, 


> 
. 
⸗ 


Der Unterſchied zwiſchen einer volltoͤnenden Bruſtſtimme und der 


Fiſtelſtimme iſt bekannt. Man hat den Grund der Fiſtelſtimme 


darin geſucht, daß bei ihr der hintere Theil der Stimmritze ganz 


verſchloſſen iſt, und nur ein kleiner Theil ungeſchloſſen bleibt. Wer 


en > te » 


Fannt ift es, daß Sänger, deren Stimme feinen großen Umfang 
hat, bei dem Berfuche, hohe Töne nungen, leicht in die Ziftele 
flimme übergehen. 


5.266. Die Sprade ift ——— des Geiſtigen im 


Menſchen. Sie bedient ſich zu der Aeußerung der Stimmorgane 


und in fo fern iſt fie Tonſprache. Die einzelnen Vorſtellungen 


untd Verhaͤltniſſe derſelben werden durch befondere Laute bezeichnet, 


Zu dieſem Zweck ift es, daß die menfchlichen Stimmorgane- die 


große Vielfeitigkeit, deren fie fähig find, entfalten müffen, und 


nur in diefer Hinficht fol uns die Sprache hier befchäftigen, In 
wie fern die Sprache aus den menfchlichen Anlagen nothmwendig hers 
vorgegangen iſt, oder die Willühr bei der Wahl den Laute als 
Symbol für die Begriffe walten Eonnte, laſſen wir hier ganz unents 


ſchieden. „Nur das wollen wir fogleich bemerken, daß der Sprache 
mechanismus erſt erlernt werden muß, Eine Menge Laute kann 
das Kind noch nicht hervorbringen. Es muß ſich darin verfuchen 
und üben, und zu Hervorbringung mancher Laute gelangt es oft 
erſt ſpaͤt. Die verfchiedenen Völker haben verfchiedene Laute zur 


' 
; 


7 


Bezeichnung derfelben Begriffe. beſtimmt. Wenn wir .nun in der 
Sprache eines Volkes gewiſſe Laute finden, welche einem andern 
Volke fehlen, und welche die Glieder des andern. Volkes nur mit 
‚großer Anftrengung oder aar nicht hervorbringem, fo ift noch fein 
Grund vorhanden, anzunehmen , daß Abweichungen in ben Sprach⸗ 
organen zwifchen den verfchiedenen Völkern fich finden... Das deutfche 
Ch und das.© (in geben) fehlt den Franzofen, fo wie uns ihr j 
(in jamais), „Das, englifche th Fann der Deutſche Anfangs nur 
mit Mühe ausfprecher, ja beim Erwachfenen fcheint es faſt uns 
" möglih. Iſt aber eine gehörige Uebung darauf verwendet worden, 
ſo ſpricht er es mit derfelben Geläufigkeit aus, wie der Englaͤnder. 
Daß nicht beſtimmte Verhaͤltniſſe in der Bildung der Lippen, der 
Zunge, in der Geſtalt des Mundes, wenn ſie bei einem Volke alls 
gemein vorfommen, allmählig auf die Umbildung der Sprache Eins 


2 fluß haben könnten, fol nicht geläugnet werben, fheint vielmehr 


— nur iſt es uniahefijeinic, daß nicht jeder Menſch 

jede Sprache lernen koͤnnte, wenn er von Kindheit an keine andere 

Hört. — Weil die Sprache erlernt werden muß,” find die taubge⸗ 
bornen Menfchen zugleich flumm, und koͤnnen nur mit großer Muͤ⸗ 
he in der ph; zu ſprechen unterrichtet werden. 


84 Pr Gelauf gkeit, mit der geſunde Menſchen een, 
denkt man. nicht an die fehr vielfachen Bewegungen, welche fie aus= 
uͤben, wenn ſie auch nur einen kurzen Sag fagen. + Wie mannig- 
fach'diefe find, und wie beftimmt zugleich für jeden Laut ‚wird dar— 
aus anfhaulih, daß viele Zaubflumme, wen fie nur erſt mit der 
Sprache bekannt geworden find, aus den Bewegungen der Spradjorz 
gane die Rede verſtehen lernen, ohne ein Wort zu hören. Sa, 
Kempelen erzähle, daß ein Freund von ihm fo genau die Bewes 
gungen feiner Sprachorgane Eennen gelernt hatte, daß er ihm in 
Geſellſchaften von andern Perſonen etwas heimlich ſagen konnte, 
wenn er nur die für das Auszuſprechende nothwendigen PORN 

gen machte, ohne e einen Laut hervorzubringen. | 


Je mehr die Natur durch felbftbewegliche Theile die Formen 

des Mumdes, des SchlundEopfs und des Kehlkopfs umzuformen im 

"Stande ift, um fo ſchwerer wird es der Kunft, diefe Töne nachzu⸗ 
"bilden. Eine vollftändige Köfung diefer Aufgabe Tann man wohl 
ohne Bedenken ald unmöglich anfehen.- Dennod) verdient ein Ber- 
ſuch zur Erbauung einer Sprachmaſchine wohl, daß wir ihn hier 
‚näher Eennen lernen. Der Erfinder war der öfters genannte Kem- 

pelen, ein Mann von ausgezeichnetem mechanifchen Talent, der⸗ 
ſelbe, der durch feine automatifhe Schachmaſchine ganz Europa in 
Erſtaunen feste. Nachdem er viele Jahre den Mechanismus der, 
Sprache uhterficht, * und auf mancherlei Wegen die Laute derfelben 
wiederzugeben unternommen hatte, gelang es ihm endlich, “eine 
Vorrichtung zu erfinden, welche bei der gehörigen Hebung in der 


* 


— 





Die Kefut ie feiner fehr grändriäjen Neäfertsung | find in einem Bude 
niedergelegt, das nicht nur durch Volftändigkeit, Sondern auch durch be— 
jondere Klarheit fi vorahglich empfiehlt. Es heißt : Wolfgang von 
Kempelen’3 Mehanidmus dermenfähligen Spyrade nebft 
‚den, Beinrehbung feiner fpregenden Maihine‘ ‚Bien 
279, in 


u — ß—— ⸗⸗ KH * 
— 0 1 * 





* — — 461 — — 

Behandlung beifelhen eine Menge Worte dverſtaͤndlich ausſprach 
wenn auch nicht mit der Volkommenheit, die nur das Leben geben 
kann. Kempelen erzaͤhlt, daß die Maſchine Woͤrter der franzöfis 
ſchen italieniſchen und lateiniſchen Sprache vollkommener nach⸗ 
ſprach als Woͤrter der deutſchen Sprache. Er verſichert, daß meh— 
rere Hundert Woͤrter ganz vollkommen und klar ausgeſprochen 
wurden (worin ihm freilich nicht alle feine Zeitgenoſſen völlig 
beipflichteten), und führt als Beifpiel folgende an: Papa, 
Maman, Marianne; Roma, Maladie, Sante, Aftrono: 
mie, Anatomie, Chapeau, Racine, Soupé, ECharmante, 
Opera, Comedie, Pantomime ꝛc.; auch lange und ſchwere 
Wörter: Conftantinopolis, Monomotapa, Miffifippi, 
Aſtrakan, Anaftafius ꝛc. Indeſſen mußte auch hier wohl et⸗ 
was auf die Phantaſie des Hoͤrenden gerechnet werden, der, wenn 
einige Sylben vollftändig waren, auc die Zwiſchen- oder Endfylbe 
volftändig gehört zu haben glaubte; denn Kerhpelen geſteht ſelbſt, 
daß er noch keine Vorrichtung zur Erzeugung der Buchſtaben D, 
G, K, EL an feiner Mafchine anzubringen im Stande geweſen 
if. — Die Eonftruction der Maſchine kann hier unmöglich aus 
einander gefegt werden. -Diefe wird man nur aus eineriausführlichen- 
Befchreibung, wie das genannte Buch fie giebt, verftchen Eönnen. 
Indeſſen dürfte e8 nicht überflüffig feyn zu bemerken, daß die Mas. 


ſchine keinesweges in einer vollftändigen Nachahmung der menfhlis - 


Be n- 


eh Stimmorgane beftand. Wie wäre es auch möglich, einige 
Theile zu erfegen, 3. B. die Zunge, da ihre Wirkſamkeit in end» 
loſer Umformung befteht? - Kempelen mußte fich vielmehr begnüz 
gen, viele Laute durd) Nebenapparate auf Ummegen zu erhalten, 


- Die Stimmrige war eine fich ganz gleich bleibende Spalte, und 


von diefer Seite dürfte die Mafchine noch die größte Vervollkomm⸗ 
nung erwarten, wenn es gelänge, eine Stimmtige zu erfinden, die 
nach dem Willen des Spielenden fich verengt und erweitert. Auch 


äußerlich hatte die Maſchine keinesweges bie Geſtalt eines Men 


fhen, wie die berühmte Schahmafhine. Sie beftand aus einem 
Dlafebalge, der die Lungen vollfommen erfeßen konnte, aus einer 
vieredigen Windlade, in welcher zuvörderft ein Stimmrohr fich bes 
fand, in das die Luft durdy eine’ fpaltförmige Deffnung eindrang, 
gebildet duch die Wand des Rohres und ein dünnes vibrirendes 
Blatt Elfenbein, Dieſe Spalte erfegte die Stimmrige, Neben 


PAR 462 aa 


dem Stimmrohr, lagen in der Windlade zwei andere Vorrichtungen, 
eine zur Erzeugung der Bifchlgute Sch und j (der Franzoſen in 
jamais), die andere zur Erzeugung des S und Z (der Franzofen 
in zele), : Beide flanden mit dem Windrohr in Verbindung, und 
durch aͤußerlich angebrachte Hebel konnte der Luft aus dem Stimm: 
rohr der Weg in diefe Nebenkäften geöffnet und gefperrt werden. 
Durch eine andere von Außen zu tegierende Vorrichtung Eonnte die 
vibrivende Elfenbein = Platte einen Draht an ein Hoͤlzchen andrüden, 
um den fhnarrenden Laut des SR hervorzubringen. — ‘Aus ver 
MWindlade führte ein anderes Rohe in den Eünfklichen Mund. In 
diefesNohr waren zwei nach außen fi mündende Kanäle angebracht, 
die die Nafe erfegten. Ging der Wind duch diefelben, fo hoͤrte 
man M, ward einer derſelben zugedeckt, fo wurde M gehört. 
Penn nicht diefe beiden Buchftaben erzeugt werden follten, mußten 
beide Nafenlöcher, während des Spiels der Maſchine, zugebedt 
werden. So wurde duch Außerlihe Verſchließung das Gefchäft 
des Guumenfegeld zum Theil erfegt. — Der Mund beftand aus 
einer Flaſche von elaftiihem Harz, deren Boden weggeſchnitten 
war. Sie ahmte alfo einigermaßen die Geftalt der menfchlichen 
Mundhöhle nah. Hier war die Hauptarbeit des Spielenden. 
Durch geringere oder größere Verdeckung des Ausganges durch die 
Hand wurden die Bofae U, E, J, D, U mit ihren Nebentönen 
medulirt. P wurde gegeben, indem. die Hand an die Mundöff: 
nung angehalten und plöglich entfernt wurde, Vollſtaͤndiges ober 
unvollftändiges Zuhalten mußte übrigens bei der Erzeugung vieler 
andern Buchſtaben mitwirken, | 


Indeſſen es ift Zeit, daß. wie von dieſer Abfchweifung zuruͤck⸗ 
kehren, in die wir uns verloren haben, noch ehe wir die Art fen» 
nen lernten, wie die einzelnen Laute der Sprache gebildet werden. 


8 267. Die Tonfprache druͤckt Vorftelungen durch eine 
Berbindung von Lauten aus. Die einzelnen Theile der Sprache 
heißen Wörter, Die Wörter beftehen entweder aus einem oder 
mehreren Lauten, die man als Theile der Wörter Sylben nennt. 
Diefe Laute kann man wieder unterfcheiden in einfache und mobificir- 
te, oder noch beffer in einfache und artikulirte. Die 
einfachen werden im Kehlkopf gebildet, und gehen, ohne daß ihnen 


ar 


1 
E 


» 
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ü 


ein Hinderniß enfgegengefest wird, durch die Mundhöhle hervor, 


welche hoͤchſtens ihre Geftalt etwas Ändert, um der tönenden Luft⸗ 


fäule eine beftimmtere Form zu geben. So find die Raute: a, 
ha, e, he, i, hi, 0, ho u. f. w. einfache Laute zu nennen... Die 


pen und der Zunge bemerkbar werden, wollen wir bald (6. 269.) 
ins Auge faſſen. | | 


Die artikulirten Laute find ſolche, wo ber einfache aut durch 
irgend ein Hindernig gehemmt wird. Die Hinderniffe find von 
doppelter Art. Entweder beengen fie blos der tönenden Luft den 


- Ausgang in einem bedeutenden Grade, ohne ihn ganz zu hemmen; 


fo die Laute: Fa, ro, fa, fo, ſchoͤz — oder fie verfperren 
der. tönenden Luft den Ausgang auf einige Zeit vollftändig. Der 
Laut wird dann entweder mit diefer Hemmung beendigt, oder mit 


Aufhebung der Hemmung begonnen, als: ab, im, et — ba, 


mi, te. Wir theilen hiernac die Artikulationen in Beengun- 
gen und Sperrungen oder Hemmungen, Beide koͤn— 
nen nur durch die beweglichen Theile (Zunge und Lippen ) hervorges 
bracht werden, die fih-an die harten Theile (Gaumen und Zähne) 
oder unter fich (die beiden Lippen) fo anlegen, daß bald nur ein 
enger Durchgang für bie Luft bleibt, bald gar Feiner. * IR 


$. 268. Man hat befondere Zeichen für die einfachen Laute 
und die Artikulationen derfelben erfunden, und nennt fie befannts 


ih Buchjtlaben 
‚Die in einer Sprache üblichen Buchftaben ftimmen in feiner 


völlig mit dem in ihr vorkommenden Vorrath von Lauten, Der 





* Die Zunge ift vorzüglich durch ihre aroße Beweglichkeit bie Schöpferin ber 
De ionen, Dennod Fr ihre Bewegungen fehr einfach, und geringe 
Veränderungen in ihrer Geftalt eräeugen große Unterfchiede in der Artikus 
lation. Sie entfprigt in ihren Formänderungen ben Erwartungen, nicht, 
die ein myſtiſcher Phyſiolog des ırten Sahunderted, Franz M. van Dels 

ont, von ihr hegte. Diefer Mann hatte die fonderbare Grille, zu ber 

pten, daß die Formen der hebräifhen Buchftaben keinesweges zufällig 
und gleichgültig feyn tönnten. Gie enthielten vielmehr genaue Abbilduns 
ber Stellungen, die bie Bunge bei Hervorbringung jedes Buchftaben ans 
e. Ueberhaupt fey die hebr 
von Gott immer am liebften aefprohen worden. Die Zeichen der Buchſta— 
ben ſe auch nicht ohne höhere Veranlaffung angenommen. Er. bildet 
nun bie * der Zunge für jeden einzelnen Buchſtaben ab. Da muß un 
a * oft gar jaͤmmerlich kruͤmmen, um bie Form des Schriftzeichen 
unehmen. 


aͤiſche Sprache göttlichen —— und 


Verſchiedenheiten, welche bei Hervorbtingung derſelben in den Lips 


* 


Grund davon liegt in bem Umftande, daß in jeder Sprache Laute 
und Xrtifulationen vorkommen, die andern Sprachen fehlen, und 
daß man bei Erfindung des Alphabetes für eine Sprache mehr oder 
weniger das Alphabet einer, andern zum Grunde legte. : So mag 


denn nur das erſte Alphabet. (das ic) anzugeben den Hiftorikern 


überlaffe) mit dem Lautreichthum vollfommen flimmen. Theils 


fehlt es an Buchſtaben für ſelbſtſtaͤndige Laute und Artikulationen, 


ſo daß ein Buchſtabe mehrere derſelben SEN, * theile * nd eini⸗ 
ge uͤberfluͤſſig. 


So ind im Deutſchen E&, DO, V, X, y und 3 uͤberfluͤſ⸗ 
fig. Ciſt entweder K oder 21; Q if in Berbindunmg mit u gleich 


Km, denn le Duarz Einnteman Kwirl, Kwarts 
ſchreiben; V ift entweber F, oder in fremden Wörtern Wz x if 


KT, Are Elinge wie Akſe. Y ift für uns ein I, und nur 
aus fremden ‚Sprachen herüber kr wo es oft ganz anders , 


tönte, wie. das v der Griechen; 3 if a denn a lautet wie 
‚ &Telt. | Ä | | 


Dagegen fehlt uns für er und ch ein befonderer Budita- 
be (die Ruffen haben beide), und wir müffen fie mit zufammenge- 


festen Zeichen ausdrüden, obgleich fie ihrem Mefen nad) einfach 


find, und Eeinesweges die Buchſtaben S, C und H enthalten. 
Mit G bezeichnen wir zweierlei Xrtieulätionen in garftig und 
geizig, von-denen die Iegtere noch das Zeichen j hat, — Auch 
werben die einfachen Laute, befonders in den verſchiedenen Mund: 
arten der beutfihen Sprache, fo variirt, daß ihrer viel mehr find, 
als Zeichen. 


Sn manchen andern Sprachen ift die Umänderung noch man⸗ 


nigfaltiger. Walker, ein clafiifher Schriftfeller über die eng⸗ 
liſche Ausfprache, führt eine fünffache Ausſprache des A der Eng- 


laͤn⸗ 





= Bei den geringen Abweichuugen, bie bon jedem einfachen Laut fi bemer⸗ 
ken laſſen, war es wohl unvermeidlic) 5 denn ben verfhiedenen Abitufungen 
des A verfchiedene Beichen zu geben, würde ‚mehr verwirren als aufhellen, ’ 
Die Urtikulationen Eönnen aber mohl alle eigne Zeichen haben, Im ruffis 
ſchen Alphabet iſt Reine Artitulation ohne befonberes Zeichen, Es find in 
demjelben * noch uͤberfluͤſſige Zeichen. 


u le a Br 
IK. 93 —59 


4 A 
2 


laͤnber auf. Davon fälle bie eine freilich in den Bereich unſers E, 
allein vier andere bleiben Variationen des A, und dennoch febtt 


dem “Engländer unſer ehrliches offenes A in Habe, Hafer, 
weil der Engländer beim Sprechen den Mund nie fo weit öffnet, 
als zur. Hervorbringung deffelben erfordert wird, Das D hat ebens 
falls in manchen Schweftern ind Töchtern der deutfchen Sprache 
vielfache Modififationen. —: Das w, das th der Engländer iſt 
uns fremd, fo wie dasj, das en, das l mouilkt der Franzoſen und 
gl der Italiener. In der ruſſiſchen Sprache giebt es Laute und 
Artikulationen, die allen Verwandten der deutſchen und lateiniſchen 
Sprache fehlen und von Fremden ohne lange Uebung gar nicht aus⸗ 
geſprochen, ja wie es ſcheint, vom ungewohnten Ohr gar nicht ger 
hoͤrig aufgefaßt werden,’ 3. B,:ein Laut der einer Vermifhung des 
Ü und J, und ein anderer, der einer Vermiſchung des Jund A— 
gleicht, wobei aber die Nafe mittönt. Das. 6 des ruffifhen Als 

phabetes ſtimmt auch keinesweges mit dem unftigen, ſondern wird 
ganz anders gebildet, indem fich der hinterfte Theil der Zunge an 
das Gaumenfegel anlegt, In der efthnifhen Sprache giebt es eine 
Art Verdoppelung, der Confonanten, die außer der finnifchen 
Sprache vielleicht gar nicht vorkommt. Kanna, das Huhn), und 
kanna, trage, klingen, obgleich in beiden der, Ton auf der er⸗ 
ften Sylbe ruht, doch fo verſchieden, daß ſie gar nicht zu verwech⸗ 
ſeln find. Im erſteren glaubt man außer einem vollſtaͤndigen nd 
noch ein vorhergehendes Furz angefchlagenes n zu hoͤren. Im 
Grunde ift es aber nur eine einzige ſehr raſch ausgefuͤhrte Artikula⸗ 
tion, die ſich vertheilt, indem das erſte a hinüber gezogen wird. Das 
hört man beim Singen, wo jenes Wort ka — na tönt... Ich 


' önnte auch von der Einmifhung des i und ein. andere Grunhlaute 


bei den Eſthen ſprechen, will aber nur noch der unnachahmlichen 


Schnalz⸗ und Schnarrlaute erwaͤhnen/ uͤber welche Reiſende von 


Voͤlkern fremder Welttheile fo viel berichten, um daraus den Schluß 
u ziehen, daß, wenn wir im Stande wären, ale Sprachen der Cr» 


Ua eine unendliche Zahl von Lauten und Xrtieulationen finden wärs 


den, die bie Sprachotgane des Menſchen hervorzubringen im Stan⸗ 
de find. $ 


Es iſt Teiche einzufehen, was ich im Bohhernehihhin vörnube: 


weiten mich bemuͤht Habe, daß bie Buchſtaben, melde wir Vo⸗ 


30 


kale nennen ‚die Beichen fr die einfachen Laute find, die Übtis 
gen aber bie Zeichen für die Artikulationen. Sie heißen daher mit 
Neht Conſo nanten, Mitlauter oder ffumme Bud 
ftaben, weit fie für ſich allein nicht hörbar find. Sie werden 
nicht ganz gleichzeitig mit den Vokalen gehört, weil die Natur des 
Vokals erfordert, daß der Luftdurchgang ungehemmt fey, Ver alfo 
aufhören muß zw fchallen, wenn eine Hemmung -eintritt,‘ Noch 
weniger erfcheinen fie als befondere Laute, die mit den Vofalen 
gleichmäßige Theile einer Sylbe find, : Sie find vielmehr die aku— 
ftifchen Figuren ‚„: wenn man fi fo ausdrüden darf, mit denen 
wir einen Laut beginnen, oder beendigen, * UT 


8. 269. . Die Vokale oder einfachen‘ Laute werden im 
Kehlkopf gebilder und gehen ohne Hemmung zum Munde hervor. . 
Die Form des Mundes iſt dabei freilich nicht ganz gleich, fondern wird 
etwas verändert, und an den beiden. felbftftändig beweglichen Stel 
len, ben Lippen und der Zunge, modificirt, um der tönenden Luft eis 
ne beftimmte Form zugeben. Es iſt nämlich die Lippenfpalte bald 
mehr, bald weniger geöffnet und. die Zungenwurzel erhebt fich ober 
ſenkt ſich, um die tönende Luftfäule hier mehr oder weniger zu deren: 
gen. -Diefe Bewegungen find mwefentlich von denen verfchieden die 
zur Erzeugung des Artikulationen ausgeführt werden, da fie nie 





3ch habe hier von allen Arbeiten, die ihüber die Sprachelemente kenne — 
% ("die Zahl derfelben ift freilich gegen die Dienge, die über dieſen Gegenftand 
erfchienen feyn mögen, fehr gering — abweihen müffen. Zuvoͤrderſt genügs 
ten, mir. die meiften Schriftiteller darin nit, daß fie die Buchftaben zu fehr 
fuͤr fi) betrachteten, als etwas Gelbititändiges, ftatt fie mehr. ald die Formen 
des Lautes von diefem heraus zu betrachten. Daher die'Ungaben von Mite 
„nm. tönen des Windes der Stimme „ eines"Schwa ı.. dergl, bei mehreren Con⸗ 
ſonanten. Am wenigften kann ih Kempelen in der Eintheilung ber Con⸗ 
u fonanten beiftinimen ; ſo fehr mid) feine, lichtvolle Darſtellung des Antheils, 
den jedes Organ beim Sprechen ausübt, anzieht und fo genau er jeden eins 
‚zelnen Buchftaben unterfucht hat. Die Confonanten find nad) ihm 1. Gan;- 
umme, die für fich gar Keinen Laut haben: K,P,®%.. 2. Windmit: 
2 Yauter , die dur einen bloßen Wind ohne Dülfe eines andern Mitlauters 
«oder Selbſtlauters gehört merben können: 5,9, Ch S, Scch 3. Stimme 
mitlauter, die mit bloßem Winde ohne mitlaufende Stimme nit vers _ 
nommen werden können: B, D,®, & M, N, R. Diefe find einfach ($, 
IM, N, R) oder zufammengefest (8, D, 6). 4. Windb- und Stimme 
 mitlauter: R, das deutſche und franzöfifhe ij, B, Wund z. Das, ganz 
ze Eintheilungsprincip ift unlogifeh. Denn wodurch wird die erfte 836 hoͤr⸗ 
bar? doch wohl nur durch Wind oder Stimme. Dann gehört fie gewiß in eine 
der folgenden Claſſen. — Eben fo. wenig finde ich die Annahme eines Schwa 
(welches nichts als ein leiſer Schall) nothwendig. — Vergl. Bernharbi’s 
hboͤchſt intereſſante) Anfangsgruͤnde der Sprachwiſſenſchaft. Eine, ausfuͤhr⸗ 
Aiche Eroͤrterung Hoffe ich bei einer andern Gelegenheit geben zu koͤnnen. 


zu einer bedeutenden "PR DIOR Verengerung oder volligen 
Verſchließung der Luftſaͤule werden. 


Obgleich die Mannichfaltigkeit der einfachen Laute ſchon bei 
Vergleichung weniger Sprachen mit ihren Mundarten ſehr groß ers 
Theint und der Inbegriff aller Sprachen fie als zahllos erweiſen 
möchte, fo Fann man doch, wie in der Muſik ganze Töne von hals 
ben unterfchieden werden, Grundlaute von Nebenlauten unters 
ſcheiden. Wie in der Muſik kann man den Unterſchied ſehr wohl 
fuͤhlen und doch kaum genuͤgend angeben, worin er liegt. Indeſ⸗ 
fen wollen wir fagen, daß die Grundlaute einen einfachen und bes 
fimmten Charakter haben, die Nebenlaute einen gemifchten. Die 
Grundlaute find: X, E, J, O, U. In Hinficht der Mund» 
Öffnung folgen fie in der angegebenen Keibe 27 0 
auf einander, wie man fich leichtsüberzeugen Fann, wenn man mit 
weit geöffnetem Munde A fpricht und bis zu U übergeht, wo fi 
die Lippen weit über die Zähne wegfchieben werden. Anders ift die 
Reihenfolge, wenn wir den Raum berüdfichtigen, der zwischen 
dem Gaumen und der Zungenwurzel bleibt. Dieſer ift am weites 
- fen bei U, und am engften bei I, Die ganze Folge ift in diefer 
Ruͤckſich: U, DO, A, E, J. Man fieht alfo,' daß zur Her- 
vorbringung vom (reinen) A eine weite Deffnung des Mundes 
und eine mittlere Erhebung ber Zunge, zur Dervorbringung des 
J mittlere Oeffnung des Mundes und ſtarke Erhebung der Zunge 
erfordert wird, Ä 


Die Nebenlaute kann man ald Vermiſchung der Grund⸗ 
laute anfehen, im welcher bald der eine, bald der andere Grund» 
laut vorherrſcht, bald das Regiment gleich vertheilt ift. Bu den 
Pebenlauten gehören I, D und Üü. Sie find eine Vermifchung 
der Grumdlaute X, > und U mit E. Wenn man auf die 
Form der Mundhöhle beim Sprechen von U und E merkt, fo findet 
iman leicht, daß der Mund beim Sprechen von U beide Formen 
gleichzeitig verbindet. Sie find nicht Diphthongen, wie man leicht 
- zu glauben verleitet wird, weil wir aus Mangel an Zeichen und e eis 
nes zufammengefegten Zeichens 3. B, Ue bedienen. 


Die Diphthongen odee Doppellaute find von 
den Nebenlauten verfhieden, Sie beſtehen in einer raſchen Wer- 
30 * 


ME u 
knuͤpfung zweier Laute zu Einem, Sie unterſcheiben ſich von den 
Nebenlauten dadurch, daß hier wirklich eine Aufeinanderfolge ber 
Laute iſt. Man überzeugt ſich leicht davon, wenn man einen Diph— 
thong, Au, Ei, Eu, lang auszieht. Will maen Au — — — — 
Sagen, fo hört. man beim Ausziehen nur das u, Will man das 
Au volftändig. haben, fo muß man dag X immer wiederholen, 


und man fagt nun Yu — au — au — — — ben Laut ims 


‚mer erneuternd, ſtatt ihn auszuziehen, ee U hin⸗ 
‚gegen, H oder jeden andern Nebenlaut Fann man "ausziehen, oh⸗ 
ne daß er im Geringſten feinen Charakter verliert, z. B. — RE 
Bei dieſem Ausziehen hoͤrt man auch, daß der Diphthong Eu, 
der in vielen deutſchen Woͤrtern, z. B. Leute, heut, vorkommt, kei⸗ 


nesweges aus E und U — wie wir ihn ſchteiben, fendsen | 


‚aus Ü und U. 


Mir Finnen den einfachen Laut entweder mit ſchwaͤch erem ober 


ſtaͤrkerem Luftſtrome durch die Stimmrige hören Taffen. Bei ſtaͤr⸗ 
kerem Luftſtrom hört man eine Beimifchung, die wir Hauch (oder 
Spiritus in fremden Sprachen) nennen. ‚Der Buchſtabe, mit dem 
der Hauch bezeichnet wird, iſt H, der nicht zu den Gonfonanten 
gezählt werben darf, ſondern eine Modifikation eigener Art iſt. Cs 
ift der in der Stintmeige hörbare Wind. Daß das H nicht in der 


Mundhöhle, am wenigſten von den Seitenwaͤnden derfelben gebildet 


wird, wie man behauptet hat, (ehrt nicht nur die eigene Empfin- 
dung bei Hervorbringung deffelben, fondern der Verfuh, went 
man. mit zwei Singern die Baden aus einanderbrüdt. Es erleidet 
keine Störung davon. Auch kann es bei jeder Stellung der Lippen 
und der Zunge ausgeſprochen werden. Eine Verſtaͤrkung des Hau⸗ 
ches giebt das Ch. Allein es ſind zweierlei Modifikationen des 
Lautes, die wir mit Ch bezeichnen. In der zweiten iſt bie Zuns 
genwurzel merklich gehoben, fo daß eine Beengung entſteht. Dieſes 
"Eh, wie es im Deutſchen gewöhnlich vorkommt, Tann Di zu den 
Ar mationen gezählt werden, . u 


hr: 270. ‚Die Sonjfonanten oder ſtummen Buchſta⸗ 
ben ſind die Zeichen für die Artikulationen des Lautes. Sie find 
alfo nicht für fich hörbar. Sie find aber auch nicht mit dem ein= 
fachen Laut (Vokal) zugleich hörbar, da diefer nur ohne Hemmung 





— 469 — 


® gehört wird, ſondern beendigen oder beginnen ihn, wie man beim | 


Ausziehen Leicht erkennt. —ı Wir haben die Artifulationen m 
Beengungen und Sperrungen des Luftweges getheilt — Man 
erkennt leicht, welche Buchſtaben einer beengenden und welche einer 
ſperrenden Artikulation angehören, wenn man verfuht, fie auszus 
ziehen. Das Ausziehen ift natürlich nur bei den beengenden mögs 
lich, nicht beiden ſperrenden. Wir koͤnnen z. B. fagen ei ED 
aber nicht B...ord, PD... ort. 


Die Zeichen fuͤr bie ——— Xetitulationen find: 
8, j (oder G in geben), ;R, S, W, Ch, hi das j 


- ber Sranzofen, dad, th und w der. Engländer, 


Die. RR erzeugt ‚von dieſen Artikulationen — 
r. . indem fie mit ihrem hinterften Theile fich fo nah an das Gau: 
menfegel legt, daß nur ein enger Kanal übrig bleibt, durch welchen 


‚ Luft getrieben wird, entfiehet (Ch. - 2. Hebt ſich die Zunge ein 


Elein wenig mehr nach vorn gegen den harten Gaumen (jedoch ins 
mer ohne ſich völlig anzulegen), fo entſteht j (oder Ge), das nichts 
iſt, als eine Steigerung des. J. Man erinnere fi, daß im J 
bie Zunge am meiften erhoben iſt. Aus biefem Grunde wirkt das 
J auf, einen folgenden Vokal wie ein Confonant, da es für den 
folgenden Vokal wirklich eine unvolllommene Beengung war, Man 
hört deutlich, daß in den. Diphthongen io, ia, ie. das J wie ein 
Eonfonant. einwirkt. Das j (oder Ge) iſt nur. eine. geringe ' 
Steigerung dieſes Berhättnifies. Eine. höhere Steigerung: mit 
Andraͤngen der Luft giebt wieder eine Art Ch, das vom erfteren 


verſchieden ift, z. B. in Chemie. 3. Hebt fi der vordere 


Theil der Zunge mit einer gewiffen Breite gegen ben harten Gau⸗ 


men, fo entfieht S, wenn zugleich ber vordere Rand der Zunge ge⸗ 
gen bie untern Schneidezähne herabaebogen ift, fo daß der Luftſtrom 


ſich an der Schneide der obern Zähne ſtreift. Das Siſt hart ober 


weich, je nachdem die Luft ſtark oder ſchwach angetrieben wird; 
Daſſelbe Verhaͤltniß wiederholt ſich faſt uͤberall und ich bemerke hier 
uͤberhaupt, daß bei dem ſtaͤrkern Andrange der Luft das widerſte— 


hende Organ, von dem eben die Beengung oder Sperrung abhaͤngt, 


ſich in ſeinen Muskelfaſern ſtaͤrker contrahirt und alſo haͤrter 
wird, Der Ausdruck hart und weich für ſolche Verhaͤltniſſe 


— 


ſcheint mir daher ſehr paſſend. Das weiche S it = Z der 
Sranzofen, 4. Wird die Stellung darin verändert, daß der Rand 
der Zunge nicht herabgebogen ift, fo entfteht Sch bei flärkerem 
‚und j der Franzoſen bei ſchwaͤcherem Drängen der Luft durch die 
Gaumenzungenfpalte, 5. Legt fih die ZungenMpige feft an den 
vordern Theil des Gaumens, indem fie fi zugleich verfchmälert 
und auf beiden ©eiten Luft duchläßt, fo entfieht 2, 6. Legt 
ſich der vordere Rand der Zunge zwifchen: beide Zahnreihen, fo daß 

nur wenige Luft durchgehen kann, fo entfteht th der Engländer, 
das wieder hart und weich feyn fan. 7. Das R fteht zwifchen 
beiden Klaffen von Confonanten in ber Mitte, indem es in wech: 
felnder Sperrung und Beengung ded Naumes zwifchen Zunge und 
Gaumen (bald mehr vorn, bald mehr hinten) befteht; die durch» 
ftrömende Luft hebt ‚die Sperrung, die die Zunge immer wieder 
herſtellt. 


Die Lippen bilden 1. mit den gegenüber liegenden Zaͤh⸗ 
nen (meijtens die Unterlippe mit den obern Zähnen) eine fehmale 
Spalte, durch welche der Wind heraus getrieben wird. Sind die 
Luͤcken zwifchen den oben Zähnen beträchtlich, fo geht die Zuft blos 
‚zwifchen diefen durch. Bei fhmwächerem Andrange von Luft ent: 
ſteht W, bei flärkerem F. 2. mit einander eine ſchmale Deffnung, 
zur Erzeugung des w der Engländer. Da im U die Lippenfpalte 
am meiften verengt ift, fo hat es gegen einen andern folgenden Vokal 
die Eigenfchaft eines Gonfonanten, wie man in ui, ua hört. Diefe 
‚Einwirkung vermehrt giebt das englifche w; deffen Urfprung von 
einem Vokal nicht zu verfennen iſt. 


Die Zeichen für die Sperrungsartifulationen find: 
B, D, 8 (Ga), K, M, N, P, T. 


Die Zunge bildet folgende: 1. indem ſich ihr hinterer 
Theil ſperrend an den Gaumen legt, G (Ga) und K, je nach⸗ 
dem die Sperrung verſtaͤrkt iſt oder nicht, 2. mit ihrem vorderſten 
Theil nach demſelben Verhaͤltniſſe D und T, 3. indem fie mit 
dem vorderften und nächfifolgenden Theil fih an den Gaumen legt, 
und das Gaumenſegel ſich zugleich ſenkt, damit die Nafe mittönt, 
entſteht N, Bon Variationen deffelben, fiehe unten, 


Y* 


Die gippen erzeugen durch weiche und harte Säliefung 
B und P, durch Schließung in Verbindung mit vr; bes 


* M. 


nn iaſſen ſich alle Conſonanten in Zung en= und 
Lippenbuchſtaben theilen. Diefe Eintheilung ift wenige 
ftens ſchaͤrfer als die in Lippene, Zahn-⸗, Zungen und Gaumen⸗ 
buchſtaben, da Zähne und Gaumen ohne die beweglichen Theile 
allein keinen Buchftaben bilden. Zungen» und Lippenartikulationen 
ſind ferner entweder Beengungen oder FERIEN wie weistäufe 
eig aus einander, gefegt iſt. 


Andere Eintheilungen nach dem Weſen der Buchftaben Iaffen 
ſich wohl nad ihrem Gebrauch in der Sprache machen, haben aber 
Eeinen anatomifchen Grund. Außer den anatomifchen VBerhältnifs 
fen hat das Ch einen fehr großen, und wie ich glaube, größern Eins 
flug auf den Bau einer Sprache. Hoͤchſtens möchte ich die Ziſch— 
laute für eine befondere Klafje anfehen, naͤmlich S, Sch u. f w. 

Gebt gehen wir noch einmal die Confonanten ap der. 9 
einzeln durch. 


B wird gebildet durch Schließung beider tipp, cin große 


- Gewalt dabei anzuwenden. 


D. Der vordere Theil der Zunge Iegt fich breit an den Gau⸗ 
men an, ohne daß man die Stimme durch die Nafe tönen läßt, 


Wird leicht mit dem häztern Z verwechfelt. 


5 entfleht, indem die Luft mit Gewalt zwifchen der’ Unter: 
lippe, die fih an die unteren Zähne legt, und demobern Zähnen, 
oder auch nur zwifchen den Lüden der obern Zähne ducchgetrieben 
wird. Das 5 kann auch fo ausgefprochen werben, dag man bie 
Oberlippe an die obern Zähne drüdt und die Luft zwifchen ber Obers 
Lippe und der untern Zahnreihe hervorpreft. Das deutfhe G bes 
zeichnet ziweierlei Artikulationen. Das Ga wird gebildet,‘ indem 
der mittlere Theil der Zunge fi fo nah an den Gaumen hebt, daß 


nur eine enge Spalte zum Durchgang übrig bleibt. Es ift mit dem 


— 47 3 u 


deutſchen j Weieinſlinmend und wir haben oben. gezeigt, daß es 
nur um eine Stufe vom i abweicht. Gein Gabe wird gebildet, in⸗ 
dem der hintere Theil der Zunge fich weich an den Gaumen anlegt 
und der Luft den Ausweg verfperrt. Beide Arten des G werden 
in ben berſchicdenen Dialekten der deutſchen Sprache — 

K iſt das zte G, verſtaͤrkt. Die Luft toi anigeprefe 
und die Zunge erhärtet, um dem Andrange zu widerſtehen. Kinder 
Tagen oft & flatt 8, und wenn fie etwas Älter werben ©, 


Bei 2 legt ſich die Spige der Zunge dicht hinter den oben Zäh: - 
nen an den Gaumen, und laͤßt die Luft von beiden Seiten vorbei» 
ftreihen. Deswegen muß die Zunge etwas ſchmal gemacht werden, 
Das 1 mouille der Sranzofen fcheint mir keine befondere, Artikula⸗ 
tion, fondern eine Verbindung eines fehr weichen £ mit vun: er⸗ 


ſten G. 


M hoͤrt man, wenn die Lippen geſchloſſen werden und die 
Luft durch die Naſe geht. Iſt die Naſe verſtopft, ſo wird leicht 
ſtatt des M ein B geſprochen, jedoch mit Reſonanz der * 


RL. Der vordere Theil ber Zunge wird breit an ben 
Gaumen angelegt und das  Gaumenfegel geſenkt, fo daß 
die Luft duch die Nafe geht. Sn forfern ſtimmt das N 
mit dem’ PM überein. Sie unterfcheiden fich aber dadurch, daß 
in jenem die Lippen, in dieſem die Zunge die Sperrung bilden. 
So ift die Bildung des gewöhnlichen deutfhen N, wenn ihm 
ein Vokal folgt, häufig auch, wenn ihm ein Mitlauter folgt. 
Iſt aber der folgende Mitlauter ein G oder 8, fo wird gar 
nicht die Spige der Zunge zur Sperrung verwendet, fondern der 
hintere Theil derfelben. So in lang, Zank. Man ſieht hier 
eine mehrfache Grabation. Waͤhrend nämlich im deutſchen N 

im Worte Nebel ‚die Spige der Zunge die Sperrung bildet, wird 
dieſe in dem gr der Sranzofen durch den mittlern Theil der Zunge 
bewirkt, damit bei dem Nachlaffe der Sperrung das j unmittelbar 
von felbft entſteht. Im Worte Lang iſt die Schließung noch 
weiter nach binten, weshalb die Naſe ftärker mittönt,. Indem 
frangöfifgen en ift das Gaumenfegel an die Zungenwurzel ange: 


ge. « “ — 
Be = J u s 
ie — 


— gs - 


legt und man hört von dem N nur die hier ſehr verſtaͤrkte Mefonanz 
‚in dem hintern Theik der Nafe.. Um diefe Nefonanz zu vermehren, - 
richtet die Stimimrige den Luftſtrom gerade gegen die Hintere Oeff— 
nung der Nafe. Ein jeder Vokal kann gegen die Nafe gerichtet 
werben und erhält dadurch eine Modifikation, die Eeine vollftändige 
Artikulation iſt, BR“ nur * Belt ehr oder ee 
eh 


P if das verftärkte B, Die. im Munde enthaltene Luft 
wird. gegen die Lippen, die eben. eine fefte Schließung beendigen 
oder beginnen ‚ gepreßt, und bringt mit Gewalt. Dur, eine enge 
Spalte zwiſchen denſelben durch. 


R. Die mit ihrem vordern Theile flach an den Gaumen 
angelegte Zunge zittert, indem die aus dem Kehlkopf nachdringende 
Luft ſich zwiſchen Zunge und Gaumen durchdraͤngt, die ſich gleich 
wieder an einander legen. Die Zunge ſcheint, wenn das R mits 
ten in einem Worte vorkommt, nur zwei bis drei Vibrationen zu 
machen, _ Einige bilden das R mehr nach hinten durd) Aneinans 
derlegen der Zungenwurzel und des Gaumenſegels, wobei das letz⸗ 
tere erzittert. Dieſes pflegt man Schnarren zu nennen. Kin⸗ 
dern wird das Rſchwer. 


S bildet ſich, wenn die Zunge mit der breit gehaltenen. J 
Spitze ſich hinter die unteren Schneidezaͤhne legt, mit einem et⸗ 
was mehr nach hinten liegenden Theile ſich ſo nah an den Gaus 
‚men hält, daß die Luft mit einem faufenden Zone hier durch und hins 
ter den obern Schneidezähnen vorbei ſtroͤmt. Wir fprechen übris 
gens dad S hart und weich aus. . Legteres flimmt mit dem z ber 
Stanzofen.. — Wird bei der Bildung des © die Zungenfpige 
zwiſchen beide Zahnreihen gebracht, fo entfteht ein Sehler, den wir 
Lispeln nennen, Andere ſprechen S oder If flatt ©, 


Sch ift von S dadurch verſchieden, daß die Spige ber 
Zungenicht wie bei & aegen die untern Schneidezaͤhne herabgeſenkt, 
fondern aufgehoben ift, und mit dem Gaumen die Spaltebildet, durch 
welche die Luft ducchfäget. Wird zuweilen in ein & verwandelt, 


I ift ein verſtaͤrktes D indem die anbrängende Luft bie 
durch die Bumge gebildete Sperre zu bucchbrechen ſtrebt. 


Rift umgekehrt dag ſchwaͤchere F. 


F. 271. Die Kunſt de Bauchredner iſt auch Auf 
gabe der Phyſiologie, und zwar eine nicht ganz leichte — Sie 
befteht befanntlidy darin, die Stimme fo umzuändern, daß der 
Buhörer über den Drt, wo fie gebildet wird, ſich taͤuſcht. Der 
Bauchredner läßt bald eine Stimme hören, die dumpf und aus der 
Ziefe kommend fcheint, bald kommt fie aus einem Winkel des Zim⸗ 
mers oder aus weiter Ferne. Dft find es verfchiedene Stimmen, 
über die ein Bauchredner aebietet, ald ob mehrere Perfonen mit 
» einander fprächen. "Die gewöhnlichen Sprachwerkzeuge und beſon⸗ 
ders die aͤußerlich fihtbaren, alfo vorzüglich der Lippen, follen dabei 
ganz unthätig feyn. Die meiften Bauchredner legen fich nebenbei 
noch auf die Kunft, mwirklihe Menfchens oder Thierflimmen nad)» 
zuahmen. Die Zäufhung iſt zuweilen fo groß, daß man die Rede 
bekannter Perfonen gehört zu haben glaubt. — Ein Baucred- 
ner des vorigen Jahrhunderts wußte fih eine Frau und ein Hei⸗ 
rathögut zu verfhaffen, indem er todte Perfonen für fich fprechen 
ließ, Don einem, Bauchredner neuerer Zeit wird e8 Ihnen aus 
Öffentlichen Blättern bekannt feyn, daß er, um rafch zu reifen, den 
Poſtknecht von Räubern anfallen ließ, die nur in den Sprachorga⸗ 
nen des Bauchredners waren. Ganz neuerlich hat die Mufe von 
Walter Scott einem der berühmteften Bauchrebner unferer 
Zeit, Namens Alerander, ein Ehrendenkmal gefegt, das ©ie 
nit ohne Ergögung gelefen haben werden. 


Dieſe Kunft ift fehr alt, denn es finden fih Spuren von ihre 
bei den Ssraeliten und Griechen. Es ift wahrſcheinlich, daß die 
Prieſterinnen des ppthifchen Apollo in diefer Sprache ihre Weiffas 
Hungen hören ließen, die dann aus ber Tiefe hervorzukommen fies 
nen. Sm Mittelalter glaubte man, der Teufel ftände mit den 
Bauchrednein im Bunde, — Zufall und eine gemiffe Anlage. 
führten die Bauchredner zur Entdeckung diefer Fähigkeit... In neus 
ern Zeiten mehrt fich die Zahl derfelben, und e8 fheint, daß diefe 
Kunft fo verbreitet werden wird, daß man fie als einen heil 
der Menfchenbildung bald allgemeiner Iernen werde. — Das erfte 
Erforderniß zum Bauchreden ift die Fähigkeit einer fehr großen 
Herrſchaft über die Sprachorgane. Das fieht man aus dem Ume 


4 


| 


ſtande, daß bie meiften Bauchredner: zugleich fähig find, allerlei 


Töne nachzuahmen. Ein amerikanifcher Bauchredner erzählt von 
fich felbft, daß er in der Kindheit fi daran vergnügt habe, Mens 
fhen= und Thierſtimmen nadyzubilden. Als er nun einft an einer 


| Bergſchlucht in Penſylvanien das Echo feiner Stimme hörte, fiel 


- er aufiden Gedanken, fich felbft fein Echo zu geben, umd der Ber 
ve gelang. Späterhin Eoftete es viele Mühe, das Echo wieder 

hervorzubringen, Es fchien ihm, als ob bei dem erſten Berfuche 
die Drgane eine neue beifpiellofe, gleichfam zufällige Lage angenoms 
men hätten, die er ihnen nicht wieder geben konnte. Wiederholte 


- Bemühungen Iehrten ihn endlich diefelben Bewegungen wieder 


finden, und fie dem Willen untertfänig machen. Die Kunft ſelbſt 
theilt er aber nicht mit, um nicht Mißbrauch zu veranlaffen. 


Ueber die Art, wie die Bauchſprache hervorgebracht wird, ha⸗ 
ben die Phyſiologen viel nachgedacht und mancherlei Meinungen 
aufgeſtellt. Einige glaubten im Ernſte, die Stimme kaͤme aus 
dem Bauche. Doch bedarf dieſe Anſicht Feiner Widerlegung, und iſt 


jetzt vergeſſen, da in den Verdauungsorganen gar keine Möglichkeit 


zur Hervorbringung artikulirter Laute liegt, Auch kann man die 
Bewegungen des Kehlkopfs, und bei geöffnetem Munde Bewegun- 
gen der Zunge deutlich fehen. Eben fo ungegründet ift e8, daß die 
Bauchredner beim Einathmen fprechen, vielmehr athmen fie vorher 


tief ein, und man fieht, daf fie während des Sprechens nur we— 


nig Luft verlieren ; denn nach dem Sprechen, bei welchem fie. viele 
Anftrengung verrathen, folgt eine tiefe Ausathmung. Ein vor 
den Mund gehaltenes Licht beweift auch die Außerft geringe Bewe— 
gung der Luft. Deswegen follte nach Einigen die Stimme der 
Bauchredner gar nicht im Kehlkopf, fondern etwa zwifchen Zunge und 


Gaumenſegel gebildet werden. — Das Wahrfcheinlichfte ift wohl, 


daß die Stimmrige fehe verengt wird, weswegen nur wenig Luft hers 
vordringt. Man fühlt diefes auch leicht, indem man fich bemüht, die 
Bauchſprache nachzubilden. Nur zu leicht verfchließt man ſich die 
Stimmrige ganz, Während der Verengerung der Stimmtige fcheint 
zugleich der Kehldedel fich mehr oder weniger über diefelbe zu legen; 
denn man empfindet, beim Nachahmen diefer Tune, daß man den 


Kehlkopf unter die Zungenmurzel zieht, wobei der Kehldedel immer 


wieder gedrüdt wird, In manden Bauchrednern mögen auch die 


u 


ſchwachen Muskelfafern, die zumeilen an den Kehldediel gehen, ſtaͤr⸗ 
Fer entwidelt feyn, fo daß diefer felbjtftändig beweglich iſt Durch 
die Verdedung mit dem Kehldedel wird die Stimme gedämpft, * 
fie findet ihre Kefonanz allein in der Luftröhre und nicht in der 
Mund» und Rachenhöhle, * Der Zuhörer verliert dadurch die 


"Sicherheit in der Beurtheilung der Richtung. Iſt einmal das 


Urtheil über den Dit, wo fi) die Stimme bildet, unficher, fo 
wird es dem Bauchredner leichter, theils durch Pantomime u. dergl., 
theils aber auch wohl durch Modulation der Stimme ſelbſt, das Ur— 
theil des Hoͤrers auf eine beſtimmte Richtung hinzuleiten. Auch 


iſt die Taͤuſchung in der Nähe viel geringer, als in der Ferne. — 


Wie die Stimme artikulirt werde, um zur Sprache ſich zu geſtal⸗ 
ten, iſt vielleicht etwas; ſchwerer zu beflimmen, wenn geſchickte 
Bauchredner die Lippen ganz unbeweglich halten follten. Sie müß: 
ten denn die Lippenbuchftaben durch andere Bewegungen einiger: 
maßen erfegen.. Wenn mitten in einem Worte ein Buchflabe uns 
vollkommen artikulitt wird, glauben wir doch leicht das ganze Wort. 


vollſtaͤndig zu hören. Daß Zungen: und Gaumenfegel wie gewoͤhn⸗ 


lich ehätig find, iſt nicht zu bezweifeln... Der einzige Bauchredner, 
den ich hoͤrte, ließ bei näherer Beobachtung auch die Bewegung 
der Tippen erkennen, | — ER 


u 





* ie in ben Sourdinen an Waldhoͤrnern, durch welche man ein ferned Echo 
hören laffen kann. Die Luft muß aus ihnen durch eine enge Deffnung deine 
gen, nachdem fie vorher einen weitern Raum eingenommen hat, 


8 Unter den verfchiedenen von den Phyfiologen -aufgeftellten Meinungen über 
Das: Bauchreden fcheint mir dieſe vom Profeffor Burdach in ber hiefigen 
mebicinifchen Gefellfhaft entwidelte Anſicht, nachdem ‚ein Bauchrebner Irie 
He ſich in der Gefelihaft Hatte hören laſſen, bie genügenbfle. 


+ 








Bi Hin WE TE 
4 


h Zwanzigſte Borlefung. 
Bon dem Harnapparatu 


w 





—. 272. 4 


Wir eätiegen d die ——— derjenigen hate hi FR 
mus, welche zur Erhaftung unferer eigenen Individualität dienen, 
mit den Harnwerkzeugen, ald ben einzigen, welche blos beſtimmt 
find, Stoffe aus dem Körper hinauszufuͤhren. Man kann fie im⸗ 
merhin einen Neinigungsapparat nennen, wenn man fi nicht die 
' Reinigung fo denken wi, als ob ein Unnöthiges blos herausges 
Schafft würde. Eine ſolche Reinigung Eennt der Organismus nicht. 
Der Harn iſt ihm zwar unnöthig, aber die Ausſcheidung ſelbſt ift 
nothwendig, und was wir auch genießen moͤgen, wie auch unſer 
Blut beſchaffen ſeyn mag, es muß aus ihm Harn ausgeſchieden 
werden, damit die uͤbrigen Verrichtungen im gehoͤrigen Gange blei⸗ 
ben koͤnnen. Wir werden bald hören, welche Störungen es her⸗ 
"porbtingt, wenn man die Harnfekretion hindert, und wie diefe 
Verrichtung gleichfam die übrigen ergänzt, Doch vorher lernen wir 
den —— kennen. — 


Er heſteht aus zwei großen bereitenden Druͤſen, ben Nieten 
(af. XI.’ Sig. 1. A. A.), zweien Kandien, die aus den Nieren 
den Harn weiter führen und fich in die Harnblafe münden — ben 
Harnleitern (O. C.), — ber Harnblaſe (D) als Anfammlungsort 
für den Harn, und endlich der Harnröhre (E), melde ihn aus⸗ 
führt, Erwaͤhnen will ich ferner noch zweier unregelmäßig breis 
ediger Organe, die man Nebennieren (Capsulae renales, Glan- 
dulae suprarenales, Renes succenturiati) nennt, ine jede 
Nebenniere liegt nach oben und innen von einer Niere, befteht aus 


zweierlei Subſtamzen, einer innern und einer äußern, und enthält 
eine unregelmaͤßige Höhlung. Diefes Organ wächft im gebornen 
Menſchen nicht weiter, hat überhaupt das Anfehn eines abgeftors 
benen Theiles. Man Eennt von ihm Feine Verrihtung, und da 
es in frühern Perioden des Fötuslebens im Verhältnig zu der Niere 
fehr groß ift, fo hatıman vielen Grund zu glauben, daß es nur für 
den Fötus einen Nugen hat, im gebornen Menſchen — uͤberfluͤſ⸗ 
ſig iſt. * 

6. 273. Jede Niere Liegt in der Lendengegend ihrer 
Seite, alſo nach hinten in der mittlern Region der Bauchhoͤhle, 
zwiſchen dem Darmbeine und den unterſten Rippen; das Bauchfell 
geht uͤber ſie weg. Sie hat die Geſtalt einer Bohne, der konve⸗ 
xere Rand iſt nach außen gekehrt, der kleinere konkave Rand nach 
der Mittellinie des Bauches. Man nennt den konkaven Rand 
den Nierenausſchnitt. Durch dieſen treten ſaͤmmtliche Gefaͤße in 
die. Niere ein. Sie iſt von einer eignen feſten Haut umaeben. 
Unter derſelben findet man die Maffe der Niere kirſchroth und etwas 
marmorirt. Durchſchneidet man die Niere der ganzen Länge nad), 
fo findet man, zweierlei Subflanzen, welche fo angeordnet find, wie 
unfere dritte Figur fie zeigt.» Die eine liegt mehr. nach: außen, und 
heißt davon die Nindenfubftanz (Fig. 3. a.a.). +. Man erkennt in 
ihre mit, ‚bloßen. Auge fein beftimmtes Gewebe. Die zweite Sub» 
flanz, der man von Alters her. den Namen der Medullarfubftang ge- 
geben hat, bildet flumpfe Kegel (b. b. ), welche gegen den Aus: 
ſchnitt der, Niere gerichtet find, mit der Bafis ſich almählic) in die 
NRindenfubftang verlieren und deren ſtumpfe Spige frei liegt. Der 
Durchſchnitt eines Kegels hat ein ſtreifiges Anſehen. Die Rinden- 
ſubſtanz zieht ſich mehr oder weniger in die Raͤume, die zwiſchen 
den Kegeln bleiben, hinein. Durch den Ausſchnitt ſieht man eine 
ſtarke Nierenarterie (zumeilen find es zwei oder drei) eintreten 
(Big. 1. 9. 4: ). Eben daher kommt eine nod) ſtaͤrkere Nierenvene 
hervor. (d.). Auch tritt aus derfelben Höhlung der Harnleiter her: 
aus (C.).. Unterſucht man diefen. genauer, fo findet man, daß 
er in dem Nierenausſchnitte ſtark erweitert iſt. Er fuͤllt daher den 
Ausſchnitt faſt ganz aus, und laͤßt nur den Arterien und Venen 
den noͤthigen Raum zum Durchgange. Die Erweiterung heißt das 
Nierenbecken Welvis Krane und verdient diefen Namen 


mit Recht, nicht nur wegen der Geftalt, fondern auch weil hier der 
Harn zuerfb aufgefangen wird. Aus dem Nierenbeden gehen naͤm⸗ 
lich röhrenförmige Verlängerungen den fämmtlichen Kegeln: entges 
gen und umfaffen die Spitzen derfelben, welche frei. in diefe Nöhs 
ren Hineinhängen. Die freien Spigen der Kegel werden Nierens 
waͤrzchen genannt, und der umfaffende häutige Theil Nierenbe: 
cher. Das ganze Verhältniß wird hoffentlich durch die dritte Figur 
klar werden, Hier ift das Nierenbeden C’ aufgefchnitten und zus 
gleich mehrere Nierenbecher (oder Kelche) mit den hineinragenden 
- Nierenwärzchen, Auf der Spige jedes Nierenwärzchens fieht man 
eine ganz Eleine Deffnung, aus welcher beim Drüden ein Tröpfs 
hen Harn hervortritt. Hier iſt alfo die Stelle, ‘wo ber Harn ers 
fheint, Er fließt aus jedem Wärzchen in den entfprechenden Nies 
renkelch und aus allen Kelhen zufammen ins Nierenbeden. 


So viel fieht man mit bloßem Auge. Seine Snjectionen und 
das Mikroftop Haben etwas mehr Über dem innetn Bau der Niere 
gelehrt, Wie im jeder andern Drüfe find die Arterien fehr ſtark 
vereheilt. "Die Testen feinften Enden derſelben gehen in Eleine 
dunkle Körper über (Fig. 4. fehr ſtark vergrößert), welche in Form 
einer Traube an ihnen hängen.  Diefe Kötperchen find nicht hohl, 
auch nicht kleine Knaͤulchen von Gefaͤßen, ſondern ſcheinen aus 
dem Grundſtoff des ganzen Koͤrpers, aus dem Schleimgewebe, zu 
beſtehen. Aus dem Umfange der dunklen Koͤrperchen ſieht man 
nesförmig zuſammenſtehende Reihen von Bläschen hervortreten 
(Fig. 5. noch ſtaͤrker vergrößert). Ein ſolches Netzwerk zieht ſich 
nun durdy die ganze NRindenfubflang, und je weiter man es von 
den dunklen Körperchen aus verfolgt, um defto deutlicher reihen fich 
die Bläschen zu Eleinen Nöhrchen zufammen. Die Röhren treten 
endlich paralfel’an einander, indem immer mehrere ſich in einander 
münden, und fo die Zahl der Röhrchen Eleiner, ihre Weite aber 
größer wird. Diefe parallel an einander liegenden Roͤhrchen bilden 
die Kegel, welche davon im Durchſchnitt das ftreifige Anfehn has 
ben. Die Kanaͤlchen find die Ausführungsgänge des Harns und 
ihr letztes Ende ift in dem Gruͤbchen an der Spige der Nierenwätze 
chen. Man fieht alfo, daß der erfte Anfang der Harngänge in dem 
Netze liegt, das aus den dunklen Körpern hervortritt. Da ferner 
die dunklen Körper an den legten Enden der Arterien fisen, fo 


ſcheint 88, daß unaufhoͤrlich das Arterienblut ſich in diefe kleinen 
Maſſen umwandelt, und daß eben ſo fortwaͤhrend die Maſſen im 
Umfange ſich in Harnblaͤschen umwandeln. Hier ſcheint es alſo deut⸗ 
lich, daß nicht unmittelbar die Hoͤhlung der Arterienaͤſte in die 
Aus fuͤhrungsgaͤnge der Druͤſe ſich verlängert (vergl. F. 86. ) und 
da wir andere Drüfe nicht genauer kennen, fo dürfen wir det Ver⸗ 
muthung Raum geben, daß es bei ihnen nicht anders ſeyn wird. 
‚Die Venen fuͤhren das nicht umgewandelte Blut indie uͤbrige Blut⸗ 
maſſe zuruͤck. Daß ſowohl die Nierenarterien als die Venen unter 
rechten Winkeln mit den Hauptſtaͤmmen, der Aorta und der Hohl⸗ 
vene, in Verbindung ſtehen, hat man fuͤr wichtig in Hinſicht der 
Harnſekretion gehalten, ohne einen beſondern Grund dafuͤr anfuͤh⸗ 
von zu koͤnnen. Auch find dieſe Winkel bei manchen Thieren ziem⸗ 


lich ſpitz. ee N — TI u RD Pa 445, 
| 9. 274 : Dee Harnleiter (Ureter)iftiein enger Ka⸗ 
anal (Fig. 100.), der ald unmittelbare Verlängerung des Nieren⸗ 
beckens anfängt und bis zur Harnblafe hinabſteigt. In die, Darn- 
<blafe ſenkt er fih dann an der untern Fläche derfelben ſchief ein 
(Fig. 2; wo. die Harnblafe: aufgefchnitten iſt), indem er eine Furze 
Strecke zwiſchen den verfchiedenen Haͤuten der Harnblafe, verläuft. 
Dur diefe Einrichtung Eann immer der Harn in die, Blafe allmäh- 
lich abfließen, ohne daß: derfeibe aus der Blafe in den Harnleiter 
zurüdgedrängt werden kann. Wenn nämlich die Blaſe angefuͤllt 
ft, und anfängt-fich zufammen zu ziehen, ſo druͤckt ſie eben da⸗ 
durch den ſchiefen Eingang des Harnleiters zuſammen und verſperrt 
dem Harne den Ruͤckweg. Dann kann aber auch kein neuer Harn 
mehr in die Blaſe eindringen, er ſammelt ſich im Harnleiter an, und 
dehnt dieſen aus. Die innere Fläche des Harnleiters iſt von einer 
duͤnnen Schleimhauts:befleidet ‚die. ihn immer mit, Schleim über- 
zogen erhält, wodurch er. wahrſcheinlich weniger vom Harn leidet. 
Es ſetzt ſich dieſe Haut oben in das Nierenbecken unmittelbar fort, 
und geht unten in die innere Flaͤche der Harnblaſe uͤber. Ich will 
nur gleich hinzuſetzen, daß die ganze Harnblaſe und bie Harnroͤhre 
mit einer ähnlichen Schleimhaut ausgekleidet ſind, welche alſo einen 
fortlaufenden Gang von der aͤußern Muͤndung der ———— * 

in das Nierenbecken und in die * buda⸗ or FR 
Fi 


5 275. 





J 


— m. u = 


$ 


} 
- 


* 


— — 481 u , 


5.275. Die Harnblaſe (Vesica urinaria) (Sig, 
ift ein fadförmiges Organ, deffen Form man im Allgemeinen mit 
einem ſtumpfen Kegel vergleichen kann. Die Blafe ift nämlich 
oben ein wenig zugefpist, nad unten dagegen abgeflacht. Sie 
liegt in der Bedenhöhle, dicht hinter dem Bogen der Schaambeine, 
und ragt, wenn fie angefuͤllt ift, über die Schaambeine hervor, 
- Mam unterfcheidet an ihr mehrere Lagen von Häuten. Der obere 
Theil, aber nicht der untere, wird vom Bauchfelle überzogen. 
Darauf folgt eine anfehnliche Muskellage, welche zum Theil aus 
Längsfafern befteht, die jedoch nicht gerade, fondern im Bogen 
verlaufen, und aus Ereisförmigen Faſern. Dieſe find befonders 
verdickt an dem Uebergange in die Harnröhre, und bilden hier einen- 
Shließmusfel für. die Harnblafe, die Längsfafern 
nennt man dagegen Austreiber des Harns (Deirusor 
urinae), weil fie bei. ihrer Berkützung bie Blaſe zufammenziehen 
und den Harn hinausdrüden, Im Iunern der Muskelhaut liegt 
bie früher erwähnte Schleimhaut, die, wenn bie Blaſe leer ift, uns 
regelmäßige Salten bildet. An der untern Fläche der Blaſe finder 
man außer den beiden Cinmündungen der Harnleiter den Uebergang 
in die Harnröhre, Nach vorn und unten dicht unter dem Schaaim- 
bogen findet fich diefer Uebergang. Die Höhlung der Blafe fpigt 
fich hier Eegelförmig zu, und heißt der Blafenhals (Collum 
vesicae), Er wird im Maune umgeben von der Vorfteherdrüfe, 
auf die wir bei Gelegenheit der männlichen Gefchlechtstheile zuruͤck 
kommen werden. Nachdem die Harnblafe fich ausgeleert hat, 
nimmt fie eine Zeit lang ohne Reaction neuen Harn auf. Der hier 
aufbewahrte Harn fcheint etwas von feinen wäfferigen Theilen zu 
verlieren, und wird daher reicher an den übrigen Beftandtheilen, 
Der Schließmuskel hält den Eingang in. die Harnröhre verfchloffen ; 
jemehr aber die Harnblafe ausgedehnt und. bie Längsfafern gefpannt 
werden, um deſto mehr preffen ‚fie gegen den Harn. Die Ausdeh⸗ 


nung der Blafe erregt ein unangenehmes Gefühl, welches uns auf: 


zegt, den Harn zu laffen. Willkuͤhrlich können wir die Entlees 


zung lange aufhalten, wahrfcheinlich indem wir den Schliefmus: 


kel wirken laſſen; denn der untere Theil der Blafe erhält Nerven aus 
dem Rüdenmark, alfoNerven, die unter dem Einfluß des Willens fies 
ben, wenn auch der obere Theil durch plaftifche Nerven verforgt wird, 
Indeſſen hat es diefer Schließmuskel mit dem des Afters gemein, 


31 


daß er faft unaufhoͤrlich in der Contraction fi befindet, Nur in dem 
erften Kindesalter ift er zu ſchwach dazu, weswegen Kinder im Schlaf 
den Harn laffen. Gefunde erwachfene Menfchen werden früher durch 
das Läftige Gefühl dee Anfüllung der Blafe aufgewedt, als der Wis 
derftand der Schließmuskeln überrounden ift. Wenn wir den Harn 
zu laffen uns beflimmen, fo hemmen wir nicht nur die Thätigkeit - 
diefes Muskels, fondern wir preffen auch, wie bei der Ausleerung 
des Kothes, die Bauchhoͤhle duch das Zwerchfell und die Bauch 
musfeln zufammen. Durch die vereinte Kraft diefer Musfeln des 
nen fich der Austseiber des Harnes, ber keinen Widerftand findet, 
zugefellt, wird der Hamm in einem Strahle in die —— aus⸗ 
rei 


Es fommt eine Befonbere Mißbildung, welche darin see, 
daß der obere Theil ber Blafe ganz fehlt, und nur der Boden da 
iſt, der fih an eine Deffnung der Bauchwand anlegt, nicht ganz 
felten vor. Man nennt diefe Mipbildung die umgeftülpte Hasnbtafe, 
obgleich fie beffer die halbe Harnblaſe heißen könnte. Da hier der 
obere Theil der Blafe fehlt, und der untere Theil ganz offen liegt, 
fo kann man in das Innere diefer Hälfte hineinfehen, und da laͤßt 
ſich denn ſehr leicht beobachten, wie der Harn unaufhoͤrlich ri 
die Deffnung der Harnleiter hervorfiepert. 


6. 276. Die Harnroͤhre (Uröthra) ift endlich, ihr 
legte Theil des Harnappurates. Sie iſt ſehr verfchieben in beiden 
Gefhlehtern, im Manne nämlich ſehr viel Länger als im Weibe, 
Bei diefem ift fie zugleich weiter, und mündet in die aͤußern Ge⸗ 
ſchlechtstheile ein, da wo die Scheide beginnt. Im Manne (Fig. 
1. E:) hat fie einen viel complicietern Verlauf, deſſen Befchreibung 
verftändlich feyn wird, wenn man die erfte und zweite Figur mit 
einander vergleicht, In erfterer ift er zum Theil verdeckt, in legte- 
rer der Länge nach von oben aufgefchnitten. Es ift ein fortlaufender, 
von einer Schleimhaut gebildeter Kanal, der bald frei liegt, bald - 
von andern Theilen umfchloffen if. So ift fein erfter Anfang, 
wo der Blafenhals ſich in ihn verlängert, von der Vorfteherbrüfe 
(L) umgeben. Hier findet fich im Innern des Kanals eine Erhas 
benheit, der Schnepfenkopf (caput gallinaginis s. veru monta- 
num), auf welder die Saamengänge fi endigen (Fig 2. h). 
Dann liegt die Harnroͤhre frei, und dieſer Abſchnitt heißt der mem⸗ 


brandfe Theil. Darauf eitt fie in das männliche Stich ein, und 
wird von den Zellförpern des Gliedes bededit und umgeben. (Bon 
diefen im der naͤchſten Vorlefung.) Sie ift Anfangs erweitert, 
verengt ſich dann, erweitert fich wieder etwas vor der Ausmändung 
und endet endlich an der Spige der Eichel, Man erkennt viele 
Schleimgruben auf ihrer inneren Fläche, In diefem Verlaufe hat fie_ 
auch nicht immer einerlei Richtung, fondern fteigt zuerft, indem 
fie aus der Harnblafe kommt, in einem Bogen herab, dann wieder 


unter dem Schaambogen in die Höhe, und biegt fich vor demfelben, 


wenn das Glied fchlaff herunter Hängt, mit biefem herab. Die ges 


nannten Krümmungen find der Hauptgrund, warum. e8 einige 


Schwierigkeit macht, eine enge Nöhre durch fie bis in die Harn 
blafe einzuführen. Bekanntlich müffen die Aerzte oft, wenn its 
gend ein Hinderniß der Ausleerung des Harnes aus der Blaſe ent 
gegen ſteht, folche metallne Röhren einführen, die fie ——— nen⸗ 

nen. 


Durch bie Briten fließt der Harn ab, und feine * 
gung wird noch beſchleunigt durch die Muskelfafern, die den Ans 
fang der Harnroͤhre unmittelbar umgeben, und durch einen Mus: 
£el, der auf der unterm Fläche der Harnroͤhre liegt, dieſe zwar 
nicht unmittelbar bedeckt, aber doch durch den Zellkoͤrper der Harn⸗ 
roͤhre (vergl. $. 286.) genug hindurchwirken kann, um dem Harne 
einen beſchleunigenden Stoß zu geben. Er heißt daher det Harn: 
ſchneller (Musc. accelerator urinae s, bulbo-  cayernosus‘). 


6. 277. Maß ben Harn felbft anlangt, fo ift feine Rn 
(ee Beſchaffenheit, fo wie die Quantität, in der er ausgefchieden 
wird, mehr Abweichungen unterworfen, als in irgend einer andern 
Fluͤſſigkeit des menſchlichen Koͤrpers. Der, Grund liegt ohne Zwei— 
fel in den Verhältniffen, in weichen der Harn zum Organismus 


ſteht. Da er nur ein ausgefchiedener Stoff ift, der zu Feinem ans 


dern. Zwecke verwendet wird, ſo iſt der Organismus bemüht, auf 
diefem Wege Altes auszuleeren, wovon er fich loszumachen ſtrebt. 
Darum ift der Harn verfchieden, je nachdem dieſer oder jener Stoff 
im Uebermaaß vorhanden ift., Er ift gleihfam der Abguß von den 


b Theilen, die entfernt werben müfjen, damit der Körper fich in eis 


ner Gleichmäßigkeit dev Mifhung und der Zunetionen erhält. Er _ 
iſt dei demfelben Individuum färter gefärbt, und alfo reicher an 


zı * 


I x 
nicht wäfferigen Theiten nad) dem Schlafe, ſtaͤrker gefärbt nach von 
endeter Verdauung als vor derfelben, oder nach langem Faften. 
Er verändert fich fat mit jedem Krankheitszuſtande, und diefe 
Veränderungen find fo complicirt, daß ich fehr lange dabei verwei⸗ 


Ten müßte, wenn ich fie Ihnen mittheilen wollte, Daher ift bie 
Anſicht des Harn für die Aerzte ein Hauptmittel zur Beurtheilung 


des Krankheitszuftandes; ja es gab eine Zeit, wo er als das wich⸗ 
tigfte und faft einzige Zeichen‘ betsachtet wurde; bei Quadfalbern 
und Marktfchreiern ift er e8 noch. Einer merkwürdigen Veraͤn— 


a derung will ich indeſſen doch erwähnen. Es ift die Zuder- Harn⸗ 


ruht, in welcher der Harn einige feiner wefentlichen Beftandtheile, 
ven Harnfloff und die Harnfäure, verliert, und flatt derfelben Zu⸗ 
der enthält, den man: auf chemifhem Wege ausfcheiden Eann. * 


Eine Menge verfchlucdter Subftanzen gehen bald in den Harn über. 


So’ findet man die färbenden Theile von Nhabarber und dem Krapp 


‚im Harne; Terpentinoͤl verfehludt, eingeathmet oder auch nur in 


die Haus eingerieben, giebt dem Harne einen Veilchengeruch. Nach 
dem Genuß von Spargel und von Stiefmuͤtterchenkraut veraͤndert 
ſich ſein Geruch auch ſehr auffallend. Blauſaures Kali in den 
Magen gebracht, zeigt ſich ſehr bald im Harne. Sie werden da—⸗ 
her einfehen, daß es ſehr ſchwer, ja faſt unmöglich ift, bie chemie 
Ihe Beſchaffenheit ded normalen Harnes anzugeben, weil die Norm 


des Harnes nur darin befteht, alle Abweichungen im Körper wieder 


auszugleichen. Die Unterfuchungen der Chemiker ſtimmen daher 
feinesweges überein, fo haufig fie auch angeftellt wurden. Indeſ⸗ 
fen bin ich Ihnen doch das allgemeine Reſultat dieſer Unterſuchun⸗ 
gen [huldig, und will es in Folgendem zufammenfaffen. 


Das fpecififche Gewicht des Re ift etwas bedeutender als 
das des Waſſers, nämlih 1, 02. In der Regel ift Säure vor: 
waltend, fo daß der Harn blaue Pflangenfäfte röthet. In manchen 
Krankheiten, 3. B. Entzündungen, mehrt fi ch diefe Säure, in 


andern ift der Ban EI Der a dem Ges 


y 





*Von den fonderbaten Veränderungen, die felbik ein — Harn ein ge⸗ 
hen kann, nur einige Beiſpiele. Ein Chemiker bemerkte an ſich ſelbſt einſt 
einen leuchtenden Harn, wovon man aud andere Fälle kennt. Cine Kreos 
din ließ einen . nz weißen dicken Harn, der auch bei ber chemiſchen Unters 
fuhung große Aehnlichkeit zeigte, Andere Derfonen hatten dagegen einen 
ſchwarzen Darn, 


— TE ne 25 
* 





— — 


wichte nach, iſt Waſſer. Ein gefunder Harn enthält uͤberdies einen 
eigenthuͤmlichen thierifchen Stoff, den Harnfloff, der in vierfeitiz 
gen Säulen und Blättern Ernftallifirt, und fih in Waffer und 
MWeingeift auflößt ; ferner. eine eigenthuͤmliche Säure, die Harnfäu- 
re. Beide find reich an Stidftoff, und nehmen ab oder ſchwinden 
ganz, wenn man lange Zeit nur ſolche Nahrung zu fi nimmt, die 


feinen Stidftoff enthält. Außer diefen Stoffen finden fi immer 


eine Quantität Schleim aus. der Harnblafe, phosphorfaure Salze, 
ſalzſaure Salze, flußfpathfaurer Kalk, phosphorſaure Bittererde, 
ſchwefelſaures Kali und Milhfäure, theils frei, theils in Verbindun— 
gen, und fogar etwas Kiefelerde, Mehrere diefer Stoffe find im Blute 
nicht enthalten, müffen alfo bei der Bereitung des Harns erſt erzeugt 
werden, Die erdigen und alkalinifchen Salze, welche, der Harn 
mit dem Blute gemein hat, find in jenem in reichlicherem Maaße 


vorhanden. als in diefem. * Einige Chemiker fanden noch andere 


% 





©. Die Veränderkichkeit in der Miſchung der thierifchen Fluͤſſigkeiten madit, 


daß die genaue Angabe ber Verhältnijfe ihrer Beitandtheile an Werth vers 
liert. Das gilt am meilten für den Harn. Sndeffen will ich hier die Ver: 
* Hältniffe vollftändig angeben, wie fie Berzelius. fand, theild damit man 
—* welche Stoffe in größerer und welche in geringerer Quantität vor: 
‚handen find, theils weil im Texte nicht alle Salze genannt find, 


2000 Theile Harn enthalten nad) Berzelius: 





Waſſer BD ER + b 
Harnſtoff a a a A Ei 30, 10 
Schwefelſaures Ri u 2 00 nee nie an 7 
twefelfaures Natrum Bi) a au. Ad UN el SE —— 3 16 
hosphorfaured Natrum =... * -“.» * na ET Du | ⸗4 2, 94 
alzſaures Nattum 1 2 ren en. 4 
bosphorfaures Ammonium . » » » EEE I 
alzfaures Ammonium Aalen Wih nn . 1, 50 


Seeie Mildfäiure 2: Kerr. 


. . “ 


+ 
* 


4 Salze 

Thieriſche Materie, unaufloͤßlich im Altohol . . s » » 
ſtoff, unabtrennbar von den vorhergehenden . . « 
ige a Salze mit einer Spur flußfpathfaus 
ren (4 y “ [2 ” 





DEE EIER ET IN NE * Tr, 00 

—8 — — — I — . —. F — . % * * + Yo. 8%, I, 00 
leim der Harnblaſe 7 DD Ba a a ar oe iu. 0, 32 
Kiefelerbe - » * ® u “ — — u.» » * en 23, * 0, 03 
‚1000, 00 


i . 
Sn neuefter Zeit hat ein Chemiker, Prouft, noch befondere Stoffe im 
' Darne ———— Din die von ihnen ift harziger Natur, Da er aber burch 
 . Behandlung mit Schwefelfäure oder. Salzfäure erhalten worden, fo koͤnnte 
er wohl Probuct der Kunft feyn, wie das Gallenharz. Weingeift Iößt dies 
ſes Harz auf, läßt aber ein ſchwarzes Pulver zurüd, welches der zweite 
neue Stoff if. Derfelbe Chemiker hat eine neue Säure, Purpurfäure, 
entdeckt, welche in dem Harne den rothen Bodenſatz, den er zuweilen ers 
= f, derurfachen fol, Die Beit und die Chemie müffen hierüber weiter 


= 


Stoffe, bie vieleicht nicht immer da find, Benzoefaͤure (vorzug⸗ 
lich bei Kindern), a (befonders in krankem Barne) u, 
f. w, 

6..278.. Die Bereitung des Gent ſteht vorzuͤglich une 
der Herrſchaft des plaſtiſchen Nervenſyſtems; doc hat auch das Ruͤ⸗ 
ckenmark Einfluß, wie man daraus erkennt daß nach der Durch⸗ 
ſchneidung deſſelben die Nieren nicht mehr, wie vorher, die Faͤrbe⸗ 
ſtoffe, das blauſaure Kali und andere dem Organismus nicht pafz 
fende Dinge aus dem Blute entfernen. Jede Nervenreizung wirkt 
auf die Harnfecretion ein. Bekannt ift es, daß nah Furcht und 
Schrecken ein wenig gefärbter wäfferiger Harn gelaffen wird, Die 
Harnfecretion ift langfam oder raſch, nach dem geringeren oder grö= 
. Bern Uebermaaß von Stüffigkeit im Körper und je nachdem die an- 
dern Organe wenig oder viel von ihm aufſaugen. So wird bei 
feuhtem und kaltem Wetter, wo die Daut weniger ausdünftet, 
viel mehr Harn ‚abgefondert, ald in warmer und trodiner Jahres: 
zeit. Daffelbe geſchieht, wenn durch Krankheit die Haut, die 
Lunge oder der Darm weniger ausfcheiden, als fie follten., Der 
‚Harnapparat übernimmt dann in biefer Hinfi icht ihre Gefchäfte. 
Aber auch, wenn viel getrunken worden iſt, mehrt fich bie Harn⸗ 
fecretion faft unglaublich, Daffelbe kann durch einige Arzeneien, 
die beſonders den Harnapparat reizen, erreicht werden. Es iſt 
nicht ganz ſelten, daß Waſſerſuͤchtige, wenn der Arzt das richtige 
Verhaͤltniß der anzuwendenden Mittel vollkommen traf, in einer 
Nacht 3 oder 4 große Flaſchen voll Harn ausleeren. 


Die Schnelligkeit, mit der Getränke, die im Urhermaag ge⸗ 
noſſen wurden, durch den Harn wieder abgehen, und der rafche 
Webergang von Färbeftoffen und ähnlichen Dingen aus dem Magen 
in den Harn, haben fehr oft zu der Unterfuhung Veranlaffung ges 
geben, ob nicht unmittelbare Uebergänge aus dem Magen in die 
Harnblafe da wären, ober ob wirklich diefe Dinge erft in die Maſſe 
aufgenommen, und durch die Nieren erft ausgefchieden werden 
Die anatomifche Unterfuhung wieß Eeine ſolchen Gänge nad); in- 
beffen haben zu verfchiedenen Zeiten gute Phyfiologen fogenannte 
heimliche Gänge angenommen, und dachten fi) dabei einen Weg 
durch das Zellgewehe oder irgend einen andern. Allerdings iſt es 
auffallend, dag der Menfc nach dem Genuß von Rhabarber bereits 


J 


EN 


insg Minuten bie Spuren derfelben im Harne findet, bie dann im: 
mer zunehmen, und nach Verlauf von einer halben Stunde etwa 


abnehmen. Biel fpäter wirkt fie auf den Darm als Laxirmittel. 
Die Wanrfcheinlichkeit eines unmittelbaren Weberganges fchien noch 
vermehrt, als man fand, daß blauſaures Kali im Harn fich zeigte, 
im Blute ſich aber nicht entdecken ließ. Allein es hat fich fpäter ges 
zeigt, daß, wenn das blauſaure Kalinicht in großer Quantität vor- 
handen ift, es im Blute durch die gewöhnlichen chemifchen Mittel 
nicht angezeigt wird, während fie im Harne die geringfte Quantität 
bavon verrathen. Man mifchte unmittelbar blaufaures Kali mit Bes 
nenblut, und Eonnte es doc nicht durch chemifche Mittel wieder 
ausfheiden, wenn feine Quantität gering war. Spritzt man ba= 
gegen eine Auflögung von blaufaurem Kali unmittelbar in die Bes 
nen eines lebenden Thiers, Fo finder fich der Stoff fehr bald im. 
Harne wieder, und man hat alfo feinen Grund, anzunehmen, daß 
es nicht vom Magen aus bdenfelben Weg nimmt, befonders 
in unfern Tagen, mo man Beweife genug hat, daß die Be: 
nen unmittelbar Stoffe aus dem verdauenden Kanale aufnehmen 
($.87.). Bevor man diefe Ueberzeugung gewonnen hatte, glaub: 
te man, daß alle Stoffe aus dem verdbauenden Kanale den langfa: 


- men Weg durch die Saugadern und den Bruſtgang zurücklegen müß- 


ten, und da ſchien der Vorgang freilich unbegreiflih. Ueberdies 
find jegt Verſuche angeftellt, welche die heimlichen Wege vollftändig 
widerlegen. Man hat bei Thieren die Nierenarterien unterbunden 
und ihnen dann Rhabarber oder blaufaures Kali eingegeben, Sie 
fanden fi im Harne nicht vor, obgleich fie durch das Blut in bie 
meiften andern Drgane gebracht waren, und zuweilen auch in bie 
Wandung der Harnblafe; ein Beweiß, daß fie in die Maffe des 
Blutes übergegangen waren. Ueberhaupt blieb die Harnblafe leer, 


- wenn fie vor der Unterbindung fich gehörig entleert hatte. Unters 


bindet man dagegen die Harnleiter, fo fammelt fi der. Harn über 
ber unterbundenen Stelle, und enthält die in ben Magen gebrad)s 
ten Subſtanzen. 


$. 279. Endlih müfen wir auch einen Blid auf bie 
Harnfleine werfen. Was find fie und wo entftehen fie? Man 
kann fie überhaupt Miederfchläge aus dem Harne nennen, und fie 
finden fih in allen Theilen des Harnapparats, im Nierenbeden, 


im Harnleiter, in ber Harnblafe und in ber Harnröhre, Die im 


Nierenbecken erzeugten. feigen oft unter großen Schmerzen den. 


Harnleiter herab, und bleiben in der Harnblafe liegen, wenn fie 
nicht fo Elein find, daß fie durch die Harnroͤhre von felbft abgehen 
koͤnnen, welche bei Srauenzimmern Steine von ber Größe einer 
Bohne durchlaͤßt. Aus der Harnblafe müffen fie bekanntlich duch 
eine Operation entfernt werden. Der Grund ihrer Entftehung ift 
noch nicht hinlänglich bekannt, * fo daß man leider aud noch fein 
Mittel weiß, fie zu verhüten. Merkwuͤrdig iſt es, daß fie in 
Ländern, wo allgemein Wein getrunken wird, viel häufiger vor: 
kommen. Doc finden fie fich zuweilen aud bei Waſſettrinkern. 
Ueberhaupt ift wohl die Urfache ihrer Entftehung verfhiedenz wie 
es ihre chemifche Befchaffenheit if. Sie beftehen nämlich aus fol= 
chen Subftanzen, dieim Harne enthalten find, und die durch den 
Blaſenſchleim zuſammengehalten werden, oder wenigſtens aus 
Subſtanzen, die mit denen des Harns nahe verwandt ſind, und 
wohl durch Umaͤnderung derſelben entſtanden ſeyn koͤnnen. Einige 
beſtehen aus Harnſaͤure, ſind glatt und braun, aus concentriſchen 
Schichten gebildet. Andere aus phosphorſaurem Kalk mit phosphor⸗ 
ſaurer Bittererde find weißer und zerreiblich. Eine dritte Art, aus 
kleeſaurem Kalk beſtehend, hat meiſtens eine zackige oder warzige 
Oberflaͤche. Andere beſtehen aus dieſen Subſtanzen abwechſelnd. 
Seltener ſind Harnſteine, die noch andere chemiſche Beſchaffenhei⸗ 


ten haben. Ueberhaupt hat man ſi ie in chemiſcher vinoe von 11 
Arten gefunden. 





— feltnern Fällen giebt ein. frember Körper, der in bie Harmblafe gebrun⸗ 
gen iſt, Veranlaſſung zut Bildung eines Steines. Der fremde Körper 
reizt die Harnblafe,, mehr Schleim aus zuſcheiden, welcher, verbunden mit 
den Beſtandtheilen des Harns, einen allmaͤhlig zunehmenden Niederſchlag 


um den Stein bildet. So hat man zuweilen auf Flintenkugeln, die in die 


Fate BRIFURGEN waren, einen. fleinigen Ueberzug von bedeutender Dide ges 
unden. 





" 





Ein und Zwanzigfte Vorlefung. 


Zeugungsorgane des Mannes, 


9. 280. 


Die bisher betrachteten organifchen Gebilde und Lebenserſcheinun⸗ 
gen beziehen fich nur auf das Leben des Individuums, und find in 
beiden Geſchlechtern bis auf Eleine Abweichungen gleich. Die Ers 
zeugung der organifchen Körper, mit Ausnahme der allereinfachften, 
ift aber von früher gezeugten Individuen derſelben Art abhängig. 
Die beftehende Gefellfchaft derfelben erzeugt immer die zukünftige. 
So auch der Menfh. Dieſe Erzeugung ift ferner bei Thieren hoͤ— 
herer Bildung und beim Menfchen nicht möglih duch ein Indi—⸗ 
buum, fondern durh das Zufammentreten zweier verfchiedenen. 
Ein jedes derfelben hat an der Erzeugung verfchiedenen Antheil, 
und ift zu diefem Zwecke mit befondern Organen verfehen. Wir 
nennen den Gegenfas der Individuen die Gefchlechter, und die Or⸗ 
gane die Gefchlechtötheile,. Um in dem eriten Abſchnitte unferer | 
anthropologifchen Abhandlungen den Menfchen nach feinem Bau 
volljtändig Eennen zu lernen, wenden wir und an die Unterfuhung 
Diefer Apparate, laſſen aber die Gefhichte der Entwidelung eines 
neuen Individuums und der vorhergehenden Zeugung im zweiten 
Theile folgen, wo fich intereffante Vergleihungspunfte mit ber 
Thierreihe finden werden, 


Das männliche Gefchleht wirkt zur Zeugung, durch Bereitung 
eined befruchtenden Stoffes. Der dazu dienende Apparat befteht 
aus zweien bereitenden Drüfen, den Hoden, zweien Kandlen, bie 
den Stoff aus den Hoden ableiten, den Saamengängen, eben fo 
vielen aufbewahrenden Höhlen, ben-Saamenblafen, und-ber maͤnn⸗ 
lichen Ruthe zur Ausleitung dieſes Stoffes. 


u | 490 — # 

$. 281. Die Hoden (Testes, Testiculi) liegen uns 
terhalb der Bauchhöhle, umfchloffen von einer eigenthuͤmlichen Vers 
längerung der Außen Haut, die man den Hodenfad (Scro- 
tum) nennt, Im Innern diefer Hautverlängerung ift eine zweite 
weißlihe Haut (Tunica dartos), die in der Mitte, wo man äu- 
ßerlich am Hodenfad eine Furche fieht, eine unvollftändige Schei⸗ 
bewand hat, fo daß jeder Hode in einer ‚befondern Höhlung liegt, 
Er ift hier ziemlich frei, und zeigt ſich daher etwas beweglich, Die 
Form des; Hodens ift epfürmig. In der gewöhnlichen Lage ift das 
eine Ende nad oben und vorn gerichtet, daS andere nah unten 
‚und hinten. Der Hode wird eingefchloffen von einer bläulich wei: 
gen feften faferigen Haut ( Albuginea), welche ihn ganz und eng 
umfchließt.. Außerdem ift er gerade eben fo in.eine feröfe Haut 
eingefenkt, wie das Herz in feinen Herzbeutel oder jede Lunge in 
ihren Sad des Bruftfels, fo nämlich, daß fie mit einem Theile 
den Hoden Üüberzieht, auf der weißen Haut deffelben eng aufgehef— 
tet, da aber, wo der Nebenhode aus dem Hoden hervorteitt und 
an ihm anliegt, zurädgefchlagen ijt, um mit einer zweiten weitern 
Hälfte einen Sad um den Hoden zu bilden. Diefe Scheidenhaut 
des Hodens (Tunica vaginalis testiculi) bildet alſo ‚gerade fo, 
wie der Herzbeutel um das Herz, einen zufammengebrüdten Sad 
um den Hoden, im gefunden Zuftande nur etwas feuchten Dunft 
enthaltend, im franfen aber fann er fich mit lymphatiſchem Waſſer 
anfüllen, ‚und erzeugt dann das, was man Waſſerbruch 
nennt. Durch einen Schnitt oder Stich in die Scheidenhaut kann 
das Waſſer ausgeleert werden, ohne den Hoden zu verletzen. In 
der erſten Figur der XI. Tafel ſehen wir die Scheiden haut 9— des 
linken Hodens (N) aufgeſchnitten. 


Der innere Bau des Hodens ſtimmt im Welentichen mit dem 
anderer Druͤſen überein, auch er beſteht aus einer Verwickelung 
von Blutgefaͤßen und von ausfuͤhrenden Kanaͤlen. Allein er unters 
fcheidet fich dadurch, daß nur eine fehr lange und dünne Arterie, 
die Saamenfchlagader, in ihn tritt. Sie kommt aus der Aorta 
dicht unter dem Urfprunge der Nierenfchlagadern, zuweilen auch 
aus diefer ſelbſt. Wir haben ihrer ſchon Früher ($. 94.) erwähnt, 
fie iſt auch Taf. IV. Sig. Tr. p und Taf XL Sig. 1, auf beiden 
Seiten aus der Aorta (6) entfpringendiabgebilpet, In demſelben 


2* ——s Zn * 


— 491 —n 


Verhaͤltniſſe ſtehen die — die aber noch haͤufiget, be⸗ 


ſonders auf der rechten Seite, in die Nierenvenen münden. Die 


dünnen Zweige diefer Blutgefäße nehmen lange nicht fo viel Raum 
in der Maffe des Hodens ein, als die Anfänge der Ausführungss 


> gänge. Diefe find fehr lang , um ſich ſelbſt gefchlängelt, umd wer⸗ 


den durch etwas verdichtetes Zellgewwebe getrennt, fo daß es aus⸗ 
fieht, als ob der ganze Hoden in Kammern getheilt wäre. Durch 
fanges Liegen im Waffer lößt fih das Zellgemebe allmählig auf, 
und dann kann man die Länge diefer. feinen Saamenkanaͤle beſſer 
überfehen. Ihre Zahl ift etwa 300, und ihre Länge fcheint im 


Durchſchnitte ungefaͤhr 16 Fuß zu betragen, ſo daß fie zufammen« 


+ 
t 


genommen eine Ausdehnung von faſt 5000 Fuß haben. Ihre 
Weite beträgt dabei nicht den zehnten Theil einer Linie. Sie 
vereinigen ſich gegen das obere Ende des Hodens zu mehreren etwas 
weitern Kanälen, welche die dußere weiße Haut des Hodens durchs 
bohren. Außerhalb deffelben verwideln fie fi) um einander, und 
bilden einen dicken ſtrangfoͤrmigen Körper, den man den Neben- 
boden (Epididymis) nennt. In ber erften Figur fehen Sie 
am linken Hoden etwas vom Nebenhoden, allein in Big. 7. fehen 
wie ihn don feiner aͤußern Haut entblößt, fo daß man die in ihm 


liegenden Verwickelungen der Saamenleiter erkennt. Der obere 


Theil, wo die Saamenleiter aus dem Hoden heraus treten, heißt der 
Kopf des Nebenhoden, der untere Theil wird fein Schwanz ges 
nannt, Hier verbinden ſich im weitern Verlaufe immer mehr Saa⸗ 
menfandle mit einander, bis fie fich endlich’ zu einem Hauptkanal 
vereinigt haben, dem Saamenleiter (Ductus'spermäti- 


. us, Vas defereris), weldher im Anfang ftatE gefchlängelt iſt, 


dann. aber —* gerade wird (Fig. *. und eu 7.1) 


#" \ 


2 —* Der Saamenleiter muß eine weite Strecke verlau⸗ 
fen, bis er dem Det feiner Beſtimmung erreicht. Er muß ſich 


- nämlich innerhalb der Bedenhöhle mit der Saamenblafe feiner Seis 


te verbinden, und endlich in die Harntöhre einmünden. Da num . 
ber Hoden außerhalb der Bauchhöhle, von der die Bedenhöhle nur 
ber untere Abſchnitt ift, fich befindee, fo muß er in die Bauchhoͤh— 
le eintreten. Dazu dient eine Fanalfürmige Luͤcke, welche in. der 

Leiftengegend fchief durch die Bauchmuskeln hindurchlaͤuft. In der 


X Figur iſt die Haut von den Bauchmuskeln entfernt, und der 


— 


Hodenſack der rechten Seite (P) geöffnet, um dies Verhaͤltniß zu 
zeigen. Auf der rechten Seite fehen wir bei M die aͤußere Aus— 
mündung diefes Leiftenfanals, Bei N ift die Stelle der 
innern Mündung in die Bauchhöhle, die man natürlich von außen 
ohne Verlegung nicht. fehen Tann. * Um feinen Fortgang zu zei: 
gen, find auf der. linken Seite die verfchiebenen Lagen der Bauch⸗ 
muskeln duchfchnitten. Durch diefen Leiftenkanal fteigt nun: der 
Sanmenleiter in die Höhe, kommt dadurch auf den obern Rand 
des Schaambeins, kruͤmmt ſich nach unten in die Bedenhöhle hin- 
ein, und geht unter den Boden der Harnblafe, wo fich beide Saa- 
mienleiter einander nähern. : Sie fehen, daß der Saame, bevor 
er in die Harnroͤhre oder die Saamenblafe gelangt, einen meiten 
Meg zurhdzulegen hat. Bevor wir ihn auf diefem Wege weiter 
begleiten, ehren mir zum. Leiftenfanale und dem Zwiſchenraume 
von ihm bis zum Hoden zuruͤck. 


87283: Durch den Leiſtenkanal müffen auch die Gefäße 
und Nerven gehen, die aus der Bauchhöhle zum Hoden ſich bege- 
ben. Esı find nämlich die Nerven: des Hodens Verlängerungen 
bes plaftifhen Nervenfyftems. Der Saamenleiter mit der Saa— 
menfchlagader und = vene liegen in dem Verlaufe unterhalb der 
Bauchhoͤhle nicht frei, fonbern find von einer bannen Musfellage 
umgeben, die fie wie eine Scheide umſchließt. Diefe Muskellage 
kommt von der Außern Mündung des Leiſtenkanals, und endet mit 
einer fehnigen fadförmigen Erweiterung, die den Hoden mit fei- 
ner Scheidenhaut umſchließt. Durch die Verkürzung der Muskel⸗ 
fafern kann der Hode in die Höhe gezogen werben, was immer im 
hohen Erregungszuftande der Gefchlechtstheile erfolgt. Man will 
die Beobachtung gemacht haben, daß ſehr muskuloͤſe Menfchen 
auch willkuͤhrlich duch diefen Muskel den Hoden bis in den Leiſten⸗ 
kanal hinaufziehen koͤnnen. So bemerkte man, daß ein Rekrute, 
der ſich als untuͤchtig zum Kriegsdienſte erweiſen wollte, ſeine Ho⸗ 
den auf dieſe Weiſe verbergen konnte. In der Regel find die Mus» 





® € ift diefer Leiftenkanal biefelbe Like, die man fonft wohl Baudring 
(Annulus abdominalis) nannte. Wenn ein Brud durch den Kanal geht, 

8 zieht er die hintere Oeffnung deſſelben allmaͤhlig nah an die vordere an. 
Dann hat die Lüde in der That eine ringförmige Geftalt. Sm gefunden 

. Buftonde ik fie ieboch ein wahrer Gang zwiſchen den Bauchmustelm 


— — 


kelfaſern nur ſchwach, und ſie koͤnnen wenigſtens den Hoden nicht 
bis in den Leiſtenkanal bringen, wenn auch vielleicht bis an die 
Mündung deſſelben. Sie ſehen den Hodenmuskel (Cremas- 
ter) in der erſten Abbildung auf der linken Seite aufgeſchnitten, 
auf der rechten unverletzt. Hier fieht man auch, daß ber Hoden» 
muskel mit den enthaltenen Theilen zufammen einen diden Strang 
bildet, den man den — *— (Funiculus spermati- 
cus) nennt, | 


Der Bsiffenfana! bildet im erwachfenen und gefunden Men- 
fchen nicht eine offene Communication zwifchen der Bauchhöhle und 
dem Innern des Saamenftranges; es ift vielmehr der Saamenleiter 
mit den Wänden des Kanals durch Zellgewebe verbunden. Es 
giebt aber eine Zeit, wo diefer Kanal wirklich ‚offen ift, und er 
kann durch mancherlei Verhältniffe wieder geöffnet: werden. — Mes 
fprünglich bilden fidy nämlich die Hoden des Embryo innerhalb.der 
Bauchhoͤhle. So fehen wir fie in der 9. Figur, wo ST die aufge: 
fchnittene Wand der Bauchhöhlerift, bei HH über der Harnblafe 
D liegen. Gegen das Ende der Fötusperiode fleigen die Hoden 
in der Bauhhöhle herab. Jeder begiebt fich dann in den Leiftens 
Fanal feiner Seite, und e8 hat die Natur zu diefem Zwecke hier den 
Meg fchon vorbereitet. Ja der Hodenmuskel ijt Hineingeflülpt und 
leitet gleichfam die Hoden heraus, Bei der Geburt des Kindes 
findet: man daher gewöhnlich beide Hoden fhon im Hodenfade; ins 
deffen ift e8 nicht felten, daß einer ober beide erft heraustreten. In 
ſeltenen Fällen bleiben auch die Hoden in erwachfenen Männern in 
der Bauchhoͤhle zuruͤck, wodurch diefe nicht unfähig zur Zeugung 
werben. In vielen Thieren find die Hoden das ganze Leben hin= 
durch in der Gere 


| Ind em di⸗ Hoden herabſteigen, ziehen ſie die Saamenleiter 
und die ihnen gehoͤrigen Blutgefaͤße auch mit herab; außerdem zie— 
hen ſie auch eine Verlaͤngerung des Bauchfells in den Hodenſack 
hinein. Sie ſind naͤmlich, ſo lange ſie in der Bauchhoͤhle liegen, 
von dem Bauchfelle faſt ganz umgeben. Indem ſie nun durch den 
Leiſtenkanal gehen, folgt ihnen ein Theil des Bauchfells und bil— 
det eine teichterförmige Verlängerung bis in den Hodenfad; dann 
if eine offene Communication zwiſchen diefem und der Bauchhoͤhle. 


a — 


Allmaͤhlig, doch nicht bei allen Kindern zu gleicher Zeit, verengert 
ſich die Verlängerung der Bauchhaut; fie verfchliekt: fih und ver: 
ſchwindet, indem fie fich in das Zellgewebe auflößt, welches den 
Leiftentanal ausfuͤllt. So lange die VBerfchliefung noch ſchwach ift, 
oder wenn ſie garnicht erfolgt, wie es zuweilen der Fall iſt, kann 
leicht etwas von den Baucheingeweiden durch den Leiſtenkanal und 
alfo in den Hodenſack, hinabgedrüict werden. "Ein Hervortreten 

eines Organes aus feiner Höhle nennen die Aerzte überhaupt einen 
Bruch (Hernia), was man nit mit’ einem Knochenbruch ver- 
wechſeln darf. in Hervortreten: durch den Leiſtenkanal heißt na: 
‚ mentlih ein Keiftenbruch, und ift bekanntlich ein gefährlicher 
Zufall, der eine Operation erfordert, wenn der Leiſtenkanal nicht fo 
weit offen bleibt, daß der vorgefallene Theil ungehindert heraus und 
hinein gehen kann. ‚Leiftenbrüche entitehen auch, wenn ſich dee Lei- 
ſtenkanal ſchon geſchloſſen hat; denn immer bleibt diefe Gegend ſchwaͤ⸗ 
her als die meiften andern Gegenden der Bauhmwand, Werden 
nun die Eingeweide des Bauches mit großer Kraft zufammenge: 
druͤckt, indem fich das Zwerchfell und die Bauchmuskeln gleichzeitig 
zufammenziehn, was ja bei jeder Ausleerung des Stuhls und Harn 
geſchieht, noch mehr aber bei großen Eörperlichen Anfteengungen 
‚mancher Art, wie beim Aufheben ſchwerer Laſten, fo werden eini- 
ge Eingeweide des Bauches gegen die innere Mündung’ des Leiſten⸗ 
kanals gedruͤckt, und drängen, wenn diefer weit iſt, das vorliegen: 
de Zellgewebe aus einander, und find fie.einmal durch den ganzen 
Leiſtenkanal paffirt, fo treiben: fie. nachher den Hodenmuskel noch 
leichter aus einander, und ſinken immer tiefer; Man hat Beifpiele, 
daß ſolche Brüche bis an das Knie reichten, und "ein bedeutender 
Theil der Daͤrme außerhalb. dev Bauchhöhle lag. So beſchwerlich 
ſolche Bruͤche ſind, ſo bringen ſie doch ſeltener Gefahr, weil der 
Leiſtenkanal ſehr erweitert iſt. Verengert ſich hingegen dieſer, ſo 
daß er den vorgefallenen Theil, der in der Regel ein Stuͤck des 
Darmes iſt, ſtark einſchnuͤrt, ſo entzuͤndet ſich dieſer, und geht, 
wenn nicht ſchnelle Huͤlfe geleiſtet wird, in Zerſtoͤrung uͤber. — 
Wo ſich die Verlaͤngerung des Bauchfells gar nicht ſchließt, ent⸗ 
ſteht beſonders leicht ein Bruch. Die Aerzte nennen dieſen den an: 
gebornen Bruch, weil ihn Kinder häufig mit auf die Welt brin- 
gen. — Der Leiftenkanal ift nicht der einzige Weg, durch welpen 
Brüche hervortreten Eönnen, In der Mitte der Leiftengegend ift 


* 


4 


| auch "eine ſchwache Stelle, unterhalb der Bauchmuskeln, die zur 
Entftehung von Bruͤchen Veranlaffung giebt. Diefe heißen Schen⸗ 
£elbrüche, und find: bei Weibern häufiger, weil bei ihnen der Leis 
ſtenkanal eng iſt und keinen Hoden durchlaͤßt. Iſt der Nabel 
nicht gehoͤrig in der Kindheit geſchloſſen, ſo koͤnnen durch ihn Na— 
belbruͤche hervortreten. Doch ich will keine pathologiſche Vorle⸗ 
ſung uͤber die verſchiedenen Arten von Bruͤchen halten, deren es 
noch mehrere giebt, ſo wie auch nicht jeder Leiſtenbruch durch die 
ganze Laͤnge des Leiſtenkanals geht. Solche Vorlefungen paſſen 
fuͤr zukuͤnftige Aerzte; hier kam es mir nur darauf an, Ihnen eine 
anſchauliche Kenntniß von einer leider nicht ſelten vorkommenden 
Krankheit zu geben, und auf die Beſchreibung einen Rath zu 
gründen, der mehr nuͤtzen kann, als die oberflaͤchliche Kenntniß ei⸗ 
nes ſelbſt fuͤr die Aerzte ſchwierigen Uebels. Bewahren Sie Kin⸗ 
der, vorzuͤglich wenn der Leiſtenkanal ſehr weit iſt, wovon man ſich 
durch Unterſuchung mit dem Finger unterrichten kann, vor über: 
mäßiger Anftrengung beim Aufheben und jeder andern Anſtrengung, 
bei der die Bauchmuskeln heftig mitwirken. Diefe Vorficht ift da 
beſonders noͤthig, wo die Hoden ungewöhnlich ſpaͤt hervorgetreten 
find. Die Aerzte rathen auch, die Kinder nicht zu früh die Schen⸗ 
el aus einander ſpreizen zu laffen, wozu unter ‚andern die Schaus 
Eelpferde Beranlafjung geben. Obgleich ich mir nicht ganz Elar mas 
hen kann, wie dadurch die Entftehung der Brüche erleichtert wird, 
fo möchte ich doch folche Warnung nicht geradezu verachten, ° 


F. 284. Wir Eehren zum Saamenleiter zuruͤck. Indem 

ſich beide einander nähern, treten fie in die Maffe der: Worftehers 
druͤſe ein. Bevor fie diefe erreichen, verbindet fich jeder Saamens 
leiter mit einem Mebenorgane, der Saamenblafe «(Vesicula 
spermatica); ‚Die Saamenblafen liegen zu beiden Seiten der 
Saamenleiter, an die untere Flaͤche der Harnblafe angeheftet: : Die 
Saamenblafe hat in ihrer natürlichen Lage (Fig. 8: K) das Anfehn 
einer Drüfe, die aus mehreren. Lappen beſteht. Entfernt man. aber 
alles Zellgewebe, fo ſieht man, daß es eigentlich ein Kanal ift, 
ber mittelmäßige Weite und- kurze Nebenäfte hat (wie KAT), Der 
+ Hauptkanaf mit feinen Nebendften iſt ſo zufammengefaltet, daß er. 
die eben beſchriebene Form hat. Die Saamenblaſe ſteht mit dem 
Saamienleiter unter einem ſehr fpigen Winkel in Verbindung, und 


ne ee | 
beide haben num einen Eurzen gemeinfchaftlichen Ausfuͤhrunge anal, 
den Saamengang * (Ductus ejaculatorius), welcher in 
die Vorfteherdrüfe geht und fich in die Harntöhre mündet, wo beide 
Ausmündungen auf dem Schnepfenkopfe dicht neben einander (Fig. 
‚2. h) oder in einer gemeinfchaftlihen Höhlung fich befinden, Durch 
diefen Gang wird der Saame ausgefprigt, wozu die benachbarten 
Muskeln mitwirken, mwahrfcheinlich aber auch convulfivifhe Con⸗ 
tractionen der Saamenblafen. Die Saamenblafen find im erwach⸗ 
fenen Manne von einer weißen dien Fluͤſſigkeit angefüllt, von 
der fie ihren Namen haben. Man hat den Zweifel aufgeworfen, 
ob diefe Fluͤſſigkeit wirklich der befruchtende Seugungsftoff ift, d. h. 
ob die Flüffigkeit, die wir in den Saamenblafen finden, biefelbe 
ft, welche die Hoden bereiten. Daß der in den: Doden bereitete 
Stoff der zeugende ift, kann nicht. bezweifelt werben; denn nad 
Berftörung oder Entfernung beider (nicht eines einzigen) Hoden hört 
immer bie Zeugungsfähigkeit auf. Nur ob diefer Stoff durch die Saa- 
menleiter in die Snamenblafen gelangt, ift bezweifelt worden. Man ı 
hat es möglich gefunden, daß der Inhalt der Saamenblafe von 
dem Saamen verfchieden und in dieſen Theilen ſelbſt bereitet ſey. 
Der fpige Winkel der Verbindung, der Mangel der Saamenblafen 
bei vielen Thieren, fo wie: eine: geringe, Verfchiedenheit, welche 
man  zwifchen : dem: Inhalt. des Saamenleiters und feiner San» 
menblafe bemerkt haben will, und endlich der Umftand, daß eine 
Zünftlihe Einfprisung in den Saamenleiter eines Leichnams leich⸗ 
‚ter in die Harnröhre dringt als in die Saamenblafe, follten es uns 
wahrſcheinlich machen, daß der Inhalt des Saamenleiters in bie 
Saamenblafe gehe. Allein diefelden Verhältniffe 'paffen vollkom⸗ 
men auf die Öallenblafe, auch diefe erhält die Galle durch einen 
Ruͤcktritt derfelben, auch in ihr-ift. die Galle verfinieden von der 
Galle im Lebergange, und dennoch zweifelt kein Menfch, daß die 
Galle aus dem Lebergange in die Galle gelange. Es: hat alſo die 
Meinung, daß der Saame, der aͤußerſt langſam ausgeſchieden 
wird, fich fo lange in.der Saamenblafe anhaͤuft, ald er nicht ver: 
| REN Ä 4 fi braucht 





FE 


® Einen feſt ftehenden bdeutfchen Namen haben biefe gemeinfhaftlichen Aus: 
führungsgänge nicht. Der oben gewählte ift daher ziemlich willtührlich, 
und wird jehr häufig auch für den Iangen Kanal gebraucht, den. id) Saa— 
menleiter genannt habe, Diefe Bemerkung glaubte ich meinen Leſern ſchul⸗ 
dig zu ſeyn, um Verwechſelungen zu verhuͤten. 


— 


an nn "] 


— ““ — 


braucht. wird, nichts gegen ſich. Oft geht auch wirklich in Reichs 


namen eingetriebene Fluͤſſigkeit aus dem Saamenleiter in die Saas 
menblafe und nicht in die Harnröhre. Daß der Saamen in der Saas 
menblafe umgeändert werde, iſt nicht zu bezweifeln, fo wie es auch 
Höchft wahrfcheinlich ift, daß von den Wänden der Saamenblafen 
ein Schleim ausgefhieden wird, ber fi dem Saamen beimifchtz 


denn die Saamenblafen find auch in Kaftraten und Wallachen nicht 


leer, obgleich fie feinen Saamen enthalten: Eönnen, Wenn die 
Saamenblaſen niht mit Saamen angefült'würden, woher kämen 
benn die nächtlichen Saamentrgiefungen als Folge von übermäßiger 
Anfuͤllung der Harnblafe, deren Drud auf die Saamenblafe wirkt? 


6. 285. Die Vorſteherdruͤſ e (Prostata) iſt ein 


feſter Körper, der den Hals der Harnblafe und’ den: Anfang dee 


—— La Dun. 2 rt 


Harnröhre umgiebt (Fig. 1. und Fig. 2.1)... Mehrere kurze 
Ausführungsgänge dieſer Drüfe münden ſich in die Harnröhre zu 
beiden Seiten des Schnepfenkopfs (Fig. 2. 8. g-) und ergießen eis 
nen fchleimigen Stoff, der fih mit dem: durchgehenden Saamen 
* und * em ſich allein bei wolluͤſtigen Gefuͤhlen austritt. 

‚Ein — Br Eleine Körper, die: Cowperſ chen Druͤ⸗ 
fi en. genannt, mögen’ fehr unwichtig ſeyn, denn ſie fehlen, we⸗ 
nigftens bei Altern Menfhen nicht felten: In manden Thieren 
find fie groß und dann wohl von ‚höherer Wichtigkeit. Ihre Lage 
(Zig. 2, 1.) iſt dicht Hinter der Wurzel des männlichen Gliedes. 


6286 Das maͤnnliche Glied oder die Ruthe 
dient zwar nicht blos zur Ausführung ded Saamens, fondern auch 
des Harnes, gehört aber doch feinen wefentlichen Beziehungen nach 
zu den Geſchlechtsorganen. Es iſt das legte Glied in diefer Kette, 
und iſt zur Erregung der Gefchlechtsluft reich mit Nerven verfehen, 
die ihm aus demuntern Ende des Rüdenmarks, und zwar aus den 
Kreuzbeinnerven, zukommen. Es beſteht aus drei Körpern, die 
man Zellkoͤrper oder fhwammige Körper (Corpora 
cavernosa) ' mennt, weil fie beim Durchſchnitt hohle Räume zeis 
gen) Zwei derſelben find größer, floßen in der Mitte zufammen 
und bilden die Hauptmaſſe der Ruthe. Sie heißen insbefondere 
Zeiuorper der Ruthe (Corpora cavernosa penis) 


32 


— 


t$ig. 6. d.d. ).: Mit ve leiten jugefpigten Ende iſt ein jeder 


derſelben an das benachbarte Sitzbein angewachſen. Sie ſind von 


einer feſten fibroͤſen Haut umgeben, welche auch die Scheidewand 
zwiſchen beiden bildet. Was im Innern als Zellen erſcheint, iſt 
indeſſen nichts anders als eine Verwickelung von ſehr erweiterten 
Denen. Bei Erregung des Geſchlechtstriebes entſteht durch Ein⸗ 
wirkung der Nerven ein vermehrter Zufluß von Blut nach den Aus 
ern Gefchlechtötheilen und zugleich ein ‚verminderter Abfluß. Ins 
dem fih nun das Blut in den erweiterten Venenverwickelungen der 


Ruthe anſammelt, wird diefe ausgedehnt und richtet fich auf, Auf 


jeder Seite kommt vom Sigbein ein kurzer Muskel an den Schwamm: 
koͤrper feiner Seite (Mlusc. ischio- -cayernosus s. Sustentator pe- 
nis), ber das Glied in diefer Lage befeftigt. — Unter den Bellförpern 
der Ruthe liege die Harnröhre, die nad) dem oben Gefagten auch 
den: männlichen Zeugüngsfloff leitet. Bon unten wird die Harn 
zöhre (Fig. 6. E.) durch einen dritten ſchwaͤchern Zellkoͤrper um⸗ 
ſchloſſen (0), der davonden Namen des Zellkörpers der Harnröhre 
führt «( Corpus 'cavernosum. urethrae), ‚Der vorderſte Theil 
der Ruthe ift abweichend gebildet. Er rät nicht dreierlei Schwamm: 
Eörper erkennen, fondern nur einen, welcher mit dem Schwamm: 
koͤrper der Harnröhre zufgmmenhängt. Von einer entfernten Aehn⸗ 


lichkeit in’ der Öeftalt Heißt er die Eichel ( Glansı penis) Sein 


hinterer Rand (Kranz der Eichel) iſt aufgewworfen und-hinter dies 
ſem Rande laͤuft eine krumme Suche herum, die eine: Menge Talg⸗ 
druͤſen enthält, aus denen eine ſehr ſtark riechende ſchmierige Sub⸗ 
ſtanz bereitet wird. Die Eichel iſt uͤberaus reich an Nerven, die 
auf ihrer Oberfläche zatte Papillen bilden. Eine dünne Haut’ über 


zieht diefen Theil und ift eine unmittelbare Fortfegung der Schleim⸗ 


haut der Harnroͤhre, deren äußere Mündung ſich an der Spige der 
Eichel-befindet, Der Ueberzug der Eichel iſt auch in der, That ein: 
Mittelgebilde zwifchen einer wahren Schleimhaut und der gewoͤhnli⸗ 
chen äußern Haut, empfindlicher wie diefe und weniger feucht als 
jene. Hinter dem vorfpringenden Rande oder. bem Kranze der Ei⸗ 


chel ſchlaͤgt fich diefe Haut um, und geht in die innere Flaͤche der: 


Borhaut (Praeputium) über. Da der Kranz der Eichel Eein voll» 
ftändiger Kreis tft, fondern von beiden Seiten nach unten zuſam⸗ 


‚menläuft, ſo macht die Borhaut hier eine Falte, das Bänden ; 


der Eichel; Die Borhaut bedeckt bie Eichel mehr‘ oder weniger, 


wg. 


= 


N — 499 — 
vollſt ͤndig und gebt: in bie äußere Haut des Gliedes ber, welche 
fih in die Bauchhaut fortfest, Gewöhnlich ift die vordere Deffs 
nung der Borhaut weit genug, um das Zurhefchieben berfelben 
über die Eichel zu geſtatten. Iſt fie zu eng, fo fammelt ſich leicht 
der ſchmierige Stoff aus den Talgdruͤſen hinter den Kranz der Eichel 
an, und verdirbt, mwodurd eine Weisung diefer Gegend entftehen 


kann. Es iſt moͤglich, daß auf dieſem mediciniſchen Grunde die 


orientaliſche Sitte, die Vorhaut zu verkuͤrzen, beruht, und daß in 
waͤrmeren Climaten, wo alle Sekretionen ſtaͤrker find, der ſchaͤdli— 
che Einfluß der ſich hier ſammelnden Stoffe häufiger bemerkt 
wird. J 


G 287. Obgleich der Zweck des Geſchlechtsapparates in der 
Erzeugung neuer Individuen beruht, fo iſt er doch aus der Sphäre 
des Organismus, dem er angehört, nicht ganz herausgeruͤckt. Zu 
Erhaltung feines Lebens ift er zwar nicht nothwendig ; denn man 
Tann die Hoden und die Nuthe ohne alle Gefährdung für das 
Leben entfernen; die Saamenblafen Fönnen verfchrumpfen, und. 
alle Theile find wirklich im Beginn und am Ende des Lebens ohne 
Energie. Auch Find fie durch Mißbildung zuweilen ganz mißgeſtal⸗ 
tet oder’ gar nicht entwidelt. Indeſſen ift ihre Einwirkung, fo 
lange in ihnen ein regfames Leben waltet, auf den Übrigen Organis— 
mus bedeutend geriug. Körper und Geift des Mannes entfalten 
ſich zu gehöriger Vollkommenheit nur wenn die Theile, in mwels 
chen ſich die Männlichkeit offenbart, gefund und Fräftig find.. Das 
Erwachen der Zeugungsorgane zu einem höhern Reben, als die bloße 
Begetation, erfolgt in einem Alter, das wir die Mannbarkeit, Pur 


bertaͤt, nennen. Die Hoden vergrößern ſich; zugleich ſproßt der 


Bart aus Kinn und Wange hervor, die Stimme wird ftärker und 
tiefer, der Wille Eräftiger, die Phantafie feuriger und der Geift 
ernfter. Werden die Hoden por dieſer Zeit entfernt, fo bleibt der 
Bartwuchs zurüd und die Stimme erreicht die Tiefe nicht, weshalb 
man Eaftraten zum Diskantfingen braucht. Auch die geiftige Ente 

wickelung nimmt eine andere Richtung. CR 


N 


"Sobald der Hoden entwicelt ift, bereitet erden Saamen, 


Dieſe Fluͤſſigkeit können wit immerhin als die am meiften ausgears 


DZ PET v 
* - 


beitete des "ganzen Körpers anfehen, Kein Stoff wird durch fo fans 
32* 


ge Ausführungsgänge an den Dit feiner Beftimmung geleitet, und 


‚ feinen fiheint der Körper. in fo geringer Quantität ausfondern zu 


koͤnnen, ohne an feiner Gefunbheit zu leiden. Dieſer Stoff ift 
meiß ober etwas ins Gelbliche ſpielend, von bedeutender Schwere 
und durchdringendem ſpecifiſchen Geruche. Eine genaue chemi⸗ 
ſche Analyſe beſitzen wir eigentlich noch gar nicht; denn aus dem 


Saamenleiter unmittelbar iſt er nur in ſehr geringer Quantitaͤt zu 
erhalten; und wir wiſſen nicht, wie weit die Veraͤnderung geht, die 


er in den Saamenblaſen erleidet. In dieſen zeigt er 90 Theile 
Waſſer, 6 Theile einer eigenthuͤmlichen thieriſchen Subſtanz, 3 
Theile phosphorſauren Kalk und einen Theil Natrum. Sehr 
wuͤrdig iſt es, daß im reifen und geſunden Saamen aller hoͤhern 
Thiere und auch des Menſchen ſich ganz kleine mikroſkopiſche Thiere 


in ſehr großer Zahl finden. Im Menſchen haben die Saamenthie- 


ve einen eyförmigen Leib und ein dünnes er ohne alle 
weitere — 


1 


Sn wie weit das Wiederaufſaugen des Saamens aus den 


Saamenblaſen durch Vermittelung der Saugadern zur Kraͤftigung 
des Körpers beiträgt, laͤßt ſich aus der Beobachtung nicht ſagen; 


aber daruͤber ift Eein Zweifel, daß Uebermaaß in der Gefchlechts: 
function, und noch mehr jede widernatürliche und frühzeitige Befrie⸗ 
digung des Gefchlechtätriebes, der Eörperlichen und geiſtigen Ge— 
fundhreit fehr nachtheilig iſt. Der Nachtheil äußert ſich befonders 
in den Verdauuingsorganen, den Harnwegen und dem Nervenſy⸗ 
ſtem. Der Wille wird unfräftig und der Geiſt allmählich ſtumpf. 
Der Verluft des Saamens ift davon’ ſchwerlich die unmittelbare, 
gewiß nicht die einzige Urſache. Zwar muß, wo er öfter entleert ' 
wird, ber Organismus neue Kräfte aufbieten ihm zu erzeugen; als 
fein, wenn auch die vermehrte Sekretion anderer Stüffigkeiten mit 
einem Kraftverluft verbunden ift, fo ſteht er doch mit diefem in kei⸗ 


nem Verhaͤltniſſe. Auch find Ausſchweifungen, wobei der Saa- 


menverluſt verhindert wird, nicht weniger ſchaͤdlich. Es ſcheint 
daher die Aufreizung des Nervenſyſtems mehr Einfluß zu haben, 


- und daraus kann man ahnden, wenn auch nicht vollſtaͤndig erklaͤ⸗ 


ven, daß bie Ausfchweifungen um fo mehr ſchaden, je mehr fie von 
dem Wege abweichen, ben die Natur vorfchreibt, 


/ 


— — 50 + —— 


. 
— 


Ein Uebermaaß von Saamen entfernt die Natur bekanntlich 


durch Ergiefung deffeiden. Erfolgen diefe zu häufig, fo find fie 


immer ein Zeichen von frankhaftem Zuftande. Schmwäkhe der Ger 
ſchlechtstheile giebt bie Veranlaffung dazu, und biefe wird vermehrt 
durch Lokalreize, tie Anfüllung der Harnblaſe und des Maſt⸗ 


“ 


darmd, 








Swei und zwanzigfte Vorleſung. 


Generationsorgane des Weibes, 


4 





6. 288. 


Die weiblichen Genitalien find, mit Ausnahme ber äußern Aus- 
mündung, in der Bedenhöhle enthalten.’ Sie beftehen aus zwei 
Eyerſtoͤcken, zwei Eyerleitern oder Muttertrompeten, einer Höhle, 
die Gebärmutter heißt, einem Kanal, der von ihr nach augen führt, 
der Mutterfcheide und ben Umgebungen der aͤußern Gefchlechtsöffs 
nung felbft. Die am hoͤchſten im Beden liegenden Theile, bie Eys 
erftöde, Trompeten und der obere Theil der Gebärmutter, find vom 
Bauchfell überzogen, bie übrigen nicht. Das Bauchfell bildet non 
jenen Zheilen aus zwei breite Falten, die zu beiden Seiten in bie 
übrige innere Bekleidung der Bedenhöhle übergehen. : &o ift alfo 
in der Bedenhöhle eine Art von Querwand, welche die genannten 


‚Drgane in ihrer Lage erhält. Der Theil der Querwand, welcher 


. 
j 


| 


zu beiden Seiten der Gebärmutter liegt, wird mit dem Namen ber 
breiten Mutterbänder (Ligamenta uteri lata) belegt, 


$. 289. Die Eyerftöde (Ovaria) liegen zu beiden Skiten 
dar Gebaͤrmutter und find an bie hintere Fläche der oben beſchriebenen 


Querwand angeheftet, "Sie find von eyfoͤrmigem Umfange (Fig. 
11. H.), aber etwas platt gedruͤckt. Ein rundlicher völlig folider 
Strang geht innerhalb der Falte des Bauchfells von dem Eyerſtock 
zur Gebärmutter (Fig. 11. v. , — das Band des Ey: 
erfiods. : Das “Innere des Edyerſtocks befteht aus einem 
ziemlich feften Zellgewebe, in welchem man kleine runde Hoͤhlun⸗ 
gen bemerkt, die ein Troͤpfchen Lymphe enthalten. Nach einem 
alten Anatomen heißen fie die Graafifhen Eyer oder 
- Bläschen, undzwar weil fie Übereinftimmen mit den Eyerkei⸗ 
men, welche man in Thieren, am deutlichſten in Vögeln, fieht. 


Um mid) hier verftändlich zu machen, bitte ih um die Er- 
laubniß zu einer Eleinen Abfchweifung. In einem Dühnerey fin: 
den wir befanntlich im Innern der Schaale Eyweiß, und im Sn: 
nern des Eyweißes eine Dotterkugel, Aus der Dotterkugel, und 
zwar aus einem Eleinen Theil derfelben, dem Hahnentritt, entwi- 
delt ſich das Küchlein. Deffnet man legende Hühner, fo findet 
man, daß der Eyerſtock, der bei Vögeln immer das Anfehn einer 
Traube hat, in jeder Beere diefer Traube: eine Eleine Dotterkugel 
enthält. Zur Beit des Legens ift überhaupt der Eyerftod fehr groß 
und namentlich find einzelne Beeren, wenn man fich diefes Aus— 
druckes bedienen darf, viel größer ald die andern. Dieſe find nas 
he daran, ald Eyer gelegt. zu werden. Vielfache und nicht zu beziweis 
felnde Unterfuchungen haben gelehrt, daß nach der Befruchtung, 
zuweilen auch ohne diefelbe, die Dotterkugeln im Eyerftode almäh: 
li anwachſen. Jede Dotterkugel ift hier von einem doppelten. 
Sade umgeben, ft die Dotterfugel gehörig reif, fo zerreißt dies 
fer doppelte Sad, und die Dotterfugel, von einer eigenen ſehr duͤn⸗ 
nen Haut umgeben, wird alſo frei. In demſelben Augenblicke 
wird fie von einem Kanal aufgenommen, welcher der Eyerleiter 
heißt. Indem fie fich in diefem Kanal bewegt, wird fie von Ey» 
weiß und im unterften Theil des Kanales von der harten Kalkſchaa⸗ 
Ne umgeben. Der wefentlichfte Theil des: Eyes war alfo fehon in 
dem Eyerſtock vorgebildet und entwidelte fich daſelbſt. Das ift «8, 
worauf es ung bier ankommt. Der menfchliche Eyerſtock ift naͤm⸗ 
lich daffelbe Organ, welches in Vögeln dieſen Namen führt, mit 
dem Unterſchiede, daß es im Menfchen doppelt und in Vögeln eins 
fach iſt. Werden die Eyerftöcke beim menfhlihen Weibe durch 


u. 503 u 3 


Krankheit verborben ober ausgefhnitten, mas ein Paar Mal geſche⸗ 
hen iſt, ſo iſt Unfruchtbarkeit eine eben fo nothwendige Folge, als 
beim Ausſchneiden der Eyerſtoͤcke eines Saͤugethiers oder des Eyer— 
ſtocks der Vögel. Das aͤußere Anſehen des weiblichen Eyerſtocks 
iſt freilich himmelweit verſchieden von dem eines legenden Huhnes; 
allein der Unterſchied iſt nicht ſo weſentlich, als er ſcheint. Un— 
terſuchen wir zuvoͤrderſt den Eyerſtock eines jungen, noch nicht le⸗ 
genden Huhnes, ſo finden wir auch dieſen traubig; indeſſen ſind 
die Beeren kleiner und zwiſchen den Stielen (den Verlaͤngerungen 
ihrer Haut) findet man etwas Zellgewebe.  Deffnen wir darauf 
ein weibliches Kaninchen, fo fehen wir zwei Eyerftöde. Beide 
find deutlich traubig, allein das Zellgewebe iſt Doch fo.vermehrt, aß 
die einzelnen Beeren nur halb hervorragen, Der Inhalt jeder 
Beere ift auch nicht fo ‚gelb, als die Dotterkugel eines Vogels, ſon— 
- dern befteht aus einem Bläschen, welches eine wenig gefärbte Fluͤſ⸗ 
ſigkeit enthält, Man uͤberzeugt ſich leicht, daß dieſe uͤberall ge⸗ 
ſchloſſenen Blaͤschen im Weſentlichen mit den Dotterkugeln der DI: 
gel übereinflinnmen. Hat man diefe, Ueberzeugung gewonnen und 
unterſucht man den Eyerfiod eines andern Säugethiers, etwa eines, 
Hundes, fo fieht man nur ſchwache Exhabenheiten auf dem Eyer⸗ 
ftode, ‚weil die Maſſe des Zellgewebes noch größer iſt. "Diefes 
Berhältniß num hat fih im menfhlihen Eyetflode noch mehr ver: 
größert, und; man hat feinen Grund zu zweifeln, daß bie Graäfi ⸗ 
ſchen Bläschen für das Weib eben das find, was bie Dotterfugeln 
" für das Huhn. Einige Schwierigkeit hat es freilich, daß der ‚ganz 
ze Eyerſtock von einer feftern Haut umgeben ift, und die Bläschen 
nicht fo dicht unter ihr liegen, wenigftens nicht in ‚ven Eyerſtoͤcken 
von jungen Perfonen. Im folchen fand ich fie, wie Fig. 10 ſie an⸗ 
giebt Oft find fie der Oberfläche des Organs naͤher. Indeſſen 
-müffen wir ihr Hervortreten bei der Entwidelungsgefchichte näher 
ins Auge faſſen. Hier kam es nur darauf an, das Weſen bes 
. Eyerftods dbarzuftellen. Bemerken muß ich indeffen doch, Daß nach 
einer Empfängniß die / Stelle, die früher ein Bläschen einnahnı, 
von einer gelblihen Maffe ausgefüllt wird: Solche gelbe Kör- 
per (Corpora lutea) finden ſich daher in Eyerſtoͤcken von Per 
' fonen, die geboren haben, zuweilen auch ohne vorhergegangene 
Geburt, worüber ic auch auf dem zweiten Theil verweife. 

- "TE > . £ 1 


— 


a er 504 a 
Bier nur noch die Vemerfung, daß die Eyerſtoͤcke für das 
weibliche Geſchlecht denfelben Werth haben, den die Hoden für das 
männlic)e zeigen. In diefen wird der zeugende Stoff gebildet, in 
jenen der Stoff zum erſten Keime des neuen Individuums, Auch 
find die Nerven und Gefäße, die der Eyerſtock enthält, überein: 
ſtimmend mit den Nerven und Gefäßen des Hodens. Die Saamen- 
ſchlagader und Saamenvene des Eyerftods haben indeffen keinen fo 
‚ weiten Weg zurüdzulegen, da der Eyerflod nie feine Stelle verläßt, 


....$. 290. Am obern Rande der fchon erwähnten Duerfalte, 
die das Bauchfell zur. Befeftigung der innen weiblichen Geſchlechts⸗ 
theile bildet, liegen die beiden Muttertrompeten (Big. zZ. 
3.) oder Fallopiſchen Köhren (Tubae Fallopianae), die 
man beſſer Eyerleiter nennen follte, da fie die Beſtimmung 
haben, aus den Eysrftöden den Bildungsftoff in die Gebärmut- 
ter zu leiten. Es find nämlich hohle Röhren, deren eine meitere 
Mündung (n) mit Franzen befest ift und ſich frei in die Bauch⸗ 
höhle öffnet, Mittelft der Franzen kann diefes Ende des Kanals 

fih an den Eyerflod feft anlegen. Die andere engere Deffnung 
(nm) geht in die Gebärmutter, Die innere Fläche der Roͤhre ift 
von einer dünnen Schleimhaut bekleidet, welche fich in die innere 
Bekleidung der Gebärmutter und von da in die Scheide fortfegt; 
an der Ausmündung der Scheide hängt fie mit der innern Bekleis 
dung der Harnwerkzeuge zufammen, und fo ift auch im weiblichen 
Geflecht eine zufammenhängende Schleimhaut zur Bekleidung 
der Harnwege und Geſchlechtswege da. 


$. 291. Die Gebärmutter, der Fruchthaͤlter | 
von neuern Anatomen genannt, (Uterus) hat eine fehr verfchies 
dene Geſtalt, je nachdem fie im ſchwangern Zuſtande ift, noch Feine 
Sucht enthielt oder ſchon geboren hatte, Den jungfräulichen Zus 
ftand wollen wir zuerft berüdfichtigen. Sie ift dann birnförmig, 
‚ jedoch etwas abgeplattet, (Fig. 11. K.) und fehr feft. Der obere 
breitere Theil wird Körper und deffen oberſte Wölbung ber 
Grund der Gebärmutter genannt, der untere ſchmalere Theil 
der. Hals (Collum uteri). Der Körper der Gebärmutter und 
der obere Theil des Halfes find vom Bauchfell überfleidetz; der uns . 
tere Theil des Halſes aber ragt frei in die ——— hinein und 
heißt bei den Aerzten die Vaginalportion. In der Mitte 


= 


— — 505 — — 


dieſes hervorragenden Theiles iſt eine Oeffnung, dor Äußere Mut» ⸗· 


termund, oder der Muttermund ſchlechtweg (Os uteri) 
($ig, ır. p). Die mwulftigen Umgebungen der Deffnung vo. 
RER de⸗ Muttermundes. 


— ⸗ man die Gebaͤrmutter ihrer ganzen Laͤnge nach, 
fo findet man in ihrem Körper eine enge dreieckige Höhle von kon⸗ 
Eaven Seiten umgeben (Fig. 13.). Zwei Winkel diefer Höhle 
({n.n.) ziehen ſich nad) den Stellen hin, wo die Trompeten eins 


‚ münden, und der dritte untere Winkel (0) öffnet ſich in die Hoͤh— 


lung, welche im Halfe der Gebärmutter liegt, und die in der Mit: 
te etwas weiter ift, dann nach unten ſich in dem äußern Mutter: 
mund (p) endet. Diefem entfprechend, hat man der verengten 
Stelle (0) zwifchen der Höhle des Gebärmutterförperd und der 
bes Gebärmutterhalfes den Namen des innern Muttermun: 
des (Os uteri internum) gegeben. ; Sie fehen alfo, daß die ges. 
ſammte Höhlung der Gebärmutter drei Deffnungen hat, zwei enge 
zur Commimitation mit den Trompeten und eine weitere zur Coms 
munifation mit der Scheide, den aͤußern oder wahren Mut: 
termund nämlich, Iener innere Muttermund follte billig eis 
nen andern Namen erhalten, da er nur eine verengerte Stel« 
le innerhalb der Höhle der Gebärmutter zwifchen der obern drei— 
‚eigen und der untern cylindrifchen ift. Die Maffe der Gebärmutter, 
die wir in unſrer Abbildung zwiſchen der innern Hoͤhle und der aͤußern 
Graͤnze ſehen, beſteht aus einem ſehr feſten Zellgewebe, welches der 
jungfraͤulichen Gebaͤrmutter eine ſolche Haͤrte giebt, daß ſie ſich faſt 
wie ein Knorpel anfuͤhlen laͤßt. Sie bemerken leicht, wie eng in 
dieſem Zuſtande die Hoͤhle iſt, und die Groͤße des Organs iſt nicht 
zwei Mal ſo groß, als in unſerer Abbildung. — Ganz 
anders iſt ihr Anſehn waͤhrend der Schwangerſchaft. Sie dehnt 
ſich zu einer Größe aus, die man im Verhaͤltniß zu der urſpruͤngli⸗ 
hen ungeheuer nennen fann. Die innere breiedige Höhle erweis 
tert fich in demfelben Maafe, ihre Eden fhwinden und fie wird ey» 


‚ formig. Dadurch Ändert allmählih die ganze Gebärmutter bie 


bienförmige Geftalt in eine eyförmige um, Die Wand der Gebärs 
mutter wird aber nicht blos durch die Öewalt mechaniſch ausgedehnt, 
wodurch fie verdünnt werden müßte, fondern fie nimmt an Maffe 
zu und wird lockerer. Auch fieht man in ihe eine Faſerung in der 


legten Periode der Schwangerfchaft, bie man für musfelartig anzu: 
fehen geneigt ift, weil die Gebärmutter bei der Geburt mit großer 
Kraft ſich zufammenzieht. "Die Vaginalportion, die im jungfräulis 
chen Zuftande ziemlich Tang ift, verkürzt fich immer mehr. Zuletzt 
ift fie mehr oder weniger. gefehmwunden und ber Außere Muttermund 
verändett feine Geſtalt ebenfalls. Im jungfräulichen Zuſtande bil- 
det er eine enge Querfpalte. Bald nach dem Eintritt der Schwan: 
gerfchaft wandelt fich diefe Querfpalte in eine runde Deffnung um; 
‚gegen das Ende der Schwangerfchaft öffnet fich der Muttermund bes 
fonders bei Perſonen, die fchon öfter geboren haben, und laͤßt die 
in ihr liegende Frucht unmittelbar fühlen. Zugleich verändert die 
ganze Gebärmutter ihre Stellung. Im Anfange ſinkt fie tiefer in 
das Becken hinein, indem fie ſich aber allmählig ausdehnt, muß 
fie aus Mangel an Raum in die Höhe weichen, und die Baginal- 
portion iſt nun viel ſchwerer zu erreichen. Nach der Geburt zieht 
ſich die Gebärmutter wieder ſtark zufammen, bleibt indeffen doch 
fehr viel größer und weicher als vorher, die Lippen des Muttermun: 
des werden auch nie wieder fo dünn als vorher, und der Mutter 
mund, fiatt eine einfache Spalte zu feyn, hat feitliche Kerben oder 
Einſchnitte. Zuweilen mögen diefe aus Eleinen Niffen entflanden 
» fern, häufig. aber find fie nur Faltungen, weil der Muttermund 
nicht mehr ganz auf feine alte Form zurüdfommen kann. Erfolgt 
in fehr langer Zeit Feine neue Schwängerung, beſonders aber, wenn 
die Jahre der Fruchtbarkeit vorüber find, fo gelangt die Gebaͤrmut— 
‚ter faft zu ihrer frühern Seftigkeit und Kleinheit, der Muttermund 
echält aber feine urfprüngliche Öeftaft nie ganz wieder, — Da 
nun die Baginalportion mit dem Muttermunde frei. in bie Scheide 
hineintagt, fo fehen Sie leicht, wie es möglich iſt, durch eine Un: 
terſuchung diefes Theiles niht nur eine vorangegangene Schwan⸗ 
gerſchaft, fondern auch das Daſeyn einer gegenwärtigen und bie 

Zeit derfelben mit einiger Sicherheit zu beftimmen. 


Die Nerven des Uterus ſind eben nicht zahlreich. "Der obere 
Theil dieſes Organes erhält plaftifche Nerven, das untere ‚Ende ein 
Gemiſch von plaftifhen und Kreuzbeinnerven, — der 
— vergroͤßern ſich die Nerven. 


Daß die Gebaͤrmutter von der breiten — des — in 
die fie gleichfam felbft eingewachfen ift, in ihrer Rage erhalten wird, 


4 


und daß die Seitentheile diefer Falte daher breite Mutterbaͤnder ge 
nannt werben, iſt ſchon gefagt worden. Wir müffen noch hinzu- 
fügen, daß rundlihe Stränge, die vom Körper der Gebärmutter 


‚abgehen, durch den bei Weibern engen Leiftenkanal dringen und fih 


in den äußern Schaamlippen verlieren, vunde Mu tterbaͤn— 
der genannt werden. (Sig. 11. st). 


6. 292. Die Mutterfcheide, Scheide (Vagina), 


iſt ein gefrümmter Kanal, der oben die Vaginalportion der Gebaͤr— 


mutter umfaßt und ſich unten an der aͤußern Schaamöffnung endet. 


Sie liegt zwifchen der Harnblafe und dem Maſtdarme, die Conka— 
. vität der Krümmung ift nad) vorn gerichtet. Ueberhaupt befchreis - 


ben die weiblichen Genitalien vom Boden der Gebärmutter an, bis 
zue äußern Schaamöffnung, einen fortlaufenden Bogen; denn auch 
die Gebärmutter ſteht nicht fenkrecht, fondern ihr Boden ift gegen 
den Mabel gerichtet, der Muttermund gegen die Aushöhlung des 
Kreuzbeing, fo daß fie den Bogen der Scheide fortfegt, Es ift 
diefer Bogen nach der Höhlung des Beckens gekruͤmmt, befonders 
nad) der Biegung des Kreuzbeing mit den anbängenden Steißbeis 


nem, » In einem folhen Bogen mußte nothwendig das Kind hers 


vorgetrieben werden, um durch das Beden zu paffiten: Die inne _ 


re Flaͤche der Scheide hat im jungfräulichen Zujtande viele Falten, 


die in Reihen über einander liegen. Man fieht fie in unfrer Ab⸗ 
bildung, wo die Scheide (rruu) oufgefchnitten ift, und deswe- 
gen fo breit erfcheint, Die Falten werden undeutlicher im Che 


bette, und befonders nad) der Geburt. Die Wand der Scheide 


ift nur dünn und erhält zahlreiche Fäden der unteren Nüdenmarks- 


“nerven. ‚Umgeben wird fie von einer Muskellage, welche ihre Höhe 
lung während des Beugungsactes verengert. Hinter ihrer aͤußern 


Ausmündung findet ſich eine dünne, bald mondförmige, bald rings 
förmige Balte, die Scheidenflappe, das Jungfernhaͤut— 
hen (Hymen) (Big. 14, W.). Sie ift von fehr verfchiedener 
Ausdehnung. Im feltenen Fällen verſchließt fie wohl den Eingang 
ganz, wo.dann beim Eintritt des monatlichen Blutabganges das 
Blut Leinen Ausweg finder, wenn nicht durch eine Operation eine 
Deffnung gemacht wird. Mach der erſten Verbindung mit bem ans 
dern Gefchlecht wird die befchriebene Haut ducchgeriffen, und es 
bleiben von ihe dann nur noch Eleine Franzen übrig. < Sit fie un 


5 i F 


ſpruͤnglich ſehr ſchmal oder fehr fchlaff und nachgiebig, fo erfolgt 
wohl in feltenen Fällen feine Berreifung, ja man hat fogar Bei» 
fpiele, daß Schwangerfhaft und Geburt eintreten, ohne Die — 
pe zu zerſtoͤren. A cc 5 


Bor der Scheibenflappe ift die Ausdehnung ber Scheide nur 
noch fehr kurz. Sie bildet eine Grube, die man beffer zu ben us 
Bern Geſchlechtstheilen zählen follte, Von oben her mündet fich in 
ſie Dicht vor der Klappe die Deffnung der Harntöhre, — von 
einem aufgeworfenen Rande (Fig. 14. E.). 


$. 293. Die aͤußere Ehännäfinee wird von zwei Paar 
Falten umgeben, die man Schaamlippen nemt. Die 
innern (Nymphae) (ig. 14. V.) find dünner, zarter und em- 
pfindlicher. Sie tragen zur Lebhaftigkeit der Gefchlechtstuft viel 
bei. Diedußern (Labia externa) ($ig. 14: P.) find wulftiger, 
mit Fett ausgepolftert und ihre Bekleidung ift wenig von der ge: 
woͤhnlichen Haut verfchieben, Wo oben die Nymphen zufammens 
flogen, ſieht man eine Eleine Vorragung (G) , faft ganz verdedt 
von einer Hautfalte (GT). Die Borragung iſt das Ende eines 
Eleinen: Körpers, der den Namen Kitzler (Clitoris) führt, 
‚weil in ihm die Geſchlechtsluſt befonders Lebhaft ift, Nur duch 
Bergliederung findet man, daß biefer Körper eine wahre Nacybils 
dung des männlichen Öliedes iſt. Die vorragende Opige iſt bie 
Eichel und an diefe ftoßen zwei Eleine Zellkoͤrper, die fich eben ſo an 
die Beckenknochen befeftigen, wie die Zellförper. des männlichen 
Gliedes, eben fo aus verfchlungenen Venen beftehen ‚und durch Ans - 
fuͤllung mit Blut turgesciren. Ihr Durchmeffer beträgt aber faum 
zwei Linien. Die Eichel des Kiglers ſteht im innigſten Zuſammen⸗ 
hange mit den innern Schaamlippen oder Nymphen. 


Nach hintenlaufen die äußern Schaamlippen durch eine Quer⸗ 
falte zufammen, die man das Lippenbändchen nennt. Dev Raum 
zwifchen der aͤußern Schaamöffnung und dem. After heißt in beiden 
Gefhlehtern dee Damm oder das Mittelfleiſch (Peri- 
naeum und die über den Gefchlechtstheilen liegende, mit Fett aus 
gefuͤllte und mit ſtarken Haaren befegte Erhöhung der — — 
berg (Mons Veneris). 


8.294. Im Meibe ift ber Gefchlechtsapparat noch inniger 
mit dem Wohlbefinden des ganzen Körpers verfnüpft, als im Mans 
ne. Ein befonderer Reiz, der auf diefes Syſtem einwirkt, bringt 
den ganzen Körper in Mitleidenfhaft. _ Iedermann weiß, ‚wie 
mannigfaltige und mie lebhafte Störungen die Schwangerſchaft in 
alten übrigen Verrichtungen hervorbringt. Störungen der Verdaus 
ung von aller Art, Nervenzufälle und Affektionen des Gemüthes 
find ganz gewöhnlich; es giebt aber faft Eeine Zufälle, die man 
nicht zuweilen als Folge von Schwangerfchaften hat eintreten fehen. 
Exceſſe im Geſchlechtstriebe wirken auf das weibliche Gefchlecht nicht 
weniger verberblich als auf den Mann, aber jenes hat darin ein Lei: 
den mehr, daß die Unterdrädung diefer Forderung der Natur viel 
nachtheiligern Einfluß hat. - Nur felten hat die Enthaltfamkeit auf 


„Männer einen ungünftigen Einfluß, und daß wirklich bedeutende 


Krankheiten dadurch entftünden , glaube ich nicht. Im weiblichen 
Geſchlecht dagegen find die Opfer derſelben nicht felten, und die Leis 
den diefer Opfer gehören zu den ſchwerſten, ja fie erfcheinen zuwei⸗ 
len in der befondern Form eines ſcheuslichen Wahnfinne, in wels 


chem das Weib alles ‚verläugnet, mas es zum Weibe madt, in 


welchem bie Schaamhaftigkeit mit einer Schaamloſigkeit vertauſcht 


wird, wie ſie im Wahnſinn des Mannes nie erſcheint. Sind 


auch ſolche offenbare Zerſtoͤrungen gluͤcklicher Weiſe nicht ſehr haͤu⸗ 
fig, ſo ſieht doch jeder aufmerkſame Beobachter, daß die koͤrperliche 
und die geiſtige Bildung des Weibes leidet, wenn es zu ſeiner Be⸗ 


ſtimmung, Gattin und Mutter zu werden, nicht gelangt. 


So wie die Generationsorgane im Weibe auf den ganzen 
übrigen Körper mannigfach einwirken, fo wirkt umgekehrt das 
Definden des Körpers faft immer auf dieſes Spftem zuruͤck. Es 


tritt kaum eine bedeutende Krankheit im weiblichen Körper ein, 


welche nicht ihre Einwirkung auf diefes Syſtem äußerte, waͤh⸗— 


rend im Manne der Zeugungsapparat, weniger eng verfnüpft mit 
' dem übrigen Leben, an den meiften allgemeinen Krankheiten keinen 
‚ Antheilnimmt. — Vorzüglich äußert fich der Einfluß des: allges 


meinen Befindens auf eine periodifche Sekretion, welche in den 
weiblichen Generationsorganen hervorgerufen wird. In Zwiſchen⸗ 


raͤumen von ungefähr 4 Wochen tritt hier, von den Jahren der Pur 


bertät am, ein erhöhtes Leben eim, mit ihm erfolgt ein Andrang | 


— % 510 ww 


des Blutes und eine Ausfcheidung deffelben durch die Wände der 
Gebärmutter. > Diefer monatliche Blutabgang (Menstruatio) 
haͤlt bald nur einen Tag, gewöhnlich aber einige Tage an. Mit 
ihe iſt immer eine Umänderung in der Hautausduͤnſtung, zuwei⸗ 
len auch in andern organifhen Sunctionen bemerkbar. Es iſt ein 
Beichen von Öefundheit, wenn der periodifhe Blutabgang genau 
feinen Typus hält; indefjen wird er von Erankhaften Einflüffen 
leiht umgeändert. Der Grund, warum er fih alle 4 Wochen 
einftellt, ift wohl nicht außerhalb des Körpers zu ſuchen, weil fonft 
die Menftruation bei allen Frauen gleichzeitig feyn müßte, 4 Des- 
halb fcheint es mir völlig ungegründet,. hier eine. Folge vom Ein: 
flug des Mondes zu fuhen. Der Grund der Periodieität liegt 
nothwendig im Körper ſelbſt; foll aber der Grund der Periodicität 
ducd den Einfluß des Mondes in den Körper hineingefegt feyn, fo 
ift diefe Meinung vielleicht nicht ungegruͤndet, indeffen rät fie ſich 
ſchwer zu einer Klarheit entwideln, 


$. 295. Enduch gehoͤren noch in den Kreis der weiblichen 
Generationsorgane die Bruͤſte. Ihr Geſchaͤft iſt fortzufegen, was 
die innern Theile begonnen haben. Nachdem in dieſen der Keim 
des neuen Individuums entwickelt iſt, wird er nach der Geburt 
von den Bruͤſten weiter genaͤhrt. Die beiden Brüfte (Mam- 
mae) beſtehen aus Drüfen, von einer Fettlage umgeben, und lie: 
gen zwifchen der Haut und den Muskeln der Bruſt. Sie finden fi) 
auch im Danne und der einzige Unterfchied befteht darin, daß fie fich 
im gefunden Maitne nie entwideln, obgleich wohl hie und da Fälle 
beobachtet worden find, mo Männer gefäugt haben folen, und alfo 
in ihren Brüften ſich eine milchähnliche Fluͤſſigkeit ausgeſondert ha⸗ 
ben muß. Im weiblichen Gefchlechte find die Bruͤſte denen des 
- Mannes bis zu den Jahren der Pubertät ziemlich gleich. ' Beim 
Eintritte derfelben erheben fie ſich. Sie fangen aber erſt mit Ab: 
lauf einee Schwangerfchaft an, fich zur Sekretion vorzubereiten, 
nach der Geburt, und: zwar. bei Erſtgebaͤrenden nicht felten erft am 
zweiten ober dritten Tage, findet ſich Mitch in den Gängen diefer 
Druͤſe. Die Aeſte der Miichgaͤnge ſind im Umfange der Bruſt 
ſehr zahlreich. Sie verbinden ſich gegen die Mitte hin immer 
mehr, und bilden Erweiterungen. Aus dieſen treten dann neue 
Stämme hervor; deren Zahl 15 bis 20 iſt, und welde im der 


— — 511 a — 


eplindeifhen Bruftwarze ſich ausmuͤnden. Sehr merkwuͤrdig 
iſt es, daß die Function der Bruͤſte beginnt, wenn die der innern 
Generationsorgane durch die Geburt ploͤtzlich beendigt wird, und 
daß Krankheiten, welche die Bruͤſte in ihrer Verrichtung hemmen, 
dafür in ganz andern Gegenden milchaͤhnliche Sekretionen hervorru⸗ 
fen können, Man nennt diefes im gemeinen Leben eine Milde 
verfegung. Es ift aber unmöglich, daß die Milch, welche in, den 
Brüften enthalten war, einen Weg in die Bauch-⸗, Bruſt⸗ oder 
Schaͤdelhoͤhle finden kann. Dagegen Iehren viele Erfahrungen, 
daß, wenn ein Organ unthätig wird, ein anderes feine Verrichtung 
nach Möglichkeit übernimmt. - Wir haben ſchon bei der Gelegenheit 
der Leber Über ſolche vikariirende Thaͤtigkeiten geſprochen. 








"Drei und ywanzigfe Borlefung. | 
Rerpätn ber — Zwitterbildung. | 





6. 296, 


Mur beide Gefchlechter vereint, geben den volftändigen Begriff 
des Menfchen. Jeder einzelne Menſch iſt, wenn nicht eine Mif- 
bildung obwaltet, Mann oder Weib, d. h. in jedem dee beiden 
Geſchlechter ift dev Menfch auf eine befondere Weite modifiziet, fo= 
wohl koͤrperlich als geiftig. Der Eörperliche Unterfchied ift faft in 
jedem Theile, fo dag kein Organ eines gefunden Mannes in ben 
Körper eines gefunden MWeibes paßt, und umgekehrt. In den Ge 
ſchlechtsorganen ift der Unterfchied nur am größten und es ſoll bald 
gezeigt werden, daß auch hier nicht abfolute Ge na fons _ 
bern nur die ſtaͤrkſte Abweichung iſt. 


$. 297: Der männliche Körper if größer, ſtaͤrker und bes 
fonders länger. ‚ Knochen und Muskeln find im Verhaͤltniß zum 
Weibe vorherrſchend, daher die Bewegung kraͤftiger und die aͤußern 
Formen weniger gleichmaͤßig gerundet, mehr vorſpringend. Die 
Reſpiration iſt kraͤftiger, die Bruſthoͤhle geraͤumiger, daher der 
ganze Koͤrper in det Schultergegend breiter. Das Herz mit dem 
Syſtem der Arterien iſt groͤßer, der Puls voller und nie De 


Im Weibe ift die ganze Form des kleinen Koͤrpers mehr ge⸗ 
rundet. Eine groͤßere Maſſe von Zellgewebe verdeckt die weniger 
ausgebildeten Knochen und Muskeln. Die Lungen find Eleiner, das 
her die Bruft enger und die Schultern ſchmaͤler. Der Kehlkopf 
zarter und Eleiner. Bauch und befonders die Bedenhöle, beſtimmt 
‚ber |. Kaum und Nahrung zu geben, find geräumiger, Da⸗ 

ber 


/ 


* 
‘ 


— 513 — 


her iſt der weibliche Koͤrper in der Huͤftgegend viel breiter als ber 
maͤnnliche. Die Beckenhoͤhle ſelbſt iſt nicht nur geraͤumiger, ſon⸗ 
dern ihr Ein⸗ und Ausgang weiter, indem oben das Vorgebirge we⸗ 
niger hineinragt, unten das Kreuzbein weniger nach vorn gebogen iſt, 
die Sitzknorren weiter aus einander ſtehen, und der Schaambogen, 
der beim Manne einen ſpitzigen Winkel bildet, hier einen flachen 
Bogen darſtellt; Unterſchiede, welche nur darauf berechnet ſeyn 
koͤnnen, einen geraͤumigern Durchgang zu laſſen. Ueberhaupt ſcheint 
das ganze Nervenſyſtem beim Weibe mehr vorherrſchend als beim 
Manne, wenigſtens in feinen Ausſtrahlungen, den Nerven; bie der 
Gentraftheile find im Manne mehr entwickelt. Die Nerven find 
viel erregbarer, wenn auch im Manne die Kraft, mit der die Gen: _ 
traltheile felbfithätig auf andere Organe einwirken, größer iſt. 


"$ 298. Der Inbegriff derjenigen Formen, die dem maͤnn⸗ 
lichen Körper eigenthuͤmlich find, giebt uns das Bild der Eörperlis 
Ken Männlichkeit, fo wie die Eigenthümlichkeiten des weiblichen 
Körpers das Bild. der Weiblichkeit geben. Faſſen wir mit einem 
Blicke die Eörperlichen Unterfchiede beider Gefchlechter zufammen, 
fo können wir fagen, daß im Manne der menfhliche Körper ausge— 
bildet iſt mit vorwaltender Srritabilität, im weiblichen Körper mit 
vorwaltender Plafticität und Senfibilität. _ In jenem ift alles bes 
rechnet anf größere Wirkung nach außen, in diefem auf innere Bil⸗ 
dung und Aufnahme Außerer Einflüffe.  Diefem ganz uͤbereinſtim⸗ 
mend ift der geiftige Unterfchied. Im Manne überwiegt der Geiſt, 
im Weibe das Gemuͤth. Iener erfreut fich an der Erzeugung der . 
Gedanken ; diefes an der geiftigen Empfängniß der Empfindungen, 
Des Mannes Streben ift nad) außen auf ein weites Feld gerichtet, 
das Weib forgt im engeren Kreife der Familie. Des Mannes Sinn 
iſt ſchaffend, des Weibes Sinn erhaltend und bewahrend. Das 
MWiffen und die Idee leiten des Mannes Willen, in dem Handeln 
des Weibes fiegt das Gefühl über die Erkenntnif, und leitet nicht 
weniger ficher, wenn and in weniger klarem Bewußtſeyn. Des 
Mannes Ideal ift das Große, den Sinn für Schönheit hat er faft 
nur gegendas Weib. Diefes bewundert die Größe im Manne, feir 
ne eigne Sphäre findet es in der Welt des Schönen. 


* 


33 


u Ei 514 PETE 


6. 299. So find die beiden Gefchlechter Eörperlich und gei⸗ 
ftig nicht der vollendete Menfch, fondern Eönnen nur feyn die Vol⸗ 
lendung des Menfchen nach einer Richtung; was in die Mitte fällt, 
ift nicht Vollendung beider Nichtungen, fondern mangelnde Vollen⸗ 
dung nach irgend einer Nichtung, eine unvollkommene Mittelbils 
bung. Herkules am Spinnroden ift kein Herkules mehr, fondern 
ein verächtliher Schwächling, und ein Spott derer, bie für den 
Spinntoden geboren find. Wie der geiftige Unterfchied eine Wie: 
derholung des Eörperlichen Unterfchiedes beider Gefchlechter ift, fo 
find auch die unvollfommenen Mittelbildungen Eörperlich und geiftig 
. zugleich‘ verbildet, und zwar läßt fich der Eörperlichen Sphäre nach» 
mweifen, daß die Zwitterbildungen, fo fann man alle diefe 
Mitteiftufen benennen, in unvolllommener Entwidelung der Ges ' 
Schlechter beftehen. Die Natur Eennt keinen Zwitter, welcher beide 
Sefhlehtsverhältniffe volllommen vereinte. * Dagegen haben. die 
Aerzte aller Zeit eine Menge Zwitter beobachtet, melche in verfchiee 
denen Stufen in der Entwidelung der Gefchledhtsverhältnife zus 
tüudgeblieben waren. Sie -find nicht Mann und Weib zugleich, 
fondern um fo mehr geſchlechtslos, je vollfommenere Zwitter fie 
find. In demfelben Grade werden fie zur Zeugung unfähig. Es 
wird nicht unintereffant feyn, eine Ueberficht dee Abftufungen in ber 
‚ Zwitterbildung hier zu geben, und für die Uebereinſtimmung ber 
geiftigen Anlage mit der Körperbildung dürfte diefe wohl belehrend 
genug ſeyn. Ich will indeffen nicht behaupten, daß die geifligen 
Zwitterbildungen völlig gleichen Schritt hielten mit der Eörperlichen, 
befonders, wenn wir blos die Verbildung der Genitalien in An« 
ſchlag bringen. Größer ift diefe Uebereinfiimmung zwifchen der 
geiftigen Conftitution' und der Männlichkeit oder Weiblichkeit des 
ganzen Körpers. | 


% 





oben nur vom Menfhen und ben höhern Thieren die Rede ift, bei denen 
die Sefchlechtöverhältniffe an zwei Individuen geknüpft find. Unter den 
niebern Thieren giebt ed allerdings Switter; die Blutigel, die Regenwuͤr— 
mer, die Schneden befruchten ſich gegenfeitig.” Aber aud) hier iſt die Zwit- 
terbildung Beweis einer tiefern Stufe; denn noch eine Stufe tiefer hört 
alles geſchlechtliche Verhältnig auf. Die Mufcheln, die Geefterne, die See» 
igel erzeugen Keime neuer Individuen in befondern Organen ohne vorher: 
gegangene Befruchtung. In den Polypen können fogar aus jedem Theil beö 
RKoͤrpers neue Individuen hervorfproffen. > i 


\ ; R 
° m nicht mißverſtanden zu werben, füge ich hier bie Bemerkung bingu, daß 


u 515 — — 

F. 300. Um die Stufen der Zwitterbildung zu entwickeln, 
iſt es noͤthig, den fruͤher angedeuteten Satz durchzufuͤhren, daß 
auch die maͤnnlichen und weiblichen Genitalien nicht durchaus ver— 
fhieden, ſondern Mobifitationen eines Grundtypus find, und 
zwar. Modifikationen, welche den Unterfchied, der im allgemeinen 
zwiſchen Männlichkeit und Weiblichkeit Statt findet, höher auöges 
bildet zeigen. Sm beiden Gefchlechtsapparaten laffen fich drei 
Hauptabſchnitte erkennen. Der erfte ift floffbereitend, der zweite 
aufbewahrend, ber dritte ausführend, Im erfleren entfprechen bie 
Hoden den Eyerftöcen, doc mit dem Unterfchiede, baß jene nad 
außen hervorgetreten find, diefe im Leibe zuruͤckbleiben. In jenen 
find Saamengefäße von’ ungeheurer Länge, in diefen runde abges 
ſchloſſene Blaͤschen. Die Saamenleiter entfprechen den Mutter 
trompeten, jene find länger und gemwundener, diefe kürzer und weis 
ter. Im zweiten Abſchnitt find im Manne aufbewahrend die Saa⸗ 
menbläschen, gewundene und verhältnißmäßig enge Kanäle, im 
Weibe die gerundete Gebärmutter. Auch in der Einzelheit diefes 

Drganes im Verhältniß zur Doppelzahl der Saamenblafen zeigt fü fi 
ein ‚größeres Streben zur Einheit. Der bedeutendſte Unterſchied 
iſt in dem dritten Abſchnitte, allein in der Clitoris haben wir eine 
Nachbildung der maͤnnlichen Ruthe, und denken wir ung dieſe Aus 
the fehr verkleinert, in der Verkleinerung die Harnröhre von ihr 
gefchieden, fo daß fie unter ihre ausmünder, denken wir ferner, 
daß dagegen bie Ausmündungen der Saamenbläschen vereinigt find, 
weil ja auch die Gebärmutter nur Eine ift, und dag im Gegenfag 
zur Ruthe diefer Kanal fo erweitert wird, daß er ſich zur Scheide 
umbildet, fo haben wir das Verhältniß der männlichen und mweiblis 
hen Zeugungsorgane, Die dufern Schaamlippen endlich ſtellen 
einen geſpaltenen Hodenſack dar. 


So ſind alſo * die Geſchlechtsorgane nach zwei verſchiede⸗ 
‚nen Richtungen ausgebildete Modifikationen deffelben Typus, Ders 
felbe Gegenfaß, der überall zwifchen dem männlichen und mweiblie 
hen Geſchlechte Statt finder, ift auch hier, und zwar hier am meis 
fien, entwidelt. Das Wefentliche aller Zwitterbildung in den Ges 
fhlechtsörganen beruht nun darauf, daß Feine Seite diefes Gegen⸗ 
ſatzes volkftändig genug hervortritt. Um das begreiflich zu finden, 
muß man wiſſen, dag im der erflen Periode des Ariola das 


* 


‚ X 


— 516 — — PN 


— 


Geſchlecht ſich noch auf keine Weife äußert, ‚Die Befäfeösorgane # 


ſelbſt find gleichfam noch im Keime und fir beide Geſchlechter ganz 
gleich gebildet. Erſt allmaͤhlich entwickelt ſich das vorragende Glied 
te zur Ruthe ‚oder zur Clitoris. Erſt allmählich gewinnen 
die innern Theile den Charakter der Hoden oder des Eyetſtocks. 
Man Fann e8 alſo als eine Hemmung in der Ausbildung'betrachten, 


wenn ein Geſchlecht nicht vollſtaͤndig ſich ausſpricht. In ſolcher 


mangelnden Entwickelung beſteht das Weſen der Zwitterbildung. 
Indeſſen kommen zuweilen noch beſondere Mißbildungen hinzu, wie 
z. B. eine Umſtuͤlpung der Harnblaſe oder eine been des 
— vom normalen Zuſtande. | 


„Die vielen Sitte von Ziwitterbilbung; J welche in * ass, 


. ten ber Aerzte befchrieben find, zeigen eine ſchoͤne Stufenfolge von - 


der volllommenen Männlichkeit bis zur-vollfommenen Banpdtrie 


Man kann fie in drei Klaffen theilen, nämlich in: 
1. maͤnnliche Zwitter, 
2, geſchlechtloſe und 
Sn weibliche Zwitter, 


Die männliche und weibliche Zwitterbildung zeigt wieder mehrete 
Stufen, je nachdem der Geſchlechtscharakter mehr oder weniger ſich 
dem entgegengeſetzten naͤhert. Das Daſeyn der Hoden oder der 
Eyerſtoͤcke, als der weſentlichſten Organe, entſcheidet darüber, wel⸗ 
a ——— eine Mißbildung angehoͤrt. | 


$. 301. . Der männliche Gefälechtscharakter ſcheint viel 


häufiger unvollftändig ausgebildet zu. werben; denn männliche Zwit⸗ 


terbildung ift viel öfter beobachtet als weibliche, Als die erſte Uns. 


vollkommenheit in der Entwidelung der Männlichkeit kann man 


die Männer mit weibifchem Sinne und weiblichem Körperbau (Ma- 


res. effoeminati) anſehen. Sie find es bald mehr in koͤrperli⸗ 
‚her, bald mehr in geiftiger Hinſicht. Liebe zum Putz, Ziererei in 
Wort und Geberde, weibliche fingende Stimme “mit glattem Ge⸗ 
fihte, Scheu vor ernften Geſchaͤften und Unftrengung , Neigung zu 


weiblichen Arbeiten und Bergnügungen und. nit felten Schwäche, 
in dem fonjt vollftändig gebildeten Geſchlechtsapparate charakteriſi⸗ 
ren ſie als ſolche. Bei vielen Individuen dieſer Art hat man die 


x 


# 
en u: Mira 


Hoden Elein und welk, Impotenz in der Zeugungskraft, wenn auch 
nicht ſelten große Luͤſternheit im Geſchlechtstriebe bemerkt. Hierbei 


muß bemerkt werden, daß der Charakter einer vollſtaͤndigen Maͤnn-⸗ 


‚lichkeit nicht etwa in der Größe und Stärke der Ruthe fih aus: 

fpeiht. Diefe Größemft vielmehr oft eine Folge der Ausfchweifung. 
Es ift dagegen die Größe und Derbheit der Hoden, mit der fich ge: 
wöhnlich ein feftes Skrotum verbindet. Zählen wir diefe Schwächs 
linge noch nicht zu der männlichen «Bwitterbilding , fo bleiben 
für die legtere drei Hauptſtufen. Zu der erfien Stufe rechnen wir 
weniger wefentliche Umbildungen.  Dahin gehört das Zuruͤckbleiben 
der Hoden in der Bauchhoͤhle. Die Kunſtſprache nennt folhe Mäns 
ner Crypterchides. Nothwendig iſt dabei der Hodenfad Elein und 
zufammengefallen, Zuweilen find-bie übrigen Genitalien, fo wie 
der ganze Körper, volftändig entwidelt. Dann hat die Zeugungs: 
kraft nichts verloren, und es feheint vielmehr, als ob irgend. ein 
aͤußeres Hinderniß, etwa die Verengerung des Leiſtenkanals, das 


Hervortreten derfelben-gehindert hätte. In andern Fällen ift auch 


die Nuthe wenig entwidelt, der Bart fehlt, und es ift überhaupt 
die Männlichkeit geſchwaͤcht. — Ferner gehoͤren zu der erſten Stu⸗ 
fe Faͤlle von einer blinden Vertiefung im Mittelfleiſche, die einiger— 
maaßen einer weiblichen Geſchlechtsoͤffnung gleihts "Sind dabei 
. zugleich die Hoden in der Bauchhöhle zurüdgeblieben, fo hat man 
foiche Perfonen wohl: in der Kindheit für Mädchen gehalten, bis: 
in der Zeit der Pubertät: die. Neigung - das Geſchlecht deutlich 
‚offenbarte, wie ein Kind in Ulm, das Katharina getauft, nachher 
aber Reinhard genannt wurde, — Endlich kann man noch in dies 
fe erſte Stufe diejenigen Fälle rechnen, wo die Harnröhre ſich nicht 
an der Spige der Nuthe, ſondern an der untern Fläche derfelben 
ausmündete, Die Ruthe ift dabei verbildet. Häufig. iſt auch der Ho= 
denſack gefpalten, fo daß er weiblihen Schaamlippen ähnlich ſieht, 
und die Hoden find zuweilen, jedoch fange nicht immer, imUnterleis 
be zurüdgeblieben.. Auch Männer vomdiefer Mifbildung find noch 
keinesweges zur Zeugung unfähig. Eine ſolche Perfon wurde im: 
Norwegen als Dienfimagd gehalten, fchwängerte aber die Bettgenofs 
fin. Ein anderer Mann im Würtembergifhen, Maria Katharina 
Ulmerin, trug bis zum 40. Jahre weibliche Kleidung ; umd legte end» 
lich männliche Tracht an. Diefer Menſch trieb maͤnnliche — * 
RE Geſchlechtéluſt gegen Srauenzimmer; ui ©" y 


\ 


In der zweiten Stufe der Mißbildung erreicht bie Harnroͤhre 
das Glied gar nicht, fondern mündet ſich hinter der Wurzel deſſel— 
ben. Das Glied ift dann dem Werfen nach eine Elitoris, und ſteht, 
in Hinficht der Größe, in der Mitte zwifchen diefer und einer voll« 
fommenen männlichen Ruthe. Sn felteneren Fällen öffnet fich das 
bei die Harnröhre oberhalb der Wurzel des Gliedes, - Diefe fcheinen 
faum zur Zmwitterbildung zu gehören, fondern mehr in einer Miß- 
bildung der Harnwerk;euge begründet. Gewöhnlich hat die Harns 
vöhre ihre Ausmündung unter der Wurzel des Gliedes, alſo wie im 
weiblichen Geſchlecht. Die Eichel ift dabei von der Borhaut häufig 
ganz bedeckt, wie in der weiblichen Glitoris. Zugleich ift der Hodenfad 
nicht felten ‚getheilt. Im diefem gefpaltenen Hobenfade find ent- 

weder beide Hoden enthalten, oder nur einer, oder gar feiner, wo— 

bei denn die Aehnlichkeit mit Schaamlippen fehr groß iſt. Solche 
Perfonen find ſehr häufig ihrem Gefchlechte nach verfannt worden, 
- befonders da auch ‚die Brüfte weibliche Form annehmen , die 
Stimme weiblich ift, und der Bart fehlt. Sind die Hoden zurüd: 
geblieben, fo ift auch die Erkennung des Gefchlechtes durch die Uns 
terfuhung der äußern Drgane fehr fehwierig, vorzüglich wenn bie 
Harnröhre in eine Grube einmündet, die mehr oder weniger tief 
eingeht. So wurde ein. erwachfener Mann, Namens Maria Dos 
rothea Deriier, von zwei ausgezeichneten Aerzten für ein Mädchen 
erklärt, bald darauf aber von zwei andern Aerzten für einen Mann, 
weil fich der eine Hode im Leiftenkanale fühlen lief. In feltenen 
Faͤllen ift auch noch bei diefer Bildung Zeugungskraft. So war 
ein Ruſſe von folhem Bau Vater von vier Kindern. Sein eben fo 
geſtalteter Bruder war Einderlos.  Weberhanpt hat man diefe Mißs 
bildung mehrmal bei zwei Kindern derfelben Familie bemerkt, 
Wenn auch die Zeugungsfähigkeit felten ift, fo ift doc) bie Neigung 
zur Verbindung mit dem weiblichen Geſchlecht ziemlich allgemein, 
und das wichtigſte Zeichen zur Erkennung der Männlichkeit. Meh— 
rere Indibiduen diefer Art, welche als Mädchen aufgezogen — 
erklärten ſich beim Eintritt der Pubertät für Männer. 


Die dritte Stufe dir Annäherung des männlichen Geſchlechts 
an das weibliche befteht darin, daß die Ruthe eine Clitoris ift, die 
Spalte des Hodenſacks fich in eine Scheide verlängert, und die beiden 
Saamenblofen zu einer gemeinfchaftlichen Höhle verbunden find, 


— — 519 — — 


welche nun eine Art Uterus darſtellt, die nur durch duͤnnere Wan⸗ 
dung von einer wahren Gebaͤrmutter ſich unterſcheidet. Haͤufig 
findet ſich dabei eine unregelmaͤßige Menſtruation aus der Scheide, 
welche als ein Uebergang von Hämorrhoiden zu wahrer Menjtruas 
tion betrachtet worden ift. Bei diefer Stufe der Mißbildung fehlt 
nun die Zeugungsfraft immer, und der Gefchlechtötrieb ift fo wenig 
deutlich, daß mehrere ſolcher Zwitter mit Männern verheirathet 
waren, Nach dem Tode zeigte die Unterfuhung die Hoden, und 
lieg Eeinen Zweifel darüber, daß hier Ehen zwiſchen atvei Männern 
beftanden hatten. 


$. 302. Geht die Umbildung noch weiter, fo hört der Char 
rakter eimes Öefchlechtes ganz auf... Es finden ſich Organe, bie 
zwifchen Hoden und Eyerftöden in der Mitte fiehen, oder auf der 
einen Seite gleicht der Körper mehr einem Eyerftod, auf der andern 
Seite mehr einem Hoden, wobei. jener gewöhnlich einen Saamenleis 
ter, diefer eine Muttertrompete hat. Geht der Saamenleiter in 
die Gebärmutter, fo ſcheint anatomifch freilich eine Selbftbefruchs 
tung möglich, aber die Seugungsfraft ift gerade hier fo wenig ents 
widelt, daß folhe übrigens nicht häufige Individuen weder den 
männlichen noch den weiblichen Antheil am dem Zeugungsgefchäfte 
auszuüben vermögen. Einige hatten als Männer und andere als 
Meiber gelebt, 


5.7303. Bon diefer Ausgleihung beider Gefchlechter gehen 
wir über zu den weiblichen Herinaphroditen. Sie haben. wahre 
Eyerſtoͤcke, nur in der mittlern und äußern Region ift eine Vermis 
ſchung dee männlihen und mweiblihen Bildung. In der höher 
Stufe geht die Scheide in die Darnröhre Über, wie im männlichen 
Geflecht die Ausmuͤndung der Suamenblafen und Saamengänge 
. in die Harnröhre geht. Nah Aufnahme der Scheide tritt die 
Harnroͤhre in die Clitoris ein, wodurch diefe in den mwefentlichen 
Berhältniffen dem männlichen Gliede gleiht. Es ift auch die Cli— 
toris immer von anfehnlicher Größe. Ein folher Fall ift der bei 
uns auf der XI. Zafel Fig. 15 abgebildete. Er aehört einem Kins 
der am, welches als Mädchen Marin getauft wurde, und dem bie 
Aeltern fpäter, weil fie geivrt zu haben glaubten, den Namen Carl 
beilegten. Sie fehen, daß die Glitoris einer männlichen Ruthe 
gleicht, Auch. ift die Eichel unbedeckt. Die anatomifche Unterfu: 


chung hat aber alle Biweifel gelößt, indem fi; bier wahre Eoerfi- 
cke und eine Gebärmutter fanden, Die Scheide ging unter flarfer 
Berengerung in die Harntoͤhre über: Die vordere Ausmuͤndung 
von dieſer an der untern Fläche des Gliedes ift in der. Abbildung 
nicht zu ſehen, um die obere Anſicht ers zu zeigen. 2 


- Eine niebere Stufe der Migbildung iſt es wenn die Harn⸗ 
roͤhte allein ſich durch die Clitoris ausmuͤndet, und als die nieder: 
ſte koͤnnen wir es anſehen, wenn die Clitoris blos durch monſtroͤſe 
Groͤße abweicht, wo fie dann Häufig zur Befriedigung eines Wol⸗ 
luſtkitzels gegen andere Weiber gebraucht wird. Merkwuͤrdig iſt es, 

daß während beiden männlichen Zwittern meiftens weibliche Stim= 
me und ſchwacher Bartwuchs vorkommt, umgekehrt bei den weib⸗ 
Uichen Zwittern männliche Stimme und mehr Bart fih zeigt, als 
man bier erwarten follte, wo pie Weiblichkeit doc) vorherrſchend ik 


An bie weiblichen FAR fchueßen ſich nun die Weiber 
männlichen Körperbau und männlichen Sinne an ——— 
Sie ſind zum ernſtern Nachdenken geneigt, und richten ihre Thaͤtig⸗ 
keit aus dem Kreiſe ‚der Haͤuslichkeit heraus auf allgemeine Angeles 
‚genheiten eines Volkes oder der Welt, einige mahen wohl auch 
‚ Kriegszüge mit, Sie zeigen Miderwillen gegen weibliche Beſchaͤf⸗ 
tigungen, und beſonders die weiblichen Geſpraͤche von Liebesver— 
hältniffen, Schwangerſchaften und Geburten in der Umgegend. 
- Die Stimme ift tief und männlich, der Körperbau Fräftig, die 

"Haltung feſt; die Haut nicht fo weich, als gewöhnlich im mweiblis 
hen Geſchlechte. Am Kinn zeigt ſich zuweilen Bartwuchs und die 


Meenſtruation iſt felten in Ordnung. Ein alter Anatom fand auch 


die innern Öenitalien nicht gehörig gebildet, Selten find. f e zur . 
Ehe geneigt, und in diefer häufig unfruchtbar. 





Rudolfadt, 
gedruckt in der Froebel⸗ ſchen volbagdruderen 


J 


Oruckfehler und Verbeſſerungen, 


7 


welche man vor dem Gebrauche des Buches einzutragen bittet, weil 
einige ber Druckfehler Mißverſtaͤndniſſe veranlaffen koͤnnten. 


Seite 16 
— 16 


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a V V⏑—⏑—⏑ Ñ 


V—— — 


Zeile 14 v. —* 
— 2». unten— oder ſtatt der 
25 — 11 v. — — Xob ll ſtatt Tab. 1. 
# — 100. oben — dem ftatt dad . 
46 — 14. unten — entſprechend en ftatt entfpredhend 
49 — ıd».oben — bHinmiefen ftatt bin vei en - 
% — 2 vd, unten — Figs. 2, 6 und 13 ſtatt Fig. 6 und 13. 
— 9». oben — für diefe Unterfuchungen entlehnen wir aus ber 
a Phyſik folgende allgemeine Süße 
‚8 — ı * — alfo —— w He 
3 — ge»mntn— mannigfa att gro 
99 — 18 v. oben — Zwerchfell ftatt Zwergfell 
106 — 23 u. 14 von oben lies: Rande ſtatt Bande 
114 — 170. oben lies: Aorta ſtatt Arterie ı 
124 — 7. — —. Fig. 11. ſtatt Fig. 8. RT 
139 — ıAu. 33 v. oben lies: auflofen, lösber ftatt auflögen, lößbar 
I — 15». oben lied: welche ſtatt und weil er 
u — 8% — — _fese.hinter Vierhügel die Worte: ben vor: 
bern heil 
165 — 4v. — — werde, um Mißverftändniffen vorzubeugen, fo 
umgeändert: die Faſerung ber einzelnen 
Ri ERICH wllen Birnen fi fait glei 
zeig | . 
167 — 4v. unten — nicht fehlt ftatt fehlt 
193 — 72% — — abgelöften ſtatt abgelößten - a 
19 — 9. — — ablöfen, Ablöfung ftatt ablößen, Ablöfung 
— 230, 0ben — ſetze hinter die Worte, und oben, noch folgende: 
- und rollt die Pupille nah unten und außen, 
213 — 1. — — — Punkt e ſtatt des leuchtenden 
untie \ s 
214 — 20. — — Pinfenktapfel ftatt Linfe 
2260 — 12 v. unten — einem flatt reinem 
27 — us. — — bald flatt und | 
239 — 12 vd. unten — flacher ftatt flächer 34 
m: 27% — — HElagen gehört ſtatt klagen h ͤren 
Perg — .,.39%: — — den flatt der 
256 — 9% — — das Wort ‚‚genug” ift wegzuftreichen. 
% — 20 0. — — F#ürzer ſtatt arößer 
4 — 2v. unten — halb und ganz ſtatt halb und 
— 149. oben — 3% ftatt 24 
* — 1 v. unten — ließe ſtatt ließ y 
94 — 110. 12 v. unten find beide Abſchnitte zu verbinden 
295 — 120. unten lied: Beweis fkatt Beweif 
27 — 159, 0ben — dieſe ftatt fie 
3 — ro». unten — hat, ſtatt bat; 
355 — 10 — — Gehrfatt Schon 
2 — 7». oben — #ig. 2. 13. ftatt Fig. 2. 12. 
303 —* 12 v. unten — ee Erufhr 
365 Su 20. — — Fig. 4. Taf. X ftatt Fig. 4. 
368 j v. oben — . (bei 36.) ftatt (bei 3. 6.) 
370 — v. unten — bildet ftatt bebedi, 


\ — 


oben lied; kennen flatt nennen, 


n 


Seite 384 Beile 10 i 
— — 


v. oben ließ: yy ſtatt * 
— — Bin Reli Matt bie Reizung — 


39 7». 
— 10 — 5v. —  Hangematten Statt Hangemutten 
— 419 — 43. — — feine statt feine 
— 439 — 29. — —  teizend flatt reizbar 
— 41 — 1420 —- rt Dhrftteh 
— 414 — um — — die flatt der 
— 484 — 22. unten — Aechnlichkeit mit Milch ſtatt Aehnlichkeit 
— 495 — 26. oben — Tinten ftatt rechten — 
— 493 — 130 unten — erſt nach ber Geburt ſtatt erſt 
— 500 — 29. oben — aus zu ſondern ſtatt aus ſondern zu konnen. 


Wegen einiger Ungleichheit Im Gebrauche des y muß ih um Entſchuldigun 


bitten. Sch felbft dulde diefen eingebrungenen Fremdling in meiner Handſchri 


nur in audlandifhen Wortern und in dem Zeitworte feyn, in welchem er, wenig⸗ 

Hend Nusen bringt. Allein der kleinſte Theil des Manuferiptes ift von mir nieders 
eichrieben , und auch biefer ging nachher faft ganz durch die Hand eined Abfchreis - 
erd. Drei Viertel des Buches find von mir bictirf, und zwar breien verſchiedenen 

Individuen. Unter biefen Schreibern. hat dad y mehr Freunde als Feinde gehabt, 


und mein Daß gegen baffelbe iſt nicht fo lebhaft, daß ich es in allen feinen 


Schlupfwinkeln entdeckt hätte, obgleih id bei mehrmaliger Durchſicht ber Hands 
‚Ihrift einige Hundert y audgemärzt habe. Der Herr Correctör (dem ich übrigens 
für feine Bemühungen vielen Dank ſchuldig Bin) fcheint, indem er fo das ti und 
y im Kampfe um ben Befig fand, mit dem Diympier gedacht zu haben: > 


w 


Tros Rutulusve fuat, nullo discrimine habebo! 


Auch einige unnüge ß (für welche bad scribarum genus ebenfalls große Vorllebe 
beat) Habe ich entdedt und in dem Drudfehler » Verzeihnig an ben Pranger ger 
fiellt zum Schrecken für diejenigen, bie im Texte vielleicht noch unbemerkt ihr 
Werfen treiben, Diefe Erklärung mag für bie Herren Schulmanner Hier ſtehen, bie 
für Buchfiaben ein fcharfes Auge haben, £ © | 

j BSaer. 





# ? } F — * V 
Verbeſſerungen. 
Die Beſttzer dieſes Kupferheftes werden wohl thun, um ein langes Bu: 
Ken zu vermeiden, folgende Verbeſſerungen, bie fid) leicht anbringen laſſen, da fie 


nicht ben Kupferſtich betreffen, fondern nur bie Bezeichnungen — vor bem Gebrau« 
de einzutragen. | er. . 


/ R 22 — 
n Zaf. ıır. Kto. 1. iſt bie punktirte Linie für die Ziffee 18 etwas weiter bis 
* 64 breieckigen Knochen (dem Schulterblatt) aus zuziehen. 
Sn Taf. IV. Fig. 2, fommt der Buchftabe k doppelt vor. Dad untere k ift 
in ein h zu verändern. | SC h } 
In Zafı VI Fig. 4. iſt auf die dunkle Stelle unweit e der Buchſtabe F einzu: 
t 


3In Taf. X. Fe 2. if der Buchſtabe g kaum zu erkennen. Er fol das Ge: 


fäß bezeichnen, das aus der Leber kommt und über dem linten 
* Ende des Magens fi mit dem Gange aus p verbindet. 3 
Fig. 8. iſt das g,g in y,y,5u verwandeln Kr —— 
An Taf. XI. find die pımktirten Linien für die Buchſtaben P und Vetwas zu 
Yang. Der Strich von P muß bid an den ( hellgehaltenen) Wulſt 
reihen, den ber Haarwuchs begränzt und der Strich von V bis 
an den (buntelgehaltenen) Lappen nad Innen von dieſem Wulft, 





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