Skip to main content

Full text of "Vorlesungen"

See other formats


MATH.. 

STAT. 

UBRARY 


Mathematlcs  Dept. 


^^imrrd) 


MA 

ST 
UBF 


ALLE  EECHTE, 
EINSCHLIESZLICH  DES  ÜBEßSETZUNGSRECHTS,  VOKBEHALTEN. 


Printed  in  GemaAt 


Yorwort. 

Das  Werk,  welches  ich  hiermit  der  Öffentlichkeit  ühergebe,  hat 
seinen  Ursprung  in  einem  Zyklus  von  acht  Vorlesungen,  welche  ich 
im  Sommer  1901  bei  der  Jahresversammlung  der  American  Mathe- 
matical  Society  in  Ithaca,  N.  Y.  gehalten  habe,  und  welche  den  Zweck 
hatten,  ein  ausführliches,  historisch -kritisches  Referat  über  die  Fort- 
schritte der  Variationsrechnung  während  der  letzten  Jahrzehnte  zu 
geben.  Meine  Ledures  on  tJie  Calculus  of  Variations  (Chicago,  1904) 
sind  im  wesentlichen  eine  Wiedergabe  dieser  Vorlesungen  mit  solchen 
Erweiterungen  und  Modifikationen,  wie  sie  nötig  waren,  damit  das 
Buch  zugleich  als  Lehrbuch  dienen  konnte. 

Bald  nach  Erscheinen  der  „Lectures"  wurde  ich  von  der  Teubner- 
Bchen  Verlagsbuchhandlung  aufgefordert,  eine  deutsche  Bearbeitung 
derselben  vorzubereiten;  ich  bin  dieser  Aufforderung  um  so  lieber 
nachgekommen,  als  mir  dadurch  Gelegenheit  geboten  wurde,  nicht  nur 
meinen  „Lectures"  in  verbesserter  Form  eine  weitere  Verbreitung  zu 
geben,  sondern  auch  die  zahlreichen  Untersuchungen  über  Variations- 
rechnung aus  den  letzten  Jahren  mit  zu  verarbeiten  und  zugleich  die 
Darstellung  auf  allgemeinere  Probleme  der  Variationsrechnung  aus- 
zudehnen. 

Dieser  Entstehungsweise  entsprechend  hat  mir  bei  der  Abfassung 
auch  der  deutschen  Ausgabe  eine  Vereinigung  von  Lehrbuch  und 
Enzyklopädie  als  Ziel  vorgeschwebt.  Zugleich  geht  aus  dem  Gesagten 
hervor,  daß  das  vorliegende  Werk,  wie  schon  der  Name  andeuten  soll, 
nicht  den  Anspruch  erhebt,  ein  die  gesamte  Variationsrechnung  um- 
fassendes Lehrbuch  zu  sein;  es  will  vielmehr  nur  die  spezifisch  moderne 
Variationsrechnung,  wie  sie  sich  in  den  letzten  dreißig  bis  vierzig 
Jahren  unter  der  Einwirkung  der  kritischen  Richtung  in  der  Infinitesimal- 
rechnung, vor  allem  aber  unter  dem  Einfluß  der  epochemachenden  Ent- 
deckungen von  Weierstkass  entwickelt  hat,  zur  Darstellung  bringen. 

Dabei  habe  ich  bei  dem  einfachsten  Typus  von  Variationsproblemen, 
bei  welchem  die.  unter  dem  Integral  stehende  Funktion  von  einer  ebenen 
Kurve  abhängt  und  nur  erste  Ableitungen  enthält,  eine  gewisse  Vollständig- 
keit angestrebt;  dagegen  mußte  ich  mich  bei  den  allgemeineren  Problemen, 
die  ja  überhaupt  noch  nicht  zu  einem  ähnlichen  Abschluß  gelangt  sind, 


7814(38 


IV"  Vorwort. 

auf  die  Behandlung  von  ausgewählten  Kapiteln  beschränken,  wenn 
ich  nicht  die  Fertigstellung  des  Ganzen  ad  calendas  graecas  vertagen 
wollte. 

Obgleich  zahlreiche  Anwendungen  der  Variationsrechnung  auf 
Geometrie  und  Mechanik  in  Form  von  Beispielen-  und  Übungsaufgaben 
behandelt  werden,  so  liegt  doch  der  Hauptnachdruck  durchweg  auf 
Seiten  der  Theorie.  Dementsprechend  habe  ich  mich  besonders  bemüht, 
klare  Definitionen  der  Grundbegriffe  und  scharfe  Formulierungen  der 
Probleme  zu  geben  und  an  die  Beweise  denselben  Maßstab  der  Strenge 
anzulegen,  der  auf  anderen  Gebieten  der  Infinitesimalrechnung  jetzt 
allgemein  üblich  ist.  Dazu  war  es  nötig,  beim  Leser  eine  Bekannt- 
schaft mit  den  Hauptsätzen  der  Theorie  der  reellen  Funktionen  reeller 
Variabler  vorauszusetzen.  Um  aber  das  Buch  einem  weiteren  Leser- 
kreis zugänglich  zu  machen,  habe  ich  in  einem  Anhang  (als  A.  zitiert) 
sämtliche  im  Text  benutzten  Sätze  der  reellen  Funktionentheorie  mit 
ausführlichen  Literaturanojaben  zusammengestellt.  Aus  demselben 
Grunde  habe  ich  die  Darstellung,  wenigstens  in  den  ersten  Kapiteln, 
elementarer  gehalten  als  in  der  englischen  Ausgabe,  und  zahlreiche 
Übungsaufgaben  am  Ende  der  verschiedenen  Kapitel  hinzugefügt. 

Einige  Bemerkungen  sind  nötig  über  meine  Stellung  zu  den  Vor- 
lesungen von  Weierstkass  über  Variationsrechnung.  Dieselben  dürfen 
heutzutage  als  allgemein  bekannt  betrachtet  werden,  teils  durch  Disser- 
tationen und  andere  Publikationen  von  Schülern  von  Weierstraß, 
teils  durch  Kneser's  Lehrbuch  der  Variationsrechnung  (Braunschweig 
1900),  teils  durch  Ausarbeitungen,  die  in  Mathematikerkreisen  zirku- 
lieren, und  von  denen  Exemplare  in  der  Bibliothek  des  Mathematischen 
Vereins  in  Berlin,  sowie  im  mathematischen  Lesezimmer  der  Göt- 
tinger Universität  jedermann  zugänglich  sind,  teils  endlich  durch  die 
Lectures  on  the  Calculus  of  Variations  von  Hancock  (Cincinnati,  1904). 

Unter  diesen  Umständen  habe  ich  keine  Bedenken  getragen,  von 
den  Weierstraß'schen  Vorlesungen  ganz  ebenso  Gebrauch  zu  machen, 
als  ob  sie  publiziert  vorlägen.  Dabei  habe  ich  mich  der  Hauptsache 
nach  an  die  Vorlesung  vom  Sommer  LS79  gehalten,  welche  ich  das 
Glück  hatte,  seinerzeit  als  Student  zu  hören,  und  von  welcher  ich 
damals  eine  sorgfältige  Ausarbeitung  angefertigt  habe. 

Schließlich  möchte  ich  allen  denen,  welche  mir  in  irgend  einer 
Weise  bei  dem  Zustandekommen  meiner  Arbeit  behilflich  gewesen  sind, 
meinen  herzlichsten  Dank  aussprechen:  einer  Reihe  von  Kollegen  teils 
für  bereitwillige  Auskunft  über  Nachbargebiete,  teils  für  Literatur- 
angaben, teils  für  Berichtigungen;  ebenso  einer  Anzahl  von  früheren 
Zuhörern   für   die  Durcharbeitung  von  Übungsaufgaben;   der  Verlags- 


Vorwort,  V 

buchhandlung  für  bereitwilliges  Eingehen  auf  meine  zahlreichen  Wün- 
sche in  Bezug  auf  Typographie  und  Drucklegung. 

Zu  ,o^anz  besonderem  Danke  aber  bin  ich  Herrn  Lindeberg  verpflichtet 
für  die  Überlassung  des  Manuskriptes  seiner  inzwischen  in  den  Mathe- 
matischen Aunalen  erschienenen  Arbeit:  TJher  einige  Fragen  der  Varia- 
tionsrechnung j  wodurch  es  mir  möglich  gemacht  wurde,  die  Theorie  der 
isoperimetrischen  Probleme  in  wesentlich  verbesserter  Form  vorzutragen. 

Auch  den  Behörden  der  Universität  Chicago  bin  ich  zu  großem 
Dank  verpflichtet  für  mehrfach  in  zuvorkommendster  Weise  gewährten 
längeren  Urlaub,  ohne  welchen  mir  die  Fertigstellung  des  Buches  kaum 
möglich  gewesen  wäre. 

Ein  letzes  Dankeswort  gilt  einem,  der  nicht  mehr  unter  den 
Lebenden  weilt,  dem  um  die  Variationsrechnung  so  hoch  verdienten 
Adolf  Mayer;  seinem  freundlichen  Interesse  an  der  englischen  Aus- 
gabe meines  Buches  ist  es  in  erster  Linie  zuzuschreiben,  daß  die  Firma 
]B.  G.  Teubner  mich  zur  Bearbeitung  einer  deutschen  Ausgabe  aufforderte. 

Freiburg  i.  B.,  den  8.  September  1909. 

Oskar  Bolza. 


Inhaltsübersicht. 

Erstes  Kapitel. 

Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Blasse^  von  Aufgaben. 

§  1.  Vorläufige  Orientierung  üoer  die  wichtigsten  Probleme  der  Variations- 
rechnung       j 

§  2.  Definitionen  und  Sätze  über  gewöhnliche  Maxima  und  Minima  .    .  8 

§  3.  Definition  des  Maximums  und  Minimums  eines  bestimmten  Integrals  13 

§  4.  Verschwinden  der  ersten  Variation 19 

§  5.  Die  Euler'sche  Differentialgleichung ." 23 

§  6.  Bemerkungen  zur  Integration  der  Euler'schen  Difi*erentia]gleichung .  31 

§  7.  Der  Fall  beweglicher  Endpunkte 40 

§  8.  Der  allgemeine  d-Prozeß 45 

Zweites  Kapitel. 

Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

§  9.  Die  Legen dre'sche  Bedingung '    .    .    ,  54 

§  10.  Die  Jacobi'sche  Differentialgleichung *  .    .  59 

§  11.  Hilfssätze  über  lineare  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung.    .    .  64 

§  12.  Das  Jacobi'sche  Kriterium 68 

§  13.  Geometrische  Bedeutung  der  konjugierten  Punkte 75 

§  14.  Notwendigkeit  der  Jacobi'schen  Bedingung ,..    .  82 

Drittes  Kapitel. 

Hinreichende  Bedingungen  bei  der  einfachsten  Klasse  von 

Aufgaben. 

§  15.  Hinreichende  Bedingungen  für  ein  „schwaches  Extremum" 88 

§  16.  Konstruktion  eines  Feldes  von  Extremalen 95 

§  17.  Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz , 105 

§  18.  Ableitung  weiterer  notwendiger  Bedingungen  aus  dem  Weierstraß'- 

schen  Fundamentalsatz *."..• Hl 

§  19.  Hinreichende  Bedingungen  für  ein  starkes  Extremum 119 

§  20.  Zusammenhang  des  Unabhängigkeitssatzes  mit  der  Hamilton-Jaco- 

bi 'sehen  Theorie 128 

Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln I44 

Viertes  Kapitel. 

Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

§  21.  Über  die  Umgebung  einer  Punktmenge 154 

§  22.  Ein  Satz  über  eindeutige  Abbildung,  und  seine  Anwendungen    ...     158 


Inhaltsübersiclit.  VII 

Seite 

§  23.  Existenztheoreme  für  Systeme  gewöhnliclier  Differentialgleichungfen  .     168 
§  24.  Abhängigkeit  der  Lösung  eines  Systems  von  gewöhnlichen  Differential- 
gleichungen von  den  Anfangswerten  und  verwandte  Fragen    ....     175 


Fünftes  Kapitel. 

Die  Weierstraß'sche  Theorie  der  einfachsten  Klasse  von 
Problemen  in  Parameterdarstellung. 

§  25.  Formulierung  der  Aufgabe 189 

§  26.  Die  Differentialgleichung  des  Problems 201 

§  27.  Anwendung  der  allgemeinen  Existenztheoreme  für  Differentialgleich- 
ungen auf  die  Theorie  der  Extremalen 212 

§  28.  Die  Weierstraß'sche  Transformation  der  zweiten  Variation  und  die 

zweite  notwendige  Bedingung 224 

§  29.  Die  Jacob i'sche  Bedingung  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung.  231 

§  30.  Die  Weierstraß'sche  Bedingung 241 

§  31.  Das  Feld  und  das  Feldintegral 249 

§  32.  Der   Weierstraß'sche  Fundamentalsatz  und  die  hinreichenden  Be- 
dingungen   259 

§  33.  Existenz  eines  Minimums  „im  Kleinen" 270 

§  34.  Der  Osgood'sche  Satz   . 280 

§  35.  Verallgemeinerung  der  Bedeutung  des  Kurvenintegrals 284 

Übungsaufgaben  zum  fünften  Kapitel 295 

Sechstes  Kapitel. 
Der  Fall  variabler  Endpunkte 

§  36.  Die  Variationsmethode 301 

§  37.  Das  Extremalenintegral 306 

§  38.  Die  Differentiationsmethode   . 313 

§  39.  Die  Brennpunktsbedingung 316 

§  40.  Geometrische  Bedeutung  des  Brennpunktes '321 

§  41.  Hinreichende  Bedingungen  für  das  Problem  mit  einem  variablen  End- 
punkt    324 

§  42.  Der  Fall  zweier  variabler  Endpunkte 327 


Siebentes  Kapitel. 
Die  Kneser'sche  Theorie. 

§  43.  Darboux's  Methode  für  die  Behandlung  des  Problems  der  kürzesten 

Linien  auf  einer  gegebenen  Fläche 332 

§  44.  Der  Kneser'sche  Transversalensatz  und   der  verallgemeinerte  Enve- 

loppensatz 336 

§  45.  Transformation  des  Integrals  J  durch  eine  Punkttransformation     .    .  343 

§  46.  Die  Kneser'schen  krummlinigen  Koordinaten  und  ihre  Anwendungen  350 

§  47.  Folgerungen  aus  dem  Enveloppensatz 357 


VIU  Inhaltsübersicht. 

Achtes  Kapitel. 
Diskontinuierliche  Lösungen. 

"=*  Seite 

§  48.  Die  Weierstraß-Erdmann'schen  Eckenbedingungen      ...".,.  365 

§  49.  Konjugierte  Punkte  auf  gebrochenen  Extremalen 372 

§  50.  Hinreichende  Bedingungen  für  diskontinuierliche    Lösungen 381 

§  51.  Diskontinuierliche  Yariationsprobleme 389 

§  52.  Randbedingungen  bei  Problemen  mit  Gebietseinschränkungen.  .  .  .  392 
§  53.  Hinreichende  Bedingungen  bei  Lösungen,  welche  Segmente  derSchranke 

enthalten 400 

§  54.  Das  Newton'sche  Problem  des  Rotationskörpers  kleinsten  Widerstandes  407 

Neuntes  Kapitel. 

Das  absolute  Extremum. 

§  55.  Einleitende  Bemerkungen 419 

§  56.  Ein  allgemeiner  Hilfssatz  über  die  Existenz  einer  Grenzkurve     .    .    .  422 

§  57,  Beweis  des  Hilbert'schen  Existenztheorems 428 

§  68.  Ein  Satz  von  Darboux  über  das  absolute  Extremum 438 

Übungsaufgaben  zum  sechsten  bis  neunten  Kapitel 444 

Zehntes  Kapitel. 

Isoperimetrische  Probleme. 

§  59.  Die  Euler'sche  Regel 457 

§  60.  Die  zweite  und  vierte  notwendige  Bedingung 470 

§  61.  Die  W  ei  er  straß'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte  beim  isoperi- 
metrischen Problem 475 

§  62.  Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte  beim  isoperimetri- 
schen Problem 489 

§  63.  Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz  für  isoperimetrische  Probleme  503 

§  64.  Hinreichende  Bedingungen  beim  isoperimetrischen   Problem     ....  509 

§  65.  Einiges  über  isoperimetrische  Probleme  bei  variablen  Endpunkten    .  515 

Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel 528 

Elftes  Kapitel. 

Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

§  66.  Allgemeiner  Überblick 542 

§  67.  Die  L agr an ge'sche  Multiplikatorenmethode  für  gewöhnliche  Extrema 

mit  Nebenbedingungen 544 

§  68.  Die  Multiplikatorenregel  für  den  Fall  endlicher  Bedingungsgleichungen  548 
§  69.  Die  Multiplikatorenregel  für  den  Fall  von  DiflFerentialgleichungen  als 

Nebenbedingungen 558 

§  70.  Diverse  Bemerkungen  zur  Multiplikatorenregel 569 

§  71.  DieMultiplikatorenregelfürden  Fall  gemischter  Bedingungsgleichungen  580 
§  72.  Existenztheoreme    für  Extremalen    und    Reduktion    der   Euler-La- 

grange'scheu  Differentialgleichungen  auf  ein  kanonisches  System    .  588 

8  73.  Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie 595 


Inhaltsübersicht.  IX 

Zwölftes  Kapitel. 

Weitere  notwendige,  sowie  hinreichende  Bedingungen  beim 
•  Lag  rang  e'schen  Problem. 

^            ^  Seite 

§  74.  Analoga  der  Bedingungen  ven  Weierstraß  und  Legendre.    .    .    .  602 
§  75.  Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte  beim  Lagrange'- 

schen  Problem 610 

§  76.  Die  zweite  Variation  beim  Lagrange'schen  Problem 619 

§77.  Hinreichende  Bedingungen  beim  Lagrange'schen  Problem     ....  635 

§  78.  Mayer'sche  Extremalenscharen 639 

Dreizehntes  Kapitel. 

Elemente  der  Theorie  der  Extrema  von  Doppelintegralen. 

§  79.  Die  erste  Variation  von  Doppelintegralen  mit  £C,  y  als  unabhängigen 

Variabein 652 

§  80.  Die  erste  Variation  von  Doppelintegralen  in  Parameterdarstellung     .  663 

§  81.  Die  zweite  Variation  bei  Doppelintegralen 672 

§  82.  Hinreichende  Bedingungen  für  Extrema  von  Doppelintegralen     .    .    .  683 

Übungsaufgaben  zum  elften  bis  dreizehnten  Kapitel 688 

Nachträge  und  Berichtigungen 696 

Sachregister 699 

Anhang 1  * 


Erstes  Kapitel. 
Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

§  1.     Vorläufige    Orientierung   über   die    wichtigsten   Probleme    der 

Variationsrechnung. 

Die  Variationsrechnung  beschäftigt  sich  mit  Aufgaben  des  Maxi- 
mums und  Minimums,  die  jedoch  von  wesentlich  komplizierterer  Natur 
sind  als  diejenigen,  welche  in  der  aus  der  Differentialrechnung  be- 
kannten Theorie  der  gewöhnlichen  Maxima  und  Minima  behandelt 
werden.  Während  es  sich  nämlich  dort  darum  handelt,  diejenigen 
Werte  einer  oder  mehrerer  Variabein  zu  bestimmen,  für  welche  eine 
gegebene  Funktion  dieser  Variabein  den  größten  oder  kleinsten  Wert 
annimmt,  hat  es  die  Variationsrechnung  mit  Aufgaben  zu  tun,  bei 
denen  eine  oder  niehrere  unbekannte  Funktionen  so  zu  bestimmen 
sind,  daß  ein  gegebenes,  von  der  Wahl  dieser  Funktionen  abhängiges 
bestimmtes  Integral  seinen  größten  oder  kleinsten  Wert  annimmt. 

Dies  soll  zunächst  durch  Besprechung  einiger  typischer  Beispiele 
näher  erläutert  werden. 

Beispiel  I:  In  einer  Ebene  sind  zwei  Punkte  P^,  P^  und  eine 
Gerade  ß  gegeben.  Es  tvird  verlangt,  unter  allen  Kurven,  welche  in 
dieser  Ebene  von  P^  n,ach  P^  gezogen  werden  können,  diejenige  zu  be- 
stimmen, welche  durcH  ihre  Rotation  um  die  Gerade  ß  die  Fläche  von 
kleinstem  Inhalt  erzeugt. 

Wir  wählen  die  Gerade  2  zur  a;- Achse  eines  rechtwinkligen  Ko- 
ordinatensystems und  bezeichnen  die  Koordinaten  der  beiden  gegebenen 
Punkte  mit  x^,  y^  und  x^,  ij^.     Ist  dann 

©:  1/  =  y{x) 

B  o  1  z  a ,  V  ariatiousreclinung.  1 


2     -Erstes  Kaj^itel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

i^ge^d  eine  die  beiden  Punkte  P^  und  P^  verbindende  Kurve,  so  wird 
.  der  fraglicliö  Flächeninhalt  durch  das  bestimmte  Integral  ^) 

^1 
ausgedrückt,  wenn  y  die  Ableitung  der  Funktion  t/{x)  bedeutet.  Der 
Wert  des  Integrals  J  hängt  von  der  Wahl  der  Kurve  S,  d.  h.  der 
Funktion  y(x)  ab,  und  unsere  Aufgabe  lautet  also  analytisch^):  Unter 
allen  Funktionen  y{x)j  welche  für  x  =  x^  und  x  =  x^  die  vorgeschrie- 
benen Werte  ^/i,  bzw.  y^,  annehmen,  diejenige  zu  bestimmen,  für  welche 
das  Integral  J  seinen  kleinsten  Wert  annimmt. 

Dieses  Beispiel  ist  ein  Repräsentant  der  einfachsten  Klasse  von 
Aufgaben  der  Variationsrechnung,  bei  denen  es  sich  darum  handelt, 
ein  Integral  von  der  Form 

J^Jf{x,y,y')dx,        2/'  =  4l'     '  W 

durch  passende  Wahl  der  unbekannten  Funktion  y  zu  einem  Extremum  ^) 
zu  machen.  Mit  dieser  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben,  die  zugleich 
von  grundlegender  Bedeutung  ist,  werden  wir  uns  in  den  drei  ersten 
Kapiteln  beschäftigen. 

Wir  haben  der  Einfachheit  halber  bei  der  analytischen  Formu- 
lierung von  Beispiel  I  die  zu  betrachtenden  Kurven  in  der  Form: 
y  =  y{x)  angenommen,  unter  y(x)  eine  eindeutige  Funktion  verstanden, 
d.  h.  wir  haben  vorausgesetzt,  daß  jede  der  ^- Achse  parallele  Gerade^ 
die  betreffende  Kurve  höchstens  in  einem  Punkte  trifft.  Dies  ist 
jedoch  eine  Beschränkung,  die  durchaus  nicht  in  der  Natur  der  Auf- 
gabe liegt.  Wir  können  uns  von  derselben  befreien,  indem  wir  sämt- 
liche Kurven  in  Parameterdarstellung  ansetzen: 

x==x{t),       y  =  y{t). 


^)  Wir  werden  in  der  Folge  die  positive  Quadratwurzel  aus  einer  reellen 
positiven  Größe  a  stets  mit  yö^  bezeichnen,  während  die  T3ezeichnung  y«  an- 
deuten soll,  daß  das  Vorzeichen  unbestimmt  bleibt. 

^)  Die  in  diesem  Paragraphen  gegebene  Formulierung  der  verschiedenen 
Probleme  ist  nur  als  eine  vorläufige  zu  betrachten  und  bedarf  nach  verschiedenen 
Richtungen  hin  einer  schärferen  Präzisierung. 

^)  Das  Wort  „Extremum"  wird  nach  dem  Vorgang  von  Du  Bois-Reymond 
(Mathematische  Annalen,  Bd.  15  (1879),  p.  5G4)  in  gleicher  Weise  für  „Maxi- 
mum" und  „Minimum"  gebraucht  in  solchen  Fällen,  wo  es  nicht  nötig  ist,  zwischen 
beiden  zu  unterscheiden. 


§  1.     Vorläufige  Orientierung  über  die  wichtigsten  Probleme  usw.  3 

Unser  bestimmtes  Integral  geht  dann  über  in: 

k 
J=2  TcfyYT^'^y^  dt , 

h 

WO  jetzt  Xj  y    die  Ableitungen  von  x  und  y  nach  t  bedeuten. 

Allgemeiner  nimmt  das  Integral  (1)  bei  Parameterdarstellung  die 
Form  an: 

t-, 

J-fF{x,  y,x\y)dt,  (2) 

wobei  F  in  bezug  auf  x,  y  homogen  von  der  ersten  Dimension  ist. 
Das  Problem,  ein  Integral  von  der  Form  (2)  zu  einem  Extremum  zu 
machen,  bildet  die  einfachste  Klasse  von  Variationsprohlemm  in 
Parameterdarstellung.  Wir  werden  diese  Klasse  von  Problemen,  die 
für  geometrische  Anwendungen  von  größter  Wichtigkeit  ist,  und  deren 
Theorie  am  eingehendsten  ausgebildet  worden  ist,  in  Kap.  V — IX 
behandeln. 

Einen  Typus  von  wesentlich  anderer  Art  repräsentiert  das  folgende 

Beispiel  IF):  Unter  allen  Kurven  von  vorgeschriebener  Länge  l, 
welche  zwei  gegebene  PunJcte  P^,  P^  verbinden,  diejenige  zu  bestimmen, 
welche  zusammen  mit  der  Sehne  P^P^  den  größten  Flächeninhalt  ein- 
schließt. 

Wählen  wir  die  Gerade  durch  die  beiden  Punkte  Piix^,  y^)  und 
■^2(^2?  2/2)  ^^^  ;3;- Achse  eines  rechtwinkligen  Koordinatensystems  und 
beschränken  uns  der  Einfachheit  halber  auf  Kurven,  die  in  der  Form 

y  =  2/ W 

darstellbar  sind,  so  lautet  die  Aufgabe  in  analytischer  Formulierung: 
Unter  allen  Funktionen:  y  =  y(x),  welche  den  Anfangsbedingungen 

yM  =  0,         y(x^)  =  0, 
und  überdies  der  Bedingung 


ß 


yT+y^^dx==l 

genügen,  diejenige  zu  finden,  welche  dem  Integral 

^)  Zuerst  vorgelegt  von  Jacob  Beknoulli  1697,  siehe  StÄCKEL's  Übersetzung 
in  Nr.  46  von  Ostwald's  Klassiker  der  exakten  Wissenschaften^  p.  19  und  An- 
merkung 19)  auf  p,  139;  weitere  Literatur  bei  Pascal,  Die  Variationsrechnimg 
(Leipzig,  1899),  pp.  127,  128. 


4     Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

J"=  I  ydx 

den  größten  Wert  erteilt. 

Das  charakteristisch  Neue  besteht  hier  also  darin,  daß  den  zum 
Vergleich  herangezogenen  Kurven  außer  den  Anfangsbedingungen  noch 
die  weitere  Beschränkung  auferlegt  wird,  daß  sie  einem  gewissen  be- 
stimmten Integral  einen  vorgeschriebenen  Wert  erteilen  sollen. 

Unser  Beispiel  ist  also  ein  spezieller  Fall  der  Aufgabe,  ein  In- 
tegral von  der  Form 

■^? 

J=jf{xy  y,  y')dx  (1) 

zu   einem  Extremum   zu   machen,    während   gleichzeitig  die  zulässigen 
Kurven  einem  zweiten  Integral 


•^2 


einen  vorgeschriebenen  Wert  l  erteilen  sollen. 

Aufgaben  dieser  Art  heißen  „isoperimetrische  Probleme"]  wir  werden 
dieselben  in  Kapitel  X  betrachten,  und  zwar,  im  Hinblick  auf  die  vielen 
geometrischen  Aufgaben  dieser  Art.  in  Parameterdarstellung. 

Die  nächstliegende  Verallgemeinerung  besteht  darin,  daß  man  be- 
stimmte Integrale  betrachtet,  in  denen  die  Funktion  unter  dem  Integral 
nicht  nur  die  erste,  sondern  auch  höhere  Ableitungen  der  unbekannten 
Funktion  y  enthält,  also  Integrale  der  Form 

J=ff{x,  y,  y\  y",  .  .  .,  y^'^))dx.  (4) 

Diese  Klasse  von  Aufgaben  hat  in  der  Geschichte  der  Variations- 
rechnung eine  gewisse  Rolle  gespielt,  ist  jedoch  gegenwärtig,  wo  die 
rein  formalen  Fragen  mehr  in  den  Hintergrund  getreten  sind,  von 
geringerem  Interesse,  teils  weil  sie  in  einer  weiter  unten  zu  betrach- 
tenden allgemeineren  Klasse  als  Spezialfall  enthalten  ist,  teils  weil 
kaum  irgendwelche  interessante  geometrische  oder  mechanische  Probleme 
zu  dieser  Kategorie  gehören.^) 

^)  Wir  geben  am  Ende  von  Kap.  EI  einige  Andeutungen  über  Aufgaben 
dieser  Art;  im  übrigen  verweisen  wir  auf  Pascal,  loc.  cit.,  §§  2—7,  16,  19—22, 
und  Zermelo,  Untersuchungen  zur  Variationsrechnung,  Dissertation  (Berlin  1894), 
sowie  §§  1,  4,  0,  12,  13,  14  in  Knesers  Artikel  über  Variationsrechnung  in  der 
Encyklopädie  der  mathematischen  Wissenschaften,  II  A  8,  und  Kneser,  Lehrbuch 
der   Variationsrechnung  (Braunschweig,  1900),  6.  Abschnitt. 


§  1.     Vorläufige  Orientierung  über  die  wichtigsten  Probleme  usw.  5 

Weit  'wichtiger  ist  eine  zweite  Verallgemeinerung,  bei  welcher 
mehrere  unhekannte  Funktionen  unter  dem  bestimmten  Integral  vor- 
kommen. 

Besonders  interessant  werden  die  Aufgaben  dieser  Art,  wenn 
zwischen  den  unbekannten  Funktionen  Relationen  vorgeschrieben  sind. 
Hierher  gehört  das  folgende 

Beispiel  III:  Die  kürzeste  Linie  zu  hestimmen,  welche  auf  einer 
in  der  Form 

(p{x,  y,  ^)  =  0 

gegebenen  Fläche  zwischen  zwei  auf  der  Flüche  gegebenen  PunMen  ge- 
zogen tverden  kann. 

Nimmt  man  die  zulässigen  Kurven  in  der  Form 

y  =  y{x),         z  =  z(x) 

darstellbar  an,  so  hat  man  unter  allen  der  Bedingung 

(p(x,  y{x),  z{x))  =  0 

genügenden  Kurven,  welche  durch  die  beiden  gegebenen  Punkte  gehen, 
diejenige  zu  bestimmen,  für  welche  das  Integral 

j  =jyr-fY^+ ~7^  dx 

den  kleinsten  Wert  annimmt. 

Hier  haben  wir  also  zivei  unhekannte  Funktionen  von  x  zu  be- 
stimmen, welche  durch  eine  endliehe  Gleichung  verbunden  sind. 

Die  vorgeschriebenen  Relationen  zwischen  den  unbekannten 
Funktionen  können  aber  auch  die  Form  von  Differentialgleichungen 
haben,  wie  das  folgende,  schon  von  Euler ^)  und  Lagrange 2)  be- 
handelte Beispiel  zeigt. 

Beispiel  IV:  Die  Brachistochrone  im  widerstehenden  Medium. 
Unter  allen  Raumkurven,  welche  zwischen  zwei  gegebenen  Punkten  Pj 
und  Pg  gezogen  werden  können,  soll  diejenige  bestimmt  werden,  ent- 
lang welcher  ein  schwerer  materieller  Punkt  in  der  kürzesten  Zeit 
von  Pj  nach  P^  gelangt,  wenn  er  den  Punkt  P^  mit  einer  gegebenen 
Anfangsgeschwindigkeit  i\   verläßt.     Die   Reibung    soll   vernachlässigt 

^)  Vgl.  Methodus  inveniendi  lineas  curvas  maximi  minimive  proprietate  gau- 
dentes  (Lausanne,  1744),  pp.  126,  214. 

2)  Vgl.  GEuvres,  Bd.  10,  p.  440;  vgl.  ferner  Lindklokf-Moigno,  Calcul  des 
Variations  (Paris,  1861),  p.  308,  und  Kneser,  Lehrbuch,  p.  248. 


6     Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

werden,    dagegen    soll    der    Widerstand    des    Mediums    berücksichtigt 
werden. 

Die  positive  ^- Achse  eines  rechtwinkligen  Koordinatensystems 
werde  vertikal  nach  unten  gewählt  und  die  Masse  des  materiellen 
Punktes  gleich  1  angenommen;  v  bezeichne  die  Geschwindigkeit,  g  die 
Konstante  der  Schwere.  Der  Widerstand  sei  eine  gegebene  Funktion 
der  Geschwindigkeit,  B{v)  sei  der  absolute  Wert  derselben.  Dann 
erhält  man  aus  dem  Prinzip  der  lebendigen  Kraft  ^): 


d'^^^gdz-  R(v)  Ydx^  +  dy^  +  dz' ' . 

Nehmen  wir  daher  der  Einfachheit  halber  x  als  unabhängige 
Variable,  so  lautet  die  Aufgabe  in  analytischer  Fassung:  Unter  allen 
Funktionensystemen 

y=-y{x),        0=-s(x),        v  =  v(x), 
welche  den  Anfangsbedingungen 

und  der  Differentialgleichung 


genügen,  dasjenige  zu  bestimmen,  welches  das  Integral 

zu  einem  Minimum  macht. 

Wir  haben  hier  also  drei  unbekannte  Funktionen,  welche  durch 
eine  Differentialgleichung  verbunden  sind. 

In  naturgemäßer  Verallgemeinerung  gelangt  man  so  schließlich 
zu  folgender,  gewöhnlich  als  Lagrang e'sches  Problem  bezeichneter  Auf- 
gabe: Unter  aUen  Funktionensystemen  «/i ,  V^,  • --y  Vn  ^"^^^^  unabhängigen 
Variabein  x,  welche  gewissen  Anfangsbedingungen  und  außerdem  einer 
Anzahl  von  Nebenbedingungen  von  der  Form 

Ä;  =  l,  2,  ...,     m,     {m<n) 


1)  Vgl.    z.B.  Appell,    Traite  de   Mecanique  rationelle ,   Bd.  I,    Nr."  220,  251 
lind  Sturm,  Cours  de  Mecanique  (6e  ed.),  Bd.  I,  Nr.  274. 


§   1.     Vorläufige  Orientierung  über  die  wichtigsten  Probleme  usw.  7 

genügen^  dasjenige  zu  bestimmen,  für  welches  das  Integral 

J-ffipc^  ^i;  y^y  '■,  yni  vu  y-2y  '-->  yn)dx 

seinen  kleinsten  oder  größten  Wert  annimmt. 

Dabei  soll  der  Fall  m  =  0  mit  inbegriffen  sein  und  ebenso  der 
Fall,  in  welchem  einige  der  Funktionen  95^.,  oder  alle,  die  Ableitungen 
y\y  y-2)  •  •  •  ?  y'i  nicht  enthalten. 

Dieses  Problem  ist  von  ganz  besonderer  Wichtigkeit,  einmal  weil 
es  das  allgemeinste  Variationsprohlem  für  einfache  bestimmte  Integrale 
darstellt,  insofern  alle  andern  sich  auf  dieses  reduzieren  lassen,  sodann 
weil  die  allgemeinen  Yariationsprinzipien  der  Mechanik,  wie  das 
Hamilton'sche  Prinzip  und  das  Prinzip  der  kleinsten  Aktion  auf 
Probleme  dieser  Art  führen.  Diese  Klasse  von  Aufgaben  werden  wir 
im  XL  und  XII.  Kapitel  behandeln. 

Endlich  kann  man  auch  mehrfache  Integrale  in  den  Kreis  der 
Betrachtung  ziehen.  Ein  klassisches  Beispiel  dieser  Art  ist  das  Pro- 
blem der  Minimalflächen: 

Beispiel  V:  Unter  allen  Flächen,  welche  von  einer  gegebenen  ge- 
schlossenen Baumkurve  2  begrenzt  werden,  diejenige  zu  bestimmen,  welcJie 
den  Meinsten  Flächeninhalt  besitzt. 

Beschränken  wir  uns  der  Einfachheit  halber  auf  Flächen,  welche, 
bezogen  auf  ein  rechtwinkliges  Koordinatensystem,  in  der  Form 

'    ^  =  f{^,  y) 

darstellbar  sind,  und  bezeichnen  wir  mit  cT  den  Bereich  der  x,  i/-Ebene, 
welcher  von  der  Projektion  2'  der  Kurve  2  begrenzt  wird,  so  lautet 
die  Aufgabe  in  analytischer  Formulierung:  Unter  allen  Funktionen 
von  zwei  unabhängigen   V^ariabeln 

^  =  A'^,  y)  y 

welche  entlang  der  Kurve  2'  vorgeschriebene,  sich  stetig  aneinander- 
reihende Werte  annehmen,  diejenige  zu  bestimmen,  für  welche  das 
Doppelintegral 

den  kleinsten  Wert  annimmt. 

Da  beim  Übergang  zu  mehi-fachen  Integralen  die  Schwierigkeiten 
ganz  erheblich  zunehmen,  und  da  die  Theorie  hier  noch  nicht  zu  einem 


8     Erstes  Kapitel.     Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

ähnlichen  Abschluß  gekommen  ist  wie  bei  den  einfachen  Integralen, 
so  werden  wir  uns  bei  der  Behandlung  dieser  Klasse  von  Aufgaben 
auf  die  Entwicklung  der  einfachsten  Sätze  beschränken.    - 

Nach  dieser  allgemeinen  Übersicht  wenden  wir  uns  jetzt  zur 
näheren  Betrachtung  der  einfachsten  Klasse  von  Variationsproblemen, 
wobei  es  sich  zunächst  um  eine  genaue  Formulierung  der  Aufgabe 
handeln  wird. 

§  2.    Definitionen    und    Sätze     über    „gewöhnliche"    Maxima    und 

Minima. 

Bei  der  fundamentalen  Rolle,  welche  die  Begriffe  des  Maximums 
und  Minimums  in  der  Variationsrechnung  spielen,  empfiehlt  es  sich, 
die  wichtigsten  Definitionen  und  Sätze  über  „gewöhnliche"  Maxima 
und  Minima  vorauszuschicken. 

a)  Maximum  und  Minimum  einer  linearen  Punktmenge: 
Unter   einer   endlichen   Anzahl    von   Werten   einer    unabhängigen 
Variabein  x  gibt  es  stets  mindestens  ein  Maximum,  d.  h.  einen  Wert, 
der  größer   oder  wenigstens   nicht   kleiner   ist   als   alle   übrigen;    und 
ebenso  ein  Minimum. 

Ganz  anders  verhält  es  sich  dagegen  bei  Mengen  von  unendlich 
vielen  Werten  (sogenannten  unendlichen  Wertmengen  oder  linearen 
Punktmengen).  Hier  kann  es  zunächst  vorkommen,  daß  ein  Maximum 
deshalb  nicht  existiert,  weil  es  unter  den  Werten  der  Menge  solche 
gibt,  die  jede  vorgegebene  Zahl  übersteigen.  Dies  ist  z.  B.  der  Fall 
bei  der  aus  der  Gesamtheit  aller  positiven  ganzen  Zahlen  gebildeten 
Menge.  Man  sagt  in  diesem  Fall,  die  Menge  sei  nach  oben  nicht 
beschränkt.  Aber  auch  wenn  die  Menge  nach  oben  beschränkt  ist 
(borne  superieurement  ^))  d.  h.  wenn  sämtliche  Werte  der  Menge  unter- 
halb einer  festen  Größe  („Schranke")  L  liegen,  so  braucht  es  deshalb 
doch  keinen  größten  Wert  der  Menge  zu  geben.  'So  ist  z.  B.  die 
unendliche  Menge 

^.£23  v—l 

nach  oben  beschränkt,  da  sämtliche  Werte  der  Mengen  kleiner  als 
z.  B.  2  sind;  trotzdem  gibt  es  unter  den  Werten  dieser  Menge 
keinen  größten. 

^)  Vgl.  A  I  2;  die  Abkürzung  A  bedeutet  stets  den  Anhang  am  Ende  des 
Buches, 


§  2.     Definitionen  und  Sätze  über  „gewöhnliche"  Maxima  und  Minima.       9 

Dagegen  gilt  der  Satz^),  daß  jede  nach  oben  begrenzte  Wert- 
menge  (lineare  Punktmenge)  eine  obere  Grenze  besitzt,  d.  b.  es  gibt 
eine  (und  nur  eine)  Größe  Gy  welche  folgende  beiden  charakteristischen 
Eigenschaften  hat: 

1.  jeder  Wert  p  der  Menge  ist  ^  G-^ 

2.  wie  klein  auch  die  positive  Größe  s  gewählt  sein  mag,  so  gibt 
es  stets  mindestens  einen  Wert  p'  der  Menge  für  welchen  p  ^  G  —  s. 

Diese  obere  Grenze  G  gehört  nun  entweder  selbst  zur  Menge 
und  heißt  alsdann  das  Maxmiuni  der  Menge  oder  aber  sie  gehört 
nicht  zur  Menge;  in  diesem  Fall  sagt  man,  die  Menge  besitzt  kein 
Maximum.  Die  entsprechenden  Definitionen  und  Sätze  gelten  für  die 
untere  Grenze  und  das  Minimum  einer  Menge. 

Für  das  obige  Beispiel  ist  die  obere  Grenze  1,  dieselbe  gehört 
selbst  nicht  zur  Menge;  dagegen  gehört  die  untere  Grenze  0  zur  Menge 
und  ist  daher  zugleich  das  Minimum. 

Der  Gleichförmigkeit  halber  pflegt  man  von  einer  nach  oben 
(unten)  nicht  beschränkten  Menge  zu  sagen  ihre  obere  (untere)  Grenze 
sei  -f  (X)  (—  oo). 

Bei  diesem  Sprachgebrauch,  welchem  wir  folgen  werden,  besitzt 
also  jede  lineare  Punktmenge  eine  obere  Grenze  und  eine  untere  Grenze. 

b)  Absolutes  Maximum  und  Minimum  einer  Funktion  in  einem 
Intervall:^) 

Es  sei  jetzt 

eine  reelle  Funktion  einer  reellen  Variabein,  definiert  in  einem  Inter- 
vall^) [ah\  Die  dem  Intervall  \a¥\  von  x  entsprechenden  Werte 
von  y  bilden  eine  lineare  Punktmenge,  die  wir  mit  Y  bezeichnen. 
Diese  Punktmenge  hat  nach  dem  vorigen  stets  eine  obere  Grenze  G 
und  eine  untere  Grenze  K,  welche  die  obere,  resp.  untere,  Grenze 
der  Funktion  f{x)  in  dem  Intervall  [a?>]  genannt  werden. 

Sind  G  und  K  beide  endlich,  so  heißt  die  Funktion  f(x)  end- 
lieh im  Intervall  [ah]. 


1)  Vgl.  A  I  3. 

^)  Hierzu  die  Übungsaufgaben  1„,  1^,  1^,  am  Ende  von  Kap.  III. 

«)  d.  h.  für  alle  .r,  für  welche  a^x'^h,  (falls  a  <  &),  a  >  ic  ^fe ,  (falls  «>?>); 
im  allgemeinen  soll  mit  der  Bezeichnung  [a  b]  die  Annahme  a<Cb  verbunden 
sein.  Für  eine  Funktion,  welche  nicht  für  ein  stetiges  Intervall,  sondern  für  eine 
beliebige  Punktmenge  X  im  Gebiet  der  Variabein  x  definiert  ist,  (vgl.  Encyclopädie, 
II  A,  p.  11  und  JoKDAN,  Cours  d' Analyse  (Paris,  1893),  I,  Nr.  41),  ersetze  man  in  den 
folgenden  Definitionen  überall  das  Intervall  [a  b]  durch  die  Menge  X. 


10    Erstes  Kapitel.     Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Gehört  die  obere  Grenze  G  zur  Menge  Y  d.  h.  gibt  es  wenigstens 
einen  Wert  c^des  Intervalls  [ah'\,  so  daß:  f{c)  =  G,  während  gleich- 
zeitig: f{x)<:G  für  jedes  a;  in  [ab],  so  heißt i)  G  das  absolute 
Maximum  der  Funktion  f{x)  im  Intervall  [ab].  Gehört  dagegen 
G  nicht  zu  Y,  so  besitzt  die  Funktion  f{x)  im  Intervall  [ab]  kein 
absolutes  Maximum;  letzteres  ist  stets  der  Fall,  wenn  6^  =  -f  cx),  da 
jedes  einzelne  y  als  endlich  vorausgesetzt  wird. 

Analoge  Definitionen  gelten  für  das  absolute  Minimum. 

Für  stetige  Funktionen  gilt  der  Satz  2):  Ist  f{x)  stetig  im  Inter- 
vall [a  b\  so  ist  sowohl  die  obere  als  die  untere  Grenze  endlich  und 
beide  werden  wirklich  erreicht,  d.  h.  f{x)  besitzt  in  [a  b]  ein  absolutes 
Maximum  und  ein  absolutes  Minimum. 

Die  oben  gegebenen  Definitionen  lassen  sich  ohne  weiteres  auf 
Funktionen  mehrerer  Variabein  ausdehnen. 

c)  Relatives  Maximum  und  Minimum  einer  Funktion: 
Von  dem  absoluten  Extremum  ist  das  relative^)  zu  unterscheiden. 
Man  sagt  eine  Funktion  f{x)j  welche  in  einem  Intervall  [ab]  definiert 
ist,    besitzt   ein   relatives  Minimum   an   einer  Stelle  x  =  x^  des  Inter- 
valls [ab\  wenn  eine  positive  Größe  d  existiert,  derart,  daß 

fM<m 

für  jedes  x  des  Intervalls  [ab],  für  welches  \  x  —  Xq  \  <  d]  oder,  wie 
wir  auch  schreiben  können, 

n^o  + /O  - /'(^o)  ?  0  (7) 

für  jedes  //,   für  welches  \  h  \  <d   und    Xq  -\-  h    in    [ab]. 

Nach  Stolz"*)  unterscheidet  man  dabei  das  eigentliche  von  dem 
uneigentlichen  Minimum:  Bei  dem  eigentlichen  Minimum  läßt 
sich  d   so  klein  wählen,  daß 

f(x,i-h)-f{x,)>0  ^  (8) 

für  alle  angegebenen  Werte  von  h  außer  h  =  0]  bei  dem  un  ei  gent- 
lichen gibt  es,  wie  klein  auch  d  gewählt  sein  mag,  immer  noch  von 
NuU  verschiedene  Werte  //,  für  welche 


^)  Vgl.  Encydoimdie,  II  A,  p.  80. 

«)  Vgl.  A  ni  3. 

')  Ich  folge  der  Terminologie  von  Voss  in  Encydopädie,  II  A,  p.  81;  viel- 
fach wird  „relatives  Extremum"  für  „Extremum  mit  Neben-bedingungen"  gebraucht? 
vgl.  unten,  Kap.  X. 

*)  Grundzüge  der  Differential-  und  Integralrechnung,  (Leipzig,  1893), 
Bd.  I,  p.  199. 


§  2.     Definitionen  und  Sätze  über  „gewöhnliche"  Maxima  und  Minima.     H 

f{x,  +  h')-f{x,)  =  0,      \h'\<(i. 

Analoge  Definitionen  gelten  für  das  relative  Maximum. 

Beispiele  von  uneigentlichen  Extremen: 

a)  Die  Funktion :  y  =  Tconst.  hat  in  jedem  Punkte  ein  uneigentliches  Maximum 
und  zugleich  ein  uneigentliches  Minimum. 

b)  Die  Funktion  ^) 
ix  sin  -j  '     für     x^O 

0  für     ^  =  0 

hat  für  x=Q  ein  uneigentliches  relatives  Minimum.     Denn  hier  ist 

/'(^)>A0),     f^ir  jedes     x-, 

zugleich  gibt  es  in  jeder  Nähe  der  Stelle  x  =  0  Werte  von  x,  für  welche 
f(x)  =  f{0),  nämlich  die  Werte  ic=l//x7t,  wo  ft  eine  ganze  Zahl. 

Besitzt  die  Funktion  f(x)  im  Punkt  x  =  Xq  eine  Ableitung  f(x^y 
so  gilt  der  Sat0^): 

Für  das  Eintreten  eines  relativen  Extremums  in  einem  innern 
Funkt  Xq  des  Intervalls  [ah]  ist  notwendig,  daß 

rw  =  o.  (9) 

Denn  nach  der  Definition  der  Ableitung  hat  man  in  diesem  Fall: 

nx,  +  h)  -  fix,)  =  h  [/•'  (x,)  +  (h)] ,  (10) 

wo  (/i);  wie  stets  in  der  Folge ^  in  Weierstraß'scher  Bezeichnung 
eine  unendlich  kleine  Funktion  von  h  bezeichnet,  d.  h. 

i(/0  =  o. 

Ä  =  0 

Wäre  nun  f{x^  4=  0,  so  könnte  man  eine  positive  Größe  8  angeben, 
so  daß  I  (/*)  I  <  I  /"  (^o)  I  y  ^^^  daher  f  {x^  -{-  (Ji)  von  demselben 
Zeichen  wie  f{x^  wäre  für  alle  \  h  \  <C  ö .     Für  solche  Werte  von  h 


*)  Vgl.  Encyclopädie,  II  A,  p.  81. 

*)  Vgl.  Encyclopädie^  II  A,  p.  82;  Jordan,  Cours  d' Analyse,  I,  Nr.  394; 
Peano,  Differentialrechnung  und  Grundzüge  der  Integralrechnung  (Leipzig,  1899), 
Nr.  131 ;  unter  allgemeineren  Voraussetzungen  bei  Stolz,  Grundzüge,  I,  pp.  203, 
204,  207.  Ist  die  Funktion  f(x)  regulär  im  Punkt  Xq,  d.  h.  nach  ganzen 
positiven  Potenzen  von  x  —  x^  entwickelbar,  so  kann  man  die  obigen  Resultate 
auch  mittels  des  Satzes  beweisen:  Für  hinreichend  kleine  Werte  von  \h\  hat 
die  Potenzreihe 

a,h^+a,^,h'  +  ' -{-...,     a,=HO, 

dasselbe  Vorzeichen  wie  das  erste  Glied  «^  /i^  vgl.  Stolz,  Grundzüge,  I,  p.  205 1 
Kneser,  Lehrbuch,  §  7. 


12    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

hätte  daher  fiy^x^  -\-  h)  —  fix^ )  dasselbe  oder  das  entgegengesetzte 
Zeichen  wie  f'{x^)j  jenachdem  //  positiv  oder  negativ.  Es  könnte 
also  weder  ein  Maximum  noch   ein  Minimum  stattfinden. 

Derselbe  Schluß  läßt  sich  nicht  anwenden,  wenn  x^  mit  einem 
der  Endpunkte  des  Intervalls  [ali]  zusammenfällt.  Nehmen  wir  an, 
daß  a  <Zh,  so  kann  ](  für  x^^  =-■  a  nur  positive,  für  Xq  =  h  nur  nega- 
tive Werte  annehmen.     Daher  folgt  aus  (10):    Für  das  Emtreten  eines 

relativen  Maximums  (Minimums)   im   unteren   Endpunkt  a   des   Inter- 

+ '     

valls  [ah]  ist  notwendig  daß  /'(«)<  0  (>  0) ,  im  oberen  Endpunkt  h: 

fih)  ^  0  (^^  0) ,  wobei  /'  und  /'  die  vordere  und  hintere  Derivierte 
bedeuten.  ^) 

Wenn  in  einer  gewissen  Umgebung  eines  mueren  Punktes  x^  die 
n  ersten  Ableitungen  von  f{x)  existieren  und  stetig  sind,  so  gilt  der 
Satz^):      Wenn 

n^o)  -  0 ,  r\x,)  =  0 , . . . ,  /•(^'- ^>(^o)  =  0 ,  f('\x,)  +  0 , 

so  besitzt  die  FunMion  fix)  für  x  =  Xq  kein  Extreinum,  ivenn  n  un- 
gerade; dagegen  besitzt  sie  ein  relatives  Extremum,  falls  n  gerade  ist, 
und  zwar  ein  eigentliehes  Minimum,  wenn  f^^^x^)'^  0 ,  ein  eigentliches 
Maximum,  wenn  f"  (Xq)  <  0. 

Denn  unter  den  gemachten  Annahmen  läßt  sich  der  Taylor'sche 
Satz  anwenden,  nach  welchem 

/K  +  /«)  -  /"(A)  =  !",!  /■<"'(>o  +  Oh) ,     0  <  Ö  <  1 ,  (11) 

woraus  unter  Zuziehung  der  vorausgesetzten  Stetigkeit  von  f^"\x)  der 
Satz  unmittelbar  folgt. 

Für  die  Endpunkte  ist  der  Satz  wieder  ähnlich  wie  oben  zu 
modifizieren. 

Aus  den  oben  gegebenen  Definitionen  folgt  unmittelbar:  Besitzt  die 
Funktion  f(x)  für  x  =  x^  ein  absolutes  Maximum  (Minimum)  in  bezug 
auf  ein  den  Punkt  Xq  enthaltendes  Intervall  [ab],  so  besitzt  sie  a  fortiori 
auch  ein  relatives  Maximum  (Minimum)  für  x  =  x^^.  Hierdurch  reduziert 
sich  die  Bestimmung  der  absoluten  Extrema  auf  die  der  relativen. 
Hat  man  letztere  gefunden  und  weiß  man  a  priori,  daß  die  Funktion  /"(.r) 
im  Intervall  [ab]  ein  absolutes  Maximum  (Miniraum)  besitzt,  so  hat 
man    nur   unter    den    relativen    Maximalwerten    (Mini  mal  werten)    den 


')  Vgl.  A  IV  1. 

2)  Vgl.  p.  11,  Fußnote  2). 


§  ?,.     Definition  des  Maximums  und  Minimums  eines  bestimmten  Integrals.      13 

größten  (kleinsten)  auszusuchen.  Neue  Schwierigkeiten  treten  nur 
dann  auf,  wenn  die  Funktion  unendlich  viele  Maxima  und  Minima 
besitzt.  ^) 

§  3.     Definition   des  Maximums   und  Minimums   eines   bestimmten 

Integrals.  ^') 

Ganz  analoge  Begriffsbildungen  treten  nun  auch  bei  der  Definition 
des  Maximums  und  Minimums  eines  bestimmten  Integrals  auf. 

Wir  werden  uns  dabei  (sowie  stets  in  der  Folge)  der  folgenden 
abgekürzten  Ausdrucks  weise  bedienen:  Indem  wir  unter  einer  Funktion 
stets  eine  eindeutige,  reelle  Funktion  einer  oder  mehrerer  reeller  Va- 
riahein verstehen,  sagen  wir,  eine  Funktion  f(x)  einer  Yariabeln  .?;, 
welche  in  einem  Intervall  [ah]  definiert  ist,  sei  in  diesem  Intervall 
von  der  Klasse  C ,  wenn  sie  in^)  [ah]  stetig  ist  und  eine  stetige 
erste  Ableitung  f  {x)  besitzt;  von  der  Klasse  C" ,  wenn  außerdem 
die  zweite  Ableitung  f\x)  existiert  und  stetig  ist  in  [ah],  und  so  fort, 
wobei  man  beachte,  daß  die  Klasse  C^''^^'^  in  der  Klasse  C^")  ent- 
halten ist. 

Ebenso  soll  die  Kurve 

______  y  =  fX^)y         a^x^h, 

^)  Hierzu   Übungsaufgabe  1^,  am  Ende  von  Kap.  III. 

^)  Bis  in  das  letzte  Drittel  des  vorigen  Jahrhunderts  hat  allgemein  große 
Unklarheit  über  die  Grundlagen  der  Variationsrechnung  geherrscht.  Das  größte 
Verdienst  um  die  Klärung  der  Grrundbegriffe  und  um  eine  scharfe  Formulierung 
der  Aufgaben  haben:  Du  Bois-Heymond,  „Erläuterungen  zu  den  Anfangsgründen 
der  Variationsrechnuyuf ,  Mathematische  Annalen,  Bd.  XV.  (1879),  p.  283; 
Scheefper:  „Über  die  Bedeutung  der  Begriffe  Maximum  und  Minimum  in  der 
Variationsrechnung'',  ibid.  Bd.  XXVI  (1886),  p.  197;  und  vor  allem  Weierstrass 
in  seinen  an  der  Berliner  Universität  gehaltenen  Vorlesungen  über  Variations- 
rechnung (1865—1890).  Wertvolle  Beiträge  nach  dieser  Richtung  haben  auch 
geliefert:  Zermelo,  Dissertation,  p.  24;  Kneser,  Lehrbuch,  §  17  und  Osgood, 
„Sufficient  conditions  in  the  Calculus  of  Variations'' ,  Annais  ofMathematics 
(2),  Bd.  II  (1901),  p.  105. 

^)  Da  der  Begriff  der  Ableitung,  wie  er  gewöhnlich  definiert  wird,  nur  eine 
Bedeutung  hat  für  innere  Punkte  des  Definitionsbereiches  einer  Funktion,  so 
ist  noch  eine  besondere  Festsetzung  bezüglich  der  Endpunkte  a  und  b  notwendig. 
Wir  wollen  dieselbe  dahin  formulieren,  daß  es  möglich  sein  soll,  die  Definition 
der  Funktion  f{x)  so  über  das  Intervall  [ah]  hinaus  auszudehnen,  daß  die  er- 
weiterte Funktion  für  a  <C^x<^b'  die  genannten  Eigenschaften  hat ,  wo  a'  -<  « , 
b'^b.  Dies  ist  gleichbedeutend  mit  der  Annahme,  daß  die  betreffenden  Ab- 
leitungen stetig  sein  sollen  im  Innern  des  Intervalls  {ab]  und  sich  bestimmten 
endlichen  Grrenzen  nähern  sollen  bei  Annäherung  an  die  Endpunkte  (vgl.  A  IV  4). 


14    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

von    der   Klasse   C,    resp.    C",   ...    heißen,    wenn   f{x)   in    [ah]    von 
der  Klasse  C,  resp.   C"  ...  ist. 

Endlich  sagen  wir  auch  von  einer  Funktion  von  m  Variabein: 
fi^if  ^2?  •  •  •?  ^m)?  si^  ^®^  ^^  einem  Bereich^)  6t  im  Gebiet  der  Va- 
riabein x^,  x^,  .  .  .,  x^  von  der  Klasse  C^"\  wenn  sie  selbst  samt 
ihren  partiellen  Ableitungen  bis  zur  n**°  Ordnung  inklusive  stetig 
ist  in  2)  61. 

a)  Absolutes  Extremuin  eines  bestimmten  Integrals: 
Es  sei  jetzt  einerseits  eine  Funktion  f{x,  y,  y)  der  drei  unab- 
hängigen Variabein  x,  y,  y'  gegeben,  welche  reell  und  von  der 
Klasse  ^j  C"  ist  in  einem  Bereich  V,  welcher  aus  allen  Punkten 
{Xj  y,  y')  besteht,  für  welche  {x,  y)  einem  gewissen  Bereich  91  der 
X,  ?/-Ebene  angehört,  während  y'  irgend  einen  endlichen  Wert  haben  kann. 
Andererseits  sei 

©:  y-y(^),       x^^x^x^, 

eine  ganz  im^)  Bereich  91  gelegene  Kurve  der  Klasse  0'. 
Alsdann  ist  die  Funktion 

fXx,  y{x),  y{x)) 


^)  Unter  einem  „Bereich"  soll  stets  eine  Punktmenge  verstanden  werden, 
welche  „innere  Punkte"  enthält,  einerlei  von  welcher  Beschaffenheit  sie  sonst 
sein  macr.     Über  die  Definition  eines  inneren  Punktes  vgl.  A  I  7. 

2)  Dies  hat  eine  unmittelbare  Bedeutung  wieder  nur,  wenn  der  Bereich  <Si 
nur  innere  Punkte  enthält  (oder,  wie  wir  sagen,  ein  „stetiger  Bereich''  ist); 
enthält  er  auch  Begrenzungspunkte  (d.  h.  Punkte,  in  deren  jeder  Nähe  es 
Punkte  gibt,  welche  nicht  zu  ÖL  gehören),  so  fügen  wir  noch  die  Festsetzung 
hinzu,  daß  sich  die  Definition  von  f{x^,  x^,  .  .  .,  x„)  so  über  den  Bereich  61 
hinaus  auf  einen  stetigen,  den  Bereich  €L  enthaltenden  Bereich  ^  fortsetzen 
lassen  soll,  daß  die  erweiterte  Funktion  die  angegebenen  Eigenschaften  im  Be- 
reich ^  besitzt. 

»)  Bei  den  geometrischen  und  mechanischen  Anwendungen  der  Variations- 
rechnung ist  die  Funktion  f{x,  y,  y)  meistens  eine  analytische  Funktion 
einfachster  Art.  Es  wäre  daher  vollständig  genügend,  die  Untersuchung  fiir 
analytische  Funktionen  f  durchzuführen,  wie  es  Weiebstrass  und  Kneser  getan 
haben.  Dagegen  muß  man  gerade  auch  vom  Standpunkt  der  Anwendungen  bei 
den  meisten  Aufgaben  auch  nicht -analytische  Kurven  zulassen,  wenn  man 
die  Aufgabe  nicht  ganz  unnatürlich  einschränken  will.  Wenn  man  es  aber  doch 
einmal  mit  nicht-analytischen  Funktionen  zu  tun  hat,  so  wird  die  Darstellung 
einheitlicher,  wenn  man  auch  die  Funktion  /'  nicht  als  analytisch  voraussetzt, 
wie  dies  auch  schon  Pascal,  loc.  cit.  p.  21  und  Osgood,  loc.  cit.  p.  105  getan  haben. 

*)  Eine  Kurve  Hegt  „in  einem  Bereich''  soll  stets  bedeuten:  jeder  Punkt 
der  Kurve  ist  zugleich  ein  Punkt  des  Bereiches,  nicht  notwendig  ein  innerer  Punkt. 


§  3.     Definition  des  Maximums  und  Minimums  eines  bestimmten  Integrals.      15 

nach  den  Sätze q  über  zusammengesetzte  Funktionen  (A  IV  9)  eine 
im  Intervall  [x^  X2]  stetige  Funktion  von  x,  und  daher  hat  das  Integral 

J^ff{x,  y{x),  y\x))dx  (12) 

^1 

einen  bestimmten  endlichen  Wert.  Wir  nennen  dieses  Integral  das 
Integral  der  FunMion  f{x,  y,  y')  genommen  entlang  der  Kurve  S  und 
bezeichnen  dasselbe  mit 

J=jf{x,  y,  y')dx 
k 
oder  kürzer  mit  «J^. 

Es  seien  jetzt  im  Bereich  Öl  zwei  Punkte  Pi(x^,  y^)  und  P^^oc^,  y^) 
gegeben,  wobei  wir  stets  x^<ix^  voraussetzen;  wir  betrachten  die 
Gesamtheit  QTL  aller  Kurven,   welche  folgende  Bedingungen   erfüllen:. 

1.  Sie  gehen  durch  die  beiden  gegebenen  Punkte  P^  und  Pg. 

2.  Sie  sind  in  der  Form 

y=^y{x),  x^^x'^X^ 

darstellbar,  wo  y{x)  eine  eindeutige  Funktion  von  x  bedeutet,  d.  h.  geo- 
metrisch, jede  Kurve  wird  von  jeder  Geraden  parallel  der  ^- Achse: 
X  =  c  m  einem  und  nur  einem  Punkt  geschnitten,  wenn  ^1  ^  c  ^  x^. 

3.  Sie  sind  von  der  Klasse  C ,  d.  h.  geometrisch,  sie  sind  stetig 
und  besitzen  in  jedem  Punkt  eine  Tangente,  deren  Gefälle^)  sich  stetig 
ändert,  und  die  nie  mit  der  2/ -Achse  parallel  ist. 

4.  Sie  liegen  ganz  im  Bereich  Öl.  Wir  nennen  diese  Kurven  die 
yjSulässigen  Kurven"  oder  auch  die  „Vergleichskurven". 

Jede  zulässige  Kurve  S  liefert  einen  bestimmten  endlichen  Wert 
Jg.  für  das  Integral  J.  Die  Menge  dieser  Integralwerte  {«/^l  ^^sitzt 
eine  untere  Grenze  K  und  eine  obere  Grenze  G  (endlich  oder  unend- 
lich). Wenn  alsdann  die  untere  (obere)  Grenze  endlich  ist  und  wirk- 
lich erreicht  wird,  d.  h.  wenn  es  eine  zulässige  Kurve  (^  gibt,  für 
welche 

^(£  =  ^.        (^(s  =  ^)^  (13) 

so  sagen  wir,  die  Kurve  ^  liefert  ein  absolutes  Minimum  (Maximum) 
für  das  Integral  J  in  bezug  auf  die  Menge  91X-. 


^)  Unter  Gefälle  (slope)   einer  Geraden   verstehen  wir  die  trigonometrische 
Tangente  des  Winkels,   welchen   die  Gerade  mit   der  positiven  a;- Achse  bildet. 


16    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von    Aufgaben. 
Für  jede  andere  zulässige  Kurve  (E  hat  man  dann 

und    diese   Ungleichung   kann   ebenfalls   zur   Definition    des   absoluten 
Minimums  (Maximums)  benutzt  werden. 

.Die  Aufgabe  der  Variationsrechnung  in  ihrer  einfachsten 
Form  besteht  nun  darin,  diejenige  oder  diejenigen  zulässigen  Kurven 
zu  bestimmen,  welche  in  diesem  Sinn  ein  absolutes  Minimum  oder 
Maximum  für  das  Integral  J  liefern.^) 

Die  so  formulierte  Aufgabe  läßt  sich  auf  die  mannigfachste  Weise  modi- 
fizieren, indem  man  den  zulässigen  Kurven  andere  Bedingungen  auferlegt.  Wir 
erwähnen  die  wichtigsten  dieser  Modifikationen: 

1.  Statt  die  Endpunkte  vorzuschreiben,  kann  man  auch  nur  verlangen,  daß 
sie  auf  gegebenen  Kurven  liegen  sollen ,  oder  sonst  in  vorgeschriebener  Weise 
veränderlich  sein  sollen  (vgl.  §  7  und  Kap.  VI). 

2.  Man  kann  die  Bedingung  fallen  lassen,  daß  y  sich  als  eindeutige  Funktion 
von  X  darstellen  lassen  soll,  indem  man  die  Kurven  in  Parameterdarstellung  an- 
nimmt (vgl.  Kap.  V). 

3.  Endlich  kann  man  auch  die  „Klasse"  der  zulässigen  Kurven  modifizieren, 
indem  man  z.  B.  Kurven  mit  „Ecken"  zuläßt  (Kap.  VIII),  oder  bloß  die  Existenz 
der  rechtsseitigen  Tangente  verlangt  (vgl.  Kneser,  Lehrbuch,  §  17);  ja  man 
kann  die  Aufgabe  sogar  so  erweitern,  daß  nicht  einmal  die  Existenz  einer  ein- 
seitigen Tangente  vorausgesetzt  wird  (vgl.  Kap.  IX).  Anderseits  kann  man  auch 
dem  Gefälle  gewisse  Beschränkungen  auferlegen,  z.  B.  beständig  positiv  zu  sein 
(vgl.  Kap.  Vni),  oder  dem  absoluten  Wert  nach  eine  vorgegebene  Grenze  nicht 
zu  überschreiten  (vgl.  §  19,  c). 

Wie  man  die  zulässigen  Kurven  am  besten  zu  definieren  hat,  das  hängt  in 
jedem  einzelnen  Fall  von  der  speziellen  Natur  des  vorgelegten  Problems  ab. 
Aber  wie  man  auch  die  Aufgabe  formulieren  mag,  sie  muß  stets  den  beiden 
folgenden  Forderungen  genügen,  wenn  sie  überhaupt  einen  bestimmten  Sinn 
haben  soll:  1.  Die  Gesamtheit  der  als  zulässig  betrachteten  Kurven  muß  genau 
definiert  werden;  2.  für  jede  zulässige  Kurve  muß  das  Integral  J,  eventuell  nach 
geeigneter  Erweiterung  seiner  Defmition,  einen  bestimmten  endlichen  Wert  haben. 

Was  den  Bereich  gi  betrifft,  so  ist  derselbe  für  jede  einzelne  Aufgabe  be- 
sonders festzulegen;  er  kann  offen  oder  geschlossen,  endlich  oder  unendlich  sein, 
er  kann  auch  die  ganze  x,  ^/-Ebene  umfassen. 


1)  HiLBERT  hat  in  seinen  Vorlesungen  (1904/1 905)~  ein  allgemeines  Problem 
des  Maximums  und  Minimums  formuliert,  welches  sowohl  die  Aufgaben  der 
Variationsrechnung,  als  die  der  Theorie  der  gewöhnlichen  Maxima  und  Mmima 
umfaßt-  Gegeben  ist  eine  unendliche  Menge  irgend  welcher  rnathemattscher  Ob- 
jekte a  b  (Zahlen,  Punkte,  Kurven,  Flächen  usw.),  und  jedem  Individuum 
'dieser  Menge  ist  eine  reelle  Zahl  Ja,  Jb  .  .  ■  zugeordnet.  Es  soll  dasjenige  Indi- 
viduum der  Menge  bestimmt  werden,  welchem  die  größte  oder  kleinste  Zahl  zu- 
geordnet ist. 


§  3.     Definition  des  Maximums  und  Minimums  eines  bestimmten  Integrals.      17 
So  müssen  z.  B.  bei  der  Aufgabe,  das  Integral 

ZU   einem  Minimum   zu  machen   (ßrachistochrone ,    vgl.   §  26,  b),    die  zulässigen 
Kurven  notwendig  auf  den  durch  die  Ungleichung 

definierten  Bereich  beschränkt  werden,  weil  sonst  die  Funktion  f  entweder  un- 
stetig oder  imaginär  werden  würde. 

Bei  der  Aufgabe  der  Rotationsfläche  von  kleinster  Oberfläche,  wo 

muß  man  die  zulässigen  Kurven  auf  den  Bereich 

beschränken,    weil   nur    dann    das    bestimmte    Integral  J  die    gewünschte  geo- 
metrische Bedeutung  besitzt. 

Neben  solchen  „natürlichen"  Beschränkungen,  die  sich  aus  dem  Problem 
mit  Notwendigkeit  ergeben,  kann  man  aber  auch  den  zulässigen  Kurven  „künst- 
lich" Beschränkungen  auf  einen  gewissen  Bereich  auferlegen.  So  sind  z.  B.  bei 
der  Aufgabe,  die  kürzeste  Linie  zwischen  zwei  Punkten  zu  finden,  wo 


J=fVi+y''''dx, 


die  zulässigen  Kurven  keinerlei  derartigen  Beschränkung  unterworfen,  so  daß 
der  Bereich  ^  die  ganze  x,  ^-Ebene  umfaßt.  Man  kann  aber  auch  die  Aufgabe 
dahin  modifizieren,  unter  allen  Kurven,  welche  in  einem  gewissen  gegebenen 
Bereich  gelegen  sind,  die  kürzeste  Verbindungslinie  zweier  gegebener  Punkte  zu 
finden  (vgl.  Kap.  VIII);  hier  ist  dann  01  eben  dieser  vorgegebene  Bereich. 

b)  Relatives  Extremum  eines  bestimmten  Integrals: 
Ganz  analog  wie  in  der  Theorie  der  gewöhnlichen  Extrema  läßt 
sich  nun  auch  die  im  vorhergehenden  formulierte  Aufgabe  des  ab- 
soluten Extremums  eines  bestimmten  Integrals,  (welche  das  eigentliche 
Endziel  der  Variationsrechnung  ist),  auf  diejenige  des  relativen  Ex- 
tremums zurückführen,  bei  welchem  die  gesuchte  Kurve  nur  mit 
sogenannten  „benachbarten"  Kurven  verglichen  wird,  und  welches 
folgendermaßen  definiert  wird:  Eine  zulässige  Kurve  ©:  y  =  y{x) 
liefert  ein  relatives  Minimum  (Maximum)  für  das  Integral  J,  tvenn 
eine  positive  Größe  q  existiert,  derart,  daß 

Bolza,  Variationsrechnung.  2 


18    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  dex  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 


für  jede  zulässige  Kurve  S :  y  =  y{x),  für  welche 

\y{x)-y{x)\<Q    ßlr    x^^x^  x^.  (15) 

Diese  Ungleichung  bedeutet  geometrisch ,  daß  die  Kurve  S  (ab- 
gesehen von  den  Endpunkten)  im  Innern  des  Streifens  liegt,  welcher 
durch  die  beiden  Kurven 

y  =  y{x)^Q,         y  =  y{x)-Q 

einerseits  und  durch  die  beiden  Geraden 

anderseits  begrenzt  wird.  Diesen  Streifen  werden  wir  „die  Nadibar- 
Schaft^)  {ß)  der  Kurve  ^^''  nennen,  wobei  von  der  Begrenzung  nur 
die  Punkte  P^  und  Pg  als  mit  zur  Nachbarschaft  (())  gehörig  be- 
trachtet werden  sollen. 

Wir  nennen  dann  wieder  das  relative  Minimum  (Maximum) 
ein    eigentliches,     wenn    q   so     gewählt     werden    kann,    daß    in    der 

Ungleichung  (14)  das  Zeichen  >  (<) 
für  alle  von  ^  verschiedenen  zu- 
lässigen Kurven  gilt,  welche  in  der 
Nachbarschaft  {q)  liegen;  dagegen 
uneigentUch,  wenn  es,  wie  klein  auch 
Q  gewählt  sein  mag,  stets  mindestens 
eine  von  (5  verschiedene  zulässige 
Kurve  ^  gibt,  welche  ganz  in  der 
Nachbarschaft  (q)  liegt  und  für 
welche:  J-^  =  J^. 
Eine  Kurve,  welche  ein  absolutes  Extremum  liefert,  liefert  a  for- 
tiori auch  ein  relatives,  und  daher  reduziert 2)  sich  die  ursprüngliche 
Aufgabe  darauf,  alle  Kurven  zu  finden,  ivelche  ein  relatives  Extremem 
für  das  Integral  J  liefern,  und  in  dieser  Form  werden  wir  die  Aufgabe 
in  der  Folge  betrachten. 

Wir  werden  dabei  die  Worte  „Minimum,  Maximum"  stets  im 
Sinn  von  „relatives  Minimum,  Maximum"  gebrauchen  und  wir  werden 

^)  Vgl.  Osgood,  loc.  cit.  p.  107.  Die  Nachbarschaft  {q)  inklusive  ihrer  Be- 
grenzung werden  wir  die  ge.^chlossene  Nachbarschaft  [q]  von  d  nennen. 

*)  Vgl.  die  entsprechenden  Bemerkungen  beim  gewöhnlichen  Extremum, 
§  2,  c).  Für  eine  direlde  Behandlung  des  absoluten  Extremums  vergleiche  man 
Hilbert's  Existenzbeweis  (Kap.  IX),  Darboux,  Tlieorie  des  surfaces,  Bd.  III, 
p.  89;  und  Zermelo,  Jahresbericht  der  Deutschen  Mathematiker- 
Vere'inigung,  Bd.  XI  (1902)  p.  184. 


Fig.  1. 


§  4.     Verschwinden  der  ersten  Variation.  19 

uns  auf  den  Fall  des  Minimums  beschränken,  da  jede  Kurve,  welche 
ein  Minimum  für  das  Integral  J  liefert,  zugleich  ein  Maximum  für 
das  Integral  —  J  liefert,  und  vice  versa. 

§  4.    Verschwinden  der  ersten  Variation. 
Wir  setzen  jetzt  voraus,  wir  hätten  eine  Kurve 

gefunden,  welche  das  Integral 

J-jf{^,  y,  y)^^ 

in  dem  im  vorigen  Paragraphen  erklärten  Sinn  zu  einem  Minimum 
macht.  Wir  nehmen  überdies  an,  daß  die  Kurve  ^  ganz  im  Innern^) 
des  Bereiches  ^  liegt. 

Aus  der  letzten  Annahme  folgt  ^),  daß  wir  q  so  klein  nehmen 
können,  daß  die  Nachbarschaft  (q)  von  ^  ebenfalls  ganz  im  Innern 
von  Öl  liegt. 

Wir  ^^variieren"  nun  die  Kurve  (^,  d.  h.  wir  ersetzen  sie  durch 
eine  andere  zulässige  Kurve 

welche  ganz  in  der  Nachbarschaft  (^  liegt.    Eine  solche  Kurve  pflegt 
man  eine  der  Kurve  S  „henachharte  Kurve''  zu  nennen. 
Das  Inkrement 

Ay  =  y{x)-y(x), 

welches  wir  mit  co  (oder  wenn  nötig  (o{x))  bezeichnen^),  wird  die 
,,vollständige  Variation  von  y''  genannt.  Da  die  Kurve  S  in  der  Nach- 
barschaft (q)  liegt,  so  ist 

I  «i^)  I  <«?  in  [^1^2];  (16) 

überdies  ist  im  Fall  fester  Endpunkte 

cd{x,)^Ö,         (o(x,)==0,  (17) 

i      da 

_______    ^W  =  2/(^1)  =  ^1;         ^(^2)  =  2/(^2)  =  2/2- 

^)  Der  Fall,  wo  die  Kurve  Punkte  mit  der  Begrenzung  von  01  gemein  hat, 
wird  in  Kap.  VHI  behandelt  werden. 

^)  ^gl-  §  21,  a);  die  Kurve  ®  ist  eine  begrenzte,  abgeschlossene  Menge, 
nach  A  VII  1. 

^)  Bezeichnung  nach  Lagrange^  CEuvres^  Bd.  IX,  p.  296. 

2* 


20  Erstes  Kapitel.  Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 
Das  entsprechende  Inkrement  des  Integrals, 

heißt  die  „vollständige^)  Variation  des  Integrals  J^'.  Da  wir  die  End- 
punkte als  fest  voraussetzen,  so  sind  die  Integrationsgrenzen  in  beiden 
Integralen  dieselben  und  wir  können  daher  schreiben: 

^J='f[f{x,  y  +  oj,y'^  cü')-f{x,  y,  y)]dx. 

Da   wir   annehmen,    daß    die   Kurve  S   ein  Minimum   liefert,    so 

muß  nach  (14) 

A/^0  (18) 

sein  für  alle  „benachbarten"  Kurven,  vorausgesetzt,  daß  q  hinreichend 
klein  gewählt  worden  ist. 

Für  die  weitere  Diskussion  dieser  Uugleichung  betrachten  wir 
mit  Lagrange ^)  spezielle^)  Variationen  von  der  Form 

cj{x)^s7i(x),  (19) 

wo  rj{x)  eine  beliebige  Funktion  der  Klasse  C"  ist,  welche  in  x^  und  x^ 
verschwindet,  und  a  eine  Konstante,  deren  absoluter  Wert  so  klein 
gewählt  ist,  daß  die  Bedingung  ^16)  erfüllt  ist. 

Alsdann  geht  das  Integral  J  =  J^  in  eine  Funktion  von  s  über, 
die  wir  mit  J(s)  bezeichnen  wollen.  Insbesondere  ist  dann  J"(0)  =  J^, 
so  daß  wir  die  Ungleichung  (14)  schreiben  können 

J(a)^J(0) 

für  alle  hinreichend  kleinen  Werte  von  |  £  ].  Das  heißt  aber:  Die 
Funktion  /(e)  muß  für  s  =  0  ein  Minimum  besitzen,  und  daher  muß 

j^(0)^0,         J"(0)5  0        '  (20) 

sein. 


1)  Nach  Weierstrass,   Vorlesungen. 

2)  Vgl.  Lagrange,  (Euvres,  Bd.  IX,  p,  298;  die  hier  gegebene  Methode  be- 
nutzen LiNDELÖF-MoiGNO  (loc.  cit.) ,  DiENGEB,  Grufidriß  der  Variationsrechnung 
(Braunschweig,  1867),  und  Osgood  (loc.  cit.). 

^)  Variationen  dieser  speziellen  Art  werden  auch  schon  von  Euler  erwähnt, 
Instit  Calc.  Integr.,  Bd.  IV,  Supplem.  XI,  §  5.  Solange  es  sich  nur  um  die  Her- 
leitung notwendiger  Bedingungen  handelt,  dürfen  wir  die  Variationen  nach 
Belieben  spezialisieren;  ganz  anders  verhält  es  sich  bei  der  Herleitung  hin- 
reichender Bedingungen,  vgl.  §  15. 


§  4.     Verschwinden  der  ersten  Variation.  21 

Aus  der  Definition  der  Ableitung  tblgt^  daß 

A/=  J{8)  -  J(0)  =  sJ'(0)  +  £{s),  (21) 

wenn  (s)  wieder  eine  unendlich  kleine  Funktion  von  s  bezeichnet, 
so  daß  also  eJ'(0)  das  Differential  der  Funktion  J(6)  nach  s  bedeutet. 
Man  pflegt  dasselbe  nach  Lagrange ^)  mit  dJ  zu.  bezeichnen: 

dJ=eJ\0), 

und  die  erste  Variation  des  Integrals  J  zu  nennen.  Analog  definiert 
man  die  höheren  Variationen 

Unter  Benutzung  dieser  Bezeichnungsweise  können  wir  die  Bedingungen 
(20)  also  auch  so  aussprechen: 

Für  ein  Minimum  des  Integrals  J  ist  notwendig,  daß  die  erste 
Variation  verschwindet^)  und  die  zweite  Variation  niclit  negativ  ist^), 
und  zwar  für  alle  zidässigen  Funktionen  t]: 

dJ=0,        dV^O.    '  >  (22) 

Wir  haben  es  hier  zunächst  nur  mit  der  ersten  Variation  zu  tun. 
Nach  der  Regel  ^)  für  die  Differentiation  eines  bestimmten  Integrals 
nach  einem  Parameter  findet  man: 

J'm=fifyV  +  f,-v')äx,  (23) 

wenn  wir,  wie  stets  in  der  Folge,  partielle  Ableitungen  einer  Funktion 
mehrerer  Variabein  durch  Suffixe  bezeichnen: 

^)  Das  Symbol  d  findet   sich   zum   erstenmal   in  einem  Brief  von  Lagrange 
an  EuLEK  vom  12.  August  1755,  siehe  Lagrange,  Oeuvres,  Bd.  XIV,  p.  140. 
^)  Euler,  Methodus  inveniendi  eic.(1744),  Kap.  I,  §  63. 
^)  Höhere  Variationen  finden  sich  zuerst  bei  Legendre  (1786),  der  jedoch  den 

1  n 

Faktor  —  mit  zn  S  J  hinzurechnet. 
n\ 

*)  Vgl.  A  V  7.    Die  Regel  ist  hier  anwendbar;   denn  aus  unseren  Annahmen 

über  die  Funktionen  f,  y,  r}  folgt  nach  A  IV  9,  daß  die  partielle  Ableitung 

^/■(rr,  yix)^sri{x),  y' (x) -{-  sri\x)) 

eine  stetige  Funktion  von  x  und  s  ist  in  dem  Bereich 

^1  <  ^  <  ^2  .  I  «  I  <  «0  ' 

wofern  die  positive  Größe  Sq  hinreichend  klein  gewählt  wird 


22    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

n         df  .  df 


und  ebenso  später: 


yy       dy^'         'yy'       dydy' 


f     -£-L  f      =     "^  '        usw 

fyy  ~~  ?^j^^  'yy'        du  fiy'^  ' 


Wir  erhalten  also  den  Satz: 

Für  ein  Extremum  des  Integrals  J  ist  es  notwendig^  daß 


.jV+M)dx  =  0  (24) 


A 


für  alle  FunUionen  t]  der  Klasse  C,  ivelche  in  x^  und  x^  verschwinden. 

Dabei  sind  die  Argumente  von  f^^  fy^.x,  yix),  y(x). 

Man    kann    dieses    Resultat    auch    dadurch    ableiten,     daß    man    auf   die 

Differenz 

f{x,  y-\-<o,  y' ■^co')  —  f{x,  2/,  y) 

den  Taylor' sehen  Satz  mit  Bestglied  ^)  für  n  =  2  anwendet  und  dann  zwischen 
den  Grenzen  x^  und  x^  integriert.     Man  erhält  so 

wobei  die  Argumente  von  /^^,  /j^^,,  f^ry'  sind:  x,  y (x) -\- 6 co (x) ,  y  {x) -\- B to' {x\ 
unter  6  eine  Funktion  von  x  verstanden,  deren  Wert  beständig  zwischen  0  und 
1  liegt. 

Wählt  man  jetzt  wieder  für  to  eine  Funktion  der  speziellen  Form  (19),  so 
nimmt  der  Ausdruck  für  AJ  die  Form  (21)  an,  woraus  man,  wie  in  §  2,  c), 
schließt,  daß  (24)  erfüllt  sein  muß. 

Wenn  fix,  y,  y)  eine  analytische  Funktion  ist,  welche  in  dem  oben  mit  % 
bezeichneten  Bereich  regulär  ist,  so  kann  man  statt  der  Taylor  sehen  Formel  mit 
Restglied  auch  die  Taylor' sehe  unendliche  Beihe^)  in  Anwendung  bringen.  Man 
erhält  dann  unter  der  Voraussetzung,  daß  gliedweise  Integration  erlaubt  ist, 
für  A  J  eine  für  hinreichend  kleine  Werte  von  \  (o  \  und  \  a  \  konvergente 
Reihe : 


1)  Diese  Methode  wurde  zuerst  von  Lagrange  gebraucht,  siehe  (Euvres, 
Bd.  IX,  p.  297.  Vgl.  auch  Du  Bois-Reymond,  Mathematische  Annalen,  Bd.  XV 
(1879),  p.  292,  und  Pascal,  loc.  cit.,  p.  22. 

*)  Diese  Methode  benutzen  Weierstkass,  Kneser  ^Lehrbuch,  §§  2,  8)  und 
Jordan,  Cours  d' Analyse,  III,  Nr.  350),  ohne  jedoch  einen  strengen  Detailbeweis 
zu  geben,  der  hier  wesentlich  umständlicher  ausfallen  würde  als  bei  den  beiden 
anderen  Methoden. 


§  5.     Die  Euler'sche  Differentialgleichung,  23 

dx  -\-    •  •  • , 


+/(», 


■wobei  in  W  ei  er  straß'scher  Bezeichnungsweise  (w,  co')^  eine  homogene  Funktion 
n*^""  Dimension  von  ca,  w'  bedeutet. 

Wählt  man  dann  wieder  für  co  eine  Funktion  von  der  speziellen  Form  (19), 
so  geht  diese  Reihe  in  eine  nach  Potenzen  von  s  fortschreitende  Reihe  über, 
auf  die  man  dann  das  auf  p.  11,  Fußnote  ^)  erwähnte  Lemma  anzuwenden  hat. 
Yon  den  drei  angeführten  Methoden  liefert  unzweifelhaft  die  erste,  den 
einfachsten  strengen  Beweis  für  die  beiden  Bedingungen  (20).  Man  hat  sogar 
lange  geglaubt,  daß  diese  Methode  das  ganze  Problem  der  Variationsrechnung 
auf  ein  Problem  der  Theorie  der  gewöhnlichen  Maxima  und  Minima  zurückführt. 
Dem  ist  aber  nicht  so;  denn  wie  wir  später  sehen  werden,  liefert  die  Methode 
nur  notwendige  Bedingungen,  genügt  aber  nicht  einmal  für  ein  sogenanntes 
schwaches^)  Extremum  zur  Herleitung  hinreichender  Bedingungen,  während 
die  auf  die  Taylor'sche  Formel  basierte  Methode,  obgleich  weniger  elegant, 
wenigstens  für  ein  sehwaches  Extremum  hinreichende  Bedingungen  liefert. 


§  5.    Die  Euler'sche  Differentialgleicliung. 

Wir  gehen  jetzt  dazu  über,  aus  der  Bedingung  dj=  0  weitere 
Folgerungen  zu  ziehen. 

a)  Die  Lagrange'sche  partielle  Integration: 

Zu  diesem  Zweck  pflegt  man  nach  dem  Vorgang  von  Lagrange  ^) 
das  zweite  Glied  in  dem  Ausdruck  für  dJ  durch  partielle  Integration 
umzuformen  und  erhält  so: 

SJ^s{[,f^]"+ß{f,-fj,)ä.},  (25) 

wobei  von  der  Bezeichnung 

\0(x)T=  Oix,)  -  0(x,)  (26) 

Gebrauch  gemacht  ist. 

Da  1]  für  X  =  x^  und  x  =  x^  verschwindet,  so  ist  das  vom  Inte- 
gralzeichen freie  Glied  gleich  Null,  und  die  Bedingung  dJ=0  redu- 
ziert sich  auf 


1)  Vgl.  §  15,  b). 

*)  Zuerst  in   dem  bereits   oben  erwähnten  Brief  an  Euler  vom  12.  August 
1765.     {(Euvres  de  Laorange,  Bd.  XIY,  p.  141). 


24    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Diese  Gleichung  muß  erfüllt  sein  für  alle  Funktionen  rj,  welche  in  x^ 
und  X2  verschwinden  und  in  lx\  x^]  von  der  Klasse  C  sind. 

Aus  der  Willkürlichkeit  von  r/  schließt^)  man  dann,  daß  dies  nur 
möglich  ist,  wenn  der  Faktor  von  7^  unter  dem  Integralzeichen  für 
sich  verschwindet,  und  erhält  so  den 

Fundament  aisatz  I:    Soll  die  Funktion 

y  =  2/ W 
das  Integral 

J=jf{oc,  y,  y)dx 
^1 

ßu  einem  Maximum  oder  Minimum  machen ^  so  muß  sie  der  Differential- 
gleichung genügen:^) 

f-ff,^0.  (I) 

'y      dx'y  ^  ^ 

Wir   werden   diese   Differentialgleichung  nach   ihrem  Entdecker^)    die 
Euler'sche  Differentialgleichüig  nennen. 

Man  beachte,  daß  die  Argumente  der  Funktionen  f^,  fy,  sind: 
x,  y{x)y  y\x)j  und  daß  die  Differentiation  totale  Differentiation  nach 
x  bedeutet,  so  daß  die  Differentialgleichung  in  entwickelter  Form  lautet: 

Die  obige  Ableitung  der  Euler'schen  Differentialgleichung  weist 
jedoch  zwei  erhebliche  Lücken  auf: 

Erstens*)    setzt    die    partielle    Integration    zum    mindesten    die 

Existenz  der  Ableitung  ;,-  /' ,  voraus,  und  da  wir  von  der  Funktion  y(x) 


1)  Vgl.  unter  b). 

*)  Wegen  der  Ausdehnung  dieses  Satzes  auf  allgemeinere  Variations- 
probleme vgl.  die  Übungsmiffjaben  Nr.  41—47  am  Ende  von  Kap.  III,  sowie 
Kap.  XI  und  XII. 

'')  Euler,  Methodus  inveniendi  etc.  (1744),  Kap.  II,  Art.  21;  in  Stäckkl's  Über- 
setzung in  Ostwald's  Klass.  Nr.  46,  p.  54.  Die  Differentialgleichung  ist  neuer- 
dings vielfach  die  .^Jjagrange'sche  Differentialgleichung^^ genannt  worden.  Lagrange 
selbst  schreibt  sie  Euler  zu,  vgl.  (Euvres,  Bd.  X,  p.  397:  „Cette  dquation  est 
Celle  qu'EuLER  a  trouve'e  le  premier." 

*)  Dieser  Einwand  ist  zuerst  von  Du  Bois-Reymond  in  der  wichtigen  Ab- 
handlung: .^Erläuterungen  zu  den  Anfangsgründen  der  Variationsrechnung"- 
Mathematische  Annalen,  Bd.  XV  (1879),  p.  283  erhoben  worden. 


§  5.     Die  Euler'sche  Differentialgleichung.  25 

nichts  weiter  als  die  Existenz  und  Stetigkeit  der  ersten  Ableitung 
vorausgesetzt  haben,  so  wissen  wir  von  der  Funktion  fy,{x,  y{x),  y' {xj) 
nur,  daß  sie  stetig  ist,  nicht  aber,  ob  sie  eine  Ableitung  besitzt.  Um 
diesem  Einwand  zu  begegnen,  machen  wir  vorläufig  die  wqüqyq  Annahme'^) ^ 
daß  auch  die  zweite  Alileitung  von  y{x)  existiert  und  stetig  ist  im  Inter- 
vall [^([^i^rg].  Alsdann  besitzt  die  Funktion  fy,(x,  y{x),  y\x))  eine  Ab- 
leitung^), die  überdies  stetig  ist  in  [r^i^Tg],  und  es  steht  nunmehr  der 
Anwendung  der  partiellen  Integration^)  nichts  mehr  im  Wege. 

b)  Das  Fundamentallemma  der  Variationsreclinung: 

Der  zweite  Einwand  bezieht  sich  auf  den  Schluß,  daß  wegen 
der  Willkürlichkeit  von  t]  aus  der  Gleichung  (27)  die  Differential- 
gleichung (I)  folgt;  derselbe  ist  durchaus  nicht  selbstverständlich,^) 
wie  noch  bis  in  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  allgemein  angenommen 
wurde,  sondern  bedarf  eines  Beweises.  Letzterer  beruht  auf  dem 
folgenden 

Lemma:  Ist  M  eine  FunMmi  von  x,  welche  stetig  ist  in  [x^x^] 
und  ist 

fr]  Mdx  =  0  (29) 

für  alle  Funktionen  r],  welche  in  x^  und  x^  verschivinden  und  eine 
stetige  Ableitung  in  [x^X2]  besitzen,  so  ist 

M^O  (30) 
in  [x^x^]. 

Denn^)      angenommen      es      sei  M(x)^0,     z.    B.    >0,     in 

einem      Punkt     x      des      Intervalles  [^1^2]  5      dann      können      wir 

^)  Von   dieser  Annahme   werden  wir  uns  weiter  unten,   siehe  c),   befreien. 

2)  Nach  A  IV  9.  »j  Nach  A  V  5. 

^)  Der  Schluß  tritt  zuerst  bei  Lagrange  in  dem  oben  (p.  21,  Fußnote  ^)), 
zitierten  Briefe  an  Euler  auf  und  wird  dort  als  ganz  selbstverständlich  gegeben. 

^)  Der  hipr  gegebene  Beweis  rührt  von  Du  Bois-Reymond  her  (Mathe- 
matische Annalen,  Bd.  XV  (1879),  pp.  297,  300).  In  derselben  Arbeit  be- 
weist Du  Bois-Reymond,  daß  der  Schluß  MO  gültig  bleibt,  selbst  wenn  man 
nur  weiß,  daß  die  Gleichung  (29)  besteht: 

1.  für  alle  in  x^  und  x^  verschwindenden  Funktionen,  welche  in  [x^  x^]  von 
der  Klasse  C^"^  sind;  man  verfahre  wie  oben,  wähle  jedoch  für  das  Intervall  [|j  Ig] 

n  =  (x-^,r+\t,-xy  +  ''-, 

2.  für  alle  in  x^^  und  x^  verschwindenden  Funktionen,  welche  in  [x■^^  x^]  Ab- 
leitungen aller  Ordnungen  besitzen. 


26    Erstes  Kapitel.     Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

wegen  1)  der  Stetigkeit  von  31  ein  den  Punkt  x'  enthaltendes  Teil- 
intervall [|i  I2]  ^on  [x^ X.2]  angeben,  derart  daß  M>0  im  ganzen 
Intervall  [|^  Ig]  •  J^^zt  wähle  man  ?;  =  0  außerhalb  [Ij  Ig]  ^^^ 
1(1  =  {x  —  l^y  {x  —  Ig)^  in  [lilg];  di©  so  definierte  Funktion  7;  besitzt 
eine  stetige^)  Ableitung  in  [x^x.^,  und  verschwindet  in  x^  und  x^. 
Trotzdem  ist  für  sie 

fi]  3Idx>0, 

entgegen  der  Annahme.  Es  ist  also  unmöglich,  daß  M{x)  =H  0  und 
somit  ist  der  Satz  bewiesen.  Dieses  Lemma  wird  häufig  das  Funda- 
mentallemma  der   Variationsrechmmg  genannt. 

Die  von  Du  Bois-Reymond  gebrauchten  speziellen  Funktionen  rj  sind  alle 
aus  mehreren  analytischen  Funktionen  zusammengesetzt.  Es  lassen  sich  aber 
auch  Funktionen  konstruieren,  welche  im  ganzen  Intervall  durch  eine  einzige 
reguläre  analytische  Funktion  dargestellt  werden  und  denselben  Zweck  erfüllen. 
Eine  solche  Funktion  bildet  Zermelo  einer  Anregung  von  Weierstrass  folgend, 
in  seiner  Dissertation,  p.  35:  Der  Punkt  x  sei  ein  innerer  Punkt;  dann 
setze  man 

^  =  {x-  X,)  {x,—x)  e-'r^"^ -'=')'' 

im  ganzen  Intervall  [^i^j],  wo  q  eine  hinreichend  große  Konstante  ist. 

Eine  andere  Funktion,  welche  denselben  Zweck  erfüllt  und  die  durch  ihre 
geometrische  Interpretation  interessant  ist,  hat  H.  A.  Schwarz  in  seinen  Vor- 
lesungen gegeben,  vgl.  Hancock^  Lecturcs  on  the  Calculus  of  Variations  (Cincinnati, 
1904),  Nr.  78. 

Es  folgt  hieraus,  daß  es  für  den  Schluß  ilf  ^=.  0  genügt  zu  wissen,  daß  die 
Gleichung  (29)  für  alle  Funktionen  erfüllt  ist,  welche  in  [ic^a^.,]  regulär  sind  und 
in  x^  und  x^  verschwinden. 

Der  älteste  Beweis  des  Lemmas  rührt  von  Stegemann  her  (Lehrbuch  der 
Variationsrechnung  (1854),  §  24). 

Er  setzt 

7}  =  {x  —  x^)  (.Tg  —  x)/ M ; 
einfacher  jedoch  ist  es, 

7}=^  (x  —  x^)  {x^  — x)  M 

zu  wählen.  Hier  müssen  jedoch  stärkere  Annahmen  gemacht  werden,  nämlich 
entweder,  daß  die  Gleichung  (29)  für  alle  stetigen  in  x.^  und  x^  verschwindenden 
Funktionen  r\  gilt,  oder  aber,  daß  M  von  der  Klasse  C'  ist,  was  "für  unsere  An- 
wendung bedeuten  würde,  daß  y'"  existiert  und  stetig  ist  in  \x^  x^'\ . 

Auch  der  Beweis  von  Heine  (Mathematische  Annalen,  Bd.  II  (1870), 
p.  189)  läßt  sich  nicht  ohne  weitere  beschränkende  Annahmen  über  y  auf  unsern 
Fall  anwenden. 

1)  Nach  A  m  2. 

*)  Auch  in  |^  und  ^^ ;  denn  in  jedem  dieser  Punkte  ist  sowohl  die  vordere 
als  auch  die  hintere  Derivierte  gleich  Null;  es  existiert  also  eine  Ableitung  in 
Ij  und  in  ^^  und  ihr  Wert  in  diesen  Punkten  ist  Null,  und  dies  ist  zugleich 
der  Grenzwert  von  tj'  bei  Annäherung  an  ^^  resp.  |j.     Vgl.  A  IV  1. 


§  5.     Die  Euler'sche  Differentialgleichung.  27 

Die  Voraussetzungen  dieses  Lemmas  sind  für  die  Gleichung  (27) 
erfüllt,  wenn  wir  annehmen,  daß  y"  existiert  und  stetig  ist  in  [::t?iiC2]5 
denn  alsdann  ist  die  Funktion 

stetig  in  \x^x^.  Somit  haben  wir  in  der  Tat  die  Notwendigkeit  der 
Differentialgleichung  (I)  bewiesen  für  alle  Funktionen  y  von  der 
Klasse  O' . 

c)  Du  Bois-Reymond's  Lemma: 

Die  unter  a)  gegebene  Methode  der  partiellen  Integration  liefert, 
wie  wir  gesehen  haben,  nur  diejenigen  Lösungen  unserer  Aufgabe, 
welche  eine  stetige  zweite  Ableitung  besitzen.  Es  fragt  sich  nun, 
ob  es  außerdem  noch  andere  Lösungen  gibt  und  wie  dieselben  zu 
finden  sind. 

Zur  Beantwortung  dieser  Frage  kehren  wir  zur  Gleichung  dJ=0 
in  der  ursprünglichen  Form  (24)  zurück  und  wenden,  nach  dem  Vor- 
gang von  Du  Bois-Reymond,  die  partielle  Integration  nicht  auf  das 
zweite,  sondern  auf  das  erste  Glied  an.  Setzt  man  in  der  allgemeinen 
Formel  der  partiellen  Litegration  ^) : 

a  a 

welche  sicher  gültig  ist,  wenn  u  und  v  in  \a¥\  von  der  Klasse  C  sind, 
u  =  i],  v=ffydx, 

und  beachtet,  daß  i]  an  den  beiden  Endpunkten  verschwindet,  so  geht 
die  Gleichung  (24)  über  in 

X^  X 

fn{fr-ffydx)dx  =  0.  (31) 

Diese  partielle  Integration  ist  erlaubt,  selbst  wenn  y"  nicht  existieren 
sollte,  da 

ri  =  dujdx         und         f^  =  dv/dx 
stetig  sind. 


')  Vgl.  A  V  5. 


28    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Die  weiteren  Folgerungen  aus  der  Gleicliung  (31)  stützen  sich 
auf  das  folgende  von  Du  Bois-Reymond^)  herrührende 

Lemma:   Ist  N  eine  FimUion  von  x,  welche  stetig  ist  in  [x^x,^'] 
und  ist 

Jrj'Ndx  =  0  (32) 

für  alle  FunJäionen  tj,   tvelche   in   x^  und  x^    verschwinden   und   eine 
stetige  Anleitung  in  [x^x.^  hesitzen,  so  ist 

N  =  Jconst  (33) 

in  [x^x^]. 

Den  folgenden  einfachen  Beweis  hat  Hilbert^)  in  seinen  Vor- 
lesungen (Sommer  1899)  gegeben: 

Man  wähle  willkürlich  vier  den  Ungleichungen 

x^<a<ß<a  <ß'  <x^ 

genügende  Größen    a,  ß,  a  ,  ß'    und    konstruiere    eine    Funktion    der 
Klasse  C\  welche  folgende  Bedingungen  erfüllt: 
1^  =  0  in  \x^  a\  •, 
ri  wächst  beständig  von  0  bis  zu  einem  positiven  Wert  /r,  während 

X  von   a  bis  ß  wächst; 
ri  bleibt  konstant  =  Ä'  in  [/3  a']; 

ri  nimmt  beständig  ab  von  Ä:  bis  0,  während  x  von  a   bis  ß'  wächst; 
??  =  0  in  {ß'x^. 

Die  Existenz  einer  solchen  Funktion  —  und  das  ist  alles, 
was  zum  Beweis  erforderlich  ist  —  ist  a  priori  klar^),  (vgl.  Fig.  2). 

Setzt  man  eine  solche 
Funktion  ri  in  (32)  ein,  so 
erhält  man 


Fig.  2. 


^      ^'  frl  Ndx  -{-fri  Ndx=^0 


^)  Mathematische  Annalen,  Bd.  XY  (1879),  p.  313.  Du  Bois-Keymond'b 
Beweis  findet  sich  bei  Bolza,  Lectures  on  the  Calculus  of  Variations  (Chicago  1904) 
§  6,  reproduziert.  Eine  interessante  Verallgemeinerung  dieses  Satzes  ist  kürz- 
lich von  Zermklo  gegeben  worden,  Mathematische  Annalen,  Bd.  58  (1904), 
p.  558.    Vgl.   Übungsaufgabe  Nr.  47  am  Ende  von  Kap.  III. 

2)  Siehe  Whittkmork,  Annais  of  Mathematics  (2),  Bd.  II  (1901),  p.  132. 

')  HiLBEUT  gibt  ein  einfaches  Beispiel  einer  solchen  Funktion,  siehe  Whitte- 
more's   Darstellung.      Er    bildet    zunächst    eine    den    Anforderungen    genügende 


§  5.     Die  Euler'sche  Differentialgleichung.  29 

Da    r]' ^  0  in  [aß]    und    ^' <  0  in  [cc  ß'],    so    können    wir    den 
ersten  Mittelwertsatz  ^)  anwenden  und  erhalten,  da 

ri{ß)-7j{a)  =  h,  n{ß')-ri{a')  =  -l: 

Jc[N{a-{-d{ß-  a))  -  N{a  +  0' (ß'  -  a))]  =  0 , 

wo  0<Ö<1,        0<Ö'<1. 

Lassen    wir  jetzt    /3    und    ß'    sich    resp.    den    Grenzen   a   und  o^' 
nähern,  so  folgt,  da  N{x)  stetig  ist,  daß 

N(a)  =  i^(a'), 

und  da  a  und  «'  irgend   zwei  Werte  zwischen   x^   und  x^   waren,  so 

bedeutet  dies,  daß  ^(x)  zunächst  im  Innern  von  [^r^iCg]   konstant  ist, 

was   sich  dann  wegen   der   Stetigkeit  von  N(x)    sofort   auf  die   End- 
punkte Xj^  und  X2  ausdehnt.^) 


Funktion  rj' ;  die  sie  darstellende  Kurve  fällt  von  x^  bis  a,  von  ß  bis  a  und  von 
ß'  bis  x^  mit  der  ic- Achse  zusammen;  zvsrischen  oc  und  ß  liegt  sie  oberhalb, 
zwischen  «'und  /?'  unterhalb  der  ic- Achse,  und  man  hat  nun  nur  dafür  zu  sorgen, 
daß  die  Flächen  cc  y  ß  a  und  k  y'  ß'  a  dem  absoluten  Wert  nach  gleich  sind ; 
denn  dann  ist 

und  die  Funktion 


A      "'  ^ 


\:7 


hat  die  verlangten  Eigenschaften.  Am    "~ 

einfachsten  ist  es  mit  HiLBERT :  ß' — a 

=  ß  —  cc     zu     nehmen ;     man     kann  -p^     3 

dann  z.  B.  für  die  rj'- Kurve  zwischen 

cc  und  ß  einen  Halbkreis  über  dem 

Segment  ccß  und   zwischen    a    und  ß'  einen   solchen   unter   dem   Segment  cc' ß' 

wählen. 

1)  Vgl.  A  V  6. 

^)  Hilbert's  Beweis  läßt  sich  leicht  auf  den  Fall  ausdehnen,  wo  die  Funktion 
N  in  [^i^Cg]  endlich,  aber  nur  „im  allgemeinen  stetig"^  ist,  d.  h.  eine  endliche 
Anzahl  von  Unstetigkeiten  besitzt.  Auch  in  diesem  Fall  ist  N  integrabel  in 
[x^  £Cg]  (A  V  2).  Sind  nun  a  und  a  Stetigkeitspunkte  von  iV,  so  können  wir 
stets  ß  und  ß'  so  nahe  an  a,  beziehungsweise  cc  wählen,  daß  N  in  [aß]  und 
[cc' ß']  stetig  ist. 

Es  folgt  dann  wie  oben ,  daß  N{a)  =  N{cc') ,  d.  h.  auch  unter  den  gegen- 
wärtigen Voraussetzungen  hat  N  den  nämlichen  konstanten  Wert  in  allen  Stetigkeits- 
punkten. Hieraus  folgt  dann  noch  weiter,  daß  in  einem  Unstetigkeitspunkt  c 
die  Grenzwerte  N{c  —  0)  und  N{c  -|-  0)  existieren  und  gleich  sind,  nämlich  gleich 
dem  konstanten  Wert  in  den  Stetigkeitspunkten,  vgl.  Whittemore,  loc.  cit. 


30    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

d)  Anwendung  des  Du  Bois-Reymond'schen  Lemmas: 
Wir    wenden  jetzt  das  Du  Bois-Reymond'sche  Lemma  auf  die 
Gleichung  (31)  an,  was  gestattet  ist,  da  die  Funktion 

X 


Jx 


nach  unsern  Annahmen  über  die  Kurve  ß  und  die  Punktion  f  (siehe 
§  3,  a)  und  §  4,  Anfang)  stetig i)  ist  in  [x^x^]. 
Wir  schließen  daher,  daß 

X 

x^ 

sein  muß,  wo  l  eine  Konstante  bedeutet;  hieraus  folgt 

X 

t'y  =  >^+j'f,dx.  (34) 

Die  rechte  Seite   dieser  Gleichung  ist  differentiierbar^)   und   ihre   Ab- 
leitung ist  fy'^  also  muß  auch  die  linke  Seite,  d.  h.  die  Funktion 

fy'{Xyyioc)yy\x))=f^,\x] 
differentiierbar  sein,  und  überdies  ist 

l-Jy-fr  (35) 

Hiermit  erst  ist  der  erste  Fundamen talsatz  vollständig  bewiesen 
nämlich,  daß  jede  FunJdion  y  der  Klasse  G\  welche  das  Integral  J  m 
einem  Extremum  macJit,  und  welche  durch  eine  ganz  im  Innern  von 
61  gelegene  Kurve  dargestellt  wird,  der  Eule r' sehen  Differentialgleichung 
geniigen  muß  —  einerlei  ob  sie  eine  zweite  Ableitung  besitzt  oder 
nicht.  8)  — 

HiLBERT*)  hat  hieran  die  wichtige  Bemerkung  geknüpft,  daß 
aus  der  Differentiierbarkeit  von  f^,  die  Existenz  der  zweiten  Ableitung  y" 

^)  Nach  A  III  4  und  A  V  4.  *)  Nach  A  V  4. 

')  Hahn  ist  neuerdings  in  dieser  Richtung  noch  einen  Schritt  weiter  ge- 
gangen und  hat  bewiesen,  daß  jede  rektifizierbare  Kurve,  welche  in  jedem  Punkt 
eine  bestimmte  Tangente  besitzt,  der  EuLEK'schen  Diflerentialgleichung  genügen 
muß,  wenn  sie  ein  Minimum  für  das  Integral  J  liefert  (Mathematische 
Annalen,  Bd.  63  (1906),  p.  254).  Dabei  muß  allerdings  zunächst  die  Definition 
des  bestimmten  Integrals  erweitert  werden,  vgl.  Kap.  IX.  Über  sogenannte  dis- 
kontinuierliche Lösungen,  siehe  Kap.  VIII. 

*)  Vgl.  WniTTEMORE,  loc.  cit. 


f       §  6.     Bemerkungen  zur  Integration  der  Euler'schen  Differentialgleichung.     31 

folgt  für  alle  Werte  von  x,  für  welche 

ryy{oc,y{x),y(xf)^0.  (36) 

Denn  setzen  wir 

k  y(^  +  ^0  -  «/ W  -  ^ ;         y\x-^h)~  y(x)  =  l , 

so  ist  in  der  obigen  Bezeichnung 

fy>[x-{-h]  —  fy,[x]  _  fy,(x-\-h,  y-{-Jc,  y'-\-'l)  —  fy'{x,y,y) 
h  ~  h 

Da  f^,  als  Funktion  von  x,  y,  y  von  der  Klasse  C  ist  in  der  Um- 
gebung der  Stelle  x^  y{x),  y{x),  so  kann  man  auf  den  Zähler  den 
Satz  vom  vollständigen  Differential^)  anwenden,  und  erhält,  da  über- 
dies y  und  y'  stetig  sind,  also  h  und  l  mit  h  ud endlich  klein  werden: 

fy'[x-^h]—fy,{x'\  _j_    \    ^^'fr      1    /^^    I    ^  r/-      _l  .  ^ 

wo  a,  ß,  y  mit  h  unendlich   klein   werden.      Löst  man  jetzt  nach  ^ 

auf  und  geht  zur  Grenze  A  =  0  über,  so  folgt  aus  der  Differentiierbar- 
keit  von  fy,\x\  und  der  Gleichung  (35),  daß 

L  {,     d.  h.  y" 

existiert,  wenn  die  Bedingung  (36)  erfüllt  ist,  und  daß  alsdann 

y.  ^^-fy'oc-y'fy',^  (37) 

'y'y' 
Hieraus  folgt  weiter,  daß   ij"  stetig   ist   in   allen  Punkten  von  [^ii^2]; 
in  welchen   (36)    erfüllt    ist,   und   hieraus    endlich,    daß    auch   y"  in 
denselben   Punkten    existiert    und   stetig   ist,    wie   man    aus    der   Be- 
trachtung der  rechten  Seite  von  (37)   unmittelbar  ersieht. 

§  6.     Bemerkungen   zur   Integratioii   der  Euler'schen  Differential- 
gleichung. 

Wir   stellen    in    diesem  Paragraphen    verschiedene  für  die  Folge 
^     wichtige  Bemerkungen    über    die  Integration    der  Euler'schen  Diffe- 
rentialgleichung zusammen. 

a)  Die  Extremalen: 

Die  Eule  rasche  Differentialgleichung  (I)  ist  im    allgemeinen  von 
der  zweiten  Ordnung    wie    die    entwickelte   Form  (28)    zeigt.     Daher 


1)  Vgl.  A  IV  6. 


32    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

enthält  ihr  allgemeines  Integral  zwei  willkürliche  Konstanten  cc,  ß] 
wir  bezeichnen  dasselbe  mit 

y  =  g(ix,  a,ß).  "  (38) 

Die  beiden  Konstanten  a,  ß  sind  im  Fall  fester  Endpunkte  aus  der 
Bedingung  zu  bestimmen^),  daß  die  gesuchte  Kurve  durch  die  beiden 
gegebenen  Punkte  P-^ix^,  y^)  und  F^X^^yy^)  hindurchgehen  soll.  Es 
muß  also  sein 

Vi -9  {^v  (=^,ß)y         y2=9  {^2,  «;  ß)  •  (39) 

Jede  Lösung  der  Euler'schen  Differentialgleichung  (Kurve  sowohl  als 
Funktion)  wird  nach  Kneser  eine  Extremale  genannt;  es  gibt  also 
eine  doppelt  unendliche  Schar  von  Extremalen  in  der  Ebene. 

In  dem  speziellen  Fall,  wo  die  Funktion  f  die  Variable  y  nicht 
enthält,  erhält  man  sofort  ein  erstes  Integral  der  Differentialgleichung  (I), 
nämlich 

fy,  =  konst.  (40) 

Aber  auch,  wenn  f  die  Variable  x  nicht  explizite  enthalt,  läßt  sich  ein 
erstes  Integral  angeben^).     Denn  dann  ist  wegen  f^  =  0: 

und  daher  genügt  jede  Lösung  von  (I)  auch  der  Gleichung 

/•-yY^,  =  konst;  (41) 

und  umgekehrt  genügt  jede  Lösung  von  (41)  —  mit  Ausnahme 
von:  2/ =  konst.  —  auch  der  Differentialgleichung  (I). 

Beispiel   VI:  f=  G{y'),  eine  Funktion  von  y'  allein. 

Hier  erhält  man  nach  (40) 

G'{y')  =  konst. , 
daraus 

2/'  =  a 

y  =  ax^§.  (42) 


^)  Es  kann  vorkommen,  daß  diese  Bestimmung  unmöglich  ist  —  man  be- 
achte, daß  a  und  §  reell  sein  müssen  — ;  in  diesem  Fall  existiert  keine  Lösung 
der  Aufgabe,  welche  von  der  Klasse  C  ist  und  im  Innern  von  01  liegt,  vgl.  z.  B. 
die  Rotationsfläche  kleinsten  Flächeninhalts  (§  13,  c). 

-)  Schon  von  Euleu  bemerkt  {Methodus  inveniendi  etc.,  Kap.  11,  §  30).  Die 
Existenz  des  ersten  Integrals  hängt  damit  zusammen,  daß  das  Integral  J  hier  bei  der 
kontinuierlichen  Gruppe :  |  =  a;  -}-  «  invariant  bleibt,  vgl.  Guldbekg,  Über  Maxima 
und  Minima  der  Integrale,  die  eine  kontinuierliche  Gruppe  gestatten,  Viden- 
skabsselskabets  Skrifter  1902.  Christiania. 


§  6.     Bemerkungen  zur  Integration  der  Euler'schen  Differentialgleichung.     33 

Die  Extremdien   sind    also   die    Geraden  der  Ebene.     Die  Bestimmung  der  Kon- 
stanten ist  eindeutig. 

Ein  spezieller  Fall  hiervon  ist  die  Aufgabe  der  kürzesten  Kurve  zwischen 
zwei  gegebenen  Punkten,  wo 


Beispiel 

VIV):  f  = 

y 

Bereich 

Hier  muß 

y  auf  den 

01: 
beschränkt  werden. 

2/>0 

(oder  y  <  0) 

Nach  (41) 

erhält  man 

i  ein  erstes  Integral 

1 

1 

2/ T/1 +7^ 

? 

und  daraus  das 

allgemeine 

Integral 

y=V§'-{oc-aY'.  (43) 

Die  Extremalen  sind  also  Halbkreise,  die  ihre  Mittelpunkte  auf  der  x- Achse  haben . 
Die  Konstantenbestimmung  ist  eindeutig,  wie  geometrisch  ersichtlich. 
Beispiel  I:  (Siehe  p.  1). 

f=yVi1-y^.      y^o. 

Nach  (41)  erhält  man  ein  erstes  Integral 

Für  a  ^  0 ,  erhält  man  das  allgemeine  Integral  ^) 

2/  =  aCh?-^.  (44) 

Ci 

Die  Extremalen   sind   also  Kettenlinien  mit  der  x- Achse  als  Direktrix.     Wegen 
der  Bestimmung  der  Konstanten  verweisen  wir  auf  §  13,  c). 

Für    a  =  0    erhält    man:  i/  =  0;    dies   ist   zwar   eine  Lösung  von  (41),   aber 
nicht  von  (I)'). 


^)  Vgl.  Osgood,  loc.  cit.  p.  109.  Das  Beispiel  erscheint  zuerst  bei  L'Hospital 
(Acta  Eruditorum,  1697,  p.  217)  als  Brachistochrone  für  ein  Fallgesetz,  bei 
welchem  die  Geschwindigkeit  der  Höhe  proportional  ist. 

^)  Ich  bediene  mich  für  die  hyperbolischen  Funktionen  der  bequemen  Be- 
zeichnungsweise von  Laisant,  Essai  sur  les  fonctions  hyperboliqiies. 

^)  Hierzu  die  Übungsaufgaben  Nr.  2 — 12,  Nr.  18,  19,  und  Nr.  35 — 40  am 
Ende  von  Kap.  HI. 

Bolza,  Variationsrechnung.  3 


34    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Beispiel  Vlll:  f=Yy^  Vi  — 2/'*'- 

Hier  ist  zu  beachten,  daß  unsere  allgemeinen  Voraussetzungen  über  die 
Funktion  f{x,  y,  y)  nicht  erfüllt  sind,  da  neben  der  Gebietsbeschränkung 

2/>0 
auch  eine  Gefällbeschränkung  vorliegt,  nämlich 

-1<2/'<1. 

Trotzdem  bleiben  unsere  Schlüsse  von  §§  4  und  5  gültig.  Denn  erfüllt  die 
Kurve  ß  die  beiden  angegebenen  Bedingungen,  so  können  wir  jf  ]  so  klein 
■wählen,  daß  auch  die  Kurve  (S  dieselben  beiden  Bedingungen  erfüllt;  es  wird 
also  durch  die  Gefällbeschränkung  keine  weitere  Beschränkung  der  Funktion  rj 
eingeführt^). 

Aus  der  Ungleichung  für  y'  folgt  durch  Integration  nach  x  von  x^  bis  zu 
einem  beliebigen  größeren  Wert  von  x'. 

Ziehen  wir  also  vom  Punkt  P^  zwei  Halbstrahlen  vom  Gefälle  -|-  1  ^^^ 
—  1 ,  so  müssen  alle  zulässigen  Kurven  in  dem  Winkelraum  zwischen  diesen 
beiden  Halbstrahlen  und  zugleich  in  der  oberen  Halbebene  enthalten  sein. 

Für  das  allgemeine  Inte- 
gral der  Euler'schen  Diffe- 
rentialgleichung erhält  man 
leicht 

wobei  stets  /5  >  0.  Die  Extre- 
mdien sind  also  Parabeln,  deren 
Brennpunkte  auf  der  x- Achse 
liegen  und  deren  Achsen  der 
negativen  y  -  Achse  parallel 
sind. 

Durch  irgend  zwei  Punkte 
Pj,  Pj  der  oberen  Halbebene, 
welche  die  Bedingung 


Fig.  4. 


^)  Ganz  anders  verhält  es  sich,  wenn  wir  auch  die  Werte  +  1  für  y'  zu- 
lassen. Denn  wenn  entlang  einem  Segment  der  Kurve  (£  :  t/'  =  1  ist,  so  können 
wir  dieses  Segment  überhaupt  nicht  variieren,  ohne  die  Ungleichung  für  y'  zu 
verletzen.  Es  bleibt  also  die  Möglichkeit,  daß  es  außer  den  Extremalen  noch 
Lösungen  gibt,  welche  geradlinige  Segmente  vom  Gefälle  +  1  enthalten.  In  der 
Tat  liefert  eine  gebrochene  Linie,  welche  aus  zwei  solchen  Segmenten  besteht 
(Pj  P3  Pj  oder  P^  P4 1\  in  Fig.  4)  für  das  Integral  J  den  Wert  Null,  und  daher 
sicher  ein  absolutes  Minimum,  wofern  wir  Kurven  mit  Ecken  zulassen. 


§  6.     Bemerkungen  zur  Integration  der  Euler'schen  Differentialgleichung.     35 
erfüllen,  geht  eine  und  nur  eine  dieser  Parabeln^). 

b)  Ausartungen 2)  der  Euler'schen  Differentialgleicliung: 

Wir  betracMen  weiter  den  speziellen  Fall,  wo  die  Ordnung  der 
Euler'schen  Differentialgleichung  sich  erniedrigt.  Dies  tritt  dann 
und  nur  dann  ein,  wenn 

fyy\x,y,y')^^  (46) 

für  alle  Xy  y,  y.  In  diesem  Fall  reduziert  sich  die  Euler'sche 
Differentialgleichung  entweder  auf  eine  endliche  Gleichung,  oder  auf 
die  Identität  0  =  0,  aber  niemals  auf  eine  Differentialgleichung  erster 
Ordnung  ^). 

Denn  wenn  fy,y.  identisch  verschwindet,  so  folgt  durch  zweimalige 
Integration  der  Gleichung  (46)  nach  y,  daß  /'  selbst  eine  ganze  lineare 
Funktion  von  y'  sein  muß,  also  von  der  Form 

f:=M(x,y)^N{x,y)y. 

Setzt  man  dies  aber  in  (I)  ein,  so  kommt 

M,^-N^  =  Q.  (47) 

Hier  sind  nun  zwei  Fälle  zu  unterscheiden: 
Entweder  die  Gleichung  (47)  ist  keine  Identität;  dann  stellt  sie 
eine  endliche  Gleichung  zwischen  x  und  y  dar.  Wir  erhalten  also 
nur  eine  einzige  Kurve  als  mögliche  Lösung,  und  es  wird  dann  im 
allgemeinen  nicht  möglich  sein,  die  weitere  Bedingung  zu  erfüllen, 
daß  die  Kurve   durch   die  beiden  gegebenen  Punkte  Pj  und  Pg  geht. 

Beispiel: 

f=x'^y^-]ryy'- 

Die  Differentialgleichung  (I)  reduziert  sich  hier  auf  die  endliche  Gleichung: 
y  -=  0.  Die  Aufgabe  ist  also  nur  lösbar,  wenn  die  beiden  gegebenen  Punkte 
auf  der  a;- Achse  liegen. 


^)  Dies  folgt  unmittelbar  aus  einem  allgemeinen  Satz  von  E.  H.  Moore 
(siehe  §  26,  b)),  läßt  sich  aber  auch  leicht  direkt  beweisen. 

*)  Schon   von    Euler    behandelt,    Methodus   inveniendi  etc.,    Kap.  II,  §  32. 

^)  Auch  in  dem  allgemeineren  Fall,  wenn  f  höhere  Ableitungen  von  y  ent- 
hält, kann  die  Euler'sche  Differentialgleichung  sich  nie  auf  eine  Differential- 
gleichung ungerader  Ordnung  reduzieren,  vgl.  Frobbnius,  Journal  für  Mathe- 
matik, Bd.  LXXXV  (1878),  p.  206,  und  Hirsch,  Mathematische  Annalen, 
Bd.  XLIX  (1897),  p.  49. 

3* 


36    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Ä.ufgaben. 

Oder  die  Gleichung  (47)  ist  eine  Identität,  gültig  für  alle  Werte 
von  X  und  y: 

M,^N^.  (48) 

Dies  ist  aber  die  bekannte  Integrabilitätsbedingung  ^)  für  den  Differential- 
ausdruck 

Mdx  +  Ndy, 

d.  b.  sind  die  Funktionen  M  und  N  nebst  den  partiellen  Ableitungen 
My  und  N^  stetig  und  genügen  der  Identität  (48)  in  einem  einfach 
zusammenhängenden^)  Bereich  qT  der  x,  2/ -Ebene,  so  existiert  eine 
Funktion  V{Xj  y),  welche  eindeutig  und  von  der  Klasse  C  ist  in  q^ 
und  für  welche 

r^^M,      r^^N;  (49) 

daher  ist 

f{x,y,  y)  =  F,  +  V^y  ^±.V{x,y).  (50) 

Ist  daher  ^  :y  =  y{x)  irgend  eine  Kurve  der  Klasse  C\  welche  die 
beiden  Punkte  P^ix^j  2/1)  ^^^  ^2 (-^2;  2/2)  verbindet,  und  welche  ganz 
in  oT  liegt,  so  hat  das  Integral  Jg  den  Wert 

^e  ^  /Ä  ^^^'  y^  ^^  ^  ^(^2.2/2)  -  y{^v  Vi)  1       (51) 

Xi 

sein  Wert  ist  also  unabhängig  vom  Integrationsweg  und  hängt  nur 
von  der  Lage  der  Endpunkte  ab^). 

Es  ist  klar,  daß  in  diesem  Falle  ein  „eigentliches"  Extremum  des 
Integrals  nicht  stattfinden  kann. 


1)  Vgl.  Encyclopädie,  II  A,  p.  112—114;  Picard,  Traue  d' Analyse,  (2"»«  ed.) 
Bd.  I,  p.  93;  GouRSAT,  Cours  d' Analyse,  Bd.  I,  p.  358.  Der  Beweis  beruht 
auf  der  Betrachtung  des  Integrals 

.  .  {x,y) 

Cmdx  +  Ndy. 

(^1 ,  Vi) 

*)  Darunter  soll  das  Innere  einer  stetigen  geschlossenen  Kurve  ohne  viel- 
fache Punkte,  zusammen  mit  dieser  Kurve  selbst,  verstanden  werden  (einer  so- 
genannten „Jordanischen  Kurve");  vgl.  A  VI  2. 

■')  Wegen  der  Stetigkeit  der  Funktion  V(x,  y)  bleibt  der  Satz  auch  richtig 
für  stetige  Kurven,  welche  sich  aus  einer  endlichen  Anzahl  von  Bogen  der  Klasse 
C  zusammensetzen  (Kurven  der  Klasse  D'  in  der  Terminologie  von  §  10,  c), 
wovon  man  sich  leicht  durch  Zerlegung  des  Integrals  Jg  überzeugt. 


§  6.     Bemerkungen  zur  Integration  der  Euler'schen  Differentialgleichung.     37 
Beispiel: 


Hier  ist: 
also 


fy  =  6x'y-{-2x'y\       fy,  =  2x'y, 
^fy,^ex^y  +  2x'y^fy. 


Umgekehrt:  Wenn  dasIntegralJ^  denseTbenWert  hat  für  alle  zulässigen 
Kurven  ^,  welche  durch  P^  und  Pg  geHen,  und  welche  im  Innern 
eines  einfach  zusammenhängenden  Bereiches  oT  liegen,  (der  in  dem  in 
§  3,  a)  eingeführten  Bereich  61  enthalten  ist),  dann  muß  die  Etiler^ sehe 
Differentialgleichung  identisch  erfüllt  sein 

f  _  Af^  =  o 
'y      dx'y 

Denn  sei  (^o?  ?/o)  ii*geiid  ein  innerer  Punkt  von  ol,  dessen  Abszisse  x^ 
zwischen  x^  und  x^  liegt  und  seien  i/o  ^^^  Vo  ^iwei  willkürlich  vor- 
geschriebene endliche  Werte.  Dann  können  wir  stets  im  Innern  von 
of  eine  zulässige  Kurve  ^:  y  =  y{x)  von  der  Klasse  C"  konstruieren, 
welche  durch  die  Punkte  {x^y  y^y  {x<^y  y^)  und  (x^^  y^)  hindurchgeht  und 
für  welche  yicc^)  =  y^,  y'\x^  =  y^  ist.  Variieren  wir  diese  Kurve  (S, 
so  muß  nach  unserer  Annahme  Ae7=  0  sein  für  jede  zulässige  Vari- 
ation, insbesondere  also  für  Variationen  der  speziellen  Form  (19),  also 
unter  Benutzung  der  Bezeichnung  von  §  4,  c) 

für  aUe  hinreichend  kleinen  |  £  | . 

Also  muß  sein:  J\^)  ^  0,  insbesondere  ?7'(0)  ==  0,  woraus  nach 
§§  4  und  5  folgt,  daß  y{x)  der  Euler'schen  Differentialgleichung  ge- 
nügen muß.  Die  linke  Seite  derselben  muß  also  für  das  willkürliche 
Wertsystem  x  =  x^^,  V  =  Uay  2/'  =  2/o?  V' ^  Vo)  ^^^o  identisch  ver- 
schwinden^). 

c)  Das  inverse  Problem  der  Variationsrechnung:^) 

Wir  betrachten  schließlich  noch  kurz  das  folgende  inverse  Problem: 
Es  sei  gegeben  eine  doppelt  unendliche  Schar  von  Kurven  (FunUionen) 

y  =  g{x,  a,  ß). 


^)  Wegen   der  Verallgemeinerung    des   Satzes   vgl.    Übungsaufgabe   Nr.   46 
am  Ende  von  Kap.  III. 

^)  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  15 — 16  am  Ende  von  Kap.  III. 


38    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Es  soll  eine  FimUion  f{x,  y,  y)  bestimmt  werden,  derart,  daß  das 
gegebene  System  von  Kurven  das  System  der  Extremalen  für  das  Integral 

J=-ff(x,y,y)dx 

Xi 

bildet. 

Darboux^)  hat   gezeigt,  daß   dies  Problem   stets  unendlich  viele 
Lösungen  besitzt,  welche  durch  Quadraturen  erhalten  werden  können. 

Denn  wenn 

y'=G(x,y,y)  (52) 

die  durch  Elimination  2)  von  a,  ß  zwischen  den  drei  Gleichungen 

y  =  g(x,  a,  ß),       y  =  g^x,  a,  ß),       y"  =  g^^{x,  a,  ß) 

zu  erhaltende  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  ist,  deren  all- 
gemeine Lösung  die  gegebene  Funktion:  y=^g{x,a,ß)  ist  (mit  «,  ß 
als  Integrationskonstauten),  so  handelt  es  sich  darum,  die  Funktion 
f{^}  V}  y')  so  zu  bestimmen,  daß  (52)  mit  der  aus  f  abgeleiteten 
Euler^schen  Differentialgleichung  identisch  wird,  also  nach  (37)  so,  daß 

,..       „  ,  fy-fy.-y'fyy-Gfyy.  (53) 

lur  alle  x,  y,  y . 

Differentiiert    man   jetzt   (53)    nach    /,    so    erhält    man    für    die 

Funktion  M  =  fy,y,  eine  lineare  partielle  Differentialgleichung  erster 

Ordnung,  nämlich 

lJ  +  yTy+  ^W  +  ^v^i-0-  (54) 

Bezeichnen 

cc  =  (p(x,y,y),         ß  =  t(x,y,y) 

die  Lösung  der  beiden  Gleichungen 

y  =  g(x,a,ß),        y=g^{x,a,ß) 
nach  a  und  ß ,  und  setzt  man  ferner 

SO  findet  man  nach  der  allgemeinen  Theorie^)  der  linearen  partiellen 
Differentialgleichungen  erster  Ordnung  für  das  allgemeine  Integral  von 
(54)  den  Ausdruck 

^)  Theorie  des  surfaces,  Bd.  III,  Nr.  604,  G05. 

*)  Vgl.  z.  B.  Jordan,  Cours  d' Analyse,  I,  Nr.  166. 

^)  Vgl.  z.  B.  JoKDAN,  Cours  d^ Analyse,  III,  Nr,  242. 


.  §  6.     Bemerkungen  zur  Integration  der  Euler'schen  Differentialgleichung.     39 


e{x,  (fix,  y,  y'),  ^{x,  y,  y')) 
wo  0  eine  willkürliche  Funktion  von  cp  und  t/;  bedeutet. 

Nachdem  M  gefunden  ist,  erhält  man  f  durch  zwei  sukzessive 
Quadraturen  aus  der  Gleichung 

^,,  =  M{x,y,y'), 

wobei  zwei,  noch  von  x  und  y  abhängige  Integrationskonstanten  A,  ^ 
eingeführt  werden.  Schließlich  müssen  die  letzteren  noch  so  bestimmt 
werden,  daß  f  der  ursprünglichen  partiellen  Differentialgleichung  (53) 
genügt,  aus  welcher  (54)  durch  Differentiation  abgeleitet  war. 

Wir  können  das  erhaltene  Resultat  auch  dahin  aussprechen,  daß 
jede  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  (auf  unendlich  viele  Arten) 
als  Euler'sche  Differentialgleichung  eines  ProUems  der  Variationsrechnung 
von  dem  einfachsten  hier  betrachteten  Typus  aufgefaßt  werden  Icann^) 

Beispiel^):  Alle  Funktionen  /zu  bestimmen,  für  welche  die  Extremalen 
gerade  Linien  sind: 

y=ccx  +  ß  . 

Die  Differentialgleichung  (52)  wird  in  diesem  Fall 

y"  =  0 . 
Wir  erhalten  daher 

G  =  0 ,        cp  =  y',        ip^y  —  xy 
und  daraus 

M=^{y\  y  —  xy) 
und  weiterhin 

K 

f=J{y—t)  ^{t,  y  —  xt)dt  +  yl{x,  y)  +  ^(a;,  y) . 

0 

Die  Bedingung  für  l  und  ft  wird  in  diesem  Fall 

dX         c  IL 
dx~  dy  ' 
der  allgemeinste  Ausdruck  für  X  und  ^  ist  daher 
.        cv  dv 

cy  "*  dx^ 

wo  V  eine  willkürliche  Funktion  von  x  und  y  ist.') 

^)  Dies  findet  nicht  mehr  statt  bei  der  entsprechenden  Aufgabe  für  den 
allgemeineren  Typus,  wo  f  höhere  Ableitungen  enthält;  vgl.  darüber  Hirsch, 
Mathematische  Annalen,  Bd.  XLIX  (1897),  p.  49  und  Kasner,  Bulletin  of 
the  Am.  Math.  Soc,  Bd.  XlII  (1907),  p.  289. 

*)  Vgl.  Darboux,  loc.  cit.  Nr.  606. 

')  Die  analoge  Aufgabe  für  den  Fall,  wo  die  Extremalen  Kreise  sind,  deren 
Mittelpunkte  auf  der  a?- Achse  liegen,  hat  Stromquist  gelöst  (Transactions  of 
the  American  Mathematical  Society,  Bd.  7  (1906),  p.  175). 


40    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  tei  der  elDfachsten  Klasse  vou  Aufgaben. 

§  7.    Der  Fall  beweglicher  Endpunkte. 

Wir  haben  bei  unseren  bisherigen  Entwicklungen  stets  die  beiden 
Endpunkte  der  zulässigen  Kurven  als  fest  angenommen.  Wir  wollen 
in  diesem  Paragraphen  nun  auch  den  Fall  betrachten,  in  welchem 
einer  der  beiden  Endpunkte  auf  einer  gegeben en  Kurve  beweglich^)  ist, 

a)  Der  Endpunkt  Pj  ist  auf  der  Geraden  x  =  x^  beweglich: 
Wir   betrachten   zunächst  den  speziellen  Fall,  wo   der  Punkt  P^ 
auf  der  gegebenen  Geraden 

X  =  x^  (55) 

beweglich  ist,  während  der  Punkt  Pg  fest  ist.  Die  Gesamtheit  der 
zulässigen  Kurven  besteht  jetzt  also  aus  allen  Kurven,  welche  von 
der  gegebenen  Geraden  (55)  nach  dem  gegebenen  Punkt  Pg  gezogen 
werden  können,  und  welche  im  übrigen  den  in  §  3,  a)  unter  2)  bis 
4)    aufgezählten  Bedingungen    genügen. 

Wir  nehmen  wieder  an,  wir  hätten  eine  Kurve  ©  gefunden,  welche 
in  bezug  auf  diese  Gesamtheit  von  zulässigen  Kurven  ein  Minimum 
für  das  Integral  J  liefert;    ihre  Gleichung  sei: 

ß:  y  =  y{^),      x^'Zx^x^. 

Dann  muß 

sein  für  alle  zulässigen  Kurven,  welche  in  einer  gewissen  Nachbar- 
schaft der  Kurve  ß  liegen,  also  insbesondere  auch  für  alle  diejenigen 
darunter,  welche  mit  der  Kurve  ^  den  Anfangspunkt  P^  gemeinsam 
haben.  Das  heißt  aber:  die  Kurve  S  muß  auch  noch  ein  Minimum 
liefern,  wenn  der  Endpunkt  P^  als  fest  betrachtet  wird,  und  daraus 
folgt  nach  der  früheren  Theorie,  daß  die  Funktion  y{x)  der  Euler'schen 
Differentialgleichung 

f  -  4  t\  =  0 
ly      dx'y 

genügen  muß,  daß  somit  auch  im  Falle  variabler  Endpunkte  die 
Kurve  (£  eine  Extremale  sein  muß.  Wir  setzen  in  der  weiteren  Dis- 
kussion voraus,  daß  diese  Bedingung  erfüllt  ist. 


1)  Das  älteste  Beispiel  dieser  Art  rührt  von  Jacob  Bernoüixi  her  (1697); 
es  ist  die  Aufgabe  der  Brachistochrone ,  wenn  der  zweite  Endpunkt  auf  einer 
vertikalen  Geraden  beweglich  ist.  Allgemein  sind  Aufgaben  mit  variabeln  End- 
punkten zuerst  von  Lagrange  behandelt  worden  (1760),  vgl.  (Euvres,  Bd.  I, 
p.  338,  345. 


§  7.     Der  Fall  beweglicher  Endpunkte. 


41 


Um   nun  weitere  Bedingungen   zu   erhalten^   betrachten  wir  jetzt 
in  zweiter  Linie  eine  Variation  der  Form 


© 


y=^y{x)  +  sri{x)~y{x), 


,  bei  welcher  der  Endpunkt  Pj  variiert  wird.    Die  Funktion  iq  ist  dabei 
eine  willkürliche  Funktion  der  Klasse  C ,  für  welche 

Für  diese  Variation  gelten  die  Schlüsse  von  §  4,  wonach 


sein  muß.  Wendet  man  jetzt  die 
partielle  Integration^)  von  §  5,  a) 
an^  so  verschwindet  in  der 
Gleichung  (25)  das  Integral^  weil 
die  Kurve  ©  eine  Extremale  ist, 
und  es  bleibt  nur 

daraus  folgt  aber,   da  7]{Xj)=^0: 

Im   Funkt   Pj    muß   die   Bedingung 


Fig.  5. 


(56) 


fy'i^U   VU   vi)  =   0 

erfüllt  sein. 

Diese  Bedingung,  zusammen  mit  der  Bedingung,  daß  der  Punkt  P^ 
auf  der  Geraden  x  ==  x^  liegen  soll,  und  daß  die  Kurve  (S  durch  den 
Punkt  Pg  gehen  soll,  bestimmt  im  allgemeinen  die  beiden  Integrations- 
konstanten in  dem  allgemeinen  Integral  der  Euler'schen  Differential- 
gleichung und  die  unbekannte  Ordinate  ^j  des  Punktes  P^. 

Beispiel  I  (siehe  pp.  1,  33): 


Hier  ist:  f\y 


yy 


Da  stets  y'>0,  so  folgt 


^(  =  0, 
d.  h.  die  Kettenlinie  muß  im  Punkt  P^  senkrecht  auf  der  Geraden  x=^  x.^  stehen. 


^)  Dieselbe  ist  statthaft,  da  wir  annahmen,  daß  (£  eine  Extremale  und  zwar 

von  der  Klasse  C  ist.     Darin  ist  enthalten,  daß  -z—f,,   existiert  und   stetig  ist. 

dx   y 


42    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

b)  Der  Endpunkt  P,  ist   auf  einer  beliebigen  Kurve  beweglich: 
Wir  wenden  uns  jetzt  zu  dem  allgemeinen  Fall,  wo  der  Punkt  P^ 
auf  einer  beliebigen  im  Bereich  Öl  gelegenen  Kurve: 


(l: 


y  =  y(x) 


der  Klasse  C  beweglich  ist,  während  der  Punkt  P^  fest  ist. 

Dazu  müssen  wir  unsere  frühere,  in  §  3,  b)  gegebene  Definition 
des  (relativen)  Minimums  etwas  verallgemeinern.  In  den  bisher  be- 
handelten Fällen  lagen  nämlich  alle  zulässigen  Kurven  in  dem  Streifen 
der  Ebene  zwischen  den  beiden  festen  Geraden  x  =  x^,  x  =  x^.  Dies 
ist  jetzt,  wo  die  untere  Grenze  unseres  Integrals  nicht  gegeben  ist, 
nicht  mehr  der  Fall.  Wir  werden  daher  jetzt  sagen,  eine  Kurve  S 
liefere  ein  (relatives)  Minimum  für  das  Integral  J,  wenn 

für  jede  zulässige  Kurve  ©,  welche  in  einer  gewissen  Umgehung  äl  der 
Kurve  S    gelegen    ist.      Dabei    soll    unter    einer  „Umgebung  äl  der 

Kurve  S"  jeder  Bereich  ver- 
standen werden,  welcher  die 
Kurve  S  in  seinem  Innern  ent- 
hält, so  daß  also  jeder  Punkt 
von  ©  ein  „innerer  Punkt"  von 

ai  ist.i) 

Dann  schließen  wir  zunächst 
wieder,  ganz  wie  unter  a),  daß 
die  gesuchte  Kurve 

^'     y  =  y(^),  x^^x^x^, 

eine  Extremale  sein  muß. 

Alsdann     konstruieren     wir 

folgendermaßen  eine  zulässige 
Variation,  welche  den  Endpunkt  P^  variiert.  Es  sei  P\  derjenige 
Punkt  der  Kurve  S,  dessen  Abszisse 


Fig.  ß. 


^)  Vgl.  A  I  7.  Mit  Hilfe  des  in  §  21,  a)  bewiesenen  Lemmas  läßt  sich  leicht 
zeigen,  daß  für  die  Probleme  mit  festen  Grenzen  x^,  x^,  die  jetzige  Definition  mit 
der  früheren  äquivalent  ist,  sowie  daß  wir  bei  der  vorliegenden  Aufgabe  ohne  Ein- 
schränkung der  Allgemeinheit  für  il,  z.  B.  den  Bereich  wählen  können,  der  da- 
durch entsteht,  daß  man  der  Nachbarschaft  {q)  der  Kurve  (£  noch  einen  Halb- 
kreis mit  dem  Mittelpunkt  P^  und  dem  Radius  q  hinzufügt  (siehe  Fig.  6). 


§  7.     Der  Fall  beweglicher  Endpunkte.  43 

CC-t   =  OC-^  ~j~  £ 

ist.  Dann  wählen  wir  willkürlich  eine  Funktion  t]  (x)  von  der  Klasse  C, 
welche  den  Bedingungen 

genügt,  und  betrachten  die  Schar  von  Kurven 

welche  sämtlich  durch  den  Punkt  P^  gehen.  Eine  Kurve  dieser 
Schar  wird  dann  durch  den  Punkt  P^  gehen,  nämlich  diejenige,  für 
welche  der  Parameter  k  aus  der  Gleichung 

2/(^1  +  0  +  f^vi^i  ■+-£)  =  yi^i  +  £) 

bestimmt  wird,  woraus  sich 

ergibt.     Dann  stellt  die  Kurve 

S:  y  =  y(x)-^]i{E)^]{x),         x^^x'^x^ 

für  jeden  hinreichend  kleinen  Wert  von  |  s  \  eine  zulässige  Variation 
von  ^  dar.     Da 

so  ist  Ä;(0)  =  0;  die  Kurve  S  reduziert  sich  also  für  £  =  0  auf  die 
Kurve  ®.     Ferner  merken  wir  noch  an,  daß 

wenn  wir  zur  Abkürzung  schreiben 

y'i  ==  y  (^i) ;      ^1  =  V  (^i) ;      'ni  =  ^]  K)  • 

Wir  bilden  jetzt   das   Integral  J^.     Dasselbe   ist  eine   eindeutige 
Funktion  von  £,  die  wir  mit  J{£)  bezeichnen,  so  daß 

J{£)  =Jf(x,  y  +  Ä(£)7/,  y  +  'k{8)ri)dx, 

wobei  wir  besonders  hervorheben,  daß  jetzt  die  untere  Grenze  des 
Integrals  von  s  abhängt. 


44    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Die  Funktion  J(s),  die  sich  für  £  =  0  anf  J^  reduziert,  muß  nun 
wieder  für  s  =  0  ein  Minimum  besitzen ;    also  muß 

J'[0)  =  0 

sein.  Nach  den  Regehi  für  die  Differentiation  eines  bestimmten  In- 
tegrals nach  einem  Parameter  erhält  man  aber^): 

Wendet  man  nun  auf  das  zweite  Glied  unter  dem  Integral  die 
Lag  rang  ersehe  partielle  Integration  an,  und  beachtet,  daß  die  Kurve  S 
eine  Extremale  ist,  so  erhält  man  unter  Benutzung  von  (57) 

-^'(0)  =  -  \i\x„  y„  y\)   +  {y\  -  y[)f,,{x„  y„  y\)],  (58) 

und  somit  das  Resultat: 

Im  Fimld  P^  muß  zwischen  den  Gefällen  der  beiden  Kurven  ^ 
und  ^  die  Relation  stattfnden 

fi^i,  yu  yd  +  07i  -  y[)f:Axi,  yi,  y\)  =  o.  (59) 

Wenn  diese  Bedingung  erfüllt  ist,  so  sagt  man,  die  Kurve  d 
schneide  die  Extremale  S  im  Punkte  P^  transversal^) 

Die  Gleichung  (59),  zusammen  mit  den  beiden  Gleichungen: 

^(^2,  «,  ß)  =  1/2,         g{x^,  «,  ß)  =  ii(x^), 

bestimmt  im  allgemeinen  die  Abszisse  x^  des  Punktes  P^  und  die  beiden 
Integrationskonstanten  a,  ß  der  allgemeinen  Lösung  der  Euler'schen 
Differentialgleichung. 

Beispiel  I  (siehe  pp.  1,  33,  41): 

Hier  lautet  die  Transversalitätsbedingung  '' 

1/(1 -f-yy) 

welche  besagt,  daß  die  Kettenlinie 


*)  Dabei  ist  stillschweigend  vorausgesetzt,  daß  die  Funktion  f(x,  y,  'if) 
nicht  von  x^,  2/1  abhängt;  vgl.  p.  50  und  §  34,  c). 

*)  Im  Gebrauch  des  Wortes  „transversal''  folge  ich  Osgood,  Sufficient  con- 
ditions  etc.,  p.  112.  Kneser,  von  dem  der  Ausdruck  herrührt,  sagt  umgekehrt, 
ß  werde  von  ß  transversal  geschnitten. 


§  8.     Der  allgemeine  d-Prozeß.  45 

x  —  ß 


=  aCh 


cc 


die  gegebene  Kurve  ^  im  Punkt  P^  orthogonal  schneiden  muß;  wir  erhalten 
also  dieselbe  Bedingung  wie  im  speziellen  Fall  a).  ^)  Dasselbe  Resultat  gilt 
allgemein*)  für 

Wir  bemerken  noch  für  späteren  Gebrauch^  daß  sich  aus  (58) 
der  folgende  Ausdruck  für  die  totale  Variation  ergibt: 

AJ"=  -  6[f(x„  y„  y[)  +  {y[  -  y[)fy,(x,,  y^,  y^)]  +  s{b)  .      (60) 

Wenn  statt  des  Punktes  P^  der  Punkt  Pg  auf  einer  gegebenen 
Kurve  S  beweglich,  dagegen  P^  fest  ist,  so  führt  eine  ganz  analoge 
Betrachtung  zu  der  entsprechenden  Bedingung 

fi^2>  2/2;  vd  +  Ö2  -  y%)fyi^2, 2/2;  2/2)  =  ö>  (ö^a) 

und  dem  Ausdruck 

Ajr=  sif{x^,  2/2;  2/2)  +  Ä  -  y2)fy\^2>  y^i  2/2)]  +  «W-     (ööa) 

Sind  beide  Endpunkte  beweglich,  P^  auf  einer  Kurve  S^,  Pg  auf 
einer  Kurve  Sg,  so  muß  die  gesuchte  Kurve  eine  Extremale  sein,  und 
es  müssen  gleichzeitig  die  beiden  Transversalitätsbedingungen  (59) 
und  (59  a)  erfüllt  sein. 

§  8.     Der  allgemeine  d- Prozeß.^) 

Wir  knüpfen  an  die  Entwicklungen  des  letzten  Paragraphen  eine 
Besprechung  des  allgemeinen  d-Prozesses,  der  eine  so  hervorragende 
Rolle  in  der  älteren  Variationsrechnung  gespielt  hat.*)  In  §  4  haben 
wir  eine  vorläufige  Definition  desselben  gegeben  für  spezielle  Varia- 
tionen der  Form 

A^  =  £7} 

^)  Die  Bedingung  (56)  kann  als  Grenzfall  von  (59)  aufgefaßt  werden,  für 
^^  =  00 ;  Vgl.  übrigens  die  Behandlung  des  Problems  in  Parameterdarstellung, 
§§  34,  35. 

^)  Ygl.  dazu  Übungsaufgabe  Nr.  17  am  Ende  von  Kap.  III. 

^)  Wir  empfehlen  dem  Leser,  diesen  Paragraphen  vorläufig  zu  überschlagen 
und  erst  bei  Bedarf  darauf  zurückzugreifen. 

*)  Bei  Lagrange  und  bei  allen  älteren  Autoren  ist  „calcul  des  variations'' 
geradezu  identisch  mit  der  Theorie  des  ^-Prozesses,  und  die  Theorie  der  Ex- 
trema  bestimmter  Integrale  wird  als  Anwendung  dieses  Yariationskalküls  aufgefaßt. 


46    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

und  für  den  Fall  fester  Endpunkte.  Wie  jedoch  schon  die  in  §  7 
gegebenen  Entwicklungen  zeigen,  kommt  man  nicht  immer  mit 
Variationen  dieser  einfachsten  Art  aus,  und  es  wird  häufig  nötig, 
Variationen  von  dem  allgemeinen  Typus 

heranzuziehen.  Es  soll  jetzt  gezeigt  werden,  wie  dabei  der  d-Prozeß 
zu  modifizieren  ist. 

a)  Die  erste  Variation: 

Es  sei 

ein  Kurvenbogen,  von  dem  wir  voraussetzen,  daß  die  Funktion  y{x) 
von  der  Klasse  C  ist  in  einem  Intervall  [X^Zg],  das  nach  beiden 
Seiten  über  [x^x^]  hinausreicht,  so  daß  X^<ix^j  X^>x^. 

Die  Endpunkte  des  Bogens  ^  seien  P^  und  Pg .  Wir  betrachten 
jetzt  eine  Schar  ^)  von  Bogen  mit  einem  Parameter  £,  welcher  den 
Bogen  S  als  Individuum  enthält  und  zwar  für  £  =  0.  Eine  solche 
Schar  können  wir  auf  unendlich  viele  Weisen  konstruieren,  indem 
wir  einfach  setzen 

y  =  y{x)  +  «  {x,  e)  =  y{x,  t),         x^^s)  Zx^x,{b),         (61) 

wobei  die  Funktionen  G)(x,e),  x^{e),  x^iß)  den  Anfangsbedingungen 
genügen : 

«(^,  0)  =  0  {(62) 

x^{0)  =  x,,        x,(p)  =  x^.  (63) 

Über  die  Funtion  (x}{x,  e)  machen  wir  noch  die  weitere  Annahme, 
daß  sie  selbst,  sowie  ihre  partiellen  Ableitungen  w^,  «,,  03^^  existieren 
und  stetig  sind  in  dem  Bereich 


^)  Der  Gedanke,  die  zu  variierende  Kurve  als  Individuum  einer  einpara- 
metrigen  Kurvenschar  aufzufassen,  rührt  von  Euleu  her,  {Methodus  nova  et  facilis 
cdlculum  variationum  tractandi,  NoviCommentarii  Acad.  Imp.  Sc.  Petropoli- 
tanae,  Bd.  16  (1772),  auch  Instit.  Calc.  Jntegr.,  Bd.  4,  Suppl.  XI),  Derselbe  ist  von  der 
größten  Wichtigkeit  für  die  Variationsrechnung  gewesen,  da  er  den  Lagrange'schen 
„Yariationskalkül"  auf  einen  DifiFerentiationsprozeß  reduzierte  und  dadurch  über- 
haupt erst  auf  eine  feste  Grundlage  stellte.  Zugleich  ist  er  aber  auch  von  nach- 
teiligem Einfluß  gewesen,  insofern  er  zu  dem  naheliegenden  Irrtum  führte,  daß 
man  glaubte,  auf  diese  Weise  den  allgemeinsten  Ausdruck  einer  Variation 
zu  erhalten  (vgl.  §  15,  a). 


8.     Der  allgemeine  ^-Prozeß. 


47 


wofern  die  positiven  Größen  h,  x^  —  X^,  X^  —  x^  hinreicliend  klein 
gewählt  werden.  Daraus  folgt  dann,  daß  auch  o^^  in  demselben  Be- 
reich existiert  und  gleich  co^^  ist.^) 

Von  den  beiden  Funktionen  x^{b),  x^{e)  setzen  wir  außer  der 
Gleichung  (68)  noch  voraus ,  daß  sie  in  dem  Bereich  \  s  \^'k  von 
der  Klasse  C  sein  sollen. 

Wir   variieren    nun   den  Bogen  ^,    indem   wir   ihn   durch  einen 
Bogen   ©    der   Schar  (61)   ersetzen.      Eine    solche  Variation,    welche 
alle     soeben     angeführten     Be- 
dingungen erfüllt,  wollen  wir  eine 
„Normal -Variation"  nennen. ^) 

Jetzt  sei  (p{Xyy,y)  irgend 
eine    Funktion    von    x,    y,    y' 
welche    von    der   Klasse    C  ist 
in  einer  gewissen  Umgebung  äl'   ^» 
der  Kurve 

^\    y  =  y{x),    y=-y{x), 

X-j^  <^  X  <^  x^ 


Fig.  7. 


im  Raum   der  Variabein  x,  y,  y.      Wir    substituieren    darin    y-^-a, 
y  +  co'  für  y,  y   und  bezeichnen^) 

Alsdann  definieren*)  wir 


^^=^(i-:L 


(64) 


1)  Nach  A  IV  7. 

*)  Abweichend  von  Kneser,  Lehrhuch,  p.  91. 

^)  Akzente  sollen  Differentiation  nach  x  auch  dann  bezeichnen,  wenn  neben 
X  andere  Variable  vorkommen,  also  hier:  co' =  «  ,  a'  =  a      usw. 

*)  Definition  und  Bezeichnung  sind  schwankend.  Die  hier  gegebene  De- 
finition von  dqp  schließt  sich  an  die  von  Jordan,  Cours  d' Analyse,  III,  Nr.  348 
für  Variationen  der  speziellen  Form  Br\  gegebene  Definition  an,  Eüler  und 
^ach  ihm  Stegemann  (Lehrbuch)  und  Erdmann  (Schlömilch'sZeitschrift,  Bd.  XXVI 

(1881)  p.  76)  definieren:  Scp  =  l~\  ds.     Dagegen  definieren  Ohm,  Strauch  und 

MoiGNO:  dcp  =  l-^j      wofür  Stegemann   den   Ausdruck  „Variationsquotient"  und 
das  Zeichen  ö'   gebraucht. 


48  Erstes  Kapitel.  Die  erste  Variation  bei  der  einfaclisten  Klasse  von  Aufgaben. 
Falls  ^  Entwicklung  nach  Potenzen  von  s  zuläßt: 

so  ist  d(p  identisch  mit  dem  Glied  erster  Ordnung  £(p^  in  dieser 
Entwicklung. 

Wenden    wir   dies   insbesondere   auf  die  Funktionen  cp  =  y   und 
(p  =  y'  an  so  kommt 

8y  =  sGyJx,0),        dy=8cj^X^,0)  (65) 

woraus  wegen  0^^  =  05,^  folgt: 

rJv-s®-  (66) 

Die  Operationen  der  Variation  und  Differentiation  sind  also  ver- 
tauschbar.    Unter  Benutzung  von  (65)  wird  jetzt 

^^-%^y-^(Py'äy.  (67) 

Wir  betrachten  weiter  das  Integral 

J=ff{^,  Vy  y)  dx 

unter  der  Voraussetzung^  daß  die  Funktion  f{x,  y,  y')  in  einer  ge- 
wissen Umgebung  der  Kurve  ß'  von  der  Klasse  C  ist.  Dieses  Inte- 
gral, genommen  entlang  einer  Kurve  (S  der  Schar  (61)  ist  eine 
Funktion  von  £,  die  wir  wieder  mit  J{e)  bezeichnen: 

^(f)  =Jf(^,  yix)  -f  co{x,e),  y\x)  +  Gi{x,E))  dx . 
Dann  definieren  wir  analog: 

Nach  den  über  die  Funktionen  y^  09,  x^,  x^  und  /*  gemachten  An- 
nahmen dürfen  wir  bei  der  Differentiation  von  J^s)  die  gewöhnlichen 
Regeln^)  über  die  Differentiation  eines  bestimmten  Integrals  nach 
einem  Parameter  anwenden,  wobei  insbesondere  zu  beachten  ist,  daß 
jetzt  auch  die  Grenzen  von  e  abhängen.     Definieren  wir  noch 

so  ergibt  die  Ausführung  der  Rechnung: 
')  Vgl.  A  V  7. 


§  8.     Der  allgemeine  ^-Prozeß.  49 

^2  2 

oder,  wenn  man  das  bestimmte  Integral  in  der  üblichen  Weise  durcb 
partielle  Integration  umformt  (die  Zulässigkeit  der  letzteren  voraus- 
gesetzt) 

dJ=jdy  (fy  -  -^'Jy)dx  +  f{x^,  y„  y'^)  öx^  +  fy,{x^,  y,,  y'^)  {ßy\ 

-  f\^u  Vi  y  yd  ^^1  -  /,'  K;  Viy  Vi)  (^y\ ;  0^) 

dabei  bedeutet  (dy).  den  Wert  von  dy  für  x  =  x.^  also 

{öy\  =  8CDX^,,0),         (dy\  =  ecoXx,,0).  (71) 

Dagegen  bezeicbnen  wir 

Da 

dyi_dy{Xi,s)  _     r.  ^dXi  .  . 

de  -        de        ~y  ^^i'  ^^  de   +  ^ ^^^^^  ^^' 

SO  ist 

d(y,)  =  y[  dx,  +  (dy\ ,         d(y,)  =  y',  dx,  +  (dy\  .  (73) 

Die  Variationen  ö(y^  pflegt  man  „gemischte'^)  Variationen"  zu 
nennen,  im  Gegensatz  zu  den  sogenannten  „reinen  Variationen"  (ßy)^. 

Führt  man  mittels  der  Relationen  (73)  in  der  Formel  (70)  die 
gemischten  Variationen  statt  der  reinen  ein,  so  erhält  man  schließlich: 


x^ 

dj  =j^y{fy  -  ^fy)  dx  +  [f{x^,  1/2, 2/2)  -  y2fy'(p^2,  y^,  2/2)]  ^^2  + 

+  fy'{^2,  y^,  2/2)  ^(2/2)  -  [fi^i,  yi,  y'i)  -  y'Jy{^iy  yi,  y\)] ^^1  - 
-fy'{^iyyiyy'i)^(yi)' 


(74) 


^)  Über  reine  und  gemiscMe  Variationen  vgl.  Kneser,  Encyclopädie,  II  A  p.  576, 
■und  Stegemann,  Lehrluch,  §  56  und  wegen  der  verschiedenen  dafür  gebrauchten  Be- 
zeichnungen die  Vorrede  zu  letzterem,  p.  VII.  Noch  anders  bezeichnet  Erdmann, 
Schlömilch'sZeitschrift,  Bd.  XXII  (1878),  p. 363.  Er  schreibt  [^i/J^  ^2/i  für  ^(?/,-), 
{dy)i  resp.  In  Fig.  7  ist  annähernd:  (ßy\  =  F^L;  8{y^)  =  MP^. 

Auf  die  „Variation  der  unabhängigen  Variahein'',  die  bei  den  älteren 
Autoren  über  Variationsrechnung  eine  große  Rolle  gespielt  hat,  gehen  wir  hier 
nicht  ein.     Sie  hat  viel  Unklarheit  in  die  Variationsrechnung  gebracht,  und  man 

Bolza,  Variationsrechnung.  4 


50    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Yariation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Bei  manchen  Aufgaben^)  hängt  die  Funktion  f  außer  von  x,  y,  y 
auch  noch  von  den  Koordinaten  der  beiden  Endpunkte  ab.     Es  ist  dann 

AO  =  J/(^;  Vi  y--,  ^17  ¥11  ^'2>  ¥2)  d^- 

Daher  muß  man  dem  Ausdruck  (70)  oder  (74)  für  dJ"  jetzt  noch  das 
Zusatzglied 

hinzufügen,  das  sich  unter  Benutzung  von  (73)  auch  schreiben  läßt^) 

X^  Xj 

Xj_  x^ 

Die  bisherigen  Definitionen  und  Resultate  lassen  sich  unmittelbar 
auf  den  allgemeineren  Fall  von  Variationen  übertragen,  welche  von 
mehreren  Parametern  f^,  e^,  .  .  .,  s^  abhängen,  wobei  man  über  die 
Funktionen  co{x,  e^,  e^,  . . .,  ej,  x^{£^,  e^,  . . .,  fj,  x.2{e^,  £3,  •  •  v  O  ^i® 
den  obigen  analogen  Annahmen  zu  machen  hat. 

Für  diesen  Fall  soll  definiert  werden: 


kann  vollständig  ohne  sie  auskommen,  um  so  mehr  als  der  ihr  zugrunde  liegende 
Gedanke  in  der  Parameterdarstellung  seinen  Ausdruck  findet.  Eine  rationelle 
Begründung  der  Variation  der  unabhängigen  Variabein  findet  man  bei  Jordan, 
Cours  d' Analyse,  III,  Nr.  351. 

^)  Dies   tritt  bei    der  Aufgabe  der  Brachistochrone  ein,    bei  welcher  das 
Integral 


Jz=    I   K--''^_    -—.^       1c  eine  Konstante, 

J  Vy-Vt-h^' 


zu  einem  Minimum  zu  machen  ist.     Vgl.  §  34,  c). 
')  Vgl.  LiNDELÖF-MoiGNo,  loc.  cit.  Ni.  63. 


§  8.     Der  allgemeine  d-Prozeß.  51 

Mit  dieser  allgemeineren  Bedeutung  des  Symbols  d  bleibt  dann 
auch  die  Formel  (74)  gültig. 

Die  im  vorangehenden  entwickelten  Begriffsbildungen  lassen  sich 
ohne  weiteres  auf  Variationsprobleme  übertragen^  in  welchen  mehrere 
unhelaannte  Funktionen  von  x  vorkommen.     Für  das  Integral 


*2 


dx 


erhält  man  so  im  Fall  fester  Grenzen  x^,  x^y  wenn  man  die  Kurve 

^'  yi  =  yl^),         x^^x^x,^,         i==l,2,...,n, 

im  Raum  der  Yariabeln  Xy  y^,  .  .  .^  y.,^  durch  die  Kurve 

S:         yi==yi{oc)  +  03,{x,s)y       x^^x'^x.^,         i^\,2y.  ..,n, 
ersetzt: 


6J 

wobei 


<^y.  =  ^^'^""-  (76) 


Dabei  ist  vorausgesetzt,  daß  die  Funktionen  y^ix)  im  Intervall 
[x^x^  von  der  Klasse  G"  sind,  und  daß  die  Funktionen  C3^.(rr,  s)  die- 
selben Eigenschaften  besitzen,  wie  oben  die  Funktion  caiXy  a). 

Wenn  insbesondere  die  Kurve  S  eine  „Extremale"  ist,  d.  h.  wenn 
die  Funktionen  yiix)  dem  System  von  Differentialgleichungen 

Ä-.4-Ä  =  0'        i=l,2,...,n,  (77) 

genügen,   so  reduziert   sich  der  Ausdruck  für  die  erste  Variation  auf 

und  daraus  erhält  man^)  nach  der  Definition  der  Ableitung  die 
folgende  Fundamentalformel  für  die  Variation  eines  Extremalenbogens 
bei  festen  Grenzen  x^,  x^: 


^)  Vgl.  dazu  Gleichung  (21). 


52    Erstes  Kapitel.    Die  erste  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

b)  Die  höheren  Variationen: 

Wir  schließen  hieran  eine  kurze  Besprechung  der  höheren 
Variationen.  Da  es  sich  dabei  wesentlich  um  formale  Entwicklungen 
handelt^  wollen  wir  der  Einfachheit  halber  annehmen,  daß  alle  auf- 
tretenden Funktionen  und  Ableitungen  in  den  in  Betracht  kommenden 
Bereichen  existieren  und  stetig  sind,  daß  alle  vorkommenden  Reihen- 
entwicklungen konvergieren,  und  daß  überhaupt  die  gewöhnlichen 
Regeln  der  formalen  Differential-  und  Integralrechnung  anwendbar  sind. 

Wir  betrachten  —  etwas  allgemeiner  als  bisher  —  eine  Funktion 
^  {^1  Vy  Vi  ■"■>  y^^)  von  X,  y  und  einigen  Ableitungen  von  y.  Wir 
ersetzen  darin  y  durch  y{Xj  b)  und  dementsprechend  y^'-'^  durch  y^^-^{x,  e). 
Die  so  entstehende  Funktion  von  x  und  e 

(p  =  (p{x,  y,  y,  ...,  y^^))^ 

entwickeln  wir  nach  Potenzen  von  £-,  es  sei 

9^  =  9P  +  1!  9^1  +  ^  9^2  +  •  •  • 

Alsdann  heißt  ^)  die  Größe  £"9?^  die  n^^  Variation  von  (p  und  wird  mit 
ö"cp  bezeichnet;  also 

Insbesondere  ist  demnach 

\        CS  /f=0 


also 


-iä^y.  (81) 


dx 

Für    die  Variationen    niedrigster    Ordnung^)    von  9?    erhält   man 
nach  den  Regeln  für  die  Differentiation  zusammengesetzter  Funktionen 

H  =  %^y  +  %'^y  +  •••  +  9>,(.)^^^^  (82) 

wofür  wir  auch  in  der  üblichen  Symbolik^)  schreiben 

^)  Vgl.  Fußnote  *)  auf  p.  47. 

^)  Eine  independente  Darstellung  für  ö^cp  findet  sich  für  ^j  =  2  bei  Erdmann, 
Schlömilch's  Zeitschrift,  Bd.  XXVI  (1881)  p.  76. 

•'*)  Vgl.  z.  B.  JoKDAN,  Cours  d' Analyse,  I,  Nr.  129  und  253. 


§  8.     Der  allgemeine  d-Prozeß.  53 

ferner 

+  %  S'y  +  q>,.Shj'  +  .  •  •  +  qp^M  Shj^)  \ 

In  ganz  analoger  Weise  wird  8^J  definiert;    wir   entwickeln   das 
Integral : 

X2 


J{8)=ff{x,  y,  y)dx 


nach  Potenzen  von  e 


Xi 


J(£)  =  ^0  +  ij  J"i  +  2!  ^2  •  •  • ; 

dann  heißt  e""  J^  die  n^^  Variation  des  Integrals  J  und  wird  mit  d"J 
bezeichnet.     Es  ist  also  wieder 

S-J^s-i^f^)      ;  (84) 

daraus  ergibt  sich  der  explizite  Ausdruck  von  d"J  nach  den  gewöhn- 
lichen Regeln  für  die  Differentiation  eines  Integrals  nach  einem  Para- 
meter; z.  B.  findet  man^),  wenn  man  noch  definiert 

Xn 

ö°'J^Jö^fdo;+\^£dx^  +  2/;  dxdy+2f^  Sxäy'  +  fS^x'^ ,    (86) 
wobei  nach  (83) 

S'f  =  fyy  Sf  +  2 /•„.  Sy  8y  +  f,.y.  Sy'  +  /,  8^y  +  /;.  s^y  . 

1)  Zuerst  von  Ekdmann  gegeben,    Schlömilch's   Zeitschrift,    Bd.  XXIII 
(1878)  p.  363. 


Zweites  Kapitel. 
Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

§  9.     Die  Legendre'sche  Bedingung. 

Nach  Integration  der  Euler'schen  Differentialgleichung  und  Be- 
stimmung der  Integrationskonstanten  erhält  man  im  allgemeinen  eine 
gewisse  AnzahP)  von  Kurven^  als  die  einzig  möglichen  Lösungen  des 
vorgelegten  Problems;  d.  h.  wenn  es  überhaupt  Kurven  gibt,  welche 
das  Integral  J  zu  einem  Minimum  machen,  so  müssen  dieselben  unter 
den  so  gefundenen  enthalten  sein.  Wir  haben  jetzt  jede  einzelne 
dieser  Kurven  daraufhin  zu  untersuchen,  ob  sie  wirklich  ein  Minimum 
liefert  oder  nicht. 

a)  Allgemeines  über  die  zweite  Variation: 

Wir  nehmen  also  an,  wir  hätten  eine  Extremale  ^)  der  Klasse  C 
gefunden,  welche  durch  die  beiden  gegebenen  Punkte  P^  und  Pg  geht; 
sie  möge  mit  ©^  bezeichnet  werden,  und  sei  durch  die  Gleichung 

dargestellt.     Wir    nehmen  überdies  an,    daß  ©^  ganz   im  Innern  des 
Bereiches  öl  liegt. 

Wir  variieren  jetzt  die  Kurve  ©^  ganz  wie  in  §  4,  wobei  wir 
uns  wieder  auf  Variationen  der  speziellen  Form  co  =  srj  beschränken. 

^)  Die  Anzahl  kann  auch  unendlich  sein;  es  kann  andererseits  aber  auch 
unmöglich  sein,  die  Integrationskonstanten  den  Anfangsbedingungen  entsprechend 
zu  bestimmen,  vgl.  p.  32,  Fußnote  ^). 

2)  Hierin   ist   stets  implizite  die  Annahme  enthalten,  daß  der  Differential- 
quotient  w^  fy'  existiert. 
et  sc 


§  9.     Die  Legendre'sche  Bedingung.  55 

Dann  muß,  wie  schon  in  §  4  bewiesen  worden  ist,  in  der  dort  be- 
nutzten Bezeicbnung^) 

sein,  falls  @o  wirklich  ein  Minimum  liefert.  Führen  wir  die  Diffe- 
rentiation aus,  wobei  wir  nach  unseren  Annahmen  über  die  Funktionen 
f  und  y  wieder  die  gewöhnlichen  Regeln  für  die  Differentiation  eines 
bestimmten  Integrals  nach  einem  Parameter  anwenden  dürfen,  und 
setzen  zur  Abkürzung 

fy'y{^,  y{x),y\x))  =  R(x) 
so  kommt 

d'J^8'f{Pri'  +  2Q7]rj'  -f  Rri')dx.  (3) 

Es  muß  also  im  Fall  eines  Minimums 

f{Fri^  +  2  Qrirf  +  Rri^)  dx^O  (4) 

sein  und  zwar  für  alle  Funldionen  rj  der  Klasse  C,  welche  in  x-^  und  x^ 
verschwinden. 

Aus  unseren  Annahmen  über  die  Funktionen  f  und  y  folgt  ^), 
daß  die  drei  Funktionen  P,  §,  F  stetig  sind  in  [x^x^]-  Wir  nehmen 
in    der  Folge    an,    daß    sie   nicht   alle  drei  identisch  verschwinden  in 

h)  Legendre's  Transformation  der  zweiten  Variation: 

In  dem  speziellen  Fall,  wo  P  =  0,  ö  —  ö?  kann  man  unmittelbar 
über  das  Vorzeichen  der  zweiten  Variation  entscheiden;  denn  dann  ist 


ö'^J^e^fFri'^dx, 


und    man    schließt    leicht^),    daß    im    Fall    eines    Minimums    P  >  0 
sein  muß. 


^)  Im  Fall  eines  Maximums  lautet  die  Bedingung  natürlich  S^J<^Q. 

2)  Nach  A  m  4. 

^)  Vgl.   unten.     Dieser   spezielle    Fall   liegt    z.  B.    bei    Beispiel  VI  vor: 


56    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Auf   diesen   speziellen   Fall  liat  Legende?:^)  die  Diskussion  des 
allgemeinen  Falles  durcli  folgenden  Kunstgriff  zurückgeführt: 
Er  addiert  zur  zweiten  Variation  das  Integral 


wo  w  eine   vorläufig   willkürliclie  Funktion    von  x  ist.     Das  Integral 
ist  gleich  Null;  denn  es  ist  gleich 

//* 

Xi 

und  rj  verschwindet  in  x^  und  x^.     Daher  ist 

dV=  8^  f[(P  +  w)  rj^  +  2(Q  +  w)  riri  ^  R^P]  dx . 


Und  nunmehr  bestimmt  Legendre  die  bisher  willkürlich  ge- 
lassene Funktion  w  durch  die  Bedingung,  daß  die  Diskriminante  der 
quadratischen  Form  in  riyT]  unter  dem  Integralzeichen  verschwindet^), 
d.  h.  so  daß 

{Q^wy-B{F  +  w')^0',  (5) 

dies  reduziert  d-^J  auf  die  Form 

x^ 

S^J^  8'jB(r(  +  ^-+  ""  i^^dx  .  (6) 

Xi 

Hieraus  schließt  Legendre,  daß  H  sein  Zeichen  nicht  wechseln  darf 
in  [^iiz?2]7  "^^  ^^ß  alsdann   d'^J  dasselbe  Zeichen  hat  wie  R. 

Schon  Lagkange^)  hat  gegen  diesen  Schluß  den  Einwand  er- 
hoben, daß  Legendre's  Transformation  stillschweigend  voraussetzt, 
daß  die  Differentialgleichung  (5)  ein  Integral  besitzt,  welches  im 
Intervall  [iCjO^'g]  endlich  und  stetig  ist. 


^)  Legendre,  „Memoire  sur  la  maniere  de  distinguer  les  maxivia  des  minima 
dans  le  caicul  des  variatioris",  Memoires  de  VAcademie  des  Sciences,  1786;  in 
Stäckel's  Übersetzung  in  Ostwald's  Klassiker  usw.  Nr.  47,  p.  59. 

*)  Eine  von  Lagrange  herrührende  Modifikation  dieses  Schlusses  wird  weiter 
unten  (§  15,  b))  zur  Sprache  kommen. 

3)  Im  Jahr  1797,  vgl.   (Euvres,  Bd.  IX,  p.  303. 


§  9.     Die  Legendre'sche  Bedingung.  57 

Trotzdem  läßt  sich  durch  eine  leichte  Modifikation  des  Beweises 
der  erste  Teil  des  Legendre'schen  Schlusses  völlig  streng  beweisen, 
d.  h.  der 

Fundamentalsatz  II:   Soll  die  Extremale 

ein  Minimum^)  für  das  Integral  J  liefern,  so  muß  sein 

E{x)  =  fy'y'(x,  y{x),  y{x))  5  0     in     [x^x.^] .  (II) 

Beweis^):  Angenommen,  es  sei  i?(c)  <  0  in  einem  inneren 
Punkt  c  des  Intervalls  [^r^a^g].  Dann  können  wir  ein  Teilintervall 
[^^  I2]  ^^^  \ßi  ^2]  angeben,  für  welches  gleichzeitig  die  beiden  folgenden 
Bedingungen  erfüllt  sind: 

1.  B(x)  <.0  im  ganzen  Intervall  [Iil2]- 

2.  Es  gibt  ein  partikuläres  Integral  tv  der  Differentialgleichung  (5), 
welches  in  [I1I2]  ^^^  ^^^  Klasse  C  ist. 

Denn  da  B(x)  stetig  ist  in  [^^^g]  ^^^  -^W  <  ^f  ^o^)  können  wir 
ein  ganz  in  1x^X2]  enthaltenes  Intervall  \c  —  d,  c -\- ö]  angeben,  in 
welchem  R(x)  <  0.  Lösen  wir  jetzt  die  Differentialgleichung  (5) 
nach  tv'  auf: 

^  —  _  p  4_  (^  +  ^^')'  n^ 

dx  ^ '^        B  ^^J 


und  verstehen  wir  unter  w^  irgend  einen  Wert  von  w,  so  ist  die 
rechte  Seite  von  (7)  eine  Funktion  von  x  und  Wj  welche  in  der 
Umgebung  der  Stelle  x  =  c^  w  =  iv^  stetig  ist  und  eine  stetige  Ab- 
leitung nach  w  besitzt.  Daraus  folgt  aber  nach  dem  Cauchy'schen 
Existenztheorem*),  daß  es  ein  Integral  von  (5)  gibt,  welches  für 
X  =  c  den  Wert  w  =  w^  annimmt,  und  welches  in  einem  gewissen 
Intervall  [c  —  d',  c  -\-  d']  von  der  Klasse  C  ist.  Bezeichnet  dann 
[I^Jg]  das  kleinere  der  beiden  Intervalle  [e—  d,  c  -{-  ö]  und  [c  ~  d\ 
c  +  d']f  so  sind  in  der  Tat  in  [^ilg]  die  beiden  angegebenen  Be- 
dingungen erfüllt.  Nunmehr  wählen  wir  ?;  =  0  außerhalb  [1^  Ig]  ^^^  ^) 
rj  =  (x  —  li)^  (x  —  ^^y  iii  [?i  ^2]  •    ^^^  so  definierte  Funktion  7]  liefert 


^)  Für  ein  Maximum  lautet  die  Bedingung  natürlich  jB  <^  0. 
^)  Nach  Weierstrass,   Vorlesungen,  1879. 
«)  Nach  A  m  2. 
')  Vgl.  §  23,  a). 

^)  Würde  man  73  =  (ic  —  ^i)  (a;  —  l^)  wählen,  so  hätte  tj'  ünstetigkeiten  in 
li  und  Ig,  und  eine  Nebenbetrachtung  wie  in  §  14,  c)  wäre  nötig. 


58   Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

eine    zulässige   Variation    der   Kurve  @o,    da    sie    in    [rTj^Tg]    von    der 
Klasse^)  C  ist  und  in  x^  und  ^2  verschwindet. 
Für  diese  spezielle  Funktion  t]  wird  aber 

^2 

Auf  dieses  Integral  ist  aber  wegen  der  Eigenschaften  des  Intervalls 
[J^y  die  Legen dre'sche  Transformation  anwendbar,  und  wir  erhalten 


SKT=B^fB{n+^^n)'dx. 


Da  i2<0  in  [^i^,  so  ist  d^J"^0;  wegen  der  Stetigkeit  sämtlicher  auf- 
tretender Funktionen  könnte  nur  dann  das  Gleichheitszeichen  gelten,  wenn 

rl  -\-     ~^^^  ri^Q,    identisch    im     ganzen    Intervall.     Das     ist     aber 

nicht  möglich;  denn  dividiert  man  r^  -\--~jrri  durch  (ä;  —  ^  (;^•  —  ^ 

und  läßt  X  sich  der  Grenze  l^  nähern,  so  nähert  sich  der  Quotient 
dem  von  Null  verschiedenen  Wert  2(1^  —  Jg)- 

Somit  wäre  8^J  für  die  betrachtete  Variation  negativ,  was  un- 
möglich ist,  wenn  (Sq,  wie  wir  voraussetzen,  das  Integral  J  zu  einem 
Minimum  macht.  Es  muß  also,  zunächst  im  Innern  des  Intervalls 
[x^x^  und  dann  wegen  der  Stetigkeit  von  R  auch  in  den  Endpunkten 
R{x)  5  0  sein,  was  zu  beweisen  war. 

Indem  wir  den  Ausnahm efalP),  in  welchem  Rix)  in  Punkten  des 
Intervalls  \x^x^  verschwindet,  beiseite  lassen,  werden  wir  in  der  Folge 
voraussetzen,  daß  die  Extremale  @o  die  Bedingung 

R{x)>0     in     [x^x^]  (IT) 

erfüllt 

Eine  Folge  dieser  Annahme  ist,  daß  y\x)  im  ganzen  Intervall 
[x^x^]  existiert  und  stetig  ist,  wie  in  §  5,  d)  gezeigt  worden  ist. 
Daraus  folgt  weiter,  daß  nicht  nur  die  Funktionen  P,  Q,  R,  sondern 
auch  ihre  ersten  AUeitungen  in  [x^^x^]  stetig  sind. 


1)  Vgl.  p.  26,  Fußnote  2). 

2)  Ein  Beispiel  dieses  Ausnahmefalls  betrachtet  Erdmann,  Schlömilchs  Zeit- 
schrift, Bd.  XXIII  (1878),  p.  369,  nämlich  f  =  y'^  cos^o;,  wenn  x^<-^<x^.  Vgl. 
dazu  die   Uhungsaufgahen,  Nr.  27—32. 


§  10.     Die  Jacobi'sche  Diiferentialgleicliung.  59 

Eine  weitere  Folge  der  Voraussetzung  (IF)  ist,  daß  die  Lösung 
y  =  y(^x)  der  Eul ersehen  Differentialgleichung  sich  nach  beiden 
Seiten  hin  über  das  Intervall  [x^x^]  auf  ein  etwas  weiteres  Intervall 
[XjXg]  fortsetzen^)  läßt  (X^<.x^,x.2<^^2)j  ^^^  zwar  derart,  daß 
auch  in  dem  erweiterten  Intervall  [X^Xg]  die  Ungleichung  (11')  er- 
füllt ist  und  P,  Q,  R  von  der  Klasse  C  sind. 

Beispiel  I:    (Siehe  pp.  1,  33):    f=yyi^-y'^^. 

Hier  ist 

f    _o        f.- ^ f..  = ^ 

Ferner  ist,  wenn  wir  mit  a^^,  ß^   ein  den  Anfangsbedingungen  (39)  von  §  6  ge- 
nügendes Wertsystem  der  Integrationskonstanten  a,  ß  bezeichnen, 


g,:  ;/  =  «„Ch*— ^»- 


woraus  sich  ergibt 


P=0,      ^  =  Th^ &,      B  = 


Ch2 & 


Da  wir  voraussetzen,  daß  y^O  (vgl.  p.  17),  so  folgt,  daß  a^  >  0  und  daher  ist 
die  Bedingung  i?  >  0  für  jedes  x  erfüllt.  ^) 


§  10.     Die  Jacobi'sche  Differentialgleichung. 

Wir  haben  jetzt  den  zweiten  Teil  des  Legendr e'schen  Schlusses 
zu  prüfen,  welcher  besagte,  daß  auch  umgekehrt  allemal  ö^J^  0, 
wenn,i^>0  in  [^i^g]- 

Der  Schluß  ist  richtig,  wie  unmittelbar  aus  den  vorangehenden 
Entwicklungen  folgt,  wenn  ein  Integral  der  Differentialgleichung  (5) 
existiert,  welches  im  ganzen  Intervall  [x^X2]  stetig^)  ist;  er  ist  da- 
gegen falsch,  wie  wir  in  §  14  sehen  werden,  wenn  kein  solches  Inte- 
gral existiert. 

a)  Reduktion  der  Legendr  e'schen  Differentialgleichung  auf  die 
Jacobi'sche: 

Die  ganze  Entscheidung  hängt  also  von  der  Integration  der 
Differentialgleichung  (5)  ab. 

Da  ist  es  denn  zunächst  von  Wichtigkeit,  daß  die  Legendre'sche 
Differentialgleichung  (5)   zur    Klasse    der    Riccati'schen    Differential- 


^)  Im  Sinne  der  Theorie  der  Differentialgleichungen,  siehe  §  23,  d). 
*)  Hierzu  die  Übungsaufgaben  Nr.  2 — 12,  35 — 40  am  Ende  von  Kap.  III. 
^)  Da  i?  =4=  0,  so  folgt  nach  (7)  die  Stetigkeit  von  iv    aus  derjenigen  von  w. 


60    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

gleichuiigen  gehört  und  sich  daher  auf  eine  homogene  lineare 
Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  reduzieren  läßt,  wie  zuerst 
Jacobi^)  bemerkt  hat. 

Dies  geschieht  mittels  der  Substitution 

^■^-Q-R^,  (8) 

durch  welche  (5)  übergeht  in^) 

^w  -  (^  -  ^) ''-.-.«-:) =0.        (9) 

Wir  werden  diese  Differentialgleichung  die  Jac oh i' sehe  Differential- 
gleichimg nennen  und  ihre  linke  Seite  mit   ^(ti)  bezeichnen. 

Führen  wir  die  Differentiation  aus,  so  können  wir  (9)  auch 
schreiben 

dhi    ,    B' du   ,   (Q'  —  P) 

dcc^^Bd.  +  ^~^  =  ^'  (10) 

Nach  den  am  Ende  von  §  9  gemachten  Bemerkungen  sind  die  Koeffi- 
zienten der  Differentialgleichung  (10)  im  Intervalle  [X^Xg]  stetig. 
Daraus  folgt  nach  allgemeinen  Existenztheoremen  über  lineare 
Differentialgleichungen  (§  11,  a)),  daß  jedes  Integral  der  Differential- 
gleichung (10)  im  Intervalle  [X^X^j  von  der  Klasse  0"  ist.  Also 
ist  die  durch  (8)  definierte  Funktion  w  in  [x^x^]  von  der  Klasse  C\ 
sobald  u  im  ganzen  Intervalle  [x^x^]  von  Null  verschieden  ist.  Unser 
früheres  Resultat  läßt  sich  jetzt  also  so  aussprechen: 

Wenn  R>0  in  [x^x^],  so  ist  d^J>0  für  alle^)  zulässigen 
Funktionen  rj,   vorausgesetzt^   daß   es   ein  partikuläres   Integral  u  der 

^)  Jacobi,  „Zur  Theorie  der  Variationsrechnung  und  der  Bifferentialgleichungen'f 
Journal  für  Mathematik,  ßd.  XVII  (1837),  p.  68;  auch  von  Stäckel  heraus- 
gegeben in  Ostwald's  KlassiJcer  usw.,  Nr.  47,  p.  87.  Jacoui's  Abhandlung,  welche 
übrigens  auch  den  allgemeineren  Fall  behandelt,  wo  die  Funktion  f  höhere 
Ableitungen  von  y  enthält,  bezeichnet  einen  Wendepunkt  i^  der  Geschichte  der 
Variationsrechnung.  Jacobi  gibt  jedoch  nur  kurze  Andeutungen  der  Beweise; 
ausführliche  Beweise  sind  von  Delaunay,  Spitzer,  Hesse  und  anderen  gegeben 
worden  (vgl.  die  Literaturnachweise  bei  Pascal,  loc.  cit.  p.  G3  und  Kneser, 
Encyclopädie  U  A,  p.  588—591).  Unter  diesen  Kommentaren  zu  Jacobi's  Ab- 
handlung ist  der  vollständigste  der  von  Hesse  (Journal  für  Mathematik, 
Bd.  LIV  (1857),  p.  255),  dessen  Darstellung  wir  hier  folgen.  Jacobi's  Resultate 
sind  auf  das  allgemeinste  Problem  für  einfache  Integrale  von  Clebsch  und 
A.  Mayer  ausgedehnt  worden  (vgl.  die  von  Pascal,  loc.  cit.  p.  64,  65  gegebenen 
Zitate  und  Jordan,  Cours  d' Analyse,  HI,  Nr.  373— .S94). 

^)  Man  beachte,  daß,  wie  oben  gezeigt,  die  Ableitungen  Q',  B'  existieren 
und  stetig  sind. 

^)  Natürlich  außer:  rj  ^  0  in  [x^x^\. 


§  10.     Die  Jacobi'sche  Differentialgleichung.  61 

Jacohi^ sehen  Differentialgleichung  (9)  gibt,  welches  im  ganzen  Intervall 
\x^x^  von  Null  verschieden  ist 

Falls  es  ein  solclies  partikuläres  Integral  u  gibt,  so  läßt  sich 
d^J  auch  schreiben 

s^j=,^JiK^^^Tdx,  (11) 

wie    man  sofort  sieht,  wenn  man  in  (6)  mittels  der  Substitution  (8) 
die  Funktion  u  statt  w  einführt. 

b)  Jacobi's  Transformation  der  zweiten  Variation: 

Wenn  es  dagegen  kein  partikuläres  Integral  der  Jacobi'schen 
Differentialgleichung  gibt,  welches  im  ganzen  Intervall  \x^  x^  von  Null 
verschieden  ist,  mit  anderen  Worten,  wenn  jedes  Integral  von  (9) 
mindestens  in  einem  Punkt  von  [^^^Tg]  verschwindet,  so  ist  die  Le- 
gendr ersehe  Transformation  der  zweiten  Variation  nicht  anwendbar 
und  wir  kommen  also  auf  diesem  Wege  zu  keiner  Entscheidung  über 
das  Vorzeichen  der  zweiten  Variation. 

Hier  setzt  nun  eine  zweite,  von  Jacobi  herrührende  Trans- 
formation der  zweiten  Variation  ein,  die  uns  auch  für  diesen  Fall 
Aufschluß  über  das  Vorzeichen  der  zweiten  Variation  geben  wird. 

Es  bezeichne  [|^  Ig]  entweder  das  Intervall  [x^  x^  selbst  oder  ein 
Teilintervall  von  [x-^  x^]  und  es  sei  r]  außerhalb  [|^  Ig]  identisch  NuU, 
imd  in  [^^  Ig]  gleich  einer  Funktion  der  Klasse  0",  welche  in  ^^  und 
^2  verschwindet. ^ 

Bezeichnen  wir  dann  mit  2Sl  die  in  bezug  auf  rj,  rl  quadratische 
Form 

und  wenden  den  Euler'schen  Satz  über  homogene  Funktionen  an,  so 
können  wir  d^J  in  der  Form  schreiben: 


■/{•' 


«-.■/(,|5  +  V?-|)i« 


Dieses  Integral  können  wir  jetzt  —  ganz  so  wie  den  ähnlich 
gebauten  Ausdruck  für  d «7  in  §  4  —  durch  partielle  Integration^)  des 
zweiten  Gliedes  umformen.     Wir  erhalten  so: 


^)  Die  partielle  Integration  ist  statthaft,  da  nach  den  gemachten  Annahmen 
im  Intervall  [1^  1«]  ^^^  ^^^  Klasse  C  ist. 


62    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Yariation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Da  7]  in  ^^  und  ^3  verschwindet^  und  da 

SO     ergibt     sich    hieraus     der    folgende     Ausdruck     für     die     zweite 
Variation: 

•Ja 

Ö^J=B^friW{ri)dx,  (12) 

gültig  für  jede  Funktion  ri  von  den  angegebenen  Eigenschaften. 

Auf  Grund  der  Formel  (12)  können  wir  jetzt  dem  unter  a)  aus- 
gesprochenen Resultat  das  folgende  als  Gegenstück  zur  Seite  stellen: 
Wenn  die  Jacohi' sehe  Differentialgleichung  (9)  ein  partiMläres  Integral  u^ 
besitzt,  welches  in  zwev  Funkten  J^  j  Ig  ^^^  Intervalls  \x^  x^  verschwindet, 
so  kann  man  durch  passende  Wahl  der  Funktion  rj  die  ziveite  Variation 
gleich  Null  machen. 

Dazu  braucht  man  nur  7^  =  0  zu  wählen  in  [x^  gj  und  in  [Ig  x.^, 
und  Ti  =  u^  in  [li  Ig]  • 

Wenn  aber  ö^J  =0  ist,  so  hängt  das  Vorzeichen  von  A J  von 
demjenigen  der  dritten  Variation  ab,  und  wird  daher  im  allgemeinen 
durch  passende  Wahl  des  Vorzeichens  von  8  negativ  gemacht  werden 
können.  ^) 

Wir  haben  nunmehr  weiter  zu  zeigen,  daß  von  den  beiden  Fällen: 
(9)  besitzt  ein  in  \x^x^  nicht  verschwindendes  Integral,  und:  (9)  be- 
sitzt ein  in  \_x^x^  mindestens  zweimal  verschwindendes  Integral, 
stets  entweder  der  eine  oder  der  andere  eintreten  muß;  femer  haben 
wir  Kriterien  für  das  Eintreten  des  einen  oder  des  anderen  Falles  zu 
entwickeln.  ^) 


^)  Gegen  diesen  von  Jacobi  herrührenden  Schluß  können  zwei  Einwände 
erhoben  werden:  Erstens  ist  die  benutzte  Funktion  r]  nicht  von  der  Klasse  C 
wegen  der  Unstetigkeit  von  rj'  in  1^  und  Ig;  diesem  Einwand  kann  durch  „Ab- 
runden der  Ecken"  begegnet  werden,  wie  in  §  14,  c)  näher  ausgeführt  werden 
wird;  zweitens  wäre  es  noch  denkbar,  daß  die  spezielle  Funktion  ?],  welche 
^2J=0  macht,  allemal  auch  dV=0  macht,  womit  der  obige  Schluß  hinfällig 
würde;    wir  kommen  auf  diesen  Punkt  weiter  unten,  p.  70,  zurück. 

^  Fortsetzung  der  Entwicklung  in  §  12,  wozu  der  Leser  unmittelbar  über- 
gehen möge. 


§  10.     Die  Jacobi'sche  Differentialgleichung.  63 

c)  Die  Jacobi'sche  Transformation  für  Variationen  der  Klasse!)": 

Wir  werden  später  eine  Verallgemeinerung  der  Formel  (12)  nötig  haben, 
nämlich  für  den  Fall,  daß  die  Ableitungen  von  tj  gewisse  Un Stetigkeiten  besitzen. 
Wir  werden  uns  dabei  der  folgenden  Terminologie  bedienen:  Wir  werden  zur 
Abkürzung  sagen,  eine  Funktion  f{x)  sei  in  einem  Intervall  [aj^  ic^]  von  der 
Klasse  ^)  D^^^ ,  wenn  sie  selbst  in  dem  ganzen  Intervall  stetig  ist,  und  wenn  sich 
das  Intervall  in  eine  endliche  Anzahl  von  Teilintei-vallen  \x^  cj,  [c^Cg],  .  . .  \Cyi_^x^'\ 
zerlegen  läßt,  derart,  daß  in  jedem  der  Teilintervalle  für  sich  betrachtet  die 
Funktion  von  der  Klasse  C^^^  ist.  Hieraus  folgt,  daß  in  jedem  der  Punkte  c-  die 
beiden  G-renzwerte  ^)  f^^^  (c^.  -f-  0)  und  f^^'  (c^.  —  0)  existieren  und  endlich  sind  für 
1/^1,2,  .  .  .  p.  Dabei  wird  angenommen,  daß  in  einem  Punkt  c-  mindestens 
für  einen  dieser  Werte  von  v  die  beiden  Grenzwerte  voneinander  verschieden 
sind.  Die  Klasse  C^^^^  betrachten  wir  als  in  der  Klasse  D^'^^  enthalten,  nämlich 
für  n==  1. 

Dies  vorausgeschickt,  sei  t]  von  der  Klasse  D"  in  [^^  l^]-  Sind  c^^  c^,  •  •  •  c„  _  ^ 
die  Unstetigkeiten  von  rj'  oder  tj",  so  müssen  wir  vor  Ausführung  der  partiellen 
Integration  das  Integral  für  d^J  in  eine  Summe  von  Integralen  zerlegen^), 
von  Ij  bis  q ,  von  q  bis  c^,  usw.  Die  partielle  Integration  darf  dann  in  jedem 
Teilintervall  ausgeführt  werden,  und  wir  erhalten  so: 

n-  1 

dV=£M   Vh^J  +    l7iW{ri)dx 


oder  wenn  wir  für  -5—7  seinen  Wert  Qri^Bri    einsetzen  und  uns  erinnern,  daß 

Or[ 

T],  Q  und  JR  in  q,  Cg ,  ...  c^_^  stetig  sind, 


-1  '^2  s 

'^n  (c,)  B  (c,)  \n  (c,  -  0)  -  rj'  (c^  +  0)]  ^fri  ^(r,)  dxl 
1  .-,  J 


/   n— 1 

d  V  =  .^     ^n  f O  B  (c^  \7i  (c,,  -  0>)  -  rj'  (c^,  +  0^1  +  /  n  Win)  dxl-       (1.3) 


d)  Zweiter  Beweis  der  Formel  (11): 

Aus  der  Formel  (12)  ergibt  sich  noch  ein  zweiter,  ebenfalls  von  Jacobi*) 
herrührender  Beweis  für  den  Ausdruck  (11)  für  die  zweite  Variation;  derselbe 
gründet  sich  auf  die  folgende  Eigenschaft  des  Differentialausdruckes  W:  Sind 
u  und  V  irgend  zwei  Funktionen  der  Klasse  C",  so  ist 

u  W{v)  —vW(u)  =  —  -j-B{uv'  —  uv).  (14) 

ClX 


^)  Der  Buchstabe  D  soll  an  „diskontinuierlich"  erinnern,  ebenso  wie  C  an 
„kontinuierlich' ' . 

2)  Vgl.  A  n  2. 

^)  Vgl.  dazu  die  Bemerkungen  in  §  44,  a). 

*)  Vgl.  die  Zitate  auf  p.  60,  Fußnote  ^),  insbesondere  die  Arbeit  von  Hesse. 


64  Zweites  Kapitel.  Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 
Wenn  daher  u  der  DifiFerentialgleichung 

genügt,  so  erhalten  wir 

d 
u  W{v)  =  —  -^  R{uv  —u'v)^ 

und  wenn  wir  darin 

v  =  pu 

setzen,  wo  p  irgend  eine  Funktion  der  Klasse  G"  ist,  und  mit  p  multiplizieren, 
so  erhalten  wir 

(SU)  W{pu)  =  -p-^  {Rpu')  =  -  f^  {Rpp'u')  +  Rip'u)' .  (15) 

Nehmen  wir  jetzt  überdies  an,  daß  die  Funktion  u  in  [^^  U  von  Null  ver- 
schieden ist,  dann  dürfen  wir  in  (15)  für  p  den  Quotienten 

P  = 

u 

substituieren,  wo  rj  wieder  eine  beliebige  Funktion  der  Klasse  C"  ist,  welche  in 
li  und  Ig  verschwindet.  Integriert  man  jetzt  (15)  zwischen  den  Grenzen  ^^  und  l^, 
substituiert  für  p  den  eben  angegebenen  Wert  und  beachtet,  daß  dann  auch  p 
an  beiden  Grenzen  verschwindet,  so  erhält  man  ^)  aus  (12) 

^^  =  ^  J  ^. (IIa) 


§  1 1.   Hilfssätze  über  lineare  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung. 

Wir  stellen  in  diesem  Paragraphen  eine  Reihe  von  Sätzen  über 
homogene  lineare  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung  zusammen 
die  wir  bei  der  weiteren  Diskussion  der  zweiten  Variation  gebrauchen 
werden. 


^)  Dieser  zweite  Beweis  der  Formel  (11)  setzt  voraus,  daß  rj  von  der  Klasse  C" 
ist  in  [Ij  Ig].  Wenn  man  jedoch  mit  (15)  die  schon  bei  Ableitung  von  (12)  be- 
nutzte Identität 

Fv^  +  2  Qvv  +  liv  2  =  V W{v)  +  -^  v(^v  +  JRv) 
l^ombiniert,  so  erhält  man: 

P{puY  +  2  Q{pu)  -f^  ipu)  +  E  (-^/y  =  liip'uy  +  /^  {p'uiQu  4-  Ru)) ,     (16) 

aus  welcher  (IIa)  unmittelbar  durch  Integration  folgt.  Da  aber  in  (12)  die 
zweite  Ableitung  von  p  gar  nicht  vorkommt,  so  ergibt  sich  hieraus,  in  Über- 
einstimmung mit  dem  früheren  Resultat  in  §  10,  a),  daß  es  für  die  Richtigkeit 
der  Formel  (Ha)  nicht  nötig  ist,  die  Existenz  von  ri"  vorauszusetzen. 


§  11.     Hilfssätze  über  lineare  Düferentialgleichungeü  zweiter  Ordnung.     65 
Es  sei  die  Differentialgleichung  gegeben : 

^+?'^^  +  2»  =  0,  (17) 

WO  p  und  q  gegebene  Funktionen  von  x  sind,  welche  in  einem  Inter- 
vall [ah]  stetig  sind.  Alsdann  gelten  die  folgenden  Sätze  und  De- 
finitionen: 

a)  Existenztheorem: 

Gehört  der  Punkt  Xq  dem  Stetigkeitsintervall  [ah]  an,  und  sind 
Uq,  Uq  zwei  willkürlich  vorgeschriebene  endliche  Werte,  so  gibt  es 
ein  und  nur  ein  Integral  von  (17),  welches  den  Anfangsbedingungen 

u{Xq)  =  Uq,        u\Xq)  =  u;, 

genügt^),  und  welches  in  der  Umgebung  von  x^  von  der  Klasse  (7"  ist. 

Dieses  Integral  und  daher  überhaupt  jedes  Integral  der  Differential- 
gleichung (17)  ist  von  der  Klasse  G"  im  ganzen^)  Intervall  [ah]. 

Zusätze: 

1.  Da  zi  =  Ö  eine  Lösung  von  (17)  ist,  so  führt  die  Anwendung 
des  Existenztheorems  auf  die  speziellen  Anfangswerte  Uq  =  0,  u^  =  0 
zu  dem  Satz: 

Ein  partikuläres  Integral  u  von  (17)  kann  nicht  gleichzeitig  mit 
seiner  ersten  Ableitung  in  einem  Punkt  Xq  des  Intervalls  [ab]  ver- 
schwinden, es  sei  denn,  daß  u  ^0  in  [ab]. 

2.  Ein  partikuläres  Integral  u  der  Differentialgleichung  (17)  kann 
im  Intervall  [ab]  nur  in  einer  endlichen  Anzahl  von  Punkten  ver- 
schwinden, es  sei  denn,  daß  ^*  =  0  in  [ab]. 

Beweis:  Angenommen  u  hätte  unendlich  viele  Nullstellen  in  [ab]y 
ohne  identisch  zu  verschwinden;  dann  würde  es  nach  A  I  5  für  die- 
selben mindestens  eine  Häufungsstelle  c  im  Intervall  [ab]  geben.  Es 
ist  nun  entweder  w(c)  4=  0;  alsdann  läßt  sich  nach  A  III  2  wegen 
der  Stetigkeit  von  u{x)  eine  Umgebung  von  c  angeben,  in  welcher 
w(^)=i=0',  oder  es  ist  u{c)  =  Oy  dann  folgt  nach  Zusatz  1,  daß 
u(c)  =j=  0.     Es  ist  aber  nach  der  Definition  der  Ableitung 

u{c  -{-  h)  =  h[u  (c)  -^^  Qi)], 


^)  Dies  ist  ein  Spezialfall  des  allgemeinen  Cauchy'schen  Existenztheorems 
für  Differentialgleichungen,  vgl.  §  23. 

2)  Vgl.  PicARD,  Traite  d' Analyse,  III  (Paris,  1896),  p.  91,  92  und  Painleve, 
Encyclopädie,  II  A,  p.  194. 

Bolza,  Variationsrechnung.  5 


66    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

wo  (h)  mit  h  unendlich  klein  wird.  Daraus  folgt,  daß  sich  eine  Um- 
gebung von  c  angeben  läßt,  in  welcher  c  die  einzige  Nullstelle  von  u 
ist.  In  beiden  Fällen  gelangen  wir  also  zu  einem  Widerspruch  mit 
der  Annahme,  daß  c  eine  Häufungsstelle  der  Nullstellen  von  u  ist, 
womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

3.  Es  existieren  stets  (unendlich  viele)  „Fundamentalsysteme'' ^) 
für  die  Differentialgleichung  (17),  d.  h.  Systeme  von  zwei  linear  un- 
abhängigen partikulären  Integralen  w^,  u^y  für  welche  also  keine  Re- 
lation der  Form 

besteht,  wo  C^,  C^  Konstanten  bedeuten,  welche  nicht  beide  gleich 
Null  sind. 

4.  Die  nottvendige  und  hinreichende  Bedingung  dafür,  daß  u^  imd  u^ 
linear  unabhängig  sind,  besteht  darin,  daß  ihre  „Hauptdeterminante" 


D  = 


u[ 


(18) 


nicht  identisch  verschwindet.^) 

5.    Bilden  u^,  u^    ein   Fundamen talsystem,    so    ist  jedes    Integral 
von  (17)  durch  Wj  und  u^  ausdrüclcbar  in  der  Form^) 

u  =  C^u^  +  C'2%, 
wo  Cj,  62  Konstanten  sind. 


1)  Z.  B.  die  beiden  durch  die  Anfangsbedingungen 

definierten  Integrale  v^,  v^.    Jedes  andere  Fundamentalsystem  u,,  u,   ist  durch 
dieses  spezielle  ausdrückbar  in  der  Form 

^2  =  «21^1  +  «22^2  ' 
wo  ßji,  «12,  «ji,  «22  Konstanten  sind,  für  welche 

0^11  c^22  —  «12^^21  +  ^- 

2)  Vgl.  Vessiot,  Encychpädie,  II  A,  p.  261;  Jordan,  Cours  d' Analyse,  111 
Nr  122-  Serret,  Lehrbuch  der  Differential-  und  Integralrechnung  (Leipzig,  1904) 
Bd  ni  Nr.  768.  Der  Ausdruck  „Hauptdeterminante''  bei  Serret,  loc.  cit.;  sonst 
wird  auch  der  Ausdruck  „Wronski'sche  Determinante"  dafür  gebraucht. 

3)  Vgl.  Encyclopädie,  1.  c.,  Jordan,  Cours  cVAnalyse,  III,  ^ir.  119; 
Serret,  1.  c. 


§  11.     Hilfssätze  über  lineare  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung.     67 

b)  Der  Satz  von  AbeP): 

Sind  u^,  u^  zwei  linear  unabhängige  Lösungen  von  (17),  so  ist 

^-%-l?-«^t.'  =  C«"/^'%  (19) 

WO  C  eine  von  Null  verschiedene  Konstante  ist. 
Denn  nacti  Voraussetzung  ist 

d^u,     .        du,     ,  ^ 

rJ+Piii  +  'i'*^-^ 

d^u^    ,        du^    ,  ^ 

i-i  4-  P  -3-   -V  QU.  =  0. 
dx^     ^   ^   dx     '    ^    2 

Multipliziert  man  die  erste  dieser  Gleichungen  mit  —  u^^  die 
zweite  mit  u^  und  addiert,  so  kommt 

und  daraus  folgt  durch  Integration  (19). 
Wäre  (7^0,  so  würde  folgen 

^  ©  ^  ^ '      ^^^^      ^2  =  konst.  u, , 

gegen  die  Annahme,  daß  u^  und  u^  linear  unabhängig  sind. 

Zusätze:  1.  Die  Hauptdeterminante D(;r)  eines  Fundamentalsystems 
ist  in  jedem  Punkt  des  Stetigkeitsintervalls  [ah]  von  Null  verschieden. 

2.  Zwei  linear  unabhängige  Lösungen  u^,  u^  können  nicht  in 
demselben  PunM  Xq  des  Intervalls  [ab]  verschwinden. 

c)  Der  Satz  von  Sturm  2): 

Sind  u^,  U2  zwei  linear  unabhängige  Integrale  der  Differential- 
gleichung (17),  so  liegt  zwischen  zwei  aufeinanderfolgenden  Nullstellen 
von  u^  stets  eine  und  nur  eine  Nullstelle  von  u^,  vorausgesetzt,  daß  diese 
Nullstellen  sämtlich  dem  Stäigheitsintervall  [ab]  angehören. 

Beweis:  Aus  (19)  folgt,  daß  die  Determinante  im  ganzen  Inter- 
vall [ab]  ein  konstantes  Vorzeichen  besitzt,  nämlich  dasselbe  wie  die 


^)  (Euvres,  Bd.  I,  p.  251. 

^)  Sturm,  Memoire  sur  les  equations  differentieUes  du  second  ordre,  Journal 
de  Liouville,  Bd.  I  (1836),  p.  131;  vgl.  auch  Sturm,  Cours  d' Analyse,  12.  Aufl., 
Bd.  II,  Nr.  609,  und  Serret,  1.  c.  Nr.  775;  ferner  Darboux,  Theorie  des  surfaces, 
(Paris,  1894),  Bd.  III,  Nr.  628,  und  Bocher,  Transactions  of  the  American 
Mathematical  Society,  Bd.  II  (1901),  p.  150,  428, 

6* 


68    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Konstante  0;    es  sei,  um  die  Ideen  zu  fixieren, 

du.  du.  ^    ,. 

Sind  nun  x^  und  x\  zwei  dem  Intervall  [afe]  augehörige,  auf- 
einanderfolgende Nullstellen  von  u^  (so  daß  also  u^  zwischen  x^  und  x\ 
nicht  verschwindet),  so  ist  hiernach 

u^  (x^  u[  (%)  <  0 ,         ^2  {x\)  u[  (x\)  <  0 . 

Andererseits  sind  aber  nach  a)  Zusatz  1,  die  beiden  Werte  u[{x^) 
und  u[(x^   von   Null   verschieden;    also    wechselt  ti^(x)   sein   Zeichen 

in  x^  und  x['^  und  da  über- 
dies u^  zwischen  x^  und  x^' 
sein  Zeichen  nicht  wechselt, 
so  müssen  ^^(^i)  und  u^(x^) 
entgegengesetztes  Zeichen  ha- 
^i«-  8-  ben;  also  müssen  auch  ti^^oc^) 

und  U2{x\)  entgegengesetztes 
Zeichen  haben.  Daraus  folgt  aber  wegen  der  Stetigkeit  von  i^g;  ^^ß 
zwischen  x^  und  x^  mindestens  eine  Nullstelle  von  u^  liegen  muß. 
Angenommen  es  gäbe  noch  eine  zweite,  so  würde  nach  dem  eben 
Bewiesenen  folgen,  daß  zwischen  diesen  beiden  Nullstellen  von  Wg 
mindestens  eine  Nullstelle  von  u^  liegen  müßte,  was  gegen  die  An- 
nahme ist,  daß  x[  die  zunächst  auf  x^  folgende  Nullstelle  von  u^  ist. 
Hiermit  ist  der  Satz  in  allen  seinen  Teilen  bewiesen:  Die  Nullstellen 
von  u^  und  Wg  müssen  also  miteinander  alternieren.^) 

§  12.     Das  Jacobi'sche  Kriterium. 

Wir  sind  nunmehr  in  der  Lage,  die  am  Ende  von  §  10,  b)  auf- 
geworfenen Fragen  über  das  Vorzeichen  der  zweiten  Variation  mit 
Hilfe  des  eben  bewiesenen  Sturm'schen  Satzes  zu  beantworten. 

a)  Einführung  der  Funktion  A(x,  x^): 
Zu  diesem  Zweck  führen  wir  dasjenige,  —   bis  auf  einen  konstanten 
Faktor  bestimmte  — ,  Integral  der  Jacobi'schen  Differentialgleichung  (9) 


1)  Das  einfachste  Beispiel  des  Satzes  ist  die  Differentialgleichung; 

d'u    . 

mit  den  beiden  partikulären  Integralen:    u^^äinx,     u.,  =  cos  x. 


§  12.     Das  Jacobi'sche  Kriterium.  69 

eiiij  welches  für  x  =  x^  verscli windet.  ^)  Wir  bezeichnen  dasselbe,  in- 
dem wir  den  konstanten  Faktor  in  bestimmter,  später  näher  zu  prä- 
zisierender Weise  gewählt  denken,  mit  A(x,  X-^).  Da  nach  der  am 
Ende  von  §  9,  b)  gemachten  Bemerkung  das  Stetigkeitsintervall  der 
Jacobi'schen  Differentialgleichung  sich  mindestens  auf  das  Intervall 
[X^Xg]  erstreckt,  so  lassen  sich  die  Sätze  des  vorigen  Paragraphen 
auf  die  Jacob i^sche  Differentialgleichung  und  das  Intervall  [X-^Xg] 
anwenden.  Die  Funktion  A(x,  x^)  verschwindet  also  nach  §  11,  a) 
nur  in  einer  endlichen  Anzahl  von  Punkten  im  Intervall  [X^Xg];  wir 
bezeichnen  mit  x[  die  zunächst  auf  x^  folgende  Nullstelle  von  A  [x,  x^)y 
falls  eine  solche  überhaupt  im  Intervall  [X^Xg]  existiert,    so   daß  also 

A(x^j  x^)  =  0 y         A{x\,  x-^  =  0 

A{x,  x^)  ^0     iüY     x^<ix  <  x[. 

Alsdann  tritt  einer  der  beiden  folgenden  Fälle  ein: 

Fall  I:  x[  <  x^.  Dann  folgt  nach  dem  Satz  von  Stuem  (§  11,  c)), 
daß  jedes  von  A(x,  x-^)  unabhängige  Integral  von  (9)  in  einem  Punkt 
zwischen  ^^  uhd  x^'  verschwindet.  Somit  existiert  in  diesem  Fall 
kein  Integral  der  Jacobi'schen  Differentialgleichung,  welches  im 
ganzen  Intervall  [x^X2]  von  Null  verschieden  ist,  dagegen  sicher 
mindestens  ein  Integral,  —  nämlich:  u  =  A(XyX^)  —  welches  in 
zwei  Punkten  des  Intervalls  verschwindet.  Es  tritt  also  die  zweite 
der  in  §  10  betrachteten  Möglichkeiten  ein.  Wir  können  also  nach 
den  in  §  10,  b)  erhaltenen  Resultaten  den  Satz  aussprechen: 

Wenn  A{Xy  %)  außer  in  %  noch  in  einem  zweiten  Punkt  des 
Intervalls  [x^x^]  verschivindet,  so  kann  man  d^J=0  machen  durch 
passende  WahV)  der  Funktion  i]. 

Nach  Jacobi  schließt  man  hieraus,  wie  wir  bereits  in  §  10,  b) 
gesehen  haben  unter  Zuziehung  von  d^J^  daß  in  diesem  Fall  ein 
Extremum  nicht  eintreten  kann.  Der  Schluß  ist  zwar  nicht  einwand- 
frei^), trotzdem  ist  Jacobi's  Resultat,  abgesehen  von  gewissen  Aus- 
nahmefällen, richtig^)  wie  wir  später  sehen  werden  (§  14). 

^)  Vgl.  Hesse,  loc.  cit.  p.  258,  und  für  das  allgemeinste  Problem  für  einfache 
Integrale  A.  Mayer,  Journal  für  Mathematik,  Bd.  69  (1868),  p.  250. 

2)  Vgl.  p.  62,  Fußnote   '). 

^)  Erdmann  beweist  dies,  indem  er  den  Wert  von  d^J  für  die  spezielle 
Funktion  tj,  welche  ^^.7  zum  Verschwinden  bringt,   d.  h.  also   für  die  Funktion 

(A{x,  x^)     in     [£Cii:ci] 
r]  =  \ 

i        0  m     [x[x^], 


70    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 
Fall  II:   x\>  x^^  oder  x\  existiert  nicJit,^)   mit   andern  Worten: 

A(x,  x^)  4=  0     für     x^  <x<^x^.  (21) 

In  diesem  Fall  gibt  es  stets  Integrale  der  Jacob i'schen  Differential- 
gleichung, welche  im  ganzen  Intervall  [a^i^^g]  von  Null  verschieden  sind. 
Zum  Beweis  betrachten  wir  neben  dem  Integral  A{x,  x^)  das- 
jenige Integral  A(^^  x^)  der  Jacob  i'schen  Differentialgleichung, 
welches  in  x.2  verschwindet;  beide  sind  linear  unabhängig,  da  nach 
Voraussetzung 

A(^2,  ^i)  4=  0;     während     A(x.2,  x^)  =  0  . 

Daher  folgt  nach  dem  Sturm'schen  Satz  aus  (21)^  daß 

A(Xj  x^)  +  0     für     x^^x  <C  x^f 

also,  da  A(x,  x^)  stetig  in  [X^Xg],  auch  noch  in  dem  Intervall 
[x^  —  d,  Xj^,  wo  d  eine  hinreichend  kleine  positive  Größe  ist.  Wählen 
wir  jetzt  Xq  zwischen  x^  —  d  und  ^r^,  und  größer  als  X^,  so  sind 
auch  die  beiden  Funktionen  A(^,  Xq)  und  A{x,  x^  linear  unab- 
hängig, da 

und  eine  nochmalige  Anwendung  des  Sturm'schen  Satzes,  diesmal  auf 
die  beiden  Integrale  A(rr,  x^)  und  A(a;,  x^^,  ergibt  das  Resultat,^)  daß 

A(ir,  ^0)  +  0     für     x^'^x^x^. 

Somit    können  wir,    indem  wir  u  =  A(^,  Xq)  wählen,   die  zweite 
Variation  auf  die  Form  (11)  transformieren,  und  erhalten  so  den  Satz: 


wirklich  berechnet  (Schlömilch's  Zeitschrift,  Band  XXIl  (1877)  p.  327).  Er 
findet  in  der  Bezeichnung  von  §  13 

^■V=  -  s'R{x'^)  (p'^{x[,  üq)  (p„«(4,  ao);  (20) 

R{x[)  und  (p'aioou  «0^  ^^^^  ^^^^^  ^^^  ^^^^  verschieden:  und  (p^^(x[,  «q)  ist  gleich- 
falls von  Null  verschieden,  außer  wenn  die  Enveloppe  der  Schar  (32  a)  eine 
Spitze  in  i^^  hat  oder  in  einen  Punkt  degeneriert.  Mit  Ausnahme  dieser  beiden 
Fälle  ist  also  Jacobi's  Resultat  richtig. 

^)  Man  kann  den  Fall,  wo  x\  nicht  existiert,  in  der  Ungleichung :  x\  ^  ajg 
mit  einbegreifen,  wenn  man  für  «diesen  Fall,  d.  h.  also  wenn  A{x,  Xi)=^0  für 
rcj  <  a;  <  X2 ,  definiert :  x[  =  X2 ,  wie  es  Goursat  {Cours  d' Analyse  Mathematique 
(Paris  1905),  II,  p.  601)  tut. 

^)  Man  kann  dasselbe  auch  aus  dem  folgenden  Lemma  ableiten,  das  auch 
sonst  gelegentlich  nützlich  ist :  Es  sei  X^  <  ^  <  -X, ,  und  |'  die  zunächst  auf  ^ 
folgende  Wurzel  der  Gleichung  A(a;,|)  =  0,  falls  eine  solche  in  [IXgj  existiert, 
dagegen  ^'  =  X^  wenn  A  (x,  |)  =(=  *^  i^  ^  <C  ^  •<  ^s  •     Dann  läßt  sich  leicht  zeigen. 


§  12.     Das  Jacobi'sche  Kriterium.  71 


Wenn 
und 


Ry-  0     für     x^<^x  <^x^ 
tl{x,x^^^    für    Xy<x<c^^^  (21) 

so  ist  ö^^J  positiv  für  alle  sdässigen  Funktionen  ry. 

Die  Bedingung  (21) 
können  wir  auch  durch 
die  Ungleichung 

x[>x^       (21a) 

Fig.  9. 

ersetzen,  wenn  wir  die 
auf  p.  70,  Fußnote  ^) 
erwähnte  Verabredung  über  die  Bedeutung  von  x[   treffen. 

Aus  dem  vorangehenden  Satz  schloß  Jacobi,  daß  in  diesem  FaU 
wirklich  ein  Minimum  eintritt,  und  dies  wurde  allgemein  angenommen, 
bis  Weierstkass  im  Jahre  1879  zeigte,  daß  der  Schluß  falsch  ist, 
wenigstens  wenn  man  den  Begriff  des  Minimums  in  der  allgemeinen 
Weise  faßt,  wie  wir  denselben  in  §  3,  b)  definiert  haben  (vgl.  §  15,  a)). 

Die  beiden  obigen  Sätze  pflegt  man  unter  dem  Namen  „Jacob i'sches 
Kriterium''  zusammenzufassen. 

Der  Wert  x[  wird  der  m  x^  konjugierte  Wert  genannt,  und  der 
Punkt  i^^  der  Extremale ^)  (Sq,  dessen  Abszisse  x[  ist,  der  zu  Punkt  P^ 
konjugierte  Punkt  (nach  Weierstkass). 

Beispiel  VI  (Siehe  p.  32):  f=  G(y). 

Hier  ist 

P=0,  ^  =  0,         R  =  G'\a,), 

also  wird  die  Jacobi'sche  Differentialgleichung 

und  daraus 

A  {x,  x^)  =  X  —  Xi  . 

Es  ist  also  stets  ^-/>0,  was  freilich  hier  unmittelbar  aus  der  speziellen  Form 
von  &^J  klar  ist. 


daß  I'  als  Funktion  von  |  im  Intervall  [X^  Xg]  stetig  ist  und  mit  |  beständig  zu- 
nimmt, so  lange  |' <;  JYg ;  so  bald  aber  |'  diesen  Wert  erreicht  hat,  bleibt  es 
von  da  ab  konstant  gleich  X.^ . 

Hieraus  folgt  noch  weiter,  daß  die  Funktion  |'  —  |  von  |  im  Intervall  [a^i^Jg] 
einen  positiven  Minimalwert  l  erreicht.  Ist  daher  [o:/3]  irgend  ein  Teilintervall 
von  [x^x^]  dessen  Länge  <C^l,  so  kann  das  Intervall  [a|5]  kein  Paar  konjugierter 
Punkte  enthalten. 

^)  oder  ihrer  Fortsetzung  auf  das  erweiterte  Intervall  [X^  Xg],  siehe  §  9,  b). 


72    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Beispiel  I  (Siehe    pp.    1,   33,   59):  /*=  ^/V^-f^'*^  • 
Aus  den  aufp.  59  gegebenen  Werten  von  F.Q^H  erhält  man  für  die  Jacob Tsche 
Differentialgleichung : 

dx^       a^  a^       dx       a^^ 

Zwei  partikuläre  Integrale  dieser  Differentialgleichung  sind: 

u,  =  -  Sh  -1^&  ,  u,  =  Ch^^^«  -  ^~^'-  Sh^^~b  , 

«0  ^0  «0  S 

und  hieraus  ergibt  sich 

A{x,  ^i)  =  Sh?;Chv,  —^hv,  Ch  ?;  +  («;  — rj  Sh  u  Sht;,  , 
wobei  zur  Abkürzung 

gesetzt  ist.  Auf  die  Diskussion  der  sich  hieraus  ergebenden  transzendenten 
Gleichung  für  die  Bestimmung  von  x[  werden  wir  weiter  unten  näher  eingehen  ^) 
(p.  80). 

b)  Der  Jacobi'sclie  Fundamentalsatz  über  die  Integration  der 
Jacob  i'scben  Differentialgleicbung : 

Nach  dem  Vorangehenden  ist  es  zur  Entscheidung  über  das  Vor- 
zeichen der  zweiten  Variation  erforderlich,  die  Jacobi'sche  Differential- 
gleichung zu  integrieren;  dies  kann  praktisch  auf  große  Schwierig- 
keiten führen,  ja  die  weitere  Diskussion  überhaupt  unmöglich  machen. 

Daher  ist  die  Entdeckung  Jacobi's^)  von  fundamentaler  Be- 
deutung, daß  das  allgemeine  Integral  der  Jacobi'schen  Diiferential- 
gleichung  stets  durch  bloße  Differentiationsprozesse  erhalten  werden 
kann,  sobald  das  allgemeine  Integral  g(x,  a,  ß)  der  Euler'schen 
Differentialgleichung  (I)  bekannt  ist. 

Dazu  müssen  wir  zunächst  einiges  über  die  Eigenschaften  der 
Funktion  g(x,  a,  ß)  vorausschicken. 

Wir  haben  bereits  in  §  9  die  Annahme  eiageführt,  daß  unsere 
Extremale 

im  Innern  des  Bereiches  öl  liegt,  und  daß  für  sie  die  Bedingung 

^(^)  ^  fv'yi^^  y^^h  y(^))  >  ^;  in   [x,x,] ,  (ir) 

erfüllt  ist. 


^)  Hierzu  die   Übungsaufgaben   Nr.  2—12,   35—40   am   Ende   von   Kap.  EI. 
*)  in  der  schon  mehrfach  zitierten  Abhandlung  vom  Jahr  1837,  siehe  p.  60, 
Fußnote  ^). 


§  12.     Das  Jacobi'sche  Kriterium.  73 

Aus  diesen  Annalimen,  die  für  die  ganze  weitere  Untersucliung 
des  vorliegenden  Problems  festgehalten  werden  sollen^  folgt,  nach  all- 
gemeinen Sätzen^)  aus  der  Theorie  der  Differentialgleichungen,  daß 
die  Extremale  (S^  aus  dem  allgemeinen  Integral  der  Euler'schen 
Differentialgleichung  abgeleitet  werden  kann,  indem  man  den  Integrations- 
konstanten «,  ß  spezielle  Werte:  a  =  Uq^  ß  "=  ßo   erteilt,   so  daß  also 

9(^,  ^0,  ßo)  =  K^)     i^    K^2].  (22) 

und  daß  sich  eine  positive  Größe  d  so  klein  annehmen  läßt,  daß  die 
Funktion  g(x,  a,  ß)  in  dem  Bereich: 

X.^x^X,,        \a-a,\Zd,       \  ß  -  ßo  \  Z  d  (23) 

folgende  Eigenschaften  besitzt: 

1.  Die  Funktionen  g^  g'  ^  g^,  g"  ^  g^^  sind  als  Funktionen  der 
drei  Variabein  x,  a,  ß  von  der  Klasse  C  im  Bereich  (23). 

2.  Für  jedes  a,  ß  im  Bereich 

..       \u-a,\^d,       \ß-ß,\Zd  (24) 

genügt    g(Xj  a,  ß)    als    Funktion     von  x  im    Intervall    [X^Xg]    der 
Eule  r 'sehen    Differentialgleichung. 

3.  Die  Kurve 

y  =  g{x,  a,  ß),        X.^x^X^ 

liegt  für  jedes  a,  ß  des  Bereiches  (24)  ganz  im  Innern  des  Bereiches  6{, 
und  es  ist 

fyy  (^,  9iX,  ci,  ß),  g'ix,  a,  ß))  >  0  (25) 

im  Bereich  (23). 

4.  Die  Funktionaldeterminante 

ft^  +  O  (26) 

im  Bereich  (23). 

Dies  vorausgeschickt,  erhalten  wir  nach  Jacobi  auf  folgende 
Weise  zwei  partikuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  (9):  Sub- 
stituieren wir  in  der  Euler'schen  Differentialgleichung  für  y  das 
allgemeine   Integral  g{x^  a,  ß),  so  erhalten  wir: 

fy{x,  gix,  a,  ß),  g\x,  «,  ß))  -  ^  fy,(x,  g{x,  «,  ß),  g\x,  a,  ß))  =  0 . 


^)  Um  den  Gedankengang  nicM  zu  unterbrechen,  verschieben  wir  eine  ein- 
gehende Besprechung  dieser  Sätze  und  ihrer  Anwendung  auf  die  Euler'sche 
Differentialgleichung  auf  später  (§  24).  Vorläufig  mag  der  Leser  die  genannten 
Eigenschaften  des  allgemeinen  Integrals  g{x,a,ß)  statt  als  Folgerungen  aus 
früheren  Annahmen  als  neue  selbständige  Annahmen  betrachten. 


74    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Diese  Gleichung  ist  für  alle  Werte  von  a;,  a^  /3  im  Bereioli  (23) 
identisch  erfüllt  und  darf  daher  nach  a  oder  /3  differentiiert  werden. 
Führen  wir  diese  Dijfferentiation  aus  und  machen  von  der  Vertauschbar- 
keit^)  der  beiden  Diifferentiationen  nach  x  und  a  Gebrauch,  so  kommt: 


\yy      dx'y'yj^f^      dx^'y'y' ^""^ 
\fyy  ~  Tx  fy'y)  ^(^  ~  di  ^^w'  ^^^  ^  ^ 


(27) 


Geben  wir  jetzt  den  Größen  a^  ß  die  speziellen  Werte  cc  =  a^, 
ß  =  ßfi  und  erinnern  uns  der  Gleichungen  (2)  und  (22),  so  erhalten  wir 
Jacohi's  Fundamentalsatz:  Ist 

y  =  g{x,  a,  ß) 

die  allgemeine  Lösung  der  Eul er' sehen  Differentialgleichung,  dann  besitzt 
die  Jacohi'sche  Differentialgleichung 

die  beiden  partikulären  Integrale 


(28) 
7*2  =g^{Xy  a^,  ßo)} 

Zusatz:  Die  beiden  partikulären  Integrale  r^yr^  sind  linear  un- 
abhängig. 

Dazu    ist    nach  §  11,  a)    notwendig    and    hinreichend,    daß    die 

Determinante 

r^{x),       r,{x)\ 

r\(x),       r',(x)i 


D{x) 


nicht  identisch  verschwindet. 

Nun  lautet  aber  die  Determinante  D{x)  ausgeschrieben: 

andererseits  ist 

d(^,g')  I  "^i;:  _  I  9a(^,  «0.  ßo)^        9.a{^,  «o;  ßo)  1 
d{cc,  ß)  i  I  g^(x,  a„  ß,),       g,^{x,  cc^y  ßo)  ' 

und    da   aus   den   Eigenschaften  von  g(x,  a,  ß)   folgt,   daß  g^^  =  g. 


1)  Dieselbe  ist  nach  A  IV  7  und  A  IV  9  eine  Folge  der  Eigenschaften  von 


§  13.     Geometrisclie  Bedeutung  der  konjugierten  Punkte.  75 

9ßx-9xß^  so  ist 


B{x)  =  4^ 


«=«0 


und  daher  nach  (2ß) 

D(x)  +  0     in     [X,X,], 

womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist.^) 

Daraus  folgt:  Das  allgemeine  Integral  der  Jac oh i' sehen  Differential- 
gleichung ist: 

u  =  C^r^  +  C^r.^, 

wo  C^j  C^  willkürliche  Konstanten  sind. 

Um  also  das  allgemeinste  partikuläre  Integral  i^(x,  x^  zu  er- 
halten, welches  für  x  =  x-^  verschwindet,  müssen  wir  C^  :  C^  aus  der 
Gleichung 

C,r,{x,)  +  G,r,{x,)  =  0 

bestimmen.  Wir  erhalten  so,  indem  wir  zugleich  eine  bestimmte 
Wahl  über  den  bisher  unbestimmt  gelassenen  konstanten  Faktor 
treffen,  das  Resultat x^) 

A  {x ,  x^)  =  r^  {x)  r,  (x,)  -  r,  (x)  r^  (x^) ,  (29) 

womit  das  Jacobi'sche  Kriterium  erst  in  seiner  vollen  Bedeutung 
erscheint. 

Bei  Anwendungen  ist  es  daher  gar  nicht  nötig,  die  Jacobi'sche 
Differentialgleichung  wirklich  aufzustellen,  man  kann  vielmehr  direkt 
aus  dem  allgemeinen  Integral  g(x,  a,  ß)  die  Funktion  A(x,  x^)  ab- 
leiten und  daraus  den  konjugierten  Punkt  x[   bestimmen.^) 


§  13.     Geometrische  Bedeutung  der  konjugierten  Punkte. 

Jacobi^)  hat  eine  sehr  elegante  geometrische  Deutung  der  kon- 
jugierten Punkte  gegeben,  welche  auf  der  Betrachtung  der  Extremalen- 
schar  durch  den  Punkt  P^  beruht. 


^)  Vgl.  Pascal,  loc.  cit.,  p.  75. 

^)  Daß  A(a;,  x^)  nicht  etwa  identisch  verschwinden  kann,  (d.  h.  für  jedes  x)^ 
folgt  aus  der  linearen  Unabhängigkeit  von  r^  und  r^  nach  §  11,  b),  Zusatz  2. 

^)  Beispiele  folgen  am  Ende  von  §  13. 

*)  Loc.  cit.,  und  Vorlesungen  über  Dynamik,  p.  46;  vgl.  auch  Hesse,  loc. 
cit.,  p.  258. 


76    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

a)  Zusammenliang  der  Funktion  ^{x,x^)  mit  der  Extremalen- 
scliar  durch  den  Punkt  P^: 

Wir  wählen  (etwas  allgemeiner  als  es  für  unsern  unmittelbaren 
Zweck  nötig  ist)  irgend  einen  Punkt  Po{Xq,  y^)  auf  dem  Extre- 
malenbogen  ^^  oder  auf  dessen  Fortsetzung  auf  das  erweiterte  Inter- 
vall [XjXg]  und  betrachten  die  Schar  von  Extremalen  durch  den 
Punkt  Pq.  Man  erhält  dieselbe  analytisch,  indem  man  zwischen  den 
beiden  Gleichungen 

y  =  9{x,  a,ß)]  (^^) 

"  eine  der  beiden  Konstanten  a,  ß  eliminiert.  Die  Gleichung  (SOj)  wird 
durch  die  Werte  a  =  a^,  ß  =  ß^  befriedigt;  ihre  rechte  Seite  ist  in 
der  Umgebung  der  Stelle  a  =  a^,  ß  =  ß^  von  der  Klasse  C\  und 
überdies  ist  mindestens  eine  der  beiden  partiellen  Ableitungen 

^aK;  «o;  /^o)  =  ^1 W     ^Jid     g^{x^,  a^,  ß^)  =  r^  {x^) 

von  Null  verschieden,  da  r^{x)  und  r^{x)  zwei  linear  unabhängige 
Integrale  der  Jacobi'schen  Differentialgleichung  sind,  und  die  Stelle  x^ 
dem  Stetigkeitsbereich  der  letzteren  angehört.  Sei,  um  die  Ideen  zu 
fixieren, 

Dann  gibt  es  nach  dem  Dini'schen  Satz^)  über  implizite  Funktionen 
eine  und  nur  eine  Funktion, 

ß^ß{a), 

welche    in    der    Umgebung    von    a  =  «^    von    der    Klasse  C  ist,   der 
Gleichung  (SOj)  genügt  und  für  a  =  a^  den  Wert  ß^  annimmt. 
Setzen  wir  dieselbe  in  (SOg)  ein,  und  bezeichnen 

(j{x,  «,  ß{a))  ^q)(x,  «),        '''  (31) 

so  stellt  die  Gleichung 

y=-Sp{x,  «),  (32) 

die  durch  den  Punkt  P^  gehende  Extremalenschar  dar,  wobei  dann 
die  Extremale  ©^  selbst  durch 

®o:  2/  =  9(^;«o)  (33) 


')  Vgl.  §  22,  e). 


§  13.     Geometrische  Bedeutung  der  konjugierten  Punkte.  77 

dargestellt  wird.  Aus  den  Eigenschaften  der  Funktionen  g{x,  a,  ß) 
und  ß(a)  folgt,  daß  man  eine  positive  Größe  dQ  so  klein  wählen  kann, 
daß  die  Funktion  qp  und  die  Ableitungen  9^,  qp^,  9^^,  q)^^  und  q)^^ 
in  dem  Bereich  

existieren  und  stetig  sind. 

Führen  wir  dann  die  Funktion 

A  (x ,  Xq)  =  }\  (x)  r^  (^0)  -  ^2  (^)  ^1  (^0) 
ein,  so  ist^) 

wo  Cq  eine  von  Null  verschiedene  Konstante  bedeutet.  Denn^)  nach 
der  Definition  von  g)  {x,  a)  ist 

und  aus  (30i)  folgt 

9a{^0^  «.  ß)  +  9ß{x^y  a,ß)^^=0, 
also 

Wir  haben  der  Einfachheit  halber  den  Parameter  der  Schar  in 
ganz  bestimmter  Weise  gewählt.  Man  erhält  daraus  die  allgemeinste 
für  unsere  Zwecke  brauchbare  Darstellung  der  Extremalenschar  durch 
den  Punkt  Pq,  indem  man  in  (32)  für  a  eine  beliebige  Funktion 
a  =  a  {a)  eines  neuen  Parameters  ^)  a  einführt,  welche  den  Wert  a^^a^ 
für  einen  bestimmten  Wert  a  =  a^  annimmt,  in  der  Umgebung  dieses 
Wertes  von  der  Klasse  C  ist  und  überdies  der  Bedingung  a\a^  4=  0 
genügt. 

Setzt  man  dann 

^{x,  a{a))  =  (p(x,a) , 
so  stellt  die  Gleichung 
y  =  <p(^;  o)  (32a) 

1)  Vgl.   Erdmann,    Schlömilch's   Zeitschrift,    Bd.  XXII  (1877),    p.  325. 

^)  Die  Gleichung  (34)  folgt  noch  einfacher  daraus,  daß  die  Funktion 
^)^{x^  cc^  der  Jacobi'schen  Differentialgleichung  genügt  und  für  x  =  Xq  ver- 
schwindet. 

^)  Hierzu  eignet  sich  z.  B.  aus  geometrischen  Grründen  das  Gefälle  der 
betreffenden  Extremale  im  Punkt  P^ : 


78    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

in  allgemeinster  Weise  die  Extremalenschar  durch  den  Punkt  Pq 
dar,  die  Funktion  q){Xy  d)  hat  dieselben  Stetigkeitseigenschaften  wie 
^){Xj  a)  und  es  ist 

l^{x,x^)^C(p^{x,a^).  (34  a) 

Wenden  wir  die  vorangehenden  Resultate  insbesondere  auf  den 
Fall  an,  wo  der  Punkt  P^  mit  dem  Endpunkt  P^  des  Bogens  ©^  zu- 
sammenfällt, so  erhalten  wir  den  Satz: 

Ist 

y  =  (p{x,d)  (32  a) 

die  Schar  von  Extremalen  durch  den  Punkt  P^,  so  hmn  der  zu  x^ 
konjugierte  Wert  x^  auch  definiert  werden  als  die  zunächst  auf  x-^ 
folgende   Wurzel  der  Gleichung 

Neben  den  beiden  Gleichungen 

^a (^1 ;  «o)  =  ö ,         (p^ (x^,  «o)  =  0  (35) 

folgen  aus  den  bekannten  Eigenschaften  von  ^(x,  x^  noch  die  Un- 
gleichungen ^) 

^axif^l ,   «o)  +  ^ ,  9^ax«>  «o)  +  0  .  (36) 

b)  Die  Enveloppe   der  Extremalenschar    durch   den  Punkt   P^: 

Aus  dem  letzten  Satz  ergibt  sich  unmittelbar  die  im  Eingang 
dieses  Paragraphen  erwähnte  geometrische  Interpretation  der  kon- 
jugierten Punkte.  Denn  die  Koordinaten  x^',  y^  des  zu  Pj  kon- 
jugierten Punktes  P/  genügen  den  beiden  Gleichungen 

^(^l';  Vi,  %)  =  ^{^ly  %)  -  2/i'  =  0 

und  außerdem  ist  die  Determinante 

für  X  =  x^'f  y  =  yi7  ci  =  cIq  von  Null  verschieden,  da  ihr  Wert  gleich 
(faxi^ij  ^o)  is^-     Hieraus    erhalten    wir    nach    der  Theorie    der  Enve- 


^)  Vgl.  §  11,  a),  Zusatz  1. 


§  13.     Geometrische  Bedeutung  der  konjugierten  Punkte. 


79 


loppen^)    folgende    geometrisclie  Interpretation:    Man  betrachte  neben 
der  Extremale 

eine  benachbarte  Extremale  der  durch  den  Punkt  P^  gehenden  Schar: 

(S:  y  =  (p{x,aQ-{-]c). 

Wird  dann  '^k\  hinreichend  klein  gewählt,  so  schneidet^)  die 
Kurve  (S  die  Kurve  @q  in  einem  und  nur  einem  Punkt  P  in  der  Nähe 
von  P^';  und  läßt  man  Je 
gegen  Null  konvergieren,  so 
nähert  sich  der  Schnittpunkt 
P  dem  konjugierten  Punkt 
Pj'  als  Grenzlage.  Nach 
der  Definition  der  Enve- 
loppe  haben  vrir  also  den 
Satz: 

Der  zum  Funkt  P^  kon- 
jugierte   Punkt   P^   ist    der- 

jenige  Punkte  in  welchem  die 
Extremale  @o  zum  ersten  Mal 
(von  P^  aus  gerechnet)  die 
Enveloppe  der  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  berührt 

G{yy 

r^==x,        rg  =  1 , 

A(aJ,  x^)  =  X  —  x^. 


Fig.  10. 


also 


Beispiel  VI  (Siehe  pp.  32,  71):  f-- 
Hier  ist: 

g{x,  a,  ß)=^ax 


Es  existiert  also  kein  konjugierter  Punkt,  wie  auch  sofort  aus  der  geo- 
metrischen Deutung  der  konjugierten  Punkte  folgt;  denn  die  Schar  von  Extre- 
malen  durch  den  Punkt  P^  ist  hier  das  Geradenbüschel  durch  P^. 

Beispiel  I  (Siehe  pp.  1,  33,  72):    f=yyi-\-y'^^. 
Hier  ist 


^)  Vgl.  Encyclopädie ,  HI  D,  p.  47.  Der  Beweis  setzt  die  Stetigkeit  von 
$^,  $y,  $^,  ^ax,  ^ay,  ^aa  in  der  Nähe  des  Punktes  x  =  x^\  y  =  y^\  a^a^ 
voraus.  Diese  Bedingungen  sind  für  die  Schar  (32  a)  erfüllt,  wofern  man  die 
weitere  Voraussetzung  macht,  daß  auch  cp^^  existiert  und  stetig  ist. 

^)  Vgl.  die  eingehendere  Diskussion  derselben  Frage  in  Parameterdarstellung, 
in  §  30,  c). 


80    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

daraus  erhält  man  für  r^  und  r,  die  beiden  auf  p.  72  mit  u^  und  u^  be- 
zeichneten Funktionen  und  hieraus,  in  Übereinstimmung  mit  dem  schon  dort 
angegebenen  Resultat, 

A(x,  Xi)  =  Sh  i;  Ch  Vj  —  Sh  v^  Ch  v -{- {v  —  v^)  Sh  v  Sh  v^ , 
wobei  zur  Abkürzung  gesetzt  ist 

^  —  ßo  ^1  —  A> 


Daraus  ergibt  sich  (wenn  v^^O)  für  die  Bestimmung  von  x^'  die  transzendente 
Gleichung 

Coth  v  —  v^  Coth  i\  —  v^ .  (37) 

Da  die  Funktion^)  Coth  f  —  v  von  -}- oo  bis  — oo  abnimmt,  während  v  von 
—  oo  bis  0  wächst,  und  dann  wieder  von  -{-  oo  bis  —  oo  abnimmt,  während  v 
von  0  bis  -f  oo  wächst,  so  hat  die  Gleichung  (37)  außer  der  trivialen  Lösung 
e;  ==  i?j  noch  eine  andere  Lösung  y/,  und  v^  und  v^'  haben  entgegengesetztes 
Zeichen. 

Wenn  daher  v^^  >  0,  d.  h.  wenn  der  Punkt  P^  auf  dem  aufsteigenden  Ast 
der  Kettenlinie  liegt,  so  existiert  kein  zu  Py  konjugierter  Punkt-. 

A{x,  rCi)=|=0  für  jedes  x^x^.     Dasselbe  Resultat  gilt  für  Vj  ==  0. 

Wenn  dagegen  v^  «<  0,  d.h.  wenn  P^  auf  dem  absteigenden  Äst  der  Kettenlinie 
liegt,  so  existiert  stets  ein  zu  P^  konjugierter  Punkt  P/,  und  zwar  liegt  derselbe 
auf  dem  aufsteigenden  Ast.  Der  Punkt  P/  kann  geometrisch  durch  folgende 
von  LiNDELÖp^)  entdeckte  Eigenschaft  bestimmt  werden:  Die  Tangenten  an  die 
Kettenlinie  in  den  beiden  Punkten  P^  und  P/  schneiden  sich  auf  der  Direktrix 
der  Kettenlinie,  d.  h.  der  x-Achse.  Denn  die  Abszissen  der  Schnittpunkte  dieser 
beiden  Tangenten  mit  der  aj- Achse  sind: 

und 


X  =  Xy  —  Uq  Coth 
X  =  x/-a.  Coth  ^~Ä 


0^0 

und  es  ist  X'  —  X  =  0  wegen  (37). 

Wir  bemerken  noch,  daß  die  Lindelöf'sche  Konstruktion  ganz  allgemein 
für  diejenigen  Probleme  der  Variationsrechnung  gilt,  für  welche  das  allgemeine 
Integral  der  Euler'schen  Differentialgleichung  die  Form  hat: 


=-(^-9 


Wir    knüpfen    hieran    noch    einige    Bemerkungen    über    die  Enveloppe  der 


Schar  von  Kettenlinien  durch  den  Punkt  P^. 


^)  Der  Leser  möge  sich  die  diese  Funktion  darstellende  Kurve  aufzeichnen. 
*)  LiNDELÖF-MoiGNo,    loc.    cit.,    p.  209,    und    Lindelöf,    Mathematische 
Annalen,  Bd.  11  (1870),  p.  160. 


13.     Geometrische  Bedeutung  der  konjugierten  Punkte. 


81 


Vom  Punkt  P^  aus  läßt  sich  nach  §  24,  c)  nach  jeder  Richtung  (außer 
parallel  der  y- Achse)  eine  Kettenlinie  mit  der  rc-Achse  als  Direktrix  ziehen.  Be- 
stimmt man  auf  jeder  Kettenlinie  dieser  Schar  den  zu  P^  konjugierten  Punkt  P^\ 


I 

p. 

'N4^ 

•^-y^' 

N 

Fig.  12. 


SO  ist  der  geometrische  Ort  der  Punkte  P/  die  Enveloppe  %  der  Schar.  Nach 
(37)  erhält  man  die  Enveloppe  in  Parameterdarstellung,  wenn  man  u^  aus  den 
Gleichungen 

{u  —  u^)  _      Ch  w 

Ch^  '  ^  ~  ^^  Chu,  ' 


«  =  ^1  +  2/i 


Coth  u  —  u  =  Coth  u^  —  u^ 
eliminiert. 

Mac  Neish^)  hat  diese  Enveloppe  näher  untersucht.  Sie  hat  etwa  die 
Gestalt  einer  Parabel  mit  der  positiven  Hälfte  der  Geraden  x  =  x^^  als  Achse 
und  dem  Fußpunkt  N  der  Senkrechten  von  P^  auf  die  ic- Achse  als 
Scheitel. 

Hiermit  hängt  nun  die  Frage  der  KonstantenbestiMmung  aufs  engste  zu- 
sammen. Das  Resultat  ist  folgendes^):  Durch  die  Enveloppe  %  wird  der  von 
der  positiven  ic-Achse  und  der  positiven  Hälfte  der  Geraden  x  =  x^  begrenzte 
Quadrant  in  zwei  Teile  I  und  11  zerlegt  (Fig.  12). 

1.  Nach  jedem  Punkt  Pg  im  Innern  von  I  lassen  sich  von  P^  aus  zwei 
Kettenlinien  mit  der  a;- Achse  als  Direktrix  ziehen;  die  eine  enthält  den  zu  P^ 
konjugierten  Punkt  nicht,  die  andere  enthält  den  konjugierten  Punkt  zwischen 
P^  und  Pg.  Nur  die  erstere  kann  also  ein  Minimum  liefern  und  tut  es  auch  in 
der  Tat  (vgl.  §  19). 


1)  Ann  als  of  Mathematics  (2),  Bd.  VII  (1905),  p.  65. 

^)  ^gl-  Goldschmidt,  Determinatio  superficiei  minimae  rotatione  curvae  data 
duo  puncta  jungentis  circa  datum  axeni  ortae,  Göttingen,  1831 ;  H.  A.  Schwarz,  Berliner 
Vorlesungen,  mitgeteilt  von  Hancock,  Lectures  on  the  Calculus  of  Variations, 
Chap.  III,  und  Mac  Neish,  loc.  cit. 

B  0 1  z  a ,  Variationsrechnung.  Q 


82    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

2.  Nach  jedem  Punkt  P«  der  Kurve  %  läßt  sich  von  Pj  aus  ehw  Kettenlinie 
mit  der  .x- Achse  als  Direktrix  ziehen;  auf  derselben  ist  der  Punkt  P^  zugleich 
der  zu  P^  konjugierte  Punkt.    Diese  Kettenlinie  liefert  kein  Minimum  (vgl.  §  43). 

3.  Liegt  Pg  im  Innern  des  Bereiches  II,  so  läßt  sich  von  P^  aus  keine 
KettenUnie  mit  der  ^-Achse  als  Direktrix  nach  P^  ziehen.  ^) 


§  14.     Notwendigkeit  der  Jacob i'schen  Bedingung. 

Wir  haben  bereits  hervorgehoben ,  daß  die  beiden  in  §  12,  a) 
bewiesenen  Sätze  Jacobi's,  obgleich  sie  uns  wichtige  Aufschlüsse  über 
das  Vorzeichen  der  zweiten  Variation  geben,  dennoch  weder  eine  not- 
wendige noch  eine  hinreichende  Bedingung  für  die  Existenz  eines 
Extremums  enthalten. 

Trotzdem  kann  man  wenigstens  eine  notwendige  Bedingung  aus 
dem  ersten  der  beiden  Sätze  durch  eine  leichte  Modifikation  der 
Jacob  i'schen  Schlußweise  ableiten.  Es  läßt  sich  nämlich  zeigen: 
Wenn  ^/<^2?  so  kann  man  d^J  nicht  nur  gleich  Null,  sondern 
sogar  negativ  machen. 

Dies  ist  zuerst  von  Weierstrass  ^)  und  Erdma:nn^)  bewiesen 
worden. 


^)  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  2—12,    35—40    am   Ende   von   Kap.  III. 

2)  Wkierstrass,  (Vorlesungen)    schreibt   die   zweite  Variation   in  der  Form 

WO  k  eine  kleine  positive  Konstante  ist,  und  wendet  auf  das  erste  Integral  die 
Jacobi'sche  Transformation  an  (§  10,  b)): 

x^  -r^ 

S^j^s^i    rnW{ri)dx  —  krri^dx\,^ 

Xi  Xi 

wo 

Win)  =  {iP  +  ^)-Q')n-  -/-  (^  V) . 

Dann  zeigt  er  auf  Grund  allgemeiner  Sätze  über  Differentialgleichungen,  welche 
einen  Parameter  enthalten  (vgl.  unten  §  24,  e)  und  Poixcare,  Mecanique  Celeste 
(Paris  1892),  Bd.  I,  p.  58,  und  Picard,  Traite,  Bd.  III,  p.  157),  daß  man  für 
hinreichend  kleine  Werte  von  k  eine  Funktion  rj  der  Klasse  D"  konstruieren 
kann,  welche  der  Differentialgleichung  W(r])  =  0  genügt  und  in  x^  und  x^  ver- 
schwindet.    Für  eine  solche  Funktion  r]  ist  aber  offenbar  ^V  negativ. 

3)  Schlömilch's  Zeitschrift,  Bd.  XXIII  (1878),  p.*367. 


§  14.     Notwendigkeit  der  Jacobi'sclieii  Bedingung.  33 

Andere  Beweise  sind  später  von  Scheeffer^)  und  Schwarz  2) 
gegeben  worden. 

a)  Der  Erdmanii'sclie  Beweis: 
Wir  nehmen  also  an^  es  sei 

x;  <  x^ .  (38) 

Alsdann  können  wir  eine  Größe  x^  so  wählen,  daß 

und  gleichzeitig 

A«,  ^,)  +  0. 

Wir  bezeichnen  dann 

u  =  A(;r,  ^i)  ,         z;  =  +  t^{x,  x^) , 

wohei  wir  uns  die  Wahl  des  Vorzeichens  vorbehalten.  Die  Funktionen 
u  und  V  sind  zwei  linear  unabhängige  Integrale  der  Jacob  loschen 
Differentialgleichung  (10);  daher  gilt  für  sie  der  Abel'sche  Satz  (19), 
welcher  für  die  spezielle  Differentialgleichung  (10)  die  Form  annimmt 

R(uv  -uv)  =  K,  (39) 

wo  K  eine  von  NuU  verschiedene  Konstante  ist. 

Jetzt  wählen  wir  das  Vorzeichen  von  v  so,  daß  K  positiv  wird. 
Dies  ist  stets  möglich;  denn  wenn  man  v  durch  —  v  ersetzt,  so  geht 
^  in  —  ^  über. 

Da  ferner  auch  u  und  u  —  v  ein  Fundamentalsystem  von  Inte- 
gralen der  Differentialgleichung  (10)  bilden,  so  folgt  nach  dem 
Sturm'schen  Satz,  daß  u  —  v  eine  und  nur  eine  Nullstelle  zwischen 
%  und  x^'  besitzt;    wir    bezeichnen    dieselbe   mit  C;    es   ist  dann  also 

u(c)  =  v(c) . 


1)  Mathematische  Annalen,  Bd.  XXV  (1885),  p.  548;  der  Scheeffer'sche 
Beweis  ist  nur  unwesentlich  von  dem  Erdmann'schen  verschieden. 

^)  In  seinen  Vorlesungen,  1898—1899;  vgl.  Sommerfeld,  Jahresbericht  der 
deutschen  Mathematikervereinigung,  Bd.  YIII  (1900),  p.  189,  und  Hancock, 
Lectures  on  the  Calculus  of  Variations,  Nr.  133.  Es  ist  zu  beachten,  daß  bei  allen 
diesen  Beweisen  die  Annahme  x^'  <^x^  (mit  Ausschluß  des  Gleichheitszeichens!) 
wesentlich  ist;  für  den  Fall  x^'  =  x^^  soweit  er  nicht  durch  Erdmanns  Formel 
(20)  für  ^V  erledigt  wird,  vgl.  Kneser,  Mathematische  Annalen,  Bd.  L  (1897), 
p.  50,  und  Osgood,  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society, 
Bd.  II  (1901),  p.  166.  Wir  werden  diesen  Fall  später  in  Parameterdarstellung 
ausführlich  behandeln  (vgl.  §  43). 

6* 


84    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Variation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Jetzt  wählen  wir  die  Funktion  rj  folgendermaßen: 

in     [x^  c] 
7]  =lv     in     [cx^'] 


0     in     [x^'x^] . 

Die  so  definierte  Funktion  t]  ist  von  der  Klasse  D"  in  [^Ti^z^g]-  Denn 
sie  ist  selbst  stetig  wegen  u(c)  =  v{c)  und  v{x^)  =  0,  während  ihre 
Ableitungen  in  c  und  x^  Unstetigkeiten  der  in  §  10,  c)  charakte- 
risierten Art  besitzen.  Wir  dürfen  also  die  Formel  (13)  für  die 
zweite  Variation  anwenden  und  erhalten,  da  ^(?^)  =  0  in  jedem  der 
drei  Teilintervalle, 

dV=  e'ri{c)B[c)  [r;{c  -  0)  -  n\c  +  0)]  . 
Da  aber 

ri{c)  =  u{c)  =  v{c) , 
und 

ri{c  —  0)  =  u{c) ,         i](c  +  0)  =  v{c) , 

so  können  wir  dies  schreiben 

dV=  -  e'-B{uv  -  UV)  \  --  ^^K,  (40) 

wobei  wir  von  dem  allgemeinen  Substitutionszeichen 

Q{x)  I'  =  Oic)  (41) 

Gebrauch  machen.  Da  X  >  0 ,  so  ist  hiermit  bewiesen,  daß  man  in 
der  Tat  die  zweite  Variation,  und  daher  auch  die  vollständige  Vari- 
ation Ae7  negativ  machen  kann. 

b)  Der  Schwarz'sche  Beweis: 

In  §  10,  b)  und  §  12,  a)  haben  wir  nach  Jacobi's  Vorgang  eine 
Funktion  t^-  aufgestellt,  für  welche  d^J=0;  Schwarz  konstruiert 
nun  auf  folgende  Weise  eine  von  jener  Funktion  nur  unendlich  wenig 
abweichende  Funktion,  für  welche  d^J'<  0.     Er  wählt: 

|^f  +  Ä;5     in     [^i^/] 
I         IxS     in     [^i'a^g], 

wo  wieder  u  =  dk(^x,x^,  während  s  irgend  eine  Funktion  der  Klasse 
C"  bedeutet,  welche  in  x^  und  x^  verschwindet,  dagegen  in  x^  von 
Null  verschieden  ist;  h  endlich  bedeutet  eine  kleine  Konstante. 


§  14.     Notwendigkeit  der  Jacobi'schen  Bedingung.  85 

Die    so    definierte    Funktion  rj  ist  von  der  Klasse  D"  in  [^i^^gj; 
sie  ist  stetig,  da  u(x^')  =  0,   und  ihre  Ableitungen  haben  als  einzige 
Unstetigkeitsstelle      den 
Punkt  X  =  x^\ 

Wir     dürfen    daher 
zur  Berechnung  von  d^J 
wieder   die   Formel   (13)    ~ 
anwenden.     Da 

Fig.  14. 

ri(xj==]cs{x^'), 

v\^i  —  0)  =  u{x^')  +  ]cs\x^')y 

rj\x^'  +  0)  =  lcs{x^'), 
so  erhalten  wir 

ö'J=£^{]cR{x^')u{x^')s{x^')  +f(u  +  1cs)W(u  +  ]cs)dx  + 

+f]csWQcs)dx]- 
Beachtet  man  nun,  daß 

ferner  daß 

und  daher  nach  (14) 

»'■•PC«)  =  -/^-R(««' -«'«), 

und  endlich  daß 

w(^i)  =  0,         u(xi)  =  Oj        s(xj)  =  0 , 

so  reduziert  sich  der  Ausdruck  für  d^J  auf 


dV  =  £2  }^2kR{x^')  u{x^')  s{x,')  +  k'J  sW{s)  dx  ]  •  (42) 

Nun  ist  nach  Voraussetzung  li{x^)=^0'^  ferner  nach  §  11,  a) 
u  (x^)  4=  0,  weil  u{x^)  =  0;  und  endlich  s(x^)  4=  0  nach  der  Bildung 
der  Funktion  s.  Also  ist  der  Koeffizient  von  k  von  Null  verschieden, 
und  daher  können  wir  durch  passende  Wahl  von  h  die  zweite  Vari- 
ation in  der  Tat  negativ  machen. 

c)  Ein  Lemma  über  Variationen  der  Klasse  B  : 
Wir    haben    zwar   im  Vorangehenden    gezeigt,    daß    AJ  negativ 
gemacht  werden  kann;  damit  ist  aber  noch  nicht  bewiesen,  daß  kein 


86    Zweites  Kapitel.    Die  zweite  Yariation  bei  der  einfachsten  Klasse  von  Aufgaben. 

Minimum  eintreten  kann.  Denn  die  spezielle  Yariation,  welche  wir 
dazu  benutzt  haben^  gehört  gar  nicht  zu  den  zulässigen  Vari- 
ationen, da  ja  die  Ableitung  von  rj  Unstetigkeiten  im  Intervall 
[x^x^]  besitzt.  Der  Beweis  wird  erst  vollständig  durch  den  folgenden 
Hilfssatz  ^): 

Kann  man  AJ  negativ  machen  mittels  einer  Variation  der 
Klasse  D\  so  ist  dies  stets  auch  möglich  mittels  einer  Variation  der 
Klasse  C. 

Man  beweist  denselben  leicht  mittels  eines  Prozesses,  den  man 
kurz    als    „Abrunden    der  Ecl^en"   beschreiben    kann.     Es  sei  nämlich 

eine  die  beiden  Punkte  P^  und  Pg  verbindende,  ganz  im  Innern  des 
Bereiches  Öl  gelegene  Kurve  der  Klasse  D',  für  welche 

AJ=J--J    <0; 

ferner  sei  C(a,  h)  eine  der  Ecken  der  Kurve  ß,  und  p^,  2h  ^i® 
beiden  Werte  des  Gefälles  der  Kurve  S  in  der  Ecke  C.  Sodann 
wählen  wir  eine  positive  Größe  L^\p^\,  \P2\,  nehmen  auf  S  zwei 
der  Ecke  links  und  rechts  benachbarte  Punkte  Q^  und  Q^  mit  den 
Abszissen  a  —  h  und  a  -j-  h^  und  konstruieren  eine  Kurve  ß  der 
Klasse  C,  welche  durch  Q^  und  Q<^  geht,  die  Kurve  S  in  §i  ^^^  Qi 
berührt,  und  deren  Gefälle  dem  absoluten  Werte  nach  beständig 
kleiner  als  L  ist,  was  stets  möglich  ist,  z.  B.  indem  man  die  Kurve  ^ 

aus    einem  Segment    einer   Geraden   und  einem 

Kreisbogen  zusammensetzt. 

Man  zeigt  dann  leicht  weiter^):  Ist  6  eine 

beliebig  kleine  vorgegebene  positive  Größe,    so 

kann  man  stets  h  so  klein  wählen,  daß 

"^^  T^^h  Wir  „runden  jetzt  die  Ecke  C  ab",  indem 

Fig.  ir>.  wir   das    gebrochene    Stück   Q^  C  Q.,    durch    das 

Stück   öl  Q.2  der  Kurve  ^  ersetzen. 

Führen    wir    diese  Operation    für   sämtliche  Ecken  der  Kurve  ^ 

durch,    so    erhalten    wir    als   Resultat    eine    Kurve   2   der    Klasse  C, 


*)  Vgl.  hierzu  Goursat,  Cours  d' Analyse,  II,  p.  606. 

')  Wählt  man  <?  >>  0  so  klein,  daß  die  geschlossene  Umgebung 

[q\:  \x—a\'^Q,  \y—'b\<Q 


§  14.     Notwendigkeit  der  Jacobi'schen  Bedingung.  87 

welche  ebenfalls  die  beiden  Punkte  P^  und  P^  verbindet  und  im 
Bereicb  61  liegt,  und  durch  Verkleinerung  von  h  können  wir  er- 
reichen, daß  die  Differenz  J^  —  J^  dem  absoluten  Wert  nach  unter 
jede  vorgegebene  Größe  sinkt.  Da  nun  nach  Voraussetzung  J-^  —  J^  <  0, 
so  können  wir  durch  Verkleinerung  von  li  auch  erreichen,  daß 

^s-^(j.<0,        Q-E-D. 

Wir  dürfen  daher  jetzt  den  Satz  aussprechen: 
Fundament  als  atz  III:  Die  dritte  notwendige  Bedingung  für  ein 
Minimum  (Maximum)  besteht  darin,  daß 

A(,r,  X,)  4=  0  (III) 

für  alle   Werte  von  x  in  dem  offenen  Intervall  x^<^x  <ix^_^. 

Znsatz:    Dieselbe  Bedingung  läßt  sich  auch  schreiben:  ^^  <  ^\. 
oder  aber  x^  existiert  nicht,  d.  h.  wenn  der  Endpmikt  P^  j^^seits  des 
zu  Pj  konjugierten   Punktes  P^  liegt,   so   findet  kein   Maximum  oder 
Minimum  statt. 

Wir  werden  diese  Bedingung  die  Jacohi'sche  Bedingung  nennen. 


des    Punktes  C  ganz    im    Innern    des    Bereiches  di  liegt,    so    bat  die  Funktion 
1/(^1  ?/»  y')\  öiii  endliches  Maximum  M  im  Bereich 

\x  —  a\<^Q,         |2/  — &r<(>,         \y\<L. 

Wählt  man  jetzt  /i<^p,  so  ist  das  Integral  J,  genommen  entlang  irgend 
einer  Kurve:  y  =  y{x)  der  Klasse  D',  welche  ganz  in  [p]^  liegt  und  der  Be- 
dingung I  y\x)  I  <^  L  genügt ,  vom  Punkt  a  —  h  bis  zum  Punkt  a  -f-  /',  dem  ab- 
soluten Wert  nach  kleiner  als  2h M,  also 


Drittes  Kapitel. 

Hinreichende  Bedingungen  bei   der  einfachsten  Klasse  Yon 

Aufgaben. 

§  15.    Hinreichende  Bedingungen  für  ein  „schwaches  Extremum"^). 

Wir  setzen  jetzt  voraus,  daß  für  unsere  Extremale ") 

die  beiden  Bedingungen  erfüllt  sind: 

R{x)  >  0 ,     für     x^<^x^x^,  (ir) 

A  (^,  ^i)  =h  0 ,     für     x^<x<:  x^ '')  (IIP) 

und  fragen:  Sind  diese  Bedingungen  hinreichend  für  ein  Minimum? 
Dies  ist  in  der  Tat  bis  in  die  siebziger  Jahre  des  vorigen  Jahr- 
hunderts allgemein  als  selbstverständlich  angenommen  worden,  und 
erst  Weierstrass  hat  gezeigt,  daß  der  Schluß  falsch  ist.  Es  ver- 
lohnt sich  daher  genauer  zuzusehen,  einerseits  worin  der  Fehlschluß 
bestand,  andererseits  was  man  aus  den  obigen  Annahmen  wirklich 
schließen  darf.  r» 


^)  Man  vergleiche  für  diesen  Paragraphen  die  Arbeit  von  Scheeffer,  Über 
die  Bedeutung  der  Begriffe  Maximum  und  Minimum  in  der  Variationsrechnung , 
Mathematische  Annalen,  Bd.  XXVI  (1886),  p.  197,  welche  für  die  Aufklärung 
der  Grundbegriffe   der  Variationsrechnung  von  größter  Wichtigkeit  gewesen  ist. 

^)  An  den  im  Eingang  von  §  9,  a)  über  die  Extremale  ö;^  gemachten  An- 
nahmen wird  ein  für  allemal  festgehalten;  sie  sind  bei  allen  in  der  Folge  über 
die  Extremale  S^,  aufgestellten  Sätzen,  den  sonstigen  Voraussetzungen  hinzu- 
zufügen.    Vgl.  auch  p.  58. 

^)  Man  beachte  das  Gleichheitszeichen,  durch  welches  sich  (IIF)  von  (III) 
unterscheidet;  wegen  des  Falles  x^' =  x^   vgl.  die  Zitate  auf  p.  8.3,  Fußnote  *)• 


§  15.     Hinreichende  Bedingungen  für  ein  „schwaches  Extremum".         89 

a)  Analyse  des  FeUscMusses : 

Wir  haben  gesehen,  daß  aus  den  beiden  Annahmen  (11')  und  (HI') 
in  aller  Strenge  folgt,  daß  d^J'>  0  für  alle  zulässigen  Funktionen  t^, 
welche  nicht  identisch  verschwinden.  Daraus  folgt  aber  in  der  Be- 
zeichnung von  §  4:  Hat  man  eine  zulässige  Funktion  r^(x)  fest  ge- 
wählt, so  besitzt  das  Integral 


Ji^)  =jf{^,  y  +  ^Vy  y  +  fV)^^ 


als  Funktion  von  s  ein  Minimum  für  ^  =  0,  da  J'(0)  =  0,  J''(0)>0. 
Das  heißt:  Es  läßt  sich  eine  positive  Größe  8  angeben,  derart  daß 
AJ^O  für  alle  Kurven  der  Schar 

y  =  y{^)-^^v{^)y  (1) 

für  welche  0  <  ]  f  |  <  d,  oder  wie  wir  sagen  können:  In  Beziehung 
auf  die  spezielle  Schar  (1)  von  Kurven  liefert  ©^  wirklich  ein 
Minimum. 

Ist  andererseits  eine  beliebige  zulässige  Kurve 

gegeben,  so  läßt  sich  dieselbe  stets  als  Individuum  einer  Schar  dieser 
Art  betrachten-,  man  braucht  nur  für  r](x)  die  Funktion  r}(x)  =  y{x)  — 
—  y{x)  zu  wählen,  so  liefert  die  Schar  (1)  für  e  ^  1  die  gegebene 
Kurve. 

Hiernach  scheint  in  der  Tat  aus  den  angegebenen  Bedingungen 
die  Existenz  eines  Minimums  zu  folgen.  Dabei  ist  aber  ein  wesent- 
licher Punkt  außer  Acht  gelassen.  Die  Funktion  J{e)j  und  daher 
ebenso  die  Größe  d,  hängt  von  der  Wahl  der  Funktion  r] 
ab-,  dies  wollen  wir  auch  in  der  Bezeichnung^)  zum  Ausdruck  bringen, 
indem  wir  statt  ö  schreiben  ö  .  Um  unsere  Definition  des  Minimums 
(§  3,  b))  zur  Yergleichung  heranziehen  zu  können,  führen  wir  das 
Maximum  m,^  der  Funktion  \'yi{x)\  im  Intervall  \x^x^  ein  und  setzen: 
Q^  =  m^d„;  dann  folgt  für  das  Inkrement  Ay  =  y(x)  —  y{x) : 

\^y\<Q^j     in     [x^x.;\  (2) 

für  alle  Kurven  der  Schar  (1),  für  welche     £  j  <  ^^ ,  d.  h.  diese  Kurven 

^)  Nach  E.  H.  Moore,  vgl.  z.  B.  Transactions  of  the  American  Mathe- 
matical  Society,  Bd.  I  (1900),  p.  500.  Diese  Bezeichnungsweise  empfiehlt 
sich  sehr  bei  allen  schwierigeren  Grenzbetrachtnngen. 


90  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

liegen  alle  in  der  Nachbarschaft^)  {q^^  von  @o-  Umgekehrt:  Ziehen 
wir  in  der  Nachbarschaft  (p,^)  von  i^Q  irgend  eine  Kurve  der  Schar 
(1),  so  ist  für  dieselbe  AJ>  0;  denn  aus  der  A^nnahme  (2)  folgt  aus 
der  Betrachtung  des  speziellen  Wertes  von  Xy  welcher  ;  ri(x)  \  =  m, 
liefert,  daß  s  <C  d^. 

Betrachten  wir  jetzt  die  Gesamtheit  aller  nicht  identisch  ver- 
schwindenden zulässigen  Funktionen  7]j  so  besitzt  die  Menge  der  zu- 
gehörigen Werte  q^^  nach  §  2,  a)  eine  untere  Grenze  Q^^,  Avelche  ent- 
weder positiv  oder  Null  ist.  Wenn  nun  Qo>0,  so  kann  man  schließen, 
daß  A  J">  0  für  alle  zulässigen  Variationen  ^,  welche  ganz  in  der 
Nachbarschaft  (qq)  von  @o  liegen,  wie  man  sofort  sieht,  wenn  man 
die  gegebene  Kurve  ß  in  der  oben  angegebenen  Weise  in  eine  Schar 
von  der  Form  (1)  einreiht.  In  diesem  Fall  tritt  also  tatsächlich  ein 
Minimum  ein.  Die  Untersuchungen  des  nächsten  Paragraphen 
werden  jedoch  ergeben,  daß  es  unmöglich  ist,  allgemein  zu  be- 
weisen, daß  Qq>  0.  Wenn  aber  Qq  =  0,  so  wird  der  ganze  Schluß 
hinfällig. 

Es  zeigt  sich  also,  daß  der  Fehlschluß  in  letzter  Instanz  auf  der 
stillschweigenden  Annahme,  daß  ()q  >  0,  oder  was  auf  dasselbe  hinaus- 
läuft, auf  der  Verwechslung  von  Minimum  und  unterer  Grenze 
beruht,  die  an  den  meisten  Fehlern  und  Ungenauigkeiten  der  älteren 
Infinitesimalrechnung  Schuld  trägt. 

Es  läßt  sich  aber  auch  a  priori  einsehen^),  daß  die  Methode, 
welche  unserer  ganzen  bisherigen  Untersuchung  zugrunde  lag,  über- 
haupt nie  zu  hinreichenden  Bedingungen  führen  kann,  so  lange  man 
der  Funktion  f  ihre  volle  Allgemeinheit  läßt.^) 

Denn  wenn  man  die  Taylor^sche  Entwicklung  (mit  oder  ohne 
Restglied)  auf  die  Differenz 

^f=f(^y  y  +  Ai/,  y  -f  A/)  -  fix,  ij,  ij) 

anwendet  und  integriert,  so  kann  man  aus  dem  Vorzeichen  der  ersten 
Glieder  nur  dann  auf  das  Zeichen  von  Ae7  schließen,  wenn  nicht 
nur  I  Ai/ 1,  sondern  auch  \Ay'\  hinreichend  Mein  bleibt,  oder,  geometrisch 
gesprochen,    wenn    für  entsprechende  Punkte   der  Kurven  ©^   und  S 


p  Vgl.  §  3,  b). 

-)  Zuerst  von  Weierstrass  betont. 

^)  Dagegen  kann  man  für  spezielle  Funktionen /"mittelst  der  Taylor'schen 
Formel  hinreichende  Bedingungen  ableiten,  z.  B.  wenn  f{x,  y  ^  y')  die  Ableitung  y' 
überhaupt  nicht  enthält;  vgl.  auch  p.  122,  Fußnote  ^),  sowie  die  Übungsaufgaben 
Nr.  20,  21  am  Ende  von  Kap.  III. 


§  15.     Hinreichende  Bedingungen  für  ein  „schwaches  Extremum".         91 

nicht  nur  der  Abstand,  sondern  auch  der  Unterscliied  in  der  Richtung 
der  Tangenten  hinreichend  klein  ist.^) 

b)  Das  schwache  Extremum: 

Sehen  wir  jetzt  zu,  was  aus  den  beiden  Voraussetzungen  (IP) 
und  (Iir)  wirklich  gefolgert  werden  darf.  Wir  können  das  Resultat 
am  einfachsten  formulieren,  wenn  wir  den  Begriff  des  „schwachen 
Extremums"  einführen^):  Wenn  es  zwei  positive  Größen  q  und  q' 
gibt,  derart,  daß  AJ^O  für  alle  zulässigen  Variationen,  für  welche 
gleichzeitig 

\Ay\<Q  und  \Ay\<Q'  für  x^^x^x^y  (3) 

so  sagt  man  nach  Knp:ser  {Lehrbuch,  §  17):  die  Kurve  (S^  liefert  ein 
schwaches  Minimum  für  das  Integral  J,  und  unterscheidet  davon  das 
Minimum,  wie  wir  es  nach  Weierstrass  definiert  haben  (§  3,  b)),  und 
bei  welchem  die  zulässigen  Variationen  nur  durch  die  erste  Ungleichung 
\Ay\<^Q  eingeschränkt  sind,  als  starlies  3Iinimum.  Aus  der  Defini- 
tion folgt,  daß,  wenn  eine  Kurve  ein  starkes  Extremum  liefert,  sie 
allemal  auch  a  fortiori  ein  schwaches  Extremum  liefert,  aber  nicht 
umgekehrt. 


^)  Auf  diesen  Punkt  hat  zuerst  Todhunter  aufmerksam  gemacht,  siehe 
Researches  in  the  Calculus  of  Variations  (London  and  Cambridge,  1871),  p.  269. 

^)  Man  kann  das  schwache  Extremum  noch  kürzer  definieren,  wenn  man 
mit  Kneser  den  Begriff  der  „ewigeren  Umgebung'-'-  einer  Kurve 

von   der  Klasse  C   einführt.     Darunter   versteht   man   irgend   einen   Bereich   im 
Raum  der  Variabein  ^,  y^  y\  welcher  die  Kurve 

©':  2/  =  y{x)  ,       y'  =  y'{x),       x^<^x<^  x^ 

ganz  in  seinem  Innern  enthält. 

Weiter  sagen  wir,  eine  zweite  Kurve 

^:  y  =  y{x),  X^<_X<_X,^ 

liege  in  einer  gewissen  engeren  Umgebung  äL'  von  ß,  wenn  die  Kurve 

©':  y  =  y{x),       y'  =  y'{x),       X^<^X<^x., 

im  Raum  der  Variabein  x,  y,  y'  in  äl'  liegt. 

Unter  Benutzung  dieser  Terminologie  können  wir  sagen:  Die  Kurve  ©^  liefert 
für  das  Integral  J  ein  schivaches  Minimum,  tvenn:  AJ^O  für  alle  zulässigen 
Variationen  in  einer  geivissen  engeren  Umgebung  von  (S^ . 

Zermelo  hat  diese  Unterscheidungen  noch  weiter  ausgebildet,  indem  er  von 
einer  Umgebung  0^**'',  1  *'''■,  .  .  .  m*®''  Ordnung  spricht,  vgl.  Dissertation,  p.  29. 


92  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

Mit  Benutzung  dieser  Terminologie  können  wir  dann  den  fol- 
genden Satz^)  aussprechen: 

Wenn  für  die  Extremale  (Sq  die  Bedingungen 

R(x)>0,  für  Xj^^x^x^j  (II') 

A{x,  x^)  H=  für  x^<x^x^,  (Iir) 

erfüllt  sind,  so  liefert  sie  zum  mindesten  ein  schwaches  Minimum  für 
das  Integral  J. 

Der  Satz  ist  zuerst  von  Weterstrass  2)  in  seinen  Vorlesungen 
bewiesen  worden ;  der  erste  publizierte  Beweis  stammt  von  Scheeffer^)  ; 
der  folgende  Beweis  rührt  von  Kneser^)  her: 

Wir  variieren  die  Extremale  ©^^  indem  wir  sie  durch  eine  be- 
liebige^) zulässige  Kurve 

S:  y  =  y{x),  X^^X'^X^ 

ersetzen,  und  bezeichnen,  wie  schon  früher,  das  Inkrement  Ay  = 
=  y{x)  —  y(x)  mit  03.  Dann  wenden  wir,  wie  in  §  4,  auf  das  In- 
krement Af  die  Taylor'sche  Formel  mit  Restglied  an,  brechen  aber 
diesmal  erst  bei  den  Gliedern  dritter  Ordnung  ab.  Wir  können  dann 
schreiben 


^2  ^2 


dx 


wo  Z  und  iV  „gleichmäßig^)  unendlich  klein^'  sind  im  Intervall  [iCi  a^g], 
worunter  wir  folgendes  verstehen:  Zu  jeder  positiven  Größe  ö  gibt 
es  eine  zweite  positive,  von  x  unabhängige  Größe  p^,  derart  daß 

\L\<6,         \N\<6         in  [x^x^ 
vorausgesetzt,  daß 

\^\<Qa,     und  I  0)'  I  <  (),,     in  [x^  x^'\  . 

')  Vgl.  p.  88,  Fußnote  *). 

^  Vgl.  Hancock,  Lectures  Nr,  137 — 139;  der  Weierstraß'sche  Beweis 
beruht  auf  ähnlichen  Prinzipien  wie  der  von  Kneser. 

«)  Mathematische  Annalen,  Bd.  XXVI  (1886),  p.  200. 

*)  Jahresbericht  der  deutschen  Mathematiker  -  Vereinigung, 
Bd.  VI  (1899),  p.  95.  Wir  gehen  nicht  auf  die  Einzelheiten  des  Beweises  ein,  da 
sich  später  ein  einfacherer  aus  dem  Weierstraß'schen  Theorem  (§  19,  c))  er- 
geben wird. 

*)  Jetzt,  wo  es  sich  um  hinreichende  Bedingungen  handelt,  dürfen  wir 
uns  nicht  mehr  auf  spezielle  Variationen  der  Form  ari  oder  selbst  (o(x,s),  be- 
schränken. 

«)  Vgl.  A  II  G. 


§  15.     Hinreichende  Bedingungen  für  ein  „schwaches  Extremum''.         93 

Mittelst   der  Legend re'schen  Transformation  (§  9^  b))  läßt  sich 
das  erste  Integral  auf  die  Form  bringen 

Da  wir  voraussetzen^  daß  die  Bedingungen  (IF)  und  (HF)  erfüllt 
sind^  so  existieren^)  Lösungen  der  Legendre'scben Differentialgleichung 

welche  in  [x^x^]  von  der  Klasse  C  sind.  Daraus  folgt  nach  all- 
gemeinen Sätzen^)  über  Differentialgleichungen,  welche  einen  kon- 
stanten Parameter  enthalten,  daß  auch  die  Differentialgleichung 

P  +  t^-'^V^-'^  (5) 

Integrale  besitzt,  welche  in  [x^^x^]  von  der  Klasse  C  sind,  voraus- 
gesetzt, daß  die  Konstante  c  hinreichend  klein  genommen  wird. 
Wählen  wir  für  w  ein  solches  Integral  von  (5)  und  schreiben  zur 
Abkürzung: 

SO  nimmt  der  Ausdruck  für  AJ  die  folgende  Form  an: 

wo  A,  it,  V  in  demselben  Sinne  wie  L  und  N  gleichmäßig  unendlich 
klein  sind  in  [^^^g]-     Statt  dessen  können  wir  aber  schreiben 

X.J, 

Aj=i/[(B+.)(j+^;-o,)%(c^  +  A-^->^]d^, 

Xi 

und  da  A,  ft,  v  in  dem  angegebenen  Sinne  unendlich  klein  sind,  so 
können  wir  zwei  positive  Größen  q  und  q'  so  wählen,  daß  R  -{-  v  ^  0 


^)  Dies  folgt   aus  dem  Zusammenhang  zwischen  der  Legendre'schen  und 
Jacob i'schen  Differentialgleichung,  vgl.  §  10,  a)  und  §  12,  a). 
2)  Siehe  die  Zitate  auf  p.  82,  Fußnote  ^)  und  §  24,  e). 


94  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

und  c^  +  A  —  -pV    >  0  in  [x-^^x^]  und   daher  AJ'>  0,   vorausgesetzt, 
daß  '  CO  I  <  ^  und.  'a  \  <  ()',  womit  der  Satz  bewiesen  ist. 

c)  Schwaclie  und  starke  Variationen: 

Die  Ausdrücke  ,,scliwacli"  und  j,stark^^  werden  bisweilen  auch  auf  die 
Variationen  übertragen.  ^)    Eine  einen  Parameter  e  enthaltende  Variation 

Ay  ==  co(x,  s) 
heiße  scJnvacli,  wenn  nicht  nur 

L(o(x,  8)  =  0,  sondern  aucli  La){x,  s)  =  0, 

und  zwar  gleichmäßig^)  im  Intervall  [^iiP2]?  dagegen  stark,  wenn  zwar 
die  erste  aber  nicht  die  zweite  Bedingung  erfüllt  ist. 
Sowohl  die  Variationen  der  Form 

Ay  =  £7] 

als    auch   die   allgemeineren  in   §  8  betrachteten  „Normalvariationen" 
sind  schwache  Variationen.^) 

Dagegen  stellt  die  Funktion^) 

Ay  =  £  sm  ^ "^ '-, 

wo  n   eine   positive   ganze   Zahl   ist,    eine   starke  Variation   dar-,    hier 

ist  die  Bedingung 

LAy^O 

f  =  0 

erfüllt,  aber  nicht  die  Bedingung 

LAy'  =  0. 

s=  0 

Andere  Beispiele  von  starken  Variationen  werden  in  §  15,  d) 
vorkommen. 

d)  Unzulänglichkeit  der  Bedingungen  (I),  (ll'),  (IIP),  für  ein 
starkes  Minimum: 

Wir  kehren  jetzt  wieder  zum  starken  Extremum  zurück  und 
beweisen,  daß  die  drei  Bedingungen  (I),  (11'),  (III')  für  ein  starkes 


^)  Vgl.  Osgood,  loc.  cit.,  p.  106.     Die  Terminologie  ist  schwankend. 

2)  Verl.  A  II  6. 

3)  Daraus  folgt,  daß  die  Bedingungen  (I),  (II),  (III)  nicht  nur  für  ein  starkes, 
sondern  auch  für  ein  schwaches  Minimum  notwendig  sind. 

*)  Dies  ist  eine  von  Goursat  herrührende  Modifikation  eines  Beispiels  von 
Weierstkass. 


§  16.     Konstruktion  eines  Feldes  von  Extremalen.  95 

Extremum  nicht  hinreichend  sind.     Dazu  genügt  es,   ein  einziges  Bei- 
spiel beizubringen,  in  welchem  die  Bedingungen  (I),  (11'),  (HI')  erfüllt 
sind,   und   in  welchem   trotzdem  kein  Minimum  stattfindet.     Ein  ein- 
faches Beispiel^)  dieser  Art  ist  das  folgende: 
Beispiel  IX:    Das  Integral 


•^1 


zu  einem  Minimum  zu  machen  unter  der  Annahme,   daß  die  Koordi- 
naten der  Endpunkte  sind:    (x^,  y^  =  (0,  0),  (x^,  y^)  =  (1,  0). 

Die  Extremalen  sind  hier  ge- 
rade Linien,  und  (Sq  ist  das  Seg- 
ment [Ol]  der  ^- Achse.    Ferner  ist 

B  =  2 


\-p 


^r. 


Fig.  16. 


A(^,  x^  =-  {x  —  x^'^ 

somit     sind     die    Bedingungen    (I), 

{IV),  (IIP)  für  ein  Minimum  erfüllt. 

Trotzdem  kann  Ae7  negativ  gemacht  werden.     Denn  wählen  wir  für  S 

die  gebrochene  Linie  P^PP^   und  bezeichnen  die  Koordinaten  von  P 

mit   {l—p,q)j    wo   0<^<1   und  g  >  0,    so   erhalten  wir   für  AJ 

den  Ausdruck 


Pil—P)\  1—p  pj 


Ist  nun  irgend  eine  Nachbarschaft  (^)  von  (S^  gegeben,  so  wähle 
man  ^  <  (>;    dann   kann  man  p   stets  so  klein  nehmen,   daß  A«7<0. 

Schließlich  kann  man  nach  dem  Lemma  über  Abrundung  der 
Ecken,  §  14,  c),  die  gebrochene  Linie  P^PP^  durch  eine  Kurve  der 
Klasse  C  ersetzen,  welche  ebenfalls  AJ<0  macht,  womit  unsere 
Behauptung  bewiesen  ist. 

§  16.    Konstruktion  eines  Feldes  von  Extremalen. 

Nachdem  im  vorigen  Paragraphen  gezeigt  worden  ist,  daß  die 
bisher  als  notwendig  erkannten  Bedingungen  nicht  hinreichend   sind, 

^)  Das  erste  Beispiel  dieser  Art  war  das  Problem  des  Rotationskörpers  von 
geringstem  Widerstand,  mit  dem  wir  uns  später  noch  ausführlich  beschäftigen 
werden  (§  49).  Schon  Legendre  fand,  daß  der  Widerstand  durch  eine  passend 
gewählte  Zickzacklinie  beliebig  klein  gemacht  werden  kann;  vgl.  Legendke,  loc. 
cit.,  p.  73  in  Stäckel's  Übersetzung,  und  Pascal,  loc.  cit.,  p.  113. 


96  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

wäre  es  das  natürlichste,  zunächst  nach  weiteren  notwendigen  Be- 
dingungen^) zu  suchen.  Wir  werden  jedoch,  um  Wiederholungen  zu 
vermeiden,  hier  diesen  Weg  nicht  einschlagen,  sondern  uns  direkt  zur 
Ableitung  des  Weierstraß'schen  Fundamentalsatzes  wenden,  aus  dem 
sich  sowohl  weitere  notwendige  als  auch  hinreichende  Bedingungen 
ergeben  werden.  Dazu  ist  es  vor  allem  nötig,  den  wichtigen  Begriff 
eines  „Feldes  von  Extremalen"  zu  entwickeln. 

a)  Definition  eines  Feldes  von  Extremalen: 

Wir  betrachten  irgend -)  eine  Schar  von  Extremalenbogen 

tj  =  cp{x,  a),         x(a)  ^x^  x(a) ,  (6) 

und  beschränken  den  Parameter  a  auf  ein  Intervall 

«i5a<a^.  (6a) 

Die  Funktionen  x(a),  x(a)  sollen  im  Intervall  [a^a^]  stetig  sein 
und  der  Ungleichung:  x{a)  <  x(a)  genügen;  und  die  Funktionen  q) 
und  (f^  sollen  von  der  Klasse  C  sein  in  dem  Bereich 

c^i^a  <^a2y         x{a)  ^  ^r  <  x{a) .  (7) 

Wir  sagen  dann:  die  Bogenschar  (6),  (6a)  bildet  ein  „Feld'^)  von 
Extremalen'^  wenn  Iceine  zwei  Bogen  der  Schar  einen  Punkt  gemeinsam 
haben.     Das  läßt  sich  auch  so  ausdrücken:  wenn  die  Gleichungen 

X  =  X ,         y  =  (p(x,  a) , 

als  Transformation  zwischen  der  x,  a-Ebene  und  der  x,  ?/-Ebene  auf- 
gefaßt, eine  ein-eindeutige  Beziehung  zwischen  dem  Bereich  (7)  der 
X,  a-Ebene  und  dessen  Bild  in  der  x ,  ^/-Ebene,  das  wir  mit  gT  be- 
zeichnen, definieren.  Das  Feld  ist  dann  eben  diese  Punktmenge  oT, 
d.  h.  die  Gesamtheit  der  Punkte  sämtlicher  Bogen  der  Schar  (6),  (6a), 
oder,    wie    wir    auch    sagen    können,    derjenige    Teil    der    Xj  ?/-Ebene, 

^)  Eine  vierte  notwendige  Bedingung  wird  sich  später  aus  dem  Weier- 
straß'schen Fundamentalsatz  ergeben,  §  18,  a);  eine  direkte  Ableitung  derselben 
nach  der  Methode  von  Weierstrass  findet  man  bei  Bolza,  Lectures,  §  18,  b);  bei 
GouRSAT,  Cours  d' Analyse,  Bd.  II,  p.  607,  und  in  Parameterdarstellung  unten 
in  §  31. 

^)  Die  Bezeichnung  q)(x,  a)  ist  also  hier  allgemeiner  als  in  §  13,  a). 

')  Nach  Kneser,  Lehrbuch,  §  14;  der  Begriff  eines  Feldes  in  einem 
engeren  Sinn  rührt  von  Weierstrass  her,  im  allgemeinsten  Sinn  von  H.  A.  Schwarz, 
Werke,  Bd.  I,  p.  225.  Vgl.  auch  Osgood,  loc.  cit.  p.  112,  und  Goursat,  loc.  cit. 
p.  611. 


§  16.     Konstruktion  eines  Feldes  von  Extremalen.  97 

welcher  von  den  Extremalenbogen  (6)  überstrichen  wird,  wenn  der 
Parameter  a  von  a^  bis  a^  wächst. 

Da  die  Begrenzung  i^  des  Bereiches  (7)  eine  stetige,  geschlossene 
Kurve  ohne  mehrfache  Punkte  ist  (eine  sogenannte  „Jordan'sche 
Kurve"),  so  ist  auch  das  Bild  S'  von  S  eine  solche  Kurve;  sie  teilt 
daher  nach  A  VI  2  die  x,  i/-Ebene  in  ein  Inneres  und  ein  Äußeres. 
Nach  einem  allgemeinen  Satz  von  Schönflies  ^)  ist  dann  die  Punkt- 
menge qT  identisch  mit  dem  Inneren  der  Kurve  £'  zusammen  mit  der 
Begrenzung  2'.     Das  Feld  ist  also  stets  einfach  zusammenhängend . 

Analytisch  bedeutet  die  oben  gegebene  Definition  eines  Feldes, 
daß  die  Gleichung 

ij  =  (p{x,  a) 

für  jeden  Punkt  {x,  y)  des  Bereiches  oT  eine  und  nur  eine  Wurzel  a 
besitzt,  welche  der  Ungleichung  (6a)  genügt;  diese  Wurzel  ist  also 
eine  in   of  eindeutig  definierte  Funktion  von  x  und  y,  die  wir  mit 

a  =  a{x,  y) 

bezeichnen  und  die  inverse  FunMion  des  Feldes   nennen,   so   daß   also 

y  =  (p(x,  a{x,y)),        öt^  ^  a(^,  ?/)  ^  «2  (ß) 

für  jeden  Punkt  (x,  y)  von  qT  und 

a  =  a(x,  q)(x,  a))  (8a) 

für  jeden  Punkt  (x,  a)  des  Bereiches  (7). 

Es  soU  dann  neben  der  angegebenen  Haupteigenschaft  des  Feldes 
noch  die  weitere  Bedingung  in  die  Definition  des  Feldes  aufgenommen 
werden,  daß  die  inverse  FunMion  a(x,  y)  im  Bereich  0?  von  der 
Klasse  C  sein  soll. 

Wir  beschränken  uns  überdies  ausschließlich  auf  Felder,  welche 
ganz  im  Bereich  61  liegen. 

Die  durch  einen  beliebigen  Punkt  (x,  y)  von  oT  gehende  Feld- 
extremale hat  in  diesem  Punkt  ein  ganz  bestimmtes  Gefälle,  welches 
daher  ebenfalls  eine  in  of  eindeutig  definierte  Funktion  von  x  und  y 
ist;  wir  bezeichnen  dieselbe  mit  p{Xj  y)  und  nennen  sie  die  Gefäll- 
funhtion  des  Feldes,  so  daß  also 

^)  Ygl.  A  YII  2;  um  den  Satz  von  Schönflies  anwenden  zu  können,  trans- 
formiere man  zunächst  den  Bereich  (7)  in  ein  Quadrat  mittels  der  Transformation 


x{a)  —  x{a)  <*2 


Bolza,  Variationsrechnung. 


98  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

p{x,  y)  =  (p^{x,  a(x,y)).  (9) 

Nach  den  über  die  Funktionen  ^  und  a  gemachten  Annahmen  folgt 
nach  A  IV  9,  daß  p{x,  y)  im  Bereich  oT  von  der  Klasse  C  ist.  Zu- 
gleich folgt  aus  (8  a)  und  (9)  die  Identität 

p{x,  (p(Xj  a))  =  (p^{x,  a)  (9a) 

für  jedes  {x,  d)  in  (7). 

Man  kann  die  Definition  des  Feldes  dahin  verallgemeinern,  daß 
man  auch  „offene'^  und  „unendliche"  Felder  zuläßt,  indem  man 
gestattet,  daß  in  den  Ungleichungen  (7)  einige  oder  alle  Gleichheits- 
zeichen unterdrückt  werden,  und  daß  die  Intervalle  a^,  a^  und  x{a)j 
x{a)  sich  nach  einer  oder  nach  beiden  Seiten  ins  Unendliche  er- 
strecken (vgl.  die  Beispiele  unter  b)). 

Eine  weitere  Verallgemeinerung,  von  der  wir  jedoch  keinen  Ge- 
brauch machen  werden,  erhält  man,  wenn  man  jeden  Teilbereich  eines 
Feldes  selbst  wieder  ein  Feld  nennt. 

b)  Beispiele  von  Feldern  von  Extremalen: 

Wir  wollen  diese  Definitionen  zunächst  an  einigen  Beispielen  er- 
läutern. 

Beispiel   VI  (Siehe  p.  32):  f=G{y'). 

Hier  waren  die  Extremalen  die  Geraden  der  Ebene.     Die   Schar  paralleler 

Geraden 

y=^mx-\-a, 

—  Oü<aj<-foü,  —  (X)<a<-[-oü, 

bildet  ein  Feld,  das  aus  sämtlichen  (im  Endlichen  gelegenen)  Punkten  der  x,  y- 
Ebene  besteht.     Hier  ist 

(i{x,y)  =  y  —  mx,  p{x,y)  =  m. 

Ebenso  liefert  die  Schar  von  Halbstrahlen  durch  einen  festen  Punkt  Pq  : 

2/  =  2/o  +  «(^  — ^o) 
^o^-^'^C  +  Oü,  —  oo<a<  -|- oo 

ein  Feld,  nämlich  die  durch  die  Ungleichung  x  >>  x^  charakterisierte  Hälfte  der 
Ebene.  Man  pflegt  das  auch  so  auszudrücken:  Die  Halbebene  x'^x^^  wird 
durch  das  obige  Geradenbüschel  „einfach  und  lückenlos"  ausgefüllt.     Es  ist  hier 

Zuweilen  ist  es  wünschenswert,  den  Punkt  P^  dem  Feld  zu  adjungieren; 
wir  nennen  allgemein  ein  Feld,  dem  gewisse,  ursprünglich  nicht  zu  ihm  gehörige 
Punkte  seiner  Begrenzung  adjungiert  worden  sind,  ein  „uneigentliches  Feld''. 


§  16.     Konstruktion  eines  Feldes  von  Extremalen.  99 

Beispiel  VII  (Siehe  P-  33):     f=LHl^. 

Die  Extremalen  waren  die  Halbkreise  mit  dem  Mittelpunkt  auf  der  o;- Achse. 
Hier    bilden    z.  B.    die    konzentrischen    Halbkreise    mit    demselben    Mittelpunkt 

y  =  ya^-  {x  -  x,j^  , 
0<a<oo,  X(^  —  a<^x^XQ-\-a 

ein  Feld,  nämlich  die  obere  Halbebene :  y^  0  .     Dabei  ist 


Beisp i e l  VIII  (Siehe  p.  33) :     f  =  Yy^  l/l  —  y~^  . 
Die  Extremalen  waren  hier  die  Parabeln 

Wir  greifen  aus  dieser  doppelt  unendlichen  Schar  von  Parabeln  die  einfach  un- 
endliche Schar  durch  den  Koordinatenanfang  heraus   |a=y,  /S  =  — |: 

x' 

y^x---, 

0<a<oo,  0<^<  +  cx). 

Dieselbe  bildet  ein  Feld,  bestehend  aus  dem  Inneren  des  Winkelraums  zwischen 
der  positiven  ic- Achse  und  dem  Halbstrahl  von  der  Amplitude  ^)  —  vom  Koordinaten- 
anfangspunkt aus,  inklusive  der  positiven  ic- Achse,  jedoch  mit  Ausschluß  des 
Punktes  (0,0): 

cf:  x"^  y  ^0  . 

Man  findet 

.  x^  .       .       2y  —  x 

a(^,  2/)  =  -^^-  ,        Pi^.  y)  =  ---^—  • 

Beispiel  I  (Siehe  pp.  1,  33,  79):  /"=  y  ]/l-|-^^^2A 

Wir  betrachten  die  Schar  von  Kettenlinien  mit  der  ic-Achse  als  Direktrix, 
welche  durch  den  Punkt  P^  gehen.  Von  jeder  dieser  Kettenlinien  behalten  wir 
den  Bogen 

bei,  d.  h.  den  Bogen  vom  Punkt  Pj  bis  zum  konjugierten  Punkt  J\  (mit  Aus- 
schluß der  Endpunkte),  also  bis  zum  Berührungspunkt  mit  der  Enveloppe  % 
(Siehe    Fig.  12).      Dabei    ist    x'^   durch    -f  oo     zu    ersetzen,    falls    kein    konju- 


^)  Unter  der  „Amplitude"  eines  Vektors  verstehen  wir,  wie  dies  in  der 
Funktionentheorie  üblich  ist,  den  Winkel,  welchen  derselbe  mit  der  positiven 
iC-Achse  bildet,  gerechnet  im  entgegengesetzten  Sinn  des  Uhrzeigers. 

7* 


100  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

gierter   Punkt   auf  der  betreffenden   Kettenlinie  existiert.     Diese  Bogen  erfüllen 
einfach  und  lückenlos  das  Innere  des  Bereiches  I  der  x.y-Ehene  (siehe  Fig.  12) 

zwischen  der  Geraden  x  =  Xi  und  der  Enveloppe  %, 
da  nach  p.  81  durch  jeden  Punkt  dieses  Bereiches 
ein  und  nur  ein  Bogen  der  Schar  gezogen  werden 
kann.  Da  sich  überdies  zeigen  läßt  ^) ,  daß  die 
inverse  Funktion  a(x,y)  von  der  Klasse  C  ist, 
so  bildet  unsere  Bogenschar  ein  Feld  von  Extre- 
malen. 

Adjungiert  man   dem  Feld  die  Enveloppe  ^, 

so  bleibt  zwar  für  das   so   erhaltene  uneigentliche 

X     Feld    die  Haupteigenschaft   eines   Feldes  bestehen, 

aber  die  Funktion  a(x,y)  hört  nach  (15)  und  (15a) 

jiig  12.  ^^^'  ^°^  ^®^  Klasse   C  zu   sein,   da  qp^(rc,a)=0 

entlang  g.  ^) 

c)  Satz  über  die  Existenz  eines  Feldes: 

Wir  werden  sagen:  ein  Feld  cT  von  Extremdien  „umgibf'  unseren 
Extremdlenhogen  @q,  wenn  erstens  der  Bogen  @q  einer  der  Extremalen 
des  Feldes  angehört,  und  wenn  sich  zweitens  eine  Nachbarschaft  {q) 
des  Bogens  @q  angeben  läßt,  welche  ganz  in  oT  enthalten  ist. 

Es  sei  jetzt  irgend  eine  Extremalenschar 

y  =  (p{x,  a)  (10) 

gegeben,    welche    den    Bogen  (Sq  für  a  =  a^  enthält,    und   für  welche 
die  Funktionen  cp  und  cp^  in  dem  Bereich 

X^^x^X^,         \a  —  a^^d^  (11) 

von  der  Klasse  C  sind,  wobei  X^<:ix^,  x.^  <  X^ . 
Alsdann  gilt  der  folgende  Satz: 
Wenn 

9a(^;«o)  +  0     in     [x^x^],  (12) 

so  kann  man  eine  positive  Größe  Je  so  Mein  wählen,  daß  die  Bogenschar 

y  =  (p{x,a),  (lOj 

Xj^^x^x^,  a  —  a^l^h  (13) 

ein  den  Bogen  ©o  umgehendes  Feld  bildet.^) 


')  Vgl.  §  16,  c). 

^)  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  2—12,  35 — 40  am  Ende  von  Kap.  III. 

^)  Der  Bereich  (7)  ist  also  hier  insbesondere  ein  Rechteck. 


§16.     Konstruktion  eines  Feldes  von  Extremalen. 


101 


Beweis:  Aus  (12)  folgt,  daß  die  Funktion  cp^(x,  a^)  in  [x^x^] 
ihr  Zeichen  nicht  wechseln  kann,  da  sie  stetig  ist.  Um  die  Ideen  zu 
fixieren,  wollen  wir  annehmen,  es  sei 

9^a{^7  %)  >  0     in     [x^x^]  .  (12a) 

Dann    folgt   nach    §  21,  b),  daß  k^d^    so    klein    genommen  werden 
kann,  daß 

(p,(x,a)>0  •  (14) 

im  ganzen  Bereich  (13). 

Es  bezeichne  jetzt  of^  das  Bild  des  Bereiches  (13)  der  x,  a-Ebene 
in  der  x^  ^-Ebene  mittels  der  Transformation  (10),  und  es  sei  P^(x^,  2/3) 
irgend  ein  Punkt  von  oT^,  d.  h.  also  irgend  ein  Punkt  auf  einem  der 
Bogen  der  Schar  (10),  (13).  Dann  ist  x^^x^^  x^  und  es  gibt 
mindestens  einen  Wert  a  =  a^   im  Intervall  [üq  —  Ic,  a^  +  ^] ,   so  daß 

^3  =  ^{^^,  0^3)- 
Wir  haben  zu  zeigen,  daß  es  außer  dem  Wert  a^  im  Intervall  [a^  —  \ 
ÜQ  +  k]  keinen  zweiten,   von  a^    verschiedenen  Wert   a'^   geben    kann, 
für  welchen  ebenfalls 

^3  =  9^fe?  ö^D- 
Wäre  das  der  Fall,  so  wäre  ^    t  ;•."  ;  './  '  ;"' 

Dies  ist  aber  nicht  möglich;  denn^)  wegen  (14)  wächst  die  Funktion 
(p(x^,  a)  beständig  von   dem   Anfangswert   (p{x^,  a^  —  k)   bis   zu   dem 
Endwert   q)(x^y    aQ  +  h),    während   a 
von  ÜQ  —  k    bis    a^  -}-  k   zunimmt;   es 
ist  also  q)(x^,  a3)^qp  (^3,0^3),  je  nach- 
dem «3  ^  «3. 

Somit  ist  der  Bogen  a  =  a^  der 
einzige  der  Schar  (10),  welcher  durch 
den  Punkt  (.Tg,  y^)  von  o^  hindurch- 
geht,  und  für  welchen     a  —  a^l^k. 

Zugleich  folgt,  daß  das  ganze 
Segment  Fig.  17. 

(p(x.,  %-k)^y^  (p(x^,  «0  +  k) 

der  Geraden    x  =  x^    (in  Fig.  17  mit  MN  bezeichnet)    zu    oJ^.  gehört. 
Die    Punktmenge  d^,    ist    also    identisch   mit    dem    Flächenstück    der 


- —  a„  +  k 


^)  Statt  der  hier  gewählten  Begründung  kann  man  auch  den  RoUe'schen 
Satz  anwenden. 


102  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

x,  ?/-Ebene,  das  von  den  beiden  sich  nicht  schneidenden  Kurven 

y  =  (p{x,aQ  —  k)     und     y  =  (p(x,  a^  +  k) 

einerseits^   und   den   beiden  Geraden  x  =  x^,  x  =  x^    andererseits    be- 
grenzt wird. 

Nachdem  hiermit  die  Existenz  der  eindeutigen  Funktion  Ci{x^  y) 
bewiesen  ist,  haben  wir  weiter  zu  zeigen,  daß  dieselbe  von  der 
Klasse  C"  ist.  ^) 

Es  seien  (x,  y)  und  (ü;  H-  Aa:,  y  -\-  Ay)  zwei  benachbarte  Punkte 
von  Q^  und  a^  resp.  a  -\-  Aa,  die  zugehörigen  Werte  von  a{Xj  y),  so 
daß  also 

y  =  (p{Xj  a)j         y  +  Ay  =  (p(x  +  Ax,  a  +  Aa) . 

Dann  ist 

Ay  =  (p(x  -f  AXj  a  +  Aa)  —  (p{x,  a) 

oder  nach  der  Taylor'schen  Formel 

wo    X  =  X -^  B  Ax ,         ä  =^  a -{- 0  Aa     und     0  <  ö  <  1. 
Wir  erhalten  also 

Nun  besitzt  die  stetige  Funktion  (p^{x,  d)  in  dem  abgeschlossenen 
Bereich  (13)  ein  positives  Minimum  m,  und  ebenso  die  Funktion 
\fpx{x,a)\  ein  endliches  Maximum  G.  Da  (x,  a)  dem  Bereich  (13) 
angehört,  so  ist  daher 

I  .      ,  =  I  Awl  +  G^IAaj 
Aa    <  ^---^-i^^^ ' ^ , 

woraus  folgt,  daß  die  Funktion  Ci{x,  y)  im  Punkt  Xy  y  stetig  ist. 

Wählen  wir  ferner  Ay  =  0  und  lassen  Ax  gegen  0  konvergieren, 
so  konvergiert  nach  dem  eben  Bewiesenen  Aa  gegen  0,  also  kon- 
vergieren q)^{x,  a)  und  (p^ix,  ä)  gegen  (p^{x,  a)    und  (p^{x,  a). 

Daher  existiert  die  partielle  Ableitung  a^.  und  es  ist 

a.  =  -g,  (15) 


^)  Für  den  folgenden  Beweis  vgl.  Genocchi-Peano,  Differentialrechnung  und 
Grundzüge  der  Integralrechnung  (Leipzig  1899),  Nr.  111;  Jordan,  Cours  d' Analyse, 
L,  Nr.  91.  Daß  (i(x,y)  von  der  Klasse  C  ist,  kann  man  auch  direkt  aus  dem 
Satz  über  implizite  Funktionen  entnehmen;  siehe  §  22,  e). 


§  16.     Konstruktion  eines  Feldes  von  Extremalen.  103 

wobei  die  Klammer  ()  andeuten  soll,  daß  das  Argument  a  durch  a(x,  y) 
zu  ersetzen  ist. 

Ganz  ebenso  folgt,  daß  auch  dy  existiert  und  daß 

Aus  diesen  Ausdrücken  für  a^  und  a^  folgt  dann  wegen  (14) 
schließlich  noch,  daß  die  Funktion  dipc^y)  von  der  Klasse  C  ist  in  cT^. 

Endlich  läßt  sich  eine  Nachbarschaft  {q)  von  @o  angeben,  welche 
ganz  in  c^  enthalten  ist.     Denn  jede   der  beiden  stetigen  Funktionen 

(p{x,  %  +  Ä;)  —  (p(x,  %), 
und 

(p{x,  Gq)  —  (p(Xj  a^y  —  Ji) 

hat  ein  positives  Minimum  in  [^i^^g]*,  ist  daher  q  der  kleinere  dieser 
beiden  Minimalwerte,  so  ist  die  Nachbarschaft  (q)  von  ©o  ganz  in  o^. 
enthalten. 

Der  Bereich  o^  besitzt  also  die  drei  charakteristischen  Eigen- 
schaften eines  den  Bogen  (Sq  umgebenden  Feldes,  was  zu  beweisen  war. 

Da  wir  voraussetzen,  daß  der  Bogen  @o  ganz  im  Innern  des  Be- 
reiches 6\.  liegt,  so  können  wir  nach  dem  Satz  über  gleichmäßige 
Stetigkeit  Ic  stets  so  klein  annehmen,  daß  das  Feld  ol^  ebenfalls  ganz 
im  Innern  von  6i  liegt.  Das  soll  in  der  Folge,  wenn  von  einem  den 
Bogen  @o  umgebenden  Feld  die  Rede  ist,  stets  vorausgesetzt  werden.^) 

d)  Zusammenhaiig  mit  der  Jacobi'scilen  Bedingung: 
Wir  können  jetzt  den  folgenden  Satz  beweisen: 
Sind  für  den  Extremalenhogen'^)  @o  die  Bedingungen 

B(x)  =1=  0  für     x^^x^x^j 

und  A{Xy  %)  +0    ßi^    x^<x^x^  (UV) 

erfüllt,  so  läßt  sich  der  Bogen  (Sq  stets  mit  einem  Feld  von  Extremalen 
umgehen. 

Zum  Beispiel  liefert  die  Extremalenschar  durch  einen  auf  der 
Fortsetzung  von  (S^  über  den  Punkt  P^  hinaus  hinreichend  nahe  bei 
P^  angenommenen  Punkt  P^  ein  solches  Feld. 

Zum  Beweis  ist  es  nur  nötig,  die  Abszisse  Xq  des  Punktes  P^  so 
zu   wählen   wie   in  §  12,  a).      Dann   ist   in   der   dortigen  Bezeichnung 

A{Xy  Xq)  4=  0     in     [%  x^] . 


^)  Der  Leser  möge  von  hier  direkt  zu  §  17  übergehen. 
-)  Vgl.  p.  88,  Fußnote  2). 


1 04  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

Stellt  dann  die  Gleichung 

2/  =  q)(x,  a) 

die  Schar  der  Extremalen  durch  den  Punkt  P^  dar,  wobei  der  Wert 
a  =  ÜQ  wieder  der  Extremale  @o  entsprechen  soll,  so  besitzt  nach 
§  13,  a)  die  Funktion  cp  die  in  §  16,  c)  vorausgesetzten  Stetigkeits- 
eigenschaften, und  überdies  ist 

^a{^7  «o)   +0     in     [x^x^i, 
weil  nach  §  13,  Gleichung  (34) 

wo  C  eine  von  Null  verschiedene  Konstante  bedeutet.  Somit  erfüllt 
die  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  alle  Bedingungen  des  unter 
c)  bewiesenen  Satzes  und  bildet  daher  in  der  Tat  ein  den  Bogen  @q 
umgebendes  Feld.^) 

^)  Die  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  selbst  bildet  nur  ein  uneigent- 
liches Feld  um  den  Bogen  g^,  weil  hier  qp^(a;i ,  a^)  =  0.  Trotzdem  läßt  sich 
zeigen,  daß  (bei  hinreichend  kleinem  Je)  durch  jeden  Punkt  des  Bereiches  c^j,  mit 
Ausnahme  des  Punktes  P^  selbst,  eine  und  nur  eine  Extremale  der  Schar 
gezogen  werden  kann ,  für  welche  \  a  —  a^l^k.  Denn  im  gegenwärtigen  Fall 
ist:  ^(rCi,  a)^y^  für  jedes  a  und  daher  ^^  {x^^  a)^0.  Daraus  folgt,  daß,  wenn 
wir  definieren 

(p^{x,  a) I {x  —  x^) ,     wenn     x^x^ 


faxi^i  1  ^)  '     wenn     x 

die  Funktion  xi^i  <*)  stetig  ist  im  Bereich:  X^^x^X^,  \  a  —  a^l^d^  und 
;f  (ic,  «o)  =4=  0  in  [a^i  x^]  auch  für  x=^x^^  da  nach  §  13,  Gleichung (36),  qpaa;(^i  ^  <^o)"^  ^• 
Wir  können  daher  k  so  klein  wählen,  daß:  ;^(ir,  a)=4=0  im  Bereich:  x^  ^x^x^, 
\<^  —  ^ol"^^*-  Daraus  folgt  aber,  daß  (p^(x,  d)=^0  und  daher  ein  konstantes 
Vorzeichen  besitzt  im  Bereich:  x^  <^x^x^^  \a  —  a^l^k.  Und  nunmehr  kann 
man  weiterschließen  wie  unter  c).  Es  ist  auch  zu  beach|;en,  daß  es  im  vor- 
liegenden Fall  nicht  möglich  ist,  eine  Nachbarschaft  (q)  von  i^^  in  c^f.  einzu- 
schreiben, da  die  Breite  des  Streifens  c^;r.  gegen  Null  konvergiert,  wenn  x  sich 
dem  Wert  x^  nähert.  Ferner  sind  die  inverse  Funktion  a{x,  y)  und  das  Ge- 
fälle p{x,y)  von  der  Klasse  C  in  c^^,  außer  im  Punkt  {x^^  yj,  wo  sie  unbestimmt 
sind.  Wenn  sich  jedoch  der  Punkt  (x,  y)  dem  Punkt  (iCj ,  y^)  längs  einer  ganz 
in  (^j.  gelegenen  Kurve  (£  von  der  Klasse  C  nähert,  so  nähern  sich  beide 
Funktionen  bestimmten  endlichen  Grenzen;  die  Grenze  von  a{x^  y)  ist  der  Para- 
meter a  derjenigen  Extremale  der  Schar,  welche  die  Kurve  S  in  (ic^ ,  y^)  be- 
rührt; die  Grenze  von  p(a;,  y)  ist  das  Gefälle  der  Kurve  ß  im  Punkt  (ic^ ,  y^). 
Überdies  besitzen  die  absoluten  Beträge  beider  Funktionen  endliche  obere  Grenzen 
im  Bereich  c^^  mit  Ausschluß  des  Punktes  P^.  Diejenige  von  \a{x^y)\  ist  /fc, 
diejenige  von  \p{x^  y)  \  ist  der  Maximalwert  von  |  cp^{x^  a)  I  im  Bereich  (13). 


§  17.     Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz.  105 

Umgekelirt:    Wenn  für  den  Extremalenbogen  (Sq   die  Bedingung 

B(x)  4=  0    für     x^^x^x^ 

erfüllt  ist,  [und  (S^  läßt  sich  mit  einem  Feld  oT  von  Extremalen  um- 
geheUj  so  ist  __ 

A(Xj  Xj^)  =t=  0    für    x^<  x^  x^.  (Iir) 

Beweis:    Es  sei^) 

y  =  (p{x,a) 

die  Extremalenschar,  welche  das  Feld  of  liefert,  wobei 

y  =  (p{x,  %) 

wieder  die  Extremale  ©^  darstellt.  Da  in  unserer  Definition  des  Feldes 
inbegriffen  war,  daß  die  inverse  Funktion  a{Xy  y)  von  der  Klasse  C 
sein  sollte,  so  folgt  durch  Differentiation  der  Identität  (8)  nach  y,  daß 

^a^^y  ^)%  =  1 ;     also     (p^{x,  a)  H=  0  in  oT; 
also  insbesondere,  da  ©^  in  of  liegt, 

9^a(^;  «0)4=0     in     [^1^2]. 

Nun  folgt  aber  ganz  wie  in  §  12,  b),  daß  die  Funktion  cp^ipc,  a^ 
der  Jacobi'schen  Differentialgleichung  genügt;  wegen  der  Voraus- 
setzung R{x)=^0  in  [x^x^]  sind  die  allgemeinen  Sätze  von  §  11,  ins- 
besondere der  Sturm'sche  Satz,  auf  das  Intervall  [3;^  iCg]  anwendbar. 
Wäre  nun  x\  ^  a^g,  so  würde  durch  Anwendung  des  Sturm'schen 
Satzes  auf  die  beiden  linear  unabhängigen  Integrale  (Paip^^  «0)  ^^^ 
A(:r,  x^)  folgen,  daß  (pjx,  a^)  zwischen  x^  und  X2  verschwinden 
müßte,  was   einen  Widerspruch  involviert.     Es  folgt  also  in  der  Tat 

A{x,x^)=^0     für     x^<Cx^X2. 

§  17.    Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz. 

Nachdem  im  vorigen  Paragraphen  der  Begriff  eines  Feldes  von 
Extremalen  entwickelt  worden  ist,  können  wir  nunmehr  zum  Beweise 
des  W  ei  er  straß'schen  Fundamentalsatzes  übergehen,  welcher  die  Grund- 
lage der  modernen  Variationsrechnung  bildet,  und  der  von  Weiekstrass 
im   Jahre  1879   entdeckt    worden    ist.     Zum   Beweis   werden  wir   uns 


^)   Hier  liat  qp(ic,  a)  wieder  eine   allgemeinere  Bedeutung  als  in   dem    un- 
mittelbar vorangehenden  Beweis. 


106  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  \ .  Aufgaben. 

der  eleganten^  von  Hilbert^)  herrührenden  Methode  bedienen,  welche 
unmittelbar  an  die  Entwicklungen  des  vorigen  Paragraphen  anknüpft. 

a)  Die  partielle  Differentialgleicliiing  für  die  Grefällfunktion. 

Wir  kehren  jetzt  zu  den  Voraussetzungen  und  Bezeichnungen  von 
§  16,  a)  zurück  und  beweisen  zunächst^  daß  die  Gefällfunktion  p(x,  y) 
des  Feldes  of  einer  partiellen  Differentialgleichung  erster  Ordnung  ge- 
nügt. Aus  der  Definitionsgleichung  (9)  und  den  Formeln  {\o)  und  (15a) 
erhält  man  für  die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion  p{x,  y): 


Px  =  i^xx)  +  ("Pxa)  ^x  =  (^xx)  - 


M 


«  =  (w    )a  =  ^-^"^ 


(16) 


wobei  die  Klammer  wieder  andeuten  soll,  daß  in  den  Ableitungen  von 
cp  das  Argument  a  durch  die  Funktion  dix^  y)  zu  ersetzen  i»t. 
Aus  (16)  und  (9)  folgt 

Px  +  PP,  -  (<Pxx)  '  (l'^) 

Nun  genügt  aber  die  Funktion  cp(x,  a)  als  Funktion  von  x  für 
jedes  a  der  Euler'schen  Differentialgleichung;    also  ist 

f.J,:.,'  +  VJ'y,  +  f,f.  -  /.  =  0  ■  (18) 

wobei  die  Argumente  der  Ableitungen  von  f  sind:  x,  (p{x^  a),  (p,.(x,  a). 
Ersetzt  man  in  dieser  in  x  und  a  identischen  Gleichung  a  durch 
Ci(Xy  y)  und  macht  Gebrauch  von  (8),  (9)  und  (17),  so  erhält  man 
den  Satz,  daß  das  Gefälle  pix,  y)  der  folgenden  partiellen  Bifferential- 
gleichung  erster  Ordnung  genügt: 

fö  +  P  ly)  ^>'y'^  +P^f'^»i  +  l-^^' J  -  [^i'J  =  ^ '  (^^) 

wobei  die  Klammer  [  ]  bedeutet,  daß  in  den  eingeklammerten  Funktionen 
von  X,  y,  y    das  Argument  y    durch*p(:r,  y)  zu  ersetzen  ist. 

umgekehrt:  Kennt  man  irgend  eine  Funktion  ^(:r,  i/),  welche  in 
einem  gewissen  Bereich  der  x,  i/-Ebene   eindeutig  definiert   und  von 

1)  Vgl.  Göttinger  Nachrichten,  1900,  p.  253—297  und  Archiv  der 
Mathematik  und  Physik  (3),  Bd.  I  (1901),  p.  231;  vgl,  femer  Osgood's  Dar- 
stellung loc.  cit.,  p.  121;  Hedrick,  Bulletin  of  the  American  Mathematical 
Society  (2),  Bd.  IX  (1902),  p.  11  und  Goursat,  loc.  cit.,  Bd.  II  (1905),  p.  617. 
Weierstrass'  ursprünglichen  Beweis  werden  wir  bei  Behandlung  des  Problems 
in  Parameterdarstellung  geben  (§  33);  für  das  ic- Problem  findet  man  denselben 
bei  Osgood,  loc.  cit.,  p.  115  und  Bolza,  Lectures,  §  20. 


§   17.     Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz.  107 

der  Klasse  C  ist  und  der  partiellen  Differentialgleichung  (19)  genügt, 
so  gibt  es  stets  eine  Extrem alenschar,  für  welche  diese  Funktion  ^(.^,  y) 
die  Gefällfunktion  ist,  nämlich  die  durch  das  allgemeine  Integral  der 
Differentialgleichung 

%-p{^,y)  (20) 

dargestellte  Schar. 

Bezeichnet  nämlich 

y  =  (p{x,a) 

das  allgemeine  Integral  der  Differentialgleichung  (20),  so  ist 

^^^^  ^x  =P{^,9^),  (20a) 

Ersetzt  man  nun  in  der  partiellen  Differentialgleichung  (19), 
welche  eine  Identität  in  x^  y  darstellt,  y  durch  (p{x,  a\  so  geht  die- 
selbe unter  Benutzung  yon  (20  a)  und  (20  b)  rückwärts  in  die  Differential- 
gleichung (18)  über,  welche  zeigt,  daß  die  Schar:  y  =  (p{Xj  a)  eine 
Extremalenschar  ist. 

Beschränkt  man  jetzt  x  und  a  auf  einen  hinreichend  kleinen 
Bereich,  so  wird  diese  Schar  ein  Feld  bilden,  und  die  Gleichung  (20) 
sagt  aus,  daß  die  Funktion  p{Xj  y)  die  Gefällfunktion  für  dieses 
Feld  ist. 

b)  Der  Unabhängigkeitssatz: 

Ordnet  man  die  Glieder  der  Differentialgleichung  (19)  folgender- 
maßen an 

[fy'x\   +    [fy','iPx  =   [fy]  "  Hfy',]   +   [fyy]Py)P, 

SO  sieht  man,  daß  man  dieselbe  auch  schreiben  kann 

^[/■,]  =  -^  [/■-//■,]•  (loa) 

Dieser  wichtige  Satz  ist  schon  1868  von  Beltrami^)  entdeckt  worden; 
er  scheint  jedoch  von  Seiten  der  Variationsrechnung  gänzlich  unbeachtet^) 
geblieben  zu  sein  und  ist  erst  dreißig  Jahre  später  von  Hilbert^) 
wieder  entdeckt  und  in  seiner  grundlegenden  Bedeutung  erkannt  worden. 

^)  Beltrami,  Sulla  teoria  delle  linee  geodetiehe,  Rend.  del  R.  Istituto 
Lombardo  (2),  Bd.  I  (1868),  p.  708  und  Opere,  Bd.  I,  p.  366. 

^)  Ich  selbst  bin  durch  Herrn  Kneser  auf  die  Beltrami'sche  Arbeit  auf- 
merksam gemacht  worden. 

«)  Vgl.  p.  106,  Fußnote  ^). 


108  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.d.  einfachsten  Klasse  T.Aufgaben. 

Die  Gleichung  (19  a)  ist  nichts  anderes  als  die  bekannte  Integra- 
bilitätsbedingung  für  den  DifFerentialausdruck 

[f-yf.Adx-^if^^:]dy. 

Bilden  wir  daher  jetzt  mit  Hilbert^)  das  Integral 

^l  -j  \f(-^y  Vy  P^^y  y))  +  {y  -Pi^,  ydfy'ix,  y,  Pkx,  y))]  dx,         (21) 

entlang  irgend  einer  ganz  im  Felde  oT  verlaufenden  Kurve  ß  von  der 
Klasse  C\  von  einem  Punkt  P^  nach  einem  Punkt  P,  so  ist  der  Wert 
dieses  Integrals  unabhängig^)  vom  Integrationsweg  ^  und  nur  von  der 
Lage  der  leiden  Endpunkte  Pq,  P  abhängig^  wenn  unter  pix,  y)  die 
GefäUfunMion  des  Feldes  verstanden  wird. 

Wir  werden  das  Integral  J*  das  „Hilberfsche  invariante  Integral" ^ 

den  Satz  selbst  den  ^,Beltrami-IIilberf sehen  ünabhängigheitssatz" 
nennen. 

Das  Integral  «7*  ist  selbst  ein  Integral  von  der  beim  einfachsten 
Variationsproblem  betrachteten  Art.  Die  Funktion  unter  dem  Integral- 
zeichen ist  aber  von  der  ganz  speziellen  Form 

M(x,y)  +  yN{x,y), 

und  daher  ist  das  Hilbert'sche  Integral  ein  gewöhnliches  LinienintegraP) 
und  läßt  sich  schreiben 

^e  ^fif^^y  yy  P^  -  Pfy'^^y  y,  P))  dx  +  f,{x,  y,  p)  dy .        (21a) 

Es  hat  daher,  durch  (21a)  definiert^  nicht  nur  für  die  bisher 
betrachteten^  in  der  Form:  y  =  y{x)  darstellbaren  Kurven  eine  Be- 
deutung, sondern  allgemeiner  für  Kurven  in  Parameter  dar  Stellung  von 
der  in  §  25,  a)  als  „gewöhnliche  Kurven^^  definierten  Klasse.    Zugleich 

*)  HiLBEKT  (loc.  cit.)  geht  den  umgekehrten  Weg:  Er  setzt  das  Integral  /J 
mit  einer  unbestimmten  Funktion  ^{x^  y)  an  und  fragt  dann:  Wie  muß  man  die 
Funktion  p{x,  y)  wählen,  damit  der  Wert  des  Integrals  J^  vom  Integrationsweg  ß 
unabhängig  wird?  Er  erhält  dann  rückwärts  die  Differentialgleichungen  (20) 
und  (19). 

*)  ^gl-  §  6,  b).  Die  Bedingungen  für  die  Anwendbarkeit  des  Satzes  sind 
erfüllt,  denn  da  das  Feld  d  ganz  im  Bereich  01  liegt,  so  sind  die  Funktionen 
[/"—  y'fy^  ^^<^  L/y']  i'^  c^  nicht  nur  eindeutig  definiert,  sondern  auch  von  der 
Klasse  C",  und  überdies  ist  der  Bereich  ^  einfach  zusammenhängend. 

^)  Vgl.  z.  B.  PicAKD,  Traue  ^  Bd.  I,  Kap.  III;  Burkhabdt,  Einführung  in 
die  Theorie  der  analytischen  Funktionen  (Leipzig,  1903),  p.  91. 


§  17.     Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz. 


1109 


folgt  nach  bekannten  Sätzen  über  Linienintegrale^  daß  das  Integral  J* 
bei  Umkebrung  des  positiven  Sinnes  der  Integrationsrichtung  einfach 
sein  Zeichen  wechselt. 

Im  Gegensatz  zu  dem  „Hilbert'schen  IntegraF^  werden  wir  nach 
Zermelo  und  Hahn^)  unser  Integral:  J  =ff{x,y,y')dx  das  „Grund- 

integraV'  nennen^  wo  es  wünschenswert  ist,  den  Gegensatz  beider 
hervorzuheben. 

Zusatz:  Das  Hill) ert' sehe  invariante  Integral  J*,  genommen 
zwischen  zwei  FunUen  P^,  P  derselben  Feldextremale  @,  ist  gleich  dem 
Grundintegral  J,  genommen  von  Pq  nach  P  entlang  eben  dieser  Ex- 
tremale  @,  vorausgesetzt^  daß  x^  <  x. 

Denn  wählen  wir  bei  der  Berechnung  von  J*  die  Extremale  @ 
als  Integration  s weg,  so  ist  nach  (9  a)  entlang  @ 

also  fällt  in  dem  Integranden  von  J*  das  zweite  Glied  fort,  und  es 
kommt 


J*{P,P)  =  MP„P), 


(22) 


wobei   der  Integrationsweg  für  das   Integral  J*   eine   ganz    beliebige, 
die    beiden   Punkte   Pq,  P   ver- 
bindende Kurve    der  Klasse  C 
ist,    welche   ganz    im    Felde    oT 
liegt.2) 

c)  Ausdruck  der  totalen 
Variation  AJ^  mittels  der 
8-Funktion: 


Aus  dem  Unabhängigkeits- 
satz läßt  sich  nun  nach  Hilbert 
der  Weierstraß'sche  Satz  fol- 
gendermaßen ableiten: 

Es  sei 


S:       y  =  y{x),    x^<^x<^x^ 


Fig.  18. 


irgend   eine   ganz   im  Feld   of  gelegene   Kurve   der   Klasse  C",   welche 
die   beiden  Punkte  P^  und  P^   verbindet.     Da   die   beiden  Punkte  P^ 


^)  Encydopädie,  II  A,  p.  628. 

^)  Hier  läßt  sich  unmittelbar  §  20  anschließen. 


110  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben, 

und  Pg  auf  derselben  Feldextrem ale  liegen,  nämlicli  auf  der  Ex- 
tremale (Sq,  so  können  wir  den  Zusatz  zum  ünabhängigkeitssatz  an- 
wenden, wonach 

Ji  =  J,„.  (23) 

Daher  können  wir  die  totale  Variation 

auch  schreiben 
Nun  ist  aber 

Xy 

wobei  p{x,  y)  =  p  gesetzt  ist. 
Somit  erhalten  wir 

Xn 

AJ  =  J{f{x,  y,  y)-f[x,  y,p)-{f-p)fy>{x,  y,p)}dx. 

Führen  wir  jetzt  die   Weierstraß'sche  8- Funktion^)  ein  mittels 
der  Definition 

^(x, «/;  PyP)  =  f{^,  y,  p)  -  fX^y  y,  p)-{p-  p)fy'ip,  y,  p) ,   (24) 

wobei  X,  y,  p,  p  als  unabhängige  Variable  zu  betrachten  sind,  so  er- 
halten wir  den 

Fundamentalsatz^'^):    Wenn  der  Extremalenhogen^)  (S^  mit  einem 
Feld  umgeben  werden  Jcann,  so  läßt  sich  die  totale  Variation 

für  jede  zidässige  Kurve  ß,  welche  ganz  im  Feld  liegt j  mittels  der 
Weier  Straß  sehen  Formel 


^)  Vgl.  Zermelo,  Dissertatioyi ,  p.  66. 

^  Von  Weierstrass  selbst  für  das  spezielle  („uneigentliche")  Feld  von 
Extremalen  durch  den  Punkt  P^  und  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung  ge- 
geben (1879),  vgl.  §  33.  Die  Ausdehnung  auf  ein  beliebiges  Feld  scheint  zuerst 
von  H.  A.  Schwarz  in  Vorlesungen  gegeben  worden  zu  sein. 

3)  Vgl.  p.  88,  Fußnote  *). 


§18.  Ableitung  weiterer  notwendig.  Bedingungen  a.  d.We  ierstraß'schen  Satz.  Hl 

A J  =Jß{x,  y-^  p,  p)  dx  (25) 

ausdrücken;  dabei  ist  (x,  y)  ein  Punkt  von  S,  p  das  Gefälle  von  S  im 
Punkt  (x,  y)  und  p  =  p{x,  y)  das  Gefälle  der  durch  den  Punkt  (x^  y) 
gehenden  Extremale  des  Feldes  im  Punkt  (x,  y). 

Der  Weierstraß'sche  Satz  behält  seine  Gültigkeit  auch  noch  für 
das  „uneigentliche^^  Feld  o^  von  Extremalen  durch  den  Punkt  P^^) 
(obgleich  alsdann  die  Funktion  p{x,  y)  im  Punkt  P^  unbestimmt 
wird)^  sowie  für  Kurven  ^  der  Klasse^)  B'. 


§    18.       Ableitung    weiterer    notwendiger    Bedingungen    aus    dem 
Weierstraß'schen  Satz. 

Wir    benutzen    den    Weierstraß'schen    Satz    zunächst    zur  Ab- 
leitung weiterer  notwendiger  Bedingungen. 

^)  Denn  schreibt  man  das  Hilbert'sche  Integral 


Jl 


=  Cmäx  +  Ndy 


so  haben  nach  p.  104,  Fußnote  ^),  Ende,  die  Funktionen  \M\  und  \N\  in  cf^,  endliche 
obere  Grenzen  G  und  H.  Führt  man  daher  den  Bogen  als  unabhängige  Variable 
ein  und  bezeichnet  mit  l  die  Länge  des  Bogens  ß,  so  folgt  hieraus,  zunächst  für 
eine  Kurve  (S;,  welche  nicht  vom  Punkte  P^  ausgeht: 

\Jl\'Z{G-^H)l.  (26) 

Hieraus  folgt  nach  den  üblichen  Festsetzungen  über  uneigentliche  bestimmte 
Integrale,  daß  das  Integral  J^  auch  noch  für  solche  Kurven  ®  einen  bestimmten 
endlichen  Wert  behält,  welche  vom  Punkt  P^  ausgehen,  und  daß  auch  für  solche 
Kurven  die  Ungleichung  (26)  bestehen  bleibt.  Wir  ziehen  jetzt  vom  Punkt  P^ 
nach  irgend  einem  Punkt  P  von  (^  zwei  Kurven  ß,  S'  der  Klasse  C.  Um  zu 
zeigen,  daß  /*,==/*,  ziehen  wir  eine  Gerade:  x  =  x^-\-s^  wo  s  eine  kleine 
positive  Größe  ist;  ihre  Schnittpunkte  mit  ©  und  ©'  seien  Q  und  Q'  resp.  Dann 
können  wir  schreiben 

^h  -Jl-  lJ*iQQ'P)  -  J*iQP)]  +  [J*{P^  Q')-J*{Pr  Q) -  J*{QQ')] . 

Die  erste  Klammer  auf  der  rechten  Seite  ist  Null,  da  hier  der  Hilbert'sche 
Unabhängigkeitssatz  gilt;  die  zweite  wird  nach  (26)  mit  s  unendlich  klein,  also  ist 

J*       T* 

Hieraus  folgt  dann  wie  oben  der  Weierstraß'sche  Satz, 
')  Vgl.  §  10,  c)  und  §  6,  p.  36,  Fußnote  ^). 


112  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.d.  einfachsten  Klasse  v  Aufgaben. 


a)  Die  Weierstraß'sclie  Bedingung: 

Wir  setzen  voraus,  daß  für  unseren  Extremalenbogen  ©o  die 
Bedingungen  (IF)  und  (IIP)  erfüllt  sind.  Dann  bildet  die  Schar  von 
Extremalen  durch  den  Punkt  P^  ein  „uneigentliches"  Feld^)  c^  um 
den  Bogen  ©q. 

Wir  wählen  dann  auf  ©^  zwischen  Pj  und  Pg  einen  Punkt 
^si^B)  Vb)  ^^^  ziehen  durch  P3  eine  Gerade 

P4  sei  derjenige  Punkt   dieser   Geraden,   dessen   Abszisse  x^  =  x^  —  h, 
wo  h  eine  kleine  positive  Größe  ist.    Wählen  wir  h  hinreichend  klein, 

so  wird  der  Punkt  P^ 
im     Innern     von     c^ 
liegen,    und    es    geht 
daher   durch   P^   eine 
und    nur   eine   Extre- 
male P1P4  des  Feldes. 
Wir  variieren  jetzt  den 
Bogen  @o,   indem  wir 
den  Bogen  P^  P3  durch 
die  gebrochene  Kurve 
Pj  P4P3  er  setzen,  wäh- 
wir    das    Stück 
ungeändert  las- 
Dann    ist    nach 


Fig.  19. 


rend 

p.p. 

sen. 


dem  Weierstraß'schen   Satz,    der  nach  den    am    Ende   von  §  17,  c) 
gemachten  Bemerkungen    auf   den   gegenwärtigen   Fall  anwendbar  ist 

AJ-=j8,(x,y;  i),y)dxy 

genommen  entlang  der  Kurve  P^P^P.^. 

Da  aber  der  Bogen  P^P^  eine  Extremale  des  Feldes  ist,  so  ist 
entlang  P^  P^:y  =-  p,  und  deshalb,  wie  aus  der  Definition  (24)  der 
8 -Funktion  folgt,  der  Integrand  von  A/ gleich  Null.  Daher  reduziert 
sich  der  Ausdruck  für  AJ  auf 


AJ=fS(x,y',  p,Ps)dx 

x^  —  h 

genommen  entlang  P4P3. 

1)  Ygl.  §  16,  d)  und  p.  104,  Fußnote  ^). 


(27) 


§  18.  Ableitung  weiterernotwendig.  Bedingungen  a.d.Weierstraß'schen  Satz,  113 
Angenommen^  es  wäre  nun 

w^o  P^  =  y\x^)  das  Gefälle  von  ©^  im  Punkt  P3  bedeutet;  so  ließe 
sich  eine  gewisse  Umgebung  des  Punktes  {x^,  y^)  angeben,  in  welcher 

^{x,y',  p{x,y),2h)<0, 

wie  aus  der  Stetigkeit  der  8 -Funktion  als  Funktion  ihrer  vier 
Argumente  einersiBits  und  der  Stetigkeit  von  p(x,  y)  andererseits 
folgt.  Daraus  ergibt  sich  aber,  daß  der  Integrand  von  AJ"  für 
hinreichend  kleine  Werte  von  h  im  Intervall  [x^  —  h,  x^'\  be- 
ständig negativ  ist,  also  AJ'<0.  Macht  man  schließlich  noch  von 
dem  Lemma  über  die  Abrundung  der  Ecken  (§  14,  c))  Gebrauch,  so 
erhält  man  den 

Fundamentalsatz  IV:    Die    vierte    notwendige   Bedingung    für 
die  Existenz  eines  Minimums  bestellt  darin,  daß 

%{x,y{x)',  y\x),p)^0  (IV) 

für'^)  Xi<^x^X2  und  für  jeden  endlichen    Wert  von  p. 

Diese  Bedingung  ist  von  Weiersteass  im  Jahre  1879  entdeckt 
worden^)  und  wird  die  Weierstraß'sche  Bedingung  genannt. 

Beispiel  IX:  (Siehe  p.  95) 

Entlang  der  Kurve  (5^  :  2/  =  0  ist 

%{x,tj{x);  y' {X) ,  p)  =  p\l -^  p) . 

Der  Ausdruck  kann  in  jedem  Punkt  von  @„  sein  Zeichen  wechseln;  Bedingung  (lY) 
ist  also    nicht    erfüllt    und  (g^  liefert    kein    starkes  Minimum,   wie  wir  schon  in 
§  15,  d)  auf  elementarem  Wege  gezeigt  haben. 
Beispiel  X:  Das  Integral 

^=jy"'(^  +  y'Ydx 

ZU  einem  Maximum  oder  Minimum  zu  machen. 

Nach  §  6,  a),  Beispiel  VI,  sind  die  Extremalen  gerade  Linien;  insbesondere 
ist   also    die  Extremale  ©<,  die    Gerade    durch   die  beiden  gegebenen  Punkte  P^ 

')  Zunächst  für  x^<Cx<Cx^  und  aus  Stetigkeitsgründen  auch  für  x  =  x. 
und  x  =  x^. 

^)  Vgl.  p.  96,  Fußnote  ').  Für  den  hier  gegebenen  Beweis  vgl.  Hedrick, 
Bulletin  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  IX  (1902),  p.  14. 

B  o  1  z  a ,  Variationsrechnung.  g 


114  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d,  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 


und  P, ;  ihre  Gleichung  sei 


Dann  ist 


Sind  jetzt  m^  und  m^ 


nämlich 


y  =  mx-\-  n . 

i2(^)  =  2(6m2  +  6m+l) 

A(a;,  x^)  =  x  —  x^. 

die  beiden  Wurzeln  der  Gleichung 

6m- +  6m-|-  1  =  0, 

^  ^  =  — 0-2113 


-r-      —  1 


so  ist 


JL\  =  _  0  .  7887  .  .  . , 

jR  >  0 ,     wenn     m  >  m^     oder     ?>i  <  m^  , 
i^  <^  0 ,     wenn     mg  <i  in  <^  m^  . 

Im  ersten  Fall  sind  die  drei  ersten  notwendigen  Bedingungen  für  ein  Minimum, 
im  zweiten  Fall  für  ein  Maximum  erfüllt. 
Endlich  ist 

%{x,  ijix);  y^'ix),  p)  =  {p-  mf  [(p  +  m  +  1)^  +  2mcm  +  1)]  . 
Nun  ist  die  quadratische  Funktion  von  p  in  der  eckigen  Klammer  beständig 
positiv,  wenn  m(m  +  1)  >  0;   sie  kann  ihr  Zeichen  wechseln,  wenn  m{m  -\-  1)  <  0; 
und  sie  reduziert  sich  auf  ein  vollständiges  Quadrat,  wenn  m(m-f-l)  =  Ö. 
Wir  erhalten  also  das  Resultat: 

Wenn  m  ^  0  oder  m^  —  l,so  ist  die  Bedingung  (IV)  erfüllt ;  tvenn  —  1  <  m  <  0 , 
so  ist  die  Bedingung  (IV)  nicht  erfüllt,  und  die  Gerade  P^  I\  liefert  sicher  weder 
ein  starkes  Maximum  noch  ein  starkes  Minimum. 

Das  letztere  Resultat  läßt  sich  auch  auf  ganz  elementarem  Wege  folgender- 
maßen beweisen :    Wenn  —  1  <  m  <  0 ,    so   ist   einerseits    sicher   der   Wert    von 

«^re  >  Ö ;    andererseits    können    wir    aber 

(und   zwar    auf  unendlich    viele   Weisen) 

P^   und  Pg    durch   eine  gebrochene  Linie 

verbinden,   die   aus   geradlinigen  Stücken 

besteht,  welche  abwechselnd  das  Gefälle  0 

und    -1    besitzen    (z.  B.    P^P,I\P,P,\ 

und   diese   gebrochene    Linie    ist    in    der 

Form    y  =  fix)    darstellbar  ^)    (was   nicht 

möglich  wäre,  wenn  m  >  0  oder  m<< —  1). 

^ig-  20.  Püj.    eine    solche     gebrochene    Linie    ist 

aber    offenbar    /=  0.      Schließlich     hat 

man  noch    von    dem    Lemma   über    diskontinuierliche  Variationen    Gebrauch  zu 

machen  (§  14,  c)). 


y(x)  +  Q 


y(^) 


u(^) 


Vgl.  dazu  §  25,  e). 


18.  Ableitung  weiterer  notwendig.  Bedingungen  a.  d.Weierstraß'schen  Satz.  115 


b)  Beziehung  zwischen  der  Weierstraß'sclien  und  der  Legen- 
dre' sehen  Bedingung: 

Wendet  man  die  Taylor'sclie  Formel  auf  die  Differenz 

an^    so    erhält   man    die    folgende    wichtige    Relation^)    zwischen    der 
8 -Funktion  und  der  Funktion  f^,^,: 


8(x,y',p,p)  = 


{p—pY 


fyy'{^yy,P")y 


{p—py 


-ify'A^^y^p)'^ 


Fig.  21. 


(28) 


(H.) 


(29) 


wobei  p*  einen  Mittelwert  zwischen  p  und  p  bedeutet^  also 

P*=P  +  0{p-p),         0<Ö<1. 
Hieraus  folgt  der 
Zusatz  I:   Die  Bedingung  (IV)  ist  stets  erfüllt ^  wenn 

für  x^^  x^X2  und  für  jeden  endlichen  Wert  von  p. 
Ferner  ergibt  sich  aus  (28) 

-^   S(^,  2/;  p,p) 

daraus  folgt  der 

Zusatz  II:  Die  Legendre'sche 
Bedingung 

fy'y'(^yy(^),yi^))^o    in    [X^X^']  (II) 

ist  in  der  Weierstr aß' sehen  Bedingung 
enthalten. 

Die  vorangehenden  Resultate  werden  sehr 
gut  durch  die  folgende  von  Zermelo  ^)  her- 
rührende geometrische  Interpretation  der  ^-Funk- 
tion veranschaulicht : 

Es  bezeichne  f{p)  die  Funktion  f{x,y^p) 
als  Funktion  von  p  allein  betrachtet;  wir 
konstruieren,  bei  festgehaltenen  Werten  von  x  und  y^  die  Kurve 

u  =  f{p) 

und  ziehen  die  Tangente  P^  T  im  Punkt  P^ ,  dessen  Abszisse  p  =  y'-  es  seien  P 


(30) 


^)  Diese  Relation  findet  sich  zuerst  bei  Zermelo,  Dissertation,  p.  67;  sie 
entspricht  der  Weierstraß'schen  Relation  (125),  Kap.  V,  zwischen  8  und  F^ 
im  Fall  der  Parameterdarstellung. 

^)  loc.  cit.,  p.  67. 

8* 


116  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

und  Q  die  Schnittpunkte  der  Geraden  p=p  respektive  mit  der  Kurve  (30)  und 
der  Tangente  P^T. 

Alsdann  wird  die  Größe 

Hoc.y.  y\p)  =  f{p)  —  f{y')  —  {p  —  y'}f{y') 

dargestellt  durch  den  Vektor  ^P,  und  die  Bedingung 

Hoc,y;  y\v)^0  (IV) 

bedeutet  geometrisch,  daß  die  Kurve  (30)  ganz  oberhalb  —  oder  ivenigstens  nicht 
unterhalb  —  der  Tangente  Pq  T  liegt. 

Damit  die  Ungleichung  (IV)  stattfinde,  ist  daher: 

1,  Notwendig,  daß  die  Kurve  (30)  im  Punkt  p  =  y'  ihre  konvexe  Seite 
nach  unten  kehrt,  d.  h.  daß 

r(2/')?o. 

Dies  ist  aber  unsere  alte  Bedingung  (II). 

2.  Hinreichend,  daß  die  Kurve  (30)  überall  ihre  konvexe  Seite  nach 
unten  kehrt,  d.  h.  daß 

für  jedes  p;    das  ist  aber  die  obige  Bedingung  (Ha). 

Aber  weder  ist  die  erste  Bedingung  hinreichend  noch  die  zweite  notwendig. 

c)  Unzulängliclikeit  der  Bedingungen  (I),  (IF),  (IIF),  (IV): 

Indem  wir,  ähnlich  wie  bei  den  früheren  Bedingungen,  Ausnahme- 
fälle bei  Seite  lassen,  wollen  wir  voraussetzen,  daß  für  unsere  Ex- 
tremale (^0  die  Bedingung  (IV)  in  der  etwas  stärkeren  Form 

%ix,y{xyj'{x),p)>0  (IV) 

für: 

x^^x'^x^,         p^{f(x) 

erfüllt  ist. 

Wir  wollen  zunächst  zeigen,  daß  auch  die  Bedingungen  (I),  (IF), 
(Iir),  (IV')  für  ein  Minimum  noch  nicht  hinreichend  sind. 

Dazu  genügt  wieder  ein  einziges  Beispiel,  in  welchem  die  an- 
gegebenen Bedingungen  erfüllt  sind  und  trotzdem'  kein  Minimum  ein- 
tritt.    Ein  derartiges  Beispiel  ist  das  folgende: 

BeispieP)  XI:    Das  Integral 


/=  j[ay'^  —  4^byy'^  -\~  2bxy'^]dx 


0 

zu  einem  Minimum  zu  machen;    dabei  sollen  a  and  b  positive  Konstanten  sein 


1)  Vgl.  BoLZA,    Bulletin    of   the  American  Mathematical  Society, 
Bd.  IX,  p.  9.     Weitere  Beispiele  folgen  unter  d). 


§  18.  Ableitung  weiterer  notwendig.  Bedingungen  a.d.Wei er straß'schen  Satz.  117 

und  die  beiden  Endpunkte  sollen  die  Koordinaten  (x^ ,  y^)  =  (0,0),  {x^ ,  y^)  =  (1,  0) 
haben. 

Die  Euler'sche  Differentialgleicbung  reduziert  sich  hier  auf 

y"fy,y,  =  0, 
wo 

Die  einzige  Extremale  durch  die  beiden  Punkte  P^  (0 ,  0)  und  P^  (1 ,  0)  ist 
die  gerade  Linie 

(£o :  2/  =  0  . 

Die  Bedingung  (11')  ist  erfüllt,  da 

fy,y,{x,  §{x),  §\x))  =  2a>0.  (E') 

Die  Schar  von  Extremalen  durch  den  Punkt  P^  ist  das  Büschel  von  Ge- 
raden durch  den  Punkt  P^ ;  daher  existiert  kein  zu  P^  konjugierter  Punkt  und 
(HI')  ist  erfüllt. 

Ferner  ist 

§(^,  2/;  y\  P)  =  (P  —  y'Y  \  («  —  ^'byy'  +  Uxy'^)  —  4.hp{y  —  xy')  4-  Ihxp^  ] ; 
also  entlang  ©^ : 

%{x,^{x)',  §'{x),p)=p'{a-{-2bxp')>0,  (IV') 

für  ^  =1=  0 . 

Somit  sind  die  Bedingungen  (I),  (Ip),  (IE'),  (IV)  erfüllt. 

Trotzdem   liefert   der  Bogen  (g^  kein 

Minimum    für     das     Integral   J.      Denn 

ersetzt  man  die  Gerade  P^P^    durch  die        ,     ^1 — -- — _____^  i 

gebrochene  Linie  P.PP^  und  bezeichnet        1/     !^'  ~~~"    — - — -__      i 

die  Koordinaten   von  P  mit  7i  >►  0 ,  ä;  ,  so      ^1    ^  I  ' 

findet  man  für  die    totale  Variation  AJ"       '  ' 

leicht  den  Ausdruck  ** 

Fig.  22. 


^  ^=  ^1~  ^  +  ^  +  ^  +  ^  ^^''J  +  ^^^' 


wo  (Ji)  mit  h  gegen  Null  konvergiert. 

Ist  jetzt  eine  positive  Größe  q  beliebig  vorgegeben ,  so  wähle  man  \'k\<C.Q 
und  lasse  li  gegen  Null  konvergieren,  während  Ic  festgehalten  wird.  Dann  folgt, 
da  ?>>>0,  daß  AJ"<;0  für  alle  hinreichend  kleinen  Werte  von  h.  Indem  man 
schließlich  noch  das  Lemma  über  die  Abrundung  der  Ecken  (§  14,  c))  anwendet, 
erhält  man  das  Resultat,  daß  die  Gerade  P^  P^  in  der  Tat  kein  starkes  Minimum 
für  das  Integral  /  liefert. 

d)  Eine  fünfte  notwendige  Bedingung^); 

Man  erhält  eine  weitere  notwendige  Bedingung  durch  eine  Modifikation 
des  unter  a)  benutzten  Verfahrens,  die  durch  das  obige  Beispiel  nahegelegt  wird. 


^)  VgL  BoLZA,  Transactions  ofthe  American  Mathematical  Society, 
Bd.  Vn  (1906),  p.  314. 


118  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

Statt  nämlich,  wie  dort,  die  Gerade  P^  Pg  festzuhalten  und  P^  auf  derselben  sich 
dem  Punkte  Pg  nähern  zu  lassen,  drehen  ivir  jetzt  die  Gerade  P4P3  um  den 
Punkt  P3 ,  so  daß  sie  sich  der  vertikalen  Lage  nähert,  während  der  Punkt  P4  sich 
auf  einer  Geraden  parallel  der  ic- Achse  bewegt.  Bezeichnen  wir  die  Ordinate 
des  Punktes  P^  mit:  2/4  =  2/3  — ^i  so  heißt  dies  analytisch,  wir  halten  k  fest  und 
lassen  h  gegen  Null  konvergieren.  Bei  diesem  Grenzprozess  hat  die  durch  (27) 
ausgedrückte  totale  Variation  A  /  zwar  nicht  notwendig  einen  bestimmten  Grenz- 
wert, aber  sicher  einen  bestimmten  „unteren  Limes"  ^),  der  endlich  oder  -j-  c3ü 
oder  —  Oü  sein  kann.  Für  ein  Minimum  ist  dann  notwendig,  daß  dieser  untere 
Limes  >  0  für  alle  hinreichend  kleinen  Werte  von  \k\. 

Ganz  dieselben  Schlüsse  kann  man  auch  auf  die  Extremalenschar  durch 
den  Punkt  P^  und  die  Variation  P^P^P^  (siehe  Figur  19)  anwenden.  Um  die 
Resultate  der  beiden  Prozesse  in  einer  Formel  vereinigen  zu  können,  führen  wir 
die  Symbole  ein: 

5,  =  -  1  ,         £2  =  +  1 

und  bezeichnen  für  *  =  1,  2  mit  p^{x,  y)  das  Gefälle  im  Punkt  [x,  y)  derjenigen 
durch  den  Punkt  (x,  y)  gehenden  Extremale,  welche  dem  von  den  Extremalen 
durch  den  Punkt  P.  gebildeten  Feld  angehört.  Dann  läßt  sich  die  angegebene 
Bedingung  schreiben 


1 
_L  ^   Ch%(x,y',p,{x,y),^iyt^O 


(31) 

0 

wo 

x  =  x^  +  s.ht,         ^  =  2/3  +  s.kt 


Die  Ungleichung  muß  gelten  für  *  =  1  und  *  =  2 ,  wenn  a,\  <Cx^<Cx^;  für 
^  =  1 ,  wenn  x^  =  x^-,  für  i  =  2,  wenn  x^  =  x^,  und  zwar  für  alle  hinreichend 
kleinen  Werte  von  |  Z:  |. 

Setzt  man  für  die  8 -Funktion  ihren  Wert  ein  und  bezeichnet: 

1 
S,{h,  fc,  X,)  =   Chf(x,  +  ,,ht,  2/3  +  s.fct ,  I)  dt,  (32) 

0 

so  nimmt  die  Bedingung  (31)  nach  einigen  Vereinfachungen  die  Form  an-) 

1 

L     S,{h,k,x,)-k  ffy,{x,,y,^^,kt,p,{x,,y,-^^,kt))dt^i).      (V) 


^)  Auch  „Untere  Unbestimmtheitsgrenze'',  vgl.  AUS. 

2)  Für  die  weitere  Ausführung  siehe  das  Zitat  p.  117,  Fußnote  ^).  Ob  diese 
Bedingung  (eventuell  nach  Unterdrückung  des  Gleichheitszeichens)  zusammen 
mit  den  früheren  Bedingungen  (I),  (II'),  (IIP),  (IV)  auch  hinreichend  ist,  ist  noch 
unentschieden. 


§  19.     Hinreichende  Bedingungen  für  ein  starkes  Extremum.  119 

Beispiel  XI  (siehe  p.  11(5): 

/"=  ay'^  —  4:byy'^  +  '^^ocy"^ . 
Man  findet 

S.Qi,  /J,  X,)  =  ^3  [^hV^x,  -  bk's.h  +  ah']  . 

Wenn  iCg  >  0 ,  so  ist  der  untere  Limes  von  S.  gleich  +  oo ,  und  (V)  ist 
erfüllt;  ist  dagegen  Xs=Xj^  =  0,  in  welchem  Fall  (V)  für  i  =  2  erfüllt  sein 
muß,  so  ist  derselbe  —  oo,  und  (V)  ist  nicht  erfüllt.  Dies  ist  der  Grund,  warum 
hier  kein  Minimum  stattfindet,  wenn  das  Intervall  [^^  x^]  sich  bis  zum  Punkt  ^  =  0 
erstreckt. 

Beispiel  XIV):   Das  Integral 


=Jly'-y'y")dx 


zu  einem  Minimum  zu  machen,  wenn  die  beiden  gegebenen  Punkte  P^,  P^  auf 
der  a;- Achse  liegen. 

Hier  sind  die  Extrem alen  im  allgemeinen  keine  Geraden,  wohl  aber  ist  die 
spezielle  Gerade 

©o:        y  =  o  =  §{x) 

eine  Extremale.     Man  findet  leicht 

fyry.{x,  y{x),  y{x))  =  2 

8(ic,  y{x);  y{x),p)=p\ 

Also  sind  die  Bedingungen  (IP),  (IH'),  (IV)  erfüllt,  wenn  x^  und  x^  hin- 
reichend nahe  beieinander  angenommen  werden.  Trotzdem  liefert  @o  kein  starkes 
Extremum.     Denn  es  ist 

Der  untere  Limes  von  S.  ist  also  —  oo  für  *  =  1,  2  und  für  jedes  x^.^) 


§  19.    Hinreichende  Bedingungen  für  ein  starkes  Extremum. 
Wir    setzen    wie   im   vorigen  Paragraphen    voraus,    daß    die   Ex- 
tremale (So  den  Bedingungen  (IF)  und  (IE')  genügt.    Es  sei^)  of  irgend 
ein  Feld  von  Extremalen  um  den  Bogen  ©o?  ^^^ 


^)  Dasselbe  rührt  von  Caratheodory  her,  vgl.  Archiv  für  Mathematik 
und  Physik  (3),  Bd.  X  (1906),  p.  185. 

^)  Hierzu  die  Übungsaufgaben  Nr.  33,  34  am  Ende  von  Kap.  III. 

^)  Daß  @o  mit  einem  Feld  umgeben  werden  kann,  folgt  nach  §  16,  d)  aus 
(JT)  und  (IIP),  wobei  übrigens  auch  §  12,  b),  insbesondere  die  Fußnote  ^)  auf 
p.  73  sowie  §  13,  a)  zu  vergleichen  sind.  Das  Feld  braucht  aber  nicht  von  der 
speziellen  dort  benutzten  Art  zu  sein. 


120  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v  Aufgaben. 

irgend  eine  Kurve  der  Klasse  C,  Avelche  von  P^  nach  P^  gezogen  ist 
und  ganz  im  Bereich  of  liegt.  Dann  gilt  für  die  totale  Variation: 
AJ=J^  —  Jq  der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz  (25).  Hieraus 
lassen  sich  nun  auf  verschiedene  Arten  hinreichende  Bedingungen  für 
ein  starkes  Minimum  ableiten: 

a)  Hinreichende  Bedingungen,  ausgedrückt  mittels  der  8-Funktion : 
Es  bedeute  wieder  ^jf^,  y)  das  Gefälle  der  durch  den  Punkt  (x,  y) 
gehenden  Extremale  des  Feldes^  im  Punkt  (x,  y).     Wenn  dann 

%{x,y',p{x,y),p)yO  (IV  b) 

für  jeden  Punkt  (x,  y)  von  cf  und  für  jeden  endlichen  Wert  von  p, 
so  ist  der  Integrand  von  AJ  sicher  ^0  im  Intervall  [^i^g],  also 
A  «7  5  0 .  Die  Kurve  ©^  liefert  also  nach  unserer  Definition  ^)  (§  3,  b)) 
ein  (starkes)  Minimum. 

Das  Minimum  ist  jedoch  nicht  notwendig  ein  „eigentliches^'  Mini- 
mum, es  kann  auch  ein  „uneigentliches"  sein  (§  3,  b)). 

Zu  dem  letzteren  Punkt  ist  nun  noch  folgendes  zu  bemerken: 
Aus  der  Definition  der  Funktion  %{x,y'^  PyP)  folgt^  daß  dieselbe,  als 
Funktion  ihrer  vier  Argumente  betrachtet,  stets  verschwindet,  wenn 
p  =  p'^  man  sagt  in  diesem  Fall  nach  Kneser,  die  8-Funktion  ver- 
schwinde in  „ordentlicher"  Weise.  Ist  dagegen:  ^(x,  y]  p,  p)  =  0, 
während  p^p,  so  sagt  man,  die  8-Funktion  verschwinde  für  das 
betrachtete  Wertsystem  in  „außerordentlicher"  Weise. 

Wenn  wir  nun  der  Bedingung  (IVb)  noch  die  Bedinguug  hinzu- 
fügen, daß  die  8-Funktion  im  Felde  of  nur  in  ordentlicher  Weise 
verschwinden  soll,  so  läßt  sich  zeigen,  daß  alsdann  das  Minimum  stets 
ein  eigentliches  ist. 

Denn  wenn  die  Bedingung  (IVb)  erfüllt  ist,  so  kann  nach  be- 
kannten Sätzen  über  bestimmte  Integrale  AJ"  nur  dann  gleich  Null 
sem,  wenn  entlang  der  ganzen  Kurve  (J 

8{x,y',p{x,y),  y)  =  0;  (33) 

und  wenn  die  8-Funktion  im  Feld  nur  in  ordentlicher  Weise  ver- 
schwindet, so  ist  dies  nur  in  der  Weise  möglich,  daß  in  jedem 
Punkt  (x,  y)  von  (l: 

y-p(^,y),  (34) 

*)  Man  beachte,  daß  nach  der  Definition  eines  den  Bogen  ©^  umgebenden 
Feldes  ol'  (§  16,  c))  eine  Nachbarschaft  (q)  von  (£(,  existiert,  welche  in  oJ'  ent- 
halten ist. 


§  19.     Hinreichende  Bedingungen  für  ein  starkes  Extremum.  121 

d.  h.  wenn  die  Extremale  des  Feldes  durch  den  Punkt  (x,  y)  die 
Kurve  ß  im  Punkt  (x,  y)  berührt.  Dies  kann  jedoch  nur  dann  für 
jeden  Punkt  der  Kurve  S  eintreten,  wenn  d  mit  (g^  identisch  ist. 
Denn^)  wird  die  das  Feld  oT  bildende  Extremalen  schar,  wie  früher,  mit 

y  =  (p{x,  a) 

bezeichnet,  so  gilt  nach  (8)  in  jedem  Punkt  von  S  die  Gleichung 

y{x)^(p{x,o,{x,y)), 

wobei  a  wieder  die  inverse  Funktion  des  Feldes  bedeutet.  Differentiiert 
man  diese  Gleichung  nach  x,  so  kommt 

oder  nach  (9), 

y'-pix,y)^cp^{x,a)^^. 

Nun  ist  aber  nach  §  16,  d),  Ende,  (p^{x,  a)  =h  0  in  of!  Wäre  daher 
(34)  in  jedem  Punkt  von  (^  erfüllt,  so  müßte  sein 

dx  ' 

also  a{x,  y)  =  konst.,  d.  h.  aber  d  müßte  selbst  eine  Extremale  des 
Feldes  sein,  und  zwar  müßte  S  mit  ^^  identisch  sein,  da  ^  durch  den 
Punkt  Pg  geht  und  (S^  die  einzige  Extremale  des  Feldes  ist,  welche 
durch  Pg  geht. 

Hieraus  ergibt  sich  aber  in  der  Terminologie  von  §  3,  b)  das 
Resultat : 

Wenn  die   Ungleichung 

H^,y]p{x,y),p)>0  (IVb') 

erfüllt  ist  für  jeden  PunM  (x,  y)  eines  Feldes  oT  um  den  Extremalen- 
logen  (g^  und  für  jeden  endlichen  Wertp,  luelcher  von  p(x,  y)  verschieden 
ist,  so  liefert  der  Bogen  ©^  ein  starkes,  eigentliches  Minimum  für  das 
Integral  J. 

Zuweilen  kommt  es  vor,  daß  der  Bereich  01,  auf  welchen  die 
zulässigen  Funktionen  beschränkt  sind,  selbst  ein  Feld  um  den  Bogen  ©^ 
bildet;  alsdann  ist  das  Minimum  nicht  nur  ein  relatives,  sondern  ein 
absolutes  (§  3,  a)). 

^)  Der  Beweis  rührt  von  Kneser  her,  vgl.  Lehrbuch,  §  22 ;  vgl.  auch  Osgood, 
loc.  cit.,  p.  118. 


1 22  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 
Beispiel  X  (siehe  p.  113): 

Die  Schar  von  geraden  Linien 

y  z^mx  -\-  a 
parallel  der  Geraden  F^P^^  liefert  offenbar  ein  Feld  um  P1P2,  für  welches 

Daher  ist  hier 

%{x,  y;  Pix,  y),  p)  =  {p  —  myiip  +  m  -]-  ly  +  2m{in  +  1)] . 

Wenn  m  >  0  oder  vi  <  —  1 ,  so  ist  also  die  Bedingung  (IVb ')  erfüllt.  Zu- 
sammenfassend erhalten  wir  daher  mit  Rücksicht  auf  die  Ergebnisse  von  p.  114 
für  das  gegenwärtige  Beispiel  das  Resultat: 

1.  Wenn  m>0  oder  m<  — 1,  so  liefert  die  Gerade  P^P^  ein  starkes, 
eigentliches  Minimum^),  und  zwar  nicht  nur  ein  relatives,  sondern  ein  absolutes, 
da  das  Feld  hier  die  ganze  x,  2/- Ebene  ausfüllt. 

•J.  Dies  gilt  auch  noch  für  m  =  0  und  m=-  —  l,  da  alsdann  J^^=0, 
während  für  jede  andere  zulässige  Kurve  /g  >  0 . 

3.  Wenn  w^  <  w  <  0  oder  —  1  <  m  <  Wg  ^  so  liefert  P^  P^  zwar  Jcein  starkes 
aber  doch  ein  schivaches  Minimum  (nach  §  15,  b));    vgl.  auch  unten  unter  c). 

4.  Wenn  9?^  <im<im^,  so  liefert  P^  Pg  ein  schivaches  Maximum. 

5.  Wenn  endlich  m  ==  m^  oder  m  =  m^^,  so  liefert  P^  Pg  weder  ein  Minimum 
noch  ein  Maximum,  und  zwar  nicht  einmal  ein  schwaches.  Denn  alsdann  ist  die 
zweite  Variation  identisch  Null  und  die  dritte  von  Null  verschieden,  da  allgemein 
entlang  einer  Extremale  für  y  =  y-\-(a: 

A  J=  6(m  —  wj  (m  —  m^)C(o'''dx  +  2(2m  +  l)Jco'^dx  -^joi'^dx  . 

Xi  Xj_  x^ 

Wenn  die  Bedingung  (IV'b)  erfüllt  ist,  so  ist  a  fortiori  auch  (IV) 
erfüllt,  da  entlang  (Sq:  p{x,y)  =  y{x).  Daß  das  Umgekehrte  nicht 
richtig  ist,  folgt  schon  a  priori  aus  dem  in  §  18^  c)  Bewiesenen. 

Wir  wollen  es  zum  Überfluß  noch  an  Beispiel  XI  verifizieren.  Die  Geraden 
parallel  der  rc- Achse  bilden  ein   Feld  J^.,   für  welches  p{x,y)  =  0.     Daher  ist 

%{x,  y;  Pix,  y),  p)  =^ p\a  —  4:bpy  +  2h xp^) . 

1)  Man  kann  dies  übrigens  auch  mit  ganz  elementaren  Mitteln  beweisen, 
da  die  totale  Variation  für  irgend  eine  zulässige  Variation  y  =  y -^  co  sich 
schreiben  läßt: 

X.j.  x^ 

AJ=2m{m  -{- 1)  Ca^dx  +  ß(o'^  +  (2  w  +  l)co'Ydx . 


§  19.     Hinreichende  Bedingungen  für  ein  starkes  Extremum.  123 

Für  die  Extremale  y  =  0  ist  dies  zwar  stets  positiv,  wenn  ^  ^=  0 ;  aber  wie 
klein  wir  auch  Je  wählen  mögen,  so  können  wir  doch  stets  in  <^^,  Punkte  finden, 

für  welche  bei  passendem  p,  %  <^0.    Wir  brauchen  nur  p  =       zu  wählen  und  x 

'  HC 

hinreichend  klein  zu  nehmen. 

b)  Hinreicliende  Bedingungen,  ausgedrückt  mittels  der  Punk- 
tion/;,/. 

Bei  Anwendungen  sind  die  liinrei eilenden  Bedingungen,  die  sich 
auf  diese  Weise  unmittelbar  aus  dem  Weierstraß'schen  Fundamental- 
satz ergeben,  im  allgemeinen  ziemlich  umständlich.  In  vielen  Fällen 
reicht  man  jedoch  mit  einer  einfacheren,  allerdings  weniger  allgemeinen 
Bedingung  aus,  die  wir  in  folgendem  Satz  formulieren: 

Fundamentalsatz  V:  Wenn  die  Extremale^)  (Sq  den  zu  P^ 
konjugierten  Punkt  P^  nicht  enthält: 

x,<x^  (iir) 

und  überdies  die  Bedingung 

fyy.(x,  y,p)>0  (II,') 

in  jedem  Punkt  (x,  y)  einer  gewissen  Nachbarschaft  (q)  von  @q  für 
jeden  endlichen  Wert  von  p  erfüllt  ist,  so  liefert  @q  ein  starkes,  eigent- 
liches Minimum  für  das  Integral 


•^2 

J=ff(^,  y,  y)dx. 


Denn  nach  dem  Satz  über  gleichmäßige  Stetigkeit^)  können  wir 
stets  k  so  klein  wählen,  daß  das  Feld  ol^,  mit  dem  wir  alsdann  den  Bogen 
@o  umgeben  können,^)  ganz  in  der  Nachbarschaft  (^)  von  @o  ent- 
halten ist.  Dann  folgt  aber  aus  der  Voraussetzung  (IIb')  auf  Grund 
der  Relation  (28)  zwischen  der  8-Funktion  und  der  Funktion  f ,  ,, 
daß  die  Bedingung  (IVb')  im  Bereich  c^  erfüllt  ist,  woraus  dann  nach 
a)  die  Existenz  des  Minimums  folgt. 

Ein  Problem,  für  welches 

fy'y'{^,yrP)^^  (35) 

in  jedem  Punkt   (rr,  y)    des    Bereiches   öl  für  jeden    endlichen   Wert 
von  p,    wird    nach    Hilbert   ein   reguläres   Problem    genannt.^)     Bei 

1)  Vgl.  p.  88,  Fußnote  ^).  ^)  Vgl.  A  III  3. 

^)  Man  vergleiche   die  Bemerkungen  im  Eingang   dieses   Paragraphen  und 
beachte,  daß  (II')  in  (IIb')  enthalten  ist. 
^)  Vgl.  dazu  §  24,  c). 


124  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

einem  regulären  Problem  braucht  man  sich  daher  nur  zu  überzeugen^ 
daß  der  Extremalenbogen  P^P2  den  zu  P^  konjugierten  Punkt  nicht 
enthält,  um  sicher  zu  sein,  daß  ein   starkes  Extremum  stattfindet. 

Beispiel  XIII'):  

f=G{x,y)yi  +  y''^\ 

wo  G{x,y)  eine  Funktion  von  x  und  y  ist,  welche  in  einem  gewissen  Bereich 
51  von  der  Klasse  C"  ist. 


Hier  ist 


Daher  liefert  jede  Extremale  ©^  ?  welche  ganz  im  Innern  von  01  liegt,  und  welche 
den  zu  P^  konjugierten  Punkt  nicht  enthält,  ein  starkes  Minimum,  vorausgesetzt 
daß  G{x,y)^0  entlang  Sq.  Denn  da  G{x,y)  in  einer  gewissen  Umgebung 
von  ©,)  stetig  ist  und  positiv  entlang  ©„,  so  ist  G{x,y)  nach  §  21,  b)  auch  noch 
positiv  in  einer  gewissen  Nachbarschaft  (q)  von  6^,  und  daher  ist  (H'b)  erfüllt. 
Für  G(x,y)=^y  folgt  hieraus  für  Beispiel  I  (siehe  pp.  1,  33,  72,  79), 
daß  der  Bogen  P^  P^  der  Kettenlinie 

y  =  a,Ch      ^-^ 

ein  starkes  Minimum  für  das  Integral 

J=fyViWdx 
^1 
liefert,  falls  er  den  zu  P^  konjugierten  Punkt  P/  nicht  enthält.-) 

Aus  dem  Beweis  des  letzten  Satzes  geht  hervor,  daß  man  dem 
Satz  auch  folgende,  nach  §  16,  d)  damit  äquivalente  Form  geben  kann: 

Wenn  der  Extremalenbogen  (Sq  mit  einem  Feld  umgehen  werden 
kann,  und  wenn  überdies  die  Bedingung  (IIb')  erfüllt  ist,  so  liefert  ©^ 
ein  starlies  Minimum. 

Häufig  ist  die  Existenz  eines  speziellen  Feldes  um  den  Bogen  @o 
geometrisch  evident,  während  die  Bestimmung  des  konjugierten 
Punktes  umständlicher  ist.  In  solchen  Fällen  ist  die  zweite  Form 
des  Satzes  vorzuziehen. 

Beispiel  VII  (Siehe  pp.  33,  99):    Das  Integral 


J       y 


1)  Wegen  mechanischer  und  optischer  Deutungen  dieses  Problems  vgl.  die 
Übungsaufgaben  Nr.  9  und  17  zu  Kap.  V. 

2;  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  2—12,    33—38    am    Ende    von  Kap.  III. 


§  19.     Hinreichende  Bedingungen  für  ein  starkes  Extremum.  125 

zu  einem  Minimum  zu  machen.     Dabei  war  der  Bereich  0i  die  obere  Halbebene: 

y>o. 

Die  Extremalen  waren  Halbkreise,  welche  ihre  Mittelpunkte  auf  der  o^-Achse 
haben.     Bezeichnet 

den  speziellen  Halbkreis,  welcher  durch  die  beiden  Punkte  I\,  P^  geht,  so  bildet 
die  Schar  der  damit  konzentrischen  Halbkreise 

y^ya'-  —  lx  —  aQy^  =  cp{x,a) 

ein  Feld  um  den  Bogen  ©^ .  Überdies  ist  (IIb')  in  der  ganzen  oberen  Halbebene 
erfüllt,  da 

Der  Halbkreis  ^^  liefert  also  wirklich  ein  starkes,  eigentliches  Minimum  für  das 
Integral  J",  und  zwar  ist  das  Minimum  ein  absolutes,  da  das  Feld  die  ganze 
obere  Halbebene  ausfüllt,  also  mit  dem  Bereich  di  identisch  ist. 

Anmerkung:   Es   muß   ausdrücklich  hervorgehoben  werden,  daß 
es  nicJit  hinreichend  ist,  daß  die  Ungleichung 

entlang  der  Extremalen  @o  erfüllt  ist,  oder  anders  geschrieben,  daß 

fy>y>(X,y{X)rP)>0  (IV) 

für  x^^x'^x^  und  für  jedes  endliche  p. 

Dies  zeigt  unser  Beispiel  XI  (Siehe  p.  116): 

f=  ay'^  —  4:hyy'^  -\-  2bxy"^. 

Denn  hier  ist  entlang  der  Extremalen 

®o:         y  =  0,  O^aj^l, 

f,fy'{x,y(x),p)  =  2a-j-2  4:bxp^^0 

für  0  <  0?  <  1  und  für  jedes  endliche  p  .  Trotzdem  findet  kein  starkes  Minimum 
statt,  wie  Avir  in  §  18,  c)  gesehen  haben. 

Andererseits    ist    die    Bedingung    (IIb')    nicht   notwendig   für    ein 
starkes  Minimum,  ja  sogar  nicht  einmal  die  viel  schwächere  Bedingung: 

fy'y'{^,    yiX),p)^0  (II,) 

für  x^^x^x^  und  für  jedes  endliche  p. 
Dies  zeigt  Beispiel  X  (Siehe  p.  122): 

f=y'\i  +  yr. 


126  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 
Hier  ist 

diese  Funktion  7on  p  kann  sowohl  negative  als  positive  Werte  annehmen,  und 
trotzdem  findet,  wie  wir  unter  a)  gesehen  haben,  ein  starkes  Minimum  statt, 
wenn  w  <  —  1  oder  m  >  0  . 

c)  Hinreicliende  Bedingungen  für  ein  Extremum  bei  Gefällbe- 
scbränkungen^): 

Bei  unserer  Definition  des  Minimums  (§  3,  h))  konnte  das  Gefälle  der  zu- 
lässigen Kurven  irgend  welche  endlichen  Werte  annehmen.  Man  kann  aber 
die  Definition  auch  in  der  Weise  modifizieren,  daß  man  dem  Gefälle  gewisse 
Beschränkungen  auferlegt.  Auch  für  solche  Fälle  lassen  sich  aus  dem  Weier- 
straß'schen  Fundamentalsatz  hinreichende  Bedingungen  ableiten. 

Hierher  gehört  vor  allem  der  folgende,  von  Lindeberg  ^)  herrührende  Satz, 
für  dessen  Beweis  wir  auf  die  Arbeit  von  Lindeberg  verweisen: 

Sind  im  die  Extremale  %   die  Bedingungen  (U')  und  (HI')  erfiim,  und  ist 

%{xj{x)',  y{x),p)>0  (36) 

in  dem  Bereich  _, 

x,^x<x,,  0<\p-y'{x)\<r  (37) 

ivo  r   eine  helieUge  endliche  positive  Größe  ist,  so  läßt  sich  eine  positive  Größe  r 

bestimmen,  derart,  daß 

A  J>0 

für  alle  zulässigen  Variationen  I  des  Bogens  ©o,  ßr  icelche 

1 2,(^)  _  ^(cc)  |<r,  1  y\x)  -  §'{x)  !</.  (38) 

Zusatz  I:  Ans  dem  obigen  Satz  folgt  unmittelbar  der  schon  früher 
(§  15,  b))  bewiesene  Satz,  daß  die  Bedingungen  (I),  (H'),  (Iff)  für  ein  schwaches 
Minimum  hinreichend  sind.  .         , 

Denn  zunächst  folgt  aus  (IV),  nach  §  21,  b)  daß  sich  eine  positive  Große  r 

bestimmen  läßt,  derart,  daß 

fy'y'{xJiX),p)>0 

im  Bereich  =    .    , 

x,^x<x,,  \p-y'ix)\<rv' 

und  nunmehr  ergibt  sich  aus  (28),   daß   für  eben  diesen   Wert  /   die  Voraus- 
setzungen des  Lindeberg'schen  Satzes  erfüllt  sind.  ,    ^      ^,     .  m' 
Latz  II:  Ist  G  eine  beliebige  positive  Größe,  größer  als  das  Maximum^ 
von  \§\x)\,  und  werden  alle  zulässigen  Kurcen  der  Bedingung  unterworfen,  daß 

X)  Vgl.  hierzu  auch  Beispiel   VIII   1^  3^-  ^^^  g^tz   sagt 

2)  Mathematische   Annalen,    Bd.  LIÄ   (iyU4)     p.  öö*.  ^ 

wesentlich  mehr  aus,  als  daß  der  Bogen  6.  ein  schwaches  M.mmum  hert^  da 
Hauptgewicht  liegt  darauf,   daß    die   obere   Grenze  /ur   |  y  {x)-y(.x)  |   m  (38) 
identisch  ist  mit  der  in  (37)  vorkommenden  Größe  r  . 


§  19.     Hinreichende  Bedingungen  für  ein  starkes  Extremum.  127 

ihr  Gefälle  dem  absoluten  Wert  nach  ^  G  sein  soll,  so  sind  die  Bedingungen  (I), 
(II'),  (IIF),  (IV)  für  ein  starkes  Minimum  hinreichend. 

Zum  Beweis  braucht  man  nur  den  obigen  Satz  mit  r  =  G  -\-  M'  anzuwenden. 

d)  Tabelle  der  notwendigen  nnd  der  Mnreiclienden  Bedingungen: 

Zur  bessern  Übersicht  stellen  wir  die  A^erschiedenen  Bedingungen^ 
welche  bei  der  Aufgabe,  das  Integral 

J=ff{x,y,y')dx 

bei  festen  Endpunkten  zu  einem  Minimum  zu  machen  (§  3,  b)),  vor- 
gekommen sind^  tabellarisch  zusammen: 

{Euler's  Differentialgleichung,  p.  24:  Eigenschaften  ihres  allgemeinen 
Integrals,  p.  72). 
Die  Kurve 

ist  eine  Extremale  der  Klasse  C' ,  welche  die  beiden  gegebenen 
Punkte  Pj  und  Pg  verbindet,  und  ganz  im  Innern  des  Bereiches  Öl 
liegt  (p.  54). 

2.  fy'yi^y  ^(^)'  y^^))  5  0     in     \x^x^~\  (11) 

{Legendre's  Bedingung^  p.  57). 

fy'y'{^yy^^)^P)^^  (IIa) 

in  \_x^X2\  für  jedes  endliche  p  (p.  115).  , 

f,',Ä«=,y,p)^o  (11.) 

für  jedes  {x,  y)  in  einer  gewissen  Nachbarschaft  von  (Sq  und  für 
jedes  endliche  p  (p.  123). 

3.  x.'^x;  (III) 

wo  x^  der  zu  x^  konjugierte  Wert  ist  (Jacob i's  Bedingung,  p.  87 
und  p.  70,  Fußnote  i). 

4.  Hx,y{x)',y'{x),p)^0  (IV) 

in  [;2;i  iijg]  für  jedes  endliche  p=^y(x).  (Weierstraß'  Bedingung^ 
p.  113). 

%{x,y;  p{x,y),p)^Q  (IVt) 


128  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  y.  Aufgaben. 

für   jedes  (x,  y)    in    einer    gewissen    Nachbarschaft    von    ^^   und   für 
jedes  p  =h  p(x,  y)  (p.  120). 

5.  Bedingung  (V),  p.  118. 

Die  Unterdrückung  des  Gleichheitszeichens  in  (II)  his  (IVb)  wird 
durch  einen  Apostroph  angedeutet.  Die  Bedirtgungcn  (I),  (11)^  (III) 
sind  noticendig,  die  Bedingungen  (I),  (11'),  (III')  sind  hinreichend  für 
ein  schivaches  Minimum. 

Die  Bedingungen  (l),  (II),  (III),  (IV),  (V;  sind  notwendig,  die  Be- 
dingungen (I),  (II'),  (Iir),  (IVb')  und  ebenso  die  Bedingungen  (I),  (11^0; 
(Iir)  sind  hinreichend  für  ein  sfarJies  Minimum. 

Die  Bedingung  (III')  läßt  sich  hierbei  durch  die  Bedingung,  daß 
©0  sich  mit  einem  Feld  von  Extremalen  umgeben  läßt  ersetzen 
(pp.  105,  124). 


§  20.     Zusammenhang  des  Unabhängigkeitssatzes  mit  der 
Hamilton-Jaeobi'schen  Theorie   und    der  Transversalentheorie.^) 

Wir  schließen  hier  noch  einige  weitere  Folgerungen  aus  dem 
Unabhängigkeitssatz  an,  die  zwar  für  die  Aufstellung  hinreichender 
Bedingungen  für  ein  Extremum  des  Integrals  J  bei  festen  End- 
punkten nicht  erforderlich  sind,  die  aber  vom  Standpunkte  der  Theorie 
der  Differentialgleichungen  von  größtem  Interesse  sind.  Dem  mehr 
formalen  Charakter  der  Untersuchung  entsprechend  verzichten  wir 
jedoch  darauf,  an  dieser  Stelle  eine  strenge  Detailbegründung  der 
Schlüsse  zu  geben,  indem  wir  in  dieser  Beziehung  auf  die  ausführ- 
liche Behandlung  der  Transversalentheorie  in  Parameterdarstellung 
in,  Kap.  VII  und  auf  Kap.  XII  verweisen. 

a)  Die  Funktion   W(x,y)   und   die  Transversalen   des  Feldes^): 

Wir  kehren  zu  den  Voraussetzungen  und  Bezeiphnungen  von  §  17 
zurück  und  denken  uns  in  dem  Hilbert'schen  invarianten  Integral 
J*{PqF)  den  Punkt  -PqC^o?  2/o)  festgehalten;  den  Punkt  P{x,  y)  da- 
gegen betrachten  wir  als  frei  variabel  im  Feld  cf.  Für  jeden  Punkt 
des  Feldes  ist  dann  nach  dem  Unabhängigkeitssatz  der  Wert  des 
Integrals  J*  (BqP)   vom  Integrationsweg    ^  unabhängig,   und   durch 


^)  Dieser  Paragraph  schließt  sich  unmittelbar  an  die  Entwicklungen  von 
^  17,  a)  an. 

*)  Vgl.  Zermelo  und  Hahn,  Encyklopädie  II  A,  p.  628  und  Hilbert,  Zur 
Variationsrechnung,  Göttinger  Nachrichten,  1905,  2.  Heft. 


20.     Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie. 


129 


(41) 


Angabe    des    Punktes  P   eindeutig    bestimmt;    er    ist    also    eine   ein- 
deutige Funktion  von  x,  «/,  die  wir  mit   W(Xj  y)  bezeichnen: 

W{x,y)^J\P,P).  (39) 

Nach  bekannten  Sätzen  über  Linienintegrale  folgt  dann,  daß  das 
Hilbert'sche  Integral  J*j  genommen  zwischen  irgend  zwei  Punkten 
Pg,  P^  des  Feldes  entlang  irgend  einer  ganz  im  Felde  gelegenen 
Kurve,  sich  durch  die  Funktion  W{Xy  y)  ausdrücken  läßt,  nämlich 

JL  -  =^04  -  Jl.  =  W{x„  y,)  -  W{x„  2/3) .  (40) 

Ferner  folgt  ^)  aus  der  Definition  von   W,  daß 

~dx'  =  f^^^  y^  ^)  -pfyi^y  y>  p) 

-fy-  =  fy'i^,   y,  P) 

wo  p  wieder  die  Gefällfunktion  p(x,  y)  des  Feldes  oT  bedeutet. 
Wir  betrachten  jetzt  die  Kurvenschar 

W(x,  y)  =  konst.  (42) 

Da  die  Funktion   W  im  Feld  eindeutig  definiert  ist,   so   geht  durch 
jeden  Punkt  des  Feldes  eine  und  nur  eine  Kurve  dieser  Schar. 

Es  sei 

W(x,  y)  =  c 

irgend  eine  Kurve  der  Schar  (42). 

Sie  möge  mit  %^  bezeichnet  werden,  und  sei  darstellbar^)  in  der 
Form 

%'        y-y{^)y 

so  daß  also 

W{x,  y{x))  =  c.  (43) 

Die     durch    einen    beliebigen    Punkt 

P(^,  y)  der  Kurve  %^  gehende  Feld-  <_ 

extremale  (S  sei  i^ig.  23. 

@:  y=.y{x). 

Dann  ist  im  Schnittpunkt  P  der  beiden  Kurven 


1)  Vgl.  z.  B.  PicARD,  Traue,  Bd.  I,  p.  93. 

^)  Hier  wäre  bei  einer  strengen  Begründung  zu  untersuchen,  unter  welchen 
Bedingungen  dies  der  Fall  ist.  Es  zeigt  sich,  daß  man  für  das  Folgende  voraus- 
setzen muß,  daß 

für  jede  Extremale  des  Feldes. 

Bolza,  Variationsrechnung.  9 


130  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  t.  Aufgaben. 

y(x)  =  y{x) 
und  ferner  nach  der  Definition  der  Gefällfunktion 

Differentiieren  wir  jetzt  die  Identität  (43)  nach   x  und   machen   von 
den  Gleichungen  (41)  Gebrauch,  so  erhalten  wir 

fi^y  y,  p)  -pfy'{^,  y>  p)  +  yf.A^^  y,p)  =  ^-^ 

wegen  (44)  können  wir  dies  auch  schreiben 

/'(^;  y,  y)  +  0}'  -  y)  fA^,  y,  2/')  =  o .  (45) 

Hierin   sind   x,  y   die   Koordinaten   des  Schnittpunktes  P,   y'   ist  das 
Gefälle     der     Feldextremale    (S,     y     dasjenige    der    Kurve   X,.       Die 
Gleichung  (45)  ist  aber  nichts   anderes   als   die  schon  ir        7,b)  ein- 
geführte Transversalitätsbedingung.     Wir  haben  also  das  Resultat: 
Jede  Kurve  der  Schar 

W{x,  y)  =  konst.  (42) 

schneidet  sämtliche  Extremalen  des  Feldes  transversal. 

Aus  diesem  Grunde  heißen  die  Kurven  der  Schar  (42)  die  „Trans- 
versalen des  Feldes". 

Dem    Zusatz    von    §  17,  a)    stellt    sich    nunmehr    der    folgende 

Satz  an  die  Seite: 

Das  Hilherfsche  invariante  Integral  J\  genommen  zwischen  irgend 
mei  Punlden  F^,  F^  derselben  Transversalen,  ist  gleich  Null. 

Denn  nach  (40)  ist 

Jl,  =  W{x,,y,)-W{x,,y,) 

und  dies  ist  gleich  Null,  wenn  F,  und  P,  auf  derselben  Transversalen  liegen. 
Hieraus  ergibt  sich  eine  neue  Definition  der  Funktion  W{x,  y). 
Ziehen  wir  nämlich  die  Transversale  %^  durch  , den  Punkt  Po,  und 
schneidet  die  Feldextremale  ^  durch  den  Punkt  F{x,y)  die 
Transversale  %,  im  Punkt  Q,  so  wählen  wir  bei  der  Berechnung  der 
Funktion  W{x,y)  die  aus  dem  Transversalenbogen  F^Q  und  dem 
Extremalenbogen  QF  zusammengesetzte  Kurve  F^QF  als  Integrations- 
weg für  das  Hilbert'sche  Integral  J*.  Dann  ist 
W{x,y)^J\F,Q)^r{QF), 
und    dies    ist    nach    dem    Zusatz   von  §  17,  a)  und  nach  dem  soeben 

bewiesenen  Satz  gleich  /on  \ 

W{x,y)  =  JJQT).  (39a) 


§  20.     Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie. 


131 


Die  Funktion  W(x,  y)  kann  also  auch  definiert  werden  als  der  Wert 
des  „Grundintegrals  J"  genommen  entlang  der  durch  den  Punkt  P 
gehenden  Feldextremalen  @  vom  SchnittpunM  von  @  mit  der  Trans- 
versalen %Q  his  zum  Punkt  P.  Hiermit  ist  gezeigt,  daß  die  Funktion 
W(x,  y)  mit  dem  „FeldintegraP'  identisch  ist,  welches  in  den  Theorien 
von  Weieestrass  und  Kneser  eine  so  hervorragende  RoUe  spielt 
(siehe  unten  §  33). 

Es  seien  jetzt  ferner  %^,  und  %^„  zwei  Transversalen  des  Feldes, 
©'  und  ©"  zwei  sie  verbindende  Extremalen  des  Feldes  (siehe  Fig.  25). 


p'L 


Fig.  24. 


@' 


i 
i 

2:c- 


Fig.  25. 


P" 


2c- 


Dann  ist  nach  dem  Unabhängigkeitssatz  das  Integral  J*  genommen 
entlang  der  geschlossenen  Kurve  P'Q'Q"P"P'  gleich  Null.  Nun  ist 
aber  nach  dem  eben  bewiesenen  Satz 

r{^p'Q')=.o,      j\Q"p")  =  o 

und  nach  dem  Zusatz  von  §  17,  a) 

J\Q'Q")  =  J^.{Q'Q"),    J\F'F)  =  -  J\PP")  =  -  J^.iPF'). 

Also  folgt 

J^.iFF')  =  J^..iQ'Q").  (46) 

Wir  erhalten  also  den  Kneser  sehen  Transversalensatz'^)'. 

Irgend  zwei  Transversalen  des  Feldes  schneiden  auf  den  ver- 
schiedenen Extremalen  des  Feldes  Bogen  aus,  welche  für  das  Integral  J 
denselben   Wert  liefern. 


-Bee5p«eZFiJ(siehepp.33,  99):/"  = 


Es    sollen    zu    dem    aus    der 


Schar  konzentrischer  Halbkreise  um  den  Punkt  (0,0)  gebildeten  Feld  (vgl.  p.  99) 
die  Transversalen  bestimmt  werden.  Die  Transversalitätsbedingung  (45)  reduziert 
sich  auf 

^-\-y'y 


yV^  +  y"" 


0 


Vgl.  Kneser,  Lehrbuch^  §  15,  und  unten  §  40. 


I 


132  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

„transversal"  ist  also  hier  mit  „orthogonal"  identisch  und  daher  müssen  die 
Transversalen  mit  dem  Geradenbüschel  durch  den  Punkt  (0 , 0)  identisch  sein. 
Wir  wollen  dies  auch  analytisch  verifizieren.    Nach  p.  99  ist 

X 

P(^,2/)==  — —  • 
Die  Grleichungen  (41)  werden  daher 

dW  1  dW  X 


dx        Vx'-f^       ^y  yVx'^y^^ 

woraus  man  durch  Integration  ^)  erhält 

Die  Transversalen  sind  also 


X 


d.  h.  die  Geraden  durch  den  Punkt  (0,0)*). 

b)  Die  Hamilton'sclie  partielle  Differentialgleicliuiig: 

Wie  schon  Beltrami  (loc.  cit.)  bemerkt  hat,  ergibt  sich  durch 
Elimination  von  p  aus  den  beiden  Gleichungen  (41)  eine  partielle 
Differentialgleichung  erster  Ordnung  für  die  Funldion  W: 

,f  dw     dw\       ^  ..7^ 

Aus  der  Ableitung  derselben  geht  hervor,  daß  die  Funktion  O  nur  von  f 
nicht  aber  von  der  Wahl  des  Feldes  of  abhängig  ist,  während  die 
Funktion  W(x,  y)  auch  von  cT  abhängt. 

Beispiel  XIII  (Siehe  p.  124):  f=  G{x,y)yi^y'^\ 
Hier  lauten  die  Gleichungen  (41) 

dW       G{x,y)         dW      pG{x,y) 


dx     yTTF'     ^y     |/r+^^ 

Die  partielle  Differentialgleichung  für  W  lautet  also     . 

Aus    dem    eben    bewiesenen  Satz  folgt,  daß  nicht  jede  beliebige 
Kurvenschar  < 

F(x,  y)  =  c 

1)  Vgl.  z.   B.  PicARD,  Traite,  Bd.  I,  p.  94. 

*)  Hierzu  die   Übungsaufgaben,  Nr.  24,  25,  26  am  Ende  von  Kap.  HI. 


§  20.     Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie.  133 

Transversalenschar  für  ein  gegebenes  Variationsproblem  sein  kann, 
sondern  nur  diejenigen,  für  welche  die  Funktion  F  der  partiellen 
Differentialgleichung 

^(-'^'S'lf)  =  0  (47a) 

genügt. 

Ist  umgekehrt  Fix,  y)  irgend  eine  Funktion,  welche  der  partiellen 
Differentialgleichung  (47  a)  genügt,  so  gibt  es  stets  eine  einparametrige 
Extremalenschar ,  welcher  die  gegebene  Schar  F(x,  y)  =  c  als  Trans- 
versalenschar zugehört. 

Denn  die  partielle  Differentialgleichung  (47  a)  ist  die  notwendige 
und  •  hinreichende  Bedingung  dafür,  daß  es  eine  Funktion  p=p{x,y) 
gibt,  welche  gleichzeitig  die  beiden  Gleichungen 

j^-f{^,y,P)-pfy'{oc,y,p),     j^  =  fy,(x,y,p)        (41a) 

befriedigt.  Diese  Funktion  p(x,y)  genügt  dann  der  partiellen 
Differentialgleichung  (19),  wie  man  sofort  sieht,  wenn  man  die  erste 
der  Gleichungen  (41a)  nach  y,  die  zweite  nach  x  differentiiert  und 
die  rechten  Seiten  der  so  erhaltenen  Gleichungen  einander  gleichsetzt, 
was  gestattet  ist,  da  bei  geeigneten  Stetigkeitsannahmen  F^^  =  F^^. 
Nunmehr  bilden  wir  mit  dieser  Funktion  ^(:r,  2/)  die  Differential- 
gleichung erster  Ordnung 

%-pi^,y)-  (48) 

Es  bezeichne 

y  =  (p{x,a)  (49) 

das  allgemeine  Integral  derselben,  so  daß  also 

für  jedes  a.     Durch  Differentiation  nach  x  folgt  hieraus 

^xx  =Px^Py^x  =  Px-^  PyP  '  (^1) 

Ersetzt  man  jetzt  in  der  partiellen  Differentialgleichung  (19)  die 
Variable  y  durch  (p(x,  a)  und  macht  von  (50)  und  (51)  Gebrauch, 
so  erhält  man  die  Gleichung  (18),  welche  aussagt,  daß  die  Schar  (49) 
eine  Extremalenschar  für  das  durch  die  Funktion  f(x,  y,  y')  charak- 
terisierte Variationsproblem  ist. 

Diese  Schar  wird  dann,  wejm  x  und  a  auf  einen  geeigneten  Be- 
reich beschränkt  werden,  ein  Feld  bilden,  und  für  dieses  Feld  ist 
nach  (50)  die  Funktion  p{x,y)  Gefällfunktion  und  die  gegebene 
Schar  F(x,y)  =  c  nach  (41a)  die  Transversalenschar.  — 


1 34  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

Die  Elimination  von  p  aus  den  beiden  Gleichungen  (41)  wird 
man  naturgemäß  in  der  Weise  ausführen,  daß  man  zunächst  die 
zweite  Gleichung  nach  p  auflöst  und  den  gefundenen  Wert  in  die 
erste  Gleichung  einsetzt. 

Bezeichnet  daher  allgemein 

p  =  p(x,y,v) 
die  durch  Auflösung  der  Gleichung 

fy'(^yy,P)=V  (52) 

nach  p  erhaltene  Funktion^  so  daß  also  identisch 

f^,(x,y,p)^v,  (53) 

so  folgt  aus  (4I2): 

P(.oo,y)  =  p(x,y,  j^y  (54) 

und  man  erhält  somit  als  Resultat  der  Elimination  die  partielle 
Differentialgleichung 

dW       ^/  ^1  dW\\        dW^(  dW\  ..„   s 

oder  wenn  man  nach  der  in  der  Hamilton'schen  Theorie  üblichen 
Bezeichnungsweise  die  Funktion 

H{x,  y,  v)  =  v\^{x,  y,  v)  —  f(x,  y,  p(^,  y,  v))  (55) 

einführt: 

l?  +  ^(^^^.|?)  =  0.  (56) 

Hiermit  hängt  unmittelbar  die  Bedu/dmt  der  Eul  er' sehen 
Differentialgleichung  auf  ein  sogenanntes  Junonisches  System'^  ^)  zu- 
sammen. Aus  der  Definition  der  Funktion  H  folgt  unter  Benutzung 
der  Identität  (53) 

j^  =  -f,{x,y,p),       ^  =  p. 

Man  ersetze  jetzt  die  Euler'sche  Differentialgleichung  durch  das  da- 
mit äquivalente  System  von  zwei  Differentialgleichungen  erster  Ordnung 
mit  den  beiden  unbekannten  Funktionen  y,  y- 

1^  =  /,    fy(=o, y, y)  - -l^fyi^, y, y')-o, 


')  Vgl.  z.  B.  Joedan,  Cours  d'Änalyse,  Bd.  IH,  Nr.  256—260,  375. 


§  20.     Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie.  135 

und  führe  dann  statt  /  eiüe  neue  unbekannte  Funktion  v  ein  mittels 
der  Gleichung 

woraus  durch  Auflösen  folgt 

so  erhält  man  für  die  beiden  Funktionen  y^  v  das  System  von 
Differentialgleichungen 

dy  _  dJI        dv dH  ,^-\ 

dx        dv  ^      dx  dy  ^  ^     ^ 

das  in  der  Tat  in  der  kanonischen  Form  ist.  Die  Beltr  am  lösche 
partielle  Differentialgleichung  für  die  Funktion  W,  in  der  Form  (56) 
geschrieben,  ist  also  mit  der  zu  dem  kanonischen  System  (57)  ge- 
hörigen Hatnilton' sehen  partiellen  Differentialgleichung  identisch. 

c)  Ableitung  des  allgemeinen  Integrals  der  Hamilton'schen 
partiellen  Differentialgleichung  aus  einem  ersten  Integral  der 
Euler'schen  Differentialgleichung: 

Nach  der  Hamilton-Jacobi'schen  Theorie^)  folgt  aus  dem  letzten 
Resultat,  daß  die  Integration  der  partiellen  Differentialgleichung  (47) 
und  die  Integration  der  Euler'schen  Differentialgleichung  äquivalente 
Probleme  sind.  Wir  wollen  dieses  wichtige  Resultat  nach  Beltrami^) 
und  HiLBEKT^)  direkt  aus  dem  Unabhängigkeitssatz,  ohne  Zuhilfe- 
nahme der  Hamilton-Jacobi'schen  Theorie,  beweisen. 

Wir  nehmen  zunächst  an,  das  allgemeine  Integral  der  Euler'schen 
Differentialgleichung  sei  gefunden: 

y  =  g{x,a,ß), 

und  betrachten  nun  die  einparametrige  Extremalenschar,  die  man  er- 
hält, wenn  man  ß  einen  festen  Wert  beilegt  und  nur  den  Parameter 
a  variiert.  Bei  geeigneter  Beschränkung  von  x  und  a  wird  diese 
Schar  ein  Feld  bilden.  Zu  diesem  Feld  gehört  dann  eine  bestimmte 
Gefällfunktion  p{Xy  y)  und  eine  bestimmte  Funktion  W{x,  y)-^  beide 
werden  von    der    Konstanten  ß  abhängen,    und   die  Gleichungen  (41) 

^)  Vgl.  Encyclopädie,  IIA,  p,  343  (E.  v.  Weber),  und  die  dort  gegebenen 
Literaturnachweise  auf  Hamilton  und  Jacobi. 

2)  Loc.  cit.  p.  368. 

^)  ,^Zur  Variationsrechnung" ,  Gröttinger  Nachrichten,  1905,  und 
Mathematische  Annalen,  Bd.  62,  p.  356. 


136  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

erscheinen  daher  jetzt  als  Identitäten  in  x,  ij,  ß  und  können  nach  ß 
diflPerentiiert  werden.     Man  erhält  so: 

Aus  der  Definition  der  Gefällfunktion  berechnet  man  leicht 

r^ß  9u 

Daraus  folgt  aber,   daß  ^    nicht    identisch    verschwinden    kann,    da 

g(x,a,ß)  das  allgemeine  Integral^)  der  Euler'schen  Differential- 
gleichung sein  sollte.  Da  überdies  auch  fy'y'(x,  y,  2-))  nicht  identisch 
verschwinden  kann,  wenn  wir  singulare  Vorkommnisse  beiseite  lassen, 
so  ist 

Hieraus  folgt  aber,  daß  die  Funktion  W(Xy  y]  ß)  die  Konstante  ß 
nicht  additiv  enthalten  kann,  d.  h.  nicht  von  der  Form 

sein  kann.  Die  Funktion  W(x,  y]  ß)  +  y  ist  also  in  der  Terminologie 
von  Lagrange  ein  ,,vollständi(/es'^  Integral^)  der  partiellen  Differential- 
gleichung (47).  Hieraus  ergibt  sich  dann  nach  der  Theorie  der 
partiellen  Differentialgleichungen  erster  Ordnung^)  auf  folgende  Weise 
das  j^allgemeine^'  Integral  der  partiellen  Differentialgleichung  (47 j:  Ist 
A(/3)  eine  willkürliche  Funktion  von  ß,  so  ist  auch 

w{x,  r,  ß)  +  m  (59) 

ein  Integral  von  (47).  Bestimmt  man  jetzt  ß  als  Funktion  von  x^  y 
aus  der  Gleichung 

w^,(x,r,ß)  +  x'iß)  =  o,  (60) 

und  setzt  den  gefundenen  Wert 

ß  =  h{x,y) 

in  den  Ausdruck  (59)  ein,  so  erhält  man  eine  Funktion  von  x  und  y^ 
welche  ebenfalls  der  partiellen  Differentialgleichung  (47)  genügt.  Die 
so  erhaltene  Lösung  wird  dann  nach  Lagkange  die  allgemeine  Lösung 


^)  Vgl.  §  12,  b),  Gleichung  (26). 

2)  Vgl.  z.  B.  GouRSAT,   Legons   sur   VinUgration   des   cquations  mix  derivees 
partielles  du  premier  ordre  (Paris  1891),  p.  87. 


§  20.     Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie.  137 

von  (47)  genannt^  weil  sie  von  der  willkürlichen  Funktion  X  ab- 
hängt. 

Zur  Herleitung  der  Funktion  Wipc,  i/;  |3)  ist  es  übrigens  nicht 
einmal  nötig,  das  allgemeine  Integral  der  Euler'schen  Differential- 
gleichung zu  kennen;  es  genügt,  wenn  ein  erstes  IntegraP) 

n{x,  y,  y')  =  ^  (61) 

bekannt  ist.     Die  Auflösung  von  (61)  nach  y    möge  ergeben 

y'=p{x,y;^).  (62) 

Bei  festgehaltenem  /3  ist  dann  pix^y^ß)  die  Gefällfunktion  für  die- 
jenige Extremalenschar,  die  man  durch  Integration  der  Differential- 
gleichung erster  Ordnung  (62)  erhält.  Um  die  Funktion  W{x,  «/;  ß) 
zu  erhalten,  braucht  man  aber  diese  Integration  gar  nicht  auszuführen, 
da  man  dazu  nur  die  Funktion  p(x,y]  ß)  nötig  hat,  und  zwar  erhält 
man  nach  dem  Unabhängigkeitssatz  die  Funktion  W{Xy  y\  ß)  durch 
Ausführung  von  zwei  Quadraturen.^) 

Beispiel:  f=G  {y) }/!  -f-  y'~^^  . 

Da  die  Funktion  f  die  Variable  x  nicht  explizite  enthält,  so  läßt  sich  nach 
§  6,  a)  sofort  ein  erstes  Integral  der  Euler'schen  Differentialgleichung  angeben, 
nämlich 

Daraus  ergibt  sich 


und  hieraus; 


A^,  y.  P)-Pfy'{^.  y.P)-ß.         fy'ix,  y,  p)  =|/^%)  -  §'' . 

Also  ist 

y 


Dies    ist   in    der    Tat    ein    vollständiges    Integral    der    zum   Problem    gehörigen 
Hamilton'schen  partiellen  Differentialgleichung 


0+ (©■=»■*) 


^)  Vgl.  Encyclopädie  11  A,  p.  196  (Painleve). 

^)  Vgl.   z.   B.   Serret,    Differential-    und   Integralrechnung,    Bd.  II,    p.  305. 


1 38  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

d)  Ableitung  des  allgemeinen  Integrals  der  Euler'schen  Diffe- 
rentialgleicliung  aus  einem  vollständigen  Integral  der  Hamilton'schen 
partiellen  Differentialgleicliung : 

Hat  man  umgekehrt  auf  irgend  einem  Weg  ein  Integral  W(x,y'^  ß) 
der  partiellen  Differentialgleicliung  (47)  gefunden,  welches  eine  nicht 
additive  willkürliche  Konstante  ß  enthält,  und  ist 

55*0,  (63) 

SO    erhält   man    das  allgemeine  Integral   der  Eul er' selten  Differential- 
gleichung, indem  man  die  Gleichung 

nach  y  auflöst. 

Zum  Beweis  schließt  man  zunächst  genau  wie  unter  b),  daß  es 
eine  Funktion  p  gibt,  welche  gleichzeitig  den  beiden  Gleichungen  (41) 
genügt,  nur  mit  dem  Unterschied,  daß  jetzt  diese  Funktion  p  ebenso 
wie  die  Funktion  W  von  dem  Parameter  ß  abhängt.  Man  kann  daher 
die  beiden  Gleichungen  (41)  nach  ß  differentiieren  und  erhält  so  die 
beiden  Gleichungen  (58).  Aus  denselben  folgt  aber,  daß  für  jede 
beliebige  Funktion  y  von  x  die  Gleichung  gilt 


dx  dß 


(^-Pi^yy^  ß))fy'y'(^>  y^  i'^df 


Wenn  nun  insbesondere  die  Funktion  y  der  Gleichung  (64)  genügt, 
so  ist  die  linke  Seite  und  daher  auch  die  rechte  Seite  der  letzten 
Gleichung   gleich   Null.     Da  aber  wegen  der  Voraussetzung  (63)  der 

Faktor  f ,  ,^Ä  nicht    identisch  verschwinden  kann,   so   folgt,    daß   die 

'  y  y  dp 

Funktion  y  dann  stets  auch  der  Differentialgleichung 

^=p{x,y',ß) 

genügt,  und  daraus  schließt  man  ganz  wie  unter  b),  daß  sie  dann 
auch  der  Euler'schen  Differentialgleichung  genügen  muß.  Da  die 
durch  Auflösung  von  (64)  erhaltene  Funktion  y  aber  zwei  un- 
abhängige willkürliche  Konstante  enthält,  so  muß  sie  das  allgemeine 
Integral  der  Euler'schen  Differentialgleichuug  sein. 

Zugleich  folgt  nach  b),  daß  bei  festgehaltenem  ß  die  Gleichung: 
W(x,  y]  ß)  =  konst.  die  Transversalen  schar  zu  der  Extrem  alenschar: 
W^(Xy  y\ß)  =  konst.  darstellt. 


§  20.     Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie.  139 

Es  läßt  sich  weiter  nocti  der  folgende  Satz^)  beweisen: 
Kennt  man  irgend  ein  vollständiges  Integral   W{Xy  y]  ß)  -{-  y  der 
partiellen  Differentialgleichung  (47),  so  'kann  man  stets,  ohne  Ausführung 
einer   weiteren   Integration   eine  Lösung   w{x,  y)    von    (47)    bestimmen, 
welche  entlang  einer  beliebig  vorgegebenen  Kurve 

^:  x  =  x{t:),  y=y{r) 

verschwindet,  das  heißt  also  geometrisch,  man  kann  stets  eine  Trans- 
versalenschar  bestimmen,  welche  die  Kurve  ©  enthält. 

Man  erhält  die  verlangte  Lösung  w{Xj  y)  nach  Daeboux  folgender- 
maßen: Man  berechne  t  aus  der  Gleichung 

als  Funktion  von  ß  und  substituiere  den  gefundenen  Wert  x  =  x{ß) 
in  die  Funktion    W{x^  T-,  ß)-     Definiert  man  dann 

setzt  mit  dieser  Funktion  A(/3)  die  Gleichung  (60)  an,  und  bestimmt 
daraus  ß  =  h(x,  y)  als  Funktion  von  x,  y,  so  ist 

w{x,y)  =  W(x,y',h)-^  X{h) 
die  gesuchte  Lösung  der  partiellen  Differentialgleichung  (47). 

In  dem  besonderen  Fall,  wo  die  Kurve  S  in  einen  Punkt  jPo(^o?2/o) 
degeneriert,  wo  also 

x(y)  =  x^,         y{r)=y^, 

vereinfacht  sich  die  Regel  dahin,  daß 

l{ß)  =  -  W{x„  y,;  ß) 

ZU  nehmen  ist.  In  diesem  Fall  gehen  die  sämtlichen  Extremalen  der 
Schar,  deren  zugehörige  Transversalenschar  durch:  w(x,  y)  =  konst. 
dargestellt  wird,  durch  den  Punkt  P^. 

Beispiel:   f  ==]/l  +  y'^"" . 

Die  Hamilton'sche  partielle  Differentialgleichung  lautet  hier 

\dxl   "^Uyi" 
Ihr  genügt  offenbar  die  Funktion 

W{x,  2/ ;  |3)  =  ic  sin  |3  —  y  cos  ß  ; 

^)  Für  den  Beweis  verweisen  wir  auf  Darboux,  Theorie  des  surfaces,  Bd.  11, 
p.  447. 


140  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

daraus  ergibt  sich  das  allgemeine  Integral  der  Euler'schen  Differentialgleichung 
in  der  Form  ^   ,        .     ^ 

Die  Geradenschar: 

o;  sin  ^  —  y  cos  ß  =  konst. 

ist  in  der  Tat  transversal  (d.  h.  hier  orthogonal)  zur  Extremalenschar : 

xco8ß-\-ysinß  =  konst. 
Wir  wollen    diejenige    Lösung    der   partiellen   Differentialgleichung    bestimmen, 
welche  entlang  dem  Kreise 

^:  x  =  Bcost  =  x{T),         y=^E8mt  =  y{t) 

verschwindet.     Dazu  haben  wir  nach  der  obigen  Regel  die  Gleichung 

—  jR  cos  (r  —  /?)  =  0 
nach  r  aufzulösen: 

t  =  ß±'^  +  ^ni7t  =  r{ß). 

Es  ist  dann 

X(^)  =.  _  E  Tsin  ß  cos  (ß±^^  —  cos  ß  sin  (^ß  ±  |-jj  =  ±  -R  ; 

sodann  haben  wir  die  Gleichung 

W,^{x,  2/;  ß)  -^r(ß)  =  x  cos  ß-\-  y  sin  ß  =  0 

nach  ß  aufzulösen  und  die  gefundenen  Werte 

X  .        y 

sin  ß  =  +  — zzzr ,         cos  /?  =  ±     .  7^p-^\ 

in  die  Funktion  W{x,  y-,  ß)  +  Hß)   einzusetzen.     Wir  erhalten    so  bei  passender 
Wahl  der  A^'orzeichen  die  gesuchte  Lösung: 

Schrumpft   der  Kreis   auf  seinen  Mittelpunkt  zusammen  (R  =  0),  so  wird 

w{x,y)  =  ±Vcc'~T¥^- 
Das  letztere  Resultat  ergibt  sich  auch  nach  der  obigen  Regel,  indem  man 

l{ß)  =  -W{0,0;ß)  =  0 
setzt. 

e)  Die  Methode  von  C  aratheodory  zur  Behandlung  von  Variations- 
problemen: 

Wir  knüpfen  an  die  vorangehenden  Entwicklungen  noch  einen 
kurzen  Bericht  über  die  Methode,  die  neuerdings  Caratheodory i) 
für  die  Behandlung  von  Variationsproblemen  gegeben  hat. 

^^)~J}her diskontinuierliche  Lösungen  in  der  Variationsrechnung",  Dissertation 
(Göttingen,  1904),  p.  65,  und  Göttinger  Nachrichten  1905,  p.  1. 


20.     Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie. 


141 


Wir  betrachten    mit    Caeatheodory    eine   beliebige,    nach    dem 
Parameter  aufgelöste  Kurvenschar 

F{x,  y)  ==  konst.  (65) 

und  greifen  zwei  benachbarte  Kurven  der  Schar  heraus 

F{x,  y)  =  ^  (66) 

und 

F(x,y)  =  ^-{-d^.  (67) 

Durch    einen    beliebigen    Punkt  P(x,  y)    der    Kurve    (66)    ziehen  wir 
ein  Linienelement  PQ  bis  zu  dessen  Schnittpunkt  Q(x  -{■  dx,  y  +  dy) 
mit    der    Kurve   (67).      Der  Wert    des 
Integrals 


J=Jf(x,y,y)dx 


genommen  entlang  dem  Linienelement 
PQ  ist  dann  bis  auf  Grlieder  höherer 
Ordnung  gegeben  durch  ^) 

J{PQ)'-f(^,y>p)dx^ 

f{x,  y,  p)dii 


^^d/z 


(68) 


Fig.  26. 


wenn  p  das  Gefälle  des  Elementes  PQ  im  Punkt  P  bezeichnet. 

Wir  stellen  uns  nun  die  Aufgabe,  p  so  zu  bestimmen,  daß  dieser 
angenäherte  Wert  des  Integrals  J(P  Q)  ein  Minimum  wird.    Dazu  muß 

d  f  r^  ^'  f 


=  0,      Z-. 


>0 


(69) 

(70) 


dp    Fa^+pFy  ^'         dp'F:c-\-pFy 

sein,  oder,  wenn  wir  die  Differentiation  ausführen 

Da  das  Gefälle  der  Kurve  (66)  im  Punkt  P  durch  —  ^  gegeben  ist, 

so  zeigt  der  Vergleich  mit  (45),  daß  diejenige  Richtung,  für  welche 
das  Segment  PQ  für  das  Integral  J(PQ)  den  Meinsten  Wert  liefert, 
von  der  Kurve  (66)  im  Punht  P  transversal  geschnitten  wird. 

Durch  Auflösung  der  Gleichung  (69)  erhält  man  den  gesuchten 
Wert  des  Gefälles  p  als  Funktion  von  x,  y]  wir  bezeichnen  die- 
selbe^it^  i)=p(a;,i/). 

^)  Das  Zeichen  <^o  soll  hier  bedeuten:    annähernd  gleich. 


142  Drittes  Kapitel.  Hinreichende  Bedingungen  b.  d.  einfachsten  Klasse  v.  Aufgaben. 

Setzt  man  diesen  Wert  von  p  in  (68)  ein,  so  erhält  man  den  Mini- 
malwert M  von  J(PQ)  als  Funktion  von  x,y.  Im  allgemeinen  vs^ird 
sich  dieser  Minimalwert  M  von  Punkt  zu  Punkt  ändern,  wenn  wir 
den  Punkt  P  die  Kurve  (66)  durchlaufen  lassen.  Es  soll  nun  die 
Funktion  F(x,  y)  so  bestimmt  werden,  daß  der  Minimal  wert  M  ent- 
lang jeder  Kurve  der  Schar  (65)  einen  konstanten,  nur  von  u  ab- 
hängigen Wert  hat.  Eine  Kurvenschar,  welche  diese  Eigentümlichkeit 
hat,  nennt  Caratheodory  eine  Schar  geodätisch  äquidistanter  Kurven. 
Bei  einer  solchen  Schar  kann  man  den  Parameter  (i  stets  so  wählen, 
daß  der  konstante  Wert  des  Minimalwerts  M  gleich  du  wird.  Als- 
dann ist 

wobei  für  2>  die  Funktion  p(x,  y)  einzusetzen  ist.  Durch  Elimination 
von  p  aus  den  beiden  Gleichungen  (69)  und  (71)  erhält  man  eine 
partielle  Differentialgleichung  für  die  Funktion  F(x,  y),  welche  die 
notwendige  und  hinreichende  Bedingung  für  die  Äquidistanz  ausdrückt. 
Diese  partielle  Differentialgleichung  ist  aber  mit  der  Beltrami' sehen 
Differentialgleichung  (47)  identisch,  wenn  man  W  statt  F  schreibt. 
Denn  man  kann  die  in  Frage  stehende  Elimination  von  p  in  der 
Weise  ausführen,  daß  man  zunächst  die  beiden  Gleichungen  (69)  und 
(71)  nach  F^,  F^  auflöst,  was 

K  =  f-Pfy.  Fy  =  fy>  (12) 

ergibt,  und  dann  aus  diesen  p  eliminiert.  Der  Vergleich  mit  den 
Gleichungen  (41)  zeigt  dann  die  Richtigkeit  unserer  Behauptung. 
Die  partielle  Differentialgleichung  (47)  ist  also  die  notwendige  und  hin- 
reichende Bedingung  dafür,  daß  die  Kurven  der  Schar  W{x,  y)  =  Konst. 
geodätisch  äquidistant  sind. 

Wir  kehren  jetzt  wieder  zu  einer  beliebigen'  Kurvenschar  (65) 
zurück,  und  stellen  uns  die  Aufgabe,  in  der  allgemeinsten  Weise 
eine  Kurve 

zu  bestimmen,  welche  die  Eigenschaft  hat,  daß  in  jedem  ihrer  Punkte 
das  Gefälle  der  Kurve  mit  dem  oben  bestimmten  Wert  von  p  über- 
einstimmt, welcher  für  J(PQ)  den  kleinsten  Wert  liefert.  Es  muß 
dann  entlang  der  Kurve  S 


§  20.     Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie.  J43 

sein.     Das    allgemeine    Integral    dieser  Differentialgleichung    (die   mit 
derjenigen  Differentialgleichung  identisch  ist,  die  man  aus  (69)  erhält, 

wenn  man  p  durch  J^  ersetzt),  ist  eine  Kurvenschar 

y==(p{x,d)',  (74) 

jede    Kurve    derselben    wird    dann    von  jeder    Kurve    der  gegebenen 
Schar  (65)  transversal  geschnitten. 

Wenn  nun  insbesondere  die  Kurven  der  Schar  (65)  geodätisch 
äquidistant  sind,  so  ist  die  zugehörige  Schar  (74)  eine  Extremalenschar 
für  das  Integral  J.  Denn  alsdann  gelten  die  Gleichungen  (72),  aus 
denen  man  genau  so  weiter  schließt  wie  unter  b)  bei  der  Lösung  der 
Aufgabe,  zu  einer  gegebenen  Lösung  W  der  partiellen  Differential- 
gleichung (47)  die  zugehörige  Extremalenschar  zu  bestimmen. 


Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln. 

(Schwierigere  Aufgaben  sind  durch  einen  Stern  gekennzeichnet.) 

1.  Obere  und  untere  Grenze,  resp.  absolutes  Maximum  und  Minimum  der 
folgenden  Funktionen  für  die  angegebenen  Intervalle  zu  bestimmen  (§  2): 

f   .  sin  2a;    ,   sin  3a;       sin  4a;    ,         ) 

a)  s(a;)  -=  2  I  sin  x ^ 1 7^ -^—  H ] 

in     [0 ,  7t]  ,         in     [—  tt,  +  Tt] ,         in     —  cx)  <  a;  <  -|-  OO  . 

b)  ?-7-r     in     [-^,—^1,         in     [—5^,+^],        ii^     [— «,0]. 

^  'jt  —  s{x)  L  2  J 


CO 

^-^dt     in     [0,  1] 


d)  Sic^  — 16a^3+18a'2  +  2     in     [—1,4]. 

Die    notwendigen    und    die    hinreichenden  Bedingungen    für    ein    starkes, 
respektive  schwaches,  Extremum  des  Integrals 


^2 

J=rf{x,y,y')dx 


^1 
für   die   folgenden   Funktionen  f  aufzustellen,   sowie  die  Konstantenbestimmung 
und  die  Konstruktion  von  Extremalenfeldern  zu  diskutieren: 


2.  f=xy^  —  Syy^-. 

4.  f=ay^--^2hyy'  +  cy^ 

a^b^  c  konstant. 


(A.  Mayer). 


3/^0,        \y'\^^- 


Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln.  145 

(Wegen    der    Gefällbeschränkung  vgl.  Beispiel  VIII,  p.  34;   wegen  der  geo- 
metrischen Deutung  vgl.  Nr.  35). 

m 

(Euler,  Eedmann.) 
Andeutung:  Führe  Polarkoordinaten  ein.     Spezielle  Fälle 

m  =  — 2,  1,  —4^,  —3. 

(Weierstrass.) 
Die  Koordinaten  der  Endpunkte  seien:  (—  1,  a),  (-j-  i,  &). 
Spezialfall: 

;i  =  o. 

Extremalen:  (ccx -\- §i){uy -{- §) -\-l  =  Q  . 

Extremalen:  {x  —  aY -\- y'^  =  ß'^ . 

(EüLEB.) 

Wird  die  Funktion  (p{u)  durch  die  Differentialgleichung:  g)"  =  rgj2r-i  und 
die  Anfangsbedingungen:  qp(0)  =  l,  «p'(O)  =  0  definiert,  so  sind  die  Extremalen 
(außer  für  r  ==  0) : 

Diskutiere  die  Gestalt  der  Extremalen,  wobei  die  Fälle:  r>l,  0<r^l,  r<0 
zu  unterscheiden  sind.  Untersuche  die  Periodizitp,lfebigenschaften  der  Extremalen, 
wenn  r  rational.     Diskutiere  die  Konstantenbestimmung.     j^:^^.^,^i'y^^^^:. /^<-r.     - 

12*.  f=yr.^/Yzir:p\^     y^^^  I2/'|<iTM^.         ^^._ 

Ähnliche  Resultate  wie  in  der  vori^  Aufgabe.        ,..i£-^v^    ^^''^JliiAe*-*^''^ 

13.    Das    Hamilton'sche    Prinzip*)    auf   die    Bewegung^ines   materiellen     " 
Punktes  anzuwenden,   welcher  gezwungen  ist,   sich  auf  einer  gegebenen  Kurve: 

zu  bewegen.     Anwendung  auf  das  ebene  Pendel. 

*)  Vgl.  Kap.  XI.  ;     ''       ":.  '  '^ 

Bolza,  Variationsrechnung.  ,y  JQ 


(GULDBERG.) 


(Steomquist.) 


-^^ß  Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln. 

14.  Dieselbe    Aufgabe    für    den    Fall,    daß    die  gegebene  Kurve  sich  nach. 
einem  gegebenen  Gesetz  bewegt:  J;- '^p^, 

15.  Alle  Funktionen  f{x,y,  y)  von  der  Form 

'   '*^  f=Lix,y)y'-\-M{x,y)y''  +  N{x,y)y'' 

zu  bestimmen,  für  welche  die  Extremalen  Gerade  sind  (§  6,  c)). 
Lösungi^       Jli 

wobei  Yq,  Yi,  Y^  drgi   willkürliche   ganze  Funktionen  von  y  allein  sind,   deren 
Grad  durch  den  Indel  angegeben  wird.        ,    ,  ^ity  ^     ^*^^ 

Jr,ry      15a.  Dieselbe  Aufgabe  für        j        ^'  /  ,  a  o 

M-^'       ._  L{x,  y)  +  M{x,y)y'  -{-N{x,  y)y'' 

Lösung  (für  n-^0,  1,  |^): 
(f/X^,-  i  =  a^  +  &.        M=-(H-l)«i/  +  c,        JVr=naa^  +  <Z. 

16*.  Alle  Funktionen  fix,  y,  y')  zu  bestimmen,  für  welche  die  Extremalen 

Kreise  mit  dem  Mittelpunkt  auf  der  ic-Achse  sind  (§  6,  c)). 

(Stromquist.) 

17.  Alle  Funktionen  f{x,  y,  y')  zu  bestimmen,  für  welche  „transversal''  mit 
„orthogonal"  identisch  ist. 

Lösung:  __^ ~j-  i^V^V- 

.^^.„  ^f=G(x,s,)i/r+7v.      '•-f'^^  ,„       , 

-vV:^   '  C^rrC.t:^.j:>.-'(:  ,J^//j',^v-^-  ^Oi?       ^.,        (Hedrick.) 

>J^,  "^  18.  Unter  der  Aiwahme,  daß  die  Konstantenb^stimmung  bei  gegebenen 
^^Endpunkten  P^  und  P^  (wenigsteris  bei  Beschränkung  von  P^  und  P^  auf  ge- 
wisse Bereiche)  eindeutig  ist,  ist  das  Integral  J",  genommen  entlang  der  Ex- 
tremale von  Pi  nach  Pg,  eine  eindeutige  Funktion  der  Koordinaten  x^,  y^-,  x^,  y^ 
dieser  Punkte,  die  wir  mit  J {x^,  y^',  x^,y^)  .beüeichnen  und  das  Extremalen- 
tntegral  zwischen  P,  und  P,  nennen^^,  ,,^^^'^J^^;pJ^ 

Das  Extremalenintegral  zu  berechnen  ^r-^f^^fcy-^^(x.il    '  '-"-''"'^4 

r^  t^tt^''-,         f=y^ 


/•=y2/(i-2/'') 


2^\ 


2/ 


Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln.  147 

19.  Zu   beweisen,    daß    die  partiellen  Ableitungen  des  Extremalenintegrals 


jfolgende  Werte  haben:  .    ,,>-i 


^  'J£^'c^^ 


^-- =  —  [ A^n 2/1. Vi)— Vi fy'i^i^ 2/1, 2/1 )],  ^-  = — /;,'(^i, 2/1,  2/1  ) • 

-^  =  [/"(^ä  ,2/2,2/2')  —  2/2  72/'(«2  ,   2/2  ,   2/2')]  ,      ■^-  =   fy'i^2  ,2/2,2/2'),  ,    ^ 

wobe:^  2/i',  2/2    ^^^  Gefälle  der  Extremale  PjPg  i^  A,  resp.  P^  bedeuten.' 


woDei  ^ 

20.  HinreicIiendeJBedingungen    für    ein    starkes    Extremum    des    Integrals 


0.  ffinreicbr""'-  ^-^' 

yh^,  2/)^^ 


,:>;^fe-/f^ 


1^'     mittels  der  ersten  und  zweiten  Variation  abzuleiten,  wenn  beide  Endpunkte  auf 
^    gegebenen  Geraden  x  =  x^^  respektive  x  =  x^  beweglißlv  sind. 

Lösung:  ^'-'^'^^'^ , 

^"       ^'■''-  ^2/  =  ^'       fyy>^' 

Andeutung:  Benutze  die  Taylor'sche  Forniel.  mit  Restglied. 

Beispiele:         U^  '  rL^^l^-' ^  ^tl  M--..^^    ^ 

/•=  {<oax  —  y^)y ,  -^ '  '-'  /  rj2^rru;^ 

(Euler  ) 
f=  (6aaj—  3^2  _  ^2)  ^2a^  —  ^2  _  4^^/  +  2/^)  • 

(Euler.) 

21.  Mit  Hilfe    der   zweiten  Variation   zn   beweisen,    daß   die   Gerade  Pj  Pg 
das  Integral 


•^2 


dx 


zu  einem  starken  Minimum  macht.  (Bromwich.) 

22.  Mit    Hilfe   von   Nr.  21    den   folgenden   Satz   von  Osgood   zu   beweisen: 
Es  sei  f{x)  von  der  Klasse  C  im  Intervall  [ah'\  und  es  sei 

a<Z^&,     und     1/"(Z)  — /"(a)  1  =  i  >  0  . 
Alsdann  ist 


/' 


i 


r{xydx:> 


h  —  a 


23.  Enthält  f  die  Variable  y  nicht  explizite,  so  kann  man  die  Extremale  ^^ 
stets  mit  e?iem  Feld  umgeben.  Daher  ist  hier  die  Bedingung  Il'b  hinreichend 
für  ein  sta*  ä:es  Extremum.  (Osgood.) 

10* 


148 


Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln. 


24.  Für  die  Aufgabe  Nr.  2  die  Transversalenschar  zu  dem  von  der  Schar 
paralleler  Geraden 

gebildeten  Feld  zu  bestimmen  (§  20,  a)). 

25.  Für  Beispiel  X  die  Transversalenschar  des  aus  dem  Geradenbüschel  durch 
den  Koordinatenanfang  bestehenden  Feldes  zu  bestimmen  (§  20,  a)). 

26.  Für  Beispiel  VIII  die  Transversalenschar  des  auf  p.  99  betrachteten 
Feldes  zu  bestimmen  (§  20,  a)). 

Die  folgenden  Aufgaben  Nr.  27  bis  32  sind  singulär,  insofern  bei  ihnen 
nicht  alle  in  der  allgemeinen  Theorie  gemachten  Voraussetzungen  erfüllt  sind; 
insbesondere  verschwindet  fy,y,  im  Integrationsintervall.  Es  soll  besonders  die 
Extremalenschar   durch    den    Punkt  P,  und  ihre  Enveloppe  untersucht  werden: 


27*. 

28*. 

29*. 
30*. 
31*. 

32*. 


K,  2/i)  -=  (—  1.  -  1) '        (^2 ,  2/2)  =  (+  1'  +  ^) 
f=^x^y^-\-xy'\        iCi<0<a?ä- 

(^1,2/1)  =  (0.0),         (^2,2/2)  =  (1.0). 
f=^x^y'"' 


(a;^,  2/1)  =  (—  1,  -  1)1         (^2'  2/2)  =  (-1-  1'  +  !)■ 
33*.  Die  Bedingungen  (IV)  und  (V)  für  das  Integral 


A-  ^  +  2/2/'  4-  (1  -  2a;)2/'*)d*' 
^J  (l+2/'T  "■ 


Xi 


zu  diskutieren,  wobei  y^  =  0,y^^Q  sein  soll  (§  18,  d)). 
Lösung: 


34*.  Dieselbe  Aufgabe  für 


^i<2. 


/ 


■f 


Vi  +  y'" 


(HiLBERT.) 

(Erdmann.) 


(HiLBERT.) 


(HiLBERT.) 


Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln.  149 

Lösung: 

—  1  ^  ^1  <  OJg  <  1 . 

Wenn    x^  =  —  1 ,     so  muß  überdies     ^g  "^  t     sein. 

Wenn    x^  =  -\-  1^     so  muß  überdies     x^^^     sein. 

Gewisse  isoperimetrische  Aufgaben  mit  variabeln  Endpunkten  lassen 
sich  mittels  eines  schon  von  Euler  angewandten  Kunstgriffes  auf  Aufgaben 
ohne  Nebenbedingungen  und  mit  festen  Endpunkten  reduzieren.  Dieser  Art  ist 
die  folgende  Aufgabe: 

35.  Unter  allen  Kurven  von  gegebener  Länge  i,  welche  vom  Koordinaten- 
q,nfang  P^{0,0)  durch  die  obere  Halbebene  (2/>>0)  nach  einem  nicht  vor- 
geschriebenen Punkt  Pg  {x^ ,  0)  der  positiven  a;- Achse  gezogen  werden  können, 
"diejenige  zu  bestimmen,  welche  mit  der  rc- Achse  den  größten  Flächeninhalt 
einÄchließt. 

Der  Euler'sche  Kunstgriff  besteht  hier  darin,  daß  man  auf  allen  zulässigen 
Kurven  die  Bogenlänge  s,  gemessen  vom  Punkt  P^  bis  zu  dem  variabeln  Punkt 
P  als  unabhängige  Variable  einfährt,  die 
zulässigen  Kurven  also  schreibt 

X  =  X{S),  y  =  y{s). 

Der  Punkt  P(x,  y)  beschreibt  dann  die 
Kurve  von  P,  bis  zum  Endpunkt  Po, 
wenn  s  von  0  bis  l  wachst: 

Da  s  die  Bogenlänge  bedeutet,  müssen  die  Funktionen  x{s),  y(s)  der  Differential- 
gleichung genügen 

^''  +  2/''=l.  (76) 

Hiernach   formulieren  wir  jetzt    die   Aufgabe    folgendermaßen    analytisch: 
Unter    allen  Funktionenpaaren   x{s),  y{s)   von    der  Klasse   C\    welche    der 
Differentialgleichung  (76)  und  überdies  den  Bedingungen 

^(0)  =  0,        2/(0)  =  0;         a?(Z)>0,        2/(Z)  =  0, 
2/(s)>0     für     0<s<Z,         ^'^0^) 
genügen,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  das  Integral 

i 
J=  jyx'ds 
0 

zu  einem  Maximum  macht. 

Wir  haben  also   ein  Yariationsproblem  mit  zwei  unbekannten  Funktionen 
und    einer  Differentialgleichung   als    Nebenbedingung,    also  ein  Problem  derart. 


involviert. 


^)  Es   läßt   sich   zeigen,   daß   dies  keine  Beschränkung  der  Allgemeinheit 
dert.  ,Njts^.A'.Ui  «.V  •  aj(  A»-;-^,- Li-v"-- 


^50  Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln. 

wie  sie  schon  in  §  1  erwähnt  worden  sind.  In  unserem  Fall  ergibt  sich  aber 
aus  der  speziellen  Form  des  Integranden,  daß  sich  die  Aufgabe  auf  den  ein- 
fachsten Fall  ohne  Nebenbedingungen  reduzieren  läßt.  Wir  können  nämlich 
X  mittels  (76)  eliminieren  und  erhalten  dann  folgende,  mit  der  vorigen  äqui- 
valente Aufgabe:  Unter  allen  Funktionen  der  Klasse  C 

welche  den  Anfangsbedingungen 

2/(0)  =  0,        y{T)  =  0 
der  Gebietseinschränkung 

2/(s)>0     für     0<s<? 


und  der  Gefällbeschränkung*) 

dy 

[d. 


^\/ 


<1 


genügen,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  das  Integral  ^  jJ 

zu  einem  Maximum  macht.     Dies  ist  ein  Problem  vom  einfachsten  Typus  ohne 
Nebenbedingungen.-) 

Nachdem   man    das  Problem  in  der  s,  2/ -Ebene  gelöst  hat,  berechnet  man 

die  Funktion  x{s)  mittels  (76)  und  kehrt  so  schließlich  zur  x,  y-Ehene  zurüc^.  ^ 

Als  Lösung  erhält  man  einen  Halbkreis  in  der  x,  y-Ehene.  >      ^     -^ 

Die    folgenden  Aufgaben    sind   mit    derselben    Methode    zu  lösen.     Bei  der 

,.      Anwendung  derselben  hat  man  jedoch  die'  größte  Vorsicht  zu  beobachten,  weil 

5^eim^Überga,ng   von    der   ursprünglichen   ;r,  2/ -Ebene   in  die  neue  Ebene  häufig 

/      die  eigentümlichsten  Beschränkungen   der  zulässigen  Kurven  eingeführt  werden. 

\^  /  ^  36*-  Unter   allen  Kurven,    die  in  der  oberen  Halbebene  (2/>0)  von  einem 

^    V;!j^'      gegebenen  Punkt  P^  nach  einem  nicht  vorgeschriebenen  Punkt  1\  der  Geraden 

^  ^J"  y  =  y^    gezogen  werden  können,    und   welche  zusammen  mit  den  Ordinaten  der 

f  Punkte  Pi,  Pg  und  dem  dazwischenliegenden  Segment  M^M^  der  ^- Achse  einen 

gegebenen' Flächeninhalt  .A  einschließen,    diejenige    zu   bestimmen,    welche   die 

kleinste  Länge  hat.  (Eulee.) 

*)  Vgl.  wegen  derselben  p.  34.  1         •  x 

ä)  Es    ist   hier    ganz    wesentlich,    daß    die   Abszisse  x^  nicht   gegeben  ist. 

Denn    wäre  x^  gegeben,    so    wäre   nunmehr  noch   die  Bedingung   hinzuzufügen, 

i 

0 

und  man  hätte  wieder  ein  isoperimetrisches  Problem. 


Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln. 


151 


Andeutung:      Führe     als      unabhängige     Variable     den     Flächeninhalt 
■        M^MPP^M^  ein  (siehe  Fig.  28). 

Lösung:  Ein  Kreisbogen  mit 
dem  Mittelpunkt  auf  der  ic- Achse. 

37*.  Es  sind  zwei  vom  Koor- 
dinatenanfang 0  ausgehende  Geraden 
OM  und  OiV  gegeben  und  auf  OM  ein 
Punkt  P^.  Unter  allen  Kurven,  welche 
von  Pj  nach  der  Geraden  ON  gezogen 
werden  können,  und  welche  mit  den 

beiden  Geraden  einen  Sektor  von  ge- 

gebenem  Flächeninhalt  einschließen, 
die  Kurve  kleinster  Länge  zu  be- 
stimmen. (Euler.) 


Fig.  28. 


38*.  Analoge  Aufgabe,  wenn  der  End- 
punkt Pg  statt  auf  der  Geraden  ON  auf 
einem  gegebenen  Kreis  r  =  r^  mit  dem 
Mittelpunkt  0  beweglich  ist.  (Euler.) 

39*.  Einen  Rotationskörper  von  ge- 
gebener Oberfläche  und  möglichst  großem 
Volumen  zu  konstruieren,  dessen  Ober- 
fläche die  Rotationsachse  genau  zweimal 
trifft.  (Kneser.) 

Die  Aufgabe  läßt  sich  auf  das  Bei- 
spiel VIII  reduzieren.  Die  gesuchte  Ro- 
tationsfläche ist  eine  Kugel. 

40.  Aus  einem  gegebenen  Quantum 
homogener,  nach  dem  Newton'schen  Gesetz 
anziehender  Materie  einen  Rotationskörper 
zu  bilden,  dessen  Oberfläche  die  Rotations- 
achse genau  in  zwei  Punkten  trifft,  und 
welcher  auf  einen  materiellen  Punkt,  der 
sich  in  einem  dieser  beiden  Treffpunkte  be- 
findet, eine  möglichst  große  Anziehung 
ausübt.  (Gauss,  Kneser,  N.  R.  Wilson.)  ^^^'  ^^ 

Die  Gleichung  der  Meridiankurve  der 
gesuchten    Rotationsfläche    lautet    in    Polarkoordinaten 

r^  =  a^  cos  6 . 

41.  Die  erste  notwendige  Bedingung  für  ein  Extremum  des  Integrals 

J=if{^,  Vi, .-.,  2/«,  2/i',  •••,  yn)(^^ 

aufzustellen  (§  8). 


152  Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln. 

Lösung: 

df         d     df       ^         . 

ö :r-  o    /  =0        1  =  1, 2,  ...,n.  (77) 

42.  Die  kürzeste  Linie  zwischen  zwei  Punkten  im  Raum  zu  be- 
stimmen. 

-i   43.     Die      erste      notwendige      Bedingung       für       ein       Extremum       des 
Integrals  .^^,     ,,.  •       .,^,,,  y^,  .^ .  ^ 

aufzustellen: 

a)  Wenn  die  Endpunkte  und  die  Tangentenrichtungen  in  denselben  vor- 
geschrieben sind,  ""     ? 

b)  Wenn  nur  die  Endpunkte  vorgeschrieben  sind. 
Lösung: 

dy      dxdy'^  dx^  dy"~  ^    ^ 

Wenn  /  die  Variabein  x  und  y  nicht  enthält,  so  lassen  sich  zwei  Integrationen 
sofort  ausführen  und  man  erhält  '/%  ^^^Jj'. 

..    J     /     r^_  .  ..      f-y"j^-o,^hy\ 

Im  Fall  b)  kommen  noch  die  Grenzgleichungen 

dy"\~  ' 

hinzu  (§  7,  a)). 

44*.  In  einer  Ebene  zwischen  zwei  gegebenen  Punkten  A  und  B  eine 
Kurve  zu  ziehen,  welche  zusammen  mit  den  Radien  AA\  BB'  der  Krümmungs- 
kreise in  A,  resp.  jB,  und  dem  Bogen  A' B'  der  Evolute  den  kleinsten  Flächen- 
raum einschließt.     Das  Gefälle  der  Kurve  in  A  und  B  ist  vorgeschrieben. 

(EüLEB.) 

Lösung:  Die  Extremalen  sind  Zykloiden.  .f 

Andeutung:  Mache  von  (79)  Gebrauch,  setze 

a  =  2  c  cos  7 ,         &  =  2  c  sin  7  , 

und  mache  alsdann  die  Substitution 

y'  =  cotg  ^  ^  —  yj  . 

Diskussion    der   Konstantenbestimmung.     Diskutiere  den  Fall,   wo  nur  die  End- 
punkte gegeben  sind. 


Übungsaufgaben  zu  den  drei  ersten  Kapiteln.  153 

45.  Die  erste  notwendige  Bedingung  für  ein  Minimum  des  Integrals 

J=ff{oo,y,y',...,,/''^)dx 

aufzustellen. 
Lösung: 

dy      dx  dy'^ dx^  dy"'"^^"    ^  do^dy^^~^'  ^^^) 

(Euler.) 

Andeutung:    Wende    die    Lagrange'sche    partielle    Integration    wieder- 
holt an. 

46*.  Unter  welchen  Bedingungen  ist  die  Funktion 

bei  beliebiger  Wahl  der  Funktion  y  die  vollständige  Ableitung  einer  Funktion 
nach  oj?  (§6,  b))  v-v   ,^,^,        .y         ) 

Antwort:    Es    ist   notwendig    und    hinreichend,    daß    identisch    in    x,y, 

I     ,  dy      dxdy'^dx^  dy"  * ' "  "^  *^     ^^  ~dx^  dy^^  = "  • 

(„Integrabilitätsbedingung").  (Euler,  Lexell.) 

47*.  Es  sei  N  eine  in  [x^x^\  stetige  Funktion  und  es  sei 


y  ,  . . .,  2/'2«) 


/ 


Nj^dx  =  0 


für  alle  Funktionen  rj,  welche  in  [x^x^]  von  der  Klasse  C^"^  sind  und  samt  ihren 
n  —  1  ersten  Ableitungen  in  x^  und  x^  verschwinden.  Alsdann  ist  N  eine  ganze 
Funktion  n  -  l^en  Grades  (§  5,  c)).  (Zermelo.) 


Viertes  Kapitel/] 
Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

Teils  als  Nachtrag  zu  den  bisherigen  Kapiteln,  hauptsächlich 
aber  als  Vorbereitung  für  die  schwierigeren  Untersuchungen  der 
folgenden,  stellen  wir  im  gegenwärtigen  Kapitel  eine  Reihe  von  Sätzen 
über  reelle  Funktionen  reeller  Yariabeln  zusammen,  die  für  eine  arith- 
methisch  strenge  Begründung  der  Variationsrechnung  nicht  zu  ent- 
behren sind.  Es  handelt  sich  dabei  im  wesentlichen  um  gewisse 
Existenztheoreme  über  implizite  Funktionen  und  über  Systeme  von 
Differentialgleichungen,  die  gewöhnlich  nur  für  die  Umgebung  eines 
Punktes  bewiesen  werden,  während  man  sie  in  der  Variationsrechnung 
für  die  Umgebung  einer  ganzen  Kurve  nötig  hat. 

§  21.     Über  die  Umgebung  einer  Punktmenge. 

Wir  werden  sagen,  ein  Punkt  P(^/,  .  .  .,  x^)  liege  in  der  Um- 
gebung (())  einer  im  a^j,  .  .  .,  a;„-Raum  definierten  Punktmenge  (9L, 
wenn  er  in  der  Umgebung  {q)  wenigstens  eines  Punktes  von  €L 
liegt,  d.  h.  also,  wenn  es  mindestens  einen  Punkt  ^.(«1,  .  .  .,  aj  von 
6t  gibt,  derart,  daß 

K- aj,  <(),  ...,  K— «„i  <Q  (1) 

Die  Gesamtheit  derjenigen  Punkte,  welche  in  der  Umgebung  {q) 
der  Menge  €L  liegen,  bezeichnen  wir  mit  (^)^  und  nennen  sie  ,^die 
Umgebung  {q)  der  Menge  6C". 


^)  Wir  empfehlen  dem  Leser  dieses  Kapitel  zunächst  zu  überschlagen  und 
erst  später  nach  Bedarf  darauf  zurückzugreifen. 


§  21.     Über  die  Umgebung  einer  Punktmenge.  155 

Man  zeigt  leicht,  daß  jeder  Punkt  von  (())(g  zugleich  ein  innerer^) 
Punkt  von  (q)^  ist;  ferner,  daß  ((5)^^  stets  in  (q)^  enthalten  ist^), 
wenn  ö  ^  q. 

Dagegen  werden  wir  sagen  der  Punkt  Pix^,  .  .  .,  x^')  liege  in 
der  „geschlossenen  Umgebung  [q]  der  Menge  GL'',  in  Zeichen:  in  [()]t^, 
wenn  es  mindestens  einen  Punkt  Ä{a^^  .  .  .,  a^)  von  (9L  gibt,  für 
welchen 

\^i-(^i\£q,  ••  V  K-«ni^(>-  (la) 

Ist  6L  beschränkt   und  abgeschlossen^),   so   ist  auch  die  Menge  [q]^ 
beschränkt  und  abgeschlossen. 

Unter  Benutzung  dieser  Terminologie  beweisen  wir  nun  zunächst 
folgende  Hilfssätze: 

a)  Lemma  I: 

Ist  6h  eine  beschränkte,  abgeschlossene  Punhtmenge,  welche  ganz 
im  Innern  einer  anderen  Menge  €L  liegt,  so  läßt  sich  q  so  Idein 
wählen,  daß  die   Umgebung  (g)^  ganz  in  CL  enthalten  ist. 

Wir  wenden  zum  Beweis  eine  in  der  Theorie  der  Punktmengen 
häufig  benutzte  S(5hluß weise ^)  an,  von  der  wir  noch  wiederholt  Ge- 
brauch zu  machen  haben  werden: 

Angenommen,  wie  klein  wir  auch  q  wählen  mögen,  so  gäbe  es 
immer  noch  mindestens  einen  Punkt  von  (p)^,  welcher  nicht  zu  (SC 
gehört.  Dann  wählen  wir  eine  abnehmende  Folge  von  positiven 
Größen  mit  der  Grenze  Null: 

Lq^  =  0.  (2) 

T'=  00 

I^  ((^r)e5  gi^*  ®^  nach  Annahme  mindestens  einen  Punkt 
Py(Xiy  '  •  -7  ^n)^  welcher  nicht  zu  GL  gehört;  nach  der  Definition  von 
(Qv)s9  läßt  sich  dem  Punkt  P^  mindestens  ein  Punkt  By(l>l,  •  .  .,  b^) 
von  ^  zuordnen,  so  daß 

\xl  —  bl\<Q^,        a  =  l,2,  .  .  .,  n.       (3) 


1)  Vgl.  A  I  7. 

^)  Auch  die  Umkehrung  dazu  gilt,  vorausgesetzt  daß  es  Punkte  des 
(a;)-Raumes  gibt,  welche  außerhalb  <3i  liegen,  und  daß  q  hinreichend  klein 
gewählt  ist. 

^)  Vgl.  A  I  2  und  6. 

*)  Vgl.  z.  B.  Jordan,  Cours  d' Analyse^  I,  Nr.  30. 


156     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

Wir  betracliten  jetzt  die  Folge  {B^,}.  Hat  dieselbe  unendlicli 
viele  verschiedene  Punkte,  so  besitzt  sie  mindestens  einen  Häufimgs- 
punkt^)  H{\,  .  .  .,  h^)j  da  sie  als  Teilmenge  von  6h  beschränkt  ist. 
Wir  können  dann  stets  aus  der  Folge  {B^}  eine  unendliche  Folge 
{5^.U  wo  v._^^^v.,  herausgreifen  derart  daß^) 

LB,.,  =  H.  (4) 

Enthält  dagegen  die  Menge  {B^]  nur  eine  endliche  Anzahl  ver- 
schiedener Punkte,  so  kommt  mindestens  einer  derselben  unendlich 
oft  vor;  wir  können  also  in  diesem  Fall  eine  unendliche  Folge  [B^,] 
herausgreifen,  so  daß 

daher  gilt  auch  hier  (4). 

In  beiden  Fällen  folgt  aus  (2)  und  (3),  daß  auch 

LP,-H-  (4a) 

Der  Punkt  H  gehört  stets  zu  6h.  Im  zweiten  Fall  ist  dies  unmittel- 
bar klar,  im  ersten  Fall  folgt  zunächst,  daß  H  als  Häufungspunkt  von 
{B^.]  a  fortiori  auch  Häufungspunkt  der  Menge  6h  ist,  in  welcher 
[B^,]  enthalten  ist.  Da  aber  die  Menge  ^  abgeschlossen  ist,  so 
enthält  sie  den  Punkt  H. 

Hiermit  sind  wir  aber  bei  einem  Widerspruch  angelangt;  denn 
als  Punkt  von  6h  ist  H  ein  innerer  Punkt  von  (9L,  es  gehören  also 
alle  Punkte  in  einer  gewissen  Umgebung  von  H  zu  (SL]  andererseits 
gibt  es  nach  (4a)  in  jeder  Umgebung  von  H  Punkte,  welche  nicht 
zu  (SC  gehören,  nämlich  die  Punkte  P^.  für  hinreichend  große  Werte  von  i. 

Daraus  folgt,  daß  unsere  Annahme  falsch  war,  und  damit  ist 
der  Satz  bewiesen. 

Da  jeder  Punkt  von  (q)^  zugleich  ein  innerer  Punkt  von  (q)^ 
ist,  so  folgt  überdies,  daß  (q)^^  ganz  im  Innern  von  €L  enthalten  ist. 

Ist  ferner:  0  <  ^  <  (),  so  ist  a  fortiori  auch  [(?]^  ganz  im  Innern 
von  €L  enthalten. 

Ein  stetiger  Kurvenbogen 


')  Nach  A  I  5. 


)  Vgl.  A  I  4.     Die  Gleichung  (4)  bedeutet  natürlich 


Lh'J  =K.  «  =  1,2,. 


§  21.     Über  die  Umgebung  einer  Punktmenge.  157 

ist  eine  beschränkte,  abgeschlossene  Punktmenge ^)  im  x^^  ...,  ic,^-Raum. 
Liegt  daher  ein  solcher  Bogen  ganz  im  Innern  eines  Bereiches  6C, 
so  gibt  es  stets  eine  Umgebung  (q)  der  Kurve  ^,  welche  ganz  in  (EL 
liegt.  In  dieser  Form  haben  wir  schon  häufig  von  dem  Satz  Ge- 
brauch gemacht. 

b)  Lemma  II  (Erweiterter  Vorzeichensatz^)): 

Ist  die  Funktion  f{x^,  •  •  •?  ^„)  stetig  in^)  einem  Bereich  6C  und 
positiv  in  einer  heschränlden,  abgeschlossenen,  ganz  im  Innern  von  €L 
gelegenen  PunUmenge  (5,  so  läßt  sich  q  so  Mein  wählen,  daß  f(x^,  •  •  •?  ^J 
auch  noch  in  der  ganzen  Umgebung  (q)q  positiv  ist. 

Beweis:  Ist  G  irgend  ein  Punkt  von  (5,  so  ist  f  positiv  in  C 
und  da  C  ein  innerer  Punkt  des  Bereiches  €L  ist,  in  welchem  f  stetig 
ist,  so  läßt  sich  eine  gewisse  Umgebung  von  C  angeben,  in  welcher  / 
auch  noch  positiv*)  ist.  Bezeichnet  also  dh  die  Gesamtheit  der- 
jenigen Punkte  von  GL,  in  welchen  f  positiv  ist,  so  ist  die  Menge  6 
nicht  nur  in  6h  enthalten,  sondern  sie  liegt  auch  ganz  im  Innern 
von  6h.  Daher  können  wir  Lemma  I  auf  die  beiden  Mengen  0h  und 
(5  anwenden  und  erhalten  unmittelbar  den  obigen  Satz. 

Ist  z.  B.  die  Funktion  'f(x',  a^,  .  .  .,  aj  stetig  im  Bereich 

X^<x<X^,      a.-aP    <d,       /  =  1,2,  ...,w 
und  ist 

/•(a;;  <...,<)  >0, 
für 

X-^  <;^  X  <^  X2  , 
wo  X^  <  x^y  X2  <  ^2>  so  läßt  sich  h  so  klein  wählen,  daß 

in  dem  ganzen  Bereich 

x^—h<x<x^-\-h,  \a.  —  a.^\<k,     i  =  \^2,...,n. 

Denn    dieser   Bereich  ist    identisch   mit    der    Umgebung  (h)    der   be- 
schränkten, abgeschlossenen  Menge 

in  welcher  f  positiv  ist. 


*)  Nach  A  VII  1. 

^)  Der  Satz  ist  eine  Erweiterung  des  Satzes  von  A  III  2 

»)  Vgl.  A  III  1  und  3. 

*)  Nach  A  m  2. 


158     Viertes  Kapitel.     Hilfsdätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Yariabeln. 

Zusatz:  Das  obige  Lemma  bleibt  richtig,  wenn  darin  das  Wort 
„positiv^^  beidemale  durch  ,,von  Null  verschieden^^  ersetzt  wird. 
Denn  wird  nur  vorausgesetzt,  daß 

/-(rr,,  ...,^J  +  0     in     e 

so  bezeichne  (S'  (resp.  (2")  die  Gesamtheit  derjenigen  Punkte  von  (S, 
in  welchen  f  positiv  (resp.  negativ)  ist.  Alsdann  ist  jede  der  beiden 
Mengen  &,  Q-"  beschränkt  und  abgeschlossen.  Ersteres  ist  unmittelbar 
klar;  um  letzteres  zu  zeigen,  sei  H{ji^,  .  .  .,  hj  ein  Häufungspunkt 
von  ß';  dann  kann  man  aus  G'  ein  unendliche  Folge  ^)  von  Punkten 
FX^h  •  ■  '■>  ^n)  herausgreifen,  so  daß 

LP,  =  H. 

Aus  der  Stetigkeit  von  f  folgt  dann,  daß 

f{lh,...,K)  =  Lf{x;,...,x:)^0. 

r  =  CO 

Nun  ist  aber  der  Punkt  H  als  Häufuugspunkt  von  G'  a  fortiori  zu- 
gleich Häufungspunkt  von  (2,  und  da  (5  abgeschlossen  ist,  so  ist  H 
in  (2  enthalten;  es  ist  also  nach  Voraussetzung 

/-(Ä,,  ...,/O  +  0; 

daher  bleibt  nur  die  Möglichkeit,  daß  fQ^v-'-yhJ  positiv.  Der 
Punkt  H  gehört  also  zu  (2',  und  daher  ist  (B'  abgeschlossen;  das 
gleiche  gilt  von  G". 

Wir    können    also    nach    Lemma  H  zwei   positive    Größen   q\  q" 
angeben,  so  daß 

f{x„  ...,x^)>0     in     ((>V 

/•(^,,  ..  .,  ^J<0     in     (^")cP"- 

Bezeichnet  daher  q  die  kleinere  der  beiden  Größen  q\  (j'',  so  folgt 
leicht,  daß 

/•(a^i,  ...,  rrJ  +  0     in     {q)(o. 

§  22.    Bin  Satz  über  eindeutige  Abbildung  und  seine  Anwendungen. 

Es  handelt  sich  um  die  Auflösung  der  n  Gleichungen 

yi-fii^v  --v^J.         i=l,2,...,n,  (5) 

nach  x^,  .  .  .,  x^.     Wir  formulieren  zunächst  den   Satz,   wie  er  in  den 


1)  Vgl.  A  I  4. 


§  22.     Ein  Satz  über  eindeutige  Abbildung  und  seine  Anwendungen.     159 

Lehrbüchern  gegeben  zu  werden  pflegt,  und  knüpfen  daran  die  Er- 
weiterung, die  wir  für  die  Zwecke  der  Variationsrechnung  nötig 
haben. 

a)  Der  Satz  über  die  Inversion  eines  Funktionensystems  für  die 
Umgebung  eines  Punktes: 

Dabei    wird     die    Auflösung    des    Gleichungssystems    (5)    unter 
folgenden  Annahmen  betrachtet: 

A)  Die    Funktionen    f^ix^,  .  .  .,  x^     sind    von    der   Klasse  C  in 
einer  gewissen  Umgebung  {d)  eines  Punktes   x^  =  a^,  .  .  .,  x^  =  a^. 

B)  Die  Funktionaldeterminante 


A(^l,     ...yX^) 


d(x^,  ..•,^„) 


ist  an  der  Stelle  (a)  von  Null  verschieden. 
Setzt  man  dann 

so  läßt  sich  nach  Annahme  einer  hinreichend  kleinen  positiven  Größe 
ö  <.d  eine  zweite  positive  Größe  s  derart  bestimmen,  daß  die 
Gleichungen  (5)  für  jedes  Wertsystem  i/^,  .  .  . ,  y^^  für  welches 

\yi-W<^,  i=l,2,  ...,n, 

eine  und  nur  eine  Lösung  x^,  .  .  .,  x^  besitzen,  für  welche 

\^i  —  ^i\<^  y  i=  1,2,  .  .  .,  n. 

Bezeichnen  wir  diese  Lösung,  die  natürlich  von  Vi,  y^^  -  •  -j  Vn  ^^~ 
hängt,  mit 

^i  =  ^iiVly  2/2;  •  •  •;  2/J  ;  i  =  1,  2,  .  .  .,  >2  , 

SO  sind  die  Funktionen  ?^.  eindeutig  definiert  und  von  der  Klasse  C 
im  Bereich:  |  ^/^  —  ö^  |  <  £,  und  die  partiellen  Ableitungen  von  i^,. 
werden  nach  den  gewöhnlichen  Differentiationsregeln  für  implizite 
Funktionen  erhalten.  Der  Satz  ist  ein  spezieller  Fall  des  Dini'schen 
Satzes  über  implizite  Funktionen^). 


^)  Für  den  Beweis  des  letzteren  verweisen  wir  auf  Dini,  Analisi  infini- 
tesimale (litt.),  Bd.  I,  p.  163;  Peano,  Differentialrechnung,  Nr.  110—117; 
C.  Jordan,  Cours  d' Analyse,  I,  Nr.  91,  92;  Osgood,  Lehrbuch  der  FunJctionen- 
theorie,  Bd.  I,  p.  47—57. 


160     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

b)    Der   erweiterte   Satz   über   die   Inversion   eines  Punktionen- 

systems^): 

Wir  betrachten  jetzt  die  Auflösung  des  Gleichungssystems 

yi-fi{^i,-"y^n)y  i=l,2,...,n,  (5) 

und  zugleich  die  durch  diese  Gleichungen  vermittelte  Abbildung  des 
(a;)-Raumes  auf  den  (?/)-Raum  unter  den  folgenden  allgemeineren 
Voraussetzungen : 

A)  Die  Funktionen  fi(oc^,  -  -  - ,  xj  sind  von  der  Klasse  C  in 
einem  Bereich  6t. 

B)  (5  ist  eine  beschränkte,  abgeschlossene  Punktmenge  im  Innern 
von  (9L. 

C)  Zwei  verschiedenen  Punkten  (x),  (x')  von  6  tverden  durch  die 
Transformation  (5)  allemal  zwei  verschiedene  Punkte  (y'),  («/")  m-^ 
geordnet. 

D)  Die  Funktionaldeterminante 

n[^x„  . . .,  x„)  -  8(a,„...,a.„) 

ist  von  Ntdl  verschieden  in  (2. 

Alsdann  läßt  sich  eine  positive  Größe  q  so  klein  ivählen,  daß  die 
Transformation  (5)  eine  ein-eindeutige  Beziehung  zwischen  der  Um- 
gebung {q)(o  und  deren  Bild  of  im  (y)-Baum  definiert,  oder  anders 
ausgedrückt,  daß  für  jedes  {y)  in  ^  die  Gleichungen  (5)  eine  und  nur 
eine  Lösung  in  (q)^  besitzen. 

Beweis:  Zunächst  können  wir  nach  §  21,  a)  eine  positive  Größe 
d  so  klein  wählen,  daß  die  Umgebung  (d)^  ganz  im  Innern  von  (SC 
liegt.  Alsdann  wählen  wir  eine  abnehmende  Folge  positiver  Größen 
mit  der  Grenze  Null: 


^  >  (>i  >  (>2  >  •  •  •  Pv  >  •    •  >  0 


(6) 


und   nehmen   an,    es    gäbe    für   jeden  Wert   des  Index  v  in  der  Um- 
gebung {q^)q  mindestens  ein  Paar  verschiedener  Punkte 

JTy  [Xi  y,    .   .   .  ,    Xn  v)  y  J^v  y^^l  r  7    •  •   •  j    «^w  v)  ; 

deren    Bilder    im    (2/)-Raum    zusammenfallen.      Wir    wollen    zeigen, 


^)  Siebe  BoLZA,  Mathematiscbe  Annalen,  Bd.  63  (1906),  p.  247;  vgl.  auch 
BoLZA,  Lectures,^  §  34,  wo  ein  spezieller  Fall  des  Satzes  bewiesen  wird. 


§  22.     Ein  Satz  über  eindeutige  Abbildung  und  seine  Anwendungen.     161 

daß  diese  Annahme  zu  einem  Widerspruch  mit  unseren  Voraus- 
setzungen führt. 

Zu  diesem  Zweck  bemerken  wir  zunächst,  daß  nach  der  Definition 
der  Umgebung  einer  Punktmenge  den  Punkten  PJ^  F"  sich  zwei 
Punkte  von  Q  zuordnen  lassen: 

derart  daß^) 

\<^-^::<9.,     \<-K\<9„  (7) 

und  betrachten  nunmehr  die  Folge  von  Punkten 

V  =  1,2,  .  .  .,  in  inf. 

im    2?^-dimensionalen    Raum    der    Yariabeln    ^',  ...,^'-  H"  ä 

Dieselbe  ist  enthalten  in  der  durch  die  Bedingungen 

(?;... ,Q  in  e-     (r;,...,c)  ^  e 

definierten  Menge  S).  Letztere  Menge  ist  beschränkt;  also  ist  es 
auch  die  Menge  {Z^}.  Daraas  folgt  nach  der  in  §  21,  a)  benutzten 
Methode,  daß  ein  Punkt  (h^,  ..  .,  y-  h[\  .  ..,  h^)  und  eine  zugehörige 
Teilfolge  [Z^^j  von  [Z^,]  existieren  (wo  wieder  v„  +  i>v^,),  der- 
art daß 

oder,  was  dasselbe  ist, 

L  n'  =H',       L  n"  =H'\ 

^.=00   ^"        '     ,,  =  ,0   "x' 

wenn, wir  mit  H'  und  H''  die  Punkte 

im  (a;)-Raum  bezeichnen. 

Die  Menge  S)  ist  überdies  abgeschlossen,  wie  leicht  zu  zeigen 
ist;  daraus  schließt  man  wie  in  §  21,  a),  daß  der  Punkt  {Ji^,  .  .  .,  h'-, 
K\  •  •  •.  ^C)  2U  S)  gehört,  d.  h.  daß  die  beiden  Punkte  H',  H"  zur 
Menge  (2  gehören.     Endlich  folgt  aus  (6)  und  (7),  daß  auch 

zp;  =^^  lf:  ^H".  (S) 


U  =  yi  !-^  U  =  CK 


^)  Dem  Index  i  sind  stets  die  Werte  1 ,  2 ,  .  .  . ,  »i  zu  geben. 

B  o  1  z  a ,  Variationsrechnung.  11 


162     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

Nun  läßt  sicli  aber  zeigen^  daß  die  beiden  Punkte  H\  H"  zusammen- 
fallen   müssen.      Denn    nacb    der    Definition    der    Punkte    F'^,  P''  ist 

also  wenn  wir 

F{x[,  ...,  <;  x",  ...,  <')  =^lUx;,  ■■;  <)-/;«,  .  .  .,  x")J 

definieren^ 

Aus  (8)    folgt    daher    unter    Berücksichtigung  der  Stetigkeit  der 
Funktion  Fj  daß 

jF(x;,., . . .,  :.•:„,_;  <;, . . .,  X-)  =  F{h;,  .  . .,  /</;  K, . .  .,K)  =  0, 

also,  da  wir  es  nur  mit  reellen  Größen  zu  tun  haben, 

Das  heißt  aber:  Die  Bilder  der  beiden  Punkte  H\  H"  fallen  zusammen, 
und  daher  müssen  die  beiden  Punkte  selbst  nach  Voraussetzung  C) 
zusammenfallen,    da   sie   beide  zur  Menge  (S  gehören.     Wir  schreiben 

H'  =  H"  =  H-, 

also  ist 

Lp;  ^H,       lf;:  ==H.  (9) 

Somit  folgt  aus  der  eingangs  gemachten  Annahme,  daß  es  einen 
PmiU  H  der  Menge  6  gibt,  derart  daß  in  jeder  Nähe  von  E  Faare 
verschiedener  Funite  existieren,  deren  Bilder  im  (y)-Raum  zusammen- 
fallen. 

Dies  führt  nun  aber  unmittelbar  zu  einem  W^iderspruch  mit 
unseren  Voraussetzungen.  Denn  einerseits  sind  für  den  Punkt  H  die 
Voraussetzungen  des  Satzes  von  §  22,  a)  erfüllt;  bezeichnet  also  K 
das  Bild  des  Punktes  H  im  (i/)-Raum,  so  lassen  sich  nach  a)  zwei 
positive  Größen  ö  und  8  angeben,  derart  daß  die  Gleichungen  (5) 
für  jedes  Wertsystem  {y)  in  der  Umgebung  (f)  des  Punktes  K  eine 
und  nur  eine  Lösung  in  der  Umgebung  {6}  des  Punktes  H 
besitzen. 

Andererseits  folgt  aber  aus  den  Gleichungen  (9)  und  aus  der 
Stetigkeit  der  Funktionen  /*.,  daß 

,i  =  r,       -" 


§  22.     Ein   Satz  über  eindeutige  Abbildung  und  seine  Anwendungen.     163 

wenn  Q^,  den  gemeinsamen  Bildpunkt  von  P,'^^  und  P,"  bezeichnet. 
Wir  können  daher  nach  (9)  den  Iudex  a  so  groß  wählen^  daß  F!  und  P/' 
in  die  Umgebung  (d)  des  Punktes  Hy  und  gleichzeitig  Q^  in  die 
Umgebung  (s)  des  Punktes  j^  fällt ^  was  einen  Widerspruch  mit  dem 
Vorangegangenen  involviert,  da  für  {y)  =  Q^,  die  Gleichungen  (5)  die 
beiden  verschiedenen  Lösungen  {x)  =  P,'^^   und!^  P,''   besitzen. 

Daher  muß  die  Annahme,  von  der  wir  ausgegangen  sind,  falsch 
sein;  es  muß  also  mindestens  einen  Wert  v  =  m  geben,  derart  daß 
zwei  verschiedenen  Punkten  der  Umgebung  (q^)(d  durch  die  Trans- 
formation (5)  allemal  zwei  verschiedene  Punkte  des  (i/)-Raumes  zu- 
geordnet werden.  Sobald  wir  also  q  ^  q,^^^  wählen ,  ist  die  durch  (5) 
definierte  Beziehung  zwischen  (q)q  und  (^^  eine  ein- eindeutige,  Q.  E.  D. 

c)  Eigenschaften  des  Bereiches  oT  und  der  inversen  Funktionen: 

Wird  Q  der  zuletzt  angegebenen  Bedingung  gemäß  gewählt,  so 
haben  die  Gleichungen  (5)  für  jedes  der  Menge  of^  angehörige  Wert- 
system «/i,  ...;«/„  eine  und  nur  eine  Lösung  Xj_,  .' .  ,  x^^  in  der  Um- 
gebung (q)(d.  Diese  Werte  der  x  sind  daher  in  of,,  eindeutig  de- 
finierte Funktionen  von  y-i,  ■  -  -,  y^,  die  wir  mit 

^i-^i(yu  ■■-,yn)  (10) 

bezeichnen.     Es  soll  gezeigt  werden 

Zusatz  I:  Unter  den  Voraussetzungen  A)  bis  B)  läßt  sich  q  so 
Mein  wählen,  daß  jeder  Punkt  der  Menge  oT  ein  innerer  Punkt  von  oT 
istj  und  daß  überdies  die  inversen  Funktionen  i^^iy^,  .  .  .,  yj  in  oT  von 
der  Klasse  C  sind. 

Zum  Beweis  wählen  wir  q{^  q^)  so  klein,  daß 

A(;ri,  ...,  ^;)  +  0     in     (^)g,  (11) 

was  nach  §  21,  b)  auf  Grund  unserer  Voraussetzungen  A),  B),  D) 
möglich  ist.  Alsdann  sei  (x)  irgend  ein  Punkt  von  (^)g,  und  (y) 
sein  Bild  im  (y)-Uaum.  Nach  einer  früheren  Bemerkung  ist  der 
Punkt  (x)  zugleich  ein  innerer  Punkt  von  (q)q]  wir  können  also 
eine  positive  Größe  d  so  klein  wählen,  daß  die  ganze  Umgebung  (d) 
von  (x)  auch  noch  in  (q)^  liegt.  In  dieser  Umgebung  (d)  sind  dann 
die  Funktionen  f.  von  der  Klasse  C-,  ferner  ist 

A«,  ...,<) +  0. 

Wir  können  also  nach  dem  gewöhnlichen  Inversionssatz  (§  22,  a)) 
zwei    positive    Größen    d  <d    und   s   angeben,    derart    daß   für  jeden 

11* 


164     "Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

Punkt  {y)  in  der  Umgebung  {e)  des  Punktes  («/')  die  Gleichungen  (5) 
eine  und  nur  eine  Lösung  {x)  in  der  Umgebung  (d)  des  Punktes  (x) 
besitzen^  und  daß  gleichzeitig  die  inversen  Funktionen  il^^ij)^,  ••.,«/„) 
in  der  Umgebung  (t)  von  {tj)  von  der  Klasse  C  sind. 

Jeder  Punkt  (?/)  in  der  Umgebung  (f)  des  Punktes  (?/')  ist  daher 
das  Bild  eines  Punktes  {x)  des  Bereiches  {q)q  und  gehört  daher  zur 
Menge  oT  Das  heißt  aber,  jeder  Punkt  der  Menge  o^  ist  ein  innerer 
Punkt  von  qT,  und  zugleich  folgt,  daß  z^j(^i,  •  ■  -y  Pn)  ^^  ^  ^^^  ^®^ 
Klasse  C  ist. 

In  dem  speziellen  Fall,  wo  der  Bereich  (q)^  zusammen- 
hängend ist,  ist  auch  c£  zusammenhängend^);  in  diesem  Fall  ist 
daher  der  Bereich  c£  ein  Kontinuum'-). 

Aus  dem  eben  bewiesenen  Zusatz  ergibt  sich  unmittelbar  der 
folgende 

Zusatz  II:  Bezeichnet  8  das  durch  die  Transformation  (5)  defi- 
nierte Bild  der  Menge  (S  im  (yyBaum,  so  läßt  sich  anter  den  Voraus- 
setzungen A)  bis  D)  neben  der  Größe  q  eine  ztveite  positive  Größe  6 
bestimmen,  derart j  daß  die  Gleichungen  (5)  für  jedes  (y)  in  der  Um- 
gebung {ö)q  eine  und  nur  eine  Lösung  (x)  in  der  Umgebung  (q)(o  besitzen. 

Denn  da  (5  beschränkt  und  abgeschlossen  ist,  so  ist  auch  8  be- 
schränkt und  abgeschlossen^),  und  nach  dem  eben  Bewiesenen  liegt 
8  ganz  im  Innern  von  gT.  Also  können  wir  nach  §  21,  a)  6  so 
klein  wählen,  daß  die  Umgebung  (^)g  ganz  in  of  enthalten  ist,  wo- 
mit unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

d)  Der  allgemeine  Satz  von  der  Existenz  eines  Feldes: 

Es  sei  jetzt  eine  n-parametrige  Schar  von  Kurven  im  (n  -\-  1)- 
dimensionalen   Raum  der  Variabein  x^,  ^2?  •  •  •?  ^«  +  1  gegeben 

Xj  =  (p^(t,  a,,  .  .  .,  aj,       i  =  1,  2,  . .  .,  w  +  1 ,  (12) 

welche  folgende  Bedingungen  erfüllt : 

A)  Die  Funktionen  9^1,  ^2;  •  •;  ^«  +  1  ^^^^  ^^^  Funktionen  ihrer 
n  -\-  1  Argumente  von  der  Klasse  C  in  einem  Bereich 

T,<t<T,,         \a,-a^\<d,         i  =  l,2,...,.K     (12a) 

B)  Die  spezielle  Kurve 

(g^:       a;,^^'/^,  <,...,  O,     h<^<h^    i=l,  2,  ...,  w  +  1, 

^)  Nach  Jordan,  Cours  d' Analyse^  I,  Nr.  64. 

2)  Vgl.  A  I  9. 

3)  Nach  A  VII  1. 


I 


§  22.     Ein  Satz  über  eindeutige  Abbildung  und  seine  Anwendungen.     165 

(wobei  Tj  <  t^,  ^  <  Tg),  hat  keine  mehrfachen  Punkte,  d.  h.  zwei  ver- 
schiedenen Werten    von  t  im    Intervall    [^1^2]    entsprechen    stets   zwei 
verschiedene  Punkte  der  Kurve  @q. 
C)  Die  FunMionaldeterminante 

A(t,a„...,aj-      „^^^^^^     ----- 

ist  von  Null  verschieden  entlany  (£(,,  d.  h. 

Ht,<,---,<)  +  0     in     [tj,-].  (13) 

Alsdann  lassen  sich  die  positiven  Größen  h,  \,  .  .  .,  \^  so  Mein  wählen^ 
daß  die  Gleichungen  (12)  eine  ein-eindeutige  Beziehung  zivischen  dem 
Bereich 

€L:        t^  —  h^t^t^-{-hy     Ict'i  —  G.i^lZJu,     i  =  lj2,  .  .  .,  n 

und  dessen  Bild  oT  im  (x)-Raum  definieren,  und  daß  gleichzeitig 

A{t,a,,...,a^)^0  (14) 

im  ganzen  Bereich  (3i. 

Bas  Bild  oT^  des  Bereiches 

eU:     t,-h<t<t^  +  h,     \a,-a,^\<]i.,     i=l,2,...,n, 

bildet  dann  ein  Kontinuum,  und  die  durch  Auflösung  der  Gleichungen 
{12)  erhaltenen  inversen  Funktionen 

t  =  i{X^j   •  '  -y  ^n  +  l) 

a,  =  a,(x„  ...,  x^^^) 


(15) 


sind  im  Bereich  of  von  der  Klasse  G\ 

Der  Satz  ist  ein  spezieller  Fall  unseres  erweiterten  Inversions- 
satzes. Der  dort  mit  (B  bezeichneten  Punkt  menge  entspricht  hier 
die  Menge 

(2:     t.^t^t,,         a.  =  a,'',         i=l,2,  ...,n, 

welche  in  der  Tat  beschränkt  und  abgeschlossen  ist  und  ganz  im 
Innern  von  (12  a)  liegt.  Der  Satz  ergibt  sich  dann  unmittelbar,  wenn 
man  noch  beachtet,  daß  die  Umgebung  (q)^o  hier  nichts  anderes  ist 
als  der  Bereich 

ti-  Q  <J<t2  +  9?         l^h-  (^i^\  <Qy         ^'=  1?  2,  .  .  .,  n. 
Man  hat  dann  nur  h,  l\,  .  .  .,  k^  <  ^  zu  wählen. 


166     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

Zusatz:  In  dem  speziellen  Fally  ivo  die  Koordinaten  der  Kurven- 
punkte sich  als  eindeutige  Funktionen  einer  dieser  Koordinaten  aus- 
drücken lassest,  ist  die  Bedingung  B)  stets  erfüllt  und  kann  daher  iveg- 
gelassen  werden. 

Denn  lautet  z.  B.  die  letzte  der  Gleicliungen  (12) 

SO   entsprechen    zwei    verschiedenen  Werten   von  /  stets   verschiedene 
Werte    von  x^^^,    also    sicher   auch  zwei  verschiedene  Kurvenpunkte. 
Man  beachte  noch,  daß  in  diesem  Fall 

e)  Der  erweiterte  Satz  über  implizite  Funktionen: 
Bei     dem     Satz^)     über     implizite    Funktionen     in     seiner     ge- 
wöhnlichen Form  handelt  es  sich  um  die  Auflösung  eines  Gleichungs- 
systems 

a^v  ■  •  •.  ^.5  l/v  '•■,yn)-^^  i=l,2,--  ',  n.         (16) 

Dabei  wird  vorausgesetzt,  es  sei  eine  spezielle  Lösung  von  (16): 

x^  =  «!,..  .,  x.^  =  ff,,/,         2/i  =  h,  -  -y  Vn  =  ^«  (l'^) 

bekannt,  in  deren  Umgebung  die  Funktionen  f.  von  der  Klasse  C 
sind.  Ferner  wird  angenommen,  daß  an  der  Stelle  (17)  die  Funktional- 
determinante 

von  Null  verschieden  ist. 

Alsdann  lassen  sich  die  Gleichungen  (16)  in  der  Umgebung  der 
Stelle  (17)  eindeutig  nach  ij^,  .  .  .,  i/„  auflösen,  das  heißt:  Zu  jedem 
hinreichend  kleinen  positiven  a  gibt  es  eine  zweite  positive  Größe  ö 
derart,  daß  für  jedes  Wertsystem  x^,  x^,  .  .  .,  <,  welches  den  Un- 
gleichungen 

genügt,  die  Gleichungen  (16)  ein  und  nur  ein  Lösungssystem  y^,  •  .  .,  ?/„ 
besitzen,  welches  den  Ungleichungen 

Vi-h    <^y         1 2/2  -  ^2  i  <  ^;  •  •  •.  Vn-K    <^ 

genügt. 


1)  Vgl.  die  Zitate  auf  p.  159,  Fußnote  ^). 


§  22»     Ein  Satz  über  eindeutige  Abbildung  und  seine  Anwendungen.     167 

Überdies  sind  die  hierdurch,  eindeutig  definierten  impliziten 
Funktionen:  yi  =  i^iipu  -  ■ -,  ^m)  i^  ^^^  Umgebung  der  Stelle 
^1  =  ^D  •    •?  ^m  ==  ^m  ^^^  d®^  Klasse  C 

Auch  dieser  Satz  läßt  sich  von  der  Umgebung  einer  einzelnen 
Stelle  auf  die  Umgebung  einer  Punktmenge  ausdehnen.  Dabei  sollen 
folgende  Voraussetzungen  gemacht  werden: 

A)  Die  Funktionen  /'■  sind  von  der  Klasse  C  in  einem  Bereich 
€L  des  (x ,  y) -Raumes. 

B)  Die  Gleichungen  (16)  werden  befriedigt  durch  die  Koordinaten 
X,  y  der  Punkte  einer  beschränkten,  abgeschlossenen  Menge  (5,  welche 
gans  im  Innern  von  (EL  liegt. 

C)  Sind  (x,  y)  und  (x'y  y")  zwei  verschiedene  Punkte  von  6,  so 
ist  allemal  auch  (x)  =H  (^") ^)- 

D)  Die  Funliionaldeterminante 

ist  von  Null  verschieden  in  (5. 

Bezeichnet  alsdann  f(r  die  „Projektion"  von  (S  in  den  (:z;)-Raum 
so  lassen  sich  zwei  positive  Größen  q  und  6  angeben,  derart  daß  es 
mt  jedem  (x)  in  der  Umgebung  {^)^^  eine  und  nur  eine  Lösung  (y)  des 

Gleichungssystems  (16)  gibt,  für  welche  {x,  y)  in  der  Umgebung  {q)q 
liegt,  und  daß  die  durch  Auflösung  der  Gleichungen  (16)  erhaltenen 
impliziten  Funldionen 

yi  =  ^zK  •  •  •;  ^J;         i  =  1,  2,  .  .  .,  n,  (18) 

im  Bereich  ip)^  von  der  Klasse  C  sind. 

Dabei  ist  unter  der  Projektion  eines  Punktes  x^,  . . .,  x'^.^,  y^,  ---^yn 
in  den  (a;)-Raum  der  Punkt:  x^  =  x[,  .  .  .,  x^^  =  x.'^^  verstanden. 

Zum  Beweis  betrachten  wir  zunächst  die  Auflösung  des  Gleichungs- 
systems 

(/y  =  l,  2,  ...,m;  i^\,2,...,n)  ]  ^     ^ 

nach  x^,  .  .  .,  x^^,  ^Jv-y  y^ 

Auf  dieses  Gleichungssystem  können  wir  den  Zusatz  11  zu  dem 
erweiterten  Inversionssatz  (§  22,  c))  anwenden.  Man  erhält  dann 
unter   Berücksichtigung    der    speziellen    Form    des    Systems   (19)    das 

^)  Wir  können  diese  Bedingung  auch  so  ausdrücken:  Innerhalb  der  Menge 
<B  sind  die  Gleichungen  (16)  eindeutig  nach  2/ii  ♦••»  2/«  auflösbar. 


168     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

Resultat:    Es    gibt    zwei   positive   Größen    q   und  6    derart^    daß   die 
Gleichungen    (19)    für    jedes    (x^^  .  .  .,  it;„)     in    (c)^^   und    für   jedes 

Ki  +  v  ■  •  -j  ^m+nj  ^^^  welches  !w,„^.J  <6,   ein   und  nur  ein  Lösungs- 
system 

(»=1,2,  ...,«) 

besitzen,  für  welches  der  Punkt  {x,  y)   in  {q)q  liegt. 

Setzt  man  schließlich  w^+<  =  0,  so  erhält  man  den  obigen  Satz. 
Wir  werden  den  Inhalt  dieses  Satzes  kurz  dahin  zusammenfassen,  daß 
unter  den  Voraussetzungen  A)  bis  D)  die  Gleichungen  (16)  sicfi  in 
der  Umgebung  der  Funktmenge  6  eindeutig  nach  2/i?  •  •  •;  2/n  CL'^ßösen 
lassen  ^). 

23.    Exi  stenztheoreme  für  Systeme  von  gewöhnlichen  Differential- 
gleichungen. ^) 

W^ir  betrachten  in  diesem  Paragraphen  ein  System  von  n  Diöe- 
rentialgleichungen  erster  Ordnung: 

^' =  /.(«,  ^1,^2,  ■••,*„),        A-=l,2,    ..,«,  (20) 

unter  folgenden  Voraussetzungen: 

A)  Die  reellen  Funktionen  fj.(ty  x^,  x^y  ...y  x^^  sind  eindeutig 
definiert  und  stetig  in  einem  Bereich  (Et  im  Raum  der  reellen  Vari- 
abein t,  X-^,  x^,  . .  .,  x^. 

B)  Die  ])artiellen  Ableitungen  der  f\  nach  x^,  x^,  .  .  .,  x^^ 


Cfk 

dxi 
existieren  und  sind  stetig  im  Innern  desselben  Bereiches  (9L. 


1)  Zugleich  folgt  noch,  daß  {6)s^  in  {q)^  enthalten  ist,  und  daraus  folgte 
daß  stets  0^9,  da  es  Punkte  des  (ic)  -  Raumes  gibt,  die  außerhalb  %  liegen  (vgl. 
p.  155,  Fußnote  *).  Daraus  ergibt  sich  weiter,  daß  jede  in  (0)^  gelegene  Lösung 
des  Systems  (16)  zugleich  dem  System  (18)  genügt  und  umgekehrt. 

*)  Vgl.  für  das  folgende  das  Referat  von  Paixlkve,  Encyclopädie,  II  A, 
p,  190—200,  und  die  zusammenfassende  Darstellung  von  Bllss,  (Ann als  of 
Mathematics,  (2)  Bd.  VI  (1905),  p.  49—68),  dem  ich  mich  in  der  Bezeichnung 
und  der  Formulierung  der  Sätze  angeschlossen  habe. 


§   23.    Existenztheoreme  für  Systeme  von  DifFerentialgleichungen.       169" 

C)  Der  Punkt  J.(r,  Ij,  Ig?  •  •  •?  U  li^g^  i^'  Innern  des  Be- 
reiclies  (St. 

Den  Bereicli  (9L  nennen  wir  den  „Stetigkeitshereich  des  Systems  {20)". 
Es  soll  eine  Lösung  des  Systems  (20)  bestimmt  werden,  welche  den 
Anfangsbedingungen 

x,{x)  =  l„        h  =  l,2,...,n,  (21) 

genügt. 

a)  Bestimmung  eines  Elementes  der  Lösung: 

Da  der  Punkt  A  im  Innern  von  €L  liegt ^  so  läßt  sich  eine 
positive  Größe  q  so  bestimmen,  daß  auch  die  geschlossene  Umgebung 
\ß\  des  Punktes  Aj  d.  h.  der  durch   die  Ungleichungen 

definierte    Bereich,     ganz    im    Innern    von    (9L    liegt.      In    dem    ab- 
geschlossenen   Bereich    [q\    erreicht    jede     der    stetigen     Funktionen 
fk{h  ^u  ^2'  •  •  •;  ^«)  I   einen  endlichen  Maximalwert;  sei  M  der  größte 
derselben,   und   sei   l  die   kleinere  der  beiden  Größen:  p,  ^• 
Alsdann  gibt^)  es  ein  Funhtionensystem  (eine  „Kurve^^) 

^k-^M,         Ä;=l,2,  ...,^,  (22) 

welches  für   das   Intervall:    \t  —  t   ^l   eindeutig   definiert  ist  und  in 
demselben  folgende  Eigenschaften  besitzt: 

1.  Die  Functionen  Xj^(t)  sind  stetig  und  differentiierbar. 

2   Sie  genügen  den  Ungleichungen: 

«.(*)- 1.1^9-  (23) 

3.  Sie  genügen  dem  System  von  Differentialgleichungen 

~Ji   ""  tkVJ  ^V  ^2)  '  ■  ■)  ^n)-  (2Ö) 

4,  Sie  genügen  den  Anfangsbedingungen 

^.W  =  l..  (21) 

Eine  Folge  dieser  Eigenschaften  ist,  daß  auch  die  Ableitungen 
Xj^(t)  in  demselben  Intervall  stetig  sind. 

Da  die  gefundene  Lösung  vorläufig  nur  für  eine  gewisse  Um- 
gebung von  t  =  r  definiert  ist,   so   nennen  wir  sie  ein  ,,Elemenf'  der 

1)  Zuerst  von  Cauchy  bewiesen,  vgl.  Picard,  Traite,  Bd.  II  (1905),  p.  322-330, 
340—345;  Goursat,  Cours  d' Analyse,  Bd.  II,  p.  369—371,  376—382. 


170     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

durch   die   Differentialgleichungen   (20)   und   die  Anfangsbedingungen 
(21)  definierten  Kurve. 

Zusatz^):  Ist  €1^  eine  beschränkte,  abgeschlossene  Menge  im 
Innern  von  OL,  so  läßt  sich  eine  positive  Größe  l^  angeben,  so  daß 
die  Lösung  durch  irgend  einen  Punkt  (t,  li,  .  .  .,  U  von  SLq 
mindestens  im  Intervall  f-t  ^l,  existiert  und  im  Innern  von  (^ 
liegt.  Denn  wir  können  dann  nach  §  21,  a)  eine  geschlossene  Um- 
gebung [^o]e7,  angeben,  welche  ganz  im  Innern  von  ÖL  liegt.  Ist 
Mq  der  größte  der  Maximalwerte  der  Funktionen    /it    in  [.9o\a^y  so  ist 

Iq  die  kleinere   der  beiden  Größen  Qo^  m  ' 

b)  Die  Peano'sche  Ungleiclmiig: 

Es  sei  6h  ein  Bereich  im  Gebiet  der  Variabein  t,  x^,  x^,  .  .  .,  a?„, 
in  welchem  die  Funktionen  f,{t,  x,,  .  .  .,  x,)  stetig  sind  nnd  der 
Lipschit/schen  Bedingung  genügen,  d.  h.  es  soll  eine  positive  Große 
K  geben,   derart    daß   für   irgend  zwei  Punkte  von  ^  mit  derselben 

^  Koordinate: 

t,  x^,  .  .  .;  <     und     t,  .%  ,  .  .  .,  x^  , 


die  Ungleichungen  gelten 

n  I 

(24) 


m, x;, . . .,  <) - at,  xc, ..., x,:') \<k2.x:- x" \ [_ 

(^•  =  1,  2,  ...,») 


Ferner  seien  _ 

x,-x,{i),        x,  =  x,(t), 

(^  =  1,2,  ...,n) 

zwei    für    dasselbe    Intervall:    a^t^ß    definierte    Lösungen ^j    des 
Systems  (20),  welche  ganz  im  Bereich  ^  liegen.,' 
Setzt  man  dann 

u,(t)  =  x,{t)-x,(i), 

so  ist 


1)  Vgl.  Bliss,  loc.  cit.,  p.  53.  .    ..     •  j-„  «i„K„ 

»   Dies  involviert  die  Differentiierbarkeit   (und  daher  a  fortiori  die  Stetig- 
keit) L  x,it)  und  S,(()  in  [aßU   was  in  der  Folge  stets  in  dem  Wort  „Lösung 
inbegriffen  sein  soll. 


§  23.    Existenztheoreme  für  Systeme  von  Differentialgleichungen.       171 
also  wegen  (24) 

!t!<j^h!-  (25) 

Beachtet    man^    daß    für    die    vordere    Derivierte^)    von  \Uf.\  die    Un- 
I      gleichung  gilt 

dt  \^      dt      ^  \  dt    ' 
I      so  folgt  hieraus 

d  ^\  Ui  \ 

-  1^^^\  ^h   <  —^t —  <  Kn^\  u,  \ , 

woraus    man    durch   Integration    zwischen    den    Grenzen  Iq  und  t  die 
folgende  von  Peano^)  herrührende  Ungleichung  erhält: 

>i  n 

2 1  m)  -  Xiit)  I  <e«^ '-'«i^  I  S,(g  -  ^IQ  i ,         (26) 
für 

wenn  t^  irgend  einen  Wert  von  t  im  Intervall  \aß'\  bedeutet. 

c)  Einzigkeit  der  Lösung: 

Wir  kehren  jetzt  wieder  zu  den  Annahmen  und  Bezeichnungen 
von  §  23^  a)  zurück.     Es  sei 

€:  ^,  =  ^,W,         ^<t^ß,         l^l,2,...,n, 

irgend    eine    für    ein    gewisses    Intervall   \aß'\    definierte  Lösung   des 
Systems  (20),  welche  ganz  im  Innern  des  Bereiches  €L  liegt  ^). 

Dann  können  wir  nach  §  21,  a)  eine  positive  Größe  6  so  klein 
wählen,  daß  auch  die  geschlossene  Nachbarschaft  [p]  der  Kurve  % 
d.  h.  der  durch  die  Ungleichungen 

definierte  Bereich  ganz  im  Innern  von  (SC  liegt. 

^)  Vgl.  Bliss,  loc.  cit.,  p.  54,  Fußnote;  vgl.  auch  A  IV  1. 
2)  Vgl.  Nouvelles  Annales  (3),  Bd.  XI  (1892),  p.  79  undAtti  diTorino, 
Bd.  XXXIII  (1897),  p.  9. 

'')  Das    soll    heißen:     für    jedes  t    im    Intervall     [aß]    liegt    der    Punkt 

i,  a?! (#),.. .,  x„{f)  im  Innern  von  (3i. 


172    Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Yariabeln. 
Ferner  sei 

eine  zweite  ebenfalls  für  das  Intervall  [aß]  definierte  Lösung  von 
(20),  welche  ganz  in  [ö]  liegt.  Dann  folgt  aus  der  Stetigkeit  der 
Funktionen  /V,  daß  im  Bereich  [ö]  die  Lipschitz'sche  Bedingung 
erfüllt  ist.^)  Wir  dürfen  also  auf  die  beiden  Lösungen  S  und  S  die 
Peano'sche  Ungleichung  (26)  anwenden.  _ 

Hieraus  folgt  sofort:  Wenn  die  beiden  Lösungen  (^  und  S  sich 
in  einem  Punkt  schneiden,  d.  h.  wenn  es  einen  dem  Intervall  [ccßj 
angehörigen  Wert  f^  gibt,  für  welchen 

so  ist 

Xj^it)  ~  Xj^it)     im  ganzen  Intervall     [«/?]. 

Wir  können  aber  die  Voraussetzungen  dieses^  Satzes  noch  ab- 
schwächen: Wir  wollen  von  der  zweiten  Lösung  ^  nicht  mehr  vor- 
aussetzen, daß  sie  in  der  Nachbarschaft  [ö]  liegt,  sondern  nur,  daß 
sie  im  Innern  von  (SC  liegt  und  daß  sie  mit  der  ersten  Lösung  (£ 
einen  Punkt  f^  gemein  hat.  Daraus  folgt  wegen  der  Stetigkeit  der 
Funktionen  Xj^{t)  und  Xj^{t),  daß  wir  ein  den  Punkt  f^  enthaltendes 
Teilintervall  [t' t"'\  von  [aß'\  angeben  können,  so  daß 

\x,{t)-x,(t)\^0  (27) 

für 

^'  ^  ^  <  t". 

Sei  a^a  die  untere  Grenze  für  die  Werte  von  t'  und  ß'  <ß 
die  obere  Grenze  für  die  Werte  von  t'\  für  welche  dies  stattfindet. 
Dann  gilt  (27)  zunächst  für 

a  <t<  ß', 
und    wegen    der  Stetigkeit  von  %(#)  und  Xj^{t),  auch  noch  für  t  =^  a 

und  t  =  ß'. 

Für  das  Intervall  [aß''\  können  wir  also  den  obigen  Satz  an- 
wenden, und  es  ist  daher 

x^{t)  =  Xj^iß)  y     in     [«'/3'], 

also  insbesondere  auch  für  t  =  a    und  t  =  ß' . 

1)  Vgl.  z.  B.  Bliss,  loc.  cit.,  p.  50,  Fußnote.  Man  kann  für  K  jede  Größe 
wählen,  die  größer  ist  als  der  größte  der  Maximalwerte  der  Funktionen  \f^\  im 
Bereich  [g]. 


§  23.    Existenztheoreme  für  Systeme  von  Differentialgleichungen.       173 

Wäre  nun  «'>  a,  so  würde,  wegen  Xj^{a)  —  x^{a)  =  0,  die  Un- 
gleichung (27)  auch  noch  in  einem  Intervall  [a—ö,a^  gelten  und 
<i  wäre  nicht  die  untere  Grenze  der  ^';  es  muß  also  a  =  a  sein,  und 
ebenso  ß' =  ß.     Wir  haben  also  den  Satz  gewonnen: 

Es  seien: 

©:  x,  =  Xf^(t),         c^^t^ß 

S:  ^k-^k(i),         ^<i<ß 

ztvei  für  dasselbe  Intervall  [ccß^  definierte  Lösungen  des  Systems  {20\ 
welche 

1.  ganz  im  Innern  von  €L  liegen 

2.  einen  Punht  gemeinsam  haben: 


.,n, 


a^t^^ß] 
■alsdann  sind  beide  Lösungen  im  ganzen  Intervall  [aß]  identisch: 

^k(ß)-^k(f),     A;=l,2,  ...,w,     für     a^t^ß. 

d)  Fortsetzung  des   durch  den  Punkt  A  gehenden  Elementes^): 

Wir  kehren  jetzt  wieder  zu  der  in  a)  betrachteten,  durch  den 
Punkt  A  (7,1^^,...,  ^J  gehenden  Lösung  (22)  zurück,  welche  zu- 
nächst nur  für  das  Intervall :  \t  —  r\^l  definiert  war.  Wir  können 
dieselbe  auf  folgende  Weise  über  ihren  ursprünglichen  Definitions- 
bereich hinaus  fortsetzen:  Wir  setzen  t  +  ^  =  A;  da  der  Punkt 
Qiißv  ^i(ßi) }  •  •  ' 7  ^n^ßi))  wegen  der  Ungleichung  (23)  im  Innern  des 
Bereiches  (9L  liegt,  so  können  wir  nach  a)  eine  in  einem  gewissen 
Intervall:  \t  —  ßi  ^  ^l^  definierte  Lösung  von  (20)  konstruieren,  welche 
durch  den  Punkt  §^  hindurchgeht  und  ganz  im  Innern  des  Bereiches 
€L  liegt.  In  dem  den  beiden  Intervallen:  \t  —  r\^l  und  t  —  ßi'^li 
gemeinsamen  Bereich  müssen  daher  nach  c)  beide  Lösungen  identisch 
sein,  da  sie  beide  durch  den  Punkt  Q^  gehen.  Der  Definitions- 
bereich der  zweiten  Lösung  reicht  aber  um  das  Stück  [ß^^  ß^  +  y 
über  den  der  ersten  hinaus.  Wir  nennen  daher  die  zweite  Lösung 
•eine  ,^ortsetzung^'  der  ersten,  und  bezeichnen  sie  durch  dieselben 
Buchstaben:  ^^  =  Xf,(f).  Diesen  Prozeß  können  wir  nun  beliebig  oft 
wiederholen,  indem  wir  weitere  Elemente  mit  den  Mittelpunkten 

^)  Vgl.  V.  Escherich,  Wiener  Berichte,  Bd.  CVII,  Abt.  IIa  (1898),  p.  12, 
und  Bliss,  1.  c    p.  52. 


174     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

ft  =  ft  +  k,  ß,  =  /32  4-  ?2,  .  .  . 

hinzufügen.  Andererseits  können  wir  eine  analoge  Reihe  von  Fort- 
setzungen nach  der  negativen  Seite  hin  bilden  mit  den  Mittelpunkten 

a^  =  T  —  I  y  «2  =  ^^1  ~  h\  ^^3  =  ^2  ~  h'y  •  •  •  • 

Da  die  Größen  ß^.  mit  v  wachsen ,  so  nähern  sie  sich  für  v ---  oo 
einer  bestimmten  Grenze  ß^,  die  endlich  oder  +00  sein  kann; 
ebenso  nähern  sich  die  a^,  einer  Grenze  a^,  welche  endlich  oder  —  00 

sein  kann. 

Wir  erhalten  daher  durch  den  angegebenen  Prozeß  eine  durch 
den  Punkt  Ä  gehende    Lösung  ^^,    welche    für    das    offene   Intervall 

cc^,<t<ß^ 

definiert  ist,  und  im  Innern  des  Bereiches  6t  liegt. 

Nach  Bliss   gilt  der  Satz: 

Wenn  bei  Annäherung  der  Yariabeln  t  an  den  Wert  a^  (resp. 
ß  )  der  entsprechende  Punkt  der  Kurve  S^  sich  einer  bestimmten 
endlichen  Grenzlage  P,  (resp.  QJ  nähert^),  so  muß  der  Punkt  P^ 
(resp.   Q^)  auf  der  Begrenzung  des  Bereiches  61  liegen. 

Hieraus  folgt:    Ist 

irgend  eine  ganz  im  Innern  von  61  gelegene  Lösung  des   Systems 
(20),  und  ist  Air,  l^,  l^,  .  .  .,  IJ  irgend  ein  Punkt  von  ^,,  so  ist 

^A  ^  '^1^  ^  ^  ^  '^2 

und  ^0  is^  ®"^  Stück  der  Kurve  (S,. 

Hieran  knüpfen  wir  noch  folgende  prinzipiell  wichtige  Be- 
merkung: 

Die  bei  dem  Fortsetzungsprozeß  gebrauchten  Großen  l,  l^,  l^  •  -- 
sind  innerhalb  gewisser  Grenzen  willkürlich.  Mit  Hilfe  des  eben  an- 
gegebenen Satzes  läßt  sich  jedoch  leicht  zeigen,  daß  die  Grenzwerte 
a^  und  ß^,  sowie  die  Kurve  ^,  von  der  Wahl  dieser  Größen  un- 
abhängig \nd    somit   durch  den>unkt  Ä  eindeutig   bestimmt   sind. 

')  Dies  tritt  nach  Bliss  (loc.  cit.  p.  52)  stets  ein,  wenn  a  beschränkt 
und  abgeschlossen  ist. 


§  24.     Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangswerten.  175 

§  24.  Abhängigkeit  der  Lösung  eines  Systems  von  gewöhnlichen 
Differentialgleichungen    von    den    Anfangswerten    und    verwandte 

Fragen. 

I 

Wir  geben  in  diesem  Paragraphen  zunächst  ein  Referat  über  die 

wichtigsten    Sätze    über   die  Abhängigkeit  der  Lösung  eines  Systems 

von  gewöhnlichen  Differentialgleichungen  von  den  Anfangswerten  und 

entwickeln    dann    einige    sich    daran    anschließende  Sätze,    die  für  die 

Variationsrechnung  von  besonderer  Wichtigkeit  sind. 

a)  Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangswerten  :^) 

Die    durch    einen    Punkt   Äir^t^,  ^.2?  •  -  -^  ^n)    ^^^^    Innern    von  €L 
gehende  Lösung 

hängt  von  der  Lage  des  Punktes  Ä  ab,  d.  h.  Xj.(t)  ist  eine  Funktion 
nicht  nur  von  t,  sondern  auch  von  t,  ^^^  ^27  •  •  •;  ^«5  ^^^'  bezeichnen 
dieselbe  mit  g?^(Y;  t,  |^,  I2?  •  •  v  ^J  "^^  schreiben  unsere  Lösung: 

S^ :  ^.  =  <5P.(^;  ^,  k>  fe,  .  •  v  k) ,         cc^<t<  ß,  .  (28) 

Die  Funktionen  ^^  besitzen  die  folgenden  Eigenschaften: 

1.  Die  Funktionen  g?^,  sind  eindmtige  und  stetige  Funktionen  ihrer 
n  -{-  2  Argumente  in  dem  Bereich 

^:  Ä{r,  ^^,  .  .  .,  IJ     im  Innern  von     (9L,         cc  ^<t  <  ß^, 

und  der  Punkt:  (t^  cp^,  .  .  .,  cp^)  liegt  im  Innern  des  Bereiches  (9L^ 
wenn  der  Punkt  (i^;  r^i,^,  .  .  .,  ^^)  in  ^  liegt. 

2.  Sie  genügen  den  Anfangsbedingungen 

9>,(t;  r,  I,,  .  .  .,  y  =  I,  (29) 

identisch  für  jedes  (r,  Ji,  •  •  •,  |J  im  Innern  von  €L. 


^)  Vgl.  NicoLETTi,  Acc.  R.  dei  Lincei,  1895,  p.  316;  Picakd,  in  Darhoux's 
Theoi'ie  des  surfaces,  Bd.  IV  (1896),  p.  363;  Bendixson,  Bull.  Soc.  Math, 
de  France,  Bd.  XXIV  (1896),  p.  220;  Peaxo,  Atti  di  Torino,  Bd.  XXXIH 
(1897),  p.  9;  V.  EscHEKicH,  Wiener  Berichte,  Bd.  CVII,  Abt.  IIa  (1898),. 
p.  1198,  und  Bd.  CVIII  (1899),  p.  622;  Painleve,  Bull.  Soc.  Math,  de  France^ 
Bd.  27   (1899),  p.  152;    Bliss,  loc.  cit.  p.  55. 


176     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

3.  Die  pa/rtiellen  Ableitungen 

d<Pk      ^ffk      ^^k      ^Vi  _  ^^       ^^_J>k  _  ^k 
Jt  '     et  '    Wi  '    dt  dt  ~  dVd't '    diWi  ~  ai,-  dt ' 

(i=l,2,..,n) 

■existieren  und  sind  stetig  im  Bereich  ^. 

4.  Jedes  der  w  +  1  Funktionensysteme 

^qpi  ^  d(p„ 

dt  '      dt  '  "  -'    dt  ' 
ist  eine  Lösung  des  Systems  linearer  homogener  Differentialgleichungen: 

n 

^  =  2f^'it,  «Px,  'P.,  ■  ■  •,  Vn^i,    (^  =  1, 2, . . .,  n)  (30) 


dz, 
1 


(31) 


mit  den  Anfangswerten 

d(pj^\*='^      (1?     wenn     i  =  Jc 
^h\  \0,     wenn     i^l 

woraus  folgt 


5.  Die  FunMionaldeterminante 


ist  im  ganzen  Bereiche  £&  von  Null  verschieden.^) 


-^L     ^,Ä^=1, 2,...,n 


1)  Ist  das  System  von  linearen  Differentialgleichungen  gegeben: 

dz,        "^7 


Ä;  =  l,  2 n 


wo    die    ^j^..  Funktionen    von  t  sind,    die    in    einem    Intervall   [*o*i]   stetig  sind, 
und  sind: 

xJ,  V',  •  •  •'  ^iJ  '  j  =  1,  2,  . .  .,  n  , 


§  24.     Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangswerten.  177 

Wir  knüpfen  hieran  noch  die  folgende  Bemerkung:  Die 
Gleichungen  (28)  stellen,  wenn  man  den  Größen  (r,  Sj,  .  .  .,  |J  alle 
möglichen  Wertsysteme  im  Innern  von  (EL  gibt,  alle  im  Innern  von 
€L  gelegenen  Lösungen  des  Systems  (20)  dar,  aber  jede  Lösung  un- 
endlich oft  Denn  ist  Ä  irgend  ein  Punkt  der  Kurve  S^,  so  ist  die 
Kurve  (^~  nach  §  23,  c)  und  d)  mit  (^^  identisch.  Um  alle  ver- 
schieden en  Lösungen  zu  erhalten,  ist  es  daher  nicht  nötig,  den  Größen 
(T,  ^j,  ...,5J  alle  angegebenen  Wertsysteme  beizulegen;  es  genügt 
vielmehr,  wenn  man  dem  z  einen  festen  numerischen  Werf^^  heilegt, 
und  bloß  die  Größen  l^,  ^2?  •  •  •;  ?«  variieren  läßt  Ist  nämlich 
^o(t^  Ii^  .  .  .,  l^)  ein  Punkt  im  Innern  von  61  und  A^{t\  |/,  .  .  .,  l^^) 
irgend  ein  Punkt  in  hinreichender  Nähe  von  Aq,  so  kann  man  stets 
die  Größen  ^^,  Ig?  •  •  •?  ?n  ^^  bestimmen,  daß  die  Lösung 

^k  =  ^kif'^  A  Si;  .  .  •;  y  ,  /^^  =  1,  2,  .  .  .,  W  , 

in  welcher  r  den  Wert  r^  hat,  durch  den  Punkt  Ä^  geht. 
Man  hat  dazu  das  System  von  n  Gleichungen 

n(.r';  A  I,,  i„  .  .  .,  IJ  =  1/,  /,•  =  1,  2,  .  .  ,  n 

nach  li,  .  .  .,  1^  zu  lösen.     Das  ist  aber  nach  dem  Satz  über  implizite 
Funktionen  (§  22,  e))  stets  möglich;  denn  für 


irgend  n  Lösungen,  so  hat  die  Determinante 

A  =  \XjJ\,  i,  Ä:  =  l,  2,  ...,  n 

nach  Jacobi  {Werke,  Bd.  IV,  p.  403)  den  Wert 

t 

A  =  Ce^«  ,  (34) 

wo  C  eine  Konstante  ist.  Da  die  Funktionen  q^^.  stetig  sind  in  [^o^J,  so  folgt 
hieraus:  Es  ist  entweder  A^O  im  ganzen  Intervall  [^o*i]i  "^enn  nämlich  C=0, 
oder  aber  A=4=0  im  ganzen  Intervall  [^0^1]'  wenn  nämlich  C=\=0.  Im  ersten 
Fall  sind  die  Lösungen  linear  abhängig,  im  zweiten  Fall  unabhängig. 

Wendet    man    diesen    Satz    auf   das    System  (30)    an,    und    beachtet,   daß 
wegen  (31) 

A(tr;  r,  ^,,  ...,  y  =  1 

für  jedes  (r,  1^,  ...,  IJ  im  Innern  von  (9L,  so  folgt  der  Satz  Nr.  5  unmittelbar. 
^)  Ob  ein  fester  Wert  von  r  genügt,  um  alle  partikulären  Lösungen  zu 
erhalten,  hängt  freilich  von  der  Gestalt  des  Bereiches  (9L  ab.  Im  allgemeinen 
wird  es  nötig  sein,  den  Bereich  <9i  in  verschiedene  Teilbereiche  zu  zerlegen, 
und  für  jeden   derselben  dem  r  einen   bestimmten   konstanten  Wert   zu   geben. 

Bolza,  Variationsreclmung.  12 


178     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 
-.i_-.0     t:l_t:0     fci_fcO  ti^cO 

werden  die  Gleichungen  befriedigt  durch  das  Wertsystem: 

^1  =  fei   J    §2  "^  ^2  ?  •  •  V  ^n  "^  ^n  • 

Und  die  Funktionaldeterminante  A(t«;  t\  I^«,  .  .  .,  |„°)  ist  +  0. 

In  diesem  Sinn  stellen  die  Gleichungen  (28),  wenn  man  dem  r 
einen  festen  VS^ert  erteilt  und  die  Größen  l^,  Ig,  .  .  .,  ?„  als  variable 
Integrationskonstanten  betrachtet,  das  allgemeine  Integral  des  Differential- 
gleichungssystems (20)  dar. 

Statt  dessen  kann  man  aber  auch  ebensogut  einer  der  (großen  | 
einen  festen  Wert  erteilen,  z.  B.  |^.  =  1/  setzen,  und  als  unabhängige 
Parameter  der  allgemeinen  Lösung  die  Größen  t;  |i, . .  ,  |,-i?  ij  +  v  •  •  •?  ^n 
betrachten,  wenn  nur  die  Bedingung 

/;(tMA---J«')  +  o 

erfüllt  ist. 

Denn  mit  Hilfe  der  Gleichung  (33)  kann  man  die  Funktional- 
determinante A  nach  elementaren  Determinantensätzen  auf  die  Form 
bringen 

- A(^, r, ^„ . . ., u/;.(r, j„ . . ., u  =  ^^^^^      g._^^ r'^iT^T^'^ . .. y    ^"^^^ 

Wenn  daher  die  obige  Ungleichung  erfüllt  ist,  so  kann  man  die 
vorige  Schlußweise  ohne  weiteres  auf  den  Fall  anwenden,  wo  man 
J.  J'l.o  setzt  und  die  Größen  t,  I^,  .  .  .,  |,_i,  |,  +  i,  •  •  •  J„  variiert. 

Zusatz  P):  Macht  man  die  stärkere  Voraussetzung,  daß  die  sämt- 
lichen partiellen  Ableitungen  der  Funktionen  ff  bis  zur  n  —  1*^'' 
Ordnung  (inkl.)  im  Bereich  (9L  existieren  und  stetig  sind,  und  ebenso 
sämtliche  partielle  Ableitungen  bis  zur  ^^^«^  Ordnung  mit  Ausnahme 
der  ^*^°  Ableitungen  nach  t  allein,  so  sind  die  Funktionen  cp,^  von 
der  Klasse  T^"'  im  Bereich  ^. 

Zusatz  IP):  Sind  die  Funktionen  /;  analytische  Funktionen  der 
Variabein  t,  x„  .  .  .,  ^;,  und  regulär  an  der  Stelle  t^,^^^,  .  .  .,  |„^  so 
sind  auch  die  Funktionen  %X^]  r,  iv  ■ -/Q  analytische  Funktionen 
ihrer  w  +  2  Argumente  und  regulär  an  der  Stelle 


1)  Vgl.  Bliss,  loc.  cit.,  p.  67.  ";  Vgl.  EncyUopädie,  II  A,  p.  202. 


§  24.     Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangswerten.  179 

b)  Einbettung  einer  partikulären  Lösung  in  eine  ^«-facli  un- 
endliche Schar  von  Lösungen: 

Wir  beweisen   jetzt   noch    den   folgenden  für  unsere  Zwecke  be- 
sonders wichtigen  Satz:^) 
Es  sei 

eine  Lösung  des  Systems  (20),  tvelche  ganz  im  Innern  des  Be- 
reiches €L  liegt. 

lerner  sei  Tq  irgend  ein  spezieller  Wert  vmi  t  im  Intervall  \t^  t^^ 
und  es  tverde:  x^.{tQ)  =  ^^  gesetzt. 

Alsdann  läßt  sich  eine  positive  Größe  d  angehen,  derart  daß  für 
jedes  den  Ungleichungen 

r-Toi^rf,     il,-|/;^(i,        h^\,i,...,n    (30) 
genügende  Wertsystem  r^  ^j, .  .  .,  |^^  die  Lösung 

^,  =  9),(/;rJ,,...,y,        /.:=l,2,...,n     (28) 

des   Systems   (20)    Im    ganzen    Intervall    \t^t^    existiert,   von   der 
Klasse  C  ist   und  überdies  ganz   im    Innern   des   Bereiches  €L  liegt. 
Für  X  =  To,  li  =  l^,  .  .  .^  ^^  =  1^0   fällt   die   Lösung   (28)  mit  Sq 
zusammen: 

(f,{t-T,,^,',...,i/)=^x,(t)     in     [t,t,]. 

Zum  Beweis  wählen  wir  zunächst  eine  positive  Größe  6  so  klein, 
daß  die  geschlossene  Nachbarschaft  [(?]  des  Bogens  (§.q,  d.  h.  der 
Bereich 

[(?]:  h^t^t,,     .x,-Xj^(t)\^6,     1=1,2,. ..,n, 

ebenfalls  noch  ganz  im  Innern  von  (SC  liegt,  was  nach  §  2\,  a)  stets 
möglich  ist.  In  diesem  Bereich  \p\  sind  die  Funktionen  /"^  stetig 
und  genügen  der  Lipschitz'schen  Bedingung  (24)  mit  einem  ge- 
wissen Wert  der  Konstanten  ^5  letzteres  beweist  man  mit  Hilfe  des 
Mittelwertsatzes  angewandt  auf  die  Differenzen 

t\(t,  %;, . . .,  o  -  i\{t,  %;', ...,  x^') . 


^)  Einen  analogen  Satz  für  analytische  Differentialgleichungen  gibt  Knkser, 
Lehrbuch,  §  27.  Für  nicht-analytische  Differentialgleichungen  ist  der  Satz  auf 
anderem  Wege  zuerst  bewiesen  worden  von  Lunn,  Dissertation  (Chicago,  1904). 
Für  den  hier  gegebenen  Beweis  vgl.  Bolza,  TrauBactions  ofthe  American 
Mathematical  Society,  Bd.  YII  (1906),  p.  464. 

12* 


X,  = 


180    Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 

Wir  ordnen  nunmehr  jedem  Punkt  ty  x^,  x^,  •  •  •,  ^„  des  Bereiches 
h<i<hy     -oo<^,<  +  (X),         Ä;  =  l,2,...,n     (37) 
einen  Punkt  t,  x^,  x^,...,x„  von  [(?]  zu  mittels  der  Definition 
Xi ,  wenn:     x^it)  -  (?  ^  ^f  ^  ^,-(0  +  ^y 

Xi{t)  +  <3\      wenn:     x^  >  ^.-(0  +  ^; 

und  definieren  dann  die  Funktionen  f\it,  x^,  .  .  .,  x„)   für    den   Bereich 
(37)  durch  die  Gleichungen^) 

f\{t,x^,...,x^)  =  f,{t,x^,...,x„). 

Die  Funktionen  f[  haben  folgende  Eigenschaften: 

Ä)  Sie  sind  stetig  im  Bereich  (37);  denn  man  findet 

t\{t  +  //,  x^  +  \,  ■■  .,  x„  +  /O  -  fki*,  ^i,  ■  '  -y  ^n)  = 

=  hi^  +  h,  \  4-  \  ..-yK-^  k)  -  fkii>  K'-'y  K)  ^ 

wobei  für  hinreichend  kleine  Werte  von  |  //  \  und  1 1\  ,  •  •  •,  I  ^„  1  entweder 

h,  =  l,  oder  k  =  ^/(^  +  ^0  -  4(0  • 

1)  Der    Leser    mag    den    Beweis   zunächst  für  den  Fall  n  =  1  durchführen, 
wobei  man  sich  der  folgenden  geometrischen  Deutung  bedienen  kann :  Sind  t,  x 
rechtwinkUge  Koordinaten  in  einer  <,  .^-Ebene  und  y  eine  dritte  Ordinate  senk- 
recht zur  i,  aj-Ebene,  so  können  wir  die  Fläche : 

(38) 


y  =  f(t,  X) 
folgendermaßen  aus  der  Fläche 


(39) 


♦  t 


ableiten:  Wir  schneiden  aus  der  Fläche  (39) 
dasjenige  Stück  i:  heraus,  dessen  Projektion 
auf  die  i,  ic-Ebene  der  Bereich  [öj  ist.  Von 
jedem  Punkt  desjenigen  Randes  von  2,  dessen 
Projektion  die  Kurve 

X  =  X{t)-\-6,  t^^t^t, 

ist,    ziehen    wir    eine    Gerade    parallel    zur 
iC-Achse  in  positiver  Richtung  ins  Unendliche. 
Ebenso    ziehen    wir    von  jedem    Punkt    des 
gegenüberliegenden  Randes  von  Z  eine   Gerade    parallel   der   rr-Achse  in  nega- 
tiver Richtung  ins  UnendUche.    Die  beiden  so  konstruierten  Zylinderflächen  zu- 
sammen mit  dem  Stück  2  bilden  dann  die  Fläche  (38). 


Fig.  30. 


§  24.     Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangs  werten.  181 

B)  Sie  genügen   in    demselben  Bereich  der  Lipschit zischen  Be- 
dingung; denn 

I  tkV7  ^ly  '  '  'y  ^n)       tkVy  ^i  ;  •  •  •?  ^«  /  i  ^ 

=   I  fk(i,  h',  '  •  ',  ^^n)  -  fk{h  ^l\  •  •  •;  ^nl  I   <  K^  ^i   -  ^'/'  ! 

und 


C)  Sie  sind  endlich  im  Bereich  (37);  denn  ist  G  der  größte  der 
Maximalwerte  der  Funktionen  |  /*^,  |  in  [ö],  so  ist 

\f,(t,x,,...,xj\^G  (40) 

in  (37). 

Hieraus  folgt  aber:  Ist  ^i  ^  t  ^  ^2  ^^^  ^^^  ^d  ■  ■  •)  ^n  ^^^  ganz 
beliebiges  Wertsystem,  so  besitzt  das  System  von  Differential- 
gleichungen 

S-=/iÄ*i,  •••,«.),    k^-i,2,...,n,    (41) 
eine  und  nur  eine  Lösung 

^>t=^/t(^;^Jl;---Jn).  (42) 

welche    durch    den    Punkt    Ä(t,  li,  .  .  .,  JJ    hindurchgeht,    und    diese 
Lösung  existiert  im  ganzen  Intervall  [t^  ^2]- 

Denn  ist  h  eine  beliebige  positive  Größe,  so  sind  die  Funk- 
tionen f\  stetig  und  genügen  der  Lipschitz'schen  Bedingung  in 
dem  Bereich 

Bezeichnet  daher  M  den  größten  der  Maximalwerte  der  Funktionen 
\fj^\  in  diesem  Bereich,  und  l  die  kleinere  der  beiden  Größen  t^  —  t, 
&/Jf,  so  existiert  die  durch  den  Punkt  A  gehende  Lösung  (42)  nach 
Cauchy^)  mindestens  im  Intervall:  x^f^x  -\-l.  Nun  ist  aber 
M^G\  wählt  man  daher:  h  ^  (t^  —  r)G,  so  ist  h/M>  t^  —  x  und 
daher  1  =  1^  —  x.  Die  Lösung  (42)  existiert  also  mindestens  im  Inter- 
vall [r  fg]-  Ganz  in  derselben  Weise  zeigt  man,  daß  sie  auch  im 
Intervall  [t^  r]  existiert  und  somit  auch  im  ganzen  Intervall  \t^  t^\. 
Ist  ferner  r^,  1^^,  .  .  .,  |^^  irgend  ein  zweiter  Punkt  des  Bereiches 
(37),    so    gilt    nach    §  23,  b)    die  Peano'sche  Ungleichung  {2&)  und 

^)  Vgl.  z.  B.  GouRSAT,  Cours  iV Analyse,  Bd.  II,  pp.  369,  :^77. 


182     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Varia|)eln. 
daher  ist  a  fortiori  für  jedes  t  in  \t^  f^]: 

!*»(<;  ^,?i,---,Ü-9.(*;r„,ii»,...,|„<')| 

Nun^)  ist  aber  einerseits  nach  (29) 

^i{r;  r,  l„  .  .  •,  IJ  -  U-'o-,  ^0,  Ix",  •  •  •,  in")  =  I.-  -  lA 
und  andererseits 

also  nach  (40) 

Da  überdies:  |  ^  — t^^  ^2  ~  ^i?  ^^  erhält  man  schließlich  die  Un- 
gleichung 

<c"J^('.-'.){„e:T-r„i+_^i|i-i.«!}.  (43) 

i 

Hieraus  folgt:    Wenn  d  die  kleinere  der  beiden  Größen 


^-nK{t^-t,)^  e-nK{t^-t^) 


2nG      ~^  2n 

bedeutet,  und  wir  wählen 

\r-t,Zd,     |g,-S,o|^^,         A  =  1,2,...,.?,    (44) 
so  ist 

g>,(t-  r  J„  .  .  .,  y  -  ?.,(<;  T„  lA  .  .  .,  1;) ,  <  0  (45) 

für  jedes  t  in  [^i^. 

Nun  folgt  aber  weiter  aus  der  Definition  der  Funktionen  /",.,  daß 
jede  Lösung  des  Systems  (41),  welche  ganz  in  [d]  liegt,  zugleich  dem 
System  (20)  genügt  und  umgekehrt.  Hieraus  ergibt  sich  zunächst, 
daß  die  Lösung 

von  (20)  zugleich  dem  System  (41)  genügt. 


1)  Für  die  folgende  Umformung  vgl.  Bliss,  loc.  cit.  p.  62. 


§  24.     Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangs  werten.  183 

Wählen  wir  daher  den  Punkt  (t^^  ^^^,  .  .  .,  |^^)  insbesondere  auf 
der  Kurve  ^q,  so  daß  also 

l/  =  4W,  (46) 

SO  gilt  nach  §  23,  c)  und  d)  die  Doppelidentität  - 

Zugleich  sagt  alsdann  die  Ungleichung  (45)  aus,  daß  unter  der  Voraus- 
setzung (44)  die  Lösung  (42)  von  (41)  ganz  in  [ö]  liegt.  Daher  muß 
dieselbe  nach  der  eben  gemachten  Bemerkung  auch  dem  System  (20) 
genügen^  und  da  sie  durch  den  Punkt  (t,  l^,  .  .  .^  |J  geht^  so  ist  sie 
mit  der  durch  das  Symbol 

definierten  Lösung  von  (20)  identisch.  Somit  existiert  auch  die 
letztere  mindestens  im  ganzen  Intervall  [^1^2]?  vorausgesetzt  daß  die 
Ungleichungen  (44)  erfüllt  sind.    Damit  ist  aber  unser  Satz  bewiesen. 

Zusatz:  Die  Lösung  (28)  existiert  sogar  sicher  noch  in  einem 
etwas  weiteren  Intervall.  Denn  da  die  Lösung  ©^  ganz  im  Innern 
des  Bereiches  6L  liegen  sollte,  so  läßt  sie  sich  nach  §  23,  d)  auf 
ein  etwas  weiteres  Intervall 

fortsetzen,  wo  e^,  e^  zwei  hinreichend  kleine  positive  Größen  sind. 
Und  nun  kann  man  in  dem  vorangegangenen  Beweis  das  Intervall 
Vh'~^iy  1^2  +  ^2]  fü^  ^^s  Intervall  {t^t^  substituieren  und  erhält  das 
Resultat,  daß  die  Lösung  (28)  für  jedes  den  Bedingungen  (44)  ge- 
nügende Wertsystem  t,  ^^,  l^?  •  •  •?  ?n  ^^^^  nooh  in  dem  weiteren 
Intervall  \t^  ~  ^i,  ^2  +  ^2]  existiert ,  wobei  wir  noch  besonders  hervor- 
heben, daß  ßj,  ^2  von  r,  l^,  .  .  .,  |,^  unabhängig  sind. 
Wählt  man  insbesondere  r  =  Tq  und  setzt 

(p,{t',  t,,  ^,, . . .,  y  =  g^it;  ii, . . .,  y  (47) 

so  stellen  die  Gleichungen 

eine  u-fach  unendliche  Schar  von  Lösungen  (das  sogenannte  „allge- 
meine Integral")  des  Systems  (20)  dar,  welche  die  gegebene  Lösung 
^Q  enthält,  nämlich  für  l^  =  1^0,...,^^  =  l^.     Die  Funktionen 

Hc     ^Jk      ^^9k   _   ^'^/fc 

^*'  dt'  c^i'  Wdii     dhdt 


184     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Yariabeln. 

existieren  und  sind  stetig  im  Bereich 

h-e,^t^t,-^e,,      l^-g/^,/,     /.:=1,2,..,^^,   (48) 
und  die  Funktionaldeterminante 

ist  im  Bereich  (48)  von  Null  verschieden. 

c)  Anwendung  der  allgemeinen  Existenztheoreme  auf  die  Theorie 
der  Extremalen: 

Wir  führen  zAinächst  die  Euler^sche  Differentialgleichung 

auf  ein  System   von   zwei  Differentialgleichungen   erster  Ordnung   zu- 
rück, indem  wir  sie  in  der  Form  schreiben: 


(50) 


Nach  unseren  Voraussetzungen  über  die  Funktion  f{x,  y,  y)  (vgl. 
§  3,  a))  sind  die  rechten  Seiten  dieser  beiden  Gleichungen  von  der 
Klasse  (Y  in  dem  durch  die  Bedingungen 

{Xy  y)  in  Öl;     —  oo  <  y  <  +  ^;     fyyi^^  Vy  V)  +  ^ 

charakterisierten  Bereich  €L  im  Gebiet  der  Variabein  Xj  y,  y . 

Aus  §  23,  a)  und  c)  folgt  daher: 

Ist  Po(^o?  2/o)  iw^'^'^^^  ^'^^  Funkt  im  Innern  von  6i  und  y^  =  tg  &(y 
das  Gefälle  irgend  einer  durch  den  Punkt  Pq  gehenden,  nicht  mit  der 
y-Achse  parallelen  Bichtung,  für  nelche  die  Ungleichung 

fy>,M,.y.,yo)^^       ''  (51) 

erfüllt  ist,  so  läßt  sich  durch  den  PunJct  P^  in  der  Richtung  Oq  eine 
und  nur  eine  Extremale  von  der  Klasse  C  ziehen. 

Wir  haben  schon  früher  (§  19,  b))  ein  Problem  der  Variations- 
rechnung von  dem  in  den  drei  ersten  Kapiteln  betrachteten  Typus 
regulär  genannt,  falls  die  Ungleichung 

fy>A^,y,p)^^  (52) 

für  jeden  Punkt  des  Bereiches  ö\  und  für  jeden  endlichen  Wert  von  p 
erfüllt  ist.    Bei  einem  regulären  Problem  kann  man  also  von  jedem 


äy 

dx 

=  y 

dy 
dx 

fr 

'y  y 

y'fyy 

^H{x, 

y, 

y') 

§  24.     Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangswerten.  185 

Punkt  im  Innern  des  Bereiches  öl  nach  jeder  Richtung,  die  nicht 
mit  der  ^- Achse  parallel  ist,  eine  und  nur  eine  Extremale  ziehen. 

Aus  dem  Satz  von  §  24,  b)  Ende  folgt  ferner: 

Ist 

irgend  ein  ganz  im  Innern  von  Öl  gelegener  Extrem alenbogen  der 
Klasse  C,  für  welchen  die  Bedingung 

fy'y'{^^  y(^\  y(^))  +  0  in  [x^x^]  (53) 

erfüllt  ist,  so  läßt  sich  derselbe  in  eine  doppelt  unendliche  Schar  von 
Extremalen 

tj  =  g(x,a,ß) 

„einbetten",  welche  den  gegebenen  Bogen  (Sq  enthält,  und  welche  die 
in  §  12,  b)  aufgezählten  Eigenschaften  besitzt,  wobei  noch  zu  bemerken 
ist,  daß  die  dort  behauptete  Existenz  und  Stetigkeit  von  g"  daraus 
folgt,  daß  nicht  nur  die  partiellen  Ableitungen  H^^  und  H^^  sondern 
auch,  —  und  dies  geht  über  die  Voraussetzungen  der  allgemeinen 
Theorie  hinaus  — ,  H^  existiert  und  stetig  ist  in  (9l. 

Die  linearen  Differentialgleichungen  (30)  reduzieren  sich  auf  die 
Jacob  i'sche  Differentialgleichung. 

d)  Ausdehnung  des  Einbettungssatzes  auf  ein  System  von  Dif- 
ferentialgleichungen, das  nicht  in  der  Normalform  gegeben  ist: 

Es  sei  das  System  von  n  Differentialgleichungen  gegeben 

■'^M  X-^j  x^j  .  .  .,  x^f  x^,  x^,  .  .  .,  x^)  =  \j  (o4) 

(A'=1,2,..,m), 

wobei  die  Funktionen  i\  in  einem  Bereiche  ^  des  t,  x^^  . . .,  x^,  x[,  . . .,  :rj- 
-Raumes  von  der  Klasse  C  sind.     Ferner  sei 

eine  Lösung  des  Systems  (54)  von  folgenden  Eigenschaften: 

1.  Die  Funktionen  x^^it)  sind  von  der  Klasse  0'  in  einem  Inter- 
yall  fty. 

2.  Für  jedes  t  im  Intervall  \t-^t^\  liegt  das  Wertsystem 

t;  x^{t),,..,xjt);  x[{t),...,x;Xt) 
im  Innern  des  Bereiches  ^, 


186     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Variabein. 
3.   Setzt  ]iian  in  der  Funktionaldeterminante 

^k-^k(f)^  K  =  4'(0;  /^  =  1,  2,  .  .  .,  n, 

so     ist    die    so    entstehende    Funktion    von    t    von    Null    verschieden 

in  [tj^]' 

Alsdann  gelten  für  die  durch  den  Punkt  (r,  |^,  .  .  ..  |J  gehende 
Lösung 

^k=  9^ki^'^  ^.  iu  '  •  •.  ü^  ^»"  =  1;  ^;  •  •  V.  w, 

des    Systems    (54)    dieselben    Folgerungen^    wie   in    §  24,  b)    für    die 
gleichbezeichnete  Lösung  von  (20). 

Zum  Beweis  wenden  wir  auf  das  Gleichungssystem  (54)  den 
erweiterten  Satz  über  implizite  Funktionen  von  §  22,  e)  an.  Der  dort 
mit  (B  bezeichneten  Punktmenge  entspricht  hier  die  Menge: 

^0' '  ^k  =  4  (ß)  y         <  =  4'  (^'> .  k<i<h, 

{k=l,2,...,n), 

welche   in   der   Tat   nach   A  YII  1    beschränkt   und   abgeschlossen   ist 
und  ganz  im  Innern  des  Bereiches  ^  liegt.     Sind  ferner 

{t,  x^,  .  .  .,  .^„,  x^, .  .  .,  O     und     [i ,  x^,  .  .  .,  ^„,  ^/^  .  .  .,  x^,') 
zwei   verschiedene  Punkte  von  ^q\  so  muß  notwendig  i  4-  ^  sein,   es 
ist  also  dann  auch  allemal 

(t,x^,..  .,x^=r{t,  ^i,...,^J: 
somit  ist  auch  Bedingung  C)  des  Satzes  erfüllt,  und  ebenso  D)  wegen 
unserer  dritten  Voraussetzung. 

Daher  lassen  sich  die  Gleichungen  (54)  im  Sinne  von  §  22,  e) 
in  der  Umgebung  der  Punktmenge  S^'  eindeutig  nach  x^\...,x/^ 
auflösen : 

<  =  fkif,^iy-",^n)^     /r=l,2,...,n,     (55) 

und   die  Funktionen  f,.  sind  in  einer  gewissen  Umgebung  6t  von  % 
eindeutig  definiert  und  von  der  Klasse  C\ 

Nunmehr  ergibt  sich  der  Beweis  unserer  Behauptung,  indem  man 
den   unter  b)   bewiesenen  Satz  auf  das  Normalsystem  (55)  anwendet. 

e)  Anwendung  auf  Systeme  von  Differentialgleichungen,  welche 
konstante  Parameter  enthalten: 

Es  sei  ein  System  von  n  Difi'erentialgleichungen  gegeben,  welche 
r  Parameter  A^,  .  .  .,  A^  enthalten: 


§  24.     Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangs  werten.  187 

F,{t-  X,,.,  .,  x^,  x;,  ...,<;  l^,..  .,  l^)  =  0  (56) 

wobei   die  Funktionen  Fj^  nach  sämtlichen  Argumenten  in  einem  Be- 
reich ^  von  der  Klasse  6''  sind. 

Für   ein   spezielles  Wertsystem   der   X,  A^=A/^   sei   eine  Lösung 
You  (56)  bekannt: 

Ton  folgenden  Eigenschaften: 

1.  die  Funktionen  4(0  si^d  ^on  der  Klasse  C  in  [^^^J. 

2.  Für  jedes  t  in  [f^y  liegt  das  Wertsjstem 

t-,  x,  =  4(0 ;  ^k  =  'K (0 ;  K  =  >^/ 

(//  =  l,2,...,r;  Ä.=  l,2,...,w) 
im  Innern  von  ^. 

3.  Setzt  man  in  der  Funktionaldeterminante 

a_(5,._^,J^) 

dix;, . . .,  ^/) 

SO  ist  die  so  entstehende  Funktion  von  t  von  Null  verschieden 
in  \t^t^. 

Endlich  sei  x^  irgend  ein  Wert  von  t  im  Intervall  \tU\  und 
4(ro)  =  l/. 

Alsdann  gibt  es  eine  Lösung  von  (56): 

^.t=6^.(^-,  ^i;..-,  I.;  A„...,A,);     it  =  l,2,  ...,n     (57) 
von  folgender  Beschaiäenheit: 

1.  Die  Funktionen  Gß-,  l^,  .  .  ,J„;  A^,  .  .  .,  A^)  sind  samt  den  Ab- 

leitungen     ^^\    -^^^    ^^-^  ^^-^A,  ^^^^^    stetig  in  einem  Bereich 

i  h  i  h 

2.  Es  ist 

«*(<;  ^i",  •  •  -,  ?/,  V,  •  •  •,  K")  =  4(0  in  ft«.  (58) 

3.  Für  t  =  Tf^  ist 

^..      „  ö,(r„,|„...,i„,  X,,...,X^)  =  |j  (59) 

für  alle: 


188     Viertes  Kapitel.     Hilfssätze  über  reelle  Funktionen  reeller  Yariabeln. 

Zum  Beweis  ist  es  nur  nötig  zu  bemerken,  daß  das  System  (56) 
wegen  der  Konstanz  der  Größen  A^  mit  dem  folgenden  erweiterten 
System 

dx  ^,  I       (56a) 

mit  den  Anfangsbedingungen 

äquivalent  ist. 

Wendet  man  auf  dies  erweiterte  System  den  unter  d)  gegebenen 

Satz  an  und  setzt 

(Pkii''>  ^oy  ^ly  •  •  -y  ^ni  ^u  •  •  •?  K)  ^  ^k(ß'i  ^u  •  •  ->  k'^  ^i>  '  ■  'y  ^r)y 
so  haben  die  Funktionen  G,^  die  oben  ausgesprochenen  Eigenschaften. 
Einen  für  Anwendungen  wichtigen  Zusatz  erhält  man,  wenn  man 
speziell  ^^^  =  1/  setzt. 


Fünftes  Kapitel. 

Die  Weierstraß'sche  Theorie   der  einfachsten  Klasse  Yon 
Problemen  in  Parameterdarstellung.  ' 

§  25.     Formulierung  der  Aufgabe. 

In  den  vorangegangenen  Kapiteln  haben  wir  uns  durchweg  auf 
Kurven  beschränkt^  bei  welchen  sich  y  als  eindeutige  Funktion  von 
X  darstellen  läßt,  bei  welchen  also  jede  zur  ^/- Achse  parallele  Gerade 
die  Kurve  höchstens  in  einem  Punkt  schneidet;  überdies  haben  wir 
vorausgesetzt,  daß  die  Kurve  keine  zur  ly-Achse  parallele  Tangente 
besitzt.  Wir  werden  uns  jetzt  von  dieser  Beschränkung  befreien,  in- 
dem wir  in  Zukunft  sämtliche  zu  betrachtende  Kurven  in  Parameter- 
darstellung ^)  annehmen. 

a)  Allgemeine  Bemerkungen  über  Kurven  in  Parameterdarstellung  :^) 

Eine  stetige.  Kurve  ^  wird  definiert  durch  ein  System  von  zwei 
Gleichungen 

(^:  x  =  x{t),     y-=y{t),  t.^t^t,,         (1) 

wobei  x(t)  und  y(t)  Funktionen  der  unabhängigen  Variable  t  (des 
sogenannten  „Parameters")  sind,  welche  im  Intervall  [t^  t^]  eindeutig 
und  stetig  sind.  Jedem  Wert  von  t  im  Intervall  [t^  t^]  wird  durch 
die    Gleichungen  (1)    ein    Punkt  P    der    Kurve    zugeordnet,    den  wir 

^)  Die  Behandlung  der  Probleme  der  Variationsrechnung  in  Parameter- 
darstellung rührt  von  Weierstrass  her  (Vorlesungen,  schon  1865);  sie  bedeutet, 
besonders  für  geometrische  Aufgaben,  einen  wichtigen  Fortschritt,  da  die  Be- 
schränkung auf  Kurven,  die  in  der  Form:  y  =  y{x)  darstellbar  sind,  eine  er- 
schöpfende Behandlung  geometrischer  Aufgaben  im  allgemeinen  unmöglich 
macht. 

^)  Vgl.  hierzu  Jordan,  Cours  d' Analyse,  I,  Nr.  96 — 113,  und  Osgood,  Lehr- 
buch der  Funktionentheorie,  Bd.  I,  p.  122. 


190  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

einfach  den  Punkt  t  nennen.  Durch  die  Gleichungen  (1)  wird  daher 
nicht  nur  eine  gewisse  Punktmenge  in  der  x,  y-Ebene  definiert,  sondern 
zugleich  eine  bestimmte  Orclmmg  dieser  Punkte  festgelegt:  ist  t' <it"j 
so  geht  der  Punkt  I^(t')  dem  Punkt  P"(f')  voran,  in  Zeichen  P'-^  F'. 
Während  t  von  t^  bis  t^  wächst,  beschreibt*)  der  Punkt  (x^y)  die 
Kurve  in  einem  bestimmten  Smny  von  ihrem  Anfangspunkt  zu  ihrem 
Endpunkt;  ersteren  bezeichnen  wir  mit  P^,  letzteren  mit  Pg,  wofür 
wir  häufig  auch  bloß  1  und  2  schreiben  werden.  Wenn  wir  von 
einer  zwei  Punkte  A  und  B  verbindenden  Kurve  reden,  so  soll 
damit  stets  eine  von  dem  zuerst  genannten  Punkt  (A)  nach  dem  zu- 
letzt genannten  Punkt  (B)  gezogene  Kurve  gemeint  sein. 
Machen  wir  die  ,^Farametertransformation^^ 

t  -  Xir)  (2) 

wo  x('^)  ßine  stetige  Funktion  von  t  ist,  welche  beständig  wächst 
von  t^  bis  ^2  7  während  r  von  r^  bis  Tg  zunimmt,  so  verwandeln  sich 
die  Gleichungen  (1)  in 

Umgekehrt  gehen  die  Gleichungen  (la)  wieder  in  die  Gleichungen  (1) 
über  durch  die  zu  (2)  inverse^)  Transformation 

r  =  d(t).  (2si) 

Die  Gleichungen  (la)  stellen  wieder  eine  Kurve,  ^',  dar.  Die  beiden 
Kurven  S  und  (l'  bestehen  nicht  nur  aus  denselben  Punkten,  sondern 
diese  Punkte  sind  auch  in  beiden  in  derselben  Weise  geordnet.  Aus 
diesem  Grunde  kommen  wir  überein,  die  beiden  durch  (1)  und  (la) 
definierten  Kurven  als  identisch  zu  betrachten,  und  umgekehrt  sollen 
zwei  stetige  Kurven  auch  nur  dann  als  identisch  betrachtet  werden, 
wenn  sie  durch  eine  Parametertransformation  von  der  angegebenen 
Eigenschaft  in  einander  transformiert  werden  können. 

In  dem  speziellen  Fall,  wenn  die  Funktion  x(i)  beständig  wächst, 
während  t  von  t^  bis  %  zunimmt,  läßt  sich  die  Gleichung  x  =  x{t) 
eindeutig  nach  t  auflösen^)  und  die  inverse  Funktion 

t'-x(^) 

^)  Wesentlich  verschieden  von  dieser  Auffassung  der  Kurve  als  Bahn  eines 
sich  bewegenden  Punktes  („Bahnkurve,  path-cui-ve'^  E.  H.  Moore)  ist  die  Auf- 
fassung der  Kurve  als  eines  geometrischen  Ortes  (,, Ortskurve,  locus-curve"),  bei 
welcher  die  Kurve  durch  eine  Gleichung  zwischen  den  Koordinaten  x,  y  definiert 
wird,  und  wobei  von  der  Ordnung  der  Punkte  abgesehen  wird. 

2)  Vgl.  A  III  6. 


§  25.     Formulierung  der  Aufgabe.  191 

liefert  eine  zulässige  Parametertransformation:  wir  erhalten  daher  die 
Kurve  (1)  dargestellt  in  der  Form 

Ebenso  ist  —x  ein  zulässiger  Parameter,  wenn  die  Funktion 
x{t)  beständig  abnimmt. 

Beispiel:  Der  im  ersten  Quadranten  gelegene  Bogen  des  Kreises  um  den 
Nullpunkt  mit  dem  Radius  a  wird  als  Orts  kurve  definiert  durch  die  Be- 
dingungen 

x"'-\-ij-  =  a\         .2;>0,         2/>0, 

dagegen  als  Bahnkurve,  wenn  er  im  entgegengesetzten  Sinn  des  Uhrzeigers 
durchlaufen  wird,  z.  B.  durch 

X  =  a  cos  ^ ,         ij  =  asint  ^         0  •<  ^  ■<  T"  ' 

oder  auch  durch  die  Gleichungen 

a(l  —  X-)  '2ar  =     = 

die  aus  der  ersten  Darstellung  durch  die  Parametertransformation 

t  =  2  Arctg  T 
hervorgehen,    wo  Arctg,   wie  stets  in  der  Folge,    den  zwischen  —  —  und  -f- — 
gelegenen  Hauptzweig  der  Funktion  arcus  tangens  bezeichnet. 

Ist  eine  stetige  Kurve  (£  in  einer  anderen,  ^',  als  Bestandteil 
enthalten,  so  heißt  ü  ein  Bogen  der  Kurve  ^. 

Die  Kurve  d  soll  von  der  Klasse  C^"^  heißen,  wenn  sich  der 
Parameter  t  so  wählen^)  läßt,  daß  die  Funktionen  x{t)  und  y(t)  im 
Intervall  [t^  y  von  der  Klasse  C^''^  sind,  und  daß  überdies  die  Ab- 
leitungen x\f)  und  y\{)  nicht  beide  in  demselben  Punkt  des  Inter- 
valls [t^  fg]  verschwinden,  so  daß  also 

x'^'  +  y'^O     m     [t,t,-].  (3) 

Eine  Kurve  der  Klasse  2)  C(")(?z  ^  1)  besitzt  in  jedem  Punkt  eine 
Tangente;  die  „Amplitude^^  ß  der  positiven  Richtung  derselben,  d.  h. 
der  Winkel  dieser  Richtung  mit  der  positiven  ;r-Achse,  den  wir  kurz 

^)  Zur  Darstellung  einer  Kurve  der  Klasse  C*"*  sollen  nur  solche  Parameter 
zugelassen  werden,  welche  diese  beiden  Eigenschaften  besitzen,  d.  h.  also  nur 
solche  Parametertransformationen  (2),  bei  welchen  xi'^)  ebenfalls  von  der  Klasse 
6""'  ist  und  überdies 

^)  Man  beachte,  daß  die  Klasse  d" ""  ^^  in  der  Klasse  Ö""^  enthalten  ist. 


IQ2  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

,,den  Tan  geilten  Winkel   der  Kurve  S  im  Punkt  f'  nennen   werden^ 
wird  durch  die  beiden  Gleichungen  gegeben 

cos  e  =  -^^f==f, ,        sm  Ö  =     .^.,^^  •  (4) 

Eine  Kurve   der   Klasse  C  ist   stets  reUifizierhar^),   und  die  Länge  6^ 
des  Bogens  \t^  t\  ist  ausdrückbar  durch  das  bestimmte  Integral: 

s=fyx''-{-  y-'  dt.  (5) 

h 

Da  dasselbe  mit  i  beständig  wächst,  so  kann  man  für  eine  Kurve  der 
Klasse  C  stets  s  als  Parameter  wählen. 

Eine  Kurve  der  Klasse  C"  hat  in  jedem  Punkt  eine  endliche 
Krümmung,  welche  durch  die  FormeP)  gegeben  wird: 

Jl  _  ^  _  ^'y"_  —  ^"y'  .  (6) 

r        ds       (yaf^V^ 

Ist  dieselbe  positiv  (negativ),  so  liegt  der  Vektor  von  dem  be- 
trachteten Kurvenpuukt  nach  dem  Krümmungsmittelpunkt  zur  linken 
(rechten)  der  positiven  Tangente  der  Kurve,  wenn,  wie  wir  stets 
voraussetzen,  die  positive  «/-Achse  zur  linken  der  positiven  a;-Achse 
liegt.  Die  Größen  0,  s,  r  bleiben  invariant  gegenüber  allen  Parameter- 
transformationen. 

Wir  werden  es  in  der  Folge  fast  ausschließlich  mit  stetigen 
Kurven  zu  tun  haben,  welche  entweder  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
von  der  Klasse  C  sind,  oder  aber  aus  einer  endlichen  Anzahl  von 
Bogen  von  der  Klasse  C  bestehen.  Eine  solche  Kurve  wollen  wir 
der  Kürze  halber  eine  gewöhnliche  Kurve  nennen. 

Ein  Punkt,  in  dem  zwei  dieser  Bogen  zusammenstoßen,  soll  eine 
„EcJce"^)  heißen,  wenn  dort  die  Richtung  der  positiven  Tangente  tat- 
sächlich eine  Unstetigkeit  erleidet.  Auch  in  einem  solchen  Punkt 
existiert  die  vordere  und  die  hintere  Deri vierte  von  x(t)  und  yit), 
und  dementsprechend  eine  vordere  und  hintere  Tangente. 

Wir  sagen  eine  Kurve  sei  regulär  in  einem  Punkt  t  =  t\  wenn 
sich  x{t)  und  y{t)  für  hinreichend  kleine  Werte  von  t  -  i;  \  in  kon- 
vergente nach  ganzen  Potenzen  von  (t  - 1')  fortschreitende  Reihen 
entwickeln  lassen: 


1)  Vgl.  Jordan,  Cours  d' Analyse,  I,  Nr.  105—111.  -,..  ^  , 

2)  Vgl.  z.  B.  Jordan,    loc.  cit,  I,  Nr.  448,  450,  und  Scheffers,    Lmführung 
in  die  Theorie  der  Kurven,  I,  p.  35. 

3)  Auch  „KnickpunkV'  nach  Caratheodory,  vgl.  §  48. 


§  25.     Formulierung  der  Aufgabe.  193 

x{t)  =  a -^  a^{t  —  t') -\ 

1/(0  =  6  +  ^(^-0 +  •••; 

in  welchen  a^  und  \  nicht  beide  null  sind.  ^ 

b)  Bedingung  für  die  Invarianz  eines  Kurvenintegrals  unter 
einer  Parametertransformation : 

Es  sei  F{x,  y,  x,  y)  eine  Funktion  von  vier  unabhängigen  Vari- 
abein, welche  von  der  Klasse  C"  ist  in  einem  Bereich  %,  welcher  aus 
allen  Punkten  {x,  i/,  x,  y)  besteht,  für  welche  (Xy  y)  in  einem  ge- 
wissen Bereich  Öl  der  x^  ^-Ebeue  liegt,  während  (x\  y)  irgend  ein 
endliches  Wertsystem  mit  Ausnahme  des  Wertsystems  (0,0)  sein  darf. 

Wir  setzen  voraus,  daß  die  durch  die  Gleichungen  (1)  definierte 
Kurve  ®  in  dem  Bereich  61  liegt  und  von  der  Klasse  C  ist,  und 
wählen  ^)  zwei  beliebige  Punkte  P^  und  P^  (t^  <  t^)  auf  ^.  Dann 
verstehen  wir  unter  dem  Integral  der  Funktion  F  genommen  entlang 
dem  Bogen  P^P^  der  Kurve  ©  das  Integral 

fF(x(t),  y{t),  x(t),  y'H))dt.  (7) 

tl 
Hier  tritt  uns  nun  aber  eine  eigentümliche  Schwierigkeit  ent- 
gegen: Gehen  wir  nämlich  durch  die  Parametertransformation  (2)  zu 
einer  anderen  Darstellungsform  (la)  derselben  Kurve  ©  über  so  er- 
gibt sich  nach  der  eben  gegebenen  Definition  für  das  Integral  der 
Funktion  F  entlang  demselben  Bogen,  der  Darstellung  (1  a)  entsprechend, 

fF{X{t),   Yir),  X\t\   ¥'{%)) dz,  (7a) 

wo: 

Der  Begriff  des  Integrals  der  Funktion  F  entlang  einer  gegebenen 
Kurve  hat  also  nur  dann  einen  bestimmten,  von  der  Wahl  des  Para- 
meters unabhängigen  Sinn,  wenn  die  beiden  Integrale  (7)  und  (7  a) 
einander  gleich  sind;  und  zwar  verlangen  wir,  daß  diese  Gleichung 
gelten  soll 

a)  für  jede  Parametertransformation  t  =  i{r)  von  den  oben  an- 
gegebenen Eigenschaften,  bei  welcher  überdies  x(x)  in  [fgrj  von  der 
Klasse  C  ist; 

^)  Wenn  wir  sagen,  wir  wählen  einen  Punkt  auf  der  Kurve  (£,  so  soll  dies 
atets  heißen:  wir  wählen  einen  Wert  von  t  und  bestimmen  dann  den  zugehörigen 
Punkt  der  Kurve.  Diese  Verabredung  ist  nötig,  weil  dasselbe  Wertsystem  {x^  y) 
verschiedenen  Parameterwerten  entsprechen  kann  (mehrfache  Punkte). 

Bolia,  Variationareohnung.  13 


;[94  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

ß)  für  jede  Lage  der  beiden  Punkte  Pg  und  P^  auf  der  Kurve  (S^;     .  J 
y)  für  jede  im  Bereich  6{  gelegene  Kurve  S  von  der  Klasse  C.       i 
Führen  wir  in  dem  Integral  (7)  statt  der  Variabein  f  die  Variable 
T  ein*  mittels  der  Substitution:  ^  =  ;cW>  ^^^  beachten,  daß 

so  geht  (7)  über  in 


jF[X(r), 


^^'^'  tS'  tS-V'«''-  (^•') 


Wegen  /3)  dürfen  wir  die  Gleichung:  (7b)  =  (7  a)  nach  r^  differentiieren 
und  erhalten,  wenn  wir  der  Kürze  halber  r  statt  t^  schreiben: 

F{X{r),  Y(r),  f.|\   -J|)  z'W  =  J'CXW,   Y(r),  X\r),  Y\r)) .      (8) 

Wegen  a)  muß  dies  auch  für  die  spezielle  Transformation 

gelten,  wenn  h  irgend  eine  positive   Konstante  ist;  also  folgt 

F{X{t),  Y{x),  kXXt),  hY\T))-=lF{X{x),  Y{x),  X\t),  Y\r)).       ^ 

Aber  indem  wir,  der  Forderung  y)  entsprechend,  die  Kurve  (S; 
und  den  Parameter  r  passend  wählen,  können  wir  die  vier  Größen: 
X(t),  Y(t),  X'(t),  Y'(t)  jedes  vorgeschriebene  dem  Bereich  %  an- 
gehörige  Wertsystem  annehmen  lassen,  und   daher  muß  die  Relation 

F(x,  y,  Ix,  ky)  =  hF(x,  y,  x,  y')  (9) 

identisch  erfüllt  sein,  für  jedes  Wertsystem  x,y,x',y,  im  Bereich  '^ 
und  für  jedes  positive  h,  oder  wie  wir  sagen  wollen:  Die  Funktion 
F{x,yyX,y)  muß  in  x\y  positiv-homogen^)  und,  von  der  Dimen- 
sion 1  sein. 

Umgekehrt,  wenn  diese  Bedingung  erfüllt  ist,  so  gilt  (8),  da  wir 
X(t)  >  0    voraussetzen    und    daraus    folgt    rückwärts    die    Gleichung: 

^)  Man  muß  sich  hüten,  diese  beschränkte  Homogeneität  mit  der  ge- 
wöhnlichen Homogeneität  rationaler  Funktionen  zu  verwechseln,  bei  welcher  die 
Homogeneitätsrelation  für  positive  und  negative  Werte  von  k  gilt.  So  sind 
z.  B.  die  Funktionen 

positiv-homogen,  a))er  nicht  homogen  im  gewöhnlichen  Sinn. 


§  25.     Formulierung  der  Aufgabe.  195 

(7)  =  (7a).  Wir  haben  also  den  folgenden  von  Weierstrass  her- 
rührenden 

Sats'^):  Die  notwendige  und  hinreichende  Bedingung  dafür  y 
daß  der  Wert  des  Integrals  der  FunJdion  F{x,  y,  x,  y)  entlang  einer 
Kurve  von  der  Wald  des  Parameters  unabhängig  ist^  besteht  darin, 
daß  F  in  hezug  auf  x  und  y  positiv-homogen  von  der  Dimension  1  ist 

Wir  werden  in  der  Folge  stets  voraussetzen,  daß  die  Funktion 
F(Xy  y,  X,  y)  die  Homogeneitätsbedingung  (9)  erfüllt,  und  wir  werden 
das  Integral  t^ 

fF{x{t),  y(ß),  x\t),  y'{t))dt 
h 

je  nach  Bedarf  mit  J^(^F^P^,  oder  auch  kürzer  mit  J{i  oder  J^^  be- 
zeichnen. Allgemeiner  soll  J{g{P^F^  das  Integral  J,  genommen  ent- 
lang einem  Bogen  P3P4  der  Kurve  S,  bezeichnen. 

Will  man  die  Richtung  der  Integration  umkehren^),  so  muß 
man  zuerst  einen  neuen  Parameter  einführen,  welcher  wächst,  wenn 
die  Kurve  vom  Punkt  F^  bis  zum  Punkt  F^  durchlaufen  wird, 
z.  B.^) :  u  =  ~  t.     Die  Gleichungen 

ß~^:  x -=  x{— u)  j    y  =^  y(— u) ,    %^w^«2, 

wo: 

u^  =       fg  ,     U2  =        t^  y 

stellen  dieselbe  Gesamtheit  von  Punkten  dar  wie  (1),  aber  der  Sinn 
ist  entgegengesetzt. 

Das  Integral  von  F  entlang  der  Kurve  S~^  hat  den  Wert 

=  I  F(x(—  u),  y(—  u),  —  x(—  u),  —  y{—  u))  du 
=fF{x{t),  y{t),  -  x\t),  -  y'it))  dt . 


^)  Weierstrass,  Vorlesungen^  vgl.  auch  Kneser,  Lehrbuch,  §  3.  Die  Ver- 
allgemeinerung des  Satzes  für  den  Fall,  wo  F  höhere  Ableitungen  von  x  und  y 
enthält,  ist  von  Zermelo  gegeben  worden.  {Dissertation,  p.  2 — 23);  für  den  Fall 
von  Doppelintegralen  von  Kobb,  Acta  Mathematica,  Bd.  XVI  (1892),  p.  67. 

*)  Vgl.  Kneser,  Lehrbuch,  p.  9. 

^)  Dies  ist  natürlich  keine  eigentliche  „Parametertransformation"  und  dem- 
entsprechend  haben    wir    die   Kurve  ©~^  als   von  ^  verschieden  zu  betrachten. 

13* 


196  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sclie  Theorie. 

Wenn  die  Relation  (9)    auch    für    negative  Werte    von  /.•   gültig 
bleibt   (was  z.  B.  eintritt,  wenn  F  eine  rationale  Funktion  von  x\  y 
ist)  so  ist 

F[x,  y,  -  x\  ~y)  =  -  F{x,  y,  x,  y), 

und  daher:  Jgi  =  ~  '^2- 

Ein  hierher  gehöriges  Beispiel  ist  das  Integral  für  den  Inhalt  der 
von  einer  geschlossenen  Kurve  begrenzten  Fläche: 

u 

J  ==  \  j  {ooy'  —  yx)  dt . 

Die  Relation  (9)  braucht  aber  für  negative  Werte  von  k  nicht 
zu  gelten;  wenn  insbesondere  für  negative  Werte  von  Ic  statt  dessen 
die  Relation 

F{x,  y,  kx,  hy)  =  -  hF{x,  y,  x,  y) 

gilt,  wie  z.  B.  bei  dem  Integral  für  die  Bogenlänge,  so  ist:  J^^  =  J^^. 
Beides    sind  jedoch  nur  spezielle  Fälle,  und  im  allgemeinen  läßt 
sich  keine  einfache  Beziehung  zwischen  Jgi  ^^^  'As  aufstellen. 

c)  Relationen  ^)  zwischen  den  partiellen  Ableitungen  der  Funktion 

F{x,y,x\yy, 

Differentiiert  man  (9)  nach  k  und  setzt  dann  k  =  1,  so  kommt, 
wie  bei  gewöhnlichen  homogenen  Funktionen, 

x'F^.  +  yF^,  =  F.  (10) 

Hieraus  folgt  durch  Differentiation  nach  x  und  y 

K  =  *•' j;..  +  yi\j'. .      F,^  =  ^'i\  +  y'F,.„ ,        (11) 

und  durch  Differentiation  nach  x'  und  y' 

^'F,'.-  +  y  F,,.,.  =  0 ,        x'F,.^  +  y'F^..  =  0 ;  (IIa) 

und  hieraus,  wenn  x    und  y'  nicht  gleichzeitig  null  sind, 

F.,^  ■■  F..,. :  J;.,.  =  in  ■  -  x'ff :  x'^ ;  (12) 

daher  existiert  eine  Funktion  F^  von  x,  iy,  x^  y    derart,  daß 

F^...  =  y'F„     F^.„^-xyF„     F,^,^.  =  x'^F,.  (12a) 

Die    so    definierte   Funktion  F^    ist   nach  unseren  Annahmen  über  F 
von  der  Klasse  C  im  Bereich  %,   selbt  wenn   eine  der  beiden  Vari- 


^)  Nach  Weibbsteass,   VorUaungen. 


§  25.     Formuliemng  der  Aufgabe.  197 

abeln  x\  y  null  ist:  dagegen  wird  F^  im  allgemeinen  unendlich  oder 
unbestimmt^  wenn  gleichzeitig  x  =  0,  «/'  =  0  und  zwar  selbst  dann^ 
wenn  F  selbst  für  {x\  y)  =  (0^  0)  endlich  und  stetig  bleibt;  so 
z.  B.  für 

F=^yVx'^'Y^,     wo     i^=        ^ 

Wir  bemerken  noch,  daß  aus  (9)  durch  Differentiation  nach  x  und  y, 
bzw.  x'  und  y    die  weiteren  Homogeneitätsrelationen  folgen: 

F^{x,  y,  hx,  ky)  =  hF^{x,  y,  x,  y' ) ,     Fy(x,  y,  hx\  ky  )  =  kFy{x,  y,  x,  y'),' 

F^,(x,  y,  kx\  ky)  =  F^^(x,  y,  x,  y) ,      Fy,(x,  y,  kx,  ky)  =  Fy,{x,  y,  x,  y) , 

F^{x,  y,  kx,  ky)  ==  k~^F^  (x,  y,  x\  y'), 


für 


/.•>0 


d)  Definition  des  Minimums:^) 

Die  Definition  des  Minimums  gestaltet  sich  nun  ganz  ähnlich 
wie  im  §  ,%  nur  daß  jetzt  alle  Kurven  in  Parameterdarstellung  voraus- 
gesetzt werden;  außerdem  wollen  wir  den  Begrift  der  zulässigen 
Kurven  noch  dadurch  erweitern,  daß  wir  auch  Kurven  mit  einer  end- 
lichen Anzahl  von  „Ecken"  zulassen,^) 


^)  Im  wesentlichen  nach  Weierstrass,  Vorlesungen,  1879;  vgl.  auch  Zermelo, 
Uis^ertation,  p.  25 — 29,  und  Kneser,  Lehrbuch,  §  17. 

')  Für  eine  Kurve  mit  einer  endlichen  Anzahl  von  Ecken  von  den  unter  a) 
■charakterisierten  Eigenschaften  hat  das  Integral  J  zunächst  überhaupt  keine 
Bedeutung,  da  die  Funktionen  x\  y'  und  daher  auch  F{x^  y,  x\  y')  in  den  Ecken 
nicht  definiert  sind.  Legt  man  aber  der  Funktion  J^  in  den  Ecken,  die  den 
Parameterwerten  i  =  c^,  Cg,  .  .  .,  c„  entsprechen  mögen,  beliebige  endliche  Werte 
bei,  so  erhält  das  Integral  für  die  so  modifizierte  Funktion  nach  A  V  2  einen 
bestimmten  endlichen  Wert,  und  dieser  Wert  ist  nach  A  V  3  von  der  Wahl  der 
Werte  von  F  in  den  Punkten  c^  unabhängig  und  daher  die  naturgemäße 
Definition  für  das  Integral  J  entlang  der  betrachteten  Kui-ve.  Es  folgt  dann 
nach  bekannten  Sätzen  über  bestimmte  Integrale,  daß 


v:  +  i 


-0 


J^^JFix,  y,  x\  y')dt,  (c^  ==  t^,    c„^^  =  t^) , 

/  =  0  Cf+O 


wobei  die  Bezeichnung  andeuten  soll,  daß  man  bei  der  Berechnung  des  Inte- 
grals für  das  Intervall  [c-c^^i]  den  Funktionen  x\  y'  in  c.  die  Werte  a;'(C;  +  0), 
t/'(c.  4-0),  in  c.^j  die  Werte  x\c.^^  —  Qi),  y\c.^^  —0)  beilegt. 


198  FüDftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Es  seien  also  zwei  Punkte  P^  und  Pg  im  Bereich  Ö\  gegeben; 
wir  betrachten  als  „zulässige  Kurven"  die  Gesamtheit  9TL  aller  „ge- 
wöhnlichen^) Kurven"^  welche  in  6{  von  Pj  nach  Pg  gezogen  werden 
können.  Dann  sagen  wir  eine  zulässige  Kurve  ^  liefert  ein  Minimum  ^) 
für  das  Integral 

J'=JF{x,ij,x,ij)dt, 
\ 

wenn  eine  „Umgebung"  :^l  von  S  existiert,  derart,  daß 

*^(£  <  '^e 
für  jede    zulässige   Kurve  S,   welche    in  91  von  Pj  nach  Pg  gezogen 
werden  kann. 

Dabei  soll  unter  einer  Umgebung  äl  einer  ebenen  Kurve  (£ 
wieder  jeder  ebene  Bereich^)  verstanden  werden,  welcher  die  Kurve  (S 
ganz  in  seinem  Innern  enthält,  so  daß  also  jeder  Punkt  von  S  ein 
„innerer^)  Punkt"  von  äl  ist. 

e)  Vergleichung  der  Methode  der  Parameterdarstellung  mit  der 
früheren  Methode: 

Man  ist  leicht  geneigt,  die  ältere  Methode,  bei  welcher  x  als  unabhängige 
Variable  gebraucht  wird,  im  Vergleich  zur  Weierstraß'schen  Methode  der 
Parameterdarstellung  für  veraltet  und  unvollkommen  zu  halten.  Jedoch  mit 
Unrecht:  Vielmehr  haben  es  die  beiden  Methoden  mit  zwei  verschiedeneu  Aut- 
gaben zu  tun,  und  welche  von  beiden  den  Vorzug  verdient,  hängt  in  jedem 
einzelnen  Fall  von  der  speziellen  Natur  des  vorliegenden  Problems  ab. 

Im    allgemeinen    kann   man  sagen,  daß  für  (leometrische  Aufgaben  die  Me- 
thode der  Parameterdarstellung  nicht  nur  vorzuziehen  ist,  sondern  überhaupt  die' 
einzige  ist,    welche  eine  vollständige  Lösung  der  Aufgabe  liefert.^)     Handelt  es 
sich  dagegen  darum,  eine  Funktion  zu  bestimmen,  welche  ein  Integral  zu  einem 
Extremum  macht,  so  hat  man  die  ältere  Methode  anzuwenden. 

1)  Vgl.  §  25,  &).  Eine  Ausdehnung  der  Aufgabe  auf  eine  allgemeinere 
Klanse  von  Kurven  wird  in  §  35  betrachtet  werden. 

-)  Genauer  „starkes,  relatives"  Minimum;  wir  werden  es  fast  ausschließlich 
mit  diesem  zu  tun  haben.  Die  Unterscheidung  zwischen  „eigenthchem^'  und 
„uneigentlichem"  Minimum  ist  dann  wieder  ganz  so  wie  p.  18     definiert. 

»)  Wegen  der  Definition  von  „Bereich"  und  „Inneres"  vgl.  A  I  7  und  9. 
Man  beachte,  daß  wir  zwischen  Umgebung  und  Nachbarschaft  einer  Kurve 
unterscheiden,  vgl.  §  3,  b). 

*)  Es  sei  denn,  daß  man  die  auf  p.  205,  Fußnote  auseinandergesetzte 
Methode  anwenden  will,  bei  welcher  man  jedoch  die  gegebene  Aufgube  durch 
eine  Aufgabe  von  weit  komplizierterem  Typus  ersetzt.  Vg].  auch  die  Übungs- 
aufgaben Nr.  35 — 40  auf  pp.  149 — 151. 


§  25.     Formulierung  der  Aufgabe.  199 

Dieselbe  Unterscheidung  gilt  auch  für  Aufgaben  yon  allgemeinerem  Typus. 
So  sind  z.  B.  das  Hamilton'sche  Prinzip  und  das  Prinzip  der  kleinsten  Aktion 
in  der  ersten  (Lagrange'schen)  Form  Funktionenprobleme,  weil  hier  die 
Koordinaten  der  Punkte  des  Systems  als  Funktionen  einer  ganz  bestimmten  un- 
abhängigen Variabein,  nämlich  der  Zeit,  gesucht  werden.  Dagegen  ist  das 
Prinzip  der  kleinsten  Aktion  in  der  zweiten  (Jacobi'schen)  Form,  bei  welcher 
die  Zeit  eliminiert  ist  und  nur  die  Bahnen  bestimmt  werden,  ein  Kurve n- 
problem  (vgl.  Kap.  XI). 

Betrachtet  man  die  Aufgabe  das  Integral 


'2 


zu  einem  Minimum  zn  machen,  einmal  in  Beziehung  auf  eine  gewisse  Menge  9TL 
von  zulässigen  Kurven,  das  andere  Mal  in  Beziehung  auf  eine  andere  Menge  9L, 
so  sind  dies  zwei  ganz  verschiedene  Aufgaben,  und  man  muß  im  allgemeinen 
erwarten,  daß  auch  ihre  Lösungen  verschieden  sind. 

"Wir  wählen  nun  für  2TI  die  Gesamtheit  aller  Kurven  der  Klasse  C,  welche 
im  Bereich  tH  vom  Punkt  P^  nach  dem  Punkt  P^  gezogen  werden  können,  und 
für  91  die  Gesamtheit  derjenigen  Kurven  von  9TI,  für  welche  Ijeständig 

x\t)  >  0  .  (14) 

Für  jede  Kurve  von  91  können  wir  dann  x  als  Parameter  einführen,  und  er- 
balten die  Kurve  in  der  Form 

wo  y{x)    eine    Funktion    der  Klasse  C  ist,  während  das  Integral  /  übergeht  in 

wenn  wir  die  Funktion  f(x,  y,p)  durch 

f{x,y,p)^F(x,y,l,p)  (15) 

definieren.  Die  zweite  Aufgabe  ist  aber  identisch  mit  dem  Problem,  das  wir 
in  den  drei  ersten  Kapiteln  behandelt  haben. 

So  gehört  also  zu  jedem  „i-Problem",  wie  wir  sagen  wollen,  ein  ent- 
sprechendes „ic-Problem",  das  durch  Hinzufügung  der  Bedingung  (14)  daraus 
hervorgeht.  Ebenso  kann  man  rückwärts  von  einem  gegebenen  „a^-Problem"  zu 
dem  entsprechenden  „^-Problem''  übergehen,  indem  man 

X 

setzt  und  demnach 

F{x,  y,  x\  y')  =  f(x,  y,  -|>j  x  (15a) 


200  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie, 

definiert,    wobei    es  freilich    vorkommen  kann,    daß  die  Funktion  F  nicht  allen 
von  uns  vorausgesetzten  Bedingungen  genügt. 
Aus  (15  a)  folgen  die  Relationen 


^l-=.'8 


(16) 


Da  die  Menge  91  in  der  Menge  911  enthalten  ist,  so  folgt,  daß  jede 
Lösung  des  ^Problems,  welche  überdies  der  Bedingung  (14)  genügt,  a  fortiori 
auch  eine  Lösung  des  a;-Problems  liefert.  Das  /-Problem  kann  aber  auch 
Lösungen  besitzen,  welche  die  Bedingung  (14)  nicht  erfüllen,  und  welche  daher 
keine  Lösungen  des  rc-Problems  sind.  Ein  Beispiel  dieser  Art  ist  die  bekannte 
„diskontinuierliche  Lösung''  beim  Problem  der  Rotationsfläche  kleinsten  Inhalts 
(vgl.  §  52). 

Es  kann  aber  auch  umgekehrt  das  .r-Problem  Lösungen  besitzen,  welche 
nicht  zugleich  Lösungen  für  das  ^Problem  sind.  Ein  einfaches  Beispiel  ^)  dieser 
Art  liefert  die  Aufgabe,  das  Integral 


X, 


zu  einem  Minimum  zu  machen,  wobei  die  Endpunkte  1\  und  I'^  die  Koordinaten: 
(ajj,  2/i)  =  (0,  0),  (iCj,  2/2)  =  (l,  1)  haben  sollen.  Dann  liefert  die  Gerade  P^P.: 
y==x  ein  starkes  Minimum  für  das  Integral  und  zwar  ist  der  Minimalwert 
J=4-l.  Denn  ersetzt  man  y  durch  y-{-o],  wo  w  irgend  eine  Funktion  der 
Klasse  r'  ist,  welche  in  beiden  Endpunkten  verschwindet,  so  ist 

1  1 


also  A«/>  0. 

Dagegen  liefert  dieselbe  Gerade  P^  P.  für  das  entsprechende  f-Problem,  wo 

U 
kein  Minimum.  Denn  man  kann  in  jeder  noch  so  kleinen  Umgebung  von  P^  P, 
die  beiden  Punkte  P^  und  P^  durch  eine  Zickzacklinie  verbinden,  welche  ab- 
wechselnd aus  geradlinigen  Stücken  vom  Gefälle  0  und  —  1  besteht.  Für  eine 
solche  Zickzacklinie  wird  aber  offenbar  das  Integral  Jncgativ,  also  sicher  kleiner  als  1. 
Die  betrachtete  Zickzacklinie  ist  für  das  /-Problem  eine  zulässige  Variation, 
nicht  aber  für  das  .-r-Problem. 


')  Dasselbe  rührt  von  Bromwich  her,  vgl.  Mathematical  Gazette, 
Bd.  III  (1905),  p.  179.  Ein  anderes  Beispiel  dieser  Art  ist  unser  Beispiel  X, 
p.  113,  in  dem  Fall,  wo  ?/?  >  0,  oder  w<  -1;  man  benutze  dieselbe  Zickzack- 
linie wie  im  Text. 


§  26.     Die  Differentialgleichung  des  Problems.  201 

Das  eben  behandelte  Beispiel  ist  nur  ein  spezieller  Fall  eines  allgemeinen, 
Yon  Weierstrass  herrührenden  Satzes  (vgl.  §  30,  b)),  wonach  das  Integral 

-^ 
/  F{x,  y,  x\  y")  d  t 

h 

Überhaupt  kein  Extremum  besitzt,  wenn  F{x^  y,  x\  y)  eine  rationale  Funktion 
von  x\  y'  ist,  während  das  entsprechende  ^-Problem  sehr  wohl  eine  Lösung  be- 
sitzen kann. 

Schließlich  sei  noch  bemerkt,  daß  man  in  allen  Fällen,  wo  es  sich  nur  um 
die  Untersuchung  einer  Kurve  der  Klasse  C  in  der  Umgebung  eines 
einzelnen  Punktes  handelt,  die  Kurve  ohne  Beschränkung  der  Allgemeinheit 
stets  in  der  Form:  y -.^yix)  annehmen  darf,  da  man  stets  durch  Drehung  des 
Koordinatensystems  erreichen  kann,  daß  in  der  Umgebung  des  betreffenden 
Punktes  x  ^  0. 

§  26.    Die  Differentialgleichung  des  Problems. 

Das  Verfahren  zur  Aufstellung  notwendiger  Bedingungen  für  ein 
Extremum  ist  zunächst  ganz  analog  wie  in  §  4;  wir  werden  daher 
nur  diejenigen  Punkte  ausführlicli  erörtern^  in  welchen  die  Behandlung 
in  Parameterdarstellung  charakteristische  Eigentümlichkeiten  aufweist. 

a)  Die  Weierstraß'sche  Form  der  Eul  er 'sehen  Differential- 
gleichung: 

Wir  nehmen  an,  wir  hätten  eine  Kurve  (^  gefunden,  welche  das 
Integral  J  zu  einem  Minimum  macht.  Wir  setzen  fürs  erste  ^)  voraus, 
die  Kurve  (^  sei  von  der  Klasse  C  und  liege  ganz  im  Innern  des 
Bereiches  ^.  Sie  sei  durch  irgend  einen  zulässigen  Parameter  aus- 
gedrückt in  der  Form 

ß:  x==x{t),     y^y{t),     ti<t<h, 

wobei  wir  darauf  aufmerksam  machen,  daß  jetzt  die  Endwerte  t-^j  t^ 
unbekannt  sind.  W^ir  ersetzen  die  Kurve  S  durch  eine  benachbarte 
Kurve  von  der  speziellen  Form 

S:  X  ^  x{i)  +  siit) ,     y=y(t)  +  sri(t),     t,^t<:t,,     (17 j 

wo  8  eine  kleine  Konstante  ist  und  ^(t),  ri(t)  Funktionen  von  t  von 
der  Klasse^)  7)'  sind,  welche  in  t^  und  ^g  verschwinden,  sonst  aber 
willkürlich  sind.     Wir  schließen  dann  ganz  wie  in  §  4,  daß 

dJ=Ö,         d'J^O 
sein  muß,  wo  wieder 

^)  Wir  werden  uns  von  diesen  Beschränkungen  in  Kap.  VIII  befreien, 
-)  Ygl.  die  Definition  §  10,  c).  Die  Zulassung  von  Vergleichskurven  mit  „Ecken'' 
macht  nur  ganz   unwesentliche  Modifikationen   der  früheren  Schlußweise  nötig. 


202  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Im  gegenwärtigen  Fall  ist 

dJ  =  sf'iF.l  +  F^n  +  FJ  +  FX)  dt .  (18) 

Indem  wir  einmal  spezielle^)  Variationen  betrachten,  für  welche 
Yf  =  0,  das  andere  Mal  solche,  für  welche  |  =  0,  erhalten  wir  das 
Resultat,  daß  einzeln 

/(Vj  +  J'^.r)  dt  =  0,       f[F,p-t  +  F,X)  dt  =  0         (19) 


sein  muß. 


Auf  diese  beiden  Gleichungen  können  wir  jetzt  die  Methode  von 
§  5,  c)  anwenden,  und  erhalten  so  den  Satz,  daß  die  beiden  Funk- 
tionen X  and  y  den  beiden  Differentialgleichungen 

F^-;;^F^.=  0,        F,-I^F,^()  (20) 

geniigen  müssen^  was  zugleich  die  Existenz  der  Ableitungen  dF^jdtj. 
dF,,/dt  involviert.  Die  beiden  Differentialgleichungen  (20)  sind  jedoch 
nicht  voneinander  unabhängig  2) ,  wie  sich  schon  a  priori  erwarten  läßt, 
da  dieselbe  Kurve  unendlich  viele  Parameterdarstellungen  zuläßt.  In 
der  Tat,  führt  man  die  in   (20)  angedeuteten  Differentiationen^;   aus, 

Sind  q,  c'ä,  .  ■  .,  ^'«-1,  die  Unstetigkeitspunkte  von  |',  ?/,  so  zerlegt  man  das 
Integral  J  in  eine  Summe  von  Integralen  zwischen  den  Grenzen  t^  q ,  c^  c^ ,  .  .  . 
und  führt  die  Differentiation  nach  g,  welche  dJ  und  8^J  liefert,  sowie  die  wei- 
teren Cmformungen  an  den  einzelnen  Summanden  aus.  Die  vom  Integralzeichen 
freien  Glieder,  welche  dabei  auftreten,  heben  sich  weg,  w^l  die  Funktionen  x\  y 
und  'g^i]  als  stetig  vorausgesetzt  werden. 

1)  Was  gestattet  ist,  so  lange  es  sich  um  die  Ableitung  von  notwendigen 
Bedingungen  handelt. 

*;  Schon  Hamilton  hat  bemerkt,  —  und  zwar  für  das  entsprechende  Problem 
im  Raum  — ,  daß  aus  der  Homogeneität  der  Funktion  F  folgt,  daß  die  Diffe- 
rentialgleichungen (20)  nicht  voneinander  unabhängig  sind.  (Transactions 
of  the  Irish  Academy,  Bd.  XVII,  p.  6.) 

2)  Der  Hilbert'sche  Satz  (§  5,  d))  über  die  Existenz  der  zweiten  Ableitungen,. 
welche  dabei  vorausgesetzt  wird,  ist  dahin  zu  modifizieren ;  der  Parameter  t  läßt 
sich  stets  so  wählen,  daß  die  zweiten  Ableitungen  x",  y"  existieren  und  stetig  sind 
in  alle}!  denjenigen  Punkten  der  Kuive,  in  welchen 

F,(x(t),  y{t),  x{t,  y\t))^0.  (21) 


§  26.    Die  Dilferentialgleichung  des  Problems.  203 

und  macht  dabei  von  den  Relationen  (11)  und  (12 n)  Gebrauch^  so 
erhält  man  die  Identitäten 

F^-lF^.^y'T,         F^-^J,^-^T,  (23) 

WO 

l\x,  r,  «;/;  X",  y")^F,^.^F^,.+  F,{x'y"-x"y).    (23a) 

Da  X  und  y  nicht  gleichzeitig  verschwinden,  so  sind  die  beiden 
Differentialgleichungen  (20)  äquivalent  mit  der  einen  Differentialgleichung 

Ky -  F,^.'  +  F, (xy" -  x'y)  =  0 .  (I) 

Dies  ist  die  Weierstraß'sche^)  Form  der  Euler'schen  Differen- 
tialgleichung. Ihr  muß  jede  Kurve ^  welche  das  Integral  J  zu  einem 
Extremum  macht,  genügen.  Jede  den  beiden  Differentialgleichungen 
(20)  genügende  Kurve  soll  nach  KjsESER  wieder  ein  Extremale  heißen. 

Führt  man  die  Krümmung    -    der  Kurve  ein,  so  kann  man  nach 

(6)  die  Differentialgleichnng  (I)  auch  schreiben: 

■^     _         Ex'y—  Fy'x  /OQU\ 

Die  Krümmung  bleibt  invariant  unter  jeder  Parametertransforma- 
tion, ebenso  die  rechte  Seite  von  (23  h),  wie  man  sich  leicht  mittels 
der  Formeln  (9)  und  (13)  überzeugt. 

Aus  den  Formeln  (23)  leitet  Weierstrass  eine  wichtige  Um- 
formung der  ersten  Variation  ab.    Formt  man  in  dem  Ausdruck  (18) 

Dies  findet  z.  B.  statt,  wenn  man  für  t  die  Bogenlänge  wählt,  was  sich  ana- 
lytisch dadurch  ausdrückt,  daß  man  den  Differentialgleichungen  (20)  die  weitere 
hinzufügt: 

x"'  +  y'^=l.         .  (22) 

Ist  in  dem  Punkt,  für  welchen  man  die  Existenz  von  x'\  y"  beweisen  will, 
2/'  =i=  0  — ,  x  und  y'  sind  nicht  beide  null,  —  so  leitet  man,  indem  man  ganz 
analog    wie    im    §  o,  d)    verfährt,    aus    den    beiden    aus  ^(20)  und  (22)  folgenden 


Gleichungen 


Ausdrücke  für  die  Differenzenquotienten 

Ax'  Ay 

At'  At 

her,  an  denen  man  dann  den  Grenzübergang  mit  dem  oben  angegebenen  Resultat 
ausführen  kann. 


^)  Weiekstuas.s,   Vorlesungen. 


204  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

für  öJ  die  beiden  letzten  Glieder  durch  partielle  Integration  um  und 
macht  Yon  den  Gleichungen  (23)  Gebrauch/ so  erhält  man 


ÖJ=  e  {[|F,,+  >.fJ  -^fTtvdt],  (18a) 

wobei 

w  =  tjl  —  X  )] 

gesetzt  ist. 

Die   Umformung    setzt    die   Existenz    und   Stetigkeit    von   x",  y" 

voraus. 

Die  Differentialgleichung  (1),  zusammen  mit  geeigneten  Anfangs- 
bedingungen, bestimmt  im  allgemeinen  zwar  die  Kurve ^),  aber  nicht 
die  Funktionen  x{t)  und  y{f),  solange  der  Parameter  t  unbestimmt 
gelassen  wird.  Erst  nachdem  man  eine  Festsetzung  über  die  Wahl 
des  Parameters  getroffen  hat,  werden  auch  die  Funktionen  x(t)  und 
y{t)  bestimmt.  Eine  solche  Festsetzung  bedeutet  aber  analytisch,  daß 
man  zur  Differentialgleichung  (I)  noch  eine  endliche  Gleichung  oder 
eine  Differentialgleichung  zwischen  x,y  und  t  mit  geeigneten  Anfangs- 
bedingungen hinzufügt;  diese  Zusatzgleichung  ist  nur  der  einen  Be- 
dingung unterworfen,  daß  die  Funktionen  x(t)  und  y{t)  sich  schließlich 
als  "eindeutige  Funktionen  der  Klasse  C  ergeben  müssen.  Die  beste 
Wahl  des  Parameters  hängt  von  der  speziellen  Natur  der  vorgelegten 
Aufgabe  ab.  Für  Untersuchimgen  allgemeiner  Natur  ist  es  meist  am 
vorteilhaftesten,  die  Bogenlänge  als  Parameter  zu  wählen,  was  mit 
der  Zusatzgleichung  (22)  identisch  ist.-) 

1)  Vgl  o-enaueres  hierüber  in  5^  27,  a).  Der  hier  scheinbar  vorUegende  Wider- 
spruch löst  sich  dadurch,  daß  dieselbe  Ku^^'e  durch  Transformation  des  Para- 
meters in  unendlich  vielen  Formen  dargestellt  werden  kann,  vgl.  §  25,  a). 

»)  13ei  dem  Übergang  zu  einem  speziellen  Parameter  hat  man  sich  vor 
«inem  naheliegenden  Fehler  zu  hüten:  Trifft  man  über  den  Parameter  t  für  die 
gesuchte  Kurve  ©  eine  bestimmte  Wahl,  die  mit  der  Adjunktion  der  Relation 

G[t,x,  y.x,y')  =  0  (22a) 

gleichbedeutend  sein  möge,  so  kann  es  kommen,  daß  die  Funktion  F{x,  y,  x  y) 
sich  auf  Grund  von  (22a)  auf  eine  Form  F'^x,  y,  x\  y)  reduzieren  läßt,  welche 
der  Homogeneitätsbedingung  (9)  nicht  mehr  genügt.  Wir  können  dann  das 
Integral  J^^  in  der  doppelten  Form  schreiben 

j^  _  I  F{x,  y,  x\  y)  dt  =  /  /''^.^^  2/,  cc\  y')  dt. 

Wenn  wir  nun  zu  einer  benaclibarten  Kurve  ^  übergehen,  indem  wir  x,  y  durch 
5  =  ^_|_,|,  y  =  y  +  8n   ersetzen,  wobei  |,  tj  beliebige  Funktionen  von  t  von 


§  26.     Die  Differentialgleichung  des  Problems.  205 

Nachdem   man   eine   bestimmte  Wahl   über   den  Parameter  t   ge- 
troifen  hat,   erhält  man  die  allgemeine  Lösung  in  Form  eines  Paares 

der  Klasse  B'  sind,  welche  für  t  =--=■  t^  und  t  =-  t^  verschwinden,  so  wird  im  all- 
gemeinen der  Parameter  t  für  ß  nicht  mehr  dieselbe  Bedeutung  haben,  wie  für 
®,  d.  h.  x,T/  werden  im  allgemeinen  nicht  mehr  der  Relation  (22a)  genügen,^ 
also  wird  sich  auch  für  die  Kurve  (£  die  Funktion  i^  nicht  mehr  auf  die  Form  F^ 
reduzieren  lassen.     Daher  müssen  wir  schreiben 


J^  ^J Fix,  y,  x\  y')dt 


und  dürfen  nicht  schreiben 

J^=-fF\x,Tf,x\y)dt. 

Daraus    folgt,    daß    auch    in  ^/  und  daher  schließlich  in   den  Dilferentialglei- 
chungen  (20)  und  (I)  die   Funktion  F  und    nicht  F^    gebraucht    werden   muß. 
Erst  jetzt,  in  den  fertigen  Differentialgleichungen,  darf  man  die  aus  der  Ädjunk- 
tion  von  (22  a)  sich  ergebenden  Reduktionen  vornehmen. 
So  führt  z.  B.  die  Aufgabe  das  Integral 


J=   /  y-\/x'^-\-y'^^dt 


zu  einem  Minimum  zu  machen,  wenn  mau  den  Bogen  s  als  unabhängige  Variable 
einführt,  auf  das  Integral 


'/, 


(5-  j  yds. 


Wollte  man  hier  unter  Yernachlässigung  der  obigen  Warnung,  mechanisch 
die  früheren  Regeln  auf  das  reduzierte  Integral  anwenden,  so  würde  man  für 
die  Differentialgleichung  (I)  das  falsche  Resultat  1  =  0  erhalten. 

Es  gibt  allerdings  noch  eine  zweite  Methode,  die  Aufgabe  zu  behandeln: 
sie  besteht  darin,  daß  man  nicht  nur  für  die  gesuchte  Kurve,  sondern  gleich- 
zeitig für  sämtliche  zulässigen  Kurven  den  Parameter  t  in  derselben  Weise  spe- 
zialisiert, d.  h.  den  sämtlichen  zulässigen  Kurven  die  Nebenbedingung  (22  a)  auf- 
erlegt. Dann  sind  aber  die  Funktionen  ^,  r]  nicht  mehr  willkürlich,  und  man 
hat  es  mit  einem  ganz  anderen,  und  zwar  viel  komplizierteren  Typus  von  Auf- 
gaben zu  tun  (\g\.  Kap.  XI). 

Das   obige  Beispiel    würde   in  der  neuen  Formulierung  lauten:   Unter   allen 
Funktionenpaaren  oc^  y,  welche  der  Nebenbedingung 

genügen,  dasjenige  zu  finden,  welches  das  Integral 

J  =  I  yds 

zu  einem  Minimum  macht.  'i 

(Vgl.  LiNDELÖF-MoiGNo,  L&jons^  Nr.  116 — 120.) 


206 


Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 


(25) 


von  Funktiorjen  von  /,  welche  zwei  Integrationskonstanten ^)  enthalten: 

x  =  f{t,oc,ß),         y  =  gif,u,ß).  (24) 

Die  Konstanten  a,  ß  zusammen  mit  den  beiden  unbekannten  End- 
werten tj^,  t^  sind  aus  der  Bedingung  zu  bestimmen^  daß  die  Kurve 
durch  die  beiden  gegebenen  Punkte  gehen  soll: 

^2  =  fi^y  ^1  ß)  y  ?/2  =  9{hi  CCy  ß) 

Die  vorangehenden  Bemerkungen  über  die  Integration  der  Diffe- 
rentialgleichung (I)  werden  durch  die  nachfolgenden  Beispiele  noch 
weiter  erläutert  werden.  Wir  bemerken  dazu  noch^  daß  es  häufig 
vorteilhafter  ist,  statt  der  Differentialgleichung  (I)  eine  der  beiden 
Differentialgleichungen  (20)  zu  benutzen,  besonders  wenn  die  Funk- 
tion F  eine  der  beiden  Yariabeln  x  oder  y  nicht  enthält.  Nur  muß 
man  sich  daran  erinnern,  daß  jede  dieser  Differentialgleichungen  nach 
(23)  eine  fremde  Lösung  enthält  (die  erste  /==0,  die  zweite  x  =  0), 
und  daß  erst  die  Kombination  beider  mit  (I)  äquivalent  ist. 

Beispiel  XIV:  Das  Integral 


/=  f[\{xi/-yx)-  RVx^ 


]df 


zu  einem  Maximum  zu  machen 


Fig.  u. 


Dabei  ist  E  eine  positive  Konstante. 
Für  den  Bereich  51  können  wir  die 
ganze  x^  i/- Ebene  wählen. 

Man  findet 


F,  =  - 


B 


(V^-4-V^O' 


(26) 


und    daraus    für   die  Euler'sche  Diffe 
rentialgleichung : 


.X  y    —  y  X 

{Vx'Ty^y 


(I) 


und   gleich 


Die  Krümmung   ist   also   konstant 
1 


B 


Daraus  folgt,    daß  die 


Extremalen  Kreise   mit   dem  Radius  B 
sind,  die  in  positivem  Sinn  beschrieben 
werden,   d.  h.   so   daß  der  Mittelpunkt  zur  Linken  liegt.     Wir  haben   also  hier 


^)  Näheres  hierüber  folgt  in  §  27. 


§  26.     Die  Differentialgleichung  des  Problems.  207 

£in  Beispiel,  ivo  eine  Extremale  aufhört,   Extremale  zu  sein,  wenn  sie  in  ent- 
gegengesetztem Sinn  durchlaufen  ivird.  ^) 

Wir  können  das  allgemeine  Integral  der  Differentialgleichung  (I)  schreiben: 

X  =-  cc  -\-  B  cos  t,        y  =-  ß  -{-  li  sin  t.  (27) 

Durch  die  beiden  gegebenen  Punkte  P^,  P^  gibt  es  zwei,  einen  oder  keinen 
Kreisbogen  der  verlangten  Art,  je  nachdem^) 

E  >  ^  I  P  P 

Im  ersten  Fall  ist  von  den  beiden  Kreisbogen  der  eine  P^  Pg  P^  kleiner,  der 
andere  P^P^P^  größer  als  ein  Halbkreis. 

b)  Die  BracMstochrone  ^) : 

Beispiel  XV:  Unter  allen  Kurven,  tvelche  in  einer  gegebenen  vertikalen 
Ebene  zicischen  zwei  gegebenen  Punkten  P^  und  P^  gezogen  werden  können,  die- 
jenige zu  ß,nden,  entlang  welcher  ein  nur  der  Schwere  unterworfener  materieller 
Punkt  in  der  kürzesten  Zeit  von  P^  nach  P^  gelangt,  wenn  er  den  Punkt  P^  mit 
der   gegebenen   Anfangsgeschwindigkeit    v^   verläfH. 

Wir  wählen  die  vertikale  Ebene  zur  x^  i/"  Ebene  eines  rechtwinkligen 
Koordinatensystems  und  nehmen  die  positive  ^/-Achse  vertikal  nach  unten.  Be- 
zeichnet dann  g  die  Konstante  der  Schwerkraft  und  wird  von  Reibung  und 
Widerstand  des  Mediums  abgesehen,  so  hat  man  nach  den  Elementen  der 
Mechanik  das  Integral 

h 

j=  rV^^y'  dt 

ZU  einem  Minimum  zu  machen,  wo 

Die  zulässigen  Kurven  sollen  von  der  Klasse  C  sein;  sie  müssen  auf  den  Bereich 

^  :  ?/  -  2/i  4-  ^'  >  0 

beschränkt  werden,  da  sonst  der  Integrand  unendlich  oder  imaginär  werden  würde. 


Da  F^^  0,  so  erhalten  wir  nach  (20)  sofort  ein  erstes  Integral 

x' 


(28) 


Ist  a  =  0,  so  erhalten  wir:  x  =  konst.  und  dies  ist  in  der  Tat  die  Lösung  der 
Aufgabe,  wenn  die  beiden  Punkte  P^  und  P^  in  derselben  Vertikalen  liegen. 

»)  Vgl.  §  25,  b). 

^)  Den  Abstand  zweier  Punkte  A  und  B  bezeichnen  wir  stets  mit  \AB\. 
')  Vgl.  LiNDELÖF  -  MoiGNO,  loc.  cit.,  Nr.  112;  Pascal,  loc.  cit.,  §  31;  Kneser, 
Lehrbuch,  p.  37. 


208  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Ist  a  =4=  0 ,    so   wählen   wir   für   den  Parameter  t  den  Tangentenwinkel  der 
Kurve;  das  ist  gleichbedeutend  mit  der  „Zusatzgleichung": 

x' 

^      ^„^____       =  cos  ^,  (29) 

welche  (28)  auf 

2/  —  2/i  +  ^"  =  «  (1  +  cos  2*)  (30) 

reduziert,  wo  zur  Abkürzung 

1 
2a- 
gesetzt  ist. 

Aus  (30)  folgt  durch  Differentiation 

2/'  ==  —  2  a  sin  2 1 
und  durch  Einsetzen   dieses  Wertes  in  (29), 

oj'  =  +  4«  cos*  t. 

Machen  wir  schließlich  die  Substitution 

2<  =  r  —  TT, 
80  erhalten  wir  das  Resultat: 

y  —  Vi  +  f^'=        a  (1  —  cos  t)  ,   J 

wobei  ß  die  zweite  Integrationskonstante  ist.  J)ie  Extremahn  sind  also  Zykloiden  ^), 
die  durch  einen  Kjreis  vom  Radius  a  erzeugt  werden,  der  auf  der  Geraden 
2/  —  2/i  +  ^  =  0  rollt. 

Unter  dieser  doppelt  unendlichen   Schar  von  Zykloiden  gibt  es   eine   und 
nur  eine*),   welche   durch   die  beiden  gegebenen  Punkte   Pj    und  P«    geht  und 


^)  Schon  von  Johann  Bernoulli  (1696)  gefunden,  siehe  Ostwald's  Klassiker  etc., 
!Nr.  46,  p.  3.  Vgl.  auch  Cantor,  Geschichte  der  Mathematik,  Bd.  TU,  pp.  225 
bis  228. 

*)  Für  den  speziellen  Fall,  wo  v^  =  0,  hat  schon  .Iomann  Bkkxoulli  (1696) 
einen  geometrischen  Beweis  gegeben  (loc.  cit.);  derselbe  ist  von  H.  A.  Schwarz 
auf  den  allgemeinen  Fall  ausgedehnt  worden  (siehe  Hancock,  Lectiirrs,  Nr.  105). 
Rein  analytische  Beweise  geben  Heffter,  „Zu7n  Problem  der  Brachistochrone" , 
Zeitschrift  für  Mathematik  und  Physik,  Bd.  XXXIV  (1889)  und  Bolza, 
,,The  Determination  of  the  Constants  in  the  Problem  of  the  Brachistochrone'' , 
Bulletin  of  the  American  Mathematical  Society  (2),  Bd.  X  (1904),  p.  185. 
E.  H.  Moore  hat  gezeigt,  daß  der  betreffende  Satz  ein  spezieller  Fall  eines 
allgemeinen  Satzes  über  eine  gewisse  Klasse  von  Kurvenbogen  ist  (^,0n  Boubly 
Infinite  Systems  of  directly  Similar  Ärches  ivitJi  common  Base  Line", 
Bulletin  of  the  American  Mathematical  Society  (2),  Bd.  X  (1904), 
p.  337. 


§  26.    Die  Differentialgleichung  des  Problems.  209 

keine  Spitze  i)  zwischen  1\  und  1\  besitzt,   vorausgesetzt,   daß  die  Koordinaten 
der  beiden  gegebenen  Punkte  den  Ungleichungen  genügen 

^2  4=  ^1  ,         2/2  —  2/1  +  ^50.  (32) 

c)  Die  Geodätischen  Linien^): 

Beispiel  XVI:  Die  kürzeste  Linie  zu  bestimmen,  welche  auf  einer  gegebenen 
Fläche  ziüischen  zicei  gegebenen  Punkten  Q^   und  Q^  gezogen  werden  kann. 

Sind  die  rechtwinkligen  Koordinaten  x,y,z  eines  Punktes  der  Fläche  als 
Funktionen  zweier  Parameter  u,  v  gegeben,  und  werden  die  Kurven  auf  der 
Fläche  mittels  eines  Parameters  dargestellt 

u  =  u{t),  v  =  v{t),  (33) 

so  ist  unsere  Aufgabe  gleichbedeutend  damit,  das  Integral 

h 
J"=y|/E^'«+  2Fuv'-\-  Gv'^'^dt  (34) 

^1 
zu  einem  Minimum  zu  machen,  wobei 

E=^V,         F=^^^^^,^,         G=^V. 

und  die  Summation  sich  auf  eine  zyklische  7ertauschung  der  Buchstaben  x,y,  z 
bezieht. 

Die  zulässigen  Kurven  (33)  in  der  u,  -y-Ebene  sollen  „gewöhnliche^'  Kurven 
sein;  sie  müssen  auf  einen  Bereich  31  der  w,  -y-Ebene  beschränkt  werden,  wel- 
cher die  Eigenschaft  hat,  mit  seinem  Bild  STl  auf  der  Fläche  in  ein-eindeutiger 
Beziehung  zu  stehen.  Sind  P,{u,,v,)  und  P,{u,,  v,)  die  den  beiden  gegebenen 
Punkten  Q^  und  Q^  entsprechenden  Punkte  der  u,  v- Ebene,  so  müssen  die  zu- 
lässigen Kurven  die  beiden  Punkte  P,  und  P,  verbinden.  Wir  setzen  ferner 
voraus,  daß  die  Funktionen  E,  F,  G  in  01  von  der  Klasse  C"  sind,  und  daß  das 
Flächenstück  9TI  frei  von  singulären  Punkten  ist,  d.  h.  daß  die  drei  Determinanten 

^  =  y.A-  -'uV.^        S  =  z^x^  ~  x^z^  ,        C  =  x^y^  -  y^x^ 
nicht  gleichzeitig  verschwinden,  was  wegen  der  Identität 

EG  —  F^=  A^+  B^-{-  C 
mit  der  einen  Bedingung 

'6      ■     ^     .-  .  EG-F^>0  (35) 

äquivalent  ist.  ^ 


^)  H.  A.  Schwarz  hat  in  Vorlesungen  bewiesen,  daß  ein  Zjkloidenbogen, 
welcher  eine  Spitze  enthält,  niemals  ein  Minimum  für  das  Integral  J  liefern 
kann,  vgl.  Hancock,  Lcctures,  Nr.  104. 

^)  Die  Aufgabe  geht  ebenfalls  auf  Johann  Bernoulli  zurück  (1697);  vgl. 
Cantor,  Geschichte  der  Mathematik,  Bd.  III,  pp.  232—235. 

Bolza,  Variationsrechnung.  ^a 


210  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

a)  Wir  benutzen  zunächst  die   Weierstraß'sclie  Form  (1)  der  Euler' sehen 
Differentialgleichung  und  bezeichnen  allgemein  mit  ^(F)  den  Differentialausdruck 

$(F)  =  F^,,  -  I^;.^,  +  F,  i^xy"  -  x"y') . 

r>ann  ergibt  eine  einfache  Rechnung 

$  {yEu''^f¥fu'ir+'Qv'  0  =  7-- r--; -^w=^.  >  \s '      ^^<^) 

r  =  (EG  —  F")  {u'v"  —  ii"v)  I 

+  (Em  +  FO  [(F,  -  \  E^>'^+  G.^''^'  +  i  G.^'^J  (37) 

-  l¥u'  +  Gv)  [l  E^u'\-\-  E^uv'  +  (F,  -  ^  G,,)  y'^  •  J 

Die  Extremalen  genügen  daher  der  Differentialgleichung^) 

r  =  0  .  (38) 

Diese   Differentialgleichung  besitzt   eine   einfache  geometrische  Bedeutung;    die 
geodätische  Krümmung  Kg  der  Kurve  (33)  im  Punkt  t  wird  durch  den  Ausdruck 

(39) 


^       l/EG -F^'^  iVEu'  +  2  ¥u'v'  +  G"?^)' 

gegeben.  ^) 

Daher  hat  die  kürzeste  Linie  die  charakteristische  Eigenschaft,  daß  ihre  geo- 
dätische Krümmung  beständig  mdV)  ist,  d.  h.  sie  ist  eine  geodätische  Linie  nach 
einer  der  verschiedenen  Definitionen^)  dieser  Kurven. 

Nebenbei  bemerken  wir  die  Relation 

<P  (l/Ei^'*'~-f  2 FuV +1B«>'^  0  =  KgVEG^"  P"' ,  (40) 

die  uns  später  von  Nutzen  sein  wird. 


1)  Daß  (38)  die  Differentialgleichung  der  geodätischen  Linien  ist,  könnte- 
man  direkt  aus  den  Lehrbüchern  über  Differentialgeometrie  entnehmen,  z.  B. 
Knoblauch,  Flächentheorie,  p.  140;  Bianchi-Lukat,  Differentialgeometrie,  p.  154; 
Darboix,    Theorie  des  Surfaces,  Bd.  II,  p.  403;  Scheffkus,   Theorie  der  Flächen, 

p.  407. 

-)  Vgl.  z.  B.  ScHEFFKRs,  Thcorie  der  Flächen,  p.  482.  Eine  elementare  Ab- 
leitung dieser  Formel  findet  man  bei  Bolza,  „Concerning  the  IsoperimHric  Problem 
an  a  Given  Surface",  Decennial  Publications  of  the  University  of 
Chicago,  Bd.  IX,  p.  13. 

')  Eine  elegante  Ableitung  dieses  Resultates  gibt  Bromwich  (Bulletin  of 
the  American  Mathematical  Society,  Bd.  XI  (1905),  p.  547)  mittels  einer 
Transformation  der  ersten  Variation  des  Integrals 


/ 


^)  Vgl.  Darboux,  Theorie  des  Surfaees,  Bd.  II,  Nr.  514. 


§  26.     Die  Differentialgleichung  des  Problems.  211 

ß)  Benutzen  wir  statt  der  Differentialgleichung  (I)  die  beiden  Differential- 
gleichungen (20)  und  wählen  überdies  die  Bogenlänge  s  der  Kurve  auf  der  Fläche 
als  Parameter,  was  mit  der  „Zusatzgleichung" 

(duy-   .    ^_du  dv    ,    ^  fdvV' 

gleichbedeutend  ist,   so   erhalten  wir  für  die  Extremalen  die  folgenden  beiden 
Differentialgleichungen  ^) 

'dsV'ds^'^  ds)-^-[ds)  ^^^-d^i^-^^-yTs)^ 

d  /du    ,    f.dv\  /duY  dudv    ,    ^    (dv\^   I  ^^^^ 

Auch  diese  Differentialgleichungen  haben  eine  einfache  geometrische  Be- 
deutung: Aus  der  Definition  von  E,  F,  G  folgt,  daß 

E^^j_r^_    '^       dx 
ds  '^^  ds~  ^""^Ts' 

^du  dv  _    y       dx 

ds^  "^  ds~  ^"^^  ds  ' 

Hieraus  folgt  durch  Differentiation  nach  s: 

ds  [    ds  "^     ~ds)  ~~  jiLj  ""^Ts^- 

1         (d^V^r    ^J^^    ,     1_  p    (dv\^ 
^    2    ""Us/    "^     "'^ds   ds  "^    2    ^'^\ds)  ' 


und  daher  wegen  (41) 
ebenso  findet  man 
also  ist 


NTT       d-'x 

.^iJ      ^    ds^  ' 

d^x     d^y     d^z         ,      ^     ^ 


d.  h.  aber  geometrisch:  In  jedem  PimJ:t  der  Kurve  fällt  die  Hauptnormale  der 
Kurve  mit  der  Flächenormale  zusammen,  was  eine  andere  charakteristische  Eigen- 
schaft der  geodätischen  Linien  ist. ") 

^)  Vgl-  Knoblauch,  loc.  cit.  p.  142;  Bianchi,  loc.  cit.  p.  153;  Darboux,  loc 
cit.  p.  405. 

2)  Hierzu   die    Übungsaufgaben,    Nr.  1—6,    9,    10,    12,    14—18   am    Ende 
von  Kap.  V. 

14* 


212  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

§  27.  Anwendung  der  allgemeinen  Existenztheoreme  für  Differential- 
gleichungen auf  die  Theorie  der  Extremalen.^) 

Bevor  wir  zur  Betrachtung  der  zweiten  Variation  übergehen, 
stellen  wir  in  diesem  Paragraphen  die  Resultate  zusammen,  die  sich 
aus  den  in  §§  23  und  24  mitgeteilten  allgemeinen  Existenztheoremen 
für  die  Differentialgleichung  der  Extremalen  ergeben. 

a)  Konstruktion  einer  Extremalen  durch  einen  gegebenen  Punkt 
in  gegebener  Richtung: 

Wir  betrachten  zunächst  die  Aufgabe,  durch  einen  gegebenen 
Punkt  Po(^o?  !/o)?  ^^^  ^^^  ^^^^  voraussetzen,  daß  er  im  Innern  des 
Bereiches  6i  liegt,  in  einer  gegebenen  Richtung  von  der  Amplitude 
6q  —  oder,  wie  wir  kürzer  sagen  wollen,  „durch  das  Linienelement 
2q(Xq,  y^,  Oq)"  —  eine  Extreraale  zu  ziehen. 

Dazu  ist  es  am  bequemsten,  die  Bogenlänge  5,  gemessen  vom 
Punkt  Pq  aus,  als  Parameter  einzuführen.  Man  kann  dies  nach 
Weierstrass^)  in  der  Weise  tun,  daß  man  zur  Differentialgleichung  (I) 
die  Zusatzgleichung  (22)  hinzufügt,  letztere  differentiiert,  und  dann 
das  so  erhaltene  System  von  zwei  Differentialgleichungen  zweiter 
Ordnung  nach  x\  y"  auflöst,  wodurch  sich  die  Aufgabe  auf  die 
Lösung  eines  Systems  von  vier  Differentialgleichungen  erster  Ordnung 
reduziert. 

Einfacher  ist  es,  nach  dem  Vorgang  von  Bliss^j  den  Tangenten- 
winkel Q  einzuführen.  Macht  man  dann  von  den  Formeln  (4) 
und  (6)  Gebrauch,  so  erhält  man  aus  (23  b)  das  System  dritter 
Ordnung: 


^)  Der  Leser  wird  gut  tun,  Absatz  b)  bis  d)  dieses  Paragraphen  zunächst 
zu  überschlagen  und  sofort  zu  §  28  überzugehen,  da  die  betreffenden  Resultate 
erst  später   zur  Anwendung  kommen. 

^)  Vorlesungen  1879;  vgl.  Kneser,  Lehrbuch,  §§  27,  29;  und  Bolza,  Lectures, 
§  25,  a). 

^)  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  VII 
(1906),  p.  188;  vgl.  auch  unten  §  32,  c).  Es  ist  übrigens  nicht  nötig,  bei  Ab- 
leitung des  Systems  (43)  den  Begriff  der  Krümmung  zu  benutzen.  Denn  durch 
Differentiation  der  beiden  ersten  Gleichungen  (43)  erhält  man 

dS        dx  d^y        dy  d^x 
ds        ds   ds^        ds   ds^  ' 

woraus    dann  nach  (I),  wenn  dort  s  statt  t  geschrieben  wird,   die  dritte  Glei- 
chung (43)  folgt. 


§  27.     Existenztheoreme  für  Extremalen.  213 

dx 


=  COS  B 

an 

"f  =  sin  e 

ds 


(43) 


,7/1 

ds  ^  ^^^^'  y^  ^°^  ^'  ^^^  ^^^ ' . 

wo  die  Funktion  //  durch  die  Gleichung 

H{x,  y,  X,  y)  =  -^/^^^=^^  (44) 

definiert  ist.  Auf  dieses  System  können  wir  nun  direkt  die  allgemeinen 
Existenztheoreme  von  §  23  anwenden:  Wenn  die  Anfangswerte  Xq,  y^,  6^ 
der  Bedingung 

^i(^o.  yoy  cos  e^,  sin  ^o)  +  0  (45) 

genügen,  so  sind  nach  unsern  Annahmen  über  die  Funktion  F  (vgl. 
§  25,  b))  die  rechten  Seiten  der  Gleichungen  (43)  als  Funktionen  von 
Xj  y,  0  in  der  Umgebung  der  Stelle  Xq,  y^,  6^  von  der  Klasse  C\ 
Der  „Stetigkeitsbereich'^  €L  des  Differentialgleichungssystems  (43) 
besteht  also  aus  dem  durch  die  Bedingungen 

(9L:  —  cx)<5<4-c^;      (:r,  ^)inÖl;      — oc<ö<  +  oü; 

F^{x,  2/,  cos  6,  sin  ö)  4=  0 

charakterisierten  Bereich  im  Raum  der  Variabein  s,  x,  y,  6. 
Es  gibt  daher  ein  und  nur  ein  System  von  Funktionen 

x  =  x{s),       y  =  y(s),        e=^e(s),  (46) 

welche  den  Differentialgleichungen  (43)  genügen,  für  s  =  0  die  vor- 
geschriebenen Werte  Xq,  y^,  6q  annehmen: 

x(0)^x„         y{0)  =  y„         6(0)  =  0„  (46a) 

und  in  der  Umgebung  von  5  =  0  von  der  Klasse  6"  sind,  d.  h.  aber 
geometrisch: 

Wenn  die  Anfanysiuerte  x^,  y^^  Oq  die  Bedingung  (45)  erfüllen,  so 
läßt  sich  vom  Funkt  Xq,  y^  aus  in  der  Bichtung  6^  eine  und  nur  eine 
Extremale  der  Klasse  C  ziehen. 

Die  Lösung  (46)  läßt  sich  nach  §  23,  d)  nach  beiden  Seiten  hin 
auf  ein  ganz  bestimmtes  Maximalintervall 

«i'    <5</3s 

ü  o 

eindeutig  fortsetzen.    Für  alle  Werte  von  s  zwischen  a^   und  ß^i   sind 


214  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

die   Funktionen  x{s)y  y{s)j  6(s)    (mindestens)   von   der  Klasse  C  und 
die  Extremale 

X  =  x(s),        y  =  y (s) ,        f^« ^  <s  <ß2^  (47) 

liegt   ganz   im  Innern   des  Bereiches  6i  und  genügt  der  Ungleicliung 

F,(x{s),  y{s),  xis),  2/' (5))  +  0.  (48) 

Aus  der  speziellen  Form  der  Differentialgleichungen  (43)  folgt 
weiter,  daß  diese  einzige  Extremale  der  Klasse  C  dann  allemal  sogar 
von  der  Klasse  C"  ist.  Denn  da  die  Funktion  H(x,  y,  cos  6,  sin  0) 
in  der  Umgebung  der  Stelle  x^y  y^,  6^  von  der  Klasse  C  ist,  so  folgt 
aus  der  letzten  der  Gleichungen  (43),  daß  d(s)  von  der  Klasse  C"  ist 
und  daher  sind  nach  den  beiden  ersten  Gleichungen  x{s)y  y{s)  von 
der  Klasse  C" . 

Wenn  die  Bedingung  (^45)  für  jeden  Wert  von  0^  erfüllt  ist,  so 
kann  man  vom  Punkt  Pq  aus  nach  jeder  Richtung  eine  und  nur  eine 
Extremale  von  der  Klasse  C  ziehen. 

Diejenigen  Wertsysteme,  x^^,  y^,  Ö^,  für  welche 

■^1(^0.  2/o7  cos^o,  sin6/o)  =  0 
ist,  nennen  wir  die  simjiäären  Anfanysiverte.  Wenn  die  Bedingung 
(45)  für  jeden  Punkt  x^^  y^  eines  Bereiches  der  x,  ?/-Ebene  und  für 
jede  Richtung  0^  erfüllt  ist,  so  sagen  wir  entsprechend i)  der  in 
§  19,  b)  für  das  .r-Problem  gegebenen  Definition,  das  vorgelegte 
Problem  sei  in  diesem  Bereich  regulär;  dabei  unterscheiden  wir  dann 
nach  dem  Vorzeichen  von  F^  noch  „positiv'^  und  „negativ  regulär'^ 
Beispiele: 

1.  F  =  G{x,  y)  V^'+  y' '  ■  W-  §  ^2,  b)). 

Hier  ist: 

F^\^x,  y,  COS0,  siuö)  =  G^(x,  y); 

das  Problem  ist  also  regulär  in  jedem  Bereich  der  x,  i/- Ebene,  welcher  keine 
Punkte  mit  der  Kurve  G{x,  y)  =  0  gemein  hat. 

2.  F=-.^f.,^  (vgl.  §30,  b)); 

daraus 

F^(x,  y,  COS0,  sinö)  =  2y  sin  ö  (4  cos^Ö  —  1)  . 

Das  Problem  ist  in  keinem  Bereich  regulär.  Zunächst  sind  alle  Wertsysteme 
Singular,  in  welchen  y  ==  0;  und  außerdem  für  jeden  beliebigen  Punkt  (x,  y) 
die  durch  die  (xleichungen 

sin  Ö  =  0 ,  cos  Ö  =  +  -I 

definierten  Richtungen. 

.        ^)  Vgl.  Gleichung  (16)  von  §  25. 


§  27.    Existenztheoreme  für  Extremalen.  215 

b)  Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangs  werten: 

Wir  betrachten  jetzt  die  durch  die  Anfangsbedingungen  (46  a) 
charakterisierte  Lösung  (46)  in  ihrer  Abhängigkeit  von  den  Anfangs- 
werten Xq,  y/o,  ^0  ^^^  schreiben  sie  dann  entsprechend 

y  =  ^(s',  x,,y„  e,)l  (49) 

e  =  &{s-  Xq,  y^,  0^)} 

Aus  der  allgemeinen  Theorie  ergibt  sich  dann  nach  §  24,  a)^  daß 
die  Funktionen  de,  ^,  S  folgende  Eigenschaften  besitzen: 

1.  Die  Funktionen  ?i,  ^,  &  sind  eindeutig  definiert  und  stetig  in 
dem  durch  die  Bedingungen 

{Xq,  ;?/o)  im  Innern  von  Öl;  —  oo  <  Öq  <  +  oo;       \ 

^iK^  y^y  c^s  0^,  sin  öo)  4=  0;     a^^  <  s  <  /3öJ 

definierten  Bereich.     In  demselben  Bereich  sind  die  Funldionen 

als  Fimlxtionen  von  s,  Xq,  y^,  9q  von  der  Klasse  ü\  wie  sich  zum  Teil 
aus  der  allgemeinen  Theorie  (§  24,  a)),  zum  Teil  aus  der  speziellen 
Form^)  des  Systems  (43)  ergibt. 

2.  Die  Funktionen  ?i,  ^,  &  genügen  ferner  den  Anfangs- 
hedingtmgen 

X  (U;  Xq,  y^y  Uq)  =  Xq\ 

?)(0;  x„y„  Öo)  =  2/o  (51) 

^(^;  ^o;  yo,  ^o)  =  ^o' 

identisch  in  x^^,  y^y  6q,  woraus  wegen  (43)  folgt 

^s(Pi  ^o;  yo,  ^o)  =  cos  Oq,         g)XO;  x^,  y^,  d^)  =  sin  d^     (51a) 
und  weiter  durch  partielle  Difi*erentiation 

^.,,(0;  oi^o,  yo,  ^o)  =  1 ;      S,„(0;  ^0, 2/o.  ^o)  =  ^h 

3t;jO;  X,,  y„  e,)  =  0,         g^^(0;  x„  y,,  0,)  =  l\.       (51b) 
^eo(^5  ^o;  ?/o;  öo)  =  0,  D^^(0;  ^0,  ^0.  ^o)  =  O) 

3.  Überdies  ist  die  Fimldionaldeterminante 

I>{s',  x„  y,,  0,)  =  |^^^^^|\  +  0  (52) 

im  ganzen  Bereich  (50). 

^)  Vgl.  unter  a)  den  Beweis,  daß  die  Extremale  (47)  von  der  Klasse  C"  ist. 


216  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

4.   Endlich  haben  die  Funktionen  X,  ^,  &  folgende  PerwdisHäts- 
eiyenschaften : 


(52a) 


denn  aus  der  besonderen  Form  der  Diiferentialgleichungen  (4r>)  folgt, 
daß  die  Funktionen  auf  der  rechten  Seite  den  Differentialgleichungen 
(43)  genügen,  und  da  diese  Funktionen  für  0^  =  0  die  Anfangs  werte 
^07  Voy  ^0  +  ^^  annehmen,  so  müssen  sie  mit  den  Funktionen  auf  der 
linken  Seite  identisch  sein. 

Aus  der  Lösung  (49),  welche  die  vorgeschriebenen  Werte  x^,  y^,  6^ 
für  den  speziellen  Wert  s  =  0  annimmt,  erhält  man  diejenige  Lösung, 
welche  dieselben  Anfangswerte  für  einen  beliebigen  Wert  s  =  Sq  an- 
nimmt, indem  man  s  durch  s  —  s^  ersetzt,  also:^) 

X  ^^  xi^s      Sq]  Xq.  y^y  Oq)  j 

^  =  g(5-5o;  x^,  y^,  e,)l  (53) 

e  =  0(^s-s,-  X,,  y^,  e,)j 

Dies  ist  eine  unmittelbare  Folge  davon,  daß  die  rechten  Seiten 
der  Differentialgleichungen  (43)  die  Variable  s  nicht  explizite  ent- 
halten. 

Das  „allgemeine  Integral"  des  Systems  (43)  ergibt  sich  nach  den 
am  Ende  von  §  24,  a)  gemachten  Bemerkungen  aus  (53),  indem  man 
einer  der  vier  Größen  Sq,  Xq,  y^,  6^  einen  passenden  festen  numerischen 
Wert  beilegt  und  die  drei  andern  als  die  „Integrationskonstanten" 
betrachtet.  Man  erhält  so  ein  dreifach  unendliches  Funktionen- 
System,  aber  nur  ein  ziveifach  tmendliches  Kurvensystem  im  Baum 
der  Variahein  x,  y,  6.  Denn  giht  man  z.  B.  der  Größe  Xq  einen  festen 
Wert  und  variiert  die  Größen  Sq,  y^,  0^,  so  liefern  alle  Lösungen, 
welche  demselben  Wertsystem  y^,  6^  entsprechen,  sich  also  nur  durch 
den  Wert  von  .s^  unterscheiden,  ein  und  dieselbe  Kurve,  da  sie  ja 
alle  aus  der  Lösung,  für  welche  ^o  =  0  ist,  durch  eine  zulässige 
Parametertransformation  hervorgehen  (§  25,  a)). 


^)  Die  Funktionen  auf  der  rechten  Seite  von  (53)  als  Funktionen  von 
5;  S(),  a^oi  2/0 '  ^0  entsprechen  den  Funktionen  qp^.(*;  ^1  li»  ■  •  ••>  I«)  der  allgemeinen 
Theorie  (§  24,  a)). 


27.    Existenztheoreme  für  Extremalen. 


217 


Die  Determinante  Z)(s;  Xq,  y^,  6q)  läßt  eine  für  spätere  Anwen- 
dungen wichtige  Transformation  zu: 

Wendet  man  auf  die  Lösung  (53)  die  Gleichung  (35)  von  §  24,  a) 
an  und  beachtet,  daß  in  unserm  Fall: 


ds  ' 


30 

ds  ' 


so  erhält  maa,  wenn  man  schließlich  noch  Sq  =  0  setzt,  die  folgende 
Umformung  der  Funktionaldeterminante  B: 


^(^1  ^0,  yo,  ^o)cos  ^0  = 


0„ 


(54) 


und  eine  analoge  zweite  Gleichung,  in  welcher  links  der  Faktor 
cos  6q  durch  —  sin  6^  und  rechts  der  Index  y^  durch  x^  er- 
setzt ist. 

Der  Ausdruck  (54)  läßt  sich  noch  weiter  umformen,  indem  man 
die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion  &  durch  partielle  Ableitungen 
von  ü  und  D  ausdrückt.  Bezeichnet  nämlich  vorübergehend  z  irgend 
eine  der  Variabein  s,  x^,  y^,  6^,  so  folgt  aus  den  beiden  ersten  der 
Gleichungen  (43)  durch  Differentiation  nach  z: 


3:\,=  —  sin  @. 


und  daraus 


D,,=  cos  6>-  0. 


^.=  3ej,,-?)A. 


(55) 


Wendet  man  diese  Formeln  bei  der  Umformung  der  Determinante 
(54)  an  und  setzt  zur  Abkürzung 


so  erhält  man  nach  einfacher  Rechnung: 


K%-%K^   (56) 


^(^;-^'o?2/o;^o)cosÖo  = 


V     w    \ 


dv_dvr:y  —D(s;  ^o,y/o,  e^Jsmdf.^  \du  dw\-  (57) 


CS  ds 


ds  di 


c)  Anwendung  des  Einbettungssatzes: 

Es  sei  irgend    ein   spezieller  Extremalenbogen  ©o   der  Klasse  C 
gegeben 

x  =  x(t),       y  =  y{t),       h<t<t., 


®o: 


21^  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

welcher  ganz  im  Innern  des  Bereiches  Öl  liegt  und  für  welchen  die 
Bedingung 

F,{x{t),y{t),  x\t),  y\t^^O  (58) 

in  [^1^2]  ei'füllt  ist. 

Wir  setzen  dabei  zunächst  voraus,  daß  der  Parameter  t  die 
Bogenlänge  bedeutet,  also  mit  der  in  den  vorangegangenen  Absätzen 
mit  s  bezeichneten  Variabein  identisch  ist.  Dann  liegt  die  zur 
Extremalen  ©o  gehörige  Lösung 

X  =  x{t),      y  =  yit) ,       e  =  e{t) ,      t.^t^t,  (59) 

des  Systems  (43)  ganz  im  Innern  des  Stetigkeitsbereiches  (9L  dieses 
Systems.  Hieraus  schließen  wir  wie  unter  a),  daß  wir  die  Lösung 
(59)  auf  ein  ganz  bestimmtes  Maximalintervall 

f:<t<t,*  (60) 

fortsetzen  können,  wobei  stets 

Die  auf  diese  Weise  durch  Fortsetzung  des  Extremalenbogens  @o  auf 
das  offene  Intervall  (60)  erhaltene  Extremale  bezeichnen  wir  mit  %\ 
so  daß  also  (^o*  definiert  ist  durch  die  Gleichungen 

^;:        x==x(t),     y-iiit),      t:<t<t,\ 

Nach  §  23,  d)  und  §  27,  a)  liegt  dann  die  Extremale  ^0*  ^^^  i^^^^' 
ganzen  Ausdehnung  im  Innern  des  Bereiches  Öl  und  genügt  der  Be- 
dingung (58);  und  nach  a)  ist  sie  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  von 
der  Klasse  (J'" . 

Es  sei  jetzt  F^{t  =  ^0)  i^^g^nd  ein  Punkt  der  Extremalen  (^o    i^^^« 
x^,  I/o,  öo  die  zugehörigen  Werte  von  x,y,d,  so  daß 

^'(^o)  =  ^o.    y{^o)  =  yo,    ^(0  =  ^0- 

Dann  läßt  sich  die  Extremale  @o*  nach  §  23,  c)  und  §  27,  b)  auch 
schreiben 

x  =  di{t-  /o-,  ^0. 2/0.  ^0) .   y-W- ^0-,   ^0. yo, %) ■    (61) 

Von  den  Größen  cos  Ö^,  sin  ö^  ist  mindestens  eine  von  Null  ver- 
schieden; wir  nehmen  an^),  es  sei 

cosÖo+0.  (62) 

1)  Wäre  cos  00  =  0,  so  würden  wir  in  (Gl)  die  Argumente  x^,  Öq  durcli  ß,  a 
ersetzen. 


§  27.    Existenztheoreme  für  Extremalen.  219 

Dann  definieren  wir 

9(t,a,ß)=^{t~t,-  x„ß,a)\  ^     ^ 

und  betrachten  die  doppeltunendliche  Schar  von  Extremalen 

x==f(t,a,ß),         y  =  f/(t,a,ß),  (64) 

indem  wir  f^,  Xq  als  fest,  a,  ß  als  variable  Parameter  ansehen. 
Sind  dann  T^^  T^  irgend  zwei  den  Ungleichungen 

^i*<^i<^i.         t,<T,<t,*      .  (65) 

genügende  Größen,  so  können  wir  eine  zugehörige  positive  Größe  d 
bestimmen,  derart,  daß  sich  über  die  Funktionen  f,  g  folgende  Aus- 
sagen machen  lassen,  wobei  wir  der  Gleichförmigkeit  halber  cc^,  ß^ 
statt  ^0,  Xq  schreiben: 

A)  Der    Bogen    ©^    ist    in   der  Schar  (64)  enthalten  für  a  =  a^, 
ß  =  ß^j  so  daß  also 

f(t;  S;  ^o)  =  ^<t),    g(t,  «0.  Ä)  =  y{t)  •  (66) 

B)  Die  Funktionen 

fiftjftn     9,9n9tt 

sind  als  Funktionen  der  drei  Variablen  t,  a,  ß  von  der  Klasse  C  in 
dem  Bereich 

T.^t^T,,     \c-a„\^d,     \ß-ß^\^d.  (67) 

C)  Für  jedes  oj,  /3  im  Bereich 

l«-«ol<^;  \ß-ßo\<d 

liegt  der  Bogen  [T^T^]  der  Extremalen  (64)  ganz  im  Innern  des 
Bereiches  01  und  es  ist 

F,{f{t,a,ß),     9it^<^,ß),     m,a,ß),     g,{t,a,ß))^0 

f^(t,a,ß)+g^{t,a,ß)>0  ^^^^ 

im  Bereich  (67). 

D)  Bezeichnen  wir  ferner 

^h-ft9cc-9ifoc,     ^h-ft9^-gtf;i,  (69) 


220  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

SO  ist  die  Determinante 

»/^--^ir  +  o  (^0) 

im  Bereicli  (67). 

Was  den  Beweis  dieser  Behauptungen  betrifft,  so  folgt  A)  aus 
der  Darstellung  (61)  der  Extremalen  (^o*-  ^^^  Beweis  von  B)  und 
C)  ergibt  sich  aas  der  Anwendung  des  Satzes  von  §  24,  b)  auf 
die  Lösung  (53)  des  Systems  (43)  zusammen  mit  den  in  §  27,  b)  be- 
wiesenen Stetigkeitseigenschaften  der  Funktionen  H  und  g.  Endlich 
folgt  D)  aus  (52 )  und  (57),  wenn  man  d  so  klein  wählt,  daß  cos  c^  +  0 
für     a  —  a^^  d,  was  wegen  (62)  stets  möglich  ist. 

Die  Gleichungen  (64)  stellen  das  „allgemeine  Integral"  der 
Euler'schen  Differentialgleichung  (I)  in  einer  Normalform  dar,  in- 
sofern sowohl  der  Kurvenparameter  t  als  die  .,Integrationskonstanten" 
a,  ß  in  ganz  bestimmter  Weise  gewählt  worden  sind.  Um  daraus 
das  allgemeine  Integral  in  seiner  allgemeinsten  Form  zu 
erhalten,  müßte  man  schließlich  noch  statt  der  Größen  t,a,ß  drei 
neue  Größen  f,  a,  ~ß  einführen,  mittels  einer  Transformation  von 
der  Form: 

i  =  Z{t,cc,ß),     ^  =  5l(a,/3),     ß  =  ^{a,ß),  (71) 

wobei  die  Funktionen  X,  51,  35  den  Bedingungen 

X(t)^%,{t,a„ß,)>0  in  [2\T,], 


(72) 


genügen  müssen.  Sind  überdies  die  Funktionen  X,  Z^,  X,,,  %  33  im 
Bereich  (67)  von  der  Klasse  C,  so  haben  die  Funktionen  /",  g  von 
t,ä,ß,  in  welche  die  Funktionen  f,g  durch  die  Transformation  (71) 
übergehen,  die  entsprechenden  Eigenschaften  wip  die  Funktionen  f 
und  (j.  Aus  dem  allgemeinen  Integral  in  seiner  neuen  Form  geht 
die  Extremale  @o*  hervor,  indem  man 

«  =  «0  ^  5I(«o,  A);  ß-   ßo  ^  ^K.  ßo) 

setzt,  und  man  kann  die  Transformation  (71)  stets  so  einrichten,  daß 
dabei  die  Extremale  ©o*  ^^  einer  vorgegebenen  Parameterdarstellung 
erscheint.  _____ 

Indem    wir    schließlich    /;  g,  t,  a,  ß   statt  f ,  g,  t,  a,  ß  schreiben, 
können  wir  das  folgende  Resultat  aussprechen: 


\ 


27.    Existenztheoreme  für  Extremalen.  221 

Wenn  der  Extremalenbogen  ^^  ganz  im  Innern  des  Bm-eiches  Öl 
liegt  und  der  Bedingung  (58)  genügt,  so  läßt  er  sich  in  eine  doppelt 
unendliche  Extremalenschar  (64)  einbetten,  welche  die  unter  A)  bis  D) 
aufgezählten  Eigenschaften  besitzt. 

d)  Die  Extremalenschar  durch  einen  gegebenen  Punkt: 

Da  die  Ungleicliung  (58)  entlang  der  ganzen  Extremalen  ^* 
erfüllt  ist^  so  gilt  insbesondere  im  Punkt  P^  die  Ungleicliung 

Fi{xq,  Vq,  cos  Öo,  sin  d^)  +  0 
und  daher  auch 

^i(^o?  2/o?  cos  a,  sin  a)  4=  0 
für  alle  hinreichend  kleinen  Werte  von  \a  —  6^1. 

Daher  läßt  sich  nach  a)  durch  den  Punkt  P^  nach  jeder  von 
der  Richtung  B^  hinreichend  wenig  abweichenden  Richtung  eine 
und  nur  eine  Extremale  ziehen.  Diese  Extremalen  durch  den  Punkt  P^ 
bilden  dann  eine  einparametrige  Schar,  deren  analytischen  Ausdruck 
wir  sofort  mit  Hilfe  der  Funktionen  9E ,  g  von  §  21,  b),  hinschreiben 
können,  wenn  wir  zunächst  wieder  annehmen,  der  Parameter  t  be- 
deute die  Bogenlänge.  Aus  der  Bedeutung  der  Funktionen  H,  g) 
folgt  dann,  daß  die  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  gegeben 
ist  durch  die  Gleichungen-^) 

oo  =  '^{t-t,-  x^,  y„  a)  ^  f(t,  a,  y,) , 

(7,-5) 


y==^{t-t^',  x„y,,  a)=g(t,  a,  y^)j' 
wobei  der  Parameter  der  Schar,  a,  den  Tangenten winkel  der  be- 
treffenden Extremalen  im  Punkt  P^  bedeutet.  Dem  Punkt  P^  ent- 
spricht dabei  auf  allen  Extremalen  derselbe  Wert  t^t^. 

Die  Gleichungen  (73)  stellen  die  Extremalenschar  durch  den 
Punkt  Pq  in  einer  bestimmten  Normalform  dar.  Um  daraus  die  all- 
gemeinste Darstellung  der  Schar  zu  erhalten,  hat  man  statt  der 
Größen  t,  a  neue  Größen  t,  ä  einzuführen,  mittels  einer  Transforma- 
tion von  der  Form: 

t=t(t,a),         ä  =  a(a),  (71a) 

wobei    die  Funktionen    t,  t^,  t^^,  a    von    der  Klasse  C  sind   und   den 
Ungleichungen 

genügen,  wobei  a^^  Sq. 

^)  Die  Funktionen  /",  g  sind  dabei  in  der  speziellen  Bedeutung  gebraucht, 
in  welcher  sie  ursprünglich  durch  die  Gleichungen  (64)  eingeführt  worden  sind. 


222  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Indem  wir  schließlich  Avieder  t,  a,  üq  statt  t,  ä,  %=  Ci{a^  schreiben, 
können  wir  den  folgenden  Satz  aussprechen: 

Burcli  jeden  Pimld  Fq  der  Extremalen  ^^  (jeht  eine  Extremalen- 

schar 

x  =  cp{t,a),         y  =  ilj{t,a),  (74) 

welche  folgende  Eigenschaften  hat: 

A)  Die  Extremale  @*  ist  in  der  Schar  (74)  enthalten  für  a  =  %, 
so  daß  also 

cpit.a^^xif),         t{t,a,)^-ijit).  (75) 

B)  Die  Funktionen 

fP,  fpn  ^tn  ^1  ^n  ^tt 

sind  als  Funktionen  von  t  und  a  von  der  Klasse  C  in  dem  Bereich 

T.^tZT,,  \a-a,\<:d',  (76) 

dabei  sind  2\,  1\  zwei  beliebige  Größen,  welche  den  Ungleichungen 
(65)  genügen,  und  d  ist  eine  positive,  von  der  Wahl  von  T^  und  Tg 
abhängige  Größe. 

C)  Für  jedes  a  im  Intervall:  a-aQ\<d  liegt  der  Bogen  [T^l\'\ 
der  Extremalen  1)  (^^  ganz  im  Innern  des  Bereiches  Öl  und  es  ist 

F^((p{Jt,  a),/ti;{t,  a),  (pß,  a),  il^ß,  a))  =^  0)  ,^^^ 

(p;'{t,a)-\-i^,\t,a)>0  J 

im  Bereich  (76). 

D)  Bezeichnen  wir  nach  Kneser  mit  A)t,  a)  die  Funktional- 
determinante 

und  wird  dem  a  irgend  ein  fester  Wert  im  Intervalle  a  -  «o  1  <  ^ 
beigelegt,  so  ist  die  Funktion  A(^,  a)  als  Funktion  von  t  nicht  iden- 
tisch null  in  [T^Tg].  r  .  i  o    j- 

Der  Beweis  dieser  Behauptungen  folgt  für  den  Fall,  daß  die 
Schar  in  der  Normalform  (73)  angenommen  wird,  unmittelbar  aus 
den  entsprechenden  unter  c)  bewiesenen  Eigenschaften  der  Funk- 
tionen /;  g,  aus  denen  in  diesem  Fall  die  Funktionen  qp,  ^  einfach 
dadurch  hervorgehen,  daß  man  /3  =  2/o,  «  =  ö^  setzt.  Insbesondere  folgt  D) 
aus  der  Ungleichung  (70j,  wenn  man  beachtet,  daß  A(^,  a)  aus  der 
dort   mit  ii^  bezeichneten  Funktion  erhalten  wird,  wenn  man  ß  ^  Vq, 

1)  So  bezeichnen  wir  die  einem  bestimmten  Wert  von  a  entsprechende 
einzelne  Extremale  der  Schar  (74). 


§  27.    Existenztheoreme  für  Extremalen.  223 

a  ^  a  setzt.     Und    diese    Eigenschaften  bleiben    bestehen,    wenn  man 

von  der  Normalform  (73)  durch  eine  Transformation  der  angegebenen 

Art  zur  allgemeinen  Form  übergeht. 

In  Beziehung  auf  den  Punkt  Pq  gilt  dann  noch  folgendes: 

E)  Der  Wert  von  t,  welcher  auf  der  Extremalen  (£^^   den  Punkt 

Pq  liefert,  und  den  wir  f  nennen  wollen,  ist  eine  Funktion^)  von  a, 

die  wir  mit 

t'-Xoi«)  (78) 

bezeichnen.  Diese  Funktion  ist  im  Intervall:  |  et  —  «q  |  ^  (?  von  der 
Klasse  C  und  genügt  der  Anfangsbedingung 

ZoK)  =  ^o-  (T9) 

Wählen  wir  daher  die  beiden  Größen  1\,  1\  so,  daß:  T^<tQ<  T^^ 
so  folgt  aus  der  Stetigkeit  von  XQ{a)y  daß  wir  d  so  klein  annehmen 
können,  daß 

^\  <  iM  <  ^2     für     {a-a^l'^d. 

Aus  der  Definition  der  Größe  !^^  folgt,  daß  identisch  in  a 

cp{t\a)  =  x„         t(t',a)  =  'y,-  (80) 

daraus  ergibt  sich  durch  Differentiation  nach  a 


(81) 


und  hieraus,  identisch  in  a^ 

A{iP,a)  =  0.  (82) 

Wir     verabreden     noch    folgende    perraanente     abkürzende    Be- 
zeichnung: 

F(cp{t,  a),  ip{t,  a),  cpßy  a),  ip,{t,  a))  =  W(t,  a) .  (83) 

Die  entsprechende  Abkürzung  soll  für  die  partiellen  Ableitungen  von 
Fj  sowie  für  die  Funktionen  P\,  F2  gebraucht  werden,  so  daß  wir 
also  z.  B.  schreiben 

F^,{(p{t,  a),  ^{t,  a),  (p,{t,  a),  i^ß,  a))  =  W^,{t,  a) 

F^((p{t,  a),  i^it,  a),  (pft,  a),  i),{t,  a))  =  W^(t,  d) . 

^)  Für  die  Normalform  (73)  ist  t^  konstant  gleich  t^',  daraus  ergibt  sich  t^ 
mittels  der  Transformation  (71a). 


224  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraßsche  Theorie. 

§  28.    Die  "Weierstraß'sclie  Transformation  der  zweiten  Variation 
und  die  zweite  notwendige  Bedingung. 

Wir  nehmen  jetzt  an^  wir  hätten  eine  Extremale 

gefunden,  welche  die  beiden  gegebenen  Punkte  P^  und  F^  verbindet. 
Wir  setzen  voraus,  sie  liege  ganz  im  Inneren  des  Bereiches  Öl  und 
sei  von  der  Klasse^)  G"\ 

Dann  schließen  wir,  wie  in  §  4,  daß  im  Fall  eines  Minimums 
die  zweite  Variation  ö^J  nicht  negativ  sein  darf.  Für  Variationen 
der  Form  (17)  hat  man 

d'J=fö'Fdt, 

wo 

+  2F^^.U'  +  2  J-,,.  ^r  +  F^.^.r  +  2F.,,.rV  +  -F,,,, V^ )  I 
Die  Argumente  der  partiellen  Ableitungen  von  F  sind  dabei: 

x  =  x{t),       y=^y{t),       x=x{t),       y  =  !/{{). 

a)  Weier Straß'  Transformation  der  zweiten  Variation: 

Der  Ausdruck  für  d^^F  läßt  sich  nun  nach  Weierstrass^)  auf 
dieselbe  einfache  Form  bringen^  wie  im  Fall  der  nicht -parametrischen 
Darstellung : 

Wir    drücken    zunächst    F^,^,,  F^,^,,  Fy,y,    nach    (12a)    durch   F^     > 
aus  und  setzen,  wie  schon  früher,  \ 

w  =  yl  —  XTi'^ 
ferner 

L  =  F^,-y'y"F,,         N  =  F^^,-  xx'F.A  ^^^^ 

M  =  F^y,-^xy'F,=  Fy^,^-yx'F,       V 

die  beiden  Ausdrücke  für  M  sind  einander  gleich,  weil  x  und  y  der 
Differentialgleichung  (I)  genügen.     Auf  diese  Weise  erhalten  wir: 


^)  Diese  Annahme   ist  nötig,   da  in  der  unter  a)  folgenden  Transformation 
-die  dritten  Ableitungen  von  x  und  y  vorkommen.     Vgl.  dazu  p.  214. 

-)  Weierstrass,    Vorlesungen  1872.  J 


§  28.    Transformation  der  zweiten  Variation.  225 

+  (F..  -  y"'F,)  r  +  2  (F^,^  +  x"y"F,)  U  +  {F„  -  x"'F,)  r,' }  • 
Man  beachte  jetzt,  daß 

2LW+2M{W+n^)  +  2Nriri' 


führt  man  daher  die  Abkürzungen  ein: 


A  =  ^..-/'^i^i- 


Ä 


dt  ' 
dM 


i-F^y-\-^"y"F,--^, 


N,-K 


„2T^    _dN 

^  ^1     dt 


(86) 


so  geht  der  obige  Ausdruck  für  d^F  über  in: 

ö'F=8'{F,  g-)'+  X,r  +  2JfJ^  +  iV,^2 

+  |^[z|^+2iJf^yH-i^^2]}. 

Die  drei  Funktionen  L^,  M^,  N^  haben  nun  die  wichtige  Eigenschaft, 
mit  y^,  —  X  y,  x"^  proportional  zu  sein. 

Beweis:    Aus  der  Definition  von  L,  M,  N  und  den  Relationen 
(11)  folgt: 

Lx  +  My  =  F^ ,         Mx  +  Ny  =  F^ ,  (87) 

Differentiiert  man  die  erste  dieser  Relationen  nach  t,  so  kommt: 

dL     ,  .    dM    ,  .    T    ^r  ,    T,^  ff 
dt  *  +   äi-  y+Lx+My 

Es  ist  aber 

Lx"+My"^F^^.x"+F^^y", 

und  aus  (I)  folgt,  daß 

F,..-F,^^F,(x'y"-x"y'). 
Führt  man  diese  Werte  ein,  so  erhält  man 

L^x+M^y^O, 


Bolza,  "V ariationarechnung. 


15 


226  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

und  ebenso 

woraus  folgt,  daß  in  der  Tat 

Bezeichnen  wir  nach  Weierstraß  den  Proportionalitätsfaktor  mit 
F^y  SO  können  wir  schreiben: 

L,  =  y''F,,     M,-=-xy'F,,     N,-=x'F,.  (88) 

F^  ist  eine  Funktion  von  f,  welche  nach  den  über  die  Funktion 
F{x,  y,  x\  y)  und  über  die  Extremale  @o  gemachten  Annahmen  i) 
stetig  ist  in  \t^t^,  während  aus  denselben  Annahmen  folgt,  daß  JF\ 
m  \t^t^  von  der  Klasse   C  ist. 

Hiernach  nimmt  der  Ausdruck  für  ö^^F  die  Form  an: 

8^F=^e^[F,  {^^)\F,^v^^^llW+2MU  +  W]]'      (89) 

Wenn  daher,  wie  wir  gegenwärtig  voraussetzen,  die  Endpunkte  fest 
sind,  also  l  und  ?/  in  t^  und  t^  verschwinden,  so  reduziert  sich  schließ- 

1)  Vgl.  §  25,  b)  und  den  Anfang  dieses  Paragraphen.  Es  ist  dabei 
besonders  zu  beachten,  daß  nach  den  in  §  25,  a)  gegebenen  Definitionen 
unsere    Annahmen    über  ©«    die    Bedingung    enthalten,    daß  r«'^  +  2/'^=4=  ^   ^^*- 

lang  @o  •  T    T^-xr 

F^  läßt  sich  noch  auf  eine  andere  Form  bringen:  Führt  man  die  Dilteren- 
tiation  von  L,  31,  N  aus  und  macht  dabei  von  den  Homogeneitätseigenschaften 
von  F  Gebrauch,  so  erhält  man 


(8Ga) 


(90) 


und  daraus 

Dabei  ist  T  die  durch  (23)  definierte  Funktion  der  Größen  x,y,  x\  y\  x\  y" . 
Vgl  Underhill,  Invariants  of  the  Functmi  F{x,  y,  x,  y)  under  pomt  and 
Parameter  transformation,  connected  with  the  Calculus  of  Variations,  Dissertation, 
Chicago,  1907.     Vgl.  auch  den  Nachtrag  in  §  32,  c). 


§  28.    Transformation  der  zweiten  Variation.  227 

lieh  der  Ausdruck  für  ö^J  auf  die  Form^) 

Ö^J^  e^j\F,  (g'+  F,w^'\  dt.  (91) 

Dieses  Integral  darf  also  im  Fall  eines  Minimums  nicht  negativ  sein, 
und  zwar  gilt  dies  für  alle  Funktionen  w  der  Klasse  JD',  welche  in 
beiden  Endpunkten  verschwinden;  denn  durch  passende  Wahl  der 
Funktionen  ^{f)j  rjif)  kann  man  die  Funktion 

tv  =  yl  —  Xfj 

jeder  beliebigen  Funktion  der  Klasse  D',  welche  in  t^  und  ^g 
verschwindet,  gleich  machen.  Für  die  folgende  Diskussion  wird 
vorausgesetzt,  daß  F^  und  i^g  nicht  beide  im  Intervall  [t^t^]  identisch 
verschwinden. 

Die  zweite  Variation  hat  jetzt  genau  dieselbe  Form  wie  in  §  9,  a), 
wobei  den  dort  mit  P,  Q,  B,  i]  bezeichneten  Größen  der  Reihe  nach 
die  Größen  F^^  0,  F^^  w  entsprechen.  Wir  können  also  unmittelbar  die 
im  zweiten  Kapitel  erhaltenen  Resultate  anwenden  und  erhalten  daher 
zunächst  entsprechend  der  Legendr e'schen  Bedingung  wie  in  §  9,  b) 
den  Satz: 

Die  zweite  notwendige  Bedingung  für  ein  Minimum  Gesteht  darin,  daß 

sein  muß  entlang  der  Extremalen  @q,  d.  h. 

F,{x{t),  y{t),  x\t),   t/{t))^0     in     [t,t,].  (II) 

b)  Invariante  Normalform  für  die  zweite  Variation: 
Wir  erwähnen  hier  noch   eine  weitere,   prinzipiell  wichtige  Re- 
duktion der  zweiten  Variation.     Wir  addieren  zu  dem  Integral  (91) 
das  Integral 

Jy  dt  (^V^^-^)  dt  =J{f^ww'  +  I  F^'iv')  dt, 
h  h 

dessen  Wert  Null  ist,  da  w  in  beiden  Endpunkten  verschwindet,  und 
machen  dann  die  Substitution 


^)  Dies  gilt  auch  noch,  wenn  |',  ri  Unstetigkeiten  der  hier  erlaubten  Art 
haben,  vgl.  p.  201,  Fußnote  *),  da  |,  tj  und,  nach  unseren  Annahmen  über  die 
Extremale  @,., ,  auch  L,  M,  N  stetig  sind  in  [t^t^]. 

16* 


228  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 


IV 


^l'\   %  ^  (92) 

die   gestattet  ist,   wenn  F^   entlang   dem   ganzen  Bogen  (S^  von  Null 
verschieden  ist.     Alsdann  erhalten  wir  für  ö'^J  den  Ausdruck: 

ä^J^>,^J[(^^--K.^ät,  (93) 

wobei 

^      4  Fj2      2  F^      F,  y^^) 

Die  Funktion  K  ist  eine  „absolute  Invariante  der  Funktion  J^ 
in  bezug  auf  Punkttransformationen"^),  sie  ändert  sich  jedoch  bei 
Transformation  des  Parameters  t 

Wenn  die  Funktion  F  positiv  ist  entlang  der  Extremalen  @q,  so 
kann  man  statt  f  als  Parameter  das  Integral 

t 
r=JF{x,  y,  x\  tj)dt 

einführen;  setzt  man  dann  noch 


CD^V  F   ^ 


so  daß  also 


v^wF^F^^,  (92a) 

so  erhält  man  folgende  invariante  Normalform  für  die  zweite  Variation: 

S'J  =  ^'J[i$f  -  K.^']  dt ,  (93a) 

wobei 

Die  Funktion  K^  bleibt  nunmehr  invariant^)  sowohl  bei  jeder  Punkt- 
transformation der  Variabein  x^  y,  als  auch  bei  jeder  Parameter- 
transformation. 

^     c)  Anwendung  auf  die  G-eodätischen  Linien: 

Beispiel  XVI:    (Siehe  p.  209). 

Es  sei  


^)  ^gl-  §  4ö  ^iid  ÜNDERHiLL,  loc.  cit.  ^  Vgl.  ünderhill,  loc.  cit. 


28.    Transformation  der  zweiten  Variation. 


229 


eine  die  beiden  Punkte  P^iu^,  v^)  und  P2(^2»  ^2)  verbindende  Extremale  in  der 
u,  ü- Ebene,  d.  h.  also  eine  der  Differentialgleichung  (38)  genügende  Kurve.    Ihr 
entspriebt  dann  auf  der  Fläche  eine  die  beiden  gegebenen  Punkte  Q^^  und  Q^ 
verbindende  geodätische  Linie,  die  wir  mit  &q  bezeichnen. 
Eine  leichte  Rechnung  ergibt 


EG  -  F= 


(yEV^-f  2Fuv'-{-  Qiv'^^y 


(95) 


Nach  den  über  das  Flächenstück  .201.  gemachten  Annahmen  (vgl.  (35))  ist  also  F^ 
stets  positiv  und  somit  die  Bedingung  (II)  stets  erfüllt. 

Für  die  weitere  Diskussion  der  zweiten  Variation  legen  wir  zur  Verein- 
fachung der  Rechnung  ein  spezielles  krummliniges  Koordinatensystem  auf  der 
Fläche  zugrunde,  das  wir  nach  Bonxet  ^)  folgendermaßen  wählen: 

Durch  einen  beliebigen  Punkt  M  der  geodätischen  Linie  (^^  ziehen  wir 
die  zu  öJq  orthogonale  geodätische  Linie,  was  nach  §  27,  a)  stets  möglich  ist, 
da  hier  die  Bedingung  (45)  für  jedes  d^  erfüllt  ist.  Die  positive  Richtung  auf 
dieser  geodätischen  Linie  wählen  wir  so,  daß  sie  zur  Linken  der  positiven 
Richtung  von  ©^  liegt. 

N  sei  ein  beliebiger  Punkt  dieser  orthogonalen  geodätischen  Linie.  Wir 
wählen  dann  als  Koordinaten  des  Punktes  N  auf  der  Fläche  die  mit  entspre- 
chenden Vorzeichen  versehenen  Bogenlängen 


M=  u 


arc  MN  =  v 


Bei  dieser  speziellen  Wahl  der  krummlinigen  Koordinaten  nimmt  der  Ausdruck 
für  das  Quadrat  des  Linienelementes  die  folgende  Form  an: 

ds^  =  E  du^  -f  dv^, 


wobei  noch  überdies    die  Funktion  E{u^  v)  den 
Bedingungen 

E(M,  0)  =  1  ,  E^(w,  0)  =  0         (96) 

genügt. 

Denn  da  nach  den  getroffenen  Festsetzungen 
die  Kurve 

u  ==  konst. ,  V  =  t 


M 


Fig.  32. 


Q. 


eine  Extremale  ist,  so  folgt  durch  Einsetzen  in  die  Differentialgleichung  (38) 

^FG,-  G(F,-iG,)  =  0.  (97 

Da  ferner:  arc  MN  =  v  sein  soll,  so  folgt 


^)  Comptes  Ren  du  s,  Bd.  XL  (1850),  p.  1311;  vgl.  auch  Darbgüx,  Theorie 
des  surfaces,  Bd.  III,  pp.  92 — 98. 


230  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

0 

also,  indem  man  nach  v  difiFerentiiert, 

G(w,v)  =  l.  (98) 

Unter  Benutzung  dieser  Gleichung  reduziert  sich  (97)  auf 

F,(M,?;)  =  0. 

Es  ist  also  F(w,  vi  von  v  unabhängig,   also  gleich  ?(u,0);  dies  ist  aber  gleich 
Null,  da  31 N  in  M  zu  ©„  orthogonal  sein  sollte.     Somit  ^)  folgt 

F(it,z;)  =  0.  (99) 

Da  weiter  auch  die  Kurve  S^,,  d.  h. 

eine  Extremale  ist,  so  erhält  man  durch  Einsetzen  in  (88)  unter  Benutzung  der 

bereits  gewonnenen  Resultate 

E,(«,0)  =  0, 

und  endlich  folgt  aus  der  Bedingung,  daß:  arc  Q^  M  =  u  sein  soll, 

E(i^,  0)  =  1, 

womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

Wir  haben  jetzt  die  Größe  K  für  die  Funktion 

zu  berechnen,  und  zwar  entlang  der  Extremalen 

^^:  u  =  t,  V  =  0 . 

Das  Einsetzen   dieser  speziellen  Funktionen  für  u  und  v  deuten  wir  durch  Ein- 
klammern   an.     Man    findet    dann    leicht    aus    (96)    und    den    daraus   folgenden 

Gleichungen 

E^iu,  0;  =  0,         E^^,(w,  0)  =  0,         E„,(^*,  0)  =  0 , 

die  folgenden  Resultate: 

{F)  =  l,        {F,)  =  0,        (2^,;  =  0,        (F,)  =  l, 
(F„,,)  =  0,      (F,,0==O,      (F„,0  =  O,      (F,,0  =  O, 

und  daraus 

(7.)  =  0,         (M)  =  0,         (N)  =  0 
und  weiter 

{F,  J  =  0  ,        (F,,)  =  0 ,        (F,;)  =  ^  E„(M ,  0) , 
also 


1)  Hierin  ist  zugleich  der  Gauß'sche  Satz  über  geodätische  Parallelkoordi- 
naten enthalten,  vgl.  §  43,  a). 


§  29.    Die  Jacobi'sche  Bedingung  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung.     231 

iF,)  =  ^E,,{u,0),  (100) 

und  daraus  scMießlich 

K^-l-E,,{u,0).  (101) 

Der  Ausdruck  für  K  ist  aber  nichts  anderes  als  das  Krümmungsmaß  ^)  der 
Fläche  im  Punkt  {u,0)  der  geodätischen  Linie  ©^ .  Aus  dem  Ausdruck  (93) 
für  die  zweite  Variation  folgt  jetzt  der  Satz^): 

Wenn  das  Krümmungsmaß  der  Fläche  entlang  dem  Bogen  Q^  Q^  der  geo- 
dätischen Linie  beständig  negativ  ist,  so  ist  die  zweite  Variation  der  Bogenlänge 
positiv. 

Auf  Flächen  mit  durchweg  negativem  Krümmungsmaß  ist  also  a  fortiori 
die  zweite  Variation  stets  positiv.  ■'*) 


§  29.     Die    Jacobi'sche    Bedingung    für    den  Fall  der  Parameter- 

darstellung. 

Wir  haben  nunmelir  die  Modifikationen  zu  betrachten^  welche  die 
in  §§  10  bis  14  entwickelte  Jacobi'sche  Theorie  beim  Übergang  zur 
Parameterdarstellung  erfährt. 

Wir  setzen  dabei,  sowie  für  die  ganze  weitere  Diskussion,  voraus, 
daß  die  Legendr e'sche  Bedingung  (II)  für  unsern  Extremalenbogen 
@o  erfüllt  ist.  Darüber  hinaus  machen  wir  aber  noch  die  Annahme^), 
daß  die  Funktion  F^  in  keinem  Punkt  von  @o  verschwindet,  so 
daß  also 

I\{x{t),   y{t),   x\t),   y(t))>0     für     t,^t^t,.  (IP) 

Aus  dieser  scheinbar  geringfügigen  Verschärfung  unserer  Annahme 
ergibt  sich  die  wichtige  Folgerung,  daß  wir  auf  den  Extremalen- 
bogen @o  die  Resultate  von  §  27,  c)  und  d)  anwenden  dürfen. 


^)  Vgl.  z.  B.  Knoblauch,  Krumme  Flächen,  §  24,  (2)  und  §  27,  (6).  Der 
Satz,  daß  K  gleich  dem  Krümmungsmaß  ist,  ist  von  der  Wahl  des  Koordinaten- 
systems auf  der  Fläche  unabhängig,  vgl.  p.  228. 

^)  Der  Beweis  mittels  der  Bonnet'schen  Koordinaten  ist  nicht  einwandfrei. 
Es  müßte  noch  gezeigt  werden,  daß  durch  jeden  Punkt  N  in  einer  gewissen 
Umgebung  von  (^^  nur  eine  zu  ^^  orthogonale  geodätische  Linie  gezogen 
werden  kann.     Vgl.  die   tJbungsaufgabe  Nr.  7  am  Ende  dieses  Kapitels. 

^)  In  dieser  Form  wurde  der  Satz  zuerst  von  Jacobi  (ohne  Beweis)  gegeben, 
Journal  für  Mathematik,  Bd.  XVII  (1837),  p.''82,  und  Vorlesungen  über 
Dynamik,  p.  47.     Bewiesen  wurde  der  Satz  zuerst  von  Bonnet,  loc.  cit. 

*)  Der  Ausnahmefall,  wo  F^  in  Punkten  des  Bogens  @o  verschwindet,  bietet 
grüße  Schwierigkeiten  und  ist,  abgesehen  von  einigen  Andeutungen  in  den  Vor- 
lesungen von  HiLBERT  vom  Winter  1904/05,  noch  so  gut  wie  gar  nicht  be- 
handelt worden. 


232  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sclie  Theorie. 

Ähnlich  wie  beim  a;- Problem  erscheint  die  Jacobi^sche  Be- 
dingung auch  hier  in  zwei  verschiedenen  Formen,  von  denen  die  eine 
von  Weieestrass,  die  andere  von  Kneser  herrührt. 

a)  Die  Weierstraß'sche  Form  der  Jacobi'scheii  Bedingung: 

Die  Jacobi'sche  Differentialgleichung  (9)  von  §  10  nimmt  für 
das  Integral  (91)  die  Form  an 

wobei  die  Funktionen  I\,  F^  sich  auf  die  Extremale  (So*  beziehen. 
Die  Differentialgleichung  (102)  hat  in  dem  offenen  Intervall:  t^*<t<  t^* 
keine  singulären  Punkte;  denn  nach  §  21,  c)  sind  die  Funktionen 
F^,F^,F^  stetig  und  es  ist  F^^O. 

Das  allgemeine  Integral  der  Differentialgleichung  (102)  erhält  man 
nachWEiERSTRASS  folgendermaßen:  Substituiert  man  in  der  Differential- 
gleichung 

F^-§-^F^.==0  (20J 

für  x,y  das  allgemeine  Integral 

x=^nt,a,ß),     y-=9{t,a,ß),  (64) 

so  wird  die  Differentialgleichung  identisch  befriedigt  für  alle  Werte 
von  t,  a,  ß  im  Bereich  (67).  Differentiieren  wir  diese  Identität  nach  a, 
so  erhalten  wir 

In  dieser  Gleichung  drücken  wir  die  zweiten  partiellen  Ableitungen 
von  Fjnit  Hilfe  der  Formeln  (12  a),  (85),  (86)  und  (88)  durch 
L,M,  N,I\,  F2  aus,  wobei  wir  vorübergehend  durch  Überstreichen 
andeuten,  daß  die  betreffenden  Funktionen  für  die  allgemeine  Ex- 
tremale (64)  zu  berechnen  sind.  Nach  einigen  einfachen  Reduktionen 
erhält  man 

wobei 

^  =  fftfa  -  ftf/a' 


§  29.    Die  Jacobi'sche  Bedingung  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung.    23^ 
Wenden  wir  dasselbe  Verfahren  auf  die  Differentialgleichung 

aUj  so  erhalten  wir 

Da   f\  und   g^    nach    (68)    nicht    gleichzeitig    verschwinden    können, 
so  folgt 

Ein  ganz  analoges  Resultat  ergibt  sich,  wenn  man  nach  ß  statt  nach 
a  differentiiert.  Gibt  man  schließlich  den  Größen  «,  ß  die  speziellen 
Werte  a^,  ß^  und  macht  von  (foQ)  Gebrauch ,  so  erhält  man  die 
Weierstraß'sche  Modifikation  des  Jacobi'schen  Theorems  (§  12,  b)): 
Die  Jacob  tische  Differentialgleichung 

^^«-.f*(^^3  =  0  (102) 

hat  die  beiden  partihdären  Integrale 

Dieselben    sind   nach  (70)    linear  unabhängig,   woraus  nach  §  11,  b) 
die  später  mehrfach  zu  benutzende  Ungleichung  folgt: 

B{t)  =  d'.it)  .j;(t)  -  #2  (0  ^/(O  +  ö  (^104) 

für  t*<t<t*. 

Schließt  man  jetzt  wie  in  §§   12  und  14  weiter  und  bezeichnet  nach 
Wp:iersteass 

S{t,  t,)  =  ^,(t)  &, (t,)  -  ^, (0 ^i(^i) ,  (105) 

so  erhält  man  das  Resultat: 

Die  dritte  notwendige  Bedingung  für  ein  Extremum  lautet: 

&{t,  t^}  +  0     für     t^<t<t.,.  (III) 

Dies  ist  die   Weierstraß'sche  Form  der  Jacobi'schen  Bedingung. 

Bezeichnet   man   mit  t^  die   zunächst  auf  t^  folgende  Wurzel  der 
Gleichung 

e(t,  t^)  =  0  (106) 


234  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sclie  Theorie. 

falls  eine  solche  im  Intervall  (60)  existiert,  so  läßt  sich  die  Be- 
dingung (III)  auch  schreiben: 

t[  ist  der  Parameter  des  zum  Punkt  P^  honjugierten  PunMes  P/. 

Allgemeiner  nennen  wir  einen  Punkt  von  @o*  r^^  weiteren  Sinn 
zu  P^  konjugiert",  wenn  sein  Parameter  der  Gleichung  (106)  genügt. 

Der  konjugierte  Punkt  ist  von  der  Wahl  des  Parameters  t  und 
der  Integrationskonstanten  a,  ß  unabhängig.  Denn  wendet  man  auf 
die  Größen  t,a,ß  eine  Transformation  von  der  Form  (71)  an,  so 
findet  man  nach  einer  leichten  Rechnung  zwischen  der  Funktion 
e(t,  t^)  und  ihrer  transformierten  @(t,  t^)  die  Relation 

und  der  Faktor  X{t)X(t^)V  ist  nach  (72)  von  Null  verschieden.  Das- 
selbe Resultat  kann  man  auch  mit  Weieksteass  aus  der  geo- 
metrischen Bedeutung  des  konjugierten  Punktes  schließen. 

Beispiel  XIV:  (Siehe  p.  206). 

Wir  haben  hier  nach  (26) 

jp, ^ 

also  entlang  irgend  einer  Extremalen  (27) 

Die  Bedingung  (IF)  für  ein  Maximum  ist  also  stets  erfüllt. 

Ferner  berechnet  man  aus  dem  allgemeinen  Integral  (27): 

0(t,  t,)  =  —  B^  sin  (t  —  t,). 
Also  ist 

Der  zum  Funkt  P^  konjugierte  Punkt  P/  ist  also  der  ihm  auf  dem  be- 
treffenden Kreis  diametral  gegenüberliegende  Punkt.     Daraus  folgt  (vgl.  Fig.  31): 

Wenn  P/^^IP^PJ,,  so  erfüllt  von  den  beiden  Kreisbogen  P^P^P^^  und 
Pi  P4  Pjj  nur  derjenige,  welcher  kleiner  ist  als  ein  Halbkreis,  also  P^  P,  P^_  die 
Bedingung  (ITI). 

Wenn  P  =  i  1  P^  Pg  | ,  so  ist  die  Bedingung  (III)  zwar  auch  noch  erfüllt, 
aber    es    fällt   jetzt    der  Punkt  P^  mit   dem  konjugierten  Punkt  P/  zusammen. 

Beispiel  XV:  Brachistochrone^)  (siehe  p.  207). 

Wir  nehmen  an,  daß  die  beiden  Endpunkte  P^  und  P,  zwischen  den 
beiden  Spitzen  r  =  0  und  r  =  2  tt  der  Zykloide 


Vgl.   LiNDELÖF-MoiGNO,    loc.  dt.,  p.  231,   und  Weierstrass,   Vorlesungen,      j 


§  29.    Die  Jacobi'sche  Bedingung  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung.    235 

X  —  X,  -\-  Q^=-  aAx  —  sin  r) 

2/  —  2/i  +  ^»^  =  «0  (1  —  cos  t) 

liegen,   so    daß   also  die  den  beiden  Punkten  P^  und  P^  entsprechenden  Werte 
T  =  r^  und  tr  =  Tg  der  Ungleichung  genügen 


0<ri  <r,  <27C, 
ion  F^  erhält  ms 

1 


Pur  die  Funktion  F^  erhält  man 


Vy  -  2/7+^  (V^''  4-  y'^'T      sy^^  cc,'Vcco' 


P\  ist  also  positiv  entlang  dem  Zykloidenbogen  P^  P^  und  die  Bedingung  (IF) 
ist  erfüllt. 

Für  die  Weierstraß'sche  Funktion  ^(r,  rj  findet  man  nack  einfacher 
Rechnung 

G[t,  t^)  =  icc^'sin  ^-co8~sin^^  cos|   j^r  —  2  tg  ^  —  r,  +2tg^^'J. 

Daraus  folgt,  daß  der  Parameter  r/  des  za  P^  konjugierten  Punktes  P^'  ent- 
weder ein  Vielfaches  von  27t  sein  muß,  in  welchem  Fall  P/  sicher  nicht  dem 
Bogen  Pi  P2  angehört,  oder  aber  r/  muß  der  transzendenten  Grieichung  genügen 

i^-2tg^=r,  -2tg|.  (109) 

Wächst  t   von  0  bis  tt,    so    nimmt   die   Funktion  r  —  2  tg    -  beständig  ab 

von  0  bis  — cx);  wächst  t  weiter  von  7t  bis  27t,  so  nimmt  sie  beständig  ab 
Ton  -f  00  bis  27C.  Daraus  folgt,  daß  t  =  T^  die  einzige  Wurzel  der  Gleichung 
(109)  ist,  welche  zwischen  0  und  2  7t  liegt.  Daher  gibt  es  auf  dem  Bogen  P^  P^ 
keinen   zu  P^  Jwnjugierten    Punkt,    also    ist    auch    die    Bedingung  (III)    erfüllt.  ^) 

b)  Die  Kneser'sche  Form  der  Jacobi'sclieii  Bedingung: 

Man  kann  nach  Kneser-)  die  Jacobi'sche  Bedingung  noch  in 
eine  andere  Form  bringen^  bei  welcher  statt  des  allgemeinen  Integrals 
(64)  der  Euler'schen  Differentialgleichung  die  Extremalenschar  durch 
den  Punkt  P^  zugrunde  gelegt  wird.  Aus  dieser  zweiten  Form  ergibt 
sich  dann  auch  am  naturgemäßesten  die  geometrische  Bedeutung  der 
konjugierten  Punkte. 


^)  Hierzu  noch  die  Übungsaufgaben  Nr.  1 — 6,  10,  12,  16 — 18  am  Ende 
dieses  Kapitels. 

^)  ^g"l-  Kneser,  Lehrbuch,  §  31;  vgl.  auch  oben  die  analogen  Entwicklungen 
von  §  13. 


236  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Wir  betrachten^  für  spätere  Anwendungen  gleich  etwas  all- 
o-emeiner  als  für  unsere  unmittelbaren  Zwecke  erforderlich  wäre,  eine 
beliebige  Extremalenschar 

x  =  (p(t,a),         y  =  i^(t,a),  (110) 

welche    die    in  §  21,  d)    unter  A)  bis  D)    aufgezählten  Eigenschaften 
besitzt. 

Substituiert  man  dann  in  den  beiden  Differentialgleichungen  (20) 
für  X,  y  die  Funktionen  cp,  %l)  und  ditferentiiert  die  so  entstandene 
Identität  nach  a,  so  erhält  man  genau  wie  unter  a)  das  Resultat^ 
daß  die  Funktionaldeterminante:  u  =  A(t,  a)  der  Schar  (110)  als  Funk- 
tion von  t  der  homogenen  linearen  Differentialgleichung  zweiter 
Ordnung: 

genügt,  welche  wegen  (75)  für  a  =  üq  in  die  Jacob  i'sche  Differential- 
gleichung (102)  übergeht. 

In  dem  speziellen  Fall,  wo  die  Gleichungen  (110)  die  Extremalen- 
schar durch  den  Funkt  P^  darstellen,  folgt  überdies  aus  (79)  und 
(82),  da  in  diesem  Fall  f^  =  t^, 

und  wir  erhalten  daher  das  Resultat: 
Die  Funktionaldeterm  inante 

u  ==  A{t,  a^) 

der    Extremalenschar    durch   den    FunU   P^   genügt   der   Jacohi'schen 
Biff'erentialgleich  ung 

und  verschwindet  für  t  =  t^. 

Daraus  folgt  aber,  daß  die  Funktion  A(^,  «o)  ^^n  ^^^  Weier- 
straß'schen  Funktion  0{t,  t^),  welche  dieselben  beiden  Eigenschaften 
besitzt,  nur  um  einen  konstanten  Faktor  verschieden  sein  kann: 

Aity,)  =  c@{t,t,),  (112) 

wo  c  eine  wegen  D)  von  Null  verschiedene  Konstante  bedeutet. 

Der  zu  t^  konjugierte  Wert  ^/  kann  daher  auch  durch  die 
Gleichung 


§  29.    Die  Jacobi'sche  Bedingimg  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung.    237 

A(t,  a,)  =  0 
definiert  werden. 

Wir  bemerken  noch,  daß  aus  den  beiden  Gleichungen 

A(t„a,)  =  0,        A(i^,>o)  =  0  (113) 

nach  §  11,  a)  folgt,  daß 

A,ft,  a„)  +  0,        A,(</,  a„)  +  0,  (114) 

da  tj^  und  t^  keine  singulären  Punkte  der  Differentialgleichung  (102)  sind. 

c)  Geometrisclie  Bedeutung  der  konjugierten  Punkte^): 

Wir  betrachten  wieder  eine  beliebige  Extremalenschar 

X  =  (p(t,  ä),  y  =  ip{t,  a),  (110) 

welche  die  in  §  27,  d)  unter  A)  bis  D)  aufgezählten  Eigenschaften  besitzt. 

Auf      der      speziellen      Extre- 
malen  (£J 

P 

X  =  cp{t,  «„),         2/  =  ^ih  %), 


nehmen  wir  einen  Punkt  P'{t')  an, 
wobei:  Tj  <  *' <  T^  sein  soll.  In 
der  Nähe  von  P'  nehmen  wir  einen 


zweiten  Punkt  P{t)   auf  @J  an  und 


Fig.  33. 

konstruieren  in  ihm  die  Normale.     Die  Gleichung  derselben  ist 

(X-x)x-\-iY-y)y=0, 


wenn  X,  Y  die  laufenden  Koordinaten,  x,  y  die  Koordinaten  des  Punktes  P  und 
x\  y'  die  Ableitungen  von  x^  y  nach  t  bedeuten. 

Wir  untersuchen  jetzt  den  Schnitt  dieser  Normalen  mit  einer  benachbarten 
Extremalen  ©^  der  Schar  (110). 

Angenommen,  die  Normale  schneide  diese  Extremale  in  einem  Punkt  P  (S,  ^) , 
der  auf  @^  dem  Parameterwert  t  =  t  entspricht ;  dann  haben  wir  zur  Bestim- 
mung von  i  die  Gleichung 

[qp(*,  a)  —  (p(t,  «„)]  cptit,  a^)  -f  [^{t,  a)  —  ip{t,  %)]^t(t,  a,)  =  0 .        (115) 

Dieselbe  wird  erfüllt  für  7  ==  i',  t  =  t',  a  =  %  und  da  nach  (77) 

W{t\cL,)  +  i/',^(r,  aJ  +  O, 

^)  In  der  Hauptsache  nach  Weierstrass,  Vorlesungen  1879 ;  vgl.  auch  Kneser, 
Lehrbuch,  p.  90. 


238  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'scbe  Theorie. 

so  sind  die  Bedingungen  für  die  Anwendbarkeit  des  Satzes  über  implizite  Funk- 
tionen (§  22,  e))  erfüllt;  wir  können  daher  die  Gleichung  (115)  nach  ~t  auflösen 
und  erhalten  eine  und  nur  eine  Lösung: 

*  =  %(*,  a)i 

welche  in  der  Umgebung  der  Stelle  t  =  t\  a  =  a^  von  der  Klasse  C  ist  und 
der  Anfangsbedingung 

Xi*'^  «o)  =  *' 
genügt. 

Aus   der  speziellen   Form  der  Gleichung  (115)  und   der  Eindeutigkeit  der 

Lösung  folgt,  daß  allgemein 

X{t,  tto)  =  t 

für  jedes  t  in  hinreichender  Nähe  von  t'. 
Wenden  wir  jetzt  auf  die  Differenz 

Xit,  a)  —  %{t,  «o) 

den  Taylor'schen  Satz  mit  Restglied  an  und  brechen  mit  den  Gliedern  zweiter 
Ordnung  \)  ab,  so  erhalten  wir  nach  einfacher  Rechnung : 


+  (_  ^A^^^s,  +  (a  -  «J  r)  (.  -  a. 


Dabei  sind  die  Argumente  von  tp^usw.:  f,  a^,  und  r  ist  eine  Funktion  von  t  und 
a,  deren  absoluter  Wert  in  einer  gewissen  Umgebung  der  Stelle  (*',  a^  unter- 
halb einer  endlichen  Grenze  bleibt.  _ 

Wir  berechnen  jetzt  weiter  den  Abstand    VT  \  der  beiden  Punkten  V  und  P. 
Entwickelt  man  die  Differenzen 

ä;  _  .^  =  ^  (7 ,  a)  —  qp [t,  a,),    y  —  y  =  ^P(t,  «)  -  t(*i  «o) 

mittels  des  Taylor'schen  Satzes  mit  Restglied  nach  Potenzen  voni  — ^  a  — «o 
und  bricht  wieder  mit  den  Gliedern  zweiter  Ordnung  ab,  so  kommt,  wenn  man 
für  die  Differenz  t  —  t  den  gefundenen  Wert  einsetzt: 

(A  +  (a  —  «o)  "^0  '^t  («  —  «o) 

^*   ^  ^*  .♦  (116) 

(A  +  (a  —  «o)  F)yf(a  — CTq) 

Dabei  sind  die  Argumente  in  g)^,  ^,  und  der  Funktionaldeterminante  A  wieder 
t  und  a,,  und  V  ist  eine  Funktion  von  t  und  a,  welche  in  einer  gewissen  Um- 

')  Hierzu  ist  allerdings  nötig,  daß  x^,,  m  der  Umgebung  von  {t\  aj  exi- 
stiert und  stetig  ist:  dies  findet  statt,  wenn  wir  die  Annahme  machen,  daß  außer 
den  unter  B)  erwähnten  Ableitungen  auch  qp,,„  und  i/»^,«  im  Bereich  (76)  exi- 
stieren und  stetig  sind.  Dies  ist  sicher  der  Fall,  wenn  wir  die  Funktion  7-  von 
der  Klasse  C'''  statt    von   der  Klasse  C"  voraussetzen,    vgl.  §   24,  a)    Zusatz  1. 


§  29.    Die  Jacobi'sche  Bedingung  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung.    239 

gebung  (d)    der  Stelle  t  =  t\  a  =  «^    dem    absoluten  Betrage    nach  unter   einer 
festen  Grenze  G  bleibt. 

Aus  (116)  ergibt  sich  für  den  Abstand  j  PP  I  der  Ausdruck: 


PF   = 


(A  (f ,  «o)  +  (a  —  cLq)  Vit,  a))  {a  —  a^) 


ycp,Ht,a,)-^^^\t,a,)' 
Ferner  folgt  aus  (116) 

^'(y  —  y)  —  y\^  —  x)=^  (A Ü,  %)  -\-{a  —  aj  V{t,  a)){a  —  a^) , 
woraus  sich  schließen  läßt,  daß  der  Ausdruck 

A  (f ,  a)  :rz:  A  {t ,  a,)  +  (a  -  a,)V{t,  a) 

als  Funktion  von  t  und  a  in  der  Umgebung  {8)  der  Stelle  {t\  a^)  stetig  ist. 

Soll_nun  die  Extremale  ®„  die  Extremale  ©/  im  Punkt  P(t)  schneiden,  so 
muß     PP\  =  0  sein,  also  muß,  da  a=^aQ  vorausgesetzt  ist, 

A  {t,  a)  =  0 
sein.     Daraus  schließen  wir 

1.  Wenn 

A(r,  «0)4=0, 

so_können  wir  wegen  der  Stetigkeit  von  A  {t,  a)  nach  A  III  2  eine  positive  Größe 
y<^8  angeben,  derart,  daß 

A(^a)=4=0 
für 

;  *  —  *'  I  <  7 ,        I  a  —  «.(,!<  7 , 
d,  h.  aber:   Wenn 

A{t\a,)^0, 

so  schneidet  leine  Extremale  der  Schar  (110),  für  welche:  1  «  —  «o  I  ^  7  ^^^  ^^- 
tremale  (S^*  in  dem  Intervall  [t' — y,t'-\-y^' 

2.  Wenn  dagegen 

A(r,  ao)  =  0, 

so  ist,  wie  oben  unter  b)  gezeigt  worden  ist, 

also  wechselt  A  (^,  a^)   sein   Zeichen,    wenn  t  durch  den  Wert  t'  hindurchgeht. 
Wir  können  daher  eine  positive  Größe  tr  ^  ^  so  klein  wählen,  daß 
A  {t'  —  T,  «o)     und     A  (i'  +  r,  a^) 

entgegengesetztes  Zeichen  haben.    Und  nunmehr  können  wir  eine  zweite  positive 
Größe  X  angeben,  derart,  daß  auch 

£^{t'—t,a)     und     A(^'+t,  a) 
entgegengesetztes  Zeichen  haben,  wofern 


240  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Da  die  Funktion  A{t,  a)  als  Funktion  von  *  im  Intervall  [*'— r,  i'+r]  stetig 
ist,  so  muß  sie  daher  mindestens  in  einem  Punkt  zwischen  t'—x  und  t' -\- x 
verschwinden,  d.  h.  also: 

Wenn 

A  (*',  «o)  =  0  , 

so  schneidet  jede  Extremale  ©„  der  Schar  (110),  für  welche  |  a  —  «„  1  <  >t  die  Ex- 
tremale @o*  ivenigstens  einmal  zivischen  t' — r  und  t'-\-x. 

Da  wir  x  beliebig  klein  annehmen  können,  so  folgt  weiter : 

Ber^)  Schnittpunkt  der  beiden  Extremalen  nähert  sich  dem  Funkt  P'{t')  als 
Grenzlage,  wenn  a  gegen  a^  konvergiert. 

Aus  der  Theorie  der  Enveloppen^)  folgt  dann,  daß  der  Punkt  F  zugleich 
auf  der  Enveloppe  der  Extremalenschar  (110)  liegt,  und  zwar  berührt  im  all- 
gemeinen die  Enveloppe  in  P'  die  Extremale  @o* 

Indem  man  diese  Resultate  insbesondere  auf  die  Extremalenschar  durch 
den  Punkt  P^  anwendet,  erhält  man  auch  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung 
das  Resultat,  daß  der  zu  P,  konjugierte  Punkt  P/  derjenige  Punkt  ist,  in 
welchem  die  Extremale  @o*  ^^^  erstenmal  (von  P^  an  gerechnet)  die  Enveloppe 
der  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  berührt. 

Beispiel  XIV  (Siehe  pp.  206,  234): 

Die  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  besteht  hier  aus  der  Gesamtheit 
der  im  entgegengesetzten  Sinne  des  Uhrzeigers  durchlaufenen  Kreise  vom  Radius  R 
durch  den  Punkt  P, .  Die  Enveloppe  dieser  Kreisschar  ist  ein  Kreis  um  den 
Punkt  Pi  mit  dem  Radius  2P.  Jeder  Kreis  der  Schar  berührt  die  En- 
veloppe in  dem  dem  Punkt  P^  diametral  gegenüberliegenden  Punkt,  womit  wir 
zu  demselben  Resultat  gelangt  sind,  wie  auf  p.  234. 

Beispiel  XVI:  Geodätische  Linien.    (Siehe  pp.  209,  228). 

Aus  der  vorausgesetzten  ein-eindeutigen  Beziehung  zwischen  dem  Bereich  31 
in  der  u,  ^- Ebene  und  dessen  Bild  911  auf  der  Flüche  folgt:  Wenn  zwei  Kurven 
^1,  ^^  in  der  u,  v- Ebene  sich  in  einem  Punkt  P  schneiden,  so  schneiden  sich 
auch  ihre  Bilder  S^ ,  2,  auf  der  Fläche  in  einem  Punkt  Q,  dem  Bildpunkt  von  P, 
und  umgekehrt.  Ferner  folgt  aus  den  Formeln »)  für  den  Winkel,  unter  welchem 
sich  zwei  Kurven  auf  der  Fläche  schneiden:  Wenn  sich  die  beiden  Kurven  t^ ,  Ä^g 
im  Punkt  P  berühren  und  zwar  so,  daß  ihre  positiven  Tangentenrichtungen  zu- 
sammenfallen, so  berühren  sich  auch  die  Bildkurven  S>i\  2.,  im  Punkt  Q,  und 
zwar  ebenfalls  mit  zusammenfallenden  positiven  Tangenten  und  umgekehrt.  Hier- 
aus folgt,  daß  sich  die  Sätze  über  die  geometrische  Bedeutung  der  konjugierten 
Punkte  unmittelbar  von  den  Extremalen  in  der  w,  i;- Ebene  auf  die  geodätischen 
Linien  selbst  übertragen. 

1)  Es  läßt  sich  zeigen,  daß  die  Anzahl  der  Schnittpunkte  zwischen 
t'  —  x  und  t'-\-x  endlich  sein  muß;  man  wähle  den  zunächst  bei  P^  ge- 
legenen. 

^  Vgl.  Encyclopädie,  III  D,  p.  47,  Fußnote  117. 

»)  Vgl.  z.  B.  Knoblauch,  Krumme  Flächen,  §  4,  Gleichung  (6)  und  (8). 


§  30.    Die  Weierstraß'sche  Bedingung  und  die  §-Funktion.  241 

Da  die  Jacobi'sche  Bedingung  (III)  eine  notwendige  Bedingung  für  ein 
permanentes  Zeichen  der  zweiten  Variation  ist  (vgl.  §  14),  so  folgt  aus  dem  in 
§  28,  c)  gegebenen  Satz : 

Wenn  das  Krümmungsmaß  der  Fläche  entlang  der  betrachteten  geodätischejv 
Linie  Q^  Q^  beständig  negativ  ist,  so  kann  der  zu  Q^  Tconjugierte  Punkt  nicht 
ztüischen  Q^  und  Q^  liegend) 


§  30.     Die  Weierstraß'sche  Bedingung  und  die  8 -Funktion. 

Zur  Herleitung  der  Weierstr aß' sehen  Bedingung")  wenden  wir  hier 
die  ursprünglich  von  Weierstrass  selbst  benutzte  Methode  an,  die 
wesentlich  elementarer  ist  als  diejenige,  welche  wir  beim  ;3?- Problem 
benutzt  haben,  da  sie  weder  den  Begriff  des  Feldes  noch  den 
Weierstraß'schen  Fundamentalsatz  voraussetzt. 

a)  Der  Weierstraß'sche  Beweis  der  vierten  notwendigen  Be- 
dingung: 

Auf  unserm  Extremalenbogen 

wählen  wir  einen  beliebigen  Punkt  ^^{t^  und  ziehen  durch  denselben 
eine  willkürliche  Kurve  der  Klasse  C: 

auf  der  Kurve  S  möge  der  Wert  r  =  rg  den  Punkt  P^  liefern.  Es 
sei  P4  derjenige  Punkt  von  £,  welcher  dem  Wert  t  =  T3  —  £  ent- 
spricht, wobei  £  eine  kleine  positive  Grröße  bedeutet;  seine  Koordi- 
naten seien 

^4=^3+  ^^3.  ?/4=^3+  ^2/3- 

Nun  ziehen  wir  eine  den  Bedingungen  einer  „Normalvariation"  ■^) 
genügende  Kurve 

S :  x^  x{t)  =  }\t)  +  %{t,  b),         2/  =  y{()  =  y{t)  +  n{t,  e) 

vom  Punkt  F^  nach  P^,  wobei  der  Parameter  t  so  gewählt  sein  möge, 

^)  Weitere  interesciante  Sätze  über  konjugierte  Punkte  auf  geodätischen 
Linien  findet  man  bei  Braunmühl,  Mathematische  Annalen,  Bd.  XIV  (1879) 
p.  557,  V.  Mangoldt,  Journal  für  Mathematik,  Bd.  XCI(1881)  p.  23;  Darboux, 
Theorie  des  surfaces,  Bd.  III,  Livre  VI,  Chap.  V. 

Vgl.  ferner  die  Übungsaufgaben  Nr.  1 — 6  am  Ende  dieses  Kapitels. 

')  Vgl.  §  18.  ^)  Vgl.  §  8,  a). 

Bolza,  Variationsrechnimg.  16 


Fig.  U. 


242  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

daß  den  Punkten  P,,  P,  die  Werte  t=^t^,t==t,  entsprechen,  so 
daß  also 

1(^1,  ^)  =  o,         n{t.,^)  =  ^^    1  (118) 

Eine  solche  Kurve  können  wir  z.  B.  auf  folgende  Weise  herstellen: 
Es  seien  u  und  v  zwei  Funktionen  von  t  von  der  Klasse  C  in  [t^to^]^ 
welche  für  t  =  t^  verschwinden  und  für  t  =  t^  gleich  1  werden.  Dann 
genügen  die  Funktionen 

^(t,  s)  =  u^x^  =  u{t)[x{t^  -s)-  .r(T3)], 

rj{t,£)=^vAy^  =  V (t)  [y {r^  -  «)  -  K^s)] 

allen  Bedingungen. 

Jetzt  variieren  wir  den  Extremalen- 
bogen  @o?  iiidem  wir  das  Stück  P^P^ 
von  @o  durch  die  gebrochene  Kurve 
P^P^P^  ersetzen,  während  wir  das  Stück 
P^P2  ungeändert  lassen.     Dann  ist 

A  J  =  «7i4  +  «^43  ~  ^13  ? 

wobei   die  Integrale  J,  J,  J  respektive  entlang  den  Kurven  @o,  ^;  ^ 
zu  nehmen  sind.  _ 

Für  die  Berechnung  der  Differenz  J,,- Jis  können  wir  von  der 
Formel  (79)  von  §  8  für  die  Variation  eines  Extremalenbogens  Ge- 
brauch machen.     Dieselbe  ergibt  in  unserm  Fall: 

wobei   (£)   eine  mit  6  unendlich  klein  werdende  Funktion  von  s  be- 
deutet und  . 

öx^eU^yO),         dy  =  evXi,^^y^ 

Nun  folgt  aber  aus  (118) 

^^- 13  =  _  sx\t,) ,       öy  '--  ^.?/' W ; 

Avir  erhalten  also 

j;^  _  j^^  =  _  £  j  FA^„  2/3,  *s'.  y>')  äs'  +  -PV(^s,  Ä,  ^s',  J/s')  %'  +  ('))' 

wobei  zur  Abkürzung 


§  30.    Die  Weierstraß'sche  Bedingung  und  die  8-Funktion.  243 

gesetzt  ist. 

Andererseits  ist 

was  wir  unter  Benutzung  des  Mittelwertsatzes  wegen  der  Stetigkeit 
der  Funktion  F{x{t),  y{r),  x\r) ,  y'(t))  schreiben  können 

^43  =  ^  [^(^3  y  ifz ,  Ky  y^)  +  (f ) J  • 

Beachten  wir  noch,  daß 

^^3  =  ^3.       %-y^, 

so  kommt 

A J^=  E { F{x^,  2/3.  ^3',  %) - F^^s,  2/3,  ^3, 2/3') h' - Fy,{x^,  y,,  x,\  y^) y^ 

Da  s  eine  positive  Größe  sein  sollte,  so  folgt  hieraus  durch  Ver- 
kleinerung von  £,  daß  im  Fall  eines  Minimums 

F{pc„  2/3,  x^,  y^)  -  F^,{x,,y„  x,%  y^)  x^  -  Fy,{x,,y,,  x^, y,')y,' ^ 0  (119) 
sein  muß,  und  zwar  für  jede  durch  den  Punkt  P3  gehende  Kurve  g 
und  weiterhin  für  jede  Wahl  des  Punktes  P^  auf  dem  Bogen  g^. 

Wir  führen  jetzt   die  Weierstraß'sche  S-Funktion^)   ein  durch 
folgende  Definition: 

S(x,  y,  x:,  y-  x\  y')  =  ] 

Fix,  y,  x\  If)  ~  [x'F,,{x,  y,  x\  y)  +  y'Fy,{x,  y,  x\  /)])'    ^^^^^ 
oder,  da  nach  (10) 

F{Xy  y,  x\  ~y')  =  xF^,{x,  y,  x\  i/)  +  ~y'Fy,{x,  y,  x\  y'), 
8>{x,y',  x\y'^  x\y)^ 


X  \F^,{x,  y,  x\  Y)-  F^,{x,  y,  x,  y)]       .  (i20a) 

+  y'  [^V(^,  y.  X,  if')  -  Fyix,  y,  x\  y')-\     j 

Aus    den  Relationen   (9)  und   (13)    ergibt    sich    die   folgende  Homo- 
geneitätseigenschaft  der  8 -Funktion : 

%{x,  y,  hx,  Ä;/;  hx\  l~y')  =  m{x,  «/;  x\  y-,  x\  y') ,  (121) 

wenn  die  beiden  Größen  l  und  h  positiv  sind. 

^)  Für  die  Vergleichung  mit  Kneser  beachte  man,   daß  Kneser  —  8  statt 
des  Weierstraß'schen  -f  8  schreibt,  vgl.  Lehrbuch,  p.  75. 

16* 


244  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Setzen  wir  daher 

t)  =  — — =  cos  ö  .         g  =  --=^==-  =  sin  ö,| 

p  = ^—=-  =  cos  ö,         ^  =  ~-=^^===^  =  sin  Ö, 

so  ist  

g{x,  y,  X,  y-,  X,  y)  =  Vx'  +  y''ß{x,  y,  p,  q-,  p,  q),      (123) 

wodurch  das  zweite  und  dritte  Argumentenpaar  auf  Richtungskosinus 

reduziert  werden.  i.   .   /um         j- 

Wir   können   daher   das   oben   gewonnene  Resultat  (119)   so  tor- 

mulieren;  ,     ^    t,^.   •  j 

Die  vieHe  notwendige  Bedingung  für  ein  (starkes)  Minimum  des 

Integrals  J  bestellt  darin,  daß 

S{x,y',p,q',p,q)'SO  (I^) 

für  jeden  Punkt  (x,  y)  des  Extremalenhogens  @o.  ^^^^  P^  ^  ^^^  ^*'^^^- 
tungskosinus  der  positiven  Tangente  an  @o  ^^  ^^^^^  (^'  2/)  und  p,q 
die  Richtungskosinus  irgend  einer  Richtung  bezeichnen. 

Wir  werden  diese  Bedingung  die  Weierstraß'sche  Bedingung  nennen. 

b)  Zusammenliang  zwischen  der  8-Fuiiktioii  und  der  Funktion  F^: 

Werden  die  Winkel  d  und  6  durch  (122)  definiert,  so  haben  wir 

nach  (120a):  _ 

^{x,y',p,q',P,q) 

=  cos  e  [F,,{x,  y,  cos  d,  sin  6)  -  F,.(x,  y,  cos  6,  sin  ö)] 

+  sin  e\Fy,{x,  y,  cos  6,  sin  6)  -  Fy,{x,  y,  cos  d,  sin  ö)]. 

Nun  ist  aber 

F^,{x,  y,  cos  Ö,  sin  Ö)  -  F^,{x,  y,  cos  (9,  sin  6) 

=  /  ^F^.[x,y,  cos(ö  +  T),  sin (ö  +  r)) c?r , 

0 

wobei:  «  =  Ö  -  Ö:  und  eine  analoge  Eormel  gilt  für  F^,. 

Führen   wir   die  Differentiation  nach  r   aus  und  machen  alsdann 
von  den  Formebi  (12a)  Gebrauch,  so  erhalten  wir: 

K^,y\p,r->p^Q)  \ 

•(124) 
^fF^{x,  yy  cos  (ö  +  r),  sin  (Ö  +  r))  sin  {(D-t)dt] 


§  30.    Die  Weierstraß'sche  Bedingung  und  die  8-Funktion.  245 

Die  beiden  Winkel  6  und  B  sind  nur  bis  auf  additive  Vielfache  von 
2;t  bestimmt;  man  kann  die  letzteren  stets  so  wählen^  daß 

Da  alsdann  sin  (co  —  r)  zwischen  den  Integrationsgrenzen  sein  Zeichen 
nicht  wechselt,  so  können  wir  den  ersten  Mittel wertsatz  anwenden 
und  erhalten  die  folgende  Relation^)  zwischen  der  %- Funktion  und  der 
Funktion  F^: 

%{x,  y^  cos  6,  sin  ö;  cos  6,  sin  6) 

=  (1  -  cos  (ö  —  d))  F^  {x,  y,  cos  0%  sin  ö*) ,  (125) 

wo  ö*  einen  Mittelwert  zwischen  6  und  0  bedeutet. 

Aus  diesem  Satz  ergeben  sich  eine  Anzahl  wichtiger  Folgerungen: 

1.  Lassen  wir  6  gegen  6  konvergieren,  so  kommt 

_^S(x.,;p,;^j)^^^^  ^^^^  (126) 

e  =  0      1  —  COS  (0  —  ö) 
Daraus  folgt,  daß  die  Bedingung  (II)  eine  Folge  der  Bedingung  (IV)  ist. 

2.  Die  Bedingung  (IV)  ist  ihrerseits  in  der  stärkeren  Bedingung: 

F^{Xj  y,  cos  y,  sin  'y)^0  (IIa) 

für  jeden  Punkt  (x,  y)  von  ©q  und  für  jeden  Wert  des  Winkels  y, 
enthalten. 

3.  Die  8 -Funktion  verschwindet  stets,  wenn  6  =  6  („ordentliches 
Verschwinden"  nach  Kneser),  und  es  ist  dann  stets  auch 


e 


de\       ~    ' 


Für  einen  Wert  6=^6  kann  die  8-Funktion  nur  dann  verschwinden 
(„außerordentliches  Verschwinden"),  wenn  F^(x,  y,  cos  y^  sin  y)  für 
einen  Wert  y  =  6*  zwischen  6  und  6  verschwindet. 

4.  Wenn  in  einem  Punkt  (x,  y)  die  beiden  Funktionen  F(x,  y, 
cos  y^  sin  y)  und  F^{Xy  y,  cos  y,  sin  y)  für  alle  Werte  von  y  von  Null 
verschieden  sind,  so  müssen  beide  in  diesem  Punkt  für  alle  Werte 
von  y  dasselbe  Zeichen  haben..  ^) 

Dies  folgt  aus  (125),  wenn  man  für  die  8-Funktion  ihren  Aus- 
druck (120)  einsetzt  und  dem  6  einen  der  beiden  speziellen  Werte 
gibt,  für  welche 

F^,{x,  y,  cos  ö,  sin  6)  cos  6  +  Fy,{x,  y^  cos  6,  sin  ö)  sin  ö  =  0. 

^)  Satz  und  Beweis  nach  Weierstkass,  Vorlesungen  (1882).  Vgl.  auch  die 
analoge  Formel  beim  ^r- Problem,  §  18,  Gleichung  (28). 

^)  Von  Kneser  auf  anderem  Weg  bewiesen,  vgl.  Lehrbuch,  p.  53. 


246  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sclie  Theorie. 

Beispiel^)  XVII:  Das  Integral 


dt 

h 

ZU  einem  Extremum  zu  machen. 

Man  findet  für  die  8 -Funktion  den  Wert 


S(^,  y\  p,  2;  v^  2) 


==  2/sin2(0  — ö)sin(20  +  0). 

Abgesehen  von  dem  Ausnahmefall,  wo  die  beiden  Endpunkte  auf  der  a?- Achse 
liegen,  kann  man  die  8 -Funktion  durch  passende  Wahl  von  Ö  sowohl  negativ 
als  positiv  machen;  es  kann  also  kein  (starkes)  Extremum  stattfinden.  In  dem 
erwähnten  Ausnahmefall  ist  ©o  das  Stück  der  ic- Achse  zwischen  den  beiden 
gegebenen  Funkten,  und  8  eee  0  entlang  ^^  für  jede  Richtung  6. 

Allgemeiner  gilt  der  Satz  ^),  daß  ein  (starkes)  Extremum  —  im  allgemeinen  — 
nicht  eintreten  kann,  ivenn  die  Homogeneitätsbedingung  (9)  nicht  nur  für  positive, 
sondern  auch  für  negative  Werte  von  k  erfüllt  ist,  was  z.  B.  allemal  eintritt,  wenn 
F  eine  rationale  Funktion  von  x\  y'  ist. 

Denn  in  diesem  Falle  gilt  (121)  auch  für  negative  Werte  von  k,  so  daß 

8(aJ,  2/;  COS0,  8in0;  co8(ö-f  tt),  sin  (0  +  tt))  =  —  %{x,ij\  cos0,  8in0;  cos0,  sin0). 
Die  Bedingung  (IV)  kann  also  nur  in  der  Weise  erfüllt  sein,  daß 

Hoc,y\  p,q\  p,~q)~0 
entlang  ©^  für  jede  Richtung  0.     Es  muß  also  auch 

sein.  Nun  findet  man  aber  durch  direkte  Ausführung  der  Differentiation  an  dem 
Ausdruck  (124)  die  Relation 

^,  -L  8  =  F,  {X,  y,  cos  0,  sin  0) .  (127) 

30 
Es  müßte  also  auch 

l'\  (^,  2/,  cos  0,  sin  0)  e=  0 

sein  entlang  ©„  für  jedes  6.  Dies  ist  aber  nur  für  ganz  spezielle  Funktionen  F 
und  auch  dann  nur  für  singulare  Lösungen  der  Differentialgleichung  (I)  möglich. 


1)  Auf  dieses  Integral  führt  Newton's  Problem  des  Rotationskörpers  von 
geringstem  Widerstand,  vgl.  unten  §  54,  sowie  Pascal,  Variationsrechnung,  p.  111; 
Knesek,  Lehrluch,  §§  11,  18,  26;  der  obige  Ausdruck  für  8  rührt  von  Weierstrass 
her,   Vorlesungen  (1882). 

2)  Weierstrass,  Vorlesungen  (1879).  Für  das  iC-Problem  gilt  der  Satz  nicht; 
denn  von  den  beiden  Richtungen  0  und  0+  ä  liefert  dann  immer  nur  eine  eine 
zulässige  Variation  P^P^Ps,  da  ja  jetzt  2;'>  0  sein  muß;  vgl.  §  25,  e). 


§  30.    Die  Weierstraß'sche  Bedingung  und  die  8-Funktion. 


247 


c)  Die  Indikatrix: 

Die  Diskussion  des  Vorzeichens  der  Funktionen  i'\  und  S  läßt  sich  nach 
Caratheodory  ^)  mit  Hilfe  der  „Indikatrix"  sehr  anschaulich  machen.  Die  Indi- 
katrix für  einen  Punkt  x^  x^,  y  =  y^  des  Bereiches  01  ist  diejenige  Kurve, 
welche  in  Polarkoordinaten  q,  6  durch  die  Gleichung 


^         Fix^.y^,  cos  0,  sin ö)  ^  "  ^ 

definiert  wird.  Dabei  wird  (wie  auch  sonst  in  der  analytischen  Geometrie),  fest- 
gesetzt, daß  für  negative  Werte  von  q  der  Radius  Yektor  j  q  \  vom  Pol  des 
Koordinatensystems  aus  in  der  der  Richtung  d  entgegengesetzten  Richtung  zu 
konstruieren  ist.  Der  Pol  des  Koordinatensystems  heißt  der  „Grimdpunkt"  der 
Indikatrix;  wir  bezeichnen  ihn  mit  G. 

In  rechtwinkligen  Koordinaten  | ,  iq  wird  die  Indikatrix  mit  0  als  Parameter 
dargestellt  durch  die  Gleichungen 


1  = 


cosö 


sin  B 


F{x^,  2/o.  cosö,  sinö) 

aus  welchen  durch  Differentiation 
nach  6  folgt 


F{Xq,  2/oi  c^^  ^1  sin0) 


(128  a) 


V  =  ^.(128b) 


Mit  Hilfe  von  bekannten  Sätzen 
der  analytischen  Geometrie  beweist 
man  dann  leicht  die  folgenden 
Resultate : 

1.  Es  seien  Q  and  Q  die 
den  beiden  Parameterwerten  0  und 
0  entsprechenden  Punkte  der  Indica- 
trix.  Man  ziehe  den  Radius 
"Vektor  GQ  und  konstruiere  im 
Punkt  Q  die  Tangente  QT  an 
die     Indikatrix      (siehe     Fig.    35). 

Zieht  man  dann  durch  den  Punkt  Q  eine  Parallele  zu  GQ  und  ist  E  der  Schnitt 
punkt  derselben  mit  der  Tangente  Ql'  so  ist  2) 

QB        §(^0  1  2/o?  COS0,  sin0;  cos0,   sin  0) 
Gr  Q  F{Xq  ,  2/o  1  cos  0 ,  sin  0) 


Fig.  35. 


(129) 


^)  C.  Caratheodory,  über  die  diskontinuierlichen  Lösungen  in  der  Variations- 
rechnung, Dissertation  (Göttingen  1904),  p.  69  und  Mathematische  Annalen, 
Bd.  LXII  (1906),  p.  456.  Caratheodory  beschränkt  sich  auf  den  „positiv  de- 
finiten"  Fall.  Die  Kurve  ist  zuerst  von  G.  Hamel  in  seiner  Dissertation:  Über  die 
Geometrieen,  in  denen  die  Geraden  die  Kürzesten  sind  (Göttingen  1901),  p.  52, 
betrachtet  worden. 

^)  Nach  brieflicher  Mitteilung  von  Herrn  Caratheodory. 


248  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

mit  der  Verabredung  über  das  Vorzeichen,    daß   der  Quotient  QB/GQ  positiv 
oder  negativ  zu  nehmen  ist,  je  nachdem  die  beiden  Vektoren  QE  und  GQ  gleich 
oder  entgegengesetzt  gerichtet  sind. 
Daher  gilt  die  ßegel:   Wenn 

F{x,,y,,cose,8md)>0, 
so  ist 

8  {x^ ,  i/o ;  cos  0 ,  sin  0 ;  cos  ö ,  «in  d)  >  0  oder  <  0 , 

je  nachdem  der  Funkt  Q  (0)  der  Indikatrix  auf  derselben  oder  der  entgegengesetzten 
Seite  der  Tangente  an  die  Indikatrix  im  Funkt  Q{d)  liegt,  wie  der  Grund- 
punkt G. 

Ist  dagegen  F(iCo,2/o»  cosÖ,  sinÖ)<0,  so  sind  in  der  Ungleichung  für 
die  §- Funktion  die  Zeichen  ^  und  <<  zu  vertauschen. 

2.  Aus  der  leicht  zu  beweisenden  Formel 

,,   ,      F 

in  welcher   die    Akzente  Differentiation  nach  6   andeuten,   schließt  man  weiter; 

Wenn 

F{Xo,y^,  cos  d,8md)'^0, 

so  ist 

F^  (^0 ,  2/o .  cos  Ö,  sin  0)  >  0  oder  <  0 , 

jenachdem  die  Indikatrix  im  Funkt  Q{e)  ihre   konkave    oder  konvexe   Seite   dem 
Grundpunkt  G  zukehrt. 
Ist  dagegen 

J^'(^o.  2/oi  CO8  0,  sin0)<O, 

so  sind  in  der  Ungleichung  für  F^  die  Zeichen  >  und  <  zu  vertauschen. 

Hiernach  lassen  sich  die  unter  b)  aus  der  Relation  (125)  gezogenen  Folge- 
rungen unmittelbar  an  der  Indikatrix  ablesen;  ebenso  der  ebendort  bewiesene 
Satz  von  Weierstraß.  Weitere  Anwendungen  der  Indikatrix  folgen  in  §§  36,  a) 
und  48,  c). 

Beispiel  XVI:  Geodätische  Linien.  ^Siehe  pp.  209,  228,  240.)  Hier  lautet 
die  Gleichung  der  Indikatrix  in  rechtwinkligen  Koordinaten 

Wegen  (35)  ist  die  Indikatrix  also  eine  Ellipse,  deren  Mittelpunkt  mit  dem 
Grundpunkt  G  zusammenfällt.  Hieraus  schließt  man  sofort,  daß  F^  >  0  für 
jedes  6. 

Beispiel  XVII.     (Siehe  p.  246.) 

F=-ll^--  y>0. 

x^^y'^' 

Die  Gleichung  der  Indikatrix  in  Polarkoordinaten  lautet 

_        1 
^  ~  T^in  »T  ' 

Hier  ist: 

(,(0-|-7r)  =  -p(0). 


§31.    Das  Feld  und  das  Feldintegral. 


24:9 


Daraus  folgt,   daß   die  Indikatrix  aus  zwei  zusammenfallenden  Zweigen  besteht, 
von    denen    der    eine    den  Werten    von  d  von  0  bis  7c(q^0),    der  andere  denen 

von  Tt  bis  2  TT  (p  <<  0)  entspricht. 


Den  Werten 


27t 

—  X 


entsprechen  Wendepunkte  der  Indikatrix. 
In  diesen  Punkten  wechselt  die  Funktion 

F^(x,y,  cosö,  sinÖ) 

=  2  2/  sin  ö  (3  —  4  sin^  d) 

ihr  Vorzeichen.  Das  Vorzeichen  von  F^^ 
ist  in  den  verschiedenen  Sektoren  von 
Fig.  36  eingetragen. 

Aus  dem  Zusammenfallen  der  beiden 
Zweige  folgt  sofort  geometrisch,  daß  die 
beiden  Funktionen 


rig.  36. 


%{x,  y;  cosö,  sin  Ö;  cos  0,  sin  ö)   und     %{x,y',  cos  B,  sinö;  cos  (0  -)-  w),  sin(ö -f  7t))^ 
stets  entgegengesetztes  Vorzeichen  haben.  ^) 

§  31.     Das  Feld  und  das  Feldintegral. 

Indem  wir  uns  jetzt  zur  Aufstellung  hinreichender  Bedingungen 
wenden^  haben  wir  zunächst  wieder  den  Begriff  eines  Feldes^)  von 
Extremalen  einzuführen. 


a)  Der  Satz  von  der  Existenz  eines  Feldes. 


Die  Gleichungen 


x  =  (p(t,a),         y  ==  ^{t,a) 


(130) 


mögen  eine  beliebige  Schar  von  Extremalen  darstellen,  welche  unsem 
speziellen  Extremalenbogen  ^^  enthält  (für  a  =  a^y  und  welche  die  in 
§  21  j  d)  unter  A),  B)  und  C)  aufgezählten  Eigenschaften  besitzt. 


^)  Hiezu  die  Übungsaufgabe  Nr.  8  am  Ende  dieses  Kapitels. 

^)  Vgl.  die  analogen  Entwicklungen  für  das  a?- Problem  in  §  16.  Die  dort 
gegebene  Definition  des  Feldes  ist  nur  darin  zu  modifizieren,  daß  jetzt  die  das 
Feld  bildenden  Extremalenbogen  in  Parameterdarstellung  gegeben  sind,  und 
ausdrücklich  vorausgesetzt  wird,  daß  dieselben  keine  mehrfachen  Punkte  be- 
sitzen. 


250 


Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 


Wir  setzen  überdies  voraus,   daß  der  Bogen  (£q  heine  mehrfachen 
Funkte'^)  besitzt  und  daß  die  FimUionaldeterminante 

A{t,  a)  =  ^l^ 

^  ^    ^         c{t,d) 

entlang  dem  Bogen  (Sq  von  Null  verschieden  ist,  d.  h.  also 

A(^,ao)  +  0     für     t.'^t^t,.  (131) 

Alsdann  lassen   sich    nach  §  22,  d)    und  §  21,  b)   zwei  positive 
Größen  h,  k 


a,  +  k 


a 


a„ 


Fig.  37. 


a.-Tc 


Fig.  38. 


jxCt^-T,,      h<T,-t,,      k<d, 


(132) 


so  klein  wählen,  2)  daß  die  Gleichungen  (130)  eine  ein-eindeutige  Be- 
ziehung zwischen  dem  Rechteck^) 

^)  Man  kann  diese  Bedingung  fallen  lassen,  wenn  man  mehrblättrige  Felder 
nach  Art  einer  Riemann'schen  Fläche  einführt.  Der  Beweis  ergibt  sich  leicht 
aus  dem  folgenden  Hilfssatz:  Jede  Kurve  der  Klasse  C 


X  =  x{t) 


y  =  y{t),      t,<t<t. 


läßt  sich   in    eine   endliche  Anzahl   von  Bogen   ohne   mehrfache   Punkte   zerlegen. 
Mit  Hilfe  des  Mittelwertsatzes  und  der  Stetigkeitssätze  zeigt  man  nämlich, 
daß  man  stets  eine  positive  Größe  l  bestimmen  kann,  so  daß 

(xif)  —  x{t")y  +  iyit')  —  y{t")y  =h  ^ 

für  je  zwei  Werte  t\  t"  des  Intervalls  [t^ t^'],  für  welche  \t'  —  t"    <^  l. 

*)  Wegen  der  Definition  der  Größen  Tj,  Tg,  siehe  §  27,  d)  unter  B). 

3)  Für  manche  Anwendungen  ist  es  nötig,  das  Rechteck  etwas  allgemeiner 
in  der  Form  

^1  —  /?i  ^  *  ^  ^2  +  /^a  1  «0  —  ^1  <  «  <  ^0  +  h 


anzunehmen. 


§  31.    Das  Feld  und  das  Feldintegral.  251 

(Si:         t^  —  h^t^t^+h,       \a  —  a^  /^l- 

in    der  ^,  a- Ebene    und    dessen  Bild  cT  in   der  x^y-Ehene  definieren, 
und  daß  gleichzeitig 

A(^;  a)  =f  0  (133) 

im  ganzen  Bereich  6L. 

Wir  nennen  dann  wieder  den  Bereich  c^ein  den  Bogen  (Sq  umgehendes 
Feld,  gebildet  von  den  Extremalen  der  Schar  (130).  Nach  §  22,  c) 
und  d)  liegt  der  Bogen  ©q  ganz  im  Innern  von  oT,  so  daß  also  der 
Bereich  qT  im  Sinn  von  §  26,  d)  eine  ,,Umgebung"  des  Bogens  @q 
bildet.^) 

Ferner  sind  im  Bereich  (9L  die  Ungleichungen  (77)  erfüllt  und  das 
Feld  qT  liegt  ganz  im  Innern  des  Bereiches  01,  da  wegen  (132)  das 
Rechteck  6t  ganz  im  Bereich  (76)  enthalten  ist. 

Wo  es  nötig  wird,  die  die  Ausdehnung  des  Feldes  bestimmenden 
Größen  h,  Je  in  die  Bezeichnung  aufzunehmen,  schreiben  wir  €Lf^  ^ 
und  of;^  ^  für  GL  und  of. 

Durch  die  ein- eindeutige  Beziehung  (130)  zwischen  den  beiden 
Bereichen  GL  und  of  werden  t  und  a  für  den  ganzen  Bereich  oT  als 
eindeutige  Funktionen  von  x  und  y  definiert.  Wir  bezeichnen  die- 
selben mit 

t^  i{x,y),        a  =  a(x,y), 

so  daß  also,  identisch  in  oT, 

(p(t,a)  =  x,        t(t,d)  =  y,  (134) 

und  umgekehrt 

t{cp,t)  =  t,         a{cp,ij)  =  a,  (134a) 

identisch  in  (9L. 

Es  gelten  dann  in  gT  die  Ungleichungen: 

^1  —  ^^  <  t(^,  y)^t^  +  hy        I  o(^,  y)-%\^lx.         (135) 

Die  inversen  Funktionen  t{x,y),  CL(x,y)  sind  nach  §  22,  d)  im 
Bereich  oT  (mindestens)  von  der  Klasse  C  Ihre  partiellen  Ableitungen 
ergeben  sich  aus  den  Gleichungen 


^)  Man  kann  auch  hier,   ebenso  wie  in  §  16,  a),   den  Satz  von  Schonfliess 
(AVII2)  anwenden,  mit  demselben  Resultat  wie  dort. 


252  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

wobei   die  Klammern   andeuten,   daß    die  Argumente  von  9^,  (p^  usw. 
die  Funktionen  t,  a   sind. 

Durch  jeden  Punkt  F(x,y)  des  Feldes  geht  eine  und  nur  eine 
Extremale  @^  der  Schar  (130),  für  welche  der  Parameter  a  der  Be- 
dingung I  a  —  »0  I  5  /v  genügt,  während  gleichzeitig  der  den  Punkt  P 
liefernde  Wert  von  t  der  Ungleichung  t^—h^t^t^^h  genügt. 
Diese  Extremale  @^  hat  im  Punkt  P  eine  ganz  bestimmte  positive 
Tangente;  die  Richtungskosinus  p,  g  derselben  sind  daher  im  Be- 
reich of  eindeutig  definierte  Funktionen  von  x  und  y,  die  wir  mit 
pix^y),  q{x,y)  bezeichnen.    Ihre  expliziten  Ausdrücke  sind  nach  (4) 

Nach  den  über  9  und  ^  gemachten  Voraussetzungen  sind  die 
Funktionen  p{x,y),  q{x,y)  im  Bereich  of  von  der  Klasse  C. 

b)  Definition  des  Feldintegrals: 

Wir  nehmen  jetzt  auf  der  Fortsetzung  des  Bogens  ^^  über  Pj 
hinaus  einen  Punkt   Pq  {t  =  ^0)  an,  derart  daß 

und    ziehen    durch  P^    eine  Kurve  ^0,    die    wir    uns    folgendermaßen 
herstellen : 

Es  sei  x^ip)  eine  im  Intervall  [«q—  ^S  «0+  ^]  eindeutig  definierte 
Funktion  von  a  von  der  Klasse  C",  welche  der  Anfangsbedingung 

ZoK)  =  ^o  (1-8) 

genügt.  Durch  Verkleinerung  von  h  können  wir  dann  stets  erreichen,  daß 

T,<l,{.a)<t,-h  (139) 

im  ganzen  Intervall  [% — /,  aQ+Ä;]. 
Setzen  wir  dann 

^  (Zo(«);  «)  =  ^'0  W;  ^(Zo^«^S  «)  =  ^0  W.  (140) 

SO  sind  die  Funktionen  x^{a),  %{a)  von  der  Klasse  C  in  [a^  —  h,  a^  +  /c], 
und  die  Gleichungen 

Äq:  x  =  XQ{a),         y  =  ifo((i) 

definieren  eine  Kurve,  welche  durch  den  Punkt  P^  geht. 


§  31.    Das  Feld  und  das  Feldintegral. 


253 


Die  Kurve  ^q  kann  auch  in  einen  Punkt  ausarten,  wenn  es  sich 
nämlicli  trifft,  daß  die  durch  die  Gleichungen  (140)  definierten  Funk- 
tionen XQ(a),  y^ip)  sich  auf  Konstante  reduzieren,  die  dann  mit  den 
Koordinaten  des  Punktes  P^, 

Xq=Xq{%),  %  =  %{%) 

identisch  sein  müssen.  Natürlich  kann  dies  nur  dann  eintreten,  wenn 
alle  Extremalen  der  Schar  (130)  durch  den  Punkt  P^  gehen;  in  diesem 
Fall  ist  die  Funktion  %oW  ^^*  ^®^  i^  §  ^^?  ^)  ^^i^er  E)  ebenso  be- 
zeichneten Funktion  identisch. 

Jetzt  sei  ^^{x^,  y^  irgend  ein  Punkt  des  Feldes  oJ;  durch  ihn 
geht  eine  und  nur  eine  Extremale  des  Feldes 


@b: 


.+A- 


wo 


Fig 


y  =  t(t,a^), 

Dem  Punkt  P^  möge 
auf  @3  der  Wert  t  =  t^ 
entsprechen.  Aus  (140) 
folgt,  daß  die  Extremale 
@3  die  Kurve  ^^  in  dem- 
jenigen Punkt  P4  schneidet, 
der  auf  der  Kurve  (Sg  durch 

den  Wert  ^==%o(%)?   ^^^    ^®^  Kurve  ^q   durch  den  Wert  a  =  a^  ge- 
liefert wird.     Da  ^3  5  i^i  —  h,  so  ist  nach  (139) 

^3>Zo(%)- 

Wir  betrachten  jetzt  unser  Integral 

J=fF{x,y,x,y)dt 

genommen  entlang  der  Extremalen  ^3  vom  Punkt  P^  bis  zum  Punkt 
Pg.     Schreiben  wir  zur  Abkürzung 

und   machen   von    der    Abkürzung   (83)    Gebrauch,   so    ist    der   Wert 
des  Integrals^) 


^)  Dies  ist  nur  richtig,  weil  ig  >  i^  Wäre  t^^t^,  so  müßte  man  zuerst 
auf  dem  Bogen  P^  P^  eine  den  Sinn  umkehrende  Transformation  t  =  —  r  aus- 
führen, vgl.  §  25,  b). 


254  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'scbe  Theorie.  • 

J^.  (P^Ps)  -fiit,  %)  dt  ^  u(t,,  a,) .  (141) 

Derselbe  ist  zunächst  als  Funktion  von  t^,  a^  gegeben;  da  er 
jedoch  durch  die  Lage  des  Punktes  Pg  eindeutig  bestimmt  ist,  so  ist 
er  zugleich  eine  im  Felde  ci"  eindeutig  definierte  Funktion  von  x^,  y^y 
die  wir  mit  Wicc^^y^)  bezeichnen  und  das  zum  Feld  c^  gehörige  Feld- 
integraly  gerechnet  von  der  Kurve  ^^  aus,  nennen. 

Das  Feldintegral   ist  also  explizite  gegeben  durch  die  Gleichung 

^te.  2/3)  =  W(t(^3.  yz)y  tJ(^3.  Ih))  •  (142) 

c)  Die  partiellen  Ableitungen  des  Feldintegrals :  ^) 

Es  sollen  nunmehr  die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion 
^(^3?  2/3)  ii9.ch  x^^y^  berechnet  werden;  dabei  lassen  wir  jedoch  der 
einfacheren  Schreibweise  wegen  den  Index  3  bei  den  Größen  ^3,2/3, 
^3^%  weg. 

Aus  (142)  folgt  zunächst 

ox        \ct/dx       xdajdx^  dy         \dtjdy    *    \oaJ  cy  ^     ^       ^ 

wobei  wir  wieder  durch  Einklammern  andeuten,   daß  nach  der  Diffe- 
rentiation tyü  durch  i{x,y)y  (i{x,y)  zu  ersetzen  sind. 

Weiter  ergibt  sich  aus  (141)  nach  den  Regeln  für  die  Diffe- 
rentiation eines  bestimmten  Integrals  nach  den  Grenzen  und  nach 
einem  Parameter 

^  =  fF(<,a),  (144) 

t 

J^  =Ji^.<Pa  +  ^yta  +  %f,a  +  ^,^.a\  dt  "  SF(^,  «)  ^  , 


wobei  durchweg  von  der    Abkürzung    (83)    und    (83  a)    Gebrauch  ge- 
macht ist. 

Beachtet  man  jetzt,  daß 

und   wendet   auf   das   dritte    und  vierte  Glied  unter  dem  Integral  die 
Lagrange'sche  partielle  Integration  an,  so  kommt 


^)  Nach  Kneser,  Lehrbuch,  §§  14,  15,  20. 


§  31.    Das  Feld  und  das  Feldintegral.  255 


+ 

Nun  ist  aber 

da  die  Kurve  (Sg  eine  Extremale  ist.    Wenn  man  noch  beachtet,  daß 
wegen  (10) 

^{t,  a)  =  ^,(t,  a)  ^,,{t,  a)  -f  i^,{t,  a)  %,(t,  a) , 

so  erhält  man 

Wir  führen  die  Rechnung  zunächst  für  den-  schon  oben  erwähnten 
speziellen  Fall  weiter,  wo  die  Extremalen  der  Schar  (130)  alle  durch 
den  Punkt  P^  gehen  und  die  Kurve  ^^  auf  den  Punkt  P^  zusammen- 
schrumpft. Das  Feldintegral  ist  dann  einfach  das  Integral  J  vom 
Punkt  Po  nach  dem  Punkt  P3  entlang  der  Extremalen  ©3.  In  diesem 
Fall  gelten  für  die  Schar  (130)  die  Gleichungen  (81),  und  daher 
reduziert  sich  der  Ausdruck  für  du/ da  auf: 

1^  =  fF,.  (t,  a)  <p,  it,  a)  +  %.  {t,  a)  t^  {t,  a) .  (146) 

Allgemeiner  tritt  dieselbe  Vereinfachung  allemal  dann  (und  nur 
dann)  ein,  wenn  die  Funktion  ^  =  Xo  (P")  ^^^  Differentialgleichung 


+  %'(.i'', «)  {tAf, «)  +  fAf, »)  3  =  0 


genügt.     Da  nach  (140) 

so  läßt  sich  die  Bedingung  (147)  auch  schreiben 

JF,,  {f,  a)x^{a)  +  %,  {f,  a)  y,'  (a)  =  0 ,  (147  a) 
oder  auch  in  etwas  anderer  Bezeichnungsweise 

F^. {x,y,  x',  /) 5„'  ^FA^,y,  x',  y') %   '-0  (147 b) 


256  Fünftes  Kapitel.     Die  "Weierstraß'sche  Theorie. 

Die  Bedingung  (147  b)  drückt  aber,  wie  wir  bei  der  Bebandlung 
des  Problems  mit  variabeln  Endpunkten  sehen  werden,  für  den  Fall 
der  Parameterdarstellung  aus,  daß  die  Extremale  ©g  im  Punkt  P^ 
Yon  der  Kurve  ^^  transversal^)  geschnitten  wird;  ist  diese  Bedingung 
also  für  jeden  Punkt  der  Kurve  ^^  erfüllt,  was  eben  durch  das  Be- 
stehen der  Differentialgleichung  (147)  ausgedrückt  wird,  so  ist  die 
Kurve  ^o,  in  der  schon  früher  benutzten  Terminologie,^)  eine  Trans- 
versale der  Extremalenschar  (130). 

In  dem  speziellen  Fall  einer  Extremalenschar  durch  einen  festen 
Punkt  Pq  kann  der  Punkt  P^  als  eine  degenerierte  Transversale  be- 
trachtet werden,  da  alsdann    die    Bedingung  (147  a)    stets    erfüUt    ist. 

In  den  Ausdrücken  (144)  und  (146)  für  cii/ct,  du /da  hat  man 
nun  schließlich  t,  a  statt  #,  a  einzusetzen  und  die  erhaltenen  Werte 
in  (143)  einzuführen.  Macht  man  dabei  von  den  Gleichungen  (136) 
"Gebrauch,  so  erhält  man 

-     =  tr^.  (t,  a) ,        -— -  =  tr„,  (t,  a) , 

Erinnert  man  sich  jetzt  der  Identitäten  (134),  führt  die  durch  (137) 
definierten  Richtuugskosinus  ^,  g  ein  und  benutzt  die  Homogeneitäts- 
eigenschaft  (13)  der  Funktionen  F^,,  F^,,  so  erhält  man  den  Funda- 
mentalsatz :  ^) 

Wird  das  Feldintegral  W{x,  y)  von  einer  Transversalen  der  das 
Feld  bildenden  Extremalenschar  ans  gerechnet,  so  haben  die  partiellen 
Ableitungen  desselben  folgende  einfache   Werte: 

Tx  ^  ^^^' (^'  ^^  ^'^  ^) '         V  ^  '^y'^^'  ^^'  ^'^^^'  ^-^^^^ 

wobei  p  =  p{x,y),  g_  =  q{x,  y)  die  Bichtimgshosinus  der  positiven  Tan- 
gente der  durch  den  Punkt  {x,  y)  gehenden  Feldextremalen  im  Punkt  (Xy  y) 
hezeichnen. 

Wir  werden  die  Formeln  (148)  die  ,,Hamiltori sehen  Formeln^'' 
nennen,  da  sie  in  allgemeineren*)  zuerst  von  Hamilton  entdeckten 
Formeln  enthalten  sind. 

Es  wirft  sich  hier  die  Frage  auf,  ob  man  durch  den  Punkt  P^ 
stets    eine   Transversale    der   Schar   (130)    ziehen   kann,    d.  h.   ob   die 

')  Vgl.  §  7,  b)  und  §  36,  a).  ^  Vgl.  §  20,  a). 

^  In  dieser  Form  zuerst  von  Kneser  gegeben,  Lehrbuch,  pp.  47,  69.  Die 
Formeln  entsprechen  beim  a;- Problem  den  zuerst  von  Beltrami  gegebenen 
Formeln  (41)  des  dritten  Kapitels. 

*)  Ygl.  §  37,  b). 


§  31.    Das  Feld  und  das  Feldintegral.  257 

Differentialgleicliung  (147)  stets  ein  Integral:  t^  =  Xo((^)  der  Klasse  C 
besitzt,  welches  der  Anfangsbedingung  (138)  genügt.  Schreibt  man 
die  Diiferentialgleichung  (147)  in  der  nach  (10)  damit  äquivalenten 
Form 

^(t^,  a)  l'l  +  ^^,{t',  a)  cp,{t',  a)  +  ^^ß',  a)  t,{t',  a)  =  0 , 

so  erkennt  man  auf  Grund  des  Cauchy'schen  Existenztheorems,  daß 
ein  solches  Integral  stets  existiert,  wofern 

m,«o)  +  0.  (149) 

Wenn  die  Kurve  ^^  keine  Transversale  ist,  so  fallen  die  Formeln 
für  die  partiellen  Ableitungen  von  W(x,  y)  etwas  komplizierter  aus, 
da  jetzt  in  Grleichung  (145)  das  auf  t  =  t^  bezügliche  Glied  nicht 
verschwindet.  Dasselbe  ist  eine  eindeutige  Funktion  von  a;  das  un- 
bestimmte Integral^)  derselben  bezeichnen  wir  mit  ^(a),    so   daß  also 

Dann  hat  man  in  den  beiden  Formeln  (148)  rechts  noch  das  Zusatzglied 

-eWg^,     resp.     -?(a)g^ 
hinzuzufügen.     Setzt  man  daher 

so  lauten  die  Formeln  für  die  partiellen  Ableitungen  des  Feldintegrals, 
gerechnet  von  einer  beliebigen  Kurve  ^q  aus, 


d  W{x^  ==F  (x   u   t)   o)-  ^"^^-^^ 


(148  a) 


die   Funktion  g)(x,  y)    ist    im   Feld    eindeutig    definiert   und  von   der 
Klasse  C\ 

Aus  den  Formeln  (148),  resp.  (148a),  ergibt  sich  unmittelbar  das 
Hilberf  sehe  invariante  IntegraP)  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung : 
Zieht    man    nämlich    zwischen    zwei    beliebigen    Punkten    Pg,  P^    des 


1)  Vgl.  dazu  Knesek,  Lehrbuch,  §  20. 

*)  ^gl-  §  17,  a\  Einen  direkten  Beweis  des  ünabhängigkeitssatzes  für  den 
Fall  der  Parameterdarstellung,  der  sich  mehr  an  den  Gedankengang  von  Hilb er t's 
ursprünglichem  Beweis  anschließt,  gibt  Bliss,  Transactions  of  the  American 
Mathematical  Society,  Bd.  V  (1904),  p.  121. 

B  o  1  z  a ,  Variationsrechnung.  1 7 


258  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sclie  Theorie. 

Feldes  irgend  eine  ganz  in  cf  verlaufende  Kurve  iE,  so  ist  der  Wert 
des  Linienintegrals 

'^^  -J  \^Ä^^  y^  p^  ^)  ^^^  +  ^.'(^^  y^  ^^  ^)  ^2/] .        (150) 

genommen  entlang  der  Kurve  ^,  vom  Integrationsweg  unabhängig 
und  nur  von  der  Lage  der  beiden  Endpunkte  abhängig,  wofern  die 
Größen  p,  q  dieselbe  Bedeutung  haben  wie  in  den  Formeln  (148)  und 
(148  a).     Denn  aus  letzteren  folgt,  daß 

J^  ^fd  W{x,  y)  =  Wix„  y,)  -  W{x„  y,) ,  (151) 

falls  das  Feldintegral  von  einer  Transversalen  aus  gerechnet  wird,  und 

J*  =  W{x^,  y^  +  (o(x,,  y,)  -  TF(^3,  y,)  -  «(^3,  y,) 

für  den  Fall  einer  beliebigen  Kurve  ^q. 

Aus  (148a)  folgt  weiter,  daß  die  Funktionen  p{x,y\  q(x,tj)  der 
jyartiellen  Differentialgleichung 

ly  FA^,  y,P,  Q)  =  rx  ^/^'^  y'  ^>  ^)  (^^^> 

genügen,  entsprechend  der  partiellen  Differentialgleichung  (19)  von  §  17. 
Endlich  schließt  man^)  aus  (148)  und  (147a): 
Wird    das   Feldintegral    W{Xyy)    von    einer    Transversalen    aus 

gerechnet,  so  ist 

W(x,y)  =  konst. 

entlang  jeder  Transversalen  der  Extremalenschar  (130). 
Ist  nämlich^) 

^  =  ^(z(«)?  (^)  =  ^(«)>     y  =  ^(^(^)?  ^)  =  ^W 

eine    beliebige  Transversale    des  Feldes,    so    daß  also,   identisch  in  a^ 

x\a)^At,  a)  +  y{a)^At,  a),^=y.^^)  =  0, 
so  folgt  aus  (148),  daß 

'lw{x{a),y{a))  =  0, 

')  Vgl.  §  20,  a)  und  §  44,  b). 

*)  Vgl.    das    oben   über   die  Kurve  t^  gesagte,  insbesondere  die  Gleichung 
(147  a). 


§  32.    Der  Weierstraß'sclie  Fundamentalsatz. 


259 


Unter  derselben  Voraussetzung  erhält  man  die  partielle  Differen- 
tialgleichung^) für  die  Funktion  W(Xyy)  durch  Elimination  von  p^  q 
aus  den  beiden  Gleichungen  (148)  und  der  Gleichung: 


§  32.  Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz  und  die  hinreichenden 

Bedingungen. 

Wir  sind  jetzt  in  der  Lage,  den  Weierstraß'schen  Fundamental- 
satz^) über  die  Darstellung  der  totalen  Variation  AJ  durch  die 
8 -Funktion  auch  für  den  Fall  der  Parameter  dar  Stellung  zu  beweisen 
und   daraus   hinreichende  Bedingungen   für   ein  Extremum  abzuleiten. 

a)  Die  Weierstraß'sche  Konstruktion: 

Wir  wollen  uns  hier  zum  Beweis  des  Weierstraß'schen  Satzes 
der  sogenannten  „Weierstraß'schen  Konstruktion"^)  bedienen.  Zu 
diesem  Zweck  ziehen  wir  —  unter  Festhaltung  der  Voraussetzungen 
und   Bezeichnungen    des    vorigen  __ .  - 

Paragraphen    —   vom    Punkt  Pj  ^  -  ^  i 

nach   dem  Punkt  Po  irgend  eine 
Kurve  der  Klasse  C: 


welche  ganz   im   Feld  of  gelegen  ^l 
ist.    Dabei  nehmen  wir  der  Ein-  ^^^  ^^ 

fachheit  halber  die  Bogenlänge  s, 

gemessen    von     einem    festen    Punkt    der    Kurve    ^    als     Parameter. 
Durch   einen   beliebigen  Punkt  P^{x^,  y^)  von  S  geht  dann  eine 
und  nur  eine  Extremale  (S3  des  Feldes;  dieselbe  schneide  die  Kurve  ^q 
im  Punkt  P^  (vgl.  §  31,  b)). 


')  Vgl.  §  20,  b).  2)  Vgl.  §  17,  c). 

^)  Weierstkass  selbst  hat  die  nach  ihm  benannte  Konstruktion  zuerst  1879 
gegeben ,  und  zwar  für  die  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^ .  Dabei  er- 
geben sich  jedoch  gewisse  Schwierigkeiten,  da  man  es  mit  einem  „uneigentlichen" 
Feld  zu  tun  hat  (vgl.  p.  104,  Fußnote  ^)  und  §  33,  a).  um  dieselben  zu  vermeiden, 
hat  Zermelo  (Dissertation,  pp.  87,  88)  statt  dessen  die  Extremalenschar  durch 
einen  jenseits  von  P^  gelegenen  Punkt  P^  eingeführt.  Die  im  Text  gegebene 
Verallgemeinerung  auf  ein  beliebiges  Feld  rührt  von  Kneser  her  (Lehrbuch, 
§§  U,  17). 

17* 


260  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Wir  betrachten  nunmehr  das  Integral  J,  genommen  vom  Punkt  F^ 
entlang  der  Extremalen  (Sg  bis  zum  Punkt  Pg  und  vom  Punkt  Pg 
entlang  der  Kurve  ^  bis  zum  Punkt  Pg.  Der  Wert  dieses  Integrals 
ist  eine  eindeutige  Funktion  des  Parameters^)  s  des  Punktes  Pg  auf 
der  Kurve  ©,  die  wir  mit  S{s)  bezeichnen,  so  daß  also  in  der  schon 
mehrfach  benutzten  Bezeichnungsweise 

S{s)  =  J^  +  J,,,  (153) 

wobei   durch   Überstreichen   wieder  Integration   entlang   der  Kurve  % 
angedeutet  wird. 

Wir  lassen  jetzt  den  Punkt  Pg  die  Kurve  ^  von  P^  bis  Pg  durch- 
laufen. FäUt  Pg  mit  P^  zusammen,  so  fällt  ©g  mit  dem  Bogen  PqPi 
der  Extremalen  (SJ  zusammen  und  es  kommt 

Fällt    dagegen    der  Punkt  Pg   mit   dem  Punkt  Pg   zusammen,    so   er- 
halten wir^) 

^(^2)  =  «^02  =  ^01  +  ^12  • 

Also  ergibt  sich  für  die  totale  Variation 

A  J  =  J12  ~  ^12  =  J^~  J'^o 
der  Ausdruck 

AJ-=-[S(ä,)-S(s.)].  (154) 

Da  die  Funktion  S(s)y  wie  wir  sofort  sehen  werden,  im  Intervall 
[8^82]  eine  stetige  Ableitung  S\s)  besitzt,  so  können  wir  die  letzte 
Gleichung  auch  schreiben 

AJ=-J  S\s)ds.  (154a) 

Die  Berechnung  der  Ableitung  S\s)  bietet  nach  den  Resultaten 
von  §  31,  b)  keinerlei  Schwierigkeiten.  Denn  einerseits  ist  nach  der 
Definition  des  Feldintegrals 

also 

ds    ~  dx   ^  ^  cy   y  ' 


^)  Der  einfacheren  Schreibweise  halber  schreiben  wir  s  statt  5, . 

*)  Streng  genommen  ist  Sis^)  nicht  definiert,  und  die  obige  Gleichung  ist 
durch  einen  (leicht  ausführbaren)  Grenzübergang  zu  erschließen,  wobei  S{s^) 
durch  den  Grenzwert  S{s^  —  0)  definiert  wird. 


§  32.    Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz.  261 

also  nach  (148)^  wenn  wir  der  Einfachheit  halber  zunächst  annehmen, 
daß  die  Kurve  ^^  eine  Transversale^)  ist, 

~~d^  ^  ^^'^^3;  ys,  P37  ^3)  Ä  +  Fy'i^s,  2/3; i^3;  ^3)  f 3  , 
indem  wir  zur  Abkürzung 

Pz=p{^z,y^),      ^3  =  ^(^3;  2/3) 
^3=   ^'(5);        Q3-¥Xs) 

schreiben. 

Andererseits  ist 

J,i=fF(x{s),  y{s),x{s),  y\s))ds, 
also 

Indem  wir  die  beiden  Resultate  kombinieren,  und  uns  der  Definition 
(120)  der  8 -Funktion  erinnern,  erhalten  wir  daher ^) 

-dT  =  -  ^(^3;  2/3;  P3,  Qs'-,  Tz,  äz),  (löö) 

und  somit  nach  (154a) 

AJ=  J  ß{x^,  y^'^p^,  q^;ps,  q^)  ds .  (156) 

Ist    die  Kurve  ^^    keine  Transversale,    so  ist  nach  (148  a)    dem 
obigen  Ausdruck  für  dJ^^/ds  noch  das  Glied 

-d^''    -~dyy    ==~ds  ^'^^'hyis))  (157) 

hinzuzufügen.    Das  Integral  dieses  Zusatzgliedes  nach  s  zwischen  den 
Grenzen  s^  und  s^y  nämlich 

ist  aber  gleich  Null.    Denn  nach  der  Definition  der  Funktion  C3(x,  y)  ist 

^)  Dabei  soll  stets  der  Fall  mit  inbegriflfen  sein,  wo  die  Kurve  t^  in  den 
Punkt  P^  degeneriert. 

^)  Weikrstbass  beweist  dieses  Resultat,  indem  er  die  DifFerenzenquotienten 
S{s±h)  —  8{s)  , 
— — ZlT}, berechnet  und  dann  zur  Grenze  übergeht;   vgl.  Bolza,  Lectures, 

§  20,  b)  und  Hancock,  Lectures,  Art.  161. 


262  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

»(^i;  Vi)  =  S((^(^i;  ^l))  ;  »(^2;  2/2)  =  S(Ö(^2;  2/2))  . 

und  da  die  beiden  Punkte  Pj  und  Pg  auf  derselben  Extremalen  (a  =  a^ 
des  Feldes  liegen,  so  ist 

ö(^i?2/i)  =  «o;         0(^2, 2/2)  =  «0- 

Somit  gilt  die  Gleichung  (156)  auch,  wenn  ^^  keine  Transversale  ist. 

Dasselbe  Resultat  bleibt  auch  noch  bestehen,  wenn  die  Kurve  (£ 
eine  endliche  Anzahl  von  „EcJcen''  besitzt,  also  nach  unserer  Termi- 
nologie ^)  irgend  eine  „gewöhnliche  Kurve"  ist.  Denn  zunächst  folgt  aus 
den  expliziten  Ausdrücken^)  für  J^g  und  J.^^  nach  A  III  4  und  A  V  4, 
daß  die  Funktion  S(s)  auch  in  diesem  Fall  im  Intervall  [s^Sg]  stetig 
ist.  Ferner  behält  auch  die  Gleichung  (155)  —  eventuell  mit  dem 
Zusatzglied  (157)  —  ihre  Gültigkeit,  wofern  man  auf  beiden  Seiten 
die  Differentialquotienten  nach  s,  (zu  denen  auch  ^3,  q^  gehören),  durch 
die  vorderen,  resp.  hinteren  Deri vierten  ersetzt,  da  die  bei  der  Ab- 
leitung von  (155)  benutzten  Dilferentiationsregeln  auch  für  rechts- 
seitige und  linksseitige  Differentiation  gelten.  Hieraus  folgt  nach 
A  V  4  durch  Integration  die  Gleichung  (156). 

Wir  haben  somit  den  Weierstraß'schen  Fundamentalsats  für 
den  Fall  der  Parameterdarstellung  bewiesen: 

Wenn  der  Eodremalenbogen  ©^  sich  mit  einem  Feld  umgehen  läßt, 
so  läßt  sich  für  jede  ganz  im  Feld  gelegene,  die  leiden  PimMe  P^  und 
P2  verbindende  getvöhnlichc  Kurve  (^  die  totale  Variation 

durch  die  ß- Funktion  ausdrücken  in  der  Form 

AJ=J  S{x,y',p,rr:  p,q)ds.  (156) 

Dabei  ist  (x,  y)  ein  Funkt  der  Kurve  G;  ^,  q  sind  die  Richtungskosinus 
der  positiven  Tangente  der  Kurve  Ü  im  Punkt  {x,y),  und  p,  q  sind 
die  Ilichtungskosinus  der  positiven  Tangente  der  durch  den  Punkt  {x,  y) 
gehenden  Extremalen  des  Feldes  im  Punkt  (Xjy). 

Noch  einfacher  gestaltet  sich  der  Beweis  des  Weierstraß'schen 
Satzes   nach  HiLUEirr   mittels  des  invarianten  Integrals  (150).     Denn 


')  Vgl.  §  25,  a). 

^)  Wegen  der  Bedeutung  des  Integrals  Jj^  entlang  einer  Kurve  mit  Ecken 
vgl.  p.  197,  Fußnote  '^). 


§  32.    Der  Weierstraß'gche  Fundamentalsatz.  263 

da  nach   der  Definition   der  Funktionen  p{x,y),  q(x,  y)   entlang  der 
I         Extremalen  @o 

I  p  (^;  y)  =  -7-^-,—, ;      ^{^y  y)  == 


so   folgt   unter  Berücksichtigung   von  (10)  und  (13),    daß  entlang  ©^ 

FA^,y,p,(l)dx^Fy,{x,y,p,q)dy   • 

=  (^a:'(^^  y,oc  ,y)x  ^Fy.{x,y,x  ,y  )y)dt  =  F(a:,  y,  x  ,y)ät. 
Daher  ist 

woraus  sich  ganz  wie  in  §  17,  c)  eio  zweiter  Beweis  des  Weierstraß- 
schen  Satzes  ergibt. 

b)  Hinreichende  Bedingungen: 

Mit  Hilfe  des  Weierstraß'schen  Fundamentalsatzes  ist  es  nun 
leicht  zu  beweisen,  daß  die  vier  bisher  für  ein  starkes  Minimum  des 
Integrals  J  als  notwendig  erkannten  Bedingungen  —  von  gewissen 
Ausnahmefällen^)  abgesehen  —  zugleich  auch  hinreichend  sind. 

Der  bessern  Übersicht  halber  stellen  wir  noch  einmal  unsere 
sämtlichen  Voraussetzungen  zusammen: 

Von  der  Funktion  F{x,yjX,y)  wird  vorausgesetzt,^)  daß  sie  in 
dem  Bereich 

%:  {x,y)m6i,         x"^-\-y^=^0, 

von  der  Klasse  C"  ist  und  der  Homogeneitätsrelation  (9)  genügt. 


^)  Diese  Ausnahmefälle,   die  wir  zum  Teil  später  noch  betrachten  werden, 
sind: 

1.  @o  hat  mehrfache  Punkte  (vgl.  hierzu  jedoch  die  Fußnote  auf  p.  250^ 
oder  Ecken  (vgl.  §§  48—50),  oder  hat  Punkte  mit  der  Begrenzung  von 
01  gemein  (vgl.  §§  52,  53). 

2.  2<\  =  0  in  gewissen  Punkten  von  @^  . 

3.  *2  =  *i'  (vgl.  §  47). 

4.  8=0  in  Punkten  von  ©^  für  gewisse  Richtungen  p,  ^,  die  nicht  mit 
jp,  q  zusammenfallen. 

Streng  genommen  könnte  man  erst  dann  von  „notwendigen  und 
hinreichenden"    Bedingungen    sprechen,    wenn    auch    alle    diese   Aus- 
nahmefälle erledigt  wären. 
^)  Vgl.  §  25,  b;.. 


264  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraßsche  Theorie. 

Von  dem  Bogen 

wird  vorausgesetzt: 

1.  Der  Bogen  (Sq  ist  ein  Extremalenbogen  der  Klasse^)  C\  ohne 
mehrfache  Punkte,  welcher  vom  Punkt  P^  nach  dem  Punkt  Pg  geht 
und  ganz  im  Innern  des  Bereiches  Öl  liegt.  (!') 

2.  Es  ist 

F,{l{t),  y{t),  x\t),  y\t))>0  {IV) 

für:  \<Ct  <ih- 

3.  Der  Bogen  (S^  enthält  den  zu  P^  konjugierten  Punkt  P/  nicht: 

t,  <  t,\  (IIP) 

4   Es  ist 

ß{x{t),  y{t) ;  x{t),  y'{t)',  cos  6,  sin  8)  >  0  (IV) 

für:  t^^t<:^t2  und  für  jede  Richtung  Ö,  welche  von  der  Richtung 
der  positiven  Tangente  an  ^^  im  Punkt  t  verschieden  ist. 

Es  soll  gezeigt  werden,  daß  unter  diesen  Voraussetzungen  der 
Bogen  (Eq  wirklich  ein  starkes  Minimum  für  das  Integral 

J=J  F{x,y,x,y)dt 

in  dem  in  §  25,  d)  definierten  Sinn  liefert. 

Aus  den  Voraussetzungen  (P),  (IP),  (IIP)  folgt  zunächst,  daß  der 
Bogen  (So  mit  einem  Feld  o^^^^  umgeben  werden  kann.  Denn  wählt 
man  einen  Punkt  Po(^oJ  ^^^  ^^^  Fortsetzung  von  ©^  über  den  Punkt  P^ 
hinaus  hinreichend  nahe  bei  Pj,  so  besitzt  die  Extremalenschar  durch 
den  Punkt  Pq: 

x  =  (p{t,a),         y  =  ^{t,a) 

die  in  §  27,  d)  angegebenen  Eigenschaften,  die  zugehörige  Funktional- 
determinante A(f,  «o)  =  c@(^,  ^o)  genügt  nach  §  29,  b)  der  Jacobi- 
schen Differentialgleichung  (102)  und  verschwindet  für  ^  =  ^o-  ^^^ 
der  Bedingung  (IIP)  folgt  dann  mittels  des  Sturm'schen  Satzes 
genau  wie  in  §  12,  aj,  daß 

A(^,  «0)4=0     für     t^<:t^t^, 

falls  der  Punkt  Pq  hinreichend  nahe  bei  P^  angenommen  wird.  Hier- 
aus folgt  aber  nach  §  31,  a),  daß  die  Extremalenschar  durch  den 
Punkt  Po  in  der  Tat  ein  Feld  c^  j^  um  den  Bogen  (Bq  liefert. 


^)  Hieraus  zusammen  mit  '^11')  folgt,  daß  (i^,  allemal  von  der  Klasse  C"  ist» 
vgl.  §  27,  a). 


§  32.    Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz.  265 

Ziehen  wir  jetzt  im  Innern  dieses  Feldes  irgend  eine,  von  (Sq 
verschiedene,  ,,gewöhnliche"  Kurve  ^  von  P^  nach  P^,  so  gilt  für  die 
vollständige  Variation:  AJ=J^  —  J^  der  Weierstraß^sche  Satz 
(156). 

Es  bleibt  also  nur  noch  zu  zeigen,  daß  aus  den  gemachten  Voraus- 
setzungen weiter  folgt,  daß  der  Integrand  von  (156)  nie  negativ  sein 
kann,  vorausgesetzt,  daß  die  die  Ausdehnung   des  Feldes  ol^  ;;.  bestim- 
menden Größen  h,  Je  hinreichend  klein  gewählt  worden  sind. 
i  Zu  diesem  Zweck  führen  wir  mit  Zermelo^)  neben  der  8-Funktion 

eine  Funktion  8j^  ein  durch  folgende  Definition: 

^p-T^fi"-     wennl-(^^  +  ,^)  +  0,  (158) 

[F^(x,y,p,q),  wenn  1  -  {pp  +  qq)  =  0 ,     d.h.  p=-p,  q  =  q', 

wobei  ^,  g;  j},  g  durch  (122)  definiert  sind. 

Die  Funktion  8^  ist  dann  nach  (125)  und  (126;  eine  stetige 
Funktion  ihrer  sechs  Argumente  in  dem  durch  die  Bedingungen 

(x,  y)    in    Öl ,         ^2  +  g^  =  1 ,         p^ -[.  ~q^  ^  l 

charakterisierten  Bereich. 

Jetzt  sei  (rc,  y)  irgend  ein  Punkt  des  Feldes  cf)^  j^j  und  (^,  d)  der 
entsprechende  Punkt  der  ^,  a- Ebene;  ferner  seien  ^ (rr,  y)  und  q(x,y) 
wieder  die  Richtungskosinus  der  positiven  Tangente  der  durch  den 
Punkt  (x,  y)  gehenden  Extremalen  des  Feldes,  und  0  sei  die  Amplitude 
einer  beliebigen  Richtung.     Dann  ist  nach  (137)  und  (121) 

^1  {^yViP  (^^  y),  <1  (^?  2/);  cos  Ö,  sin  0) 

=  ß^((p(t,  a),  ^(^,  (x);  (p^{t^  (7),  i^/t,  a)]  cos  9,  sin  6) 

und  die  auf  der  rechten  Seite  stehende  Funktion  der  unabhängigen 
Variabein  t,  a,  0  ist  nach  dem  Satz  über  zusammengesetzte  Funktionen 
stetig  in  dem  Bereich 

t^—h^t^t^+h,       \a  —  a^l^h,      —  oo  <  ö  <  -f-  oo .     (159) 

Sie  ist  ferner  nach  unseren  Voraussetzungen  (IV^)  und  (IP)  positiv  in 


^)  Dissertation,  p.  60.    Es  ist  für  den  folgenden  Schluß  nötig  die  Funktion  8^ 
einzuführen,  weil  die  §- Funktion  für  6  =  6  verschwindet. 


266  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

der  ganz  im  Innern  dieses  Bereiclies  gelegenen^  beschränkten,  ab- 
geschlossenen ^)  Punktmenge 

also  lassen  sich  nach  dem  erweiterten  Vorzeichensatz  (§21,  b))  die 
beiden  positiven  Größen  h  und  k  so  klein  annehmen,  daß  die  be- 
trachtete Funktion  von  t,  a,  0  auch  noch  positiv  ist  in  dem  ganzen 
Bereich  (159),  wobei  man  noch  von  der  Periodizität  in  Beziehung  auf 
6  Gebrauch  zu  machen  hat.  Daraus  folgt  aber  nach  (158):  Wenn 
die  beiden  Größen  h  und  k  hinreichend  klein  gewählt  worden  sind, 
und  die  Kurve  S  ganz  im  Bereich  (^\  f.  liegt,  so  ist  der  Integrand 
von  (156)  positiv  in  allen  Punkten  der  Kurve  ß,  in  welchen  die 
Richtung  p,  q  nicht  mit  der  Richtung  p,  q  zusammenfällt,  dagegen 
gleich  Null,  wo  diese  beiden  Richtungen  zusammenfallen.  Es  ist  also 
AJ>  0,  außer  wenn  p  =  p,  q  ^  q  entlang  der  ganzen  Kurve  (i , 
in  welchem  Fall  AJ  =  0  ist. 

Der  letztere  Fall  kann  aber  nicht  eintreten,  wenn,  wie  wir  voraus- 
gesetzt haben,  die  Kurve  ^  von  @q  verschieden  ist. 

Denn^)  nach  (134)   ist  in  jedem  Punkt  (^,  y)  von  ©: 

(p{i(x,y),  a{x,y))  =x,        t{t{x,y),  aix,y))  =  y,       (160) 
Diiferentiieren  wir  diese  Identität  nach  s  so  kommt: 


dt    ,  da 

,    dt    .     ,     da 


(161) 


Wäre  nun  p  =p^  ^  =  ^  entlang  der  ganzen  Kurve  S,  so  würde 
folgen 

x=m(p^,         y=inti, 

wo  m  eine  Funktion  von  s  ist,  welche  in  [«iSgl   beständig  positiv  ist, 
während  die  Argumente   von  (Pi,ti  wieder  t{x,y)j  a{x,y)  sind. 


^)  Bei  der  entsprechenden  Untersuchung  beim  jj- Problem  hat  man  es,  bei 
der  von  uns  gewählten  Formulierung  der  Aufgabe,  mit  einem  Bereich  zu  tun, 

der   nicht   abgeschlossen   ist   (da   dort   die  Richtungen  Ö  =  +  --  ausgeschlossen 

sind).     Dies  ist  der  Grund,  weshalb   beim  a;- Problem  die  den  Bedingungen  (P) 
bis  (IV)  entsprechenden  Bedingungen  nicht  hinreichend  sind.   (Vgl.  §  18,  c)  u.  §  19). 
-)  Beweis  nach  Kneser,  Lehrbuch,  p.  80. 


§  32.    Der  Weierstraß'sche  FundameDtalsatz.  267 

Die  Gleichungen  (161)  lassen  sich  also  schreiben: 

/dt  \    .         da        .. 

Nun  gehören  aber  nach  (135)  die  Argumente  t(xyy),  a(x,y) 
von  (pty  ^ay'^tj'^a  ^^^  Kcchteck  €Lj^j.  an  (vgl.  §  31,  a)),  also  ist  nach 
(133)  die  Determinante  dieses  linearen  Systems  von  Null  verschieden^ 

also : 

di  da        r. 

=  m,  ,    =0. 

ds  '  ds 

Aus  der  zweiten  Gleichung  folgt,  daß  die  Funktion  a(x,y)  ent- 
lang der  Kurve  S  konstant  ist,  und  da  im  Punkt  P^ :  (i(Xiy  y^)  =  a^ , 
so  ist  a(x,y)  =  aQ  entlang  S.  Dagegen  sagt  die  erste  Gleichung 
aus,  daß  die  Funktion  i(x,  y)  gleichzeitig  mit  s  wächst.  Daraus  folgt 
aher  nach  (160),  daß  die  Kurve  ®  mit  (5q  identisch  ^)  sein  müßte,  da 
ihre  Gleichungen  aus  denen  von  ©^  durch  eine  zulässige  Parameter- 
transformation hervorgehen. 

Somit  ist  A«7>0,  und  wir  haben  das  folgende  zuerst  von 
Weierstrass  (1879)  bewiesene  Endresultat  gewonnen: 

Wenn  der  Exfremalenhogen  @o  die  Bedingungen  (V),  (11'),  (IIP), 
(IV)  erfüllt,  so  liefert  er  stets  ein  starl^es  eigentliches  Minimum  für 
das  Integral 

J=jF{x,y,x,ij')dt. 

Zusatz  I:  Die  Bedingung  (IIP)  kann  auch  hier  durch  die  Be- 
dingung ersetzt  werden,  daß  sich  der  Bogen  (S^  mit  einem  Feld  um- 
gehen läßt. 

Zusatz  II:  Wenn  die  Bedingung 

jPj  (Xj  y,  cos  y,  sin  y)  >  0  (Il'a) 

in  jedem  Punkt  (x,  y)  von  @o  nnd  für  jeden   Wert  von  y  erfüllt  ist, 
so  sind  (IP)  und  (IV)  a  fortiori  erfüllt,  letztere  wegen  (125). 


^)  Wir  haben  stillschweigend  vorausgesetzt,  daß  die  Kurve  G  keine  Ecken 
besitzt;  andernfalls  hat  man  in  den  Ecken  die  Diiferentialquotienten  durch  die 
vorderen  (resp.  hinteren)  Derivierten  zu  ersetzen.  Das  Resultat  bleibt  aber  das- 
selbe; denn  auch  dann  hat  die  Funktion  a(x^y)  entlang  der  ganzen  Kurve  1, 
denselben  konstanten  Wert,  da  sie  stetig  ist. 


268  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Für  ein  im  Bereich  Öl  reguläres^)  Problem  ist  daher  die  Be- 
dingung (11^)  stets  a  fortiori  erfüllt. 

Beispiel')  XIII:  

Hier  ist 

^i(^,  2/;  P,  ^;  ^,  ^)  =  <^l^i  ?/)•' 

daher  ist  die  Bedingung  (IV')  erfüllt,  wenn 

G{x,y)>0 
entlang  @o- 

Dies  zeigt,  daß  beim  Problem  der  Brachistochrone  ein  Bogen  P^  Pg  der 
Zykloide  (108)  wirklich  ein  Minimum  liefert,  wenn  er  keine  Spitze  enthält 
(vgl.  p.  209,  Fußuote  ^)  und  p.  235). 

Beispiel  XVI:  Die  geodätischen  Linien.     (Siehe  pp.  209,  228,  240,  248). 

Hier  war 

'       (j/E u'^'+  2  ¥u'v'  +  G  v^'Y 

Unter  den  Annahmen,  die  wir  auf  p.  209  über  die  Natur  des  Flächenstückes 
SnX  gemacht  haben,  auf  welches  die  geodätischen  Linien  zu  beschränken  sind, 
ist  das  Problem  ein  reguläres  Problem.  Ein  Bogen  Q^  Q^  einer  geodätischen 
Linie,  welcher  keine  mehrfachen  Punkte  und  keine  Jacken  besitzt,  und  ganz  im 
Innern  des  Flächen  Stückes  STl  liegt,  liefert  also  allemal  wirklich  ein  Minimum, 
wenn  er  den  zu  Q^  konjugierten  Punkt  ^/  nicht  enthält. 

c)  Nachtrag:  Die  Bliss'sche  Modifikation  des  Weierstraß'schen 
Problems. 

In  einer  während  der  Drucklegung  des  gegenwärtigen  Kapitels  erschienenen 

Arbeit  „J.  new  form  of  the  simplest  proUem  of  the  calculus  of  variations"-,  Trans- 

actions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.VIII  (1907),  p.  405,  hat 

Boss    das  in  diesem    Kapitel  behandelte  Weierstraß'sche    Problem  in   einer 

modifizierten  Form  diskutiert,  über  die  hier  noch  kurz  referiert  werden  soll. 

Haben    die    Buchstaben  6    und    s    dieselbe  Bedeutung    wie    in   §  25,  a)  und 

setzt  man 

F{x,y,  COS0,  sinö)  =  f^(;r,2/,ö),  (162) 

so  läßt  sich  wegen  (9)  das  Integral  r' 

J^JF{x,y,x\y')dt 
h 

J=J*^{x,y,e)ds.  (163) 


auch  schreiben 


1)  Vgl.  p.  214. 

*;  Wegen  mechanischer  und  optischer  Interpretationen  dieser  Aufgabe  siehe 
die   tjhuyigsauf gaben  Nr.  9  und  18  am  Ende  dieses  Kapitels. 


§  32.    Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz. 


269 


Bliss  stellt  sich  nun  die  Aufgabe,  das  Integral  J  in  dieser  Form  zu  einem 
Extremum  zu  machen,  wobei  er  noch  die  Verallgemeinerung  eintreten  läßt,  daß 
die  Funktion  ^  in  0  nicht  periodisch  mit  der  Periode  27r  zu  sein  braucht. 

Ersetzt  man,  wie  in  §  26,  die  Funktionen  £C ,  y  durch  x  =  x  -\-  s^^  y  =  y  -\-  sj], 
wobei  ö  in  ö  übergehen  möge,  so  findet  man  durch  Differentiation  der  Gleichungen 


cos  6 


nach  8,  daß 


Yx'  +  f 


sin  d 


y 


Vx^  + 


~^7T\ 


dy 


dB 


-,  dx 


Hiernach  läßt  sich  dann  die  erste  und  zweite  Variation  des  Integrals  (163) 
berechnen.     Setzt  man 


It)  =  i  sin  ö  —  7]  cos  0 


■\/x^  +  y 


-2A? 


X  =  15^  sin  Ö  -  ^y  cos  ö  +  g^  ^  cos  0  +  f^^  g  sin  6 
g,  =  S^  sin  0-51^  cos  0-f^,(^)', 
so  erhält  man  im  Fall  fester  Endpunkte 


.    dd_ 

^'  ds 


(164) 


dJ 


,>2 


%ds, 


.v=.'/[g,„.  +  g.Q]... 


(165) 


Daraus  ergibt  sich  dann  unmittelbar  die  Euler'sche  Differentialgleichung, 
die  Legendre'sche  und  die  Jacobi'sche  Bedingung  für  das  Integral  (163). 
Man  kann  diese  Resultate  auch  aus  den  Weierstraß'schen  Formeln  ableiten, 
indem  man  von  den  Relationen  zwischen  den  partiellen  Ableitungen  der  Funktionen 
F  und  %  Gebrauch  macht,  die  man  durch  Differentiation  der  Identität  (162) 
nach  X,  y,  0  erhält.     Es  ergeben  sich  dabei  folgende  Beziehungen: 

F,  {X,  y,  x\  y)  {i^^^^J^y'-^^y  =.  %,{x,y,&), 

T{x,  y,  x\  y\  x'\  y")  ==  %\x,  y,  0,  —j, 
^{x,y;  X,  y;  x\  y) 


:  %(x,  y,  6)  -  %{x,  y,  0)  cos  (0  -0)        > 
-f50(^,2/,ö)sin(0~-0) 


(166) 


270  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Der  Vorteil  der  Bliss'schen  Formeln  besteht  darin,  daß  in  ihnen  nur 
Größen  vorkommen,  welche  bei  einer  Parametertransformation  invariant  bleiben. 
Auch  ist  die  Funktion  g^  einfacher  als  die  Weierstraß'sche  Funktion  F^. 

§  33.     Existenz  eines  Minimums  „im  Kleinen". 

Sind  zwei  Punkte  Pj,  Pg  gegeben,  so  ist  es  im  allgemeinen  nicht 
möglieh,  a  priori  zu  entscheiden,  ob  dieselben  durch  eine  Extremale 
verbunden  werden  können;  es  bedarf  dazu  in  jedem  einzelnen  Fall 
einer  besonderen  Untersuchung.  Wenn  jedoch  die  beiden  Punkte 
hinreichend  nahe  beieinander  liegen,  so  kann  man  sie  unter 
gewissen  Voraussetzungen  über  die  Funktion  F  stets  durch  eine  Ex- 
tremale verbinden,  und  zwar  eine  solche,  welche  tatsächlich  ein  Ex- 
tremum  für  das  Integral  J  liefert. 

Dieser  Satz^),  der  nicht  nur  an  sich,  sondern  auch  wegen  seiner 
zahlreichen  Anwendungen  von  Wichtigkeit  ist,  soll  den  Gegenstand 
des  gegenwärtigen   Paragraphen  bilden. 

a)  Konstruktion  eines  Feldes  um  einen  Punkt: 
Wir  beweisen  zunächst  den  folgenden 

Satz  I:  Es  sei  F-^{x^yy^  ein  Tunkt  im  Innern  des  Bereiches  ^, 
für  welchen  die  Bedingung 

Fl  (^1,  Vi,  cos  y,  sin  y)  +  0  (167) 

für  jedes  y  erfüllt  ist.  Alsdann  lassen  sich  zwei  positive  Größen  l  und 
R  angehen,  dera/rt  daß  sich  vom  Punkt  P^  nach  jedem  von  Pj  ver- 
schiedenen Punkt  Pg  im  Innern  des  Kreises  mit  dem  Radius  R  um 
den  Punkt  P^  eine  und  nur  eine  ExtreynaW^)  ziehen  läßt,  deren  Länge 
kleiner  als  l  ist. 

Dieselbe  besitzt  keine  Doppelpunkte  und  ist  ganz  in  dem  Kreis  mit 
dem  Radius  |  Pi  P2 1  um  den  Punkt  P^  enthalten. 

Beweis:  Aus  den  gemachten  Annahmen  folgt  zunächst  nach  §  27,  a),  daß 
vom  Punkt  Pj  nach  jeder  Richtung  eine  und  nur  eine  Extremale  gezogen  werden 
kann.  Die  Extremale  @„,  deren  positive  Tangente  im  Punkt  P^  mit  der  posi- 
tiven a;- Achse  den  Winkel  a  bildet,  schreiben  wir  in  der  Normalform  (73) 
von  §  27: 


^)  Der  Satz  rührt  von  Weierstrass  her,  der  jedoch  nur  einige  Andeutungen 
eines  Beweises  gegeben  hat.  Einen  detaillierten  Beweis  hat  zuerst  Bliss  ge- 
geben, Transactions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  V 
(1904),  p.  113.  Caratheodory  hat  kürzlich  den  Satz  auf  gebrochene  Extremalen 
ausgedehnt,  indem  er  die  Voraussetzung  (107)  durch  eine  schwächere  Voraus- 
setzung ersetzt,  vgl.  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  481. 

^}  Es  ist  hier  ausschließlich  von  Extremalen  der  Klasse  C  die  Rede. 


33.    Existenz  eines  Minimums  „im  Kleinen*'. 


271 


2/  =  D(i;a;i,2/i,a)  =  t(^, 


,  (168) 

U)J'  ^       ^ 

wobei  t  wieder  die  Bogenlänge,  gemessen  vom  Punkt  P^  an,  bedeutet,  so  daß  also 


9'.'  +  ^^'  =  l-  (169) 

Nach  §  23,  a)  Zusatz  ^)  läßt  sich  dann  eine  positive,  von  a  unabhängige 
Größe  h  angeben,  derart  daß  das  Reguläritätsintervall  der  Extremalen  @^ 
mindestens  das  Intervall  \t\^h  umfaßt,  und  aus  den  Eigenschaften  der  Funk- 
tionen^) 3£,  ^  folgt  zugleich,  daß  die  Funktionen 


(170) 


171^ 


(172) 


^,     9p     ^tr     ^'     ■^p     '^tt 
im  Bereich 

0^\t\^Ji,         0^a^27t 

von  der  Klasse  C  sind,  und  daß  sie  den  Anfangsbedingungen 

(p{0,a)  =  x,,         if)(0,  a)  =  t/i,     1 
g)^(0,  a)  =  cos«,    ipf{0,  a)  =  sma\ 

genügen,  aus  denen  durch  DitFerentiation  nach  a  folgt: 

(3P^(0,«)==0,  i|;jO,a)^0,       1 

•^^(0,  «)  =  — sin«,     i|)^^(0,  a)  =  cosa.J 

Endlich   sind  die  Funktionen  qp,  i|;   in  Beziehung   auf  die  Variable  a  periodisch 
mit  der  Periode  27r. 

Es  handelt  sich  um  die  Auflösung 
der  Gleichungen  (168)  nach  t  und  a.  Statt 
die  Aufgabe  direkt  in  Angriff  zu  nehmen, 
wobei  sich  wegen  des  Verschwindens  der 
Funktionaldeterminante  A  (f ,  a)  für  t=0 
Schwierigkeiten  ergeben,  führen  wir  an 
Stelle  der  rechtwinkligen  Koordinaten  aj,  y 
Polarkoordinaten  r,  co  ein  mit  dem  Pol  P^ 
und  der  positiven  ;:i^-Richtung  als  Achse. 
Alsdann  ist  bei  geeigneter  Normierung  ^)  des 
Winkels  w 


Mg.   41. 


^)  Die  dort  mit  €1^  bezeichnete  Punktmenge  ist  hier  die  durch  die  Be- 
dingungen 

i  =  o,    x  —  x^,    y  =  y^,    0<ö^27r 

charakterisierte  Menge  im  Raum  der  Variabein  t,  x,  y,  0.  Dieselbe  liegt  nach 
den  gemachten  Voraussetzungen  im  Innern  des  Stetigkeitsbereiches  der  Diffe- 
rentialgleichungen (43),  vgl.  §  27,  a). 

'-)  Vgl.  §  27,  b). 

=')  Die  hier  gewählte  Darstellung  (173^)  für  den  Winkel  w,  die  man  leicht 
durch  Differentiation  nach  t  verifiziert,  hat  im  Gegensatz  zu  den  Darstellungen 
durch  inverse  trigonometrische  Funktionen  den  Vorteil,  eindeutig  und  stetig  zu  sein. 


272  Fünftes  Kapitel.     Die  Weietstraß'sche  Theorie. 


t 
(o  ==  a  -\-  l  — 


(173) 


Es  läßt  sich  nun  stets  eine  positive,  von  a  unabhängige  Größe  k  <  h  angeben  ^), 
80  daß  r>0  für  0<i<Ä'.  Alsdann  sind  die  Funktionen  r{t,a)  und  «(*,«) 
von  der  Klasse^)  C  in  dem  Bereich 

O^t^k,        0^a^27r.  (174) 

Ferner  ist 

r^(0,  a)  =  l,         r„(0,  a)  =  0,        r(f,  a  +  27r)  =  r(i,  a) ,  (175) 

(a(0,a)  =  a,        (ö„(0,a)  =  l,       (o(i,  a  +  2??)  =  «(t,  a)  +  27r .  (176) 

Hieraus  ergibt  sich  für  die  Funktionaldeterminante 

V  ^r, «)  = 
der  Anfangswert 


^(*'"^=a(*,.) 


V(0,a)  =  l.  (177) 

Nunmehr  kann  man  auf  die  Gleichungen  (173)  den  Satz  von  §  31,  a)  an- 
wenden, wobei  den  dort  mit  t,  a,  a^  bezeichneten  Größen  der  Reihe  nach  die 
Größen  a,  t,  0  entsprechen  und  erhält  das  Resultat,  daß  man  k  so  klein  wählen 
kann,  daß  die  Gleichungen  (173)  eine  ein-eindeutige  Beziehung  zwischen  dem 
Bereich  (174)  und  dessen  Bild  in  der  r,  co  Ebene  definieren,  woraus  sich  der 
<>ben    ausgesprochene    Satz     durch    Übertragung   auf    die    x,  i/- Ebene    ergibt. 

Statt    dessen    kann    man    auch  folgendermaßen  schüren  ^):  Nach  §  21,  b) 

folgt  aus  (175)  und  (177),  daß  sich  eine  positive  Größe  Z  <  ä;    so    klein    wählen 

läßt,  daß 

r^>0,         V>0  (179) 

für  

0<«<Z,         — oo<a<-|-(X). 

^)  Durch  Anwendung  des  Taylor'schen  Satzes  erhält  man 


r  =  tycp^HQ't,a)^^,\e"t,a)\         0<Ö'<1,     0  < ö"  <  1 .        (178; 
Man  wende  nunmehr  den   Satz   von  §  21,  b)   auf  die  Funktion 

an. 

2)  Der  Wert  i  =  0  verursacht  einige  Schwierigkeiten;  man  wende  den 
Taylor'schen  Satz  an  und  benutze  die  Gleichungen  (109),  (171)  und  (172). 
Wesentlich  einfacher  gestaltet  sich  der  Beweis,  wenn  cp{t,  a),  ^{t,  a)  regulär  sind. 

8)  Nach  Bliss,  Bulletin  of  the  American  Mathematical  Society, 
Bd.  Xin  (1907),  p.  321;  der  geometrische  Grundgedanke  des  Beweises  kommt 
übrigens  schon  bei  Weierstrass  vor. 


§  33.    Existenz  eines  Minimams  „im  Kleinen' 


273 


Es  sei  jetzt  ^das  Minimum  der  stetigen,  stets  positiven  Funktion  r(l,a) 
im  Intervall  0  <  a  <  2  :/r  und  P^  ein  von  P^  verschiedener  Punkt  im  Innern  des 
Kreises^)  {P^,  B).  Wir  konstruieren  den  durch  P^  gehenden  Kreis  mit  dem 
Mittelpunkt   P,   und    bezeichnen  mit  r«  seinen  Radius,    so  daß 


0<r2<E. 

Alsdann  sehneidet  jede  Extremale  ©^  der  Schar  (168),  deren  Länge  kleiner  ist 
als  l,  den  Kreis  (P^,  r^)  in  einem  und  nur  einem  Punkt  Pg.  Denn  lassen  wir 
t  von  0  bis  l  wachsen,  so  wächst  die  Funktion  r{t,  a)  wegen  (179)  beständig 
von  0  bis  r{l,  a),  sie  muß  also  für  einen  Wert  von  t  zwischen  0  und  /,  den  wir 
mit  t{r^,  a)  bezeichnen,  den  Wert  r^  annehmen.  Aus  der  Periodizität  von  r{t,  a) 
folgt,  daß  auch  die  inverse  Funktion  t{r,  a)  in  a  periodisch  ist  mit  der 
Periode  2  7t. 

Lassen  ivir  jetzt  a  von  0  bis  1%  ivaehsen,  so  beschreibt  der  Punkt  Pg  den 
Kreis  (P^,  r^)  genau  einmal;  er  muß  also  durch  jeden  Punkt  des  Kreises,  also 
auch  durch  P^,  gerade  einmal  hindurchgehen. 

Denn  die  Amplitude  des  Vektors  P^  Pg  ist  bei  passender  Normierung  ge- 
geben durch 

(o(t{r^,  a),  a)  =  ü(r2,a). 

Nun  ist  aber 


da 


+  «a  = 


Fig.  42. 


und     dies     ist    nach    (179)     positiv,     da 
t(r^,  a)  <<  l. 

Lassen  wir  also  a  von  0  bis  2^ 
wachsen,  so  wächst  ß(rg,a)  beständig 
von  ß(n,  0)  bis  a{i\,  27t).  Aus  Gleichung 
(176)  und  aus  der  Periodizität  von  t{r,  a) 
folgt  aber 

P.[r„  27t)  =  Sl{r„  0)  +  27t, 

womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

Somit    geht    in    der  Tat    durch    jeden 
(Pi,  P)    eine   und   nur   eine  Extremale  ©jg,  deren  Länge  kleiner  ist  als  l 
der  Ungleichung  r^>0    folgt   noch  weiter,   daß  diese  „kürzeste  Extremale"  (£j, 
ganz    in    dem  Kreis    um  P,  mit   dem  Radius    |  Pj  P2  |    gelegen  ist,  und  daß  sie 
keine  Doppelpunkte  besitzt. 

Die    durch    Auflösung    der  Gleichungen  (173),   resp.  (168)  sich  ergebenden 
inversen  Funktionen  t,  a  sind  nach  dem  Satz  über  implizite  Funktionen  von  der 


Punkt   Pg    im    Innern    des    Kreises 

Aus 


^)  Allgemein  soll  nach  dem  Vorgang  von  Harkness  und  Mokley  unter  der 
Bezeichnung  (Ä,  r)  der  Kreis  mit  dem  Mittelpunkt  Ä  und  dem  Radius  r  ver- 
standen werden. 


B  o  1  z  a ,  Variationsrechnung . 


18 


274  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Klasse  C,  zunächst  als  Funktionen  von  i\  a  im  Bereich 

0<r<J?,         ß(r,  O)^co<ß(r,  0)  +  27t, 

und  weiterhin  auch  als  Funktionen  von  x,  y  in  allen  Punkten  der  entlang  der 
Extremalen  a  =  0   aufgeschnittenen  Kreisfläche :   0  <  (o;  —  x^Y  +  (2/  —  2/i)^  <  ^^*' 

In  gegenüberliegenden  Punkten  des  Schnittes  hat  die  inverse  Funktion 
cl{x,  y)  die  Werte  0  und  2  7r;  daher  sind  die  Funktionen  i{x,  y\  p{x,  y)  =  (jp,(t,  a), 
g(ic,  1/)  =  i^^(t,  a)  von  der  Klasse  C  in  der  unaufgeschnittenen  Kreisfläche  mit 
Ausschluß  des  Mittelpunktes  F^.  Im  Punkt  F^  bleibt  i{x,  y)  stetig  und  hat 
dort  den  Wert  Null,  während  p{x,  y)  und  q{x,  y)  unbestimmt  werden.  Nähert 
sich  aber  der  Punkt  {x,  y)  längs  einer  Kurve  ©  der  Klasse  C  dem  Punkt  P^, 
so  nähern  sich  i){x,  y),  q{x,  y)  den  Richtungskosinus  der  positiven  Tangente  an 
die  Kurve  ©  im  Punkt  P^.  Letzteres  folgt  daraus,  daß  nach  (ITS^)  die  Funktion 
«(<,«)  für  t  =  0  gegen  «  konvergiert  und  zwar  gleichmäßig  in  Beziehung 
auf  a. 

Wir  werden  im  Anschluß  an  unsere  frühere  Terminologie  sagen^ 
die  Kreisfläche  (P^,  R)  bilde  ein  (uneigenüiches)  Feld  von  Extremalen 
um  den  PunM  P^. 

Man  beweist  1)  dann  weiter  mittels  der  Weierstraß'schen  Kon- 
struktion den 

Sats  II:  Ist  Q^R,  liegt  der  Kreis  (Pj,  q)  ganz  im  Innern  des 
Bereiches  61  imd  ist 

F,{x,  y,  cos  y,  sin  >^)  >  0         (<  0)  (180) 

für  jedes  x,  y  in  (P^,  q)  und  für  jedes  y,  so  liefert  die  Mrzeste  Extremale 
@i2  f^'on  Pi  nach  einem  im  Innern  von  {P^,  q)  gelegenen  Punlt  P^  für 
das  Integral  J  einen  Heineren^)  (größeren)  Wert  als  jede  andere 
gewöhnliche  Kurve  d,  welche  im  Innern  des  Kreises  (I\,  q)  von  P^ 
nach  Pg  gezogen  teer  den  l'ann. 

Aus  §  21,  b)  folgt  übrigens,  daß  sich  q  stets  diesen  Bedingungen 
gemäß  wählen  läßt,  sobald  die  Voraussetzungen  von  Satz  I  erfüllt  sind. 

Läßt  man  in  den  Gleichungen  (168)  die  Variable  t  von  t--=  —  h  bis  zum 
Wert  0  wachsen,  so  stellen  die  Gleichungen  einen  im  Punkt  P^  endigenden 
Bogen  der  Extremalen  ©,,  dar.  Definiert  man  nun  die  Funktion  r(t,  a)  für  nega- 
tive Werte  von  /  durch 


1)  Vgl.  §  32.  Der  Punkt  P^  verursacht  dabei  einige  Schwierigkeiten,  dadie 
Funktionen  p,  q  in  P^^unbestimmt  werden;  dieselben  erledigen  sich  jedoch  unter 
Benutzung  von  A  IV  4,  wenn  man  beachtet,  daß  die  Funktionen  _p,  q  sich  be- 
stimmten endlichen  Grenzen  nähern,  wenn  der  J'unkt  (rc,  y)  sich  dem  Punkt  P^ 
längs  der  Kurve  ^  nähert,  und  daß  die  Kurve  ß,  da  sie  eine  gewöhnliche  Kurve 
ist,  nur  eine  endliche  Anzahl  von  Malen  durch  I\  gehen  kann. 

^  Für  den  Nachweis,  daß  der  Fall  AJ^O  nicht  eintreten  kann,  (vgl. 
§  32,  b)),    beachte    man,    daß:   A(t,  a)  =  r  V(*,a),  sowie  die  Ungleichung  (179). 


§  33.    Existenz  eines  Minimums  „im  Kleinen".  275 

r  {t,  a)  =  —  y(^  -^7)^+ (:^Z.  -^ji  \  ^ 

dagegen  (x>{t,a)  ebenso  wie  früher,  so  ist 

r  (t,  a)  =  -  1  P^  p,   ,         CO  {t,  a)  =  am  P,  P3  4-  :r . 

Indem  mau  dann  die  frülieren  Schlüsse  für  das  Intervall:  _  ;^  ^  #  ^  0  wiederholt 
erhält  man  den  ' 

Zusatz:    Unter   denselben   Voraussetzungen   tvie  im  Satz  I  lassen 
sich   zwei  Größen   V  und  B'  angeben,   derart    daß   von  jedem  von  P 
verschiedenen  Punkt  P,  im  Innern  des  Kreises  (P,,  E)  eine  und  nur 
!     eine  Extremale  (E,^  nach  P,  gezogen  tverden  kann,  deren  Länge  Meiner 
als  V  ist. 

Die  Extremale  ©g^  wird  im  allgemeinen  von  ©jg  verschieden  sein 
vgl.  §  25,  b).  ' 

b)  Abhängigkeit  der  Größen  l  und  R  von  der  Lage  des  Punktes  P,: 

Die  Größen  /  und  i^  hängen  natürlich  von  der  Lage  des  Punktes 
Pj  ab.     Hierüber  gilt  der  folgende  Satz: 

Satz  III:  Ist  ölo  ein  ganz  im  Innern  des  Bereiches  6{  gelegener 
beschränkter,  abgeschlossener  Bereich,  und  ist  das  vorgelegte  Variations- 
prohlem  regulär^)  in  6{„  so  gelten  die  vorangehenden  Resultate  gleich- 
mäßig  in  bezug  auf  den  Bereich  ^„  d.  h.  es  lassen  sich  zwei  von 
x„  y^  unabhängige  positive  Größen  l^  und  q^  bestimmen,  derart  daß 
irgend  zwei  Punkte  P,,  P,  von  ^„  deren  Entfernung  kleiner  ist  als 
^0;  durch  eme  und  nur  eine  Extremale  ©^^  verbunden  werden  können 
deren  Länge  kleiner  ist  als  l^,  und  diese  Extremale  ©^^  liefert  für 
das  Integral  J  einen  kleineren  Wert,  als  jede  andere  gewöhnliche  2) 
Kurve,  welche  im  Innern  des  Kreises  {P„  ^,)  von  P,  nach  R  be- 
zogen werden  kann.  * 

Um  dies  zu  zeigen,  hat  man  in  dem  vorangehenden  Beweis  die  Funktionen 
qp,  1^;  r,  tö;  r^,  V  als  Funktionen   nicht  nur  von  t,  a  sondern  auch  von  x^   y,  zu 
betrachten   und   sich  dabei  der  Eigenschaften  der  Funktionen  3£,  fj  zu  erinnern 
J1.S  folgt  dann  zunächst  nach  §  23,  a)  Zusatz,  angewandt  auf  die  Menge 

*  =  0,         {x,,y,)     in     01,,         0^a^2n, 
daß  sich  eine  positive,  von  «,  ./;„  y,    unabhängige   Größe  h,  angeben  läßt,    der- 

')  D.  h.  es  ist 

I\{x,y,  cos  7,  8iny)=(=0 

für  jeden  Punkt  {x,y)  von  01,  und  für  jedes  y,  vgl.  §  27,  a) 

o  o     \  ^^^^^f"    ^^"^   Ausdehnung   des    Satzes    auf  Kurven    der   Klasse  K  siehe 
§  3o,  d),  Ende. 

18* 


276  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

art  daß  das  Regularitätsintervall  für  jede,  von  einem  beliebigen  Punkt  F^  vou 
5lo  ausgehende  Extremale  ©„  das  Intervall    i  |  <  /^o  enthält. 

Sodann   zeigt  man  mittels  des  Satzes  von  §_21,  b),  daß  sich  zwei  weitere, 
von  a,  iCi,  2/1  unabhängige  Größen  Aq  ^ /^o  und  lo<K  angeben  lassen,  derart  daß 

r(i,a.;  .Ti,t/i)>0 
für  ^ 

0  <  i  <  Ä-^ ;  {x^,  i/i)  in  01, ;  —  Oü  <  a  <  +  oo, 

r,{t,a;x,,y,)>0.         V  {f.a;  x,,  y,)>  0  (181) 

für  ^    ^ 

Ferner  sei  B^  das  stets  positive  Minimum  der  Funktion  rQ^^a;  x^^y^)  in  dem 
Bereich  __     __ 

{x^,y^)  in  0l(,;  0<a<27r.  (182) 

Schließlich  bestimmen  wir  nach  §  21,  a)  und  b)  eine  Umgebung  [<J]^  ,  welche 
im  Innern  von  01  enthalten  ist,  und  in  welcher  das  Problem  auch  noch  regulär 
ist.     Dann  ist  q^  die  kleinere  der  beiden  Größen  B^,  ö. 

Die  kürzeste  Extremale  e^g  braucht  selbst  nicht  ganz  im  Bereich  01^  zu 
liegen.  In  dem  speziellen  Fall,  wo  sich  eine  positive  Größe  tfo  <  9o  angeben 
läßt,  derart  daß  für  je  zwei  Punkte  P^,  P^  von  ^l^,  deren  Entfernung  kleiner 
als  6q  ist,  die  sie  verbindende  kürzeste  Extremale  ©12  stets  in  01^  enthalten  ist, 
sagen  wir,  der  Bereich  61^  sei  „extremal-konvex/' 

Für  spätere  Anwendungen  schließen  wir  hier  noch  einige  weitere,  die 
gleichmäßige  Konvergenz  betreffende  Folgerungen  an: 

Indem  man  die  Stetigkeitssätze  und  den  erweiterten  Vorzeichensatz  von 
§  21,  b)  auf  die  Funktion 

der  fünf  Variabein  t\  t'\  a,  x^,  y^  anwendet  und  von  Gleichung  (178)  Gebrauch 
macht,  erhält  man  das  Resultat,  daß 

jr,':!*!^^^!,  ./  (183) 

gleichmäßig^)  in  Beziehung  auf  den  Bereich  (182),  und  daß  sich  zwei  positive, 
von  a,  X,,  2/1  unabhängige  Konstante  g^  und  G^  angeben  lassen,  derart  daß 

g,t^r{Ua)^G,t  (184; 

in  dem  Bereich  __ 

O^^^A'o,      0<a<2:t,      {x^,  y,)    in    01«  ^ 

was    sich    auch    so    aussprechen  läßt:    Sind  P^,  P,  irgend  zwei  Punkte  von  01,, 


1)  Vgl.  A  II  6. 


§  33.    Existenz  eines  Minimums  „im  Kleinen''.  277 

deren  Entfernung  kleiner  ist  als  B^,  und  ist  l^^  die  Länge  der  Ton  Pj  nach  Pg 
gezogenen  „kürzesten"  Extrem  alen  6^3,  so  ist 

9A,<   P^F,\<G,l,,.  (184a) 

Ist  ferner  JV^  das  Maximum  der  Funktion  !  F{x^  y,  cos  y,  sin  7)  |  im  Bereich 
(182),  so  erhält  man  für  den  Wert  J^^  des  Integrals  /  entlang  ß^«  "^^n  P^  nach 
Pg  die  Ungleichung 

\Jr.\<N,\,'^^\P,P,\.  (184b) 

Weiter  folgt  aus  (173«),  daß 

L[co{t,u)  —  a\  =  0  (185) 

gleichmäßig  in  Beziehung  auf  den  Bereich  (182).  \ 

Endlich  ist  ^ 

L  [F{(p  {t,  a) ,     ip  (^,  a) ,     qp, (i,  a) ,     i|j, (*,  a))  —  F{x^ ,  2/1,  cos  a ,  sin  a)]  =  0 

und  (186) 

L  [F{x^ ,  2/1 ,  cos  CO  (i,  a) ,  sin  « (^,  a))  —  F{x^ ,  2/1 ,  cos  a,  sin  « )]  =  0 

ebenfalls  gleichmäßig  in  Beziehung  auf  den  Bereich  (182). 

c)  Der  deünite  Fall: 

Ein  Variationsproblem  heißt  positiv  (negativ)  definit^)  in  einer 
in  der  x,  «/-Ebene  gelegenen  Punktmenge^  wenn  für  jeden  Punkt  (x,  y) 
dieser  Menge  und  für  jeden  Wert  von  y  die  Ungleichung  gilt 

F{x,  y,  cos  y,  sin  7)  >  0  (<  0) . 

Wir  fügen  nun  den  unter  b)  gemachten  Voraussetzungen  noch  die 
weitere  hinzu^  daß  unser  Problemen  Beziehung  auf  den  Bereich  ÖIq 
definit  sein  soll.  Alsdann  lassen  sich  die  vorangegangenen  Resultate 
zu  folgendem  Satz-)  erweitern: 

Satz  IV:  Ist  ÖIq  ein  heschränläer,  abgeschlossener^  ganz  im  Innern 
von  Öl  gelegener  Bereich^  und  ist  gleichseitig'^) 

F^{x,  y,  cos  y,  sin  7^)  >  0,  (180) 

F{x,  y,  cos  y,  sin  y)>0  (187) 

für  jeden  Punkt  {x,  y)  von  ÖIq  und  für  jedes  y,  so  läßt  sich  eine  posi- 
tive Größe  d^  bestimmen,    derart   daß   irgend  ztcei  PunMe  P^  und  Pg 

^)  Nach  Caratheodory  (Mathematische  Ann  alen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  456). 

^)  Nach  Bliss,  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society^ 
Bd.  V  (1904),  p.  123. 

^)  Nach  §  30,  b),  vierte  Folgerung  aus  der  Relation  (125),  müssen  bei  einem 
gleichzeitig  definiten  und  regulären  Problem  F^  und  F  dasselbe  Zeichen  haben. 


278  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

von  ÖIq,  deren  Abstand  Meiner  ist  als  d^,  durch  eine  Extremale  ^^^ 
ohne  mehrfache  PunMe  verbunden  iverden  Mnnen,  welche  einen  Ideineren 
Wert  für  das  Intef/rad  J  liefert,  als  jede  ando'c  gewöhnliche^)  Kurve, 
welche  im  Bereich  Ölo  von  P^  nach  P^  gezogen  iverden  Icann. 

Liegt  die  Extremale  ©^2  selbst  ganz  im  Bereich  ÖIq,  öo  liefert 
sie  daher  ein  absolutes  Minimum  für  das  Integral  J  in  Beziehung 
auf  die  Gesamtheit  aller  gewöhnlichen  Kurven,  welche  in  ÖIq  von  Pj 
nach  P2  gezogen  werden  können.  Dies  wird  stets  stattfinden,  wenn 
der  Bereich  Öl^  „extremal-konvex"  2)  ist  und  d^  hinreichend  klein  ge- 
wählt wird. 

Beweis:  Aus  der  Voraussetzung  (187)  folgt  zunächst,  daß  wir  auf  den 
Extremalen  der  Schar  (168)  statt  des  Bogens  t  den  Wert  des  Integrals  /,  ge- 
nommen   vom    Punkt   P^  bis    zum    Punkt  t   der   betreffenden    Extremalen,   also 

die  Größe 

t 

0 

als  Parameter  einführen  können,  wobei  Sh  {t,  a)  wieder  durch  (83)  definiert 
ist.  Denn  da  nach  (187)  die  Ableitung  Uf  =  ^(*,  a)  beständig  positiv  ist, 
so  können  wir  die  Gleichung:  u  =  u(t,  ä)  eindeutig  nach  t  auflösen,  und  die 
Einsetzung  des  gefundenen  Wertes  in  die  Gleichungen  (168)  ergibt  für  die  Ex- 
tremalenschar  durch  den  Punkt  P^  eine  Darstellung  von  der  Form 

x=^(p[u,a],         y=^ii}[u,a].  (188) 

Im  Bereich  z=     _i:r 

0<M<it(?oi  «)^       0<«<27r  (189) 

haben  die  Funktionen  (f[u,  a],  rl^[u,  a\  dieselben  Stetigkeitseigenschaften  wie 
die  Funktionen  (p(t,  «),  ^{t,  a)  im  Bereich  (170).  überdies  sind  sie  periodisch 
in  a  mit  der  Periode  271;. 

Gleichzeitig  geht  die  Funktion  r{t,  Uj  in  eine  Funktion  von  u  und  a  über, 
die  wir  entsprechend  mit  r[u,  a]  bezeichnen.     Wegen  (181)  ist  dann 

rjw,a]>0  -'  (190) 

im  Bereich  (189).  Ist  weiter  m,  das  stets  positive  Minimum  der  Funktion 
F{x,  y,  cos  y,  sin  y)  im  Bereich 

yx,y)     in     0lo.     0^y^27r,  (191) 

so  ist  

1)  Der  Satz  bleibt  auch  noch  richtig  für  Vergleichskui-ven  der  Klasse  K, 
vgl.  §  35,  d)  und  p.  279,  Fußnote  »).  Für  Vergleichskurven,  deren  sämthche 
Punkte  auf  ^,^  liegen,  ist  dabei  das  Zeichen  <  durch  <  zu  ersetzen. 

2)  Vgl.  die  Definition  von  extremal-konvex  auf  p.  276. 


33.    Existenz  eines  Minimums  „im  Kleinen". 


279 


Aus  (178)  und  (192)   leitet  man  dann  das  weitere  Resultat  ab,  daß  es  eine  von 
t,  a,  x^,  2/i,  unabhängige  Größe  Ä^  gibt,  derart  daß  in  dem  Bereich  (189) 

r[u,  a]<^K^u.  (193) 

Nach  diesen  Vorbereitungen  wählen  wir  eine  positive  Größe  c  kleiner  als 
^o/Kq  und  gleichzeitig  kleiner  als  das  stets  positive  Minimum  der  Funktion 
u{Iq,  a\  x^^  2/i)  i°^  Bereich  (182)  und  betrachten  die  Kurve  ^): 


0<a<23r. 

Dieselbe  ist  eine  stetige,  geschlossene 
Kurve  ohne  mehrfache  Punkte  (eine 
Jordan' sehe  Kurve),  da  sie  wegen 
(193)  ganz  im  Innern  des  Kreises 
(Pj,  Po)  liegt.  Das  Innere^  der  Kurve 
^  ist  das  eineindeutige  Abbild  des 
Bereiches 


0  <  i(  <  c 


0<a<25t. 


^  -Ä- 


mittels  der  Transformation  (188). 

Ist    daher    P^    ein    von    P^    ver- 


Fig.  48. 


schiedener  Punkt  im  Innern  der  Kurve 
M  und  @j2  die  kürzeste  Extremale  von 
Pj  nach  pg,  so  ist  der  Wert  J^^  des  Inte- 
grals J  entlang  (gj^  kleiner  als  c.   Ziehen  wir  jetzt  irgend  eine  andere  gewöhnliche  ^) 
Kurve   (£  von  P^  nach  P^,  welche  ganz  im  Bereich  31^  liegt,  so  ist  der  Wert  /i^g 
des  Integrals  ,7,  genommen  entlang  (S;,  größer  als  J^^. 

Wenn  die  Kurve  C  ganz  in  dem  von  der  Kurve  ^  begrenzten  Bereich  ver- 
läuft, so  liegt  sie  a  fortiori  im  Innern  des  Kreises  (P^,  p^,)  und  die  Behauptung 
folgt  nach  b).  Es  ist  also  nur  nötig,  den  Fall  zu  betrachten,  wo  die  Kurve  (£ 
aus  dem  von  der  Kurve  ^  begrenzten  Bereich  heraustritt.  Sei  Pg  der  Punkt, 
wo  die  Kurve  ©  zum  ersten  Mal*)  die  Kurve  Ä  schneidet;  ziehe  die  kürzeste 
Extremale  S^j  von  P^  nach  P^.     Dann  ist  nach  b) 


Also  ist  a  fortiori 


'^  1 3  !^  «^  1  3  ^0>  "l 2  • 

da  wegen  der  Voraussetzung  (187):  ^2>*  J13. 


(194 


^)  Die  Kurve  ist  nach  §  44,  b)  eine  Transversale  der  Extremalenschar  durch 
den  Punkt  P^. 

')  Vgl.  A  VI  2. 

^)  Der  folgende  Schluß  bleibt  auch  noch  bestehen,  wenn  die  Kurve  ^  von 
der  Klasse  K  ist,  vgl.  §  35,  d). 

")  Vgl.  Jordan,  Cours  d' Analyse,  Nr.  103. 


230  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Ist  endlicli  d^  das  stets  positive  Minimum  der  Funktion  r[c,  a;  a\,  ?/J  im 
Bereich  (182),  so  liegt  der  Kreis  (Pj,  d^)  ganz  in  dem  von  der  Kui-ve  Ä  be- 
grenzten Bereich,  und  die  Ungleichung  (194)  gilt  daher  a  fortiori,  wenn  der 
Punkt  Pg    im    Innern    des    Kreises  (P^,  rfj  liegt,   Avomit    der   Satz  bewiesen  ist. 

§  34.     Der  Osgood'sche  Satz. 
Wenn  eine  Funktion  f(x)  an  der  Stelle     x  =  a  ein  eigentliches, 
relatives  Minimum    besitzt,    so   kann    man    eine  positive  Größe  /.'  an- 

creben,  so  daß  _ 

f{x)-f{a)>0     für     0<|rr-a   </•. 

Dies  gilt,  gleichgültig  ob  die  Funktion  fXx)  stetig  oder  unstetig  ist. 
Wenn  aber  f(x)  im  Intervall  [a  —  Ä*,  a  +  ^  stetig  ist,  so  besitzt  sie 
überdies  noch  folgende  Eigenschaft:  Zu  jeder  positiven  Größe  /,  die 
kleiner  ist  als  k,  gehört  eine  positive  Größe  £^,  derart  daß 

f{x)-f{a)^e,     für     l<c   x-a\<l'.  (195) 

Denn  alsdann  erreicht  f(x)  für  das  Intervall  [a  —  lc,  a  —  l]  ein  ab- 
solutes Minimum  in  einem  Punkt  x^  des  Intervalls;  ebenso  für  [a-\-l, 
ö  +  ^J  in  x^,  und  es  ist  dann  flx^)>f{a),  f{x^)  >  f{a).  Bezeichnet 
daher  Sj  die  kleinere  der  beiden  positiven  Differenzen  f{x^)  —  /(«), 
fi^x^^  _  /*(a),  so  gilt  in  der  Tat  die  Ungleichung  (195). 

Daß  unstetige  Funktionen  diese  Eigenschaft  im  allgemeinen  nicht 
besitzen,  zeigt  Osgood  durch  das  Beispiel: 

1,  wenn  x  irrational; 

i/q,    wenn    x  =  ±  p/q,    wo  p,q   zwei  positive  ganze  Zahlen 
ohne  gemeinsamen  Teiler  sind; 

0,  wenn  x  =  0. 

Diese  Funktion    hat    für  x  =  0    ein    eigentliches  Minimum,    ohne  die 
oben  angegebene  Eigenschaft  zu  besitzen. 

Wie  Osgood^)  gefunden  hat,  gilt  nun  ein  ^anz  analoger  Satz 
für  das  eigentliche,  starke  Extremum  eines  bestimmten  Integrals. 

a)  Der  Fall  eines  Extremums  „im  Großen": 

Die  Analogie  ist  am  vollständigsten  bei  der  folgenden  von  Hahn^) 
herrührenden  Fassung  des  Satzes: 

1)  Transactions    of  the  American   Mathematical  Society.    Bd.  II 

(1901),  p.  273. 

2)  Monatshefte  für  Mathematik  und  Physik,  Bd.  XVH  (190G),  p.  63; 
auch  der  im  Text  gegebene  Beweis  rührt  von  Hahn  her.  In  der  genannten 
Arbeit  verallgemeinert  Hahn  den  Satz  auch  auf  isoperimetrische  Probleme  und 
auf  das  Lagrange'sche  Problem. 


m 


§  34.    Der  Osgood'sche  Satz.  281 

Es  sei  @o  ein  die  beiden  FunMe  P^  und  P^  verbindender  Extre- 
malenhogen  ohne  mehrfache  Punkte,  für  tvelchen  die  Bedingungen  (IF), 
(Iir),  (IV')  und  außerdem  in  den  beiden  EndpunMen  die  Be- 
dingungen 

F^{x^,  y^,  cos  y,  sin  7)  >  0,     F^{x^,  y^,  cos  7,  sin  y)  >  0     (196) 

für  jedes  y  erfüllt  sind.  Alsdann  existiert  eine  Umgebung  oT  des  Bogens 
@o  von  folgender  Beschaff mheit :  Zu  jeder  ganz  im  Innern  von  cf  ge- 
legenen (aher  nicht  mit  oT  identischen)  Umgebung  91  des  Bogens  (Bq 
gehört  eine  positive  Größe  £qj,  derart  daß  für  jede  gewöhnliche  von  P^ 
nach  P2  gezogene  Kurve  ß,  iveMie  ganz  im  Bereich  ofj  aber  nicht  ganz 
im  Bereich  9i  verläuft, 

^6-^eo?^9/-  (197) 

Beweis:  Aus  der  Voraussetzung  (196^)  folgt  zunächst  nacli 
Satz  11  von  §  33,  daß  wir  um  den  Punkt  P^  einen  ganz  im  Innern 
von  Öl  gelegenen  Kreis  {P^,  p/;  beschreiben  können,  in  welchem  das 
Problem  positiv  regulär  ist,  und  dessen  Inneres  ein  Feld  um  den 
Punkt  Pj  bildet,  geliefert  von  der  Extremalenschar  durch  den 
Punkt  Pj. 

Sei  Pq  4=  Pj  ein  Punkt  des  Bogens  (^^  ""  Innern  dieses  Kreises. 
Dann  folgt  weiter  nach  §  31,  a)  und  §  32,  b)  aus  den  Voraus- 
setzungen (ir)  und  (IIF),  daß  sich  zwei  Größen  h,  h  so  klein  wählen 
lassen,  daß  die  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  zugleich  auch 
ein  Feld  of^^^.  um  den  Bogen  P^^P^  von  (S^  liefert,  und  daß  überdies 
die  Bedingung 

%^{x,  y,  p(x,  y),  q(x,  y)-  cos  6,  sin  d)  >  0  (198) 

für  jedes  6  in  allen  Punkten  (x,  y)  von  of;^  ^  erfüllt  ist. 

Es  sei  cfj  die  Gesamtheit  derjenigen  Punkte,  welche  eutweder 
zur  Kreisfläche  (P^,  q^)  oder  zu  of^^^  oder  gleichzeitig  zu  beiden  ge- 
hören-, cTi  ist  dann  eine  Umgebung  des  Bogens  ©^  und  bildet  ein 
Feld  um  denselben.  Ist  P3  irgend  ein  Punkt  im  Innern  von  ofi,  so 
;  können  wir  von  P^  nach  Pg  eine  Feldextremale  ©^3  ziehen.  Ist 
andererseits  d^  irgend  eine  gewöhnliche,  die  beiden  Punkte  P^  und 
P3  verbindende  Kurve,  welche  ganz  in  o^  verläuft,  so  folgt  aus  dem 
WeierstraßVhen  Satz,  daß  in  bekannter  Bezeichnungsweise 

45^13-  •  (199) 


282 


Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie, 


Granz  ebenso  können  wir  nun  ein  zweites  Feld  o£  nm  den  Bogen 
@o  konstruieren,  welches  die  analogen  Eigenschaften  in  Beziehung 
auf  die  Extremalenschar  nach^)  dem  Punkt  P,  besitzt,  d.  h.  von 
jedem  Punkt  P3  von  0^3  läßt  sich  eine  Feldextremale  (^32  nach  dem 
Punkt  P2  ziehen  und  wenn  Sg  eine  gewöhnliche  ganz  in  q?,  ver- 
laufende Kurve  ist,  die  von  P3  nach  P.^  gezogen  ist,  so  ist 


«^32  >  «^32 


(199a) 


Wir  bezeichnen  jetzt  mit  eP  irgend  eine  Umgebung  des  Bogens  @o;      j 
welche    gleichzeitig    in    eT^    und    S'^    enthalten    ist.      Ist    dann  P3  ein      I 
Punkt    im    Innern  von  cT,    so   können  wir  beide  Extremalen  ©13  und 
@32  ziehen.     Wir  betrachten  nun  die  Differenz 

«(^3?  th)  =  ^13   +  ^32  —  ^12  • 

Dieselbe    ist    eine    im   Innern  von  c5    eindeutig   definierte  und  stetige      * 
Funktion   der  Koordinaten  x.^,  y^    des  Punktes  P3.     Sie  verschwindet, 
wenn  der  Punkt  P3  auf  dem  Bogen  @o  liegt:  in  allen  anderen  Punkten 
ist    sie    positiv,    da    der  Bogen  ^^   ein   eigentliches  starkes  Minimum 
für  das  Integral  J  liefert.  | 

Nunmehr  sei  ai  irgend  eine  Umgebung  von  (^o.  welche  ganz  im 
Innern    von    of  liegt    (ohne    mit   oT  identisch   zu  sein),   und  es  sei  ^ 

diejenige  Menge  von  Punkten 
.-'-  --^  von  0^  welche  nicht  zu  3,1 

gehören,  unter  Hinzurech- 
nung ihrer  Häufungspunkte. 
Die  Menge  ^  ist  dann  ab- 
geschlossen und  enthält 
\  keinen  Punkt  von  ©o-  Daher 
besitzt  die  Funktion  s{x^,y^) 
in  ^  einen  positiven  Mini- 
malwert, den  wir  mit  e.y 
bezeichnen,  so  daß  also  in*^: 

Jl3  +  ^32-^?^9r      (200) 

Fig.  44.  Endlich  sei  (I  irgend  eine 

gewöhnliche,   von   P^  nach 
Pg  gezogene  Kurve,  welche  ganz    im  Innern  von  o^    aber  nicht  ganz 


1)  Vgl.  §  33  a),  Zusatz. 


§  34.    Der  Osgood'sche  Satz.  283 

in  91  verläuft,  und  es  sei  P^  ein  Punkt  von  d,  welcher  nicht  in  9i 
liegt.  Alsdann  gelten  gleichzeitig  die  Ungleichungen  (199),  (199  a) 
und  (200)  und  daraus  folgt 

was  zu  beweisen  war. 

Zusatz:  Der  Satz  gilt  auch  noch  in  etwas  modifizierter  Form, 
wenn  die  beiden  Bedingungen  (196)  in  den  beiden  Endpunkten  nicht 
erfüllt  sind.  Der  Bereich  äl  muß  dann  so  beschaffen  sein,  daß  der 
komplementäre  Bereich  "^  keinen  Punkt  mit  der  Fortsetzung  des 
Bogens  ©^  über  die  beiden  Punkte  P^  und  P^  hinaus  gemeinsam  hat.^) 

b)  Der  Fall  des  Extremums  „im  Kleinen": 

Für  spätere  Anwendungen  möge  auch  noch  die  Modifikation  des 
Osgood'schen  Satzes^)  für  den  Fall  eines  Extremums  „im  Kleinen'^  hier  Platz 
finden : 

Ist  01^  ein  beschränkter,  abgeschlossener  Bereich  im  Innern  von  31,  und 
ist  das  vorgelegte  Variationsproblem  regulär  in  Beziehung  auf  den  Bereich  01^,, 
so  läßt  sich  eine  positive  Größe  r^  bestimmen,  derart  daß  nicht  nur  je  zwei 
Punkte  1\,  Pg  von  01^,  deren  Entfernung  kleiner  als  r^  ist,  sich  durch  eine 
kürzeste  Extremale  ß^g  verbinden  lassen,  sondern  daß  gleichzeitig  für  diese 
Extremale  auch  noch  der  folgende  Satz  gilt: 

Jeder  Umgehung  9/"  des  Extremalenbogens  ©jg,  ivelche  ganz  im  Innern  des 
Kreises  {P^,  r^)  liegt,  läßt  sich  eine  positive  Größe  s^.  zuordnen,  derart  daß  für 
jede  die  beiden  Punkte  P^  und  P«  verbindende  gewöhnliche  Kurve  ^  welche  ganz 
im  Innern  des  Kreises  (P^,  r^),   aber  nicht  ganz  in  9/  liegt,   die   Ungleichung  gilt 

'Ä2— 'Ä2>^i^-  (197  a) 

Beweis:  Nach  §  21,  a)  und  b)  können  wir  zunächst  eine  geschlossene  Umgebung 

von  tH^  bestimmen,  welche  ganz  im  Innern  von  di  liegt,  und  in  Beziehung  auf 
welche    das   Problem    ebenfalls    noch    regulär  ist.     Für   diesen    Bereich  01^  be- 


^)  Hahn  beweist  dies,  indem  er  auf  der  Fortsetzung  von  ©^  über  P^, 
resp.  P^,  hinaus  zwei  Punkte  P/,  resp.  P/,  annimmt  und  dann  statt  der  Extre- 
malenscharen  durch  P^  und  Pg  diejenigen  durch  P/  und  P/  betrachtet. 

Ebenfalls  ohne  Benutzung  der  Voraussetzungen  (196)  und  wieder  in  etwas 
anderer  Fassung  werden  wir  den  Satz  in  §  46  mit  Hilfe  der  Kneser'schen 
krummlinigen  Koordinaten  beweisen. 

-)  In  der  Hauptsache  nach  Caratheodory  (Mathematische  Annalen, 
Bd.  LXII  (1906),  p.  490),  der  den  Satz  für  den  allgemeineren  Fall  von  gebrochenen 
Extremalen  beweist. 


284  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

stimmen   wir   die  in  §  33,  b)  definierten  i)  Größen  Z^,  R^  und  bezeichnen  mit  r^ 
eine  positive  Größe,  welche  den  Ungleichungen  genügt: 

I 
l   A 

Sind  dann  Pj,  P,  irgend  zwei  Punkte  des  Bereiches  6i^^,  deren  Abstand 
kleiner  ist  als  r«,  so  können  wir  von  P^  nach  P^  eine  wie  in  §  33,  a)  definierte 
kürzeste  Extremale  ©ig  ziehen. 

Sei  jetzt  ©  irgend  eine  andere  gewöhnliche  Kurve,  welche  ebenfalls  die 
beiden  Punkte  P^  und  P^  verbindet  und  ganz  im  Innern  des  Kreises  (P^,  r^) 
verläuft,  und  sei  P^  irgend  ein  Punkt  von  (£,  der  nicht  zugleich  auf  e^,  liegt. 
Dann  können  wir  zunächst  von  1\  auch  nach  1\  eine  kürzeste  Extremale  G^s 
ziehen,  und  es  gilt  die  Ungleichung 

Weiterhin  können  wir  aber  auch  vom  Punkt  Pg  nach  dem  Punkt  F,  eine 
kürzeste  Extremale  ziehen.  Denn  aus  der  Ungleichung  (201)  folgt,  daß  der 
Punkt  Pg  im  Bereich  ^^  liegt  und  überdies  ist 

P,P,\<2r,<E,. 

Die  Extremale  ©«^  liegt  ganz  im  Innern  des  Kreises  (Pg,  2r,);  in  demselben 
Kreise  liegt  aber  auch  der  Bogen  F^F,  der  Kurve  ©,  da  ja  der  Kreis  (P^,  r,) 
ganz  im  Innern  des  Kreises  (P«,  2r,)  enthalten  ist.  Der  Kreis  (P3,  2r,)  seiner- 
seits liegt  ganz  im  Innern  des  Kreises  (P,,  4ro),  und  da  letzterer  wegen  der 
Ungleichung  (201)  ganz  in  01,  enthalten  ist,  so  liegt  der  Kreis  (P«,  2r^'^  ganz 
im  Innern  von  01,  und  das  Problem  ist  regulär  in  Beziehung  auf  den  Kreis 
(Pg,  2ro).     Daraus  folgt  aber,  daß 

Andererseits  ist  aber 

wie  daraus  folgt,  daß  die  aus  den  beiden  Extremalenbogen  e^,,  ^,,  zusammen- 
gesetzte Kurve  ganz  im  Innern  des  Kreises  (P^,  ^r^)  liegt. 

Indem    man   nunmehr  wie  unter  a)  weiter  schließt, 'erhält  man  die  zu  be- 
weisende Ungleichung  (197  a). 


§  35.    Verallgemeinerung  der  Bedeutung  des  Kurvenintegrals. 

Wir  haben  uns  in  allen  bisherigen  Untersuchungen  auf  „gewöhn- 
liche" Kurven  beschränkt.  Diese  Beschi'änkung  war  in  der  Tat  not- 
wendig für   die    meisten  unserer  Beweise,  sie  liegt  aber  nicht  m  der 

1)  Entsprechend  den  dort  mit  l, ,  P«  bezeichneten  Größen. 


( 


§  35.    Verallgemeinerung  der  Bedeutung  des  Kurvenintegrals.  285 

Natur  des  behandelten  Problems;  vielmehr  wäre  das  natürlichste,  alle 
diejenigen  Kurven  zuzulassen,  für  welche  das  Integral 


J  =  I F{x,  y,  Xy  y) dt 


einen  bestimmten,  endlichen  Wert  hat. 

Für  viele  geometrische  Probleme  ist  es  jedoch  wünschenswert, 
die  Klasse  der  zulässigen  Kurven  noch  weiter  auszudehnen. 

a)  Beispiel  der  Länge  einer  Knrve: 

So  ist  z.  B.  die  Aufgabe,  die  kürzeste  Kurve  zwischen  zwei 
gegebenen  Punkten  P^,  P^  zu  bestimmen,  nicht  genau  äquivalent  mit 
dem  Problem,  das  Integral 


'2 


zu  einem  Minimum  zu  machen,  weil  der  Begriff  der  Länge  auch  noch 
für  Kurven  eine  Bedeutung  hat,  für  welche  das  Integral  seine  Be- 
deutung verliert,  insbesondere  auch  für  Kurven,  welche  keine  Tan- 
genten besitzen. 

Die  Länge  einer  stetigen  Kurve 

£:  x  =  ip(t),    y  =  t(t)/t,^t^t,  (202) 

wird  folgendermaßen  definiert^): 

Man   betrachte    irgend    eine    Teilung  11   des    Intervalls    [^^^g]   in 
n  -\-  1  Teilintervalle  mittels  der  Zwischenpunkte  t^,  r^,  .  .  .,  r^,  wobei 

^1  <  r^  <  Tg  •  •  •  <  r^  <  ^2 . 

Die  zugehörigen  Punkte  der  Kurve  ß  seien:  Pj,  Q^,  Q^y  ■  -  -,  Q„,  P^y 
ihre  Koordinaten:  x^,y^',  l^,  Ty^;  l^,  1^2;  .  .  .;  1^,7}^',  x^,y^;  dann  ist  die 
Länge  des  der  Kurve  S  eingeschriebenen  geradlinigen  Polygons  ^^, 
dessen  Ecken  eben  diese  Punkte  in  der  angegebenen  Reihenfolge  sind: 

Wn  -'^V(Äi:y~+Wn:f'' ,  (203) 

v  =  0 


^)  Vgl,  Jordan,  Cours  d' Analyse,  Bd.  I  (1893),  Nr.  105—111.  Diese  Defi- 
nition ist  für  unseren  gegenwärtigen  Zweck  am  bequemsten.  Die  Peano'sche 
Definition  wird  unter  c)  zur  Sprache  kommen. 


286  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

wobei 

mit  der  Verabredung,  daß 

Wenn  dann  die  Summe  Wjj  gegen  eine  bestimmte,  endliche  Grenze  J 
konvergiert,  wenn  7i  ins  Unendliche  wächst,  aber  so,  daß  gleichzeitig 
alle  Differenzen  r,,^i  —  r,,  gegen  Null  konvergieren i), 

SO  sagt  man,  die  Kurve  2  habe  eine  endliche  Länge,  deren  Wert 
gleich  J  ist.  Und  man  nennt  eine  Kurve  „reUifi0ierhar"%  wenn  sie 
stetig  ist  und  eine  endliche  Länge  hat. 

Wenn  die  ersten  Ableitungen  cp'(t),  il)\t)  existieren  und  stetig 
sind  im  Intervall  \tj^~\y  so  kann  die  Lange  durch  das  bestimmte 
Integral 


1 


h 

ausgedrückt  werden.^) 

b)  Verallgemeinerung  der  Bedeutung  des  Kurvenintegrals  J: 

In  ganz  analoger  Weise  hat  Weierstrass*)  die  Bedeutung  des 
allgemeinen  Integi-als 

J=fF{x,y,x\y)dt 
h 
auf  Kurven  ausgedehnt,  welche   nicht  zur  Klasse  der  „gewöhnlichen" 

Kurven  gehören. 

« 

1)  D.  h.  zu  jedem  positiven  s  gehört  eine  zweite  positive  Größe  6^  der- 
art, daß 

für  alle  Teilungen  H,  bei  welchen  sämtliche  Differenzen  t,.,.i  — r,,  kleiner 
sind  als  d^. 

^)  Vgl.  Jordan,  loc.  cit.  Nr.  110. 

»1  Vgl.  Jordan,  loc.  cit.  Nr.  111  und  Stolz,  Transactions  of  the 
American  Mathematical  Society,  Bd.  III  (1902),  pp.  28  und  303. 

4)  Vorlesungen  1879;  vgl.  auch  Osgood,  Transactions  of  the  American 
Mathematical  Society,  Bd.  II  (1901),  pp.  275  und  293. 


§  35.    Verallgemeinerung  der  Bedeutung  des  Kur\enintegrals.  287 

Wir  setzen  von  der  Kurve  S  voraus,  daß  sie  ganz  im  Innern 
des  Bereiches  01  liegt  und  stetig  ist,  und  betrachten  nunmehr,  wie 
oben,  eine  Teilung  11  des    Intervalls    \tit^\    und    bilden    die  Summe ^) 

fi 

W„^2m,;Vr,i^lr,^n,),  (204) 

(=0 

die  als  die  naturgemäße  Verallgemeinerung  der  Summe  (203)  er- 
scheint, und  die  wir  wegen  der  Homogeneität  der  Funktion  F  auch 
schreiben  können 

n 

^n  =2F{i,,y  f},,  cos  G3,„  sin  co^)r^  (204a) 

r  =  0 

wenn  )\,  und  (o^,  die  Länge,  resp.  die  Amplitude  des  Vektors  Q^Qj,,^ 
bedeuten. 

Ist  die  Kurve  2  von  der  Klasse  C,  so  konvergiert  die  Summe  Wjj 
hei  dem  angegebenen  Grenmhergang  gegen  das  Integral  JJP^P^): 


LW^^==fF{x,y,x',y')dt. 

h 

Denn  das  Integral  Jg  läßt  sich  alsdann  nact  dem  Mittelwertsatz  schreiben 
^S  =^    / F{x,  y,  X,  y')  dt  = 

.=0'/ 

n 

=^i^(qp(r;),  i|^(r/),  qp'(r;),  ^'{x^))  (r,,^^  —  r^,)  , 
I  =0 

wo  Tj,'  einen  Mittelwert  zwischen  r^,  und  x^,,^  bedeutet. 
Andererseits  ist 

A^.  =  ^\^^')  (^.+1  -  r,) ,         Ar?,,  =  i|;'(r;")  (t,,^^  -  r,,) , 

wo  T^",  T,,'"  wieder  Mittelwerte  zwischen  r^,  und  r^^^  sind.    Daraus  folgt  wegea 
I   der  Homogeneität  von  F-. 

n 
v  =  0 


^)  Sollte  Q,.  +  i  =  Q,,  sein,  so  ist  dabei  JP(|y,  ij^,  0,  0)  durch  0  zu  ersetzen. 


238  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Aus  der  in  der  Definition  einer  Kur\'e  der  Klasse  C  enthaltenen  Annahme: 
^^^(t)-\-^^\t)'>0  in  [t^t^l  folgt  dann  nach  §  21,  b),  daß  man  eine  abge- 
schlossene Umgebung  (9L  der  Menge 

im  Gebiet  der  Variabein  t\  t"  angeben  kann,  derart  daß 

Die  Funktion  F{cp(t),  ^p{t),  cp\t'),  ^'{t"))  der  Variabein  t,  t' ,  t"  ist  dann  gleich- 
mäßig stetig  in  dem  Bereich 

Hieraus  und  aus  der  gleichmäßigen  Stetigkeit  der  Funktionen  (jp(t),  '\\){t)  folgt 
dann,  daß  man  zu  jeder  positiven  Größe  s  eine  zweite  positive  Größe  8,  be- 
stimmen kann,  derart  daß 

für  jede  Teilung  IT,  deren  sämtliche  Intervalle  kleiner  als  8,  sind.  Es  ist 
dann  also 

womit  die  Behauptung  bewiesen  ist. 

Dasselbe  Resultat  gilt  auch  noch  für  gewöhnliche  Kurven  mit 
einer  endlichen  Anzahl  von  Ecken,  wie  man  sich  durch  Betrachtung 
solcher  spezieller  Teilungen  überzeugt,  welche  die  Ecken  als  Teilungs- 
punkte enthalten. 

Wir  kommen  nunmehr  nach  Weierstrass  überein,  allgemein 
für  irgend  welche  stetige  Kurve  2  das  Integral 

k 

durch  den  Grenzwert  der  Summe  Wjj  zu  definieren,  in  allen  Fällen, 
in  welchen  TT,,  bei  dem  angegebenen  Grenzübergang  gegen  eine 
bestimmte,  endliche  Grenze  konvergiert.  Dies  ist  eine  naturgemäße 
Verallgemeinerung  der  Definition  des  Kurvenintegrals,  da  sie,  wie  wir 
eben  gezeigt  haben,  für  gewöhnliche  Kurven  mit  der  gewöhnlichen 
Definition  übereinstimmt. 

Die  folgende  Modifikation i)  der  Weierstraß'schen  Definition 
des  verallgemeinerten  Kurven! ntegrals  wird  sich  später  als  nützlich 
erweisen: 


1)  Vgl.     Osgood,    Transactions     of    the    American    Mathematical 
Society,  Bd.  H  (1901),  p.  293. 


§  35.    VerallgemeineruDg  der  Bedeutung  des  Kurvenintegrals.  289 

Da  die  Kurve  *d  ganz  im  Innern  des  Bereiches  Öl  liegen  sollte, 
so  wird  das  geradlinige  Polygon  ^^  mit  den  Ecken  P^,  Q^,  Q^^  . . .,  Q^^ 
;  Pg  ebenfalls  ganz  im  Innern  von  Öl  liegen,  vorausgesetzt,  daß  die 
sämtlichen  Differenzen  t^,^i  —  t,,  hinreichend  klein  gewählt  worden 
sind.  Unter  dieser  Voraussetzung  bezeichne  V^  das  Integral  J,  ge- 
nommen entlang  dem  Polygon  ^^^  von  P^  bis  P^. 

Wenn  alsdann  die  Kurve  ß  rektifizierhar  ist,  und  wenn  eine  der 
Summen  W^j  und  F^  für  LAt  =  0  gegen  eine  bestimmte,  endliehe 
Grenze  hmvergiert,  so  Unvrrgiert  die  andere  Summe  gegen  denselben 
Grenztvert,  so  daß  man  auch  definieren  kann 

JJ1\F,)  =  LJ\^.  (205) 

Denn    bezeichnen    wir    wieder    mit    r,,    und   co^,    die    Länge,    bzw.    die 
Amplitude  des  Vektors  Q^Q^^-^  und  setzen 


i: 


I,,  +  s  COS  CO,, ,  ry^,  =  7]^,  -\-  s  sin  o?,, , 


so  können  wir    unter    Benutzung    der  Homogeneität   der  Funktion  F 


die  Differenz  F^  —  W^j  schreiben 


^fj  -  ^n  "'^yt^  Ä'  ^'r^  ^0^  ^. .'  ^i^  ^r)  —  F{1,,  %„  cos  0)^,  sin  oj]  ds . 


1=0  0 


j      Hieraus    folgt    dann    die    Behauptung,    wenn    man  den  Satz  über  die 
;      gleichmäßige  Stetigkeit  auf  die  Funktion 

l  l'\x,y,  cos  7,  sin  y) 

\      anwendet. 

Indem  wir  uns  in  der  Folge  auf  rektifizierbare  Kurven  be- 
schränken, werden  wir  die  Gesamtheit  aller  rektifizierbaren  Kurven, 
für  welche  die  Summe  W jj  gegen  einen  bestimmten  endlichen  Grenz- 
wert konvergiert,  „die  Klasse  K"  nennen. 

c)  Zweite  Definition  des  verallgemeinerten  Kurvenintegrals: 

Für  spätere  Anwendungen   erwähnen  wir  hier  noch  eine  zweite  Definition 

des  verallgemeinerten  Kurvenintegrals,  welche  als  naturgemäße  Verallgemeinerung 

der  Peano'schen  Definition  i)  der  Länge  einer  Kurve  erscheint.     Peano  definiert 

I      nämlich    als    Länge    der   Kurve  :^  die    obere   Grenze    der  Werte   der   durch    die 

t      Gleichung  (203)    definierten    Summe  Wjj   für    alle    möglichen    Teilungen  H  des 

^)  "^gl-  Peano,  Äpplicaziom  geometriche  del  Calcolo  infinitesimale,  (Turin 
(1887),  p.  161. 

Bolza,  Variationsrechnung.  ^q 


290  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie. 

Intervalls  [^1^2].  Diese  Definition  hat  den  Vorzug,  daß  sie  in  allen  Fällen  für 
die  Länge  einen  bestimmten,  wenn  auch  möglicherweise  unendlichen,  Wert  liefert. 
Wenn  die  obere  Grenze  endlich  und  die  Kurve  S  stetig  ist,  so  läßt  sich  zeigen, 
daß  die  obere  Grenze  der  Werte  W^j  zugleich  in  dem  unter  a)  erklärten  Sinn 
die  Grenze  von  Wjj  für  Ar  =  0  ist,  so  daß  also  in  diesem  Fall  beide  Definitionen 
zu  demselben  Resultat  führen^). 

Um  diese  Definitionen  und  Resultate  auf  den  allgemeinen  Fall  unseres 
Integrals  J  ausdehnen  zu  können,  machen  wir  über  die  Kurve  ß,  die  wir  nach 
wie  vor  als  stetig  voraussetzen,  die  weitere  Annahme,  daß  unser  Variations- 
problem entlang  der  Kurve  ü  regulär  ist,  und  zwar,  um  die  Ideen  zu  fixieren, 
positiv  regulär. 

Wir  können  dann  zunächst  nach  §  21,  a)  vind  b)  eine  geschlossene  ganz  im 
Innern  von  51  gelegene  Umgebung 

der  Kurve  S  angeben,  in  welcher  das  Problem  ebenfalls  noch  regulär 
ist.  Ferner  gehört  nach  dem  Satz  über  gleichmäßige  Stetigkeit,  ange- 
wandt auf  die  Funktionen  qp(i),  ip{t'),  zu  jedem  s  eine  zweite  positive  Größe 
A(£),  so  daß  für  je  zwei  Punkte  P'(*')i  P"  (t")  der  Kurve  S,  für  welche 
f  —  i"|<^A(£),  stets  \P'  P"  \  <is.  Sei  jetzt  die  positive  Größe  B^  für  den 
Bereich  01^  ebenso  definiert  wie  in  §  33,  b),  und  sei  d  die  kleinere  der  beiden 
Größen  -Bq,  ?]■  Wenn  wir  uns  dann  auf  solche  Teilungen  TI  beschränken,  bei 
welchen  sämtliche  Teiliutervalle  kleiner  sind  als  A(<^,  so  können  wir  von  P^ 
nach  Q^,  von  Q^  nach  ^2-..,  von  Q^  nach  P^  je  eine  „kürzeste"  Extremale 
ziehen,  welche  überdies  ganz  im  Innern  des  Bereiches  di^  liegt.  Wir  bezeichnen 
nun  mit   Ujj  den  Wert  des  Integrals  J  entlang  dem  Extremalenzug  P^  Qi  Qi  •  -  - 

1=0 

und  definieren  ^)  als  Wert  des  Integrals  /  entlang  der  Kurve  ß  die  obere  Grenze 

der  Werte   U^j  für    alle    möglichen,    der    angegebenen    Bedingung    genügenden 

Teilungen    Tl.      Wir   bezeichnen    den    so    definierten    Integralwert    mit    /g',    so 

daß  also 

J^{P,P,)~-^LU^,,  ,  (207) 

(77) 

Die  Summe   Ujj  hat  nun  die  wichtige  Eigenschaft,  daß 

U„.^ü„,  (208) 

loenn  die  Teilung  U'  aus  der  Teilung  TL  durch  Weiterteilung  der  Intervalle  von 
TL  entstanden   ist,    vorausgesetzt,    daß    die  Teilung  TL  hinreichend  fein  gewählt 

^)  Vgl.  Jordan,  Cou/rs  d' Analyse,  Bd.  I,  Nr.  107. 

')  Diese  Definition  ist  nicht  wesentlich  verschieden  von  der  von  Osgood 
(Transactions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  II  (1901), 
p.  294,  Fußnote)  herrührenden  Modifikation  einer  von  Hilbert  in  Vorlesungen 
gegebenen  Definition  des  verallgemeinerten  Integrals  (vgl.  Noble,  „Eine  neue 
Methode  in  der  Variationsrechnung'',  Dissertation,  Göttingen  1901,  p.  18). 


§  35.  Verallgemeinerung  der  Bedeutung  des  Kurvenintegrals.  291 

worden  ist.    Es  genügt  dazu,  in  der  Bezeichnung  von  p.  290  sämtliche  Teilintervalle 

von  IJ  kleiner  als  A  (-^)  zu  nehmen,  wenn  q^^  für  den  Bereich  ^l^,  wie  in  §33,b)  definiert 

ist.  Sind  nämlich  bei  der  Teilung  U'  zwischen  den  Punkten  Q^  und  Q^.,^  von  Udie 
Zwischenpunkte  M^,  ilfgv  •  •»  ^m  eingeschaltet,  so  liegt  alsdann  der  Extremalen- 
zug  Q^M^M^  ...  M„^Q^^^  ganz  im  Innern  des  Kreises  (^^,  q^),  und  daher  ist 
der  Wert  des  Integrals  /  entlang  demselben  nach  Satz  III  von  §  33 
^^(s  {QvQv +■[)•>  woraus  unmittelbar  unsere  Behauptung  folgt. 

Auf  Grund  dieser  Eigenschaft  der  Summe  TJj^j  kann  man  nun  aber  mittels 
der  Methode  der  Superposition  zweier  Teilungen  unter  Benutzung  der  Un- 
gleichung (184b)  den  Satz  beweisen^): 

Wenn  die  obere  Grenze  J^  endlich  ist,  so  ist  sie  zugleich  die  Grenze  der 
Summe  Ujj  bei  unendlicher  Verkleinerung  der  Teilintervalle: 

LUjj  =  Jq\  (209) 

und  ist  P  ein  Punkt  von  S  zwischen  P^  und  Pg ,  so  sind  auch  die  Integrale 
J^iP^P)  und  J^{PP^)  endlich,  und  es  ist 

J2  (-Pi  ^2)  =  Jä(Pi  P)  +  ^2  (-P^^)  ■  (210) 

Weiter  gilt  der  Satz:  Das  Integral  Jq  id  stets  endlich,  wenn  die  Kurve  ^ 
rektifizierbar  ist.     Denn  nach  (184b)  ist 

wo  die  beiden  Größen  Nf^ ,  g^  für  den  Bereich  Si^^  dieselbe  Bedeutung  haben  wie 
in  §  33,  b). 

Es  fragt  sich  schließlich  noch,  welche  Beziehung  zwischen  der  Weier- 
straß'schen  Definition  des  verallgemeinerten  Integrals  und  der  hier  gegebenen 
besteht.     Hierüber  gilt  der  Satz: 

Ist  die  Kurve  S  rektifizierbar  und  ist  das  Variationsproblem  regulär  ent- 
lang S,  so  hat  das  verallgemeinerte  Integral  nach  beiden  Definitionen  einen  be- 
stimmten endlichen  Wert  und  zwar  denselben  für  beide: 

'T^'-J^'  (211) 

Denn  stellt  man  die  kürzeste  Extremale  fö  von  O  nach  0,  , ,  in  der  Normal- 
form  (168)  dar  durch  die  Gleichungen 

K'-  x=cp^{t,a^),         y=.^^{t,a;),         O^t^t^., 

und  schreibt  zur  Abkürzung 

F{(p^ {t,a^),     ^^{t,a^),     (p;{t,a^),^;{t,  a^))  =  SF^. {t ,  «,,) , 


^)  Man  schließt  ganz  analog  wie  Jordan,  loc.  cit.,  Nr,  107,  108. 

19* 


292  Fünftes  Kapitel.    Die  Weierstraß'sche  Theorie 

80  ist  nach  dem  Mittelwertsatz 

r  =  0 

WO  t^,  einen  Mittelwert  zwischen  0  und  t^,  bedeutet.     Daher  ist 

n 

^n-^n='^''r  [  pr(C'  «r)  "  ^(^.-  ^^  COS  «,„  sin  a,.)] 

1=0 

—  [F(a,,,  7j,,,  cos  CO,,,  sin  09,,)  —  F(|,,,  rj,,,  cos  «, ,  sin  a^)]  +  ^-'^  —  1  j  ^,,(^~,,  a,,) } , 

wenn  r,,  und  co,,  wieder  die  Länge,  resp.  die  Amplitude  des  Vektors  ^,,^)+i 
bedeuten. 

Aus    der    Gleichmäßigkeit    der  Grenzübergänge    (183),    (186)    und  aus  der 

Ungleichung  

folgt  nunmehr,  daß  man  zu  jedem  positiven  e  ein  8^  angeben  kann,  so  daß 

n 

sobald  alle  Teilintervalle  von  11  kleiner  sind  als  6^.  Wenn  nun  die  Kurve  ii 
rektifizierbar  und  L  ihre  Länge  ist,  so  ist 

r  =  0 

und  zugleich  wissen  wir,  daß  dann  JJjj  für  A  t  =  ü  gegen  eine  bestimmte  end- 
liche Grenze  J^  konvergiert.  Derselben  Grenze  muß  sich  daher  auch  Wjj  nähern, 
was  zu  beweisen  war. 

d)  Ausdehnung  des  Hinlängliclikeitsbeweises  auf  Kurven  der 
Klasse  K\ 

Es  sei  jetzt  ©^  ein  die  beiden  Punkte  Pj  und  P.^  verbindender 
Extremalenbogen  ohne  mehrfache  Punkte,  welcher  ganz  im  Innern 
des  Bereiches  Öl  liegt.  Wir  setzen  voraus,  daß 'für  den  Bogen  (S« 
die  Bedingungen  (11'),  (IIF),  (IV)  erfüllt  sind.  Dann  können  wir 
nach  §  32,  b)  den  Bogen  ©^  mit  einem  Feld  cj),^j^.  umgeben,  in  welchem 
die  Ungleichung  (198)  erfüllt  ist. 

Weiter  sei  ö  irgend  eine  Kurve  der  Klasse  K,  welche  ebenfalls 
die  beiden  Punkte  Pj  und  1\  verbindet,  ganz  im  Innern  des  Feldes 
c^,  ^  verläuft  und  mindestens  einen  Punkt  enthält,  welcher  nicht  auf 
dein  Extremalenbogen  @o  oder  seiner  Fortsetzung  liegt.  Wir  wollen 
beweisen,  daß  dann  ,^_^ 


§  35.    Verallgemeinerung  der  Bedeutung  des  Kurvenintegrals.  293 

unter  J„    das    in    b)    definierte    verallgemeinerte    Kurven  integral    ver- 
standen. 

BeAveis:  Die  Kurve  S  sei  wieder  durch  die  Gleichungen  (202) 
dargestellt.  Wir  wählen  eine  beliebige  Teilung  11  des  Intervalls 
[t^t^]  und  konstruieren  das  zugehörige,  der  Kurve  ß  eingeschriebene 
Polygon  ^jj.  Da  die  Kurve  2  ganz  im  Innern  des  Feldes  oT^ ;;,  liegen 
sollte,  so  wird  auch  das  Polygon  ^^^  ganz  im  Innern  von  qT^  ^  liegen, 
vorausgesetzt,  daß  die  sämtlichen  Teilintervalle  hinreichend  klein 
gewählt  worden  sind.  Da  das  Polygon  überdies  eine  gewöhnliche 
Kurve  ist,  so  folgt  aus  unseren  Voraussetzungen  nach  §  32,  b),   daß 

Oehen  wir  daher  zur  Grenze  über  und  benutzen  die  Definition  (205) 
für  das  Integral  J^,  so  folgt: 

Es  läßt  sich  nun  aber,  wie  schon  Weierstrass^)  bemerkt  hat, 
noch  weiter  zeigen,  daß  unter  den  gemachten  Annahmen  stets 
Jg  >  Jg .  Dies  folgt  sofort  aus  dem  Osgood'schen  Satz,  am  ein- 
fachsten in  der  in  §  46,  d)  gegebenen  Formulierung.  Denn  ist  Q 
ein  Punkt  von  2,  welcher  nicht  auf  dem  Extremalenbogen  ©^  oder 
dessen  Fortsetzung  liegt,  und  ist  a  =  a^  -\-  l  der  Wert  des  Parameters 
der  durch  den  Punkt  Q  gehenden  Feldextrem  alen,  dann  ist:  0  <  l\<^k. 
Daraus  folgt  aber  nach  dem  erwähnten  Satz,  daß  sich  eine  positive 
Größe  £^  angeben  läßt,  derart  daß  für  jede  gewöhnliche,  P^  und  P^  ver- 
bindende Kurve  S,  welche  durch  den  Punkt  Q  geht  und  ganz  im 
Innern  des  Feldes  verläuft, 

Beschränken  wir  uns  daher  bei  dem  obigen  Grenzprozeß  auf 
solche  Teilungen  77,  welche  den  Punkt  Q  als  Teilungspunkt  enthalten, 
was,  wie  man  leicht  zeigt,  auf  denselben  Grenzwert  für  das  Integral 
Vj-j  führt,  so  ist 

^77  -  ^G.  5  ^i 


i  ^)  Vorlesungen  1879;  den  Weierstraß'schen  Beweis  findet  man  in  §  31,  e) 

meiner  Lectures  durchgeführt.  Der  im  Text  gegebene  Beweis  rührt  von  Osgood 
l  her,  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  II  (1901) 
l     p.  292. 


294  Fünftes  Kapitel.     Die  Weierstraß'sche  Theorie 

und  daher,  wenn  wir  zur  Grenze  übergehen, 

womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

Auch  der  Satz  über  die  Existenz  eines  Minimums  im  Kleinen  läßt  sich  auf 
Vergleichskurven  der  Klasse  K  ausdehnen: 

Es  sei  3lo  ein  Bereich,  für  welchen  die  Voraussetzungen  von  §  33,  b)  er- 
füllt sind,  und  es  sei  r^  für  den  Bereich  ^o  definiert  wie  in  §  34,  b).  Sind 
dann  P^  und  Pg  irgend  zwei  Punkte  von  ^l«,  deren  Entfernung  kleiner  ist  als  r^, 
und  ziehen  wir  von  P^  nach  P^  einerseits  die  kürzeste  Extremale  (g^^,  anderer- 
seits eine  beliebige  Kurve  Ö  der  Klasse  Ä^  welche  ganz  im  Innern  des  Kreises 
(Pj,  /'o)  liegt  und  mindestens  einen  Punkt  enthält,  welcher  nicht  auf  dem 
Extremalenbogen  e^g  hegt,  so  ist:  /jj  >  «^g^,- 

Der  Beweis  ist  ganz  analog  wie  oben  mittels  des  Osgood'schen  Satzes^ 
diesmal  in  der  Form  von  §  34,  b),  zu  führen;  an  Stelle  des  Feldes  c^,^^^,  tritt 
jetzt  die  Kreisfläche  (Pj,  r„). 


Übungsaufgaben  zum  fünften  Kapitel. 


Für  die  folgenden  Flächen  die  geodätischen  Linien  zu  bestimmen  und  die 
Frage  der  konjugierten  Punkte  zu  untersuchen,  wenn  möglich  sowohl  geometrisch 
als  analytisch: 

1.  Für  die  Kugel. 

2.  Für  die  allgemeinste  Zylinderfläche. 

3.  Für  abwickelbare  Flächen  im  allgemeinen.  (Jacobi) 

4.  Für  das  Motationsparaboloid: 

X  =^  u  cos  v,         y  =  u  sin  y,         ^  =  u^/2p. 

Lösung:  Bei  passender  Wahl  des  Parameters  lautet  die  Gleichung  zur 
Bestimmung  des  zu  t^  konjugierten  Punktes 

Coth  t  —  t  =  Coth  t^~  t^. 
5*.    Für  das  Eotationsellipsoid.  (Braunmühl,  v.  Mangoldt) 

6*.   Für  den  Kreisring.  (Bliss) 

7.  Die  Funktionen  F^  und  K  für  geodätische  Linien  zu  berechnen,  wenn 
das  Linienelement  in  der  Form 

ds^  ^^  E{du^  -{-  dv^) 

gegeben  ist  und  die  Bogenlänge  als  Parameter  gewählt  wird  (§  28,  c)). 
Lösung: 

8.  Für  folgende  Funktionen  die  Indikatrix  zu  konstruieren  und  mit  deren 
Hilfe  die  Frage  des  starken  und  schwachen  Extremums  zu  diskutieren: 


296  Übungsaufgaben  zum  fünften  Kapitel. 

F-      j^"±y" 

x}/x^-\-  2/'^^+  yx 

9.  Das  Prinzij)  der  kleinsten  Aktion  für  die  Beilegung  eines  materiellni 
Punktes  in  einer  Ehene^):  Ein  materieller  Punkt  von  der  Masse  1  sei  gezwungen, 
sich  in  der  x,  y- Ebene  zu  bewegen.  Unter  der  Einwirkung  einer  in  der  x,  y- 
Ebene  gelegenen  Kraft,  welche  eine  von  der  Zeit  unabhängige  Kräftefunktion 
U{x,y)  besitzt,  möge  der  Punkt  aus  einer  gegebenen  Anfangslage  Po(^oi  2/o) 
l9ei  gegebener  Anfangsrichtung  und  Geschwindigkeit  nach  Ablauf  einer  gewissen 
Zeit  in  eine  Endlage  P^ix^,  2/1)  übergehen.  Wir  bezeichnen  den  absoluten  Wert 
der  Anfangsgeschwindigkeit   mit  v^  .     Bestimmt   man  dann  die  Konstante  h  aus 

der  Gleichung 

v,'=^{U{x,,y,)  -i-h), 

80  erfüllt  die  von  dem  materiellen  Punkt^beschriebene  Bahn  die  erste  notwendige 
Bedingung  für  ein  Minimum  des  Integrals 


a==/T/.r^<x;-.,w]/e)+e)'^'^ 

in  Beziehung  auf  die  Gesamtheit  aller  die  beiden  Punkte  P,  und  P^  verbinden- 
den Kurven  der  x,  1/- Ebene. 

Das  Integral  (SC  wird  die  „Aktion''  entlang  der  betrachteten  Kurve  genannt. 

Konjugierte    Punkte    werden    dabei    „konjugierte    kinetische    Brennpunkte'' 

genannt. 

Andeutung:  Man  benutze  die  beiden  Dilferentialgleichungen  (20)  und  tretfe 
eine  passende  Wahl  der  den  Parameter  charakterisierenden  Zusatzgleichung 
(§  26,  a)).  Welcher  Satz  der  Mechanik  wird  durch  die  Form  (23b)  der  Euler'schen 
Differentialgleichung  ausgedrückt?  (Jacobi,  Dakboux,  Appell) 

10.  Das  Prinzip  der  kleinsten  Aktion  auf  die  Bewegung  eines  schiveren 
materiellen  Punktes  in  einer  vertikalen  Ebene  anzuwenden  (unter  Vernachlässigung 
des  Luftwiderstandes).  , 

Der  materielle  Punkt  werde  vom  Koordinatenanfangspunkt  1\  eines  recht- 
winkligen Koordinatensystems,  dessen  positive  y- Achse  vertikal  nach  oben  ge- 
richtet ist,  unter  einem  Winkel  a  gegen  die  Horizontale  mit  einer  Anfangs- 
geschwindigkeit V,  fortgeschleudert.  Der  Quotient  v,/2g  werde  mit  k  bezeichnet. 
Die  Bahn  ist  dann  eine  Parabel  mit  der  Geraden:  y  =  k  als  Direktrix.  Den 
zu  Po  konjugierten  Punkt  P«'  zu  bestimmen;  für  welche  Werte  von  a  existiert 
ein  solcher,  für  welche  nicht?    Geometrische  Konstruktion  desselben:  Die  Gerade 

von  der  Amplitude:    2a  —  ^    durch   den  Punkt  P^   schneidet  die  Parabel  zum 
1)  Vgl.  Kap.  XI 


Übungsaufgaben  zum  fünften  Kapitel. 


297 


Tjweiten  Mal  im  Punkt  P^^'.  Die  Tangenten  an  die  Parabel  in  P^  und  P^' 
schneiden  sich  in  einem  Punkt  T  der  Geraden:  y  =  k  (Lindelöf's  Konstruk- 
tion, verallgemeinert,  vgl.  §  13,  c)),  und  zwar  unter  einem  rechten  Winkel.  Die 
Enveloppe  der  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  zu  bestimmen;  welche  Be- 
deutung hat  dieselbe  für  die  Aufgabe:  bei  gegebenem  v^  den  Winkel  a  so  zu 
bestimmen,  daß  die  Bahn  durch  einen  gegebenen  zweiten  Punkt  P^  hindurchgeht? 

(Tait  and  Steel,  Appell) 

11.  Für  das  vorangehende  Beispiel  und  für  die  Extremalenschar  durch  den 
Punkt  P(,  das  Feldintegral  W{x,  y),  gerechnet  vom  Punkt  P^,  zu  berechnen^ 
.a)  mittels  der  Hamilton'schen  Formeln  (148),  b)  nach  der  Methode  von  §  20. 

Lösung: 

W{x,  y)  =  1/2  (/^  ((2^-  -  y)  u  -  ""J)  , 
wo 

u  =  y^k  —  y  ~yi]c(k—^~-^x^^'^. 

Dies  läßt  sich  auch  in  die  Form  bringen: 


¥ür  den  Wert  der  Aktion  vom  Punkt 
Pq  bis  zum  konjugierten  Punkt  1\' 
•ergibt  sich  hieraus  der  Wert 


3   g  sin^  a 


(Darboux) 


12.  Das  Prinzip  der  kleinsten 
Aktion  auf  die  Planetenbewegwng  an- 
zuwenden. 

Die  Sonne  befinde  sich  im  Pol  0 
<eines  Systems  von  Polarkoordinateu 
r,  ö;  die  Anfangslage  P^  sei  gegeben 
•durch  r  =  r^,  0  =  0,  die  Anfangs- 
geschwindigkeit sei  V(^ ,  die  Anfangs- 
lichtung bilde  mit  der  Achse  den 
Winkel  a\  die  Anziehungskraft  sei 
jLt/r^.  Die  Bahn  ist  eine  Ellipse* 
Parabel    oder    Hyperbel,    jenachdem' 


/ 


Fig.  45. 


-^   oder  >  -^ 


Diese  Bedingung  ist  von  a  unabhängig.    Für  den 


i    Fall  der  Ellipse  ist  die  große  Halbachse  a  gegeben  durch 


also  ebenfalls  von  a.  unabhängig. 


298  Übungsaufgaben  zum  fünften  Kapitel. 

Aus  den  Breunpunktseigenschaften  der  Ellipse  folgen  nunmehr  folgende 
Sätze:  Der  zweite  Brennpunkt  F  liegt  auf  dem  Kreis  mit  dem  Radius 
IPqA  =  2a  —  /o  um  den  Punkt  P^;  der  Vektor  P^F  bildet  mit  der  Achse 
den  Winkel  2a.  Verlängert  man  die  Gerade  Pf^F  bis  zu  ihrem  zweiten  Schnitt- 
punkt mit  der  Ellipse,  so  ist  dieser  der  zu  P^  konjugierte  Punkt  P^'.  Die  Enveloppe 
der  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  ist  eine  Ellipse  t^,  welche  die  Punkte  0 
und  Pq  zu  Brennpunkten  hat  und  durch  den  Punkt  A  geht.  Bei  der  Ableitung 
dieser  Resultate  gehe  man  von  der  Aufgabe  aus,  bei  gegebenem  v^  diejenige 
Extremale  zu  bestimmen,  welche  durch  den  Punkt  P^  und  durch  einen  zweiten 
gegebenen  Punkt  P^  hindurchgeht:  Durch  jeden  Punkt  P^  im  Innern  der 
Ellipse  ^  gehen  zwei  Extrem alen  von  P^  aus;  man  verlängere  die  Gerade  OP^ 
bis  zu  ihrem  Schnittpunkt  S  mit  dem  Kreis  um  0  mit  dem  Radius  |  0A\  =  2a^ 
beschreibe  sodann  um  Pj  einen  Kreis  mit  dem  Radius  'P^S\i  derselbe  schneidet 
den  Kreis  mit  dem  Radius  \  P^^A\  um  P^  in  zwei  Punkten  F,  F\  welche  die 
zweiten  Brennpunkte  der  beiden  gesuchten  Ellipsen  sind.  Durch  jeden  Punkt 
von  ^  geht  eine  Extremale  von  P^^  aus.  Liegt  P^  außerhalb  %,  so  geht  keine 
Extremale  von  P^  nach  P^ .  (Jacobi,  Tait  and  Stekl) 

13.  Für  die  vorangehende  Aufgabe  die  Hamilton'sche  partielle  Differential- 
gleichung aufzustellen  und  ein  vollständiges  Integral  derselben  nach  der  Methode 
von  §  20,  c)  aus  dem  ersten  Integral :  F^,  =  §  der  Eule  r'schen  Differentialgleichung 
abzuleiten. 

Lösung: 

(cW\^   ,     1  (dW\^       ^  /^     ,    A 


W=  ßd  -\-  Yfialu  -\-  esinu  —  2  Vi  —  e^  arctg  Oy-^~  ^S  y)  |  +  ^ 


ß^  =  ua{l  —  e*) ,        r  =  a{l  —  e  cos  u) . 

Für  welche  Extremalenschar  ist  die  Schar:   W  =  konst.  die  Transversalenschar ? 

(Jacobi) 

14.  Das  Prinzip  der  Jdeinsten  Aktion  auf  die  Bewegung  eines  Punktes  auf 
einer  beliebigen  Fläche  auszudehnen.  Hieraus  den  Satz  abzuleiten,  daß  der  Punkt 
eine  geodätische  Linie  beschreibt,  wenn  keine  Kraft  auf  ihn  wirkt.  (Appell) 

15.  iJas  allgemeine  Problem  der  Brachistochrone  auf  einer  Fläche:  Auf  einen 
materiellen  Punkt,  welcher  gezwungen  ist^  sich  auf  einer  gegebenen  Fläche  zu 
bewegen,  wirke  eine  Kraft,  welche  eine  von  der  Zeit  unabhängige  Kräftefunk- 
tion U{x,  y,  z)  besitzt.  Unter  allen  Kurven,  welche  auf  der  Fläche  zwischen 
zwei  gegebenen  Punkten  P^  und  Pj  gezogen  werden  können,  diejenige  zu  be- 
stimmen, entlang  welcher  der  materielle  Punkt  in  dex  kürzesten  Zeit  von  P^ 
nach  Pj  gelangt,  wenn  ihm  im  Punkt  P^  eine  gegebene  Anfangsgeschwindigkeit 
erteilt  wird.  (Appell) 


Übungsaufgaben  zum  fünften  Kapitel.  299 

16*.  Die  Brachistochrone  auf  einer  Kugel  miter  der  Einwirkung  der  Schwere 
zu  bestimmen;  die  Gestalt  der  Kurve  zu  diskutieren;  die  Frage  der  konjugierten 
Punkte  zu  untersuchen. 

17*.  Unter  allen  Kurven,  welche  zwei  gegebene  Punkte  Pj  und  Pj  ver- 
binden, diejenige  zu  bestimmen,  welche  das  kleinste  Trägheitsmoment  in  Beziehung 
auf  einen  dritten  Punkt  P^  besitzt. 

In  Polarkoordinaten  hat  man  also  das  Integral 


(•2 


zu  einem  Minimum  zu  machen. 

Lösung:  Liegen  die  drei  Punkte  P^,  P^,  I\  in  gerader  Linie,  so  liefert 
das  gerade  Segment  P^P^  das  absolute  Minimum. 

Ist   0<|Ö2— 0ii<      ,    so    können   die   beiden  Punkte  P^,  P,    durch  eine 
3 

einzige  Extremale :  r^  cos  (3Ö  +  ^)  = /^  verbunden  werden,  und  diese  liefert  stets 

das  absolute  Minimum. 

Ist  I Ö2 — Öj  >^  .    ,    so    besitzt   die  Aufgabe   keine  kontinuierliche  Lösung. 

(BoNNET,    MaSON.) 

18*.  Die  krtimmlinige  Bahn  eines  Lichtstrahls  in  einem  nicht  homogenen, 
durchsichtigen,  einfach  brechenden  Medium  zu  bestimmen,  dessen  absoluter  Brechungs- 
exponent n  eine  stetige  Funktion  der  rechtioinkligen  Koordinaten  x,  y,  z  des 
Ortes  ist. 

Andeutungen:  Die  Fortpflanzung  des  Lichtes  von  einem  Punkt  P^  nach 
einem  andern  Pj_  erfolgt  in  der  kürzesten  möglichen  Zeit.  Da  der  absolute 
Brechungsexponent  nach  der  ündulationstheorie  umgekehrt  proportional  der 
Geschwindigkeit  des  Lichtes  in  dem  betreffenden  Punkt  ist,  so  haben  wir  daher 
das  Integral^) 

/  =:=   I  nds 

ZU  einem  Minimum  zu  machen,  wo  n  eine  gegebene  Funktion  von  x,  y,  z  be- 
deutet. Wenn  insbesondere  n  eine  Funktion  der  Entfernung  von  einem  festen 
Zentrum  0  ist  (eine  Bedingung,  welche  annähernd  für  die  Atmosphären  der 
Himmelskörper  erfüllt  ist),  so  liegt  die  Bahn  in  einer  Ebene  durch  den  Punkt  0. 
Macht  man  diese  Ebene  zur  x,  t/- Ebene  und  den  Punkt  0  zum  Koordinaten- 
anfangspunkt, so  ist  n  eine  Funktion  von  r=>/a^^  +  2/^\  und  das  Integral, 
welches  zu  einem  Minimum  zu  machen  ist,  nimmt  folgende  Gestalt  an,  wenn 
wir  Polarkoordinaten  r,  B  mit  dem  Pol  0  einführen: 


^)  Vgl.  auch  Appell,   Traite  de  Mecanique,  Bd.  T,  p.  215. 


QQQ  Übungsaufgaben  zum  fünften  Kapitel. 

Der  Lichtstrahl  möge  von  einem  gegebenen  Punkt  r^r«,  0  =  0  ausgehen  und 
seine  Anfangsrichtung  möge  mit  der  Achse  des  Koordinatensystems  den  Winkel 
^  _  i  bilden.  Den  allgemeinen  Charakter  der  Bahn  zu  untersuchen,  insbeson- 
d^ere  in  seiner  Abhängigkeit  von  dem  Anfangswinkel  *,  unter  der  Annahme,  daß 
f(r)  für  r  =  oo  sich  einer  bestimmten  endlichen  Grenze  >  1  nähert. 

Handelt  es  sich  um  die  Brechung  des  Lichts  in  der  Atmosphäre  eines 
Himmelskörpers  vom  Radius  J?,  so  ist  eine  angenähert  richtige  Wahl  für  die 
Funktion  /XO:  -^r-B)\^ 

f{r)  =  (^1  4-  fe«"    ^''"      j  1 

wobei  k  und   l   zwei  physikalische  Konstante  sind.     Dabei  ist  dann  noch  die 
Gebietsbeschränkung:  r  "^  B  hinzuzufügen. 

Die  Frage  der  konjugierten  Punkte  zu  untersuchen.  ^)  rKuMMERj 

1)  Die  letztere  Aufgabe  hat  Weierstkass  in  seinen  Vorlesungen  gestellt. 


Sechstes  Kapitel. 
Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

§  36.    Die  Variationsmethode. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zu  einer  eingehenden^)  Diskussion  des 
Problem  S;  das  Integral 

J  =  fF(x,y,x,y)dt 

zu  einem  Minimum   zu   machen   in   dem  Fall,   wo  die  Endpunkte  der 
zulässigen  Kurven  nicht   beide  vorgegeben   sind.     Wir  betrachten  zu- 
nächst den  Fall,  tuo  der  erste  der  beiden  Endpunkte  auf  einer  gegebenen 
Kurve  ^  beiveglicli  ist,  während  der  zweite,  P^,  fest  und  gegeben  ist. 
Die  Kurve  ^  denken  wir  uns  durch  einen  Parameter  a  dargestellt: 

^ :  X  =  x(a),         y  =  y{a),         a^^a^a^. 

Wir  setzen  voraus,  daß  sie  von  der  Klasse  C"  ist  und  ganz  im 
Bereich  ^^)  liegt. 

Unsere  zulässigen  Kurven  sind  also  die  Gesamtheit  't)TI  aller  ^^ge- 
wöhnlichen"^)  Kurven,  welche  von  der  Kurve  ^  nach  dem  Punkt  F^ 
gezogen  werden  können,  und  welche  überdies  ganz  im  Bereich  ^ 
liegen. 

Wir  nehmen  an,  wir  hätten  eine  Kurve 

(^0 :  x=^  x{t),         y  =  yit),         t^^t^  t^  (1) 

gefunden,  welche  unser  Integral  J  in  bezug  auf  diese  Gesamtheit  91^1. 
zu  einem  (relativen)  Minimum  macht.  Dieselbe  möge  von  der  Klasse 
C  sein  und  ganz  im  Innern  des  Bereiches  ^  liegen.  Der  Punkt  der 
Kurve  U,  von  dem  sie  ausgeht,  sei  P^  und  möge  dem  Wert  a  =  a^ 
entsprechen,  so  daß  also 

, l'(^i)  =  .r(«o).        'Kk)  =  y{%),  (2) 

^)  Vorübergehend  gestreift  haben  wir  das  Problem  bereits  in  §  7,  beim 
^-Problem. 

^)  "^gh  §  25,  b);  die  Annahmen  über  die  Funktion  F  sind  dieselben  wie  dort. 
»)  Vgl.  §  25,  a). 

Bolza,  Variationsrechnung.  20 


302  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

wobei  wir  annehmen,  daß  «j  <  a^  <  a^.  Wir  schließen  dann  zunächst 
ganz  wie  in  §  7,a),  daß  die  gesuchte  Kurve  (Sq  in  erster  Linie  alle 
notwendigen  Bedingungen  für  ein  Minimum  bei  festen  Endpunkten 
erfüllen  muß.  Sie  muß  also  eine  Extremale  sein  und  überdies  müssen 
die  Bedingungen  (II),  (III),  (IV)  erfüUt  sein.  Wir  nehmen  für  die 
weitere  Diskussion  an,  daß  aUe  diese  Bedingungen  erfüllt  sind. 

Für  die  weitere  Behandlung  der  Aufgabe  sind  drei  wesentlich 
verschiedene  Methoden  entwickelt  worden,  die  wir  als  Variations- 
methode, Diff'erentiationsmethode^)  und  Kneser'sche  Methode^)  unter- 
scheiden woUen.  Im  gegenwärtigen  Paragraphen  soU  die  erste  der- 
selben, soweit  sie  sich  auf  die  erste  Variation  bezieht,  besprochen  werden. 
a)  Die  Transversalitätsbedingung: 

Die  Variationsmethode  besteht  darin,  daß  man  für  das  vorliegende 
Problem  „Normal- Variationen"  •^)  von  hinreichender  Allgemeinheit  her- 
stellt, für  dieselben  d  J  und  d^J"  berechnet,  und  dann  die  Bedingungen 
^,7=0,  ö^J^O  diskutiert.  Diese  Methode,  die  bis  auf  Lagrange ^) 
zurückgeht  (1760),  führt  am  einfachsten  zu  der  aus  dem  Verschwinden 

der  ersten  Variation  folgenden  Trans- 
versalitätsbedingung, steht  jedoch  für 
die  weitere  Behandlung  des  Pro- 
blems hinter  der  Differentiations- 
methode an  Einfachheit  und  Trag- 
weite zurück. 

Wir  setzen  zunächst  voraus,  daß 
die  Funktion  F  von  den  Koordinaten 
der  Endpunkte  nicht  abhängt. 

Es  sei  P3  derjenige  Punkt  von  Ä, 
welcher  dem  Parameter  a  =  Oq  -^  e 
entspricht,  wobei  £  eine  unendlich  kleine  Größe  bedeutet.  Dann  ziehen 
wir   eine    den    Bedingungen    einer   Normalvariation   genügende   Kurve 

S:        x  =  x(t)  +  |(^,  f),        y  =  y(t)  +  v(i,  ^)'.        ii<i<t, 
vom  Punkte   P3  nach  dem  Punkt  P^.     Die  Funktionen   |(^,£),   ^(^;f) 
müssen  also  so  gewählt  werden,  daß  für  jedes  e: 

1(^1,  e)  =  x{aQ  +  0  -  ^K);     Uhy^)  =  Ö'  /gN 

V  ih  y^)  =  y  {%  +  f )  --  ^  {%)  y      ^  (^2 ;  f )  =  Ö; 

')  Vgl.  §§  38-40. 

«)  Dieselbe  setzt  erst  nach  Ableitung    der    Transversalitätsbedingung  ein. 
Vgl.  §  41  und  Kap.  VU. 
»)  Vgl.  §  8,  a). 
*)  Vgl.  Lagrangk,  G'Juvres,  Bd.  I,  pp.  :338,  345. 


§  36.    Die  Variationsmethode.  303 

was  stets  möglicli  ist,  z.  B.  indem  man  (wie  in  §  30,  a)) 

Sftf)  =  [^K  +  f)  -  ^K)]^(0; 

ri{t,  e)  =  [y(a^  +  £)  -  K%)]  «^(0 

setzt,  wobei  u(t),  v(t)  Funktionen  von  t  aliein  sind,  die  für  t  =  t^  ver- 
schwinden und  für  ^  =  ^^  gleich  1  werden. 

Für  eine  solche  Variation  erhält  man  dann  nach  Gleichung  (78) 
von  §  8,  da  die  Kurve   (Sq   eine  Extremale  ist,   ganz   wie  in  §  30,  a), 

wobei  nach  (3)  im  gegenwärtigen  Fall 

Die  Bedingung  dJ=0  fährt  also  auf  das  Resultat^): 
Im  Punkt  Pj  muß  die  Relation 

Fxix,y,  x,y)x  +  Fy'{x,y,  xy)y'  |  ^  ==  0  (5) 

erfüllt  sein,  wobei  sich  die  Ableitungen  x,  y   auf  die  Extremale  (^q,  die 
Ableitungen  x',y'  auf  die  gegebene  Kurve  ^  beziehen. 

Dies  ist   die  „Transversalitätsbedingung"  für  den  Fall   der   Para- 
meterdarstellung. ^) 


^)  WfiiERSTRAss,   Vorlesungen  1882;  vgl.  Kneser,  Lehrbuch,  p.  32. 
^  Die  zweite  Variation  bei  variabeln  Endpunkten,   auf  die  wir  hier  nicht 
eingehen,  ist  zuerst  von  Ekdmann  für  das  Integral 


J=Jf{x,y,y')di 


untersucht  worden  (Zeitschrift  für  Mathematik  und  Physik,   Bd.  XXIII 
(1878)  p.  364);  für  das  Integral  in  Parameterdarstellung 


J=j  F{x,y,x\y')dt 


I'  touBliss  (Transactions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  UI 
;  (1902)  p.  132,  siehe  unten  §  39;  für  das  allgemeinere  Integral 

I  =j  fi^^ y^y^^  •  •  •, yni, y[, y'^,  ■  •  •, yn) dx, 

in  dem  die  unbekannten  Funktionen  y^,  y^^-  ■  ',  y  durch  eine  Anzahl  von 
Differentialgleichungen  verbunden  sind,  von  A.  Mayek  (Leipziger  Berichte 
(1896)  p.  436). 

20* 


i 


304  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

Zur  Bestimmung  der  lutegrationskonstanten  a,  ß  des  allgemeinen 
Integrals  der  Eule r 'sehen  Differentialgleicliung,  sowie  der  unbekannten 
Größen  t^,  t^,  a^  hat  man  fünf  Gleichungen,  nämlich 

flh .  «;  /^)  =  ^2 ;  Oih,  ^y  ß)  =  Vi  y  (ß^) 

tXh,  ^,  ß)  =  '^(«o),  9(ti,  cz,  ß)  =  K^o) 

und  außerdem  die  Transversalitätsbedingung  (5). 

Beispiel  XVI:  Die  Geodätischen  Linien.     (Siehe  p.  209.) 

Für  die  Transversalitätsbedingung  findet  man  hier  leicht  die  Gleichung 

welche  ausdrückt,  daß  die  geodätische  Linie  die  auf  der  Fläche  gegebene  Kurve 
orthogonal  schneiden  muß.  ^)  ^     ^^ 

Die  im  Punkt  x^,  y^  zur  Richtung  x[,  y\  transversale  Richtung  x\,  y[,  die 
durch  die  Gleichung  (5)  definiert  ist,  läßt  sich  nach  Cakatheodory  sehr  einfach 
mit  Hilfe  der  Tndikatrix  (§  30,0)  geometrisch  konstruieren.  Bezeichnen  wir  mite, 
und  d,  die  Amplituden  der  beiden  Richtungen,  so  folgt  aus  (5): 

F^.{x^,y^,CO^G^,sme,) 

tg  öl  =  -  F,ßc^;;'^^ie;;^Kd;) ' 

Durch  Vergleichung  mit  Gleichung  (128b)  von  §  30  ergibt  sich  daraus  die  Regel: 

Um  die  zur  Bichtung  6,   transversale  Bichtung  ~e,   zu  erhalten,  konstruiere 

man   im  PunJä  QJß^)   der  Indikatrix  die  Tangente  Q,  T,  an  dielndikatrix;die 

Richtung  derselben  gibt  dann  die  gesuchte  transversale  Bichtung  Ö,,  (vgl.  Fig.  35). 

Übrigens  ist  mit  6^  stets  zugleich  auch  ~e^ -\- n  transversal  zu  ö^.^) 

b)  Der  Fall,  wo  die  Funktion  F  die  Koordinaten  der  Endpunkte 
enthält:^) 

Die  Untersuchung  gestaltet  sich  wesentlich  anders,  wenn  die 
Funktion  F  die  Koordinaten  der  Endpunkte  enthält.  In  diesem  Fall 
hat  man   nach   p.  50  dem  Ausdruck  (3)  für  8J  noch  das  Zusatzglied 

fiF^^Öx,  +  FJy,  +  FJx,  +  FJy.;)  dt 
u  _  -  ■ 

hinzuzufügen,  wobei 

ÖXi  =  öx\ h,  dy.  =  d y  ^i ,  (i  =  1,  2). 

da  t^  und  t^  von  s  unabhängig  sind. 

1)  Vgl.  z.  B.  BiANCHi-LuKAT,  Differentialgeometrie,  p.  65. 

2)  Hierzu  die  Übungsaufgaben  Nr.  1—3  am  Ende  von  Kap.  IX. 

^)  Zuerst  behandelt  von  Lagbange  (1769),  vgl.  (Euvres,  Bd.  II,  pp.  47  und  öy. 
Vgl.  auch  Kneser,  Lehrbuch,  §  12. 


36.    Die  Variation  smethode. 


305 


Unter  Benutzung   von  (4)   erhalten   wir   daher  im  gegenwärtigen 
Falle  statt  der  Trans versalitätsbedingung  (5)  die  folgende  Bedingung: 


-  {xF,  +  y'F^;)  '  +  f(F^x,  +  FJ{)  dt 


0, 


(7) 


wobei  die  Argumente  von  F^,,  F^,  sind:  x^y  y^y  x[y  ]j[\  x^,  y^,  x^,  y^-^ 
diejenigen  von  F^^^  F^^: 

x(f),  y{t),  x(t\  y{t)-  x„  y„  x^,  y,^. 

Diese  Gleichung  ist  von  wesentlich  anderem  Charakter  als  die 
Trans  versalitätsbedingung  (5),  insofern  ihre  linke  Seite  nicht  nur  vom 
Punkte  F^,  sondern  gleichzeitig  vom  Punkte  Pg  abhängt. 

Beispiel  XV.     (Siehe  p.  207). 

Die  Brachistochrone  für  den  Fall,  daß  der  Ausgangspunkt  P^  auf  einer  ge- 
gebenen Kurve  ^  beweglich  ist,  während  der  Endpunkt  P^  gegeben  ist. 

Dabei  setzen  wir  voraus,  daß  die  gegebene  Anfangsgeschwindigkeit  v^  (und 
daher  auch  die  Konstante  k)  von  den  Koordinaten  x^,  t/^,  x^,  y^  unabhängig  ist. 

Die  Funktion  , , 


Vy-y.-^t^' 


enthält  hier  in  der  Tat  die  Ordinate  y^  des  Punktes  P^.  Im  Punkte  P^  muß 
also  nicht  die  Transversalitätsbedingung  (5),  sondern  die  Bedingung  (7)  erfüllt 
sein.     Im  gegenwärtigen  Falle  ist 

F.=  ^ ,     F,== y 

"       ^x'^-^y'^'^/y-y^^h^ 


''    V^'^y^Vy-y.^^ 


F.. 


2(]/2/-2/i+^^)' 


Diese   Ausdrücke   sind  nun  für  die  Extremale  ©„   zu  berechnen,   d.  h.   für 
die  Zykloide: 

X  —  x^  -{-  §  =  a.(t  —  sin  i) , 

y  —  yi  +^  =  «(1  — cos#), 

wobei  wir  nach  einer  schon  früher  gemachten  Bemerkung  ^)  voraussetzen,  daß 


Man  findet 


F 


1 

y2c^^ 


F,= 


cotgj- 


2|/2a^  sin^ 


^)  ^gl  P-  209  Fußnote  *)      Die  Einschränkung  ist   zur  Zeichenbestimmung 
der  Quadratwurzeln  erforderlich. 


306  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

Daher  nimmt  die  Bedingung  (7)  die  Form  an 

i;  +  2/>otg|  =  0.  (8) 

Bezeichnet  jetzt  6^  den  Tangenteuwinkel  der  Zykloide  im  Punkt  P^,  0^  denjenigen 
der  Kurve  ^  im  Punkte  P^,  so  folgt  hieraus,  da 

tgÖ2  =  cotg  2^ 

das  Resultat^):  ^       ^ 

008(02— ei)  =  0,     d.h.     0,  =  0, +  ^. 

Die  Tangente  der  Zykloide  im  Punkte  Pg  muß  also  auf  der  Tangente  an  die 
Kurve  ^  im  Punkte  P^  senkrecht  stehen.-) 

§  37.    Das  Extremalenintegral. 

Ehe  wir  zur  Darstellung  der  „Differentiationsmethode"  übergehen 
können,  müssen  wir  den  wichtigen  Begriff  des  Extremalenintegrals 
einführen.  Dazu  haben  wir  ein  an  die  Sätze  von  §  27  anknüpfendes 
Existenztheorem  nötig. 

a )  Ein  Existenztheorem  über  die  Konstruktion  einer  Extremalen 
durch  zwei  gegebene  Punkte: 

Es  sei  ein  ganz  im  Innern  des  Bereiches  ^  gelegener  Extremalen- 
bogen  ^iJ.2  gegeben,   dem  entlang  die  Bedingung  jP^  +  0  erfüllt  ist. 

P,  Wir  nehmen  in  der  Nähe  von  A^ 
einen  Punkt  P^,  in  der  Nähe  von 
J.2  einen  Punkt  Pg,  und  stellen 
uns  die  Aufgabe,  von  P^  nach  F^ 
eine  Extremale  @  zu  ziehen. 
Die  Koordinaten  der  Punkte 
^i«-^'-  ^1,  ^2  5  Pi,  Ps  seien  a^,  h„  a^,  ly, 

^ly  Vv  ^2;  ^2-  Der  Tangentenwinkel  des  gegebenen  Bogens  A^Ä^  im 
Punkte  A^  sei  «i,  derjenige  des  gesuchten  Boge;QS  P^P^  im  Punkte 
Pi  sei  ö^;  die  Länge  des  Bogens  A^^A^  sei  /.  Dann  können  wir  nach 
§  27,  c)  den  gegebenen  Extremalenbogen  in  der  Normalform 

^  =  9E(5-6-i;  a„h„a,),  y  =  ^(s-s^',  a„h„a,),s,^sZl  + s,     (9) 

1)  Lagrange  hatte  in  seiner  ersten  Behandlung  der  Brachistochrone  mit 
variablen  Endpunkten  (1760)  die  Abhängigkeit  der  Funktion  F  von  y^  übersehen, 
und  infolgedessen  die  gewöhnliche  Transversalität  (hier  Orthogonalität)  als  Be- 
dingung angegeben  {(Euvres,  Bd.  I,  p.  343).  Das  Versehen  wurde  dann  von 
BoRDA  (1767)  bemerkt  und  das  obige  Resultat  angegeben,  das  dann  auch  später 
von  Lagrange  (1769)  nach  seiner  Methode  bewiesen  wurde  {(Euvres,  Bd.  II,  p.  63). 

*)  Hierzu  die   Übungsaufgabe  Nr.  4  am  Ende  von  Kap.  IX. 


§  87.    Das  Extremalenintegral.  .         307 

schreiben  und  ebenso  den  gesuchten  in  der  Form 

Dabei  ist  6.^  eine  beliebige  Konstante^  für  die  man  z.  B.  Null  wählen 
kann. 

Da  die  Kurve  (10)  für  s  =  s^  durch  den  Punkt  Pg  gehen  soll, 
so  haben  wir  zur  Bestimmung  der  beiden  unbekannten  Größen  s^,  0^ 
die  beiden  Gleichungen 

ae (^2  -  s, ;  x„ y^,  e^)  =  x^,     g (s^  -  s, ;  x^'y,,  6,)  -=  y^.  (1 1) 

Man  überzeugt  sich  leicht,  daß  die  Bedingungen  für  die  Anwendbarkeit 
des  Satzes  über  implizite  Funktionen  erfüllt  sind,  wofern  die  Funktional- 
determinante 

Diese  Determinante  ist  aber  nach  §  27,  d)  nichts  anderes  als  die 
dort  mit  A  bezeichnete  Funktionaldeterminante  der  Extremalenschar 
durch  den  Punkt  J.^,  berechnet  für  den  Punkt  A^.  Die  Ungleichung 
(12)  drückt  also  aus,  daß  der  Punkt  A.^  nicht  zu  A^  (im  weiteren 
Sinne)  konjugiert  ist.  Unter  dieser  Voraussetzung  können  wir  also 
die  Gleichungen  (11)  im  Sinne  von  §22,  e)  in  der  Umgebung  der  Stelle 
s^  =^  l  -\-  s^j  x^  =  a^j  y^  =  \,  x^  =  a^,  y^  =  \  eindeutig  nach  s^,  B^  auf- 
lösen und  erhalten  so  den  Satz:^) 

Es  sei  A^A^  ein  ganz  im  Innern  des  Bereiches  Öl  gelegener  Ex- 
tremalenhogen ,  dem  entlang  -Fj  =4=  0,  und  es  sei  A^  nicht  zu  A^  (im 
weiteren  Sinne)  honjugiert.  Werden  dann  die  beiden  Punkte  Pj,  P^ 
hinreichend  nahe  hei  A^,  resp.  A^  genommeny  so  kann  man  von  P^  nach 
Pg  stets  eine  eindeutig  definierte  Extremale  ziehen. 

Die  durch  Auflösung  der  Gleichungen  (11)  erhaltenen  Werte 
Sjj,  6^  ergeben  sich  als  Funktionen  von  x^,  y^,  x^,  y^,  welche  in  der 
Umgebung  der  Stelle  r/^,  \,  a^,  \  von  der  Klasse  C  sind,  und  an 
dieser  Stelle  selbst  sich  auf  l  -\-  s^,  resp.  a^  reduzieren.  Setzt  man 
den  gefundenen  Wert  von  6^  in  (10)  ein,  so  erhält  man  den  Extre- 
malenbogen  P^P^  dargestellt  in  der  Form 

^^  x^X{s',x^,y,,x^,y^),         y  =  Y(s]X^,y,,x,,y^), 

^)  Weierstkass,  VorlesmigenlSld-,  Weierstraß  benutzt  zum  Beweis  irgend- 
ein allgemeines  Integral  der  Eul einsehen  Differentialgleichung;  vgl.  Bolza,  Lee- 
tures,  p.  175,  Fußnote. 


308  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

Für  (x^,yijX2,y2)  =  ia^,h,ci2,h)  reduziert  sich  derselbe  auf  den  Ex- 
tremalenbogen  A^A^. 

Ist   der  letztere   nicht  in   der  Normalform  (9)   gegeben,   sondern 
durch  einen  beliebigen  Parameter  t  dargestellt: 

x==x{f),  y  =  y(t\  h^t^t,,  (9a) 

der  mit  dem  Bogen  s  durch  die  Parametertransformation 

s-g(t\  t==h{s)  (14) 

verbunden  sein  möge,  sodaß  also:  h{s^)  =  h,  /<?  +  %)  =  ^2?  so  wende 
man  auf  die  Gleichungen  (13)  die  Parameter transformation 

t-h+  ^\  (his)  -  0 

an;  dann  erhält  man  den  Extremalenbogen  @  dargestellt  in  der  Form 
@ :  x  =  ic(t',  X,,  y^y  X,,  y^),         y  =  1}  (^;  x^,  tj,,  x„  y,),       (13a) 

welche,    wie    man    leicht   zeigt,    die    beiden   folgenden   Eigentümlich- 
keiten hat: 

1.  Die  Endpunkte  P^,  Pg  entsprechen  den  von  x^,y^,x^,y.2  unab- 
hängigen  Werten  t  =  f^,  t  =  t^. 

2.  Für  {x^,  y^,x^,  y^)  =  («i,  \,a^y  h^)  gehen  die  Gleichungen  (13a) 
in  die  gegebenen  Gleichungen  (10  a)   des  Extremalenbogens  A^A^  über. 

Überdies  folgen  aus  den  Identitäten 

^1  =  £  (^1 ;  ^i,yu^2,  y2),      Vi  =  ^  (^i  5  ^i^yu^-2, 2/2);      ^^^^ 

x^  =  £(^25  ^1;  2/1'  ^2?  !/2^         2/2  =  ^)(^2;  ^1.  Viy  ^2;  2/2) 
durch  Differentiation  nach  Xj^,  y^  die  Grleichungen 

ex,  »■*'  dy,  ' 


'ikj 


U;^  =  i,2,       (16) 


wobei  dik  =  1   oder  0,  je  nachdem  h  =  i  oder  h  +  i. 

b)  Die  ersten  partiellen  Ableitungen  des  Extremalenintegrals : 
Wir  betrachten  jetzt   unter  Festhaltung   der   Voraussetzung,   daß 

A^  nicht  zu  A^    konjugiert   ist,   unser  Integral  J,   genommen  entlang 

der  Extremalen  @  von  P^  nach  Fc^: 

MP,P2)=J^F():,i},i,,ih)dt. 


§  37.    Das  Extremalenintegral.  309 

Dasselbe  ist  eine  Funktion  der  Koordinaten  ^i,2/i?^2?^2  ^^^  beiden 
Punkte  PiyP2,  eindeutig  definiert  und  von  der  Klasse  C  in  der  Um- 
gebung der   Stelle  a^yh^,a2,\.     Wir   bezeichnen   diese   Funktion  mit 

^(a^ij  ?/ij  ^2  7  2/2J 

und  nennen  sie  das  „Extremalenintegral"  (oder  auch  den  „extremalen 
Abstand'^)  von  P^  nach  P^]  dasselbe  ist  identisch  mit  der  von  Hamilton^) 
j,Principal  Function"  genannten  Funktion,  im  speziellen  Fall  der  geo- 
dätischen Linien  mit  der  „Geodätischen  Distanz"  ^)  der  beiden  Punkte  P^  P^. 
Es  sollen  jetzt  die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion  3  nach 
ihren  vier  Argumenten  berechnet  werden.^)  Aus  der  Definition  folgt 
zunächst,   wenn  z  irgend   eine   der   vier   Größen   x^ ,  y^ ,  x.2 , 1/2  bedeutet, 


dz 


da  t^  und  t^  von  x^,y^y  x^^y^  unabhängig  sind.  Wendet  man  jetzt 
auf  die  beiden  letzten  Glieder  rechts  die  Lagrange 'sehe  partielle 
Integration  an,  und  beachtet,  daß  die  Funktionen  j:,  ^  den  Differential- 
gleichungen 

genügen,  so  erhält  man 

as 


oz 


K,j.  +  F,^,^:\i  (17) 


Spezialisiert  man  daher  die  Größe  s  in  (17),  macht  von  den 
Gleichungen  (16)  Gebrauch  und  erinnert  sich  der  Homogeneitätseigen- 
schaften  der  Funktionen  F^,,  F^,,  so  erhält  man  den  folgenden  Satz*): 

Die  partiellen  Ableitungen  des  Extremalenintegrals  haben  folgende 
Werte: 


(18) 
a^c^  ~""^'^'"2^^2;^^2;^2/>  dyl~^^^     "     "     "^ 


^'^   =  Ki^2,y2^P2,^2),  S  =  F  ,{X2,y2,P2A2)' 


^)  Philosophical  Transactions,  1835,  Part.  I,  p.  99. 

-)  Vgl.  Dakboux,  Theorie  des  surfaces,  Bei.  II,  Nr.  536. 

^)  Für  die  ganze  weitere  Diskussion  wird  vorausgesetzt,  daß  F  die  Koordi- 
naten der  Endpunkte  nicht  enthält. 

^)  In  den  allgemeineren  Resultaten  von  HAMu/rox  enthalten,  vgl.  Hamilton, 
loc.  cit. ;  für  den  Fall  der  geodätischen  Linien  gibt  Daruoux  die  entsprechenden 
Formeln.     Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  13 — 17  am  Ende  von  Kap.  IX. 


310  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

Darin  bedeuten  p^,  q^,  resp.  p^,  q^  die  Richtungskosinus  der  positiven 
Tangente  der  Extremalen  (S  im  Punkt  P^,  resp.  P^. 

Wir  werden  die  Formelri  (18)  die  „allgemeinen  Hamilton^ sehen 
Formeln'^  nennen,  im  Gegensatz  zu  den  spezielleren  Formeln  (148) 
des  fünften  Kapitels. 

c)  Die  zweiten  partiellen  Ableitungen  des  Extremalenintegrals :  ^) 

Um  die  zweiten  partiellen  Ableitungen  des  Extremalenintegrals 
zu  erhalten,  haben  wir  die  ersten  partiellen  Ableitungen  der  Tangenten- 
winkel 0^,  resp.  ^2  der  Extremalen  @  in  den  Punkten  P^,  resp.  P^  nötig. 
Die  Ableitungen  von  0^  ergeben  sich  aus  (11)  nach  den  Regeln  über 
die  Differentiation   von   impliziten  Funktionen,   und   zwar  findet  man: 

de,  __  y'{s,)  de,  _      x{s^^  ^ 

Darin  bedeuten  in  Übereinstimmung  mit  §  27,  Gleichung  (56): 

und  die  Argumente   der  partiellen  Ableitungen   der  Funktionen  H,  ^ 

sind  c  _  «        r        II        0 

^         ^if      ^l:      U\j       ^1- 

Um  die  partiellen  Ableitungen  von  6^  zu  erhalten,  bemerken  wir, 
daß  die  Extremale  (S  sich  auch  schreiben  läßt 

x  =  li{s  —  5,;  ^2,  y^,  0^)  =  ^i^\  y  =  d(s-  ^2-,  ^2, 2/2>  ^2)  =  2/(^0; 
daher  genügen   die  beiden  Funktionen  .s^,   62  von  x^,  y^,  x.^,  y^   auch 
den  beiden  Gleichungen 

^1  =  ^{h  —  ^2;  ^2>  2/2;  ^2);  Vi  =  ^JO'^i  -  ^2;  ^2.  Viy  ^2)' 

Aus  diesen  erhält  man  dann  analog: 

aö,  ^  _  y'{s,)  ^^A  =       ^^(^1) 

dx,  w^(sj'  dy,  w^{s^)  ,^^. 

dd,^_  u,{s,)  de,  _  _  v^^  _ 

Darin  bedeuten  u^y  v^,  w^   dieselben  Determinanten  wie   oben,  jedoch 
mit  den  Argumenten 

S  §2,  ^2?  2/27  "2- 
1)  Die  folgenden  Entwicklungen,  die  übrigens  erst  in  §  39  zur  Anwendung 
kommen,  sind  der  Dissertation  von  A.  Dresden  entnommen,  „The  second  partial 
derivatives  of  Hamilton's  principal  function  and  their  appUcations  in  the  calculus 
of  variations,  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society, 
Bd.  IX  (1908),  p.  476. 


\ 


§  37.    Das  Extremalenintegra].  311 

Nunmehr  erhält  man  durch  Differentiation  der  Gleichungen  (18)  Aus- 
drücke für  die  zweiten  Ableitungen  der  Funktion  3-  Dieselben  lassen 
sich  jedoch  wesentlich  vereinfachen.  Zunächst  drücke  man  die  dabei 
auftretenden  zweiten  Ableitungen  von  F  nach  Gleichung  (12  a)  und 
(85)  des  fünften  Kapitels  durch  die  Weierstraß 'sehen  Größen  F^, 
L,  M,  N  aus.  Sodann  beachte  man^  daß  die  Funktionen  u^,  v^,  w^] 
U2,  V2,  IV 2  nach  §  29,  a)  der  zur  Extremalen  @  gehörigen  Jacobi'schen 
Differentialgleichung  genügen,  und  zwar  sind  sie  hierdurch  zusammen' 
mit  den  folgenden  Anfangsbedingungen^  die  sich  aus  den  Eigenschaften 
der  Funktionen  36;  §)  ergeben,  vollständig  bestimmt:^) 

w^{s,)=      0,  <(5i)=       1,  (21) 

%  fe)  =  -  y'  ih),  «*2  (^2)  =  -  y"  fe); 

^2(^2)=    ^'(^2);  ^2(^2)=     ^"(^2); 

«^2fe)  =        0;  ^2(^2)  =        1- 

Bezeichnen  nun  09^,  resp.  Wg  diejenigen  Integrale  der  zur  Extre- 
malen (S  gehörigen  Jacobi'schen  Differentialgleichung,  welche  durch 
die  Anfangsbedingungen 

^  =  ^  r.iW'Q  ^  =  0 

(22) 


G^lfe)  ■- 

=  1,          co;(o  =  o, 

resp.                             ^2(^2)  = 

=  1,                oo,(s,)  =  0 

definiert  sind,  so  folgt 

u^  =  - 

-yXs,)tv^-y\s,)oj„ 

^1  = 
und  ebenso 

X'(S^)U\  -f  X(S^)C3^, 

Ui  =  —  y'\s^)  w^  —  y'{s^)  oj., 
Macht  man  hiervon  Gebrauch  und  setzt  schließlich  noch 


so  erhält  man  das  folgende  von  Dresden  herrührende  Resultat: 


^)  V'gl.  §  27,  Gleichungen  (51a),   (51b)  und  die   aus  (51a)    durch  Differen- 
tiation nach  Xq,  y^,  0^  sich  ergebenden  Gleichungen. 


(24) 


3J^2  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

a^s_  _  _  ^l(^iM^il£(3l  ^'^=    5.(s2)y>i)_^2) 

dy^'y.~~  ^^'lÄT         '         ay'aa?/!  W.As,) 

Die  hieraus  folgende  Relation 

F,{s.:)iv,{s,)  +  Fl(A)^/;2(^l)  =  0  (25) 

verifiziert  man  direkt,  indem  man  den  Abel'sclien  Satz  von  §  11,  b) 
auf  die  beiden  Integrale  iv^,  w^  der  Jacobi 'sehen  Differentialgleichung 
anwendet :  .,/s  /r/\  C 

und  dann  einmal  s  =  s^,  einmal  s  =  Sg  s®^^*- 

Daß  t6-i(52)  und  w^ls^)  von  Null  verschieden  sind,  wenn  die  beiden 
Punkte  Pi,  P2  hinreichend  nahe  bei  Ä,,  A,  liegen,  folgt  aus  der 
Voraussetzung  (12). 

Ebenfalls  aus  dem  Abel'schen  Satz  folgen  die  später  zu  be- 
nutzenden Formeln 

tV,  (5)  (d[  (s)  -  CD,  (s)  tv[  (s)  ==  -    j\  '^) 

f;{s,)  ^    -^ 

tv,{s)(o'^{s)  -  (o^[s)iv^(s)  =  -  -^  • 

Die  Funktionen  tv,{s),  g),{s)  lassen  sich  leicht  mittels  der  Weier- 
straß'schen  Funktion  &{s,s,)  von  §29,  a)  und  deren  partieller  Ableitung 

nach  s,  yr^  ^\-  ^(fiii)  (27) 

ausdrücken: 

und  analog  für  die  Funktionen  W2{s),a„Js). 


§  38.    Die  Differentiationsmethode.  313 

Die  Ausdrücke  für  die  zweiten  Ableitungen  des  Extremaleninte- 
grals  sind  unter  der  speziellen  Voraussetzung  abgeleitet  worden,  daß 
als  Parameter  auf  der  Extremalen  (^  die  Bogenlänge  s  gewählt  worden 
ist.  Sie  bleiben  jedocb  unverändert  bestehen^  wenn  die  Extremale  (S 
durch  einen  beliebigen  anderen  Parameter  dargestellt  ist.  Denn  geht 
man  von  einem  Parameter  t  zu  einem  neuen  Parameter  t  über  mittels 
der  Transformation  t  =  Q(t),  so  erhält  man  unter  Benutzung  der 
Homogeneitätseigenschaften  der  Funktion  F  und  ihrer  partiellen  Ab- 
leitungen (§  25)  folgende  Transformationsformeln: 

'L  =  L-fy''F„  N  =  N-fx^F„ 

_  ..  (29) 

aus  denen  sich  die  Invarianz  der  rechten  Seiten  der  Gleichungen  (24) 
unter  einer  beliebigen  Parametertransformation  sofort  ergibt. 

§  38.     Die  Differentiationsmethode. ^) 

Wir  kehren  jetzt  zu  der  im  Eingang  von  §  36  formulierten  Auf- 
gabe zurück j  um  dieselbe  nach  der  zweiten  der  dort  genannten  Me- 
thoden, der  Differentiationsmethode,  in  Angriff  zu  nehmen.  Wir  wollen 
den  äußerst  einfachen  Grundgedanken  dieser  Methode  zunächst  an 
dem  Beispiel  der  kürzesten  Kurve  von  einer  gegebenen  Kurve  ^  nach 
einem  gegebenen  Punkte  P^  erläutern.  Nachdem  man  durch  Be- 
trachtung von  Variationen  mit  festen  Endpunkten  gezeigt  hat,  daß 
die  Extremalen  gerade  Linien  sind,  hat  man  des  weiteren  nur  noch 
die  Aufgabe  zu  lösen:  Unter  allen  Geraden,  welche  von  der  Kurve 
^  nach  dem  Punkte  P^  gezogen  werden  können,  die  kürzeste  zu 
suchen;  und  das  ist  ein  Problem  der  Theorie  der  gewöhnlichen  Maxima 
und  Minima.  Die  Entfernung  der  beiden  Punkte  P^  und  Pg,  (die 
nichts  anderes  ist  als  das  Extremalenintegral  für  das  vorliegende  Bei- 
spiel), ist  _  ,  ^         /- 

^5l^3;2/3.^2.«/2)  =  yfe-^2)'  +  fe   -2/2)'- 

^)  Der  Grundgedanke  der  Methode  scheint  auf  Poisson  und  Jacoui  zurück- 
zugehen; vgl.  auch  DiENGEu,  Grund  riß  der  Variationsrechnung  (1867)  p.  27.  Im 
einzelnen  durchgeführt  worden,  und  zwar  auch  für  die  Glieder  zweiter  Ordnung, 
ist  die  Methode  zuerst  von  A.  Mayek  für  das  allgemeine  Lagrange'sche  Problem, 
Leipziger  Berichte  (1884)  p.  99  und  später  nochmals  in  der  oben  (p.  303  Fuß- 
note 2))  zitierten  Arbeit  von  1896. 


314 


Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 


Man  hat  also  einfach  die  Funktion 

der  Variabein  a  zu  einem  Minimum  zu  machen. 

Da  die  gerade  Verbindungslinie  zweier  Punkte  ausnahmslos  die 
absolut  kürzeste  Verbindungskurve  der  beiden  Punkte  ist,  so  liefert 
in  der  Tat  die  Methode  hier  offenbar  nicht  nur  notwendige,  sondern 
auch  hinreichende  Bedingungen. 

Ganz  analog  ist  die  Schlußweise  im  allgemeinen  Falle:  Man  zer- 
legt das  Problem  in  zwei  scharf  getrennte  Teile.  Zunächst  löst  man 
das  Problem  bei  festen,  aber  unbestimmten  Endpunkten,  bestimmt 
dann  die  Integrationskonstanten  als  Funktionen  der  Koordinaten  der 
beiden  Endpunkte  und  berechnet  das  zugehörige  Extremalenintegral 
3K,2/i.^2.^2)-  Der  zweite  Teil  der  Aufgabe  besteht  dann  darm,  daß 
man 'die  Funktion  ^(x„y„x„y,)  unter  den  durch  die  Aufgabe  vor- 
geschriebenen Nebenbedingungen  zu  einem  Minimum  macht,  was  eme 
Aufgabe  der  Theorie  der  gewöhnlichen  Maximxi  und  Minima  ist.  Das 
läuft  darauf  hinaus,  daß  man  nur  solche  Variationen  der  gesuchten 
Kurve  (Sq  betrachtet,  welche  selbst  Extremalen  sind. 

Es  ist  klar,  daß  man  auf  diese  Weise  notwendige  Bedingungen 
erhält-  ob  auch  hinreichende,  das  ist  im  allgemeinen  FaUe  nicht  so 
selbstverständlich,  wie  es  nach  Analogie  des  obigen  Beispiels  Schemen 
könnte.  Daher  sind  auch  die  Einwände,  die  Erdmann  ^j  gegen  die 
Methode  erhoben  hat,  an  sich  berechtigt.  Trotzdem  führt  die  Methode, 
wenigstens  in  einem  etwas  beschränkteren  Sinne,  auch  zu  hinreichenden 
Bedingungen,    wenn    man    die   bekannten  hinreichenden    Bedingungen 

für   gewöhnliche  Maxim a   und  Mi- 
nima   mit    den    hinreichenden    Be- 
dingungen für  das  Variationsproblem 
mit  festen  Endpunkten  verbindet.*) 
Wir  fügen  für  die  weitere  Dis- 
kussion den  im  Eingang  von  §  36 
aufgezählten  Voraussetzungen  über 
den  Extremalenbogen  (^o  ^i^  weitere 
hinzu,  daß  die  Legendre'sche  und 
Jacob  i'sche  Bedingung  in  der  stärke- 
ren Form  (E')  und  (IIP)  von  §  32,  b) 
erfüUt   sind.     Dann   sind   die    Voraussetzungen   der  beiden   Sätze   von 
§  37  für  den  Extremalenbogen  @o  erfüllt,  wobei  anstelle  der  dort  mit 
"'  "x^ZeiTschrift  für  Mathematik  und  Physik,  Bd.  XXIII,  (1878)  p.  364. 
»)  Vgl.  BoLZA,  Lectures,  §  23,  e). 


Fig.  48. 


§  38,    Die  Differentiationsmethode.  315 

Ä^,  Ä2,  resp.  Pj,  Pg  bezeichneten  Punkte  die  Punkte  P^,  Pg,  resp. 
Pg^  Pg  treten. 

Wird  daher  der  Punkt  F^  hinreichend  nahe  bei  1\  angenommen, 
80  geht  von  P3  nach  Pg  eine  eindeutig  definierte  Extremale  (S^  dar- 
gestellt durch  die  Gleichungen  (loa),  wenn  man  darin  x^,  y^  durch 
x^j  y^  ersetzt.  Der  Wert  des  Integrals  J,  genommen  von  P3  entlang 
(S  nach  Pg,  ist  dann  gegeben  durch  das  Extremalenintegral 

Da  der  Punkt  P3  auf  der  gegebenen  Kurve  Ü  liegt,  so  ist  hierin 

x.^x{a),         'h-^y(a)  (31) 

zu  setzen,  wenn  a  der  Parameter  von  1\  auf  der  Kurve  £  ist,  (so 
daß  also  in  der  Bezeichnung  von  §  36,  a)  a  =  a^  -\-  £).  Durch  Ein- 
setzen dieser  Werte  geht  das  Extremalenintegral  in  eine  Funktion 
der  einzigen  Yariabeln  a  über,   die  wir  mit  J(a)  bezeichnen,   so  daß 

J{a)  =  ^(x  (a)  ,y{a),x^,  y^) .  (32) 

Die  Funktion  J(a)  muß  nun  nach  dem  im  Eingang  dieses  Ab- 
schnitts Gesagten  für  a  =  a^  ein  Minimum  besitzen,  es  muß  also  sein: 

JXa,)  =  0,         r(a,):>0.  (33) 

Nun  ist  aber  nach  (32) 

J  (a)  =  ^x   -\-  ^^  y  ' 

setzt  man  hierin  für  die  Ableituugen  von  3  ihre  Werte  aus  (18)  ein 
und  beachtet  die  Homogeneität  von  P^,,P^,,  so  erhält  man: 

J\a)  =  -  [x'F^,{x,y,x',y')  -j-  y'Fy,{x,y,x',y')y^  (34) 

Für  a  =  %  ergibt  sich  hieraus  unmittelbar  die  Transversalitätsbedingunff 
in  derselben  Form  (5)  wie  in  §  36,  a). 

Ist  die  Kurve  ^  nicht  in  Parameterdarstellung,  sondern  durch 
eine  Gleichung  x{x,y)  =  0  gegeben,  so  hat  man  die  Funktion 

der  beiden  Variabein  x^,y^  mit  der  Nebenbedingung 

X(^i>2/i)  =  0 

zu  einem  Minimum  zu  machen,  was  nach  den  bekannten  Regeln  für 
bedingte  Minima  auf  die  Transversalitätsbedingung  in  der  Form 

K,'{^iyyu^[yy[)%y{^^yyt)  -  F^'i^uVi,  Kyy[)%M,yi)  =  o    (35) 

fährt,  in  Übereinstimmung  mit  (5). 


316  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

Ebenso   leicht   läßt   sieht   die  Differentiationsmethode   auf  das  all- 
gemeinere Problem^)  anwenden: 

Das  Integral  j  ^J_f(,,, ,,;,')  rf, 

ZU  einem  Minimum  zu  machen,  während  zwischen  den  Koordinaten 
der  Endpunkte  eine  Anzahl  von  Relationen  gegeben  ist 

Die  Anzahl  der  voneinander  unabhängigen  Relationen  kann  nicht 
größer  als  vier  sein.  Ist  sie  genau  gleich  vier,  so  haben  wir  den 
Fall  fester  Endpunkte. 

Sind  beide  Endpunkte  vollständig  frei  beweglich,  so  erhält  man 
die  vier  Bedingungen 

§  39.  Die  Brennpunktsbedingung. 
Wir  fügen  jetzt  den  im  Eingang  von  §§  36  und  38  über  den 
Extremalenbogen  (^o  gemachten  Annahmen  die  weitere  Annahme  hinzu, 
daß  im  Punkt  P,  die  Transversalitätsbedingung  (5)  erfüllt  ist,  und 
wenden  uns  nun,  im  weiteren  Verfolg  der  Differentiationsmethode,  zur 
Diskussion  der  Bedingung 

r(a,)^0.  (332) 

a)  Berechnung 2)  von  J"K);  Einführung  des  Brennpunktes: 
Aus  der  Definition  (32)  der  Funktion  J{a)  folgt  unmittelbar 

Trägt  man  hierin  die  Werte  für  die  Ableitungen  von  3  aus  (18) 
und  (24)  ein  und  setzt 

A,  =  x'F,.  +  r  F,.  +  Li'-'  +  2  Mx'p  +  W I  S  ^gg) 

B,  =  {x'y'-y'xyF,   \ 

wobei  die  Argumente  von  F,,  F,.,  F„  L,  M,  N  sich  auf  die  Extre- 
male So  und  den  Punkt  P^  beziehen,  so  erhält  man 

wobei   die   Funktion  0,it)  durch  (23)   definiert  ist  und  t  statt  s  ge- 
schrieben ist,  da  der  Parameter  auf  der  Extremalen  (£„  beliebig  ist.  ) 

V^  Kneskk,  Xe?<rt«cA,  §  10.  »)  Nach  Dresden,  loc.  cit.p.  474. 

')  Vgl.  die  Bemerkung  am  Ende  von  §  37,  c). 


§  39.    Die  Brennpunktsbedingung.  317 

In  dem  Ausnalimefall,  wo:  x[y^  —  y[x[  =  0,  wo  also  die  Extre- 
male ^Q  die  Kurve  ^  im  Punkt  P^  berührt,  reduziert  sich  die  Be- 
dingung (382)  auf:  Ä^^  0,  also  eine  jBedingung,  die  von  der  Lage 
des  Punktes  Pg  auf  der  Extremalen^)  @*  unabhängig  ist. 

Wir  lassen  diesen  Ausnahmefall  in  der  Folge  beiseite  und  setzen 
voraus,  daß  ^'jy^  _  ^^^-  ^  q,  (38) 

d.  h.  daß  die  Kurven  (S^  und  ^  sich  im  Punkt  P^  nicht  berühren. 
In  diesem  Fall  hängt  J"(s)  ^^^^^  ^^^  I^^ge  des  Punktes  Pg  ab.  Wir 
lassen  daher  den  Punkt  Pg  die  Extremale  vom  Punkt  P^  bis  zu  dem 
zu  Pj  konjugierten  Punkt  P{  durchlaufen  und  untersuchen,  wie  sich 
dabei  das  Zeichen  von  J"{a^  ändert. 

Wegen  der  Voraussetzungen  (IP)  und  (38)  ist  B^  >  0.  Femer 
folgt  aus  (23)  und  {^^\  daß 

dt  F^{t)wi{t)^  y^^) 

also  stets  positiv.     Überdies  ist  nach  (21)  und  (22) 

^j  (^1  4-  0)  =  +  oü ;     dagegen     z^(t[  -  0)  =  -  00 ,      ■      (40) 

da  nach  |dem  Sturm 'sehen  Satz   von   §  U,  c)  die  Funktion  (0^{t)   in 

t^  und  t[   entgegengesetztes  Zeichen  hat. 

Während  also   der  Punkt  Pg   die  Extremale   @*   vom  Punkt  P^ 

bis  zum  Punkt  F[   durchläuft,   nimmt  J'\%)  beständig  ab  von  +  00 

bis  —  00,  passiert  also  genau  einmal  durch  den  Wert  0.     Denjenigen 

Wert  von  t,   für  welchen  dies  eintritt,  bezeichnen  wir  mit  t'^ .     Dann 

ist  also  /  \  <^i      ^^         j.   ^  j." 

{  >  U,     wenn     t^<t^  ^ 

J'\%)\-^,     wenn     f^  =  C;  (41) 

l  <  0,     wenn     ^  >  t'^. 
Für  ein  Minimum^)  ist  also  nötig,  daß 

h  <  ii-  (42) 

Derjenige  Punkt  P{'  der  Extremalen  (SJ,  welcher  dem  Parameter 
t  =  fl  entspricht,  heißt  nach  Kneser^)  aus  später  ersichtlichen  Grün- 
den der  Brennpunkt  der  Kurve  ^  auf  der  Extremalen  @*. 
^)  Vgl.  wegen  der  Bezeichnung  §  27,  c). 

2)  Für  spätere  Anwendung  (§  42)  beachte  man,  daß  die  Funktion  J{ä)  im 
Fall  t^^t['  für  a  =  a^  ein  Maximum  besitzt. 

3)  Ygl  Knesek,  Lehrbuch  §  24;  Bliss  gebraucht  statt  dessen  „critical  point^', 
und^  diese  Bezeichnung  ist  von  Zermelo  und  Hahn  adoptiert  worden  {Encyclo- 
jßädie,  IIA,  p.  630).  Wenn  kein  konjugierter  Punkt  P[  auf  der  Extremalen  @* 
existiert,  so  braucht  auch  nicht  notwendig  ein  Brennpunkt  P^  zu  existieren. 
Im  letzteren  Fall  ist  J"{a^)'>0  auf  der  ganzen  Extremalen  (£$.  Wir  schreiben 
.auch  in  diesem  Fall  :  t^  <  V^. 

Bolza,  Viiriatiousrechuung.  21 


318  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

Somit  können  wir  den  Satz  aussprechen: 

Für  ein  Mininmm  des  Integrals  J  unter  den  angegebenen  End- 
punktsbedingungen ist  weiterhin  nötig j  daß  der  Brennpunkt  P'l  der 
Kurve  ^  auf  der  Extremalen  @J  nicht  swische^i  den  beiden  PunMen 
Pi  und  Po  liegt. 

Die  Gleichung  J'\a^  =  0,  welcher  der  Wert  t['  genügt,  können 
wir  nach  (27)  und  (28)  auch  schreiben^) 

H{t,  t,)  =  A,&(t,  t,)  +  B,  ^®l^^  =  0,  (43) 

und  zwar  ist  t'^  definiert  als  die  zunächst  auf  t^  folgende  Wurzel 
dieser  Gleichung. 

Mit  Hilfe  der  Gleichungen  (21),  {^22),  {21)  und  (28)  verifiziert 
man  leicht,  daß 

Ä,H(t„t,)  +  B,E,(t,,t,)  =  0.  (44) 

Die  Funktion  H(t,  t^)  kann  daher,  abgesehen  von  einem  konstanten 
Faktor,  auch  als  dasjenige  Integral  der  Jacob i'schen  Differential- 
gleichung definiert  werden,  welches  der  Anfangsbedingung  (44)  ge- 
nügt.^) Denn  ist  u(t)  ein  zweites  Integral  der  Jacob  i'schen  Diff'e- 
rentialgleichung,  welches  derselben  Anfangsbedingung  genügt, 

A,u{t,)  +  By{t,)  =  0, 
so  folgt,  da  J5i  H=  0, 

Hu-uH'\'^=0, 

und  dies  ist  nach  §  11,  b)  Zusatz  I,  nur  möglich,  wenn  u  =  konst.  H, 

b)  Abhängigkeit  des  Brennpunktes  von  der  Krümmung  der 
Kurve  t  im  Punkt  P^: 

In   den  Ausdruck  für  die  Funktion   H(t,  t^)    kann    man    statt  der  beiden 

Ableitungen  x[\  y['  die  Krümmmung  der  Kurve  Ä  im  Punkt  I\  einführen ,   also 

die  Größe 

1         x  y"  —  y' X 

f 


{x'^y")^ 


wenn  man  —  unter  Festhaltung  der  Voraussetzung  (38)  —  aus  den  beiden  Glei- 
chungen 

^'^.'+^'-^Vr=0,      x'F^.Ary'Fy.Y  =  F\^  (45) 

die  Größen  F  ,\^  und  F  ,   '^  berechnet  und  in  yl^  einsetzt. 

^)  In  dieser  Form  zuerst  von  Bliss  gegeben  (Transactions  of  the 
American  Mathematical  Society,  Bd.  III  (1902),  p.  13G)  und  aus  der  zweiten 
Variation  abgeleitet.  Unsere  Bezeichnung  weicht  von  der  Bliss'schen  um  einen 
unwesentHchen  konstanten  Faktor  ab.  Die  entsprechende  Gleichung  für  das 
a;-Problem  findet  man  bei  Bolza,  Lectures,  §  23,  e). 

ä)  Vgl.  Bliss,  loc.  cit. 


§  39.    Die  Brennpunktsbedingung.  319 

Bezeichnen  6^  und  6^  die  Tangentenwinkel  von  ©,,,  resp.  ^  im  Punkt  P^, 
und  setzt  man  zur  Abkürzung 


(46) 


)/a;'*-f  2/'2^sin  (ö  —  ö) 
Z)i  =  X  cos^ ö -f  2  Jf  cos  0  sin  Ö -f  ^ sin^ 0  i  1 

^1  =  (.^''  +  y')  8in2(0  —  ö)Fi ;  ^ 

io  nimmt  die  Gleichung  zur  Bestimmung  des  Brennpunktes  nach  (37)  die  Form  an 

-(y  +  A)  +  i'\^x(O-0.  (47) 

Denken  wir  uns  die  Extremale  ©„  und  den  Punkt  P^  festgehalten  und  die 
Kurve  £  variiert,  aber  so,  daß  die  Dichtung  ihrer  Tangente  im  Punkt  Pj  unver- 
ändert, somit  die  Transversalitätsbedingung  erfüllt  bleibt,  so  zeigt  die  voran- 
gehende Gleichung,  daß  der  Brennpunkt  P,"  ungeändert  bleibt,  solange  die 
Krümmung  der  Kurve  ^  im  Punkte  P,  dieselbe  bleibt,  sich  dagegen  im  all- 
gemeinen^)   ändert,    wenn   die   Krümmung   sich    ändert.     Um   die  Abhängigkeit 

zwischen  beiden  näher  zu  untersuchen,  lösen  wir  die  Gleichung  (47)  nach  ~  auf: 

^  =  i.^,^,(*r)-A, 

und  betrachten    ~-  als  Funktion  von  tV. 

r  ^ 

Aus  (39)  und  (40)  folgt  daher  für  den  Fall,  daß  der  konjugierte  Punkt  P; 
existiert,  das  Resultat: 

Während  t['  von  t^  bis  t^  wächst,  nimmt  die  Krümmung  —  ab  (zu),  und 
zwar  von  -]-  oo  (—  oc)  bis  —  oü  (-f  oo),  wenn  C^  positiv  (negativ)  ist. 

Hieraus  ergibt  sich   zugleich   das  Verhalten   der  inversen  Funktion   t^'  als 

Punktion  von  -  • 
r 

Berücksichtigt  man  noch  die  geometrische  Bedeutung  des  Vorzeichens  von 
y  (vgl.  §  25a)),  so  läßt  sich  das  Resultat 2)  auch  folgendermaßen  aussprechen: 

Läßt  man  den  Krümmungsradius  r  der  Kurve  ^  im  Punkt  stetig  sich  ändern^ 
und  mar  von  0  his  oo  auf  derselben  Seite  von  ^,  auf  welcher  (J^  liegt,  und  dann 
von  Oü  his  0  auf  der  entgegengesetzten  Seite,  so  bewegt  sich  der  Brennpunkt  P" 
stetig  vom  Punkt  P^  nach  dem  konjugierten  Punkt  P[,  wenn  F{x^ ,  y^,  x[,  y[)  >  0, 
dagegen  vom  Punkt  P[  nach  dem  Pmikt  P^,  ivenn  F(x^,  y^,  x[,  y^  <  0. 

^)  Ist  F{x^,  2/i,  x^,  2/0=  0,  (was  wegen  (38)  und  (45)  nur  eintreten  kann, 
wenn  gleichzeitig  F^,\'  =  0,  F^,\'=0\  so  ist  C,  =  0  und  ti'  von  der  Krümmung 
unabhängig;  wir  setzen  in  der  weiteren  Diskussion  voraus,  daß 

F{x,,y,,x[,  1/0=4=0.  (48) 

Aus   dieser  Annahme  zusammen  mit  der  vorausgesetzten  Transversalitäts- 
bedingung (5)  folgt  übrigens  rückwärts  die  Ungleichung  (38). 
^  Satz  und  Beweiß  nach  Bliss,  loc.  cit.  p.  138. 

21* 


k 


320  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

c)  Beispiel  I  bei  variablem  Anfangspunkt:^) 

Hier  ist  /   ,^  , — -ti\ 

Die  Extremalen  sind  Kettenlinien  mit  der  aj-Achse  als  Direktrix.    Wir  schreiben 
insbesondere  die  Extremale  ©o  i^  ^^^  Yotcq. 

Die  Transversalitätsbedingung  lautet: 

2/(5':c'4-^'2/')  =  0. 
Die   Kettenlinie   (g«    muß    also   im  Punkt  P,    zu  der  gegebenen  Kurve   ^  ortho- 
gonal sein. 

Ferner  ergibt  eine  einfache  Rechnung 

und  daraus,  wenn  -wir  die  positive  Richtung  der  Kurve  S  so  wählen,  daß 

Endlich  findet  man 

0{t,  t,)  =  al{ShtSht,(t  -t,)  +  ^htCht,  -^ht.Ght) . 

Hieraus  ergibt  sich  zur  Bestimmung  des  Brennpunktes  die  Gleichung^) 
a(Chf  —  <Sh*)  +  &Shi  =  0,     worin 


a  =  l-^Ch^^,Sh^,, 
r 

h  =  Shi,Chi,  +  *i  +  ^"^i"—  (Ch^.  -  *i  Sh*,). 

*     Die  Diskussion  dieser  Gleichung  ergibt  das  folgende  Resultat'): 

Liegt  der  Punkt  1\  auf  dem  absteigenden  Äst  der  Kettenlinie  (in  welchem 
Fall  ein  zu  P,  konjugierter  Punkt  P[  existiert*),  so  existiert  stets  em  Brenn- 
punkt, und  zwar  in  Übereinstimmung  mit  der  allgemeinen  Theorie  zwischen  P, 

Liegt  der  Punkt  P,  auf  dem  aufsteigenden  Ast  (in  welchem  Fall  kein  zu 
P  koniugierter  Punkt  existiert),  so  existiert  ebenfalls  ein  Brennpunkt,  außer 
wenn  r  zwischen  0  und  -cc,Ch%Sht,  liegt;  liegt  dagegen  r  in  dem  angegebenen 
Intervall,  so  existiert  kein  Brennpunkt. 

')  Siehe  pp.  1,  33,  79. 

2)  Zuerst  gegeben  von  Kneser,  Lehrbuch  S.  85. 

3  Nach  Maky  E.  Sinclair,  Annais  of  Mathematics  ^2),  Bd.  VIII  (1907), 
p  177  wo  für  den  Fall  r  =  oo  auch  die  experimentelle  Bestimmung  des  Brenn- 
punktes mittels  des  Plateau' sehen  Versuches  gegeben  wird. 

4)  Vgl.  p.  80. 


§  40.    Geometrische  Bedeutung  des  Brennpunktes.  321 

Der  Brennpunkt  läßt  sich  durch  eine  der  Lindelöf sehen  ähnliche,  aber 
im  allgemeinen  etwas  kompliziertere  Konstruktion  ^)  bestimmmen.  In  dem  spe- 
ziellen Fall,  wo  r  =  +  ^^1  ist  dieselbe  besonders  einfach:  Die  Normale  an  die 
Kettenlinie  im  Punkt  P^  und  die  Tangente  im  Brei^npunkt  P('  schneiden  sich 
auf  der  a;-Achse.^) 

§  40.     Greometrische  Bedeutung  des  Brennpunktes. 

Alinlicli  wie  der  konjugierte  Punkt  hat  nun  auch  der  Brennpunkt 
eine  einfache  geometrische  Bedeutung.  Um  dieselbe  abzuleiten^  be- 
trachten wir  zunächst  die  Aufgabe,  durch  einen  Punkt  Pg  der  Kurve 
^  in  der  Nähe  von  P^  eine  Extremale  zu  konstruieren ,  welche  von 
der  Kurve  £  transversal  geschnitten  wird. 

Der  Parameter  des  Punktes  Pg  auf  der  Kurve  ^  sei  wieder  a^ 
seine  Koordinaten  also  x{a\  y{ct).  Ist  dann  0  der  Tangentenwinkel 
der  gesuchten  Extremalen  (S^  im  Punkte  Pg,  so  können  wir  letztere 
in  der  Normalform  von  §  21,  b)  ansetzen: 

x=li  (s-,  x(a\  y{a),  6\  t/  =  D (s;  x{a),  y{a),  d), 

wobei  der  Punkt  Pg  dem  Wert  5  =  0  entspricht. 

Soll  diese  Extremale  im  Punkt  Pg  von  der  Kurve  ^  transversal 
geschnitten  werden,  so  muß  sein 

x' (a) F^, (x {a),  y (a),  cos  6,  sin  6)  +  y  Fy, {x (a),  y  (a),  cos  6,  sin  6)  =  0.     (49) 

Diese  Gleichung  haben  wir  nach  6  aufzulösen.  Die  Voraussetzungen 
des  Satzes  über  implizite  Funktionen  (§  22,  e))  sind  erfüllt:  Denn  da 
nach  unserer  Annahme  die  Extremale  @q  im  Punkt  P^  von  der  Kurve 
^  transversal  geschnitten  wird,  so  wird  die  Gleichung  befriedigt  für 
a  =  üq,  0  =  ^1,  weun  6^  den  Tangentenwinkel  von  (Sq  im  Punkt  P^ 
bezeichnet.  Ferner  ist  die  linke  Seite  von  (49)  in  der  Umgebung  der 
Stelle  a  =  «Q,  0  =  6^  von  der  Klasse  C,  und  endlich  ist  ihre  partielle 
Ableitung  nach  6  an  dieser  Stelle  von  Null  verschieden;  denn  eine  leichte 
Rechnung  ergibt  für  diese  Ableitung  den  Wert:  F^{y  qobO  —  x  ^m6)y 
und  dies  ist  wegen  unserer  Voraussetzungen  (IP)  und  (38)  im  Punkt 
Pj  von  Null  verschieden.  Somit  können  wir  in  der  Tat  die  Gleichung 
(49)  in  der  Umgebung  der  Stelle  a^^,  9^  eindeutig  nach  6  auflösen 
und  erhalten  als  Lösung  eine  Funktion:  6  =  d(a),  welche  in  der  Um- 
gebung von  a  =  «0  von  der  Klasse  C  ist  und  der  Anfangsbedingung: 
0(^0)  =  6^  genügt.  Die  gesuchte  Extremale  @^  wird  also  dargestellt 
duj"ch  die  Gleichungen 

^a'      J  =  dc(s',x{a),y{a\e{a)),       y  =  ^{s',x{a),y{a\d{a)).  (50) 

^)  Vgl.  Mary  E.  Sinclair,  loc.  cit.,  p.  182. 

^)  Hierzu  weiter  die  Übungsaufgaben  Nr.  3,  5,  6—8  am  Ende  von  Kap.  IX. 


322  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

Dabei  liefert  der  Wert  s  =  0  den  Schnittpunkt  Pg  mit  der  Kurve  ^, 
und  für  a  ==  a^  reduzieren  sich  die  Gleichungen  (50)  auf  die  Gleichungen 
der  Extremalen  (Sq  in  der  Normalform 

Endlich  folgt  aus  den  Gleichungen  (51b)  von  §  27,  daß  die 
Funktionaldeterminante  der  beiden  Funktionen  auf  der  rechten  Seite 
von  (50)  nach  s  und  a  für  5  =  0  den  Wert:  f/ cos  6 {a)  —  x  sin  6 (a) 
hat,  welcher  für  kleine  Werte  von  a  wegen  unserer  Voraussetzung  (38) 
von  Null  verschieden  ist. 

Wir  formulieren  das  Resultat  als  selbständigen  Satz:^) 

Wenn  die  Extremale  ©^  im  Pimld  F^  von  der  Kurve  ^  trans- 
versal geschnitten,  aber  nicht  berührt  wird,  so  läßt  sich  durch  jeden 
PunM  P3  von  £  in  der  Nähe  von  P^  eine  und  nur  eine  Extremale 
konstruieren,  welche  im  PiinU  P^  von  ^  transversal  geschnitten  wirdy 
und  deren  Tangentenwinkel  im  Punkt  P3  nur  unendlich  tvenig  vmi  dem- 
jenigen von  @o  ^^^^  Punkt  P^  verschieden  ist. 

Geht    die    Extremale    ©^    aus    der   ursprünglich   gegebenen    Dar- 
stellung   (1)    in    die    Normalform    (51)    über    durch    die   Parameter- 
transformation   (14),   so    führt    dieselbe   Parametertransformation   die 
Gleichungen  (50)  über  in   eine   neue  Darstellung   der  Extremalen  @^, 
(g^:         x=^it,a),         ij  =  t(t,a),  (52) 

welche  für  a  =  a^  in  die  gegebene  Darstellung  (1)  der  Extremalen  ©^ 
übergeht:  ^(^t,a,)  =  Mi),         i'{t,a,)  ^  y{t),  (53) 

und  bei  welcher  der  Punkt  P3  der  Extremalen  ©^  dem  von  a  unab- 
hängigen Wert  t  =  t^  entspricht: 

(p{t^,a)  =  ~x{a),         i^{t„a)  =  y(a).  (54) 

Überdies   haben   die  Funktionen  cp,  ^  die   in  §  27,  dj  unter  A)  bis  D) 
aufgezählten  Eigenschaften. 

Variiert  man  a,  so  stellen  die  Gleichungen  > '(50)  oder  (52)  eine 
die  Extremale  @o  enthaltende  Schar  von  Extremalen  dar,  tvelche  sämt- 
lich von  der  gegebenen  Kurve  ^  transversal  geschnitten  werden. 

Die  Transversalität  der  beiden  Kurven  @,,  und  ^  im  Punkt  P3 
drückt  sich  aus  durch  die  Gleichung 

x\a)F,,  +  y{a)F^,^0,  (55) 

wobei  die  Argumente  von  F^,  und  F^,  sind 

x  =  x{a),      y  =  y{a),      x  =  cp^t^y  a\      y  =  ^Ik ,  ^)' 
^)  Derselbe  rührt  von  Kneser  her,  vgl.  Lehrbuch  §  30. 


§  40.    Geometrische  Bedeutung  des  Brennpunktes. 


323 


Diese  Gleichung^  welche  eine  Identität  in  a  ist,  differentiieren  wir 
jetzt  nach  a.  In  dem  zunächst  sich  ergebenden  Resultat  drücke  man 
die  zweiten  Ableitungen  von  F  mittels  der  Gleichungen  (12  a)  und 
(85)  des  fünften  Kapitels  durch  die  Funktionen  F^,  L,  M,  N  aus  und 
beachte^  daß  nach  (54) 

und  daher  .,      s-//  n  .       n-./  x        *  /       n 

(Pt(t„a)y  {a)  —  i^lt^^d)x  {a)  =  A(t,,a), 

wenn  A(t,a)  wieder  die  Funktionaldeterminante  der  Schar  (52)  bedeutet. 
Setzt  man  schließlich  a  =  üq,  so  erhält  man   die  Relation: 

Ä,  A  (t, ,  a,)  +  B,  A,(t, ,  a,)  =  0,  (56) 

wenn  A(t,a)  die  Funktionaldeterminante  der  Schar  (52)  bedeutet. 

Nun  ist  aber  nach  §  29,  b)  die  Funktion  A(t,aQ)  ein  Integral  der 
Jacobi'schen  Differentialgleichung  für  die  Extremale  @o;  und  da 
A(t,aQ)  der  Anfangsbedingung  (56)  genügt,  so  folgt  nach  der  am 
Ende  von  §  39,  a)  gemachten  Bemerkung,  daß 

Mt,%)^CH{t,Q,  (57) 

wo  C  eine  von  Null  verschiedene  Konstante  ist,  da  nacli  (53),  (54) 
und  (38)  ^(^^^  „^)  _  ^, -,  _  ^,  .,  ^  Q  ^5^^^ 

Die  Funktion  H(t,t^)  unterscheidet  sich  also  nur  um  einen  kon- 
stanten Faktor  von  der  Funktionaldeterminante  A(t,aQ)  derjenigen 
Extremalenschar, 
welche  von  der  ge- 
gebenen Kurve  ^ 
transversal  ge- 
schnitten wird. 

Daraus  folgt 
aber  nach  §  29,  c) 
der  Satz:^) 

I)er  Brenn- 
punld  P'l  der 
Kurve  ^  auf  der 
Extremalen  (S*  ist 

derjenige  Punkt,  in  welchem  die  Extremale  @*  mm  ersten  Mal  —  von  P^ 
nach  P^  SU  gerechnet  —  die  Enveloppe  g  der  von  der  Kurve  ^  trans- 
versal geschnittenen  Extremalenschar  berührt^) 

^)  Vgl.  Bliss,  loc.  cit.  p.  140. 

^)  Diese  Eigenschaft    dient   bei   Kneser  {Lehrbuch  §  24)   als  Definition  des 
Brennpunktes.     Hierdurch  findet  zugleich  der  Name  seine  Erklärung;  man  denke 


Fig.  49 


324  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

Beispiel  XVIII:    Von    einer    gegebenen   Kurve  ^   nach    einem   gegebenen 
Punkt  Pg  die  kürzeste  Kurve  zu  ziehen.  ^) 

Hier  ist  •  _       ../  , .,  ,    -,g\ 

Die  Extremalen  sind    Gerade,   da  die  Diiferentialgleichung  (23b)  von   §  26  hier 

die  Form  annimmt  ^ 

-  =  0. 

r 

Die  Bedingungen  (11')  und  (III')  sind  stets  erfüllt. 
Die  Transversalitätsbedingung  lautet 

X  X  -\-  y'y'  ^  =  0, 

d.  h.  die  Gerade  ©o  ^^/-^  **^  Funkt  P^  auf 
der  gegebenen  Kurve  ^  senkrecht  stehen.  Die 
Extremalenschar,  welche  von  der  Kurve  ^ 
transversal  geschnitten  wird,  ist  hier  also  das 
Normalensystem  der  Kurve  9t;  ihre  Enve- 
loppe  ist  die  Evolute  g-  der  Kurve  Ä.  Der 
Brennpunkt  P{  ist  daher  der  Krümmungs- 
mittelpunkt der  Kurve  Ä  im  Punkt  P^ ,  und 
wir  haben  daher  das  Resultat:^) 

Für    ein   Minimum   ist  notwendig,    daß 
Fig.  50.  der   Punkt   P^    entiveder    auf  der   entgegen- 

gesetzten  Seite   der  Kurve  ^    liegt,   wie   der 

KrümmungsmiUelpunkt  P['  oder  aber,  falls  beide  Punkte  auf  derselben  Seite  von  ^ 

liegen,  daß  P'(  nicht  zwischen  P^  und  P^  liegt. 

§  41.  Hinreichende  Bedingungen  für  das  Problem  mit  einem 
variabeln  Endpunkt. 
Wir  setzen  jetzt  voraus,  daß  der  Extremalenbogen  @o  k^i^® 
Doppelpunkte  besitzt  und  die  Bedingungen^)  (IF)  und  (IV)  für  feste 
Endpunkte  erfüllt-,  ferner  daß  er  im  Punkt  P^  von  der  gegebenen 
Kurve  ^  transversal  geschnitten  wird  und  die  Ungleichung  (48)  er- 
füllt- endlich  daß  er  den  Brennpunkt  P;'  nicht  «tothält,  d.  h.  also  daß 

[ t,<t:.  m 

an  den  Fall,  wo  die  Extremalen  gerade  Linien  sind,  die  man  als  Lichtstrahlen 
interpretiert.  Die  Brennpunktsbedingung  mit  dieser  Definition  des  Brennpunktes 
rührt  von  Kneser  her  (loc.  cit.);  wir  werden  seinen  Beweis  in  §  47  geben. 

1)  Da  für  das  Längenintegral :  J,,  =  J,,  (vgl.  §  25,  b)),  so  ist  die  Aufgabe 
äquivalent  mit  der  Aufgabe:  Von  einem  gegebenen  Punkt  nach  einer  gegebenen 
Kurve  die  kürzeste  Kurve  zu  ziehen. 

2)  Schon  von  Erdmann  aus  der  zweiten  Variation  abgeleitet.  Zeitscüriii 
für  Mathematik  und  Physik,  Bd.  XXIII  (1878)  p.  374. 

8)  Vgl.  §  32,  b). 


41.    Hinreichende  Bedingungen  bei  einem  variabeln  Endpunkt.        325 


Wir  wollen  zeigen^  daß  alsdann  der  Bogen  @q  in  dem  im  Ein- 
gang von  §  36  definierten  Sinn  ein  Minimum  für  das  Integral  «/liefert^). 

Die  in  §  40  bestimmte  Extremalenschar  (52)^  welche  yon  der 
Kurve  ^  transversal  geschnitten  wird,  liefert  unter  den  gemachten 
Voraussetzungen  ein  Feld  oT,^^^  um  den  Bogen  @q.  Denn  die  Bedingung 
(58)  läßt  sich  nach  (57),  (41)  und  (43)  auch  schreiben 

A(t,%)=^0  für  t^  ^t^t^; 

und  da  überdies  die  Funktionen  cp^  jp  die  in  §  31,  a)  vorausgesetzten 
Stetigkeitseigenschaften  besitzen,  so  sind  alle  Bedingungen  des  Satzes 
über  die  Existenz  eines  Feldes  erfüllt. 

Der  dem  Intervall:  [üq  —  Je,  a^  -\~  Ic]  des  Parameters  a  entsprechende 
Bogen  der  Kurve  ^  liegt  ganz  in  diesem  Feld,  da  man  wegen  (54) 
die  Kurve  ^  auch  schreiben  kann 

Wir  verfahren  jetzt  ganz  wie  in  §  31,  b): 
Wir    nehmen    auf    der  _  _^a  =0,  +  ^ 

Fortsetzung  des  Bogens 
@o  über  den  Punkt  P^ 
hinaus  einen  Punkt  P^ 
so  nahe  bei  Pj,  daß         ^ 

was  wegen  der  Voraus- 
setzung (48)  stets  mög- 
lich ist,  konstruieren 
durch  den  Punkt  F^  die 
Transversale  ^^  zur  Ex- 
tremalenschar  (52)  und  führen  das  Feldintegral  W{x,y)  ein,  gerechnet 
von  der  Kurve  ^q  aus. 
Jetzt  sei 

^:  x==x{s),         y  =  y(s),         Sr^^s^s, 

irgend  eine  gewöhnliche,  ganz  im  Feld  gelegene  Kurve,  welche  von 
irgend  einem  Punkt  P5  der  Kurve  ^  nach  dem  Punkt  Pg  führt;  da- 
bei wählen  wir  der  Einfachheit  halber  den  Bogen  5  als  Parameter 
auf  (i.     Dann  gilt  für  die  totale  Variation 


'<%— fc. 


AJ=   J: 


t 


^)  Zuerst  von  Knesek  bewiesen,  LehrbucJi^  §§  20 — 22;  wegen  eines  zweiten 
sich  unmittelbar  an  die  Differentiationsmethode  anschließenden  Beweises,  vgl. 
p.  314,  Fußnote  l) 


326  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte, 

der  We i e r str a ß  'sehe  Fundamentalsatz 

wobei  die  Argumente  der  8-Funktion  dieselbe  Bedeutung  haben,  wie 
in  §  32,  a). 

Dies  läßt  sieb  auf  Grund  der  Resultate  von  §  31,  c)  mittels  emer 
von  Knesee^)  herrührenden  Modifikation  der  Weier  str  aß' sehen  Kon- 
struktion beweisen. 

Sei  in  der  Tat  F^{s  =  S3)  irgend  ein  Punkt  der  Kurve  S,  so 
schneidet  die  durch  1\  gehende  Extremale  des  Feldes,  ^^{a  =  %),  die 
Transversale  ^0  '^'^  ^^^m  auf  ^0  ^^m  Wert  a  =  6I3  entsprechenden 
Punkt  P4.  Dann  bilden  wir  das  Integral  J,  genommen  von  P4  ent- 
lang der  Extremalen  ©3  bis  P3  und  von  P3  entlaug  der  Kurve  ©  bis 
Pg,  und  bezeichnen  dessen  Wert  mit  S{s^),  sodaß 

Läßt  man  den  Punkt  P3  mit  P5  zusammenfallen,  wobei  P^  nach  P« 
rücken  möge,  so  kommt 

Läßt  man  dagegen  P3  mit  Pg  zusammenfallen,  so  kommt 

Nun  ist  aber 

""""^  W(x,,y^:)=W{x,,y,),  (60) 

da  nach  §31,c)    W{x,y)   auf  der  Transversalen  t  konstant   ist.     Es 

foloft    also  ^  -  ^  ra/     \  oV"'^\l 

Die  Berechnung  der  Ableitung  S\s^)  und  damit  der  Beweis  von  (59) 
gestaltet  sich  nunmehr  genau  wie  in  §  32,  a). 

Statt   der  Weierstraß'schen  Konstruktion   kann   man   auch  hier 
wieder    das    Hilbert'sche    invariante    Integral    J*    benutzen.      Nach 
Gleichung  (151)  von  §  31  ist  nämlich  einerseits 
J^  =  W{x,,y,)-  W(x,,y,), 

andererseits,  da  @o  eine  Extremale  des  Feldes  ist, 

Je„=  W(x„y,)-  W{x,,y,)', 

^)  Vgl.  Knksek,  Lehrbuch,  §  20. 


§  42.    Der  Fall  zweier  variabler  Endpunkte.  327 

also  ist  wegen  (60)  j     ^  j* 

woraus  uunmehr  wie  in  §17^c)  und  §  32^  a)  der  Weierstraß'sche 
Satz  (59)  folgt. 

Nachdem  aber  einmal  der  Weierstraß'sche  Satz  bewiesen  ist, 
kann  man  genau  wie  in  §  32,  b)  weiter  schließen  und  erhält  das  Resultat, 
daß  A«7>  0,  falls  die  Kurve  ©  nicht  mit  (Sq  identisch  ist  und  falls 
die  Größe  h  hinreichend  klein  gewählt  worden  ist. 

Der  Bogen  @o  liefert  also  in  der  Tat  unter  den  im  Eingang  dieses 
Paragraphen  aufgezählten  Bedingungen  ein  star'kes,  eigentliches  Minimum 
für  das  Integral  J. 

§  42.     Der  Fall  zweier  variabler  Endpunkte. 

Wir  betrachten  schließlich  noch  den  Fall,  wo  beide  Endpunkte 
beweglich  sind,  der  erste  auf  einer  Kurve  S^^,  der  zweite  auf  einer 
Kurve  ^9.  Beide  Kurven  sollen,  soweit  sie  für  die  Untersuchung  in 
Betracht  kommen,  von  der  Klasse  G"  sein  und  im  Innern  des  Be- 
reiches Ö\  liegen.  An  der  Voraussetzung,  daß  die  Funktion  F  von 
den  Koordinaten  der  Endpunkte  unabhängig  ist,  soll  auch  hier  fest- 
gehalten werden. 

a)  Vorbemerkungeii: 

Wir  nehmen  wieder  an,  wir  hätten  eine  Kurve  (Sq  gefunden, 
welche  unter  diesen  Anfangsbedingungen  ein  Minimum  für  das  Inte- 
gral J  liefert.  Indem  wir  dann  zunächst  wieder  Variationen  betrachten, 
welche  die  beiden  Endpunkte  P^,  Pg  von  @q  festlassen,  finden  wir  wie 
in  §  36,  daß  die  Kurve  (Sq  eine  Extremale  sein  muß  und  die  sämt- 
lichen übrigen  notwendigen  Bedingungen  für  den  Fall  fester  Endpunkte 
erfüllen  muß.  Wir  nehmen  für  die  weitere  Untersuchung  an,  daß  die 
Bedingungen  (IF),  (HF);  (1^0  erfüllt  sind.  Sodann  folgt  aus  der 
Betrachtung  von  Variationen,  welche  den  Punkt  Pg  fest  lassen,  während 
P^  auf  der  Kurve  ^^  frei  beweglich  ist,  daß  die  Kurve  ^^  die  Ex- 
tremale @o  in  P^  transversal  schneiden  miiß 

x'FJx,y,x',t/)  -f  yFy,{x,y,x',y')  i^  =  0,  (61) 

und  daß  der  in  §  39,  a)  definierte  Brennpunkt  von  ^^  auf  der  Ex- 
tremalen  (SJ  nicht  zwischen  P^  und  Pg  liegen  darf.  Wir  wollen 
diesen  Brennpunkt  den  „rechtsseitigen  Brennpunkte^  von  ^j  auf  @J 
nennen  und  seinen  Parameter  wie  bisher  mit  f^  bezeichnen.  Wir 
nehmen  an,  die  Brennpunktsbedingung  sei  in  der  etwas  stärkeren  Form 

erfüllt.  <2<C  (62) 


328  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

Weiterhin  betrachten  wir  Variationen^  welche  den  Punkt  P^  fest 
lassen,  während  P^  auf  ^o  beweglich  ist.  Für  solche  Variationen 
lassen  sich  die  Schlüsse  von  §§  36—41  fast  unverändert  wiederholen, 
und  wir  erhalten  das  Resultat,  daß  die  Kurve  ^^  die  Extremale  % 
in  Pg  transversal  schneiden  muß: 

x'F^,{x,y,x',i/)  +  yFy,{x,y,x',y')  '  =  0,  (63) 

und  daß  der  „linksseitige  Brennpunkt^'  von  tg  auf  (SJ  nicht  zwischen 
P  und  Pg  liegen  darf.  Der  Parameter  ^g"  desselben  ist  definiert  als 
die  dem  Wert  tc^  zunächst  vm'angehende  Wurzel  der  Gleichung 

^,0,«  =  O,  '  (64) 

wobei  7\n{+  f  ^ 

B.ß,t,)^A,®(t,Q^B,^-^^,  (65) 

während  die  Konstanten  A^,  B^  genau  in  derselben  Weise  für  den 
Punkt  Pg  und  die  Kurve  ^2  ^u  berechnen  sind,  wie  die  Konstanten 
A^,  Pi  mittels  der  Gleichungen  (36)  für  den  Punkt  Pj  und  die  Kurve 
tj.  Wir  nehmen  an,  die  zweite  Brennpunktsbedingung  sei  in  der 
etwas  stärkeren  Form 

erfüllt. 

Endlich     soll     noch     für    die    weitere    Diskussion     angenommen 

werden,   daß 

F{x,,y,,<,y[)  +  0,        F{x„y,,x',,y',)  +  0,  (67) 

woraus  nach  p.  319  Fußnote  "■)  folgt,  daß  die  Extremale  ^^  weder  in 
Pj   die  Kurve  t^,  noch  in  Pg  die  Kurve  tg  berührt. 

b)  Die  Bliss'sche  Bedingung i^) 

Zu  den  auf  diese  Weise  aus  der  Betrachtung  spezieller  Varia- 
tionen abgeleiteten  Bedingungen  muß  nun  noch  eine  weitere,  von 
Bliss  herrührende  Bedingung  hinzugefügt  werden.  Die  Kurve  tg 
hat  nämlich  auf  der  Extremalen  ©J  auch  noch,  ^inen  „rechtsseitigen 
Brennpunkt''  F'J,  dessen  Parameter  t'^  durch  die  zunächst  auf  ^3  fol- 
gende Wurzel  "der  Gleichung  (64)  bestimmt  wird.  Die  Bliss'sche 
Bedingung  läßt  sich  dann  einfach  so  aussprechen: 

1)  Für  das  Beispiel  der  kürzesten  Entfernung  zwischen  zwei  Kurven  ist 
diese  Bedingung  zuerst  von  Erdmann  (Zeitschrift  für  Mathematik  und 
Physik  Bd  XXIII  (1878)  p.  369)  aus  seiner  allgemeinen  Formel  für  die  zweite 
Variation  bei  variablen  Endpunkten  abgeleitet  worden;  für  den  allgemeinen  Fall 
ist  der  Satz  zuerst  von  Bliss  gegeben  worden,  von  dem  auch  der  im  Text  ge- 
gebene Beweis  herrührt  (Mathematische  Annalen,  Bd.  LVIII  (1904)  p.  70). 
Hierzu  die   Ühungsaufgahen  Nr.  9—12  am  Ende  von  Kap.  IX. 


§  42.    Der  Fall  zweier  variabler  Endpunkte.]  329 

Der  rechtsseitige  BrennpunM  P^'  von  ^^   darf  nicht  zwischen  dem 

Endpunkt  P^  und  dem  rechtsseitigen  BrennpunM  P^'  von  ^^  liegen^  es 

muß  also  sein  ,,  ^   „ 

h<K'  (68) 

Angenommen  es  wäre 

f"  <r  f"' 

so  wähle  man  zwischen  P^  und  P^'  einen  Punkt  Pq  auf  (S*  und  be- 
trachte zunächst  die  Aufgabe^  das  Integral  J  zu,  einem  Minimum  zu 
machen^  wenn  der  erste 
Endpunkt  auf  ^^  beweglich 
ist^  während  der  zweite  fest 
ist  und  mit  Pq  zusammen- 
fällt. Für  diese  Aufgabe 
liefert  nach  §  39^  a)  der 
Bogen  PiPq  der  Extre- 
malen  @J  kein  Minimum,  da 

^'  Fig.  52. 

Wir  können  also  in  jeder 

Umgebung  des  Bogens  Pj  P^  eine  Yergleichskurve  Pg  Pq  finden,  für  welche 

Die  Kurve  P3P0  schneide  ^2  i^  einem  Punkte  P^. 

Jetzt  betrachte  man  andererseits  das  Problem,  das  Integral  J  zu 
einem  Minimum  zu  machen,  Avenn  der  erste  Endpunkt  auf  ^g  beweglich 
ist,  während  der  zweite  fest  ist  und  mit  P^  zusammenfällt.     Da 

so  sind  für  dieses  Problem  nach  §  41  die  hinreichenden  Bedingungen 
erfüllt,  vorausgesetzt,  daß  die  Bedingungen  (IP)  und  (IV)  auch  noch 
über  Pg  hinaus  bis  zum  Punkte  Pq  gelten.     Daraus  folgt,  daß 

faUs  die  Kurve  P4P0  in  hinreichender  Nähe  von  (^J  gewählt  worden  ist. 
Durch  Subtraktion  der  beiden  Ungleichungen  folgt  aber 

*^34  <^^^12  5 

womit  die  Notwendigkeit  der  Bedingung  (68)  bewiesen  ist. 

Die  Bedingung  (68)  läßt  sich  noch  in  eine  andere  Form  bringen. 
Dazu  konstruieren  wir  nach  §  40  diejenige  Extremalenschar 

x  =  g?{t,a),         y=.^(t,a),  (69) 

welche  von  der  Kurve  ^^  transversal  geschnitten  wird.  Alsdann 
können   wir  nach   §  31,  c)   auf  Grund   der  Voraussetzung  (6  Tg)   durch 


330  Sechstes  Kapitel.     Der  Fall  variabler  Endpunkte. 

den  Punkt  Pg  eine  eindeutig  definierte  Transversale  %  der  Extremalen- 
schar  (69)  konstruieren.  Zugleich  ist  dann  die  Extrem alenschar  (69) 
im  Sinne  von  §  40  die  einzige  Extremalenschar,  welche  im  Punkte  P^ 
von  der  Kurve  %  transversal  geschnitten  wird.  Aus  der  geometrischen 
Bedeutung  des  Brennpunktes  folgt  daher ^  daß  der  Brennpunkt  der 
Kurve  %  auf  der  Extremalen  (5J  mit  dem  Punkte  P['  identisch  ist. 
Wendet  man  jetzt  auf  die  beiden  Kurven  X  und  ^^  ^i®  Resul- 
tate von  §39,  b)  an,  nachdem  man  vorher  den  positiven  Sinn  auf 
beiden  Kurven  so  gewählt  hat^  daß  die  positive  Tangente  an  (Sq  im 
Punkte  P2  links  von  der  (gemeinsamen)  positiven  Tangente  an  %  und 
^2  liegt,  so  erkennt  man,  daß  die  Ungleichung  (68)  mit  der  folgenden 
Bedingung  äquivalent  ist: 

Wenn  -^(^27  2/2  7^2?^2)  ^  ^(<  ^)?  ^^  ^^^  ^^  Punkte  P,  die 
Krümmung   von  ^g   nicht   kleiner   (größer)   als   diejenige  von  %  sein: 

'^mj-  (70) 

Dies  läßt  sich  auch  so  aussprechen:^) 

Wenn  F{x^,y^yX'^,y'^)^  0  {<iO)y  so  muß  die  Kurve  %  in  der 
Nähe  des  Punktes  F^  ganz  auf  derselben  (entgegengesetzten)  Seite  der 
Kurve  ^2  H^gc't^  ^i<^  der  Extremalenhogen  ^q. 

In  dieser  zweiten  Form  bleibt  der  Satz  auch  dann  noch  richtig, 
wenn  die  Brennpunkte  P^'  und  P^'  gar  nicht  existieren,  in  welchem 
Falle  (68)  illusorisch  wird. 

c)  Hinreicheiide  Bedingungen: 

Wir  fügen  jetzt  den  unter  a)  aufgezählten  Voraussetzungen  über 
den  Extremalenhogen  (S^  noch  die  weitere  hinzu,  daß  die  Bedingung 
(68),  resp.  (70)  in  der  stärkeren  Form 

resp. 

erfüUt  ist.  ^^  2: 

Alsdann  liefert  der  Bogen  @o  in  der  Tat  einen  kleineren  Wert  für  das 
Integral  J  als  jede  andere  gewöhnliche  Kurve,  welche  in  einer  gewissen  Um- 
gehung von  ©0  von  der  Kurve  U^  nach  der  Kurve  ^2  gezogen  werden  kann. 

Man  kann  dies  nach  Zermelo  und  Hahn^)  folgendermaßen  be- 
weisen: Man  nehme  zwischen  P^'  und  P['  einen  Punkt  Pq  an;  da 
tQ  <  t[\  so  liefert  nach  §  41  der  Bogen  P^Po  der  Extremalen  (5J  einen 
kleineren  Wert  für  das  Integral  J  als  jede  andere  gewöhnliche  Kurve, 

1)  Vgl.  Bliss,  loc.  cit.,  p.  »0.     In  dieser  Form  läßt  sich  der  Satz  übrigens 
auch  direkt  mit  Hilfe  des  Kneser'schen  Transversalensatzes  beweisen. 
^)  Encyclopädi(\  IIA,  p.  631. 


§  42.    Der  Fall  zweier  variabler  Endpunkte. 


331 


welche  in  einer  gewissen  Um- 
gebung äl  des  Bogens  PiPq 
von  ^j  nach  P^  gezogen  wer- 
den kann,  allerdings  unter 
der  weiteren  Voraussetzung, 
daß  die  Bedingungen  (11')  und 
(IV)  über  den  Punkt  P^  hin- 
aus bis  zum  Punkte  Pq  gelten. 

Andererseits  folgt  nach 
(41)  aus  der  Ungleichung 
^2' <  ^o;  ^^ß  ^^^  Extremalenbogen  P^Pq  ein  relatives  Maximum  für 
das  Integral  J  liefert  in  Beziehung  auf  die  Schar  von  Extremalen^ 
welche  von  der  Kurve  ^^  nach  dem  Punkte  P^  gezogen  werden  können, 

Ist  daher  die  Umgebung  Si  passend  gewählt,  so  folgt:  Ist  P3P4 
irgendeine  Vergleichskurve,  welche  von  einem  Punkte  P3  von  ^^  nach 
einem  Punkte  P^  von  ^2  führt  und  ganz  im  Bereiche  äl  liegt,  so 
können  wir  vom  Punkte  P^  nach  dem  Punkte  P^  eine  Extremale 
P4^Pq  ziehen,  und  es  ist  dann  nach  dem  eben  Gesagten  einerseits 

andererseits 

^40  <  ^20  • 

Durch  Subtraktion  folgt  hieraus:   ^34  <  ^ig,  was  zu  beweisen  war.^) 

^)  Der  hier  gegebene  Beweis  sowohl  für  die  Notwendigkeit  der  Bedingung^ 
(68)  als  für  die  Hinlänglichkeit  von  (68  a)  zeichnet  sich  durch  seine  Anschaulich- 
keit aus,  leidet  aber  an  dem  Mangel,  daß  er  unnötige  Bedingungen  einführt^ 
indem  er  das  Bestehen  der  Bedingungen  (IF)  und 
(IV*)  über  den  Punkt  Pg  hinaus  voraussetzt.  Einen 
rein  analytischen  Beweis  für  beide  Behauptungen, 
der  von  diesem  Mangel  frei  ist  und  auch  sonst  vom 
Standpunkte  der  Strenge  befriedigender,  dafür  aber 
weniger  einfach  ist,  erhält  man  nach  Bliss  (loc.  cit. 
p.  75),  wenn  man  das  Integral  J  betrachtet,  ge- 
nommen entlang  einer  Extremalen  (£  der  Schar  (69) 
von  ihrem  Schnittpunkte  mit  der  Kurve  .^^  bis  zu 
ihrem  Schnittpunkte  mit  ^^.  Dieser  Integralwert, 
der  eine  Funktion  von  a  ist,  muß  für  a  ==  a^^  ein 
Minimum  besitzen.  Daraus  folgt  dann  zunächst, 
ähnlich  wie  in  §  39,  die  Notwendigkeit  der  Bedingung  (70)  und  sodann  durch  Kombi- 
nation der  hinreichenden  Bedingungen  für  ein  gewöhnliches  Minimum  mit  den  hin- 
reichenden Bedingungen  von  §41  für  ein  Minimum  bei  einem  variabeln  Endpunkt 
die  Hinlänglichkeit  der  angegebenen  Bedingungen  (siehe  Fig.  54).  Einen  dritten 
Beweis  für  die  Notwendigkeit  der  Bedingung  (68)  gibt  Dresden  mit  Hilfe  der  Formeln 
(24)  für  die  zweiten  Ableitungen  des  Extremaleuintegral,  loc.  cit.  p.  477. 


Fig.  54 


Siebentes  Kapitel. 
Die  Kneser'sche  Theorie, 

§  43.     Darboux's   Methode   für   die   Behandlung   des  Problems   der 
kürzesten  Linien  auf  einer  gegebenen  Fläche.^) 

Alle  bisherigen  Beweise  für  hinreichende  Bedingungen  waren  auf 
den  Weierstraß'schen  Fundamentalsatz  über  die  Darstellung  der 
vollständigen  Variation  Ae7  durch  die  8-Funktion  gegründet. 

Für  den  speziellen  Fall  der  geodätischen  Linien  hat  jedoch 
Darboux^),  ausgehend  von  bekannten  GAUSS^schen  Sätzen  über  geo- 
dätische Parallelkoordinaten,  eine  wesentlich  neue  Methode  für  die 
Aufstellung  hinreichender  Bedingungen  entwickelt.  Diese  Methode 
hat  dann  Kneser  in  seinem  Lehrbuch  systematisch  auf  das  Problem, 

das  Integral  ^ 

J=lF(x,y,x\y')dt 

zu  einem  Minimum  zu  machen,  ausgedehnt^)  und  so  eine  von  der 
Weierstraß'schen  unabhängige  Theorie  geschaffen,  die  gleichzeitig 
den  Fall  fester  Endpunkte  und  denjenigen  eines  auf  einer  gegebenen 
Kurve  beweglichen  Endpunktes  umfaßt  und  überdies  die  ganze  Unter- 
suchung der  zweiten  Variation  überflüssig  macht. 

Im  gegenwärtigen  Paragraphen  wollen  wir  als  Einleitung  zunächst 
die  DARBOüx'sche  Methode  kurz  skizzieren. 


^)  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  14 — 19  am  Ende  von  Kap.  IX. 

2)  Darboux,  Theorie  des  surfaces,  Bd.  II  (1889),  Nr.  514—526,  Bd.  III  (1894), 
Nr.  622—627. 

^)  Der  fruchtbare  Gedanke,  Begriifsbildungen  und  Sätze  aus  der  Theorie 
der  geodätischen  Linien  auf  das  genannte  allgemeine  Variationsproblem  auszu- 
dehnen, ist  neuerdings  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  weitergeführt  worden; 
vgl.  Bliss,  A  gencralization  of  the  notion  angle^  Transactions  oft  he  American 
Mathematical  Society,  Bd.  VII  (1906),  p.  184  und  Landsbekg,  Über  die  Total- 
krümmung,  Jahresberichte  der  Deutschen  Mathematiker-Vereinigung 
Bd.  XVI  (1907)  p.  36  und  Über  die  Krümmung  in  der  Variationsrechnung,  Mathe- 
matische Annalen,  Bd.  LXV  (1908),  p.  313. 


§43.    Darboux's  Methode  für  geodätische  Linien.  333 

a)  Die  Grauß'sclieii  Sätze   über  geodätisclie  Parallelkoordinaten: 

Zieht  man  in  einer  Ebene  von  einem  Punkte  0  Strahlen  nach 
allen  Richtungen  und  schneidet  auf  diesen  Segmente  von  konstanter 
Länge  ab^  so  bilden  die  Endpunkte  eine  Kurve  (Kreis),  welche  auf 
allen  Geraden  der  Schar  senkrecht  steht.  Dieser  triviale  Satz  der 
Elementargeometrie  läßt  sich  als  Spezialfall  (oder  Grenzfall)  des  Satzes 
über  Parallelkurven ^)  auffassen:  Schneidet  man  auf  den  Normalen 
einer  ebenen  Kurve  von  der  Kurve  aus  nach  derselben  Seite  hin 
Strecken  konstanter  Länge  ab,  so  bilden  die  Endpunkte  dieser 
Strecken  eine  Kurve  (Parallelkurve),  welche  die  Normalen  der  ur- 
sprünglichen Kurve  senkrecht  schneidet,  und  umgekehrt. 

Diese  Sätze  sind  von  Gauss  ^)  auf  beliebige  geodätische  Linien 
ausgedehnt  worden: 

Auf  einer  Fläche  sei  eine  Kurve  U  gegeben;  konstruiert  man  dann 
in  jedem  Punkte  von  ^  die  senkrecht  auf  ^  stehende  geodätische  Linie 
und  schneidet  auf  diesen  geodätischen  Linien,  nach  derselben  Seite  hin, 
Bogen  von  konstanter  Länge  ab,  so  bilden  die  Endpunkte  dieser  Bogeti 
eine  Kurve  auf  der  Fläche,  welche  die  sämtlichen  geodätischen  Linien 
orthogonal  schneidet. 

Umgekehrt:  Zwei  orthogonale  Trajektorien  derselben  Schar  von  geodä- 
tischen Linien  schneiden  auf  den  letzteren  Bogen  von  konstanter  Länge  ab. 
Die  Sätze  bleiben  richtig,  wenn  die  Kurve  ^  auf  einen  Punkt  zu- 
sammenschrumpft. 

Sind  nun  die  Punkte  der  Kurve  ^  durch  einen  Parameter  v  be- 
stimmt, und  konstruiert  man  im  Punkte  M{v)  von  ^  die  zu  ^  senk- 
rechte geodätische  Linie  @  und  schneidet  auf  ihr  einen  Bogen  MB  =^  u^) 
ab,  so  ist  die  Lage  des  Punktes  P  eindeutig  bestimmt  durch  die 
beiden  Größen  u,  v. 

Wenn  man  sich  nun  auf  ein  solches  Stück  of  der  Fläche  be- 
schränkt, daß  auch  umgekehrt  der  Punkt  P  eindeutig  die  Werte  von 
u  und  v  bestimmt,  so  kann  man  diese  beiden  Größen  als  krummlinige 
Koordinaten  („Geodätische  Parallelkoordinaten")  auf  dem  Flächenstück 
(^  einführen.  Die  Kurven :  v  =  konst.  sind  dann  die  geodätischen 
Linien  der  betrachteten  Schar;  die  Kurven:  u  =  konst.  ihre  ortho- 
gonalen Trajektorien. 


^)  Siehe  z,  B.  Scheffeks,  Theorie  der  Kurven,  p.  64. 

^)  Gauss,  JDisquisitiones  generales  circa  superficies  curvas  (1827)  art.  16;  vgl. 
auch  Knoblauch,  Krumme  Flächen,  p.  151  und  Scheffeks,  Theorie  der  Flächen, 
p.  434. 

^)  D.  h.  die  Länge  des  Bogens  ist  \  u\,  während  der  Sinn  durch  das  Zeichen 
von  u  bestimmt  wird. 

Bolza,  Variationsrechnung.  22 


334  Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er' sehe  Theorie. 

Für  dieses  spezielle  Koordinatensystem  nimmt  dann  der  Ausdruck 
für  das  Quadrat  des  Bogendements  einer  auf  der  Fläche  gezogenen 
Kurve  die  Form  an^): 

ds^  =  du^  +  m^dv\  (1) 

b)  Hinreiclieiide  Bedingungen: 2) 

Wir  betrachten  jetzt  einen  ganz  im  Innern  des  Flächenstückes  6 
gelegenen  Bogen  @o  einer  geodätischen  Linie:  v  =  v^  der  oben  ein- 
geführten Schar  v  =  konst.  Die  Endpunkte  von  @o  seien  PiK,'^o) 
und  PgK^^^o);  wobei  u,<ii^.  Wir  verbinden  die  beiden  Punkte 
F^,F^  durch  eine  beliebige,  ganz  auf  dem  Flächenstück  cf  gelegene 
Kurve  %  die  durch  die  Gleichungen 

(J  :  a  =  ü{x),  V  =  v{t) ,  r^  ^  r  ^  Tg, 

dargestellt  sein  möge,  so  daß: 

Die  Länge  des  Bogens  1  ist  dann  gegeben  durch  das  bestimmte 
Integral  t^ 

Andererseits  ist  die  Länge  des  geodätischen  Bogens  (S^  ^^ch  der 
Bedeutung  der  Größe  u  gegeben  durch 

J  =  U2  —  «^1- 
Nun  kann  man  aber  schreiben   (und  dieser  Kunstgriff  ist   der   Kern- 
punkt des  Beweises):  ^, 


Daher  kommt 


Der  Integrand  ist,  wie  unmittelbar  ersichtlich,  niemals  negativ; 
er  kann  nur  dann  im  ganzen  IntervaU  [r,T,]  verschwmden,  wenn 
^^-  =0  in  Ktjj],  d.  h.  wenn  die  Kurve  I  mit  @o  zusammenfällt.  Da- 
^us  folgt  aber,  daß  unter  allen  Kurven,  welche  auf  dem  Flächenstück 

^)  Gauss,  loc.  cit.  art.  19;  vgl.  auch  Knoblauch,  Krumme  Flächen,  p.  162 
und  ScHEFFERS,  UieoTte  der  Flächen,  p.  441. 

^  Nach  Darboux,  Theorie  des  surfaces,  Bd.  II,  Nr.  521. 


§43.    Darboux's  Methode  für  geodätische  Linien.  335 

4  von  Pi  nach  Pg  gezogen  werden  können,  die  geodätische  Linie  @o 
in  der  Tat  die  Mrzeste  ist. 

Es  mag  auf  den  ersten  Blick  auffallend  erscheinen,  daß  beim 
Beweis  von  der  Jacobi'schen  Bedingung  gar  nicht  die  Rede  war. 
Dieselbe  ist  jedoch  implizite  in  der  über  das  Flächenstück  oT  ge- 
machten Annahme  enthalten,  daß  jeder  Punkt  von  oT  die  Größen  Uy  v 
eindeutig  bestimmen  soll.  Das  läuft  darauf  hinaus,  daß  die  geodätischen 
Linien  der  betrachteten  Schar  ein  Feld  um  den  Bogen  @q  bilden. 

c)  Der  Enveloppensatz: 

Die  Notwendigkeit  der  Jacob i'schen  Bedingung  leitet  Darboux^) 
ohne  Benutzung  der  zweiten  Variation  aus  einem  bekannten  Satz 
über  die  Enveloppe  einer  Schar  von 
geodätischen  Linien  abr  Die  Schar 
von  geodätischen  Linien  durch  den 
Punkt  P]L  in^ge  eine  Enveloppe  ^ 
besitzen,  welche  den  Bogen  @q  in 
einem  Punkt  P[  berührt;  und  zwar 
soll  der  positive  Sinn  auf  g  so  ge- 
wählt sein,  daß  in  P[  die  positiven 
Tangenten  beider  Kurven  zusammen- 
fallen. Ist  dann  P^P^  eine  zweite 
geodätische  Linie  der  Schar  durch  P^,  welche  die  Enveloppe  g  in 
einem  Punkt  Pg  berührt,  der  auf  g  vor  P[  liegt,  alsdann  besagt  der 
erwähnte  Enveloppensatz,  daß 

arc  Pj  P3  -f-  arc  P3  P/  =  arc  P^  P[ .  (3) 

Wenn  nun  der  Punkt  P[  zwischen  P^  und  Pg  liegt,  oder  mit  P^  zu- 
sammenfällt, so  stellt  die  aus  der  geodätischen  Linie  P1P3,  dem  Bogen 
P^P^  der  Enveloppe  und  dem  Stück  P'^P2  von  ©^  zusammengesetzte 
Kurve  eine  zulässige  Variation  des  Bogens  (S^  dar,  falls  die  geodätische 
Linie  P^P^  hinreichend  nahe  bei  ©^  gewählt  ist.  Für  diese  Variation 
ist  aber  nach  dem  Enveloppensatz:  Af7=  0. 

Und  da  die  Enveloppe  selbst  nie  eine  geodätische  Linie  ist^), 
so  kann  man  den  Bogen  P^P^  von  g  durch  einen  kürzeren  Bogen 
ersetzen  und  somit  AJ  sogar  negativ  machen.  Der  Bogen  ©^  liefert 
also  kein  Minimum^)  für  das  Integral  J",  womit  die  Notwendigkeit 
der  Jacob  i'schen  Bedingung  bewiesen  ist^). 

^)  Vgl.  Darboux,  Theorie  des  surfaces,  Bd.  II,  Nr.  526  und  Bd.  III,  Nr.  622. 
^)  Siehe  Darboux.  loc.  cit.,  Bd.  III,  p.  88. 

^)  Abgesehen  von  gewissen  Ausnahmefällen,  siehe  unten  §  47. 
^)  Sogar  noch  etwas  mehr,  da  auch  P\  =  P^  im  allgemeinen  als  unzulässig 
nachgewiesen  ist. 

22* 


Fig.  55. 


336  Siebentes  Kapitel.     Die  Kneser'sche  Theorie. 

Die  Methode,  die  wir  soeben  in  ihren  Umrissen  skizziert  haben, 
läßt  sich  mit  geringen  Modifikationen  auch  auf  den  Fall  anwenden, 
wo  nur  ein  Endpunkt  fest,  dagegen  der  andere  auf  einer  orthogonalen 
Trajöktorie  der  Schar  von  geodätischen  Linien  beweglich  ist. 

§  44.     Der  Kneser'sche  Transversalensatz  und  der  verall- 
gemeinerte Enveloppensatz. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  zur  Verallgemeinerung  der  beiden  im 
vorigen  Paragraphen  angeführten  Fundamentalsätze  über  Scharen  von 
geodätischen  Linien.  Dazu  ist  es  nur  nötig,  die  Entwicklungen  von 
§  31,  b)  und  c)  heranzuziehen,  jedoch  unter  etwas  modifizierten  Vor- 
aussetzungen. 

a)  Die  Funktion  u{t,a)\ 

Wir  betrachten  eine  Schar  von  Extremalen 

x  =  tp{t,a),  y  =  ^(t,a),  (4) 

welche  die  spezielle  Extrem ale 

@,:  x=^x(t),       y-y{t\       h^t^t, 

für  a  =  ÜQ  enthält,  und  welche  in  dem  Bereich 

T.^t^T,,  \a-ao\^d'  (5) 

die   in  §  27,  d)    unter  A)   bis  D)   aufgezählten  Eigenschaften  besitzt, 
wobei  T^<it^,  t^<  T^. 

Überdies  soll  die  Funktion  F  entlang  dem  Bogen  @o  ^^n  Null 
verschieden  sein,  also  in  der  Bezeichnung  (83)  von  §  27: 

g^(^,ao)4=0  in  ftg.  (6) 

Wir  können  dann  stets  nach  §  21,  b)  die  Größen  T^,l\  so  nahe 
bei  ^1,^2  ^^^  di®  positive  Größe  d'  so  klein  wählen,  daß  die  Un- 
gleichung gr^^^^^^^O  (7) 

im  ganzen  Bereich  (5)  gilt. 

Dagegen  setzen  wir  in  der  gegenwärtigen  Untersuchung  nicht 
voraus,  daß  die  Extremalenschar  (4)  ein  Feld  um  den  Bogen  @o  bildet. 
Es  entspricht  also  zwar  auch  jetzt  noch  jedem  Punkt  {t,  d)  des  Recht- 
ecks (5)  auf  Grund  der  Transformation  (4)  ein  Punkt  der  ^"j^Z-Ebene, 
den  wir  „den  Punkt  { ^,  a ) "  nennen  wollen,  und  jeder  Kurve 
(J':  t  =  t{x),  a  =  a(t) 

im  Bereich  (5)  eine  Kurve 

^:  x  =  (p{tit),  a(r)),         tj  =  t(Ht\  a(t)) 


§  44.    Der  Transversalensatz  und  der  verallgemeinerte  Enveloppensatz.    337 

der  ^,^-Ebene,  die  wir  entsprechend  „die  Kurve  [t  =  t{x\  a  =  a(r)}" 
nennen,  und  die  übrigens,  wie  in  §  31,  b),  auch  in  einen  Punkt 
degenerieren  kann. 

Aber  die  Umkehrung  ist  jetzt  nicht  mehr  richtig;  daher  werden 
wir  jetzt  nicht  mehr  unmittelbar  von  einem  Punkt  oder  einer  Kurve 
der  x,y-WoQYiQ  ausgehen,  sondern  immer  zuerst  von  einem  Punkt  oder 
einer  Kurve  in  der  i(,a-Ebene  und  dann  deren  Bild  in  der  o;,  «/-Ebene 
konstruieren.  Gerade  dies  soll  durch  die  obige  Bezeichnung  ausge- 
drückt werden. 

Abgesehen  hiervon  verfahren  wir  nun  zunächst  ganz  wie  in  §  31,  b). 
Wir  konstruieren  eine  Transversale  ^o{^  =  Xo(<^)}  der  Schar  (4)  durch 
einen  Punkt  F^lt^^a^)    von^)  @J,  wobei: 

indem  wir  die  Funktion:  t  =  %(^{a)  durch  die  Differentialgleichung 

^  1^  +  ^.«P„  +  5r,,*„  =  0  (8) 

und  die  Anfangsbedingung:  ;to(«o)  =  ^o  bestimmen,  was  nach  §  23,  a) 
wegen  der  Voraussetzung  (6)  stets  möglich  ist.  Sind  dann  T[^  Tl  zwei 
beliebige  den  Ungleichungen 

T,  <  T\  <  t,,  t^  <  t;  <  T, 

genügende  Größen ,  und  wird  t^  auf  das  Intervall  T\  ^t^^  T^  be- 
schränkt, so  läßt  sjch  nach  §  23,  a),  Zusatz,  eine  von  t^  unabhängige 
positive  Größe  d  ^  d'  bestimmen,  derart,  daß  die  Lösung  ^^^(a)  in 
dem  Intervall  [a^  —  d^  %^  d\  existiert,  von  der  Klasse  C  ist  und  der 
Ungleichung:  T^<u{a)<l\  genügt. 

Indem  wir  unter  {t,a)  irgend  einen  Punkt  des  Bereiches 

T^<i<T„         \a-a,\^d  (9) 

verstehen,  definieren  wir,  wie  in  §  31,  b),  die  Funktion  u{t,a)  durch 
das  bestimmte  Integral 

u{t,a)  =  f^(t,a)dt,  (10) 


t" 


wobei  wieder  zur  Abkürzung:  Xo{ci)  =  t^  gesetzt  ist. 
Die  Kurve 

in  der  t,  a- Ebene  zerlegt  das  Rechteck  (9)  in  zwei  getrennte  Teile; 
in  dem  einen  ist:  ^>;Ko(»)?  im  andern  t^x^(a).  Den  ersten  der 
heiden^Teile  bezeichnen  wir  mit  S. 

\)  Vgl.  wegen  der  Bezeichnung  §  27,  c). 


338  Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er 'sehe  Theorie. 

Falls  ^)  dann  der  Punkt  (t,a)  dem  Bereich  ^  angehört,  so  stellt 
die  Funktion  u{t,  a)  den  Wert  des  Integrals 

dar,  genommen  entlang  der  Extremalen  @„  der  Schar  (4)  von  deren 
Schnittpunkt  P ^^[t  =  iQ{a) ,  a  =  a]  mit  der  Transversalen  ^o  ^is  zum 
Punkt  F^[t,a]. 

Die   Formeln    von    §  31,  c)    für    die   partiellen   Ableitungen   der 

Funktion  u{t,  a) 

%-%  £  =  ^...+  ^,^.  (11) 

bleiben  unverändert  gelten.  Bewegt  sich  daher  der  Punkt  V^\t,a\ 
entlang  einer  Kurve 

^j:  X  =  (p(^(T),  a{%))  =  x{t),     y  ==  t/;(^(T),  a{x))~y{t),  (12) 

so  geht  die  Funktion  u{t,  a)  in  eine  Funktion  von  t  über,  für  deren 
Ableitung  man  nach  (11)  erhält: 

was  sich  mit  Hilfe  von  Gleichung  (10)  von  §  25  auf 

du  _cr   1^    ,    qr    dy  /^^\ 

dt"  '^^'dt'^  "^y  dt  ^-     ^ 

reduziert,  wobei  die   Argumente  von  ^*,  ^j.,,  ^y>  sind : 

t  =  t(t),    a  =  a(r). 

Aus  dieser  Formel  ergibt  sich  nun  die  VeraUgemeinerung  der 
beiden  Sätze  über  Scharen  geodätischer  Linien,  indem  man  die 
Kurve  ^  spezialisiert. 

b)  Der  Transversalensatz:') 

Wir  wenden  die  Formel  (13)  zunächst  auf  den  Fall  an,  wo  die 
Kurve  ^^  ebenfalls  eine  Transversale  der  Schar  (4)  ist;  und  zwar 
möge  sie  das  Bild  der  Kurve 

in  der  t,  a- Ebene  sein,  wo  dann  XiW  wieder  der  Differentialgleichung  (8) 
genügt. 

Alsdann  ist  entlang  ^^ 

^At,a)§  +  %.ii,a)§-0,  (14) 

1)  Und  im  allgemeinen  auch   nur  dann,  weil  wir  stets  voraussetzen     daß 
die  untere  Grenze  des  Integrals  /  kleiner  ist  als  die  obere;  vgl.  §  26   a)  und  b). 

2)  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  8,  13,  20,  21  am  Ende  von  Kap.  iX. 


§  44.    Der  Transversalensatz  und  der  verallgemeinerte  Enveloppensatz.    33^ 

und  daher  nach  (13),  wobei  im  gegenwärtigen  Fall  a  =  r, 

^  =  0,     also     u(Xi{a),  a)  =  konst.  (15) 

Die  Funktion  u(t,  a)   ist   also   entlang  jeder  Transversalen   der  Schar 
konstant. 

Wir  wollen  nun  annehmen,  es  sei:  %i(ao)  >  ;toK);  ^^^  auch  der 
Anfaiigswert  %i(ao)  sei  in  dem  Intervall  [T1T2]  enthalten.  Alsdann 
existiert  nach  der  Definition  der  Größe  d  (§  44,  a))  auch  die  Lösung  ^^  (a) 
im  ganzen  Intervall  [aQ  —  d,aQ-\-d]^  ist  in  diesem  Intervall  von  der 
Klasse  0'  und  genügt  in  demselben  der  Ungleichung:  Zi{a)  >  Xo(d). 
Letzteres  folgt  aus  (7)  auf  Grund  des  Satzes  von  §  23,  c). 

Hieraus  folgt  aber  nach  a),  daß  die  Funktion  u{%^{a),  a)  gleich  ist 
dem  Integral  J,  genommen  entlang  der  Extremalen  @^^  der  Schar  (4), 
von  deren  Schnittpunkt  [%Q(a),  a)  mit  der  Transversalen  ^^  bis  zum 
Schnittpunkt  {%i{a),a]  mit  der  Transversalen  ^^.  Somit  haben  wir 
folgenden,  von  Kneser  herrührenden  Fundamentalsatz ^)  bewiesen: 

Zwei  Transversalen  derselben  Extremalenschar  schneiden  auf  den 
verscJiiedenen  Extremalen  der  Schar  Bogen  ans,  für  welche  das  Inte- 
gral J  denseTben  honstanten  Wert  besitzt. 

Oder  ausführlicher:  Sind  @',  (S" 
zwei  Extremalen  der  Schar  (4)  und 
P',  P",  resp.  Q\  Q"  ihre  wie  oben 
bestimmten  Schnittpunkte  mit  ^(,, 
resp.  U^,  so  ist 

JriP'Q')  =  'h"iP"r)-   (16) 

Umgekehrt:  Schneidet  man  auf 
den  verschiedenen  Extremalen  der  Schar 
von    ihren    SchnittpunMen    mit    einer  \         Fig.  56. 

Transversalen  ^^  aus,  nach  derjenigen 
Seite  zu,  auf  welcher  t  ivächst,  Bogmt  ab^  welche  für  das  Integrcd  J 
denseTben  konstanten  Wert  liefern,  so  liegen  die  Endpunkte  dieser  Bogen 
ivieder  auf  einer  Transversalen  der  Schar. 

Denn  ist:  u{t,  a)  =  konst.  entlang  der  Kurve  ^^,  so  folgt  ;^  =  0, 

also  ist  entlang  ^^  die  Gleichung  (14)  erfüllt,  welche  ausdrückt,  daß 
^1  eine  Transversale  der  Schar  ist. 

Da  für  den  speziellen  Fall  der  geodätischen  Linien  die  Transversalen 

^)  Kneser,  Lclirhuch,  §  15.  Der  Satz  ist  bereits  in  §  20,  a)  und  §  31,  c), 
Ende,  bewiesen  worden  unter  der  Voraussetzung,  daß  die  Extremalenschar  (4) 
ein  Feld  bildet.  Diese  Voraussetzung  mußte  hier  fallen  gelassen  werden,  um 
auch  den  Fall  einzubegreifen,  wo  die  Transversalen  sich  auf  Punkte  zusammenziehen. 


340 


Siebentes  Kapitel.     Die  Kneser'sche  Theorie. 


in  die  orthogonalen  Trajektorien  übergehen,  so  ist  der  Transversalensatz 
in  der  Tat  die  Verallgemeinerung  des  angeführten  Gauß' sehen  Satzes. 

Der  Satz  und  seine  Umkehrung  bleiben  richtig,  wenn  eine  der 
beiden  Kurven  ^o?  ^i  ^^^^^  beide  in  der  in  §  31,  b)  erläuterten  Weise 
in  einen  Punkt  ausarten.     Man  erhält  so  folgende  Zusätze: 

Zusatz  i^);  Ist  ^^  eine  Transversale  der  Extremalenschar  durch 
einen  festen  Punkt  P^,  so  hat  das  Integral  J  vom  Punkte  P^  bis 
zur  Transversalen  ^^  auf  den  verschiedenen  Extremalen  der  Schar 
denselben  konstanten  Wert,  und  umgekehrt. 


Fig.  bl 


Fig.  58 


Fig.  59. 


Zusatz  II:  Ist  ^q  eine  Transversale  der  durch  den  festen  Punkt 
Pj  gehenden  Extremalenschar,  so  hat  das  Integral  J  von  der  Kurve 
^Q  aus  bis  zum  Punkte  Pj  auf  den  verschiedenen  Extremalen  der 
Schar  denselben  konstanten  Wert,  und  umgekehrt. 

Zusatz  IIP):  W^enn  die  Extremalen 


durch  einen  Punkt  Pq  alle  durch  einen 


zvreiten  Punkt  P^  gehen,  so  hat  das  Inte- 
1   gral  Jyoui  Punkte  Pq  nach  dem  Punkte  P^ 
auf  den  verschiedenen  Extremalen  der 
Schar  denselben  konstanten  Wert. 
c)  Der  verallgemeinerte  Enveloppensatz :  ^) 

Wir  wenden  jetzt  zweitens  die  Formel  (13)  auf  den  Fall  an,  wo 
die  durch  (12)  definierte  Kurve  ^^  die  Enveloppe  der  Extremalenschar 
(4)  ist  und  daher  sämtliche  Extremalen  der  Schar  berührt. 

^)  Auf  geodätische  Linien  angewandt  ist  dies  der  Gauß'sche  Satz  über  geo- 
dätische Polarkoordinaten,  Gauss,  loc.  cit.  Art.  15. 

^)  PJin  Beispiel  für  diesen  Fall  bieten  die  geodätischen  Linien  auf  der  Kugel : 
die  größten  Kreise  durch  einen  Punkt  P^  gehen  alle  durch  den  gegenüber- 
liegenden Punkt  Pj   der  Kugel.     Vgl.  auch  §  47. 

•'')  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  13,  21  am  Ende  von  Kap.  IX. 


§  44.    Der  Transversalensatz  und  der  verallgemeinerte  Enveloppensatz.    341 

Dies  bedarf  jedoch  einer  genaueren  Formulierung: 
Der  Punkt  t   der   Kurve  Ä^   fällt   mit   dem  Punkte   t  =  t{x)   der 
Extremalen    a  =  a(r)    der    Schar    (4)    zusammen.      Insbesondere    sei: 
a{t^  =  «0,  ^(tq)  =  t'^^.     Wir  nehmen  an,  daß  t'^  >  t^  und 

o+(ir'^'"+o. 

Dann  läßt  sich  ein  den  Wert  Tq  enthaltendes  Intervall  [t^'t"]  angeben^ 
in  welchem  gleichzeitig  die  beiden  Ungleichungen 

*W-Zo(«W)>0,')  (17) 

gelten. 

Wir  setzen  voraus,  daß  wenigstens  für  jedes  t  in  [t't"]  die 
Kurve  ^j  die  Extremale  a  =  a(t)  in  dem  oben  näher  charakterisierten 
gemeinsamen  Punkt  berührt,  so  daß  also 

wo  m  ein  von  t  abhängiger  Proportionalitätsfaktor  ist.  Aus  (18) 
und  aus  der  für  den  ganzen  Bereich  (5)  vorausgesetzten  Ungleichung: 
^1-\-Vt=¥^  folgt,  daß  die  Funktion  m{t)  in  [t't"]  stetig  und  von 
Null  verschieden  ist.  Sie  kann  also  ihr  Zeichen  nicht  wechseln. 
Wir  dürfen^)  stets  ohne  Beschränkung  der  Allgemeinheit  voraus- 
setzen, daß  /  \  ^  A  •     r  '  "1 

d.  h.  daß  die  positiven  TangentenricMungen  der  beiden  Kurven  in  ihrem 
Berührung spunlde  zusammenfallen. 

Nunmehr  folgt  aber  aus  (19)  auf  Grund  der  Homogeneitäts- 
relationen  (13)  von  §  25 

Daher  nimmt  die  Gleichung  (13)  unter  Benutzung  der  Homogeneitäts- 
relation  (10)  von  §  25  die  Form  an 

du(m,a(r))_j^j^^^.^dxd^y  (20) 


dt 


1)  D.  h.  der  Bogen  [t' r"]  der  Kurve  ^^  ist  das  Bild  einer  Kurve  in  der 
t,  a-Ebene,  welche  ganz  in  dem  unter  a)  definierten  Bereich  H?>  liegt. 

^)  Sollte  m  <<  0  sein,  so  können  v^rir  durch  ümkehrung  des  positiven  Sinnes 
auf  der  Kurve  ^^  vermittels  der  Transformation  r  =  —  6  bewirken,  daß  für  die 
80  transformierte  Kurve  m  positiv  ist. 


342  Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er 'sehe  Theorie. 

Integrieren   wir   diese  Gleichung   nach   r   von  t'  bis  x"  (r' <  r")^   so 
erhalten  wir 


u{t{x'\a{x"))- 


t" 

u{Kx),  aix'))  ^Jf(x, y/^,2)  dt.  (21) 


Erinnern  wir  uns  jetzt  der  Bedeutung  der  Funktion  u{t,a),  so  erhalten 
wir,  da  die  ITugleichung  (17)  erfüllt  ist,  den  verallyemeinerten  Enve- 
loppensatz'^) : 

Es  sei  ^0  ^'"^^  Transversale  der  Extremalenschar  (4)  und  5  \die 
Emeloppe  der  Schar.  Ferner  seien  @',  @"  zwei  Extremalen  der  Schar, 
welche  von  den  Funkten  P',  F"  von  ^q  ausgehen  und  ^  in  den  Funkten 
Q' ,  Q"  berühren,  alsdann  ist 

JHi"'Q")  =  MP'Q')  +  J%(Q'Q")-  (22) 

Dabei  ist  vorausgesetzt,  daß  der 
positive  Sinn  auf  g  in  der  oben 
angegebenen  Weise  festgelegt 
worden  ist,  und  daß  der  Punkt  Q' 
auf  g  dem  Punkt  $"  vorangeht. 
Der  Satz  bleibt  richtig,  wenn 
die  Kurve  ^q  in  einen  Punkt 
degeneriert,  in  welchem  Falle 
wir  den  Zusatz  erhalten: 
J^"{FQ'')=^MFQ') 

wo  FQ',FQ"  zwei  Extremalen 
der  Schar  durch  den  Punkt  F 
sind  und  g  die  Enveloppe  der 
Schar. 

Beide    Si^tze    behalten    ihre 

Gültigkeit,  wenn  ^^  und  ^^  beide 

für  t  =  t"  verschwinden,  d.  h.  wenn  die  Enveloppe  Q  in  Q"  eine  Spitze 
besitzt,  wenn  nur  die  Ungleichung  (18)  für  r'  <  r  <  r"  erfüllt  bleibt. 

1)  Für  den  speziellen  FaU,  wo  Ä^  i^  einen  Punkt  degeneriert,  gibt  den  Satz 
schon  Zermelo  in  seiner  Dissertation,  p.  27,  wo  er  denselben  mittels  des  Weier- 
straß'schen  Fundamentalsatzes  herleitet.  Der  Satz  in  seiner  allgemeinen  1  orm 
rührt  von  Kneser  her,  siehe  Mathematische  Annalen  Bd.  L  (1898)  p.  27.  Der 
einfachste  Fall  des  Satzes  ist  der  bekannte  Satz  über  die  Evolute  einer  ebenen  Kurve. 

Der  Satz  findet  seine  Ergänzung  in  den  Entwicklungen  des  §47,a),  wo  die 
Existenz  der  Enveloppe  nachgewiesen  wird. 


§  45.    Transformation  des  Integrals  J  durch  eine  Punkttransformation,     343 

Um  dies  zu  zeigen,  integriert  man  die  Gleichung  (20)  zunächst  von 
r'  bis  t"  —  £  und  geht  dann  zur  Grenze  Le  =  -\-  0  über.^) 

§  45.    Transformation  des  Integrals  J  durch  eine 
Punkttransformation. 

Indem  wir  uns  jetzt  der  Verallgemeinerung  der  in  §  43,  a)  an- 
geführten Resultate  über  die  Einführung  geodätischer  Parallelkoordi- 
naten zuwenden,  betrachten  wir  zunächst  im  allgemeinen  die  Frage 
der  Einführung  von  krummlinigen  Koordinaten  in  das  Integral  JJ  oder, 
was  damit  gleichbedeutend  ist,  die  Wirkung  einer  Punkttransformation 
auf  das  Integral  J. 

a)  Allgemeine  Vorbemerkungen: 

Wir  führen  an  Stelle  der  bisher  gebrauchten  rechtwinkligen  Ko- 
ordinaten x,y  irgendein  System  krummliniger  Koordinaten  ein: 

u=ü{x,y),         v=V{x,y).  (24) 

Dabei  mögen  die  Funktionen  U{x,y)y  V(x,y)  von  der  Klasse  C"  sein 
in  einem  Bereich  oJ  der  x,  ^-Ebene,  der  in  dem  in  §  25,  b)  eingeführten 
Bereich  Ö\,  enthalten  ist;  überdies  soll  in  oT  die  Funktionaldeterminante 
der  beiden  Funktionen  von  Null  verschieden  sein: 

'!^'^  +  0  in  cf!  (25) 

Die  Transformation  (24)  läßt  sich  auch  als  „Punkttransformation^^^) 
auffassen,  indem  man  die  neuen  Variabein  w,  v  ihrerseits  als  recht- 
winklige Koordinaten  eines  Punktes  in  einer  ^t,  v-Ebene  deutet.  Dabei 
bezeichnen  wir  das  Bild  des  Bereiches  of  in  der  w,  t^-Ebene  mit  91 
und  setzen  des  weiteren  voraus,  daß  die  durch  die  Transformation  (24) 
definierte  Beziehung  zwischen  oT  und  9.1  ein-eindeutig  sein  soll.  Aus 
den  Sätzen  über  implizite  Funktionen  folgt  dann,  daß  die  alsdann  für 
den  Bereich  91   eindeutig  definierten  inversen  Funktionen 

x=X{u,v),        y=Y{u,v)  '^(26) 

ebenfalls  von  der  Klasse  C"  sind,  und  daß  ihre  Funktionaldeterminante 
D  in  91  ebenfalls  von  Null  verschieden  ist: 

^^  =  ^if  ^  T-  +  0  in  9L.  (27) 

^)  Die  beiden  in  diesem  Paragraphen  bewiesenen  Sätze  lassen  sich  in  etwas 
anderer  Fassung  auch  mittels  der  Sätze  von  §  37  über  das  Extremalenintegral 
beweisen,  was  auf  eine  Verallgemeinerung  der  von  Darboux,  loc.  cit.,  für  den 
Fall  der  geodätischen  Linien  benutzten  Methode  hinausläuft. 

^)  Vgl.  über  Punkttransformationen  z.  B,  Lie-Scheffeus  ,  Ben'ihrmigstrans- 
formationen,  Kap.  1. 


344  Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er' sehe  Theorie. 

Wir  betracMen  jetzt  unser  Integral 

J,^fF{.,y,p/£)är,  (28) 

genommen  entlang  irgendeiner  gewöhnliclien,  ganz  im  Bereich  oT  lie- 
genden Kurve 

von  einem  Punkt   ft(ri)  nach  einem  Punkte   ^2(^2)- 

Führen  wir  dann  in  das  Integral  J©  statt  der  Variabein  x,  y  die 
neuen  Variabein  u,v  ein  und  bezeichnen  mit  G{u,v,u',v')  die  durch 
die  Gleichung 

Giii,  vyy)  =  F{x,  Y,  xy  +  xy,  ry  +  ry)      (29) 

definierte  Funktion  der  vier  unabhängigen  Variabein  u,  v,  u,  v',  so  geht 
das  Integral  J^i  über  in  das  Integral 

Ji-m^,^,'^,'£^)är,  (30) 

genommen  entlang  dem  Bild  ^'  von  S  in  der  ?(,v- Ebene: 

^'\         u=  U{x{t:,  y{T))  =  u{t),      v  =  V{xit\  y{x))  =  v{x\ 

vom  Punkt  Q\  (dem  Bild  des  Punktes  Q^  zum  Punkt  §;  (dem 
Bild  des  Punktes  Q^).  Die  Kurve  S'  ist  ebenfalls  eine  gewöhn- 
liche Kur^e. 

Aus  der  Definition  der  Funktion  G  und  den  Homogeneitätseigen- 
schaften  der  Funktion  F  folgt.,  daß  auch  die  Funktion  G  die  Honio- 
geneitätsrelation 

G {u, V, lii\ Iv)  =  kG(u, V, u', v\        h  >  0  (31) 

erfüllt.     Daher    ist   auch    der  Wert    des   Integrals   Jr  von   der   Wahl 
des  Parameters  unabhängig. 
Aus  der  Gleichung 

J^'  =  J^  (32) 

folgt:  Wenn  die  Kurve  S  das  Integral  J  zu  einem  Minimum  macht, 
so  macht  auch  ihr  Bild  ^'  das  Integral  J'  zu  einem  Minimum  und 
umgekehrt.  Wir  sagen  daher,  das  Problem,  das  Integral  J  in  der 
iC,?/-Ebene  zu  einem  Minimum  zu  machen,  und  das  Problem,  das  Inte- 
gral J'  in  der  ?i,i;-Ebene  zu  einem  Minimum  zu  machen,  seien  „äqui- 
valente Probleme'^. 


§  45.    Transformation  des  Integrals  /  durch  eine  Punkttransformation.     345 

b)  Invarianten  der  Funktion  F(x,y,x,y')\ 

Die  Gesamtheit  aller  Punkttransformationen  {2Qi)  bildet  eine 
Gruppe.  Adjungiert  man  den  Transformationsgleichungen  (26)  noch 
die  Gleichungen 

X  =  Xji'  +  Xy,        y  =  r„«  +  Y^,  (33) 

die  man  aus  (2^^  ableitet,  indem  man  für  w,  v  Funktionen  von  x  ein- 
setzt und  dann  nach  x  differentiiert,  so  erhält  man  eine  Gruppe  von 
Transformationen  zwischen  den  Variabein  Xjy,x,y'  einerseits  und  den 
Yariabeln  u,  v,  u' y  v  andererseits,  die  sogenannte  Gruppe  der  „erweiterten 
Funkttransformationen^^'^).  Diesen  Prozeß  der  Erweiterung  kann  man 
weiter  fortsetzen,  indem  man  den  Gleichungen  {2^)  und  (33)  die 
durch  nochmalige  Differentiation  nach  r  abgeleiteten  Gleichungen 

y"  =  Y^n"  +  Y^'  +  r„„«'^  +  2  Y^,uv'  +  r„V^  ^^*^ 

adjungiert,  usw. 

Es     sei     ietzt  ^     /  r        r  n        ,,  x 

J  0,ix,y',x,y',x  ,y  ;  .  .  .) 

eine  Funktion  der  angegebenen  Argumente  und  außerdem  der  Funktion 
F  und  einiger   partieller  Ableitungen  von  JP;  ferner  sei 

^a(u,V'^  II ,  v\  u",  v"  .  .  .) 

die  genau  in  derselben  Weise  aus  den  Variabein  u,V]  u\v-^  u\v"  .  .  . 
und  der  Funktion  G  und  ihren  partiellen  Ableitungen  gebildete 
Funktion.  Wir  sagen  alsdann,  die  Funktion  0p  sei  eine  absolute  In- 
variante der  Fimldion  F  in  Beziehung  auf  die  Gruppe  der  Punkt- 
transformationen (26)  und  ihrer  Erweiterungen,  wenn 

Qg{u,v',  ti, v;  u, v"',  .  .  ,)  =  ^Fix.y,  X, /;  x", y"-  .  .  .)  (35) 

in  dem  Sinn,  daß  diese  Gleichung  bestehen  soll  für  alle  Wertsjsteme 
x,y'^  x,y'^  x",y"'^  .  .  .  einerseits  und:  u,V'^  ii,v'^  u",v"  .  .  .  andererseits, 
welche  durch  die  Transformationsgleichungen  (26\  (33),  (34)  usw. 
verbunden  sind,  und  zwar  soll  dies  gelten  für  die  Gesamtheit  aller 
Punkttransformationen.  Dagegen  nennen  wir  0j,  eine  Invariante  vom 
Index  r,  wenn  in  demselben  Sinn 

0o(u,v;  u,  v'',  u\  v"',  ..)  =  D^  0,{x,  y,  x\  y-,  x" ,  y";  ...),       (36) 

wo  I),  wie  oben,  die  Funktionaldeterminante  von  X  und   Y  bedeutet. 
Die    einfachste,    allerdings    triviale,    absolute    Invariante    ist    die 
Funktion  F  selbst. 

^)  Vgl.  LiE-ScHEFFERs,  Berührungstransformationen,  p.  12. 


346  Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er 'sehe  Theorie. 

Ferner  ist  F^  eine  Invariante  vom  Index  2, 

G^  =  n'F,.  (37) 

Denn  durch  Differentiation  der  Identität  (29)  nach  ^t'  und  v    folgt 

(^w  =  K'^u  +  F^'  Y,..  ^.  =  F^'^.  +  F,.  r„  (38) 

wobei  die  Argumente  von  F^,yF^.  dieselben  sind  wie  in  (29).  Aus 
(38)  erhält  man  durch  nochmalige  Differentiation  nach  u 

Ebenso  verifiziert')  man  leicht,  daß  die  linke   Seite   der  Euler 'sehen 
Difierentialgleiehung  eine  Invariante  vom  Index  1  ist: 
To  -  ö„..  -  G„,  +  G, (.'."  -  v'u") 

=  D[F^^,-F^,  +  F,(xY~,/x")]^DTr.  "-    ^ 

Hieraus  folgt,  daß  das  Bild  einer  Extremalen  des  ursprünglichen 
Problems  wieder  eine  Extremale  für  das  neue  Problem  ist,  während 
die  Gleichung  (37)  die  Invarianz  der  Legendre'schen  Bedingung  aus- 
drückt, Resultate,  wie  sie  aus  der  Äquivalenz  der  beiden  Probleme 
a  priori  zu  erwarten  sind. 

Aus  (37)  und  (39)  folgt,  daß  der  Quotient 

eine  absolute  Invariante  ist.  Dazu  bemerken  wir  noch  folgendes: 
Denken  wir  uns  diesen  Quotienten  für  irgend  eine  Kurve  (S  mit  dem 
Parameter  t  berechnet  und  wenden  dann  eine  Parametertransformation  ^) 

an,  so  folgt  aus  den  Homogeneitätseigenschaften  von  F,  daß  der  obige 
Quotient  bei  dieser  Operation  nicht  invariant  bleibt,  daß  aber  der 
Quotient  T.. 

S  =  -^,  ,  (40) 

nicht  nur  bei  jeder  Punkttransformation  (26),  sondern  auch  hei  gleich- 
seitiger Ausführung  einer  heliebigen  Parametertransformation  invariant 
UeiU%  da  nach  §  25  Gleichung  (9)  und  (13) 

1)  Vgl.  auch  unten  §  45,  c).  ')  Vgl.  §  25,  a). 

»)  Siehe  die  auf  p.  226,  Fußnote  "■)  zitierte  Dissertation  von  Underhill,  die 
inzwischen  in  den  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society, 
ßd  IX  (1908)  p.  316  publiziert  worden  ist,  und  Landsberg,  Mathematische 
Annalen,  Bd.  LXV  (1908)  p.  329,  der  die  Größe  5^  die  extremale  Krümmung 
der  betrachteten  Kurve  im  Punkt  x,  y  nennt. 


§  45.    Traneformation  des  Integrals  /  durch  eine  Punkttransformation.     347 
Fix  y  —    ^"l  =  i—\  Fix  y  —    ^-^\ 
K  ix  y  —    '^)  =  i^'V  F  ixy—    ^\ 
mnd  nach  einer  einfachen  Rechnung 

T    irr  „    ^^      ^      ^^      ^^y\   —   T    l^   „    ^^     ^      1"^     ^1^\ 
-^F\x,y,  ^^,,  ^^„   ^^,„  ^^^,2J  -  ±F\X,li,  j^,  ^^-,  ^^^,  ^^,J  ■ 

Für  den  Fall  der  geodätischen  Linien  ist  die  Invariante  >S'  mit 
der  geodätischen  Krümtmmg  identisch,  wie  aus  den  Gleichungen  (39) 
und  (95)  des  fünften  Kapitels  ersichtlich  ist. 

Neben  den  Variabein  x,y''^  ^"  y"'-,  ■  ■  •  kann  man  auch,  ähnlich  wie 
in  der  gewöhnlichen  Invariantentheorie  der  Formen,  eine  zweite  Reihe 
„kogredienter  Variaheln^'  x,  i/]  .  . .,  resp.  w,  v  .  .  .  einführen,  die  sich  mittels 
der  Formeln 

i  =  X„«  +  X>,     ,j=Y„ü+YJ  (41) 

usw.  transformieren,  was  zu  einer  entsprechenden  Erweiterung  der 
Gruppe  und  des  Invariantenbegriffes  führt. 

Die  einfachste  derartige  Invariante  ist  die  „identische  Invariante": 
x'y  —  y'Xj  für  welche 

u'v  —  v'ü  =  D~'^{xy  —  yx).  (42) 

Hierauf  beruht  die  Invarianz  der  Jaco hinsehen  Bedingung.^)  Ist 
nämlich  ,,     n  ,  /.    \ 

die  Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  der  Extrem alen  @q,  und 
identifiziert  man  die  Größen  Xy  y  mit  9?^,  ^^,  dagegen  x^  y  mit  (p^,  ^„7 
was  gestattet  ist,  da  die  hierdurch  einander  gleichgesetzten  Größen 
sich  in  derselben  Weise  transformieren,  so  geht  xy  —  y  x  in  die 
Funktionaldeterminante  A(t,a)  über,  woraus  nach  (42)  und  nach 
§  29,  b)  folgt,  daß  zwei  konjugierte  Punkte  des  ursprünglichen  Prob- 
lems durch  die  Transformation  (24)  in  zwei  konjugierte  Punkte  des 
neuen  Problems  transformiert  werden. 

Eine  andere  Invariante  dieser  Art  ist  die  Größe 

xF^,(x,  y,  X,  y)  +  yFy,{x,  y,  x\  y) . 
Denn  aus  (38)  und  (41)  folgt,  daß 

uG^.{u,v,u,v)  +  i) G^,{u;V,u,v)==xF^,{x,y,x,y)  +  yFy,(x,y,x,y).   (43) 
Dies  zeigt,    daß,  wenn  eine  Kurve  U  eine  zweite  Kurve  @   im  Punkt 
^)  Nach  Underhill,  loc.  cit. 


348  Siebentes  Kapitel,     Die  Kneser'sche  Theorie. 

Q  transversal   schneidet,   dann   auch   das  Bild  ^'   von  ^   das   Bild  @' 
von  (S  im  Bildpunkt   Q'  von  Q  transversal  schneidet. 

Aus   (43)    folgt    unmittelbar,   daß    in    demselben    Sinn    auch    die 
^-Funktion  eine  absolute  Invariante  ist. 

8.;(m,  v,  ti,  v]  h,  v)  =  ßyix,  ij;  X,  y']  X,  y),  (44) 

womit  auch  die  Invarianz  der  Weierstraß'schen  Bedingung  gezeigt  ist. 

c)  Der  ^-Algorithmus  als  invariantenbildender  Prozeß: 

Wenn  man  in  der  eine  Funktion  ^  als  absolute  Invariante  charakterisie- 
renden Gleichung  (35)  für  x,y  willküriiche  Funktionen  x{x),y{r)  einer  Varia- 
bein T  einsetzt,  für  x  ,  y' ;  x\  i/";  •  • .,  deren  erste,  zweite, .  .  .  Ableitungen  nach 
TT,  und  gleichzeitig  für  u,  v  die  durch  die  Transformation  (24)  aus  x{x),  y{t)  ab- 
geleiteten Funktionen  ii{t),v{t),  für  n',  ü';  u'\  v" -,  . .  .  deren  erste,  zweite... 
Ableitungen  nach  t,  so  geht  die  Gleichung  (35)  in  eine  Identität  in  x  über,  da 
die  Ableitungen  yon  x,y  mit  denen  von  i*,  t?  ja  gerade  durch  die  Transformations- 
gleichungen (33),  (34)  usw.  verbunden  sind.  Differentiiert  i)  man  die  so  ent- 
standene Gleichung  nach  t,  so  erhält  man 

du  ^       dv  ^        cu  dv 

Diese  Gleichung  stellt  zunächst  wieder  nur  eine  Identität  in  x  dar,  wobei 
^\  y';...,u\v';...  Ableitungen  nach  x  bedeuten.  Da  jedoch  die  bei  dem  Pro- 
zeß verwandten  Funktionen  x[x),  y{x)  ganz  willkürlich  2)  waren,  so  schließt  man, 
daß  die  Gleichung  (45)  auch  gültig  bleibt,  wenn  man  unter  x,  y;  x\  y ',  x" ,  y" ... 
einerseits  und  w,  ^5;  u\  v' ;  u'\  v" .  . .  andererseits  schließHch  wieder  beliebige  durch 
-die  Transformationsgleichungen  (24),  (33),  (34)  usw.  verbundene  Variable  ver- 
steht. Durch  den  angegebenen  Differentiationsprozeß  wird  also  aus  der  absoluten 
Invariayite  *  eine  neue  absolute  Invariante  abgeleitet. 

Wenn  die  in  (35)  für  x,  y  eingesetzten  Funktionen  außer  von  x  auch  noch 
von  einer  zweiten  Variabein  s  abhängen,  so  geht  die  Gleichung  (35)  in  eine 
Identität  in  x  und  s  über,  die  man  daher  auch  nach  s  differentiieren  darf.^  In- 
dem wir  die  Differentiation  nach  t  durch  das  Symbol  d  ailÄeuten,  erhalten  wir  so: 


a^,.  d^,^  d^y         ,         a^^/r 


(46) 


1)  Dabei  ist  zu  beachten,  daß  x,  y,  x\  y'  auch  in  der  in  ^  enthaltenen 
Funktion  F  und  deren  partiellen  Ableitungen  vorkommen. 

2)  Natürlich  abgesehen  von  Bedingungen  der  Stetigkeit  und  Diöerentner- 
barkeit,  die  wir  bei  dem  lediglich  formalen  Charakter  der  gegenwartigen  Unter- 
suchung nicht  explizite  angeben. 


§  45.    Transformation  des  Integrals  J  durch  eine  Punkttransformation.     349 

Dabei  ist,  wie  durch  Differentiation  von  (26)  und  (33)  nach  &  folgt, 

8x=XJu^X^8v,  ^y^YJu^YJv,  (47) 

8x'  =  XJu   -{-  XJv'  ^  ^uu'^'^^'  +  ^..«(^'^^  +  v'^u)  +  ^.^^'^«^, 
8y' =:.YJu  -i-YJv' ^Y^y8u-YY^jM'8v-^v'8u)-\-Y^y8v. 

Die  Gleichung  (46)  ist  zunächst  wieder  bloß  eine  Identität  in  x  und  « ;  aus 
der  Willkürlichkeit  der  bei  dem  Prozeß  benutzten  Funktionen  a;(r, «),  i/(r,  s)  folgt 
aber  wieder,  daß  die  Gleichung  (46)  gültig  bleibt,  wenn  man  unter:  ic,  i/;  x\y', 
.  .  .  dx,8y;  8x',8y'\  .  .  .  einerseits  und:  w,  y;  u\v';  .  ,  .  ()u^8v^  8u\8v'\  .  .  . 
andererseits  irgendwelche  durch  die  Gleichungen  (26),  (33),  .  .  .,  (47),  (48),  .  .  . 
verbundene  Größen  versteht.  Also  stellt  8^  eine  neue  absolute  Invariante  dar 
und  zwar  für  die  durch  Adjunktion  von  8x^  8y,  8x\  8y';  ...  erweiterte  Gruppe. 
Wir  haben  also  das  Resultat,  daß  auch  der  8-Prozeß  aus  einer  absoluten  In- 
variante ivieder  eine  absolute  Invariante  erzeugt. 

Beispiel:  Aus  der  Gleichung 

G{u,  V,  u\  v')  =  F{x,  y,  x',y') 
folgt,  daß  auch  die  Funktion 

8F=  FJx  +  F^8y  +  F^,8x'  +  F^ySy' 

eine  absolute  Invariante  ist.  Nun  können  wir  aber  in  bekannter  Weise  8F  auf 
die  Form  bringen  ^) 

8F=Ttv+^^{8xF^,+  8yF^,), 

wo 

w  =^y' 8x  —  X  8y. 

Da  nach  (47)  die  Größen  8x,  8y  mit  x\  y'  kogredient  sind,  so  folgt  nach  (43),  daß 

8xFy-\-8yF^y 

eine  absolute  Invariante  ist,  also  nach  dem  oben  Gesagten  auch  die  Ableitung 
dieses  Ausdrucks  nach  x.  Hieraus  folgt  aber  weiter,  daß  auch  Tiv  eine  absolute 
Invariante  ist.  Nun  ist  aber  nach  (42)  tu  eine  Invariante  vom  Index  —  1,  also  muß 
der  andere  Faktor  T  des  Produkts  eine  Invariante  vom  Index  -\- 1  sein,  womit 
wir  fast  ohne  Rechnung  das  oben  ausgesprochene  Resultat  (39)  bewiesen  haben.  ^) 


"■)  Vgl.  §  26,  Gleichung  (18  a). 

^)  Eine  weitere  Ausführung  der  hier  nur  kurz  angedeuteten  Theorie  findet 
man  in  der  oben  zitierten  Arbeit  von  Underhiix,  wo  insbesondere  die  mit  der 
zweiten  Variation  zusammenhängenden  Invarianten  untersucht  werden.  Man 
kann  sich  die  Aufgabe  vorlegen,  für  eine  bestimmte  Gruppe  erweiterter  Punkt- 
transformationen alle  Invarianten  zu  bestimmen.  Für  den  Fall  des  ^r-Problems 
hat  schon  Lie  in  seiner  Arbeit  über  Differentialinvarianten  (Mathematische 
Annalen,  Bd.  XXIV  (1884),  p.  569)  die  Aufgabe  gestellt  und  in  seine  allgemeine 
Theorie  der  unendlichen  Iconiinuierlichen  Gruppen  eingeordnet.  Für  den  speziellen 
Fall  der  geodätischen  Linien  ist  die  LiE'sche  Methode  von  Zorawski  im  einzelnen 
durchgeführt  worden  {„über  Biegungsinvarianten.  Eine  Amvendung  der  Lie' sehen 
{xruppentheorie",  Acta  Mathematica,  Bd.  XVI  (1892),  pp.  1 — 64). 

Bolza,  Variationsrechnung.  23 


350  Siebentes  Kapitel.     Die  Kneser'sche  Theorie. 

§  46.    Die  Kneser'schen  knimmlinigen  Koordinaten  und  ihre 

Anwendungen.  ^) 
Wir    haben  jetzt   die   im   vorigen   Paragraphen   entwickelten   all- 
gemeinen Transformationsprinzipien  auf  den  speziellen  Fall  der  „Kneser'- 
schen  krummlinigen  Koordinaten",   welche  die  Verallgemeinerung  der 
GAUSS'schen  geodätischen  Parallelkoordinaten  sind,  anzuwenden, 
a)  Definition  der  Kneser'schen  krummlinigen  Koordinaten: 
Wir  fügen  jetzt  den  in  §  44,  a)  über  die  Extrem alenschar 

x  =  (p(t,a),         y  =  il^{t,a)  (4) 

gemachten  Annahmen  die  weitere  hinzu,  daß  die  Funktionaldeter- 
minante A(tya)  der  Schar  der  Ungleichung 

A(t,a,)^0  in  [tM  (49) 

genügen  soU,  und  daß  auch  die  Ableitungen  cp^a^^aa  i^^  Bereich  (5) 
existieren  und  stetig  sind. 

Dann  lassen  sich  nach  §  31,  a)  zwei  positive  Größen  \l  so  klein 
wählen,  daß  das  Bild  oT  des  Rechtecks 

ÖL:  t,-h^t^t,  +  h,         \a~  a^^k 

mittels  der  Transformation  (4)  ein  Feld  um  den  Extremalenbogen  ©^^ 
bildet,  worin  die  Ungleichung 

Afta)=|=0in(9L  (50) 

mit  inbegriffen  ist. 

Wir  nehmen  h,  J:  so  klein  an,  daß  überdies^) 

und  wählen  den  Punkt  P«  der  Extremalen  ©J,  durch  welchen  die  bei 
der  DeRnition  der  Funktion  u(t,a)  benutzte  Transversale  ü^it  =  Zoi^^)] 
hindurchgeht,  so,  daß:  T[  Zt,<t,-  h.  Durch  Verkleinerung  von  k 
können  wir  dann  schließlich  noch  erreichen,  daß 

%oip)<h-^^     für     a^  —  k'^a'Zä^-^-k, 
so   daß   das  Rechteck  (9L   ganz  dem  in  §  44,  a)  definierten  Bereich  % 
angehört. 

Die  inversen  Funktionen 

t-i{x,y),  a==a(x,y)  (51) 

des  Feldes  sind  eindeutig  definiert  und  von  der  Klasse  0"  im  Bereich  o^ 
wie  aus  den  Gleichungen  (136)  von  §  31  folgt. 

1)  Vgl.  Kneser,  Lehrbuch,  §  16. 

«)  Wegen  der  Bedeutung  der  Größen  T^,  T^,  d  vgl.  §  44,  a). 


§  46.    Die  Knes er' sehen  krummlinigen  Koordinaten.  351 

Wir   kombinieren  jetzt   mit   der   Transformation   (51)   die  Trans- 
formation ^^  _  ^^^^^  ^^^         ^  _  ^  ^52) 

zwischen  der  t^a-Ehene  und  der  ^f,  i;-Ebene,  wobei  die  Funktion  u(tja) 
durch  (10)  definiert  ist.     Da  nach  (11)  und  (7) 

j^  =  ^t,a)=^0  in  ei,  (53) 

so  folgt,  daß  die  durch  (52)  definierte  Beziehung  zwischen  dem  Be- 
reich OL  und  dessen  Bild  Sl  in  der  w^v-Ebene  ein-eindeutig  ist.  Denn 
sind  (f,  a)  und  {f,  a")  irgend  zwei  verschiedene  Punkte  von  6C,  so 
sind  ihre  Bilder  in  der  ^«,  i;-Ebene  sicher  verschieden,  wenn  a"  =j=  «', 
weil  dann  v'^v'-^  ist  aber  a"  =  a  und  f=^t\  so  ist  wegen  (53) 
sicher  u{t",a)  =^  u{t',a),  weil  die  Funktion  u(t,a)  entweder  beständig 
wächst  oder  beständig  abnimmt.     Überdies  ist  offenbar 

ll^^-'^  +  OinÖL. 
d  {t,  a)    ' 

Wenn  wir  daher  die  beiden  Transformationen  (51)  und  (52)  kombi- 
nieren, so  erhalten  wir  eine  Transformation  von  der  Form  (24),  näm- 
lich, in  der  Bezeichnung  von  §  31,  Gleichung  (142): 

u=W{x,y),  v  =  a{x,y),  (54) 

wo  W(x,y)  wieder  das  Feldintegral,  gerechnet  von  der  Transversalen 
^0  aus,  bedeutet.  Die  Transformation  (54)  definiert  dann  nach  dem 
über  die  beiden  Transformationen  (51)  und  (52)  gesagten  eine  ein- 
eindeutige Beziehung  zwischen  dem  Bereich  qT  in  der  x,  y-Ehene  und 
dessen  Bild  ^  in  der  u,  «;-Ebene,  welche  aUe  Bedingungen  erfüllt,  die 
wir  in  §  45,  a)  der  Transformation  (24)  auferlegt  haben. 

Die  durch  die  Gleichungen  (54)  definierten  speziellen  krumm- 
linigen Koordinaten  u,  v  nennen  wir  die  Kneser'schen  Koordinaten, 
Sie  sind  hiernach   durch  folgende   Eigentümlichkeiten   charakterisiert: 

1.  Den  Geraden:  v  =  honst,  der  u,  v- Ebene  entsprechen  in  der 
x,y- Ebene  die  Extremalen  der  Schar  (4)  und  umgekehrt;  und  zwar 
entspricht  insbesondere  der  Geraden:  v  =  a    die  Extremale  a  =  a. 

2.  Ben  Geraden:  u  =  Jwnst.  der  u^v- Ebene  entsprechen  in  der 
X,  y-Ebene  die  Transversalen  der  Schar  (4)  und  umgekehrt,  und  zwar  ent- 
spricht insbesondere  der  Geraden  u  =  c  diejenige  Transversale,  entlang 
welcher  das  Feldintegral  W  {x,  y)  den  konstanten  Wert  c  hat  (vgl.  §  31,  c)). 

b)  Eigenschaften  der  Punktion  G(u,v,ii,v')  für  den  speziellen 
Fall  der  Kneser'schen  Koordinaten: 

Aus  den  eben  angeführten  Eigentümlichkeiten  der  Kneser'schen 
Koordinaten  ergibt  sich,  daß  für  dieses  spezielle  Koordinatensystem  die 

23* 


352  Siebentes  Kapitel.     Die  Kneser'sche  Theorie. 

Funktion  G(u,v,h,v')  folgende  charakteristische  Eigenschaften  besitzt^): 

G{u,  V,  11, 0)  =  Uy  (55) 

für  jedes  Wertsystem  u,v  im  Bereich  9i  und  für  jeden  Wert  von  u\ 
dessen  Vorzeichen  mit  dem  in  d  konstanten  Vorzeichen  der  Funktion 
^(t,a)  übereinstimmt. 

Beweis:  Wegen  der  Ein-eindeutigkeit  der  Beziehung  zwischen 
den  Bereichen  oT  und  61  können  wir  jede  im  Bereich  oT  der  x,y- 
Ebene  gelegene  Kurve  (^  in  der  Form 

X  =  (p(tir),  a{t)\         y  =  il^{t{T\  a{x)) 

darstellen,  wo  dann 

t  =  t{r),         a  =  a{r) 

das  Bild  der  Kurve  S  in  der  j^,a-Ebene  ist.  Das  Bild  von  (S  in  der 
w,t;-Ebene  ist  alsdann  gegeben  durch 

u  =  u(t{T),  a{r)),         V  =  a{t), 
und  wegen  (29)  gilt  die  Gleichung 
F[cp{t,a),  ^(t,a),  l  q>{t,a),^J{t,a))  =  G[u{t,a\  a,  ^^u(t,a),  ^,  (56) 

wobei  man  sich  für  t,  a  die  Funktionen  t{r),  a{t)  gesetzt  zu  denken  hat. 
Wenn  nun  insbesondere  die  Kurve  S  eine  Extremale  a  =  a    der 
Schar  (4)  ist,  so  ist  ihr  Bild  in  der  t,  «-Ebene  gegeben  durch 

t  =  t,  a==a,  ^  (57) 

und  die  Gleichung  (56)  nimmt  die  Form  an 

W(r,  a)  =G(u {r,  a),  a\  u,{t,  a'j,  0).  (58) 

Daher  ist  wegen  (11) 

Ui{r, a)  =  G{u (t, a),  a,  w^(r, a'\  0). 
Jetzt  sei  u,v  irgend  ein  Punkt  von  äl  und  u  irgend  ein  Wert, 
welcher  dasselbe  Vorzeichen  hat  wie  ^{t,a).  Das  Bild  von  u,v  in 
der  ^,a-Ebene  sei  r,  a\  so  daß:  u  =  u{x,a),  v  =  a.  Dann  hat  Ut(t,a) 
dasselbe  Zeichen  wie  u']  wir  können  also  eine  positive  Größe  m  be- 
stimmen, so  daß:  ii  =mUt[r,a).  Daher  folgt  aus  (58)  unter  Be- 
nutzung von  (31)  die  erste  der  Gleichungen  (55)  und  aus  derselben 
durch  Differentiation  nach  ii    unmittelbar  die  zweite. 


1)  Die  erste  dieser  Gleichungen  ist  eine  Folge   der  beiden  übrigen,   wegen 
der  Homogeneitätsrelation: 


§  46.    Die  Kn  es  er' sehen  krummlinigen  Koordinaten.  353 

Um  die  dritte  zu  beweisen,  lassen  wir  jetzt  die  Kurve  ^  mit 
einer  Transversalen  {t  =  x{a)}  des  Feldes  zusammenfallen.  Das  Bild 
derselben  in  der  w,?;- Ebene  ist  dann  die  Gerade 

u  =  ■n{%{a),  a)  =  c~  ü{a\  v  =  a  ~  v{a).  (59) 

Dieselbe  ist  wegen  der  in  §  46,  a)  bewiesenen  Invarianz  der  Trans- 
versalitätsbedingung  ebenfalls  eine  Transversale  der  Extremalenscbar: 
V  =  konst.  für  das  Integral  J\  Im  Schnittpunkt  der  Transversalen 
(59)  mit  der  Extremalen  (57)  muß  also  die  Transversalitätsbedingung 

ü'G„.  +  i'G,^0 
erfüllt  sein,  die  sich  hier  auf 

G^,(tiit,a),  a,  Uf{r,a),  0)  =  0 
reduziert,  woraus,  wie  oben,  die  dritte  der  Gleichungen  (55)  folgt. 
Beispiel  XVI:  Für  den  Fall  der  geodätischen  Linien,  wo 
G{u,  V,  u\  v')  =  ]/Ei7^~WwV'+~6V2^' , 
nehmen  die  erste  und  dritte  der  Gleichungen  (55)  die  Form  an 

und  daraus 

E  =  1,  F  =  0, 

was  in  der  Tat  mit  der  G au ß 'sehen  Normalform  (1)  übereinstimmt. 

Aus  den  Gleichungen  (55)  ergibt  sich  die  folgende  wichtige  Re- 
lation   für   die  Funktion    8^,  für    die   wir   der   Einfachheit   halber  8' 

8' {u,  V'^U,0'^Ü,v)^G {;ll,  Vj  u,  v)  —  ü.  (60) 

Dabei  sind  die  Größen  u,  v,  u  denselben  Beschränkungen  unterworfen, 
wie  in  den  Relationen  (55),  während  u,  h  irgend  ein  von  0,  0  ver- 
schiedenes Wertsystem  bedeutet. 

Wir  woUen  dieses  Resultat  noch  auf  eine  andere,  für  spätere  An- 
wendung bequemere  Form  bringen.  Das  Bild  der  Extremalen  a  =  a 
in  der  t*,  i;-Ebene  ist  gegeben  durch  die  Gleichungen 

u  =  ii{x,  a),  v  =  a.  (61) 

Bezeichnet  6'  den  Tangentenwinkel  der  Kurve  (61)  im  Punkt  t,  so 
folgt  aus  (53),  daß  6'  =  0  oder  it,  je  nachdem  das  konstante  Zeichen 
von  ^{t,  a)  positiv  oder  negativ  ist. 

Nun  war  die  Größe  ii  irgend  eine  Größe,  welche  dasselbe  Zeichen 
hat  wie  W{t,  a).  Wir  dürfen  also  in  (60):  ti  ^  cosd'  setzen  und  er- 
halten, da  sin  6'  =  0,  die  Gleichung  (60)  in  der  Form 

(t(m,  V, üj  t')  —  ü  =  S'(tiy  V'^  cos  6\  sin  ö';  ü,  v).  (ß2) 


354  Siebentes  Kapitel.     Die  Kneser'sche  Theorie. 

c)  Hinreicliende  Bedingungen  für  ein  Minimum  bei  einem  festen 
und  einem  variabeln  Endpunkt: 

Die  vorangegangenen  Entwicklungen  lassen  sich  nun  nacli  Kneser^) 
folgendermaßen  zur  Aufstellung  hinreichender  Bedingungen  für  ein 
Minimum  des  Integrals  J  bei  einem  festen  und  einem  auf  einer  Kurve 
^  beweglichen  Endpunkt  verwenden: 

Wir  ziehen  durch  den  Punkt  P^  der  Extremalen  ©^  die  Transversale 

des   Feldes,    ^[t  =  rß)], 
t,  +  h   Ja         ^^  ^  ^    wobei  wir  h  so  klein  voraus- 
setzen dürfen,  daß  der  Bo- 
gen [aQ  —  k,  «0  +  k]  von 
=  '*'       ^   ganz  im  Felde  cf  liegt. 
Dann  ziehen  wir  von  einem 
beliebigen  Punkt  P5  von  ^ 
"°^°^     eine  ganz  im  Bereich  oT  ge- 
legene gewöhnliche  Kurve 


■=  n    t,-h 


Fig.  62. 


©: 


X  =  x(r\        y  =  y  (r),        t^  <  r  <  Tg 


nach  dem  Punkt  P^  (vgl.  Fig.  51  auf  p.  325),  und  konstruieren  das 
Bild  der  so  entstandenen  Figur  in  der  ?^,?;- Ebene. 

Das  Bild  von  ©^  ist  das  Segment  P[Pi  der  Geraden  v  =  a^,  wo- 
bei die  Abszissen  der  Bildpunkte  P[,P^  der  beiden  Punkte  Pi,P2 
nach  (54)  sind 

ih  =  ^'V{x^,y,\        u,  =  TF(^2.2/2)- 

Die  Bilder  der  beiden  Transversalen  ^0  ^^'^^  ^  sind  die  beiden  Geraden: 
u  =  0,  beziehungsweise:  u  =  u^.  Das  Bild  der  Kurve  S  ist  eine  ge- 
wöhnliche Kurve: 


u  =  u  (t) 


v  =  v(r), 


<  ^  <  -^2 


welche  ganz  in  äl  gelegen  ist  und  den  Punkt  P^  der  Geraden:  u  =  n^ 
mit  dem  Punkt  P^  verbindet,  so  daß  also 

ü  (ti)  =  ^1 ,  ü  (Tg)  =  ^2 ,         V  (r^)  =  «0  •  (^^^) 

Nunmehr  ist  nach  (32)  ^^ 

*i 

1)  Vgl.  Knesee,  Lehrbuch,  §  17.  Um  die  Resultate  der  folgeudeii  Entwick- 
lung auf  den  Fall  anzuwenden,  wo  nicht  die  Extremalenschar  (4),  sondern  die 
Kurve  ä  vorgegeben  ist,  hat  man  zunächst  den  Satz  des  §  40  über  die  Kon- 
struktion einer  Extremalenschar,  welche  von  einer  gegebenen  Kurve  transversal 
geschnitten  wird,  anzuwenden. 


§  46.    Die  Kn  es  er 'sehen  krummlinigen  Koordinaten.  355 

Andererseits  ist  nach  der  Definition  des  Feldintegrals 


JAPiP.)  =  J^dP^P^)  -  Wix„y,)  -  W(x„y,) 


u. 


Wegen  (63)  können  wir  aber  schreiben^) 

/  du  , 

»2-^1 -Ja,  dt. 

Daher  können  wir  die  totale  Variation 

AJ'=J-g(P,A)-JJAP,) 

durch  das  entlang  der  Kurve  (5^'  genommene  Integral  ausdrücken: 

Statt  dessen  können  wir  aber  nach  (62)  schreiben 

AJ  =  I  ß'  (ü,v'^  cos  9',  sin  6']  ^^^  ^^\  dt.  (65) 

Wegen  der  Bedeutung  des  Winkels  6'  ist  dies  aber  nichts  anderes 
als  der  WEiERSTRASS'sche  Satz  für  die  w,  ^;-Ebene.  Erinnern  wir  uns 
jetzt  der  in  §  45,  b)  bewiesenen  Invarianz  der  8-Funktion,  so  haben 
wir  hiermit  einen  neuen  Beweis  dafür  gewonnen,  daß  die  in  §  41  auf- 
gezählten Bedingungen  für  ein  Minimum  des  Integrals  J  hinreichend 
sind,  wenn  der  erste  Endpunkt  auf  der  Transversalen  ^  beweglich  ist, 
während  der  zweite  fest  ist,  allerdings  unter  Hinzufügung  einer 
weiteren  Annahme^),  nämlich  der  Voraussetzung  (6). 

^)  Dieser  wichtige  Kunstgriff  ist  in  letzter  Instanz  gleichbedeutend  mit  der 
Einführung  des  Hubert' sehen  invarianten  Integrals.  Denn  nach  Gleichung  (150) 
von  §  31  lautet  dasselbe  im  gegenwärtigen  Fall 

J'*  =    Q,  [u,  V,  cos  0',  sin  d')du-{-  Go'{ii,  v,  cos  0',  %md')dv, 

was  sich  wegen  (55)  auf  ^ 

J'*=    du 
reduziert. 

^)  Es  läßt  sich  zeigen,  daß  dieselbe  keine  wirkliche  Beschränkung  der  All- 
gemeinheit bedeutet.  Denn  das  vorgelegte  Yariationsproblem  ist  mit  dem  Problem, 
das  Integral  der  Funktion 

F{x,  y,  x\  y')  -f-  ^^{x,  y)x'  -f  $^(^,  y)y' 

unter  denselben  Anfangsbedingungen  zu  einem  Minimum  zu  machen,  äquivalent, 
vorausgesetzt,  daß  die  Funktion  $  {x,  y)  entlang  der  gegebenen  Kurve  ^  konstant 


356  Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er' sehe  Theorie. 

d)  Der  Osgood'sclie  Satz^)  für  den  Fall  eines  variablen  Endpunktes: 

Aus  den  Resultaten  des  letzten  Absatzes  ergibt  sich  ein  einfacher  Beweis 
des  Osgood'schen  Satzes  für  den  Fall  eines  variabeln  Endpunktes.  Wir  gehen 
dazu  von  der  Gleichung  (65)  aus.  Führen  wir  statt  des  beliebigen  Parameters  x 
den  Bogen  s  der  ßildkurve  (E'  ein  und  bezeichnen  mit  ö'  den  Tangenten winkel 
der  Kurve  6'  im  Punkt  u,  v,  so  können  wir  unter  Benutzung  der  Gleichung  (123) 
von  §  30  die  Gleichung  (65)  auch  schreiben: 


AJ=  /8'(m,  y;  cos  ö',  sin  0' ;  cos  d',  sin  ß'jds. 


(66) 


Wir  setzen  jetzt  voraus,  daß  für  den  Bogen  @,  die  Weierstraß'sche  Be- 
dingung {IT)  erfüllt  ist,  was  wegen  (44)  die  analoge  Ungleichung  für  den  Bogen 
e^  in  der  u,v-Ebene  zur  Folge  hat.  Führen  wir  nun  genau  wie  in  §  32,  Glei- 
chung (158),  die  Funktion  %[  ein,  so  können  wir  wie  dort  schließen,  daß  die  die 
Ausdehnung  des  Feldes  c'",  oder  ausführlicher 2)  .4;^^^'  bestimmenden  Größen  h,  k 
sich  so  klein  wählen  lassen,  daß  die  Funktion 

B^[{ii,v;  cos  ö',  sin  0';  cos  0',  sin  0') 

in  dem  ganzen  Bereich 

{u,v)  in  äL,  O<0'<27r 

positiv  ist  und  daher  einen  positiven  Minimalwert  m  erreicht.    Da  nun  nach  der 
Definition  von  %[  für   alle  Werte  von  0' 
8'(iZ,i;;cO80',sin0';cos0',sin0')  =  (l-cos(0'-0'))8((i^,i;;cos0',8in0';cos0',sin0'), 

und  da  überdies  0'  =  O  oder  tt,  so  folgt  aus  (66)  nach  dem  Mittelwertsatz 


-       du 
oder,  da  cos  0   =-3—' 
'  ds 


AJ'>w/(l  -\-cosd')ds, 


A/>w[jC  +  (i^2  — Mi)J 


wenn  L  die  Länge  des  Bogens  ©'  von  P,'  bis  P',  bedeutet. 

Es  sei  jetzt  /  eine  beliebige  positive  Größe  kleiner  als  k,  und  es  werde 
vorausgesetzt,  daß  die  Kurve  ©  in  der  x,y-Eheue  durch  einen  Punkt  P  einer 
der  beiden  Extremalen:   a  =  a,±l  der  Schar  (4)  hindurchgeht.     Die  Bildkurve 

ist  (in  dem  Sinn,  daß  jede  Lösung  des  einen  Problems  zugleich  eine  Lösung  des 
andern  ist).  Man  kann  dann  stets  die  Funktion  ^{x,y)  so  wählen,  daß  die  Voraus- 
setzung (6)  für  das  neue  Problem  erfüllt  ist,  selbst  wenn  dies  für  das  ursprungliche 
nicht  der  Fall  sein  sollte;  man  braucht  nur 

<I*{x,  y)  =  M[i{x,  y)  —  %{(i{x,  y))\ 
zu  setzen  wo  M  eine  hinreichend  große  Konstante  ist;  vgl.  Bolza,  Lectures,  §  37, c) 

1)  Vgl.  §  34  und  für  den  hier  gegebenen  Beweis  Bolza,  Transactions  ot 
the  American  Mathematical  Society,  Bd.  II  (1901)  p.  422. 

«)  Vgl.  wegen  der  Bezeichnung  §  31,  a). 


§  47.    Folgerungen  aus  dem  Enveloppensatz. 

^'  geht  alsdann  durch   einen  Punkt  Pg,   dessen   Ordinate  v  =  a^^  +  Z  ist; 
wenn   Pq    der  Fußpunkt    der    vom 

Punkt  Pg   auf  die   Gerade  u  =  u^  ^ 

gefällten  Senkrechten  ist,  so  ist 

d.  h. 


Bezeichnen    wir    daher    mit   8,   die 


357 

und 


stets  positive  Größe 


[yv 


so  ist 


u^u,  Fig.  63. 


(67) 
(68) 


Somit  erhalten  wir  den  Satz: 

Für  den  Extremalenhogen  @o  mögen  die  Bedingungen  (IT)  und  (IV)  erfüllt 
sein;  derselbe  möge  sich  mit  einein  Feld  of,,  j,  umgeben  lassen,  und  es  sei  im  Punkt  P^  : 

F{x,,y^,x[,y[)=^0^), 
so  daß  durch  den  Punkt  P^  eine  Transversale  ^  des  Feldes  gezogen  iverden  kann. 
Sind  dann  h  und  k  hinreichend  klein  gewählt,  so  gehört  zu  jedem  positiven  l  <^  k 
eine  positive  Größe  «^  derart,  daß 

für  jede  Variation  des  Bogens  @o,  welclie  die  Kurve  ^  mit  dem  Punkt  P^  verbindet 
und  ivelche  ganz  im  Innern  von  o*)^  ^,,  aber  nicht  ganz  im  Innern  von  q))^  ^ 
gelegen  ist. 

§  47.    Folgerungen  ans  dem  Enveloppensatz. 

Die  in  §  46,  a)  eingeführte  Annahme 

A(/,ao)  +  0  in  [t.Q,  (49) 

welche  nach  §  40  aussagt,  daß  der  Extremalenhogen  @q  den  Brenn- 
punkt der  Kurve  ^  nicht  enthalten  soll,  war  in  dem  vorangegangenen 
Hinlänglichkeitsbeweis  für  die  Konstruktion  eines  Feldes  erforderlich. 
Aber  aus  unsern  Entwicklungen  geht  nicht  hervor,  ob  diese  Bedingung 
zugleich  auch  eine  notwendige  Bedingung  für  ein  Extremum  ist. 

Wir  wollen  nun,  in  Verallgemeinerung  der  in  §43,  c)  für  den 
FaU  der  geodätischen  Linien  mitgeteilten  Darboux'schen  Methode, 
nach  Kneser^)  beweisen,  daß  die  obige  Bedingung  wenigstens  in  der 
etwas  milderen  Form 

^)  Will  man  sich  auf  Variationen  beschränken,  welche  auch  den  Punkt  Pj 
fest  lassen,  so  ist  die  letzte  Voraussetzung  nicht  nötig.  Die  Voraussetzung  (6) 
braucht  nach  p.  355  Fußnote  ^)  nicht  gemacht  zu  werden. 

^)  Vgl.  Knesek,  Mathematische  xA.nnalen,  Bd.  L,  p.  27  und  Lehrbuch^ 
§§  24,  25. 


358  Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er 'sehe  Theorie. 

A(#,ao)  +  0     für     t,<t<t,  (69) 

in  der  Tat  für  ein  Extremum  notwendig  ist. 

Der  Beweis  macht  von  der  Betrachtung  der  zweiten  Variation 
(resp.  den  damit  äquivalenten  Untersuchungen  von  §  39)  keinen  Ge- 
brauch; er  gründet  sich  auf  den  in  §  44,  c)  bewiesenen  Enveloppen- 
satz  und  gibt  zugleich  die  Entscheidung  über  den  bei  unseren  früheren 
Entwicklungen  von  der  Betrachtung  ausgeschlossenen  Fall,  wo  der 
Endpunkt  P^  mit  dem  Brennpunkt  der  Kurve  ^  auf  der  Extremalen 
(S(j  zusammenfällt.^) 

a)  Gestalt  der  Enveloppe  in  der  Nähe  des  Brennpunktes: 
Wir  behalten  die  Annahmen  von   §  44,  a)   über   die   Extremalen- 
schar  (4)  bei,  lassen  aber  die  Voraussetzung  (49)  fallen  und  setzen  im 
Gegenteil   voraus,;  daß    der   Extremalenbogen   @o   ^^^  Brennpunkt  P'/ 
der  Kurve  ^  enthält,  daß  also 

t,  <  r;  ^  t, 

und  gleichzeitig  ^  .^.^  ^^^^  _  ^^  (70) 

dagegen  A(^,  «o)  +  ^     ^^^     h<t<  t'^. 

Wir  stellen  uns  die  Aufgabe,  alle  Lösungen  {t,a)   der  Gleichung 

A(^,a)  =  0  (^1) 

in  der  Umgebung  der  Stelle  {t'[,a,)  zu  finden.  Da  nach  unsern  An- 
nahmen die  Funktionen  F^,  F;,  F^  stetig  sind  in  der  Umgebung  von 
t  =  t';  und  überdies  i^^  +  0  in  f;,  so  schließen  wir  wie  m  §  29,  b),  daß 

Nach  dem  Satz  über  implizite  Funktionen  läßt  sich  daher  die  Gleichung 
(71)  in  der  Umgebung  der  Stelle  {t';,  a,)  eindeutig  nach  t  auflösen, 
und  die  Lösung,  die  wir  mit 

t  =  i{a)  .     "' 

bezeichnen,  ist  in  der  Umgebung  von  a  =  a,  von   der  Klasse  C  und 
reduziert  sich  für  a  =  %  auf  f^. 
Die  Kurve 

g :         x  =  (p  {t{a),  d)  =  x (a),     y  =  i^  {m,  a)  =  y  (a), 

^DaTder  folgende  Beweis  auch  für  den  Fall  gültig  bleibt,  wo  die  Trans- 
versale ^  in  einen  Punkt  zusammenschrumpft,  so  erhält  man  damit  zugleich 
einen  von  der  zweiten  Variation  unabhängigen  Beweis  der  Notwendigkeit  der 
Jacobi'schen  Bedingung  für  den  Fall  fester  Endpunkte  sowie  die  Entscheidung 
für  den  Fall     wo  der  Punkt  P,  mit  dem  konjugierten  Punkt  P,  zusammenfallt. 


veloppe  ^) 

der 

Extremalenschar  (4), 

Denn  da 

dx 

"da 

dt    , 
-^^d-a^ 

i  =  t{a) 

so  folgt 

dx 

dy\t  =  1 
-"^^da: 

§  47.    Folgerungen  aus  dem  Enveloppensatz.  359 

die   wegen   titto)  =  t'[    durch   den   Punkt   F'[  geht,   ist   dann   die  En- 


dy         ,    dt    ,     ,     t  =  t{a) 
da        ^i  da    '    ^«j  ' 

'^'^=A(^>),a)-0.  (73) 

Dies  zeigt^  —  zunächst  abgesehen  von  den  Punkten,  in  denen  ot' 
und  y'  gleichzeitig  verschwinden  — ,  daß  die  Kurve  g  im  Punkt  a  =  a 
die  Extremale  (^^,  der  Schar  (4)  berührt,  und  daher  ist  g  in  der  Tat 
die  Enveloppe  der  Schar  (4). 

Für  die  weitere  Diskussion  unterscheiden  wir  jetzt  zunächst  zwei 
Hauptfälle : 

Fall  I:  Die  Enveloppe  degeneriert  nicht  in  einen  Funld, 
d.  h.  die  Funktionen  x{a),  y{a)  reduzieren  sich  nicht  beide  auf  Kon- 
stante. Wir  wollen  dann  voraussetzen"),  daß  die  Funktionen  x{a)j 
y(a)  in  der  Umgebung  von  a  =  a^  von  der  Klasse  C^"")  sind,  und  daß 
für  a  =  ÜQ  ihre  Ableitungen  bis  zur  r  —  l*^""  Ordnung  verschwinden, 
daß  aber  x^''\aQ)  uud  y^''\a^  nicht  beide  Null  sind.  Dann  erhalten 
wir  nach  dem  Taylor 'sehen  Satz: 

^=  (a  -  a,y-\A-\-a),       ^  =  (a  -  a,y-^{B+ß)-         (74) 

dabei  ist  -(r),    .  -(/•)/    n 

{r  —  l)r  {r—l)r 

während  a  und  ß  Funktionen  von  a  sind,  welche  mit  a  —  a^  unendlich 
klein  werden.     Durch  Einsetzen  in  (73)  folgt  hieraus 

A  =  Gcpltl,  a,),        B  =  OiA,(C  «o).  (75) 

wobei  C  ein  Proportionalitätsfaktor  ist,  der  endlich  und  von  Null 
verschieden  ist,  da  weder  A  und  B  noch  (p^it^,  cIq)  und  ^^(^J',  a^)  gleich- 
zeitig verschwinden  können. 

Ist  r  >  1,  so  hat  die  Enveloppe  im  Punkt  P'/  einen  singulären 
Punkt  r*"  Ordnung;  aber    auch    in    diesem    Fall    besitzt   sie   eine   be- 

^)  Über  die  Theorie  der  Enveloppen  vgl.  Encyclopädie ,  III  D,  p.  44,  ins- 
besondere die  in  Fußnote  117  gegebenen  Literaturangaben;  ferner  Scheffers, 
Theorie  der  Kurven^  p.  55;  vgl.  auch  oben  §  29,  c). 

^)  Dies  wird  stets  der  Fall  sein ,  wenn  die  Funktionen  cp  {t,  a),  ^  (t,  a)  von 
der  Klasse  (P'^  >  sind,  und  dies  darf  nach  §  24,  a)  Zusatz  I  angenommen  wer- 
den, wenn  die  Funktion  F{x,y,x\y')  von  der  Klasse  C^''"*"^)  ist. 


360 


Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er 'sehe  Theorie. 


stimmte^),  als  Grenzlage  der  Sekante  definierte  Tangente^  deren  Ge- 
fälle gleich  B:Ä  ist.  Die  Gleichungen  (75)  zeigen,  daß  die  Extre- 
male (So  die  Enveloppe  g  im  Punkt  P'^  auch  dann  berührt,  wenn 
Pj'  ein  singulärer  Punkt  von  g  ist. 

Der  Einfachheit  halber  denken  Avir  uns  das  Koordinatensystem 
so  gedreht,  daß  die  positive  rr- Achse  die  Richtung  der  positiven  Tan- 
gente an  die  Extremale  (S^  ^^  Punkt  P^'  hat;  dann  ist 

Die  «/-Achse  fällt  mit  der  Normalen  9^  der  Kurve  @o  im  Punkt  P'/  zu- 
sammen. 

Wir  unterscheiden  dann  noch  weiter  folgende  Fälle: 

A)  r  ungerade: 

Dann  wechselt    ,      sein   Zeichen   nicht,    wenn   a   durch   den   Wert   a^ 
da  '  " 

hindurchgeht.  Daher  hat  die  Enveloppe  in  PJ'  keinen  Rückkehr- 
punkt;  sie  tritt  von  der  negativen^)  Seite  der  Normalen  9^  auf  die 
positive  oder  umgekehrt  (Fig.  64). 


Fig.  64. 


Fig.  65. 


Hierher  gehört  der  nicht-singuläre  Fall  r  =  1. 
B)  r  gerade: 

In  diesem  Fall  hat  die  Enveloppe  in  PJ'  einen  Rückkekrimnkt, 
und  zwar 

1.  ivenn  C  <  0, 

so    liegt   die   Enveloppe    in   der   Nähe   des   Punktes  PJ'  ganz   auf  der 
negativen  Seite  der  Normalen  9^  (Fig.  65); 

2.  icenn  0>  0, 

so    liegt    die   Enveloppe    in    der  Nähe    des   Punktes  P'/  ganz   auf  der 
positiven  Seite  der  Normalen  9^1  (Fig.  66). 

^)  Wenn  man  darauf  verzichtet  der  Tangente  einen  positiven  Sinn  bei- 
zulegen. 

*)  Die  positive  oj-Richtung  führt  von  der  „negativen  Seite"  der  Normalen 
auf  die  „positive''. 


§  47.    Folgerungen  aus  dem  Enveloppensatz. 


361 


Fall  II:  Die  Enveloppe  degeneriert  in  einen  Punkt, 
d.  ti.  die  Funktionen  x(a),  y{a)  reduzieren  sich  beide  auf  Konstante,  näm- 
lich   die    Koordinaten   des   Punktes   F'^.     In   diesem   Fall   gehen   alle 
Extremalen  der  Schar  (4)  durch  den  Punkt  F'[. 


b)  Die  Brennpunktsbedingung,  abgeleitet  aus  dem  Enveloppensatz: 

Es  möge  jetzt  zunächst  der  Fall  I  vorliegen,  und  es  sei  (S^  eine 
dem  Bogen  @q  benachbarte  Extremale  der  Schar  (4);  sie  schneidet 
die  Transversale  ^  im  Punkt ^)  F^{i{a),  a]  und  berührt  die  Enveloppe 
5  im  Punkt  F^{t{a),a].  Wenn  dann,  eventuell  nach  Umkehrung 
des  positiven  Sinnes  auf  der  Enveloppe,  die  positiven  Tangenten- 
richtungen von  @^  und  "^  im  Punkt  P^  zusammenfallen  und  zugleich 
P^  auf  5  dem  Punkt  P^'  vorangeht,  so  können  wir  den  Enveloppen- 
satz ^)  von  §  44,  c)  anwenden  und  erhalten 

A  j = j^^  {p,p,)  +  j^{P,p';)  -  J^SP^PT)  =  0.        (76) 

Wir  führen  daher  auf  g  statt  a  einen  neuen  Parameter  t  ein 
durch  die  Substitution 


a 


a«  ==  er; 


"0  -"1 

dabei  ist  £  =  +  1,  und  wir  behalten  uns   die   Wahl   des   Vorzeichens 
vor.     Es  folgt  dann  aus  (73),  daß  wir  schreiben  können: 
dx  dy 


(77) 


WO  m  eine  in  der  Umgebung  von  t  =  0  stetige  Funktion  von  r  ist, 
deren  Verhalten  für  unendlich  kleine  Werte  von  r  durch  die  aus  (74) 
und  (75)  sich  ergebende  Gleichung 

m  =  £'-t:'-i(0  4-  y) 

bestimmt  wird,  wobei  y  mit  r  unendlich  klein  wird. 

Der  Enveloppensatz  ist  dann  nach  dem  Obigen  dann  und  nur 
dann  anwendbar,  wenn  sich  das  Zeichen  von  s  so  wählen  läßt,  daß 
w  >  0  für  unendlich  kleine  negative  Werte  von  r. 

^)  Vgl.  wegen  der  Bezeichnung  §  44,  a). 

^)  Die  Kurven  ^,  ^  entsprechen  den  dort  mit  to,  ^i  bezeichneten  Kurven. 


362  Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er 'sehe  Theorie, 

Im  Fall  A)  kann  man  dies  stets  erreichen,  indem  man  das  Zeichen 
von  e  gleich  dem  Zeichen  von  C  wählt. 

Im  Fall  Bj)  ist  die  Bedingung  sowohl  für  positives  als  für  nega- 
tives €  erfüllt. 

Dagegen  ist  es  im  Fall  Bg)  nicht  möglich,  das  Zeichen  von  e  in, 
der  angegebenen  Weise  zu  bestimmen. 

In  den  Fällen  A)  und  BJ  können  wir  daher  in  jeder  Umgebung 
des  Bogens  @o  zulässige  Variationen  angeben,  für  welche  AJ==0. 
Es  findet  in  diesen  Fällen  also  sicher  kein  eigentliches^)  Minimum 
statt.  Es  findet  aber  auch  kein  uneigentliches  Minimum  statt. 
Denn  die  Enveloppe  g  kann  selbst  nie  eine  Extremale  sein^),  da  sich 
sonst  durch  den  Punkt  a  von  ^  in  der  Richtung  der  positiven  Tan- 
gente zwei  Extremalen  ziehen  ließen,  nämlich  die  Extreraale  @^  und 
außerdem  die  Enveloppe  g  selbst.  Dies  ist  aber  nach  den  C auch y 'sehen 
Existenzsätzen  (§  27,  a))  nicht  möglich,  da  nach  unsern  Voraussetzungen 
(vgl.  §  44,  a))   entlang  der  Enveloppe  g: 

Daher  können  wir  die  beiden  Punkte  P^,  P'/  durch  eine  zulässige 
Kurve  P^P^P'^  verbinden,  welche  für  das  Integral  J  einen  kleineren 
Wert  liefert,  als  der  Bogen  P^P'^  von  %.  Es  ist  also  möglich,  durch 
eine  zulässige  Variation  AJ  negativ  zu  machen,  und  daher  liefert  der 
Bogen  PiP'i'  von  @o,  und  daher  a  fortiori  auch  der  Bogen  (Sq  selbst, 
kein  Minimum. 

Wenn  der  Fall  II  vorliegt,  so  kann  man  unmittelbar  den  Zu- 
satz II  (resp.  III)  zum  Transversalensatz  (§  44,  b))  anwenden.  Darnach 
hat  man  für  jede  benachbarte  Extremale  ©^  der  Schar  (4)  (siehe  Fig.  67) 

AJ=JJAP:)-J,,{PiP'D  -  Ö,  (78) 

woraus  hervorgeht,  daß  der  Bogen  @o  sicher  kein  eigentliches  Minimum 
für  das  Integral  J  liefern  kann.  Er  kann  aber  auch  kein  uneigent- 
liches Minimum  liefern,  wenn  t['  <  t^.  Denn  da  W^K'^  (^o)  4=  0,  so  folgt 
aus  dem  Cauchy'schen  Existenztheorem,  daß  die  beiden  Extremalen 
@    und  @o  sich   im  Punkt  P{'  nicht  berühren  können.     Die  aus  dem 


1)  Vgl.  §  3,  b). 

2)  Vgl.  Dakboux,  Theorie  des  surfaces,  Bd.  III,  Nr.  622,  und  Zermelo,  Disser- 
tation, p.  96.  Man  kann  die  fragliche  Behauptung  auch  direkt  beweisen,  indem 
man  in  die  linke  Seite  der  Eul  er 'sehen  Differentialgleichung  (I)  die  Funktionen 
x{t\  y{x)  einsetzt.     Man  findet  in  der  Bezeichnung  von  §  26,  a) 

m  T{x,  y;  x\  y;  x\  y")  =  b^^  {i,  a)  Afi,  a\ 

und  dieser  Ausdruck  ist  für  unendlich  kleine  Werte  von  r  von  Null  verschieden. 


§  47.    Folgerungen  aus  dem  Enveloppensatz.  3ß3 

Bogen  P^P['  der  Extremalen  @^  und  dem  Bogen  P'^P^  |der  Extre- 
nialen  ©^  zusammengesetzte  Kurve  hat  also  im  Punkt  P^'  eine  Ecke. 
Bezeichnen  B^,  resp.  d  die  Tangentenwinkel  von  S^,  resp.  ©^  im  Punkt 
P'^,  so  ist  die  Funktion  JP'i(a:^^,  cos  ^,  sin^^)  im  Punkt  P'^  für  alle 
Werte  von  y  zwischen  6^  und  6  von  Null  verschieden^  wenn  a  hin- 
reichend nahe  hei  a^  gewählt  ist.  Daraus  folgt  aber  nach  §  48^  c) 
Zusatz  I,  daß  im  Punkt  P'^  die  für  ein  Extrem  um  notwendige  Erd- 
mann-Weierstraß'sche  „Eckenbedingung^^  nicht  erfüllt  sein  kann. 
Daher  kann  man  eine  Variation  PoP^PgP^  der  gebrochenen  Kurve 
PgPj'Pg  angeben,  welche  für  das  Integral  J  einen  kleineren  Wert 
liefert,  als  die  Kurve  P^Pr/P[' P^,  und  welche  daher  AJ  negativ  macht. 
(Siehe  Fig.  67). 

Hiermit  ist  für  alle  Fälle  mit  Ausnahme  des  Falles  IB^)  die  Not- 
wendigkeit der  Bedingung  (69)  bewiesen. 

Auch  für  den  Fall  IB^),  in  welchem  unsere  bisherige  Schlaßweise> 
versagt,  hat  kürzlich  Lindp^berg^)  —  wenigstens  für  das  ^-Problem 
und  unter  der  Voraussetzung,  daß  F  analytisch  ist,  —  die  Notwendig- 
keit der  Bedingung  (69)  durch  eine  eingehende  Untersuchung  des- 
Verhaltens  der  Extremalenschar  (4)  in  der  Umgebung  des  Punktesu 
P^"  nachgewiesen. 

c)  Der  Fall,  wo  der  Endpunkt  P^  mit  dem  Brennpunkt  (resp.  dem 
zu  Pj  konjugierten  Punkt)  zusammenfällt:^) 

Durch  die  vorangegangenen  Entwicklungen  ist  zugleich  —  ab- 
gesehen von  dem  Ausnahmefall  IB2)  —  der  Fall  erledigt,  wo  der  End- 
punkt Pg  des  Bogens  ©^  mit  P['  zusammenfällt. 

Denn  aus  §  47,  b)  folgt  unmittelbar,  daß  alsdann  in  den  Fällen 
lA)  und  IB^)  der  Bogen  ©^  kein  Minimum  liefert  (auch  kein  un- 
eigentliches und  auch  kein  schwaches). 

^)  Siehe  Mathematische 
Annalen,  Bd.  LIX  (1004),  p  321 
Linde berg  zerlegt  die  Extrem alen- 
ßchar  (4)  in  zwei  Teilscharen  ent- 
sprechend   den    beiden    Intervallen 

und  zeigt,   daß  jede  derselben  für 
sich    genommen    ein    Feld    bildet. 

Diese  beiden  Felder  greifen  jenseits         ,f  ^^^'  ''^* 

des  Punktes  P^    in  der  in  Figur  G8 
angedeuteten  Weise  übereinander,  und  es  wird  gezeigt,  daß  bei  passender  Wahl  des 
Punktes  P4  derExtremalenbogenPgPj  einen  kleinerenWert  liefert  als  der  Bogen  P^P^^. 
®)  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  22,  23  am  Ende  von  Kap.  IX. 


364  Siebentes  Kapitel.     Die  Kn  es  er 'sehe  Theorie. 

Ferner  folgt^  daß  im  Fall  II  sicher  kein  eigentliches  Miniraum 
stattfinden  kann.  Dagegen  findet  in  diesem  Fall  ein  uneigentlich es^ 
starkes  Minimum  statt^  wenn  außer  der  Bedingung  (IF)  noch  die  Be- 
dingung (IV^)  entlang  (Sq  erfüllt  ist.  Denn  die  Bogen  der  Schar  (4), 
gerechnet  von  der  Transversalen  U  bis  zum  Punkt  P['  bilden  ein  „un- 
^igentliches  Feld"  oT  um  den  Bogen  @^,  und  man  zeigt  dann  mittels 
der  Kneser'schen  Modifikation  der  Weierstraß'schen  Konstruktion, 
daß  Ae7>  0  für  jede  Vergleichskurve,  welche  ganz  in  of  liegt,  und 
welche  nicht  mit  einer  der  Extrem alen  der  Schar  identisch  ist. 

Wir  fassen  das  Resultat  in  den  folgenden  Satz^)  zusammen: 
Bei  der  Aufgabe,  das  Integral  J  zu  einem  Minimum  m  machen, 
wenn  der  Endpunkt  F^  fest  ist,  während  der  erste  Endpunkt  auf  einer 
Kurve  ^  heiveglich  ist  (resp.  ebenfalls  fest  ist),  liefert  der  Extremalen- 
bogen  @q  im  allgemeinen  kein  Minimum,  wenn  der  Punkt  Pg  mit 
dem  Brennpunkt  P['  von  ^  (resp.  dem  zu  P^  konjugierten  Punkt)  zu- 
sammenfällt. 

Eine  Ausnahme  hiervon  findet  nur  in  folgenden  ztvei  Fällen  statt: 

1.  Wenn  die  Enveloppe  g  in  den  Punkt  P'l  ausartet,  so  liefert 
der  Bogen  @o  zwar  kein  eigentliches,  aber  doch  ein  uneigentliches,  starkes 
Minimum,  falls  außer  der  Bedingung  (IE)  auch  noch  die  Bedingung 
(IV)  entlang  ©^  erfüllt  ist. 

2.  Wenn  die  Enveloppe  g  im  Punkt  P['  einen  Rückkehrpunkt  von 
der  unter  IB^)  charakterisierten  Art  besitzt.  Für  diesen  Fall  ist  die 
Frage  noch  unentschieden. 

^)  Für  den  Fall,  daß  die  Enveloppe  im  Punkt  F['  keinen  singulären  Punkt 
besitzt  (Fall  I,  A),  r=l),  hat  schon  Eudmann  mittels  der  dritten  Variation  be- 
wiesen, daß  kein  Minimum  stattfinden  kann  (Zeitschrift  für  Mathematik 
und  Physik,  Bd.  XXII  (1877)  p.  327),  vgl.  oben  p.  69  Fußnote  «).  Die  Behand- 
lung der  Aufgabe  mittels  des  Enveloppensatzes  rührt  von  Kneser  her  (Mathe- 
matische Annalen,  Bd.  L  (1898)  p.  '27  und  Lehrluch,  §§  24,25),  wo  die  Fälle 
lA),  IB^;)  und  II  erledigt  werden.  Osgood  (Transactions  of  the  American 
Mathematical  Society,  Bd.  II  (1901),  p.  166)  und  später  Lindeberg,  loc.  cit. 
p.  329,  haben  dann  gezeigt,  daß  im  Fall  IB,)  beim  x-ProUem  ein  starkes  Mini- 
mum stattfindet.  Osgood  zeigt  ferner,  daß  auch  beim  f- Problem  ein  starkes 
Minimum  stattfindet,  wenn  im  Punkt  Pg  ^  P"  überdies 

7^"(a;2,2/2,cos7,  siny)>0 
für  alle  Werte  von  y. 


Achtes  Kapitel. 
Diskontinuierliche  Lösungen. 

§  48.    Die  Weierstraß-Erdmann'sche  Eekenbe dingung. 

Bei  der  Formulierung^)  der  Aufgabe^  das  Integral 


J==JF{x,y,x,y')(U 


zu  einem  Minimum  zu  machen,  haben  wir  von  den  Vergleichskurven 
vorausgesetzt,  daß  sie  „gewöhnliche  Kurven"  sind,  womit  wir  aus- 
drücklich Kurven  mit  „Ecken"  ^)  zugelassen  haben.  Dagegen  haben 
wir  uns  in  allen  bisherigen  Entwicklungen  auf  den  Fall  beschränkt, 
wo  die  gesuchte  Kur^e  selbst  keine  Ecken  besitzt. 

Wir  wollen  uns  jetzt  von  dieser  Beschränkung  befreien,  indem 
wir  uns  die  Aufgabe  stellen,  nunmehr  auch  diejenigen  Lösungen 
unseres  Variationsproblems  zu  bestimmen,  welche  Ecken  besitzen; 
solche  Lösungen  pflegt  man  „diskontinuierliche  Lösungen"  zu  nennen^) 
im  Gegensatz  zu  den  bisher  ausschließlich  betrachteten  „kontinuier- 
lichen Lösungen".  Dabei  sollen  die  Endpunkte  P^,  Pg  der  zulässigen 
Kurven  jetzt  wieder  fest  und  gegeben  sein. 

a)    Einleitende  Bemerkungen  über  diskontinuierliche  Lösungen: 
Wir  setzen  zunächst  der  Einfachheit  halber  voraus,  die  gesuchte 
^^^^-    ^        x^x{t),        y  =  y{t),        h^t^h, 

1)  Ygl.  §  25,  d). 

^)  ^gl-  §  25,  a).     Statt  „Ecke"  sagt  Caratheodory  „Knickpunkt". 

^)  obgleich  die  Funktionen  x,  y  selbst  stetig  bleiben.  Gleich  bei  dem 
ältesten  Problem  der  Variationsrechnung  (Newton's  Rotationskörper  kleinsten 
Widerstandes)  ergab  sich  eine  solche  Diskontinuität  (vgl.  §  54)  und  dann  wieder- 
holt im  Lauf  der  geschichtlichen  Entwicklung  bei  vereinzelten  Beispielen.  Der 
erste,  der  sich  in  systematischer  Weise  mit  diskontinuierlichen  Lösungen  be- 
schäftigte, war  ToDHUNTER,  der  in  seinem  Buch  „Besearches  on  the  Calculus  of 
Variations'"''  (1871)  eine  große  Anzahl  von  Beispielen  behandelt,  ohne  jedoch  zu 
einem  allgemeinen  Satz  zu  gelangen.  Die  aus  der  ersten  Variation  sich  ergebende 
„Eckenbedingung"  verdankt  man  Weierstrass  und  Erdmann  (vgl.  §48,b)). 

Bolza,  Variationsrechnung.  24 


h 


0     - 


oQQ  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

welche  das  Integral  J  zu  einem  Minimum  macht,  und  welche  wieder 
ganz  im  Innern  des  Bereiches  01  liegen  möge,  besitze  eine  Ecke  und 
zwar  im  Punkt  P^(t  =  Q.  Sie  besteht ^also  aus  zwei  Bogen  der  Klasse 
C  P  Po  und  PoPg,  die  im  Punkt  Pq  unter  einem  Winkel  zusammen- 
'     ^  ^^     stoßen.   Der  Tangentenwinkel  des  Bogens 

P^Po  im  Punkt  Pq  sei  6^,  derjenige  des 
Bogens  P^P^   im  Punkt  P^  sei  d^.     Es 
wird  ausdrücklich  vorausgesetzt,  daß 
Öo-6>o^0(mod2:r). 

Wir  betrachten  nun  zunächst  solche 
spezielle  Variationen  P^P^Pq  der  ge- 
suchten Kurve  P^PoPs,  welche  das  Stück  PoP^  unverändert  las.sen 
und  nur  den  Bogen  P^Po  variieren.  Dann  folgt,  wie  früher,  daß  tur 
den  Bogen  P^Po  die  im  fünften  Kapitel  entwickelten  notwendigen 
Bedingungen  (I),  (II),  (HI),  (IV)  für  „kontinuierliche^^  Lösungen  er- 
füUt  sein  müssen.  Ebenso  folgt  aus  der  Betrachtimg  von  speziellen 
Variationen,  welche  das  Stück  P^Po  ungeändert  lassen,  daß  dieselben 
vier  Bedingungen  auch  für  den  Bogen  PoP^  erfüllt  sem  müssen. 

Dieselbe  Schlußweise  ist  auf  den  Fall  von  beliebig  vielen  Ecken 
anwendbar  und  man  erhält  so  das  Resultat: 

Jede  disTwntimiierliche  Lösung')  setzt  sich  aus  Extremalenbogen  der 
Klasse  C  zusammen,    von  denen  jeder,  für  sich   genommen,   die  Be- 
dingungen von  Legendre,  Jacobi  und  Weierstrass  erfüllt, 
b)  Die  Weierstraß'sche  Eckenbedingung: 

Wir  setzen  für  die  weitere  Diskussion  voraus,  daß  unsere  beiden 
Bogen  P,Po  und  P^P^  Extremalenbogen  sind.  Die  Extremale,  welcher 
der  Bogen  P^Po  angehört,  bezeichnen 2)  wir  mit  ^^,  diejenige,  welcher 
der  Bogen  P.P^  angehört,  mit  de-  Ferner  nehmen  wir  an,  daß  für 
die  beiden  Bogen  P,Po  und  P,P,  die  L e gen dre 'sehe  und  die 
Jacob  i'sche  Bedingung  in  ihrer  stärkeren  Form  .erfüllt  sind: 

F,>0,  (11') 

wobei  P^{t  =  Q  denjenigen  Punkt  von  @o  bezeichnet,  dessen  konju- 
gierter Punkt  Po  ist,  und  P^^t^K)  den  auf  ©«  ^^^  ^o  konjugierten 
Punkt. 

iTüm  Mißverständnisse  zu  vermeiden,  mag  man  hier  noch  hinzusetzen r 
„welche  abgesehen  von  ihren  Endpunkten  frei  variierbar  ist-,  vgl.  §52. 

^)  ®o '  ®o  si^^  ^^®^  ^^  demselben  Sinn  gebraucht,  wie  ©o    ^^  §  27,  c). 


§  48.    Die  Weierstr  aß- Erdmann 'sehe  Eckenbedingung.  367 

Wir  ersetzen  nunmelir  die  Kurve  P^P^P^  durch  eine  benachbarte 
Kurve  von  der  Form 

wobei  i(t),  7j{t)  zwei  willkürliche  Funktionen  von  t  von  der  Klasse  C 
sind,  welche  in  t^  und  t^  verschwinden.  Das  Integral  J^  ist  dann 
gleich  der  Summe  ^) 

>~^  ^, 

^e  =J  F{x, y, x\ y')  dt  ■^fF{x, y, x\y')  dt 

h  ^o  +  0 

Auf  jedes  dieser  beiden  Integrale  können  wjr  dann  unmittelbar  die 
Formel  (18  a)  von  §  2Q  anwenden  und  erhalt'en 

Wählen  wir  jetzt  das  eine  Mal  die  Funktionen  $,  ri  so,  daß 

das  andere  Mal  so,  daß 

m  erhalten  wir  den  folgenden  von  Weierstkass 2)  herrührenden  Satz: 
In  jeder   Ed'e   P^   einer    disJwntmuierlichen   Lösung    müssen    die 
heiden  Gleichungen 

erfüllt  sein. 


^)  "^gl-  wegen  der  Bezeichnung  p.  197,  Fußnote  ^. 

*)  Von  Weiekstkass  schon  in  seiner  Vorlesung  im  S.  S.  1865  gegeben. 
Siehe  Cakatheodory,  über  die  diskontinuierlichen  Lösungen  in  der  Variations- 
rechnung, Dissertation  (Göttingen,  1904),  p.  3. 

Unabhängig  von  Weierstraß  hat  Ekdmann  (Journal  für  Mathematik, 
Bd.  LXXXII  (1877),  p.  21)  die  entsprechende  Eckenbedingung  für  das  a:-Problem 
gefunden  und  zwar  in  der  Form 

'y'\  'y'\  (2b) 

f—  yfy,Y^-^  =  f—  yfy,f--^^' 

Diese  Gleichungen  folgen  unmittelbar  mittels  der  Gleichungen  (16)  von  §  25  aus 
den  Weierstraß 'sehen.  Eine  direkte  Ableitung  derselben  ist  umständlicher  als 
für  den  Fall  der  Parameterdarstellung,  vgl.  z.  B.  Bolza,  Lectures,  §  9. 

Die  Eckenbedingung  (2)  läßt  sich  nach  Whittemore  auch  'aus  dem  Du- 
Bois-Reymond'schen  Lemma  von  §  5,  c)  ableiten;  diese  Methode  läßt  sich  auf 
Diskontinuitäten  von  kompliziterem  Charakter  anwenden,  ja  sogar  auf  den  Fall 
von  unendlich  vielen  Diskontinuitäten,  vgl.  p.  28,  Fußnote  ^)  und  p.  29,  Fußnote  «). 

24* 


3ßg  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

Trotz  der  Diskontinuität  in  der  Fortschreitungsrichtung  müssen 
also  die  Funktionen  F^„  F^,  in  jeder  Ecke  stetig  bleiben. 

Wir  nennen  eine  Kurve,  welche  aus  zwei  Extremalenbogen  Fi^T^ 
und  P^F^  zusammengesetzt  ist  und  in  Po  eine  Ecke  besitzt,  in  welcher 
die  Weierstraß'sche  Eckenbedingung  (2)  erfüllt  ist,  eine  gebrochene 

Extremale. 

Da  die  Funktionen  F^,,  F^,  in  x,  y  positiv  homogen  von  der 
Dimension  0  sind,  so  lassen  sich  die  Gleichungen  (2)  auch  schreiben: 

wobei  ^  /i  '    n 

Po  =  cos  Bq,  ^0  =  ^1^  ^07 

fo  =  cosöo,         rJo  =  sinöo. 
c)  Zusätze  und  Beispiele: 

Die  Eckenbedingung  läßt  sich  auch  mittels  der  8 -Funktion  ausdrücken^). 
Es  ist  nämlich  nach  der  Definition  der  §- Funktion 

8(a;,2/;cos0,sinÖ;  cos 0,  sin  ö)  =  cos  d {F^r  -  F^r)  +  Bind {F^y -F^,), 
und  hieraus  berechnet  man  leicht 

a8(^j/;cos0,sin0;cos0,sin0)   _  _  ^.^^ ^^j-.    _  ^^^  _^  ^^^ ^^-^   _  ^^,^ 
dB 
Daraus  folgt,  daß  die  Eckenbedingung  (2  a)  mit  den  beiden  Gleichungen 
H^o^Vo'^  cos0„,  sin0o;  COS0O,  sin0o)  =  0, 
d%{x^,yo;  cosÖq,  sinöp;  cos0o,8in0o)  ^  ^ 

äquivalent  ist. 

Andererseits  ist  aber  auch 

ß(.'^o.2/o;  COS0O,  sine«;  COS0O,  sin0J  =  0,  (4) 

und  aus  (3J  und  (4)  folgt  rückwärts  (2  a),  vorausgesetzt,  daß 

e^—e^^0{mod7t).  (5) 

Aus  der  Symmetrie  d'er  Gleichungen  (2  a)  in 
2  bezug  auf  00  und  0^  folgt:  Schneiden  sich  zwei 
kontinuierliche  Extremalen  P^  P«  P^  und  P,  P^  P^ 
im  Punkt  1\  derart,  daß_  für  ihre  beiden  Tan- 
gentenrichtungen 00  und  00  im  Schnittpunkt  die 
Eckenbedingung  (2  a)  erfüllt  ist,  so  ist  sowohl 
P^  Po  P,  als  Pi  Po  P2  eine  mögliche  ^)  diskontinuier- 
liche Lösung. 

1)  Vgl.  Caratheodorv,  Dissertation,  p.  8. 

2)  Soweit  es  sich  eben  um  die  Eckenbedingung  handelt. 


(3) 


48.    Die  Weierstraß-Erdmann'sche  Eckenbedingung. 


369 


Kombiniert  man  die  Gleichung  (3^)  mit  der  Relation  zwischen  der  8-Funktion 
und  der  Funktion  F^  (Gleichung  (125)  von  §30),  so  erhält  man  den 

Zusatz  I:  Die  Funktion  F^(Xf^,yQ,  cos Q,  sind)  verschioindet  wenigstens  für 
einen  Wert  von  6  zwischen  ^)  d^   und  6^ . 

Daraus  folgt,  daß  ein  Punkt  P^,,  in  welchem  F^  für  keinen  Wert  von  0 
verschwindet,  nicht  Ecke  einer  diskontinuierlichen  Lösung  sein  kann;  bei  einem 
„regulären"  Problem  können  also  überhaupt  keine  diskontinuierlichen  Lösungen 
auftreten. 

Zusatz  II:   Wenn  t'iherdies 

-^1  O^o.  yo^Po.  %)  >  0,         F,  (a?o,  2/o,^o'io)  >  0,' 
so  nimmt  die  Funktion  F^(x^,y^,  cos 6,  sind)  zwischen^)  d^  und  %   auch  negative 
Werte  an  und  verschwindet  daher  mindestens  zweimal  zwischen  d^  und  0^. 

Denn  aus  dem  Ausdruck  (124)  von  §  30  für  die  8 -Funktion  folgt  dann, 
daß  die  Gleichung  (3^)  nur  dann  erfüllt  sein  kann,  wenn  F^  zwischen  0^  und  6^ 
negative  Werte  annimmt. 

_  Zusatz  III:  2)  Geometrisch  sind  für  einen  Punkt  P^  diejenigen  Bichtungspaare 
e^,  e^,  ivelche  der  Weierstraß'schen  Eckenbedingung  genügen,  dadurch  charak- 
terisiert, daß  die  Punkte  d^  ,6^  der  zum  Punkt  P^  gehörigen  Indikatrix  die  Be- 
rührwngspunkte  einer  Doppeltangente  der  Indikatrix  sind. 

Denn  die  Tangente  in  einem  beliebigen  Punkt  6  der  Indikatrix  für  den 
Punkt  Po  ist  nach  Gleichung  (128  b)  von  §  30  gegeben  durch  die  Gleichung 

K'i^o^Vo^  cosö,  ämd)X-{-F^y{x,,y,,  cos0,  sin0)  r=  l,  (6) 

woraus  unmittelbar  folgt,  daß  die  Tangenten 
in  den  Punkten  6^  und  Ö^,  zusammenfallen,  wenn 
die  Gleichungen  (2  a)  erfüllt  sind,  und  umgekehrt. 

Erinnert  man  sich  der  Beziehungen  der 
Funktionen  8  und  F^  zur  Indikatrix,  so  kann 
man  hiernach  die  Gleichungen  (3),  (4),  sowie  die 
beiden  Zusätze  I  und  II  unmittelbar  an  der 
Indikatrix  ablesen. 

Verbindet  man  dies  Resultat  mit  der  in 
§  36,  a)  gegebenen  Konstruktion  der  zu  einer  ge- 
gebenen Richtung  transversalen  Richtung,  so 
erhält  man  den 

Zusatz  IV:  Die  im  Punkt  P^  zu  den  beiden 
Bichtungen  d^  und  6^  transversalen  Bichtungen 
fallen  zusammen,  was  übrigens  auch  unmittelbar 
aus  der  Vergleichung  der  Gleichungen  (2)  mit  Gleichung  (2)  von  §  36  folgt. 

^)  Dabei  sind  nach  §  30,  b)  die  Winkel  6^,0^  so  zu  normieren,  daß: 

^)  Nach  Caratheodory,  Dissertation,  p.  71  und  Mathematische  Annalen, 
Bd.  LXII  (1906),  p.  465. 


Fig.  71. 


I 


370  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliclie  Lösungen. 

BielKomtantenbestimmung  fm-  eine  diskontinuierliclie  Lösung  mit  einer  Ecke 
gestaltet  sich  folgendermaßen:  Ist  wieder 

x  =  f{t,oc,ß),  y  =  g{t,cc,ß) 

das  allgemeine  Integral  der^Eul  er 'sehen  Differentialgleichung  (I),  und  sind  u  =  «„, 
ß  ^  ß^^  resp.  a  =  äo,  ß  =  ßo  diejenigen  Werte  der  Integrationskonstanten,  welche 
den  Bogen  P,P,,  resp.  P,P,  liefern,  und  sind  ferner  t,,  resp.  t,  diejenigen  Werte 
von  t,  welche  auf  P,P,,  resp.  P,P,  den  Punkt  P,  liefern,  so  hat  man  zur  Be- 
stimmung der  acht  unbekannten  Größen 

0^01  1^0»  "oi  ^0'  ^n  ^•^'■>  *oi  *o 
folgende  acht  Gleichungen:   Zunächst  die  vier  Gleichungen,    welche  ausdrücken, 
daß  der  Bogen  P^P,   für  t  =  t,   durch   P^ ,  der  Bogen  P,P,   für  t=t,   durch 
Pg  geht;  ferner  die  beiden  Gleichungen 

welche  ausdrücken,  daß  die  Koordinaten  x,  y  beim  Durchgang  durch  die  Ecke 
stetig  bleiben;  und  endlich  die  beiden  Gleichungen  (2),  bei  denen  die  Argumente 
auf  der  linken  Seite  sind: 

/(«o.«o,^o)i  i/(*o."o./5o),    ffio^^oJo).   gA^O'o^ßol 
auf  der  rechten  Seite: 

fih,  ä,,  ß,\  g(t,,  äo,  ß,h  f'Ä^  ^0.  ^o).  9t^o^  ^0.  ^o)- 
Beispiel  XIIl.    (Siehe  p.  2G8.) 

Da  hier  .    ^^       ^^ 

i\  (ic,  y,  cos  0,  sm  6)  ==  G{x,  y), 

80   folgt  nach    Zusatz  I,    daß    die   Punkte    der   Kurve   G(x,y)  =  0    die    einzigen 
möglichen  Ecken  von  diskontinuierlichen  Lösungen  sind. 
Beispiel  XIX:  Das  Integral 


J  aYF'^Ty^  +  ^' 


zu  einem  Extremum  zu  machen.     Dabei  ist  unter  a  eine  Funktion  von  x  und  y 
verstanden.     Die    zulässigen  Kurven  sind   auf  den  Bereich:    a{x,y)>l   zu  be- 
schränken, damit  das  Integral  sicher  endlich  bleibt. 
Die  Gleichung  der  Indihatrix  lautet: 

9  =  a  +  cos  0. 
Dieselbe  stellt  eine  PascaVsche  Schnecke')  dar.    Bei  der  Diskussion  sind  drei  Fälle 
zu  unterscheiden,  je  nachdem  a  ^  2.    In  den  beiden  ersten  Fällen  (^2)  besitzt 
die  Indikatrix  keine  reelle  Doppeltangente.     Ist  dagegen   l<a<2,   so  besitzt 

1)  Vgl.  G.  LoRiA,  Spezielle  ebene  Kurven,  p.  136. 


§  48.    Die  Weierstr  aß -Erdmann 'sehe  Eckenbedingung. 


371 


sie  eine  reelle  Doppeltangente,  parallel  der  73-Achse ;  dieselbe  berührt  die  Indikatrix 
in  den  Punkten  ö  =  +  /?,  wo  ß  durch  die  Gleichung  gegeben  ist: 

cos  p  = . 

Hieraus   folgt  nach  Zusatz  III  für  diskontinuierliche 
Lösungen  das  Resultat: 

/n  denjenigen  Teilen  der  x,  y-Ehene^  in  ivelchen: 
a  (x,  y)  ^  2^  Jiönnen  l-eine  Ecken  von  diskontinuierlichen 
Lösungen  Hegen.  Dagegen  ist  jeder  Punkt  des  durch 
die  Ungleichungen:  1  <!  a  (a?,  2/)  <C  2  definierten  Be- 
reiches Ecke  einer  gebrochenen  Extremalen.  Die  beiden  ~  ^ 
zugehörigen  Bichtungen  d,  6  haben  die  Amplituden  +  ß. 

Für  die  Funktion  F^  findet  man  nach  einfacher  Rechnung,  bei  welcher  es 
bequem  ist,  von  den  Formeln  von  §  32,  c)  Gebrauch  zu  machen 


Fig.  72. 


^1  {^}  Vi  cos  Ö,  sin  ö)  = 


a^  +  3acosö  +  2 


{a  +  cos  ey 

Die   Funktion   F^    verschwindet    mit  Zeichenwechsel    für    d 
definiert  ist  durch  die  Gleichung 

a2-f-2 


-{-  a,    wo    cc 


cos  a  =  — 


3a 


In  dem  speziellen  Fall,  wo  a  eine  Konstante  ist,  sind  die  Extremalen  gerade 
Linien.  Ist  insbesondere  1  <  a  <  2 ,  so  ist  jeder  Punkt  der  Ebene  Ecke  einer 
gebrochenen  Extremalen, 

Ist  der  Punkt  P^  beliebig  gegeben,  so  füllen  diejenigen  Lagen  des  Punktes 
P^,  welche  mit  P^  durch  eine  gebrochene  Extremale  mit  einer  Ecke  verbunden 
werden  können,  das  Innere  des  (spitzen) 
Winkels  aus,  welcher  von  zwei  von  P^  aus- 
gehenden Halbstrahlen  von  den  Amplituden  ß 
und  —  ß  gebildet  wird.  Und  zwar  gibt  es 
nach  jedem  solchen  Punkt  Pg  allemal  zwei 
gebrochene  Extremalen  P^  PqP^  und  P^P^P.^ 
(siehe  Fig.  73).  Es  sind  dies  gerade  die- 
jenigen Lagen  des  Punktes  P^,  nach  welchen 
sich  keine  kontinuierliche  starke  Lösung 
ziehen  läßt.  Dagegen  lassen  sich  von  P^ 
nach  jedem  Punkt  P^  in  dem  angegebenen 
Winkelraum  unendlich  viele  gebrochene  Ex- 
tremalen mit  mehr  als  einer  Ecke  ziehen,  nämlich  gebrochene  Linien,  welche  sich 
aus  Stücken  zusammensetzen,  die  abwechselnd  die  Amplituden  ß  und  —  ß  haben.  ^) 


Fig.  73. 


^)  Hierzu  weiter  die  Übungsaufgaben  Nr.  24 — 29  am  Ende  von  Kap.  IX. 


372 


Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 


§  49.    Konjugierte  Punkte  auf  gebrochenen  Extremalen.^) 

Wir  setzen  für  die  weitere  Diskussion  voraus,  daß  unsere  Kurve 
P^PqP^  eine  gebrochene  Extremale  ist,  daß  also  im  Punkt  P^  die 
Weierstraß'sche  Eckenbedingung  (2)  erfüllt  ist,  und  betrachten  jetzt 
als  Vorbereitung  für  die  Aufstellung  weiterer  notwendiger,  sowie  hin- 
reichender Bedingungen  die  Aufgabe,  die  Kurve  P^P^P^  in  eine  Schar 
von  gebrochenen  Extremalen  einzubetten.  Dabei  halten  wir  an  der 
schon  in  §  48,  b)  eingeführten  Annahme  fest,  daß  sowohl  für  P^  Pq  als 
auch  für  P^P^  die  Bedingungen  (IF)  und  (IIP)  von  §32,  b)  erfüllt  sind. 

a)  Konstruktion  einer  Schar  von  gebrochenen  Extremalen: 

Es  «^i  x==(p{t,a),  y-^{t,a)  (8) 

irgendeine  Schar  von  Extremalen,  welche  den  Extrem alenbogen  P^P(^ 

enthält,  und  zwar  für  a  ==  üq,  und  welche  den  in  §  27,  d)  aufgezählten 

Bedingungen  A)  bis  D)  genügt.     Wir 
'^  stellen  uns  die  Aufgabe,  auf  einer  der 

P  ,  '  '  Extremalen  P^  Pq  benachbarten  Extre- 

malen @^^  der  Schar  (8)  einen  Punkt  P(^) 
und  zugleich  eine  durch  P  gehende 
Richtung  6  zu  bestimmen,  derart,  daß 
die  Richtung  Ö  der  positiven  Tangente 
der  Extremalen  ©^  im  Punkt  P  zu- 
sammen mit  der  gesuchten  Richtung  9 
der  Weierstraß^schen  Eckenbedin- 
gung (2  a)  genügt. 
Wii-  haben  dann  zur  Bestimmung  der  beiden  Unbekannten  t  und 

6  die  beiden  Gleichungen 

F^,(q){t, a),i^it,  a\ (pfl,  a), ^ß, a))  -  F^,{(p{U  a),tit,  ci\  cos  d^ sin  6)  =  0, 

F/^(p{t, a\tpit, a\ (p,(t, a), il^ß, a))  - F^,((p{t, a\t(t, a\ cos  ö, sin  Ö)  =  0.  ^ 
Für  den  Wert  der  Funktionaldeterminante  der  linken  Seiten  dieser 

beiden  Gleichungen   nach   t  und  Ö  im  Punkt  P^  ergibt  eine  einfache 

Rechnung^)  den  Ausdruck 

VK'  +  y'^'FMi\,  (10) 

*)  In  ihren  allgemeinen  Umrissen  rührt  die  Theorie  der  konjugierten  Punkte 
auf  diskontinuierlichen  Lösungen  von  Caratheodory  her  {JDissertatiofi ,  §§  6,  8,  9 
und  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  474);  im  einzelnen  durch- 
geführt und  in  wesentlichen  Punkten  vervollständigt  worden  ist  sie  von  Bolza 
(American  Journal  of  Mathematics,  Bd.  XXX  (1908)  p.  209)  und  Dresden 
(Trans actionsofthe  American  Math ematical  Society,  Bd.IX(1908),p. 480). 

2)  Für  die  Einzelheiten  derselben  vgl.  Bolza,  loc.  cit.  p.  211. 


Fig.  74 


§  49.    Konjugierte  Punkte  auf  gebrochenen  Extremalen.  373 

wobei  die  von  Caratheodory  eingeführte  Größe  SIq  definiert  ist  durch 

-  PoKi^o^yod^o, %)  -  äoFy{x^, yo,Po, %)' 

Daraus   folgt  nach  dem  Satz  über  implizite  Funktionen  das  Resultat: 
Wenn  die  Bedingung 

P^o  +  0  (12) 

erfüllt  ist,  so  lassen  sich  die  Gleichungen  (9)  in  der  Umgehung  der 
Stelle  t^,  ÜQy  Oq  eindeutig  nach  t,  6  auflösen,  und  die  Lösung 

t  =  t{a),         e  =  e{a)  (13) 

ist  in  der  Umgebung  von  a  =--  a^  von  der  Klasse  C  und  erfüllt  die 
Anfangsbedingung 

t{a,)  =  t„  e{a,)^e,.  (14) 

Hiermit  ist  die  Aufgabe,  die  wir  uns  zunächst  gestellt  hatten,  gelöst. 
Wir  setzen  in  der  Folge  die  Bedingung  (12)  als  erfüUt  voraus. 
Nun  war  weiter  nach  Voraussetzung 

^1  (^0? .^0?  cos  ^0,  sin  0^)  >  0; 

daraus  folgt,  daß  auch 

F^{(p(tia), a),'ip{t{a),a),  cos  Ö{a),  sin  6{a))  >  0, 

wenn  nur  \a  —  a^.  hinreichend  klein  gewählt  wird.  Alsdann  können 
wir  aber  nach  den  Existenztheoremen  von  §  21,  a)  durch  den  Punkt 
P  in  der  Richtung  d  eine  Extremale  @^  konstruieren,  die  wir  mit 

\'         x  =  ^{t,a),         y^^(t,a)  (15) 

bezeichnen.  Den  Parameter  t  können  wir  so  wählen,  daß  auch  auf 
@^  dem  Wert  t  =  t(a)  der  Punkt  P  entspricht,  so  daß  also 

(p  {t  (a),  a)  =  cp(t  (a),  a),  ^  (t  (a),  a)  =  ijj  (t  (a),  a).  (16) 

Wir  erhalten  so  eine  gebrochene  Extremale  @^  +  (S^  mit  der  Ecke  im 
Punkt  Pj  auf  welcher  der  Parameter  t  sich  stetig  ändert. 

Lassen  wir  a  variieren,  so  erhalten  wir  eine  Schar  von  ge- 
brochenen Extremalen,  welche  die  spezielle  Kurve  P^PqP^  für  a  =  a^ 
enthält. 

Die  Schar  (15)  wollen  wir  die  zur  Schar  (8)  „Iwnplementäre 
Extremalenschar'^  nennen. 


i 


374  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

b)  Die  Eckenkurve: 

Lassen  wir  a  variieren,  so  beschreibt  die  Ecke  P  eine  Kurve 
S,  welche  wir  die  Eckenkiirve^)  nennen  wollen.  Definiert  man  die 
Funktionen  x{a),  y(a)  durch  die  Gleichungen 

x(a)==(p  (t  {a\  a),  y{ci)  =  ^  (t  (ö^);  ci\  (^  '^) 

wofür  man  wegen  (16)  auch  schreiben  kann 

x(a)  =  ~^(m,  a),  y{a)  ==  %}{t{a\  a\  (18) 

so  ist  die  Eckenkurve  in  Parameter darstellung  gegeben  durch  die 
Gleichungen  ^  _  ^  .  ,  . 

ü:         x  =  x{a),  y  =  yw^ 

wobei  ein  gegebener  Wert  a  =  a  die  Ecke  für  die  gebrochene  Extre- 
male @„,  +  S^,  liefert. 

Aus  den  Definitionsgleichungen  (17)  für  die  Funktionen  x{a),y{a) 
kann  man  dann  nach  den  Regeln  für  die  Differentiation  impliziter 
Fimktionen,  angewandt  auf  die  Funktion  t{a),  die  Ableitungen  x{a), 
y\a)  und  daraus  das  Gefälle  tgÖ  der  Tangente  an  die  Eckenkurve 
im  Punkt  P  berechnen.  Insbesondere  erhält  man  für  das  Gefälle  tg  6q  der 
Kurve  S  im  Punkt  Pq  das  folgende  Resultat  2): 

Es  sei  Q(t  =  r)  der  dem  Punkt  P«  zunächst  vorangehende  Brenn- 
punkt der  Schar  (8)  auf  der  Extremalen  ©o',  ein  solcher  existiert  stets, 
wenn  der  in  §  48,  b)  definierte  Punkt  PJ  existiert,  wie  wir  für  die 
folgende  Diskussion  voraussetzen  wollen,  und  zwar  liegt  Q  nach  dem 
Sturm 'sehen  Satz  zwischen  PJ  und  P«.  Weiter  bezeichne  @(t,t)  die 
in  §  29,  a)  definierte  Funktion  von  Weierstraß,  d.  h.  dasjenige  Inte- 
gral der  Jacobi'schen  Differentialgleichung  für  die  Extremale  ^q, 
welches  für  t  =  r  verschwindet.     Alsdann  ist 

tg  ^0  -  ^i§(t^^ ,)  +  s 07(*;, r)  7 ,  ■        y    J 

wobei 

a  =      Af 0  +  ^0^0.     ß  =  «'  +  yo'hoF,{t,)  sm(d, -  6,),         ^^^^^ 

A,^L,-L,,      B,  =  M,-M„       C,  =  N,-N,.         (21) 

Die  Größen  L,,  M^,  N,,  resp.  L,,  M„  N,   sind   durch  die   Glei- 
chungen (85)  von   §  28  definiert,  und  zwar  sind  die  ersteren  für  den 

1)  „Knickpiinktskurve"  nach  Caratheodory,  loc.  cit. 

»)  Für  die  Einzelheiten  der  Rechnung  vgl.  Bolza,  loc.  cit.  p.  215. 


§  49.    Konjugierte  Punkte  auf  gebrochenen  Extremalen.  375 

Punkt  Pq  und  die  Extremale  ©^  zu  bereclinen,  die  letzteren  für  den 
Punkt  Pq  und  die  Extremale  @q. 

Da  die  Grrößen  a,  ß,  y,  d  von  der  Wahl  der  Schar  (8),  und  ins- 
besondere von  r  unabhängig  sind,  so  folgt: 

Bas  Gefalle  der  Echenlmrve  @  im  Punkt  Pq  ist  dasselbe  für  alle 
Extremalenscharen  (8J,  welche  denselben  BrennpunM  Q  besitzen^  wobei 
die  Extrem alenschar  durch  den  Punkt  Q  unter  den  letzteren  mit  in- 
begriffen ist^). 

Wir  untersuchen  jetzt,  wie  sich  das  Gefälle  tg  6^  verändert,  wenn 
der  Punkt  Q  die  Extremale  (^^  durchläuft. 

Dazu  hat  man  die  Ableitung  von  igO^  nach  r  zu  berechnen.  Die 
Rechnung,  bei  welcher  man  zu  beachten  hat,  daß  die  durch  (11)  defi- 
nierte Größe  Uq  sich  auf  Grund  von  Gleichung  (87)  von  §  28  auch 
schreiben  läßt 

ergibt  das  Resultat 

^   tö-^    =  -Fsin(Ö, -öo)^o  .,^^. 

dt  ^^  "o        I\  (r)(y  ©{t,,  T)  -f  ^0,(\,  t)Y  ^-^"^ 

wobei  k  eine  von  Null  verschiedene  Größe  ist. 

Wir  machen  für  die  weitere  Diskussion  die  Annahme,  daß 

e^-e^^O{mod.%).  (23) 

Nunmehr  lassen  wir  den  Punkt  Q  die  Extremale  (Sq  vom  Punkt  ^) 
Pj,'  bis  zum  Punkt  P^  durchlaufen,  d.  h.  wir  lassen  x  von  t^  bis  t^ 
wachsen.  Dabei  behält  nach  {22)  die  Ableitung  von  tgO^  ein  kon- 
stantes Vorzeichen,  da  P\(r)  >  0  und  die  Größe  ^^^  welche  von  r 
unabhängig   ist,   nach  (12)   von  NuU  verschieden  vorausgesetzt  wird. 

Für  t  =  t^  und  r  =  t^  verschwindet  0(^o,r),  und  es  wird: 

Hieraus  ergibt  sich  das  Resultat: 

Während  der  Punkt  Q  die  Extre^yiale  @q  vom  Punkt  PJ  bis  zum 
Punkt  Pq  durcJilätift^  dreht  sich  die  Gerade^)  6^  um  den  Punkt  Pq  von 
der  Anfangslage  6^  beständig  in  demselben  Sinn  um  den  Winkel  it  bis 
zur  Endlage  6^. 

^)  Q  erscheint  dabei  als  entartete  Enveloppe,  vgl.  §  47,  a)  p.  361. 
*)  Siehe  §  48,  b),  Eingang. 

^)  D.  h.  die  Gerade  durch  P^  vom  Gefälle  tgÖ^,,  so  daß  also  die  Gerade  0^ 
(nicht  zu  verwechseln  mit  der  Richtung  ^^^)  mit  der  Geraden  Öq  ~l"  ^  identisch  ist. 


376 


Achtes  Kapitel,     Diskontinuierliche  Lösungen. 


Dabei  passiert  sie  genau  einmal  durch  die  Lage  Oq.  Den  Wert 
von  t,  für  welchen  dies  eintritt,  bezeichnen  wir  mit  e^,  den  ent- 
sprechenden Punkt  von  @o  mit  Eq.  Dabei  ist  es  für  die  weiteren 
Entwicklungen  wichtig,  zu  unterscheiden,  ob  die  Gerade  Oq  in  den 
Winkel^)  zwischen  den  beiden  Zweigen  P^P^,PqP.,  unserer  diskonti- 
nuierlichen Lösung  eintritt  oder  nicht.  Man  erhält  vier  Fälle,  die 
durch  die  beifolgenden  Figuren  genügend  charakterisiert  sind,  wobei 
zunächst  nur  der  Bogen  PqPq  in  Betracht  kommt: 

Fall  I:  ^0  >  ^. 

a)     sin(^o-^o)>ö  I  b)     sm{d,-0^)<0 


Fig.  75.  p* 

Fall  II:  ^0  <  Ö, 

a)     sin(Öo-öo)>0  I  b)     sm(d,-0,)<0 


Fig.  77. 


^)  Darunter  soll  derjenige  der  beiden  von  den  Halbstrahlen  ö„  und  B^-l-Tt 
gebildeten  Winkel  verstanden  werden,  welcher  kleiner  ist  als  n.  Wir  werden 
diesen  Winkel  in  der  Folge  kurz  den  „EckenwinkeV  nennen. 


§  49.    Konjugierte  Punkte  auf  gebrochenen  Extremalen.  377 

Während  sich  der  Punkt  Q  von  P^  nach  Eq  bewegt,  dreht  sich 
die  Gerade  6^  aus  der  Lage  Oq  in  die  Lage  6^,  und  zwar  durch  den 
Ecken  Winkel,  wenn  üo>0,  außerhalb  desselben,  wenn  ii^  <  0.  Be- 
wegt sich  dann  Q  weiter  von  Eq  nach  Pq,  so  dreht  sich  die  Gerade  Öq 
weiter  aus  der  Lage  9^  in  die  Lage  6q  und  zwar  außerhalb  des  frag- 
lichen Winkelraumes,  wenn  £1^  >  0,  innerhalb,  wenn  Sl^  <  0.  Liegt  Q 
auf  dem  stärker  ausgezogenen  der  beiden  Bogen  P^Eq^EqPq,  so  tritt 
die   zugehörige  Gerade  6^  in  den  Eckenwinkel  ein. 

Aus  der  vorangegangenen  Diskussion  folgt  zugleich  die  Um- 
kehning:  Zu  jeder  durch  den  Punkt  Pq  gehenden  Geraden  Oq,  welche 
in  Pq  weder  den  Bogen  P^Pqj  noch  den  Bogen  PqP^  berührt,  gehört 
ein  und  nur  ein  Punkt  Q  zwischen  PJ  und  Pq  derart,  daß  die  Ecken- 
kurve für  jede  Extremalen  schar  (8),  welche  ihren  Brennpunkt  im 
Punkt   Q  hat,  die  Gerade  8^  im  Punkt  P^  berührt. 

Man  erhält  den  zu  einer  gegebenen  Geraden  Öq  gehörigen  Wert 
von  T,  indem  man  die  Gleichung  (19)  nach  r  auflöst.  Setzt  man  die 
Werte  von  a,  ß,  y,  d   ein,   so  erhält   man  die  Gleichung  in  der  Form 

(24) 
-  {^'!  +  y')F,{Q  sin  (Ö,  -  öo)  sin {d,  -  0,)  @,(t„  r)  =  0; 

dabei  ist  ^  '/T  -  •    ;t 

Insbesondere  erhält  man  die  Gleichung  für  den  Parameter  e^  des 
Punktes  Eq,  indem  man  in  (24):  9^  =  9^  setzt. 

c)  Definition  der  konjugierten  Punkte  für  gebrochene  Extremalen : 

,  Falls  der  zu  Pq  auf  (^'^  konjugierte  Punkt  PJ  existiert,  wie  wir  für 
die  weitere  Diskussion  annehmen  wollen,  so  besitzt  auch  die  zur  Ex- 
tremalenschar  (8)  komplementäre  Schar  (15)  einen  Brennpunkt 
Q'\t  =  t"),  und  zwar  zwischen  Pq  und  P^.  Zwischen  r"  und  dem 
Gefälle  tgöy  besteht  dann  eine  Relation  (24),  die  aus  (24)  dadurch 
hervorgeht,  daß  man  die  überstrichenen  und  unüberstrichenen  Buch- 
staben vertauscht,  da  man  ganz  analoge  Betrachtungen  wie  unter  b) 
auch  für  die  Schar  (15)  anstellen  kann.  Daraus  folgt  aber,  daß  alle 
Scharen  gebrochener  Extremalen,  welche  den  Brennpunkt  Q  gemein- 
sam haben,  auch  den  zweiten  Brennpunkt   Q^'  gemeinsam  haben. 

Wir  nennen  diesen  zweiten  Brennpunkt  Q"  den  zum  Punkt  Q  auf 
der  gebrochenen  Extremalen  ^^  +  (Sq  konjugierten  Punkt.  Derselbe  kann 
nach    dem   eben   Gesagten   auch   definiert   werden   als  der  BrennpunM 


378  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

auf  ^0  der  zur   Extremalmschar  durch  den  Funkt   Q  homplementären 
Extremalenschar. 

Durch  Elimination  von  tgö^  aus  den  beiden  Gleichungen  (24) 
und  (24)  erhält  man  die  folgende  Relation^)  zwischen  den  Para- 
metern T,  x"  der  konjugierten  Punkte   (>,  Q": 


(25) 


+  (^-  +.^o0^i(0(AK+2i?ofo?o  +  0,qD®{t,,x)  '^p 

In  Fig.  75  bis  78  ist  die  Abhängigkeit  zwischen  den  Punkten 
Q,  Q"  angedeutet.  So  bewegt  sich  z.  B.  im  Fall  I,  a)  der  Punkt  Q" 
von  E,  nach  P^,  während  der  Punkt  Q  von  P^  nach  E,  geht.  Be- 
wegt sich  der  Punkt  Q  weiter  von  E^  nach  Pq,  so  bewegt  sich  der 
Punkt  Q"  von  F,  nach  E^. 

Dabei  hat  der  Punkt  E,{t  =  e^  die  analoge  Bedeutung  für  die  Ex- 
tremale io;  ^^ie  d®^*  P^^^*  ^0  für  die  Extremale  (Sq,  d.  h.  in  der  Re- 
lation (24)  entspricht  dem  Wert  x"  =  e^  der  Wert  d,  =  6,. 

Die  beiden  Punkte  E,,  E,,  deren  Bedeutung  für  die  Frage  des 
Minimums  aus  dem  folgenden  Absatz  erhellen  wird,  sind  von 
Caratheodory  eingeführt  worden. 

d)  Das  Analogon  der  Jacobi'schen  Bedingung  für  diskontinuier- 
liche Lösungen: 

Wir  werden  jetzt  unter  Festhaltung  der  Voraussetzungen  (12) 
und  (23)  zeigen,  daß  für  ein  Minimum  des  Integrals  J  außer  den 
hereits  aufgezählten  Bedingungen  weiterhin  notwendig  ist,  daß') 

E,^F„        F,^F';,      '  {2Q) 

wenn  F'^  den   zu  Pj   auf  der   gebrochenen   Extremalen  @o  +  @o  kon- 
jugierten Punkt  bezeichnet. 

1)  Vgl.  BoLZA,  loc.  cit.  p.  221  und  Dresden,  loc.  cit.  p.  483. 

2)  Der  Satz  in  dieser  einfachen  Form  rührt  von  Dresden  her,  der  denselben 
mittels  der  Differentiationsmethode  beweist  (Transactions  of  the  American 
Mathematical  Society  Bd.  IX  (1908).  Über  die  Beziehung  zu  den  ur- 
sprünglichen Resultaten  von  Caratheodory  vgl.  p.  372.  Wegen  der  Bezeichnung 
vgl.  §  25,  a). 


49.    Konjugierte  Punkte  auf  gebrochenen  Extremalen. 


379 


Zum  Beweis  werden  wir  uns  des  Enveloppensatzes,  ausgedehnt 
auf  gebrochene  Extremalen,  bedienen. 

Es  mögen  die  Gleichungen  (8)  die  Extremalenschar  durch  den 
Punkt  Pj  darstellen,  (15)  die  dazu  komplementäre  Schar.  Wir  greifen 
irgend    eine    der    gebrochenen  5 

Extremalen  der  Schar  heraus: 
®a  +  @^,  und  nehmen  auf  ihr 
einen  Punkt  P^if)  an.  Den 
Wert  des  Integrals  JJ  genommen 
entlang  dieser  gebrochenen  Ex- 
tremalen vom  Punkt  P^  bis 
zum  Punkt  Pg,  bezeichnen  wir 
mit  u  {t,  a).  Liegt  der  Punkt  P^ 
vor  der  Ecke  P5,  also  auf  der 
Extremalen  @^^,  so  gelten  für 
die  Funktion  u{t,  a)  und  ihre  Ableitungen  genau  die  früheren  Formeln 
von  §  31,  c)  und  §  44,  a).  Liegt  dagegen  der  Punkt  P3  jenseits  der 
Ecke,  also  auf  der  Extremalen  (S^,  so  ist 

u  (t,  a)  =  J,,  +  J53  =/'^(^.  ^0  ^^  +f'^(ß>  et)  dt  •  (27) 

dabei  ist  zur  Abkürzung  gesetzt 

^(^,  a)  =  F{(f{t,  a\  tp{t,  d),  (p,{t,  a),  ^ß,  a)), 
^{t,  a)  =  F{(pit,  a),  jpit,  a\  (p,{t,  a),  ißß^  a)\ 
und  t^  und  ^5  sind   die  Werte   von  t,   welche   auf  der   Extremalen  @^ 
die  Punkte  Pj,  resp.  Pj.,  liefern.     Hieraus  folgt  zunächst: 

und  weiterhin,  wenn  man  beachtet,  daß  die  auf  den  Punkt  P^  bezüg- 
lichen Glieder  ebenso  wie  in  §  31,  b)  —  wo  dem  Punkt  P^  der  Punkt 
Pq  entspricht  —  wegfaUen, 

was  sich  wegen  der  Homogeneitätsrelation  (10)  von  §  25  auch 
schreiben  läßt 


da 


,^  =  ^.(9„  +  ^4a)  +  ^7.(*»  +  '^S 


Nun  ist   aber  t^  =  t{a),    wo   t{a)   die   in   §  49,  a)    ebenso    bezeichnete 
Funktion  bedeutet,  für  welche  die  Gleichungen  (16)  und  (17)  gelten. 


380  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

Daher  kommt 

^^^»  =  fF,,(<5,  a)~x'{a)  +  ^,ß„  a)y{a). 

Ganz  ebenso  erhält  man,  wenn  man  (18)  statt  (17)  benutzt  . 

2/"  =  f^,(«,  a)<p,{t,  a)  +  %,{t,  a)n>At,  a) 

C  Ol 

also  schließlich 

^-^  =  W^,{t,  a)cpSt,  a)  +  W,,{t,  a)i^^{t,  a)  (28a) 

Die  Ausdrücke  (28)  und  (28  a)  für  die  partiellen  Ableitungen  von 
ii{t,  a)  unterscheiden  sich  also  von  den  früher  für  den  Fall  eines  Feldes 
von  kontinuierlichen  Extremalen  gegebenen  Gleichungen  (144)  und 
(146)  von  §  31  nur  durch  das  in  dem  Ausdruck  für  u^  in  der  zweiten 
Zeile  stehende  Zusatzglied.  Dieses  Zusatzglied  ist  nun  aber  auf  Grund 
der  Weier Straß' sehen  Eehmhedingung  (2)  gleich  NtdV)  Denn  dar- 
nach gelten  im  Punkt  P5  die  Gleichungen 

somit   erhalten  wir  für   die   Ableitungen   u,,  u^    genau  dieselben  Aus- 
drücke wie  früher. 

Es  sei  jetzt  ^  die  Enveloppe  der  komplementären  Schar  (15) 
(Fig.  79);  sie  berührt,  wie  wir  wissen,  die  Extremale  @o  im  Punkt  P^'; 
der  Berührungspunkt  von  ®,  mit  ^  sei  P,.  Dann  folgert  man  genau 
wie  in  §  44,  c)  den  Enveloppensatz:  ; 

und  hieraus  folgt  weiter  wie  in  §  47,  daß  im  Fall  eines  Minimums 
der  Punkt  P^  nicht  jenseits  des  konjugierten  Punktes  P^  hegen  dart: 

p,  :<  p;.  (29) 

Überdies  muß  aber  

sein.^)    Um  dies  zu  beweisen,  nehmen  wir  an,  es  sei:  Pj  <  E^.    Dann 
können  wir  nach  den   Resultaten  von  §  49,  c)   stets  auf  dem  Bogen 

1)  Vgl.  Cakatheodory,  Dissertation,  p.  21.  ^        ..  ,.  ,,     i 

^)  Es  muß  sogar:   E,-<P,  sein,  wie  sich  aus  der  Differentiationsmethode 

ergibt,  vgl.  Dresden,  loc.  cit. 


§  50.    Hinreichende  Bedingungen  für  diskontinuierliche  Lösungen.       381 

EqF^  einen  Punkt  Q  so  nahe  bei  E^  wählen,  daß  dessen  konjugierter 
Punkt  Q"  vor  F^  liegt.  Daher  können  wir  nach  dem  eben  be- 
wiesenen Satz  von  Q  nach  Pg  eine  zulässige  Kurve  S  ziehen,  welche 
einen  kleineren  Wert  für  das  Integral  J  liefert  als  die  gebrochene 
Extremale  QF^T^,  womit  zugleich  gezeigt  ist,  daß  auch  die  gebrochene 
Extremale  P^P^P^  selbst  kein  Minimum  liefern  kann. 

Aus  (30)  folgt  nach  §  49,  c),  daß:  P;  <  E'.    Somit  muß  a  fortiori 

sein.  ^2<^o  *  (31) 

Wir  erhalten  also  zunächst  für  jeden  der  beiden  Punkte  P^  und 
P2  für  sich  genommen  eine  Bedingung,  nämlich  (30)  und  (31);  außer- 
dem muß  dann  zwischen  beiden  die  der  Jacobi'schen  Bedingung  ent- 
sprechende Bedingung  (29)  erfüllt  sein.i) 

§  50.     Hinreichende  Bedingungen  für  diskontinuierliche  Lösungen. 

Die  Aufstellung  von  hinreichenden  Bedingungen  beruht  auf  der 
Konstruktion  eines  Feldes  von  gebrochenen  Extremalen  und  auf  der 
Ausdehnung  des  We  i  er  s  t  r  aß'schen  Fundamentalsatzes  auf  ein 
solches  Feld. 

Wir  halten  dabei  an  der  bereits  in  §  49  gemachten  Annahme 
fest,    daß  für  unsere   gebrochene  Extremale  P.P^P^  die  Bedingungen 

erfüllt  .nd.  ^i"(^o-^o)  +  0  (23) 

a)  Konstruktion  eines  Feldes  von  gebrochenen  Extremalen: 2) 
Wir  betrachten  eine  beliebige  Schar  von  gebrochenen  Extremalen, 
die  sich  zusammensetzt   aus   der  Schar  (8)  und  der  dazu  komplemen- 
tären Schar  (15),  und  bezeichnen  wieder  mit  Q(t  =  T)  und  Q'\t  =  t') 
ihre  beiden  Brennpunkte  auf  (S^,  resp.  g^-    Wir  nehmen  an,  es  sei 

und  3)  der  Punkt  P^  liege  zwischen  Q  und  P^,  der  Punkt  P^  zwischen 
Po  und  Q".  Dann  gelten  nach  der  Definition  der  Punkte  §,  Q"  für 
die   Funktionaldeterminanten   der   beiden   Scharen   die  Ungleichungen: 

^)  Hierzu  die  Übungsaufgaben  Nr.  30,  31  am  Ende  von  Kap.  IX. 
^  Nach  Caratheodory,  Dissertation,  §  6  und  Mathematische  Annalen 
Bd.  LXII  (1906)  p.  474. 
')  Vgl.  p.  383. 
Bolza,  Variationärechnung.  ok 


1 


S82 


Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 


A(^,ao)  +  0,     für     t^ZtZ^oy 
A{t,a^)=^0,     für     t^ZiZ^i- 

Wir  .konstruieren  jetzt  in  einer  t,  a-Ebene  das  KecMeck 
t^-\ZtZh+hy     I«  -  ^oi  5  ^'^ 

wobei  \,\,l-  positive  Größen  sind. 

.  a  =    %  +  k 


(32) 


(33) 


t  =  t^h. 


-h 


Dasselbe  wird  durch 
die  Kurve 

t-t{a)      (34) 

—  wobei  t{a)  dieselbe 
*o-^    Bedeutung   bat   wie   in 
§  49,  a)  —  in  zwei  Teile 
zerlegt,  die  wir  mit  €L 
und  S:  bezeichnen;  im  ersten  ist  ^^K^)^  i"^  zweiten  t-^t^a). 

Das  Bild  des  Bereiches  OL  in  der  o;,  ^-Ebeue  mittels  der  irans- 
formation  (8)  bezeichnen  wir  mit  oT,  dasjenige  des  Bereiches  ÖL  mittels 
der  Transformation  (15)  mit  cS  Die  Bereiche  of  und  of  haben  das 
Bild  der  Kurve  (34),  d.  h.  die  Eckenkurve  (S  gememsam.  Wir 
machen  noch  die  Annahme,  daß  die  Kurve  P,P,P,  keine  vielfachen 
Punkte  besitzt.  Dann  folgt  nach  §  31,  a)  aus  (32),  daß  sich  die 
positiven  Größen  h,,  h,,  h  so  klein  wählen  lassen,  daß  die  irans^ 
formation  (8)  eine  ein-eindeutige  Beziehung  zwischen  (^  und  o^,  und 
^  gleichzeitig   die  Transformation 

(15)    eine   ein-eindeutige  Bezie- 
hung zwischen   ÖL  und   of   de- 
finieren, und  daß  überdies 
A(^,  a)4=0  in  ÖL, 
Ä(^,  a)  +  0  in  ÖL. 
Dabei  ist  es  immer  noch  möglich,, 
daß  die  beiden  Bereiche  ofund  oT 
sich  teilweise  überdecken,    und  dies  tritt   in  der  Tat  auch  stets  ein, 
wenn  die  Tangente  an  die  Eckenkurve  S  m  P,  außerhalb  des  Ecken- 
winkels ^)  liegt,  (siehe  Fig.  81).    Wir  setzen  daher  m  der  Folge  voraus, 
daß  die  Gerade  d,  durch  den  EclenwinUl  geht.    Unter  dieser  Voraus- 
setzung läßt  sich  zeigen,  daß  die  beiden  Bereiche  eirund  of  außer  der 
Kurve  S  keinen   Punkt    gemeinsam    haben,   wofern    nur    die    Großen 
h.    K,h  hinreichend  klein  genommen  werden. 
Ö"Vgl.  p.  376,  Fußnote  0- 


Pig.  81. 


§  50.    Hinreichende  Bedingungen  für  diskontinuierliche  Lösungen.       383 


Fig.  «2 


Zum  Beweise  nehme  man  an,  es  gäbe,  wie  klein  auch  h  gewählt 
werden  möge,  mindestens  einen  nicht  auf  S  liegenden  Punkt,  der 
gleichzeitig  zu  oT  und  oT  gehört.  Alsdann  läßt  sich  ganz  ähnlich  wie 
in  §  22^  b)  und  d)  zeigen,  daß  es  dann  in  jeder  Nähe  des  Punktes 
Pq  Punkte  geben  müßte,  die,  ohne  auf  (I  zu  liegen,  gleichzeitig  zu  oT 
und  of  gehören.  Letzteres  ist  aber  nicht  möglich,  da  bei  der  voraus- 
gesetzten Lage  der  Geraden  6^  alle  Punkte  von  oT  in  der  Nähe  von 
Pq  auf  derselben  Seite  ^)  von  ß,  alle  Punkte  von  oi'  in  der  Nähe  von 
Pq  auf  der  entgegengesetzten 
Seite  von  ^  liegen  müssen. 

Man  erhält  also  das  Resul- 
tat, daß  man  die  Größen  h^Ji^jh 
so  klein  wählen  kann,  daß  die 
durch  die  Gleichungen  (8)  und 
(15)  definierte  Beziehung  zwischen 
dem  Rechteck  (33)  und  dessen 
Bildc^-\-  c^eine  ein- eindeutige  ist. 
Den  Bereich  cf  +  cf  nennen  wir 
dann  ein  Feld  von  gebrochenen 
Extremalen  um  die  spezielle  ge- 
brochene   Extremale     P^  Pq  Pg. 

Durch  jeden  Punkt  des  Feldes  geht  dann  also  eine  und  nur  eine  (kon- 
tinuierliche oder  gebrochene)  Extremale  unserer  Schar,  für  welche  die 
Bedingungen  (33)  erfüllt  sind.  — 

In  dem  vorangegangenen  Beweis  sind  wir  von  einer  gegebenen 
Schar  von  gebrochenen  Extremalen  ausgegangen  und  haben  dann  an- 
genommen, daß  die  beiden  Punkte  P^,  Pg  zwischen  den  Punkten  Q 
und  Q"  liegen.  Wir  wollen  jetzt  umgekehrt  von  den  beiden  Punkten 
Pj  und  Pg  als  gegeben  ausgehen  und  uns  fragen,  unter  welchen  Be- 
dingungen wir  die  Kurve  P^PqP^  mit  einem  Feld  von  der  angegebenen 
Art  umgeben  können.^)  Es  handelt  sich  also  darum,  ob  wir  den 
Punkt  Q  so  wählen  können,  daß  Pq -<  Q  ^  P^,  P^^  Q" ■>  ^^^d  daß 
gleichzeitig  die  Gerade  ö^  in  den  Ecken winkel  eintritt.  Sobald  dies 
der  Fall  ist,  so  brauchen  wir  nur  eine  Extremalenschar  (8)  mit  dem 
Brennpunkt  Q  zu  konstruieren  (z.  B.  die  Schar  von  Extremalen  durch 
§);  diese  Schar  zusammen  mit  ihrer  komplementären  liefert  dann  nach 
dem  vorigen  ein  Feld  von  gebrochenen  Extremalen  um  die  Kurve  Pj  Pq  Pg. 

*)  Um  einen  arithmetisch  strengen  Beweis  zu  erhalten,  wären  hier  noch 
mancherlei  Einzelheiten  zu  beweisen,  auf  die  wir  jedoch  nicht  eingehen. 

-)  Immer  unter  Festhaltung  der  Voraussetzungen  (11')  und  (III')  von  §  48, b). 

25* 


3g4  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

Es  sind  folgende  Fälle  zu  unterscheiden,  wobei  P/  den  dem 
Punkt  Pi  auf  @o  konjugierten  Punkt  bezeiclinet.  (Man  vergleiche 
Fig.  75  bis  78): 

Fall  I:  ^0  >  Ö, 

A)     F',^F,-<E,,     also     E,^F';^Fi 
Alsdann    ist   für   die   Möglichkeit   der   Konstruktion   eines   Feldes   der 
gegebenen  Art  offenbar  notwendig,  daß 

p,  <  p,  <  p; ; 

da  ja  aus   Q-<F,  folgt:    Q"  -<  P;'.     Diese  Bedingung  ist  aber  auch 
hinreichend 5   denn   wir   können   dann   Q   so  nahe  bei  P^  wählen,   daß 

^^^Ö"*  B)     E,^P,<P,. 

Dann  lautet  die  Bedingung  für  P^ 

P,<P,<Pi 
Denn  wir   können  dann   den  Punkt  Q  zwischen  P^  und  E^  so  nahe 
an  Eq  wählen,  daß  P2  ^  Q'^Pq- 

Fall  II:  ^0  <  ^• 

A)     P',^P,<E,. 

Hier  ist  es  nicht  möglich,  ein  Feld  der  gewünschten  Art  zu  kon- 
struieren; denn  für  jede  Lage  von  Q  zwischen  P',  und  P^  liegt  die 
Gerade  0^  außerhalb  des  Eckenwinkels.  ^ 

B)     E,<P,<Po,     also     P,<P:<Eo. 
Hier  lautet  die  Bedingung  für  P^: 

p,^p,<  p;. 

b)  Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz   für  ein  Feld  von  ge-  - 
brochenen  Extremalen :  ^) 

Wir  nehmen  jetzt  an,  unsere  Kurve  PjPoP^  l^^se  sich  mit  einem 
Feld  von  gebrochenen  Extremalen  0^+ oT  umgeben,  wobei  wir  der 
Einfachheit  halber  voraussetzen  wollen,  daß  die  Schar  (8)  aus  den 
durch  den  Punkt  Q  gehenden  Extremalen  gebildet  ist.  Wir  definieren 
dann  das  zugehörige  Feld-Integral  genau  wie  m  §31,b):  Ist  P^i^^y) 
irgend  ein  Punkt  des  Feldes,  so  geht  durch  ihn  eine  und  nur  eine  i  eld- 
extremale,  gebrochen  oder  nicht,  je  nachdem  P,  in  oT  oder  in  oTliegt. 

1)  Im  wesentlichen  nach  Caratheodoky,  loc.  cit. 


§  50.    Hinreichende  Bedingungen  für  diskontinuierliche  Lösungen.       385 

Das  Integral  J,  genommen  entlang  dieser  Extremalen  vom  Punkt 
Q  —  den  wir  in  der  folgenden  Untersuchung  mit  P^  bezeichnen  — 
bis  zum  Punkt  P3,  ist  dann  das  Feldintegral  ^  das  wir  wieder  mit 
W{x,y)  oder  u{t,a)  bezeichnen,  je  nachdem  wir  x,y  oder  t,a  als  die 
unabhängigen  Variabein  betrachten,  wobei  t,  a  das  Bild  des  Punktes 
P3  in  der  t,  a-Ebene  bedeutet. 

Dann  folgt  aus  den  in  §  49,  c)  über  die  Funktion  u{t,a)  erhal- 
tenen Resultaten  unmittelbar,  daß  die  Hamilton' sehen  Formeln  fl48) 
von  §  31  auch  im  Fall  eines  Feldes  von  gebrochenen  Extremalen  bestehen 
bleiben. 

Daraus  folgt  aber  weiter:  Aiich  der  Weierstraß'sche  Fundamental- 
satz behält  seine  Gültigkeit  für  ein  Feld  von  gebrochenen  Extremalen^ 
da  derselbe  eine  unmittelbare  Folge  der  Hamilton'schen  Formeln  ist 
(§32,a)). 

Bei  der  Anwendung  des  Satzes  tritt  aber  eine  Schwierigkeit  auf, 
die  bei  einem  Feld  von  kontinuierlichen  Extremalen  kein  Analogon 
hat:  Wie  wir  in  §  48,  c)  gesehen  haben,  verschwindet  die  8-Funktion 
im  Punkt  P^  außerordentlich,  wenn  nämlich  für  p,q^  und  ^,  f  die 
Richtungskosinus  der  beiden  zur  Ecke  P^  gehörigen  Fortschrei tungs- 
richtungen  6^,6^  eingesetzt  werden.  Die  Weierstraß'sche  Bedingung 
kann  also  gar  nicht  für  den  ganzen  Bogen  P^PqP^  in  der  stärkeren 
Form  (IV')  von  §  32,  b)  erfüllt  sein,  da  dies  sicher  im  Punkt  Po  nicht 
der  Fall  ist.  Ebenso  verschwindet  die  8-Funktion  in  jedem  Punkt 
der  Eckenkurve  außerordentlich.  Aus  diesem  Grunde  läßt  sich  auch 
das  Endresultat,  soweit  es  sich  auf  die  Weierstraß^sche  Bedingung 
bezieht,  nicht  so  einfach  aussprechen,  wie  im  Fall  einer  kontinuierlichen 
Lösung. 

Wir  fassen  zusammen: 

Es  sei  PiPqPs  eine  gebrochene  Extremale,  so  daß  also  im  Punkt 
Pq  die  Weierstraß'sche  Eckenbedingung  (2)  erfüllt  ist.  Ferner  sei 
entlang  P^P^P^   die  Leg endre' sehe  Bedingung   in  der  stärkeren  Form 

F^>  0,    resp.    F,>0  (IV) 

erfüllt,  und  es  sei  im  Punkt  P^: 

^0  +  0,  (12) 

sm(d,-e,)=^0.  (23) 

Endlich   werde   über   die  Lage  der  beiden  Endpunkte  P^,  P^  auf  den 
Extremalen  (S^  und  (g^  vorausgesetzt,  daß 

E,<P^^F„         P,^P,^P['  (35) 


336  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

sei.     Daraus  folgt  dann,  daß  die  Kurve  PiPo^g  ^^(^^  ^^*  ^^^^^^^  ^^^^ 
von  gehrocJienen  Extremalen  umgehen  läßt. 

Wenn  alsdann  die  Weierstraßsche  Bedingung  entlang  allen  Ex- 
tremalen des  Feldes  in  der  stärkeren  Form  (IT)  erfüllt  ist  (mit  Aus- 
nahme der  PunMe  der  EcUnhirve),  so  liefert  die  gebrochene  Extremale 
PiPqP^  /'^^*  clas  Integral  J  ein  starkes,  eigentliches^)  Minimum. 
c)  Beziehungen  zwischen  der  Größe  5^o  und  der  8-Funktion'^): 
Nach  den  Resultaten  von  §  50,  a)  scheint  es,  als  ob  im  Fall 
Sl  >0  auch  dann  noch  ein  Minimum  eintreten  müßte,  wenn  die 
Punkte  Pi  und  Pg  statt  den  Ungleichungen  (35)  den  weniger  starken 
Einschränkungen 

p;  <  A  <  E„      Po<P,-<  p:, 

oder  _         ^, 

E,<P,<  Po,         Po<P2<  K 

unterworfen  werden. 

Dies  steht  aber  in  direktem  Widerspruch  mit  den  früher  als  not- 
wendig nachgewiesenen  Bedingungen  (29)  und  (30).    Der  Widerspruch 
löst  sich  dadurch,  daß  die  Voraussetzung  5^o  >  0  mit  der  Weier^traß-      | 
sehen   Bedingung   (IV)    unvereinbar   ist,    wie   sich   aus   der  folgenden 
Beziehung  zwischen  der  Größe  5^o  und  der  8-Funktion  ergibt: 

Der   Einfachheit  halber   sei   die   Extremale  ©«   ^^^^^   ^i®  Bogen-      | 
länge  s  als   Parameter  dargestellt 

@o:        X  =  x(s),        y  =  y(s). 
Führt  man  jetzt  in  die  8-Funktion  für  die  beiden  ersten  Argumenten- 
paare: x{s\  y{s),  x\s),  y\s)  ein  und  setzt  zur  Abkürzung 

8>(x{s),y{s)',  x\s),y\sy,  cosö,sinö)  =  8(5,0), 
so  folgt  durch  Differentiation  nach  s,  bei  Benutzung  der  Definitions- 
gleichung   (120)    von   §  30  für   die   8-Funktion  und  der  Differential- 
gleichungen der  Extremalen  ©^  i»  ^^^  ^^^^  (20)  , von  §  26: 

g^(^s,  6)  =  x\s)F,  +  y{s)Fy  -  cos  OF,  -  sin  ei\, 
wobei  die  Argumente  vonP,,P;  sind:  x(s\  y(s),  x\s\y\s),  diejenigen 
Yon  F^,F',  x{s\y(is\co8d,8me. 

Für  den  Punkt  Pq  folgt  hieraus  die  wichtige  von  Dresden  her- 
rührende Relation  zwischen  der  Größe  5^o  und  der  8-FunUion: 

ß,  =  ^^  S(x{s),  yis);  x\s\  y\s)',  cos  6,,  sinÖo)""'".  (36) 

^rVgTcARATHUODOBr,  Mathematische  Aunalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  480. 
2)  Nach  Dresden,  loc.  cit.  p.  485. 


§  50.    Hinreichende  Bedingungen  für  diskontinuierliche  Lösungen.       387 

Nun  ist  nach  (3):  8(X;Öo)  =  0;  ist  daher  h  eine  kleine  positive 
Größe,  so  ist 

8(s„-/«,ö„)  =  -ß„Ä+Ä(A); 

also  schließen  wir:   Wmn  auf  dem  Bogen  P^P^  die   Weierstraß'sche 
Bedingung  (IV)  für  ein  Minimum  erfüllt  ist,  so  muß 

sein. 

Zugleich  ergibt  sich  aus  der  Gleichung  (36)  ein  einfacher  Beweis^) 
des  folgenden  Satzes  von  Caratheodory: 

Hört  eine  hontinuierliche  Extremale  ©^  in  einem  Punht  P^  auf 
stark  m  sein,  so  gibt  es  eine  durch  den  Punkt  Pq  gehende  Richtung  Öq, 
welche  zusammen  mit  der  Tangentenrichtung  6^  der  Extremalm  ©^  der 
W  ei  er  Straß' sehen  Eckenhedingung  genügt. 

Denn  unsere  Voraussetzung  sagt  aus,  daß 

S,{s,-hj)>0 

für  alle  hinreichend  kleinen  positiven  Werte  von  h  und  für  beliebige 
I  Werte  von  9,  daß  diese  Ungleichung  aber  nicht  mehr  für  alle  Werte 
von  e  stattfindet  für  h  =  0.  Dabei  ist  die  Funktion  S^is^d)  aus  der 
Funktion  8^  von  §  32,  b)  in  derselben  Weise  abgeleitet  wie  8  (s,  6) 
aus  der  8-Funktion.  Überdies  wird  angenommen,  daß  auch  noch  im 
Punkt  Po  die  Legen dre'sche  Bedingung  in  der  stärkeren  Form  i^j  >0 
erfüllt  ist. 

Nach  dem  Yorzeichensatz  für  stetige  Funktionen  schließt  man 
dann  aus  dem  ersten  Teil  unserer  Voraussetzung,  daß  %^{Sq,6)^0 
sein  muß  für  alle  ö;  aus  dem  zweiten  Teil  derselben  folgt  daher 
daß  es  mindestens  eine  wegen F^ (s^)  >  0  von  6^  verschiedene  Richtung  d^ 
geben  muß,  für  welche  %^{Sq,  6^=0]   also  ist  auch:   %{Sq,  6^  =  0. 

Daher  ist 

^(^0  -hÖ,^  /.)  =  -  ^0^^  +  h{s,,  e,)k  +  ah  4-  ßk, 
wo    «und    ß    mit    h    und    k    unendlich    klein    werden.      Wäre  nun: 
^öK?^o)4=Ö?  so  könnte  man  h>0  und  k  so  wählen,  daß:   S(sQ  —  h, 
^0  +  k)  <Z0  ausfallen  würde,  was  gegen  unsere  Voraussetzung  verstößt. 
Somit  muß:  8^(50,  Öq)  =  0  sein,  und  damit  ist  nach  (3)  bewiesen,  daß 

die  beiden  Richtungen  Ö^,  Ö^  in  der  Tat  der  Weierstraß^schen  Ecken- 
bedingung genügen. 

^)  Nach  Drksden,  Joe.  cit.  p.  486. 


33g  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

Weiter  folgt  noch,  daß,  wenn  5^o  4=  0,  die  8-Funktion  beim  Durch- 
gang   durch   den   Punkt   Pq  auf  der  Extremalen  (Bq   stets  ihr  Zeichen      | 
wechselt. 

d)  Der  Ausnahmefall  5^^  =  0: 

Wenn  ß^  =  0,  so  können  wir  nicht  mehr  zu  einer  gegebenen  Extremalen-  . 
schar  (8)  in  eindeutiger  Weise  eine  komplementäre  Schar  konstruieren,  und  da-  | 
mit  wird  die  Theorie  der  konjugierten  Punkte  hinfällig.  Trotzdem  lassen  sich  | 
auch  in  diesem  Fall  hinreichende  Bedingungen  aufstellen. 

Dazu   betrachten   wir  allgemein  (d.  h.  unabhängig    von  einer  bestimmten 
Voraussetzung  über   Sl^)   die  folgende  Aufgabe,    welche    bei   Caratheodory  (loc. 
cit.  §  6)  den  Ausgang  der  ganzen   Untersuchung  über  Scharen  gebrochener  Ex-      i 
tremalen  bildet : 

Für  einen  in  der  Nähe  von  F^  gegebenen   Funlt  P(x,y)  zwei  Richtungen 
e,  e  zu  bestimmen,  ivelche  der  Weierstraß'schen  Eckenbedingung  (2a)  genügen.       j 
Man  zeigt  leicht  mittels  des  Satzes  über  implizite  Funktionen,  daß  die  Auf-      j 
gäbe  unter  unsern  Voraussetzungen  stets  eine  eindeutige  Lösung  besitzt,  voraus-      \ 
gesetzt,   daß   die  Ungleichung  (23)   erfüllt  ist.     Die  beiden  Richtungen  seien 

Q  =  e{x,y),  e  =  d{x,y). 

Man  kann  dann  nach  §  27,  a)  eine  gebrochene  Extremale  konstruieren,  welche 
im  Punkt  P  ihre  Ecke  hat.  Läßt  man  jetzt  den  Punkt  P  eine  gegebene,  durch 
den  Punkt  J^o  gehende  Kurve  ^  beschreiben,  so  erhält  man  eine  einparametrige  Schar 
von  gebrochenen  Extremalen,  welche  die  Kurve  1\P,P^  enthält,  und  welche  die 
gegebene  Kurve  ^  zur  Eckenkurve  hat.  Man  zeigt  dann  weiter,  daß  für  diese 
Schar  ,  . 

vorausgesetzt  daß  die  Kurve  ©  im  Punkt  P«  keinen  der  beiden  Bogen  P^P„P,P^ 
berührt.  Daraus  folgt,  daß  die  Schar  von  gebrochenen  Extremalen  mit  der  ge- 
gebenen Eckenkurve  S  wenigstens  für  die  Umgebung  des  Punktes  P,  ein  Feld 
bildet.  Für  dieses  gilt  dann  wieder  der  Weierstraß'sche  Satz  und  die  sich 
daran  knüpfenden  Folgerungen.  Man  beachte,  daß  es  bei  dieser  Ableitung  nicht 
nötig  war,  vorauszusetzen,  daß  ß„  4=  ^• 

Man  kann  sich  nun  weiter  nach  Carathkodory  (loc.,  cit.  §  8)  die  Aufgabe 
stellen,  eine  Kurve  zu  konstruieren,  welche  die  Eigenschaft  hat,  daß  in  jedem 
ihrer  Punkte  die  positive  Tangentenrichtnng  mit  der  zu  demselben  Punkt  ge- 
hörigen Richtung  e{x,y)  übereinstimmt.  Führt  man  die  Bogenlänge  als  Para- 
meter ein,  so  ist  eine  solche  Kurve  einfach  durch  die  Differentialgleichungen 

^  =  cos(ö(a;,2/)),  '[^  =  sin  (0  (;r,  2/))  (37) 

ds  "* 

charakterisiert.  Aus  den  Existenztheoremen  über  Differentialgleichungen  folgt, 
daß  man  durch  jeden  Punkt  in  der  Umgebung  von  P,  eine  und  nur  eme  solche 
,ß-Kurv&^  konstruieren  kann.  Es  gibt  also  eine  einfach  unendliche  Schar  solcher 
6 -Kurven. 


§  51.    Diskontinuierliche  Variationsprobleme.  389 

Ebenso  gibt  es  eine  Schar  von  „d-Kurven",  deren  positive  Tangenten- 
richtung  in  jedem  ihrer  Punkte  mit  der  zu  demselben  Punkt  gehörigen  Richtung 
ö  li  berein  stimmt. 

Hieran  knüpft  sich  die  Frage  i):  Urder  iv eichen  Bedingung en  ist  eine  6 -Kurve 
zugleich  eine  Extremale'^  Man  findet  als  notwendige  und  hinreichende  Be- 
dingung, daß  die  Funktion 

Sl  {x,  y)  =  cos  d  F^  ix,  y,  cos  ö,  sin  0)  -f  sin  6  Fy  {x,  y,  cos  ö,  sin  öl 
—  cos  öi^^^(a;,  y,  cos  ö,  sin  Q)  —  &\neFy{x^  y,  cos  ö,  sin  0), 

in  welcher  0,  ö  durch  die  Funktionen  e{x,y),  ~e{x,y)  zu  ersetzen  sind,  entlang 
der  betreffenden  Ö-Kurve  verschwindet. 

Wenn  eine  Extremale  mit  einer  Ö-Kurve  zusammenfällt,  so  ist  jeder  ihrer 
Punkte  Ecke  einer  möglichen  diskontinuierlichen  Lösung,  in  direktem  Gegensatz 
zu  dem  für  den  Fall  i2,  4=  0  gefundenen  Resultat  (§  49,  a)).  Von  besonderem 
Interesse  ist  der  Fall,  wo  9.{x,y)  identisch  in  x,  y  verschwindet.  Alsdann  ist 
jede  Ö-Kurve  einerseits,  und  jede  Ö-Kurve  andererseits  zugleich  Extremale. 
Man  erhält  also  zwei  bestimmte  Extremalenscharen :  die  eine,  mit  der  Schar 
der  Ö-Kurven  identisch,  enthält  den  Bogen  P^  P^ ,  die  andere,  mit  der  Schar  der 
ö- Kurven  identisch,  enthält  den  Bogen  P^P^^.  Aus  beiden  kann  man  auf  unend- 
lich viele  Arten  Scharen  gebrochener  Extremalen  zusammensetzen,  indem  man 
eine  beliebige  durch  P^  gehende  Kurve  S  als  Eckenkurve  wählt  und  durch  jeden 
ihrer  Punkte  einerseits  die  Ö-Kurve,  andererseits  die  Ö-Kurve  zieht. 

Beispiel  XIX  (Siehe  p.  370). 

In  dem  speziellen  Fall,  wo  a  eine  Konstante,  ist  die  Funktion 


F  = 


'^  +  2/' 


aYx^  -\-y"^^-\-x 

von  X  und  y  unabhängig,  also  ist  hier  Sl  {x,  y)  ~  0.  Für  die  Lösung  P^  P^  P^ 
von  Fig.  73  sind  die  beiden  ausgezeichneten  Extremalenscharen  die  beiden 
Scharen  paralleler  Geraden  von  der  Amplitude  jS  und  —  ß.  Brennpunkte  sind 
hier  nicht  vorhanden.  An  der  Indikatrix  (Fig.  72)  liest  man  ab,  daß  die  Be- 
dingungen (IP)  und  (IV)  entlang  allen  Extremalenscharen  des  Feldes  erfüllt  sind. 
Man  erhält  daher  ein  starkes,  aber  uneigentliches  Minimum.  2) 

§  51.     Diskontinuierliche  Variationsprobleme. 

Wir  haben  in  den  vorangegangenen  Paragraphen  diskontinuierliche 
Lösungen  von  kontinuierlichen  Variationsproblemen  betrachtet.  Die 
mathematische  Physik  liefert  jedoch  auch  Beispiele^  bei  welchen  dis- 
kontinuierliche Lösungen  dadurch  entstehen,  daß  das  vorgelegte  Variations- 
proUem    selbst    disl^ontiniüerlich    ist,    bei    welchen    also    die    Funktion 

*)  Vgl.  Caratheodory,  loc.  cit.  §  8. 

-)  Hierzu  weiter  die   Übungsaufgabe  Nr.  29  am  Ende  von  Kap.  IX. 


390  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

F{x,yyX,y')  als  Funktion  ihrer  vier  Argumente  in  dem  in  Betracht 
kommenden  Bereich  Unstetigkeiten  erleidet. 

Dies  tritt  z.  B.  ein  bei  dem  Problem  der  Brechung  des  Lichtes. 
Die  Fortpflanzung  des  Lichtes  in  einem  durchsichtigen  Medium  (oder 
einem  System  von  solchen)  von  einem  Punkt  Pj  nach  einem  Punkt 
Pg  erfolgt  in  der  kürzesten  möglichen  Zeit,  d.  h.  also  entlang  der- 
jenigen Kurve,  welche  das  Integral^) 
i 

zu  einem  Minimum  macht,  wobei  n{x,y,z)  den  absoluten  Brechungs- 
exponenten des  Mediums  im  Punkt  x,y,z  bedeutet. 

Hat  dabei  der  Lichtstrahl  durch  brechende  Flächen  zu  passieren, 
so  erleidet  die  Funktion  n{x,y,2)  an  diesen  Flächen  Unstetigkeiten, 
man  hat  es  also  in  der  Tat  mit  einem  „diskontinuierlichen  Variations- 
problem" zu  tun.  Man  hat  dann  das  Integral  J  in  eine  Summe  von 
Integralen  zu  zerlegen,  entsprechend  den  verschiedenen  Medien,  durch 
welche  der  Lichtstrahl  zu  gehen  hat.  Ist  die  Funktion  n  von  z  un- 
abhängig, und  liegen  die  beiden  Punkte  P^  und  Pg  in  der  x.y-'Ehene, 
so  liegt  auch  die  Bahn  des  Lichtes  in  der  x,  «/-Ebene,  und  das  Problem 
reduziert  sich  auf  den  einfachsten  Typus. 

Die  Theorie  solcher  diskontinuierlichen  Probleme  ist  von  Bliss 
und  Mason^)   entwickelt   worden,   worüber   hier   noch   kurz   berichtet 

werden  soll. 

Das  Problem  wird  folgendermaßen  formuliert: 

Unter  allen  Kurven,  welche  zwei  auf  entgegengesetzten  Seiten  einer 
gegebenen  Kurve  U  liegende  PunUe  P^  und  P^  verbinden  und  die  Kurve 
^  nur  ein  einziges  Mal  Jcreuzen,  diejenige  zu  bestimmen,  tvelche  die 
Summe  der  beiden  Integrale 

J=fFix,y,x\y')dt,       ^y 

J  =fF{x,y,x,y)dt 

zu  einem  Minimum  macht,  wobei  das  erste  Integral  vom  Punkt  P^  bis 
zur  Kurve  %  das  ziveite  von  ^  bis  zum  PunU  P^  zu  nehmen  ist. 

1)  Vgl.  die  Übungsaufgabe  Nr.  18  auf.  p.  299  und  die  dort  gegebenen 
Literaturnachweise. 

2)  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society,  bd.  Vii 
(1906)  p  325.  Kurze  Andeutungen  über  diskontinuierliche  Probleme  hatte 
übrigens  schon  vorher  Hilbeut  in  seinen  Vorlesungen  (1904/5)  gegeben;  insbesondere 
rührt  die  Eckenbedingung  (39)  von  Hilbert  her. 


§51.    Diskontinuierliche  Variationsprobleme. 


391 


Man  zeigt  zunächst  in  bekannter  Weise,  daß  die  gesuchte  Kurve 
F^PqP^,  wobei  Pq  den  Schnittpunkt  mit  der  Kurve  ^  bedeutet,  aus 
einem  Extremalenbogen  Pj  P^  für  das  Integral  J 
und  aus  einem  Extremalenbogen  Po  ^2  ^^^  ^^^ 
Integral  J  bestehen  muß,  und  daß  für  jeden  der 
beiden  Bogen  die  Bedingungen  von  Legendre, 
Jacobi  und  Weierstrass  erfüllt  sein  müssen. 
Wir  setzen  dieselben  in  der  stärkeren  Form 
(ir),  (Iir);  (1^')  voraus. 

Weiter  ergibt  sich  dann  zur  Bestimmung 
der  Lage  des  Punktes  P^  auf  der  Kurve  ^ 
eine  Bedingung,  die  man  am  einfachsten  daraus 
ableitet,  daß  die  Funktion^) 


^{x^,y^,x{a),y{a))  +  ^{x{a),y{a),x^,y^) 


Fig.  83. 


als  Funktion  von  a  für  a 


ein  Minimum  besitzen  muß,  wenn  die 


(39) 


Kurve  ^  dargestellt  ist  durch  die  Gleichungen 

^:  X  =  x(a),         y  =  y(a) 

und  dem  Punkt  P^  der  Wert  a  =  a^  entspricht.     Nach  den  Formeln 
(18)  von  §  37  erhält  man  hieraus  die  „Echenbedingimg" 

FA^o,yo,Po,%)Po  +  FA^o,yo,Poy%)äo  ■ 

F^,  {x^  ,yo,Poy  Qo)Po  +  ■^y'  K  ,%,Po^  äo)  g'o : 
dabei  bedeuten Po,  g^;  p^^  q^'^p^,  %  der  Reihe  nach  die  Richtungskosinus 
der  positiven  Tangente   an   die  Kurven  P^P^-^  P^P^-^^  im  Punkt  P^. 

Es  wird  dann  weiter  die  Extrem alenschar  (für  das  Integral  J) 
durch  den  Punkt  P^  betrachtet.  Ist  @  eine  dem  Bogen  P^P^  benach- 
barte Extremale  dieser  Schar  und  P3  ihr  Schnittpunkt  mit  t,  so  kann 
man  stets  von  Pg  aus  eine  Extremale  (g  (für  das  Integral  J)  kon- 
struieren, welche  in  P3  mit  @  die  Eckenbedingung  (39)  erfüllt,  voraus- 
gesetzt, daß  der  Extremalenbogen  P^P^  die  Kurve  ^  im  Punkt  P^ 
nicht  berührt. 

Man  erhält  so  ganz  ähnlich  wie  in  §  49  eine  zur  Extremalen- 
schar  durch  P^  „komplementäre  Extremalenschar*^,  welche  mit  jener 
zusammen  eine  Schar  von  „gebrochenen  Extremalen^'  bildet.  Für  diese 
letztere  Schar  gelten  dann  wieder  die  Formeln  (144)  und  (146)  von 
§  31  für  die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion  u{t,a),  da  die  wegen 
der  ünstetigkeit  an  der  Kurve  ^  neu  auftretenden  Glieder  sich  infolge 
der  Eckenbedingung  (39)  wegheben.    Daraus  folgt  dann,  daß  einerseits 

\)  Vgl.  §  .87,  b). 


392  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

der  Enveloppensatz  von  §44,c)  mit  seinen  Folgerungen  auch  liier 
bestellen  bleibt  und  andererseits  der  Weierstraß^sche  Fundamental- 
satz mit  seiner  Anwendung  auf  die  Herleitung  hinreichender  Be- 
dingungen.^) 

§  52.    Randbedingungen  bei  Problemen  mit  Gebietseinschränkungen. 

Bei  unseren  bisherigen  Untersuchungen  haben  wir  stets  voraus- 
gesetzt, daß  die  gesuchte  Kurve  ganz  im  Innern  des  Bereiches  01 
der  x,tj-^hene  liegen  sollte,  auf  welchen  die  Vergleichskurven  be- 
schränkt waren.^)  Es  kann  aber  auch  Lösungen  unseres  Variations- 
problems geben,  welche  Punkte  mit  der  Begrenzung  des  Bereiches 
01  gemein  haben.  Wir  stellen  uns  jetzt  die  Aufgabe,  diese  Lösungen 
zu  bestimmen;  dabei  wird  sich  zugleich  eine  neue  Art  von  diskon- 
tinuierlichen Lösungen  ergeben. 

a)  Die  Weierstraß'sche  Randbedingung: 

Die  hierzu  nötigen  Überlegungen  gestalten  sich  besonders  einfach 
für  die  Aufgabe,  das  Integral 

J -ff{x,y,y')dx  (40) 

Xi 

unter  den  in  §  3  aufgeführten  Voraussetzungen  zu  einem  Minimum 
zu  machen. 

Dabei  ist  es  bequem,  von  der  Vorstellung  einer  punktweisen 
Variation  einer  Kurve  Gebrauch  zu  machen,  welche  in  der  älteren 
Variationsrechnung  eine  wichtige  Rolle  gespielt  hat: 

Zwischen  zwei  Kurven 

und  ^  /  \    ,      /  \ 

^'        y  =  yioc)  +  cD{x) 

können  wir  eine  ein-eindeutige  Beziehung  herstellen,  indem  wir  je 
zwei  Punkte  mit  derselben  Abszisse  x  sich  entsprechen  lassen;  und 
wir  können  uns  vorstellen,  daß  die  zweite  Kurve  aus  der  ersten  durch 
eine  stetige  Deformation  entstanden  ist,  bei  welcher  jeder  einzelne 
Punkt  sich  nach  einem  bestimmten  Gesetz  entlang  seiner  Ordinate 
bewegt,  z.  B.  indem  wir  in 

y{x)  -{-  aG)(x) 

den  Parameter  a  von  0  bis   1  wachsen  lassen. 

1)  Hierzu  die  llhungsaufyabe  Nr.  32  am  Ende  von  Kap.  IX. 

2)  Vgl.  §a,  a)  und  §25,b),  insbesondere  die  Bemerkungen  auf  pp.  16,  17. 


I 


§  52.    Randbedingungen  bei  Problemen  mit  Gebietseinschränkungen.     393 

Ein  Punkt  von  ^q,  dessen  Abszisse  x'  ist,  heißt  frei  variierhar 
in  Beziehung  auf  ein  vorgelegtes  Variationsproblem,  wenn  (ü(x')  be- 
liebige hinreichend  kleine  Werte  annehmen  darf;  andernfalls  heißt  er 
unfrei. 

Bei  einer  Kurve,  welche  ganz  im  Innern  von  01  liegt,  sind  beim 
Problem  mit  festen  Endpunkten  alle  Punkte  mit  Ausnahme  der  End- 
punkte frei  variierbar;  und  diese  freie  Variierbar keit  war  bei  den 
Schlüssen  von  §  5  wesentlich.  Anders  verhält  es  sich  bei  einer  Kurve, 
welche  Punkte  mit  der  Begrenzung  von  01  gemein  hat.  Der  Ein- 
fachheit halber  wollen  wir  voraussetzen,  daß  die  Begrenzung  von  01, 
auch  „Schranl-e"  genannt,  einen  Bogen  (J  enthält,  welcher  in  der 
Form 

ß:         y  ==  fj(x) 

darstellbar  und  von  der  Klasse  C"  ist.  Dieser  Bogen  S  soll  selbst 
mit  zu  01  gehören,  und  ebenso  mögen  alle  Punkte,  welche  über^) 
der  Kurve  &  und  in  einer  gewissen  Umgebung  von  d  liegen,  zu  01 
gehören.  Wenn  dann  die  Kurve  (^^  einen  Punkt  mit  d  gemein  hat, 
so  ist  die  Variation  dieses  Punktes  nicht  mehr  frei,  sondern  der  Be- 
dingung 

unterworfen. 

Nach  diesen  Vorbemerkungen  wollen  wir  jetzt  annehmen,  die 
Kurve  ^q,  welche  das  Integral  J  zu  einem  Minimum  macht,  setze  sich 
aus  drei  Stücken  zusammen:  aus 
zwei  Bogen  P^P^^  P^P^^  welche, 
abgesehen  von  den  Punkten  Pg  und 
P4,  ganz  im  Innern  von  01  liegen, 
und  aus  dem  Segment  P3P4  der 
Begrenzung  ß  von  01. 

Dann  zeigt  zunächst  die  schon 
in   §  48,  a)    benutzte   Methode    der 
partiellen  Variation,  daß  die  beiden 
„freien •''    Bogen    P^P^    und 
Extremalen  sein  müssen. 

Sodann    betrachten    wir    eine 
zulässige  Variation  von  der  speziellen  Form 

y  =  y{x)  +  8ri{x), 

bei    welcher    die    beiden   Bogen   P^P^   und   P^P^   ungeändert   bleiben 
und  nur  das  Stück  P^P^  variiert  wird.     Die  Funktion  ri{x)  ist  daher 
^)  Ein  Punkt  x,y  liegt  „über"  dem  Bogen  g,  wenn  y>y{x). 


w  frr)  >  0 


P  P 


Fig.  84. 


394  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliclie  Lösungen. 

identiscli  Null  in  [oc^O[)g]  und  [^4^*2],  während  in  [x^x^]  nach  der  oben 
gemachten  Bemerkung:  srj(x)  ^  0  sein  muß.  Die  Funktion  7](x)  darf 
also  in  [x^x^  ihr  Zeichen  nicht  wechseln;  wählen  wir:  rj{x)^0,  so 
darf  somit  die  Konstante  £  nur  positive  Werte  annehmen.  Daher 
können  wir  jetzt  aus  der  Ungleichung^) 

nicht  mehr  schließen:  J'(P)  =  0,  sondern  nur:  J\0)  ^  0. 

Nach  Ausführung  der  partiellen  Integration  von  §  5,  a)  erhalten 
wir  daher  x^ 

fniI-.-fM<ix^o,  (41) 

wobei  die  Argumente  von  fy,f],>  sind  x,y{x),  y'{x).  Diese  Ungleichung 
muß  erfüllt  sein  für  alle  JFunktionen  ?j  der  Klasse  C\  welche  in  ^^3 
und  Xj^  verschwinden  und  überdies  der  Bedingung 

genügen. 

Die  in  §  5,  b)  zum  Beweis  des  Fundamentallenimas  der  Variations- 
rechnung angewandte  Schlußweise  führt  jetzt  zu  dem  Satz: 

Wenn  die  Kurve,  welche  das  Integral  (40)  zu  einem  Minimum 
macMy  ein  Segment  P3P4  mit  der  Begrenzung  S  des  Bereiches  öl  gemein 
hat,  dann  muß  entlang  diesem  Segment  die  Bedingung  erfüllt  sein 

fy  —  -T-fy'  <  ^j  wenn  Öl  unter  F^  P^  liegt. 

Das  erhaltene  Resultat  läßt  sich  nun  unmittelbar  auf  den  Fall 
übertragen^),  wo  das  Integral 

J==jF{x,y,x\y')dt       y  (48) 

zu  einem  Minimum  zu  machen  ist,  und  wo  sowohl  die  zulässigen 
Kurven  als  die  Kurve  S  in  Parameterdarstellung  gegeben  sind. 

Denn  ist  P  irgendein  Punkt  des  Bogens  P3P4,  so  kann  man 
stets  durch  eine  Drehung  des  Koordinatensystems  erreichen,  daß  im 
Punkt  P:  X  >0.  Dann  läßt  sich  die  Kurve  S  in  der  Umgebung 
von   P  in   der  Form  y  =  y{x)   darstellen,    und  man  kommt  auf  das 

^)  In  der  Bezeichnung  von  p.  20;  vgl.  Gleichung  (21)  auf  p.  21. 
*)  Vgl.  die  Bemerkungen  am  Ende  von  §  25,  e). 


§  52.    Randbedingungen  bei  Problemen  mit  Gebietseinschränkungen.     395 

frühere  Problem  zurück.  Es  muß  daher  im  Punkt  P  die  Ungleicliung' 
(42)  erfüllt  sein,  aus  welcher  mit  Hilfe  der  Gleichungen  (16)  und 
(23)  des  fünften  Kapitels  die  Weierstraß'sche  Randbedingung^)  für 
ein  Minimum  für  den  Fall  der  Parameter  dar  Stellung  folgt: 

i^<0(^0),  (44) 

wenn   der   Bereich   öl   zur  Linken  (Rechten)  des  Bogens  P^P^  liegt; 

dabei  bedeutet  T  den  Ausdruck  (23  a)  von  §  26,  berechnet  für  die 
Kurve  S. 

Wenn  entlang  dem  Bogen  P^P^  der  Kurve  g  die  Funktion  F^ 
positiv  ist,  so  gestattet  das  vorangegangene  Resultat  eine  einfache 
geometrische  Beutung:  Alsdann  können  wir  nämlich  nach  §  27,  a)  durch 
jeden  Punkt  P  von  P^P^  eine  und  nur  eine  Extremale  @  konstruieren,, 
welche  die  Kurve  S  in  P  gleichsinnig  2)  berührt.  Führen  wir  dann 
in  den  Ausdruck  für  T  die  Krümmung  1/f  von  S  im  Punkt  P  ein 
und  bezeichnen  mit  1/r  die  Krümmung  der  Extremalen  @  im  Punkt 
P,  so  können  wir  unter  Benutzung  von  Gleichung  (23b)  von  §  26 
die  Bedingung  (44)  auch  schreiben: 


r^f 


1  /—  1 


(^1) 


(45) 

Für  den  Fall,  wo  Öl  zur  Linken  des  Bogens  P^P^  liegt,  folgt 
hieraus: 

Wenn:  r  >  0,  d.  h.  wenn  der  Vektor  vom  Punkt  P  nach  dem 
Krümmungsmittelpunkt  M  von  S  zur  Linken^)  der  positiven  Tangente 
an  S  in  P  liegt,  so  muß  auch  r  positiv  sein^ 

und  der  Krümmungsmitteipunkt   M  der   Ex-        X,^  ^ 

tremalen   (S   muß   zwischen  P   und  M  liegen  \\  ^ 

(oder  mit  M  zusammenfallen).     (Fig.  85). 

Wenn  dagegen:  f  <  0,  d.  h.  wenn  der 
Vektor  PM  rechts  von  der  positiven  Tangente 
liegt,  so  muß  M  entweder  (Fig.  86)  auf  der 

^)  Von  Weierstrass  direkt  für  den  Fall  der 
Parameterdarstelliing  abgeleitet,  Vorlegungen  1879; 
vgl.  Knesär,  Lehrbuch  p.  177  und  'Qoi.zK.Lectures,  Mg.  85. 

§  29,  a).  Zum  obigen  Beweis  beachte  man  noch,  daß  nach  Gleichung  (39) 
von  §  45  die  Größe  T  bei  einer  Drehung  des  Koordinatensystems  invariant 
bleibt. 

^)  D.  h.  so,  daß  die  positiven  Tangenten  beider  Kurven  zusammenfallen 
')  Vgl.  p.  192. 


396  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

entgegengesetzten  Seite  der  Tangente  liegen  wie  31  (wenn  nämlicli 
r  >  o",  oder  aber  (Fig.  87)  auf  derselben  Seite,  aber  jenseits  M  (oder 
mit  M  zusammenfallen). 

In  allen  Fällen 
muß  also  die  Extre- 
male @  in  der  Umgebung 
des  Punlites  P  ganz  im 
Bereich  Öl  liegen,  ein 
Resultat,  das  sicli  nach 
den  Existenztheoremen 
von  §  33  a  priori  er- 
warten läßt. 

Im  Fall  des  Maxi- 
mums    (statt   Minimums)    sind    die   Zeichen   ^   in   >   umzukehren. 

b)  Die  Weierstraß'sche  Bedingung  in  den  Übergangspunkten: 

Neben  der  Bedingung  (44),  die  entlang  dem  Bogen  P3P4  erfüllt 
sein  muß,  ergibt  sich  aus  der  Betrachtung  der  ersten  Variation  noch 
je  eine  Bedingung  für  die  Punkte  P.  und  P^,  in  welchen  die  gesuchte 
Kurve  die  Begrenzung  S  von  61  trifft,  resp.  verläßt. 

Die  Grenzkurve  d  sei  durch  die  Gleichungen 
g:  X  =  x{a),      y  =  y{a),       A^<^a~^  A^ 

dargestellt  und  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  von  der  Klasse  G".     Die 
Punkte  P3  und  P^  mögen  den  Werten  a  =  a^  und  a  =  a^  entsprechen, 


Fig.  80. 


Fig.  87. 


und  es  sei 


^3  <  %  <  f*4  <  A- 


Um  die  Bedingungen   in  Pg  zu  erhalten,   beachten   wir,   daß   die 
Funktion  «4 

3  (^1,  Vi,  ^'i^^y  2/(^))  -^jF{x{a\  y{a),  xia),  y'{a))da 

für  a  =  »3  ein  Minimum  besitzen  muß,  was  auf  Grund  der  Formeln  (18) 
von  §  37  sofort  zu  der    Weierstraß'schen  Bedingung^)  führt: 
Im   ÜbergangspunU  P3  muß  die  Bedingung 

erfüllt  sein,  wobei  p,,  ^3  ^^^  2h,  kz  die  Richtungskosinus  der  positiven 
Tangenten  im  Punkt  P3  an  die  Extremale  F^F^,  beziehungsweise  an 
die  Kurve  £  bedeuten. 


1)  Weierstrass,  Vorlesungen,  1879.    Vgl.  die  Übungsaufgabe  Nr.  33  am  Ende 
von  Kap.  IX. 


§  52.    Randbedingungen  bei  Problemen  mit  Gebietseinschränkungen.     397 


Wendet  man  dasselbe  Verfahren  auf  den  Punkt  P^  an,  so  erhält 
man  das  Resultat,  daß  im  PunM  F^  die  analoge  Bedingung 


^(^4.2/45  ihyQAi  iu,id  =  ^ 


(47) 


erfüllt  sein  muß,  wobei  p^,  q^  und  p^^  q^  die  Richtungskosinus  der 
positiven  Tangenten  im  Punkt  P^  an  die  Extremale  P4P2;  beziehungs- 
weise an  die  Kurve  ß  bedeuten. 

In  dem  besonderen  Fall,  wo  das  Problem  entlang  der  Grenz- 
kurve S  „regulär^^^)  ist,  folgt  aus  Gleichung  (125)  von  §  30,  daß  die 
beiden  Gleichungen  (46)  und  (47)  nur  erfüllt  sein  können,  wenn 

P3=P3^  %  =  ^3;    i'4  =  Ihy  ^4  =  ^4; 

"das  heißt  aber:  Bei  einem  entlang  der  Grenzkurve  d  regulären  Problem 
müssen  die  leiden  Extremalenbogen  P^Pg  und  P^P^  die  Grenzkurve  S 
im  Punkte  P^,  beziehungsweise  P^  gleichsinnig  berührend) 

Beispiel^  XX: 

In  der  ic,i/- Ebene  sei  eine  einfache,  geschlossene  Kurve  ß  von  der  Klasse  C" 
gegeben,  und  zwei  Punkte  F^  und  P^,  deren  Verbindungsgerade  die  Kurve  6 
schneidet.     Unter  allen  Kurven,  welche  die  beiden  Punkte  P^  und  P^  verbinden 


')  Vgl.  §  27,  a). 

-)  Weierstrass  behandelt  auch  den  Fall,  wo  die  gesuchte  Kurve  der  Be- 
dingung unterworfen  wird,  mit  der  Begrenzung  ^  nur  einen  einzigen,  nicht  vor- 
gegebenen Punkt  Pq  gemein  zu  haben.  Durch  2 
ein  dem  obigen  ganz  analoges  Verfahren  (siehe 
Fig.  88)  findet  man  leicht,  daß  im  Punkt  P^  die 
Bedingung 

erfüllt  sein  muß,  wenn  Po>  %-^Po,%'^  Po^  %  der 
Reihe  nach  die  Richtungskosinus  der  positiven 
Tangenten  der  Kurven  Pj  P^,  P^P^^ii.  im  Punkt  P„ 
bedeuten. 

Weierstkass  selbst  gibt  die  Bedingung  in 
der  folgenden  Form,  die  sich  leicht  aus  (48) 
ableiten  läßt: 


sin  (J,  :  sin  d\  =^{x^,  y^;  p^,  q^; 
Po  1  %)  :  ^K  .  2/0 ;  i>o  .  2o  ;  Po  1  ^o). 


(49) 


Fig.  88. 


wenn  S^,  ^^  die  numerischen  Werte  der  Winkel  bedeuten,  welche  die  beiden 
Richtungen  i9oj_2oi  ^^sp.  p^^  q^  mit  der  Richtung  p^^  q^  bilden,  so  gemessen,  daß 
beide  Winkel  ^n.  Vgl.  Kneser,  Lehrbuch,  p.  173;  Bolza,  Lectures,  pp.  151,  2G7; 
Hancock,  Lectures,  pp.  241 — 243. 

^)  Vgl.  Kneser,  Lehrbuch,  p.  178. 

Bolza,  Variationsrechnung.  26 


398 


Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 


und  nicht  in   das  Innere  (^^  der  geschlossenen  Kurve  ©  eindringen,   die  kürzeste 
zu  finden. 

Hier  iat  F=yx'*  Hh  y'*^-  ^^^  Bereich  01  besteht  hier  aus  der  ganzen  Ebene 
mit  Ausschluß  des  Bereiches  oP.  Die  gesuchte  Kurve  muß  aus  geradlinigen  Seg- 
menten   und   ans   Segmenten  der  Kurve  ^  bestehen.     Die  letzteren  dürfen  nicht 

konkav   nach   außen   sein,   da  im  gegenwärtigen  Fall    =0  und  somit  die  Be- 

T 

dingung  (45)  lautet:  ^^0  oder  ->»0,  je  nachdem  der  Bereich  01  zur  Linken 

oder  Rechten  des  betreffenden  Segmentes  liegt. 

Da  das  Problem  regulär  ist,  so  müssen  die  geradlinigen  Segmente  die 
Kurve  ©  in   den  Übergangspunkten  berühren. 


Fig.  89.  Fig.  90. 

Beispiel  I:   (Siehe  pp.  1,  33,  79)    F  =  y^/x^+y'^\ 

Der  Bereich  01  ist  die  obere  Halb-Ebene:  2/>0;  die  Grenzkurve  also  die 
ic-Achse.  Die  zulässigen  Kurven  sind  die  Gesamtheit  aller  gewöhnlichen  Kurven, 
die  in  diesem  Bereich  von  P^  nach  P^  gezogen  werden  können.  Bei  der  Be- 
handlung des  Problems  in  Parameterdarstellung  treten,  »außer  den  schon  früher 
gefundenen  Kettenlinien 

y  =  aCh^^  (a>0) 

tils  weitere  Extremalen  noch  die  Geraden 

„  a;  =  konst' 

auf. 

Da  die  Kettenlinien  die  a; -Achse  nie  treffen,    so   ist  die   einzige  mögliche 

Lösung,  welche  ein  Segment  der  ic-Achse  enthält,  die  aus  den  Ordinaten  Pi  Pj, 

P^  Pj  der  beiden  Punkte  P^ ,  Pg  und   dem   sie  verbindenden  Segment  P,  P^  der 

iC-Achse  zusammengesetzte  Kurve.     Da  entlang  der  ic-Achse 


§  52.    Randbedingungen  bei  Problemen  mit  Gebietseinschränkungen.     399 

ßo  ist  die  Bedingung  (44)  für  das  Segment  P5P4  erfüllt;  und  da 

8  (^ ,  2/ ;  cos  0,  sin  0 ;  cos  0,  sin  0)  =  (1  —  cos  (0  —  0))  t/, 

80  sind  auch  die  Bedingungen  (46)  und  (47)  in  den  Übergangspunkten  Pg  und 
P,  erfüllt. 

].)ies§  diskontinuierliche  Lösung  ist  zuerst  von  Goldsghmidt  ^)  bemerkt 
worden  (1831).  Todhunter*)  hat  bewiesen,  daß  die  gebrochene  Linie  P^P^P^P^ 
stets  ein  starkes  relatives  Minimum  liefert.  Nimmt  man  nämlich  auf  der  Geraden 
Pi  Pj  einen  Punkt  P  an  und  schneidet  dann  auf  einer  beliebigen  von  P^  aus- 
gehenden rektifizierbaren  Kurve  einen  Bogen  P^Q  gleich  1  Pj  P  j  ab,  so  ist,  wie 
man  leicht  zeigt,  die  Ordinate  MQ  des  Punktes  Q  größer  als  P^P,  es  sei  denn, 
daß  der  Bogen  P^  Q  mit  dem  geraden  Segment  P^  P  identisch  ist. 

Daraus  folgt:  Ist  ß  irgend  eine  von  der  Gold  Schmidt' sehen  Lösung  verschie- 
dene zulässige  Kurve  von  P^  nach  P^,  deren  Länge  ^P^P^  \  -{-  \  P^P^l,  so  liefert 
die  Gold  Schmidt'' sehe  Lösung  einen  kleineren  Wert  für  das  Integral  J,  als  die 
Kurve  ß. 

Zum  Beweis  schneide  man  auf  der  Kurve  (£  von  P^  aus  einen  Bogen  P^  Q^ 
gleich  I  Pi  Pg  1  und  von  P^  aus  einen  Bogen  Pg  ^2  gleich  \P^P^\  ab  und  wende 
das  obige  Lemma  an. 

Schließlich  kann  man  leicht  eine  Umgebung  der  diskontinuierlichen  Lösung 
PyP^P^P^  angeben,  derart,  daß  für  alle  in  derselben  verlaufenden  zulässigen 
Kurven  die  obige  Ungleichung  für  die  Länge  erfüllt  ist,  womit  bewiesen  ist,  daß 
die  Goldschmidt'sche  Lösung  in  der  Tat  stets  ein  relatives  Minimum  für  das 
Integral  J  liefert. 

Die  diskontinuierliche  Lösung  liefert  eine  wichtige  Ergänzung  unserer 
früheren  Resultate  über  kontinuierliche  Lösungen  (p.  81).  Bezeichnen  wir  näm- 
lich mit  I  und  II  dieselben  beiden  Bereiche  wie  auf  p.  81  (siehe  Fig.  12),  so 
haben  wir  früher  gesehen,  daß  nach  einem  Punkt  Pg  im  Innern  des  Bereiches  11 
keine  Kettenlinie  mit  der  ic-Achse  als  Direktrix  gezogen  werden  kann.  Hier  ist 
also  die  diskontinuierliche  Lösung  die  einzige  mögliche  Lösung.  Dasselbe  gilt, 
wenn  der  Punkt  P^  auf  der  Enveloppe  %  liegt,  da  die  Kettenlinie  Pi  P«  nach 
§  47,  d)  kein  Minimum  liefert. 

Liegt  dagegen  der  Punkt  Pg  im  Innern  von  I,  so  haben  wir  zwei  Lösungen, 
welche  jede  ein  relatives  Minimum  liefert:  eine  Kettenlinie  und  die  diskontinuier- 
liche Lösung, 

Mit  diesen  beiden  Lösungen  sind  zugleich  alle  möglichen  Lösungen  des 
Problems,  das  Integral 


J^fyyx^-^ry''^dt 


zu  einem  relativen  Minimum  zu  machen,  erschöpft,  wenn  wir  die  trivialen  Fälle: 

^1  —  ^2  ^     2/1=0,     2/8  =  0 

")  Siehe  das  Zitat  auf  p.  81,  Fußnote  *). 

*)  Besearches  in  the  Calculus  of  Variations,  p.  60^,  vgl.  auch  Mary  E.  Sinclair, 
Annais  of  Mathematics  (2)  Bd.  IX,  p.  151. 

26* 


^00  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

'beiseite  lassen.  Denn  jede  Lösung  muß  sich  zusammensetzen  aus  einer  endlichen 
Anzahl  von  Kettenlinienbogen,  von  geraden  Segmenten  parallel  der  ^/-Achse  und 
von  Segmenten  der  a;-Achse.  Ecken  können  nach  §  48,  c),  Zusatz  I,  im  Innern 
der  oberen  Halbebene  nicht  auftreten.  Eine  einfache  Überlegung  zeigt  dann, 
daß  die  beiden  gefundenen  Lösungen  die  einzig  möglichen  Kombinationen  dar- 
stellen. 

Wir  werden  später^)  zeigen,  daß  eine  der  beiden  Lösungen  stets  zugleich 
auch  das  absolute  Minimum  für  das  Integral  /  liefert.-) 

§  53.    Hinreichende  Bedingungen    bei  Lösungen,    welche  Segmente 
der  Grenzkurve  enthalten. 

Wir  nehmen  an,  wir  hätten  eine  Kurve  F^F^T^F^  gefunden, 
welche  den  bisher  als  notwendig  erkannten  Bedingungen  genügt, 
d.  h.  also: 

1.  Die  Bogen  F^F^  und  F^F^  sind  Extremalen,  welche  für  sich 
betrachtet  den  für  ein  Minimum  bei  festen  Endpunkten  notwendigen 
Bedingungen  (II),  (III),  (IV)  genügen; 

2.  entlang  dem  Bogen  F^F^  der  Grenzkurve  ist  die  Bedingung 
(44)  erfüUt; 

3.  in  den  Übergangspunkten  Pg  und  F^  sind  die  Bedingungen 
(46)  und  (47)  erfüllt. 

Überdies  möge  der  Kurvenzug  F^F.F^F,  keine  mehrfachen  Punkte 
besitzen.  Der  Bereich  Öl  möge,  um  die  Ideen  zu  fixieren,  zur  Linken 
des  Bogens  P3P4  liegen. 

Bliss^)  hat  gezeigt,  daß  für  reguläre  Frobleme  diese  Bedingungen 
auch  hinreichend  sind  für  ein  Minimum  des  Integrals  J,  ivofern  sie 
dahin  verschärft  iverden,  daß  (III)  durch  (IIF)  und  die  Bedingung 
(U)  durch  ^^^  (5Q) 

ersetzt  werden. 

Da  das  Problem  als  regulär  vorausgesetzt  wird,  also  F^{x,y,  coay, 
ginj;)  4=  0  für  jedes  y  im  ganzen  Bereich  Öl,  so  müssen  nach  §  52,  b) 
die  Extremalenbogen  P^  P3  und  F,F,  in  den  Punkten  F,  und  P^  die 
Grenzkurve  S  gleichsinnig  berühren. 

Da  überdies  insbesondere 

7-;  >  0  entlang  d,  (51) 


')  Vgl.  §57,e). 

^)  Hierzu  weiter  ^^^^   ^~,^ - ,~, 

=')  Transactious   of  the   American   Mathematical   Society,    Bd.  V 


;    vgl.  §  o<,  e;.  1-        TV 

2)  Hierzu  weiter  die  Übungsaufgaben  Nr.  33-40  am  Ende  von  ^^ap.  ^A. 


(^1904)  p.  477. 


§  53.    Hinreichende  Bedingungen.  4()2 

SO  können  wir  nacli  §  62,  a)  die  Bedingung  (50)  auch  schreiben 

7  -  ^  >  0-  (52) 

Der  Beweis  von  Bliss^  bei  dessen  Darstellung i)  wir  übrigens 
hier  nicht  auf  alle  Einzelheiten  eingehen  können,  gründet  sich  einer- 
seits auf  die  Konstruktion  eines  zusammengesetzten  Feldes,  das  aus 
der  Schar  von  Extremalen  durch  einen  Punkt  P^  auf  der  Fortsetzung 
des  Bogens  P^P^  über  P^  hinaus  und  aus  der  Schar  von  Extremalen, 
welche  den  Bogen  P3P4  berühren,  gebildet  wird,  andererseits  auf 
die  Ausdehnung  des  Weierstraß'schen  Fundamentalsatzes  auf  ein 
solches  Feld. 

a)  Die  Schar  von  Extremalen,  welche  die  Grenzkurve  berühren: 
Aus    der   Ungleichung  (51)    folgt   nach   §  27,  a),    daß   wir   durch 
jeden  Punkt  P(a)  der  Grenzkurve 

S:  x=-x(a\         y-y{a),         Ä^^a^Ä^ 

eine  und  nur  eine  Extremale  @^  konstruieren  können,  welche  die 
Kurve  ß  im  Punkt  P  gleichsinnig  berührt.  Wir  können  den  ana- 
lytischen Ausdruck  derselben  sofort  mit  Hilfe  der  Funktionen  36,  g 
von  §  27,  b)  hinschreiben,  nämlich 

x=^?i{t',  x{a\y{a\  dia))  =  cp{t,a),  y==^{t',  x(a\y{a),  d(a))  =  'ilj(t,a).  (53) 

Dabei  bedeutet  t  die  Bogenlänge  der  Extremalen  @^,  gemessen 
vom  Punkt  P  an,  und  d(a)  den  Tangentenwinkel  der  Kurve  &  im 
Punkt  P,  so  normiert  2),  daß  e(a)  eindeutig  und  stetig  ist  entlang 
©.  Aus  den  Existenztheoremen  über  Differentialgleichungen  folgt, 
daß  sich  eine  positive,  von  a  unabhängige^)  Größe  l  angeben  läßt 
derart,  daß  die  Extremale  iB^  mindestens  im  Intervall:  \t\^l  existiert. 

Lassen  wir  a  variieren,  so  erhalten  wir  so  eine  Schar  von  Extre- 
malen, welche  die  Kurve  d  berühren,  und  welche  durch  die  Gleichungen 
(53)  dargestellt  sind. 

Die  Funktionen  (p,  ^  genügen  folgenden  Anfangsbedingungen: 
(p  (0,  a)  =  x  (a),         t  (0,  a)  =  y  (a) , 
^.(0;  a)  =  x\a),        ^,(0,  a)  =  iy(a),  ^^^^ 

^)  Wir  weichen  dabei  darin  von  Bliss  ab,  daß  wir  den  Beweis  direkt  für 
das  Problem  in  Parameterdarstellung  geben,  während  Bliss  die  Aufgabe  zuerst 
für  den  speziellen  Fall  des  a;-Problems  löst  und  dann  den  allgemeinen  Fall  der 
Parameterdarstellung  mittels  einer  Punkttransformation  der  Ebene  auf  jenen  Fall 
zurückführt. 

')  Vgl.  §  34,  Gleichung  (173,).  »)  Vgl.  §  23,  a),  Zusatz. 


I 


402  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

wenn  wir  der  Einfachheit  halber  für  a  die  Bogenlänge  auf  der  Kurve 
d  wählen.     Hieraus  folgt  durch  Differentiation  nach  a 

woraus  sich  für  die  Funktionaldeterminante 


(55) 


d{t,a) 


(56) 


die  Gleichungen  ergeben: 

A(0,a)  =  0,  A,(0,a)=_ 

Es  seien  jetzt  a^,  a\  irgend  zwei  den  Ungleichungen 

^3  <  «3  <  «3,  0^4  <  ^1<  -^4 

genügende  Größen:  alsdann  kann  man  beweisen^),  daß  unter  den  ge- 
machten Annahmen  die  Gleichungen  (53)  eine  ein-eindeutige  Beziehung 
zwischen  dem  Rechteck 

(SC:  O^t^k,  a'^^^a^al 

in  der  ^,a-Ebene  und  dessen  Bild  oJ  in  der  x^y-Ehene  definieren,  wo- 
fern  die   positive    Größe  k   hinreichend   klein   genommen    wird.     Der 


a 


t=0  t^k 

Fig.  91. 


Fig.  92. 


Beweis  ist  jedoch  hier  wesentlich  komplizierter  als  in  dem  m  §  31,  a) 
betrachteten  Fall,  weil  die  Funktionaldeterminante  A(t,a)  im  Recht- 
eck (SC  verschwindet,  wie  klein  auch  k  genommen  werden  möge, 
nämlich  entlang  der  Seite  ^  =  0. 

Das  Bild  der  Begrenzung  des  Recktecks  OL  ist  eine   stetige  ge- 
schlossene Kurve  ohne  mehrfache  Punkte  F'^KKKK     ^ie  Punkt- 

1)  Wir  verweisen   auf  Bliss,   loc.    cit.   pp.  482,    488   und   Bolza,    Trans- 
actions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  VIII  (1907)  p.  399. 


§  53.    Hinreichende  Bedingungen,  403 

menge  oT  ist  identisch  mit  dem  Innern  dieser  geschlossenen  Kurve 
zusammen  mit  der  Kurve  selbst.  Dieser  Bereich  wird  also  von  den 
Extremalen  der  Schar  (53)  einfach  und  lückenlos  überdeckt^  wenn  t 
und  a  auf  das  Rechteck  €L  beschränkt  werden.  In  diesem  Sinn 
bilden  die  Extremalen,  welche  den  Bogen  P3P4  berühren,  ein  Feld.  Es 
handelt  sich  aber  nur  um  ein  ^^uneigentliches  Feld",  da  die  früher  für 
ein  Feld  aufgestellten  Bedingungen  wegen  des  Verschwindens  der 
Funktionaldeterminante  hier  nicht  ausnahmslos  erfüllt  sind. 

Die  „inversen  Funktionen  des  Feldes'^,  die  wir  wieder  mit 

t  =  i{x,yl  a  =  a{x,y) 

bezeichnen,  sind  stetig  im  ganzen  Bereich  oT  und  überdies  von  der 
Klasse  0'  in  allen  Punkten  von  cf  mit  Ausnahme  der  Punkte  des 
Bogens  P3P4,  in  denen  die  partiellen  Ableitungen  im  allgemeinen  zu 
existieren  aufhören. 

b)  Konstruktion  des  zusammengesetzten  Feldes: 
Wir   kombinieren   jetzt   nach  Bliss    das    im   vorigen   Absatz   be- 
trachtete Feld  mit  dem  Feld   von  Extremalen   durch   einen  Punkt  Pq 
auf  der  Fortsetzung  der  Extremalen  P1P3  über  den  Punkt  P^  hinaus. 
Letztere  Schar  schreiben  wir  in  der  Normalform  von  §  27,  d) 

x  =  X(r]  x^,y^,  a)~qp(t,  a),  y^'Qit',  x^,y^,  0)  =  -^ {t, a),       (57) 

wobei  T  die  Bogenlänge  bedeutet,  gemessen  vom  Punkt  P^  aus,  und 
a  den  Tangentenwinkel  der  Extremalen  ©,,  im  Punkt  Pq. 

Die  Schar  (57)  enthält  unsern  Extremalenbogen  PiP^]  dies  möge 
für  «  =  «0  stattfinden,  und  dem  Punkt  Pg  möge  dabei  der  Parameter- 
wert r  =  Tg  entsprechen.  Aus  unserer  Voraussetzung  (IH')  folgt  wie 
in  §  32,  b),  daß  wir  den  Punkt  Pq  so  nahe  bei  P^  annehmen  können, 
daß  die  Schar  (57)  ein  Feld  um  den  Bogen  P1P3  liefert,  wenn  r  und 
a  auf  den  Bereich 

0  ^  T  ^  Tg  +  6?i,  «  —  «0     ^  ^'1 

beschränkt  werden,  wofern  die  beiden  positiven  Größen  d^^  und  Ä\ 
hinreichend  klein  gewählt  werden. 

Von  diesem  Feld  behalten  wir  denjenigen  Teil  bei,  welcher  dem 
Bereich  6i  angehört;  wir  bezeichnen  diesen  Teil  mit  I  (Siehe  Fig.  93). 

Wie  wir  gesehen  haben,  berührt  der  Extremalenbogen  P^P^  die 
Kurve  d  im  Punkt  P3  gleichsinnig;  dasselbe  tut  aber  auch  die  Extre- 
male @^^  der  Schar  (53),  und  da  überdies  F^  =^  0  entlang  S,  so  muß 
die  Extremale  @^^   im  Sinn  von  §  23,  d)   die  Fortsetzung  des  Bogens 


4Q4  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

P^Ps  sein,    also   gleichzeitig   der   Extremalen   a  =  a^,   der   Schar   (51) 

angehören.  ^) 

Andererseits  berührt  der  Extremalenbogen  P^P^  die  Kurve  ß^  im 

Punkt  P^   gleichsinnig;    er   muß   also    der  Extremalen  ©^^   der   Schar 

(53)     angehören. 

3 Diese    Extremale 

existiert  also  nicht 
bloß  im  Intervall : 
O^t^hy  sondern 
in  dem  ganzen 
Intervall:     0  ^  ^ 

Länge  des  Bogens 
6  ^  ■  ^  ■  -^  P4P2  bedeutet ;  sie 
läßt  sich  sogar 
nach  §  23,  d)  auf 
ein  etwas  weiteres 
Daraus  folgt  aber  nach  §  27,  c), 


Pig.  93. 


d^  fortsetzen. 


Intervall:  0  <  ^  <  ^.,    ,      ,  „  .  o    ..     , 

daß  sich  eine  positive  Größe  l',  <a[-  a,  angeben  läßt,  derart, Jaß  samt 
liehe   Extremalen   der   Sdiai^(53),  für  welche  a^  —  Ä'g  <  a  <  r^4  +  i^2, 
im  ganzen  Intervall:   0  ^  ^  <  ^2  +  ^2  existieren. 

Wir  behalten  nun  von  dem  von  den  Extremalen  der  Schar  (53) 
gebildeten  Feld  cf  denjenigen  Teil  bei,  welcher  das  Bild  des  Bereiches 

O^t^l;  0^3  ^  a  ^  a^  +  A2 

mittels  der  Transformation  (53)  ist.  Diesen  Teil  von  c^  bezeichnen 
wir  mit  II;  derselbe  bildet  a  fortiori  ebenfalls  ein  Feld. 

Endlich  bezeichnen  wir  mit  III  das  Bild  des  Bereiches 

Ä-  ^  ^  ^  ^2  +   ^4'  ^4  -  h  ^  «  ^  0^4  +  h 

mittels  der  Transformation  (53).  Auch  dieser  Bereich  bildet  ein  Feld, 
vorausgesetzt,  daß  d,  und  k,  hinreichend  klein  gewählt  werden.  Denn 
die  Funktion  A(^,aJ  verschwindet  nach  (56)  für  f  =  0;  daher  kaun 
sie   nach   dem   Stürmischen   Satz  (§  11,  c))   zwischen  0   und  f,   nicht 


1)  Bei  der  von  uns  gewählten  Darstellung  der  beiden  Scharen  (53)  und  (57) 
erleidet  allerdings  der  Parameter  beim  Übergang  von  P,P,  auf  den  Bogen  ©^^ 
einen  Sprung.  Dem  kann  man  aber,  wo  es  nötig  sein  sollte,  dadurcji  abheilen, 
daß  man  zunächst  den  Anfangspunkt  für  den  Bogen  a  der  Kurve  ß  so  wählt, 
daß  a,  =  t,,  und  sodann  in  der  Schar  (53)  den  Parameter  t  durch  #-  a  ersetzt. 
Dabei  wird  dann  auf  der  Extremalen  ©„  der  Berührungspunkt  mit  (^  durch  den 
Wert  t  =  a  gegeben. 


§  53.    Hinreichende  Bedingungen.  40& 

noch   einmal    verscli winden,  da   nach  Voraussetzung  (HF)   der  Bogen 
P4P2  ^^^  2^  ^4  konjugierten  Punkt  nicht  enthält. 

Diese  drei  Felder  J,  II,  III  setzen  sich  nun  zu  einem  einzigen 
Feld  äl  zusammen.  Die  beiden  Felder  I  und  II  stoßen  entlang  dem 
Bogen  P3P7  der  Extremalen  (S^^  zusammen,  die  beiden  Felder  II  und 
III  entlang  dem  Bogen  Pp^Pq  der  Kurve 

X  ==  €p{k,  a)j         y  =  t{J^^,  0),         «4  —  /'^  ^  öf  ^  0^4  +  ^2 • 

Sonst  haben  die  drei  Felder  keine  Punkte  gemein,  wofern  die  Größen 
A',  l\j  l\j  d^,  d.2  hinreichend  klein  gewählt  werden. 

c)  Das  Peldintegral  und  der  Weierstraß'sclie  Fundamentalsatz : 

Es  sei  jetzt  P^  irgendein  Punkt  des  im  vorigen  Absatz  kon- 
struierten Feldes  2.1;  x,y  seine  Koordinaten. 

Liegt  der  Punkt  Pc,  im  Bereich  I,  so  geht  durch  ihn  eine  dem 
Feld  angehörige  Extremale  P0P9  der  Schar  (57).  Unter  dem  Feld- 
integral W(Xjy)  verstehen  wir  dann  genau  wie  in  §31,b)  den  Wert 
unseres  IntegTals  J  genommen  entlang  dieser  Extremalen  PqP^^  be- 
trachtet als  Funktion  von  x,  y.  Dann  gelten  für  die  partiellen  Ab- 
leitungen von  W  ohne  weiteres  die  Hamilton'schen  Formeln  (148) 
von  §  31. 

Liegt  dagegen  Pc,  im  Bereich  II  +  HI?  aber  nicht  auf  der  Kurve 
S,  so  geht  durch  ihn  eine  dem  Feld  angehörige  Extremale  der 
Schar  (53);  ihr  Berührimgspunkt  mit  der  Grenzkurve  d  sei  der  Punkt 
Pg.  In  diesem  Fall  verstehen  wir  unter  dem  Feldintegral  W{x,  y} 
das  Litegral  J  genommen  vom  Punkt  P^  entlang  der  Extremalen 
PqP^P^  bis  zum  Punkt  Pg,  von  da  entlang  der  Kurve  S  bis  zum 
Punkt  Pg  und  endlich  vom  Punkt  Pg  entlang  der  Extremalen  P^P^ 
der  Schar  (53)  zum  Punkt  P,,,  das  Integral  wieder  betrachtet  als 
Funktion  von  x,  y: 

M^.i/)  =  ^3  +  4+^89-  (58) 

Wir  woUen  zeigen,  daß  auch  in  diesem  Fall  die  Hamilton' sehen 
Formeln  noch  gelten. 

Der  Parameter  des  Punktes  Pg  auf  der  Kurve  d  sei  a,  derjenige 
des  Punktes  Pc,  auf  der  Extremalen  P^P^  sei  t.  Wir  betrachten  das 
Feldintegral  W  zunächst  als  Funktion  von  t  und  a  und  bezeichnen 
dasselbe,  so  aufgefaßt,  mit  u{t,  a).     Es  ist  also 

a  t 

u(t,a)  =  J013  -\-fF{x{a\y{a\x\a\iy(a'))da'  +fi(t\a)dt\ 


406  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

wobei   die   Funktion   ^{t,a)   für   die  Schar   (53)   durcli   die  Gleichung 
(83)  von  §  27  definiert  ist. 

Da   das   Integral  J^^g   von   t  und   a   unabhängig   ist,   so   erhalten 

wirzunächBt  |^  =  ^(*,a)  ^  (59) 

und  weiter  unter  Benutzung  der  Lagrange'schen  partiellen  Integration 

l'^^F{x(a),y{a),x'(a),y'ia))  +  [^,,ft  a)9),(^,a)  +  %it,a)tSt.a)l. 

Nun  folgt  aber  aus  den  Relationen  (54)  und  (55)  unter  Benutzung 
der  Homogeneitätsrelation  für  F: 

^A^^'')'Pa{^^^)  +  ^y'(0,öt)iA,(0,a)  ==  F{x{a\y{a\x(a),y\a)y, 
also  kommt 

g  =  ^At,^)q>Jt,d)  +  %,(t,a)^Si^a).  (60) 

Wir  erhalten  also  für  die  partiellen  Ableitungen  von  u  dieselben 
Ausdrücke  wie  bei  einem  gewöhnlichen  Feld^),  und  daraus  folgt  dann 
weiter,  wenn  wir  von  den  Variabein  t,a  zu  den  Variabein  x,y  über- 
gehen, daß  auch  für  die  partiellen  Ableitungen  von  W  nach  x  und  y 
dieselben  Formeln  gelten  wie  früher,  d.  h.  eben  die  Hamilton'schen 
Formeln. 

Die  Definition  (58)  des  Feldintegrals  dehnen  wir  auch  auf  den 
Fall  aus,  wo  der  Punkt  Pc,  auf  der  Kurve  S  liegt,  indem  dann  einfach 
der  Punkt  Pc,  mit  Pg  zusammenfällt,  weshalb  in  (58)  das  letzte  Glied 
Jgg  =  0  zu  setzen  ist. 

Die  nunmehr  für  das  ganze  Feld  91  eindeutig  definiei-te  Funktion 
W  ist  stetig  im  ganzen  Feld,  und  es  gelten  für  ihre  partiellen  Ab- 
leitungen die  Hamilton'schen  Formeln  in  allen  Punkten  von  äi  mit 
einzig  möglicher  Ausnahme  der  Punkte  der  Kurve  S,  in  denen  die 
Existenz  der  partiellen  Ableitungen  fraglich  wird. 

Wir  ziehen  jetzt  vom  Punkt  P^  nach  dem  Punkt  P^  irgendeine 
gewöhnliche  Kurve  S,  welche  ganz  im  Feld  ai  gelegen  ist;  sie  möge 
durch  die  Bogenlänge  s  als  Parameter  dargestellt  sein. 

Dann  können  wir  die  Weierstraß'sche  Konstruktion  in  folgender 
Weise  anwenden:  Ist  Pg  irgendein  Punkt  von  ß:,  so  definieren  wir 
die  Funktion  g^^^^^  _  W{x,,y,)  -f-  J,,.  (61) 

Die  Funktion  S(s^)  ist  stetig  entlang  ^,  und  es  ist 


1)  Vgl.  die  Gleichungen  (144)  und  (146)  von  §  31, 


§  54.    Der  Rotationskörper  kleinsten  Widerstandes,  407 

Da  die  Hamilton'schen  Formeln  bestehen  bleiben,  so  findet  man  für 
die  Ableitung  von  S,  genau  wie  früher,  in  der  Bezeichnung  von  §  32,  a), 

Dies  gilt  zunächst  nur,  wenn  der  Punkt  P^  nicht  auf  der  Grenzkurve 
ß  liegt.  Hat  die  Kurve  S  ein  Segment  mit  der  Kurve  ß  gemein, 
so  folgt  aus  der  Definition  der  Funktion  Sy  daß  S{s,j)  entlang  diesem 
Segment  konstant  ist,  also  S'(Sq)  =  0.    Da  aber  für  ein  solches  Segment 

^9  =  h  =  ^9;     ^9  =  ^9  =  ^9.     also  8  =  0, 
so    bleibt    die  Formel   (62)    auch    für   ein  solches   Segment   bestehen. 
Wir  wollen  annehmen,   daß   die  Kurve   ß  nur  eine   endliche  Anzahl 
derartiger  Segmente  enthält. 

Es  folgt  dann,  daß  für  die  totale  Variation  AJ  der  Weierstraß- 
sche  Fundamentalsatz  (156)  von  §  32,  a)  gilt,  und  da  das  Problem 
als  regulär  vorausgesetzt  ist,  so  folgt  nach  §30,  b),  daß  Ar7>  0,  es 
sei  denn,  daß  die  8-Funktion  entlang  der  ganzen  Kurve  %  verschwinde, 
was  nicht  eintreten  kann,  wenn  die  Kurve  ^  nicht  mit  dem  Kurven- 
zug P^P.P^P^  zusammenfällt. 

Somit  ist  bewiesen,  daß  unter  den  im  Eingang  dieses  Paragraphen 
aufgezählten  Bedingungen  der  Kurvenzug  P^^P^P^P^  in  der  Tat  ein 
starkes  Minimum  für  das  Integral  J  liefert. 

Beispiel  XX  (siehe  p.  397): 

Wenn  der  Bogen  P3P4  der  Schranke  ^  nach  außen  konvex  ist,  so  sind  die 
sämtlichen  hinreichenden  Bedingungen  erfüllt,  und  der  Kurvenzug  P^F^F^P^ 
liefert  in  der  Tat  ein  starkes  Minimum.^) 

§  54.     Das   Newton'sche    Problem    des   Rotationskörpers    kleinsten 

"Widerstandes.  ^) 

An  die  Probleme  mit  Gebietsbeschränkung  würde  sich  naturgemäß 
eine  , Besprechung  von  Aufgaben  mit  Gefällbeschrän'kung  anschließen; 
auch  diese  führen  im  allgemeinen  auf  diskontinuierliche  Lösungen. 
Da  jedoch  Aufgaben  dieser  Art  noch  wenig  untersucht  worden  sind^), 

^)  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  34,  35,  38  —  40   am  Ende  von  Kap.  IX. 

*)  Wegen  der  Literatur  vgl.  Pascal,  Variationsrechnung,  §  30;  vgl.  auch 
oben  p.  95,  Fußnote  ^),  die  sich  übrigens  auf  eine  andere  Formulierung  des 
Problems  bezieht  (ohne  Gefällbeschränkung). 

^)  Eine  Aufgabe  dieser  Art  behandelt  Zermelo,  Jahresberichte  der 
Deutschen  Mathematikervereinigung,  Bd.  XI  (1902),  p.  186  (siehe  Übungs- 
aufgabe Nr.  41  am  Ende  von  Kap.  IX).  Vgl.  auch  Beispiel  VIII,  p.  34  und  Übungs- 
aufgabe Nr.  35  auf  p.  149. 


408 


Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 


SO  begnügen  wir  uns  damit,  ein  hierher  gehöriges,  nach  verschiedenen 
Richtungen  interessantes,  klassisches  Beispiel  im  einzelnen  durchzu- 
führen, das  Newton'sche  Problem  des  Rotationskörpers  von  kleinstem 
Widerstand. 

a)  Analytische  Formulierung  der  Aufgabe: 

Wir    betrachten    den    Rotationskörper,    der    durch    Rotation    der 
Kurve   ÄBD   um    die   :r- Achse   erzeugt   wird.     Dabei   soll   der  Punkt 

Ä  auf  der  rr- Achse  liegen ;  wir  wählen 
ihn  der  Einfachheit  halber  zum  Ko- 
ordinatenanfang. Der  Punkt  B  liege 
in  der  oberen  Halbebene,  sodaß  seine 
Ordinate  DB  positiv  ist.  Dieser  Ro- 
tationskörper bewege  sieh  mit  kon- 
stanter Geschwindigkeit  V  in  der 
Richtung  der  net^ativen  ;r-Achse  in 
einem  widerstehenden  Medium,  das 
aus  gleichen,  gleichmäßig  verteilten, 
in  Ruhe  befindlichen  materiellen  Teil- 
chen besteht. 

Ist  dann  die  Meridiankurve  AB 
durch  einen  Parameter  t  dargestellt, 
der  von  ^^  t>is  ^2  wächst,  so  erhält 
man  nach  Newton^)  für  den  Wider- 
stand,  welchen  der  Rotationskörper 

1)  Principia  philosopJdae  naturalis,  Buch  II,  Sect.  VIL  Prop.  XXXIV,  Scholium 
(1686).  Newton  geht  von  der  Bemerkung  aus,  daß  die  Wirkung  des  Zusammen- 
pralls des  Körpers  und  der  Teilchen  des  Mediums  dieselbe  ist,  als  wenn  der 
Körper  ruhte  und  die  materiellen  Teilchen  mit  derselben  Geschwindigkeit  1  in 
der  Richtung  der  positiven  ^-Achse  gegen  den  Körper  geschleudert  würden. 
Der  Stoß  eines  einzelnen  Teilchens,  das  im  Punkt  P  den  Rotationskörper  trifft, 
möge  nach  Größe  und  Richtung  durch  den  Vektor  PQ  =  f  dargestellt  werden 
(siehe  Figur  94),  man  zerlege  denselben  in  eine  normale  Komponente  FN  und 
eine  tangentiale  Komponente  PT;  letztere  ist  ohne  Wirkung  auf  den  KöiTer, 
wenn  die  Reibung  vernachlässigt  wird.  Die  normale  Komponente  PN  zerlege 
man  weiter  in  eine  Komponente  PL  in  der  Richtung  der  ^-Achse  und  m  eine 
Komponente  PM  senkrecht  dazu.  Gleichzeitig  trifft  ein  zweites  Teilchen  mit 
derselben  Geschwindigkeit  den  Rotationskörper  in  dem  zum  Punkt  P  m  Be- 
ziehung auf  die  a^-Achse  svmmetrischen  Punkt  P'.  Die  analoge  Zerlegung  fuhrt 
zu  einer  Komponente  P' M'  in  der  Richtung  der  ^/-Achse,  welche  mit  der  Kom- 
ponente PM  in  derselben  Geraden  liegt,  ihr  absolut  gleich,  aber  entgegeugerichtet 
ist  Von  dem  Stoß  PQ  bleibt  daher  nur  die  Komponente  PL  =  fsm'-e  als 
wirksam  übrig,  wenn  Ö  den  Tangentenwinkel  der  Kurve  AB  im  Punkt  P  bedeutet. 

Sei  ietzt  n  die  Anzahl  derjenigen  Teilchen,  welche  in  der  Zeiteinheit  durch 
die  Flächeneinheit  der  durch  Rotation  der  Ordinate  ÄC=DB  um  die  a^-Achse 


Eig.  94. 


§  54,     Der  Rotationskörper  kleinsten  Widerstandes.  409 

erfährt^    (abgesehen  von   einem   von   der   Gestalt   der  Kurve  AB  un- 
abhängigen numerischen  Faktor)  das  bestimmte  Integral 


^^  (63) 


Aus  physikalischen  Grründen  kann  man  schließen^),  daß  man  sich 
dabei  auf  Kurven  AJß  zu  beschränken  hat^  für  welche  ^'  ^  0  und 
y'  ^  0.  Daher  formulieren  wir  nunmehr  unsere  Aufgabe  analytisch 
folgendermaßen : 

Das  Integral  (63)  soll  za  einem  Minimum  gemacht  iverden  in  Be- 
ziehung auf  die  Gesamtheit  aller  gewöhnlichen  Kurven,  tvelche  vom 
Koordinatenanfangspunlä  A  nach  einem  gegebenen  Funkt  B  im  Inneren 
des  ersten  Quadranten  gezogen  iverden  können,  und  welche  überdies  der 
Gehietsheschränkung 
y>0     für     t,<t^t,  (64) 

entstehenden  Kreisfläche  hindurchgehen.  Dann  hat  die  Resultante  der  Stöße, 
welche  der  Rotationskörper  in  der  Zeiteinheit  erfährt,  d.  h.  eben  der  Widerstand, 
den  Wert 

nfjsm^ddco, 

wenn  dco  ein  Element  dieser  Kreisfläche  ist.  Indem  man  in  letzterer  Polar- 
koordinaten mit  dem  Pol  A  einführt,  kann  man  schreiben 

doo  =  y  dy  dcp 

und  erhält  so,  da  der  Winkel  6  von  cp  unabhängig  ist,  den  Widerstand  durch 
das  bestimmte  Integral 


27t7if  I  sin^  Oydy 


ausgedrückt,  woraus  sich  durch  Übergang  zur  Parameterdarstellung  die  obige 
Formel  (63)  ergibt. 

Die  Newton'schen  Hypothesen  und  die  daraus  gezogenen  Folgerungen 
werden  übrigens  durch  das  Experiment  nicht  bestätigt,  vgl.  darüber  Encyclopädie, 
IV  C,  {Fmsterwalder),  p.  164. 

Hierzu  die  Übungsaufgaben  Nr.  42,  43  am  Ende  von  Kap.  IX. 

^)  Diese  wichtige  Bemerkung  hat  zuerst  August  gemacht,  Journal  für 
Mathematik,  Bd.  103  (1888),  p.  1.  Wäre  ^' <  0  für  Teile  der  Kurve  AB,  so 
würden  in  der  Oberfläche  des  Rotationskörpers  „trichterförmige  oder  ringförmige 
Vertiefungen  entstehen,  bei  denen  ein  wiederholtes  Anprallen  der  Luftteilchen 
unvermeidlich  wäre,  was  eine  bedeutende  Vermehrung  des  Widerstandes  zur 
Folge  hätte."  Wäre  y'<CO,  so  würden  luftverdünnte  Räume  entstehen,  welche 
ebenfalls  den  Widerstand  vermehren  würden.  Die  mathematischen  Folgerungen, 
welche  August  aus  diesen  physikalischen  Bemerkungen  zieht,  sind  übrigens  in 
wesentlichen  Punkten  falsch. 


410  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

und  der  Gefällbeschrmikung 

^'5  0,     y'>0    für    tQ^f^t^  (65) 

genügen. 

b)  Die  Newton 'sehe  Kurve: 

Wir  betrachten  zunächst  einen  Bogen  der  Minimumskurve  von 
der  Klasse  C,  für  welchen 

Bei  Anwendung  der  Schlüsse  von  §  26,  a)  auf  einen  solchen  Bogen 
folgt  aus  der  Gefdllbescbränkung  (65)  keine  weitere  Einschränkung 
der  dort  mit  |,  rj  bezeichneten  Funktionen;  der  Bogen  muß  daher  der 
Euler 'sehen  Differentialgleichung  genügen^),  woraus  sich  sofort  das 
erste  Integral^)  ergibt  ,,   , 

O  y  O  yy     3<JJ 

(x'i+V9  =  «'  (67) 

wobei  a  eine  Konstante  bedeutet,  welche  wegen  (64)  und  (66)  positiv 
sein  muß. 

Zur  weiteren  Integration^)  der  Differentialgleichung  (67)  setzen  wir 

y-  =  «  =  cotg  e,  (68) 

unter  6  den  Tangentenwinkel  der  Kurve  im  Punkt  t  verstanden.     Dann 

folgt  aus  (67)  «/ii«s?\2 

^  =  »(i±äl^  (69) 

und  hieraus  nach  (68) 

und  somit  „  ,  ^, 

X  =  a{q'  +  |g^  -  log  q)  +  h.  (70) 

Die  Gleichungen  (69)  und  (70)  stellen  das  allgemeine  Integral  der 
Euler 'sehen  Differentialgleichung  dar,  wenn  man  darin  noch  q  durch 
eine  solche  Funktion  von  t  ersetzt,  für  welche 'die  Bedingung  (66) 
erfüllt  ist. 

Die  allgemeinste  Extremale  geht  also   aus  der  speziellen  Kurve 

X  =  q'  +  ^g'-logq^Xiq), 

Y^^'^Yi^  ^''^ 

*)  Vgl.  die  analoge  Bemerkung  auf  p.  34. 

*)  Schon  von  Newton  angegeben,  loc.  cit. 

')  Dieselbe  ist  zuerst  von  L'Hospital  ausgeführt  worden  (1699),  etwas  später 
und  unabhängig  davon  von  Johann  Bernoulli,  vgl.  des  letzteren  Opera  Omnia, 
Bd.  I,  pp.  307,  311,  315. 


§  54.    Der  Rotationsliörper  kleinsten  Widerstandes. 

durch  die  Ähnlichkeitstransformation 

X  =  aX  i-  h,         y  =  aY 
hervor. 

Für  die  Diskussion  der  Kurve  (71)  hat  man 


411 


^\<1) 


(3^^-l)(g^+l) 


r{i) 


(33'-l)(2^-fl) 


/(fo" 


x\^)T'ia)  -  r(,)x7,)  ==  -  ^t-^^±^\ 

woraus     sich    die    schon    von       t 
L'HosPiTAL  angegebene  Gestalt 
der  Kurve    ergibt:    Wächst   ^ 
von  0  bis  l/]/3\  so  nehmen  X 
und    Y  von   +  c»    anfangend 
beständig  ab,  und   die  Kurve 
ist  konvex  gegen  die  ^r- Achse. 
Für  q  =  1/1/3^  hat   die  Kurve 
eine  Spitze,  deren  Tangente  mit 
der    positiven   X-Achse    einen 
Winkel  von  60^  bildet.  Wächst^ 
weiter  von  l/]/3  bis 
+  oOy  80  wachsen  X 
und  Y  beständig  bis 
zum  Wert  +  c»,  und 
die  Kurve  ist  konkav    -^-^° 
gegen   die    X-Achse 
(siehe  Fig.  95).     Zu- 
gleich folgt,  daß  für  den  konvexen  Zweig :  t  =  l/q^  für  den  konkaven : 
t  =  q  ein  zulässiger  Parameter  ist. 

Die    Leg endre' sehe    Bedingung    nimmt    für    unsern    Bogen    die 
Form  an: 

-^i-3/"'(lH-2')»>"' 

Somit  kann  nur  ein  Bogen  des  konkaven  Zweiges  der  Kurve  Bestand- 
teil unserer  Minimumskurve  sein. 

Schließlich  lautet  die  Weierstraß'sche  Bedingung^) 

y^m\d  -  e)  sin  (2ö  +  Ö)  ^  0 

'^)  Wohl  zuerst  von  Silvabelle  angegeben.  *)  Vgl.  p.  246. 


-VK. 


Fig.  95. 


412-  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

für  alle   Werte  von  6  im  Intervall 

und  zwar  nur  für  diese,  da  auch  die  Vergleichskurve,  mit  deren  Hilfe 
die  Weierstraß'sche  Bedingung  abgeleitet  wird  (vgl.  p.  241),  der  Be- 
dingung (65)  genügen  muß.     Daraus  folgt  aber,  daß 

0  <:  ö  <:  ^  (73) 

sein  muß,  d.  h.^)  ^^  ^  (^73a) 

Einen  Bogen  einer  Kurve  (69),  (70),  für  welchen  q  ^  1,  werden 
wir  in  der  Folge  kurz  einen  New  tonischen  Bogen  nennen. 
c)  Bestimmung  des  Winkels  an  der  Stirnfläche: 
Wir  zeigen  jetzt  weiter,  daß  ein  Bogen  der  Minimumskurve  von 
der  Klasse  C,  welcher  nicht  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  der  Be- 
dingung {(^6)  genügt,  entweder  ein  Segment  einer  Geraden  x  =  konst., 
oder  aber  einer  Geraden  y  =  konst.  sein  muß.  ^ 

Denn  angenommen  der  Bogen,  der  dem  Intervall  a<^t<:  ß  ent- 
sprechen möge,  enthielte  einen  Punkt  f,  in  welchem  x'y  >  0,  so  folgt 
nach  §  2,  a)  und  A  III  2,  daß  es  ein  in  [aß]  enthaltenes  Intervall 
laß']  geben  muß,  derart  daß  x'y'>0  für  a'<t<ß\  dagegen /i/' =  0 
für  t=a,  außer  wenn  a'  =  a,  und  x'y'  =  OiÜYt=ß\  außer  wenn  ß'  =  ß. 
Nach  dem  unter  b)  bewiesenen  muß  also  der  betrachtete  Bogen  für 
u'  <t<  ß'  der  Differentialgleichung  (67)  mit  einem  positiven  Wert 
der  Konstanten  a  genügen.  Indem  man  dann  t  gegen  a\  resp.  ß'  kon- 
vero-ieren  läßt,  zeigt  man,  daß  x  y'  weder  in  a'  noch  ß'  verschwmden 
kann,  daß  also  a  =  a,  ß'  =  ß  sein  muß,  und  xy>0  im  ganzen 
IntervaU  [aß],  was  mit  unserer  Annahme  im  Widerspruch  steht. 

Somit  muß  x'y'  =  0  sein  in  [aß].  Nunmehr  zeigt  man  durch 
Anwendung  derselben  Schlußweise  auf  den  Faktor  x,  daß  entweder 
^'  =  0  in  [aß\  oder  y'  =  0  in  [aß],  wobei  man  noch  davon  Gebrauch 
zu  machen  hat,  daß  bei  einer  gewöhnlichen  Kurve  x'  und  y'  nie 
gleichzeitig  verschwinden. 

Die  Minimumskurve,  falls  eine  solche  überhaupt  existiert,  muß 
sich  also  aus  einer  endlichen  Anzahl  von  Stücken  zusammensetzen, 
von  denen  jedes  einzelne  ein  Newton'scher  Kurvenbogen,  oder  ein 
Segment  einer  Geraden  x  =  konst.  oder  ein  Segment  einer  Geraden 
y  =  konst.  ist. 

1)  Diese  Bedingung  findet  sich  wohl  zuerst  expHcite  bei  Walton,  Quar- 
terly  Journal,  Bd.  X  (1870),  p.  344,  implicite  jedoch  schon  bei  Newton,  loc. 
«it.,  vgl.  Übungsaufgabe  Nr.  43  am  Ende  von  Kap.  IX. 


§  54.    Der  Rotationskörper  kleinsten  Widerstandes.  413 

Wir  haben  nun  zu  untersuchen,  welche  Kombinationen  dieser 
drei  Bogenarten,  die  wir  der  Reihe  nach  mit  N,  X,  Y  bezeichnen, 
möglich  sind,  und  welche  Bedingungen  in  den  Übergangspunkten  er- 
füllt sein  müssen.  In  einem  solchen  Ubergangspunkt  sind  folgende 
sieben  Fälle  möglich:  N'N''',  NX,  XN-,  NY,  YN-,  XY,  YX. 

1.  N'N'':  Ein  Punkt  P^,  in  dem  zwei  verschiedene  Newton'sche 
Kurven  aneinanderstoßen,  ist  frei  variierbar,  da  für  beide  Bogen  die 
Ungleichungen  (66)  erfüllt  sind.  Man  kann  also  direkt  die  Schlüsse, 
die  zur  Weierstr  aß 'sehen  Eckenbedingung  (2)  führen,  anwenden.    Da 

^\{^>  V)  cos  y,  sin  y)  ^  2y  sin  y(ß  cos^^^  —  sin^^) 
für  keinen  Wert  von  y  zwischen  0  und  ^   verschwindet,  so  folgt  aus 

§  48,  c),  Zusatz  I,   unter   Berücksichtigung   der  Bedingung  (73),    daß 
dieser  Fall  unmöglich  ist. 

2.  NX  und  XN:  Ein  Punkt  P^,  in  welchem  ein  Newton'scher 
Bogen  und  ein  Segment  x  ==  konst.  aneinander  stoßen,  ist  zwar  in  der 
Richtung  der  i/- Achse  frei  variierbar,  nicht  aber  in  der  Richtung  der 
^-Achse  wegen  der  Bedingung  x'  >  0.  Da,  wie  man  leicht  verifiziert, 
auch  die  Gerade  x  =  konst.  der  Euler'schen  Differentialgleichung  ge- 
nügt, so  muß  die  Weierstr  aß 'sehe  Eckenbedingung,  soweit  sie  sich 
auf  eine  Variation  in  der  Richtung  der  y- Achse  bezieht,  erfüllt  sein; 
■es  muß  also  im  Punkt  P^ 

?/'  y' 

sein;  das  führt  auf  die  Bedingung 


aus  welcher  folst 


{1  +  qr 


tr>' 


1. 


Für  die  Kombination  NX  kann  diese  Bedingung  nie  erfüllt  sein, 
•da  hier  im  Punkt  Pj  notwendig  g  >  1  sein  muß.  Wohl  aber  ist  die 
Kombination  XN  möglich,  d.  h.  ein  gerades  Segment  parallel  der 
^- Achse,  an  welches  sich  ein  Newton'scher  Bogen  unter  einem  Winkel 
von  45^  gegen  die  positive  ^-Achse  anschließt. 

3.  iVY  und  YN:  Die  analoge  Schluß  weise  zeigt,  daß  hier  die 
Bedingung 

-^  x'  x' 

erfüllt  sein  muß,  was  auf  einen  Widerspruch  führt. 

4.  X  Y  und  YX:  Daß  auch  diese  Kombinationen  unmöglich  sind, 
zeigt  man  durch  Abschrägen  der  Ecken  (siehe  Fig.  96).    Denn  bildet 

B  o  1  z  a  ,  Variationsrechnung.  27 


414 


Achtes  Kapitel.     Diskontiimierliche  Lösungen. 


die  Gerade  P3P4  mit  der  positiven  ^- Achse  den  Winkel  a,  so  ist 

Da  ein  Newton 'scher  Bogen  nie  die  :r- Achse  erreicht,  so  ergibt 
sich   aus    den    bisherigen  Entwicklungen    das    folgende   Resultat,    bei 

2 


>-     X 


Pig.  v)6. 


Fig.  97. 


dessen  Formulierung,  wie  überhaupt  in  der  weiteren  Diskussion,  wir 
Pq  und  Pg  statt  A  und  B  schreiben: 

Wenn  unsere  Aufgabe  überhaupt  eine  Lösung  besitzt,  so  muß  sich 
dieselbe  atis  einem  Segment  P^P^  der  y-Achse  und  aus  einem  Newton'- 
sehen  Bogen  P^P„  welcher  im  PunU  P,  einen  Winlcel  von  45^  mit 
der  positiven  y-Achse  bildet,  zusammensetzen}) 

d)  Konstantenbestimmung:^) 

Es  sind  jetzt  die  Integrationskonstanten  a  und  b  so  zu  bestimmen, 
daß  die  Kurve  (69),  (70)  durch  den  gegebenen  Punkt  P^  geht  und 
die  positive  r Achse  unter  einem  Winkel  von  45«  schneidet. 

1)  Baß  bereits  Newton  dieses  Resultat  bekannt  war,  ergibt  sich  aus  seiner 
Bestimmung  der  Integrationskonstanten  a  in  der  Gleichung  (67),  welche  er,  aus 
seiner  geometrischen  Einkleidung  ins  Analytische  übersetzt,  folgendermaßen 
>6chreibt:  yq  t/i  '' 

unter  y,  die  Ordinate  des  Punktes  P,  verstanden.  Ich  verdanke  diese  Bemerkung 
Herrn  Wedderburn.  .  ^    ^  j^,. 

Unabhängig  von  Newton  ist  der  Satz,  daß  der  Tangentenwinkel  an  der 
Stirnfläche  45 ^^  betragen  muß,  von  Armanini  bewiesen  worden  (Annali  di  Mate- 
matica  (3)  Bd.  IV  (1900)  p.  131),  und  zwar  unter  folgender  Formulierung  der 
Aufgabe-  Von  einem  unbekannten  Punkt  P,  der  y-Achse  nach  einem  gegebenen 
Punkt  R  eine  Kurve  zu  ziehen,  für  welche  die  aus  der  Rotation  der  gebrochenen 
Linie  PF,P,  entstehende  Oberfläche  ein  Minimum  ^f«^  Widers  andes  lief e^^^^^ 

«)  Nach  Kneser,  Archiv  der  Mathematik  und  Physik  (3),  Bd.  II  (1902). 
p.  273. 


§  54.    Der  Rotationskörper  kleinsten  Widerstandes.  415 

Die  letzte  Bedingung,  analytisch  ausgedrückt,  lautet 
woraus  folgt 

Tragen    wir    diesen    Wert    in    (70)    ein    und    schreiben    der    Überein- 
stimmung mit  unserer  sonstigen  Bezeichnung  halber  t  statt  q,  so  er- 
halten   wir    für    die    Schar    7on   Newton'schen   Kurven,    welche    die 
2/- Achse  unter  einem  Winkel  von  45^  schneiden,  den  Ausdruck 
X  =  a[f  +  1^*  -  log  ^  -  |]  ^  g^(t,  a),       ) 

In  diesen  beiden  Gleichungen  haben  wir  x,  y  durch  x^,y^  yai  ersetzen 
und  dann  nach  t  und  a  aufzulösen.  Durch  Division  der  beiden  Glei- 
chungen erhalten  wir  zunächst  zur  Bestimmung  von  t  die  Gleichung 

y.  -  ~        (T-HV"- ^  l^)^  (75) 

nun  ist 

stets  positiv  für  t  5>  1,  und 

;:(1)  =  0,  ;t(+oo)  =  +  cx). 

Daraus  folgt,  daß  die  Gleichung  (75)  eine  und  nur  eine  Wurzel  t  S  1 
besitzt.     Ist  dieselbe  gefunden,  so  erhält  man  a  aus  der  Gleichung 

Somit  geht  durch  jeden  Funkt  P,  im  Innern  des  ersten  Quadranten 
eine  und  nur  eine  Neivton'sche  Kurve,  welche  mit  der  positiven  y- Achse 
einen  Winkel  von  45'  bildet,  und  daher  können  wir  vom  Koordinaten- 
anfangspunkt P,  nach  jedem  Punkt  P,  im  Innern  des  ersten  Quadranten 
einen   und  nur   einen  Kurvenzug  P,P,P,   der  verlangten  Art  ziehen. 

e)  Hinlängliclikeitsbeweis:!) 

Das  vorangehende  Resultat  zeigt  zugleich,  daß  die  Extremalen 
der  Schar  (74)  bei  Beschränkung  der  Variabelu  t  und  a  auf  den 
Bereich  ^^ 

t>l,         a>0  (76) 

ein  Feld  bilden,  welches  den  ersten  Quadranten 

^SO,        y>0  (77) 

^)  Zuerst  von  Kneser  gegeben,  loc.  cit.  p.  274. 

27* 


^^g  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Lösungen. 

einfach  und  lückenlos  überdeckt,  da  überdies  die  durch  Auflösung 
der  Gleichungen  (74)  nach  t  und  a  erhaltenen  inversen  Funktionen 
im  Bereich  (77)  Ton  der  Klasse  C  sind.  Letzteres  ergibt  sich  nach 
dem  Satz  über  implizite  Funktionen  daraus,  daß  die  Funktionaldetei- 
minante  A(«,  a)  der  Schar  (74)  gleich  ist  dem  Zähler  des  Ausdrucks 
für  iit),  multipliziert  mit  a,  weshalb  A(f,  a)  >  0  im  Bereich  (76). 

Sei  letzt  P,  irgend  ein  Punkt  im  Innern  des  ersten  Quadranten, 
P  der  Punkt,  in  welchem  die  durch  P,  gehende  Feldextremale  die 
«-Achse  schneidet;  so  deflmeren  wir  nach  Knesee  das  zum  obigen 
Feld  gehörige  Fddintegral  als  das  Integral  J  genommen  vom  Punkt 
P  entlang  der  r^chse  bis  zum  Punkt  P,  und  von  da  entlang  der 
Ädextremalen  P3P,  bis  zum  Punkt  P,  Als  Funktion  von  <  und  « 
(wie  wir  zur  Abkürzung  statt  «„ «,  schreiben)  b^eicbnen  wir  das- 
selbe mit  u{t,  a),  als  Funktion  von  x  und  y  mit  W{x,  y).  Ua 
Jo3  =  i2/L     ^^^     2/,  =  «r(l)  =  4«, 


'03 

SO  ist 


t 

uit,d)='Sa'  +J'7{t,a)dt, 


wo  W(t,a)  wieder  durch  die  Gleichung  (83)  von  §  27  definiert  ist. 
Bildet  man  jetzt  die  partiellen  Ableitungen  von  u{t,  a)  in  der  üblichen 
Weise  und  beachtet,  daß 

cpjl,a)^0,     i,,{l,a)  =  i,     F^,^  =  y,  =  4:a, 

so  erhält  man 

l"  =  "7(<,"), 

0  t 

l«  =  WJt,  a)rp,{t,  a)  +  ^/i,  a)t,{t,  «), 
c  ci 

also  genau  dieselben  Ausdrücke  wie   in   der   aUgemeinen  Theorie  für 
die  partiellen  Ableitungen  des  Feldintegrals,  gerechnet  von  einer  Trans 
versalen  aus  (§31,  Gleichungen  .144)  und  ^40))-     D-aus  fo^gt  abe 
weiter,   daß  auch  die  Hamilton'schen  Formeln  (148)  von  §  31  tu 
die   partiellen  Ableitungen  der  -Funktion  W{x,  y)  nach  x  und  y  hiei 
unverändert  bestehen  bleiben. 

Nachdem  die  Gültigkeit  .1er  Hamilton'schen  lormeln  nach- 
gewiesen ist,  läßt  sich  nun  leicht  mit  Hilfe  einer  passenden  Modi- 
fikation der  Weierstraß'schen  Konstruktion  beweisen,  daß  der  un  ei 
c)  bestimmte  Kurvenzug  P,P,P,  einen  kleineren  Wert  für  das  In- 
tegral J  liefert  als  jede  andere  zulässige  Kurve  (i,  welche  vom  Punkt 
P„  nach  dem  Punkt  P,  gezogen  werden  kann. 


§  54.    Der  Rotationskörper  kleinsten  Widerstandes. 


417 


Wir  setzen  der  Allgemeinheit  halber  voraus^  daß  die  Kurve  S 
vom  Punkt  P^  aus  zunächst  ein  Stück  weit  der  positiven  1/ -Achse 
entlang  läuft  und  diese  erst  im  Punkt  Pg  verläßt.  Darin  soll  der 
Fall  mit  inbegriffen  sein,  wo  der  Punkt  P5  mit  dem  Punkt  P^  zu- 
sammenfällt, wo  die  Kurve  also  nur  den  Punkt  P^  mit  der  y- Achse 
gemein  hat.    Wegen  der  Bedingungen  (64)  und  ^ 

(65)  liegt  dann  der  Bogen  P5P2  der  Kurve  S 
abgesehen  von  seinem  Anfangspunkt  P5  ganz 
im  Innern  des  ersten  Quadranten.  Durch  einen 
beliebigen  Punkt  P^  des  Bogens  P5P2  geht 
also  eine  und  nur  eine  Feldextremale;  dieselbe 
möge  die  ^-Achse  im  Punkt  P3  treffen.  Wir 
betrachten  alsdann  das  Integral  JJ  genommen 
vom  Punkte  P^  entlang  der  y- Achse  bis  zum 
Punkt  Pg,  von  da  entlang  der  Feldextremalen 
P3P4  bis  zum  Punkt  P^,  und  endlich  vom 
Punkt  P^  entlang  der  Kurve  S  bis  zum  Punkt  Pg,  und  bezeichnen  seinen 
Wert  mit  S(s\  unter  s  den  Parameter  des  Punktes  P^  auf  der  Kurve  S 
verstanden,  also 


Fig.  98. 


Es  ist  dann 


T^fe;  2/4)  +fF{x,  y,  x\  y')ds. 


also 


^J=  Ä  +  J,,)  -  «1  +  ^12)  =  -  [^(^2)  -  ^(^5)], 


woraus   sich   nunmehr    in   der   üblichen   Weise   der  Weierstraß'sche 
Satz  ergibt: 


AJ=J  S(x,  y-  p,  q-,  x',  y')ds, 


wenn  p,q    die  Richtungskosinus    der    durch    den  Punkt  P^  gehenden 
Feldextremalen  in  diesem  Punkt  bedeuten.    Nun  ist  aber 

ö(^,  2/,  P,q,  oc  ,y  )-       -    -^._^--^^^-^-_,^^ 

Da  ^>1,  außer  im  Punkt  P5,  und  ferner  ^'^0,  ^' ^  0,   ohne  daß 
beide  gleichzeitig  verschwinden,  so  ist 

entlang   dem  Bogen  P'^l\,   und   zwar   gleich  Null  nur   in   denjenigen 


418  Achtes  Kapitel.     Diskontinuierliche  Losungen. 

Punkten,  in  welchen  die  Feldextremale  die  Kurve  (^  berülirt,  und  mög- 
licherweise im  Punkt  P-. 

Daraus  schließt  man  aber  ganz  wie  in  §  32,  b)  das  Endresultat: 
Unter  allen  gewohnlichen  Kv/rven,  welche  vom  Funli  P^  nach  dem  Punlct 
P^  gezogen  u-erden  können,  und  welche  den  Bedingungen  (64)  und  (65) 
genügen,  liefert  der  Kurvenzug  P^F^P^,  ivelcher  sich  aus  dem  Stüch 
PqP^  der  y- Achse  und  dem  Newton' sehen  Bogen  P^P^  'vom  Gefälle 
-\-  1  im  Punkt  P^  zusammensetzt ,  den  kleinsten  Wert  für  das  Integral  J}) 

^)  Hierzu  die   Übtoigsauf gaben  Nr.  44,  45  am  Ende  von  Kap.  IX. 


Neuntes  Kapitel. 
Das  absolute  Extremuin. 

§  55.     Einleitende  Bemerkungen. 

Wir  haben  bei  der  Definition  des  absoluten  und  relativen  Ex- 
tremums  in  §  3  gesehen,  daß  das  Problem  des  absoluten  Extremums 
sich  auf  dasjenige  des  relativen  reduzieren  läßt,  insofern  eine  Kurve, 
welche  für  ein  bestimmtes  Integral  in  Beziehung  auf  eine  gegebene 
Mannigfaltigkeit  von  zulässigen  Kurven  ein  absolutes  Extremum  liefert, 
allemal  auch  ein  relatives  liefert.  Kennt  man  also  alle  Lösungen  des 
relativen  Problems,  und  kann  man  a  priori  die  Existenz  eines 
absoluten  Extremums  beweisen,  so  ist  mit  dem  relativen  Problem 
—  wenigstens  wenn  dasselbe  nur  eine  endliche  Anzahl  von  Lösungen 
besitzt  — ,  zugleich  auch  das  absolute  .  gelöst.  Kann  man  dagegen 
einen  solchen  Existenzbeweis  nicht  führen,  so  bleibt  das  absolute 
Problem  ungelöst,  selbst  wenn  man  das  relative  vollständig  gelöst  hat. 

Daher  die  fundamentale  Wichtigkeit  der  Aufgabe:  Für  ein  ge- 
gebenes Variationsproblem  a  priori  die  Existenz  oder  Nichtexistenz 
eines  absoluten  Extremums  nachzuweisen.  In  älterer  Zeit  hat  man 
geglaubt,  aus  der  bloßen  Existenz  einer  endlichen  unteren  Grenze  für 
die  Integralwerte  ohne  weiteres  auf  die  Existenz  eines  absoluten  Ex- 
tremums schließen  zu  dürfen.  So  ist  z.  B.  das  berühmte  Dirichlet'- 
sche  Prinzip   gerade   auf   den  Schluß  basiert,   daß   das  Doppelintegral 


^ -//[©' +(©!-* 


notwendig  ein  Minimum  besitzen  müsse,  weil  sein  Wert  stets  ^  0  ist. 
Weierstrass  hat  zuerst  gezeigt,  daß  der  Schluß  falsch  ist,  da 
derselbe  auf  einer  Verwechslung  von  unterer  Grenze  und  Minimum 
beruht,  und  hat  zugleich  ein  Beispiel^)  angegeben,  welches  die  Unhalt- 
barkeit  der  Dirichl  et 'sehen  Schluß  weise  drastisch  illustriert.  Es  ist 
die  Aufgabe,  das  Integral  ^ 


^)  Weierstrass,   Werke,  Bd.  II,  p.  41). 


420  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

zu  einem  Minimum  zu  machen  in  Beziehung  auf  die  Gesamtheit  aller 
in  der  Form  y  =  y{x)  darstellbaren  Kurven  der  Klasse  C,  welche 
durch  zwei  gegebene  Punkte  (—  1^  d)  und  (-f  l,h)  gehen,  wo- 
bei a  ^h. 

Die  untere  Grenze  dieses  Integrals  ist  gleich  Null.  Denn  einer- 
seits kann  das  Integral  sicher  nie  negative  Werte  annehmen,  während 
andererseits  zulässige  Kurven  angegeben  werden  können,  welche  dem 
Integral  einen  beliebig  kleinen  Wert  erteilen.    So  ist  z.  B.  die  Funktion 

Are  tff   - 
a-\-h    ,    h  —  a  ^  s 

2/ =  ^-  +  -^-77-1 
Are  tg  — 

eine  zulässige  Funktion,  für  welche  man  leicht  die  Ungleichung 

+  1 
J<    C{x'  +  e')y'dx 


+  1 
^  2  Are  tg 


verifiziert,  aus  der  durch  Verkleinerung  des  Parameters  s  die  Be- 
hauptung folgt. 

Die  untere  Grenze  des  Integrals  ist  also  in  der  Tat  gleich  Null. 
Trotzdem  gibt  es  keine  zulässige  Kurve,  für  welche  das  Integral  den 
Wert  Null  annimmt.  Denn  wegen  der  vorausgesetzten  Stetigkeit  von 
y'  wäre  dies  nur  möglich,  wenn  der  Integrand  beständig  gleich  Null, 
d.  h.  y  konstant  wäre,  und  dies  widerspricht  der  Voraussetzung  a  =H  h. 

Obgleich  somit  der  Schluß  von  der  Existenz  einer  endlichen 
unteren  Grenze  auf  die  Existenz  eines  Minimums  nicht  haltbar  ist, 
so  wirft  sich  doch  die  Frage  auf,  ob  es  nicht  möglich  ist,  bei  einem  ge- 
gebenen Variationsproblem  der  Funktion  unter  dem  Integrationszeichen 
oder  der  Mannigfaltigkeit  der  zulässigen  Kurven  (oder  beiden)  solche 
Bescliränkungen  aufzuerlegen,  daß  man  die  Existenz  eines  absoluten 
Extremum  s  a  priori  feststellen  kann,  ähnlich  wie  man  etwa  von  einer 
in  einem  Intervall  [ah]  definierten  Funktion  f(x)  a  priori  die  Existenz 
eines  Maximums  und  Minimums  behaupten  kann,  vorausgesetzt,  daß 
man  der  Funktion  die  Bedingung  der  Stetigkeit  auferlegt. 

HiLBERT^)  hat  nun  in  der  Tat  eine  Methode  ersonnen,  durch  die 
diese  wichtige  Frage  in  Angriff  genommen  und  in  gewissen  Fällen 
vollständig  erledigt  werden  kann.  Er  hat  den  Grundgedanken  der- 
selben an  dem  Beispiel  der  kürzesten  Linie  auf  einer  Fläche  erläutert 


')  Jahresberichte    der    Deutschen    Mathematiker-Vereinigung, 
Bd.  VIII  (1899),  p.  184. 


§  55.    Einleitende  Bemerkungen.  421 

und  auch  einige  Andeutungen  über  die  Ausdehnung  der  Methode  auf 
das  allgemeine  Integral 


J^  j  tl^,y,y')^^ 


gegeben^). 

Die  Hubert 'sehe  Methode  ist  inzwischen  von  Lebesgue^)  und 
Caratheodory^)  nicht  unwesentlich  vereinfacht  worden,  und  unter 
Benutzung  dieser  Vereinfachungen^)  soll  in  diesem  Kapitel  die  Existenz, 
eines  absoluten  Minimums  des  Integi'als 

J  =  J  F{x,y,x,y)dt, 
h 
bei  festen  Endpunkten,  bewiesen  werden,  und  zwar  unter  den  folgen- 
den Voraussetzungen: 

A)  Die  Funktion  F{iv,y,x\y')  ist  von  der  Klasse  C"  und  genügt 
der  Homogeneitütshedingung 

F(x, y, lex, hy')  =  hF{x, y, x, y')y         Ic  >  0 

in  dem  Bereich 

%:  {x,y)  in  Öl,  x^^y'^=f^O. 

B)  Das  Problem  ist  positiv  definit^)  in  einem  im  Innern  von  6i 
gelegenen  Bereich  6{q. 

^)  In  Vorlesungen,  Göttingen,  Sommer  1900.  Noblk  hat  in  seiner  Disser- 
tation „Eine  neue  Methode  in  der  Variationsreclinung'-^  (Göttingen  1901)  in 
§§  5 — 14  diese  Andeutungen  im  einzelnen  durchgeführt.  Seine  Schlüsse  entbehren 
jedoch  derjenigen  Strenge,  welche  bei  einer  Untersuchung  dieser  Art  unerläßlich 
ist.    Insbesondere  sind  die  Entwicklungen  in  §§  9,  10  und  13  nicht  einwandfrei 

Andeutungen  eines  auf  wesentlich  anderen  Prinzipien  beruhenden  Existenz- 
beweises für  dasselbe  Integral  gibt  Hadamard,  Comptes  Rendus,  Bd.  CXLIII 
(1906),  p.  1127.  Der  Beweis  knüpft  an  die  Transformation  der  ersten  Variation 
von  Du-Bois-Reymond  an. 

HiLBERT  selbst  hat  später  das  Dirichlet'sche  Prinzip  ausführlich  mittel» 
seiner  Methode  behandelt,  vgl.  Festschrift  zur  Feier  des  hundertfünfzigjährigen 
Bestehens  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen \  Mathematische 
Annalen,  Bd.  LIX  (1901),  p.  161;  Journal  für  Mathematik,  Bd.  CXXIX 
(1905),  p.  63. 

Einen  direkten  Existenzbeweis  für  den  Fall  des  Dir ichle tischen  Prinzip» 
hat  neuerdings  unter  sehr  allgemeinen  Voraussetzungen  auch  Beppo  Levi  ge- 
geben, Rendiconti  del  Circolo  Matematico  di  Palermo,  Bd.  XXII  (1906). 

^)  Annali  di  Matematica  (3),  Bd.  VII  (1902),  p.  342. 

■'')  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  493. 

^)  In  engerem  Anschluß  an  das  ursprüngliche  Hilbert'sche  Verfahren  ist 
der  Beweis  in  meinen  Lectures,  Kap.  VII  durchgeführt. 

^)  Vgl.  p.  277. 


422  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

C)  Das   Problem   ist  positiv  regulär'^)  in   demselben  Bereich  6{q. 

D)  Der  Bereich  ÖIq  ist  leschränkt ,  abgeschlossen  und  konvex^), 
d.  h.  die  Verbindungsgerade  je  zweier  Punkte  von  ÖIq  liegt  ganz  in  6{q. 

xlus  der  Voraussetzung  C)  folgt  nach  §  35,  c),  daß  das  (verall- 
gemeinerte) Integral  J  entlang  jeder  ganz  in  ÖIq  gelegenen  rektifizier- 
baren Kurve  einen  bestimmten  endlichen  Wert  hat. 

Es  soll  nun  unter  den  Voraussetzungen  A)  bis  D)  bewiesen  werden: 

Sind  A^  und  A^  irgend  zwd  verschiedene  Funkte  von  Öl^^,  so  gibt 
es  stets  mindestens  eine  von  A^  nach  A^  führende,  ganz  in  ÖIq  gelegene 
rektifizierbare  Kurve  §,  ivelche  für  das  verallgemeinerte  Integral  J  ein 
absolutes  Minim/um  liefert  in  Beziehung  auf  die  Gesamiheit  aller  rekti- 
fizierbaren Kurven,  tvelche  in  01^  von  A^  nach  A^  gezogen  werden  können. 

Diese  Kurve  §  besteht  aus  einer  endlichen  oder  abzahlbar  uneyid- 
lichen  Menge  von  Extremalenbogen  der  Klasse  C"\  welche  abgesehen  von 
ihren  Endpunkten  im  Innern  des  Bereiches  ÖIq  liegen,  und  aus  Punkten 
oder  Punktmengen  der  Begrenzung  von  ÖIq.  Die  Kurve  §  hat  über- 
dies keine  Doppelpunkte. 

§  56.     Ein  Hilfssatz  über  die  Existenz  einer  Grenzkurve. 

Wir  basieren  den  zu  führenden  Existenzbeweis  nach  dem  Vor- 
gang von  Lebesgüe^)  und  Caeatheodory*)  auf  den  folgenden  all- 
gemeinen Satz  über  die  Existenz  einer  Grenzkurve: 

Es  sei  eine  unendliche  Menge  von  rektifizierbaren  Kurven,  {^}, 
gegeben,  ivelche  zivei  gegebene  Punlde  A^  und  A^  verbinden,  und  tvelche 
die  Eigenschaft  haben,  daß  die  Menge  ihrer  Längen  beschränkt  ist. 

Alsdann  kann  man  aus  der  Menge  { ß^,, )   eine  unendliche  Folge  von 

herausgreifen  derart,  daß  die  Kurven  S^  gegen  eine  ebenfalls  die  Punkte 
A^  und  A^  verbindende,  rektifizierbare  Kurve  §  konvergieren. 

^)  Vgl.  p.  214. 

^)  Die  folgenden  Resultate  bleiben  bestehen,  wenn  die  VoraussetzAing  D) 
durch  die  allgemeinere  Voraussetzung  D')  ersetzt  wird: 

D')  Der  Bereich  01^  ist  beschränkt,  perfekt,  zusammenhängend  und  zu 
jedem  positiven  e  gehört  eine  zweite  positive  Größe  rf^,  derart,  daß  je  zwei 
Punkte  P',  P"  von  ^^^,  deren  Entfernung  kleiner  ist  als  c?^,  durch  mindestens 
eine  ganz  in  01^,  gelegene,  gewöhnliche  Kurve  U  verbunden  werden  können,  für 
welche:  ^^  <C  ^-  (^gl-  eine  analoge  Bemerkung  von  Hahn,  Monatshefte  für 
Mathematik,  Bd.  XVII  (1906),  p.  67,  Fußnote  »)). 

')  loc.  cit.  p.  346. 

^)  loc.  cit.  p.  493.  Der  im  Text  gegebene  Beweis  schließt  sich  im  wesent- 
lichen an  die  Darstellung  von  Caratheodory  an. 


§  56.    Ein  Hilfssatz  über  die  Existenz  einer  Grenzkurve.  423 

Darunter  ist  folgendes  zu  verstehen.  Die  Kurven  S^  und  §  lassen 
sich  derart  durch  einen  zwischen  denselben  Grenzen  variierenden 
Parameter  ausdrücken: 


k<i<  h, 


daß  für  jedes  t  im  Intervall  [t^t^'\ 

und  zwar  gleichmäßig  in  Beziehung  auf  das  Intervall:  t^  ^  ^  ^  ^2- 

Zur  besseren  Übersicht  heben  wir  die  verschiedenen  Etappen  des 
Beweises  ausdrücklich  hervor. 

a)  Vorbereitende  Bemerkungen: 

Wir  bemerken  zunächst,  daß  sämtliche  Kurven  der  Menge  [^] 
in  einem  beschränkten  Bereich  der  :r^^-Ebene  gelegen  sind.  Denn 
nach  Voraussetzung  gibt  es  eine  positive  Größe  G  derart,  daß  für  jede 
unserer  Kurven  ^  die  Ungleichung 

h<G  '  (1) 

gilt,  wenn  wir  mit  ?(j  die  Länge  der  Kurve  (^  bezeichnen.  Ist  daher 
P  ein  Punkt  von  ß,  so  ist 

A^F   ^  arc  JLi  P^h<G.  (2) 

Wir  wählen  als  Parameter  zur  Darstellung  der  Kurve  S  die  Größe 

<  =  -A^,  (3) 

und  erhalten  so  eine  Parameterdarstellung,  bei  welcher  der  Parameter 
auf  sämtlichen  Kurven  der  Menge  {S)  von  0  bis  1  wächst,  während 
die  Kurve  von  Ä^  bis  Ä^  beschrieben  wird. 

Sind  dann  t',f  irgend  zwei  Werte  von  t  im  Intervall  [Ol],  und 
bezeichnen  P^(f),  P^iit")  die  denselben  auf  der  Kurve  ^  entsprechen- 
den Punkte,  so  folgt  aus  (3)   und  (2)   die  fundamentale  Ungleichung 

\F^{f)F^{t")\<G\t'-r\.  (4) 

b)  Konstruktion  der  Kurvenfolge  'xKi: 

Wir  greifen  jetzt  aus  dem  Intervall:  0  ^  ^  ^  1  eine  abzählbare, 
in  diesem  Intervall  überall  dichte^)  Punktmenge 

(r,),     7c  =1,2,.,.  (5) 

^)  Vgl.  A  I  6.  Eine  den  Anforderungen  genügende  Menge  ist  z.  B.  die  Ge- 
samtheit der  rationalen  Zalilen  im  Intervall  [0  1]. 


424  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

heraus  und  betrachten  zunächst  die  Menge  der  dem  Wert  t  =  t^  auf 
den  verschiedenen  Kurven  S  entsprechenden  Punkte: 

{P^i^i))-  (6) 

Dieselbe  ist  nach  dem  vorigen  beschränkt  und  besitzt  daher  mindestens 
einen  Häufungspunkt,  den  wir  mit  Hir^)  bezeichnen.  Wir  können 
dann  aus    { S }    eine  unendliche  Folge  von  Kurven 

herausgreifen,  sodaß^) 

L     P)(r,)  =  if(r,), 

^.  =  CO 

indem  wir  mit  PJ(t^i)  den  dem  Wert  t  =  r^  entsprechenden  Punkt 
der  Kurve  ^\  bezeichnen.  Der  Punkt  Hit^)  ist  dann  zugleich  der 
einzige^)  Häufungspunkt  der  Menge 

[PIM],         A  =  l,2,....  (7) 

Jetzt  betrachten  wir  weiter  die  Punktmenge 

jP5(r,)},         A  =  l,2......  (6a) 

Sei  H{t.j)  einer  ihrer  H'äufungspunkte  und  {  PJ  (tj)  |,  fi  =  1,  2,  .  .  . 
eine  in  (6a)  enthaltene  unendliche  Teilfolge,  für  welche 

L     P'  (r,)  =  H(r,). 

^<  =  ao  ^* 

Wir  schreiben  S^  statt  ^]  und  P^  statt  P]  ,  und  erhalten  so  eine 
zweite,  in  QTli  enthaltene,  unendliche  Kurvenfolge 

für  welche 

L     P;(r,)  =  i/(r,). 

/<  =  QO 

Zugleich  ist  aber  auch 

L     Pf  (r.)  = //(r.).        .. 

Denn  da  die  Punktmenge  {Pl(r^)]=  {^'/^i)l  i^  der  Menge  (7)  ent- 
halten ist,  so  ist  jeder  ihrer  Häufungspuukte,  deren  sie  mindestens 
einen  besitzt,  zugleich  Häufungspunkt  der  Menge  (7);   diese  hat  aber 

^)  Nach  A  I  4.  Wegen  der  Bezeichnung  vgl.  p.  156,  Fußnote  *). 
2)  Nach  dem  leicht  zu  beweisenden  Lemma:  „Ist  die  unendliche  Folge 
{  «j,  j  konvergent  und  l  ihre  Grenze ,  so  ist  l  der  einzige  Häufungspunkt  der 
Menge  { «,,  J  ;  umgekehrt:  Ist  { a  J  eine  abzählbare,  beschränkte  lineare  Punkt- 
menge, welche  nur  einen  einzigen  Häufungspunkt  l  besitzt,  so  ist  die  unendliche 
Folge  {«j, }  konvergent  und  l  ihre  Grenze." 


[ 


§  56.    Ein  Hilfssatz  über  die  Existenz  einer  Grenzkiirve.  425 

nur  den  einen  Häufungspuukt  H{r^,  woraus  die  Behauptung  nach 
dem  oben^)  angeführten  Lemma  folgt. 

Jetzt  betrachten  wir  weiter  die  Punktmenge 

(P;(r3)j,  f<  =  l,2,...,  (6  b) 

und  wenden  auf  sie  die  analogen  Schlüsse  an^  und  indem  wir  so  fort- 
fahren, gelangen  wir  nach  ^^-ma]iger  Wiederholung  des  Verfahrens  zu 
einer  unendlichen  Kurvenfolge 

9n„:        s;;  %,..., 

welche  in  9TL„_i  enthalten  ist,   und  welche  die  Eigenschaft  hat,   daß 

L     P:(r,)  =  Ä(r,) 

für  Zv  =  1,  2  .  .  .  w,  wobei  PI(t-j^  den  dem  Wert  t  =  x^.  entsprechenden 
Punkt  der  Kurve  (^^,!  bezeichnet. 

Nunmehr    bezeichnen    wir:    ^\  =  ©^,,    PJ;  =  P^-,    alsdann   hat    die 
Kurvenfoli/e  cj^.         g^^     ^^^    ^  ^ 

die  Eigenschaft,  daß  für  jedes  k 

L     PJr^)  =  H{r,).  (8) 

1'=  00 

Denn  da  9TL^^^^  in  ^tJTif.  enthalten  ist,  so  ist  die  Punktmenge 
welche  dieselben  Häufungspunkte  hat  wie  die  Menge 

{P,(TJK  1^=1,2,..., 

in  der  Menge 

|Pi:(rj),      v  =  l,2,... 

enthalten  und  hat  daher  ebenso  wie  diese  den  einzigen  Häufungspunkt 
H(r^),  woraus,  wie  oben,  die  Behauptung  (8)  folgt. 

c)  Konstruktion  der  Grrenzkurve§ : 

Von  dieser  Kurvenfolge  { ^^ } 
müssen  wir  nun  nachweisen,  daß  sie 
in  dem  angegebenen  Sinn  gegen  eine 
Grenzkurve  konvergiert. 

Wir  haben  also  zunächst  zu  zeigen. 


nicht  nur  für  die  Werte  t  =  r^.  der  /  j^ig  99 

Menge   (5),    sondern    für  jeden  be-  ^^ 

liebigen  Wert  von  t  im  Intervall  [Ol]  der  zugehörige  Punkt  P^(t)  der 

^)  Vgl.  p.  424,  Fußnote  ^). 


6 


426  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

Kurve  S,,  für  v==csd  gegen  einen  Grenzpunkt  konvergiert.  Wir  gehen 
dazu  von  der  Ungleichung  aus 

unter  r^  irgendeinen  Punkt  der  Menge  (5)  verstanden. 

Die  rechte  Seite  dieser  Ungleichung  ist  nach  (4)  kleiner  als 

2G\t-r,\  +  \P^X^,)P,,(r,)\. 

Ist  jetzt  eine  positive  Größe  8  beliebig  vorgegeben,  so  können  wir 
einerseits  den  Index  k  so  wählen,  daß 

da  ja  t,  wie  jeder  Punkt  des  Intervalls  [Ol],  ein  Häufungspunkt  der 
Menge  (5)  ist.  Andererseits  können  wir  wegen  (8)  eine  positive 
Größe  N  angeben,  sodaß 

\P,(r,)Pr(r^\<l 
sobald  ^  und  v  beide  größer  als  N  sind.     Daher  ist  alsdann 

\P,u(t)PM\<^.  W 

und  daraus  folgt  nach  dem  allgemeinen  Konvergenzprinzip  ^),  daß  der 
Punkt  P^(t)  für  v  =  (x>  gegen  einen  Grenzpunkt  konvergiert,  den 
wir  mit  II(i)  bezeichnen: 

LPxt)-m)-  (1^) 

)  ■  =  00 

Zu  jedem  Wert  von  t  im  Intervall  [0  1]  gehört  somit  ein  Grenz- 
punkt H{t).  Die  Gesamtheit  dieser  Grenzpunkte  bildet  eine  Kurve, 
die  wir  mit 

§:  ^  =  9(0.         2/  =  ^(0.  O^^^l 

bezeichnen. 

Es  ist  jetzt  weiter  zu  zeigen,  daß  die  Kurve  ^^.  gegen  diese 
Grenzkurve  §  gleichmäßig  konvergiert:  Die  ganze  Zahl  N  hängt 
von  8  und  t^  ab,  wir  bezeichnen  sie  dementsprechend  mit  N{8,Xj^. 
Wählen  wir  jetzt  aus  der  Menge  (5)  eine  endliche  Anzahl  von  Ele- 
menten tj^,  aus,  so  daß 

0<T,  <T,  <---<r,   <1  (11) 

und  so,  daß  die  Differenz  zweier  aufeinanderfolgender  Größen  der 
Reihe  (11)  kleiner  ist  als  £/3(t,  und  ist  N^  die  größte  der  m  ganzen 

1)  Vgl.  All  4.     Man  wende  das  Prinzip  auf  die  Funktionen  «3P,,(i),  tjXO  ^^^- 


[ 


§  56.    Ein  Hilfssatz  über  die  Existenz  einer  Grenzkurve.  42 T 

SO  gilt  die  Ungleichung  (9)  für  jedes  t  im  Intervall  [0  1]^  sobald  ^ 
und  V  beide  größer  als  N^  sind,  womit  die  Gleichmäßigkeit  der  Kon- 
vergenz bevpiesen  ist. 

d)  Eigenschaften  der  Grenzkurve  §: 

Es   bleibt  jetzt  nur   noch  zu  zeigen,   daß  die  Grenzkurve  §  von 
A^  nach  A^  führt  und  rektifizierbar  ist. 

Das    erstere    ergibt    sich    unmittelbar    daraus,    daß   nach   unserer 
Wahl  des  Parameters  t 

PM-A,        Pr(i)  =  A, 

woraus  durch  Grenzübergang  folgt 

H{0)  =  A,,         H(l)  =  Ä,_.  (12) 

Weiter  folgt  aus  der  fundamentalen  Ungleichung  (4)  für  je  zwei 
Werte  t',t"  von  t  im  Intervall  [Ol]: 

\P,.{nPr(n''<Cr\t'-t'-, 

und  hieraus  durch  Grenzübergang 

\H(t')Hit")\^,G  t'-r\.  (13) 

Es  ist  also  a  fortiori 

\f(t')~^i^(r)\^G\r-r\. 

Daraus  folgt  aber  sofort,  daß  die  beiden  Funktionen  (p(t),il^(t)  stetig- 
und  „von  beschränkter  Variation"^)  sind,  und  dies  ist  die  not- 
wendige und  hinreichende  Bedingung  dafür,  daß  die  Kurve  §  reJäi- 
fizierhar^)  ist,  womit  der  im  Eingang  dieses  Paragraphen  ausgesprochene 
Satz  in  allen  seinen  Teilen  bewiesen  ist. 


*)  Vgl.  Jordan,    Cours  d' Analyse,  Bd.  I,  Nr.  C.7.     Es  sei  /(f)  eine  in  einem 
Intervall  [t^t^]  definierte  Funktion  und 

irgendeine  Teilung  dieses  Intervalls.     Wenn   dann  die  obere  Grenze  der  Summe 

it 

2\  fK  +  l)  -  AV  I ,  (-^0  =  ^0.  ^«  +  1  =  *l), 

v  =  0 

für  alle  Teilungen  JT  endlieh  ist,   so  heißt  f(t)  „von  beschränkter  Variation"  (» 
Variation  bornee)  in  [i^^J. 

^  Vgl.  Jordan,  loc.  cit.  Nr.  105,  110. 


■428  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

§  57.    Beweis  des  Hilbert'schen  Existenztheorems. 

Wir  gehen  jetzt  dazu  über,  den  im  vorangehenden  Paragraphen 
bewiesenen  Hilfssatz  auf  das  in  §  55  formulierte  Existenztheorem  an- 
zuwenden. 

a)  Eigenschaften  der  unteren  (jrenze  i(F' F"): 

Wir  werden  uns  dabei  der  folgenden  abkürzenden  Bezeichnungs- 
weise bedienen:  Wenn  P\  P"  irgend  zwei  Punkte  des  Bereiches  ÖIq 
sind,  (die  auch  zusammenfallen  dürfen),  so  bezeichnen  wir  mit9TL(P' P") 
die  Gesamtheit  aller  rektifizierbaren  Kurven,  welche  in  6{q  von  P' 
nach  P"  gezogen  werden  können,  und  mit  i[P' P")  die  untere  Grenze 
-der  Werte,  welche  unser  Integral 

J=JF(x,y,x,y)dt, 

in  der  verallgemeinerten  Bedeutung  von  §35,  b)  und  c),  entlang  den 
verschiedenen  Kurven  der  Menge  9TI (P'P")  annimmt. 

Diese  untere  Grenze  ist  stets  positiv  ^  ivenn  P'  =H  P  ■  Denn  nach 
Voraussetzung  A)  und  B)  hat  die  Funktion  F{x,yyGOsyjSm}>)  in  dem 
abgeschlossenen  Bereich:  (x,y)  in  ÖIq;  0^'y^2:t  ein  positives  Mini- 
mum m  und  ein  positives  Maximum  M.  Ist  daher  ^  irgendeine 
Kurve  von  971  (P'P"),  so  erhalten  wir,  indem  wir  die  Bogenlänge 
auf  der  Kurve  ß^  als  Parameter  einführen^), 

0  <  m   P'F"  ^^ml^^  J^iP'Pl  <  ^k ^  (^^) 

unter  L  die  Länge  der  Kurve  S  verstanden.  Daraus  folgt  unsere 
Behauptung  und  zugleich,  daß 

i(P'P")^m  P'P'u  (15) 

Dagegen  ist  die  untere  Grenze  i{P'P")  gleich  Null,  wenn  P"=P'\ 

i{P'P')  =  i).  (16) 

Denn  gehen  wir  von  P'  nach  irgendeinem  anderen  Punkt  P"  von 
0lo  entlang  der  Geraden-)  P' P"  und  dann  von'P"  entlang  derselben 
Geraden  nach  P'  zurück,  so  stellt  dieser  Weg  nach  unseren  Voraus- 
setzungen über  den  Bereich  ^R^  eine  Kurve  der  Menge  91[l(P'P')  dar; 
indem  wir  aber  den  Punkt  P''  längs  einer  Geraden  gegen  P'  kon- 
vergieren lassen,  können  wir  den  Integralwert  unter  jede  Grenze 
herunterdrücken,  womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

^)  Daß  die  Ungleichung  (14)  auch  für  das  verallgemeinerte  Integral  gilt, 
folgt  aus  Gleichung  (204  a)  von  §  35. 

*)  Im  Fall  der  Voraussetzung  D')  ist  anstelle  der  Geraden  P'P"  eine  Ä- 
Kurve  von  F'  nach  P",  resp.  von  F"  nach  P'  zu  setzen,  vgl.  p.  422,  Fußnote^). 


§  57.    Beweis  des  Hubert 'sehen  Existenztheorems.  429 

Da  der  Bereich  Öly  konvex  sein  sollte,  so  dürfen  wir  die  Un- 
gleichung (14)  auf  die  Gerade^)  F' F"  anwenden  und  erhalten  so  die 
weitere  Ungleichung 

i{:P'F'')^M\F'F"\,  (17) 

aus  welcher  unmittelbar  folgt,  daß 

L     i(P'P")  =  0.  (18) 

p"  =  1" 

Aus  den  beiden  charakteristischen  Eigenschaften  der  unteren 
Grenze  folgt  weiter,  daß  für  irgend  drei  Punkte  P,  P',  F"  des  Be- 
reiches 6\o  die  Ungleichung  gilt 

i(FF')  +  iiF'F")  S  i{PP"),  (19) 

die  sich  sofort  auf  eine  beliebige  Anzahl  von  Punkten  ausdehnen  läßt. 
Die  untere  Grenze  i{F' F")  ist  überdies  eine  stetige  Funktion  der 
Koordinaten   der   beiden  Punkte  F',F"-     Denn   aus   (19)  folgt  für  je 
zwei  Punktepaare  F',F"  und   Q',Q"  von  Öl^  die  Ungleichung 

-  i{F'Q')  -  iiQ"F")  Z  i{Q'Q-)  -  i{rF")  <  i{Q' F')  +  i{F"  Q"), 

aus  welcher  nach  (18)  unsere  Behauptung  unmittelbar  folgt,  wenn 
wir  Q'  gegen  F'  und   Q"  gegen  F"  konvergieren  lassen. 

b)  Konstruktion  der  Hilberfschen  Kurve: 

Wir  betrachten  jetzt  die  Gesamtheit  yXi{A^A^  aUer  rektifizier- 
baren Kurven,  welche  in  ÖIq  von  Ä^  nach  Ä^  gezogen  werden  können, 
und  bezeichnen  die  untere  Grenze  der  zugehörigen  Integralwerte  mit  K: 

Dann  gibt  es  entweder  unter  den  Kurven  von  ^tKL^A^Ä^)  eine, 
welche  dem  Integral  J  den  Wert  K  erteilt,  in  welchem  Fall  unsere 
Behauptung  bewiesen  ist,  oder  aber  wir  können  eine  unendliche  Folge 
von  Kurven 

911«:       S»,  6»,  ...,  6;,  ... 

aus  der  Menge  dTL^Ä^Ä^)  herausgreifen  derart,  daß  die  zugehörigen 
Werte  des  Integrals  J,  die  wir  mit 

bezeichnen,  für  v  =  oo  gegen  K  konvergieren^): 

L    Jl  =  K.  '  (20) 

Alsdann  erfüllt  die  Kurvenfolge  {SJ)  die  Bedingungen  des  Hilfs- 

\)  Vgl.  Fußnote  ^)  auf  p.  428. 

^  Vgl.  A  I  4.    Die  Größe  K  ist  Häufungspunkt  der  Menge  der  Integralwerte. 

JB  o  1  z  a ,  Yariationsrechniing.  28 


430  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

Satzes  von  §  56.  Denn  die  Kurven  (SJ  verbinden  sämtlicli  die  beiden 
Punkte  Ä^  und  Ä^^,  sie  sind  rektifizierbar,  und  die  Menge  ihrer  Längen 
ist  beschränkt.  Aus  (20)  folgt  nämlich,  daß  die  Menge  {j;}  beschränkt 
ist,  und  die  Ungleichung  (14)  zeigt  dann,  daß  dasselbe  für  die  Menge 
der  Längen  gilt. 

Somit  können  wir  aus  der  Folge  ?P(V  eine  Teilfolge 

herausgreifen,  welche  gegen  eine  die  heiden  Funkte  Ä^  und  A^  ver- 
bindende, reTctifizierhare  Grcnzlurve  §  honvergiert: 

L    (£„=§.  (21) 

Da  der  Bereich  ÖIq  abgeschlossen  ist,  so  liegt  die  Kurve  §  gan^ 

in  0lo- 
■      Bezeichnen    wir    mit   J„   den   Wert    des   Integrals   J  eutlang   der 

Kurve  (^^,,  so  folgt  aus  (20),  daß  auch 

L    J^,  =  K=i(Ä,Ä,\  (22) 

da  die  Folge  {J,,}  in  der  Folge  (j;)  enthalten  ist. 

Die  Kurvenfolge  { ©  J  hat  nun  die  wichtige  Eigenschaft,  daß  ein 
analoger  Satz  für  jeden  Bogen  der  Kurve  §  gilt: 

Wir  wählen  auf  den  Kurven  S^  und  §  den  Parameter  t  in  der- 
selben Weise  wie  in  i^  56,  a).  Sind  dann  f  <  t"  zwei  Werte  von  t 
im  Intervall  [Ol],  und  bezeichnen  wir  vorübergehend  mit  [Jj;,  den 
Wert  des  Integrals  J  entlang  der  Kurve  ^,  vom  Punkt  t'  bis  zum 
Punkt  t",  und  mit  H',H"  die  beiden  entsprechenden  Punkte  H{t'), 
Hit")  der  Kurve  §;  so  gilt  aUgemein  der  Satz^\  daß 

L     [JX-iiH'H'y       '  (23) 

r  =  00 

Zum  Beweis  gehen  wir  aus  von  der  nach  Gleichung  1210)  von 
§  35  auch  für  das  verallgemeinerte  Integral  geltenden  Gleichung 

Da  wegen  der  Voraussetzung  B):  [J,]?^^.,  so  ist  die  Menge 

{[Jj;),^  =  l,2,...  (25) 

beschränkt;  sie  besitzt  also  mindestens  einen  Häufungspunkt  Zf,',  und 
wir  können  eine  Teilfolge  aus  (25)  herausgreifen  derart,  daß 

1=    CO 

^)   Vgl.  Cakatheodory,  loc.  cit.,  p.  497. 


§  57.    Beweis  des  Hilbert'schen  Existenztheorems.  431 

Ebenso  besitzt  die  Menge 

mindestens   einen   Häufungspunkt  D^   und   es   existiert  eine  Teilfolo^e, 
so  daß  ^     n  ^    n , 

gleichzeitig  ist  dann  auch 

A=  00  K 

Nunmehr  folgt  aus  (24)  und  {22),  daß  auch  die  Grenze 
existiert  und  endlich  ist,  und  daß 

Wir  schreiben  der  Einfachheit  halber  ^tt^  statt  i^,.^  und  markieren 
auf  den  beiden  Kurven  ^,^    und  ö  die  Punkte: 

und   ziehen   die  Geraden^)  H' F'  und 

;  F"  H"y  die  nach  unserer  Voraus- 
setzung D)  im  Bereich  Öl^  liegen. 
Dann  gehört  die  aus  der  Geraden  H' F\ 

'■■  dem  Bogen  F' F''  der  Kurve  K  und 
der  Geraden  F" H"  zusammengesetzte 
Kurve  zu  ^tKi{H' H").    Der  Wert  des 

Integrals  J  entlang  dieser  Kurve  ist  also  >  i{H' H").  Gehen  wir  zur 
Grenze  k  =  csd  über,  so  konvergieren  die  Punkte  F',F"  gegen  H'^H", 
also  das  Integral  J  entlang  den  Geraden  H' F'  und  F" H"  gegen  Null 
Daher  erhalten  wir 

n^^i{H'Hy  (27) 

Ebenso  zeigt  man,  indem  man  die  Kurvenzüge^)^iP'jff',  resp.^"P"^2 
betrachtet,  daß 

Li  S  KAH'\  Lh  >  i{H"A,).  (27a) 

Addiert  man  jetzt  die  drei  Ungleichungen  (27),  (27  a)  und  benutzt 
(26),  so  erhält  man 


*)  Fiir  den  Fall  der  Voraussetzung  D'),  vgl.  p.  422,  Fußnote  ^. 

28* 


432  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

Andererseits  ist  aber  nach  (19)  die  rechte  Seite  >  K.  Die  beiden 
Resultate  sind  nur  vereinbar,  wenn  in  (27)  und  (27a)  überall  das 
Gleichheitszeichen  gilt.     Somit  ist 

L{  =  i{A,H'),        D;  =  i(H'H"),        L],.  =  i{H"A,).        (28) 

Nun  war  aber  Lf  irgendein  Häufungspunkt  der  Menge  (25); 
aus  dem  eben  erhaltenen  Resultat  folgt  daher,  daß  es  der  einzige 
sein  muß,  und  daher  folgt  das  zu  beweisende  Resultat  (23)  nach  dem 
auf  p.  424  Fußnote  ^)  gegebenen  Lemma. 

c)  Minimaleigenschaft  der  Hubert 'sehen  Kurve: 
Wir  wollen  nunmehr  nachweisen,  daß  das  Integral  J  entlang  der 
Hilbert 'sehen  Kurve  §  gleich  der  unteren  Grenze  K  ist: 

■h  =  -ff-  (29) 

Der  Beweis  gründet  sich  auf  folgende  charakteristische  Eigenschaft 
der  Hilhert' sehen  Kurve: 

Sind  H,  H',  H"  drei  in  dieser  Ordnung  aufeinanderfolgende 
Punkte  der  Hilbert 'sehen  Kurve  §,  so  ist 

i{HH')  +  i(H'H")  =  i{HH").  (30) 

Ist  nämlich:    O^^t  <t'  <t"  ^l,    and:    H=H(t),    H' =  H{t'\ 

H'  =  H{t"\  so  ist 

woraus  nach  (23)  durch  Grenzübergang  unmittelbar  die  Gleichung 
(30)  folgt. 

Aus  dieser  Eigenschaft  der  Kurve  §  ergibt  sich  nun  der  Beweis 
von  (29)  durch  folgende  Überlegung: 

Wegen  der  Voraussetzung  C)  ist  das  verallgemeinerte  Integral  Jj^ 
die  Grenze  der  in  §  35,  c)  definierten  Summe 

n 
v  =  0 

für  Ar  =  0.  Wird  die  Teilung  77  so  fein  genommen,  daß  für  jedes  v 
die  Entfernung  !P,P,  +  il  kleiner  ist  als  die  in  §  33,  c)  für  den  Be- 
reich ölo  definierte  Größe  d^,  so  liefert  die  .„kürzeste"  Extremale  @^ 
von  P^  nach  P^+i  einen  nicht  größeren  Wert  für  das  Integral  J  als 
jede  andere  rektifizierbare i)  Kurve,  welche  in  6lo  von  P,  nach  P^,^^ 
gezogen  werden  kann. 


1)  Vgl.  p.  278,  Fußnote  \  und  p.  291,  Gleichung  (211). 


§  57.    Beweis  des  Hilbert'scben  Existenztheorems.  433 

Liegt  daher  ©^  selbst  ganz  in  ÖIq,  so  ist 

Liegt  dagegen  @^  teilweise  außerhalb  Öl;,,  so  ist 
daraus  lolgt,  daß 

v  =  0 

Nun  ist  aber  nach  (30)  die  rechte  Seite  gleich  K  =  iiA^Ä^)]  indem 
man  zur  Grenze  A  t  =  0  übergeht,  erhält  man  also 

Andererseits  folgt  aber  aus  der  Definition  der  unteren  Grenze  K^  daß 
J§  >  K,  es  muß  also  J^  =  K  sein. 

Somit  liefert  in  der  Tat  die  Hilbert^sche  Kurve  §  in  dem  an- 
gegebenen Sinn  das  absolute  Minimum  für  das  Integral  J. 

Aus  der  Gleichung  (29)  folgt  noch,  daß  für  je  zwei  aufeinander- 
folgende Punkte  H',  B"  der  Kurve  §: 

J^{H'H")^i{H'H").  (31) 

Denn  die  linke  Seite  kann  sicher  nicht  kleiner  sein  als  die  rechte; 
wäre  sie  aber  größer,  so  könnte  man,  wie  aus  den  charakteristischen 
Eigenschaften  der  unteren  Grenze  i{H' H")  folgt,  durch  Abänderung 
des  Bogens  H' B"  der  Kurve  §  eine  neue  Kurve  herleiten,  welche 
dem  Integral  J  einen  Wert  erteilen  würde,  der  kleiner  wäre  als  Z, 
was  nicht  möglich  ist. 

d)  Weitere  Eigenschafteii  der  Hubert 'sehen  Kurve: 

Es  sind  jetzt  noch  die  in  §  55  behaupteten  Eigenschaften  der 
Kurve  ^  nachzuweisen. 

Es  ist  zunächst  klar,  daß  die  Kurve  §  keine  Boppelpunkte  be- 
sitzen kann,  d.  h.  daß  zwei  verschiedenen  Werten  von  t  stets  zwei 
verschiedene  Punkte  von  §  entsprechen.  Denn  wäre  B'(t')  =  B{t"\ 
t'<t'\  so  könnte  man  durch  Unterdrückung  des  Bogens  [ff]  aus 
§  eine  neue  Kurve  herleiten,  entlang  welcher  der  Wert  des  In- 
tegrals J  wegen  unserer  Voraussetzung  B)  kleiner  wäre  als  K,  was 
unmöglich  ist. 

Die  Punkte  der  Kurve  §  werden  nun  im  allgemeinen  zum  Teil 
im  Innern  von  ÖIq  liegen,  zum  Teil  auf  der  Begrenzung.  Es  sei 
^=  [u],  resp.  £B  =  {i'j  die  Gesamtheit  derjenigen  Werte  von  t  im 
Intervall   [01]^    welchen   Punkte    der    Kurve   §    entsprechen,    die    im 


434  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

Innern,  resp.  auf  der  Begrenzung  des  Bereiches  öl^  liegen.  Aus  der 
Stetigkeit  der  Kurve  §  folgt  dann,  daß  jeder  Punkt  u  von  ^  zugleich 
ein  innerer  Punkt  der  Menge  c^  ist,  mit  Ausnahme  von  t  =  0  und 
^  =  1,  falls  diese  Punkte  überhaupt  zu  ^  gehören  sollten.  Daher  läßt 
sich  ein  den  Punkt  u  in  seinem  Innern  enthaltendes  Teilintervall  [a  ß] 
von  [Ol]  bestimmen,  derart  daß  alle  inneren  Punkte  des  Intervalls 
[aß]  zu  ^  gehören,  während  die  Endpunkte  a,  ß  zu  6h  gehören,  außer 
falls  dieselben  etwa  mit  0  oder  1  zusammenfallen  sollten.  Die  Menge 
^  besteht  daher  aus  einer  endlichen  oder  unendlichen  Menge  solcher 
offenen  Intervalle,  die  sich  nicht  gegenseitig  überdecken.  Nach  einem 
Satz  von  Cantor^)  ist  die  Menge  dieser  Intervalle  abzählbar,  so 
daß  wir  sie  mit  ,  ^  ^  ^    ^^ 

(KAI),    v  =  l,2,... 

bezeichnen  dürfen. 

Wir  haben  jetzt  zu  beweisen,  daß  jedem  solchen  Intervall  K^J 
auf  der  Kurve  g  ein  einziger  Extremalenbogen  Ä^,B^  entspricht, 
welcher,  abgesehen  von  den  Endpunkten,  ganz  im  Innern  des  Be- 
reiches 6{q  verläuft. 

Sei  in  der  Tat  t^  ein  Wert  von  t  zwischen  a^.  und  ^,„  und  Äq 
der  entsprechende  Punkt  der  Kurve  §;  derselbe  liegt  dann  im  Innern 
von  Ölo;  daher  können  wir  eine  Umgebung  {d)  des  Punktes  H^  an- 
geben, welche  ganz  in  0lo  liegt.  Ferner  gehört  zum  Bereich  %  eine 
wie  in  §  34,  b)  definierte  positive  Größe  r^;  es  sei  6  die  kleinere  der 

beiden  Größen  -,  ^-     Dann    können    wir   wegen    der   Stetigkeit    der 

^  . 

Kurve  §  rechts  und  links  von  t  zwei  Werte  t^  ^^^  ^i  ^^  ^^^^  "^^  ^o 
annehmen,  daß  der  dem  Intervall  [r^r^]  von  t  entsprechende  Bogen 
H^H^  der  Kurve  §  ganz  im  Innern  des  Kreises  {H^,  ö)  liegt. 

Da  alsdann  i^i-Hg^  <  ^^  ^  ^o^  so  können  wir  von  E^  nach  i/g 
eine  „kürzeste'^  Extremale  @  ziehen;  dieselbe  ist  von  der  Klasse  G"\ 
besitzt  keine  mehrfachen  Punkte  2)  und  liegt  ganz  im  Innern  des 
Kreises  (H^,  2  a).  Sie  liegt  daher  auch  a  fortim-i  im  Innern  des 
Kreises  {H^,  4(j),  also  sicher  auch  im  Kreis  {H^,  d)  und  somit  ganz 
im  Bereich  6^^,  woraus  folgt,  daß 

Andererseits  ist  der  Bogen  Ä^i^g  ^^"^  ^^rwQ  §  von  der  Klasse^)  K, 
er  liegt  im  Innern  des  Kreises  {H^,  a)  und  daher  a  fortiori  im  Innern 
von  (i^i,  2(5),  somit  auch  im  Innern  des  Kreises  (JEZ^,  r^).  Angenommen 
dieser  Bogen  enthielte  mindestens  einen  Punkt,  welcher  nicht  auf  dem 

1)  Mathematische  Annalen,  Bd.  XX  (1882),  p.  118. 
^)  Vgl.  Satz  I  von  §  83.         »)  Vgl.  §  35,  b). 


§  57.    Beweis  des  Hilbert'schen  Existenztheorems.  435 

Extremalenbogen  @  liegt,  so  würde  nacli  §  35,  d),  Ende,  auf  Grund 
■des  Osgood' sehen  Satzes^)  folgen,  daß 

Das  ist  aber  wegen  (31)  ein  Widerspruch  mit  dem  eben  gefundenen 
Resultat;  also  muß  jeder  Punkt  des  Bogens  H^H^  der  Kurve  ^  auf 
dem  Extremalenbogen  @  liegen. 

Sind  die  beiden  Bogen  dargestellt  durch 

@:  x  =  x{s),    y  =  y{s),     s.^s'^s^, 

so  bedeutet  das  eben  bewiesene  Resultat  analytisch,  daß  es  eine  im 
Intervall  [r^r^]  eindeutig  definierte  Funktion  s  =  s(f)  gibt,  für  welche 
in  diesem  Intervall  ^     ,  .  ^ 

Um  die  Identität  der  beiden  Bogen  nachzuweisen,  ist  nun  über- 
dies noch  zu  zeigen,  daß  diese  Funktion  s{t)  stetig  ist  und  beständig 
zunimmt. 

Um  die  Stetigkeit  in  einem  Punkt  i^'  zu  beweisen,  betrachten  wir 
irgend  eine  Folge  {t^}  von  Werten  der  Variabein  t,  welche  t'  zur 
Orenze  hat,  und  für  welche  die  Folge  [s(Q}  konvergent  ist;  sei  s' 
der  Grenzwert.  Dann  folgt  aus  der  Tatsache,  daß  der  Bogen  @  keine 
Doppelpunkte  hat,  daß  s'  =  s{t')  sein  muß,  woraus  sich  in  bekannter 
Weise ^)  die  Stetigkeit  von  s(t)  in  t'  ergibt. 

W^eiter  hat  aber  auch  die  Kurve  §,  wie  wir  geseher  haben,  keine 
Doppelpunkte.  Daraus  folgt,  daß  zwei  verschiedener  Werten  von  t 
stets  zwei  verschiedene  Werte  von  s{t)  entsprechen,  und  hieraus 
schließt  man  nunmehr  leicht,  daß  die  Funktion  s{t)  beständig  wächst. 

Die  beiden  Bogen  sind  also  identisch,  da  ihre  analytischen  Dar- 
stellungen durch  eine  zulässige  Parametertransformation  ineinander 
übergeführt  werden  können  (vgl.  §  25,  a)). 

Nun  war  aber  i^^,  ein  beliebiger  Wert  von  t  zwischen  a^  und  j3^; 
daraus  folgt,  daß  der  Bogen  A^B^.  der  Kurve  §  aus  einem  einzigen 
Extremalenhogen  der  Klasse  C"  besteht. 

Hiermit  ist  der  in  §  55  ausgesprochene  Satz  in  allen  seinen  Teilen 
hewiesen. 

^)  Der  Satz  von  §  83,  c)  würde  nur  zu  der  Ungleichung  J^{Hy^  II^)^J^  {H^  H^) 
führen;  erst  die  Anwendung  des  Osgood' sehen  Satzes  Hefert  die  hier  nötige 
stärkere  Ungleichung  mit  dem  Zeichen  >. 

^)  Vgl.  z.  B.  Veblen  and  Lennes,  Introduction  to  Analysis,  p.  70,  Corollary  7. 


4^36  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

Wir  erwähnen  noch  folgenden  Zusatz  zum  Existenztheorem: 

Ist  der  Bereich  ÖIq  hescJiränM,  perfeli,  susammenhängend  und 
extremal-lionvex^),  so  hcsteU  die  Hilhert'sche  Kurve  §  aus  einem  ein- 
zigen Extremdlenhogen. 

Zunächst  folgt  nämlich  aus  Gleichung  (184b)  von  §  33,  daß  in 
diesem  Fall  die  Voraussetzung  D')  erfüllt  ist,  wobei  die  kürzeste 
Extremale  von  P'  nach  P"  an  Stelle  der  Kurve  t  tritt.  Sodann 
gelten  die  obigen  Schlüsse  nunmehr  für  jeden  Bogen  H^H^  der 
Kurve  §,  mag  derselbe  Punkte  der  Begrenzung  von  6{^  enthalten 
oder  nicht,  wofern  nur  die  beiden  Punkte  H^,  H,  hinreichend  nahe 
beieinander  gewählt  werden.  Denn  unter  unserer  gegenwärtigen  Voraus- 
setzung liegt  die  kürzeste  Extremale  von  H^  nach  H^  dann  stets  ganz 
im  Bereich  6i^.  Daraus  folgt,  daß  die  dort  für  den  Bogen  ^,Ji,,  ab- 
geleiteten Resultate  jetzt  für  die  Kurve  §  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
gelten. 

Beispiel  I:  (Vgl.  pp.  1,  33,  79,  398). 

Wir  wollen  schließlich  noch  das  Hilbert'sche  Existenztheorem  auf  die 
Frage  des  absoluten  Minimums  bei  dem  Problem  der  Rotationsflüche  kleinsten 
Inhalts  anwenden.     Es  handelt  sich  darum,  das  Integral 

zu  einem  absoluten  Minimum  zu  machen  in  Beziehung  auf  die  Gesamtheit  aller 
gewöhnUchen  Kurven,  welche  in  dem  Bereich  01 :  i/>  0  von  P,  nach  P,  gezogen 

werden  können.  .  ^„ 

Wenn  es  überhaupt  eine  Kurve  gibt,  welche  ein  absolutes  Minimum  mr 
das  Integral  J  liefert,  so  muß  dieselbe  a  fortiori  auch  ein  relatives  Minimum 
liefern  Nun  haben  wir  aber  früher  2)  das  Problem  des  relativen  Minimums  voll- 
ständig gelöst:  dasselbe  hat  je  nach  der  Lage  des  Punktes  P,  entweder  eii^ 
einzige  Lösung,  nämlich  die  Goldschmidt'sche  diskontinuierliche  Losung  k, 
oder  aber  zwei^  Lösungen,  nämlich  die  diskontinuierliche  Lösung  k  und  außer- 
dem noch  eine  Kettenlinie  6«  ^i*  ^^r  rr-Achse  als  Direktrix,  welche  den  zu  P, 
konjuo-ierten  Punkt  nicht  enthält.  Sobald  wir  also  beweisen  können,  daß  ein 
absolutes  Minimum  überhaupt  existiert,  so  folgt  im  ersten  Fall  unmittelbar,  daß 
dasselbe  von  der  Kurve  t  geUefert  wird,  während  im  zweiten  Fall  die  Losung 
diejenige  unter  den  beiden  Kurven  ©„  und  k  sein  muß,  welche  den  kleineren 
Wert  für  das  Integral  J  liefert. 

Wir  können  nun  zwar  das  Hilbert'sche  Existenztheorem  in  der  Formu- 
lierung von  §  55  nicht  direkt  auf  unser  Beispiel  anwenden,  da  unsere  Voraus- 
setzungen im  Bereich  01  nicht  erfüllt  sind.  Dagegen  führt  die  folgende  von 
Mary  E.  Sinclaik^)  herrührende  Überlegung  zum  Ziel: 


i)  Nach  der  Definition  von  §  33,  b).  ')  Vgl.  p.  399. 

»)  VgL  Annais  of  Mathematics  (2),  Bd.  IX,  (1908)  p.  151 


§  57.    Beweis  des  Hilberfschen  Existenztheorems.  437 

Wenn  zunächst  die  Entfernung  der  beiden  Punkte  P^ ,  P^  grüßer  oder 
gleich  2/1  +2/2  ist'i  so  ist  die  Länge  jeder  zulässigen  Kurve  ^y^  -\' V-ii  "^^^  ^^- 
her  folgt  nach  dem  in  §  52,  b)  mitgeteilten  Satz  von  Todhunte r  sofort,  daß  in 
diesem  Fall  die  diskon^tinuierliche  Lösung  ^  einen  kleineren  Wert  für  das  Inte- 
gral J  liefert  als  jede  andere  zulässige  Kurve. 

Es  bleibt  also  nur  der  Fall  zu  betrachten,  wo:  Pi  Pg  <I  2/i  ~h 2/2 •  ^^ 
diesem  Fall  konstruieren  wir  die  Ellipse  mit  den  Brennpunkten  P^,  P^,  für 
deren  Punkte  P  \P,P\  +  \P,_P,  ^  y^  + y^, 

und  bezeichnen  das  Innere  derselben  zusammen  mit  der  Ellipse  selbst  mit  ^^j. 
Für  irgend  einen  nicht  auf  der  Ellipse  gelegenen  Punkt  Q  ist  dann :  ^) 

1  J\  <?  I  +  i  J^  ^  l<  2/1  +  2/2  od  er  >  2/,  +  2/2 , 

je  nachdem  der  Punkt  im  Innern  oder  außerhalb  der  Ellipse  liegt.  Daraus  folgt,^ 
daß  die  Ellipse  ganz  im  Innern  der  oberen  Halbebene  liegt. 

Ferner  folgt,  daß  die  Länge  jeder  zulässigen  Kurve,  welche  nicht  ganz 
im  Innern  der  Ellipse  verläuft,  >2/i  +2/21  ^^^  daher  liefert  nach  dem  eben  er- 
wähnten Todhunt  er 'sehen  Satz  jede  solche  Kurve  für  das  Integral  J  einen 
größeren  Wert  als  die  diskontinuierliche  Lösung  ^. 

Andererseits  sind  für  den  Bereich  01^  die  Voraussetzungen  A)  bis  D)  für 
das  Existenztheorem  erfüllt.  Daher  gibt  es  mindestens  eine  rektifizierbare,  von 
Pj  nach  P^  führende,  ganz  in  Si^  verlaufende  Kurve  §,  welche  einen  nicht 
größeren  Wert  für  das  Integral  J  liefert,  als  jede  andere  rektifizierbare  Kurve, 
welche  in  01^  von  P^  nach  P^  gezogen  werden  kann. 

Liegt  die  Kurve  §  ganz  im  Innern  der  Ellipse,  so  besteht  sie  nach  dem 
Existenztheorem  aus  einem  einzigen  Extremalenbogen,  sie  muß  also  mit  der  oben 
erwähnten  Kettenlinie  ©^  identisch  sein.  In  diesem  Fall  liefert  daher  entweder 
die  Extremale  (gj,  oder  die  diskontinuierliche  Lösung  ^  oder  beide  das  gewünschte 
absolute  Minimum,  je  nachdem  J^   <;  oder  ^  oder  =  J"^. 

Liegt  dagegen  die  Kurve  §  nicht  ganz  im  Innern  der  Ellipse,  so  ist  ihre 
Länge  >  2/1  +  2/2 1  da  sie  mindestens  einen  Punkt  P  der  Ellipse  enthält  und 
nicht  mit  dem  Geradenzug  1\FF^  identisch  sein  kann.  Daher  ist,  wie  man 
leicht  aus  dem  Satz  von  Todhunter  ableitet,  J ^^  >>  ,7^,  woraus  folgt,  daß  in 
diesem  Fall  die  Kurve  ^  das  absolute  Minimum  liefert. 

Nachdem  so  die  Existenz  eines  absoluten  Minimums  bewiesen  ist,  bleibt 
nur  noch  übrig,  für  den  Fall,  wo  der  Punkt  P^  im  Innern  des  auf  p.  81  defi- 
nierten Bereiches  I  liegt,  zu  entscheiden,  welche  von  den  beideii  Kurven  ©^  und 
^  den  kleineren  Wert  für  das  Integral  J  liefert.  Diese  Frage  ist  von  Mac  Neish  ^) 
untersucht  worden.     Er  findet  folgende  Resultate: 

Auf  jeder  vom  Punkt  P^    ausgehenden   Kettenlinie   mit   der   ^- Achse   als 

Direktrix  gibt  es  zwischen  P^    und   dem   zu  P^    konjugierten  Punkt   P(   einen 

;     und   nur  einen  Punkt  P'/,   für   welchen    der  Bogen  I\  T'{   der   Kettenlinie   dem 

^)  Vgl.  z.  B.  Briot  et  Bouquet,  Legons  de  Geometrie  analytique,  14  ^me  ed. 
p.  224. 

2)  Annais  of  Mathematics;  (2),  Bd.  VII  (1905),  p.  72. 


438 


Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 


Integral  /  denselben  Wert  erteilt,    wie    die   diskontinuierliche  von  P^   nach  P^ 
führende  Lösung, 

Der  Ort  der  Punke  P^'  ist  eine  Kurve  ®,  welche  eine  ähnliche  Gestalt 
hat  wie  die  Kurve  ^,  und  weichenden  Bereich  1  in  zwei 
Teile  V  und  I"  zerlegt  (siehe  Fig.  101).  Liegt  der  Punkt  P^ 
im  Lmern  von  F,  so  liefert  die  Kettenlinie  den  kleineren 
Wert;  liegt  der  Punkt  P,  auf  der  Kurve  @,  so  liefern  beide 
Lösungen  denselben  Wert;  liegt  der  Punkt  Pg  im  Innern 
des  Bereiches  I",  so  liefert  die  diskontinuierliche  Lösung 
den  kleineren  W^ert. 

Somit  erhalten  wir  folgendes  Schlußresultat: 

Liegt  der  Punkt  Pg   im  Innern  des  Bereiches  1\  so 

liefert  die  Kettenlinie,  und  nur  sie,  das  absolute  Minimum. 

Liegt  der  Punkt  P^   auf  der  Kurve  %,  so  liefern  die 

,'  Kettenlinie  und  die  diskontmuierliche  Lösung  beide  das  ab- 

'/  sohlte  Minimum. 

Für  jede  andere  Lage  des  Punktes  Pg   liefert 
~     ^^  ^     die  diskontinuierliche  Lösung,  und  nur  sie,  das  ab- 
Pig.  101.  solute  Minimum. 

§  58.     Ein  Satz  von  Darboux  über  das  absolute  Extremum. 

Wenn  längs  einer  vom  Punkt  P^  ausgehenden  Extremalen  ^ 
die  Bedingungen  (IV)  und  (IV ')  von  §  32,  b)  erfüllt  sind,  so  wird 
ein  Bogen  P^P^  dieser  Extremalen  ein  starkes  relatives  Minimum  für 
das  Int*egral  J  liefern,  solange  der  Punkt  Pg  zwischen  P^  und  dem 
zu  Pi  konjugierten  Punkt  P[  liegt;  das  relative  Minimum  wird  da- 
gegen aufhören  (abgesehen  von  den  beiden  in  §  47,  c)  angeführten 
AusnahmefäUen),  wenn  der  Punkt  Pg  mit  P/  zusammenfaUt. 

Aus  der  Beziehung  zwischen  dem  relativen  und  dem  absoluten 
Extremum  folgt  daher  a  priori,  daß  das  absolute  Extremum  spätestens 
im  Punkt  P/  aufhören  muß.  Darboux i)  hat  nun  aber  gezeigt,  daß 
das  absolute  Minimum  stets  schon  vor  dein  relativen  aufhört,  wenn  die 
eben  erwähnten  Ausnahmefälle  ausgeschlossen  werden. 

Denn  da  wir  voraussetzen,  daß  der  Extremalenbogen  P^P^  schon 
kein  relatives  Minimum  mehr  liefert,  so  können  wir  eine  benachbarte, 
von  Pi  nach  P/  führende  Kurve  S  angeben,  für  welche  die  Differenz 

j,(p,p;)-/,(PiP;)  =  /^ 

einen  positiven  Wert  hat.     Wählen  wir  dann  den  Punkt  Pg  zwischen 
Pi  und  P;  so  nahe  bei  P^,  daß  zugleich ^j 

1)  Theorie  des  surfaces,  Bd.  III  (1894),  p.  89;  vgl.  auch  Zermelo,  Jahres- 
bericht der  deutschen  Matheraatikervereinigung,  Bd.  XI  (1902),  p.  184. 

2)  Wegen  der  Bezeichnung  (£-'  vgl.  §  25,  b). 


I 


§  58.    Ein  Satz  von  Darboux  über  das  absolute  Extremum.  439 

j^(i\p;)|<|,    und     |j^^.(p;i^)|<|, 

80  erteilt  der  aus  der  Kurve  S  und  dem  Bogen  P/P2  ^^^  Kurve  @~^ 
zusammengesetzte  Weg  dem  Integral  J  einen  kleineren  Wert  als  der 
Extremalenbogen  PiP2'-,  letzterer  liefert 
also    sicher    kein    absolutes  Minimum. 

Darboux  schließt  dann  weiter  (wenig- 
stens für  den  speziellen  Fall  der  geo- 
dätischen Linien),  daß  es  mvischen  Pj  und  P'^ 
einen  ganz  bestimmten  Punld  P'^  geben 
muß^)j  derart  daß  der  Extremalenbogen  P^P^  für  P^^P^^<^P'[  das 
absolute  Minimum  liefert,  dagegen  nicht  mehr  für  P^  -^  P^. 

Um  eine  feste  Grundlage  für  den  Beweis  zu  haben,  nehmen  wir 
an,  daß  für  das  betrachtete  Yariationsproblem  die  Voraussetzungen 
A),  B),  C)  und  D')  von  §  55  erfüllt  sind,  und  daß  der  Bogen  P^P[ 
der  Extremalen  @  ganz  im  Innern  des  Bereiches  Öl^  liegt. 

Wir  wählen  den  Punkt  P^  beliebig  auf  dem  Extremalenbogen 
P^P[  und  betrachten  in  der  Bezeichnung  von  §  57  die  Differenz 

J^iP^P,)  -  i(P,P,).  (32) 

Sind  fj,  ^2,  t^  die  Parameter  der  Punkte  P^,  P^,  P^  auf  der  Extre- 
malen (S,  so  ist  die  Differenz  (32)  eine  im  Intervall  t^'^t^^  t[  ein- 
deutig definierte  Funktion  von  t^,  die  wir  mit  f{t^)  bezeichnen.  Nach 
§  57,  a)  ist  dieselbe  in  dem  angegebenen  Intervall  stetig  und  nach 
der  Definition  des  Zeichens  i^P^P,^)  ist  überdies 

fit,)  y  0  für  t,^t,^  t[.  (33) 

Ist  ^2  hinreichend  nahe  bei  t^,  so  ist /"(fg)  =  ^f  ^^^^  dann  nach  §  33,  a) 
und  c)  der  Extremalenbogen  P^P2  das  absolute  Minimum  des  Inte- 
grals J  liefert;  ebenso  ist  wegen  (16):  f{tj)  =  0. 

Andererseits  ist  nach  der  über  den  konjugierten  Punkt  P^  ge- 
machten Annahme 

fit;)  >  0. 

Es  sei  jetzt  f^  die  untere  Grenze  derjenigen  Werte  von  t^  im  Inter- 
vall pi^J,  für  welche  f(t2)>0.  Dann  folgt  aus  der  Stetigkeit  von 
f(t^),  daß  f(t'l)  =  0,  sodaß  also  wegen  (33) 

f(t,)  =  0  für  t,Zt,Z  t'i  (34) 
Dagegen  ist 
fih)  >  0  für  t'l  <t,^t  [.                               (35) 

^)  Wegen  der  Bedeutung  des  Zeichens  -<  siebe  p.  190. 


440  Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 

Denn  wenn  t^  zwischen  den  angegebenen  Grenzen  liegt^  so  können 
wir  nach  der  Bedeutung  von  f'/  stets  zwischen  t'[  und  t^  einen  Wert  ^3 
finden,  für  welchen  f(t^  >  0.  Dann  gibt  es  nach  der  Bedeutung  des 
Zeichens  i{P^P^)  eine  der  Menge  ^tT(l(P^l\)  angehörige  Kurve  il,  für 

^^'^^  J^{P,F,)<J^{P,P,), 

Also  liefert  auch  die  aus  der  Kurve  S  und  dem  Bogen  P3  P^  von  ®  zu- 
sammengesetzte Kurve  einen  kleineren  Wert  für  das  Integral  J  als 
der  Bogen  P^  P^  von  @,  es  muß  also  in  der  Tat  fXQ  >  0  sein.  Die 
hiermit  bewiesenen  Relationen  (34)^  (35)  drücken  aber  gerade  den 
oben  ausgesprochenen  Satz  aus.  Darüber  hinaus  gilt  aber  noch  der 
folgende  Satz: 

Liegt  der  Punkt  P^  zwischen  P^  und  P'^,  so  ist  der  Bogen  P^P^ 
der  Extremalen  (S  die  einzige  Kurve,  ivelche  das  absolide  Minimum 
liefert,  mit  anderen  Worten:  dieser  Bogen  erteilt  dem  Integral  J"  einen 
kleineren  Wert  als  jede  andere  rektifizierbare  Kurve,  welche  in  Öl^ 
von  Pj  nach  Pg  gezogen  werden  kann. 

Denn  angenommen,  es  gäbe  eine  von  dem  Extremalenbogen  © 
verschiedene  Kurve  ^  der  Menge  9Tl(PiP2),  für  welche 

dann  hat  die  Kurve  (S  alle  in  §  57,  d)  von  der  Hilbert'schen  Kurve 
g  bewiesenen  Eigenschaften.  Da  der  Punkt  Pg  ein  innerer  Punkt 
von  Ölo  ist,  so  besteht  sie  daher,  falls  sie  ganz  im  Innern  von  ÖIq 
liegt,  aus  einem  einzigen  Extremalenbogen,  oder  aber  sie  besitzt,  falls 
sie  Punkte  mit  der  Begrenzung  von  ÖIq  gemeinsam  hat,  einen  letzten 
der  Begrenzung  von  ÖIq  angehörigen  Punkt  P^,   und  es  ist  dann  der 

Bogen  P3P2  ein  Extremalenbogen.  In 
beiden  Fällen  kann  die  Kurve  ^  im 
Punkte  P2  die  Extremale  @  nicht  gleich- 
sinnig berühren;  denn  sonst  müßte  nach 
§  23,  c)  und  d)  und'  §  27,  a)  wegen  der 
Voraussetzung  C)  entweder  die  Kurve  d 
mit  dem  Bogen  P^P^  der  Extremalen  @ 
^'^s-iod.  identisch    sein,    oder    sie    müßte    diesen 

Bogen  als  Bestandteil  enthalten;  ersteres  verstößt  gegen  unsere  An- 
nahme über  die  Kurve  ^,  letzteres  gegen  die  Voraussetzung  B)  und 
die  Gleichung  (36). 

Nunmehr^)  können  wir  einerseits  auf  der  Kurve  (E  einen  Punkt 
P4  und  andererseits  auf  der  Extremalen  @  zwischen  Pg  und  P'/  einen 

1)  Vgl.  für  diesen  Schluß  Darboux,  loc.  cit.  p.  90,  Fußnote. 


I 


§  58.    Ein  Satz  von  Darboux  über  das  absolute  Extremum.  441 

Punkt  P5  annehmen,  beide  so  nahe  bei  P<^,  daß  wir  nach  §  33,  c) 
von  P^  nach  P5  eine  ganz  in  BIq  verlaufende  „kürzeste'^  Extremale 
(^'  ziehen  können,  welche  einen  kleineren  Wert  für  das  Integral  J 
liefert,  als  die  wegen  der  Ecke  im  Punkt  Pg  sicher  von  ihr  ver- 
schiedene, zusammengesetzte  Kurve  P^P^Pr^.    Dann  ist  aber  nach  (36) 

j^ip.p,)  =  j^{p,p,)  +  J^{p,p,)  >  J^{p,Pd  +  'J^.{p,p,)- 

Das  ist  aber  nicht  möglich,  weil  nach  (34):  J^(P^P^)  =  i(^P^P^).  Es 
kann  also  keine  Kurve  S  von  den  angegebenen  Eigenschaften  geben, 
womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

Der  Punkt  P^'  hat  die  weitere,  für  geodätische  Linien  ebenfalls 
schon  von  Darboux  bemerkte  Eigentümlichkeit,  daß  es  eine  von  dem 
Bogen  P^  P['  von  (£  verschiedene  Kurve  §  der  Menqe  9TI  (P^  P^')  gibt, 

^''^"*''^  j,iP.p;)-MP.p:).     '  "m 

Zum  Beweis  nehmen  wir  auf  der  Extremalen  (^  zwischen  P^'  und 
P[  eine  unendliche  Folge  von  Punkten  {§,, )  an,  welche  für  v  =  cx) 
gegen  P^' konvergiert.  Für  jedes  v  gibt  es  dann  nach  dem  Hilbert'- 
schen  Existenztheorem  eine  nach  (35)  von  dem  Extremalenbogen  P^  Q^, 
von  (^  verschiedene  Kurve  ©,,  von  9TL  (P^  (>^,),  für  welche 

Bezeichnen  wir  mit  ^\,  die  aus  der  Kurve  (5^,.  und  dem  Bogen  Q^P^' 
von  (£~^  zusammengesetzte  Kurve,  so  konvergiert  nach  §  57,  a)  der 
Wert  des  Integrals  J^^{P^P'^)  für  v  =  00  gegen  i(P^P[').  Daher 
können  wir  nach  §  57,  b)  aus  der  Folge  {^J  eine  Teilfolge  {^,  } 
herausgreifen,  welche  für  Ä  =  00  gleichmäßig  gegen  eine  Kurve  §  der 
Menge  9TI  (P^P^')  konvergiert,  für  welche 

J^(p,p;')  =  ^•(AP;), 

und  für  welche  also  wegen  (34)  die  Gleichung  (37)  gilt. 

Angenommen  diese  Kurve  §  wäre  mit  dem  Bogen  P^P^  der 
Extremalen  @  identisch.  Dann  könnten  wir,  da  der  letztere  ganz  im 
Inneren  von  01^  liegt,  eine  ganze  Zahl  n  angeben,  so  daß  sämtliche 
Kurven  ^,,^,  für  welche  k  :>  n,  ebenfalls  im  Innern  von  ÖIq  liegen. 
Dann  müßten  aber  nach  §  57,  d)  die  Kurven  (S;,,  für  k>  n  Bogen  der 
Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  sein,  deren  Schnittpunkte  Q, 
mit  der  Extremalen  @  für  k  =  00  gegen  P^"  konvergieren.  Da  P[' 
kein  zu  P^  konjugierter  Punkt  (im  weiteren  Sinn)  ist,  so  führt  dies, 
wie  man  leicht  zeigt,  zu  einem  Widerspruch  mit  der  in  §  29,  c)  be- 
wiesenen Eigenschaft  nicht-konjugierter  Punkte.     Somit  muß  also  die 


442 


Neuntes  Kapitel.     Das  absolute  Extremum. 


Kurve  §  von  dem  Bogen  F^P'^  der  Extremalen  (g  verschieden  sein, 
womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

Bestimmt  man  auf  jeder  vom  Punkt  P^  ausgehenden  Extremalen 
den  Punkt  F'^,  so  ist  der  geometrische  Ort  des  Punktes  F'^  eine 
Kurve \),  die  wir  mit  %  bezeichnen,  und  die  für  das  absolute  Extre- 
mum dieselbe  Rolle  spielt,  wie  die  Enveloppe  g  für  das  relative. 

Liegt  die  oben  mit  §  bezeichnete  Kurve  ganz  im  Innern  des  Be- 
reiches ^0  7  so  besteht  sie  aus  einem  einzigen,  von  F^  nach  F'^  führen- 
den Extremalenbogen.  Wegen  der  Voraussetzung  B)  können  wir 
sowohl  auf  §  als  auf  @  den  Integralwert  u  als  Parameter  einführen 
und  beide  Kurven  in   der  Normalform  (188)  von  §  33,  c)   darstellen: 

§ :  o;  =  g?K  a^\     y  =  ^bh  %].     ^^^^<  C; 

wobei  c  den  für  beide  Kurven  gemeinsamen  Integralwert  im  Punkt  F'^ 
bedeutet,  während  a^  4=  %.     Im  Punkt  F'^  ist  dann 

Diese  Gleichungen  sagen  aber  aus,  daß  der  FimU  P^'  ein  DoppelpmU 
der  Transversalen 


x  =  (p[c,a],    y-=i^[c,a],    0  <  a  <  2?? 


(38) 


der  Extremalmschar  durch  den  FunU  F^  ist. 

Die  vorangehenden  allgemeinen  Sätze  wer- 
den durch  die  in  §  57,  e)  für  die  Rotationsfläche 
kleinsten  Inhalts  erhaltenen  Resultate  bestätigt. 

Noch  einfacher  ist  das  folgende  Beispiel  ^), 
welches  zugleich  zeigt,  daß  analoge  Sätze  auch 
für  Probleme  mit  variabeln  Endpunkten  gelten : 

Die  kürzeste  Kurve  von  einem  gegebenen 
Punkt  Pi  nach  einer  gegebenen  Ellipse  zu  ziehen. 

Die  gesuchte  K\irve  ist  nach  §  40  eine 
von  P^  auf  die  Ellipse  gefällte  Normale  P^Pg. 
Ist  P:,  der  zum  Punkt  P^  gehörige  Krümmungs- 
mittelpunkt der  Ellipse,  so  liefert  die  Normale 
Pi  P2  ein  relatives  Minimum,  wenn  der  Punkt  P, 
auf  derselben  Seite  des  Punktes  P^  liegt  wie 
der  Punkt  P^.  Dagegen  hört  das  relative  Mini- 
3,ig.l04.  mum    auf,    wenn    P„    mit    P!,    zusammenfällt 


1)  Zeumelo,  loc.  cit.  p.  185,  nennt  diese  Kurve  für  den  Fall  der  geodätischen 
Linien  die  ^,Doppelabstan(lskurve''. 

2)  Vgl.  Darboux,  loc.  cit.,  p.  Ol. 


I 


§  58.    Ein  Satz  von  Darboux  über  das  absolute  Extremum.  443 

(außer    wenn  P^    mit    einer    der    auf   der    großen  Achse   der  Ellipse  gelegenen 
Spitzen^)  P^  und  P^  der  Evolute  ^  zusammenfällt). 

Zwischen  dem  Punkt  P^  der  Ellipse  und  dem  Krümmungsmittelpunkt  P^ 
existiert  nun  (abgesehen  von  dem  eben  erwähnten  Ausnahmefall)  stets  ein  Punkt 
P2',  von  dem  aus  außer  der  Normalen  P'^' P^  noch  eine  zweite,  mit  ihr  gleich- 
lange Normale  P^  Ps  an  die  Ellipse  gezogen  werden  kann,  nämlich  der  Schnijit- 
punkt  der  Normalen  im  Punkt  P^  mit  der  großen  Achse  der  Ellipse. 

Liegt  dann  der  Punkt  P^  zwischen  P^'  und  P^  oder  jenseits  des  Punktes 
Pg,  so  liefert  die  Normale  P^P^,  und  nur  sie,  das  absolute  Minimum;  fällt  P^ 
mit  Pg'  zusammen,  so  liefern  die  gleichlangen  Normalen  P^'  P^  und  P2  P3  beide 
das  absolute  Minimum;  liegt  P^  zwischen  P^"  und  P;,  so  liefert  die  Normale  P^P^ 
noch  das  relative,  aber  nicht  mehr  das  absolute  Minimum;  von  P^  an  hört  auch 
das  relative  Minimum  auf. 

Die  Kurve  (SJ  ist  also  hier  das  Segment  P^P'^  der  großen  Achse;  dasselbe 
ist  in  der  Tat  (zusammen  mit  dem  entsprechenden  Segment  P^P^  der  kleinen 
Achse)  der  geometrische  Ort  der  im  endlichen  gelegenen  Doppelpunkte  der 
Parallelkurven 2)  der  Ellipse,  welche  im  gegenwärtigen  Fall  an  die  Stelle  der 
Trans versalenschar  (38)  tritt. 

^)  Diese  Spitzen  sind  nämlich  gerade  von  der  ausgeschlossenen  Art;  in 
diesem  Ausnahmefall,  welcher  eintritt,  wenn  der  Punkt  P^  auf  der  großen  Achse 
der  Ellipse  liegt,  gelten  auch  in  der  Tat  die  Darboux'schen  Sätze  nicht  mehr. 

^)  ^gl.  z-  B-  LoRiA,  Spezielle  algebraische  und  transzendente  Kurven,  (1902) 
p.  648. 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX. 


1    Für    Beispiel    XVII:    F=    ,f  ^-  „   die    TransversaUtätshedingung   auf- 

zustellen  (§  36). 
Lösung: 

V   sin^ö,  (—  sin  2Ö,  cosöj  +  (2  +  cos  26,)  sin0J  =  0. 

^'  '  (Kneser) 

2.  Für  Beispiel  XIII:  F  =^  O  {x,y)yx"'^^^^  die  TransversaUtätshedingung 
mittels  der  Indikatrix  abzuleiten  (§  36). 

3.  Für  Beispiel  XIV: 

F=^  ixy'  —  yx')  —  E  ^/x""  +  y''^ : 

a)  Die  Transversalitätsbedingung  aufzustellen.  Elementargeometrische  Kon- 
struktion von  öl,  wenn  x,,  y^,  6,  gegeben  sind  (§  30). 

b)  Zu  der  Extremalenschar  durch  den  Koordinatenanfangspunkt  0  die  Trans- 
versaloischar  zu  bestimmen  (§§  31,  44). 

Lösung:  Die  Schar  konzentrischer  Kreise  mit  dem  Mittelpunkt  0. 

c)  Die  Kurve  k  schneide  die  Extremale  (£«  im  Punkt  1\  transversal:  den 
Brennpunkt  der  Kurve  k  auf  der  Extremahn  ^^  zu  bestimmen,  sowohl  nach  der 
Formel  (47)  von  §  39  als  mittels  der  Extremalenschar,  welche  von  t  transversal 
geschnitten  wird  (§  40). 

Lösung:  Sind  0,,e,  die  Tangentenwinkel  von  ©o,  beziehungsweise  t  im 
Punkt  P,,  i\  der  Krümmungsradius  von  ^  in  I\,  D^  der  Abstand  des  Punktes  P, 
.vom  Koordinatenanfangspunkt  0,  y  die  Amplitude  des  Vektors  OP,,  so  lautet 
die  Gleichung  zur  Bestimmung  des  Tangentenwinkels  0'/  von  ©o  ^^  Brennpunkt  P'/: 

2r,  sin  (ö;'  -  6,)  sin^  (d,  —  6,)  +  sin  (Ö'/  —  ÖJ  (A  ^in  {B^  —  y)  —  212)  =  0. 
Wenn  insbesondere  r,  =  o^ ,  so  ist  die  Tangente  an  ©^  in  P'/  parallel  der  Tan- 
gente an  ^  im  Punkt  P^ . 

4*.    Für  das  AktionsintegraV) 

die  Bedingung  zur  Bestimmung  des  Punktes  P«  aufzustellen,  ivenn  der  Anfangs- 
pu/nkt  Po  auf  einer  gegebenen  Kurve  t  beweglich,  der  Endpuyikt  P,  fest  ist  (§  36,  b))- 

»)  Vgl    Aufgabe  9,  p.  296. 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX.  445 

Dabei  wird  vorausgesetzt,  daß  die  Anfangsgeschwindigkeit  t?o  und  das 
Potential  U{x,y)  von  den  Koordinaten  der  Endpunkte  unabhängig  sind,  und  daß 
die  Konstante  h  bestimmt  ist  durch  die  Gleichung 

Lösung:  Die  Gleichung  zur  Bestimmung  des  Punktes  P^  auf  der  Kurve  ^ 
lautet : 

V,  cos  {%  —  e,)  -f  {t^  —  t,)  {X,  cos  e,  H-  Y,  sin  %)  ==  0 . 

Dabei  bedeutet  t  die  Zeit,  X^,  Y^  die  Komponenten  der  Kraft  im  Punkt  P^^. 

Für  den  speziellen  Fall  eines  schweren  materiellen  Punktes^)  reduziert  sich 
die  Bedingung  darauf,  daß  die  Tangente  an  die  Extremale  im  Punkt  P^  senkrecht 
zur  Tangente  an  die  Kurve  ^  im  Punkt  P^  sein  muß,  also  dieselbe  Bedingung 
wie  bei  der  Brachistochrone.  (Bück) 

5*.    Die  Gleichung  zur  Bestimmung  des  Brennpunktes  für  das  Integral 


dy 

dx 


aufzustellen  (§  39). 

Lösung:  Die  Kurve  t  sei  gegeben  in  der  Form:  y==y(x);  sie  schneide 
die  Extremale  ©^  ■.y  =  y(x)  transversal  im  Punkt  P^ ;  A(^,^J  habe  dieselbe  Be- 
deutung wie  in  §  12.     Setzt  man  dann 

A-f.  +  i^r-y')f,  +  y"f,'  +  {y'-yrf,^,\\ 
P^^=-{y'-yyfy,y\\  '^^^ 

ßo  lautet  die  Gleichung  zur  Bestimmung  des  Brennpunktes  der  Kurve  t  auf  der 
Extremalen  (g^ : 

A,l^{x,x,)JrB,^^^p'''^=0.  (40) 

0  X-^ 

6.    Das  Integral'^) 

J'=^Yf{y'''  —  y'^)dx 

Xj_ 

soll  zu  einem  Minimum  gemacht  werden;  der  Anfangspunkt  ist  fest  und  fällt  mit 
dem  Koordinatenanfangspunkt  zusammen;  der  Endpunkt  ist  auf  der  Kurve 

'-.  y  =  {a~xY,  (c^>0) 

hetveglich  (§  38). 

Lösung:  * 

2/2  sin  X 

2/=-  -^ , 

sin  x^  '  " 

wo  x^_  der  Gleichung 

3  {x^  —  a)  —  sin  2  a?2  =  0 


^)  Vgl.  Aufgabe  10,  p.  296.         '-)  Vgl.  Aufgabe  3,  p.  144. 

Bolza,  Tariationsrechnung.  29 


4^ß  Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX. 

genügt.    Für  ein  Minimum  ist  notwendig,  daß:  x^<ci,  und  x,^<:^n.    Diese  Be- 
dingungen sind  nur  vereinbar,  wenn 

Numerisches  Beispiel :    a  =  2 ;  dann  ist  a;.  =  1  .  88 ,  y.j,.^  0  .  55  . 

Andeutung:  Wende  die  „Differentiationsmethode"  von  §  38  an  und  mache 
von  den  Formeln  (75)  von  p.  147  Gebrauch.  (A.  Mayer) 

7.  Konstruktion  einer  KettenUnie  mit  der  x-Achse  als  Direktrix,  trelche  durch 
einen  gegebenen  Funkt  geht  und  eine  gegebene  Gerade  senkrecht  schneidet  (§  39). 

Lösung:  Die  Konstantenbestimmung,  bei  der  man  von  dem  Satz,  daß  alle 
Kettenlinien  ähnlich  sind,  Gebrauch  machen  kann,  führt  auf  eine  transzendente- 
Gleichung  von  der  Form 

Ch  u  =:=  au  -\-  h  . 

8*.  Es  sei  eine  Kurve  ^  gegeben  und  auf  ihr  ein  Punkt  F^;  einen  siveiten 
Funkt  Pg  auf  Ä  und  eine  von  F^  nach  P^  führende  Kurve  ©  von  gegebener  Länge  l 
zu  bestimmen  derart,  daß  der  von  dem  Bogen  F^  F,  der  Kurve  ^  und  dem  Bogen 
Pi  F^  der  Kurve  ®  eingeschlossene  Flächenraum  ein  Maximum  wird. 

Andeutungen:  Führe  Polarkoordinaten  ein  mit  dem  Punkt  P^  als  Pol. 
Ist  P  ein  beliebiger  Punkt  der  Kurve  .t  und  |  P^  P  |  =  r,  so  bedeute  qp (?)  den 
Inhalt  der  zwischen  der  Geraden  P^  P  und  dem  Bogen  P^  P  der  Kurve  ^  ent- 
haltenen Fläche.  Führt  man  dann  auf  den  zulässigen  Kurven  die  Bogenlänge  s, 
gemessen  vom  Punkt  P^  aus,  als  unabhängige  Variable  ein  (vgl.  Aufgabe  35  von 
p.  141)),  so  ist  die  gegebene  Aufgabe  mit  der  folgenden  äquivalent:  Das  Integral 

J=^J{r  i/i  —  r'^  +  2 qp'(r)  r')  ds 

o 

zu  einem  Maximum  zu  machen  in  Beziehung  auf  die  Gesamtheit  der  Kurven 

r  =  r(s),  0^s:^l 

in  der  ?•,  6--Ebene,  welche  vom  Koordinatenanfangspunkt  nach  der  Geraden  s=l 
gezogen  werden  können,  und  welche  abgesehen  von  Stetigkeitsbedingungen  den 
Ungleichungen  ' 

r(«)>0,  |»''(s)|5l     füJ^     0^s<:Z 

genügen  (§§  7,  38—41).  ' 

Lösung:  Die  gesuchte  Kurve  in  der  x,y-Ehene  ist  ein  Kreisbogen,  welcher 
im  Punkt  P,  auf  der  Kurve  ^  senkrecht  steht.  Ist  2%  der  Zentriwinkel  des 
Kreisbogens  P^  P, ,  ferner  r,  =  Pj  P^  '  und  q^  der  Krümmungsradius  der  Kurve  t 
im  Punkt  Pg ,  so  muß  überdies  die  Ungleichung 

Ti  =  sin2;g  — 2;ecos2;^ 

p2         2  (sin  X  —  X  cos  x) 
erfüllt  sein.  (Ebdmann,  Kneser) 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX.  447 

9*.    Bie  Bliss'sche  Bedingung    von  §  42   mittels    des  JExtremalenintegrah 
herzuleiteil.  (Dresden) 

10*.    Zwischen  zwei  koaxialen  Kreisringen  die  Motationsßäche  kleinsten  In- 
halts zu  spannen  (§  42).^) 

Konstantenbestimmung.      Bei    welcher    Entfernung    der   beiden    Kreisringe 
hört  das  Minimum  auf?    Behandle  zunächst  den  Fall  kongruenter  Kreisringe. 

Lösung  für  den  Fall  kongruenter  Kreisringe:  Ist  R  der  Radius  des  er- 
zeugenden Kreises  und  D  der  Abstand  seines  Mittelpunktes  von  der  Rotations- 
achse, 80  ist  der  Abstand  der  Mittelebenen  der  beiden  Kreisringe  im  Moment 
wo  das  Minimum  aufhört,  gegeben  durch 

^^    {B~Dt,-Rt,Tht,} 

wo  t^  der  Gleichung  genügt: 

B_       Cht,  (t,  Sht^—Cht,) 

i)     (i-sh^^ji, -H2"SHCH  ■ 

(Mary  E.  Sinclair) 
11.   Den  kürzesten  Abstand  zwischen  einer  Parabel  und  einem  Kreis  zu  be- 
stimmen.    Detaillierte    Diskussion    der   verschiedenen    möglichen    Fälle.     Unter- 
scheidung von  relativem  und  absolutem  Minimum  (§  42). 

12*.  Es  sei  ein  Kreis  ^^  und  eine  von  ihm  ausgehende  Kurve  ^^  gegeben: 
von  einem  nicht  vorgeschriebenen  Punkt  des  Kreises  ^^  nach  der  Kurve  Ä^  eine 
Kurve  (l  von  gegebener  Länge  zu  ziehen,  welche  mit  den  Kurven  ^^  und  ^^ 
zusammen  eine  Fläche  maximalen  Inhalts  einschließt  (§  38—42), 

(Kneser,  Mathematische  Annalen  Bd.  LVI,  p.  200) 

l.H*.  Den  Transversale nsatz  und  den  Knveloppensatz  mittels  des  Extremalen- 
integrals  abzuleiten  (§§  37,  44). 

14.  Sind  zwei  Punkte  P,  und  P^  auf  zwei  Kurven  Ä\,  resp.  ^^  beweglich, 
welche  durch  ihre  Bogenlängen  5^ ,  resp.  s^  als  Parameter  dargestellt  sind,  so 
ist  das  Differential  des  Abstandes  \P,P^\  beider  Punkte,  als  Funktion  der  beiden 
unabhängigen  Variabein  s^,  s^: 

rf  !  PjPg  =  cos  ojgds^  —  cos  cöj  (^Sj ,  (41) 

wenn  m.  den  Winkel  zwischen  der  Richtung  P^P^   und   der  positiven  Tangente 
an  die  Kurve  ^,.  im  Punkt  P.  bedeutet  (§  37). 

16.  Ausdehnung  des  vorangehenden  Satzes  auf  geodätische  Linien.  Daraus 
die  Sätze  von  §  43,  a)  und  c)  abzuleiten.  (Darboux) 

16.  Zieht  man  von  einem  Punkt  P  die  Normalen  PP^  und  PP^  nach  zwei 
gegebenen  Kurven  ^1,^3,  so  hat  die  Kurve 

IPPi  j-h|PP,  i=konst.  (42) 

*)  Das  bekannte  Plateau 'sehe  Experiment,  wenn  die  Dimensionen  des 
Drahtquer  Schnitts  berücksichtigt  werden. 


=1,  (44) 


lAg  Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX. 

die   Eigenschaft,    daß    ihre    Tangente    im  Punkt  P  den  Winkel   zwischen    der 
Geraden  PP,  und  der  Verlängerung  der  Geraden  PP,  halbiert;  dagegen  halbiert 

die  Tangente  der  Kurve 

pp^  I  _  1  pp^  1  =^  konst.  (43) 

im  Punkt  P  den  Winkel  der  beiden  Geraden  PP,  und  PP, . 

Die  beiden  Kurvenscharen  (42)  und  (43)  sind  orthogonal.  Schrumpfen 
die  beiden  Kurven  ^„  ^,  zu  Punkten  zusammen,  so  erhält  man  bekannte  Sätze 
über  Ellipse  und  Hyperbel  (§  37;  vgl.  Aufgabe  Nr.  14^. 

17  Den  vorangehenden  Satz  einerseits  auf  geodätische  Linien  zu  verall- 
gemeinern (Darboux;  geodätische  Ellipsen  und  Hyperbeln),  andererseits  auf  das 
Variationsproblem,  für  welches 

18  Ist  e  irgend  eine  Lösung  der  partiellen  Differentialgleichung 

«_(§>- Ca!)  (")l4i) 

80  stellt  die  Gleichung  . ,       ^       ,       ^ 

d{u,v)  =  konst. 

eine  Schar  von  ,,Parallelkurven^'  der  Fläche  dar,  für  welche  das  Linienelement 
gegeben  ist  durch:  ds' =  Edu^  +  ^^dudv  +  Gdv'.  Umgekehrt  läßt  sich  jede 
Schar  von  Parallelkurven  in  dieser  Form  darstellen  (§  20,  b),  §  31  c),  §  43). 

(ÜARBOUX) 

19.  Kennt  man  eine  Lösung  der  partiellen  Differentialgleichung  (44), 
welche  eine  nicht  additive  Konstante  ß  enthält,  so  ist  das  allgemeine  Integral 
der  DifferentialgUichung  der  geodätischen  Linien  gegeben  durch 

dd 

Bei  festgehaltenem  ß  sind  die  beiden  Kurvenscharen  0  =  konst.  und  dBjdß 
=  konst.  orthogonal  (§  20,  d),  §  31,0,  §  43).  (Darboüx) 

20*.  Verallgemeinerung  des  Begriffs  des  Winkels:  Es  sei  Ä,A^  ein  Bogen 
einer  Transversalen  t  der  vom  Punkt  0  (o;« ,  i/,,)  ausgehenden  Extremalenschar,  und 
Oä,,OA,    die   beiden   nach   A,    und    A,    führenden    Eartremalen    dieser   Schar. 

Femer  bezeichne 

l  =  J^{A,A,), 

r  =  J^^{OA,)  =  J^^{OA,), 

und  es  werde  vorausgesetzt,  daß 

^(^oi2/oiC08y,  siny)  >  0 

für  jedes  y.     Alsdann  definiert  Bliss  den  Grenzwert 

Sl  =      r 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX.  449 

als   den  „Yerallgemeinerten"  Winkel  zwischen   den  Extremalen  OA^^    und  OA^. 
Der  Wert  desselben  wird  ausgedrückt  durch  das  bestimmte  Integral 


^  _    r       F{x,,y,,  CO 
J   F{x,,y^,cosd, 


cosÖ,  sinö)  dd 


sin  Ö)  sin  (0  —  0) 


Dabei  sind  ö^,  Ö^  die  Tangentenwinkel  der  Extremalen  OA^^OA^  im  Punkt  0, 
und  6  ist  diejenige  der  beiden^)  zur  Richtung  ö  transversalen  Richtungen, 
welche  zur  Linken  der  Richtung  d  liegt,  wenn,  wie  vorausgesetzt  wird,  6^  <  6^ 
(§44,b)). 

Andeutung:    Stelle    die    Extremalenschar    durch    den    Punkt    0   in    der 
Normalform  (188)  von  §  33  dar.  (Bliss) 

21.   Für  das  Integral  ^ 

J  =  ^f{y'-y'')dx 


.T, 


den  Zusatz  III  von  §  44,  b)  zu  verifizieren  (vgl.  Aufgabe  3  auf  p.  144).      (Kneser) 
'22.   Die  kürzeste  Entfernung  von  einem  Punkt  nach  einer  Ellipse  zu  be- 
stimmen.   Den  Fall  zu  diskutieren,  wo  der  gegebene  Punkt  auf  der  Evolute  der 
Ellipse  liegt  (§§  38—41,  47). 

23*.    Für  das  abgeplattete  BotationseUipsoid 

ist  der  Äquator  eine  geodätische  Linie.  Der  auf  dem  Äquator  zu  einem  Punkt  A 
gehörige  konjugierte  Punkt  A'  hat  gegen  A  einen  Längenunterschied  nb/a. 
Der  Bogen  AA'  des  Äquators  liefert  ein  Minimum  der  Länge  (§  47). 

(v.  Braunmühl,  Osgood) 
24*.   Die  Eckenbedingung  für  diskontinuierliche  Lösungen  für  das  Integral 


=  I  f{x,y. 


/N  j  '       dy 


abzuleiten  (Vgl.  p.  367,  Fußnote  2)).  (Erdmanxv) 

25.  Die  Weierstraß'sche  Eckenbedingung  für  diskontinuierliche  Lösungen 
aus  dem  Du-Bois-Reymond' sehen  Lemma  von  §  5,  c)  abzuleiten. 

(Whittemore) 

26.  Die  Weierstraß'sche  Eckenbedingung  für  diskontinuierliche  Lösungen 
mittels  des  Extremalenintegrals  herzuleiten  (§§  37,  48). 

27.  Für  Beispiel  X:  ^ 

J^yy"\l-^yydx 

die  diskontinuierlichen  Lösungen  zu  bestimmen. 
^)  Vgl.  §  36,  a),  Ende. 


^5Q  Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX. 

Lösung:  Wenn  das  Gefälle  der  Verbindungsgeraden  P^P^  zwischen  0  und 
—  1  liegt,  gibt  es  zwei  diskontinuierliche  Lösungen  mit  je  einer  Ecke,  bestehend 
aus  zwei  geraden  Segmenten  vom  Gefälle  0  und  —  1,  beziehungsweise  —  1  und  0. 
Dagegen  gibt  es  unendlich  viele  Lösungen  mit  mehr  als  einer  Ecke;  sie  setzen 
sich  ebenfalls  aus  geraden  Segmenten  zusammen,  die  abwechselnd  das  Gefälle 
0  und  —  1  haben. 

28*.  Für  das  Problem  der  Kurve  Jcleinsten  Trägheitsmoments  in  Beziehung 
auf  einen  Punkt  (Aufgabe  17  von  p.  299)  die  diskontinuierlichen  Lösungen  zu 
bestimmen. 

Lösung:  Wenn  |Ö2~^i!<^V'  ^^  existiert  keine  diskontinuierliche 
Lösung. 

Wenn   ;  Ö2  ~~  ^i  I  >  '^  '    ^°  liefert   der  aus    den   beiden  geraden  Segmenten 

o 

P  P    und  P„  P^  zusammengesetzte  Kurvenzug  das  absolute  Minimum.      (Mason) 
29*.    Bas  Integral 

<2 

J=j  1 iT^TV 4       I  ^* 

zu  einem  Extremum  zu  machen;  insbesondere  sollen   auch  die  diskontinuierlichen 
Lösungen  bestimmt  iverden. 

a)  Die  Extremalen  sind  gerade  Linien.  Führe  Polarkoordinaten  ein: 
x  =  rco8q),  y  =  ra'm(p  und  setze:  0  —  cp  =  ip,  unter  0  den  Tangentenwinkel 
der  betrachteten  Kurve  verstanden.     Dann  wird 


F{x,  2/1  cos  0,  sin  0)  =  .    ,   ^2 


|/l-f  r2  8in*i/j^__  1 

1  1 

F^  {x^  y,  cos  0,  sm  0)  =  -- ^  —  -. 


(l-f-r^sin»"^ 

Hieraus  die  Indikatrix  für  die  verschiedenen  Lagen  des  Punktes  x,  y  zu  be- 
stimmen. An  derselben  liest  man  zunächst  für  kontinuierliche  Lösungen  folgende 
Resultate  ab:  Sei  p  die  Länge  der  Senkrechten  vom  Koordinatenanfangspunkt  0 
auf  die  betrachtete  Gerade.    Dann  liefert  die  Gerade  stets,  ein  starkes  Maximum, 

wenn:    p  >  ")/l5\   stets    ein  schwaches  Maximum,  wenn:    K2^— 1  </}<]/l5, 

ßtets  ein  Minimum,  wenn:  jp«<r  2^ — 1,  wobei  jedoch  zwei  Fälle  zu  unter- 
scheiden sind:  Sind  M  und  N  die  beiden  Schnittpunkte  der  Geraden  mit 
dem  Kreis 

so  ist  die  Bedingung  (IV)  für  ein  starkes  Minimum  erfüllt  für  die  Punkte  der 
Geraden  zwischen  M  und  JV;  dagegen  ist  die  Bedingung  (IV)  nicht  erfüllt  für  die 
Punkte  der  Geraden  außerhalb  des  Segmentes  MN. 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX. 


451 


b)  Jeder  Punlt  im  Innern  des  Kreisringes 

K  2^— 1  ^r^yi^ 

ist  eine   mögliche  Ecke   für  diskontinuierliche  Minimallösungen ;   die   zugehörigen 
Richtungspaare  werden  durch  die  Gleichungen 

1  1 


(l  +  r2)yi+7^"8in>^       4 


0, 


1p  =  7t  


bestimmt.  Der  Winkel  P^  P^  P^  wird  dabei  von  dem  Radius  Vektor  OPq  vom 
Koordinatenanfangspunkt  aus  halbiert. 

Auf  einer  gegebenen  Geraden,  welche  in  diesen  Kreisring  eintritt,  sind  die 
möglichen  Ecken  gerade  die  beiden  oben  mit  M  und  N  bezeichneten  Punkte.  ^) 

c)  Jeder  Punkt  außerhalb  des  Kreises:  r  =  yib^  ist  eine  mögliche  Ecke  für 
diskontinuierliche  Maximallösungen.  Die  zugehörigen  Richtungspaare  werden 
durch  die  Gleichungen 

11  _ 

j/l  +  r^sin^i/j^        4 

hestimmt.  Die  beiden  Stücke  P^  P^  und  P^  Pg  dei  diskontinuierlichen  Lösung 
«ind,  verlängert,  die  Tangenten  vom  Punkt  P^  an  den  Kreis  r  =  ]/l5\  Es  liegt 
hier  der  Fall  ß(rc,  i/)  =  0  von  §50,  d)  vor;  die  beiden  Scharen  von  Tangenten 
an  den  Kreis  r  =  "j/l5^  sind  die  dort  definierten  beiden  ausgezeichneten  Extre- 
malenscharen.  Enthiilt  die  gebrochene  Linie  P^P^P^  keinen  Berührungspunkt 
mit  dem  Kreis  r  =  ]/l5\  so  hat  man  ein  starkes,  uneigentliches  Maximum. 

(Caratheodory,  Dresden) 
30*.    Die  beiden  notwendigen  Bedingungen 

E,^P[,  P,^P'( 

für  diskontinuierliche  Lösungen  (§  49,  c))  mittels  des  Extremalenintegrals  her- 
zuleiten. (Dresden) 

31*.  Es  sind  zwei  Punkte  P^  und  P^  im  Innern  der  oberen  Halbebene  ge- 
geben (2/1  >0,  2/2  >0).  Es  soll  ein  Punkt  P^  der  oberen  Halbebene  (2/0  >0)  und 
ein  Punkt  P^  der  x- Achse  so  gewählt  und  drei  gewöhnliche  Kurven  PqP^,  PqAi 
Pq  Pg  in  der  oberen  Halbebene  (y  >  0)  so  gezogen  werden,  daß  die  durch  Potation 
der  aus  diesen  drei  Bogen  zusammengesetzten  Kurve  um  die  x- Achse  erzeugte 
Fläche  einen  möglichst  kleinen  Inhalt  besitzt-)  (§§  48—50). 

Lösung:  Die  Bogen  P^P^,  resp.  P^P^  sind  Bogen  von  zwei  Kettenlinien 
%,  resp.  ©0  mit  der  ^- Achse  als  Direktrix;  der  Bogen  P^Pg  ist  eine  zur  aj-Achse 
senkrechte  Gerade;  die  letztere  bildet  im  Punkt  P^  mit  jedem  der  beiden  Ketten- 
linienbogen  einen  Winkel  von  120  ^. 

^)  Vgl.  den  Satz  von  Caratheodory  auf  p.  387. 

^)  Bei  dem  Plateau 'sehen  Versuch  mit  zwei  kreisförmigen  Drähten  bildet 
«ich  bei  geeigneter  Anordnung  des  Versuches  die  hier  vorliegende  zusammen- 
;gesetzte  diskontinuierliche  Lösung. 


^^2  Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX. 

Die  Tangente  an  (£,  (resp.  @,)  im  Punkt  1\  möge  die  a:; -Achse  im  Punkt 
T  (resp.  2\)  schneiden.  Die  Tangente  von  T^  aus  an  den  absteigenden  Ast  von 
e"  möge  denselben  im  Punkt  E^  berühren;  die  Tangente  von  T^  aus  an  den 
aufsteigenden  Ast  von  (£„  möge  denselben  im  Punkt  E^  berühren.  Dann  muß: 
P,  >  i;,  Pa  <  ^0  sein. 

Ferner  sei  T^  der  Schnittpunkt  der  Tangente  an  ©^  in  P^  mit  der  a^-Achse 
und  Pj'  der  Berührungspunkt  der  Tangente  von  T^  aus  an  den  aufsteigenden 
Ast  von  \.     Dann  ist  es  für  ein  Minimum  weiter  nötig,  daß 

Sind  diese  Bedingungen  in  der  durch  Unterdrückung  des  Gleichheitszeichens 
charakterisierten  stärkeren  Form  erfüllt,  so  liefert  die  gefundene  Lösung  in  der 
Tat  ein  Minimum  des  Flächeninhalts. 

Andeutung:  Zum  Beweis  der  notwendigen  Bedingungen  wende  man  die 
Differentiationsmethode  von  §  38,  passend  modifiziert,  an;  für  den  Hinlänglich- 
keitsbeweis  kombiniere  man  die  hinreichenden  Bedingungen  für  ein  ge- 
wöhnliches Extremum  mit  den  hinreichenden  Bedingungen  für  kontinuierliche 
Lösungen  von  Variationsproblemen  mit  festen  Endpunkten. 

(Talqvist,  Mary  E.  Sinclair) 

32.  Das  Snellius'sche  Brechungsgesetz  mit  den  Methoden  von  §  51  ab- 
zuleiten. 

33.  Die  Weierstraß'sche  Bedingimg  (46),  (47)  von  §  52  mittels  der  Varia- 
tionsmethode zu  beweisen.  (Weierstrass) 

34.  Die  dem  Beispiel  XX  entsprechende  Verallgemeinerung  für  geodätische 
Linien  aufzustellen  (§§  52,  53). 

Andeutung:  Benutze  Gleichung  (39)  von  §  26. 

35.  Beispiel  I    mit    der  Modifikation,    daß  die    zulässigen    Kurven  auf  den 

Bereich  _ 

1/  >  Z:  >  0 

beschränkt  werden  (§§  52,  53).  (Kneser) 

36.  Im  Innern  eines  konvexen  Bereiches  31  sind  zwei  Punkte  P^ ,  Pg  ge- 
geben. Die  kürzeste  Verbindungskurve  von  P^  nach  Pg  zu  ziehen,  welche  den 
Bereich  61  nicht  verläßt  und  mit  der  Begrenzung  desselben  einen  nicht  vor- 
geschriebenen Punkt  Pq  gemein  hat  (§  52). 

Lösung:  Eine  gebrochene  Linie  1\F^F^,  deren  Segmente  F^P^,,  Pq  Pg 
im  Punkt  P„  mit  der  Tangente  der  Begrenzung  gleiche  Winkel  bilden. 

37.  Die  vorige  Aufgabe  auf  geodätische  Linien    zu  verallgemeinern. 

(Kneser) 

38*.  Bei  dem  Prinzip  der  kleinsten  Aktion,  angewandt  auf  die  Bewegung 
eifies  schweren  materiellen  Punktes  in  einer  vertikalen  Ebene,  ^)  sind  die  zu- 
lässigen Kurven  auf  den  Bereich:  y^k  beschränkt. 

*)  Vgl.  auch  für  die  Bezeichnung  Aufgabe  Nr.  10  und  11  auf  pp.  296 
und  297. 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX.  453 

Daraus  folgt  die  Existenz  einer  diskontinuierlidien  Lösung  P^P^P^P^,  be- 
stehend aus  der  Senkrechten  P^  P.^  vom  Punkt  P^,  auf  die  Schranke :  y  =^k,  dem. 
Segment  P3P4  der  Schranke  und  der  Senkrechten  P^^P^  auf  die  Schranke. 
Diese  diskontinuierliche  Lösung  liefert  stets  wenigstens  ein  relatives  Minimum. 
Läßt  man  den  zweiten  Endpunkt  P^  eine  kontinuierliche  Lösung  (Parabel)  vom 
Punkt  Pq  an  beschreiben,  so  liefert  zunächst  die  kontinuierliche  Lösung  den 
kleineren  Wert  für  das  Aktionsintegral,  bis  der  Punkt  P^  mit  einem  bestimmten 
zwischen  P^  und  P'^  liegenden  Punkt  P^'  zusammenfällt,  in  welchem  beide  Lö- 
sungen denselben  Wert  liefern.  Jenseits  des  Punktes  Pq  liefert  dann  die  dis- 
kontinuierliche Lösung  den  kleineren  Wert.  Der  geometrische  Ort  des  Punktes 
Pq  wird  in  Polarkoordinaten  mit  der  positiven  2/ -Achse  als  Achse  durch  die 
Gleichung 

(k  +  r  sin^  1)^  -(k-r  cos ^  |-)^'  =  k^  +  (/j  -  r  cos  0)^ 

gegeben  (§§  52,  b)  und  57,  e)). 

Die  Frage  des  absoluten  Minimums  mittels  der  auf  p.  436  mitgeteilten  Me- 
thode zu  diskutieren.  (Todhunter) 

39*.    Sollen  die  orthogonalen  Trajektorien  der  Kurvenschar 

U(x,  y)  =  konst.  (45) 

zugleich  Extremdien  für  das  Aktionsintegral '^) 

sein,  so  ist  notiüendig  und  hinreichend,  daß  das  Potential   U  der  partiellen  Diffe- 
rentialgleichung genügt 

U.  Ü,(U^.  -  ir„)  =  f/,,(t/|  -  P|)  ,  (47) 

iceMie  ausdrückt,  daß   L^.  +  C/2   eine  Funktion  von   ü  (d.  h.  also  die  Kraft   eine 
Funktion  des  Potentials)  ist.^) 

Andeutung:  Man  beachte,  daß  für  das  Integral (46)  transversal  =  orthogonale 
und  wende  die  Sätze  ^)  von  §  20,  b)  an. 

Zusätze:  1.  Sind  die  orthogonalen  Trajektorien  der  Schar  (45)  Extremalen 
für  das  Integral  (46),  so  sind  sie  stets  gerade  Linien.     2.  Sind  die  orthogonalen 

^)  Vgl.  Aufgabe  Nr.  9  auf  p.  298. 

^)  Wegen  Verallgemeinerung  dieses  Satzes  auf  die  Bewegung  eines  Punktes 
auf  einer  Fläche  vgl.  De  Saint-Gehmaix,  Journal  de  Mathematiques  (3)  Bd.  II 
(1876),  p.  325,  ExxEPER,  Göttinger  Nachrichten,  1869,  p.  62  und  Stäckel, 
Dissertation,  Berlin  1885,  p.  11. 

^)  Der  hier  in  Frage  kommende  Satz  ist  folgendermaßen  zu  berichtigen: 
„Eine  Kurvenschar  F{x,  y)  =  konst.  kann  nur  dann  Transversalenschar  für  ein 
gegebenes  Variationsproblem  sein,  wenn  eine  Funktion  von  F  existiert: 
TF=  i^(F),  welche  der  Beltrami-Hamilton'schen  Differentialgleichung  (47) 
genügt." 


^54  Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX. 

Trajektorien  der  Schar  (45)  gerade  Linien,  so  sind  sie  zugleich  stets  auch  Extre- 
malen  für  das  Integral  (46).  3.  Besitzt  das  Integral  (46)  eine  einparametrige 
Schar  von  geradlinigen  Extremalen,  so  sind  dieselben  die  orthogonalen  Trajek- 
torien der  Schar  (45). 

Andeutung:  Die  Euler' sehe  Differentialgleichung  für  das  Integral  (46) 
in  der  Form  (23b)  von  §  26  lautet: 

ds  ^y      ds    ="  r  ^    ^ 

40*.    Bei  dem  Prinzip   der   kleinsten  Aktion    sind  die   zulässigen  Kurven 

uuf  das  Gebiet 

U{x,y)-j-h:^0  (49) 

beschränkt.  Die  hieraus  folgenden  diskontinuierlichen  Lösungen  für  das  Äktions- 
integral  (46)  zu  untersuchen  unter  der  Voraussetzung,  daß  das  Potential  U  der 
partiellen  Differentialgleichung  (47)  genügt  (§  52). 

Lösung:  Die  Betrachtung  wird  auf  einen  Bereich  beschränkt,  in  welchem 
U  eindeutig  definiert  und  regulär  ist,  und  in  welchem  U^  und  Uy  nicht  gleich- 
zeitig verschwinden.     Es  sei  6^: 

x  =  x{v),  y  =  y{v) 

ein  regulärer  Bogen  der  Schranke 

U{x,y)  +  h  =  0;  (50) 

V  sei' die  Bogenlänge,  und  der  positive  Sinn  sei  so  gewählt,  daß  die  positive 
Normale  der  Kurve  S,  d.  h.  diejenige,  deren  Richtungskosinus  durch:  —  ^/'(y), 
X  (v)  gegeben  sind,  ins  Innere  des  Bereiches  (49)  gerichtet  ist.  Man  betrachte 
die  Transformation 

x=.x(^v)  —  y'{v)s,  y  =  y{v)-\-x{v)s  (51) 

zwischen  der  rc,  y-Ebene  und  einer  v,  s-Ebene  und  bezeichne  mit  cf  das  Bild  in 
der  X,  y-Ehene  des  Bereiches 

0<S<So,  ^o<^<^i-  (^2) 

Man  kann  dann  stets  s^,  v^,  v^  so  wählen,  daß  die  Transformation  (51)  eine 
ein-eindeutige  Beziehung  zwischen  den  Bereichen  (52)  un4  c^  definiert,  und  daß 
gleichzeitig  die  Funktionaldeterminante  der  Transformation  (51),  nämlich 

A(s,i;)  =  -1  +  |, 

wo  r  den  Krümmungsradius  der  Kurve  (I  im  Punkt  v  bezeichnet,  im  Bereich  (52) 
von  Null  verschieden  ist.     Dann  gilt  der  folgende  Satz :  ^) 

Die  Funktion  U  möge  der  partiellen  Differentialgleichung  (47)  genügen; 
die  zulässigen  Kurven   mögen    auf  den  Bereich  cf  beschränkt   werden,   und   die 

1)  VgL  FiiANK,  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXIV  (1907),  p.  239 
und  die  Berichtigung  dazu  Ibid.  Bd.  LXVI. 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX. 


455 


beiden  gegebenen  Punkte  F^  und  P^  mögen  im  Innern  von  cP  liegen.  Dann  kann 
man  von  P^  und  P^  aus  je  eine  eindeutig  definierte  Normale  P0P3,  resp.  P^P^ 
auf  die  Schranke  S  ziehen. 

Alsdann  liefert  der  aus  den  Normalen  Pq  Pg ,  dem  Bogen  Pg  P^  der  Schranke 
und  der  Normalen  P^P^  zusammengesetzte  Kurvenzug  stets  ein  starkes  (relatives) 
Minimum  für  das  Aktionsintegral  (46). 

Andeutung:  Man  zeige  zunächst,  daß  die  Funktion  U  beständig  wächst, 
wenn  man  längs  einer  Normalen  der  Kurve  ®  von  ^  aus  ins  Innere  des  Be- 
reiches S  fortschreitet,  und  wende  dann  den  auf  p.  399  angeführten  Satz  von 
Todhunter  in  leichter  Modifikation  an. 

41*.  Auf  einer  in  der  Form:  z  =  cp{x,y)  gegebenen  Fläche  sind  zwei 
Punkte  Pi,  Pg  gegeben.  Die  kürzeste  Kurve  zu  bestimmen,  welche  auf  der 
Fläche  von  P^  nach  P^  gezogen  werden  kann,  und  deren  Steilheit  eine  gewisse 
Orenze  k  nicht  übersteigt: 

d  z  .^  , 

Lösung:  Die  Lösungen  setzen  sich  zusammen  aus  geodätischen  Linien, 
soweit  sie  die  Bedingung  (53)  erfüllen,  und  aus  „Kurven  konstanter  Steilheit": 
dz/ds  =  k.  An  den  Übergangspunkten  müssen  auch  die  geodätischen  Linien 
die  Steilheit  k  besitzen.  (Zekmelo) 

42.  Einen  abgestumpften  Kegel  von  gegebener  Basis  und  Höhe  zu  konstru- 
ieren, welcher  in  der  Richtung  der  Achse  den  geringsten  Widerstand  erfährt  (§  54). 

Lösung:    Entsteht   der   gesuchte    abge-  P 

stumpfte  Kegel  durch  Rotation  der  FigurJ.  PCD 
um  die  Achse  AB,  und  ist  M  der  Mittelpunkt 
von  J. P ,  so  ist  I  MS\  =  \  MD  \ .    (Siehe  Fig.  105.) 

(Newton) 

43*.  Ist  PQ  ein  Kurvenbogen,  dessen  Ge-   _____^i_ 
fälle   durchweg  ^  1  ist,   so   erfährt   die  durch  ^ 

JRotation  des  Bogens  PQ  um  die  x- Achse  er- 
zeugte Fläche  einen  größeren  Widerstand  als  die  durch  Rotation  der  gebrochenen 
Linie  PMQ  erzeugte,  ivobei  PB  parallel  der  y- Achse  ist  und  BP  das  Gefälle  1 
hat  (§  54). 

Andeutung:  Zerlege  den  Bogen  PQ  in  Elemente,  wende  auf  dieselben 
-den  vorangehenden  Satz  an  und  gehe  zur  Grenze  über.  (Newton,  Ellis) 

44.  Der  Widerstand  einer  Halbkugel  ist  gleich  der  Hälfte  des  Wider- 
standes eines  Zylinders  von  derselben  Basis  und  Höhe,  wenn  beide  sich  in  der 
Richtung  der  Achse  bewegen  (§  54).  (Newton) 

Wie  groß  ist  der  Widerstand  des  Rotationskörpers  kleinsten  Widerstandes 
von  derselben  Basis  und  Höhe? 

Anwort:    0,3748  des  Widerstandes  des  Zylinders. 


^  M 

Fig.  105. 


456  Übungsaufgaben  zu  Kapitel  VI  bis  IX. 

45*.  Den  Boiationskörper  kleinsten  Widerstandes  zu  bestimmen,  wenn  statt 
des  Newton 'sehen  Gesetzes^)  für  den  Widerstand: 

dW=  c  sin^  dd(o 
eines   der  folgenden  mit  der  Erfahrung  besser  übereinstimmenden  Gesetze  2)   zu 

Grunde  gelegt  wird:  .     t  ..      x 

dW--=c  sind  da,  (v.  Lossl) 

,,^^         2csinö      j  ,j^  . 

dW=  -y     .    ^^dcj.  (Duchemin) 

Lösung:  Die  Extremalen  lassen  sieb  nach  derselben  Methode  wie  beim 
Newton 'sehen  Problem  in  endlicher  Form  darstellen  mit  q  als  Parameter.  Ihre 
allgemeine  Gestalt  ist  dieselbe  wie  beim  N  ewton' sehen  Problem.  Der  Tangenten- 
winkel y  an  der  Spitze  wird  gegeben  durch: 

cotg  y  =   ■  ^  ,        7  =  54"  44',     resp. 

cotg'y^^Al^^         y  =  3l0  37'. 

Die  Bedingung  (IV)  wird:    0<^,     wo 

8in^  =  ^^~-^,         ^  =  38«  10',     resp. 
2  sin  8  d  +  3  sin  2  (^  +  2  sin  d^  —  1  =  0,         d  =  18»  30'. 

Die  Lösung  setzt  sich  zusammen  aus  einem  Segment  der  y-Achee  und  einem 
darauf  folgenden  Extremalenbogen,  der  mit  dem  Tangentenwinkel  d  ansetzt. 
Ganz  ähnliche  Resultate  gelten  allgemein  für 

dW=f{q)d(o 

wenn  f  (q)  zunächst  von  0  bis   zu  einem   endlichen  Minimalwert  abnimmt  und 
von  da  beständig  bis  0  wächst,  während  q  von  0  bis  -f  Oü  wächst.  (Miles). 


^)  Vgl.  wegen  der  Bezeichnung  p.  409. 
*)  Vgl.  Encyclopädie,  IV  17,  Nr.  4,  5,  6. 


Zehntes  Kapitel 
Isoperimetrisclie  Probleme. 

§  59.    Die  Euler'sche  Regel. 

Beim  isoperimetrischen  Problem^)  vom  einfachsten  Typus^  welches 
den  Gegenstand  des  gegenwärtigen  Kapitels  bildet^  besteht  —  zunächst 
für  den  Fall  fester  Endpunkte  —  die  Gesamtheit  9TI  aller  zulässigen 
Kurven  aus  allen  gewöhnlichen  Kurven  S,  welche  von  einem  ge- 
gebenen Punkt  P^  nach  einem  zweiten  gegebenen  Punkt  F^  führen^ 
ganz  in  einem  vorgeschriebenen  Bereich  01  verlaufen  und  dem  Integral 

K^=  fG{x,y,x,y')dt 


einen  vorgeschriebenen   Wert  l  erteilen: 

K^  =  l.  (1) 

Unter  diesen  zulässigen  Kurven  ist  dann  diejenige  auszusuchen, 
welche  dem  Integral 

J^=^  j  F{x,y,x,y')dt 

k 

den  ^kleinsten  Wert  erteilt. 

Dies  ist  das  Problem  des  ^^absoluten"  Minimums^  dem  sich  dann, 
ganz  wie  in  §  3,b)  und  §  25,  das  „relative"  an  die  Seite  stellt. 

Von  den  Funktionen  F  und  G  soll  dabei  vorausgesetzt  werden, 
daß  sie  in  x'^y'  positiv  homogen  von  der  Dimension  1  sind  und 
überdies  als  Funktionen  ihrer  vier  Variabein  von  der  Klasse  C"  in 
dem  Bereich 

%:  (x,y)     in  ^,  (^',  i/')  +  (0,  0). 

a)  Herstellung  einer  Schar  von  zulässigen  Variationen: 
Wir  nehmen  an,  wir  hätten  eine  zulässige  Kurve 

^0-  x  =  x{t),        y  =  y(t),        t,^t^t,  (2) 

^)  Vgl.  p.  4.  Statt  „isoperimetrisches  Problem"  wird  häufig  „Problem  des 
relativen  Extremums"  gesagt.  Wir  halten  jedoch  im  Gebrauch  der  Worte  absolutes 
und   relatives  Extremum   an   der  in  §§  2  und  3   eingeführten  Terminologie  fest. 


458  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

gefunden,  welche  in  dem  angegebenen  Sinn  ein  relatives  Minimum 
für  das  Integral  J  liefert,  und  welche  ganz  im  Innern  des  Bereiches 
Ö\  liegt. 

Es  handelt  sich  dann  zunächst  darum,  einen  analytischen  Aus- 
druck für  eine  einfach  unendliche  Schar  von  zulässigen  Variationen 
dieser  Kurve  zu  erhalten.  Man  überzeugt  sich  leicht,  daß  man  infolge 
der  „isoperimetrischen  Bedingung^'  (1)  jetzt  nicht  mehr  mit  Variationen 
von  dem  einfachsten  Typus  (17)  von  §  26  auskommt,  sondern  daß 
68  nötig  wird,  Variationen  von  dem  allgemeineren  Typus 

heranzuziehen.  Man  kann  zu  solchen  einparametrigen  Scharen  zu- 
lässiger Variationen  nach  Weieestrass  folgendermaßen  gelangen: 

Man  wähle  irgend  zwei  Funktionenpaare  l{t),  ri(t)  und  |i(Q,  t]^  (t) 
von  der  Klasse  D',  welche  in  t^  und  t^  verschwinden: 

und  setze 

X{t,  e,  8,)  =  x{t)  +  sm  +  ^i^i(0;     Y(t^  ',  h)  =  y(t)  +  ^VÜ)  +  ^1% W, 

wobei  £,  £i  Konstante  bedeuten. 

Wenn  wir  diesen  Konstanten  nun  noch  die  Bedingung  auferlegen, 
daß  sie  der  Relation 

Kie,  8,)  ^fG{x,  r,  X',  r)dt  =  l  (4) 

genügen  sollen,  so  stellen  die  Gleichungen 

X  =  X(t,  e,  e,),        y  =  Y{t,  e,  s,)  (5) 

für  jedes  solche  Wertsystem  f,  e^  eine  zulässige  Variation  der  Kurve 
@o  dar,  wenn  nur     e     und  |  s^  \  hinreichend  klein  genommen  werden.^) 

1)  An  dieser  Stelle  zweigt  eine  von  Hilbert  in  seinen  Vorlesungen  gegebene 
elegante  Modifikation  des  Weierstraß'schen  Beweises  der  Euler'schen  Regel 
ab.  Statt  die  Gleichung  (4)  nach  f^  aufzulösen,  führt  er  die  Aufgabe  auf  ein 
geicöhnliches  Extremum  mit  einer  Nebenbedingung  zurück.  Es  muß  nämlich  jetzt 
die  Funktion  . 

J{8,e,)=fF{X,Y,X',Y')dt 

für  f  =  0,  f  1  =  0  ein  Minimum  mit  der  Nebenbedingung  (4)  besitzen.  Daher 
muß  es  unter  den  Voraussetzungen  und  in  der  Bezeichnung  des  Textes  eine  von 
f  und  fj  unabhängige  Größe  X  geben,  so  daß  gleichzeitig 


§59.    Die  Eul  er 'sehe  Regel.  450 

Nun  wird  die  Gleichung  (4)  befriedigt  durch  s  =  0,  e^  =  0,  weil 
ja  die  Kurve  (Sq  als  zulässige  Kurve  der  isoperimetrischen  Bedingung 
(1)  genügt.  Ferner  ist  die  Funktion  K(£,  s^)  in  der  Umgebung  der 
Stelle  £  =  0,  f -1^  =  0  von  der  Klasse  C'\  Wenn  wir  daher  ^,  r]  so 
wählen,  daß  die  Größe 


m.-ß 


GJi  +  G,Vi  +  GAi  +  GylDdt  ^  K, 


von  Null  verschieden  ist,  so  können  wir  nach  dem  Satz  über  implizite 
Funktionen  die  Gleichung  (4)  in  der  Umgebung  der  Stelle  £  ==  0, 
«1  =  0  eindeutig  nach  e^  auflösen,  und  die  erhaltene  Lösung:  s^  =  %[e) 
verschwindet  für  £  =  0,  ist  in  der  Umgebung  dieser  Stelle  von  der 
Klasse  C",  und  es  ist 

wenn  wir  analog 

u 

ßf)„=/(ej  +  G,n  +  GA'  +  G^.vyu^Ko 

setzen;  dabei  soll  überall  der  Index  0  das  Nullsetzen  von  £,  resp.  von 
£  und  £j  andeuten. 

Tragen  wir  für  e^  die  Funktion  i{8)  in  (5)  ein,  so  erhalten  wir 
eine  einparametrige  Schar  von  Variationen  der  Kurve  @o' 

welche  alle  verlangten  Eigenschaften  besitzt. 
Aus  (6)  folgt,  daß  für  diese  Schar 

Sx  =  e[i-§i,),  Sy  =  '^{ri-§V,)-  (8) 

Es  wirft  sich  jedoch  die  Frage  auf,  ob  sich  die  Funktionen 
Si,  %  stets  so  wählen  lassen,  daß  K^^O.  Dies  ist  nur  dann  un- 
möglich, wenn  das  Integral  K^  für  alle  Funktionen  ^j,  rj^  von  den 
angegebenen  Eigenschaften  verschwindet.    Das  würde  aber  nach  §  2^,  a) 

Die  zweite  Gleichung  bestimmt  X  und  zeigt,  daß  l  jedenfalls  von  |,  r]  unabhängig 
ist;  aus  der  ersten  folgt  dann  die  Euler'sche  Regel. 

Dies  ist  wohl  der  einfachste  strenge  Beweis  der  Euler'schen  Regel.  Daß 
wir  denselben  trotzdem  im  Text  nicht  gewählt  haben,  ist  mit  Rücksicht  auf  die 
Entwicklungen  von  §  60  über  die  zweite  Variation  geschehen. 

Vgl.  auch  Kneser,  Eul  er  und  die  Variatwn.<?rechnung,  Abhandlungen  zur 
Geschichte  der  Mathematischen  Wissenschaften,  Bd.  XXV  (1907),  p.  50. 


^ßQ  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

bedeuten,  daß  die  Kurve  @o  eine  Extremale  für  das  Integral  K  wäre. 
Wir  setzen  daher  in  der  Folge  voraus,  daß  die  Kurve  @o  nicht  zugleich 
Extremale  für  das  Integral  K  ist,  d.  h.  also  daß  der  Ausdruck 

berechnet  für  die  Kurve  ^^,  im  Intervall  \t^t^'\  nicbt  identisch  ver- 
schwindet.^) 

üa  die  Kurven  der  Schar  (7)  für  beliebige  Werte  von  e  der 
Gleichung  K  =  /  genügen,  so  folgt  daraus  durch  Differentiation  nach  e 

öK=-0.  (10) 

Umgekehrt  gilt  aber  auch  das  folgende  Lemma,  welches  später  bei 
der  zweiten  Variation  zur  Anwendung  kommen  wird: 

Sind  l,  rj  zwei  vorgegebene  FunUionen  der  Klasse  D',  welche  in 
t^  und  t^  verschwinden  und  der  Gleichung 

J\gA  +  ^-yv  +  (^A'  +  ^/V)^^^  =  0  (11) 

h 
genügen,   so   läßt  sich  stets   eine   einparametrige   Schar   von  zulässigen 
Variationen  konstruieren,  für  ivelche 

dx^el,         öy  =  £7].  (12) 

Denn  wählen  wir  bei  der  obigen  Konstruktion  der  Schar  (7)  für 
I,  7/  die  beiden  vorgegebenen  Funktionen,  so  ist  wegen  (11):  Kq  =  0, 
und  daher  gehen  die  Gleichungen  (8)  in  die  verlangten  Gleichungen 
(12)  über. 

Ist  die  Kurve  ©^  von  der  Klasse  C",  so  können  wir  auf  die 
Gleichung  (11)  die  Transformation  (18)  von  §  26  anwenden  und 
erhalten  das  Lemma  in  der  folgenden  modifizierten  Form,  in  welcher 
dasselbe  von  Weiersteass  gegeben  worden  ist:^) 

Ist  w  irgendeine  Funktion  der  Klasse  D',  ii^elche  in  t^  und  t^ 
verschwindet  und  der  Gleichung 

ti 

fVwdt  =  0  (13) 

^1 

^)  Wäre  diese  Bedingung  nicht  erfüllt,  so  würden  gewisse  hinreichend 
kleine  Stücke  des  Bogens  (S^  wenigstens  ein  schwaches  Extremum  für  das 
Integral  K  liefern,  und  es  wäre  daher  unmöglich,  ein  solches  Stück  zu  variieren 
(wenigstens  im  Sinn  der  schwachen  Variation)  ohne  den  Wert  von  K  zu  ändern 
(Wkierstrass). 

')  Vgl.  Kneser,  Mathematische  Annalen,  Bd.  LV,  p.  100. 


§  59.    Die  Euler'sche  Regel.  461 

genügt,  so  kann  man  stets  eine  Schar  zulässiger  Variationen  honstruieren, 

für  imlche  ,  ^  ,  ^ 

y  ox  —  X  oy  ^  ew. 

Denn  die  Funktionen 

ivy'  — wx' 


5 


x'^  +  y"-''  '        x'^-i-y'^ 

genügen  alsdann  allen  Bedingungen  des  eben  bewiesenen  Lemmas, 
aus  welchem  dann  die  Behauptung  unmittelbar  folgt. 

b)  Beweis  der  Euler'schen  Regel: 

Nachdem  wir  so  eine  Schar  von  zulässigen  Variationen  kon- 
struiert haben,  schließen  wir  jetzt  in  der  üblichen  Weise,  daß  für 
dieselbe  die  Kurve  @q  den  Bedingungen 

dJ=0,         d'J^O  (14) 

genügen  muß.     Wenn  wir  zur  Abkürzung  schreiben 

h 

h 

so  lautet  die  erste  der  beiden  Bedingungen  (14),  mit  der  wir  es  hier 
zunächst  ausschließlich  zu  tun  haben,  wenn  wir  für  dx^  dy  ihre  Werte 
aus  (8)  einsetzen,  ^ 

J-„-|Ji=0.  (15) 

Wir  denken  uns  jetzt  die  beiden  Funktionen  |^,  t^^  ein  für  alle- 
mal fest  gewählt;  dann  ist  der  Quotient 

eine   ganz   bestimmte   numerische   Konstante,   die  jedenfalls   von    der  . 
Wahl  der  beiden  Funktionen  |,  ri  unabhängig  ist.    Die  Gleichung  (15) 
lautet  also  jetzt 

d.  h.  aber,  wenn  wir 

F(x,  y,  x\  y')  +  l  G{x,  y,  x,  y)  =  H{x,  y,  x\  /;  A)  (16) 

setzen:  Es  muß 

f(HJ  +  H^rj  +  H,,i'^H^,r^')dt  =  0  (17) 

h 
Bolza,  Variationsrechnung.  30 


4ß2  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrisclie  Probleme. 

sein  für  alle  Funktionen  |,  j]  von  der  Klasse  D',  welche  in  t^  und  t^ 
verschwinden.  Daraus  folgt  aber  nach  §  5,  c)  und  §  26,  a)  das. 
folgende^  unter  dem  Namen  der  „Euler  sehen  Regel" ^)  bekannte  Resultat: 

')  Euler  hat  die  nach  ihm  benannte  Regel  durch  eine  sinnreiche  Infini- 
tesimalbetrachtung bewiesen  {MetJwdus  inveniendi  etc.  [1744J,  Kap.  V,  Art.  27). 
Er  betrachtet  die  Kurve  als  Polygon  von  unendlich  vielen  Seiten,  variiert  dann 
die  Ordinaten  zweier  aufeinanderfolgender  Ecken  desselben,  aber  so,  daß  die 
isoperimetrische  Bedingung  erfüllt  bleibt.  Seine  Schlüsse  entsprechen  zwar  den 
heutigen  Begriifen  von  Strenge  nicht  mehr,  sind  aber  immer  noch  befriedigender 
als  das  meiste,  was  sonst  vor  Weierstraß  über  diesen  Gegenstand  geschrieben 
worden  ist. 

Der  erste  strenge  Beweis  der  Eul ersehen  Regel  rührt  von  Weierstkass 
her  (Vorlesungen  1877,  oder  früher);  es  ist  im  wesentlichen  der  im  Text  ge- 
gebene. 

Man  kann  dem  Beweis  auch  eine  andere  Wendung  geben,  welche  sich 
mehr  an  die  Schlußweise  der  älteren  Variationsrechnung  anschließt,  indem  man 
denselben  folgendermaßen  in  zwei  scharf  getrennte  Teile  zerlegt: 

Angenommen  man  hätte  auf  irgendeinem  Weg  eine  Schar  zulässiger 
Variationen  der  Kurve  (i^  gefunden.  Dann  müssen  für  diese  Schar  gleichzeitig 
die  beiden  Gleichungen  bestehen 

Daraus  hat  man  nun  weiter  geschlossen:  Also  muß  <y,7=0  sein  für  alle  Funk- 
tionen dx.dy,  welche  der  Bedingung  8K=0  genügen.  Dieser  Schluß  ist  an 
sich  falsch;  er  wird  erst  gerechtfertigt,  nachdem  das  unter  a)  erwähnte 
Weierstraß'sche  Lemma  bewiesen  ist,  welches  somit  eine  wesentliche  Lücke 
der  älteren  Variationsrechnung  ausfüllt. 

Weiter  zeigt  man  dann:  Ist  dJ=0  für  alle  Funktionen  dx.dy,  für  welche 
dK=(i  ist,  so  muß  die  Kurve  ©„  der  Differentialgleichung  (I)  genügen. 

Der  Beweis  dieses  Satzes  reduziert  sich  (nach  Anwendung  derLagrange'schen 
partiellen  Integration  auf  dJ  und  öK)  auf  das  folgende  Fundamentallemma  für 
isoperimetrische  Probleme ,  welches  sich  dem  Fundamentallemma  von  §  5  als 
Gegenstück  an  die  Seite  stellt: 

Sind  M  und  N  zwei  im  Intervall  [t^t^]  stetige  FunUionen  von  t,  und  ist 


'2 

CMtvdt 


für  alle  Funktionen  w  der  Klasse  C ,  welche  in  t^  und  t.^  verschic  in  den  und  der 
(rleichung  ^ 

rNwdt  =  0 
fi 
genügen,  so  gibt  es  eine  Konstante  l  derart,  daß 

M-\-l  N=0  im  ganzen  Intervall  [t^t^]. 

Dieses  Fundamentallemma  ist  wohl  zuerst  von  Bertrand  bewiesen  worden 
(Journal  de  Mathematiques,  Bd.  VII  (1842),  p.  55).  Bekannter  ist  der  Beweis 
von  Du-Bois-Reymond   geworden   (Mathematische  Annalen,  Bd.  XV  (1879), 


§  59.    Die  Euler 'sehe  Regel.  463 

Jede  Lösung  des  vorgelegten  isoperimetrischen  Problems,  welche 
nicht  zugleich  Extremale  für  das  Integral  K  ist,  muß  für  eimen  ge- 
wissen  Wert  der  Konstanten  k  den  Differentialgleichungen 

K-iH^.-^0,         H^-I^H^.^0  (18) 

genügm,  welche  mit  der  einen  Bifferentialgleichwng 

Ky  -  -ö,..  +  JI,  {«'y"  -y'x")  =  0  (I) 

äquivalent  sind. 

Dabei  ist  die  Funktion  H  durch  die  Gleichung  (16)  definiert, 
und  es  ist 

^  y^  x'y'  x'^    '  K^-^J 

Dies  ist  aber  dieselbe  Differentialgleichung,  die  man  erhalten 
tvürde,  wenn  man  das  Integral 

f(F-{-XG)dt  (20) 

ohne  Nebenbedingung  zu  einem  Extremum  zu  machen  hätte. 

Jede  der  Differentialgleichung  (I)  für  einen  bestimmten  Wert 
von  X  genügende. Kurve  soll  nach  Kneser  wieder  eine  Extremale  für 
das  vorgelegte  Variationsproblem  heißen. 

Zu  den  vorangehenden  Resultaten  fügen  wir  noch  die  folgenden 
Bemerkungen  hinzu: 

1.  Nach  der  obigen  Ableitung  könnte  es  scheinen,  als  ob 
die  Konstante  k  noch  von  der  Wahl  der  Funktionen  J^,  r]^  ab- 
hängig wäre.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Denn  aus  (15)  folgt,  wenn 
auch  Kq  =1=  0, 


p.  312,  wo  noch  ein  weiterer,  von  Reiff  herrühi-ender  Beweis  gegeben  wird). 
Die  entsprechende  Verallgemeinerung  für  das  allgemeinste  isoperimetrische 
Problem  bei  einfachen  Integralen  findet  man  bei  Scheeffer,  ibid.,  Bd.  XXV 
(1885),  p.  584  und  A.  Mayer,  ibid.,  Bd.  XXVI  (1886),  p.  78. 

Die  oben  hervorgehobene  Lücke  ist  typisch  für  die  ältere  Variations- 
rechnung. Durch  den  Lagrange'schen  ^-Algorithmus  wird  die  Aufmerksamkeit 
auf  die  ersten  Variationen  $x,  dy  abgelenkt,  und  man  vergißt  darüber  nur  zu 
leicht,  daß  man  aus  den  Funktionen  ^x,  8y  erst  dann  etwas  schließen  kann,  wenn 
man  imstande  ist,  von  diesen  auf  eine  Schar  von  zulässigen  Vergleichskurven 
zurückzugehen.  Erst  Weierstrass  hat  hier  Klarheit  in  die  Variationsrechnung 
gebracht. 


30' 


^^^^  Zehntes  Kapitel.    Isoperimetrische  Probleme. 

Die  linke  Seite  dieser  Gleichung  enthält  nur  i^,  Vi,  ^ie  ^^^^^^ 
nur  i,  7]',  die  beiden  Funktionenpaare  sind  voneinander  vollkommen 
unabhängig;  daraus  folgt  aber,  daß  die  isoperimetrische  Konstante  X 
awih   von   der   Wahl  der  FunUionen  l^,  Vi    unabhängig   ist  (Weier- 

STRASS). 

2.  Das  aUgemeine  Integral^)  der  Differentialgleichung  (I)  enthält 
außer  den  beiden  Integrationskonstanten  noch  die  Konstante  X: 

x  =  f(t,a,ß,x),       y=-g{t,a,ß,l).  (21) 

Zur  Bestimmung  der  Konstanten  a,  ß,  X  und  der  unbekannten  Größen 
t  t  haben  wir  —  im  Fall  einer  kontinuierlichen  Lösung  —  außer 
den  vier  Gleichungen,  welche  ausdrücken,  daß  die  Kurve  für  t  =  t^ 
durch  den  Punkt  P^,  für  t  =  t^  durch  den  Punkt  V^  gehen  soll,  noch 
die  isoperimetrische  Bedingung  K=l,  also  ebensoviele  Gleichungen 
als  Unbekannte. 

3.  Neben  den  der  Differentialgleichung  (1)  genügenden  Lösungen 
des  Problems  kann  es  dann  möglicherweise  noch  Losungen  geben, 
welche  Eodremalen  für  das  Integral  Ksind,  sogenannte  „starre  Lösungen",^) 
was  in  jedem  einzelnen  Fall  durch  eine  besondere  Untersuchung  zu 
entscheiden  ist.  Man  kann  diese  Lösungen  unter  die  vorigen  mit 
einbegreifen,  wenn  man  einen  zweiten  Faktor  k  einführt,  der  im  all- 
gemeinen Fall  —  1  ist,  während  in  diesem  Ausnahmefall  %  =  0,  A  =  1 

ist,  und 

H=kF-^XG 

setzt. 

4.  Bei  dem  obigen  Beweis  der  Euler'schen  Regel  war  nicht 
vorausgesetzt,  daß  die  Kurve  @o  von  der  Klasse  C  ist;  sie  darf  auch 
eine  endliche  Anzahl  von  Ecken  haben.  Nur  hat  man  dann  vor 
Ausführung  der  Differentiation  nach  e  und  e^  die  Integrale  J{e,  fj 
und  K{b,  fi)  in  bekannter  Weise  in  Summen  von  Integralen  zu  zer- 
legen, die  Differentiation  an  den  Summanden  auszuführen  und  nach 
der  Differentiation  die  Integrale  wieder  unter  einem  Integralzeichen 
zu  vereinigen.  Daraus  folgt,  daß  auch  hei  einer  „diskontinuierlichen 
Lösung"'  die  isoperimetrische  Konstante  X  entlang  allen  kontinuierlichen 
Segmenten  ein  und  denselben  konstanten  Wert  hat.^) 

*)  Näheres  hierüber  unter  e);  vgl.  übrigens  die  auch  hier  gültigen  Bemer- 
kungen auf  p.  204. 

*)  Vgl.  p.  460,  Fußnote  »). 

')  Diese  wichtige  Bemerkung  rührt  von  A.  Mayer  (Mathematische 
Annalen,  Bd.  XIII,  (1877),  p.  66,  Fußnote)  und  Weierstrass  her. 


§  59.    Die  Euler' sehe  Regel.  465 

Ferner  ergibt  sich  weiter  aus  (17)  nacli  §  48,  b):  In  jeder  Ecke 
t  =  (q  einer  diskontinuierlichen  Lösung  muß  die  Weierstraß'sche 
Eckenbedingung 

H,''^-'-H,'\'^^\        ^,,| '0-0==^^,  1^0  +  0  (22) 

erfüllt  sein. 

c)  Das  spezielle  isoperimetrische  Problem: 

Darunter  verstehen  wir  die  folgende  Aufgabe ,  welche  der  ganzen  Klasse 
von  Aufgaben,  mit  der  wir  uns  gegenwärtig  beschäftigen,  den  Namen  gegeben  hat : 

Beispiel  11:^)  Unter  allen  geicöhnliclien  Kurven  von  gegebener  Länge, 
welche  zwei  gegebene  Funkte  P^  und  Pg  verbinden,  diejenige  zu  bestimmen,  ivelche 
mit  der  Sehne  P^  Pg  den  größten  Flächeninhalt  einschließt. 

Wählen  wir  die  Verbindungsgerade  von  Pj  und  P^  zur  a;-Achse,  mit  P^  Pj 
als  positiver  Richtung,  so  haben  wir  das  IntegraP) 

J=^  I  {xy'  —yx')dt 
zu  einem  Maximum  zu  machen,  während  das  Integral 

K=  r^x^^y'^^dt 

h 

einen  vorgeschriebenen  Wert  2Z  besitzen  soll,   den  wir  größer  als  den  Abstand 

Pj  Pg  I  voraussetzen. 

Für  den  Bereich  01  können  wir  hier  die  ganze  x^  y-WoeuQ  wählen. 

Da  , —^ 

H=^{xy'  —  yx')  +  l^x'^  -\-  g'^\ 

so  erhalten  wir     "  - 


und  daher  wird  die  Differentialgleichung  (I) 

1 x'y"  —y'x"  1 


(24) 


Dieselbe  zeigt,  daß  %  stets  von  Null  verschieden  ist,  und  daß  die  gesuchte 
Kurve  ein  Kreis  vom  Badius  |  X  \  ist,  der  im  Sinn  ^)  des  Uhrzeigers  oder  im  ent- 
gegengesetzten beschrieben  wird,  je  nachdem  X^O  oder  ^  <;  0.  Man  verifiziert 
dies  auch  leicht  direkt  durch  wirkliche  Ausführung  der  Integration,  indem  man 

')  Vgl.  p.  3. 

^)  Hierdurch  wird  zugleich  definiert,  was  wir  unter  dem  fraglichen  Flächen- 
inhalt verstehen;  vgl.  Goursat,  Cours  d' Analyse,  I,  Nr.  94  und  C.  Jordan,  Cours 
d' Analyse,  I,  Nr.  102,  112  und  II,  Nr.  129—133.  Man  beachte,  daß  das  Integral  J 
entlang  der  Geraden  Pj  Pg  gleich  Null  ist.    • 

^)  Vgl.  p.  192. 


466 


Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 


die  DifFereutialgleichung  (24)  in  der  Normalform  (43)  von  §  27  schreibt,  mit  dem 
Bogen  s  als  unabhängiger  Variabein.  Die  Integration  ergibt  bei  passender  Wahl 
des  Anfangspunktes  für  den  Bogen  s 


^  —  X  cos 


(-1) 


y 


l  sin 


(-1) 


(25) 


Da  H^    stets  von  Null  verschieden  ist,   so  können  nach  (22)  und  §  48,  c), 
Zusatz  I,  keine  diskontinuierlichen  Lösungen  auftreten. 

Konstantenhestimmung^):  Wir  wählen  zur 
Vereinfachung  den  Mittelpunkt  0  der  Strecke 
Pj  P2  zum  Koordinatenanfangspunkt,  so  daß 
a  =  0  wird.  Ferner  beschränken  ^)  wir  uns 
auf  Lösungen,  welche  nicht  über  einen  vollen 
Kreisumfang  hinausgehen,  und  auf  den  Fall 
X  <  0.  Führt  man  dann  den  halben  Zentri- 
winkel CO  des  Bogens  P^  P^  ein,  so  normiert, 
daß  derselbe  zwischen  0  und  7t  liegt,  so  ist 
x^  =  —  Xsin  CO,         Z  =  —  Z  CO ,         /?  =  1  cos  co, 

_^  woraus  sich  zur  Bestimmung  von  co  die  trans- 
zendente Gleichung  ergibt 


CO  =  sm  CO 


Fig.  106.  l 

Da  nach  Voraussetzung  0  <  o?!  <  /,  so  ergibt  die  Diskussion  dieser  Gleichung, 
daß  dieselbe  stets  eine  Wurzel  co  zwischen  0  und  ä  besitzt.  Daraus  folgt,  daß 
es  stets  einen  den  Anfangsbedingungen  genügenden  Kreisbogen  gibt,  für 
welchen  A  «<  0 . 

Daneben  gibt  es,  wenn  xjl  unter  einer  gewissen  Grenze  liegt,  dann  noch 
Lösungen,  welche  über  einen  vollen  Kreisumfang  hinausgehen. 

Der  Ausnahmefall,  daß  eine  Extremale  für  das  Integral  K,  d.  h.  also  eine 
Gerade,  Lösung  des  Problems  ist,  kann  nur  eintreten  wenn  2  Z  =  |  P^  Pg  !  .  Als- 
dann ist  aber  diese  Gerade  überhaupt  die  einzige  zulässige  Kurve,  kann  also 
gar  nicht  den  Bedingungen  der  Aufgabe  gemäß  variiert  werden. 

d)  Gleichgewiclitslage  eines  schweren,  an  söinen  beiden  End- 
punkten befestigten  Fadens: 

Nach  physikalischen  Prinzipien  ist  die  Aufgabe  mit  der  folgenden  äquivalent: 
Bei  spiel  XXI:  In  einer  vertikalen  Ebene  zwischen  zivei  gegebenen  Punkten 
Pi  und  Pj   diejenige  Kurve  von  gegebener  Länge  zu  ziehen,  denn  Schiverpunkt 
möglichst  niedrig  liegt. 

Wir  nehmen  die  positive  i/-Achse  vertikal  nach  oben;  dann  wird  die  Ordi- 
nate des  Schwerpunktes  gegeben  durch  den  Quotienten 


')  Vgl.  C.  Jordan,  Cours  d' Analyse,  III,  p.  498. 
«)  Vgl.  §  61,  c). 


§  59.    Die  Euler' sehe  Regel.  467 


fyx'^-i-y'^^dt 


Da  jedoch  der  Nenner  bei  allen  zulässigen  Kurven  konstant  bleibt,  so  haben  wir 
einfach  das  Integral 

J=fyVx'^-fy^dt 
h 
zu  einem  Minimum  zu  machen,  während  gleichzeitig  das  Integral 


einen  vorgeschriebenen  Wert  l   haben    soll,    den  wir    größer    als   den  Abstand 
I  Pi  Pg !  voraussetzen. 

Wir  haben  hier 

Indem  wir  von  der  ersten  der  beiden  Grleichungen  (18)  Gebrauch  machen,  erhalten 
wir  sofort  ein  erstes  Integral  der  Differentialgleichung  (I): 

"       Vx'^^y'^' 

Ist  a  =  0,  so  erhalten  wir  die  Lösung  ^) 

X  =  konst., 

welche  nur  dann  statthaben  kann,   wenn  die  beiden  gegebenen  Punkte  in  der- 
selben Vertikalen  liegen. 

Ist  dagegen  cc=^0,  so  erhalten  wir  als  allgemeine  Lösung  der  Differential- 
gleichung (I)  zwei  Systeme  von  Kettenlinien 

x=ß-\-cct,  y -\- X  ^  ±aCht .  (26) 

Aus  (22)  folgt,  daß  die  Konstante  a  selbst  im  Fall  einer  diskontinuierlichen 
Lösung  entlang  der  ganzen  Kurve  denselben  Wert  behalten  muß.  Sehen  wir 
daher  von  dem  trivialen  Fall  cc  =  0  ab ,  so  können  nach  §  48 ,  c) ,  Zusatz  I, 
keine   diskontinuierlichen  Lösungen  auftreten ;  denn 

H^{x^y^cosd,smd',X)  =  y-\-X, 
und  dies  ist  im  Fall  a^O  entlang  jeder  Extremalen  von  Null  verschieden. 

Konstantenbestimmung  ^) :  Nehmen  wir  an,  daß  ^i<C^2»  ^^  ^^^  a  >►  0  sein, 


^)  Die  G  erade :  ^Z  +  ^  =  0  ist  keine  Extremale ,  da  sie  der  zweiten  der 
Differentialgleichungen  (18)  nicht  genügt. 

^)  Nach  Weiekstrass,  Vorlesungen  1879;  vgl.  auch  Appell,  Iraite  de  Meca- 
nique,  I,  p.  191. 


468  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

damit   *i<*,.     Da  die  Kurve   durch  die  beiden  Punkte  P^  und  P^   gehen  soll, 
80  müssen  die  folgenden  Gleichungen  erfüllt  sein 

x,=ß,  +  at,,  y,+^  =  ±ccCht, . 

Femer  muß   die  Kurve  die  vorgeschriebene  Länge  haben;  das  gibt  die  weitere 

Gleichung 

o;(Shi3  — Shii)  =  L 

Aus   diesen  fünf  Gleichungen   haben  wir  die  Unbekannten   a^  ß^X^t^^t^   zu  be- 
stimmen.    Führt  man  statt  t^  und  t^  die  beiden  Größen 

_  t,J- 1,  _  x,_±x,-2 ß 

2  a 


(27) 


ein,  80  leitet  man  leicht  aus  den  obigen  Gleichungen  die  folgenden  ab 

2/j  — 2/1  =  dz  2aSh^Shi;, 

?  =  2o:ChaShv. 
Daraus  folgt 

Thft=  +  ^^-^'.  (28) 

Da  nach  Voraussetzung 

i  >  Vi^,-  ^ryTW.-w^  >  1 2/2  -  2/1 1 , 

so  hat  jede  der  beiden  in  (28)  enthaltenen  Gleichungen  eine  Lösung  fi.  Ferner 
folgt  aus  (27) 

y7^-(^;_7J.^  =  2aSh.,       also  ^  ^VlE^y^lH  ^j, , 

Da  A:^l,  so  hat  diese  transzendente  Gleichung  eine  positive  Wurzel  v,  wie 
sich  aus  der  Diskussion  der  durch  die  Funktion  Shi/  —  kv  von  v  dargestellten 
Kurve  ergibt. 

Nachdem  u  und  v  bestimmt  sind,  ergeben  sich  die  Werte  von  a,  ^,  X,  ij.^j 
unmittelbar. 

Jedes  der  beiden  Systeme  von  Kettenlinien  (26)  enthält  also  eine  Ketten- 
linie, welche  den  Anfangsbedingungen  genügt.  ^) 

e)  Existenztlieoreme  für  isoperimetrische  Extremalen: 
Aus  dem  Satz  von  §  21,  a)  folgt  unmittelbar:  Durch  einen 
Punkt  ^o(<^o>  ^0)  ^^  Innern  des  Bereiches  öl  läßt  sich  in  einer  vor- 
geschriebenen Richtung  y^  eine  und  nur  eine  Extrem ale  der  Klasse  C 
mit  einem  vorgeschriebenen  Wert  Xq  der  isoperimetrischen  Kon- 
stanten A  konstruieren,  vorausgesetzt  daß 

-^1  («0.  K  cos  7o,  sin  j'o ;  '^0)  +  0 .  (29) 

^)  Hierzu  weiter  die  Übungsaufgaben  Nr.  1—9, 18—22  am  Ende  dieses  Kapitels. 


§  59.    Die  Euler'sche  Regel.  459. 

Diese  Extremale,  die  wir  schreiben 

x  =  x{t),       y  =  y{t),  (30) 

läßt  sich  dann  wieder  auf  ein  ganz  bestimmtes  Maximalintervall 

t\<t<tl 
fortsetzen. 

Ist  t==tQ   der  Parameter  des  Punktes  A^,  und   sind  T^y  T^  zwei 
der  Ungleichung 

^t  <  ^1  <  ^0  <  ^2  <  tl 

genügende  Werte,  so  läßt  sich  eine  positive  Größe  d  angeben  derart^ 
daß  die  folgenden  Sätze  gelten: 
1.  Ist 

so  läßt  sich  auch  durch  den  Punkt  x^yy^  in  der  Richtung  6^  eine 
Extremale  mit  dem  Wert  X  der  isoperimetrischen  Konstanten  kon- 
struieren. Bedeutet  insbesondere  t  die  Bogenlänge,  so  können  wir 
diese  Extremale  unter  Benutzung  der  in  §  21,  b)  definierten  Punk- 
tionen 36,  g  schreiben: 

x^üit-t^',  x^,  2/0,  e^,k),      y=-d(i-  hl  ^0. 2/0;  ^0,  ^) ,    (31) 

wobei  wir  im  gegenwärtigen  Fall  noch  X  mit  unter  die  Argumente 
aufnehmen  müssen.  Dazu  kommt  dann  noch  für  den  Tangenten- 
winkel 0  in  Punkt  t  die  Gleichung 


2.  Für 


geht  die  Extremale  (31)  in  die  Extremale  (30)  über. 

3.  In  dem  Bereich 

^i<i<T2,\^o-(^o\<dAyo-K\<d,^eQ-yQ\^d,\X-XQl^d    (32) 
sind  die  Funktionen 

als  Funktionen  der  Variabein  t,  Xq^  y^,  6^,  l  von  der  Klasse  C, 

4.  In  dem  Bereich  (32)  ist 

^,(3£,g,.^,,g,;  A)  +  0  (33) 


und 


^(^0)  2/01^0) 


4=0. 


(34) 


^'JQ  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Endlich  liegt  die  Extremale  (31)  für  jedes  den  Ungleichungen 
(32)  genügende  Wertsystem  von  t,  x^^y^,  Oq,  X  ganz  im  Innern  des 
Bereiches  6i. 

Zum  Beweis  dieser  Behauptungen  schreibe  man  die  Differential- 
gleichung (I)  unter  Einführung  des  Tangentenwinkels  6  in  der  den 
Gleichungen  (43)  von  §  27  entsprechenden  Normalform  und  betrachte  A 
als  vierte,  der  Differentialgleichung 

dt 

genügende  unbekannte  Funktion.  Auf  das  so  erweiterte  System  von 
Differentialgleichungen  wende  man  dann  die  Sätze  von  §  24  an. 

Gibt  man  in  (31)  einer  der  Größen  Xq,  y^,  Oq  einen  festen 
numerischen  Wert  und  betrachtet  die  übrigen  beiden  als  Integrations- 
konstanten, so  erhält  man  das  bereits  unter  b)  erwähnte  „allgemeine 
Integral"  der  Differentialgleichung  (I),  zunächst  in  einer  Normalform, 
von  der  man  dann  wie  in  §  27,  c)  zur  allgemeinsten  Form  über- 
gehen kann. 

§  60.     Die  zweite  und  vierte  notwendige  Bedingung. 

Wir  nehmen  jetzt  an,  wir  hätten  eine  Extremale 

@o:  x  =  x(t),       y  =  y(t)>       k<i<k 

gefunden,  welche  der  Differentialgleichung  (I)  mit  einem  bestimmten 
Wert  Xq  der  isoperimetrischen  Konstanten  genügt,  von  P^  nach  Pg 
führt  und  dem  Integral  K  den  vorgeschriebenen  Wert  l  erteilt. 
Weiter  setzen  wir  voraus,  die  Kurve  (Sq  sei  von  der  Klasse  C"  und 
liege  ganz  im  Innern  des  Bereiches  01,  und  endlich  verschärfen  wir 
die  in  §  59,  a)  über  die  Funktion  V  gemachte  Annahme  dahin,  daß 
sie  entlang  der  Extremalen  @o  in  keinem  noch  so  kleinen  Teilinter- 
vall von  \t^t^  identisch  verschwinden  soU. 

a)  Das  Analogon  der  Legendre'schen  Bedingung: 

Zur  Aufstellung  weiterer  notwendiger  Bedingungen   wenden   wir 

uns    nunmehr    zunächst    zur    Untersuchung     der    zweiten    Variation. 

Wir    betrachten     irgendeine     einparametrige     Schar    von     zulässigen 

Variationen  (3);  für  dieselbe  muß  dann  nach  (14) 

ö'JyO  (35) 

sein.  Bei  der  Bildung  von  ö^J  haben  wir  zu  beachten,  daß  im  gegen- 
wärtigen Fall  der  Integrand  nicht  nur  die  schon  beim  Problem  ohne 
Nebenbedingungen    (§  28)   auftretende   quadratische   Form   in   öx,  dy^ 


§  60.    Die  zweite  und  vierte  notwendige  Bedingung.  471 

Sx\  öy'  enthält,  sondern  nach  §  8,  b)  außerdem  noch  eine  lineare 
Form  der  zweiten  Variationen,  nämlich 

weil  wir  es  hier  nicht  mit  Variationen  von  dem  einfachsten  Typus 
(17)  von  §  26  zu  tun  haben,  sondern  mit  solchen  von  dem  allge- 
meineren Typus  (3). 

Diese  zweiten  Variationen  lassen  sich  nun  aber  eliminieren/) 
wenn  man  die  Ungleichung  (35)  mit  der  aus  der  Differentiation  der 
Gleichung:  K  =  l  nach  s  folgenden  Grleichung:  d^K  =  0  in  der  Weise 
kombiniert,  daß  man  die  letztere  mit  der  Konstanten  Xq  multipliziert 
zur  ersteren  addiert: 

dV+Aod'/iT^O.  (36) 

Die  Glieder,  welche  zweite  Variationen  der  unbekannten  Funktionen 
enthalten,  vereinigen  sich  nunmehr  zu  dem  Integral 

f{HJ'x  +  H^d'y  +  H,,d-'x'  +  H^,dY)dt,  (37) 

wobei  in  der  Funktion  H  die  Konstante  /l  =  Aq  zu  setzen  ist. 

Wendet  man  auf  dieses  Integral  die  Lagrange'sche  partielle 
Integration  an  und  beachtet  einerseits,  daß  die  Extremale  (Sq  den 
Differentialgleichungen  (18)  mit  dem  Wert  Xq  der  isoperimetrischen 
Konstanten  genügt,  andererseits,  daß  die  Funktionen  d^x,  ö^y  in  t^ 
und  t<^  verschwinden,  wie  sich  durch  zweimalige  Differentiation  der 
in  £  identischen  Gleichungen 

x(t,,e)  =  x^,         y{t^,8)  =  y^, 

x{t^,  s)  =  x^,       y(t^,£)  =  y2 

ergibt,  so  erkennt  man,  daß  das  Integral  (37)  gleich  Null  ist,  und 
daß  sich  daher  die  Ungleichung  (36)  auf 

ö'J^fiH^Xöxf  +  . . .  +  H^.y.{dyy]dt  ^  0  (38) 

h 
reduziert.  Diese  Ungleichung  muß  bestehen  für  jedes  Funktionen- 
paar dx^  dy,  welches  aus  einer  einparametrigen  Schar  von  zulässigen 
Variationen  durch  den  d-Prozeß  ableitbar  ist.  Die  Gesamtheit  dieser 
Funktionenpaare  ist  aber  nach  dem  Weierstraß'schen  Lemma  von 
§  59,  a)    identisch    mit    der    Gesamtheit    derjenigen   Funktionenpaare 

^)  Vgl.  eine  hierauf  bezügliche  Bemerkung  von  Swift,  Bulletin  of  the 
American  Mathematical  Society,  Bd.  XIV  (1908),  p.  373. 


^12  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

dXydij,  welche  in  [tj^]  von  der  Klasse  D'  sind,  in  t^  und  t^  ver- 
schwinden und  überdies  der  Gleichung  öK^O  genügen.  Für  alle 
diese  Funktionenpaare  muß  daher  die  Ungleichung  (38)  gelten. 

Auf  das  Integral  auf  der  linken  Seite  von  (38)  kann  man  jetzt 
die  Weierstraß'sche  Transformation  von  §  28,  a)  anwenden  und 
gleichzeitig  auf  öK  die  Transformation  (18  a)  von  §  26,  so  daß  in 
beiden  Integralen  öx  und  dy  nur  mehr  in  der  Verbindung 

y'öx  ~  x'öy  =  £iv 

vorkommen.  Wendet  man  dementsprechend  das  Weierstraß'sche 
Lemma  in  der  zweiten  am  Ende  von  §  59,  a)  gegebenen  Form  an, 
so  erhält  man  den  folgenden  Satz:^) 

Für  ein  Minimum  des  Integrals  J  mit  der  Nebenbedingung  K=l 
ist  weiter  notwendig,  daß  das  Integral 

Ö^J^  s^f[H,  (^,^)'+  H,u,^}u  y  0  (39) 

für  alle  FunUionen  w  von  der  Klasse  B\  welche  in  t^  und  t^  ver- 
schwinden, und  für  welche 


f 


Vwdt  =  0.  (13) 


Dabei  sind  die  Funktionen  H^,  E^  ^^^  ^^^  Funktion  H=  F -\- X^G 
genau  so  abgeleitet  wie  in  §  28,  a)  die  Funktionen  F^,F^  aus  der 
Funktion  F,  die  Funktion  V  ist  durch  (9)  definiert,  und  die  Funk- 
tionen Hy,H^,V  sind  für  die  Extremale  @o  berechnet. 

Hieraus  folgt  nun  leicht  der  Satz: 

Bie  zweite  nottcendige  Bedingung  für  ein  Minimum  des  Integrals  J 
mit  der  Nebenbedingung  K  =  l  ist,  daß 

H,yO  ^  (11) 

entlang  der  Fxtremalen  @o?  ^^-  ^- 

H,{x{t),  y{t),  x\t),  yfXt);  X,)  ^  0     in  [t^. 

Zum  Beweis  können  wir  genau  wie  in  §  9,  b)  und  §  28,  a) 
verfahren,   nur   daß  jetzt  noch   zu  zeigen  ist,   daß  wir  zu  jedem  vor- 

*)  Weierstrass ,  Vorlesungen  1«7'J.  Man  kann  dieses  Resultat  auch  ohne 
Benutzung  des  Weierstraß'schen  Lemmas  ableiten,  indem  man  in  konsequenter 
Weiterführung  des  Hilbert'schen  Gedankengangs  (p.  458,  Fußnote  0),  die  zweite 
notwendige  Bedingung  dafür  entwickelt,  daß  die  i'unktion  J(£,  Sj)  für  t  =  0, 
f  1  =  0  ein  Minimum  mit  der  Nebenbedingung  K{s,  «i)  =  ^  besitzen  soll;  vgl.  Bolza, 
Bulletin  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  XV  (1909),  p.  213. 


§  60.    Die  zweite  und  vierte  notwendige  Bedingung.  473 

geschriebenen  Teilintervall  [t't'']  von  [t^t^]  eine  Funktion  tv  kon- 
struieren können j  welche  in  [t't"]  von  der  Klasse  C  ist,  in  t'  und  r" 
verschwindet,  ohne  im  ganzen  Intervall  identisch  zu  verschwinden, 
und  welche  der  Bedingung  (13)  genügt.  Dazu  wähle  man  zwei  be- 
liebige Funktionen  w^i,  ^(?2>  welche  den  ersten  beiden  der  drei  auf- 
gezählten Bedingungen  genügen,  und  überdies  W2  so,  daß 

*  " 

x' 

was  nach  der  im  Eingang  dieses  Paragraphen  über  die  Funktion  Y 
gemachten  Voraussetzung  stets  möglich  ist.  Dann  setze  man: 
w  =  w^^  cw^  und  bestimme  die  Konstante  c  so,  daß  (13)  erfüllt  ist. 
Die  Bedingung  (II)  ist  das  Analogon  der  Leg endre' sehen  Bedin- 
gung für  das  isoperimetrische  Problem.  Wir  werden  dieselbe  in  der 
ganzen  weiteren  Entwicklung  in  der  stärkeren  Form: 

■Hx  >  0,  (11') 

entlang  (Sq,  voraussetzen.  Es  folgt  dann  nach  §  27,  c),  daß  sich  die 
Extremale  (S^  über  das  Intervall  [t^t^  hinaus  fortsetzen  läßt,  und  es 
gelten  für  die  so  fortgesetzte  Extremale  @*  die  Sätze  von  §  59,  e). 
Insbesondere  folgt,  daß  die  Extremale  ©^  aus  dem  allgemeinen  Integral 
(21)  der  Differentialgleichung  (I)  abgeleitet  werden  kann,  indem  man 
den  Größen  «,  ß.  l  gewisse  spezielle  Werte  a  =  c<:q,  /3  =  /J^^,  A  =  l^  gibt, 
so  daß  also 

xif)  ^  f{t,  a,,  ß,,  X,) ,         y(t)^  g{t,  a„  ß,,  X,)  .  (40) 

i))  Die  Weierstraß'sche  Bedingung: 
Um  spätere  Entwicklungen  nicht 
unterbrechen  zu  müssen,  schließen  wir 
gleich  hier  die  Weierstraß'sche  Be- 
dingung an.  Wir  wenden  dasselbe  Ver- 
fahren wie  in  §  30,  a)  an,  wobei  jedoch 
einige  Modifikationen  nötig  werden.  Unter  ^ 
Festhaltung    der    dortigen    Bezeichnung  J^'ig- 107. 

handelt  es  sich  darum,  eine  einparametrige  Schar  von  Vergleichskurven 

X  =  x{t,s),  y=.y{t^e) 

aufzustellen,  welche  nicht  nur,  wie  dort,  die  Bedingungen 
x{t,0)  =  x{t),  y(t,0)  =  y(t), 

x(t„e)  =  x^,  y(t,,8)==y^, 


474  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

sondern  auch  die  isopermetrisclie  Bedingung 

K,,+  K,,^K,,  (41) 

erfüllen.     Dazu  setzen  wir  die  Vergleichskurven  in  der  Form  an 

X  =  x{t)  +  s,^,(t)  +  e,^,{t)  +  6,Ut), 
y  =  y(t)  +  8,ri^{t)  +  e^ri^{t)  +  hn^{t) , 

wo  l-j  r}-  willkürliche  Funktionen  von  t  von  der  Klasse  C  sind,  welche 
in  fj  verschwinden^  und  bestimmen  nun  e^,  e^y  £3  als  Funktionen  von  £ 
durch  die  Gleichungen: 

^3+^1^1(^3)  +  ^2^2(^3)  +  hk{h)  =  ^{h-^)y 

2/3  +  hnSz)  +  ^2^2(^2^+  hnzih)  =  y{h-^)^ 

^14  +  ^43  =  -^13  • 

Dies  ist  aber  nach  dem  Satz  über  implizite  Funktionen  stets  möglich, 

\it,)         UQ         UQ\ 

.Vi(Q  %fe)  %W]  +  0; 

^1  K,  K,    i 

wobei  , 

Das  ist  stets  leicht  zu  erreichen;  man  wähle  z.  B.  ?i,%  so,  daß 

was  nach  der  im  Eingang  dieses  Paragraphen  über  die  Funktion  V 
gemachten  Annahme  stets  möglich  ist;  ferner 

Nachdem  so  eine  allen  Anforderungen  genügende  Schar  von  Ver- 
gleichskurven hergestellt  ist,  muß  für  alle  hinreichend  kleinen  posi- 
tiven Werte  von  6  die  Ungleichung 

stattfinden,  welche  man  mit  Rücksicht  auf  (41)  auch  schreiben  kann: 

(^14  +  ^0^14)  +  («^43  +  ^0-^43)  >  *^13  +  ^0^13- 

Die  weitere  Behandlung  dieser  Ungleichung  führt  nun  ganz  wie  in 
§  30,  a)  zu  dem  folgenden  Resultat:   Es  bezeichne 

%{x,y',  x',y'',  x,ir,  l)  = 

H(x,y,x\y',  X)  -  x' H^,{x,y,x,y'',  k)  -  yHy.{x,y,x',y'',  l). 


§  61.    Die  Weierstraß'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.         475 

Dann  gilt  der  Satz^): 

Die  vierte  notwendige  Bedingung  für  ein  starlies  Minimum  des 
Integrals  J  mit  der  Nehenhedingung  K  =  l  besteht  darin,  daß 

S(x,y',p,q-p,q-X^):>0  (IV) 

entlang^)  dem  JExtremalenhogen  ^q. 

§  61.    Die  Weierstraß'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte  beim 
isoperimetrischen  Problem. 

Die  bisherigen  Untersuchungen  haben  gezeigt^  daß,  soweit  es  sich 
um  die  Bedingungen  (I),  (II)  und  (IV)  handelt,  das  vorgelegte  iso- 
perimetrische Problem  äquivalent  ist  mit  dem  Problem,   das  Integral 

'? 
j\F-\-X,G)dt  (43) 

ohne  Nebenbedingung  zu  einem  Minimum  zu  machen. 

Man  hat  lange  geglaubt,  daß  beide  Probleme  überhaupt  äquivalent 
seien;  dies  ist  jedoch  falsch,  wie  zuerst  Lundström^)  gefunden  hat. 
Die  weitere  Untersuchung  der  zweiten  Variation  zeigt  nämlich,  daß 
auch  beim  isoperimetrischen  Problem  ein  konjugierter  Punkt  F[ 
existiert,  über  welchen  hinaus  ein  Extremum  nicht  mehr  stattfinden 
kann;  dieser  Punkt  fällt  aber  im  allgemeinen  nicht  mit  dem  konju- 
gierten Punkt  für  das  Integral  (43)  ohne  Nebenbedingung,  den  wir  mit 
P[  bezeichnen  wollen,  zusammen,  vielmehr  ist  im  allgemeinen  F[^F[, 
wie  dies  auch  a  priori  nicht  anders  zu  erwarten  ist.  Denn  beim 
Problem  ohne  Nebenbedingung  muß  die  Ungleichung  (39)  für  aUe 
Funktionen  iv  der  Klasse  D'  erfüllt  sein,  welche  in  t^  und  t^  ver- 
schwinden, beim  isoperimetrischen  Problem  dagegen  nur  für  diejenigen, 
welche  außerdem  noch  der  Bedingung  (13)  genügen;  daraus  folgt 
schon,  daß  sicher  F[  >-  F[  sein  muß. 

Bei  der  dritten  notwendigen  Bedingung  hört  also  die  Äquivdlens 
der  beiden  Probleme  auf. 

a)  Definition  der  konjugierten  Punkte: 

Wir  wenden  zunächst  auf  das  Integral  (39)  die  Jacobi'sche  Trans- 
formation von  §  10,  b)   an.     Ist    [r^Tg]    irgend    ein   Teilintervall   von 

^)  Nach  Weierstrass,   Vorlesungen  1879. 

^)  In  demselben  Sinn  wie  in  §  30,  a). 

^)  ^S^-  „Distinction  des  maxima  et  des  minima  dans  un  prohlenie  isoperi- 
metrique",  Nova  acta  reg.  soc.  sc.  Upsaliensis,  Ser.  3,  Bd.  VII  (1869);  vgl. 
auch  A.  Mayer,  Mathematische  Annalen,  Bd.  XIII  (1878),  p.  54. 


476  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

[tit^],  und  wählen  Avir  die  Funktion  w  identisch  gleich  Null  außerhalb 
[r^Tg],  gleich  Null  in  r^  und  r._,  und  von  der  Klasse  0"  in  [r^tg],  so 
können  wir  hiernach  die  zweite  Variation  schreiben 

d^J=e^Jw^(w)dt,  (44) 

wobei 

Da  wir  aber  nur  solche  Funktionen  lo  betrachten,  welche  der  Glei- 
chung (13)  genügen,  so  können  wir  in  den  Ausdruck  für  d^J  dadurch 
eine  willkürliche  Konstante  einführen,  daß  wir  das  mit  einer  Kon- 
stanten u  multiplizierte  Integral 


/ 


Vwdt 


hinzuaddieren.     Wir  erhalten  so:  ^ 

^2  j  _  s^fwl-^Pitv)  -h  ii  V]dt  (45) 

Wir  versuchen  nun  zunächst,  ähnlich  wie  in  §  10,  b),  die  zweite 
Variation  durch  passende  Wahl  der  Größen  Tj,  tg,  ft  und  der  Funktion 
w  gleich  Null  zu  machen.    Dazu  betrachten  wir  die  Differentialgleichung 

-^Fiiv)  +  iti  F  =  0.  (46) 

Das  allgemeine  Integral  derselben  läßt  sich  mittels  eines  dem 
Jacobi'schen  Verfahren  von  §  12,  b)  und  §  29,  a)  analogen  Verfahrens 
leicht  angeben.     Denn  setzen  wir  in  die  Differentialgleichung 

■^        dt      ^ 

mit   unbestimmtem  A  für  x,  y  das  allgemeine  Integral  (21)  ein,   diffe- 
rentiieren  nach  a,  ß,  l  und  setzen  schließlich  a  =  a^,  ß  =  ß^,  1  =  1^, 
so  ergibt  sich  das  folgende  Resultat: 
Bezeichnen  wir 


^S)=0tfa-ft9ay 


«0.  ß  =  ßo^  r  ==  roy 


so  ist 

W{^,  (t))  =  0,  W(^,  (t))  =  0,  W(^,  (t))  +V^0.      (47) 


§  61.    Die  Weierstraß'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.         477 

Die  ersten  beiden  dieser  Gleichungen  werden  genau  so  erhalten  wie 
die  analogen  Resultate  in  §  29,  a).  Bei  Ableitung  der  dritten  Glei- 
chung hat  man  sich  zu  erinnern,  daß  die  Größe  l  nicht  nur  implizite 
in  den  Funktionen  f,  g  vorkommt,  sondern  auch  explizite  als  Faktor 
von  G  in  11=  F  -\-  XG.  Die  Ausführung  der  Differentiation  nach  X 
«rgibt  daher  zunächst  die  Gleichung 

woraus  dann  das  obige  Resultat  auf  Grund  der  nach  Gleichung  (23) 
von  §  26  gültigen  Relation 

folgt. 

Aus  den  Gleichungen  (47)  ergibt  sich,  daß  die  Funktion 

iv  =  c,  &^(t)  +  c.d'.it)  +  /i^3(0  (48) 

der  Differentialgleichung  (46)  genügt,  und  da  sie  zwei  willkürliche 
Konstanten  c^,  c^  enthält,  so  ist  sie  zugleich  das  allgemeine  Integral. 
Dasselbe  kann  nur  dann  in  einem  Intervall  \y^%^  identisch  ver- 
schwinden, wenn  q  =  0,  Cg  =  0,  /i  =  0.  Denn  wäre  w  =  ^,  so  würde 
zunächst  aus  (46)  folgen,  daß  ^  =  0  sein  muß,  da  F  ^  0  vorausgesetzt 
ist;  weiter  würde  dann  c^  =  0,  Cg  =  0  folgen,  da  ^'^(t)  und  ^^{t)  zwei 
nach  §  29,  a)  linear  unabhängige  Integrale  der  Differentialgleichung 
W(w)  =  0  sind. 

Sollte  es  nun  möglich  sein,  die  Konstanten  c^jC^^yi  und  einen  der 
Ungleichung 

k  <  K  <  h 
genügenden  Wert  ^i  so  zu  bestimmen,  daß  gleichzeitig 

k'  i"-'  ^i'  'i' 

j  Vwdt  ~  cj r^^dt  +  c^fVd'^dt  +  afvd-^dt  =  0, 

so  könnte  man  die  zweite  Variation  durch  eine  allen  Bedingungen 
genügende  Funktion  w  gleich  Null  machen,  indem  man  w  in  \tj['\ 
gleich  dem  Integral  (48)  mit  diesen  speziellen  Werten  von  c^yC^j^i 
setzt,  dagegen  identisch  gleich  Null  in  \t[Q.  Daraus  würde  dann, 
wie  wir  wenigstens  als  wahrscheinlich  erwarten  dürfen,  folgen,  daß 
AJ<0. 

B  o  1  z  a ,  Variationsrechnung.  3  -t 


^Y8  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Wir  können  somit  den  folgenden  Satz^)  aussprechen: 
Soll  d^J>0  sein  für  alle  zulässigen^  in  [tj^]  ^«"^^«^  identisch  ver 
schwindenden  Funldionen  w,  so  muß 

^i(0.        ^2(^1),       ^3(0        I 

^i(0,      ^2(0,      ^3(0      ^  +  0 


Bit.t,)^ 


fv»^dt,  fv»^dt,  fr»^dt 


(49) 


sein  für  ,     ^  ^  =  . 

Indem  wir  mit  t[  die  zunächst  2)  auf  t^  folgende  Wurzel  der 
Gleichung  l){t,t,)  =  0 

bezeichnen,  können  wir  die  Bedingung  (49)  auch  schreiben 

Der  dem  Wert  t[  auf  der  Extremalen  @J  entsprechende  Punkt  P[ 
heißt  wieder  der  zu  P^  konjugierte  Tunld. 

Eine  leichte  Modifikation  der  obigen  Schlußweise  führt  zu  dem 
folgenden,  wenigstens  scheinbar  allgemeineren  Resultat:  Wenn 

B{t'\t')  =  0 
für  zwei  den  Ungleichungen 

^1  ^  ^'  <  t"  <  h 
genügende  Werte  t',t",  so  kann  man  ö?J  =  0  machen  durch  eine  zu- 
lässige Funktion  iv. 

b)  Eigenschaften  der  Funktion  J)(ty  Q\ 

Für  die  weitere  Entwicklung  haben  wir  den  folgenden  Hilfssatz ^) 
über  die  Funktion  D(^,  tj)  nötig: 

Die  Funktion  D{t,t^)  wechselt  im  PimU  t['ihr  Zeichen ^  außer 
wenn  t[  zugleich  konjugierter  Funkt  (im  weiteren  Sinn)  für  das  Integral 
(43)  ohne  Nehenhedingung  ist. 

Zum  Beweis  bringen  wir  zunächst  D{t,  t^)  auf  eine  für  die  Dis- 
kussion bequemere  Form.  Wir  führen  dazu  die  beiden  folgenden 
Funktionen  ein: 

^)  Satz  und  Beweis  nach  Wkierstrass,  Vorlesungen  1872. 

*)  Vgl.  die  Bemerkung  am  Ende  von  Absatz  b). 

•')  Derselbe  rührt  von  Wkierstrass  her,  siehe  die  Dissertationen  von  Howe, 
Berlin  1887,  und  Hormann,  Göttingen  1887;  einen  Beweis  hat  zuerst  Kneser  ge- 
geben, Mathematische  Annalen,  Bd.  LV  (1902),  p.  86. 


§  61.    Die  Weierstraß'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  479 

V  =  C,  9,  (0  +  C, »,  (t)  -  *3  (0  ^  V  {t,  t,), 
wobei  die  beiden  Konstanten  C^,  ü^  der  Gleichung 

genügen.      Die    beiden    Funktionen  «,  v    genügen    den    Differential- 
gleicliungen  ,  ^       „ 

«         ^  ?<•(«)  =  0,       ■q'{v)  =  v  (50) 

und  den  Anfangsbedingungen 

u{t,)=0,         v{t,)  =  0.  (51) 

Mit   Hilfe   von   elementaren  Determinantensätzen    läßt   sich    dann    die 
Funktion  D{t,  t^)  folgendermaßen  durch  u  und  v  ausdrücken: 

I){t,  ^1)  =  mv  —  nu,  (52) 


wo 

m 


t  t 

=jVudt  ~  m{t,  t^),         n  =^fvvdt  =  n{t,  Q 


Aus  (50)  folgt 

V  W(^u)  -u  W{v)  =  ^^  H,{uv'  -  vW)  =  -  uV. 

Integriert   man   diese    Gleichung   und    bestimmt    die   Integrationskon- 
stanten aus  (51)^  so  kommt 

Hj  {iiv'  —  V  li)^  ~  m.  (53) 

Differentiiert  man  andererseits  (52)  nach  t,  so  folgt  aus  der  Defi- 
nition der  Funktionen  m  und  n. 


D'=mv'—nu\  (53a) 

und  daher 

Du-n'u=^^^.  (54) 

Wir  schließen  hieraus  zunächst^  daß  die  Funktion  D(t,t^)  in 
keinem  noch  so  kleinen  Teilintervall  von  [t^t^]  identisch  verschwinden 
kann;  denn  sonst  müßte  dasselbe  mit  D'  und  daher  auch  mit  m  der 
Fall  sein,  was  mit  der  im  Eingang  von  §  60  über  die  Funktion  V 
gemachten  Annahme  im  Widerspruch  steht. 

Weiter  folgt  aber  aus  (54),  daß 

dtu  H,'  V^^) 

und  dies  zeigt,  da  H^  >  0,  daß  der  Quotient  B/u  sein  Zeichen  wechselt, 
wenn  t  durch   den  Wert  t[  hindurchgeht;   dasselbe  tut  also  auch  die 

31* 


430  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Funktion  Z),  wenn  u(t[)  ^  0,  und  das  ist  eben  der  oben  ausgesprochene 
Satz,  da  ja  die  Gleichung  ii(t)  =  0  die  konjugierten  Punkte  (im 
weiteren  Sinn)  für  das  Integral  (43)  ohne  Nebenbedingung  bestimmt. 

Da  u  in  t^  nach  (50)  und  §  11,  a)  nur  von  der  ersten  Ordnung  verschwindet, 
m  und  D  dagegen  von  höherer^)  Ordnung,    so  folgt  durch  Integration  von  (55), 


fm^dt 


Diese  Gleichung  zeigt,  in  Übereinstimmung  mit  den  Bemerkungen  im  Eingang 
dieses  Paragraphen,  daß  Z)=|=0  für  ij  <it<Ct[;  denn  i',  ist  nach  Definition  die 
zunächst  auf  i  folgende  Wurzel  der  Gleichung  u{t)  =  0.  Kombiniert  man  dieses 
Resultat  mit  dem  folgenden,  leicht  zu  beweisenden  Satz  über  stetige  Funktionen: 
„Ist  die  Funktion  f(x)  stetig  in  [ab],  positiv  in  a,  aber  nicht  in  allen 
Punkten  von  [ab],  so  gibt  es  in  [ab]  einen  Punkt  c,  so  daß 

fix)  :>0  füT  a^x<c,  f{c)  =  0", 

so   folgt:    Wenn   die  Funktion  D(t,t^)  überhaupt  im   Intervall  i^  <^  ^  <  ^g    ^^i"- 
schwindet,   so  besitzt  sie  stets  auch  einen  zunächst  auf  t^  folgenden  Nullpunkt. 

c)  Nachweis  der  Notwendigkeit  der  Bedingung:  P^  <:  P^: 
Die  in  Absatz  a)  bewiesenen  Resultate  machen  es  wahrschein- 
lich,^) daß  das  Extremum  jenseits  des  konjugierten  Punktes  P^  nicht 
mehr  bestehen  kann,  und  in  der  Tat  läßt  sich  durch  eine  Modifikation 
der  von  Weierstraß^)  für  den  analogen  Zweck  beim  Problem  ohne 
Nebenbedingung  angewandten  Methode  beweisen,^)  daß  man  die  zweite 
Variation  und  daher  auch  AJ  negativ  machen  kann,  wenn  P[  -<  Pg. 

Dazu   schreiben  wir   den  Ausdruck  (45)  für  die  zweite  Variation 
in  der  Form 


*)  Sind  die  Funktionen  H^,  H^,V  yq^mYsüT,  und  verschwindet  V  in  ty  von 
der  Ordnung  ^•(>0),  so  verschwindet  m  in  t^  von  der  Ordnung  h-\-2,  I)  von 
der  Ordnung  2  Ä;  -|-  4. 

*)  Vgl.  die  Bemerkungen  bei  der  analogen  Diskussion  auf  p.  62,  insbesondere 
Fußnote  ^). 

')  Vgl.  p.  82,  Fußnote  ^). 

*)  Der  Beweis  ist  zuerst  von  Kneser  gegeben  worden  in  der  auf  p.  478, 
Fußnote  ^  zitierten  Arbeit.  Nach  den  Mitteilungen,  die  Howe  und  Hokmann  in 
ihren  ebendort  erwähnten  Dissertationen  machen,  scheint  es,  daß  Weierstrass  im 
Besitz  eines  ähnlichen  Beweises  war;  doch  ist  mir  nicht  bekannt,  ob  er  den- 
selben in  Vorlesungen  vorgetragen  hat.  Einen  wesentlich  hiervon  verschiedenen, 
ebenfalls  von  Kneser  herrührenden  Beweis  werden  wir  in  §  62  geben. 


§  61.    Die  Weierstraß'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.         481 

wobei  h  eine  willkürliche  positive  Konstante  bedeutet,  während 

d  { -r^  dw' 


^W  =  (if,  +  Ä).-i'^(54») 


Es   seien  jetzt  ü,  v   diejenigen  partikulären  Integrale  der  Differential- 
gleichungen  n.iu)  =  0,         W(:ö)  =  r, 

welche  den  Anfangsbedingungen 

genügen.     Dann   folgt   aus   dem  Einbettungssatz  i)  von   §  24,  b),   daß 

L[u{t)  -  u{t)]  =  0,         L\y{t)  -  v{t)]  =  0, 

und  zwar  gleichmäßig  in  Beziehung  auf  das  Intervall  [tj^]- 
Setzen  wir  daher  entsprechend 


m 


=fViidt,        h  =  fVvdt, 

B(ty  t^)  =  md  —  nü, 
so  folgt,  daß  auch 

LI){t,t,)  =  D{t,t,),  (56) 

ebenfalls  gleichmäßig  in  [t^  t^]. 
Angenommen  es  sei  jetzt 

und  zunächst 

'^(^0  +  0. 

Dann  wechselt,  wie  wir  unter  b)  gezeigt  haben,  die  Funktion  B(t,  t^) 
in  t[  ihr  Zeichen;  wir  können  daher  zwei  der  Ungleichung 

genügende  Werte  t^^  t^  von  t  angeben,   für   welche  B{t,  Q  entgegen- 
gesetzte   Zeichen   hat.      Und    nunmehr    können    wir    wegen   (56)    die 

^)  Man  schreibe  die  Differentialgleichung  W{u)  =  0  in  der  Normalform  (20) 
Yon  §  23  mit  u,  u\  k  als  unbekannten  Funktionen  und  mit  der  Zusatzdifferential- 
gleichung dk/dt  =  0.  Dann  gibt  es  nach  J  24,  b)  eine  positive  Größe  d,  so  daß 
die  Funktion  ü{t)  in  dem  Bereich  t^^t^U,\k\^d  eine  stetige  Funktion  von 
t  und  k  ist,  welche  für  ä;  =  0  in  u{t)  übergeht;  daraus  folgt  dann  die  Behauptung 
nach  dem  Satz  über  gleichmäßige  Stetigkeit,  vgl.  A 11 6  und  AIIT8.  Dasselbe 
gilt  für  die  Funktion  v. 


^g2  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Größe  k  so  klein  wählen,  daß  auch  D(t,  t^)  in  ^3  und  t^  entgegen- 
gesetzte Zeichen  hat;  daher  muß  D(t,  t,)  in  einem  zwischen  ^3  und  t^ 
gelegenen  Punkt  t!,  verschwinden.  Wenn  aber  D(t[,  t^)  =  0,  so  können 
wir  zwei  Konstante  c,,c^,  nicht  beide  gleich  Null,  so  bestimmen,  daß 

Wählen  wir  jetzt 

w  =  cji  -f  c^v   in  [^1^1], 

IV  =  0  in  \i[  t^ 

und  geben  der  Konstanten  ^  den  Wert  —  Cg,  so  hat  w  alle  in  dem 
Satz  von  §  60,  a)  verlangten  Eigenschaften  und  genügt  überdies  der 

Differentialgleichung  _ 

W{iv)  -f  itF=0. 

Diese  Funktion  iv  macht  aber  ö^^J  negativ,  da  für  sie 

Es  bleibt  jetzt  noch  der  Ausnahmefall: i)  u{t[)  =  0  zu  unter- 
suchen. Derselbe  kann  nur  dann  eintreten,  wenn  gleichzeitig  m(t[)  =  0 
und  v(t[)  =  0,  wie  sofort  aus  (54)  und  (53)  folgt,  wenn  man  be- 
achtet, daß  i^i  +  O  in  [t^Q,  und  daß  u  und  u  nach  §  11,  a)  nicht 
gleichzeitig  verschwinden  können. 

In  diesem  Fall  können  wir  nun  zunächst  dV=0  machen  durch 
die  zulässige  Funktion 

tv  =  u  in  [t^Q,         tv^O  in  [t[  ^2], 

wie  aus  der  Form  (44)  der  zweiten  Variation  folgt,  wobei  man  sich 
der  Definition  der  Funktion  w  zu  erinnern  hat. 

Darüber  hinaus  läßt  sich  dann  aber  mittels  einei  Modifikation 
des  von  Schwarz  für  den  Beweis  der  Notwendigkeit  der  Jacob i'schen 
Bedingung  beim  Problem  ohne  Nebenbedingung  benutzten  Methode 
(§  14,°  b))  beweisen,  daß  man  d^J  auch  negativ  machen  kann. 

Man  zeigt  nämlich  leicht,  daß  man  stets  eine  Funktion  o  von  t 
bilden  kann,  welche  in  [t^Q  von  der  Klasse  C"  ist  und  den  Be- 
dingungen k 

coit,)  =  0,         ay(t,)  =  0,         co{t[)  4=  0,        /«  Vdt  =  0 

■^ <i 

»)  Vgl.  wegen  dieses  Ausnahmefalles  Bolza,  Mathematische  Annalen, 
Bd.  LVII  (1903),  p.  44. 


§  61.    Die  Weierstraß'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.         483 

genügt.     Setzt  man  dann 

w  =  u  -\-Jcc3  in  [^i^J;         w  =  k(D  in  [t[Q, 

unter  Jx  eine  Konstante  verstanden,  so  ist  die  so  definierte  Funktion  w 
stetig  in  [^i^,  ihre  erste  Ableitung  erleidet  aber  einen  Sprung  an  der 
Stelle  i^^;  ferner  verschwindet  w  in  t^  und  t^  und  genügt  der  Be- 
dingung (13). 

Wir  können  daher  auf  die  zweite  Variation  in  der  ursprünglichen 
Form  (39)  die  Jacobi'sche  Transformation  in  der  modifizierten  Form 
von  §  10,  c)  anwenden  und  erhalten  genau  wie  in  §  14,  b) 

\ 

Da   der  Koeffizient  von   h  von  Null  verschieden  ist,   so  folgt  hieraus 

in  der  Tat,  daß  wir  d^J  durch  passende  Wahl  von  h  negativ  machen 

können. 

Somit  ist  bewiesen,  daß  ohne  Ausnahme  der  Satz  gilt: 

Für  ein  Extremum  des  Integrals  J  mit  der  Nebenbedingung  K  =  l 

ist  weiterhin  notwendig,  daß 

Bit,t,)^0     für     t,<t<t,, 
oder  anders  ausgedrückt,  daß 

P2<P['  (in) 

Beispiel  II  (Siehe  p.  465). 

Aus  der  Gleichung  (23)  folgt,  daß  im  Fall  eines  Maximums  X  negativ  sein 
muß.  Von  den  beiden  in  Beziehung  auf  die  Gerade  P^  P^  symmetrischen  Kreis- 
bogen, welche  den  Anfangsbedingungen  genügen,  kann  also  nur  derjenige  ober- 
halb der  ic-Achse  ein  Maximum  liefern.     Für  denselben  dürfen  wir 

als  Parameter  einführen  und  erhalten   so  aus   (25)   für  den  Bogen  g^,   die  ana- 
lytische Darstellung 

x  =  (x^  —  X,cost,         2/  =  /5o  — ^osin*,         ti^t^t,. 
Hieraus  folgt 

^^  (t)  =  —  X^coat,        &^  (t)  =  —  X,8int,        -9-,  (t)  =  X^. 


Ferner 


Y^  ^y  —y^ 


was   sich  nach  (24)  für  die  Extremale   ©^   auf  —1/X^   reduziert.     Eine  leichte 
Kechnung  ergibt  dann  für  D{t,ty)  den  Ausdruck: 

B{t,  ty)  =  4.Xl  sin  tr(8in  r  —  t  cos  t),  (57) 


An^  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

wobei 

t  —  Vi 
'=      2      • 

Den  beiden  Faktoren  von  D{t,t,)  entsprechend  erhalten  wir  zwei  Reihen  von 
konjugierten  Punkten  im  weiteren  Sinn,  einerseits  t  =  v7t,  andererseits  die  Wur- 
zeln der  Gleichung 

tgT  =  T, 

deren  zunächst  auf  r  =  0  folgende  Wurzel  im  dritten  Quadranten  liegt. 

Der  zu  P,  im  engeren  Sinn  konjugierte  Punkt  wird  also  geliefert  durch  den 

Ein  Kreisbogen,  welcher  über  einen  vollen  Kreisumfang  hinausgeht,  kann 
also  keine  Lösung  für  das  isoperimetrische  Problem  liefern. 

Andererseits  ist,  wie  wir  bereits  auf  p.  234  gesehen  haben,  für  das  Problem, 
das  Integral 

h 
ohne  Nebenbedingungen  zu  einem  Extremum  zu  machen,   der  zu  t^  konjugierte 

Wert 

K  =  ^1  +  ^, 

80  daß  also  in  der  Tat:  t[>ti  in  Übereinstimmung  mit  der  allgemeinen  Theorie. 

Da  ferner: 

u(t)  =  —  Xl8m{t  —  t,\ 

80  tritt  hier  gerade  der  oben  erwähnte  Ausnahmefall  ein,  daß  u{t[)  =  0. 
Beispiel  XXI  (Siehe  p.  466): 
Da  hier  ,   , 

80  ist  für  ein  Minimum  notwendig,  daß  2/ +  ^  >  0.  Da  nach  unseren  Fest- 
setzungen die  Konstante  c.>0,  so  erfüllt  von  den  beiden  den  Anfangsbedingungen 
genügenden  Kettenlinien  (27)  nur  die  nach  wnten  konvexe  die  Bedingung  (II), 
d.  h.  also  die  Kettenlinie 

@o:  X  =  §,^a,t,  yJ^l  =  a,Ght. 

Für  dieselbe  erhält  man 

^^  (t)  =  a,(tSh<  -  Ch*),             ^^it)  =  aoSh^  ^,(t)  =  «^0. 

y       x'y"-yx"   __     _1 

Hieraus  folgt 


§  61.    Die  Weierstraß'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.         485 

woraus  sich  für  I){t,t^)  das  folgende  Resultat^)  ergibt: 

D(t,  t,)  =  a2[2  —  2Ch(^  —  t,)  -\-{t  —  t^)Sh{t  —  t^)], 
oder  wenn  wir 

I)(t,t^)  =  — 4:  al^ht{Bhr  —  t  Cht). 

Die  Funktion  Shr  ist  positiv  für  positive  Werte  von  t,  und  die  Funktion 

qp  (t)  =:^  Sh  r  —  T  Ch  r 

ist  negativ  für  alle  positiven  Werte  von  t,  da 

qp  (0)  =  0       und       qp '  (t)  =  —  r  Sh  r. 

Es  existiert  also  kein  zu  P^  konjugierter  Punkt,  und  die  Bedingung  (III)  ist  stets 
erfüllt.  ^) 

d)  Hinlänglichkeit  der  Bedingung:  Pg  -<  F[  für  ein  permanente* 
Zeichen  von  8^J\^) 

Soll  d^J  >  0  sein  für  alle  nicht  identisch  verschwindenden  zu- 
lässigen Funktionen  w,  so  ist,  wie  wir  in  §  60,  a)  und  §  61,  a)  gesehen 
haben,  notwendig,  daß  Ä"^  >  0  in  [tit^]  und  P^  ^  P[.  Es  soll  jetzt 
die  Umkehrunff  dazu  bewiesen  werden: 

Wenn  für  den  Extremalenhogen  ©^  die  beiden  Bedingungen 

ff^>0     in     [t,Q,  Ql'} 

P2<P[  (in') 

erfüllt  sind,   so   ist    ö^J^O  für  alle  nicht  identisch  verschwindenden 
zulässigen  Funktionen  w. 

Es  sei  ^0  irgend  ein  der  Ungleichung^) 

t\<t^<  t; 

genügender  Wert  von  t.    Zu  demselben  gehören  dann  vier  Funktionen. 

u  =  u(t,  Iq),         v  =  v{t,  ^oj,         m  =  ni{tj  t^),         n  =  n(t,  t^), 

welche  der  Stelle  t^  in  derselben  Weise  zugeordnet  sind  wie  unter  b) 
die  Funktionen  u{t,t^  usw.  der  Stelle  t^. 

Sind  dann  p,  q  irgend  zwei  E'unktionen  von  t,  welche  im  Intervall 
[t^t^]  von  der  Klasse  C  sind,  und  setzt  man 

(D  ^ pu  +  g.v, 

^)  Zuerst  von  A.  Mayer  gegeben,  Mathematische  Annalen,  Bd.  XIII 
(1878),  p.  67. 

^)  Hierzu  weiter  die  Übungsaufgaben  Nr.  12 — 17^21  am  Ende  dieses  Kapitels. 

^)  Von  dem  Inhalt  dieses  Absatzes  ist  nur  das  am  Schluß  gegebene  Lemma 
für  die  späteren  Entwicklungen  erforderlich  und  auch  dieses  erst  in  §  64. 

*)  Ygl.  wegen  der  Bezeichnung  §  50,  e). 


486  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

SO  gilt  die  folgende  Relation  ^j: 

Hy'  +  ^2«^  =  H,{jyu  +  qvf  -  2q(p'm  +  q'n) 

d  ^     ■^ 

+  ^-  [H^ipu  +  qv)(pu   +  qv')  +  {pm  -f-  qn)q\ 

Man  verifiziert  dieselbe  leicht^  indem  man  einerseits  die  Werte 
von  w  und  a'  einsetzt  und  ausmultipliziert  und  dann  die  dabei  auf- 
tretenden Produkte  H^u^H^v  mittels  der  Differentialgleichung  (50) 
eliminiert,  andererseits  die  Differentiation  nach  t  ausführt  und  von 
der  Relation  (53)  Gebrauch  macht. 

Wir  wollen  zunächst  annehmen,  t^  ließe  sich  so  wählen,  daß 

B{t,  Q  +  0  für  ^1  5  ^  ^  ^2 .  (59) 

Ist  dann  tv  irgend  eine  in  [^^^g]  nicht  identisch  verschwindende  zu- 
lässige^) ^^-Funktion,  so  bestimmen  wir  die  beiden  Funktionen  p,  q 
aus  den  beiden  Gleichungen  ^ 

2)u-\-qv  =  w,        pm  +  qn=JVwdt,  (60) 

deren  Determinante  nach  (59)  in  [t^t^]  von  Null  verschieden  ist,  da 
ja  der  Gleichung  (52)  entsprechend  die  Relation 

gilt.  Hieraus  und  aus  den  Eigenschaften  der  Funktion  w  folgt,  daß 
die  so  definierten  Funktionen  p,  q  im  Intervall  [t^t^]  von  der  Klasse  D' 
sind  und  in  t^  und  t.2  verschwinden,  ohne  identisch  in  pi^  zu  ver- 
schwinden.    Ferner  folgt  aus  (60)  durch  Differentiation 

2V7n  +  qn  =  0.  (61) 

Sind  nun  die  Funktionen  p  und  q  zunächst  von  der  Klasse  C  in 
[tJi],  so  gilt  für  sie  die  Relation  (58),  durch  deren  Integration  wir 
erhalten^) 

JIh,w''+  H^w^)dt  =fH^{p'u  +  qv)hlt. 
h  h 

Wegen  der  Voraussetzung  (11')  kann  die  rechte  Seite  nur  dann  gleich 
Null  sein,   wenn  p'u-\-q'v^^O   in   [^1^2]?    ^^^  wegen  (61)   und  (59) 

*)  Vgl.  A.  Mayek,  Mathematische  Aunalen,  Bd.  XIII  (1878).  p.  53,  und 
BoLZA,  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  III 
(1902)  p.  809. 

»)  Vgl.  §  60,  a). 

^)  Dies  ist  das  Analogon  der  Jacobi'schen  Formel  (11)  von  §  10. 


§  61.    Die  Weierstraß'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.         487 

mit  den  nachgewiesenen  EigenBcliaften  der  Funktionen  p  und  q  un- 
vereinbar ist-,  es  ist  also  in  diesem  Fall  d^J^O. 

Dasselbe  Resultat  bleibt  aber  auch  bestehen,  wenn  die  Funk- 
tionen p,  q  von  der  Klasse  JD'  sind,  wie  man  in  bekannter  Weise 
durch  Zerlegen  des  Intervalles  \t^t^  in  Teilintervalle  und  nachherige 
Integration  zeigt,  wobei  man  zu  beachten  hat,  daß  die  Funktionen  p,  q 
selbst  stetig  bleiben,  auch  wo  ihre  Ableitungen  Unstetigkeiten  erleiden. 
Hiermit  ist  das  folgende  vorläufige  Resultat  gewonnen: 
Ist  die  Bedingung  (11')  erfüllt,  und  läßt  sich  t^  so  wählen,   daß 

D(t,Q=^0  für  h^t^t,, 

so  ist  ö^J  >  0  für  alle  nicht  identisch  verschwindenden  zulässigen 
Funktionen  tv. 

Um  nun  von  hier  aus  zu  dem  im  Eingang  dieses  Paragraphen 
ausgesprochenen  Satze  zu  gelangen,  bemerken  wir  zunächst,  daß  aus 
der  Vergleichung  des  eben  erhaltenen  Resultates  mit  dem  unter  a) 
bewiesenen  folgt,  daß  für  die  Funktion  D{tj  t^)  das  folgende,  dem 
Sturm'schen  Satz  von  §  11,  c)  analoge  Lemma  gilt: 

^'^«'»  D{t,Q  +  Oin[t,t,],  (59) 

SO  muß  B{t",  t')=^0  sein  für  je  zwei  der  Ungleichung:  t^^^t'  <,t"  ^t^ 
genügende  Werte  t',  t". 

Hieraus  folgt  nun  weiter:  Wenn  t^<.t[,  so  läßt  sich  stets  t^  so 
wählen,  daß  die  Bedingung  (59)  erfüllt  ist.^)  Denn  da  unsere  Voraus- 
setzung gleichbedeutend  ist  mit 

J){t,  Q  4=  0  für  h<t^t^,  (IIP) 

so  ist  insbesondere  Bit^,  t^)  4=  0.  Daher  können  wir  wegen  der 
Stetigkeit  der  Funktion  D  in  Beziehung  auf  ihre  beiden  Argumente 
eine  positive  Größe  d  angeben  derart,  daß 

Z)(r',  O  +  O     für:         \t'-t,\^d,         \r-t,\^d.       (62) 

Daher  ist:  D(tft^)=^0  für  t^-{- d^t^t2-\- d.  Daraus  folgt  aber 
nach  dem  obigen  Lemma,  daß 

D(^2  +  ^^  ^)  4=  0     iür  t^  +  d^t<t^  +  d, 

während  aus  (62)  folgt,  daß 

D(^2  i-d,t)=^0     für  t^-  d^t^t^-i-  d. 
Es  ist  also 

D(t^  ^d,t)^0     im  t^~d^t^  t^, 

womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist,  da:  D{ty  t^-\-  d)  =  —  I){t^-\-  d,  t) . 

^)  Beweis  nach  C.  Jordan,  Con/rs  d' Analyse,  Bd.  III,  Nr.  393. 


488  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Nunmehr  folgt  aber  aus  dem  oben  erhaltenen  vorläufigen  Resultat 
der  im  Eingang  dieses  Absatzes  formulierte  Satz. 

Wir  fügen  hier  noch  ein  weiteres  Lemma  über  die  Funktion 
B{tj  Q  an,  das  wir  später  gebrauchen  werden.  Wählen  wir  nämlich  t^^ 
im  Intervall  t^—  d  <.tQ<Ct^,  so  folgt  aus  der  bewiesenen  Ungleichung: 
D(t,  f 2  +  (f)  +  0  für  t^—  d^t^t^  nach  dem  obigen  Lemma  ^): 

Sind  die  Bedingungen  (IF)  und  (IIF)  erfüllt,  so  läßt  sich  eine 
positive  Größe  d  angeben  derart,  daß 

D{t,t,)^0    für     t.^t^t,, 

sobald  t^—  d  <tQ<i  t^. 

e)  Das  Mayer'sche  Reziprozitätsgesetz  für  isoperimetrische 
Probleme : 

Schon  Euler ^)  hat  bemerkt,  daß  das  Problem:  das  Integral  J 
zu  einem  Extremum  zu  machen,  während  das  Integral  K  einen  vor- 
geschriebenen Wert  hat,  und  das  dazu  „reziproke  P^vhlem":  das 
Integral  K  zu  einem  Extremum  zu  machen,  während  das  Integral  J 
einen  vorgeschriebenen  Wert  hat,  zu  derselben  Gesamtheit  von  Extre- 
malen  führen. 

Denn  beziehen  sich  durchweg  die  überstrichenen  Größen  auf  das 
zweite  Problem,  so  haben  wir 

S=  Gi-JF  =  J(F+^^  g), 
also  wenn  wir 

X  =  Y"     setzen,  (63) 

woraus    folgt,    daß   die   Differentialgleichungen   der   beiden   Probleme 
durch  die  Substitution  ^  =  ^  ineinander  übergehen. 

A.  Mayer ^)  hat  diese  Bemerkung  von  Euler  dahin  erweitert, 
daß  die  beiden  genannten  Probleme  auch  in  Beziehung  auf  die  übrigen 
notwendigen  Bedingungen  eines  Extremums  äquivalent  sind. 

Wir  nehmen  dabei  an,  die  Endpunkte  seien  bei  beiden  Problemen 
dieselben,    und    die    vorgeschriebenen    Integralwerte    seien    in    beiden 

*)  Für  den  Fall,  daß  die  Funktion  Bit^t^)  in  der  Umgebung  der  Stelle 
*  =  *n  *o  =  *i  i'egulär  ist  und  F(^i)=|=0,  gibt  Knesek  einen  von  der  Betrachtung 
der  zweiten  Variation  unabhängigen  Beweis  dieses  Lemmas,  Lehrbuch  §§  31  und  42. 

')  Vgl.  Methodus  inveniendi  etc.,  Kap.  V,  Art.  37. 

3)  Mathematische  Annalen,  Bd.  XIII  (1878),  p.  60;  vgl.  auch  Kneser, 
Lehrbuch,  p.  131  und  136. 


§  62.    Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  489 

Problemen  so  gewählt,  daß  ein  und  dieselbe  Extremale  ©q  die  Anfangs- 
bedingungen für  beide  Probleme  befriedigt.  Überdies  möge  die  zu- 
gehörige Größe  X(^  endlich  und  von  Null  verschieden  sein.  Dann 
folgt  die  behauptete  Äquivalenz  zunächst  für  die  Bedingungen  von 
Weierstraß  und  Legendre  unmittelbar,  da  nach  (63) 

_  ;  (63a) 

ß(x, «/;  x\  y;  x,  f;  Ao)  =  —  %{x,  y,  x,  y'-,  x\  ^  Vo)-J 

Nur  ist  dabei  za  beachten,  daß  einem  Minimum  des  ersten  Problems 
ein  Minimum  oder  Maximum  des  zvp^eiten  entspricht,  je  nachdem  X^ 
positiv  oder  negativ  ist. 

Aber  auch  die  lionjugierten  Funkte  sind  hei  beiden  Problemen 
dieselben.  Denn  nach  dem  über  die  Beziehung  zwischen  den  Differen- 
tialgleichungen der  beiden  Probleme  Gesagten  ist 

f{t,  a,  ß,  X)  =  f(t,  a,  ß,  i)  ,         g{t,  a,  ß,  l)  =  g{t,  a,  ß,  |)  . 

Daraus  folgt 

Ferner  ist: 

V  =  T,         also,  da  entlang  (^^i         T  +  XqV  ==  0, 

Nunmehr  folgt  aus  (49) 

womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

Der  Satz  wird  nach  Mayer  das  Reziprozitätsgesetz  für  isoperi- 
metrische Probleme  genannt.^) 

§  62.    Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte  beim 
isoperimetrischen  Problem. 

Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte  geht  —  ähn- 
lich wie  die  analoge  Theorie  von  §  29,  b)  —  von  der  Betrachtung  der 
Extremalenschar  durch  den  Punkt  P^  aus.  Daraus  ergibt  sich  dann 
eine  doppelte  geometrische  Deutung  des  konjugierten  Punktes,  welche 
zu  einer  Übertragung  des  Enveloppensatzes  von  §  44,  c)  auf  isoperi- 
metrische Probleme  und  mit  dessen  Hilfe  zu  einem  neuen  Beweis  für 
die  Notwendigkeit  der  Bedingung  (III)  führt. 

*)  Hierzu  die  Übungsaufgabe  Nr.  10  am  Ende  dieses  Kapitels. 


490  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

a)  Die  Doppelscliar  von  Extremalen  durcli  den  Punkt  P^: 
Durch    den   Punkt   P^    geht   eine   doppelt  unendliche   Schar  von 

Extremalen.     Nach  den  Ergebnissen  von  §  59,  e)  können  wir  dieselbe 

in  der  Normalform ^)  schreiben: 

X  =  9e(f  -  t,]  x,,tj,,oi,X)  =  (p{t,x,  l), 

Der  Kurvenparameter  t  hat  dabei  die  Bedeutung  der  Bogenlänge;  von 
den  beiden  Scharparametern  k,  X  ist  x  der  Tangentenwinkel  der  be- 
treffenden Extremalen  im  Punkt  P^,  während  X  wie  bisher  die  iso- 
perimetrische Konstante  bedeutet.  Auf  allen  Kurven  der  Doppelschar 
entspricht  der  Punkt  P^  demselben  konstanten  Wert  t  =  t^,  so  daß 
also,  identisch  in  x^  X: 

(p{t,,x,X)  =  x^,  ^{t^,x,X)  =  y^, 

woraus  durch  Differentiation  folgt 

^Jt^^x,X)  =  0,  t.Ät,,^,X)  =  0, 

cp,{t„x,X)  =  0,  t,{h,x,X)  =  0.  ^     ^ 

Femer  folgt  aus  der  geometrischen  Bedeutung  der  Größen  t  und  x 
cp^it^^XyX)  =  Gosx,         ^p^{t^,x,X)  =  sinx.  (66) 

Die  einem  bestimmten  Wertsystem  x,X  entsprechende  Extremale 
der  Doppelschar  (64)  bezeichnen  wir  mit  @^;. 

Die  Extremale  ©^  ist  in  der  Doppelschar  (64)  enthalten,  und 
zwar  möge  dies  eintreten  für  x  =  Xq^  X  =  Aq,  so  daß  also,  wenn  auch 
auf  der  Extremalen  @o  die  Bogenlänge  mit  passendem  Anfangspunkt 
als  Parameter  gewählt  wird, 

(p(t,  >Co,  Xq)  =  x{t),        t{t,  ^0,  V)  =  y(ß)' 
Aus   den  in  §  59,  e)  unter  3)  und  4)  aufgezählten  Eigenschaften 
der  Funktionen  3E,  g  folgen  schließlich  noch  die  entsprechenden  Eigen- 
schaften der  Funktionen  %  i/^. 

Wir  führen,  ähnlich  wie  in  §  27,  d),  die  permanente  Bezeichnung  ein 

G(cp,ip,(p,,i^,)  =  (^](t,x,X),  (67) 

^)  Von  der  Normalform  (64)  der  Doppelschar  kann  man  durch  eine  Trans- 
formation von  der  Form 

T  =  X(^x,;i),  a  =  2((x,X),  5  =  g3(>t,A) 

zu  deren  allgemeinster  Darstellung  übergehen,  wobei  die  Funktionen  3!!,  51,  33 
ähnlichen  Beschränkungen  zu  unterwerfen  sind  wie  auf  p.  220. 


§  62.    Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  491 

die   wir   dann  auch  auf  die  partiellen  Ableitungen  dieser  Funktionen^, 
sowie  auf  die  Funktionen  H^,H^^  V  ausdehnen. 
Setzen  wir 

^i   =  9^tty.  -  ^t^.,y  V  =  (ft^lJ;  -  tt^;t,  (68) 

SO  folgt  ganz  wie  in  §  61,  a),  daß  diese  beiden  Funktionen  den  Diffe- 
rentialgleichungen 

genügen,  und  aus  (65)  und  (66)  folgt,  daß 

^(g  =  0,         v\t,)  =  0.  ^^^> 

Für  X  =  Xq,  X  ==  Xq  gehen  die  Differentialgleichungen  (69)  in  die  Diffe- 
rentialgleichungen (50)  über,  und  durch  Vergleichung  von  (70)  und 
(51)  folgt  dann,  daß 

vorausgesetzt,  daß  die  in  §  61,  b)  nur  bis  auf  ein  additives  konstantes 
Vielfaches  von  u(f)  bestimmte  Funktion  v  passend  normiert  wird;  q  ist 
eine  von  Null  verschiedene  Konstante. 

b)  Die  Kongruenz  von  räumliclien  Extremalen  durch  den  Punkt  P^ : 
Wir  betrachten  jetzt  das  Integral  K,  genommen  entlang  der  Ex- 
tremalen  (S^^   vom  Punkt  Pi(^i)   bis   zu   einem  variabeln  Punkt  P(t) 
und  bezeichnen  den  Wert  desselben  als  Funktion  von  t,  %,  X  mit  lii^z^  A): 

t 
z(i,z,X)=^f(:^(t,x,X)dt.  (72) 

Und  nunmehr  errichten  wir  nach  dem  Vorgang  von  Weierstrass  ^) 
im  Punkt  P  eine  Normale  zur  x,y-Ehejie,  die  nach  Größe  und  Rich- 
tung gleich  dem  Integralwert  x(t,%,X)  ist,  indem  wir  eine  bestimmte 
Richtung  der  Normalen  als  positiv  festlegen.  Führen  wir  diese  Kon- 
struktion für  jeden  Punkt  von  @^;  aus,  so  erhalten  wir  eine  der 
ebenen  Extremalen  @^;^  zugeordnete  räumliche^)  Extremale  @^;,  welche 

^)   Vorlesungen  1879. 

^)  Die  Bezeichnung  ist  insofern  gerechtfertigt,  als  diese  Raumkurve  Ex- 
tremale für  das  folgende  Variationsproblem  ist,  welches  in  gewissem  Sinn  mit 
dem  gegebenen  isoperimetrischen  Problem  äquivalent  ist :  Unter  allen  Baumkurven, 
icelche  die  beiden  Punkte  x  =  x^,  y  =  y^,  z  ==  0  und  x  =  x.^,  y  =  y^^  ^  =  1  ^'^r- 


492  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

-auf   ein    räumliches    rechtwinkliges    Koordinatensystem    bezogen    ana- 
lytisch gegeben  ist  durch  die  Gleichungen 

X  =  q>(t,  X,  A),        y=-  Ht,  K,  l),       z  =  lit,  K,  X).  (73) 

Lassen  wir  %  und  k  variieren,  so  stellen  die  Gleichungen  (73) 
eine  der  Doppelschar  von  ebenen  Extremalen  (64)  zugeordnete  Kon- 
gruenz'^) von  räumlicJien  Extremalen  dar^  welche  wegen 

sämtlich   vom  Punkt  P^   der  a;,i/-Ebene  ausgehen.     Insbesondere  ent- 
spricht der  Extremalen  ©o  eine  räumliche  Extremale  (S^. 

Die   Funktionaldeterminante   der  Schar  (73)   bezeichnen   wir  mit 

Es  gilt  dann  nach  Knesek  der  Satz  2): 

Die  FunUionaldeterminante  der  Kongruenz  räamlicJier  Extremalen 
durch  den  Funkt  P^,  berechnet  für  die  räumliche  Extreynale  @o>  '^'^'^ter- 
scheidet  sich  von  der  Weierstr aß' sehen  Funliion  D{t,t^)  nur  um  einen 
von  Null  verschiedenen  Iwnstanten  FaUor: 

A(t,y.,,X,)  =  CD(t,t,),         C+O.  (74) 

Zum  Beweis  berechnen  wir  die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion 
X.  Wendet  man  bei  der  Berechnung  von  x.^  und  x^  die  Lagrange- 
sche partielle  Integration  sowie  die  den  Formeln  (23)  von  §  26  ent- 
sprechenden Relationen  an,  so  erhält  man,  der  Formel  (18a)  von 
§  26  entsprechend,  das  Resultat 

t 

t 
h 

wobei  man  noch  von  den  Gleichungen  (65)  Gebrauch  zu  machen  hat. 

binden  und  der  Differentialgleichung:  z'  =  G{x,y,x\y')  genügen,  diejenige  zu  be- 
stimmen, weldie  das  Integral  ^^ 

J  =  f  F{x,  y,  x\  y')dt 

ZU  einem  Minimum  macht.     Vgl.  übrigens  auch  §  04,  b)  Ende. 

^)  Unter  einer  ,, Kongruenz^'  von  Raumkurven  versteht  man  allgemein  ein 
zweiparametriges  System  von  Raumkurven,  vgl.  Darboux,  Theorie  des  surfaces, 
Bd.  n  (1889),  p.  1.  2)  Vgl  Lehrbuch,  §  42. 


wobei 


§  62.    Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  493 

Setzt  man  diese  Werte  in  die  Determinante  A  ein,  so  folgt  nach 
einfachen  Determinantensätzen 

A(t,Z,l)  =  inu  —  nu,  (76) 

t  t 

"V  =fVu  dt,        1^  -f^vdt.  (77) 

Für  Jc  =  ;co;  ^  =  K  göht  aber  die  rechte  Seite  von  (76)  nach  (71), 
abgesehen  von  einem  konstanten  Faktor,  in  7nv  —  nu  über,  womit  nach 
(52)  unsere  Behauptung  bewiesen  ist. 

Aus  bekannten  Eigenschaften  der  Funktionaldeterminante  folgt, 
daß  der  Satz  (74),  sowie  die  weiter  unten  folgenden  geometrischen 
Anwendungen,  von  der  speziellen  Normalform,  in  welcher  wir  die 
Doppelschar  (64)  angenommen  haben,  unabhängig  sind.^) 

Wir  bezeichnen  jetzt  den  dem  Wert  t  =  t[  entsprechenden  Punkt 
von  @Q,  dessen  Projektion  also  der  Punkt  F[  ist,  mit  Q[  und  nennen 
ihn  den  räumlichen  Jwnjugierten  Punkt  Für  denselben  ergibt  sich 
nunmehr  aus  der  allgemeinen  Theorie  der  Kongruenzen  von  Raum- 
kurven eine  einfache  geometrische  Deutung. 

Ersetzt  man  in  (73)  tc  und  l  durch  Funktionen  eines  neuen 
Parameters«:  ^  =  ^^^)^  X  ^  X(a), 

welche  für  einen  gewissen  Wert  a  =  a^  die  Werte  tCq,  Xq  annehmen, 
so  gehen  die  Gleichungen  (73)  in  eine  einparametrige,  in  der  Kon- 
gruenz (73)  enthaltene  Kurvenschar  („Kurvenbüschel") 

X  =  (p(t,  7c,  i),        y  =  ^{t,  %,  1),        z  =  x{t,  %,  l)  (78) 

über,  welche  die  Kurve  ©^  enthält,  oder  anders  ausgedrückt,  in  eine 
„Fläche  der  Kongruenz  (73)",  welche  durch  die  Kurve  ©^  hindurchgeht. 

Konstruiert  man  dann  in  einem  beliebigen  Punkt  Q  von  @^ 
die  Tangentialebene  an  die  Fläche  (78),  so  wird  dieselbe  im  allgemeinen 
von  der  Wahl  der  Funktionen  z(oj),  l{a)  abhängen.  Dagegen  hat  der 
Punkt  Q[  die  Eigentümlichkeit,  daß  alle  Flächen  der  Kongruenz, 
welche  durch  ^'^  hindurchgehen,  im  Punkt  Q[  dieselbe  Tangentialebene 
besitzen  (oder  aber  sämtlich  einen  singulären  Punkt  in  Q[  haben). 
Dies  ist  aber  die  definierende  Eigenschaft  2)  des  „Brennpunktes^^  der 
Kongruenz  (73).     Das  ergibt  den  Satz: 

Der  räumliche  konjugierte  Punkt  Q[  ist  ein  Brennpunkt  der  Kon- 
gruenz (73)  auf  der  räumlichen  Extremalen  @^  und  zwar  der  zunächst 
auf  P^  folgende. 

')  Vgl.  p.  490,  Fußnote  ').  ^)  Vgl.  Darboux,  loc.  cit.,  p.  4. 

Bolza,  Variationsrechnung.  32 


494  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Zum  Beweis  der  erwähnten  Eigentümlichkeit  des  Punktes  Q[ 
schließt  man  folgendermaßen:  Es  mögen  zunächst  nicht  alle  Unter- 
determinanten der  Determinante  dritter  Ordnung  ^.{([^Xq^Xq)  gleich 
Null  sein.     Dann  folgt  aus  der  Gleichung 

A(^;,^o,^o)  =  0,  (79) 

daß   sich   drei   Größen  a,  h,  c,  von  denen  l  und   c  nicht  beide  gleich 


t[,  K  =  X.,,  A  =  A, 


Null  sind,  so  bestimmen  lassen,  daß  für  t  =  t^^  x  =  Xq, 

att  +  H,  +  et?.  =  0, 

Bildet  man  jetzt  für  die  Fläche  (78)  und  den  Punkt  Q[  die  drei  in 
der  Flächentheorie  mit  A,  B,  C  bezeichneten  Funktionaldeterminanten, 
welche  den  Richtungskosinus  der  Normalen  in  Q[  proportional  sind, 
so  folgt  auf  Grund  dieser  Relationen,  daß  die  Verhältnisse  der  drei 
Größen  Ä,  B,  C  von  der  Wahl  der  Funktionen  x,  A  unabhängig  sind. 

Sind  dagegen  alle  Unterdeterminanten  von  A  gleich  Null,  so  sind 
die  drei  Größen  A,  B,  G  gleich  Null,  wie  auch  die  Funktionen  x,  l  ge- 
wählt sein  mögen,  d.  h.  sämtliche  Flächen  haben  in  Q[  einen  singu- 
lären  Punkt.  Wie  aus  den  Gleichungen  (75)  folgt,  tritt  dieser  Aus- 
nahmefall stets  und  nur  dann  ein,  wenn  gleichzeitig 

^,(^;)  =  0,        v{Q^O,        m(t[)  =  0,        n{Q=-0. 

In  der  allgemeinen  Theorie  der  Kongruenzen^)  wird  weiter  be- 
wiesen, daß  die  Brennfläche  der  Kongruenz,  d.  h.  der  geometrische 
Ort  sämtlicher  Brennpunkte,  von  allen  Kurven  der  Kongruenz  in  den 
jeweiligen  Brennpunkten  berührt  wird.  Daher  kann  der  Punkt  Q[  auch 
charakterisiert  werden  als  derjenige  Punkt,  in  welchem  die  Kurve  @^ 
zum  ersten  Mal  (von  Pj  aus  gerechnet)  die  Brennfläche  der  Kongruenz 
(73)  berührt,  wobei  jedoch  zu  beachten  ist,  daß  die  Brennfläche  ganz 
oder  zum  Teil  auch  in  Kurven  oder  Punkte  degenerieren  kann. 

Beispiel  II  (Siehe  pp.  465,  483): 

Aus  der  in  §  61,  c)  gebrauchten  Form  des  allgemeinen  Integrals  der 
Differentialgleichung  (I)    ergibt    sich    die  Doppelschar    von    Kreisen    durch    den 

Punkt  P,   in  der  Form 

X  —  x^  =  —  X{cost  —  cosi^), 

y — yi  =  —  ^(sint — sin^^), 
wobei  t^  als  variabler  Parameter  zu  betrachten  ist.    Die  Länge  des  Kreisbogens 
t\  X  vom  Punkt  P,  (t^)  bis  zu  einem  variabeln  Punkt  P{t)  hat  den  Wert 
^  z  =  —  l{t  —  t'). 

^)  Vgl.  Darhoux,  loc,  cit.,  p.  6. 


62.    Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte. 


495 


Die  Kongruenz  räumlicher  Extremalen  ist  also  hier  ein  doppelt  unendliches 
System  von  Schraubenlinien  mit  der  Neigung  45^. 

Führen  wir  statt  t  und  t^  die  für  unsere  Zwecke  bequemeren  Größen 

t-t^  ,  TT 

2  '  2 

ein,  so  erhalten  wir  die  Kongruenz  in  der  Form 

X  —  a?!  =  —  2  ;i  cos  (tr  -f-  7t)  sinr ,  | 

2/  — 2/i=  — 2^sin(r +  x)sinr,|  (80) 

z  =  —  ^Xx,  J 

wobei  nunmehr  auf  allen  Kreisen  der  Doppelschar  der  Punkt  P^  demselben 
Wert  T  =  0  entspricht,  während  x  dieselbe  Bedeutung  hat  wie  in  der  Normal- 
form (64),  siehe  Fig.  108. 

Aus  diesen  Gleichungen  ergibt  sich  in 
Übereinstimmung  mit  (57)  und  (74) 

A(r,  X,  X)  =  8X2gin^(gijj^  _  -j-cosr).      (81) 

Jede  der  unendlich  vielen  Wurzeln  der  Gleichung 
A  =  0  liefert  einen  konjugierten  Punkt  im 
weiteren  Sinn;  und  jedem  derselben  entspricht 
eine  Schale  der  Brennfläche,  die  aber  auch  de- 
generieren kann. 

Letzteres  tritt  nun  gleich  bei  dem  kon- 
jugierten Punkt  im  engeren  Sinn  ein,  für 
welchen  r  =  tt;  die  zugehörige  Schale  der 
Brennfläche  degeneriert  in  die  Gerade 


Fig.  108. 


x  =  X. 


2/  =  2/i» 
welche  von  allen  Kurven  der  Kongruenz  (80)  geschnitten  wird. 

Wir  wollen  noch  den  nächsten  konjugierten  Punkt  betrachten,  welcher  der 
im  dritten  Quadranten  gelegenen  Wurzel^) 

257'>27'12" 


der  Gleichung 


^       360000'00" 
tgr  =  r 
entspricht.     Hier  wird  die  Brennfläche  gegeben  durch  die  Gleichungen 
X  —  a?!  =  —  2  ;,  cos  (y  -f-  %)  sin  7 ,  ] 
2/ —  2/i  =  —  2Xsin(y -f  x)sin y  ,  ! 
Zr^  —  2Xy,  J 

mit  X,  X  als  Flächenparametern;  daraus  ergibt  sich  durch  Elimination  von  x  und 


(82) 


{x~X,r-\-(y-yJ' 


sin*  7 


z^=0 


^)  Nach  Ekdmann,  Zeitschrift  für  Mathematik  und  Physik,  Bd.  XXIII 
(1878),  p.  372. 


32  = 


4.96  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Die  zugehörige  Schale  der  Brennfläche  ist  also  ein  senkrechter  Kreiskegel  mit  der 
Geraden  x  =  x^,y  =  y^  als  Achse.  Man  verifiziert  leicht,  daß  jede  Kurve  der 
Kongruenz  (80)"in  der  Tat  diesen  Kegel  in  dem  fraglichen  räumlichen  kon- 
jugierten Punkt  berührt. 

c)  Das  ausgezeichnete  Extremalenbüscliel  durcli  den  Punkt  Pj*. 

Wir    machen    für    die    folgende    Diskussion    die    beschränkende 

Annahme,  daß  ^^^^,^  ^o,  ^o)  +  0 .  (83) 

Dann  läßt  sich  nach  dem  Satz  über  implizite  Funktionen  die  Gleichung 

A(^,  z,  A)  =  0 

in  der  Umgebung  der  Stelle  t[,  x^,  X^  eindeutig  nach  t  auflösen.  Die 
Lösung  sei:  t  =  t\7t,  1)^  so  daß  also,  identisch  in  ;c,  A, 

A(r(x,A),x,  X)  =  0  (84) 

und  überdies                           t\x„X,)^t:.  (85) 

Wir  greifen  jetzt  aus  der  doppelt  unendlichen  Extremalenschar 
(64)  ein  Büschel  heraus,  welches  die  Extremale  @o  enthält,  d.  h.^wir 
ersetzen  x,  X  durch  zwei  Funktionen  eines  Parameters  a:  k  =  x(a), 
X^l(^cc^^  welche  für  einen  bestimmten  Wert  a^  der  ^Bedingung 
Xo=Ä(ao),  ^o=^(«o)  genügen.  Die  Funktionen  x{a),  X{a)  sollen 
überdies  in  der  Umgebung  von  «q  ^^n  der  Klasse  C  sein  und  die 
Ableitungen  x'(£^o);  ^'K)  »ollen  nicht  beide  gleich  Null  sein.  Auf 
jeder  Kurve  des  so  erhaltenen  Extremalenbüschels 

x^(p{t,ü,X),         y  =  iit,K,l)  (86) 

markieren  wir  den  durch  den  Parameterwert 

t  =  t'(x,  X)  =  i{a) 

definierten  konjugierten  Punkt.     Der  geometrische  Ort  %  dieser  kon- 
jugierten Punkte  ist  dann  die  durch  die  Gleichungen 

5:  x  =  (p(lx,X)=x{a),         i/  =  z^(f,x,  i)  =  ^(a) 

dargestellte  Kurve.  Wir  stellen  uns  jetzt  mit  Kneser  die  Aufgabe, 
das  Extremalenbüschel  so  auszuwählen,  daß  jede  Kurve  des  Büschels 
in  ihrem  konjugierten  Punkt  t  =  t{a)  die  Kurve  5  berührt,  oder, 
anders  ausgedrückt,  so,  daß  der  geometrische  Ort  der  konjugierten 
Punkte  der  Büschelkurven  zugleich  die  Enveloppe  des  Büschels  ist. 
Dazu  ist  notwendig  und  hinreichend,  daß  es  eine  Funktion  q 
von  a  gibt,  so  daß,  identisch  in  «, 


§  62.   Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  497 

wobei  die  Klammer  [  ]  andeutet,  daß  die  Argumente  t,  tc,  X  durch  %yi   1 
zu  ersetzen  sind.     Ausgeschrieben  lauten  diese  Gleichungen 

Daraus  folgt  durch  Elimination  von  q  in  der  Bezeichnung  (68) 

H<?;c  +  [u]c?A  =  0.  (88) 

Gleichzeitig  besteht  aber  mit  Rücksicht  auf  (83)  und  (76)  die  Gleichung 

MH-H[^0  =  O.  (89) 

Es  sind  nun  zwei  Fälle  zu  unterscheiden: 
Fall  I:  Es  ist  gleichzeitig 


FaU  II:  Es  ist 
und  daher 


Aus  einem  weiter  unten  ersichtlichen  Grund  lassen  wir  den 
Fall  II  beiseite. 

Für  die  Behandlung  des  Falles  I  bemerken  wir^  daß  mindestens 
eine  der  beiden  Funktionen  m^  iv  für  t  =  t[,  3f  =  3fo;  ^  =  K  ^^n  Null 
verschieden  ist,  wie  nach  (53a)  und  (74)  aus  der  Annahme  (83) 
folgt.  Daher  können  wir  die  Differentialgleichung  (90)  mit  der  An- 
fangsbedingung %  =  K^,  ^  =  h  integrieren,  und  die  Lösung  ist  ein- 
deutig. Aus  (89)  folgt,  daß  dann  die  Differentialgleichung  (88)  von 
selbst  miterfüllt  ist.  Und  nunmehr  folgt  rückwärts,  daß  wir  q  so 
bestimmen  können,  daß  die  Gleichungen  (87)  erfüllt  sind.  Freilich 
kann  es  vorkommen,  daß  die  so  bestimmte  Funktion  Q{a)  identisch 
verschwindet;  das  bedeutet  dann  eben,  daß  die  Kurve  %  in  einen 
Punkt  degeneriert. 

Wir  haben  also  den  folgenden,  von  Kneser  herrührenden  Satz^) 
gewonnen: 

Unter  der  Voraussetzung,  daß 

kann  man   aus   der  Doppelschar  von  Extremalen  durch  den  PunJd  F^ 
ein   ausgezeichnetes   Büschel   herausgreifen,   welches   die   Extremale  @o 

^)  Vgl.  Lehrbuch,  §  40. 


^gg  Zehntes  Kapitel.    Isoperimetrische  Probleme. 

enthält^  und  dessen  Enveloppe  jede  Extremale  des  Büschels  in  dem  zu 
P^  Iwnjugierten  FunU  herührO) 

Für  dieses  Büschel  bestellt  außerdem  die  Differentialgleicliung  (90). 

Man  kann  zu  demselben  Resultat  noch  auf  einem  zweiten  Weg  gelangen, 
der  zugleich  über  den  oben  ausgeschlossenen  Fall  II  Aufschluß  gibt.  Dazu  führt 
folgende  aus  der  allgemeinen  Theorie  der  Kongruenzen  2)  bekannte  FragesteUung: 

Greift  man  aus  der  Kongruenz  (73)  ein  beliebiges  Büschel  (78)  heraus,  so 
wird  dasselbe  im  allgemeinen  keine  Enveloppe  besitzen,  d.  h.  es  wird  keine 
Kurve  geben,  welche  von  sämtlichen  Kurven  des  Büschels  berührt  wird.  Man 
kann  sich  aber  die  Aufgabe  stellen,  alle  in  der  Kongruenz  enthaltenen  Büschel 
zu  hestimmen,  welche  eine  Enveloppe  besitzen. 

Man  wird  dapn  auf  die  beiden  Gleichungen  (88)  und  (90)  als  notwendige 
und  hinreichende  Bedingungen  geführt,  aus  denen  sich  dann  (89)  ergibt.  Unter 
den  beiden  oben  gemachten  einschränkenden  Voraussetzungen  folgt  daraus,  daß 
es  ein  und  nur  ein  die  Kurve  ©o  enthaltendes  Büschel  gibt,  welches  eine  En- 
veloppe S'  besitzt;  dieselbe  berührt  die  Kurven  des  Büschels  in  ihren  Brenn- 
punkten und  liegt  daher  auf  der  Brennfläche. 

Projiziert  man  dieses  Büschel  räumlicher  Extremalen  mit  seiner  Enveloppe 
%'  auf  die  x,  y-Ebene ,  so  erhält  man  das  oben  bestimmte  ausgezeichnete  ebene 
Büschel  mit  seiner  Enveloppe  %. 

Dagegen  führt  der  Fall  II  auf  ein  Büschel  räumlicher  Extremalen,  welches 
keine  Enveloppe  besitzt,  dessen  Kurven  aber  sämtlich  in  ihren  jeweiligen  Brenn- 
punkten einen  auf  der  a;,2/- Ebene  senkrechten  Zylinder  berühren.  Das  aus  der 
Projektion  eines  solchen  Büschels  entstehende  ebene  Büschel  hat  zwar  auch 
noch  die  verlangten  Eigenschaften,  genügt  aber  nicht  mehr  der  für  die  weitere 
Entwicklung  wesentlichen  Differentialgleichung  (90). 

Beispiel  II  (Siehe  pp.  465,  483,  494): 

Aus  den  Gleichungen  (80)  berechnet  man 

vL=i  ^7.^^\x\xco^t,  i>  =  —  4^sin^T, 

m  =  —  2P.sin^r,  n=2r  —  2  sin  r  cos  r. 

Wir   bestimmen    zunächst    die    zum    konjugierten  Punkt    im    engeren  Sinn  ge- 
hörige Enveloppe  5-     Hier  ist  nach  (81) 

r'(x,  l)  =  Tt . 

Die  Differentialgleichung  (90)  wird  also 

^7cdX==0 
mit  der  Lösung:  X  =  X(^. 


^)  Es  verdient  übrigens  hervorgehoben  zu  werden,  daß  der  konjugierte 
Punkt  P[  nicht  notwendig  der  zunächst  auf  P^  folgende  Berührungspunkt  von  % 
mit  der  Enveloppe  zu  sein  braucht;  vgl.  unten  Beispiel  IL 

=*)  Vgl.  Darboux,  loc.  cit.,  p.  6,  und  die  Untersuchungen  von  Bliss  und 
Mason  über  das  räumliche  Variationsproblem  ohne  Nebenbedingungen,  Trans- 
actions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  IX  (1908),  p.  450. 


i 


§  62.    Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  499 

Das  zum  konjugierten  Punkt  im  engeren  Sinn  gehörige  ausgezeichnete  Extre- 
malenhüschel  ist  also  das  Büschel  von  Kreisen  mit  dem  konstanten  Badius  \  Iq  \ 
durch  den  Punkt  P^ . 

Die  Enveloppe  desselben  besteht  aus  dem  Kreis  mit  dem  Radius  2 1  ^^ !  ^°^ 
den  Punkt  P^,  zusammen  mit  dem  als  degenerierte  Kurve  zu  betrachtenden 
Punkt  Pj.  Aber  nur  der  letztere  Bestandteil  der  Enveloppe  kommt  nach  der 
Definition  der  Kurve  %  für  uns  in  Betracht.  Dies  geht  auch  deutlich  aus  der 
Betrachtung  des  zugehörigen  Büschels  von  räumlichen  Extremalen  (Schrauben- 
linien) hervor;  die  Enveloppe  f^'  desselben  degeneriert  in  den  Punkt  Q[: 

x  =  x^,         y  =  yi,         z  =  —  2l^7t, 

durch  welchen  sämtliche  Kurven  des  Büschels  für  t  =  n  hindurchgehen.  Das 
zeigt  wieder,  daß  die  Enveloppe  f^  in  den  Punkt  P^  (t  =  it)  degeneriert. 

Interessanter  gestaltet  sich  die  Untersuchung  für  den  zweiten  konjugierten 
Punkt  ^)  '       i\ 

(vgl.  p.  495).     Hier  lautet  die  Differentialgleichung  (88) 

lcOQyd%  —  Bmydl  =  0, 
deren  Integration  bei  passender  Konstantenbestimmung  ergibt 

X  =  l   eCotg(;<->;o)  ^ 

Setzt  man  diesen  Wert  von  1  in  (80)  und  (82)  ein,  so  erhält  man  das  aus- 
gezeichnete Büschel  von  räumlichen  Extremalen  und  dessen  Enveloppe  5'.  Daraus 
ergeben  sich  dann  durch  Projektion  auf  die  x^  y-]^henQ^  d.  h.  durch  Unterdrückung 
der  Gleichung  für  0,  das  ausgezeichnete  ebene  Extremalenbüschel ,  sowie  dessen 
Enveloppe  %.  Für  letztere  erhält  man  in  Polarkoordinaten  mit  dem  Punkt  Pj 
als  Pol  das  Resultat 

,.  =  _2X^8inye'^«*^>'(^/'->'-^o), 

also  eine  logarithmische  Spirale,  welche  die  radii  vectores  vom  Punkt  Pj  aus 
unter  dem  konstanten  Winkel  7  schneidet,  ein  Resultat,  das  sich  auch  a  priori 
aus  der  charakteristischen  Eigenschaft  der  logarithmischen  Spirale  und  der 
geometrischen  Bedeutung  des  Winkels  x  (siehe  Fig.  108)  hätte  erschließen  lassen. 
Diese  logarithmische  Spirale  berührt  in  der  Tat  jeden  durch  den  Punkt  P^ 
gehenden  Kreis  des  ausgezeichneten  Büschels  in  dem  dem  Wert  x  =  y  ent- 
sprechenden konjugierten  Punkt,  freilich  auch  schon  vorher  in  dem  nicht  kon- 
jugierten Punkt  X  =  y  —  n . 

d)  Der  Enveloppensatz  für  isoperimetrisclie  Probleme: 

Für  das  im  vorigen  Absatz  bestimmte  ausgezeichnete  Extremalen- 
büschel durch  den  Punkt  P^  gilt  nun  ein  dem  Enveloppensatz  von 
§  44,  c)  analoger  Satz. 

^)  Nach  Kneser,  Konjugierte  Punkte  heim  isoperimetrischen  Problem^ 
Jahresberichte  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische 
Kultur,  1906. 


500  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Zum  Beweis  desselben  betrachten  wir  das  Integral  J,  genommen 
entlang  irgend  einer  Extremalen  @^;  der  Doppelschar  (64)  vom  Punkt 
P  (t^  bis  zu  einem  variabeln  Punkt  F(t),  und  bezeichnen  dasselbe  mit 

t 

h 

Für    die   partiellen  Ableitungen   der   Funktion    ü  erhalten   wir,    ganz 
analog  den  Formeln  (75), 

t 
U,.  =  ^,'9.  +  ^y ^y.  -f^  "  'ii,  (91) 

h 
t 

h 

wobei  %  die  für  die  Extremale  ^^^  berechnete  Funktion  T  von  §26,a) 
bedeutet. 

Addieren  wir  diese  Gleichungen  zu  den  mit  k  multiplizierten 
Gleichungen  (75)  und  erinnern  uns,  daß  die  Extremale  ^.^j^  der  Diffe- 
rentialffleichung 

genügt,  so  erhalten  wir 

u.,.^l^..=  K,,ip,,^-K^,^^^J  (92) 

Wir  betrachten  jetzt  insbesondere  die  beiden  Integrale  J  und  K 
entlang  der  dem  Parameterwert  a  entsprechenden  Extremalen  @  des 
unter  c)  bestimmten  ausgezeichneten  Extremalenbüschels  vom  Punkt 
Pi(^/)  bis  zu  dem  dem  Wert  t  =  t{a)  entsprechenden  konjugierten 
Punkt  P'.  Die  so  definierten  Integral  werte,  d.  h.  also  in  unserer 
früheren  Bezeichnung  die  Größen 

sind  eindeutige  Funktionen  des  Parameters  «,  die  wir  mit  J{a)  be- 
ziehungsweise K{a)  bezeichnen.  Wir  erhalten  dann  zunächst  für  die 
Ableitung  von  K{a) 

^'(«)  =  [x-K  +  [zJi'  +  M^'. 


§  62.   Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte. 


501 


(93) 


(94) 


also,  wenn  wir  von  (75)  Gebrauch  machen  und  uns  der  Definition  der 
die  Enveloppe  g  darstellenden  Funktionen  x{a)y  y{a)  erinnern, 

Nun  genügen  aber  die  Punktionen  x{a),  X{a)  für  das  ausgezeichnete 
Extremalenbüschel  der  Difierentialgleichung  (90),  also  ist 

Ganz  in  derselben  Weise  folgt  aus  (92) 

J'(«)  +  I(«)/f'(«)  =  [^..]ä'  +  ['H'yly', 
und  hieraus  unter  Benutzung  von  (93),  da 

y.C]  =  [?]  +  i\ßy], 

J\a)  =  [5FJ£'  +  [fF,,]y'. 

Wir  unterscheiden  jetzt,  wie  in  §  47,  zwei  Fälle: 
Fall  I:  Die  Enveloppe  5  degeneriert  nicht  in  einen  Funld. 
Dann  können  wir  nach  (87)  eine  nicht  identisch  verschwindende 
Funktion  q^o)  bestimmen,  so  daß 

Wir  wollen  annehmen,  daß  Q{a^  =f=  ö,  daß  also  die  Enveloppe  g  im 
Punkte  P[  keinen  singulären  Punkt  besitzt.  Wir  dürfen  dann  ohne 
Beschränkung  der  Allgemeinheit  voraussetzen,  daß  ()(c^q)  >  0,  d.  h. 
daß  die  Enveloppe  und  die  Extremale  sich  im  Punkt  P[  gleichsinnig 
berühren,  da  wir  andernfalls  zuvor  den  positiven  Sinn  auf  der  Enve- 
loppe durch  die  Substitution  a  =  —  a  umkehren  könnten.  Nunmehr 
folgt  ganz  wie  in  §  44,  c) 

J'(a)  =  F{x,y,x,y'),         K\a)  =  G{x,y,x\y).  (95) 

Integrieren  wir  diese  Gleichung  von  a^ 
bis  zu  einem  hinreichend  nahen  Wert  a, 
so  erhalten  wir  den  von  Kneser^)  her- 
rührenden Enveloppensatz  für  isoperi- 
metrische Frobleme: 

J^ (P,  P,)  +  J^{P, P[)=J^XP.P[),  (96) 
K^{P,P,)+K^{P,P[)^K^SAP'^       ■ 
Die  zweite  dieser  Gleichungen  zeigt, 
daß    der    aus   dem   Bogen   P,  Pg   von   (S 
und   dem  Bogen  P^P[  von  g   zusammengesetzte  Kurvenzug  eine   zu- 
lässige Variation   des  Extremalenbogens  PiP^  ist.     Daher  folgt  jetzt 

^)  Vgl.  Kneser,  Lehrbuch,  §  40. 


Fig.  109. 


502 


Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 


aus  der  ersten  der  Gleichungen  (96)  ähnlich  wie  in  §  47,  b),  daß 
der  Bogen  (Sq  kein  Extremum  mehr  liefern  kann,  wenn  sein  End- 
punkt Pg  ^^^  -^1  zusammenfällt,  also  a  fortiori  auch  nicht  mehr, 
wenn  P[  -<  Pg 

Hiermit  haben  wir  einen  zweiten  Betveis^)  für  die  NohvendigJceit 
der  Bedingung  P  ^  P'  (III) 

gewonnen,  allerdings  unter  der  beschränkenden  Voraussetzung,  daß 
die  Bedingung  (90)  erfüllt  ist,  und  daß  die  Enveloppe  %  im  Punkt  P[ 
keinen  singulären  Punkt  besitzt. 

Fall  II:  Die  Enveloppe  degeneriert  in  einen  Punkte  der  notwendig 
mit  dem  konjugierten  Punkt  P[  auf  ©^  zusammenfallen  muß.  In 
diesem  Fall  gehen  sämtliche  Extremalen  des  ausgezeichneten  Büschels 
durch  den  Punkt  Pj,  und  es  ist 

^'(«)^0,        y\a)^0, 

also 

J\a}  =  0,         K\a)  =  0. 

AVir  erhalten  also  in  diesem  Fall  den  Satz: 

Wenn  sämtliche  Extremalen  des  ausgezeichneten  Büschels  durch  den 
Punkt  Pj  zugleich  auch  durch  den  konjugierten  Punkt  P[  gehen,  so  hat 
sowohl  das  Integral  J  als  das  Integral  K,  genommen  entlang  den  ver- 
schiedenen Extremalen  des  ausgezeichneten 
Büschels  von  P^  nach  P[,  einen  konstanten 
Wert: 
J{a)  =  J(ao),       K(a)  =  K{a,).       (97) 

Daraus  folgt  dann  wieder  wie  in 
§  47,  b),  daß  auch  in  diesem  Fall  ein 
Extremum  über  den  konjugierten  Punkt 
hinaus  nicht  bestehen  kann. 
g  Ein  fast  triviales  Beispiel  hierzu  liefert 
unser  Beispiel  II  (p.  498).  Bei  dem  Büschel 
von  Kreisen  durch  den  Punkt  I\  mit  dem 
konstanten  Radius  |  ^^  |  ist  für  den  Bogen  P^  P'^, 
d.  h.  für  einen  vollen  Kreisumfang,  sowohl 
die  Bogenlänge  als  der  Flächeninhalt  kon- 
stant. Daraus  folgt  aber  sofort,  daß  ein  über  den  vollen  Kreisumfang  hinaus- 
gehender Kreisbogen  P^ABP^  P.,  kein  Maximum  liefern  kann.  Denn  der  aus  dem 
Kreis  P^CDP^  mit  demselben  Radius  und  dem  Kreisbogen  P^P^  zusammen- 
gesetzte Kurvenzug  ist  eine  zulässige  Variation  und  liefert  denselben  Wert  für  J, 
der  aber  nach  §  59, b)  sicher  kein  Maximum  sein  kann  wegen  der  Ecke  im  Punkt  P^. 

•)  Vgl.  Kneser,  Lehrbuch,  §  40. 


Fig.  HO. 


§  63.    Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz.  503 

§  63.    Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz  für  isoperimetrische 

Probleme. 

Auch  beim  isoperimetrisclien  Problem  beruht  der  Hinlänglichkeits- 
beweis  auf  einem  dem  Weierstraß'schen  Fundamen talsatz  über  die 
Darstellung  der  totalen  Variation  durch  die  8-Funktion  analogen  Satz. 
Zum  Beweis  desselben  haben  wir  zunächst  die  Theorie  des  Feldinte- 
grals und  der  Hamilton'schen  Formeln  von  §  31  auf  isoperimetrische 
Probleme  zu  übertragen,  wobei  wieder  die  schon  im  vorangehenden 
Paragraphen  hervortretende  Auffassung  des  isoperimetrischen  Problems 
als  eines  räumlichen  Problems  von  entscheidender  Bedeutung  sein  wird. 

a)  Die  Hamilton'sclieii  Formeln  für  isoperimetrische  Probleme: 

Es  sei  Po(^o)  ^^^  Punkt  auf  der  Fortsetzung  uDseres  Extremalen- 
bogens  @q  über  den  Punkt  P^  hinaus.  Dann  lassen  sich  die  Entwick- 
lungen von  §  62,  a)  und  b)  ohne  weiteres  auch  für  den  Punkt  Fq 
durchführen.  Wir  erhalten  zunächst  eine  Doppelschar  von  ebenen 
Extremalen  durch  den  Punkt  Pq,  die  wir  wieder  —  also  unter  Be- 
xeichnunQfswechsel  —  mit 

X  =  cp  (t,  Xj  l),        y  =  t  (t,  ^,  ^)  (98) 

bezeichnen;  weiter  eine  Kongruenz  von  räumlichen  Extremalen  durch 
den  Punkt  P^ 

x^cpit,  %,  A),        y  =  i^{t,  %,  l),        2=^%{t,  %,  X),  (99) 

wobei  nunmehr  die  Funktion  i(t,y.,X)  den  Wert  des  Integrals  K  ent- 
lang der  Extrem^alen  @^;  der  Doppelschar  (98)  vom  Punkt  P^  bis  zu 
•einem  variabeln  Punkt  P{t)  bedeutet. 

An  Stelle  der  Gleichungen  (64)  bis  (70),  (72)  bis  (77)  treten 
entsprechende  auf  die  Kongruenz  durch  den  Punkt  Pq  bezügliche 
Gleichungen,  die  wir  von  jenen  durch  Überstreichen  unterscheiden 
wollen,  und  die  sich  von  ihnen  nur  durch  die  Substitution  von  ^o?^o??/o 
an  Stelle  von  t^yX^^y^,  sowie  durch  die  veränderte  Bedeutung  der 
Funktionen  cpyt,X  und  dementsprechend  der  Funktionen  ^,G,K,Uf\> 
etc.  unterscheiden. 

Wir  nehmen  jetzt  an,  daß  die  Gleichungen  (99),  als  Transfor- 
mation zwischen  einem  t,  x,  A-Raum  und  einem  x,  y,  £^-Raum  aufgefaßt, 
^ine  ein-eindeutige  Beziehung  zwischen  einem  bestimmten  Bereich  (9L 
des  if,  ;c,  yl-Raumes  und  dessen  Bild  cT'  im  a;,^,0-Raum  definieren,  so 
daß  also  durch  jeden  Punkt  des  Bereiches  cF'  eine  und  nur  eine  räum- 
liche Extremale  der  Kongruenz  (99)  hindurchgeht,  für  welche  das  zu- 
gehörige Wertsystem  t,%yk  dem  Bereich  (SC  angehört. 


504  Zelmtes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Überdies  soll  vorausgesetzt  werden,  daß  die  Funktionen 

als  Funktionen  ihrer  drei  Argumente  im  Bereich  (9l  von  der  Klasse 
C  sind;  ferner  daß  die  Projektion  cT  des  Bereiches  of'  auf  die  Xyy- 
Ebene  ganz  im  Bereich  Öl  enthalten  ist,  und  endlich,  daß 

K^(t,K,X)>0     in     OL  (100) 

''''^  A{t,K,^,)^0     in     OL.  (101) 

Alle  diese  Annahmen  fassen  wir  in  die  Aussage  zusammen,  daß  der 
Bereich  oT'  ein  Feld  von  räumlichen  Extremalen  bildet. 

Die  zugehörigen  inversen  Funktionen  des  Feldes j  welche  die  Auf- 
lösung der  Gleichungen  (99)  nach  t,XjX  darstellen,  bezeichnen  wir  mit 

t  =  t(x,  y,  z),         %^l{x,  y,  z),  A  =  l(x,  y,  z), 

so  daß  also,  identisch  in  x:y,z\ 

^{i,\,l)^x,         ^(t,f,l)^y,         z(t,M)  =  ^  (102) 

und  gleichzeitig,  identisch  in  ^,  x,  A: 

t  df,  ^,  X)  ^  i,         K%  ^,  %)^^y         I  {%  ^,  %)  =  ^'  (103) 

Es  sei  jetzt  Q^{x^,yz,z^  irgend  ein  Punkt  von  gT',  F^{x^,y^  seine 
Projektion  auf  die  rr,2/-Ebene.  Alsdann  geht  von  P^  nach  Q^  eine 
und  nur  eine  räumliche  Feldextremale  ©g-,  nach  der  Bedeutung  der 
Ordinate  z^  ist  dann  die  Projektion  ©g  von  ©g  zugleich  die  einzige 
Extremale  der  Doppelschar  (98),  welche  durch  den  Punkt  Pg  geht, 
und  für  welche  das  Integral  K  den  Wert  z^  besitzt: 

und  die  zu  ©g  gehörige  isoperimetrische  Konstante  hat  den  Wert 

Das  Integral  J,  genommen  entlang  (Sg  von  F^^  bis  Pg,  betrachtet 
als  Funktion  von  x^^^y^,  z^y  nennen  wir  das  zum  Feld  cf'  gehörige 
Feldintcgral  und  bezeichnen  seinen  Wert  mit  1^(^3,^37-2^3),  so  daß 
also  nach  der  Bedeutung  der  Funktion   U 

W{x,y,,)=V{i,l,{), 

wenn  wir  der  Einfachheit  halber  den  Index  3  durchweg  unterdrücken. 
Wir  berechnen  jetzt  die  partiellen  Ableitungen  von  TF;  zunächst  ist 

w,={u.)i,+{u.::)i^+(v,)\,,\  (104) 

Tr,=  (D;)t,+  (C^Jf. +  (£/■,)!,, 


§  63.    Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz. 


505 


wenn  wir  durch  die  Klammer  (  )  andeuten,  daß  t,  tc,  l  durch  t,  f,  (  zu 
ersetzen  sind. 

Multipliziert  man  jetzt  die  Gleichungen  (104)  der  Reihe  nach 
nii*  Ky  %j  K  uiid  berücksichtigt  die  durch  Differentiation  der  Iden- 
titäten (102)  sich  ergehenden  Gleichungen 

(9',)t.+  (9>Jf.+  (<P,)I.=  l, 
Wt.+  Wi+ (*,)(.=  0, 

(;t.)t,+  (;t.)f.+  fc)t.=  o, 


SO  erhält  man 
und  ganz  analog 


Nun  sind  aber  die  rechten  Seiten  der  beiden  ersten  Gleichungen 
nach  der  Bedeutung  des  Zeichens  K.  und  der  Klammer  gleich  den 
Funktionen  K^,^  H^,  mit  den  folgenden  Werten  ihrer  fünf  Argumente 

Die  ersten  beiden  sind  nach  (102)  identisch  gleich  x  und  i/;  das 
dritte  und  vierte  dürfen  wir  wegen  der  Homogeneität  von  H^,,  H^, 
ersetzen  durch  die  Funktionen 


i?(^,  2/;  ^) 


M 


Vi^D  +  W 


q(x,  y,  z)  = 


{'^t) 


Vi^i)  +  m 


^ 


(105) 


Daher  erhalten  wir  schließlich  für  die  partiellen  Ableitungen  des  Feld- 
integrals die  folgenden  Werte: 


^^        TT    /  n 

dW 


(106) 


dz 


=  -1. 


Darin  bedeuten  die  Funktionen  p=p{x,y,z),  q  =  q(x,  y,  s)  die  Rich- 
tungskosinus der  positiven  Tangente  der  Extremalen  (Sg  im  Punkt  Pg, 
und  i  =  i(^x,y,z)  ist  der  zur  Extremalen  (£3  gehörige  Wert  A3  der 
isoperimetrischen  Konstanten. 

Diese   Formeln   sind   das   Analogon   der   Hamilton' sehen   Formeln 
(148)  von  §  31  für  das  isoperimetrische  Problem. 


50(5  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrisclie  Probleme. 

b)  Die  Weierstraß'sclie  Konstruktion  für  isoperimetrisclie  Probleme; 

Aus  den  Hamilton' sehen  Formeln  ergibt  sich  nun  der  Weier- 
straß'sche  Fundamentalsatz  entweder  mittels  der  Weierstraß'schen 
Konstruktion  oder  mittels  des  Hilbert'schen  Unabhängigkeitssatzes, 
beide  in  t^eeigneter  Weise  modifiziert.  Wir  betrachten  zuerst  die 
erste  der  beiden  Methoden. 

Es  sei^)  @o  ^®^  unserem  Extremalenbogen  @o  i^  ^^r  Kongruenz 
(99)  zugeordnete  räumliche  Extremalenbogen: 

Derselbe    führt    vom    Punkt    Q^:    x  =  x„  y  =  y^,  2  =  2-,{=  K^^)   nach 
dem  Punkt  Qf.  x^x^,y  =  y2,^  =  ^2(=  ^02)- 

Wir  nehmen  an,  dieser  Bogen  ^^  ^^^  g^"^  ^^  Innern  des 
Feldes  cT'  gelegen,  und  ziehen  nunmehr  in  der  x,  ^/-Ebene  irgendeine 
zulässige  Kurve  ^  von  P^  nach  P^ 

als  zulässige  Kurve  genügt  dieselbe  der 
isoperimetrischen  Bedingung  (1) 

K,,=  h  (107) 

Den  Wert  des  Integrals  K,  genommen 
von  Po   entlang  (S*  bis  Pj  und   von   da 
Fig.  111.  entlang  S  bis  zu  einem  variabeln  Punkt 

T^{t)   von  S,  bezeichnen  wir  mit  z(r),  so  daß  also 

i  (r)  =  K,,\K,,=  K,,  +fG{x,  y,x,y')dr.  (108) 

Dann  ordnen  wir  der  Kurve  (^  die  Raumkurve 

S':  x^x{r),         y-yiy),       ,'^  =  ^(tr) 

zu.     Da 

so   führt   die    Kurve   S',    ebenso    wie  @o.,   ^^^    ^^^^^    ^i    ^^^^    ^^^ 
Punkt  $2. 

Wir  führen  jetzt  die  heschränlcende  Annahme  ein,  daß  auch  die 
der  Kurve  (^  zugeordnete  Baumlcurve  ^'  ganz  im  räumlichen  Feld  oT' 
gelegen  ist.    Für  die  Kurve  ©  selbst  bedeutet  dies:  Durch  jeden  Punkt 

^)  Mit  Bezeichnungswechsel  (!)  gegen  §  02,  b). 


§  63.    Der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz.  507 

P3  von  d  läßt  sich  von  Pq  aus  eine  und  nur  eine  ebene  Extremale  (£3 
ziehen,  für  welche  _ 

K,,^K,,  +  K,,.  (109) 

Man  pflegt  diese  Annahme  auch  dadurch  auszudrücken,  daß  man  sagt: 
Für  die  Kurve  ß  soll  die  Weierstraß'sche  KonstruMion  mö(jlich  sein. 
Jetzt  betrachten  wir  mit  Weierstraß  das  Integral  J,  genommen 
von  Pq  entlang  der  Extremalen  (S3  bis  zum  Punkt  P3  und  von  da 
entlang  S  bis  Pg;  wir  bezeichnen  dasselbe  als  Funktion  von  r  mit 
S(t),  so  daß  also 

S(r)  ==  J03+  Js2' 

Es  ist  dann  insbesondere 

>Sf(ri)  =  J01+ ^12;         ^^'(rg)  =  Jo2  =  J01+ ^12  7 
also 

AJ-  =  J6-Jso=-[SW-'S(r,)],     oder 


AJ 


-ß^^- 


Nun  ist  aber  nach  (109)  und  nach  der  Definition  der  Funktion  W: 

Daher  kann  man  nach  (106)  den  Ausdruck  für  die  Ableitung  8' (x) 
unmittelbar  hinschreiben;  derselbe  vereinfacht  sich,  wenn  man  aus 
(108)  den  Wert  von  z'  einführt: 

7=  G{x,y,x\y'), 

und  man  erhält  in  der  Bezeichnung  von  §60,  b)  den  Weierstraß' sehen 
Fundamentalsatz  für  isoperimetrische  Probleme^) 

AJ  =JS(x,  y;p,  g;  x\  y'-,  l)dx.  (110) 

Dabei  ist 

P  =  p{x,  y,  z),         q  =  q{x,  y,  i"),         I  =  l(x,  y,  i), 

^)  Weierstrass,  Vorlesungen  1879;  Weierstraß  benutzt  die  Kongruenz 
von  räumlichen  Extremalen  durch  den  Punkt  P^ ,  vgl.  p.  259,  Fußnote  ^).  Die 
hier  gegebene  Modifikation,  bei  welcher  der  Punkt  P^  an  Stelle  von  P^  tritt, 
rührt  von  Kneser  her,  Lehrbuch,  §§  36  und  38. 


^Qg  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

oder  ohne  Bezugnahme  auf  den  Raum  ausgedrückt:  p,  q  sind  die 
Richtungskosinus  derjenigen  von  Po  nach  dem  Punkt  F^{x,y)  der 
Kurve  ^  führenden  Extremalen,  für  welche 

während  I  die  isoperimetrische  Konstante  für  eben  diese  Extremale  (Sg 
bedeutet. 

c)  Der  Hilbert'sche  Unabhängigkeitssatz  für  isoperimetrische 
Probleme: 

Andererseits  folgt  aus  den  Hamilton'schen  Formeln  (106)  un- 
mittelbar das  Analogon  des  Hilbert'schen  Unabhängigkeitssatzes.  Ist 
nämlich  ^'  irgendeine  gewöhnliche  Raumkurve,  welche  ganz  im 
Feld  qT'  gelegen  ist  und  von  einem  Punkt  ÖsC^sj  2/3?  %)  ^^ch  einem 
Punkt  ^4(^4,2/4,^4)  führt,  so  ist  der  Wert  des  räumlichen  Linien- 
integrals 

Jl=f[HJx,  y,p,  q;  i)dx  +  H^,{x,y,p,q',  {)dy  -Idz],    (111) 

genommen  entlang  der  Kurve  S'  von  Q^  nach  Q^  nur  von  der  Lage 
der  beiden  Endpunkte  Q^  und  Q^,  nicht  aber  von  der  sonstigen  Gestalt 
der  Kurve  S'  abhängig.     Denn  es  ist 

Jl=fdW(x,  y,  z)  =W{x^,  2/4,  2,)  -W{x^,  y„  %) .  (112) 

Ist  die  Kurve  S'  insbesondere  eine  Extremale  @'  des  räumlichen 
Feldes,  dargestellt  durch  die  Gleichungen  (99),  so  ist  nach  (103)  und  (105) 

*^'^' "'  '^ = vA^-    ^^''' "'  '^ = vwtfr     '^'" "'  '^  =  '■ 

Da  femer  in  diesem  Fall 

dz  =  i^{t,  X,  k)dt  =  (^(t,  K,  X)dt, 
so  geht  das  Integral  nach  einfacher  Reduktion  über  in 

Jl=jy(t,x,X)dt. 

Es   ist  also   entlang  einer  Extremalen  (S'  des  räumlichen  Feldes^) 

wenn  @  die  Projektion  der  räumlichen  Extremalen  @'  auf  die  x,  «/-Ebene 
bedeutet. 


*)  Vgl.  den  analogen  Satz  in  §  17,  b). 


§  64.    Hinreicliende  Bedingungen.  509 

Nennt  man  die  Flächen 

W{(r.,  y,  2)  =  konst. 

die  Transversalenflächen  des  räumlichen  Feldes,  so  folgt  aus  (112), 
daß  das  Hill) er f sehe  Integral  J*,  genommen  zwischen  zwei  Funkten 
derselben  Transversalenfläche,  stets  gleich  Null  ist. 

Aus  (113)  ergibt  sich  nun  genau  wie  in  §  17,  c)  ein  zweiter 
Eeweis  des  Weierstraß'schen  Fundamentalsatzes.  Denn  da  die 
beiden  Kurven  d'  und  (S^  in  oT'  liegen  und  dieselben  Endpunkte 
haben,  so  folgt 

und  daher 

AJ=J^-Jl,  (114) 

woraus  sich  sofort  die  Gleichung  (110)  ergibt. 

§  64.    Hinreicliende  Bedingungen  beim  isoperimetrischen  Problem, 

Die  Frage  der  hinreichenden  Bedingungen  liegt  beim  isoperi- 
metrischen Problem  viel  weniger  einfach  als  bei  dem  Problem  ohne 
Nebenbedingungen.  Zwar  reicht  bei  manchen  Beispielen  der  Wei er- 
st r  aß 'sehe  Fundamentalsatz  aus,  um  die  Existenz  eines  starken 
Extremums  zu  beweisen.  Dagegen  genügt  dieser  Satz  nicht,  um  all- 
gemein zu  beweisen,  daß  die  den  Bedingungen  (F),  (IF),  (HF),  (IV) 
von  §  32,  b)  entsprechenden  Bedingungen  für  ein  starkes  Minimum 
hinreichen;  er  gestattet  vielmehr  nur  zu  zeigen,  daß,  falls  diese  Be- 
dingungen erfüllt  sind,  A«/>0  für  alle  diejenigen  Vergleichskurven 
in  einer  gewissen  Umgebung  des  Bogens  (Sq,  für  welche  die  Weier- 
straß^sche  Konstruktion  möglich  ist.  Das  ist  aber  eine  nicht  in  der 
Natur  der  ursprünglichen  Aufgabe  gelegene,  künstliche  Beschränkung 
der  Vergleichskurven. 

Die  hiernach  nötige  Ergänzung  der  Weierstraß'schen  Theorie 
ist  vor  kurzem  von  Lindebekg^)  gegeben  worden  mit  Hilfe  eines 
Satzes  über  Extrema  ohne  Nebenbedingungen,  welcher  zusammen 
mit  dem  Weierstraß'schen  Fundamentalsatz  zu  dem  Schlußresultat 
führt,  daß  auch  im  Fall  des  isoperimetrischen  Problems  die  oben  ge- 
nannten vier  Bedingungen  für  ein  starkes  Extremum  hinreichend  sind. 


^)  In  einer  demnächst  in  den  Mathematischen  Annalen  erscheinenden 
Arbeit  ,,Über  einige  Fragen  der  Variationsrechnung'',  deren  Manuskript  mir 
Herr  Lindeberg  gütigst  zur  Verfügung  gestellt  hat. 

B  o  1  z  a ,  Variationsrechnung.  3 o 


510 


Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 


a)  Erledigung  der  beiden  Beispiele: 

Unsere  beiden  Beispiele  II  und  XXI  gehören  gerade  zu  den- 
jenigen, bei  welchen  der  Weierstraß'scbe  Satz  ausreicht,  um  die 
Existenz  eines  starken  Extremums  (und  zwar  sogar  eines  absoluten) 
nachzuweisen. 

Beispiel  II  (Siehe  pp.  465,  483,  494,  498). 

Wir  betrachten  neben  dem  Kreisbogen  ©^  eine  beliebige  von  P^  nach  P^ 
führende  gewöhnliche  Kurve  ©  von  der  vorgeschriebenen  Länge  2  l    Wir  nehmen 

dann  auf  der  Fortsetzung  des  Kreis- 
bogens @o  über  Pi  hinaus  einen  Punkt  P^ 
an,  der  nur  der  einen  Bedinf^ung  unter- 
worfen ist,  nicht  auf  (S-  zu  liegen. 

Ist  dann  Pg  irgend  ein  Punkt  von  S^ 
so  ist  Pg  von  Po  verschieden,  und  die 
Summe  z^  der  Länge  des  ßogens  P^^Pi 
von  e*  plus  der  Länge  des  Bogens  P^  P^ 
von  ®  ist  sicher  größer  als  der  Abstand 


Fig.  112 


h  >  1/(^3  -  ^o)^  +  ivs  -y of  >  0.    ai5> 

Daher  geht  nach  den  Resultaten  der  in 
§  59,  c)  gegebenen  Konstantenbestimmung  von  P,  nach  I\  ein  und  nur  ein 
Kreisbogen  6,,  dessen  Länge  gleich  der  eben  genannten  Bogensumme  z^  ist: 

und    welcher    überdies   weniger    als    einen    vollen  Kreisumfang   beträgt  und  in 
positivem  Sinne  durchlaufen  wird. 

Oder  anders  ausgedrückt:  Die  Kongruenz  von  räumlichen  Extremalen  durch 
den  Punkt  P«,  welche  nach  (80)  durch  die  Gleichungen 
x  —  x^  =  —  2Xcos{t  +x)  sin  r, 
^  —  2/o  ==  —  2  X  sin  (t  -|-  ■/.)  sin  t, 
z  =  —  2Xr 
dargestellt  wird,  bildet,  wenn  die  Größen  t,  ti,  l  auf  den  Bereich 

0<T<7r,  0^x<27r,  A<0 

beschränkt  werden,  ein  räumliches  Feld  <^',  welches  den  durch  die  Ungleichung 

z~>y{x-x,Y-^{xf-W^>^  (11^) 

definierten  Teil  des  Raumes  ausfüllt,  und  die  der  Kurve  öT  zugeordnete  Eaum- 
kurve  ©'  liegt  ganz  in  diesem  Feld  c^". 

Daher  gilt  für  die  Kurve  ©  der  Weierstraß'scbe  Satz  (110).   Femer  ist  in 
leichtverständlicher  Bezeichnung 

8(^8,2/»:  l\.<h\lh^%\  y  =  ^3[l-cos(Ö,-0s)]- 


§  64.    Hinreichende  Bedingungen.  F)1l 

l^  ist  negativ  und  cos  (ög  —  Ö3)  kann  nicht  entlang  der  ganzen  Kurve  e  gleich  1 
sein,  wenn,  wie  wir  annehmen,  ^  von  ^^  verschieden  ist.  Dies  folgt,  wie  unter 
b)   allgemein  gezeigt  wird,    daraus,  daß  nach  (81)  entlang  der  ganzen  Kurve  1 

A  (r^  ,  X3  ,  Ag)  =  8  XI  sin  Tg  (sin  r^  —  x^  cos  r,)  4=  0 
da  •  ' 

0<T3<7r,      23<0. 

Aus  dem  Weierstraß'schen  Satz  folgt  daher,  daß 

AJ'<0. 

Wir  erhalten  also  das  Resultat:  Der  Kreislogen  ©„  liefert  für  den  Flächen- 
inhalt J  einen  größeren  Wert  als  jede  andere  gewöhnliche  Kurve  derselben  Länge, 
welche  von  Pj  nach  P^  gezogen  werden  kann. 

Durch  eine  Modifikation  der  vorangehenden  Schlußweise  beweist  man  auch 
den  Satz:  Unter  allen  geschlossenen  geicöhnlichen  Kurven  von  gegebener  Länge 
umschließt  der  Kreis  den  größten  Flächeninhalt.'^) 

Beispiel  XXI  (Siehe  pp.  466,  484): 

Ist  irgend  eine  zulässige  Kurve  W  gegeben, 
so  wählen  wir  den  Punkt  P^  auf  der  Fortsetzung 
des  Kettenlinienbogens  ©„  über  P^  hinaus  so,  daß 
für  jeden  Punkt  Pg  der  Kurve  S^ 

Dann  gilt  auch  hier  die  Ungleichung  (115). 
Es  läßt  sich  also  nach  den  Resultaten  der  Kon- 
stantenbestimmung von  §  59,  d)  von  P^  nach 
jedem  Punkt  Pg  der  Kurve  ß  eine  und  nur  eine 
nach  unten  konvexe  Kettenlinie  ©g  ziehen,  deren  Direktrix  mit  der  o;- Achse  parallel 
ist,  und  für  welche 

-S'o  3  =  -^01  +  ^^i  3  » 

d.  h.  die  Weierstraß'sche  Konstruktion    ist    auch   hier   stets   möglich   für   die 
Kurve  ß. 

Für  die  Kongruenz  von  räumlichen  Extremalen  durch  den  Punkt  P^  findet 
man  aus  (26) 

oc  —  XQ  =  a{t  —  yc), 

y-yo  =  cc{Cht  —  Ch^), 

^  =  a(Sht— Shx). 

^)  Weierstrass,  Vorlesungen  1879;  vgl.  auch  Kneser,  Lehrbuch,  §  37.  Steiner 
gibt  in  der  Abhandlung  ,^Vber  Maxima  und  Minima  bei  den  Figuren  etcJ' 
(Werke,  Bd.  11,  p.  193)  einen  rein  geometrischen  Beweis  dieses  Satzes  (jedoch 
unter  der  Voraussetzung  der  Existenz  einer  Lösung),  sowie  zahlreiche  interessante 
Modifikationen  des  speziellen  isoperimetrischen  Problems.  Neuere  Beweise  ohne  Be- 
nutzung der  Variationsrechnung  sind  gegeben  worden  von  Hurwitz,  Comptes  Pendus, 
Bd.  CXXXn(1901),  p.  401;  Bernstein,  Mathematische  Annalen,  Bd.  LX  (1905)' 
p.  117  und  WiTTiNG,  Archiv  der  Mathematik  (3),  Bd.  XJI  (1907),  p.  288. 

33* 


^j2  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Bei  Beschränkung  auf  den  Bereich 

bildet  dieselbe  ein  räumUches  Feld,  welches  den  durch  die  Ungleichungen  (116) 
und  x>x^  definierten  Teil  des  Raumes  ausfüllt.     Die  der  Kurve  (£  zugeordnete 
Raumkurve  ©'  liegt  ganz  in  diesem  Feld. 
Ferner  findet  man 

s  (^3, 2/s ;  Ps^  33;  i>8.  äs ;  h)  =  (Vs  +  h)  [1  -  ^«^  Ä  -  Ö3)]. 

Da 

^3+^S=«3Ch*3>0, 

und  da  kein  konjugierter  Punkt  vorhanden  ist,  so  schließt  man  wie  beim  vorigen 
Beispiel,  daß  A  7"^  0 

d.  h.  Bei  der  Kettenlinie  ©«  ^*«flf*  <^»*  Schwerpunkt  tiefer  als  hei  jeder  ayidern  gewöhn- 
lichen Kv/rve  von  derselben  Länge,  welche  von  P^  nach  P^  gezogen  tverden  kann.^) 

b)  Polgerungen  aus  dem  Weierstr aß' sehen  Fundamentalsatz: 
Wir  wollen  nun  zusehen,  wie  weit  sich  der  Weierstr  aß 'sehe 
Fundamentalsatz  zur  Aufstellung  von  hinreichenden  Bedingungen  beim 
allgemeinen  isoperimetrischen  Problem  verwerten  läßt.  Wir  machen 
dabli  über  den  Bogen  ®o  die  analogen  Voraussetzungen  wie  in 
§  32,  b),  nämlich : 

1.  Der  Bogen  @o  genügt  der  Eul  er 'sehen  Differentialgleichung  (I) 
mit  einem  bestimmten  Wert  k^  der  isoperimetrischen  Konstante;  er 
führt  von  F^  nach  Pg  und  erteilt  dem  Integral  K  den  vorgeschriebenen 
Wert  ^,  endlich  ist  er  von  der  Klasse  C\  besitzt  keine  mehrfachen 
Punkte  und  liegt  ganz  im  Innern  des  Bereiches  öl.  (10 

2.  Es  ist 

H,{x  (t),  y  it),  x'  {t\  y  (t);  X,)  >0  für  t,Zt^t,.  (IV) 

3.  Der  Bogen  (Sq  enthält  den  zu  P^  (im  Sinne  des  isoperimetri- 
schen Problems)  konjugierten  Punkt  P[  nicht: 

p.<p;-  '  (iir) 

4.  Es  ist 

S{x(t),  y{t)-  x\t),  y'{t)-  cosö,  sinÖ;  X,)>0  (IV^ 

für  t^^t^t^  und  für  jede  Richtung  d,  die  von  der  Richtung  der 
positiven  Tangente  an  @o  im  Punkt  t  verschieden  ist. 

Es  fragt  sich,  ob  diese  Bedingungen  für  ein  Minimum  des  In- 
tegrals J  mit  der  Nebenbedingung  K  =  l  hinreichend  sind. 

Zunächst  folgt  nach  §  61,  d),  Ende,  aus  den  ersten  drei  Voraus- 

^)  Weierstrass,  Vorlesungen  1879;  vgl.  auch  Kneser,  Lehrbuch,  p.  142 
Hierzu  weiter  die  Übungsaufgaben  Nr.  10,  11,  12,  15  am  Ende  dieses  Kapitels. 


§  64.    Hinreichende  Bedingungen.  5^3 

Setzungen,   daß   wir  einen   Punkt  P,(^,)   auf  der  Fortsetzung   von  ©. 
über  Pj  hinaus  so  nahe  bei  P^  wählen  können,  daß 

I)(t,Q^O  für  t,^t^t,. 
Daraus  ergibt  sich  aber  mit  Rücksicht  auf  i)  (74)  nach  dem  aUgemeinen 
Satz  über  die  Existenz  eines  Feldes  (§  22,  d)),  daß  die  Kongruenz 
von  räumlichen  Extremalen  (99)  durch  den  Punkt  P^  ein  räumliches 
Feld  of'  liefert,  welches  den  dem  Bogen  ©^  in  der  Kongruenz  (99) 
zugeordneten  räumlichen  Extrem alenbogen  ©^  in  seinem  Innern  enthält. 
Weiter  zeigt  man,  ganz  ähnlich  wie  in  §  32,  b),  mittels  der 
analog  wie  dort  zu  definierenden  Hilfsfunktion  8^,  daß  sich  auf  Grund 
der  Voraussetzungen  (II')  und  (IV ')  eine  räumliche  Umgebung  («') 
von  (So   angeben  läßt,  derart,  daß 

8,(x,  y,  p(x,  y,  z),  q{x,  y,  z)-,  cos  Ö,  sin  6-,  \{x,  y,  ^))  >  0     (117) 
im  Bereich 

{x,  y,  z)  in  (^');  0  ^  Ö  ^  27r;  (cosö,  sinÖ)  +  {p,  q). 

Wir  wählen  q'  so  klein,  daß  die  Umgebung  {q')  zugleich  ganz 
im  Feld  gT'  gelegen  ist.  0 

Zieht  nian  jetzt  von  P^  nach  F,^  irgendeine  der  isoperimetrischen 
Bedingung  K=l  genügende  gewöhnliche  Kurve  S,  deren  zugeordnete 
Baumkurve  S'  ganz  in  der  Umgehung  (q')  von  (S;  verläuft,  so  gilt  für  diese 
Kurve  ß  der  Weierstraß'sche  Satz  fUO),  und  wegen  (117)  ist  dann 
AJ>0,  es  sei  denn,  daß  in  jedem  Punkt  P3  von  ß  die  positive 
Tangente  an  d  mit  der  positiven  Tangente  der  oben  mit  (S3  bezeich- 
neten Extremalen  zusammenfällt: 

C0SÖ3  =^3,  sinÖ3  =  ^3 .  (118) 

Aber   auch   hier  läßt   sich  ähnlich  wie   in  §  32,  b)  zeigen 2)^   daß 
dieser  Ausnahmefall  nur   eintreten   kann,   wenn   die  Kurve  S  mit  @ 
identisch  ist.     Denn  ersetzen  wir  in  den  Identitäten  (102)  die  Variabein 
x,y,z  durch  die  die  Kurve  ß'  definierenden  Funktionen  x,  y,  z  von 
T  und  diflerentiieren  nach  x,  so  erhalten  wir 


(119) 


^)    Wegen    der   Bedeutung    der   überstri ebenen    Gleicbungsnummern    siebe 
§  63,  a),  Eingang.  ^)  Nacb  Kneskr,  Lehrbuch,  p.  134. 


^j^4  Zehntes  Kapitel.    Isoperimetrische  Probleme. 

Durch  Überstreichen  ist  dabei  angedeutet,  daß  überall  x,  y,  z  durch 
x.y^z  zu  ersetzen  sind,  während  die  Klammer  die  in  §  63,  a)  er- 
klärte Bedeutung  hat. 

Angenommen,  es  beständen  nun  in  jedem  Punkt  von  S  die  Glei- 
chungen (118),  so  gäbe  es  nach  (105)  eine  stets  positive  Funktion  m 
von  T,  derart,  daß  _ 

^'  =  m(^,),         y'  =  7n{t,). 

Dann  wäre  aber  auch 

da  einerseits:  z'  ^  G{x,y,x\y'),  andererseits:  %,  =  G  ((p,t,(p„tlft)y 
und  überdies  die  Funktion  G  positiv  homogen  von  der  Dimension  1 
in  ihren  beiden  letzten  Argumenten  ist. 

Setzt  man  diese  Werte  von  x\y',z'  in  (119)  ein,  so  erhält  man 
ein  System  von  drei  homogenen  linearen  Gleichungen  in 

dt  _  dl  d\ 

dr~^^^'  dt'  dt' 

deren  Determinante  A(F,  !,  f)  nach  (101)  für  r^  ^  t  ^  Ta  von  Null 
verschieden  ist,   da  die  Kurve  CS'  ganz  im  Felde  liegt.     Es  muß  also 

f^m,         f  =  0,         f=0  (120) 

dt  '  dt  '  dt 

sein,  woraus  man  wie  in  §  32,  b)  schließt,  daß  die  Kurve  S  mit  ©^ 
identisch  sein  muß. 

Somit  haben  wir  den  folgenden  Satz^)  bewiesen: 
Sind  für  den  Bogen  ©o  die  Bedingungen  (!'),  (IF),  (HF),  (1^0  ^^ßUt,  so 
liefert  derselbe  für  das  Integral  J  einen  Heineren  Wert  als  jede  andere 
zulässige  Kurve  ß,  deren  zugeordnete  Raumhurve  S'  ganz  in  einer  ge- 
liissen  Umgehung  {q')  des  dem  Bogen  ©^  zugeordneten  räumlichen 
Bogens  ®(J  gelegen  ist. 

Hiermit  ist  aber  noch  nicht  bewiesen,  daß  die  Bedingungen  (F) 
bis  (IV)  für  ein  Minimum  unserer  isoperimetrischen  Aufgabe  in  dem 
ursprünglich  definierten  Sinn  hinreichend  sind,  da  den  Vergleichs- 
kurven hier  eine  nicht  in  der  Aufgabe  begründete  Beschränkung  auf- 
erlegt wird.^) 

^)  Wkierstrass,  Tor/esitn^en  1882 ;  vgl.  auch  Kneser,  Lehrbuch,  §§  3G  und  38. 

*)  Das  erhaltene  Resultat  ist  gleichbedeutend  mit  dem  folgenden  Aussprach: 
Die  Raumkurve  6q  liefert  ein  starkes  Minimum  für  das  auf  p.  491  Fußnote  ^) 
formulierte  räumliche  Variationsproblem,  welches  gewöhnlich  als  äquivalent  mit 
dem  gegebenen  ebenen  isoperimetrischen  Problem  betrachtet  wird,  jedoch  nicht  voll- 
kommen äquivalent  mit  demselben  ist,  wie  sich  eben  gerade  an  dieser  Stelle  zeigt. 


§  64.    Hinreicliende  Bedingungen.  515 

c)  Der  Lindeberg'sclie  Satz: 

Wir  wenden  uns  nun  zu  dem  im  Eingang  dieses  Paragraphen 
erwähnten  Satz,  mit  dessen  Hilfe  es  Lindeberg  gelungen  ist,  die 
eben  hervorgehobene  Lücke  auszufüllen.  Derselbe  bezieht  sich  auf 
das  Extremum  des  Integrals 


J=-fF{x,y,x\y')dt 


ohne  Nehenhedingungen,  und  ist  auch  unabhängig  von  seiner  Anwen- 
dung auf  das  isoperimetrische  Problem  von  Interesse.  Bei  der  Dar- 
stellung desselben  müssen  wir  uns  jedoch  auf  einen  kurzen  Bericht 
beschränken  und  verweisen  für  die  Detaiiausfühmng  auf  die  oben 
zitierte  Arbeit  von  Lindeberg. 
Es  sei 

eine  von  Pj  nach  F^  führende  Kurve,  über  welche  wir  die  folgenden 
Voraussetzungen  machen: 

A)  Die  Kurve  (^  ist  von  der  Klasse  C,  hat  keine  mehrfachen 
Punkte  und  liegt  ganz  im  Innern  des  Bereiches  6i. 

B)  Es  gilt  für  sie  die  Legendre'sche  Bedingung  in  der  stärkeren 
Form  (ir). 

C)  Es  gilt  für  sie  die  Weierstraß'sche  Bedingung  in  der 
stärkeren  Form  (IV ')  von  §  32,  b). 

Wir  heben  ausdrücklich  hervor,  daß  die  Kurve  (S^  zwar  eine  Ex- 
tremale für  das  Integral  J  sein  kann,  aber  nicht  zu  sein  braucht. 

Wir  können  dann  die  Kurve  S  stets  so  über  das  Intervall  [tj.^] 
hinaus  auf  ein  weiteres  Intervall  [T^T^]  fortsetzen,  daß  die  Bedin- 
gungen A),  B),  C)  auch  für  den  so  erweiterten  Bogen  ©*  erfüllt  sind. 

Es  folgt  dann  zunächst  aus  den  beiden  ersten  Bedingungen  auf 
Orund  der  Sätze  von  §  21,  b)  und  §  27,  a):  Ist  6  eine  hinreichend 
kleine  positive  Größe,  so  kann  man  durch  jeden  Punkt  P  (t)  der 
Kurve  S*  eine  und  nur  eine  Extremale  des  Integrals  J  ziehen,  welche 
mit  der  positiven  Tangente  der  Kurve  ^*  im  Punkt  P  den  konstanten 
Winkel  6  bildet.  Als  Parameter  möge  auf  der  Extremalen  die  Bogen- 
länge s,  gemessen  vom  Punkt  P  aus,  gewählt  werden. 

Mit  Hilfe  des  Satzes  von  §  22,  d)  zeigt  man  dann  weiter:  Es 
lassen  sich  zwei  positive  Größen  h,  Je  so  klein  wählen,  daß  die  so 
erhaltene  Extremalenschar  ein  den  Bogen  S  in  seinem  Innern  ent- 
haltendes Feld  qT  bildet,  wenn  s  und  t  auf  den  Bereich 

\s\  ^k,       t^-jr^t^i^-^h 

beschränkt  werden. 


5 Iß  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Ist  dann 

irgendeine  von  P^  nach  Pg  führende  gewöhnliche  Kurve^  welche  ganz 
in  diesem  Feld  oT  liegt,  so  gilt  die  Formel 

J^-J^=f%<h-ßdt.  (121) 

Zum  Beweis  wende  man  auf  die  beiden  Kurven  ^  und  ^  den 
Hilbert'schen  ünabhängigkeitssatz  von  §  31,  c)  an: 

und  addiere  links  J-  —  J-,  rechts  J^g  —  J^,  wobei  sich  zugleich  die 
Bedeutung  der  in  der  Gleichung  (121)  gebrauchten  abkürzenden  Be- 
zeichnung erklärt. 

Werden  die  drei  das  Feld  o^^  bestimmenden  Größen  6,  h,  h  hin- 
reichend klein  gewählt,  so  läßt  sich  von  jedem  Punkt  des  Feldes  oJ 
auf  die  Kurve  ^*  eine  und  nur  eine  Normale  fällen^).  Unter  dieser 
Voraussetzung  sei  P  (t)  irgend  ein  Funkt  von  (^  und  P  der  Fuß- 
punkt der  von  P  auf  die  Kurve  S*  gefällten  Normalen;  für  den 
Parameter  t  werde  die  Bogenlänge  gewählt.  Dann  bezeichnen  wir 
mit  CD  (r)  den  Winkel  zwischen  der  Richtung  der  positiven  Tangente 
an  ©  im  Punkt  P  und  der  Richtung  der  positiven  Tangente  an  S 
im  Punkt  P,  so  normiert,  daß 

Ist  dann  s  eine  beliebig  vorgegebene  positive  Größe,  so  läßt 
sich  zeigen,  daß  die  Menge  derjenigen  Punkte  t  des  Intervalls  [r^Tg], 

'°  ^•'l«'^«"  »(T)l>f',  (122) 

eine  abzählbare  Menge  von  offenen  Intervallen  ist,  deren  Längen  stets 
eine  endliche  Summe  haben,  welche  wir  mit 

4  (£') 

bezeichnen  wollen. 

Bei  dieser  Bezeichnungsweise  läßt  sich  nun  der  Lindeherg'sche 
Satz  folgendermaßen  formulieren: 

Genügt  die  Kurve  S  den  Bedingungen  A),  B)y  C)  und  sind  e,  s'  zwei 
hdiehig  vorgegebene  positive  Größen,  so  läßt  sich  eine  Umgehung  (q)  der 
Kurve  S  bestimmen  derart,  daß 

J-^>J^  (123) 

*)  Vgl.  Bliss,  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society, 
Bd.  V  (1904),  p.  487. 


§  64.   Hinreichende  Bedingungen.  517 

für  jede  von  F^  nach  P^  führende,  ganz  in  der  TJmgelmng  {q)^  gelegene 
gewöhnliche   Kurve   ^,  für  welche 

d^{8)>S. 

Der  Beweis  beruht  darauf*,  daß  das  erste  Integral  auf  der  rechten 
Seite  von  (121)  bei  fortgesetzter  Verkleinerung  der  Größen  6  und  Ä 
für  alle  Kurven  S  von  der  angegebenen  Beschaffenheit  infolge  der 
Voraussetzung  C)  oberhalb  einer  bestimmten  positiven  Grenze  bleibt, 
während  gleichzeitig  durch  Verkleinerung  von  a  der  absolute  Wert  des 
zweiten  Integrals  unter  jede  Grenze  herabgedrückt  werden  kann. 

Die  Bedeutung  dieses  Satzes  für  das  Extremum  ohne  Neben- 
bedingung  besteht  darin,  daß  derselbe  den  Anteil  feststellt,  welchen 
die  Bedingungen  von  Legendre  und  Weierstraß,  für  sich  ge- 
nommen, am  Zustandekommen  des  Extremums  haben.  Dieser  Anteil 
ist  überraschend  groß;  die  beiden  genannten  Bedingungen  verbürgen 
in  der  Tat  das  Bestehen  der  Ungleichung  A  «7 >  0,  für  alle  benach- 
barten Kurven  mit  Ausnahme  gerade  derjenigen,  welche  sich,  wie  wir 
es  kurz  ausdrücken  können,  in  ihrer  Tangentenrichtung  am  engsten 
an  die  Curve  ß  anschließen.  Nur  um  auch  für  diese  letzteren  die 
Ungleichung  AJy-0  zu  erzwingen,  sind  die  Bedingungen  von  Euler 
und  Jacobi  erforderlich. 

d)  Anwendung  des  Lindeberg'schen  Satzes  auf  das  Isoperi- 
metrisclie  Problem: 

Wir  nehmen  jetzt  an,  für  die  Kurve  ©^  seien  die  unter  b)  auf- 
gezählten Bedingungen  (I'),  (11'),  (IIF),  (IV)  erfüUt.  Dann  läßt  sich, 
wie  unter  b)  gezeigt  worden  ist,  eine  positive  Größe  q'  angeben,  so  daß: 
J^  >  Jg    für  jede  von  ©o  verschiedene,  im  Sinn  des  isoperimetrischen 

Problems  zulässige  Kurve  S,    deren    zugeordnete  Raumkurve  ß'  ganz 
in  der  Umgebung  q'  der  räumlichen  Extremalen  @q  liegt. 

Lindeberg  beweist  dann  weiter  den  folgenden  Hilfssatz: 
Ist  q'    eine   beliebig   vorgegebene   positive  Größe,    so   lassen  sich 
drei  positive  Größen  q^,  £,  £    angeben,  derart,  daß  die  Raumkurve  ^' 
ganz  in  die  Umgebung  {q)  von  (SJ,  fällt  für  jede  zulässige  Kurve  (S? 
welche  ganz  in  der  Umgebung  (^q)  von  (Sq  liegt,  und  für  welche 

wobei  bei  der  Definition  des  Symbols  d^^  {e)  die  Extremale  (Sq  an  die 
Stelle  der  Kurve  S  tritt. 

Und  nunmehr  wird  folgendermaßen  weiter  geschlossen: 


518  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Für  das  Integral 

ßF+X,G)dt 

sind  die  Voraussetzungen  des  Lindeberg'schen  Satzes  erfüllt,  wobei 
wieder  ©^  an  die  Stelle  der  Kurve  ©  tritt.  Daher  können  wir  eine 
positive  Größe  Q  ^Qq  bestimmen  derart,  daß 

h  +  ^0  ^e  >  J^,  +  ^0  ^(jo  (124) 

für  jede  gewöhnliche,  von  Pj  nach  Pg  gezogene  Kurve  (^,  welche  ganz 
in  (())(jo  verläuft,  und  für  welche 

d^  (£')  >  s. 

Wir  ziehen  jetzt  in  dieser  Umgebung  (())@o  von  P^  nach  Pg 
irgend  eine  im  Sinn  des  isoperimetrischen  Problems  zulässige  Kurve  <S. 
Für  dieselbe  ist  entweder 

h  (^')  <  ^' 
dann  liegt  nach   dem  Hilfssatz    die   Raumkuive  S'   in   {q)^^'^,    und   es 
ist  Ae7>()  auf  Grund  des  Weierstraß^schen  Satzes. 

Oder  aber  es  ist  7    /  / 

dann  ist  A  J>0  auf  Grund  des  Lindeberg'schen  Satzes,  da  hier 
insbesondere 

Wir  gelangen  also  zu  dem  Schlußresultat  ^): 

Wenn  für  den  Kurvenhoyen  ©q  die  Bedingungen  (F),  (H^y  (HI'), 
(IV)  erfüllt  sind,  so  liefert  derselbe  ein  eigentliehes  starlies  Minimum 
für  das  Integral  J  mit  der  Nehenhedingung  K  =1. 


^)  Der  entsprechende  Satz  für  das  x-Frohlem,  der  das  Analogon  des  auf 
p.  126  erwähnten  Satzes  über  das  Problem  ohne  Nebenbedingungen  ist,  lautet 
folgendermaßen : 

Es  sei  6(, :  2/  =  y  {x)  eine  Extremale  für  das  Problem,  das  Integral 


•«2 


zu  einem  Minimum  zu  machen  in  Beziehung  auf  die  Gesamtheit  aller  in  der 
Form  y  =  y{x)  darstellbaren  Kurven  der  Klasse  C,  welche  von  P^  nach  Pg 
führen,  in  einem  gewissen  Bereich  6i  liegen  und  dem  Integjal 


K=Jg{'-\  y,  y')  dx 


§  65.    Der  Fall  variabler  Endpunkte.  519 

§  65.   Einiges  über  isoperimetrische  Probleme  bei  variablen 

Endpunkten. 

In  diesem  Paragraphen  soll  noch  kurz  die  Modifikation  des  iso- 
perimetrischen Problems  besprochen  werden,  bei  welcher  der  erste 
Endpunkt  auf  einer  gegebenen  Kurve  beweglich  ist,  während  der 
zweite  fest  ist. 

a)  Die  Transversalitätsbedingung  bei  isoperimetrisclieii  Problemen: 
Die  gegebene  Kurve  sei  durch  einen  Parameter  %  dargestellt. 

Wir  machen  über  dieselbe  die  nämlichen  Voraussetzungen  wie  in  §  36; 
auch  die  Gesamtheit   der   zulässigen  Kurven   ist   ebenso   definiert  wie 
dort,  nur  daß  dieselben  jetzt  noch  überdies  der  isoperimetrischen  Be- 
dingung (1)  genügen  müssen. 
Eine  Kurve 

@o:  x  =  x(t\    y  =  y{t),    t^^f^t^, 

welche  in  Beziehung  auf  diese  Gesamtheit  von  zulässigen  Kurven  ein 
Minimum  für  das  Integral  J  liefert,  muß  dann  zunächst  die  sämt- 
lichen notwendigen  Bedingungen  für  ein  isoperimetrisches  Minimum 
bei  festen  Endpunkten  erfüllen;  sie  muß  also  in  erster  Linie  eine 
Extremale    sein.      Der    zugehörige    Wert    der   isoperimetrischen  Kon- 


einen  vorgeschriebenen  Wert  erteilen;  l^  sei  der  zu  ©^  gehörige  Wert  der  iso- 
perimetrischen Konstanten. 

Ferner  sei  ^        ,,  ~^^ 

ly,y,  I  QVy,y,^ 

entlang  ^^,   der   Bogen   ©^    enthalte   den   zu  P^    im  Sinn    des  isoperimetrischen 
Problems  konjugierten  Punkt  nicht,  und  es  sei 

für 

x^'<^x^x^,     0  <\p  —  y  {x)\<Qq- 

Dann   läßt  sich  eine  positive  Größe  q  bestimmen  derart,   daß  jede  von  ©o  ver- 
schiedene zulässige  Kurve  6^,  für  welche 

\y{pc)  —  y{pc)\< 9,    \y  (x^  —  y  {x)  \  <()^, 
für  das  Integral  /  einen  größeren  Wert  liefert  als  ©(,• 

Dabei  ist  die  Funktion  §  aus  der  Funktion  f -\- 1^  g  in  derselben  Weise 
abgeleitet,  wie  die  8-Funktion  auf  p.  110  aus  der  Funktion  /";  über  die  Funktionen 
/■  und  g  werden  dieselben  Voraussetzungen  gemacht,  wie  über  die  Funktion  f 
auf  p.  14. 

Für  diesen  Satz  hatte  Lindeberg  bereits  in  der  in  Fußnote  2)  auf  p.  126 
zitierten  Arbeit  einen  ausführlichen  Beweis  gegeben,  der  sich  jedoch  wohl  nur 
schwer  auf  den  Fall  der  Parameterdarstellung  übertragen  läßt. 


520  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

stanten  sei  Xq.  Der  Punkt  der  Kurve  ^,  von  welchem  die  Extremale 
@o  ausgeht,  sei  P^  und  entspreche  dem  Wert  x  =  tCq.  Wir  setzen  wie 
in  §  60  voraus,  daß  kein  noch  so  kleiner  Bogen  von  ©^  Extremale 
für  das  Integral  K  ist. 

Um  weitere  notwendige  Bedingungen  zu  erhalten,  hat  man  nun 
zunächst  eine  einparametrige  Schar  von  zulässigen  Variationen 

zu  konstruieren,  welche,  abgesehen  von  Stetigkeitsbedingungen,  die 
folgenden  Bedingungen  erfüllt: 

x(t,0)  =  x(t\  y{t,0)  =  y{t\ 

x{t,,e)^x{7iQ-^£\     ^(^i,f)  =  ^K  +  4  (1^^) 

x{t^,e)^x^,  y{t^ye)  =  y.2, 

K-l  (126) 

Eine  solche  Schar  von  zulässigen  Variationen  kann  man  leicht  mit 
Hilfe  der  in  §  60,  b)  benutzten  Methode  herstellen. 

Für  diese  Schar  muß  nun:  8J=0  sein,  während  gleichzeitige 
aus  (126)  folgt:  8  K  =-  0.  Indem  man  beide  Gleichungen  kombiniert, 
erhält  man  SJ+X,SK=Q, 

woraus   man    nach   Anwendung   der  Lagrang  ersehen   partiellen   Inte- 
gration wie  in  §36, a)  das  Resultat^)  schließt: 
Im  Funkt  Pj  muß  die  Belation 

^x' (^; Vy ^'y V', K)  ^'  +  H^, {x, y, X, y)  X,) i/7  =  0  (127) 

erf'ülU  sein,  wobei  sich  die  Ableitungen  x,  y  auf  die  Extremale  %,  da- 
gegen X,  ]/  auf  die  gegebene  Kurve  ^  beziehen. 

Dies  ist  die  Transversal itätsbedingung  beim  isoperimetrischen 
Problem.  Sie  ist  identisch  mit  der  Transversalitätsbedingung  für  die 
Aufgabe,  das  Integral  (43)  mit  denselben  Endbedi'ngungen,  aber  ohne 
Nebenbedingung  zu  einem  Extremum  zu  machen.^) 

b)  Die  Brennpunktsbedingung: 

Wir  setzen  für  die  Folge  die  Transversalitätsbedingung  (127) 
als  erfüllt  voraus;  weiter  nehmen  wir  an,  daß  entlang  dem  Extremalen- 
bogen  %  die  Bedingung  (IF)  von  §  60,  a)  erfüllt  ist. 

Dann  lassen  sich  nach  Knesek»)  die  Entwicklungen  von  §  62 
folgendermaßen  auf  den  gegenwärtigen  Fall  übertragen: 

*)  Vgl.  hierzu  Kneser,  Lehrbuch,  §  33. 

*)  Hierzu  die  Ühungsaufgahen  Nr.  3,  23—25  am  Ende  dieses  Kapitels. 

»)  Lehrbuch,  §  39. 


§  G5.   Der  Fall  variabler  Endpunkte.  521 

Wir  stellen  uns  zunächst  die  Aufgabe,  durch  einen  dem  Punkt  P^ 
benachbarten  Punkt  P^  der  Kurve  Ä  eine  Extremale  (S  mit  vor- 
gegebenem, von  Ao  nur  wenig  abweichendem  Wert  A  der  isoperi- 
metrischen Konstanten  zu  konstruieren,  welche  in  Pg  von  der  Kurve  ^ 
transversal  geschnitten  wird.  Ist  0  der  Tangentenwinkel  der  gesuchten 
Extremalen  @  im  Punkt  Pg  und  tc  der  Parameter  von  P3  auf  ^,  so 
muß  die  Gleichung  bestehen 

^x'  (^  W.  yi^)y  cos  d,  sin  e-  A)  x\%) 

+  Hy'(x{%),y{%),  cosÖ,  sinö;  l)y'{yi)  =  0. 

Man  zeigt  genau  wie  in  §  40,  daß  diese  Gleichung  stets  in  der  Um- 
gebung der  Stelle  %  =  %q,  A  ==  Aq,  6  =  0^  (unter  6^  den  Tangenten- 
winkel von  @Q  in  P^  verstanden),  eindeutig  nach  6  auflösbar  ist, 
wenn  die  beiden  Kurven  ^^  und  ^  sich  in  P^  nicht  berühren,  wie 
wir  in  der  Folge  voraussetzen  wollen. 

Die  Lösung  der  Gleichung  (128)  sei:  6  =  ö(%, A);  dann  wird  die 
gesuchte  Extremale  @  in  der  Bezeichnung  von  §  27,  b)  durch  die 
Gleichungen  dargestellt 

x^  I(t-t^',  x{}c),  y{x),  e{7c,  A);  A)  =  (p(t,  %,  A), 

wenn  unter  t  wieder  die  Bogenlänge  verstanden  wird. 

Dieselben  Gleichungen  stellen^  wenn  ;c,  A  als  variable  Parameter 
betrachtet  werden,  eine  doppeltunendliche  Schar  von  Extremalen  dar, 
welche  sämtlich  von  der  Kurve  ^  transversal  geschnitten  werden,  und 
zwar  tritt  dies  auf  allen  Extremalen  der  Doppelschar  für  denselben 
Wert  t  =  t^  ein.     Die  Extremale  @q   erhält   man   für   x  =  z^j   A  --=  A^ . 

Aus  der  Definition  der  Funktionen  9,  ^  und  den  Eigenschaften 
der  Funktionen  3t',  ^  ergibt  sich,  daß,  identisch  in  x,  A, 

(p(t^,x,X)  =  x{yi),  ip{t^,7c,X)  =  y{%), 

woraus  durch  Differentiation  folgt 

(pjt^,  %,  A)  =  x{7i),       ilj.^Xh,  ^,  ^)  =  ^'W? 

^)ihy  ^,  ^)  =  ^y  ^/ft;  ^;  ^)  =  ^^• 

Aus  diesen  Relationen  folgt,  daß  wir  die  Trans versalität  der 
Kurve  ^  zur  Extremalen  @  in  der  Bezeichnung  (67)  auch  durch 
folgende  Gleichung  ausdrücken  können: 

cK,,  (t^,x,  A)  qp^ {t,,  %,  A)  +  Ky,  (t,,  X,  A) ^, (t^,  z,  A)  =  0.      (131) 

Wir  bezeichnen  jetzt  mit  x(tyK,X),  resp.  lJ{t,KjX)  die  Werte 
der  Integrale  K,  resp.  J",  genommen  entlang  der  Extremalen  @^^  der 


(130) 


522  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

Doppelschar  (129 )  von  deren  Schnittpunkt  t  =  t^  mit  der  Kurve  ^ 
bis  zu  einem  variabeln  Punkt  F{t),  und  berechnen  die  partiellen  Ab- 
leitungen der  Funktionen  %  und  U.  Auf  Grund  der  Gleichungen  (ISOg) 
unterscheiden  sich  die  Resultate,  die  man  erhält,  von  den  früheren 
(75)  und  (91)  nur  dadurch,  daß  in  den  Ausdrücken  für  i.^,  U^  je  ein 
Zusatzglied 

-(^^x^^.+  (:^'^.),S     resp.     -(9^,,9',4-^,^/^Ji'^ 
hinzutritt.     Dieses  Zusatzglied  fällt  aber  in  der  Kombination 

infolge  der  Transversalitätsbedingung  (131)  weg,  und  daher  bleiben 
die  Fm-meln  (92)  auch  für  den  Fall  einer  Doppelschar  von  Extremalen^ 
welclie  von  der  Kurve  ^  transversal  geschnitten  icerden,  bestehen. 

Andererseits  aber  hat  das  Auftreten  dieses  Zusatzgliedes  zur  Folge^ 
daß  der  Ausdruck  (76)  für  die  Funktionaldeterminante  A(t^  %,  X)  im 
gegenwärtigen  Fall  nur  dann  richtig  bleibt,  wenn  man  jetzt  unter  m 
die  Größe  ^ 

versteht. 

Mit  dieser  veränderten  Bedeutung  der  Funktion  m  bleiben  nun 
die  Entwicklungen  von  §  02,  c)  und  d)  bestehen,  und  man  erhält  das 

folgende  Resultat: 

Es  sei  t['  die  zunächst  auf  t^ 
folgende  Wurzel  der  Gleichung 

A{t,7i,X)  =  0', 

dann  nennen  wir  den  dem  Wert 
t  =  t'^  entsprechenden  Punkt  F'^ 
der  Extrem^len   (Sq   den  Brenn- 
punkt  der  Kurve  ^    auf  dieser 
Extremalen. 
Unter  denselben  beschränkenden  Annahmen  wie  in  §  62,  c)  kann 
man  dann  aus  der  Doppelschar  (129)  von  Extremalen  ein  ausgezeichnetes 
Büschel  herausgreifen,  dessen  Enveloppe  g  jede  Extremale  des  Büschels 
in  dem  auf  ihr  gelegenen  Brennpunkt  der  Kurve  ^  berührt. 

Für  dieses  ausgezeichnete  Büschel  gilt  dann  der  Enveloppensatz 
in  der  folgenden  Form 

JAP"Q")=JAP'Q')-^J^iQ'Q")'  1  .^32. 

K^JP"Q-)  =  K^SP'Q')  +  K^iQ'Q") .  J 


§  65.    Der  Fall  variabler  Endpunkte.  52S 

Daraus  schließt  man  dann  wieder  wie  in  §  62,  d),  daß  das  iso- 
perimetrisclie  Extremuni  unter  den  vorliegenden  Anfangsbedingungen 
jedenfalls  nicht  über  den  Brennpunkt  P^'  hinaus  bestehen  kann: 

F,<Fl  (III) 

c)  Hinreichende  Bedingungen: 

Der  allgemeine  Hinlänglichkeitsbeweis  für  isoperimetrische  Probleme 
mit  einem  variabeln  Endpunkt  bietet  noch  ungelöste  Schwierigkeiten. 
Zwar  folgt  aus  dem  Bestehen  der  Formeln  (92),  daß  auch  die  Hamilton '- 
sehen  Formeln  (106)   mit  ihren  Folgerungen   für  jedes  von  der  Kon- 

g™«"^         x^^(^t,x,l),    y^i,H,x,X),     0^x{t,K,X)  (133) 

gebildete  räumliche  Feld  gültig  bleiben. 

Aber  die  Kurve  ^  kann  nie  einem  solchen  Felde  angehören^ 
denn  da  die  Funktionen  (p,ip,  %  für  t  =  t^  identisch  verschwinden,  so 

Hierin  besteht  ein  wesentlicher  Unterschied  zwischen  dem  isoperi- 
metrischen Problem  und  dem  Problem  ohne  Nebenbedingungen  (§  41), 
der  zur  Folge  hat,  daß  man  jetzt  aus  dem  Bestehen  der  Bedingungen 
(II')  und  (Iir)  nicht  mehr  ohne  weiteres  schließen  kann,  daß  sich 
der  Bogen  @^  mit  einem  räumlichen  Feld  umgeben  läßt.  Vielmehr 
führt  das  allgemeine  Existenztheorem  von  §  22,  d)  hier  nur  zu  einem 
uneigentlichen  räumlichen  Feld,  Avelches  gegen  den  Punkt  F^  zu  in 
eine  Spitze  ausläuft  und  daher  für  den  Hinlänglichkeitsbeweis  bei 
variablem  ersten  Endpunkt  nicht  zu  gebrauchen  ist. 

Wenn  sich  dagegen  in  einem  speziellen  FaU  zeigen  läßt,  daß  ein 
den  Punkt  F^  enthaltendes  endliches  Stück  der  Kurve  ^  der  Be- 
grenzung eines  den  Bogen  ©^  (abgesehen  von  seinem  Anfangspunkt  Pj) 
umgebenden  räumlichen  Feldes  angehört,  so  läßt  sich  für  alle  Ver- 
gleichskurven S,  deren  zugeordnete  Raumkurven  S'  (abgesehen  von 
ihren  Anfangspunkten)  ganz  in  diesem  Feld  verlaufen,  die  Weierstraß'- 
sche  Konstruktion  mit  ihren  Folgerungen  durchführen. 

Beispiel  XXII.^)  (Vgl.  Beispiel  II,  pp. 465,  483  und  Aufgabe  Nr. 37  auf  p.  151.) 
Von  dem  einen  Schenkel  eines  gegebenen  Winkels  nach  einem  auf  dem  andern 

Schenkel  gegebenen  Punkt  P^   eine  den  Winkelraum  nicht  verlassende  Kurve  von 

gegebener  Länge  l  zu  ziehen^  welche  mit  den  beiden  Schenkeln  eine  möglichst  große 

Fläche  einschließt. 

Der  erste  Schenkel   werde   zur  positiven   a:;- Achse  gewählt;    der  fragliche 

Winkelraum    werde    erzeugt,    indem    ein  vom   Koordinatenanfang.spunkt  0  aus- 

^)  Vgl.  dazu  Kneser,  Lehrbuch,  p.  159. 


524  Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 

gehender  Halbstrahl   sich  von  der  positiven  a;- Achse  aus  in  positivem  Sinn  um 
4en  zwischen  0  und  27t  gelegenen  Winkel  a  dreht. 
Wir  haben  wieder  das  Integral 


'2 


yx')dt 


mit  der  Nebenbedingung 


'2 


zu  einem  Maximum  zu  machen. 

Daher  folgt  aus  den  Resultaten  von  §  59,  c)  und  §  61,  c)  zunächst,  daß  die 
gesuchte  Kurve  ein  in  positivem  Sinn  beschriebener  Kreisbogen  von  der  Länge  l 
sein  muß,  v^elcher,  von  einem  Punkt  P^  der  positiven  ic- Achse  ausgehend,  durch 
4en  Winkelraum  a  nach  dem  Punkt  P^  führt.  ^) 

Da  ferner  im  Punkt  Pi  :  2/i  =  ^i  2/i  =  ^i  so  reduziert  sich  die  Trans- 
versalitätsbedingung  darauf,  daß  der  Kreisbogen  im  Punkt  P^  auf  der  x- Achse 
senkrecht  stehen  muß. 

Wir  nehmen  an,  wir  hätten  einen  diesen  Bedingungen  genügenden  Kreis- 
bogen @o  gefunden 

g, :  x  =  -Hq  —  l,  Goat,         y  =^  —  X^Bmt.^ 

Die  Doppelschar  von  Extremalen  (129)  besteht  hier  aus  den  Kreisen 

X  =  y.  —  ^cos^,         y  ==  —  Xsint,  .       (134) 

welche  sämtlich  für  ^  =  0   die  a?- Achse  senkrecht  schneiden.     Die  beiden  Glei- 
chungen (134)  zusammen  mit  der  Gleichung 

z  =  —  Xt  (135) 

definieren  die  Kongruenz  (133).     Daraus  erhält  man 

A{t,yc,X)  =  X(smt  —  tcost) . 
Auf  allen  Kreisen  der  Doppelschar  (134)  wird  also  der  Brennpunkt  der  a;- Achse 
durch  denselben  Wert  257  ^27' 12" 

t  =  V  = .    •  2  7t 

,.   „    ^  ^        7  —  360«00'00" 

geliefert. 

Zur  Bestimmung  des  in  (134)  enthaltenen  ausgezeichneten  Extremalenbüschels 
erhält  man  nach  (88)  die  Differentialgleichung 

COS)'  dy,  —  dX  =  0. 
Daraus  folgt,  daß  das  ausgezeichnete  Büschel  aus  denjenigen  Kreisen  besteht,  welche 
ihre  Mittelpunkte  auf  der  ic- Achse  haben  und  die  im  Brennpunkt  P('  an  den  Kreis 
@*    gezogene    Tangente    berühren.     Die  letztere  ist  also  die  Enveloppe  ^    des 

3  Tt 

Büschels,  ein  Halbstrahl,  welcher  mit  der  positiven  oj-Achse  den  Winkel  y — 

bildet. 


^)  Abgesehen  von  etwaigen  unfreien  Lösungen  (§  52),  welche  streckenweise 
mit  den  Schenkeln  des  Winkels  zusammenlaufen. 


§  65.   Der  Fall  variabler  Endpunkte. 


525 


Werden  die  Yariabeln  t,  -n,  l  auf  den  Bereich 

€1:  0<^<y,     —  c3ü<x<+Oü,     ^<0 

beschränkt,   so   bildet  die  Kongruenz  (134),  (135)  ein  räumliches  Feld,   welches 
den  durch  die  Ungleichungen 

(^':  ^>0,       cosy  <  ^  <  1 

z 
definierten  Teil  des  Raumes  ausfüllt. 

Zu  einem  gegebenen  Punkt  x,y,z  von  oP'  erhält  man  den  zugehörigen  Punkt 
von  €1,  indem  man  zunächst  die  Gleichung 


sini 


y 


t  =  0 


nach  t  auflöst;  da  die  Funktion  sin  t/t  von  -f  1  bis  cos/  beständig  abnimmt, 
wenn  t  von  0  bis  y  wächst,  so  hat  diese  Gleichung  eine  und  nur  eine  Lösung 
t  zwischen  0  und  y.     Die  Werte  von  X  und  x  folgen  dann  aus  (134). 

Die  o;- Achse  gehört  nicht  zu  diesem  Feld  c^',  wohl  aber  zu  dessen  Begren- 
zung. Daher  läßt  sich  die  Weierstraß'sche  Konstruktion  durchführen  und  zwar 
.auf  folgende  Weise: 

Fall  I:  0  <  a  ^  TT . 

Sei  %  irgendeine  von  ©^  verschiedene  Vergleichskurve;  sie  möge  von  einem 
Punkt  Pg  der  ^-Achse  ausgehen.    Wir  setzen  zunächst  voraus,  daß  sie  nicht  mit 

\ 


C  <9  1       54 

Fig-  ll-'>-  Fig.  116. 

einem  zur  oj-Achse  senkrechten  geraden  Segment  beginnt  (Fig.  115).  Ist  dann  Pj 
ein  Punkt  von  ©  zwischen  P-  und  Pg,  so  ist  die  Länge  des  Bogens  Pg  Pg  sicher 
größer  als  y^,  und  2/.>  >  0,  da  ja  die  Kurve  ©  ganz  in  dem  Winkelraum  cc  ver- 
laufen soll.  Daher  liegt  der  Punkt  x^,y^,  z^  in  S\  da  cosy  <  0;  wir  können 
also  nach  Pg  von  der  ic- Achse  aus  einen  und  nur  einen  Kreisbogen  P4P3  kon- 
struieren, welcher  im  Punkt  P^  die  ^- Achse  senkrecht  schneidet,  in  positivem 
Sinn  beschrieben  ist,  dessen  Zentriwinkel  t^  zwischen  0  und  7  liegt,  und  dessen 
Länge  z^  gleich  der  Länge  des_Bogens  P5  Pg  der  Kurve  f  ist.  Die  Betrachtung 
der  Funktion:  Ä'(r)  =  J43  -f  J^^  führt  nun  zum  Weierstr  aß 'sehen  Funda- 
mentalsatz und  mit  dessen  Hilfe  wie  in  §  64,  a)  zu  dem  Resultat:  AJ'<0. 

Der  Beweis  ist  etwas  zu  modifizieren^),  wenn  die  Kurve  ®  mit  einem  zur 

^)  Vgl.  hierzu  Kneser,  Lehrbuch,  p.  148. 

B  Ol  z  a ,  Variationsrechnung.  34 


526 


Zehntes  Kapitel.     Isoperimetrische  Probleme. 


a;- Achse  senkrechten  geraden  Segment  P^  P^  beginnt  (Fig.  116).  Für  einen  Punkt  P^ 
zwischen  Pg  und  Pj  gelten  dann  die  vorigen  Resultate.  Nähert  sich  der  Punkt 
Pj  dem  Punkt  Pg,  so  nähert  sich  der  Kreisbogen  P4PS  dem  geraden  Segment 
PgPg,  und  es  ist  _ 


X 

r^  =  t. 


L 

=  76  +  0 


^48    =    ^5 


Daraus  folgt,  daß 

'S^(^6  +  0)  =  ^56  4-  ^62  =  ^62  1     ^^d  daher 

AJ=-[S{r,-0)~  Ä(re4-0)], 

woraus,  wie  oben,  folgt,  daß  AJ  <^0. 

Wir  erhalten  also  das  Resultat:  Wenn  der  Winkel  a  zwei  Rechte  nicht 
übersteigt^  so  liefert  der  Kreisbogen  (S^  das  absolute  Maximum  für  den  Flächen- 
inhalt. 

Fall  II:  7r<a<27r. 

Hier  ist  die  Weierstraß'sche  Konstruktion  nicht  immer  möglich.  Trotz- 
dem läßt  sich  wenigstens  die  Existenz  eines  starken  relativen  Maximums  nach- 
weisen.    Dazu  verbinden  wir  die  beiden  Schenkel  des  Winkels   durch  zwei  mit 

@o  konzentrische  Kreis- 
bogen mit  den  Radien 
R  —  d  und  R  -\-  d,  wenn 
R  ^  —  Xq  den  Radius  von 
@o  und  d  eine  hinreichend 
kleine  positive  Größe  be- 
deutet, und  beschränken 
die  Vergleichskurven  auf 
den  zwischen  diesen  bei- 
den konzentrischen  Kreis- 
bogen gelegenen  Teil  des 
Winkelraums  cc.  Ist  Pg 
ein  Punkt  einer  solchen 
Vergleichskurve,  für  wel- 
chen 2/3  >  0,  so  gelten 
dieselben  Betrachtungen 
(,  der  Schnittpunkt  des  Vektors  CP^ 
und  ^„  die  Länge  des  Bogens  P^  Pq 


wie  im  Fall  I.  Ist  dagegen  y. 
oder  dessen  Verlängerung  mit 
von  @^ 


<<  0,  so  sei  P, 
dem.  Kreis  @, 
Dann  zeigt  man  leicht  (siehe  Fig.  117),  daß 

Vs^^  +  ^Vo 
z,>  R-d  z,' 

und  hieraus  läßt  sich  schließen,  daß  man  d  so  klein  wählen  kann,  daß  die  Un- 
gleichung 

cosy  <  f  <  1 

für  jeden  Punkt  Pg  jeder  ganz  zwischen  den  beiden  konzentrischen  Kreisbogen  ver- 
laufenden Vergleichskurve  erfüllt  ist,  welche  nicht  mit  einem  zur  o;- Achse  senk- 


§  65.    Der  Fall  variabler  Endpunkte.  527 

rechten    Segment    beginnt.      Daraus    folgt    dann    wieder    die    Möglichkeit    der 
Weierstraß'schen  Konstruktion  und  damit  die  Ungleichung  AJ<  0^). 

d)  Weitere  Literatur  über  isoperimetrische  Probleme: 

Schon  die  letzten  Entwicklungen  haben  gezeigt,  daß  die  Theorie  des  iso- 
perimetrischen Problems  noch  nicht  zu  einem  ähnlichen  Abschluß  gelangt  ist 
wie  die  Theorie  des  Extremums  ohne  Nebenbedingungen.  Dies  gilt  auch  von 
den  Fragen,  die  wir  für  das  letztere  in  Kapitel  VI  bis  IX  im  einzelnen  durch- 
geführt haben.  Wir  beschränken  uns  daher  darauf,  die  wichtigsten  hierher 
gehörigen  neueren  Arbeiten  zusammenzustellen: 

Yon  diskontinuierUcJien  Lösungen  ^)  bei  isoperimetrischen  Problemen  handelt 
Caratheodory  in  seiner  auf  p.  367,  Fußnote  ^)  zitierten  Dissertation.  Insbesondere 
wird  der  Ausnahmefall  untersucht,  in  welchem  jede  Extremale  des  Integrals  J 
zugleich  Extremale  für  das  Integral  K  ist. 

Für  isoperimetrische  Probleme  mit  Gebietseinschränkung  gilt  zunächst  der 
von  Weierstrass  herrührende  Satz,  daß  alle  frei  variierbaren  Bestandteile  der 
Minimumskurve  Extremalen  mit  demselben  Wert  X^^  der  isoperimetrischen  Kon- 
stanten sein  müssen.  Ferner  müssen,  wie  ebenfalls  Weierstrass  ")  gezeigt  hat,  in 
den  Übergangspunkten  in  der  Bezeichnung  von  §  52,  b)  und  §  60,  b)  die  Be- 
dingungen 

erfüllt  sein.  Andeutungen  über  die  Bedingung  entlang  der  Schranke  gibt 
Hadamard,  „Stir  quelques  questions  de  calcul  des  variations",  Annale.s  de  l'^cole 
Normale  Superieure  (3),  Bd.  XXIV,  (1907),  p.  222. 

In  derselben  Arbeit  beschäftigt  sich  Hapamard  mit  der  Aufgabe  das 
Hilberfsche  Existenztheorem  auf  isoperimetrische  Probleme  zu  übertragen.  Dabei 
ergeben  sich  eigentümliche  Schwierigkeiten,  die  damit  zusammenhängen,  daß 
in  den  Bedingungen  von  Legendre  und  Weierstraß  die  isoperimetrische 
Konstante  ;,  auftritt.  Hier  ist  schon  der  Satz  von  §  33  über  die  Existenz  eines 
Minimums  im  Kleinen  nicht  mehr  richtig.  Dagegen  läßt  sich  der  Osgood'sche 
Satz  auf  das  isoperimetrische  Problem  übertragen,  wie  Hahn'')  gezeigt  hat. 

An  weiteren  neueren  Arbeiten  erwähnen  wir  schließlich  noch  zwei  Göttinger 
Dissertationen:  Cairns,  „Die  Amvendung  der  Integralgleichungen  auf  die  ziveite 
Variation  hei  isoperimetrischen  Problemen''  (1907),  und  Crathorne,  „Das  räum- 
liche isoperimetrische  Problem''  (1907). 

^)  Hierzu  weiter  die  Lbungsauf gaben  Nr.  11,  b)  und  26—35  am  Ende  dieses 
Kapitels. 

^)  Vgl-  §  59,  b),  Ende,  und  Kneser,  Lehrbuch  §§  45,  46. 

^)  Vorlesungen  1879,  vgl.  auch  Hancock,  Lectures,  Art.  205  und  Kneser, 
Lehrbuch  §  47.  Der  Beweis  folgt  leicht  nach  der  Schlußweise  von  §  60,  b); 
vgl.  dazu  Fig.  84. 

*)  Vgl.  p.  280,  Fußnote  ^). 


34* 


Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel/) 


1.  Die  a;,  2/-Ebene  sei  mit  Masse  (Bodenpreisen)  belegt  und  die  Dichtigkeit 
im  Punkt  x,  y  sei  ii{x,  y)\  in  dieser  Ebene  sei  eine  Kurve  ^  gegeben  und  auf 
ihr  zwei  Punkte  Pi,Pj-  Unter  allen  Kurven  von  gegebener  Länge,  welche  von 
I\  nach  Pj  gezogen  werden  können,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  mit  dem 
Bogen  PjPi  von  ^  zusammen  die  Fläche  von  größter  Masse  (Gesamtpreis)  ein- 
schließt {Problem  der  Dido). 

Lösung:  Die  Extremalen  sind  durch  die  Gleichung 
^^_\i{x,y) 
r  l' 

charakterisiert. 

Andeutung:  Mache  vom  Green'schen  Satz  Gebrauch.  (Lord  Kelvin) 

2.  Auf  einer  Fläche  ist  eine  Kurve  Ä  gegeben  und  auf  ihr  zwei  Punkte  P^ 
und  P,.  Unter  allen  Kurven  von  gegebener  Länge  1,  welche  auf  der  Fläche  von 
Pj  nach  Pj  gezogen  werden  können,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  mit  dem  Bogen 
P^Pi  von  £  den  größten  Flächenraum  umschließt  (§  59). 

Die  rechtwinkligen  Koordinaten  eines  Punktes  der  Fläche  seien  durch  zwei 
Parameter  u,v  ausgedrückt;  die  Kurve  ^  sei  gegeben  durch  die  Gleichungen 

^■j  u  =  ü{t),         v  =  v{t); 

die  gesuchte  Kurve  werde  in  der  Form 

(5:  u  =  \i(t),         v  =  v{t)  f 

angenommen.     Sind  dann  M  und  i\^  zwei  Funktionen  von  u  und  v,  für  welche 

so  hat  man  das  Integral 

/  =  £  C\M.{u,  v)u  4-  N{u,  v)v'^,dt  -f-  sßM{ü,  v)u-i-  N{ü,  v)v']dT, 
wo  f  =  +  1 ,  zu  einem  Maximum  zu  machen  mit  der  Nebenbedingui^g,  daß 

k 
Es    sollen    die    analogen    Stetigkeitsannahmen    gemacht    werden    wie    bei 
Beispiel  XVL 

*)  Die  zulässigen  Kurven  werden  überall,  wo  nichts  besonderes  festgesetzt 
wird,  als  „gewöhnliche''  Kurven  angenommen. 


Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel. 


529 


Lösung:  Die  gesuchte  Kurve  ist  ein  geodätischer  Kreis,  ^)  d.  h.  eine  Kurve 
konstanter  geodätischer  Krümmung: 

Ferner  muß  X  negativ  sein. 

Andeutungen:  Zur  Ableitung  des  Ausdrucks  für  J"  wende  den  Green'schen 
Satz  an,  wobei  sich  auch  die  Bestimmung  des  Vorzeichens  s  ergibt.  Wende  die 
Euler'sche  Differentialgleichung  in  der  Weierstraß'schen  Form  an  und  mache 
von  Gleichung  (40)  von  §  26  Gebrauch.  (Minding,  Darboux) 

S.  Dieselbe  Aufgabe  mit  der  Modifikation,  daß  der  Punkt  P^  nicht  gegeben, 
sondern  auf  ^  frei  beweglich  ist  (§  65,  a)). 

Dasselbe  Resultat  mit  der  weiteren  Bedingung,  daß  die  gesuchte  Kurve  im 
Punkt  Pj  die  Kurve  ^  senkrecht  schneiden  muß. 

4.  Für  Botationsflcichen  läßt  sich  die  Integration  der  Differentialgleichung 
der  geodätischen  Kreise  auf  Quadraturen  zurückführen.  (Minding,  Darboux) 

Andeutungen:  Das  Linienelement  läßt  sich  in  der  Form  schreiben 

ds^==  du'^-\-  cp^{u)dv'. 

Ist  dann:    ip{u)  =  1  (p{u)du^    so   sind  die  geodätischen  Kreise   dargestellt  durch 


die  Gleichung 


J  qp(««) 


(cc  —  sip{u))du 


i)yx'cp\u)  ~  {cc  —  Eii,{u)y 

Man  mache  von  der  Euler'schen  Differentialgleichung  in  der  Form  (18)  Gebrauch. 

5.  Gleichgewichtslage  eines  auf  einer  gegebenen  Fläche  ohne  Reihung  auf- 
liegenden schweren  Fadens,  der  an  seinen  leiden  Endpunkten  befestigt  ist  (§  59,  b) 
und  d)). 

Die  positive  0-Achse  werde  vertikal  nach  oben  gewählt;  die  Fläche  sei  durch 
zwei  Parameter  w,  v  dargestellt.     Dann  ist  das  Integral 


/  =  p|/E*t'^+2Fw'r'+,  Gv'*^i^ 


zu  einem  Minimum  zu  machen  mit  der  Nebenbedingung 


'2 


Lösung:  Die  Weierstraß'sche  Form  der  Euler'schen  Differentialgleichung 
führt  zu  folgender  charakteristischen  Eigenschaft^)  der  gesuchten  Kurve:  Man 
konstruiere  in  einem  Punkt  P  der  Kurve  den  Vektor  PM  nach  dem  Mittel- 
punkt M  der  geodätischen  Krümmung;  dann  liegt  der  Endpunkt  N  des  zu  PM 
entgegengesetzten  Vektors  PN  in  der  konstanten  Ebene 
z  +  X=^0. 

^)  in  der  Terminologie  von  Darboux. 

*)  In  etwas  anderer  Form  gegeben  von  Lindelöf-Moigno,  Legons,  p.  314. 


530  Übungsaufgaben  zum  zelinteu  Kapitel. 

6.  Untev  allen  zwei  gegebene  Punkte  P^  und  P^  verbindenden  Kurven,  welche 
zusammen  mit  den  Ordinaten  dieser  beiden  Punkte  und  der  x-Achse  eine  Fläche 
von  gegebenem  Inhalt  begrenzen,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  durch  Rotation 
um  die  x-Achse  die  Oberfläche  kleinsten  Inhalts  erzeugt  (§  59).  (Euler) 

Lösung:  Es  werde  die  Bedingung:  y^O  hinzugefügt.  Ist  ^^;>  1,  so  gehen 
die  Extremalen  aus  den  verkürzten  Zykloiden 

X  =  —  -)-sini,         Y  =X  -\-  cos t 

durch  die  Transformation 

hervor.    Ist  V <i  li  so  ersetze  man  t  durch  it.    Ist  ^^=1,  so  erhält  man  rationale 
Kurven  3.  Ordnung.     Außerdem   sind   sämtliche  Geraden  der  Ebene  Extremalen. 
Die  Möglichkeit  diskontinuierlicher  Lösungen  zu  untersuchen. 

7.  Die  Brachistochrone  bei  gegebener  Länge  zu  bestimmen.  Die  genauere 
Formulierung  soll,  abgesehen  von  der  isoperimetrischen  Bedingung,  dieselbe  sein 
wie  in  §  26,  b). 

Lösung:  Die  Extremalen  lassen  sich  schreiben,  wenn  a^>>X% 

x-{-  ß= -f[{^^^-\-  ci^)t  — 4:  ccX  sin  t-\-  a- sin  i  cos*], 


,    ,        (l  —  acos*)* 
Für  die  Bogenlänge  ergibt  sich 


cc  n' 

(Salt  —  2{X--\-a^)Bmt-\-aXsintco8t) 


.{cc'-Xr 

Ist  o:^<;>L*,  so  ist  t  durch  it  zu  ersetzen.     Für  a^z=X^  werden  die  Extremalen 
algebraisch.  (Eulek,  Mechanica,  Bd.  II,  Art.  401) 

8.  Unter  allen  Kurven,  welche  von  einem  Punkt  A  der  ^-Achse  nach  einem 
Punkt  B  der  oberen  Halbebene  gezogen  werden  können,,  und  welche  zusammen 
mit  der  Abszisse  AD  und  der  Ordinate  DB  einen  gegebenen  Flächenraum  ein- 
schließen, diejenige  zu  bestimmen,  welche  zusammen  mit  ihrem  Spiegelbild  AB' 
an  der  a;- Achse  den  kleinsten  Widerstand  erfährt,  wenn  die  Kurve  B' AB  in 
ihrer  Ebene  in  einem  widerstehenden  Medium  in  der  Richtung  der  negativen 
rc- Achse  bewegt  wird  (Siehe  Fig.  94;  Fall  eines  flachen  oder  eines  zylindrischen 
Schiffes  mit  horizontaler  Direktrix). 

Für  den  Widerstand  findet  man  nach  der  Newton'schen  Methode  von  p.  408 
das  Integral 


Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel.  531 

Aus  denselben  Gründen  wie  in  §  54  wird  man  die  Gefällbeschränkungen 

hinzufügen. 

Die  Extremalen  sind  rationale  Kurven  4.  Ordnung  mit  drei  Spitzen: 

^  =  T  (1  +pr  +  ^ '         2/  =  y  ^^,  +  ß ,  (136) 

dy 

(Euler,  Scientia  Navalis,  Art.  531) 

9.  Den  Botationskörper  kleinsten  Widerstandes  bei  gegebenem  Volumen  zu 
bestimmen.  Die  genauere  Formulierung  soll,  abgesehen  von  der  isoperimetrischen 
Bedingung,  dieselbe  sein  wie  in  §  54. 

Die  Extremalen  sind  gegeben  durch  die  Gleichungen 

y  (i+y»)'+(i+p'f' 

wobei 

Soll  die  Extremale  die  a;- Achse  treffen,  so  muß  y  =  0  sein,  und  man  erhält 
die  Kurve  (136)  mit  dem  Wert  |3  =  0, 

Halbiert  man  den  Rotationskörper  mittels  einer  Meridianebene,  so  erhält 
man  den  Fall  eines  Schiffes,  dessen  zur  Längsrichtung  senkrechte  Schnitte  Halb- 
kreise sind.  (Euler,  Scientia  Navalis,  Art.  690) 

10.  Die  reziproke  Aufgäbe  zu  Beispiel  II  (p.  465)  im  einzelnen  durchzu- 
führen und   daran  das  Mayer'sche  Reziprozitätsgesetz   zu  verifizieren  (§  61,  e)). 

Andeutungen:  Wähle  den  Punkt  P^  zum  Koordinatenanfang.  Die  Kon- 
stantenbestimmung, und  damit  die  Weierstraß'sche  Konstruktion,  führt  auf 
die  Aufgabe,  eine  Zykloide  mit  gegebener  Basis  und  Spitze  zu  konstruieren, 
welche  durch  einen  gegebenen  Punkt  geht,  vgl.  p.  208,  Fußnote  ^). 

11*.  Mit  Hilfe  der  Fourier' sehen  Beihen  einen  direkten  Beweis  für  den  Säte 
■ZU  geben,  daß  der  Kreis  unter  allen  geschlossenen  Kurven  von  gegebenem  Umfang 
den  größten  Flächeninhalt  einschließt  (§  64,  a)). 

Andeutungen:  Wähle  den  Bogen  s  als  unabhängige  Variable  zur  Dar- 
stellung irgendeiner  geschlossenen  Kurve  von  der  Länge  l.  Entwickle  x  und  y 
in  Fourier'sche  Reihen,  fortschreitend  nach  Kosinus  und  Sinus  der  Vielfachen 
von  27t/Z,  und  berechne  daraus  den  Flächeninhalt.  Vergleiche  denselben  mit 
dem  Ausdruck  für  den  Flächeninhalt  eines  Kreises  von  demselben  Umfang  l,  den 
man  durch  Integration  der  Gleichung 

nach  s  zwischen  den  Grenzen  0  und  l  erhält,  (Hukwitz) 


532  Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel. 

12.  Die  Aufgaben  Nr.  2  und  3  im  einzelnen  durcbzuführen  für  den  Fall, 
wo  die  gegebene  Fläche  eine  Kugel  und  die  gegebene  Kurve  ein  größter  Kreis 
derselben  ist  (§  59—65).^) 

Lösung:  Die  geodätischen  Kreise  sind  Kreise.  Ist  u  das  Komplement  der 
Breite  und  v  die  Länge,  so  lassen  sich  dieselben  bei  passender  Wahl  der  Kon- 
stanten schreiben 

cos  y  cos  u  -f-  sin  7  sin  u  cos  (v  —  ß)  =  cos  cc . 

Ist  2r  der  Zentriwinkel  des  Kreisbogens  von  P^  bis  zum  konjugierten,  resp. 
Brennpunkt,  so  ist  x  durch  die  folgenden  Gleichungen  zu  bestimmen: 

a)  wenn  P^  gegeben  ist 

sin  T  (r  cos  r  —  sin  t)  =  0 ; 

b)  wenn  P^  auf  ^  beweglich  ist 

tg(2r)  =  2r; 
also  in   beiden  Fällen  dieselben  Gleichungen  wie  in  den  entsprechenden  ebenen 
Problemen  (Beispiel  II  und  XXII). 

Die  Möglichkeit  der  Weierstraß'schen  Konstruktion  zu  diskutieren. 

13*.  Die  Aufgabe  Nr.  5  für  den  speziellen  Fall  der  Kugel  im  einzelnen 
durchzuführen  {Sphärische  Kettenlinie) ^) 

Andeutungen:  Die  Kugel  werde  dargestellt  durch  die  Gleichungen 
^  =  acosit  cosv,         y  =  aco%u^\nv,         z  =  aQinv. 
Dann  ist  die  sphärische  Kettenlinie  dargestellt  durch  die  Gleichung 

'^^J{a'-z')-VB{z) 

wo 

B{z)  =  {z  ^Ifia^-  z^)  -  ci\ 

Die  Größen  z,x-\-iy  durch  die  Funktionen  6{t),  s-^{t)  auszudrücken,  wenn 

dz 
dt  =  ~-=—' 

}/B{z) 

Eingehende  Diskussion  der  Realitätsverhältnisse  der  Wurzeln  von  B(z)  und 
entsprechende  Fallunterscheidungen  bei  den  elliptischen  Funktionen.  Diskussion 
der  Gestalt  des  Fadens.  Wann  wird  derselbe  ganz  auf  der  oberen  Hemisphäre 
aufliegen,  wann  zum  Teil  frei  herabhängen;  im  letzteren  Fall  Bestimmung  der 
Übergangspunkte.  Die  Gleichung  zur  Bestimmung  des  konjugierten  Punktes 
aufzustellen  und  zu  diskutieren. 


1)  Das  isoperimetrische  Problem  auf  der  Kugel  ist  neuerdings  von  Bernstein 
ohne  Benutzung  der  Variationsrechnung  eingehend  behandelt  worden.  Mathe- 
matische Annalen  Bd.  LX  (1905),  p.  117. 

2)  VgL  GuDERMANN,  Crelle's  Journal,  Bd.  XXXIII  (184G),  p.  189;  Clebsch, 
ibid.,  Bd.  LVII  (1860),  p.  103;  Biermann,  Berliner  Dissertation,  1865;  Schlegel, 
Programm  des  Wilhelms-Gymnasiums,  Berlin  1884;  Appell,  Bulletin  de 
la  Societe  mathematique  de  France,  Bd.  XIII  (1885),  p.  65. 


Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel. 


533 


14.  Für  das  auf  p.  518,  Fußnote  ^),  formulierte  isoperimetrische  Problem 
mit  X  als  unabhängiger  Variabein  die  Gleichung  zur  Bestimmung  des  konjugierten 
Punktes  abzuleiten,  entweder  direkt  oder  aus  den  Resultaten  von  §  61,  a)  nach 
§  25,  e). 

Lösung:  Ist 

y=Y{x,cc,ß,X) 

das  allgemeine  Integral  der  Euler'schen  Differentialgleichung  und 
so  lautet  die  Gleichung- 


Y,(x,) 

Y,{x) 

wobei  die  dritte  Z 

X                                                X 

fr^Näx,         Cy^NcIx, 

X^                                                 Xj^ 

eile  auch  durch 

X 

CY^Ndx 

Xi 

ersetzt  werden  kai 

Z,fx) 
m,  wenn 

Z/^), 

^M 

0, 


(137) 


Z{x^  a,  ß,  X)  =  Cg{x,  r,  Y')dx, 


Dabei  sind  überall  nach  Ausführung  der  Differentiation  a,§,l  durch   a^^^ß^,!^ 
zu  ersetzen,  und  N  ist  für  ^^  zu  berechnen.  (A.  Mayer) 


15*.  Bas  Integral 


X^ 

/c 


\dxj 
bei  festen  Endpunkten  mit  der  Nebenbedingung 

x^ 
I  y^dx=  l 


f^^), 


ZU  einem  Minimum  zu  machen. 

Lösung:  Die  Extremalen  sind 

1.  2/  =  c*:  sin  (fi,£c  -f-  i^) ,  wenn     ^  <<  0  ,  {1-- 

2.  y  =  ciX-\-  § .,  wenn     1  =  0, 

3.  y^a^h.ihX-\-ßQh.^x,     wenn     A  >  0,  (;i  =  jtt-). 

Im  ersten  Fall  lautet  die  Gleichung  zur  Bestimmung  des  konjugierten  Punktes 

u (sin  u  —  u  cos  u)  =  {u'^  —  ^in^u)  cos  {u  -f  2  öt) , 
wenn  .  .  ,    . 

Sie  zeigt,   daß   stets  ein  konjugierter  Punkt  im  Intervall:  3t<;M<^27r  existiert. 
In  den  beiden  andern  Fällen  existiert  kein  konjugierter  Punkt. 


534  Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel. 

Konstantenhestimmung :  Je  nachdem 

3  ?  ^  (^2  —  ^i)  iyl  +  2/i  2/.  +  yl) . 

gibt  es  eine^)  Lösung  vom  ersten  Typus,  für  welche:  0  <Cii{oc^  —  x^)  <^7t,  oder 
eine  Lösung  vom  zweiten  Typus,  oder  eine  vom  dritten. 

Hiernach  die  Weierstraß'sche  Konstruktion  und  die  Frage  des  absoluten 

Extremums  zu  diskutieren.  (Lunn,  Miles) 

16*.  Unter  allen  Kurven,  welche  zwei  gegebene  Punkte  P^,P^  der  oberen 
Halbebene  (2/>0)  verbinden,  ganz  in  dieser  Halbebene  verlaufen  und  durch 
Umdrehung  um  die  x-Achse  eine  Fläche  von  gegebenem  Inhalt  erzeugen,  diejenige 
zu  bestimmen,  für  welche  diese  Fläche  zusammen  mit  den  beiden  durch  Rotation 
der  Ordinaten  von  P^  und  P^  erzeugten  Kreisen  das  größte  Volumen  einschließt 
{Unduloid,  Nodoid)^).  (Euler) 

Andeutungen:  Erstes  Integral 
Führt  man  statt  l  und  ^  zwei  neue  Konstanten  q  und  y  ein  durch  die  Gleichungen 

und    setzt:    H  =  siny,     >c'  =  cosy,    so    lautet    das    allgemeine    Integral   in    der 
Legendre'schen  Bezeichnung: 

x  =  a-\-Q[^'F{yi,t)-\-E{yi,t)-\, 
y  =  QA{yi,t). 

Die  Extremalen  werden  beschrieben  durch  den  einen  Brennpunkt  eines  auf 
der  a:- Achse  rollenden  Kegelschnitts  (Delaunay).  Diskussion  der  Gestalt  der 
Extremalen.  Spezielle,  resp.  Grenzfälle:  Halbkreis  über  der  a;- Achse,  Kettenlinie 
und  Gerade^)  parallel  der  ic-Achse 

Diskussion  der  konjugierten  Funkte  (Howe,  Hormann). 

Ecken  von  etwaigen  diskontinuierlichen  Lösungen  müssen  auf  der  ÄJ-Achse 
liegen,  und  diskontinuierliche  Lösungen  müssen  sich  aus' Stücken  der  o;- Achse 
(§  52)  und  aus  Kreisbogen  mit  dem  gleichen  Radius,  deren  Mittelpunkte  auf  der 
iC-Achse  liegen,  zusammensetzen  (Todhunter). 

Die  reziproke  Aufgabe  ist  identisch  mit  der  Bestimmung  der  Gleichgewichts- 
lage von  Seifenblasen,  welche  die  Ränder  zweier  koaxialer  Kreisscheiben  ver- 
binden (Plateau). 

^)  Eine  Ausnahme  tritt  ein  für  2/2  =  —  2/i  • 

2)  Vgl.  W.  HowE,  Berliner  Dissertation  1887  und  G.  Hormann,  Göttinger 
Dissertation  1887. 

3)  YgL  dazu  Almansi,   Annali   di  Matematica  (3),  Bd.  XH  (1905),  p.  1. 


Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel.  535 

17*.  Unter  allen  Kurven  von  gegebener  Länge,  welche  zwei  gegebene  Punkte 
Pj  und  Pg  der  oberen  Halbebene  (2/>0)  verbinden,  und  ganz  in  dieser  Halb- 
«bene  liegen,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  zusammen  mit  den  Ordinaten  von 
Pj  und  Pg  den  JRotationskörper  größten  Volumens  erzeugt.  (Euler) 

Lösung:    Die  Extremalen    sind    elastische   Kurven,    charakterisiert  durch: 
1        2y 
—  =  -Y Bezeichnet  a   den  konstanten  Wert  von  H^,,   so  sind  folgende  zwei 

J'älle  zu  unterscheiden: 

Fall  I:  t,-j_;L<0. 

^  =  /5  +  P[2^(x,  t)  —  F(x,  t)],         y  =  2KQCost,  (138) 

„       ^  —  a  ,  ^    _ 

Fall  11:  o:  +  ;i>0. 


^obei 


X  =  ß-j-Q  [^^(H,  t)-{l-   ^')  F(X,  t)j 


(139) 


-wobei 


2/  =  ()A(x,*), 
2X 


X  =  p^ 


Dazwischen  der  Fall  a-\-X==0,  in  welchem  die  elliptischen  Integrale  degenerieren. 
Die  Gestalt  der  Extremalen  za  diskutieren.  Die  Kongruenz  räumlicher 
Extremalen  durch  den  Punkt  P^  aufzustellen  sowie  deren  Funktionaldeterminante, 
wenigstens  für  spezielle  Lagen  des  Punktes  P^.  Womöglich  etwas  über  die 
Existenz  und  Lage  des  konjugierten  Punktes  auszusagen. 

18.  Die  Euler'sche  Begel  für  den  Fall  abzuleiten,  daß  das  Integral 
mit  der  Nebenbedingung 


J 


«2 


zu  einem  Extremum  zu  machen  ist. 

Andeutung:  Vgl.  p.  458,  Fußnote  ^)  und  Aufgabe  Nr.  45  auf  p.  153. 

(Euler) 
19.  Die  Euler'sche  Begel  für  den  Fall  abzuleiten,  daß  das  Integral 

J=Jfi^,  2/i ,  2/2  .•••,  2/ni  2/ii  2/21  ••• .  yn)äx 
mit  mehreren  isoperimetrischen  Bedingungen 

x^ 

j 9i{^^  2/i  1 2/2 1  •  •  • .  2/«'  2/i%  2/2',  •  •  • ,  yn)dx  =  ?.,         »■  =  1,  2, . . .  w 
zu  einem  Extremum  zu  machen  ist. 


536  Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel. 

Andeutung:  Ygl.  p.  458,  Fußnote  *),  und  Aufgabe  Nr.  41  auf  p.  151. 

(Scheeffer) 

20.  Die  Aufgabe  Nr.  17  dahin  abzuändern,  daß  nicht  nur  die  Länge  der 
Kurve,  sondern  auch  der  Inhalt  der  zwischen  der  Kurve,  den  Ordinaten  von  P^ 
und  Pj  und  der  ic-Achse  eingeschlossenen  Fläche  vorgeschrieben  ist. 

Lösung:  Die  Extremalen  sind  elastische  Kurven  und  gehen  aus  den 
Gleichungen  (138),  resp.  (139),  hervor,  indem  man  y  durch  y -\- {i  und  a  durch 
a  -f  ^2  ersetzt.  (Euler) 

21*.  Bie  Gleichgeiüichtslage  eines  elastischen,  an  seinen  beiden  Enden  fest- 
geklenmiten  Drahtes  zu  testimmen^) 

Andeutungen:  Man  hat  die  potentielle  Energie  des  Drahtes,  d.h.  wenn  r 
den  Krümmungsradius  bedeutet,  —  abgesehen  von  einem  konstanten  Faktor  — 
das  Integral  i 

-/? 

o 

bei  gegebener  Länge  l  zu  einem  Minimum  zu  machen,  während  die  Endpunkte 
und  die  Tangentenrichtungen  in  denselben  gegeben  sind.  Die  zulässigen  Kurven 
sind  von  der  Klasse  C"  vorauszusetzen. 

Die  Aufgabe  gehört  zum  Typus  von  Nr.  18,  läßt  sich  aber  auf  ein  Funk- 
tionenproblem vom  einfachsten  Typus  mit  zwei  isoperimetrischen  Bedingungen 
zurückführen,  wenn  man  die  Bogenlänge  s  als  unabhängige  und  den  Tangenten- 
winkel ö  als  abhängige  Variable  einführt.     Man  hat  dann  das  Integral 


äs 


mit  den  Nebenbedingungen 

i  i 

I  coseds==x^  —  x^,  8mdds  =  y^~y^ 

0  0 

und  den  Anfangsbedingungen:  0(o)  =  0, ,  ö(0  =  Ö^  zu  einem  Minimum  zu  machen. 

Lösung:  Die  Extremalen  in  der  x,  t/- Ebene  sind  elastische  Kurven.  Ein 
Bogen  der  elastischen  Kurve,  welcher  keinen  Wendepunkt  enthält,  liefert  stet» 
ein  starkes  Minimum  (vgl.  Aufgabe  Nr.  23,  p.  147).  "'  (Euler,  Born) 

22.  Nach  der  Methode  von  Nr.  21  läßt  sich  die  allgemeinere  Aufgabe  be- 
handeln, das  Integral  ^ 

ff{r)ds 

bei  gegebener  Länge  l  zu  einem  Extremum  zu  machen,  z.  B.  die  Aufgabe  Nr.  44 
von  p.  152  mit  der  Modifikation,  daß   die  Länge  der  Kurve  vorgeschrieben  ist. 

1)  Vgl.  die  Dissertation  von  M.  Born,  Göttingen  1906,  wo  zahlreiche  inter- 
essante Modifikationen  der  Aufgabe  theoretisch  und  experimentell  untersucht 
werden,  besonders  auch  in  Beziehung  auf  die  Stabilität. 


Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel.  537 

Lösung:  Die  Extremälen  gehen  aus  den  Kurven 

x^^ccit  —  sin  ^)  —  |5cos  — ,  ^ 

y  .=  a{l  —  cos  t)  -\-  p  sin  — 

durch  die  allgemeinste  rechtwinklige  Koordinatentransformation  hervor. 

(Jellet) 

23.  Unter  allen  Kurven,  welche  die  beiden  Geraden  x  =  x^  und  x  =  x^ 
verbinden  und  zusammen  mit  den  beiden  Ordinaten  M^  P^ ,  M^  P^  ihrer  End- 
punkte und  dem  Stück  Mi  M^  der  a;- Achse  eine  Fläche  von  gegebenem  Inhalt 
einschließen,  diejenige  zu  bestimmen,  für  welche  der  Schwerpunkt  eben  dieser 
Fläche  am  tiefsten  liegt,  unter  der  Voraussetzung,  daß  die  positive  y-Achse  ver- 
tikal nach  oben  gerichtet  ist  (§  65,  a)).  (Euler) 

Lösung:  Eine  horizontale  Gerade.  Da  die  Euler'sche  Differentialgleichung 
degeneriert,  so  läßt  sich  der  allgemeine  Hinlänglichkeitsbeweis  nicht  anwenden. 
Man  berechne  daher  direkt  die  totalen  Variationen  A  J  und  A  K  und  beweise 
daraus,  daß  die  Gerade  ©^  ein  schwaches  Minimum  liefert;  auch  ein  starkes, 
wenn  man  sich  auf  Vergleichskurven  beschränkt,  für  welche  Aa;^0;  dagegen 
kein  starkes  bei  unbeschränkter  Variation. 

24.  Die  Aufgabe  Nr.  40  auf  p.  151  als  isoperimetrisches  Problem  zu  lösen 
(§  65,  a)). 

Lösung:  Bei  Benutzung  von  rechtwinkligen  Koordinaten  ist 

J=27cl(l—   ~:^^\x'dt,         K  =  7tfy'x'dt. 
J\        Vx^  +  y^y  J^ 

Die  beiden  Endpunkte  sind  auf  der  a;-Achse  beweglich. 

Die  Euler'sche  Differentialgleichung  degeneriert  in  eine  endliche  Gleichung 

(§6,  b)): 

y  =:V  a^  x^  —  x^ ,        0<;a;<;a, 

Die  Anziehung  des  zugehörigen  Rotationskörpers  verhält  sich  zu  derjenigen  einer 
Kugel  von  gleichem  Volumen  wie  i|/27  :  ^25 . 

Man  versuche  einen  Hinlänglichkeitsbeweis,^)  wenigstens  für  gewisse  Klassen 
von  Variationen,  aus  der  zweiten  Variation.  (Gauss,  Airy) 

Bei  Benutzung  von  Polarkoordinaten  mit  der  positiven  ic-Achse  als  Achse  ist 

J  =  27t  jr  sind  COS  6  6' dt,        K='^  j  r^  sind  6' dt. 

Die  Lösung  lautet:  r^^a^coBd .  (Lindelöf-Moigno) 

^)  Einen  Hinlänglichkeitsbeweis  ohne  Benutzung  der  Variationsrechnung 
gibt  Schellbach,  Journal  für  Mathematik,  Bd.  XLI  (1851),  p.  343. 


RQo  Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel. 

25.  Einen  homogenen  Ilotationsl:örper  von  gegebener  Masse  und  möglichst 
kleinem  Trägheitsmoment  in  Beziehung  auf  eine  zur  Botationsachse  senJ^rechte 
Achse  zu  Tconstruieren  (§  65,  a)). 

Lösung:  Ein  abgeplattetes  BotationselUpsoid ,  dessen  Achsen  sich  verhalten 
wie  1  :  y^.  Das  Trägheitsmoment  desselben  in  Beziehung  auf  einen  in  der 
Äquatorebene  gelegenen  Durchmesser  verhält  sich  zum  Trägheitsmoment  einer 
gleich  großen  Kugel  in  Beziehung  auf  einen  Durchmesser  wie  y2  zu  4/3.  Es 
gelten  ähnliche  Bemerkungen  wie  bei  den  vorigen  beiden  Aufgaben.         (Carll) 

26.^)  Unter  allen  Kurven,  welche  von  der  Peripherie  eines  gegebenen 
Kreises  (0,  rj  nach  einem  gegebenen  Punkt  P^  gezogen  werden  können,  und  für 
welche  das  Potential  des  Sektors  mit  dem  Scheitel  0  in  Bezug  auf  den  Punkt  O 
einen  vorgeschriebenen  Wert  hat,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  für  das  Poten- 
tial des  Bogens  in  Beziehung  auf  den  Punkt  0  den  kleinsten  Wert  liefert,  wenn 
für  beide  das  Newton'sche  Anziehungsgesetz  zugrunde  gelegt  wird  und  die 
Dichtigkeit  als  konstant  vorausgesetzt  wird  (§  65). 

Lösung:  Die  gesuchte  Kurve  ist  ein  Kreis  durch  den  Punkt  0.  Die  Kon- 
gruenz (133)  läßt  sich  in  Polarkoordinaten  schreiben 

r,cos{d  —  ß), 

r  = 1 

cosy 

_  ri[sin(ö  — <3)  — siny]  ^ 
cosy 

Hiernach  läßt  sich  die  Frage  des  Brennpunktes  und  der  Weierstraß'schen  Kon- 
struktion erledigen. 

27.  Für  Beispiel  XXII  (p.  466)  die  Konstantenbestimmung  im  einzelnen 
durchzuführen. 

28.  Für  Beispiel  XXII  den  Enveloppensatz  von  §  65,  b)  zu  verifizieren. 

(Kneser) 

29*.  Es  sei  eine  Kurve  k  gegeben  und  auf  ihr  ein  Punkt  P^;  unter  allen 
Kurv^i  von  gegebener  Länge  l,  ivelche  von  Punkten  der  Kurve  ^  aus  nach  dem 
Punkt  Pg  gezogen  werden  können,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  mit  der  Kurve  k 
den  größten  Flächenraum  einschließt  (§  65)  2). 

Die  Kurre  Ä  wird  in  der  Foim:  y==f{x)  und  von  'der  Klasse  D"  voraus- 
gesetzt.    Dann  läßt  sich  der  fragliche  Flächeninhalt  in  der  Form  darstellen 

ti 
J=f{f{x)  —  y)x'dt. 


1)  Unter  allgemeineren  Voraussetzungen  in  Beziehung  auf  das  Anziehungs- 
gesetz von  Haton  de  la  Goupilliere  gegeben,  Association  Fran9aiBe,  1893, 
2de  partie,  p.  164;  übrigens  sind  die  dort  über  die  Jacob i'sche  Bedmgung  ge- 
gebenen Entwicklungen  nicht  richtig. 

2)  Vgl.  Aufgabe  8  auf  p.  446. 


Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel.  539 

Lösung:  Ein  in  positivem  Sinn  durchlaufener  Kreisbogen,  welcher  in 
seinem  Anfangspunkt  P^  auf  ^  senkrecht  steht.  Wird  auf  der  Kurve  ^  als 
Parameter  x  die  Bogenlänge  gewählt  und  die  positive  Richtung  so  gewählt,  daß 
im  Punkt  P^  der  Kreisbogen  zur  Linken  der  positiven  Tangente  an  ^  abgeht 
(ßi  =  ^1)1  so  lautet  die  Kongruenz  (133) 

y  =  y(yi)—X{smt~y'{yi)), 

wobei 

Ä'(x)  =  cosÖ,         ,y'(x)  =  sinÖ. 

Daraus  ergibt  sich  für  die  Bestimmung  des  Brennpunktes   die   Gleichung 

wenn  r^  den  Krümmungsradius  der  Kurve  ^  im  Punkt  P^  bedeutet,  und 

qp(f)  =  sini  —  tcost. 

Die  Diskussion  dieser  Gleichung  führt  zu  folgendem  Resultat:  Nimmt  die 
Krümmung  1/f  ^  von  -f-  cx)  bis  —  00  beständig  ab ,  so  bewegt  sich  der  Brenn- 
punkt P{'  von  Pj  ausgehend  einmal  in  positivem  Sinn  um  die  ganze  Kreisperi- 
pherie, woraus  sich  die  auf  p.  446  gegebene  Erdmann'sche  Ungleichung  als 
notwendige  Bedingung  des  Extremums  ergibt. 

Die  Möglichkeit  der  Weierstraß'schen  Konstruktion  ist  für  jede  spezielle 
Kurve  ^  einzeln  zu  diskutieren.  (Kneser) 

30*.  Gleichgewichtslage  eines  schweren  Fadens,  dessen  erster  Endpunkt  auf 
einer  gegebenen  Kurve  £  beweglich  ist,  während  der  zioeite  gegeben  ist.  Insbesondere 
soll  der  Brennpunkt  bestimmt  werden  (§  59,  d),  §  65,  §  39,  b)). 

Lösung:  Die  gesuchte  Kurve  ist  eine  Kettenlinie  ©^  mit  horizontaler 
Direktrix,  welche  die  gegebene  Kurve  senkrecht  schneidet.    Die  Kongruenz  (133) 

läßt  sich  schreiben:  -  /  x    , 

x  =  x{yc)-\-cc{t  —  y), 

y  =  y{yt)^cc(Cht~Chy), 

Z=  a(Shi  — Shy), 

wobei  y  durch  die  Gleichung 

x{yC)^y'{y)^hy  =  0 
als  Funktion  von  %  definiert  ist. 
Es  bezeichne 

^{t)  =  2  —  2Ch(i  —  7)  +  (i  —  y)Sh  it  —  7)  . 

Ferner  sei  ö^  der  Tangentenwinkel  und  Ijr^  die  Krümmung  der  Kurve  Ä  im 
Punkt  Pj ;  der  positive  Sinn  auf  der  Kurve  ^  werde  so  festgelegt,  daß  sin  öi  >  0 ; 
endlich  sei  cc^  der  Wert  der  Konstanten  a  für  die  Kettenlinie  (£(,.  Dann  lautet 
die  Gleichung  zur  Bestimmung  des  Brennpunktes  P'{  der  Kurve  Ä  auf  der  Ketten- 


*(«)  r,sine, 


^^  Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel. 

Die  Diskussion  derselben  ergibt  das  folgende  Resultat:     Es  bezeichne 


/^•o  = 


2sin2?L8in0. 
2  ^ 


Wenn  dann:    l/r^<  —  kf,,   so  existiert  ein  Brennpunkt,  und  zwar  bewegt 

ßich*  derselbe  vom  Punkt  P,  bis  -{-oo,  wenn,  bei  festgehaltenem  d^,  l/f^  von 
—  cx)  bis  —  ICq  wächst. 

Wenn  dagegen:  l/ri^  —  Jc^,  so  existiert  kein  Brennpunkt.  (Kneser) 

31.  Die  Aufgabe  Nr.  6  dahin  abgeändert,  daß  der  Punkt  P,  auf  der  x- Achse 
frei  beweglich  ist,  während  P^  im  Innern  der  oberen  Halbebene  gegeben  ist  (§  65). 

Man  nehme  an,  daß:  2/>0  zwischen  P^  und  Pg. 

Lösung:  Eine  Gerade.  Die  Kongruenz  (133)  besteht  aus  Parabeln.  Brenn- 
punkte existieren  nicht.  Die  Weierstraß'sche  Konstruktion  ist  stets  möglich, 
und  es  findet  ein  absolutes  Minimum  statt. 

32.  Einen  Botaiionskörper  von  gegebener  Ober  fläche  und  möglichst  großem 
Volumen  zu  konstruieren  ^)  (§  65). 

Die  zulässigen  Kurven  in  der  x,  2/-Ebene,  durch  deren  Rotation  um  die 
ic- Achse  die  Oberfläche  des  Rotationskörpers  erzeugt  wird,  sollen  von  einem 
nicht  gegebenen  Punkt  der  positiven  a;- Achse  beginnen  und  durch  das  Innere 
der  oberen  Halbebene  {y  >  0)  nach  dem  Koordinatenanfang  führen. 

Lösung:  Ein  in  positivem  Sinn  durchlaufener  Halbkreis;  der  Rotations- 
körper ist  also  eine  Kugel.  Ecken  können  im  Innern  der  oberen  Halbebene 
nicht  auftreten.     Die  Kongruenz  (133)  lautet 

^==o:_;Lco8^         y^  —  l^mt,        z  =  X^{1  —  coat). 

Daraus:  t['==27t;  der  Halbkreis  ©„  enthält  also  den  Brennpunkt  P('  nicht.  Die 
Weierstraß'sche  Konstruktion  ist  stets  möglich  mit  derselben  Pallunterscheidung 
wie  in  Beispiel  XXII.     Daher  absolutes  Maximum. 

33.  Die  zur  vorigen  Aufgabe  reziproke  Aufgabe:  Einen  Rotationskörper  von 
gegebenem  Volumen  und  kleinster  Oberfläche  zu  konstruieren.  Daran  das  Mayer'sche 
Reziprozitätsgesetz  zu  verifizieren  (§  61,  e),  §  65). 

Andeutungen:    In   der  Kongruenz  (133)  haben  x,y   dieselben  Werte  wie 

in  Nr.  32;  z  ist  durch  ^^^ 

z  r= ^  (2  —  3  cos  i  -|-  cos^  t)  ^-' 

zu  ersetzen.  Die  Weierstraß'sche  Konstruktion  ist  stets  möglich  für  Ver- 
gleichskurven,  entlang  welchen  1:^0;  jeder  Vergleichskurve,  für  welche  z  in 
einer  endlichen  Anzahl  von  Segmenten  negativ  ist,  kann  man  eine  andere  zu- 
ordnen, welche  einen  kleineren  Wert  für  die  Oberfläche  liefert,  und  für  welche  ^  >  0 . 
34*.  Ben  Rotationskörper  von  gegebener  Meridianlänge  l  und  größtem  Volumen 
zu  konstruieren.  (Aufgabe  Nr.  17  so  modifiziert,  daß  P,  auf  der  a^-Achse  beweg- 
lich ist,  während  P,  auf  der  ic-Achse  gegeben  ist.) 

1)  Vgl.  Aufgabe  39  auf  p.  151. 


Übungsaufgaben  zum  zehnten  Kapitel.  541 

Lösung:  Die  gesucbte  Kurve   @o   wird   dargestellt  durch   die   Gleichungen 
<138)  mit  den  Worten 

Die  Bestimmung  der  konjugierten  Punkte  führt  auf  die  Gleichung 

enudnu 
u =  0, 

cn  u 

welche  zeigt,  daß  der  Bogen  (Bq  keinen  konjugierten  Funkt  enthält.  Die  Weier- 
fltraß'sche  Konstruktion  führt  auf  die  Gleichung 

sn  u       t/s ,, 
anu        Zg 

Dieselbe  zeigt,  daß  die  Weierstraß'sche  Konstruktion  stets  ausführbar  ist  mit 
denselben  Fallunterscheidungen  wie  in  Beispiel  XXII;  daher  liefert  der  Bogen  ©^ 
•das  absolute  Maximum.     Das  Maximalvolumen  ist 

6K' 

und  weicht  um  weniger  als  1  7o  von  dem  Volumen  eines  abgeplatteten  Rotations- 
ellipsoids von  derselben  Meridianlänge  ab,  dessen  Halbachsen  sich  wie  3  :  2  ver- 
halten. 

35*.  Ändert  man  die  Aufgabe  Nr.  21  dahin  ab,  daß  der  eine  Endpunkt 
des  Drahtes  auf  der  y-Achse  frei  beweglich  sein  soll,  so  geht  die  Aufgabe  in  der 
s,Ö-Ebene  in  ein  isoperimetrisches  Problem  vom  einfachsten  Typus  mit  einem 
variabeln  Endpunkt  über  (§  65). 

Hiernach  die  von  Bokn,  loc.  cit.  §  8  erhaltenen  Resultate  zu  verifizieren  und 
wo  möglich  weiter  zu  führen. 


Bolza,  Variationsrechnung.  35 


Elftes  Kapitel. 
Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode/) 

§  66.    Allgemeiner  Überblick. 

Indem  wir  uns  nunmebr  allgemeineren  Problemen  der  Variations- 
rechnung zuwenden,  bemerken  wir  zunächst,  daß  die  in  §§  4  und  5 
für  den  einfachsten  Typus  von  Aufgaben  entwickelten  Methoden  zur 
Ableitung  der  Euler 'sehen  Differentialgleichung  sich  ohne  weiteres 
auf  Probleme  übertragen  lassen,  bei  welchen  das  Integral,  welches  zu 
einem  Extremum  zu  machen  ist,  höhere  Ableitungen  von  y  enthält, 
also  von  der  Form  ist 

Hier  findet  man  für  die  Differentialgleichung  des  Problems  2): 

df       _d    a/-   ,    rf^  £/    ,  ..     ,  /_iy^  JZ__0  (2) 

Dasselbe  gilt  für  Aufgaben,  bei  denen  mehrere  unbekannte  Funk- 
tionen von  X  und  ihre  ersten  Ableitungen  unter  dem  Integral  vor- 
kommen, wo  es  sich  also  um  ein  Integral  von  der  Form 

Xn 

J=ß\X,  2/i,  y^y  .   .   •;  yn,  yi,  2/2;  •   •  -,  2/«)^^  (3) 

Xi 

handelt.     Hier  erhält  man  das  System  von  n  Differentialgleichungen^) 

|^^_f  14  =  0,  ^=l,2,.•'.,.^.  (4) 

oVi      dx  cVi         ' 

Wesentlich  neue  Schwierigkeiten  treten  erst  bei  Problemen  mit 
Nebenhedingungen  auf.      Der   wichtigste   Typus    derselben   wird   durch 

^)  Wie  schon  Kneser  betont  hat,  hat  Eüler  so  wesentlichen  Anteil  an  der 
Entdeckung  dieser  Methode,  daß  es  nicht  gerechtfertigt  erscheint,  dieselbe  nach 
Lagrange  allein  zu  benennen,  wie  dies  gewöhnlich  geschieht  (siehe  EncyUopädie 
II  A,  p.  580). 

^  Vgl.  die  Übungsaufgaben  Nr.  43—47  p.  152. 

3)  Hierzu  die  Übungsaufgabe  Nr.  2  am  Ende  von  Kap.  XIII. 


§  66.    Allgemeiner  Überblick.  5^3 

das  sogenannte  „Lagrange' sehe  Problem''  repräsentiert,  bei  welchem  es 
sich  darum  handelt,  ein  Integral  von  der  Form  (3)  zu  einem  Extremum 
zu  machen,  während  gleichzeitig  die  zulässigen  Funktionen  einer  An- 
zahl von  Nebenbedingungen  von  der  Form 

"Pi^  (^;  yi,  yi,  •  •  •;  yn,  yl,  y^y  ■  •  -,  yn)  ==  0,  (5) 

ß==l,2^-  •  ',m,         (m<n) 
unterworfen   sind;   dabei   können   die  Ableitungen  y^  auch   in  einigen 
oder  allen  Gleichungen  (5)  fehlen. 

Auf  diese  Aufgabe  läßt  sich  der  allgemeinere  Fall  reduzieren,  in  welchem 
unter  dem  Integral  J  auch  höhere  Ableitungen  der  unbekannten  Funktionen  vor- 
kommen, während  die  zulässigen  Funktionen  außer  Bedingungen  von  der  Form 
(5)  auch  noch  isoperimetrischen  Bedingungen  unterworfen  sein  können. 

Kommen  von  der  Funktion  y.  die  Ableitungen  bis  zuraten  Ordnung  vor, 
so  betrachte  man  die  Ableitungen 

als  neue  unbekannte  Funktionen,  welche  den  Differentialgleichungen 
dVi         ^      dy'.  dy^P-^^ 

genügen.  ^^ 

Nachdem  so  die  Aufgabe  auf  den  Fall  reduziert  ist,  wo  nur  erste  Ablei- 
tungen der  unbekannten  Funktionen  vorkommen,  ersetzt  man  etwaige  isoperi- 
metrische Bedingungen 

J^^(^'2/i,3/2,-  •  •.  2/n,  2/;,  2/2,  •  ■  ;y'^)dx==l^,    9  =  1,2,  •  •  .,  r, 
durch  Bedingungen  von  der  Form  (5),  indem  man  r  neue  Funktionen 

X 

^  ^J^?(^'  2^1'  •  •  •'  2/n'  2/l'  •  •   -^  2/n)  ^^ 
x^ 

einführt,  welche  den  Differentialgleichungen 
und  den  Anfangsbedingungen 

0^  fic  ^  =  0 ,  z  (x^\  =  i 

unterworfen  sind.  ^  \  U  '     q\  .)        ^ 

Übrigens  ist  die  Äquivalenz  des  so  erhaltenen  Lagrange'schen  Problems 
mit  dem  ursprünglich  gegebenen  nur  in  Beziehung  auf  das  absolute  Extremum 
eine  vollständige;  beim  relativen  Extremum  dagegen  kann  es  vorkommen,  daß 
eine  Kurve,  welche  für  das  gegebene  Problem  als  benachbart  anzusehen  ist, 
für  das  entsprechende  Lagrange'sche  Problem  keine  benachbarte  Kurve  ist,  wie 
wir  dies  beim  einfachsten  isoperimetrischen  Problem  gesehen  haben  (siehe  §  64, 
insbesondere  die  Fußnote  ^)  p.  514;  vgl.  auch  p.  91,  Fußnote  ^)  und  die  dort  ge- 
gebene Verweisung  auf  Zermelo). 

35* 


544     Elftes  Kapitel.    Die  Euler- Lag  ränge 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 

Für    das    Lag  ränge 'sehe    Problem    haben    schon    Euler    und 
Lagrange  die  folgende  einfache  Regel  aufgestellt: 

Man  bilde  unter  Einführung    von   m  unbestimmten  Funktionen 

(den  sogenannten  „Multiplikatoren^^)  die  Funktion 

F^f-\-ll(pi-\-h(Pi-\ \-Kx(pm  (6) 

und  verfahre  dann  so,  als  ob  man  das  Integral 


F(x,  1/1,  ?/2;  •  •  •,  yn,  2/1;  2/2,  •  •  •,  2/n)  dx 

ohne  Nebenhedingungen  zu  einem  Extremum  zu  machen  hätte.  Dies 
führt  auf  die  Differentialgleichungen 

dF        d    dF      ^  -10  rn\ 

d^-dxdy'r^^  ^-h^r-^n,  (7) 

welche,  zusammen  mit  den  Relationen  (5)  und  geeigneten  Anfangs- 
bedingungen, im  allgemeinen  die  n  unbekannten  Funktionen  y.  und 
die  Multiplikatoren  k^  bestimmen. 

Der  Beweis  dieser  „MuUiplihatorenregeV,  —  die  übrigens  zunächst 
nur  richtig  ist,  soweit  es  sich  um  die  Aufstellung  der  Differential- 
gleichungen des  Problems  handelt,  und  dann  auch  nur  nach  Ausschei- 
dung eines  später  zu  besprechenden  Ausnahmefalls  —  bildet  den  Gegen- 
stand des  vorliegenden  Kapitels. 

Es  sind  dabei  drei  Fälle  zu  unterscheiden,  je  nachdem  die  Be- 
dingungsgleichungen (5)  sämtlich  endliche  Gleichungen  sind  (§  68), 
oder  sämtlich  Differentialgleichungen  (§§  69,  70),  oder  zum  Teil  end- 
liche, zum  Teil  Differentialgleichungen  (§  71). 

Dem  Beweis  der  Multiplikatorenregel  für  das  Variationsproblem 
schicken  wir  als  Vorbereitung  einen  Beweis  der  analogen  Regel  für 
gewöhnliche  Extrema  mit  Nebenbedingungen  voraus  (§  67).  Den 
Abschluß  des  Kapitels  bildet  die  Reduktion  der  Differentialgleichungen 
des  Problems  auf  ein  kanonisches  System  (§  72)  und  im  Anschluß  daran 
eine  kurze  Darstellung  der  Hamilton-Jacobi'schen  Theorie  (§  73). 

§  67.    Die  Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode  für 
gewöhnliche  Extrema  mit  Nebenbedingungen.*) 

Es  handelt  sich  um  folgende  Aufgabe:  Es  seien  m -f  1  Funktionen 
von  n  Variabein  gegeben 

^)  Vgl.  Encyklopädie  II  A,  p.  85  (Voss),  und  die  dort  angeführten  Literatur- 
angaben, denen  wir  noch  hinzufügen :  Stolz,  Grundzüge^  Bd.  I,  p.  240,  und  Weier- 


§  67.    Gewöhnliche  Extrema  mit  Nebenbedingungen.  545 

welche  in  einem  gewissen  Bereich  €L  im  Gebiet  der  Variabein 
^1,  x^,  .  .  .,  x^  von  der  Klasse  C"  sind.  ^5  sollen  unter  allen 
Punkten  des  Bereiches  GL,  welche  den  m  (<  n)  Bedingungsgleichungen 
^a  {^u  ^2,  •  •  •;  ^J  =  0,  («=1,2,...,  m)  (8) 
genügen,  diejenigen  lestimmt  werden,  in  welchen  die  FunUion 

ein  j,relatives''  Minimum  im  Sinne  von  §  2,  c)  besitzt. 
Angenommen 

sei  eine  Lösung  der  Aufgabe  und  zugleich  ein  innerer  Punkt ^)  von 
6t.     Dann  ist 

^'aK;  «2,  •  •  •;  ö^J  =  0,         (a^  1,  2,  .  .  .,  m), 
und  es  läßt  sich  eine  positive  Größe  d  angeben,  derart  daß  die  Dijfferenz 
Au  =  f(a,  +  h,,  a^+\,  .  .  .,  a^^hj-f{a,,  a^,  .-  -,  aJ^O      (9) 
für  alle  Werte  der  Größen  \,\,-  •  'jKj  welche  den  Gleichungen 

9aK+^^i,  (^2-^K  ••',  «„  +  ^J  =  0,         («==  l,2,...,m)      (10) 
und  den  Ungleichungen 

\W<d,     W\<d,--',     \h^\<d  (10a) 

genügen. 

Indem  wir  zur  Abkürzung 

schreiben,   machen  wir   die   weitere   Annahme,   daß   nicht   alle  Deter- 
minanten mten  Grades  der  Matrix 

(jpW,     ^f,    ....,    9.W 

©(1),      g)(2),     ,     M 

^2  '      ^2  '  '     ^2  (11) 

(p(^),     ©(2),     .  .  .  .,     a)(«) 


;  -an  der  Stelle  (it;)==(a)  verschwinden;  sei  z.  B. 

_______  ^(^1'  ^2---'^J 


(x)  =  (a) 

+  0.  (12) 


STRAss,    Vorlesungen   über    Variationsrechnung,    siehe    Hancock,    Lectures   on   the 
theory  of  Maxima  and  Minima  of  functions  of  several  variables  (Cincinnati  1903). 

^)  Wofür  wir  auch  kürzer  (x)  =  (a)  schreiben. 

')  Vgl.  p.  12. 


546     Elftes  Kapitel     Die  Eul  er- Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 

Alsdann  können   wir   nach    dem   Satz   über  implizite  Funktionen 
(§  22,  e))  die  Gleichungen  (10)  in  der  Umgebung  der  Stelle: 

\  =  0,    h,^0,  .••.,  /^„=0 
eindeutig  nach  \j  li^,  .  .  .,  h^  auflösen: 

Die  Funktionen  x«  verschwinden  für  hm  +  i  =  0 ^  hrn  +  2  =  0 ^  •  •  •,  Jin=0, 
sind  in  der  Umgebung  dieser  Stelle  von  der  Klassö  C  und  daher 
nach  A  IV  6  in  der  Form 

n  —  m 

X.-2K,r{x'r''  +  ^..«.r)  (14) 

r  =  l 

darstellbar,  wobei  ^ci"'"^""^  ^^^  ^^^^  ^^^  dXa/dhm  +  r  für  hm  +  i  =0,  -  •  -, 
7^^_  0  bedeutet,  während  die  £«,m  +  r  unendlich  kleine  Funktionen  von 

Denkt  man  sich  für  die  Größen  K  die  Ausdrücke  (13)  m  die 
Funktion  f{a,+  h,,  o^+h,,---,  a^-^h^)  eingeführt,  so  geht  dieselbe 
in  eine  Funktion  der  n  —  m  unabhängigen  Variabein  hm+iy  /im  +  2, 
.  .  .,  Iin  über,  und  diese  muß  für  Jim  +  i  =  0,  hm  +  2  =0,  •  •  •,  //^„  =  0 
ein  Minimum  besitzen. 

Damit  ist  die  Aufgabe  auf  die  Bestimmung  eines  Minimums  ohne 
Nebenbedingungen  zurückgeführt. 

Statt  dessen  ist  es  jedoch  eleganter,  nach  LaGRanGE^)  die  lle- 
thode  der  unbestimmten  Multiplilatoren  anzuwenden:  Nach  dem  Satz 
über  das  totale  Differential  lassen  sich  die  Gleichungen  (9)  und  (10) 
auch  schreiben: 

A«  =  J'/*i(f«K,  «2,  •  •  ■>  «»)  +  5i)  >  0,  (15) 

i  =  l 

J'',(9'2'(«l,«2---->«n)+^..)=0,  (16) 

i  =  1  ,,f 

(a=l,2,  •••,  m). 

Dabei  sind  |.,  |„,  unendlich  kleine  Funktionen  von  h^,  \^  •  •  .,  K- 
Multipliziert  man  jetzt  die  m  Gleichungen  (16)  mit  vorläufig  unbe- 
stimmten „Multiplikatoren"  A^,  h>  " -^  K  ^"^^  ^^^^^^^  «^^  ^^^^  ^^ 
(15),  so  erhält  man 


i  =  l 


^)  Laorange,  Oeuvres  Bd.  IX,  p.  291, 


§  67.    Gewöhnliche  Extrema  mit  Nebenbedingungen.  547 

wobei  zur  Abkürzung  ^ 


dF 


F  =  f+2K^^,      l^-F^. 


a  =  l 


OX, 


gesetzt  ist,  und  die  rj-  wieder  unendlicli  kleine  Funktionen  von  \, 
h^y  •  '  •,\  bedeuten. 

Die  Ungleicbung  (17)  muß  ebenfalls  für  aUe  den  Bedingungen 
(10)  und  (JlOa)  genügenden  Werte  von  \y\,  .  .  .^  h^  bestehen. 

Jetzt  bestimmen  wir  die  bisher  unbestimmt  gelassenen  Größen 
^ly  ^27  '  '  ■}  ^m  ^^^  ^^^  ^^  Gleichungen 

F'''^\ai,  «2,  •  •  •,  a„)  =  /^''(oi,  »2,  •  •  •,  a«)  +^A„9)lf' («i,  «2,  •  •  •,  «„)=  0, 
was  nach  (12)  stets  möglich  ist.     Dann  geht  (17)  über  in 

n  —  m  n 

^Kn-^rF^'"'^''^  (ai,  »2,  •  •  •,  an)  +^hirji  5  0. 


Drückt  man  hierin  die  Größen  \,\y...  h^y  mittels  (13)  und  (14) 
durch  lhu  +  \j  hm  +  2y  •  •  -,  ^hi  aus,  so  erhält  man 

n  —  m 

2K,.r  [i^^"+'^(ai,  «2,  •  •  •,  an)  +  ?,»+.] 5  0, 

WO  nunmehr  die  Größen  ^m+r  unendlich  kleine  Funktionen  der  un- 
abhängigen Yariabeln  lim+iy . . .,  hn  sind,  und  diese  Ungleichung  muß  für 
alle  numerisch  hinreichend  kleinen  Werte  dieser  Größen  bestehen. 
Hieraus  folgt  aber  wie  in  der  Theorie  der  Extrema  ohne  JSTeben- 
bedingungen,  daß 

sein  muß  für  r  =  1,  2,  •  •  •,  w  —  m. 

Die  Voraussetzung,  daß  mindestens  eine  Determinante  mter  Ord- 
nung der  Matrix  (11)  von  Null  verschieden  ist,  war  beim  Beweis 
wesentlich;  wir  wollen  den  Fall,  in  dem  sie  erfüllt  ist,  den  „Haupt- 
fall" nennen.  In  dem  „Ausnahmefall^',  wo  aUe  Determinanten  wter 
Ordnung  der  Matrix  (11)  gleich  NuU  sind,  folgt  aus  der  Theorie  der 
linearen  Gleichungen,  daß  sich  m  Größen  A^,  ^3,  .  .  .,  A^,  nicht  alle 
null,  so  bestimmen  lassen,  daß 

m 
a  =  l 

für  ^  =  1,  2,  .  .  .,  n.  Indem  man  nach  Hilbert  eine  Größe  A^  =  1 
für  den  Hauptfall,  A^  =  0  für  den  Ausnahmefall  definiert,  kann  man 
beide  Fälle  in  den  Satz  zusammenfassen: 


548     Elftes  Kapitel.     Die  Euler- Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 
Soll  die  FunJction 

der  durch  die  m  Gleichungen  (8)  verJinüpften  Variahein  x-^,  x^y  .  .  .,  x^ 
an  einer  inneren  Stelle  (x)  =  (a)  des  Bereiches  €L  ein  relatives  Mini- 
mum besitzen,  so  muß  es  m  ■}-  1  Konstayiten:  A^^  A^,  Ag,  .  .  .,  A,^,  nicht 
alle  gleich  Ntdl,  gehen  ^  derart  daß  an  der  Stelle  (a)  gleichzeitig 

^ ^0,        i  =  l,2,...,^.    (18) 

i 

Man  verfährt  also,  soweit  es  sich  um  die  erste  notwendige  Be- 
dingung handelt,  genau  so,  als  ob  man  die  Funktion 

-F'^V+J'^^'J^a  (19) 

a 

ohne  Nebenbedingungen  zu  einem  Minimum  zu  machen  hätte. 

Im  Hauptfall  hat  man  zur  Bestimmung  der  m  -j-  n  Unbekannten: 
«1,  «2;  •  •  •;  ^«5  ^i;  '^2>  •  •  •?  Kl  genau  m  +  n  Gleichungen,  nämlich  die 
Gleichungen  (18)  und  (8). 

§  68.    Die  Multiplikatorenregel  für  den  Fall  endlicher 
Bedingungsgleichungen. 

Wir  betrachten  jetzt  zunächst  die  Aufgabe,  das  Integral  (3)  zu 
einem  Extremum  zu  machen  in  dem  Fall,  wo  die  Nebenbedingungen 
(5)  sämtlich  endliche  Gleichungen  sind,  also  von  der  Form 

'P,,{^,y^,■■■,yn)  =  0,  ß  =  l,2,-.;m.  (20) 

Wir  setzen  voraus,  wir  hätten  eine  Kurve  ^)  der  Klasse  C"  ge- 
funden : 

welche  durch  die  beiden  gegebenen  Punkte 

Pi  (^i;  2/iu  2/21,  •  •  ',  Vui)       ^nd       F^(x^,  i/i2/!/22»  •  •  •;  Vn^) 
geht,  den  m  Gleichungen 

9'/a;,2/,(a;),---,y„(a;))  =  0,  ,3  =  1,  2,  •  •  •,  m,  (21) 

genügt  und  das  Integral 


dx 


*)  Das  Wort  „Kurve"   wird   hier  gleichbedeutend  mit  „Funktionensystem' 
gebraucht. 


§  68.    Der  Fall  endlicher  Bedingungsgleichungen.  549 

zu  einem  Minimum  macht  in  Beziehung  auf  die  Gesamtheit  aller  in 
einer  gewissen  engeren^)  Umgebung  ^  von  (^^  gelegenen,  durch  die 
beiden  Punkte  P^,  F^  gehenden  Kurven  der  Klasse  JD',  welche  eben- 
falls den  m  Gleichungen  (20)  genügen. 

Die  Funktionen  f  und  cp,.  werden  von  der  Klasse  0'"  voraus- 
gesetzt, und  zwar  f  in  dem  Bereich  %,  die  Funktionen  g).  in  der 
Projektion^)  äl  von  %  in  den  (x,  y^j  .  .  .,  ?/^J-Raum. 

Weiter  setzen  wir  voraus,  daß  mindestens  eine  Determinante 
mten  Grades  der  Matrix 


i=  1,2,  •••,n, 
^  =  l,2,...,m. 


4=0       in  [x^x^'].  {22) 


entlang  ©^  von  Null  verschieden  ist^);  es  sei  z.  B. 

^(2^1'  ^2'  •••'2/J 
Zur  Vereinfachung  der  Schreibweise  setzen  wir  für  die  folgenden 
Entwicklungen    fest,    daß   die   verschiedenen  Indizes    ganz   bestimmte 
Zahlenreihen  durchlaufen  sollen,  und  zwar 

^,i,  Ä;=l,  2,  ...,>*, 
«;  /5,  r  ==  1;  2,  •  •  •,  m, 

r  =  1,  2,  •  •  •,  w  —  m, 
so  daß  also  z.  B.  ^  stets  eine  Summation  von  1  bis  n  bedeuten  soll. 

i 

Ebenso  soll  z.  B.  die  Gleichung  go^  =  0  stets  das  System  von  m  Glei- 
chungen bezeichnen,  welches  man  hieraus  für  ß  =  1,  2,  ■  ■  •,  m  erhält. 

Ferner  werden  wir,  wo  kein  Mißverständnis  zu  befürchten  ist, 
häufig  bloß  (x,  y,  y'),  resp.  (x,  y,  i/,  X),  für  {x,  y,,  .  .  .,  i/„,  y[,  .  .  .,  i/^), 
resp.  (x,  ^1,  .  .  .,  ^^^,  y'i,  .  .  .,  ?/,;,  A^,  .  .  .,  Xj,  schreiben. 

Endlich  werden  wir,  wo  es  wünschenswert  ist,  die  Argumente 
anzugeben,  schreiben 

a)  Herstellung  einer  Schar  von  zulässigen  Variationen: 
Dazu  wählen  wir  n  —  m  Funktionen  ^„,  +  ^(^)  der  Klase  C  will- 
kürlich,  nur   der  Bedingung  unterworfen,   daß   sie   in   x^  und  x^  ver- 
schwinden sollen, 

^m  +  r(^l)  =  0,  n„,U^,)  =  <i,  (23) 


^)  Vgl.  die  Definition  von  p.  91,  Fußnote  2),  die  sich  unmittelbar  auf  höhere 
Räume  überträgt. 

^  Vgl.  p.  167.         3)  Vgl.  Fußnote  ^)  auf  p.  558. 


550     Elftes  Kapitel.    Die  Euier-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 
und  setzen  ^^^^^^^^  ^^  _  ^^^^^^^  +  ,^^^^(^).  (24) 

Dann  lassen  sich  auf  Grund  unserer  Voraussetzungen,  insbesondere 
der  Voraussetzung  (22),  nach  dem  erweiterten  Satz^)  über  implizite 
Funktionen   (J  22,  e))   die   m   Gleichungen 

in  der  Umgebung  der  Punktmenge 

eindeutig  nach  y^,.--,y^  auflösen.     Die  Lösungen 

y^-  5^X^;«)> 
für  die  somit  identisch  in  x  und  s  die  m  Gleichungen  gelten 

(p/^, r, (rc, £),...,  r„(^, 6))  =  0,  (26) 

sind  dann  samt  den  Ableitungen  cY^lcx,   cY^/ce,  c^Y^/dxds')  stetig 

in  dem  Bereich  x^^x^x^,         I  ^  I  ^  <^7 

wenn  6  eine  hinreichend  kleine  positive  Größe  ist,  und  es  ist 

Y^{x,0)  =  y^{x).  (2T) 

Überdies   genügen  aber  die  Funktionen   Y^  den  Anfangsbedingungen 

identisch   in   s.     Denn  setzt  man  in  (25)  x  =  x„  während  e  beliebig 

bleibt,  so  erhält  man  nach  (23) 

(P^{x,,y„  . . .,  ym,  ym+iM>  •  •  -^  2/„M  =  ^^ 

1)  Vor  Anwendung  des  Satzes  hat  man  zunächst  die  Kurve  ^  auf  ein 
etwas  weiteres  Intervall  [X,  X,]  fortzusetzen,  so  daß  auch  der  verlängerte  Bo^en 
von  der  Klasse  C"  ist  und  ganz  im  Inneren  von  %  hegt.  Dann  kann  man  eme 
Umgebung  (d)  dieses  verlängerten  Bogens  angeben,  we  che  ebenfalls  noch  ganz 
im  Inneren  von  t^  liegt.  Man  setze  dann  auch  die  Funktionen  n^^^^)  auf  das 
Intervall  [X,X,]  fort,  so  daß  sie  von  der  Klasse  C  bleiben  und  bestimme  dann 
eine  positive  Größe  s,  so,  daß:  \  ^rj^^.i^)  \<^  f^i^-=  ^i^^<^^'  '''<'»•. 

Alsdann  ist  der  auf  p.  167  mit  €1  bezeichnete  Bereich  defimert  durch  die 
Ungleichungen : 

a-.       Xi^rr^x,,       i«l<«o.       \y^i-y^,i^)\<^- 

In  diesem  Bereich  a  und  in  der  in  seinem  Inneren  gelegenen  Punktmenge  6 
haben  dann  die  linken  Seiten  der  Gleichungen  (25)  als  Funktionen  von  x,8,y,,  . . .,  y„, 
die  in  dem  Satz  von  §  22,  e)  verlangten  Eigenschaften  A)  bis  D). 

2)  Um  die  Existenz  und  Stetigkeit  der  letzteren  Ableitungen  zu  beweisen, 
differentiiert  man  die  Identitäten  (26)  nach  8  und  löst  nach  cY^i^de  aul.  Es 
zeigt  sich  dann,  daß  sogar  die  Ableitungen  d'Y^/d^'^  und  a«  i,/a^^s^  existieren 
und  stetig  sind,  was  für  die  Behandlung  der  zweiten  Variation  von  Wichtigkeit  ist. 


§  68.    Der  Fall  endlicher  Bedingungsgleichungen.  551 

und  diese  Gleichungen  werden  nach  (21)  befriedigt  durch:  y^  =  y/i{x^'^ 
daraus  folgt  aber  wegen  der  Eindeutigkeit  der  Lösung^  daß':   YJx^,e) 

Hieraus  folgt,  wenn  man  noch  die  aus  ihrer  Definition  folgenden 
Eigenschaften  der  Funktionen  Y^^^  hinzunimmt,  daß  die  Kurvenschar 

Vi  =  Y,(x,  £),  x^^x^x,  (29) 

eine  Schar  zulässiger  Variationen  der  Kurve  ©q  darstellt:  Sie  hat  die 
erforderlichen  Stetigkeitseigenschaften,  genügt  den  m  Gleichungen  (26), 
und  es  ist 

Y,(x,0)==y,(x),  (27  a) 

Y,{x,,6)  =  y,(x,),  Yi{x„  s)  =  y,(x,).  (28a) 

Durch  Differentiation   der   Gleichungen  (28)  nach   s  folgt  noch: 
Bezeichnen  wir 

'^^r=n,(j^,  (30) 

so  ist 

^..(^i)  =  0.  ^.^(^2)  =  0.  (31) 

b)  Die  Lagrange'schen  Multiplikatoren: 
Für  diese  Schar  (29)  muß  nun  im  Falle  eine  Extremums 

ÖJ=0 

sein.  Gleichzeitig  folgt  durch  Differentiation  der  Gleichungen  (2Q) 
nach  £,  daß 

öqD^  =  0 

ist.  Ausgeschrieben  lauten  diese  Gleichungen  unter  Benutzung  der 
Bezeichnung  (30) 


•^1 


2'S'''  =  0,  (33) 


wobei   die  Argumente   in   den  Ableitungen   der  Funktionen  f  und  g?^ 
sich  auf  die  Kurve  ©^  beziehen. 

Wir  multiplizieren  jetzt  nach  dem  Vorgang  von  Lagrange  2)  die 
Gleichungen  (33)  mit  vorläufig  unbestimmten  stetigen  Funktionen  kß{x), 

^)  Man  kann  dasselbe  Resultat  auch  direkt  beweisen^  indem  man  die  Identi- 
titäten  (26)  nach  s  differentiiert  und  dann  x  =  x^   setzt. 
')  Oeuvres,  Bd.  IX,  p.  312;  Bd.  X,  pp.  416,  420. 


552    Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 

integrieren  zwischen  den  Grenzen  x^  und  x^  und  addieren  die  sämt- 
lichen so  erhaltenen  Gleichungen  zu  (32).  Wir  erhalten  so  die  Glei- 
chung x^ 

Xj_  i 

wenn  wir  zur  Abkürzung 

setzen. 

Sodann  wenden  wir  auf  das  Integral  (34)  die  Lagrange'sche 
partielle  Integration  an  und  erhalten,  da  sämtliche  Funktionen  '^^{x) 
nach  (23)  und  (31)  an  beiden  Grenzen  verschwinden, 

'dF        d  cF 


J  ^  idVi 


dVi       dxdy 


'^rj^dx^O,  (35) 

und  nunmehr  bestimmen  wir,  immer  nach  Lagrange,  die   m  unbe- 
stimmten Funktionen  A^  aus  den  m  Gleichungen 

BF         d   dF  _  ^ 

dy^       dxdy'„ 

Ausgeschrieben  lauten  dieselben 

Z^^nyl^  dy,       dxdy', 

Sie  bestimmen  also  wegen  der  Voraussetzung  (22)  die  Funktionen  A^ 
eindeutig  als  stetige  Funktionen  von  x  im  Intervall  [x^x^. 

Bei  dieser  speziellen  Wahl  der  Funktionen  A^  reduziert  sich  die 
Gleichung  (35)  auf 


*1 


Da  aber  die  Funktionen  ^^+^  ganz  beliebige  in  x^  und  x^  verschwin- 
dende Funktionen  der  Klasse  C  waren,  so  folgt  hieraus,  daß 

dF  d      dF 


0 


"^Vm  +  r  dxdy'„,^r 

sein  muß  für  r  =  1,  2,  .  .  .,  >^  —  w;  man  braucht  nur  je  w  -  m  -  1 
der  Funktionen  i?„,^.^  identisch  gleich  Null  zu  setzen  und  dann  das 
Fundamentallerama  der  Variationsrechnung  (§  5,  b))  anzuwenden. 

Hiermit  ist  aber  die  Multiplikatorenregel  in  der  Tat  für  den  Fall 
endlicher  Bedingungen  bewiesen: 


§  68.    Der  Fall  endlicher  Bedingungsgleicliungeii.  553  - 

Es  muß  im  Fall  eines  Extremums  m  stetige  FunJctionen  >l^(^)  geben, 
welche  zusammen  mit  den  FunJctionen  y^{x)  den  n  Differentialgleichungen 

'dVi       dxdy'i 

geniigen,  tvobei:  F  =  f  -\-  Sl^g)^, 

ii 

c)  Beispiel  III^): 

Die  kürzeste  Linie  zu  bestimmen ,  welche  auf  einer  in  der  Form 

(p{x,y,z)  =  0  (37) 

gegebenen   Fläche    zwischen    zioei    auf    der   Fläche   gegebenen   Punkten   gezogen 
werden  kann. 

Wir  nehmen  der  Symmetrie  und  der  größeren  Allgemeinheit  halber  die  zu- 
lässigen Kurven  in  Parameterdarstellung  ^)  an.     Dann  haben  wir  das  Integral 

h 

mit  der  Nebenbedingung  (37)  zu  einem  Minimum  zu  machen. 
Da  hier 


F^Yx^'  +  y'^  +  ^'^  +  W. 

so  lauten  die  Differentialgleichungen  der  gesuchten  Kurve 

d  x' 

d  y' 


,  d      z' 

dtYx'^-^y'^-\-z'^- 
Dieselben  lassen  sich  auch  schreiben 

d^x  d^y  d^z 

rf.^=^^-'         Ts^^^'^y^         ds^^^"^'^ 

ds 
wenn  man  den  Bogen  s  einführt  und  ;L  =  ^  -  -  setzt. 

a  t 

Diese  Gleichungen  drücken  die  charakteristische  Eigenschaft  der  geodä- 
tischen Linien  aus,  daß  in  jedem  ihrer  Punkte  die  Hauptnormale  der  Kurve  mit 
der  Normalen  der  Fläche  zusammenfällt.^) 

^)  Vgl.  p.  5  und  Beispiel  XVI,  p.  209. 

*)  Dies  ist  auf  die  unter  a)  und  b)  durchgeführten  Schlüsse  ohne  Einfluß; 
nur  sind  die  erhaltenen  Differentialgleichungen  nicht  voneinander  unabhängig, 
vgl.  unten  §  70,  d). 

^)  Hierzu  die  Übungsaufgabe  Nr.  1  am  Ende  von  Kap.  XIH. 


554     Elftes  Kapitel.     Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

d)  Beispiel  XXIII:  Das  Hamilton' sehe  Prinzip:^) 

Es  sei  J/j,  M^,  •    -,  ^4  ein  System  materieller  Punkte.    Die  Masse 

des  Punktes  M^,  sei  w^,   seine  Koordinaten  zur  Zeit  t  seien  x^y  y^,  ^/, 

die  Bedingungsgleichungen  des  Systems  seien 

^^  =  0,  a=l,2,...,  m,  (38) 

wobei  die  Funktionen  (p^  von  den  Koordinaten  der  Punkte  31^  und 
der  Zeit  abhängen.  Auf  die  Punkte  des  Systems  wirken  Kräfte,  welche 
eine  Kräftefunktion  besitzen,  d.  h.  es  gibt  eine  Funktion  U  der  Koor- 
dinaten und  der  Zeit,  derart  daß 

^  _du        V  __^JL        7  ^^Jl 

wenn  X^,  F,,,  Z^  die  Komponenten  der  auf  den  Punkt  M^  wirkenden 
Kraft  bezeichnen.  Endlich  werde  mit  T  die  lebendige  Kraft  des 
Systems  bezeichnet,  also 

V 

wobei  der  Akzent  Differentiation  nach  der  Zeit  t  bedeutet. 

Unter  der  Wirkung  dieser  Kräfte  wird  das  System  bei  gegebenen 
Anfangslagen  und  Anfangsgeschwindigkeiten  der  Punkte  M^.  eine  be- 
stimmte Bewegung  ausführen,  dargestellt  durch 

Dabei  möge  sich  das  System  zur  Zeit  ^o  '^^  <ier  Lage  A^,  zur  Zeit  t^ 
in  der  Lage  A^  befinden. 

Wir  betrachten  jetzt  die  Gesamtheit  aller  möglichen  Bewegungen 

welche  mit  den  Bedingungen  (38)  des  Systems  verträglich  sind,  und 
bei  welchen  das  System  zur  Zeit  t^  und  mr  Zeit  t^  dieselben  Lagen  Aq, 
resp.  J-i,  einnimmt  wie  hei  der  tvirUichen  Bewegung. 

Unter  aU  diesen  zulässigen  Bewegungen  soll  diejenige  bestimmt 
werden,  bei  welcher  das  Hamilton' sehe  Integral 

J^f{T+U)dt 

den  kleinsten  Wert  annimmt. 

Über  die  Funktionen  cp^,  U,  x^,  y,,  s,  werden  die  der  aUgemeinen 
Theorie  entsprechenden  Stetigkeitsannahmen  gemacht. 

1)  Wegen  der  Literatur  vgl.  Encyklopädie  IV  1  (Voß),  Nr.  42. 


§  68.    Der  Fall  endlicher  Bedingungsgleichungen.  555 

Wir  haben  ein  Lagrange'sches  Problem  mit  endlichen  Bedin- 
gungßgleichungen  und  festen  Endpunkten  vor  uns,  und  zwar  ein 
Funktionen-Problem  (a;-Problem) ,  kein  Kurvenproblem,  da  wir  es 
mit  einer  ganz  bestimmten  unabhängigen  Variabein,  der  Zeit,  zu  tun 
haben.     Da  hier  F=T+U+^X^^^, 


SO  lauten  die  Differentialgleichungen  des  Problems 

a 

dt'        ^^^^^^^y^  (39) 


m^ 


^^^~di^  ^^  '^  Xj^a  —  -' 

a 

1/  =  1,  2, .  .  .,  n. 
Das  sind  aber,  wie  in  der  Mechanik  gezeigt  wird/)  die  Differen- 
tialgleichungen der  wirklichen  Bewegung  des  Systems  unter  der  Ein- 
wirkung der  gegebenen  Kräfte. 

Die   wirUiche  Bewegung   des  Systems   erfüllt   also   die   erste   not- 
wendige Bedingung  für  ein  Minhnum  des  Integrals 

h 
J=f(T-{-U)dt 

in  Beziehung  auf  die  Gesamtheit  derjenigen  Bewegungen,  tvelche  den  Bedin- 
gungen des  Systems  genügen,  und  hei  welchen  das  System  mr  Zeit  t^  und 
mr  Zeit  ^  dieselben  Lagen  einnimmt,  wie  hei  der  wirklichen  Betvegung. 
Lassen  sich  die  Bedingungen  (38)  in  der  Weise  allgemein  auf- 
lösen, daß  man  die  3n  Koordinaten  x^,  y^,  z^  als  eindeutige  Funk- 
tionen von  r  ==  3n  —  m  unabhängigen  Größen  q^^,  q^,...,  q^  und  t 
ausdrückt,  so  läßt  sich  die  Aufgabe  auf  ein  Problem  ohne  Neben- 
bedingungen zurückführen.  Gehen  nämlich  die  Funktionen  T  und  U 
durch  Einführung  der  „allgemeinen  Koordinaten'^  5i;  ^2?  •  •  •?  ^r  ^^^i'  i^ 

^=  "^{^ly  Q2'  •  -7  Qr>  Q.'iy  ^2>  •  •  •;  Qny  0. 

U=^(q^,q^,...,q^,t), 
so  ist  unsere  Aufgabe  äquivalent  mit  der  Aufgabe,  das  Integral 


/C^  -f  ^)dt. 


1)  Vgl.  z.  B.  Appell,  Tratte  de  Mecanique  rationelle,  Bd.  II  (1896),  p.  322. 


556     Elftes  Kapitel.     Die  Eul  er -Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 

ohne  Nebenbediiigungen  zu  einem  Minimum  zu  machen,  woraus  sich 
die  Diiferentialgleichungen  der  Bewegung  in  der  Form 

ergeben.  ^  ^^ 

e)  Beispiel  XXIV:  Die  Ja c ob i 'sehe  Form  des  Prinzips  der 
kleinsten  Aktion:^) 

Es  sei  wie  im  vorigen  Beispiel  ein  System  von  n  materiellen 
Punkten  gegeben,  welche  m  Bedingungsgleichungen  unterworfen  sind: 

9),  =  0,  a^l,2,...,m,     (38) 

und  auf  welche  gegebene  Kräfte  wirken,  welche  eine  Kräftefunktion  U 
besitzen. 

Darüber  hinaus  machen  wir  jetzt  aber  die  weitere  Annahme,  daß 
sowohl  die  Bedingungsgleiclmngen  als  die  Kräftefunktion  die  Zeit  t  nicht 
explizite  enthalten.  Wir  benutzen  dieselbe  Bezeichnung  wie  unter  d), 
insbesondere  sollen  Äq  und  Ä^  wieder  die  Anfangs-  und  Endlage  bei 
der  wirklichen  Bewegung  bezeichnen. 

Unter  einer  mit  den  Bedingungen  des  Systems  verträglichen 
„Bahn"  verstehen  wir  irgend  eine  Kurve 

im  3w-dimensionalen  Raum  der  Variabein  r^,,  i/,,,  ^,,,  dargestellt  durch 
einen  beliebigen  Parameter  r,  welche  den  Bedingungen  (38)  für  be- 
liebige Werte  von  x  genügt.  Nunmehr  betrachten  wir  das  folgende 
Variationsproblem : 

Unter  allen  mit  den  Bedingungen  des  Systems  verträglichen  Bahnen, 
welche  das  System  ans  der  Anfangslage  A^  in  die  Endlage  A^  führen^ 
diejenige  zu  bestimmen,  welche  für  das  „AJdionsintegral'^ 

J=fV2(lJ+li^V2m,(x:,'+y:'  +  Ö^^r 

den  Jdeinsten   Wert  liefert. 

Dabei  ist  h  eine  Konstante,  die  für  alle  zulässigen  Kurven  den- 
selben Wert  hat,  und  die  Akzente  bedeuten  Differentiation  nach  r. 

Dies  ist  ein  Lagrange'sches  Problem  in  Parameterdarstellung 
mit  endlichen  Nebenbedingungen  und  festen  Endpunkten.  Wir  schreiben 
zur  Abkürzung  ,„ 


^)  Vgl.  Jacobi,  Werke,  Suppl.  p.  43 ;  auch  Appell,  IVaite  de  Mecanique,  Bd.  II, 
p.  426;  ferner  die  auf  p.  586,  Fußnote  ^),  angegebene  Literatur,  sowie  die  Übungs- 
aufgaben Nr.  9 — 14  zu  Kapitel  V. 


§  68.     Der  Fall  endlicher  Bedingungsgleichungen.  557 

Dann  ist 

J'  =  -|/2(F+Ä)\l/SH^A„9,„; 

a 

also  lauten  die  Differentialgleichungen  des  Problems 


a 

und  zwei  analoge  Gleichungen  für  y^,,  z^..  Diese  3w  Differential- 
gleichungen sind  aber  nach  §  70,  d)  nicht  voneinander  unabhängig 
und  wir  können  eine  beliebige  „Zusatzgleichung" ^)  hinzufügen,  was 
mit  einer  speziellen  Wahl  des  Parameters  gleichbedeutend  ist.  Wir 
wählen  diese  Zusatzgleichung  folgendermaßen 


ys' 


(40) 


und  bezeichnen  den  ausgezeichneten  Parameter,  für  welchen  dieselbe 
statt  hat,  mit  t.  Dann  gehen  die  Differentialgleichungen  des  Problems 
in  die  Differentialgleichungen  (39)  über,  d.  h.  also  in  die  Differential- 
gleichungen der  Bewegung,  welche  das  System  unter  der  Einwirkung 
der  gegebenen  Kräfte  wirklich  ausführt. 

Die  Bahn  des  Systems  hei  der  wirUichen  Beivegung  ist  also  eine 
Extremale  für  das  obige  Variationsproblem. 

Zwischen  einem  beliebigen  Parameter  r  und  dem  ausgezeichneten 
Parameter  t,  welcher  der  Zeit  im  mechanischen  Problem  entspricht, 
folgt  aus  (40)   die  Beziehung 


/ 


1/2-.  [(!?)■+ (t)+(t)'] 


2-l\ 

d 


■V^{U-\-hy 


(41) 


Das  Charakteristische  des  Prinzips  der  kleinsten  Aktion  in  dieser 
Form  besteht  darin,  daß  die  Zeit  darin  gar  nicht  vorkommt.  Hat 
man  mittels  desselben  die  Bahn  des  Systems  mit  einem  beliebigen 
Parameter  x  bestimmt,  so  kann  man  nachträglich,  wenn  man  sich 
dafür  interessiert,  die  Zeit  durch  die  Quadratur  (41)  erhalten. 

Auch  hier  kann  man  wieder  „allgemeine  Koordinaten"  q^q^y-y^r 
einführen  und  erhält  dann  eine  ähnliche  Modifikation  des  Satzes  wie 
beim  Hamilton 'sehen  Prinzip. 

')  Vgl.  §  26,  a)  und  §  70,  d). 

Bolza,  Variationsrechming.  36 


558     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange' sehe  Multiplikatoren-Methode. 

§  69.     Die  Multiplikatorenregel  für  den  Fall  von  Differential- 
gleichungen als  Nebenbedingungen.^) 
Der   Beweis    der   Multiplikatorenregel   ist   wesentlich   schwieriger 
in    dem   Fall,   wo    die   Nebenbedingungen   (5),   wenigstens   zum   Teil, 
die  Ableitungen  i/.'  enthalten.    Wir  betrachten  zunächst  den  einfacheren 
Fall,  wo  sämtliche  Nehenbedingiingen  Differentialgleichungen  sind. 

'wir  machen  dabei  über  die  Kurve  @o  dieselben  Voraussetzungen 
wie  in  §  68,  nur  daß  jetzt  an  Stelle  der  endlichen  Gleichungen  (21)  die 
Differentialgleichungen 

%M  2/i (^).  •  •  • .  Vni^)^  ^;  W;  •  •  • .  y»)  =  0  (42) 

treten,  und   daß   die  Voraussetzung  (22)   durch   die  Annahme  zu  er- 
setzen'ist,  daß  mindestens  eine  Determinante  mten  Grades  der  Matrix 


dy'i 


i=  1,2,  ...,n, 

/3  =  1,  2,  ...,m, 


(43) 


%0.  (44) 


entlang  @o  ^^n  Null  verschieden  ist,^)  etwa 

Von  den  Funktionen  (p.  wird  vorausgesetzt,  daß  sie  in  demselben 
Bereich  %  wie  die  Funktion  f  von  der  Klasse  C"  sind. 
a)  Herstellung  einer  Schar  von  zulässigen  Variationen: 
Dazu    wählen   wir    zunächst    {m  +  1)    Systeme    von   je    {n  —  m) 
Funktionen^)  ^        /  n  ^:i      (^\ 

von  der  Klasse  C",  welche  in  x^  und  x^  verschwinden: 

sonst  aber  willkürlich  sind. 
Sodann  definieren  wir 


(i 


1)  Im  wesentlichen  nach  Hilbert,  Göttinger  Nachrichten  1905  und 
Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  351.  Vgl.  auch  die  historische 
Skizze  am  Ende  dieses  Paragraphen,  sowie  Bolza,  Mathematische  Annalen, 

Bd.  LXIV  (1907),  p.  370.  ^         ^   o  •    •  ^ 

2^  Diese  Voraussetzung  läßt  sich  durch  die  schwächere  ersetzen,  daß  in  jedem 

Punkt  von  (£„  mindestens  eine  Determinante  wten  Grades  der  Matrix  (43)  von  Null 

verschieden  ist,  vgl.  Hahn,  Mathematische  Annalen,  Bd.  LVIII  (1903),  p.  161. 
3)  Man  beachte   die  im  Eingang  von  §  68  getroffenen  Verabredungen  über 

die  Bezeichnung,  die  auch  hier  in  Kraft  bleiben. 


§  69.     Der  Fall  von  Differentialgleichungen  als  Nebenbedingungen.       55  9 

sodaß  also        ^^       /     ^  ^ 

Yn,+MO,0,...,0)  =  y^^^(x)    m    [x,x,]  (46) 

und 

Ym  +  ri^U^^  h,  •  •  •,  £m)-yru  +  r(^l)>     ^,.  +  r(^2;  ^;  ^1;  •  •  •;  0  =  !/m  +  .(^2)        (47) 

für  alle  Werte  der  f.     Ferner  ist 

de  ^^  +  r>  ^^^        ~^m  +  r-  (48) 

Nunmehr  stellen  wir  uns  die  Aufgabe,  das  System  von  m  Differen- 
tialgleichungen 

^ß{^>  vu  •  • .,  Vm.  i^+i, . . .,  i;,  y',, . . .,  2/:,  r;,^,, . . .,  r;)  =  o, 

nach  Viyy^,-  •  -iVm  aufzulösen. 

Dieses  Differentialgleichungssystem  enthält  die  Größen  f,f^,...,£^ 
als  konstante  Parameter.  Für  das  spezielle  Wertsystem:  £  =  0,  fi  =  0, . .  .'^ 
£^  =  0  derselben  kennen  wir  nach  (42)  eine  Lösung,  nämlich 

Sowohl  die  linken  Seiten  der  Differentialgleichungen  (49)  als 
Funktionen  von  x,  y^,  .  .  .,y^^^,  y^^  .  .  .,  y;^,  s,  s,,  .  .  .,  s^,  als  auch  die 
Funktionen  y^(x)  besitzen  die  in  dem  Existenztheorem ^)  von  §  24,  e) 
vorausgesetzten  Eigenschaften,  wobei  besonders  von  der  Voraussetzung 
(44)  Gebrauch  zu  machen  ist.  Daraus  folgt  die  Existenz  eines  Lösungs- 
systems -^:r  /  N 

von  folgenden  Eigenschaften: 

1.  Die  Funktionen  Y^,  ihre  ersten  Ableitungen,  sowie  die  Ab- 
leitungen c^YJdscx,  o^YJde^cx  sind  stetig  in  dem  Bereich 

wofern  die  positive  Größe  d  hinreichend  klein  gewählt  wird. 

2.  Die  Funktionen  Y^  genügen  für  alle  hinreichend  kleinen  Wert- 
systeme der  e  den  m  Differentialgleichungen 

<p^(^,  r„,..,  r„,  r;,.,.,r:)  =  o.  (öo) 

o.  Es  ist 

Y.{x,  0,  0,  .  .  . ,  0)  =  y^{x) .  (51) 

^)  Und  zwar  in  der  speziellen,  am  Ende  von  §  24,  e)  erwähnten  Fassung, 
bei  welcher  in  der  dortigen  Bezeichnung  ^^  =  I2.  Bei  Anwendung  des  Satzes 
hat  man  eine  ganz  ähnliche  Vorbetrachtung  anzustellen  wie  auf  p,  550,  Fußnote  *). 

36* 


560    Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 
4.  Es  ist 

Ya(0C,,£,hy'y  ^.j  =  ya M  (52) 

für  alle  hinreichend  kleinen  Wertsysteme  der  £. 

Für  jedes  hinreichend  kleine  Wertsystem  der  Größen  f,  £i, .  • .,  «„,, 
welches  den  m  Gleichungen 

^afe;  f,  hy  •  •  • .  O  =  ^a(^2)  (53) 

genügt,  stellen  daher  die  Gleichungen 

2/,=  Y,{x,£,£^,...,£j  (54) 

eine  zulässige  Variation  der  Kurve  ©o  dar. 

b)  Die  Hilbert'schen  konstanten  Multiplikatoren  l: 
Bezeichnen  wir  daher  mit  J(£j  £^,  .  .  .,  f^J  das  Integral 

Ji^y  h,  '  '  •;  O  -ffi^y  ^1'  •  •  'y  ^n7    Y[,  •  .  .,  K)  dX, 

SO  muß  die  Funktion  J"(£,  a^,  •  •  •,  £,„)  für  f  =  0,  «^  =  0,  •  •  •,  £„^  =  0 
ein  Minimum  mit  den  m  Nebenbedingungen  (53)  besitzen.  Daher  muß 
es  nach  §  67  m  -{-  1  Konstanten  Iq,  l^,  .  .  .,  l^  geben,  die  nicht  alle 
gleich  Null  sind,  derart  daß  gleichzeitig  die  folgenden  m  +  1  Glei- 
chungen bestehen: 

,(|i)_^.|,(!i(v-.^-,))^.„,  (»e, 

wobei  der  Index  0  andeutet,  daß  nach  Ausführung  der  Differentiation 
alle  £  gleich  Null  zu  setzen  sind. 

Für  unsere  weiteren  Schlüsse  ist  es  nunmehr  von  der  größten 
Wichtigkeit,  zu  untersuchen,  wie  weit  die  Faktoren  l  von  der  Wahl 
der  Funktionen  ti    ,    ,  ri^  ,     abhängen.     Schreiben  wir  zur  Abkürzung 

(  8.      -^)  =  »?.W,    (-^ — er-.— =)„=  ^'»(^)'  (5^) 

SO  folort  aus  (52)  durch  Differentiation  nach  «,  resp.  £^  und  nach- 
heriges  Nullsetzen  der  £: 

und  ebenso  aus  (50),  unter  Benutzung  von  (48): 


§  69.     Der  Fall  von  Differentialgleichungen  als  Nebenbedingungen.     561 

wobei  wegen  (46)  und  (51)  die  Argumente  der  Ableitungen  von  cp^  sind: 

X,  yi{x),  .  . .,  yn{x),  y[{x),  .  .  .,  yn{x). 

Die  Gleichungen  (59)  für  einen  gegebenen  oberen  Index  ß  und 
für  u  =  l,2j  •  •  ,m  lassen  sich,  nachdem  die  Funktionen  ^^^ ,  j^,  '  '  'i  "Hn 
gewählt  sind,  als  ein  System  von  m  Differentialgleichungen  für  die 
Funktionen  iq^,  .  .  .^  rj(^^^  auffassen,  und  zwar  sind  diese  m  Funktionen 
wegen  (44)  durch  die  m  Differentialgleichungen  zusammen  mit  den 
m  Anfangsbedingungen 

vollständig  bestimmt.  Obgleich  also  die  Funktionen  Y^  {x,  s,  fj,  .  .  .,  a^') 
selbst  von  der  Wahl  der  sämtlichen  {m  +  1)  {n  —  m)  Funktionen: 
Vm  +  ri^)y  ^^+rW  abhängen,  so  sind  doch  die  Funktionen  ^^(ii?)  nur 
von  der  Wahl  der  n  —  m  Funktionen  ^j^j^^(^)  mit  demselben  oberen 
Index  ß  abhängig.  Ebenso  sind  die  Funktionen  r]^(x)  nur  von  der 
Wahl  der  n  —  m  Funktionen  rjm+r{x)  abhängig. 
Da  ferner 


so  "  '   ■     ' 


m.-fm^^Sj^> 


ö— )  nur  von  der  Wahl  der  Funk- 
tionen rj^^_^_^{x)  mit  dem  oberen  Index  ß  abhängig  ist. 

Für  die  weitere  Diskussion  des  Gleichungssystems  (56)  setzen  wir 
jetzt  zunächst  voraus,  daß  die  (n  —  m)m  Funktionen  i^^^^^  so  gewählt 
werden  können,  daß  mindestens  eine  der  7n  -\-  1  Determinanten  mten 
Grades,  die  sich  aus  dem  Koeffizientensystem  der  Gleichungen  (56) 
bilden  lassen,  von  Null  verschieden  ist.  Alsdann  bestimmen  diese 
Gleichungen  die  Verhältnisse  ?o  •  ^i  •  *  *  *  •  ^m  eindeutig,  und  zwar  sind 
diese  Verhältnisse  von  der  Wahl  der  n  —  m  Funktionen  r}m-]-r{x)  un- 
abhängig und  genügen  dann  im  Fall  eines  Extremums  stets  auch  der 
Gleichung  (55). 

Sind  dagegen  jene  Determinanten  mter  Ordnung  sämtlich  gleich 
Null,  wie  auch  die  Funktionen  ri'l^,^  gewählt  sein  mögen,  so  möge 
p  der  Rang  des  Koeffizientensystems  der  Gleichungen  (56)  sein  in  dem 
Sinn,  daß  alle  Determinanten  (p  +  l)ten  Grades  verschwinden,  und 
zwar  für  jede  Wahl  der  Funktionen  '»^'^  ,  ^;  während  es  möglich 
sein  soll,  diese  Funktionen  so  zu  wählen,  daß  mindestens  eine  Deter- 
minante ^ten  Grades  von  Null  verschieden  ist.     Alsdann  können  wir 


562     Elftes  Kapitel.    Die  Eul er- Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 

p  der  Gleichungen  (56)  —  es  seien  z.  B.  die  p  ersten  —  nach  p  der 
Größen  l  auflösen  und  erhalten  die  letzteren  als  homogene  lineare 
Funktionen  der  übrigen  m  -\-  \  —  p  Größen  l  mit  Koeffizienten,  die 
sowohl  von  der  Wahl  der  Funktionen  iq.n  +  r  als  von  der  Wahl  der 
Funktionen  ri(^_^^  mit  dem  oberen  Index  p  -\- 1,  p  -\r  2 ,  -  -  -,  m  unab- 
hängig sind.  Jedes  so  erhaltene  Wertsystem  ?o?  ^u  •  •  •?  L  genügt  dann 
zugleich  den  übrigen  m—  p  der  Gleichungen  (5G),  und  zwar  wie  man 
auch  die  Funktionen  ry/^^^^  mit  dem  obern  Index  p  -\-  1,  ^-f  2,  •  •  •,  m 
wählen  mag.  Daraus  folgt  aber,  daß  diese  Werte  der  l  zugleich  auch 
der  Gleichung  (55)  genügen,  da  man  ja  z.  B.  ril'^^^  =  yi^^_^^  wählen  kann. 
Das  Resultat  dieser  Betrachtung  ist,  daß  es  stets  möglich  ist, 
m  +  1  numerische  Konstanten  ?o?  ^i?  *  *  '?  L  ^^  bestimmen,  welche  nicht 
alle  gleich  Null  sind,  und  welche  von  der  Wahl  der  w  —  m  Funktionen 
rim  +  r  unabhängig  sind,  derart  daß  die  Gleichung  (55)  gilt,  und  zwar 
für  jede  Wahl  der  Funktionen  yini  +  r- 

c)  Die  Lagrange 'sehen  Multiplikatoren  A: 

Um  aus  dem  letzten  Resultat  weitere  Schlüsse  zu  ziehen,  kom- 
binieren wir  die  Gleichung  (55)  mit  den  m  Relationen  (58),  indem 
wir  die  letzteren  nach  Lagrange  der  Reihe  nach  mit  unbestimmten 
Funktionen  l^{x),  .  .  .,  l^ni^)  multiplizieren,  dann  zwischen  den  Grenzen 
x^  und  x^  integrieren  und  schließlich  zu  (55)  addieren.     Setzen  wir 

so  erhalten  wir  auf  diese  Weise 

Das  Integral  transformieren  wir  in  der  bekannten  Weise  durch 
partielle  Integration  und  beachten  dabei,  daß  säpitliche  Funktionen 
rj.^x)  in  Xj^  und  überdies  die  Funktionen  ^]m  +  r{oc)  auch  in  x^  verschwin- 
den; so  kommt: 

Nunmehr  bestimmen  wir  die  m  Funktionen  A„  durch  die  m  Diffe- 
rentialgleichungen 

^^       <*  l^,=  0,        «=l,2,.-.,m,    (62) 


dy„     dx  a«/, 


§  69.     Der  Fall  von  Differentialgleichungen  als  Nebenbedingungen.     563 


und  die  m  Anfangsbedingungen 

dF 

ha 


-f?^=0,  «  =  1,2,  •.•,m.     (63) 


Schreibt  man  die  Differentialgleichungen  (62)  aus,  so  sieht  man, 
daß  dieselben  ein  System  von  m  linearen  Differentialgleichungen  in 
Ky  •  •  -7  ^m  darstellen,  und  daß  die  Determinante  der  Koeffizienten  der 
Ableitungen  Al,  .  .  .,  X'm  mit  der  im  ganzen  Intervall  \x^x^  von  Null 
verschiedenen  Funktionaldeterminante  (44)  identisch  ist.  Ferner  lauten 
die  Gleichungen  (63)  ausgeschrieben 


'«+'»Äi+^^^a5 


0;  (64) 


dieselben  lassen  sich  also  wegen  der  Voraussetzung  (44)  eindeutig 
nach  den  m  Anfangswerten  lß{x^  auflösen.  Aus  alledem  folgt  nach 
den  Existenztheoremen  ^)  für  Systeme  linearer  Differentialgleichungen, 
daß  es  ein  den  Differentialgleichungen  (62)  und  den  Anfangsbedin- 
gungen (63)  genügendes  Funktionensystem  l^(x)  gibt,  welches  im 
Intervall  \x^x^  von  der  Klasse  C  ist.  Zugleicli  folgt  aus  den  über  die 
Konstanten  l  gefundenen  Resultaten,  daß  auch  die  Funktionen  lAx) 
von  der  Wahl  der  Funktionen  rim  +  r   unabhängig  sind. 

Setzen  wir  die   so   bestimmten  Funktionen   A^  in  die   Gleichung 
(61)  ein,  so  geht  dieselbe  über  in 


12 


Vm^r(^^^  -  j-  /^  ]dx^O.  (61a) 


Da  diese  Gleichung  für  alle  Funktionen  ri^  +  r  der  Klasse  0",  welche 
in  beiden  Endpunkten  verschwinden,  gelten  muß,  so  folgt  aus  dem 
Fundamentallemma ^)  der  Variationsrechnung,  daß 

1^_JL^  =  0,         r=l,2   ...,n-m.     (65) 

Ist  ?o  +  ö?  SO  können  wir,  da  nur  die  Verhältnisse  der  Größen  l 
bestimmt  sind,  Iq=  1  setzen  und  haben  dann  in  den  Gleichungen  (62) 
und  (65)  die  Euler-Lagrange 'sehe  Multiplikatorenregel  in  der  in 
§  66  gegebenen  Form  vor  uns. 

Ist  dagegen  l^^O,  so  liegt  ein  Ausnahmefall  vor,  mit  dem  wir 
uns  im  nächsten  Absatz  zu  beschäftigen  haben  werden. 


^)  Ygl.  Encyklopädie,  II  A  4a  (Painleve),  Nr.  5  und  Picard,  Traue  d' Ana- 
lyse, Bd.  III  (1896),  p.  91,  92. 
»)  Vgl.  p.  25,  Fußnote  ^). 


564     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange' sehe  Multiplikatoren-Methode. 

In  beiden  Fällen  nennen  wir  eine  Kurve  ^q,  welcher  sicli  eine 
Konstante  Iq=  1  oder  0  und  m  Funktionen  Ao(^)  der  Klasse  C  zu- 
ordnen lassen,  so  daß  für  das  Funktionensystem  y^^x),  lß{x)  die 
Differentialgleichungen  (42),  (62)  und  (G5)  bestehen,  eine  Extremale 
für  das  vorgelegte  Variationsproblem.  ^) 

d)  Normales  und  anormales  Verhalten  der  Extremalen: 

Wenn  Z^,=  0,  so  lauten  die  DiflFerentialgleichungen  (62)  und  (65) 

[^  * 

Zugleich  folgt,  da  dann  sicher  nicht  alle  Konstanten  Z^ ,  Zj,  .  .  .,  Zm  gleich 
Null  sind,  daß  nicht  alle  aus  (64)  bestimmten  Endwerte  X^  (x^)  gleich  Null  sein 
können,  und  daher  können  auch  nicht  alle  Funktionen  X^  {x)  im  Intervall  [x^  x.-,] 
identisch  verschwinden.  Somit  kann  der  Ausnahmefall  1q  =  0  nur  dann  ein- 
treten, wenn  es  m  nicht  identisch  verschwindende  Funktionen  X^(x)  gibt,  welche 
gleichzeitig  den  n  >>  m  homogenen  linearen  Differentialgleichungen  (66)  genügen. 

Wie  die  weitere  Entwicklung  zeigen  wird,  erweist  es  sich  nun  als  zweck- 
mäßig, bei  der  Multiplikatorenregel  statt  der  scheinbar  naturgemäßeren  Fall- 
unterscheidung:  Iq  =  0  oder  ^  0  die  folgenden  beiden  Fälle  zu  unterscheiden: 

Wir  sagen  mit  Hahn*),  die  Extremale  @o  verhalte  sich  anormal  im  Inter- 
vall [x^x^],  wenn  es  (mindestens)  ein  System  von  m  Funktionen  ^^^(a;)  von  der 
Klasse  C  gibt,  welche  nicht  alle  in  [x^  x^]  identisch  verschwinden,  und  welche 
gleichzeitig  den  w  Differentialgleichungen  (66)  genügen.  Im  entgegengesetzten 
Fall  sagen  wir,  die  Extremale  @o  verhalte  sich  im  Intervall  [^^1072]  '^^orrnal. 

Für  den  Fall  des  normalen  Verhaltens  gelten  nun  eine  Reihe  wichtiger 
Zusätze  zur  Multiplikatorenregel. 


^)  Beispiele  folgen  in  §  70,    Übungsaufgaben  am  Ende  von  Kap.  XIII,  und 
zwar  Nr.  2,  4,  8. 

2)  Mathematische  Annalen,  Bd.  LVIII  (1903),  p.  152.  Die  Unterschei- 
dung kommt  übrigens  schon  in  der  grundlegenden  Arbeit  von  A.  Mayer  vor, 
Mathematische  Annalen,  Bd.  XXVI  (1886),  p.  79  und  spielt  auch  in  den 
Untersuchungen  v.  Escherich's  über  die  zweite  Variation  eine  wichtige  Rolle 
(Wiener  Berichte,  Bd.  VIII  (1899),  p.  1290).  Beim  einfachsten  isoperimetri- 
schen Problem  ist  das  anormale  Verhalten  der  Extremalen  ©^  damit  identisch, 
daß  @o  zugleich  Extremale  für  das  Integral  K  ist,  vgl.  p.  460,  insbesondere  Fuß- 
note 1).  Analog  läßt  sich  das  anormale  Verhalten  im  allgemeinen  Fall  dahin 
charakterisieren,  daß  alsdann  die  Kurve  ©^  zugleich  Extremale  für  die  n  Mayer'- 
schen  Probleme  ist,  welche  den  m  Differentialgleichungen  (5)  zugeordnet  sind, 
vgl.  §  70,  c).  Eine  Lösung  der  allgemeinen,  hier  vorliegenden  Aufgabe,  die  not- 
wendigen und  hinreichenden  Bedingungen  dafür  anzugeben,  daß  ein  System  von 
w>m  homogenen  linearen  Differentialgleichungen  erster  Ordnung  mit  m  unbe- 
kannten Funktionen  eine  nicht  identisch  verschwindende  Lösung  besitzt,  hat 
Schlesinger  gegeben  (briefliche  Mitteilung,  noch  nicht  publiziert). 
Hierzu  die   Übungsaufgabe  Nr.  8  am  Ende  von  Kap.  XIII. 


§  69.     Der  Fall  von  Differentialgleichungen  als  Nebenbedingangen.     565 

Dazu  müssen  wir  noch  etwas  näher  auf  die  unter  b)  gegebene  Diskussion 
des  Gleichungssystems  (56)  für  die  Größen  l  eingehen,  das  wir  unter  Benutzung 
der  Bezeichnung  (57)  auch  schreiben  können 

är)  +-^^«€G'^2)  =  0.  (56a) 

In  dem  ersten  der  dort  unterschiedenen  Fälle  {p  =  m)  ist  nun  entweder 
die  Determinante 

von  Null  verschieden;  dann  können  wir  nach  Z^,  l^,  ...,1^  auflösen,  und  ?„,  welches 
willkürlich  bleibt,  muß  von  Null  verschieden  gewählt  werden,  damit  nicht  alle  l 
verschwinden.  Oder  aber  diese  Determinante  ist  gleich  Null;  dann  ergibt  die 
Auflösung  des  Gleichungssystems:  Z^,  =  0. 

In    dem  zweiten  Fall  (p  <  m)  können  wir  den   Gleichungen  (56a)  stets 
durch  ein  Wertsystem  der  l  genügen,  in  welchem  l^  ==  0,  während  die  übrigen  l 
nicht  sämtlich  verschwinden. 

Hieraus  folgt  aber: 

Zusatz  I^):  Verhält  sich  die  Extremale  ©o  'normal  im  Intervall  [Xj^x^],  so 
lassen  sich  die  Funktionen  rf^^^^.  so  wählen,  daß  die  Determinante 

hü  W  1  +  0,  (67) 

und  daher  ist  in  diesem  Fall  stets 

Aus  (67)  folgt  nach  dem  Satz  über  implizite  Funktionen,  daß  im  Fall  des 
normalen  Verhaltens  die  Gleichungen  (53)  sich  in  der  Umgebung  der  Stelle 
f  =  0,  fi  =  0,  . .  .,  f^^  =  0  eindeutig  nach  f^,  s^,  . . .,  f„,  auflösen  lassen,  woraus  die 
Existenz  einer  einparametrigen  Schar  von  zulässigen  Variationen 

folgt. 

Zusatz  II:  Verhält  sich  die  Extremale  ©^  normal  im  Intervall  [x^xj,  so 
gibt  es  nur  ein  einziges  System  von  Multiplikatoren  X^. 

Denn  gäbe  es  zwei  verschiedene  Systeme  X^  und  X^ ,  so  daß  also  gleich- 
zeitig 

dyi      dxdy'i     '   '  dy^      dxdyl~    ' 

wo:  F=f-\-^l^q}^^  so  würde  durch  Subtraktion  folgen 

'  2(ft-v)S-Ä(v-,)3)=». 

was  mit  der  Voraussetzung,  daß  ©„  sich  normal  verhält,  im  Widerspruch  steht. 


^)  Auf  anderem  Wege  bewiesen  von  Hahn,  loc.  cit.  p.  155. 


566     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

Hieraus  folgt,  daß  bei  normalem  Verhalten  von  @^  die  Multiplikatoren  X^ 
von  der  Wahl  der  Funktionen  %i-\-r  '^^(^^hängig  sind. 
e)  Historisclies : 

Die  Multiplikatorenregel  ist  zuerst  von  Eulee  *)  durch  eine  scharfsinnige, 
aber  ziemlich  komplizierte  Infinitesimalbetrachtung  für  den  speziellen  Fall  ge- 
funden worden,  wo  das  Integral 


mit  der  Nebenbedingung 


v'  =  g{x,v,y,y\...,y^''^) 

zu  einem  Extremum  zu  machen  ist. 

Den  allgemeinen  Satz  hat  zuerst  Lagrange*)  bewiesen  mit  Hilfe  seines  ^- 
Algorithmus  und  seiner  partiellen  Integration.  Er  schließt  folgendermaßen:  Da 
die  Kurve  ©^  das  Integral  /  zu  einem  Extremum  machen  soll,  so  muß  dj=0 
sein;  daneben  müssen  die  Gleichungen  dq)^  =  0  erfüllt  sein,  d.h.  es  müssen 
gleichzeitig  die  Gleichungen  (32)  und  (58)  bestehen,  wenn  unter  rj^  die  durch 
die  Gleichungen  Sy^^sri^  definierten  Funktionen  verstanden  werden.')  Hieraus 
wird  dann  wie  oben  in  §  68,  b)  mit  Hilfe  der  unbestimmten  Multiplikatoren  und 
durch  Anwendung  der  partiellen  Integration  die  Gleichung  (35)  abgeleitet. 

Nunmehr  wird  weiter  geschlossen:  Die  Gleichung  (32),  und  daher  auch  (35),  muß 
für  alle  Funktionen  tj^  erfüllt  sein,  welche  in  x^  und  x^  verschwinden  und  den 
Relationen  (58)  genügen.  Von  den  n  Funktionen  t]^-  können  wir  aber  die  n  —  m 
letzten  willkürlich  annehmen  und  die  übrigen  dann  aus  den  Differentialgleichungen 
(58)  bestimmen.  Dann  werden  die  Multiplikatoren  X^  so  gewählt,  daß  sie  den 
m  Differentialgleichungen  (62)  genügen,  wodurch  sich  die  Gleichung  (35)  auf  die 
Gleichung  (61a)  reduziert.  Aus  dieser  folgen  dann  wegen  der  angeblichen  Will- 
kürlichkeit der  Funktionen  tj^^^  die  Differentialgleichungen  (65). 

Der  Beweis  enthält  jedoch  wesentliche  Lücken. 

Zunächst  ist  die  Behauptung,  daß  die  Funktionen  t]^^^  ,  ^  willkürlich  gewählt 
werden  können  (abgesehen  von  der  Bedingung,  daß  sie  in  x^  und  x^  verschwinden 
müssen)  nur  dann  richtig,  wenn  die  sämtlichen  Gleichungen  (5)  endliche  Glei- 
chungen sind,  oder  aber,  wenn  die  Endwerte  der  Funktionen  y^  in  x^  willkürlich 
bleiben.  Wenn  dagegen  die  Gleichungen  (5),  wie  wir  hier  vorausgesetzt  haben, 
Differentialgleichungen  sind  und  die  Endpunkte  fest  sind,  so  kann  man  zwar, 
nachdem  man  die  Funktionen  ri^^j^^.  gewählt  hat,  den  Funktionen  rj^  noch  vor- 
schreiben, daß  sie  in  x^  verschwinden  sollen.     Durch  diese  Anfangsbedingungen 

^)  Methodus  inveniendi  etc.  (1744)  p.  119.  Vgl.  auch  die  Darstellung  von 
Kneser  {Encyklopädie ,  IIA,  p.  579,  und  „Euler  und  die  Variationsrechnung'', 
Abhandlungen  zur  Geschichte  der  mathematischen  Wissens  chaften, 
Bd.  XXV,  p.  28). 

*)  Oeuvres,  Bd.  I,  p.  347,  350;  Bd.  X,  pp.  414—421. 

')  Die  Funktionen  tj,-  haben  hier  also  eine  andere  Bedeutung  als  unter  a). 


§  69.     Der  Fall  von  Differentialgleichungen  als  Nebenbedingungen.     567 

und  die  Differentialgleichungen  (58)  sind  aber  die  Funktionen  ri  vollständig  be- 
stimmt, und  sie  werden  im  allgemeinen  die  Bedingung,  auch  in  x^  zu  verschwinden, 
nicht  erfüllen.     Und  damit  wird  der  ganze  Beweis  hinfällig. 

A.  Mayer ^)  gebührt  das  Verdienst,  diesen  schwierigen  Punkt  zuerst  auf- 
geklärt zu  haben.  Es  handelt  sich  darum,  analytisch  die  Bedingungen  zu  for- 
mulieren, welche  den  n  —  ni  Funktionen  t]^,  ^  auferlegt  werden  müssen,  damit 
die  durch  die  Differentialgleichungen  (58)  und  die  Anfangsbedingungen  r]  (x^)  =  0 
bestimmten  Funktionen  rj^  auch  in  x^  verschwinden. 

Dazu  multipliziert  Mayer  die  Differentialgleichungen  (58)  mit  neuen  un- 
bestimmten Funktionen  v^  von  x,  integriert  zwischen  den  Grenzen  x^  und  iCg, 
wendet  die  bekannte  partielle  Integration  an  und  summiert  nach  cc.  Das  Resultat  ist, 
wenn  man  beachtet,  daß  alle  Funktionen  7}^  in  x^  verschwinden  und  die  Funk- 
tionen ri^^^  überdies  in  a^g, 


2 

=  0. 


Es  sei  jetzt:  vjf,  v^, .  . .,  vl^  dasjenige  System  von  Lösungen  der  m  homogenen 
linearen  Differentialgleichungen 


welches  den  Anfangsbedingungen 

V^r  Yf    ._  |lfür^  =  y 
^a2/;,r«^'^^^-\0für|3  +  y 
genügt.     Alsdann  folgt  ^ 

VyM  =  -f^rirn  +  rK  +  rdx, 

wenn  wir  zur  Abkürzung 

setzen.  Die  fraglichen  Bedingungen,  denen  die  Funktionen  %,^,f.  zu  unterwerfen 
sind,  lauten  also 

J^Vm  +  r^m  +  r^X^O,  y  =  l,2,  ...,m.      (68) 

Somit  braucht  die  Gleichung  (61a)  nicht  für  alle  Funktionen  ri^^^.,  welche  in 
x^  und  x^  verschwinden,  erfüllt  zu  sein,  wie  Lagrange  annahm,  sondern  nur 
für  diejenigen,  die  den  m  Gleichungen  (68)  genügen.  Damit  ist  die  Aufgabe  auf 
das  Fundamentallemma  -)  für  isoperimetrische  Probleme  zurückgeführt.    Aus  dem- 

^)  Mathematische  Annalen,  Bd.  XXVI  (1886),  p.  74;  auf  eine  wesentlich 
andere  Art  hat  Turksma  dieselbe  Schwierigkeit  gelöst  (Mathematische  Annalen, 
Bd.  XLVn  (1896),  p.  33. 

2)  Vgl.  p.  462,  Fußnote  '). 


568     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

selben  folgt,  wie  Mayer  weiter  zeigt,  als  Endresultat  die  Multiplikatorenregel» 
freilich  mit  anderen  Multiplikatoren  als  den  Lagrang  ersehen. 

Der  Lagrange'sche  Beweis  enthält  aber  noch  eine  ziveite,  weniger  an  der 
Oberfläche  liegende  Lücke,  auf  die  wir  im  Fall  der  isoperimetrischen  Probleme 
bereits  hingewiesen  haben.  Erinnert  man  sich  nämlich  der  Bedeutung  des  Ya- 
riationsalgorithmus  (§  8),  so  erkennt  man,  daß  derselbe  in  bezug  auf  das  Bestehen 
der  beiden  Gleichungen  (32)  und  (58)  nur  zu  folgendem  Resultat  führt.     Ist 

irgend  eine  Schar  Ton  zulässigen  Variationen  der  Kurve  ©„i  ^°^  ^^^^^  ^^^ 

'^VA^^  (70) 


(7;)r- 


so  müssen  die  Funktionen  rj^.  die  Gleichungen  (32)  und  (58)  gleichzeitig  befriedigen. 
Die  weitere  Folgerung,  daß  die  Gleichung  (32)  für  alle  in  oc^  und  x^  verschwin- 
denden Funktionen  ?],•,  welche  den  Differentialgleichungen  (58)  genügen,  erfüllt 
sein  muß,  entbehrt  aber  so  lange  der  Begründung,  als  nicht  das  folgende  „i>- 
gänzungslemma^'-  bewiesen  ist: 

Ist  irgend  ein  System  von  FunJdionen  rji  gegeben,  welche  in  x^  und  x^  ver- 
schwinden und  den  Bedingungen  (58)  genügen,  so  gibt  es  allemal  eine  zugehörige 
Schar  von  zulässigen  Variationen  (69),  ivelche  mit  den  gegebenen  Funktionen  r\i 
durch  die  Gleichungen  (70)  verbunden  sind. 

Dieses  Ergänzungslemma,  das  übrigens  auch  für  die  Behandlung  der  zweiten 
Variation  wichtig  ist,  ist  nun  in  der  Tat  richtig,  wenigstens  wenn  die  Kurve  ©q 
sich  normal  verhält,  und  kann  im  Anschluß  an  die  unter  a)  und  d)  gegebenen 
Entwicklungen  mit  Hilfe  von  Zusatz  I  leicht  bewiesen  werden.^) 

Diese  zweite  Lücke  im  Lagrange'schen  Beweis  ist  erst  von  Kneser*)  und 
HiLBERT^)  ausgefüllt  worden. 

Bei  den  bisher  besprochenen  Beweisen  war  die  Existenz  und  Stetigkeit  der 
zweiten  Ableitungen  der  Funktionen  y^ix)  vorausgesetzt.  Eine  Modifikation  des 
Kneser'schen  Beweises,  bei  welcher  von  dieser  Voraussetzung  kein  Gebrauch 
gemacht  wird  und  nur  die  Existenz  und  Stetigkeit  der  ersten  Ableitungen  vor- 
ausgesetzt wird,  hat  Hahn*)  gegeben  in  Verallgemeinerung  der  Du-Bois-Rey- 
mond'schen  Methode  von  §  5,  c).  Wendet  man  auf  Gleichung  (60)  statt  der 
Lagrange'schen  die  Du-Boie-Reymond'sche  partielle  Integration  an,  so  erhält 
mau  an  Stelle  der  Gleichung  (61)  die  folgende^) 


/2(S-/K-)'^-+2'.<-*>('-+/i-)-- 


(71) 


*)  Vgl.  den  entsprechenden  Satz  für  isoperimetrische  Probleme,  p.  460,  und 
die  analogen  allgemeinen  Entwicklungen  von  Hahn,  Mathematische  Annalen, 
Bd.  LVIII  (1904),  pp.  158—164. 

«)  Lehrbuch  (1900),  §§  56,  59. 

»)  Vgl.  das  Zitat  auf  p.  558,  Fußnote  ^). 

*)  Monatshefte  für  Mathematik  und  Physik,  Bd.  XIV  (1902),  p.  325. 

^)  Die  Funktionen  rj^  haben  hier  wieder  dieselbe  Bedeutung  wie  unter  a) 
und  b). 


0, 


§  70.    Diverse  Bemerkungen  zur  Multiplikatorenregel.  569 

Nunmehr  kann  man  nach  einem  von  Hahn  bewiesenen  Hilfssatz  die  Funk- 
tionen XJx)  und  gleichzeitig  m  Konstanten  C^  so  bestimmen,  daß 

Dadurch  geht  die  Gleichung  (71)  über  in 

0-1  ^  Xj 

woraus  nach  dem  Du-Bois-Reymond'schen  Lemma  die  Multiplikatorenregel 
folgt,  und  zwar  ohne  Zuziehung^)  der  zweiten  Ableitungen  y'^. 

Weiter  folgt  dann,  ähnlich  wie  in  §  5,  d),  die  Existenz  und  Stetigkeit  der 
Ableitungen  y'-ix)^  X'^{x)  in  allen  denjenigen  Punkten  des  Intervalles  [x^x^],  in 
welchen  die  Determinante  B{x,y,y\X)  von  §  72,  a)  von  Null  verschieden  ist. 

§  70.     Diverse  Bemerkungen  zur  Multiplikatorenregel. 

Wir  knüpfen  an  den  vorangegangenen  Beweis  der  Multiplikatoren- 
regel in  diesem  Paragraphen  eine  Reihe  von  Bemerkungen,  welche 
sich  meist  auf  Modifikationen  des  bisher  behandelten  Problems  beziehen. 

a)  Grenzbedingungen  im  Fall  variabler  Endwerte  der  unbekannten 
Funktionen:  2) 

Wir  betrachten  hier  nur  den  einfachsten  Fall  variabler  End- 
punkte, wo  die  Grenzen  x^  und  X2  gegeben  sind,  nicht  aber  die 
sämtlichen  End werte  der  unbekannten  Funktionen  y..  Da  auch  in 
diesem  Fall  unter  der  Gesamtheit  der  zulässigen  Variationen  der  als 
gefunden  vorausgesetzten  Lösung  ©^  stets  diejenigen  enthalten  sind, 
welche  die  Endpunkte  nicht  variieren,  so  folgt  zunächst,  daß  auch 
hier  die  Euler -Lagrange'schen  Differentialgleichungen  erfüllt  sein 
müssen. 

Für  die  weitere  Diskussion  muß  man  nun  unterscheiden,  ob  die- 
jenigen Funktionen  y.y  deren  Endwerte  nicht  vorgeschrieben  sind,  zu 
den  Funktionen  y^  oder  zu  den  Funktionen  y^_^^  gehören. 

^)  Freilich  ist  in  dem  unter  a)  bis  c)  durchgeführten  Beweis  nicht  nur  bei 
Anwendung  der  Lagrange'schen  partiellen  Integration  auf  die  Gleichung  (60), 
sondern  auch  bei  der  Anwendung  des  Einbettungssatzes  von  §  24,  e)  die  Existenz 
und  Stetigkeit  von  y'/ix)  vorausgesetzt.  Doch  ist  zu  vermuten,  daß  di-eser  Satz 
auch  noch  richtig  bleibt,  wenn  man  in  der  dortigen  Bezeichnung  die  Voraus- 
setzung der  Existenz  und  Stetigkeit  der  Ableitungen  dFJdt  fallen  läßt,  womit 
dieser  Einwand  beseitigt  wäre. 

^)  Für  den  allgemeinsten  Fall  von  variabeln  Endpunkten,  v^o  die  Koordi- 
naten der  letzteren  einer  Anzahl  von  Relationen :  v .  {y^^ ,  •  •  • ,  2/n  n  S/is  1  •  •  •  >  2/n  2)  =  0 
unterworfen  sind,  vgl.  p.  580,  Fußnote  ^). 


570     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange' sehe  Multiplikatoren-Methode. 

1.  Es  seien  alle  Endwerte  vorgesclirieben  mit  Ausnalinie  des 
Wertes  von  y^  im  Punkt  a^.  Wir  wählen  dann  die  Funktionen  rj 
ebenso  wie  in  §  69,  a)  mit  der  einzigen  Ausnahme,  daß  wir  jetzt 

annehmen.  Dann  schließen  wir  genau  wie  früher  weiter;  die  letzte 
der  Gleichungen  (47)  lautet  dann 

Sonst  bleiben  alle  Schlüsse  ungeändert  bestehen  bis  zur  Gleichung  (60) 
inklusive.  Erst  bei  der  Ausführung  der  partiellen  Integration  tritt 
eine  Änderung   ein,   insofern   in  Gleichung  (61)   auf  der  linken  Seite 

nun  noch  das  Glied 

dF 


^y'n 


Vni^i) 


hinzuzufügen  ist.  Bestimmt  man  daher  jetzt  wieder  die  Funktionen  X^ 
aus  den  Differentialgleichungen  (62)  mit  den  Anfangsbedingungen  (63), 
so  folgt  aus  der  vorangegangenen  Betrachtung  von  Variationen  mit 
festen  Endpunkten,  daß  gleichzeitig  die  Differentialgleichungen  (65) 
bestehen.  Daher  bleibt  auf  der  linken  Seite  von  (61)  gerade  nur  das 
obige  Zusatzglied  stehen,  woraus  folgt,  daß 

1^1"=  0 

sein  muß. 

2.  Sind  dagegen  alle  Endwerte  vorgeschrieben  mit  Ausnahme 
des  Wertes  von  y^^  in  X2,  so  ändern  wir  die  ursprüngliche  Beweis- 
führung dahin  ab,  daß  wir  jetzt  nur  m  Größen  s  einführen,  sodaß 

m-l 

Dementsprechend  hängen  jetzt  auch  die  Funktignen  Y^ .  nur  von 
m  Größen  8  ab,  die  nunmehr  nur  m  —  1  Bedingungsgleichungen 

«  =  1,  2, .  .  . ,  m  —  1 , 

unterworfen  sind.  Durch  dieselbe  Schlußweise  wie  in  §  69,  b)  erhalten 
wir  statt  der  Gleichungen  (55;  und  (56)  entsprechende  Gleichung"en, 
die  sich  von  jenen  nur  dadurch  unterscheiden,  daß  jetzt  die  Indizes 
a,  ß  nur  von  1  bis  w  —  1  laufen.  Indem  wir  in  der  früheren  Weise 
weiter  schließen,  erhalten  wir  an  Stelle  von  (60)  eine  Gleichung,  die 
aus   (60)    hervorgeht,    wenn    man    darin   1^=0   setzt.     Das    hat    zur 


0       -^h=o  ^f^-0  m\ 


§  70.    Diverse  Bemerkungen  zur  Multiplikatoren regel.  571 

Folge,  daß  die  letzte  der  Gleichungen  (63)  jetzt  lautet 

Hieraus  ergibt  sich  das  allgemeine  Resultat: 

Sind  die  Endwerte  der  Funktionen  y,  yV- .  • .  .,y.    im   PunJct  x^ 

nicht  vorgeschrieben,  sondern  willMrlichy  so  hat  man  den  Euler- 
Lagrange' sehen  Differentialgleichungen  noch  die  „Grenzgleichungen^' 

BF 

^y[     ^'      ^2/41  -^'•••'       dy;^^ 

hinmsufügen. 

Ist  dagegen  die  obere  Grenze  x^  nicht  vorgeschrieben,  während  die 
sämtlichen  übrigen  Koordinaten  der  beiden  Endpunkte  gegeben  sind, 
so  lautet  die  „Grenzgleichung" 

,  ^-2'l|^«'r=0,  (73) 

i 

wie  man  am  einfachsten  durch  Übergang  zur  Parameterdarstellung  ^)  zeigt, 
b)  Diskontinuierliclie  Lösungen: 

Wir  nehmen  jetzt  an,  eine  aus  zwei  Kurven  der  Klasse  C" : 
und 

zusammengesetzte  stetige  Kurve  liefere  für  das  Integral  J  ein  Extremum  mit 
den  Nebenbedingungen  (5).  Über  jede  der  beiden  Kurven  werden  die  Voraus- 
setzungen (42)  und  (44)  gemacht. 

Dann  muß  zunächst  jede  der  beiden  Kurven  eine  Extremale  sein.  Wir 
nehmen  an,  daß  die  Extremale  (£(,  sich  in  Beziehung  auf  das  Intervall  [x^x^] 
normal  verhält,  und  ebenso  die  Extremale  d^  in  Beziehung  auf  das  Intervall 
[XqXJ.  Alsdann  müssen  im  Punkt  P^  die  folgenden  EcJcenbedingungen^)  er- 
füllt sein: 

En  +  i{x.  2/,  y\  ^)  1°  =  F^  +  i{x,  y,  y\  X)\\  :     (74) 

F{^, y. y\ ^) -^F„^i{x, y, y\  l)y;\'=  F{x, y, y\  l) -^F„  +  ,(x, y,y\m\\ 
»■  t 

wenn  %ß,  resp.  J^,  die  zu  e^,  resp.  ©q,  gehörigen  Multiplikatoren  bezeichnen. 

Zum  Beweis  konstruiere  man  zwei  (n -f  l)-parametrige  Scharen  zulässiger 
Variationen 

yi=  5^i(ic,f,fi.-.-,0, 


^)  "^^gl-  §  70,  d),  Ende.    Hierzu  die  Ühunqsaufqahen  Nr.  3,  5  am  Ende  von 
Kap.  Xm. 

^)  ^gl-  die  Verabredungen  über  die  Bezeichnung  im  Eingang  von  §  68. 


572    Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange' sehe  Multiplikatoren-Methode. 

welche  die  folgenden  Bedingungen  erfüllen 

Yiix,  0,  0,  .  . .,  0)  =  yiix) ,  Yi{x,  0,  0, .  . . ,  0)  =  yi{x), 

Yi{x,  ,£,  fi,  ...,£„)  =  ViM^       Yiioc^^^.  «1  ,•••,««)  ==  ViM^     . 
Yiixo  -f  f,  a,  fi , . . .,  O  =  Vio  +  H  =  i^i(^o  +  «j  «.  ^1 1  •  •  M  ««)• 
Die   Herstellung  zweier   solcher   Scharen   erfolgt   nach   derselben   Methode,   die 
später  bei  der  Ableitung  der  Weierstraß 'sehen  Bedingung  (§  74,  a))  auseinander- 
gesetzt werden  wird. 

Die  Bedingungen  (74)   ergeben  sich   dann  in  bekannter  Weise  durch  An- 
wendung des  d- Algorithmus  in  Beziehung  auf  jeden  der  Parameter  f,  fj,...,f„. 
Wir  heben  noch  den  folgenden  Zusatz'^)  hervor:   Wenn 

so  ist  auch 

Denn  in  diesem  Fall  reduzieren  sich  die  Gleichungen  (74)  auf  die  n  Gleichungen 

0 


=  0, 


aus  denen  nach  (44)  unsere  Behauptung  folgt. 

Wenn  überdies  in  der  Bezeichnung  von  §  72,  a)  die  Bedingung 
B{x^,y  ixo)  ,y'{x^),X  {x^))  +  0 

erfüllt  ist,   so  ist  nach  §  72,  a)  die  Extremale  @o  die  „Fortsetzung"  der  Extre- 
malen  ©„  im  Sinn  von  §  23,  d)  und  daher  ist  insbesondere  auch 

2//'(^o)=2/rK)- 

c)  Das  Mayer 'sehe  Problem: 

Führt  man  in  dem  Lagrange 'sehen  Problem  als  neue  unbekannte 
Funktion  das  Integral 


Vo 


=ff{x>yu"->ynyyv'->yn)^^ 


ein,  so  läßt  sich  das  Integral  J  auch  definieren  als  der  Wert,  welchen 
die  durch  die  Difi'erentialgleichung 

y'o  -  f{^,  yi,  ■ '  ■ ,  yny  y'iy  "^  y'n)  -  ^ 

und  die  Anfangsbedingung 

definierte  Funktion  «/^  für  x  =  x^  annimmt. 

Daher  läßt  sich  das  Lag  ränge 'sehe  Problem  mit  n  unbekannten 

1)  Derselbe  folgt  auch  aus  der  Hahn 'sehen  Modifikation  des  Beweises  der 
Multiplikatorenregel,  siehe  §  69,  e)  Ende. 


§  70.    Diverse  Bemerkungen  zur  Multiplikatorenregel.  573 

Funktionen  auch  als  spezieller  Fall  des  folgenden,  zuerst  von  A.  Mayer  ^) 
allgemein  formulierten  Problems  auffassen: 

Unter  allen  Systemen  von  Funktionen  y 0,1/1,  .  .  .,  t/„  einer  Variahein  x 
von  der  Klasse  C\  welche  ni  -\-  1  gegebenen  Differentialgleichungen 

fP^i^y  Vor  Viy  •  •  -^Vn,  2/0;  y'i^  ■  ■  -y  V'n)  =  ^y  .^^x 

9  =  0,  1,  .  .  .,  m,  m  <in, 

genügen  und  mit  Ausnahme  von  y^  in  x-^  und  x^  vorgeschriebene  Werte 
annehmen,  tvährend  der  Wert  von  y^  nur  im  Punkt  x^  vorgeschrieben 
ist,  dasjenige  System  zu  bestimmen,  in  welchem  die  Funktion  y^  im 
Funkt  x^  den  größten,  resp.  kleinsten  Wert  annimmt. 

Dieses  Problem  läßt  sieb  aber  seinerseits  wieder  nach  einer 
schon  von  Lagrange  ^)  gemachten  Bemerkung  als  spezieller  Fall  des 
Lagrange'schen  Problems  mit  n  +  1  unbekannten  Funktionen  auf- 
fassen.    Denn  ist 

^0=  y>-ys(^)>         5  =  0, 1,  ...,n 

eine  Lösung  des  soeben  formulierten  Problems  und 

irgend  eine  zulässige  Variation  von  @o,  so  ist  im  Fall  eines  Minimums 

^0(^2)^2/0(^2)- 
Da   aber   nach    den   über   die   zulässigen  Kurven   gemachten  Voraus- 
setzungen -   /     N  /     K 

2/0(^1)  =2/0(^1); 
so  können  wir  die  Ungleichung  auch  schreiben 

2/0(^2)  -  ^o(^i)  ^  2/0(^2)  -  2/0(^1). 
d.  h.  aber 


J%dx^Jy;^dx. 


Die   gegebene  Aufgabe    ist    daher   äquivalent    mit    der  Aufgabe,    das 
Integral 

^)  Leipziger  Berichte  (1878),  p.  17  und  ibid.  1895,  p.  129.  Ferner  haben 
sich  mit  diesem  Problem  beschäftigt:  Kneser,  Lehrbuch,  VII.  Abschnitt;  Hahn, 
Monatshefte  für  Mathematik  und  Physik,  Bd.  XIV  (1902),  p.  825;  Hilbert, 
Göttinger  Nachrichten  1905,  und  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII 
(1906),  p.  351;  Egorow,  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  371; 
Hadamard,  Annales  de  l'Ecole  Normale  Superieure  (3),  Bd.  XXIV  (1907), 
p.  208.  Vgl.  auch  Kneser,  Encyklopädie  II  A,  pp.  579,  580;  einzelne  Aufgaben 
dieser  Art  sind  schon  von  Euler  behandelt  worden,  siehe  unten  p.  579. 

^)  Oeuvres,  Bd.  X,  p.  419, 

Bolza,  Variationsrechnung.  37 


574     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

J=Jy'^dx 

mit  den  Nebenbedingungen  (75)  zu  einem  Minimum  zu  machen,  wenn 
alle  Endwerte,  mit  Ausnahme  des  Wertes  von  y^  in  x^  gegeben  sind. 
Um  die  Differentialgleichungen  des  Problems  zu  erhalten,  haben 
wir  also  ^ 

zu  setzen.  Da  Jq  konstant  ist,  so  sind  die  hieraus  sich  ergebenden 
Differentialgleichungen  genau  dieselben,  wie  wenn  das  erste  Glied  l^y^ 
o-ar   nicht  vorhanden  wäre.      Wir   erhalten   also    den  von  A.  Mayer 

o 

herrührenden  Satz: 

Die  erste  notwendige  Bedingung  für  eine  Lösung  des  oben  formulierten 
Mayer  sehen  ProMems  besteht  darin,  daß  es  m  -\-  1  Functionen  X^  geben 
muß,  ivelche  nicht  sämtlich  in  [x^xj  identisch  verschivinden,  und  tvelche  mit 
den  gesuchten  FmiMionen  y^  zusammen  den  n  +  1  Differentialgleichungen 


(76) 


genügen. 

Dazu  kommt  dann  noch,  da  der  Wert  von  y^  im  Punkt  x^  nicht 
gegeben  ist,  nach  a)  die  Grenzgleichung 

TU  ^  , 

Daß  die  Funktionen  A^,  nicht  sämtlich  verschwinden  können,  folgt 
in  Fall  Iq=0  aus  den  allgemeinen  Resultaten  von  §  69,  d),  im  Fall 
/q=4=0  aus  der  Gleichung  (77). 

Die  Mayer'schen  Differentialgleichungen  (76)  zeichnen  sich  vor 
den  Euler-Lagrange'schen  Differentialgleichungßn  durch  ihre  voll- 
kommene Symmetrie  aus.  Sie  zeigen  unmittelbar,  daß  man  dieselben 
Differentialgleichungen  erhält,  wenn  man  die  Funktion  y^  ihre  Rolle 
mit  irgend  einer  der  n  Funktionen  2/i, .  •  -,  ?/„  vertauschen  läßt.  {All- 
gemeiner May  er 'scher  Reziprozitätssatz.) 

d)  Das  Lagrange'sche  Problem  in  Parameterdarstellung:^) 

Wir  haben  bisher  die  zulässigen  Kurven  im  (w  +  l)-dimensionalen 
Raum  der  Variabein  x,  y^,  •••,!/„   in   der  Form:  i/,  =  y^^x)  darstellbar 

^)  Vgl.  hierzu  A.  Mayer,  Leipziger  Berichte  1895,  p.  140;  Knkser, 
Lehrbuch,  pp.  228,  241;  v.  Escherich,  Wiener  Berichte,  Bd.  CX,  Abt.  2a 
(1901),  p.  1361. 


§  70.    Diverse  Bemerkungen  zur  Multiplikatorenregel.  575 

vorausgesetzt.  Bei  geometrischen  Aufgaben  liegt  hierin  eine  Be- 
schränkung^ von  der  man  sich  befreit,  indem  man  die  Kurven  in 
Parameterdarstellung  annimmt.  Schreibt  man  dabei  der  Symmetrie 
halber  y^  statt  Xj  so  nimmt  das  Problem  nunmehr  folgende  Form  an: 
Unter  allen  „Kurven'^ 

der  Klasse^)  C  im  (n  -f  l)-dimensionalen  Raum  der  Variabein 
yoyVir-^yny  welche  durch  zwei  gegebene  Punkte  (2/01, 2/ii;  '  • ',  2/„i) 
und  (2/02?  Vii)  '  '  'j  Vn^  gehen  und  m  Differentialgleichungen 

9a(«/o;  2/1;  •  •  •;  2/„;  y^,  yi,  '  ■  •;  2/n)  =  ö,  (78) 

genügen,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  das  Integral 

^-'ffiyo,  yu  •  •  ->  yn>  yi,  yi  •  •  -,  yn)^^ 

zu  einem  Extremum  macht. 

Dies  ist  nun  wieder  ein  Lagrange'sches  Problem  mit  ii  -\-  1  un- 
bekannten Funktionen,  welches  jedoch  folgende  Eigentümlichkeiten  zeigt: 

1)  Sowohl  das  Integral  J  als  die  Bedingungen  (78)  müssen  von 
der  Wahl  des  Parameters  unabhängig  sein,  also  hei  einer  Parameter- 
transformaiion^)  invariant  bleiben.  Das  ist  sicher  der  FaU,  wenn  die 
Funktionen  f  und  (p^  die  Variable  t  nicht  explizite  enthalten  und 
überdies  in  den  Variabein  Vq,  y[j  -  -  ■  ■,  y^  „positiv  homogen"^)  von  der 
Dimension  eins*)  sind,  sodaß  also 

f{yQyyiy''',ynMiWir'-Mn)==M{y^,yu-'-,yn^yiy[r-',yn)y    ,^q. 
9a{yo>yir'-yyn^^yoy^yir'-,kyn)-^^a{yo>yir--,ynyyoyyi"-yyn) 

für  jedes  positive  Ic. 

2)  Die  Grenzen  t^,  t^  sind  jetzt  nicht  gegeben.  Letzterer  Um- 
stand hat  aber  auf  die  Ableitung  der  Lagrange 'sehen  Differential- 
gleichungen keinen  Einfluß,  da  man  stets  durch  eine  vorausgegangene 
Parametertransformation  erreichen  kann,  daß  die  Endwerte  von  t  auf 
den  Vergleichskurven  dieselben  sind  wie  auf  der  als  gefunden  voraus- 
gesetzten Lösung  (Sq. 

^)  Darin  soll  wieder  inbegriffen  sein,  daß:    ^y^^4=  Q;  vgl.  §  25,  a). 
^  Vgl.  §  25,  a). 
=')  Vgl.  §25,b). 

*)  Die  Funktionen  cp^  eventuell  nach  Multiplikation  mit  einer  geeigneten 
Potenz  von  2/0  • 

37* 


576     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 

Setzt  man  7  /.  ,    X^i 

SO  lauten  die  Differentialgleichungen  des  ProUems 

Man  erhält  also  jetzt  außer  den  m  Differentialgleichungen  (78)  w  -f  1 
Differentialgleichungen.  Dieselben  sind  aber  in  Folge  der  Homo- 
geneitätsrelationen  nicht  voneinander  unabhängig^).  Denn  aus  (79) 
folgt  durch  Differentiation  nach  h 

s 

Denkt  man  sich  hierin  für  die  y^  irgend  welche  Funktionen  von  t  ein- 
gesetzt und  differentiiert,  so  kommt: 

-sn  ,  /dF        d_  dF\       ^ 

Zjy^Vdy]       dt  dyO^    ' 

s 

womit  die  obige  Behauptung  bewiesen  ist. 

Wie  in  §  26^  a)  werden  daher  die  Funktionen  !/,(^)  erst  bestimmt, 
wenn  man  den  Differentialgleichungen  (78)  und  (80)  eine  Zusats- 
gleichung  (oder  Differentialgleichung)  hinzufügt,  die  man  beliebig 
wählen  kann. 

Sind  die  Endwerte  der  Funktionen  y^^,  y,^,  "  'y  Vs^  i^  ^2  ^^i^ht 
vorgeschrieben,  sondern  willkürlich,  so  müssen  nach  a)  für  t  =  t^  noch 
die  Grenzqleichungen 

dy  dy 

n  ? 

erfüllt  sein. 

Fügt  man  den  Bedingungen  für  die  zulässigen  Kurven  die  weitere  Be- 
dingung hinzu,  daß  für  alle  zulässige  Kurven 

2/0  >0  ^'  (82) 

sein  soll,  und  schreibt  x  statt  t/^,  so  wird  nach  einer  schon  früher  (25,  e))  ge- 
machten Bemerkung  das  Problem  wieder  mit  dem  rc-Problem  von  §  69,  resp. 
§  70,  a)  identisch.  Die  Hinzufügung  der  Bedingung  (82)  ist  auf  die  Endresultate 
(80)  und  (81)  ohne  Einfluß;  denn  ist  dieselbe  für  die  Kurve  @o  erfüllt,  so  folgt 
aus  den  Stetigkeitseigenschaften  der  beim  Beweis  benutzten  Funktionen  Y^{t,  «, 
«it'--i«m)i  ^^^  ^^^^'  ^o>0,  wofern  nur  die  Größen  e  hinreichend  klein  ge- 
wählt sind.     Die  Gleichungen 

1)  Vgl.   die  analogen  Entwicklungen  beim   einfachsten  Fall  in  §  26,  a)  und 
Knbseh,  Lehrbuch,  pp.  241,  242. 


i 
=  0 


§  70.    Diverse  Bemerkungen  zur  Multiplikatorenregel.  577 

ßtellen   also  auch  noch  nach  Hinzufügung  der    Bedingung  (82)  eine  Schar   von 
zulässigen  Yergleichskurven  dar. 

Man  kann  von  dieser  Bemerkung  Gebrauch  machen,  um  für  das  a;-Problem 
die  Grenzgleichung  (73)  zu  beweisen.  Man  erhält  dieselbe,  indem  man  einen 
Parameter  t  einführt,  dann  für  das  i-Problem  die  Grenzgleichung 

cF 

ansetzt  und  darin  schließlich  wieder  zur  Variabein  x  übergeht;   dies   ergibt  sich 
daraus,  daß  hier  _  ,  , 

^=^(,.,,....,,„,||,...,_|),. 

wobei  i/(,  mit  x  gleichbedeutend  ist  und  i^  die  in  §  69  mit  F  bezeichnete  Funk- 
tion bedeutet. 

e)   Beispiel  IV:   Die  BracMstochrone  im  widerstehenden  Mittel 

(Siehe  p.  5): 

Wir  denken  uns  die  zulässigen  Kurven  durch  einen  Parameter  dargestellt, 
den  wir  r  nennen.     Wir  haben  dann  das  Integral 


r-^ 


jr-    i    r-     -\-y'^-\-z'''dt 


*1 


zu  einem  Minimum  zu  machen  mit  der  Nebenbedingung 


vv'  —  gz'  -f  R{v)  Yx'^  4-  y'^  -f  ^'«^  =  0,  (83) 

wobei  der  Akzent  Differentiation  nach  r  anzeigt.  Die  Anfangs-  und  Endwerte 
von  X,  y,  z  sind  gegeben,  ebenso  der  Anfangswert  von  v,  aber  nicht  der  End- 
wert von  V. 

Wir  haben  also  ein  Lagrange'sches  Problem  in  Parameterdarsteliung  mit 
einer  Differentialgleichung  als  Nebenbedingung. 

Es  ist  hier 

F=  yx'^":f^'^'-fj''^  H  -\-  Xvv'  -  Xgz' , 

wenn  wir  zur  Abkürzung^)  , 

H^f  +  ^'Hiv) 
schreiben.  ^ 

Da  F  die  Größen  x,  y,  z   nicht  explizite   enthält,   so   erhalten  wir  sofort 
drei  erste  Integrale,  die  wir  unter  Einführung  der  Bogenlänge  s  schreiben  können 

wobei  a,  b,  e  Integrationskonstanten  sind.  Dazu  kommt  noch  die  Differential- 
gleichung , 

0^,=^,.  (85) 


^)  Iq  ist  =  1  im  allgemeinen  Fall,  =  0  im  Ausnahmefall,  vgl.  §  69,  c),  Ende. 


578     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

Die  Differentialgleichungen   (84)  und  (85)   zusammen  mit  (83)   stellen  dann  die 
Differentialgleichungen  des  Problems  dar. 

Schon  EüLER^)  hat  diese  Differentialgleichungen  richtig  aufgestellt  und  sie 
auf  Quadraturen  zurückgeführt. 

Zunächst  folgt  aus  (84^)  und  (843): 

bx'  —  ay'  =  0, 

d.  h.  die  gesuchte  Kurve  liegt  in  einer  vertikalen  Ebene.     Wir  wählen  dieselbe 
zur  rc-2-Ebene  unseres  Koordinatensystems,  sodaß  « 

Aus  (84)  ergibt  sich  nun  weiter 

H^=^a'J^{c-\-lgY.  (86) 

Diese  Gleichung  bestimmt  X  als  Funktion  von  v  und  den  beiden  Integrations- 
konstanten a  und  c.     Dividiert  man   (84 J  und   (843)   durch   (85),   so   erhält  man 

avdX  j        {c-\-Xg)vdl 

Denkt  man  sich  hierin  den  oben  gefundenen  Wert  von  X  eingesetzt,  so  erhält 
man  durch  zwei  Quadraturen  x  und  z  ausgedrückt  als  Funktionen  von  v: 

x-{-Ä  =  (p{v;a,c\  2-f  C  =  ;t(7;;  a,  c),  (87) 

also  eine  Parameterdarstellung  der  gesuchten  Kurve. 

Für  die  Konstantenbestimmung  bemerken  wir  zunächst,  daß  für  t  =  t^  nach 
(81)  die  Grenzgleichung 

|-?r  =  ;i;l*  =  0  (88) 

ov    ! 

erfüllt  sein  muß,  da  der  Endwert  von  v  nicht  vorgeschrieben  ist.  Hieraus  folgt, 
wenn  wir    die  Gleichung  (86)   zunächst  mit  v^  multiplizieren  und  dann  r  =  r^ 

«^^^^^'  (a^ -f- c^)t;«  =  ^^  (88a) 

Setzt  man  in  den  Gleichungen  (87)  zuerst  r  =  Tj  ,  dann  r  =  r^ ,  so  erhält  man 
zusammen  mit  (88  a)  fünf  Gleichungen  zur  Bestimmung  der  fünf  unbekannten 
Konstanten  a,  c,  A,  O,  v^. 

Die  ebenfalls  schon  von  Euler*)  behandelte  Modifikation  der  Aufgabe,  bei 
welcher  die  Endgeschivindigkeit  v^  vorgeschrieben  ist,  unterscheidet  sich  von  der 
obigen  Aufgabe  nur  darin,  daß  an  Stelle  der  Grenzgleichung  (88)  jetzt  die 
Gleichung  v(t.^)  =  v^  tritt,  wodurch  die  Konstantenbestimmung  noch  einfacher  wird. 

f)  Beispiel  XXV:  Kurve  größter  Endgescliwindigkeit  unter  der 
Wirkung  der  Schwere  im  widerstehenden  Mittel: 

Ist  ein  materieller  Punkt  von  der  Masse  1  gezwungen,  sich  auf  einer  ge- 
gebenen Kurve 

^ x  =  x(r),         y=^y{t),         z  =  z{r),  ^iK'^K'^t 

^)  Methodus  inveniendi  etc.  p.  126.     Die  im  Text  gegebene  Anordnung  des 
Beweises  rührt  von  A.  C.  Lunn  her. 
')  Methodus  inveniendi^  p.  214. 


§  70.    Diverse  Bemerkungen  zur  Multiplikatorenregel.  579 

unter  der  Einwirkung  der  Schwere  in  einem  widerstehenden  Medium  zu  bewegen, 
und  ist  die  gegebene  Anfangsgeschwindigkeit  v^ ,  so  erhält  man  die  Geschwindig- 
keit V  =  v{t)  im  Punkt  r,  indem  man  die  Differentialgleichung ^) 


vv'  —  gz'  +  E(v)  Yx''  +  2/''  +  ä'*^  =  0  (83) 

mit  der  Anfangsbedingung 

nach  V  integriert.  Hierdurch  ist  die  Funktion  v{t)  vollständig  bestimmt,  also 
auch  ihr  Endwert 

Wir  stellen  uns  jetzt  die  Aufgabe:  Unter  allen,  zivei  gegebene  Punkte  F^  und  P^ 
verbindenden  BaumJcurven  diejenige  zu  bestimmen,  für  ivelche  die  so  erhaltene  End- 
geschwindigkeit ein  Maximum  wird. 

Analytisch   können  wir   die  Aufgabe    folgendermaßen   formulieren:    Unter 
allen  „Kurven" 

x  =  x{t),        2/  =  2/(r),         z  =  z{t\         v  =  v{t),        tr^^r^r^ 

im  Raum  der  Variabein  x,  y,  z,  v,  welche  der  Differentialgleichung  (83)  und  den 
Anfangsbedingungen 

xM  =  x^,      yM  =  yi,      z{t^)  =  z^,      v(t,)  =  v^, 
xit^)==x^,       yM  =  yi,       z{t^)^z^ 
genügen,   diejenige  zu  finden,  für  welche  v{t^)   ein  Maximum  wird;  r^    und  r^ 
sind  dabei  nicht  gegeben. 

Dies  ist  ein  Mayer'sches  Problem  in  Parameterdarstellung. 
Die   Differentialgleichungen,    die    man    nach   der    allgemeinen   Regel   von 
§  70,  c)  erhält,   sind  aber,  wie  man  sofort  sieht,  identisch  mit  den  Differential- 
gleichungen für  den  „Ausnahmefall"  (l^  =  0)  beim  Problem   der  Brachistochrone 
im  widerstehenden  Mittel. 

Es   gelten   also   die   Resultate   (84)    bis    (87)   von   §  70,  e),  wenn  wir  darin 
l^  =  0,  also 

H=XB{v) 

setzen.  Die  Kurve  liegt  daher  in  einer  vertikalen  Ebene,  die  wir  wieder  zur 
ic^-Ebene  wählen,  und  die  Differentialgleichungen  des  Problems  lauten: 

XE(t;)^|  =  a,         XB{v)^^=c  +  gX,  (84a) 

Vj^  =  lB{v),  ^^-^^g--B(v),  (86a) 

Wir  wollen  hieraus  eine  interessante,  schon  von  Euler*)  gefundene  Eigen- 


^)  ^gl-  PP-  6  und  577.  Die  Bezeichnung  ist  dieselbe  wie  dort,  und  die 
positive  2^- Achse  ist  wieder  vertikal  nach  unten  gewählt.  Der  Akzent  bedeutet 
Differentiation  nach  r, 

*)  Methodus  inveniendi  etc.,  p.  125. 


580     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 
Bchaft  der  gesuchten  Kurve  ableiten.  Dazu  differentiieren  wir  die  erste  der  Gleich- 
ungen (84  a)  logarithmisch  nach  s  und  eliminieren -j- ,  -=-  mittels  (85  a).     Dann 

Ui  S       uS 


erhalten  wir 


d^x 


gB'{v)  ds 


vli,{v)        dx  dz 
ds  ds 


0. 


Beachtet  man,  daß  ^)  wegen  y  =  0 

dx d^z  dz d^x 

ds  ds^  '         ds  ds^  ' 

wo  r  den  Krümmungsradius   bezeichnet,   so  läßt   sich   die    letzte  Formel    auch 

rB'{v)      ^''ds'~ 

Berechnet  man   andererseits  nach   den  Regeln   der  Mechanik*)   die  Reaktion  N 
der  Kurve,  so  findet  man 

r       ^    ds^ 
Daraus  ergibt  sich  im  Fall  unserer  Kurve  @o  für  die  Reaktion  der  Ausdruck: 

r  \        vB  {v)/ 
Derselbe  nimmt  eine  besonders  einfache  Form  an,  wenn 

r  \         n) 


nämlich 


Für  den  Fall  n=  1  ist  daher  iV=0,  und  man  hat  den  Satz:  Wenyi  der  Wider- 
stand der  Geschtvindigkeit  proportional  ist,  so  ist  die  Kurve  größter  Endgeschivindig- 
keit  identisch  mit  der  Kurve,  ivelche  ein  freier  materieller  Punkt  unter  der  Wirkung 
der  Schwerkraft  im  widerstehenden  Mittel  beschreibt. 

§  71.    Die  Multiplikatorenregel  für  den  Fall  gemischter 
Bedingungsgleichungen.  ^) 

Die  in  §  69  entwickelte  Methode  läßt  sich  nicht  unmittelbar  auf 
den  Fall  übertragen,  in  welchem  einige  der  Bedingungsgleichungen 
(5)  endliche  Gleichungen  sind,  da  dann  alle  Determinanten  mten 
Grades  der  Matrix  (43)  verschwinden.  Trotzdem  gilt  auch  in  diesem 
FaU  die  Multiplikatorenregel. 


^)  Vgl.  z.  B.  Scheffers,  Theorie  der  Kurven,  pp.  30,  188. 
')  Vgl.  z.  B.  Appell,   Tratte  de  Mecanique,  Bd.  I,  p.  415. 
»)  Vgl.  dazu  BoLZA,  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXIV  (1907),  p.  370, 
wo  auch  der  allgemeinste  Fall  Tariabler  Endpunkte  behandelt  wird. 


§  71.   Der  Fall  gemischter  Bedingungsgleichungen.  531 

a)  Modifikation  des  frülieren  Beweises: 

Um  dies  zu  zeigen^  setzen  wir  voraus,  daß  von  den  Gfleichungen 
(5)  die  p  ersten  wirklich  Differentialgleichungen  sind: 

^^{^,  Vu  •  •  •,  Vny  y[>  •  •  •;  Vn)  =  0,  p  =  1^  2,  •  .  .,  ^;       (89) 

dagegen  seien  die   m—p  =  q  letzten  endliche  Gleichungen,   die  wir 
zur  Unterscheidung  mit 

^a(^;2/l,---,^J  =  0,  0=1,2,...,^       (90) 

bezeichnen.  ^)     Dabei  sollen  die  beiden  extremen  Fälle  ^  =  0  und  ^  =  0 
mit  inbegriffen  sein. 

An  Stelle  der  Determinante  (44)  soll  nunmehr  die  Determinante 


+  0,  (91) 


dyr  hV  '"'  ^vL 

dy^^  dy.^  -">  ~dy,, 
(>  =  1,  2,  -..^jö;  6=1,  2,  -'-^q 
sein  entlang  der  Kurve  ©q.  Sonst  sind  die  Annahmen  über  die  zu- 
lässigen Kurven  und  die  Kurve  ©^  dieselben  wie  in  §  68  und  §  69, 
insbesondere  sollen  die  Endpunkte  wieder  als  fest  betrachtet  werden. 
Natürlich  müssen  die  Koordinaten  derselben  den  Gleichungen  (90) 
genügen,  es  muß  also  sein 

^a(^i;  Vn,  '  •  •,  2/.i)=  0,  t„(x,,  y,,,  ■  •  -,  y^,)  =  0.       (92) 

Wir  bemerken  nun  zunächst,  daß  jede  Kurve,  welche  den  Glei- 
chungen (90)  genügt,  zugleich  auch  den  daraus  durch  Differentiation 
nach  X  entstehenden  Differentialgleichungen 

'p.-^-i#+2^?,:2''^  =  o  (93) 

genügt;  aber  auch  umgekehrt  genügt  jede  durch  die  beiden  Punkte  P^  undP^ 
gehende  Kurve,  welche  den  Differentialgleichungen  (93)  genügt,  allemal 
auch  den  Gleichungen  (90).  Denn  durch  Integration  von  (93)  erhalten  wir 

wo  die  c^j  Konstanten  sind.  Setzt  man  hierin  aber  x  =  x^,  so  folgt, 
da  die  Kurve  durch  P^  gehen  sollte, 

^a(^l;  2/ll;   •••;  2/nl)  =  ^af 

also  ist  nach  (92):  c^;=0. 

^)  Bei  der  folgenden  Untersuchung  nimmt  der  Index  q  stets  die  Werte 
e  =  1,  2,  •  •■,  jp,  der  Index  6  die  Werte  ö  ==  1,  2,  •  •  •,  g  an,  auch  wo  dies  nicht 
ausdrücklich  angegeben  ist;  die  Bedeutung  der  Indizes  i,  a,  r  ist  dieselbe  wie 
früher. 


582     Elftes  Kapitel.    Die  Eul  er- Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode, 

Da  -^^^-±5=-^,  so  folgt  aus  (91),  daß  für  das  Differentialglei- 

chungssystem  (89)  und  (93)  die  Bedingung  (44)  erfüllt  ist.  Somit 
ist  durch  diese  Bemerkung  die  ganze  Aufgabe  auf  die  frühere  zurück- 
geführt. Dazu  ist  aber  zweierlei  zu  bemerken:  Einmal  erhält  man 
auf  diesem  Wege  nicht  die  Lagrang  ersehe  Regel,  sondern  eine  kom- 
pliziertere Regel;  und  zweitens  wird  man  dabei,  wenn  g'  >  0,  stets 
auf  den  in  §  69,  d)  erwähnten  Ausnahmefall  des  anormalen  Verhaltens 
der  Extremalen   geführt.^) 

Deshalb  schlagen  wir  einen  anderen  Weg  ein.  Zunächst  ersetzen 
wir  allerdings  die  Gleichungen  (90)  durch  die  Differentialgleichungen 
(93)  und  die  Anfangsbedingungen  (92),  und  verfahren  nun  genau  wie 
in  §  69,  bis  zur  Aufstellung  der  Gleichung  (55): 

'o/(  2*^  ^^  +  a%  ^0  <^^  +  ^'<'''«  (*>)  =  0'  (^4) 

worin  die  Größen  Iq,  li,  ■  ■  -y  l^  Konstanten  sind,  welche  von  der  Wahl 
der  Funktionen  7]m-^r(oo)  unabhängig  sind,  und  welche  nicht  sämtlich 
gleich  Null  sind. 

Die  in  der  früheren  Weise  bestimmten  Funktionen 

genügen  aber  nicht  nur  den  m  Differentialgleichungen 

<P.i^,Y„--;  ¥„,¥{,-■  ■,Yi)^0,  (95) 

sondern  nach  der  oben  gemachten  Bemerkung  mit  Rücksicht  auf  die 
Anfangsbedingungen 

zugleich  auch  den  q  endlichen  Gleichungen 

4,„{x,Y„--;Y,)  =  0.  (96) 

Durch  Differentiation  der  p  ersten  Differentialgledchungen  (95)  und 
der  Gleichungen  (96)  nach  s  erhalten  wir  daher 

Wir  multiplizieren  jetzt  die  Gleichungen  (97)  mit  unbestimmten  Funk- 

^)  Vgl.  dazu  A,  Mayer,  Mathematische  Annalen,  Bd.  XXVI  (1886), 
p.  80,  Fußnote. 


§  71.    Der  Fall  gemischter  Bedingungsgleichungen.  583 

tionen  lAx),  die  Gleichungen  (98)  mit  unbestimmten  Funktionen  iia{x)j 
integrieren  zwischen  den  Grenzen  x^  und  x^  und  addieren  sämtliche 
Gleichungen  zu  (94).  Das  Resultat  formen  wir  schließlich  noch  durch 
partielle  Integration  um  und  erhalten  so  die  Gleichung  (61)^  wobei  jetzt 

F=-%f^2\q^,^-2i^a^a'  (99) 

e  (7 

Nunmehr  können  wir  aber  nicht  mehr  wie  früher  weiter  schließen. 
Denn  in  den  m  Gleichungen  (63)  würden  jetzt  nur  p  zu  unserer  Ver- 
fügung stehende  Anfangswerte  X  (x^  vorkommen. 
Wir  ziehen  daher  zunächst  die  Gleichungen 

^afe)  =  0  (100) 


a 


heran;  dieselben  ergeben  sich  aus  (98),  wenn  wir  x  ==  x.2  setzen  und 
beachten,  daß  ri^^^^ix^)  ==  0.  Multiplizieren  wir  jetzt  die  Gleichungen 
(100)  mit  unbestimmten  konstanten  Faktoren  h^  und  addieren  sie  zu 
(61),  so  kommt: 


/2. 


Nunmehr  bestimmen  wir  die  Funktionen  lg(x)y  ^„(x)  und  die  Kon- 
stanten k^  durch  die  m  Differentialgleichungen 

F-^-|^  =  0  (102) 


und  die  m  Gleichungen 

a 

Wegen  der  Voraussetzung  (91)  kann  man  die  Gleichungen  (102)  nach 
den  m  Größen  A^,  iia  auflösen,  und  erhält  so  p  lineare  Differential- 
gleichungen erster  Ordnung  für  die  Funktionen  X  und  q  Gleichungen, 
welche  die  Funktionen  ft^^  durch  die  Funktionen  A  ausdrücken.  Ferner 
folgt  wieder  aus  (91),  daß  die  Gleichungen  (103)  die  p  Anfangswerte 
A  (a^g)  und  die  q  Konstanten  h^  eindeutig  bestimmen. 

Nunmehr  geht  die  Gleichung  (101)  über  in  (61a),  woraus  wie 
früher  (65)  folgt,  womit  die  Lagrange' sehe  Regel  auch  für  den  Fall 
gemischter  Bedingungsgleichungen  bewiesen  ist. 

Zusatz  ^) :  Wenn  die  Funktionen  f,  cp  ,  ip^  die  unabhängige  Variable  x  nicht 
explizite   enthalten,   so   läßt   sich   unmittelbar   ein   erstes   Integral   der  Euler- 

^)  Vgl.  den  analogen  Satz  für  den  einfachsten  Fall,  §  6,  a). 


584    Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 
Lagrangeschen  Differentialgleichungen  angeben,  nämlich 

Denn  alsdann  ist 

i  i  Q  ^ 

Sind  die  Endpunkte  nicht  fest  und  gestatten  die  Anfangsbedingungen  eine  will- 
kürliche Variation  der  oberen  Grenze  x^,  während  gleichzeitig  die  übrigen  Ko- 
ordinaten beider  Endpunkte  fest  bleiben,  so  ist  stets  c  =  0.  Dies  folgt  aus  der 
Grenzgleichung  (73),  die  auch  im  Fall  gemischter  Bedingungen  gültig  bleibt, 
wenn,  wie  wir  voraussetzen,  die  Funktionen  qp^^,  ip^^  die  Variable  x  nicht  explizite 
enthalten.  \) 

Von  dieser  Bemerkung  hat  man  Gebrauch  zu  machen,  wenn  man  bei  geo- 
metrischen Problemen,  bei  welchen  die  Länge  der  gesuchten  Kurve  nicht  vor- 
geschrieben ist,  die  Bogenlänge  s  als  unabhängige  Variable  einführt. 2) 

b)  Beispiel  XXVP):  GleichgewicMslage  eines  auf  einer  gegebenen 
Fläcbe  ohne  Reibung  aufliegenden  schweren  Fadens,  der  an  seinen 
beiden  Endpunkten  befestigt  ist: 

Nach  den  Gesetzen  der  Mechanik^}  ist  die  Gleichgewichtslage  des  Fadens 
dadurch  charakterisiert,  daß  sein  Schwerpunkt  möglichst  tief  liegt.  Es  sei  l  die 
gegebene  Länge  des  Fadens,  die  positive  0-Achse  sei  vertikal  nach  unten  gerichtet 

^^^  g,(aj,2/,^)  =  0  (105) 

sei  die  Gleichung  der  gegebenen  Fläche. 

Wir  wählen  auf  sämtlichen  zulässigen  Kurven  die  Bogenlänge  s,  gemessen 
vom  Anfangspunkt  P^  als  Parameter.  Dann  läßt  sich  jede  Kurve  von  der  Länge 
l  darstellen  in  der  Form 

mit  der  Nebenbedingung 

Daher  besteht  unsere  Aufgabe  darin,  unter  allen  Funktionensystemen  x{s),  y{s)^ 
z{s)  von  vorgeschriebenen  Stetigkeitseigenschaften,  welche  den  Anfangsbedingungen 
^(0)==^i,  y{0)  =  y,,  2(0)  ==^1, 

x{l)  =  x^,  y{l)  =  y^,  z{l)  =  z^, 

der  endlichen  Gleichung  (105)  und  der  Differentialgleichung  (106)  genügen,  das- 
jenige zu  bestimmen,  welches  das  Integral 


=/ 


zds 


^)  Vgl.  die  auf  p.  580  Faßnote  ")  zitierte  Arbeit,  p.  384. 

*)  Vgl.  LiNDELÖF-MoiGNo,  Lc^ons,  p.  '241. 

2)  Vgl.  Übungsaufgabe  Nr.  5  auf  p.  529  und  Lindelöf-Moigno,  Legons,  p.  313. 

*)  Vgl.  z.  B.  Appell,  Traite  de  Mecanique,  Bd.  I,  Nr.  155,  IGl  und  126. 


dcp 

-'iX'x' 

dy 

-2X'y 

1      3«) 

-^Vz' 

§  71.    Der  Fall  gemischter  Bedingungsgleichuugen.  585 

zu  einem  Maximum  macht.  Dabei  müssen  natürlich  die  Koordinaten  der  beiden 
Endpunkte  P^,  Pg  der  Gleichung  der  Fläche  genügen. 

Wir  haben  es  also  mit  einem  Lagrang e'schen  Funktionenproblem  mit  ge- 
mischten Bedingungen  und  festen  Endpunkten  zu  tun. 

Hier  ist,  wenn  wir  den  Ausnahmefall  \  =  0  beiseite  lassen 

wobei  X,  ft  unbestimmte  Funktionen  von  s  sind.  Daraus  ergeben  sich  die  Euler- 
Lagrang  e'schen  Differentialgleichungen  in  der  Form: 

2^2/"  =  0,  (107) 

^Xz"  =  0. 

Da  die  Voraussetzungen  des  Zusatzes  von  §  71,  a)  erfüllt  sind,  so  ergibt 
sich  unter  Berücksichtigung  der  Bedingungsgleichungen  (105)  und  (106)  unmittel- 
bar ein  erstes  Integral  aus  (104),  nämlich 

z  —  2X  =  c.  (108) 

Ein  zweites  Integral  erhält  man  folgendermaßen:  Es  sei  P  der  dem  Wert  s  ent- 
sprechende Punkt  der  gesuchten  Kurve  auf  der  Fläche  g?  =  0,  PT  die  Richtung 
der  positiven  Tangente,  K  der  zum  Punkt  P  gehörige  Krümmungsmittelpunkt 
der  Kurve,  FN  diejenige  Richtung  der  Flächennormale,  welche  mit  PK  einen 
spitzen  Winkel  bildet.  Ferner  bedeute  PB  denjenigen  Vektor,  der  auf  PI'  und 
PN  senkrecht  steht  und  so  gerichtet  ist,  daß  die  drei  Vektoren  PT,  PP,  PN 
ebenso  zueinander  liegen,  wie  die  positive  ic- Achse  zur  positiven  ^/-Achse  zur 
positiven  ^-Achse.  Die  Richtungskosinus  von  PP  seien  Z,  w,  n.  Multipliziert 
man  dann  die  drei  Gleichungen  (107)  der  Reihe  nach  mit  Z,  w,  n  und  addiert, 
so  kommt: 

n  =  2^(Z£c"  -\~  my"  -j-  nz"). 

Bezeichnet  jetzt  r  die  Länge  des  Krümmungsradius  der  Kurve  im  Punkt  P, 
<ö  den  Winkel  zwischen  den  beiden  Vektoren  PK  und  PN,  gerechnet  von  PK 
nach  PN,  so  erhält^)  man  hieraus  unter  Benutzung  von  (108) 

z  —  c  r 

=  - — ■ — -  • 

n  sm  CO 

Diese  Gleichung  hat  eine  einfache  geometrische  Bedeutung:  Ist  G  der  Mittel- 
punkt der  geodätischen  Krümmung  2)  für  den  Punkt  P,  so  ist 

PG  ==  -A  , 

sm  (o 

zeichenrichtig  in  dem  Sinn,   daß  die  rechte  Seite  positiv  ist,  wenn  der  Vektor 


^)  Siehe  z.  B.  Scheffebs,  Theorie  der  Kurven,  pp.  179,  188. 
*)  Siehe  z.  B.  Scheffers,  Theorie  der  Flächen,  pp.  480,  484. 


586     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Metliode. 

FG  mit  der  Richtung  PB  zusammenfällt,  negativ,  wenn  er  entgegengesetzt  ge- 
richtet ist. 

Bezeichnet  man  andererseits  mit  Q  den  Schnittpunkt  der  Ebene 

0  =  c 
mit  der  Geraden  PR  (resp.  ihrer  Verlängerung  über  P  hinaus),  so  ist 

n 
mit  derselben  Yorzeichenregel  wie  bei  FG. 

Also  gilt  zwischen  den  beiden  in  derselben  Geraden  gelegenen  Vektoren 
PG,PQ  die  Gleichung 

PG  =  —  PQ. 

Es  gilt  also  der  Satz^):  Konstruiert  man  im  Punkt  P  der  gesuchten  Kurve  den 
Vektor  PG  nach  dem  Mittelpunkt  G  der  geodätischen  Krümmung  und  sodann  den 
dazu  entgegengesetzten  Vektor  PQ,  so  liegt  der  Endpunkt  Q  des  letzteren  in  einer 
festen  horizontalen  Ebene:  z  =  c.^) 

c)  Beispiel  XXVII:  Die  Lagrange'sche  Form  des  Prinzips  der 
kleinsten  Aktion:^) 

Wir  betrachten  wie  in  §  68,  e)  ein  System  materieller  Punkte, 
welches  gegebenen  Bedingungsgleichungen 

,,„  =  0,  a^l,2,...,m,   (109) 

unterworfen  ist,  und  auf  welches  gegebene  Kräfte  wirken,  die  eine 
Kräftefunktion  U  besitzen;  sowohl  die  Bedingungsgleichungen  als  die 
Kräftefunldion  sollen  die  Zeit  t  nicht  explizite  enthalten. 

Unter  diesen  Voraussetzungen  gilt  für  die  wirkliche  Bewegung 
des  Systems  der  Satz  von  der  Erhaltung  der  lebendigen  Kraft: 

T=ü+h,  (110) 

wobei  h  eine  von  t  unabhängige  Konstante  ist,  und 

^dx\^      /dy\^      (dz^ 


^-a^mhm^m 


Wir  betrachten  jetzt  die  Gesamtheit  aller  möglichen  Bewegungen 
des  Systems,  welche  folgende  Bedingungen  erfüllen: 

A)  Sie  genügen  den  Bedingungsgleichungen  (109)  des  Systems. 

B)  Sie  genügen  dem  Satz  von  der  Erhaltung  der  lebendigen  Kraft 
(110)  und  zwar  mit  demselben  Wert  der  Konstanten  h. 

^)  In  etwas  anderer  Form  bei  Lindelöf-Moigno,  loc.  cit. 

*)  Hierzu  weiter  die   Übungsaufgabe  Nr.  6  am  Ende  von  Kap.  XIII. 

^)  Wegen  der  Literatur  verweisen  wir  auf  Encyklopädie  IV  1  (Voss),  Nr.  43. 
Insbesondere  sind  zu  erwähnen  A.  Mayer,  Leipziger  Berichte,  Bd.  XXXVIII 
(1886),  p.  'SA'S  und  Holder,  Göttinger  Nachrichten  1896.  Vgl.  auch  Kneser, 
Lehrbuch,  p.  244. 


§71.    Der  Fall  gemiscMer  Bedingungsgleicliungen.  587 

C)  Anfangslage  und  Endlage  sind  dieselben  wie  hei  der  ivirTüicIien 
Bewegung;   die  Anfangslage   soll  auch  zur  selben  Zeit  t^  ein- 
genommen werden,  aber  die  Zeit,  zu  welcher  das  System  die 
Endlage  einnimmt,  ist  nicht  vorgeschrieben. 
Unter  all  diesen  Bewegungen  soU  diejenige  gefunden  werden,  bei 
welcher  das  Zeitintegral  der  lebendigen  Kraft 


'1 
J=fTdi 


den  kleinsten  Wert  einnimmt. 

Wir  haben  also  ein  Lagrange'sches  Funktionenproblem  mit  ge- 
mischten Nebenbedingungen  bei  variabler  oberer  Grenze.    Es  ist  hier 

a 

wobei  X,  ^^  Funktionen  von  t  sind. 

Daraus  ergeben  sich  die  Euler-Lagrange'schen  Differentialglei- 
chungen 

^^(i  +  A),^,:=-AY„+2'/»«^,        (111) 

a 

^^(i+A)»,x=-^^.+2'f'«£- 

a 

Hierzu  kommen  dann  noch  die  Gleichungen  (109)  und  die  Diffe- 
rentialgleichung (110). 

Da  die  Funktionen  T,  ^^,  ü  die  unabhängige  Variable  t  nicht 
explizite  enthalten,  so  können  wir  nach  (104)  ein  erstes  Integral  un- 
mittelbar angeben.     Dasselbe  reduziert  sich  hier  auf 

-{l  +  2X)T=c. 

Der  Wert  der  Konstanten  c  ist  aber  nach  §  71,  a),  Ende,  gleich  Null, 
weil  die  obere  Grenze  t^  nicht  vorgeschrieben  ist.  Daraus  folgt,  da 
im  Fall  einer  Bewegung  T  >  0, 

Setzen  wir  diesen  Wert  von  X  in  die  Differentialgleichungen  (111) 
ein  und  schreiben  l^  statt  2/^^,  so  erhalten  wir  die  Differentialglei- 
chungen (39),  also  die  Differentialgleichungen  der  wirklichen  Be- 
wegung.    Wir  haben  also  das  Resultat: 

Die  Beivegimg,  welche  das  System  unter  der  WirJcung  der  gegebenen 


588    Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

Kräfte  ivirMich  ausfuhrt,  erfüllt  die  erste  notivendige  Bedingung  eines 
Extremums  des  Integrals 


fldt 


unter  den  Bedingungen  A),  B),  C). 

Dies  ist  die  sogenannte  Lagrange'sche  Form  des  Prinzips  der 
kleinsten  Aktion. 

§  72.    Existenztheoreme  für  Extremalen  und  Reduktion  der 

Euler-Lagrang e'schen  Differentialgleichungen  auf  ein 

kanonisches  System. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zur  Frage  der  Integration  der  Euler- 
Lagrange 'sehen  Differentialgleichungen 

f  ^  _  ^  ^j"  _  0  a) 

(I)  dy,       dx  dyl  -^y 

1  .  9>^=0.  (5) 

Dabei  werden  wir  uns,  wie  überhaupt  bei  der  ganzen  weiteren  Be- 
handlung des  Lagrange 'sehen  Problems,  auf  den  Fall  beschränken, 
wo  sämtliclie  Nebenbedingungen  (5)  Differentialgleichungen  sind,  und 
wo  die  Konstante  /o=  ^  i^^;  sodaß  also 

F^f  +  2^^,%r 

Wir  werden  zunächst  die  Aufgabe  betrachten,  die  Differential- 
gleichungen (I)  mit  gegebenen  Anfangsbedingungen  zu  integrieren, 
sodann  die  Reduktion  dieser  Differentialgleichungen  auf  ein  sogenanntes 
„kanonisches  System"  behandeln  und  schließlich  mit  Hilfe  der  so  ge- 
wonnenen Normalform  die  Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  An- 
fangswerten untersuchen. 

a)  Existenz  einer  Lösung  bei  gegebenen  Anfangswerten  :^) 

Um  auf  die  Differentialgleichungen  (I)  die  allgemeinen  Existenz- 
theoreme anwenden  zu  können,  müssen  wir  dieselben  zunächst  auf  die 
Normalform  von  §  23,  a)  reduzieren.  Zu  diesem  Zweck  führen  wir 
in  den  Gleichungen  (7)   die  Differentiation  nach  x  aus  und   differen- 

^)  Vgl.  dazu  C.  Jordan,  Cours  d' Analyse,  Bd.  IIl,  Nr.  374,  und  v.  Escherich, 
Wiener  Berichte,  Bd.  CVII  (1898),  p.  1209;  v.  Escherich  gibt  auch  die  ent- 
sprechenden Entwicklungen  für  den  Fall  gemischter  Nebenbedingungen. 


(112) 


§  72.    Existenztheoreme  für  Extremalen.  539 

tiieren  gleichzeitig  die  Gleichungen  (5)  nach  x-,  man  erhält  dann  ein 
System  von  n  -{-  m  Differentialgleichungen  von  der  Form 

k  ^ 

wobei  in  den  nicht  ausgeschriebenen  Gliedern  die  Ableitungen  y'^^  A^ 
nicht  vorkommen. 

Jede  Lösung  des  Systems  (I)  genügt  auch  dem  System  (112), 
während  das  umgekehrte  nicht  der  Fall  ist. 

Die  Gleichungen  (112)  stellen  ein  System  von  n  ^  m  in  den 
Größen  yj^^  l^  linearen  Gleichungen  dar,  deren  Determinante  den  fol- 
genden Wert  hat^) 


^{^y  y,  y'y  ^) 


(113) 


dy[^  ^ 

(i=l,2,  ...,  n;    /3=1^2,  ...,  m). 
Ist  diese  Determinante  von  Null  verschieden,  so  können  wir  die 
Gleichungen  (112)  nach  den  Größen  yk\  X'^  auflösen  und  erhalten  so 
das  System  (112)  in  der  Normalform 

lix=y^>     ^=^.(^;2/,2/,A),     ^i-^^ix,y,y\X),     (114) 

wo    nunmehr    die   Funktionen    auf  der  rechten   Seite   als   Funktionen 
ihrer  2  n  i-  m  +  1  Argumente  in  dem  Bereich  ^) 

(9L:      {x,y,y')  in  ^-     _(X)<A,<  +  oü;     B{x,  y,  y',  X)  =^  0 
von  der  Klasse  C  sind. 

Dieser  Bereich  (9L  ist  also  der  „StetigJwitshereich"  der  Differential- 
gleichungen (112).     Hieraus  folgt  nun  unmittelbar  der  Satz 
Ist 

«';    M,  •••,«;    2>?;  •••,«';  /?;••-,&  (115) 

ein  Wertsystem,  für  tvelches  (a^,  h"^,  W)  im  Innern  des  Bereiches  %  liegt 
und  überdies  tw  n    ^n   ,n.   -,r.x 

I^(a^  b',  b'\  0  +  0,  (116) 
^,.  K  ^^  ^n  =  0,  (117) 

^)  Wegen  der  abgekürzten  Bezeichnung  vgl.  die  Verabredungen  im  Ein- 
gang von  §  68. 

^)  %  war  der  Bereich,  in  welchem  die  Funktionen  f  und  g)  von  der  Klasse 
•C"  sind,  vgl.  §  69,  Eingang.  ^ 

B  o  1  z  a ,  Variationsrechnung.  sjg 


590    Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 
SO  gibt  es  ein  und  nur  ein  FunUionensystem 

von  der  Klasse  C\  welches  den  Biff'erentialgleiclmngen  (I)  und  den  An- 
fangsbedingungen 

y,{a')=-h^,     y',{a')^W,     1.  K)  =  ??  (118) 

genügt. 

Für  das  System  (114)  und  daher  auch  für  (112)  folgt  dies  so- 
fort nach  §  23,  a);  daraus  folgt  durch  Integration  von  (112^),  daß 

wo  die  c.  Konstanten  sind.  Setzen  wir  aber  in  diesen  Gleichungen 
X  =  a^  so  folgt  aus  (118)  und  (117),  daß  c^  =  0,  womit  unsere  Be- 
hauptung bewiesen  ist. 

Wir  knüpfen  hieran  noch  eine  vorläufige  Konstantenzählung:  Die 
gefundene  Lösung  hängt  von  den  2n  -\-  m  -\-  1  Konstanten  (115)  ab; 
einer  derselben  kann  man  nach  §  24,  a)  einen  festen  numerischen 
Wert  beilegen,  außerdem  bestehen  zwischen  diesen  Größen  die  m  Re- 
lationen (117),  so  daß  also  die  allgemeinste  Lösung  im  ganzen  von 
2n  unabhängigen  IntegrationsJconstanten  abhängt. 

Zur  Bestimmung  derselben  hat  man  gerade  2n  Bedingungen;  im 
FaU  fester  Endpunkte  sind  es  die  Gleichungen,  welche  ausdrücken,  daß 
die  gesuchte  Kurve  durch  die  beiden  gegebenen  Punkte  Pj ,  Pg  gehen  soll. 

b)  Reduktion  der  Euler-Lagrange'schen  Differentialgleichuiigeii 
auf  ein  kanonisches  System^): 

Die  Differentialgleichungen  (I)  lassen  sich  auf  ein  sogenanntes 
„kanonisches  System^^  reduzieren,  indem  man  die  Funktionen  X^  elimi- 
niert und  statt  der  unbekannten  Funktionen  y-  andere  Funktionen  v^ 
in  geeigneter  Weise  einführt.  Um  eine  sichere  Grundlage  für  diese 
Umformung  zu  haben,  nehmen  wir  an,  es  sei 

Vi^Vi^^),     ^li-^ßiß^)^         x^^x-^x^     (119) 
eine  Lösung   des  Systems  (I)  von  folgenden  Eigenschaften: 

A)  Die  Funktionen  y.{x)  sind  von  der  Klasse  G'\  die  Funktionen 
Xß(x)  von  der  Klasse  (V  im  Intervall  [iTi^g]- 

B)  Die  Kurve 

@o:         Vi-Vii.^).     yi^ylipc),  x.^x^x, 

^)  Vgl.  dazu  A.  Mayer,  Journal  für  Mathematik,  Bd.  LXIX  (1868), 
p.  241;  C.  Jordan,  Cours  d' Analyse  Bd.  IIl,  Nr.  375;  Bolza,  Mathematische 
Annalen,  Bd.  LXIII  (11)06),  p.  251,  sowie  Encyldopädie ,  U  A,  p.  585  (Knesek). 


§  72.    Existenztheoreme  für  Extremalen.  591 

liegt  ganz  im  Innern  des  Bereiches  '^^  in  welchem  die  Funktionen  f 
und  (p^  von  der  Klasse  C"  vorausgesetzt  sind  (§§  68,  69). 
C)  Es  ist 

R {x,  y  ix),  y'  (x),  l {x))  +  0     in     \x^ x^, 

unter  B,  die  durch  (113)  definierte  Determinante  verstanden,  die  sich 
auch  als  Funktionaldeterminante  schreiben  läßt: 

wenn  wir,  wie  schon  früher, 

setzen. 

Die  Annahmen  A),  B),  C)  drücken  aus,  daß  die  Lösung  (119) 
in  der  Terminologie  von  PainleveI)  im  Intervall  [x^x^]  „regulär''  sein 
soll.  Daraus  folgt  nach  §  23,  d),  daß  diese  Lösung  sich  auf  ein  ganz 
bestimmtes  Maximalintervall  (ihr  „BegularitätsintervalV'Y),  das  wir  mit 

x\<x<  x\  (121) 

bezeichnen,  ausdehnen  läßt.  Die  Extremale  ^^  samt  ihrer  Fortsetzung 
auf  dieses  Intervall  bezeichnen  wir  mit  (S*. 

Weiter  zeigt  man  wie  in  §  24,  c),  daß  infolge  der  Annahmen  A), 
B),  C)  im  Intervall  (121)  die  Funktionen  y.(x)  von  der  Klasse  C"\ 
die  Funktionen  X^(x)  von  der  Klasse  G"  sind. 

Wir  adjungieren  nun  der  Lösung  (119)  die  n  Funktionen 

^i  (^)  =  ^«+i (^;  y^x),y'  ix),  X  {X)) ,  (122) 

die  nach  den  gemachten  Voraussetzungen  in  \x^x^  von  der  Klasse  C 
sind.     Alsdann  lassen  sich  die  n  ^  m  Gleichungen 

Fn^i  (x,  y,  y,  X)  =  ^.,        9^  {x,  y,  y')  =  0,  (123) 

in  welchen  die  Größen  v.  neue  Variable  bedeuten,  auf  Grund  des  er- 
weiterten Satzes  2)  über  implizite  Funktionen  von  §  22,  e)  in  der  Um- 
gebung der  Punktmenge 

e:     x,^x^x^,     yi  =  yi(x),     yl=y;(x),     X^^X^(x),     v,  =  v,{x) 

^)  EncyUopädie,  II  A,  pp.  194,  195. 

^)  Der  dort  mit  OL  bezeichnete  Bereich   ist  hier  durch   die  Bedingungen 
definiert 

{x,  y,  y')     im  Innern   von   ^^;     _  oo  <  ^^<  +  Oü;     —  Oü  <  Vi  <  -f-  Oü, 
während  die  Buchstaben  6,  J^,  (>  hier  dieselbe  Bedeutung  haben  wie  im  all- 
gemeinen Satz. 

38* 


592     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

eindeutig  nach  t/,'^  ...,!/„,  A^,  ..  .,  A^^  auflösen.     Es  gibt  also  n  +  m 
Funktionen^) 

y;  =  Wi  (x,  y,  v) ,     X,^  =  77^  (x,  y,v),  (124) 

welche  in  einer  gewissen  Umgebung  ((?)  der  Punktmenge 

S&:       x^^x^x^,     yi  =  yi{oc),     Vi  =  Vi(x) 

eindeutig   definiert  und   von   der  Klasse  C  sind^   in   die   Gleichungen 
(123)  eingesetzt  dieselben  identisch  in  {x,  y,  v)  befriedigen: 

Fn  +  i(^,  Vy  ^(^;  Vy  ^);  ^ix,  y,  v))  =  V,, 

und  überdies  den  Anfangsbedingungen  genügen 

^^{x,  y{x),  v{x))  =  yXx),         n,(x,y{x),v{x))  =  X^,(x)        (126) 

in  [x^x^]. 

Nach  Voraussetzung  ist  nun 

j^  ^n+f(^;2/(^)^2/'(^);^(^))  =  F,{x,y{x),y(x\X{x)). 

Unter  Benutzung  von  (126)  und  (122)  geht  dies  über  in 

p^  =  F,{x, y{x\  ^{x, y {x),v{x)\ n{x,y{x\v{x))). 

Berücksichtigen  wir  noch  (126^),  so  können  wir  daher  den  Satz  aus- 
sprechen: 

Das  Funktionensystem 

yi  =  2/i(4         ^i  =  ^»  W.         ^1  5  ^  5  ^2;       (127) 
genügt  dem  System  von  Differentialgleichungen 

||=  ^,{x,y,v\         ^  =  F,{x,y,  ^{x,y,v\n{x,y,v)).       (128) 

Umgekehrt  folgt  unmittelbar:  Es  seien  ^^  (x,  i/,  v),  11^  {x,  y,  v) 
n-\-m  Funktionen  der  unabhängigen  Variabein  ^,  «/^,  •  •  •,  2/„;  ^i ,  • ' ';  ^n  ^^^ 
den  oben  angegebenen  Stetigkeitseigenschaften,  welche  den  Identitäten 
(125)  und  den  Anfangsbedingungen  (126J  genügen;  ferner  mögen  die 
Funktionen  yi{x)j  v^{x)  den  Differentialgleichungen  (128)  genügen. 
Definiert  man  alsdann  die  Funktionen  X^{x)  durch  (I262),  so  stellen  die 
Funktionen   (119)   eine   Lösung   des   ursprünglichen    Systems   (I)   dar. 

Das  System  (128)  ist  wieder  in  der  Normalform  von  §  23,  a), 
und   zwar   hat   es   vor    der   früheren   Normalform    (114)    den   Vorzug 

^)  Wir  schreiben  wieder 

{x,y,v)     statt    (ic,  ,  2/1,  .  .  .,  2/„,   Vi,-.-,«^«),     ebenso 
{x,y,W,n)     statt     (a:,  2/1,  .  .  .,2/„,    W^,...,W^,    JT,,...,nj. 


§  72.    Existenztheoreme  für  Extremalen.  593 

voraus,  daß  es  von  derselben  Ordnung  2n  ist  wie  das  ursprüngliche 
System  (I),  während  das  System  (114)  von  der  Ordnung  2w-f-m  war. 
Die  Differentialgleichungen  (128)  haben  aber  die  weitere  wichtige 
Eigentümlichkeit,  daß  sie  ein  sogenanntes  „hanonisches  System^'  bilden. 
Bezeichnen  wir  nämlich  mit  H{XjyjV)  diejenige  Funktion  der  unab- 
hängigen Variabein  ^jV^- • 'yVny'^ii' ' 'y'^n^  i^  welche  der  Ausdruck 

^ViK+ii'^y  y,  y\  ^)  -  F{x,  y,  y\  X) 

i 

durch  die  Substitution  (124)  übergeht,  d.  h.  also,  unter  Berücksich- 
tigung der  Identitäten  (125), 

H{x,  2/;  ^)  =  ^^i  ^i  (^;  y,  ^)  -  F{^,  y,  ^i^,  y,  ^\  n{x,  y,  v)),   (129) 

i 

SO  erhält  man  nach  leichter  Rechnung  unter  Benutzung  der  Identi- 
täten (125)  für  die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion  H  nach  «/^ 
und  v^  die  Werte 

Q   TT 

jj-=°-  ^h{«,  y>  ^(x,  y,  V),  n{x,  y,  v)), 

Daher  können  wir  die  Differentialgleichungen   (128)   auch   schreiben 

dVi  ^  dll  dVi^  ^  _  dH  (\^V) 

dx        dvi^  dx  dyi  '  ^       ^ 

und  dies  ist   die   charakteristische  Form   eines  kanonischen  Systems. 
Die  Funktion  H  kann  man  wegen  (125)  auch  schreiben 

^(^;  2/;  ^)  =  2Vi'^i{x,  yy  '^)  "  f{^,  y,  ^i^y  y,  ^))'  (129  a) 

t 

c)  Abhängigkeit  der  Lösung  von  den  Anfangswerten: 

Unter  Festhaltung  der  Voraussetzungen  A),  B),  C)  wenden  wir 
jetzt  auf  das  System  (128)  den  Einbettungssatz  von  §  24, b)  an;  dies 
ist  gestattet,  da  die  rechten  Seiten  der  Differentialgleichungen  (128) 
Funktionen  der  Variabein  x,y^,-  •  -yy^jV^^-  ",i\^  sind,  welche  in  einer 
gewissen  Umgebung  der  Lösung  (127)  von  der  Klasse  C  sind.  Sind 
daher  X^,  X^  irgend  zwei  den  Ungleichungen 

X^  <C  -^i  <^  X-^j  X^  '^  -^^2  <C  ^2 

genügende  Werte,  so  können  wir  eine  positive  Größe  d  so  klein  an- 
nehmen, daß  die  folgenden  Sätze  gelten: 

Wählen  wir  a^  beliebig  zwischen  X^  und  X^  und  setzen 

2/.(«")  =  ^,         »,(«°)  =  "1,  (132) 


594    Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 

so  gibt  es  für  jedes  den  Ungleichungen 

\a-aP\Zd,         \h-^   Zd,         \c,-c^\^d  (133) 

genügende  Wertsjstem         ,  , 

eine  eindeutig  bestimmte  Lösung^) 

Vi  =  ?)i(^; «.  ^;  c)>       ^t  =  ^^■(^'; «;  ^  ^)  (134) 

des  Systems  (128),  welche  folgende  Eigenschaften  besitzt: 

1)  Die  Funktionen 

sind  in  dem  Bereich  ^^'  ^^'  ^''  ^'' 

X,^x^X,,\a-a^\^d,\h,-hy\Zd,\c,-cy^d      (135) 
von  der  Klasse  C  als  Funktionen  ihrer  2n  -{-  2  Argumente. 

2)  Die  Funktionen  ^.,  SS-  genügen  den  Anfangsbedingungen 

g,(a;  a,  2>,  c)  =  h„         ^,(a;  a,  ?>,  c)  =  c,  (136) 

im  ganzen  Bereich  (133). 

3)  Es  ist 

%{x',  <  &^  c«)  =  y,{x),        %ix-  <  6«,  c«)  =  i;,(a;)  (137) 

in  [XiXg]. 

4)  Endlich  ist  die  Funktionaldeterminante 

im  Bereich  (135). 

Definieren  wir  jetzt  die  Funktionen 

so  folgt  nacl.  b):        M^^^^M  ^  H^M,  (139) 

D^e  Funktionen 

genügen  den  Eider- Lagrang  ersehen  Differentiolpleichungen  (I)  im 
ganzen  Bereich  (135).  Für  die  FunUionen  D,-  gelten  die  Anfangs- 
bedingungen (136^)  und  (137^)  und  die  FunUionen'^) 

^)  Wir  schreiben  wieder 

(a,  &,  c)  statt  (a,  &! ,  •  •  •  ,  hj,,  q  ,  •  •  • ,  cj. 
2)  Um  zu  zeigen,  daß  dies  auch  für  die  Funktionen  DJ',   ^'^  gilt,  beachte 
man,  daß  aus  Voraussetzung  C)  folgt,  daß 

E(aj,?),?)',ß)  +  0  (Ul) 

im  Bereich  (135),  wofern  die  Größe  d  hinreichend  klein  angenommen  wird. 
Daher  genügen  die  Funktionen  ^.,  ß^  auch  den  Differentialgleichungen  (114), 
aus  welchen  die  Behauptung  unmittelbar  folgt. 


(140) 


§  73.    Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie.  595 

sind  als  Funktionen  ihrer  2n  -{-  2  Argumente  von  der  Klasse  C  im 
Bereich  (135). 

Aus  (125),  (128)  und  (139)  folgen  dann  noch  die  Relationen 

%  =  W,{x,  %  »),        %  =  F„Jx,  %  D',  S).  (142) 

Ferner    folgt  aus    den  Gleichungen    (136)    durch    Differentiation 


(143) 


WO   in   der  Krön  eck  er 'sehen  Bezeichnung  d.j^  =  1    oder  0,  je  nach- 
dem i  =  k  oder  4=  ^• 

Endlich    werden    wir    später    noch    von    der   folgenden    Relation 
Gebrauch  zu  machen  haben 


nach  hj^  und  Cf. 

Si=-i:H 

a 

aaSf 

a 

=  0, 

"=*a, 

. 

^  a^F  Wi\^    ^of^i 


V-^ 
^  ^2/; 


32 


d,,.  (143a) 


^  dyldy':  dc^    ^ ^  dyl  dcj, 

Darin  sind  die  Argumente  der  partiellen  Ableitungen  von  cp^  und  F: 

(a,g)(a),?)'(a)),     resp.     (a,  g)  ^a),  ?) '  (a),  ß  (a)) . 
Man  beweist  (143  a),  indem  man  die  Identität 

FnU^,  h  "^^  h  c\  n{a,  h,  c))  =  c, 
nach  Cj^  differentiert  und  dann  von  den  Gleichungen 

^i(f^>  k  ^)  ==  De- (ö^;  ^^  ^  c),         n^{a,  h,  c)  =  S^(a;  a,  h,  c) 
Gebrauch  macht. 

§  73.     Die  Hamilton- Jacobi'sche  Theorie.^) 

An  die  Entwicklungen  des  vorigen  Paragraphen  läßt  sich  un- 
mittelbar die  „Hamilton-Jacobi'sche  Theorie"  anschließen.  Es  handelt 
sich  dabei  um  eine  Ausdehnung  unserer  früheren  Resultate  über  das 
Extrem alenintegraP)  und  über  die  Hamilton'sche  partielle  Differential- 
gleichung^) auf  das  Lagrange 'sehe  Problem. 


^)  Vgl.  zum  folgenden  EncyMopädie^  II  A,  p.  343  (v.  Weber) 
^  Vgl.  §  37,  a)  und  b). 
')  Vgl.  §  20,  b),  c)  und  d). 


596     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

a)  Die  Punktion  ]X{x]  a,  h,  c): 
Wir  betrachten  unser  Integral^) 

genommen  entlang  der  in  §  72,  c)  definierten  Extremalen 

von  dem  Punkt  mit  der  Abszisse  x  =  a  bis  zum  Punkt  mit  der  Ab- 
szisse X  =  ^.     Der  Wert  dieses  Integrals  ist  eine   eindeutige  Funktion 

von   ^',ciy\r  "fKy^i)'  "}^ny   ^^^   ^^^'   ^^^   ^  (i  '•>  ^y  ^}  ^)    bezeichnen ,   so- 
daß  also 

n{l',a,h,c)-^^ff(x,%W)dx, 

a 

wofür  wir  auch  schreiben  können 

U(^;a,h,c)=fF{x,%W,^)dx, 


da  die  Funktionen  ^^  den  m  Differentialgleichungen 

<P;,(.^,^,W)-0  (144) 

genügen. 

Es  sollen  jetzt  die  ersten  partiellen  Ableitungen  der  Funktion  U 
nach  ihren  2n  -\-  2  Argumenten  berechnet  werden.     Zunächst  ist 

I"  -  /•(*,  %  dV-  =  Fi^,  V,  W,  2):'=*-  (145) 

Femer  ist,  wenn  a  irgend  eine  der  Größen  ?;.,  c^  bedeutet,  in  der  Be- 
zeichnung (120) 

a  i  [i 

die  zweite  Summe  unter  dem  Integralzeichen  ist  gleich  Null  wegen  (144); 
wendet  man  auf  die  übrigbleibenden  Glieder  die  Lagrange 'sehe  par- 
tielle Integration  an  und  beachtet,  daß  die  Funktionen  5),.,  2y  den 
Differentialgleichungen  (I)  genügen,  so  erhält  man 

du        jLjI    ""^'caL 


^)  Immer   unter   Benutzung    der   im    Eingang    von    §  68   verabredeten   ab- 
kürzenden Schreibweise. 


§  73.    Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie.  597 

und  ebenso 


da      ^l'^  +  ^dal      'I 


Macht  man  jetzt  von  den  Formeln  (143)  Gebrauch^  so  erhält  man 


da  —^  •^"+^  a«  ^  "^  [^  K+i'Si     f)\ , 

i  i 

au  _  >ri  ^     ^l^f 


(146) 


Darin  sind  die  Argumente  der  Funktionen  F  und~-F„_^^  vor  Aus- 
führung der  Substitutionen  x  =  ^  und  x  =  a  :  (x, '^,  f)'j2). 

b)  Konstruktion  einer  Extremalen  durch  zwei  gegebene  Punkte: 
Es  seien  jetzt  ^^(a^  &?,...,  hf)  und  P^{^^,  ril,  .  .  .,  i^o)  zwei  Punkte 
der  Extremalen^)  (SJ.  Wir  wählen  in  der  Nähe  7on  A^j  resp.  P^, 
zwei  beliebige  Punkte  Aia,})^,  .  .  .,  hj,  resp.  P(|,  ^i?  •  •  •;  ^J,  und  stellen 
uns  die  Aufgabe,  von  Ä  nach  P  eine  Extremale  (S  zu  konstruieren. 
Setzen  wir  diese  Extremale  in  der  Normalform  von  §  72,  c)  an: 

so  ist  die  erste  Forderung,  daß  @  durch  Ä  gehen  soU,  stets  erfüllt. 
Es  bleiben  also  nur  die  n  Parameter  c-  so  zu  bestimmen,  daß  @  auch 
durch  den  Punkt  P  geht,  d.  h.  so  daß 

dmci,h,c)  =  nr  (147) 

Da  die  beiden  Punkte  A^  und  P^  auf  der  Extremalen  (SJ  liegen, 
so  werden  diese  Gleichungen  nach  (137)  befriedigt  durch  das  spezielle 
Wertsystem:  J  =  ^^,  rj.  =  ri^,  a  ==  a^,  h^  =  69,  c.  =  c9.  Daher  können 
wir  nach  dem  Satz  über  implizite  Funktionen  die  Gleichungen  (147) 
in  der  Umgebung  dieser  Stelle  eindeutig  nach  c^,  •  •  ;  c^  auflösen, 
wofern  an  dieser  Stelle  die  Funktionaldeterminante  der  Auflösung  von 
Null  verschieden  ist.     Schreiben  wir  allgemein  die  Determinante 


d^i(x^a,b,c)\ 


^^ 


^(^;a,  &,c),  (148) 


so  lautet  die  fragliche  Bedingung^) 

^(|«;<6^6-«)  +  0.  (149) 

^)  Vgl.  wegen  der  Bezeichnung  §  72,  b). 

-)  Wie  wir  später  (§  75,  a))  sehen  werden,  bedeutet  dieselbe,  daß  die  beiden 
Punkte  ^4o  und  Pq  kein  Faar  konjugierter  Punkte  (im  weiteren  Sinn)  von  @q  sein  dürfen. 


598     Elftes  Kapitel.    Die  Euler-Lagrange'sche  Multiplikatoren-Methode. 

Wir  setzen  diese  Bedingung  als  erfüllt  voraus  und  erhalten  dann  eine 
eindeutige  Lösung  der  Gleichungen  (147) 

wofür  wir  wieder  kurz  ^^^(a,  6;  |,  ry)  schreiben;  es  ist  dann  also,  iden- 
tisch in  den  Variabein  {a^  &;  J,  i^): 

Uha,h,^)^rj„  (150) 

und  die  Extremale  @  durch  die  beiden  Punkte  Ä  und  P  ist  dar- 
gestellt durch  die  Gleichungen 

@:         Vi  =  ?)X^;  ^;  ^  ^)  ^  ^)i(^;  ^^  ^^  ^'  ^)  •         (1^1) 

Die  hierdurch  definierten  Funktionen  t),.  genügen  nach  (136)  und  (150) 
den  Anfangsbedingungen 

t),(a;  a,  h,  %  n)  =  h,,  9,(S;  «;  ^  5.  ^)  =  ^r  (1^2) 

Ferner  ergeben  sich  aus  (150)  durch  Differentiation  nach  den  Größen 
%  VkJ  ^7  h  ^^®  Relationen 

(«)+i;(t)t-«.l 

km-'- 

[dal  +2;,Uc,/  aa    -"^^ 

i 

Dabei  bedeutet  d.^  wieder  das  Kronecker'sche  Symbol,  und  die 
Klammer  ()  soll  andeuten,  daß  die  Argumente  der  eingeklammerten 
Funktionen  sind:  (|;a,6,  ß). 

Der  Extremalen  (151)  sind  einerseits  die  m  Multiplikatoren 

X^  =  ^^,{x',  a,  h,  ©)  =  i^{x',  a,  h,  |,  t?) 

zugeordnet,  welche  zusammen  mit  den  Funktionen  t),.  den  Differential- 
gleichungen (I)  genügen,  und  andererseits  die  n  Funktionen 

V.  =  %{x',  a,  h,  ©)  =  üfC^;  a,  h,  l,  rj), 
welche  zusammen  mit  den  Funktionen  t|.  dem  kanonischen  System  (131) 
genügen. 

Zwischen   den  Funktionen   t),.,  t):,  I^,  Ü^   bestehen   nach   (139)   und 
(143)  die  Beziehungen 

D;  =  W,{x,  9, 0),      t,  =  Ilp{x,  \),  D),      t),  =  F„^,{x,  9,  i,',  t).    (154) 


(153) 


§  73.    Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie. 


599 


Endlich  genügen  die  Funktionen  ü^  nach  (136)  den  Anfangsbedingungen 
t),.(a;  a,  h,  %  7])  =  e.(a,  &;  l  rj).  (155) 

c)  Die  allgemeinsten  Hamilton'schen  Formeln: 
Wir  betrachten  jetzt  das  Integral  J,   genommen  entlang  der  so- 
eben   bestimmten  Extremalen  @    vom  Punkt  Ä    nach   dem  Tunkt  P. 
Dasselbe    ist    eine    eindeutige    Funktion    der    Variabein    a,h^y  .  .  .,  h^- 
i,  Vi,  •  •  ■,Vn,  die  wir  mit 

Sß(a,  &i,  .  .  .,  &„;  i,  7]^,  .  .  .,  rjj     oder  kürzer     3ß(a,  5;  |,  r^) 

bezeichnen  und  das  Extremalenintegral  vom  Funkt  A  nach  dem  Punkt 
P  nennen;  dasselbe  ist  identisch  mit  Hamilton's^)  „Principal  Function'^. 
Aus  der  Definition  der  Funktion  U  von  §  73,  a)  folgt,  daß 

^(a,h',lri)  =  U(t,a,b,(i).  (156) 

Es  sollen  jetzt  die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion  SS  be- 
rechnet werden.     Zunächst  folgt  aus  (156) 


dm 


i 


a         \da)  '^^VccJ  da  ' 

i 


(157) 


wobei  die  Klammer  ( )  die  in  Absatz  b)  definierte  Bedeutung  hat. 

Ersetzt  man  hierin  die  partiellen  Ableitungen  von  U  durch  ihre 
Werte  (145)  und  (146)  und  macht  von  den  Relationen  (153)  Gebrauch, 
so  erhält  man  nach  einfacher  Rechnung  die  folgenden  Ausdrücke  für 
die  partiellen  Ableitungen  des  Extremalenintegrals 


n 


= ai  imt)\i))  -2imKUiMi\  ^m  m, 


^  =  -z^n+.(it^(i),r(ö,ui)), 


,-^  =  -  f{a,  i){a),  t)\a))  -^2^,{a)F^^,{a,\){a),\^'{a\  l{a)), 


ass 


gft^-  =  -  P;  +  la,  ^ (a),  ^ ' (a),  l{a)) . 


(158) 


^)  Philosophical  Transactions,  1835,  Part.  I,  p.  99. 


600     Elftes  Kapitel.    Die  Euler- Lagrange 'sehe  Multiplikatoren-Methode. 

Dies  sind  die  Hamilton' sehen  Formeln  in  ihrer  allgemeinsten  Form. 
Man  kann  denselben  noch  eine  andere  Gestalt  geben^  indem  man  mitteis 
der  Gleichungen  (154)  statt  der  Funktionen  t)\y  I^  die  Funktionen  ü,- 
einführt.  Macht  man  dabei  noch  von  den  Gleichungen  (152)  und 
(155)  Gebrauch,  so  erhält  man 

-|f  =  -^(|,^,0(|)), 


(159) 


wo  H  die  durch  die  Gleichung  (129)  oder  (129  a)  definierte  Funktion  ist. 

Durch   Elimination    der  Funktionen    \{l)y    resp.   ©^    ergibt    sich 
hieraus  der  folgende  Satz  von  Hamilton^): 

Bas  Extremalenintegral  So  genügt  jeder  der  beiden  folgenden  par- 
tiellen Differentialgleichungen  erster  Ordnung 

^2ß   ,    rrft  ^     ^^  ^^\  _  0 


(160) 


0. 


Dies   bind   die   beiden   zum   kanonischen  System  (131)   gehörigen 
Hamilton' sehen  partiellen  Differentialgleichungen. 

Aus  der   .xsten  derselben  folgt,  daß  die  partielle  Differentialglei- 
chung 

S  +  H(M....,..X.-.-a  =  0  (161) 

befriedigt  wird  durch  die  Funktion 


'.;^'- 


und  zwar  bei  beliebigen  Werten  der  Konstanten  a,h^,  .  .  .,h 

Es  läßt  sich  aber  weiter  zeigen,  daß  diese  Funktion  überdies  ein 
sogenanntes  „vollständiges  Integral''^)  der  partiellen  Differentialglei- 
chung (161)  ist.     Hierzu  ist  nach  der  allgemeinen  Theorie^)  der  par- 

^Th^^^lton,   loc.  cit.  p.  100.     Hierzu   die   Übungsaufgabe  Nr.  9   am  Ende 

von  Kap.  XIII.  ^,  .   . 

2)  Siehe  z.  B.  Gouksat,   Le(^ons  sur  l'integration  des  equahons  aux  denvces 

partielles  du  premier  ordre  (1891),  Nr.  42.  .    ,     t.^      x     x 

3)  Ibid.  Nr.  44.  Die  Konstante  a  ist  hierbei  als  eine  numerische  Konstante, 
bj, .  .  .,  &^  als  variable  Parameter  aufzufassen. 


§  73.    Die  Hamilton-Jacobi'sche  Theorie.  601 

tiellen    Differentialgleichungen    erster    Ordnung    notwendig    und    hin- 
reichend, daß  mindestens  eine  Determinante  ^-ten  Grades  der  Matrix 


nicht  identisch  verschwindet.     Da  aber  nach  (I6O1) 

i 

SO  reduziert  sich  diese  Bedingung  darauf,  daß  die  Determinante 


Nun  ist  aber  nach  (löOJ 


driidh 


^  0.  (163) 


ae 


und  aus  (löSg)  folgt,  daß  die  Determinante 

1^+0 

dm 

in  der  Umgebung  der  Stelle  {a^,W-^l^,yf).  Daher  ist  die  Bedingung 
(163)  stets  erfüllt,  und  der  Ausdruck  (162)  ist  also  in  der  Tat  ein 
vollständiges  Integral  der  partiellen  Differentialgleichung  (161). 

Sobald  also  das  allgemeine  Integral  des  kanonischen  Systems  (131)  bekannt 
ist,  kann  man  durch  eine  Quadratur  ein  vollständiges,  und  daher  auch  das 
y^allgemeine'^^)  Integral  der  partiellen  Differentialgleichung  (161)  erhalten. 

Umgekehrt  gilt  der  folgende  Satz  von  Jacobi^): 

T<ii 

^-'W(x,y„...,y„,ß„...,ßJ+c  (164) 

irgend  ein  vollständiges  Integral  der  partiellen  Differentialgleichung 

so  ist  das  allgemeine  Integral  des  kanonischen  Systems  (131)  gegeben 
durch  die  2n  Gleichungen 

dW  dW  ,,^^. 

Jy,  ^  '-  W.  ^  ^-  ^^^^) 

wobei  die  7^  willkürliche  Konstanten  bedeuten. 

Beide  Sätze  zusammen  zeigen,  daß  die  Integration  des  kanonischen 
Systems  (131)  und  die  Integration  der  partiellen  Differentialgleichung 
(161)  äquivalente  Probleme  sind. 

^)  Siehe  z.  B.  Goürsat,  loc.  cit.  Nr.  42. 

*)  Vorlesungen  über  Dynamik,  19.  und  20.  Vorlesung;  vgl.  auch  C.  Jordan, 
Cours  d' Analyse,  Bd.  III,  Nr.  258. 


Zwölftes  Kapitel. 

Weitere  notwendige,  sowie  hinreichende  Bedingungen  beim 
Lagrange'schen  Problem. 

§  74.  Analoga  der  Bedingungen  von  Weierstraß  und  Legendre. 

In  diesem  Kapitel  sollen  zunäclist  die  den  Bedingungen  von 
Legendre,  Jacobi  und  Weierstrass  entsprechenden  Bedingungen 
(II),  (III),  (IV)  für  das  Lagrange 'sehe  Prohlem  aufgestellt  werden. 
Wir  werden  diese  Bedingungen  zuerst  ohne  Benutzung  der  zweiten 
Variation  ableiten,  indem  Avir  mit  der  Weierstraß 'sehen  Bedingung 
beginnen  und  daraus  die  Bedingung  (II)  herleiten  (§  74),  während 
sich  die  Bedingung  (III)  aus  einer  Verallgemeinerung  des  Enveloppen- 
satzes  ergeben  wird  (§  75).  Alsdann  werden  wir,  wenn  auch  nur 
kurz,  auf  die  Theorie  der  zweiten  Variation  eingehen,  teils  ihres 
großen  historischen  Interesses  wegen,  teils  weil  dieselbe,  wie  sich 
herausstellen  wird,  zur  Vervollständigung  der  vorangegangenen  Theorie 
der  konjugierten  Punkte  unentbehrlich  ist  (§  76). 

Den  Abschluß  des  Kapitels  bildet  dann  die  Aufstellung  hin- 
reichender Bedingungen  auf  Grund  des  allgemeinen  Hilbert'schen 
Unabhängigkeitssatzes  (§  77)  und  die  Theorie  der  Mayer'schen  Extre- 
malenscharen  (§  78). 

Wir  beschränken  uns  dabei  durchweg  auf  den  Fall  des  ,^mik- 
tionenproUems^'  mit  festen  Endpunkten  bei  welchem  sämtliche  Neben- 
beding iingm  Differentialgleichungen  sind.^) 

Ferner  machen  wir  über  die  Extremale  @o  dieselben  Voraus- 
setzungen A),  B),  C)  wie  in  §  72,  b),  fügen  denselben  aber  noch  eine 
weitere  Voraussetzung  D)  hinzu: 


^)  Der  einzige  Fall,  welcher  außerdem  bisher  vollständig  durchgeführt 
worden  ist,  ist  das  räumliche  Variationsproblem  ohne  Nebenbedingungen, 
welches  kürzlich  Mason  und  Bliss  eingehend  behandelt  haben,  und  zwar  in 
Parameterdarstellung  bei  festen  und  bei  variabeln  Endpunkten,  Trans actions 
of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  IX  (1908),  p.  440;  vgl.  auch 
die  Dissertation  von  Nadeschda  Geknet  (Göttingen  li)02),  die  dasselbe  Problem 
mit  X  als  unabhängiger  Variabein  bei  festen  Endpunkten  behandelt. 


§  74.    Analoga  der  Bedingungen  von  Weierstraß  und  Legendr e.      603 

D)  Die  Extremale  @*  soll  sich  in  Beziehung  auf  jedes  noch  so 
kleine  Teilintervall  [lilg]  ^^^  in  §  72,  b)  definierten  „Regularitäts- 
intervalls^^ 

normal  verhalten  (§  69,  d)),  d.  h.  das  einzige  System  von  m  Funk- 
tionen Aj,  Ag,  .  .  .,  A,^,  welche  in  [lilg]  ^^n  der  Klasse  C  sind  und 
den  n  linearen  Differentialgleichungen 

genügen,  ist 

A,  =  0,     X,^0,     •  •  .,     A„  :^  0     in  ItM 

Wir  drücken  diese  Voraussetzung  nach  v.  Escherich  ^)  dadurch 
aus,  daß  wir  sagen,  es  soll  der  „Hauptfall"  des  Lagrange 'sehen 
Problems  vorliegen. 

In  den  Voraussetzungen  A)  bis  D)  ist  enthalten,  daß  die  Kon- 
stante Iq  von  §69  den  Wert  1  hat,  sodaß  also  in  den  Euler'-Lagrange- 
schen  Differentialgleichungen 

zu  setzen  ist.  ^^ 

a)  Die  Weierstraß 'sehe  Bedingung  2): 

Zur  Herleitung  der  Weierstraß'schen  Bedingung  wählen  wir 
auf  der  Extremalen  ©^  zwischen  Pj  und  Pg  einen  beliebigen  Punkt  Pg . 
Es  folgt  dann  aus  der  Voraussetzung  C),  daß  im  Punkt  Pg  mindestens 
eine  Determinante  mten  Grades  der  Matrix  (43)  von  §  69  von  Null 
verschieden  ist;  es  sei  etwa 

Hvi^  Vi  ■  ■ -^  VL)     ^  ^'^ 

Diese  Determinante  ist  dann  auch  noch  in  einer  gewissen  Umgebung 
des  Punktes  Pg  von  Null  verschieden.  In  dieser  Umgebung  wählen 
wir  auf  (S^  und  vor  Pg  einen  Punkt  Pq.  Wir  ziehen  dann  durch  Pg 
eine  beliebige  Kurve  _ 

^'         Vi-'Vii^) 

")  Vgl.  Wiener  Berichte,  Bd.  CVIII  (1899),  p.  1290. 

^)  Zuerst  von  Hahn  auf  etwas  anderem  Wege  abgeleitet,  vgl.  Monatshefte 
für  Mathematik  und  Physik,  Bd.  XVII  (1906),  p.  295;  für  den  Fall  end- 
licher Bedingungsgleichungen  ist  die  Ausdehnung  der  Weierstraß'schen  Be- 
dingung auf  das  Lagrange'sche  Problem  schon  vorher  von  Rudio  gegeben  w^orden, 
vgl.  Yierteljahrsschrift  der  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Zürich, 
Jahrgang  XLIII  (1898),  p.  340. 


604  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange'sches  Problem.    Fortsetzung. 

der  Klasse  C,  welche  den  m  Differentialgleichungen^) 

(p^(x,  y{x),  y{x))  =  0 
genügt,  und  für  welche  das  Wertsystem 

^3.     2/1(^3);    •••.     ynipz)^     ^1(^3)»      •••.     ynipOz)  (2) 

ganz  im  Innern  des  Bereiches  %  von  §  69  liegt.  Wie  sich  aus  den 
Existenztheoremen  über  Differentialgleichungen  ergibt^  ist  dies  stets 
möglich,  und  wir  können  die  Werte 

beliebig  vorschreiben,  vorausgesetzt,  daß  für  das  Wertsystem  (2) 
mindestens  eine  Determinante  mten  Grades  der  Matrix 

dy'A  ^  =  1,2, ...,m,      W 

von  Null  verschieden  ist. 

Es  sei  jetzt  P^  derjenige  Punkt  von  S,  dessen  Abszisse  den 
Wert  x^^  x^  —  £  hat,  unter  e  eine  kleine  positive  Größe  verstanden. 
Dann  können  wir  stets,  und  zwar  für  beliebige,  hinreichend  kleine 
Werte  von  e,  eine  Kurve 

von  den  erforderlichen  Stetigkeitseigenschaften  konstruieren,  welche 
durch  Pq  und  P^  geht: 

^i(^o.  ^)  =  2/iK);  yi{^iy  ^)  =  i/iW;  (4) 

sich  für  £  =  0  auf  (5q  reduziert: 

und  den  m  Differentialgleichungen 

(p^(x,y(x,£),y'{x,6))  =  0 
genügt. 

Zum  Beweis  dieser  Behauptung  verfahren  wir  ganz  ähnlich  wie  in  §  69,  a). 
Wir  wählen  n{n  —  m)  Funktionen^)  r]f^^^(aj)  von  der  Klasse  0",  welche  sämtlich 
in  Xq  verschwinden,  sonst  aber  willkürlich  sind,  und  setzen 

k 

Alsdann  können  wir  nach  §  24,  e)  m  Funktionen 

^)  Wir  benutzen  dieselben  abkürzenden  Bezeichnungen  wie  in  §§  68  und  72. 
*)  Wegen    der  Bedeutung    der  Indizes  vgl.   die  Verabredung  im  Eingang 
von  §  68. 


§  74.    Analoga  der  Bedingungen  von  Weierstraß  und  Legendre.     605 

von  den  dort  angegebenen  Stetigkeitseigenschaften  bestimmen,  welche  mit  den 
Funktionen  r"„j^,,  zusammen  den  m  Differentialgleichungen 

und  den  Anfangsbedingungen 

Y^{x,  0, . .  ,  0)  =  0,  Y^{x,,  8„  . .  ,  8„)  =  y^{x,) 

genügen. 

Gelingt  es  nun,  die  Größen  g^, .  .  .,  f^  so  als  Funktionen  von  s  zu  bestimmen, 
daß  sie  den  n  Gleichungen 

^i(^4i«l,--M«J  =  ^i(^4)  (5) 

mit  der  Anfangsbedingung:  f^  =  0, .  .  .,  s^^  =  0  für  e  =  0  genügen,  so  besitzt  die 
Kurve 

y.  ==  Y,{X,  8,  {8\  .  .  .,  8„  (6))  =  y -(OJ,  s) 

alle  verlangten  Eigenschaften. 

Eine  solche  Bestimmung  der  s.  ist  nun  aber  in  der  Tat  stets  möglich. 
Denn  da  nach  der  Konstruktion  der  Kurve  (£ 

yii^s)  =  yiM^  (6) 

so  werden  die  Gleichungen  (5)  durch  das  Wertsystem  s  =  0,  Sj  =  0,  .  . . ,  s   =0 
befriedigt,  und  überdies  läßt  sich  zeigen,  daß  die  willkürlichen  Funktionen  rj^ 
sich  so  wählen  lassen,  daß  die  Funktionaldeterminante  der  Auflösung  von  Null 
verschieden  ist.     Zum  Beweis   bemerken  wir  zunächst,   daß  die  durch  die  Glei- 
chungen 

definierten  Funktionen  rjj^  den  Differentialgleichungen 

und  den  Anfangsbedingungen 

genügen,  woraus  wie  in  §  69,  b)  folgt,  daß  die  Funktionen  tj*  nur  von  den  Funk- 
tionen nt  +  r  ^^*  demselben  oberen  Index  abhängen  und  nach  Wahl  derselben 
eindeutig  bestimmt  sind. 

Da  ferner  nach  unserer  Voraussetzung  D)  die  Extremale  S^,  sich  in  Be- 
ziehung auf  das  Intervall  [x^x^]  normal  verhält,  so  folgt  nach  §  69,  d),  daß  sich 
die  Funktionen  ri^^^^  so  wählen  lassen,  daß  sie  in  x^  verschwinden,  und  daß 
für  die  hiernach  in  der  eben  angegebenen  Weise  bestimmten  Funktionen  ?]^  die 
Determinante 

h«W|+0.  (7) 

Wählt  man  jetzt  schließlich  noch  die  Funktionen  v^'t^  so,  daß 

unter  d^^  wieder  das  Kronecker'sche  Symbol  verstanden,  so  reduziert  sich  die 

Bolza,  Variationsrechnung.  39 


606  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

fragliche  Funktion aldeteraiinante   auf  die  Determinante   (7),  womit  unsere  Be- 
hauptung bewiesen  ist. 

Nachdem  so  eine  Schar  von  zulässigen  Variationen  von  den  ge- 
wünschten Eigenschaften  hergestellt  ist,  betrachten  wir  das  Integral  J 
vom  Punkt  P^  entlang  @o  bis  Pq,  von  da  entlang  ß  bis  P^,  dann 
von  P4  entlang  S  nach  P3  und  endlich  von  P3  entlang  @q  bis  Pg. 
Den  Wert  desselben  als  Funktion  von  s  bezeichnen  wir  mit  J{e\ 
Da  sowohl  die  Funktionen  yi{x),  als  y.{x,8),  als  ^.(a;)  den  Differential- 
gleichungen 9)^  =  0  genügen,  so  können  wir  J{s)  auch  schreiben 

Xo  x^  X,  a-2 

J(s)  =fFdx  +fFdx  -\-fFdx  +fFdx, 

•J'l  Xf,  Xi  Xj 

wobei  die  in  F,  resp.  F  und  F  vorkommenden  Funktionen  A^  die  zur 
Extremalen  @o  gehörigen  Multiplikatoren  sind. 

Beachtet  man  jetzt  Gleichung  (6)  sowie  die  aus  (43)  folgende 
Relation 

so  erhält  man  nach  einfacher  Rechnung  unter  Anwendung  der  La- 
grange'schen  partiellen  Integration  und  unter  Benutzung  der  Be- 
zeichnung (120)  von  §  72: 

J'  (0)  =  F(x,  y  ix),  y  {x),  k  {x))  -  F{x,  y  {x\  y '  {x\  l  (x)) 

-^(y-i^)  -  y[i^))K+i{^,y(^\y'(^)>^(^))?'' 

Definiert  man  daher  die  Weierstraß'sche  8-Funktion  für  das 
vorliegende  Lagrange'sche  Problem  als  Funktion  ihrer  ^n  -\-  m  -{■  1 
Argumente 

X,  2/u  •  •  ->  yn,Pu  •  •  '>Pn^Pu  •  •  '^Pny  ^U  '  '  V  ^m 

durch  die  Gleichung 

ßiix,y',p,p',X)  =  F{x,  y,p, X)  - F{x,y,p,X)  -^{Pi  -Pi)KU^,y^P>^\  i^) 

i 

so  folgt  hieraus  der  Satz^): 

Soll  die  Extremale  ©^  ein  starlces  Minimum  für  das  Integral  J 
mit  den  Nebenbedingungen  (p.  =  0  liefern,  so  muß 

8 {X,  y {X) ;  y ' {x\p',  X {x))  ^  0  (IV) 

^)  Vgl.  Hahn,  loc.  cit.,  p.  303.  Hier,  wie  bei  allen  folgenden  Sätzen  über 
das  Lagrange'sche  Problem,  sind  stets  die  Voraussetzungen  A)  bis  D)  noch, 
hinzuzufügen. 


§  74.    Analoga  der  Bedingungen  von  Weierstraß  imd  Legendre.     607 

sein  für  Jedes  x  im  Intervall  [x^x^-]  und  für  jedes  endliehe  Wertsystem 
Pi)  ■  '  ■)  Pn^  welches  den  Bedingungen 

gmügt,  und  für  tvelches  der  PunU  (x,y{x),p)  im  Innern  des  Bereiches 
%  liegt  und  mindestens  einer  Determinante  mien  Grades  der  Matrix  (3) 
einen  von  Null  verschiedenen   Wert  erteilt. 

b)  Die  Clebsch'sche  Bedingung: 

Aus  der  Weierstraß'schen  Bedingung  läßt  sich  nun  leicht  die 
der  Legendre'schen  entsprechende  Bedingung  (II)  ableiten.^) 

Dazu  müssen  wir  zunächst  den  folgenden  Hilfssatz  beweisen: 

Es  sei  ^i,?2?- ••;f,^  irgend  ein  System  von  Größen,  welche  den 
m  Gleichungen  xrr^tp 

2^g,;?'  =  o  (10) 

genügen.  Alsdann  kann  man  stets  n  Funktionen  p.{e)  bestimmen, 
welche  in  der  Umgebung  der  Stelle  £  =  0  von  der  Klasse  C"  sind,' 
für   beliebige,   hinreichend  kleine  Werte  von  |£|  den  m  Gleichungen 

9P^fe2/(^3);^(f))  =  0  (11) 

und  den  Anfangsbedingungea 
genügen.  Ä(0)  =  0,        p^O)  =  e,  (12) 

Die  Argumente  von  d^p^joy.  sind  dabei  (x^,y{x^),y\x^)). 
Zum  Beweis  definieren  wir  zunächst 

Dann  können  wir  nach  dem  Satz  über  implizite  Funktionen  die  m 
Gleichungen 

^^ip^^,  2/1(^3),  .  •  .;  yni^3),Pl,  '  •  ■,Pm>Pm  +  li^\  •  •  v  ^(f))  =  0 

in  der  Umgebung  des  Wertsystems  ^  =  0,  ^^  =  y[(x,),  ...,p^^  y„X^,) 
emdeutig  nach  A,  .  .  .,^^  auflösen.  Denn  die  Gleichungen  werden 
durch  dieses  spezielle  Wertsystem  befriedigt,  und  die  Funktionaldeter- 
minante der  Auflösung  ist  nach  (1)  von  Null  verschieden.  Wir  er- 
halten daher  eine  Lösung  p^=pj^e)  der  verlangten  Art,  von  der  nur 
noch  zu  zeigen  ist,  daß  sie  auch  der  Bedingung  (12^)  genügt.  Diffe- 
rentiieren  wir  die  in  s  identischen  Gleichungen  (11)  nach  a  und  setzen 
dann  £  =  0,  so  erhalten  wir 

a        ^«  V^   ^ym  +  r 

^)  ^gl-  Hahn,   loc.  cit.  p.  303.     Der  Beweis   von   Hahn   ist  übrigens   durch 
den  hier  gegebenen  Hilfssatz  zu  ergänzen. 

39* 


608  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange 'sches  Problem.     Fortsetzung. 

woraus  durch  Vergleich  mit  (10)  wegen  (1)  folgt,  daß:  p^(p)  =  ?,, 
womit  der  Hilfssatz  bewiesen  ist. 

Wegen    (11),   (12^   und   (1)   muß  nun  im  Fall  eines  Mmimums 
die  Weierstraß'sche  Bedingung 

für  alle  hinreichend  kleinen  Werte  von  \s\  erfüllt  sein.  Bezeichnen 
wir  die  linke  Seite  als  Funktion  von  s  mit  E^s),  so  ergibt  eine  ein- 
fache Rechnung  unter  Benutzung  von  (12): 

£(0)  =  0,       £'(0)  =  0,       i?"(0)=2'S^'^^')        ■ 
Da  nach  dem  Taylor'schen  Satz 

so  folgt  hieraus  der  Satz: 

Für  ein  Minimum  des  Integrals  J  mit  den  Nebenbedingungen  9^  =  0 
ist  weiter  notwendig,  daß  in  jedem  PunU  des  Extremalenbogens  @o 


für  alle  den  m  Gleichungen 


^S^--0  (13) 


genügenden  Wertsysteme  der  Größen  I^^Uj  '  '  't^n- 

Dabei  sind  die  Argumente  der  zweiten  Ableitungen  von  F: 
{x,  y{x),  y\x)y  k{x)),  diejenigen  von  dcp^/cy.:  {x,  y{x\  y\x)). 

Wir  werden  diese  Bedingung  die  „Clebsch'sche  Bedingung  nennen, 
da  sie  zuerst  von  Clebsch^)  gegeben  worden  ist,  und  zwar  mit  Hilfe 
der  zweiten  Variation. 

In  der  Theorie  der  quadratischen  Formen  wird  gezeigt^),  daß  die 
Bedingung  (II)  damit  äquivalent  ist,  daß  unter  den  Wurzeln  der 
Gleichung 

1)  Das  Summationszeichen  ^  bedeutet  hier   und  in  der  Folge  stets  die 

n       n  i,k 

Doppelsumme  ^  ^. 

*)  Journal  *ftr   Mathematik,   Bd.  LV  (1858),  p.  254.      Vgl.  auch  unten 

§   76,f).  n    1  n 

»)  Weierstrass,  Vorlesungen  über  Variationsrechnung  1879;  C.Jordan,  Lowrs 

d' Analyse,  Bd.  UI,  Nr.  392. 


§  74.     Analoga  der  Bedingungen  von  Weierstraß  und  Legendre.     609 


G(e)  ^ 




-^nl>                ^«2^                •   •   •;      ^nn  —  9>      An      '••;      Am 

Au        Ai»         • '  •;  Au         ö?      •  •  •,   0 

Am?              Am?                •  •  '>     Am?                ö?           •  •  •,      0 

0,     (14) 


welche   bekanntlich   alle   reell   sind^)^    sich  keine   negativen  befinden, 
wobei  zur  Abkürzung 

gesetzt  ist.  ey.^yl--^'^'        ^yl-"-'^ 

Für  Q  =  0  reduziert  sich  die  Determinante  G(q)  auf  die  Determi- 
nante B  von  §  12,  a),  die  nach  Voraussetzung  C)  entlang  ©^  von 
Null  verschieden  ist.  Somit  kann  unter  den  Wurzeln  der  Gleichung 
(14)  die  Null  nicht  vorkommen.  Das  hat  zur  Folge,  daß  unter  der 
Voraussetzung  C)  die  Bedingung  (II),  wenn  überhaupt,  nur  in  der 
stärkeren  Form  .^-^   ^^  ^ 

für  aUe  den  Gleichungen  (13)  genügenden,  nicht  sämtlich  verschwin- 
denden Werte  ^i ,  ?2  ?  *  *  '  ?  Sn  erfüUt  sein  kann. 

Da  die  Wurzeln   der   Gleichung  (14)   sämtlich  reeU   sind,   so  er- 


^)  Siehe  Gundelfinger  in  Hesse,  Analytische  Geometrie  des  Baumes  (1876) 
p.  518;  Weierstrass,  Vorlesungen  über  Variationsrechnung  1879.  Den  folgenden 
einfachen  Beweis  verdanke  ich  Herrn  Löwy: 

Ist  Q  eine  Wurzel  der  Gleichung  (14),  so  gibt  es  n  -f-  m  reelle  oder  kom- 
plexe Größen  x^^x^^-  •  • , aJ^j,  2/1 , 2/2 ,  •  •  •,  2/,n»  welche  nicht  alle  gleich  Null  sind 
und  den  n  -\-  m  Gleichungen  genügen 

-Rtl^l  +  -^^2^2  H h  I^in^n  +  A'l2/l  +  A22/2  H h  Li^r^Vm  =  Q^'i^ 

Dabei  können  wegen  (1)  nicht  alle  Größen  x^  gleich  Null  sein. 

Es  seien  jetzt  x^,  y ^  die  zu  x^^y ,^  konjugiert  imaginären  Größen;  dann  folgt, 
indem  wir  die  e  te  Gleichung  mit  x^,  die  {n -\- §)iQ  mit  y  multiplizieren  und 
dann  addieren^ 

^BikXf^Xi  -f  ^Liß{Xiy^-\-Xiy^)  =  q  ^^i^i- 

/,  k  i,[i  i 

D2i  R  ,,  L      reell  sind,  und  B  ,  =  B, .,   so   ist  die  linke   Seite   reell;  da 

ik^        ifi  '  tk  *t' 

Überdies  auch  ^x^x^  reell  und  von  Null  verschieden  ist,  so  folgt,  daß  q  reell 
sein  muß. 


610  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

gibt  sich  aus  der  Des  carte  s 'sehen  Regel  ein  sehr  einfaches  Mittel, 
um  zu  entscheiden,  ob  die  Bedingung  (IV)  erfüllt  ist:  Man  ordne  die 
cranze  Funktion  G{q)  nach  absteigenden  Potenzen  von  q]  alsdann 
müssen  die  Koeffizienten  der  so  erhaltenen  ganzen  Funktion  ab- 
wechselnde Vorzeichen  haben. 


§  75.     Die    Kn  es  er 'sehe    Theorie    der    konjugierten    Punkte    beim 
Lag  ränge 'sehen  Problem. 

Wir  werden  in  diesem  Paragraphen  nach  dem  Vorgang  von 
Kneser  den  Enveloppensatz  von  §  44,  c)  und  §  62,  d)  auf  den  Fall 
des  Lagrange 'sehen  Problems  ausdehnen  und  daraus  die  der  Jacobi- 
schen Bedingung  entsprechende  Bedingung  (III)  ableiten.  Wir  halten 
dabei  an  den  Voraussetzungen  A)  bis  D)  von  §§  12  und  74  über  die 
Extremale  @o  fest. 

a)  Definition  des  konjugierten  Punktes: 

Wir  gehen  aus  von  der  Betrachtung  der  Gesamtheit^)  der  Extre- 
malen  durch  den  Anfangspunkt  Pi(^i,  2/ii;  '  '  'j  Vnd  ^^^  Extremalen- 
bogens  ©q.  Dieselbe  bildet  eine  w-parametrige  Schar,  die  sich  nach 
den  Resultaten  von  §  72,  c)  mittels  der  Funktionen  ^^  in  der  folgenden 
Normalform  darstellen  läßt: 

Vi  =  a(^;  ^u  Vn,  •  •  •;  ynu  Cu  ■  •  •;  O  =  Y,{x,  C,,  •  •  •,  cj,  (15) 
mit  Ci,  •  •  •,c,^  als  Parametern.  In  der  Tat  ist  nach  Gleichung  (136J 
von  §  72 

Y,(x,,c„--',  cj=-y,„  (16) 

woraus  sich  durch  Differentiation  nach  c^  ergibt 

Die  Schar  (15)  enthält  die  Extremale  ®o  ^^^  ^^^^  ^^^  ^^^  ^®' 
Zeichnung  von  §  72,  Gleichung  (122),  für: 

sodaß  also 

Y,{x,  e\,  ■  ■  ;  c«)  =  y,{x). 

^)  Streng  genommen  handelt  es  sich  nur  um  Extremalen,  die  zu  solchen 
Lösungen  der  Differentialgleichungen  (I)  gehören,  welche  nur  wenig  von  der 
Lösung  (119)  von  §  72  abweichen.  Daß  die  Gleichungen  (15)  alle  diese  Extremalen 
darstellen,  folgt  daraus,  daß  nach  Gleichung  (143)  von  §  72  die  Determinante 
d'^i/dbf^  1  von  Null  verschieden  ist. 


§  75.    Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  611 

Die  Funktionaldeterminante  der  Schar  bezeichnen  wir  mit 

Es  folgt  dann  aus  (17),  daß 
insbesondere  also  auch 

^(^i,«;,---,<)  =  o.  '  (18) 

Wir  wollen  nun  die  Annahme  machen,  daß  der  Punkt  Xy^  ein 
isolierter  NullpunM  der  Funktion  Dix,  cj,  •  •  •,  c^)  ist,  d.  h.  daß  sich 
eine  Umgebung  von  x^  angeben  läßt,  in  welcher  diese  Funktion,  ab- 
gesehen vom  Punkt  x^y  von  Null  verschieden  ist.  Es  wird  sich  später 
zeigen^),  daß  dies  in  Wirklichkeit  keine  weitere  beschränkende  An- 
nahme, sondern  eine  Folge  unserer  bisherigen  Voraussetzungen  A) 
bis  D)  ist. 

Es  folgt  dann,  daß  entweder^) 

D{Xy  c\,  •  •  •,  cj;)  +  0  für  x^<x<xl 

oder    aber,    daß    es    zwischen    x^    und    x^    einen    zunächst^)    auf   x^ 
folgenden  Nullpunkt  x[  dieser  Funktion  gibt,  sodaß  also 

Bix'  c?,  •  •  •,  ßO)  =  0, 

D(:y,  cj,  •.•,cO)  +  0  für  ^i<^<^;.  ^     ^ 

Im  zweiten  Fall  heißt  der  dem  Wert  x  =  x[  entsprechende  Punkt 
Pj  der  Extremalen  ©^  wieder  der  zu  F^  konjugierte  Punkt. 

Die  Funktionaldeterminante  D  läßt  sich  auch  als  Determinante 
2nter  Ordnung  schreiben;  definiert  man  nämlich  nach  A.  Mayer*)  die 
Funktion  A(XfX^)  durch  die  Determinante 


A{x,x,)  = 


'    8«!  i   ' 

"'dc„ 

86.  i  ' 

(20) 


(i  =  1,  2,  •  .  .,  n\ 
wobei  in  den  partiellen  Ableitungen  der  Funktionen  ^,(^;  a,  h,  c)  nach 

^)  Siehe  §  76,  g).  Sind  die  Funktionen  f  und  cp  analytisch  und  regulär 
im  Bereich  %,  so  ist  diese  Annahme  damit  gleichbedeutend,  daß  Z)(rc,  c?,  •  •  -,0°) 
nicht  identisch  verschwinden  soll. 

*)  Wegen  der  Bedeutung  des  Zeichens  xt  siehe  §  72,  b). 

^)  Vgl.  den  am  Ende  von  §  61,  b)  erwähnten  Hilfssatz  über  stetige  Funktionen. 

*)  Journal  für  Mathematik,  Bd.  LXIX  (1868),  p.  250. 


612  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange' sches  Problem.     Fortsetzung. 

der  Differentiation  a  =  x^,  h^  =  y,^,  '  •  *,  ^«  =  Unu  ^i  =  ^Ir  •  ',  <^n  =  ^n 
zu  setzen   ist^  so  ist 

D(a;,c?,---,c»)  =  A(a;,xO,  (21) 

wie  sich  unmittelbar  aus  den  Gleichungen  (143)  von  §  12  ergibt. 

In  dieser  Form  A  wird  uns  die  Determinante  in  der  Theorie  der 
zweiten  Variation  wieder  begegnen;  man  pflegt  sie  die  31  ay er' sehe 
Determinante  zu  nennen. 

Geht  man  von  der  Normalform  (15)  der  Extremalenschar  durch 
den  Punkt  P^  zu  einer  andern  Darstellungsform  über,  indem  man  an 
Stelle  der  Parameter  Cj,  •  •  •,  c„  andere  n  unabhängige  Parameter  ein- 
führt, so  wird  die  Funktionaldeterminante  I)(x,c^,---,  c„)  der  Schar 
nach  bekannten  allgemeinen  Sätzen  über  Funktionaldeterminanten  nur 
mit  einem  konstanten,  nicht  verschwindenden  Faktor  multipliziert. 
Dasselbe  gilt  von  der  Determinante  ^{x,  x^),  wenn  man  von  den 
„kanonischen  Konstanten"  \,  -  -  -y^,  c^,  -  -  -,  c^i  zu  beliebigen  anderen 
Integrationskonstanten  übergeht. 

Für  die  weitere  Diskussion  werden  wir  die  beschränkende  Annahme 
machen,  daß  im  konjugierten  Punkt,  falls  ein  solcher  existiert, 

DM,  <,  ■  ■  ;  cS)  +  0.  (22) 

Dann  können  wir  nach  dem  Satz  über  implizite  Funktionen  die  Gleichung 

in  der  Umgebung  der  Stelle  x  =  x^,  ^i  =  ^v  *  '  ';  ^«  ^  ^?  eindeutig 
nach  X  auflösen^).     Die  Lösung  sei 

^  =  £(q,-";0; 

sodaß  also  ^.  n       /^ 

identisch  in  c^,  •  -  •,  c^  und 

Es  besitzt  dann  auch  jede  der  Extremalen  ©^  benachbarte  Extremale 
(c)  der  Schar  (15)  einen  zu  P^  konjugierten  Punkt,  und  die  Abszisse 
desselben  ist  j(Ci,  •  •  •,  cj. 

Den  geometrischen  Ort  dieser  konjugierten  Punkte,  d.  h.  also  die 
w-fach  ausgedehnte  Mannigfaltigkeit 

^)  Dabei  müssen  wir  allerdings  voraussetzen,  daß  auch  die  zweiten  Ab- 
leitungen d^Y^/dc^dCj  existieren  und  stetig  sind;  das  wird  nach  p.  178,  Zusatz  I 
sicher  der  Fall  sein,  wenn  wir  die  ursprünglichen  Voraussetzungen  von  §  69 
über  die  Funktionen  f  und  qp  dahin  verschärfen,  daß  dieselben  im  Bereich  S 
von  der  Klasse  Civ  gind.  ' 


§  75.    Die  Kn  es  er 'sehe  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  613 

im  Raum  der  Variabein  o[),  y^,  •  • -,  y^  könnte  man  die  „Brennhyper- 
fläcJie'^  der  Schar  (15)  nennen.  Es  lassen  sich  für  dieselbe  ähnliche 
Betrachtungen  anstellen,  wie  im  Fall  des  isoperimetrischen  Problems 

(§62,b)). 

b)  Das  ausgezeichnete  Extremalenbüscliel  durch  den  Punkt  P^:^) 
Wir  greifen  jetzt  aus  der  w-fach  unendlichen  Extremalenschar  (15) 
eine  einfach -unendliche,  die  Extremale  (Sq  enthaltende  Schar  (ein 
„Büschel")  heraus,  indem  wir  die  Größen  c.  durch  Funktionen  eines 
Parameters  a  ersetzen,  welche  für  einen  bestimmten  Wert  a  =  «q  die 
Werte  cj  annehmen  und  in  der  Umgebung  von  aQ  von  der  Klasse  0'  sind: 

^z=^,-(«).  ^\K)  =  C?;  (23) 

sodaß  das  Büschel  dargestellt  wird  durch  die  Gleichungen 

2/.=  r,(^,c„.  ..,aj,  (24) 

und  stellen  uns  nunmehr  die  Aufgabe,  die  Funktionen  c.(a)  so  zu 
bestimmen,  daß  dieses  Büschel  eine  Enveloppe  besitzt,  d.  h.,  daß  es 
eine  Kurve  g  gibt,  welche  von  sämtlichen  Kurven  des  Büschels  be- 
rührt wird. 

Angenommen  es  existiere  eine  solche  Kurve  g,  und  es  sei 
x(a)  die  Abszisse  des  Berührungspunktes  Pg  der  Extremalen  d^  des 
Büschels  (24)  mit  g.  Die  Ordinaten  von  P^  sind  dann  r'.(^, c^,. .  .,cj, 
und  die  Kurve  g  ist  in  Parameter  dar  Stellung  gegeben  durch  die 
Gleichungen 

g:  x  =  x(a),         yi-Y,(x,c,,...,c„)  =  y,(a),         (25) 

Im  Punkt  Pg  soUen  sich  die  beiden  Kurven  @^  und  g  berühren, 
worunter  wir  verstehen,  daß  die  n  Gleichungen  bestehen  soUen: 

^'(«)[il]  =  y;(«),  (26) 

wenn  wir  durch  die  Klammer  []  die  Substitution  von  ^,  Ci,...,(5„ 
für  iT,  Cj,  .  .  .,  c„  andeuten.     Da  nach  (25) 

SO  reduzieren  sich  die  Gleichungen  (26)  auf 


VP5 


^  I  '^^^ 


ö;W  =  o.  (28) 


^)  Im  wesentlichen  nach  Kneser,  Mitteilungen  der  Mathematischen 
Gesellschaft  zu  Charkow,  zweite  Serie,  Bd.  VII  (1902);  vgl.  auch  für  den 
speziellen  Fall  n=2,  m  =  0  die  schon  oben  erwähnte  Arbeit  von  Mason  und 
Bliss,  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society,  Bd.  IX 
(1908),  p.  446. 


614  Zwölftes  Kapitel.     Lagrange 'sches  Problem.     Fortsetzung. 

Da  ferner  die  Funktionen  c^  nicht  sämtlich  konstant  sein  sollen, 
so   muß   die  Determinante   des  Gleichungssystems   (28)   verschwinden, 

d.  h.  es  muß 

i)(^,c,,...,O  =  0  (29) 

sein.  Diese  Gleichung  sagt  aus,  daß  der  Berührungspunkt  F^  ein  zu 
Pj  auf  der  Extremalen  @^  konjugierter  Punkt  (im  weiteren  Sinn) 
sein  muß.  Wir  betrachten  insbesondere  den  Fall,  wo  der  Berührungs- 
punkt der  Extremalen  @o  mit  5  der  konjugierte  Punkt  im  engeren 
Sinn,  P',  ist,  also 

^(«o)  =  ^r 

Dann  folgt  aus  (29)  nach  der  am  Ende  von  Absatz  a)  gemachten 
Bemerkung  unter  der  Voraussetzung  (22),  daß 

für  alle  Werte  von  a  in  der  Nähe  von  a^. 

Gibt  man  dem  x{a)  diesen  Wert,  so  ist  es  möglich,  den  Gleichungen 
(28)  durch  Werte  der  Größen  c[  {a)  zu  genügen,  welche  nicht  sämt- 
lich null  sind,  und  zwar  sind  die  Verhältnisse  dieser  Größen  durch 
die  Gleichungen  (28)  eindeutig  bestimmt.  Denn  wegen  der  Voraus- 
setzung (22)  sind  die  Subdeterminanten  des  Koeffizientensystems  dieser 
Gleichungen  nicht  sämtlich  gleich  Null,  da 

i,k 

wenn  D,.^  die  Subdeterminante  des  Elementes  rYJcc,^  in  der  Deter- 
minante D  bedeutet.     Es  sei  z.  B. 

für  u  =  Uq  und  daher  auch  in  einer  gewissen  Umgebung  von  a^. 
Dann  ergibt  die  Auflösung  von  (28) 

Den  Proportionalitätsfaktor  q  dürfen  wir  ohne  Beschränkung  der  All- 
gemeinheit gleich  1  annehmen,  da  wir  dies  durch  Einführung  eines 
passenden  neuen  Parameters  an  Stelle  von  a  stets  erreichen  können. 
Die  Gleichungen  (31)  stellen  nunmehr  ein  System  von  n  Diffe- 
rentialgleichungen erster  Ordnung  in  der  Normalform  dar,  welche 
zusammen  mit  den  Anfangsbedingungen  {2'd^)  nach  dem  C au chy 'sehen 
Existenztheorem    von    §  23,    a)    die    Funktionen    c^.(a)    eindeutig    be- 


§  75.    Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  615 

«timmen,   und   zwar   sind   dieselben   wegen   (30)   nicht   etwa   sämtlich 
konstant.^) 

Für  das  so  erhaltene  Funktionensystem  Cj^{a)  gelten  dann  in  der 
Tat  die  Gleichungen  (20)  in  der  Umgebung  von  a  =  a^.  Falls  x\aQ)  =f=  0, 
so  ist  die  Berührung  eine  eigentliche.  Ist  dagegen  x\a^  =  0,  so 
ist  auch  yi{ccQ)  =  0.  Ist  dabei  x\a)  ^  0,  so  ist  P[  ein  singulärer 
Punkt'  der  Enveloppe  g.  Ist  dagegen  ä;'(c(:)  =  0^  so  ist  auch 
y'.{a)^Oj  d.  h.  die  Enveloppe  g  degeneriert  in  einen  Punkt,  und 
zwar  in  den  Punkt  P^,  wie  sich  aus  den  Anfangsbedingungen  für 
a  =  a^  ergibt. 

Es  gilt  also  der  folgende  von  Kneser  herrührende  Satz: 
Unter  der  Voraussetzung  (22)  gibt  es  in  der  n-faeli  unendlichen 
JExtremalenschar  (15)  durch  den  Punkt  P^  ein  und  nur  ein  die  Extre- 
male (^0  enthaltendes  ausgezeichnetes  Extremalenbüschel ,  ivelches  eine 
Enveloppe  besitzt,  die  im  PunJct  P[  entiveder  die  Extremale  ©^  herüJirt, 
oder  in  P[  einen  singulären  Punkt  besitzt,  oder  aber  in  den  Punkt  P[ 
degeneriert 

c)  Der  verallgemeinerte  Enveloppensatz :  2) 

Wir  betrachten  jetzt  unser  Integral  J,  genommen  entlang  der 
Extremalen  (S„  des  ausgezeichneten  Büschels  vom  Punkt  P^  bis  zum 
konjugierten  Punkt  Pg.  Dasselbe  ist  eine  eindeutige  Funktion  von  a, 
die  wir  mit  J{a)  bezeichnen:^) 

X 

J{a)  =jf{x,  Y(x,  c),  Y\x,  c))dx. 

Nach  der  Definition  der  Funktion  U  von  §  73,  a)  ist  dann 

J{a)  =  U(^;  x^,  y,^,  .  .  .,  «/„i,  c,,  .  .  .,  cj.  (32) 

Daher  können  wir  mit  Hilfe  der  allgemeinen  Formeln  (145)  und  (146) 

^)  Hieraus  folgt,  daß  die  Extremale  @^  nicht  etwa  für  alle  Werte  von  cc 
in  der  Umgebung  von  a^  mit  (S^  identisch  sein   kann.     Denn   aus  der  Identität 

würde  durch  Differentiation  nach  a  folgen,  daß 

i 

was  wegen  (lOg)  nicht  möglich  ist. 

Diese  Bemerkung  ist  für   den  unter  d)  folgenden  Beweis  von  Wichtigkeit. 

^)  Vgl.  Kneser,  loc.  cit. 

^)  Wir  schreiben  analog  den  früheren  Abkürzungien 

{x,c)     statt     (ic,  Ci, .  .  .,c„). 


616  Zwölftes  Kapitel.     Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

von  §  73  den  Ausdruck  für  die  Ableitung  J'{a)  unmittelbar  hin- 
schreiben, wobei  wir  uns  der  Definition  (15)  der  Funktionen  Y^  sowie 
der  Bedeutung  des  Zeichens  []  zu  erinnern  haben.     Man  findet 

J\a)  =  f{x,  Y{x,c\  T{x/c)yx' 

i,k  ^     *-' 

Die  Doppelsumme  ist  aber  gleich  Null,  da  ja  das  Extremalen- 
büschel  das  durch  die  Gleichungen  (28)  definierte  ausgezeichnete 
Büschel  sein  sollte.     Es  kommt  also  schließlich 

J\a)  =  f{x,  Y{x,  c),  Y\x,  h))x\  (33) 

Wir  unterscheiden  jetzt  zwei  Fälle: 

Fall  I:  x'{a)  ^  0,  die  Enveloppe  g  degeneriert  nicht. 

Wir  beschränken  uns  dabei  auf  den  Fall 

X'(«„)  +  0,  (34) 

indem  wir  den  Ausnahmefall,  wo  die  Enveloppe  5  i^  P[  einen  sin- 
gulären  Punkt  hat,  bei  Seite  lassen.  Dann  können  wir  nach  (25) 
und  (26)  die  Gleichung  (33)  schreiben 

j'(«)  =  /-(ä(«),K«),fi)^'W-  (3^) 

Andererseits  können  wir  wegen  (34)  die  Gleichung  x  =  x(a)  in 
der  Umgebung  von  a^a^  eindeutig  nach  a  auflösen;  es  sei:  cc  =  a{x)^ 
Wir  können  daher  die  Enveloppe  5  ^^  der  Form  schreiben: 

woraus  folgt 

Wir  erhalten  also,  wenn  wir  die  Gleichung,  (35)  nach  a  inte- 
grieren und  X  als  Integrationsvariable  einführen, 

J{a,)  -  J{a)  =ff{x,  Y{x),  r{x))dx.  (36) 

X 

Wir  wählen   nun  a  ^  c^^,  je   nachdem   xUa^)  ^  0,    sodaß    in    beiden 

Fällen  x{a)  <  ^(«o)?  ^-  ^• 

X  <^  x[. 

Dann  können  wir  die  Gleichung  (36)  schreiben: 

-         J^.^{P,P[)  =  J^^{P,P,)  +  J^{P,P[).  (37) 


§  75.    Die  Kneser'sche  Theorie  der  konjugierten  Punkte.  617 

Diese  Gleichung  stellt  den  von  Kneser  herrührenden  verallgemeinerten 
Enveloppensats  dar. 

Fall  II:  x\a)  =  0,  die  Enveloppe  degeneriert  in  einen  Punkt. 
Dann  folgt  aus  (33):  J\a)  =  0^  also  J(a)  =  Jiy.^y  d.  h. 

J^SPiP:)  =  J<,SP^P:)-  058) 

Die  Extremalen  des  ausgezeichneten  Büschels,  welche  in  diesem  Fall 
sämtlich  durch  P^  und  P[  gehen,  liefern  also  für  das  Integral  J, 
genommen  von  Pj  bis  F[,  sämtlich  denselben  Wert. 

d)  Notwendigkeit  der  May  er 'sehen  Bedingung: 

Mit  Hilfe  des  Enveloppensatzes  läßt  sich  nunmehr  zeigen,  daß 
ein  Extremum  jenseits  des  konjugierten  Punktes  nicht  mehr  bestehen 
kann.     Angenommen  es  sei 

x[<X2.  (39) 

Dann  folgt  aus  dem  Enveloppensatz  zunächst,  daß  man  A  «7  =  0 
machen  kann  durch  eine  zulässige  Variation  des  Extremalenbogens  Ö^. 
Für  den  Fall  II  ist  dies  unmittelbar  klar.  Für  den  Fall  I  ist  nur 
noch  zu  zeigen,  daß  auch  der  Bogen  PgP^  von  ^  den  Bedingungs- 
gleichungen (pß  =  0  genügt.     In  der  Tat  folgt  dies  aus  der  Grleichuiig 

(p^(x,  Y{x,~c),  r(;r,a))  =  0, 

wenn  man  darin  zunächst  x  durch  x(cc)  und  dann  a  durch  a(x)  er- 
setzt. Daher  stellt  die  aus  dem  Bogen  P^P^  von  (S^  und  dem  Bogen 
PgP^  von  %  zusammengesetzte  Kurve  eine  zulässige  Variation^)  des 
Bogens  P^P[  von  (Sq  dar,  für  welche  AJ=0.  Damit  ist  bewiesen, 
daß  kein  eigentliches  Extremum  stattfinden  kann,  wenn  x[^x^. 

Es  muß  aber  noch  weiter  gezeigt  werden,  daß  unter  der  Voraus- 
setzung (39)  auch  kein  uneigentliches  Extremum  stattfinden  kann, 
d.  h.  daß  man  A  J  <  0  machen  kann. 

Wir  betrachten  zunächst  den  Fall  I.  Angenommen  der  Kurven- 
zug PjPgPj  liefere  ein  Minimum  für  das  Integral  «7;  dann  muß  der 
Bogen  P^P[  der  Enveloppe  g  ein  Extremalenbogen  sein.  Aus  Stetig- 
keitsgründen folgt,  daß  für  denselben  ebenso  wie  für  den  Bogen  P^P^ 
die  Bedingungen  B),  C)  von  §  12  und^)  die  Bedingung  D)  von  §  74 
erfüllt  sind,  wenn  a  hinreichend  nahe  bei  c^q  gewählt  wird.  Nehmen 
wir  dann  noch  an,  daß  die  Enveloppe  ^  von  der  Klasse  0"  ist,  was 


^)  Man  beachte  auch  die  Ungleichung  x  <^  x{,  sowie  die  Bemerkung  in 
Fußnote  ^)  auf  p.  615. 

^)  Für  die  Bedingung  D)  kann  ich  dies  allerdings  nur  als  Vermutung  aus- 
sprechen. 


618  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange 'sches  Problem.     Fortsetzung. 

stets  der  Fall  sein  wird,  wenn  die  Stetigkeitsvoraussetzungea  von  §  69 
über  die  Funktionen  f  und  (pß  hinreichend  verschärft  werden,  so 
können  wir  auf  den  Kurvenzug  Pj  Pg  F[  den  Zusatz  von  §  70,  b)  über 
diskontinuierliche  Lösungen  anwenden.  Darnach  muß,  da  die  beiden 
Kurven  @^  und  g  sich  im  Punkt  Pg  berühren, 

Yi'{x,c)^Y-'{x)  (40) 

sein.     Nun  ist  aber  nach  (2^),  identisch  in   a, 

YI{x,c)=^Y;{x). 
Daraus  folgt  durch  Differentiation  nach  a 


rr(x,c)x'+2'Fa5'' 


C/t  =  Yi  [x]  X 


Die  n  Gleichungen  (40)  sind  also  nur  möglich,  wenn 


2" 

k 


m''"- 


Da  aber  außerdem  die  Gleichungen  (28)  bestehen  und  die  n  Größen  C], 
nicht  sämtlich  gleich  Null  sind,  so  schließt  man,  daß  die  n  Deter- 
minanten, die  aus  der  Determinante  2)(£',  Cj,  .  .  .,  cj  hervorgehen,  wenn 
man  je  eine  Zeile  [aT./rc^],  Ä:  =  1,  2,  •  •  •,  w  durch  die  entsprechende 
SsY'ijcc^^  Ä^=  1,  2,  •  •  •,  ?^  ersetzt,  verschwinden  müssen.  Daraus 
würde  aber  folgen,  daß  D^ix^  c'j,  •  •  •,  c„)  =  0  sein  muß,  was  wegen 
(22)  nicht  stattfinden  kann,  wenn  a,  hinreichend  nahe  bei  a^  liegt. 

Damit  ist  bewiesen,  daß  der  Kurvenzug  P^P^P[  kein  Minimum 
für  das  Integral  /liefern  kann;  man  kann  denselben  daher  so  variieren, 
daß  das  Integral  J  einen  kleineren  Wert  annimmt,  d.  h.  daß 
AJ<0  wird. 

Aber  auch  im  Fall  II  kann  man  A  J<0  machen,  wenn  x[<  x^. 
Denn  nehmen  wir  an,  die  aus  dem  Bogen  P^P^  von  @„  und  dem 
Bogen  P1P2  von  ©^  zusammengesetzte  Kurve  liefere  ein  Minimum 
für  das  Integral  J,  so  müssen  im  Punkt  P[  die  Eckenbedingungen 
(74)  von  §  70,  b)  erfüllt  sein     Aus  denselben  folgt,  daß  im  Punkt  P^' 

i 

sein  muß,  wobei  sich  die  unüberstrichenen  Buchstaben  auf  @„,  die 
überstrichen en  auf  (Bq  beziehen.  Man  zeigt  aber  leicht,  daß  diese  Be- 
dingung für  hinreichend  kleine  Werte  von  |  « —  «^  |  nicht  erfüllt  sein 
kann,  wenn  die  C  leb  seh 'sehe  Bedingung  für  die  Extremale  (S^  in 
der  stärkeren  Form  (11')  erfüllt  ist. 


§  76.    Die  zweite  Variation.  619 

Unter  der  einschränkenden  Annahme  (22)  und  unter  Beiseite- 
lassung des  Ausnahmefalles,  in  welchem  die  Enveloppe  g  in  P[  einen 
siugulären  Punkt  besitzt,  können  wir  also  den  Satz  aussprechen^): 

Für  ein  Extremum  des  Integrals  J  mit  den  Nebenbedingungen 
(f^  =  0  ist  weiterhin  nottv endig,  daß 

A  (x,  Xj)  +  0    für    x^<x<x^  (III) 

oder,  anders  geschrieben, 

x^^x[. 

Dieser  Satz  ist  zuerst  von  A.  Mayer  ^)  gegeben  worden,  der  den- 
selben aus  der  zweiten  Variation  ableitet. 

§  76.   Die  zweite  Variation  beim  Lagrange 'sehen  Problem. 

In  den  vorangehenden  Paragraphen  haben  wir  die  Notwendigkeit 
der  beiden  Bedingungen  (II)  und  (III)  ohne  Benutzung  der  zweiten 
Variation  bewiesen.  Im  gegenwärtigen  Paragraphen  soll  nunmehr  im 
Anschluß  an  die  Untersuchungen  von  v.  Escherich  eine  gedrängte 
Darstellung  der  Theorie  der  zweiten  Variation^)  gegeben  und  wenig- 
stens angedeutet  werden,  wie  man  mit  deren  Hilfe  ebenfalls  die  Not- 
wendigkeit  dieser  Bedingungen    beweisen   kann.      Zugleich   wird   sich 

^)  Der  in  Fußnote  ^)  p.  617  erwähnte  Punkt  wäre  dabei  noch  aufzuklären. 

*)  Loc.  cit.  p.  258.  Freilich  beweist  Mayer  nur,  daß  dV=  0  gemacht 
werden  kann,  wenn  x^^  x^;  vgl.,  auch  wegen  der  weiteren  Literatur,  p.  625 
Fußnote  ^).     Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  4,  7,  8  am  Ende  von  Kap.  XIII. 

^)  Wegen  der  Geschichte  dieser  Theorie  verweisen  wir  auf  die  Encyklo- 
pädie  IIA,  pp.  591—601  (Kneser)  und  pp.  683—635  (Zermelo  und  Hahn),  sowie 
auf  die  historische  Einleitung  der  unten  angeführten  Arbeit  von  Scheffer.  Die 
für  unsere  Zwecke  wichtigsten  Arbeiten  sind: 

Clebsch,  „lieber  die  Beduktion  der  ziveiten  Variation  auf  ihre  einfachste 
Form'',  Journal  für  Mathematik,  Bd.  LV  (1858),  pp.  254—270. 

Clebsch,  „  lieber  diejenigen  Probleme  der  Variationsrechnung,  welche  nur  eine 
unabhängige   Variable  enthalten",  Ibid.  pp.  335 — 355. 

A.  Mayer,  „lieber  die  Kriterien  des  Maximums  und  Minimums  der  einfachen 
Integrale'',  Journal  für  Mathematik,  Bd.  LXIX  (1868),  pp.  238—263. 

Scheeffer,  „Die  Max  im  a  und  Minima  der  einfachen  Integrale  zivischen  festen 
Grenzen'',  Mathematische  Annalen,  Bd.  XXV  (1885),  pp.  522—593. 

V.  Escherich,  „Die  ziceite  Variation  der  einfachen  Integrale",  Wiener  Be- 
richte, Abt.  IIa,  Bd.  CVII  (1898),  pp.  1191-1250,  1267  —  1326,  1383—1430; 
Bd.  CVni  (1899),  pp.  1269—1340. 

Kneser,  „Ableitung  hinreichender  Bedingungen  des  Maximums  oder  Mini- 
mums aus  der  Theorie  der  ziveiten  Variation",  Mathematische  Annalen, 
Bd.  II  (1899),  p.  321—345. 

Endlich  ist  auch  die  Darstellung  in  C.  Jordan's  Cours  d' Analyse,  Bd.  III 
(1896),  pp.  499—527  zu  erwähnen. 


620  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange'sclies  Problem.     Fortsetzung. 

dabei  eine  wichtige  Ergänzung  unserer  bisherigen  Entwicklungen  er- 
geben, insofern  der  in  §  75  ohne  Beweis  benutzte  Satz  über  das  Ver- 
schwinden der  Funktion   A  {x,  x^)  seine  Erledigung  finden  wird. 

a)  Vorbereitungssatz  über  die  zweite  Variation: 

Wir  halten  an  den  Voraussetzungen  A)  bis  D)  von  §§72  und  74 
über  die  Extreraale  @o  ^^st.  Dann  gilt  auf  Grund  der  Voraussetzung 
D)  das  „Ergänzungslemma"  von  §  69,  e)  für  jedes  Teilintervall  des 
Integrationsintervalls  [x^x^].  Daher  können  wir  jedes  Stück  [Jilg] 
des  Extremalenbogens  ^q  für  sich  variieren,  und  zwar  können  wir 
zu  jedem  System  von  Funktionen  tj-,  welche  in  [l^y  ^^^^  ^^r  Klasse 
C"  sind,  in  l^  und  Jg  verschwinden  und  den  m  Differentialgleichungen 

genügen,  eine  einparametrige  Schar  von  zulässigen  Variationen 

des  Bogens  [l^y  ^^^  Extremalen  ©^  konstruieren,  für  welche 

Für  diese  Schar  muß  nun  im  Fall  eines  Minimums 

d'J^  0  (42) 

sein;  gleichzeitig  folgt  aus  den  Grleichungen:  9^^(^;  ^,  ^')  =  ^?  ^^^ 

Daher  können  wir  die  Ungleichung  (42)  auch  schreiben 

^.  _ 

wo  die  X^  die  zur  Extremalen  @o  gehörigen  Lagrange'schen  Multi- 
plikatoren von  §  69,  c)  sind.  Wie  bei  der  analogen  Untersuchung 
von  §  60,  a)  fallen  nun  in  dieser  Ungleichung  infolge  des  Bestehens 
der  Differentialgleichungen  (1)  die  zweiten  Variationen  d^y^  heraus,  und 
wir  erhalten  wie  dort  den  Satz: 

Im  Fall  eines  Minimums  muß  das  Integral 

(5  V  =  £2  ry{P,,rj,rjk  +  2  QaV>-r}k  +  Ba^iVk)  dx^O  (43) 

sein  für  je  zwei  den  Ungleichungen  x^^l^<l^^  x^  genügende  Werte  ^i,  l^ 


§  76.    Die  zweite  Variation.  ß21 

und  für  alle  Funktionensysteme  tj.  der  Klasse  C",  welche  in  l^  und  Ig 
verschwinden  und  den  m  Differentialgleichungen  (41)  genügen. 
Darin  bedeutet 

wobei  die  Argumente  in  den  zweiten  Ableitungen  Ton  F  sind:  {x,y(x)y 
y'{x),X{x)). 

b)  Erste  Transformation  der  zweiten  Variation^): 
Multipliziert  man  die  Differentialgleichungen  (41)  mit  unbestimmten 
Funktionen  von  x  von  der  Klasse  G\  2^^,  integriert  zwischen   den 
Grenzen  l^   und  l^  und  addiert  die  erhaltenen  Resultate  zu  (43),   so 
kann  man  die  zweite  Variation  auch  in  der  Form  schreiben 

^. 
d^J=8'f29.{ri,,f,^)dx,  (44) 

wobei  2^{ri,ri',y)  die  folgende  quadratische  Form  der  Größen 

bedeutet: 

*•*  (45) 

fs,t 

Nach  dem  Euler'schen  Satz  über  homogene  Funktionen  ist 

Die  letzte  Summe  ist  null,  da  nach  (41) 

dSl 

W^  =  <^^{yi)  =  0. 

Setzt  man  den  so  erhaltenen  Ausdruck  für  9,  in  (44)  ein,  wendet 
partielle  Integration  an  und  beachtet,  daß  die  Funktionen  yi^  an  beiden 
Grenzen  verschwinden,  so  erhält  man  für  d^J  den  Ausdruck^): 


d'J^s'f2Vi'i'Xv,l^)dx,  (46) 


^)  Nach  A.  Mayer,   loc.  cit. ,  p.  243;  vgl.  auch  C.  Jokdan,  Cours  d' Analyse, 
Bd.  III,  Nr.  378. 

^  Verallgemeinerung  der  Formeln  (12)  von  §  10  und  (45)  von  §  61. 

Bolza,  Variationsrechnung.  40 


622  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

wenn 

'    "  3Tr  /^   ..^ 

drii        dxdrii^ 


'     'PX.„")  =  l^-.'^^;f.,  (47) 


oder  ausgeschrieben, 

Wir  versuchen  nun  zunächst  wieder,  die  zweite  Variation  gleich 
Null  zu  machen.     Dies  ist  stets  möglich,  wenn  es  eine  Lösung 

(w,  q}  =  (iti,  ii^y  .  .  .,  u^;  Qi,  927  •  •  -y  9m) 
des   Systems   von   n  +  m   homogenen  linearen  Differentialgleichungen 

^,K^)  =  0,  ^,.W  =  0  (48) 

gibt,  in  welcher  die  Funktionen  u^  von  der  Klasse  C",  die  Funktionen 
Q^  von  der  Klasse  C  sind,  und  sämtliche  Funktionen  w^  in  zwei 
Punkten  li  und  ^g  ^^s  Integrationsintervalles  [x^x^]  verschwinden, 
ohne  jedoch  im  Intervall  [gjg]  sämtlich  identisch  zu  verschwinden. 
Denn  variieren  wir  dann  nur  den  Bogen  [li^g],  indem  wir  in  diesem 
Intervall  rj.  =  u^  und  zugleich  ^^  =  q^  setzen,  so  erhalten  wir  ein  zu- 
lässiges System   von  Funktionen  rj^,  für  welches  nach  (46):  d^J"=  0. 

c)  Integration  des  akzessorischen  Systems  linearer  Differential- 
gleichungen; 

Es  kommt  nunmehr  alles  auf  die  Integration  des  Systems  linearer 
Differentialgleichungen  (48)  an,  das  wir  nach  v.  Eschekich^)  das 
,,al;zessorische  System  linearer  Differentialgleichungen''  nennen  wollen. 
Man  kann  dieses  System  zunächst  auf  ein  System  linearer  Differential- 
gleichungen in  der  Normalform  reduzieren,  indem  man,  ähnlich  wie 
in  §  72,  a),  die  Gleichungen  (48^)  nach  x  differfentiiert  und  die  so 
modifizierten  Gleichungen  (48)  nach  den  Größen  <,  q^  auflöst,  wobei 
die  Auf  lösungsdeterminante  mit  der  Determinante  R  von  §  72,  a)  identisch 
ist,  welche  nach  Voraussetzung  C)  von  NuU  verschieden  ist.  Daraus 
schließt  man  nach  allgemeinen  Existenzsätzen  über  Systeme  linearer 
Differentialgleichungen,  daß  in  jeder  Lösung  {u,q)  des  Systems  (48) 
die  Funktionen  u.  von  der  Klasse  C",  die  Funktionen  q^  von  der 
Klasse  C  sind  in  dem  in  §72,b)  definierten  ,,Regularitätsintervall" 
xl<x  <  xl  der  Extremalen  @J. 

1)  Vgl.  V.  Escherich,  Wiener  Berichte,  Bd.  CVIl,  p.  1236. 


§  76.    Die  zweite  Variation.  g23 

Ferner  gilt  nun  auch  hier,  in  Verallgemeinerung  des  Jacobi'schen 
Theorems  von  §12,b),  der  Satz^),  daß  sich  das  allgemeine  Integral 
des  Systems  (48)  aus  dem  allgemeinen  Integral  der  Euler-Lagrange- 
schen Differentialgleichungen  (I)  durch  Differentiation  nach  den  Inte- 
grationskonstanten ableiten  läßt: 

Ist 

Vi  =  2/z(^;  ri;  r„  '  .  -,  r2n),  ^^  =  '^/.(^in;  72,  •  •  •;  72  J 

das  allgemeine  Integral  der  Euler-Lagrange'schen  Differentialglei- 
chungen (I),  mit  beliebigen  Integrationslonstanien  y^,  so  wird  das  ak- 
zessorische System  linearer  Differentialgleichungen  (48)  durch  die  2n 
Systeme  von  Funktionen 

<=t-'-'<  =  fc    .!=&.•. .:=|^,    (49) 

1^  =  1,  2,... ,2^, 
befriedigt,  in  denen  nach  der  Differentiation  die  y^  durch  die  speziellen^ 
die  Extremale  ©^  liefernden   Werte  ^J  zu  ersetzen  sind. 

Zusatz  I:  Diese  2n  Lösungen  bilden  ein  „Fundamentalsystem'\ 
d.  h.  sie  sind  linear  unabhängig  in  dem  Sinne^  daß  es  keine  2n  Kon- 
stanten (7^,  die  nicht  alle  null  sind,  gibt,  derart  daß  in  irgend  einem 
TeilintervaU  von  [x-^^x^] 

für  i=l,2,.._,n',ß  =  l,2,...,m. 

Zusatz  II:  Jede  andere  Lösung  (u,  q)  des  Systems  (48)  läßt  sich 
linear  und  homogen  durch  diese  2n  Lösungen  ausdrücken: 

Ui  =2cA,      Q^  =2Gy,.  (50) 

Der  Beweis  des  Hauptsatzes  ergibt  sich  sofort,  wenn  man  die 
Funktionen  y^x-,  y,,  y„  .  .  .,  y^J,  ^,(^',71,72,  •  •  •;  72.)  an  SteUe  von  y,, 
X^  in  die  Differentialgleichungen  (I)  einsetzt  und  die  so  erhaltenen 
Identitäten  nach  y^  differentiiert. 

Insbesondere  folgt,  daß  die  aus  den  Lösungen 

Vi  =  %{^-->  «;  ^  c),         X^,  =  2^(ä;;  a,  b,  c) 
von  §  72,  c)  abgeleiteten  2n  Funktionensysteme 

^?)l  m^  ^_^  aS^,  ^^^> 

(k  =  l,2,..,n), 


^)  Vgl.  Clebsch,  loc.  cit.  p.  259. 

40' 


624  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange'sclies  Problem.     Fortsetzung. 

in  denen  nach  der  Differentiation  h,  =  y,(a),  c,  =  v,{a)  zu  setzen  ist, 
Lösungen  des  akzessorischen  Systems  (48)  sind.  Wir  wollen  dieselben 
das  dem  PunM  x  =  a  zugeordnete  „'kanonische  Lösungssystem"  von  (48) 

nennen. 

An  diesem  speziellen^)  Lösungssystem  beweist  man  auch  am  ein- 
fachsten den  Zusatz  L     Aus  den  Identitäten 


2n  2w  „ 


in  denen  wir  c„  +  i  statt  h^  geschrieben  haben,  würde  nämlich  zunächst 
und  dann  weiter  nach  Gleichung  (1422)  von  §  12 


^ 


(J^-^0 


V 

was  wegen  der  Ungleichung  (138)  von  §  12  nicht  möglich  ist.^ 

Wegen  des  Beweises  von  Zusatz  II  verweisen  wir  auf  die  all- 
gemeinen Entwicklungen  von  v.EsCHERiCH^)  über  Fundamentalsysteme 

des  Systems  (48). 

Aus  diesen  Resultaten  folgt  nun  weiter:  Soll- es  eine  Lösung  {u,q) 
des  akzessorischen  Systems  (48)  von  den  am  Ende  von  Absatz  b) 
postulierten  Eigenschaften  geben,  so  müssen  sich  2n  Konstanten 
Ci,  .  .  .,  C^2«?  ^i<^^*  ^11®  gleich  Null,  so  bestimmen  lassen,  daß  gleich- 
zeitig die  2n  Gleichungen  erfüllt  sind 

und    dazu    ist  notwendig,    daß   die  Mayer'sche  Determinante  2w-ten 
Grades 


A(l2,y  = 


cyi%   dyA^^ 


dyi_ 


^x 


(52) 


(^=l,2,...,>^) 


gleich  Null  ist. 

1)  Vgl.  die  Bemerkung  in  §  75,  a)  über  den  Übergang  von  dem  kanonischen 
Integrationskonstanten  zu  beliebigen  anderen. 
*)  Siehe  Fußnote  ^)  auf  p.  622. 


§  76.     Die  zweite  Variation.  625 

Ist  umgekelirt  A(|2,li)  =  0,  so  ist  die  verlangte  Bestimmung  der 
Konstanten  C^  stets  möglich,  und  die  so  erhaltenen  Funktionen  u^,  •  •  •?  ^n 
können  nicht  im  ganzen  Intervall  [?i,  I2]  sämtlich  verschwinden.  Denn 
sonst  würden  die  zugehörigen  Funktionen  q^,  welche  wegen  Zusatz  I 
sicher  nicht  ebenfalls  sämtlich  identisch  verschwinden,  nach  (48^)  den 
n  Differentialgleichungen  genügen: 

was  mit  der  Voraussetzung  D)  im  Widerspruch  steht. 

Wir  erhalten  also  das  folgende  von  A.  Mayer ^)  herrührende 
Schlußresultat  dieser  Betrachtung: 

Wenn  es  zwei  dem  Integrationsintervall  [x^x^  angehörige  Funkte 

50  gibt  es  zulässige^  nicht  identisch  verschwindende  FunMionensysteme  t]^, 
für  welche  ö^J=  0. 

Insbesondere  kann  man  also  d^J=  0  machen,  wenn  die  zunächst^) 
auf  x^  folgende  Wurzel  x[  der  Gleichung 

A(x,x^)  =  0 

zwischen  x^  und  x^  liegt  oder  mit  x^  zusammenfällt.  Man  wird  dann 
als  wahrscheinlich  erwarten  dürfen,  daß  ein  Extremum  nicht  eintreten 
kann.^) 

Wählt  man  bei  der  soeben  gegebenen  Ableitung  für  das  Funda- 
mentalsystem (49)  das  dem  Punkt  1^  zugeordnete  kanonische  Lösungs- 
system (51),  so  erhält  man  die  Determinante  A(l2?6i)  i^^  der  Normal- 


1)  Vgl.  Mayer,  loc.  cit.  pp.  250,  258. 

2)  Vgl.  §  76,  g). 

^)  "^gl-  §  10,  b)  und  §  61,  a).  Wenn  x[  <^x^,  so  kann  man,  wie  in  den  ein- 
facheren Fällen  von  §  14  und  §  61,  c),  nicht  nur  8^J=  0,  sondern  sogar  ^^J'<0 
machen,  womit  dann  die* Notwendigkeit  der  Bedingung  (III)  bewiesen  ist;  vgl. 
ScHEEPFER,  Mathematische  A.nnalen,  Bd.  XXV  (1885),  p.  522  und  v.  Escherich, 
Wiener  Berichte,  Bd.  CVII,  p.  1418  und  Bd.  CVIII,  p.  1300.  Der  Beweis  von 
Scheeffer,  der  übrigens  nicht  ganz  vollständig  ist,  und  der  zweite  Beweis  von 
v.  Escherich  beruhen  auf  einer  Verallgemeinerung  der  Methode  von  Erdmann 
von  §  14,  a),  der  erste  Beweis  von  v.  Escherich  dagegen  auf  einer  Verallgemei- 
nerung der  Methode  von  Weierstraß  von  p.  82,  Fußnote  ^)  und  §  61,  c).  Wir 
gehen  auf  diesen  Nachweis  nicht  ein,  da  wir  in  §  75  bereits  auf  anderem  Wege 
die  Notwendigkeit  der  Bedingung  (III)  bewiesen  haben,  allerdings  unter  Beiseite- 
lassung gewisser  Ausnahmefälle,  die  bei  den  eben  erwähnten  Beweisen  nicht  aus- 
geschlossen zu  werden  brauchen. 


626  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange'sclies  Problem.     Fortsetzung. 

form  (20)  von  §  75,  womit  die  Bezeichnung  A(|2, l^)  für  die  Deter- 
minante (52)  gerechtfertigt  ist. 

d)  Konjugierte  Systeme  von  Lösungen  des  akzessorischen  Systems 
linearer  Differentialgleichungen: 

Sind 

und 

(U,  q)  =  (%,  U^,  •  •  •,  U^',  Qi,  Q2>  '  •  '>  9m) 

irgend  zwei  Systeme  von  n  -\-  m  Funktionen  von  x  von  den  erforder- 
lichen Stetigkeitseigenschaften,  so  gilt  nach  einem  bekannten  Satz 
über  quadratische  Formen  für  die  durch  (45)  definierte  Funktion  Sl 
die  Formel: 

2j  h  -^dzT^  +  ""'      dz',     J  +^  ^^^dTT- 

i  ff  ' 

Mit  Hilfe  derselben  verifiziert  man  leicht  die  folgende  Relation  von 
Clehsch'): 

^K'P-,(^,r)-^,'f^,(«^,())]+^[()^^^(^)-r^^^(«^)]  =  ^tA(^,r-,i.,()),  (54) 


wo 


H^,nu,Q)=2  h  —dK ^^  —dzT-]  (55) 

i,k  i,(i  ^ 

Wenn  daher  (z,  r)  und  (u,  q)  zivei  Lösungen  des  alczessoriscJien 
Systems  (48)  sind,  so  ist 

jp{2^r'^  Uj  q)  =  konst.  ,  (56) 

Wenn  nun  insbesondere  diese  Konstante  den  Wert  null  hat,  so 
heißen  die  beiden  Lösungen  nach  v.  EscHERiCH%,0MÄawf?er  konjugiert'', 
und  ein  System  von  n  linear  unabhängigen  Lösungen  des  akzessorischen 
Systems  (48),  von  denen  je  zwei  zueinander  konjugiert  sind,  heißt  ein 
^^konjugiertes  System".  Unter  der  „Determinante  eines  konjugierten 
Systems" 

^)  Vgl.  Clebsch,  loc.  cit.  p.  260  und  v.  Escherich,  Wiener  Berichte, 
Bd.  CVII,  p.  1244.  Die  Formel  ist  eine  Verallgemeinerung  von  Gleichung  (14) 
von  §  10. 


§  78.    Die  zweite  Yariation.  627 

verstehen  wir  die  Determinante 

Ein  solches  konjugiertes  System  bilden  z.  B.   die  n  ersten  Lösungen 
des  kanonischen  Fundamentalsystems  (51): 

Denn  bildet  man  die  Gleichung  (56)  für  irgend  zwei  Lösungen 
dieses  Systems  und  berechnet  den  Wert  der  Konstanten  aus  dem 
speziellen  Wert  x  =  a,  so  folgt 

'^  (ff' II'  II' S)  =  0,  ■  (58) 

da  nach  Gleichung  (143)  yon  §  72 

äc^    =^5  (59) 

damit  ist  zugleich  die  Existenz  von  konjugierten  Systemen  bewiesen. 
Durch  Vergleich^)  mit  (21)  erhält  man  zugleich  den  Satz: 
Die  May  er 'sehe  Determinante  A(x,  a)  ist  zugleich  die  Determinante 

eines  Jconjugierten   Systems,   nämlich   des   dem  Punkt  a  zugeordneten 

kanonischen  konjugierten  Systems  (57). 

In  derselben  Weise   findet   man   unter  Benutzung  von  Gleichung 

(143a)  von  §  72  ^^  ^ 

WO  djj^  wieder  das  Kroneck  er 'sehe  Symbol  ist. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  für  uns  der  folgende  Satz  von 
V.  Escherich  2): 

Zu  jedem  Funkt  x  =  a  im  Innern  des  Regularitätsintervalls : 
ic*  <  ^  <  a?2  der  Extremalen  ©^  läßt  sich  ein  konjugiertes  System 

0^,r^',0^,r^y-']Z'\r" 

konstruieren,  dessen  Determinante 

V(^i,^V--,^")  =  l^'i,  i,k^l,2,--;n 

im  Punkt  x  =  a  von  Null  verschieden  ist. 

Zum    Beweis    gehen   wir    von    dem    dem  Punkt  a  zugeordneten 

kanonischen  Fundamentalsystem  (51)  aus,  das  wir  schreiben 

u\  Q^',  u%  Q^;-"-,  w^  ()";  «^"  +  ^  ()"  +  !;  ..  •;  u^%  q^"". 

^)  Statt  des  speziellen  Punktes  x  ^  x^  haben  wir  hier  einen  beliebigen 
Punkt  x  =  a  der  Extremalen  ©J  . 

2)  Wiener  Berichte,  Bd.  CYIII,  p.  1339. 


628  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

Darin  bilden,  wie  wir  gesehen  haben,  die  n  ersten  Lösungen  ein  kon- 
jugiertes System.  An  Stelle  der  n  letzten  Lösungen  führen  wir  andere 
n  Lösungen  {z^jV'')  ein  durch  die  Substitution 

Aus  den  Eigenschaften  der  Funktion  ^  als  bilinearer  Form  folgt 
dann,  daß 

i  J 

hJ       ^ 
was  sich  nach  (58)  und  (60)  auf 

tp(z\r^',z\r^)  =  l^(w"  +  ^^^  +  ^;^t"  +  ^  ()"+*)  +  «' -  <  (61) 

reduziert.  Daraus  folgt  aber,  daß  wir  die  Konstanten  a  stets  so 
wählen  können,  daß 

ip{z\r^',s\r')  =  0,  für  h,k  =- 1,2,  -  - -,  n, 

d.  h.  so,  daß  die  n  Lösungen 

z\r^;z\r^',  •  ••;^",r'' 

ein  konjugiertes  System  bilden. 

Die  Determinante  dieses  konjugierten  Systems  ist  aber  für  x  =^  a 
von  Null  verschieden,  da  nach  Gleichung  (143)  von  §  12 

4(«)  =  *a, 
womit  der  Satz  bewiesen  ist. 

e)  Die  Es  eher  ich 'sehe  FundamentalformeP) : 

Es  sei  jetzt 

u\Q'',u',Q'','--,lt%Q-  y  {62) 

irgend  ein  konjugiertes  System,  dessen  Determinante  U  = 
V(u\ii^,  •  •  •,  tt")  in  einem  Teilintervall  [IJg]  ^^n  [x^x^]  von  Null  ver- 
schieden ist.  Ferner  sei  (-s?,-,r^)  ein,  abgesehen  von  Bedingungen  der 
Stetigkeit  und  Differentiierbarieit,  beliebiges  System  von  w  +  m  Funk- 
tionen  von   X.      Setzt   man    dann    mit   unbestimmten   Multiplikatoren 

w^,  v'\  die  n  Ausdrücke  an 

t '    ff 


1)  Nach  V.  Escherich,  Wiener  Berichte,  Bd.  CVIII,  p.  1278,  wo  der  Leser 
auch  die  im  Text  übergangenen  Einzelheiten  der  Rechnung  nachlesen  möge. 


§  76.    Die  zweite  Variation. 


629 


so 


welche  lineare,  homogene  Funktionen  der  Größen  z^,  z\,  r^  sind 
kann  man  für  das  Intervall  [IJg]  die  Multiplikatoren  tv^,v^  so  be- 
stimmen, daß  in  dem  Ausdruck  Wf^(z)  alle  Größen  r.  herausfallen, 
sowie  alle  Ableitungen  /.  mit  Ausnahme  von  z[,  welches  den  Koeffi- 
zienten 1  erhält,  sodaß  also  w,^{z)  die  Form  annimmt 

k 

Das  Resultat  dieser  Bestimmung  ist 

i,k  ^ 

Darin  bedeutet  B  die  durch  Gleichung  (113)  von  §  12  definierte 
Determinante,  Aj^j^  ist  die  Subdeterminante  von  i?^^,,  (p^  diejenige  von 
c(pßl(y'j^  in  der  Determinante  i?;  endlich  ist  ü\  die  Subdeterminante 
von  wj.  in  der  Determinante   JJ. 

Nun  läßt  sich  aber  noch  eine  zweite  Form  für  die  Funktion  Wf^{z) 
mit  diesen  speziellen  Werten  der  Multiplikatoren  angeben.  Denn  aus 
der  Definition  der  konjugierten  Systeme  folgt,  daß  die  n  Funktionen 
Wj^{z)  identisch  verschwinden,  wenn  für  z,  r  irgend  eines  der  obigen 
Lösungssysteme  le,  q^  von  (48)  gesetzt  wird.  Wir  kennen  also  n  linear 
unabhängige  Lösungen  des  Systems  von  n  homogenen  linearen  Diffe- 
rentialgleichungen erster  Ordnung:  Wf^(z)  =  0,  und  können  daher  nach 
der  Theorie  der  linearen  Differentialgleichungen  die  Koeffizienten  von 
u\(z)  durch  die  partikulären  Lösungen  u^  ausdrücken.  Bezeichnen 
wir  mit  XjX^)  die  Determinante 


Xh(^) 


so  ist 


"A  ' 


"2; 


"A    5 


iC 


M^)  =  jjXk(^)' 


(63) 


(64) 


Für   die   weitere   Diskussion   machen   wir  die   spezialisierende 
Annahme,  daß  die  Funktionen  z^  den  m  Differentialgleichungen 

0^{z)  =  0 

genügen.     Dann  vereinfacht  sich  die   durch  Gleichsetzen   der  beiden 
Ausdrücke  für  w,^(z)  erhaltene  Formel,  und  man  erhält 

(65) 


Zki^)  =  i^  Aa-  üit«  q'-,  z,  r). 

i,k 


630  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange'sclies  Problem.     Fortsetzung. 

Hieraus  folgt  zunächst  die  wichtige  Relation 

wenn  man  von  der  Gleichung 

Gebrauch  macht,  die  sich  aus  der  Betrachtung  der  Subdeterminanten 
der  Determinante  R  ergibt. 

Weiterhin  leitet  man  aber  aus  (65)  die  folgende,  von  v.  Escherich 
herrührende  Fundamentalformel  ab: 

i,k 

-V'«<•••,?^")V«.•.,l^^•-^^,^f^•+^..•,w„)). 
Darin  bedeutet  V  die  Ableitung  von  V  nach  x,  und  die  Formel  gilt, 
ebenso  wie  (66),  unter  der  Voraussetzung,  daß  die  Funktionen  ^^  den 
Differentialgleichungen  (64)  genügen. 

Zum  Beweis  setze  man  auf  der  linken  Seite  von  (68)  für  einen 
der  beiden  Faktoren  x(^)  den  Ausdruck  (65)  ein  und  mache  dann  von 
den  folgenden  beiden  Determinantenrelationen  Gebrauch: 

-2c/;;%.(^)  =  vV^^^•••,^")v'(^^^•••,^^'■-^^,^^•+^•••.^^")     ^^^^ 

deren  erste,  wie  (67),  aus  der  Betrachtung  der  Determinante  R  folgt, 
während  sich  die  zweite  aus  den  Sätzen^)  über  Determinanten  von 
Subdeterminanten,  angewandt  auf  die  Determinante  Xki^)}  ^^^  ^^®^ 
die  Differentiation  einer.  -  Determinante  ergibt. 

f)  Die  zweite  Transformation  der  zweiten  Variation: 2) 
Aus   der   Fundamentalformel   (68)    ergibt    sich    nun    ohne   Mühe 
eine   zweite  Transformation   der   zweiten  Variation,   und  zwar  auf  die 
der  Jacobi 'sehen  Formel  (11)  von  §  10  entsprechende  reduzierte  Form. 

1)  Vgl.  z.  B.  Baltzer,  Determinanten  (1875),  p.  60;  es  handelt  sich  um  die 
Formel  d^  B 

Der  rechten  Seite  derselben  entspricht  bei  der  Anwendung  das  Produkt  Xk  (^)  ^^k  ■ 
*)  Nach  V.  Escherich,  Wiener  Berichte,  Bd.  CVII,  p.  1284. 


§  76.    Die  zweite  Variation.  631 

Immer  unter  der  Voraussetzung,  daß  die  Determinante  des  kon- 
jugierten Systems  (Q2)  im  Intervall  [^^la]  Glicht  verschwindet: 

v«<.-.«")  +  o   in   [i^y, 

kann  man  die  Gleichung  (68)  auch  schreiben 

(71) 

Darin  ersetze  man  die  Ableitung  von  -^{u^  q'\  s,  r)  durch  den  aus  (54) 
sich  ergebenden  Wert  und  beachte,  daß 

und  daß  nach  einfachen  Determinantensätzen 

i 

Dann  geht  die  Gleichung  (71)  über  in 

^  h  ^ki^y  ^)  =  \(^iTr7~iF^  (72) 

i 

Nun  ist  aber  nach  (46),   wenn  nur  der  Bogen  [I1I2]  ^®^  Extre- 
malen  @q  variiert  wird,  . 

6^J=B'j2>ni'^i{%V^äx.  (46) 

Darin  waren  die  ri^  irgend  ein  System  von  Funktionen  der  Klasse  C", 
welche  sämtlich  in  |j  und  %^  verschwinden  und  den  m  Differential- 
gleichungen (41)  genügen,  während  die  \i^  beliebige  Funktionen  der 
Klasse  C  waren.  Man  darf  daher  in  (72):  ^^  =  7]-,  r^  =  ji^  setzen. 
Integriert  man  die  so  erhaltene  Gleichung  zwischen  den  Grenzen  ^^ 
und  I2  und  beachtet,  daß  die  Determinante  V(^t^, . ..,  u'~'^,  t]^  w'  +  ^,  . . .,  ^t'') 
zugleich  mit  den  Funktionen  ly.  in  1^  und  Ig  verschwindet,  so  erhält 
man   die  folgende,    zuerst  von   Clebsch^)    gegebene  redimeHe  Form 


^)  Vgl.  Clebsch,  loc.  cit.  p.  266.  Kmq  der  reduzierten  Form  (73)  läßt  sich 
die  Notwendigkeit  der  ^^edingung  (II)  für  ein  schwaches  Minimum  herleiten, 
siehe  v.  Escherich,  Wiener  Berichte^,  Bd.  CVII,  p.  1393. 


632  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange 'sches  Problem.     Fortsetzung. 

der  zweiten   Variation: 


r2^ 


^'^=^\1  vty        .n,.dx,  (73) 


wo  zur  Abkürzung 

gesetzt  ist.    Wegen  (66)  genügen  die  Funktionen  t,^  den  m  Gleichungen 

i 

Wir  wollen  nun  annehmen,  daß  für  unsern  Extremalenbogen  ^^ 
die  Clebscli'sclie  Bedingung  von  §  74,  b)  in  der  stärkeren  Form  (II') 
erfüUt  ist.     Dann  folgt,  daß  (5^J'>  0,  außer  wenn  gleichzeitig 

ziW  =  o,      ;f,(^)  =  o,..„      %M  =  (> 

im  ganzen  Intervall  [Iil2]-  ^^^  würde  aber  bedeuten,  daß  das  Funk- 
tionensystem rj^  eine  Lösung  dieser  n  homogenen  linearen  Differential- 
gleichungen erster  Ordnung  wäre,  und  da  nach  (63)  die  Funktionen 
u{y..  .,u^  n  Lösungen  desselben  Systems  sind,  welche  nach  der  De- 
finition eines  konjugierten  Systems  linear  unabhängig  sind,  so  würde 
folgen 

i 

Nun  verschwinden  aber  sämtliche  Funktionen  t^^  in  l^,  während  die 
Determinante  j^^^X^i)  ^^ch  Voraussetzung  von  Null  verschieden  ist; 
also  muß  6\  =  0,  C^=0,.  ..,  C^=0  sein. 

Wir  erhalten  also  den  folgenden  Satz:^) 

Ist  für  den  Extremalenbogen  ©^  die  Bedingimg  (IF)  erfüUtj  und 
gibt  es  ein  konjugiertes  System,  dessen  Determinante  im  Intervall  [I1I2] 
'von  Null  verschieden  ist,  so  ist  die  zweite  Variation  für  dieses  Intervall 
positiv  für  alle  nicJd  identisch  verschwindenden  FunJctionensysteme  rj-  der 
Klasse  C'\  ivelche  iyi  l^  und  ^^  verschwinden  und  den  Differential- 
gleichungen (41)  genügen. 

g)  Sätze  über  die  Mayer'sche  Determinante  L{x,  |): 

Hält  man  den  letzten  Satz  mit  dem  am  Ende  von  Absatz  c)  be- 
wiesenen zusammen,  so  erhält  man  das  folgende  ,,Oszillationstheorem^^:^) 
Ist  die  Bedingung  (IP)  für  die  Extremale  @o  erfüllt,  und  gibt 


^)  Vgl.  A.  Mayer,  loc.  cit.  p.  256.  ')  Vgl.  A.  Mayer,  loc.  cit.  p.  258. 


§  76.    Die  zweite  Variation.  633 

es  ein  konjugiertes  System,  dessen  Determinante  in  einem  Teilintervall 
[I1I2]  ^^^  [^1^2]  ^^^^  -^^^^  verschieden  ist,  so  ist 

A(r;r)  +  o 

für  je  zivei  den  Ungleichungen:  li^r<r'^?2  genügende  Werte  l',l". 

Daran  schließt  sich  der  folgende,  zuerst  von  v.  Escherich ^)  be- 
wiesene Satz: 

Ist  I  ein  heUehiger  PunM  des  Regularitätsintervalls  der  Extre- 
malen  (^J: 

lind  ist  die  Bedingung  (IF)  in  der  Umgebung  des  Punktes  |  erfüllt, 
so  hat  die  zum  PunU  |  gehörige  May  er' sehe  Determinante  A(x,  |) 
in  I  einen  isolierten  NullpunJct. 

Denn  nach  Absatz  d),  Ende,  können  wir  stets  ein  konjugiertes 
System:  0^,  r^;  . . .;  <^",  r"  konstruieren,  dessen  Determinante  V{ß^,...,  ^") 
im  Punkt  |  von  Null  verschieden  ist.  Wegen  der  Stetigkeit  der 
Funktion  V  läßt  sich  dann  ein  Intervall  \l  —  8,  ^  +  d]  angeben,  in 
welchem  auch  noch  V  4=  0-  In  diesem  Intervall  kann  daher  die 
Funktion  h.{x,  |)  nur  den  einen  Nullpunkt  |  besitzen,  weil  sich 
sonst  ein  Widerspruch  mit   dem  vorangehenden  Satz  ergeben  würde. 

Dieser  Satz  ist  deshalb  von  ganz  besonderer  Wichtigkeit,  weil 
ohne  ihn  die  ganze  Theorie  der  konjugierten  Punkte  in  der  Luft 
hängt;  denn  so  lange  nicht  festgestellt  ist,  daß  der  Punkt  x^  ein  iso- 
lierter Nullpunkt  der  Funktion  ä,{x,  x^  ist,  kann  man  gar  nicht  von 
dem  zunächst  auf  x^  folgenden  Nullpunkt  dieser  Funktion,  und  daher 
auch  nicht  von  dem  zu  P^  konjugierten  Punkt  sprechen.  Der  Satz 
bildet  daher  eine  unentbehrliche  Ergänzung  des  in  §  75  gegebenen 
Beweises  für  die  Notwendigkeit  der  Bedingung  (III),  der  erst  jetzt 
als  vollständig  erbracht  angesehen  werden  kann. 

Endlich  gilt  noch  der  folgende  Satz, 2)  von  dem  wir  später  Ge- 
brauch zu  machen  haben  werden: 

Ist  für  den  Extremalenhogen  (S^  die  Bedingung  (IT)  erfüllt,  und  ist 

A(ä;,  0^1)4=0    für    x^<x^x^,  (IIP) 

^)  Wiener  Berichte,  Bd.  CVIII,  p.  1299.  Wir  haben  zwar  bereits  früher 
hervorgehoben,  daß  alle  in  diesem  Kapitel  abgeleiteten  Sätze  nur  unter  den 
Voraussetzungen  A)  bis  D)  von  §§  72  und  74  bewiesen  sind,  wollen  dies  aber 
hier  nochmals  wiederholen  und  ganz  besonders  betoaen,  daß  gerade  dieser  Satz 
nur  im  „HawpifalV  richtig  ist. 

*)  Nach  A.  Mayer,  loc.  cit.  p.  259  und  C.  Jordan,  Cours  d' Analyse,  Bd.  III, 
Nr.  393. 


634  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange 'sches  Problem.     Fortsetzung. 

SO  läßt  sich  eine  positive  Größe  d  angeben  derart,  daß 
l^{x,x^)^0    für    x^^x'^x^, 

wofern  x^  —  d  <  Xq<x^. 

Man  beweist  denselben  genau  so,  wie  den  analogen  Satz  in  §  61,  d), 
Ende  wobei  man  nur  noch  zu  beachten  bat,  daß  die  Funktion 
A(Xj  I)  nach  d)  stets  zugleich  die  Determinante  eines  konjugierten 
Systems  ist. 

Dieser  Satz,  in  Verbindung  mit  dem  am  Ende  von  f)  erhaltenen 
Resultat  zeigt,  daß  die  Bedingungen  (IP)  und  (III')  für  ein  permanentes 
Zeichen  der  zweiten  Variation  hinreichend  sind.  Daß  dieselben  Be- 
dingungen auch  für  ein  schwaches  Minimum  des  Integrals  J  hin- 
reichend sind,  beweist  Kneser^)  durch  eine  Verallgemeinerung  der 
Methode  von  §  15,  b).  — 

Seitdem  Weierstraß  und  Kneser  für  das  einfachste  Problem  der 
Variationsrechnung  gezeigt  haben,  daß  zum  Beweis  der  Notwendig- 
keit der  Legendre'schen  und  Jacobi'schen  Bedingung,  sowie  zur 
Aufstellung  von  hinreichenden  Bedingungen,  die  Theorie  der  zweiten 
Variation  nicht  nötig  ist,  ist  dieselbe  wegen  ihrer  geringeren  An- 
schaulichkeit etwas  in  Mißkredit  geraten.  Dem  gegenüber  ist  hervor- 
zuheben, daß  schon  beim  einfachsten  Problem  der  Variationsrechnung 
ein  alle  Fälle  umfassender,  strenger  Beweis  der  Notwendigkeit  der 
Jacobi'schen  Bedingung  mittels  des  Enveloppensatzes  mit  weit  größeren 
Schwierigkeiten  verbunden  ist,  als  sie  die  zweite  Variation  darbietet 
(vgl.  §  47);  daß  aber  beim  Lagrange'schen  Problem  die  Unter- 
suchung der  zweiten  Variation  solange  überhaupt  unentbehrlich  ist, 
als  nicht  die  beiden  letzten  der  oben  gegebenen  Sätze  ohne  Hilfe  der 
zweiten  Variation  bewiesen  sind,  ganz  da^on  zu  schweigen,  daß  hier 
der  Nachweis  der  Notwendigkeit  der  Jacobi'schen  Bedingung  für  die 
erwähnten  Ausnahmefälle  mit  Hilfe  des  Enveloppensatzes  überhaupt 
noch  nicht  erbracht  worden  ist.^) 

1)  Mathematische  Annalen,  Bd.  LI  (1899),  p.  321;  dasselbe  beweist 
auf  anderem  Weg    v.  Escherich,    Mathematische  Annalen,    Bd.  LV  (1902), 

p.  108. 

2)  An  weiterer  neuerer  Literatur  über  die  zweite  Variation  erwähnen  wir 
noch  eine  Abhandlung  von  v.  Escherich,  Wiener  Berichte,  Bd.  CX  (1901), 
pp.  1355—1421,  in  welcher  derselbe  seine  Untersuchungen  auf  den  Fall  der 
Parameterdarstellung  ausdehnt,  und  eine  solche  von  Hahn,  Monatshefte  für 
Mathematik  und  Physik,  Bd.  XIV,  pp.  1-57,  in  welcher  die  Verallgemeinerung 
der  Escherich'schen  Resultate  für  den  Fall  von  gemischten  Bedingungen  ge- 
geben w^ird. 


§  77.     Hinreichende  Bedingungen.  635 

§77.  Hinreichende  Bedingungen  beim  Lagrange'schen  Problem.^) 

Wir  wenden  uns  jetzt  zur  Ausdehnung  der  Sätze  von  §§16  und^ 
17  über  Extremalenfelder  auf  das  Lagrange'sche  Problem,  und  zwar 
betrachten  wir  in  diesem  Paragraphen  den  speziellen  Fall  von  Feldern, 
deren  Extremalen  durch  einen  festen  Punkt  gehen.  Für  diesen  speziellen 
Fall  lassen  sich  die  früheren  Resultate  über  das  Feldintegral,  den  Un- 
abhängigkeitssatz  und  den  Weierstr  aß 'sehen  Fundamentalsatz  ohne 
Schwierigkeiten  verallgemeinern,  und  hieraus  ergeben  sich  dann  leicht 
hinreichende  Bedingungen  des  Extremums  für  das  Lagrange 'sehe 
Problem  bei  festen  Endpunkten. 

Wir  werden  dabei  an  den  Voraussetzungen  A)  bis  D)  von  §  72 
und  §  74  über  den  Extremalenbogen  (Sq  festhalten. 

a)  Das  Peldintegral  und  der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz : 
Es  sei  Äq^ü^,  65,  .  .  .,  K)  ein  beliebiger  Punkt  der  Extremalen  @J. 
Durch  diesen  Punkt  geht  eine  9i-parametrige  Schar  ^)  von  Extremalen, 
die  wir  in  der  Normalform 

Vi  =  M^;  <  6°,  c)^Y,{x,c„.-;  O  (75) 

mit  q,  .  .  .,  c„  als  Parametern  sehreiben.     Die  zugehörigen  Multiplika- 
toren  sind         ^^  _  g^ ^^.  ^„^  j„^  ^^  ^  ^^ ^^^  ^^^ .  .  .^  ^^^^ 

Die   Schar  (75)  enthält  die  Extremale  @J  für  d  =  c^  =  Vi  {oP)  in  der 
Bezeichnung  von  §  72,  b). 

Wir  nehmen  jetzt  an,  daß  diese  Schar  ein  Feld  bildet,  so  daß 
also  die  Gleichungen  (75)  eine  ein-eindeutige  Beziehung  zwischen 
einem  gewissen  Bereich  €L  im  Gebiet  der  Variabein  x,  c^,  ,  .  .  .,  c^ 
und  dessen  Bild  of  im  x,  y^,  .  .  .^  y^-'^Sium  definieren  und  daß  gleich- 
zeitig im  Bereich  €L  die  Funktionaldeterminante  der  Schar,  d.  h.  die 
Funktion')  B{x,  c„  ■  ■ -,  c:)  ^^{x;  a^W,  c) 

von  Null  verschieden  ist. 

Durch  jeden  Punkt  (x,  y^,  .  .  .,  y^  des  Feldes  6  geht  eine  und 
nur  eine  Feldextrem ale,  deren  Parameter  c^,  .  .  .,  c^  durch  die  inversen 
Funktionen  des  Feldes^) 

Cj  =  tj {x,  y,,  •  •  •,  y^)  ^  (i:,«  hl,  •  •  •,  &«;  x,  y^,  •  •  •,  yj 

^)  Vgl.  zu  diesem  Paragraphen  A.  Mayer,  Leipziger  Berichte  1903, 
p.  131  und  BoLZA,  Transactions  of  the  American  Mathematical  Society, 
Bd.  VII  (1906),  p.  476. 

^)  Vgl.  §  75,  a) ;  unsere  jetzige  Bezeichnung  wird  mit  der  dortigen  iden- 
tisch in  dem  speziellen  Fall,  wo  a^  =  x^. 

^)  Vgl.  wegen  der  Bezeichnung  Gleichung  (148)  von  §  73. 

*)  Vgl.  wegen  der  Bezeichnung  §  73,  b). 


636  Zwölftes  Kapitel.    Lagrange' sches  Problem.     Fortsetzung. 

geliefert  werden.     Dieselben  genügen  den  Gleichungen 

Y,{x,c„.-;Q  =  y,  (76) 

identisch  im  Bereicli  oT  und  umgekehrt  ist 

c,(^,  r„.-.,  r„)  =  o„  (77) 

identisch  im  Bereich  (9L. 

Als  Gefällfunktionen  des  Feldes  bezeichnen  wir  die  n  Funktionen 

Vi  {^y  Vu  '  •  'y  yJ  =  ^- (^;  ^u  '  *  'y  O;  0^) 

dieselben  genügen  den  m  Gleichungen 

identisch  in  den  Yariabeln  x,  y^,.  .  .,y^.    Dies  folgt  aus  den  identisch 
in  X,  Ci,  .  .  .,  c^  gültigen  Gleichungen 

^^{x,Y,  r)  =  o, 

wenn  man  darin  c^  durch  c,-  ersetzt. 

Ferner  verstehen  wir  unter  den  Multiplikatoren  des  Feldes  die 
Funktionen^) 

^ßi^yyiy";  y«)  =  ^ß  (^;  hr"y  O  •  (^0) 

Endlich  verstehen  wir  unter  dem  Feldintegral  das  Integral  J,  ge- 
nommen vom  Punkt  A^  bis  zum  Punkt  P(x,  y^,  .  .  .,  yj  des  Feldes 
entlang  der  eindeutig  definierten  Feldextremalen ,  welche  diese  beiden 
Punkte  verbindet.  Wir  bezeichnen  dieses  Integral  mit  W(x,  y^,  .  .  .,  y„), 
sodaß  in  der  Bezeichnung  von  §  73,  c) 

W{x,  y„  .  . .,  i/J  =  2Ö  K,  hl  •  .  •,  M;  x,  y,,  • .  •,  2/J. 
Daher  können   wir   die  Ausdrücke   für  die  partiellen  Ableitungen  des 
Feldintegrals   unmittelbar   aus    den    allgemeinen    Formeln    (158)    von 
§  73  entnehmen;  wir  erhalten  so  unter  Berücksichtigung  der  Defini- 
tion der  Funktionen  p^  und  ^i^ 

^  =  fix,  y,  p)  - 2PiFn^i  (x,  y, p,  ^), 

Tw  '  ^^^^ 

j^  =  Fn  +  k{x,y,p,^). 

Hieraus  folgt  unmittelbar  der  Hilherfsche  ündbhängigleitssatz 
für  das  La^range'sche  Problem^): 

^)  Die  Funktionen  ^.  haben  natürlich  mit  den  in  §  76,  b)  eingeführten, 
ebenso  bezeichneten  Funktionen  nichts  zu  tun. 

2)  Für  den  allgemeinen  Fall  zuerst  bewiesen  von  A.  Mayer,  loc.  cit.  p.  140; 
für  die  speziellen  Fälle  ri  =  2,  ?w  =  0,  und  w  =  2,  n  =  1  schon  vorher  von 
Nadeschda-Öeunet,  Göttinger  Dissertation  1902,  pp.  21  und  63. 


§  77.    Hinreichende  Bedingungen.  637 

Der  Wert  des  Integrals 

Jl  ==f[f(^>  y^P)  -^(^^-  -  S)  ^«  +  '-^^'  2/,  P> ."))  dx,       (82) 

k  i 

genommen  entlang  einer  ganz  im  Feld  of  gelegenen  Kurve  (^  der 
Klasse  C"  von  einem  Punkt  P'{^',  rj'^,  .  .  .,  rj^)  bis  zu  einem  Punkt 
P"(|",  ryi',  .  .  -,  rjn),  hängt  nur  von  der  Lage  der  beiden  Endpunkte 
P'j  P"  ab,  nicbt  aber  von  der  sonstigen  Gestalt  der  Kurve  S,  da 
nach  (81) 

jl(rr^)  =  Tf  (r;  vü .  • ;  vn)  -  Wir,  vi  . .  .,  Vn). 

Liegen  insbesondere  die  beiden  Endpunkte  P\  P"  auf  derselben 
Feldextremalen  @,  so  ist 

Jl  {P'P")  =  J3(P'P")  =  MP'P"), 

w'iQ  daraus  folgt,  daß  nach  (77)  und  (78) 

p,{x,  Y^,  ■ . .,  rj  =  y;{x,  c^,  •  • ',  cj- 

Liegt  daher  ©o  ganz  im  Innern  des  Feldes  cf,  und  ist 

irgend  eine  zulässige  Kurve  für  das  vorgelegte  Variationsproblem, 
welche  ebenfalls  ganz  im  Innern  von  of  liegt,  so  ist,  da  auch  die 
Kurve  ^  von  P^  nach  P^  führt, 

'"''^'^''  A=r=J,-J,=  J,-Ji.  (83) 

Die  Kurve  ^  genügt  als  zulässige  Kurve  den  m  Differentialgleichungen 

^^{^yy>y')-^' 

Daher  kann  man  in  J^  den  Integranden  fix^y^y')  durch  F{Xj  y,  y\  ^) 
ersetzen;  ebenso  kann  man  wegen  (79)  in  dem  Ausdruck  für  J|  die 
Funktion  f{x,y,p)  durch  F{x,y,p,^)  ersetzen.  Erinnert  man  sich 
schließlich  noch  der  Definition  (8)  der  8 -Funktion,  so  erhält  man 
aus  (83)  den  Weierstr aß' sehen  Fundamentalsatz  für  dasLagrange'sche 
Problem:  x.. 

AJ=fß(x,y',  p,y'-  ^)dx.  (84) 

^1 
Darin  sind  p.,  resp.  ^^,  die  Gefällfunktionen,  resp.  Multiplikatoren  des 
Feldes  für  die  Argumente  (x,  fi,  •  ■  -,  y^)- 

b)  Hinreichende  Bedingungen: 

Wir  nehmen  jetzt  an,  daß  für  den  Extremalenbogen  ©^  die  Bedin- 
gungen (IL)  und  (Iir)  von  §  74,  b)  und  §  76,  g)  erfüllt  sind.    Wählen 

B  o  1  z  a ,  Variationsrechnung.  41 


638  Zwölftes  Kapitel.     Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

wir  dann  den  Punkt  Ä^   auf  der  Fortsetzung  von  (Sq  über  P^  hinaus 
hinreichend  nahe  bei  Pj,  so  ist  nach  dem  letzten  Satz  von  §  76,  g) 
A{x,  a^)^0         in  [x^x^], 

was  wir  nach  (21)  auch  schreiben  können 

D{x,c%---,cl)=^0         in  [x,x,], 

wenn  D  dieselbe  Bedeutung  hat  wie  unter  a). 

Hieraus  folgt  aber  nach  dem  allgemeinen  Satz  über  die  Existenz 
eines  Feldes  (§  22,  d)  Zusatz),  daß  die  Extremalenschar  (75)  durch  den 
Punkt  A  ein  den  Bogen  @o  in  seinem  Innern  enthaltendes  Feld  oTliefert. 
Ist  dann  S  irgend  eine  zulässige  Kurve,  welche  ganz  im  Innern  von  oT 
liegt,  so  gilt  für  sie  der  Weierstraß'sche  Satz  (84).  Hieraus  folgt  aber^) 

'sind  für  den  Extremalenhogen  @o  die  Bedingungen  (IT)  und  (UV) 
erfüllt,  und  gibt  es  eine   Umgehung  (q)  von  @o  derart,  daß 

8  {x,  2/5  p{x,y),  r,  ^  (oc,  y))  >  0  (IV,) 

fik  jedes  Wertsystem  x,y,,...,  ?/„•,  i^p  •  •  .  Pn^  welches  den  Bedingungen 
{x,  y,, . . .,  2/„)    ^^^  ((>)•.  (^^  Vi^  ■  '  ->  yn^  ^1'  •  •  -^^-^    '*"  ^'^'' 

genügt,  so  liefert  der  Extremalenhogen  @o  ^«'^  starlces,  eigentliches  Mini- 
mum  für  das  Integral  J  mit  den  Nehenhedingungen  (p^  =  0. 

Daß  es  sich  wirklich  um  ein  eigentliches  Minimum  handelt^ 
folgt  ganz  wie  in  §  19,  a):  Wäre  nämlich  A  J=0  für  eine  Ver- 
gleichskurve (5,  so  müßten  entlang  dieser  Kurve  die  n  Gleichungen 
bestehen  y^ -=  p,{x,  y„  .  .  .,yj.  (85) 

Dies    ist    aber    unmöglich,    wenn  S  von   @o   verschieden   ist.      Denn 
differentiiert  man  die  aus  (76)  folgenden  Gleichungen 

Y,{x,i„''-,~0  =  yk^      '  (^^> 

in  welchen:  c,  =  C,(x,  y„  •  •  •,  ^„),  nach  x,  so  würde  aus  der  Annahme 
(85)  folgen,  daß  die  n  Gleichungen  bestehen  müßten 

i 

Die  Determinante   derselben,  d.h.   die  Funktion  D{x,  c^,  .  .  .,  cj   ist 
aber  in  [x^Xc^]  von  Null  verschieden,    wenn  ©   ganz   im  Felde   liegt, 

^)  Immer  unter  den  beschränkenden  Annahmen  A)  bis  D)  von  §§  72  und  74. 
')  Vgl.  §§  68  und  69. 


§  78.    Mayer'sche  Extremalenscharen.  639 

und  daher  würde  folgen  c,=  C-,  einer  Konstanten,  deren  Wert  sich 
ans  X  ^  x^  als  c9  ergibt.  Das  bedeutet  aber  nach  (86),  daß  S  =  (Sq. 
Es  ist  also  in  der  Tat  A  J">  0  für  jede  von  ©^  verschiedene  Ver- 
gleichskurve (S^,  welche  ganz  in  der  Umgebung  (q)  von  @q  gelegen 
ist,  vorausgesetzt,  daß  q  so  klein  gewählt  wird,  daß  (q)  ganz  im 
Innern  von  of  liegt. 

§  78.    Mayer'sche  Extremalenscliaren. 

Im  vorangehenden  Paragraphen  haben  wir  den  Hilbert 'sehen 
Unabhängigkeitssatz  für  den  speziellen  Fall  von  w-parametrigen  Ex- 
tremalenscharen durch  einen  festen  Punkt  bewiesen.  Im  gegenwärtigen 
Paragraphen  soU  dieser  Satz  nun  auf  allgemeinere  w-parametrige  Ex- 
tremalenscharen ausgedehnt  werden.  Es  wird  sich  dabei  das  Resultat 
ergeben,  daß  der  Hilbert 'sehe  Unabhängigkeitssatz  und  seine  Folge- 
rungen beim  allgemeinen  Lagrange 'sehen  Problem  nicht  für  beliebige 
^-parametrige  Extremalenscharen  gilt,  sondern  nur  für  eine  ganz  be- 
stimmte spezielle  Klasse  solcher  Scharen,  die  wir  nach  ihrem  Ent- 
decker „Mayer'sche  Extremalenscharen'^  nennen  werden. 

a)  Die  allgemeinste  Form  des  Hilbert 'sehen  ünabhängigkeitssatzes : 

Es  sei^) 

y,  =  Y,(x,  \, . . .,  \),        V,  =  Y,(x,  h„  . . .,  \)  (87) 

eine  beliebige  >*-parametrige  Schar  von  Lösungen  der  kanonischen 
Differentialgleichungen 

dx        dv^'  dx  dyi  ^     ^ 

von  §  72,  welche  unsere  spezielle  Lösung 

Vi  =  VA^),         '^i  =  ^f  W 
enthält,  und  zwar  für  ö^  =  &J .    Diese  Schar  möge  ein  Feld  oT  um  den 
Extremalenbogen  @q  liefern;   die  inversen  Funktionen   des  Feldes  be- 
zeichnen wir  mit 

die  GefäUfunktionen  und  Multiplikatoren  des  Feldes  mit 

f*^(^;  Vi,-",  2/n)  =  ^ßi^y  K'"y  K)^ 

^)  Die  Zeiclieii  Yj,  Vi,Aß,bi  usw.  haben  hier  also  eine  allgemeinere  Be- 
deutung als  in  §  77. 

41* 


•640  Zwölftes  Kapitel.     Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

die  zur  Lösung  (87)  gehörigen  Multiplikatoren  bedeuten. 

In  dem  speziellen  Fall,  wo  die  sämtlichen  Extremalen  der  Schar 

y,=  Y,(x,h„...,K)  (89) 

•durch  einen  festen  Punkt  gehen,  ist  dann  der  mit  diesen  Funktionenp,.,^^ 
als  Argumenten  gebildete  Differentialausdruck 

i  ^ 

nach  §  77,  a)  ein  vollständiges  Differential.  Es  fragt  sich  jetzt:  Gilt 
dies  auch  noch  für  eine  ganz  beliebige  >^-parametrige  Extremalen- 
schar,  wie  dies  beim  einfachsten  Variationsproblem  (n  =  l,  m  =  0)  in 
der  Tat  der  Fall  war? 

Zur  Entscheidung  dieser  Frage  ^)  ziehen  wir  quer  durch  das  Feld 
eine  beliebige  >*-dimensionale  Mannigfaltigkeit  („Hyperfläche"  in  der 
Terminologie^)  der  mehrdimensionalen  Geometrie)  ^,  welche  jede  Ex- 
tremale des  Feldes  in  einem  und  nur  einem  Punkt  schneidet.  Eine 
solche  Hyperfläche  kann  man  darstellen  in  der  Form 

Ä:  X  =  Uh,  •  .  •.  K),         Vi  =  ^(i  h^  '  •  -  ^n),         (91) 

wenn  |(&i,  •  •  -,  U  ^^^  Abszisse  des  Schnittpunktes  der  Hyperfläche  ^ 
mit  der  Extremalen  (S^  der  Schar  (89)  ist. 

Wir  betrachten  dann  das  Integral  /,  genommen  entlang  der 
Extremalen  @^,  von  deren  Schnittpunkt  P^  mit  der  Hyperfläche  ^ 
bis  zum  Punkt  P^,  dessen  Abszisse  x  ist,  d.  h.  also  das  Integral 


u{x,h„...,K)^ff{x,Y,r)dx. 

|(6i,...,6n) 


Dasselbe  Integral,  betrachtet  als  Funktion  der  Koprdinaten  x,y^,...,y^ 
des  Punktes  Pg  bezeichnen  wir  mit   W(x,y^,  .  .  .,y^,  sodaß  also 

W(x,y,,...,y:)=TJ{x,\,...,K).  (92) 

Die   Hyperfläche  ^    nennen   wir    die   „Ausgangshyperfläche''   für    die 

Funktion   W.  . 

Wir  berechnen  jetzt  die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion  W. 
Dabei  machen  wir  zur  Vereinfachung  der  Rechnung  von  der  leicht 

1)  Vgl.  für  das  Folgende  Bolza,  Transactions  of  the  American  Mathe- 
matical  Society,  Bd.  VH  (1906),  p.  478. 

*)  Vgl.  z.  B.  BiANCHi-LuKAT,  Differentialgeometrie,  p.  564. 


§  78.    May  er 'sehe  Extremalenscharen.  641 

zu  verifizierenden^)  Bemerkung  Gebrauch,  daß  jede  n-parametrige 
Schar  von  Lösungen  der  kanonischen  Differentialgleichungen  (88), 
welche  ein  Feld  von  Extremalen  um  den  Bogen  (Sq  liefert,  sich  durch 
eine  Parametertransformation  auf  die  kanonische  Form  bringen  läßt: 
y,  =  %{x;  a",  h,  C),        V,  =  f8,{x;  a",  h,  C) ,  (93) 

wobei  die  Größen  6\,  .  .  .,  (7„  Funktionen  von  &i,  •  .  .,  &„  sind,  welche 
den  Anfangsbedingungen 

Q(6;,...,6»)  =  c«  (93a) 

genügen.  Die  Größen  a^,  fej,  .  .  .,  ?)^  sind  dabei  die  Koordinaten  eines 
Punktes  der  Extremalen  @J,  und  cj  =  v^{a^). 

Wir  nehmen  an,  die  Parameter  der  Schar  (87)  seien  gerade  diese 
kanonischen  Parameter,  sodaß  also 

Y,ix,\,-;b,)^dX^-yAG),  V,{x,\,.-;K)^W.^-yAG).  (94) 
Es  folgt  dann  nach  Gleichung  (136)  von  §  72,  daß 

Y,{a\\,...,K)^h„         FXa»,6.,...,6J  =  C,.  (95) 

Weiter  folgt,  daß  das  Integral  IJ  sich  durch  die  in  §  73,  a)  definierte 
Funktion  U  ausdrücken  läßt: 

U{x,  \^ .  .  .,  \)  =  nix;  a",  h,  C)  -  U(?;  a\  h,  C). 
Wir  erhalten  daher 

'^  =  f{x,  r,  r), 

du     rd)X{x)-\     ^vcyx{x)-\dCj     a[U(a)]  ^    ^ 

j 
wobei  die  Klammer  [  ]  die  Substitution  von  o?,  Q  für  a,  c.  andeuten  soll. 

^)  Ist  die  Schar  von  Lösungen  des  kanonischen  Systems  (88)  zunächst  mit 
beliebigen  Parametern  7i , .  •  • ,  7^1  gegeben 

?/,•=  r,-(^,7i,...,yj,  Vi=Vi{x,y^,...,y,,), 

wobei  die  Extremale  ©^  dem  speziellen  Wertsystem  y^  =  y^  entsprechen  möge, 
so  wähle  man  auf  (gj,  aber  noch  im  Innern  des  Feldes,  einen  beliebigen  Punkt 
«?>«,...,&«)  und  setze 

Y,{a\y,,...,y,)  =  l,. 

Diese  n  Gleichungen  können  wir,  da  die  Extremalenschar  ein  Feld  bilden  sollte, 
in  der  Umgebung  der  Stelle  y^,  h^  eindeutig  nach  /i , . . . ,  y„  auflösen ;  sei 

y,=  r,(^,...,&J. 
Definiert  man  dann  __ 

so  ist  nach  der  Definition  der  Funktionen  ^^^SSj-  von  §  72,  c) 

Y,{x,r,,...,r^)^%{x-,a\l,C),  V,{x,r,,...,r„)-=^^,{x;a\b,C), 

womit  die  Behauptung  bewiesen  ist. 


642  Zwölftes  Kapitel.     Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 


Hierin  setze   man   die  Ausdrücke  für  die  Ableitungen  von  \X(x) 
aus  Gleichung  (146)  von  §  73  ein  und  beachte,  daß  nach  (94) 


~  Ich,]  ~^Zj  idcjl  a&. 


und  nach  (95)  und  nach  Gleichung  (142)  von  §  72 

F„^,{a\  na\  Y'{a%  A(aO))  =  V.ia",  b„  .  .  .,  \)  =  C,. 
Dann  erhält  man 

'^^-^F^U-,Y,T,J)'^^  +  M„  (97) 

i 

WO  Mj^  die  folgende  Funktion  von  \,  •  •  -yh^  ist: 

1,,  =  -C,-«.  (98) 

Geht  man  jetzt  zur  Funktion  W{x,  2/i>  •  •  •?  2/J  über,  indem  man 
von  der  Definitionsgleichung  (92)  und  von  den  durch  DiflPerentiation 
der  Identitäten  x^/     r  <  \ 

folgenden  Relationen  Gebrauch  macht,  so  erhält  man^) 

-Z  =  A^.  %  p)  -^PiKU^,  y,  p,  f»)  +2^^'^  3 ' 

«  «  (99) 

i 

wobei  die  Klammer  ()  die  Substitution  von  h^  für  h^  andeutet. 

Hieraus  folgt:  Soll  der  Difi'erentialausdruck  (90)  ein  vollständiges 
Differential  sein,  so  ist  notwendig  und  hinreichend,  daß  auch  der 
Differentialausdruck 

i  k  i 

ein  vollständiges  Differential  ist.  Die  Integrabilitätsbedingung,  welche 
die  notwendige  und  hinreichende  Bedingung  hierfür  ausdrückt,  redu- 
ziert sich  nach  einfacher  Rechnung  auf  die  Bedingungen^) 

'dMÄ        (dMk 


^)  Vgl.  die  entsprechenden  Entwicklungen  in  §  73,  c). 
*)  Man  erhält  zunächst 


§  78.    Mayer'sche  Extremalenscharen.  .      648 

aus  denen  durch  die  Substitution  y.  =  Y^  folgt,  daß  auch 

sein  muß.     Es   muß  also  eine  Funktion  N(h^,  .  .  .j\)  geben,  so  daß 

d.  h.  also 

Wir  haben  also  den  folgenden,  von  A.  Mayer ^)  herrührenden 
Satz  bewiesen: 

Soll  für  eine  in  der  'kanonischen  Form 

y,^%{x;aO,h,C{h))  (101) 

gegebene  n-parametrige  Extremalenschar  der  Hill  er  f  sehe  Unabhängig- 
Tieitssats  bestehen,  d.  h.  soll  der  JDifferentialausdruck  (90)  ein  vollständiges 
Differential  sein,  so  ist  notwendig  und  hinreichend,  daß  die  Funktionen 
C^(b^,  .  .  .,  6J  den  Integrabilitätsbedingungen 

S  =  -S  (102) 

genügen,  also  die  partiellen  Ableitungen  ein  und  derselben  Funktion 
B(b^j  .  .  .,  &J  sind: 

C.=  ^l^h^'2M.  (103) 

Die  Funktion  J5(&i,  .  .  .,  6J  ist,  abgesehen  von  Stetigkeitsbedingungen, 
nur  der  aus  (93  a)  folgenden  Anfangsbedingung 

gJ3(6..^...U^^  =  >°^^  (104) 

unterworfen. 

Wir  werden  eine  w-parametrige  Extremalenschar,  welche,  in 
die  kanonische  Form  (101)  gebracht,  diese  Bedingung  erfüllt,  eine 
May  er' sehe  Extremalenschar  nennen. 

Wie  wir  im  vorigen  Paragraphen  gesehen  haben,  gilt  für  die 
Extremalenschar    durch    einen    festen    Punkt    der    Hilbert'sche    Un- 


Hieraus  folgt  das  im  Text  gegebene  Resultat,  da  im  Feld  oP  die  Determinante 

dyj\ 


|5»l  (^,i  =  l,2,...,n) 


von  Null  verschieden  ist. 

1)  Von  A.  Mayer    auf   anderem  Weg    bewiesen   in  den  Leipziger  Be- 
richten 1905,  p.  49. 


644  Zwölftes  Kapitel.     Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

abhängigkeitssatz;  daher  müssen  diese  speziellen  Scharen  May  er 'sehe 
Scharen  sein.  Dies  läßt  sich  leicht  mit  Hilfe  der  Resultate  von  §  73 
verifizieren.  Wir  fanden  dort  für  die  Extremale  durch  die  beiden 
Punkte  (a,\j  .  .  .,  hj  und  {^j%y  .  .  .,  ?/J  in  der  dortigen  Bezeichnung 
den  Ausdruck  j,.  =  D,(^;  a,  6,  ©), 

und  nach  Gleichung  (159)  von  §  73  war 

Wir  können  die  Extremale  also  schreiben 

Halten  wir  darin  die  Größen  |,  t^^,  .  .  .,  ?/^  sowie  a  fest  und  variieren 
die  Parameter  \j  .  .  .^h^^  so  stellen  diese  Gleichungen  die  Extremalen- 
schar  durch  den  Punkt  |,  t^^,  .  .  .^  t^„  in  der  kanonischen  Form  (101)  dar 
und  zeigen  daher,  daß  diese  Schar  in  der  Tat  eine  Mayer'sche  Schar  ist. 

b)  Verallgemeinerung   des   Kneser'schen   Transversalensatzes^): 
Wir    betrachten    eine    beliebige,    die    Extremale    (Sq    enthaltende 
w-parametrige  Extre  malen  schar  in  der  kanonischen  Form  (93) 

Die  Funktionen  C^  sollen  in  der  Umgebung  der  Stelle  ^J,  .  .  .,  6JJ  von 
der  Klasse  C  sein  und  den  Anfangsbedingungen  (93  a)  genügen,  und 
die  Schar  soll  ein  Feld  um  den  Bogen  @q  liefern. 

Und  nunmehr  stellen  wir  uns  die  Aufgabe^),  die  Ausgangshyper- 
fläche £  für  das  Integral  W  so  zu  bestimmen,  daß  die  Ausdrücke  für 
die  partiellen  Ableitungen  von  W  dieselbe  einfache  Form  (81)  an- 
nehmen wie  in  dem  speziellen  Fall  einer  Schar  von  Extremalen  durch 
einen  festen  Punkt.  Dazu  ist  nach  (99)  notwendig  und  hinreichend, 
daß  die  durch  (98)  definierten  Funktionen  M^  sämtlich  identisch  ver- 
schwinden, daß  also 

Die  verlangte  Bestimmung  der  Fläche  ^  ist  also  nur  möglich, 
wenn  die  gegebene  Schar  eine  Mayer'sche  Schar  ist,  wie  dies  auch 
a  priori  aus  dem  unter  a)  erhaltenen  Resultat  folgt.  Diese  Bedingung 
sei  erfüUt,  und  es  sei  _  dB{b,,. .  .,h„) 


'""""""  C/,  =  -M.  (105) 


db, 


^)  Vgl.  hierzu  Bolza,  loc.  cit.  p.  483. 

*)  In  Verallgemeinerung  eines  von  Kneser  für  das   einfachste  Variations- 
problem durchgeführten  Gedankengangs,  vgl.  §  31,c). 


§  78.    Mayer'sche  Extremalenscliareii.  64& 

Dann  folgt  aus  (105)  durch  Integration 

U(|;a»,6,||)+-B  =  c,  (106) 

WO  c  eine  von  \,"',\  unabhängige  numerische  Konstante  ist.  Dieser 
Gleichung  muß  also  die  gesuchte  Funktion  J  genügen. 

Für  die  Diskussion  derselben  schreiben  wir  der  Kürze  halber 

und  machen  die  beschränkende  Annahme,  daß 

f(x,y{x\y'{x))=^0  mix^x^l  (107) 

Unter  dieser  Voraussetzung  betrachten  wir  die  Aufgabe,  die  Gleichung 

G{x,  \, . . .,  &„)  =  c  (108) 

nach  X  aufzulösen.     Da  nacli  (104)  und  Gleichung  (145)  von  §  73 
G,{x,h\,...,-b'>;)==f(x,y{x\y'(.x)), 

SO  sind  wegen  (107)  die  Voraussetzungen  des  erweiterten  Satzes  über 
implizite  Funktionen  von  §  22,  e)  erfüllt,  und  man  erhält  durch  An- 
wendung desselben  das  folgende  Resultat: 

Es  sei  c^,  resp.  c^,  das  Minimum.,  resp.  Maximum,  der  Funktion 
G{x,  hl,  .  .  .,  hl)  im  Intervall  [^r^^g]  ^^^  ^  ="  ^oW  ^^^  wegen  (107)  im 
Intervall  [c^c^]  eindeutige  Lösung  der  Gleichung 

G{x,l'>,...,bl)==c. 
Dann  läßt  sich  die  Gleichung  (108)  in  der  Umgebung  der  Punktmenge 

e-,  x  =  ^q(c),         h  =  h%         c^^c^c^ 

eindeutig  nach  x  auflösen.     Die  Lösung  sei 

X  =  K&i, .  .  .,  h^',  c). 
Schreiben  wir  dann  noch 

mih,  ■  ■  -  K;  c),  h, . . .,  6J  =  nAK  ■  ■  -,  K\  c),        (109) 

SO  stellen  die  Gleichungen 

X  =  |(5i, .  .  .,  h^',  c),  y,  =  7].{h^, . .  .,  h^',  c) 

eine  Hyperfläche  von  den  verlangten  Eigenschaften  dar,  die  wir  mit 
Xg  bezeichnen.  Lassen  wir  die  Konstante  c  variieren,  so  erhalten 
wir  eine  einfach  unendliche  Schar  von  solchen  Hyperflächen,  die  wir 
die  „Transversalhyperflächen"  des  Feldes  nennen  woUen.  Man  beweist 
leicht,  daß  bei  gehöriger  Beschränkung  des  Feldes  durch  jeden  Punkt 
desselben  eine  und  nur  eine  Transversalhyperfläche  hindurchgeht.  Wir 
können   dann   unser  Resultat  in  den  Satz  zusammenfassen: 


646  Zwölftes  Kapitel.     Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

Damit  die  Ausdrücke  für  die  partiellen  ÄUeitungen  der  Funktionen 
^(^?  2/i7  •  •  •?  2/«)  dieselbe  einfache  Form  (81)  annehmen  wie  hei  einer 
Schar  von  Extremalen  durch  einen  festen  Punkt,  ist  notwendig  und  hin- 
reichend, daß  die  zugrunde  liegende  Extremalenschar  eine  May  er' sehe 
Schar  ist,  und  daß  die  Ausgangshyperfläche  für  die  Funktion  W  eine 
Transversalhjperfläche  des  Feldes  dieser  Schar  ist. 

Weiter  folgt  nun  unmittelbar  die  Verallgemeinerung  des  Kn es  er- 
sehen Transversalensatzes  für  das  Lagrange'sche  Problem^): 

Zwä  Transversalhyperflächen  %^,  und  %^„  eines  von  einer  May  er- 
sehen Schar  gebildeten  Feldes  schneiden  auf  den  verschiedenen  Extremalen 
der  Schar  Bogen  aus,  welche  für  das  Integral  J  denselben  konstanten 
Wert  liefern,  nämlich  den   Wert  c'  —  c\ 

Denn  es  ist  nach  der  Definition  der  Funktionen  U  und  |: 

Jfix, Y,  T)dx  =  u [i{b-cyy,b,^-^)  -  u (|(&;0; <^|f) 

'^''''^  =  G{l{b',c'\b)  -  G{Ub',c\b)  =  c'  -  c\ 

Hieraus  folgt  weiter:  Wird  als  Ausgangshyperfläche  bei  der  Defi- 
nition der  Funktion  W  eine  Transversalhyperfläche  des  Feldes  gewählt, 
so  sind  die  Transversalhyperflächen  identisch  mit  den  Hyperflächen 

TF(:r,2/i,...,2/J  =  konst.  (110) 

Kombiniert  man  dieses  Resultat  mit  dem  unter  a)  bewiesenen 
Satz,  daß  der  Hilbert'sche  Unabhängigkeitssatz  für  ein  beliebiges 
Mayer'sches  Extremalenfeld  gilt,  so  erkennt  man,  indem  man  genau 
wie  in  §  41,  Ende,  schließt,  daß  der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz 
(84)  seine  Gültigkeit  behält,  wenn  das  Feld  statt  von  einer  Extremalen- 
schar durch  einen  festen  Punkt  von  einer  beliebigen  Mayer'schen 
Schar  gebildet  wird,  und  die  Vergleichskurve  S  statt  vom  Punkt  P^ 
von  einem  beliebigen  Punkt  der  durch  P^  gehenden 'Transversalhyper- 
fläche X  des  Feldes  ausgeht. 

Damit  hat  man  zugleich  hinreichende  Bedingungen  für  die  Auf- 
gabe gewonnen,  das  Integral  J  mit  den  Nebenbedingungen  9^  =  0  zu 
einem  Extremum  zu  machen,  wenn  der  erste  Endpunkt  auf  der  Hyper- 
fläche  %  frei  beweglich,  dagegen  der  zweite  fest  ist. 

c)  Zusammenliaiig  mit  der  Transversalitätsbedingung: 
Um    die  Analogie    der    im    vorangehenden    entwickelten   Theorie 
mit    den    entsprechenden    Untersuchungen   von   Kneser  für   den   ein- 

^)  Hierzu  die  Übungsaufgabe  Nr.  9  am  Ende  von  Kap.  XIII. 


§  78.    Mayer 'sehe  Extremalenscharen.  647 

fachsten  Fall  n  =  1,  m  =  0  zu  vervollständigen^  haben  wir  nun  zu 
zeigen,  daß  die  Transversalhyperfläclien  auch  durch  ein  System  von 
partiellen  Differentialgleichungen  definiert  werden  können,  welche 
die  Yerallgemeinerung  der  Transversalitätsbedingung  des  einfachsten 
Falles  sind. 

Dazu  differentiieren  wir  die  Gleichung  (106),  durch  welche  die 
Funktion  |(fei,  .  .  .,  5^^;  c)  definiert  wird,  partiell  nach  hj^  und  machen 
von  den  bei  der  Ableitung  der  Gleichungen  (97)  erhaltenen  Resultaten 
Gebrauch.     Dann  kommt 

fix,  Y,  r)  j^^^  +2f„U^,  y,  t,  A)  |5-  ^=  0.       (111) 

Umgekehrt:  Ist  |  eine  Funktion  von  fe^,  .  .  .,  6^,  welche  diesen 
n  partiellen  Differentialgleichungen  genügt,  so  folgt  rückwärts  die  Glei- 
chung (106).  Die  Transversalhyperflächen  können  also  in  der  Tat  durch 
die  n  partiellen  Differentialgleichungen  (111)  für  die  Funktion  |  defi- 
niert werden;  dieselben  sind  infolge  der  Relationen  (102)  miteinander 
verträglich. 

Führt    man   die   durch  die   Gleichungen   (109)   definierten  Funk-  * 
tionen  y\^  ein,  so  gehen  die  Gleichungen  (111)  über  in 

/(^r;r)-^i7j;^X*,  1^  n^)f4+^j;+.(*,  J^  r',^)f|f =0.  (112) 

Für  n  =  1 ,  m  =  0  reduzieren  sich  diese  Gleichungen  auf  die 
eine  Gleichung 

fix,  Y,  Y')  -  Y'f^,{x,  Y,  T)\^^^  +  f^ix,  Y,  r,)!'||  =  0,  (112a) 

d.  h.  eben  auf  die  bekannte  Transversalitätsbedingung. 

Hiermit  sind  zunächst  rein  formal  die  Transversalhyperflächen  als 
Yerallgemeinerung  der  Transversalen  des  einfachsten  Falles  nachgewiesen. 
Es  bleibt  jetzt  aber  noch  zu  zeigen,  daß  die  Differentialgleichungen 
(112)  für  das  Lagrange'sche  Problem  mit  einem  variablen  Endpunkt 
dieselbe  Bedeutung  haben  wie  die  Transversalitätsbedingung  (112  a) 
für  den  einfachsten  Fall. 

Wir  betrachten  daher  jetzt  die  Aufgabe,  —  gleich  etwas  allge- 
meiner, als  für  unsern  unmittelbaren  Zweck  nötig  wäre  — ,  das  Integral  J 
mit  den  Nebenbedingungen  (p^  =  0  zu  einem  Extremum  zu  machen, 
wenn  der  Punkt  Pg  fest  ist,  während  der  Anfangspunkt  auf  einer  ge- 
gebenen g-dimensionalen  Mannigfaltigkeit  ^  beweglich  ist,  welche  in 
ParameterdarsteUung  gegeben  sein  möge  durch  die  Gleichungen 

wo  3'  <;  >^. 


648  Zwölftes  Kapitel.     Laorange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

Die  gesuchte  Kurve  @q  muß  dann  eine  Extremale  sein,  und  wenn 
ihr  Anfangspunkt  P^  auf  ^  den  Parameterwerten  h^=hl,  -  -  -,})  =6J 
entspricht,  so  muß  nach  der  in  §  38  entwickelten  Differentiations- 
methode in  der  Bezeichnung  von  §  73,  c)  die  Funktion 

der  unabhängigen  Variabein  h^^  -  ■  •,  h^  für  &i  =  2>5,  ••  •,?>„  =  &?  ein 
Extremum  besitzen;  dabei  ist  (^3,  ^13,  •  •  •,  ^/ns)  ®^^  Punkt  der  Extre- 
malen  @q,  der  so  nahe  bei  P^  gewählt  ist,  daß  ^{x^^x^  =^0})  Dies, 
führt  nach   den  Gleichungen  (158)  von  §  73  auf  die  Bedingungen: 


+  2F^U^,,y{x,\y{x,\l{x,))  {^^  =  0, 


(113) 


1,  2,  •  •  •,  q, 


wobei  der  Index  0  die  Substitution  von  &9  für  h^   andeuten  soU. 

Dieselben  lassen  sich  unter  Einführung  der  Funktionen  v^{x)  nach 
den  Gleichungen  (122)  und  (129  a)  von  §  72  auch  einfacher  schreiben 
in  der  Form 

H{x,,yi.x,),v{^,)) (ßi^^  -^ v,{x,)  (g')^  =  0.  (114) 

Diese  q  Gleichungen,  welche  im  allgemeinen  die  Lage  des  Punktes  P^ 
auf  der  Mannigfaltigkeit  ^  bestimmen,  bilden  zusammen  die  „Trans- 
versalitätsbedingung^^  für  das  vorgelegte  Variationsproblem;  wenn  die- 
selbe erfüllt  ist,  werden  wir  sagen,  die  Mannigfaltigkeit  £  schneide 
die  Extremale  @q  im  Punkt  Pj  transversal.  — 

Die  Gleichungen  (112)  sagen  also  aus,  daß  die  durch  Gleichung 
(106)  definierte  Transversalhyperfläche  ^  in  jedem  ihrer  Punkte  die 
durch  denselben  hindurchgehende  Extremale  der  M,ay  er 'sehen  Schar 
transversal  schneidet,  womit  die  Bezeichnung  Transversalhyperfläche 
ihre  Rechtfertigung  findet. 

d)  Zwei  Aufgaben  über  Transversalhyperfläclieii: 
Hieran  schließen  sich  naturgemäß  zwei  Aufgaben,  deren  Lösung 
eine  wichtige  Ergänzung  zu  den  unter  a)  und  b)  gegebenen  Entwick- 
lungen liefern  wird;  zunächst  die  Aufgabe: 

Zu  einer  beliebig  gegebenen  Hyjperfläche  ^  eine  n-fach  unendliche 
Extremalenschar  zu  bestimmen^  welche  von  ^  transversal  geschnitten  ivird. 

')  Vgl.  §  73,  b),  insbesondere  p.  597,  Fußnote  ^)  und  §  76,  g). 


§  78.    May  er 'sehe  Extremalenscharen.  ß49 

Dabei  wird  angenommen,  daß  die  spezielle  Extremale  ©^  im  Punkt 
Pi  von  ^  transversal  geschnitten  wird.  Die  Hyperfläche  ^  sei  wieder 
gegeben  in  der  Form 

Durch  den  Punkt  (b)  derselben  ziehen  wir  zunächst  eine  beliebige 
Extremale,  die  wir  in  der  Normalform  von  §  72,  c) 

ansetzen.  Dann  ist  nach  (114)  die  Bedingung  dafür,  daß  diese  Ex- 
tremale von  der  Hyperfläche  ^  in  ihrem  gemeinsamen  Schnittpunkt 
transversal  geschnitten  wird: 

m,V,c)§l-^-;Se,l^  =  0,         Jc^l,2,...,n,      (115) 
da  nach  Gleichung  (136)  von  §  12 

Da  nach  Voraussetzung  die  Hyperfläche  ^  die  Extremale  (S^  i^  ^i 
transversal  schneidet,  so  werden  die  n  Gleichungen  (115)  befriedigt 
durch  das  spezielle  Wertsystem  h.  =  &»,  c.  =  c^  =  v.{x^).  Daher  können 
wir  dieselben  in  der  Umgebung  dieser  Stelle  eindeutig  nach  q,---,c„ 
auflösen,  wofern  an  derselben  die  Funktionaldeterminante  der  Auf- 
lösung von  NuU  verschieden  ist.     Erinnert  man  sich,   daß  nach  (88) 

so  erhält  man  für  die  fragliche  Funktionaldeterminante  nach  einfachen 
Determinantensätzen  die  Determinante  n  -\-  1  ten  Grades 

(M\         (^Jk\         (^Jh\  (drin\  (116) 

(^=1;2,-..,^). 

Wir  können  also  den  Satz  aussprechen: 

Wenn  die  Determinante  (116)  von  Null  verschieden  ist^),  so  läßt 
sich  stets  eine  und  nur  eine,  die  Extremale  (S^  enthaltende  n-parametrige 
Extremalenschar  konstruieren,  welche  von  der  Hyperfläche  ^  transversal 
geschnitten  wird. 

^)  I>-  li-  geometrisch:  Wenn  die  Hyperfläche  ^  im  Punkt  P^  die  Extremale 
@o  nicht  berührt. 


650  Zwölftes  Kapitel.     Lagrange'sches  Problem.     Fortsetzung. 

Die  zweite  der  oben  erwäbnten  Aufgaben  ist  die  zur  ersten  in- 
verse  Aufgabe: 

Zu  einer  gegebenen  n-parametrigen  Extremalenschar  eine  Trans- 
versalhyperfläche zu  konstruieren. 

Wir  nehmen  dabei  an,  daß  die  gegebene  Schar  die  Extremale  (Sq 
enthält,  und  präzisieren  die  Aufgabe  genauer  dahin,  daß  die  zu  kon- 
struierende Transversalhyperfläche  durch  einen  gegebenen  Punkt 
Jo(<Z>;,---,6J)  von  (So  gehen  soll. 

Wir  schreiben  die  gegebene  Extremalenschar  in  der  kanonischen 
Form  (93)  mit  der  Nebenbedingung  (93  a)  und  schneiden,  wie  unter 
a),  die  Schar  mit  einer  beliebigen  durch  den  Punkt  Aq  gehenden 
Hyperfläche  ^,  die  wir  wieder  durch  die  Gleichungen  (91)  analytisch 
darstellen.  Soll  dann  ^  jede  Extremale  der  Schar  transversal  schnei- 
den, so  muß  die  Funktion  l(^i?  '  '  *?  ^J  ^®^  ?^  partiellen  Differential- 
gleichungen (111)  genügen.  Führen  wir  jetzt  wie  unter  a)  die  Funk- 
tion U{x,\,  •  '  ',  6„)  ein  und  machen  von  den  Formeln  (96)  und  (97) 
Gebrauch,  so  gehen  die  Gleichungen  (111)  über  in 

du 


^  aa      du 


dx 
was  wir  auch  schreiben  können 


-Jf,  =  0, 


Da  aber  £^(|,  &i,  •  •  •,  &J  =  0,  so  folgt:  Mj^^O.  Hiermit  sind  wir 
aber  auf  die  bereits  unter  b)  gelöste  Aufgabe  zurückgeführt  und 
erhalten  daher  den  Satz: 

Soll  es  möglich  sein,  zu  einer  gegebenen  n-parametrigen  Extremalen- 
schar eine  Transversalhyperfläche  zu  konst/ruieren,  so  ist  notwendig  und 
hinreichend,  daß  die  gegebene  Schar  eine  May  er' sehe  Schar  ist. 

Durch  Kombination  mit  dem  oben  gefundenen  Resultat  ergibt 
sich  hieraus  der  weitere  Satz^): 

Konstruiert  man  zu  einer  beliebigen  Hyperfläche  ^  die  von  ihr 
transversal  geschnittene  Extremalenschar,  so  ist  letztere  eine  May  er 'sehe 
Schar,  und  umgekehrt  kann  jede  Mayer'sche  Schar  auf  diese  Weise 
erzeugt  werden. 

^)  Hiermit  ist  die  Verbindung  zwischen  den  Resultaten  von  A.  Mayer  und 
HiLBEBT  hergestellt.  Letzterer  hatte  nämlich,  noch  vor  Veröffentlichung  der 
oben  zitierten  May  er 'sehen  Arbeit,  an  dem  Fall  w  =  2,  w  =  0  in  sehr  einfacher 
Weise  durch  vollständige  Induktion  bewiesen,  daß  für  jede  n-parametrige  Extre- 
malenschar, welche  von  einer  Hyperfläche  transversal  geschnitten  wird,  der  Un- 
abhängigkeitssatz gilt,  vgl.  Zur  Variationsrechnung,  Göttinger  Nachrichten 
1905,  p.  169  und  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  351. 


§  78.    May  er 'sehe  Extremalenscharen.  651 

Hiermit  ist  zugleich  eine  von  der  speziellen  Normalform  (93)  un- 
abhängige Definition  der  May  er 'sehen  Scharen  gewonnen. 

Beispiel  XXVIII:  Für  das  Problem  der  kürzesten  VerbindungsJcurve  zweier 
Punkte  im  drei-dimensionalen  Baum  die  May  er 'sehen  Extremalenscharen  zu  be- 
stimmen. 

Hier  hat  man  das  Integral 

J  =  fyi'-\-y'-\-V^dx 
^1 
ohne  Nebenbedingung  (m  =  0)  zu  einem  Minimum  zu  machen. 

Die  Extremalen  sind  die  Geraden  des  Raumes.  Eine  n{=  2)-parametrige 
Extremalenschar  ist  eine  Kongruenz  von  Geraden.  Die  Bedingung,  daß  eine 
Fläche  {=  Hyperfläche) 

die  Extremale 

y=ax-\-ß,         z  =  'yx  -{-  d 

transversal  schneidet,  wird  durch  die  beiden  Gleichungen 

^- 11.  + y       j^j,       ''       1^  =  0  jc^^i  2 

yi-\.y'^-^V^dbk      ]/i-j-2/'2-f /2\afe^     yi^y'tj^2'^\dbk 

ausgedrückt.     Transversal  ist  also  mit  orthogonal  identisch.     Für  das  vorliegende 
Problem  sind  also  die  Maye)-' sehen  Extremalenscharen  Normalenkongruenzen}) 

Der  Kneser'scheTransversalensatz  geht  in  den  bekannten  Satz  iihQx  Parallel- 
flächen  über  ^) :  Trägt  man  auf  den  Normalen  einer  Fläche  von  ihren  l'ußpunkten 
aus  eine  konstante  Strecke  ab,  so  bilden  die  Endpunkte  derselben  eine  Fläche, 
welche  die  Normalen  der  ersten  Fläche  wieder  senkrecht  schneidet  (eine  „Paral- 
lelfläche" der  ersten). 


^)  Vgl.  z.  B.  BiANCHi-LuKAT,  Differentialgeometrie^  §  143. 
^)  Vgl.  z.  B.  Scheffers,  Theorie  der  Flächen,  p.  205. 


Dreizehntes  Kapitel. 
Elemente  der  Theorie  der  Extrema  yon  Doppelintegralen. 

§  79.    Die  erste  Variation  von  Doppelintegralen  mit  x^  y  als 
unabhängigen  Variabein. 

Die  Theorie  der  Extrema  von  Doppelintegralen  ist  noch  nicht 
^u  einem  ähnlichen  Abschluß  gelangt  wie  die  analoge  Theorie  der 
einfachen  Integrale.  In  der  Tat  läßt  sich  zwar  ein  Teil  der  Betrach- 
tungen, die  wir  bei  einfachen  Integralen  durchgeführt  haben,  ohne 
große  Mühe  auf  Doppelintegrale  ausdehnen,  bei  einem  anderen  Teil 
dagegen  wachsen  die  Schwierigkeiten  beim  Übergang  zu  Doppelinte- 
gralen ganz  außerordentlich,  was  in  erster  Linie  damit  zusammenhängt, 
daß  hier  an  Stelle  der  gewöhnlichen  Differentialgleichungen  partielle 
Differentialgleichungen  treten.  Wir  werden  uns  daher  bei  der  fol- 
genden Darstellung  auf  die  einfachste  Klasse  von  Problemen  und  auf 
die  einfachsten  darauf  bezüglichen  Fragestellungen  beschränken. 

Wir  unterscheiden  wieder  „Funktioneuprobleme",  bei  denen  eine 
Funktion  zweier  unabhängiger  Variabein  zu  bestimmen  ist,  und 
„Flächenprobleme"  bei  welchen  es  sich  um  die  Bestimmung  einer 
Fläche  in  allgemeiner  ParameterdarsteUung  handelt.  Die  Theorie  der 
ersten  Variation  werden  wir  für  beide  Probleme  durchführen  (§§  79,  80), 
uns  dagegen  bei  der  Theorie  der  zweiten  Variation  (§  81)  und  der 
hinreichenden  Bedingungen  (§  82)  auf  den  Fall  des  Funktionen- 
problems beschränken. 

a)  Die  Lagrang e'sche  Differentialgleicliuiig ^) : 

Es  sei  einerseits  eine  Funktion  f{x,y,z,p,q)  der  unabhängigen 
Variabein  x,yjZ,p,q  und  andererseits  eine  geschlossene  Raumkurve  2 
gegeben.  Wir  betrachten  die  Aufgabe:  Unter  allm^  in  rechtwinkligen 
Koordinaten  in  der  Form 

z  =  z{x,y)  (1) 

^)  Vgl.  dazu  die  Darstellung  von  Goursat,  Cours  d' Analyse,  Bd.  II  (1905), 
^r.  456,  der  wir  im  wesentlichen  gefolgt  sind. 


§  79.   Die  erste  Variation  Yon  Doppelintegralen.  653 

darstellbaren  Flächen'^),  welche  von  der  Kurve  £  begrenzt  werden,  die- 
jenige zu  bestimmen,  für  welche  das  Doppelintegral 

J  -fjf{oc,  y,  z,p,  q)  dxdy  (2) 

den  Ideinsten  Wert  annimmt. 

Dabei  ist  in  dem  Integranden  des  DoppeKntegrals 

z  =  z{x,  y),  p  =  z^x,  y),  q  =  Zy{x,  y) 

zu  setzen  und  das  Integral  ist  über  die  Projektion  CL  der  Fläche  (1) 
auf  die  x,  ?/- Ebene  zu  erstrecken. 

Über  die  Funktion  f{x,y,z,p,q)  wird  vorausgesetzt,  daß  sie  von 
der  Klasse  C  "  ist,  wenn  der  Punkt  {x,  y,  z)  in  einem  gewissen  Bereich 
Öl  des  Raumes  liegt  und  p  und  q  beliebige  endliche  Werte  haben. 

Die  geschlossene  Kurve  £  soll  ganz  im  Inneren  dieses  Bereiches 
^  liegen  und,  ebenso  wie  ihre  Projektion  ^  auf  die  rr,^-Ebene,  eine 
gewöhnliche^)  Kurve  ohne  mehrfache  Punkte  sein.  Überdies  soll  es 
eine  ganze  Zahl  n  geben  derart,  daß  jede  Grerade  der  x,  ^-Ebene,  welche 
zur  ic-Achse  oder  zur  2/- Achse  parallel  ist,  die  Kurve  ^  höchstens  in 
n  Punkten  trifft,  es  sei  denn,  daß  sie  eine  ganze  Strecke  mit  ihr  gemein 
hat.  Das  Innere^)  der  Kurve  ^  zusammen  mit  der  Kurve  ^  selbst 
ist  dann  der  oben  mit  €L  bezeichnete  Integrationsbereich. 

Von  den  „zulässigen  Flächen"  wird,  abgesehen  davon,  daß  sie  von 
der  Kurve  ß  begrenzt  sein  soUen,  vorausgesetzt,  daß  sie  ganz  im 
Inneren  des  Bereiches  61  liegen  und  von  der  Klasse*)  B'  sein  sollen. 
Unter  diesen  Voraussetzungen  hat  das  Integral  (2)  für  jede  zulässige 
Fläche  einen  bestimmten  endlichen  Wert.^) 

Wir  nehmen  an,  wir  hätten  eine  zulässige  Fläche  ^^  von  der 
Klasse  C"  gefunden,  —  dieselbe  sei  durch  die  Gleichung  (1)  dar- 
gestellt — ,  welche  dem  Integral  J  einen  nicht  größeren  Wert  erteilt 
als  jede  andere  zulässige  Fläche  ^  in  einer  gewissen  Umgebung  von 
9\).  Ist  dann  i{x,y)  irgend  eine  Funktion,  welche  in  61  von  der  Klasse 
D'  ist  und  entlang  der  Begrenzung  ^  verschwindet: 

if=^,  '(3) 

^)  Das  Wort  „Fläche"  wird  hier  überall  im  Sinn  von  „Flächenstück"  gebraucht. 

^)  Vgl.  die  Definition  in  §  25,  a) ,  die  sich  unmittelbar  auf  ßaumkurven 
übertragen  läßt. 

3)  Vgl.  A  VI  2. 

^)  D.  h.  die  Funktion  z{x,y)  soll  stetig  sein  im  Bereich  €C,  und  dieser  Be- 
reich soll  sich  in  eine  endliche  Anzahl  von  Teilbereichen  zerlegen  lassen,  in 
deren  jedem  z{x^y)  von  der  Klasse  C  ist,  wobei  die  TrennungsUnien  denselben 
allgemeinen  Charakter  haben  sollen  wie  die  Kurve  Ä. 

^)  Vgl.  Jordan,  Cours  d' Analyse,  Bd.  I,  Nr.  66 ;  Stolz^  Grundzüge,  etc.,  Bd. III, p.  69. 

Bolza,  Variationsrechnung.  42 


554  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

•SO   stellt  die  Gleichung 

z  =  z{x,y)-\-  st,{x, y\     (x, y)  in  ÖL  (4) 

bei  hinreichend  kleinem  ,  £  \  eine  Schar  von  zulässigen  Variationen 
der  Fläche  7^  dar.     Daher  muß  die  Funktion 

J{e)  =JJf(^y  y,0  -{-  £t,^^+  f  ?:,,  ^y  +  eQdxdy 
a 

für  £  =  0  ein  Minimum  besitzen,  es  muß  also  ^) 

a 

sein,  wobei  die  Argumente  in  den  Ableitungen  von  f  sich  auf  die 
Fläche  ^0  beziehen.     Nun  ist  aber^) 

und  nach  dem  Green'schen  Satz^)  ist 

a  ^  a  « 

wobei  die  Linienintegrale  auf  der  rechten  Seite  im  entgegengesetzten 
Sinn  des  Uhrzeigers  über  die  Kurve  ^  zu  erstrecken  sind,  wenn,  wie 
wir  stets  voraussetzen,  die  positive  i/- Achse  links  von  der  positiven 
iC-Achse  liegt.  Auf  diese  Weise  erhalten  wir  für  die  erste  Variation 
den  Ausdruck 


a  Ä 


^)  Wegen  der  Differentiation  eines  Doppelintegrals  nach  einem  Parameter 
vgl.  Jordan,  loc.  cit.  Nr.  83. 

*)  Diese  der  partiellen  Integration  von  §  5,  a)  entsprechende  Transformation 
der  ersten  Variation  rührt  von  Lagrange  her,  die  Einführung  des  Linienintegrals 
von  Gauss  (1830),  Werke^  Bd.  V,  p.  60.  Dabei  ist"  von  der  vorausgesetzten  Existenz 
und  Stetigkeit  der  zweiten  partiellen  Ableitungen  von  z  Gebrauch  gemacht.  Will 
man  nur  die  Existenz  und  Stetigkeit  der  ersten  Ableitungen  voraussetzen,  so  hat 
man  analog  wie  in  §  5,  c)  zu  verfahren;  mit  dieser  Verallgemeinerung  der  Du- 
Bois-Reymond'schen  Methode  beschäftigen  sich  Hilbert,  Mathematische 
Annalen,  Bd.  LIX  (1904),  p.  166;  Mason,  Ibid.  Bd.  LXI  (1905),  p.  450;  Hadamard, 
Comptes  llendus,  Bd.  CXLIV  (1907),  p.  1092.     Vgl.  unten  Beispiel  XXX. 

')  Vgl.  z.  B.  Stolz,  Grundzüge,  Bd.  III,  p.  94. 


§  79.    Die  erste  Variation  von  Doppelintegralen.  655 

Wegen   (3)   ist   das  Linienintegral   gleich  Null,   und  es  muß  also  das 
Doppelintegral  für  alle  zulässigen  Funktionen  J  verschwinden. 
Dem  Fundamentallemma  von  §  5,  b)  entspricht  nun  hier  der  Satz: 
Ist  die  Funktion  M{x,y)  stetig  im  Bereich  GL,  und  ist 

fft,Mdxdy=^0  (6) 

a 

für  alle  Funktionen  g,  welche  in  (9L  von  der  Klasse  C  sind  und  ent- 
lang der  Begrenzung  ^  von  (SC  verschwinden,  so  ist 

M{x,y)  =  0     in  6C. 

Denn  angenommen,  es  sei  Jf  (^0,7/0)  =h  0,  etwa  >  0,  für  einen 
inneren  Punkt  P^  {x^,  y^)  von  61,  so  können  wir  die  positive  Größe  q 
so  klein  wählen,  daß  M(Xyy)>0  in  der  Kreisfläche  6  mit  dem 
Radius  q  und  dem  Mittelpunkt  P^,  und  daß  gleichzeitig  dieser  Kreis 
ganz  im  Innern  von  (9L  liegt.     Dann  hat  die  durch  die  Festsetzung 

i[Q^-{x-x,f-{y-y,ff  in  6 

l  0  außerhalb  6 

definierte  Funktion  J  die  verlaugten  Eigenschaften  und  macht  trotz- 
dem das  Integral  (6)  positiv.  Daraus  folgt,  daß  M(x,  y)  =  0  sein 
muß,  zunächst  im  Innern  von  (9L,  und  wegen  der  Stetigkeit  von  M 
alsdann  auch  auf  der  Begrenzung  ^. 

Wendet  man  dieses  Lemma  auf  die  Gleichung  dj  =  0  in  der 
zuletzt  erhaltenen  Form  an,  so  erhält  man  den  Satz^): 

Die  erste  notwendige  Bedingung  für  ein  Extremum  des  Doppel- 
integrals J  besteht  darin,  daß  die  Funktion  0  der  partiellen  Differential- 
gleichung 

f'-ljv-Tyf^-^  (I) 

genügen  muß. 

Dabei  sind  die  Differentiationen  nach  x  und  y  so  zu  verstehen, 
daß   vor   der  Differentiation   in  f^  und  f^  für  3,  p,  q   die  Funktionen 

^)  Zuerst  von  Lagrange  (1760)  für  den  Fall  der  Minimalflächen  gegeben,  vgl. 
Oeuvres,  Bd.  I,  p.  356. 

Mit  dem  .^inversen  Problem''  (vgl.  §  6,  c)),  die  Funktion  f  so  zu  bestimmen, 
daß  die  DiflFerentialgleichung  (I)  mit  einer  vorgegebenen  partiellen  Differential- 
gleichung zweiter  Ordnung  identisch  wird,  beschäftigen  sich  Hirsch,  Mathema- 
tische Annalen,  Bd.  XLIX  (1897),  p.  49;  Hertz  in  seiner  Dissertation  „lieber 
partielle  Differentialgleichungen,  die  in  der  Variationsrechnung  vorkommen"  (Kiel, 
1903);  KüRscHAK,  Mathematische  Annalen  Bd.  LX  (1904),  p.  157  und  Bd. 
LXII  (1906),  p.  148;  und  Königsberger,  Berliner  Berichte,  1905,  p.  205. 

42* 


656  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

z{x,  y),  ^x(^>y)>  ^yi^yV)   einzusetzen   sind,   so   daß  die  Differential- 
gleichung in  ausgeschriebener  Form  lautet: 

Man  hat  es  also  mit  einer  partiellen  Differentialgleichung  zweiter 
Ordnung  von  dem  nach  Monge  und  Ampere  benannten  Typus  ^)  zu  tun. 

Man  hätte  nun  weiter  zunächst  die  allgemeine  Lösung  derselben 
zu  finden  und  die  darin  enthaltenen  willkürlichen  Funktionen  so  zu 
bestimmen,  daß  die  Funktion  z  entlang  der  Kurve  t  die  durch  die 
Kurve  £  vorgeschriebenen  Randwerte  annimmt,  eine  Aufgabe  von 
ungleich  größerer  Schwierigkeit  als  die  entsprechende  Aufgabe  im  Fall 
des  einfachen  Integrals. 

Jede  Fläche,  welche  der  Lagrange'schen  Differentialgleichung  (I) 
genügt,  nennen  wir  eine  j^Extremalfläche'^  ^)  für  das  Doppelintegral  (2). 

Beispiel  XXIX:  Das  Integral 

J=rj\p'  +  q^dxdy  (8) 

zu  einem  Minimum  zu  machen. 

Hier  findet  man  als  Differentialgleichung  des  Problems  die  Laplace'sche 
Differentialgleichung  ^j^        ^t^ 

deren  allgemeines  Integral  bekanntlich^)  ist 

z  =  9?qp(ic  -f  iy), 

wo  (p  eine  willkürliche  analytische  Funktion  von  x  +  iy  bedeutet  und  der  Buch- 
stabe ?R  anzeigt,  daß  der  reelle  Teil  derselben  genommen  werden  soll. 

Die  Frage  nach  der  Existenz  einer  Lösung,  welche  durch  die  gegebene  ge- 
schlossene Kurve  2  geht,  ist  identisch  mit  dem  berühmten  Dirichl et' sehen 
Problem.  *) 

Hat  man  eine  der  Differentialgleichung  (9)  genügende  Fläche  gefunden, 
welche  von  der  gegebenen  Kurve  S  begrenzt  wird,  so  liefert  dieselbe  stets  ein 
absolutes  Minimum  für  das  Integral  (8).  Ist  nämlich  (o{x,y)  eine  beliebige 
Funktion  von  x,y,  welche  in  €1  von  der  Klasse  C  ist  und  entlang  der  Begren- 
zung Ä  verschwindet,  so  findet  man  für  die  totale  Variation  des  Integrals  (8) 
beim  Übergang  von  z  zw.  z  -\-  a 

AJ  =  2jT(^^aj^  -f  z^coy)  dx  dy  J^^j^J^^o^l  -f  «J)  dx  dy  . 


^)  Vgl.  z.  B.  GouBSAT,  Legons  su/r  l'integration  des  equations  aux  derivees  pdr- 
tidles  du  second  ord/t'e.,  Chap.  H. 

*)  Kneser  sagt  statt  dessen  einfach  „Extremale",  vgl.  Lehrbuch,  p.  271. 
«)  Vgl.  z.  B.  PicARD,  Traite  d' Analyse,  Bd.  H  (1905),  p.  6. 
*)  Vgl.  darüber  z.  B.  Picard,  loc.  cit.  pp.  36—50,  81—108. 


§  79.    Die  erste  Yariation  von  Doppelintegralen.  657 

Wie  sich  aus  der  oben  allgemein  durchgeführten  Transformation  der  ersten 
Variation  ergibt,  ist  das  erste  Integral  gleich  Null,  weil  z  der  DiiFerentialglei- 
chung  (9)  genügt  und  w  entlang  dem  Rande  verschwindet.  Es  ist  also  in  der 
Tat  AJ'>  0,  außer  wenn  to^=  0,  w^  =  0,  d.  h.  co  =  0  in  (9f.  Dasselbe  gilt 
auch  noch,  wenn  die  Funktion  (a  von  der  Klasse  2>'  ist,  wie  man  sich  über- 
zeugt, wenn  man  vor  der  erwähnten  Transformation  das  fragliche  Integral  in 
eine  Summe  von  Integralen  zerlegt,  entsprechend  den  Teilbereichen  von  (9f,  in 
welchen  ro  von  der  Klasse  C  ist. 

Kann  man  a  priori  die  Existenz  eines  Minimums  für  das  Integral  (8)  be- 
weisen, so  folgt  daraus  die  Existenz  einer  Lösung  der  partiellen  Differential- 
gleichung (9)  mit  den  vorgeschriebenen  Randwerten  {Dirichlet'sches  Prinzip)  ^). 

Beispiel  V^:   Die  Iläche  Ueinsten  Inhalts  zu  bestimmen,  welche  von  einer 
gegebenen  geschlossenen  Baumhurve  begrenzt  wird. 

Hier  hat  man  das  Integral 

J  =  Cß/i  +  p2  4-  q^'  dxdy  (10) 

zu  einem  Minimum  zu  machen.    Die  Lagrange 'sehe  Differentialgleichung  lautet^) 

—        ^         +  A g =  0 

oder  wenn  man  die  Differentiationen  ausführt  und  von  den  in  der  Flächentheorie 
üblichen  Abkürzungen 

P  =  ^x^      i  =  ^y^      r  =  ^xx^      ^  =  ^xy^      t  =  ^yy 

Gebrauch  macht, 

r(l  J^g^)-2pqs-^t{\  -f  p2)  =  0.  (11) 

Diese  Gleichung  hat  eine  einfache  geometrische  Bedeutung.  ^)  Die  beiden  Haupt- 
krümmungsradien Q^ ,  (>2  in  einem  Punkt  einer  in  der  Form  (1)  dargestellten 
Fläche  sind  die  Wurzeln  der  quadratischen  Gleichung^) 


(H-Op'-{(l+3')^-2i?^5  +  (l+P')Myi  +  i5'  +  2'>  +  (l+P'+2T  =  0. 
Daraus  folgt  für  die  mittlere  Krümmung  der  Ausdruck 

1         1  ^(i-f  g^)r-2pgg  +  (l-|-p^)<  (j2^ 

Qx        92  (yi  +  p^-i-  q^'^y 

Die  gesuchte  Fläche   hat  also   die    charakteristische  Eigenschaft,  daß  in  jedem 
ihrer  Punkte  die  mittlere  Krümmung  gleich  Null  ist. 

Jede  Fläche,    welche  diese  Eigenschaft   besitzt,    heißt  eine   Minimalfläche. 
Das    allgemeine   Integral^)   der  Differentialgleichung  (11)    ist  zuerst  von  Monge 


^)  ^gl-  §  55,  insbesondere  die  Fußnote  ^)  auf  p.  421. 

')  Vgl.  p.  7. 

^  Schon  von  Lagrange  gefunden  (1760). 

^)  Zuerst  von  Meusnier  angegeben  (1776). 

^)  Vgl.  z.  B.  Knoblauch,  Krumme  Flächen,  p.  40. 

^)  Vgl.  darüber  auch  p.  667. 


658  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

angegeben  worden  (1784).  Mit  der  Aufgabe,  eine  Minimalfläche  zu  konstruieren, 
welche  von  einer  gegebenen  geschlossenen  Raumkurve  begrenzt  wird,  hat  sich 
besonders  H.  A.  Schwarz  ^)  beschäftigt.  Experimentell  wird  dieselbe  durch  die 
Gleigewichtslage  einer  zwischen  der  Begrenzung  ausgespannten  Flüssigkeits- 
lamelle gelöst  {Plateau'sches  Problem).^) 
Beispiel  XXX:  Das  Integral 


J=ff{p'-q')dxdy 


zu  einem  Extremum  zu  machen. 

Die  Lagrange'sche  Differentialgleichung  lautet: 

1^  _  l!i  _  0 

Ihre  allgemeine  Lösung  ist 

z  =  (p{x  -\-  y)  -\-  ip{x  —  y\ 

wo  tp  und  Tp  zwei  willkürliche  Funktionen  sind. 

Das  Beispiel  illustriert^)  zwei  Eigentümlichkeiten  von  Variationsproblemen 
mit  zwei  unabhängigen  Variabein,  welche  im  Fall  einer  unabhängigen  Variabein 
kein  Analogen  haben. 

1)  Die  Lagrange'sche  Differentialgleichung  eines  analytischen  Variatiöns- 
prohlems  kann  nicht-analytische  Lösungen  besitzen.  Man  braucht  nur  für  cp  und 
1/;  nicht-analytische  Funktionen  der  Classe  C"  zu  wählen. 

2)  Die  erste  Variation  kann  verschtvinden,  ohne  daß  die  Lagrange'sche 
Differentialgleichung  befriedigt  ivird.  Wählt  man  für  qp  und  ij)  zwei  Funktionen, 
welche  stetige  erste,  aber  keine  zweiten  Ableitungen  besitzen,  so  erhält  man 
eine  Funktion  z,  welche  der  Lagrange 'sehen  Differentialgleichung  nicht  genügt, 
aber  trotzdem  die  erste  Variation  für  alle  zulässigen  Funktionen  ^  der  Klasse  C" 
zum  Verschwinden  bringt,  da  hier 

^    n    -^- 
dy  •  ^^      dx 


nt  +  fpt,  +  f,ty  =  o ..  FC  -  /„  F^y 


F=2[(p{x-]-y)-^{x-y)], 
und  '' 

^^dx  -{-  ^ydy  =  0  entlang  ^. 

Der  Du-Bois-Reymond'sche  Einwand  ist  also  bei  Doppelintegralen  viel  ein- 
schneidender als  bei  einfachen  Integralen.  *) 


0  Gesammelte  mathematische  Abhandlungen,  Bd.  I. 

')  Plateau,  Statique  experimentale  et  theorique  des  liquides  (1873);  vgl.  auch 
Encyklopädie  V  9,  Nr.   10  (Minkowski). 

')  Nach  Hadamard,  vgl.  die  Fußnote  ^  auf  p.  654.  Die  beiden  Eigentümlich- 
keiten hängen  damit  zusammen,  daß  das  vorliegende  Beispiel  kein  „reguläres 
Variationsproblem"  ist,  vgl.  p.  675  Fußnote   ^). 

*)  Hierzu  weiter  die   Übungsaufgaben  Nr.  10,  20  am  Ende  von  Kap.  XIII. 


§  79.    Die  erste  Variation  von  Doppelintegralen.  659 

b)  Ausartung  der  Lagrange 'sehen  Differentialglßicliung  in  eine 
Identität:^) 

Für  spätere  Anwendung  betrachten  wir  noch  den  Fall,  wo  die 
Lagrange 'sehe  Differentialgleichung  (I)  in  eine  Identität  degeneriert, 
und  zwar  soll  dies  in  dem  Sinn  stattfinden,  daß  die  Differential- 
gleichung in  ihrer  ausgeschriebenen  Form  (7) 

/>  +  24,s  +  fj  +  f^^p  +  f,A  +  fp.  +  f,y  -  /;  =  0 

für  jeden  Punkt  {x,  y,  s)  in  einem  gewissen,  im  Innern  von  31  ge- 
legenen Bereich  ÖIq  und  für  alle  endlichen  Wertsysteme  p,  q,  r,  s,  t 
erfüllt  sein  soll. 

Man  zeigt  leicht,  daß  hierfür  notwendig  und  hinreichend  ist,  daß 
die  Funktion  f  von  der  Form 

/•=  L{x,  y,  d)  +  M{x,  y,  z)p  +  N{x,  y,  2)  q_ 
ist,  und  die  Funktionen  Z,  Jf,  iV  in  ^^  identisch  der  Relation 

4  =  nr,  +  N^ 

genügen. 

Es  sei  jetzt  eine  diesen  Bedingungen  genügende  Funktion  f  ge- 
geben; die  Funktionen  Z,  ilf,  JV  seien  im  Bereich  ÖIq  von  der  Klasse  C 
und  überdies  möge  der  Bereich  öl^  in  Beziehung  auf  die  ^-Richtung 
konvex^)   sein  und  die  vorgegebene   geschlossene  Kurve  £   enthalten. 

Bann  ist  der  Wert  des  Boppelintegrals  (2),  genommen  über  irgend 
eine  in  der  Form  (1)  darstellbare  Fläche  von  der  Klasse  C\  welche 
von  der  Kurve  £  begrenzt  wird  und  ganz  in  01^  liegt ^  nur  von  der 
Begrenzung slzurve  ß,  nicht  aber  von  der  sonstigen  Gestalt  der  Fläche 
abhängig. 

Denn  sind 

z=-z^{x,y)     und     z  =  z^{x,y), 

{x,y)  in  OL, 

zwei  diesen  Bedingungen  genügende  Flächen,  so  genügt  auch  jede 
Fläche  der  Schar 

z  =  z^{x,y) -{- a(z^{x,y)- z^{x,y))  =  Z{x,y',a), 

(x,y)  in  (9L5  O^a^l, 


*)  Ygl.  die  analogen  Betrachtungen  in  §  6,  b)  und  Jellett,  Treatise  on  the 
Calculus  of  Variations,  p.  340;  ferner  wegen  verschiedener  Verallgemeinerungen 
Königsberger,  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  118. 

^)  D.  h.  sind  P^  und  Pg  irgend  zwei  Punkte  von  01^  mit  denselben  x.y-Ko- 
ordinaten,  so  liegt  stets  die  ganze  Strecke  P^  P,  in  0l<, . 


660  Dreizehntes  Kapitel.     Extrem a  von  Doppelintegralen. 

denselben  Bedingungen.  Berechnet  man  jetzt  die  Ableitung  des  Doppel- 
integrals 

^(«)  =  JT^(^^  yy  ^^  ^^^  ^y)  ^^  ^y 

d 

nach  a  und  benutzt  dabei  die  unter  a)  bei  der  Berechnung  von  dj 
angewandte  Umformung^),  so  ergibt  sich 

J\cc)  =  0     für     0^«^1. 

Denn  in  der  der  Gleichung  (5)  entsprechenden  Formel  verschwindet 
das  Doppelintegral,  weil  nach  Voraussetzung  die  Lagrange'sche 
Differentialgleichung  (I)  in  dem  obigen  Sinn  identisch  erfüllt  ist,  und 
das  Linienintegral,  weil  ^^^x^y)  =  z^{x,ij)  entlang  der  Kurve  ^.  Hier- 
aus folgt  aber,  daß  J{0)  =  J{l)j  d.  h.  die  beiden  Flächen  liefern  für 
das  Doppelintegral  J  denselben  Wert,  was  zu  beweisen  war. 

Umgekehrt  zeigt  man  leicht,  daß  das  identische  Erfülltsein  der 
Lagrange 'sehen  Differentialgleichung  zugleich  die  notwendige  Be- 
dingung für  die  Invarianz  des  Doppelintegrals  in  dem  angegebenen 
Sinn  ist. 

c)  Der  einfachste  Fall  variabler  Begrenzung: 

Die  Formel  (5)  für  die  erste  Variation  führt  auch  leicht  zur  Er- 
ledigimg des  Falles,  wo  die  Begrenzung  S  der  gesuchten  Fläche  zwar 
nicht  selbst  gegeben  ist,  wohl  aber  ihre  Projektion  k  auf  die  iP,  «/-Ebene, 
d.  h.  also  des  Falles,  wo  die  Kurve  S  der  Bedingung  unterworfen  ist, 
auf  einem  gegebenen,  zur  x,  y-Ebene  senkrechten  Zylinder  m  liegen. 

Man  schließt  zunächst  durch  Betrachtung  von  Variationen,  welche 
die  Begrenzung  nicht  ändern,  daß  die  gesuchte  Fläche  auch  in  diesem 
Fall  der  Differentialgleichung  (I)  genügen  muß,  also  eine  Extremal- 
f lache  sein  muß.  Man  betrachtet  dann  weiter  eine  beliebige  Variation 
der  Form  (4),  welche  die  Begrenzung  auf  dem  angegebenen  Zylinder 
variiert.  Dabei  ist  für  das  Integral  J{s)  der  Integfationsbereich 
derselbe  wie  für  das  Grundintegral  J(0).  Daher  ändert  sich  nichts 
an  der  obigen  Transformation  der  ersten  Variation,  und  man  erhält, 
da  jetzt  5  längs  der  Kurve  ^  nicht  verschwindet,  die  weitere  Be- 
dingung 


jtifA's-m'^s^o, 


^)  Bei  dieser  Umformung  muß  vorausgesetzt  werden,  daß  fp  und  fq  von  der 
Klasse  C  sind;  dazu  genügt  es  im  gegenwärtigen  Fall  wegen  der  speziellen 
Form  von  f,  daß  Z  von  der  Klasse  C  ist. 


§  79.    Die  erste  Variation  von  Doppelintegralen.  QQl 

wobei  wir  auf  der  Kurve  ^  den  Bogen  s  als  Parameter  eingeführt 
haben.  Hieraus  schließt  man  leicht,  daß  wegen  der  Willkürlichkeit 
von  f  der  Faktor  von  J  entlang  der  Kurve  k  verschwinden  muß,  daß 
also  die  „Gremgleichung^^ 

/p§f-n^r=o         (13) 

erfüllt  sein  muß. 

Für  die  beiden  Beispiele  XXIX  nnd  V  lautet  die  Grenzgleichung 

=  0. 


dy  dx 

Nun  sind  aber 

—p  —q 


die  Richtungskosinus  der  (positiven)  Normalen  der  Extremalfläche,  dagegen 
dy  dx 

ds'  ~ds^  ^ 

diejenigen  der  Normalen  des  gegebenen  Zylinders;  die  Grenzgleichung  drückt 
also  aus,  daß  in  jedem  Punkt  der  Begrenzung  ß  die  Extremalfläche  den  Zylinder 
senkrecht  schneiden  muß.^) 

d)  Die  Euler'sche  Regel  für  Doppelintegrale: 2) 

Auch  die  Euler'sche  Regel  für  isoperimetrische  Probleme  läßt 
sich  leicht  auf  Doppelintegrale  übertragen.  Sind  die  zulässigen  Flächen 
außer  den  unter  a)  angegebenen  Bedingungen  noch  der  isoperimetrischen 
Bedingung  unterworfen,  daß  sie  einem  zweiten  Doppelintegral  der- 
selben Form 


K  ^JJg{x,  y,  z,p,  q)  dx  dy 
a 


einen  vorgeschriebenen  Wert  l  erteilen  sollen,   so   betrachte  man  wie 
in  §  59,  a)  Variationen  von  der  Form 

2==z{x,y)i-  £^(x, y)  +  s,  J,  {x, y)  =  Z{x,  y,  e,  e^), 

wobei  i{x,y),  t^{x,y)  beliebige  Funktionen  der  Klasse  D'  sind,  welche 


^)  Hierzu  weiter  die  Übungsaufgaben  Nr.  15,  16  am  Ende  von  Kap.  XIII. 

^)  Für  die  weitere  Theorie  der  isoperimetrischen  Probleme  bei  Doppel- 
integralen verweisen  wir  auf  Kobb,  Acta  Mathematica,  Bd.  XVII  (1893),  p.  321 
und  J.  0.  Müller,  „Über  die  Minimaleigenschaft  der  Kugel'',  Dissertation, 
Göttingen  1903. 


ßß2  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

entlang  der  Kurve  ^  verschwinden,  während  die  Größen  £,  f^  Kon- 
stanten sind,  welche  der  Gleichung 

K{e,  8, )  ^  f'fgix,  y,  Z,  Z,,  Z^)  dxdy  =  l  (14) 

genügen.     Die  Funktion 

^(^,  ^l)  =  /7/'(^^  2/;  ^.  ^.  ^v)  ^^  ^^ 

muß  dann  an  der  Stelle  £  =  0,  t^  =  0  ein  Extremum  mit  der  Neben- 
bedingung (14)  besitzen.  Indem  man  genau  wie  auf  p.  458,  Fuß- 
note ^)  weiter  schließt,  erhält  man  das  Resultat,  daß  die  gesuchte 
Fläche  der  partiellen  Differentialgleichung 

'       dx    P       cy    ^  ^     ^ 

genügen  muß,  wobei 

und  l  eine  Konstante  ist.  Ausgenommen  ist  wieder  der  FaU,  wo  die 
Fläche  zugleich  Extremalfläche  für  das  Integral  K  ist. 

Für  den  unter  c)  betrachteten  speziellen  FaU  variabler  Begrenzung 
lautet  hier  die  Grenzgleichung: 


1    dy       T    dx 
^Pds~^d^ 


=  0. 


Beispiel  XXXI:  Unter  allen  Flächen,  welche  von  einer  gegebenen  ge- 
schlossenen Kurve  S  begrenzt  werden  und  zusammen  mit  dem  die  Kurve  S  auf  die 
X,  y-Ehene  projizierenden  Zylinder  und  dessen  Basis  in  der  x^  y-Ehene  ein  ge- 
gebenes Volumen  einschließen,  diejenige  zu  bestimmen,  welche  den  kleinsten 
Flächeninhalt  besitzt. 

Hier  hat  man  das  Integral 

/=  /Yi/T+pM^  dx  dy 

zu  einem  Minimum  zu  machen  mit  der  Nebenbedingung    . ' 

l  j zdxdy  =  a^. 
Es  ist  also 

woraus  sich  die  partielle  Differentialgleichung^)  ergibt 

(yT+ p^  +  2^^)' 
Nach  (12)  drückt  dieselbe  aus,  daß  die  Extremal flächen  Flächen  konstanter 
mittlerer  Krümmung  sind. 


^)  Schon  von  Lagrange  gegeben  (1760),  Oeuvres,  Bd.  I,  p,  356. 


§  80.    Doppelintegrale  in  Parameterdarstellung.  663 

Auch  hier  läßt  sich  die  Fläche  experimentell  darstellen  durch  eine  Flüssig- 
keitslamelle, welche  zwischen  dem  Rand  eines  zylindrischen  Gefäßes  ausgespannt 
ist  und  in  letzterem  ein  bestimmtes  Volumen  Luft  abschließt.  ^)  Auch  die  Ober- 
fläche eines  Öltropfens,  der  in  einer  gleich  schweren  Mischung  von  Wasser  und 
Alkohol  frei  schwebt  oder  sich  an  eingetauchte  feste  Körper  anlehnt,  nimmt  im 
Gleichgewichtszustand  die  Figur  einer  Fläche  konstanter  mittlerer  Krümmung  an.  ^) 


§  80.  Die  erste  Variation  von  Doppelintegralen  in  Parameterdarstellung. 

Aus  denselben  Gründen,  wie  bei  einfaclien  Integralen^),  ist  eine 
erschöpfende  Behandlung  von  geometrischen  Variationsproblemen  auch 
bei  Doppelintegralen  nur  unter  Benutzung  der  Parameter  dar  Stellung*) 
möglich. 

a)  Allgemeines  über  Flächen  in  Parameterdarstellung: 
Es   sei   eine  Fläche   in  Parameterdarstellung  gegeben   durch   die 
Oleichungen 

X=^X{U,V),  y  =  y(u,v),  z  =  z{u,v).  (16) 

Die  unabhängigen  Variabein  w,  v  (die  „Parameter")  deuten  wir  als 
rechtwinklige  Koordinaten  eines  Punktes  in  einer  zt,  i'-Ebene.  Die 
Funktionen  x{ii,v),  y{ii,v),  z{u,v)  seien  von  der  Klasse  C  (resp.  C^"'\ 
D^"^)  in  einem  Bereich  6L  der  w,  ^-Ebene,  welcher  von  einer  endlichen 
Anzahl  gewöhnlicher,  geschlossener  Kurven  ohne  mehrfache  Punkte 
begrenzt  wird,  deren  Gesamtheit  wir  mit  ^  bezeichnen;  die  Kurve  ^ 
soll  die  Eigenschaft  haben,  von  jeder  zur  M-Achse  oder  zur  i;-Achse 
parallelen  Geraden  höchstens  eine  bestimmte  endliche  Anzahl  von 
Malen  geschnitten  zu  werden,  es  sei  denn,  daß  sie  eine  ganze  Strecke 
mit  ihr  gemein  hat.    Überdies  sollen  die  drei  Funktionaldeterminanten 

^-Vu^.-^uVv,  ^-^u^v-^u^v,  ^-^Vv-Vu^v 

in  keinem  Punkt  von  6L  gleichzeitig  verschwinden. 

Die  Gleichungen  (16)  ordnen  jedem  Punkt  {u,  v)  des  Bereiches  6C 
einen  Punkt  (x^y,z)  der  Fläche  zu,  dem  ganzen  Bereich  GL  ein  Stück 

^)  Vgl.  Encyklopädie  V  9  (Minkowski),  Nr.  10. 

^)  Ibid.  Nr.  9.  Hierzu  weiter  die  Übungsaufgaben  Nr.  11 — 16  am  Ende  von 
Kap,  XIII. 

')  Vgl.  §  25,  e). 

*)  Dieselbe  ist  zuerst  von  Poisson  auf  Variationsprobleme  angewandt  worden, 
allerdings  nur  als  Mittel  zur  Ableitung  der  Grenzgleichungen  bei  Problemen  mit 
variabler  Begrenzung,  Memoires  de  l'Academie  de  France,  Bd.  XII  (18^3), 
p.  286.  Systematisch  auf  die  allgemeine  Theorie  der  Extrema  von  Doppelinte- 
gralen angewandt  wurde  dieselbe  zuerst  von  Kobb,  Act  a  Math ematica,  Bd.  XVI 
(1892),  p.  65;  vgl.  auch  Kneser,  Lehrbuch,  Abschnitt  VIII. 


ßß4  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

iF  der  Fläche,  der  Begrenzung  ^  des  Bereiches  €L  die  Begrenzung  ö 
des  Flächenstückes  ^.  Umgekehrt  soll  auch  jedem  Punkt  von  W  nur 
ein  Punkt  von  61  entsprechen^).  Ein  allen  diesen  Bedingungen  ent- 
sprechendes Flächenstück  soll  eine  Fläche  der  Klasse  C  (resp.  0^"^ 
i)("))  heißen. 

Eine  solche  Fläche  hat  in  jedem   ihrer  Punkte  eine   bestimmte 
positive  Normale^),  deren  Richtungskosinus  sind: 

A  B  C 

yA*  +  B«  -f  C*^  '         |/Ä2  +  B^+C^*^  ^         l/Ä«  +  B*  +  C*^  ' 

Unter  einer    „zulässigen  Parametertransformation^'   verstehen  wir 
eine  Transformation 

p  =  P{il,v),         q=Q(u,v)  (17) 

von  folgenden  Eigenschaften: 

a)  Die  Funktionen  P,Q  sind  im  Bereich  GL  von  der  Klasse  C"; 

b)  ihre  Funktionaldeterminante  ist  positiv  in  (9L-, 

c)  die  Transformation  (17)  definiert  eine  ein-eindeutige  Beziehung 
zwischen  dem  Bereich  (SC  und  dessen  Bild  ^  in  der  ti,  v-Ehene. 

Ist 

die  zu  (17)  inverse  Transformation,  so  läßt  sich  die  Fläche  ^  auch 
darstellen  durch  die  Gleichungen 

X  =  xiU,V)^X{p,q), 

y  =  y{U,r)^T(p,q),\(p,q)  in  Ä. 

Bei  einer  zulässigen  Parametertransformation  bleibt  wegen  b)  die 
positive  Richtung  der  Normalen  erhalten. 

Wir  betrachten  jetzt  ein  Doppelintegral  von  der  Form 

J  =  /X^>.  y>  ^>  ^u,  Vuy  ^u,  ^..  y^y  ^J  ^^  ^^.  (i^> 

wobei  die  Funktion  F  von  der  Klasse  C"'  sein  soll,  wenn  x,y,z  in 
einem  gewissen  Bereich  öl  des  Raumes  liegt  und  die  übrigen  sechs- 
Argumente  von  F  beliebige  endliche  Werte  haben,  für  welche 

A2  +  B2  +  C2  4=  0. 
Die  Fläche  ^  soll  ganz  in  diesem  Bereich  61  liegen. 

^)  Ygl.    wegen    dieser    verschiedenen    Einschränkungen    z.   B.    Knoblauch^ 
Krumme  Flächen,  p.  7. 

*)  Vgl.  z.  B.  Scheffers,  Theorie  der  Flächen,  pp.  27,  30. 


§  80.    Doppelintegrale  in  Parameterdarstellung.  665 

Wir  fragen  zunächst:  Unter  welchen  Bedingungen  ist  der  Wert 
des  Integrals  (18)  von  der  Wahl  der  Parameter  unabhängig  und  nur 
von  der  Fläche  W  abhängig?  Eine  den  Entwicklungen  von  §  25,  b) 
genau  parallel  laufende  Schlußweise,  bei  welcher  man  von  dem  Satz^) 
über  die  Einführung  neuer  Variabein  in  ein  Doppelintegral  Gebrauch 
zu  machen  hat,  führt  ohne  Schwierigkeit  zu  dem  Resultat^): 

Soll  der  Wert  des  Doppelintegrdls  (18)  hei  jeder  zulässigen  Para- 
metertransformation invariant  bleiben,  so  ist  notwendig  und  hinreichend, 
daß  die  Funktion  F  in  dem  oben  angegebenen  Bereich  ihrer  Argumente 
die  Belation 

F(X,-;XX^  +  IIX.^,-',IX^-^VX^,'-)  =  (XV-X^)F(X,-',X^,-,X^,'")    (19) 

für  jedes   Wertsystem  der  konstanten  x,  A,  fi,  v  erfüllt,  für  ivelches 

av  —  lii^  0. 

Dabei  gehen  die  nicht  hingeschriebenen  Argumente  aus  den  hin- 
geschriebenen durch  zyklische  Vertauschung  der  Buchstaben  x,  y,  z  hervor. 

Differentiiert  man  die  Identität  (19)  der  Reihe  nach  nach  z,  A, 
/!,,  V  und  setzt  nach  der  Differentiation:  z  =  l,  A  =  0,  fA  =  0,  v  =  \, 
so  erhält  man  die  folgenden  Identitäten: 

^j;„^.  =  F,  2f  x^  =  0, 

^  ^  (20) 

wobei  die  Summation  sich  auf  eine  zyklische  Vertauschung  der  Buch- 
staben X,  y,  0  bezieht. 

Führt  man  auf  einer  in  der  Form  (1)  gegebenen  Fläche  durch  eine  den 
Bedingungen  einer  zulässigen  Parametertransformation  genügende  Transformation 

die  Parameter  u,  v  ein,  so  wird 

Zu=^px^  +  qyu>        2v=-pxv  +  qyt,> 

also 

A  B 

daher  geht  nach  den  Regeln  für  die  Einführung  neuer  Variabein  in  ein  Doppel- 
integral das  über  die  Fläche  genommene  Doppelintegral  (2)  in  ein  Integral  von 
der  Form  (18)  über,  in  welchem 

^)  Vgl.  z.  B.  Serret,  Lehrbuch  der  Differential-  und  Integralrechnung,  Bd.  11, 
(1899),  p.  271. 

^)  Zuerst  gegeben  von  Kobb,  loc.  cit.  p.  68. 


ßQQ  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

Daraus  leitet  man  ab: 


F^^=-pf,x,-^(f-pfp)y,, 

Fjc^  =  —  pfgX^  -  (f—pfp)  Vu , 

Fy^  =  —  qfp^J,  —  {f—  qfq)  x^. 

Fy^  =  qfpyu-V{f-CLQXu, 

F,^  =  —  f,jX,  +  fptj,, 

F,=f,x,-fpy,, 

(21) 


b)  Die  Differentialgleicliung  des  Problems  im  Fall  der  Parameter- 
darstellung: 

Unter  der  Voraussetzung,  daß  die  Relation  (19)  für  die  Funktion  F 
erfüllt  ist,  nehmen  wir  jetzt  an,  wir  hätten  eine  Fläche  ^^  der  Klasse 
G"  gefunden,  dargestellt  durch  die  Gleichungen  (16),  welche  dem 
Integral  J  einen  nicht  größeren  Wert  erteilt  als  jede  andere  Fläche 
der  Klasse  D',  welche  dieselbe  Begrenzung  ß  besitzt  und  in  einer  ge- 
wissen Umgebung  von  ^^  liegt.  Wir  betrachten  dann  Variationen 
von  der  Form 

wobei  die  Funktionen  ^,  r],  t,  entlang  der  Begrenzung  ^  des  Bildes  €L 
der  Fläche  9^,  in  der  ^*,^;- Ebene  verschwinden.  Das  in  §  79  ange- 
wandte Verfahren  führt  dann  auf  den  folgenden  Ausdruck  für  die 
erste  Variation: 

dJ=srryUF-S-F^   -.^  FAdudv 

•     +\f2UF^Jv-F^^du\ 

wobei  die  Summation  sich  wieder  auf  eine  zyklische  Vertauschung 
der  Buchstaben  ic,  y,  z,  resp.  |^  t^,  g  bezieht. 

Hieraus  schließt  man  wie  in  §  79,  daß  die  erste  notwendige  Be- 
dingung für  ein  Extremum  des  Doppelintegrals  (18)  darin  besteht,  daß 
die  Funktionen  x,  y,  z  den  drei  partiellen  Differentialgleichungen  ge- 
nügen müssen  ^  ^ 


(23) 


Wie  man  a  priori  zu  erwarten  hat,  sind  diese  drei  Differential- 
gleichungen nicht  voneinander  unabhängig.  In  der  Tat  bestehen 
zwischen  den  linken  Seiten  derselben,  die  wir  zur  Abkürzung  mit 
P,  Qj  R  bezeichnen  wollen,    zwei   identische  Relationen.     Setzt   man 


K- 

V 

du 

^'. 

— 

0 

F 

= 

0, 

F,- 

d 
du 

^y. 

d 

dv 

Fy, 

= 

0, 

F.- 

_   d 
du 

K 

d 
dv 

^•. 

= 

0. 

§  80.    Doppelintegrale  in  Parameterdarstellung.  QQI 

nämlicli  in  den  Gleichungen  (20)  für  x,  y,  z  irgendwelche  Funktionen 
von  u  und  X)  ein  und  differentiiert  die  erste  Gleichung  nach  u,  die 
zweite  nach  v  und  addiert,  so  findet  man,  daß 

und   ebenso  ergibt  sich  aus  den  beiden  letzten  der  Gleichungen  (20) 

■P^.  +  Qy.  +  ^^,  =  0. 

Hieraus  folgt  aber,  daß  es  eine  Funktion  T  der  Funktionen  x,  y,  s 
und  ihrer  ersten  und  zweiten  partiellen  Ableitungen  gibt,  so  daß 

Die   drei  Differentialgleichungen  (23)    sind   also    mit    der   einen 
Differentialffleichunef^)  _ 

^  ^  ^  r  =  0  (24) 

äquivalent. 

Beispiel  V:  Die  Minimalflächen  in  Parameterdarstellung.     (Siehe  p.  657). 

Hier  ist  . 

-F  =  |/EG  —  F^  . 

Daraus  ergeben  sich  die  Dijfferentialgleichungen  (23)  zunächst  in  der  Form 

f(«-|^)  +  ^(,^^-^M,o  (,,) 

und  zwei  weitere,  die  durch  zyklische  Vertauschung  von  x,  y,  z  hieraus  her- 
vorgehen. 

Nunmehr  wählen  wir  für  die  bisher  willkürlich  gelassenen  Parameter  u,  v 
insbesondere  isometrische  Parameter^),  was  zur  Folge  hat,  daß 

E  =  6,  F  =  0.  (26) 

Dann  reduzieren  sich  die  Differentialgleichungen  (25)  auf 

d'x    ,d'x_  c'y       d'y       ,^        d'z   .   d'z       ^ 


du^   ^    dv^  '      du^~^  dv 


cW       cv 


Die  allgemeinen  Lösungen  dieser  Differentialgleichungen  sind  bekanntlich  ^) 

X  =  dtf{w),        y  =  dig{w),        z  =  m{w),  (28) 

wo  f{w),  g{w),  h{w)    drei  willkürliche    analytische  Funktionen  der  komplexen 
Variabein  ^  ,    . 

W  ==  U  -\-  IV 

sind.     Da  die  Funktionen  x,  y,  z  aber  nicht  nur  den  Differentialgleichungen  (27), 

sondern  auch  den  beiden  Differentialgleichungen  (26)  genügen  müssen,  so  sind 

die  Funktionen  f,  g^  h  einer  Beschränkung  zu  unterwerfen.     Setzt  man  nämlich 

f{w)  =  x-i-  ii,         g  {lü)  =  2/  +  i^,         h  (w)  =  ^  -[-  «5, 

^)  Explizite   ausgeschrieben  findet  sich  der  Ausdruck  für  T  bei  Kobb,  loc. 
cit.  p.  79,  Gleichung  (14). 

^)  Vgl-  z-  B-  BiANCHi-LüKAT,  Differentialgeometrie,  p.  72. 
')  Vgl.  wegen  der  Bezeichnung  p.  656. 


QQS  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

so  ist  nach  Cauchy^) 


V 


r{w)  =x^+il,-\-i^^ 

9'  {^)  =  2/,  +  *^,  =  2/,  -  ^y,  ^ 

h'  (iv)  =  z    4-  ii    =  z    —  iz  . 

Daher  sind  die  beiden  reellen  Gleichungen  (26)  mit  der  einen  komplexen 
Gleichung 

äquivalent.     Man  kann  der  letzteren  in   allgemeinster  Weise    genügen,    indem 
man  setzt 

wo  G{w)^  H{w)  zwei  beliebige  analytische  Funktionen  von  w  sind.     Führt  man 
schließlich  eine  neue  komplexe  Variable  ein  mittels  der  Gleichung 

G{w) 
s  =  —  -——  (29) 

H(w)  ^     ' 

und  definiert  die  Funktion  %{s)  durch  die  Gleichung 

80  erhält  man  den  folgenden  von  Weieestrass  *)  herrührenden  allgemeinsten  Aus- 
druck einer  Minimalfläche 

x^^mßl  —  s')2r  {s)ds,      y  =  di ß^l  +  s^)%{s)  ds,      z  =  di ßs%{s)ds.     (30) 

c)  Der  Fall  variabler  Begrenzung^): 

Die  Methode  der  Parameterdarstellung  eignet  sich  besonders  auch 
zur  Behandlung  von  Aufgaben,  bei  welchen  die  Begrenzung  nicht 
vorgeschrieben,  sondern  nur  gewissen  weniger  weitgehenden  Beschrän- 
kungen unterworfen  ist,  weil  man  bei  Benutzung  derselben  die  Variation 

')  Vgl.  z.  B.  PicARD,  Traite  d' Analyse,  Bd.  II  (1905),  pp.  2,  4. 

*)  Vgl.  die  giTindlegende  Arbeit  von  Weierstrass,  Monatsberichte  der 
Berliner  Akademie,  1866,  p.  612.  Im  übrigen  verweisen  wir  für  die  Theorie 
der  Minimalflächen,  die  durch  ihren  Zusammenhang  mit  der  Theorie  der  analy- 
tischen Funktionen  ein  besonderes  Interesse  gewonnen  hat,  auf  die  Encyklopädie, 
III  D  5  (v.  Lilienthal),  sowie  auf  die  Darstellungen  in  den  Lehrbüchern  von 
Scheffkrs,  Theorie  der  Flächen^  Zweiter  Abschnitt,  §  15;  Bianchi-Lukat,  Diffe- 
rentialgeometrie, Kap.  XIV,  XV;  Darboux,  Theorie  des  surfaces,  Bd.  I,  Li  vre  III. 
Hierzu  weiter  die   Übungsaufgaben  Nr.  17 — 19  am  Ende  von  Kap.  XIII. 

')  Gauss  war  der  erste,  welcher  ein  spezielles  Variationsproblem  dieser  Art 
behandelte  (1830),  Werke,  Bd.  V,  p.  58.  Den  allgemeinen  Ausdruck  für  die  erste 
Variation  bei  variabler  Begrenzung  hat  zuerst  Poisson  gegeben  (1833)  in  der  auf 
p.  663,  Fußnote  "*)  zitierten  Arbeit.  Vgl.  darüber,  sowie  über  die  analoge  Auf- 
gabe für  mehrfache  Integrale,  Kneser's  Artikel  in  der  Encyklopädie,  11  A,  p.  616; 
ferner  C.  Jordaü,  Cours  d' Analyse,  Bd.  III.  Nr.  395 — 400,  und  Kjikser,  Lehr- 
buch, §  65. 


§  80.    Doppelintegrale  in  Parameterdarstellung.  669 

des  Integrationsbereiches  vermeiden  kann,  welche  andernfalls  im  all- 
gemeinen nötig  ist  und  große  Komplikationen  herbeiführt. 

Man  schließt  zunächst  in  bekannter  Weise,  daß  die  das  Extremum 
liefernde  Fläche 

^qI        X  =  X  (u,  v),     y  =  y  (u,  v),     2^2  (u,  v),       (u,  v)  in  GL 

auch  in  diesem  Fall  eine  Extremalfläche  sein  muß. 

Um  die  Grenzgleichungen  zu  erhalten,  hat  man  dann  allgemeinere 
Variationen  der  Fläche  ^q  von  der  Form 

x=X(UyV]£)j     y=Y(ujV^s),     2=  Z {ii,V'^  s),     {u,v)\\\€L     (31) 

zu  betrachten.  Die  Funktionen  X,  F,  Z  müssen  sich  für  f  =  0  auf 
x(u,v)y  y  (u,v),  z  (u,v)  reduzieren  und  die  üblichen  Stetigkeitseigen- 
schaften besitzen,  und  überdies  muß  die  Begrenzung  S^  der  Fläche  (31) 
bei  beliebigem  e  den  vorgeschriebenen  Grenzbedingungen  genügen. 
Schreiben  wir  die  Begrenzung  ^  des  Bereiches  €L  in  der  Form 

so  ist  die  Begrenzung  S^  dargestellt  durch  die  Gleichungen 

S,:         x^X{ü,v',  8),         y=Y(ü,v',e)         z  =  Z{u,V',  e), 

wofür  wir  einfach  X,  Yj  Z  schreiben  werden. 

Für  die  Schar  (31)  muß  nun  die  erste  Variation  des  Integrals 
J  verschwinden.  Wir  können  dieselbe  auf  die  Form  (22)  bringen; 
wobei  nunmehr 

l  =  XXu,v;0),        ^=r.(M,«;0),         J  =  ^.(m,  «;;  0).       (32) 

Da  die  Fläche  9\)  den  Differentialgleichungen  (23)  genügt,  so  reduziert 
sich  daher  die  Gleichung  dJ=0  auf 

f2^{F./-F.u)dt  =  0,  •  (33) 

h 

wobei  I,  1],  t,  aus  den  Ausdrücken  (32)  für  ^y  r],  t,  durch  die  Substi- 
tution von  üj  V  für  w,  v  hervorgehen-,  die  Argumente  der  Ableitungen 
von  F  sind:  x(u,  v),  •  •  -,  x^(u,  i),  •  •  •,  x^{ü,  h),  •  •  •. 

Die  Funktionen  J,  ^,  ^  sind  gewissen  aus  den  gegebenen  Grenz- 
bedingungen folgenden  Beschränkungen  unterworfen;  aus  diesen  zu- 
sammen mit  der  Gleichung  (33)  hat  man  dann  die  Grenzgleichungen 
abzuleiten. 

Bolza,  Variationsrechnung.  '  43 


670  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

Wir  wenden  diese  allgemeinen  Überlegungen  zunächst  auf  den 
Fall  an,  wo  die  Begrenzungen  der  zulässigen  Flächen  der  Bedingung 
unterworfen  sind,  auf  einer  gegebenen  Fläche 

^{x,y,^)^0  (34) 

zu  liegen.     Hier  muß  also  für  jedes  s  die  Gleichung 

erfüllt  sein,  aus  welcher  sich  durch  den  Variationsprozeß  ergibt 

9^J  +  %V  +  ^.i  ==  Ö,  (35) 

wobei  die  Argumente  von  9)^,  cp^y  cp,  sich  auf  die  Begrenzung  ß   der 
Fläche  ^Q  beziehen. 

Man  verfährt  nun  ganz  wie  beim  Beweis  der  Multiplikatoren regel 
für  den  Fall  endlicher  Bedingungsgleichungen  (§  68):  Man  multipliziert 
die  Gleichung  (35)  mit  einer  unbestimmten  Funktion  v(t),  integriert 
von  fj  bis  ^2  ^^^  addiert  das  Resultat  zu  (33);  so  erhält  man 

f^l  [F^^v'  -  F^u  +  i/g^.]  dt  =  0. 

Nun  schließt  man  weiter^):  Von  den  drei  Funktionen  1,  f/,  g  kann 
man  zwei  willkürlich  wählen,  die  dritte  ist  dann  durch  die  Gleichung 
(35)  bestimmt.  Daraus  folgert  man  wie  in  §  68,  daß  es  eine  Funk- 
tion v{t)  geben  muß  derart,  daß  die  Faktoren  von  |,  r],  i  unter  dem 
Integralzeichen  einzeln  verschwinden.  Daraus  folgt  durch  Elimination 
von  üyVjV  das  Resultat: 

Ist  die  Begrenzung  der  gesuchten  Fläche  nicht  vorgeschrieben,  son- 
dern nur  der  Bedingung  unterworfen,  auf  einer  gegebenen  Fläche 
(p{x,  y,  z)  =  0  zu  liegen,  so  muß  entlang  der  Begrenzung  die  Gleichung 
erfüllt  sein 

F.  F,         cp^ 


=  0.  (36) 


*)  Der  Beweis  leidet  an  denselben  Mängeln  wie  die  älteren  Beweise  der 
Multiplikatorenregel  (vgl.  die  Kritik  derselben  auf  p.  568).  Es  müßte  gezeigt 
werden:  Sind  l,  fi,  l  irgend  welche  Funktionen  von  t,  welche  der  Gleichung  (35) 
genügen,  so  kann  man  stets  eine  Schar  von  zulässigen  Variationen  (31)  konstruieren, 
für  welche  Xe{u,  v,  0)  =  \,  etc. 


§  80.    Doppelintegrale  in  Parameterdarstellung.  ß71 

Beispiel  V  (siehe  p.  667):  Im  Fall  der  Mimmalflächen  reduziert  sich  (36) 
auf  die  Gleichung 

^"f^x^  ^^j,+   ^"P.^  0' 

welche  aussagt,  daß  die  Minimalfläche  entlang  der  Bandkurve  2  auf  der  gegebenen 
Flache  senkrecht  stehen  muß.  — 

Aus  der  Gleichung  (36)  kann  man  die  entsprechende  Grenzgleichung  für 
das  Integral  (2)  mittels  der  Übergangsformeln  (21)  ableiten.  Man  erhält  nach 
einfacher  Rechnung^) 

n^/p  +^yf,-  ^.  (f  -  Pf,  ~  ^Q]  =  0.  (36a) 

Eine  andere  Art  der  Grenzbedingung  besteht  darin,  daß  für 
sämtliclie  zulässige  Flächen  ein  entlang  der  Begrenzung  genommenes 
einfaches  Integral  von  der  Form 

fH{x,  y,  z,  x',  y',  z)dt 

einen  vorgeschrielenen   Wert  haben  soll. 

Hier  sind  die  Funktionen  |,  ^,  J  der  Bedingung  unterworfen,  daß 

f2{H^l^Hj')dt  =  0.  (37) 

Auf  diese  Gleichung  wende  man  die  Lagrange'sche  partieUe  Inte- 
gration an,  wobei  das  vom  Integral  freie  Glied  wegfällt,  weil  die  Be- 
grenzungskurven der  zulässigen  Flächen  geschlossen  sind.  Nunmehr 
schließt^)  man  nach  dem  Fundamentallemma  für  isoperimetrische 
Probleme  (p.  462,  Fußnote  i)),  daß  es  eine  Konstante  l  geben  muß 
sodaß  gleichzeitig  ' 


(38) 


^)  Hierzu  die  Übungsaufgaben  Nr.  15,  16  am  Ende  von  Kap.  XIII. 

^)  Einen  strengen  Beweis  erhält  man,  indem  man  Variationen  von  der  Form 

x  =  x(:u,v)-[-  «I  {u,  V)  -\-  8,  li  {u,  v),     etc. 

ansetzt    und    dann    nach    der   auf  p.  458,    Fußnote    ')    erklärten    Methode    von 
HiLBERT  weiter  schließt. 


43' 


.^72  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

§  81.    Die  zweite  Variation  bei  Doppelintegralen.^) 

Wir  kehren  jetzt  zu  dem  in  §  79  definierten  „Funktionenproblem" 
mit  x^y  als  unabhängigen  Yariabeln  und  mit  fester  Begrenzung  zurück 
und  wenden  uns  zur  Betrachtung  der  zweiten  Variation.  Man  erhält 
für  dieselbe  den  Ausdruck 

8^J=8^fß^dxdy,  .  (39) 


a 


wobei  2Sl  die  folgende  quadratische  Form  von  i,tx,iy  l>edeutet: 

2ß  =  f,,^'  +  2/;^?^,  +  2/;^ge,  +  f,,il  +  ^fp.Uy  +  f,,^l-   (40) 

Die  Argumente  der  Ableitungen  der  Funktion  /'  beziehen  sich  dabei 
auf  die  Fläche 

%:  z  =  z{x,y),  {x,y)  in  ÖL, 

von  welcher  wir  voraussetzen,  daß  sie  von  der  Klasse  C"  ist,  der 
Lagrange'schen  Differentialgleichung  (I)  genügt  und  die  vorge- 
schriebene Begrenzung  ß  besitzt.  Diese  Ableitungen  sind  daher  Funk- 
tionen von  X,  y,  welche  im  Bereich  (9L  von  der  Klasse  C  sind. 

Es  sollen  in  diesem  Paragraphen  die  den  Bedingungen  von 
Legendre  und  Jacobi  entsprechenden  Bedingungen  abgeleitet  werden. 

1)  Der  erste,  welcher  Untersuchungen  über  die  zweite  Variation  von  Doppel- 
integralen  angestellt  hat,  scheint  Brunacci  gewesen  zu  sein  (Memorie  delV 
Ifitituto  Nazionale  Italiano,  Bd  II,  Teil  II  (1810),  p.  121).  Derselbe  über- 
trägt den  Legendre'schen  Kunstgriff  von  §  9,  b)  in  der  Lagrange'schen  Modi- 
fikation (§  15,  b))  auf  DoppeUntegrale,  indem  er  zur  zweiten  Variation  das  bei 
fester  Begrenzung  verschwindende  Integral 

a 

mit  unbestimmten  Funktionen  a,  ß  hinzufügt  und  dann  ^ie  Funktionen  a,  ß  so 
zu  wählen  sucht,  daß  die  alsdann  unter  dem  Doppelintegral  erscheinende  qua- 
dratische Form  von  ^,  ^^,  ty  definit  wird.  Damit  wird  zunächst  nur  bewiesen, 
daß  die  unten  mit  (11')  bezeichnete  Bedingung  für  ein  permanentes  Zeichen  von 
dV  hinreichend  ist,  wenn  der  Integrationsbereich  hinlänglich  klein  ist. 

Die  analoge  Transformation  für  den  Fall,  daß  höhere  Ableitungen  von  z 
unter  dem  Doppelintegral  vorkommen,  gibt  Delaunay,  Journal  de  l'Ecole 
Polytechnique,  Bd.  XVU,  Cahier  XXIX  (1843),  p.  90. 

Weitergehende  Folgerungen  haben  an  die  Brunacci'sche  Transformation 
Mainardi  (siehe  unter  c)),  Kobb  und  Kneser  geknüpft  (siehe  unter  c),  Ende). 

Die  zweite  Variation  von  Doppelintegralen  für  den  Fall  der  Parameter- 
darstellung haben  H.  A.  Schwarz  (siehe  die  Zitate  auf  p.  682,  Fußnote  ^)),  Kobb, 
(Acta  Mathematica,  Bd.  XVI  (1892),  pp.  86—116)  und  Kneser,  Lehrbuch  §§  67, 
68  behandelt. 


§  81.    Die  zweite  Variation  bei  Doppelintegralen.  673 

a)  Das  Analogon  der  Legendre'schen  Bedingung: 
Dasselbe  lautet  folgendermaßen^): 

Die  zweite  notwendige  Bedingung  für  ein  Minimum  des  Doppel- 
integrals  (2)  besteht  darin,  daß 

f,,^0,  /;/^^_/^^^0  (II) 

im  ganzen  Bereich  GL. 

Dies  läßt  sich  auch  so  ausdrücken:  Es  muß 

/;.x'  +  2/,,xr  +  /;,r^>o  (4i) 

sein   für  jeden  Punkt  (x,  y)  des  Bereiches   €L  und  für  jedes   reelle 
Wertsystem  X,  Y. 

Zum  Beweis^)  nehmen  wir  an,  die  Bedingung  sei  nicht  erfüllt, 
es  gäbe  also  einen  Punkt  PQ{xQ,yQ)  des  Bereiches  6C,  —  und  zwar 
möge  es  zunächst  ein  innerer  Punkt  sein  — ,  und  ein  reelles  Wert- 
system Xq^Yq,  so  daß  in  leicht  verständlicher  Bezeichnung 

(fJoXl  +  2if^,\X,Y„  +  (fJ,Y^<0.  (42) 

Dann  lassen  sich  zwei  modjc  verschiedene  Winkel  «j,  «g  angeben,  so 
daß  auch 

(fppX  cos'  a.+  2 {f^^\  cos  a,  sin  a,  +  (fj^  sin^  <^,  <  0, 

i=l,2. 

Aus  der  Stetigkeit  der  Funktionen  /^^,  /^^,  f^^  folgt  dann  weiter, 
daß  sich  eine  Umgebung  (q)  des  Punktes  Pq  und  eine  positive  Größe 
k^  angeben  lassen,  so  daß 

fpp  cos'  <^i  +  ^fpq  cos  a^  sin  «.  +  f^^  sin'  a,  <  -  l\  (43) 

für  jeden  Punkt  {x,  y)  von  {q). 

Nach  diesen  Vorbereitungen  konstruieren  wir  in  der  x,y-YlhQiiQ 
das  Parallelogramm,  dessen  Seiten  durch  die  Gleichungen  gegeben  sind 

(a):  d  —  u^  =  Oy  (c):  (?  +  w^  =  0, 

(6):  d  —  u^  =  0,  (d):  d  -{-  u^  =  0, 


^)  Für  ein  Maximum  lautet  die  Bedingung 

ipp'^     ">  PP    11  P9  ^     ' 

sodaß  also  im  Fall  ff    — fpq'^^  weder  Maximum  noch  Minimum  eintritt. 

^)  Im  wesentlichen  nach  Mason  (Bulletin  of  the  American  Mathema- 
tical  Society,  Bd.XIII  (1907),  p.  293). 


674  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

wobei  d  eine  positive  Konstante  ist  und 

u.  =  {x-  x^)  cos  a.  +  {y  —  y^)  sin  a.,  ^  =  1^  2. 

Der  Mittelpunkt  dieses  Parallelogramms  ist  der  Punkt  P^.  Wir  können 
daher  d  so  klein  wählen,  daß  das  Parallelogramm  ganz  im  Innern  der 
eben  definierten  Umgebung  (p)  und  zugleich  im  Innern  des  Bereiches 
OL  liegt. 

Das  Parallelogramm  wird  durch  seine  beiden  Diagonalen  in  vier 
Dreiecke  A,  B,  C,  D  geteilt,  welche  resp.  die  Seiten  (a),  (h),  (c),  (d)  ent- 
halten. Wir  definieren  jetzt  eine  Funktion  ^(x,tj)  folgendermaßen: 
Außerhalb  des  Parallelogramms  soll  J  =  0  sein;  in  jedem  der  vier 
eben-  definierten  Dreiecke  gleich  der  linken  Seite  der  Gleichung,  durch 
welche  wir  oben  die  dem  betreffenden  Dreieck  angehörende  Seite  des 
Parallelogramms  dargestellt  haben.  In  einem  Punkt  P(x,y)  des  Drei- 
ecks A  ist  dann  t,  gleich  dem  positiv  gerechneten  Abstand  des  Punktes 
P  von  der  Seite  (a),  und  analog  für  die  übrigen  drei  Dreiecke. 

Daraus  folgt,  daß  die  so  für  den  ganzen  Bereich  61  eindeutig 
definierte  Funktion  g  in  ÖL  von  der  Klasse  D'  ist  und  überdies  auf 
der  Begrenzung  Ü  von  (9L  verschwindet.  Für  diese  Funktion  ^  muß 
daher  im  Fall  eines  Minimums  die  zweite  Variation  positiv  sein. 

Zur  BerechnuDg  des  Wertes  derselben  zerlegen  wir  d^J  in  die 
beiden  Bestandteile 

a 

und 

a 

Für  den  absoluten  Wert  des  ersten  Integrals  können  wir  leicht 
eine  obere  Grenze  angeben.  Denn  aus  der  Definition  der  Funktion  f 
folgt,  daß  im  ganzen  Bereich  6C 

\i\<d,        isj^i,         igj^i, 

und  überdies  folgt  aus  der  Stetigkeit  der  Funktionen  |/;^',  1/;^!,  |/;^  , 
daß  dieselben  im  Bereich  GL  endliche  Maximalwerte  besitzen,  deren 
größten  wir  mit  31  bezeichnen.  Ist  daher  S  der  Flächeninhalt  des 
Bereiches  GL,  so  ist 

\dlJ\^£'d(4-{-d)MS. 

Andererseits  ist  im  Dreieck  A: 

^x  =  — cos^i,  t  =  — sinoji 


§  81.    Die  zweite  Variation  bei  Doppelintegralen.  675 

und  analog  für  die  übrigen  Dreiecke.     Daraus  folgt  wegen  (43) 

Durch  Verkleinerung  der  Größe  d  kann  man  nunmehr  bewirken,  daß 
d^J  <  0  wird,  womit  unsere  Behauptung  bewiesen  ist,  wenn  man  noch 
hinzufügt,  daß  aus  dem  Bestehen  der  Ungleichung  (42)  für  einen 
Punkt  Pq  der  Begrenzung  ^  sofort  folgt,  daß  dieselbe  auch  für  innere 
Punkte  von  (SC  in  der  Nähe  von  P^  erfüllt  ist. 

Wir  werden  in  der  weiteren  Diskussion  voraussetzen,  daß  die 
Bedingung  (II)  in  der  stärkeren  Form^) 

/„>0,        4/„-/^,>0m(9L  (ir) 

erfüllt  ist.     Dann  ist 

für  jeden  Punkt  (x,y)  von  (9L  und  für  jedes  reelle,  von  (0,0)  ver- 
schiedene Wertsystem  X,  Y. 

b)  Das  Analogon  der  Jacobi'schen  Bedingung: 
Aus  dem  Euler'schen  Satz  über  homogene  Funktionen  folgt,  daß 
wir  die  quadratische  Form  2Sl  schreiben  können 

2ii  =  £i,i  +  :^.J,  +  £l,L 

oder  auch 

2^  =  ti^. -  i~ si.  -  /- si^ )  +  ^(i^.  0  +  ^(%  ?)• 

*\    ^       dx     ^x       dy     ^y)    ^    dx^    ^x^^    '    dy^    h^ 

Integrieren  wir  jetzt  über  den  Bereich  6L  und  wenden  auf  die 
beiden  letzten  Glieder  den  Green'schen  Satz  an  wie  in  §  79,  a),  so 
erhalten  wir  entsprechend  der  Jacobi'schen  Transformation  von  §  10,  b) 
die  Formel 2) 

dV=  s^fß  W{t)dxdy  +  B'ß{Sl,^dy  -  i^,.  dx),  (44) 

wenn  wir  zur  Abkürzung  schreiben 

we)  =  5^^-^%  -^Sl. 

^^^  ^         ex      '^x         Oy       ''y 


^)  Variationsprobleme  mit  zwei  unabhängigen  Variabein,   bei  welchen  für 
die  in  Betracht  kommenden  Argumente  die  Bedingung 

erfüllt   ist,    nennt    Hilbeut    „reguläre    Variationsprobleme''   (Göttinger  Nach- 
richten 1900,  p.  288). 

^)  Von  ToDHUNTER,  Htstory  of  tJie  CaJculus  of  Variations  (1861),  p.  280  ge- 
geben und  Mainardi  zugeschrieben. 


()76  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 


^(Ö  —  ^[ftz  3  x^zp  ^  yfzq)  -f^ifppix  +  fpqQ  dy^'^iP^^"  "^  ^wW  •    \^^) 


oder  aucli  ausgeschrieben 

d  .         d  ^\       d  __ 

XTpp^X~^Tpq^y)  ^y 

Die  Umformung  setzt  voraus,  daß  die  Funktion  ^  im  Bereich  (9L 
von  der  Klasse  C"  ist.  Sie  gilt  aber  auch  noch,  wenn  t,  in  einem 
ganz  in  €L  enthaltenen  Bereich  €Lq  von  der  Klasse  G"  ist,  auf  der 
Begrenzung^)  ^^  von  (9Lq  und  außerhalb  €Lq  dagegen  gleich  Null  ist. 
Nur  ist  dann  in  der  Formel  (44)  das  Doppelintegral  über  den  Bereich 
ÖLq,  das  Linienintegral  entlang  der  Kurve  U^  zu  nehmen. 

Hieraus  schließen  wir  zunächst: 

Wenn  die  „akzessorische^^  lineare  partielle  Differentialgleichung 

W{u)  =  0  (46) 

ein  Integral  u  besitzt,  welches  entlang  einer  ganz  im  Bereich  (9L  ge- 
legene? einfachen  geschlossenen  Kurve  ^q  verschivindet  und  in  dem  von 
der  Kurve  ^^  begrenzten  Bereich  €Lq  von  der  Klasse  C"  ist  und  nicht 
identisch  verschwindet,  so  kann  man  durch  passende  Wahl  der  Funk- 
tion ?  die  zweite  Variation  gleich  Nidl  machen. 
Man  braucht  nur  zu  setzen 

Uf     in  (9Lo, 

^"JO     außerhalb     61^, 

und  die  Formel  (44)  auf  den  Bereich  (SLq  anzuwenden;  das  Doppel- 
integral verschwindet  dann  wegen  (46),  das  Linienintegral,  weil  u 
entlang  Äq  verschwindet. 

Darüber  hinaus  hat  Sommerfeld^)  durch  Verallgemeinerung  der 
in  §  14,  b)  entwickelten  Schwarz 'sehen  Methode  gezeigt,  daß  unter 
den  genannten  Voraussetzungen  die  zweite  Variation  nicht  nur  gleich 
Null,  sondern  auch  negativ  gemacht  werden  kann,  wenigstens  wenn 
die  Kurve  ^^  ganz  im  Innern  des  Bereiches  €L  liegt. 

Zu  diesem  Zweck  wähle  man 

[u  -{-kv     in  (9Lo, 

I  kv     außerhalb  €Lq, 

wo  k  eine  Konstante  ist  und  v  eine  beliebige  Funktion  von  x  und  y, 
welche  im  Bereich  (9L  von  der  Klasse  C"  ist  und  entlang  der  Be- 
grenzung Ä   verschwindet.     Diese  Funktion  ^  ist   stetig  in  6L,   da  ^« 

^)  Die  Kurve  Ä^  muß  dieselben  allgemeinen  Eigenschaften  haben  wie  die 
Kurve  Ä  (§  70,  a)),  damit  die  Anwendbarkeit  des  Green'schen  Satzes  gesichert  ist. 

*)  Jahresberichte  der  Deutschen  Mathematikervereinigung, 
Bd.  Vm  (1899),  p.  188. 


§  81.    Die  zweite  Yariation  bei  Doppelintegralen.  677 

entlang  ^q  verscli windet;  sie  verschwindet  auf  der  Begrenzung  von  (SC 
und  ist  in  jedem  der  beiden  Bereiclie  (9Lq  und  (9L  —  €Lq  von  der 
Klasse  0". 

Um  den  Wert  der  zweiten  Variation  für  diese  spezielle  Funk- 
tion ^  zu  berechnen,  zerlegen  wir  zunächst  d^J  in  eine  Summe  von 
zwei  Integralen,  den  beiden  Teilbereichen  GLq  und  €L  —  €Lq  ent- 
sprechend. Das  auf  den  zweiten  Bereich  bezügliche  Integral  hat  den 
Faktor  Jc^.  Auf  das  über  den  Bereich  €Lq  zu  erstreckende  Integral 
wenden  wir  die  Transformationsformel  (44)  an.  Beachtet  man  dabei, 
daß  die  Operationen  W,  Sl^.  ,  Sl^  distributiv  sind,  ferner,  daß  die 
Funktion  u  der  Differentialgleichung  (46)  genügt  und  entlang  ^q  ver- 
schwindet, so  erhält  man  den  folgenden  Wert  für  die  zweite  Variation 

d^J=€^h  f  ju^(v)dxdy 

^0  (47) 

wo  H  eine  von  /c  unabhängige  Konstante  ist. 

Das  Doppelintegral  transformieren  wir  jetzt  mittels  der  folgenden, 
leicht  zu  verifizierenden  Identität,  welche  für  irgend  zwei  Funktionen  u^v 
der  Klasse  C"  gilt, 

wo  wir  zur  Abkürzung  gesetzt  haben 

Integriert  man  diese  Gleichung  über  den  Bereich  (9LQ*und  wendet  den 
Green'schen  Satz  an,  so  erhält  man 

ff{uW{v)--vW{u))dxdy  =  -fl{f^^i-^f^^ri)dy-{f^^^  (49) 

Ist  nun  insbesondere,  wie  in  Gleichung  (47),  u  eine  Lösung  von 
(46),  welche  entlang  Ü'q  verschwindet,  so  folgt  durch  Anwendung  von 
(49),  daß  das  Doppelintegral  in  (47)  gerade  gleich  dem  in  derselben 
Formel  auftretenden  Linienintegral  ist,  sodaß  der  Ausdruck  für  d^J 
die  Form  annimmt 

Ö^J=  a^{ 2fc/.[(/-„«,  +  /;,«„)g  -  (f^,^u^  +  f,,u/£ds  +  km] ,     (50) 

wenn  wir  auf  der  Kurve  ^q  den  Bogen  5  als  unabhängige  Variable 
einführen. 


^78  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  man  die  Funktion  v  so  wählen  kann,  daß 
das  hierin  auftretende  Linienintegral  von  Null  verschieden  ist.  Wäre 
dasselbe  für  alle  zulässigen  Funktionen  v  gleich  Null,  so  würde  durch 
eine  leichte  Modifikation  des  Fundamentallemmas  von  §  5,  b)  und 
§  79,  a)  folgen,  daß  der  Faktor  von  v  unter  dem  Integralzeichen  ent- 
lang Üq  identisch  verschwinden  müßte,  d.  h. 

If  ^2/  _  f  ^^\     \  (f  ^y_f  ^^V    _  0 

['PP  Js       'Pi'dsj'^^'^  yP'i  ds       'li  dsj^y  ~     ' 
Gleichzeitig  folgt  durch  Differentiation  der  Identität 

u(x{s),y{s))  =  0 

nach  s,  daß  entlang  der  Kurve  ^q  auch 

dx        ,   dy  ^ 

ds    "^        ds    y 
Es  müßte  also  entweder 

'pp\dsj         'PI  ds  ds  "^  '9<i\ds) 
sein,  was  wegen  der  Voraussetzung  (IF)  nicht  möglich  ist;  oder  aber 
es  müßten  w^,  w^  entlang  ^^  identisch  verschwinden. 

Nun  folgt  aber,  wie  wir  weiter  unten  näher  ausführen  werden, 
unter  sehr  allgemeinen  Voraussetzungen  aus  dem  gleichzeitigen  Ver- 
schwinden von  u,  u^,  Uy  entlang  der  Begrenzung  ^o,  daß  w  =  0  im 
ganzen  Bereich  ÖLq,  was  unserer  Voraussetzung  widerspricht. 

In  allen  Fällen,  in  denen  der  Schluß  auf  das  identische  Ver- 
schwinden von  u  gestattet  ist,  können  wir  daher  in  der  Tat  v  so 
wählen,  daß  der  Faktor  von  Ix}  in  dem  Ausdruck  (50)  für  d^J  von 
Null  verschieden  ist.  Alsdann  können  wir  aber  d'^J<iO  machen, 
indem  wir  h  numerisch  hinreichend  klein  und  von  geeignetem  Vor- 
zeichen wählen.  Damit  ist  (unter  der  erwähnten,  noch  näher  zu  for- 
mulierenden Einschränkung)  der  Satz  bewiesen: 

Bie  dritte  notivendige  Bedingung  für  ein  Minii^um  des  Boppel- 
integrals  (2)  besteht  darin,  daß  Jceine  Lösung  u  der  partiellen  Bifferen- 
tialgleichung  (46)  existieren  darf,  welche  entlang  einer  einfachen,  ge- 
schlossenen, ganz  im  Innern  des  Bereiches  €L  gelegenen  Kurve  Ä^ 
verschwindet  und  in  dem  von  derselben  begrenzten  Bereich  6Cq  von  der 
Klasse  C"  ist  und  nicht  identisch  verschwindet. 

Wir  haben  jetzt  noch  den  Beweis^)  des  Hilfssatzes  nachzutragen, 

^)  Vgl.  Encyklopädie  IIA,  pp.  513,  .öl5  (Sommeufeld)  und  Hedrick,  Göttinger 
Dissertation  (1901),  p.  32. 

Eine  homogene  lineare  partielle  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung 

dx^  '         dxcy  '      dy^  ^       dx   ^       dy 


§  81.    Die  zweite  Variation  bei  Doppelintegralen.  679 

wonacli  u  ^0  in  €Lq,  wenn  u,  u^,  Uy  entlang  der  Begrenzung  SIq  ^ei'- 
schwinden.  Es  sei  FQ{xQ,y^  ein  Punkt  im  Innern  des  Bereiches  Gi^, 
und  es  werde  vorausgesetzt,  daß  eine  zugehörige  „Grundlösung"  « 
der  partiellen  DiJBferentialgleichuug  (46)  existiert/)  d.  h.  eine  Lösung 
von  der  Form 

CO  =  (p{x,  2/)log|/(^  -  x^Y-^Jy  -  i/o)2^  +  7l,{x,  y) , 

wo  (p {x,  y)  und  i/; (x,  y)  in  6lo  von  der  Klasse  C"  sind  und  (p  {pc^^yy^  =  1  ist. 
Alsdann  konstruiere  man  um  den  Punkt  P^  einen  ganz  im  Innern 
von  €Lq  gelegenen  Kreis  mit  dem  Radius  q  und  wende  die  Formel 
(49)  mit  V  =  (o  auf  den  nach  Herausnahme  dieses  Kreises  übrig 
bleibenden  Teil  von  d^  an.  Geht  man  dann  zur  Grenze  ^  =  0  über, 
so  erhält  man  nach  einfacher  Rechnung  die  FormeP) 

^[fpp{^o,  Vo)  +  f,,(^o,  yo)'iu(xQ,  y^) 

=jlfppi  +  fp'i'^)<^y  -  ifpi^  +  fq,v)^^^' 

Da  wegen  der  Voraussetzung  (IP) 

so  folgt  hieraus,  daß  w(^o,  y^)  =  0,  wenn  u,  u^^  u^  entlang  ^^  ^e^'" 
schwinden.  Somit  ist  der  oben  benutzte  Hilfssatz  und  damit  die 
dritte  notwendige  Bedingung  unter  der  Voraussetzung  bewiesen,  daß 
für  jeden  Punkt  im  Innern  von  0^^  eine  Grundlösung  existiert. 

c)  Hinreichende  Bedingungen  für  ein  permanentes  Zeichen  der 
zweiten  Variation: 

Den  in  den  beiden  vorangehenden  Absätzen  abgeleiteten  not- 
wendigen Bedingungen  (II)  und  (III)  lassen  sich  nun  auch  hinreichende 

heißt  von  elliptischem,  parabolischem  oder  hyperbolischem  Typus,  je  nachdem 
.4(7— £2 >0,  =0  oder  <0;   sie  heißt  sich  selbst  adjungiert,  wenn 

Die  Differentialgleichung  (46)  ist  daher  wegen  der  Voraussetzung  (11')  von 
elliptischem  Typus  und  überdies  sich  selbst  adjungiert  wegen  f=f 

^)  Eine  partielle  Differentialgleichung  der  Form  (51)  vom  elliptischen  Typus 
läßt  sich  durch  Einführung  von  neuen  unabhängigen  Variabein  auf  die  Normal- 
form bringen  ^^  ^g  ^  ^ 

Für  diese  Normalform  haben  Hedrick  (loc.  cit.  p.  37)  und  Holmgren  (Mathe- 
matische Annalen,  Bd.  LVIII  (1903),  p.  404)  die  Existenz  einer  Grundlösung 
für  den  Fall  bewiesen,  daß  die  Koeffizienten  a,  &,  c  analytische  Funktionen  sind. 
^)  Dieselbe  ist  eine  Verallgemeinerung  der  bekannten  Green 'sehen  Formel 
der  Potentialtheorie,  vgl.  z.  B.  Picard,  Traite  d' Analyse,  Bd.  II  (1905),  p.  15. 


680  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

Bedingungen   für   ein  permanentes  Zeichen   der   zweiten  Variation  an 
die  Seite  stellen. 

Dazu  stellen  wir  uns  nach  Clebsch^)  die  Aufgabe,  drei  Funk- 
tionen Uj  Vy  w  von  X  und  y  so  zu  bestimmen,  daß  identisch  in  t,,  J^,  ^ 
die  Gleichung  gilt 

(      (d^X  d^d^  (d^y\ 

Führt  man  hierin  die  angedeuteten  Differentiationen  aus  und  setzt 
dann  beiderseits  die  Koeffizienten  entsprechender  Produkte  der  Größen 
J,  g^,  5    einander  gleich,  so  erhält  man  die  drei  Gleichungen 


(53> 


Berechnet  man  aus  den  beiden  letzten  Gleichungen  die  Werte 
von  v^  und  u\,  und  setzt  dieselben  in  die  erste  ein,  so  erhält  man 
für  die  Funktion  u  die  partielle  Differentialgleichung 

^F(u)  =  0,  (46) 

wo   W  wieder  durch  (45)   definiert  ist.     Die  Werte  von  v  und  w  er- 
geben sich  alsdann  aus  (öSg)  und  (öSg). 

Integriert  man  jetzt  die  Gleichung  (52)  über  den  Bereich  €L 
und  wendet  auf  die  beiden  letzten  Glieder  den  Green 'sehen  Satz  an^. 
so  erhält  man  für  d^J  den  Ausdruck 

dV  =  i'ffiU,^'  +  K.XY  +  f„  Y')dxdy  +ß(My  -  wdx),     (54) 

^)  Journal  für  Mathematik,  Bd.  LV  (1858),  p.  271,  wo  dieselbe  Trans- 
formation für  r- fache  Integrale  durchgeführt  wird.  Eine  nicht  wesentlich  von 
(54)  verschiedene  Formel  gibt  übrigens  schon  Mainardi,  Annali  di  scienze 
matematiche  e  fisiche  (Tortolini),  Bd.  III  (1852),  p.  163.  In  einer  späteren 
Arbeit  hat  Clebsch  seine  Untersuchungen  über  die  zweite  Variation  auf  r-fache 
Integrale  ausgedehnt,  welche  n  unbekannte  Funktionen  enthalten  (Journal  für 
Mathematik,  Bd.  LVI  (1859),  p.  122).  Schon  im  Fall  r  =  2,  n  =  2  treten  hier 
eigentümliche  Schwierigkeiten  auf,  auf  welche  neuerdings  Hadamard  aufmerksam 
gemacht  hat  (Bulletin  de  la  Societe  Mathematique  de  France,  Bd.  XXX 
(1902),  p.  253,  und  Bd.  XXXIII  (1905),  p.  73. 


§  81.    Die  zweite  Variation  bei  Doppelintegralen.  681 

wo  zur  Abkürzung  ^  ^ 

d  -  -  d  — 

dx  '  dy 

gesetzt  ist. 

Die  Transforniation  setzt  voraus^  daß  u  im  Bereich  (SL  nicht 
verschwindet  und  von  der  Klasse  0"  ist.  Da  jede  zulässige  Funk- 
tion t,  entlang  der  Begrenzung  ^  verschwindet,  so  reduziert  sich  ö^J 
auf  das  Doppelintegral,  und  wir  können  daher  den  Satz  aussprechen: 

Ist  die  Bedingung  (IF)  erfüllt,  und  gibt  es  ein  Integral  u  der 
akzessorischen  Differentialgleichung  (46)  ^  welches  im  Integrationsher  eich 
nicht  verschwindet  und  von  der  Klasse  C  ist  (Bedingung  (III')),  so 
ist  die  zweite  Variation  für  jede  zulässige  Fimldion  J  der  Klasse  C  positiv. 

Denn  wegen  (111')  gilt  alsdann  die  Transformation  (54),  und  die 
unter  dem  Doppelintegral  stehende  quadratische  Form  ist  wegen  der 
Voraussetzung  (IF)  positiv,  außer  wenn  X  und  Y  in  GL  identisch  ver- 
schwinden. Daraus  würde  aber  folgen:  g  =  cu,  was  nicht  möglich 
ist,  da  5  entlang  ^  verschwindet,  u  aber  nicht. 

Eine  wichtige  Ergänzung  zu  den  Resultaten  dieses  und  des  vor- 
angehenden Absatzes  bildet  der  folgende,  schon  von  Mainardi  und 
Clebsch  gegebene  Satz  über  die  Integration  der  akzessorischen  Diffe- 
rentialgleichung (46),  welcher  das  Änalogon  des  Jacohi^schen  Theorems 
von  §  12,b)  ist: 

^^^  z^(p(x,y',a)  (55) 

eine  einparametrige  Schar  von  Lösungen  der  Lag  ränge' sehen  Differential- 
gleichung (I),  welche  die  Fläche  ^^  für  a  =  a^  enthält,  so  ist 

eine  Lösung  der  akzessorischen  Differentialgleichung  (46). 

Zum  Beweis  setze  man  in  (I)  die  Lösung  (55)  ein,  differentiiere  die 
so  entstehende,  in  x,  y  und  a  identische  Gleichung  nach  a  und  setze 
schließlich  a  =  a^. 

Hieraus  ergibt  sich  eine  einfache  geometrische  Deutung^)  der  er- 
haltenen Resultate,  welche  eine  Art  Änalogon  der  Sätze  über  konju- 
gierte Punkte  bei  einfachen  Integralen  darstellt: 

Man  betrachte  eine  einparametrige  Schar  (55)  von  Extremalflächen, 
welche  die  Fläche  9^^  für  a  =  a^  enthält.  Die  Fläche  {a)  der  Schar  (55) 
möge  die  Fläche  9^q,  beziehungsweise  ihre  Fortsetzung  in  einer  Kurve  £^ 
schneiden;  läßt  man  a  gegen  a^  konvergieren,  so  möge  ß^  gegen  eine 
Grenzkurve  £q  konvergieren. 

^)  Vgl.  Clebsch,  loc.  cit.  p.  273. 


632  Dreizehntes  Kapitel.    Extrema  von  Doppelintegralen. 

Gibt  es  dann  eine  Schar  (55),  für  welche  diese  Grenzkurve  Sq 
eine  geschlossene  Kurve  als  Bestandteil  enthält,  welche  ganz  auf  dem 
Flächenstück  9\)  liegt,  ohne  die  Begrenzung  desselben  zu  treffen,  so 
findet  kein  Extremum  statt. 

Gibt  es  dagegen  eine  Schar  (55),  für  welche  die  Grenzkurve  Sq 
ganz  außerhalb  tF^  liegt,  so  ist  die  zweite  Variation  stets  positiv. 

Nach  Kneser^)  läßt  sich  ferner  mittels  des  auf  p.  672  Fußnote  ^) 
erwähnten  Verfahrens  von  Brunacci  beweisen,  daß  die  Bedingungen 
(I),  (ir),  (III')  für  ein  schwaches  Extremum  des  Doppelintegrals  (2) 
hinreichend  sind. 

Beispiel  V  (Siehe  pp.  657,  667):  Zweite  Variation  bei  Minimalflächen. 

Hier  findet  man*) 

Die  ziceite  Variation  des  Flächeninhaltes  eines  Minimalflächenstückes  ist  also 
stets  positiv,   ivenn  sowohl  das  Minimalflächeni^tücJc  als   die   Vergleichsflächen  in 

der  Form 

z  =  z{x,y) 

darstellbar  vorausgesetzt  werden. 

Wir  wollen  noch  unsere  allgemeinen  auf  die  Jacobi'sche  Bedingung  be- 
züglichen Resultate  an  dem  vorliegenden  Beispiel  verifizieren.  Da  hier  f^^  =  0, 
fzp=  0,  f2g=^0,  so  ist  in  der  akzessorischen  Differentialgleichung  (46)  der  Koeffi- 
zient von  u  gleich  Null;  daher  können  wir  sofort  eine  Lösung  derselben  angeben, 
welche  in  €1  von  Null  verschieden  ist,  nämlich  11=1. 

Dementsprechend  läßt  sich  eine  einparametrige  Schar  von  Minimalflächen 
angeben,  welche  die  Fläche  cF^  nicht  schneiden,  nämlich  die  Schar 

z=--z{x,y)-{-a, 

wie  daraus  hervorgeht,  daß  die  Differentialgleichung  der  Minimalflächen  nur  die 
Ableitungen  von  ^,  nicht  aber  z  selbst  enthält. 

Für  den  allgemeinen  Fall,  wo  die  zulässigen  Flächen  in  Parameterdarstellung 
vorausgesetzt  werden,  hat  Schwarz^)  unter  Benutzung  eines f  speziellen  Systems 
von  Parametern  einen  sehr  einfachen  Ausdruck  für  die  zweite  Variation  des 
Flächeninhalts  eines  Minimalflächenstückes  angegeben.  Man  bilde  das  Minimal- 
flächenstück  cF^^  durch  parallele  Normalen  auf  die  Einheitskugel  mit  dem  Koordi- 
natenanfang als  Mittelpunkt  ab'*),  projiziere  sodann  den  Bildpunkt  Q  eines 
variabeln  Punktes  P  der  Minimalfläche  vom  Punkt  x  =  0,  y==0,  z  =  l   auf  die 


^)  Vgl.  EncyUopädie,  IIA,  p.  617. 

*)  Schon  von  Tkdenat  gegeben,  Annales  de  Mathematiques  par  Ger- 
gonne,  Bd.  VII  (1816),  p.  284. 

')  Vgl.  Schwarz,  Gesammtlte  Mathematische  Abhandlungen,  Bd.  I,  pp.  156, 
187,  236.  Vgl.  auch  die  Darstellung  bei  Bianchi-Lukat  ,  Differentialgeometrie, 
p.  414. 

*)  Vgl.  z.  B.  Bianchi-Lukat,  loc.  cit.,  Kap.  V. 


§  82.    Hinreichende  Bedingungen  für  Extrema  von  Doppelintegralen.     683 

Ebene  z  =  0  und  wähle  die  Koordinaten  |,  rj  der  Projektion  des  Punktes  Q  als 
Parameter  für  die  Darstellung  der  Minimalfläche.  ^)  Ferner  variiere  man  das 
Minimalflächenstück  bei  fest  bleibender  Begrenzung  in  der  Weise,  daß  man  jeden 
Punkt  auf  der  durch  ihn  gehenden  Flächennormale  um  ein  Stück  s  lo  verschiebt^ 
wobei  IC  eine  willkürliche  Funktion  von  h,  und  rj  ist,  welche  entlang  dem  Rande 
verschwindet.  Dann  erhält  man  für  die  zweite  Variation  des  Flächeninhaltes 
den  folgenden  Ausdruck 

'••'-//[©■+©'-fr4w,-]«'"-  « 

6L 

Die  zweite  Variation   ist  also  nur  von  der   Gestalt  des  sphärischen  Bildes^ 
nicht  aber  von  der  sonstigen  Beschaffenheit  des  Minimalflächenstückes  abhängig. 
Auf  das  Integral  (56)  lassen  sich  die  unter  b)  und  c)  entwickelten  Schlüsse 
anwenden,  wobei  die  akzessorische  Differentialgleichung  die  Form  annimmt 

d^U        C^U  ^U  _ 

Wegen  der  aus  diesen  Resultaten  zu  ziehenden  geometrischen  Folgerungen 
verweisen  wir  auf  die  oben  zitierte  Abhandlung  von  Schwarz.  ') 

§  82.  Hinreichende  Bedingungen  für  Extrema  von  Doppelintegralen.^) 

Der  Hubert 'sehe  Unabliängigkeitssatz  lässt  sicli  ohne  Schwierig- 
keit auf  Doppelintegrale  übertragen;   aus   ihm  folgt  dann  die  Verall- 

^)  Zwischen  der  durch  (29)  definierten  komplexen  Größe  s  und  den  Para- 
metern I,  7]  besteht  nach  Weierstrass  die  Beziehung:  s  =  |-|-*^- 

^)  Hierzu  die   Übungsaufgaben  Nr.  18,  19  am  Ende  von  Kap.  XIII. 

^)  Hinreichende  Bedingungen  für  Extrema  von  Doppelintegralen  hat  zuerst 
Schwarz  für  den  speziellen  Fall  von  Minimalflächen  in  Parameterdarstellung  ent- 
wickelt in  der  Arbeit  „Über  ein  die  Flächen  kleinsten  Flächeninhalts  betreffendes 
Problem  der  Variationsrechnung'-''  (1885),  Gesammelte  Mathematische  Ab- 
handlungen, Bd.  I,  p.  222.  Mit  der  Aufstellung  von  hinreichenden  Bedin- 
gungen für  den  allgemeinen  Fall  in  Parameterdarstellung  beschäftigen  sich  Kobb 
(in  der  auf  p.  663  Fußnote  *)  zitierten  Arbeit  (1892))  und  Kneser,  Lehrbuch 
§  69  (1900). 

Den  Unabhängigkeitssatz  für  Doppelintegrale  hat  zuerst  Hilbert  gegeben 
Göttinger  Nachrichten  1900,  p.  295;  vgl.  auch  die  Darstellung  von  Osgood 
(Annais  of  Mathematics  (2),  Bd.  II  (1901),  p.  126),  der  wir  im  Text  gefolgt  sind. 

Endlich  hat  Hilbp:rt  in  der  Arbeit  „Z«*r  Variationsrechnung""  (Göttinger 
Nachrichten  1905,  pp.  171  und  174)  den  Unabhängigkeitssatz  auf  den  Fall 
eines  Doppelintegrals,  welches  von  zwei  unbekannteu  Funktionen  von  x  und  y 
abhängt,  ausgedehnt,  sowie  auf  den  Fall,  wo  die  Summe  eines  Doppelintegrala 
von  der  Form  (2)  und  eines  einfachen,  über  einen  Teil  des  Randes  erstreckten 
Integrals  zu  einem  Extremum  gemacht  werden  soll,  während  z  auf  dem  übrigen 
Teil  des  Randes  vorgeschriebene  Werte  hat.  Mit  der  ersteren  dieser  beiden 
Aufgaben  beschäftigt  sich  auch  Hadamard  im  Bulletin  de  laSocieteMathe- 
matique  de  France,  Bd.  XXXIII  (1905),  p.  73. 


ßg4  Dreizehntes  Kapitel.     Extrema  von  Doppelintegralen. 

gemeinerung  des  Weierstr  aß 'sehen  Fundamen talsatzes.  Aus  letzterem 
ergeben  sicli  hinreichende  Bedingungen  für  ein  Extremum  eines  Doppel- 
integrals, welche  den  in  §  19  für  einfache  Integrale  entwickelten  ganz 
analog  sind. 

a)  Das  Feld  und  die  Gefällfunktionen: 

Wir   nehmen    an,    es    existiere    eine    einparametrige    Schar    von 

Extremalflächen  /_    .  ^x  /prox 

0==cp{x,y',a\  (58) 

welche  unsere  spezielle  Extremalfläche  %  enthält,  etwa  für  a  =  Qq^ 
und  für  welche  .  \    i   a  ,•„   /CY 

Überdies  werde  vorausgesetzt,  daß  die  Funktionen  cp,  qp^,  cp^  von  der 
Klasse  C  sind,  wenn  {x,y)  in  einem  den  Integrationsbereich  €L  in 
seinem  Innern  enthaltenden  Bereich  der  x,  i/- Ebene  liegt  und 
\a  —  aQ\^d  ist.  _ 

Wir  können  dann  nach  §  21,b)  eine  Konstante  k^d  angeben 
derart,  daß  /  \    i   a  /'f;q\ 

in  dem  Bereich  _ 

(x,  y)  in  ei,         \a-a^\^  k  (60) 

Man  schließt  dann  genau  wie  in  §  16,  c)  weiter:  Das  Bild  oT^  des 
Bereiches  (60)  im  ic,«/,^-Raum  mittels  der  Transformation  (58)  bildet 
ein  Feld  von  Extremalflächen,  d.  h.  durch  jeden  Punkt  x,  y,  z  von^cT^ 
geht  eine  und  nur  eine  Fläche  der  Schar  (58),  für  welche  |  a  —  «q  |  <  Z;, 
und  der  zugehörige  Wert  von  a, 

a  =  a(a;,  y,  z\ 

die  inverse  Funktion  des  Feldes,  ist  von  der  Klasse  C  in  gT^.  Für 
die  partiellen  Ableitungen  derselben  findet  man   durch  Differentiation 

der  Identität  .  x 

(p{x,y',a)  =  0 

die  Werte  ,    ,  ,-    .  ,-' 

_      ^^^^  _  _  L^J^  rt  =  -— 

wobei  die  Klammer  (  )  die  Substitution  von  0  für  a  andeutet. 

Als  Gefällfunktionen  des  Feldes  definieren  wir  die  beiden  Funktionen 
p  (x,  y,  0)  =  (p,{x,y',a),        q  (x,  y,  z)  ==  (Py{x,y',  a).  (61) 

Auch  sie  sind  von  der  Klasse  C  in  gT^.  Durch  Differentiation  erhält 
man  hieraus  die  Relationen 


§  82.    Hinreichende  Bedingungen  für  Extrema  von  Doppelintegralen.     685 

Trägt  man  jetzt  in  die  Lagrange 'sehe  Differentialgleichung  in  der 
Form  (7)  für  0  die  der  Differentialgleichung  für  jedes  a  genügende 
Funktion  (p{x,y'^a)  ein  und  ersetzt  dann  in  der  so  entstehenden,  in 
x,y,a  identischen  Gleichung  a  durch  a,  so  erhält  man  die  folgende, 
identisch  in  x,yj2  geltende  Gleichung 

+  [^pjp+[/;jq  +  [/,j  +  Kj-[/;]  =  o,  ^^^) 

wobei  die  Klammer  []  andeuten  soll,  daß  die  Argumente  der  einge- 
klammerten Funktionen  sind 

Die  Gleichung  (63)  stellt  eine  partielle  Differentialgleichung^)  für 
die  beiden  GefällfunJctionen  p,  q  dar,  die  Verallgemeinerung  der  partiellen 
Differentialgleichung  (19)  von  §  17.  Die  Gleichung  (63)  läßt  sich, 
wie  man  unmittelbar  verifiziert,  auf  die  Form  bringen: 

^  [/.]  +  i~  [f,]  =  -^  ([/]  -  Plf,]  ~  q[/;]).  (64) 

b)  Der  Hilbert'sche  Unabhängigkeitssatz  und  seine  Folgerungen: 
Die  Gleichung  (64)  gilt  im  ganzen  Bereich  cf^;  in  demselben  Be- 
reich sind  die  drei  Funktionen 

L  =  [/']  -  p[f,]  -  q[/;],         M^  [f^],        N==  [/;] 

vou  der  Klasse  C  und  der  Bereich  o^.  ist   wegen  (59)  in  Bezug  auf 
die  ^-Richtung  konvex.     Daher  können  wir  auf  die  Funktion 

L-\-  Mp-^Nq 

den   Integrabilitätssatz   von   §  79,  b)    anwenden   und   erhalten   so   den 
Hilherf sehen   TJnabhängiglceitssatz  für  Doppelintegrale: 

Ist  S  eine  ganz  im  Feld  cT^  gelegene,  geschlossene  Raumkurve  2), 
so  hat  das  Doppelintegral 

^*  ^e/Jf  W  -^^P-^)  [4]  +  Ö  -  q)  [Q]dxdy  (65) 

denselben  Wert  für  aUe  Flächen  der  Klasse  C,  welche  von  der  Kurve  ^ 

begrenzt  werden  und  ganz  im  Felde  oT^  gelegen  sind. 

Hieran  schließt  sich  analog  wie  in  §  17,  b)  der 

Zusatz:   Liegt    die   Kurve  ©   ganz   auf  einer  Extremalfläche   des 

Feldes  oT^,  so  ist  der  Wert  des  Hilb  er  tischen  Integrals  J"*  über  irgend 

^)  Eine  zweite  ergibt  sich  durch  Gleichsetzen  der  beiden  Ausdrücke  für  (w    ) 
und  (qp     )  in  (62).  ^   a;/ 

')  Von  denselben  allgemeinen  Eigenschaften  wie  die  vorgegebene   Kurve  S 

(§  79,  a)). 

Bolza,  Variationarechnung.  aa 


686  Dreizehntes  Kapitel.    Extrema  von  Doppelintegralen. 

eine  von  ß  begrenzte,  ganz  in  oT^  gelegene  Fläche  der  Klasse  C  gleich 
dem   Wert   des   Grrundintegrals   (2),    genommen   über   das   von   S   be- 
grenzte Stück  der  fraglichen  Extremalfläche. 
Denn  für  eine  Extremalfläche 

des  Feldes  ist 

und  daher  reduziert  sich  der  Integrand  von  J*  auf 

Ist  jetzt 

cf:  z==  s  {x,  y) 

irgend  eine  Fläche  der  Klasse  C\  welche  von  der  vorgeschriebenen 
Kurve  ß  begrenzt  wird  und  ganz  im  Feld  oil  liegt,  so  ist  nach  den 
beiden  eben  bewiesenen  Sätzen 

also  ,^^^ 

Definiert  man  jetzt  die  8- Funktion  als  Funktion  von  sieben  un- 
abhängigen Variabein  durch  die  Gleichung 

ß  ipc,  y,  0]  Py  g-,  ih  q)  =  fi^,  y,  ^,  P,  q)  -  fi^y  y,  ^yPy  ^) 

-(i>-p)  fp{^y y> ^^p,  ^)  -  G  -  q)  f,(^, 2/; ^> p> q)>      (ö'^) 

und  bezeichnet 

so  ergibt  sich  aus  (66),  indem  man  die  Integrale  rechterhand  aus- 
schreibt, unmittelbar  der  Weierstraß'sche  Fundamentalsatz  für  Doppel- 
integrale 

^"^^fj  ^  ^^'  y^  ^'^  ^^  ^5  P,  i)  doo  äy.  (68) 

a 

Hieraus  folgt  ^),  dem  Satz  von  §  19,  a)  entsprechend,  der  Satz: 

Wenn  die  Extremalfläche  9\)  sich  in  ein  Feld  oT^  einbetten  läßt, 

und  wenn  überdies 

%(x,y,Z',)^  ix,  2/,  ^),  q {x,  y,  s);  p,q)>^  (I^'b) 

für  jeden  Tunkt  (ic,  y,  z)  dieses  Feldes  und  für  jedes  endliche,  von 
(p,  q)  verschiedene  Wertsystem  (j),  q\  so  liefert  %  ein  starkes,  eigent- 
liches Minimum  für  das  Doppelintegral  J. 

^)  Bei  Beschränkung  auf  Vergleichsflächen  der  Klasse  C . 


§  '82.    Hinreichende  Bedingungen  für  Extrema  von  Doppelintegralen.     687 

Denn  alsdann  ist  der  Integrand  von  (68)  positiv  in  allen  Punkten 
des  Integrationsbereiches  mit  Ausnahme  derjenigen,  in  welchen 

f  =  p,        2=q.  (69) 

Ae7  ist  also  positiv,  außer  vrenn  die  Gleichungen  (69)  im  ganzen 
Bereich  (9L  gelten,  in  welchem  Fall  AJ=0.  Durch  eine  dem  ent- 
sprechenden Beweis  von  §  19,  a)  genau  parallele  Schluß  weise  zeigt 
man  aber,  daß  letzteres  nur  dann  stattfinden  kann,  wenn  die  Fläche  ^ 
mit  Wq  identisch  ist. 

Auch  der  Satz  von  §  19,  b)  hat  sein  Analogon  bei  Doppelinte- 
gralen. Aus  dem  Taylor'schen  Satz  für  Funktionen  zweier  Variabein 
folgt  nämlich,  entsprechend  der  Gleichung  (28)  von  §  18,  die  Formel 

=i{(^-i>)Y,,(/,^*)+2(^-^)(5-^)/;,(2)*,g*)  +  (g-g)Y,,(?>*,g*)), 

wo 

p*=p  +  e{p-p),       q''  =  q  +  eiq-q),       O<0<1, 

und   wir   der  Einfachheit  halber   die   Argumente   x,  y,  0  in   den  Ab- 
leitungen von  f  unterdrückt  haben.     Hieraus  ergibt  sich  nun  der  Satz: 
Wenn  die  Extremalfläche  3^,  sich  in  ein  Feld  einhetten  läßt,  und 
wenn  überdies  die  Bedingung 

mit  den  Argumenten  x,  y,  z,  p,  q  von  f^^,  f^^,  f^^  erfüllt  ist  für  jeden 
PimU  (x,  y,  z)  einer  gewissen  Umgebung  (q)  von  9\)  und  für  jedes 
endliche  Wertsystem  p,  q,  so  liefert  Wq  ein  starkes,  eigentliches  Minimum 
für  das  Doppelintegral  J. 

Denn  wendet  man  auf  den  Integi-anden  von  (68)  die  Formel  (70) 
an,  so  geht  derselbe  in  eine  quadratische  Form  der  Größen  {p  —  p), 
(^—  q)  über,  welche  wegen  (11 'b)  ini  ganzen  Integrationsbereich  positiv  ist, 
außer  wo  p  =  ^,  q  =  <\,  vorausgesetzt,  daß  man,  was  stets  möglich 
ist,  die  Größe  /j  so  klein  gewählt  hat,  daß  das  Feld  oJ^  ganz  in  der 
Umgebung  {q)  von  9\)  liegt. 

Beispiel  V  (siehe  pp.  657,  682):  3Iinimal flächen. 

Ist  z  =  z{x.,  y)  das  betrachtete  Minimalflächenstück,  so  stellt  die  Gleichung 
z  =  z{x,  y)  -\-  a;      {x,y)  m  GL;      —  c»  <  a  <  +  oo 
eine  Schar  von  Minimalflächen  dar,  welche  ein  Feld  bilden.     Da  überdies 

f  = ^__±j^_ f  f  -r^  =— ^ 

pp     (y(T+7Mr^)8'    w?«     'pi     (i  4.^2  _|_  ^.).» 

so  ist  auch  die  Bedingung  (II 'b)  erfüllt,  und  daher  besitzt  das  Minimalflächen- 
stück cFq  einen  kleineren  Flächeninhalt  als  jede  andere  Fläche  z  =  z{x,  y)  der 
Klasse  C,  welche  dieselbe  Begrenzung  besitzt  (absolutes  Minimum). 

44* 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  XI  bis  XIII. 

1*.   Bestimmung  der  geodätischen  Linien  des  Eotationsellipsoides  im  n-dim^n- 
sionalen  Euklidischen  Baum  (§  68). 

Es  handelt  sich  darum,  das  Integral 

h 

zu  einem  Minimum  zu  machen  mit  der  Nebenbedingung  ^ 

Lösung:    Setzt  man 

ds^  =  dxl+  dxl-\ h  ^4  . 

BO  erhält  man  für  die  Extremalen 

Ä;2       4  a2  -_&2  ^  _  a2 

wobei  fc  eine  Integrationskonstante  und  l  der  Multiplikator  ist.  Die  Funktionen 
X  ^x  ^  .  .  .^  X  genügen  sämtlich  derselben  homogenen  linearen  Differential- 
gleichung zweiter  Ordnung 

d^x.  X. 

'-  =  1-1  ^  =  1,  2,  •  .  .,  n  —  1  ; 

man  kann  sie  daher  durch  zwei  linear  unabhängige  Integrale  x^  y  dieser  Diffe- 
rentialgleichung homogen  und  linear  ausdrücken,  und  zwar  kann  man  die 
letzteren  so  wählen,  daß 

^2  +  0^2^..  ■^xl_^=x^-\-y\ 

womit  das  Problem  auf  das  entsprechende  dreidimensionale  zurückgeführt  wird. 

(RuDio) 
2.   Geodätische  Linien  des  n-dimensionalen  Baumes.^) 
Im  Raum  B^  der  Variabein  x^,  x^,  .  .  .,^x^  sei  die  Länge  einer  „Kurve" 

definiert  durch  das  bestimmte  Integral 

dXj 


J  =J  V^a,,  x[  x^  dt,  \x[  =  -^  j  , 


^)  Vgl.  BiANCHi-LuKAT,  Differentialgeometrie  (1899),  p.  568. 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  XI  bis  XIII.  6g9 

wobei  die  a^^  gegebene  Funktionen  von  x  ,  x  ,  .  .    ,  x^  sind  und  die  quadra- 
tische Differentialform 

ds^^^a.i^dx.dxj^ ,  (a^  .  =  a,^) 

i,  k 

definit  und  positiv  ist. 

Es  soll  die  kürzeste,  zwei  gegebene  Punkte  des  B^  verbindende  Kurve 
(„geodätische  Linie'')  bestimmt  werden  (§§  66,  69,  70). 

Lösung:  Die  Differentialgleichungen  der  geodätischen  Linien  sind,  wenn 
s  als  unabhängige  Variable  gewählt  wird, 

Z^'^^+^L^Jd^^""'  '•=1,2,..,«, 

i  i,  h 

wobei 

Lh\       ^-\dx^~^  dx.        dxj^ 

das  „Christoffel'sche  Drei-Index-Symbol  erster  Art"  bedeutet.^) 

Dieses  Resultat  soll  abgeleitet  werden  1)  indem  man  zunächst  von  einem 
beliebigen  Parameter  t  ausgeht,  2)  indem  man  von  vorn  herein  s  zur  unabhän- 
gigen Variabein  wählt. 

3.  Das  im  fünften  Kapitel  behandelte  ebene  Variationsproblem  in  Para- 
meterdarstellung läßt  sich  auch  als  Lagrange'sches  Funktionenproblem  behan- 
deln, wenn  man  den  Bogen  s  als  unabhängige  Variable  einführt.  Es  ist  dann 
das  Integral  ^ 

J=JF{x,  y,  x\  y')  ds 

0 

zu  einem  Extremum  zu  machen  mit  der  Nebenbedingung 

x'^-{-y'^=l 

bei  nicht  vorgeschriebener  oberen  Grenze  s^  (§  70,  a)). 

Hiernach  die  Extremalen  für  Beispiel  I  und  XV  zu  bestimmen. 

4.  Wird  die  Aufgabe  dahin  modifiziert,  daß  die  Länge  der  zulässigen 
Kurven  vorgeschrieben  ist,  so  hat  man  ein  Lagrange'sches  Problem  mit  festen 
Endpunkten,  auf  welches  sich  die  Resultate  von  §§  74—77  anwenden  lassen. 

Hiernach  Beispiel  II  und  XXI  vollständig  durchzuführen. 

Dieselbe  Methode  läßt  sich  allgemein  auf  das  in  Kapitel  X  behandelte 
isoperimetrische  Problem  anwenden,  wenn  die  Funktion  G  {x^  y,  x\  y')  im  Sinn 
von  §  33,  c)  definit  ist,  da  man  dann  das  Integral 

V  =Jg{x,  y,  x\  y')  dt 
als  unabhängige  Variable  einführen  kann. 


"■)  Ibid.  p.  43. 


ß90  Übungsaufgaben  zu  Kapitel  XI  bis  XIII. 

5.  Analoge  Bemerkungen  gelten  für  räumlicbe  Variationsprobleme.  Hier- 
nach folgende  Aufgaben  als  Lagrange 'sehe  Probleme  mit  der  Bogenlänge  als 
unabhängiger  Variabein  zu  behandeln: 

Beispiel  XVI  (Geodätische  Linien).  (Lindelöf-Moigno) 

Aufgabe  Nr.  15   auf  p.  298   (Allgemeine  Brachistochrone  auf  einer  Fläche). 

(LiNDELÖF  -  MoiGNO) 

Aufgabe  Nr.  2   auf  p.  528    (Spezielles   isoperimetrisches   Problem   auf  einer 

Fläche).  (LiNDELÖF -MoiGNO) 

6*.    Zwischen  zwei  gegebenen  Punkten  die  hürzeste  Baumkurve  von  gegebener 

konstanter  erster  Krümmung  ^  zu  ziehen  (§  71).  (Dklaunay) 

Lösung*):  Wenn  man  die  Bogenlänge  s  als  unabhängige  Variable  einführt 
und  setzt:  x'  =  1,  y'  ^^r]^  z'  =  ^,  so  hat  man  ein  Lagrange'sches  Funktionen- 
problem mit  gemischten  Bedingungen,  bei  welchem  die  obere  Grenze  s^  nicht 
vorgeschrieben  ist.     Bei  passender  Wahl  der  ;2!- Achse  findet  man 

B{^+ji)d^ 

(1  s  —  '         —  t 

wobei:    G^(J)  =  (^  4- a)'(l  —  ^^)  —  cl      Die    Größen    a  und    c    sind    konstant. 
Setzt  man 

|4-i^  =  pe^>,      x-\-iy  =  re''', 

80  findet  man  weiter 

,^=l_^^     d^  =  — ^^ 


und  nach  geeigneter  Verschiebung  des  Koordinatenanfangspunkte.8  in  der  x,  y- 
Ebene  ,,    ,      .^-.^ 

Setzt  man 

-p^__  =  du, 

80  kann  man  sämtliche  Variabein  mittels  der  Funktionen  f(>M,  <pu  ausdrücken. 
G{t)  hat  genau  dieselbe  Form  wie  in  Aufgabe  Nr.  13  p.  532;  daher  dieselbe 
Realitätsdiskussion  wie  dort. 

Ausartungen:  1)  Ein  Kreisbogen  (c  =  0),  zuerst  von  Delaunay  an- 
gegeben, von  H.  A.  Schwarz  -)  auf  Hinlänglichkeit  untersucht.  Dies  ist  die  ein- 
zige mögliche  Lösung,  wenn  die  Tangentenrichtungen  in  beiden  Endpunkten 
nicht  vorgeschrieben  sind. 

2)  Eine  Schraubenlinie,  zuerst  von  Todhunter  angegeben,  von  Venske 
genauer  untersucht. 

*)  Vgl.  die  Dissertation  von  0.  Venske,  Göttingen  1891,  auch  für  die  son- 
stige Ijiteratur  über  das  Problem. 

*)  Berliner  Berichte,  1906,  p.  365. 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  XI  bis  XIII.  691 

7.    Für  das  Problem 

Jf{oc,y,y\  y'\  •  •  •,  y^""^)  dx  =  Minimum. 

a)  nachzuweisen,  daß  stets  der  „Hauptfall"  eintritt  (§§  66,  69,  d),  74). 

(v.  Escherich) 

b)  die  Bedingungen  (II),  (III),  (IV)  aufzustellen  (§§  66,  74,  75,  76). 

(Jacobi,  Zermelo) 

8*.     Die  Stabilitäts grenzen  für  einen  an  seinen  beiden  Enden  festgeklemmten 
ebenen  elastischen  Draht  zu  bestimmen.  ^)     (§  69,  74,  75). 

9*.     Für    das    räumliche   Variationsproblem  in  Parameterdarstellung  ohne 
Nebenbedingungen : 


'2 

J=  j  F{x^  y,  2,  x\  y\  z)dt  =  Minimum 


lauten  die  Hamilton' sehen  Formeln  für  die  partiellen  Ableitungen  des  Extre- 
malenintegrals  ^{x^-^yii  z^\,  x^^y^.,  z^): 

Joe,  =  -^- 1  •  T,T  =  -■f'.' I  -  a^  =  - ^»' I . 

g-:.---^-'^'   wr^''^'    ä^=-^''i- 

Für  das  spezielle  Integral 

h 

J  =  jG{x,y,z)-\/x^-\-y^  +  z^^dt  (72) 

h 
folgt  hieraus:  Sind  die  beiden  Endpunkte  Pi  (^i,  2/i,  ^i),  resp.  P^ix^^y^^z^),  auf 
zwei  Raumkurven  ^j,  resp.  ^g,  beweglich,  welche  durch  ihre  respektiven  Bogen- 
längen Sj  und  §2  dargestellt  sind,  und  bezeichnet  co^,  resp.  Wg,  den  Winkel 
zwischen  der  Extremalen  P^  P^  und  der  positiven  Richtung  von  ^^  im  Punkt  P^, 
resp.  der  Kurve  ^^  im  Punkt  Pg,  so  lautet  das  Differential  des  Extremalen- 
integrals  von  P^  nach  Pg : 

däB=  (7(a;2,2/2,^2)cö'^"2  ^^2  ~  ^(^ii2/n'^i)  coscö^  ^s^.  (73) 

(Thomson  und  Tait) 

Hiernach  den  folgenden  Satz  von  Thomson  und  Tait  zu  beweisen: 
Zieht  man  von  den  Punkten  einer  gegebenen  Fläche  c^  aus  Extremalen  für 
das  Integral  (72)  senkrecht  zur  Fläche  und  schneidet  auf  jeder  derselben  von 
ihrem  Schnittpunkt  P  mit  der  Fläche  aus,  nach  derselben  Seite  hin.,  einen  Bogen 
PQ  ab.,  ivelcher  für  das  Integral  einen  konstanten  Wert  liefert,  so  ist  der  geo- 
metrische Ort  der  Endpunkte  Q  eine  Fläche,  ivelche  sämtliche  Extremalen  senk- 
recht schneidet  (§  78). 

^)  Siehe  Aufgabe  Nr.  21  auf  p.  536  und  die  dort  zitierte  Dissertation  von  Böen. 


592  Übungsaufgaben  zu  Kapitel  XI  bis  XIIL 

10.  Das  Doppelintegral 

//[ö^(^,  y.  ^)  y  HhPTi'^  +  ^(^,  y.  ^)]  ^^  ^^2/ 

zu  einem  Extremum  zu  machen  (§  79,  a)). 

Lösung:  Die  Extremalflächen  sind  charakterisiert  durch  die  Gleichung 

Qi        Qi        ^ 

wo  X,  y,  Z  die  Richtungskosinus  der  positiven  Normalen  und  ^j,  p,,   die  Haupt- 
krümmungsradien  der  Fläche  sind.  (Jellett) 

11.  Unter  allen  geschlossenen  Flächen,  tvelche  ein  gegebenes  Volumen  ein- 
schließen, diejenige  kleinster  Oberfläche  zu  bestimmen  (§  79,  d)). 

Dabei  sollen  die  zulässigen  Flächen  in  räumlichen  Polarkoordinaten  in 
der  Form 

r  =  r  (Ö,  (p) 
darstellbar  sein. 

Die  Lagrange 'sehe  Differentialgleichung  aufzustellen  und  zu  zeigen,  daß 
die  Kugel  mit  dem  Koordinatenanfang  als  Mittelpunkt  derselben  genügt.  ^) 

12.  Die  Fläche  niedrigsten  Schwerpunktes  bei  gegebenem  Flächeninhalt  und 
gegebener  Begrenzung  zu  konstruieren  (§  79,  d)). 

Lösung:  Die  positive  ;2r-Achse  werde  vertikal  nach  unten  gewählt.  Dann 
haben  die  Extremalflächen  die  charakteristische  Eigenschaft,  daß 

WO  N  das  Stück  der  Flächennormale  zwischen   der  Fläche  und  der  konstanten 
horizontalen  Ebene  :  z  -\-  X  =  0  bedeutet.  (Jellett) 

13.  Ein  gegebenes  Quantum  homogener  Materie  ist  nach  oben  begrenzt  von 
einer  horizontalen  Ebene,  nach  unten  von  einer  Fläche  von  gegebenem  Flächen- 
inhalt. Die  Fläche  so  zu  bestimmen,  daß  der  Schiverpunkt  der  Masse  möglichst 
tief  liegt  (§  79,  d)). 

Lösung:  Die  positive  ^^-Achse  werde  vertikal  nach  unten  gewählt.  Dann 
haben  die  Extremalflächen  die  charakteristische  Eigenschaft,  daß 

1_      J.  _  £;  +  ^ 

wo  X  und  fi  die  beiden  isoperimetrischen  Konstanten  sind. 

Überdies  muß  die  Fläche  die  gegebene  horizontale  Ebene  senkrecht  schneiden 

(§  80,  0)).  (LiNDELÖF-MoiGNO) 

*)  Wegen  des  Nachweises,  daß  die  Kugel  wirklich  die  kleinste  Oberfläche 
bei  gegebenem  Volumen  besitzt,  vgl.  H.  A.  Schwarz,  Göttinger  Nachrichten, 
1884,  p.  1;  Minkowski,  Mathematische  Annalen,  Bd.  LVIl  (1903),  p.  447;  und 
die  auf  p.  661,  Fußnote  *)  zitierte  Dissertation  von  J.  0.  Müller. 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  XI  bis  XIII.  693 

14.  Unter  allen  Flächen  von  gegebener  Begrenzung  und  gegebenem  Flächen- 
inhalt diejenige  zu  bestimmen,  deren  Potential  in  Beziehung  auf  einen  gegebenen 
Punkt  ein  Extremum  ist  (bei  Zugrundelegung  des  Newton 'sehen  Anziehungs- 
gesetzes). 

Lösung:  Die  Extremalflächen  haben  die  charakteristische  Eigenschaft,  daß 
in  jedem  ihrer  Punkte 

Darin  bedeutet  r  den  Abstand  des  Flächenpunktes  P  von  dem  angezogenen 
Punkt;  d  den  senkrechten  Abstand  des  angezogenen  Punktes  von  der  Tangential- 
ebene an  die  Fläche  im  Punkt  P;  X  die  isoperimetrische  Konstante. 

(Jellett) 

15*.  Die  Gleichgeivichtsfigur  einer  homogenen  Flüssigkeit  in  einem  Gefäß 
mit  vertikaler  zylindrischer  Wandung  unter  der  Einwirkung  der  Schivere  und  der 
Kapillarkräfte  zu  bestimmen  (§  79,  d),  §  80,  c)). 

Lösung:  Die  positive  0-Achse  werde  vertikal  nach  oben  gewählt;  der 
Boden  des  Gefäßes  sei  eine  horizontale  Ebene^  welche  wir  zur  x,  y-Ehene  wählen. 
Es  bezeichne  V  das  Volumen  der  Flüssigkeit,  H  die  Höhe  des  Schwerpunktes 
derselben  über  dem  Boden  des  Gefäßes,  ferner  T  den  Inhalt  desjenigen  Teiles 
der  Oberfläche  der  Flüssigkeit,  welcher  die  Wand  berührt,  U  den  Inhalt  des 
freien  Teiles  der  Oberfläche,  welcher  entlang  der  Kurve  2  an  die  Wand  grenzen 
möge;  endlich  seien  a,  ß  zwei  von  dem  Verhältnis  der  Schwere  zur  Intensität 
der  Kapillarkräfte  abhängige  Konstanten. 

Alsdann  ist  die  Gleichgewichtslage  der  Flüssigkeit  nach  Gauss  ^)  dadurch 
charakterisiert,  daß  der  Ausdruck 

VH-^{cc'  —  2ß')T-\-cc'U  (74) 

ein  Minimum  wird  mit  der  Nebenbedingung,  daß  das  Volumen  V  einen  vorge- 
schriebenen Wert  haben  soll,  während  die  Kurve  S  nur  der  Beschränkung  unter- 
worfen ist,  auf  dem  gegebenen  Zylinder  zu  liegen. 

Betrachtet  man  zunächst  Variationen,  bei  welchen  S  ungeändert  bleibt,  so 
bleibt  T  konstant  und  man  hat  ein  isoperimetrisches  Problem,  wie  das  in  §  79,  d) 
behandelte.  Man  erhält  als  charakteristische  Eigenschaft  der  freien  Oberfläche 
die  Relation  (Laplace) 

1     ,     1        z^X 

wo  X  die  isoperimetrische  Konstante  bedeutet. 

Bei  Variationen,  welche  die  Kurve  i*  ändern,  ist  auch  das  einfache  Integral 
T  zu  berücksichtigen.  Eine  leichte  Modifikation  der  in  §  79,  c)  und  d)  durch- 
geführten Schlüsse  führt  auf  das  Resultat-(LAPLACE,  Gauss),  daß  entlang  der  Kurve  S 

•     i        ß 

sm  -  =  - 

2        « 


^)  Werke,  Bd.  V,  pp.  55,  290,  wo  die  Aufgabe  für  beliebige  Gestalt  des  Ge- 
fäßes durchgeführt  wird.  Vgl.  auch  Kneser,  Lehrbuch,  pp.  274,  280,  wo  die  Auf- 
gabe in  ParameterdarsteUung  behandelt  wird. 


gQ4r  Übungsaufgaben  zu  Kapitel  XI  bis  XIII. 

sein  muß,  wenn  »  den  Neigungswinkel  zwischen  der  Tangentialebene  der  freien 
Oberfläche  und  der  vertikalen  Richtung  bedeutet.  (Gauss.) 

16*.  Gleichgewichtsfigur  eines  an  einer  horizontalen  Ebene  hängenden 
Tropfens')  (§  79,  d),  §  80,  c)). 

Lösung:  Es  muß  wieder  der  Ausdruck  (74)  ein  Minimum  werden  mit  der 
Nebenbedingung   V=  konst.     Dabei  ist  hier 

T=Jfdxdy 
und  ß  =  a. 

Die  Gleichung  (75)  gilt  auch  hier.  Die  Grenzgleichung  geht  in  die  Be- 
dingung über,  daß  die  freie  Oberfläche  des  Tropfens  die  horizontale  Ebene  be- 
rühren muß. 

« 

17.  Die  „Kantenbedingung"  für  diskontinuierliche  Lösungen  (Flächen  der 
Klasse  D")  für  das  Integral  (19)  aufzustellen  (§  80,  b)). 

Lösung:  Ist  ß  die  Kurve  in  der  u,v-Ehene,  an  welcher  die  partiellen  Ab- 
leitungen von  X,  2/,  z  Sprünge  erleiden,  so  müssen  beim  Überschreiten  von  (E  die 
Ausdrücke 

F,y-F^,u\  Fyy-Fyu\  F,y-F.y 

stetig  bleiben,  wobei  die  Ableitungen  u\  v'  entlang  der  Kurve  ß  genommen  sind. 

(KOBB). 

18.  Zu  beweisen,  daß  die  partielle  Differentialgleichung  (57)  befriedigt 
wird  durch  die  Funktion 

u^^^G'{s)-j^^Gis)j,  .  (76) 

wenn  G{s)  eine  beliebige  analytische  Funktion  von  s  =  ^-{-iri  ist,  und  s"=  |  — nj. 

(Schwarz). 
19*.     Die  Schraubenfläche 

x  +  ytgz  =  0  (77) 

ist  eine  Minimalfläche.     Bei  fester  Begrenzung  die  zweite   Variation  desjenigen 
Teiles  derselben  zu  untersuchen,  welcher  zwischen  den  beiden  Ebenen 

z  =  —  UTC     und     z  = -\- ccTt 

und  zugleich  innerhalb  der  Zylinderfläche  x^  -\-  y^  =  B^  liegt  (§  81). 
Lösung:  Es  sei 

^  =  log(i?  +  |/l  +  JR«0 
und  es  bezeichne 

UiQ,  X)  =  ;iCh;i9Ch()  —  Sh^^Shc». 


')  Vgl.  Encyklopädie  V  9  (Minkowski),  p.  572  und  E.  Swift,  Über  die  Form 
und  Stabilität  geicisser  Flüssiglceitstropfen,  Dissertation,  Göttingen  1907,  w^o  eine 
Anzahl  spezieller  Fälle  im  einzelnen  durchgeführt  werden. 


Übungsaufgaben  zu  Kapitel  XI  bis  XIII.  695 

Wenn  dann  a<^^,   so   ist    ^(q^^)   positiv  für  jedes   q,   und  die  zweite 
Variation  ist  stets  positiv.     Ist  dagegen  a  ]>  ^,  so  besitzt  die  Gleichung 

stets  eine  positive  Wurzel  /S^;   die  zweite  Variation  ist  dann  stets  positiv,  wenn 
ß<ißoi  sie  kann  dagegen  negativ  gemacht  werden,  wenn  ß^ß^. 
Andeutung:  Für  die  Schraubenfläche  (77)  ist 


»(^)  =  2i-.'- 

Mache  von  Nr.  18  Gebrauch,  wähle 

und  setze  s  =  e?  +  *>. 

-i 

(SCHWAKZ) 


20.     Das  dreifache  Integral 

^=Jjjfi^^  2/,  ^,  u,  u^,  Uy,  u,)dxdydz 


durch  passende  Wahl  der  Funktion  u  von  rc,  2/,  ^  bei  unveränderlichem  Inte- 
grationsbereich zu  einem  Extremum  zu  machen. 

Lösung:  Die  Lagrange'sche  Differentialgleichung  lautet 

f  -A/-  _A/  _A/-  _o 

^"         dx'^'x         dyS         dz'""'  ' 

wobei  die  angedeuteten  Differentiationen  sich  auch  auf  die  in  u^u^^Uy,Ug  als 
Argumente  enthaltenen  Variabein  x^  y,  z  beziehen. 

Andeutung:  Wende  den  allgemeinen  Green'schen  Satz  für  dreifache  Inte- 
grale auf  die  Transformation  der  ersten  Variation  an. 

Beispiel:  /"=  «*|  +  w|  +  w|,  (Dirichlet'sches  Prinzip  für  den  Raum). 


Nachträge  und  Berichtigungen. 


Zu  p.  24,  Z.  9  von  unten:  Lies  X  und  XI  statt  XI  und  XII. 
Zu  p.  30,  Z.  3  von  unten:  Lies  §  35  statt  Kap.  IX. 

Zu  p.  32,  Fußnote  ^):   Vgl.  auch  Guldberg,   Rendiconti   del  Circolo  Mate- 

matico  di  Palermo,  Bd.  XXI  (1906). 
Zu  p.  39,  Fußnote  ^):   Mit  derselben  Aufgabe  beschäftigt  sich  auch  Böhm,  Jour^ 

nal  für  Mathematik,  Bd.  CXXl  (1900),  p.  124. 

Zu  p.  50,  Z.  2  von  unten:  Lies  §  3G,b)  statt  §  34, c). 

Zu  p.  57:  Einen  andern,  elementaren  Beweis  des  Fundamentalsatzes  II  gibt 
LiNDEBERG^  Öfvcrsigt  af  Finska  Vetenskaps-Societetens  Förhand- 
lingar,  Bd.  XL 711  (1904—1905),  Nr.  2.  Vgl.  auch  den  analogen  Beweis  von 
Mason  für  Doppelintegrale,  §  81,  a). 

Zu  p.  63,  Z.  2  von  unten:  Lies  p.  197,  Fußnote  ^)  statt  §  44, a). 
Zu  p.  79,  letzte  Zeile:  Lies  §  29, c)  statt  §  30, c). 

Zu  p.  83,  Fußnote  ^):  Den  Fall  x^  =  x^'  behandelt  auch  Korn,  Münchener 
Berichte,  Bd.  XXXII  (1902)  p.  75,  und  zwar  durch  Betrachtung  der  dritten 
und  vierten  Variation. 

Zu  p.  83,  letzte  Zeile:  Lies  §  47  statt  §  43. 

Zu  p.  96  Fußnote  ^):  Einen  andern  direkten  Beweis  für  die  Notwendigkeit  der 
Weierstraß'schen  Bedingung  gibt  Lindeberg,  Öfversigt  af  Finska  Ve- 
tenskaps-Societetens Förhandlingar,  Bd.  XL VII  (1904— 1905),  Nr.  2. 

Zu  p.  96,  Z.  6  von  unten:  Lies  §  30  statt  §  31. 

Zu  p.  106,  Fußnote  ^):  Vgl  auch  Ermakoff,  Journal  de  Mathematiques  (5),. 

Bd.  X  (1905),  p.  97. 
Zu  p.  106,  Z.  2  von  unten:  Lies  §  32  statt  §  33. 

Zu  p.  110,  Z.  3  von  unten:  Lies  §  32  statt  §  33.  '' 

Zu  p.  115:  Hiermit  verwandt  ist  die  geometrische  Deutung  der  8 -Funktion  im 
Fall  der  Parameterdarstellung  mittels  der  Indikatrix  von  Caratheodory,  vgl. 
p.  247.  Andere  geometrische  Deutungen  der  8-Funktion  geben  Kneser,  Lehr- 
buch, p.  78,  und  Luve,  Proceedings  of  the  London  Mathematical 
Society  (2),  Bd.  VI  (1907).  p.  205. 

Zu  p.  118,  Fußnote  *):  Herr  A.  Kosenblatt  teilt  mir  folgendes  Beispiel  mit,, 
welches  zeigt,  daß  auch  die  Bedingungen  (I),  (II'),  (IIP),  (IV),  (V)  noch 
nicht  hinreichend  sind  für  ein  starkes  Minimum: 

J=J  {ay'^-^^hy"'y^-Ahy''>yx-\-by'''x^)dx,{a:>0,I)^o,x,:>0). 
0 


Nachträge  und  Berichtigungen,  697 

Hier  ist  die  Gerade  y  =-  0  eine  Extremale,  für  welche  bei  hinreichend  kleinem 
^2  die  sämtlichen  obigen  Bedingungen  erfüllt  sind.  Trotzdem  findet  kein  Mi- 
nimum statt.     Denn  setzt  man  iCg  ==  o;  /i,  wo  0  <<  o;  <<  1,  so  ist 

woraus  folgt,  daß  A/<0  gemacht  werden  kann. 

Dasselbe  beweist  Hahk  (Monatshefte  für  Mathematik  und  Physik, 
Bd.  XX  (1909),  p.  279)  mittels  des  Beispiels: 

@«:2/  =  0,       0<^<1. 

Zu  p.  131,  letzte  Zeile:  Lies  §  44  statt  §  40. 

Zu  p.  133,  Z.  6  von  oben:   Der  Satz  ist  nach  p.  453,  Fußnote  ^)   zu   berichtigen. 

Zu  p.  140,  Fußnote  ^):  Caratheodory  hat  inzwischen  seine  Methode  weiter  ent- 
wickelt, und  zwar  für  den  Fall  der  Parameterdarstellung,  in  den  Rendi- 
conti  del  Circolo  Matematico  di  Palermo,  Bd.  XXY  (1908).  Der  Grund- 
gedanke der  Methode  geht  auf  eine  Arbeit  von  Johann  Bernoulli  über  die 
Brachistochrone  zurück,  Opera  omnia  (Lausanne  1742),  Bd.  II,  p.  266. 

Zu  p.  146,  Z.  9  von  oben:  Lies 

Zu  p.  146,  Z.  14:  Auch  der  Fall  n  =  —l  ist  auszuschließen. 

Zu  p.  146:  Nach  Aufgabe  17  einzuschalten: 

17a*.  {Zweites  inverses  Problem  der  Variationsrechnung):  Alle  Funktionen 
f  (^?  y,  y)  zu  bestimmen ,  für  welche  die  Transversalitätsbedingung  eine  vor- 
geschriebene Form 

y'  =  9(^,y,y') 

^^t-  (Stromquist) 

Zu  p.  151:  Aufgabe  Nr.  40  ist  mit  einem  Stern  zu  versehen. 
Zu  p.  214:  Eine  andere  Definition  von  regulären   Variationsproblemen  gibt  Cara- 
theodory, Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  465. 

Zu  p.  280:  Vgl.  auch  die  Arbeit  von  Kneser,  Die  Stabilität  des  Gleichgeivichts 
hängender  Fäden,  Journal  für  Mathematik,  Bd.  CXXV  (1903),  p.  191,  wo 
ganz  ähnliche  Schlüsse  zur  Anwendung  kommen. 

Für  Doppelintegrale  gilt  der  Osgood 'sehe  Satz  im  allgemeinen  nicht, 
vgL  Caratheodory,  Mathematische  Annalen,  Bd.  LXII  (1906),  p.  452; 
Hadamard,  Annales  de  l'Ecole  Normale  Superieure  (3),  Bd.  XXIY 
(1907),  p.  223. 

Zu  p.  297,  Aufgabe  12:  Die  entsprechenden  Sätze  für  den  Fall  der  Hyperbel  und 
der  Parabel  gibt  T.  H.  Hildebrandt,  American  Mathematical  Monthly, 
Bd.  XV  (1908),  p.  177. 


^gg  Kachträge  und  Berichtigungen. 

Zu  p.  392:  Notwendige  und  hinreichende  Bedingungen  für  Probleme  mit  Ge- 
bietseinschränkung entwickelt  auch  Lindeberg  in  der  Arbeit  „t/6er  ein 
Problem  der  Variationsrechnung'^  Översigt  af  Finska  Vetenskaps-So- 
cietetens  Förhandlingar,  Bd.  LI  (1908—1909),  Afd.  A.  Nr.  21. 

Zu  p.  421,  Fußnote  ^):  Hadamard  hat  den  erwähnten  Existenzbeweis  im  einzel- 
nen durchgeführt  in  den  Memoires  presentes  par  divers  savants  ä 
r  Academie  de  France,  Bd.  XXXIIl  (1908),  p.  75. 

An  neueren  Arbeiten  über  das  Dirichlet'sche  Prinzip  sind  noch  zu  nennen: 
FuBiNi,  Rendiconti  del  Circolo  Matematico  di  Palermo,  Bd.  XXII 
(1906),  p.  383;  Hadamard,  Bulletin  de  la  Societe  Mathematique  de 
France,  Bd.  XXXIY  (1906),  p  135;  Lebesgue,  Comptes  Rendus,  Bd.  CXLIV 
(1907)  pp.  316,  622. 

Zu  p.  509,  Fußnote  ^):  Die  Arbeit  von  Lindeberg  ist  inzwischen  erschienen, 
Mathematische  Annalen,  Bd.  LXVII  (1909),  p.  340. 

Zu  p.  536,  Z.  10  von  oben:  Zwischen  „festgeklemmten''  und  „Drahtes"  ist  ein- 
zuschalten „ebenen". 

Zu  p.  619:  Hier  sind  noch  einige  Arbeiten  von  Culverwell  zu  erwähnen,  Pro- 
ceedings  of  the  London  Mathematical  Society,  Bd.  XXIII  (1892) 
p.  241;  Bd.  XXV  (1895),  p.  361;  Bd.  XXVI  (1896),  p.  345. 


Sachregister. 


(Die   mit   einem  Stern   versehenen  Zahlen  beziehen   sich  auf  den   nach  dem  Sachregister  folgenden 

Anhang ) 


Abbildung,  158,  9*,  10*. 

AbeVscher  Satz  über  lineare  Differential- 
gleichungen, 67. 

Abgeschlossene  Punktmengen,  2*. 

Abrunden  der  Ecken,  86. 

Absolutes  Extremum:  einer  Funktion ,  10; 
eines  Integrals,  15,  121,  419—443. 

.A&siancZ  zweier  Punkte :  Bezeichnung,  207 ; 
Differential  desselben,  447;  extremaler 
A.,  309. 

Aktion:  Prinzip  der  kleinsten  A. ,  nach 
Jacobi,  296—298,  444,  452—455,  556; 
nach  Lagrange,  586. 

Akzessorisches  System  linearer  Differential- 
gleichungen, 622. 

Amplitude  eines  Vektors,  99. 

Anormales  Verhalten  einer  Extremalen, 
564. 

Äquidistant,  geodätisch  ä.  Kurven,  142. 

Äquivalente  Probleme,  344,  355,  475, 
491,  543. 

Arcus  tangens,  Definition,  191. 

Ausartungen  der  Euler'schen  (La- 
grang e'schen)  Differentialgleichung, 
35,  659. 

Ausgezeichnete  Extremalenbüschel ,  496, 
522,  613. 

Außerordentliches  Verschwinden  der  8- 
Funktion,  120,  245. 

Begrenzung  einer  Punktmenge,  14,  3*. 

Beispiele:  I,  1,  33,  41,  44,  59,  72,  79,  99, 
320,  398,  436,  451;  II,  3,  465,  483, 
494,  498,  502,  510;  III,  5,  553;  IV,  5, 
577;  V,  7,  657,  661,  667,  671,  682, 
687;  VI,  32,  71,  79,  98;  VII,  33,  99, 
124,  131;  VIII,  34,  99;  IX,  95,  113; 
X,  113,  122,  125,  449;  XI,  116,  119, 
122,  125;  XII,  119;  XIII,  124,  132,268, 
370;  XIV,  206,  234,  240;  XV,  207,  234, 
268,  305;  XVI,  209,  228,  240,  248,  268, 
304,  353;  XVII,  246,  248;  XVIII,  324, 


XIX,  370,  389;  XX,  397,  407;  XXI, 
460,  484,  511;  XXII,  523;  XXIII,  554; 
XXIV,  556;  XXV,  578;  XXVI,  584; 
XXVII,  586;  XXVIII,  651;  XXIX,  656, 
661;  XXX,  658;  XXXI,  662. 

Beltrami-Hilberf  scher  Unabhängigkeits- 
satz, siehe  Unabhängigkeitssatz. 

Beltrafni' sehe  Partielle  Differentialglei- 
chung, 132. 

Benachbarte  Kurven,  19. 

Bereich,  14,  3*;  stetiger  B.,  14,  3*. 

Beschränkte  Punktmengen,  8,  2*. 

Beschränkte  Variation,  Funktionen  von 
b.  V.,  427. 

Bliss'sche  Bedingung  bei  Problemen  mit 
zwei  variablen  Endpunkten,  328,  447. 

Bliss'sche  Modifikation  desWeierstraß'- 
schen  Problems,  268. 

Bogen  einer  Kurve,  191. 

Brachistochrone :  gewöhnliche,  siehe  Bei- 
spiel XV;  Konstantenbestimmung,  208 ; 
Fall  eines  variabeln  Endpunktes,  305; 
auf  einer  gegebenen  Fläche,  298,  299, 
690;  im  widerstehenden  Mittel,  5,  577; 
von  gegebener  Länge,  530. 

Brechung  des  Lichtes,  299,  390,  452. 

Brennfläche  einer  Kongruenz,  494. 

Brennpunkt:  einer  Kurve  auf  einer  von 
ihr  transversal  geschnittenen  Extre- 
malen, Definition,  317;  Gleichung  zur 
Bestimmung  desselben  nach  Bliss,  318, 
445,  nach  Kneser,  323;  geometrische 
Bedeutung,  321;  Abhängigkeit  von  der 
Krümmung,  318;  Fall  wo  der  ß.  mit 
dem  zweiten  Endpunkt  zusammenfällt, 
363;  bei  isoperimetrischen  Problemen, 
522;  B.  einer  Kongruenz,  493. 

Caratheodory'sche  Methode  zur  Behand- 
lung von  Variationsproblemen,  140, 
697. 

CJebsch'sche  Bedingung,  608. 


700 


Sachregister. 


Darhouxsche  Meüwde  für  geodätische 
Linien,  334. 

Darboux'scher  Satz  über  das  absolute  Ex- 
tremum,  438. 

Defmite   Vanationsprobleme^  277,  421. 

8-Algoritlimus,  21,  45,  348. 

Derivierte,  vordere,  hintere,  6*. 

Dicht:  in  sich  d.  Punktmengen,  2*. 

Dido:  Problem  der  D.,  528. 

Differentialgleichungen-.'Elxistenztheoieme 
über  D.,  168—174;  Abhängigkeit  der 
Lösung  von  den  Anfangswerten,  175 — 
186;  von  Parametern,  186—188;  Sätze 
über  lineare  D.,  64—67. 

Dift'eventiationsmethode  bei  Problemen 
mit  variabeln  Endpunkten,  313. 

Differentiierbar,  6  *. 

Dirichlefsches  Prinzip,  419,  421,  657,  695, 
6Ü8. 

Dirichlefsches  Problem,  656. 

Diskontinuierliche    Lösungen,   365 — 418; 
bei  isoperimetrischen  Problemen,  464, 
527;  beim  Lagrange' sehen  Problem,  ; 
571;  bei  Doppelintegralen,  694.  j 

Diskontinuierliche       Variatiotisprobleme,  i 
389.  I 

Doppelabstandskurve,  442.  | 

Doppelintegrale:  Extrema  von  D.,  652 
bis  687. 

Dritte  Variation,  69,  696. 

Du  -  Bois  -  lieymond'sches    Lemma ,     27; 
Z  e  r  m  e  1  o '  s     Verallgemeinerung     für  i 
Probleme    mit    höheren    Ableitungen, 
153;  für  das  Lagrange' sehe  Problem,  j 
568;  für  Doppelintegrale,  654. 

Ecke:  Definition,  192;  Ekenbedingung 
bei  diskontinuierlichen  Lösungen,  367, 
449,  465,  571;  Eckenbedingung  bei 
diskontinuierlichen  Yariationsproble- 
men,  391;  Eckenkurve,  374. 

%-Funktion:  Definition,  110,  243,  474, 
606,  686;  geometrische  Interpretation, 
116,  247,  696;  Verschwinden  der  g-F., 
120,  245;  Beziehungen  zu  f^,  f,  resp. 
1^1,  115,  244;  Beziehungen  zur  Inva- 
riante Üq,  386. 

Eigentliches  Extremum:  einer  Funktion, 
10;  eines  Integrals,  18. 


Einbettungssatz  für  Differentialgleichun- 
gen, 179,  185,  186,  217,  593. 

Einfach  zusammenhängend,  36. 

Einseitige  Variation,  393;  siehe  auch  Ge- 
bietsbeschränkungen. 

Elastische  Kurve,  535,  536. 

Element  einer  Lösung  eines  Systems  von 
Differentialgleichungen,  169. 

Endgeschwindigkeit;  Kurve  größter  E., 
578. 

Endlich:  Funktion  e.  in  einem  Intervall,  9. 

Enveloppe  einer  Extremalenschar,  358. 

Enveloppensatz :  für  geodätische  Linien, 
335;  allgemein,  342,  447;  für  gebro- 
chene Extremalen,  380;  bei  isoperi- 
metrischen Problemen,  501,  522;  beim 
Lagrange'schen  Problem,  615. 

Erdmann'sche  Eckenbedingung,  367,  449. 

Ergänzungslemma  zum  Fundamentallem- 
ma der  Variationsrechnung,  460,  568. 

Erste  Variation:  Definition,  21,  46;  Ver- 
schwinden, 21;  Transformation  durch 
partielle  Integration  nach  Lagbange, 
23^  nach  Dü-Bois-Reymond,  27 ;  bei  va- 
riabeln Endpunkten,  41,  44;  für  den 
Fall  der  Parameterdarstellung,  202, 
204;  bei  isoperimetrischen  Problemen, 
457 — 470;  beim  Lagrange'schen  Pro- 
blem, 542 — 595;  bei  Doppelintegralen, 
602—671. 

Escher  ich' sehe  Fundumentalformel ,   628. 

Euler-Lagrange' scheMultip  likatorenregel: 
für  den  Fall  endlicher  Bedingungs- 
gleichungen, 548;  für  den  Fall  von 
DifiFerentialgleichungen  als  Nebenbe- 
dingungen, 558;  für  den  Fall  gemisch- 
ter Bedingungen,  580. 

Eider' sehe  Diff'erentialgleichu7ig,  24 ;  We  i  - 
erstraß'sche  Fonn  derselben,  203; 
Bliss'sche  Form  derselben,  269;  Re- 
duktion auf  ein  kanonisches  System, 
134,  593;  (siehe  auch  unter:  Euler- 
sche  Regel,  Euler-Lagrange' sehe 
Multiplikatorenregel,  Lagrange' sehe 
Differentialgleichung,  Ausartungen  der 
Eul er' sehen  Differentialgleichung). 

Eulcr'sche  Hegel  für  isoperimetrische  Pro- 
bleme, 461,  535,  661. 

Evolute  einer  ebenen  Kurve,  342;  Auf- 
gaben die  E.  betreffend,  152,  536. 


Sachregister. 


701 


Existenz  eines  Minimums:  „im  Großen", 
419—438,  698  „im  Kleinen",  270—280. 

Existenztheoreme  fürExtremalen,  184,  212; 
bei  isoperimetrischen  Problemen,  468; 
beim  Lagrange' sehen  Problem,  588. 

Extremale:  Definition,  32,  203,  463,  564; 
E.  durch  einen  Punkt  in  gegebener 
Richtung,  184,  213,  468,  589;  E.  durch 
zwei  gegebene  Punkte,  306,  597;  Ex- 
tremalfläche,  656;  Extremalenschar 
durch  einen  Punkt,  76,  221,  490,  610; 
Extremalenschar,  die  von  einer  gege- 
benen Kurve  transversal  geschnitten 
wird,  322,  521,  648;  ausgezeichnete 
Extremalenbüschel,  496,  522,  613. 

Extremalenintegral :  Definition  und  erste 
partielle  Ableitungen,  146,  147,  308, 
599;  zweite  partielle  Ableitungen,  310. 

Extremaler  Abstand  zweier  Punkte,  309. 

Extremum:  Definition,  2  (vgl.  auch  Maxi- 
mum, Minimum). 

Feld:  Definition  und  Existenz,  96,  100, 
164,  249;  uneigentliches  F.,  98;  F.  um 
einen  Punkt,  270;  F.  von  gebrochenen 
Extremalen,  381;  F.  von  Extremalen, 
die  eine  gegebene  Kurve  berühren, 
401 ;  bei  isoperimetrischen  Problemen, 
504,  523;  beim  Lagrange' sehen  Pro- 
blem, 635;  bei  Doppelintegralen,  684. 

Feldintegral,  131,  252,  384,  405,  504,  636. 

Fortsetzung  einer  Lösung  eines  Systems 
von  Differentialgleichungen,  173, 

Fundamentallemma  der  Variationsrech- 
nung, 25;  für  isoperimetrische  Pro- 
bleme, 462;  für  Doppelintegrale,  655. 

Fundamentalsysteme^  66,  623. 

Fünfte  noticendige  Bedingung,  117,  696. 

Funktion  §^ ,  265,  513. 

Funktion  F^,  196. 

Funktion  F^,  226. 

Funkiionenprobleme,  199. 

Gebietseinschränkungen :  Probleme  mit  G., 

392—407,  527,  697. 
Gebrochene  Extremalen:  Definition,  368; 

Scharen  von,  372;  konjugierte  Punkte 

auf,  377. 
Gefällbeschränkung:    Probleme    mit    G., 

34,  126,  407. 

Bolz  a,  Variationsrechnung. 


Gefälle  einer  Kurve,  15. 

Gefällfunktion{en)  des  Feldes,  97,  106, 
636,  684. 

Gemischte   Variationen,  49. 

Geodätische  Bistanz,  309. 

Geodätische  Ellipsen  und  Hyperbeln, 
448. 

Geodätische  Kreise,  529. 

Geodätische  Krümmung,  210. 

Geodätische  Linien,  siehe  Beispiel  III 
und  XVI;  ferner  295,  448,  690; 
G  a  u  ß'sche  Sätze  über,  333 ;  Enveloppen- 
satz  für,  335;  G.  L.  des  Rotations- 
ellipsoids im  w-dimensionalen  Raum, 
688;  G.  L.  des  n-dimensionalen Raumes, 
688. 

Geodätische  Parallelkoordinaten,  333. 

Gewöhnliche  Kurven,  192. 

Gleichgeivichtsfigur  einer  Flüssigkeit,  693, 
694. 

Gleichgeiüichtslage  eines  elastischen  Drah- 
tes, 536,  541,  691. 

Gleichgewichtslage  eines  hängenden  Fa- 
dens, siehe  Beispiel  XXI,  ferner  697; 
bei  variablem  Endpunkt,  539;  auf  einer 
Fläche,  siehe  Beispiel  XXVI,  ferner 
529;  speziell  auf  der  Kugel,  532. 

Gleichmäßige  Konvergenz,  4*. 

Gleichmäßige  Stetigkeit,  5*. 

Green'scher  Satz,  654. 

Grenze:  Definition  und  allgemeine  Sätze, 
3*,  4*;  obere  und  untere  G.  einer 
linearen  Punktmenge,  9,  2*;  einer 
Funktion,  3*. 

Grundintegral,  109. 

Hamilton- Jacobi' sehe  Theorie,  135,  595. 

Hamilton'sche  Formeln,  147,  256,  310, 
385,  405,  416,  505,  599,  636,  691. 

Hamilton' sehe  Partielle  Differential- 
gleichung, 135,  138,  298,  600. 

Hamilton' sches  Prinzip,  554. 

Häufungspunkt,  2  *. 

Hauptdeterminante,  66. 

Hauptfall  des  Lagrange' sehen  Problems, 
603. 

Hilbert'sches  Existenztheorem,  419—438, 
527,  698. 

Hilbert'sches  Invariantes  Integral,  siehe 
unter  ünabhängigkeitssatz. 
45 


702 


Sachregister. 


Hubert' scher  Unabliängigkeüssatz ,  siehe 
unter  Unabhängigkeitssatz. 

Hinreichende  Bedingungen  für  ein  per- 
manentes Zeichen  der  zweiten  Varia- 
tion, 71,  485,  634,  681. 

Hinreichende  Bedingungen  für  ein 
schwaches  Extremum,  92,  126;  beini 
Lagrange'schen  Problem,  634;  bei 
Doppelintegralen,  682. 

Hinreichende  Bedingungen  für  ein  starkes 
Extremum :    beim    einfachsten    Funk-  j 
tionenproblem,    121,    123;   beim  ein- 1 
fachsten     Kurvenproblem ,     267 ;     für  | 
Kurven  der  Klasse  K,  292;  bei  einena  ! 
variabeln    Endpunkt,    327,    354;    bei  j 
zwei  variabeln  Endpunkten,  330;  bei  j 
diskontinuierlichen     Lösungen,     385;, 
bei  Gebietseinschränkungen,  407;  bei; 
Gefällbeschränkungen,   126,   418;   bei 
isoperimetrischen  Problemen,  514,  518, 
523;  beim  Lagrange'schen  Problem, 
638;  bei  Doppelintegralen,  686. 

Höhere  Ableitungen:  Probleme  mit  h.  A. 
unter  dem  Integranden,  4,  153,  154, 
542,  691;  Reduktion  auf  das  La- 
grange'sche  Problem,  543. 

Homogencitätsbedingung ,  194,  575;  bei 
Doppelintegralen,  665. 

Hyperbolische  Funktionen :  Bezeichnung, 
33. 

Implizite  Funktionen:  Dini's  Satz  über, 
166,  7*;  erweiterter,  167. 

Jn  einer  Punktmenge :  Definition,  9,  13, 
14. 

Indikatrix,  247,  304,  369. 

Innerer  Punkt  einer  Punktmenge,  2*. 

Integrabel  105. 

Integrabilitätsbedingung,  36,  153,  659. 

Integral  entlang  einer  Kurve,  15;  in 
Parameterdarstellung,  193;  Unabhän- 
gigkeit von  der  Wahl  des  Parameters, 
195,  575;  Verallgemeinertes  Kurven- 
integral, 284,  422. 

Intervall,  9. 

Invarianten  der  Funktion  F(x,  y,  x\  y'), 
345. 

Invariante  Normalform  der  zweiten  Varia- 
tion, 227. 

Inverse  Funktionen,  5*,  7*. 


Inverse  Funktion{en)  des  Feldes,  97,  251, 
504,  635,  684. 

Inverses  Problem  der  Variationsrechnung, 
37,  645. 

Inversion  eines  Funktionensystems,  159, 
160. 

Isolierter  Pmikt  einer  Punktmenge,  2*. 

Isoperimetrische  Konstante,  464 ;  Fall  dis- 
kontinuierlicher Lösungen,  464. 

Isoperimetrische  Probleme,  457—541,  543, 
661. 

Isoperimetrisches  Problem,  spezielles,  siehe 
Beispiel  II,  ferner  531;  bei  variablem 
Endpunkt,  siehe  Beispiel  XXII,  ferner 
149,  151,446,538;  auf  einer  gegebenen 
Fläche,  528,  529,  532,  690. 

Jacobi' sehe  Bedingung,  87,  103;  Weier- 
straß'sche  Form,  233;  Kneser'sche 
Form,  236;  Analogon  bei  isoperi- 
metrischen Problemen,  483;  beim 
Lagrange'schen  Problem,  619,  625; 
bei  Doppelintegralen,  678. 
Jacobi'sche  Differentialgleichung,  60,  233, 
236;  Analogon  beim  Lagrange'schen 
Problem,  622;  bei  Doppelintegralen, 
676. 
Jacobi'scher  Fundamentalsatz,  72;  siehe 

I      auch  unter  Jacobi'sche  Differential- 
gleichung. 
Jacobi'sches  Kriterium,   71;   siehe   auch 

;      unter  Jacob  i'sche  Bedingung  und  kon- 

\      jugierter  Punkt. 

'  Jordan' sehe  Kurven,  9*. 

Kanonische  Systeme  von  Differentialglei- 
chungen, 134,  593. 

Kanonisches  Lösufigssystem  des  akzes- 
sorischen Systems  linearer  Differential- 
gleichungen, 624. 

Kantenbedingung,  694. 

Kapillarität:   Aufgaben   über,   693,  694. 

Katenoid,  siehe  Beispiel  I. 

Kinetische  Brennpunkte,  296. 

Klasse:  Funktionen  (Kurven)  der  Klasse 
(j{n)^  j){n)^  -^3^  (33^  191^  575.  Kurven 
der  Klasse  K,  289 ;  Flächen  der  Klasse 

Cf.n)^   j^(n)^    g^4_ 

Kneser'schehinreichendeBedingmige7i,Sb4:. 
Kneser'sche  krummlinigeKoordinaten,  350. 


Sachregister. 


703 


Kneser'sche  Theorie^  332 — 364;  insbeson- 
dere der  konjugierten  Punkte,  235, 489, 
610. 

Knesef  scher  Trmwversalensatz^  siebe  unter 
Transversalensatz. 

Knickjßunkt^  192,  365;  Knickpunktskurve, 
374. 

KomplementäreExtremdlenschar,  373,  391. 

Kongruenz  von  räumlichen  Extremalen, 
491. 

Konjugierte  Punkte,  71,  234;  geometri- 
sche Deutung,  75,  237;  auf  gebroche- 
nen Extremalen,  377;  bei  isoperime- 
trischen Problemen,  478,  489;  beim 
Lagrange' sehen  Problem,  611;  im 
weiteren  Sinne,  234;  Fall,  wo  der 
zweite  Endpunkt  mit  dem  konjugier- 
ten Punkt  zusammenfällt,  83,  363,  617, 
696. 

Konjugierte  Systeme,  626. 

Kontinuum,  3*. 

Konvergenzprinzip:  allgemeines,  4*. 

Konvexer  Bereich,  422;  in  Beziehung  auf 
die  0-Richtung,  659. 

Koordinatenachsen :  Verabredung  über 
die  Orientierung  der  K.,  192. 

Kreis:  Bezeichnung,  273. 

Kritischer  Punkt,  317. 

Krummlinige  Koordinaten:  im  allgemei- 
nen, 343;  Kneser'sche,  350. 

Krümmung:  einer  ebenen  Kurve,  192; 
geodätische,  210;  extremale,  346;  kür- 
zeste Raumkurve  von  gegebener  erster 
K.,  690;  mittlere  K.  einer  Fläche,  657. 

Kurven:  Allgemeine  Definitionen,  189; 
der  Klasse  &''\  191,  575;  gewöhnliche, 
192;  reguläre,  192;  der  Klasse  Z",  289; 
Jordan' sehe,  9*. 

Kurvenprobleme,  199. 

Lagrange'sche  Differentialgleichung,  24, 
655;  siehe  auch  unter  Euler' sehe  Diffe- 
rentialgleichung. 
Lagrange'sche  MuUiplikatorenmethode, 
544;  siehe  auch  unter  Euler-Lagran- 
ge'sche  Multiplikatorenregel.  \ 

Lagrange'sche  Partielle  Integration,  23.    1 
Lagrange' sches  Problem,  6,  542 — 651.       | 
Länge  einer  Kurve:  Definition  von  Jordan. 
285;  von  Peano,  289. 


Laplace'sche  Differentialgleichung,  656. 

Legendre'sche  Bedingung:  57,  115,  696: 
Weierstraß'sche  Form,  227;  Analo- 
gen bei  isoperimetrischen  Problemen 
473;  beim  Lagrange' sehen  Problem, 
608;  bei  Doppelintegralen,  673. 

Legendre'sche  Differentialgleichung,  56. 

Limes:  oberer,  unterer,  4*. 

Lindeberg' scher  Satz,  515;  seine  Anwen- 
dung auf  isoperimetrische  Probleme, 
517. 

Lindelöfsche  Konstruktion,  80;  Verall- 
gemeinerung, 321. 

Lineare  Differentialgleichungen:  Hilfs- 
sätze über,  64. 

Lipschitz' sehe  Bedingung,  170. 

Maximum,  siehe  Minimum. 

Mayer'sche  Bedingung,  617,  625. 

Mayer'sche  Determinante,  612,  624,  632. 

Mayer'sche  Extremalenscharen,  643. 

Mayer'sches  Problem,  572. 

Mayer'sches  Beziprozitätsgesetz,  488,  574. 

Miyiimal flächen,  siehe  Beispiel  V,  ferner 
694. 

Minimum :  einer  linearen  Punktmenge,  8 ; 
M.  einer  Funktion,  absolutes  10,  5*, 
relatives,  10,  eigentliches  \MA  uneigent- 
liches, 10,  mit  Nebenbedingungen,  544; 
eines  Integrals,  absolutes,  15,  relati- 
ves, 17, 197,  eigentliches  und  uneigent- 
liches, 18,  schwaches  und  starkes,  91; 
Existenz  eines  M.  im  Kleinen,  270,  im 
Großen,  419. 

Mittelwertsatz:  der  Differentialrechnung, 
6*;  der  Integralrechnung,  8*. 

Monotonieprinzip,  4*. 

Multiplikatorenregel,  siehe  Euler-La- 
grange'sehe  M. 

Multiplikatoreti  des  Feldes,  636. 

Nachbarschaft  einer  Kurve,  18. 

Neivton'sches  Problem,  407 — 418. 

Nodoid,  534. 

Normale  einer  Fläche,  664. 

Normalen-Kongruenz^  651. 

Normalform:  des  allgemeinen  Integrals 
der  E  u  1  e  r'  sehen  Differentialgleichung, 
215,  594;  der  Extremalenschar  durch 
einen  Punkt,  221;  der  zweiten  Varia- 
tton,  228. 

45* 


704 


Sachregister. 


Nonnales  Verhalten  einer  Extremalen,  564. 
Norm  alvariation  ,47. 

Obere  Grenze,  siehe  Grenze. 
Ordentliches   Verschivinden   der   g-Funk- 

tion,  120,  245. 
Osgood'scher  Satz,  280,  356,  527,  697. 

Parallel  flächen,  651. 

Parallelkurven,  333;  geodätische  P.,  448. 

Parameter: Di fiFerentiation  eines  bestimm- 
ten Integrals  nach  einem  P.,  8*. 

Faramcterdarstellung:  Kurven  in  P.,  189; 
ebene  Yariationsprobleme  in  P.,  193; 
das  Lagrange' sehe  Problem  in  P., 
574;  Flächen  in  P.,  663. 

Parametertrans formation,  190,  664;  In- 
varianz gegenüber  P.,  192,  193,  346, 
575,  665. 

Partielle  Ableitungen:  Bezeichnung,  22; 
Sätze  über  P.A.,  6*,  7*. 

Partielle  Integration,  8*;  Lagrange- 
sche, 23;  Du-Bois-Reymond'sche, 
27. 

Peano'sche  Ungleichung,  170. 

Perfekte  Punktmengen,  2*. 

PlanetenheiCKgung,  297,  697. 

Plateau'sches  Problem,  658. 

Positiv-homogen^  194,  575,  G65. 

Potential:  Kurve  kleinsten  P.,  538;  Flä- 
che kleinsten  P.,  692. 

Principal  Function:  Hamilton' s,  309, 
599. 

Punktmengen:  Sätze  über  P.,  8,  1*. 

Pu7ikttransformationen,  343 ;  erweiterte 
P.,  345. 

Punktweise  Variation,  392. 

Quadratwurzel:  Bezeichnung,  2. 

Pegulär:  Funktionen,  11;  Kurven,  192; 

Variationsprobleme,  123,  214,  675,  697. 
Pegularitätsintervall :  einer  Lösung  eines 

Systems   von    Differentialgleichungen, 

591. 
Reine  Variationen,  49. 
Pektifi zierbare  Kurven,  286. 
Relatives    Extremum,    siehe    Minimum; 

ferner  457. 
Reziproke  Probleme,  488. 


Reziprozitätsgesetz,  siehe  Mayer'sches  R. 

RoUe'scher  Satz,  6*. 

Rotationskörper:  größter  Anziehung,  151, 
537;  größten  Volumens  bei  gegebener 
Oberfläche,  540 ;  größten  Volumens  bei 
gegebener  Meridianlänge,  535,  540; 
kleinster  Oberfläche,  siehe  Beispiel  I, 
ferner  451;  kleinster  Oberfläche  bei 
gegebenem  Inhalt  des  Meridianschnitts, 
530;  kleinster  Oberfläche  bei  gegebe- 
nem Volumen,  540;  kleinsten  Wider- 
standes, 407 — 418,  455,  456;  kleinsten 
Widerstandes  bei  gegebenem  Volumen, 
531. 

Schranke,  393. 

ScMvaches  Extremum,  91. 

Schivache   Variation,  94. 

Schwerpunkt:  Kurve  niedrigsten  S.  bei 
gegebener  Länge,  siehe  Beispiel  XXI; 
Fläche  niedrigsten  S.  bei  gegebenem 
Flächeninhalt,  692 ;  Körper  niedrigsten 
S.  bei  gegebener  Oberfläche  und  ge- 
gebenem Volumen,  692. 

Snellius'sches  Biechungsgesetz,  452. 

Sphärische  Kettenlinie,  532. 

Starkes  Extremum,  91. 

Starke  Variation,  94. 

Stetige  Funktionen:  Sätze  über,  10,  4*. 

Stetigkeitsbereich  eines  Systems  von  Dif- 
ferentialgleichungen, 169. 

Stürmischer  Satz  über  lineare  Difl'erential- 
gleichungen,  67. 

Substitutionssymbol,  23,  84. 

Tait  und  Thomson:  Formel  von,  691; 
Satz  von,  691. 

Tangentemoinkel,  192. 

Taylor' scher  Satz,  6*,  7*. 

Totales  Differential,  6*. 

Trägheitsmoment:  Kurve  kleinsten  T.  299, 
450;  Rotationskörper  kleinsten  T.  bei 
gegebener  Masse,  538. 

Transversal,  44,  303,  304,  369;  bei  iso- 
perimetrischen Problemen,  520;  beim 
Lagrange' sehen  Problem  648;  bei 
Doppelintegralen,  660,  670. 

Transversalen  einer  Extrem alenschar,  130, 
I      256,  322,  522,  648,  650. 
I  Transversalensatz,   131,   258,   338;   beim 
1      Lagrange' sehen  Problem,  646. 


Sachregister. 


705 


Transversalhyperflächen,  645. 
Transversalitätsbedingung ,    siehe   trans- 
versal. 

ÜberdlUicht,  2*. 

Vbergangspunkte:  Bedingung  in  den  Ü. 
bei  Problemen  mit  Gebietseinschrän- 
kung, 396. 

Umgebung:  eines  Punktes,  1*;  einer 
Kurve,  42,  198;  engere  U.  einer  Kurve, 
91;  U.  einer  Punktmenge,  154. 

Unabhängiglceitssatz,  108,  130,  257,  326, 
355;  bei  isoperimetrischen  Problemen, 
508;  beim  Lagrange' sehen  Problem, 
637,  639;  bei  Doppelintegralen,  685. 

Unbestimmtheitsgrejize,  4  *. 

TJnduloid,  534. 

UneigentUches .'Extiemum,  10, 18;  u.Feld 
98.  * 

Unendlich  Mein,  Bezeichnung,  11. 

Unfreie   Variation,  393. 

Untere  Grenze,  siehe  Grenze. 

Variable  Endpunkte:  Fall  eines  auf  einer 
Kurve  v.  E.,  40,  42,  301—364;  bei 
isoperimetrischen  Problemen,  519—526 ; 
beim  Lagrange'schen  Problem,  569, 
647;  Fall  zweier  v.  E.,  327—331. 

Variable  Begrenzung,  bei  Doppelinte- 
gralen, 660,  668. 

Variation:  vollständige,  19,  20;  erste, 
zweite,  usw.,  Definition  für  Variationen 
vom  Typus  srj,  21;  allgemeine  Defini- 
tion, 45—53;  reine,  gemischte,  49; 
der  unabhängigen  Variabein,  49; 
schwache,  starke,  94;  freie,  unfreie, 
einseitige,  393;  siehe  auch  unter  erste,' 
zweite,  dritte  V. 

Variieren,  19. 

Vergleichskurven,  1 5 . 

Vertauschung  der  Differentiationsordnung 
in  höheren  Ableitungen,  7*. 

Vollständige   Variation,  19,  20. 

Vollständiges  Integral  einer  partiellen 
Differentialgleichung,  136. 

Vorzeichensatz:  gewöhnlicher,  5*;  er- 
weiterter, 157. 

Weierstraß' sehe  Bedingung,  113,  115,244, 
696;  bei  isoperimetrischen  Problemen, 


475;  beim  Lagrange'schen  Problem, 
606. 

Weierstraß'sche  Eckenbedingung  bei  dis- 
kontinuierlichen Lösungen,  367,  465. 

Weier Straß' scher  Fundamentalsati,  110, 
262;  bei  einem  variablen  Endpunkt, 
326,  355;  bei  diskontinuierlichen  Lö- 
sungen, 384;  bei  Problemen  mit  Gebiets- 
einschränkungen, 405;  beim  Newton'- 
schen  Problem,  417;  bei  isoperimetri- 
schenProblemen,507;beimLagrange'- 
schen  Problem,  637;  bei  Doppelinte- 
gralen, 686. 

Weierstraß'sche  Konstruktion,  259,  326, 
406,  417,  507. 

Weierstraß'sche  Bandbedingungen  bei 
Problemen  mit  Gebietseinschränkung: 
entlang  der  Schranke,  395;  in  den 
Übergangspunkten,  396. 

Weierstraß'sche  Theorie  der  Variations- 
probleme in  Parameterdarstellung 
189—294;  456—514. 

Widerstand,  Aufgaben  betreffend  den 
W.,  407—418,  455,  456,  530,  531. 

Winkel,  Bliss'sche  Verallgemeinerung 
desselben,  448. 

Wronski'sche  Determinante,  66. 

Wurf,  als  Anwendung  des  Prinzips  der 
kleinsten  Aktion,  296. 

Zulässige  Kurven,  15,  198,  301,  457;  z. 
Flächen,  653. 

Zusammengesetzte  Funktionen,  5*,  7*. 

Zusammenhängend,  3*. 

Zioeite  Ableitung:  Existenz  derselben  bei 
Extremalen,  30,  202,  569. 

Zweite  Variation:  beim  einfachsten  Funk- 
tionenproblem, 54—87;  beim  einfach- 
sten Kurvenproblem,  224—241;  bei 
variablen  Endpunkten,  303;  bei  iso- 
perimetrischen Problemen,  470—489; 
beim  Lagrange'schen  Problem,  618— 
634;  bei  Doppelintegralen,  672—682; 
Legendre'sche  Transformation  der 
z.  V.,  55,  672;  erste  Jacob i'sche  Trans- 
formation, 61,  476,  621,  675;  zweite 
Jacobi'sche,  63,  632,  680;  Weier- 
straß'sche, 224;  invariante  Normal- 
form, 228. 


Druck  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig. 


Anhang. 

Im  folgenden  werden  die  wichtigsten  Definitionen  und  Sätze  aus  der  Theorie 
4er  reellen  Funktionen  reeller  Variabein,  von  denen  im  Text  Gebrauch  gemacht 
ißt,  mit  den  nötigen  Literaturnachweisen  zusammengestellt.  Es.  wird  dabei  nicht 
beabsichtigt,  die  Sätze  in  möglichster  Allgemeinheit  zu  formuliearön,  sondern  in 
einer  für  die  Anwendung  auf  die  Variationsrechnung  bequemen  Form.  Bei  den 
Literaturnachweisen   wird   von  den  folgenden  Abkürzungen  Gebrauch  gemacht. 

D:  DiNi,  Grundlagen  für  eine  Theorie  der  Funktionen  einer  veränderlichen 
reellen  Größe^  übersetzt  von  Lüroth  und  Schepp  (1892). 

E:  Encyclopädie  der  mathematischen  Wissenschaften,  Bd.  IIA,  die  Artikel 
von  Prinqshbim  über  Allgemeine  Funktionentheorie  und  von  Voss  über  Differential- 
und  Integralrechnung  (1899). 

G:  GoüRSAT,  Cours  d' Analyse  Mathematique,  Bd.  I  (1902). 

J:   Jordan,  Cofu/rs  d' Analyse,  Bd.  I  (1893). 

0:  Osgood,  Lehrbuch  der  Funktionentheorie^  Bd.  I  (1907). 

Pe:  JPeano,  Differentialrechnung  und  Grundzüge  der  Integrdlrechnvm,g,  über- 
setzt von  Bohlmann  und  Schepp  (1899). 

Pi :  PiERPONT,  Lectures  on  the  Theory  of  Functions  of  real  Variables,  Bd.  I 
(1905). 

Sch :  Schönflies,  Bericht  über  die  Mengenlehre,  Jahresbericht  der  Deutschen 
Mathematikervereinigung,  Bd.  VTU  (1900). 

St:  Stolz,  Grundzüge  der  Differential-  und  Integralrechnung,  Bd.  I  (1893). 

St.  G:  Stolz  und  Gmeiner,  Einleitung  in  die  Funktionentheorie,  I.  Abt  (1904). 

T:  Tannbry,  Introduction  ä  la  Theorie  des  Fonctions  dune  Variable,  Bd. 
(1904). 

V:  Veblen  and  Lennes,  Introduction  to  Infinitesimal  Analysis  (1907). 

Im  folgenden  bedeuten  die  Zahlen  Seiten. 

I.  Punktmengen. 

1.  Die  Umgebung  (q)  eines  Punktes  A{a^,  «^ ,  . . .,  aj  im  Gebiet  der  Variabein 
.'Cj ,  iCj ,  . . .,  ^„  ist  die  Gesamtheit  der  Wertsjsteme  (Punkte)  x^,  x^, .  .  .,x  ,  für 
welche 

1^1  — «iKe.       i^2  — «ä  i<(>,- ••.       !^«  — ««!<?• 

Wir  bezeichnen  dieselbe  in  Übereinstimmung  mit  §  21  mit  (q).. 
Vgl.  E.  44;  Pi.  166. 

Bolza,  Variationsrechnung.  i 


j9«r  Anhang. 

2.  Eine  Punktmenge  9TI  im  Gebiet  der  Variabein  x^^x^,.  ..,x^  heißt  be- 
schränkt (bome,  bounded),  wenn  es  eine  feste  Zahl  G  gibt,  so  daß  für  jeden 
Punkt  F{Xi ,x^,...,x^)  der  Menge 

\x,\<G,        \x,\<G,...,      \xJ<G. 
Vgl.  J.  ^2,  23;  Pi.  156;  T.  66;  V.  3, 

3.  Definition  und  Existenz  der  oberen  und  unteren  Grenze  einer  beschränkten 
linearen  Punktmenge. 

Vgl.  §  2,a)  und  D.  28,  G.  169;  J.  22;  0.  33;  Pe.  13;  T.  66. 

4.  Ein  Punkt  fi^  heißt  ein  Häufungspunkt  (Grenzpunkt;  point  limite;  limit- 
point,  Cluster- point)  einer  Punktmenge  911,  wenn  es  in  jeder  Umgebung  von  H 
Punkte  von  911  gibt,  die  von  JS  verschieden  sind.  (NB. :  H  braucht  nicht  zu  911 
zu  gehören.) 

Folgerungen.: 

a)  In  jeder  Umgebung  von  H  gibt  es  unendlich  viele  Punkte  von  91t. 

b)  Man  kann  stets  eine  unendliche  Folge  ( P,  }  von  Punkten  von  911  heraus- 
greifen, derart,  daß 

d.  h.  wenn 

L  xC=hi,         t  =  1,  2,. .  .,w. 

Ein  Punkt  der  Menge  911,  der  nicht  zugleich  Häufungspunkt  von  911  ist, 
heißt  ein  isolierter  Funkt  von  9IL. 

Vgl.  D.  22;  Pi.   157;  E.  i,  185;  T.  71;  V.  »SQ. 

5.  Jede  beschränkte  Punktmenge,  welche  unendlich  viele  verschiedene 
Punkte  enthält,  hat  wenigstens  einen  Häufungspunkt.  (NB.:  Derselbe  braucht 
nicht  selbst  zur  Menge  zu  gehören.) 

Vgl.  J.  23;  D.  22;  Pi.   163;  T.  71;  V.  39. 

6.  Eine  Punktmenge  heißt 

a)  abgeschlossen  (ferm^^),  closed),  wenn  sie  alle  ihre  Häufungspunkte 
enthält ; 

b)  in   sich    dicht,    wenn   jeder   ihrer  Punkte   zugleich  Häufungspunkt   ist; 

c)  perfekt,  wenn  sie  zugleich  abgeschlossen  und  in  sich  dicht  ist. 

Eine  lineare  Punktmenge  heißt  in  einem  Intervall  überall  dicht,  wenn  jeder 
Punkt  des  Intervalls  ein  Häufungspunkt  der  Menge  ist. 

Vgl.  E.  I,  196;  J.  19;  0.  32;  Pi.  167;  Seh.  68;  T.  112;  V.  41. 

7.  Ein  Punkt  A  einer  Punktmenge  911  im  Gebiet  der  Variabein  x^, 
a:,,  . . .,  a;„  heißt  ein  innerer  Punkt  der  Menge,  wenn  alle  Punkte  {x^,  a;,,  . . .,  x„) 

^)  Jordan  gebraucht  dafür  „parfait*',  abweichend  von  Cantob. 


Anhang.  3* 

in  einer  gewissen  Umgebung  des  Punktes  A  ebenfalls  zu  STI  gehören.  Die  Ge- 
samtheit aller  innerer  Punkte  einer  Menge  heißt  „das  Innere"  der  Menge. 

Ein  Punkt  B  liegt  außerhalb  der  Menge  9TI,  wenn  kein  Punkt  einer  ge- 
wissen Umgebung  von  B  zu  STI  gehört. 

Ein  Punkt  C  gehört  der  Begrenzung  der  Menge  an,  wenn  jede  Umgebung 
von  C  mindestens  einen  Punkt  enthält,  welcher  zu  9TI  gehört,  und  mindestens 
einen,  welcher  nicht  zu  9TI  gehört. 

Vgl.  E.  45;  J.  20;  Pi.  154. 

8.  Eine  Punktmenge  heißt  zusammenhängend  (d'un  seul  tenant,  connected), 
wenn  man  zwischen  irgend  zwei  Punkten  A  und  B  von  9TI,  nach  Annahme 
einer  beliebig  kleinen  Größe  *,  eine  endliche  Anzahl  von  Punkten  von  911:  Pj, 
Pg,  ...,  P^  derart  einschalten  kann,  daß  der  Abstand  je  zweier  aufeinander 
folgender  Punkte  {A  und  B  inbegriffen)  kleiner  ist  als  s. 

Dabei  ist  unter  dem  „Abstand"  zweier  Punkte  (a^j,  rCj,  .  . . ,  icj  und  (y^^ 
2/j ,  . .  . ,  y^)  der  Ausdruck 


verstanden. 

Vgl.  E.  46;  J.  25;  Pi.  149. 

9.  Unter  einem  Bereich  verstehen  wir  eine  Punktmenge,  welche  innere 
Punkte  enthält;  unter  einem  stetigen  Bleich  eine  Punktmenge,  welche  nur 
innere  Punkte  enthält. 

Ein  Kontinuum  ist  ein  zusammenhängender  stetiger  Bereich. 

Vgl.  E.  46;  0.  124. 

n.  Grenzwerte. 

1.  Obere  und  untere  Grenze  einer  Funktion.  Vgl.  §  2,  b)  und  D.  28,  57; 
E.  12. 

2.  Die  Funktion  f{x)  sei  in  der  Umgebung  der  Stelle  x  =  a  eindeutig 
definiert.  Wenn  dann  eine  feste  endliche  Größe  b  existiert,  so  daß  zu  je^em 
positiven  s  ein  positives  d  gehört,  derart  daß 

I  f{x)  —  6  I  •<  t ,     wenn     a<^x<^a-^  d^ 

so    sagt   man :    f{x)  nähert   sich  beim  Grenzübergang   x=^a-\-0   der  Grenze  b ; 
in  Zeichen: 

Lf{x)  =  b     (=/-(a-4-0)). 

x-a  +  O 

Analog  ist  f(a  —  0)  definiert.  Wenn  f(a  -f  0)  und  f{a  —  0)  beide  existieren 
und  gleich  sind  (=6),  so  sagt  man  f{x)  nähert  sich  bei  dem  Grenzübergang 
X  -'^  a  der  Grenze  b. 

Vgl.  E.  12,  13;  D.  56;  T.  222;  V.  61. 

3.  Wenn  f{x)  beständig  wächst  (oder  doch  wenigstens  nicht  abnimmt), 
während  x  sich  abnehmend  dem  Wert  a  nähert,  und  wenn  f{x)  überdies  dabei 


4*  Anhang. 

kleiner   bleibt   als   eine  feste  Größe  6r,  so  näbest  sieh  f(^Hit-jü=^ a-\-0  einer 
begtimmten  endlichen  Grenze  {MonotoniepHnzip). 

Analog  für  x^^ä  —  0,  -|-  oo,  —  oo  und  für  abnehmende  Funktionen. 

Vgl.  D.  42;  E.  13;  0.  26;  Pe.  8;  St.  G.  15:  V.  61. 

4.  Damit  die  Funktion  f{x)  fitr  a;=^a  +  0  sich  einer  bestimmten,  end- 
lichen Grenze  nähert,  ist  notwendig  und  hinreichend,  daß  zu  jedem  positiven  € 
ein  positives  S  gehört  derart,  daß 

\f{x)-f{x")\<B 

für  jedes  Wertsystem  x\  x\  für  welches 

a<a;'<o-|-d,        a<C^x"  <Cia-\-  ^ . 

(Allgemeüies  Konvergenzprinzip).    Analoger  Satz  für  x=^a  —  0,  a,  -f  oc,  —  oo. 
Vgl.  D.  38;  E.  14;  0.  27;  Pe.  9;  Pi.  179;  St.  G.  21;  V.  66. 

6.  Ist  Y{h)  die  (endliche  oder  unendliche)  obere  Grenze  der  Funktion  f{x) 
im  Intervall  [a,a-\-h]^  wo  7t>>0,  so  besitzt  die  Funktion  Y{h)  für  h=^-{-0 
stets  eine  bestimmte  (endliche  oder  unendliche)  Grenze,  welche  der  rechtsseitige 
obere  Limes  (auch  Unbestimmtheitsgrenze)  von  f{x)  für  x=^a  genannt  wird, 
in  Zeichen: 

x  =  a  +  0 


Analog  /•(g-fO),  'f(a  —  0),  und  f{a  —  0).    Wenn  /"(a  +  0)  =  f{a  -\-  0),  so  existiert 
f(a  +  0),  endlich  oder  unendlich. 

Vgl.  E.  14;  Pi.   205:  St.  G.  17;  T.  233;  V.  84. 

6.  Gleichmäßige  Konvergenz:  Die  Funktion  f{x,  y)  sei  definiert  für  jedes 
a5,  y,  für  welches  x  dem  Bereich :  a<ix<iD  und  gleichzeitig  y  einer  gewissen 
Punktmenge  Y  angehört.  Alsdann  sagt  man,  die  Funktion  f{x^  y)  nähere  sich 
bei  dem  Grenzübergang  x=^a-\-0  einer  bestimmten  endlichen  Grenze  q?  (y) 
gleichmäßig  in  Beziehung  auf  die  Menge  Y,  wenn  zu  jedem  8  >■  0  eine  von  y 
unabhängige  positive  Größe  6  gehört  derart,  daß 

lA^i  J/)  — 9'(3/)i<« 
für  jedes  a<Cx<ia  -\-  6  und  für  jedes  y  der  Menge  Y. 
Analoge  Definition  für  x^^a  —  0,  a,  -j-oo,  —  oo. 
Vgl.  E.  62;  Pi.  200;  St.  G.  78. 

m.  Stetigkeit. 

1.  Die  Funktion  f{x^^  x, ,  . .  ,  a;J  sei  definiert  in  einer  Menge  9TI,  und  es 
sei  Ä{a^,  Oj,  . . .,  aj  ein  Punkt  von  911.     Alsdann  heißt  f{x^,  x,7  . . .,  x^ stetig^) 

*"»  Nach  dieser  von  C.  Jordan  gegebenen  Definition  ist  die  Funktion  f  in 
jedem  isolierten  Punkt  von  911  stetig.  Gewöhnlich  beschränkt  man  den  Stetig- 
keitsbegriff auf  Häufungspnnkte. 


Anhang.  5* 

in  A  (in  bezug  auf  9TI,),  wenn  zu  jedem  positiven  «  ein  positives  d  gehört,  der- 
art daß^ 

für  jeden  Punkt  {x^^  x^,  .. .,  xj  von  911  in  {S)^. 
Vgl.  J.  46;  Pi.  208;  Seh.  116;  T.  223. 

2.  Vorzeichensatz:  Ist  die  Funktion  f{x^,  x^,  . . . ,  x^  stetig  im  Punkt 
J.(Oi»,  ttj,  . . .,  aj,  und  ist  f{a^,  «si  •  •  -i  "J  >  ^i  so  läßt  sich  eine  positive  Größe 
if  angeben,  so  daß  f{x^ ,  x^^  . . .,  x^^O  in  allen  Punkten  von  (^)^ ,  welche  zu 
911  gehören. 

Vgl.  Pe.  11,  121;  Pi.  214;  V.  88. 

3.  Die  Funktion  f{x^,  a;,,  . . .,  x^  heißt  stetig  in  der  Punktmenge  911,  wenn 
aie  in  jedem  Punkt  von  911  stetig  ist. 

Ist  die  Punktion  f{Xy ,  ic, ,  . . . ,  a;  J  stetig  in  einer  beschränkten,  abgeschlossenen 
Punktmenge  911,  so  gelten  die  folgenden  Sätze: 

a)  Die  Funktion  f  besitzt  in  911   eine   endliche   obere   Grenze  G  und  eine 
endliche  untere  Grenze  K. 

b)  Die  Funktion  f  nimmt  die  Werte  G  und  Ä^  in  91L  wirklich  an  (Maximum 
und  Minimum). 

c)  Zu  jedem  positiven  e  gehört  ein  positives  d,  derart  daß 

I  /"(a;/,  x^\  . . . ,  x^)  —  f{x^'\  x^\  . . . ,  x,;^')  |<  g 
für  je  zwei  Punkte  (a;/,  aij',  . . .,  x^)  und  (aj/',  x^\  . . .,  a;/')  von  9Tt,  für  welche 

(Gleichmäßige  Stetigheit.) 

Vgl.  D.  63,  68;  E.  18,  19,  49;  G.  162,  163;  J.  48,  53;  0.  13,  16,  34; 
Pe.  16,  122,  123;  Pi.  214,  215,  216;  Seh.  119;  St.  G.  17,  53,  97,  98;  T.  287,  238; 
V.  89,  90,  91. 

4.  Zusammengesetzte  Funktionen:  Vgl.  unten  IV  9,  Zusatz. 

5.  Die  inverse  Funktion:  Wenn  die  Funktion  y  =  f(x)  im  Intervall: 
n^x^b  stetig  ist  und  mit  wachsendem  x  beständig  zunimmt,  und  zwar  von 
y  =  g  bis  y  =  h,  so  hat  die  Gleichung:  y  =  f{x)  für  jeden  Wert  von  y  im  Inter- 
vall [gh]  eine  und  nur  eine  Wurzel  x  =  (p{y)  im  Intervall  [a6],  und  die  hier- 
durch für  das  Intervall  [gh]  eindeutig  definierte  inverse  Funktion  qp(y)  ist  stetig 
in  [gh]. 

Vgl.  Pe.  21;^?r.  13«,  134;  St.  G.  48;  T.  246;  V.  45,  93. 

IV.  Die  Ableitung. 

1.  Wenn  der  Quo^ent 

A^o-hfe)-/'W      ^^„     fix,  ~h)- fix,)  ^^ 
_          ._,    reap.    — -^-^ ,  (?^>0) 


e*  Anhang. 

für  A  =^  0  sich  einer  bestimmten,  endlichen  Grenze  nähert,  so  heißt  dieselbe  die 
vordere,  resp.  hintere,  Derivierte  von  f{x)  im  Punkt  x^^.  Sie  werde  mit  /^(a;^)» 
resp.  fiXo)  bezeichnet. 

Sind  beide  einander  gleich,  so  heißt  der  gemeinsame  Wert,  /"(aj^),  die  Ab- 
leitung von  f{x)  im  Punkt  x^,,  und  die  Funktion  f{x)  heißt  differentiierbar  im 
Punkt  Xq. 

Wegen  der  Definition  von  Funktionen  der  Klasse  (ß'\  D^^  vgl,  pp.  13,  63. 

Vgl.  D.  87;  E.  61;  Pi.  223;  St.  31;  T.  341;  V.  118. 

2.  Der  Satz  von  Boüe:  Es  sei  f{x)  stetig  in  [ab]  und  f'{x)  existiere  für 
jedes  x  zwischen  a  und  b.  Wenn  alsdann  f{a)  =  f{b),  so  gibt  es  einen  Wert  | 
zwischen  a  und  5,  für  welchen  f{^)  =  0. 

Vgl.  G.  9;  Pe.  43;  Pi.  246;  St.  61;  T.  369;  V.  182. 

3.  Der  Mittelwertsatz:  Wenn  f{x)  stetig  ist  in  [ab]  und  fXx)  für  jedes  x 
zwischen  a  und,  b  existiert,  so  gibt  es  einen  Wert  ^  zvnschen  a  und  b^ 
für  welchen 

m-m={b-a)f\^). 

Vgl.  D.  92;  E.  65;  G.  9;  Pe.  44;  Pi.  248;  St.  62;  T.  370;  V.  133. 

4.  Es  sei  f'{x)  stetig  in  [ab]  und  von  der  Klasse  C'  für  a*^x<Ch.  Femer 
nähere  sich  f\x)  für  x=^a-\-0  einer  bestimmten,  endlichen  Grenze  f'(a  -{-  0). 
Alsdann  existiert  /^(a)  und  es  ist  /*'(«)  =  f'{a  -\-  0). 

Vgl.  D.  109. 


6.  Der  Taylor'sche  Satz:  Ist  f{x)  von  der  Klasse  O"^  in  [a,  a  +  Ä],  so  ist 

(n-1)! 


/•(a  +  Ä)  =  Aa) -f  ^A«)  +  •  •  • -f- 7^:71^., /^"-'^(a)  4- ^/-^"^(a  +  ÖÄ), 


wo 

O<0<1. 

Vgl.  E.  76;  G.  102;  J.  246;  Pe.  68;  St.  96;  V.  136. 

6.  Ist  die  Funktion  f(x^,  Xj,  . . .,  icj  von  der  Klasse  C  in  der  Umgebung 
von  Ol,  ttj,  . . .,  a^,  so  ist  für  hinreichend  kleine  Werte  von  |Äj  |,  |Äj  |,  . . .,  |  Ä,J: 

A«!  +  K  «j  +  '»«,••  •,  «„  +  K)  —  fi^i^  «81  •  •  M  aj 

+  '^«/'x„(«i'  •••'  »n)  +  Ko(i  +  h^t'^ ^-K'^u' 

wo  «1,  «j,  .  . .,  «jj    unendlich    klein    werden,    wenn   \,\,...,h^  simultan  Mud. 
voneinander  unabhängig  gegen  Null  konvergieren.     (Totales  Differential.) 
Vgl.  E.  70;  J.  76;  Pe.  130;  Pi.  271 ";  St.  134. 

7.  Wenn  die  Funktion  /"(a?,  y)  und  die  partiellen  Ableitungen  Z"^,  /*  ,  /'     in 
der  Umgebung   der   Stelle  «©,  y^    existieren   und   stetig  sind,   alsdann  existiert 


Anhang.  7* 

auch  fy^iXf,,  I/o)  und  ist  gleich  f^^ix^,  y^).  (Vertauschung  der  Bifferentiatiom- 
ordnung.) 

E.  73;  Pi.  265;  St.  150;  T.  366. 

8.  Der  Taylor'sche  Satz  für  Funktiotien  mehrerer  Variabdn:  Ist  f{x,  y) 
von  der  Klasse  O"^  im  Bereich :  a^x^a-\-h^  b^y^b-\-k  (resp.  a > 05 
^a-\-h,  oder  b^y'^b-\-k)j  so  ist  in  bekannter  Abkürzung: 

wo 

O<0<1. 

Analog  für  Funktionen  mehrerer  Variabein. 
Vgl.  E.  77;  G.  120;  J.  249;  Pe.  137;  St.  161. 

9.  Es  seien  die  Funktionen: 

2/,  =  //(^i'^2' •••' ^n)'        i  =  l,  2,  ...,m,  (1) 

von  der  Klasse  C^^  in  einem  Bereich  (9L,  femer  sei  die  Funktion  F(yi,  yj » •  •  *  y»,) 
von  der  Klasse  C^^  in  einem  Bereich  6,  welcher  das  Bild  SB  von  (9L  mittels  der 
Transformation  (1)  enthält.     Alsdann  ist  die  zusammengesetzte  Funktion 

F(ft{x,,  a;,,  . . .,  x„),  f^{x,,  ^2,  . . .,  ajj,  . . .,  4(a;i,  x^,  . . .,  x^)) 

von  der  Klasse  C^^  in  (9C. 

Der  Satz  gilt  auch  für  stetige  Funktionen  {p  =  0). 

Vgl.  E.  19,  71;    J.   77;    Pe.   131;    Pi.  209,  274;    St.   137;    St.  G.  94;  T.  369. 

10.  Inverse  und  implizite  Funktionen:  Vgl.  §  22  und  E.  72;  G.  40—57; 
J.  80—85;  0.  48—57;  Pe.  21,  138—151;  Pi.  282  —  297;  St.  G.  48;  T.  37*1. 

V.  Bestimmte  Integrale. 

1.  Definition  von  integrabel:  Vgl.  E.  95;  G.  166;  J.  37;  Pe.  271;  Pi.  336; 
St.  346;  V.  163. 

2.  Jede  im  Intervall  [ab]  endliche  und  mit  Ausnahme  einer  endlichen  An- 
zahl von  Punkten  stetige  Funktion  f{x)  ist  integrabel  in  [ab]. 

Vgl.  D.  332;  Pe.  272;  Pi.  344;  St.  358. 

3.  Wenn  die  Funktion  f(x)  im  Intervall  [ab]  endlich  und  integrabel  ist, 
und  man  ändert  ihren  Wert  in  einer  endlichen  Anzahl  von  Punkten  beliebig  ab, 


■Ö*  Anhang. 

(aber  so,  daß  f\x)  endlich  bleibt),  so  ist  die  neue  Funktion  in  [a6]  wieder  inte- 
^rabel  und  der  Wert  des  Integrals 

b 

fm  dx 

a 

ändert  sich  nicht. 

Vgl.  D.  363;  Pi.  365.  '   " 

4.  Ist  f{oc)  endlich  und  integrabcl  in  [a&],  so  Iwt  dife  F\!lnktion 


F{x)=ff{x) 


dx 


stetig  in  [ab]. 

In  den  Punkten,  wo    f{x)    stetig   ist,    ist  F{x)   differentiierbar  und  es  ist 

F\x)  =  f{x). 

In  den  Punkten,   wo  f{x-\-0),  resp.  f{x  —  0),  existiert;  ejjistiert  auch  die 
vordere,  resp.  hintere,  Derivierte  von  F{x)  und  es  ist 

F\x)  =  f{x  -\-  0} ,     resp.     F'{x)  =  f{x  —  Ö) . 

D.  366—869;  E.  99;  Pi.  368,  369:   V.  171. 

5.  Partielle  Integration:  Sind  u{x)  und  v{x)  von  der  Klasse  C  in  [a6],  so  ist 


0  0 


Vgl.  E.   101;  Pi.  384;  V.   175. 

6.  Erster  Mittelwertsatz:   Es   seien    P{x\  ilt{x)   endlich    und   integrabel   in 
[ab],  und  es  sei  P(ic)>0  in  [ab].     Alsdann  ist 

6  b 

fPix)  tl}{x)dx  =  ti  fPix)  dx , 

a  a 

wo  fi  ein  Mittehvert   zwischen   der   unteren  und  der  oberen  Grenze  von  rj^ix)  in 
[ab]  ist. 

D.  363;  E.  97;  Pi.  366;  V.   168. 

7.  Differentiation  nach  einem  Parameter:  Wenn  die  Funktion  /*(«,  a)  stetig 
ist  im  Bereich 

a^x^b,         a^^a^a^,  («) 

lind  a  und  b  von  a  unabhängig  sind,  so  ist  das  bestimmte  Integral 

b 

F{a)=  Cf{x,a)dx 

a 

eine  stetige  Funktion  von  a  in  [a^aj. 


Anhang.  9* 

Wenn   überdies    die   partielle  Ableitung  [„(x,  u)  im  Bereich  (2)  stetig  ist, 
so  ist  die  Funktion  F(a)  differentiierbar  in  [a^aj,  und  es  ist 

6 

F\cc)=j\{x,a)dx. 

a 

Dagegen  ist 


'Xcc)=Jf^^{x,a) 


FXcc)  =  lU^,cc)clx-\-f{b,a)~-fia,a)^£ 


wenn  a  und  b  Funktionen  von  a  sind,  welche  in  [a^ai]  von  der  Klasse  C  sind. 
Vgl.  E.  102;  G.  216;  J.  72;  0.  84—89;  Pi.  388,  392. 


VI.  Kurven. 

1.  Definitionen  über  Kurven:  Vgl.  §  25,  a). 

2.  Satz  von  Jordan:  Jede  stetige  geschlossene  Kurve  S  ohne  mehrfach^ 
Punkte  („Jordan'sche  Kurve")  zerlegt  die  Ebene  in  zwei  Kontinua,  von  denen 
das  eine  (das  Innere  von  2  genannt),  im  Endlichen  liegt,  während  die  andere 
(das  Äußere  von  ß  genannt),  sich  ins  Unendliche  erstreckt.  Die  Kurve  selbst 
bildet  die  vollständige  Begrenzung  beider  Bereiche. 

Je  zwei  Punkte  des  Inneren  (Äußeren)  können  stets  durch  eine  stetige 
Kurve  verbunden  werden,  welche  keinen  Punkt  mit  der  Kurve  S  gemein  hat. 
Dagegen  hat  jede  stetige  Kurve,  welche  einen  Punkt  des  Innern  mit  einem 
Punkt  des  Äußeren  verbindet,  notwendig  mindestens  einen  Punkt  mit  der 
Kurve  S  gemein. 

Vgl.  J.  91—99;  0.  UO. 

VII.  Abbildung. 

1.  Die  Funktionen 
3/i=/i(aJi»^2i  ...,a7j,  y.  =  U{x^,x^ a;„),  ...,  t/^,  =  /;(a;i,  a:^,  ...,a;J,     (3) 

seien    stetig    in    der    Menge  9TI  und    es   sei  91   die    der   Menge  911  mittels  der 

Transformation  (3)  im  Raum  der  Variabein  y^,  y^, ,  2/„  entsprechende  Menge 

(das  Bild  von  9TI). 

Wenn  alsdann  9H  beschränkt  und  abgeschlossen  ist,  so  ist  auch  9t  be- 
schränkt und  abgeschlossen. 

Wenn  insbesondere  m  =  n  und  die  durch  (3)  vermittelte  Beziehung  zwischen 
911  und  91  eine  ein-eindeutige  ist  (d.  h.  wenn  zwei  verschiedenen  Punkten  von 
911  allemal  zwei  verschiedene  Punkte  von  91  entsprechen),  so  definieren  die 
Gleichungen  (3)  a^i,  .t,  ,  . . .,  ir^  in  91  als  eindeutige  Funktionen  von  y^  J/s ,  -  •  •,  y„  , 
(inverse  Funktionen). 


10*  Anhang. 

Wenn    alsdann    die  Funktionen  f.  stetig  sind  in  911,  und  911  beschränkt 
und  abgeschlossen  ist,  so  sind  auch  die  inversen  Funktionen  stetig  in  91. 
J.  51,  53;  Seh.   117. 

2.  Satz  von  Schönflies:   Sind  die  Funktionen 

i  =  (p{x,y),      n^fpi^^y)  (4) 

eindeutig  definiert  und  stetig  in  dem  Bereich 

0^a;^l,        0^2/^1  (5) 

und  definiert  die  Transformation  (4)  eine  ein-eindeutige  Beziehung  zwischen  dem 
Quadrat  (5)  und  dessen  Bild  o)'  in  der  |,  tj- Ebene,  so  ist  das  Bild  des  Randes 
des  Quadrates  (5)  eine  stetige  geschlossene  Kurve  S  ohne  mehrfache  Punkte, 
und  das  Bild  oP  des  Quadrates  (5)  ist  identisch  mit  dem  Inneren  der  Kurvfe  ß 
zusammen  mit  der  Kurve  S  selbst. 

(ScHÖNPLiEs,  Göttinger  Nachr.,  1899,   p.  282;    0»oood,    Ibid.,    1900,   p.  94; 
Bernstein,  Ibid.,  1900,  p.  98. 


KcTUKN    Astronomy/Mathematics/Statistics /Computer  Science  Library 

TO-^-  1 00  Evans  Hall  642-3381 


LOAN  PERIOD  1 

3 

4                            t 

5 

6 

ALL  BOOKS  MAY  BE  RECALLED  AFTER  7  DAYS 


DUE  AS  STAMPED  BELOW 

M^Y 

r^-^'^^-z^  , 

SEP  13 1996 

Aun  ?.0  1998 

Rec'dUCBAMS    J"'^  ^ 

'  8  1999 

UNIVERSITYOF  CALIFORNIA,  BERKELEY 

FORM  NO.  DD3,  1  Om,  1  1  /78  BERKELEY,  CA  94720 

!  (p)s 


37 


UtRAR' 


.U444.