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^'^-^
00081 374T
* ■
•
« .
I
WALD- UND FELDKULTE.
VON
WILHELM MANNHARDT.
Erster Teil.
DER BAUMKUI-TÜ8 DER GERMANEN UND IHRER NACHBARSTÄMME.
BERUN, 1875.
GEBRUDER BORNTRAEGER
ED. E00ER3.
DER BAÜMKÜLTUS
DER
(jERMANEN und fflRER NACHBARSTÄMME
MYTHOLOGISCHE ÜNTERSüCHÜN(;KN
VON
WILHELM MANNHARDT.
BERLIN, 1875.
GEBRÜDER BORNTRAEGER
ED. K00ER9.
• ■ * t ■
KARL MÜLLENHOFF
ALS ZEICHEN DEK LIEBE UND DANKBAKKEIT
ZUGEEIGNET.
Vorwort
Das vorliegende Buch, welchem denmäcIiBt ein zweiter Band
„ grieclusche and römische Agrarkolte aas nordearopäischen Ueber-
lieferungen erläatert^' folgen wird^ beginnt die Veröfifentlichong
einer Keihe von Vorarbeiten ^ die sich dem Verfasser als erforder-
lich ergeben hatten ^ am znr Klarheit and Sicherheit Aber das
Fachwerk za gelangen , in welches die einzelnen Sttlcke der von
ihm unternommenen „Sammlung der Äckergebräuche" einzaordnen
seien. Es ist hier der Versach gemacht worden , die wichtigsten
Sagen, Frühlings- and Sommergebräache, welche za den Emte-
gebräachen in anverkennbarer Analogie stehen , einzig and allein
aas sich selbst heraas einer methodischen Untersachong aaf
ihren Inhalt and dessen Bedeatang za unterwerfen, soweit es
der Hauptsache nach aaf Grand des in der Literatur vorhande-
nen Materiales schon jetzt geschehen konnte. Doch sind an
vielen Orten bisher angedruckte Ueberlieferungen eingestreut.
In größerem Umfange ist dies bei Gelegenheit des Emtemai
geschehen; die rheinländischen Sitten und die zu Kuhns Auf-
zeichnungen hinaugekommenen westfälischen verdanke ich schritl-
lichen Mittheilungen, so auch alle tfbrigen, dagegen sind die
IS. 203 flF. verzeichneten französischen einer größeren Sammlung
entnommen, welche mir im Jahre 1870 persönlich aus der Unter-
haltung mit Kriegsgefangenen zu schöpfen vergönnt war. Den
mannigfachen neuen Stoff, welchen ich in dem Abschnitte tlber
die schwedischen Waldgeister verwenden konnte, schulde ich
vra Vorwort
dem gtttigen und liebreichen Entgegenkommen der Herren
D. D. Hildebrand (Vater und Sohn) in Stockholm , Propst E. Rietz
in Tygelsjö bei Malmö (inzwischen verstorben), und Baron Djurklou
auf Sörby bei Orebro, welche bei meinem ersten Aufenthalt in
Schweden im Herbste 1867 mir die im Besitze des Reichsanti-
quariums, des Schonischen Altertumsvereins und ihrer selbst
befindlichen handschriftlichen Aufzeichnungen von Volksüberlie-
ferungen mit außerordentlicher Liberalität zugänglich machten
und deren Benutzung erleichterten. Meinem verehrten Freunde
Professor H. Weiß, Custos des Kupferstichkabinets in Berlin, bin
ich für den Nachweis mehrerer der auf S. 339 — 340 erwähnten
Kunstwerke, den Vorständen und Beamten der königlichen und
Universitätsbibliothek zu Berlin fllr freundlichen, unermüdlichen
Beistand verpflichtet. Vor allem aber tühle ich mich gedrungen,
dem hohen Unterrichtsministerium meinen ehrerbietigsten Dank
für die fortgesetzte hochgeneigte Förderung und Unterstützung
meiner Bestrebungen auszusprechen. Eine eingehendere Erörte-
rung über die Grundsätze , das Rüstzeug und die Methode , sowie
über die allgemeinen Ergebnisse meiner Arbeit wird den zweiten
Band einleiten, der durch treflTende Belege die Wahrheit der
aufgestellten Sätze zu bestärken Gelegenheit giebt. Im übrigen
bilden die in diesem Bande vereinigten Untersuchungen ein abge-
schlossenes Ganzes fllr sich. Mögen sie sich Freunde erwerben
und als ein nicht unbrauchbarer Beitrag zur Lösung der großen
Aufgaben erfunden werden, welche der Kulturgeschichte heut-
zutage im Zusammenwirken der Wissenschaften zugefallen sind.
Dan zig, den 13. October 1874.
Wilhelm Mannhardt.
Inhalt.
CrruBdaiiscluuiwiflr. Ans der Beobachtung des Wachstums schloß der
Urmensch auf Wesensgleichbeit zwischen sich und der Pflanze; er maß ihr
eine der seinigen ähnliche Seele bei. Auf dieser Grundvorstellung beruht
der Baomkultus nordenropäischer Völker S. 1 — 4.
Erit«« lapitel.
Die Baumseele.
§ 1. Gleichsetzung des Menschen und der Pflanze, Verschiedene Formen
dieses Glaubens S. 5.
$ 2, Mensch und Baum, Gleichniß im Hävamdl 8. 6.
$ 3. Anthropogonischer Mythus von Askr und Einhla S. 7.
§ 4. Der Baum als Person behandelt S. 9.
§ 5. Die Holundermidter, die Eschenfrau und ihre Sippe. Verehrung des
' Baumgeistes, dem das Vermögen zu schaden beigemessen wird, durch
Opfer und Gebet S. 10. Vgl. S. G15.
§ 6. Niederlitauische Baumgeister. Verbot des Baumschälens ; zwischen
Stamm und Rinde sitzende Geister schaden den Haustieren S. 12.
§ 7. Baum, Menscheyüeü) und Krankheitsdämonen. Die unter der Borke
weilenden Insekten mit den wurmgestaltigen Erankheitsgeistern (Eiben,
bösen Dingern, Holdichen) identifiziert,* führen zu dem Volksglauben,
daß der Baum Krankheiten entsenden, oder entfernen (zurückrufen)
1) Vgl. auch noch den franz. Aberglauben: das Haar eines verwimdeten
Menifcben, oder Tiers unter die Rinde einer Zitterespe gesteckt, macht die Wür-
mer aus der Wunde herausfallen, oder sterben. Thiers bei Liebrecht, Gerva-
^ius S. 238, 227.
X Inhalt.
könne S. 12— 16. Hieraus entspringende sympatbetische Euren, um
den Krankheitsgeist in den Baum oder Wald zuröckzubannen S. 16 —
22. Sproßform, Verpflöckung der Maus in den Baum S. 23. Hiebei
ist der Baum selbst mit dem Menscbenleibe in Parallelismus gedacht
S. 25.
§ 8. Strafe für BaumscMler nach dem Grundsatz Auge um Auge, Zahn
um Zahn setzt den Glauben an Persönlichkeit des Baumes voraus
S. 26. Vgl. S. 603. Historische Zeugnisse für die Ausübung des
Brauchs als religiöse Handlung S. 28—31.
§ 9. Müeinanderwtichs des Baumes und des MenschevdeiJbes, Kranke mit
Leibessch&den verknüpfen ihr Leben auf mystische Weise mit einem
Baume , indem sie durch einen Spalt desselben kriechen S. 32.
§ 10. VerUtste Bäume bluten. Die Beseelung des Baumes gedeiht bis zur
Annahme menschlicher Körperlichkeit unter der Binde. Die magische
Wechselwirkung mit dem Menschen spricht sich in dem Glauben aus,
daß der Baumsch&diger sich selbst die gleiche Wunde beibringe, wie
dem Baume S. 34 —38.
§ II. Freibaume, die nicht gehauen werden durften, von einem Geiste
beseelt S. 38.
§ 12. Baum zeitweilige HüUe einer abgeschiedenen Seele. Die Vorstellung
von der Baumseele kleidet sich auch in die Gestalt, daß Bäume aus
dem Leichnam Todter hervorsprießen, oder daß die Seelen Verstor-
bener im Baume verkörpert sind, oder im Baume Wohnung haben
und zeitweilig außerhalb desselben im Winde umfahren S. 39 — 44.
§13. Baum, Aufenthalt des Hausgeistes, Abart der zuletztgenannten Vor-
stellung S. 44.
§ 14. Baum, Schuizgeist oder Sitz des Schutzgeistes. Der ideale Doppel-
gänger, der Genius einer Menschenseele oder der Seele eines ganzen
Geschlechtes mit der Seele eines bestimmten Baumes identifiziert
S.44. ^
§ 14*. Baum ^ Lebensbaum. Brautleute sehen das Abbild ihrer Person,
ihres Lebens in einem grünen Baume; ein solcher wird ihnen aufs
oder vors Haus gesetzt S. 45 — 48.
§ 14**. Fortreisende verknüpfen ihr Leben mit einem Baume S. 48—49.
§ 14*. Schicksals- und Geburtsbaum von Einzelnen und Familien S. 49 — 51.
§ 14*^. Värdträd, der vom Schutzgeist bewohnte Schicksalsbaum hinter dem
Hofe in Schweden, Dänemark, den Alpen S. 51 — 54.
§ 15. Der Weltbaum YggdrasiU aus dem Värdträd entstanden S. 54— 58.
§ 16. Erläuternde Begegnisse au>s dem täglichen Leben S. 58 — 59.
§ 17. Boträ. Der Baum am Hause , beziehungsweise dessen Wurzel statt
des einen Schutzgeistes von vieled* Hauskobolden , Elfen , Hollen u. s. w.
Inludt ZI
bewohnt Der altpreaßiBche Piuchkaitis 8.59—60. Baumzweifi^
nachts des Elfenkönigs Soldaten. [Das Göttergeschoß, esa gescot in
der Baum und Mensch gleichstellenden Sagenfaroilie vom Axthieb
der wilden Jäger, Hexen n. s. w. S. 66 — 67.] Estnische Sage vom
Banmelf als Beheiprscher der Bamngeister S. 68. Banmelfen als Diebe
S. 68. Die Bamnnymphe tritt, mit ihrem Leben an den Baom geknüpft,
ans demselben zeitweise heraus and lebt mit Menschen in Ehegemein-
schaffc S. 69.
§ 18. ChroncOogische Zeugnisse S. 70—71.
Zweit« IipiteL
Die Waldgeister und ihre Sippe.
§ 1. Ud^ersicht. Ans der Mehrheit der Banmgeister entstehen als ihre
coUective Repräsentanten die Waldgeister; freiwaltende Persönlich-
keiten, deren Leben jedoch an d«as Schicksal der Bänme gebunden
ist, äußern sie ihr Dasein im Winde, erweitem sich zu Dämonen der
Vegetation. Baummänner im Hävamäl S. 72.
§ 2. HoiZ' und Moosfräuiein. Gestalt; geben Verbote aus Trieb der Selbst-
erhaltung S. 74—76. Dire Garnknäuel S. 76. Wirksamkeit im gesamm-
ten Wachstum. Opfer f&r sie bei der Flachs - , Heu - , Korn - Obsternte
S. 76 — 79. Verbindung mit Menschen. Hilfe bei der Erntearbeit.
Haussegen S. 79 — 80. Entfernen als Wachstnmsgeister ^ankheit
S. 81 — 82. Fahren ira Winde vom wilden Jäger verfolgt. Drei
Kreuze in die Bäume gehauen S. 82 — 86.
§ 3. WildleuU in Böhmen S. 86.
§ 4. Wildleute in Hessen, Rheinland, Baden S. 87—88.
§ 5- Die Wildleute in Tirol, Fanggen, Riesige Waldgeister, an das
Leben des Waldes geknüpft, fahren im Wirbelwinde, werden Haus-
geister, Sage vom Tode der Hochrinde S. 88 — 92.
§ 6. Wildleule in Graubünden, Waldfänken, gehen in Zwerge (Fenggen)
und Hauskobülde über S. 93 — 94 (Seitenstück zur Polyphemsage
S. 94 — 95), hüten die Kühe in den Alpen, werden durch Wein
berauscht und gefangen S. 96—99.
§ 7. Wüdleute in Tirol. Selige Fräulein in Tirol, Wilde Frauen in Salz-
burg, eine andere Form der Tiroler Waldgeister in Berg- und Feld-
geister übergehend. Wohnen in Berggrotten. Gemsen ihr Getier.
Verlockender Gesang S. 102. Ihre Garnknäuel und sonstigen Geschenke.
Dienen als Hausgeister. Ehe mit Menschen S. 104, Spuren ehemaliger
Geltung als Baumgeister S. 104. Ihr Gatte der riesige wilde Mann,
der sie im Sturme verfolgt S. 105. 106. Heilkundig S. 106. Kinder-
raub. Lange Brüste S. 108.
§ 8. Wüdleute. Die rauhe Else der Wolfdietrichssage S. 106—110.
xn Inhalt.
§ 9. Wilde LeuU, Norggen, d. h. zwerghafte Wildmännl sagen die Wit-
terung voraus S. 110—112.
§10. Wilde Leute. Bümon, Salvadegh, Salvanel in Wälschtirol; gente
salvatica um Mantua den Faunen ähnlich S. 112 — 114.
§11. Wüde Leute. Pilosus, Schrat, Schratlein S. 114—115.
§ 12. Wildleute, Deüe Vivane, Enguane in Wälschtirol S. 115.
§ 13. Wilde Leute der keltischen Sage S. 117.
§14. Barnes vertes in Frankreich S. 117 — 120.
§ 15. Wildfrauen in Steiermark. Hohl wie ein Baumstamm S. 120.
§ 16. St. WalpuTffis S. 121.
§17. Weiße Weiber, Ellepiger, Meerfrauen in Niederdeutschland und Däne-
mark. Beziehungen zur Pflanzenwelt. Vom wilden Jäger gejagt
Hohler Rücken S. 122 — 126.
§18. IHe schwedischen Waldgeister. Skougmann (Hult«) und Skogsnufva.
Wirbelwind ihr Element. Euhschwanz, lange Brüste, hohler Bücken
S. 127 — 128. Lachen. Irreleiten S. 129. Opfer auf einem Steine
S. 130. Skogsfru Herrin der Waldtiere und der Jagd S. 131 - 132.
(vgl. S. 615.) Liebschaft und Ehe mit Menschen S. 133—136. Von
König Oden verfolgt S. 137 — 138.
§ 19. Die russischen Waldgeister, Ljeschje sind oft bocksgestaltig. Ihre
Größe dem Pflanzenwuchs gleich S. 138 (vgl. S. 610 Anm. 2.); haben
ein Auge; walten in Orkan und Wirbelwind S. 139 fr.; leiten den
Wanderer irre S. 140. Behüten die Heerde, Opfer für sie auf einem
Baumstumpf S. 141. Zauberspruch, sie herbeizurufen S. 141. Machen
Kohlen zu Gold S. 142 vgl. S. 616. Hochzeit im Wirbelwind. Kin-
derraub S. 143.
§20. Peruanische und brasüianiscJie Waldgeister den nordeuropäischen
ähnlich S. 143 — 145.
§21. Rückblicke und Ergebnisse. Waldgeister, Verschmelzung von Baum-
geistem und Windgeistem S. 145 — 146. Ihre Gestalt S. 146. Ihr
Zusammenhang mit der Baumwclt S. 147 — 149. Ihre Lebensäußerung
in Wind und Wetter S. 149 — 153. Geschlechtliche Verbindung mit
Menschen S. 152 — 153. Raub von Kindern und Wöchnerinnen S. 153.
Uebergang in Hausgeister S. 153, in Feldgeister S. 154.
Drittes Kapit«].
Die Baumseele als Vegetationsdämon.
§ 1. Genius des Wcuhstums. Die Baumseele, der Doppelgänger und
Schützer menschlichen Lebens, wird in Gebräuchen zum allgemeinen
Vegetationsgeist und geht in eine Personüication der schönen Jahres-
zeit über S. 154.
Inhmlt. im
$ 2. Baymsede, WaekgtutMgeist <» Saminer in den Lätaregebräuchen
S. lo5 — 157.
§ 3. Russische Pfingsigehräuche. Als Mensch ausgekleidete Birke verehrt,
ans dem Walde geholt S. 157 — 159.
§ 4. MiUmmmerstangt tti Schweden S. 159 — 160.
§ 5. Miiibaum. Feierliche Einholung des Maihanms ans dem Walde, Anf-
pflanznng anf oder vor Stall and Hans für Tiere und Menschen
8.161—163; Vaienstecken för das geliebte M&dchen S. 163 — 165,
f&r die Antorit&ten der Gemeinde 166 — 167; für das gesammte Dorf
(Stadtteil n. s. w.). Großer Maibanm mit Bändern und Eßwaaren
geschmückt; erklettert 168 — 170. Bemerkenswerte Formen des Brau-
ches. Maibanm mit 3 Aehren zu Lncca S. 171, mit Darstellung der
Passion in Oberbaiem S.172. Kronenbaum und Ereuzbaum der Wen-
den 173 — 174. Die Questenberger Eiche S. 175. Die ursprüngliche
Gestalt des Maibaums S. 176 — 177. Maibaum im Maifeuer oder Johan-
nisfeuer verbrannt S. 177 — 180. Elfäuterung der vorstehenden Brfiuche.
Maibaum = Sommer S. 181, Lebensbaum , Schutzgeist , alter ego der
Tiere, geliebten Mädchen, der Gemeinde S. 182 — 186; seine Verbren-
nung, Darstellung des Durchgangs der Vegetation durch die Sommer-
wärme S. 186 — 187. Die Dorf linde oder Burglinde > ersetzt den Mai-
baum S. 187 — 190.
§ G. Emtemai, Auf dem letzten Erntewagen wird ein Maibaum aufge-
steckt und auf das Scheunendach befestigt S. 190 — 194. Der Harkel-
mai in Westfalen S. 194 — 199. Der Emtemai im Rheinland S. 199 —
202; in Elsaß und Lothringen S. 202-203; in Frankreich S. 203—
206. Zusammengehörigkeit des Maibaums und des Erntemais [drei
Aehren im Emtebrauch] S. 208 — 211. Deutung der gemeinsamen
Züge S. 212 — 221. Maibaum anthropopatisch S. 212 ist die personifizierte
Wachsturaskraft S. 213 ; daher mit Wasser begossen als Regenzauber
S. 214 — 216; daher Beziehung zum weiblichen Geschlecht S. 216 und
Aufpflanzung auf ein Jahr an Haus, Stall, Scheuer S. 217 — 218.
§7. Richtmai. Lebensbaum der Bewohner des neuerbauten Hauses S. 218 —
221.
^ 8. Brautmaie. Lebensbaum der neugegründeten Familie S. 221 — 223.
$ 9. Chrutiblock und Weihnachtsbatwi. Junge Bäume Weihnachten ins
Getreide gesteckt S. 224 , oder mit Getreide beschüttet und ins Fener
1) Auf älteren Gemälden sieht man häufig fnitten im Burghof einen eifuigen
Baum stehen, der offenbar eine symbolische Bedeutung hatte. Statt vieler Bei-
spiele erwähne ich den „ridderlyk Hof vun Hollaeckon in Brabantla illustrata
and ein Aquarell von Hans Bol a. d. J. 1589.*'
XIV Inbalt.
gelegt S. 225 ; Banmzweige , Baumklötze im Weihnacbtsfeaer ver-
brannt haben Zauberwirkung für Menseben , Tiere , Pflanzen S. 226 —
230. Nächstliegende Deutung dieser Bräuche aus christlicher Symbo-
lik. Christus = Gerte Aarons, Wurzel Aarons, Weizen auf Marien -
Acker. Auf letzterem Bilde beruhende Sitten und Sagen S. 230 — 231.
Die Empfangniß durch Aehren auf dem Mantel der Madonna darge-
stellt S. 231—232. Vgl. S. 616. Christus der himmlische Weizen in
weiteren kirchlichen Sitten und Volksgebräuchen S. 232 — 235. Christ-
block «= virga e radice Jesse? S. 235. Diese christlichen Deutungen
lösen nicht alle Züge; der Christblock mit dem Maibaum verwandt
S. 236— 237, ist christlich umgedeutet S. 238. Ebenso Verhaltes sich
mit dem Weihnachtsbaum. Derselbe ist erst seit einem Jahrhundert
allmählich verbreitet S. 238 — 241; ging möglicherweise aus dem Para-
diesesbaum hervor S. 242 — 243 [Versinnlichung des ,,de fructu" in
der Kirche S. 243]. Doch ist ebensowenig Uebereinstimmung mit dem
Maibaum zu verkennen. Maibäume mit Kerzen, Wepelrot, Sommer-
umtragung zur Weihnachtszeit machen den Maibaum als Figur des
Mittwinterfestes und seine ümdeutung in christlichem Sinne wahr-
scheinlich S. 243 — 249. Er bedeutet den Lebensbaum der idealen
Menschheit S. 250. Gesetz derartiger Umdeutungen S. 250. Ümdeu-
tung des Maibaums in das Kreuz, der Wodansjagd in die Jagd des
Engels Gabriel S. 250—251.
§ 10. Der Schlag mit der LebensnUe. Menschen, Tiere, Pflanzen zu gewis-
sen Zeiten mit einem grünen Zweige (resp. Stock) geschlagen, um
gesund, kräftige fruchtbar zu werden S. 251 ; zu Lichtmesse und Fast-
nacht (Pudeln) S. 252— 256; am Palmsonntag 256— 257, zu Ostern
(Schmackostem) S. 258 , auf Maitag S. 264 ; zu Weihnachten (Frische-
grünstreichen, fitzeln, pfeffern) 265 — 268. Flöhausklappen S. 268.
Hudlerlauf S. 269. Menschen und Tiere gepeitscht S. 269—270. Tiere
(Kälberquieken) S. 270— 275; Bäume und Pflanzen, Krautköpfe, die
letzte Garbe geschlagen S. 275 — 278. Erläuterungen. Die schlagende
Rute (Lebensrute) soll Saft , Wachstumskraft mitteilen , die Geister der
Krankheit und des Mißwachses aus dem Körper vertreiben S. 278 — 281.
Dem ersten Anschein nach sind diese Sitten vom Palmsonntag ausge-
gangen S. 281. Die Palmweihe S. 282— 294. Auf den Pahnbüschel
sind in Griechenland nachweisbar vorchristliche Vorstellungen über-
tragen, welche mit dem Maibaum übereinstimmen, den die Eiresione
als nicht kirchlich bewährt S. 294 — 299. Auch die Peitschung des
Brautpaars oder junger Eheleute S. 299 — 301, wozu Parallelen bei
Naturvölkern S. 302 — 303, soll wol die der Befruchtung hindernden
Dämonen vertreiben S. 302 — 303.
§ 11. Auslauf über die IrmensävHe. Neben dem Maibaum als Lebensbaum
der Gemeinde war die Irmensul vielleicht Lebensbaum des Volkes
S. 303 — 306, doch erlauben die historischen Zeugnisse keine sichere
Entscheidung der Frage S. 307 — 310. Vgl. S. 889.
Inhalt ZT
liirtM lipileL
Anthropomorphische Wald- und Baamgeister
als Vegetationsdämonen.
§ 1. Persönheh dargestelUe Waid- und Baumgeister ah VegeMionsdä-
mumen. Die dem Maibanm innewohnende Seele durch eine daran-
gehingte Pappe oder einen nebenher gehenden oft in grflnes Lanb
gehüllten Mensehen yeranschaolicht S. 311.
i 2. Doppelte Darstellung des Vegetationsdämons durch Baum und Men^
sdkm im Elsaß (Pfingstqnak, Mairesele) Franken (Walber) S. 312,
Litauen (Maja), Kftmthen (Qrüner Georg) 313, Frankreich (P^re May),
Elaaft (Herbstschmudel) S. 314 , England (Majlady) S. 315. Der Um-
zug mit diesen Stellvertretern des Vegetationsnumeus eine sakramen-
tale Handlung S. 316.
} 3. Laubeinläeidungy Umgang su Fuß, Hftufig fällt der Maibanm fort
und der in Laub Gehüllte allein stellt den Wachstnmsgeist dar (Grü-
ner Georg, Pfingstblume, Pappel) S. 316—318; derselbe wird in feier-
licher Prozession zu Fufi aus dem Walde geholt, zuweilen mit Was-
ser begossen. Laubmfinnchen , Pfingstl, Pfingstschläf er , Pfingstlüm-
mel, Jack in thegreen, Pfingsthütte, Schak, Füstge Mai, Eudemest,
Latzmann S. 318—325. Erläuterung der aufgeführten Sitten S. 325 —
327.
§4. Laubeinkleidungj Begenmädchen. Auch bei Dürre ein den Wachs-
tumsgelBt darstellender, in Laub gehüllter Mensch behufs Regen-
zaubers mit Wasser begossen S. 327 — 31. Weitere Fälle des Regen -
Zaubers S. 332 — 333 vgl. S. 356.
§ 5. Laubeinkleidung; der wilde Mann. Spielart des Laubmännchens
S. 333 — 337. Darstellung des wilden Mannes als Laubmann oder als
behaarter Waldschrat bei Hoffesten, und in Kunst, Heraldik und
Numismatik des Mittelalters S. 337 — 341.
§ 6. MaQumig, Pfingstkönig, Maikönigin. Der Vegetationsgeist als Herr-
scher aufgefaßt vrird zum MaikÖnig, Pfingstkönig, Lattichkönig,
Graskönig, Maikönigin, Reine de Printemps, Reine de Mai S. 341 —
347.
§ 7. Das Maienreiten. Der Umzug zu Fuß wird in Folge dessen zum
ritterlichen Einritt S. 347 — 350, bei dem sich die Figur des Laub-
manns, Pfingstiümmels, in mehrere spaltet S. 351—352. Das böhmische
Pfings^önigsspiel S. 353— 354.
S 8. Der Mauriti, Erläuterung. Der zu Roß aus dem Walde geholte Pfingst-
lümmel unterliegt als Wachstumsgeist dem Regenzauber S. 355 — 356.
[Regenzauber bei enÜegenen Naturvölkern 8. 356]. Ihm wird der
Maibaum zur Seite getragen; seine Laubhülle Amulet S. 357. Der
xvt Inhftlt.
Pfingstkönig geköpft. Bedeatong dieses Brancbs entweder nnbehilf-
liche Darstellang des Yoranfgegangenen Todes der Vegetation um
das Auftreten im Frühling als Wiederaufleben zu bezeichnen S. 357 —
360 oder nach Analogie vieler Bräuche bei wilden Völkern (S. 360 —
363). üeberlebsel einer uralten barbarischen Sitte, mit dem Blute
der geopferten Repräsentanten des Vegetationsgeistes den Aeckem
Wachstumskräfte zu geben S. 363—365. Differenzierungen des Pfingst-
lümmels S. 365. Analogien zum Schlag mit der Lebensrute S. 365 —
366. Aemter des berittenen Gefolges S. 366 — 367. Der Mairitt an
fürstlichen Höfen S. 368.
§ 9. Der Maigraf, ein städtischer Sprosse des ländlichen Pfingstlümmels.
Die Bräuche des Festes 8.369— 376. Nachweis der Abzweigung vom
Mairitt des Pfingstlings S. 376— 377. Zeit derselben das dreizehnte
Jahrhundert S. 377—378. Weitere Erläuterung der Bräuche S. 378 —
382.
§10. PfingsttDettlauf und Wettritt. Wettlauf oder Wettritt nach dem
Maibaum S. 382-387.
§11. Pfingstwettritt f das Kranzstechen, Busehstechen , die letzteren Sproß-
formen des ersten S. 387 — 389.
§ 12. Wettaustrieb der Weidetiere S. 389 — 391.
§ 13. Wettlauf und Wettritt , Erläuterungen. Vermutlich liegt als Gedanke
der wetteifernde Einzug der Vegetationsdämonen und rechtliche Besitz-
nahme des Maikönigtums zu Grunde S. 391 — 396.
§ 14. Wettlauf nach der letzten Garbe S. 396.
§ 15. Eschprozeasion , Flurumritt. Umritt um die Gemarkung zum Gedeihen
der Saaten, zumeist kirchlicher Brauch S. 397 —402.
§16. Steffansritt. Ausritt, oder Wettrennen der Pferde am 26. Dezember
S. 402 — 404. Erläuterung der Eschprozession (und des Steifansrittes)
als mutmaßliche Teile der Feierlichkeit beim Einzüge des Pfingst-
königs S. 404—406.
§ 17. Hinaustragung des Vegetationsgeistes. Darstellung des im Frühjahr
wieder zum Walde kommenden Wachstumsdämons durch eine Puppe.
Hetzmann in Schwaben S. 406, Metziko in Estland S. 407-409, vgl.
grand mondard in Orleannais S. 409 , Waldmann bei Eisenach S. 410.
§ 18. Hinaustragung wnd Eingrdbung des Vegetationsgeistes. Todaustragen
auf Fastnacht S. 410 - 414.
§ 19. Hinaustragung und Eingrabung des Vegetationsdämons um Mitsom-
mer S. 414 — 416. Jarilo 415.
§ 20 Hinaustragung und Begräbniß des Vegetationsdämons , Erläuterungen.
S. 416 — 421.
Inhalt. xvn
Fliftei EapiteL
Vegetation 8 ge ister: Maibrantsehaft
§ 1. Das Mctikönigspattr. An Stelle des einen männlichen oder weiblichen
Vegetationsdämons , Lanbmanns , Pfingstkönigs n. s. w. erscheint oft
ein Paar. König and Königin 8. 422—424 vgl. 8. 986.
§ 2. Maiherr und Maifrau, Lord and Lady of the Maj in England 8. 424 —
426 ; andere Farmen des Braacbs. 8. 426—420.
§ 3. Maipaare:- Hansl und Gretl. 8. 429 — 431.
§ 4. Maibraut, Pfingsthraut Das Maipaar als Braatpaar dargestellt,
wird im Walde gesucht S. 431. Darstellang des Hochzeitzages (Püngst-
braat, Blamenbraut, Metzgerbraat) 8. 432— 433. Braut erweckt den
schlafenden Laubmann 8. 434—435 vgl. 8. 617. Verlassene Braut
8. 435. Wiederkehrende Braut 8. 436. Metzgerbraat in Münster;
Aschenbraat 8. 437. Umzug der Maibraut in Niederdeatschland und
Frankreich 8.438 — 440.
§ 5. Huren, Feien. Im Thüringer Brauche wandelt sich der Laubmann,
8choßmeier in die mit Weiberkleidern geschmückte „Hurey" 8ymbol
der Werdefülle des 8ommers. Vgl. die Feien der Altmark 8. 440 —
443.
§ 6. Bedeutung des Maihr autpaar s. Der Vegetationsdamon verlfißt oder
verliert im Winter seine Liebste (Gattin), im Lenze neue Vermählung
8.443—445. Egarthansel 8.445-446. Kommt christliche Symbo-
lik in Frage ? 8. 446 — 447.
§ 7. Nachahmungen des Maibrautpaars durch menschliche Liebespaare.
Am 1. Mai Hochzeitritt, wobei je eine Dame en Croupe hinter dem
Reiter sitzt. Das Brautnennen am Drömling. Brautmarkt zu Kind-
leben 8. 44V— 449.
§ 8. MaileJ^n, Valentine. Am 1. Mai bei Maibaura und Maifeuer die
Mädchen der Gemeinde versteigert (Mailehen) S. 449— 452. Desglei-
chen am ersten Fastensountage und 1. März 8. 4^5. Ausruf der Lie-
bespaare (Valentins und Valeutiues) beim Leuzfeuer 8. 45t) — 458.
Erlösung der Geliebten am Valentiustage 8. 458 — 4G2. Compadre,
Weiberdingete, Vielliebchen 8.462.
ij 9. Uas Maipaar und die iSonnwefidfeiier. Beziehung des jüngst ver-
heirateten Ehepaars und der Brautpaare zum Frühlings- und Sonn-
wendfeuor 8. 462 — 466. Suchen des Weibes oder des Liebchens beim
polnischen und lettischen 8. 466—468, das „Beila<rer" beim estni-
schen Johannisfeuer 8. 469. Priapeu beim keltischen Frühlings- und
Notfeuer 8. 469 — 470. Wahrsagende Braut beim griechischen Johan-
nisfeuer S. 470 — 471.
?j 10. Der Braiilhall. Den Neuvermählten zu Ostern der Brautball abge-
fordert, und im grünen TannenwaKle zerschlagen 8.471 — 473. Ball-
Mannhardt. b
xym Inhajtf
spiel zu Ostern, Fastnacht, Lichtmesse, Weihnachten S. 473 — 477,
sogar in der Kirche S. 477 — 478. Erl&uterungen ; Verwandtschaft die-
ses Brauchs mit den Bräuchen beim Sonnwendteuer S. 478 — 480.
§1L BrauiXager ctuf dem Ackerfelde, Mann und Weib verbunden wäl-
zen sich auf dem Acker, damit das Korn wachse S. 480 — 482.
Das Wälzen auf dem Saatfelde bezweckt Mitteilung von Wachstums-
kraft an das Erdreich S. 482— 487, die Verbindung der Geschlechter
drückt symbolisch den Augenblick der Vermählung des dämonischen
Maibrautpaars aus 487 — 488.
§ 12. Neu/oermälüte ah Abbilder des Maipaars. Die jungen Ehemänner
(Bräutlinge) werden zu Fastnacht ins Wasser getaucht (Regen zauber,
Lustration). TJebertragung dieses Brauches auf Hochzeiten S. 488 —
492.
§13. Ef gebwisse der Untersuchung über das Maibrautpaar S. 492 — 496.
SMkstei Kayitei.
Vegetationsgeister: Sonnen z au ber.
•
§ 1. Verhrennimg in den Faschings- und Lätaregehräuchen an einer
Puppe, dem Fasching, Tode u. s. w. geübt, stellt sinnbildlich das
Hindurchgehen der im Winter erstorbenen, zum Wiederaufleben
bestimmten Vegetation durch das von den Krankheits- und Mißwachs-
geistem reinigende Sonnenfeuer dar. Eine menschliche Gestalt nebst
einem Baume (dem Maibaum) auch in andern Frühlings- und Sonn-
wendfeuem verbrannt, zu deren Zubehör aufierdem Scheibenschlagen,
Hindurchgang von Menschen und Tieren, Fackellauf über die Korn-
felder, und ein Scheinkampf auf denselben gehören S. 497 — 500.
2. Feuer am Funkensonntage S. 500—502.
§ 3. Oster feuer S. 502—508.
§ 4. Maifeuer, Johannisfeuer S. 508 — 514. Menschliche Figuren aus
Weidengeflecht verbrannt 514.
§ 5. Tiere im Sonnwendfeuer verbrannt, z. B. Katzen, Füchse, Hähne.
StidfranzÖsische Verbrennung von Schlangen in weidengeflochtener
Säule S. 515 — 516. Michaelis und Martinsfeuer S. 516.
§ (). Frühlings- und Sonnwendfeuer. Erläuterungen. Alle jene Feuer
Nachkommen eines älteren Bitus, der ursprünglich heidnisch von der
Kirche in ihren Bereich zu ziehen versucht wurde S. 516 — 518.
§ 7. Notfeuer. Zum Beweise dient die Uebereinstimmung aller wesent-
lichen Züge beim Notfeuer S. 518-521.
§ 8. Schlußfolgerungen über die Bedeutung des Frühlings- urhd Mittsom-
merfeuers. Dasselbe übt einerseits durch Vernichtung der Mißwachs-
und Kiankheitsgeister , anderseits durch Mitteilung zeugender Kraft
Einfluß auf Wachstum und Gesundheit der Menschen , des Viehes,
der Gewächse. Die verl^raimte Menscliengestalt ursprünglich Darstel-
lung der von den Krankheitsgeistern zu reinigenden personifizierten
Vegetation, die noch zuweilen ein neben dem Johannisfeuer hergehen-
der Latibmann veranschaulicht S. 521 — 525.
§ 9. Ein dltgallisd^s Jahres fetter von pentaeterischer Wiederkehr , in
welchem mit lebenden Menschen gefüllte Menschengestalten aus Baum-
zweigen der Fruchtbarkeit halber verbrannt wurden, von Posidonius
beobachtet, dessen bei Cäsar, Strabo und Diodor erhaltener Bericht
kritisch untersucht wird S. 525 — 533. Beispiele fCür den üebergang
eines jährlichen Naturfestes in ein nach regelmäßigem Zwischenraum
mehrerer Jahre gefeiertes S. 533.
§10. Fackdlauf über die Kornfelder, („Samenzünden/' „Saatleuchten,'')
ein Zubehör der Jahresfeuer S. 534 — 540.
Ul. Komauf wecken, Perchtelspringen , Faschingsumläufe , Abarten des
FackeUaufs S. 540— 54a
§12. Sdienikam^ beim Mittsommerfeuer und von diesem losgelöst im
Frühling und Mittsommer auf den Aeckem, damit das Eom besser
w!tehse. Asiatische Parallelen S. 548 — 552.
§13. Das Pflugumziehen. Zu Fastnacht, Weihnachten und bei Dürre ein
Pflug in Brand gesteckt und ins Wasser gezogen, Regen- und Sön-
nenzauber S. 553 — 554. Fastnachtbrauch, ;Mägde vor den Pflug oder
die Egge zu spannen S. 554 — 557. Foolplough am Montag nach
Epiphanias S. 557, Pfluggang zu Neujahr S. 558. Die Sitte ein zau-
berisches Vorpflügungsfest vor Beginn der Ackerarbeit, als solches
noch in Böhmen erhalten S. 559 — 561,* sowie in daraus abgeleiteten
russischen Pfluggängen bei Epidemien S. 561 — 563. Weitere Erläu-
terungen S. 563. Das Ordale der glühenden Pflugscharen S. 564.
§ 14- Feuerdurchgang Hochzeitbrauch S. 565.
§ 15- Verbrennung des Maibaums nach Jahresfrist S. 566.
Siebentes Kapitel.
Vegetationsdämonen; Nerthus.
§ 1 . TacUus über die Nerthusumfahrt S. 567 — 568.
§ 2. Ver Schauplatz des Festes Ö. 568.
§ 3. Glaubwürdigkeit der Nadiricht 8. 568 — 570.
§ 4. Der Name Nerthus S. 570 — 571.
5$ 5. Bedeutung der Interpretatio Terra mater S. 571 — 574.
1) Nach Pliniuß, bist, natur. XVII, 5 wurde in Byzacium (Africa pro-
pria) ein altes Weih neben einem Esel vor den Pflug gespannt, nach Dureau de
la Malle in der Liniagne (Auvergne) die Frau de» Bauern neben einer Kuh.
XX Inhalt.
§ 6. Tatsächlicher Inhalt des taciteischen Berichtes S. 574 — 581.
§ 7. Die Nerthusumfahrt den Friihlingsgehräuchen vertoandtj zumal der
Einholung des Malbaums S. 581 — 587.
§ 8. W. Müüer, Müllenhoff, Simrock über Nerthus S. 587—588.
§ 9. Nerthus, Njördhr und Freyja S. 588—592.
§10. Die Umfahrt. Gewährt der Schiffsumzug des Jahres 1133 eine Ana-
logie? Erl&uterung desselben durch asiatische Analogien und histo-
rische Verhältnisse S. 592 — 598. Das Nerthusfest yennutlich localc
Vergrößerung eines allgemeinen Frühlingsfestes 598 — 599. Unmög-
lichkeit der Umfahrt bei allen sieben Stämmen; der wahrscheinliche
Sachverhalt S. 599—602.
SeUlißwttrt
Baurageist und Korndämon.
Zusammenfassende Darstellung der hauptsächlichsten Resultate. Ein
Hauptergebniß, der Nachweis des in verschiedenen Formen und Zügen aus-
geprägten Glaubens an die Baumseele , den Baumgeist S. 603 - 608, findet
vollständige Bestätigung durch den in allen Einzelheiten entsprechenden
Parallelismus des Glaubens vom Eomdämon S. 611 — 614.
lacItrlgeS. 615-617.
Grnndanschannngen.
In dem ewigen Kreislauf, der die Atome aller irdischen
Dinge nmhertreibt nnd in welchem jeder, aach der festeste K(5r-
per, nichts anderes darstellt, als eine zeitweilige Form der unauf-
haltsamen Bewegung, einen Strudel im Strome, ist trügendem
Augenscheine nach dem Steine ein ruhiges Verharren gegeben.
Von seiner Starrheit hebt sich unterscheidend der verhältnißmäßig
schnelle und in regelmäßiger Wiederkehr nachweisbare Verlauf
in der Veränderung organischer Bildungen ab. Alle lebenden
Wesen vom Menschen bis zur Pflanze haben Geborenwerden,
Wachstum und Tod miteinander gemein und diese Gemeinsamkeit
des Schicksals mag in einer fernen Kindheitsperiode unsers Ge-
schlechtes so überwältigend auf die noch ungeübte Beobachtung
unserer Voreltern eingedrungen sein, daß sie darüber die Unter-
schiede übersahen, welche jene Schöpfungsstufen von einander
trennen. ^
Die Anerkennutig der Gleichartigkeit ging so weit, daß
manche Völker die ersten Mensehen aus Bäumen oder Pflanzen
gewachsen oder geschaffen annahmen; noch in historischer Zeit
verfügt die Sprache und naturwüchsige Dichtung der meisten
Nationen über einen mannigfaltigen Vorrat von schönen Verglei-
chen des animalischen und des vegetabilischen Lebens, welche
teils als zerbröckelte Trümmer uralter, auf das naive Bewußtsein '^
der Identität gegrttndeter Mythen anzusehen sind, teils die
ursprünglichen ästhetischen, in Anschauung umgesetzten Empfin-
dungen conservieren oder aus der Tiefe des Menschengeistes neu
erzeugen, die auch jenen das Dasein gaben. Am häufigsten fin-
1) Daß der NaturmeDSch deu Unterschied von Geist und Körper noch
weni^ beachtet, sich mit seinen Nebengeschöpfen auf gleichem Niveau ran-
jriert, nicht nur Menschen, Tieren, Pflanzen, sondern auch Steinen und
Hausgeräten Seele und Wiederaufstehen im Jenseits zuschreibt , auf Tiere
mit Stolz seine Ahnenreihe zurtickleitet u. s. w. setzt A. Bastian in Stein-
thals Zeitschr. f. Völkerpsychol. V, 153 gut auseinander.
MannhardL 1
2 Grandanschaunngen.
den wir auf Zustände in der Entwickelung des Menschen die
entsprechenden Erscheinungen des vegetabilischen Daseins in
bildlicher Redeweise übertragen. Der Mensch blüht, wächst und
welkt; in seiner Vergänglichkeit gleicht er dem Grase des Fel-
des; der Mann in seiner Kraft erinnert an die starke Eiche, das
hingebende, anmutige Weib an den umrankenden Epheu, die
duftende Blume. Der Liebende aller Zeiten und Länder weiß
die Schönheit der Geliebten nicht treffender zu schildern, als
wenn er das Mädchen als seine Kose, Lilie, als Myrte oder
Granatblüte feiert Die reiche Lese verwandter Wendungen,
Beiwörter und Kosenamen, welche J. Grimm in seinem feinsinni-
gen Aufsatze „Frauennamen aus Blumen ^^ zusammengebracht hat,
ließe sich von allen Feldern der Weltliteratur mit Leichtigkeit
ins Unübersehbare vermehren. Andererseits machen Sprache und
Dichtung umgekehrt die Pflanze zum Spiegel animalischen Lebens.
Der junge Pflanzenschoß im Frühlinge wird dem jungen Tiere
verglichen. Dem Römer erschien er wie ein Kind, Füllen oder
Küchlein (puUus), dem Griechen wie ein Kälbchen (//oaxog); die
Berechtigung dieser Auflassung werden die nachfolgenden Unter-
suchungen hoffentlich dartun. Unsere Palmkätzchen gehören
einer andern Vorstellungsgruppe an, sie tragen ihren Namen von
dem silbergrauen, sammetweichen Fell; aber im skandinavischen
Norden war kalfr Kalb vom neuen Pflanzensproß im Gebrauch,
z.B. hvannarkälfr Fomaldars. I, 472 r. 1 = üng hvönn Engelwurz-
schößlein, angelica tenella. Die weibliche und männliche Blüte
des Hanfs wird als Hahn und Henne unterschieden, wie das
Männchen und Weibchen mancher Singvögel; und nicht unerwähnt
bleibe die auf dem Gebiete der Pflanzennamen reichlich und
schon seit alters hervortretende Neigung, die Gestalt der Kräuter
einzelnen Gliedmaßen der Tiere zu gleichen (Wolfsfuß, Gansfuß,
Storchschnabel, Löwenzahn u. s. w.). Auch diesmal bietet die
Menschengestalt, welche zwar übrigens im weitesten Abstände
von der am Boden haftenden Pflanze befindlich , durch ihren auf-
rechten Wuchs derselben sich wiederum am meisten nähert, die
ausgiebigste Veranlassung zu personifizierenden Gleichnissen. Wir
legen den Gewächsen im Schmuck der poetischen Darstellung
gerne Fuß und Arm, Kopf und Augen, Brust, Busen, Haar und
Kleidung u. dergl. bei. Reichliche Beispiele für diesen Sprach-
gebrauch bei neueren deutschen Dichtem, Shakefpeare und den
Gnmdanschannngen. 8
Autoren des klassischen Altertums ließen sich aus der reichhal-
tigen und lehrreichen Schrift von 6. Hense „ Personificationen in
griechischen Dichtungen, Thl. I. Halle 1868" zusammenstellen.
Schon diese so zu sagen teilweise und vorübergehende Art von
Personification setzt Beseelung voraus; der Mensch leiht dem
bewußtlosen Gewächse Empfindung und weil wir in demselben
gewisse Eigenschaften wahrzunehmen glauben, die an verwandte
Saiten in unserm Innern anklingen, sucht unsere Phantasie in
ihm ein Leben wie das unsrige, Geist von unserm Geiste. Diese
Vorstellung steigerte sich in früher Vorzeit ohne Zweifel zu dem
wirklichen Glauben, daß die Pflanze ein dem Menschen gleich-
artiges , mit Denken und Gesiimung begabtes Wesen , Mann oder
Weib sei. Als später im primitiven Bewußtsein ein Bruch ein-
trat nnd eine Art von botanischem Begriff aufzukommen begann,
sachte jener Glaube in veränderten Formen sein Dasein zu retten.
Zunächst mußte er sich von Tag zu Tage fortschreitend eine
Bnschränkung auf einzelne Individuen gefallen lassen, an denen
das Wunder noch haftete , während die große Mehrzahl der Ge-
wächse der nüchternen Betrachtung und dem noch mehr ernüch-
ternden Gebrauche des wirtschaftlichen Lebens verfiel. Sodann
hieß es nun entweder, die Pflanze sei der zeitweilige Sitz, das
Kleid , die Hülle einer durch den Tod aus dem leiblichen Dasein
entrückten Menschensccle. Kobcrsteins trefl*lichc Abhandlung ^
hi noch immer das Beste, was bisher über diesen (Gegenstand
veröffentlicht wurde. Nach anderer Auifassuiig sind gewisse
Pflanzen verwandelte Menschen oder Halbgötter, deren Bewußt-
sein durch Zauber oder Schicksalsspruch in ihnen noch fortlebt.
Hieraus erklärt sich in weit größcrem umfange, als man bisher
zu wissen scheint, eine Anzahl der vielen Volkssagen, in wel-
chen von einer Metamorphose in Pflanzen die Rede ist. - End-
1) Kobf*rstein , A., üb. d. Vorstellung v. d. Fortleben menschlicher See-
len in der Pflanzenwelt. Naumburg 1849; wieder abgedruckt Weimar. Jahr-
bwih I, 72—100. Vgl. den Nachtrag Reinhold Köhlers ebd. 479 — 483,
Herrig. Archiv f. d. Stud. der n. Spr. XVII, 444. Sitzungsberichte der Wie-
ner Akad. 18oG. XX, 94. Slavische Beispiele bei Grohniann, Abergl. a.
Böhmen 193, 1361. 93, 648.
2) Gute und richtige Bemerkungen über diesen (legenstand machte
B. Schmidt in .s. hübschen Aufsatz übor Caldcrons Behandlung antiker My-
then im Khein. Museum X. 18.%, p. :>41 : „Jener Glaube (an Verwandlungen
von Menschen in Pflanzen) wurzelt durchaus in einem Gefühle der alten Völ-
1*
4 Grundanschanongen.
lieh eine dritte Ansehauungs weise weiß von einem geister-
haften Wesen, einem Dämon, dessen Leben an das
Leben der Pflanze gebunden ist Mit ihr wird er
geboren, mit ihr stirbt er. In ihr hat er seinen ge-
wöhnlichen Aufenthalt, sie ist gleichsam sein Kör-
per und doch erscheint er vielfach auch außer ihr in
Tier- oder Menschengestalt und bewegt sich in
Freiheit neben ihr.
Eine Abart dieser Vorstellung tritt uns entgegen in Form
der Annahme, daß der Dämon nicht der einzelnen Pflanze, son-
dern einer' Vielheit derselben, oder der gesammten Vegetation
einwohne und darum auch nicht im Herbste mit den einzelnen
Gewächsen vergehe , sondern irgendwo überwintere und im neuen
Jahre sein Leben in der Natur weiteritihre. Einmal aus der
Pflanze herausgetreten, wird der Dämon endlich zuweilen im
Fortschritte der Entwickelung zum Geber oder Schöpfer ihres
Lebens, er ist und webt nun nicht sowohl in der Vegetation, er
bringt dieselbe hervor.
Die auf vorstehenden Blättern nach verschiedenen Stufen
gesonderten Anschauungen gehen in der Wirklichkeit meistens
in einander über. Das Volksgedächtniß bewahrt sie neben ein-
ander oder verbindet sie oder ihre Spielarten in mannigfaltigster
Weise zu neuen Grebilden. Der Verfasser meint dartun zu kön-
nen, daß auf der Entwickelung dieser Grundanschauungen ein
nicht geringer Teil des GLiubeus und Brauches der europäischen
Menschheit und zwar sowohl der nordeuropäischen Stämme, als
der Hellenen und Italer beruhte. Das vorliegende Buch ist
bestimmt, dem Erweise dieses Satzes zunächst in Bezug auf die
nordeuropäischen Baum- und Waldgeister zu dienen.
ker, das der Deueren Zeit volbV fremd ist. in ihrer religiösen Sympathie mit
der Natur. Vermöge dieser empfanden sie die Pflanze wie den Stein und
das Gewässer als indiTidceU begeistet. dagegen den Meii^hen auch in seinem
geistigen und sittlichen Dasein als eine Gestalt der Natar. brachten also far
ihre Betrachtung das Naturleben und das Leben der Menschen in ein Ver-
}i<niß innerer Gleichartigkeit nnd gemütlicher Nähe and sahen darum auch
die Schranken zwischen dem einen und dem andern als leicht überschreitbar an/'
Kapitel I.
Die Baiimseele.
§. 1. Glelchsetznng des Menschen und der Pflanze.
Terschledenc Formen dieses Glaubens. Wir wenden uns zu-
Dichst der Betrachtung einer Reihe germanischer, lettoslavischer
od keltisch - romanischer Anschauungen und Bräuche zu , welche
ms darüber belehren, wie und in welcher Weise der Gedanke,
daß die Pflanze beseelt sei, in Bezug auf die Bäume weiter
ind in mannigfachen Formen bis zu so völliger Gleichstellung
mit den Menschen hinausgesponnen und entwickelt wurde, daß
die einen so zu sagen als vollendete Doppelgänger der andern
auftreten. Schon im* anthropogonischen Mythus nehmen wir eine
Art solcher Gleichsetzung wahr; eine andere äußert sich in der
Behandlang des Baumes als persönliches Wesen. Die Identifi-
zierung erstreckt sich zuweilen sogar auf eine imaginäre Ver-
schmelzung der Körperlichkeit von Mensch (oder Tier) und
Pflanze, und ftihrt zu der Annahme, daß der Baum der Körper
einer durch den Tod dem Mcnschenlcibe entrückten Seele, der
Wohnsitz mehrerer Elfen oder eines Schutzgeistes sei, der wieder-
um kaum von einem alter ego des Menschen zu unterscheiden
sein möchte. Zuweilen führt die Baumseele oder der Baumgenius
auch schon ein Leben außer dem Baumleibe in Sturm und Un-
wetter , in Wald und Feld. Da wir die in diesen Ueberlieferungen
lichr scharf' und deutlich zu Tage tretenden Verhältnisse später
einmal vorzugsweise zum Verständniß von Komgeistem ver-
gleichend zu nutzen gedenken, gestatten wir uns hier bereits
gelegentlich von selbst aufstoßende Uebercinstimmungeu der
Ikiumsage mit dem an das Getreide geknüpften Volksglauben
vorzumerken. Und auch das möge den Leser nicht stören, wenn
er (da sich ein anderer Platz dazu nicht eignete) in die Darlegung
des Baamglaubens nordeuropäischer Stämme nicht ganz selten
auch einzelne Analogien aus fernen Ländern und Weltteilen ein-
6 Kapitel I. Die Baamseele:
geflochten findet. Es geschähe gegen unseren Willen, wenn
durch Schuld dieser Einschaltungen das Bild des nordischen
Banmcultus sich in einen verschwimmenden Allerweltsnebel auf-
lösen würde. Wir stimmen vollkommen den goldenen Worten
Th. Mommsens zu (Rom. Chronologie): „das über die Kluft der
Nationen hinweggerichtete Auge erfaßt nur allzuleicht der Schwin-
del und man vergißt den wahren und hauptsächlichsten Grund-
,8atz aller historischen Kritik, daß die einzelne historische
Erscheinung zunächst im Kreise der Nation, der sie angehört,
geprüft und erklärt werden soll und erst das Resultat dieser
Forschung als Grundlage der internationalen dienen darf." Inso-
fern es sich aber bei unseren Zusammenstellungen zunächst noch
nicht um die Darlegung irgend welcher historischen Verwandt-
schaft, sondern um die Beschreibung von Typen handelt, so
bedienen wir uns desselben Vorteils, den etwa der Botaniker
genießt, wenn er die Coniferen Europas und Amerikas mitein-
ander vergleichen kann. Die Beobachtung gewisser gleicher
Eigenschaften bei beiden macht klar, daß dieselben zum Wesen
der Gattung gehören. Gleichartigkeit der Vorstellungen über den
nämlichen Gegenstand in zwei verschiedenen Zonen läßt zumeist
auf eine gewisse psychologische Notwendigkeit derselben schließen
und die eine erläutert die andere. Nur als ein solches die Natur
und den Sinn der nordeuropäischen Traditionen durch Analogie
erläuterndes Material wünscht der Verfasser Einschiebsel aus der
Fremde betrachtet zu sehen.
§. 2. Hensch und Baum. Olelehniß im Hävamäl. Die
germanische Welt hat die Gleichung Mensch und Pflanze zur
mannigfachsten Entfaltung gebracht. Auch abgesehen von jeder
mythischen Verkörperung war dieselbe in unserer Poesie von
alters her lebendig. Wie neuerdings Schiller den von seinen
Anhängern verlassenen Wallenstein einen entlaubten Stamm nennt,
hatte z. B. schon ein altnorwegischer Gnomendichter, dessen Sinn-
spruch man später dem Odhinn in den Mund legte, gesagt: der
Baum, der einsam im Dorfe steht, stirbt ab und nicht Laub noch
Rinde halten ihn türder warm; so ist der Mann, den niemand
liebt, was soll er länger leben?*)
*) Hävam. 50. Vgl. Egüson, lex. poet. S. 915, der übrigens parpi d
abweichend in colli verstanden wissen will.
Anthropogoiusoher Mjthos von Askr and Enibla. 7
§. 3. Anthropogonisehfr Mythus ron Askr und Embla.
Jahrhunderte bevor dieses Stttckchen Volksweinheit sein poeti-
sches Gewand erhielt, mag der bekannte anthropogonische Mythus
von Askr und Embla entstanden sein. Derselbe ist jedoch — ich
folgere dies aus psychologischen Gründen — unmöglich in der
ans Yorliegenden Form zuerst entsprungen, sondern wir besitzen
ihn in einer Gestalt, welche erst das ErgebniB mehrfacher Um-
wandlungen im Hunde der Dichter gewesen zu sein scheint. Wie
die Urform lautete, werden wir verstehen, wenn wir die noch
einfachere Gestalt entsprechender Sagen bei anderen Völkern in
Vergleich ziehen.
Bekanntlich läßt eine der eranischen Kch(>pfungssagen, aus
denen die Cosmogonie des Buudehesch zusammengesetzt ist, das
erste Menschenpaar Maschia und Maschiana in Gestalt einer
Reivaspflanze (rhcum ribes) aus der Erde emporwachsen. Sie
machten ursprünglich ein ungetrenntes Ganze aus und trieben
Blätter; in der Mitte bildeten sie einen Stamm, oben aber umarm-
ten sie sich dergestalt, daß die Hände (Zweige, Aeste) des einen
sich um die Ohren des andern schlangen. Erst später wurden
&ie von einander getrcmit. In diesen K()rper goß Ahuramazda
die zuvor bereitete Seele und sie wuchsen zur Meußchcngestalt,
indem jener Glanz geistiger Weise zum üurehbruch kam, der
die Seele kundgiebt. * Diese weder dem Avesta, noch den
ahen von Firdosi benutzten Quellen bekannte Anthropogonie *
macht gleich wol auf hohes Altertum Anspruch, insofern sie noch
ziemlieh unverändert jene früheste xinschauungsstufe vor Augen
stellt, wonach Mensch und Pflanze gleiches Wesens waren, und
unmittelbar in einander übergingen. Eine ganz ähnliche Vorstel-
lung begegnet bei den den Eraniern allem Anseheine nach nah-
verwandten Phrygem im Stromgebiete des Saugarios. Ihnen gal-
ten die Korybanten als die ersten Menschen ; die Sonne beschien
sie zuerst, als sie baumartig ((JcjJ^or/^rfc/c:) emporsproßten. ^ Wir
wissen nicht, wie sich der Kationalismus einer späteren Zeit den
in der Mythe ausgesprochenen Ueliergang des Üaunies in die
Menschengestalt in diesem Falle zurechtlegte. Nach den Sioux,
die gleich den Karaibcn und Antillenindianern ebenialls die
1 ) S. ßundebescli Cap. 15. Wiiidischmaun , Zoroastr Studicu »S. 213.
-J) S. Spiegel, Eranische Altertuinskun lo 1, 457. 473 fgg.
3) Findar bei Hippolyt, Philoa. p. *a6. Miller.
8 Kapitel I. Die Banmseele:
Stammeltem im Anfange als zwei Bäume entstehen ließen, stan-
den diese viele Menschenalter hindurch mit den Füßen im Boden
haftend, bis eine große Schlange sie an den Wurzeln benagte,
worauf sie als Menschen weggehen konnten. ^ Diesen Beispielen
entsprechend wird auch der germanische Mythus die Urahnen
anfänglich nicht aus todten Hölzern, sondern aus lebendigen
aus der Erde aufsprießenden Bäumen (einem mit einem
männlichen Namen und einem mit weiblicher Benennung) haben
hervorgehen lassen; später hat er dann zur Motivierung der
freien Beweglichkeit des Menschen eine Umänderung dahin
erfahren, daß drei kräftige und liebreiche Götter am Strande
zwei über Meer von den Wellen ans Land getriebene Bäume
(Askr und Elmja (?), Esche und Ulme (?) fanden und den
noch Schicksalslosen Geist, Sprache, Blut und blühende Farbe
einflößten. Die belebten Bäume Askr und Elmja (? fem. zu almr
Ulmbaum) waren die Stammeltem aller Menschen, Uns ist diese
Erzählung nur in einer zweiten Umformung bewahrt, in welcher
der schwer über die Zunge gleitende Name der Stammmutter
durch Metathesis mundrecht gemacht und so in den geläufigeren
Embla (aus Emla = amlja die arbeitsame) verändert ist. * Auf
den von uns flir die Grundform dieser Schöpfungssage voraus-
gesetzten primitiven Standpunkt d. h. bis nahezu an die Schwelle
wirklichen Glaubens an die Identität von Mensch und Pflanze
würden uns gewisse der Skaldenpoesie geläufige Metaphern
zurückweisen, falls nicht deren unmittelbarer Zusanmienhang mit
der Naturpoesie sehr zweifelhaft wäre. ^
1) CatliD, lettrcs and notes ou the manners castoms and conditions of
the North - America Indiana, 2. ed. ü, 289. Andere Stammsagen der India-
ner, z. B. diejenige der Tamanaken in Guyana, welche die Uteltern aus den
Kernen der Mauritiuspalme entsprießen läßt (Ausland 1872, S. 372), scheinen
über die Art und Weise , wie die Trennung der als JBäume geborenen Pro-
toplasten vom Mutterschoß der Erde erfolgte, sich ebensowenig auszuspre-
chen, als die phrygische Sage bei Pindar.
2) Völuspä Str. 17 fgg. Vgl. Uhland, Schriften z. Gesch. d. Dichtung
und Sage VI, 189.
3) In der altnorwegischen und altisländischen Skalden poesie werden
nämlich der Mann durch alle männlichen Baumnamen (vidr, meidr Baum,
hlynr, Platane, askr Esche, ro^^nir Vogelbeerbaum, das Weib durch alle
weiblichen Baumnamen björk, lind, eik, Birke, Linde, Eiche u. s. w. bezeich-
net und durch Hinzufiigung eines Kennworts näher determiniert. Ausdrücke
Der Baum als Penon behandelt 9
§. 4. Ber Banm als Person behandelt. Beraht der
anthropogonische Mythos der Nordgermanen auf der Anschauung
„der Mensch ist wie ein Baum'^, so haftet der umgekehrte Ver*
gleich „ der Baum ist wie ein Mensch '^ nicht minder tief in dem
Yolksglanhen sowol der skandinavischen als der deutschen Stämme,
denen sich slarische und finnische Nachbarn anschließen. Schon
anf den untersten Stufen zeigt sich diese Vorstellung in verschie-
denen Formen y fast überall jedoch — wo sie auftritt — hat sie
den Standpunkt der reinen Identität bereits verlassen und als
Beimischnng die Annahme eines dem Menschen zwar ähnlichen,
aber geheimniBvoUen und übematttriichen Wesens erhalten. Am
tiehsten kommt es jenem ursprünglichen Standpunkt, daß der
Mensch den Banm selbst ganz als eine ihm gleich stehende oder
ibergeordnete , mit individuell bestimmtem Character, mit mensch-
Eefaem Ethos begabte Persönlichkeit behandelt und anredet. Man
kündigt in Westfalen den Bäumen den Tod des Hausherrn an,
indem man sie schüttelt und spricht: „der Wirt ist todt".' Die
mährische Bäuerin streichelt den Obstbaum mit den von Berei-
tong des Weihnachtsteiges klebrigen Händen und sagt: „Bäum-
chen bringe viele Früchte".* Man springt und tanzt in der Syl-
vestemacht um die Obstbäume und ruft:
Freae ju Bönio
Ntijär ist komen!
Dit Jär ne Kare vull,
Up et Jär en Wagen vull! ^
Zwischen Eslöf und Sallerup im Haragers Härad in Schwe-
den befand sich noch 1624 ein Hain, den eine Kiesenjungfrau
gesät haben sollte; darin gab es eine Eiche, die Gyldeeiehe,
worin in alten Tagen viel Spukerei gespürt war. Wer irgend
wie elmci'fr fctilpelar Baura des Schwcrt^rsturms d. i Held könnten sehr
wjlil von dem Bilde des im Sturme Stand haltenden Baumes hergenommen
and zu anderen Umschreibungen Anlaß geworden sein. Nach Snorris mit
•iern künstlichen Character jener Dichtergattung übereinstimmender Erklä-
rung (Skäldskaparm. 31. 47.) soll jedoch der in Kode stehende Sprachge-
brauch statt ursprünglich in einfacher Naturpoesie zu wurzeln, das Product
einer techniHchen Spielerei sein. Nur eine chronologische Untersuchung der
erhaltenen Reste der Skaldeupoesie könnte die Frage möglicherweise zur
Entscheidung bringen.
1) Vgl. A. Kuhn, Westfäl. Sagen II, 52.
2) V. Grohmann , Aberglaube aud Böhmen S. 87.
3) K. Seifart, Hildesheim. Sag. n, 137.
10 Kap. I. Baufflseele:
vorbeiging, grüßte den Baum mit Ehrerbietung „Guten Morgen
Gyide!" „Guten Abend Gylde!"^ Allem Anscheine nach auf
einstigem Gebrauche ruht, was der Tiroler vom Holunder sagt:
„der Holer ist ein so edler Baum, daß man vor ihm den Hut
abnehmen [soll." ^ Die Holzarbeiter in der Oberpfalz reden von
den Waldbäumen wie von Personen; zieht der Wind durch die
Baumkrone, so „neigt sie sich und beginnt zu sprechen"; die
Bäume „verstehen sich". Der Baum „singt", wenn die
Luft durch seinen Wipfel streicht; nur ungern „läßt er sein
Leben"; unter dem Axtschlag „seufzt", zu Boden fallend
„stöhnt" er. Ein Förster stritt mit dem Herrn des Waldes,
welche von den zwei schönen Buchen vor ihnen gefällt werden
solle. Da beugten sich beide Bäume seufzend hin und wieder.
„Wer hat geseufzt?" rief der Herr. Es war aber niemand da,
der Antwort gab. Furcht trieb sie von dannen und die herrlichen
Bäume blieben verschont. Noch jetzt bitten die Holzfäller
den schönen gesunden Baum um Verzeihung, ehe sie
ihm „das Leben abtun".^
§. 5. Die Holanderinnttcr , die Esclienfran und ilu*c
Sippe. Trogill Arukiel, ,cin gebomer Nordschleswiger und Pastor
zu Apenrade erzählt 1703, daß in seiner Jugendzeit (wie er öfters
gehört und gesehen) niemand es wagte, frischweg einen Elhorn-
baum (Holunder) zu unterhauen, sondern wo sie denselben unter-
bauen (d. i. die Aeste stutzen) mußten, so pflegten sie vorher mit
gebeugten Knien, entblößtem Haupte und gefalteten Händen dies
Gebet zu tun: „Frau Elhorn gib mir was von deinem
Holtze, denn will ich dir von meinem auch was geben,
wann es wächst im Walde."*
Die Wahrheit dieser Erzählung erhärtet eine Aufzeichnung
aus Dänemark v. J. 1722: Paganismo ortum debet super-
1) Hylten - CavalUiis, Värend och Virdarne. Stockholm 18G3. I, 36.
2) Zingerle , Sitten , Branche und Meinungen des Tiroler Volkes. Aufl. 2.
S. 105, 897. Vgl. : Vörm höllerkenstrük maut meu 'n haut afniäinen. Kuhn,
Westf. Sag. II, 189, 533.
3) Schönwerth, aus der Oberpfalz U, 335. Bavaria II, 23 i. Es fragt
sich nur, ob Schönwerths aus Neuenhammer stammender Bericht durch-
aus ungefärbt sei. Vergl. die übrigen mit Neueuhanimer bezeichneten Stücke
in der verdienstlichen Sammlung.
d) Trog. Arnkiel, außführliche Eröffnung u. s. w. B. I. Cimbrische Hey-
denreligion. Hamburg 1703. S. 179.
Die Holnndermattor, die Eschenfrau und ihre Sippe. 11
stitio, sambucnm non esse exscindendam, niaiprius
rogata permissione hisverbis: mater sambuci, mater
sambaci permitte mihi tuam caedere silvam.^'^ Der
dänische Name des angeruienen Wesens lautet Hyldemoer, es
wird auch sonst erwähnt, daß man dreimal hinter einander eine
der Amkielschen fast wörtlich entsprechende Formel aassprechen
müsse, ehe man etwas vom Holunderbaom breche.* In Schonen
spricht man ebenso von der Hyllefroa (Holnnderfrau), in
Ljonitshärad ebendaselbst von der Askafroa (Eschenfrau). Am
Asehermittwochsmorgen [askons dags morgen , diese Zeit ist nur
wegen des zufälligen Gleichklangs mit ask Esche gewählt] opfer-
ten die Alten der Askafroa, indem sie vor Sonnenaufgang (denn
iann sind die Geister rege) Wasser über die Wurzeln
des Baumes ausgössen mit den Worten: nu offrar jag,
si gör du oss ingen skada. Nun opfere ich, tue uns
keinen Schaden! Wer einen Holunderbaum beschädigte oder
Tenmreinigte, bekam eine Krankheit, Hylleskäl genannt, dagegen
bOtete man, indem man Milch über die Wurzeln des
Baumes ausgoß,^ d.h. durch ehrerbietige Speisung des im
Baume verkörperten Namens den begangenen Fehler wieder gut
machte. Den Dänen ist auch eine Ellefru (Eilerfrau) bekannt,
die im Elrlenbaum (eile) lebt* In der Smäläudischen Landschaft
Värend heißt das der Holunderfrau und Esehenfrau entsprechende
Wesen in gewissen Laubbäumen Löfviska. *
In der Mehrzahl dieser Beispiele erscheint der mit reli-
giöser Scheu geehrte Dämon auch als der mit Denkkraft und
Sinnen ausgerüstete Baum selbst; nicht anders verschieden steht
der Baumgeist dem Holze gegenüber, als der menschliche Ueist
dem menschlichen Körper. Auch da noch bilden Baum und
Baumgeist eine geschlossene Einheit, wo von dem Holunderbaum
^ 1) Thiele, Danske Folkesagn. Aufl. 1. III, 119 --120. Danach Grimm,
Mvth.' CXVl.
2) J. Boesens, Beskriv. over Helsingöer S. 23. Bei Thiele, Danmarks
Folkesagn. Aufl. 2. II, 283.
3) Hylten - Cavallius , Värend och Virdarne 1 , 310. Vgl. noch Pehr
Loven, Dissert. de Gothungia. Londini Gothorum 1715, p. 20: llyllfruen,
qaam elTaso lacte placavit iucolarum vesania.
4) Sv. Grundtvig, Gamle Danske Minder i Folkemunde I, 1854, S. 15,
5) HylteD - Cavallias a. a. 0.
12 Kapitel I. Die Banmseele:
auf einem dänischen Pachthofe erzählt wird, der oflk in der
Dämmerung spatzieren gehe und durch das Fenster gucke,
wenn die Kinder allein im Zimmer sind. * Diese Erzählung ist
der einfache Widerschein der. tiefen Furcht, welchen abergläu-
big erzogene Kinder vor jenem Baume als einem gespenstigen
Wesen hegten.
§. 6. Nieder litauische Waldgeister. Der Glaube, daß
der von seinem Geiste erfüllte Baum schaden könne (s. o. die
Askafroa) kehrt auch sonst wieder. Zwischen 1563 — 15'70
bemühte sich der Revisor von Niederlitauen, Jacub Laszkowski,
die noch stark in heidnischen Anschauungen befangenen Zemaiten
von ihrem Aberglauben abzubringen. „Jussi autem a Lascovio
arbores exscindere, invitissimi id, nee prius quam ipsemet inchoa-'
ret fecerunt. Deos enim nemora incolere persuasum habent; Tum
unus inter alios percontari, num etiam decorticare arbo-
res liceret. Annuente praefecto aliquot magno nisu haec
repetens decorticavit: Vos me meis anseribus, gallis-
que gallinaceis spoliastis; proinde et.e'go nudas vos
faciam. Credebat enim demens deos rei suae familiär!
perniciösos intra arbores et cortices latere.*
§. 7. Baum, Hensclienlelb und Erankheltsdämoneii.
Ein merkwürdiger französischer Brauch aus der Nähe der Pyre-
näen schließt uns das Verständniß dieses litauischen Glaubens
auf. Lorsque les habitants du canton de Labruguiere (Montagne
noire) ont un animal malade de quelque plaie envahie par les
vers, ils sc rendent dans la campagne aupres d'un pied de yeble,
Sambucus ebulus, et tordant une poign^e de cette plante
dans leurs mains , ils lui fönt un grand salut et lui adressent les
paroles suivantes en patois: „Adiii sies, mousu Taoüssier,
8^ ne trases pas lous bers de moun berbenier, vous
coupi la cambo, mai lou pey." Ce qui veut dire: „Bon-
jour monsieur le yeble, si vous ne sortez pas les vers de Teudroit
oü ils sont, je vous coupe la jambe et le pied." Cette menace
efiFectu($e, la guerison est assurec ou peu s*en faut.^ So weit
de Nore's Mitteilung. Der Askafroa , den niederlitauischen Baum-
1) J. M. Thiele, Danmarks Folkesagn. Kjobenhavn 1843. D.H. S.283.
2) Laszkowski bei Job. Lasitius de diis Samagitarum 46 (p. 10 Mann-
hardt).
3) De Nore . contames mythes et traditions des proTinces de France p. 102.
Banm, Menschenleib und Krankhcitsdämonen. 13
dSmonen^ dem Monsieur le y^ble wurde die Macht zugeschrieben^
Menschen und Tieren zu schaden. Dies geschah — wie der franzö-
fflsdie Bericht in Verbindung mit dem litauischen lehrt — dem Volks-
glauben nach vermittelst der Insekten von mancherlei Gestalt und
Farbe, welche in und unter Rinde, Stamm und Wurzehi der Bäume
and Kräuter ihren Auienthalt haben. Man warf dieses Gewürm näm-
lich mit den bösen Geistern in Wurmgestalt zusammen, welche
nadh einer uralten schon bei den Indem in dem Atharvayeda und
in den Grihyasutras ganz ähnlich wie unter den Germanen ent-
wickelten Vorstellung sich als Schmetterlinge, Kaupen, Bingel-
wfirmer, Kröten u. s. w. in den menschlichen oder tierischen Kör-
per einschleichen und darin als Parasiten verweilend die
Terschiedensten Krankheiten (z. B. Schwindsucht, Kopfweh,
Magenkrampf, Zahnweh, besonders nagende, bohrende und ste-
chende Schmerzen u. s. w.) hervorbringen sollten. * Der Glaube
1) \gL Myth.« 1109. 1115. 1122. 1184. Kahn, Ztechr. f. vgl. Sprachf.
1111,63—74. 135 — 151. Töppeo, Abergl. a. Masuren« 22—28. Groh-
mann, Abergl. aus Böhmen I, 147 fgg. 1.53. Wuttke, Abergl.« §. 231, S. 161.
Wie von Motten und Kaupen im Kopfe, spricht man vom Fingerwurm, Herz-
wnrm , Fleischwurm , Beinwurm , Markwurm , Haarwurm (Gicht) u. s. w. In
einem altsächsischen Segen wird der Wurm nesso (nhd. Nösch, laufende
Gicht) mit seinen 9 Jungen beschworen, aus Fleisch und Haut des spad-
iahmen Bosses zu entweichen; eine Pferdekrankheit heißt der blasende Wurm
u. s. w. (Myth.* 1115. Müllenhoff u. Scherer, Denkm. IV. 5. S. 8. 2G7). Auch
in Palästina und wahrscheinlich in ganz Vorderasien schrieb der Volksglaube
Unterleibs krankheiten verzehrenden Würmern (S. Ewald, Gesch. d. Volkes
Lsrael, 2. Ausg. 1858. B. VII, S. 332), wie überhaupt die Krankheiten bösen
Geistern zu, die den Körper als Schmarotzer in Besitz nehmen. Vgl. z. B.
die 7 Teufel, von denen Maria Magdalena besessen war (Marc. IG, 9). Ueber
Aegypten s. Zs. f. d. Myth. IV, 254 fgg. Nicht minder wiederholt sich die
Vorstellung bei verschiedenen wilden Völkerschaften. Nach der Behauptung
der Medicinmänner bei den Mundurucus in Brasilien entstehen die meisten
Krankheiten durch einen Wurm, den der Medicinmann entfernt, indem er
die leidende Stelle mit Tabacksrauch dampft und sie dann saugt. Nachher
zieht er einen Wurm aus dem Munde, der aber nichts anderes ist, als die
weiße Luftwurzel einer Pflanze. Globus, 1871, XX, S. 201. Auch die Häupt-
linge der Chiquitos in Oberperu , die zugleich Aerzte sind , heilen die Krank-
heiten durch Aussaugen des leidenden Teiles, weil man denkt, daß sie durch
Tiergeister entstehen, die in den Leib des Kranken ihren Weg gefunden
haben und ihn von innen zernagen. Waitz, Anthropologie der Naturvölker,
III, S. 531. Die Tahitier schreiben ilire innerlichen Schmerzen Dämonen zu,
die in ihnen sind und ihre Eingeweide in Knoten binden. In Folge ahn-
14 Kapitel I. Banmseele:
an dieses Gewürm beraht auf einem ganz einfachen psychologi-
schen Vorgange und erzeugt sich häufig auch jetzt noch in den
Fieberphantasien sonst ganz gebildeter Kranker auf Momente
wieder. Aus dem wilden Walde, meinte man, kämen diese Gei-
. ster, welche häufig Elbe genannt werden,^ zu Menschen und Vieh.*
Der Baum, dessen Rinde sie beherberge, entsende sie entweder
aus Lust am Schaden, oder um sie loszuwerden, weil sie in sei-
nem eigenen Leibe, wie in den Eingeweiden des Menschen ver-
zehrend wüteten.
Wie der Baum oder Baumgeist das krankheitserzeugende
geisterhafte Ungeziefer (Eiben u. s. w.) ' schickt , kann er es wie-
der zurücknehmen. Deshalb umwandelt man z. B. bei Zahn-
schmerzen einen Birnbaum rechts und umfaßt ihn mit den Worten:
Birnbaum, ich klage dir»
Drei Würmer, die stechen mir,
liehen Glaubens mögen die Ijapländer unter gewissen Umständen keine Kno-
ten in ihre Kleider binden. Tyler, Urgesch. d. Menschheit, S. 169.
1) Myth.« 1109. Haupt, Zs. f. d. A. IV, 389. Kuhn, Wcstf. Sag. II,
19 U. 8. w.
2) Vgl. z. B. die zimnc ludze (kalten Leute) , kleine Tierchen , so ^roß
wie Stecknadelköpfe kommen reihenweise durch den Wald gekrochen
und bringen die Krankheit, die sich durch blaue Nägel verrät. (Toppen,
a. a. 0. 25). Schon die Sprüche des Atharvaveda rechnen die Würmer, die
in Bergen und Wäldern sind, in Kräutern, in Tieren und auch im Was-
ser, die unsern Leib betreten haben , den Wurm , der im Gedärm, im Haupte
sitzt, den Wurm dann, der im Rückgrat weilt" in eine Klasse; sie und alle
ihre Brut werden durch Zauberwort mit der Kraft von Indras des Donner-
gottes Mühlstein zermalmt (Kuhn, Ztschr. f. vgl. Sprachf. XIII, 138.)
3) In dem späteren Hexenglauben ist es nicht mehr der Baum oder die
Baumnymphe , sondern eine menschliche Zauberin , welche die Würmer aus-
sendet. Hier griff Euhemerismus Platz , aber die alten Grundlagen der Vor-
stellung blieben unversehrt. In den Wald gehend, schüttelt die Hexe
die „bösen" oder „guten Ding er", „fliegende Elbe", „Holdi-
chen" oder ,,guten Kinder", die bald'als Schmetterlinge, bald als Hum-
meln , Queppen , Raupen oder andere Würmer beschrieben werden , von den
Bäumen herab oder gräbt sie unter dem Holunder hervor, um sich ihrer zu
Hervorbringung von Krankheiten, Geschwulst bei Menschen und Vieh zu bedie-
nen, indem sie sie in Haut und Gebein beschwört. Wie die Elbe das Espen-
holz abfressen, fressen sie den Memchoiy d^m sie zugedacht sind: haben
die Holdichen ihren Zweck erfüllt, so bringt sie die Hexe, die sie zuge-
bracht hat, auch wieder ab, verweist sie in den Wald und gräbt sie unter
dem Baum ein; sie gelten für eine Frucht aus der Vermischung der Zaube-
rin mit dem Teufel. Mj-th. « 1027.
t
Baum, Menschenleib und Krankheitsdftmonen. 15
Der eine ist gran,
Der andere ist Man,
Der dritte ist rot,
Ich wollte wünschen, sie wären alle 'drei todt
Diese Ceremonie nennt man den Baum ,, anklagen ^^ ^ Anch
andere Pflanzen, als Bäume, stehen im Verdacht, durch ihren
Willen die Würmer im tierischen Organismus festzuhalten. So
schreibt z. B. der böhmische Aberglaube vor, auf dem Felde eine
Distel zu suchen, einen Stein und eine Ackerkrume darauf
za legen und zu sagen:
Distclchen, Distelcben
Ich lass* nicht eher dein Köpfchen los,
So lang da nicht frei läßt die Würmer der Kuh
(des Pferdes n. dgl.).^
Die einmal vorhandene Vorstellung von dem Verweilen der
Erankheitsgeister im Baume haftete so sehr^ daß man sie auch
da beibehielt, wo diese Dämonen nicht in Wurmgestalt, sondern
in anderer Tier- oder Menschengestalt gedacht wurden. Auch
da ist es häufig der Baum, der durch ihre Entsendung Epidemien
hervorruft, durch ihre Zurttckberufung die Gesundheit wiederher-
stellt Lehrreich in dieser Beziehung ist ein Lied, welches bei
einer Seuche die russischen Weiber singen, indem sie mit einem
Pflug um das Dorf die die bösen Geister abwehrende Furche
ziehen :
Vom Ocean, von der tiefen See
Sind zwölf Mädchen gekommen;
Sie nahmen ihren Weg — kein kleiner war's —
Zu den steilen Höh'n, zu den Bergen empor,
Zu den drei alten Holunderhänmen.
1) Friedrichahagen bei Köpenick, Kuhn , Nordd. Sag. S. 441. Nr. 328.
Vgl. „Tannenbaum ich klage dir, die Gicht plagt mich schier.'* Spricht man
dies drei Freitage hintereinander nach Sonnenuntergang, so dörrt der Tan-
nenbaum und die Gicht hört auf. Myth.* 1122. Mit einem ähnlichen Spruche
klagt man bei W^ehlau die neunundneunzigerlei Gicht, indem man vor der
Fichte auf die Knie fällt und sie dreimal umkriecht. Frisch-
bier, Hexenspruch S. 6i), 1. Der Fieberkranke macht einen Knoten (s. o.
S. 13) in die Zweige einer Weide und sagt diese Worte : Liebe Weide ich
klage dir, siebenundsiebenzig Fieber plagen mir. Frischbier, a. a. 0. 54, f).
2) Grohmann a. a. 0. J53, 1107. Vgl. aus Ostpreußen: hat ein Vieh
Warmer in Wunden, so knickt man vor Tage vier rotblähende Disteln um
die vier Köpfe nach den vier Himmelsgegenden und legt einen Stein in "die
Mitte. Wuttke* 409, §.680. Toppen, Abergl. a. Masuren S. 9t).
16 Kapitel L Banmseole:
Diese zwölf Mädchen, die in vielen gegen sie gerichteten
Beschwörungsformeln „die bösen Schütteier" oder „Töch-
ter des Herodes" oder einzeln mit den Namen besonderer Krank-
heiten genannt werden, mithin Personificationen der Krankheits-
ursachen sind,^ werden nun redend eingeführt:
Macht fertig die weißen Eichentische,
Schärfet die Messer Ton Stahl,
Macht heiß die siedenden EesseL
Spaltet, durchhohrt bis zum Tode
Jedes Leben unter dem Himmel.
Die Holunder geben ihre Zustimmung zu dem Wunsche der
zwölf Schwestern; alle lebenden Wesen sind dem Tode geweiht.
In diesen siedenden Kesseln
Brennt mit unauslöschlichem Feuer
Jedes Lebeif unter dem Himmel.
Doch die drei Holunder erfaßt mitleidige Rührung:
Bund um die siedenden Kessel
Stehen die alten Holunder.
Die alten Holunder singen,
Sie singen von Leben, sie singen von Tod,
Sie singen vom ganzen Menschengeschlecht.
Die alten Holunder verleihen
Der ganzen Welt langes Leben;
Doch dem andern, dem Übeln Tode,
Bestimmen die alten Holunder
Eine weite und große Reise.
Die alten Holunder versprechen
Ein beständiges Leben
Dem ganzen Geschlechte der Menschen. ^
liief der Baumgeist die Krankheit verursachenden Eiben
nicht freiwillig zurück, so bediente man sich zauberischer Worte
und symbolischer Handlungen, der unter uns sogenannten sym-
pathetischen Kuren, welche darauf hinausgingen, die schäd-
lichen Geister unter einen Stein, in die Wttstenei zu verweisen,
einem Vogel zum Mitnehmen zu empfehlen, oder sonst zu ver-
bannen, vorzüglich aber sie auf einen Baum oder ein Kraut zu
1) Vgl. in Götzcs russ. Volksliedern S. 62, Myth.« 1107 die 9 Schwe-
stern, welche das Menschengeschlecht mit Fiebern plsigen, wenn sie aus der
Erdhöle, in der sie gefesselt liegen, losgelassen worden,
' 2) Orest. Miller, Opuit istoriczeskago obozijenija Kusskoi slovenosti.
St. Petersburg 1866. I, 10.
Baum, Mensehenleib and Eranheitsdäiponen. 17
übertragen, da sie ja zu solchen gehören, von solchen aasgingen; ^
oder wo diese letztere Vorstellung nicht mehr obwaltete, bewog
die in der Menschheit ewig rege Selbstsucht die Schmerzen des
eigenen Leibes auf einen fremden (den des Pflanzendämons) abzu-
leiten. Eine von Räncherung geweihter Kräuter und Rosenblät^
ter begleitete Beschwörung in Böhmen lautet:
leb Yerwünsche each Gliederweh,
Brandweh, Beinweh
In den tiefen Wald, '
In die hohe Eiche,
In das stehende Holz
Und in das liegende.
Dort schlagt euch hemm und stoßet
Und gebet dieser Person (Name) RnhQ,*
In Mecklenburg spricht der Kranke bei abnehmendem Monde,
(fie Würmer anredend:
Ji solt mit mi führen to Holt,
D&r steit en Bömken köl an stolt,
D&rin will ik ju versenken,
Ertraoken ! '
In Böhmen hält der Besegner behufs Entfernung der „fres-
senden Würmer in den Augen'' ein Büschel von 29 Sommer-
kornähren an das kranke Auge und sagt : „ Du N. N. hast fres-
sende Würmer in den Augen. Ich laß sie nicht dort, ich
bespreche sie heraus. Kommt ihr Würmer in diese Aehren."*
Uebereinstimmend ist der mit mehrfachen Modiiicationen weit
verbreitete Brauch, das Fieber in Getreidekömer (Gerste, Buch-
weizen u. s. w.) durch Berührung mit dem Körper des Kranken
übergehen zu lassen, und dieselben dann auszusäen; verfaulen
1) Sehr häufig findet sich für diesen Gedanken nur der allgemeine
Ausdrack, daß die Krankheiten, die Elbe in den wilden Wald, anter
den Busch verwiesen werden. Birlinger Volkst. a. Schwaben I, S. 209 n.
317 und Myth. > CXLIU. aus Voigt, Quedlinb. Hexenacten: „Du Eiben
and da Elbinne, mir ist gesagt, du kannst den König von der Königin
bringen und den Vogel von dem Nest, du sollst nicht ruhen noch rasten,
du kommest denn unter den Busch, daB du den Menschen keinen Scha-
den tost.
2) Grohmann, Abergl. a. Böhmen, S. 158, 1137.
3) Struck, Sympathien, S. 27, 14. Wol Vermischung mit einem andern
Segen, wonach die Würmer in einen Brunnen verwiesen werden.
4) Grohmann y Abergl. a. Böhmen, I, 185, 1301.
Mannhardt. 2
18 Kapitel I. Baumseele:
sie in der Erde, so starb der Quälgeist mit, gehen sie auf und
schießen in Hahnen empor, so steckt er in diesen und sie zittern
bei ruhiger Luft beständig in Fieberschauem. * Wer an Schwin-
del leidet, läuft nach Sonnenuntergang dreimal nackt um ein
Flachsfeld, dann bekommt der Flachs dien Schwindel.*
Wenn jemandem in Masuren die krazno lutki (Fettleute),
kleine rote Würmer, in den Eingeweiden an der Lunge zehren,
so schneidet man etwa 40 Paar Hölzchen von neunerlei Holz
(Kaddik, Erle, Birke u. s. w.) — dieselben müssen jedoch unter
einem Aestchen abgeschnitten sein, so daß sie mit die-
sem die Gestalt eines Häckchens bilden - übergießt den Kran-
ken mit einem Kübel warmen, bei abnehmendem Licht aus flie-
ßendem Rinnsal geschöpften Wassers und wirft die Hölzchen
paarweise hinein. Dann wäscht man den Leidenden (besonders
die Ohren, Nasenlöcher, Achselgruben und Kniekehlen) und sieht
nun nach, wie viele Hölzchen oben im Wasser schwimmen, und
wie viele zu Boden gesunken sind. Die ersteren zeigen die An-
zahl der krazno lutki an, welche den Körper des Patienten
bereits verlassen haben (d. h. in die Baumzweige übergegangen
sind), die letzteren entsprechen der Anzahl der noch im Fleisch
und Gebein des Unglücklichen verweilenden Plagegeister.^ An
drei Donnerstagen wird die Procedur wiederholt, bis alle Fett-
leute aus dem Körper heraus sind, oder die Unheilbarkeit sich
herausstellte. Ein ganz ähnliches Verfahren wendet man mit drei
m 81 kleine Stäbchen zerlegten Zweigen des Kirschbaums
an , um zu erkennen , ob jemand mit „weißen Leuten" (biale
ludzie) in Haut, Blut, Adern und Gelenken behaftet sei. Bleiben
alle Stäbchen schwimmen , so ist der Besegnete von weißen Leu-
1) Wuttke , a. a. 0. §. 493.
2) Wuttke , a. a. 0. § 489.
3) Als lehrreiches Analogon beachte man das Verbot bei Barchard
V. Worms (Myth. * XXXVII) : Fecisti quod quidara faciunt , dum visitant ali-
quem infirrnnm, cum appropinquaverint domui, ubi infirmus decumbit, si
invenerint aliquem lapidem juxta jacentem, rovolvunt lapidem et
requirunt in loco ubi jacebat lapis, si ibi sit a liquid subtus quod
yivat, et si invenerint ibi lumbricum aut muscam aut formicam
aut aliquid quod se moveat, tunc affirmant aegrotum convalescere ; si
autem nihil ibi invenerint quod se moveat, dicunt esse moriturum. Sie sehen
zu, ob die insektenförmigcn Krankheitsgeister schon aus dem Körper des
Leidenden unter den Stein zurückgekehrt seien.
Baum, Mensehenleib nnd Erankheitsdämonen. 19
ten frei, geht ein Teil nnter, so ist er mit ihnen in dem Orade
behaftet, als das Verhältniß zu den schwimmenden Zweigteilchen
ingiebt ^
Hiezn stellt sich a. a. der Brauch aas Vorarlberg, die TschUta-
laose (d. i. Flechten , herpes) einem kranken Tier zu vertreiben,
selbst wenn das Stück entfernt ist Man bricht bei Sonnenunter-
gang von der Holunderstande drei Schossen ab unter Vcr-
wahning ftlr das namentlich genannte Tier, dem man zu helfen
Teriangt (dadurch gehen, wie man sich offenbar vorstellte, die
Plagegeister in die Schößlinge über), hernach bindet man sie
znsammen und henkt sie in den Kamin oder sonst in den Kauch ;
90 geschwind die Schosse dürr werden , werden auch die TschUta-
äose weg sein.* Aus diesen und ähnlichen Bräuchen darf wol
pfolgert werden, daß die Vorstellung von den gespenstigen Wür-
nem im kranken Menschenkörper wieder rückwärts gewirkt
habe auf die Vorstellung von dem den Baum- oder sonstigen
Pflanzenkörper bewohnenden Gewürm. Nicht allein unter dem
Baume, oder zwischen dessen Borke, sondern (trichinenartig) in
seinem Innern dachte man sich nun wol derartig die ElDcn ver-
teilt, daß im Holze jedes Zweiges mehrere ihren Sitz hatten, wie
mnst in Fleisch und Gliedern des Menschen. In einen solchen
Zweig sollten -<lie vorstehenden Zauberformeln sie zürUcklocken.
Möglich ist, daß die Knoten dar Astansäfze iür Anzeichen des
Daseins je eines FAben oder eines Eibenpaares (Ell) und Eibin,
wie Wurm und Wünuin) gehalten wurden ; wenigstens die Unfor-
men und auffallenden Knorren sollen von alten Eiben herrühren,
die sich im Baum verkriechen und dann verwachsen. ^ Bei Pots-
dam heißen sie Alfloddern und verursachen, wenn man unter
ihnen durchgeht, einen schlimmen Kojif. * (üer Alb springt von
ihnen herab in den Kopf des Menschen.) Im menschlichen Kör-
1) Toppen, Abergl. a. Masuren« S. 24. So die Berichte. Aber werden
die Hölzchen nicht unter allen Umstunden auf dein Wasser schwimmen?
VergL Prißchbier, Hexenspruch; S. 74 — 78.
2) Vonbun , Beiträge z. D. Mythologie ges. in Churrhätien. Chur 1862.
S. 128.
3) E. M. Arndt, Märchen und Jugenderinnoningcn bei Mannhardt,
Germ. Mvthenforsch. 476.
4) Kuhn , Westfal. Sag. II , 55, 15H. Vgl. : In Strohseilknoten, die man
aof dem Acker iindet, sitzen arme Seelen; sie werden erlöst, wenn man den-
selben auflöst Wuttke , Abergl. §. 767.
2*
20 . Kapitel I. Baomseele:
per entsprechen diesen Knorren und Auswüchsen vorzugsweise
die Geschwulste, Warzen und Leichdörner, weil diese das Dasein
eines Geistes verraten; auch sie sind angeblich durch Uebertra-
gung auf einen andern Menschen, aut' Tiere und Bäume, durch
Begenwasser, das auf einem Leichensteine gesammelt wurde,
u. s. w. zu heilen. ^
Den vorstehenden Auseinandersetzungen entspricht es, daß
der Beschwörer den krankheitverursachenden Geist bald auf den
Ast des Baumes sich setzen heißt, bald leibhaftig mitten in das
Innere des Baumkörpers hineinzuversetzen sucht: „Zweig ich
biege dich, Fieber nun meide mich!" (Myth.^ CXL, XXVf),
oder „Holunderast hebe dich auf, Rotlauf setze dich
drauf!" (Myth. ^ 1122), oder den Holunderbaum, während naan
Fieber hat, schüttelnd: „Holunder! Holunder! Holunder! Auf
mich kriecht die Kälte; wenn sie mich verlassen wird, kriecht
sie dann auf dich! (Wuttke, §. 488. Grohmann, Abergl. 164, 1153)
oder: „Goden Abend Herr Fleder! hier bring ick min
FSber!" oder frühmorgens drei Knoten in den Ast eines alten
Weidenbaumes knüpfend: „Gön morgen, Olde, ickgefu
de Kolde; gön morgen, Olde! (Myth. ^ 1123). Schon etwas
cbmplizierter, mithin auf ältere einfachere Formen zurückweisend
ist das von Plinius Valerianus (oder Siberius, eineiü Gallier des
>. Jahrh.) gemeldete Heilmittel für das viertägige Fieber : Panem
et salem in linteo de lyco (lies: deliculo) liget et circa arborem
licio alliget et juret ter per panem et salem: „Crastino mihi
— ■ — ■ - ■ ■ — — - - . #
1) Wuttke a. a. 0. §. 513. Perger, Pflanzensagen 348. Prischbier, Ile-
xenspruch 93. Jetzt wird auch die Vorschrift verständlich, welche schon
im 4. Jahrh. der gallische Arzt Marcellus von Bordeaux verzeichnet : ne inguen
ex ulcere aliquo aut vulnere intumescat, surculum anethi in cingulo aut
in fascia habeto ligatum in sparto vel quocunque vinculo, quo«hoIu8 aut
obsonium fuerit innexum, septem nodos facies et per singulos nectens nomi-
nabis singulas anus viduas et singulas feras et in cruce vel brachio,
cujus pars vulnerata fuerit alligabis. Quae si prius faeias ante quam na-
scantur inguina omnem inguinum vel glandularum molestiam prohibebis, si
postea dolorem tumoremque sedabis. Inguinibus potenter medebere, si de
licio Septem nodos faeias et ad singulos viduas nominos et supra talum
ejus pedis alliges, in cujus parte erunt inguina. Marceil. Burdigal. ed. Cor-
nar. cap. 32, p. 225. J. Grimm tib. Marcellus p. 24, 90. Kl. Sehr. 11, 141.
Die beim Enotenmachen als Zauberinnen und Untiere genannten alten Wei-
ber sind die Geschwulst verursachenden Krankheitsgeister (vgl. o. S. 16 fF. die
12 Mädchen in dem russischen Zauberspruch).
Baum, Menschenleib und KnuikheitsdftTnoneii. 21
hospites yentari örnit, sascipite illos." Hoc ter dicat Plin. Valer.
m. 6. p. 191\ Die Gägte sind die Plagegeister; der Kranke,
der sie nicht haben will , bringt sie dem Baum zugleich mit Brod
und Sadz, damit dieser sie bewirte. Dazu vgl. Frischbier, Hexen-
gprach S. 53 , 3 , wo der Fieberkranke ein Geldstück und ein
Stfick Brod in einem Lappen jenseits neun Grenzen unter einen
Stein (vgl. o. S. 18 Anm. 3) trägt und spricht:
„Orenze, Grenze, ich klage dir
Kalt und Heiß plaget mir,
Der erste Vogel, der rüber fliegt
Nehm' es anter seine Flucht'."
and dazu wieder den Spruch ebds. 4. welcher lehrt, daß auch
d^n Baume der Erankheitsgeist zuweilen nur übergeben wird,
damit er denselben einem Vogel zum Hinwegtragen in weite
Feme überliefere:
Böm, Born öck schödder di,
Dät kdle Feber bring ock di.
De Erseht Vagel, der r&werflücht,
Dat de dat Föber kriege mücht.
lieber die ganze Vorstellung s. Kuhn, Zs. f. vgl. Sprachf.
Xm. 73, der nicht allein Analoga aus den Veden und der Edda
anftthrt, sondern auch an den Gebrauch in der Altmark erinnert,
daß Kopfwehkranke einen Faden zuerst dreimal um ihr Haupt
binden, dann in Form einer Schlinge an einen Baum hängen.
Fliegt ein Vogel hindurch, so nimmt er das Kopfweh mit. Ein
Gichtkranker soll sich vor Tagesanbruch im Walde einfinden,
dort dreiTropfen seines (von den unsichtbaren Plagegeistern
erfüllten) Blutes in den Spalt einer jungen Fichte ver-
senken und nachdem die Ocflfnung mit Wachs von Jungfem-
honig verschlossen ist, laut rufen: Gut morgen, Frau Fichte,
da bring i dir die Gichte! was ich getragen hab' Jahr und
Tag , das sollst du tragen dein Lebetag ! ^ Wer jemanden von
Zahnschmerzen befreien will geht rücklings aus der Stube zu
einem Holunderstrauch und spricht dreimal
Liebe Hölter
Leiht mir einen Spalter
Den bring ich euch wieder !
1) Ernst W^agner, ABC eines Henneberg. Piebolschützen Tübing. 1810.
p. 25». Myth. » CXLV, XLIV.
22 Kapitel L Baumseele:
Unterdessen macht er, sich umdrehend^ zwei neben einander lie-
gende Einschnitte und schält die Binde auf eines Zolls Länge,
doch so daß sie möglichst angerissen unten mit dem Aste ver-
einigt bleibt, schneidet aus dem bloßgelegten Holz einen Splitter
und trägt den wieder rücklings gehend in die Stube. Der Lei-
dende ritzt dort mit dem grünen Splitter sein Zahnfleisch bis
derselbe blutig wird, (mit dem Blute den das Zahnweh verur-
sachenden Geist in sich aufnimmt). Dann bringt ihn der Be-
schwörer immer rückwärts gehend wieder zu, dem Holderbaum,
drückt ihn in den Splint, legt die Binde, wie sie gewesen und
befestigt sie mit einem Bindfaden, damit der Einschnitt desto
eher verwachse. Dann noch einiges Gemurmel unverständlicher
Worte und der Zahnschmerz ist fort.^ In Dänemark nimmt man
bei Zahnweh einen Holunderzweig in den Mund und steckt ihn
dann in die Wand mit den Worten : „Weiche böser Geist."*
Es ist nun wol deutlich, wie alle vielfachen Kuren, welche
sonst noch auf ein Verpflöcken der Krankheit in den Baum,
(sogar die Pest wird als Schmetterling in den Baum verkeilt),
oder aui* ein Einknoten oder Einbinden in Zweige hinausgehen
sammt und sonders auf eine und dieselbe Grundvorstellung zurück-
zufahren sind.'
1) WestfaleD. Montanas, Volksfeste S. 149.
2) Myth. ' CXVI. 162.
3) Wer eine lebendige Anschauung gewinnen will von der heidni-chen
Vorstellung über die Herkunft der Krankheitsdämonen, unterlasse nicht das
finnische Epos Ealevala übers, v. Schiefner. Helsingfors 1852. R XVII.
S. 88 — 95 nachzulesen. Auch der Finne hält die Krankheiten für lebende
Geister von böser Natur z. Teil in Tiergestalt. (Fingerwurm, Zahnwunn,
Hund u. 8. w.) Castrcn , Finn Mythol. S. 173. Schröter , tinn. Runen S. 48 fF.
Vgl. Myth.* 1113. Sie kommen teilweise aus des bösen Hiisi Waldhürden,
aus der holen Föhre Wipfel , aus der morschen Tanne , der sausenden Fichte
Kalevala XVJI. V. 206 ff.) Der Wald mit seinen Waldgeist em, der Wacholder
insbesondere, werden angefleht sie zum Weichen zu bringen. (V. 270.) Der
Beschwörer bannt sie in Piru's (des Teufels) Eberesche (Zs. f. vgl. Sprachf.
Xin, 151) und, wenn sie dorther kamen, in des Hiisiwaldes Schluchten, in
die Wohnung des Föhrenhains, in den Winkel des Tannendickichts. (V. 384 ff.)
Daneben aber giebt es noch tausenderlei andere Krankheitsdämonen, die aus
dem Fuchsloch, der Löwenhöle, aus der Erde Schoß, aus sandiger Wüste,
aus Sümpfen und Quellen, aus Schlachtfeldern und Gräbern, vom kahlen
Kupferberge und öden Meeresrücken, vom Pfad der Winde, vom Rand der
Wolken, aus der Umgebung der Zauberer, aus dem Reiche des Todtengottes
Baum, Mensehenleib und Krankheitsdämonen. 23
Von den unzähligen individuellen Ausgestaltungen und Sproß-
fonnen der dargelegten Ideen will ich nur noch eine hier erwähnen,
welche aufs neue recht deutlich den im Volksglauben feststehen-
den Parallelismus des Baumes und d^s Menschenkörpers zeigt.
Offimbar um seiner Form willen heißt ein schwellend hervor-
springender Fleischteil bei Menschen , der Muskel , unter Hellenen,
Bömem und Deutschen Maus, Mäuslein, Mäuschen, ahd. mfis,
grieeh. fivg, lat musculus. Auch von Tieren gilt dasselbe Wort
aoCtfteigen und jeder mit Anrufung der über die genannten Elemente gebie-
tatden gottlichen Wesen an ihren Ort verwiesen werden. Ganz dieselbe An-
lehannng , wie dieser Gesang aus Kalevala, sprechen namentlich auch böhmische
Bne^nngen unumwunden aus. Die StHly (stechende Schmerzen) flogen
4aher Tereinigt mit dem Botlauf und hielten sich im Kopfe, den Ohren ^ den
TÜmem. Sie werden verwünscht. Sind sie aus dem Winde, so sollen sie
lieder in den Wald (var. Wind) gehen , um dort Holz in den größten Dickich-
ten zu brechen ; sind sie aus dem Wasser , so sollen sie wieder ins Wasser
zurückkehren und in den größten Tiefen Sand binden ; sind sie aus den Felsen,
so sollen sie wieder in die Felsen gehen und Steine brechen; aber Kopf,
Ohren und Zähne soUen sie in Ruhe lassen und nicht mehr martern. Man
bannt sie in eine Hand voll Haferkömer. S. Grohmann , Abergl. a. Böhmen
S. 158 — 162. N». 1138. 1143. 1144. — Aehulich sind auch die deutschen im
Baum lebenden Elbe nur so zu sagen eine Abteilung einer größeren Genossen-
sebaft. Lehrreich ist es auch manche analoge Vorstellungen anderer fremder
Naturvölker zu vergleichen. Der Karen in Hinterindien, der seine malaria-
scbwangeren Wälder bereisend sich vom Fieberfrost geschüttelt fühlt, glaubt
in seinem Körper das Wüten des boshaften Phi zu fühlen und beeilt sich
Qpfergaben an den Stamm dos Baumes zu stellen, unter dem er zuletzt geruht
hat , denn aus dessen schwankenden Wipfeln ist dieser zwischen den Blättern
lauernde Martergeist auf ihn herabgefallen. Bastian in Zs. f. Völkerps. V, 287.
Man vgl. was eben derselbe Gelehrte (Völker des östl. Asiens VI. Vorw. Vü.)
über den nämlichen Gegenstand äußert: „daß sein Nebeumensch ilm in ein
Fieber zu schütteln vermöchte, darüber besitzt der Wilde keine Erfahrung
und fühlt er sich also von demselben gepackt, so hat er seinen geschlossenen
Lleenkreis durch Aufnahme eines Hilfsgliedes zu erweitem und }>flegt er in
dem Fieber einen von menschlicher Existenz abgelösten, aber immerhin (weil
am nächsten liegend) in menschlicher Form erscheinenden Dämon zu erkennen,
der auf den Bäumen der Malariawälder lauert.'* Deutlich ist hier das
Zittern des vom Fieberfrost geschüttelten Menschenkörpers
.mit dem Zittern des vom Winde bewegten Baumkörpers in
der Idee der Wilden combiniert, und es darf wol gefragt werden, ob
neben den Insekten (o. S. 13) nicht auch diese Vorstellung zu den psy-
chologischen Factoren unserer sympathetischen Kuren gehört
habe?
f
24 Kapitel I. Bauuiseele:
So heißt in Augsburg ein besonders geschätzter Teil des Rind-
fleisches Herrenmaas. Man hat aber sicherlich diese Stelle einst
auch wirklich von einem geisterhaften Wesen in Mausgestalt
erftillt gedacht In vielen Sagen schlüpft die den Menschenleib
bewohnende Seele in Mausgestalt aus dem Munde und verläßt
zeitweilig oder ftir immer den Körper.^ Auch Hexen, Hausgeister,
Waldgeister vtnd andere Dämonen nehmen Mausgestalt an.'
Caspar Peucer, Melanchthons Schwiegersohn war doch wol durch
eine aUgemeine Anschauungsweise seiner Zeit zu der Ueberzeu-
gung und Behauptung verleitet, er selbst habe bei einer beses-
senen Weibsperson den Teufel in Gestalt einer Maus unter der
Haut hin und herlaufen sehen. ^ Wenn daher der Aberglaube
versicherte, gewisse unerklärliche und krankhafte Anschwellungen
des Körpers bei Menschen und Vieh rührten daher, weil eine
Feldmaus darüber hingelaufen sei, so wird diese Vorstellung
ursprünglich ein Hineinschlüpfen gemeint haben und nichts anderes
besagen, als daß diese Geschwülste ähnlich den Warzen und
anderen Auswüchsen durch einen gespenstigen Parasiten und zwar
einen mausgestaltigen erzeugt würden. Unter dieser Voraus-
setzung wird es dann vollkommen erklärbar, weshalb man, um
jene Krankheit zu heben , eine lebendige Feldmaus in eine Eiche,
Ulme oder Esche, (poUardash, shrewash) verpflöckte und der
Ansicht war, mit einem Zweige dieses Baumes berührt, werde
die Geschwulst sofort aufhören.^ Natürlich, die gespenstige
Maus wurde als in den Baum zurückgegangen gedacht Man
gewahrt hier aber deutlieh, wie durch Analogie und Wechsel-
wirkung der Vorstellungen, nachdem zuerst die im Baume hau-
senden Insekten mit den vermeintlichen schmerzerregenden
1) Myth.* 1036. Mannhardt, Germ. Uyth. 79 Zs. f. D. Myth. IV. 449.
Grohmann , Apollo Sniintbcus S. 21 ff.
2) Vernaleken, Mythen und Gebr. 239. Kuhn and Schwarz Nordd.
Sag. 411.
3) De praecip. gener. divinat. Viteb. 1580 S. 10 bei Grohmann a. a. 0.
S. 24.
4) Gil. White, the natural history and antiqnities of Selbome. London
1789, 4. p. 202 — 204 bei Grimm Myth.« 1120 vgl. K. Stndleys Bericht ans '
Devonshire y. J. 1806 Brand, Populär antiquities of Great Britain. ed. Ellis.
London 1855. III. S. 293. Rob. Plot natural history of Staffordshire Oxford
1686 S. 222. Mj-th.s 1120.
Baum, Mensdienleib und KimnUieitsdamonen. 25
Wfinnem identifiziert worden waren , nun auch andererseits die
auf Gewürm oder Ungeziefer anderer Art erweiterte Vorstellung
Ton den Krankheitsgeistem rückwärts auf den Baum als ursprüng-
lichen Wohnsitz derselben übertragen worden und daher der
Glaube an die Heilung durch eingepflöckte Feldmäuse entstanden
ist Fast überall wird bei derartigen Heilversuchen der Baum-
geist angeredet y und von den Krankheit bringenden Geistern, den
Eiben y unterschieden. Nicht also das bewußtlose Gewächs, son-
dern der empfindend und denkend gedachte, der vollen Anthro-
pomorphose sich annähernde Baum beherbergt, entsendet und
nimmt wieder auf die schädlichen geisterhaften Würmer.^ Jene
Aussage Laszkowskis über den Glauben der Niederlitauer wirft,
wie es scheint, die Baumgeister und die Eiben in eins. Erstere
rollte der erzürnte Neu bekehrte tödten oder schädigen, indem
er von den Bäumen die Rinde abschälte (ego tos nudas
ftdam); aber unter den dem Viehstand schädlichen Götterchen,
welche y,intra arborcs et cortices" verborgen seien, sind sowol die
den Baum als ihren Körper erftiUende unter der Binde als unter
ihrer Haut sich bergende Baumseele, welche die Plagegeister auf
Tiere und Menschen entläßt, als die in Holz und Borke umher-
kriechenden den Leib des Baumgeistes bevölkernden ,^ bösen
Dinger" von dem in die Einzelheiten der Vorstellung schwerlich
genauer eingeweihten Berichterstatter zusammengefaßt.^ Die
1) Zuweilen verwendet der abergläubische Brauch freilich auch leblose
Dinge als Vertreter lebender Wesen, wie wenn z. B. das zerbrochene Bein
eines Schafes oder Schweines dadurch geheilt werden soll, daß man das
entsprechende Bein eines Stuhles von gesundem Holze schient und verbindet
und den Stuhl dann unangerührt stehen läßt. Panzer Bcitr. II. 3()2. Der
vierbeinige Stuhl ist um seiner Gestalt willen zum Substituten des geschä-
digten Tieres gewählt. Solche Analogien erhärten aber nur unsere Behauptung,
daß der Baum als alter ego des Menschen aufgefaßt wurde, zu dem sein
aufrechter Wuchs und die Eigenschaft des Wachstums ihn in Parallelismus
setzte.
2) Oder nahm der Zemaite etwa mehrere Seelen in einem Baume zu-
^eich an und identifizierte diese mit den Eiben? Aehnlich lebt ja der
Oaraibe des Glaubens, daß der Mensch so viele Seelen habe, als er
Adern in sich schlagen fühle. Die vornehmste Seele habe im Herzen
ihren Sitz; sie gehe nach dem Tode zum Himmel und lebe dort in Gesell-
schaft der Götter auf die gewohnte Art. Die andern Seelen, die nicht im
Herzen ihren Sitz hatten, hegeben sich teils zur Seeseite und sind Ursache,
26 Kapitel L Banmseele:
Richtigkeit dieser Behauptung werden die auf den nachfolgenden
Seiten anzustellenden Untersuchungen dartun , welche nachzu-
weisen bestimmt sind, wie detailliert sich der Volksglaube die
Analogie des Baumleibes mit dem Menschenköiper weiterhin
ausmalte.
§. 8. Strafe fflr BanmscliBler. Von allem anderen abge-
sehen beweist Laszkowkis Mitteilung, daß bei einem Volke
lettischen Stammes es fllr einen Frevel galt h 'eilige Bäume
der Rinde zu berauben, weil dadurch innewohnende Dämo-
nen geschädigt würden; wer dies dennoch tat, erwartete für sich
einen unerhörten Nachteil. Hiermit stimmt nun genau das Ver-
bot des Baumschälens in dem uralten Gewohnheitsrechte der
deutschen Markgenossenschaften zusammen, welches ftirchtbare
Strafen ftlr solchen Forstfrevel androhte. Aus den Weisttlmem
hat J.Grimm K. A. 519 flf. viele Beispiele zusammengestellt, ihrer
noch weit mehrere sind hie und dort in seiner großen Weisttlmer-
sammlung veröffentlicht; sie gleichen sich und es genfigt das eine
oder das andere herauszuheben. „Item es soll niemand Bäume
in der Mark schälen, wer das täte, dem soll man sein Nabel
aus seinem Bauch schneiden und ihn mit demselben an den
Baum negeln und denselben Baumschäler um den Baum ftlhren,
so lang bis sein Gedärm alle aus dem Bauch auf den Baum
gewunden seien. (Oberurseier Weistum.) Wenn jemand eine
Weide abschält, soll mau ihn mit seinem Gedärme den Schaden
bedecken lassen; kann er das venvinden, kann es der Baum
auch verwinden. (Weudhager Bauernrecht.) Der cn fruchtbaren
Baum truttelde, soll mit seinen Dermen nach ufgeschnittenem
Bauche umb den Schaden gebunden und damit zugehelen werden.
Wenn jemand einen fruchtbaren Baum abhauete und den
Stamm verdeckte dieblicher Weise, dem soll seine rechte Hand
uf den Rucken gebunden und sein Gcmechte uf den Stammen
genegelt werden und in die linke Hand eine Axe geben sich
damit zu lösen. (Sehaumburger altes Landrecht.) Wir haben
meines Wissens keinen Beweis dafür, daß dieses barbarische Recht
in Deutschland zu historischer Zeit jemals in Anwendung gebracht
daß die Schiifo untergehen, teils gehen sie in die Wälder und heißen
Mabosos. Davies , history of the Caribes 288 ff. Klemm, Allgem. Eultorgescb.
n, 165.
Strafe Ar BaamBcliäler. 27
sd. Der Schuldige konnte Hals und Glied mit einer geringen
Geldfiomme lösen. ^
Ein um so bemerkenswerteres Zeugniß tUr die Wahrheit des
Dichterwortes , daß „Rechte und Gesetze ^^ sich längst überlebt
wie eine ewige Krankheit fortpflanzen, bietet daher u. A. das
Protokoll des Holt-tings zum Harenberg unweit Blumenau und
limmer bei Hannoyer am 13. Nov. 1720. Noch damals erklär-
tcai die Beisitzer des unter dem Herrn voü Holle als Erben und
Holzgrafen zusanmiengetretenen Holzgerichts: Frage 22: Wenn
dner befunden würde „der einen Heister (ndd. bester junger
Eieh- oder Bucbbaum) witjede (von witjen weiß machen, schälen),
vie hoch derselbe soll gestraft werden? Antw.: Man solle dem
Titer das Eingeweide aus dem Leibe schneiden und daran
bipfen und ihn so lange umb den Heister herumjagen, bis er
wieder bewunden wird. Fr. 23 : So einer befunden , der einem
firoehtbaren Heister den Poll (Wiptel, Kopf*) abhauete, wie
hodi derselbe soll gestrafet werden ? Antw. : Wenn der Heister
fiichtbar sei, solle dem Täter der Kopf wider abgehauen werden.
Fr. 24: Wenn einer einen Schnatbaum (Grenzbaum) abhauet, wie
boeh derselbe solle gestrafet werden? Antw.: Man soll dem
Tater den Kopf auf dem Stamm wider abhauen.^ Augenschein-
1) S. J. Grimm R. A. S. 520. 739 ff. G. L. v. Maurer, Geschichte der
KirkeiiTerfassiiiig 1856. S. 371. F. Thndichum , die Gau - und Markenver-
bssimg in Deutschland 1860. S. 276. Noch mehrere Beispiele aus Grimms
Weistümem siud zusammengestellt bei Maurer a. a. 0. 370.
2) Vgl. bi de polle krigen beim Kopf fassen, jemandem in die Haare
fallen ; de polle lüsen die Haare raufen.
3) Grimm Weistümer III. 283. Grenzbäume hatten besondere Heiligkeit,
8. J. Grimm Grcnzaltert. 128. Kl. Sehr. II. 56. Vgl. noch als höchst bezeich-
nend: Wer eine Eiche verstümmelt hat, „den soll man bringen bei den
Stänunen und hauen jhme seinen Kopf ab und setzen deuselbigen so
lauge darauf, bis das er wieder wächst." (Beberer Mark. Grimm
Wifist III. S. 305 Nr. 16.) „Wenn einer einen Baum köpfete, derselbe
toll wiederum geköpfet werden." (Glimmer Holzmark. Weist. III. 288. Nr. 26).
„Wann einer einer Eiche den Poll abhauete, dem soll man den
Kopf abhauen und in die Stelle setzen. (Hülscder Mark. Weist
III. 302, Nr. 25.) Wer Blumholz (eine Bloemware) zur Nachtzeit (s. o.
S. 11) gehauen hatte, sollte mit dem Stamm vor Gericht gebracht und
ihm daselbst auf dem Stamm mit einem Blaser d. h. mit einem Hiebe
dur Kopf abgeschlagen werden, (Spellor Mark. Weist. III. 183), d. h. so, daß
Bein Geist aus dem Haupte in den Baumrumpf übergehen könnte.
28 Kapitel I. Banmseele:
lieh hatten diese fhrehtbaren Strafandrohungen nur dann Sinn,
wenn man zur Zeit, als sie zuerst ausgesprochen wurden, annahm,
daß der Wipfel den Kopf, die deckende Rinde die Haut, der
umwickelnde Bast die Eingeweide des Baumes als eines beseelten,
menschenartig empfindenden Wesens darstellten. Wer die Krone
haut, Borke und Bast des lebenden Baumes reißt, beraubt den
Baumgeist der zum Leben notwendigsten Glieder. Vgl. oben den
2iemaiten Lazskowskis und unten in Kap. U. die Moosweibchen
im Orlagau. Nach dem Grundsatze Auge um Auge, Zahn um
Zahn sollte der frevelnde Mensch mit dem entsprechenden Teile
seines Körpers gut machen, was er an jenem gesündigt; er sollte
die entfremdeten Glieder mit seinen eigenen gleichsam ersetzen.
Zu einer gewissen Zeit muß es mit solchen Strafandrohungen
auch in Deutschland bitterer Ernst gewesen sein, mag diese
Periode auch vielleicht hinter der Zeit der Bekehrung zum Christen*
tum weit zurückliegen. In abgelegenen Strichen des Westens
z. B. in Irland dauerte sie aber im elften Jahrhundert, in den
heidnischen Ländern des Ostens im dreizehnten Jahrhundert noch
fort. Was in unsem Weistümem nur als eine durch die Tradition
fortgepflanzte, in der Praxis schwerlich ausgeführte Rechtsformel
uns entgegentritt, war dort noch ein Stück lebendiger Sitte.
Als die deutschen Ordensritter die Eroberung Preußens kaum
begonnen hatten, wurde ihnen im J. 1231 von seinem eigenen
Oheim einer ihrer hartnäckigsten Gegner, der Häuptling Pipin
in die Hand geliefert. „Quem deleto castro suo totaliter pere-
merunt. Ventrem namquc ipsins circa umbilicum aperire fecerunt
et umbilicum arbori affixerunt et per circuitum arboris currere vi
pracccpcrunt, quousque penitus evisceratus tuit et sie qui multos
Christianos impie necaverat crudeliter fuit interemptus. So erzählt
nach einer den Ereignissen fast gleichzeitigen Quelle die ältere
Chronik von Oliva p. 21. (Script. Rer. Prussic. edd. Hirsch
Strehlke, Tr>ppcn I. 077.) Obwohl das wirkliche Verhalten der
deutschen Ordensritter keineswegs durchaus dem idealen Bilde
entsprach, an welches J. Voigts berühmte Darstellung die Lese-
welt gewöhnt hat, müßte uns ein so barbarisches Verfahren von
ihrer Seite unbegreiflich erscheinen, wenn dasselbe nicht eine
ganz besondere Veranlassung hatte; die Venvunderung schwindet,
sobald wir der naheliegenden Vermutung Raum geben, daß die
Deutschherren ihrem Gegner diejenige Todesart zuerkannten,
Strafe fftr Baiunsch&ler. 29
welche er zuvor einem oder mehreren ihrer Untergebenen mochte
angetan haben. Wenn man sich erinnert, daß heilige Bäame
md Haine, denen kein Christ nahen durtlte (Adam. Brem. IV. 18)
bä den Völkern lettischen Stammes den Fremden als die äugen-
fiUligste Aeußemng ihres Cultus immer zuerst bemerkbar gewor-
den sind, daB mithin grade diese die nächsten Opfer desfronunen
Bekehmngseifers der Christen sein mußten, so ist leicht einzu-
sehen, wie der preußische Häuptling seinerseits freche Eindring-
Enge ftar ein an heiligen Bäumen begangenes Sacrileg strafen zu
Bisgen geglaubt hat Wenn die Deutschen dies dann vneder für
iddits anderes, als einen rohen Ausbruch blutdürstigen Hasses
tuahen und demgemäß behandelten, so gewährt uns diese Bloß-
kping der wahren Motive nur einen weiteren Beleg fUr die
tnuige Wahrheit, daß viele unserem Gefühle Schauder erregende
Taten der beiderseitigen UniUhigkeit entspringen sich in die Ge-
dankenwelt des Gegners zu versetzen. Uebrigens darf uns der
buharische Character der Strafe nicht verleiten den Culturzustand
da alten Preußen allzuniedrig anzunehmen, sie standen (zumal
io wirtschaftlicher Beziehung, wie das Neumannsche Vocabular
lehrt) kaum niedriger als ihre christlichen Nachbarn in Polen und
irenn der obige Bericht Laszkowski's die Entdärmung auch in
lettopreußischer Sitte als anfängliche Vergeltung für Baum-
schälen begreiflich macht, so läßt mich der Umstand, daß die
Bekehrer heilige Bäume eher mit der Axt umzuhauen pflegten,
daran denken, daß wol schon 1231 jenes Vertahren iUr jede Art
Verletzung der geweihten Haine und der mit religiöser Ehrfurcht
behandelten Stämme in Anwendung gebracht sein mag, und im
späteren Verlauf des zweihundertjährigen Religionskrieges, der
mit der Ankunft der Deutschen auhub, wird es bei steigender
Erbitterang auch in solchen Fällen auf Christen ausgedehnt sein,
wenn sie kein specieUes Baumheiligtum geschädigt hatten.^ So
1) Auch anderswo muß das ursprünglich für Baumbeschädigang oder
IbrkfreYel giltige Strafverfahren des Ausdärmens später verallgemeinert sein.
Griinm EA. 520. Anm. führt aus der Nialasaga S. 158 p. 275 die ich nicht
zur Hand habe, an, daß es im Juhre 1014 in Irland und nicht wegen Mark-
frevels an einem Gefangenen zur Anwendung gebracht wurde. ,,Man ritzte
ihm den Unterleib, führte ihn um die Kiche und wickelte so die Gedärme
aas ihm, and nicht eher starb er, bis sie alle aus ihm herausgewickelt
waren.**
80 Kapitel I. Banmseele:
wird der folgende Vorgang verständlich. Im Januar 1345 erschien
der heidnische Litauerkönig mit seinem Heere vor Biga. Festi-
nans ad transitum (Dtlnabrücke , die zur Stadt führte) occurrit
ei juvenis mercator nihil sciens de guerris; quem apprehenderant
et ligaverunt pagani, yentrem ejus sciderunt et circumduciint
eum arbori, donec intestina ejus omnia extraheret, deposuenint-
que euAi de trunco, sanguinem ejus sacrificando in quo
delectabantur exultantes. (Wigand Marburg, cap. 32. Lat Ausz.
Scr. Rer. Prussic. U. 505.) Auch dieses Zeugniß bewährt , dall
wir es mit einer relivgiösen Handlung, nicht mit einer profanen
Strafe oder leei'en Grausamkeit zu tun haben ; und auf eben den-
selben Punkt triff); noch ein weiterer Beweis, den ein Ereignift
aus der Zeit um 1236 darbietet. Papst Gregor IX. spricht sich
nämlich 1238 in einer Bulle über die Verfolgung der Neubekehr-
ten in Tawastland durch die finnischen Heiden tblgendermafien
aus: Letztere tödten die getauften Kindlein, quosdam adoltos
extractis ab eis primo visceribus daemonibus immolant et
alios usque ad amissionem Spiritus arborem cireuire
compellunt^ Eine so blutige Ceremonie durfte wol von den
Christen als ein den Dämonen dargebrachtes Opfer bezeichnet
werden, wenn sie auch nach Anschauung der Heiden eine Stlhne
ftlr ihre beleidigten Götter war. Unter den letzteren werden
¥m: auch in diesem Falle zunächst an jene der Hyldemoer, Aska
froa u. s. w. zu vergleichenden Baumnymphen denken, welche
der Finne unter dem Namen Kati, puiden emuu (Kati? Baum-
mutter) Tuometar (von tuomi Traubenkirsche) Katajatar, (von
kataja Wacholder), Hongatar (von honka Tanne), Pihlajatar (von
pihlaja Eberesche) als Pflegerinnen und Schtitzerinnen der Wald-
bäume verehrte,' und deren ja in jedem heiligen Haine eine
oder mehrere zur Stelle waren. Es tlihrt uns tief in das frische
Waldleben der Vorzeit ein, wenn diese Gottheiten — die nach
S. 22 Anm. 3 unzweifelhaft auch als Menschen und Tieren
gefährlich gedacht worden sind — anderseits angerufen werden,
sich der auf der Waldweide gehenden Viehheerden anzuQehmen
1) Kaynald, annal. eccles. Tom XUI. p. 457. Liljegren, Diplom. Suec.
I. 290. Nr. 298. Script Rer. Livon. I. ;k<9.
2) Castren. finn. Mythologie übers, v. Schiefner S. 105.
Strafe ftr BaumsehAler. 81
md ihneii in reichlichem Maße Laub zum Fatter zu spenden.^
Wie durch die vorheiigehenden Zeugnisse bei Finnen und Litauern,
kmen wir die Sitte der Entdännung durch Helmold auch als
Brauch der heidnischen Slaven des 12. Jahrhunderts in Wagrien,
Pdabien und Obotritenland kennen. Er schildert deren Blut-
durst und fügt hinzu: ;;Wie viele Todesarten sie den Christen
idion sogefiigt haben ist schwer zu er^Uilen, da sie den
einen die Eingeweide aus dem Leibe rissen, und sie
im einen Pfahl wickelten (his viscera extorserint palo
dreumducentes), die andern ans Kreuz schlugen, um das Zeichen
nserer Erlösung zu verhöhnen.^' ^ Bei den Wagriem lag das
Christentum damals bereits seit mehreren Jahrhunderten mit dem
Heidentum im Kampf und dieser war zu großer Erbitterung
gediehen. Da wir aber von ihnen ebenfalls wissen, daß Land
and Städte an heiligen Hainen und Hausgöttern (luci et penates)
UeberfluB hatten (redundabant),' so ist leicht zu erraten, daß
auch hier jene Marterart gegen die Christen ursprünglich mit
dem Auftreten der Missionare in Zusammenhang gestanden haben
'wird.*
;
1) Kalevala |l. XXXII. Sollte es gar zu befremdlich scheinen, daß
jemals der Glanbe entstehen konnte, das Leben des Baumes werde gef(')rdert,
wenn man eine entsprechende (^eremonie am Körper des Mensehen vornehme,
M> stellt sich u. A ein anderer barbarischer Brauch im fernen Orient in
Parallele , den uns das Buch über die nabatäische Landwirtschaft tiberliefert
Du Pfropfen der Baume lieBen die Nabatäer durch ein schönes Mädchen vor-
nehmen, dem während dieser Operation ein Mann auf unnatürliche Weise
beiwohnte. Hier bietet, wenn ich mich mit Thümmel so ausdrücken darf,
die Inocnlation der Liebe das animalische Seitenstück zur Oculierung des
Baumes und soll als solches den £rfolg desselben fördern. S. Bastian, der
Mensch in der Geschichte III, 319. Vgl. das ekelhafte Zaubermittel in einer
Bofiordnnng bei Waschersieben , Bußordnungen der abendländischen Kirche.
Halle 1851. S. 576. Ein Weib wird unfruchtbar „si seiren viri sui neglexerit
aut in arborem putridam ponit." Es ist klar, daß in diesem Brauche der
Baum ein Doppelgänger des Weibes sein soll.
2) Helmold, chronicon Slavor. I. c. 52.
3) Helmold a. a. 0. I, 52. cf. 83. Vgl. unten die schwedischen Vardtrad
und die Haine des mahjas kungs bei den Letten.
4) Noch Helmold selbst war im J. 1155 Augenzeuge einer fanatischen
Vernichtung heiliger Bäume und als dann Priester Bruno nach Aldenburg in
Wagrien berufen wurde „ trat er das Werk Gottes mit großem Eifer an,
indem er die Haine niederhieb.*' Helmold a. a. 0. I. 83. So aber
war es sicher schon seit Jahrhunderten bei jedem neuen Siege der Christen
32 Kapitel L Baomseele:
§. 9. Miteinanderwuclis des Baumes nnd des Menschen-
lelbes. Das Gegenstück aber zu dem durch die Strafe für
Baumschäler geforderten Ersatz zerstörter Baumglieder liefert der
Volksglaube y daß umgekehrt Grebrechen des Menschen durch den
Baum ausgeglichen werden könnten. Bekommt ein neugeborenes
Kind einen Leibesschaden, so schlitzt man am nächsten Char-
freitag ein Weidenstämmchen auf , zieht das Kind hindurch nnd
verbindet den Spalt wieder, sobald er verwächst wird das Kind
gesund.^ Meistens ist es eine in der Mitte gespaltene mit großen
Keilen auf eine Weile auseinander gesperrte später wieder fest
verbundene und verklebte junge Eiche oder ein Obstbaum, wo-
durch man das lahme, oder an Nabelbruch oder an zurückblei-
bendem Wachstum (englischer Krankheit) leidende Kind vor
Sonnenaufgang schweigend und nackt kriechen läßt.^ Acker-
mann sah um 1790 in dem Eichenschlage eines gewissen Dorfes
viele junge Eichen, an denen dieser Versuch gemacht war.'
Rüekgratsverkrümmungen heilt man, indem man den kranken
Kleinen dreimal durch den aus der Erde hervorragenden Bogen
einer Wurzel zieht; kann er nicht gehen lernen, so heißt man
ihn durch die in die Erde gewachsenen Ranken des Brombeer-
strauchs kriechen. Wenn der Bruch des Baumes verwächst, ver-
wächst der Bruch des * Menschenleibes , wenn der Baum, der
Brombeerstrauch von der Wurzel aus grade und gesund in die
Höhe wächst und Fortgang nimmt, so der darunter durchkriechende
Mensch. Derselbe hat sein Schicksal, sein Leben mit demjeni-
gen der Pflanze gleichsam auf mystische Weise verknüpft, sich
selbst mit ihr so zu sagen für eins erklärt.^ Dies geht noch
getrieben worden und die Strafe för sacrilegische Schändung oder Ver-
niebtung der Baunibeiligtümer konnte längst traditionelle Weise des Menschen-
opfers aus christlichen Gefangenen geworden sein.
1) Oberpfalz, Bavaria II, 255.
2) Wuttke a. a. 0. §. 503. Grimm Myth.* 1118. 1119. Schüler z.
Tier- und Kräuterbucb des Mecklenburger Volkes III, 30.
3} Deutsche Monatsschr. 1791. S. 439.
4) Auf dieselbe Weise identifizierte man das menschliche Leben mit
demjenigen von Tieren. Baker, Nilzuflüsse in Abyssinien I, 251 berichtet
als Aberglaube der arabischen Weiber, daß Frauen, welche sich in interres-
santcn Umständen befinden , einem recht starken Kameel zwischen Vorder-
und Hinterbeinen durchkriechen in der Meinung, daß diese Handlung dem
Kinde die Stärke des Tieres mitteilen werde.
IGteinanderwnchs deg BaumeB und des Menschenleibes. SB
deoüicher aas dem Umstände hervor , daB es fortan ftlr den so
GeheOten sehr gefahr>'oll sein soll, wenn der mit ihm in Sym-
pathie gebraehte Baum abgehauen wird.^ Sein Leben geht mit
dem des Baumes zu Ende. Und umgekehrt stirbt der« Menseh
zaent, so geht — nach UUgischem Glaaben — sein Geist in den
betreffenden Bamn über and wird der letztere nach Jahren zam
Schiffsbau tauglich and dazu benutzt, so entsteht aus dem im
Holze weilenden Geiste der Klabautermann, d. h. der Kobold
oder Schntzgeist des Schiffes und der Schiffsmannschaft.^ Uebri-
gaiß lehrte schon unter Theodosius Marcellus von Bordeaux die
in Rede stehende Kur: Si pnero ramex descenderit, cerasum
Bovellam radicibus suis stantem mediam findito, ita ut per plagam
fier trajici possit, ac rursus arbusculam conjunge et fimo bubulo
iliisqae fomentis obline, quo facilius in se quae scissa sunt coeant
^pianto autem celerius arbuscula coaluerit et cicatricem duxerit,
tinto citins ramex pueri sanabitur.'
Es liegt von meinem gegenwärtigen Zwecke ab auszuftihren,
wie dieses Durchkriechen durch einen gespaltenen Baum sich
omgesetzt hat in das Durchkriechen durch die natürliche Höhlung,
welche durch zwei unten sich trennende oben vneder in eins
zusammen wachsende Aeste gebildet wird, oder durch alle mög-
lichen anderen Spalten und Höhlungen z. B. in Steinen, in der
aufgegrabenen Erde (Friedberg, Bußbücher S. 99) u. s. w. Was
wir jedoch vom Baume geglaubt sehen, findet auch auf das Ge-
treide Anwendung. Hat ein Kind kein Gedeihen, so legt man
es am Johannismorgen nackt in den Käsen und sät Leinsamen
Aber dasselbe, oder mau übersät es im Frühjahr mit Sommer-
gerste, wenn die Saat aufgeht, zu „laufen'^ anfängt, fängt auch
das Kind an zu laufen.^ Der aufsprießende Halm ist hier der
Doppelgänger des jungen Menschen und sein Wachstum verbürgt
das Emporschießen und die Gesundheit desselben. Und anderer-
1) D. Monatschr. 1791. a. a. 0. Bei entlegenen Naturvölkern begegnen
Analogien. Nach Baätian, Zs. f. Völkerpsych. V, 297 knüpfen z. B. die Küsten-
bewohner im Camerongebirge (Guinea) ihr Leben geheimnißvoU an einen
Banni.
2) Zs. f. D. Myth. U, 141.
3) Marcellas Burdigalensis Cap. 33, p. 229. Qriinm, MarceUos p. 24, 91.
KL Sehr, n, 141. .
4) Wnttke a. a. 0. §. 543.
Mannliardt. 3
31 Kapitel L Baumseele :
^eits trat an die Stelle des Menschen auch wol das Tier; im
7. Jahrhundert predigt der h. Eligins im Frankenreiche ,;Nullu8
praesomat pecora per cavam arborem transire (Ifyth. * XXX.).
Es ist also auch das Tier ^mit dem Baume gewissermaßen iden-
tifiziert worden. ^
§. 10. Verletzte BSnme blnten. Die Verschmelzung von
Mensch (oder Tier) und Pflanze in der Phantasie, die magische
Wechselwirkung zwischen beiden, welche in dem bisher bespro-
chenen Volksglauben uns entgegentrat, steigerte sich zuletzt zu
der noch mehr anthropomorphischen Vorstellung, daß heilige
Bäume und andere Pflanzen bei Verletzungen bluten, als wären
sie leibhafte Menschen und nur dem äußeren Scheine nach Vege-
tabilien. Loccenius im 17. Jahrhundert erzählt,^ daß ein Knecht
auf dem Gute Vendel im Kirchspiel Ostcrhanning in Södermann-
land einen schönen schattenreichen Wachholder hauen wollte,
der von andern Bäumen umgeben auf einem ebenen, runden
Platze stand. Da hörte er eine Stinmie „Haue den Wachholder
nicht ! '^ und als er sich dennoch anschickte zuzuschlagen, ertönte
die Stimme abermals: „Ich sage dir haue don Wachholder
nicht.^^ Afzelius ' berichtet damit übereinstimmend nach einer
älteren Schrift, als ein Mann einen Baum im Walde habe ab-
hauen wollen, habe aus der Erde eine Stimme gerufen „Lieber,
haue nicht!^^ und aus denBaumwurzeln sei Blut geflos-
sen. Eine der ersten schwedischen ähnliche Sage erzählt man
in Baden Yon einem Kirschbäumchen bei der Barbarakirche zu
Herrenalb , aus dem sich ein Bauer eine Flegelrute machen wollte.
Da rief es beim ersten Schnitte hinein „Au weh! und ebenso
beim zweiten, worauf der Bauer sich mit Grauen davon machte.
Am andern Tage war das Bäumchen verschwunden. Ein ander
Mal, als ein Kttfer dort eine Birke abschneiden wollte, rief es
bei jedem der drei Schnitte aus ihr „ o Jesus ! " Auf dieses ließ
der Küfer die Birke stehen, die er später nicht wiederfinden
konnte.^ Doch auch der von Afzelius berichtete Zug findet unter
deutschredenden Stämmen Analogien. Man vergleiche nur was
Schiller Walter Teil zu seinem Vater sagen läßt (Act. UI. Sc. 3):
1) Loccenius, antiquitat. Sueogoth. 3 bei Arnkiel a. a. 0. p. 179.*
2) Volkssageu und Volkslieder Schwedens, übers, v. Ungewitter II, 308.
3) Baader, Volkssagcn aus Baden. I, 172, 185.
Verletzte Bäume bluten. 35
«
Vater ists wahr, daß auf dem Berge dort
Die Bäume bluten, wenn man einen Streich
Drauf führe mit der Axt?
Teil: Wer sagt das Knabe?
Walter: Der Meister Hirt erzählts. Die Bäume seien
Gebannt, sagt er, und wer sie schädige
Dem wachse seine Hand heraus zum Grabe.
Grimm Myth.» 619 führt aus Meinerts Kuhländchen S. 122,
dag mir nicht zur Hand ist, an, daß die Erle anhebe zn bluten,
n weinen mid zn reden, wenn einer sie haue. Nach Schön-
werth soll es auch oberpfälzische Sagen geben, daß der Baum
Mote, wenn er umgehauen wird.^ Derselbe Glaube herrscht noch
ii österr. Schlesien.* In jeder Hinsicht beglaubigt ist femer die
ikhtige Aufzeichnung von J. V. Zingerle über den erst 1855
■edergehauenen „heiligen Baum'' bei Nauders in Tirol. Es
wtr ein uralter zwieseliger Lärchbaum, aus dessen Nähe das
Vdk aas heiliger Scheu selbst bei öffentlichen Holzverteilungen
kein Brenn- oder Bauholz nehmen mochte.^ Lärmen und Schreien
bei diesem Baume galt ftlr den größten Unfug, Fluchen und
Sdielten f)ir einen himmelschreienden Frevel, der auf der Stelle
1) Aus der Oberpfalz II, 335.
2) A. Peter, Volkstümliches aus Oesterr. Schlesien. Troppau 1867 II,
S. 30 teilt darüber Folgendes mit: In Waldbäumen wohnt, wie noch jetzt alte
liente glauben , ein höheres Wesen. Nicht jeder Landmann gestattet es^ daß
man ohne besondere Veranlassung in die Binde eines Waldbaumes
hi neinschneide. Er hat von seinem Vater und Großvater gehört, der
angeschnittene Baum blute und die ihm zugefügte Wunde ver-
ursache ihm nicht geringere Schmerzen, als einem verwunde-
ten Menschen. Wenn man einen bejahrten Holzhacker im Walde belauscht,
10 kann man hören, wie er dem Baume, den er eben fällen will,
Abbitte leistet. Fragt man ihn nach der Ursache dieses sonderbaren
Vorgangs, so antwortet er, er müsse das tun; in jedem Baume wohne
eine arme Seele, der er dadurch, daß er ihr Abbitte leiste,
Erlösung bringe, während sie leiden und imBaumstrunke fortleben
müsse, wenn er das zu tun unterlasse.
3) Hiezu vgl. was Laur. Blumenau im Jahre 1457 in s. historia de
ordine cruciferorum doch wol nach den Ueberresten des Heidentums in aeiner
Zeit von den heiligen Wäldern der alten Preußen berichtet : ,, Nonnullas Silvas
adeo sacras esse arbitrabantur, ut nee lignaincidere. nee vctustate
qaidem dejectas arbores inibi abducere permittebant. (Cf. Script.
Eer. Prussic. I, 53). Vom Värdträd (unten § 14«*) durfte, kein windbrüchiges
Holz genommen werden.
3*
36 Kapitel L ßanmseele:
geahndet werde. Oft hörte man die Warnung: „Tu nicht so,
hier ist der heilige Baum und dem Zorne wurde sofort E^inhalt
geboten. Allgemein herrscht der Glaube, der Baum blute, wenn
man hineinhacke und der Hieb gehe in den Baum find in den
Leib des Frevlers zugleich. Der Hieb dringe in beide gleich weit
ein und Baum und Leibuninde bluten gleich stark, ja die Wunde
am Leibe lieüe nicht früher, als der Hieb am Baume vernarbe.
Ein frecher Knecht nahm sich vor — so erzählt man — den
heiligen Baum zu fällen^ um den Volksglauben zu Schanden zu
machen. Schon schwang er die Axt zum zweiten Hiebe, als
Blut aus dem Stamm quoll und Blutstropfen von den
Aesten niederträufelten. Der Holzknecht ließ die Axt vor
Schrecken fallen und lief davon, fiel aber bald ohnmächtig zur
Erde nieder und kam erst Tags darauf zur Besinnung. Die Blut-
spuren blieben noch lange Zeit am Baume sichtbar. Die Narbei
die von jenem Streiche herrühren sollte, sah man noch vor eini-
gen Jahren.^ Zur Stütze dieses Berichtes aus neuester Zeit dient,
was der (wol zwischen 1409 — 1418) in Niederlitauen unter den
noch halbheidnischen Zemaiten missionierende Calmaldolenser-
mönch Hieronymus aus Prag im Jahre 1431 zu Basel dem dama-
ligen Secretär Enea Silvio Piccolomini, späteren Papste Pius IL
über seine Erfahrungen mitteilte, und was dieser der Nachwelt
in seiner „Europa'' aufbewahrt hat: Postremo alios populos adiit
(Hieronymus kam zu den Leuten eines anderen Gaus), qui sylvas
daemonibus consecratas venerabantur et inter alias unam cultn
digniorem putavere. Praedicavit huic genti pluribus diebus fidei
nostrae aperiens sacramenta, denique ut sylvam succideret impe-
ravit Ubi populus cum securibus affuit, nemo erat, qui sacmm
Ugnnm ferro contingere änderet. Prior itaque Hieronymus
assumpta bipenni excellentem quandam arborem detruncavit
Tum secuta multitudo alacri certamine alii serris, alii dolabris,
alii securibus sylvam dejiciebant Ventum erat ad medium nemo-
ris^ ubi quercum vetustissimam et ante omnes arbores religione
sacram et quam potissime sedem esse putabant percutere aliquam
diu nullus praesumpsit Postremo ut est alter altero audacior
increpans quidam socios, qui lignum rem insensatam percutere
1) Zingerle, Sagen, Märchen nnd Gebräuche aus Tirol. Innsbrock
1859. 109 ff., 176.
Verletzte Bäume bluten. 37
fonnidarent, elevata bipenni magno ictu cum arborem
caedere arbitraretur tibiam suam percussit (er traf sein
Sduenbein) atque in terram semianimis cecidit Atto-
mta circmn turba flere conqueri^ Hieronymom accusare, qui
sacram dei domum violari soasisset Neqae jam qaisqaam
erat, qoi fermm exercere änderet Tnm Hjeronymns ülnsiones
daemonom esse affinnans ^ qnae deceptae plebis oculos fascinarent,
mrgere qnem cecidisse vulneratnm diximus imperavit
et nnlla in parte laesum osjiendit et mox ad arborem
idacto ferro adjuvante mnltitndine ingens onus cum magno fragore
prostravity totum nemus succidit Erant in ea regione plures
Q'lvae pari religione sacrae. Ad quaa dum Hieronymus ampu-
tuidaa pergity mulierum ingend numerus plorans atque ejulans
fitoldnm (den Utauerherzog Vitautas) adit, sacrum lucum sucd-
mm qneritur et domum dei ademptam^ in qua divinam opem
petere consuevissent; inde pluvias, inde soles obtinuisse; nescire
jam qno in loco deum quaerant^ cui domicilium abstulerint Esse
aliqaos minores lucos, in queis dii coli soleant, eos quoque delere
Hieronymom velle.^ Hier ist von demselben Lande die Bede, in
welchem noch 150 Jahre später Laszkowski heilige Bäume um-
hieb, (o. S. 12). So tief wurzelte der Glaube an die geheim-
nißvoUe Sympathie zwischen dem heiligen, von einem für göttlich
erachteten Geiste erfüllten Baume und dem beschädigenden Men-
sehen, daß den bereits zu der rationellen Erkenntniß Vorgedrun-
genen, die Eiche sei ja nur ein lebloses Stück Holz, im Augen-
bhcke als er den Streich ausführt, jene ältere ihm anerzogene
Vorstellung mit Macht wieder überkommt und er unwillkürlich
das Beil auf seinen eigenen Fuß lenkt. Ueberzeugt, daß er ver-
wundet sei, so tief, als er vermutlich in den Baum gehauen,
fällt er hin und bleibt liegen, bis ihn der Mönch aufstehen heißt
and zeigt, daß er keine Wunde davon getragen.' Schön ist die
1) S. Aeneac Sjlvii Europa, c. XXVI. Cf. Script rer. Prussic. IV,
238—239.
2) Auch bei niederen Pflanzen läßt sich diese Art von Anthropomorphose
belegen, falls in der von J. W. Wolf Beitr. II, 241 dem Thomas v. Chantimprö
nacherzählten Geschichte die hastula regia = asphodelos, nicht ein kleiner
Baomzweig gemeint ist. Zu Munchengrätz in Böhmen sagt man, daß Blut
aus dem Grase fließe, welches an Maria Namen gemäht wird. Grohmann,
Abergl. a. Böhmen S. 90 , 632.
88 Kapitel I. BanmBeele:
Anwendung y welche eine S^e aus Millstadt in Kärnten vom
Glauben an das Bluten der Waldbäume macht. Ein vaterloses
Mädchen liebt einen Soldaten und wird deshalb durch den Fluch
seiner Mutter in einen Ahombaum verwünscht; sein Leib wird
zäh, seine Brust knorrig , seine Haut Rindd, die Hände ästig
und die Haare Laub. Ein Spielmann will sich von dem Baume
einen Zweig zum Bogen schneiden, da quillt Blut heraus. Eine
Stimme aber spricht: Mein Blut ist versöhnt, schneide dir einen
Bogen und spiele mir mit demselben ein Grablied; dann gehe
zum Bleicherhause und siehst du meine Mutter, so geige ihr ein
Sttlcklein und sage, daß der Bogen von ihrem Kinde sei. Als
die Mutter das Spiel des Bogens hörte, der noch nie solche Töne
hervorgebracht hatte, wie dies mal, ward sie blaß und versöhnt
und reuevoll rief sie aus: „Fttrwahr, ein gefallenes Kind ist
besser, als keines.^ Hier ist die Baumnymphe, deren Blut dem
verletzten Stamme entströmt, durch rationalistische Deutung zur
Metamorphose einer menschlichen Jungfrau geworden ; die ttbrigen
Zttge der Sage gehören größtenteils einer zart empiundenen freien
Erdichtung zur Motivierung dieser Verwandlungsgeschichte an,
welche auf ihre wahre Meinung und ursprtlnglichste Grundform
zurückgeführt deutlicher als die vorhergehenden Beispiele die
Baumgöttin mit der Verschmelzung menschenartiger und vegeta-
bilischer Leiblichkeit vor Augen fllhrt.
§.11. FrelbSume. Derartiger Glaube konnte der Erfahrung
des praktischen Lebens gegenüber nattlrlich in Bezug auf wenige
Baumexemplare sich halten. In heidnischer Zeit werden das
1) Th. Vemaloken, AlpeDsageu 289, 207. Hier findet sich denn
anoh wol der naturgemäße Anschluß für Vorstellungen und Sagen, wie die
eines serbischen Liedes (Vuk 296. Talvj, Vollcsl. d. Serben. Aufl. 1. 1825.
p. 35. Handb. der slav. Sprache und Literatur 329):
Fleht zu Gott ein junger Knabe:
„Gieb 0 Gott mir goldne Homer,
Gieb mir silbernes Geweihe,
Daß ich dieser Kiefer Rinde
Spaltend sehe was darinnen.*^
Gab ihm Gott die goldnen Hörner,
Gab das silberne Geweihe;
Und er spaltete die Binde.
Saß ein junges Mädchen drinnen,
Das gleich einer Sonne strahlte.
Freibäome. 39
vorzugsweise die Bäume geheiligter Haine gewesen sein, welche
dem wirtschaftlichen Gebrauche durchaus entzogen waren. Aber
auch später noch finden wir, daß in den Marken oder Gemein-
Waldungen gewisse Bäume davor geschützt waren, von jedem
Markgenossen geschlagen zu werden. Sie umzuhauen war bei
Kapitalstrafe verboten. Dazu gehörten vorzugsweise die „frucht-
baren/' d. h. zur Mast dienenden Harthölzer Eiche und BuehCi
(das Blomholz , die Blumware) wogegen es in alter Zeit jeder-
mann freistand, das „unfruchtbare'^ weiche Taub- oder Dust-
holz nach Belieben für seinen Gebrauch zu hauen ;^ femer die
mr Bezeichnung der Grenze dienenden Bäume. In manchen
Gebirgstälern der Schweiz z. B. im Urserental waren Arven und
Tannen gebannt d. h. vor dem Axthieb gefreit. Auf dem Um-
kanen gewisser Grenzarven stand der Tod.* Unzweifelhaft blieben
einzelne Exemplare stäts unbertlhrt stehen, während andere zu Bau-
holz angewiesen wurden. Solche Schutz - oder Freibäume scheinen
▼ielfach die Träger der alten mythischen Anschauung geworden
n sein (vgl. o. S. 35). In Schweden spricht man von gewissen
friträd (Freibäumen) welche nicht gehauen werden mögen „denn
die Bewohnerin des Baumes (hon som bor i trädet) will nicht
gehauen sein".^ ,
§. 12. Baum, zeitweilige HOlle einer abgeseliiedenen
Seele. In weiterer Entwickelung nehmen nun die bisher behan-
delten Vorstellungen von einem Baumgeiste mannigfach andere
Formen an, von denen wir jedoch nur einige der einfacheren
und von fremder Beimischung frei gebliebenen, teils erwähnen,
teils näher darlegen wollen. Aus dem Glauben, daß die
Pflanze eine Seele habe, erwuchs die Ansicht, daß
dlf'sdhc (ler zeitweilige Ki/rper einer Menschenseele sei. Die Seelen
Liebender oder unschuldig Gemordeter wandeln sich in weiße
Lilien und andere Blumen, welche aus dem Grabe, oder aus
dem hinströmenden Blute hervorsprießen (S. die o. S. 3 Anm. 1
angeführten Schriften). Die 70 Fuß hohe sogenannte „schöne
Eiche" im Walde bei Lüchow soll aus dem Munde eines in der
1) Vgl. Lex Bnrgund. XXVIII. 1 — 2. Es ist jedermann die Erlaubniß
gewahrt ,, incidendi ligna ad usus suos de jacentivis et sine fruetu arbori-
bus in cujuslibet silva. Vgl. Koscher, System der Volkswirtschaft II, 522.
2) Rochholz, Aargau. Sagen 1, 72. Ders. Alemann. Kinderlied 287.
3) Hylt^-n-Cavallius a. a. 0. S. 310.
Kapitel I. BaniDseele:
^reäJlenen Kt>mg8 hervorgewachsen sein.^ Ebenso giebt
^iN «x\c Sd^n viHi sogenannten Blatbäumen, die aus dem Blute
^'Msiik\!i Oeriohteter entstanden; mit dem Blute ging die Seele
*t $w Iber. Zu Camera waren das 7 Eichen, die sich wunder-
Ndtr ja einem Stanmie vereinigten, und als man einst eine der-
selben fUlte, schwitzte der Stumpf blutige Tränen, bis ein neuer
K»am ans demselben hervorwuchs.* Zu Mödrufell im EyjaQördr
Ättf Island ist es ein Vogelbeerbaum (reynir) , der aus dem Blute
iweier wegen vermeintlicher Blutschande unschuldig hingerichteter
Geschwister entsteht.* In der HöU (Oberpfalz) hängt man an dem
Orte, wo jemand gewaltsamen Todes starb, eine Tafel mit einer
GedäehtniBinschrift an einen Baum. Bei Tag soll dann die arme
Seele des Getödteten im Baume hausen. Nachts aber entbunden
sein und in einem gewissen Umkreise frei schalten dürfen.*
Doch nicht bloß reine und selige Menschengeister , auch die
Seelen Verdammter nehmen nach dem Tode Pflanzenleib an. In
einem Laubwalde zwischen Altstrelitz und Neubrandenburg, an
einer Stelle, wo einst ein Meuchelmord begangen wurde,
stieg täglich mit dem ersten Schlage der Mittagsstunde eine
distelähnliche Pflanze aus dem Boden, deren Stamm zwei
mit Stacheln besetzte Arme mit in einander genmgenen Hän-
den bildeten, unten am Stiel zwei über und über mit Stacheln
oder Doraen besetzte Menschenköpfe. Sobald es zwölf aus-
geschlagen hatte, war das Gewächs spurlos verschwunden.
Einem Pastor, der mit seinem Stocke darüber hinfuhr, verkohlte
1) N. Vatcrl. Archiv I, 347. Harrys, Volkssagen Niedersacbsens 1840
I, 88, 55.
2) Kuhn , Dordd. Sagen 107, 122.
3) Maurer, Island. Sag. 177.
4) Schönwerth, ans der Oberpfalz I, 291. Näheres über diese Sitte in
anderen Bairischen Landschaften liest man in Lndw. Steubs Bairischem Hoch-
land S. 60. Man legt den Verstorbenen sogleich nach dem Tode auf ein
Brett, das Eehbrett, (d. i. Leichenbrett, vgl rahd. re, ahd. hreo, goth.
hraivs Leichnam, vorzugsweise wol der blutige, getödtete Leib = (skr. kra-
vis, kravjam rohes Fleisch, gr. XQt'itg^ lat. caro und cruor, lit, kraujas Blut,
altsl. kruvi Blut). Auf dem Rehbrett bleibt er bis zum Begräbniß liegen.
Dann giebt man es dem Maler, der es blau anstreicht, den Namen des Ver-
storbenen , eine Bitte um ein Vaterunser und ein R, i. p. (requiescat in pace)
darauf setzt. Diese Andenken werden dann auf der Flur oder im Walde,
wo die Fußsteige vorübergehen . an Feldkreuzen oder Baumstämmen
festgemacht und bleiben dort, bis sie verwittern.
B«im xeitweilige HftUe einer abgeschiedenen Seele. 41
der Stock und verlahmte der Arm.^ Diese Mecklenbni^r Sage
leigt eine wunderliche Zutat mittelalterlichen Fegefeuerglaubens.
Beiner ist die bairische von den drei verfluchten Jungfern, die in
dnem Waldschlosse bei Ntlmberg ein gottloses Leben ftlhrten.
Fremde anlockten , ausplünderten und tödteten. Gottes Blitz-
strahl erschlug sie und verbrannte ihr Haus; ihre
8eelen aber fuhren in drei große Bäume und so oft
einer davon gefällt wird, geht die Seele in einen
andern. Nach Gebetläuten hört der Vorübergehende von^ den
Wipfeln dieser Bäume herab lockende Stimmen oder schaden-
frohes Gekicher und nicht , undeutlich glaubt er zwischen den
Aesten eine Gestalt zu sehen, die ihn zu sich winkt' Breithut,
ier Geist eines berüchtigten Raubritters im Geißenthäle läßt sich
Me und da als Baumklotz oder gradezu als Baum blicken.' Ein
Pfleger, der Waisengelder angegriffen hat, spukt im Walde. Er
seht aus, wie in Baumrinde gekleidet, lehnt sich an einen
Baumstamm und schaut die Holzarbeiter starr an, bis sie ent-
setzt fliehen.^ An der Pfaffenhaide am Hallwiler See stand bis
Tor karzem ein sehr alter Kirschbaam. Dahinter sah jeder, der
Nachts vorüber ging, einen Mann stehen, der die Hand vor-
streckte, dann rasch hervorsprang und verschwand. Wer sich
nach ihm umsah, dem blieb der Hals verdreht. Einem Weib
hing er sich als Dom in die Jttppe und als sie diesen entfernen
wollte, schwoll ihr der Kopf an. Man hieb den Birnbaum um.
Seitdem ist auch jene Stelle frei, aber ebenso lange sitzt im
Keller des nächstgelegenen Hauses ein schwarzer Hund auf einer
Kiste und heißt wie der längst verstorbene Ahnherr dieses Hauses
SucheUs.^ Im Buchenwalde auf dem Kestenberg zwischen den
Schlössern Wildegg und Brunegg hat sich ein Jäger an einer
Eiche erhängt Als der Schloßherr ihn fand, vom Winde in den
Zweigen hin und her geschaukelt, befahl derselbe die Eiche zu
fallen; aber Blut quoll unter den Axthieben hervor und rote
1) Niederhöffer, Mecklenburgs Volkssagen III, 193.
2) Panzer. Beitr. z. D. Myth. U. 197. 342.
3) Birlinger, Volkstüml. a. Schwaben I, 10, 8.
4) Schönwerth, ans der Oberpfalz III, 131. Vgl. den Geist in der hohlen
Esche bei Genkingen, der vorübergehende Menschen mit in den Banm zu
fi^bmen sucht. £. Meier. Schwab. Sagen 251, 280.
5) Bochholz, Schweizersagen ans dem Aargau B. I- Aaran 1856. S. 80, 68.
42 Kapitel I. Baumseele:
Adern durchzogen den Stamm. Da verbrannten die Leute Stamm
und Leichnam. Seitdem pirscht aber der Todte als Wildhans
yon Wildegg mit gespenstigen Hunden durch den Waid, oft hört
man dieselben winseln, wenn er sie an die Bäume hängt, um
sie mit Riemen zu hauen. ^ Eine Variante dieser Sage knüpft
sich unweit davon an einen Holzbimbaum zwischen Wildegg
und Lupfig. Der krumme Jäger, der an diesem Baume seine
Hunde aufzuhängen pflegte , sich an ihm erhängt hatte und unter
demselben begraben war, ließ sich da noch immer sehen z. B.
als dreibeiniger Hase mit Augen so groß wie ein Pflugrad. Wer
ihm nachschaute, dem schwoll der Kopf. Oder er stand als
schwarzer Mann hinter dem Baume. Einer der ihn an-
redete, büßte mit gedunsenem Mund und geschwollenen Algen,
Die Gemeinde beschloß nun den Baum umhauen zu lassen. Aber
während das Gebüsche ringsum unbewegt in der ruhigen Luft
stand, schüttelte ein Brausen die Aeste des Holzbimbaums. Den
Arbeitem sprang die große Waldsäge ab, und wo man mit der
Axt hintraf, war das Beil stumpf und ein blutroter Saft quoll
nach.^ Diese Sagen sind in mancher Hinsicht lehrreich. Die
Seele des Verstorbenen geht in den Baum über, erfüllt
ihn gleichsam mit menschlichem Leben, so daß Blut
in seinem Geäder umläuft. Zugleich aber läßt sie
sich als Schatten in Tier- oder Menschengestalt außer-
halb des Baumes aber in dessen Nähe sehen, und ihr
Anschauen verursacht jene Krankheiten, mit welchen
der unverhttllte Anblick von Geistern auch sonst be-
straft wird. Durch die Vernichtung des Baumes frei geworden,
vereinigt sie sich mit dem Winde und tobt in der wilden Jagd
daher.' Es wird uuif auch wol verständlich sein, weshalb auch
Gespenster und Klopfgeister in hohle Bäume, Weidenbäume
u. dgl. gebannt werden.* Man giebt ihnen, um sie los zu werden,
1) Rochholz a. a 0. I, 73, 57.
2) Rochholz a. a. 0. I, 69, 56.
3) Vgl. Mannhardt, GöUerwelt. S. 107 ff.
4) Vgl. H. Pröhle, Harzsagen S. 166 ff. , I — IV. Den Zusammenhang
oder die Ucbergänge der dargelegten Anschauungen zeigt u. A. auch die
Mitteilung Panzers (Beitr. II, 3()2) daß der Sägeschmiod zu fischenfelden
in der Oberpfalz, wenn er Fieber hatte, gradczu nach dem Manne schickte,
der sich mit Geisterbannen abgab. Dieser hob die Türschwelle aus, bannte
den Geist und keilte ihn in einen Weidenbaum ein.
Baum zeitweilige Hülle einer abgeschiedenen Seele. 4S
den Baum zum Leibe. Der im Weinkeller ^pokende Geist eines
Uien Wirts ist in die Rückfelder Linde bei Zarzaeh gebannt
worden. Dort hauste er in einem Astloch. Nachts saß er oft
lof einem Aste und geigte und je schärfer im Winter die Schnee-
flocken über Rackfeld stöberten ^ desto schöner und schärfer
geigte er drauf los. Ein Bauer , der nach diesen Tönen tanzte.
Im er umfiel, ist von Stund an der beste Tänzer im Lande
geworden. Dieses zauberische Geigenspiel ist die Musik des
Waldes, das Ued des Sturmes, welches alles bewegt und tanzen
Baeht.^ Die breite Eiche auf dem BleB bei Salzungen war die
■ichtjgste des ganzen Forstes. Als sie hohl wurde trugen die
Jesuiten manchen Foltei^eist in dieselbe. Leute, die vorbei-
pqgen , hörten die Geister darinnen rumoren. Li die dicht belaub-
te steilen Wände der wilden Löcher einer Schlucht in der Nähe
ieser Eiche sind ebenfalls Foltergeister getragen und festgebannt.
Noch heute guckt fast ans jeder Ecke und aus jedem Baum-
itompf ein Spukgesicht heraus und erschreckt die armen Leute,
die dort Leseholz suchen. Ein Tagelöhner aus Salzungen hatte
Uer Baumstubben gerodet und spaltete dieselben unter seinem
Fenster vor dem neuen Tore; da sah er, als er so eben einen
Keil eintrieb, ans dem Stubben ein kleines graues Männlein her-
aas nnd durch die Türe in das Haus schlüpfen und ehe der
Tagelöhner sich noch von seinem Sehrecken erholt hatte , guckte
der kleine Mann auch schon durch die runden Scheiben der
Wohnstube, schnitt allerlei Gesichter und trieb so lange Unfug,
bis er ihn durch einen Geisterbanner fangen nnd wieder ban-
nen ließ.'
Noch ein Beispiel sei angeführt, welches wieder erinnern
mag, daß auch diese Vorstellungsweise die Bäume und niederen
Pflanzen gemeinsam umfaßt. Man soll die Sehroelber (Schmeicher
oder Schmielen) eine hohe schlanke Grasart nicht abreißen, oder
damit die Zähne ausstochern, damit man nicht von den bösen
Geistern oder Teufeln besessen werde, welche oft dahinein
^bannt, oder darauf gespießt sind.^ Zu vergleichen steht die
1) Rochholz a. a. 0. 310. Manubardt, Gottei^elt, S. 113. 114. 123.
Die NatorcrBcheinung selbst ist beschrieben in Auerbachs Volkskolendor 18()0,
S. 129.
2) S. L. Wucke, Sagen der mittlorcn Werra II, 48.
3) Schonwerth, aus der Oberpfalz III, 115. Meier, Schwab. £ag. 247, 271.
44 Kapitel I. Baumseele:
von J. W. Wolf, Beitr. 11, 242 aas Jacob a Voragine angeführte
Legende von einem bösen Geist, der in oder zwischen den Blät-
tern einer Salatstaude saß.
§. 13. Baum, Aufenthalt des Hausgeistes. Mit den zoletst
behandelten Sagen berührt sich, was wir schon oben S. 33 wahr-
nahmen , daft die Seele eines durch sympathetische Kur mit dem
Baume verbundenen Menschen nach dem Tode in ersteren über-
geht, nach dem Abholzen des Baumes in dem daraus gezimmer-
ten Balken verbleibt und Klabautermann d. h. Schutzgeist des
Schiffes wird. Ebenso weilt nach manchen Sagen der Hausgeist
inb Hausbalken und bleibt wo dieser verbleibt* Er war wol
auch vorher Geist des zum Balken verarbeiteten Baumstanmies.
W. Menzel* bezieht auf die Herkunft des Hauskobolds aus dem
Baume vielleicht nicht mit Unrecht auch die folgende Sage. Ein
Hausgeist zu Sachsenheim, der sogenannte Klopferle, schenkte
der Magd, so oft sie in den Keller kam, ein Geldsttlck. Als
ihm aber der Ritter befahl mehr zu bringen, erschien der Geist
vor dem Ritter mit einem Eichenblatte im Munde, woran drei
Eicheln hingen und verbrannte ihn sammt dem Schlosse.^ Sollte
das Eichenblatt andeuten, daß der Schutzgeist des Hauses in
den Wald zurückkehren wolle?
§. 14. Banm, Sehutzgelst oder Sitz des Sehntzgelstes.
Jedenfalls gehört es in den Kreis dieser Vorstellungen, daß der
1) Müllenho£f, Schleswigholst. Sagen 371, 451. Bochholz, Schweizer-
sagen a. d. Aargaa I, 75, 59. Vgl.: Die Siamesen bringen nach Yollendong
eines Bootes dem Dämon oder Rukkhathevada des Baumes, woraus es gezim-
mert wurde , Opfergaben , um ihn zu bewegen in Schlangengestalt fortan als
Schutzgeist im Kiele des Fahrzeugs zu verbleiben. Auch beim Häuserbaa
opfern sie den^aus dem Walde herbeigebrachten und jetzt in der Wohnung
aufgerichteten Pfosten, um die einwohnende Geisterkraft als schützenden
Dämon dem Hause zu bewahren. Einige solcher in Bäumen lebenden Phum-
mathevada oder Bukkhathevada verlassen willig den unt^r dem Axthieb fal-
lenden Stamm, und suchen einen andern, andere werden hose und rächen
sich. A. Bastian , Zs. f. Völkerpsych. V, 288. 296.
2) Literaturgeschichte I, 109.
3) Magenau , Schwab. Sagen 145. Im Zabergau heißt es , daß der ruch-
lose Ritter auf Blankenhom den Hausgeist durch einen Pfaffen beschwören
ließ, um mehr Geld zu erpressen. Da erschien dieser als Ungeheuer eine
Eichel und ein Eichenblatt im Maul und hinter ihm brach Feuer in den Saal
und verschlang die Burg sammt allen Bewohnern. Klunzinger, Geschichte
des Zabergans II, 133.
Baum -» Lebensbaum. 45
ideale Doppelgänger der Menschenseele, der Schatzgeist (genius
tatelaris) der einzelnen Persönlichkeit (oder ganzer Geschlechter)
die Pylgja, wie der Altnorweger sagte (Myth.* 828 ff. Mann-
hardty germ. Mythen 306 ff.) in einem Baume Wohnung haben
8olL Um jedoch diese letztere Anschauung vollständig ver-
ttändlieh zu machen , gehen wir, ehe wir ihren Bestand auffUh-
Ten, noch einmal auf eine schon vorhin von einem andern Funkte
ans angeschlagene G^dankenreihe ein.
§. 14\ Baum » LebeDsbapm. Die unter uns ganz geläufige
Bede weise „der Baum meines , deines, seines u. s. w. Lebens
gribit, welkt y stirbt ab^^ zeigt uns den Vei^leich menschlichen
lud vegetabilischen Wachstums in persönlichster Anwendung zu
mem stätag dem Bewußtsein vorschwebenden Bilde gediehen.
Während wir uns aber darüber klar sind, daß das uns imma-
nente Leben y die Gesammtheit der Zustände und Veränderungen
«itteres Seins durch dieses Bild ausgedrückt werde , tritt dasselbe
für das Bewußtsein mancher Menschen auf niederen Stui'en durch
Hypostase als etwas Beales und Selbständiges , gleichsam als
flv Doppelgänger y der alle ihre Schicksale mitmacht, anzeigt|
oder gar bestinmit, aus ihrer Persönlichkeit heraus und neben
dieselbe. Man sehe nur, wie in einem von Orest Miller^ mit-
geteilten schönen russischen Hochzeitliede ans dem Permschen
Gouvernement das Mädchen sein Verhältniß zu dem künftigen
Ehegatten schildert:
Nor wenig schlief ich Junge,
Wenig die ganze Nacht.
Doch in dem Schlnninier hatt' ich
Einen schönen Traum.
Ich sah in Hofes Mitten
Wuchs ein Cypressenbaum
Und ihm zur Seit' ein andrer,
Ein zuckersüßer Baum,
und auf dem Baume waren
Goldener Zweige viel.
Zweige von Gold und Silber.
Da sprach das Haupt des Hauses,
Der Meister „liebes Herz,
Soll ich den 'Traum dir deuten?
Sieh der Cyprcssenstamni
Bin ich, der ich dein eigen.
1) Khristomatija P. I. Petersburg 1866 I. S. 28.
46 Kapitel I. Baumseele:
Der zuckersüße Baum
Bist du, und du bist mein.
Und auf dem Baum die Aeste
Sind unsre Kleinen ja,
Die lieben teuren Kinder."
Obgleich Hunderte von Meilen von Perm entfernt, liefert
das Saterland den nächsten Verwandten dieses Volksliedes in
einem Hochzeitbrauche.^ In die eine Ecke der Bettlaken, welche
ein Bräutigam mitbekommt, wenn er aus dem elterlichen Hause
in einen fremden Hof hineinheiratet (und nur dann) stickt man mit
bunten Fäden einige Blumen und einen Baum, auf dessen
Wipfel und reich belaubten Aesten Hähne (eine leicht ver-
ständliche Symbolik) sitzen. Zu beiden Seiten des Stammes
stehen die Anfangsbuchstaben seines Tauf- und Familiennamens.
Ebenso sticken die Mädchen in ihre Aussteuerhemden am Halse
auf jede Seite der Spange je einen Baum und die Buch-
staben ihres Namens. Es ist der Schicksals- oder
Lebensbaum der jungen Leute selber gemeint, der aus dem
heimatlichen Boden verpflanzt künftig auch in dem neuen Wohn-
sitze grünen, wachsen und Früchte bringen soll. Auf der glei-
chen Anschauung beruht eine Reihe schöner Hochzeitsitten, die
sich durch viele deutsche, slavische und lettische Landschaften
verfolgen lassen. Dem jungen Paare werden bei der Hochzeit
grüne Bäume vorangetragen, ein grtlner Baum prangt auf dem
Wagen, der die Aussteuer der Braut in die neue Heimat führt,
auf dem Dach oder vor der Tür des Hochzeithauses. Im Dröm-
ling tragen die Braut- und Bräutigamsjungfern auf dem Wege
zur Kirche dem Brautpaar brennende Lichter auf jungen Tan-
nen oder mit Buchsbaum umwundenen Gestellen voran.* Im
Hannoverschen Wendlande tragen die Kranzjungfem während der
Ehrentänze der Brautillhrer und des jungen Ehemanns mit der
Neuvermählten mit brennenden Lichtern besteckte grüne
Tannenbüumcheu vorauf; indem die jungen Eheleute diese
Lichter mit Tüchern ausschlagen (sie wollen ihren Lebensbaum
illr sich behalten), geben sie das Zeichen zum Beginne des allge-
meinen Tanzes.^ In den wendischen Dörfern bei Ratzeburg
1) L. Strackerjan, Aberglaube und Sage aus Oldenburg II, 124, 437.
2) Kuhn, Mark. Sagen 357.
3) R. Müldener, aus allen Welttheilen 1873 S. 200.
Baum «= Lebensbaum. 47
dagegen hatte ein« grüner Baum auf dem Brantwagen Platz.^
In der Oberpfalz steckt ebenso vom auf der äußersten Spitze des
Kammerwagens y der die Aussteuer der Braut trägt, ein verzier-
tes Fiehtenstämmchen,' nicht minder schmücken den schwär
bischen Brantwagen um Ehingen, der die Kunkel und das Ehe-
bett fbhrt, sechs mit seidenen Bändern, Goldflittem und Blumen
gezierte Tannenbäume.' Auf den lettischen Bauerhochzeiten in
Kurland wurde, sobald das neue Paar aus der Brautkammer
tnt, nachgeforscht, ob der junge Ehemann die Liebesprobe kräf-
bestanden. Befand es sich so, so wurde große Fröhlich-
gellbt und ein großer grttner Baum oder Kranz oben
inf das Haus gestellt^ Der Lebensbaum des Bräutigams,
«der des neubegrttndeten Stammes steht gut, wenn Aussicht auf
Sacbkommenschaft da ist In Schweden ninmit man als Braut-
Ahl, anf dem das Hochzeitpaar während der Trauung sitzt, einen
Choistahl, pflanzt zwei Tannen mit Blumen und Goldpa-
pier Tor dessen Türen, spannt oben eine weiße Decke aus und
nfzieit es auffallend. Zu Väßbo werden am Vorabend der
Hodizeit an allen Tttren , Pforten und Gattertoren Tannen gesetzt,
eine zu jeder Seite.* Im Zwodtagrunde im Voigtlande werden,
wie auch in Thüringen Fichten vor das Hochzeithaus gesetzt.^
Im Weimarischen pflanzen die Bursche und Mädchen des Ortes
am Vorabend der Hochzeit grüne Tannen vor das Brauthaus
und verbinden sie mit Blumengewinden, Kränzen, bunten Bän-
dern und einer Citrone, worauf die Namen der Brautleute ein-
gestochen sind.^ Dies geht schon über in eine andere Form der
lämlichen Sitte, welche wir später nach Erörterung des Mai-
baoms und Emtemais betrachten werden.
Nicht selten geschah es, daß unwillkürlich oder mit Absicht
ein bestimmter lebender Baum zum Träger des zweiten Gliedes der
Gleichung und dadurch gleichsam dauernd zum alter ego eines
1) Jahrbücher f. Schleswigholst. Landeskunde.
2) Schönwerth, aus der Oberpfalz I, 67.
3) Birlinger, II, 358.
4) V. Brand, Reisen durch die Mark Brandenburg n. s. w. Wesel
1TC^2. 78.
5) Reinsberg-Düringsfeld, Hochzeitbuch S. 5.
G) Kühler, Volksbraach im Voigtland(; 1867, S. 236.
7) F. Schmidt, Sitten und Gebräuche bei Hochzeiten in Thüringen, S. 33.
48 Kapitel L Baumseele: *
bestimmten Menschen gemacht wurde. In Hochheün^ Emzingen
und anderen Orten in der Nähe von Gotha z. B. besteht der
Brauch, daß das Brautpaar zur Hochzeit oder kurz danach zwei
junge Bäumchen auf Gemeindeeigeutum pflanzen muß. An sie
knüpft sich der Glaube, wann das eine oder' das andere eingehe^
müsse auch das eine oder andere der Eheleute bald sterben.^
Auf ähnliche Anschauung, vermöge deren der Liebhaber einen
Baum mit sich selbst identifiziert, gründet sich u. A. auch der
preußische Aberglaube, wenn man die Liebe eines Mädchens
begehrt, drei Haare desselben in eine Baumspalte einzuklenmien,
so daß sie mit dem Baume verwachsen müssen. Das Mädchen
kann dann nicht mehr von einem lassen.*
§. 14^. Fortreisende verknttpfen Ihr Leben mit einem
Banme* Sehr deutlich springt diese Vorstellung vom Schick-
sals- oder Lebensbaum in einer Beihe weitverbreiteter Traditio-
nen hervor, wonach ein Fortreisender sein Leben sympathetisch
mit einer daheimbleibenden Pflanze verknüpft. Im Märchen von
den zwei Brüdern (K. H. M. Nr. 60) z. B. stößt der Fortziehende
sein Messer in den Baum vor der Tür des Vaterhauses. So -
lange es nicht roste, sei das ein Zeichen, daß er selbst gesund ^
sei, wie der Baum. Im Märchen von den Goldkindem (Nr. 85) I
lassen die beiden Jünglinge, als sie ausziehen, um die Welt za ]
sehen, ihrem Vater ihre beiden Goldlilien zurück. „An ihnen '
kannst du sehen, wie es uns ergeht Wenn sie frisch sind,
befinden wir uns wohl; wenn sie welken, sind wir krank, wenn
sie abfallen sind wir todf Ob diese Märchen, denen sich ver-
wandte Züge nicht allein aus Indien, sondern selbst aus Mexiko
und Aegypten an die Seite stellen lassen,^ einheimische Gewächse
1) In Weimar ist der Brauch abgelöst; es wird ein sogenanntes Bäum-
chengeld (2 Rthlr. 1 gr. 8 Pf.) an die Stadtkasse zur Pflege der Obstbaum-
zucht bezahlt. Schmidt, Sitten und Bräuche bei Hochzeiten in Thüringen,
S. 46. Vgl.: Wenn in British -Guyana zwei kleine Kinder mit einander ver-
lobt werden, pflanzen die betreffenden Parteien als Zeugen für den Con-
tract zwei Bäume und wenn einer von diebcn Bäumen verdorren sollte, stirbt
das Kind, dem es angehört, sicherlich. Tyler, Forschungen über Urgeschichte
der Menschheit, S. 168 nach Eev. J. U. Bernau, Missionary labours in Bri-
tish-Guiana, London 1847, S. 59.
2) Prischbier, Hexenspruch S. 160.
3) In einem von W. Grimm nachgewiesenen indischen Volksliede
(Broughton, selections from the populär poetry of the Hindoos, London 1814,
Schicksals- und Geburtsbaoin von Einzelnen und Familien. 49
seien ist mehr als zweifelhaft; ganz nahe aber ihrem Inhalt liegt
der Gedanke in der fein empfundenen dritten Strophe des Volks-
fiedes: „Morgen muß ich fort von hier." Der in Abschiedsweh
üist vergehende Liebhaber erklärt sein Leben mit der zurück-
Ueibenden Geliebten, die vne ein Baum auf grüner Aue sprießt,
der Art eins und verwachsen, daß es (wenn er mit dem Körper
daVonziehe) gleichsam dableiben und sein Wiederbild in der
Feme absterben werde:
Dort auf jener grünen Au,
Steht mein junges Leben.
Soll ich denn mein Lebelang
In der Fremde schweben?
Hab' ich dir was Leids getan
Halt ich um Verzeihung an;
Denn es geht zu EndeJ
§. l4^ Schleksals- und Oeburtsbanm von Einzelnen
uA Familien. Jedesfalls kann nunmehr kein Zweifel sein über
fie richtige Auffassung des folgenden von Geyler von Kaisers-
berg als wirkliche Geschichte aus dem 15. Jahrhundert berich-
teten Vorgangs. Als Molber, ein Schuhmacher zu Basel, ein
Beues Hans bezog, wählte jedes seiner drei Kinder sich im Gar-
ten einen Baum. Die Bäume der beiden Mädchen, Katharina
mid Adelheid brachten, „als der Glentz (Lenz) hereinstach," weiße
S. 107) pflanzt ein junger Ehemann , der die neuvermählte Gattin verlassen
muß eine Lavendelstaude in den Garten und heißt sie darauf achten. So
lange sie grüne und hltihe gehe es ihm wohl, welke sie aher und sterbe, so
■ei ihm ein Unglück begegnet. Brasaeur im Popul Vuh (S. 141) t^ilt eine
^Btral - amerikanische Erzählung von zwei Brüdern mit, die vor dem Beginn
ikrer gefährlichen Reise in das Land Xibalba , wo ihr Vater umkam , jeder
»■in Rohr in die Mitte des Hauses ihrer Großmutter pflanzen, damit dieselbe
»n dessen Blühen oder Welken erkennen möge, ob sie lebendig oder todt
s«en. (VgL Tyler, Urgeschichte S. 1G8. Max Müller, Essays II, 241). Wie
w»lt aber in der Menschheit der Glaube an diese Art Sympathie zwischen
Mt-nschenleben und Pflanzenleben sein müsse , dürfte das bekannte ägyptische
Xärrhen von Satu und Anepn aus der Zeit des Mose im Pai)yrus d'Orbiney
^tweisen. Satu verbirgt sein Ilerz d. h. den Sitz des Lebens (s. Zeitschr. f.
D. Mythologie IV, 238) in die Blüte eines Baumes. An diesen Baum ist
fortan sein Leben geknüpft. Als derselbe umgehauen wird , stirbt er und im
lämliehen Augenblicke wird sein in weiter Entfernung lebender Bruder Anepn
seineg Toiles inne.
1) Des Knaben Wunderhorn IIL 32.
Mannhartlt. 4
50 Kapitel I. Banmsoclc:
•
Blüten hervor; die deuteten auf ihren ktlnfligen Beruf als Non-
nen. Der des Bruders Johannes trug eine rote Rose; er ward
Predigermöneh in Prag und fand als Märtyrer durch die Hussiten
seinen Tod.^ Die reinste und folgerichtigste Ausgestaltung der
hier zu Grunde liegenden Anschauung war die schöne Sitte, schon
in der Geburtstunde eines Kindes ein Bäumchen zu setzen. Im
Aargau geschieht das noch jetzt ziemlich allgemein und man
meint dort, der Neugebome gedeihe oder serbe (verkümmere)
wie dieses Bäumchen. Für Knaben setzt man Apfelbäume, für
Mädchen Birnbäume. Noch in der letzten Generation kam der
Fall vor, daß ein Aargauer Vater im Zonic über einen misrate-
nen Sohn, der eben in der Fremde und also der väterlichen
Züchtigung unerreichbar war, aufs Feld ging und den dort '
gepflanzten Geburtsbaum wieder umhieb.* Zuweilen sieht
der Bauer auch ohne ausdrückliche Anpflanzung fUr eine bestimmte
Person das Schicksal seiner Familienglieder mit dem Schicksal
der Bäume am Hause verbunden. Der Voigtländer ftlnditet,
jemand aus der Familie werde sterben , wenn ein Baum im Garten,
oder ein einzelner Ast plötzlich dürr wird,* auch in Baiem bedeu-
tet ein Baum am Hause, der verdirbt, einen Todten vom Hause*
und dem Siebenbirger Sachsen verkündigt es einen Todesfall, *
wenn ihm im Trciume ein umstürzender Baum zu Gesichte kommt'
Genau hiezu passt es, daß in Siebenbirgcn (Sächsisch Regen)
auch der poetische Glaube herrscht, dem Kinde nahe der Tod
nicht mit der Sense, sondern er breche im Garten eine Blnme
vom Stengel, im nämlichen Augenblicke sterbe das Kind.^
•
1) Goylor V. Kays*^rshcrg , Emeis (1508 gelialtcner Prcdigtcyclus). S,
A. Stöbor, zur Geschichte dos Volksaberglaubens im Anfange des IG. Jahrb.,
Basel 1850 , S. 7.
2) Rochholz, alemann. Kinderlied, S. 284. 280. So pflanzte man auch in
Polynesien bei der Geburt eines Kindes einen Kokosbaum, dessen Knoten
gleich zum Zählen der Jahre dienten und die Papuas verknüpfen das Leben
des Neugebomen mystisch mit oinoni JJaunistamine, unter de.«<sen Kinde sie
einen Kiesel einfügen und glauben mit dem Umhauen würde der Menscii
zugleich sterben. A. Bastian, der Mensch in der Geschichte III, 19X
3) Köhler, Volksbrauch im Voigtlande S. :]i»2.
4> Panzer I, 200, ir,r>.
.')) G. Schuller, Volkstüml. Glaube und Brauch bei Tod und Begrabniß
im Siebenbirger Sachsenlande. I. Kronstadt 1S03. S. :$7. llf».
0) G. Sehuller a. a. O. S. 10.
VSrdtrad. 51
Wie ein Einzelner kann aber, auch eine Vereinigung mehrerer
Menschen, eine Familie, eine Dorfsehaft in einem Baume das
reale Abbild ihres gemeinsamen Lebens empfinden. In Schweden
sind nachweislich die Namen mehrerer Familien von einem heili.
gen Baame bei ihrem Stammhofe hergenommen; so der des Ge-
scUeehts Alm^n von einer großen Ulme, die ehemals am Hofe
Bjdlermäla im Sockn Almundsryd stand. Die drei Familien
linnaeuB (Linne) Lindelius und Tiliander hießen angeblich nach
einem nnd demselben Baume, einer großen Linde mit drei
Stfmmen, welche zu Jdnsboda Lindegärd in Hvitarydssocken
Landschs^ Finveden wuchs. Als die Familie Lindelius ausstarb,
vertrocknete einer der Hauptäste der alten Linde ; nach dem Tode
der Tochter des großen Botanikers Linne hörte der zweite Ast
waf Blätter zu treiben und als der Letzte der Familie Tiliander
sfcnrb, war die Kraft des Baumes erschöpft, aber der erstorbene
Stamm der Linde steht noch und wird hoch in Ehren gehalten.^
§. 14^ TirdtriM. Diese Linde und ähnliche Bäume werden
ab Vlbd-tiäd, Schutzbäume, bezeichnet. Värd(von värda warten,
bewachen, hüten) bezeichnet Fürsorge, Obhut, Schutz; värdträd
ist also der Baum, der die Ftfrsorge, die Obhut ausübt; oder
vielmehr der die Fürsorge persönlich ist. Der Värd wird näm-
lifh als ein persönliches Wesen gedacht, also ein üeist der dem
Menschen folgt, wohin derselbe geht; er offenbart sich zuweilen,
m es als Lichtlein, (das Licht ist eine Form der Seele, vgl.
Lehenslicht), sei es als des Menschen Sehcinbild. Es giebt
noch heute unweit der Gehöfte manche tltlr heilig gehaltene
Bäume, welche Värdträd genannt sind, offenbar als Wohnstätten
der Värdar oder persönlichen Schutzgeistor der Hoflentc, oder
der Familie , die den Hof bewohnt. Vor wenigen Mensehenaltem
pih CS in der SmäUlndischen Landschaft Värend einen Värdträd
noch in der Nähe jedes Hofes. Es war eine alte Linde, Esche
^»der Ulme. Niemand brach davon Jin(*li nur ein Blatt nnd ihre
BeiM»hädignng rächte sich sicher durch l-nglUck, oder Siechtum.
In Hänger erlaubte die Volkssitte nicht einmal windbrüchiges
Holz davon weg zu nehmen und zu Hanse zu verbrennen, son-
dern Dian häafte es zu einem Reiserhaufen oder Holzstoß (^bäl")
am Fuße des heiligen Baumes auf. Srlnmnfirrr nmfaßfen sowol
1) Hylt«^n-('avanius, Vürond I, 144. Pas«iargo. Sj^liwo.lon S. 217.
4*
52 Kapitel I. Banmseele:
in Värend cUs in Vestbo in ihrer Not d^m Värdträd, um eine
leichte Entbifidung su erhalten.^
Der Värd entspricht genau demjenigen Begriffe, den der Alt-
norweger und Isländer mit dem Namen Fylgja verband und wir
sind somit hier auf dem Punkte angelangt, von dem ans mit
vollem Verständniß die o. S. 45 angektlndigte Vorstellungsreihe
zu verfolgen möglich ist Die Fylgja* (d. h. Folgegeist) ist das
Leben, der Genius des Menschen selbst als ein besonderer Dämon
personifiziert und als solcher zum Begleiter, Schicksalsverkfiiider
und Schicksalsurheber geworden. Von • da war es nur ein un-
merklicher Schritt und die F}igja wurde ein warnender oder
helfender Schutzgeist, der für den ihm zugeteilten Menschen
liebreich sorgte. Die als Abbild oder Doppelgänger eines
menschlichen Einzellebens oder des Lebens emer menschlichen
Gemeinschaft gedachte Baumseele in derselben Weise mit Baum
und Menschen zugleich verbunden und zugleich von beiden
als selbständig hypostasiert, sodann als schützender, helfender
Genius aufgefaßt ist der Värd. Die Sitte einen Värdträd hinter
dem Hause zu haben, hatte in Dänemark ein unverkennbares
Seitenstück. Noch H. Steffens (Gebirgssagen) konnte davon
erzählen. In einer entlegenen Vorstadt von Kopenhagen — sagt
er — innerhalb der Wälle, bewohnen die Matrosen der dänischen
Marine ein Quartier, welches fast eine eigene Stadt bildet In
einem jeden Hof ihrer kleinen Häuser sieht man ttber die Planken
hervorragend einen Holunderbaum , der mit einem religi(toen Eifer
unterhalten und gepflegt wird. Der Geist dieses Baumes ist
Schutzgeist des Hauses. Er hilft in Krankheit, steht den Frauen
in Kindesnöten bei, beschtttzt die Kinder, aber verschwindet auch,
wenn der Baum abstirbt Sicher aber war dieser Glaube sehr
alt und in die heidnische Vorzeit hinaufreichend. Dies möchte
ich aus der Uebereinstimmung mit der Sitte eines andern auch
am Ostseerande wohnenden Volkes, der Letten nämlich, schließen,
bei denen ehedem hinter jedem Hause unweit der Hofstatt ein
kleiner Hain von mehreren Bäumen gefunden wurde , in welchem
der „Mahjas kungs^' (Herr der Heimat, Wohnung, Behausung)
1) Hylten-OaTallins, Värend I, p. 357 §.92. 143 ff. §.32. 11, Tülag
zu §. 32. Vgl. den h. ßanm bei Nandere (o. S. 35).
2) Vgl. außer den o. S. 45 angeführten Citaten N. M. Pj't^Tsen, Nordisk
• Mythologi S. 143.
VSrdtrftd. 53
also der Schatzgeist des Hofes wohnen sollte , dem man von Zeit
zu Zeit kleine blutige und unblutige Opfergaben hineinwarf. Es
mangelt nns nicht an älteren Zeugnissen über die Sache, aber
noch 1836 u. a. zerstörte Pastor Carlbom in dem einen Kirchspiel
Ennes in Liyland innerhalb 14 Tagen etwa 80 solcher Grötzen-
haine.^ Wer den Hain umhieb, sah den Mahjas Kungs in Gestalt
eines Vogels miter Sturmwind entweichen und mußte des Aus-
sterbens seiner Familie und des Verlustes seines gesanmiten Vieh-
Standes gewärtig sein.* Das Leben also der Menschen und der
Tiere in der gesammten Wirtschaft war an das Wolbefinden der
Bänme, resp. des Mahjas Kungs geknüpit, der andererseits ihr
Heil fllrsorglich in Schutz nahm.
Ob and wieweit auch in Deutschland vor alters Haus und
Familie ihren Schutzbaum hatten und pflegten, darüber kann ich
Bichts Aasreichendes mitteilen. Einzelne Spuren scheinen dafllr
n reden. Der Aelpler im AU^u und Bregenzer Walde hat noch
einen Familienbaum, unter dem er mit den Seinen sein Abend-
gebet yerrichtet Viele reservieren sich solche Bäume, wenn sie
auch sonst Hab und Gut verkaufen und sind bei ihrem Absterben
Ingstlich um junge Stämme und Aeste bemüht.^ Manche Namen
deutscher Familien (wie Linde, Eiehbaum, Buchheister, Holunder,
Kirschbaum, Birnbaum, Eschenmayer, Birkmayer, Pirkmayer,
0. 8. w.)^ könnten wenigstens mittelbar auf unsem Ideenkreis
xnrttckweisen , falls die Bauerhöfe, von denen sie herstammten
nach besonders hochgehaltenen Bäumen in ihrer Umgebung genannt
waren.* Und wenn es Familienbäume gab, sollte vermöge natur-
gemäßer Erweiterung nicht auch die Dorfschalt in einem Baume
ein Gegenbild und Symbol ihres Lebens, ihren Schutzgeist
gesucht haben? Bewahren nicht etwa unsere deutschen Dorf-
hnden eine Erinnerung, einen Anklang daran? Es verlohnte sich
1) Inland 183(5.
2) müDdl. Mitteilang.
3) Vonbnn, Beiträge z. D. Mythologie 124. Wanderer im Allgäa.
Kempten 1^7. p. 102 bei Bochholz, Alemann Kinderlied S. 2B6.
4) S. Andresen , die deutschen Familiennamen 1862 S. 17. Pott, Per-
Bonennamcn Lpzg. 1853. S. 53. 676.
5) Namen von Lehnshöfen nach Bänmen führt Birlinger, Volkstüml. a.
^hwaben II, 184, 182 auf, die jedoch schwerlich sehr alt sind und willkür-
lich gegeben-^u sein scheinen.
54 Kapitel I. Banmsecle:
woly diesen Gegenstand einmal ernstlich zur Frage und Unter-
snchnng zu stellen.
§. 15. Weltbamn Yggdrasill. Falls sich Schutzbäome der
Dprfschaft erweisen ließen (und ich bitte den Leser darüber nach-
zusehen was ich weiter unten Kap. III. hinsichtlich der Maibäome
anmerken werde) so wäre damit ein wichtiges Mittelglied au%e-
iunden^ um einer Hypothese zu großer Wahrscheinlichkeit zu
verhelfen y welche sich auch ohnedem unabweislich mir aufdrängen
will. Ich vermute nämlich , daß auch der tieüsinnigen Eddamythe
vom Weltbaum Yggdrasill in ihrer ältesten Gestalt nichts anderes
als eine ins Große malende Anwendung der Vorstellung vom
Värdträd auf das allgemeine Menschenheim zu Grunde gelegen
habe. Schon diejenige Form, in welcher der Yggdrasihnythus
in der Völusp4 uns entgegentritt, noch mehr diejenige des
Grimnismdl enthält spekulative Gedankea durch Allegorie aus-
gedrückt, und so einheitlich und harmonisch das aus allen Vor-
stufen als schließliches Ergebniß hervorgegangene großartige und
allumfassende, die Einheit des gesammten Universums, wie es
sich in Raum und Zeit darstellt, vergegenwärtigende Bild auch
zu sein scheint,^ schon der Name Yggdrasill (Odhins Roß),' die
Vorstellung, daß Götter und Nomen als Richter und Urteiler
unter dem Baume Ding halten^ und die andere, daß die drei
Schicksalsfrauen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit
Fluten aus dem Brunnen der Vergangenheit die Erde begießen
und frisch erhalten, stellen ebenso viele verschiedene Entwicke-
lungsphasen der Sage dar, die ohne Zweifel vor Abfassung der
VöluspÄ schon längere Zeit von den Dichtem bearbeitet und
unter stäts neuen und andern Gesichtspunkten dargestellt war;
auch später noch, wie Grinmismäl lehrt, der Gegenstand ergän-
zender oder umgestaltender Darstellungen blieb. Eine mehriach
abweichende Variante zur Auffassung des Weltbaums neben der-
jenigen in Völuspa gewährt das Lied Fjölsvinnsmal 19 — 24.* Der
1) Vgl. Lüning, Edda S. 46 N. M. Petersen , Nordisk Mythologi S. 127 ff.
2) Petersen a. a. 0. S. 129. ühland, Schriften VI, 20(5.
3) Vgl. Mannhardt, Gorraan. Mythenf. S. 594—604:.
4) Diese meine Beobachtungen stimmen gut überein mit den neueren
Ergebnissen der Eddakritik , zumal mit den glänzenden Forschungen E. Jessens
ober die Eddalieder in Zachcrs Zeitschrift f. D. Philologie B. III, 1871.
S. 71 ff. 68. 69. 74., wonach die Völuspa eine im 10. Jahrh. auf Island mit
Weltbaum Yggdnnll. 56
Kemstoff der Compontion, in welchen alle anderen specnlativen
Bexllge erst hineingebOdet wurden ^ war danach deutlich erkenn-
bar ein kosmologischcs Philosophen! in Gestalt einer lebendigen
mythsichen YorsteUung^ die Anschauung des Weltalls selbst als
immeigrflner vom Himmel bis in die Tiefen der Unterwelt rei-
ebender Baum, der beim Weltuntergang zittert, sich entzündet'
Die erweiternde Spekulation zeigt ihn vom Wipfel bis zum Fufle
Tom regsten Leben erftUlt, an der Wurzel aber fortwährend yon
tcUldlichem Gewttrme benagt So ist es wohl klar, weshalb
jede der neun Welten einen solchen Weltbaum besitzt, ein Gegen-
biM ihrer selbst' Es ist aber kaum denkbar, daß jemand darauf
gekommen sein sollte den Doppelgänger des Gesammtlebens
agleich zum Schicksalsbaum zu machen, wenn nicht diese Idee
gldeh von Anfang an mit dem Bilde verbunden gewesen wäre.
War dies aber der Fall, galt mit der Esche das Geschick der
Welt von Anfang an verknüpft, war der Genius des Baumes,
oder waren die in oder unter ihm wohnenden Genien zi^leich
icfatltzende und schicksalbestimmcnde Mächte der Menschheit, so
trilweiser wörtlicher Benütznii^ filterer epischer Lieder ycrfaßtc Uobersicht
der Götterlchrc war , GrimniRinäl eine von einem ChriFtcn vollgepfropfte Vor-
ratskammer mythologischer Spocialitäten aus sacc. XL Sollten hier nicht
die Angaben mehrerer Lieder fiber Yggdrasill in eiijs gezogen sein?
1) Schon Sknlo Thorlacins erklärte die Ksche Yggdrasill für ein Sinn-
MW der gesammten Natnr (Antiqn. bor. ITI. 54. VIT. 184); nnd Finn Magnns-
Mü ?agte (lex. myih. 588) „ der Weltbaum odor unsere Welt unter dem Sym-
bol oder Bilde der Esche dargiBstellt." Dieser Deutung folgten die meisten
skaad. Forscher. Vgl. darüber und gegen die von A. Kuhn zuerst aufgestellte
und dann von Andern (z. B. seiner Zeit mir selbst) geteilte Zusammenstellung
Ton Yggdrasill mit dem Wetterbaum auch M. MTillers schlagende und über-
wagende Auseinandersetzung, Essays Lpzg. 1SG9. Bd. IL 184.
2) Xiu man ok heima, niu h-i/li. Vrduspa 2. Neun Welten: Vafthrudnism.
43. Gylfag. 34 (dagegen Alvism. 9 nach Bugge Neudichtung eines Interpola-
t«T8) ividr arbor maxima. S Weinhold, Riesen, Sitzungsberichte d. Wien.
.\kad. 18.'>8 S. 2S9 Anm. 4. üeber die 9 Welten s. Werner Hahn im Archiv
f. nf^ucre Sprachen XXXTV. S. 440—452. DielLiuksbok liest in Vol. 2 statt
irifii ivi«tjur (Bugge Edda S. 1. 19). Aus dieser von Bugge mit Recht ver-
worfenen Losart in Verbindung mit einer Zeile im Gedichte Hrafnagaldr
O-lins (Str. 1 elr ivi^ja) hat man ehedem auf einen altnorwegischen Baumgeist,
eiiM» Dryas ividja (quae in arbore habitat) geschlossen. Seit Bugge a. a. 0.
XTjVI. LXIX. jedoch dargetan , daß Odhins Rabengesang ein gelehrtes Mach-
werk des 17. Jahrh. sei, ist jeder Beweis für die Existenz der Ividien aus der
Ed'la geschwunden.
56 Kapitel I. Baamseele:
ist in allen Teilen die Aehnliehkeit des Grundgedankens so groß,
daß man kaum umhin kann den Värdträd^ den Schutzbaam,
falls dieser — wie doch wol schwerlich zweifelhailk sein kann —
wirklich bis in die heidnische Zeit hinaufreicht, als das ursprüng-
liche und einfache Urbild des Weltbaums in Anspruch zu nehmen.
Ein unverwerfliches Beweissttlck fUr diese Behauptung wird aas
Fjölsyinnsm 20 ff. Bugge entnommen werden dttrfen , wo (was audi
immer die Beziehung zum Zusammenhange der Dichtung sei) der
Mimirsbaum (Mimameidr), der ttber alle Lande seine Zweige
breitet, dessen Wurzel niemand kennt und den kein Feuer noch
Eisen schädigt, unwiderleglich als der sonst Yggdrasill benannte
Weltbaum zu verstehen ist.^ Von ihm heißt es, mun soUe von
seiner FnJuM ins Feuer tragen, dann würden Kindbetterinnen
ihrer Bürde ledig (utar hverfa |)az paer inna skyli). Dieser Zog
ist so realistiscli, daß er schwerlich aus dem bloßen poetischen
Bilde des Weltalls als eines Baumes entstanden sein kann, scm-
dem als Vorbild einen Brauch in der Wirklichkeit voraussetzt,
mit den Früchten eines Baumes bei Entbindungen zu räuchern.
Diese Form der Sitte weiß ich nun zwar nicht nachzuweisen,
wol aber stellt sich aufs nächste dazu, daß in Schweden
Schwangere in ihrer Not den Värdträd umfassen und in
Dänemark der Holunder neben dem Hause den Kreißen-
den hilfreich sein soll. (S. o. S. 52.) Was also ist wahr-
scheinlicher, als daß von dem Schutzbaume die Idee von Yggdra-
sill ausging?
Vom Standpunkte der so gewonnenen Erkenntnisse aus ver-
lohnt es sich, Nyerups ^ bekannte und mit so großem Beifall
aufgenommene Conjectur, daß der vor dem Göttertempel in
1) Mimirs Baum l^eißt er nach Mirairs Brunnen, der nach Sn. E. I, 68
unter einer Wurzel von Yggdrasill quiUt. Außer den oben angeführten
Uebereinstimmungen vgl. noch die Ausdrücke: i enum häva vidi, ins maera
vidai*, med mönnum mjötudr P. M. 23. 21. 22. von Mimameidr; här badmr.
mjötvid roaeran , mjötudr Völ. 19. 2. 46 von Yggdrasill , welche wol auf eine
von den Dichtern beider Lieder mittelbar oder unmittelbar benutzte ältere
Dichtung , zurückweisen , die eine der ursprünglichen Vorstellung verhältniß-
mä4iig noch nahe stehende Fassung des Mythus enthielt. Schlagen unsere
obigen Auseinandersetzungen ein , so war hier der Weltbaum noch ein Prucht-
baum (etwa Buche) und erst der Verfasser von Völuspa mag dafür die Esche
eingeführt haben, die dann dichterisches Gemeingut wurde.
2) Wörterbuch der nord. Mythologie S. 128. 129.
Weltbaam YggdraaUl. ^ 57
ITpsala an einer Quelle stehende, Sommer and Winter grünende
Banm unbekannten Geschleehts ein irdisches Abbild von Yggdra-
sili mit dem Urdharbrannen war,^ noch einmal zn erwägen. Von
diesem Baume wissen wir aus dem wahrscheinlich vom Verfasser
selbst herrflhrenden , aus einer Mitteilung des Dänenkönigs Svend
Estrithson oder seiner Hofleute um 1070 stammenden Scholion
134 ' zn des Adam von Bremen Schilderung des Göttertempels
in Upsala. Ist die Notiz tatsächlich begründet y woftir ein gleich-
leitiges Analogon ans Pommern spricht) ^ so ist damit noch nicht
bewiesen, wenn gleich sehr glaublich, daß der Baum religiöse
Bedeutung hatte. In diesem Falle scheint es jedoch weit näher
XU liegen, in ihm den Värdträd des Upsalahofs als ein Abbild
des Universums zu vermuten. Nyemps Hypothese ist umzukehren.
Es läge also nach unserer Auslegung bei Meister Adam ein
1) AdamBrem. de situ Dan. IV, 26 Schol. 134: Propc t^mplum estarbor
maxhna latc ramos extendons aestato et hyeme semper virens. Cnjas illa
generU sit, nemo seit. Ibi etiam est fons, abi sacrificia paganorum io]ent
exerceri etc.
2) Wattenba<-h, D. Geschichtsquellen Aufl. 1. S. 253. 255.
3) Als Bischof Otto von Bamberg i. J. 1124 auf seiner Missions-
reise nach Stettin kam, fand er neben einem der zu gottesdicnst-
licheni Gebrauche dienenden Gebäude (Continen) einen heiligen
Baum mit einer Quelle: Erat praetcrca ibi quercus ingens et
frondosa et fons subter eam amoenissimus, quam plebs simplex
naminis alicujus inhabitatione sacram existimans magna vene-
ratione colebat. Hanc etiam episcopus quum post destructas continas inciderc
Teilet, rogatus est a populo ne faceret. Promittebant enim nunquam sc ulte-
rins sub nomine religiunis nee arborem illam colituros , nee locum , sed solius
üinbrae atqne amoenitatis gratia, qaia hoc peecatum non sit; salvare illam
potins, quam salvari ab illa se velle (der Baum war also ein Schutz-
baom). Qua suscepta promissione: Acquiesco, inquit episcopus, de arbore.
Herbordi vita Ottonis ep. Babenb. 1. II. c. 31. Mon. (ierm. Scr. XII, 794.
Ein weit älteres Zeugniß für den heiligen vom Schutzgeist (V) bewohnten Baum
neben dem Tempel gewährt des Sulpicius Severus vita Sti Martini, cap. X. ap.
Snrium de probatis sanctorum historiis T. VI. Colon. 1575 p. 254 : Item dum
in vico quodam templum antiquissinium diruisset et arborem pinum, quae
fano eratproxima, esset aggressus excidere, tum vero antistes loci illius
ceteraque gentilium turba coepit obsistere. Et cum ijdem iUi , dum templum
evertitur imperante domino, acquievissent, succidi arborem non patie-
bantur. Ille quidem eos sedule commonerc, nihil esse religionis in stipite,
Dominum potius cui scrviret ipse sequerentur, arborem illam excidi
oportere quia esset daemoni dodicata.
bS Kapitel I. Baumseele:
Fingerzeig vor, daß im 11. Jahrb. neben dem Hanse der Göt-
ter (ebenso wie neben dem Priyathause) ein Värdträd stand, wo-
möglich neben einem Quell, in den man Gaben fUr dte Gh)ttheit
versenkte. Solche Bänme aber waren nicht Nachbildungen, son-
dern Vorbilder des in norrönen und isländischen Liedern des
10. und 11. Jahrb. uns entgegentretenden Weltbaums.
§. 16. Erläuternde Begegnisse ans dem täglichen Leben.
Sollte übrigens noch jemand vorhanden sein , dem die Entstehung
der VorsteDungen vom Schutebaum ein psychologisches Rätsel
darböte , so dürfen wir ihn glücklicherweise einladen in den Schil-
derungen neuerer, aus der Fülle wirklicher Erlebnisse schöpfender
Dichter Schritt fUr Schritt noch heute so zu sagen die Genesis
derselben zu belauschen. Mit feiner Beobachtungsgabe hat z. B.
Göthe im Werther das Anwachsen gemütlicher Beziehungen zwi-
schen Mensch und Baum veranschaulicht. Werther trifft den
altßn Pfarrer zu St. auf seinem von Nußbäumen beschatteten
Pfarrhof. Der Alte wurde ganz munter , und da ich nicht umhin
konnte, die schönen Nußbäume zu loben, die uns so lieblich
beschatteten, fing er an, wiewohl mit einiger Beschwerlichkeit die
Geschichte davon zu geben. „Den alten, sagte er, wissen wir
nicht, wer den gepflanzt hat. Einige sagen dieser, andere jener
Pfarrer. Der jüngere aber dahinten ist so alt als meine Frau,
im October fünfzig Jahre. Ihr Vater pflanzte ihn des Morgens,
als sie gegen Abend geboren wurde. Es war mein Vorfahr im
Amte und wie lieb ihm der Baum war, ist nicht zu sagen; mir
ist ers gewiß nicht weniger. Meine Frau saß darunter, da ich
vor sieben und zwanzig Jahren als ein armer Student zum ersten
male hier auf den Hof kam." Auch Werthem wachsen diese
Bäume ans Herz und als später eine neue Pfarrcrin dieselben
umhauen läßt, weil sie ihr unbequem sind, möchte er rasend
werden, daß es Menschen geben soll ohne\Sinn und GeiÜhl an
dem wenigen, was noch auf Erden Wert hat. Er könnte „den
Hund ermorden, der den ersten Hieb daran tat." Aber auch
das ganze Dorf murrt und die Frau Pfarrcrin soll es an Butter und
Eiern und übrigem Zutrauen spüren, was fUr eine Wunde sie
ihrem Orte gegeben hat. Hören wir außer Göthe noch einen
neueren Kenner des Volkslebens. P. K. Roseggcr schildert in
seinen „Gestalten aus dem Volke der östcrr. Alpcnwclt" S. 280 ff.
den reichen Bauer Hagenzweig in der Eben, der so nach seinem
Erläntemde ßegegnisse aas dem täglichen lieben. 59
Gehöfte benannt ist, aber auch wol als der Lindenbaner bezeioh-
neC wird, da ein mächtiger Lindenbanm an der Ecke seiner Stal-
Inngen steht Nach diesem Baume kennzeichnet man dem fragen-
den Wanderer, Holz- oder Viehhändler das GnmdstQck, ,,der
Hof y über den die ai^ Lande schaut'^ Unter ihm versammelt
der Herr Pfarrer die Kinder des Dorfes zuweilen zur Christen-
lehre, unter ihm auf dem Bänkchen, das rund um den Stamm
ftoft, sitzt der Bauer oft abends mit seiner Familie. Schon den
Vätern war der Baum wert, und der Bauer ehrt ihn mit fast
religiöser Scheu. Tee von seinen Blüten trinkt er als unfehlbares
Uniyersalmittel in allen Krankheiten, und sterbend verweist er
den Sohn fbr die Zeit der Not im Alter auf die alte Linde. Der
Sohn erbt die Ehrfurcht vor dem Baume, trinkt auch seinerseitg
^treulich Lindenbltttentee und als er durch MiBemten verarmt,
kann er sich nicht entschlieBeo , den stattlichen Stamm um den
flmi angebotenen Preis von 45 Dukaten zu verkaufen, während
er doch kurz vorher den vergoldeten Wetterhahn vom Dach ohne
Bedenken vei^Bert hat. Als bald hernach ein Wetter den Baum
stfirzt, daß er ttber Haus und Stall morsch in sich zusammen-
bricht, ist es dem Lindenbauer, als sei es mit ihm selbst zu Ende
Bnd auch er bricht zusammen mit dem Kufe: Jetzt bin ich der
Hagenzweig nicht mehr und jetzt kann ich nicht bleiben im Hof
auf der Eben. Aber im hohlen Stamme der gefallenen Linde
findet sich ein Topf Geld, den der Vater dort versteckte, und
80 hilft der Baum dem heruntergekommenen Lindenbauer wieder
zu Kraft und Vermr>gen. Wieviel fehlte denn noch daran, daß
der Oesterrcicher Hagenzweig von seiner Linde dieselbe Vor-
stellung hegte, wie der Schwede vom Värdträd?
§. 17. Boträ. Zuweilen erhält der Värdträd den Namen
BoRträd oder Boträ (Wohn8itzl)aum) d. h. entweder Baum, der
xnr Wohnung des Menschen gehört, oder der der Wohnsitz gewis-
ser Wesen ist. In letzterem Falle bezeichnet dieser Ausdruck
den Baum nicht mehr als den Körper oder als das Gewand,
Bondem als die vertauschbare Wohnung eines mythischen Natur-
geistes, der außerhalb des Baumes seine Wirksamkeit übt, und
bei dessen Untergang heimatlos wird. Vor solchen Bäumen hat
man ^jebete und Opfer zumal an Donnerstagsabenden und an den
Vorabenden der großen Feste dargebracht, um Siechtum, Unglück
und Unheil von Menschen und Vieh abzuwehren. Das Opfer
60 Kapitel I. Baumseelc:
bestand gemeinhin in Milch oder Bier, das man über die Wnrzehi
des Baumes sprengte. Noch im Jahre 1744 wurde ein Mann
im Fosspastorat in Bohuslän, der von einem Boträd einen
Zweig abgehauen, dann aber vor dem Baume einen Knie-
fall getan und um Verzeihung gebeten hatte, in der Beichte zn
einer Buße verurteilt. Man denkt sich aber häufig nicht einen
einzelnen Geist, sondern eine ganze Gesellschaft als Bewohner
des Baumes. Als einmal ein Bauer im Värend einen solchen
Wohnsitzbaum umhieb, hörte er es Abends im Stubben singen
husvilla &' vi
husvilla a' vi
husvill fikal da ocksa bli.
d. h. wir verloren unser Haus, wir verloren unser Haus, audi
du sollst das deine verlieren. Tags darauf brannte das ganze
Gehöft nieder.^ Diese mythischen Baumbewohner werden Tomte-
gubbar benannt, sie sind VerviellUltigungen des einen Värd,
den wir vorhin im Baume walten sahen (o. S. 51) und in ihnen
erscheint uns der Baumgeist , der nach vorhin behandelten Sagen
erst nach der Einftigung des gefällten Baumes als Balken in
Haus und Schifif zum Hausgeist wurde, schon bei Leben der
Pflanze als solcher tätig. Ihre Behausung wird bald in den
Stamm selbst, bald unter die Wurzeln des Baumes ver-
legt. In Bohuslän wohnen die Tomtegubbar (die „Alten im Gre-
hölle^O ^' ^- Hauskoboldc, welche ungesehen dem Bauer hilf-
reich in der Wirtschaft zur Seite stehn z. B. des Viehs sich
annehmen, Aehren vom fremden Kornboden auf den seinigen
tragen , das Haus mit Wolstand begaben , und vor Brandschaden
(cid och brand) schützen (weshalb bei ihrem Fortgange Feuer
ausbricht s. o. S. 44), im Baume nahe dem Hofe; man hütet
sich Donnerstag Abends etwas zu hauen oder zu spinnen, damit
sie nicht erzürnt werden und mit ihrem Segen entweichen.* In
Norwegen soll der Tomtegubbe unter Bäumen bei den Wohn-
1) Hylten - Cavallius a. a. 0. 143. 311. Odman^ Bobusläns Beskrifning
Stockh. 1746. p. 75. Myth.» CXII. 110.
2) Odinan a. a. 0. Auch Töroer hörte am 1700 in Smäland , dafi man
alte Bäume, welche lange Zeit beim Hofe standen, nicht gerne abhaut, weil
nach dem Volksglauben einige Genien darin ihre Wohnung haben, nach
denen man sie auch Tomteträd nennt. De reliquiis paganismi in Smnlan-
dia bei Hylt^^n - Cavallins , Värend och Virdame I. Tilläg IX.
Hotrft. 61
hioseni seinen Sitz haben und deshalb darf man diese nie ganz
flUlen.^ Aber aueh Zwerge ^ Unterjordiske (Unterirdische, Unner
erdsken) wohnen wie unter Httgeln und Häusern, so zuweilen
unter gewissen Bäumen, die man deshalb nicht fällen darf*
Doch — das ist der Unterschied — diese Bäume sind nicht
mehr immer beim Hause, sondern in Feld und Wald zu suchen.^
Auf einer Haide zwischen Falsterbro und Skanör in »Schonen steht
ein uralter Apfelbaum, unter dem kleine Leutchen (et Pysslinge-
folk) wohnten, eine Schuhmacherfamilie. Oft sieht man sie
noch hei schönem Wetter ihr kleines Leinenzeug im
Baume aufhängen und trocknen. Als ein gewisser Jons
P&hlsson einen grttnen Zweig zum Hirtenstabe abhieb,
bekam er Schmerzen in den Eingeweiden , welche erst aufhörten,
ib er um Vergebung bat. Ein Seemann in Falsterbro, der
Mhnelle Auf bruchsordre empfing und sein Schuhzeug nicht in
Ordnung hatte, rief im Vorbeifahren spottend, der Schuhmacher
inter dem Apfelbaum solle ihm die Stiefel flicken. Als er abends
wieder an jene Stelle kam, wurde er irre und fuhr die
ganze Nacht um den Baum herum, dieWageni^er ließen
eine bleibende Spur .zurtlck.^ Auch in deutschen Sagen liegt der
Eingang zu den Wohnungen der Unterirdischen (d. h. der Zwerge)
unter einem Apfelbaume, einer Rüster, in der Ellemkuhle
IL 8. w.* In Verwirrung geraten scheint die folgende Sage. Zu
Menzingen im Kanton Zug stand mitten im Dorf ein hoher Baum,
30 hoch, daß er vom Sturme gebrochen alle Wohnungen zer-
schlagen hätte. Da niemand ihn zu fällen wagte, gewann man
1) Vgl. J.*N. Wilse, Beskrivclse over Spydebergs Praestejjjelil. Christiania
1779 p. 418.
2) S. Hans Ström , Beskrivelse over Fogderiet Sondmör i Bergens Stift
i Norge Soröc 17G2. I. p. 537.
3) Nach Myth.^ CXII. jedoch wohnen die Unterirdischen (iinderjordisk
kW) uti botra. In Dänemark weiß man von einzelnen Bäumen , welche die
Unterjordiske nicht umhauen lassen , das Glück des Gehöftes sinkt dahin,
w«?nn ihnen Gewalt geschieht. Ein solcher Banm stand auf einem Felde bei
Eakildstmp Amt Sorö; der Eigner hielt ihn hoch in Ehren und sagte, es
hätten da früher zwei gleiche Bäume gestanden , als aber ein Mann den einen
umhauen lieft . sei alles Unglück über ihn und sein Haus gekommen. Thiele,
Danmarks, Folkesagn 1843. U, S. 52 ff.
4) Nicolovins, Folkelifvet i Skyttshärad i Skäne S. 185.
r») Kuhn, Nordd. Sagen S. 262, 292. Wo. 12(), 1. 1(>6, 189, 6.
62 Kapitel I. * BaumReele:
ein Bergmännchen. Das kappte den Banm und verschwand dann
im hohlen Baum auf immer. Der Ber^eist hauste wol auch vor-
her schon im Baume. ^ Der Schwede nennt als Bewohner solcher
Bäume auch jene Elfen (elfvor), welche wie kleine Puppen gestal-
tet auf den Wiesen tanzen. Unsichtbar fahren sie mit gleicher
LfCichtigkeit durch Luft, Feuer, Erde, Wasser, Berge und Bäume.
Sichtbar, erscheinen sie in mancherlei Gestalt, oft sah man sie
als Eulen zwischen den Baumästen herumhtlpfen.
Aufwiesen gewahrt man oft Ringe von grUncrem und frischerem
Gras, d^ ist der sogenannte „Elfdans'', da schwangen sich
die Elfen während lichter Sommernächte in luftigem Beigen und
unter ihren Füßen wuchs das Kraut üppiger.^ Am liebsten üben
sie ihre Spiele unter Linden und andern Laubbäumen. Sie hallen
allerlei Aufenthaltsorte in der Erde, in Steinen, wie in Bäumen.
Wer solchen Bäumen irgend wie schadet, wer durch ein Astloch
nach den Elfen sieht, oder wer das Gras der Elfenringe nieder-
tritt, der erblindet, oder er wird von den Geistern angehaucht
und bekommt ein Geschwulst oder eine Wunde am Kopf, eine
Krankheit, die alfild (Elfenfeuer) oder alfgast und elfbläst (Elfen-
anhauch) heißt, gradeso wie in Schottland und Irland schon der
Moße Anblick der Elfen Tod, Fieber oder Verlust des Verstandes,
ihr Anhauch Beulen und Krankheiten zur Folge hat. Doch sau-
gen die Elfen auch behexten Kindern an Fingern und Zehen , so
daß sie klein und schwach bleiben. Als Gegenmittel gegen diese
Krankheiten bindet man den Kindern entweder Donnerkeile
um den Hals oder man schmiert die Löcher oder Vertiefungen in
gewissen großen tief in den Wäldern liegenden Steinen oder
Riescubctten mit Butter aus und setzt Puppen von^Zeuglappen
gemacht in Gestalt der Elfen hinein. Oder ein kluger Maim räu-
chert das kranke Kind mit Vendelört (Valeriana officinalis); dann
sieht man die Elfen in Gestalt kleiner Puppen über den Fußboden
gehen und bitten, man möge ihnen nur erlauben eine andere
Stelle aufzusuchen. In Skinuersala in Vesterrunisoeku ging eine
Bäuerin in den Wald, um sich Kien zu hauen. Sie hieb einen
1) Rochholz , AargauRiOgcn I. SIK 78.
"2) Die Pflanzo sosloria caoruloa hoiP.t elfdansar , olfpfriis, elfaxhi^ (kleine
Aohro) dieses (iras breitet sicli kToi8fl')nni^ vom Mittelpunkte uach allen Seiten
aus und stirbt nachher in der Mitt.e ab: daher die Ringe. Runa 1845. S. ."jO.
ßoträ. 63
Baumstampf mit der Wnrzel heraus and wurde sofort
80 siech, daß sie kaum heimgehen konnte. Niemand wußte was
ihr fehle, bis ein kluger Mann erkannte, daß sie einem Elfen
geschadet haben müsse. Und erholt sieh (kommer sig) der Elfe,
sagt er, so erholt sich die Bäuerin auch, stirbt aber der Elf, so
stirbt die Bäuerin ebenfalls. Die Frau sah nun ein, daß ein Elf
hn Baumstamm gewohnt haben müsse und starb bald nachher,
demi der Elf konnte nicht leben, da der Stubben mit den Wur-
zeln ausgenommen war. ^ Diese Elfen sind offenbar den deutschen
krankheiterzeugenden Eiben, von denen wir oben sprachen, aufs
Dichste verwandt Befallen sie einen Menschen, so werden sie
in eflSgie (aus Zeuglappen) zum Walde zurückgetragen. Eine
dinische Ueberlieferung von 1722 bezeichnet die in oder bei den
Turzeln des Baumes wohnenden Geister ganz allgemein als
Taetter: Videmus quoque rusticos orsuros caesionem arboris ier
cxspuere, quasi hac excretionc vettas aliosque latentes ad
radicem arboris noxios genios abacturos(Myth.^CXVI. 162.)
Doi schwedischen Erzählungen von den Hausgeistern unter dem
Boträd gleichen wieder mehr die Angaben in einer Denkschrift,
welche zwischen den Jahren 1526 — 1530 über den heidenartigen
Aberglauben der noch ihren alten, dem lettischen Stamme ange-
hurigen, Dialekt «prechenden Bewohner des nordwestlichen Win-
kels im preußischen Samlande verfaßt, aber erst nach 1560 unter
dem Titel „von der Bockheiligiing der Sudauer" gedruckt ist.
Der Verfasser (wahrscheinlich ein evangelischer GeiRtli(*her) bczeieh-
Dct die Pcrsonificationen des Volksglaubens ak heidnische (TÖtter.
Nach Herstellung des Textes auf Grund der ältesten Handschriften
ergiebt die Denkschrill über die Verehrung des Holunderbaunies
Folgendes. Sein Holz gelte für großwürdig und heilig. Unter
ihm wohne in der Erde der Erdeugott Puschkaiti.s. Diesen bitte
man, indem manBrod, Bier und andere Speisen unter den Baum
trage, er wolle seine Markopolen d. h. die Erdleutehen und seilte
Parstucken d. h. kleine Männlein in die Scheune schicken, um
^ietreide dahinein zu tragen und wol zu behüten. In der Nacht
setzen die Bauern Si)eiscn in die Scheune und rufen jene zu
1) Aufzoichniingen dos Ilorm M. II. Hnltin im Jaliro lHr»2 poinaoht.
Handsirhr. des Reichsant'Ktuarimn.'i zu Stxx^kholiii. Vffl. IIylti;n-(-avalliüB ^^fK)
|.ti4. 144;. fcj. :U. Prittmaiin. Nord. Klfeimuirehen S. ü(i. Myth.-* 430.
64 Kapitel I. Baamsoele :
Qaste. Wenn sie morgens viel verzehrt finden, hoffen sie aaf
Vermehrung ihres Getreides. Da die Namen Paschkaitis nnd
Marko])ole etymologisch noch unaufgeklärt sind, läßt sich nicht
sagen, ob der Verfasser mit seiner Angabe „der Erden Gott^
recht habe. Sei Puschkait jedoch eine Personification wessen er
wolle, jedesfalls geht soviel daraus hervor, daß nach altpreuBi-
schem Volksglauben unter dem Holunder ein Dämon wohnt,
welcher sowol ttber Zwerge (Markopole) , als Kobolde (Parstucken.
Fingerlinge ?) Macht hat und dieselben zu Gunsten oder Schaden
der Menschen aufbietet. Nach den gleichzeitigen Mitteilungen
des Lucas David war anderswo in Preußen der Glaube verbreitet,
daß wenn man die Erde unter dem Holunderstrauch verunreinige,
der Gast, so unsichtbar unter dem Baume wohne, das Auge ver-
unstalte; verbrenne lüan den Busch, so nehme man ihm seine
Herberge.
Ueberschlagen wir alle diese Ueberlieferungen, so wird es
klar, daß in denselben eine Verschmelzung verschiedener Vor-
stellungen statt hatte. Der Hausgeist (Tomtegubbe u. s. w.)
im Boträd tritt uns entgegen gleichsam als der Baumgeist, der
personifizierte Baum selbst. Neben anderm was wir schon bei-
brachten, stimmt hiezu aufs beste, daß der Kobold in den Nie-
derlanden, Holstein, Thüringen, Hessen und Baden zuweilen
grünes Gewand trägt, daß er in Holland ein grünes Gesicht
und grüne Hände, in Belgien ein Antlitz verschrumpelt
wie die Rinde eines Baumes^' haben soll, und daß er in der
Mark der grüne Junge heißt.^ Diesen Hausgeist, der der
Baumdämon selber, sehen wir nun nach Analogie der „Elbe"
mitunter zu einer ganzen Schaar vervielfältigt, die in oder unter
dem Baume Wohnung nimmt und mit Attributen ausgerüstet,
welche diesen als Kranklieitsgeistem zukommen. Andererseits
gewahren wir die Elfen ein Stück von dem Wesen des Baum-
geistes selbst annehmen. Konnten sie dem Körper des Menschen
und der Tiere schaden, so mochten sie besänftigt auch woltätig
wirkend gedacht sein und so auch von dieser Seite her mit der
Idee des Schutzgeistes zusammenfließen. Daher erklärt sich das
im Eichsfelde gebräuchliche Verbot Holunderbolz zu verbrennen,
1) J. W. Wolf hat Beitr. z. d. M.nh. II, 332 33. eine Anzahl einschlä-
giger Beispiele gesammelt.
Boträ. 65
wen sonst im ganzen Hanse die Hühner sterben.^ Das Leben
der Hflhner ist mit dem des Banmes so zn sagen iden-
tisch geworden. Hiemit stimmt die Sage vom Stodderstabben
bei BOnsvig (Pnestoe auf Seeland). Es ist ein Weißdornstampf,
der ab Seemarke dient Wer Hand daran legt, dem widerfährt
Unglflck. Einem Baner , der ihn zum Pflnghanpt abhauen woUte,
fahr die Axt ins Bein (vgl. ob. S. 36). A\b er zam zweitenmale
Hand anlegte, starb ihm eine Knh. Stodderstabben (Bettlerstumpf)
heiBt der Baom, weil da ein Bettler begraben ist (vgl. ob. S. 39).'
Endlich treten sogar auch die Zwerge an die Stelle der Eiben.
Vielleicht wird es weise getan sein zu erinnern , daß die von uns
nur Besprechung gebrachten Characterzüge das Wesen weder der
Kobolde und Hausgeister, noch der Elbe und Zwerge erschöpfen.
Die Kobolde namentlich gehen fast durchgängig in Personifica-
fimen feuriger Lufterscheinungen (Drachen) über, so daß die
Bezeichnung als Baumgeister eine yiel zu enge wäre. Und auch
TOD den Eiben (Elfen) hat man festzuhalten, daß ihr Aufent-
Ut im Baume und ihre Eigenschaft als Krankheit yerursachende
Geister nur eine einzelne unter ihren mannigfachen Erschei-
nangsformen sind, wenn auch eine nicht ungewöhnliche, wie ich
durdi noch einige weitere Metamorphosen dieser Vorstellung
erhärten möchte. Im Waldeckischen versteht man unter den
„Hollen" kleine schwarze Leute, welche Züge der Zwergsage
imd der Koboldsage yereinigen. Sie wohnen im Hollenstein,
vertanschen Kinder, backen dem Ackerer Kuchen, tragen ihren
lieblingen Korn von eines andern Boden zu.^ Doch auch im
Baume wähnt man sie gegenwärtig. Wenn kleine Kinder krän-
keln, müssen die Eltern Wolle und Brod in den Wachholder-
bnseh einer andern Feldflur bringen und dabei sprechen:
Ihr Hollen und Uollinneii,
Hier bring* ich ench was zu spinnen
Und was zu essen.
Ihr sollt spinnen und essen
Und meines Kindes vergessen.*
1) Seifart, Hildesheim. Sagen U, 166.
2) Thiele , Danroarks Folkesagn 1843, II, 54. nach Repholtzs Bcskr. over
Baroniet Stampenborg 118.
3) Cnrtze, Volksüberlieferungen aus Waldeck S. 219. 225.
4) Curtze a. a. 0. 373. Vgl. ob. S. 20 nebst dem Fiebersegen aus Pli-
niiis Yalerianns und S. 14 die guten Holdichen.
Manahardt 5
66 Kapitel I. Baumseele:
Auf dem Kirchhofe von Storeheddinge auf der Insel Seeland
finden sich Ueberbleibsel eines Eichenwaldes. Das sind — sagt
der gemeine Mann — des Elfenkönigs Soldaten, bei Tage
Bäume, bei Nacht tapfere Krieger. Aus einem Baume im
Walde zu Bugaard auf derselben Insel wird Nachts ein ganzes
EJlfenvolk und läuft lebendig herum. ^ Das sind die neben dem
eigentlichen Baumgeist die Zweige des Baumes bewohnenden
Elbe. Die Auffassung der krankheitverursachenden Elbe als
Würmer war die eine uralt indoeuropäische Vorstellung, welche
yielfach bis auf die neueste Zeit maßgebend geblieben ist In
den Soldaten der soeben augefahrten seeländischen Sage erkenne
ich dagegen einen Ausfluß einer andern daneben herlaufenden
und, wie das Beispiel des durch seine Pfeile Pest hervorrufenden
Apollo zeigt, nicht minder alten Auffassung, wonach die Schmer-
zen als unsichtbare Verwundungen durch kleine Speere oder
Pfeile von Götterhand oder aus der Hand der Elfen betrachtet
werden. Vgl. die englischen "und schottischen Vorstellungen vom
elfbolt, elfarrow^ und den ags. Segen in der Us. der Harlej^
Samml. N. 585, gegen Stiche,^ wo es heißt, daß Hexen gellende
Speere (gyllende gäras) Göttergeschoß, Elfengeschoß, Hexen-
geschoß (esa gescot, ylfa gescot, hägtessan gescot) in Haut, Fleisch,
Blut oder Glied entstaudten „heraus kleiner Speer (ut lytel spere)."
So sprechen wir noch heute von Hexenschuß, und dem Schweden
heißt älfbläst auch elfskudt. Die Zusammenstellung Ssa gescot,
ylfa gescot aber, welche in der stellenden formelhatten Miteinan-
demennwig von Äsen und Alfen in Liedern der älteren Edda*
1) Jonge, Nordsiell - Landalm , S. 301. Thiele, Danmarks Folkesagn,
Kbhvn 1843, H, 190. 53.
j) Grimm, irische Elfenmärchen S. CIL CXIIL XLV. Myth.« 429.
3) Myth.2 1192. J. M. Kemble, die Sachsen in England I, 438.
4) Z. B. Hvat er med äsum , hvat er med älfum? Thrvmsq. 7. In unzwei-
felhaftem Zusammenhange mit der oben dargelegten Anschauung steht eine
Sagenfamilie , welche die Geister der wilden Jagd , Hexen , Zwerge oder Frau
Perchta gewissermaßen als die ins Groteske vergrößerten Elbe erscheinen
läßt. Sic Tcrgegenwärtigt uns einigermaßen was der Angelsachse unter flsa
gescot verstanden haben wird, und bestätigt zugleich, daß der Parellelismos
des Menschen mit dem Baume auch dieser Anschauung zu Grunde liegt.
Eine Hexe haut einem Manne im Vorbeireiten während der Walpurgisnacht
ein Beil in die Lende, indem sie spricht: „hier steht ein Baumstumpf
(stuke), da will ich mein Beil hineinhauen.'' Kein Arzt vermag es, das Beil
Boträ. 67
flir Seitenstflck hat , spricht dafür , daß diese Ausdrücke auf ger-
manisehem Boden in eine dem Heidentam angehörige Angelsach-
benosznzieheD. In der Walpurgisnacht des nächsten Jahres stellt sich der
Mazm an denselben Platz. Dieselbe Hexe kommt wieder Torbei und sagt:
,I>er Stanpf steht hier noch, ich will mein Beil herausnehmen; aber ein
andennal stehe der Stampf nicht wieder da." (Wolften, Schambach u. Mül-
ler, Niedere. Sag. 179, 195.) Einem Manne in Mainzholzen steckte eine vor-
beÜkhreade Hexe eine Stecknadel in's Knie nnd zog sie nach Jahresfrist
wieder heraus mit den Worten: „Vor einem Jahre habe ich eine
Stecknadel in eine alte Buche gesteckt, ich will doch einmal
sehen, ob sie noch da ist.*' (Schambach -Müller a.a.O. S. Anm. 359,
195.) Die Berchtl an der Spitze der wilden Fahrt schlug eine Hacke in
h& Knie eines Mannes mit dem Ausruf: „Wartet! da unten ist ein
Stock (Baumstumpf), in den muß ich dieses Hackl hineinhauen."
Sich einem Jahre zog sie es wieder heraus (Zingerle, Sagen, Märch. und
Gebr. a. Tirol 1859, Nr. 23. S. 17). Ein Knecht legt einen Baumstamm quer
, Iber den Weg, den die wilde Fahrt daherkommt. Als er Nachts im Bette
lieft, hört er eine Stimme: In diesen Bnum schlage ich eine Hacke
kinein." Alsbald empfindet er große Schmerzen am Fuße, bis
■ach Jahresfrist die wüde Fahrt ihm diese wieder abnimmt. (Zingerle a. a. 0.
Kr. 24. S. 18.) Ein Spielmann versteckt sich vor der wilden Jagd hinter
einer Eiche. Einer der wilden Jäger stürzt auf den Baum zu und ruft:
Hier will ich mein Beil hineinhaucn. Im Augenblicke empfindet der Spiel-
luum einen großen Schlag auf dem Kücken und von Stunde an hat er einen
großen Buckel (vgl. S. 20 die durch Elbe erzeugten Auswüchse). Nach
Jahresfrist steht er hinter derselben Eiche. Die wilde Jagd kommt und der-
«Ibe Jäger stürzt wieder auf den Baum zu: „hier hieb ich vor einem Jahre
mein Beil hinein, hier will ich's wieder herausziehen." Ein gewaltiger Ruck
im Bücken des Spielmanns und der Buckel ist fort. (Templin. Kuhn , NArdd.
iSag. Nr. 69. S. 65 fF.) Weitere Beispiele sind zusammengestellt bei Scham-
bach und Müller a. a. 0. S. 359 , und Eochholz , Sagen a. d. Aargau II, 147.
Boe Abart dieser Sagenfamilic ist eine andere, nach welcher ein zauberkun-
diger Wilddieb sich vor dem nabenden Forstwart in einen daliegenden Baum-
stamm verwandelt. Der Förster aber setzt sich gelassen auf den Stamm,
patzt seine Tabackspfeife mit dem Messer oder Pfriem aus und läßt dieses
dann wie aus Vergessenheit tief im Stamme stecken. Der Wildschütz erzählt
nachher von den Schmerzen, den ihm das tief in seinem Kopfe steckende
Messer oder nadelförmige Instrument verursache. Rochholz , Aargaus. 11, 147,
371 u. Anm. Wie die Vorstellung, daß die krankheiterzeugenden Elbe in
Wurmgcstalt im Baume verkörpert sind und von da aus zur Qual des Men-
schen ausfliegen, nur die Kehrseite der Anschauung ist, daß gleich den den
Baumstamm anbohrenden Würmern bohrende und nagende Schmerzen den
menschlichen Körper peinigen , steht neben der durch die Sage von Storehed-
dinge vertretenen Vorstellung, daß durch Schuß verwundende Elbe vom
5*
68 Kapitel I. Baumseele:
sen und Skandinaven gemeiiigame Kulturepoche znrttckreichen.
Sehr deutlich zeigt uns den Baumgeist als Beherrscher der in
den Baumgliedem lebenden Elfen die estnische Tradition. Der
Este erzählt nämlich von Baumelfen puu-halijad, welche im
Baume wohnen und bei aufsteigendem Gewitter sich aus Angst
vor der Verfolgung des Donners mehrere Fuß tief
unter des Baumes Wurzeln verkriechen. Ein Bauersmann
findet einst bei aufsteigendem Gewitter einen fremden Mann unter
einem Baume schlafen und weckt ihn. Der Fremde sagt ihm
seine Gegendienste zu. Wenn er einst fem vom Vaterlande ein-
mal Heimweh bekomme, werde er eine krumme Birke gewahren.
Er solle anklopfen und fragen: Ist der Krumme zu Hause? Dies
geschieht, als er nach Jahren als Kriegsmann im fernen Finn-
land dient. Er sieht die Birke, er fragt nach dem Krummen,
der Fremde steht vor ihm, und ruft sogleich in den Baum hin-
ein nach den schnellsten von seinen Jungen. Wetteifernd drängen
sie sich, endlich erhält einer, schneller als der Gedanke, Befehl
den Kriegsmann mit einem guten Geldsack in seine Heimat zn
tragen. Der Krumme war der Baumelf (puuhalijas) gewesen.^
Insofern die Elbe dem Menschen und Tiere seine Kraft,
sein Fleisch oder die Nahrung rauben (vgl. den Ausdruck Mit-
esser) konnten sie wol Diebe genannt werden. Indem man aber
misverständlich „was von ihnen gesagt wurde, auch auf mensch-
liche Stehler übertrug, kam man dahin zu glauben, Frau Wach-
holder könne Diebe zwingen, gestohlenes Gut zurückzubringen.
Man geht zu diesem Zwecke vor Sonnenaufgang zum Wachhol-
derbusch, beugt einen Zweig mit der Linken nach Osten bis auf
die Erde herab und legt einen Stein darauf, damit er nicht
emporschnellen kann, und spricht: Wachholderstrauch , ich tue
dich bücken und drücken , bis der Dieb dem N. N. sein gestohlen
Gut wiederbracht hat." Der Dieb wird kommen. Sobald er
aber das Gestohlene gebracht hat, muß man den Zweig lösen
Baume ausgehen, wo^ als üeberbleibsel einer älteren Stufe unsere Sagen-
familie. Ihre GrundTorstellung läßt sich so ausdrücken, daß wie der Baum
von den Geschossen, oder der Waffe im Sturme umfahrender mächtiger Dä-
monen (dem Blitz?) getroffen wird, ganz ähnlich der erkrankende Menschen-
leib den Schlag oder Stich der dämonischen Waffe empfindet.
1) Böcler-Kreutzwald, der Ehsten abergläubische Gebräuche, Peters-
burg 1854, S. 111 ff. 146.
Botra. 69
nnd den Stein genau an seine vorige Stelle legen. ^ Man taerke
wohl, wie genan diese Beschwörang der ob. S. 15 mitgeteilten
gleicht, welche den Baum bewegen soll, den Krankheitsdämon
nurflckznmfen. Dort wurde nämlich ein Stein auf eine Distel
gelegt Ganz dasselbe geschieht in Estland, sobald das erste
KoiB der neuen Ernte zum Dörren aufgestellt wird. Man legt
auf jedes Fensterloch eine große Distel und auf diese
einen Stein. Dann kann der Kobold während des
Dreschens das Korn nicht fortschleppen. Der korn-
stehlende Kobold oder fliegende Drache wird hier deutlich
in die Distel (als einen seinem Wesen entsprechenden Wohnsitz)
gebannt' Nun erklärt sich auch, weshalb in der schon erwähn-
ten Denkschrift von der Sudauer Bockheilignng Puschkait (s. ob.
8.63) bei Diebstählen ermahnt wird, den Dieb nicht über die
Giense zu lassen.^
Unbemerkt gelangten wir der Entwickelung des Baumkultus
folgend bereits an diejenige Stufe, welche wir in der Einleitung
ab die dritte bezeichneten, d. h. zu solchen mythischen Gestal-
ten, welche scheinbar mit Freiheit außerhalb der Pflanze sich
bewegen , mit ihrem Leben aber an das Geschick derselben gebun-
den sind. So kann die Baumnymphe zuweilen der Art von ihrem
Baume sich lösen, daß sie mit Menschen in ehelicher Gemein-
Schaft lebt In Böhmen gab es im Bidschower Kreise einmal
eine Familie, deren Mutter Nacht für Nacht ihren Körper ver-
fieß, um in eine Weide am Bache zu gehen. Als ihr Mann davon
erAdir, faUte er die Weide, aber im nächsten Augenblick starb
auch sein Weib wie von einer Sichel abgehauen. Nur die Liebe
ni den Kindern überdauerte die Verstorbene. Die aus der Weide
gemachte Wiege schläferte die zurückgebliebene Waise ein und
als diese heranwuchs und aus dem Weidengebüsch, das aus dem
1) J. W. Wolf, hess. Sag. Nr. 22. Vgl. Zingerle, Sitten, Aufl. 2.
S. 73, 620.
2) Böcler - Kreutzwald , der Ehsten abergl. Gebräuche , S. 142.
3) Aus Toppen, Abergl. a. Masuren*, S. 59 ist zu lernen, wie diese Vor-
steUungen sich weiter verzweigten. Ein Teil von dem geretteten Gut in
einen Baum (Birkenbaum, Pflaumenbaum) verkeilt, zieht, sobald es verdirbt,
den Tod des Diebes nach sich. Ist der Baum eine Espe, so muß der Dieb
zittern wie Espenlaub.
70 Kapitel L Banmseele: •
Baumstümpfe hervorwachs, sich Pfeifen verfertigte^ sprach wäh-
rend des Pfeifens die Matter mit ihr.^
§. 18. Chronologische Zeugnisse. Hiemit schließen wir
den schon breit genug ausgelaufenen Nachweis, daß und in wie
mannigfachen Gestalten der Volksglaube ein enges und magisches
Band zwischen dem Baume (resp. der Pflanze) und dem Men-
schen als vorhanden setzt. Wir trafen die Baumverehrung und
damit zusammenhangende Gebräuche und Anschauungen wesent-
lich in denselben Formen aus Skandinavien, Deutschland, Eng-
land , Litauen , Bußland , Böhmen und Frankreich bezeugt Bei
mehreren derselben fehlt es außer den inneren Anzeichen auch
an den äußeren Zeugnissen fUr ein hohes Altertum nicht
Wenn unsere Auseinandersetzungen über Yggdrasill richtig sind,
muß der Glaube an den Värdträd mindestens ins 8. — 10. Jahr-
hundert zurückreichen. Die ins Strafrecht der Holzgenossenschaf-
ten übergegangene Identifizierung des Baum - und Menschenleibes
ist älter als das 11. Jahrhundert (ob. S. 29); Herzog Bretis-
law n. von Böhmen (1092 — 1100) ließ Haine und heidnische
Bäume (lucos et arbores gentiles) umhauen (Cosmas Prägens^
üb. HI). König Knut der Große (1014 — 1035) verbietet in Eng-
land die Verehrung jeder Art von Waldbäumen (seniges cynnes
wudutreowa), König Eddgär (959 — 975) die eiteli;i Gebräuche
mit Holunder und manchen andern Bäumen (on ellenum
and cic on odrum mislicum treowum), S. Kemble, Sachsen in
England I^ 433. 436. Schmidt, Gesetze der Angelsachsen, Lpz.
1858. S. 272. Heilige Haine waren auch den Sachsenstämmen
des Festlandes gemeinsam. Noch Erzbischof Unwan von Bremen
(1013 — 1029) „ließ die Haine, welche die Marschbewohner sei-
nes Sprengeis in törichter Verblendung besuchten, niederhauen
und davon die Kirchen neu bauen" (Adam-Brem 1. H, c. 46) und
als Vicelin um das Jahr 1129 zu den Holtsaten in Faldera (Neu-
münster) kam , fand er , daß sie nichts weiter als den Namen von
Christen hatten, denn die Verehrung von Hainen und Quellen
und sonst noch mancherlei Aberglaube herrschte bei ihnen (Hel-
mold chronic Slavor. I. Cap. 47). Schon der Landtag zu Pader-
born im Jahre 785, wenige Jahre nach Christianisierung der
Sachsen bedrohte unter andern 'Resten des Heidentums mit Strafe
1) Grohmann, Abcrgl. a. Böhmen , S. 87.
Chronologische Zeugnisse. 71
„81 qnis ad fontes ant arbores vel Incos votom fecerit ant
aliqoit more gentiliam obtolerit'^ Monom. Germ. III , 49. Wenn
das Concil zu Nantes im Jahre 895 den Bischöfen die Aasrot-
tong der arbores daemonibns consecratae qnas volgns colit et in
tanta yeneratione habet, nt nee ramnm vel sarcnlmn audeat am-
patare zur Pflicht macht, so brauchen darunter keine andere als
£e Yom Baumgeist bewohnten verstanden zu werden (Myth.^
XXXY); ebenso wie der Baum, den der h. Amandus (f 671)
mter Nordfranken verehrt fand „idolum scilicet arborem, quae
ent daemoni dedicata^^ (Myth.* 63), keine andere Interpretation
fttlangt Auch die so oft von den Bußbttchem erwähnten obla-
tiones ad arbores finden durch S. 11 hinreichende Erklärung.
Wahrscheinlich schon im 7. Jahrhundert (Concil v. Ronen 650.
t4) übten Hirten und Fischer den Brauch yermittelst eines an
im leidenden Teil angebundenen Brodsttlcks oder Krautes Vieh-
knnkheiten in einen Baum zu verkeilen (S. £. Friedberg, aus
deotsehen Bußbttchem 26 ff. 66. 84 ff.). In noch frtthere Zeit
irdsen die 3- ^0. 34 beigebrachten Zeugnisse aus dem h. Eligius,
Ibroellus von Bordeaux und Plinius yalerianus. Wenn die Decrete
nd Buftbttcher der christlichen Kirche des Mittelalters in den
voifaingenannten Ländern bald nach der Bekehrung noch andere
Arten der Baum- und Hainverehrung als im Heidentum gewöhnlich
und aus diesem noch später übrig bezeugen z.B. Opfer, Gelübde,
Faekelanzttndung an Bäumen, so erklären sich auch diese teil-
weise aus den von uns dargelegten Formen des Kultus, teilweise
sehließen sie sich an andere Seiten desselben an, welche weiter
zu verfolgen unserm gegenwärtigen Zwecke femer liegt.
Kapitel 0.
Die Waldgeister und ihre Sippe.
§. 1. Ueberslcht. Der Erörterung der Baumseelen lassen
wir die Besprechung der Waldgeister folgen. War der einzelne
Baum beseelt, so mußte man sich den Wald von einer Vielheit
dämonischer Wesen erfüllt denken. Dieselben erschemen jedoch
nicht mehr als die immanenten Psychen der Baumleiber, sondern
als selbständige freiwaltende Persönlichkeiten, deren Leben an
dasjenige der Bäume gebunden ist , und deren Verrichtungen zum
Teile aus der Vorstellung des anthropomorphisierten Baumes
geflossen sind, die aber gemeinhin außerhalb der Bäume wohnen
und handeln. Man könnte es gewissermaßen als ein abgekürztes
Verfahren von Seiten der Phantasie bezeichnen , wird . es aber
natürlich finden, wenn schon einige wenige dieser Baumgeister
ausreichen, um coUectivisch den ganzen Wald zu vertreten und
wenn in die Vorstellung und den Glauben, die man von ihnen
hegt,- Züge übergehen, welche in plastischer Anschaulichkeit den
Eindruck verkörpern, den nicht sowol der einzelne Baum als die
Gesammtheit der Bäume mit ihren Lebensäußerungen auf die
menschliche Seele ausübt. So gelten nicht allein die mannig-
fachen Stimmen und Töne, die im Walde laut werden, sondern
auch die Bewegungen der Aeste für Anzeichen von dem Dasein
der Waldgeister, fttr Formen ihrer Lebenstätigkeit. Was wir oben
S. 42 wahrnahmen, bestätigt sich 'hier; im Bauschen der Blätter,
im Sausen und Brausen der erregten Luft macht sich die Baum-
seele, die Seele des Waldes selbst bemerkbar, es schweben die
Waldgenien im Wirbelwinde und Sturme dahin, und ziehen als
Jäger oder Gejagte in der wilden Jagd einher. Der grüne Wald
ist die großartigste üppigste und augenfälligste Entfaltung von
Pflanzenwuchs; deshalb "vrird der Waldgeist, indem er in aber-
maliger Begrifi'serweiterung generellen Character ammnmt, zum
üebenichi 78
Dlmon der Vegetation ; so dafi er sogar in dem Leben der Enltar-
pflanzen waltend, Korn und Flachs hervorbringend gedacht wurde.
Und sei es nun, daB von hier aus eine Uebertragnng stattfand,
oder daß aus dem Pflanzenwuchs in Feld und Alpenwiese sich
ganz gleichmäßig ebenfalls die Gestalten von Vegetationsdämonen
entwickelten , genug auch außerhalb der Wälder kennt der Volks-
glaube Berg- und Feldgeister, welche mit geringer Abweichung
den geisterhaften Waldleuten zum Verwechseln ähnlich sehen.
Der gemütliche und geistige Reflex localer Naturyerhältnisse allein
scheint alle diese Wesen durch individuelle Besonderheiten unter-
sdiieden zu haben. Die Holz- und Moosleute in Mitteldeutsch-
land, Franken und Baiem , die wilden Leute in der Eifel , Hessen,
Salzburg, Tirol, die Waldfrauen und Waldmänner in Böhmen,
die Tiroler Fanggen, Fänken, Nörgel und selige Fräulein, die
romanischen Orken, Enguane, Dialen, die dänischen EUekoner,
die schwedischen Skogsnufvar, endlich die russischen Ljeschie
bQden auf diese Weise eine einzige Sippe mythischer Gestalten.
Es wird unsere Aufgabe sein , im Folgenden die Zusammengehö-
rigkeit dieser Gestalten darzutun, um zugleich an ihnen die
charaeteristischen Eigentümlichkeiten in Eigenschaften und Ver-
richtungen zu beobachten und uns zum Bewußtsein zu bringen,
welche die Tradition diesen Wald- und Feldgeistem zuschreibt.
Etwas ausführlicher werden wir in dieser Auseinandersetzung bei
einigen Sagen verweilen müssen, denen wir später im grauen
Altertume bei Faunen, Satyrn, Panen und Silenen wiederbegeg-
nen und einen wesentlichen Beitrag zum Verständniß der Natur
dieser Wesen verdanken werden.
Wir beginnen mit einem au eine Volkssage oder Volksvor-
stellung angelehnten altnorwegischen Sinnspruch, der wirksamer
den nämlichen Gedanken ausdrückt, wie unser Sprichwort „Klei-
der machen Leute''. Das nordische Epigramm lautet: „Meine
Kleider gab ich auf dem Felde zweien Baummännern. Sie
dflnkten sich Helden, als sie Gewände hatten; der Schmähung aus-
ge43etzt ist der nackende Mann".^ Der einsame laub- und rinden-
lose Baum (o. S. 6) ist hier deutlich zu einem freibeweglichen
koboldartigen Wesen geworden; wie denn von hilfreichen Zwergen,
1) Vadir minar gaf ec velli at tveim tremonnum ; reccar I>at pottuz,
er peir rift hofdo, ueiss er neycciuidr halr. Hävain 49 Bagge.
74 Kapitel ü. Die Waldgeister und ihre Sippe:
HauBgeistem und Kobolden in Deutschland yielfach die Sage
vorkommt ; daß man zum Lohn ihrer Dienste und aus Mitleid
mit ihrer Nacktheit ihnen Kleider schenkt , sobald sie das sehen,
dünken sie sich zu yomehm zu' arbeiten und verschwinden.
Diesen aus der Baumseele hervorgegangenen nordischen Baum-*
männem stehen deutsche Waldgeister ganz parallel.
§. 2. Holz- und Moosfräulein. Wolbekannt ist in Mittel-
deutschland eine Klasse geisterhafter Wesen, ^ welche im Riesen-
gebirge isds ßüttelweiber, im Böhmerwalde und der Oberpfalz als
Holzfräulein, Waldfräulein, Wald weiblein , im Orlagau und
Harz als Moos weiblein, Holzweibel, um Halle als Lohjungfem
(von loch = lucus Gebüsch) bekannt sind und denen sich entspre-
chende männliche Gestalten Waldmännlein , Moosmännlein zugesel-
len.^ Die letzteren sind seltener, als die Moosweibchen und ganz
in Grün gekleidet. In der Gegend von Saalfeld bilden Hand-
werker, besonders Drechsler diese Wesen als Püppchen nach und
1) Die Ueberlieferung von diesen Wesen zeichnete unter Neuern zuerst
der Leipziger Magister Joh. Prätorius (f 1680) aus dem Saalfeldischen und
dem Riesengebirge auf in seiner Weltbeschreibung I, 691 — 94. Daemonologia
Rübenzahlii II, 134—136. Daraus Grimm D. Sag. I, 59-61. 360. N. 47.
48. 270. Mit ihm gleichzeitig sammelte in der Zwickauer Gegend Christian
Lehmann , der 1638—1688 Pastor zu Schoibenberg'war. Seine hiehergehörigen
Mitteilungen in s. „Histor. Schauplatz der Merkwürdigkeiten des meißnischen
Erzgebirges. Aufl. 3. Leipzig 1699. S. 78. 188. 757 sind, wie es scheint,
bisher unbeachtet geblieben. Später erwarb sich das grollte Verdienst darum
Pastor W. Börner zu Endschütz im Voigtland , der in s. Volkssagen aus dem
Orlagau Altenburg 1838 S. 188 — 235 8 Sagen mitteilte und noch mehrere
weitere Aufzeichnungen handschriftlich im Archiv des voigtländ. Vereins zu
Hohenleuben hinterließ Daraus schöpfte dann mit Hinzufügung einiges neu
gewonnenen Materials R. Eisel, Sagenbuch des Voigtlaudes Gera 1871; vor
Römer hatte bereits Schmidt, Topographie der Pflege Reichenfels 1827, mit
Sorgfalt und Glück gesammelt. Neben den Genannten sind wegen einiges
neuen Materialcs zu vergleichen A. Witschel, Sagen a. Thüringen Wien 1866 '»
J. A. E. Köhler, Volksbrauch im Voigtlande. Lpzg. 1867; sodann E. Sommer,
Sagen a. Sachsen u. Thüringen S. 7, 3. Die fränkische und oberpfalzische
Tradition verzeichnen die bekannten Bücher von Panzer und Schönwerth)
die Lausitzer Haupt, Sagenb. d. Lausitz I, 40 — 43. N. 36 — 41 und Gräve,
Volkss. d. Lausitz S. 56.
2) Auch in Franz Flandern kennt man moswyfjes , femmes de mousse.
Ich weiß über sie jedoch nichts anderes mitzuteilen , als was De Nore p. 339
von ihnen angiebt, daß sie zuweilen den Holzarbeitern im Walde sichtbar
werden.
Holz- und Moosfr&nleiD. 75
flt^en sie za Verkauf; zamal zu Weihnachten stellt man in
Beichenbach noch kleine Moosmänner auf den Tisch. Als Ober-
haupt der Moosfränlein wird an der Saale die Busehgroßmutter
genannt Die Mooslente beiderlei Geschlechts haben einen behaar-
ten Körper , jedoch ein altes runzeliges Gesicht, das an mehreren
Stellen gleich alten Banihstämmen ganz mit Moos bewachsen ist.
Eine Oberpfälzer Sage sagt , das Holzfralerl sah ganz mosig aus,
wie Wickelwerg, klein und ohne bestimmte Gestalt; eine Harzer
ans Wildemann beschreibt die Moosweiblein als ganz in Moos
gekleidet, das sie wie eine Decke, oder ein Fell umgab. ^ Ihr
Leben ist an das Leben der Waldbäume gebunden. So
oft ein Mensch ein Bäumchen auf dem Stamme driebt,
d. h. so lange umdreht, bis Rinde und Bast abspringen,
muß eines von den Waldleutcn sterben. Es ist mithin der
Trieb der Selbsterhaltung, der sie veranlaßt den Menschen, mit
welchen sie zusammen kommen, als gute Lehre einzuschärfen:
„Schär keinen Baum^'^ oder „reiß nicht aus einen
1) Eisel, Sagenbach des Voigtlandes S. 22 Anm. ** nach einer Auf-
zdchnimg Börners. Schönwerth II , 359 — 368. Pröhle , deutsche Sagen 37, 8.
2) Borner a. d. Orlagau S. 190. Der vollständige Spruch der Waldweib-
chenlautet: ,,Pip' keinBrod, schäT keineuBaum, erzähT keinen
Traum, back' keinen Kümmel ins Brod, so hilft dir Gott in aller Not."
Alle diese Verbote tun die Waldgenien um ihrer selbst willen. Dieselben
pflegen nämlich gerne von den frisch gebackenen Broden aus
dem Backofen zu stehlen. Gepiptes , d. h. durch Eindrücke mit den
Fingerspitzen bekreuztes Brod aber dürfen sie als heidnische Wesen nicht
anrühren. Der Kümmel scheint die Wirkung zu haben, an die Stätte fest
m bannen, so daß die Diebe mit ihrem Raube nicht fortkommen würden. (?)
Vgl. Witschel , Sagen aus Thüringen S. 241, 243. Wir werden später anders-
wo die Vermutung begründen, daß die Sage vom Brod -Mehl - u. s. w. -Diebstahl
der Wald- und Feldgeister , Hausgeister u. s. w. nur eine andere Form jenes
Komdäm. S. 8. 32 besprochenen Glaubens sei, daß die Vegetationsgeister,
«nter Umstanden aus Haus- und Vorratskammern die ihnen im Herbst ent-
wendete Frucht stehlen, den Kornboden u. s. w. leerfressen. Das Verbot einen
Traum zu erzählen erläutert sich trefflich durch den folgenden irischen
AbeigUuben: Erzähle nie einem lebenden Menschen nüchtern einen Traum.
Gehst du neun Morgen nüchtern an einen Baum voll Laub und
sigst ihm einen Traum, so wird nach Verfluß dieser Zeit kein
Blittchen mehr am Baum, er wird ganz vertrocknet und ver-
welkt sein (K. v. K. Erin VI, 446). Bei Panzer warnt die Holzfrau gradezu:
„erzähl' keinen nüchternen Traum.*'
76 Kapitel IL Die Waldgeister und ihre Sippe:
fruchtbaren Baum."* Unter dem fruchtbaren Baum ist hier
noch ganz altertümlich (s. o. S. 39) nicht der Obstbaunrzu ver-
stehen, sondern der Waldbaum, welcher Eckern (d. h. Frucht^
goth. akran *) trägt, Eiche oder Buche. Das Verbot des Baam-
schälens gewinnt durch die vorhin besprochenen Strafen (o. S. 26
— 32) ebensowol einen tiefen und realen Hintergrund, als es
unserer Auseinandersetzung darüber zur Bestätigung gereicht
Wenn es zuweilen heißt, daß die Holzfräulein lange gelbe Haare
haben,* so darf vergleichsweise darauf hingewiesen werden, daß
in dichterischer Sprache nicht selten das Laub der Bäume als
deren Haar bezeichnet wird.^ Lassen diese Angaben noch die
Ansicht durchblicken, als wenn die Waldleute den Bäumen des
Waldes als deren Elementargeister immanent seien, so zeigen
andere Aussagen sie in freier Tätigkeit, so jedoch, daß noch
mehr als ein Characterzug eine fortwährende Erinnerung an ihr
Baumleben bewahrt. Sie wohnen in hohlen Bäumen , nach andern
in Mooshütten , betten ihre Kinder auf Moos oder in Wiegen von
Baumrinde, schenken grünes Laub, das sich in Gold verwandelt
und spinnen das zarte Miesmoos, das oft viele Schuhe lang von
einem Baume zum andern gleich einem Seile hängt. Denn davon
haben sie ihr Gewand. Daher sollen sie auch wunderbare nie
endende Garnknäuel an ihre Lieblinge vergaben.^ Anderes Tun
von ihrer Seite characterisiert sie — wie es scheint — als Genien
eines großem Vegetationsgebiets oder den Vegetation überhaupt
1) Panzer Beitr. z. d. M)i;h. II, 161, 260.
2) Vgl. Müllenhoff, zur Runenlehre S. 29.
3) Beschreibung von Königshain 1752. S. 61. Haupt, Sagenbuch der
Lausitz I, 40, 37.
4) Hense , poetische Personification S. 6 ff.
5) Es ist lehrreich , wie schon auf kleinem Gebiete durch Differenzierung
und Verdunkelung der ursprünglichen Beziehungen die Vorstellung ausein-
andergeht. Zu Münchberg am Fichtelgebirge spinnen die Holzfräulein das
Muusmoos von den Bäumen. Schönwertfi 11, 378. Ebenso lautet die
Beschreibung von Naab: Ihre Kleidchen waren von Baummoos, das sie
von den Bäumen mit einer Spindel spannen. Ders. a. a. 0. 366, 10
von Windischeschenhach in der Oberpfalz. Dagegen berichtet Panzer II,
160, 255 noch das Ursprünglichere. Holzfräuleingarn nennt man die
Moosfäden (meisfadn.) , welche die Holzfräulein aus Moos (meis) spinnen und
um die Baumäste wie um einen Haspel winden. Solche Aeste
wurden von den Alten abgehauen , die Fäden sorgßtltig aufbewahrt. Denn
das Holzfräuleingarn bringt dem Hause Glück und Segen.
Holi- und Maoflfiränlein. 77
Denn wie andere wäre der Zug zu deuten y daß man z. B. in der
Oberpüdz beim Leinsäen einige Kömer ftlr das Holzfränlein in
die Btlsche des nahen Waldes warf? War die Leinsaat aufge-
gangen; so verfertigte man bei Gelegenheit des Jätens aus den
Bestehen von Flaehsstengeln ein Httttchen und rief:
■
Halzfrall dau is daft Dal!
Gib an Flachs an kiftftinga Flang,
Nan hob i nn du gnang.*
Auch bei der Ernte läßt man im Frankeuwalde drei Hände
T(ril Flachs für die Holzweibel auf dem Felde liegen.^ Zu Neuen-
hammer in der Oberpfalz bindet man beim Ausraufen des Flachses
vom Felde 5 — 6 Halme, die man stehen läßt, oben in einen
Knoten zusanmien, damit das Hulzfral sich darunter setze und
Schutz finde. Auch kleidet sich das Hulzfral in Flachs-
halme.' Man traf einst ein solches zur Erntezeit ganz
inFlachshalme eingewickelt auf einem Baumstumpf im Walde
sitzen; Elmtearbeiter nahmen es mit nach Hause. Es sprach eine
iiiTerständliche Sprache und winselte so lange, bis man es
wieder an seinen Ort brachte.*
Jener Flachsbttschel, welcher vielfach (z. B. Pilsen in
Böhmen) auf dem Acker stehen bleibt,^ wird mitunter
(z. B. Küps bei Kronach in Oberfranken) in Gestalt eines
Zopfes geflochten und jubelnd umtanzt^ wobei die jungen
Leute rufen:
Holzfrala, Holzfrala! '
Flecht ich dir a Zöpfla
Auf dei nackets Eöpfla.<*
Panzer bringt aus dem Coburgischen eine Variante bei,
welche besagt, daß man schamhaft bemüht sei, dem durch das
Abernten des Flachsfeldes entblößten Mutterschoße der Holzfrau
eine Hülle zu bereiten.^ Aber nicht allein bei der Flachsernte,
1) Schönwerth , a. d. Oberpfalz II, 369 ff.
2) Schmidt, Topographie der Pflege Reichenfels S. 147. Myth.« 403.
3) Schönwerth, U. 360.
4) Schönwerth, II, 362.
5) Panzer U , 160, 254.
6) Das Flechten des Zopfes ist eine ältere Emtesitte, über welche ich
einstweilen auf m. Eorndämonen S. 23 yerweise.
7) Panzer H, 161, 257. 551.
78 Kapitel II. Die Wftldgeister nnd ihre Sippe:
auch bei der^Heu'- und Kornernte bedenkt fromme Einfalt
die Uolzweibchen. Im Amte Sonneberg bei Meiningen, überhaupt
im Meininger Oberland, bei Culmbach in Oberfranken u. s. w.*
läßt man, wenn das Grummet eingefahren wird, ein kleines Häuf-
chen Heu auf der Wiese liegen und sagt, das gehöre den Holz-
fräulein, oder dem Hulzfräle für den gebrachten Segen. End-
lich ist aus dem Böhmerwalde, der Oberpfalz und Oberfranken
auch die Sitte bezeugt auf dem Fruchtacker einige reife Aehren
der Ernte, einen Bilschel, als dem Holzfräulein, der Holzfrau,
dem Waldfräulein zugehörig stehen zu lassen,^ dann soU man
im nächsten Jahr desto mehr Segen in ihre Komscheuera ein-
heimsen. Und nicht minder bleibt zu Guttenbcrg B. A. Stadt-
steinach in Oberfranken auf jedem Obstbaum etwas von
der Frucht flir das Holzfräulein hangen.^
Deutlich erkennt man in diesen Gebräuchen die folgenden
Anschauungen: Wie wir oben dieselben Geister bald den Baum,
bald niedere Pflanzen bewohnen, von ihnen ausgehen und zu
ihnen zurückkehren sahen, so zeigt das nämliche Wesen, wel-
ches in der Vegetation des Waldes wirksam ist, sich auch in
dem Leben des Korn- und Flachsfeldes und der Graswiese reg-
sam. Es lebt in ihnen und lebt ihr Leben mit. Daher sind die
Flachshalme die Hülle seines Leibes, darum entblößt ihm das
Ausraufen der Halme Kopf und Schoß. Aber daneben her läuft
wieder die andere Wendung dieser Vorstellung, daß es im Felde
wohne und den Halmen guten Schutz zum Wachstum gebe.
Daher bereitet ihm fromme Sorgfalt ein Hüttchen. Man darf
1) Mündlich, außerdem Witschel, Sitten und Gebr. a. d. Umgegend von
Eisenach. 1866. S. 16. Panzer II, 161,259. In der Oberpfalz taten die
Leute beim Heumachen stets einen Teil unter einen kleinen Busch , drückten
mit der Hand segnend drei Kreuze drauf und beteten drei Vaterunser, daß
das wilde Heer den Holzweiblein nicht ankomme. Schönwerth II, 378. In
Ahomberg bei Münchberg in Oberfranken reilit man von jeder Fuhre Heu
etwas ab und wirfts auf die Erde, damit das Holzfrala sich darauf setzen
könne, wenn sie von dem Bösen umgetrieben wird.
2) Panzer II, 160, 254 — .55. 161, 259. Außerdem z. B. Warmensteinach
B. A. Baireuth, Pressek, L. G. Stadtsteinach.
8) Mündlich. Zu Pommersfelden , Bez. A. Höchstädt in Oberfranken
tritt für das Holzfräulein „das Wetterfräulein*' ein, dem der letzte
Apfel, die letzte Birne auf dem Baume zugeeignet und ungepflückt belas-
sen wird.
Holz« and MoosfräuleiiL 79
alle diese Bilder and mythischen Vergleiche nicht bis ins Ein-
lebe ausmalen; zu ihrem Wesen gehört eine reizvolle Unbe-
stimmtheit Der geistige Eündmok, den die Natur macht , hat
sieh in ihnen zu lebendigen Gestalten verkörpert^ welche ein-
zelne Zlige der bildlich angeschauten Wirklichkeit entlehnen , mit
den übrigen aber durch eine freie Schöpfung der ergänzenden
Phantasie beschenkt sind. Die einmal gewordene Gestalt lebt^
da sie im Volksglauben eine erträumte Realität besitzt , weiter
nod entwickelt, verändert sich in den Köpfen der Gläubigen.
Es kann daher uns nicht auffallend sein, neben den dargelegten
Anschauungen der andern Auffassung zu begegnen , daß das Holz-
wdbehen Eigentümerin des Flachses, Getreides, Grases sei und
deshalb ihm wenigstens ein Anteil, ein Büschel, eine Handvoll
gelassen werden müsse, während der Mensch das Uebrige in
seinem Nutzen verwendet lieber diese in analogen Emtiege-
brinchen vielfach hervortretende Meinung verweise ich einstweilen
ttf Komdämonen S. 7. 8. 22.
Mehrfach wird erzählt, daß die Holzfräulein mit Menschen
Verbindungen schlössen.^ Das ist vielleicht ein Reflex des tiefen
onwiderstehlichen Eindrucks, den die Waldnatnr auf das Gemüt
ausübt Auf einer jungem Entwickelungsstufe zeigt sich der
Glaube an die Moosweibchen (Holzfräulein) in der Angabe, daß
sie zur Erntezeit aus ihrem Walde hervorkommen , um die Mähen-
den zu necken, oder beim Heumachen allerlei Mutwillen zu trei-
ben, oder um den Menschen beim Heuen und Komschneiden als
Tfistige Arbeiter zu helfen.' Dachte man sich ehedem einmal die
Graben der Ernte als ihr Werk, so war es ein Schritt zu der
Annahme, daß sie auch der Emtearbeit Segen verliehen und so
mochte sich die Vorstellung von persönlicher Mithilfe dabei her-
1) Der Bitter findet nach Jahren seinen mit der Waldfrau erzeugten
Knaben auf der Jagd verlassen unter einem Baume sitzen, nimmt ihn uner-
kannt auf und erzieht ihn; er wird eine Art starker Hans und soll einst als
Kraftprobe einen mächtigen Holzstoß kleinhauen; aus dem dann das Holz-
fräolein hervorkommt nnd ihn dem Vater zu erkennen giebt. Schönwerth
n« 371 , 17. Bechstein , Thüring. Sagenbuch nach Bömer im Yoigtländ.
Archiv. S. Eisel, Sagenb. d. Voigtlandes, 23, 41. Grohmann, Sagen a.
Böhmen, S. 130. 131.
3) Voigtländ. Altertumsarchiv 13 bei Eisel, Sagenb. d. Voigtl., 25, 45.
Bömer, Sagen d. Orlagaus, S. 189, 227. Grohmann, Sagen a. Böhmen, S. 127.
80 Kapitel ü. Die Waldgeister und ihre Sippe:
Yorbüden. Immerhin kami dieser Zag trotz relativ jttngem Alten
in sehr frtlhe Zeit hinaufreichen. Ihm schließt sich aber eine
ganze Reihe von andern Erzählungen an^ nach welchen unsere
Waldleutchen in den Dienst der Bauern treten, fleißig das Yieli
im Stalle besorgen und flittem, auf der Mühle mahlen und Brod
backen,^ wogegen man ihnen die Ueberbleibsel der Mahlzeiten
hinstellt. So lange sie im Hause weilen, ist Glück
und Segen bei den Bewohnern. Man darf sie aber niclit
mit einem neuen Kleide flir die nur ärmlich und dürftig verhüllte
oder ganz unbedeckte Blöße ihres haarigen Leibes beschenken^
denn dann verschwinden sie augenblicklich.^ Ebenso verschwin-
1) Verschiedene Male kehrt die Sage wieder, wie jemand (zumeist ein
auf dem Acker pflügender oder das reife Korn schneidender Knecht) hörte,
daß die Holzweihehen hacken wollten. Er rief ihnen zu , sie möchten doch
für ihn mithacken. Da stieg ein schöner Kuchen aus dem Boden auf. Aehn-
liches aher wird von den Unnererdsken und den Zwergen erzählt. Aus der
Furche des Ackers lassen sie ein Brod, einen Kuchen, ein mit einer leckem
Mahlzeit hesetztesTuch, ein ,, Tischchen deck dich*' emporsteigen. Darf die-
ses Mahl auf die Tafel gedeutet werden, welche die Elementargeister durch
das reife Kornfeld und die Baumfrucht dem Menschen und den Tiaren all-
jährlich decken? Mich dünkt diese Bedeutung sei noch ziemlich durchsichtig
in der Mitteilung von Chamhers, populär rhymes p. 33: It was tili lately
believed hy the ploughmen of Cljdesdale , that if thcy repeated the rhyme :
Fairy, fairy, hake me a hannok and roast me a coUop,
And ril gie ye a spurtlc off my gad end
threc several times, on tuming thcir cattle at the terminations of ridges,
they would find the said farc prepared for them on reaching the end of the;
fourth furrow. (Vergl. Kuhn, Nordd. Sag. Nr. 189, Anm.) Andererseits giebt
es in der Oberpfalz noch manche Häuser, in welchen man beim Brodbacken
für die Holzfräulein ein oder zwei Kuchen mithackt und auf dem Heerde
läßt. Schönwerth II, 377.
2) Eine interessante Sage bei Schönwerth II, 379, 21 aus Pfaffenreuth
bei Eschenbach sagt uns, daß die Zeit dieser Arbeit in Haus und Viehstall
des Bauern der Winter war. War das Fräulein nicht bei den Tieren, so
saß es Tag und Nacht auf dem Ofenmäurl; es sah blaß aus und trug einen
zerrissenen Rock von Leinwand. Die Leute mußten ihm dreimal des Tages
ein weniges von ihrem Essen hinstellen. Gegen das Frühjahr, als man das
Vieh austrieb, ging sie in das Gehölz des Hofbesitzers hinaus. Die Lente
stellten ihr dann das Essen auf einen Stock, worauf sie herkam und es
holte. Das leere Geschirr stellte sie wieder dar. Als ihr die Bäuerin ein
Kleid machen ließ, jammerte sie und sagte, jetzt müsse sie auf's neue
so lange leiden, bis dieses Kleid zerrissen sQi. Auch andere
Kobolde und Hausgeister ziehen fort sobald sie ein neues Gewand erhalten,
Holz- und Moosfräalein. 81
den sie, wenn man in ihrer Gegenwart einen Finch an8st?^ßt
Alle diese Zflge, die Pflege der Hanstiere, die Mitarbeit bei den
hloBlicheii Verrichtnngen , das Verschwinden bei Empfang eines
neaen Gewandes nnd die Entgegennahme von Speiseresten als
OgUches Opfer sind Zflge, welche in deutscher Sage allen Kobol-
den und Hausgeistern gemein sind. Wir entnehmen aus dieser
Tatsache einstweilen nichts anderes, als die unbestreitbare Wahr-
heit, daB auch die Waldfrauen (Moosweibchen, Holzfräulein,
Holzmännlein n. s. w.) in Hausgeister übergehen, wie der Baum-
gdst, von welchem oben S. 44 die Rede war. Auf die Kräuter
des Waldes verstehen sich diese Wesen gut und helfen damit
den Menschen bei Krankheiten. Zur Zeit der Pest kamen
iie Holzfräulein aus dem Walde und ri>efen: Eßt Bi-
lellen und Baldrian, so geht euch die Pest nicht an.
Pnd einem Tagelöhnerweibe hilft eine Waldfrau in
der Kindesnot mit der schönen blauen Blume Nim-
mer weh. ^ Auch die Moosweiblein von Wildemann teilten Wan-
derern Wurzeln und Kräuter zur Nahrung und Gesund-
heit mit.* Nicht minder lehrt das Moderwitzer Moos weiblein
Heilmittel gegen Krankheiten der Schafe.^ Aus diesen
■DT daß der Beweggrund ihres Yerschwindens verschieden angegeben wird,
z. B. als kindischer Stolz wegen der Kleidung. Da aber schon Korndämonen
S. 19. 41, Anm. 54. 6. 7 das Zosammen fallen der Hausgeister und Kobolde
mit Komdämonen wahrscheinlich gemacht ist, welche in Haus und Hof des
Aekerwirts überwintern , und da diese Annahme durch unsere weiteren ünter-
suchongen vielfache Bestätigung fanden wird, darf gefragt werden, ob obige
Sage nicht etwa den Schlüssel zu jenem seltsamen Sagenzuge liefere. Der
I>ämon der Vegetation erweitert sich zum Genius des Wachstums überhaupt
und zieht sich im Herbst, wenn der Sturm das Moos- und Blätterkleid der
Biome zerreißt, in Hof und Haus des Landmanns zurück, um hier als seg-
nender Ebkusgeist für Gedeihen und Wachstum zu wirken; er kehrt zu Wald
ud Flur zurück, sobald er im Frühlinge ein neues Gewand bekommt und
seine Pfleglinge die Tiere wieder im Freipn ihren Aufenthalt nehmen. Daß
die Holzfrau [sich beklagt wiederum leiden zu müssen, bis auch dieses neue
Kleid zerrissen sei. verrät diejenige Anschauung, wonach die Baumnymphe
«ine arme Seele sei, welche in den Körper der Pflanze gebannt mit deren
Tode erlost, frei wird.
1) Panzer II, 161, 258. 205, 357. Vgl. Schönwerth II, 380, 24. Hier
ruft das Holzfräulein: Eßt grüne Kramelbir und Binmaln, so wird die Pest
niederfalln.
2) Prfthle, D. Sag. 37, 8.
3) Thuringia 1842, S. 271. Witschel, Sagen a. Thüringen, 234, 235.
Maanhardt. 6
82 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
Beispielen geht hervor , daß die Moosleate und Holzfränlein
als krankheitabwehrende, gesandheitverleihende Wesen gedadht
wurden. Im Verein mit dem Glauben an deren KoUe als segen-
bringende Hausgeister geht dieser Zug — wie später klar wer-
den wird -- aut' die Grundvorslellung zurück, daß sie Geister
des Wachstums seien, mithin auf die nämliche Ansohauung^
welche sie auch im Leben des Ackers wirksam sein ließ.
Der Glaube von den Holzfräulein nimmt jedoch vermöge des
ob. S. 39 entwickelten Gedankenprozesses zuweilen die Wendang,
daß diese Genien ftlr arme Seelen erklärt werden. Auf diese
Eigenschaft bezieht sich der Brauch, für die Holzfräulein die bei
den Mahlzeiten übrig gebliebenen Brosamen in den Ofen zu wer-
fen, die beim Herausschöpfen am Rande der Schüssel hangen
gebliebenen Tropfen, das am Kübelreifen sitzen gebliebene Mehl
ihnen zuzueignen.^ Wenigstens die erstere Sitte ist ein auch
sonst in Norddeutschland wie Süddeutschland den armen Seelen
dargebrachtes Opfer. ^
Der Moosweibchen und zugleich der armen Seelen erbitterte
Feinde sind die Geister der wilden Jagd, in der Oberpfalz auch
die Holzhetzer genannt. Dieselben fahren bekanntlich im Sturm-
winde und Ungewitter durch die Wipfel des Waldes daher. Prä-
torius zeichnete vor 200 Jahren aus der Umgegend von Saalfeld
die Sage auf, wie der wilde Jäger unsichtbar mit seinen Hunden
die Moosleute jagte. Der Schall seines Hernes und das (xebell
der Hunde war weithin hörbar. Ein Bauer, dem sein Vorwitz
eingab in den Jägerruf einzustimmen, fand am andern Morgen
an seinem Pferdestall das Viertel eines grünen Mooswcibcheng
autgehängt.' So jagt schon der Sturmriese Vasolt nach dem
Eckenlied ein wildes Fräulein im Walde *, in Schlesien der Nacht-
jäger die mit Moos bekleideten Rüttelweiber. ^ Um Halle hetst
der wilde Jäger, der ohne Kopf auf seinem Schimmel durch die
Luft fährt, mit vielen Hunden die Lohjungfem; im Voigtlande,
1) Panzer II, 69, 92. Scliönwerth II, 360, § 33, 1. § 34, 4. 365, § 34,9.
2) Vgl. Wuttke « 275 § 430.
3) Prätorius, Weltbcschreibung I, 693. Grimm, d. Sag. I. 60,48.
4) Eckenlict Str. 161 — 201. Zupitza. Vgl. Myth.» CXXXU, Myth.*
1231. Vgl. 304. Simrock, Handbuch d. d. Myth.« 441. Mannhardt, Götter-
wolt, S. 119 Anm. *.
5) Prätorius, Rübezahl II, 134—136. Grimm, D. Sag. 360, 270.
Holz- und Moosfränlein. 83
Oiiagan, Franken nnd Oberpfalz jagt der wilde Jäger die Holz-
weibehen oder Holzfränlein nnd ihre Männchen. Bald fällt der
halbe Leib eines dieser Wesen, bald ein Fnß mit grünem Schah
beUeidet dem nachrufenden Spötter gleichsam als sein Jagdanteil
aas den Wolken herab. ^ Nur dann haben die kleinen Wald-
leate Ruhe , wenn sie sich auf einen Baumstumpf retten kOnnen,
aufweichen der Holzhauer während der Baum fiel „bevor
er im Sturz mit der Spitze den Erdboden erreichte" oder „wäh-
rend der Zeit, daß der Schall des fallenden Baumes
noch hörbar war," mit scharfer Axt drei Kreuze in einem
Zwickel oder keilförmigen Dreieck einhieb. Deshalb
unterlassen die Holzhauer es selten in der angegebenen Weise
fe Stöcke zu kreuzen und man sah deren in der ersten Hälfte
fa Jahrhunderts noch viele in den Wäldern; Bömer erwähnt
Hmentlieh die Waldungen des Saalufers, vornehmlich bei
Hmgers- oder Hunnenbui^; Schwanthaler sah dasselbe in den
Nadelwaldungen bei Bamberg. Es müssen aber jedesmal 2 Arbei-
ter dabei beschäftigt sein, weil einer es nicht so schnell fertig
bringt Durch jeden so gekreuzten Stock soll ein Holzweibel
erlöst werden. Es setzt sich darauf und dann kann ihm die
wüde Jagd nichts anhaben;* nach andern werden die Holzträu-
lein durch drei Kreuze auf den Stöcken unschädlich,* nach
noch andern können sie dann ihre Wohnung, die sie
bis dahin im Baume gehabt hatten, behalten.^ Um
den Holzweibein vor ihrem Feinde noch mehr Schutz zu bieten,
sind „über Mittag" auch auf allen Ackergerätschaften (Eggen
und Pflügen) dergleichen Kreuze angebracht wotden.^ Auch
zwischen den beim Schluß der Ernte auf dem Acker stehen
gelassenen Flachshalmen sucht und findet die Holzfrau Sicherung
1) Sommer, Sag. a. Sachsen u. Thüringen, S. 7 Nr. 3., cf. S. 167.
Börner a. a. 0. 212. 222. Schönwerth II, 162. Kuhn und Schwartz, Nordd.
Sag. S. 478. S. A. 76. Panzer II, 70 ff.
2) Borner, Sagen des Orlagaus, S. 220. Eisel, Sagenbuch des Voigt-
laiides 28, 56. Panaer II, S. 69—71. Schönwerth II, 162. 360. 378. Köh-
ler, Volksbrauch 454.
3) Eisel a. a. 0. 28 , 56.
4) Schmidt, Topographie der Pflege Reichenfcls bei Köhler, Volks-
brauch im Voigtlande II, 45.
5) Bömer, Orlagau S.213. Eisel a. a. 0. 28, 56.
6*
84 Kapitel Ü. Die Waldgeister und ihre Sippe:
vor dem wilden Jäger. ^ Waldmännlein und Waldweiblein ver--
gelten den Holzhackem ihren Liebesdienst damit, daß sie die-
selben zur Nachtzeit ohne Irrgang aus dem Forste
geleiten, auch manchmal abgeworfene Hirsch- und
Behgeweihe finden lassen.^ Es scheint mir nnverkennbari
daß die Bekreuzung der Baumstümpfe — selbst wenn sie etwa
ursprünglich den nüchtern praktischen Zweck gehabt haben sollte,
die abgehauenen Stämme als rechtmäßig nach Anweisung durch
den Bannwart gefällte zu bezeichnen — nur deswegen in der
kurzen Zeit geschehen sollte, während der Baum fällt, damit die
Baumseele nicht entweiche, sondern noch rechtzeitig der geöfihete'
Baumleib durch ein magisches Siegel gleichsam wieder geschioft-
sen und zugleich gegen Eindrmglinge von außen her geschützt
werde. Nach vorhin mitgeteilten Sagen soll man ja den vom
Tomtegubbe bewohnten Baum nie ganz umhauen; der Elf stirbt,
wenn der Baum mit den Wurzeln ausgerissen wird; auter Um-
ständen lebt der Dämon also auch noch im Baumstumpfe fort
Es ist mithin wol begreiflich, weshalb im bekreuzten Stocke
(truncus) die Moosleute ihre Wohnung behalten können. Die
wilde Jagd ist eine Personification des baumerschüttemden Sturm-
windes. Wie nun der estnische Baumelf (ob. S. 68) vor dem
Gewitter erschreckt in die tiefsten Wurzeln zurückweicht, ist
auch der Sturm, der manchen Stamm damiederstreckt, den
Baurageistem gefährlich und veranlaßt sie, sich in ihre Pflanzen-
hülle zurückzuziehen. Der unberührte Baumstamm ist keinen
Augenblick davor sicher , der Wut des Sturmriesen zum Opfer za
fallen , aber dem abgehauenen Baumstumpf kann derselbe nichts
mehr anhaben. Dieses nmß der anfängliche Gedankenkreis sein,
aus welchem nach mehrfachen IVIittelgliedem die Vorstellung
erwachsen ist, daß die Moos - und Holzleutc auf bekreuzten Stöcken
vor dem wilden Jäger Schutz fänden , und von da aus vollzog sich
in Folge der Identifizierung der Holzfrau mit dem Getreidedämon
die weitere Uebertragung des Schutzortes auf Ackergerätschaften,
während das Flüchten in die letzten Flachshalmc wol nur wie-
derum besagt, daß der Genius der Pflanze sich beim Sturm in
seine eigene Haut zurückziehe, wie die Schnecke in ihr Häuschen.
1) Schonwerth II. 3«0.
2) Panzer II, 70, 93.
HoU- und Moosfränlein. 85
Doch es erübrigt die Holzleute noch von einer nenen Seite
kennen zu lernen. Einem Waldweibchen war der Schiebkarren
gebrochen. Sie bat einen Vorübergehenden ihr denselben aasza-
bessern. Während dies geschah, steckte sie ihrem Helfer eifrig
die herabfidlenden Späne in die Tasche. Der warf sie verächt-
lieh heraus, einige wenige aber, welche er nicht beachtet, hatten
sich am andern Tage in harte Taler verwandelt^ Die nämliche
Sige er^Uilt man in allen wesentlichen Sttlcken ttbereinstinmiend
wa Frau Gauden (Gdde) Holla und Perchta, sie lassen sich ihr
itfbrochenes Gefährt (Wagen oder Pflug) zinmiem, oder einen
Pfidii zuspitzen, oder arbeiten selbst daran, so daß die Späne
iegen. Diese herabfallenden Splitter werden schieres rotes Gold. *
Qode^ Holla und Perchta fahren im Sturme daher. Während
ier die Waldleute nach den vorhin angeiUhrten Sagen der wil-
kß Jagd als Jagdobject dienen, sind diese mythischen Frauen
«ddie Wesen, welche in übereinstimmenden Ueberlieferungen als
Anfthrerinnen der wilden Jagd an der Spitze derselben auftreten
nd dn gespenstiges Wild veriblgen, auch wol Menschenfuß und
Measchenlende dem Spötter aus den Wolken zuwerien.^ Auf im
Stunne waltende Wesen passt — wie es scheint — sehr wol die
Deutung, welche W. Schwarz den goldenen Spänen des zerbro-
chenen Gefährtes gegeben hat, indem er au die Aehniiehkeit des
rollenden Donners mit dem Getöse rollender Wageü und an jene
ditmarsische Auffassung des Gewitters erinnerte, wonach „ der Alte
da oben am Himmel wieder einmal fahrt, und mit der Axt an
die Räder schlägt" * Danach wären also jene Sagen der Nieder-
schlag eines großartigen Naturbildes. Im tobenden Gewittersturm
wird der zerbrochene Wagen der wilden Jägerin verkeilt und die
1) Börner, Sagen des Orlagaus S. 205.
2) Frau Gauden: M>th.-^ «78 ff. Gode: Kuhn.Nordd. Sag. 2, 1. Holle:
(irinun, D. Sag. 1, 10, 8. Frau Perchta: Jiorncr, Sagen d. Orlagaus S. 118.
126. 173. 182.
3) Frau Gauden: M>th.* 877. Kuhn, Nordd. Sag. 3, 2, 4. Frau
Holle: Mannhardt, Mythenforsch. 202. Perchta: J. V. Zingerle, Sagcn^
Märchen, Gebrauche. Innsbruck 1859. S. Iti N. 22. Landsteiner, Koste des
Heidenglaubens in Sagen und Gebräuchen des niederösterreich. Volkes. Krems
lö69. S. 34— 36.
4) Müllenhoff, Schleswigholst. Sag. S. 358.
86 Kapitel ü« Die Waldgeister und ihre Sippe:
goldgelben Blitze sind die herabfallenden SpSne. ^ Sei nun diese
Deutung richtig oder nicht , jedenfalls nötigt uns die Ueberein-
Stimmung der beigebrachten Ueberlieferungen mit der Sage Yom
Schubkärrchen des Moosweibleins entweder in letzterer eine nur
fälschliche Uebertragung eines ursprttngUch fremden Mythenzuges
anzunehmen y oder zuzugestehen , daß auch die Moosweibchen im
Sturme durch die Luft fahrend gedacht wurden. Dabei kaj|^ es
uns zunächst ganz gleichgiltig sein, ob sie als Jagdobject dientnii ^
oder selbst als Jägerinnen auftreten, falls in der Tat die fliegen-
den Späne nur ein bildlicher Ausdruck für gey^isise Vorgänge
beim Gewittersturme sind. Nun haben wir nicht allein schon
oben S. 42 gesehen , daß Geister , welche man im Baume hausend^
dem Baum einwohnend sich vorstellte y gleichwol auch im Stumie
daherzogen, sondern es giebt auch sonst noch Spuren , welche
verraten y daß man im Wmde die Umfahrt der Waldfrauen ver-
nahm. In Westfalen sagt man beim Wirbelwinde y,da fliegen
die Buschjungfern.^^^ Die Leute um Warmsdorf im nördlichen
Böhmen glauben fest an das Dasein des Buschweibchens; es
erscheint als steinaltes Mtltterchen y mit schneeweißen wild herab*
hängenden Haaren und moosbewachsenen Füßen, auf einen Enoten-
stock gestützt y und beschenkt mit gelben Blättern , die zu Gold
werden. Wenn im Frühlinge und Herbste zerrissenes Nebel-
gewölk vom Gebirge aufsteigt, wenn ,,der Wald raucht'^, so
pflegt man zu sagen „das Buschweibchen kocht'^ Jene
Nebelstreüen werden als der Bauch von seinem Heerde bezeichnet
Naht im April ein Hagelschauer, so ruft man „das Buschweib-
chen steigt über das Gebirge."^
§. 3. Wildleute In Böhmen. Bei den Czechen entsprechen
unseren Waldweibern die lesni panny Waldjungfem oder div6
2eny wilde Weiber; sie lieben Musik (das Sturmlied)* und
Tanz (den drehenden Wirbel des Wirbelwindes) der von iluien
bei einem heftigen Sturme mit der ausgelassensten
1) W. Schwartz, der heutige Volksglaube und das Heidentam. Aufl. 2.
Berlin 1862. S. 32. 37. 42.
2) Montanus, die deutschen Volksfeste. Iserlohn 1854. II, S. 103.
3) Vemaleken, Mythen und Bräuche des Volkes in Oesterreich 242, 51.
4) Mannhardt, Götterwelt S. 113. 114. 117. Vgl. B. Auerbachs Volks-
kalcnder 18GÜ S. 12i).
"Wildleate in HeBsen, Rheinland, Baden. 87
Wildheit in der Luft ausgeführt wird.^ Ihnen stehen Wald-
mSimer zur Seite lesni maioye, welche Mädchen rauben
and sie zwingen mit ihnen inEhe zu leben.* Ein tanz-
lustiges Mädchen htltete in einem Birkenwalde die Ziegen und
spum dabei Flachs. Mittags erschien so die Waldfrau in weißem
Gewände y dttnn wie Spinngewebe , mit einem Kranze von Wald-
Umnen in den bis zum Gtirtel hinabfließenden Goldlocken. Sie
erfiaßte das Mädchen und tanzte mit ihr bis Sonnenuntergang
whOn und so leicht, daß sieh das Gras unter ihren Fttßen nicht
bog, wozu die Vögel lieblich sangen. So geschah es drei Tage
Unter einander. Um die Versäumniß zu ersetzen, spann die
Waldfrau dem Mädchen den Rocken voll, und gab dem Garne
die Eigenschaft nicht abzunehmen, so lange man auch
weifte ond sie füllte ihm die Taschen mit Birkenlaub, das sich
k Gold verwandelte (die nämlichen Züge begegneten uns o. S. 76
bd den Moosweibchen). Wäre das Mädchen aber ein Knabe
gewesen, so hätte die Waldfrau ihn zu Tode getanzt oder
IQ Tode gekitzelt^
§. 4. Wildleute in Hessen, Rheinland, Baden. In Hessen
entsprechen den Waldfrauen und Waldmännem, nur ins Riesen-
liafte übersetzt, die wilden Leute, welche im Walde zwischen
den Basaltfelsen an der Kinzig ihr Wesen treiben. Die gewalti-
gen Steinmassen, welche im Bcmhardswalde hei Sehlüehtem
niederstarren, heißen nach ihnen wilde Häuser. Schon vor
dem 11. Jahrhundert nennt eine hessische Urkunde ])ei Dronke,
Traditiones Fuldenses p. 514 in jener Gegend einen Ort „>vilder6
iivibo hüs" „ad domum wildero wibo. Vgl. Roth, Kl. Beiträge
zur Sprach- Orts- und Namensforscliung 1S50 I, 231. Landau,
Gan Wetareiba. 1855. S. 128 in der Nähe von Salmtinster, wo
mehrere Wildfrauenhäuser vorkommen. Förstemann, Altd. Namcnb.
II, 1534. Die wilden Männer sind am vergnügtesten,
wenn der Sturmwind tobt und der Blitz aus den Wolken
fährt. Dann gehen sie hoch oben über die Berge und rütteln
1) Grohinann, Sagen aus Böhmen I, S. 123. Grohinann, Aberglauben
an« ri<>hmen I, 11. 16. Vernaleken a. a. 0. 249. N. 55.
2) Grohinann, Abergl. 15, G8. Grohinann, Sagen S. 120.
3j Nach Krbens Oitanka S. 21». Wenzig wcHtslav. Märchenschatz S. 198.
Grohmann^ Sagen ans Böhmen I, S. 124.
88 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe :
an den Wipfeln der Bäume; aber sie freaefi sicti auch, wenn
die Aronspflanze gedeihlich emporwächst, und wenn sie zwischen
den Schachtelhalmen dahergehen können. Ihre großen schienen
Frauen steigen in den Mondnächten in die Lüfte, ihre
Kinder schützen die Kinder der Menschen, wenn sie im Walde
Beeren suchen.^ Auf dem Hohenberg in Hessen sieht man die
Spuren, wo sie saßen und wo sie Hände und Füße liegen hatten.
Ihre Kleidung ist grün und rauh, gleichsam zottig, ihr
Haar lang und aufgelöst. Das giebt ihrem Aussehen etwas
schauerlich Wildes, so daß sich jedermann vor ihnen fürchtet.
Dabei sind sie ganz zutraulich gegen die Menschen, raten und
helfen ihnen , wo sie nur können. Oft werden sie von den rohen
Bauern verfolgt, auch gefangen, aber sie rächen sich nie.
In einer Höhle am Rodenstein wohnten zwei wilde Weiber. Die
eine war sehr schön. In sie verliebte sich ein Jäger and
sie gebar ihm bald ein Kind. Sie sind in die Zukunft einge-
weiht. Wenn in der Gegend von Fulda jemand sterben sollte^
dann kam eines aus dem WUdfrauenloch heraus und zeigte sieh
wehklagend in der Nähe des Sterbehauses. Auch die Kunde der
geheimen Naturkräfte wohnt ihnen bei. Sie wissen, wozu die
wilden weißen Haiden und die wilden weißen Selben (Salbei) gut
sind ; und wenn die Bauern das wüßten , ijvürden sie mit silbernen
Karsten hacken.^ In der Eifel wohnten die wilden Frauen eben-
falls in Felsgrotteu, die das vulkanische Gestein gebildet hat.
Dergleichen Grotten heißen zuweilen „das Wildfräuleinhaus."
Darin saßen sie und boten jedem ihre Brüste y die &ie über die
Schaltern ivarfen, zum Trinken dar.^ Auch im Badischen hal)en
wilde Leute im Wildeleutloch in einer Höhle des £ichelber-
ges bei Oberflockenbach gewohnt, sie waren ganz haarig und
fast unbekleidet. Sic halfen den Einwohnern der benach-
barten Dörfer bei den Feldgeschäften, grade so wie die
Holzfräulein. Der Felsen über ihrer Höhle hieß Wildeleutstein
und auf ihm befand sich ein Trog, aus dem sie zu essen pflegten,
die Wildeleutschüssel genannt*
1) Lynker, Hessische Sagen. Cassel 1854. S. 59, 91.
2) Wolf, Hessische Sagen 53 ff.
3) Schmitz, Sitten und Bräuche des Eifler Volkes II, 14.
4) Baader, Bad. Sagen I, 313, 346.
Die Wildleate in Tirol: Fanggen. 89
§. 5. Die Wildleate in Tirol , Fanggen. In den Alpen-
läDdern haben sich die wilden Leute in verschiedene Gestalten
gespalten. Als riesige Waldgeister erscheinen die Wildfraaen im
Patzoaun-y Stanzer und Oberinnthale in Tirol unter dem Namen
Fanggen (Sing. Fangga, Fanggin) Wildfanggen, wilde Weiber;
ungeheure Gestalten, am ganzen Körper behaart und beborstet;
ihr Anflits ist yerzerrt, ihr Mund ist von einem Ohre zum andern
gezogen. Ihr schwarzes Haupthaar hängt voll Baumbart
(fliehen barbatus) und reicht rauh und struppig tiber den ßttcken.
Ihre Stiiiune ist rauhe Mannesstimme , ihre dunklen Augen sprühen
so SIeiten BUtze. Joppen von Baumrinden und Schürzen von
Wildkatzenpelzen bilden ihre Kleidung. Sie leben in Gesell-
ichaft in Wäldern, vorzüglich nannte man als ihren Aufenthalt
eiaen großen Urwald im Urgthal zwischen Landeck und Ladis
nd einen andern Urwald, den „Bannwald'^ (vgl. o. S. 39) am
Pillerberg im Oberinnthal. Die in ein und demsclbcfi Walde
hausenden Fanggeti waren an diesen Wald gebunden; wurde der
Waid geschlagen, so schwanden sie; starb ein Baum, oder wurde
er gefallt, van dem eine Fangga den Namen trug, so war auch
Ar Dasein dahin. Sie hatten nämlich noch jede ihren besondem
Namen als Hochrinta (hohe Rinde) Stutzforche (Stutziohre) Rohrinta
{Banhrinde) Stntzemutze (Stutzkatze). Der im Sturm den Wald
durchfahrende Riese, der wilde Mann, wird als der Gemahl der
Fangga genannt.^ Gleich ihm hat sie menschenfrcsserischc Neigun-
gen. Wenn die Fangga im Walde von Naßereit, welche von der
Größe eines mittelmäßigen Baumes war, kleine Buben zu
fassen bekam, so schnupfte sie dieselben wie Schnupf-
taback in ihre Nase, oder rieb sie an alten dürren
Bäumen, die von stechenden Aesten starrten, bis sie
zu Staub geraspelt waren.* Wer erkennt in diesem Zuge
aicht jenes Zutodekitzeln wieder, das von der böhmischen Wald-
frau ausgesagt wurde, mithin eine Naturauffassung des Wirbel-
windes? (s. 0. S. 87). Andererseits sind die Fanggen unverkennbar
eine Belebung der mächtigen Bäume des Urwaldes im Hochgebirge
und ihre Grausamkeit ist Ausdruck des furchtbaren und unge-
heuerliehen Eindrucks, den diese gewaltige Waldnatur auf das
1) Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols S. 51. 52.
2) Alpenburg a. a. 0. 52.
90 Kapitel ü. Die Waldgeister und ihre Sippe:
Cremüt macht. ^ So bestätigt es sich auch in diesem Falle ^ daß
die Baumgeister als Verkörperungen von meteori-
schen Erscheinungen oder wenigstens als in diesen
einen Teil ihrer Lebensäußerungen betätigend gedacht
wurden. Doch auch noch andere uns schon bekannte Wahr-
nehmungen jßr härtet die Fanggensage durch neue Beläge. Aach
die Fanggen spielen die Rolle von Hausgeistern. Wie
die Holzweibchen (o. S. 80) treten sie freiwillig bei
Menschen in Dienst und arbeiten fttr diese, bis plötzlich das
Bekanntwerden ihrer Herkunft und ihres Namens sie verschwin-
den macht. Eine fttr unsere weiteren Untersuchungen wichtige
Sage, die darauf Bezug hat, wollen wir mitteilen. Bei einem
Bauer zu Flies stand eine unbekannte Dirne im
Dienst, welche riesenstark war und mehr arbeitete, aki
zehn andere zusammen, aber nichts vom Christentum wuftte imd
wollte. Es war ein Fanggenmädchen. Einst kam der Bauer
vom Imster Markt über den Pillerber'g nach HauBe.
Wie er nun durch den Bannwald kommt, die Joche
der verkauften Oechslein ttber die, Schulter gehängt,
hört er mit. einmal aus der Mitte des Waldes eine
unbekannte sehr laute Stimme: Jochträger, Joch-
träger, sag' der Stutzkatze (Stutzamutza) die Hoch-
rinde (Hoachrinta) sei todt. Drauf wird alles wieder
still. Von Angstschweiß triefend kommt der Bauer
nach Hause und erzählt das im Bannwalde erlebte Aben-
teuer seiner Frau und der Dirne, die grade beim
Muöessen sitzen. Als er die Worte erwähnt: „Sag
der Stutzkatzc die Hochrinde sei todt", springt die
Magd mit dem hellen Geschrei „die Mutter! die Mut-
ter!" empor, läßt alles stehn und liegen und läuft dem
Bannwalde zu. Niemals wurde sie mehr gesehen; aber
bald verbreitete sich die Nachricht, daß Stutzkatze
nun im Walde hause und das Geschäft ihrer Mutter,
Kinder stehlen und fressen fleißig fortsetze.* Mit
1) Vergl. Woinhüld, die Riesen. Sitzungsberichte der Wien. Akad.
XXVI. 1858 S. 290.
2) Alpenburg, Mythen und Sagen S. 67. Uebereinstimmendes wird im
I^rätigau von einer Wuldfäukin erzählt. Der aus dem Borge heimkehrende
Die Wildleate in Tirol: Fanggen. 91
anwesentlichen Varianten ist diese Erzählung in Bezug auf Fang-
gen und verwandte Wesen, Hokweibchen und Buschmännchen/
Sauge Fräulein, Nörkel, Zwerge, katzengestaitige oder bock-
gestaltige Kobolde weit bis in den Norden verbreitet^ Mit
DiengtiieiT hört hier die Worte: „Jochträger sag* der Büchrinden, Giki-
Gäki sei todt anf Hurgerhom." Die Magd wirft den Löffel weg und jammert
im Yenchwinden, ihr Vater sei gestorben. Vonbnn, Beitr&ge S. 48. Vgl.
Panzer U, S. 197, 340. lB41. wo ein Wichtelweiblein oder Nörkelweibchen
Staze-mtze, die t&glich den Banerhof besncbt und alle Arbeiten macht, die
Smpfangerin der Nachricht vom Tode der Bauche Binte ist, worauf das
Wlel&telweiblein ausruft: „Meine Tochter ist gestorben.'* Vgl. femer die
Variante bei Baader, Volkssagen a. Baden I, 1851, 20, 26. Bei einem Bauer
in Holl dient ein unbekanntes Mädchen, das sehr fleißig ist, aber durch-
aus nicht sagt, wie sie heiße. Als einst der Mann ein Joch tragend
TDm Felde heimging , rief ihm die Stimme eines Unsichtbaren mehrmals nach :
Joehtrlger, sage der Gloria, der Eanzelmann sei gestorben. Beim Nachtessen
erinnert sieh der Bauer des VorfaUs und erzahlt ihn dem Mädchen mit dem
Hinnf&gen, nun wisse er, dai sie Gloria ^eUe. Da sprang das Mädchen
iber Hals und Kopf davon und ließ sich nie wieder sehen. Vgl. Alponburg,
Alpensagen 209, 212. , wo das als Magd dienende Fangenkind , dessen Namen
niemand kennt, einst auf der Alp in großer Gesellschaft vom Gebirge her
eine weibliche Stimme rufen hört: Sag zur Strozzi - Buzzi , Bauhrinde sei
ladt. Sehönwerth^ a. d. Oberpfalz 11, 366. Der Fischmatz zu Naab hat ein
Holzweiblein gefangen. Anderes Tages geht er wieder ins Holz , ein Ochsen-
joch über der Schulter. Da schreit ein anderes Holzwciblein vom Baum
heranter „He Mann, Jochträger, ist die Staunzen Mauiizen zu Hause V
Alle diese Varianton mit den characteris tischen Namen „Rauhrinde und Joch-
trikger" gehen ofienbar auf eine noch nicht fem zurückliegende gemeinsame
Urform zurück, von der die Frzählung bei Zingerle, Sagen, Märchen und
Gebr. 25, 30 aus dem Vintschgau bereits eine Verschlechterung darstellt
Danach war die Dienstmagd ein Öalgfräulein, zu dem der wilde Mann kam
und sagte: „Stutza-Mutza, du sollst heim gehen, der Monn Jochträger hat
gesagt, deine Mutter sei gestorben." Auf diese Worte eilt sie davon, bald
hört man wimmern und heulen. Das Fräulein kam nicht wieder zum Vor-
schein. Cf. auch Alpenburg, Alpens. 104, 167.
1) Wichtig, wenn alt und durchweg echt, ist die Aufzeichnung Alpen-
burgs, Mythen und Sagen 68, 6. In dem von Fanggen bewohnten Urwald
Urgenthal waren einst einige Bäume gefällt. Zwei Männer aus Urgen gingen
ftu der Grenze des Waldes durch den Gebirgssteig hin. Da tönte aus dem
Tannendickicht eine gebieterische Stimme an ihre Ohren : „ Saget Stutzf drehe
(Föhre), die Rohrinde sei gefallet und todtr' Sie erzählten diese Geschichte
daheim einem Bauer, der einst ein ganz behaartes weibliches Kind gefunden
ond aufgezogen hat, das später als Magd bei ihm diente, um liebsten aber
im Walde wur. Dieses Mädchen hört in der Nebenkammer die Erzählung
92 Kapitel IL Die Waldgeister und ihre Sippe:
einiger Sicherheit ist daraas za schließen , daß sie in dem Wesen
der Wald- resp. Erdgeister begründet sei.*
dos Unbekannten , föngt an laut zn jammern , läuft in die Wildnis und ist
für immer verschwunden.
1) Ohne in eine Deutung der Sage einzutreten, wollen wir in Kürze
die Hauptabweichungen anderer Fassungen von der in vorletzter Anmerkung
zusammengestellten Abteilung unserer Sagenfamilie angeben. Nicht immer
ist der abgerufene Dämon Dienstmagd. Auf dem Heideberge bei Königshain
i. d. Oberlausitz ist das ein Holzweiblein gewesen, welches sich den Winter
über zu dem Besitzer des Berges in die Stube geflüchtet. Im Frühjahr kam
ein anderes Holzweiblein ans Fenster und rief ,, deuto!" worauf sie jammernd
verschwand. Haupt, Sagenb. d. Lausitz 1, 40, 37. Beim letzten Bauern am Ende
von Königshain lebten die zwei letzten Buschmännchen und zeigten sich zuwei-
len. Einst erschien das eine Männchen und wehklagte: Hipelpipel ist todt!
worauf es verschwand Haupt a. a. 0. 40, 36. Ein wildes Weibchen kommt
7 Jahre hintereinander zu einer Familie im Oberinnthal zu Besuch und setct
sich schweigend auf den Heerd. Als der Bauer einst auf einem Berge
Holz hackt, steht ein wilder Mann vor ihm und spricht: ,,du Holzhacker,
sag zum Stizl zumWizl, derThorizl sei gestorben." Der Bauer teilt abends
heimgekommen dem Weiblein die Botschaft mit, das weinend mit den Wor-
ten davongeht: „hättet ihr mich mehr gefragt, hätte ich euch mehr gesagt."
Zingerle, Sagen, Märchen und Gebräuche 38, 48. Zuweilen ist der Heim-
berufene ein Zwerg der sich beim Bauern Milch holt oder der sich unsicht-
bar zum edeln Geschäfte des Milch- oder Broddiebstahls (vgl. ob. S. 75) im
Hause befindet und nun aus Schreck seine silberne Kanne oder den Krug ver-
gißt (Müllenhoff, Schleswigholst. Sag. 291, 398 — 399) oder das Gestohlene
faliren lälit. .Als einst ein Bauer auf der Fahrt von Halberstadt nach Bör-
neke nahe den Quergeshöhlen von Westerhausen am Tekenberge vorbeikommt»
schreit ihm einer nach: „KieliiTopf, sage doch Torke, er soll nach Hauae
kommen , sein Kind sei todt.'* Zu Hause erzählt er den Vorfall seiner Frau,
da rufts in der Stube: „So! dann muß ich macheu, daß Ich komme/* und
indem fällt ein Beutel mit Teig, der aus ihrem Backofen gefüllt war, aus
der Luft zu Boden. Kuhn, Nordd. Sag. 162, 189, 1. Vgl. 189, 2. Ein
Amtmann auf der Schaumburg hat es mit dem Mäumken (der Zwergmutter)
in dem Mäumkenloch (Zwerghöhle) auf der Paschenburg gehalten. Seine Frau
findet lim bei dem Mäumken sitzen und führt ihn heraus. Bald hernach
erschien ein Zwerg auf der Spitze des Berges und rief nach der Schaumburg
hinunter: „Die Mäume ist todt!*' Lynker, Hess. Sag. 55,88. Vgl. Kuhn,
Westfäl. Sag. I, 246, 282. Eine Zwergenhochzeit wird dadurch gestört, daß
ein Zwerg hereinstürzt und ruft: „0 große Not, die Mutter Pumpe ist todt!*'
worauf das kleine Volii wehklagend die Flucht nimmt. Büsching, wöchentL
Nachrichten 1, 97 tf. Die Erzählung wiederholt sich anderswo mit der Aen-
derung, daß der Klageruf lautet: Urban ist todt! oder „der König ist
todt." Davon eilend lassen die Zwerge dem Hause, in welchem sie die
Hochzeit feiern , ein glückbringendes Kleinod zurück, Büsching a. a. 0. 99—101,
Wildlento io Granbünden : WaldftDken. dS
§. 6. Wildleute In ftraubflnden: WaldfSnken. Den
Tiroler Fanggen entspreehen die Graubttndner Waldfänken, die
besonders in den dentschen Tälern , im Prätigäu , Schalfik , Chur-
waldental und Savien bekannt sind. Sie werden nicht ganz so
onhold geschildert y als die Tiroler Fanggen, und treten öfter
paarweise auf. Auch den Waldfänkcn mißt die Sage gewaltige
Stärke^ Körpergewandtheit, daneben Witz, genaue Wetter- und
SiiUiterkenntnisse und den Besitz von Geheünnissen der Vieh-
zBeht bei. Ihre Weiber, welche häufig auch Waldmutem (Wald-
mfitter) genannt werden, sind in umgeworfene Felle gekleidet,
die männlichen WaldiJUiken, oder „wilden Männer,'^ tlber und tlber
am ganzen Körper behaart und mit Eichenlaub bekränzt. Ihre
Behausimg ist der Wald. Auch sie tragen einzehie Personen-
umen (weibl. Rfichrinden u. s. w., männl. Giki, Gäki u. s. w.)
h den beiden Vorarlbergischen Tälern Montavon und Klostertal
endlich heißen die männlichen Wesen Fenggen und unter ihnen
begegnen wieder weibliche Eügennamen wie Jochrumpia, Joch-
ringglay Muggastutz, Rohrinda, männliche wie Urhans. Sie wer-
den zwar auch häufig als riesige .Wildmänner und Wildfirauen
vi« nach jenen andern Sagen (s. ob. 92) die Milchkanne. Aach in Varianten
dw letzteren auf Amram und Alscn in Schleswig begegnet die Klage „der
König sei todt (No is Pippe Kong dod!) Müllenhoff a. a 0. 291 ff. Nach
Kuhn , Nordd. Sag. 289, 323 lassen sich Zwerge (Oelken) über die Ems setzen,
nm das Land für immer zu verlassen, indem sie klagen: „der König ist
todt!'* Eine englische Erzählung lautet: In einem verfallenen llause ist
Katzenversammlung, die ein Mann belauscht. Da springt die eine Katze auf
die Mauer und ruft: Sage Dildrum, daiS Doldrum todt sei. Der Mann
erzählt dies beim Abendessen seiner Frau, da springt seine Licblingskatze
(also ein Hausgeist) auf und auf nimmer Wiedersehen in den Kamin mit den
Worten „Mord und Doldrum ist todtV Eine deutsche Variante läßt die
Katze mit den Worten aufspringen: „So bin ich König der Katzen!*'
Es verdient doch wol bemerkt zu werden, daß die obigen oberdeutschen
Sagen mehrfach den Namen: Stuze - muze Stutzkatze gewähren. Mit Unrecht
zahlt Simrock. Handbuch d. Myth.* 453 die Rede: „ König Knoblauch ist todt"
zu den Klagerufen um den Tod des Zwergkönigs. Grimm , d. Sag. II , 185,
4S5. Grinmis Myth.* 422 Anm. * gab die unschuldige Veranlassung zu die-
sem Miß Verständnis. Noch eine andere Wendung nehmen Sagenformen, wie
Zingerle, Sagen, M&rchen S. 32, 42. Aus der Wildfräuleinhöle in der Gams-
lecke hörten die Talbewohner, ehe die wilden Fräulein für immer ver-
schwanden, am Vorabend des Walpurgistages den Klagegesang: „die Runa
und der Tuit sind gestorben, uns trifft's morgen."
94 Kapitel 11. Die Waldgeister und ihre Sippe:
beschrieben, am ganzen Körper mit struppigen Haaren bedeckt,
80 daß nur an den Wangen die Fleischfarbe kümmerlich duitdi-
schimmerte, oft aber schreibt man ihnen t- wie zuweilen schcm
den Waldfänken in Granbtlnden — zwerghaften Wuchs zu und
sie gehen dann ganz in Zwerge und Hansgeister Aber, so swar,
daß sie nun zwar in Höhlen und Felslöchem (Fenggalöcher, Feng-
gatöbler, 's wild Mannlis Balma), zuweilen hoch über dem Wald-
wuchs auf hohen Alpenrevieren ihre Wohnung aufschlagen, im
übrigen aber dieselben Verrichtungen haben und (jcgenstand der-
selben Erzählungen sind, wie ihre riesenhaften Namensver-
wandten.^ Auch sie verraten noch deutlich Beziehungen zum
Leben des Waldes. Sie sind so alt, als der und der Wald, ja
ein Fangg im Kilknerwald in Gaschum kommt herzngelanfeo,
als man eine Tanne fallt und bittet, den Baum stehen zu lassen;
er sei so viel Jahr alt, als derselbe Nadeln habe, und könne
wenn er falle sein Alter nicht mehr zählen.'
Es geht daraus hervor, daß die Größe der Gestalt keinen
wesentlichen Unterschied zwischen diesen Geistern bezeichnet
Als besonders bemerkenswert aus dem Kreise der Sagen, welche
sich an diese wilden Leute knüpfen, will ich nur zwei besonders
hervorheben. Die eine ist ein Seiteiistück zu der bekannten Er-
zählung von Odysseuä Ueberlistung des Polyphem, aus deren
weiter Verbreitung unter Türken, Arabern, Serben, Rumänen,
Esten und Finnen schon W. Grimm ^ nachwies, daß sie eine alte
auf Elementargeister bezügliche Vdlkssage. sei, die Homer auf
einen Helden übertrug. Die Uebereinstimmung der Waldfänken -
und Polyphcmossage gewinnt an Bedeutung durch den Umstand,
daß ein Waldgeist, und zwar der russische Ljeschi (s. u. §. 19),
gleich den^ Kyklopen nur ein Auge hat Zu einem Holzhaoer
im Walde gesellt sich ein geschwätziges Fenggaweibchen und
verdrießt ihn durch ihre neugierigen Fragen. Er giebt sich erst
den falschen Namen S c 1 b , ^ während er doch Hannes heißt und
1) S. Vonbun , Beitrage z. D. Mythol. S. 44 ff. 63.
2) Vonbun , Vorarlberg. Sag. 1858. S. 5. Beitr&ge S. 47.
3) W. Grimm, die Sage von Polyphem. Berlin, 1857.
4) In der entsprechenden estnischon Sage von Issiteggi lautet die Rede
des geblendeten Teufels gradeso: „Selbst tÄt's" und die Antwort der pflfigen-
den Leute, denen er sein Leid klagt: „Selbst gptan, selbst hab's!" Myth.«
979. W. Grimm, Polyphem S. 17.
Wildlente in Gnobünden: Waldftnken. 95
alB dann das Weiblein seinen Aerger noch weiter reizt , dabei
aber im Eiter die Hand in eine Holzspalte bringt , zieht er schnell
Axt und Keil heraus und klemmt die jämmeiüch Schreiende aoi*
dieae Weise in den Baum ein. Auf ihren Angstruf kommt das
wilde Fengmännlein hinzu und fragt, wer ihm das getan habe:
„0 selb tfin!'^ Da lacht das wilde Männiem und ruft: „Selb
tSo j selb hän ! Dieselbe Erzählung geht von WaldHinken , sowie
TOD Nixen und Zwergeu> Die zweite Tradition, von der win
reden zu wollen ankündigten, wird sich späterhin als besonders
irichtig für das Ganze unserer Untersuchungen herausstellen und
gieiehfalls aus dem alten Griechenland und Italien nachweisen
lassen. Sie wird ebensowohl von den wilden Männern der rie-
Bgen Waldfänken, als von den zwerghaften Fänkenmännlein
erzählt. Die Fänkenmännlein in Ghurrhätien nämlich ttber-
lehmen ganz ebenso wie in Mitteldeutschland die Busch- und
Mooemämichen , Holzfräulein u. s. . w. sehr gern und häufig die
Bolle der Hausgeister und Kobolde; sie besorgen im Stalle
das Viehy ftlttem, tränken und striegeln es nach schönster Art
oft ganz ohne Lohn, oft nur um ein paar Käse, um ein Napf*
1) Kuhn^ Nordd. Sag. S. 97, 111. Im Unteren {jad in lieißen die den
Salinen Fräulein entüprcchendon feenhaften Weiber Dialen ; sie sind freund-
lich und gutmütig, anch leidlicli schon, doch haben sie Ziegcnfülie. Einem
BAuer in Guanla, der anf einer Borgwiese Heu auflad, gesellte sich eine
Diale und half ihm sein Fuder laden. Als er aber ihre Ziegcufnße gewahrte^
eifaßte ihm ein Granen und er glaubte es mit dem Teufel zu tun zu liaben.
Die Diale fragte nach seinem Namen. Er antwortete: „ich selbst (eug suess).
Als das Fuder geladen war, sti<;B der Mann der Diale die eiKeme Heugabel
4iireh den Leib und floh. Bald sammelte sich eine unabsehbare Menge
Dimlen und fragte: Wer hat das getan? Sic gab sterbend zur Antwort:
„ich selbtft** Da sagten die andern: „was man selbst tut, genieUt mau
«elbst" (chi suess fa, suess giauda") Vernalekcn, Alpens. S. 220, 151. Die
Erzählung rom Einklemmen in den Spalt ist ebenfalls ein uralter, weitver-
breiteter in Märchen Übergegangener Zug. Hier sei nur ans E. R. Tylor,
4ie Anfänge der Cultur I, 375 die folgende Notiz ausgehoben. „Im Hito-
padesa steht eine bekannte hinduische Fabel, welche als Warnung für ein-
faltige Nachahmer das Schicksal des Affen erzählt, der dem Zimmermann
nachahmt« und in der Spalte gefangen war, als er den Keil herausstieß.
Diese Fabel wird auf Sumatra als eine wahre Geschichte von einem der ein-
?ebomen Wilden der Insel erzählt" (Marsden, Sumatra p. 41). In unseren Mär-
chen heftet sich die Sage an den Bären oder den Teufel, cf. Grimm , K. H. M.
11. n. 114 nnd dazu K. H. M. ID. S. 195. Eiseh Sagenb. d. Voigtl. 127, 330.
96 Kapitel II. Die Waldgeister and ihre Sippe:
chen Milch oder um den Schaum der Milch. Am liebsten jedoch
verstehen sie sich zur Hnt der Heerden anf den Alpen und in
den Maisessen and werden daher Öfters wilde Ktther oder
wilde Geißler genannt Schenkt man ihnen aber Kleider oder
Sohnhe znm Lohn, so werden sie, wie im gleichen Falle die
mitteldeutschen Waldleute (s. o. S. 80) verscheucht. Solch ein
wilder Mann (Geißler oder Küher) wird regelmäßig beschrieben
-als von großer Körperstärke, behaarten Leibes und nur mit
einem Schurz von Fellen bekleidet. In der Hand führt er
eine mit den Wurzeln ausgerissene . Tanne.^ Man trieb
ihm die Geiße oder Ktthe der Ortschaft gemeinhein vor das Dorf
entgegen bis zu einem großen Steine, solche FelsblOcke
werden noch gezeigt und heißen gern „der Geißlerstein.***
Dort nahm er schweigend die Tiere in Empfang und trieb sie
weiter, man wußte nicht wohin. Abends waren sie alle zur
bestimmten Zeit wieder mit strotzendem Euter beim Steine, Bö
daß sie kaum gehen konnten. Offenbar sind diese wilden Männer
nicht Personificationen einzelner Bäume, sondern des gesammten
Waldes mit dem Uebergang in Geister der gesammten Vegetation
der Alpe. Dem wilden Geißler gleicht sich die finnische Wald-
jungfrau, welche in der Kalevala angerufen wird, das Vieh vor
Schaden zu hüten, resp. abends nach Hause zu treiben (vgl. o.
S. 30 und Kalcv. übers, von Schiefner 1852 XXXU. v. 60—100);
andererseits ließe er sich ftiglich als ein Spiritus familiaris der
Dorfschaft auffassen. Auf den Stein legte man ihm den ausbe-
dungenen Lohn an Milch oder Käse. Da er auf diese Weiae
mit den Leuten in keinen mündlichen Verkehr trat, und niemals
zu den Wohnungen kam, suchte man ihn zu fangen und zur
Mitteilung seiner Geheimnisse zu bewegen. Es geschah dies, in-
dem man ihn in Wein oder Branntwein berauschte. Die nähern
Umstände dieser Begebenheit werden mit kleinen Abweichungen
erzählt, zu deren Characteristik die folgenden Varianten neben-
einander erwähnt werden ra(>gen. Zu Monbiel stellte man dem
die Heimkühe leitenden Männlein einen Schoppen Veltliner
1) Rochholz, Aargausagen I, 319, 228. (47). Vonbun, BeitrÄgc S. 47.
Zingcrle Sagen, Märchen S. 83, 131.
2) Vonbun a. a. 0. bö, 61. Kochholz a. a. 0. Vemaleken, Alpensagon
8. 212.
Wildleute in Granbünden: WaldfSnkan. 97
laf den Stein. Es betrachtete den Wein lange nnd besann
sieh, ob es trinken solle. Endlich setzte es ganz vorsichtig die
Lippen an. Da mundete ihm das Getränk äußerst wol und es
trank den ganzen Schoppen.^ Zur Zeit, als die Pest in Graubün-
den unzählige Opfer forderte, starl>en keine wilde Weiblein nnd
Hinnlein und man kam zu dem Schlüsse, daß sie ein Geheim-
mittel besitzen müssen. Ein Bauer wußte mit List dasselbe einem
flmkeiunännlein zu entlocken, welches sich oft auf einem Steine
zeigte, der eine bedeutende Höhlung hatte. Ihm war das Lieb-
Giigsplätzchen des wilden Männchens wolt)ekannt, er ging hin,
AUlte die Höhlung des Steines mit gutem Yeltliuerwein und ver-
btig sich in der Nähe. Das Männchen war verdutzt, als es die
Höhlung seines Lieblingssteines mit funkelndem Naß geillllt sah.
Eft beugte sich mehrmals mit dem Naschen über den Wein, winkte.
Bit dem Zeigefinger und rief „Nein du überkommst mich nicht !^'
Endlich kostete es doch und immer mehr und wurde lustig und
lustiger nnd fing an allerlei Zeuges zu schwatzen. Da trat der
Bauer ans seinem Verstecke hervor und fragte, was gut sei gegen
die Pest. „Ich weiß es wol, sagte das Männchen, Eberwurz
and Bibemell; aber das sage ich dir noch Linge nicht!" Jetzt
war der Bauer zufrieden und nach dem Gebrauche von Eber-
wurz und Bibemell starb niemand mehr an der Seuche.* Vgl.
o. S. 81. Ein Waldfänke bei Centers hütete einst einen Sommer
liindarch die Ziegen des Dorfes, sein Hirtenstab war ein
Tannenbaum. Hatte er die Geißen Abends bis zu einer gewis-
sen Stelle zurückgeführt, kehrte er in den Wald heim. Vergeb-
lieh suchten ihn die Söhne von Conters zu fangen. Endlich flillten
sie zwei Brunnentröge, aus denen er zu trinken pflegte, den
einen mit rotem Weine, und den andern mit Branntwein. Der
wilde Geißler sah zuerst den roten Wein und rief „Rr»teli du
verführst mi net!" und labte sich dann mit Branntwein, da dieser
die Farbe des Wassers trug. In der darauf folgenden Be-
rauschung wurde er gebunden und, da die Sage ging, die
Fänken wüßten aus Miichschotten Gold zu bereiten und ähn-
liches, so wollten ihn seine Peiniger nicht eher loslassen, bis er
ihnen ein Geheimmittel entdeckt habe. Er versprach, wenn sie
1) Vonbun, Beitr. 60. VemalekeTi, Alpens. 212.
2) Vernaleken. Alpensagen S. 214. Vonbun, Beitr. 55 ff.
M&Dohardt. 7
98 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
ihn losbänden, einen guten Rat. Die Burschen ließen ihn also
frei. Da sagte er schelmisch:
Ists Wetter ^t, so nimm dein Oberwamms mit.
WirdB dann leidig, kannst tnn wie da willst. >
Nach der Sage von Klosters im Prätigau waren es mehrere
neugierige Burschen, die gern die nähere Bekanntschaft des
Geißlers gemacht hätten. Er hatte die Gewohnheit jeden
Abend aus dem kleinen BrUnnlein zu trinken, das zu-
nächst dem Geißlersteine sich befand. Die jungen
Leute sammelten im Dorfe manche Maß Kirschenwasser
und füllten an einem heißen Sommertage unver-
sehends das ganze Brünnlein damit. Der wilde Mann
schöpfte mit der hohlen Hand. Anfangs misfiel ihm der Trunk,
bald jedoch behagte er ihm; er trank in vollen Zügen und sank
bald von der Wirkung des berauschenden Wassers bezwungen
machtlos zu Boden. Schnell sprangen die Bursche aus ihrem
Verstecke hervor, banden ihn mit Weiden und Stricken und tra-
gen ihn ins Dorf in eine festverschlossene Kammer, aus der er
um Mittemacht ausbrach, um sich nie wieder sehen zu lassen.
Mit ihm war der Wolstand des Dorfes dahin.* In der
Ueberlieferung von Klausen ist es wiederum ein Brunnentrog, den
man dem riesigen, mit zottigen Haaren überwachsenen
Wild mann mit Branntwein ftlllt. Die Sage von Afing erzählt,
daß der Wilde auf einen ausgerissenen Baum gestützt Tags oder
in stiller Nacht die Holzfäller im Hauserwalde störte und ihnen
das Wasser aus dein Troge des Schleifrads austrank. Um ihm
dies zu verleiden, füllten sie den Trog mit Branntwein, imd als
er berauscht war, hieben sie ihm den Kopf ab.^
Was den Namen der Fanggen , Fänken oder Fenggen betrifft,
so hat ein Kenner der deutschen und romanischen Volksdialekte
1) Yonbon a. a. 0. 47. Vernaleken, Alpens. 213. Vgl. dazu Zingerle
82, 129. Der wilde Mann vom Wildemannstein im Langtaaferstal sah die
künftige Witterung voraus und verkündete sie den Hauern. Bei schÖDem
Wetter und Sonnenschein stand er in seinen Mantel gehüllt und vom breit-
krämpigen Hute beschattet da, als zittere er vor Prost, bei Regen und Un-
wetter saß er mit vergnügtem Gesicl^t ohne Hut und Mantel auf dem Steine.
2) Rochholz a. a. 0.
3) Zingerle, Sagen, Märchen S. 83, 130. 131.
Wildlaute in Tirol: Selige Fräulein. 99
des Alpengebiets Chr. Schneller die Vermatiuig aasgesprochen/
daB er aus der Mandart der benachbarten ladinischen Gemeinden
entlehnt und zwar ans dem Feminin, zn Salvang d. i. Sylvanns
ibgekfirzt sei, mit welchem Worte man dort den wilden Mann
so bezeichnen pflegt Dieser Meinung stehen zwar einige, doch
wie ich glaube nicht durchschlagende sachliche Gründe entgegen ;
niefat allza sehr ins Gewicht fallen dürfte; daß bei den Ladinem
di8 Fem. Salvangga bereits ausgestorben und dafür eine andere
Beieichnnng der wilden Weiber aufgekommen ist. Dagegen
fflflMe der Uebergang von v in f für jene Dialecte erst nachge-
wiesen sein, ehe wir uns entschließen können Schnellers Erklä-
nng beizatreten.
§ 7. WUdleute In Tirol: Selige FrBuleln. Ganz ver-
flUeden von den Wildfanggen scheinen auf den ersten Blick,
dker auch nur auf den ersten Blick diejenigen Wesen zu sein,
wdehe in Deutschtirol , namentlich in Vintschgau und Oberinnthal,
n^r dem Namen Selige oder Salige Fräulein Salgfräulein, Salin-
ger, sonst auch als wilde Frauen oder wilde Fräulein, in Wälsch-
tiiol als Enguane oder Belle (resp. Delle) Vivane bekannt
sind, obwol auch in ihnen nach einem Worte Weinholds,* der
die Seligen als die lieblichsten Schöpfungen unserer Mythologie
diaracterisiert, Wald- und Bergfrauen^ nicht verkannt werden
können, milde, schöne Geister des Waldes und Gebirges, die
über and unter der Erde segnend wirken , den Menschen hilfreich,
die Tiere schützend. In der Tat haben sie fast alle Züge mit
den Moosleuten und Buschfrauen Mitteldeutschlands gemein, noch
mehr stimmen sie zu den wilden Frauen in Oberbaiem und im
Salzbnrgischen ^ welche wir als die Vertreterinnen der geogra-
phischen wie sachlichen Mittelglieder zu den Salgfräulein an dieser
Stelle beiläufig in die Betrachtung mit hineinziehen werden, aber
das Kolorit der Sage von den Seligen und die Scenerie, in der
sie auftreten, ist verändert und ihr Wesen verklärt und vergei-
stigt In einzelnen Fällen z. B. im Pusterthale ist jedoch ihre
Gestalt noch nicht von diesem so zu sagen ätherischen Hauche
1) Ausland 1871. N. 41. S. 966.
2) Weinhold, Sitzungsberichte der Wiener Akad. XXVI. 1858. 8.290.
3) Zuweilen heißen sie auch gradezu WaMfrauon, Waldweiblein; so
Zingerle , Märchen und Sagen , 30 , 39.
7»
100 Kapitel IL Die Waldgeister nnd ihre Sippe:
umwoben. ^ Irre ich nicht , so spiegelt sich in ihrer Eigentttmlich-
keit getreu die Empfindung, welche hoch oben in der klaren,
freien und reinen Bergluft zwischen den Gletscherfimen die Seele
des Landeseinwohuers ergriff, der mit dieser Empfindung das
anererbte Material der Wildeleutsage durchströmte und so ans
den Tiefen seines .vorstellenden nnd fllhlenden Geistes dämonische
Personificationen zugleich der Vegetation und der sonstigen Natur
auf den höchsten Höhen der Alpenwelt hervorgehen ließ. Sehr
deutlich läßt der Vergleich der Sage von hessischen und bairisch-
salzburgischen Wildlrauen gewahren, wie groß der Einfluß gewe-
sen ist, den die Natur des Landes auf die Umgestaltung der
Sage von den seligen Fräulein ausgeübt hat. Diese wohnen in
den innersten Tälern und Berggegenden ;^ ihre Behausung sind
schimmernde Eis- und Ery Stallgrotten, ^ die sich im Schöße der
Berge zu prachtvollen Bäumen erweitem nnd oftmals talwärts
von einem verborgenen Paradiese bebltimter Hügel und grüner
Wiesen umgeben sein sollen. Hier hegen sie als ihr Hausgetier
die Gemsen, schützen dieselben vor den Jägern und bestrafen
deren Verfolgung. Hat ein Gamsjäger eines der Tiere getödtet,
so jammern sie, daß er ihre Kuh erschossen habe, Züge welche
übrigens ebensowol auch an den Fanggen und anderen Wild-
frauen haften.^ Nach den Seligen, die darauf hausen,- ist ein
Femer im Sulzauerstock (zwischen den hintersten Alpen des
Stubeitals) Fräule köpf genannt und die Fräulein selbst werden
dort häufig auch als Schnee fr äulein bezeichnet, weil sie
nicht allein die Alpweiden segnen und den Hirten gutes tan,
sondem auch den letzteren Winke zum frühen Abfahren geben,
wenn große Schneewetter einzufallen drohen.*^ Oft sieht man
1) Alpenburg , Alpensagen S. 312.
2) Zingerle a. a. 0. 33, 43.
3) Eine solche Grotte heißt „Salingerloch" (Alpenburg, Alpens. 312, 330)
gradeso wie die Wohnungen der bairischen und Salzburger Wildfrauen Wild-
frauenloch. Panzer I, 200, 220. Frauenloch, Panzer I, 15, 16. Frauenlöcher
Panzer I, 9, 9. Frauenhöhle Panzer I, 14, 15. Fräuleinhöhle Zingerle, 31, 42.
Vgl. die Höhlen der Fenggen (o. S. 94) und das Mäumekeuloch (o. S. 92).
4) Alpenburg, Alpens. 210, 213. Alpenburg, Mythen 4—9. 17 — 21.
Zingerle 24, 30. 35, 45. 36, 46. 66, 102 mit der Anmerkung. Vgl. Schillers
Gemsenjäger.
5) Alpenburg, Alpensagen S. 282, 298. •
Wildleiite in Tirol: Selij^e Frfttileiii. 101
hoch oben an den höchsten Gipfeln Wäsche , schneeweiBe Gewän-
der oder Kindstttchel wie weiße Wölkchen schweben, oder an
den Sonnenstrahlen, die sich durch dichtes Waldlanb oder Fels-
Uansen stehlen, znm Trocknen aufgehängt Wenn die Wäsche
an den Felswänden sichtbar wird, giebt es schönes Wetter, deut-
lieh also sind es Nebel oder lichte Wölkchen, worin man die
Gewebe der Seligen zu erkennen meinte.^ Blondlockig, blauäugig,
in blendendes WeiB oder Silberzindel gekleidet, wie der Schnee,
der die Berggipfel deckt, und das Eis der Gletscher, und von
Gestalt himmlisch schön sitzen diese da oben und lassen einen
wmiderlieblichen Gesang ins Tal hinabschallen, der manchem
gaton Barschen das Herz mit unnennbarer Sehnsucht dehnt, wie
beh oben anf sonniger schneebeglänzter Höhe , wo man mit sich
■dGrott allein ist, dasGeftlhl der Unendlichkeit die Brust weitet
Sar aittlieh reine Menschen dürfen den Fiilulein nahen. Da
aehrere Berichterstatter z. B. Hammerle und Alpenburg, wie es
scheint, durch sentimentale Auffassung verleitet wurden, diese
Sagen mehr zu idealisieren, als sie es in Wirklichkeit sind, so
wollen wir zur Kennzeichnung derselben dem objectiv berichten-
den Zingerle eine der vielen Geschichten nacherzählen, welche
im Volksmunde von den Saligen in Umlauf gehen. Bei Graun
im Obervintschgau steht ein Mittelgebirg, die „Salge'', hier sollen
vor alten Zeiten die „ Salgfräulein '^ gehaust haben. Sic wohnten
nnter diesen Steinblöcken in weiten prachtvollen
Bänmen und waren den Menschen hold und freundlich. Oft
saßen sie abends weiß gekleidet auf einem großen Stein
nnter dem alten Lärchbaum und sangen Lieder. Eines
Abends ging ein Hirt vorüber, der von dem schönen Gesänge so
bezaubert wurde, daß er stille stand, sich auf eüien Stein setzte
und bis tief in die Nacht hinein den Salgfräulein zuhörte. Erst
als diese mit untergehendem Monde verschwanden, gedachte er
seiner Heerde und seines jungen Weibes und ging heim. Seit-
dem aber war er einsilbig und schwermütig und, ohne seinem
1) üeber diese Wäsche der Seligen und wilden Frauen ». Alpenburg,
Alpen». 20, 21. Panzer, Beitr. I, 11, 14. Alpenburg, Mythen 21. Zingerle
^\ 39. Im Tale bei der Trolle witsch alni hat man zu Zeiten Salige erblickt,
welche im Loche Wäsche wuschen , aber schnell enteilten , sobald ein Mensch
fleh nahte. Alpenborg, Alpens. 313, 330.
102 Kapitel ü. Die Waldgeister und ihre Sippe:
Weibe etwas davon zu sagen, ging er nun oft aof die Salg, um
dem Gesänge zu lauschen. Endlieh wurden die schönen Fi^ulein
mit ihm vertrauter und führten ihn in ihre Grotten, wo ganze
Reihen von Gemsen an Krippen standen. Sein Weib bemerkte»
daß er öfter des Nachts sich entfernte und ausblieb. Um m.
erfahren, wohin er gehe, befestigte sie einst heimlich an einem
seiner Wammsknöpfe einen Gamfaden, behielt aber den daran
hangenden Knäuel zurück. Dem leitenden Faden folgend erreichte
sie die Höhle der Saligen, in deren Mitte sie ihren Mann vor-
fand. Da fing sie an zu weinen und zu klagen und verwünschte
den Tag ihrer Hochzeit und die Salgfräulein, die sofort unter
den Steinisn verschwanden, um nicht wieder gesehen zu werden.^
Von den Waldfräulein in Falkwand bei Stuls und noch ausflihr-
lieber von den wilden Weibern im Untersbei^e bei Salzboig
wird dieselbe Geschichte etwas abweichend erzählt Eine der
wilden Frauen, welche oftmals aus dem Unterbei^e gegen das
Dorf Anif herabkam und sich auf dem Felde in die Erde Löcher
und Liegerstatt machte, hatte so schöne lange Haare, daß sie
ihr bis auf die Fußsohlen herabfielen. Ein Bauer verliebte sich
hauptsächlich um dieses Umstandes willen in sie und legte sich
in Einfalt zu ihr in ihre Lagerstätte, ohne etwas Ungebührliches
zu tun. Am zweiten Abend fragte sie ihn, ob er eine Fraa
habe. Er leugnete, aber am dritten Abend ging seine Frau ihm
nach, fand ihn und rief, die Wildfrau erblickend „0 behüte
Gott deine schönen Haare! Was tut ihr da mit einander?**
Da verwies die wilde Frau dem Bauer seine Lüge, schenkte ihr
einen Schuh voll Geld und ermahhte ihn seinem Weibe treu zn'
bleiben.' In der norddeutschen Ebene knüpft sich die noch rohe
Erzählung an solche Zwerge (SchanhoUen u. s. w.), welche nur
mit localer Aenderung entschieden den Waldleuten der oberdeut-
schen Sage entsprechen. Hier schläft der Bauer im Arme der
Zwergin , deren langes Haar bis auf die Erde hinabhängt. Behut-
sam hebt seine mit Hilfe des Garnknäuels nachgekommene Gat-
tin es auf und legt es zur schönen Eigentümerin auä Bett'
1) ZiDgerle, Sagen, Märchen und Gebr&nche S. 23, 30.
2) Grimm, D. Sagen I, 65. Zingerle a. a. 0. Panzer, Beitr. I, 13.
3) Kuhn, Westföl. Sagen I, 160, 165. vgl. 246, 282. Lynker, Hessische
Sagen 55, 88. Grimm, D. Sag. I, 89, 70. Stöber, Elsäss. Sag. 295, 230.
Curtze , Vülkfiüberüefcr. a. Waldeck 219, 41,
1
Wüdkvte in Tirol: Selige Fräolein. 103
Dentoiig dieser Erzählimg würde an diesem Orte zu Erör-
tenmgen ftthren , welche von unserm gegenwärtigen Zwecke seitab
Ue^en; wir entnehmen aus ihr nur ein Zeugniß von der Ueber-
tfrrngtiiTininng der SalgMuleinsage mit derjenigen von den wilden
Fiaaen resp. Waldweibem. Wie die Uohsfräulein (ob. S. 76) nie
endende Garnknäuel spenden, schenkt die wilde Frau in der
FekhöUe bei Widrechthausen ein solches dem Widreohthäuser
Bauer y als ihn dessen Frau bei ihr schlai'end gefunden und zum
Zengnii, daß er ihr eine Haarlocke abgeschnitten hatte. ^ Auch
die selige Jungfrau aus der Lecklahne begabt zum Abschied mit
■olchem wunderbaren Zwimknäuel , als sie aus dem Dienste eines
Banem plötzlich scheidet, weil man ihren Namen ertahren.'
Aieh ein Brodlaib der, so lange man davon kein Redens macht,
■dit ein Ende nimmt, wird als ihr Greschenk erwähnt* Oleich
den Holzfräulein , Fanggentöchtem u. s. w. sind sie , ohne Liohn
■ad Gabe zu nehmen und ohne Namen und Herkunft zu ver-
laten, hilfreich in der Bauemwirtschaft und, wo sie weilen und
tdiaffen, stellt sich Segen und Ueberfinß ein. Alles gedeiht,
aber sie yerschwinden und mit ihnen Gedeihen und Reichtum,
sobald man in ihrer Gegenwart flucht (vgl. ob. S. 81), nach ihnen
idüägt, ihnen Speise vorsetzt oder ihren Namen nennt; oder sie
weiden durch Ansage eines Todesfalles unter den Ihrigen (s. ob.
S. IM,») abberufen.* Im Stalle sammeln sie die verschüttete Milch
und trinken daitlr wol — andere Nahrung verschmähen sie —
aus der Milchbutte , in der dann <iber die Milch nicht ab, son-
dern zunimmt^ F<ast in jedem Hause wohnte ehedem ein sol-
ches geisterhaftes Wesen.* Sie bewähren sich somit voll-
kommen als gute Hausgeister. Zuweilen gehen sie auch
mit irdischen Männern eine Ehe ein und ge1)ären Kinder, ver-
schwinden aber, wenn das Geheimniß ihres Namens, oder ihrer
Herkunft verletzt wird. Dann kehren sie jedoch noch immer
1) Alpenborg, Alpens. 19, 21.
2) Zinfiferle a.a.O. 29, 37. Vgl. Hainnierlc, Neue Erinncranp^en a. d
Bergen Tirols 1854. S. 15. Weitere Zeugnisse dafür, ilaB die Seligen end-
hae Garnknänel verehren, s. Alpenburg, Myth. 33, 10. Zingerle 77, llö.
3) Zingorle a. a. 0. 26, 31.
4) S. Ziugerle 25 ff. 32. Ali>cnburg, Alpen«. 2(53, 274. 264, 275.
5) Zingerle , Sagen u. Märchen S. 26 32.
6j Zingerle, Sagen u. Märchen S. 25, 31.
104 Kapitel 11. Die Waldgeister and ihre Sippe:
an gewissen Tagen zurück, um ihre Kinder zn waschen , za
kämmen mid zu kleiden.^
Man erinnere sich, daß wir auch diesem Zuge bereits Im
der Bidschower Sage von der Nymphe eines Weidenbanmes
begegnet sind (ob. S. 69); er wird sonst anch von Nachtmahren*
und von den Seelen verstorbener Mütter erzählt , welche noch Aber
das Grab hinaus ihre Liebe bewähren.^ Seelen Abgeschiedener
und Pflanzengeister sahen wir ja schon mehrfach in einander
übergehen -(S. 40. 44). Auch noch ein weiterer Zug, dafi die
Saligen zuweilen vom Berge niedersteigend in den Spinnstuben
sich sehen lassen, und wundersam spinnen, so wie Spinnen und
Weben lehren,* wird anderswo unmittelbar von Baumgeistern
berichtet^ Noch eine weitere Aussage gemahnt unmittelbar an
die (ob. S. 36) entwickelten Baumsagen, nach welchen ver-
möge der Sympathie zwischen Pflanze und Mensch jeder Hieb,
der die Baumnymphe trifft, ebenso tief als ins Holz in Fleisch
und Bein des Frevlers eindringen soll. Wenn das Heu
gemäht wurde, gesellten sich die Fräulein gerne den Menschen
zu und halfen bei der Arbeit. Wenn der Mähder das Rodnerin-
nenlocken übte, d. h. dreimal mit dem Wetzstein über die Sense
strich, so kam bei diesem schrillen, weithin hallenden Tone
jedesmal ein Salgfräulein in die Wiese herunter und zerstreute
1) Vernaleken , Mythen 246 , 53. Zingerle 29, 36. 34, 43. Alpenburg.
Alpens. 312, 330. 270, 283. verschwindet samnit ihren 13 Kindern: Zingerle
27, 33. Zs. f. D. Myth. I, 292. II, 356, 183.
2) Kuhn, Nordd. Sag. 91, 102. 299, 338. MüUenhofF 243.
3) GrondTig, Gamle Dauske minder i Folkemund I, 18. Schambach-
Müller, Niedersächs. Sagen 220, 235. Pröhle, Harzsagon 79, 7. Wolf,
Nieder 1. Sag. 403, 326. Man erkennt die Wiederkehr der verstorbenen Wöch-
nerin daran, daß man morgens das Bett eingedrückt findet Wattke,
Abergl.« § 748.
4) Alpenburg , Mythen u. Sagen S. 6. 32 , 10.
5) In eine Spinnstube zu Rouge -Vie bei Foncogney in den Vogesen
pflegten 12 liebliche Jungfrauen mit ihren niedlichen Spindeln zu
kommen. Niemand wagte sie nach ihren Namen und ihrer Abkunft zu fra-
gen. Ein Bursche , der ihnen neugierig folgte , sah sie auf der ,, la planche
aux helles fiUes'* genannten Bergeshalde einander gute Nacht sagen, worauf
eine jede in einen Baum hineinging. Der Vorwitzdge fiel drei Tage
darauf von einer Fichte, und brach den Hals. S. Des. Monnier, Traditions
populaires p. 407.
WOdlente in Tirol: Selige Fräolein. 105
die Mahden. Ein Baaer , dem dies anch geschab , yei^ckte sich
in ^38 imbekannte Mädchen. Als im Herbste die Heuernte zu
Ende ging und die Selige das letzte Fuder faßte , machte der
imgeschickte Liebhaber ein Schlöf in das Bindseil und band das
Mldchen am Fuße fest Das Fräulein, in dem Bestreben
sieh loszumachen, brach das zarte Bein und verschwand
iranend. Anderen Tages brach das Bäuerlein auch ein
Bein nnd blieb lebenslänglich l^hm. Sein Geschlecht
naiB es noch bis heute büßen, denn allemal je ein Glied der
Familie muß lahm gehen. ^ Endlich teilt die Ueberlieferung von
den Salgfiränlein mit deijenigen von den Busch- und Holzweib-
dien auch noch den Characterzug, daß sie von dem wilden
Jiger gejagt werden, der hier aber der wilde Mann
keiAt und ganz wie die uns schon bekannten wilden Männer in
fliessen und in Granbünden (die Fankenmänner) beschrieben wird.
Er ist ein gewaltiger Mann, von weitem gleicht er einer
Fiehte, die ganz mit Moos (Baumbart) Uberkleidet
ist Wenn er auf dem Wege eines Stockes benötigt,
80 reißt er grade einen Baumstamm aus ,und der
Warzelstock dient als Staggel unten dran. Bei schö-
nem Wetter trägt er einen Mantel, um bei schlechtem — wie er
sagt — tun zu können was er wolle. ^ Wer ihm, wenn er wie
die Windsbraut daherstürmt, zuruft: „halt und fach (fange)! mir
die Halba und dir die Halba!'^ oder „Jag toll! und bring mer
moarga o a Viartl davon!" oder „Wilder Mann hual, nimm dein
Toall", dem braust bald der Wind mit fttrchtcLlichem Toben um
seine Hütte, er vernimmt ein herzzerreißendes Wehgeheul in den
Lüften und die erbetene Hälfte eines seligen Fräuleins hängt
1) Hammerle a.a.O. 17, 18. Alpenburg, Mythen S. 8. 10. Vgl. auch
Vernaleken, Mythen, Brauche S. 245, 52.
2) Hammerle a. a. 0. 21. Ganz wie der wilde Mann focht auch Fasolt,
der das wilde Fräulein hetzt ^ im Eckenliede mit Baumästen. Str. 184.
..Her Väsolt einen ast gevie: den brach er abc eim boume hie, der was
gr<iK onde swaere. der wart im schier zcrhouwen gar. er greif nach einem
andern dar: der boun wart este lierc. er gebarte rehte als er den walt
wolt loubes äne machen: wan hörte deste mänicvalt ein halbe mile krachen,
er zart die boume dazs sich klubcn.** — Auch Fasolts Sippe bedient sich der-
selben Waffe. Str. 240 Uodelgart ,,ein boun si üz der erde brach, der was
grdz. Str. 24'!: des boumes este brach si dan, zehant lief si den Ber-
ner an.
106 ^pitel n. Die Waldgeister und ihre Sippe:
ihm am Türpfosten. Nur wenn sie sich auf einen im Fallen des
Stammes schnell <lurch 12 Axtschläge mit drei Kreuzen bezeich-
neten Baumstmnk setzen können, finden die Seligen vor dem
wilden Manne Schutz, alles dieses den thttringischen und frän-
kischen Waldweibchen entsprechend. Im Vintschgau giebt es
noch manchen Holzknecht, der nicht versäumt derartige Slxeiize
einzuhacken.^ Beziehen sich diese Mythen deutlich auf Baum-
genien, so weisen andere auf einen Zusammenhang mit der nie-
deren Pflanzenwelt der Hochalpentäler hin. Unter den Saligen
begegnen jene von Fanggen und Fäuken uns bekannten Namen
Stutzamntza u. s. w. , in der Hinterdux jedoch nennt man die im
Innern des Duxer Femers hausenden Fräulein „Talgilgen^^
d. h. Maiblumen (Lilien des Tales). Sollte das nur ihre Mhlings-
frische Schönheit ausdrücken? Im Kanton Glarus heiBt so ein
Bergfräulein bei Schwanden Wldewibli (Weidenweiblein), ein
anderes bei Engl Pulsterewibli (Huflattichweiblem).* Im
Kanton St. Gallen ruft man den Kindern, um sie vom Pflücken
der unreiien Haselnüsse abzuhalten, zu: „'s Haselnuß fr äuli
chumt.'^ Das Letztere ist wol eine Personification engerer Ai%
als die vorhergehenden. Und wenn in Montavon eine Art Bal-
drian (Valeriana celtica) Wildfräulekrut heißt, ^ so hängt das
deutlich damit zusammen, daß die wilden Frauen auch als heil-
kundig gedacht wurden, wie die Harzer Moosweiblein und ober-
pfälzischen Holzfräulein (S. 81. 1)7). Schon ein altes Zeugnift
dattlr besitzen wir im Gudrunepos (Str. 529); Wate hat von einem
„wilden wibe" die Heilkunst gelernt und heilt mit guten Wur-
zeln die Wunden auf dem Schlachtfelde.* Auch im Ecken liet
gräbt das von Fasolt gejagte „wilde vrouwelin" eine Wurzel,
1) Alpenburi?, Mythen S- 5. 24. 29. 31. Zingerle 24, 30, 78 — 80,
121 — 127. Alpenburg, Alpens. 330,356. 287, 3u3. 288,301. Hammerle
a. a. Ü. Schneller , Märchen und Sagen aus Wälachtyrol S. 209 ff.
2) Alpenburg, Mythen u. Sagen 33, 11. Vernaleken, Alpens. 224, 154.
Hier darf wohl die walachische Waldfrau Muma padura (Waldmutter) ver-
glichen werden, welche in Gestalt eines alten Mütterchens verirrten Kindern
beisteht, aber wie es scheint auch in Gestalt einer Pflanze erscheint. Denn
der Waldmeister (asperula odorata) hcilJt ebenfalls muma padura. Vgl.
Schott, Walach. Märchen. Stuttg. u. Tübing. 1845, S. 297.
3) Vonbun, Beitr. 131. Vgl. o. S. 62. Valeriana vertreibt Krankheitselbe.
4) Si beten in langer zite da vor wol vemomen, da? Wate arzät waere
von einem wilden wibe. Als ein Bauer in Seefeld (Tirol) das Wichteli, das
WUdlente in Tirol: Seüge Fr&nlein. 107
zeneibt sie in der Hand und bestreicht damit den wnnden Diet-
rkh von Bern und sein Roß, davon das Weh verschwand and
alle Müdigkeit wich ^ Nach den ttber die mitteldeutschen Holz-
frSolein gepflogenen Erörterungen darf* jedoch das Folgende wol
wieder auf eine unmittelbare Beziehung der Saligen zur Vege-
tation gedeutet werden. Wenn Alpenburg recht berichtet ist, so
flberwandeln die .Seligen zur Zeit der Flachsbltite unter
Anf&hnuDig ihrer Königin Hulda die Flachsfelder , richten geknickte
Stengel auf und segnen Kraut und Blüten.* Der Flachsbau,
Spinnen und" Weben ist der Gegenstand ihrer besonderen Fttr-
EorgeJ Yorzfiglich aber wenn der Flachs gejätet, das Gras
der Wiese gemäht, das Korn des Feldes geschnitten
wird, stellen die Seligen oder wilden Frauen sich ein, helfen
heuen oder Aehren schneiden, oder eilen vom wilden Mann
geja^ vorüber.^ Den Mähdem auf den Bergwiesen stehlen sie
gerne die Küchlein und Krapfen vom Kohlenfeuer und wenn
das Heu im Winter mit Schlitten von den Alpen
geholt wird, hockt ihrer wohl ein ganzes Dutzend hintenaul'
imd fährt mit,^ auch ruhen sie gern in Heuschupfen. ^ In Mar-
lell werden den Arbeitem auf den Bergwiesen immer die soge-
nannten „ Mahdküchel'' mitgegeben, angeblich itir einen zufäl-
ligen Besuch der weißen Fräulein. Auch erscheint jeder Arbeiter
beim Mahle in Feiertagskleidem , was wie das späte Mittagsessen
sonst nicht gebräuchlich ist. Alles dies geschieht, wie die Leute
sagen , „ der Fräulein wegen." ' So wol die Mitarl)eit bei der
Ernte, als das Brod- oder Kuchenstehlen sind uns bereits wol-
bekannte Züge (ob. S. 75). Sollte das Schlafen im Heuschober
ihm beim Strearechen and anderen Arbeiten za hellen pflegte, fing nnd
band, warf es ihm seine Undankbarkeit vor und sprach: Ich würde dir Kräu-
ter für Menschen and Vieh heilsam gezeigt haben und du wärest ein groller
Arzt geworden. Panzer II, 100, 151.
1) Ecken liet Str. 174 — 76. Zupitza.
2) Alpenburg, Mythen 3. Hammerle, Neue Erinnerungen a. d. Bergen
Tirols. Innsbruck 1854:, S. 14.
3) Hammerle a. a. 0. S. 8. 14 — 15. 19. Alpenburg a. a. 0. 32, 10.
4) Alpenburg, Mythen 3. 5. 31. Panzer I, 12. Alpenburg, Alpen-
sagen 312, 330. 287, 303. 288, 304. Ziugerle, 79, 125. 79, 123.
5) Zingerle 33 . 43.
Ü) Alpenburg, Alpens. 313, 330.
7) Zingerle , Sitten. Auü. 2. 167, 1394.
108 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
und das unsichtbare Mitfahren mit dem von der Alpe heimge-
führten Heu eine Erinnerung daran enthalten, daB die Fräulein
als Vegetationsdämonen an das Gras mehr oder minder gebun-
den seien y oder liegt diesen Erzählungen ein rein menschliches
Motiv zu Grunde ? Zur Vervollständigung der Wildfräuleinmythen
sei noch dieses angeführt, daß sie (resp. die Seligen) Wöch-
nerinnen, die nicht aufgesegnet sind, mit sicli neh-
men;^ daB sie Kinder rauben, die später (grfingekleidet)
in ihrer Gesellschaft gesehen werden.* Diese Eigenschaft teilen
sie mit der mehr riesenhaften wilden Frau, der Fangg. Eine
solche, die des wilden Mannes Gefährtin ist, heißt in Passeier
Langtüttin, von ihren langen Brüsten, die sie den
Kindern, ihnen nachlaufend, darbietet. Aus der einen
fließt Milch, Eiter aus der anderen (vgl. ob. S. 88). ^
§. 8. Wildleute : die rauhe Else der Wolfdietrichssage.
Wir bemerkten (ob. S. 100), daß die wilden Frauen in baierischer
Ueberlieferung noch eine rohere und ursprünglichere Gestalt
bewahrten, als die Tiroler Salgfräulein. Ein in Baiem um 1221
verfaßtes Stück spielmännischer Poesie, das zweite Lied hn Wolf-
dietrich B. gewährt in der Episode von «der rauhen Else die Ver-
flechtung einer Wildi'rauensage in einer dem Zeitgeschmack hul-
digenden Umdichtung, jedoch mit Bewahrung mancher noch sehr
altertümlicher Züge, in das Epos. Wolfdietrich wacht auf einem
grünen Auger im Walde beim Feuer, indeß seine Gefährten
schlafen. Da kriecht auf allen Vieren, wie ein Bär, ein unge-
schlachtes behaartes Waldweib, die rauhe Else herbei und
fordert ihn auf sie zu minnen. Da er sie entrüstet zurückweist,
verzaubert sie ihn, so daß er in derselben Nacht zwölf
Meilen läuft, bis er unter einem schönen Baume die rauhe
Else abermals trifft. Sie wiederholt die Frage: „wilt du mich
minnen?" er die Weigerung. Da wirft sie zornig einen stärkeren
Zauber auf den Mann, so daß er schlaftrunken auf den grünen
Plan niedersinkt und sie ihm zwei Haarlocken vom Kopfe und
die Nagclspitzen von den Fingern schneiden kann. Jetzt ist er
ihr verfallen. Sie macht ihn zu einem Toren , so daß er ein hal-
1) Zingerle 27, 34.
2) Panzer I, 12. Zingerle 32, 42.
3) Zingerle 80,127. öl, 128.
Wildleute: die rauhe Else dor Wolfdietrichssa^. 109
bes Jahr olme Besinnung im Walde ^^wild laufen^' muß and
Kräater von der Erde als Speise anfraift. Endlich gebietet Gott
dem Weibe durch einen Engel die Verzauberung rückgängig zu
machen^ widrigenfalls ihr der Donner in dreien Tagen
das Leben nehmen werde (oder dir nimt der donre in drin
tagen dinen lip). Alsbald stellt sie sich Wolfdietrichen wiederum
dar und jetzt willigt er ein, sobald sie getauft sein werde. 8ie
fährt ihn zu Schiffe über Meer in ein Land, drin sie als Köni-
gin schaltet (Troja)^ läßt sich da in einem Jungbrunnen taufen,
legt in demselben ihre rauhe Haut ab und steigt mit dem neuen
Kamen Sigeminne aus demselben als die schönste aller Weiber
hervor.^ Nach dem Dichter zog sie schon drei Jahre dem Hel-
den nach, den sie zum Manne wollte, ihr neuer Imperativisch
gebildeter Name soll daher den Triumpf der Liebe ausdrücken
■nd ist nicht mit J. Grimm Myth.^ 405 mit waltminne (lamia)
merminne (sirena) zusammenzustellen.
Unverkennbar sind die Spurren mehrerer Wandlungen , welche
die Erzählung durchgemacht hat, ehe sie in die Hände des letz-
ten Bearbeiters geriet Königswttrde, Rönigssitz in Troja, Be-
werkstelligung des Zaubers durch ein äußeres Mittel (Ueber-
werfen), Namengebung sowie eine spätere Entführung der Sige-
minne durch einen Zwergkönig * mögen Erfindungen des Dichters
von Wolfdietrich B. sein, einer früheren Bearbeitung gehört das
Bad im Jungbrunnen an, doch auch dies ist kein ursprunglicher
Bestandteil der Sage, welche unzweifelhaft nur dies
wußte, daß die anfangs in rauher, behaarter Gestalt
auftretende Jungfrau dem Helden endlich in lieb-
reizender Schönheit nahte, falls nicht dies den ursprtlng-
lichen Schluß der Erzählung bildete, daß Gott dem Wald weibe, in
dessen Gewalt der Held geraten war, befahl denselben loszulassen.
In der Drohung mit dem Donner bricht, wie J. Grimm (Namen des
Donners 322 KJ. Sehr. H, 425) mit Recht bemerkte, ein alter Sa-
genrug durch; der erste Urheber der Episode wußte noch, daß die
Waidfrauen, deren eine seine Verse verherrlichten, dem Volks-
glauben nach gewöhnlich von dem Gewitter verfolgt wer-
1) Wolfdictrich, B. Str. 305 — 342. Jänicke. Heldenbuch LII, Berlin
\^'i\. S. 213 — 218. Vgl. des Herausgebers Einleitung.
2) Vgl. Wolfdietrich, B. Str. 388 — 455. Heldenbuch a. a. O.L; LXni.
110 Kapitel ü. Die Waldmeister und ihre Sippe:
den (vgl. den estnischen Banmelf ob. S. 68) wie die Seligen vom
Stunnriesen. Weicht schon dieser Zug von den bisher ange-
führten deutschen Sagenformen ab, so noch mehr, daß das Wald-
weib den Kitter irre laufen läßt (vgl. ob. S. 61 die Sage vom
Apfelbaum bei Falsterbro) und daß dasselbe von seiner Seite
die geschlechtliche Verbindung mit Menschen sucht
Die Vergleichung der schwedischen Skogsnuf^ar wird uns jedoch
Zug f\lr Zug gewiß machen, daß wir es in diesen aus der dich-
terischen Verarbeitung herausgeschälten Volksanschauungen mit
einer uralten in Deutschland seit Jahrhunderten verschollenen
Form der Ueberlieferung zu tun haben.
§. 9. Wilde Leute: Norggen. Wie in Graubünden mid
Vorarlberg die riesigen Fänkenmänner in die zwerghaften Feng^
gen übergehen, kennt der Tiroler Volksglaube neben dem unge-
heuren wilden Mann, der die Seligen verfolgt, ein harmloses
„Wildmännl." Diese „wilden Männlein'' führen häufig
den wälschen Namen der Norgen^ (Nörglein, Orgen, Orken, oder
Lorgen d. i. ital. il orco, franz. ogre, Fem. it. orca fr. ogresse
aus lat Orcus, in orco, ein Name, der nach der Predigt des
h. Eligius (myth.^ XXX) schon im 7. Jahrhundert unter den
Romanen des Frankenlandes ein Wesen des Volksglaubens
, bezeichnete und dem Begriffe nach, wol dem griechischen
^€og xx^oviogy dem deutschen „Unnererdschen" Zwerg u. s. w. ent-
sprechen wird. Es ist aber fast nur der Name von den Wäl-
dchen entlehnt, denn der Orco der Ladiner, ein tückischer Bei^-
geist, der den Menschen schlimm mitspielt, und sich in alle
Gestalten wandeln kann , wird in vielen und wesentlichen Stücken
verschieden von dem Ork und Nörkele der Deutschtiroler geschil-
dert.^ Letzterer ist halb Zwerg, halb Kobold und zeigt sich als
solcher gern von der neckischen Seite. Die Norgen sollen vom
Himmel gestürzte Engel sein, welche im Fall an Bergen und
Bäumen hangen blieben und noch jetzt in hohlen Bäumen und
andern Löchern und Berghöhlen wohnen.^ Sie hüten dem Bauer
1) Nach den Norken haben einzelne Felsspitzen den Namen z. B. zwi-
schen dem Matscher und Planailtale. Chr. Schneller vermutet (Ausland 1871
N. 41, S. %4, daß auch der Ortles eine cima d'orcles Nörkelnspitze sei, da
im Grodnerischen tl aus cl entsteht.
2) S. Alpenhurg, Mythen S. 71—74.
3) Zingerle 39, 51.
Wilde Leute: Norggen. 111
juf der Alp oder im Stalle das Vieh, spielen den Mägden man-
dien Possen, gehen davon, sobald man sie mit neuem Gewände
beechenkt, stehlen Kinder, hocken dem Wanderer auf un^
machen sidi so furchtbar schwer, daß mancher der Last erlag, oder
Krankheit davon trug. Ihre Töchter, die beim Bauer dienen, wei^
den auf die schon bekannte Art durch Ansage , daß der Vater todt
sei, heim berufen (vgl. ob. 8. 90). ^ Sie tragen sich gern in Grttn, in
Bergmoos', grflne Jacke und grüne Hosen' oder grttne Strümpfe
gekleidet^ Sie sind also, abgesehen davon, daß bei ihnen, etwa
von ihrem ladinischen Namensvater dem Orco her, die schalkhaile
Seite des Koboldcharacters mehr herausgebildet ist, den Fenggen
Graubündens ganz gleich. Oft erwähnt von diesen wilden
Man nein oder Nörgeln ist der folgende Zug, der übrigens auch
Ton den Seligen berichtet wird.^ Bei herannahendem Regen-
wetter läßt sich das Nörgl jauchzend auf einer Anhöhe sehen
and dient^als Wetterprophet. Im Frühling, oder Spätherbst, zur
Zeit der Aussaat erscheint dem Bauer das befreundete wilde
Häanlein und bezeichnet ihm die Zeit, wann er das Feld bebauen
solle. Entweder giebt es durch sein persönliches Erscheinen
dieses Zeichen oder indem es einen Püug, oder eine Egge auf
den Acker stellt^ Aelter wol und ursprünglicher ist die erstere
Angabe. In Navis erschien immer zur Zeit der Aus-
saat ein wildes Männlein und die Bauern konnten
darauf rechnen, daß sie, sobald es sich zeigte, aus-
säen und eine gute Ernte hoffen durften. Auf den Vol-
dererberg kam alle Frühjahr ein Mannl. Niemand wußte
wie es hieß oder woher es kam; und doch stand es mit
den Bauern auf bestem Fuß, gab ihnen manchen Hat und bestimmte
genau die Tage, an denen sie diese oder jene Arbeit bestellen
sollten. So lange der Bauer dem Winke des wilden Männleins
1) Zingerle 38, 49.
2) Zingerle 52, 79.
3) Zingerle 53, 80,
4) Alpenburg, Mythen 119, 33.
5) Zingerle 28, 35: Die Jnngfranen von der Lecklabne gaben dem
liochersbanem gute Rate, sie sagten ihm, wann er säen und ernten solle.
Vgl. ob. S. 98, daA der riesige wilde Mann den Leuten die Witterung vor-
Musagt
6) Zingerle S. 45, G2. 46, 64. 47, (>5. 47, 66. Alpenburg, Myth. 1 15, 2a
112 Kapitel ü. Die Waldgeister und ihre Sippe :
(Norgleins) folgt, erfreut er sich jedesmal einer reichen Ernte.
Was er einstmals aber, da der Norg oder s^in Zeichen lange
ausbleibt, auf eigene Hand aussät, oder einheimst, kommt hinter-
her noch ein Unwetter, das die ganze Ernte vernichtet Der
wilde Mann verschwindet flir immer mit den Worten: „hättet ihr
mich viel gefragt, hätte ich euch viel gesagt."^
§. 10. Wilde Leute: Bilmon, Salvadegh^ Salvanel in
WBlsch- Tirol. In Wälschtirol zumal um Folgareit sprechen die
Deutschen vom wilden mon, Bilmon oder Bedelmon (wilden
mann), der in Höhlen 'wohnt als wilder Jäger zur Zeit des
Heumähens jagt und, wenn man von ihm einen Jagdanteil ver-
langt, einen halben Menscheuleib an die Haustüre wirft' Er
lehrt Holzschläger die Kunst Käse zu machen, als man ihn einst
berauscht und so gefangen hat.^ Wäre er nicht zu frOhe
entkommen, so hätte er noch manche schöne Dinge gelehrt»
besonders aus Milch Wachs zu machen. Das von ilyn gejagte
Weib heiratet einen Menschen, der sie rettet, verläßt denselben,
weil er ihr mit der linken statt der rechten Hand den SchweiB
getrocknet hat, kehrt aber zurück, um ihre Kinder zu waschen
und zu kämmen (vgl. o. S. 104);* oder sie eilt davon, weil ihr
Mann mit seinem Wagen durch den Wald fahrend plötzlich eine
Stimme hört: „Sag der Mao, daß Mamao gestorben ist^.^
Die Frauen der wilden Männer, die wilden Weiber heißen in
Folgareit und Trambileno zuweilen Frauberte, sie führen den
Wanderer gerne in den Wäldern irre, indem sie plötzlich
Stücke Leinwand durch den Wald spinnen und ihm den
Weg sperren (Nebel). Dieser wilde Mann wird von den Ladi-
nem in den nämlichen Tälern von Folgareit und Trambileno
Tom salvadegh (= franz. l'homme sauvage aus salvage, lat.
homo sUvaticus) genannt. Die entsprechende weibliche Form läBt
1) Zingerle 46, 64. 47, 65. Alpcnburg, Mythen 115, 28.
2) SchneUer, Märchen und Sagen 209, 1. 2. 211, 6. 212, 8.
3) A. a. 0. 200, 2. 210, 3.
4) A. a. 0. 211, 6. 210, 5.
5) A. a. 0. 210, 4. 212. 7. Hier noch der Zug, daß sie dem Bauer die
Zeit des Pflügens , Säcns , Mähens und Behenauf hindens ansagt. Jene Namen
Mao, Mamao, Nachahmung des Katzengeschreis weisen darauf hin, daß man
sich diese Wesen als zuweilen katzengestaltig, wie die Fangen oben
S. 89 als Wildkatzen gedacht hat.
Wnde Leute: Bilmon, Salvadegh, Siilvanel in Wälsch - Tirol. 113
sich bereits im 10. Jahrhundert ans des Burchard von Worms
Decretensammlong p. lOS** (myth.* XXXVIII.) erweisen: Crcdi-
disti qood quidam credere solent, quodsint agrestes feminae,
qaas silvaticas vocant, quas dicunt esse corporeas et
qiumdo Yoluerint ostendant se suis amatoribus et cum
eis diennt se oblectasse et item qnando voluerint abscondant
86 et evanescant^' Deutlich ist ^^agrestis femina^' Uebersetzung
des deutschen Ausdrucks ^^wilde Frau'^ (Vgl. weiter unten die
Sagen von der schwedischen SkogsnufVa und o. S. 1 08 die rauhe
Else.) In Valsugana um Borgo heißt der Salvadegh Salvanel.
Man erzählt hier von ihm ebenfalls, daß er mitten in Wäldern
Höhlen bewohnt, den Hirten die Milch stiehlt und, als man ihn
einst durch 2 mit Wein gefüllte Milchgefäße fängt
uA bindet, die Bereitung von Butter, Käse und Lab lehrt. Er
lubt kleine Kinder, besonders Mädchen. Wenn ein Baum absteht
md auf einer Seite des Stammes an einer schon von der Fäul-
mß ergriffenen Stelle ein Wässeriger Saft abfließt, so sagen im
Irischen Etschlande die Bauern, er habe den Salvanel.^
Salvanel entspräche latein. Silvanellus, d. h. doppeltem Diminutiv
von Süvanus. In Fassa Enneberg und der Gegend des Kreuz-
kofels führen die wilden Männer den Namen Salvangs (Sing. Sal-
vang Plur. Salvegn) = lat. Silvani, Silvanii. Sie waren stark,
haarig und hatten lange Nägel an den behaarten Fingern. Man
ftrehtete sich vor ihnen, weil sie gerne Kinder abtauschten.
Deshalb trifft man noch jetzt an alten Häusern der dortigen
Gegend nur kleine runde Fenster, die sich bequem mit einem
Schubladen schließen lassen.^ Die wilden Weiber der Salvegn
heißen in Fassa Bregostane, in Enneberg Cannes ^ (über Fangga
8. 0. S. 99).
Noch wilder, den Fanggen Deutschtirols ähnlich, denkt sich
das Volk um Mantua die gente salvatica, Geister luüh Mmschj
halb Tier mit einem Schwänze hinten y welche Menschen mit sich
in den Wald tragen und auffressen. Ein ins Saatfeld gesteckter
Popanz aus alten Lumpen, von dem man den Kindern sagt er
1) Schneller a. a. 0. 213, IV.
2) L. y. Hörmann , Mytholog. Beiträge a. Wälscbtirol , Innsbruck 1870.
S.3ff.
3) Staffier, Tirol II. S. 294. L. v. Hörmann a. a. 0. S. 3. 7.
Mannhardt. 8
a
r.
114 Kapitel IL Die Waldgeistor und ihre Sippe:
werde sie forttragen, wird ebendaselbst als Salbanello bezeich-
net^ Niemand wird sich hier dem Zugeständniß entziehen können,
daß in allmählichen Uebergängen ein grader Weg von den Bamn-
genien nnd mitteldeutschen Waldlenten uns bis an den römischen
Silvanns nnd Pannus herangef&hrt hat. Wir werden davon
Act nehmen dürfen, um uns dieses Zugeständnisses an einem
andern Orte zu erinnern, wenn wir von ganz anderer Seite den
nämlichen Endpunkt erreicht haben werden.
§.11. Wilde Leute: Pilosns, Schrat, SchrStlein. Fflrs
erste liegt uns jedoch die Pflicht ob die Bedeutung noch eines
andern sehr scheinbaren Zeugnisses fUr die Uebereinstimmnng
unserer Waldgeister mit den Panen und Satyrn auf ihren wahren
Wert hinabzustimmen. Wir sahen , daß die Moosleute und wilden
Männer als am ganzen Leibe behaart geschildert werden. Bei
romanischen, deutschen und slavischen Si^hriftstellem des M. A^
namentlich Glossatoren ist die Rede von geisterhaften Wesen
„Pilosi, qui graece panitae, latine incubi appellantur'^ von denen
dann verschiedene den Hausgeistern , Kobolden und Zwergen zu-
kommende Geschichten erzählt werden.^ Daraus darf aber keines-
weges etwa ein Zeugniß entnommen werden, daß die Erzähler
dieser Sagen die betreffenden Hausgeister u. s. w., denen sie
den Namen Pilosi , satyri u. s. w. beilegen , als den Faunen oder
Panen in Gestalt oder Verrichtungen genauer entsprechend bezeich-
nen wollen. Vielmehr drückt dieser Name für sie nur den all-
gemeinen Begriff daijuovinv aus, im Anschluß an Jesaias 13, 21
in der Vulgatattbersetzung. Letztere Stelle liegt allen den erwähn-
ten Glossen zu Grunde, oder schwebt den meist kirchlichen
Schriftstellern vor. Deutlich aber läßt sich an einem einheimi-
schen Namen, der zuweilen zur Verdeutschung von pilosus gebraucht
wird, der schon oft beobachtete Uebergang vom Waldgeist in
den Hüter und Schützer des Hauses aufs neue beobachten.
Althochd. Glossen Myth.^ 447 gewährten scratun, pilosi; walt-
schrate satyrus' auch mhd. begegnet „ein wilder walt-
1) mündlich.
2) Grimm, Myth.« 447. 449. Grimm, Irische Elfenmärchen CIX — CXIV.
3) Nach nnserer vorstehenden Bemerkung war Grimm Myth.* 448 also
durch diese Glosse noch nicht herechtigt zn der sachlich vielleicht dennoch
zutreffenden Schilderung: Schrat ein ,, wilder zottiger'' Waldgeist.
Wildlente: Delle Vivanc, En^nane. 115
schraf Nach Konunann mons Veneria 1644 p. 161 wurde
der rOtliehe Saft, den die Schmetterlinge an die
Blame ansetzen, für das Blut der vom Teufel yer-
folgten und verwundeten Schretlein gehalten. Man
glaubte, daB sie jene Blutspuren zurücklassen, wenn
sie, um vor dem Bösen sich zu retten, in das Innere
der Blame hineinschlttpfen. Die Schrate oder Schretel,
Sdiretlein n. s. w. stellten sich also unsem vom wilden Jäger
gejagten Mooslenten und den estnischen vom Donner verfolgten
Bamnelfen (s. o. S. 68) nahe zur Seite. Zu bemerken ist iJ)er,
dai in Niederbaiem Schratl den Wirbelwind bezeich-
let* Schon von alter Zeit her wird den Schraten gleichzeitig
wA die Bolle von Hausgeistern und Kobolden zuerteilt Vgl.
äbretlili penates. Vocab. v. 1482 srate lares mali. Sumerl. 10, 66.
Jedes Hans hat ein Schrezlein; wer es hegt, dem giebt es
6«t mid Ehre u. s. w. Michel Beham 8, 9 ; screti penates intimi
et leeretales. Wacehrad mater verhör. Namentlich ist der Skrat
bei den Inselschweden und ebenso durch Entlehnuhg von diesen
ii der Form Erat bei den Esten ein Hausgeist oder Kobold, der
aodi mit dem fliegenden Drachen identifiziert wird) welcher
seinem Besitzer Getreide und andere Dinge durch die Luft zuträgt. ^
Ob in Eekehards Waltharius die flir den in langer Waldwande-
rmg an Aussehen verwilderten Helden gebrauchte Vergleichung
„sahibns assuetus Faunus^', „Silvanus Faunus'^ jenes deutsche
Waltschrate übersetzt, wie Grimm meint, mag dahin gestellt
bleiben. Der Schrat wird gewöhnlich zwerghaft, in Kindesgröße
gedacht; aber das Beispiel des Tiroler wilden Mannes lehrt, daB
daneben sehr wohl eine riesige Gestaltung desselben Wesens her-
liufen konnte Wir sahen die gente salvaticä vorhin in Tier-
gestalt flbei^ehen ; schon früher begegnete uns ein dem Salgfräu-
1cm entsprechendes weibliches Wesen, eine Diale mit Ziegen-
fftßen (o. S. 95).
§. 12. Wildleate: Delle Vlvane, Engnane. Im Grödener
Tale heißen die Seligen Belle Vivane, in Fassa Delle Vivane.
^e solche hockte jedesmal einem Bauer auf den Wagen, wenn
er Holz von der Alpe nach Hause flihrte, und fahr bis zu einer
1) P&Mer, Beitr. II, 209.
2) ßnEwnrm, Eibofolke §. 373 ff.
8
IIG Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sip|»e:
gewissen Brücke mit. Dem Rate einer klugen Alten folgend
wußte der Bauer sie zu fangen und zu bestimmen , sein Weib so
werden. Sie willigte ein, wenn er sie nie Geiß nennen
wolle. Als er dies nach Jahren in der Leidenschaft eines
Wortwechsels dennoch tat, tanzte plötzlich alles im Zim-
mer, es entstand in dessen Mitte ein Staubwirbel und
darin verschwand sie.^ Im Nonsberg und Valsugana in
Wälseh- Tirol heißen die Seligen Angane (Enguane, Egauie);
von ihnen werden die bekannten Wildfrauensagen erzählt , ihr
Verfolger aber ist ein wilder Jäger Namens Beatrik, der sa
Roß und mit vielen kleinen Hündchen, besonders zu Weihnachten
dahersttlrmt. Wir nennen ihn hier besonders, um zu erwähnen^'
daß er einst einem Hirten befiehlt einen Bock von der Spitie
eines Httgels zu holen, zu schlachten, zu kochen and '
dann mit zu essen. Nach dem Essen warf der Beatrik
die abgezogene Haut des Bockes auf die wohl aafge^
hobenen Beine, da war der Bock lebendig und ging
zur Ttlr« hinaus, aber er hinkte ein wenig, weil der
Hirte ein Beinchen vom Fuße verschluckt hatte.' Es \i
ist dieselbe Mythe, welche in der jungem Edda vom Glewitter^
gotte Thorr, in Oberdeutschland von der Wiederbelebung eines
Hasen, einer Gemse, einer Kuh durch das wilde Heer (Nach^
volk) Zwerge, wilde Frauen oder Hexen, in den Niederlanden
und England von Erneuerung eines Ochsen, Kalbes oder Schwei-
nes durch die wilde Jägerin Herodias oder durch Heilige berichtet
wird.*
1) L. V. Hormann a. a. 0. 8.
2) Schneller a. a. 0. 207, 5.
3) S. Mannhardt, German. Myth. 57 — 62. Zin^erle, Sagen, M&rehen
u. B. w. 10, 13. 11, Ift. 411, 725. Vgl. Rochholz, Aargaus. I, S. 384. Den.
Naturmythen S. 122. Ders., Deutscher Glaube und Brauch I, S. 222 ff. Kuhn
in Zachers Zeitschr. f. d. Phil. 1, llü. Beachtenswert ist die folgende Variante:
Ein Bursch , der auf einem Baume sitzt , sieht Hexen eine aus ihrer Mitte in
Stücke reißen und die Brocken in die Höhe werfen. Der junge Mann erwischt
eine Kippe und behält sie bei sich. Bevor die Hexen abziehen, suchen sie
die Stücke wieder zusammen und formen daraus den alten Körper. Da aie
die Rippe nicht linden , setzen sie dafür eine andere aus Erlholz ein und
machen dann die Tüdte wieder lebendig. Zs. f. d. M^th. II, 178, 20.
Zingerle, Sagen 337, 58G vgl. 338, 587. Wem fiele dabei nicht Pelops
elfenbeinerne Schulter ein?
Wilde Leate der kclÜBchün Sage. Damcs veiies. 117
§. 13. Wilde Leute der keltischen Sage. Haben mr ein-
mal im Verfolg der verschiedenen Gestalten der Waldgeister die
germanische Orenze nach der romanischen Seite hin überschritten,
00 sei gleich des wilden Mannes nnd des wilden Weibos
in der ArtOBsage gedacht, zweier Figuren , welche wahrscheinlich
ans der keltischen Ueberlicfemng der Bretagne ihren Ursprung
ableiten. £0 sind Riesen von* grausiger Gestalt, ellenbreitem
Haopt , ebergleichen Stoßzähnen , roten Augen und über die Ohren
hinabhangendem ruBfarbenem Haare. Das Weib ist nicht minder
tehreeklichy als der Mann. Ea zeichnen sie kaum die Länge
ihres Haares und ihre weit herabhangenden Brtlste aus
[r brtlste nider hiengeu, di siten si beviengeu gelich zwein
grdaen taschen da]. Der Mann trägt einen mächtigen Eisenkolben
dl Waffe. Sein Geschält ist, in dem märchenhaften Walde von
kexQiande als ^rte die wilden Tiere des Waldes, Wi-
Kode nnd Auerochsen zu weiden, die ihm bebend als ihrem
Meister gehorchen.^
§. 14. Dames yertes« Dem ersten Anscheine nach yciliig
TOD diesen keltischen Wildleuten verschieden weisen die w e i ß e n
oder grünen Fraue^ des Franche Comte (Dames blanche«,
Dames vertes) doch auch Venvandtscbai't mit dem wilden Weibe
in Deutschland aui*. Grüne Frauen haben u. a. in einem Walde
bei Relans D^p. du Jura iliren Aufenthalt. An einer gewissen
Eiche (chSne des bras) zünden sie Feuer an, da hört man sie
singen und schreien. Auf engem Waldpfade l>egegncn sie den
Menschen und locken sie mit unwiderstehlichen Keizen in das
tieiste und entlegenste Dickicht; da schwindet der Zauber; die
holdseligen Liebhaberinnen wandeln sich in erbarmungslose
l) Hartinann, Iwein v. 425 ff. Wirnt v. Gravenlierg, Wigalois ed. Pfeiffer
S. 162 Lady Guest, Mabinogion 1, S. 45 — 46. Vgl. Ziugcrle i. d. Zs. f. d.
Myth. III, 1% ft. und ühland Schriften 111, S. 52 ff. und S. VM) ff., wo weitere
Nachweisningcn ans der altfranzösischen und altenglischen Literatur und den
Mabinogion gegeben sind. Vgl. den Zauberer Merlin . der nach dem Gedichte
Galefrids von Monmouth. Vita Merlini saec. XII. im Dickicht der Urwälder
eine Heerde von Hirschen und Rehen vor sich hertreibt. (Uhland a. a. 0.
S. 53. 144J.) Uhland vergleicht den Tierkerl im dänischen Liede von Sveud
Vonved. Derselbe stammt ohne Zweifel mit dem wilden Mann der Iweinsago
aas einer Quelle, da auch die Schicksale SvendVonveds denjenigen des Kilhwch
eines Helden der Tafelrunde in vielen Einzelheiten entsprechen. S. Sv. Grundt-
rig, Danmarks H. Folkeviser 1, 23'J.
118 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
Furien, welche ihr Opfer eben so eifrig verfqlgen, ids sie e«
zuvor angezogen hatten. Die großen und schönen grflnen
Frauen in den Wäldern beim Dorfe Veyria sind so mutwillig^
die Vorübergehenden beim Arme zu fassen und sie zu einem
Gange über die Ortsgrenzen hinaus zu verleiten. Da verirren
sie sich mit ihnen vom rechten Wege und dieselben
kommen zum Verdruß der e^ersflchtigen Mägdlein von Veym
erst spät wieder. Im Tale von Salins im Walde von Andelot
bei Pont d'Hery befindet sich eine Grotte y,chambre de la
dame verte'^ genannt. Auf dem großen Wege unfern diTon
läßt sich die grttne Dame oft genug sehen. Einst traf sie ein
fUnizigjähriger Mann aus Andelot, Cousin, der den Spitznamen .
Badaud (Einfaltspinsel) flihrte , wie sie grade ihr Strumpfband :
befestigte. Er bot ihr seine Dienste an; sie tat als nehme sie i
sein Anerbieten an und schlug ihm einen kleinen Spatziergang i
in den Schonungen und Wäldern vor. Da er hoffiiungsvoli md ^
eifrig darauf einging, nahm sie seinen Arm, drückte ihn fest
an sich und schleppte ihn dann atemlos durch Dorn
und Hecken, Brücher und Sümpfe, wobei sie sich ap- ;
stellte, als merke sie nichts. Als der Unglückliche
endlich um Gnade bat, war sie so gefällig ihn über
beackertesLand, oder spitze Felsen laufen zulassen.
Er hatte ein Btlndel auf dem Markte gekauften Flachses bei sicsh
„Laß uns deinen Flachs spinnen, sagte sie, Badaud, laß uns
deinen Flachs spinnen !'' Und allenthalben wurde hier etwas
Flachs von den Domen gekämmt, blieb dort etwas an den Baum-
ästen hängen. „Laß uns deinen Flachs spinnen !'' wiederholte
sie und von seinem Bündel blieb auch kein Faden übrig. In
der Umgegend von Salins erscheint die grüne Frau oft den Ein-
wohnern von Aresches und Th^sy, auch sieht man sie am Quell
von Alon. Einem jungen Vorwitzigen Petit Poulot, der sie am
den schlanken Leib faßte, um mit ihr zu schäckem, gab sie eine
derbe Lection, die ihn ftlr längere Zeit zum Gespötte seiner
Bekannten machte. Die über die Combe-ä-la Dame unweit
Glömont vom Jahrmarkt von St. Hippolyte zurückkehrenden Barsche
finden sich plötzlich im wilden Waldesdickicht umringt von einer
Schaar junger neckischer und niedlicher Damen (aussi espiögles
que jolies); an ihrer Spitze, die andern um eines Hauptes Länge
überragend die grüne Frau. Sie trieben mit den Burschen ihr
Daines Tertes. 119
Spiel y allerlei Koboldstreiche , ftlhrten sie vom Wege ab und
brachen endlich in helles Gelächter aus, welches
als vielfaches Echo spöttisch wiederhallte. Zwischen
Keiifchätel und B^mondan heißt ein Berg ,,la röche de la Dame
Yerte'^ Da verbirgt sich die grüne Frao^ wenn es
regnet, in engem Versteck hinter Bachen nnd einem
dichten Vorhang biegsamer Schlingpflanzen. Auch
anf einer Wiese an den Ufern der Braine zwischen Seilli^res nnd
Ve» wird eine grüne Dame sichtbar , die sich auf Kosten der
jiiqgen Leute in diesen Orten lustig zu machen liebt In den
■eben Quellen inmitten eines sehr einsamen Tales bei Greye
adit man die grünen Frauen fröhlich ihre Wäsche waschen.
Am fiebsten läAt sich die grüne Dame in Grebüschen am Bande
iur Wiesen^ am Abhänge gegen einen Weiher und am Ufer der
<)aeUen sehen und gerne stößt sie den Gast, den sie an sich
gelockt hat, ins Wasser. Dr. Gaspard aus Gigny (D^p. du Jura)
weiß noch sehr wol aus seiner Jugend des folgenden Umstandes
ach ZQ erinnern. Wenn man in der weiten Prairie das Gras
mähte, so behaupteten die Arbeiterinnen, welche
das Heu streuten und umwendeten, fast regelmäßig
die „Dame verte'^ ganz in ihrer Nähe haben vorüber-
gehen zu sehen. Dies geschah zumal auf der sogenannten
Bosenwiese und in der Nähe der „ Grotten '', wo sie und ihre
Gefährtinnen sich vereinigen sollen. Schwankten die Kräuter
und Halme (epis) im Winde, so sagte man^ die grüne Dame und
ihre Gefährtinnen seien da, die mit ihren leichten Füßen darüber
himoandelnd Blumen und Aehren 'niederbögen. Und bei aller
Tücke in ihrem Wesen leisten doch auch sie dem nahen Dorfe
gewissermaßen den Beistand eines guten Hausgeistes. Zu Mai-
»ieres im Tale von Loue (D^p. du Doubs) erschien die grüne Frau
am Vorabende eines das Dörfchen verheerenden Brandes durch
die Kornfelder und Baumgärten wandehid; doch niemand
beachtete ihre stmnme Mahnung.^ Vgl. o. S. 108 die rauhe Else,
diefeminae agrestes silvaticae o. S. 113, und weiter unten die schwe-
dischen Skogsnufvar. Hinsichtlich der Wäsche vgl. S. 101. 112.
Am bemerkenswertesten jedoch ist der Umstand,
1) S. Monnier, Traditions populaires comparöes. Paris 1854. S. 228— 29.
255-260. 759—762.
120 Kapitel IL Die Waldgeister und ihre Sippe:
daß dieselben Frauen, welche das Leben des Waldes
erfüllen, auch im Winde durch oder über die Gras-
halme der Wiese, die Kornhalme des Ackerfeldes
(und die Wipfel der Obstbäume) wandeln. Vgl. .0. S. 77
die Holzfräulein. Die Promenade durch Dom und Hecken erinnert
sehr an die Sturmnatur anderer Waldgeister. Das Flachsspinnen
gleicht dem Gamspinnen der Holzfrau 0. S. 76.
§. 15. Wildfrauen In Steiermark. Von der Abschwei-
fung ins romanische Ausland kehren wir auf deutschen Boden
zurück. In Steiermark hetzt eine ganze Genossen-
Schaft von wilden Jägern (das wilde Gjaid) in einem
halb pflüg- halb schiifartigen Schlitten fahrend und von den
gleich Rossen vom Schmied beschlagenen Geistern böser Dienst-
mägde ^ gezogen die W i 1 d f r a u e n. Diese sind verwanschene
Menschen, welche von der Rückseite hohl, oder mnl-
denartig gestaltet sein sollen. Sie wohnen in einem
bewaldeten Kogel (Berggipfel) und waschen in kleinen Lachen
ihre Wäsche rein und weiß, die man sie zum Trocknen aufhängen
sieht ^ Das Verständniß dieser seltsamen Beschreibung der Wild-
frauen liefert vielleicht eine Schilderung der Frau Holle in hes-
sischen Hexenacten ; die an der Spitze des wilden Heeres daher-
fahrende „Frau Holt were von vorn her wie ein fein
weibsmensch, aber binden her wie ein hohler Banm
von rohen Rinden".* Sind die WildlVauen Waldgenien, so
liegt es doch wohl am nächsten, daran zu denken, daß (wie bei
der Melusine das menschengestaltete Oberteil ihr geistiges Wesen,
der fischförmige Unterleib ihre Zugehörigkeit zum feuchten Ele-
mente ausspricht) der hohle Rücken, einem vom Alter morsch-
1) Mit diesen DieDstmägden vgl. die Tom wilden Jäger gejagten soge-
nannten Pfaffenköchinnen (Bebelii tacetiae Tübing. 1555 S. 11*; CaesarioB
V. Heisterbach, Dialog XII, 20. cf. Wolf, Beiträge U, 143. Myth. 1230) welche
nach andern Berichten des Teufels Pferde sein sollen (Zs. f. d. Myth. III»
311, 60. Wolf, Niederl. Sag. 690 Anm. 258j und daii der Teufel auf Hexen,
die zeitweilig in Roßgestalt verwandelt sind , durch die Luft reitet und ihnen
Hände und Füße mit Hufeisen beschlagen läßt. Stöber, Sag. d. Elsafi 281,
218. Baader, Bad. Sag. 275. 294. Tettau u. Tenime, Preuß. Volkss. 193,
198. Vemaleken, Alpens. 283, 208. Müllenhoff, Schleswig - Holst. Sag. 226,
309. 310. Wolf, D. M. S. 248, 141.
2) Zs. f. D. Myth. II, 32, 7.
3) Zs. f D. Myth. 1, 274. Vgl. Maunhardt, Germ. Myth. 258. 673. Anm. 1-
St. Walpurgis. 121
gewordenen Baume entlehnt, ihr Naturelement andeuten sollte.^
Wollte man jedoch dieser Deutung Raum geben, so müßte erst
erwiesen sein , daß der hohle Rücken ein ursprüngliches Zubehör
der Wildfrauengestalt und nicht etwa ein aus der Beschreibung
anderer Geister hergcnonmienes Merkmal gewesen sei. An die-
ser Stelle konmit es nur erst darauf an, dem Leser ein Material
fiber Waldgenien vorzuführen, welches ihn später befähigt über
die Natar derselben ein begründetes Urteil herauszubilden.
§. 16. St. Walpurgis. In den meisten dieser oberdeutschen
Ueberlieferungen tritt die Beziehung der gejagten Frauen
lur Korn- oder Heuernte, welche wir bei den Holzfräulein
md den Seligen beobachteten (ob. S. 77) ganz zurück. In einer
'uederöstereichischen Tradition aus der Gegend von Mank kommt
fieselbe wieder zum Vorschein. Die neun Tage vor dem 1. Mai
keißen Walpurgisnächte und auch andere Tage, besonders die
Emtetage, sind der h. Walpurga gewidmet In diesen Zeiten wird
die heilige Walpurga, ein weißes Weib mit feurigen Schuhen' und
goldener Krone, in der Hand einen Spiegel und eine Spindel
tragend, von bösen Geistern auf weißen Rossen durch die tie-
fen Wiesen und Wälder unaufhörlich verfolgt. Vor ihnen
flüchtet sie sich gerne in die geöffneten Fenster eines Baucrhau-
hauses und verbirgt sich hinter dem Fensterkreuz. Einem Bauer,
der bei Nacht sein Getreide heimführte, begegnete die h. Wal-
purga auf ihrer Flacht und bat ihn um Schutz. Er band sie
in eine Garbe ein, bis die wilden Verfolger vorübergetost
waren. Beim Ausdreschen ergab diese Garbe Goldkörncr.^
1) Es verträgt sich mit dieser Deutung (nach S 14) ganz wol, daß der
Mb einen Rücken hat, wie ein Teigtrog (Myth.* CXIilV. Mannhardt, Germ.
Myth. 259^ , und daß Caesarius v. Heistorhach einen koboldartigen Teufel
iagen läßt: ,,wir nehmen menschliche Gestalt an , haben aber keinen Rücken '*
«Caeaariuö III» G. s. Maimhardt a. a. 0. A. Kaufmann, Caesarius v. Heister-
bach 140). Schwieriger ist und nur durch Annahme einer unrichtigen üeber-
tngong damit der Umstand zu vereinigen, daß auch die (übrigens ebenfalls
im Walde umgehenden) feurigen Männer in der Oberpfalz einen muldenför-
migen Kücken besitzen, aus dessen Höhlung das Feuer schlägt. Um Tiefen -
kach sehen sie aus, wie zwei zusammengesetzte Metzgermulden, um Ebnat
wie eine Backmulde. Schönwerth II, 90. Oder hat die Volksphantasie bei
Verkörperung dieser verdammten Grenzmarkverrücker sich an die phospho-
reaiiereuden hohlen Baumstämme des Waldes angelehnt?
2) Vemaleken. Alpcnsagen S. 101» ff. Vgl. Grohmann , Sagen aus Böh-
men S. 44 ff. offenbar aus derselben Quelle !
}
122 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
Rochholz (drei Gaugöttinnen, Leipzig 1870) hat vergeblich yer-
sucht nachzuweisen 9 daß Walpurgis eine altgermanische Göttin
war, aus deren Sagenkreis u. a. die vorstehende Ueberliefenmg
als Rest geblieben. #Aus Tatsachen, die wir im Laufe unserer
Darlegung mitzuteilen, auch ftlr die Erklärung der vorliegenden
Sage nutzbar zu machen gedenken, wird vielmehr hervorgehen,
daß der Name Walpurga nur von dem Kalendernamen der Zeit
hergenommen ist, in welche der Volksglaube die Jagd auf das
geisterhafte mit den Holzfräulein, Seligen u. s. w. im übrigen
identische Weib verlegte.
§. 17. Weiße Weiber, EUepIger, Heerfrauen. Im nord-
deutschen Flachland und Dänemark, soviel ich weiß auch in
England, treten die Waldgenien als solche sehr zurück. Zwar
fehlt es nicht an Seitenstücken zu vielen der von den Holzleaten
und wil4en Leuten erzählten Sagen, aber in diesen werden an
Stelle jener Wesen die sogenannten Unterirdischen, oder weißen
Weiber oder Meerfrauen (Haffruer) handelnd oder leidend ange-
führt, oder es ist ein einzelnes weißes Weib (Frau, Jungfrau,
Wetterhexe, Haffru, Ellepige) der Gegenstand der Verfolgung
von Seiten des wilden Jägers (Wode, Frau Wauer, in Däne-
mark Un, d. i. Zusammenziehung aus Oden, Grönjette, Kong
Valdemar) und es wird wol hinzugesetzt, daß es seine Buhle^
sei, die er sieben Jahre lang verfolgt habe und wenn er sie
heute nicht erreiche, so sei sie erlöst.^ Dabei kehren mehrere
1) S. Kuhn, Nordd/ Sagen 131, 151. Ehenso jagt in der romanischen
Sage der wilde Jäger seine Geliebte (Myth.* 895) und bei Caesarius der
infemalis venator die Concubina sacerdotis. Wolf, Beiträge z. D. Myth.
II, 143.
2) Ebd. 145, vgl. die Sage vom Grönjette auf Möen. Grimm, Myth.*
896. Die Jagd auf ein einzelnes Weib ist auch in der englischen Sage zu
Hause. Zu Dartmoor in Devonshiro jagt ein wilder Jäger (wild huntsman)
Nacht für Nacht mit schwarzen Doggen, welche Wushhounds heißen. Ein
altes Weib nahm einst ein weißes Kaninchen schützend in ihren Korb auf,
das sie mit menschlicher Stimme um Hilfe bat. Bald darauf kommt der
wilde Jäger mit seinen feuerspeienden Hunden und fragt nach dem weifien
Kanin. Als die wilde Jagd vorbeigebraust ist, entsteigt dem Korbe eine
weiße Jungfrau. (Mitgeteilt von Mr. S. Baring - Gould). Auch in Nort»
hamptonshire in den Wäldern von Whitlebury und Rockingham jagt der
wild man mit seinen wildhounds ewig eine Jungfrau, seine Geliebte,
um deren willen er sich den Tod gab. Täglich tödtet er sie und täglich
Weiße Weiber, Ellepiger, MeerfraaeiL
123
«08 bereits bekannte characteriBtische Züge wieder. Die gejag-
ten Wesen haben lange fliegende (einmal wird auch
gesagt gelbe) Haare.^ Der Wilde hängt sie, wenn er sie
eilegty mit denselben zusanmiengeknüpfl quer über sein Boft.
Auch die Brüste des .verfolgten Weibes werden als lang und groB
hervoigehoben, wovon sie auch Slatte Langpatte heißt ^
Als eharacteristische Züge , die vielleicht von Bedeutung sind,
dürfen vielleicht noch die folgenden hervorgehoben werden. Die
verfolgte Frau muß wie auch der wilde Jäger einen Kreuz-
weg passieren, der ihre Fahrt unterbricht; im Laufe auf der
Flacht wird sie kleiner und kleiner, bis sie zuletzt
nur anf den Knien läuft'
Was auch immer die Bedeutung der Sage von der Jagd
des wilden Jägers auf die einzelne Frau, oder eine Schaar elbi-
aeher Wesen sei [beide Formen der Tradition sind im Grunde
nidit verschieden ^] , jedenfalls ist die Verwandlung der Verfolg-
Ubt ne mf , nm aafs neue sein Jagdobject zu werden. Stemberg, the dia-
ket and foUdore of Northamptonshire 1851, p. 143.
1) Mfillenhoff, Schleswig -Holst. Sagen 373, 500. Der Wode jagt in
Lanenbnrg die ünnererdschen mit den gelben Haaren. Die Mecklenburgische
Sage bei Schwartz, Volksglaube, Aufl. 2. S. 43 bestätigt, daß der wilde
Jäger zwei kleine Männchen mit den Haaren zusammengebun-
den quer über dem Pferde liegen hatte. Bei Suckow in Mecklen-
burg hat Frau Wauer zwei weiße Weiber mit den Haaren zusammen-
geknäpft. Niederhöffer, Mecklenburgs Volkssagen 111, 190 ff. Auch die Wet-
terhexe, welche der Jäger Jenn verfolgt, hat fliegende Haare (Nioder-
h5ffer III, 92 ff.). Und schon in der ältesten Aufzeichnung unserer Sage bei
Ciesarina v. Heisterbach werden die Haare hervorgehoben s. J. W. Wolf,
Bdtr. U, 143.
2) Der wilde Jäger Un hat die Meerfrauen mit den Brüsten zu*
•zmmengebunden und Über sein Roß geworfen. Sv. Grundtvig,
Gamle Danske Minder i Folkcmunde III, 58. Kong Vallemand jagt eine Frau
mit langen Brüsten und Brustwarzen, die ihr über den Leib
niederhängen (ebd. 60, 6). Bei Ringsted hat das Weib ein Paar
Brüste, welche auf der Erde schleppen. Der Verfolger fragt einen
Kann , ob er die Frau mit den schlaffen langen Brüsten (Slutte Langpatte)
nicht gesehen habe (ebd. Gl, 9 ff.) Auch in Fünen jagt der Palnajäger die
lAngpatte. Thiele, Danmarks Felkes. II, 121, 1
3) Kuhn, Nordd. Sag. 99, 115.
4) Bald ist es eine Concubina, bald eine ganze Schaar Pfaffenköchin-
nen, bald ist ein weißes Weib, bald sind mehrere die Jagdbeute des gespen-
itigen Verfolgers. J. W. Wolf a. a. 0. 143. 144. Niederhöffer , Mecklenb
124 Kapitel II. Die Waldgebtcr und ihre Sippe:
ten in Meerfrauen ein durch die geographische Lage der däni-
schen Inseln veranlaßtes Misverständuiß und ebenso scheinen
unter den UnnerSrdschen und weißen Weibern (witte wiwer)
hier Dämonen gedacht zu sein^ welche vor andern
Geistern gleiches Namens durch noch deutlich
erkennbare Beziehungen zur Pflanzenwelt sich her-
vortun. Sie wohnen zwar meistens auf freiem Felde unter
Büschen oder in der Erde, oder in kleinen Erdhttgeln (dem
flachländischen Gegenstück der Tiroler Berghöhlen) und wären
danach wol als Feldgeister zu bezeichnen, aber zuweilen
hausen sie auch in Waldlichtungen, oder unter den Wur-
zeln alter Bäume. Und wenn man, was doch wol sehr
wahrscheinlich ist, die witte Wtwer in Mecklenburg von den witte
Wtwer auf dem benachbarten Rügen nicht trennen darf, so bie-
tet die folgende Sage einen directen Belag datUr, daß sie teil-
weise mit den Baumseelen zusammen fallen. Bei Mönchgut
stand eine Eiche. Als die Witten Wiwer von dort
vertrieben wurden, vertrocknete die Eiche und sie
sagten, wenn die Eiche wieder ausschlüge, würden
auch sie wieder kommen. Zeitschr. f. d. Myth. II, 145.
Da es femer nicht ungewöhnlich ist, das Laub der Bäume als
Haar aufzufassen (ob. S. 76), so liegt es nahe mit Müllenhoff
(a. a. 0. und Vorr. XLVl; XLVII) die langen (gelben) Haare
der verfolgten Wesen auf ein characteristisches Zubehör von Moos-
leuten oder Waldfraueu , mit andern Worten auf das gelb gewor-
dene durch den Sturmriesen im Herbste von den Bäumen gejagte
BlättergrUn zu deuten. Hierauf würde auch der Name des Ver-
folgers hinweisen, wenn man den Grönjätte auf Möen als Rie-
sen d. h. entweder den riesigen Dämon oder den Vemichter, .
Verfolger des Grüns fassen dürfte.^ Das einzelne gejagte Weib
Volkss. a. a. 0. lieber die verschiedenen Formen dieser Sagen und ihre älte-
sten Autzeichnungen beim Helinand und Vincentius von Bcauvais, denen
Boccaccio, Hans Sachs und Pauli mit ihren Bearbeitungen folgten vgl. W.
Menzel, Odin Stuttg. 1855. S. 212-214.
1) Vgl. altnord. jotunn van dar gigas arboruni i. e. ventus. Nach
J. E. lUetz, urdbog öfver Svenska allmogcspräket. Lund 18G6 p. 214 ist
in Schonen gröu 2 fem^^ grönska, die Grüne. Vgl. das oberdeutsche Feinin.
grüene, grüne Farbe, Lexer 125. Doch fragt es sich, ob nicht der Name
ürönjctte localen Bezug hat; d. h. von dem Walde Grönvald hergenommen
ist, in weichem er jagen soll (Thiele , üanmarks Folkesagn 1843 II , 119).
Weiße Weiber, Ellepiger, Meerfranen.
125
wäre Mann wol als eine Personification der ganjsen Vegetation
TU verstehen, deren ttppige Nahrungskraft and Zeu-
gangs fülle dorch die ungeheure (von der jüngeren Volkssage
schließlich ins Unschöne übertriebene), Entwickelung ihrer Brüste
angedeutet wird. Im Herbste wird sie von Tag zu Tage kleiner
und kleiner. Sie war des sommerlichen Gottes Buhle; jetzt ent-
lieht sie sich ihm, vor ihm fliehend, während der sieben Win-
termonate (der 7 Jahre der Sage); als Kreuzweg muß die
Jahreswende (Mittwinter, Wintersolstiz resp. Neiyahr) überschrit-
ten werden.^ Wir kommen auf diese Deutung weiterhin noch
einmal zurück.
Zuweilen wird die vom wilden Jäger in Dänemark geja^
Frau gradezu als Ellepige (Elfenmaid) oder Ellefru bezeich-
let' Die Elfen (EUefolket) wohnen im Erlenbruch, der Mann
erscheint als alter Kerl mit breitem Hut; bläst er Menschen an
oder gerät ein Tier aui* die Stelle, wo er mit den Seinigen
weilte, so fallen sie in Siechtum. Die Weiber tanzen bei Mond-
sehein ihren Reigen im grünen Grase, von vorne jung und
Terftthrerisch schön, sind sie hinten hohl wie ein
Backtrog.^* Der letztere Z^ug kehrt aber auch in dänischen
Sagen wieder, welche Waldfrauen in einer ganz ähnlichen Weise
sdüldem, wie die weiterhin zu besprechenden schwedischen
Skogsnufvar. Eines Tages ging ein Kind mit seiner Mutter zu
Walde, da sah es ein großes Weib, das rauchte Taback.
Was ist das für emeV fragte der Junge. Laß du sie nur gehen,
sagte die Mutter; da wandte sich das Weib und zeigte einen
hohlen Rücken.^ Wol nur irrtümlich ist in der folgenden
Sage, die sonst genau den Skogsnufvarsagen entspricht, am
Schlüsse auch ein männlicher Elf eingetllhrt. Auf der Insel Möen
giug Margarete Per Mikaeis als kleines Mädchen einmal durch
den Buchenwald bei Stevns, da begegnete ihr ein großes
Weib mit schwarzer Haube und langen Fingern, die wurde
größer und größer. Margarete lief vor ihr, spürte aber bald
1) Vgl. die im wesentlichsten Obereinstimmende Erklärung A. Kahns,
Xwdd. Sag. 8. 481 . Anm. 115.
2) 8. Grundtvig, G. D. Minder i Folkem. I, 11. 12. III, 62.
3l Thiele, Danmarks Folkesagn II, 17G.
4) Gmndtvig, G. D. M. i F. I, 183, 220.
126 Kapitel Tl. Die Waldgeister und ihre Sippe:
ihre langen Finger anf der Schulter, das Laub wirbelte in
den Baumwipfeln, und das Kind fiel um und blieb liegen,
bis das unheimliche Wesen sich bei Sonnenuntergang in eine
schwarze Kuh verwandelte. Margarete war von da an drei
Jahre verstörten Geistes. Einst als die Kirschbäume bltlhten,
pflückte Margaret alle Blüten ab und lag dann 9 Tage zu Bette,
in der neunten Nacht erschien ein Männchen, das war ein Elb
und wollte das Kind mit sich fortnehmen; da sie aber fest schlief
vermochte er ihr nichts anzuhaben. Ein Eis ist ein Wesen mit
hohlem Rücken, das hat Macht über solche, bei deren Taufe
es nicht ganz richtig zugegangen.^ Margaret blieb immer ver-
stört; im Walde empfand sie stets einen unwiderstehlichen Zug
zu der Stelle, wo jenes Weib ihr begegnet war.*
§. 18. Die schwedischen Waldgefster. Wie die dänische
Inselnatur der überlieferten Sage durch Verwandlung der gejag-
ten Frau in eine Meerfrau ihren Stempel aufdrückte , so auch die
starre Gebirgsformation Skandinaviens. Um die Waldgeister
Schwedens wahrhaft zu verstehen, muß man nach eigener Er-
fahrung den Eindruck sich zum Bewußtsein gebracht haben, den
die unermeßliche Wildniß des schwedischen Urwaldes auf Gemflt
und Phantasie ausübt; man muß den dunkeln , oft grausigen Skog
kennen, dieses meilenweit ununterbrochene chaotische Gemisch
von Laub- und Nadelholz (meist Fichten, Kiefern, Birken und
Erlen) von Felstrümmem und umgestürzten Baumstämmen und
einem Stein und Stock pilzartig überwuchernden Teppich von
Moos und niederem Pflanzengestrüpp. Da hat man nach wenigen
Minuten Pfad und Richtung verloren. Hie und da leitet dich
wol ein vom weidenden Vieh getretener Gang, immer aber in
die Irre; du brichst durch den Pflanzenpelz, der die Untiefen
überzieht, zerreißest deine Kleider, deine Haut an Gestrüpp und
Felskanten und verzichtest auf jedes weitere Vordringen.' Wie
1) Man könnte fast auf den Einfall kommen, daß Bähe -Else (ob.
S. 108) kein Eigenname , sondern ein Appellativurn sei.
2) Grundtvig a. a. 0. I, 181, 217.
3) L. Passarge, Schweden, Lpz. 1867. S. 32. Die Grundlage der nach-
stehenden Schilderung des schwedischen Waldwcihes gewährte Hylten-Ca-
vallius, Värend I, S. 277—281. Ich verweise darauf ein für allemal and
führe nur die außerdem von mir benutzten meist hdschr. Quellen in den fol-
genden Anmerkungen an ihrer Stelle auf.
Die sehwedischen Waldgeister.
127
in Deutschland sind in Schweden männliche and weibliche Wald-
geister bekannt Der Mann heifit in Schonen Skonman,
Skougman (Waldmann). Er] sieht ans wie ein Mann,
stiert man ihn aber an, so wird er so hoch als der
höchste Baumstamm.^ Fr ilihrt die Menschen im Walde in
£e Irre and wenn sie vor Farcht weinen, lacht er: Ha ha ha!*
Wenn der Bergnha im Walde sich hören läfit, sagt man, der
Skougman sei draaßen and schreie.' Im übrigen ist er sehr
sinnlich and strebt gerne nach Verbindnng mit
christlichen Fraaen. In Smäland heifit der Skogman Halte,
er fährt in Starm and Unwetter daher and kann
jeden Banm niederwerfen. Die Skogsnafva, Skogs-
fra aber ist das Weib des Skogman oder des Halte. Die
Skogsnafva^ wird zar Familie der Trolle gerechnet, welche
1) FQr diesen Zhg ULfit sich ans Deutschland ein älteres Analogon bei-
knigen. Caesar. Heisterbae., Dial. mirac. D. V, c. 55 erzahlt ans dem An-
finge des 13. Jahrh.: Der Pfarrer von Bode bei Köln ging nm Pfingsten
dvch den Wald. Da faßte ihn plötzlich eine nie empfandene Angst. Er
erblickte einen langen Mann von überaus häßlichem Aussehen,
der an einen der Bäume gelehnt war. Je länger der Pfarrer den
Mian ansah, desto riesiger wuchs dessen Qestalt empor, bis
sie die höchsten Bäume überragte. Zugleich erhob sich ein
lehrecklicher Wirbelwind und dieser verfolgte den Pfarrer, so schnell
er auch Bode zulief, bis in sein Dorf. (Vgl. Wolf, D. Sag. 203, 91 und
Qbes S.41. 87.).
2) Diese Form des Waldgeistes entspricht am nächsten den Sagen vom
Honnann, oder Hüamann in der Oberpfalz (Schönwerth 11, 342 — 350), vom
Hamann ciech. Hejkadio in Böhmen. Grohmann, Abergl. a. Böhmen 15, 69.
Den., Sagen a. Böhmen S. 118—- 19). Vgl. die Hojemannlen im Lechrain
(Leeprediting, aus dem Lechrain S. 32), das Hömännchen und Hemann-
^en „in den Büschen'* bei Lembeck und Tungerloh, das Heitmännchen
bei Sundwig, den BopenkSrl bei Iburg. Kuhn, Westf. Sag. 1, S. 111 — 112,
118-119. 146-148, 150—151. II, 27, 72.
3) So heifit die Eule am Lechrain „HolzweibP* und gilt als der
Waldgeist, der jetzt grade die Qestalt dieses Vogels angenommen. Leop-
Twhting a.a.O. 82. Altdeutsche Glossen ergeben wildiu wip = ululae,
limiae, holzmuoja, holzrüna, holzfrowe = lamia, ulula Grimm,
Mytb.« 403. 404. Vgl. Müllenhoff, zur Bunenlehre 50.
4) Der Name Skogsnufva wird verschieden gedeutet, von Grimm, Myth.«
ß5 anhelans, von Hyltdn-Cavallius als die „Schnaubende," weil sio
Tag und Nacht „snufvar"; in der Zeitschr. Runa 1844. S. 44 vom schoni-
ichen Verbum snua die Einsamkeit suchen.
128 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
SO ziemlich nnsem Unnererdschen entsprechen , dieselben sind zu-
meist klein von Wuchs, gebieten über Wald und Wild; See und
Fische, Wetter imd Wind, vertauschen Kinder mit ihren Wedi-
seibälgen; zu ihnen zählen in Schonen auch! die ob. S. 61 erwähn-
ten Pysslingar. Wohnen sie in Berghöhlen, so heißen sie Beig-
troll. Im Wirbelwinde fahren sie einher und da ein solcheor
im Sommer häufig entsteht, bevor ein Gewitter losbricht, heitt
es, daß der Donner (Gofar) die Trolle verfolge.* An die
Stelle des Gattungsnamens Troll tritt zuweilen Rä (Nentr.)
Flur. Rade und die Skogsnufva heißt Skogsrä, wie es ebenfalls
ein Sjörä (Seerä) giebt. Die Skogsnufva ist ein bösgesinntes^
leichtfertiges und unheilvolles Wesen. Sie nimmt das Aussehen
iEdler Tiere, Bäume und anderer Naturdinge an, welche im
Walde vorkommen. Ihre wahre Gestalt ist diejenige eines in
Tierfelle gekleideten alten Weibes mit fliegendem
Haar und langen Brüsten, die über die Achseln
geschlängt sind. Im Rücken trägt sie einen langen
Kuhschwanz, oder sie ist hohl, wie ein alter fauler
Baumstock oder ein zu Boden geworfener Stamm,
oder Backtrog. Dem Jäger zeigt sie sich gerne als eine
schöne und verflihrerische Jungfrau, aber nur von vorne; auf der
Hinterseite kann sie nach den meisten Sagen ihre Ungestalt
1) Die Wirbelwinde entstehen vorzüglich im Sommer knrz vor
einem Gewitter und im Frühlinge zur Zeit der Aussaat. Im ersteren
FaU sagt man in Smaland: Sieh! der Troll eilt nach Hanse, gleich kommt
der Donner gefahren (se sä trollen fa brädt om att fara hem; na böijar
shart Gofar köra); in letzterem Falle „der Troll ist draußen Saat sn
stehlen.*' Man glaubt nämlich, daß das Trollweib vor dem Sämann her-
geht und die Saat in ihrem Kleide auffängt. Nun ist wol sicher Tersi&nd-
lich. was der gotländische Volksglaube meint, wenn er von einem Don-
nersmädchen Thors pjäska spricht. Sie ist eine Jungfrau von etwa 20 Jah-
ren, kommt beim Gewitter in die Häuser und bittet um Aufnahme. Von
vorne ist sie schön, von hinten wie ein Backtrog hohl. Nimmt
man sie ins Haus auf, so schlägt der Blitz ein.. Um dies zu verhin-
dern macht man in alle Fenster Kreuze. (Durch Prof. Säve in Up-
sala.) Die Thors pjäska ist Personification des vor dem Gewitter entstehen-
den Wirbelwindes. Pjäske pl. pjäsker (vgl. engl, pixy a fairy) ist ein klei-
ner Troll (smätroll); Hcmpjäske sind Hausgeister; der gute Nissen ist ein
Hempjäske. S. 44. P. Möller , Ordbog öfver Halländske landskapsmälet.
Lund 1858 s. v. — Man vgl. die mitgeteilten Züge der Sage von St. Wal-
purgiso b. S. 1.21
Die sehwedisehen Waldgeister. 129
yeibergen. Schützen and andere , welche ihre Wege im
Urwald haben, hören oft die SkogsnufVa trällern , lachen, wis-
pern nnd flttstem in Busch nnd Dickicht, denn sie kann jede
Art Lant annehmen. Spricht sie aber, so geschieht es stäts mit
IteiBerer Stinune. Ihre Erscheinung kündigt sie im vor-
ao8 mit einem scharfen eigentümlichen Wirbelwinde
an, der die Baumstämme bis zum Zusammenbrechen
schfltteli Hört man — wie es zuweilen geschieht — am ein-
samen Waldbach einen klatschenden oder schnalzenden Laut,
80 sagt das Volk: „da wäscht die Waldfrau'' und werden
im Frtthlinge schneeweiße Flecken und Stellen tief hinten im
dunkeln Walde sichtbar, so „ist das die Skogsnufva, welche
ihre Kleider ausbreitet" (vgl. die Wildfrauen in Tirol
S. 101. 112). Wer sich aber tiefer hineinbegiebt in den wilden
VTald mag sich wol vorsehen, denn die Skogsnufva sucht auf
jede Weise Macht über ihn zu erhalten.
Oft hört man sich laut bbi Namen rufen , dann antworte man
bei Leibe nicht „ja", sondern „he!" denn die Waldfrau rief
Qod mit der Antwort „ja" giebt man sich in ihre Gewali Dann
lacht j9ie laut auf, so daß es im ganzen Walde wiederhallt.
W'er so in ihrer Macht ist, den macht sie irre (förvillar) auf
mehr als eine Weise. Er findet nicht wieder aus dem Walde
heraus , sondern geht und geht und kommt immer wieder auf die
Dämliche Stelle. Zuletzt ist er so sinnverwirrt, daß er nicht mehr
sein eigen Haus erkennt Oder der eine Stunde lang vom rech-
ten Wege ab die Kreuz und Quer durch Hag und Dom Genarrte
glaubt endlich in tiefem Morast zu waten und schürzt die Kleider
auf. Da hört er plötzlich das Lachen der Skogsnufva im Walde
wiederhaUen und sieht sich auf trocknem Boden. ^ Das einzige
Gegenmittel ist, Wamms, Mütze oder Strümpfe umkehren, oder
das Vaterunser rückwärts beten. MilzsUchtige melancholische
Menschen, welche die Einsamkeit suchen, stehen in dem Rufe,
daß die Skogsnufva sie locke, oder Macht über sie bekommen
habe. (Vgl. die Saligen o. S. 101 AT.) Von dieser Verzauberung
kann man nur frei werden, wenn man nach der Anordnung eines
„klugen Mannes" dreimal durch einen Eichenkloben
kriecht, der mit Holzkeilen und Holzaxt ohne Eisen gespalten
1) Nicolovius, Folkelifvct i Sk>-tt8härad i Skäne S, 101.
Mannhardt. 9
t.jM Kapitel JI\ Die Waldgeister und ihre Sippe:
Wt Bei Menschengedenken ist noch ein Bursche im Ljuder-
$%H'kou, der davon „Skogsnisse'^ genannt wurde, von der Skog-
«uufva verwirrt und durch den beschriebenen Act von ihr befreit
wonlen, der (nach S. 32) die Identification mit einem Baume
l>edeutet Im mittleren Oesterbotten erzählt man , zuweilen werde
das im Walde weidende Vieh, oder werden Menschen in einem
ftlr sterbliche Augen unsichtl)aren , aber in der Tat dichten und
undurchdringlichen Flor oder Netze gefangen, welches sie wie
ein Dach umhüllt, so daß sie sich — so lange sie unter des
Skogsrä Einfluß stehen — weder rühren, noch um Hilfe rufen
können. Doch der Kirchenglocken Klang bricht den Zauber
augenblicklich^ und deshalb kann dieser nie länger als eine
Woche währen. Wem dies begegnet, der heißt „skogtagen,
walderfaßt '^ Oft stößt er morgens aufwachend sofort auf das
ersehnte Ziel und sieht, daß es ihm zur Seite lag. Zuweilen
offenbart sich ihm das Skogsrä leibhaftig als altes Weib, großer
, Vogel, oder als polternder Greis mit starkem Barte. Man erzählt
manche factische Beispiele von Skogtagning, meistens auf Ktthe
und Kinder, zuweilen auch auf ältere Personen bezüglich. Das
Volk pflegt sich dabei allgemein auszudrücken „skoje halder
d. h. der Wald hält fest", wird aber gefragt, ob es der
Wald selbst sei^ der festhalte, so erhält man zur
Antwort „Nein die Skogsrä" („nej skogsräde").* Nur die
Jäger suchen und gewinnen zuweilen des Waldweibes Freund-
schaft, denn sie ist es, die allem Wilde im weiten Skog gebietet
und wer mit ihr gut steht, kann schießen, so viel er will. Alte
Schützen pflegen deshalb eine Kupfermünze (Slant, Sechsstüber)
oder etwas Speise ftlr die Skogsnufva (das Skogsrä) auf einen
Baumstubben oder einen Stein als Opfer niederzulegen.
Oder man geht Ostermorgens um Sonnenaufgang/ auf so viele
1) Vgl. Einem Bauer erscheint am Sonntagsmorgen ein Skogsrä in Ge-
stalt eines schönen Weibes nnd fragt ihn: „hörtest du da des Priestere
Kuhglocken?" Als der Bauer das nicht versteht, und „nein" antwortet,
wird just das Sonntagsgeläut hörbar. Da ruft sie zornig: „ So hörst dn sie
jetzt" und verschwindet mit Gelächter, nicht ohne ihren hohlen Rücken
und langen Schwanz blicken zu lassen. (Djurklou Antcckningar.) Aach
die deutschen Zwerge hassen das Glockengeläut.
2) S. A. Böhm^ Nägra Ord om den Svenska allmogens i meddlerste
Osterbotten öfvertro otc Us des Kiksantiquariums in Stockholm.
Die schwedischen Waldufeister. 131
Grandstficke, als man beschicken kann, bricht auf jedem
einen kleinen Baum ab und sagt: Ich opfre dieses fUr mich,
damit ich das Jahr hindurch Glück nnd Frieden bei der Jagd
habe.' (Vgl. unten das Zaubermittel den russischen Waldgeist
berbeizarufen.) Geht man drei Donnerstage hintereinander nüch-
tern auf die Jagd, so trifft man wol die Skogsfm selbst und
erhält von ihr das Recht so viel zu treffen, als man Lust hat;
beim Fortgehen darf man sich aber nicht nach ihr umsehen.^
Dem Schützen, den sie gern hat, flihrt sie zuweilen selber das
Wildpret in den Weg. Dem FiJrster (Skogvaktare) Vestholm in
Frjrktdelsherad in Värmeland begegnete einst die Skogsfm wie
«e einen großen Elennochsen (elgoxe) am Home ftlhrte. Sie
rief ,,schieB! schieß! (skjut, skjut!)" doch er wagte es nicht.*
Wem aber das Waldweib nicht hold ist, den narrt sie in Gestalt
eines Behbocks oder er jagt bei aller Mühe vergeblich. Ein
Skogsrä untersuchte , da sie schliefen , die Büchsen zweier Jäger,
£e ihr Nachtquartier im Walde genommen hatten. Das eine
Gewehr lobte sie, „gut! gut! gut (bra, bra, bra)." Der Eigen-
tllmer schoß am nächsten Tage viele *Auerhähne. Das andere
tadelte sie: „fi! fi! fi!" Derjenige, dem es angehörte, machte
nur Fehlschüsse.* E. M. Arndt erfuhr von einem seiner Führer,
er sei einmal mit sieben andern aufs Tjäderspiel (Auerhahnjagd)
ausgewesen. Als sie nun da saßen und auf den Vogel lauerten,
fahr ein Skogsrä aus einem Baume in hellstem Glänze
an ihnen vorbei. Sie sahen so viele Auerhähne , wie noch nie,
aber sie schössen an jedem vorbei, und fingen nicht einen. Ein
andermal fuhr das Rä mit Sausen aus der Luft herab, mit
gewaltigen breiten Sprüngen auf ihn zu und bcschüt-
1) F. L. Raaf handscbr. Sammlung vod Zauberformeln (Svenska skräk
ok signerier antecknade i Bokstafordning) im Riksantiquarinm zu Stockholm
7 Bde. s. V. Vgl. Ihre (Moman) de superstitionibas hodiemis e gentilismo
KsidQis üpsal. 1750 p. 28: Nee minus usitatum est pecunias et esculenta
dicare Nymphis [skogsrä] et najadibus [sjörä], unde piscatores et sagittarii
oaximnm sibi pollicentnr lucmm. Existimant autem quosdam lacus et sylvas
>deo usqne in eomm geniomm ditione esse , ut nisi homm favorem sibi con-
cüient, frastranens fntams sit eorum labor.
2) Kä&f a. a. 0.
3) Borgström, Besaberättelser ur Värmeland 1845. Hdschr. des Riks-
tntiqiiarinms.
4) Aafzeichnnng des Baron G. Djurkloa ans Nerikc.
9*
132 Kapitel Ü. Die Waldgeister und ihre Sippe:
tete ihn mit Regen aus einer wirbelnden Wolke, wäh-
rend es sonst allenthalben still und heiter war. Vierzehn
Tage blieb sein Schießen behext, bis er endlich so glücklich
war ein Skogsrä sausend vorbeifahren zu hören und sein Messer
darüber zu werfen; so wurde sein Bann gelöst.^ Einzelne Tiere,
Hirsche, Rehe, Hasen und Auerhtihner eignet sich die Skogsfm
ausschließlich zu; sie heißen Freitiere (Fridjur vgl. ob. S. 39 die
Friträd) und niemand kann sie schießen, es sei denn mit einer
besonders bereiteten Ladung. Zielt jemand auf solch ein dem
Skogsrä zugeeignetes Tier , so kommt es ihm nachher immer vors
Gewehr, er kann hundertmal danach schießen und triflFt es nie.
Gelingt ihm aber auch auf die angegebene Weise der Schuß, so
verdirbt jedenfalls seine Büchse und ist verhext und unbrauch-
bar. (Vgl. die Gemsen der Seligen ob. S. 100). Nur selten ist
die Begegnung des Waldweibes mit Menschen ganz harmlos.
Kersten Klemens Tochter aus Nykalvatten im Fryktdelshärad
(Värmeland) traf zweimal die Skogsjungfru im Walde. Sie trug
einen blauen Rock, der bis auf iiie Knie reichte, ein weißes
Kopftuch und rauhe Hemdsärmel mit schönen Säumen an der
Hand. Sie sah so freundlich aus, daß Kersten sich ärgerte
sie nicht angeredet zu haben und sich ^es flir das drittemal
vornahm.
Dem Köhler, der Nachts einsam bei dem schwelenden Mei-
ler wacht, oder dem Jäger, der sich um Mittemacht an einem
Waldfeuer ausruht, naht sich die Skogsfru gerne in liebreizen-
dem Körper und sucht ihn zur Zärtlichkeit zu verlocken. Läßt
er sich von ihr betören, so sehnt er sich fortan Nacht und Tag
danach ihr im Walde zu begegnen und kommt schließlich ganz
1) So macht man den Neck unschädlich durch etwas Metallisches, das
man ins Wasser wirft; Arndt, Reise in Schweden lU , 17. Püttmann, Nord.
Elfenm&rchen 150. Ein Messer in den Wirbel hineinzuwerfen ist in Deutsch-
land ein Mittelf um den in der Windsbraut einherfahrenden Dämon zu
verwunden. Schönwerth, a. d. Oberpfalz U, 113. Vgl. Mannhardt, Götter-
welt S. 99. Vgl. die merkwürdige Uebereinstimmung , daß nach dem Glau-
ben des ägyptischen Fellah auch die Dschinnen großen Respcct vor dem
Eisen haben. Sieht er einen Wirbelwind oder eine Sandhose auf sich
zu kommen, so ruft er dem darin sitzenden Geiste zu: „Chadid ya
maschttn. Eisen, o Unseliger!'* und glaubt sich gesichert. Grenzboten
1863. S. 127.
Die idiwediMheii Waldgeifter.
138
von SiniiffliL^ Oder das tückische Waldweib schreit laut auf und
mit ihren anholden Gatten, der herbei stürzt un.d den Liebhaber
m Boden schlägt' Dabei ist sie freilich nicht immer im Unrecht
Einen Herbstabend kam ein Skogsrä zu einem Kohlenmeiler and
winnte sich. Dem rohen Köhler fiel es ein, ihr einen Feuer-
bimnd in die Kleider zu stecken, worauf sie einen Jammerschrei
aoastieß and ihren Mann rief, so daB der ganze Wald
erbebte and die Baamwipfel über ihr sich zusam-
menbogen. Elrschreckt eilte der Köhler heim und konnte
andern Tages kaum den Platz, da sein Meiler stand, finden.*
Wem fiele nicht auf, daß diese Geschichte natürlich mit ver-
ioderter Sceneri^ genau der Erzählung von dem in eine Baum-
ipalte eingeklemmten Wildweibe in Tirol (ob. S. 95) entspricht?
In ähnlicher Weise endet die Erzählung auch des Jägers von
seinem Abenteuer fast in allen Fällen. Grade als sie vor dem
Feuer hochmütig dastand und ihre schöne Gestalt zeigte, — so
erzählt er wol — nahm ich einen Brand aus der Flanmie und
lefalug ihr damit auf die Hand, indem ich ihr zurief: „Fahre hin
in den Wald, du böser Geist!'' Da fuhr sie mit einem lauten
Wimmern dahin und ein furchtbares Unwetter ent-
stand, so dafi die Bäume sich mit den Wurzeln aus
der Erde zu heben schienen, und als sie uns den
Rttcken zuwendete, war sie anzuschauen, wie ein
hohler Baum, oder wie ein Backtrog.^ E. M. Arndt hörte
TOD seinem schon erwähnten Führer, als derselbe einmal auf der
Äaerhuhnjagd sich ein Feuer anzündete und aß, trat eine Jung-
frau zu ihm in großem »Schmuck, grüßte ihn freundlich, winkte
and lockte. Sie war klein von Wuchs, hatte blonde Locken,
aber — o weh! — Klauen statt der Nägel. Er fragte, ob sie
mit ihm essen, oder am Feuer sich wärmen wollte; sie nickte
freundlich. Da nahm er behutsam das Ende seiner Axt, legte
1) Hylten-Cavamus a. a. 0. U— 17. Vgl. ob. S. 108 die rauhe Else in
Oberdeutschland.
2) Annerfeldtf framställning af vidskcpelige foreställningar i Sydvestra
8kine. Hsc. der Sk&nska fomminnes forening.
3) Buna 1844. ä. 44.
4) Afzelios, Volkssagen aus Schwedens älterer und neuerer Zeit übers.
Ton üngewitter II, 311.
134 Kapitel II. Die Waldgeister nud ihre Sippe:
Speise darauf, und reichte sie ihr,^ denn die Hände
wollte er nicht gegen ihre Klauen setzen. Sie nahm es nicht^
sondern lächelte und verschwand grade wie eine Fackel
die man wirft. Ein Waldwärter (Skogsvaktare) trank auf
einem Fichtenstamm sitzend einen Schluck Brantwein. Da setzte
sich die Skogsfru auf die andere Seite des Baumes. Er fragte:
„Trinkt die Jungfer V" (Super mamscllV) Sie schüttelte den Kopf
und verschwand.'* Ein Bursche in Finntorp, der eine Braut in
Billing hatte, lud dieselbe zu einem Stelldichein auf den Lad-
backen. Sie blieb aber aus und die Skogsfru des Berges zog
ihre Gestalt (hamn) an, tat mit dem Jüngling schön und bot
ihm eine Bretzel. Er aß mit großem Wohlgeschmack. Kaum
hatte er jedoch den letzten Bissen heruntergeschluckt, so lachte
sie aus vollem Halse, so daß es im Walde krachend
wiederhallte und verschwand zwischen den Felsen;
im Verschwind-en sah er den ausgehöhlten Rücken und
langen Schwanz. In der Meinung, das Mädchen, welches sein
Herz gewonnen hatte, sei ein Skogsrä, vermied er dasselbe
fortan.^ Zuweilen kommt es zu einer engem Verbindung zwi-
schen der Waldfrau und einem Menschen, welcher Kinder von
größerem Wuchs und höherer Kraft als andere Menschen, nach
andern dagegen abscheuliche Mißgeburten entspringen. Doch
wird der Liebhaber dieses Verhältnisses bald überdrtlssig und er
sucht dann wol Hilfe bei einem „Klugen.'' Allein er wird das
Skogsrä gemeinhin nur los, wenn er eins ihrer Haupthaare um
seine Büchse wickeln und sie damit schießen kann. Dann hört
man einen entsetzlichen Aufschrei, ein furchtbares Tosen im
Walde und er sieht sie niemals wieder. Ein Jäger tat nie einen
Fehlschuß, weil er mit einem Skogsrä im Bunde stand und sich
von ihr jedesmal die Büchse laden ließ. Endlich faßte er Wider-
willen gegen sie, bat sie, ihm das Gewehr mit tödtlichem Mei-
sterschuß zu laden und erschoß sie. Seitdem hatte er keine Ruhe
1) Mit der Waffe (Ger u. s.w.) Gabe reichen, resp. aufnehmen war bei
Begegnung Fremder odpr feindlichen Stämmen Angehöriger eine hoch hinauf-
reichende Sitt« des deutschen und skandinavischen Altertums. S. J. Grimm,
über Schenken und Geben. Kl. Sehr II, 199.
2) Värmeland Fryktdelshärad nach Borgström Resaberättelser 1845. Msc.
3) Djurklou, Anteckningar ur Nerikes folkelifvet Msc.
Dia fchwedMcheii Wald^ister. 185
mehr, weder im Schlafen noch Wachen.^ In alten Zeiten war
ein Bauer, ohne ihre Herkunft zu wissen, mit einer Wald-
fimii die Ehe eingegangen. Sie lebten manche Jahre glttck-
Kdi und zeugten Söhne und Töchter. Als sie einst gemeinsam
im Walde daran arbeiteten, einen fertig gebrannten Kohlenmeiler
auseinander zu reißen , fand sich , daß sie den Speisesack verges-
sen hatten. Er ging nach Hause, denselben zu holen. Da sprach
die Hausfraa „Kommst du zurück, so schlage drei Schläge
in den und den Baum da,'' und damit bezeichnete sie eine
Tanne, welche eine gute Strecke von ihnen entfernt stand. Der
Bauer versprach ihrem Wunsche nachzukommen. Ob er das aber
leigaB oder filr unnötig hielt, genug bei seiner Zurttckkunft sah
er zu seinem großen Schrecken, wie sie die Kohlen mit bloßen
Binden aus dem Meiler riß und mit ihrem langen Schwänze
«ulösehte. Sofort drehte er um und tat drei Schläge mit seinem
Axthammer auf die Tanne (slog tre slag i tallen med yxhamma-
len), worauf das Weib sich sofort wieder in gewöhnliche und in
dien Teilen gleichartige Menschengestalt verwandeltcj [Nur auf
ömnd weitem Materials wollte ich es unternehmen zu entschei-
den, ob jene drei Axtschläge nur den Zweck haben die Skogsfru
von der Annäherung ihres rtlckkehrenden Mannes zu benachrich-
tigen, oder ob sie zu deren Verwandlung in einer inneren Be-
aehong stehen]. Seitdem dachte der Bauer darauf seine Frau
log zu werden. Endlich gab ihm ein klages Weib ihren Rat und
zugleich einen großen Zauberbeutel als Amulet um den Hals
za hängen. Er fährt mit Frau und Kindern zu Schlitten über
einen See, angebhch um sie auf eine Hochzeit zu ftihren. In
Sees Mitte liest er mehrere Worte , die die Alte ihm aufgeschrie-
ben, und sofort kommt eine Menge von Wölfen zum Vorschein.
Eiligst spannt er das Pferd aus und reitet davon, wie ängstlich
anch die Gattin ihm nachruft: Kehre um, wenn nicht um meinet-
willen, so doch um Snorpipas willen, sonst fressen die Wölfe
nns auf! Snorpipa (Schnarrpfeife) hieß ihr jüngstes Töchterchen,
b ihrer Not rief sie dann aus Leibeskräften nach ihrer Schwester
Strissa. Der Troll in der Grube (Erzgrube V) Strässa war näm-
lich ihre Schwester. Dieselbe kam daher gefahren, so daß es
1) Aufgez. 1852 von M. H. Hultio, Hdschr. des Reichsantiquariums zu
StoclLholm.
136 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
in der Luft sauste und pfiff and entrückte sie den Wölfen,
die schon alle Kinder gefressen hatten. Den bösen Bauer ver-
folgte eine Trollkatze, vor deren Wuth ihn das Amulet schützte,
obwol die hinter ihm zuschlagende Tür eines Hauses, in das er
sich rettete, in Stücke sprang. Als er einst badend das Amulet
ablegte, drehte ihm ein Troll den Hals um.^ So fest haftete der
Glaube an Liebschaften von Menschen mit Waldfrauen, daB z. B.
am 22.-23. Dezember 1691 vom Häradsgericht ein zwei und
zwanzigjähriger Bursch aus dem Markshärad zum Tode vemr-
teilt wurde, „wegen unerlaubter Vermischung mit einem
Skogs- oder Bergsrä.'^ Und noch am 5. August 1701 vnirde
Volontair Mäns Malm augeklagt und vor Gericht gezogen, wdl
er solle mit einem Skoügrä zu tun haben. Eis verdient hervor-
gehoben zu werden, daß diese schwedischen Traditionen den
besten Gommentar zu des Burkhard v. Worms (ob. S. 113) Aus-
sage über die Waldfrauen liefern. Wie in obiger Sage der Troll
in der Erzgrube der Skogsfru Schwester ist, wird andererseits
der Name Skogsrä auch auf Wesen ausgedehnt, welche auf Al-
men (saetter) ihren Auienthalt haben. So weiß man in den Wald-
gegenden der Distrikte Asker und Lennäs in Nerike noch viel
von einem Skogsrä zu erzählen, welches von der Bergwiese
Y-ssetter den Namen Yssetter-Kajsa (Ysaetter-Kätchen) ftlhrte.
Als einst diese Alme gemäht wurde, und die Schnitter beim
Abendbrod saßen, rühmte sich ein Bursch, er habe Lust mit der
Ysaetterkajsa Streit anzufangen, und da wolle er ihr schon auf
den Pelz geben. Kaum sprach er dies, so hörte man hinter ihm
ein Geräusch und er erhielt von unsichtbarer Hand eine so derbe
Ohrfeige, daß er Blut werfen mußte.* Statt des Skogsr& d. h.
der Personification des gesammten Waldes wird mitunter auch
das Rä eines einzelnen Baumes genannt und so zu sagen mit
einem andern Geiste identifiziert.
Bei Badelund in Westmannlaud stand eine Tanne, die Klin-
tatanne (Klintatall) auf kahlem Felsen, unter welchem im Bei^
der Tanne Schutzgeist (Kä) wohnte. Das war ein. Meerweib,
welches man oft aus einer Bucht des nahen Mälarsees schnee-
weiße Kinder über die Wiesen zum Baume treiben sah, dessen
1) Djurklou, Anteckniogar.
2) Djurklou a. a. 0.
Die MhwediBchen Wald^ister.
187
z* •
Aeste niemand anzortthren wagte. ^ Ueberhaupt stehen sich die
Bergsrä, Skogsrä and Sjörä (Bergrä, Waldrä and Seer&) ein-
ander sehr nahe and sind fast nar darch ihren Wohnsitz and
dnige damit znsammenhängende Besonderheiten verschieden.
Die weiblichen Skogsrä kehren zuweilen anch in Mühlen,
StiUle, Brennereien a. s. w. ein. Da kündigen sie ihre Gegen-
wart dadurch an^ daß die Sachen irgendwie in Unordnnng lie-
gen. Dann deckt man an dieser Stelle einen Tisch mit ein wenig
tanrichtong und ruft mehrmals: ,, Findet sich da irgend ein
^j 80 komme hervor*!'^ Erweist man dem erscheinenden Geiste
teine liebe mit freandUcher and liebreicher Zuspräche und höf-
ieher Begegnung (weitergebender Vertraulichkeit bedarf es
■dt notwendig) so erwiedert derselbe das WolwoUen, indem er
lilBchaften verrichtet ^ dem Hause Glück schafft u. s. w.' Kurzum
aeh die Skogsrä gehen in Hausgeister über (vgl die Dienst-
loBtangen der Seligen ob. S. 90. 103 und Moosleute S. 80).
Wie alle Trolle haben die Skogsrä Furcht vor dem Donner,
der sie verfolgt und erschlägt. Oft hört man im Walde während
des Gewitters den Skogsman und die Skogsfru laut jfumiem.'
Doeh auch der wilden Jagd dienen sie als Verfolgungsziel. Ein
Sehneider im Nordmarkshärad in Värmeland liebte leidensehaft-
Eeh die Jagd. Als er einst Nachts auf dem Anstand lag, floh
ein Skogsrä an ihm vorbei mit großen über die Achseln geschla-
genen Brüsten und das herabwalleudc Haar flatterte wild hinter
ihr un Winde, ihr folgte ein Jäger mit zwei pechschwarzen
Händen. Bald kam er zurück und hatte das Wildpret erlegt-
Die Beine des Skogsrä hatte er über die Schulter geworfen, ihr
Haapt und ihre Brüste schleppten auf dem Boden nach und troffen
Ton Blut, das die Hunde begierig aufleckten. Der Jäger fragte
den Schneider, wie er dazu komme in seinem Walde zu jagen
umI verbot es ihm.^ in Smäland und andern Gegenden wird
gradezu König Oden als der nächtliche Jäger bezeichnet, der
mit Jagdhorn und Spieß (resp. Büchse) und mit zwei Hunden
1) Afzclios, Volkösagcn und Volksl. übers, v. Ungewittcr II, 308.
Mytb.* Giy. Püttmann, nonl. Klfennmrchen S. 15G ff.
2) Raäfs Sammlung a. Bersoryd.
3) Annerfeld a. a. 0. 8. if2. Djurklou , Anteckningar Nr. 71.
4) Borgström, Besaberättelser.
1) Aufzeichnung v. M. H. Hultin 1858.
• 2) Hieraus erklärt sich die verdunkelte üeberlieferung aus Hessen ob.
S. 88, daß die wilden Männer bald hoch oben durch die Wipfel der Bäume
fahren j bald sich freuen zwischen den Schachtelhalmen cinhergehen zu können.
138 Kapitel U. Die Waldgeister und ihre Sippe:
daherfahrend sich zum Wilde anveränderlich eine Skogsnnfra
oder ein Bergatroll ausersehen hat, die vor ihm durch die Lnft
fliehen mit fliegendem Haar und über die Achseln geschlängten
Brüsten. Die Jagd geht über Wald und Berg, wie VogeUJog
oder Sturmeswehn. Von der nächtigen Fahrt heimkehrend hat
Oden die getOdtete Skogsnufva quer über dem Rosse htogen. ,
Einem Soldaten der ihm einst auf einer Fahrt begegnet, giebt
er sich zu erkennen. „Ich bin König Oden und vom Allraächtigeii {
dazu gesetzt, alle Trolle und Trollweiber (alla troll och pyskaii
8. ob. S. 128) auszurotten." Da habt Ihr* wol vile rbeit? meinte
der Soldat König Oden antwortete: „Ja, doch ich habe den
Donner zu Hilfe" (Ja men jag har äskan til hjelp).^ Statt dea i
Skogsrä oder Bergtrolls wird zuweilen eine Riesin (jättesa) mit ^
eimergroßen Brüsten als Jagdstück, in andern Sagen ihr eige-^ j
ner Gatte, oder (entsprechend der ob. S. 135 mitgeteilten lieber- '
lieferung) eine Schaar gespenstiger Wölfe als Verfolger genannt
Oefter sucht die Verfolgte in dem. Fenster einer Heuscheuer
mitten im Walde (hölada) Schutz und spottet da der Hunde odw
Wölfe, wird aber von einem sie belauschenden Menschen anbanv-
herzig unter sie hinabgestoßen.
§. 19. Die russischen Waldgeister. Der russische Wald-
geist Ljeschi (von Ijes, poln. las Wald) wird allgemeui in Men-
schengestalt mit Bockshörnern, Bocksohren und Oeii-
füßen gedacht, die Finger enden in lange Klauen, Kopf .
und Körper werden von rauhen und zottigen Haaren j
bedeckt, die häufig von grüner Farbe sind. Er kann aber \
mancherlei Gestalten annehmen und seine Größe willkürlich ver- i
ändern. Geht er im Felde, so verkleinert er sicJi bis zur Größe ;
des Grases; gelit er im Walde, so erreicht er die Höhe der
Bäume,^ Die Einwohner der Gouvernements Kiew und Tscher-
nigotf teilen deshalb die Ljeschie in zwei Klassen. Die einen,
die eigentlichen Waldljeschie sind graufarbige Riesen, die andern^
welche nicht minder Ljeschie (Waldgeister) heißen, sind Wesen
des Kornfelds, Dämotien des Getreidewuchses selbst. Vor der
Die nuwiseheii Waldgeister. 189
EnUe haben sie dieselbe Hohe, wie die noch grOnen Uainie, nach
ier Ernte sehrwnpfen sie zusammen, bis sie nicht höher sind, als
das Stoppdfdd. Man darf daraus schliefien, daß auch die
fligentlicheii Waldljeschie als Dämonen der Waldvegetation zu
denken sind.
Bäbifig aber nehmen die Ljeschie völlig menBchliche Gestalt
a, nar daB sie niemals Angenbraaen und Wimpern und häufig
gleieh den Kyklopen nur ein Auge haben. Sie tragen dann das
Gewand eines Bauern aus Schaffell , aber ohne Gürtel ; statt des-
HD sind die beiden Bockzipfel in einander geschlungen. Wirbel-
wind und Sturm sind das Element , in welchem der Ljeschi
nie Anwesenheit offenbart Nach dem Glauben der Bauern
ntspringen die Verwüstungen der Orkane dem Kampfe
ieser Waldgeister gegeneinander, wobei sie Baum-
rilmme und Felsstttcke schleudern. Hält der Ljeschi Rund-
pag dorch sein Reich, so brüllt der Wald und die Bäume zit-
km Oder der Waldgeist springt spielend von Ast zu Ast und
vi^ sich selbst in den Zweigen, wovon er an einigen Orten
Znbotschnik (vgl Zuibka Wiege) genannt ist In solchen Stun-
im macht er alle Arten von Lärm. Er kreischt und lacht, er
kblBcht in die Hände, er wiehert wie ein Pferd, brüllt wie
eme Kuh, bellt wie ein Hund. Sein Lachen kann man meilen-
wot in der Runde hören. Wenn Jbei Sturmwetter das Knarren
der Aeste, das Krachen der Stämme wiederhallt, so vernimmt
der russische Bauer kein Echo, sondern den Ruf der Ljeschie,
welche einen unvorsichtigen Jäger oder Holzhauer auf gefähr-
fiehen Grand zu verlocken trachten, um ihn zu Tode zu
kitzeln, sobald sie ihn in ihrer Gewalt haben. [Wir begegneten
dem nämlichen Zuge bereits ob. S. 87]. Nachts schläft der
Ljesehi in irgend einer Hütte in der Tiefe der Wälder und findet
er etwa seinen Zufluchtsort von einem verspäteten Wanderer
bereits besetzt, so streicht er als Wirbelwind über die
Hfltte, rüttelt an der Tür und hebt das Dach, indeß
nngsom alle Bäume sich biegen und winden und ein furchtbares
Geheul durch den Forst schallt. Und wenn der ungebetene Gast
alle diese Winke verachtet und sich nicht entfernt, läuft er
Gefahr am nächsten Tage sich in den Wäldern zu verlieren, oder
fai einen Morast zu versinken. Im Gouvernement Archangel
erzählt man, bei einem der erwähnten Kämpfe mit zwei andern
140 Kapitel II. Dio Waldgeister and ihre Sippe :
Gteistem seiner Klasse über die Bechte auf einen gewissen Wald
wurde ein Ljeschi einmal überwunden und von jenen an den
Händen so fest zusammengeschntlrt, daß er sich nicht rühren
konnte. So fand ihn ein reisender Kaufinann und band ihn los.
Zum Dank sendete er seinen Wohltäter in einem Wirbel-
winde heim und tat nachher noch manches andere für ihn (vgl
ob. S. 68 die Geschichte des estnischen Baumelfen).
Als ehedem die Wälder noch größer und dichter waren,
denn heutzutage , verlockte der Ljeschi beständig die Wanderer
und führte sie vom. rechten Wege ab in die Irre. Bald versetzte
er die Grenzsteine , bald nahm er die Form eines Baumes im,
nach welchem die Nachbarn die Richtung zu bestimmen pflegten.
Zuweilen veränderte er sich in das Aussehen eines Wanderers
und verflocht den Vorübergehenden in eine Unterhaltung. Der
Verflihrte plauderte unbefangen , bis er plötzlich gewahr wurde,
daß er sich mitten in einem Sumpf oder Waldbach befinde.
Dann hörte er ein lautes Gelächter und wenige Schritte von sich
sah er den Ljeschi grinsend iü seiner wahren Gestalt. Auch
venmnmt der Waldwart mitunter bei Nacht das Weinen eines
Kindes und Seufzer, welche deutlich von einem Sterbenden her-
zurühren scheinen. Da tut er gut, schleunig nach Hause zu
eilen, ohne auf diese Stimmen zu achten. Denn folgt er ihnen,
so gerät er wahrscheinlich in. einen reißenden Strom, der daher-
rauscht, wo früher kein Wasser war. Wo immer der Ljeschi
geht, läßt er keine Spur hinter sich zurück, er verdeckt den
Abdruck seiner Füße mit Sand, Laub oder Schnee. Tritt aber
jemand zufällig in seine noch frische Fährte, so wird derselbe
irre geführt und findet nicht leicht den rechten Weg wieder. In
dieser Not ist es das beste Mittel , das Futter von Hemd, Schuhen
oder Pelz nach außen zu kehren. Doch auch abgesehen von die-
ser Irreleitung der Wanderer macht sich der Waldgeist noch
in mancherlei anderer Weise auf Kosten derselben lustig; er
bläst ihnen Sand in die Augen, schlägt ihnen die Mütze vom
Kopfe, läßt ihre Schlitten am Boden fest frieren. ,,Geh nicht in
den Wald,'' hört man oft sagen, „der Ljeschi spielt dir da einen
Possen.'' Schlimmer ist, daß er oft Krankheit verursacht, so daß
von jemandem, der nach der Rückkehr aus den Waldungen
unpäßlich wurde, die sprichwörtliche Redensart gilt: „er hat den
Pfad der Ljeschie gekreuzt" Um geheilt zu werden, trägt er
Die rassuehen Waldgeister. 141
Brod und Salz in einen reinlichen Lappen gebunden in den Wald^
and legt es unter Crebet als Opfer ftlr den Ljeschi ins Moos in
der festen Ueberzengung bei der Nachhausekunft von seiner
Krankheit befreit zu sein. Den Hirten , die im Walde ihre
Heerde weiden , sangt der Ljeschi gerne das Euter der Kühe aus.
Sie müssen deshalb mit ihm in gutes Einvernehmen zu kommen
sDcben. Im Gouvernement Olonetz glaubt man, der Hirte mtisse
jeden Sonuner dem Ljeschi eine Kuh geben , geschehe das nicht,
80 zerstöre der Waldgeist die ganze Heerde. Im Gouvernement
Arehangel hält man daftLr, wenn man das Glück habe, dem
Ljeschi zu gefallen, so behüte er die ganze Heerde auf
der Weide (vgl. ob. S. 30 die finnischen Baunmymphen).
Andererseits stehen alle Vögel und Tiere des Waldes unter
dem Schutz des Ljeschi. In Kleinrußland soll er insonderheit
der Schutzherr der Wölfe sein. Gemeinhin gilt als sein Liebling
der Bär, sein Diener, der bei ihm wacht, wenn er zuviel von
dem starken Getiiüik genommen hat, das er so sehr liebt, und
um vor den Angriffen der Waldgeister behütet
Wenn die Eichhörnchen , Feldmäuse und einige andere Tiere
inSchaaren ihre periodischen Wanderungen antreten, erklärt das
Volk, die Waldgeister treiben ihre Heerde von einem Wald in
den andern. Unter solchen Umständen hängt auch der Ertblg
des Waidmanns von seinem Verbältniß zum Ljeschi wesentlich
ab. Er legt, um denselben ftlr sich zu gewinnen, ein Stttck-
ehen Brod oder Pfannkuchen mit Salz bestreut auf
einen Baumstumpf (vgl. ob. S. 130), wie denn die Ljeschie
nweilen auch Kuchen von den im Wald arbeitenden Dorf-
lenten fordern (vgl. ob. S. 107) und, nachdem sie solche erhal-
ten, sich mit schrecklich tönender Stinmie entfernen. Im Gouver-
nement Perm weihen die Landleute einmal im Jahre dem Ljeschi
ihre Gebete Ifaid bringen ihm dabei ein Päckchen Blättertaback
dar, worin er ganz vernarrt ist. In einigen Distrikten eignen
ihm die Jäger das erste Tier zu, welches sie fangen, indem sie
dasselbe für ihn in einem Eichwalde zurücklassen. Ein gewisser
Zaubersegen , der von Jägern öfter gebraucht wird , ruft die Teu-
fel und Ljeschie an, ihnen die Hasen in den Schuß zu treiben,
und die magische Gewalt dieses Spruches soll so groß sein, daß
die Waldgeister gehorchen. Wer den Ljeschi selbst her-
beibeschwören will, soll eine Anzahl junger Birken ab-
142 Kapitel II. Die Waldgeister nnd ihre Sippe:
hauen und mit den Wipfeln nach innen in einen Kreis
legen. Dann muß er im Kreise stehend laut rufen: Grofivaterl
(djeduschka) ; sofort wird der Waldgeist erscheinen.* Oder fx
soll sich auf einen Baumstumpf stellen, mit dem Gresichte naeh
Osten, soll sich niederbückend zwischen seinen Beinen dnrdh.
sehen und dabei sagen: „Onkel Ljeschi erscheine, nicht als grauer
Wolf, nicht als schwarzer Rabe, nicht als brennendes Feuer,
sondern als meines gleichen !'' Dann fangen die Blätter der
Espe an zu zittern, wie wenn ein sanfter Wind durch sie hin-
streiche, und der Ljeschi wird sichtbar in Menschengestalt Bei
solchen Gelegenheiten geht er gerne einen Handel mit seinem
Beschwörer ein und ist bereit jede Art von Beistand zu gewähren,
wenn ihm dafür des andern Seele zu Teil wird (aus christlichein '-'
Teufelsglauben entlehnt). Nach diesen Beschwörungi-»
formein wurde der Waldgeist doch wohl aus den
Birkenwipfeln oder dem Baumstumpf hervortretend,
also in diesen weilend gedacht. Während in Deutsch-
land und Skandinavien die Wald fr au die Hauptrolle spielt nnd
häufig allein auftritt, kennt die mssische Sage umgekehrt vor-
zugsweise den männlichen Waldgeist. Zuweilen jedoch findet man j
demselben auch Weib und Kinder, dicLisunki, gesellt, behaarMJ
Wesen von abschreckendem Aeußem. Eine kleinrussische Er-1
Zählung berichtet, daß ein Menschenweib einmal einen neugebor^ \
neu Ljeschi nackend und kreischend auf der Erde liegen fand. \
Sie hob ihn mitleidig auf und deckte ihn mit ihrem wannen \
Tuch. Bald darauf kam die Lisunka, die Mutter des Kleinen, ]
und beschenkte das mitleidige Weib dankbar mit einem Topfe J
glühender Kohlen, die sich hinterher in Gold verwandelten. Im ''-
wesentlichen dieselbe Geschichte wird in Thüringen von einem '
Holzweibchen erzählt.' Zuweilen entführen die Ljeschi sterbliche
Jungfrauen und machen sie zu ihren Eheweibern. Doch ob sie
nun unter sich eheliche Verbindungen schließen, oder mit Sterb-
1) Vgl. ob. S. 131 den schwedischen Zanberbranch.
2) Anf dem Hangerberge bei Wilhelmdorf fand eine HolzleseriD dai
Kind eines Waldweibes in einer Banmrinde wie in einer Wiege liegen. Sie
reichte ihm mitleidig die Brust. Da kam die Mutter herzu und beschenkte
sie mit der Wiege des Säuglings; die Leserin brach von der Binde einen
Splitter ab und warf ihn auf ihre Holzbürde. Zu Hause zeigte sichs, daB
er von Gold gewesen Bömer , Sagen des Orlagans S. 231.
Pemaniaehe and brasilianisclie Waldgeister. 148
Ucheo, ihre Vermählimg ist stäts von lärmenden Festlichkeiten nnd
heftigen Stürmen begleitet Geht der Hochzeitzag durch ein Dorf,
so wird manches Haus zu Schaden kommen , geht er durch einen
Wald 9 so konunt mancher Baum zu Falle. Selten wagt es ein
Bauer auf einem Waldpfade sich hinzulegen j denn der Brautzug
des Waldgeistes könnte des Weges kommen und ihn im Schlafe
lermalmen. Im Gouvernement Archangel gilt der Wir-
belwind als der Tanz des Ljeschl mit seiner Braut
Den zweiten Tag nach seiner Hochzeit geht der Waldgeist nach
allgemein russischer Sitte mit seinem jungen Weibe zum Bade
nnd wenn ihnen dann ein Sterblicher ))egegnety so bespritzt ihn
das würdige Paar mit Wasser und weicht ihn von Kopf bis zu
FdB ein. Wie Weiber raubt der Ljeschi Kinder, trügt
sie in seine unterirdische Behausung und läßt sie erst nach Jah-
ren ganz verwUdert wieder heraus.'
§. 20. Peraanlsehe und brasUlanlsche Waldgeister. Zum
Vergleich mit diesen europäischen Waldgeistem und ehe wir noch
eiDinal ihre lange Reihe prüfend überschauen , setze ich noch ein
Beispiel aus einem entlegenen Weltteil und einer andern Zone her,
an welchem einigermaBen gemessen werden kann, in wie weit
die Apperception ähnlicher Naturverhältnisse zu ähnlichen mythi-
schen Gebilden sich verdichtet Pöppig ' fand in den Wäldern
von Peru den Glauben an ein gespenstiges Wesen lebendig , Na-
mens UchucUa-chaqui. Wo der Wald am dunkelsten ist, wo die
lichtscheuen Amphibien und Nachtvögel sich aufhalten , wohnt
dieses geföhrliche Wesen und versucht in befreundeter
Gestalt erscheinend den Indianer zu verderben. Es
giebt die wohlverstandenen Zeichen , deren sich die geselligen
Jäger zu bedienen pflegen; es lockt den Getäuschten selbst
immer unerreichbar weiter und tiefer in die Oede
Qnd verschwindet mit lautem Hohngelächter, wenn
der Rückweg verloren ist und die Schrecken der-Wildniß durch
die herabsinkenden Schatten der Nacht sich mehren. Bisweilen
1) W. R S. Ralston, the soDgs of the Russian people 153—160.
Afanasieff , Poetische NaturaDschauangen der Russen I, 140. 710. 715. II, 235.
243 325 — 349. 718. 722. UI, 78. 303—313. 803. Cf. Kaysarow, Versuch
e. slayischen Myth., 70. Mona, Heidentum im nördlichen Europa I, 143.
WaldbrfihI, Balalaika 229. Karamsin, Gesch d. russ. Volkes I, Kap. III.
2) Reise in ChiU und Peru Bd. U. Lpzg. 1836. S. 358.
144 Kapitel IT. Die Waldgeister und ihre Sippe:
trennt es wohl auch die gemeinsam auf Jagd gezogenen, allein
nie täuscht es den Erfahrenen, der in seinem Mistrauen die Spur
des Feindes untersucht. Kaum gewahrt er die ganz angleiche
Größe des Abdrucks der Füße, so kehrt er eilig znrttek
und wohl längere Zeit wagt niemand einen Zug in die WUdniS^
denn nur vorttbergehend sind die Besuche des Unholds/' In jener
Fabel, fllgt der Erzähler hinzu, gewahrt man den Einflaß, den .
die ^unbeschreibliche Wildniß und Trauer der sumpfigsten und
unbesuchtesten Urwälder bleibst auf die sonst schwer bewegliche
Phantasie des Amerikaners ausübt. Von ihr schaflFt sich kein
Europäer ein Bild, denn die einsamsten Forste seines Weltteils
bieten ihm nirgend etwas Aehnliches (?). AUgemein verbreitet ist
der Glaube an jenes gespenstige Wesen, das sogar Nachts
die im Freien schlafenden Reisenden umlauert, nm*
sie nach halbem Erwachen unter erlogener Gestalt
irre zu leiten. Viele Geschichten, zum Teile der nenest^it
Zeit angehörig, werden von solchem Verlieren besonders der
Kinder erzählt und in der Tat ist nichts leichter möglich, als
in solchem Walde nach wenigen Schritten Entfernung das Lager
nicht wieder finden zu können , wenn weder ein Lichtschein noch
rufende Stimmen die Richtung angeben.'^ Ganz übereinstimmende i
Erfahrungen machten in neuerer Zeit Bates und nach ihm 1
R. Schlobach in Brasilien.^ Bates schildert den fremdartigen |
Eindruck, den die Düsterheit und Stille im brasilianischen Walde i|
hervorbringt und spricht von dem betäubenden Geheul der Affen 1
und dem plötzlichen Todesschrei von Schlangen und Tigern ver- j
folgter Tiere, sporadischen Lauten, durch welche das Geftihl der j
ungastlichen Einöde, das der Wald hervorruft, nur noch mehr :
erhöht wird. Außerdem hört man Töne, die man sich nicht
erklären kann, „und die Eingebomen waren dies — wie iah
fand — noch weniger im Stande , als ich selbst." Zuweilen hört
man Töne, als ob mit einer eisernen Stange an einen
hohlen harten Baum geschlagen würde, oder ein
durchdringender Schrei hallt durch die Luft Das
darauf folgende Stillschwelgen erh(5ht den unangenehmen ESn-
druck , den solche einzelne nicht wiederholte Töne auf das Gemflt
1) Bates. Naturforscher am Amazon enstrom. Lpzg. 1866. S. 40. Schlo-
bach in d. Illustrirten Zeitung v. 25. Mai 1872.
Rückblicke und Ergebnisse. 145
machcD. Bei den Eingebornen ist es immer der Cu-
rnpira, der wilde Mann, der Waldgeist, der diese
unerklärlichen Töne hervorbringt. Dieser ist ein sehr
gebeimnißvolles Wesen, dessen Attribute sehr ungewiß sind, da
sie nach der Oertlichkeit wechseln. Er hat Weib und Kind and
kommt zuweilen in die Ro^as (Pflanzungen), um Mandioca zu
stehlen. Ein junger Mameluco in Bates Dienste, dessen Kopf
mit den Sagen und Aberglauben des Landes angeflillt war, zit-
terte am ganzen Leibe, so oft er im Walde die oben erwähnten
Laute hörte, kroch hinter Bates und bat ihn umzukehren. Er
wurde erst wieder ruhig, nachdem er ein Zaubermittel zum
Schutze gegen den Gurupira gemacht hatte. Zu diesem Zwecke
nahm er ein junges Palmblatt, welches er zusammenflocht und
einen Ring daraus bildete, den er an einem Aste auf dem Wege
aufhing. Wollte er dadurch den Waldgeist an den Baum fesseln?
Vergleichen wir noch was J. 6. MtÜler von den Waldgeistem
der südamerikanischen Völker meldet^ Die Gurupira sind necki-
sehe, schadenfrohe Waldgeister, die den Indianern unter allen
Formen begegnen, sich auch einmal in ein Gespräch mit
ihnen einlassen, auch Feindschaften zwischen einzelnen Personen
erregen und erhalten. Bei den Botokuden heißen die Waldgei-
ster, welche größer oder kleiner gedacht werden, Janchon; sie
beonrahigen ebenfalls die Leute. Sonst gehört zu den Waldgei-
stem auch Uaiuara, bald ein kleines Männchen, bald ein gewal-
tiger Hund mit langen klappernden Ohren. Er läßt sich,
wie das deutsche wilde Heer, am furchtbarsten um
Mitternacht vernehmen. Ein anderer berühmter Waldgeist
ist der Caypara der Ktistenbewohner, der Kinder und
junge Leute raubt, sie in hohle Bäume verbirgt und dort
füttert"
«
§.21. Bfiekblieke und Ergebnisse. Blicken wir noch
einmal auf die lange Reihe der besprochenen Wald- und Feld-
geister zurück, so wird das Beispiel der zuletzt aufgeführten
südamerikanischen Dämonen uns Innreicbend belehren können,
daß unter ganz verschiedenen Himmelsstrichen, bei Völkern,
deren Lage jeden Gedanken einer Entlehnung von einander aus-
schließt, aus einer Art psychologischer Notwendigkeit sich über-
1) Geschichte der amerikaniBchen Urreligioneii. Basel 1855. S. 251).
Mannbardt. 10
146 Kapitel ü. Die Wald^oibtcr and ihre Sippe:
raschend ähnliche Mythengestalten erzeugt haben. Die lieber-
einstimnuing jener mdianischen Vorstellungen vom Waldgeist ist
am größten mit dem Volksglauben in Schweden und Rußland,
zweien europäischen Ländern, deren Wald noch am meisten die
Natur des Urwaldes bewahrte. Sie betrifft vorzugsweise Charac-
terzüge und Handlungen y welche aus diesem Naturverhalt fließen,
Kufen, Hohngelächter, Irreführen. Eine jedoch weit größere
Familienähnlichkeit mit einander tragen die nordeuropäischen
Waldgeister an sich, sie sind offenbar Varietäten ein und der-
selben Art, deren verschiedene Abwandlungen wesentlich durch
die Reflexe der localen Naturverhältnisse bedingt werden. Zum
Erweise dieser Behauptung stelle ich in übersichtlicher Kürze die
übereinstimmenden Züge zusammen. Aus denselben wird hervor'
gehen, daß mr die Wcddleute (wilden Leute, Skogsnufvar, I^es-
chie u, s. i/o,) anzusehen haben als eine Verschmelzung von Baum^-
geistern und Windgeistern; schwerlich spielt eine Erinnerung ao
wirkliche Menschen, rohe halbtierische Ureinwohner hinein, die
sich vor unserer Race in die Wälder zurückgezogen hätten und
im Volksgedächtniß zu Dämonen geworden wären, eine Ansicht^
die neuerdings allerdings einige mehr oder minder consequente
Vertreter (Hylten - Cavallius , Chr. Schneller u. s. w.) gefunden hat
Die Gestalt der Waldgeister wird bald riesenhaft, bald
zwergisch beschrieben, für gewöhnlich menschenähnlich, aber in
alle möglichen Tier- und Pflanzenformen verwandlungsfähig,
llergestalt auf längere Dauer mißt man der gente salvatica
S. 113, zeitweilige Geißgestalt den Ljeschie S. 138, Dialen
S. 95, Delle Vivane S. 116 bei. Die vom wilden Jäger
gejagten ganz in Moos gekleideten Moosweibchen in Wildemann
trugen Gänsefllße.^ Die Skogsnufva trägt Tierfelle und Kuh-
schwanz S. 128, die ihr entsprechende dänische Waldfrau S. 126
verwandelt sich noch altertümlicher m eine Kuh.* Wenn die
Fangga sich in Wildkatzenfellc kleidet und Stutzkatze heißt, so
erblicke icli darin einen Fingerzeig, daß dieses Wesen auch Wild-
1) Pröhlo, Deutsche Sagen S. 37.
2) So kennt die Thüringische Sage eine feurige Kuh. die sich in
einen Hirn bäum und dann in ein iiltes Weib verwandelt. Thronicon
monasterii St. Petri, S. Pauliini syntagnui p. IJM bei Jiechstein, Sagenschatz
detf Thüringer Landes I, 12G. Witschel, Sagen a. Thüringen 115, 110.
Rückblicke and Ergebnisse. 147
katzengestalt annehmen konnte. Die HolzweiI>er , wilden Weiber
and der Skongmann sitzen auch wol als Eulen auf den Bäu-
men S. 127, der lettische mahjais kungs entweicht in Gestalt
eines Vogels S. 53, auf der unersteiglichen Alpe Morin in
Tirol sollen drei Selige wohnen, die in Geiergestalt die Gemsen
beschützen und den Jägern feind, den Hirten freund sind.^ Das
Aussehen der Waldgeister . wenn sie anthropomorphisch auftre-
ten, enthält manche Züge, welche daraul* hindeuten , daß die
Phantasie zu ihrer Ausstattung bei den Bäumen eine
Anleihe machte. Sie tragen einen behaarten moosbewachsenen
Leib oder grüne Kleidung;^ einen Rücken hohl wie ein morscher
Baumstamm oder ein Backtrog;' und ihre großen Brüste dtlrf-
ten als ein sinnlich symbolischer Ausdruck der Vegetationsflille
betrachtet werden;^ ihre langen gelben oder sonst weithin im
1) Scbaubach, die deutschen Alpen. Jena 1847. II , 42.
2) Mooslente: behaarter Körper , runzeliges moosbewachsenes Gesicht.
'Waldfänken: behaarter Leib, Kopf mit Eichenlaub bekränzt Wild-
lente in Hessen: Eleidnng grün und rauh, gleichsam zottig. Nörgele:
in grüne Jacke und Bergmoos gekleidet. Fanggen: Haar voll Baumbart,
Joppen von Baumrinden. Wilder Mann in Tirol: Aussehen gleich einer
moosbewachsenen Fichte. Skogsnufva: in Tierfelle gekleidet, in Waldtierc
and Bäume verwandlungsfähig. Ljeschie mit zottigen Haaren bedeckt,
die häufig grüne Farbe haben. Dames vertes: grüne Kleidung (?).
3) Hohlen Rücken haben: Frau Hult, Anführerin der wilden Jagd
S. 120. Teufel S. 121, Feurige Männer S. 121. Wildfrauen in Steiermark, von
der wilden Jagd gejagt S. 120. Dan. Waldfrauen und Ellefruer S. 125. Norweg.
Waldfrau Huldra (Faye ö.^ 42). Skogsnufva von Oden gejagt S. 134. Auch
die als Anführerin des wütenden Heeres (Aasgardreid) in Norwegen umhcr-
xiehende Guro Rysserofa (s. Mannhardt, Götterwelt S. 155. 304 flf.) und ihr
Gefolge hat Bücken wie hohle zerspaltene Espenbäume, ospeskryte (Land-
stad, Norske Folkeviser p. 133). Nichts widerspricht der Annahme, daß der
hohle Bücken ursprünglich den Waldgeistern als solchen angehörte und, da
diese als im Sturme umfahrend gedacht worden, auch auf andere im Sturme
waltende Geister, die im Walde ihr Wesen treiben, ausgedehnt wurde.
4) Lange Brüste: Hessische Waldfrau, Gattin des wilden Mannes;
Fangga Langtüttin, Gesellin des wilden Mannes S. 108; keltisches Waldweib
8. 117; dänische Meerweiber und Ellefruer Jagdobjectc des wilden Jägers
S. 125; Skogsnufvar, Trolle und Riesinnen, die Oden und der Donner jagen
S. 128. Aus einer Notiz des Prof. Schaafhauscn , Archiv f. Anthropologie I,
1866. S. 188 ersehe ich, daß bei den eingebornen Weibern Neuhollands,
mithin unter einem auf niedrigster Stufe stehenden wilden Volke birnför-
uiige Brüste, welche nach Belieben über die Schulter gewor-
10*
148 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
Winde flatternden Haare ^ erinnern an die Auffassang des (vom
Sturme durch den Wald gejagten) Laubes als Baumhaar. Gra-
dezu als Fftamengeister treten sie auf, wenn ihr Leben und ihre
Größe an das Leben der Bäume und Gräser geknüpft erscheint'
Hiemit stimmen indirecte Zeugnisse ttberein. Das Schrätlein zieht
sich Tom Teufel verfolgt in den Baum zurück S. 115; die Ver-
wundung des seligen Fräuleins wird bestraft , wie ein Axthieb in
den Waldbaum S. 105. Um die Holzweibel, Seligen u. g. w. zu
retten y muß man drei Kreuze in den Baum hauen, wäh-
rend er fällt S. 83. 106. Auch die Gamknäul der Holzfräolein,
Seligen, Fanggen und wilden Weiber weisen nach S. 76 viel-
leicht auf Moosfäden zurück.
Bas Wesen der Waldgeister erweitert sich aber deutlich van
Baumgeistem zu Genien der gesamnvten Vegetation. Die Holz*
fräulein walten auch im Gras- und Komwuchs S. 77flf., die Ljes-
chie sind Waldgeister und zugleich Dämonen der niedem Kultur-
pflanzen S. 138; vgl. dazu die hessischen Wildleute S. 87.
Die nämliche Doppelrolle als Wald- und Komdämonen spielen
die Dames vertes. Auch die wilden Weiber erscheinen als Ge-
fen werden können, in Wirklichkeit vorkommen. Ich halte das fttr sehr
beachtenswert, wage jedoch nicht ans diesem einen Umstände die Einwir-
kung einer realen Erinnerung an wilde Ureinwohner auf die von uns besproche-
nen Sagen zu folgern. War denn in Deutschland und Skandinavien das näm-
liche gleichgestaltige Urvolk waldflüditig? Oder waren diese Sagen vom
Norden zum Süden oder umgekehrt gewandert?
1) Lange aufgelöste Haare: die gejagte Frau bei Cäsarius v. Heister-
bach S. 123; Holzfräulein S. 76; hessische Wildfirauen und Selige S. 88. 100;
Unnererdsche, die der Wode jagt S. 123; weiße Weiber in Mecklenburg, Ob-
ject der wilden Jagd S. 123 ; keltisches Waldweib S. 117 ; Skogsnufva S. 128.
Zupitza macht darauf aufmerksam, daß Väsolt (ob. S. 82. 105) im Ecken-
liedc 165, 11 „här alsap ein wip'* d. h. wol im Winde flatterndes langes
Haar trägt. Mit langen fliegenden Haaren stattet auch die Phantasie
des Negers am Gambia die Waldgeister aus, die er für mächtige Wesen
von weißer Farbe erklärt, deren Zorn dem Beisenden gefahrlich sein würde.
Um sie zu besänftigen wird ein weißes junges Huhn als Opfer an die Zweige
eines Baumes gebunden. S. Mungo Park, Reise [in das Innere von Afrika.
Hamburg 1799. S. 81. An einen solchen Baum (Neema Taba) befestigte jeder
Beisende ein Stückchen Tuch. Mungo Park a. a. 0. 50.
2) Moosleute S. 75; witte Wiwer S. 124; Fanggen S. 89. 91 Anm.;
Ljeschie S. 138. 141. Dazu vgl. wilde Männer in Hessen S. 88; Dames
vertes S. 119; Beiles Alles zu Beuge -vie S. 104.
Kfickblicke und Ergebnisse. 149
nien Yon Kräutern S. 106. Die vom wilden Jäger gejagte
Fraa läBt aich als Walpurgis in eine Garbe einbinden ob. S. 121.
Vgl den rassischen und den schwedischen Zaubersegeu, am die
Waldgeister herbeizarofen S. 142.
Andererseits springt deutlichst als durchstehende Varstdlung
in die Äugen, Wirbdwind, Sturm und Gewitier seien Lebens-
äußerungen des nämlichen Geistes^ der in ruhigen Momenten —
wie wir sahen — in Waldbäumen verkörpert erscheint^ Vom
wilden Jäger oder Teafel^ resp. dem Donner gejagt finden wir
die Hoosleate, Holz&äolein, Selige, Schrätlein, Wildfraaen in
Steiermark y Unterirdische and weiße Weiber in Laaenburg and
Mecklenbarg, dänische Meerfraaen, SkogsnafVar in Schweden.
Nach verschiedenen z. T. den ältesten bezeagten Varianten
ist die gejagte Fraa die Bahle des wilden Jägers S. 125.
Dem Rassen gilt der Wirbelwind als der Hochzeitstanz des Wald-
geistes mit seiner Braat S. 143. Da nan die Erscheinang der
wilden Jagd meistenteils mit dem Gewitterstarme zasammen-
ßllt,' dem Gewitter aber, das physikalisch betrachtet ja ttber-
haapt nar ein secandäres Prodact des vom Boden au^teigenden,
oder von oben her hereinbrechenden und den entgegengesetzten
Passat verdrängenden Luftstromes ist, größtenteils merklich Wir-
belwind vorangeht and heftigerer Wind nachfolgt;' da der Wir-
1) Vgl. Wagen des Waldweibchens = Gewittersturin S. 85. Musik
der böhmischen Waldwciber S. 8G. =^ Sturm. Tanz und Kitzeln der böh-
mischen Waldfrau S. 87, des Ljcschi S. 139, Schuui>fen der Fang^^'a S. 89
= Wirbelwind. Buschjungforn Wirbelwind S. 86. Im Sturm fahrt
der hessische S. 87 und Tiroler wilde Mann daher S. 105. Delle Vivano ver-
schwinden im Staubwirbel S. 116. Der wilde Mann in Tirol S. 105, Fän-
keninännlein S. 96 , Waldweibchen S. 86 führen einen (im Sturm) entwurzel-
ten Baumstamm als Spazierstock vgl. Modelgart S.lOf). Schratl==^ Wirbel-
winds. 115. Dänische Waldfrau --= W i r b c 1 w i n d S. lL>6, Hulte = Sturm
8. 127, Skogsnufva=- Wirbelwind S. 12^), Hegen S. 132, Blitz oder Stern-
schnuppe (Fackel, die man wirft). Vgl. den wie ein feuriger Wiesbaum dahin
ziehenden fliegenden Drachen , der übrigens häutig auch Personification des
Wirbelwindes ist. S. 134. Ljeschi =- Wirbelwind S. 134 und Sturm S 139.
Die Dames vertes gehen im Windes wehen über die wogenden Kornfel-
der S. 119.
2) S. Schwartz , der heutige Volksglaube und das alte Heidentum 18G2.
S. 15 ff. 30 ff.
3) Vgl N. Gräger, Sonnenschein und Regen. Weimar 1870. S. 164 ff.
J. S. Gehler, PhysikaL Wörterb. IV, 2, 1582 ff.
150 Kapitel IL Die Waldgeister and ihre Sippe:
beiwind als fahrende Frau, ^ 'Hexe,« ThOrs pjäska (S. 128)
Windsbraut,' auch sonst in Gestalt eines weibliehen Wesens per-
sonifiziert wird, so halte ieh es fbr wahrseheinlich, daß anfäng-
lich der im Wirbelwinde sein Dasein bekundende Waldgeist
es war, der vom ?nlden Jäger (dem nachfolgenden stärkeren
Unwetter) gejagt erschien.^ Es ist auch deutlich, warum inson-
derheit die männlichen Waldgeister (wilder Mann, Ilulte, Ljes-
chi) sodann aber auch z. T. eben jene weiblichen Waldgenien
ebensowol ftlr sich allein im Winde daherfahrend , oder als An-
flihrer der wilden Jagd daherstürmend dargestellt werden konn-
ten. Die angegebene Deutung trifft auf die Gewitterstttrme im
Sommer und die Mehrzahl unserer Sagen vollkommen zu. Wenn
aber daneben nach manchen Sagen der Umzug der wilden Jagd
oder des wütenden Heeres und ebenso der unserer Waldgeister
zu Weihnachten in der Neujahrsnacht, oder Dreikönigg-
naoht vor sich geht, wenn die Jagd auf das geisterhafte Weib
sieben Jahre (d. h. doch wol die 7 Wintermonate von October
bis Mai) dauern soll , so ist es bei der Seltenheit der Winter-
gewitter in unsem Gegenden allerdings offenbar, daß hier die
Jagd auf das Waldweib die angegebene Bedeutung nicht haben
kann. Vielmehr sprachen wir schon S. 124 unsere Meinung
dahin, aus, daß dabei der Gedanke zu Grunde zu liegen scheint,
im Winter sei der weibliche Waldgcist, die Genie des Blät-
tergrüns, gleichsam verzaubert und fliehe vor dem im
Sturme ihm nachsetzenden Gefährten, der zum Maitag
(vgl St. Walpurgis S. 121) sie erreiche, und [nach urtümlichst
roher Weise der Hochzeit durch Frauenraub] quer über sein Roß
lege.* Ist diese Deutung richtig, so hat eine Verschiebung,
eine Umdeutung eines ursprünglichen Gleichnisses in ein ande-
res stattgefunden. Die Probe würde erst gemacht werden kön-
1) S. Mannhardt, Götterwolt Ö. 98. Wolf, Niederl. Sagen lb43. 616,
518. 519.
2) Mannhardt^ a. a. 0. S. 99.
3) Panzer II, 208 ff. Schönwerth n, 112 ff.
4) S. W. Schwartz a. a. 0. S. 25.
5) Vgl. die bekannten Darstellungen des Pluton , der die geraubte Per-
scphonc quer über sein Roß geworfen bat. Man muß dann annebmen, daß
die in einigen Varianten erwähnte Tod tun g des Waldweibes nur mißver-
ständlicbc Fortbildung der Sage sei. Vgl. auch Schwartos a. a. 0. S. 65.
Buckblicke und Ergebnisse. 151
oen durch eine genaue Untersuchung aller sonstigen Jagdohjecte
des wilden Jägers , denn es ist jedenl'alls wichtig zuvor zu wis-
sen, ob die Eber, Rosse,* (Rinder V), Hirsche, (Rehe), Kanin-
chen, Hühner, welche je in verschiedenen Landschaften statt der
Waldiraueu den Gegenstand der Veriblgung von Seiten der wil-
den Jagd ausmachen, und deren Schenkel dem Spötter aus den
Wolken zugeworfen werden, wie der Fuß des Waldweibes, ent-
weder sämmtlich, oder doch teilweise nur eine andere Form des-
selben Gedankens sind, den die gejagten Waldleu^ ausdrücken.
Wir müssen davon abstehen diese schwierige Frage an diesem
Orte weiter zu verfolgen.^ Es erscheint uns die zuerst von
1) Die Jagd auf Rosse scheint wirklieb als die Spur einer Erinnerung
an eine langst verschwundene Knltur])hasc geltend gemacht werden zu müs-
sen, da neuere Ausgrabungen in den Hohlen des Hohenfels in Würtemberg
erwiesen haben, daß das Roß seit grauem Altertum in Stiddeutschland ein
Jagdst^ck war. Ebenso dienten nach den Untersuchungen Duponts in den
Höhlen Belgiens zur Zeit der Renntierperiode daselbst Pferde als Jagdtiere,
namentlich die Bewohner der Höhle von Chalen scheinen Pferdefleisch allem
andern vorgezogen zu haben. Es blieb das bis in die späteste Zeit des
Heidentums. Vgl. Gregorii ej). ad. Bonifacium, ep. 28 cd. Jafte, Bibl. rer
(»erman. ni, i»3 : inter ea agrestem caballum aliquantos adiunxisti come-
dcre , plerosquc et domesticum. Ep. 80 Jaffe III, 222: Ab esu Christia-
nonim . . . leporcs et equi silvatici niulto aniplius vitandi.
2) A. Kuhn hat in Zachers Zeitschr. f. D. Philologie I, llf) if. nicht
ohne einen gewissen Schein die vom wilden Jäger verfolgten Tiere, Eber,
Roß, Rind als Naturbilder der Sonne nachzuweisen versucht. Der wilde
Jäger, (jott des finsteren Sturmes, gehe, wie sein in Deutschland und Schwe-
den mchrfacli bekannter Name Nachtjäj^'er (vgl. das Nachtvolk = wütendes
Heer, den Nachtraben als Begleiter des wilden Jägers) bezeuge, mehrfach
in den Begritf eines Dämons der Nacht über. Als solcher stelle er der Sonne
nach^ die er jeden Abend erreiche und tödte. Und neben den V'orstcllungen und
Sagen von der täglichen Erlegung des Sonnentieres liefen andere Traditionen
her, wonach die Tödtung des später wieder auflebenden Tieres zur Zeit der
Wintersonnenwende statt habe. Also auch Kuhn ist genötigt, gleich uns
oben , eine Verschiebung eines wiederholten sommerlichen Vorgangs auf einen
einmaligen über längeren Zeitraum ausgedehnten im Winter anzunehmen.
Hätte er recht, so würde sich aus dieser Analogie auf das beste erklären,
sowohl, daß die vom wildmau in Northamptonshire gejagte Jungfrau all-
nächtlich getüdtet wird und wieder auflebt (S. 122) als auch, daß die
Weiße Frau im Havelländischen bei der Verfolgung immer kleiner wurde,
bis sie nur noch auf den Knien lief (S. 12^5). Ich entscheide mich noch
für nichts endgiltig, bis eine umrassende, die Urformen der Tradition, ihre
Wandlungen und Verderbnisse aufspürende Untersuchung der Sagen von der
152 Kapitel IL Die Waldgeistcr und ihre Sippe:
W. Schwartz aufgestellte Deutung, wonach die von der wilden
Jagd herabgeworfene Lende oder Hälfte der Holzfrau, sowie die
in Gold sich wandelnden Geschenke der thüringischen und czechi-
sehen Waldweiber, Lisunki u. s. w. ursprünglich den Blitz bedeu-
ten, nicht unwahrscheinlich, wenngleich keinesweges gesichert.
Mit der Natur der Waldgeister als Wind- und Wetterwesen
scheint auch der Zug zusammenzuhängen, daß die Waldfranen
einen Gürtel schenken, welchen sie einen Menschen anlegen
heißen. Der Beschenkte umgürtet damit aber zuvor einen
Baum und derselbe springt augenblicklich zerrissen und zer-
splittert in Stücke.^ Einen ebensolchen Gürtel verleiht näm-
lich auch der in der Windsbraut umfahrende Hexenmei-
*
ster.* Der den Wald erfüllende Nebel oder weiße an den Ber-
gen hangende Wölkchen gelten als die Wäsche der Waldfrauen.
Dergleichen wird erwähnt bezüglich der wilden und seligen Fräu-
lein, der Wildfrauen in Steiermark, der Froberte, Skogsnufvar
und Dames vertes, sowie der Pysslingar unter dem Apfelbaum
zu Falsterbro (ob. S. 61). Da die menschliche Seele als Luft-
hauch (animus, spiritus) betrachtet wurde, ^ so steht es auch wol
mit der Windnatur der Waldgeister in Verbindung, daß die Holz-
fräulein in arme Seelen, die Seligen in die Geister todter Mütter
übergehen.
Ihrem Ursprünge nach dunkler, als die bis hieher behan-
delten Eigenschatten , sind diejenigen Aussagm , welche den Wald-
frauen d(is Streben mich der Verhindung mit stcrhliclien Man-
wilden Jagd voraufgegangen sein wird. In jedem Falle, meine ich jedoch,
würde nur davon die Rede sein können, daß etwa seeundär die Vorstel-
lung und Sage von dem einer Frau nachsetzenden Dämon (Riesen, Gotte)
des Gewittersturmes auf die Nacht und eine Verfolgung der Sonne während
des Tages, endlich in zweiter Linie auf den Winter und das Nachsetzen des
sommerlichen Gottes hinter dem fliehenden, immer schwächer scheinenden
Sonnonwcsen umgedeutet wurde und in einigen Sagenformen diese Au£fiEtö-
sung Ausdruck fand. Inwieweit dabei etwa die von uns bereits Genn.
M}th. 37 fF. besprochene Uebereinstiramung vieler Naturbilder für Wind,
Wolke, Licht (oder Sonne) und Erde zu solcher Umdeutung mitwirken konnte,
ist erst im einzelnen näher zu erforschen.
1) S. Panzer, Beitrag I, 17, 19. Zingerle, Sagen, Märchen u. Gebr.
3i, 44. Vgl. Meier, Schwab. Sag. 69, 4. Panzer 1, 71, 88.
2) Panzer a. a. 0. II, 208, 365. Vgl. Myth.« 907.
3) Mannhardt, German. Mythen 269.
Bockblicke und Ergebnisse. 153
nem, deni Waldfnann die Sucht nach christlichen Frauen eu-
schreiben. Die Holzfräulein , die Seligen, Fanggen, die Skog-
snufVar nnd Ljeschie gehen eheliche Vereinigungen mit Menschen
m S. 79. 87. 103. 135. 143. Der Gesang und ^ die schöne
Gestalt der Seligen und wilden Weiber lockt Jünglinge und junge
Männer an ihre Seite. Wem), manche Sagen dieses VerhältniB
aoterordentlich zart und geistig darstellen (S. 101), so zeigen
andere eine rohere, vermutlich ältere Form S. 102.
Saohe Else naht, wie die Skogsnufva, dem am nächtigen
Feuer Liegenden und verlangt nach seiner Minne S. 108.
Vgl die agrestes feminae bei Burkhard v. Worms S. 143.
Das badische Wildweib hat mit dem Jäger ein Kind, S. 88, und
die Dames vertes locken den betörten Liebhaber ins Dickicht
S. 118.* Der Hulte stellt christlichen Weibern nach S. 127,
ebenso die lesni muSove in Böhmen S. 87.
Daneben wird behauptet, daß die Waldgeister kleine Kin-
der rauben oder an sich ziehen und tödten. Der Salvanel , die
wilden Weiber am ünterberge, die Fanggen S. 90, die divö
zeny in Böhmen S. 87 stehlen* kleine Kinder. Oder die böh-
mische Waldfrau lockt sie an sich S. 87. Die Tiroler Lang-
tüttin legt sie an ihre großen unheimlichen Brüste S. 108. Die
Seligen holen sogar Wöchnerinnen aus dem Kindbett
weg S. 108. Steht dazu in irgend einem Verhältniß der Zug
des Irreleitens, der von den Froberte, den Dames vertes, der
rauhen Else, der Skogsnufva und ihrem Geniahle, dem Hulte,
den Ljeschi, wie dem peruanischen Uchuclla berichtet wird? Bei
unseren Waldweibchen und Moosleuten schlägt dieser Zug gradezu
*m sein Gegenteil um. Die Moosweiblein im Wildemann z. B. lei-
teten Fremde, die sieh verloren hatten, auf die rechte Straße
und teilten ihnen Wurzeln und Kräuter zur Nahrung und Gesund-
heit mit.^
Die Waldgcistcr zeigen sich auch sonst den Menschen gerne
dienstbar und gehen in Uausgeistcr über. Die Holzfräulein in
Thüringen und Franken , die wilden Leute in Baden , die Saugen
in llrol helfen zur Erntezeit den Arbeitern. Aber auch ständig
treten Holzweiber und Waldmännchen , Fanggen , Salige , zuweilen
1) VerDaleken, Mythen und Bräuche 249, 55.
2) Pröhle, D. Sag. S. 37, 8. Vgl. auch ob. S. 84.
154 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
auch Skogsrä in den Dienst des Menschen, besorgen das Vieh
im Stalle und segnen Vieh und Vorratskammer; auch die Schre-
tel spielen die Rolle der Penaten S. 115. Die wilden Geißler
(S. 96 ff.) stellen gewissennaßen Penaten der Dorfschait vor.
Wie hier in Hausgeister gehen die Waldgeister anderswo unmerk"
lieh in andere Elbe, namentlich in Höhlen und ebenes Fdd bewahr-
nende Zwerge über. Die Fanggen verlieren sich in Fenggen und .
Fänken. Die von Fanggen, Uolzweiblein und wilden Frauen
erzählte Geschichte von Todansagen (S. 90) wird auch von
Zwergen berichtet Wilde Leute werden local zu Nörgeln und
Norken (S. 110), die Seligen zu SchanhoUen (S. 102).^ Und
die Seligen selber, die in fast allen Stücken den Wald-
und Moosweibchen entsprechen^ verlieren den Gharacter eigent-
licher Waldgenien fast ganz. In der norddeutschen Ebene ver-
treten die Unnerßrdschen und weißen Weiber die Waldgeister
des deutschen Südens mid skandinavischen Nordens (S. 124).
Mit eifumi Worte Wald^ und Feldgeister sind sowenig durch
eine feste Schranke geschieden, daß sie vielfach in einander rinnen.
1) Die Identität der Seligen, witte Wiwer und Hollen erweisen die
Mitteilungen von A. Kaulfuianu und Birlinger in Pfeiffers Germania XI, 411 ff.
und XVII, 78, wonach in Aufzeichnungen des XVI. JahrlL von niederrheini-
«
sehen unter schönen Bäumen und krausen Büschen wohnenden Gei-
stern die Rede ist, für welche die Namen „selige frauwen,** „holden,"
„wyUe frauwen** als Synonyma gehraucht werden.
Kapitel UI.
Die Baumseele als Vegetationsdcämon.
§. 1. Crenius des Wachstums. Die lange Folge der in den
beiden ersten Kapiteln erläuterten Anschauungen wird ; wenn ich
nicht irre^ dazu helfen , uiit einiger Wahrscheinlichkeit auch
die Bedeutung mehrerer Gebräuche zu erschließen, welche wir
an hervorragende Jahresfeste geknüpft sehen. Auch in ihnen hat
die Vorstellung vom Baumgeiste als Doppelgänger und Schützer
menschlichen Lebens mehrseitige Verwertung gefunden, aber in
Verbindung mit einer von uns bisher noch wenig berührten Idee.
Wir gewahren die Baumseele gefaßt als Genius des Wachstums.
Da aber an der jährlichen Verjüngung der I^anzenwelt im Frtth-
ling, ihrem Absterben im Herbste Jim augenscheinlichsten der
Wechsel der Jahreszeiten offenbar wird, liegt es nahe, daß die
Anschauung von dem im Baume verkörperten Dämon der Vege-
tation in seiner sommerlichen Gestalt leicht umschlägt in eine
gleiehgestaltete Personification des Frühlings oder Sommers und
auch wohl mit diesem Namen benannt wird. Der der Abstraction
ungewohnte, für begriffliche Scheidungen ungeschulte Naturmensch
trennt diese verschiedenen Momente nicht, sondern Vegetation,
Frühling (Sommer) schützender (stellvertretender) Baumgeist ver-
schwimmen ihm vielfach in einen einzigen Begrift'. Von diesem
Gesichtspunkte aus beleuchtet, werden uns — so scheint es —
mehrere slavische und germanische Lätare-, Mai- und Pfingst-
gebräuche ihr Geheimniß entschleiern.
g. 2. Baumseele: Waelistumgeist-- Sommer in den Lätare-
gebräuchen. Ich erinnere zunächst an die Sitte des Todaus-
tragens am Lätaresonntii^ bei den Wenden in der Lausitz, den
Czechen in B?5hmen und bei andern Slaven. Bekanntlich zogen
die Frauen der Lausitz am genannten Tage in Trauerschleieni
aus, banden eine Strohpuppe, bekleideten sie mit einem Uemde
156 Kai)it«l III. Baomsccle als VegetationsdaiDon:
gaben ihr Sense und Besen in die Hände, tragen sie zur Grenze
des nächsten Dorfes und zerrissen sie dort; sodann hieben
sie im Walde einen schönen Baum, hingen das Hemd
daran und trugen ihn unter Gesängen heim.^ In Böhmen stür-
zen die jungen Leute eine Puppe, den Tod, ins Wasser; hierauf
begeben sich die Mädchen in den Wald, schneiden ein
junges Bäumchen mit einer grttnen Krone, an dem sie
unt^n die Rinde abschälen, oben eine Elle lang Zweige
daran lassen und verzieren dasselbe mit Eierschalen.
Dann hängen sie eine aus Lumpen gemachte Puppe in
Gestalt einer weißgekleideten Frau daran, die sie gleich
den Zweigen mit roten und weißen Bändern schmücken.
Dieses Bäumchen heißt Lito (Sommer), und damit ziehen die
Mädchen in Procession Gaben sammelnd von Haus zu Haus, Lie-
der singend, in denen sich der Ruf* wiederholt:
Smrt neseme ze vsi
Leto nesem do vsi atd.
Den Tod tragen wir aus dem Dorfe,
Den Sommer tragen wir in das Dorf.*
Zuweilen ist dieser böhmische „Soninicr^' ein mit silber-
nen Gürteln, goldenen Hauben, Perlen, Winterkränzen,
Kai-tenblättem , bunten Eierschalen, gefärbtem Papier
gezierter Baum; nachdem ihn die Knaben von Haus zu Haus
getragen, pflanzen sie ilm zuletzt einem der vornehmsten. ver-
heirateten Weiber vor die Tttr.^ Auch bei der ursprüng-
lich unzweifelhaft slavischen Sitte des öommergewinus zu Eise-
nach am Sonntag Lätare* wurde noch im Anfang des 18. Jahr-
hunderts einerseits ein Strohmann, der Tod, verbrannt, anderer-
seits ging man vor das Georgentor hinaus, um die ausge-
hängte und in einer frischen Tanne oder Fichte sitzende
Sommerdocke zu sehen, und sich einen sogenannten Sommer
d. h. Tannen und Fichtenreiser mit daran gehängten
1) Christ. Arnold, Anhang zu Alex. Kossens untersch. Gottesd. Hei-
delb. 1074 S. I3r> bei Ciriinm, Myth.-i 732.
2) S. Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen. S. 86 — 92.
3) Reiinann, I). Volksfeste S. 18.
4) S. Witschel, der Sommergcwinn in Eisenach 1852. Vgl. Zs. f. D.
Myth. m, 318.
Rosaigeher Pfingstgebraüch. 157
Bretielüy Gipstäflein mit biblischen Bildern, Bändern,
kleinen Kuchen, gefärbten Eierschalen, Schneckenhäu-
sern und andern Sachen zu kaufen und heimzutragen. Zu-
weilen holte man auch aus dem Walde bei der Wartburg eine
hohe Tanne, grub «e auf dem Plan fest ein, schmückte sie
mit Bändern und Tüchern und die Mannsleute kletter-
ten nach diesen.^ In Schlesien heiBen die mit dem grünen
Bänmehen, dem Idto, umziehenden Kinder Sommerkinder.
Will man, daB die Kühe gut gedeihen, so soll man ihnen den
Sommer abkaufen und hinter die Türe des Viehstalles
stecken.*
§. 8. Bnsaisehe PflngstgebrSaehe. Unmöglich wäre es,
die Verwandtschaft zu verkennen, welche zwischen diesen west-
slavischen liUaregebräuchen und der russischen Pfingstsitte
obwaltet Am h. Semiktag d. h. Donnerstag nach Pfingsten gehen
die Bauern und das gemeine Volk der Städter in die Wälder,
flechten Kumengewinde und hauen eine junge Birke, die sie mU
den Kleidern einer Frau sdimücken, oder mit bunten Lappen
und Bändern von allerlei Farben ausputzen. Im Hinausgehen,
während sie zu den Kränzen und Ouirlandeü Blumen sarameb, .
singen die Mädchen welche die Birke einholen sollen:
Freot eaeh nicht ihr Eichen,
Freut ench nicht ihr grünen Eichen.
Nicht zu euch ja gehen die Mädchen,
Euch nicht bringen sie den FleLschbrei,
Kuchen nicht und Eierspeise.
Hei juchei. Dreifaltigkeit!
Freuet euch ihr Birkenbäume,
Freuet euch ihr grtknen hoch!
Denn es gehn zu euch die Mägdlein,
Bringen euch den Fleischbrei dar,
Kuchen euch und Eierspeise.
Nach diesen Worten ist kein Zweifel, daß man ehedem die
genannten Speisen als Opfer vor die mit menschlichen Kleidern
zu einer Frauengestalt aufgeputzte Birke stellte, ehe man sie
1) S. Koch, CoUectaneen zur Gesch. v. Eisenach 1704, bei Witschel,
Sitten u. Gebräuche a. Kisenach 1866, S. 12, Cf. Zs. f. D. M>th. II, 103.
tUfimann, D. Volksfeste 18:59, S. 23— -25.
2) M>-th.^ CLVm 1097.
158 Kapitel m. ^aumseele als Vegetationsdämon:
•
abhieb. Ist dieses geschehen, so folgt noch jetzt ein festlicher
Schmaus im Angesichte des Baumes, nach dessen Beendigung
die bekleidete Birke unter jubelndem Gesänge heimgefllhrt
und in irgend einem Hause aufgestellt wird, wo sie als hoch-
geehrter Gast zwei Tage bis zum Dreifaltigkeitssonntage ver-
bleibt Während dieser Tage wird das Haus von Leuten moht
leer, welche ihrem ,, Gaste'' den schuldigen Besuch abzu-
statten kamen. Am dritten Tage aber (am Trinitatissonntage)
tragen sie ihn 0u fließendem Wasser^ werfen ihn hinein und ihre
Semikkränze und Laubgewinde hinterher.^
Die einfachste Ueberleguug ergiebt, daß die nach Menschen-
art bekleidete, ehrfurchtsvoll mit Opferspeisen begrttfite, als Gast
hochgehaltene Birke etwas anderes als das seelenlose Gewädis,
daB sie einen in ihr waltenden, zur Persönlichkeit
gediehenen Geist darstellen soll; und eben denselben Ge-
danken drttckt auch das dem lausitzischen Bäumchen übergezogene
Hemd, die in Böhmen und Eisenach angehängte weiBgekleidete
Docke aus. Doch der eine Baum, den man einholt, ist symbo-
lischer Vertreter von allen; nicht die individuelle Baumseele
. meint man, sondern coUectivisch den Dämon der gesammten
Vegetation. Daß die Birke, nicht die Eiche diesen Dämon dsT-
stellt ist natürlich, da sie von allen Waldbäumen sich zuerst
belaubt.
Unsere Auffassung bewährt die Ausschmückung des Baumes
mit Eiern, den Sinnbildern des neukeimenden Lebens.
Denn daß diese Bedeutung auszudrücken beabsichtigt war, lehr);
der Vergleich anderer Volkssitten. So wird viell'ach in die
erste Garbe der Ernte ein Brod und ein Osterei ein-
gebunden als Gewähr des Wiederauf keimens und reichlichen
Ertrages der Saat im nächsten Jahre , * der erste Pflug über ein
Brod und Ei in den Acker geführt,* oder beides wird in das
besäte Feld vergraben,* oder der Sämann ißt mit seiner Familie ein
paar frische Eier auf dem so eben bestellten Lande (Thüringen).'
1) Ralston, songs of the Russian peoplc. London 1872. S. 234. 238.
2) Vgl. z. B. Panzer, Beitr. z. D. Myth. U, 211 — 213.
3) Wuttko , Abergl.« §. 428.
4) Panzer a. a. 0.
5) Wuttke §. 657.
MittsommcrstaTi^ in Scliweden. 159
Während des Winters war der Vegetationsdänion gleichsam abwe-
mii, m Lätare will er kommen, zu Pfingsten ist er da, und
zogleieh ist er der leibhaftige in Blüten und Blüttem webende
iSommery aber nur wie ein „Gast^' kam er, der bald wieder
davongeht Gleich ihm wffnscht man auch Tiere und Menschen
ferjlingt; wir lernten ja hinreichend die Sympathie zwischen
Menschenleben und Pflanzenleben kennen. So ergab sich die
Ceremonie der Heimholnng nach Stadt und Dorf, deren Bewohner
deh nnmittelbar und greifbar der segnenden Nähe ihres Schutz-
geistes Tergewissem wollten.' Das Hineinwerfen der rns-
gischen Birke in fließendes Wasser am Ende des Festes
ist (glaube ich) zu beurteilen, wie die Wassertaufe vieler , in
einem späteren Paragraphen mitzuteilender deutscher Pfingst-
gebrauche und Emtesitten als Regenzauber ftir das weitere Ge-
deihen der Pflanzenwelt. Das mythische Wesen, welches diese
älavischen Latäre- und SemikgebrUuche z. T. unter dem Namen
„ Sommer '' verherrlichen, meinen wir also zwar als Personific^-
tion der schönen Jahreszeit auffassen zu sollen, doch als Dämon
der sommerlichen Vegetation näher bestimmen zu können.
Wer die Gesetze der Mythenbildung einigermaBen kennt, wird
es nicht verwunderlich finden , daß in dem wcstslavischen Branche
ein anderer Dämon der Vegetation in ihrem winterlichen Zustande
unter dem Namen Tod, Alter u. s. w. nebenhergeht. Wir werden
bei einem spätem Anlaß noch Gelegenheit finden, diese AuffaH-
tiung durch Erläuterung der polnischen Mar/ana (d. i. Geres nach
der Conjectur von Dlugosz) za rechtfertigen.
§. 4. Xittsommorstauge in Schweden. Das Mittelglied
zwischen dem russischen Semik-(Pfingst-) gebrauch und dem
deutschen Maienstecken bildet eine schwedische Mitsommersitte.
An St Johannisabend , wann die Pflanzenwelt in üppigster Kraft
und Schönheit steht, richtet man bei jedem Hofe oder auf
freiem Felde die sogenannte Mittsommerstange, Maistange oder
Mai bäum (Maistang, Maiträ) auf und tanzt um sie herum das
Mittsommerspiel, indcß jedes Zimmer und jede Hausflur in den
Städten sowol, als auf dem Lande, mit Laub und Blumen
^'eselmiüekt smd. In ►Stockholm wird am 22. Juni ein förmlicher
Markt mit Laubzweigeu und kleinen Maistangen für Kinder
abgebalten, wozu die ganze Umgegend die Handelsartikel liefert,
welche reichlichen Absatz finden. Vielfach ist die Maistange nur
160 Kapitel IIL Baunseele als Vegetationsdämon :
eine hohe Stange , der gradeste and schlankste Baum, den man
im Walde finden konnte , einfach mit Laub und Blumen bekränz^
oft auf der Spitze von einem roten Wetterhahn gekrönt,^
den der Wind umtreibt. Zuweilen aber (und zwar ebenfaUs in
Smäland) kommt auch noch eine andere Form vor, welche sieh
dem geschilderten russischen Brauche enge anschließt Frau
Flygare- Carlen giebt davon in ihrem Roman Päl Yäming die fol-
gende Beschreibung. Eine hohe Malstange , welche schon einen
langen Zeitraum hindurch Jahr für Jahr auf einer und derselben
großen Ebene getront hatte, stand heute (am Johannisabend) wieder
festlich geschmückt in langen Kleidern von Birkenlaab;
die Arme mit bunten Blumenkränzen umwunden neigten
sich in stolzen Halbbogen gegen die schlanke Mitte, in-
deß der sogenannte Hals von Blattgold und großen Perl-
bändern aus Eierschalen leuchtete, eine Krone in gewal-
tigem Maßstabe schmückte das Haupt und vollendete
die Kleidung. Alles atmete lieben und Freude und in buntem
Reigen bewegten sich nach dem Tone der Violine die frohen
Schaaren um die Braut des Abends, die geschmückte Maistange.*
Auch in Norwegen soll man am Johannisfeste hohe Maistangen
aufrichten, die mit Kränzen und Bändern geschmückt sind und
um welche die jungen Leute in der Hoffnung auf eine reiche
Ernte singen und tanzen.^
§. 5. Malbanm. Am ersten Maitag, zu längsten, oder am
Abend des 23. Juni findet in deutschen, westslavischen , eng-
lischen, französischen und andern keltischen und romanischen
Landschaften die Einholung und Aufpflanzung der Maibäume
statt. Diese Sitte erscheint schon in Urkunden des frühem
Mittelalters (13. Jahrh.) als traditionell. Vergeblich kämpfen die
geistlichen und weltlichen Besitzer der Waldungen dagegen
1) Hylten-CavaUius Väreod och Virdarne I, S. 2f^8. 328. Westerdahl,
Beskrlfning om Svenska allmogons Seder. Stockholm 1774. S. 7. Cf. Piun
MagDussen lex myth 552: ^ygallum illum qui ad recentiora usque teiupora
apnd Suecos rusticos in culmine majalis arhoris collocari solait."
2) Flygare- Carlen, Paul Wärning ühers. v. C. F. Stuttg. 1845. S.232.
237., vgl. Liebrecht in Pfeüfcrs Germania IV. 1859. S. 379. Vgl. dazu die
Andeutung &hnlicher Maistangen mit blnmcnumwundenen Bügeln bei Wester-
dahl a. a. 0.
3) S. Beiraann, D. Volksfeste S. 401.
Maibaom. 161
an.^ Sie zerfällt in mehrere Acte, öder nimmt verschiedene For-
men an, Yon denen die einen hier, die andern dort noch beisam-
men sind. Eine eingehendere Monographie wttrde zur Ehitschei>
dnng bringen müssen, wie viele von ihnen. von Anfang zusammen-
gehörten. Die Schaar der Bürger (in späterer Zeit häufig nur
der Kinder des Ortes) oder der Mitglieder einer zfinftigen
Genossenschaft (z. B. der Schuster , der Leinweber u. s. w.) zieht
in den Wald hinaus, um den Mai zu suchen (quaerere majum,
qaerir le may, fetch in the may) und bringt grüne Büsche und junge
Bäume, vorzugsweise Birken oder Tannen mit heim, welche vor
der Tür oder auf der First des Hauses' auf die Dünger-
stätte oder vor dem Viehstall aufgepflanzt werden und zwar
hier gerne für jedes Stück Vieh (Pferde und Kühe) ein beson-
deres Bäumchen. Die Kühe sollen dadurch milchreich, die
1) VgL die französiscbeB Belege aus saec. XIII. XIV bei Du Cangei
gloss. med. lat. ed. Henscbel s. t. y. majum et majus, einen Aachener aus
saec. XIII bei Oaesarius t. Heisterbacb (s. unten S. 170), die Frankfurter a
saec. XY bei Eriegk, Deutscbes Bürgertum im Mittelalter 1868 S. 451; aus
Köln bei Hüllmann, Deutscbes St&dtewesen IV, S. 171. Vgl. Schmeller II,
533. Aus den Niederlanden liefert Berichte Westreenen van Thiellandt,
raderl. Letteroefcn. 1831. Nr 14. , 1832 IV, 162. üeber die jährliche Auf-
Pflanzung des Maibaumes im Haag, worauf im Jahre 1734 ein Pfenning
geschlagen wurde (van Loon Nederl. Hist. penn. U, 225) vgl. man Tegenw.
Staat van Holland XVI, 100; de Riemer Beschr. van's Gravenhage etc. In
der Schweiz wurde das Maienhauen im 17. Jahrb. durch zahlreiche Verbote
interdrückt. Der Wintertburer Rat z. B. ließ 1659 den Großweibcl in der
Kirche verkünden „dafi bei hoher Strafe die jungen Knaben am Maitag weder
Roth - noch Weißdändli In Mayen hauen sollen als ein schädlich und unnütz
Ding." Troll , Gesch. von Winterthur III, 188 bei Rochholz , Alem. KinderL
507, 102.
2) Aus Frankreich vgl. Du Gange a. a. 0. Urkunden aus den Jahren
1207, 1257, 1397, 1400. Aus Italien saec. XVI, s. das Zeugniß des Polydo-
nis Vergilius de invent rer. 5. 2 bei Grimm Myth.* 741. Vgl. über Neapel,
wo am ersten Mai jedes Haus durch ausgesteckte Büsche zum Wirthshaus
werde, Cortese, Ciullo e Perna 1,2. Liebrecht, Pentamerone des Basüe I,
S99. Aus England s. die Beschreibung Boumes bei Strutt , sports and pastimes
of the people of England 1841, 351 —353. Brand, populär antiquities ed.
EUis 1853. I, 212—247. In Belgien s. Reinsberg-Düringsfeld, Calendrier
Beige I, 278 ff. In Deutschland s. Kuhn, Wcstfäl. Sag. U, 168, 471. 173,
482—483. 156, 439—441. Kuhn, Nordd. Sag. 386, 70. Alsatia ia51, 139.
Lyncker, bess. Sagen S. 246—248. Cf. Reinsberg-Düringsfeld, das festig
Jahr 127 — 130.
Mannhardt. 11
162 Kapitel HI. Baumseele als VegetatioDsdämon :
Hexen vertrieben werden.^ Zuweilen werden die mit Sträußen
und Bändern verzierten Maibäumchen zuvor in 'feierlichem Um*
zuge unter Gesang gabenheischend von Haus zu Haus getragen,
ehe sie vor denjenigen Häusern, in welchen Gaben an Eien^
Speck, Wurst u. s. w. verabfolgt wurden , ihren Platz finden.
Die Träger heißen Maienknechte, Pfingstknechte^ Maijungen u. s. w^*
sie werden z. B. in der Grafschaft Mark , wo sie mit d^n Gesänge
umziehen ,,Hi breng'k ink den Mai in't Hfis'^' mit Wasser
begossen.^ In der Gegend von Zabern bilden sich ver-
schiedene Compagnien, deren jede mit einem Maibaum
)ind einem verkleideten Butz, dem Pßngstnickd^ d. h.
einem Burschen in weißem Hemde umzieht, der ein
geschwäretes Gesicht und mit Stroh ausgestopften Bauch
hat. Einer aus der Gesellschaft trägt einen riesigen
Korb, worin sie Eier, Speck u. d. gl. sammeln. Außer
dem größeren Maien, den man dem Pfingstnickel voran
trägt, führen die übrigen Mitglieder der Gompagnie
jeder einen kleineren. Oft begegnen sich drei bis vier
Gompagnien und es kommt zu einem Kampfe, nach wel-
chem dem unterlegenen Teile der große Mai abgebro-
1) S. Meier, Schwab. Sagen 397, 76. Gräter, Bragur VI, 1798 8. 121.
Peter, Volkstlmiliches a. Oesterr. Schlesien II, 28G. Roinsberg-Dtüingafeld»
Festkalender a. Böhmen S. 210. Cf. „ They fancy a green bongh of a tree,
fastencd on May-Day against the honse, will prodnce plenty of milk that
summer. Camden, antient and modern manners of tho Irish bei Brand
a. a. 0. 227. Weitere Nachweisungen aus Dänemark nnd Norwegen g^ebt
Mannhardt, Germ. Myth. 17 ff.
2) Alsatia 1851 S. 144. Kuhn, Nordd. Sagen 387,70. Peter, Volkß-
tümliches aus Oesterr. Schlesien II, 280. I, 88. Schmitz, Sitten und Br&uche
des Eifler Volkes a. Trier 1856 I, 33. Reinsberg-Duringsfeld, das festliche
Jahr 130.
3) Fr. Woeste, Volksüberl. a. d. Grafschaft Mark 26. Im Mittel-
alter gestaltete dieses „den Mai ins Haus bringen^* sich mehrfach zu
einem berittenen Einzug. Vgl. Le Fevre de Saint- Remy bei Cortet,
F^tes religieuses p. 158 vom Jahre 1414: Messire Hector, bätard de Bourbon,
manda a ceux de Compiögne, que le premier jour de may il les irait
osmayer; la quelle chose il fit, monta a cheyal, ayant en sa compag^e
deux Cents hommes d'armes des plus vaillants avec une belle compagnie de
gens de pied et tous cnsemble, chacun un chapeau de mai sur leurs har-
uais de fete, allerent ä la porte de Compi^no et avec enx portale nt
unc grande brauche de mai pour les csmayer.
Maibanm. IM
ehen wird (müDdl). Oder ein Kind, das Mairesde (MaienrOs-
lein), Mgt einen mit BlnmenstränBen und Bändern geschmfickten
Maien y ein anderes einen Korb, nm die Gaben für die kleinen
Sänger in Empfang zn nehmen , die dem Mairöslein folgen (Thann
im OberelsaB). Wo nicht vor jedem Hause ein Maibaum ange-
pflanzt wird j beschränkt die Sitte diese Handlung größtenteils auf
diejenigen Wohnstätten, in denen heiratsfähige Mädchen sich
befinden, oder die Häupter der Gemeinde (Stadt, Dorfschaft
u. 8. w.) ihren Sitz haben.
Das Maienstecken ftlr die jungen Mädchen geschieht
entweder als Zeichen der Achtung von sämmtlichen Burschen der
gesammten Gemeinde zusammen (oft erhält jede mannbare Jung-
frau im Hause ihren besondem Baum, die ältere eine größere,
die jüngere eine kleinere Maie) , oder als Ausdruck inniger Liebe,
als symbolischer Heiratsantrag von Seiten des Liebhabers allein,
und in diesem Falle schneidet der letztere wol auch seinen
Namen in die Binde des Baumes ein.^ Nur den ehrenwerten
1) In Italien heißt majo der Zweig (von Birken oder Eichen) der der
Geliebten vor die Türe gesetzt wird. Man hat daher das Sprichwort ,,ap-
piccare il majo ad ogni nscio" f&r ,,inamorarsi per tutto.*' Nach T. Bar-
äalli im Diritto. Roma 1873. n. 108 ist es ein mit woldnftenden ginster-
aitigen Blüten in Traubenform bedeckter Banm (Akazie?), den man als
Maggie oder Majella bezeichnet und dessen blütenschwere Zweige die
liebenden Jünglinge in der Nacht Tom letzten April bis zum ersten Mai ihren
MSdehen yor die Türe setzen. Man nennt das ,,piantar Maggie."
Schon Lorenzo Ton Medici in einer seiner Kanzonen sagt:
Se tu vuo" appiccare un majo
A qualcona che tu ami ,
und Michel Angelo Bonaroti in der Tancia spielt darauf an:
Coti gettat' ho via ciö, che fei mal.
Per lei e doni, e feste e serenate:
In vano al Maggio io le ho ataccati i maj.
Auch in Spanien ist majo = arbole de enamorado. Bei den BurnSnen seteen
die Barsche am Himmelfahrtstage den stattlichen Maibaum Tor die Fenster
der mannbaren Mädchen. W. Schmidt , das Jahr der Romanen Siebenbirgens.
Hennannstadt 1866. p. 12. In Frankreich vgl. Du Gange a. a. 0., der z. B.
flg. ürknifee t. 1380 beibringt. „Robin d'Ambert fust allez avec
eartaias compaignons de la ville de Crecy sur Sere par esbatement cneil-
lir da may on aatre yerdore pour porter devant les hotelz des
jeanes filles, si comme il est acoustnme de faire en celle nuit. Die
Sitte hieß enma/ff^Ur oder ebvmyer (verschieden von esmayer d. i. smagare
enehrecken). Urk. v. 1375: La searveüle du premier jour de may iceulx
11*
164 Kapitel III. Baninsaele als Vegetationsdamon :
sittlich unbescholtenen Jungfrauen oder jungen Wittwen wiid
diese Ehre zu Teil; deiyenigen, welche sich Unkeuschheit oder
snpplians votdant aler onmaioler les dittes filles, comme il est de cons-
tame. In der Niederbretagne steckt man einen mit einer Blnmenkrone
geschmückten Maibaum an die Tür der Geliebten. Cf. De Nore, mythea
p. 207. Im D^p. du Nord bringt man am 1. Mai Birkenzweige an Fenster
nnd Dach der Wittwen and Jangfrauen an. De Nore 339. In der Bretagne
(Loire inferieure) heftet der Liebhaber seiner Schönen ein Bosenbouqnet
über die Tür. Im Nivemais sind es Kirschen- oder Pfirsichzweige,
die man dem Schätzchen in der Mainacht oben zur Seite der Hanstür
anbringt (mündl.) Im Jura befestigen sie denmit J^Zum^n, Bändern, Ku^en
und Wemflaschen gezierten Maien hoi^nlich am Eammerfenster oder oben
am Schornstein des Hauses der Geliebten. E. Cortet, fetes religiensee.
Paris 1867, p. 164. üeber die Allgemeinheit der Sitte in Frankreich 8. Mon-
nier, traditions popnlaires. Paris 1857, p. 307. In der Provence hat man in
Bezng darauf folgendes Liedchen :
Veci Ion djoli mh de mai,
Qae lou galans plantan Ion mal:
N'en planterai ion a ma mio ;
Sara plus hiant qne sa tiolino.
d. i.
Voici le joli mois de mai,
Qne Ics amooreux plantent le mai:
J'en planterai an a ma mie;
n sera plus haut qne son toit.
Monnier a. a. 0. 295 — 6. Im Elsaß stellen die jungen Bursche ihren Mäd-
chen in der Walpurgisnacht eine schlanke Tanne mit Blumen und Bin-
dern vor das Fenster, indeß die Kinder den in der Mitte des Dorfes stehen-
den großen Maibaum singend umtanzen (Alsatia 1851 , 141 ff.)* 1° ^^^ Gegend
von Zabern setzen die jungen Leute ihrer Liebsten einen Maibusch vor die
Tür oder auf das Dach. Letzteres ist ein Zeichen brennender Liebe
(mündl.). In Limburg und Brabant, sowie in den angrenzenden belgischen
Provinzen, zieren hohe belaubte Stämmchen oder grüne Zweige von Lorbeem,
Tannen oder Birken (oft auch nur Buchsbaumzweige, Meipalmen) mit Bän-
dern, buntem Papier und Flittergold geschmückt die Dächer, das Schlaf-
stubenfenster oder die Haustür der geliebten und tugendhaften Mädchen.
Z». f. d. Myth. 1, 175. Reinsberg-Düringsfeld, Calendrier Beige I, 279— 280.
Zuweilen sind dem Maibaum Verse angehängt, wie „Mai de chöne, je vona
arene (aime)'' oder: „Mai de core (noyer), je vous adore** Reinsberg • Dü-
ringsfeld, Cal. Belg. 280. Solche Devisen und Bilder pflegten aneh die
Frankfurter Patrizier söhne den Maien anzuhängen, die sie verehrten Frauen
oder Jungfrauen steckten; so Johann Knoblauch i J. 1464 den Spruch: „Fal-
scher Grund ist meinem Herzen unkund" Lersner bei Kriegk a. a. 0. 452.
Im Harz, in Sachsen, Thüringen und im Voigtlande ist es die Pfingst-
Maibaam. 165
Wankelmnt in der Liebe zu Schulden kommen ließen oder durch
iiir sonstiges Betragen HaB and Verachtung anf sich geladen
haben, setzt man einen dürren Baum, oder auch einen Baum von
besonderer Art (Holunder, Hasel, Pappel, Yogelbeerbanm, Dom,
n. 8. w.) oder endlich man verfertigt einen Strohmann und steckt
ihnen den vor die Tür, das Kammerfenster oder auf das Dach
und bestreut den Weg zwischen ihnen und ihrem unrechtmäßigen
Liebhaber mit Spreu. ^
Oft cht, in der die B&mmtlichen jungen Bursche den M&dehen, die sie ehren
und lieb haben, Maien Tor die Tür setzen. E. Sommer, Sag. u. M&rehen
S. 151. Pröhle, Kirchl. Sitten S. 261. Kuhn, Westf. Sag. II, 169, 474.
Kohler, Yolksbrauch im Yoigtlande 1867, S. 175. In der Nacht vom ersten
znm zweiten Pfingsttag erh< im Wittgensteinschen jedes unverheiratete
Weib Yon den unverheirateten M&nnem seinen Maistrauch. Kuhn, Westf.
Sagen II, 168,470. In Schwaben stecken die Bursche gemeinhin nur ihren
Schätzen die Maitanne oder Maibirke vors Haus; im Oberamt Welzheim aber
wird zu Ehren der Magd oder Tochter vor den Stall oder auf den Mist
jedes Hauses ein grüner Zweig gesetzt; daran je nach der Sch&tzung des
Mädchens mehr oder minder flotte Bänder hangen. Gilt es mehreren M&d-
eben, so wird für jede ein besonderer Baumzweig gesteckt. Meier, 397, 76.
Ebenso in Tremi<^ in Böhmen; jedes erwachsene Mädchen im Hause erhält
seinen Baum; das älteste den größten, das jüngste den kleinsten Maien.
Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen S. 214. In der Eifel befestigt
jeder Bursch seiner bei der Mädchenversteigerung zu Lehne erhaltenen Maifrau
einen schönen Maien auf den Giebel, oder das Dach der Wohnung (Schmitz
a. a. 0. S. 32) , während im Bergischen bei der Maisprache die jungen Bursche
der Landgemeinde ausmachen, welchem der ausgeteilten Mädchen der Mai-
baum (eine schöne mit vergoldeten, weißen und bunten Kiern,
Blumen und Bändern gezierte LtVi^e oder ein Maibuchenast) als beson-
dere Ehre vor die Türe gestellt werden solle. Montanus, die deutschen
Volksfeste S. 30. Im Prager Kreise schälen viele Bursche die Rinde unter
der Krone des Maibaumes ab und schneiden ihren Namen hinein, damit
das Mädchen wisse, wer ihr den Maien gesetzt hat, und sie zur Frau
begehrt Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender S. 214. In Rheinhessen
and einigen nassauischen Orten haben die Bäume, welche die Bursche ihren
Schätzen am Abend vor 1. Mai vors Haus setzen, keine weitere Verzierung,
als oben unter den ersten Aesten drei durch Ablösen des
Bastes hergestellte Ringe. Aber wehe dem Burschen, der diese Auf-
merksamkeit unterließe. Seine Schöne machte ihm Tage lang ein böses Ge-
sicht Denn „wem mr gut is, dem sticht mrn mai** heißt es. Kehrein,
Volksspr. u. Volkssitte in Nassau S. 155.
1) Alles in der vorigen Anmerkung Beigebrachte gilt aber nur jungen
und unbescholtenen Frauen, haftet auf einer ein sittlicher Makel, oder hat
166 Kapitel III. Bauniseele als Vegetationsd&mon:
Außer den Wohnungen geehrter Mädchen wird sodann das-
jenige Haus durch einen Maien ausgezeichnet, in welchem die
sie sieh eine Untreae gegen den Liebsten zu Schulden kommen lassen, so
tritt an die Stelle des grünen Maibanmes ein bl&tterloser Baom oder ein
Strohmann, oder irgend ein Baum besonderer Art, zuweilen gilt dies anch
solchen, die sich sonst durch ihr Wesen und Betragen unleidlich gemacht
haben. Auf dem Lechrain steckten zuweilen die Liebhaber allein ihren
Schätzen, zuweilen alle Buben der Gemeinde sämmtlichen braven Dirnen
fünfzehn bis zwanzig Fuß hohe grüne Tannenbäume mit farbigen Bän-
dern, Marschanzkem (d. i. Borstorfer Aepfeln) Eipferln (Backwerk) und
voüen Bowliflasdien geziert auf den First ihres Hauses, oder vor die
Kammertür; schlechten Weibsbildern aber statt dessen dürre Bäume mit ver-
schmierten Hadern statt der Bänder und einen Sirohmann mit zerrissener
Jacke und Hut, Tattermann genannt von tattern d. i. erschrecken. Leo-
prechting, aus dem Lechrain S. 177. Erwarb sich das Mädchen durch Bein-
liohkeit und Qeschicklichkeit die Anerkennung des Orts, so steckten ihr die
Bursche eine „gestämmte junge Tanne,'* an deren Gipfelästen die Ge-
schenke des Liebhabers hangen. Im andern Falle sieht sie am Kammer-
fenster Teile ihres eigenen schmutzigen Anzugs. Ihr Bub darf
sie nicht wieder öffentlich zeigen, die Spinnstuben sind ihr verschlossen, sie
muß auswärts in Dienst treten und darf erst nach Jahresfrist mit guten
Zeugnissen sich wieder zu Hause sehen lassen. Birlinger, Volkst. a. Schwa-
ben n, 95, 125. In ähnlicher Weise bildet überall die Bestrafung der nichts-
nutzigen Dirne den Gegensatz zum frischen grünen Maien ^ der der jungen
und ehrenhaften Jungfrau gepflanzt wird. Bei Aerschot (Südbrabant) gilt ein
vertrockneter Baumstamm als Spott für alte und verbaßte Mädchen ; bei
Campine setzt man den ungetreuen oder zu Fall gekommenen vollständig
bekleidete Strohmänner (voddeventen Lumpenkerle) rittlings aufs Dach oder
auf einen Baum vors Schlafstubenfenstcr. In franz. Flandern heißt
solcher Strohmann marmousin (Meerkatze), woraus in Ostflandem mahomet
wurde. In Limburg heftet man den unehrenhaften Mädchen einen Stianß
Petersilien an die Tür (Beinsberg - Düringsfeld , Calendr. Belg. I,
279 — 280). Zu Pont TEvöque in der Normandie fanden gute Gesellen i. J.
1393 vor dem Hause eines jungen Mädchens einen Haselstrauch als Mai
aufgepflanzt, es schien ihnen „qu'il n'estoit pas bien honneste pour le mettre
dcvant Tostel d'une bonne Alle; le quel may ilz osterent." Im Jahre 1367
beklagte sich die Tochter eines bekannten Mannes, Johanna, daß ein gewisser
Oaronchel ihr einen Maien gesteckt habe (il Tavait csmayee) und zwar habe
er ihr einen Holunderzweig auf's Haus gesetzt, sie sei aber keine
Frau, der man dergleichen esmayements und Verspottungen bieten dürfe,
noch sei sie so anrüchig (puante) als der Holunder anzeige. S. Du Gange
a. a. 0. In Schmallenberg in Westfalen pflanzt man unordentlichen Mädchen
statt der Birken Vogelbeerbäume (queken) vor'sHaus; auch in Thüringen
drückt die Eberesche vor der Tür dos Mädchens Spott oder Abneigung aus.
Kuhn, Westf. Sag. 156, 442. Köhler, Volksbrauch S. 175. In Thüringen
Maibaum/ 167
hdehste Autorität der Gemeinde tront, die Wolumng des Bürger-
meisterB, das Gerichtshaus n. dgl./ seltener die Kirche und das
am Han und Elm stecken sie Unkeuschcn Holunder, Fappelzweige,
oder Dornwasen vor die Fenster (Kuhn, Nordd. Sag. 389,70); im Bcr-
giscfaen Kirscbbaumzwoige (Montanas S. cK)), in Böhmen alte abge-
kehrte Besen (SchmalfuH, d. Deutschen in Böhmen 8.71). Häufig aber
Yertritt die Stelle des dürren Baumes em Strohmatz. Schwangeren Mädchen
oder sonst in übelm Qeruchc stehenden Personen wird ein hölzerner mit
Lumpen und Fetzen bekleideter Mann oder ein Strohmann Tor das Kammer-
feaater, auf den Mist^ auf einen Baum, oder gar auf den First dos Hausea
befestigt und der Weg zu ihrem Liebhaber mit Spreu oder Heckerling
bestreut. S. Birlinger, Volkst. a. Schwaben II, 94, 124. Kuhn, Nordd. Sag.
389, 76. Ders. Westf. Sag. 156. 442. Mülbause, Urreligion S. 212 (Hessen).
Bemerkenswert ist die Sitte in der Gegend von Zabern, der falschen Geliebten
einen mit mehreren Strohseilen umwundenen und mit Herings-
imd E atzenköpfen behangenen Maibusch zu bringen: in der Güte d'or und
im Niyemais ilir einen Tierschädel (Pferdekopf, Ochsenkopfj über der
Tdre aufzuhängen. Auch in England fehlen die beschriebenen Sitten nicht
In Cheshire setzen- die jungen Leute am Maitag Birkenzweige über die Türe
ihrer Liebsten, die Wohnung einer Zänkerin aber bezeichnen sie durch eine
Erle, diejenige einer Schlampe durch einen Nußbaumast (Hone, Every
dav-book 1866, II, 299). In Hitchin (Herofordshire) binden die Mayers aus
dem Walde zurückkommend grüne Maizweige an die Klopfer der Türen , je
langer der Mai, desto größere Ehre für das Haus, hat aber einer der Dienst-
boten dieses Hauses den Mayers während des Jahres Anstoß (offence) gege-
ben, so heften sie einen Erlenzweig mit einem Bunde Nesseln an die Tür
und das ist eine große Schande (Hone a. a. 0. I, 283).
1) In der Jurakette von Belley (Dop. de TAin) bis Forentruy stellt man
einen belaubten Maibauni vor die Wohnung des neuerwählten Maire. Mon-
nier, trad. pop. p. 307. In Paris bestand noch im 17. Jahrh. die Sitte, daß
die riercs der Bazoche in dem Cour de mai benannten Hofe des Justiz-
palastes jährlich den geschmückten Maibaum aufricliteten. Cortet, fotes roli-
gieuses p. 158. In Frankfurt a. M. schmückte man im IG. Jahrhundert die
Ratsstube zu der am 1. Mai stattfindenden Bürgermeisterwahl mit Maien aus,
pflaume sodann vor dem Römer, sowie vor den Häusern der ab- und
angehenden Bürgermeister und Forstmeister (d. h. der dem Forstamte vor-
stehenden Ratsglieder) Maibäume auf. Da der Misbrauch einriß, das auch
außer am 1, Mai zu andern Jahreszeiten zu tun, wurde 1597 verordnet, daß
vor dem Römer, den Häusern der Bürgermeister und Forstmeister jährlich
nur einmal ein Maibaum gesetzt werde. Kriegk a. a. 0. 452. In manchen
Gegenden Schwabens wird am 1. Mai den Herren d. h. dem Pfarrer, dem
Wirten, zu andern Zeiten auch wol einem neuen Schultheißen zu Ehren ein
Maibanm gesteckt. Meier, Schw. Sagen 397, 75. In der Bretagne pflanzt
man den Mai bäum in der Mainacht vor die Tür der Oberhäupter größerer
Familien. De Nore 207.
168 Kapitel lU. Batunseele als Yegetationsdämon:
Sohnlhaus. Alle diese vor den Häusern aufgepflanasten Maien
müssen anterschieden werden von dem gröBeren Maibanm oder
der Maistange (engl, maypole) welche in der Mitte des Dorfes,
auf dem Markte der Stadt unter der Teilnahme der ganzen 6e*
meinde , aufgerichtet wird. Einstimmigkeit aller Bauern dazu ist
erforderlich , um diesen Baum feierlich aus dem Walde zu holen.
Im Mittelpunkt der Ortschaft, der Straße, oder des Stadtviertels
eingegraben, wird er mit Eifersucht bewacht; gelingt es trotz-
dem einer fremden. Ortschaft ihn zu stehlen, so wird er von der
Bauerschaft ausgelöst und mit großem Pompe zurückgebracht^
1) Die hohen anfgezierten Maibänme werden unter Teilnahme der gan-
zen Gemeinde mit fröhlichem Tanz und Gesang gesetzt. Leoprechting,
Lechrain S. 177. Die ganze Gemeinde muß einig sein, den Maibaum
einzuholen. Meier, Schwab. Sagen 396, IX. 74. Ein schöner Maibaum ist
im Yoigüand der Stolz des Dorfes. Köhler a. a. 0. S. 177, 9. Im Stad-
und Budjadingerlande (Oldenburg) werden bei den einzelnen Höfen Maib&ome
errichtet, viele Bauerschaften aber haben einen gemeinsamen
Mai bäum, den der Bauervoigt oder der Wirt das Jahr über aufbewahrt,
eine möglichst hohe Stange, deren Höhe mitunter noch durch Stangenwerk
vergrößert wird. Tags vor Pfingsten wird sie mit grünem Mai, Büschen
und Kränzen , auch wol mit Flaggen geziert und die Nacht hindurch sorgsam
bewacht, wobei nicht wenig gezecht wird. Sie bleibt bis zum Trinita-
tis Sonntage stehen. Während der Maibaum steht, ist es andern Dorf-
schaften erlaubt, ihn zu stehlen, doch dürfen sie keinen der Stricke, die ihn
halten , durchschneiden. Gelang der Diebstahl , so muß die unachtsame Bauer-
schaft ihren Baum mit einer Tonne Bier lösen. Auch in Jeverland setzt
man Maibäume und es gilt für sehr ehrenvoll einen solchen zu stehlen. Der
gestohlene wird mit großem Pompe zurückgebracht. Hinter einem Wagen
mit Musikanten folgt auf zweien Wagen der Maibaum, dann auf meh-
reren Fahrzeugen die Entführer des Baumes mit ihren Mädchen. Pferde,
Menschen und Wagen sind reichlich mit Grün und Blumen geschmückt. In
dem Orte, woher der Maibaum stammt, empfängt den unter Musikbegleitung
nahenden Zug eine Ehrenpforte; hinter derselben steigen die Gäste ab, und
werden, nachdem der Baum wieder aufgerichtet ist, reichlich mit Speise und
Trank bewirtet; man macht ein paar Tänze und der Zug kehrt zurück.
Strackerjan, Abergl. u. Sagen a. Oldenburg II, 47. §. 317. Hiemit stinunt
was Owen in s. Welsh dictionary s. v. bedwen (Birke) aus Wales mitteilt:
Bcdwen a maypole, because it is always made of birch. It was customary
to have games of various sorts round the bedwen, but the chief aim, and
of which the famo of the village depended, was to preservo it
from being stolen away, as parties from othor places were continuaUy
on the watch for an opportunity, who if successfuU, had their feats recor-
dod in songs on the occasion. Brand, pop. antiqu. ed Ellis 1,238. In Bor-
Maibaum. 169
VoD^ Klöstern und großen Grundbesitzern war zuweilen die jähr-
liehe Lieferung des Maibaums als emphyteutische Last einem
Erbpächter auferlegt. Der in Rede stehende Maibaum ist eine
groBe Birke oder Tanne, oder ein anderer sehr großer Baum,
dessen Stamm häufig bis unter die Krone von Zweigen entblößt
nnd ganz glatt abgeschält ist, die obersten Zweige des Wipfels
läßt man in vollem Laube stehen. Die Abschälung der Rinde
geschieht vielüach in scMangenförmigen Windwngen^ oder der
abgeschälte Stamm wird auf dieselbe Art in bunten Farben bemalt
und mit Rauschgold und Bändern geschmückt. Zuweilen aber
vertritt (ursprünglich geschah dies ohne Zweifel aus ökonomischen
Rücksichten) den Maibaum eine große Stange, welche oben mit
Laub und Blumen umwunden wird, und nicht selten so rie-
sig ist, daß sie aus mehreren Stämmen zusammen ge-
fugt werden mußte. In diesem Falle wird der Baum
nicht jedes Jahr erneut, sondern er behauptet seinen
Platz und wird nur alljährlich mit frischem Grün beklei-
det. Den Wipfel zieren häufig Eier, (am Pfingstbaum imOlden-
burgischen sind sie vergoldet) Würste, Kuchen, sonstige Ess-
waaren darunter zuweilen volle Flaschen mit Getränk,
bunte Bänder, aber auchTttcher und andere begehrens-
werte Dinge. Um den Maibaum wird ein festlicher Reigen
getanzt ; die Bursche klettern danach und suchen wcttcil'crnd die
guten Gaben herunterzuholen, nach denen der Baum in Wälsch-
tirol albero della cuccagiia Baum des Ueberflusses heißt. ^ Die
deaox errichtoten die Bewohner jeder StralJe ihren besondem Maibanni . um
den sie Lieder im Patois singend tanzten. De Nore a. a. 0. 137. In Nürn-
berg heißt das MaiengälUein nach dem bis 1561 errichtoten ..Stadtmayenr
1) Im Voigtlande werden auf dem Dorf platz am Ptingstfeicrtag grüne,
zuweilen mit bunten Bändern geschmückte Bäume aufgestellt. Köhler, Volks-
brauch S. 175, 8. Oberhalb Thale im Gebirge findet zu Pfingsten der soge-
nannte Birkentauz statt; mit Musik holt man eine Birke jubelnd ins
Dorf und richtet sie dort auf; um dieselbe wird dann getanzt. In Hasse-
rode und andern Orten hat man statt der Birke eine Tanne. Kuhn, Nordd.
Sag. 387, 70. In der Eifel zwischen Aachen und Trier fällten die Bursche
des Ortes in der Pfingstnacht eine junge , schnacke Buche , richteten sie auf
dem Dorfplatze auf und umgaben den Gipfel mit einem Kranze von
Eierschalen und Bändern. So lange der Baum stand, tanzte das
Jungvolk allabendlich singend einen Reihen um denselben; das hielJ: „um
die Krone tanzen,'' später wurde der Baum versteigert und ilas soge-
nannte Krottemjeluy gehalten. Schmitz I, 38. Für diesen heutigen Eifler
170 Kapitel III. Baumseele als Vegetationsdamon:
altertttmlichste Form der AuBschmttckung des Banmes mit Speigen
n. d. gl. ist ohne Zweifel in dem Brauche erhalten, von dem
Brauch besitzen wir bereits ein altes Zeugniß in einem Voifall, der L J.
1225 zu Aachen statt hatte. Da^ der Pfarrer Johannes in geistlichem Eifer
den mit Kränzen geschmückten Baum, welchen das Volk umtanzte, umhieb
(cum Corona fuit erecta et Johannes arborem succidisset et alias Coronas)
leisteten die Bfirger ihm Widerstand und verwundeten den Priester. Der
Vogt Wilhelm aber befahl demselben zum Trotze einen höheren Banm zu
errichtto (altiorem arborem erigere). Cacsarius Heisterbac. mirac. lib.
I, cap. 17. Vgl. A. Kaufmann, Caesarius t. Heisterbach, Göln 1862^ p. 190.
121. Anm. 2). Die loccUe Form des Maibaumsetzens war cUso in der näm-
liehen Gegend schon vor 650 Jahren die nämliche, wie hetUe; es muß weü
länger her sein, daß sie sich von der allgemeinen Sitte ablöste. Pur diese
selbst reicht man mithin durch dieses Zeugniß schon näher an die Zeit des
450 Jahre früher erloschenen Heidentums in Westfalen hinan. Im Weidenaner
Bezirk (Oestcrr. Schlesien) wird bei frühestem Morgen den 1. Mai eine
schlanke, schon vorher abgeschälte Tanne, deren Gipfeläste man stehen
läßt, auf einem freien Platze des Dorfes so aufgerichtet, dafi
sie im ganzen Orte gesehen worden kann. Die Aeste sind mit
Bändern und Schnupftüchern behangen, welche derjenige erhält,
der den Baum bis zum Wipfel erklettert. Der Baum bleibt 8 — 14 Tage
stehen. Peter , Yolkstüml. i. Schlesien II, 286. In Reichenbach im Yoigt-
lande stellte man am Johannisabend einen Maibaum mit allerlei Gegenstän-
den behangen auf dem Anger auf, man tanzte umher und die jungen Bursche
holten sich die daran hangenden Sachen. Zum Schlüsse warf man den
Maibaum ins Wasser, vorher aber noch eine Person, welche ynan Johannes
fiannte. Das Spiel hieß Firlefanz. Köhler S. 176, 9. In Oestreich (Inn vier-
tel) wählt man zu den am ersten Sonntag im Mai gesetzten Maibäumen
hohe schlanke Stämme; man schält sie völlig ab, den Wipfel aas-
genommen, dem Binde und Zweige verbleiben; der Wipfel wird mit bunten
flatternden Seidenbändem , mit Rauschgold und mit Preisen behängen^ letz-
tere so gereiht, daß das Beste den Wipfel selbst krönt. Der Stamm ist
bemalt. Nach den Preisen wird geklettert. Baumgarten, das Jahr u. s.
Tage , Linz 1860, S. 24. Am Harz wird die aufgerichtete Maie gewöhnlich
bis zur Krone geschält und nachher mit der Rinde schlangen-
förmig umwunden. Kuhn, Nordd. Sag. 387, 70. In den wendischen
Dörfern der Lausitz holen die Burschen am Pfingstfeiertag einen Banm,
schälen den Stamm ab, so daß er ganz weiß aussieht, und die
Mädchen schmücken den Gipfel mit Tuchern. Nachher werden die Tücher
von den Burschen geholt. Köhler, Voigtknd S. 177, 9. Der Maie in den
katholischen Dörfern um Ellwangen in Würtenberg ist eine hohe geschälte
Fichte, an deren obere Spitze noch ein jüngerer mit Bändern geschmückter
Fichtenbaum als Wipfel angeschmiedet ist. (Uebrigens werden in Schwaben
zuweilen auch die Bäumchen, welche man geliebten Mädchen oder andern
geehrten Personen z.B. dem Pfarrer „steckt,"' abgeschält, bis an die
ICubanm. 171
DOS eine U^nnde aas Italien Konde giebt: Prima die mcyi cui-
dam emphjfieusin ab arphanis Lucensibus haberUi id onus incum-
Kromt geringelt und dann mit Bindern und Kr&nsen geeclunückt (Bir-
linger a. a. 0. 94, 124). In der Umgegend Ton Ellwangen, wird am 1. Mai
ein großer, oft aas mehreren Stämmen zusammengesetzter Mai
gesteckt; die Krone ist mit Tüchern and Bändern behangen, die als Preis
die besten Kletterer erhalten. Unter Masik and Jnbel tanzt man am den
Baum. Meier S. 896, 74. In Oberbaiem and dem Salzkammergut ist der
Maihaum hfofig oberhalb des grünen Wipfels mit einer Flagge, anter-
halb desselben mit mehreren besteckt, etwas weiter anten sind mehrere
Kränse wagrecht angebracht, so daß der Schaft des Baames das
Centmm bildet. Aach in Frankreich and England warde der Maibaam vom
Dorfe oder Ijrehspiel (village, parish, paroisse) gemeinsam errichtet and es
ist deswegen oft Ton dem vüUtge-maypole die Rede. In einem alten fran-
söosohen Draek (a Paris chez Mariettc) der die 4 Jahreszeiten darstellt
(wiederholt bei Hone, ETery-Daybook 1866 II, 297) ist die Aafrichtang des
französischen Maibanmes aaf dem Dorfplatz mit Hilfe von Stricken and
Hebeln dargestellt Nor die obem Aeste stehen in vollem Lanbe, alle antem
Zweige and Aeste sind abgehanen. Flatternde Bander, Bandschleifen, ein
über einen Ast geworfener Kranz, Backwerk and Weinflaschen
schmücken die Krone and den obem Teil des Stammes; Trommler and Trom-
peter erwarten die VoUendang des Werkes, am ihr Spiel za beginnen. Den
englischen Maibaam schildert sehr anschaalich Stabbs in s. anatomie of ab-
oses 1585 p. 94. Nachdem er erwähnt, daß jede Pfarre, Dorf oder Stadt,
alt and jang in der Mainacht zusammen oder in Gosellschaften (com-
panies) geteilt in die Wälder and Berge gingen, erwähnt er, daß
sie jonge Birkenzweige and Aeste zugleich mitbrachten. Ihr Hauptkleinod
jedoch war der Maibaam (maiepole), den sie mit groBer Ehrerbietung (vene-
ration) aus dem Walde holten zwanzig oder vierzig Joch Ochsen mit blu-
mennmwundenen Hörnern zogen den mit verschiedenen Farben bemalten von
der Krone bis zum Fuß mit Lauby Blumen, Kräutern und Bändern um^
umndenen Stamm unter dem Geleite von 200 bis 300 Menschen (Männern,
Weibern, Kindern) nach Hause, wo man Banner, Schnupftücher, Fahnen an
seinen Wipfel band und Lauben daneben errichtete und ringsumher Tänze
saffuhrte, die den Verfasser an die Tänze der Heiden zu Ehren ihrer Göt-
ter erinnerten. Die Ausgelassenheit sei so groß, daß von den zu Walde
mitgehenden Mädchen der dritte Teil die Ehre verliere. S. Brand ed Ellis
1,235. Strutt a. a. 0. 352. Aehnlichen Eindruc^k empfing ein anderer Schrift-
iteller jener Zeit (im Jahre 1577). In^Northbrookes Treatise etc. wird erzählt,
da£ die jungen Leute in der Mainacht auf fremdem Grunde einen Maibaum
stehlen und unter Musikbegleitung in ihr Kirchspiel bringen; wann sie ihn
sufgestellt haben, bedecken sie ihn mit Blumen und Blumengewinden und
tftozen umher, wie die Kinder Israel um das goldene Kalb. Brand a. a. 0.
237. YgL Stevenson in the Twelf moneths 1661: Te tall young oak is
cut down for a maypolc and tlie frolick fry of the town prevent the
172 Kapitel III. Baomseele als VegetatioDsd&mon:
bü, ut ad eos arhoreni majaletn deferat, non paiucis taeniis omor
tarn annexis trilms frumenti spicis\ si istae cibessent emphyteuia
a beneficii possessione statim decideret (Muratori antiquit. DI, 187
bei Glimm R. A. 361). Doch wir wollen noch ein paar besonders
groteske Beispiele von Bäumen der geschilderten Art im Einzelnen
namhaft machen. Ich ftlhre zmiächst eine oberbairische Form
der Sitte auf: „Noch immer hält durch das ganze oberbairische
Land ein ehrlich Dorf viel auf einen schönen in feierlichem Zuge
aus dem Walde geholten Maibaum ftlr die gesammte Gemeinde;
namentlich im Ampergrund, aber auch im Innthal und im Chiem-
gau sieht man sie reich und schön verziert und alle drei bis
fünf Jahre erneut. Neben den bloßen Zierraten (Fahnen,
Wappen, Kränzen, Inschriften) hat der Maibaum auch wesent-
liche unerläßliche Bestandteile, so den „Maibüschel,^' den grünen
rising of the son and witb joy in their faces and houghs in their hands,
they march before it to the place of erection. Brand a. a. 0. 236. Daß die
ein für allemal stehen bleibende Malstange nur eine Ersparniß für den jähr-
lich aus dem Waldo zn holenden lebendigen Maibanm sein soUte, erhellt
deutlich ai^s Beschreibungen wie die folgende des Maibaumes in Wewcrham
(Chcshire): ,,sidcs are hung with garlands and the top terminated by a
birch or other tall slender trec with its leaves on; the bark
becing poclcd and the stem spliced to the pole, so as to give
the appearencc of one trec from the summit. Hone every day-book
II, 2f)9. Die Puritaner des 17. Jahrhunderts verfolgten die Maibäume. Sehn-
süchtig, gedenkt Pasquil» palinodia i. J. 1634 der guten alten Zeit: „when
evcry village did a maypole raise.'' Brand a. a. 0. 239. Auch in
England kannte man maypoles: ,,painted yellow and black in spiral
lines** und ,,painted in various colours." Brand a.a.O. 237. Vgl.
Borlase von dem Maibaum in Cornwales: From town the make incursions
on may-cve into the country, cut down a tall elm, bring it into the town
with rejoicing and having littcd a straight tapor pole to the end of it and
painted it, erect in the most public part and upon holidays and
festivals dress it with garlands and iiowers or ensigns and streamers.
In Wälschtirol ist es eine Volksbelustigung an Kirchweihen, einen hohen ent-
ästeten und entrindeten wol geglätteten und mit Seife eingeriebenen Baum
aufzustellen, den Baum des Uebertiusses (Valbero della cuccagna) an dessen
Spitze Geld, Kleider, Weinflaschen, Würste aufgehängt sind. Nach die-
sen Gegenständen wird barfuß wetteifernd geklettert. Schneller, Märchen und
Sagen aus Wälschtirol, Innsbruck 1867, S. 237. Aehnlich ist auch in Deutsch-
land die Sitte des Maibaumes vielfacli zur bloßen Aufpflanzung einer mit
Preisen behängten Kletterstange am St. Johanuisabend und bei verschiedenen
Volksfesten geworden.
Mailfauin. 173
•
Tannenwipfel hoch oben, der erinnern soll^ da6 wir nicht vor
einer todten Stange stehen, Bondem vor einem lel)enden Banm
«OS dem frisdben Wald, dann das Leiden Christi, d. h. alle Werk-
zeuge seines Leidens (Saale, Geißel, Rute, Leiter, Hahn^, Säbel,
Laterne, Hammer, Zange, Nägel, Würfel, Speer, Schwamm nnd
Krug). Dann Kirche nnd Banerhans, Bauer und Bäuerin, die
Zeichen der Qewerke und zu unterst vier Armbrüste gegen die
4 Winde gespannt, das drohende Symbol bäurischer Wehrhaftig^
keit gegen den Feind aus der Zeit des Mittelalters vererbt Ein
Freitmnk und Freitanz des Wirtes, vor dessen Hause der Baum
errichtet ist, belohnt die Bursche für ihre Beihilfe bei Aufrieb-
tODg desselben/^' Der Ausputz des oberbairischen Maibaums
iat mannigfach. In manchen Orten sind darauf Vögel, Hirsche,
Ifirsclyagden angebracht, zuweilen auch große in Tuch und Lein-
wand gekleidete Holzpuppen (Mann und Frau), welche mit Hand
und Knien den Stamm zu erklettern scheinen. Dieser ganze
Auspatz bleibt auf dem Baume, bis er von Wind und Wetter
zerstört wird, oder im nächsten Mai einem neuen Platz macht*
Bei den Wenden nördlich von Salzwedel richteten die
Weiber (und zwar sie allein) alljährlich am St Johannistage
eine Birke, der sänmitliche Zweige bis unter den Gipfel abge-
hauen waren, den sogenannten Kronenbaum auf, den sie unter
Gesängen aus dem Walde holten , indem sie sich statt der Pferde
an den Wagen spannten, (lieber den Namen Kronenbauni vgl.
den Kronentanz und das Kronengelag i. d. Eifel ob. S. 170.)
Im Dorfe angekommen, hiel>en sie den alten Kronenbaum um, den
ein Kossater (Häusimg) um 2 Schillinge zu Brantwein fiir die Frauen
kaufen muBte , und richteten frohlockend den neuen auf, behingen
ihn mit Kränzen und Blumen und segneten ihn auf ihre
Art mit zwölf Kannen Bier cin.^ Diese Sitte erinnert leb-
haft daran, daß in Schwaben und an der Mosel die Weiber
1) ßavaria I, 1860 S. 372. Die AusBchmÜcknngr des Maibaums mit den
Marterwerkzengen bernht auf der unten §. 9 zu besprechenden Ver^leichung
des Kreuzes mit dem Maibaum.
2) R. Chambers, The Book of Days I, 576 gicbt die Abbildung eines
solchen ßaumes aus St. Egidien bei Salzburg.
3) Visitationsbericht des hcrzogl. zellischcn Obersuporintendonten D. Hil-
<l€bran«l v. Jahre 1672 zuerst ediert von J. G. Kcyßler in dessen „Neuosten
Beisen*' B. U, 8. 1377 ff. Vgl. auch Kuhn, Mark. Sag. S. 331 ff.
174 Kapitel III. BamuBeel^ als Vegetatioiudäinon:
•
das Recht hatten alljährlich um Fastnacht den schtasten Baum
im G^meindewalde zu fällen ^ ins Dorf zu bringen, zu verkaufen
und den Erlös zu vertrinken.^ Ist der letztere Brauch vieUeicht
nur ein verstilmmelter Ueberrest des vorigen? — Bei den nttm-
liehen Eibwenden richtete man auf einem runden Htigel mitleii
im Dorfe eine zwanzig oder mehr Ellen hohe Eiche, den soge-
nannten Kreuzbaum oder Hahnbaum auf, der so lange stehen
blieb, bis er von selbst umfiel Die Aufrichtung des neuen Bau-
mes geschah nie anders als an Maria Himmelfahrt (2. Juli).
Dann tat jeder Hauswirt einen Hieb m den zuvor erwählten
Baum im Walde, bis er gefällt war, und nun mit Jubelgeschrei
auf einem mit Ochsen bespannten Wagen, mit den Hocken der
Hauswirte bedeckt, so daß er nicht su sehen war^ an seinen Be-
stimmungsort gefahren wurde. Hier wurde er viereckig gehauen,
und auf % beiden Seiten Pflöcke angebracht, so daft man hinauf-
steigen konnte. War er nun eingegraben , so kletterte der Schulze
hinauf und brachte ein hölzernes Kreuz mit einem darüber fest-
stehenden eisernen Hahn [vgl. ob. S. 160 die schwedische Mitt-
sommerstange] auf der Spitze an. Der Hahn war dabei das
wesentlichste; denn in manchen Dörfern war das Kreuz auf den
Bäumen weggelassen, der Vogel aber beibehalten. Dann tanzte
man (der Schulze in Sonntagskleidern und weißer Leibbinde
voran) mit vollen Sprüngen um den Baum und segnete mit Bier
jeden Baum in Haus und Hof, sowie zu besserem Gedeihen das
Vieh ein , das man ringumher jagte. Auch außerdem wurde alles
Vieh jedes Jahr an einem bestimmten Tage um den Baum getrie-
ben. Jede junge Frau, die aus einem andern Orte durch Heirat
in ein solches .wendisches Dorf kam, mußte einen Tanz um den
Kreuzbaum tun, und etwas Geld hineinstecken; em alter Mann
kniete täglich vor demselben nieder und hielt seine besondere
Andacht. Wer eine Wunde hatte, steckte ebenfalls Geld in den
Baum und rieb sich an demselben; so glaubte er geheilt zu wer-
den. Die Wenden sagten, daß sich an der Stätte des Baumes
ein Genius aufhalte, von dem sie nicht sicher wußten, ob er
männlichen oder weiblichen Geschlechtes sei; dieser Geist leide
es nicht, daß jemand mit garstigen Ftlßen über den Platz
1) Meier, Schwab. Sag. 379, 20. Zs. f. d. MyÜi. I, 89. Schmitz, Sitten
and Gebräuche des Eiflcr Volkes I. S. 13 ff.
Maibaum. 175
gelie.^ Ist in dieaem wendischen Brauche die Zeit der Baom-
pflanzoDg bis über Mittsommer vorgerückt ^ so trifft wieder in den
Frühling die bekannte Sitte der Qnestenberger am Harz. In
Qaestenberg (unweit Stolberg -Boftla) suchten am Tage vor Pfing-
sten die Barsche alljährlich vor Sonnenaufgang die schönste und
grOBte Eiche im Forste, kappten ihr die Äeste und brachten sie
am dritten Pfingsttag «if den die Gegend beherrschenden ,,Que-
stenbergy^' befestigten einen von Birkenzweigen geflochtenen mit
bunten Blumm durchwobenen Kranz in der Größe und Gestalt
eines Wagenrades daran, an dessen beiden Seiten große Quasten
?on eben solchen Zweigen hingen, und riefen: „Die Queste (der
so geschmückte Kranz) hängt !^' Dann wurde um den Baum
getanzt, Baum und Kranz aber jährlich erneuert Später nahm
man jedoch nur alle sieben Jahre einen neuen Baum, heut-
zutage wird nur dann ein neuer geholt, wenn der alte umfällt;
die Aufhängung des Kranzes geschieht noch jährlicL ' Der Baum
darf aber nicht herangefahren werden, sondern die Qnesten-
berger müssen ihn selbst auf den Schultern herbei-
tragen.'
Städtische Maibäume, vorzüglich in England hatten vielfach
eine Form angenommen, welche die einfache Grundgestalt kaum
noch erkennen läßt. Der Vergleich datierbarcr Abbildungen von
englischen, französischen, niederländischen und deutschen Mai-
bäumen, deren Chambers the Book of Days 1864 I, 572.
575 — 76, Hone Every-Daybook 1866 II, 297. 336, Brand popu-
lär antiquities ed. Ellis 1853 I (Titelkupfer) eine ansehnliche
Anzahl reproduziert haben, läßt aber deutlich die allmähliche
1) Hildebrands Visitation a. a. 0. Darnach aoszüglich Kuhn a. a. 0.
333 iL Vgl. Bodemcyer, Hannoversche Itochtsaltertümer S. 57.
2) Der Berg hat seinen Namen augenscheinlich von dem Gebrauch,
nach dem Berge heißt wiederum das Dorf, das früher Vynsterberg genannt
wurde, angeblich urkundlich seit dem 13. Jahrhundert Questenberg. Min-
dfistens ebenso alt muß also auch die Sitte sein. Vgl. Grottschalk, Bitter-
Wgen und Bergschlosser Deutschlands II, 38; daraus Beimann d. Volksfeste
3) Otmars (Nachtigalls) Volkssagen S. 128. 129. Grimm, Myth.« 51.
Kuhn , Nordd. Sag. , 22G , 250. Auch in Wolfshagen in Hessen trugen die
•.Htijongen'' die Maibäumchen ehedem auf den Schultern vom Walde in
^e Stadt. Lynker , Hess. Sag. 247.
176 Kapitel IQ. Baumsecle als Vegetationsd&mon :
Eiitwickelung aus einer Urform und ihren Spielarten von Stufe
EU Stufe verfolgen. Danach ergiebt sich als der den meisten
Sproßformen zu Grunde liegende Haupttypus der folgende. Der
Schaft des Maibaumes erhob 9ich auf einem künstlichen mit Gras
bewachsenen Erdhügel, auf dem der Reigen statt hatte. Dieser
Erdhttgel ward denn vielfach durch eine Umzäunung gegen Be-
schädigung\ (Hone a. a. 0. 336 , Johannisfeststange in Jäschkental
bei Danzig) , oder durch Zimmerwerk oder Steine an den Seiten
gegen das Zusammensinken gesichert und bekam dadurch mehr-
fach eine polygone Form; auch ließ man ihn wohl in mehreren
Terrassen emporsteigen. Vgl. den Maypole auf einem Fenster-
gemSlde aus Heinrichs VHI. Zeit in Betley in Staffordshire,
abgebildet im Variorum Shakespeare und Chambers a. a. 0. 575
und den im Msc. der „Horae" von 1499 (Chambers a. a. 0.), so
wie den von St. Andrew Undershaft (Brand a. a. 0.), Die Spitze
der unten abgeästeten Maistange 'bildete ursprünglich die leben-
dige Krone des Baumes selbst (vgl. den Salzburger Chambers I^
576, den schottischen Hone H, 305, den englischen Chambers
572, den französischen Hone H, 297), später vielfach ein ange-
bundenes Bäumchen, oder ein Blumentopf, in den ein lebendes
Bäumchen gepflanzt war. (Vgl. das niederländ. Gemälde von
1625. Chambers 576). Unterhalb des Wipfels waren Banner
und Flaggen angebracht (St. Georgs rotes Kreuzbanner auf dem
Fenster von Betley u. s. w.)^ sodann viele bunte Bänder; schließ-
lich ein Kranz oder mehrere Kränze über die Aeste der Krone
gehängt (Hone U, 297), oder lotrecht an Nägeln am Schatte
herabhangend (Hone H, 288), oder endlich in horizontaler Lage
den Baum umgebend. In diesem Falle pflegte der unterste Kranz
der größte und breiteste, jeder nach Oben hin folgende kleiner
und schmaler zu sein. Die Zahl dieser Kränze oder blumen-
•
bewundenen Reifen, die an oberhalb am Stamm zusammenlaufen-
den, den Speichen eines Bades gleichenden Schnüren befestigt
waren, machte 2 — 3 aus (Chambers 572. 575. 576), zuweilen
wurden sie stark z. B. zu Necton in Norfolk Pfingsten 1817 bis
auf 20 vermehrt, so daß sie bis auf Mannshöhe vom Boden
herunter illnf Sechstel des ganzen Schaftes umspannten (Hone
a. a. 0. 336.) Anderswo aber ist aus dem wagrecht befestigten
Kranze ein hölzernes (wahrscheinlich ehedem jedes Jahr mit
frischen Blumen umwundenes) Rad geworden. Vgl. z. B. die
Maibanm. 177
St Johannisstange anf der Jäschkeotaler Wiese bei Danadg. Von
diesen Kräiizeu hingen ursprünglich vergoldete Eier als Sinn-
bilder des neuerwachenden Lebens herab (vgl. S. 165. 169 die Berg.
0. Oldenb. Sitte) , später wurden dieselben unverständlich gewor-
den durch vergoldete Bälle von Holz oder Metall ersetzt (Gham-
>« 575. 576). Unterhalb der großen Kränze setzte sich die
^linlförmige Umwindung des Stammes mit einer eng au densel-
ben angeschlossenen Guirlande bis auf den Erdboden fort. (Vgl.
Cliambers 572. Hone II, 288). Hieraus entwickelte sich meines
Eracbtens die bunte spiralförmige Bemalung oder Beschä-
long vieler deutscher und englischer Maibäume (vgl. die Abbil-
dongen Chambers 575. 576. Brand a. a. 0.).
Wie in Schweden wird auch in Deutschland in germanisier-
ten Slavenländem , sowie in Frankreich (Gironde) die Aufrichtung
des Baumes zuweilen um Mittsommer vorgenommen, um die bis
znr Krone geschälte Tanne oder Birke (resp. Stange) getanzt,
nach den angehängten Tüchern geklettert.^ Wir haben bereits
vorhin einige Beispiele namhaft gemacht In Oestreich bewahrt
man den am 1. Mai gesetzten Maibaum zur Nahrung des Johan-
nisfeuers.' Im Departement des hautes Pyr^nees wird am 1. Mai
der h()chste und schlankste Baum (Tanne, Fichte oder Pappel)
omgehauen, man schlägt, wie beim w^end. Kreuzbaum S. 174
cf. HoneU, 288), eine Anzahl fußlanger Keile hinein und bewahrt
ihi^ bis zum 23. Juni auf Dann wälzt man ihn auf einen Hügel,
rammelt ihn in die Erde, und setzt ilm in Flammen.^ Auch in
andern französischen Gegenden bildete den Mittelpunkt des
St Johannisfeuers ein belaubter Baum , wenn auch häufig nur ein
klemerer. Die schon (o. S. 171) erwähnten Kupferstiche von Ma-
rictte stellen so den Sommer dar auf der Tafel „Ic fcu de
St Jean." * In Angouleme , z. B. im Kirchspiel St Martial , findet
diese Verbrennung am 29. Juni (St Peter) statt Schon am Mor-
gen wird ehie hohe und schöne Pappel voll grünen Laub-
1) Kuhn , Nordd. Sag. 390, öO. 391 , 82. Zs. f. d. Mytli. I, 81, 4. Kuhn,
Westf. Sag. 177, 490. von der Hagen , Gennania IX , 289. De Norc a a. 0.
Hii. Vgl ferner o. S. 170. 173 die Beispiele aus dem Vidgtland, der Mark
tt. 3. w.
2) Baumgarten, das Jahr u. s. Tage, Linz 1860, S. 27.
3) Memoires des antiquitos celtiques V, 387. Mytli.« 589.
4) Wiederabgobildet bei Hone a. a. 0. 1 , 412.
MannhardL 12
178 Kapitel m. Baumsecle als Vegetationsdämon:
Schmucks auf dem Markte aufgepflanzt und mit vielen Bündeln
trockenen Wachholders umschichtet. Abends zündet der Dorf-
pfarrer selbst mit seinen Vicaren diesen Scheiterhaufen an.* Zu
Thann im Elsaß holten in der Nacht vom 30. Juni, döm Vor-
abend des St. Theobaldfestes, der Pfarrer mit seinen Vicaren,
der Maire , der übrige Ortsvorstand und eine unzählige Menschen-
menge brennende Kerzen aus dem Münster, und zündeten damit
auf dem Kirchplatze nach und nach drei vom Stadtpfarrer
geweihte große Tannenbäume an , die von oben bis unten geschlitzt
und mit Holzspänen ausgefüllt waren. Jeder suchte einen herab-
fallenden Holzspan als Heilmittel gegen Fieber zu erobern. Man
bezog diesen Brauch sehr gezwungen auf die Legende des
h. Theobald, des Schutzheiligen des Münsters.* Aus England
ist zunächst zu vergleichen was Hutchinson im J. 1795 in der
Umgegend von Launceston in Comwall erfuhr: „there was for-
merly a great bonfire.on Midsummer eve, a large summcr pole
was fixed in thc ccntre, round which the fuel was heaped up.
It had a large bush on the top of it. Round this were parties
of wrestlers contending for small prizes.^ Ganz ähnlich ging
es bei Her Maifeier in Dublin und Umgegend zu. Die jungen
Leute holten in der Mainacht einen 4 — 5 Fuß hohen Busch
(may-bush), einen Weißdom, aus dem Walde, pflanzten ihn auf
dem Marktplatz auf, besteckten die Zweige mit Kerzen
und häuften einen Scheiterhaufen ringsum, wolür sie im Orte
Haus bei Haus Geld einsammelten. Auf den Scheiterhaufen
gehörte auch noch ein Pferdeschädel und verschiedene andere
Knochen. Dann steckten sie die Lichter an, und tanzten mit
lautem Hurrah um den Maibaum. Nach einer Stunde entflammte
man den Holzstoß, und waren die Kerzen niedergebrannt, so
stieß man den ganzen Maibaum in die Flammen.*
In Trier hieben schon am ersten Sonnt^ige in der Fasten
(Invocavit) die Metzger und Weber eine am Donnerstage vorher
auf dem Marxberge aufgepflanzte Eiche um , und rollten sie nebst
1) J]iiie Abbildung ist in der Illustration, Journal uuiversel. Paris 1872.
Vol. LX. Nr. Vö\\\ gegeben.
2) A. St(')ber, Sagen des Elsasses S. 40.
3) nistory of Nortlminberland II, 15 bei Brand a. a. O. I, 318.
1) Hone a. a. O. 11,298.
Maibaum. 179
einem Feaerrade ins Tal der Mosel. Die erste Erwähnung die-
ser Feier findet sieh im Jahre 1550.^ An demselben Sonntage
hiiii£en die Barsche von Echtemach im Großherzogtum Luxemburg
Stroh um einen Baum an und entloben es. Das heiBt die Hexe
Terbrennen.' Ebenso in der Eifel, wo die Sitte das Bnrgbrennen
genannt wird,^ und gleichfalls in Vorarlberg.^ In den Bergstädten
des Htfzes ward das Osterfeuer am Charsamstag auch um einen
Baum aufgeschichtet; zu Delmenhorst (Oldenburg) lieferte der
Förster zu dem der ganzen Stadt gemeinsamen Osterfeuer zwei
Binme^ welche neben einander in die Erde gerammt, oben mit
12 flbereinandergestellten Teertonnen besetzt, unten mit Reisig
Offlhäaft und schließlich mit brennenden Strohwiepen augezilndet
worden,^ und nicht minder bildet in Hessen den Mittelpunkt des
Osterfeuers eine in den Boden gegrabene, bis zur Spitze mit
Sbx)h beworfene, oben mit einer Teertoune besetzte Tanne. ^
Nicht minder schichtet man den Scheiterhaufen des Johan-
nisfeners im Kiesengebirge gern um einen hohen Baum auf. Im
Egerlande pflegte man dazu eine hohe und grade, recht harz-
leiche Tanne oder Fichte zu nehmen, mit Blumensträußen,
Bändern und Kränzen zu behängen, um sie herum Brenn-
materialien zu häufen und dieselben bei Dunkelheit anzuzünden.
Während das Reisig brannte, kletterten <lie Bursche auf den
Johannisbaum, um die von den Mädchen daran befestigten Kränze
and Bänder herabzuholen. ^ Auf der Halbinsel Heia bei Danzig
tanzen die jungen Leute am Johannisabend ebenfalls den Reigen
nm eme aui* einem Hügel auigepflanzte Fichte, die man später
mit Stroh und Reisig umhüllt und verbrennt; daneben leuchten
Teertonnen. Offenbar haben die Esten diese Weise des Johan-
nigfeuers von slavischen oder germanischen Nachbarn gelernt.
Auch sie zünden dabei nämlich einen Bamn an, der von der Erde
1) N. Hocker, des Mosellandes Geschichten, »Sagen und Legenden.
Trier 1852 , S. 415. Kuhn , Herabkunft dos Feuers S. DG.
2) Zs. f. D. Myth. 1,89, 6.
3) Schmitz, Sitten u. Bräuche des Eifler Volkes 1,21.
4) Vonbun, Beitr. z. D. Myth. Chur lö62, S. 20.
5) Kuhn, NorJd. Sag. 373, 11). Strackerjau, Abergl. u. Sag. a. Olden-
l>«fgll,43,313.
^>) Lyncker, Hessische Sagen S. 241.
7) Heinsberg -Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen. S. 807 ff.
12^
180 Kapitel m. Baumseele als Vegetationsdämon :
bis zum Wipfel mit brennbaren Stoffen umgeben und auf der
Spitze mit einem Fähnlein versehen wird, das die Bursche mit
einem Knittel herabzuwerfen suchen , ehe es zu brennen anföngt
Wem dies gelingt, hat Glück zu erwarten. Man wirft Holzreiser
in die Flammen mit den Worten: „das Unkraut ins Feuer, den
Flachs aufs Fe^d."^ In Oberfranken (Hallstadt) und Mittelfran-
ken (Ansbach) verbrannte man zwar nicht mehr einen Baum im
Johannisfeuer, aber dem Knabenhaufen, der von I{aus zu Hans
das Holz zu demselben zusammenbettelte, trug einer in feierlicher
Prozession noch, einen geschmückten Maibaum voran, indes
man sang:
Maja, Maja, mia mö;
Wöll raä Holz zasamma tragn
Uebers Kannesfeuer.*
Als im J. 1489 auf dem Markte vor dem Rathause zu Frank-
furt vornehme Herren in Gegenwart des Königs den Reigen um
das Johannisfeuer tanzten , prangte auf dem Scheiterhaufen zwar
kein größerer Maibaum, wol aber die Fahne des Königs nebst
anderen Fahnen umgeben von grünen Zweigen (circa ligna rami
virentes positi).^ Durch diese Zeugnisse erweist sich die Ver-
brennung eines mit den Attributen des Maibaums ausgerüsteten
und vielfach unmittelbstr als solcher kenntlichen Baumes den
Fastnacht-, Oster -, Mai- und Johannisfeuem als wesentlich. In
Perigord hatte dagegen zur Sonmiersonnenwende ein ganz eigen-
tümlicher Brauch statt. Man reinigte die Zähne mit Knoblauch
und zog dann ein Goldstück durch dieselben. Hieraufpflanzte
man feierlich einen Maibaum und aß vom frischen Brode.*
Diejenigen Leser, welche so geduldig waren, meinem Ge-
dankengange während der ersten Darlegungen dieses Kapitels
zu folgen , werden mit mir einverstanden sein , daß es keine allzu-
große Schwierigkeit mache, aus den ziemlich ausilihrlich mitge-
teilten Tatsachen Antwort auf die Frage herauszuschälen, was
der Maibaum ursprünglich war und was er zu bedeuten hatte.
1) Vorliandlungen der ohstnischen Gesellschaft zu Dorpat B. VII. 1872.
H. 2. S. 02—64.
2) Panzer, Beitr. z. D. Mytb. I, 217, 245. 219, 249.
3) Petr. Herb., Annal. Francofurt. bei Grimm Myth.« 586.
4) De Nore , Coutumes m} thes et traditions S. 149.
Maibaam. 181
Oflenbar ist er nur eine andere Form jenes slavischen Lieto
(o.S.156), wie der Vergleich des russischen Semikfestes erweist,
mithin der Gkist des Frühlings oder des Sommers, die personifi-
lierte schöne Jahreszeit, als Dämon der Vegetation in Baomge-
stalt aufgefaßt (s. o. S. 158). Sehr deutlich wird die Identität
des Leto und des Maibaums durch den Lätarebrauch zu Lacza
bei Räuden (Oberschlesien). Sobald nämlich die Puppe Marzanka
ii» Wasser geworfen ist, versehen sich ihre Trägerinnen * mit
Fichten- oder Tannenzweigen und einem besonders geschmückten
Blümchen und kehren ins Dorf zurück unter Einsammlung von
Geld und Eiern singend :
Wir trugen die Pest aus dem Dorfe,
Den Sproß (latorösl) bringen wir ins Dorf;
Unser Bänmchcn ist grün,
Schön aufgeputzt
Auf unserm Maibäumchen (na nasz^iu inaiku)
Sind gemalte Eierchcn,
Welche gemalt hat
üjisere Frau Krftgerin.
Unser Maibaum (maik) ist grün,
Schön aufgeputzt.
Auf unserm Maibäumchen
Sind lauter goldene Schärpen,
Die wir anhingen
In diesen allerteuersten Zeiten.»
Hier heißt der Sommer gradezu S2)roß (Vegetationsgeist) und
Maibaum. Zu benennen aber weiß das Volk den Vegetations-
geist gemeinhin nicht anders, als mit dem Namen der Jahreszeit
selbst Deshalb steht neben dem englischen Maypole vielfach
nach alten und guten Zeugnissen eine Lady of tbe May, neben
dem elsässischen Maibaum ein l^ngstnickel , neben dem Voigt-
ländischen Johannisbaum ein Johannes genannter Mensch (s. o.
8.170). Diese Figuren stellen den im Baume waltenden Geist,
aber aus diesem herausgetreten, neben ihn hingestellt dar. Im
Harz drehen die Mädchen am 23. Juni die mit bunten Eiern und
Blumen geschmückten TannenbHume, um welche sie tanzen, von
der Linken zur Kochten um, wie die Sonne geht, und singen
dabei: „die Jungfer hat sich umgedreht u, s. w."^ Das ist
1) J. Rof^er, Piosni Indu polakiogo o goriiym Szlaska.
2) S. J. PrOhle , Zs. für D. My th. 1 , »1.
182 Kapitel III. Baumseelc als Vegetationsdämon:
deutlich eine Anspielung auf die Sonnenwende. Xrleichwohl
möchte ich nicht annehmen , daß der Baum eine Darstelliing der
Sonnengöttin sein sollte (vgl. etwa engl, sunbeam Sonnenstrahl),^
sondern daß die Uebersetzung der mythischen Personification in
einen uns geläufigen Begriff allgemeiner das Jahr, die Jahreszeit,
die Zßit zu lauten hätte, und zwar in Gestalt der Vegetation ver-
körpert. Sei dem, wie ihm sei, unverkennbar tritt in dem Mai-
baum (resp. Johannisbaum) außer der Identifizierung des Vege-
tationsdämons mit dem Geiste der Jahreszeit zugleich derjenige
Gedankenkreis hervor, den wir o. S. 51ff. bei Gelegenheit des
Värdträd erläuterten. Der Genius des Wachstums gilt als der
Schutzgeist der Menschen und 'Kere, zugleich als ihr alter ego,
ihr mythischer Doppelgänger. Der große Maibaum, den die
gesammte Dorfschaft feierlich einholt, auf freiem Platze in ihrer
Mitte autpflanzt und wie ihren Augapfel bewacht , damit ihn nicht
neidisch eine fremde Dorfschaft entwende , stellt den Lebensbaum,
den genius tutelaris, das zweite Ich der ganzen Gemeinde vor.
Ihm zu nahen ist itir jedes Glied derselben ein Heiltum ; deshalb
wird er in feierlichem Reigen umtanzt; man kniet auch wol vor
ihm betend nieder und opfert Geld, wie einer Gottheit (S. 174).
Bunte I^änder schmücken seinen Wipfel, wie Taenien im alten
Griechenland die heiligen Bäume, wie Lappen mid Zeugstttcke
die Fetischbäume bei noch lebenden Naturvölkern und wiederum
auch in Litauen bunte Bänder die heiligen vom Baumgeist belebt
gedachten Stämme, namentlich solche, welche zwieselartig ver-
ästet oben wieder zusammenwuchsen und nmi dazu dienen ver-
krüppelte Kinder der Heilung wegen hindurchzuziehen.* Bei
den Wenden mußte jede aus der Fremde ins Dorf heiratende.
Frau den gemeinsamen Lebensbaum ihrer neuen Heimat (den
Kreuzbaum), der Wunden heilt und auch dem Vieh die Lebens-
kraft stärkt, durch Verehrung zu ihrem eigenen macheu (vgl. o.
S. 174 u. 161). Dieser nämliche Baum wurde auf einem mit
Ochsen bespannten Wagen aus (lern Walde geholt j mit den liöcken
der Hauswirte bedeckt „so daß er nicht zu sehen war. (o. S. 174.)
1) Cf. Noch bemane ic u mere by den zonnen boom en by der iDanen.
Willems Bel^. Mus. 1,326; cf. W. Wolf, Wodana 1I,XXVI1.
2) Vgl. einstweilen Prätorius, PreuH. Schaubühne ed Pierson. Berlin
1871. S. 16.
Haibaoiu. 183
Dm stiiomt wörtlich zu dem Berichte des Taeitns über die Ver-
ehnmg einer norddeutschen Gottheit , die er Nertlius oder Terra
mater nennt Est in insnla oceani castum fiemtis dicatum()ue in
eo vehicuium veste contedum. Den heiligen Wagen ziehen Kühe.
(Germania cap. 40) Hier offenbaren sieh nns einzelne Züge eines
uralten Kultns. Der Dämon des Wachstunis kWhit sich mit
Früchten (deshalb sehen wir den Wipfel des Maibaums mit
Aehren, mit Eiern den Hiunbildeni des tierischen Werdens und
Wachsens, mit allerlei guten Gaben geziert); daran haben alle
Teil, aber ein Wetteifer regt sich, das Beste flir sich herunter-
zuholen. Auch der Hahn auf dem schwedischen und wendischen
Johannisbaum könnte vielleicht nur das bedeuten , was der Hahn
auf dem Lebensbaum des ssiterländischen Bräutigams, ein Symbol
der Zenguugsitille (o. S. Iti), wenn nicht etwa hier schon an die
später nachzuweisende Gestalt des Vegetationshahns, Getreidc-
hahns zu denken ist. Bedeutsam d<arf sein, daß auch auf Mima-
meirlr (o. S. 56) ein Hahn (Vitlofuir) sitzt. Wk Mimirs Baum
und der Värdfräd gcbämulefi Fraur^ hdfm , sehen icir mehrfach
die Weiber mU dem ausschUeßUchen liechte begabt, den als Mai-
haum etc. diencfultti Baum aus dem Walde zu hdcn; es muß
ihm wol ein besonderer Einfluß auch auf die anitnalische Frucht-
harkeit bei{f€messen seht. (s. o. S. 174.)^
Im wesentlichen derselbe Gcdankeninhalt vcrk<)rpcrt sich in
den kleineren Maibäumen, oder Maibüschen , welche dazu dienen,
jedem einzelnen Hause die Segnungen des Ganzen noch beson-
ders anzueignen oder zu sichern. Der bmmigest<iltige Schutz-
geist der Gemeinde in verkleinertem Maßstitbc prangt vor den
Gebäuden, wo die majcstas populi tront. Den Tieren im Stalle,
der treuerfundenen Junglrau setzen den einen Eigennutz, der
anderen Liebe deren eigenen Lebensbaum vor die Tür oder auf
1) Auf den alsbalii zu besprecbcnden rarallclismus dor Jungfrau (Frau)
öiit dem Baume, der gleiohsaiii ilir alt^r ego ist, weist die eigentümliche
Porm der Sitte bei den Slovenen in Kiimtlien. Am Frohnleichnamsfeste
werden Hundertc von hohen mit Bändern . Blumen , Rauschgold und Fähn-
chen geschmückte Maibäum«n (maja) in den Dörfern aufgepflanzt. Nachbar-
orti? wetteifern den schönsten und höchsten Maibaum zu haben , wobei die
I^orfniädchen alles aufbieten den Baum [»rächtig zu schmücken, denn
.»schöner Mai bäum schöne Mädchen" heiüt es unter der slovcnischen
Jugend. -Ausland 1872, 473.
Ib4 Kapitel HI. Bamuseele als Vegetationsdämon:
das Dach, der darum je nach dem Alter des Menschen oder
Tieres größer oder kleiner ist. Sittlich verwahrloste Mädchen
erblicken statt dessen in dürren Bäumchen, ^ in abgekehrten ganz
entblätterten Strauchbesen , in den mit verschmierten Lumpen ihres
eigenen Anzuges bekleideten Stämmen sich selbst, das D(^pelbild
ihres Wesens, die Gestalt ihres Fervers lebhaft vor sich. Nttsse
knacken war ein Euphemismus ftlr Zeugung; wenn's viele Nüsse
giebt, heißt es, giebt es viele Kinder der Liebe; und Volklieder
feiern die Tanne im Gegensatz zur Hasel als Symbol der Be-
ständigkeit, treuer Minne.' Es ist also wol klar, weshalb die
Haselstaude als Maibaum ein unverheiratetes Weib anrüchig
macht; eine ähnliche Beziehung muß wenigstens einem Teile
auch der andern Bäume, Sträuche oder angehängten Pflanzen
1) Vgl. die Warnung der Nachtigall im Yolksliede (Uhland, Volksl.
N. 17 A. cf. Uhland, Schriften III, 90. 427): Und wann die Lind' ihr Laub
verliert, behält sie nur dieAeste, daran gedenkt ihr Mägdlein jung und
haltet eu*r Kränzlein feste! Auch dem kirchlichen Sprachgebrauch
des Mittelalters war nach Luc. 23, 31 die Bezeichnung „grünes Holz*'
für Bittenreine, zur Hervorbringung guter Früchte tüchtige Menschen geläu-
fig, während man unter dürrem Holze dem Göttlichen abgestorbene, ver-
stockte (zum dürren Stock gewordene) Menschen verstand. Vgl. Eychmaus
vocab. pred. viridis, ein grünender, der da ön suude ist, grün. Weigand
D. Wörterb. Art. Gründonnerstag.
2) S meine Nachweise Zs. f. d. Myth. UI, 95 ff., die sich überreichlich
vermehren ließen. Man vgl. nur z. B. bei Nithard das Lied vom Bimmost,
zu dem die Wirtin mit dem Sänger braune Nüsse knackt. Eine kinderlose
Herzogin geht im Nu£walde spatzieren, da begegnen ihr drei Nomen und
versprechen ihr ein Kind. Maurer, Island. Volkss. S. 284. Eine doppelte oder
mehrfache Nuß vergräbt man im Schafstalle, damit die Schafe gedeihen und
Zwillingslämmer gebären. Kußwurm, Eibofolke §. 355. Quitzmann, Religion
der Baiwaren 18G0 S. 90 führt ein bair. Volkslied „ des Klausners Abschied *'
an; „Pfiati Gott Schatzerl! — I muß a Klausna wern; — hast a*8 letzt
Schmatzcrl, Haslnußkern! — Wer woaß wer d' Nuß aufbeißt, — wer
woaß wer's Kuterl (feminal) zVeißt ; — alli Leut essen gern — schöni Hasl-
nußkern." Im Hannoverschen Wendlande verlangt die Dorfjugend bei Hoch-
zeiten mit lautem Geschrei Nüsse (not! not!) die auf dem Wagen des Braut-
vaters bei den Mobilien der Braut sitzende Korbmuhme (Korfmöm') wirft
dann zwar nicht wirkliche Nüsse , aber ganz kleine Brödchen an deren Stelle
herab. Am Morgen des dritten Hochzeittages steigt endlich die junge Frau
mit Hilfe einer Leiter auf ihren neuen Kleiderschrank und wirft von dort
aus Nüsse unter die unten stehenden Hochzeitsgäste. R. Müldener in Aus
allen Weltteilen 1873. S. 200.
Maibaam. 185
beiwohnen, dnrch die man bescholtene Franenzimmer kennzeich-
net^ Mit der Vorsteilang^ daß der Maibaam das Ebenbild der
beehrten Fran sei^ scheint jedoch die andere abzuwechsehi , daft
er den Vegetationsdämon nnd zugleich Ijebensbaum des getrenen
Liebhabers darstelle, der darum durch die Auipflanzung vor
der Tttr des Mädchens einen Heiratsantrag stellt, oder durch
seinen eingeschnittenen Namen sich selber kenntlich macht In
der Cöte d'or (Gegend von Dijon) setzt man der treugebliebenen
Liebsten einen Strohmann, der im Walde mit grünen Blät-
tern bekleidet wurde, vor die Tttr, während die ungetreue
einen Pferdeschädel erhält Wo.nuü diese Anschauung maß-
gebend ist, sagt der dtlrre Strohmann vor dem Kammertenster
der wetterwendischen oder unwttrdigen Braut das Gegenteil aus.
Das der fortpflanzenden Getreidekömer beraubte leere Stroh ist
ein Sinnbild der freiwilligen oder erzwungenen Ehelosigkeit,
geschlechtlichen Ohnmacht, oder Wertlosigkeit; ein Kränzlein von
dttrrem Stroh auf dem Haupte der Jungfrau galt in unserer
1) Die Nessel (s. o. S. 167) ist Sinnbild einer im Uebermaß heißen,
schmerzlich brennenden Liebeswundo, daher häufig einer vergeblichen, hoff-
nangslosen Liebe. Vgl. die beiden Liebeszauber „Bedeutung der Blumen
N. 29 bei Perger, Pflanzensagen S. 155 und Anzeiger für Kunde d. D. Vorzeit
im S. 190, sowie das Volkslied bei Uhland Volksl. N. 252: „das Nessel-
krant ist bitter nnd sauer und brennet mich , verloren hab' ich mein schönes
Lieb, das reuet mich/* Entweder also ist am Maibanm das S}7nbol über-
miUigen Liebesfeuers zum Ausdruck unrechtmäßiger Gluten geworden, oder
es soll gesagt werden , daß der bisherige getreue Anboter die Gefallene nicht
mehr lieben kann und ihr daher hoffnungslose Sehnsucht als Anteil zuspricht.
VoD der Petersilie (o. S. IGVy) vermag ich nur erotische Beziehungen über-
haupt aufzuweisen: Vgl. das Kinderlied: Petersilje Soppenknit, wasst in
üi«m Garen, Use Antjen is de Brut; schall nich lang mer waren, dat so
nä der Karken geit un de Hock en Folen sleit. (Schmidt) Bremenser Kinder
und Anmienreime 1836, 19, 20. Cf. das Schaumburgor Miirtinilied. Reimann,
D. Volksfeste S. 286. — Baben want de rikc mann, de let üs allens wassen,
göd Hawer un göd Gassen (Gerste), godet Petersiljenkrut; tokum Jär is üse
l^ter Brut. Ans dem Kinderleben , Oldenburg 1851. S. 87. Siise de bnise,
wo want Peter Kruse, in de Petersiljensträt (Var: Kosmarinstrat)
wir de wakkern meisjes gät. (Südschlcswig ; Oldenburg.) Liebende
säen ihren Namen mit Petersilie und schließen von dem Wachstum auf das
Wen in der Ehe. — Wenn die Braut zur Trauung geht, soll sie Petersilie
'ind Brod unter dem Anne tragen, damit ihr die bösen Geister nichts an-
iiaben. Mcduiaiiski, Abergl. Meinungen 71 bei Hauusch, Slav. Myth. 284.
186 Kapitel UI. Baumscele als Yegetationsdamon:
älteren Poesie als Zeichen der Abweisung, die sie dem Freier
zu Teil werden läßt, oder als Ausdruck der Klage, daß sie ein-
sam ihr Leben vertrauern müsse. ^ Der Strohmann soll mithin
ebenso entweder eine Abweisung ausdrücken; der ihn aufpflan-
zende Bursche will sich seiner bisherigen * Geliebten gegenüber
fortan als Hagestolz verhalten, oder der Strohmatz soll ab
Doppelgänger desjenigen gefaßt werden, und sie zu demjenigen
hinweisen, der sie zur Untreue verleitete und dem die Eifersucht
und Entrüstung des Gekränkten Unfruchtbarkeit wünscht ^ oder
dessen sittlichen oder persönlichen Wert derselbe der entkörnten
Aehre vergleicht. Hierauf deutet die bis zu jenem Hause aus-
gestreute Spreu (in jüngerer Form Heckerling) hin (s. o. S. 167.)
Soviel ich sehe, hätte ich nur noch die Frage zu berühren,
was die mehrfach bezeugte Verbrennung des Baumes im Mai-
oder Johannisfeuer bedeuten soll. Darüber habe ich mir die
folgende Meinung gebildet Da die Scheiben oder Räder, welche
bei dieser Gelegenheit verbrannt oder geschwungen werden
(Myth.« 586 ff. Kuhn, Herabkunft des Feuers S. 48 — 51) un-
verkennbar erweisen, daß eine Nachbildung des Sonnenfeuers
gemeint war, so vermjig ich in der Verbrennung des Maibaumes
nichts anderes zu erblicken, als eine symbolische Darstellung
des Vorganges, daß die Vegetation durch das Sonnenlicht und
die Sounenwärme des Sommers zur Entfaltung und zur Reife
gebracht wird, also gleichsam das Sonneufeucr passieren muß
und zwar stellen die Oster- und Maifeuer dieses Geschehen pro-
leptiseh, das Johannisfeuer als auf der Höhe stehend dar. Inso-
fern der Sonnenschein ftlr das Gedeihen der zu unserm Bestehen
unentbehrlichen Pflanzenwelt notwendig ist, sucht der Mensch
sich denselben und seinen Segen im Frühjahr für dieses Jahr,
um Mittsommer für das nächste Jahr durch nachbildende Dar-
stellung zu sichern. Wir kommen darauf noch öfter zurück.
Doch schon jetzt darf darauf aufmerksam gemacht werden, daß
der hinreichend dargelegte Glaube an die Sympathie zwischen
animalischem und vegetabilischem Wachstum es erklärt, weshalb
auch Tiere und Mensehen durch diese Feuer gehen oder getrie-
ben werden, um Gesundheit und Wachstumsfülle zu erlangen.
Meiner Meinung zu Hilfe kommt der Umstand, daß nicht bloß
1) S. Uhland Schriften lU, 417.
Maibaum. 187
der Maibanm o. s. w. im Mai- oder Johannisfeuer verbraunt wird,
sondern daß aaeh die Menschen mit belaubten Baomzweigen
(Nudbaamästen , Tannenzweigen) durch das Feuer springen, welche
man dann über der Türe des Viehstalles befestigt, oder in die
Aecker steckt, um sie fruchtbar zu machen, und daß Hinein-
werfong von Kräutern zu den stehenden Bestandteilen der Johan-
nisfeuer gehört (vgl. Myth.^ 588. 585). Bezeichnend ist auch die
0. S. 180 aus Perigord mitgeteilte Sitte. Denn das Goldstück,
welches man vor Aufrichtung des Maibaums am Sonnwendabend
ach durch den Mund zieht, bildet die runde goldene Sonnen-
scheibe ab, wie deutlich aus dem Vergleiche des schwäbischen
AbeigUubens erhellt, das Sonneukraut (Sonnenwende, Sponsa
Solls, ^ d. h. weißblühende Wegewarte) um die Mittagszeit mit
einem Goldstück abzuschneiden.^ Das Aufpflanzen des Mai-
banmes am 1. Mai, zu Pfingsten oder St. Johannis ging allmäh-
lich über in die freiere Sitte, bei Kirehweihen, Schützenfesten
Qud andern Festen , welche übrigens meistenteils in die genannten
Jahreszeiten fallen, als Kletterstange oder Mittelpunkt des Fest-
reigens den Baum zu errichten. Im Frankfurter Eidbuch der
Beamten, wo diese Sitte 1445 als ein altes Herkommen erscheint,
wird der Preis ftlr einen Maibaum verschieden bestimmt, je nach-
dem dieser ein aus dem Walde zu fahrender oder ein tragbarer
ist; doch wird hinzugefügt, wenn der Maie zum Heil tum (für eine
Prozession) oder zu einer Kirchweihe dienen solle, so sei durch
die Forstmeister ein geringerer Preis zu fordern. Bei Schützen-
festen und Tanzfesten pflegte man im Freien ncl)cn dem Mai-
baam eine Hütte mit Laub auszuschuiUeken , welche unzweifelhaft
ursprünglich nichts «'anderes als das Zelt des Pfingstkönigs oder
Schützenkönigs bedeutet hatte. ^ Für Tauzhütten wurde (in Frank-
fart) das Autpflanzeu eines solchen Baumes untersagt, undstatt
dessen empfohlen, auf den Tanzplatz ein für alle-
mal eine Linde zu setzen.** Dies stimmt dazu, daß in Mit-
1) K. V. Mejrcnber^, Bucli der Natur V, 28. S. 3J)4. Pfeiffer.
2) E. Meier . Schwab. Safren S. 23S, 2G4
3) Eine solche Hnttc oder Laube (arbour) stand auch neben dem eng-
lischen May pole ; darin saß die Queen of May. Lady of the May. Im buh-
nmchen Fruhlingsbrauch dient sie dazu während des Gerichts den Maikönig
^€r Pfingstkönig aufzunehmen.
4) Kriegk a. a. 0. 452.
188 Kapitel HL Baomseele als Vegetatioiisdämon:
teliranken bei der KJrchweih auf dem freien Platze des Dorfes
entweder um die im Boden wurzelnde Linde, oder,
^ falls diese fehlt, um einen am Samstag vorher aus dem
Walde geholten Maibaum der feierliche Blontanz aufge-
flihrt, d. h. ein schwarzer mit Blumen und Bändern geschmtlck:-
ter Filzhut nebst Halstttchem und bebänderten Pretzeln, die
am Baum hangen, ausgetanzt wird.^ Die Linden vor oder
neben dem Dorfeingang, oder in Mitten des Doriplatzes, um
welche, sobald die Vögel singen und der Baum laubt, das
Mädchen „den Sommer kiest (erspäht, gewahr wird), den Maien
empfängt,'' indem sie an der Hand des Knaben zur Handtrom-
mel in jenen ländlichen Tänzen jubelnd springt, welche Nithard
(t um 1237) und einige andere mit dem Volke verkehrende Min-
nesänger wol nach altem volkstümlichen Vorbildern* so vielfach
schildern , diese Dorf linden erscheinen danach wie stehend gewor-
dene Maibaume. Unter ihnen findet im Bergischen, in der Eifel,
um Gotha u. s. w. die (später zu besprechende) Mädchenver-
steigerung (Mailehen) statt und auch die Beziehung auf die weib-
liche Reinheit fehlt nicht. Ergiebt es sich, daß ein Mädchen bei
der letzten Kirchweihe den Vortanz um die Dorflinde mithielt,
ohne dessen noch würdig zu sein, so wird die Linde „gescheuert"
d. h. der Rasen oder das Pflaster um dieselbe aufgegraben und
neu gemacht.^ Ebenso wird der Maibaum, um welchen der Blon-
tanz geschieht, in einem solchen Falle heimlich umgesägt. Denn
mit Verlust der jungfräulichen Ehre auch nur einer Teilhaberin
1) Panzer, Beitr. z. D. Uyih. II, 242 ff. cf. oben S. 170 das Zeugniß
des Caesarius vom J. 1225.
2) 8. IJhland Schriften III. S. 391. Vgl. S. 502 Anin. 152. Noch Goethe:
Und wenn icli bei der Linde das junge Völkchen finde, sogleich erreg' ich
sie. Und im Faust: Der Schäfer putzte sich zum Tanz , schon um die Linde
war es voll, und Alles tanzte schon wie toll! Juche! Juche! Eine Abbil-
dung s. bei P. Lacroix, Moeurs, usagos et coutimies au moyen age. Paris
1871, S. 259 nach einer Miniaturo des 15. Jahrh. Auf einem freien Platze
tan/,en Frauen und Männer, darunter ein Mönch, in bunter Reihe mit Krän-
zen und Zweigen geschmückt um einen belaubten, in der Mitte
stehenden Baum den Ringelreigcn ; auf einem Hügel spielt jemand den
Dudelsack ; auf hochliegenden Wiesen ringsumher weiden Hirten ihre Schafe.
Im Hintergrunde sieht man die Tünne einer Stadt.
8) Schmitz, Sitten und Bräuche des Eifler Volkes S. 32. Monta-
nus S. 30.
Maibanm. 189
ist der LebenBbaam des ganzen Dorfes selbst veranehrt und der
ihn darstellende Maibanm darf nicht bis zum nächsten Kirch-
weihabend stehen bleiben ^ wie sein ehrlicher Vorgänger, der erst
nach vollendeter Jahresdienstzeit ausgegraben und zu den Vätern
veraammelt wurde. ^ Ob aber die Dortlinden in der Tat nur ein
in verhältniftmäBig jttngerer Zeit entstandener bleibender Ersatz
fftr die jährlich wechselnden Maibäume waren, oder ob sie
orsprUnglich mit den neben Burgen und Dörfern gepflanzten Mai-
bäumen (Lmden, Eichen, seltener Nußbäumen, Tannen, Birken,
BimULomen, Holunder) unter denen Volksversammlung oder Ge-
rieht gehalten wurde,' zusammen fielen, und diese mit den
VärdtriLd Skandinaviens eine engere Sippe bilden, diese und ähn-
liche Fragen, mttssen monographischer Forschung überlassen
bleiben.*
Wiewol ich mir die beherzigenswerte Mahnung Dovcs ver-
gegenwärtige, daft „die Wissenschaft wenig Gewinn davon habe,
wenn die bekannten Tatsachen nach geringerer oder größe-
rer Analogie sofort jeder neuen Entdeckung angepaßt werden,
welche in ihrem noch unentwickelten Auftreten alles was bisher
dunkel gewesen aufzuhellen verspricht ,'' kann ich die Vermutung
meht abweisen, daß auch die Irmensäuleu mit dem Maibanm ver-
wandt, daß sie die Idee eines Lebensbaumes der Volksgesammt-
heit auszudrücken bestimmt sein mochten. Die breitere Erör-
tenmg dieses Gegenstandes bleibt jedoch einem dem Schlüsse
dieses Kapitels hinzugefügten Auslauf vorbehalten, da die Ver-
folgung der einmal betretenen graden Straße uns noch weiter
1) Bavaria, Mittclfranken S. 972.
2) Grimm R. A. 795 ff. Kcysler, Antiqu. select. septentr. 1720 p. 584.
Vgl besonders die im 13. Jahrh. (A. 1220. 124b) bezcu^^n ostfriesischon
Dingeichen, üppstallsbäame , Stalcke (arbores crectao?) bei Anrieh nnd
Bramstede. Keysler a. a. 0. p. 77 — 78.
3) Anch anf Analo-ien des Maibanms bei fremden und z. T. entlegenen
Völkern kann hier nicht eingegangen werden. Doch diene als Beispiel, daß
<lie jungen Männer nnd Mädchen des hundohrigcn oder Drachenclans im
^den Volke der Miaotsze auf dem Hochplateau zwischen den chinesischen
Provinzen Jünnan nnd Kwei-Tcheu im Frühling einen Teufelsstab, zu
deutsch Maibaum errichten und zum Tone der C'astagnetten herumtanzen.
Welche die Männer schlagen , während die mit hellfarbigen Bändern geschmück-
ten M&(1chen mit Fußen und Stimme den Tart dazu geben. Ausland 1872,
^>-5. S. 116.
1^
Kapitel in. Baumseele als Vcgetationsdamon:
M»:>»tttti ^Ibst begleiten heißt, der außer den Frühlings -
d Ji:R^Hiimergebräuchen auch zur Erntezeit eine bedeutsame
^ o. Krntemal. Auf dem letzten Erntefuder wird nämlich
jua Miitol- und Niederrhein und in Frankreich ein grtüier Baum-
•wvi^. tnler ein ganzer großer Baum, meist mit Aehren und bon-
len Bäudem , zuweilen auch mit andern guten Sachen geschmückt^
iM'iiu^^ttlhrt und auf dem Dach oder am Schornstein des
llorrtMihauses oder der Kornscheuer auf ein Jahr befestigt
Nur ganz vereinzelt sind mir Spuren dieser Sitte im Osten
iH'^^'gnet und zwar mehrfach in colonisierten Gegenden, deren
douftscbe ItevOlkerung nachweislich oder wahrscheinlich im 12.
inler 13. Jahrhundert vom Kiederrhein her eingewandert ist
Bekanntlich ist die Hauptmasse der Siebenbirger Sachsen zwi-
Hohen Broos und Keps um die Mitte des 12. Jahrb. von König
licysa 11. berufen worden; die ältesten Urkunden (z.B. diejenige
des Legsiten Gregorius de S. Apostolo im J. 1189) nennen sie
-Flaudreuses.^ In der Gegend von Schäßburg bringen die Schnit-
ter nach Beendigung der Ernte einen künstlichen aus Aehren
geflochtenen Kornbaum nach Hause (Bodendorf) oder über-
reichen solchen dem Pfarrer (Cossten). Auch die Festmahlzeit
am Schlüsse der Emtearbeiten heißt danach ebenfalls Korn-
baum. Nach Beendigung des Emtemahls wünscht der Altknecht
dem Warrer: „Herr gäf af det Jor en gesangden Kührenbuhm,
demo kun mir weder." Herr gieb auf das Jahr einen gesun-
den Kornbaum, dann kommen wir wieder (Deutsch Pien).
Die Insel Fehmern soll zwar um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts hauptsächlich aus Ditmarschcu ihre jetzigen Eüiwohncr
empfangen haben, indessen ist das nur eine niclit beglaubigte
CoHJcctur^ und es muß vielmehr lür wahrscheinlich gehalten wer-
den, daß dieses noch im 12. Jahrb. reui slavische Land, ehe es
an Dänemark kam, von dem durch die Holstcn eroberten Wagrien
aus mit jenen sogenannten „niederländischen Kolonisten" bald
1) S. £dor, de initiis Saxonum Transsilvanoram. Yiennae 1792 p. IGÜ.
Archiv dos Vereins f. Siebenbirg. Laudesk. 1, 2, 113 ff. Wattenbach im
Archiv d. Vereins f. Siebenb. Landesk. N. F. I, 1. j). 80. I. K. Schuller, zar
Frage über die Herkunft der Sachsen in Sicbenbirgcn. Hermannstadt 1856
S. 5. 7. 9.
2) G. Waitz , Schleswigholst. Geschichte 1 , 345.
Emtemai. 191
aas Westfalen , bald ans Holland oder Friesland besiedelt wurde,
welche im 12. 13. Jahrb. sich in den entvölkerten Slavenländem
eine neue Heimat schnfen.^ Im Wester- nnd Norderkirchspiel
der Insel wird das letzte Emtefuder mit Baumzweigen geschmttckt
und Maienföder genannt; die Arbeiter fahren darauf nach dem
Hofe nnd jauchzen; wonach die Fuhre auch wol Juchfoder
getauft wird. Von jener Sitte heißt das Emtebier ebenfalls
Schöttelmay.* Bei Zempelburg Kr. Flatow Rgbz. Marienwerder
wird der ans der letzten Garbe verfertigten Puppe in Menschen-
gestalt, dem Alten, ein Baumzweig, oder ein Baum der Art
in den Kopf gesteckt, daß er daraus gewachsen zu sein den
Anschein hat. Und ebenso pflanzt man in die Mitte des letzten
Oebnndes, des Alten, zu Wolfshals bei Brombei^ einen grttnen
Zweig. Beide Orte sind deutsche Kolonien auf slavischem Boden ;
ich habe jedoch trotz Schmitt und Behaim-Schwartzbach nichts
Näheres über die frühere Heimat ihrer jetzigen Bewohner fest-
stellen können. Auch in Schlesien wird zuweilen in die mit
Kunen geschmückte letzte Garbe, die „ Muttergarbe ,^' ein grü-
nes Reis gesteckt nnd auf dem letzten Fuder heimgefahren
(Rappersdorf Kr. Strehlen Rgbz. Breslau).
In Mitteldeutschland begegnet mehriach die Sitte beim allge-
meinen Erntefest, einen Wettlauf nach einem mit bunten Tüchern
behangenen Birkenbusch oder Fichtenbaum anzustellen, den der
•Gutsherr oder die Gemeinde aufs Feld gesteckt hat (z. B. Ober-
granschwitz A. H. Grimma Krd. Leipzig; Ilsenburg Grafsch. Wer-
nigerode). Um BHirstenwalde wird nach der Ernte eine Fachte
aas der Haide geholt, glatt geschält, mitten im Dorfe aufgerich-
tet und mit Tüchern und andern Preisen behangen, nach denen
geklettert wird.* Erst in Franken finde ich den Maibaum auf
dem Erntewagen selbst wieder. Zu Ochsenfurt setzt man auf die
letzte Fuhre das mit bunten Tüchern geschmückte TannenlÄum-
1) Waitz a. a. 0. I, 56. Um Scgcberg ließen sich nach 1142 Westfalen,
tun Eutin und spater um Oldenburg Holländer, um Stißel Priesen nieder
(Hehnold I, c. 57). In Kiel, das nicht lange vor 1242 entstand, bezeugt der
Str&fiennamo platea Flamingorum die Fortdauer der £in Wanderung vom Nie*
derknd nach Holstein im 13. Jahrh. S. Schleswig Holst. Lauenb. Jahrb. IX,
1866 S. 12 ff.
2) MüTidl. Vgl. Rchlesw. Holst. Lauenb. Jahrb. IV. 1861. 183, 94.
3) Kuhn. Nordd. Sag. 398, 106.
192 Kapitel III. Banmseele als Yegetationsdämon:
chen (Unterfranken). Bei Dinkelsbtthl (Mittelfranken) ist es dage-
gen die erste Fuhre , auf welche die bebänderte und bekränste
Fichte zu stehen kommt, die an der »Scheune mit Jauchzen em-
pfangen und feierlich vom Wagen herabgeworfen wird; im Fallen
sucht ein jeder Schnitter ein Band oder einen Kranz als segen-
bringend zu erhaschen. Gleicherweise wird auch zu Hofdorf in
Niederbaiem die letzte Fuhre Dünger, die zu Acker fährt, der
letzte Wagen Getreide, der vom Felde kommt, mit einem drd-
fachen Busche von Stauden, Fichten- oder Tannenbänmchen
geschmückt
Auf alemannischem und rheinfränkischem Gebiete dagegen
wird der Brauch häufiger. Im Bezirk Tobel (Kanton Thurgaa)
zierte man ehedem das letzte Fuder Getreide mit einer 12-15 F.
hohen, mit Bändern, Blumen und Nastüchem behangenen Palme,
die zu Hause in die Stube gebracht und dort zu einem Kienz-
stock hinausgesteckt wurde. Zu Hofingen im Aargau wird die
letzte Heufuhre mit einem durch Kränze und bunte Papier-
streifen ausgezeichneten Tannenbäumchen, oder einem bloßen
Baumast geziert. Oft sitzt ein verkleideter Knecht zuvör-
derst auf dem Fuder und schwingt den Tannenbaum.
In Würtemberg ninmit die Sitte gemeinhin eine andere Ge-
stalt au. Auf dem letzten Acker der Winterfrucht bleibt
jedesmal eine Hand voll Aehren stehen, die man vorher
bezeichnet und umkreiset hat. In diese Aehren steckt man«
einen geschmückten „Maien," eine kleine Birke oder Pappel,
befestigt die Halme daran imd bekränzt sie.^ Dieses mit dem
Maibaum zu einem Körper verbundene Gebund, oder den Maien
selbst nennt man vielfach Mockel, Kuh. Wir werden später
sehen, daß ein theriomorphischer Vegetationsdämon damit gemeint
ist, Ist der Maie „gesteckt," so knien die Schnitter nieder
und beten flinf Vaterunser und den Glauben. Das nach Beschluß
der ganzen Ernte folgende Erntefest heißt „Niederfall." Der Mai
bleibt entweder stehen und die Vögel fressen die Aehren aus,
oder er vnrd zuletzt herausgenommen und auf dem letzten Wagen
heimgetührt. Im 0. A. Künzelsau im Jaxtkreis hält ein Arbeiter
auf dem letzten Fuder einen großen Tannenbaum, der mit
1) Remsthal, Barchholz, Zimmern, Gegend von Gmünd, Ulm, Wester-
stetten. Vgl. Meier, D. Sag. a. Schwaben S. 439, 149.
ErntemaL 198
kleinen Kränzen, farbigen Bändern nnd Taschentttchern
geschmttckt ist Auch Peitsche nnd Hut des Fuhrmanns sind
bekriü[izt Im 0. A. Waiblingen (Neckarkr.) steht eine junge mit
Bändern und seidenen Tttchern geputzte Birke auf den Garben
der letzten Fuhre. Hier sind nicht allein der Fuhrmann, sondern
selbst die Pferde und die Peitsche bebändert und blumenge-
ichmflckt Nach E. Meier geschah diese Ausschmückung des letzten
KomwageniB mit dem durch allerlei Kleidungsstücke, Tücher
und Bänder gezierten Baum in Bietigheim und andern Orten des
Neckarkreises bei Einholung des Zehnten.^ Die Zehnknechte teil-
ten diese Sachen unter sich.' Auch in Baden wird auf dem letzten
Wagen ein Maibaum eingebracht (z. B. Aohem, Kr. Baden).
In Hessen bleibt der Maibaum nur vereinzelt Um Grems-
hdm (ProY. Starkenburg) ziert ein Weidenzweig mit Blumen den
Fruchtwagen,' um Exter und Einteln (Prov. Kurhessen) ein grü-
ner Sirauchy an den mehrere Aehret^ vmi verschiedenen Frucht-
arten gebunden &ind.
Das Gebiet, auf welchem unter den Emtesitten das Auf-
stecken des Maibaumes der Art Yorherschend wird, daß man es
&at ausnahmslos von Dorf zu Dorf verfolgen kann, beginnt mit
den preußischen Provinzen Westfalen ^ und Bheinland. Vereinzelt
reicht die Sitte von hier nördlich des Müusterlandes in die firie-
8iäche Bevölkerung des Satcrlandes hinein, wo man vor alten
Zeiten beim Boggenmähen ein Stück des letzten Endes üi runder
Form stehen ließ, einen Maibaum hiueinsetzte und rund herum
taozte, trank, sang und jubelte.^ Auf niederländischem Boden
folgt der Brauch dem Laufe des Rheins und der Maaß ; ich kann
ihn aus Gelderland , z. B. Apeldoom und Velu we , und der Insel
Walcheren, aus Limburg und Lüttich belegen.^ Südlich davon
ist er wiederum fast ansnahmlos von Ort zu Ort in Lothringen
mid E^ß, sodann in der Mehrzahl der zu Frankreich gehörigen
1) Hohenstaufen, EllwangoD. Vgl. Meier, Deutsche Sagen a. Schwaben.
S. 440, 152.
2) Meier a.a.O. 441, 154.
3) Mytli.» CV,897.
4) Vgl. auch Kuhn, Wcstf. Sag. II, S. 179 ff.
5) Scharrel. S. Strackerjan, Abergl. a. Oldenburg II, S. 78, 362.
6)Mündl. Vgl. Heinsberg -Düringsfeld, Calendr. Beige 18G2 11,187.
GreoBon, Bulletin de la societe Liegeoise. T. VII. Liege 18GG. p. 21 , 8.
Uinnhardt. 13
194 Kapitel lU. Baamseele als Vegetationsdflinoii;
Länder erhalten , d. h. franz. Flandern , Picardie , Normandie, Isle
de France, Champagne, Angonmais, Limonsin, Lyonnais, Bonr-
bonnais, Bourgogne, Franche Comt^, Orleannais, Nivemais, Beny,
Maine, Touraine, Anjou.
Im Westen und Sttden der Bretagne , Poitou , Gnjenne , Lau-
gned'oc, Danphin^ und Provence ist der Gebrauch merklich sel-
tener und hört zuletzt teils ganz auf, teils geht er völlig in die
Aufiateckung eines Holz- oder Aehrenkreuzes auf dem letzten
Wagen , oder dem letzten Getreideschober (la croix de la moisson)
resp. auf dem Dache der Scheune über, das auch vereinzelt in
nördlicheren Provinzen z. B. Isle de France, Nivemais, Orl^nnais
u. s. w. vorkommt, aber in der Gascogne, Navarra, B^am, D^p,
du Tarn, de TArdfeche, D^p. du Gard, D^p. Haute Loire, Pro-
vence so zu sagen allgemein vorhersehend wird und in gleicher
Geltung in Venetien, Corsika, Rumänien, Ungalrn sich wieder-
findet Dagegen konnte aus Savoien (Annecy) die Sitte verzeich-
net werden, auf dem letzten Fruchtwagen ein T.annenbänm-
chen, dessen Zweige mit Bändern aller Farben geschmückt
sind, heimzufahren, dort mit Wein zu besprengen und auf
dem großen Schober vor dem Hause auftupflanzen. Fast scheint
es so, als ob die Grenzen des Gebrauches so weit reichen, als
sich an Ortsnamen der Einfluß von Franken und Burgunden aaf
romanischem Boden verfolgen läßt.
In Westfalen (Rgbz. Arnsberg) wird dieser grüne Baum oder
Zweig im letzten Korne Härkelmai, im Münsterlande, Rhein-
land, Holland, Belgien, Picardie und französisch Flandern Mai,
Meie, im Elsaß Mai oder ßmmai (Emtemai) benannt, in Frank-
reich ist meistens, da derselbe mit Blumen und Aehren geschmückt
wird, der Ausdruck bouquet, bouquet de la moisson neben
andern noch zu erwähnenden Sondernamen (chien de la moisson^
coq d'Aoüt u. s. w.) dafür im Gebrauche.
In dem umschriebenen 6el)iete hebt sich als eigenartig der-
jenige Landstrich hervor, welcher den Namen Härkelmai
(muudartl. Hörkelmai, Hacke hiiai, Hakelmai, Heckelmai, Häkel-
mai, Harkemal, Hackemai) kennt. Er umfaßt die Kreise Altena,
Dortmund, Hagen, Hamm, Iserlohn, Meschede, Olpe und Soest
des Regierungsbezirks Arnsberg und reicht einerseits in das Mün-
sterland, andererseits in den Kr. Lennep Rgbz. Düsseldorf hinein.
Wenn alles Getreide geschnitten und in Garben gebunden auf
Erntemai. 195
die Wagen geladen ist, werden mit einer^ großen Ziehharke
(Treckharke) die zerstreut liegenden einzelnen Halme zusammen
gerecht Dieses ,, Harkelse'' wird mit den letzten Garben zusam-
men auf das letzte Emtefader geladen , hievon erhält der grüne
Zweig oder Baam, der dieses Fuder ziert, die Benennung Har-
Mmai. Dieser Name geht sodann auf den Act des Abmähens
der letzten Frucht, auf diese selbst (,,den Hackelmai mähen'')
und anf das letzte Emtefuder oder auf das letzte abzumähende
Fraehtstflck liber. Der Emteschmaus am Ende des Schnitts,
oder an einem Sonntage nach Beendigung aller. Emtearbeiten,
oder nach Beendigung des Dreschens gegen Fastnacht heißt
„den Harkelmai verteren," „den Hörkelmai fim (feiern)" oder
aach einfach „Harkelmai," die letzte Garbe „Harkelmaigarw,"
das letzte Fuder „Harkelmaiwagen;" (vgl. S. 191 das Fehma-
rische Schöttelmei) und die übertragenen Anwendungen des Wor-
te» werden so vorwiegend, daß nun wiederum der Busch oder
Baom davon meistenteils „Harkelmaisbusk" oder „Harkelmai-
bfim" benannt ist. In den Kreisen Hamm, Dortmund, Soest und
Iserlohn gestaltet sich die Harkelmaisitte folgendermaßen: Nach-
dem der Fruchtschnitt auf dem letzten Acker des zuletzt geem-
teten Getreides zu Ende ist, oder, obwol seltener, soeben ehe
man an das Abmähen des Letzten geht, graben die Mäher
unter lautem Jubel und Trinken den Harkelmaibom,
einen starken grünen Ast oder Baum tief in das Stop-
pelfeld. Es ist das eine junge Buche (Gegend von Herringen,
L'nna Kr. Hamm), Birke (Herringen, Kr. Hamm; Werl, Para-
diese Kr. Soest), zuweilen auch Weide (Werl). Der Harkelnmi
bat bisweilen eine recht ansehnliche GrOße , im allgemeinen pflegt
er 3—4 Zoll dick und über der Erde 15 — 25 Fuß hoch zu
sein. Mehrere (4 — 5) Fuß tief wird er in den Boden getrieben
nnd darin fest gekeilt und eingepfählt. Wie der Maibaum im
Frtihlinge wird er gerne seiner untern Zweige beraul)t,
80 daß die oberen eine schöne Krone bilden (Hilbeck,
Haren, Untrup, Scbmelhausen Kr. Hamm; Paradiese Kr. Soest).
Dieser WipfeT wird mit einem Aebrenkranze aus dem
letzten Getreide (Herringen, Hilbeck, Haren Kr. Hamm) oder
mit einzelnen Aehrcnbtischeln geziert (Friedriehshöhe bei
Unna); es werden an mehreren Stellen in der Mitte des Stam-
Bies und oben hie und da an den Zweigen der Länge nach
13*
196 Kapitel in. Banmseele als Vegetationsdämon:
Halmbttndel; zusammen etwa eine Masse wie von 3 — 4 Garb^
befestigt (Heil bei Herringen ^ Unna, Kr. Hamm; Menden Kr.
Iserlohn) oder der Hackelmaibnseh wird an der Spitze gradeza
mit der geschnittenen Frucht durch flochten (Drüchelte). In
der Gegend von Soest bindet jeder anwesende Schnitter and jede
Schnitterin einen Aehrenkranz oder eine Handvoll Halme an den
im Felde steckenden Harkelmaibaum oder an eine denselben ver-
tretende Stange , so daß an der Anzahl dieser Strohbänder jeder-
mann die Anzahl der Mäher erkennen kann (Borgein , Soests
Cörbeke Kr. Soest). Im Kreise Dortmund (z. B. Wickede,
Brackely Kerßebühren) und z. Tl. Kr. Soest (Paradiese) wird
unten um den Fuß des oben und in der Mitte mit Aehren-
büscheln geschmückten Harkelmaibaums eine volle Garbe
d.h. wol die letzte, Harkelmeigarw^ gebunden, wodurch
dieser dem schwäbischen in die letzten unabgeschnittenen Halme
gestellten Maien sehr ähnlich wird. Die Garbe rückt nach oben,
wenn sie bei Unna Kr. Hamm und zu Messerscheidt bei Hemer
an dem Baum aufgehängt wird. In diesem Falle stellt
die Garbe zuweilen ein persönliches Wesen vor und erhält den
Namen „de Olle'' (der Alte). Allen diesen sehr verschiedenen
Weisen der Zurüstung des Baumes ist doch unverkennbar das
Bestreben gemeinsam, in ihm die Vegetationskraft des Feldes zu
personifizieren; die vollen Aehren -«ollen als seine Frucht, oder
er aus der Garbe heräussprießend d. i. als deren divai^tig «r^i^
Ttxt] dargestellt werden. Der Harkelmai1)aum bleibt auf dem
Felde stehen, bis alle Garben gebunden sind, resp. bis es ans
Aufladen des letzten Fuders geht. Dann müssen die Mädd^en
ihn umwerfen oder herausziehen, dürfen dabei aber nur ihre
Hände, niemals Spaten oder andere Gerätsehaften zum Aus-
graben gebraueben. Können sie das nicht, so müssen sie die
Knechte tractieren (Herringen, Heil, Fröndenberg, Haren, Hil-
beck, Friedrichshöhe, Unna u. s. w. Kr. Hamm; Bertingloh bei
Menden Kr. Iserlohn; Werl, Schwefe Kr. Soest). Er prangt
sodann im Vorderteile oder inmitten des letzten Wagens (Här-
kelmciwagen) , der ringsum mit grünem Buschwerk besteckt ist
(Soest, Paradiese, Schwefe, Borgein Kr. Soest; Friedrichshöhe
bei Unna, Lünem Kr. Hamm u. s. w.) Die Mägde setzen
sich mit dem Erntekranz zu dem Härkelmeiböm auf den
Wagen, iudeß der festlich geschmückte Baumeister vorne auf
Erntemai. 197
dem ersten Pferde reitet (Haren, Uentmp, Schmehausen Kr.
Hamm; Paradiese Kr. Soest) Entweder schon aaf dem Felde
wird betrank am den Busch oder Banm ausgegossen (Brockhau-
sen bei Deilinghoyen Kr. Iserlohn) oder, sowie der Herkelmei-
wagen aof den Hof fährt, werden der grüne Baum und die
ihn einbringenden Erntearbeiter mit ganzen Eimern
Wasser begossen (Büderich bei Werl Kr. Soest) „de hörkel-
mai draf net drOj inkommen'^ (Brockhausen). Selten bleibt der
threngeschmttckte Baum auf dem Acker stehen und darf, wenn
die letzte Garbe (der Alte) abgeholt ist, von jedem Beliebigen
geholt werden, der ihn haben will (Messerscheidt bei Hamm,
BoTgeln Kr. Soest). Ebenso selten wird er hmten am letzten
Wagen angebunden und muß hinten nachschleifen
(Werl Kr. Soest), oder man läßt ihn, mit einem Kranze
geschmtlckt, dem Wagen vorauftrageu (Brockhausen).
Dem Fuder gehen 5 — 6 Knechte peitschenknallend voran. Naht
sidi der Wagen dem Hofe, so muß ihm der Bauer ehrerbietig
entgegenkonmien und den Schnittern einen Trunk entgegenbringen,
widrigenfalls sie das Recht haben, ihm die Kohlköpfe im Garten
abzuschneiden. Ist das Fuder eingescheuert, so wird der Harkel-
maiböm an der Einfahrt der Schemve oder des Hauses festge-
nagelt und verblüht da , bis der Emtefestschmaus „der Harkemai"
oder „Bauthahn" vorüber ist Dieser findet statt, sobald im
Octo])er die erste fette Kuh geschlachtet wurde (Heil bei Her-
ringen Kr. Hamm). Der Ausstattung des Baumes entsprechend
war außer dem grünen llarkelmaibusch auch wol noch ein Ernte-
kranz an das Scheunentor genagelt (DUingsen Kr. Iserlohn),
anderswo der aus Aebren, Blumen^ und wildem Hopfen verfer-
tigte Erntekranz allein über der Haustür befestigt und bis zur
Erate des nächsten Jahres hängen gelassen (Hilbeck, Ostbühren
Kr. Hamm). Manchmal aber vertritt eine mit Blumen, Halmen
und grünen Zweigen umflochtene Harke die Stelle entweder des
Baumes oder des Kranzes. Auf dem letzten Fuder (Herkelmai)
sieht man die in Laubwerk gehüllte, mit Aehren und Blumen
geschmückte oder oben mit einem grünen Kranze versehene
Harke, in der letzten durch Größe und besondere Form ausge-
zeichneten Garbe, dem „Alten" oder „dicken Jungen," oder
daneben stecken (Apricke, Hemer), oder sie sehmückt in Gesell-
schaft des Erntekranzes , der später seineu Platz über der Niendör
198 Kapitel III. Baumsoele als Vegetationsdämon:
(Niedertttr) erhält ^ den Harkelmeiwagen (Messerscheid) oder end-
Uch sie wird von einer Magd dem Herkehneiwagen yoranfgetra-
gen. Es muß nun der Oberknecht versuchen das „Herkelse''
trocken auf die Dgle (Scheundiele) zu bringen ^ die Magd die
bunte oder ,, grüne Harke'' gleichfalls trocken unter die Herd-
kappe (Bausem)y resp. auf den Herd selbst zu schaffen.
Die Haus- oder Küchenmagd ^ auch wol die Bäuerin selbst , ver-
sucht das durch Begießen zu hindern^ wird aber, wenn ihr
dies nicht gelingt, selbst tüchtig eingeweicht (Friedrichshöhe bei
Unna , Brockhausen bei Iserlohn , Bertingloh bei Menden). Dringen
dagegen die Emtemägde gegen die Wirtin mit der Harke bis
zur He^rdkappe vor und vermögen sie namentlich ihr den grü-
nen Kranz überzuwerfen, so dürfen sie ihr fmt der Harke dctö
Haar kämmen (Werl bei Soest). «Die Harke wird später aus-
wendig an das Haus resp. über die Haustür gehängt
(Friedrichshöhe, Froendenberg bei Unna). Das Erntefest (Hat-
kelmeifest, den Hackelmei verzehren) folgt dann sogleich zu
Martini oder gegen das Frül\)ahr; von allem Letzten aber, was
auf die Neige geht , hat man die Bedensart „ Jetzt geht's auf den
Hakehnei" (Werl).
Noch ist zu bemerken, daß der Harkelmei in sehr vielen
Fällen mit dem Herbsthahn oder Erntehahn vermischt oder ver-
bunden ist. Auf dem Harkelmeiwagen wird nämlich nicht sel-
ten statt des Harkelmeibaums ein aus Holz oder aus buntem
Papier gefertigter oder ein lebender Hahn mitgeitihrt, der mei-
stens in oder auf dem Erntekranz befestigt ist (Soest, Bergeln,
Schwefe Kr. Soest; Schmallenberg Kr. Meschede) oder auf dem
grünen Hackelmaibusch seinen Sitz hat (Velmede Kr.
Meschede); ja dieser grüne Zweig selbst heißt Bauhahn d/L
Emtehahn v. Bau, Baut alts. bewod Ernte (Sproekhövel Kr. Har
gen; Witten Kr. Bochum). Ebenso wird das Hackelmeifest als
Bauthahn oder Stoppelhahn bezeichnet, man sagt „es wird der
Baudehahne verzehrt" (Herringen Kr. Hamm; Brackel Kr. Dort-
mund) und vielerorts fehlt unter den Gerichten der Emtemahl-
zeit ein Hahn nicht (Lünem, Unna, Kerßebühren Kr. Hamm;
Schwefe Kr. Soest).
Auch ohne den Namen Harkelmai bleibt die Form der Sitte
in der nähern Umgebung des beschriebenen Gebiets zunächst
sehr ähnlich. Im Münsterlande sind es bald Birkenbüsche , die
Erntemai. , 199
man auf dem Fader heimfährt^ mid über der Niendör aufsteckt
(z R Heiden bei Borken), bald setzt man auf das letzte Emte-
fnder nach Einheimsmig aller Arten Feldfracht einen Nußbaam-
straach, der voll von Nüssen hängt, oder irgend einen
Baumzweig, an den Nüsse und kleine Bündel von jeder
Getreidesorte (Boggen, Weizen, Hafer, Gerste, Erbsen,
Wicken) gebunden sind. Zuweilen heißt dieser Nußbaum-
ast Stoppelhahn (Gegend von Darfeld und Nordwalde). So
nehmen auch im Bgbz. Trier Kr. Bemkastel die Schnitter einen
üMigen Tannenbaum mit aufs Feld, binden nach beendigtem
Komschnitt Blumen, Streifen farbigen Papiers und Aeh-
ren verschiedener Fruchtarten daran, dann tragen sie ihn
anter Gesang, wobei sie oft die Hähne nachahmen, bis ans
Herrenhaus. Die Nüsse, die Symbole der Fruchtbarkeit (s. o.
S. 184) und das Anbinden von Halmen aller Fruchtarten erhärten
und erweitern unsere vorherige Behauptung dahin , daß der Har-
kdmaibaum die gesammte Vegetation der angebauten Feldflur in
mer sinnbildlichen Gestalt zusammenfassen sollte.
Im allgemeinen nimmt unsere Sitte im Rheinlande in Bezug
aof mehrere Stücke jedoch eine etwas andere Gestalt an. Der
„Mai," „Maistrauß," eine Tanne oder ein dichtbelaubter arras-
dicker Ast von Eiche, Buche, Birke oder Weiije, zuweilen auch
Esche (Bedburdyk Kr. Grevenbroich) wird nicht in das Ackerfeld
eingegraben, sondern in die letzte während der Weizenemte
gebundene und durch Größe wie Blumenschmuck ausgezeichnete
Garbe gesteckt. Man sagt daher „den Maien binden" statt die
letzte Garbe binden. Sie findet auf der Spitze eines zum Trock-
nen aufgesetzten Haufens Platz, um den Schnitter und Binderin-
nen jauchzend herumspringen und tanzen (Nörvenick Kr. Düren ;
Brtil Kr. Mühlheim a. Eh.). Dieser Haufen wird mit besonderer
Feierlichkeit jedesmal zuletzt in die Scheune gebracht (Weiden
Kr. Köln; Sechtum Kr. Bonn). Dann prangt auf dem letzten
Wagen ein ähnlicher, oder derselbe Maistrauß und man sagt:
„der mei wiet enngefahre." Häufig aber wird erst beim „Maien-
einl'ahren" der Baum herzugebracht und ausgeschmückt. Clmrac-
tmstiscfi für den Act des Aufsteckens ist ein lautes Jauehsen
oder Jüchen von Seiten der Erntearbeiter (vgl. das Juchfoder auf
Fehmam S. 191). Die Ausrüstung des Maien besteht meisten-
teils aus bunten Bändern, Tüchern und noch andern Zutaten.
200 Kapitel m. Banmseele als Vegetations^ämon:
In Klinkum Kr. Erkelenz Sgbz. Aachen, wird bei der Flachs-
röste auf den letzten Karren resp. in das Feld ein Mai gesteckt^
der. mit farbigen Bändern, Ringen, Nadeln und" Meinem Bath'
werk behangen ist. Auch der letzte Wagen' der Winterfiracht
ist mit einem grünen Zweige besetzt , an den Bänder , Tücher
Schtbrzen, Fähnchen von buntem Papier u. dgl. (Pesch, Hnne-
rath, Letzerath u. s. w. Kr. Erkelenz; Spenrath,Kr. Grevenbroich;
Rödingen Kr. Jülich; Glahn, Karst Kr. Neus; Oberpleis Kr. Sieg;
Kr. Mettmann; Kr. Gladbach; Kr. Grevenbroich; Berg Kr. Dü-
ren; Maluten Kr. Köhi) oder Blumen, Bänder, Taschen-
tücher, Tabacksrollen und Paquete (Berkum Kr. Bonn),
zuweilen auch Eßwaaren vom Conditor (Erkelenz Kr. Erke-
lenz), mitunter sogar Bierkrüge (Langenberg Kr. Mettmann) befe-
stigt sind. Diese schönen Sachen werden als Geschenke den
Emtearbeitem zu Teil, wenn sie den Hof erreicht haben. Von
ihnen erhielt der grüne Zweig den Namen „der bunte Maie^
(Birgden Kr. Geilenkirchen). Eine unzweifelhaft sehr alte Form
der Sitte hat sich in Kamp bei Meurs erhalten. Wird der letzte
weiße Halm (so bezeichnet man aUe reifen HalmMchte mit Ein-
schluß des Hafers) eingebracht , so richtet man ein Bäumchen in
der Weise zUj daß es einem Menschen, resp. einer Puppe sehr
ähnlich sieht y schmückt es mit Blumen und Bändern und ftthrt
es auf dem letzten Erntewagen heim (vgl. o. S. 156 u. o. S. 158.
Das „Maienfuder" ist gewöhnlich sehr hoch geladen und wird
mindestens von vier bis secJis Pferden , oft von acht , oder viel-
mehr von sämmtlichen Pferdefi gesogen, welche die Wirtschaft
aufzuweisen hat (allgemein Kreis Grevenbroich; Kr. Jülich; Wei-
den Kr. Köln; Buir Kr. Bergheim; Sechtum Kr. Bonn), selbst
dann wenn ihrer zwanzig Rosse sein sollten (Krähe Kr. Jülich).
Der Wagen sowohl, als die Pferde sind ebenfalls mit Laub und
bunten Bändern geziert. Um den bunten Maien herum sUzen auf
dem Wagen die Mägde, die das Getreide gebunden hüben; eine
Küchenmagd (Büm^s) reitet das vorderste Pferd. Hinter dem
Wagen geht der erste Schnitter und trägt das Faß, in welchem
sich das sogenannte Beubier befand (Kr. Düren; Kr. Erkelenz;
Kr. Grevenbroich; Sechtum Kr. Bonn; Bergheim Kr. Bei^heim;
Maluten Kr. Köln). Oder die Mägde übernehmen gänzlich
das Fahren, nachdem sie den Knechten tüchtig in Bier und
Brantwein Bescheid getan haben. Bei der Abfahrt nach dem
Erntemai. SOI
Felde, um die letzte Karre Frucht zu holen, besteigt ein Teil
Ton ihnen die mit Blumen und grünen Reisern geschmtlckten
Pferde. Sie ziehen zu diesem Behufe zur Hälfte Mannskleidung
(Hut und blaue Kittel) an. Auf der Karre selbst befinden sich
die Männer trinkend und singend, oder das übrige Dienstper-
sonal beider (Jeschlechter , womöglich mit 1 — 2 Musikanten. Der
Aiheiter, welcher das Getreide auf den Wagen hinaufreichte,
trägt seine Gabel hoch emporgerichtet und an dieser einen Krug
Brantwein hangend. Im Kreise Saarlouis wird bei Been-
digung der Kartoffelernte , wenn man den letzten Sack vom
Felde holt, ein Arbeiter als Weib verkleidet, er faßt
einen mit bunten Papierschnitzeln behangcnen Tannen-
baom mit der Hand und setzt sich auf eins der Pferde; die
übrigen Arbeiter nehmen auf dem Wagen Platz und krähen
ang vollem Halse. Auch im benachbarten Kr. Bemkastel wird
der Baum in der Hand getragen und der Hahnkrat nachge-
ahmt (o. S. 199). Spielen hier die Frauen eine active Rolle,
Wenn schon eine andere als in Westfalen, so anderswo eine uns
schon aus den Frühlingsgebräuchen bekannte passive. Fährt in
Wankura Kr. Geldern der Knecht die letzte Karre Flachs zur
Wiese, auf der geröstet wird, so schmückt er dieselbe
mit einem grünen Busch, aaßerdem aber überreicht er
auch jedem Mädchen resp. jeder Frau einen grünen
Zweig. ^ Seltener als in Westfalen taucht die Erinnerung an
den Emtehahn auf. Zwei Beispiele aus dem Südwesten des
ßhemlandes (Kr. Bemkastel und Saarlouis Regbz. Trier) sind
soeben u. S. 199 namhaft gemacht, im Nordosten wird die
letzte mit grünem Eichenzweig gezierte vierfach dicke Roggen-
garbe der Herrschaft mit den Worten: „hier ist der Hahn,"
„der Bauhahn" ins Haus gebracht (Htinxc a. d. untern Lippe,
Brttnen Kr. Rees, Rgbz. Düsseldorf). Im Trierschen wird der
Mai häufig nicht in die Konigarben des letzten Fuders gesteckt,
1) Vgl. in Hochfilzen in Tirol schmückt die Oberdirn beim Flachs-
brecheln einen Tannenwipfel mit Aepfeln und buntfarbigen Bändern und
«teilt ihn nahe der Brechlstube auf. Ihr Gclieliter hat nun die Pflicht ihn
jenen zu rauben , was Dim jedoch sehr erschwert wird . da alle Breclilerinnen
«agegen auf der Hut stehen. Gelingt ihm dennoch sein Wagestück [bemäch-
tigt er sich nach S. 183 des Lebensbaumes seiner Verehrten] so gilt er fortan
als zuverlässiger Liebhaber. Zingerle, Sitten Aufl. 2. 175, 1459.
302 Kapitel III. Baumseele als VegetationsdämoD :
sondern diesem voranfgetragen (vgl. o. S. 192 Hofingen im
Aargau). Uebrigens wird nicht allein das Getreide, sondern aach
beim Grasschnitt der letzte Heuwagen mit dem grünen bebän-
derten Eichenaste ausgezeichnet (Brünen Kr. Rees). Der Ernte-
wagen mit dem Mai nimmt absichtlich den Weg durch das Dorf,
wenn es sein kann , durch mehrere Dörfer (Pier Kr. Dflren , Neu-
kirchen Kr. Grevenbroich). Vor dem Hoftor macht er halt, und
sein Führer knallt so lange mit der Peitsche, oder stellt sich
als müsse er stecken bleiben, bis der Bauer oder die Bänerin
mit dem üblichen Willkommstrunke entgegenkommen. Sodann
wird der Mai auf dem Hofe aufgepflanzt und um denselben
getanzt, gesprungen und gesungen (Dormagen Kr. Neuß); die
Arbeiter haschen nach den daran angehängten Geschenken.
(Erkelenz, Berkum Kr. Bonn; Glehn Kr. Neuß.) Ebenso laufen
die Mägde, sobald sie beim Flachsrösten des Mais ansichtig wer-
den, jauchzend auf ihn zu und berauben ihn seiner schOnen
sieben Sachen (Klinkum Kr. Erkelenz). Endlich wird der ent-
leerte Baumzweig, „der bunte Maie'', an der First des Hauses
(Berkum Kr. Bonn) oder an der Wand über dem Scheunen-
tor (Bedburdyk Kr. Grevenbroich; Vluge Kr. Geldern; Gohr Kr.
Neuß) befestigt uiid wird dort bis zur nächstjährigen
Ernte aufbewahrt (Birgden Kr. Geilenkirchen). So wird auch
in Holland der grüne Zweig des letzten Emtefuders (Mai) gemein-
hin an das Stallgcbäude angenagelt.
Rheinaufwärts im Elsaß und Lothringen treffen wir die Haupt-
formen der niederrheinischen Gebräuche wieder. Auf den letzten
Erntewagen wird allgemein ein grüner ßaumzweig gesteckt,
ebenso bei der Beendigung des Dreschens (Zinsweiler) sowie
zum Schluß der Weinlese (in manchen Dörfern z. B. um Schlett-
stadt bei dieser Gelegenheit ausschließlich) und beim Einbringen
des letzten Heus (Zinsweiler). Es ist gröstenteils eine Tanne
oder Föhre, zuweilen (Zabcrn) eine Birke. Dieser Busch heißt
der ßrenmeic (Erntemai), wie der Sonntag, an welchem das
Erntefest stattfindet, firnsonntag, das Festmahl firengans. In
der Gegend von Metz wird bei der Heuernte, Kornernte und
Weinlese ein „ Herbstmai ^' gemacht. Der firenmei (Herbstmei),
häufig mit Blumen zu einem Strauß verbunden (Saargemünd,
Finstingen), ist mit bunten Bändern (Obersulz), außerdem mit
Blumen, Kuchen, Würsten, Schinken (Gegend v. StraB-
Erntenud. SM
borg, Schlettotadty Mtthlhaiigen) resp. mit Trauben (Metz) behangen.
Sehr hSofig wird noch das Bild eines Hahnes oder andern Vogels
hinzugefügt Bei Zabem schmttckt den letzten Wagen ein Birken-
zweig mit roten Bändern, Blumen, Wttrsten, Aepfeln
und Birnen, oben auf* ein Adler von rotem Papier; der Zweig
wird Bchliefilieh auf dem Giebel der Scheune aufgepflanzt.
Um Htthlhansen ist der Emmaie beim Emteschluß eine Tanne
mit Wtirsten, Eiern und Bretzehi behangen, auf der Spitze sitzt
em Hahn von Gold- und Silberpapier; bei der Weinlese giebt
es auch einen Maien mit vielen Trauben und bunten Bändern
geziert, aber ohne Hahn. Bei Schlettstadt dagegen trikgt der
Mai (Tanne) bei der Weinlese einen goldpapiemen Adler, zu-
weilen auch eine Flasche Botwein. Um Metz wird ein leben-
der Hahn an den EmtestrauB .(Mai) gebunden. Um Wesser-
ÜDgen wird der auf dem letzten Wagen heimgefahrene Baum-
xweig nach eine^ andern Tiere Hase genannt, später an die
Scheune genagelt und verbleibt da bis nach vollbrachter
Emtemaldzeit In manchen Dörfern um Mtthlhausen ist der
„Erenmaie^' (Tanne oder Föhre) auf dem letzten Fruchtfuder von
dem StrauB unterschieden. Es knien nämlich alle Schnitter auf
dem Felde nieder und beten 5 Vaterunser und den Glauben.
Dann schneidet eine Jungtrau die letzten Halme, die sie mit
Unmen zu dem Strauße verbindet, der auf das Dach der
Scheune gesteckt und dort bis zum nächsten Jahre
belassen wird. Am Herbstsonutag d. h. dem Winzerfest
verkleidet sich ein Mann als Weibsbild und heißt Herbst-
Bchmudl und ein Weib als Mannsbild. Der verkleidete Mann
sitzt auf dem Wagen, der die letzten Trauben einbringt, vorne
und hält einen großen Maibauni in der Hand; das Weib
sitzt mit dem Kücken gegen ihn und trägt einen Korb mit
Blumen.
Betreten wir nunmehr das romanische Gebiet, so treten uns
in Belgien und Frankreich manche alte Bekannte entgegen.
Während jedoch gewisse Züge, die in liheinland oder Westfalen
D.8. w. breiter ausgebildet sind, hier nar vereinzelt vorkommen,
sind andere^ welche dort seltener aufstoßen, zu größerer Entfaltung
gelangt. An die rheiuländische Sitte rührt z. B. der nonnannischc
Brauch in St. Martin de Gaillard, Seine inferieurc. Die letzte
Garbe (la gerbe de la maitresse) wird von dem Gutsherrn selber
2Ö4 Kapitel in. Baumseele als Vegetationsdamon :
gebonden, gleich der ersten Garbe größer als alle andere gemBßht,
mit Blumen und Bändern geschmtlckt und auf den letzten Wagen
gesetzt, wo sie von der Bourgeoise selbst gehalten wird. In der
gerbe de la mattresse, steht ein Kreuz von grünen Baumzweigen
(croix de la moisson) und außerdem ist auf den Wagen ein grtlner
Baumzweig gepflanzt (brauche de la moisson). Der Bauer
spannt vor diesen Wagen alle seine Pferde (6 — 1\
die mit Bändern und Blumen geschmückt sind (vgl. o. S. 200).
Wie im Bheinlande und Elsaß ist das Bouquet de la moisson
zuweilen mit Eßwaaren geschmückt In Latour du Pin (Is6re
Departement, Dauphinö) wird auf den letzten Wagen ein Lorbeer
oder womöglich Stechpalmenzweig (boux) mit Bändern und
Kuchen behangen heimgeführt; er bleibt in der Scheuer für die
Ratten. In der Bretagne (Gegend von Rennes) formt man beim
Emtebegmn einige Aehren zu einem Strauß in Gestalt eines
Kreuzes; dieser Strauß wird über der Tür der Scheune
befestigt und bleibt da das ganze Jahr; beim Emte-
schluß nimmt man einen grünen Aßt, der sidh in drei Zweige
spaltet, behängt ihn mit den schönsten Aepfdn, die man hat,
fügt künstliche Blumen hinzu und bildet so ein Bouquet, das man
auf dem letzten Fuder einführt. Ganz ähnlich geschieht es in
der Gegend von Montauban (Guyenne). Wenn die Ernte eröfhet
wird, schneidet der Aelteste die ersten Halme und macht Yon
Aehren, Buchsbaum und künstlichen Blumen einen Strauß, dessen
Stiel von Binsen zusammengehalten sich in drei Zweige veiitotelt
Dieser Strauß wird dem Gutseigentümer überbracht, der ihm
unter dem Rauchfang (sous la chemin^e) seine Stelle giebt
Ist die Ernte beendigt, so wird von allen Arbeitern ein neuer
Strauß überreicht, so groß, daß ein Stock als Stiel dient Dieses
Bouquet bekommt seinen Platz auf demjenigen Schober (meole
de ble), der zuletzt gedroschen werden soll. — Eine eigentüm-
liche Ausschmückung findet zuweilen in der Bourgogne statt
In der Gegend von Auxerre steht auf dem letzten Wagen ein
Eichenzweig, den man mit Mäusen und Maulwürfen, soviel
man deren bekommen kann, beschwert und über der Pforte des
Hoftors anbringt. Weit gewöhnlicher, als in Deutschland (s. o.
S. 200 ff.) , begegnet in Frankreich die Ausrüstung des Zweiges mit
einer oder mehreren Flaschen Getränk. Bei St. Quentin (Picardie)
ist der Mai auf dem letzten Wagen ein an den Aesten mit
Erntenud. 206
A eh reo mid Blnmen geschmückter und teilweise mit YoUen
Weinflaschen beschwerter Banmsweig. Im D^p. da Jura (Franche
Gomt^) setrt man einen Ast vom Kirschbaom (cerisier), geschmückt
mit Blmnen nnd bunten Bändern und behängt mit 4 Flaschen
Wein auf das letzte Fuder. Bei Nancy macht man fUr die letzte
Fohre einen Strauß von Rosen, steckt einen grünen Zweig hinein
vnd ftigt im Vorderteile des Wagens soviel Flaschen Wein hinzu,
ab Arbeiter da sind. Das Bouquet wird bei der Heimkunft aufs
Daeh des Hauses gepflanzt Im Nivemais knüpft man an einen
Bnunzweig (meist Kche) farbige Bänder, Aehren, Rosen und
andere Blmnen und bindet eine. Flasche Wein daran. Die Tochter
dea Hanses selbst hebt diesen Strauß (le bouquet de la poil^e)
v(HD Wagen und schenkt ihn als Auszeichnung wem sie will, oder
das Bouquet wird über der Pforte der Scheune aufgehängt In
anderen Communen derselben Landschaft pflanzt man in die vom
Pktron der Farm selbst gefertigte und größer als 4 andere ge-
machte letzte (rarbe (la gerbe k la galette) ein Kreuz bestehend
ans zwei armsdicken noch belaubten Eichenästen. Auf der Spitze
Bod an jedem Arme des Kreuzes ist eine Flasche Wein befestigt
Auch das vorderste der drei Pferde vor dem letzten Wagen trägt
an jeder Seite des Kopfes eine Flasche Wein und auf dem Kopfe
auch eine nebst einem Baumzweige. Höchst beachtenswert ist
die Sitte in La Palisse (D6p. de rAllier, Bourbonnais). An die im
letzten Getreidefuder aufgepflanzte Tanne hängt man mehrere
Bouieillen Wein und an die Spitze einen Mann atis Brodteig.
Baum und Brodmann werden auf die Mairie gebrcuM und hier
Ins eur Beendigung der Weinlese bewahrt. Dann veranstdliet
man das allgemeine Fest des Emteschlusses , wobei der Maire
den Kerl gerstückt und unter das Volk zum Essen verteilt. Sehr
häufig gehört, wie in Westfalen, die AnUndwfig mehrerer Aehren
zmn Schmucke des Emtezweiges. In einigen Gemeinden des
Bourbonnais ist^es ein ganzer Rosenstock (rosier d'aoüt), der mit
den Wurzeln ausgegraben, mit Aehren und Blumen ausgeschmückt
und dem Herrn überbracht wird, der ihn ein Jahr hindurch auf-
bewahrt Im Orlöannais (Loiret) wird ein Lorbeer mit Aehren,
Blum^i und Bändern ausgeputzt, auf der letzten Fuhre einge-
fahren und an der Spitze des Scheunendaches angebracht; oder
man macht die letzte Garbe jeder Fruchtart sehr dick (la gerbe
grosse) und steckt einen grünen Lorbeerzweig hinein, an den
206 Kapitel III. Baninseele als VegetatioDsd&mon :
Frachthalme und künstliche Blnmen der Art angebunden sind,
daß sie mit ihm ein Krenz bilden. Vom letzten Wagen herab-
genommen kommt dieser Stranß anf die Spitze des Grarben-
hanfens (gerbier) zu stehen ^ wo er bleibt, bis die Einbringnng
aller Frachtarten geschehen ist (Loire et Cher, Romorantin). Aach
in der Boargogne (D^p. de la Yonne and D6p. de TAin) ist es viel-
fach ein mit farbigen Bändern, Blnmen und Komhalmen gezierter
Lorbeerast.
Auch in Frankreich läßt sich vielfach eine enge Zusammen-
gehörigkeit des Emtezweiges mit dem Erntehahn beobachten.
Um Glermont (Auvergne) tödtet man eine Henne (oder Ente) und
bindet sie an den Wipfel des Baumastes, der das letzte Fuder
ziert. In der Gegend von Lyon bindet man einen Hahn (oder
eine Taube) an die Tanne, oder den Lorbeer auf dem letzten
Wagen; zu Hause tödtet man das Tier, der Baum wird vor der
Farm oder Scheuer aufgesteckt und bleibt da das ganze Jahr.
In der Commune Orthez unweit Pau erhält die letzte Garbe ein
Kreuz von Stroh, dessen Spitze eine Blumenkrone ziert. Der
Patron selbst hebt sie auf den letzten Wagen und stellt neben
sie einen mit Bändern und Blumen behangenen Eichenzweig.
Beides Garbe und Zweig werden auf den Kornboden gesteckt
. und verbleiben da, bis sie beim Ausdrusch des letzten Kornes
auf die Dreschdiele geholt werden. Hier stellt man den Eichenast
in der Mitte auf und bindet eine kalekutische Henne daran, lebend,
jedoch so, daß ihr Kopf nach unten hängt. Ist alles abgedroschen^
so tödtet man sie zur Abendmahlzeit. In Isle de France steht
auf dem Fuder, das derjenige Arbeiter fahren darf, der keinen
temtewagen umwarf, der geschmti(;kte Emtezweig (bouquet de la
moisson) und neben ihm sitzt eine Person , die einen lebendigen
Hahn in der Hand hält, den man beim Festmahl verzehrt; oder
ein eben getödteter Hahn hängt an einem Stocke inmitten des
Fuders (Laon). Bei Mezi^res (Champagne) trägt das letzte fiiw«-
fuder das Bouquet aus einem Gartenbaum mit grünen Zweigen
und Bändern gebildet, zu jeder Seite ein Hahn und eine
Flasche Wein. Wer vom ganzen Dorfe in der Gegend von
Lttttich zuerst mit der Ernte fertig wird, bringt auf der Spitze
des letzten Wagens einen bebänderten jungen Baum im Triumpf
zur Farm. Das nennt man „poirter Tniaie" (porter le mai) oder
„fer Tcoq" (faire le coq).
Erntemai. 207
Sehr hftiifig wird das Bonqnet de la moisson in
die letzte Oarbe hinringestecki (vgl. o. S. 199). Bei Cher-
booig (Nonnandie) heiBt dieselbe ia gerbe fleurie, weil die darin
angepflanzte Tanne mit BSndem und Blnmen geputzt ist In
Cöte du Nord (Bretagne) wird ein Lorbeer oder grttner Eichen-«
zweig in der letzten Garbe (la ^rbe de la fianc^e) dem Patron
gebracht; den Eiehenzweig verwahrt man im Hanse bis znm
Dreschen (Die et Vilaine). Im D^p. de la Yonne (Bonrgogne) stecikt
NaBbaam oder Eiche mit Blnmen in der grosse gerbe, bei Macon
(Saone et Loire) Lorbeer mit 3 — 4 Bändern ; im Franche Comt^
in der letzten Garbe (la gerbe de la passion) ein geweihtes Holz-
kreuz and daneben ein mit Blumen l>ewundener Lorbeerzweig;
bei Besan^on Lorbeer, Buche (hStre) oder Tanne. Im Ganton de
TDlot (D^p. des Vosges) sitzt der Bauerwirt sell)8t auf dem letzten
Wagen neben der mit dem geschmückten Baumzweige ansge-
rttoteten Garbe; den Zweig stellt er auf die Tafel des
Festmahls und besprengt seine Leute und Kinder
unter dieses ausdrückender Anrede mit Wein. Im
Angomnais wird die letzte Garbe mit Lorbeerzweig auf den
Sehober gestellt; ebenso im Dep. de la Dordogne in Guyenne, wäh-
rend die mir zugänglichen Zeugen aus der Gironde einen bloßen
BlumenstrauB, aus Aveyron gar kein Bouquet bekundeten.
Unter den Bäumen, welche fllr das Bouquet de la moisson
zur Verwendung kommen, nimmt den ersten Platz der Lorbeer
ein, sodann Tanne und Eiche, aber auch andere Bäume kann ich
belegen und zwar Rosenbaum (Champagne, Bourbonnais), Kirsche
<Tranche Comte), Nußbaum (Dep. de la Yonne, Bourgogne), Ka-
stanie (Touraine), Weide (Lyonnais), Buche (Franche Comte),
Pappel (auf dem letzten Heuwagen in Spinal; auf 1. Korufuder
Montpellier Langued'oc), Erle (a. Heu wagen Epinal), Dom (a.
Henwagen, Epinal), Buchsbaum (Guyeune, Limousin, Basses
Alpes, Provence), »Stechpalme (D6p. de Tlsere), Ahorn (may de
la moisson, schmucklos Gegend v. Cambray; Brie Isle de France).
Wie vielfach in Deutschland der Träger der letzten Garbe, wird
aach in Frankreich häufig der letzt« Erntewagen beim Eintritt
in die Scheune mit einem Wasserguß überschüttet (z. B. Franche
Comte). Auch englische Landschatlen haben die Anwendimg des
Maibaums bei der Ernte bewahrt. Eine Dame schilderte im
Jahre 182G in einer Zuschritt an W. Hone (Every day book 1866
206 Kapitel III. Banmseele als Vegetatioiud&moti.
11; 578) nach ihrem Tagebuch was sie im September 1824 auf
einer Reise zu Hawksbury auf dem Cotswold in Gloucester beob-
achtete : ;, As we approached the isolated hamlet, we were awiure
of a Maypole^ and as we drew near, saw that it was deco-
rated with flowers and ribands flattering in the evening breeze.
Under it stood a waggon with its füll complements of men, wo-
meu; children, flowers and com, and a handsome team of horses
tranquilly enjoying their share of the finery and revelry of the
scene; for scarlet bows and sunflowers had been lavished on their
Winkers with no niggard band. On the first horse sat a
dam sei, no doubt intending to represent Ceres; she had on of
course a white dress and straw bonnet; for could Geres or any
other goddess appear in a rural English festival in any other
costume? A broad yellow sash encompassed a waist, that evinced
a glorious and enormous contempt for classical proportion and
modern foUy in its elaborate dimensions/^ Das ist wieder ganz
übereinstimmend mit der rheinländischen Sitte (o. S. 200). Schließ-
lich kann ich auch noch lettischen Brauch namhaft machen. Ist
das letzte Heufuder aufgeladen, so wird eine ,,Maie mit Blättern^
in die Wiese (zumeist an der Stelle, wo der letzte Heohaofen
stand) gesteckt, damit im nächsten Jahre das Gras gut wachse.
Nach Beendigung des Zeugenverhöres halten wir über die
Ergebnisse desselben eine kurze Rückschau. Es kann den Tat-
sachen gegenüber niemandem einfallen zu zweifeln, daß der Mai-
bäum im FrüMing und, der Erntemai im Hochsommer zusamtnetP-
gehören, eine und dieselbe Idee ausdrücken, eme und dieselbe
mythische Gestalt sind. Das beweist schon der Name „Mai^^ ftir
den letztem, ebensosehr aber die Uebereinstimmung in den an
beide geknüpften Gebräuchen. Beide werden umtanzt; Eßwaaren,
Bänder, Tücher und andere Geschenke werden an beide gebun-
den; auch Weinflaschen, Rosoliflaschen, Bierkrüge u. dgl. fehlen
als Schmuck weder dem Maibaum (Jura, Lechrain o. S. 169),
noch dem Erntemai (Westfalen , Frankreich S. 200. 203. 205). Der
Maibaum war mit Guirlauden spiralförmig umwunden (woher in
Deutschland und England Bemalung in schlangenförmiger Um-
windung rührte); auf seinen Aesteu hing ein Kranz; nur der
Wipfel blieb belaubt, die untern Aeste waren gekappt; auch
der Hackelmai ist im Kreise Hamm unterhalb der Krone der
Zweige beraubt (o. S. 195) und hie und da schmückt auch noch
fiintemai. S09
der Eranz seine Aeste (S. 195. 197). Die Gaben des Maibanms
(mit diesem Ansdnicke wollen wir fortan znr Unterscheidung
xuc* iScxi^ den Frtthlingsbanm , gleichviel ob er zu LAtare,
Fastnacht, Maitag oder Pfingsten aufgerichtet wird, bezeichnen)
werden erklettert, die des Emtemai gemeinhin ausgeteilt, oder
doroh Wettlauf gewonnen ; das ist der ganze, teilweise aus prak-
tischen fifickflichten hervorgegangene Unterschied. Auch dieser
Unterschied gleicht sich aus, wenn wir zuweilen auch nach dem
Mtibusch einen Wettlauf angestellt (S. Kuhn, Nordd. Sag. 380, 57.
et 53 — 61), oder den Emtemai erklettert sehen. Die Aus-
idimtlcknng des Emtemai's durch bunte Bänder und an die
Zweige geknüpfte einzelne Aehren oder Halmbttschel (S. 193 ff.
206) findet beim Maibaum ein Seitenstück im arbor majalis
Don paucis taeniis omata annexis tribm frumenii spicis zu Lucca
(O.S. 171).* Hiezu stimmt auf das beste die savoyische Sitte
1) Grade diese Form der Sitte ist sehr altertümlich und wolhegrflndet,
ijuoferD drei Aehren vielfach die sonst besonders aasgezeichnete erste, oder
letrte Garbe der Ernte vertreten. Drei stehende Halme band die Frau von
Donnersberg za Oberigling (Oberbaiem) auf jedem Felde, wo Roggen, Weizen
oder Fesen geschnitten werden sollte, unter den Aehren zusammen und sagte,
du gehöre den (mythischen) drei Jungfrauen auf dem Jungfembüchel , oder
ide ließ drei mit weißen Seidenfaden gebundene Kornähren durch ein Kind
aoter 7 Jahren hinlegen. Panzer I, GO, ^^, Drei Aehren wirft man , bevor
die ernte Fuhre vom Felde abgeht, in fließendes Wasser oder Ofenfeaer; drei
Halme Ifißt man hernach für den Oswaldn auf dem Acker unabgemäht stehen
(Niederaltaich a. d. Donau ; Panzer II, 213, 385). Drei Aehren oben in einen
Knoten verschlangen, zuweilen mit Kränzchen aus allen Blumen zusammen-
gebunden, ja sogar mit einem Bröckchen Brod oder einer Nudel besteckt,
bleiben auch in Niederbaiern , Mittelfranken und Schwaben für den Aswald
(Panxer II, 215, 389. 21G, 3^3. 214, 387. 215, 389). In Oberrottal in Ober-
baiem werden beim Schneiden die letzten drei Halme an einen Stock
geknüpft und in einen Strauß Blumen gesteckt, dazu beten alle mit-
sammt drei Vaterunser. Wenn in der Gegend von Schlettstadt ( Elsaß )
beim Heumähen jemand unsauber gearbeitet hat, knüpfen ihm zum Spott die
andern Mäher drei Grashalme oben in einem Knoten zusammen,
lassen sie stehen und nennen das einen Zopf. Wenn die Ernte beginnt,
ichneidet der Bauer drei Aehren, legt sie übers Kreuz auf den Acker und
nagelt sie nach Beschluß der ganzen Ernte an die Haustür
(Oberpfalz. Panzer II, 215, 391). Am ersten Tage der Weizcnemte flicht
in Karst Kr. Neuß Rgbz. Düsseldorf jede Binderin drei Aehren zusammen
und überreicht sie dem Gutsherrn im Namen der h. Dreifaltigkeit. Man steckt
drei Kornähren über den Spiegel, um eine reiche Ernte zu erzielen (Wetterau,
M&mihardt. 14
210 Kapitel UI. Baumseele als Veg^tationsd&mon :
aas der Gegend von St. Eustache bei Annecy^ von der ersten
Handvoll Getreide, welche während der Ernte geschnitten wird,
soviele Halme mit den Aehren aufzubewahren, als man Felder
im nächsten Jahre zu besäen hat. Am ersten Mai schneidet man
ebensoviele Holunderschößlinge, und zwar die jüngsten Triebe
des Baumes, läßt sie am 3. Mai kirchlich weihen, bindet an diese
Zweige jene Fruchthalme an und pflanzt sie ins Saatfeld. Wie
die schwedische Johannisstange und der russische Semikbanm
nach Art einer MenschengestaU aufgeputzt wird (o. S. 157) , der
Leto den Genius der Vegetation in Form einer Puppe zwischen
seinen Zweigen trägt (o. S. 156), sahen wir auch den Emtemaien
(S. 200) bei Meurs zu einer Menschenfigur heranbilden, im Bour-
bonnais mit einem Brodmann (S. 205), in Westfalen mit einer
menschlich benannten Garbe (dem Alten) behängen. Die Weiber
Schlesien, Wattke Volksabergl.^ §. 660). Nach der Ernte legt man in
Franken 3 Kornähren in die Erde, nach deren Wachstum man den Ausfall
der n&chsten Ernte prophezeit. Panzer II, 207, 363. Anch in Schweden
knfipft man hei der Ernte drei Halme oben in einen Knoten zu-
sammen nnd legt einen Stein darauf „für die Gloso*' (Hylt^n-CaTaUins,
Yärend S. 242. Mannhardt, Komdämonen S. 8, nach persönlicher Anschannng).
Ein Gürtel aus drei Halmen um den Leib gebunden, schützt vor Verwundung
mit der Sichel und gegen Kreuzweh bei der Erntearbeit (Panzer U, 214,
386. 217, 396). Drei Halme nach Beendigung des Komschnittes um die
Sichel gebunden bewirken, daß im Winter die Schafe nicht [d. h. wol vor
Hunger nicht] blöken (Kreuzwald -Böcler, der Esten Abergl. Gebr. S. 142).
Die ersten drei blühenden Aehren durch den Mund gezogen schützen vor
tollen Hunden und Otterbiß, und schaffen im allgemeinen körperliches Wohl-
sein (Curtze, Volksüberl. a. Waldeck S. 402. M. Spieß, Abergl. a. d. S&chs.
Obererzgebirge. Dresden 1862 No. 3B8. 436. 445). Der Bilmesschneider in der
Oberpfalz schneidet drei Aehren von der letzten Ecke eines fremden Feldes
und die ganze Ernte fliegt in seine Scheuer (Schönwerth I, 428). Hiemit
hängt wol zusammen, daß die Letten in Kurland vor dem Boggenschnitt je
drei Aehren rings um das Feld mit rotem Garn zusammenbinden, damit
der Jods (der Schwarao, der Teufel) den Segen nicht nehme (Grenzhof in
Kurland). Auch auf St. Walpurgis als Schützerin des Getreide Wuchses (wegen
der Kalenderzeit ihres Tages) gingen 3 Aehren als Attribut über, sowie
weiterhin auf Maria, die in Frankreich als notre Dame de trois ^pis Terehrt
wird und im Elsaß und Plnzgau ihre Kirche gebaut haben will, wo drei
Aehren aus dem Boden aufsprießen (Panzer ü, 8 — 10. Menzel christl. Sym*
bolik S. 36). Hier beruht die Beziehung auf christlicher Symbolik ; Christus
hieß der alten Kirche der Weizen, der auf Marien Acker wuchs ; die Dreizahl
der Aehren ist aber aus dem Yolksgcbrauch herubergenommen. J. Grimm,
R. A. 128. 205 gehören wol nicht hieher.
EniteiDftL Sil
boUen bei den Russen den mit menscUicben Kleidern gesehmttek-
ten PfingstbMim ans dem Walde (S. 157), bei den Wenden den
Kronenbanm ein (S. 173)^ brachten in Wtbrtemberg nnd der Eifel
zu Fastnacht den schönsten Baum ans dem Bosch (S. 174). Wei-
ber werfen in Westfalen den Hörkehnai mn (S. 196) and fahren
im Bheinlande nnd Oloncestershire (S. 200 n. S. 208) den bnnten
Maien nach Hanse; em Arbeiter als Weib verkleidet trägt im
Kreise Saarlonis den gepatzten Tannenbanm in der Hand (S. 201).
Die MaiUmnchen werden den Mädchen (S. 163 ff.)^ der Sommer
(S. 156) einem Yomehm verheirateten Weibe vor die Türe ge-
pflanzt, der Emtemai in Geldern jeder Fraa and jedem Mädchen
flberrdcht (o. S. 201). Alles dieses erweist eine tief-
begrttndete Beziehang des Maibanms zam weiblichen
Geschlechte. Wenn in England der Maypole von 20 — 40
Joch Ochsen eingeholt warde (o. S. 17t) , spannt der rheinlän-
dische nnd normannische Baaer alle seine Pferde vor den Emte-
mai (o. S. 200. 204). In Dorfes Mitte aaf dem Gid>el, Dach
oder über der Tür der geehrten Personen erhält der Maibanm
seinen Ehrenplatz; an der First, aaf dem Dach, ttber der Tür
der Scheaer oder des Herrenhaases wird der Emtemai angenagelt
nnd verbleibt da das ganze Jahr hindarch bis zar nächsten Ernte.
Die schwedische Maistange and den wendischen Kreazbaam
schmttckt ein Hahn (S. 160. 174) ein Hahn begegnete ans bereits
in dem saterländischen Braach, den Lebensbaam aaf die Braat-
hemden za sticken (o. S. 46), so wie aaf dem Wipfel von Mima-
meidr im Fjölsvinsmäl o. S. 56. 183) aach der Emtemai zeigt
sieh so häufig in Gesellschaft dieses Vogels, daß wir darin mehr
als einen bloßen Zufall erkennen müssen.
Wenn nach allen solchen Uebereinstimmangen die Zasammen-
gebörigkeit des Maibaumes and Emtemais außer Frage steht, so
ergeben sich ihre Unterschiede mit Leichtigkeit aus dem ver-
schiedenen Gharacter der Jahreszeit y in welcher sie zar Verwen-
dnng kommen. Der aus dem ergrünenden Walde feierlich ein-
geholte Maibaum stellt den (xcnius der im Frtlhling erwachenden
Vegetation überhaupt dar, als solcher ist er u. a. mit Eiern
behangen y den Sinnbildem des keimenden, sich entwickelnden
Lebens; er hat gewissermaßen einen allgemeinem Gharacter,
deshalb eignet er sich sowohl zum Repräsentanten des Lebens-
baums der ganzen Dorfschafl, als einzelner Personen, wie wir
14*
212 Kapitel III. Baumseele als Vcgetationsdämon :
oben aoseinandergesetzt haben. Der Erntemai vergegenwärtigt
dagegen den Geist des Wachstums zunächst in der ganz
bestimmten Beziehung auf die Kulturfrucht. Daß wir in der Tat
ein begeistetes persönliche^ Wesen unter dem Maien verstehen
sollen, lehren nicht allein jene Ausschmückungen desselben als
Menschenfigur und mit einer Menschenfigur, sondern auch der
Umstand, daß sehr häufig der grüne Emtezweig den Namen eines
Tieres Bauthahn (Emtehahn), Hase, chien de la moisson, Mockel
(d. i. Kuh o. S. 192) u. s. w. erhält. Wir werden nämlich später
durch die unzweideutigsten Beweise uns davon überzeugen können,
daß der Dämon der Vegetation bald in Menschengestalt, bald in
Tiergestalt gedacht wurde, und daß der „Hahn, Hase, Hund,
Kuh'^ H. s. w. genannte Maizweig als Verkörperung dieses Wesens
gedacht sein müsse. Es entspricht wieder genau dem o. S. 4. 69
geschilderten Verhältniß, daß der dem Baum innewohnende
Genius häufig aus demselben heraustretend, sich neben ihn hin-
stellend vorgestellt wird, wenn dem Maibaum eine Lady of the
may, ein Pfingstnickel, ein Johannes genannter Mensch (vgl. o.
S. 181), dem Emtemai ein Herbstschmudl zur Seite tritt, oder
wenn zuweilen an den Baum der innewohnende Komgeist als
aus dem neuen Getreide hergestellter Brodmann, oder leben-
der Hahn (Henne) angehängt erscheint. Der im Baume zur
Erscheinung kommende Dämon sollte aber zugleich als die leben-
gebende Kraft der Baugewächse bezeichnet werden. Um dies
auszudrücken wird der Erntemai in die auf dem Acker stehen
gelassenen letzten Halme hineingebunden (Schwaben), in das
Kornfeld gepflanzt, und unten am Stamm mit der letzten Garbe
oder an den Zweigen mit einzelnen Aehren derselben bewickelt
(Westfalen, Hessen, Frankreich) endlich in das letzte Fader
gesteckt (vgl. o. S. 209). Der Sachse in Siebenbirgen hat poch
den Ausdruck „Kombaum^^ bewahrt, nur stellt er denselben
nicht mehr durch einen belaubten Ast, sondern durch ein Aehren-
geflecht dar (S. 190). Aus späteren Erörterungen wird mit Sicher-
heit hervorgehen, daß man die Anschauung hatte, der Dämon
der Vegetation ziehe sich beim Schneiden des Ackerfeldes immer
tiefer in dasselbe zurück und komme schließlich in den letzten
Halmen, die geschnitten werden, resp. der letzten Garbe, die
gebunden wird, zum Vorschein. Aus diesem Grunde wird diese
Garbe als die wichtigste der gauzen Ernte betrachtet; sie heißt
Erntemai. 213
daher Erntegarbe Aastgarw, Anstebnnd (Rgbz. Stettin, Stral-
snndy PriegnitZy Uckennark, Proy. Sachsen) Ayreneeg, Anrneeg
(Falster), £rngarw, Erntebnnd (Kr. Wanzleben Prov. Sachsen,
Gegend zw. Selke und Wipper); Bantgarwe, Baugarw (Umgegend
T. Dortmund). Sie gilt als der Stamm oder Grundstock, von
welchem die neue Aussaat, der neue Komwachstum des nächsten
Jahres ausgehen soll, in welchem die dcvautg rfTf^rix/; des neuen
Kornes so zu sagen verborgen ruht, und sie erhält daher auch
die Namen Stamm (Kr. Berend Rgbz. Danzig), Grundgarbe,
Stockgarbe (Kr. Simmem, Kr. Zell Rgbz. Goblenz; Kr. St Wen-
del , Kr. Bittburg Rgbz. Trier). Im Kirchspiel St. Laurentii auf
WesMland-Föhr (Schleswig) werden beim Einfahren des Korns
2 — 3 Garben zu einem Gebunde zusammengebunden, welches
skaf (d. h. Schof , ags. skeäf, engl, sheaf) genannt wird. Von
dieser Garbe erwartet man Glück und Reichtum in der nächsten
Ernte. Dafür zeugt ier Ausdruck Glttcksgarbe (Loslau Kr.
Rybnik Rgbz. Oppeln), oder Glttckshämpfeli, Glttckskorn
für die letzten Halme, um welche vor dem Abscheren das ganze
Geschnitt niederkniet und 5 Vaterunser betet, worauf sie zum
Kranz verflochten zu. Hause in der Nähe des Kruzifixes auf-
gehängt werden (Kanton Zürich und Thui^u). Weil die mensch-
liche Begehrlichkeit den nächstjährigen Ertrag in jedem Falle
noch größer wünscht, als den diesjährigen, schilt sie die letzte
Garbe Lügengarbe, Lögengarw (südwestl. Mecklenburg), Heuchel-
garbe (Kr. Mayen und Kochern Rgbz. Coblenz; Eifel), indem sie
anf listige Weise durch den Vorwurf*, heuer die gerechte Erwar-
tung getäuscht zu haben, den Dämon der Vegetation bei der
Ehre fassen und zu noch größerer Anstrengung in Zukunft ver-
anlassen will. Diesen Namen und Auffassungen entspricht tätlich
die*7ielfach durch ganz Deutschland und Skandinavien bewährte
Sitte, die Kömer der letzten Garbe, oder des Erntekranzes ge-
sondert aufzubewahren und unter das erste Saatgetreide zu
mischen. Es ist hienach wol unverkennbar, was der Erntemai
in der letzten Garbe zu bedeuten hat. Er ist die Gewähr
eines guten Gedeihens der neuen Aussaat. Sehr deutlich läßt
diesen Gedanken die savoyische Sitte aus St. Eustache erkennen,
die Aehren des ersten Emteschnitts an einen in das Saatfeld
gesetzten Baumzweig zu binden (o. S. 210). Unter dieser Vor-
aussetzung erklärt sich auch der vom Maibaum aus England
214 Kapitel III. Baomseele als Y egetationsdftmon :
(o. S. 171)) vom Erntemai aus dem Rheinland und der Nonnandie
belegte Umstand, daß 40 — 50 Joch Ochsen, resp. alle Bosse
oder Zugtiere des Gutsbesitzers vorgespannt werden, am den
Maien einzuholen, auf befriedigende Weise. Nach der Abeidit
seiner Veranstalter sollte dieser Brauch symbolisch dtis Gewicht
des Vegetationsgeistes ausdrücken, den alle verfligbare Zugkraft
kaum von der Stelle bewege; so wünscht und erwartet man,
werde er sich in der Schwere und Fülle der Garben bei der
nächst folgenden Ernte bewähren. Gradeso wird der hahngestal>
tige Komdämon, derEmtehahn, auf einem leeren mit 4 Pferden
bespannten Leiterwagen zur Stätte des Hahnköpfen» gefahren,
um seine Schwere und diejenige der erwünschten Zukunfibemte
KU bezeichnen.^ Mit einem Worte, die Sitte ist ein Zauber,
welchem sich ein zweiter ganz ähnlicher Zauberbrauch anreiht
Der Erntemai oder die letzte Garbe, der Erntekranz, oder der
diese einbringende Arbeiter (Arbeiterin)« wird mit manchem
Kübel Wasser begossen „de Hörkelmai draf net dröj inkom-
men.'^ Diese in Deutschland, Frankreich, England bekannte
Sitte erstreckt sich über ein weites Gebiet, auch wo kein Ernte-
mai bekannt ist, und vielfach (z. B. allgemein in Ungarn, Sieben-
birgen, Rumänien, Masnren u. s. w.) sind sich die Ausüber dabei
noch ganz klar und bestinmit der Absicht bewußt und sprechen
sie aus , auf diese Weise hinreichenden Regen auf die Saat des
nächsten Jahres heraheulocken ; geschähe das nicht, so werde nach
ihrer Meinung die Fddfrucht an Dürre zu Grunde gehen. * Bei
1) Mannhardt, Eorndamonen S. 16.
2) Ich will statt vieler anderen zwei schon gedruckte Zeugnisse her-
setzen. Wer bei den Walachen der Magd begegnet, welche das ans den
letzten Aehren gefertigte Kreuz einträgt, eilt herbei sie mit Wasser zu
begießen; an der Türe des Grundbesitzers sind eigens zwei Knechte zu die-
sem Behufe aufgestellt. Würde sie nicht begossen, so müßten im
folgenden Jahre die Früchte an Dürre zu Grunde gehen. Schuster,
Woden. Hermannstadt 1856 S. 40. Matthaeus Praetorius , Pfarrer zu Nie-
budzen bei Gumbinnen zeichnete zwischen 1670—1680 aus der Volkssitte
der dortigen Litauer auf: Wenn beim Säen die Arbeitsleute Abends barfuß
mit ihren Ochsen, Pflügen und Pflugeisen nach Hkiuse kommen, passen ihnen
die Wirtin, die Magd und anderes Gesinde mit einem Stüppel Wasser an
der Türe auf und begießen die Arbeiter pfützennass. Die Arbeitsleute , auch
nicht fjEiul^ fassen ihre Begießer ohne alles Ansehen der Person an, werfen
sie in den Teich, tauchen sie auch gar unter das Wasser und spülen sie also
Erntemai. 215
üdyarfaely in Siebenbirgen geschieht dies so, daß eine vorher
dasn bestimmte Person (Mann oder Mädchen) einen Kranz von
den letzten Aehren anf dem Kopfe, den Leib mit den Kom-
halmen nmwnnden trägt Ins Dorf geführt, wird sie bei
der Ankunft über and über mit Wasser begossen. Dnrch
sie ist der Komdämon persönlich dargestellt An einzelnen
andern Orten (z. B. Eckamp Kr. Düsseldorf) wird der Begenzanber
wieder in der Form geübte daB nach Beendigung der Ernte die
Binderin von den Mähern ins Wasser, einen Teich
oder Bach geworfen wird;^ freilich erlosch hier die Erinne-
ning an die ursprüngliche Meinung des Brauches, man giebt als
Zweck an „den Bau (die Ernte) abzuwaschen.'^ Noch andere
sehon verfolassende Gestalten der Sitte sind die Begießung oder
Besprengung des Emtemais oder der letzten Halme auf dem Felde
mit Weihwasser, Bier oder Wein (vgl. S. 204. 207). Auf die
nämliche Absicht möchte ich die vielfach belegbare Sitte zurück-
führen, in die letzte Garbe eine Flasche mit Getränk ein-
zubinden, die beim Dreschen zum Vorschein kommt, und mit
vielem Jubel verzehrt wird (Kr. Labiau und Stalupönen Rgbz.
Gnmbinnen); oder der Bauer versteckt eine Flasche Brantwein
in diejenige Ecke des Ackerfeldes, welche voraussichtlich zuletzt
geschnitten werden wird (Quimper D^p. Finistere; Gegend von
Dieppe).' Auch in Schweden legt man in die erste Garbe beim
Sehneiden eine Bouteille Brantwein, um die Gunst des Tomto-
gabbe zu gewinnen (Langtora -Säteri in Upland), oder man
bindet in die erste Garbe beim Dreschen eine Bier- oder
Brantweinflasche und einen harten Kuchen (Smäland). In Katz-
dangen bei Hasenpoth in Kurland vergräbt man ins Flachsfeld
eine Flasche mit reinem Wasser, dann soll der Flachs rein von
rein ab , wiewol sieb ancb die Wirtin mit einer Gabe losmacben kann, zumal
wenn sie schwanger ist. Dies bedeutet, daß Gott zu rechter Zeit
der Saat genug Wasser geben wolle. Und bei der Ernte steht wie-
derum, wenn der Xomschneider mit dem Kranze aus den letzten Aehren nach
Hause kommt, die Wirtin mit ihrem Stüppel Wasser da und begießt ihn,
dabei wünschend, wie vom Wasser das Getreidig gequollen und sich Yor-
mehret, so quelle und mehre es sich in meiner Scheune und Speicher.
M. Praetorius, Deliciae Prussicac oder Preußische Schaubühne ed. Pierson
Berlin 1871 p.55— 60.
1) Vgl. aus Masuren, Toppen, Aberglauben aus Masuren* S. 95.
2) Vgl. Strackeijan , Aberglaube und Sagen a. Oldenburg II, S. 78, 362.
216 Kapitel III. Banmsecle als Vegetationsdämon:
Unkraut aufgehen. Bei Teresiopol in der Gegend von Temes-
war in Oberungarn stellen die serbischen Schnitter die letzte
Garbe auf einen Stock und hängen eine Flasche Was-
ser daran, damit Gott im nächsten Jahre Regen
gebe. In der Umgegend von Spalatro in Dalmatien wird bei
der Ernte ein Kranz geflochten und nebst einer Flasche
voll Wasser an einem Olivenbaum aufgehängt Ist
die ganze Ernte beendigt, so wird das Wasser im Weingarten
ausgegossen. Hier sieht man die Mittelglieder, welche deutlich
machen, weshalb die Ausschmückung mit Flaschen oder Krügen
voll Flüssigkeit [auch hier sind Bier und W^in deutlich jüngere
Formen für Wasser] ein aus der Idee desselben entsprieBendes
Zubehör des Maibaums sowohl, als des Erntemais bildet (o. S.
208). Die speziellere Beziehung des Erntemais auf die Kultur-
frucht zeigt sich auch darin, daß ihm gemeinhin ein Verbleib an
oder über dem Tor oder auf dem Giebel der Kornscheuer
angewiesen wird. Gradeso wird oftmals auch da, wo der Em-
temai unbekannt ist, die letzte Korngarbe auf das Dach der
Scheune gebunden (z. B. Heddesdorf Kr. Neuwied), oder von
den Dreschern an das Scheunentor genagelt (Kr. Schäßburg Sie-
benbirgen), ebenso der auf dem letzten Fuder heimgebrachte mit
bunten Bändern und Bildern gezierte Erntekranz, allgemein im
Odenwalde, sowie vielfach im übrigen Hessen -Darmstadt und
Kurhessen an der Türe der Scheune mit Nägeln oder Bändern
befestigt. Nach der vorhin S. 213 auseinandergesetzten Bedeu-
tung der letzten Garbe kann hiedurch kein anderer Gedanke aus-
gedrückt sein, als der Wunsch, daß das Numen der Vegetation
auch über der Weiterfortpflanzung der in der Scheune gebor-
genen Nährfrucht segnend wachen und walten möge. Von dem
Boden dieser Anschauungen aus erklärt sich auch das ungewöhn-
liche Hervortreten der Framn in den Bräuchen des Erntemai.
Vertritt derselbe nämlich das lebeugebende Princip des Kom-
wachstums, so muß, um diesen vollständig darzustellen, auch
noch das empfangende, hervorbringende zur symbolischen
Abbildung gelangen. Der im Acker grünende Lebensbaum stirbt
mit der Ernte ab, aber aufs neue soll er gepflanzt werden in
der Erde Schoß, und daraus Früchte hen^ortreiben. Darum
gehört er den Frauen zu eigen , darum dürfen nur diese ihn aus
dem Boden reißen und nach Hause fahren, resp. im Frühjahr
I Erntemai. 217
ans dem Walde ins Dorf holen (o. S. 1 74). ^ Diese ihre Tätig-
keit schien den Alten eine Gewähr, daß die ins Feld gestreute
neae Saat auch die hervorbringende Muttererde, den großen
Lebensehoß, günstig finden werde. Hier sind also die Frauen
rein sinnbildliche Vertreterinnen einer allgemeinen Idee, weshalb
ohne Anstoß auch Jungfrauen an dem Brauche sich beteiligen.
Es ist aber nun klar, wie in Folge des schon mehrfach von uns
bemerkten Qlaubens an Sympathie zwischen Menschenwachstum
und Pflanzenwachstum verheiratete Frauen , gleichsam das Frucht-
feld darstellend, dazu kommen konnten, von dem Maibaum
(Kreuzbaum) und Yärdträd (vgl. Mimameidr) o. S. 52. 56. 174 als
den Repräsentanten der Zeugungskraft , Kindersegen resp. leichte
Entbindung zu erwarten. Aehnlich ist es ja, wenn der vor das
Fenster des Mädchens gesetzte Maibaum mit dem Lebensbaume
ihres geliebten Burschen identifiziert wird (o. S. 184). Ganz aber
beschränkt sich auch der Erntemai auf die engere Beziehung zu
den Cerealien nicht. In seiner Ausschmückung mit Früchten
jeder Gattung, mit Nüssen, den Sinnbildern der Fruchtbarkeit
und Zeugung (o. S. 184 u. S. 199), mit Kuchen und mancherlei
Speisen bricht das Bewußtsein durch, daß er zusammenfassend
die Vegetationsenergie des gesammten Anbaues, die große Nah-
ningsspenderin der Menschheit darstelle; ein weiteres Gebiet
weist ihm sein Gebrauch bei der Weinernte und auf dem letz-
ten Heufuder an; also auch im Graswuchs erkannte man das
nämliche Numen wirksam, das im Komwuchs und Baurawuchs
waltete [der Baum als Verkörperung des Vegetationsgeistes im
letzten Heufuder und der letzten Getreidegarbe entspricht den
über die letzte Korngarbe und Heubttndel gebietenden Holzfräu-
lein o. S. 77 flF.]. Und so fehlt die schon vielfach, namentlich
behn Maibaum nachgewiesene sympathische Verknüpfung des
Pflanzenlebens mit dem auim^chen Leben auch insofern nicht
ganz, als zuweilen der Enitemai statt auf der Getreidescheune
auf oder an dem Stallgebäude, oder an der Wand
oder über der Tür, resp. auf dem Dach, oder an dem
Schornstein (zuweilen unter der Heerdkappe) des Her-
renhauses bis zur nächsten Aussaat, oder bis zur
1) An einzelnen Orten treten doch männliche Einholer hiefür ein.
S- nnten §. 8.
218 Kapitel III. Banmseele als Y egetationsdämon :
nächsten Ernte seinen Platz findet Denn hier kann
nur die Meinung obwalten, daß das Namen der Vegetation
die Tiere und Menschen frisch und gesund und bei zunehmen-
dem Gedeihen erhalte. Es läuft ganz parallel , daß die Banm-
seele zum Hausgeist, Klabautermann und Schutzgeist der Familie
und des Hofes (Yärd, Värdträd) wird (o. S. 44. 51) und daß die
Holzleute , Fanggen , Schrate und ihre ganze Sippschaft die JEtoUe
von Penaten spielen (o. S. 153). Recht deutlich als den (xeniiia
des Wachstums bewährt den Emtemai die o. S. 205 aus dem Bour-
bonnais mitgeteilte Sitte ^ den den Dämon darstellenden, aus der
neuen Frucht verfertigten, an den Baum gehängten Brodmann za
zersttlckehi und stückweise zum Essen unter das Volk zu vertei-
len. Denn nur böswilliges Nichtsehenwollen könnte in diesem
Brauche dieselbe Absicht verkennen, welche beispielsweise auf
der Kingsmillgruppe der KaroUneninseln die Einwohner leitet,
wenn sie (die doch un übrigen keine Kannibalen sind) die Kör-
per der im Kampf erschlagenen berühmten Krieger kochen, zer-
stückehi und zum Genüsse unter sich verteilen, in dem Wahne,
daß auf -diese Weise in einen jeden von der Tapferkeit des g^Sal-
lenen Helden etwas übergehen werde. So erwartete man von
dem Genüsse des Vegetationsdämons emen Zusatz von Stärke,
Kraft und Gesundheit. Endlich giebt sich der Emtemai als ein
Gegenstand wahrhaft religiöser Beehrung, als Verkörperung eines
Numen dadurch kund , daß die Schnitter um ihn (wie das Gltteks-
hämpfeli o. S. 213) niederknien und ein Gebet verrichten (o. S.
192 u. S. 203) denn diese Sitte sieht nicht wie ein christlicher
Zusatz zum alten Brauche aus.
§. 7. Blehtmai. Noch in verschiedenen andern Formen und
Anwendungen tritt uns das bisher als Maibaum und Emtemai
betrachtete Gebilde in der Volkssitte entgegen. Es Hegt nahe
hier zunächst diejenige Gestaltung anzuschließen, welche dasselbe
bei der Haushebung oder Hausrichte annimmt. Ich wähle nur
ein paar prägnante Berichte aus dem deutschen Norden und Süden
aus , um die wesentlichen Züge des Brauches deutlich zu machen.
Wenn in der Rheinprovinz das Holzgerüste eines neugebauten
Hauses fertig gezimmert war, so wurde die Gemeinde zum fest-
lichen „Maienaufsteckcn" geladen. Eine stattliche Maibuche
wurde unter fröhlichen Liedern mit Blumen, bunten Bändern,
Eier schnüren und anderm Flitter geschmückt und unter feier-
Bichtmai. 219
lichem Gepränge aaf dem Gipfel des Hauses als Zeichen der
Vollendung befestigt An der Spitze des Maibanmes prangte die
Krone y der Kinneskrone ähnlich ^ von den Mädchen des Dorfes
aas Blnmen und buntem Flitter gestaltet Sie wurde von den
Barschen mit Musik abgeholt und die Mädchen trugen sie
in festlichem Zuge. Der Zimmermeister oder einer seiner
redegewandesten Gesellen bestieg das dazu auf der First eigens
verfertigte Gertist und hielt die sogenannte Baupredigt, wobei er
in herkömmlicher schwulstreicher Rede das ehrsame Zimmerhand-
werk pries, mit frommen, oft sinnigen Worten Gottes und aller
Himmelsmächte Schutz filr das Gebäude und seine künftigen
Bewohner erflehte und das fertige Gerippe der Maurerarbeit über-
gab. In der Krone des Maibaums aber war ein fei-
nes seidenes Halstuch befestigt, auch wol ein Geldstück
in die Ecke eingebunden, das nestelte der Prediger los als sei-
nen herkönmilichen Lohn. Die ganze Dorfschaft, ja die ganze
Umgegend lief zu dieser Baupredigt zusammen und ein festliches
Gelage und Tanz schloß diese Feier. ^ Ganz ähnlich schildert
H. Hartmann aus dem Fürstentum Osnabrück den Hei^ang.'
Wenn der Hausgiebel aufgerichtet ist, folgt die feierliche Umher-
ftihrung des Kranzes , die Befestigung am Giebel und der Meister-
spruch (Sermonie). Die Gesellen haben nämlich den Nach-
barstOchtern und Mägden einen hübschen Tannen-
baum übergeben und diese ihn mit Schnüren von bunten Eiern,
Bändern und Fähnchen stattlich ausgeschmückt Seine
Hauptzierde bildet ein Kranz, der auf 4 kreuzweise gebun-
denen und im Baume befestigten Stäben ruht. Wenn nun die
Haushebung vollendet, und dieses durch weithin schallendes Ket-
tengerassel von dem Boden des neuen Hauses der Gesellschaft
angezeigt ist, gehen die Gesellen hin, fordern den Kranz
von den Mädchen und einen mit dem Trinkgelde geftUlten
Krag von dem Bauherrn. Nachdem die Mädchen die Mützen der
Zmimergesellen ebenfalls mit grünen Tannensträußen (Prull)
geschmückt haben, bewegt sich der festliche Zug mit einem
Musikcorps und dem von den Kranzjungfem getragenen Kranze
voran, welchem zunächst der Zimmermeister mit voller
1) Montanus, die deutschen VoUcsfeste. Bd. II. Iserlohn 1858. S. 98.
2) H. Hartmann, Bilder aus Westfalen. Osnabrück 1871. S.85ff.
220 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdämon
Flasche iu der Hand nnd znletzt alle bei der Hanshebnng
beschäftigten Personen folgen, über die Straße des Dorfes. Der
Zimmermeister teilt fleißig den Umstehenden von dem Inhalt sei-
ner Flasche mit. Sobald der lärmende Zug nach dem neuen
Hanse zurückgekehrt ist, %vird der Kranz oben am vordem Gie-
bel desselben befestigt und der Meisterknecht (Altgesell) steigt
mit dem mit Geld und Bier geflillten Kruge hinan und hält die
„Sermonie." Hiemit vergleiche man den Bericht von Rochholz
aus dem Aargau. ^ Bei dem Fest der „Aufrichte" des nengeban-
ten Hauses bringt man ein Tannenbäumchen voll Gold-
papier und Blumen herbei und trägt es jubehid dreimal
ums Haus. Bereits steht der Zimmermeister droben auf dem
Firstbalken , hält die Kranzrede und ermahnt die Hausfrau , ihm
diesen Baum zum allerschwersten zu machen. Letz-
teres ist nach Möglichkeit geschehen. Die Kinder haben das
Bänmchen mit einem schwebenden Blumenreifen um-
geben, der Hausherr hat große und kleine Geldstücke drange-
hängt, die Hausfrau dazu em nagelneues Hemd und bunte
Tücher, an deren Zipfel abermals Trinkgeld geknüpft ist 'Nun
wird er am Seil aufgezogen, auf die First gesteckt und in
des Meisters Schlußwort beschworen, alle Blitze und Stürm
ferne y das Haus aber auf Khideshind grünend und blühend »
erhalten. Mit geringen Abänderungen (es trat z. B. mehrfach d
alleinige Krone an die Stelle des mit ihr geschmückten Baume
reicht die besprochene Sitte durch ganz Deutschland; sie
z.B. in Oldenburg und Holstein ebensowohl, als in Hessen,
Hennebergischen, in Ost- und Westpreußen u. s. w. zu Har
Ein Gedicht aus saec. XVIII „Augsburgisches Jahr einmal"' r
uns eine eigentümliche Form der Sitte. Im Maimonat
vor dem Neubau ein das Dach desselben überragender
aufgepflanzt.
Sobald als nur ankommt der Maien
Sich Zimmerleut' und Maurer freuen
Und stecken vor des Bauherrn Haus
Ein Tannenbaum, der drüber 'naus
Weit gehet.
1) Deutscher Glaube und Brauch. Bd. IL Berlin 1867. S. 9
2) S. Spieß, Volkstümliches a. d. Frank. Henneberg. Wien 1
Mtilhause, Urreligion. Cassel 1860. S. 236.
3j Birlinger in Bartsch, Germania XVH, S. 87.
Braotmaie. 231
Ans anfieren bisherigen Aaseinandersetzimgen ergiebt sieb
FOD selbst ihre Bedeatung, welebe auch der firomme Kiebt-
gprach des aargauischen Zimmermeisters hinreichend klar erken-
nen läftt Wie der auf dem Dac^e angebrachte Emtemai,
stellt der Bichtemai den Grenius des Wachstums dar, der als
guter Hausgeist allezeit über der neuen Wohnstätte walten
soll. Wie Maibaum und Emtemai ist er darum mit Eiern,
filomen, Bändern und Tüchern [wovon Hemd und Taschen-
tficher nur durch praktische Verwendung bedingte Modemisie-
nu^n sind] mit einem Kranze (der zur Krone wurde, da er
uweilen wie auch beim Maibaum o. S. 176 den Stamm als Keif
Qmschwebte o. S. 220) geziert, von den Frauen geschmückt
and geleitet; wie jene wird er vor der Aufrichtung in feierlicher
Proz^sion durch's Dorf, um das Haus geführt. Eigentümlich ist
die Beschwerung des Baumes mit Geld ; sie entspricht dem Wun-
sche, daß es den Bewohnern des neuen Hauses nie an großer
and kleiner Münze fehlen möge. Hiemach dürfte auch der halb
mit Geld, halb mit Bier geftillte Krug daraufhinweisen, daß das
in so bedeutungsvoller Weise den Bichtemai oder die Bichtekrone
begleitende Getränk möglicherweise eine Sproßform jenes frtlher
(o. S. 215) besprochenen Begeuzaubers sei, und die Idee enthalte,
dem gedeihlichen Wachstum der hier ansäsaigen Familie solle
der himmlische Bogen, die Feuchtigkeit nicht fehlen.
§. 8. Brautmale. Als Lebensbäume, als Gegenbilder der Braut-
leute wurden, wie wir o. S. 46 gewahrten, auf dem Brautwagen oder
vor dem Hochzeithause grüne Bäume aufgepflanzt. Nahverwandte
Ideen fanden wir im Sommer, Maibaum und Emtemai verkörpert
Der nach Austragung des Todes eingebrachte mit Gold- und Silber-
papier und bmiten Bändern geschmückte, grüne Baum, der Som-
mer, wird in Böhmen mehrfach als Vorzeichen glücklicher Ehe,
vor dem Hause der vornehmsten Neuvermählten aufgesteckt.
Zur Bestätigung dieser Nachweisungen gereicht es, daß wiederum
der bei der Hochzeit aufgei)flanzte Lebensbaum gradezu die beim
Maibaum und Emtemai hergebrachte Ausrüstung annimmt. In
Leipzig überbrachten die Jungfrauen der Braut einen mit Kinder-
klappem, kleinen Schüsseln und bunten Bändern gezierten Baum
unter Absingung eines Liedes, welches das Lob der Neuver-
inählten und einen Glückwunsch enthielt und mit den Worten
begann :
282 Kapitel m. Banmseele alg VegetationsdAmon:
Wir bringen der Braut eine Meye,
Der Blümlcin sind manoherleje.^
Deutlich vergleicht sich der nachstehende Brauch der mehrfach
erwähnten Anbindung von Hahn oder Oans an das Bonqaet de
la moisson (o. S. 206). Wenn in Camac (Bretagne) die junge
Frau nach der Trauung ans der Kirche kommt, überreicht
man ihr einen ungeheuren Lorbeerzweig, an dessen
Ende (extr^mit^) ein Vogel angebunden ist, dem man
nun die Freiheit giebt.' Dem mit Aehren geschmückten Hai-
baum S. 193 ff. und Emtemai o. S. 171 entspricht die Sitte der
Klein russen in Wolhynien. Wenn der von der Trauung heim-
kehrende Hochzeitzug dem Hause des Bräutigams nidit, so
schmückt man daselbst einen Laib Brod und einen Tannen-
oder Fichtenast mit Waldholunder, weißen Blüten
und Aehren von Korn und Hafer. Der Bojarin (Hoch-
zeitfUhrer) trägt die Tanne mit den darangebundenen Aehren, ein
Starost das Brod und so ziehen beide ins Haus der Braut. Beim
Erscheinen der Tanne muß die Braut schamhaft ihr
Gesicht auf den Tisch legen und es sorgfältig ver-
bergen. Der Bräutigam geht dann dreimal um den Tisch,
nimmt ein Tuch, richtet den Kopf der Braut gewaltsam auf,
küßt sie und setzt sich wieder neben sie. Der Bojarin stellt die
Tanne, der Starost das Brod auf die Mitte des Tisches dem
Brautpaar gegenüber. Die Brautmutter beschüttet ihren Schwie-
gersohn mit Nüssen (o. S. 184) und Hafer und besprengt ihn mit
Weihwasser. Auch der erste Strauß Kornähren gehört ihm,
worauf die Brautjungfern allen Anwesenden dergleichen Sträuße
anstecken.^ Bei den Kleinrussen in der Ukraine wird am Tage
1) P. Ch. Hilscher, de ritu Domioicae Laetare, quem yulgo appellant
den Tod austreiben. Lips. 1690. §. 17. Der Liedaufaug ist entlehnt dem
Gesänge bei der Einbringung des Sommers. Cf. Büsching, wöchentl. Nach-
richten T, 1816. S. 183:
Nnn haben wir den Tod hinausgetrieben
Und bringen den lieben Sommer wieder,
Den Sommer und den Meyen;
Der Blümlein sind mancherleyeu. ^
2) De Nore, Coutumes mythes et traditions 193.
3) J. V. Düringsfeld und 0. v. Heinsberg - Düringsfeld , Hochzeitsbuch.
Leipzig 1871. S. 39.
Bnatnude. 2S8
vor der Hochzeit der Eorowaj oder Hochzeitknehen von den
Fraoen aas der Verwandtschaft des Bräatigams in dessen Hanse
nter Absingong bestimmter Lieder gebacken nnd zwar schicht-
weise aas Weizen - nnd Boggenmehl. Tannenzapfen [wegen ihrer
Wden Samen Symbole der Fmchtbarkeit] bilden seine äußere
Seide, vier ganze Eier (s. o. S. 158) in der Schale nnd eine
MllBze sind hineinverbacken. Während des Backens schmückt
die Braut mit ihren Brautjungfern die vom Bräutigam gefUUte
nnd in ein groBes Brod auf dem Tisch hineinge-
pflanzte „Maie^^ (Fichte oder Tanne), indem sie dieselbe mit
Gewinden oder Sträußen von Sinngrttn, Waldholunder oder
gemachten Blumenkriinzen behängen, auch wol brennende
Lichtchen auf die Aeste kleben. Eine gleiche Maie wird
im Brauthause verziert lieber den Korowaj wird der Braut-
sehleier gebreitet Am Hochzeittage selbst wird der Korowaj
neben die Maie auf den Tisch gesetzt, sodann der erstere zer-
schnitten und derart verteilt, daß jede anwesende Person ein
Stock erhält und auch die abwesenden Verwandten bedacht wer-
den.^ Die Protestanten im Gömörer Komitat (Ungarn) richten
am Vorabende der Hochzeit vor dem Branthause den Tttchel-
baum auf, einen graden jungen Stamm, an dessen Spitze ein
Tuch nebst Bändern nnd Bretzeln befestigt wird. Da die Hoch-
zeiten ziemlich zu gleicher Zeit gefeiert werden, so kann von
der Zahl der Tüchelbäume auf die Zahl der Bräute im Dorfe
geschlossen werden. Sobald der beladene Brautwagen sich mit
der Braut in Bewegung setzt, haut ihr Kutscher vorher den
Tflchelbaum nieder und nimmt was an der Spitze hängt ftlr sich,
dann erhält jeder andere Kutscher auch ein Tuch.* Bei den
Serben bringt die Frau des Kum (Gevatters) am zweiten Hoch-
zeittage einen Holunderzweig „das grüne Berglein" genannt,
woran Aepfel, Pflaumen, Haselnüsse, Puppen, Tauben und Ket-
ten aus vergoldetem Papier befestigt sind. Der „grüne Berg'*
wird am Balken über dem Eßtisch des jungen Paares aufgehängt,
am letzten Tage der Hochzeit aber versteigert, oft um 200—300
Dukaten, die der Braut zufallen.'
1) Reinsberg-Düringsfeld, Hochzeitsbnch S. 33. 36.
2) Reinsberg-Düringsfeld, Hochzeitsbucb S. 46.
3) Reinsberg - Büringsfeld . Hoohzeitsbucb S. 85.
224 Kapitel III. Banmseele als Yegetationsdamon:
§. 9. Christblock und Wellinaehtsbaiiui. Auch mehrere
Weihnachtsgebräuche fügen sich in die Reihe von Sitten ein^
deren Haaptglied wir in dem Maibaam und Emtemai kennen
gelernt haben; zugleich aber bieten sie uns interessante Belege
ilir den Zusanmienfluß Yorchristlicher und christlicher Ideen. IKe
erste dieser Sitten findet sich noch am vollständigsten auf slayi-
scbem Boden erhalten; ans den dort bewahrten Formen wird
auch die schon mehr abgeschliffene Gestalt des nämlichen Brau-
ches bei Romanen und Germanen verständlich.
In Masuren bricht der Gemeindehirt am zweiten Weihnächte-
feiertage schöne grade Birkenreiser und geht damit von Haas
zu Haus, um seine Kaiende einzusanmieln. Dann zieht die Haus-
frau bei Leibe nicht mit der bloßen Hand, sondern achtungsvoll
mit den von der Schürze umwickelten Fingern eine der
Ruten unter seinem Arm hervor, legt sie auf den Eßtisch (ja
nicht anders wohin), bringt sie auf den Boden und steckt sie
endlich in das vorrätig gedroschene Getreide, die Aeste
nach oben d. h. in der Stellung eines wachsenden Schößlings^
und läßt sie dort bis zum 25. März (matka boza Maria Verkünd.).
Dann wird die erste Furche mit dem Pfluge gezogen, weshalb
die Jungirau Maria matka otworna d. i. die öffnende heißt An
diesem Tage zieht die Bäuerin die Rute heraus, geht ohne zu
sprechen und sich aufzuhalten nach dem Stalle und treibt damit
das Vieh zum erstenmale auf die Weide hinaus, das fortan stäts
grade nach Hause kommen und unterwegs nicht stehen bleiben
und brüllen wird.- Hiemit vergleiche man die südslavische Sitte.
Bei den Serben und Kroaten heißt der Christabend badnji dan
oder badnji ve(3(er); an diesem Abend werden für jedes Haus^
zwei bis drei junge Eichen gefällt, die abgeästet den Na-
men badnjaci (Sing, badnjak) llihreu, und bei eintretender Däm-
merung ins Haus gebracht und aufs Feuer gelegt werden. Das
Fällen geschieht in einigen Gegenden vor Sonnenaufgang und
zwar, indem die Bäume mit Getreide unter den Worten „dobro
jutro i Cestit ti badnji dan, guten morgen Weihnachtstag"
beschüttet werden. In Risano und andern Orten von Niederdal-
1) So steht die Wünschelrute „üfrecht" Myth.-« 926. Kuhn, Herab-
kuuft des Feuers S. 234.
2) W. Toppen . Abergl. a. Masuren. Aufl. 2. S. % vgl 6S.
Chrifiblock und WeüuiMbtflbftiiir. 225
matiai mnwinden die Franen nnd Mädchen die Eichenstämme
mh roter Seide, Zwirn nnd Golddraht, schmücken sie mit Lior-
beerblittem und verschiedenen Blumen. Während die badnjaci
io8 Haos getragen werden , werden anf beiden Seiten der Türe
Renen angezflndet Ist der Hausvater bei eintretender Dämme-
mg mit dem ersten Baumstamme über die Schwelle getreten,
M> spricht er den oben erwähnten Spruch, und wird dann von
dnem Hansgenossen mit Getreide beschüttet.
Statt des Beschüttens mit Getreide hat man an einigen Orten
dttBegieBen mit Wein und in Risano wacht stäts jemand
kenn Feuer, um den badnjak, wenn er durchbrennen will, mit
dem Werne zu begießen. Den ernten Besuch am Weihnachtstage
kilt man für wichtig, weswegen man hiezu jemanden bestimmt.
Um rieh vor jedem Unberufenen zu schützen, geht an diesem
Tige in der Regel niemand als ein solcher polaznik m ein frem-
des Haus; er erscheint am frühen Morgen, flihrt im Handschuh
Getreide mit sich und schüttet dasselbe vor der Türschwelle mit
den Worten aus: Hristos se rodi (Christ ist geboren), worauf
einer von den Hausgenossen ihn ebenfalls mit Getreide beschüt-
tend erwiedert: va istma rodi (er ist wahrhaftig geboren). Da-
nach begiebt sich der ))olaznik unter Beglückwünschungen zu den
badnjaci, nimmt die Feuerschaufel und schlägt damit auf den
brennenden badnjak, daß die Funken stark umherfalleu und
spricht dabei einen Wunsch ttlr das Gedeihen der Kühe, Pferde,
Segen, Schafe und der ganzen Wirtschaft, worauf er die Asche
anseinanderschürt und einige Mtlnzen hinein, oder auf den
badnjäk wirft. Denselben läßt man übrigens nicht ganz verbren-
nen, sondern nimmt die letzten Enden vom Feuer,
löscht sie aus und legt sie zwischen dieÄeste junger
Obstbäume, was deren Wachstum befördern soll.^
Die Albanesen der Ri^a verbringen die Nacht vom 23. — 24. De-
zember wachend am Feuer, welches die ganze Nacht unterhalten
1) Stephan Vok, Montene^o und die Montenegriner. lieiscn und Län-
«ierbeschreibungen der altern und neuesten Zeit. Lf. XT. Stuttg. und Tü-
längen 1837. S. 103 ff. Gr. Krek , über die Wicbtijrkeit der slav. traditio-
nellen Literatur. Wien 1869. H. 24. lieber Badnjak vgl. auch Snegireff,
Volkutftmliche Festtage und abergläubische (iebriiucbe der Russen. 4 Bde.,
Miwkau 1837. Bd. II, S.7ff. (russ.).
MtABhardt. 15
226 Kapitel lU. Banmseele als Yegetationsdämon:
wird und legt an dasselbe drei Kirschbaarnzweige, welche, nach-
dem sie eine Weile gebrannt haben, zarückgezogen nnd aufbe-
wahrt werden. Diese Operation wird mit denselben Zweigen am
1. Janaar (8t Basilins) und am 6. Januar (Theophania) wieder-
holt. Endlich werden diese Zweige zugleich ndt der in den drei
Nächten, in denen dieselben brannten, gesammelten Asche zur
Fruchtbarmachung in den Weinberg geworfen.^ Die sttdfranzö-
sische Sitte, wie sie in Perigord heimisch ist, lajsse ich deNore'
schildern: La souche de No^l joue un grand röle ä la föte
du solstice d'hiver. L'habitant de la campagne croit qu'elle doit
etre principalement de prunier, de cerisier ou de ch^ne, et qae
plus eile est grosse mieux eile vaut. Si eile brüle bien c'est
d'un bon augure, le ciel la b^nit Les charbons et les cendrea^
qi\^on recueille avec grand soin, sont excellents pour gniörir les
glandes engorg^ ; la partie du tronc que le feu n'a pas consomee
sert aux bouviers pour faire le töcoin ou cale de leurs
charrues, parce qu'ils pretendent que cela fait mieax
reussir leurs semences; et les femmes en conservent
quelques morceaux jusqu'au jour des Eois pour la prosp^rit^ des
poulets. Gependant, si Ton s'assied sur cette souche,
on devient sujet aux furoncles; il faut allors passer
neuf fois sous uue tige de ronce que le hasard aura
plantee par les deux bouts. In der Dauphin^ heißt dieser Weih-
nachtsklotz chalendal, in der Provence calignaou (d. i. calendeau,
las calendalis von Weihnachten prov. calendas)^, oder trefoir, im
Dep. de TOme tröfouet. Nach Thiers zieht die Familie, apbald
sie sich am Weihnachtsabend vollzählig in der großen Stube des
Hauses versammelt hat, feierlich hinaus, um den Christblock
heremzuholen und bringt ihn in die Küche oder in das Zinuner
des Hausherrn. Bei diesem Umzüge singen sie ein provenza-
lisches Liedchen, dessen Uebersetzung lautet:
Freue dich Klotz,
Morgen ist der Tag des Brodes.
Mag alles wol einkommen,
Die Frauen gebären.
1) J. G. V. Halm, albanes. Studien. Wien 1853. S. 154.
2) ])e Nore, Coutumes niythes et traditions des provinces de France
p. 151 ff.
3) Vgl. Mvtli.2 594.
Chiiatblock und Weihnachtsbaum. 227
Die Ziegen sickeln,
Die Schafmütter lainmeu;
Viel Korn gebe es und Mehl
und des Weins eine volle Kufe.
Dum gießt das kleinste nnd jüngste Kind de» Hauses über den
Christklotz ein Glas mit Wein iu den hr)ühäten Namen aus und
man wirft denselben ins Feuer. Die Kohlen werden als Heil-
mittel das Jahr hindureh aul'bewahrt.' Um Marseille besprengt
man den caligneau^ einen eichenen Klotz mit Wein oder Oel, in
der Dauphine begießt man ihn mit Wein.^ Nach andern Auf-
zeichnungen bei Thiers wird der Trefoir oder tison de Noöl in
den dreizehn Nächten t^iglich im Feuer angekohlt. Unters Bett
gelegt schützt er Haus und Hof das Jahr hindurch vor dem
Donner; seine Berührung schützt die Menschen vor Frostbeu-
len an den FüBen, die Tiere vor vielen Krankheiten; im Fut-
ter eingegeben läßt er die Kühe kalben, seine Kohle ins Feld
geworfen bewahrt das Getreide vor Rost.' Nach de Nore
ist der Calignaou vom Oliven- oder einem andern Fruchtbaum
genommen; das jtbigstc Kind gießt drei Libationen von Wein
dtfttber aus mit den Worten „Cochofue ven, tout ben ven d. i.
le feu caßhi vient, tout bien vient." Dann tnigen der Ael teste
der Familie und der Jüngste, jeder an einem Ende anfas-
send, den Klotz zum Feuer; das jüngste Familienglied weiht,
wie Yorher den Christblock, so nachher die Tafel, die mit Früch-
ten und Kuchen reich besetzt ist. Zu diesem Feste (Calenos
oder Calene) kommen die verheirateten Kinder und Vcnvjuidten
mit ihrer Nachkommenschaft oft von weit her beim Familien-
baapte zusammen. Vor Schlafengehen wird der Klotz aus dem
Feuer genommen und bis Neujahr aut1)ewalirt.* In Vienne
beHprengt der Hausvater inmitten eines großen, in tiefem Schwei-
gen versammelten Zuschauerkreises den tison de Noiil mit Salz
und Wasser, zündet ihn während der drei Feste an und'bewahrt
ein Stückchen , um es als Mittel der Abwehr beim Gewitter anzu-
1) J. B. Thiers, Traite des snpcrstitions bei Licbrccht, Gcrvasius v. 'J'il-
Wyp'^31. 152. Chmiol bei E. Cortet, ftHcs relifficnscs. Paris 1«(;7.
P M cf. TliierB a. a. 0. 23H, 2B1.
2) Miliin u. Chainpolliou-Figeac bei Ciriiiiin Myth.- 51^.
3) Thiers a.a.O. 238.231.
4) De Nore a. a. 0. 23 ff.
16*
228 Kapitel TU. Baomseele als Vcgetationsdämoii :
zünden.^ Zu Commercy und überhaupt in Lothringen legte man
einen Klotz von 4 Fuß Länge in dieser ganzen LUnge auf den
Heerd. Dann brannte man das eine Ende an, das andere bot
eine Art von Sitz dar, den die Kinder gern benutzten. Man
hinderte sie aber daran sich daranf zu setzen, „vireil sie sonst die
Krätze bekommen würden."* Der Christblock ist auch in Ober-
italien bekannt, wo die Sitte arder il ceppo heiBt.^ In Deutsch-
land wird schon 1184 von dem Pfarrer zu Ahlen im Mttnsterland
berichtet „et arborem in nativitate domini ad festivnm
ignem suum adducendam esse dicebat/ Von der Unter-
mosel und Obermosel fUhrt Grimm die Weisttlmer (II, 302. 264)
von Riol, Velle und Tavem als ältere Zeugnisse ftlr den Weih-
nachtsblock an. Das Detail der Sitte lernen wir im heutigen
Brauche der Eitel kennen. Am Weihnachtsabend legte man einen
Holzstamm an den Feuerheerd, Christbrand genannt. ^ Was
davon bis heil. Dreikönig nicht verbrannt, sopdem bloß verkohlt
war, davon wurden Kohlen in den Kornbahr gelegt, damit die
Mäuse das Korn nicht beschädigen möchten.^ Im Berleburgischen
band man ehedem den Christbrand in die letzte Garbe, offen-
bar um die Ernte des nächsten Jahres ergiebig zu machen.^
Verwandt ist jedenfalls die von Montanus aus der Gegend der
Sieg und Lahn geschilderte westfälische Sitte der Ncuanlage des
Grundblockes am Feuerheerde. Ein schwerer Klotz aus Eichen-
holz, gewöhnlich ein Erdstummel wird entweder im Feuer-
heerde eingegraben, oder in einer dafür bestimmten Mauernische
unterhalb des Kesselhakens angebracht. Wenn das Heerdfeuer
in Glut kommt, glimmt dieser Klotz mit, doch ist er so ange-
bracht, daß er kaum in Jahresfrist völlig verkohlt. Sein Rest wird
bei der Neuanlage sorgfältig herausgenommen, zu Staub gestoßen
und während der dreizehn Nächte zwischen Weihnachten
und h. Dreikönig auf die Felder gestreut. Dies, so wähnte
man, befördere die Fruchtbarkeit der Jahresernte.'
1) De Nore p. 152.
2) Lerouze in den Meinoires de Tacadeinie celtiquo 1809 III, 441.
3) Liebrecht, Gcrvasins v. Tilbury S. GO.
4) Kindliiigor, Mtinstcrsch. Beitr. II, ürk. 34. Grimm Myth.a 594.
r>) Schmitz. Sitten u. Bräuche des Eifler Volkes 1«56. S. 4.
G) Kuhn. Westf. Sag. II, 187, 523. Vgl. ebds. S. 104-106.
7) MontanuH, die dcutnchen Volksfeste S. 12.
Christbloek und Weihnachtsbaum. 220
Hieai stellt sich, was J. W. Wolf als Brauch am Christabend
(KenmisaYond) zu Geerardsbergen in Belgien beibringt, daß man
dtg Warielende einer Tanne oder eines Bachcnbanmes
m das Fener legt mid verbrennen läßt, alles übrige Licht im
Hanse wird ausgelöscht Man singt dabei und trinkt Genever
und eotfiammty wenn der Baumstumpf ausgebrannt ist, den Rest
dttGetrinkes.^ Der Christbrand wird nur ein wenig angebrannt
und beim Gewitter wieder ins Feuer gelegt, weil dann der Blitz
ttidit einschlagen soll; selbst ein Splitter von ihm unters Bett
gdegt schtttzt vor dem Hinschlagen des Wetters, seine Kohle in
Wtflser gegeben heilt die Auszehrung.^ Die englischen Zeug-
niftse fllr den Christmasblock oder Yule clog bieten nichts
besonders Bemerkenwertes dar^ sie lassen sich großenteils mit
den Worten Herricks umschreiben :
Kindle the Christmas -brand, and thcn ^
Till sanDCset let it burnc,
Which quencht, then lay it up agen,
Till Christuiad next rctumc.
Part must bc Icept wherewith to teend
The Chritftmas log ncxt ycaro,
And wherc 'tis safely kept, the fiend
Can do no inisc'hiefe there.'*
Das schwedische Julfeuer (julabrasa von brasa angezündetes
Scheitholz), welches früher in einer Grube am Fußboden mitten
im Hause brannte, wie jetzt noch auf dem Heerde,* sowie der
Blakkis (Block), den die Letten noch im 17. Jalirli. am Weih-
nai'htsabend mit großem Geschrei heninizogeii und liernach ver-
bnumten, und ihre Freude daran hatten, so daß sie danach den
Weihnachtsabend Bluckwakar, Bloeksabend nannten,'^ gehören
ebenfalls hieher, ohne daß ich nähere Enizellieiten til)er sie mit-
rateilen vermöchte.
1) Wodana S. 105. ('f. Reinübcrg-Dttringsfcld, Calendr. Holp' II, 32(>.
^lan berichtige das MisvcrständniU von Kuhn , der a. a. 0. S. 105 den Kors-
niisaTond (CUiristmessonabend) als Kinnes (KirchnieHse) auffallt.
2) Westfalen, Niederland. Kuhn a.a.O. lo;J,31J>. Rcinsborg-Dürings-
feW. Calendrier Beige 11, 327.
3) S. Hone, Every day-book 1. IHm p. 102. Brand -Ellis, Populär anti-
q^itiesl. 1H53. S. 467 ff.
4) Hylti'n-Cavallius, Värend oob Vinlarne I, 175.
5) P. Einhorn, Iteformatio gcntis Letticae. Kiga 1G3G. Cap. IV. p. 11*'..
230 Kapitel III. Baamseole als Vegetationsdämon:
Die in diesem Paragraphen zusammengestellten Sitten siiid
so entschieden an das Weihnachtsfest geknüpft, daft man ver-
sucht werden muß, dieselben zunächst aus dem Ideenkreise des
Christentums zu begrtlnden. Läßt sich aus diesem heraus eine
ausreichende Erklärung finden, so wäre es unmethodisch sidi
nach einer andern umzusehen. Auf einen christlichen Ursprung
aber weisen scheinbar ganz besonders die slavischen Formen der
Sitte, der masurische sowol als der sttdslavische Brauch bin,
wonach der Qemeindehirt ein Reis bringt, das die Hansfiraa mit
heiliger Scheu auf den Tisch legt, dann bis Maria Verkündigung
in den Getreidehaufen steckt, oder wonach die Badnjaci sowie
der polaznik unter dem Rufe „Christ ist geboren^' mit Getreide
beschüttet werden.
Es liegt nahe in dieser Sitte die Wirkung eines christGchen
Bilderkreises zu erkennen, der sich zu gutem Teile aus vermeint-
lichen oder wirklichen messianischcn Sprüchen des alten Testa-
ments und aus einigen neutestamentlichen Reden und Erzählungen
gebildet hat. Es war au vielen Orten Sitte, daß der Dorfhirte
am Weihnachtsabend von Haus zu Haus zog und sein Hom
blies, um an die Hirten zu erinnern, welchen der Engel auf dem
Felde zu Bctlehem die Geburt des Weltheilandes verkündigte.*
Christus wurde in der geistlichen Poesie des Mittelalters als
die Gerte (virga) aus der Wurzel Isais oder als die Frucht,
der Apfel auf der Gerte (Maria), nach Anleitung der BibeP
bezeichnet. Mit anderm Bilde hieß Christus der Weizen, der
aul' Marien Acker oder in der Garbe Maria wuchs, des Kor-
nes und des Weines unscheinbare Blüte, das sättigende Korn,
das Weizenkom, das Himmelsbrod. ^ Außer dem Mysterium des
Brodes im Abendmahl hatte dazu namentlich eine Bibelstelle im
Ev. Joh. 12, 23. 24 mitwirken können, wo Jesus sich selbst mit
1) S. W. Mannhardt, Weihnachtsblüten in Sitte und Sage. Berlin 1864.
S. 118 ff. Vgl. noch Peter, Volkstümliches aus Oesterreich. Schlesien II, 275.
Rcinsberg-Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen S. 548. 549. 551. 554. -
2) S. Jes. 11, 1 Et egredietur virga de radice Jesse et flos de radice
ejus ascendet. Et requiescet super eum spiritus Domini cf. 11, 10. Rom. 15,
12. Cf. Vcnantius Fortunatus, hymnus de nativitate 4 (Wackernagel Kirchen-
lied 18(>4 B. I p. 60) : Radix Jesse floruit et virga fructum cdidit. Ein Lied
saec. XV. (Wackern. I, 238): Jessaea stirps effloruit, electa fructum praebuit.
3) Hagen Ms. II, 340". Reinbot v. Dorn, heil Georg. 4048. 4084. o. s. w.
ß. Kourad von Würzburg, Goldene Schmiede ed, Wilh. Grimm XLIX.
durlitUock «nd WeihniMditsUmii. 231
den Weiienkonie Tei^eidity das in die Erde fallen and ersterben
■Iwe, um viele Frttehte zu bringen. Die ohristliche Poesie hat
dieseD Gedanken ergriffen nnd weiter ausgeitthrt ChristOB ist
das Korn, das blflhete, zor Garbe heranwachs, gemäht, gebunden,
gewhlagen (gemartert), gemahlen (gekreuzigt), in den Ofen getan
(begraben), nach dreien Tagen heraosgenommen ward, and als
äpdse Tanaende sättigte. ^ Wie tief diese Idee sich in das Volk
ImeiD gelebt hat, so Üafi sie nun rückwärts vergleichsweise
wieder auf das wirkliche Getreide (ibertragen wurde, ersehe ich
ftt dem französischem Brauch in der Franche Comte (Ganton
de Lare, Gegend von Vesoul), wo die letzte Garbe der Ernte
k gerbe de la passUm genannt mit einem am Palmsonntage
geweihten hölzernen Kreuz und einem mit Blumen gezierten Lor-
beerzweig geschmttckt nnd so aui* dem letzten Wagen heimgeführt
wird. Legende und Brauch des christlichen Altertums sind pla-
stischer Verkörperungen der angeführten Vergleiche Christi mit
dem Weizen voll. Wenn Gregor von Tours erzählt, daB Maria
in emem Kloster in Jerusalem in einer Nacht alle Scheuem mit
Weizen füllte,' so ist das nur eine mißverständliche Vergröberung
des Wanders, daB sie in der Weihnacht den Weizen, Christum^
gebar. Das Wallfahrtbild der Maria zu Bogen bei Straubiug
(Niederbaiem) trägt lange goldgelbe Haare und läßt unter dem
Herzen eine strahlenumgebepe Oeffhung des Leibes sehen ^ in
welcher das aufrecht stehende Jesuskind die Vorstellung des
gesegneten Leibes gewährt; der Mantel tibcr ist rot und mit
Weizenähren durchwirkt* Dergleichen Darstellungen waren
nicht ungewöhnlich. Im Altertumsmuseum zu Breslau befinden
sieh unter den Katalognunmiem 4420 und 4431 zwei Gemälde
des 15. Jahrb. aus der Pfarrkirche zu Neuniarkt und dem ehe-
maligen Jakobskloster zu Breslau. No. 4431 zeigt die Jahreszahl
U91; das andere Bild zeichnet sich durch die Lieblichkeit und
vorzügliche Malerei des Antlitzes aus. Auf beiden wandelt Maria,
eine noch kaum aus der Knospe der Kindheit entialtcte Jungfrau,
nüt gesenktem Blick und betend zusauimengeitigten Händen, über
ein blumiges Gefilde ; ihr Fuß berührt kaum schwebend den Erd-
1) Heinr. v. Krolewitz, Vateninser ed. Tiisch 2973. 3078.
2) De gloria martyrum L. IX c. 41. ]>. 174. Uuinard.
3) Bavaria I. Abth. 2, 1000.
2S2 Kapitel III. Baonuieele ab Y egetationadamon :
boden, nar ihr ttberlanges Gewand , das in zahllosen Falten her-
abhängt, streift denselben. Dasselbe ist von dunkler Farbe und
übersät mit Weutenähren, Ihren Hals und beide Ettnde umgiebt
ein goldenes Band in Form von lodernden Flammen. Wer kitenle
verkennen 9 daß hier das Geheimniß der Empfängniß durch den
heiligen Geist ^ in feiner und sinniger Symbolik dargestellt sei
Das Muttergottesbild in der steinernen Kapelle zu Kirehenthal im
Pinzgau trägt 3 Aehren in der Hand; sie soll 1693 auf einon
Platze erbaut sein, den Maria selbst anzeigte, indem sie mitteB
im Winter drei Kornähren aus dem tiefen Schnee her-
Yorwachsen ließ, deren eine man noch in der Schatzkammer
bewahrt' Hier ist, wie in jener Erzählung des Gregor von
Tours, die symbolisch ausgedrückte Geschichte, daß Marien -
Acker im Winter (24. Dez.) das hinmilische Korn (Jesus) herror-
sprießen ließ,* localisiert. Aehnliche Legenden, wonach ein Mutter-
gottesbild mit Roggen und Weizen umwuchs, oder der Adker
Weizenähren höher als je seit Menschengedenken ertrug, in deren
Mitte U. 1. Frau einem armen Weibe erschien und die Errichtung
einer Kapelle forderte, wiederholen sich z. B. zu Kaltenbrunn in
Tirol und Maria Schnee in Kämthen. ^ Christus das Weizenkom,
dieser Gedanke findet auch in dem in Schlesien, Oesterreic)i,
Schwaben (vgl. z. B. Meier S. 250, 278) u. s. w. verbreiteten
Glauben Ausdruck, daß in oder auf jedem Weizen- oder Spelt-
kom die Mutter Gottes mit dem Kinde wsdimehmbar sei. War
aber das Christkind selbst die Himmelsspeise, der Weizen, der
vom Himmel kam, so lag es dem praktischen Bedürfnisse des
das Geistige versinnlichenden Volkes nahe genug, auch den
irdischen Menschen- und Tierleib, und das irdische Getreide
durch dasselbe oder durch Berührung, Genuß, Zumengung von
einem Abbilde desselben gesegnet zu wähnen. Wie Maria an
1) Cf. Apostelg. 11, 3: super quolibet eoram flammula consedit.
2) J. Ealtenbäck, die Marien sagen in Oesterreich. Wien 1845. p. 261, 122.
3) Zu vergleichen ist, daß nach deutschem Volksaberglauben während
der Christmesso der Hopfen fingerlange Schossen unter dem tiefsten Schnee
hervortreiben, ein Zweig, den man in der St Andreasnacht am Anfange des
Advents in Wasser setzt, in der Weihnacht blühen soll. Siehe den Zweig
(virga) und die Blüte (flos) aus der Wurzel Josse (Jos. 11, 1) aus dem
Winterschnec hervorschießend (ascendens, exsurgens Böm. 15, 12). cf. Mann-
hardt , Weihnachtsblüten S. 169.
4j Kaltenbäck a. a. 0. S. 61, 26. 122, bi.
Gkrisiblook und ' Weihnaohtsbanm. 283
Mtttt Verkttndigiuig (25. März) das himmligche Wdzenkorn Chri-
stn empfing, soll die Erde sich an diesem Tage flir den Empfang
des irdischeii Kornes öffiien, dann werde die Ernte reichlich
MD (s. o. S. 224). In manchen Kirchen des Inntals (Tirol) schüttet
IUI am Chaifreitag (vgl. die gerbe de la passion o. S. 231) ttber
d» rar Verehrong gestellte Cruzifix türkischen Weizen und
ndens Getreide. Dieses Getreide gehört dem Kttster. Im Unter-
iiBrtfaal legt man einige Hände davon in den Getreidekasten,
dadurch werde der ganze Vorrat gesegnet Die Getreideart, von
welcher das meiste aof dem (iberschtttteten Grozifix liegen bleibt,
gedeiht am besten. ^ Zn Gyperath in der Eifel, zn Wahn Kr. Mttl-
bdm 0. s. w. kehrt man am h. Weihnachtsabend den Feoerheerd,
indem man glanbt, es regne in dieser Nacht [wenn sie hell sei]
Kom vom Himmel, nnd von welcher Fracht am meisten falle,
die gedeihe am besten.* Nach Franz Wessels Schildemng des
kadiolischen Gottesdienstes zn Stralsund bis z. Jahre 1523 S. 4:
fittteten die Baaerleate den Christabend, bis sie die Sterne am
ffimmel sahen „so drögen sS garwen in de koppele efte sus en
de lacht, dat se de wint snS rlp efte sus de lucht beschtnen
konte, dat hStede men des morgens kindesvöt, dat dSlde men
des moigens allem [y@he] fit, slöch gne garwe 2 efte 3 üt unt
gaf den swlnen koien enten gensen dat se alle des kindesvötes
genSten scheiden.'' ' Kindsvöt (Kindsfuß) hieß das Leckerwerk,
das man. den Geschwistern eines neugebomen Kindes als von
diesem ans dem Himmel mitgebracht darreichte. Das dem Vieh
vm Gedeihen ausgeteilte Kom „Kindsvöt'' gilt als vom Christ-
kind ans dem Himmel mitgebracht; war nach obigem mithin nur
eine symbolische Wiederholung seiner selbst. In Oesterr. Schie-
nen setzt der Bauer von allen Feldfrttchten je einen Teller,
offenbar mit Beziehung auf den messianischen Psalm 131, 11 voll
auf den Tisch (vgl. unten S. 24:> Anm. 4), auf daß das Christ-
sie segne und ihm im nächsten Jahr eine reichliche Ernte
DZingerle, Sitten Aufl. 2. 148, 1276 — 1278. In manchen Kirchen
■^üttete man im 16. Jahrh. znm Feste der Auffahrt Oblaten von der Höhe
^ Gewölbes herab, um das Uimmelsbrod anzudeuten. Bartsch Germania
XVI1,83. Sebast Franck, VV^eltbuch 1534 CXXXII a.
2) Schmitz, Sitten und Bräuche des Eifler Volks I, 4.
3) Höfer in Bartsch, Germania XYIII, 1.
334 Kapitel DI. Bauinseele als VegetatioiiBdftmoii:
verleihe. ^ In der Ohristnacht erhält jedes Stttck Vieh ein Weizen-
kom. ' Weizen und Erbsen am Christabend dem Vieh in die
Ställe geworfen bringen demselben Gedeihen; wenn man am
Weihnachtstag während des Gottesdienstes Weizen in der Tasche
trägt and dem Geflügel vorwirft, so wird es fett und legt viele
Eier. Erinnern wir uns , daB Joseph als ein vorbildlicher Tjrpat
von Christo aufgefaßt wurde/ so wird nun mit Beziebang aaf
Josephs zwiefachen Traum von der Garbe, vor der sidi die
andern Garben neigten und von Sonne, Mond und Sternen, die
vor ihm sich beugten (1 Mos. 37, 5 — 11) auch das folgende
Weihnachtslied sich erklären, mit dem polnische Bursche singend
von Haus zu Haus ziehen: -
Wolsein und Walstand
Zur Gebart des Heiland!
Weizen und Erbsen gedeihen Jietief',
Und der Himmel fülle
Schoppen und Scheuer.
Auf dem Felde steliCy
Garbe an Garbe^
Schober an Schober;
Und zwischen den Schobern stehe der Herr^
Wie der Mond zwischen dem Sternenlieer.
Wagen an Wagen mag zur Scheuer fahren,
Wie Bienen zum Bienenstocke sich schaareii.*
Ob mit dieser Vorstellung der Aberglaube zusammenhängt, so
viele Sterne in der Christnacht am Himmel sichtbar sind, so
viele Mandeln Kom wird es auf dem Felde geben,* ist der
Himmel wolkenlos, also sternenklar, so giebt es eine gute Ernte?*
Oder spielt hier eine andere messianisch gedeutete Stelle des
alten Testaments mit (1 Mos. 15, 5. 2 Mos. 32, 13. 1 Mos. 22, 18),
wonach Abrahams Same (der Gal. 3, 16 auf Christus gedeutet
wird) einmal alle Geschlechter der Erden segnen, sodann wie
1) Peter, Volkstümliches II,* S. 274.
2) Zingerle, Sitten Aufl. 2 p. 1%, 151)9.
3) Luther u. a. sagte „In Josephs Person hat Gott auf das allerfeinste
Christum und sein ganzes Reich leiblich abgemalet.** S. Herzog, Realencyclop.
der Protest. Theol. B. VII, p. 22.
4) C. Wurzbach, die Sprichwörter der Polen Aufl. 2 Wien 1852 p. 148.
5) Glienick bei Zossen; Börnicke im Havellande; Beelitz i. d. Zauohe
U. 8. W.
0) Stulpe Kr. Jütcrbogk; Üborschlesien u. s. w.
Chriitbloek und Weihnaehtsbanm. Sa5
die Sterne am Himmel sein soll ? ^ Beim Zastandekommen aller
dieser Volksgebitache mid Volksanschaanngen werden wir uns
die Predigt und populäre Exegese der aas der Vulgata schöpfen-
den Priester des Mittelalters am stärksten beteiligt vorstellen
mOMen. Wird es aber nach den autgeftlhrten Analogien eines
Beweises bedürfen, daft die weihnachtliche Beschttttung des
Bidigak und der Menschen mit Weizen unter dem Rufe „Christ
ist geboren^ das Geschenk des hinunlischen Weizens vergegen-
idirtigen sollte? Und schlieft sich an diese Deutung nicht ganz
iQgezwongen die weitere jener in Masuren vom Hirten omher-
getr^;enen, mit heiligem Schauer empfangenen, sodann im Ge-
treidehanfen angesteckten Birkenrute auf die virga e radice Jesse
egiediens? Liefie sich nun nicht auch der Weihnachtsblock, der
am liebsten ein Wurzelende ist, als radix Jesse, das Feuer,
welches kein anders Licht im Hause neben sich duldet, als
Beziehung auf die himmlische Klarheit auffassen, welche die
Hirten auf dem Felde in der h. Geburtsnacht umleuchtete, oder
aof das Licht aus der Höhe, welches vom Christkinde ausstrahlte.
Der Messias wird im alten Testament, Christus im neuen, zumal
im Johannisevangelium , ja so oft das Licht der Heiden, das
Ucht in der Finstemiß, das wahrhaftige Licht, die Sonne der
Gerechtigkeit, der Aufgang aus der Höhe genannt (Jes. 9, 2.
Matth. 4, 16. Jes, l2, 6. GO, 1. Luc, 2, 32. Ev. Job. 1, 4-10.
3, 19. 20. 8, 12. 12, 35. 36. Luc. 1, 78), daß eine Versinnlichung
dieses Bildes der Gemeinde nicht fernliegen konnte.* Daß dann
Menschen, Tiere und Getreide durch den Christbloek und seine
leberbleibsel gesund gemacht und vennehrt werden sollen,
würde aus der abergläubigen Vorstellung, daß der von diesem
Lichte, welches nach Job. 1, 3. 10. das Leben und die schöpfe-
1) Cf. den Hymnus de nativitate domini saec. XIV. bei Ph. Wackernagel,
<ia« d. Kirchenlied I, 164 : De seniinc Abrabae ex regali genere oritur de
«<iere virgine Maria. — Caspar Löncr bei Wackernagel, a. a. 0. III, 611>:
Der sam ist anifgegangen des vaters Abralie, in den Got hat verheyssen zu
»egen ewigs wee. Schwerlich liegt hier eine j>oetische Naturanschauung zu
firunde, wie in dem lettischen lüitsel für den Hhnmel mit den Sternen:
tewam kaschaks rogu pilns d. i. der Vater hat einen Pelz, der voll Aehren
i^- Oder : Sils dckkis (tirma willaine) rogu pilns (pilna baltu rogu) d. i.
«ine bUne Decke (graue Wolldecke) voll weißer Aehren (resp. Erbsen).
2) Cf. den Hymnus des h. Anibrosius: Nox atra jam depellitur mimdi
DitoT renascitur.
286 Kapitel in. Baamseele als Vegetationsclftmon:
rische Ursache aller Dinge in der Welt war und ist, aassirahlende
geistliche Segen auch leiblichen Segen nach sich ziehe (Luc. 13|
31) erklärt werden können. - Es wird, glanbe ich, kein Zweifd
bleiben können, daß die angegebenen Ideen wirklich einmal mit
dem Weihnachtsklotze, resp. der Weihnachtsgerte verbmid^
worden sind. Bei alledem aber möchte es schwer halten nach-
zuweisen, daß und weshalb diese sinnvolle Symbolik grade die
hergebrachte Form annehmen mußte, und immer bleiben ver-
schiedene Stücke übrig, welche bei Annahme eines ohristliehen
Ursprungs schwer zu begreifen sind. Dagegen lösen sich, wie
es scheint, diese Schwierigkeiten, sobald wir den Badnjak, Chriat-
block, Calignaou, Yule clog, die masurische Weihnachtsgerte,
jene albanesischen Kirschbaumzweige u. s. w. flir Gestalten erktt-
ren, welche dem Maibaum und Emtemai parallel gehen, mit dem-
selben in einen Ideenkreis gehören. Sehr richtig nämlich scheint
mir das Urteil, das schon Brand ^ auf Grund der englischen
6]iluche aussprach: „I am pretty confident, that the Yule clog
will be found in its first use to havis been only a oounterpart of
the midsummer-fires made within doors because of the cold
weather at this winter solstice, as those in the hot season, at
the Summer one, are kindled in the open air." Sahen wir früher
(0. S. 177 ff.) daß im Feuer der Sommersonnenwende ein Maibaum
verbrannt wurde, als Darstellung der durch die Glut der Hoch-
sommersonne passierenden Vegetation, so war beim Wintersolstiz
dieselbe Symbolik wol angebracht als zauberwirksame Veran-
schaulichung der durch Wiederkehr der Sonne neu beginnenden
Belebung der Pflanzenwelt. Waren demnach jene albanesischen
Kirschbaumzweige, die noch unzerschnittcncn (wie die Maibänme
mit Blumen und bunten Fäden geschmückten) Eichbäumchen
(Badnjaci) in Dahnatien, oder der dickere aus praktischer Not-
wendigkeit zersägte Baumstamm in Frankreich, Deutschland,
England eine Verkörperung des Vegetationsdämons, so erläutern
sich viele bisher undeutbare Züge. Wie der Richtmai (o. S. 218)
hält der Christblock Blitzschaden von dem Hause fem, er wird
1) Man vgl. das flämische Weihnachtslicd ; „Hccrderkes van bniten
spoedt u op de been , met trommelkes en met fluiten regt naer Betlehem, want
daer is geboren ten god van al, die ons het Icven heeft gegeven, in
den stal. Heinsberg - Düringsfeld , Calendr. Beige II, 340.
2) Populär antiquitics ed Ellis I, 471.
Cfariffblodc und Weihnachtsbantn. 337
als Andeatongy daB dem Soniieoschein der begleitende Regen
mcht fehlen solle mit Wasser und Salz, mit Oel, Wein oder
ffier begossen, wie der Emtemai (o. S. 214 ff.) und der wendische
Eienzbanm (o. S. 173). Seine Bertthrang verursacht Furunkel-
gesehwlire, Krätze, und diese Uebel werden mittelst Hindurch-
kriechen durch die Wurzeln eines Brombeerstrauches
gebeilt, Züge die wir hinlänglich als Zubehör der Vorstellung
van einem dem Baume innewohnenden Dämofi kennen gelernt
hohei^ (o. S. 20 Z. 1 ff. 32). DaB der Geist des Wachstums die A u s -
tehrung heile, Menschen und Tiere gebären, das Getreide
wachsen mache, ist eine schon in den früheren Abschnitten reich-
lieh belegte Anschauung. Ich mache somit nur noch darauf auf-
merksam, daB der im Johannisfeuer entlohte Baum ganz verbrannt,
der Baum im Weihnachtsfeuer dagegen nur angekohlt und in
Frochtfeld, Weinberg, Obstgarten ausgetan wird, weil ersteres
die yersengende, Laub und Gras verzehrende Glut des Hoch-
sommers, dieses die mit Mitwinter beginnende langsam Blätter,
Bluten und Frflchte hervortreibende Sonnenkraft nachbilden soll.
Wenn wirklich darauf Gewicht zu legen ist, daß der Christblock
an manchen Orten em Wufgelende sein mußte, so könnte dies auf die
Vorstellung hindeuten, daß der Baum der Vegetation im Herbste
gleichsam abgehauen werde (vgl. daß die Mädchen den Harkel-
maibaum umwerfen); nur der Stumpf mit dem noch inne woh-
nenden Dämon [vgl. die Moosweibchen o. S. 83], die Wurzel bleibt
flbrig, aus der er im nächsten Jahre neu hervorsprießen soll.
Fttr die Richtigkeit dieser Hypothese durfte die folgende Fast-
nachtsitte aus Nauders in Tirol sprechen. Vor dem Fastnacht-
pfinztag gehen die Bursche in den Wald, suchen den größten
Block aus und richten ihn schön her, indem sie ein Loch hinein-
bohren und ein Bäunichen hineinstecken, das sie mit Btlscheln,
Kriinzen und farbigen Bändern nach Art des Maibaums verzieren.
Am Fastnachtpfinztag vermummen sie sich, meistens in weiße
Kleider, und ziehen den Block auf einem Schlitten unter großem
Jabel un Dort* herum. Alles freut sich, wenn es heißt: „heuer
ziehen die Buben den Block/' Der Block wird einem ange-
sehenen Mann der Gemeinde (Landrichter, Pfarrer, Kaplan u. s. w.)
verehrt, dann eine Mahlzeit gehalten. ^ Wer erkennt nicht die
1) Panzer II, 24G« 451. Eine lehrreiche Variante dieses Brauches aus
dem Oberinnthal s. Zingerle, Sitten« \U, 1194. Danach ist es der größte
2)^ Kapitel HI. Baumseele als Vegetationsdänion:
Vorwiindtscbaft dieses Brauches niit der Einholung des schönsteu
Hanmes durch die Weiber (o. S. 174)? Es ist doch wol die Eän-
bringnng des aus dem verstttmmelten Vegetationsbaum hervor-
9prieBenden neuen Wachstumsdänions. Doch dies bleibe dahfai-
gestellt. DaB der Emtemai auf dem Giebel des Hauses ak
Fenat befestigt wird; findet somit sein richtiges Seitenstttok in
der Eingrabung des Christklotzes als Grundblock der heiligen
Feuerstelle. Unsere Beobachtungen, falls sie richtig sind, lassen
sich nur durch den unausweichlichen Schluß mitemander verenn-
gen, daß hinsichtlich des Weihnachtsblockes eine Sdiickt äUerer
Volksgehrättche und Vorstellungen eine Umdeutung im Sinne
gewisser christlicher Ideen erfahren hat, welche es doch nicht
vermochten alle früheren ihnen widerstrebenden Ztlge ganz aas-
zutilgen.
Zu ganz demselben Ergebniß scheint uns die Betrachtung
des Weihnachtsbaums zu führen, obwol itir diesen das Material
noch kaum in hinreichender Vollständigkeit vorliegt, um die
Frage spruchreif zu machen. Der schönste Schmuck des deut-
schen Christfestes , seit Monaten vorher die Sehnsucht der seligen
Kinderschaar, der grüne Tannenbaum mit deii t^ergoldeten Aepfdn
und Nüssetiy Zuckerpuppen, bunten Papiernetzen und den viden
brennenden Lichtern ist erst seit verhältnißmäBig kurzer Zeit so
zu sagen Nationaleigentum geworden. Heutzutage ein Abzeichen
deutscher Abstammung und Gesinnung begleitet er unsere Volks-
genossen über Gebirge und Meere und zeugt in fernen Weltteilen
von deutschem Gemüt und deutscher Geistestiefe. Im Anfange
des 19. Jahrhunderts .war er erst wenigen Deutschen bekannt;
erst die gegen die nüchterne Verständigkeit des Rationalismus
reagierende Vertieiung des religiösen Lebens nach den Freiheits-
und schötiste Banm des Gemein dewaldcs, abgeästet, mit Blamen,
Kränzen, Bändern geschmückt, den die Bnrsche paarweise vorgespannt
am Donnerstag vor Fastnacht auf dem Schlitten ins Dorf ziehen. Die den
Schlitten ziehenden Bursche tragen grüne Hosenträger, ihnen geht der
älteste Junggeselle vorauf; auf dem Baume läuft ein „Herold** auf
und ab^ der alle Begegnenden, vorzüglich die Mädchen in Keimen Ter»
spottet. Allerlei Masken begleiten den Zug, der sich unter beständigem
Jauchzen und Schreien durch das ganze Dorf bewegt. Auf niedrigen
Scheunendächern werden Pfötschen (Zwergföhren) aufge-
steckt Nach Vollendung des Zuges versteigert man den Baum, und ver-
zehrt den Erlös im Wirtahause.
CauMbloek and WeihnachtgUum. S39
biogea beförderte seine Aasbreitnng , welche derjenigen der deat-
Nhei Schrifigpracbe ähnlich vor sich ging, mit dem Wachstnm der
viümiea Idee gieichlanfend Fortschritte machte und mit dem Wer-
den des Beiohes den Particolarismas überwand. Es fehlt noch an
UitorBndraDgen ttber sein erstes Auftreten und seine ältere Ver-
hreitang. In Schweden unbekannt, war er doch bei den Insel-
tehweden an der russischen Küste auf DagO und Worms im
Aniaiige unseres Jahrhunderts häufiger als jetzt im Gebrauch; an
der mit Nüssen und Aepfeln behangenen Tanne standen je 5
Ueine Wachslichter auf einem Zweige. ^ Auch in Norwegen und
Olnemark ist er in den Städten mindestens ebenso lange ver-
bnitet^ Das protestantische Norddeutschland hegt ihn seit gerau-
mer Zeit in seinen Städten (nach Oldenburg soll er gegen das
Ende des 18. Jahrhunderts gekonmien sein),' aber dem nieder-
deotseh^n Bauer in der Provinz PreuAen, in Pommern, Mecklen-
kug, Holstein u. s. w. war er noch in den ersten Jahrzehnten
nueies Jahrhunderts fast unbekannt Schleiermacher in seiner
1806 zneiBt erschienenen „ Weihnachtfeier ^ und Tieck (Novelle
Weihnaehtabead) erwähnen ihn noch nicht als Bestandteil der
Festieier in Berlm. Aehnlich verhält es sich wol in Mitteldeutsch-
land, so im Sächsischen Erzgebirge^ und im Voigtlande, der
Baum ist hier keineswegs allgemein.^ Qoethes Freund Schwerdt-
geburt in Weimar ^ber verwandte den Weihnachtsbaum auf sei-
aem bertthmten Lutherbilde und schon 1765 fand der junge
ätndent Goethe, als er damals im elterlichen Hause von Kömers
Matter, Minna Stock, in Licipzig Weihnacht feierte, ein Christ-
biuQchen au%estellt mit allerlei Süßigkeiten behangen, darunter
Umm und Krippe mit zuckemem Christkind, Mutter Maria und
Joseph nebst Oohs und Eselein; davor aber ein Tischchen mit
bnumen Pl'efferkuchen tUr die Kinder. (Vgl. Kunst und Leben
ans Friedr. Försters Nachlaß 1878.) Dem entsprechend beschreibt
auch Kttgelgen (Jugenderinnerungen 1870 S. 79) die mit glitzern-
dem Rauschgold, bunten Papierschuitzeln und goldenen Frttchten
1) K. Baßwurm, Eibofolko II, p. %. §. 296.
2) Cf. Andersen, Märchen.
3) Strackerjan II. S. 26, 289.
4) M. Spieß, Abergl. Sitten u. Gebr. im sächs. Erzgebirge. Dresden
1002. p, 43. i. 50,
5) E. Köhler , Volksbrauck im VoigÜuude i:$. 160 ff. »
340 Kapitel III. Baumseele als Vegetationsdämon:
yersehenen Weihnachtsbäame auf dem Christmarkt zu Dresden im
J. 1807, und ihren Kerzenschmuck. Nach Danzig brachten dm
Weihnachtsbaum nach dem Jahre 1815 die preußischen CMSfisiere
und Beamten; gleichzeitig gewann er im Mttnsterland durch die
größere Anzahl Protestanten, welche mit der preußischen Her^
Schaft ins Land kamen, an Ausbreitung. In Wttrtemberg soll er
zwar nach E. Meier ziemlich allgemein sein, doch ttbte noch vor
10 Jahren der Ttlbinger Bürger den Brauch nur spärlich;^ im
Fränkisch - Hennebergischen sieht man selbst bei dem LandTKdk
hie und da ein Ghristbäumchen, an welchem ein paar Stttckohen
Suhler Zucker (Marzipan), Aepfel und Nüsse hangen , in den
Häusern, aber es fehlt der lichterschmuok.' Im filsaft eifinrle
schon im 17. Jahrhundert Dannhauer, Professor in Straßbui]g,
gegen den Tannenbaum oder Weihnachtsbaum, den man zu HamM
aufrichtet, mit Puppen und Zucker behängt und hemadi schilt-
teln und abblümen läßt.^ Er erwähnt der Lichter nicht, welche
jedoch die heutige Sitte im Elsaß anwendet^ In der Schwdi
hängt man nach Stalder schon am Niklasabend (5. Dezbr.) die
Qaben für die Kinder an ein mit Flitteigold und kleinen Wachs-
lichtchen verziertes Bäumchea^ Auch in vielen czechischen
Familien in Böhmen bildet der Baum (Tanne oder Fichte) mit
Obst, Backwerk, Papierguirlanden und Kleidungsstücken behängen,
sowie mit Lichtem besteckt, den Schmuck des mit glänzend
weißem Tischtuch bedeckten Ehrentisches im Winkel der Stabe,
an welchem man das Abendessen einnimmt, und der Hanshen
mit dem Gesinde kniend und stehend vor und nach dem Emen
betet und Weihnachtslieder (Kolendalieder) singt* In Ungan
pflegen deutsche Bürgerfamilien und hohe magyarische Hftnsei
etwa seit dem Jahre 1830 den Christbaum; ganz neuerdings fand
er durch den Prinzen Albert auch in England, unter hovm
Philipp durch die Herzogin Helene von Orleans in Frankreicb
1) E. Meier, Schwab. Sagen 462,205.
2) L. Spieß, Volktüml. aas dem Fränkisch- Hennebergischen. Wiei
1869. S. 102.
3) Catechismos-MUch V, 649.
4) Alsatia 1851. S. 164 ff. 1852. p. 146.
5) Idiotikon II, 299.
6) Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen S. 552 nach Krol-
mus staroctfske povösti: V. Prize 1845 — 1851. p. 476.
Chiiitblock und Weihnftchtsbaam. 341
Eingaiig, das ihn ebensowenig, wie die Niederlande , Italien^
Bami«iim q. b. w. arsprttnglich kannte. ' In manchen Gegenden
West&lenBy wo die Cbristbäume nicht in Gebrauch sind, setzen
die Leute am Christabend Tannenzweige Yor ihre Haustttre;^
ebemo schildert Finn Magnussen im Jahre 1828 als unter-
leheidende Sitte der Schweden ,,Sueci yirides arbores (pinus
Td abietea) sub dio ad oppida vel aedes erigunt, at Dani Nor-
fegi et Gennani in ipsis aedibus/^ ' Auf einen ähnlichen Brauch
'inf Island deutet vielleicht die Sage zu Mödrui'ell im Eyjatjördr,
dai der aus dem Blute zweier unschuldig Hingerichteten en^
qnosseae Vogelbeerbaum (o. S. 4ü) früher in der Weihnachts-
Mcht mit Lichtem auf allen Zweigen besetzt gefunden wurde,
welche selbst beim stärksten Winde nicht erloschen/ In einigen
Dörfern des Elsafi, zumal in den französischen Ortschaften der
Vqgesen hat sich die sehr verbreitete Sitte erhalten, zu Neujahr
den Brunnen mit einem Mai zu schmücken, der mit dem Weih-
nditsbaum die größte Aehnlichkeit hat Die jungen Mädchen,
wekhe den Brunnen besuchen, verschaffen sich nämlich einen
klem^ Tannen' oder Shchpalpnenbaum , eieren ihn mü Bän^
(fem, Eiersclialeny Meinen Figuren^ die eitlen Uirtefi oder einen
Mann vorstellen, der seine Frau /schlägt, und stecken den so
geschrnttckten Baum, in der Neujahrsnacht auf den Brunnen.
Wihrend des Neujahrstages besucht mau die Brunnen, in deren
Schmuck sich die Mädchen zu überbieten suchen, und sobald der
Abend anbricht, wird <der Schnee um den Brunnen sorgfältig
weggekehrt und die jungen Mädchen tanzen singend einen lieigen,
an dem sich die jungen Bursche nur mit ihrer Erlaubniß betei-
ligen dürfen. Die Lieder, welche dabei gesungen werden, sind
ineisteus gewöhnliche Rundtanzlieder ohne Beziehung zu dem
Baum, der das Jahr hindurch als schützendes Symbol iür
diejenigen stehen bleibt, die ihn errichtet haben, in lüilien hatte
I'apgt Martianus verboten: „non licet iniquas observationes agere
Calendarum et otüs vacare nequi' lauro aiit viriditatc arborum
1) Vgl. O. Schade . Klopfan S. Gl .
2) MoDtanus I, 11.
3) Leiic. mythol. 77*.K
4) Mohr, Forsög til en Islandsk Naturhisiorie. Kjüboiihavii 1786 p. 187.
Maurer. Island. Sagen. Lpzg. 18iK). Ö. 178.
Mkanhardt. 16
942 Kapitel UI. Baumseele als Vegetationsdäroon:
cingere domos; omnis haec obseiratio paganomm esL^^
England wurden der Boden der Kirche mit Lorbeeraweigen i
immergrünem Rosmarin bestreut, und grttne Zweige \
Orangenbäumen (Pomeranzen) an den Kirchen herumgesteckl^
bis Ostern daran blieben.^
Auch den Weihnachtsbaum wird man geneigt sein, a
zunächst aus christlichen Anschauungen zu erklären. I
24. Dezember ist der Tag Adami und Erae. Die Kirehe hi
durch die Wahl dieses Namens die Idee ausdrücken wollen , <
Christus als der zweite Adam den Verlust des ersten wieder <
bringe. Denselben G^anken drückte die Legende so ansy i
Adam einen Apfel oder Ableger des Baumes der Erkenntnis t
dem Paradiese mit sich nahm, und empflanzte, daraus sproi
Baum y ans dessen Holze das Kreuz gemacht wurde , an dem i
Erlöser hing. Oder man sagte , daß auf Adams Grabe ein B
vom Baume des Lebens wuchs, von dem Christus die Fm
der Eriösung brach. "^ Demnach wird das Kreuz in der aHohr
liehen Vorstellung und Poesie als der neugepfianzte , froc
tragende , himmlisch nährende Paradiesesbaum inmitten der eri
ten Menschheit gefaßt.^ In den in Folge dieses Gedankengani
an die dramatischen Weihnachtsspiele des Mittelalters angeseU
seilen Paradiesspielen (seit d. 12. Jahrh. nachweisbar), in weM
man den Sündenfall als der durch Christi Geburt beginneM
Erlösung vorangehend veranschaulichte^ wurde dieser Paradi
bäum, der zum Lebensbaum gewordene Erkenntnißbaum, d
Volke zuweilen dargestellt , in Oberufer bei Preßbnrg als ein W(
Schuh hoher schöner Kränewit (Wachholder), der mit grof
flatternden Bändern geschmückt und ganz mit Aepfeln behaof
ist.^ In Kunstdarstellungen wurde das Kreuz als Baum <
1) Burch. V. Worms X, 15. myth.» XXXV.
2) Cassel , Weihnachten S. 136.
3) Gerrasius v. Tilbury ed. Liebrecht. Hannover 1856. UV. 8.
Vgl. p. 125. K. Weinhold, Weihnachtspiele. 1853. S. 328; K. J. Sehr
deutsche Weihnachtsspiele a. Ungarn. Wien 1858. S. 36. Anm. * ; Pri
reich, Symbolik der Mythologie und Natur. 1859. S. 178—179; Piper, ei
gel. Kalender 1863 p. 52 ff. 74. Mannhardt, Weihnachtsblftten 8. 170.
4) P. Cassel, Weihnachten S. 143.
5) Weinhüld a. a. 0.
6) Schröer a. a. 0. 9 — 10. 36.
Chriftibloek vnd Weihnachtsbanm. diS
Lebon mehrfmch wie ein Stamm mit Wurzeln, Blättern und
Fritchten gebildet Doch anch diese Wendung nahm der Gedanke,
diA CShriatiis selber als der wiedererbrachte Liebensbaam geprie-
sen wurde, der einst im Paradiese gestanden. Der Baum des
Lebens, sagt ein Officium der griechischen Kirche zur Vorfeier
der Weihnacht, erblllhte in der Höhle (dem Orte der Geburt) Yon
der Jnngfiran. „Denn es zeigte sich ihr Leib als das geistliche
PuadieSy worin die gi)ttliche Pflanze geboren wird, welche Leben
giebl, wenn wir uns von ihr nähren.'^ Hugo von St Victor
(tll45) sagt: Christus steht in der Mitte der Kirche als der
Biam des Paradieses. Und anderswo wird Maria geschildert als
der hlilheiide und nnrergtogliche Garten, in welchem der Baum
des Lebens gepflanzt sei, der Allen ungehindert die Frucht der
Unsterblichkeit mitteile.^ Cassel hat treffend gezeigt, daft die
fiel yerforeitete Sage von Apfelbäumen, welche in der Weih-
laditsieit mitten im Schnee Knospen treiben, Bltiten und Frttchte
bringen, auf diese allegorische Auffassung Christi als Lebensbaum
ndi gründe.' Wir haben hier einen der mittelalterlichen Kirche
aafierordentiieh geläufigen Ideenkreis , aus welchem der Ursprung
des Weihnachtsbaums sammt seinen Aepfeln und seinem Lichter-
Mbnuck als Darstellung des zum Lebensbaume gewordenen
Eik^mtnißbanmes und Christi selbst als Baum des Lebens und
Liebt der Welt sich höchst wahrscheinlich machen lieBe.^ Die
Yerrollsttndignng der Aepfel durch andere Früchte, Zuckerbrod
ind sonstige Edwaaren wäre aus einer Vervollständigung der
allegorischen Beziehungen durch Christi Benennung als Brod
des Lebens und Frucht der Lenden Davids sehr begreiflich/
1) S. im allgemeinen über alle diese Yorstellungcn die ausführlichen
Md gründlichen Nachweisungen von Piper a. a. 0. 1 7 — i*4.
2) F. Cassel, Weihnachten S. 140*- 142.
3) Vgl. besonders Piper a. a. 0. 74— 7G.
4) Von wie fielen Seiten die messianischen Allegorien den Festbrauch
bereicherten, beweise u. a. eine kirchliche Sitte, die zu Mouthc (D^p.
^ Doübs) geübt wurde. An einem der Weihnachtstage trug man in die
Kii^ Pasteten, Schinken, Kuchen, Zuckerwerk und andere Eßwaaren und
Tom besten Wein , den man hatte. Man stellte diese sieben Sachen in einem
besondem Winkel der Kirche auf und nannte das Ganze „de fructu.'*
Sobald man während der Vesper zu dem Verse „De fructu rentris tui
poD&m super sedem tuam Ps. 131, 11 gekommen war, machten sich alle
Umgtehenden mit Eifer darüber her and eigneten sich die Leckerbissen unter
16*
j^ Kapitel m. Banmseele als Vegetationsdämon :
Zumal die Nüsse gehören in den Kreis der weihnaehüiehen
Symbolik. ^
Gleichwobl darf und muß die Frage erhoben werden, ob
nicht trotz alledem der Weihnachtsbaum die christliche Umdea-
tung einer älteren dem Kreise der Naturt'este angehörigen Sitte
war. Weinhold hat schon mit Recht auf die Aehnlichkeit dem-
selben mit dem soblesischen Sonmier am Lätaresonntag (o. S. 156)
hingewiesen.' In einigen andern Gegenden (z. B. Speier) ist der
,, Sommer^' wie der ^^Weihnachtsbaum'' mit Bretzefai und ähnliehen
Dingen behangen. Viel augenscheinlicher noch ist die Ueberein-
stimmung mit dem bunt bebänderten, mit Eßwaren, vergoldeten
Eiern u. s. w. gezierten Maibaum, Johannisbaum und Emtemai.
Auch bei diesen fehlt der scheinbar eigenttlmliche Schmuck des
Weihnachtsbaums, der Lichterglanz nicht inmier. Im Ober-
erzgebirge tanzt man zur Sommelisonnenwende um den „Johan-
nisbaum''; das ist eine aus 4 Stäben bestehende mit Kränzen
und Blumen verzierte Pyramide, welche in der Stube oder auf
der Straße auf ein Tischchen gestellt wird. Abends wird dieselbe
mit Lichtem besteckt. Die Tänzer sind dabei weiß gekleidet
und singen verschiedene Liedchen (Zwickau.)' In G^lderland
pflanzte man Maiabends Bäume auf, die geschmückt und mit
Kerzen besteckt wurden.^ Auch zu Yenloo in Limburg, wo die
Ausschmückung des Maibaums ein Gegenstand des Wetteifers
und der Eifersucht zwischen den Einwohnern der verschiedenen
Stadtviertel ist, trägt am Maiabend jedes junge Mädchen eine
Kerze herbei. Bei einbrechender Dunkelheit steckt man sie anf
den Baum, zündet sie an und tanzt um denselben.^ Auch der
bei der Maifeier in Dublin verbrannte Maibusch ist mit Lichtem
heiligen Gesängen untermischt von Schreien, oft auch Streitreden und
Beschimpfungen zu. Für den Bestand dieser Sitte sorgte eine Stifttmg,
welche die Geschwornen des Orts verwalteten. Revue de la Franche Comte
hei Cortet, fßtes religieuses p. 265.
1) Vgl. das Melker Marienhild (Müllenhoff u. Scherer , Denkmäler xxxnc
S. 115): Jü leit in erde Aaron eine gerte: diu gehar nüzze, mandalon also
edile. diu süezze hast du füre hräht, muoter änc mannes rät, Sancta Maris.
2) Weihnachtspiele 1853. S. 16.
3) M. Spieß, Aherglauhen des sächsischen Obererzgehirges S. 14, 148.
4) Geldersche Volksalmanach voor 1835. 10—18. bei Grimm Myth.« 738.
5) Reinsberg-Dtiringsf«»ld, Calendrier Beige 1,285.
Chrutblock and Weihnaohtsbaom. 245
imetst (o. 8. 178). Bei den Lttneburger Wenden werden auf
Hochzeiten mit liehtern besetzte Maien dem Brautpaar voran-
getragen (o. S. 46), in der Ukraine vor das Brautpaar auf den
Ibek gesetzt (o. S. 223). Der uns schon von 8.12 bekannte
Jieab Laszkowskiy Revisor von Niederlitanen um 1570, bezeugte
roB dem Aberglauben der Zemaiten redend: ,,Kimi8 caerasos
irds aücujns (wie aus einer späteren Stelle hervorgeht ist Ploteli
gemeint) seeondum laoum sitae curat, in qnos placandi ejus causa
gillos mactatos injieiunt , caereosque accensos in eis figunt^
Sehen wir ab von dem Namen des Dämons der Bäume oder des
Ortes, Kimis, der augenscheinlich verderbt ist, jedenfalls ist hier
TOD einem nicht christlichen Gebrauche zu Ehren eines dämoni-
schen Wesens die Rede. Da Kimis nachher „ (singularis) deus
agri Plotelscii^' genannt wird, ist vielleicht an den von Kirsch-
binmeu gebildeten h. Hain des Sehutzgeistes (vgl. o. S. 53.) der
Burg Ploteli zu denken, den man zu gewissen Zeiten mit geschlach-
leten Hähnen' und angezündeten Lichtern ehrte. Dieser im
Haine oder Baum wohnende Schutzgeist den Hauses, Hofes und
Mmer Bewohner steht aber dem scbwed. Värdträd, deutschen
Maibaum so nahe, daß auch die Sitte, Kerzen auf diesem anzu-
ittnden, sich dem litauischen Brauche vergleichen und tUr nicht
christlich erklären läßt' Femer ist z. B. der von den kleinen
Mädchen im Kuhländeben (Kr. Troppau) beim Maiengehen uniher-
getragene Tannenbaum außer mit Eiern und bunten Bändern auch
mit vergoldeten Nüssen geziert Auch wird bei der Darstellung
des bekannten Wettstreits zwischen Sommer ufid Winter (Uhland
Schriften HI, 18 ff.) der Sommer in Baiem stäts als ein Mann
mit grünem Zweige in der Hand, in der Schweiz einen Baum
1) S. J. Lasicii de dies Samagitarain libellus p. 47 ed. Mannhardt
Mitau 1868. p. 11. Cf. Haupt, Zs. f. d. A. I. 139.
2) So warf der Lette das frische und blutige Fleisch geschlachteter
Tiere, vorzugsweise von Hähnen in den hinter dem Hause, häufig in einer
Beke des Gartens stehenden Hain des inahjas Kungs „ des Herrn des Geliöf-
tet," der Este in den Schutzhain u. s. w.
3) Vgl. auch das Verbot heidnischer Sitte in den Poenitcntiaricn an
^igon Qaellcn, auf Felsen und an heilig gehaltenen Bäumen keine Lichter
oder Fackeln „pro veneratione" anzuzünden, noch Brod oder andere Opfer-
g*ben niederzulegen, Regino II. (Jap. 5. N. 43. Poenitent. Merseburg. Vgl
Frie^berg, Bulibüoher Ö. 24. Ol. iHi.
246 Kapitel UI. Baumsecle als Y egetationadfimon :
mit Aepfcln and Birnen in Flittergold gebttllten Ntlssen und flat-
ternden Bändern in der Hand haltend dargestellt;^ in Oestreidi
trägt die schlanke Gestalt des Sommers ein weiAes wallendes
Kleid 9 von breitem Goldgürtel zusammen gehalten und dinen mit
grtlnen Bändern geschmückten Strohhut; seinen Stab krOnt ein
Tannenwipfel mit künstlichen Blättern und vom Herbst her
bewahrten Früchten. Der Aufzug findet um Frühlingsan&iig
statt. ^ Es ist aber dieser von einer ,,Sonmier^' benannten Person
in der Hand getragene Baum unverkennbar nichts anderes , als
jener aufgepflanzte oder in Prozession einhergetragene Baum, der
selbst Sommer, Leto u. s. w. heißt Von letzterem bildet dann
wiederum nur eine Spielart der nach kirchlichen Anschaanngm
wol nur benannte Adamsbaum, der im Saulgau (Würtembei^) am
Sonntag nach Lichtmesse durch einen in Schafispelz gehüllten
Mann, unter Voraustritt eines Fahnenträgers , eines Pfeiffers, eines
Tronmilers und eines Latemenknechts von den Mitgliedern der
Feuerlöschmannschai't umhergetragen wird. Es ist ein mäßiges
Bäumchen, woran lauter Aepfel und essige Dinge steck-
ten, die an die zugespitzten und abgeschälten Aestchen ange-
spießt sind. Der Zug umschreitet dreimal jeden Brunnen; vor
der Herberge angelangt wirft man plötzlich den Adamsbaum in
die Jugend hinein, die darüber herfällt und sich darum schlägt'
Eine andere Spielart des Lito ist der Palmenstrauß, der in man-
chen katholischen Gegenden am Palmensonntage üblich ist (s.
Heinsberg -Düringsfeld, Das festliche Jahr S. 94 — 98). Inder
Umgebung von Basel besteht er aus einem Tannenbaum Ton
zwölf oder mehr Fuß Höhe, der geschält und seiner Zweige
beraubt ist, so daß nur eine zierliche Krone übrig bleibt In diese
werden mit gespaltenen, oben und unten mit Buchsbaum und
Sävenbaum verzierten Weidenbändem Steehpalmenzweige hinein-
gebunden. Diese ganze mit Palmzweigen geschmückte ELrone
umgeben aber schützend 4 aus den Hecken geholte Haselzweige,
welche unterhalb der Krone im spitzen Winkel vom Stamme des
Tannenbaumes abwärts stehend über dem Wipfel nach innen
zusammengebogen und mit einem flatternden , buntfarbigen Seiden-
1) Vgl. Uhland a. a. 0. S. 41. Vernaleken , Alpensagen S. 359.
2) A. Baningarten, das Jahr und seine Tage. Linz 1860. S. 25.
3) Birliuger, Volkstüml. a. Schwaben II, S. 50, (>5.
Christblock und Weihnachtslmiiiii. 247
binde zasammeDgebiiiiden ündy nachdem man aul' jede 3 — 4
der sdiOastea rotlMiekigeii Aepfel in gleichmäßigem Abstaode
geitoekt hat Jedes Haus läßt einen solchen Palmstrauß in der
Kinhe weihen und pflanzt ihn dann biB Ostern im Garten auf.
Dun wird er feierlich ins Haus getragen ; und in einer Kammer
rerwahrt; bd Gtewittem verbrennt man Zweige davon auf dem
Heerde, die Haselruten werden in den Viehställen antgesteckt
Genau lu diesem Baseler Palmstrauß stimmt die im Saterlande
gebtänchliche Wepelröt oder Werpelrot. Früher bestand die-
wlbe einfaeb aus einem astreichen Baumzweige (zumeist Wach-
kolder oder Stechpahne ilex aquifolium) von iVt"^ F* Höhe,
mit Bindern und Blumen geschmückt^ dessen Spitzen mit Aepfeln
md Kuchen besteckt waren. Im Amte Kloppenburg ist es noch
jetKt ein geschälter, geraspelter, mit A^epfeln und Nei\)ahrskuchen
Tersehener, mit Flittergold und Band verzierter Weidenstock.
Gewöhnlieh jedoch erhält die Wepelröt heutzutage im Saterlande
dne kunstvollere Gestalt, indem die melirzinkige Grabel der Aeste
die regelmäßige Form eines aufrecht stehenden Rades angenom-
men bat; dessen Speichen über die Felge hervorragen und mit
Aei^eln und Kuchen besteckt sind, indeß die Nabe durch ein
Herz ans vergoldetem Holze dargestellt wird. Am Neujahrs-
abende schleichen sich die verliebten Burschen, welche freien
wollen, zu den Häusern ihrer Freundinnen und suchen die Wepel-
röt heimlich zur Türe hineinzuwerfen, worauf sie durch einen
^nich und einen Pistolenschuß ihre Gegenwart ankündigen. Die
Haagbewohner verfolgen den eilig Davonlaufenden. Wird er
erwischt, so muß er auf dem Kesselhaken reiten und Wasser
niit Kaminruß trinken; dann wird er festlich bewirtet. Die
Besehenkte, welche die Gabe nicht zurückweist, muß dieselbe
am L Dreikönigstage auf die nämliche Art mit der „Tfinschär
oder Tdnsk6r'' erwiedem, welche gegenwärtig der Wepelröt an
Gestalt gleich ist, ehedem aber in einem iVa F. langen Kohl-
Btuiune bestand, der in einen Torfsoden gesteckt war, an der
Spitze eine Papierlateme und an dem Stamm mehrere fußlange
dünne Stäbchen trug, an denen Kuchen und Aepfel u. s. w.
hingen. Ehedem diente die Wepelr5t auch zur Erforschung der
Zukunft. Der Hausherr setzte sich in der Neujahrsnacht an das
Heerdfeuer, Gebete sprechend, auf dem Haupte das Zeichen der
Freiheit, den Hut, in der Hand die Rute, und schleuderte die-
24B Kapitel III. Baumseele als Vegetationsdämon :
I
selbe, sobald er den richtigen Angenblick gekommen wähnte,
über den Kopf nach dem Dielenraum, Wohin die Spitze der
Wepelrot zeigte , ' dorther kam im Laufe des Jahres die Braut
seines großjährigen Sohnes, oder dahin zog seine erwachsene
Tochter als Frau.^ Die ursprüngliche Form der Wepelrot stimmt
fast ganz genau mit der am 2. Sonntag des März umhergetrage-
nen Sommergabel in Spcier (s. u. S. 252). DaB sie den Gelieb-
ten gebracht wird , ist eine Eigenschaft , die sie mit dem Maibanm
teilt, die Art ihrer Ucbcrbringung ist genau dieselbe, welche nadi
Beendigung der Ernte bei der Ueberbringimg der den Gretreide-
dämon darstellenden Komfigur von einem Nachbar zum andern
beobachtet wird. Der Ueberbringer stellt den aus der Pflanze
heraus und neben sie hingetretenen Vegetationsgeist selber vor.
Das sind drei auf den nämlichen Punkt weisende Fingerzeige,
welche uns bestimmen mtlssen, die saterländische Wepelrot flli
eine eigentümliche Form der Darstellung des Lebensbaumes oder
baumgestaltigen Vegetatiousdämons , fdr den bei Beginn des nenen
Lichtes in der Wintersonnenwende autlretenden Doppel^Uigei
des Maibaums zu erklären , der mit dem Maibäum auch die Eigen-
schafk teilt, den liebenden Burschen als Symbol ihres eigene,
der begehrten Jungfrau entgegengebrachten Lebensbaumes zü
dienen. Die ^als Gegengeschenk dargebrachte Torfsode mit dem
grünen Kohlstamme bedeutet, daß die Jungfrau sich dem wer-
benden Geliebten als Eigentum hinzugeben bereit sei. Dem
Torf und Zweig, oder grüner Torf d. h. ein ausgeschnittenec
Erd- oder Rasenstück mit einem grünen Aste darin war naol
altdeutschem Rechte das Symbol, mittelst dessen ein Grundstück
aufgelassen d. h. aus dem rechtlichen Besitze des seitheriger
Inhabers gesetzt und dem neuen Herrn zu Pfand oder Eigentun
übertragen wurde (R. A. 110. 115). Hier aber miag wol nocli
die tiefere Beziehung hinzukommen, daß die Jungfrau nun aud
ihren Lebensbaum aus dem väterlichen Boden gelöst dem Brilu-
tigam zum Eigentum entgegenbringt. Doch dem sei, wie ihn
wolle, unsere Schlußfolgerung aus den vorstehenden AusfÜhmngei
1) S. Kuhn, Nordd. Sag. 406, 142. Strackerjan I, 88, 115. II, 32, 298
Das goldene Horz inmitten der Wepelrot ist ein durch die Verwendung be
der Freierei horvorgenifener Zierrat. Kuhn a.a.O. 518, J. W.Wolf, Beiti
I, 114 u. Simrock, Handb. Aufl. 2. S. 570 haben Unrecht in der moderne]
Form des Wepelrot ein Bild der Sonne ssu suchen.
Christbloek und Weihnaohtsbaiuii. 949
geht darsof hinanSy daß der fruchtbeladene, lichkrerhdUe Weih-
mdUsbaum nicht (üUin äußerlich gewissen Fonnen des Mai-
kums, Johannidfaum u, s, w. LUo, enispreche, sondern daß auch
m ier NeujahrS" oder WeihnachtzeU ganz unmittelbar das Auf-
Men des den Sommer, d. h, deti Vegetationsdämon darstellenden
Bwwies in mehreren Formen nachgewiesen werden kann, Aach
jene wettfiUischey schwedische und italische Sitte (o. 8.241), vor
kü Hinseni die grünen Tannenbändiey oder Lorbeerzweige anf-
Butecken, die elsässische zu Neujahr den Brunnen mit einem
Mai m schmücken , sehen nicht aus wie ein Ausfluß des
ehrisdicheii Ideenkreises und sind von der Ausschmückung
der englischen Kirchen mit Orangenzweigen vielleicht ebenso
n toennen, wie von der Ausschmückung der englischen Häu-
ser mit dem Mistelzweig, die möglicherweise wiederum mes-
nanisches Symbol waren ;^ talls nicht auch diese erst allmäh-
Bdi ans profoner, auf die Jahreswende bezüglichen Anwendung
in christlichen Anschauungen umgedeutet und in kirchlichen
Gebrauch gezogen sind. Will man nicht den Sommer im Lätare-
brauch, den Maibaum und Emtemai vom Paradiesesbaum oder
Christbaum ableiten (was, wie wir später sehen werden, die
ffriechische Eiresione auf das bestimmteste verbietet), so bleibt
auch hier nichts anderes übrig, als die Annahme, daß parallel
dem Mittsommerteste ein heidnisches Mittwintertest gefeiert wurde,
an welchem man in einzelnen Orten oder Gegenden den bäum-
gettaltigen Dämon der Vegetation proleptisch ganz nach Art des
Maibaums darstellte; und daß dann im Mittelalter irgendwo diese
altere jetzt nur in seltenen Resten noch erhaltene Sitte des Land-
volkes aufgenommen , im Sinne der christlichen Weihnachtsmytho-
logie umgedeutet und soweit es nötig war, umgestaltet ist. So
entstand unser Weihnachtsbaum. Es ist kein Zufall, daß dieser
im Laufe unseres Jahrhunderts sein Herrschaftsgebiet allmählich
auf und über die ganze deutsche Nation erweitert hat. Ist der
frische, immergrüne Baum doch ein Symbol, das, so lange er
1) Die auf einem andern Baume wachsende, venneintlich vom Himmel
gefkUene, von den Druiden zur Winterszeit mit goldener Sichel abgeschnit-
^ Mistel galt als Sinnbild des vom Himmel stammenden auf dem Kreu-
wsbolie Frucht bringenden Erlösers. Scb. Rouillard, Parthenie ou histoire
^Ha tris auguste-et trrs devote ej^lise de Chartres. Pari« 1G01> p. 51.
Ußt sich diese Auffassung schon aus älterer Zeit nachweisen ?
S50 Kapitel HI. Banmseele ala Vegetetkniadämon:
nicht durch Ueberiadong veranstaltet wird, niemals TeraUea na
den Schönheitssinn beleidigen, oder zur Verwechselung von BQ
und Sache Anlaß geben kann , ein Symbol und trefiendes Gkiel
niü für das Leben der nach Licht (ErkenntniB) und Wahihe
strebenden, Früchte der Liebe treibenden reinen Menschheit^ de
Gattnngsideales, das wir zu verwirklichen streben, dessen Bepil
sentant uns Christus ist Und ein froher Gedanke darf es m
sein, daB unser Volk, indem es dieses Symbol m gewisMi
Sinne zum Kennzeichen seiner Nationalität gemacht hal, de
Lebensbaum der reinen Menschheit, wie sie sein soll, als idei
tisch erklärte mit seinem eigenen Leben.
Nicht ein bloßer Namentausch ging hier vor sieh, Mmder
die alteinheimische Natursymbolik und die christliche Poeai
trafen in mehreren Punkten zusammen, in der Idee des Lebern
baums und in der Zeit seiner Darstellung (Wintersonnenwendi
Weihnachten). Diese gleichen Elemente zogen sich an, flösse
zusammen und führten damit zugleich die Vereinigung auch de
übrigen widerstrebenden Glieder der beiderseitigen Ideenkreis
mit sich. Der Nachweis eines derartigen Herganges, wie wir ih
hier am Ghristblock und Ghristbaum beobachtet haben, wird fl
unsere ganzen weitem Untersuchungen fruchtbar und von Wichtig
keit werden. Festigen wir deshalb unsere Beobachtung zum Schlusa
dieses Abschnittes durch zwei naheliegende sichere Analogien.
Die allegorische Auffassung des Kreuzes, des Erlösers un<
der Madonna als Lebensbaum ttihrte dahin, dieselben auch mi
dem Maibaum zu vergleichen; dergleichen Vergleiche finden sicl
häufig bei dem Mystiker Heinr. Suso und in holländischen Volks
liedem ^ z. B.
Die meie, die is al bi den wech gheset
Op eenen berch, die staet also hoghe,
Om dat een jeghelyc soude, sonder let,
Den soeten craicen mei aenscboawcn moghen.
Nu staen des meien tacken aitghespreit.
Ende bloeyen scboon gbelyc rode rosen.
So wie syn senden bier bescbreit,
Onder desen boem sal hi hem verposen.
Diese Vorstellung des Kreuzes als Maibaum ist auch in den Volks
gebrauch tibergegangen. Vgl. o. S. 173 die Ausschmückung de
1) Hoffmann von Fallersleben , Hell. Volksl. 24. 25.
Dar SdÜAg mit der Lebensrote. S51
Miihaoimi mit den Marterwerkzeugen Christi. Lehrreicher noch
■t die Umdentmigy welche die Vontellang vom wilden Jftger
(WodeX ^^ ™>^ ^ Wintersonnenwende mit seinen Hunden durch
üb Lnft tihrty durch fromme Geistliche des Mittelalters erfuhr^
wddie damos den Engel Gabriel machten, der mit seinen
BmAeB (Wahrheit y Gerechtigkeit, Friedej und Erbarmen) das
Enhom (Chiistns) in den Schoft der Maria jagt ^ Diese den
BitiddiiB der Erlösung verbildlichende Scene, die den Engel als
J%er mit dem Hifttiom zeigt, war während des 14. und 15.
Jahrhunderts häufig Gegenstand der Darstellung auf kirchlichen
Kmistwerken. ' Aus dieser Zeit wird daher auch der nach-
stehende Volksglaube stammen. In Staffordhire nennt man die
wilde Jagd „ Gabriel hounds ^ und zu Lembeck in Westfalen „ de
eagelske Jagd^^ d. L Jagd des Engels.' Hier trafen wieder die
Begriffe Jagd, Hunde und Zeit der Jagd tou beiden Seiten
nsammen und bewirkten die Verschmelzung der Vorstellungen.
§. 9. Der Schlag mit der Lebensrate. Die sttdslavische
Weihnachtsgerte und der Christblock sollten, wie wir sahen,
flowd das Getreide Tcrmehren, als das Wohlsein der Menschen
imd sämmtlicher verschiedener Tiergattungen befördern. Wir
fttten ne sammt dem Ghristbaum als christlich umgedeutete
winterliche Formen des Maibaums, somit als Verkörperungen des
Vegetationsdämons auf. Nahe Verwandte begegnen uns in einer
Beihe Ton Sitten, .welche man unter dem gemeinsamen Namen
„Sddag mit der Lebensrute '^ zusammenfassen könnte; Menschen,
llere. Pflanzen werden zu verschiedenen Zeiten des Jahres mit
einem grünen Zweige (resp. Stock) geschlagen oder gepeitscht,
um gesund und klüftig zu werden. In Böhmen ist es der
O.S. I55ff. besprochene „Sommer,'' der zu diesen Gebräuchen
verwandt wird. In einigen Orten des K(^nigsgrätzer Kreises
Tentecken die Mädchen am Lätaretage ihren Sommer, der aus
Diehrcren mit bunten Bändern durchflochtenen Weidengerten
besteht, unter der Schürze und warten hinter irgend einer Tür,
1) 8. Mannhardt, Weihnachtsblüten S. 161.
2) Piper, erangl. Kalender 1859 S. 38 ff. R. Bergan, Altprenß. Monatschr.
IV, 723—27. KraoB in Jahrbücher des Vereins der Altertnmsfrennde im
Wieinlinde XLIX. 1870. S. 128—134.
3) Choicenote« from notes and queries. Folklüre London 1859 S.247. —
^Qlm, Westf. Sagen II, 13, 33.
252 Kapitel IQ. Baninseele als VegetatioBsdämon:
oder einem Torweg auf die jungen Barsche, um sie unverseheiidB
damit zu schlagen; anderswo in Böhmen schlagen -die Frauen mit
dem Sommer ihre Männer, indem sie rufen: ,,gieb was, gieb was,
gieb was!^^ Jeder Barsche oder Mann trägt Aepfel bei sich, um
sich von weitem Schlägen löszukaufen. ^ Auch die Kiiaben gehen
an diesem Tage mit ihrem bebänderten und eierbehani-
genen Bäumchen umher, indem sie zugleich Peitschen fühlen,
die aus Weidenzweigen mit jungen Trieben (Palmkätn^en)
geflochten sind. Damit schlagen sie die begegnenden Mädchen
und fordern von denselben unter eigenen Benennungen ein Geld-
geschenk.' Dieselbe Sitte hat mit geringer Abänderung am Mai-
tag mit den Maibäumchen statt. In der Umgegend von Prag
ziehen am ersten Mai die Musikanten auf den Dörfern hemm.
Ihnen folgen im Laufe alle erwachsenen jungen Bursche mit
Maienzweigen in der Hand und schlagen einander damit gegen-
seitig unter den Worten: „da hast du Glück!'' Wer es ver-
gißt, den bittet der andere darum, indem er sagt: „Gieb mir
Glück'' und er erwiedert mit dem Schlage: „da hast du's.^* Auch
in andern Landschaften begegnet, wenn gleich nur nooh in Ter-
blaßter Spur das Sehlagen von Seiten der Sonlmerkinder.
Am zweiten Sonntage im Monat März, dem sogenannten Sommer-
tag fand in Speier (wie vieler orten am Main, Unter- und Mittel-
rhein) ein Kampf zwischen dem in Stroh gehüllten Winter und
dem bekränzten Sommer statt; am nämlichen Tage zogen und
ziehen noch die Kinder mit der Sommergabel einher, einer
fußlangen Holzrute, die sich oben gabelförmig teilt, geschält und
bandförmig bemalt ist [wie der Maibaum o. S. 177j, in Zwi-
schenräumen sind aus abgeschältem Holze, wie bei den bekannten
Fliegenwedeln, wulstige Ringe gebildet. In die Gabel ist eine
Brctzel von mürbem Teige gesteckt, auf die Gabelspitzen immer-
grüne Buchsbaumsträußchen und auf ein Aestchen unter der Gabel
ein Apfel; einige von oben herabhangende bunte Bänder vollen-
den die Ausstattung der Sommergabcl. Die Knaben singen von
Haus zu Haus gehend und Geld, Obst, Backobst einsammelnd:
1) Krolmu», Starooeske povesti 11, 19 — 20. Reinsberg - Dftringsfeld,
Festkalender a. Böhmen. Wien und Prag 18<U. S. 92.
2) Panf)rama des UniverBums Prag 1834. S. 847. Beingberg-Dtuings-
feld a. a. 0. 93.
3) Kroliüus a. a. 0. ü, 249. Heinsberg -Düringsfeld 208.
Der Schlag mit der Lebonsrnte. 253
Trariro,
Der Sommer der ist do.
Zum Biere^ znm Biere!
Der Winter liegt gefangen.
und wer nicht dazn kommt,
Den schlagen wir mit Stangen.
Anderswo in derselben Gegend:
Trariro, der Sommer ist do.
Wir wollen hinaas in den Q arten,
Und wollen des Sommers warten.
Wir wollen hinter die Hecken
Und woUen den Sommer wecken.
Der Winter hats verloren»
Der Winter liegt gefangen.
Und wer nicht dazn kommt [wer säumig im Hanse oder
Bette weilt?]
Den schlagen wir mit Stangen. ^
Wir werden dasselbe Wesen, wie den Maibanm und Lito, den
haomgestaltigen Greist des Wachstums erkennen, auch wo wir
diesen Znsammenhang nicht mehr so unmittelbar vor Augen sehen,
wie in den namhaft gemachten Beispielen. Wir folgen bei Dar-
Btellong der einschlägigen Sitten zunächst dem Laufe des Jahres.
An Maria lAchtmesse (2. Februar) peitschen die Knechte und
Migde um Halle a. d. S. einander mit Kuten aus dem Bette ;
diese Ceremonie heißt das Lerchenwecken, mit andern Worten
also den Frühling herbeiföhren. ^ In Westfalen schrieb man f tt r
dag Gedeihen des Flachses vor, daß die Weiber am
Uchtmesstage im Freien (auf dem Acker) tanzten. Bei diesem
Tanze trugen sie Uolundergerten in Händen, mit denen sie
auf die Männer losschlugen, die sich der Tanzstelle näherten. ^
In Niedersachsen (Mecklenburg, Holstein, Hannover, Schaumburg -
Lippe) ist Fastnacht der begünstigte Tag ttlr die Ausübung dieser
Bräuche. An diesem Tage backt man dreieckige oder runde
Fladen, heiße Wecken (hfetweggen, hetwigen) genannt, mit denen
sieh die Geschlagenen loskaufen oder bedanken müssen. Davon
erhalt der ganze Gebrauch vielfach den Namen Hetweggen ütstu-
pen, hfetweggenstäupung (Mecklenburg, Holstein). Man treibt die
1) ßeimann, D.Volksfeste S. 3(K Myth.« 725. Vgl. weiter unten, daß
Mch Tiere von den Todansträgern mit Stöcken geschlagen werden.
2) E. Sommer S 147.
3) Montanas , die dentaohen Volksfeste S. 21.
254 Kapitel ni. Baumseele als VegetatianBd&moii :
Langschläfer mit Birkeuruten ans den Betten; die Barsche tni
dies den Mädchen an; oder mau schlägt die Entgegenkommende!
des andern Geschlechts. In einigen Städten stäupt man nur du
Finger, Sodann beschenkt man sich gegenseitig mit den Fastel
abendsruten. Statt der grünen, vom lebenden Baume genom
menen Gerten benutzte man dazu mehrfach auch zarte aai
Silberdraht gewundene Ruten, an welche Wickel
kinder, schnäbelnde Täubchen und dergleichen Spiel
werk angebunden waren. ^ Im Hannoverschen, Hildesheimi
sehen, Schaumburgischen ist der Brauch unter dem Namen fuh
(ehedem ftideln, oder futteln) bekannt. In Hannover beginnt schoi
einige Zeit vor Fastnacht das Hedwigenbacken aus Weizenmehl
und Korinten und die Lehrjungen der Bäcker und Böttchei
besorgen sich Zweige der immergrünen stachlichen Stechpalme
(Stecheiche, Hülsenstrauch, ilex aquifolium). Daraus verfertjgei
sie Fu^büsche, indem sie sie mit Knittergold und bunten Bänden
schmücken und bebinden. Hiemit versehen erbetteln sie an den
Häusern der Kunden Trinkgeld, von den Mägden bunte Bänder:
im Weigerungsfalle werden letztere auf Hände und Arme wiü
den stachlichen Hülsen tüchtig, geschlagen. Das nennt man „{ii6n.^
Am Fastnachttage wird der Brauch aUgemeiner und spielt aaoli
namentlich auf den D()rfem eine größere Bolle, wo sich das
Jungvolk wochenlang vorher auf den muntern Scherz freut * Im
Hildesheimischen wird statt der Stechpalme mit einem bänder-
geschmückten kleinen Tannenbäumchen oder mit einem
Bosmarinstengel „gefuhet.^' Die Kinder und Bursche schla-
gen die Frauen und Mädchen damit an die Knöchel und rufni
dabei „wutte g^m gäwen? (willst du gern geben?) Am Tage
darauf fuhen die Frauen und Mädchen. Die Geschlagenen rnttasen
sich mit kleinen Geschenken lösen. ^ In der Grafschaft Schaam-
1) J. P. Schmidt, Fastelabendgebrftuche 2. Aufl. Rostock 1752 p. 86.
Jahrbücher für Landeskunde von Schleswig- Holstein -Lanenburg Bd. VI
Kiel 186B 8. 396, 13. Kölns Karneval, wie er war, ist und sein wird. 8. la
14. In Holstein singt man beim Utstupen: „Stüp üt, stüp üt mSn Hede-
weck — .tot Osten tot westen, — de fettsten Äünd de besten: — Sund se
denn to kl6n, — so gifft et twe för en; — sünd se denn to gröt, — so he<
et 6k k^B not/'
2) B.Seemann, Hannoversche Sitten und Gebrauche in ihrer Beziehuig
zur Pflanzenwelt Leipzig 1862. S. 24.
3) K. Seifart, Hildesham. 8agen U. 1860. S. 139.
Dar Sdilag mit der Iiebensrate. ^55
kug txiideii die Knechte dagegen wieder aus Stechpalmen Hülsen
oder FnestrüHche zusammen, mit denen sie am Fastnachtabend
Mgtr in die Hänser dringen und den Mädchen und Frauen
die Waden so derbe peitschen, dafi oft Blut fließt. Dabei
flogen sie:
Fofi, faS Faftlahmt (Fastelabend)!
Wenn dn geren geben wutt,
Schast du sau langen Flasa hebhen!
Sie machen hiezu eine Geberde, um anzuzeigen, wie hoch der
naehs werden soll. Sind die Weiber ttlchtig gefugt, so muß
firumfewein und Wurst au%etragen werden. Am zweiten Fast-
aaffhtitag haben auch die Mädchen das Recht des Fuens, wobei
die Männer nicht ohne Uuiige Hände davon kommen; in ganz
fremde Häuser wird eingedrungen, weder der Pfarrer noch die
ßateherrschaft bleibt verschont ^ Elhedem machte nicht einmal
die Landesherrschaft eine Ausnahme, alte Rechnungen des Fürstl.
Gesammtarchivs zu Bttckeburg weisen noch die Trinkgelder nach,
not welehen der Fürst sich loskaufte. Lomdau im Archiv f. Hess.
Gesch. U, 278 liefert folgende Belege: 1584 am 3. März zu Haus-
beigen: daselbst aus S. G. beuelich den Megten im Neuen Haus,
alg sie S. G. Im Fastelabent steupen wollen, Vt Taler;
1585 am 23. Februar (Fastnachtabend war der 21. Febr.) M. g.
Hern zum Haus Berge bei (durch) s. G. Jungen gesandt, so die
Megte zum Fudelgelde bekommen 12 Groschen. 1586 am
14. Febr.: daselbst den Megten zu Amssburg, so m. g. Here Ihnen
znFutelgeld geben, 1 silbern Dicker. Wie roh es Übrigens
in der guten alten Zeit bei solcher Gelegenheit herging, kann
der nachstehende Bericht zeigen : nee minus poena aliqua arbitra-
ria severiori animadverti posse videtnr in eos, qui uti in locis
sliqailms praesertim inferioris Germaniae vulgo ac plebejis mos
est, tempore quadragesimali im Fachtnacht mulieres sibi obviam
&ctas inhonesto ioco interdum denudatis posterioribus
virgis vel etiam herba aliqua pungente feriunt, cum non
Botom foeminis, quae saepius hunc ioeum male ferunt, haud
levem iniuriam iniligant, sed scandalum etiam praebeant, vel
ipsa turpi hac detectione, vel quod sanctissimas Christi piagas
eo tempore ob peccata nostra toleratas deludere ac in iocnm con-
1) Lynker , Hessisclie Sagen S. 237.
3i>6 Kapitel DI. Batimseelc als Vegetatdonsdamon:
vertere ab aliis videri possint ^ Eine ältere noch rohere Form
des Gebrauchs läßt die längst vergessene Orondbedentang der
Worte fn^in d. i. ftiden, Fadelgeld, Futtelgeld erraten , welche,
da nhd. fliden ihden, ahd. fuotjan alere, in seiner niederd* Form
föden, föen absteht, schwerlich anders, denn als Denominativa
zu vut, vud in dem Sinne von muliebria virga contingere erklärt
werden können. Die Stäupung der Frauen wäre danach ursprüng-
lich der wichtigste Teil der Ceremonie gewesen. In der Alt-
mark ziehen Fastnachtabend die Knechte mit Musik von Hof
zu Hof, und stäupen mit Birkenreisern fein nach der Ord-
nung zuerst die Hausfrau, dann die Töchter, zuletzt die Mägde;
die Hausfrau giebt Schnaps, Eier und Mettwurst, die Mädchen
einen bebänderten Strauß von Buchsbaum oder anderm OrOn auf
den Hut der Knechte. * Zwischen Halberstadt und Braunsehweig
peitscht man sich am Aschermittwoch gegenseitig mit Tannen-
reisem und nennt das nach dem Tage „äschern, Asch abkehren."*
Der Carmelitergeneral Jo. Bapt. Mantuanus (Spagnoli f 1518)
schildert uns in seinem dem Ovid nachgeahmten Festkalender
(Fasti) den italiänischen Festgebrauch seiner Zeit. Sein Bericht
tiberbietet noch die Notiz Tilemanns. Nachdem er an das römi-
sche'Luperealienfest erinnert, bei welchem umlaufende Jtinglinge
die Hände der Frauen mit Riemen aus Bockshäuten schlugen,
fährt er fort:
Ista superstitio, levis haec insania nostros
Transiit in mores
Per fora , per vicos it personata llbido
Et censore carens snbit omnia tecta volaptas,
Nee narüüm palmas, sed membra recondita pulsat
Perque domos remanent foedi vestigia capri.
Bei den Letten in Kurland gehen zu Fastnacht die buddeli, in
umgekehrte Pelze gehüllte Personen herum, welche komisehe
Tänze auffuhren und Groß und Klein mit langen Ruten schla-
gen, bis sie tractiert werden.
Der PcUtnsofmtdg, oder, wie er in der Ukraine heißt, der
Weidensonntag, gilt dem Russen als das Vorfest von Ostern.
1) Tilemanni commentatio histor. inoralis von detn Recht der nackigt^^n
Haupter, Brüste, Bäuche, Schaani und Füße. Cap. III. §.2.
2) Kuhn , Mark. Sag. 307.
3) Sommer S. 147.
Der Schlag mit der LebenHrute. 257
An diesem Tage dringen sich Taascnde um die Kirche, um dort-
hin in Proce^on Weidenzweige mit Palmkätzchen zar Weihang
zn tragen. Kaum hat das Volk nach Beendigung der heiligen
Handlang die Kirchtür hinter sich, so werden vomehmlieh von
den jungen Burschen die Weidenruten geschwungen und unter
dem Rofe: ,,die Weide schlägt, nicht ich, in einer Woche ist
Ostern!^ unsanft auf den Rücken der Zunächststehenden, mit
Vorliebe aber der Frauen und Mädchen fallen gelassen. Am
näehsten Moigen jagt das junge Volk bei der Rückkehr aus der
Frühmesse alle die Langschläfer, welche die Kirche versäumt
haben, mit seinen Ruten aus den Betten, indem man spricht:
Nicht ich schlage, die Weide schlägt;
In einer Woche der große Tag;
Werde groß^ wie die Weide,
Und gesund, wie das Wasser,
Und reich, wie die Erde.
Auch in GroBrußland ist es bei den niederen Ständen üblich
mit dem Ausruf: „nicht ich schlage, die Weide schlägt,^' dieje-
ni^, welche die Frühmesse verschliefen, zu schlagen; während
in Botmfiland die aus der Kirche kommenden Andächtigen ihre
u Hanse gebliebenen Kinder und Dienstboten mit den Palmen-
zweigen schlagen, indem sie sagen:
Nicht ich schlage,
Die Weide schlägt;
In einer Woche ist Ostertag.
Krankheit in den WeUd !
Gesundheit in die Gebeine!
Diesem Wunsche entsprechend essen arme Leute Mußg am
PalmsontUag die KiUzehen der Weide zu Brei (jekoeht. Die
Zweige selbst bewahrt man das Jahr hindurch mit vieler Ehr-
fiircht auf* In Wtirtemberg schlagen die Knaben am Palmsonn-
tag nach der Kirche mit den geweihten Palmen auf einander ein,
welche aus Buchsbaum, Seven, Wachholder, Tannenzweigen,
Holunderkreuzen, Aepfeln, vergoldeten Eiern und Nüssen zusam-
mengesetzt sind (vgl. 0. S. 246), ans Scheunentor oder an die
1) Magazin f. Literatur des Auslandes 1855. Mai 15. N. 58. Roins-
Wrg-Dnringsfeld, Dlustr. Zeitung 1874. N. lGf)5. Derselbe, Nationalzeitung
1874. N. 187.
Manah&rdt 17
258 Kapitel III. Baoinseele als Vefi^etationsdämoii :
Stall- resp. Haustür genagelt werden nnd dort verbleibai,
bis sie von selbst heruntertalleu , oder nach Jabresfrist ver-
brannt werden. In Ellwaugeu prügeln die städtischen Jungen
damit die Buben der Filialdört'er und diese geben die Hiebe derb
genug zurück. Ebenso in Saulgau, wo zuerst nach den Aepfeln
an den Palmen der Gegner gestupft und geschlagen wird, wo
außerdem nach der Palnisonntagsprozession sogar der Pfarrer Yor
dem Kornhaus auf dem Markte sich nieder legte und Yon
einem andern Geistlichen mit einer »Sevenbaumrute gestri-
chen wurde. In Oberbettringen klopfen die Buben zuerst
beharrlich mit ihren PiUmbeseustielen auf den Boden, dann den
andern mit den Besen an die Köpfe. ^ ,,Auff diß kumpt der
Palmtag, da tragen die Christen den tempel voll großer btlschel
Palmbeum und angebunden äst, die weihet man flir alles
vugewitter an das fetir gelegt. Vnd fürett ein hültzin Esel auff
einem wägelin mit einem darauff gemachten bild yhres Gots in
der statt herumb, singen , werffen palmen fUr yhn und treiben vil
abgötterei mit disem yhrem hültzinen Gott Der Pfarrer legt
sich vor diesem bild nider, den schlecht ein ander
Pfaff. Die schtiler singen und deuten mit fingern darauff.
Zwen Bachanten legen sich auch mit seltzamer Ceremoni vnd
gesang vor dem bild nider, da wirfft jedermann mit palmen zu,
der den ersten erwisch treibt vil Zauberei damit."*
Es sind meist slavischc oder ehedem slavische und erst
durch Germanisierung deutsch gewordene Landschaften^ in denen
sich unser Brauch am Oster fesife abspielt, Westpreußen, Ost-
preußen (Masurcn, Samland, Litauen), Neumark, Uckermark,
Voigtland, Schlesien, Oesterr. Schlesien , Mähren, Böhmen, Ober-
hessen. ^ Im Voigtlande heißt er „aufhauen" oder „aufpeitschen,"
1) Birlinger, VollcBtüml. a. Schwaben n, 72 — 75. N. 86—92.
2) Sebast. Franck, Weltbach. 1534 f. CXXXP.
3) Wuttke , Abergl. §. 83. Peter , Volkstüml. a. Oesterr. Schlesien II,
285. Vernaleken, Mythen u. Gebr. in Oestr. 300 ff. Krolmus a. a. 0. II, 33.
Heinsberg - Döringsfeid , Böhm. - Festkai. 163. Hinz, die gute alte Sitte in
Altpreußen. Kgbg. 1«G2. S. 51. N. Pr. Provinzialbl. B. VI. Kgbg. 1848.
227, i)4. Töi>pen, Abergl. a. Masuren, Aufl. 2. S. 69. A. Englienn. W. Lahn,
der Volksmund in Brandenburg. Berlin 1868. S. 232, 13. 231, 9. Kuhn.
Nordd. Sag. 373, 17. Köhler , Volksbrauch im Voigtlande. Lpz. 1867. S.173.
Estor, Oberhess. Idiotikon s. v. smakustern.
Der 8«blAg mit der Lobensriite. 259
in der ITeamark und Uckermark ,, stäupen /' ,,stiepeii/' sonst
ttbenül „schmacköstem/' ,,6chmeck6stem/' ,,schuiag6stem'' (Schle-
sien) j yyScfainakustem'^ (Oberhessen). Die Czeehen nennen das
SeUagen mit der Ostergerte vymrskati auspeitschen , bei Policka
im Kreise Chradim Smerknst Schmackoster, Schmagoster, Oster-
schmOck (Kreis Saatz) heißt dann in Ostpreußen, Schlesien und
NordbOhmen auch die Gerte , oder das Geflecht, mit welchem die
Sehläge erteilt werden. Die Czeehen sagen dafür pomlazka.
Dem deutschen Ausdruck ,, stäupen/' ,,stiepen^ entspricht der
slavisdie smagac, peitschen (verwandt mit smacke, smicke,
Peitsche), den die Kassuben bei Daiizig für den Grebrauch ver-
wenden. Der polnische Name fllr Schmackosteni lautet smigust
▼on der Nebenform smigac peitschen , stäupen, prügeln, üicraus
ist das deutsche Schmeckostem (das mit dem Imperativ schmecke
zusammengesetzte Hauptwort Ostern) volksetymologische Umdeu-
tnug.^ Sonst ist im Kassubisc*hen für die Handlung gewöhnlich
dag Verbnm dyggowac gebräuchlich, das eigentlich auf die
gegenseitige Wasserbespritzung geht, welche in diesen
Landschaften vielfach das Schmackostem zu begleiten pflegt,
wogegen den Wasserpolacken in Oberschlesien und noch sonst
bei Polen umgekehrt smigurst, smigust die gewaltsame Taufe
der Mägde am zweiten Ostertage bedeutet.^ In Masiiren gilt es
1) Vgl. Hennig, Preuß. Wb. Kgbg. ITa'i. S. 175. Grimm, Myth.«
Ä>7. Zeitachr. f. vgl. Sprachf. 1,255. 11,52. Mrongovius, poln. Wb. 486.
2) Vgl. Myth.* 557. Anm. ♦: „In Polen, Schlesien werden am zweiten
^^stertage die Mädchen, welche die Frühmesse verschlafen haben,
voQ den Burschen gewaltsam mit Wasser begossen und mit Birken-
roten geschlagen; oft reißt man sie bei Nacht aus den Betten, schleppt
sie in einen Fluß oder Röhr trog, in eine wassergefüllte Krippe und läßt
sie das Bad aushalten. Die Schlesier nennen das Schmackostem." — Im
Komitat Kolos Bezirk Teckendorf (Siebenbirgcn) begießt man zu Ostern die
Prtoen und Mädchen, damit der Hanf im Laufe des Sommers gut wachse.
In Ungarn (namentlich im Presburgcr , Neutraer und Bacser Comitat) werden
<lie Mädchen am Ostermontage von den Burschen mit ganzen Eimern Wasser
Jossen, wo sie sich nur blicken lassen Beim Adel ist diese Sitte zum
Besprengen aus Fläschchen voll Rosen wasser verfeinert. Dafür rächen sich
<Üe Mädchen am Osterdienstag mit Fitzelrut^n an allem Mannsvolk, oft selbst
in den geistlichen Herrn. Diese Ruten „ schibäks " von slovak. schibät fitzeln
OBd sechs- bis achtfach geflochtene Weidenruten mit bunten Bändern und
farbigen Zeugstreifen umwunden. S. 0. Schade, Klopfan. S. 59 fi. Uebrigens
^ diese Sitte gelbst von Geistlichen geübt worden. Das Concil zu 'Nantes
17*
260 Kapitel UI. Banmseele als Vegetationsdäroon :
als eine besondere Aufmerksamkeit, wenn ein junger Mann ein
junges Mädchen, oder umgekehrt eine Jungfrau den Jüngling
am Ostermontag (resp. Ostersonntag) sehmackostert oder begießt
Sehr häufig sind heutzutage nur die Kinder die Träger der alten
Sitte, vielfach aber noch die erwachsene Jugend des Landvolks^
Bursche und Jungfrauen , wie junge Eheleute. So Schlagen sl B.
im Kreise Chrudim vom frühen Morgen an die Männer ihre
Frauen, die Bursche die Mädchen, die Knechte die Mägde nnd
die kleinen Knaben die kleinen Mädchen. Meistenteils gehen die
Knaben oder jungen Bursche am Ostermontag truppweise im
Dorfe von Haus zu Haus, oder einzeln in die Häuser ihrer
Bekannten und schlagen jedes begegnende Mädchen oder Weib,
treffen sie sie noch im Bette, so peitschen sie sie buchstäblich
hinaus mit dem Rufe: „Schmeck Ostern (Darkehmen), oder:
Steh auf, Ostern ist da!" (Schlesien). Im böhmischen Oberlande
(Komotau, Saaz) begiebt sich der Knabe im Festgewand — ein
Tüchlein an den Zipfeln haltend — zu Paten, Vettern und
etwa auch andern reichen Leuten, tritt vor die Zimmertttr nnd
ruft: „rote Eier heraus, oder ich peitsche die Mädeln aus!"
Am Osterdienstage rächen sich dann oft, aber nicht immer in
gleicher Weise die Mädchen, nur daß sie meistenteils nicht auf
der Straße von Hof zu Hof umherziehen, sondern sich damit
begnügen die im eigenen Hause befindlichen Mannsleute aus den
Betten zu treiben. Kinder schmaekostern auch wohl ohne Unter-
schied des Geschlechts Eltern und Ver>vandte und Bekannte und
jeden Begegnenden. Seltener findet das Schlagen schon am
Ostersonntag statt und zwar entweder vor der Frühmesse, oder
nach dem Nachmittagsgottesdienste; die Heiligkeit des ersten
Festtages tat, so scheint es, gegen den weltlichen Brauch Ein-
1431 verbot als Unfug: In crastino Paschae clerici ecclesiarum et alii
ad domos adjacentes accedunt, camcras intrant, jacentes in lectis
capiunt et nudos ducant per vicos et plateas et ad ipsas ecclesias
non sine magno clamore et su]ier altare et alibi aquam saper ipsos
projiciunt: ex qnibus sequitur divini ofiicii torbatio, corpomm laeaio et
nierabroram quandoque mutilatio. Insupcr quideui alii tarn clerici qaam laici
prima die Maji de mane ad domos aliorum accedunt et capiunt et cognnt
per captionem vcstium et aliorum bonorum et se redimere oportet. Aehn-
liches wurde im Concil. Andegav. ann. 1448 verboten. Mercur. FraD9. Mai
1735. p. 897. Du Gange s. v. prisio.
Der Schlag mit der Leb^nsrnte. 261
sprach. Im VoigÜandef wo die Knaben in der Frühe des ersten
Ostertages aafhaaen, üben die Mädchen erst am ersten Pfingst-
tage das Yei^ltungsrecht. Vielfach beschränkt sich die
Sitte darauf, die Frauen zu schmackostern. Zuweilen
Bcbmackostem schon am Ostermontag die beiden Geschlechter
sich gegenseitig. Ein altes Zeugniß itir dajs Schmackostern
gewährt schon um 1160 Joh. Beleth in seinem Kationale divino-
nun offidprum: Notandum quoque est in plerisque regionibus
secondo die post pascha mulieres maritos suos verberare ac
yidsrim yiros eas tertia die : quod ob eam rem faciunt , ut osten-
dant ae mntno debere corrigere, ne tempore illo alter ab alter-
utro thori debitum exigat. Durch solche Deutung suchte die Geist-
lichkeit die Yolkssitte christlich zu rechtfertigen. Das Werkzeug,
mit welchem die Schläge erteilt werden, ist oft noch ein mit
jungen Blättern grün ausgescJdagenes Birkenreis (Litauen, Sam-
land, Neumark, Obererzgebirge). Haben die Birken im Freien
noch keine Elnospen, so werden die Ruten einige Tage, ja selbst
wochenlang vorher in warmes Wasser gestellt und, hilft auch
dag nicht, die Abende vorher in die ans dem geheizten Ofen
in den Schornstein mündende Röhre gehalten. Gemeinhin nimmt
man statt der Birkenreiser Weidenzweige mit Palmkätzchen, die
erforderlichenfalls ebenfalls durch Wasser und Ofenwärme her-
vorgetrieben werden. Mit Vorliebe werden mehrere solcher Bir-
ken- oder Weidenzweige zu einer Rute verbunden, die in Böh-
men, Mähren, Schlesien durch weitem Schmuck eigentümliche
Fonnen annimmt^ und den Namen pomlazka, pomlaska oder
pomrhoda flihrt. Die pomlazka ist zwar zuweilen eine einzelne
mit Bändern und Flittem geschmückte Gerte, gewöhnlich jedoch
eine Peitsche, welche von 3, 6 oder 9* (zuweilen auch i oder 8),
mitonter bis gegen die Spitze hin geschälten \Veidenruten zusam-
men gedreht und mit bunten Bändern, so viel umwunden oder
mit bunten Papierschnitzeln so dicht durchflochten wurde, daß
sie wie ein farbiger und knospenreicher Blumenstengel aussieht,
in Nordböhmen bilden auch noch tv irkliche Frühlingsblumen den
Ausputz. In der Gegend von Komotau und Saaz sind die Palm-
zweige mit Streifen von buntem Seidenzeuge oder Kattun an der
Spitze und am Handendö zusammengebunden und von oben bis
unten mit ähnlichen Streifen verziert. Statt der Weidenruten
(Mähren) oder mit denselben zusammen (Oesterr. Schlesien) ver-
262 Kapitel lü. Baamseele als Vegetationsdämon:
wendet man auch wol Süßholz oder SüßhoUswurzdn ^ in der
Weingegend Böhmens abgebrochene Weinrehen (dann heiftt
die Schmackoster vinovacka), oder man bedient sich sogar einer
künstlich aus bunten Lederricfnen hergestellten Osterpeitsche (Mäh-
ren, Oesterr. Schlesien). Das Hauen mit der Schmackoster oder
pomlazka wählt sich vorzugsweise die Füße (OstpreoSen) und
Häftde, resp. Fingerspitzen (Elbing) der Begegnenden zum ZieL
Geben die Knaben um Deutschbrod den Frauen nur leichte
Schläge, so peitschen sie um Mährisch Trtibau die Mädchen gau
ernstlich an den Füßen. Bei den Kassuben ging es noch vor
30 Jahren in der rohen Weise her , welche TUemann (o. S. 255)
beschreibt. Wie aber die in Oesterr. Schlesien beim Sohmaok-
ostem gesungenen Lieder lehren, erforderte ehedem der voUflübi*
dige Brauch, daß van oben herab [alle Glieder^ Kopf, Bttcken,
Arme, Hand, Beine, Füße schmackostert wurden. Hier eins aas
Zuckmantel, aus dem dialektischen Original in die Schriftsprache
übertragen: ^ *
Heut ist Ostern;
Da geht man schmackostern,
Um den Kücken, um den Band,
Da kommen die Fliegen rausgerannt.
Wenn sie werden nicht weichen,
Werden wir sie runterstreichen.
Meine Schmackoster ist süße,
Da hau ich dich um die Füße.
Laßt euch nicht lauge puffen
Um ein Stücklein Kuchen.
Ein anderer Gesang aus Hotzenplotz:
Jetzt kommen wir zum lieben Ostem,
Laß das TöchteHein ein wenig schmackostern.
Dann, dann am den Kopf,
Daß du denkst, es ist ein Elösetopf;
Dann, dann um den Bücken,
Daß dich nicht die Bürden drücken;
Dann, dann um die Arme,
Daß du dich lernst der Lout erbarmen;
Dann, dunn um die Hand,
Daß die Leute werden erkannt;
Dann, dann um die Beine,
DaB du immer bleibst daheime;
Dann, dann um die Füße,
Daß du lernst die Alten grüßen;
Der Sehlftg mit der LebeDsrate. ' ^' 263
Dum, daoB d«benim,
Die Fliegen laufen dort hinnm;
Dann, dann dorthinnin,
Die Fliegen laufen daher um. >
Das in diesen Liedern erwähnte Austreiben der Fliegen
bezieht sich auf den Volksglauben, daß die mit der Osterrute
(xepeitschten den Sommer hindurch nicht vom Ungeziefer (zumal
Fliegen y Flöhen und Mttckeu) zu leiden haben »ollen.' Sonst
heißt es aach, wer sdUage bringe Gluck. Der Schmackosterte
wird nach dem Hotzenplotzer Gesang das Jahr hindurch keine
Bfickenschmerzen empfinden; im Erzgebirge sollen demjenigen,
der am 2. Ostertage sich i>eitschen läBt, oder selbst peitscht, im
nächsten Jahr die Beine nicht weh tun;^ in Böhmen empfiehlt
man das Prttgeln mit frischen Weideurutcn als Mittel gegen die
fallende Sucht (Epilepsie).^ Meistenteils jedoch siud diese von
der Ceremonie des Schmackosterns erwarteten Wirkungen ver-
gessen und der Brauch wird nur noch des Spaßes halber und
am des Geschenkes willen geübt, mit dem die Geschlagenen sich
bedanken, resp. von weitem Schlägen loskaufen müssen. Dieses
Geschenk besteht der Hauptsache nach aus rohen oder gekochten
weißen, oder bnntgefärbten (bemalten, mit Inschriften versehenen)
£u^m; dazu kommt auch wol ein Kuchen (Fladen), gelbes (mit
Safran gefärbtes) Osterhrod; ältere Vcnvandte und Junggesellen
geben auch wol etwas Geld. Die Frauen und Mädchen werden
so lange auf Hände und Füße geschlagen, bis sie mit ihren
Eiern herausrücken. Bald ist das nur ein buntbemaltes Ei, so
im Bunzlauer Kreise, das giebt die Jungfrau dem Burschen, der
sie geschlagen hat mit den Worten :
Wem das Ei ich sclieuken werde,
Den lieb ich aus vollem Herzen;
Wem das Eichen schenke ich,
Den hab von Herzen lieb ich.
Anderswo (Melnik) lösen sich die Wirtin und die kleinen
Mädchen mit je drei, die erwachsenen Mädchen und Mägde mit
1) Peter, Volkstümliches ans Oesterr. Schlesien. Troppau 1855 I, 87—88.
2) Reinsberg-Düringsfeld 'S. 1G7.
3) M. SpieiK Abergl. aus dem Obererz-;ebirgc S. 11.
4) W. Grohmann , Abergl. a. Böhmen 176 , 1253.
264 Kapitel III. Baumseele als Yegetationsdämön:
je sieben bis vierzehn Eiern. Von dieser Gegengabe der Geprügel-
ten heißt der ganze Umzug im Kreise Saaz, um Komotau und
Erzgebirge das „Eierlaufen," das „Eierpeitschen." Die jungen
Leute verschenken als Gegengabe ihre „Schmtickosterruten"
(Grüneberg Schlesien), oder sie finden sich, wenn sie am Oster-
dienstag von den Weibern gestäupt werden, mit Marzipan und
Pfefferkuchen ab; endlich flihren sie das Mädchen, welches am
meisten Eier giebt, den nächsten Sonntag am fleißigsten zum
Tanz bei dem Festmahl, das von den gesammelten Eiern ange-
stellt wird. In der Uckermark müssen die am ersten Ostertage
gestiepten Mägde am 2. Festtag den Knechten Fische und Ear-
toffeki im Wirtshause auftischen, die Knechte aber die Musik
zum Tanz besorgen.
Daß auf den Maitag im wesentlichen dieselbe Sitte geflbt
wurde, ist schon o. S. 252 nachgewiesen. In Sttdirland ist es
allgemeiner Brauch der Schulbuben an diesem Tage mit einem
Bunde Nesseln (bunch of nettles) wie wild umherzulaufen und
Gesicht und Hände ihrer Mitschüler und so yieler anderer
Personen damit zu schlagen, als sie ungestraft wagen zu kön-
nen glauben.^ Zu Eichicht und Bergen im Voigtlande werden
die Mädchen zu Pfingsten von den Burschen nut Blumen-
sträußen gepeitscht.* Zu Holzheim in Schwaben und Neuburg
gehen an den drei Sonntagen vor Pfingsten neun Knaben mit
Haselruten von Haus zu Haus und sagen ein Sprüchlein.' Aus
Frankreich ist der Brauch zu Pfingsten schon am Ende des
14. Jahrh. nachweisbar.*
Dem niedersächsischen Fastnachtsbrauche und der slavischen
Ostersitte gegenüber steht in Mittel - und Südwestdeutschland die
1) Hone, every day-book I. London 1866. p. 297.
2) Köhler, Volksbrauch im Voigtlande ß. 176.
3) Panzer, Beitr. II, 85, 129.
4) Liter, remiss. ann. 1400 bei Du Gange v. Pentecoste: Comme le
lendemain de la Pentecoustc, au quel jour Ten a acoustum^ d'aler
gaiger par maniere d'esbatement ceulx , qui ne sont pas levez pour aler boire
sur le diz gaiges, Estenart acorapaignie de la femme Jehan Paon ala en
Tostel de Jehan Duquief de la ville et prist des gaiges en sa maison par
bonne ainour et esbatcment pour ce que le'dit Duquief de la ville n^estoit
pas vestu et ce fait alerent en lostel de Jehan Leureux porteur des pardons
et y entrerent par l'uys de derriere et pource quMl n'estoit pas lev^
Der Sehlag mit der Lebensmte. 366
weihnadiäiche Gewohfiheii des ^^Frischgrttnstreichens/' Fitzelns
oder Pfeffems. In mehreren Thüringischen Waldorten z. B. Hohen-
felden bei Weimar schwärmen die Kinder am Tage der unschul-
digen Kindlein (28. Dez.) auf ^ta Gassen und schlagen die
VorObeigehenden mit Birkenreisem um die Beine, wofbr sie
Aepfel, Nüsse y Pfefferscheiben und Schnittchen bekommen. In
Wdda im Weimarischen gehen sie mit Tannenzweigen, oft sehr
groten, umher und schlagen auf der Straße alle Begegnenden
imd in den Häusern die Dienstmägde. ^ Im Voigtlande und am
ganzen sächsischen Erzgebirge peitschen die Bursche die Frauen
und Jungfrauen am zweiten Weihnachtstag, wo möglich wenn sie
noch im Bette liegen, mit ausgeschlagenen Birkenruten, die
mit rotem Bande zusanmiengebunden sind , oder mit irgend etwas
Grfinem (Rosmarinstengeln oder Wachholderruten). Dazu
sogen die Schlagenden:
Frische Grün, hübsch und fein,
Pfefferkachen und Branntwein!
Im Orlagan, wo die confirmierten und nicht confirmierten
Mädchen am zweiten, die Knaben und jungen Bursche am drit-
ten Weihnachtsfeiertage ihre Eltern und Paten mit grünen Tan-
nenreisem, Dienstboten ihre Herrschatten mit Rosmarinstengeln
prfigelten, lautete der Spruch:
Frisches Grün! Langes Lehen!
Ihr. sollt mir'n blanken Taler (Nüsse n. s. w.) geben.*
Dann erhalten sie eine Bewirtung mit Stollen, oder Pfeffer-
kuchen und Branntwein. Am dritten Feiertage zahlen die Frauen
den Männern die Schläge zurück.^ In der Gegend von Hof
peitschen oder „fitzeln" (d. h. mit Ruten streichen: Grimm, W. B.
ni, 1696, 3) die Bursche am 3. Feiertage Nachts 12 Uhr, die
Mädchen zu Neujahr. In gleicher Weise peitschen (Böhmen) die
prindrent semblablement des gaigcs en sa maison par bonne amoor et esba-
tement; et qnant vins a beure de disner le dit Estenart apella ou envoya
qierir le dit Dnqaief de la ville pour venir disner en Fostel du dit des
Xttes snr les diz gaiges.
1) 0. Schade, Klopfan S. 57.
2) 0. Schade a. a. 0.
3) Spieß, Abergl. d. säcbs Erzgeb. 8.9. 11. Köhler, Volksbrauch im
Voigtlande S. 174.
266 Kapitel III. Baaniseele als Vegetationsdämon:
Burschen mit Büscheln von Weidenzweigen, die bereits am
4. Dezember (Barbara) gebrochen und seitdem künstlich getrieben
sind (Barbarakätzchen) am Tage der unschuldigen Kinder
(28. Dezbr.) aus; an dem nämlichen Tage übt den Brauch in
Untersteiermark die erwachsene Jugend. Im Goburgischen pfef-
fern^ oder „dengeln" (d.i. hämmern Grimm, Wb. 11,926)
Knaben die Frauenzimmer am ersten Weihnachtstage, die Mäd-
chen die Mannspersonen am Neujahrstage mit einem grünen
Sträußchen, wie es grade zu haben ist (Buehsbaum u. dgl.);
auch im Wasser durch Zimmerwänne getriebene blühende Flie-
der-, Kirschbaum- oder Lindenäste dienen ebensowohl zn
Weihnachtsbäumen, als zum R'eflfem. Mit Vorliebe wählt
man dazu 2 Rosmarinstengel. Neuerdings sind auch bebänderte
Ruten in Uebung gekommen. Die Knaben, welche Ptefferkuchen,
Aepfel und Nüsse, heutzutage auch wol als LfOhn erbitten, haben
dabei, bestimmte Sprüclie, wie sie in Oesterr. Schlesien beim
Schmackostem , im Voigtlande beim Frischegrünstreichen üblich
sind. Z. B.
1. Stöhne (kräana), stöhne, stöhne!
Dn wirst mich heut noch lohnen (lä&na)
Mit Pfefferkuchen und Brantewein u. s. w.
2. Ich pfcffer' euch von oben herein (unten heran),
Drei Batzen nehm' ich ein (nehm' ich an);
Weniger nehm' ich nicht,
Mag's recht sein oder nicht.
3. Ich pfcifer' Sie von unten 'ran.
In der Mitt' ein Göckelhahn,
Obendrauf die Krone,
Sie werden mir gern noch lohnen
Mit Pfeiferkuchen darneben;
Das Pfeffern ist mein Leben.
1) Dieser Name rührt her von den Pfefferkuchen, Pfefferzelten, d- i.
Gewttrzkuchen , Lebkuchen, welche als „Lohn'* von den Geschlagenen den
Schlägern gegeben wurden. Schon eine Münchener Virgilhandschrift ans
saec. X — XI gewährt „liba pfehorceltun.** Schmeller, Bair. W. B. I,a06fL
Vgl. das Papistenbuch saec. XVI: Den nechsten Tag darnach an der unschul-
digen kindlen tag gehen die jungen Gesellen herumb mit einer Ruten, schla-
gen die Junckfrawen um den Lebkuchen und diß neimen etlich den Pfeffer-
tag. Pfeiffers Germania XVII , ÖO vgl. UO.
Der SobUg mit der Lebensnite. 967
Ein Mädchensprnch :
' 4. leb pfeffer* einen schönen Herrn,
leb weiß er hat das Pfeffern (die Jungfern) gern.
Ich pfeffer* ihn ans Herzensgrund.
Gott erhalt' den schönen Herrn gesund.*
Eine ehemals im Plassenburger Archiv befindliehe PoKzeiver-
ordnimg der Herrsehaft Lauenstein vom Jahre 1599 verbietet
das Kindlen oder Dingelu das zu Weyhuachten getrieben wird,
da die großen, starken knecht den Leuten in die Heusser laufen,
die Mägde und Weiber entblösen und mit Gerten oder
Baten hauen.' In Schwaben gehen am unschuldigen Kindertag
die Buben in den Häusern herum und bestreichen mit Btttlein
jeden, den sie treffen, besonders aber die Weiber. Dabei rufen
sie in der Ellwanger Gegend Zelten räB! (scharfe Fladen d. i.
Pfefferkuchen).^ In Wurmlingen „pfeffern" die Kinder die Haus-
mutter mit den Worten:
Pfeffer, Nüssen, Kuehen raus!
Oder ich laß den Mader (Marder) ins Hühnerhans !^
In Augsburg verbot der Rat 1538 das „ Lebzeltenstreichen." '^
Auch in Baiem, Franken, Oestreich kennt man am Tage der
wwchuldigen Kinder, oder am St. Stephanstage (27. Dezbr.) das
Pfeffern mit Wachholderstauden. Die pfeffernden Jungen sagen
im Schwabachgrunde (Mittelfranken) das Sprüchlein :
Schmeckts Pfefferle gut?
Ists gesalzen, ists g'schnialzen , schincckts noch mal so gut.«
In. der Gegend von Tübingen und Eßlingen heißt dagegen der
^'eihnachtsdienstag Pfeffertag. Dann sammeln die Knaben, mit
Raten von „Weckholder" oder Tannen umziehend Nüsse, Aepfel,
Brod ein, nur guten Bekannten schlagen sie mit der Wachholder-
1) A. Schleicher, Volkstümliches a. Sounenberg. Weimar 1858. S.91 — 92.
2) Spieß, Archivalische Nebenstunden III , 89. Haltaus -Scheffer, Jahr-
^tbuch 167. Lichtonfels unweit Coburg. Vgl. Scliade a. a. 0.
3) S. A. Birlinger, Wörterbüchlein zum Volkstümlichen in Schwaben.
Preibnrg i. Breisgau 1862. S. 75. Schmeller, Wb. III, 125.
4) A. Birlinger, Volkstümliches a. Schwaben II, 12, 24.
5) Birlinger a. a. 0. II , 453.
6) Bavaria, Mittelfrankcn S. 957. Vgl. auch noch Weiteres bei Schmel-
1« W. B. 1, 580 8 V. fitzen, 306 ff. s. v. pfeffern.
268 Kapitel III. Baumsecle als Vegetationsd&mon :
auf die Hand,* wie denn überhaupt in Schwaben, der Ober-
pfalz, Franken teils die Finger teils die FUBe gepfeffert wer-
den.' In der nördlichen Schweiz war es zu Hospinians Zeit
(t 1626) Sitte, daß die Eltern am Morgen des Kindertages mit
Ruten aus den Betten trieben.^ Auch in Frankreich empfingen
die Kinder, welche sich in der Frühe jenes Tages noch im Bette
antreffen ließen, einige Schläge auf ihre Hinterseite, wenn sie es
verdienten auch wol noch etwas mehr; in der Normandie aber
taten die Frühaufsteher unter den jungen Ijcuten selbst diese
Ehre den Langschläfern an, man nannte das „bailler les Inno-
cents k quelqu'nn,^^^ oder innocenter. In Belgien wurden alle,
welche man am Allerkinderentag im Bette überraschen konnte,
vorzugstoeise aber die im Laufe des JaJires verheirateten jungen
Eheleute mit Ruten gestrichen.^ In England war die Sitte nicht
unbekannt „to whip up the children upon Innocents Day."*
Endlich heißt auch bei den Südslaven in Krain tepeshkati die
Rute geben am Tage der unschuldigen Kinder.
Noch zweier eigentümlicher Formen des Brauches will ich
gedenken. Wenn im Schaun^urgischen das „erste Spamn getan"
d. h. in detn Jahre zuerst meder gepflügt ist, schleichen sich die
KnecJUe zu den Mägden wnd jieUschen sie, an manchen Orten das
ganze weibliche Personal des Hofes, ufUer dem Buf: „teuf (warte)
ek tvill deh d<i Fleie (Flölie) ütklappen!" so lange, bis sie unter
lautem Holloh vom Hofe entfliehen, worauf denn die Knechte
noch eine Zeit lang mit der Peitsche hinter dreinlaufen.' In der
Umgegend von Hall im nördlichen Tirol findet am unsinnigen
oder schmutzigen Donnerstage (dem Donnerstag vor Fastnacht)
das HudeUaiifcn statt. Ein mit buntscheckiger Kleidung und
einer Larve verkleideter (gewöhnlich reicher und angesehener)
1) Meier S. 467, 219. II, 12, 24.
2) 0. Schade, Klopfan -S. 57.
3) Hospinian , de Origine festorum Chri«tianoruin. Genevae 1674 f. 172.
4) Dufressus zu Clement Marots Epigram 135. Les Origines de»
quelques contnmes anciennes. (!aen. 12" 1B72 p. 141. Cf. Brand pop. antiqn.
I, 53(>. 537. De Furetiere Dictionnaire, u. Trevoux Dictionaire s. v. innocenter.
5) Schayes, essai historiqae sur les nsages des Beiges. Louvain. 1834.
p. 139.
H) Brand , pop. antiqu. 1 , 53G.
7) Lyncker , hess. Sagen. S. 257, 341 ; mündl.
Der Schlag mit der Jjebensrate. 2^
Btoer springt von den Buben herausgefordert aus dem Wirts-
hsnse hervor , um die Lenden eineti mit Semmeln besteckten Gurt
und in der Hatid eine lange Peitsche, an welcher "mehr als 50
Bretgein hängen. Er wirft die Schnur mit den Bretzeln unter
die Buben ans, die sich sofort um die Bretzeln balgen, bei die-
ser Gelegenheit aber mit der Peitsdie tüchtig durchgegerbt wer-
den. Sodann durchzieht der Hudler die Reihen der Bauern,
welche mch inzwischen in einer langen Gasse gelagert haben,
and sucht sich einen aus, der ihm vorlaufen soll. Während
dieser sich dazu anschickt, eilt er ihm nach und schlägt ihn
ufmnterbrochen so lange unter die FüßCj bis er ihn eingeholt
hat. Dann filhrt er den Ereilten in die Schenke, bewirtet ihn
liebreich mit einer Semmel und einem Glase Wein, und beginnt
TOD neuem seinen Lauf mit einem andern Bauern. Dieses Hudel-
laofen* dauert immer bis Sonnenuntergang, dann entlarvt sich
der Hudler und tUhrt im Wirtshaus den Tanzreigen auf.^ I)as
Hodler- (oder Hutler)laufen hat den Zweck, dem Flachs und
Mais ein schönes Gedeihen zu sichern. Diesem l^roler .Fastnachts-
branch schließt sich der schwäbische an , in der Fas(thingBzeit einen
Schalknaben in Stroh einzubinden, der mit einer Hasel-
gerte in der Hand als „Bntzenmaun'^ empfangen unter die
DorQugend hervortritt, und wen er erwischt, Buben oder Mäd-
chen, mit seiner Rute züchtigt.^
Doch nicht bloß auf die Menschen erstreckt sich die Sitte
deg Auspeitschens, sondern auch Tiere u^ul Pflanzen werden
f^hlageti. Die Albanesen der Ri^a schlagen Menschen und
Vieh am Morgen des 1. März mit einem Komelkirschzweig, was
der Gesundheit sehr zuträglich sein soll.^ Die vom Tod-
Fragen Heimkehrenden am Lätaresonntag sehlagen begegnen-
des Vieh mit Stäben im Glauben, daß es dadurch, fruchtbar
werde.* Im lettischen Orte Samiten (Kurland) werden von den
Katen, mit denen man Fastnachtscherz getrieben, einige Zweige
verwahrt und damit beim ersten Austreiben die Kühe geschla-
1) J. Gebhard , Oesterr. Sagenbuch. Pest 1862. S. 471 flf. Zingerle,
Sitten« 139, 1211 — 1212.
2) Birlinger, Volkstäml. a. Schwaben II, 23, 50.
3) Hahn, albanes. Studien S. 155.
4) Myth.» 728.
270 Kapitel IIT. Banmseele als Vegetationsdämon:
gen^ die dann im Sommer nicht von den Bremsen leiden soUen
(mttndl.). Bei Gumbinnen nimmt der Hansherr am Ostermorgen
Palmzweige y die, damit sie ausschlagen sollten, einige Tage im
Schafstall oder unter Schafdtlnger gelegen haben, und ertettt
jedem Stück Vi^h (Pferd, Rind, Schwein, Gans, Huhn) einige
Schlüge damit auf den Bücken , dann tut er dasselbe mit Frau^
Kindern und Gesinde (mündl.). In Gilgenburg (Ostpreuften)
nimmt man dem Kinde , das schmeckostem geht , fein ehrfarchts-
voll mit einem Handtuch eine beliebige Kute aus der Hand,
bewahrt sie auf und treibt damit da« Vieh zum erstenraale aus.^
In Lichten (Oesterr. Schlesien) schmeckostert am Ostermontag
auch der Hirt seine Schafe, damit sie das ganze Jahr gut folgen.*
Vieh mit der Osterrute (pomlaska) geschlagen soll stäts mnnter
bleiben.' Auch in Großrußland steckt das Volk einige der am
Palmsonntag geweihten Weidenzweige in die Winkel der Schop-
pen und Viehställe, damit die Hexen den Kühen nicht schaden.
' Manche schlagen auch ihr Vieh leicht mit einer geweihten Palme
und ziemlich allgemein ist es Sitte am St. Georgstag (23. Apr.)
die Tiere mit den geweihten Weidenzweigen auf das Feld zn
treiben, um sie vor Krankheit und Unglückslallen aJU behüten.*
Bei den Czechen läßt die Hausfrau am Palmsonntag Birken -
und Pimpernußzweige weihen, um damit am Kuhfest die Kühe
rückwärts aus dem Stalle zu treiben.^. In Mecklenburg steckte
man Quitzensträuche (d. h. Zweige des Quitschenl>6m, Vogelbeer-
baum (sorbus aucuparia) am Walpurgisabend (1. Mai) über der
Stall türe auf, um die Hexen abzuhalten, und „strich" oder
„quitzte" damit am andern Morgen die Kühe, damit sie reich-
lich Milch gäben; aber auch Menschen (der Bruder von der
Schwester, die Eltern von den Kindeni) wurden damit gequitzt
und mußten dagegen ein kleines Geldgeschenk geben. Diese
Sitte, schon 1670 nachweisbar, erlosch im Schwerinschen im
Laufe unseres Jahrhunderts.* Bei Iserlohn (Westfalen) werden
1) Toppen , Abergl. a. Masureii. S. 09 vgl. Wuttke §. 83.
2) Peter, Volktttinl. a. Oesterr. Schlesien II. S. 285.
3) Grohniano , Abergl. a. Böhmen. S. 137, 1001.
4) Reinsberg-Düringsfeld, Nationalzeitung 1874. Nr. 187.
5) Reinsberg-Düringsfeld, Festkai. a. Böhmen S. 110.
6) Schiller, zum Tier- und Krauterbuche des Mecklenburg. Volkes.
Schwerin 1861. I. S. 28.
Der Schlag mit der Lebensrate. 271
iioeh heute am ersten Maita^e die Käll>er ^^gequiekt/' Mit einem
Rats schneidet aaf ehiem Berge der liirte bei Sonuenaufgaiig das-
jenige VogelbeerMumchen (qutke) ab, auf wekhes die ersten
Strahlen der 8oune fallen , versammelt aui' dem Hofe die liaus-
leate and Nachlmrn und selilägt mit drei Schlägen die Stärke
(JQDge Kuh, die noch niciht gekalbt hat) auf dem DUiigerplatz
mit einem Zweige des Vogelbeerbaums auf das Kreuz, auf
die Hflfte und auf das £uter unter Hprilchen, von denen der
erste lautet:
Qnik, quik, qaik,
brenk miälke in den strik (Zitze des Euters);
de sap es in den biärkcn,
£n namen kritt de stiärken.
qnlk; quik, qnik
brenk miälke in den strik!
Der zweite den Schlag auf Hüften und Euter begleitende Spruch
besagt, wie der Saft in die Buchen , das Laub in die Eichen
komme, möge der Yogclbeerzweig der Kuh Milch in das Euter
bringen. Unter dem dritten Sehlag auf das Euter erhält das
Tier einen Namen (Goldblume u. dgl.). In Hemer lautet der
Spruch: „Saft in die Eiche, Honig in die Buche! Den Namen
sollst du geneußen, Kohlhenne sollst du heißen/'
Nachdem dann die Hausfrau ihre Stärke besehen hat, nimmt
rie den Hirten mit ins Haus und beschenkt ihn mit Eiern. Die
Gabe fällt aus, je nachdem das Tier gut geweidet worden ist.
Mit den Schalen der t-crzchrien Ficr, hunfcn Bändern und Buf-
^frtiumen wird daa aiifgepIlanzU' Bäumchn (Quckris) verzivrt
«w/ an manch.*^n Orten über der Stalltür aufgehängt. In Schür-
feld erhält der Hirt einen Eierkuchen, in welchen so manches
Q geschlagen, als Blätter an dem Queckenzweige, womit das
Kalb geweiht wurde, hangen blieben.^ In Dalsland (Schweden)
treibt der Hirt sein Vieh an einem dem Hin'nnelfahrtstag vorher-
fehenden oder nachfolgenden Tage schon um Mittag heim, nach-
dem er die Homer der Tiere mit Blumen bekränzt hat. Dtr
Ikerdc vorauf trägt er mit beiden Händen einen ebenfalls mit
1) Fr. Wöstc, Volkäiiberlieferungen in der GrafHchaft Mark. Iserlohn
1^. S. 25. Wösto bei Kuhn, Herabkunft des Feuers und (liittertrankes.
Berlin 1S59. S. 185. Woste , Zs. f. d. Myth. II , 85.
272 Kapitel IIT. Baninseele als Vegetationsdämon:
einem den Wipfel schmückenden Blumenkranz vereierten Yogdr
beerhaum (rönn). Wenn das Vieh auf dem Viehhof seinen Stand-
ort eingenommen hat, geht er durch die Giebeltttr hinaus und
pflanzt den bekränzten Raum auf dem Schober auf, wo
derselbe die ganze Weidezeit hindurch stehen bleibt. Die Schel-
lenktthe erhalten jetzt ihre Schellen, das Jungvieh wird benannty
indem es unter Ausrufung des ihm erteilten Namens dreimal mit
eifier Hute des Vogelbesrbaums auf den Rücken geschlagen ioir^J^
Von den Schweden ist der Brauch zu den Esten übergegangen.'
Im Böhmerwalde tragen die Dorfl)e wohner, welche das Vieh
beaufsichtigen, am 1. Mai, wann dasselbe zum erstenmal ausge-
trieben wird, geweihte Ruten in der Hand, d. h. Birkengerten^
welche gegen das Ende mit einem Strauß von geweihten Palm-
zweigen, wilden Staudenfrüchten und Blumen geschmückt sind.
Sie sollen eine wunderbare Macht zur Trennung des kämpfenden
Hornviehs ausüben. Ein Schlag mit dieser Rute schützt
ein Haustier das ganze Jahr vor tödtlicher Verwundung.'
Auch bei den Ruteneu findet das Kälberquiken mit Birkenmten
und Haferhalmen statt. In der Normandie schlägt man die Ktthe,
um sie milchreich zu machen, dreimal mit einer Haselrute auf
die Seite.* Eine Hexe bekannte in Hessen 1596: „Wenn sie auf
Walburgstag eines Nachbarn Kue mit einem Rüdtlin in Teufels
Namen geschlagen, habe sie das ganze Jar über obige Kue mel-
ken können. Sol<*hes Rüdtlin habe sie in ihrem Stall stehen
gehabt.^ Um sich Milch von fremden Kühen zu verschaffen,
bricht eine Hexe zu Gfrees in der Oberpfalz Zweige von einem
Elsenbaum und versetzt den Tieren damit drei Streiche unter
gewissen Zauberworten.*' Will eine Kuh keine Milch geben, so
nehme mau stillschweigend und unberufen eines Bettelmanns
Stock (einen Haselstecken) und schhige sie dreimal damit. Hiezn
stimmt der folgende bairische Brauch. Am Lechrain streicht
man beim erstmaligen Austrieb des Viehes der Kuh mit einem
1) S. R. Dvbock, Runa 1844 Maiheft S. 9. bei Kuhn, Herabkiinft S. !&').
Vgl. Dybeck, Runa 1845 p. G3. bei Mannlmrdt, German. Myth. 19.
2) Vgl. Mannhardt, Gerni. Mythen S. 20.
3) J. Rank , aus dem Böhmerwalde S. 127.
4) De Norc, Coutnmes, iiiythes et traditions p. 270.
5) Zs. f. D. Myth. 11,72.
6) Schönwerth 1 , 335.
Der Schlag mit der Lcbensmte. 273
Hasebtecken Aber den Rücken ^ um andern Kühen zu Gunsten
der sehugen die Milch zu nehmen. Zweige der Palmweide mit
ibren jungen Mudeln, Mistel, Sävling, Kranewit und Stechpal-
men sind an diesen Haselstecken angebunden, der bis auf die
Handhabe geschält ist, damit die Hexen nicht zwischen Busch
ond Rinde (ygl. o. S. 12. 25) schliefen. Palmsonntag kirchlich
geweiht und beim Wetter teilweise ins Heerdfeuer geworfen, schützt
dieser Pahnbusch vor Blitz ^ (vgl. o. S. 247). In Niederbaiem,
Oberp&iz, Oestreich werden die Kühe am Martiniabend 10. Nov.
nun letztenmale ausgetrieben. Dann verfertigt der Hirte die
sogenannte Martinigerte (österr. Mirtesgard'n).* In der Gegend
von Landau a. Isar ist das ein Birkenreis, dessen Blätter und
Zweige bis an den Gipfel, wo einige stehen bleiben,
abgestreift sind (vgl den Maibaum S. 169). Die stehen geblie-
benen Zweige werden mit Eichenlaub und Wachholderzweigen
durch eine Weidengerte zu einem Busch gebunden. In der Ober-
pfalz besteht die Mirtesgard'n aus Palmzweigen mit den Kätzchen,
Kranewitspitzen , spitzen Blättern vom Segelbaum und Eichen-
buttern. Diese Gerten bewahrt der Rinderhirte in der Oberpfalz
bei sich , läßt sie am h. Dreikimigstage kirchlich weihen und sein
Weib trägt sie am Walbeniabend (1. Mai) gegen ein Geschenk
in die Häuser, damit am folgenden Tage damit das Vieh zum
erstenmale wieder ausgetrieben werde. In Baiem und Oestreich
überreicht der Hirt die Gerten schon am Martiniabend , und zwar
in den einzelnen Häuseni ein bis zwei Gerten. Die Bauern
stecken sie hinter den Kühbarn (Raufe), auf das Dach oder
ober die Tür des Stalles (vgl. o. S. IGl. 203) und nehmen sie
im Frühling wieder herab, d^imit die Dirnen damit rar dem ersten
Weidegang die Kühe aus dem Stalle trei^n. Sie bedienen sich
dabei altertümlicher Sprüche , welche die Fruchtbarkeit der Hecrde,
der Wiese , des Ackers für das folgende Jahr anwünschen ; z. B.
in Etzendorf in Niederbaiem :
Kommt der heilig St. Märten (Mii*te)
Mit seiner Gerten.
1) Leoprecliting, ans dem Lechrain S. 169. 170.
2) Die folgenden Gebräuche sind verzeichnet Panzer II, 40 — 42.
Kr. 45— 48. Zeitschr. f. D. Myth. IV. 27. Schönwerth, a. d. Oberpfalz
J|321, 11. cf. Mannhardt, Germ. Myth. 15 Anm. 3. Kuhn, Herabkunft
S. 188-189.
Mannhardt 18
274 Kapitel III. Baumseele als VegetatioBadämon :
Soviel Eranewitbeeren,
Soviel Ochsen and Stiere.
Soviel Zweige, soviel Fuder Heu!
Steckt sie hinter den Eühbam,
« So wird aufs Jahr keine Kuh verloren,
Und steckt sie hinter die StaUtür,
Treibt sie aufs Jahr mit Freuden herför.
In Niederösterreich:
In Gottes Namen trett ich herein,
Ein Unglück hinaus, und Glück herein!
Gott behüt eure Rind und Schweine,
Eure Lämmer und Schaaf,
Euer Haus und Hof.
Kommt der Sanct Mirt mit seiner Buten;
Soviel als die Rute Zweige hat,
Soviel soll auch der Bauer Vieh haben.
Nehmt ihr die Ruten in eure Hand,
Steckt ihr's wol auf ober der Wand, *
Wol hinter das Dach
Am Sankt Gregoriustag (12. März, Tag des ersten Austreibens)
Treibt das arme Vieh aus,
Durch alle Engeln aus.
Ins Gehölz und auf die Heid\
Damit das Vieh alle Tag find' sein Weid,
Damit es mit Gesund ißt und trinkt.
Mit Gesund zu Haus und Hof heimkimmt.
Ist der heiige Petrus auch dabei
Mit seinem Himmelsschlüssel;
Er sperrt wol dem wilden Wolf
Seinen Schlund und seinen Rüssel u. s. w.^
A. Kuhns Forschung verdanken wir die Kenntnifi einer offen-
bar verwandten Sitte, welche im fernen Osten, in Indien zu
Hause war. Im Yajurveda und den dazu gehörigen Commen-
taren wird nämlich die Geremonie beschrieben, welche angewandt
wurde, um reine Opfermilch von frischmilchenden Ktthen zu
1) Dieses Lied Zs. f. D. Myth. IV, 27. vgl. Panzer U, 41, 45. findet
sich bereits in einer Fassung aus saec. XV. Mytb.» CXXXVII 14. Myth.* 1189;
offenbar ist es noch viel älter. Bruchstücke desselben in einer Fassung des
10. Jahrb. sind in dem Wiener Hundesegen (Müllenhoff und Scherer , Denkm.
IV 3. S. 7.) erhalten.
Det SehUg mit der hobensrut«. 275
^f&alten. Der Opferpriester schneidet im Neumond einen nach
^^slen oder Norden gewachsenen Zweig des Paläga-Pama- oder
des (lamtbaiimes mit den Worten ,,zur Kraft (schneide ich) dich'^
^U»y streift mit den Worten ,,zum Saft dich/' die Blätter herun-
/<er, ^ daß nur eine recht hlätterreirhe Krone stehen bleibt (vgl.
S. 169. 184). Hierauf stellt er etwa 6 Ktthc mit ihren Kälbern
zusammen y treibt letztere mit dem Palä^azweige unter feierlichen
Sprttehen von den Müttern fort^ damit sie dieselben nicht mehr
absaugen und jagt sie allein zur Weide. Jetzt berührt er auch
eine der Kühe statt aller mit dem Zweige, indem er den Segens-
wunsch über sie ausspricht ^ sie mtk^hten dem Indra (Donnergott)
sein Teil an Opfermilch mehren, kälberreich, krankheits-
und seuchelos keinem Räuber oder Bösen zur Beute werden,
dauernd und zahlreich bei ihrem Herrn verweilen. Unter den
Worten: „schlitze des Opfernden Rinder" (vgl. o. S. 80.141) wird
hierauf der Zweig an erhöhter Stätte mit der Krone aufrecht
nach oben und ostwärts gerichtet vor dem Opferfeuer oder vor
dem Hausfeuer aufgepflanzt. Er soll die Wirkung haben, die
im Walde gehenden Rinder vor Dieben und wilden Tieren zu
schützen und sie Abends ohne Unfall nach Hause kommen zu
lassen. Je buschiger, blätterreicher der Zweig oben ist,
dcgto rinderreicher wird der Hausherr; ist er an der Spitze
trocken (vgl. o. S. 166. 184), so wird derselbe rinderlos. Nach
d^Brahmanas wird der Zweig persönlich gedacht, er gilt als die
Verkörperung eines Gottes, und hieraus erklärt sich, weshalb er
(wie die finnischen Waldjnngfrauen) seine Wirkung zum Schutze
des Viehes auch in die Feme hin übt. Nach einer Mythe ist der
fama ans einem Flügel der den himmlischen Soma (Unsterblich-
l^eitstrank, das ' Wolkennaß) herabtragenden Gayatri entstanden
Qfid was vom Soma in das Parnablatt eindrang, soll in die Kühe
oder Kälber übergehen. ^
Wir erwähnten bereits, daß auch den liäwnen und FfUmzen
in der Oster-, Faschings-, Maien- und Weihnachtszeit die näm-
lichen Schläge zu Teil werden, wie Menschen und Tieren. Im
Khöngebirge peitscht man auf Unschuldigenkindertag jeden Er-
wachsenen mit einer Rute, um ihn dadurch zu verbinden ein
1) A. Kuhn, Herabkunft des Feuers and des Göttertranks, S. 148.
180-183.
18»
276 Kapitel III. Baiiiiiseele als VegetationBdämon :
„Neues Jahr'' herzugeben , und gleichzeitig erweist man dieselbe
, Ehre den Bäumen auf dem Felde, damit sie im folgenden Jahre
viele Frucht bringen.^ Der nämliche Brauch wird in Yielen
Gegenden getibt. In Kurland schlägt man am ersten Weihoachts-
feiertag mit einem Stock an die Apfelbäume, dann giebts gutes
Obst (Autz). Im Thurgau schlug man in gleicher Absicht mit
Stangen an die Nußbäume. Meistens jedoch werden sämmdiche
' Obstbäume geprUgelt oder gepeitscht (Mecklenburg, Oldenburg,
Tirol). Man sagt dabei in Rauggen (Tirol).
Bäm, wach und trag,
h^t itit der heilige Tag.'
In England (Sussex, Devonshire u. s. w.) liefen Knaben am
Sylvesterabend truppweise durch die Obstgärten, schlössen um
die Apfelbäume einen Kreis und riefen , indem sie dieselben m i t
Stöcken schlugen:
Stand fest root, bear well top,
Pray God send us a good howling crop;
Every t¥rig apples big,
Every bough apples enou;
Hat« fall, Caps fall
Fall qaarter sacks füll!
Dann jauchzen sie im Chorus, indeß einer sie auf dem Kuh-
hom begleitete.*
In Westflandem schlug man zu Fastnacht die Apfelbäume
mit einer Peitsche und sang während dessen:
appclboomtje wilt niet klagen,
al kriegt gy nu wat klagen,
gy moct van dit jacr dragen
appeltjes zeer frisch en rood
van meer dan een pond groot,
op jeder tak
een moatzak.*
Ebenso schlug mau in Wälschtirol am letzten Faschingstage
hie und da an die Bäume der Fruchtbarmachung halber.* Während
1) Jäger, Briefe über die Rhön 1803. UI, G. Panzer 11,208,364.
2) Vgl. Wattke §. 068. Zingerie, Sitten* 190, 1568. 1569.
3) Brand, pop. Antiqu. ed. Ellis I, 9. 10.
4) Zs. f. D. Myth. lU , Ifrl.
5) Schneller, Märchen n. Sagen a. Wälschtirol, Innsbruck 1867. 234, 12.
Der SebUg^ mit der Lebensmte. 277
man im Lechthal (Tirol) am Charfreitag frühe mit einem SchlH-
gel die Bimne schlttgt, gehen die Czechen an diesem Tage in
dea Baomhof y fallen vor irgend einem Baame auf die Knie und
sagen: Ich bete o Baum, daß Gott dich gut mache! und in der
folgenden Nacht laufen sie rund um den Garten und rufen:
Treibt Knospen ihr Bäume, oder ich werde euch mit
Riten schlagen!^ In Westpreußen streicht man die Obstbäume
Ostern mit Raten. Als Anton Piütorius 1597 zu Büdingen ver-
weilte, zogen die Bttiger in der Walpurgisnacht (1.— 2. Mai)
seharenweise mit Büchsen aus, schössen ül)er die Aecker und
sehlagen gegen die Bäume, um die Hexen zu veijagen.^ Am
Feste Peter und Paul (29. Juni) schlagen die Jungen in Rumä-
nien mit Keulen das Obst von den Bäumen.^ In Schwaben glaubt
man den unfruchtbaren Nußbaum zu reichlichem £rtrage im
nlchsten Jahre zwingen zu können , wenn man zur Zeit der Nuß-
erote hinaufsteigt , so tut als ob er ganz voll säße , und in den
Zweigen herumschlägt, daß das Laub davon fliegt^ In Nas-
sau schlägt man am Jacobstage (25. Juli) mit einem Stecken die
Krantpflanzen und ruft: „Jacob Dickkopp! Dann sollen die
Krantköpfe groü und stark werden.^ Jener schwäbischen Sitte,
M der Ernte den Nußbaum zu prügeln, tritt ein rheinischer Em-
tebrauch an. die Seite. Zu Ruir Kr. Bergheini Rgbz. Köln wird
die letzte Garbe in Gestalt einer Frau geformt und mit
Qeidem ausgeputzt. Auf dem letzten Erntewagen zur Scheune
gefthrt, wird sie dort von den Schnittern mit einem Stecken
begrflftt und geprügelt, indem sie irgend welche lächerliche
Beschuldigung ihr entgegenrufen: „du hast mir den Taback ver-
steckt," „du bist bei meinem Kruge Bier gewesen," oder „du
käst mir die Suppe gegessen.*' Ohne Zweifel beruhen diese
scherzhaften Vorwürfe auf Mißverständniß des ursprünglichen
1) Zingerle a. a. 0. 148, 1274. Orest Miller, Opuit etc. Petersburg 1869.
^48. Ralston, the songs of the Russiiin people. London 1872 p. 219.
2) A. Pr&toriüs, Bericht von Zauberei und Zauberern. 2. Aufl. 1G13. 114.
3) W. Schmidt, das Jahr und seine Tage bei den Rumänen Sieben-
kirgens. Herraanstadt 1866. S. 18.
4) Meier, Deutsche Sagen, Sitten u. Gebr. a. Schwaben S. 250,2.
5) Im Waldeckschen fällt das Prfigeln fort; man nimmt Jacobi Mittags
11—12 von jeder Kohlpflanze ein Blatt und spricht: „Jakob Dickkopp,
werd' so dick, wie mein Kopp!" dann werden die Kohlköpfe recht dick. Der
Jacob 8 tag ist also gewählt wegen der Namensähulichkoit mit Kopp (Kopf).
if78 Kapitel IIJ. Bauniseele als YegetatioiiB^änion:
Sinnes der Ceremonie, die kaum etwas anderes bezweckte, als
Fruchtbarkeit des Getreides im kommenden Jahre. Und in der
Tat, zur vollen Gewißheit wird diese Vermutung durch den Em-
tebrauch der Russen bei Smolensk. Die in Gestalt eines Weibes
mit Kleidern geschmückte letzte Garbe wird von zwei Mädchen
auf den Herrenhof getragen, wo sie in Gegenwart des beglttek-
wtlnschten Gutsherrn von allen Schnittern mit einem Birkenbesen
geschienen wird in der Meinung, daß dadurch die dem Gedeihen
der Fddfrucht schädlichen Tiere vernichtet werden.
Noch schwieriger, als bei den Weihnachtsgebräuchen ersehefait
es, in den vorstehenden Sitten die Bestandteile von einander tn
sondern , welche das Christentum und die christliche Kirche einer-
seits und andererseits das von diesen noch unberührte Volksleben
dazu geliefert haben. Weder der Breite, noch der Tiefe nach
ist das vorliegende Material schon ausreichend , den Verlauf und
die Wege des Verschmelzungsprozesses in seinen Einzelheiten
erkennen zu lassen, aber als feststehende Ausgangspunkte , von
denen aus die Assimilation vor sich ging, sind einerseits die
Palmweihe am Sonntage vor Ostern und andererseits der Mai-
baum wahrnehmbar. Vergegenwärtigen wir uns zuerst einmal
den gemeinschaftlichen Inhalt der Sitte. In der Zeit, wenn die
Natur aus ihrem Winterschlafe sich erhebt (Fastnacht, Ostern,
Maitag) oder die Wiederkehr des Lichtes die gewisse Zukunft
des Frühlings ankündigt (Weihnachten) — wir lassen es zunächst
dahingestellt, ob die Kirchenfeste, oder die Jahreszeit das bedeat-
same und bestimmende Element waren — , werden Menschenj
Haustiere, Obstbäume mit eirmn oder mehreren Baumzweigen
geschlagen, welche durch frisch ausgebrodiene Knospen oder grü^-
nen Blätterschmuck der gleichzeitigen Pflanzenwelt v&raus sind,
überdies häufig durch bunte Bänder oder Papierstreifen gleich
mit Tänien behängten heiligen Bäumen als etwas Besonderes hoch
und heilig gehaltenes gekennzeichnet werden; Blumenstengel,
oder Nachahmungen von Blumenstengeln aus dem dauerhafteren
Material von Lederriemen, zuweilen auch Holzstöcke ersetzen in
einzelnen Fällen die grünen Gerten. Die Tanne dient als immer-
grüner Baum zu gleicher Symbolik; die immergrüne Stechpalme
(ilex aquilblium), die wir o. S. 207 als Vertreterin des Emtemai
kennen lernten , desgleichen ; vorzugsweise jedoch wird die Weide
nüt ihren ersten Knospen, den Palmkätzchen , verwandt. Noch
Der Schlag mit der Lebensnite. 279
fthlt man die unendliche Ehrfurcht der Alten vor dieser Oerte
in der rigenen Brost nachzittem, wenn man erfährt, wie bei
GUgenboig nicht mit bioBer Hand, sondern in heiliger Scheu
nur mittels eines reinen Tuches der Vorgänger des Pflanzen-
waehstoms, der Zweig berührt wird (8. 270 vgl. die Weibnaehts-
nte S. 224); anderswo in Böhmen blieb von diesem Brauche
wenigstens soviel, dafi noch ein reines Tuch neben ihm in der
Hand getragen ist (o. S. 260).^ Das ist ganz der Zartheit christ-
lieher Frömmigkeit gemäß; doch berichtet auch Plinius bist.
latar. 16, 44, von dem Abschneiden des heiligen Mistelzweiges
durch die Druiden „candido id excipitur sago/'
In Westfalen wird die y,Quike'' (o. 8. 270) wie der Sommer
(S. 155 ff.) und der Maibaum (S. 160 ff.) mit Bändern und Eiern,
in Schweden (o. S. 272) wie letzterer (o. 8. 176) mit einem Kranze
angeputzt; wie beide werden die Quitsche in Mecklenburg
(S. 270) nnd die Mirtisgardn in Baiem und Oestreich (8. 273)
tber der Stalltttr, die Quike in Westfalen auf dem Dünger-
kiofen vor dem Stalle (S. 271), der schwedische rOnn auf dem
Schober (S. 272) aufgesteckt Wie der Maibaum ist die Mir-
teagardn bis zur Krone der Zweige beraubt (o. 8. 273). In Böh-
men ist die Identität, resp. Zusammengehörigkeit des Sommers
und des Maibaums , mit unserer Schlagrute teilweise noch unmit-
telbar erhalten (S. 251). Wenn wir auf die von derselben erwar-
teten Wirkungen sehen, werden wir nicht unrecht tun, ihre ver-
seUedenen Formen hinfort unter dem Namen Lebeusrute zusam-
menzufassen. Der Name Quike, Quitscbe engl, quickbeam,
den der hiezu in Norddeutscbland und Skandinavien verwandte
Vogelbeerbaum und der Name Weckholder , ahd. qufekholter ags.
cviebe^, den der in Sttddcutschland vielfach gebrauchte Wach-
lM)lder ftahrt, bedeuten Lebensbaum; quikeu ist stark, kräftig,
jung und frisch machen vgl. nhd. erquicken, neues Leben ein-
luiaehen, goth. quius, ahd. qu(^k, quik; mhd. qu^'k, k^'c, lat.
virns ans guigvus. Es soll Lebens- und Wachstumskraft durch
die Rute mitgeteilt, jedes dem entgegenwirkende feindliche
Gespenst vertrieben werden.^ Wer mit ihr am Maitag oder
1) So wird in manchen Gemeinden das h. Abendmahlsbrod oder die
Oblate nach der Ansteilung bis zum gemeinsamen Genuß in einem reinen
weifien Tuche aufgenommen und gehalten.
2) Vgl. Kuhn, Herabkunft S. 191.
280 Kapitel III. Baumaeele als Vegetationsdämon:
Ostern schlägt, giebt Glück (o. S. 252 u. S. 263> Das SohlageH
mit der Holunderrute zu Lichtmessen, das Fa^'n^imd HadeUanfen
zu Fastnacht verleiht dem Flachse (und ttlrk. Weizen) Waohstom
und Gedeihen (o. 8. 253 n. S. 269). Soviel Zweige die Martin^erte
hat, so viele Fuder Heu soll es geben. Im Rhöngebii^ sohlttgi
man mit derselben Kute, mit der Menschen gepfeffert werdeOi
die Obstbäume, um sie fruchtbar zu machen; man erkennt leicht,
daß das Peitschen und Stockprügelu der Bäume und Erautpflan-
zen an andern Orten nur jüngere abgeleitete Formen derselben
Sitte sind. Die letzte Garbe wird geprügelt, um fürs nächste
Jahr Fruchtbarkeit des Korns zu erzielen und das das Wachs-
tum hindernde Ungeziefer zu vertreiben. Befördert somit die
Lebensrute zunächst vegetabilische Fruchtbarkeit, so verleiht sie
gleicherweise dem animalischen Körper Gesundheit, Lebenskraft,
Nachkommenschaft. Das Vieh bleibt stäts munter (S. 270), Hexen
(die Krankheitsgeister) bleiben ihm ferne (S. 270 u. S. 273); es ist
vor tödtlicher Verwundung (S. 272) resp. vor wundenbringenden
Kämpfen unter einander (S. 272) geschützt. Die Schafe folgen
dem Hirten gut, der fUr sie die beste Nahrung aussucht (S. 272).
Die Kühe kalben und werden milchreich (S. 271). Es giebt soviel
junges Vieh, als die Kute Beeren, oder Zweige hat Auch den
Menschen wird Gesundheit zu teil (Älbanesen S. 269 „Gott erhalte
den Herrn gesund" S. 267); die Krankheit weicht von ihnen in
den Wald (vgl. o. S. 17), die Gesundheit zieht in ihr Gebein ein
0. S. 257; sie bekommen keinen Kückenschmerz (S. 263), ihnen
tun die Beine nicht weh (S. 263); heißt das, sie können in Ffllle
der Lebenskraft Lasten tragen und laufen ohne zu ermüden?
Daß vorzugsweise Hände (Fingerspitzen) und Füße (Beine, Waden)
geschlagen werden, mag sich darauf beziehen, daß Hand und
Fuß , die zur Arbeit unentbehrlichsten Glieder des Menschen vor-
zugsweise itir ihre Verrichtungen kräftig und tüchtig gemacht
werden sollten. Vor dem Schlag der Lebensruten entweichen
Mücken, Fliegen (S. 262) und Flöhe (S. 268), d. h. die insekten-
förmigen Geister der Krankheit (vgl. S. 13. 18) aus dem Körper
des Menschen. Mit dem ersten Pflügen wird ja der Vege-
tationsdämon wieder zu Lande ins Feld, in den Acker einziehend
gedacht, ihn tragen die vom Pfluge zurückkehrenden Knechte in
ihrer Peitsche (ursprünglich wol auch einer grünausgekeimten
Gerte) heim. Die Gabe, welche dem Schmackostemden oder
Der SchUg mit der Lebensrate. 281
Pfefferaden gereicht wird, fassen die Geber meisteDS als eine
Art Ablösung auf , doch bleiben noch genug Spuren davon ttbrig,
iai sie ursprttnglioh einen ganz andern Character, den des 'Emir
geltes oder Dankes ittr die durch den Schlag mit der Lebens-
rate empfjEUQgene Wohltat trug ; ' sehr angemessen werden darum
umeDtlich von Seiten der Frauen Eier (die Symbole des neuent^
itehenden Lebens (o. S. 158) als Gegengabe gespendet
Man fu(!ty schmackostert, pfeffert zwar jedermann; beide
Geschlechter schlagen sich gegenseitig, kein Stand und Alter ist
Mugeschlossen; vorzugsweise jedoch wird auf das Peitschen der
erwachsenen Mädchen und Frauen durch die MHnuer Gewicht
gelegt y und unverkennbar knüpfen sich auch die Ideen der Liebe
and Zeugung an den Brauch. Bei Bunzlau schenkt die Jungfrau
dem Schmackostemden ein Ei mit der Versicherung herzinniger
liebe (o. S.263). An die Ruten sind Wickelkinder, schnäbelnde
Tänbchen u. s. w. gebunden (S. 254). Häufig werden Rosmarin-
nrdge als Ruten verwandt^ Wenn unsere Deutung des Wortes
fiidehi, fuden, fu^n (o. S. 256) richtig war, so muß geschlossen
weiden y daB man in Vorzeiten den Schoß der Ehefrauen mit der
Fastnachtgerte berührte, um ihnen Kindersegen zu sichern, und
dai dieses Stück der Ceremonie mindestens örtlich iUr das Haupt-
stück, fttr so wichtig angesehen wurde, um allen andern Teilen,
dem Gepeitschtwerden der Männer und Mädchen auf Rücken,
Hand, Füße seinen Namen mitzuteilen.
Wenden wir nunmehr der Frage unsere Aufmerksamkeit zu,
wober diese Sitten ihren Ursprung nahmen , so bleibt unser Blick
nvörderst auf dem kirchliehen Brauche der Palmsegnung haf-
ten, dem wir um der Wichtigkeit der Sache willen eine etwas
eingehendere Betrachtung widmen müssen. Schon seit dem
^. Jahrhundert ist in der orientalischen Kirche eine Gedächtniß-
Wer des letzten Einzuges Christi in Jerusalem (Math. 21, 1 — 16)
1) So heißen in Franken die Geschenke an Geld, Spielsachen und
^^iEBwawen, welche die mit Zweigen von^Wacb holder, Buchsbaum, Lorbeer
^ Kosmarin geschlagenen Eltern den Kindern geben, Fitzellohn, in
Jjchwiben Pfcfferleinclohn. Haltaus - SchelFer , Jahrzeitbuch S. 166.
2) Der Rosmarin schmückt in Hessen die Braut beim Kirchgange, in
<i«r Mark das Brautpaar. „In M&gdef lecken giebt es unterschiedliche
Ö*8«en ab die lange, die breite, di^ enge, die rechte, die krumme, die
ßogmarinstraße" A. Gryphius, Peter St^ucnz. Vgl. o. S. 185 Anm. 1.
j(^ Kapitel III. Baamseele als Vegetationsdämon :
«Dter dem Namen Ijfttgu n?)v ßattov nachweisbar. Epiphaoiaf
Bischof zu Salamis auf Cypern (geb. 310 f 403) sagt in mt
seiner beiden Homilien ntQi [iauuy (de pahnis):^ ^^Hier sind wi
heute, wir die ganze junge Mannschaft {vtolaia)^ wir sdbstemm
frucMiragenden Oelbaum (i?xda) gleich, den Oeleweig tragen
und- den Erbarmer Christus anrufend. Wir, gepflanzt im Hans
des Herrn und in seinen Vorhöfen wie FrtthlingsblnmeB anl
blühend, feiern dieses Fest, da wir sehen, daß der Winter de
Gesetzes vorübergegangen ist.'^ Der Redner hebt sodann mehi
fach nachdrücklich hervor, daß (Math. 21, 15. 16) Kinder e
waren, welche Palmen schwingend Hosianna sangen, mid nac
Anleitung von Math. 21, 9 ==^ Ps. 18, 26 bezieht er die Anffoi
dernng in Ps. 118, 27: „Schmücket das Fest mit Mayen bis a
die Homer des Altars'^ auf den Palmsonntag. Ob er aber nn
von einer geistlichen Feier redet, oder bereits auf eine mit wirfc
liehen Baumzweigen veranstaltete Prozession anspielt, ist nicli
deutlich ersichtlich. Jedesfalls setzte sich bloße Verlesong d€
Festevangeliums allmählich in eine solche um und es ist in hohei
Grade wahrscheinlich, daß, als dieses geschah, bei Darstellnn
der Hosianna rufenden Menge die jüdische Volksitte der „Paln
tragung" (.iaiorpogla) zum Vorbild genommen ist, welche bcii
Feste der Tempelweihe, am Passah (V), besonders aber am Laol
hüttenfest geübt ^ und an letzterem am 7. Tage (21. Ti8chri)Qnt(
dem Namen „das große Hosannah" besonders feierlich begmi
gen wurde. Das Laul>hUttcnfest verschmolz die Bedeutung de
alten Erntefestes im Herbst nach Einsammlung aller Frtlohl
(2 Mos. 23, 16. 3 Mos. 23, 39. S Mos. 16, 13) mit der Erinnemn
an die historische Tatsache der Wüstenwauderung Israels; es ii
deutlich, daß diese letztere Beziehung erst hineingetragen wordi
als die jcrusalemitische Priesterschaft das gesammte Volkslebe
in ihre theokratischen Ordnungen hineinzog.^ Somit stammt ai
1) Epiph. Opp. ed. Petav. Paris. 1622. T. II, 251-58. 300 -3a
Augusti, Denkwtirdigk. a. d. christl. Archäologie 1810- U. S. 59— 73. Vg
besonders 64. 68. 70. 71.
2) 1 Makk. 13, 51. 2 Makk. 10, 6. 7. Joseph. Aotiq. XIII, 13, 6. Augi
sti, Denkw. 11,47. Herzog, Realencycl. d. protest. Theol. X VIII, 223.
3) Vgl. Pileidercr, die Religion, ihr Wesen und ihre Geschichte 186!
U, 297.
Der Sehlftg mit der Lebensmte. 2S3
dem alten Erntefeste das biblische Gebot (3 Mos. 23, 40 ^) 4 ver-
iddedene Gewi&chse, Früchte Yon schönen Bäumen, Palmen-
iwejge, Zweige von dichtem Gebttsch und Bachweiden zu ver-
wenden« Zur Zeit des zweiten Tempels wurde ein Myrtenzweig,
m Weidenzweig nnd ein Palmzweig (lulabh) durch drei Kinge
TOD dllmien Palmblättem zu einem Bllschel von 16 Querfinger
Linge verbanden, den man die sieben Festtage in der Rechten
tngy während die Linke eine Art Gitronenapfel (Panidiesapfel,
idsmsapfel, Meerapfel) hielt Mit dem FeststrauA zog man tfig-
lieh in den Tempel * und umwandelte den Altar , indem man die
Zweige dreimal vorwärts, dreunal nach der rechten und dreimal
ufih der linken Seite, dreimal aufwärts und dreimal abwärts
KhAtfeelte. Am 7. Tage, dem groBen Hosanna, nahm man zu
den übrigen Gewächsen noch ein Bündel von 4 Bachweidenzwei-
gen hinzu, und umging siebenmal den Brandopferaltar. Nach
dem Gebet schlug man mit jenem aus 4 Bachweiden
beBtehenden Bttndel so lange auf die Erde, bis alles
Unb abgefallen war. Während des ganzen Festes wurde
tif^h Wasser voi^p Brunnen Siloah mit Trankopferwein ver-
Bueht aosgegosson, man hatte die Tradition, dq/S diese Cere-
wmie auf das ersehnte Eintreten der Regeneeit hei bevorstehen-
Ar Aussaat und auf ein fruchtbares kommendes Jahr bcsüglich
tn, wogegen andere Kabbinen, der historischen Auslegung treu,
dieselbe als eine Erinnerung an den in der Wüste aus dem Fel-
sen geschlagenen Wasserquell deuteten. Nach Zerstörung des
Tempels blieben im wesentlichen dieselben Bräuche bestehen,
nur daß man mit den Lulabhin statt des Altars den Platz um-
wandelt,* von wo aus die h. Schrift verlesen wird. Das aus-
geklopfte Weidenbüschel wird in dem Iteutcl, der die Gcbets-
1) Die Ritoalgcsetze des 2. n. 3. B. Mose verdanken ja allem Anscheine
DÄ<"h samnit der „Grandschrift" der ersten Rächer des Pentateuch der ange-
gebenen Periode ilirc Entstehung. Vgl. Th. Nöldecke, alttestamentl. Litera-
tur. Lpzg. 1868 S. 27. Tifestcn, die religiösen politischen und socialen
Ideen der asiatischen Culturvolker II. 1872. S. 611.
2) Plntarch Syiup. IV 6, 2.
3j Saalschütz, das mosaische Recht 1853. S. 420. Herzog, Realencl.
VIII. 218. 221. Schröder, Satzungen u. Gebr. des rabb. Judentums 1851.
8. 140. Bon. Mayer , d. Judentum in s. Gebeten , Gebr. u. s. w. Regensburg
1^. S. 195 ff.
284 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdamon :
riemeu enthält, aufbewahrt, die Myrthe in das Sabbatbttchdem
getan, den Stiel des Paradiesapfels ließ man noch unlängst von
Schwängerten abbeißen. Daß aus diesen jtidischen Bräuchen
das Vorbild für die christliche Palnisonntagsfeier entlehnt wurde,
wird mir aus der Uebereinstimmung in mehreren Einzelheiten
w/ihrscheinlich. Die Palmsonntagspalmen bestehen meistenteils
gleich dem ljaul)h(ittenstrauße ans mehreren Zweigen eines und
desselben Gewächses, die zu einem Strauß oder Bttndel vereinigt
sind; die Bachweide spielt unter diesen Pflanzen die Hauptrolle,
so daß häufig der Name Palme auf ihre Frtthlingsgestalt Über-
geht; [wie bei den Juden der siebente Tag als „der Weiden-
tag," wird in Rußland der Palmsonntag als Weidensonntag
bezeichnet]. Im russischen Brauche erinnert auch der mit Früch-
ten behangene Citronenbaum an den Citronapfel (Paradiesäpfel)
des Laubhttttenfestes. Wie der Jude mit den 4 Weidenzweigen
am 7. Tage auf den Boden (resp. Tür oder Fenster) schlägt)
klopfen die Buben in Ellwangen vor der Palmweihe mit ihren
Palmbesen beharrlich auf die Erde (vgl. o. S. 258). Und m Eng-
land steckt man die Palmweide in die Ge^ibörse, wie in jüdi-
schen Haushaltungen den Weidenzweig in den Gebetsbentel
Immerhin waren es nur gewisse Aeußerlichkeiten , welche mar
dem israelitischen Kultus entlehnte, die Entwickelung des Christ
liehen Ritus nahm, sobald dies geschehen war, ihren eigenei
Weg. Die Palmen und Baumzweige wurden bei der Umwand
lung des Altars zuerst nur dur(»h Verlesung des Evangeliums
später durch eine besondere Benedictionsformel geweiht; endlicl
erweiterte sich die Prozession zu einer bildlich - dramatischei
Darstellung, wobei der erste Priester das Allerheiligste tragen(
• auf einem Esel ritt, oder ein Christusbild auf einem hOlzemei
Esel dahergezogcn wurde. Priester und Laien warfen Blumei
und geweihte Baumzweige ihm zu Füßen. Es verlohnt sich einigt
der Formen zu vergleichen, welche dieser Ritus in verschiedenei
Ländern angenommen hat, und den Volksglauben, der sich darai
knüpft. In Konstantinopel trug man Palmzweige und Kreuze.
1^ Vgl. Vita St. Andr. Sal. ^Rolland. T. VI. append. p. 70) bei Bint«riin
Deiikwürdigk. der christkatli. Kirche V. 1, 176. ad tinem aliquando vergcba
dicrum quadragiiita jejimium et urbis (/onstantinopolitanac habitatores rami
l)a1inarum sacrisque byiunis Jesuin Chr. venerabantur , cum virum senen
Der Schlag mit der Lebensrate. 285
Ab der Umritt des Patriarchen aaf dem Palmesel aufkam, hielt
der griechische Kaiser diesem bei der Prozession die Zügel. In
Mmkaa trug man im 17. Jahrh. aus der Himmelfahrtskirchc
flii«! mächtig großeti Baum heraus, der mit rtr seh irdenen tViich-
ten fmd Cotifect belMtigen ivar, stellte ihn auf zwei zusammen-
geimndeDe Schlitteu und fuhr ihn langsam fort. Unter dem
Biame standen tttnf Knaben in weißen (fewändeni und sangen
fromme Lieder. Hinter dem Sehlitten gingen viele junge Leute
ndt brennenden Wachskerzen und mächtigen Laternen, dann folg-
ten Kirchenfahnen, Weihrauchfässer, Heiligenbilder, Pagen,
Wfirdentrilger , endlich der Metropolit auf dem Esel, das Evan-
gelienbnch tragend, ihm zur Seite der Czar, mit einer Hand den
ZOgel des Tieres, mit der andern einen echten von Pilgern aus
Pa&stina mitgebrachten Palmzweig haltend. Seit 17(K) stellte
Feter der Große die Beteiligung des Monarchen bei dem Umgang
ab; der trotzdem wenig von seiner Großartigkeit verlor. Das
Volk strömt hier und in allen übrigen Kirchen schon frühmorgens
mit seinen „Palmzweigen'' zusammen und läßt dieselben weihen,
bevor der Umgang beginnt. Es sind das Weiden, den Tag vor-
ber eigenhändig am Ufer der Neglina gebrochen, oder auf dem
reiehlich damit getUllten Markte, der zur Erinnerung an das
Hosiannarufen der jüdischen Kinder auch hunderterlei
Kindergeschenke enthält, gekauft; statt der natürlichen Wei-
denzweige nimmt man auch künstliche Orangen- und Citro-
nenzweige, welche mit Blüten und Früchten und an der Spitze
mit Cherubim ans buntfarbigem Papier geziert sind. Nach dem
Gottesdienst werden diese „Palmen" über den Heiligen-
bildern in der Stube, oder ü-ber der Haustür aufgesteckt,
nicht minder im Kuhstall und auf dem Acker. Auch schlägt
man sich damit gegenseitig (vgl. o. S. 257).^ Die erste Spur der
Palmprozession und Palmbenediction begegnet in Italien im Anti-
phonarium Gregors des Großen; die Prozession bewegte sich nach
dem Ijateran.^ Jetzt segnet der Papst in der riixtinischen Kapelle
coiupicit Andreas in Sacro D. Sopliiao templo, cumitantc turba innu-
raerabili, palmarum ramos et cruces fulguris in modum corus-
cante« tenente.
1) Vgl. Reinsberg-Düringsfeld; Nationalzoituug 1874. Nr. 187. a. o.
S. ^7.
2} Upp. S. Gregorü M. T. XII. p. 66. Nr. 2. Binterim a. a. 0. 174.
286 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdämon :
zuerst zwei große Palmen von 7-- 8 F. Länge, sodann kleine
Palmzweige von 5 — 6 F. illr die Kardinäle ein, sie sind kons
reich geflochten aus Stroh und Schilt'blättem und an d
Spitze einigen wirklichen Palmblättem, dje von auswärts eing
sandt wurden; ein kleines Kreuz ist darangehängt Der niede
Klerus erhält Olivenzweige und die Menge Oliven - oder Lorbec
zweige, ebenfalls mit. einem Kreuz behängt. Nach der Weihui
küßt ein jeder der Kardinäle die Hand des Papstes und seil
ihm dargereichte Palme; die Erzbischöfe nehmen die ihrige n
einem Kuß auf Hand und Fuß des h. Vaters auf j die ttbrigi
küssen dabei nur den Pantoffel. Äehnlich geht es bei der Pab
weihe in den Landkirchen zu. Man steckt die geweihten Baal
zweige ins Haus, um den Blitz abzuwenden und in di
Fruchtfelder, um sie vor Hagelschlossen zu schützen.^
Im 12. Jahrh. faßte man, wie es scheint, in Frankrtii
Baumzweige, Blumen und Palmen in ein Bündel (?) zosamme
Bischof Hildebert von Tours (f 1136) in einer seiner Predigte
„Cujus triumphi gloriam hodie sancta recolens ecclesia, in sigi
crucis et vexillo celebrat solemnem processionem , virenti
arborum ramos ac flores cum palmis post vexillu
sanctae crucis in manibus gestans'^ etc.' Heute verwendet nu
in den meisten französischen Landschaften Bnchsbaum an Stel
der Palmzweige. i)?> Kinder schmücken ihren BtuJisbauniMUfe
mit bunten Bändern, Kuchen, Aepfrln, welche am Pahusonuta
abend von der Familie verspeist werden. Dann bringt ma
den grünen Busch über dem Kopfkissen, oder vlvlU
dem Kruzifix des Familienzimmers an, wo er a
Gewitterschutz bis zum nächsten Jahre verbleib
er müßte denn einem verstorbenen Familiengliede in den Sai
mitgegeben werden. Dann soll — wie mau in der Provence ui
Nordspanien glaubt — die Leiche nicht verwesen, ja mehr£w
ist ein solcher Zweig als grüner Baum aus dem Grabe hervo
gewachsen und die Vögel haben in seiner Krone gesungen. \
1) J. J. Blunt, UrsprUDg religiöser Oeremonion und Gebräuche d
römisch -katholischen Kirche, besonders in Italien and 8icilien. Lpsg.
Darmstadt 1826. S. 186. Opinione ia52. Apr. 11. Zs. f. D. Myth. III, 5
Hone II, 196
2) Serm. 4 in Dominic. Palmar, p. 385. Binterim a. a. 0. 175.
Der Sehlag mit der Lebennrate. 287
der Bretagne dient Lorbeer , an der Provence Myrte und Lorbeer
n gleichem Zwecke.^ — In Spanien trägt die Geistlichkeit bei
fluem feierlichen Umzage am Palmsomitage eine Anzahl von
Zweigen der Dattelpalme zu einem Strauß aufein-
andergebunden^ welche noch ttber die Köpfe der andächtigen
Heoge emporragend bei jedem Schritte sich neigen ; sie sind vor
der Prozession vom minitttriercnden Priester feierlich geweiht und
werden nachher vom Klerus seinen guten Freunden ins Haus
geschickt, um als Schutzmittel gegen Blitz aufs £iseu- .
geländer der Balkone gebunden zu werden.^ In Belgien
trag (zu Tirlemont) das in der Pahns<mntag8procession auf dem
Esel amgefbhrte Bild Christi einen Paln^weig in der Ilanäf '^"^
Trauben und Kuchen behangen, welche die Kinder während des
Umzugs berabzureißen suchten.^ Vor dem Beginn der Messe
seguet der Priester die am I^^iß des Altars niedergelegten Baum-
zweige; die herzustrümenden Bauern lassen große Büschel Buchs-
bauDD, die sie ,,Palmtakken'^ nennen, mitweihen, um sie nachher
in kleinen Bflndeln als Blitzableiter unter das Hausdach und in
iDe Räume des Wohnhauses, der Viehställe und Komscheuem
n verteilen; ein Sträußchen stecken sie in das Hutband, einen
Zweig als Sprengwedel ins Weihwasserikß, um damit bei heran-
nahendem Sturm die Hausräunie, bei Todestallen die im Sarge
Hegende Leiche zu besprengen. Auch in den Ecken der Saat-
fdder l)efestigt man geweihte Zweige, um sie vor Hagelwetter
^ Verhexung der Früchte zu schützen und reichen Ernteertrag
«bewirken; ins Viehfutter gelegt vernichten die geweih-
ten Buchsbaumzweige die Würmer, welche dasselbe
verderben; flinl* Blätter werden Palmsonntags ins Getränk der
^fihe getan, um diese zu reinigen (purger).*
Aus Deutschland berichtet Thom. Naogeo^gus i Kirchniayr), gel),
lall zu Straubingen , in seinem Gedicht über die (iebräuche der
l^tholischen Kircke (Regnuni papisticum Bas. 1553. Ausg. 2. 155l>),
das Volk vor dem auf hölzernem Esel in die Kirche gefahrenen
1) Cortet , Fetes religieuses. »S. 117.
2) Doblado bei Hone IL 197.
3) Reinsberg - Düringsfeld , Calendrier Bel^'C I, 212.
4) Reinsberg - DüringHfeld a. a. 0. 213—215. Thiers, Trait^ des Supor-
ätttiong bei Liebrecht, Gervasius v. Tilbury S. 227, 94. 229, 126. 239, 244.
]iHH
KapiU^I III. Baumseele als Vegetationsdämon:
ChriHtuMde die geweihten aus grünen Baumzweigen
KacL weiden bestehenden Palmen aut den Weg streute,
dieselben nachher wetteifernd auflas in dem Glauben,
dieselben große Kraft gegen Stürme und Donnersei
|i«rtrn. Da*^ ^*'" Priester sich vor dem Bilde zu Boden
on^. ,,«« einem andern mit der Baumrute gesehlagen wi
h^K'T. wir si'hon o. S. 258 aus einem deutsehen Vorgängei
\«/tt^.'n3iss mitgeteilt* Jener Aberglaul^c dauert noch lieui
»r'^-r Verbreitung fort. Beim (iewitter werden 3 am F
^.jjyjj^ iTtMveihte Palmkätzehen (Weiden), oder Zweige in» F«
^5^*f knMizweise auf den Tisch gelegt.^ So lange der R
^'tco^T Zweige aufsteigt, schlägt der Blitz nicht ein.* Auel
•{;i^^|sehauer verbrennt man Palmen.^ Als Schutzmittel g
ja* i5e\ntter werden 3 Palmkätzchen verschluckt.'^ Die P
.»^^oht aus einem Bündel verschiedener grüner Zweige (We
Hs^Mi, Pappeln), die schon seit vier Wochen zum Grünwe
;tiHl Blühen im Wasser standen,*' oder aus einem größeren
läMgt*rcn Stiel, an welchen mehrere Zweige oder Bündel gc
Jon sind. So um Basel aus einem Tannenbäumchen vor
r2 F. Höhe, das bis auf die Kro^ie geschält und mit H
rufen, Buchsbaum, Sävenbaum und Aepfeln künstlich beim
ist (0. S, 246.) Die Palmen in Nordtirol sind ein Busch blt
der Weiden an der Spitze einer sehr langen Stmge heft
und mit Seidenbändern, oft auch Brotzeln verziert, währen
Südtirol dieser bunte Flitter fehlt und nur Oelzweige mit 1
1) — — — jjopulus veuit omiiis
Arboreos portans ramos . salicesquc virentes,
(JuGs tenipcstatis contra coelique fragorom
Adjuvat pastor inulto grundiquc preoatu.
Mox querno sese coraiii prosteriüt asello
Sacrilicus longa quem virga pt-rcutit alter.
2) Zingerle, Sittcu=i lOi), i)3i». llö, 1018. Sohönwcrth II, 11»> fl. ;
Sagen aus Schwaben, 385, ;>3. Leoi>rechting, Lechrain 170. Heins
Dfiringsfeia , Fcstkal. a. Böhmen 110. Zs. f. D. Myth. III, 338. Stracl
Sag. u. Abergl. a. Oldenb. II, 40, 3Ö8. W^uttko-« § 449.
3) Strackerjan L 03, 07.
4) Zingcrle 116, 1023. Landsteiuer, Roste des Hcidengl. S. 43.
5) Zingerle a. a. 0. lOH, 1*40.
G) Meier 385. 33.
^ Der Sehlai^ mit der Lebensrate. 389
kitiehen geweiht and heramgetragen werden.^ In Baieni und
Oestreich bilden Zweigbttschel von Baehweiden, »Stechpalmen.
Ktranewit, Sävenbaom and Mistel die Krone des Palmstabes.^
In Ertingen sind die Palmen geschälte Haselruten mit gekreuzten
Bolonderstäbehen, zwischen denen je ein vergoldetes Ei and ein
ipfel prangt,' in Oldeubarg wird auf ein fingerdickes von der Rinde
eotblöAtes Weidenstäl)chen ein Büschel von Buehsbaum, Bickbeere
oder Tannenzweigen gebunden.^ Vielfach besteht der Palmbesen
118 einem Stiel mit sovielen an einander gebundenen Palmbttn-
deln, als man Gelasse in Haus, Scheuer und Stauung
kat Nach der kirchlichen Weihe werden diese Btlndel ausein-
loder genommen und in die verschiedenen Räume verteilt, in
Stehe und Kammer vom Hausvater selbst hinter das Kruzifix
gesteckt Anderswo wird „der Palmen '^ an die Stall- oder
Haastttre oder ans Scheuertor genagelt und verbleibt
daselbst, bis er herunterfällt.^ Zuweilen wird der Palmbesen
Tor dem Hause angestellt und bleibt dort, bis es zum ersten-
aale donnert; dann setzt man ihn in den Viehstall, wo er seinen
Plate behauptet, bis ihn im nächsten Frühjahr ein neuer ersetzt
Dann wird er verbrannt^ Auch in Westfalen pflegt man auf
Stuben und Bienenkörben Zweige von am Palmsonntag geweihtem
Bacbbaum anzubringen.^ Das Wohnbaus, und den Viehstall
wll der Palmzweig vor Blitzschlag und vor dem Eintritt feind-
lieher dem Leben und der Gesundheit schädlicher Mächte
bewahren. Durch ein Fenster, in dem ein Palmzweig steckt,
kann keine Hexe (d. h. Elbe, Krankheitsgeist) hereinkommen.^
Derselbe Gedanke liegt dem Glauben zu Grunde, daß man mit
einem Palmsonntag geweihten Zweige (vom Pimpeniußbaum) den
Wassermann bewältigen (erschlagen) könne.® Ein Vieh, das
1) Zingerle a. a. 0. 146, 1263.
2) Schmcller I, 281. Ansg. 2 I, 387. Leoprecliting 169. Baumgarten,
^ Jahr und b. Tage 21.
3)ßirlinger, Volkst a. Schwab. II, 75, 91.
4) Strackerjan U, 40, 308!
5) Birlinger I, 74. 88.
6) Birlinger U, 74. 89.
7) Kuhn, Westf. Sag. 145, 418.
B) Zingerle 109, 938.
Ö) Grohmann, Abergl. a. Böhmen 13, 52. 54.
290 Kapitel IIT. Banmseele als VegetationadämoB:
Schräteleszöpfe (Wichtelzöpfe) hat, schlage man dreimal mit dn
Palmzweigen , dann flieht das Schrätel in Gestalt einer Katse.
Als Dämonenvertreiher hält der am Palmsonntag geweihte Zwei|
sofort nach dem Gottesdienst im Kuhstall hinter einem Balke
verborgen, die Rinderjjest fem.* Auch die Pest wurde ja al
persönliches Wesen, Viehschelm u. s. w. gedacht. In den Kdi
per hinein kriechend, oder in Insektcngestalt ihn abweiden
bewirken die Krankheitsgeister Abzehrung, trockenes Euter u. s. ¥
Hiemach ist zu beurteilen, daß man den Pferden und Rinder
3 Palmen zu fressen giebt;^ die Kühe geben dann gute Mild
Schon eine Handschrift in St. Florian aus Saec. XIV. (Myth
XLVn. 10 — 13) sagt „So man die palm haimtrait von Kirchei
so legent sy sew ee in die chue chrip, ee das sy sew viidc
das tach tragcnt. so gent die chue des iars gern haim. item di
pursten die man zu den palm stekcht, do pursten sy das viee
mit, so wemt sie nicht lausiff, item palm legent sy under da
chrawt hefen, so vallent nicht fl engen in das chrawt item s
tragent umb das haws, ee si sew hie in tragent, so essent (
fiichs der huner nicht.* (lieber die Insekten als vermeiniliG
dämonische Wesen , die die Manze und den Tierkörper abzehre
oder ausfressen, vgl. o. S. 13 u. 280.) Mit dem „Palmzwei
schlägt man beim ersten Austrieb die Kühe ^ und in Tirol betri
kein Hirte die Alme ohne ihn. Wenn die Kühe sich mit de
Köpfen so enge verketten, daß sie nur mit Mühe auseinanderzi
bringen sind, löst ein geweihter Palmzweig den schlimmen Zastand
Wie dem Tierleibe bringt der Palmzweig durch Entfernung de
dem Wachstum feindlichen Geister dem menschlichen Körpc
Wolsein und Gedeihen. Man ißt Palmkätzchen als Präservati
1) Panzer II, 189, 320.
2) Renisberg-Dür'iDgsfeld Festkai. a. Böhmen 111.
3) Banmgarten, das Jahr S. 21
4) Vgl. Flöhe vertreibt man so: man wickelt in der Charwoche ei
Bündel geweiliter Palmzweige in ein Tuch und steckt es hinter ein Mnttei
gottesbild ; wenn dann Ost«m die Glocken zur Auferstehung läntcn , schwing
man das Bündel dreimal und ruft: „fort mit allen Tieren, die keine Knoche;
haben", so sind die Flöhe für das ganze Jahr vertrieben. Grohmann, Aberg
a. Böhmen S6, 618.
5) Leoprechting 17().
6) Alpenburg, Mythen 396.
Der SehlAg mit der Lobensrate. 291
gegen Fieber y^ Zahnweh oder Halsweh.* Wie in Frankreich der
Admiwdg demTodten in den Sarg mitgegeben wird, steckt man
ib in Böhmen nnd Oldenbni^ als Lebensmte ant' das Grab.'
Aach die dem Wachstnm der Pflanzen feindlichen Dämonen
sollen durch die Palmen verschencht werden. In Baiem tut
Bin dieselben sammt den am Charfreitag gebrannten Holzstäbchen
nd Asche des Osterfeners aufs Feld , nm dasselbe gegen Hagel-
Khlig zn sichem/ in Oberbaiem sind es Pahnkreuze, die neben
geweihten £iem in jede Ecke des Ackers gesteckt werden/
Dadarch vermeint man die Raupen ^ Komwürmer, Mäuse und
Haulwttrfe zu vertreiben.^ Steckt man Palmen in die Wintersaat,
so wächst diese so hoch, als die Palmen sind.^ Man wirft auch
nr einige Palmblttten in die grüne Saat, um diese zu segnen.*
YieUiach werden Ostern, zuweilen Maitag die Felder gepalmt.^
h Ostpreufien steckt man in die Ecke des Misthaufens Palmen,
dum wird er sehr fruchtbar. ^^
In Schottkind (Lanark) hielten auch 1795 die Schulknaben
im Tage vor Palmsonntag einen feierlichen Umzug mit einem
hngen Weidenbaum , woran Affodill, Seidelbast und Buchsbaum
befestigt waren. ^^ In England setzte man' am Palmsonntag
geweihte Palmkreuze über die Türen und tat sie in die
1) Birlinger, U, 74, 89. Reinsbcrg-Düringsf. S. 111.
2) Zingerle« 147, 1264. 109, 942. 943.
3) Reinsberg - DQringsfeld , Festkalender a. Böhmen 116. Strackerjan
t. a. 0. Vgl. daß nach der Legende der Baum des Lebens aaf Adams Grabe
viebi Piper, evang. KaL 1863. S. 52. 60.
4) Panzer IT, 79, 114.
5) Panzer II, 212, 380. Y'gl. ebds. S. 534. „ In Bering ist der mitt-
lere anfrechtstehende Teil des Krenzes ein Palmzweig, welcher am Palm-
WMtage geweiht worden ist. Dieser Zweig wird oben gespalten, nm einen
Zvei^ des Lebensbaumes nnd einen Weidenzweig mit den Efitzcben (Palm-
iDoddn) befestigen zu können, welche beide Zweige die Arme des Krenzes
büden. Am Ostertag geht jeder Bauer mit seinen Dienstleuten um jeden
seiner Aecker , steckt auf jedes Eck ein solches Kreuz und Stuck eines geweih-
ten Ostereis, in die Mitte des Feldes ein ganzes rotgefärbtes Ei, das Kreuz
^^^ ein am Charfreitag angebranntes spitzes Holzstück.''
6) Grobmann 61. 449. Wuttke« § 647.
7) Beinsberg -Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen. 110.
8) Ebds. S 111.
9) Kuhn» Westf. Sag. II, 145, 418. 155, 437.
10) Wuttke« § 650.
11) Brand, pop. antiqu. ed. Ellis I, 121.
19*
292 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdämon:
Geldbeutel, (vgl. o. S. 283), um den Teufel zu yerjagen.
Asche des geweihten Buchsbaums galt mit Weihwasser yennischt
als wirksames Heilmittel gegen das kalte Fieber und sollte die
Wttrmer tödten.*
Die ausgehobenen Belege sind in vollständigstem Maße auB-
reichend, um darzutun, daß die wichtigsten Stttcke des an den
Schlag mit der „ Lebensrute '^ gehefteten Volksglaubens den
Palmbttseheln auch ohnehin schon (zukommen, vomehmlieh die
Kraft Dämonen, dem Körper schädliche Geister zu vertreiben und
dadurch Menschen, Tieren, Pflanzen Wachstum und Gedeihen sa
sichern. Wie der Maibaum, Emtemai, Richtmai werden sie za
solchem Behnfe aufs Dach gesetzt, in den Wohnräumen ange-
bracht, wie der Richtmai schützen sie vor Blitz und Stürmen.
Ja sie sind ein Symbol des aus dem Grabe wieder erbltthenden
Lebens (S. 286. 287. 291). Es erhellt, daß der Schlag mit dem
Palmbüudel besonders nachdrücklich die Heilswirkungen übertragen
und vermitteln sollte, welche den vereinigten Zweigen an sich
beiwohnten. Um so weniger werden wir uns der Vermutung
entziehen können, daß die Schmackosterrute (o. S. 258 ff.) die
Kindelrute (o. S. 265 ff.), der Fußstrauch (Fastelabendrute) zu Ostern,
Weihnachten, Fastnacht durch Uebertragung auf ein anderes
Kirchenfest aus dem Palmsonntagsbrauch entstanden und mit der
Kirche und ihrer Ausbreitung gewandert seien. Die Uebertragung
auf Ostern vorwärts und auf Fastnacht rückwärts lag nahe.. Auch
spricht ftir dieselbe deutlich der Umstand, daß die Schmackoster
gemeinhin aus einem Bündel von mehreren Weidenzweigen
besteht. Eben dasselbe ist zuweilen bei dem zu Weihnachten
oder am Tage der unschuldigen Kinder gebrauchten Schlaginstru-
mente der Fall. Auf den letztem Tag » (28. Dez.) an welchem
die kirchlichen Ceremonien durch Kinder nachgeahmt wurden,
wollte man um so eher die Darstellung der dem Palmsonntag
identischen Festgeschichte des 1. Advent übertragen, da die
Beteiligung der Kinder am festlichen Empfange des Heilandes in
Jerusalem in älterer Zeit mit besonderer Betonung hervorgehoben
wurde, (o. S. 282. 285. 291.) Vom 28. Dez. aus ergab sich sehr
einfach die Verschiebung auf den 3. Weihnachtstag. So nahe
1) Dialogue betwene two Neigbours 1554 bei Brand a a. 0. 127. New-
ton, Herball to the Bible p. 207. Brand a. a. 0* 126.
Der Sehlftg mit der Lebeosnite. 2d8
DU diese Vermatangen liegen, sind dagegen doch die beiden
Unstände in Erwägung zu ziehen , daß einmal eine dramatiBche
Yeranschaiilichung des Einzugs Jesu in der Adventszeit (so viel
ieh mieh erinnere) nicht bekannt ist/ dann daß meistenteils nicht
WeidenbUndel, sondern einzelne grün ausgeschlagene Aeste
inderer Bäume zum Frischegrttnpeitschen , Fitzeln u. s. w. ver-
windt werden y die Weiden somit erst durch Analogie mit dem
Pdmsonntags - und Osterbrauch von diesem her in die schon fest-
stehende Weihnachtssitte vereinzelt herUbergenommen sein könnten.
Wieder auf einen kirchlichen Brauch und zwar auf einen der
srnSchst vom Osterfest entlehnt sein möchte, scheint auch der
Dmstand zu weisen, daß in Frankreich saec. XV. die durch die
Bsteiischlagang unzweifelhaft zu ergänzende Sitte, Leute irtth-
moigens ans den Betten gerissen mit Wasser zu begießen (o. S. 260)
am Altar der Kirche und von Klerikern geübt wurde. Denn zu
Ostern findet sich, auch außerhalb des Gotteshauses der nämliche
Bnneh (o. S. 259), zu dessen Erklärung sich zunächst die aus der
Bgenschaft des Osterfestes als vorzüglichste Taufzeit entsprun-
gene Heiligkeit des Osterwassers darbietet.
Nahm die Sehmackoster - Fastnachts - Kindelrute vom Palm-
iKueh ihren Ausgang, so muß auch das Schlagen aus dem Ideen-
kreise des letzteren erklärt werden. Die dem Heiland zu Füßen
geworfenen, von ihm beschrittencn Baumzweige, deren gleich-
wirkgame Stellvertreter die vom Priester geweihten Ruten waren,
konnten als seiner Kraft, seines Wesens teilhaftig geworden
betrachtet werden.
So gut man von Maria dichtete:
,,dü bist sam der ccderbonm,
den da fliuhet der wnmi**,*
mochte die das Geistige vergr(*)benide und in den Bann des Sinn-
lichen herabziehende Phantasie des christlichen Volkes mithin die
Jahnen" in materiellerer Auffassung als Dämonenvertilger, Wurm-
vertreiber bezeichnen. Die schnelle, schüttelnde Bewegung des jüdi-
schen Weidenbüschels am großen Hosanna wäre der Ausgangspunkt
gewesen, von welchem aus die christliche Festsittc zur Uebertra-
1) DaB in Tirol der Schimmelreiter Anklöpflesel genannt wird, Zs. f. D.
Mjth. III, 337, darf doch schwerlich dafür angesehen werden.
2) Melker Marienlied. MüllcnhoiT n. Scherer, Denkmäler deutscher Poesie
^d Prosa 1864 XXXIX S. 117.
294 Kapitel Xu. Baomseele als Vegetathmsdämon:
gung der dem Zweige einwohnenden Kräfte auf Menschen, Tiere,
Pflanzen darch Berührung, durch Schläge mit demselben sich
fortbildete. Als Dämonenvertreiber hätte derselbe zugleich seinen
Platz auf dem Dache des Wohnhauses oder Viehstalles geüindeD,
um die Wetterhexeu und Krankheitsgeister abzuhalten. Mit einem
Worte, mit den Kräften Jesu, des Lebensitirsten ertlUlt hätte der
Baumzweig, oder Zweigbündel dadurch alle jene Eigenschaften
der Lebensrute überkommen, welche wir o. S. 278—281 zusammen-
gestellt haben.
Enthielten diese AusfUiirungen den wirklichen Sachverhalt,
so würde die Consequenz erfordern auch das Schlagen mit dem
Sommer- und Maibusch (S. 252. 264) das Kälberquieken (o. S. 270)
für Uebertragungen der Palmrate auf einen anderen Jahrestag zu
erklären. Und in der Tat weist die Gestalt des in B()hmen zun
Schlagen verwandten Sommers „ Bündel von Weiden , mit bunten
Bändern dnrchflochten , statt des sonst zu diesem Behufe dienen-
den Bäumchens auf eine Vermischung von Lätare- und Palmaram-
gebräuchen hin ; und auch sonst ist eine derartige Uebertragnng
nicht selten nachweisbar. In Oberschlesien z. B. heißt der
„Sommer", das am Lätaresonntag einhergetragene geschmückte
Bäumchen, durchstehend „Mai",^ hat also von dem der Sache
nach nächstverwandten Brauche den Namen empfangen. Da wir
in der Palmsonntagsprozession sowohl in Moskau o. S. 285, als
in Frankreich o. S. 286 und Belgien S. 287 einen , wie der Mai-
baum und Sommer, mit bunten Bändern, Früchten, Kuchen aus-
gerüsteten Baum entweder als Pahnbusch verwandt oder dem
Umgange vorausgefahren, oder endlich in der Hand des Christus-
bildes befindlich sehen, wobei wieder der erste Gedanke auf
einen Ausfluß christlicher Symbolik (o. S. 242 fl^.) sich richten muft,*
so werden wir sogar der Frage nicht ausweichen dürfen , ob nicht
der Maibaum, weit entfernt als Verkörperung des Vegetations-
dämons „Lebensbaum" zu sein, vielmehr ursprünglich aus dem
Palmsonntagbrauchc abstammend der \Baum des Lebens in christ-
1) S. 0. S. 181. Vgl. „den Maieu singen** am Maiensonntag (Lfitare)
zu Brieg. Koch (Gierth), Denkwürdigkeiten der Herzogin Dorothea Sibylla
S. 42 ff. In Oesterr. Schlesien „Sommer oder Mai** Peter, Volkstüml. 11, 280.
2) Vgl. Pipers Nachweis über den in Fastenpredigten der griech. Kirche
gewöhnlichen Vergleich des in die Mitte der Fasten aufgenommenen Erenzes
mit dem Baume des Lebens mitten im Paradiese. Ev. Kai. 1863. ö. 72.
Der Bchlftg uiit der Lebensnite. 2d5
fichem Sinoe gewesen und samiut Kichtmai und Brautmaie auB
rein kirehlichen Ideen entsprungen sei. Selbst die o. 8. 182 nach-
gewiesene Eigenschaft dcssell>en als mythischer Dop|>elgiinger
des Menschen wttrde sich dieser Erklärung lllgcn, da (vgl. o. S. 2K2 )
der grüne Frnchtbaum auch ein Bild des wahren (Christen war.
Soleher Annahme stehen jedoch die gewichtigsten Tatsachen
widerspruehsToU gegenüber. Der Maibaum kann von dem Som-
mer, dem Emteuiai, dem liichtmai und der Brautmaie nicht
getrennt werden. Der „Sommer^^ als Gegensatz des ^/lodes^^
imFrfihling hat augenscheinlich reine Naturbedeutung. Der
Ernte mal aber entspricht in allen IStlicken^ Ausrüstung« mit
Bändern, Früchten, Backwerk und ÜefäBen mit Flüssigkeit,
Aifpflanzang vor dem Hause (oder Tempel), Verbleib an diesem
Orte bis zur nächsten Ernte, Verbrennung nach Jahresfrist so
genaa mit der griechischen, schon von Aristophanes bezeugten
Eiresione^ daß man an dessen vorchristlicher Entstehung nicht
iweifeln darf.^ Die dem Maibaum und PalmsonntagsstrauB
gemeuiBamen Züge begegnen ebenfalls schon im italischen und
keüemschen Altertum. In Rom besteckte man (zur Abwehr von
Hilwachs thid Krankheit der Gewächse, Tiere und Menschen)
bei den Palilien am 21. April den Schafstall mit einem grün
belaubten Zweige, die Tür mit einem Kranze-, Weißdornruten
und Wegedom wurden (am ersten Juni) über Tür und Fenster
angebracht, um alles Unheil (noxas) davon hin wegzutreiben und
vor allem die gespenstischen, euleugestaltigen Strigcn, Geister
der Krankheit und Auszehrung, welche den Wiegenkindem die
Eingeweide ansfressen, fernzuhalten.^ Am ersten MUrz pflanzte
Dum jonge Lorbeerbäume je einen vor die Türe der Regia, der
Curien und die Häuser der Flaniincs, nachdem man die vorjähri-
gen entfernt hatte (laurcac vctercs novis laureis mutabantur).
Zugleich wurde neues Feuer im Vcstatcmpel angezündet.^ In
1) Da ich ober die Eircsionc demnächst an einem anderen Orte aus-
fihrlicher handeln werde, verweise ich einstweilen auf Botticher. Baiimkul-
tw der Hellenen 8.39311. A. Mommsen Ileortolojdc S. 104. L>71. 275. Prel-
ler, Gricch. Mj-th. Aufl. 2. I. S. 203.
2) Ond, faat. IV, 737.
3) Ovid, fast. VI, 129 ff.
4) Macrob. Saturn, T, 12. Cf. Ovid, fnst. III, 137 ff.:
Laurea flaminibn», <(uae toto ])erstitit anno,
Tollitur: et frondes saut in honore novae.
2d6 Kapitel III. Baumseele als VegetatioiisdainoB.
Hellas pflanzte man Lorbeerreiser vor dem Hause aiii\ oder liei
Lorbeer und Wegedorn (^auroQ) über der Haustiire aushängen.^
Wie der Maibaum das Dach der beliebten Jungfrau oder des
Hochzeithauses schmückt, so stattete man in Rom die Türen des
Brauthauses mit Lorbeer aus' und die athenischen Eapatriden-
famiiien steckten sowol bei den Hochzeiten als bei dem Feste
der Mannbarkeitserklärung ihrer Söhne und Töchter mit Binden
gezierte Lorbeerzweige vor den Türen auf. Dies geschah einer-
seits zum Schutz vor Gewitter, denn wo Lorbeer ist, schittgt nie
der Blitz ein;^ andererseits zur Abwehr feindlicher Dfimonen.
Wo. sich Lorbeer befindet — heißt es — stellt sich ebensowenig
die Epilepsie ein, als der Blitz dahin komme, wo er, oder ein
Feigenbaum stehe;^ er halte die Dämonen ab und zerstreae
den Zauber.^ Der Lustration wegen, zur Abwehr von Zauber
wird Lorbeer auf dem Heerde verbrannt,* nach Hesiod O. e. D.
433 ist er nicht dem Wurmfraß ausgesetzt (uxiMUTog). Das
Haus und seine Bewohner aber gelten durch die Aufhängung oder
Einpflanzung von Lorbeerzweigen oder Lorbeerbäumen vor den
Krankheiten des Gemütes, wie des Leibes bewahrt^ Zar Hei-
lung von Irrsinn wurden Lorbeerkränze um den Hals gelegt
Janua nunc regis posita viret arbore Fhoebi:
Ante tuas fit idem, cnria prisca, fores.
Vesta qnoque ut folio niteat velata recenti,
Cedit ab Iliacis laurea cana focis.
1) Diog. Ladrt. 4, 57: ^afjivov t€ xtel xld^ov ^d<fvrii vnkg d^r^av ^9-rixi'p,
Hesych.: xo)/nv%f^a. Sntfa'rjv ?/V ioTdÜat ttqo twv nvXaiv, Cf. Diosoorid. I, 119.
2) Jurenal. Sat. 6, 80: Ornentor postes et grandi janua lauro. Schol.
vel frondibos et ramis laareis ad celebritatem naptiarom omato poates et
jannam.
3) Non. morb. curat, c. 259 p. 294: r« (f^ (fvXdaaovra «no xeQavrtov
ilai. TavTa, fr /u^v rotg (fiTuTg Saffyrj xal avxrj. Cf. Bötticher 8.363.
4) Etym. M. xo^vd-äkrij fi tiqo rtov O-VQuiv rid^efi^vrj Jdcpvri . ^ßriad't'nop
yitQ Ttov v^ü)v X(tl ^vyuT^ocor, 6ä(fvag TiQOiTCbovv itfijßfotg xid yafioig ifg
xb öfxüov. Hesych.: xoQvd^nXCa ^lufvri fojsfjLfx^vr], Cf. Bötticher S. 373.
5) Boissonad. Anecd. Gr. 1,1. p. 425: ov^l yao Uqk voaog rj daCfAtov
nuQivoxXei r^ totto) h' iit ^ritfvr} fai)v, MamQ ov^k xiQawos Snov orx^.
(iXXct xul oxtöaanxri (faQudxtor fnT(r, Geop. 11, c. 2: od-fv xn\ ct/rc/^ai'fTai
6tt([j,oai , x(d ^v&a itv j <\d(pvri Uno^iav ^af/uoveg. Cf. Bötticher S. 360.
6) Bötticher S. 365.
7) Bötticher S. 360.
Der Schlag mit der Lebensrute. 397
Kt Knden geBchmflckte Lorbeerzweige dienten als Sprengwedel,
mit denen sich der GottesfÜrchtige beim Eintritt in den Tempel
und beim Ausgange aas demselben aus dem Weihwasserbeeken
besprengte (vgl. o. S. 287) und von welchem er beim Herausgehen
ein Blatt zu sich nahm und möglichst lange bei sich trug (vgl.
0.8.391 die gegen Fieber genossenen Palmkätzchen), um die
empfangene Reinheit dauernder zu machen. Solches Besprengen
btfreite angeblich von der Pest^ Auch ins Saatfeld wurde ein
Lorbeerzweig gesteckt , um das Getreide vor Rost und Brand zu
behüten.' Uebrigens war der Lorl>eer ursprünglich, wie der
Maibanm, als beseeltes Wesen gedacht Diese Tatsache ist der
aehere Gewinn, den die Mythenanalyse aus der Sage von der
durch Apoll veriblgten und in den Baum verwandelten Nymphe
Dtplnie ziehen kann. Denn Apollos Liebschaft ergab sich ein-
&eh ans der Stellung, welche die Pflanze in seinem Kultus ein-
uhm, und die Metamorphose mit allen ihren näheren Umständen
war nichts als ein Versuch , die im Glauben ihren Platz behaup-
tende Baumseele mit der Botanik in Einklang zu bringen.
Es zeigt sich also, daß die Mehrzahl derjenigen abergläu-
bischen Sätze und Bräuche, welche der Volksglaube gleicher-
weise an den Maibaum wie an den Pahnbüschel heftete, schon
Tor der Entstehung des Christentums vorhanden waren. Wir
dnrfen daraus mit Sicherheit schließen, daß sie nicht erst aus
den Anschauungen des letzteren heraus entwickelt, sondern aus
ilterer Tradition so zu sagen fertig aufgenommen, mit äußerlich
ähnlichen Stücken seines Kultus verbunden, und in seinem Sinne
nmgedeutet sind. Somit hat zwar wahrscheinlich eine Ueber-
tragung der Palmrute vom Sonntage Palmarum auf andere christ-
liche Festtage stattgefunden, aber die daran gehefteten Vorstel-
lungen und Bräuche, welche den PalmbUschel als Lebensrute
characterisieren , sind durch unbewußte oder bewußte Verschmel-
zung mit älteren Bräuchen hinsichtlich eines Baumzweiges ent-
standen, der in Italien und Hellas im Lorbeer (Eiresione u. s. w.)
1) Theophrast. Char. 16. Clemens Alex. Strom. Vin. §. 49. Bötticher 370.
2) Plin. bist nat. XVIII. 45 : Bubigo qnidem , maxima segetum pestis,
lanri ramis in arvo defixis transit in ea folia ex arvis. Geopon. V, 33, 4.:
<P10\ Sk jiTTovXriTog, fav (freyri;? fv r/] nnoi'Q(c xX((i!fovg ßdXrjSf fi€T€tßa{viiv
tU ahoi'i rriv ßknßriv rrjs ifjvatßfjs. Bötticher 362.
2d8 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdämon :
im Norden im Maibaum (Sommer) seinen Hauptrepräsentaalen
hat Das Hereindriugen des abergläubischen, der Naturreligioii
angehörigen Elements in den Palinsountagsbrauch war um 0C
leichter möglich, als derselbe in letzter Grundlage ja auf emeii
Emtebrauch zurückging (o. S. 282), und somit von Hause am
unserm Emtenuii und der griechischen Eiresione verwandt war.
Wann und wo aber die christliche Sitte die superstitiosen Zutaten
in sich aufnahm, ob der Hauptsache nach schon vor ihrer Wan-
derung in den Ocx;ident, oder ob dies an verschiedenen Punkten
mehrmals selbständig und auf zwar ähnliche, aber doch im ein-
zelnen abweichende Weise und in verschiedenem Maße geschah,
darüber erlaubt das bis jetzt vorliegende historische Material
noch keine Entscheidung.
Sind die übrigen Bräuche , das Aufstecken des Palmbttsehelc
auf Haus und Viehstall, und ins Saatfeld, seine Anwendung als
Dämonenvertreiber gegen Krankheit, Ungeziefer u. s. w. heid-
nischen Sitten nachgebildet, so wird die Vermutung berechtigl
sein, daß auch der Schlag mit demselben, wie mit der Schmack-
oster-, Fastelabend-, Fitzelrute seine Entstehung der Ueber-
tragung einer vorchristlichen Begehung auf die kirdilich gese^
nete Palmrute und ihre Sproßformen verdanke. Hiefllr sprichl
der Umstand , daß das gegenseitige Schlagen der beiden Geschlech-
ter, der Schlag auf Fuß und Hand, so viel ich sehe, aus christ-
lichen Ideen kaum eine Erklärung gestattet, dagegen bei ver-
gleichender Betrachtung der r<)mischen Luperciilienbräuche uralte
Analogien findet. Und in der Tat, wenn der itir Menschen und
Tiere als mythischer alter ego auf Häuser und Ställe gepflanzte,
im Saatfeld als Erntemai die Rolle des Wachstumsgeistes ans-
Itillende, häufig (gleich dem Palmbusch zu Ostern) am ersten
Mai in Form eines Birkenzweiges, Holunderbusches, Vogellieer-
baumes, in den Acker gesteckte Maibaum, wie die Eiresione and
der griechische I^rbeer, einer anderen, beziehungsweise älteres
Schicht des Volkslebens seinem Ursprünge nach angehört , als da«
Palmarumfest, so wird das Kälberquieken (o. S. 270) nicht davon
getrennt werden dürfen ; und grade dieses findet sein Gegenstück
in einem schon in den Vedcn erwähnten indischen Brauche (o,
S. 275). Wir stoßen hier mithin auf eine anscheinend sichere
Spur davon, daß das Schlagen mit grünem Zweige der Befruch-
tung halber unabhängig von christlichen Ideen entstanden ist und
Der 8chUg mit der Lebensrate. 299
geflbt wurde. Eine iweite solche Spur ist der aus Kheinland
nd KoMand naehgi wiesene Erntebrauek (o. S. 277). In Rom
idlng muiiy um die Strigen zu verscheucheu und da« Gedeihen
des Kindes zu bewirken , Tttr und Schwelle der Kinderstube drei
■al mit belaubtem Erdbeerbaunizweige.^ In diesen Fällen kann
ODDQ^eh der doppelte Gedanke verkannt werden ^ daB der
Schlag mit dem grünen satlreichen (vom Vegetatiousdämon bci^eel-
tm) Oewächse die Miswachsgeister vertreibe, und zugleich ande-
imeits positiv mit 8ail und Lebenskraft und Wachstumsver-
Bügen begäbe. Vgl. ,. Frisches Grün, langes Leben !^' o. S. 265.
Auf dieselbe Vorstellung, die Austreibung der das Wachs-
tum hindernden Dämonen , scheint mir eine Keihe von Hochzeit-
alten surtickzuilihren , welche längst die Aufmerksamkeit der
Forseber auf sich gezogen haben, bisher aber anders gedeutet
nd. Am fleißigsten hat Friedberg in seinem trefflichen Buche
„Das Recht der £heschlieBung'' das Material zusammengestellt,
fan ein Teil der folgenden Beispielsammlung entnommen ist
Um Bodiug in der Oberpfalz treibt der Ilochzeitlader vor
der Trauung die Braut mit einem weißen abgeschabten
Birkenrtttlein unter beständigem Schlagen von der
Kirchtttre bis in den Stuhl, welchem gegenüber der Bräutigam
eeioen Platz einnimmt^ Bei den Katholiken des polnischen Erm-
landes pflegt man gleich nach der Hochzeit die Braut aus dem
Hange zu schicken und mit iiclitenen »St<>cken nach den beiden
sich entfernenden jungen Ehegatten zu schlagen.* Wir reihen
hier gleich die Form des Brauches bei verschiedenen lettischen
Stimmen an. Die Sudauer im westlichen Sanilande tUhrten um
1526 bei der Hochzeit die Braut feierlich zu Bette und seh lu-
gen sie. Bei den Litaueni peitschte um IGOO der Führer
des Brautwagens die Braut in die Klete (das Schlafgemach).
Bei den liCtten in Kurland wurden die jungen Eheleute um 1700
bei der Ankunft in des Bräutigams Hause sofort in die Klete
ins Bett geworfen , und bei zwei Stunden eingcschlortsen. Dann
kamen die Verwandten mit Stöcken, öffneten leise die Tür
nnd prügelten den jungen Ehemann, wenn er nicht schnellen
1) Ovid. fast. VI, 155: Protinus arbutca postes ter in ordine tangit
fronde: ter arbatea liinina fronde notat.
2) Schönworth 1,87.
3) TöppcD, Abergl. a. Masuiou. Auil. 2. S. S\),
300 Kapitel in. Baomseele als VegetationBdämon:
Sprunges entwischte. Besondere Prügel erhielt er, sobald es sm
zeigte, daß er sich bei seiner ehelichen Obliegenheit lässig oder
untüchtig benommen.^ Sehr ergötzlich besehreibt bekanntlich
Immermann im Münchhausen, wie bei einer westfälischen Hoch-
zeit während der Traurede Männer, Frauen, Mädchen und Bni^
sehen dicke Knittel aus Sacktüchern hervorziehen; kaum ist die
Feierlichkeit vorbei , so stürzen sie in wildem Tumult auf den
Bräutigam zu und lassen ihre Knittel auf seinen Rücken , seinen
Schultern und überhaupt aller Orten, wo Platz ist, tanzen. Der
Brauch existiert noch in der Soester Börde, wo man irrtttmlieh
als Grund angiebt, der Bräutigam solle flUilen, wie Schläge
schmecken und seine Frau damit verschonen.^ Im Saterlande
schlugen die Jünglinge den jungen Ehemann, wenn er aus der
Kirche kam, mit Hüten und Schnupftüchern, weil er ein Abtrün-
niger sei.* Gegen diesen Brauch erließ der Erzbisohof von Köln
1607, andere Kirchenftlrsten und Concile schon früher Verord-
nungen.^ Schon im 15. Jahrhundert tritt er uns im Schwanke
von Mayr Betzen Hochzeit 106 — 113 in einer offenbar verderb-
ten und abgeschliffenen Form entgegen:
Für die kirchcn man in (den Bräutigam) fort,
Manig ackerknab da nach im türt.
Seit still! sprach der mesner.
Die törpel namen Betzen her,
Sy erwüsten in bi dem har
Und rauften in zwar
So grimmeclich vnd hart,
Das er ser schreyen wart,
Als dann ist der pawren sit.
Von der Kirchen hiemit
Giengen si wider hain.^
Im Hannoverschen schlug man sicli nach der Copulation mit
Fäusten.® Gradeso geschah es nach Rabelais in Frankreich: Lcs
1) Leimcr, der prouß. Litauer. Danzig 1744. p. 41. Von Brand, Rei-
sen durch die Mark u. s. w. Wesel 1702. p. 78.
2) Kuhn, Westföl. Sag. 11,42, 112.
3) Globus XXn, 1872. S. 199.
4) Of. Köln 1536 bei Harzheim, Concil. Germ. VI, 289.
5) Klara Hätzlcrin, Liederbuch ed. Haltaus 260-61. Noch andere
Beispiele sind bei Weinhold, die deutschen Frauen S. 202 und bei Friedberg,
das Recht der Eheschließung Li)Zg. 1865 S. 86. 96. angeführt.
6) Hoyasche Kirchenordnung v. 1577 bei Richter evang. Kirchenordn.
Weimar 1846 U , 357.
4 •
Der Schlag mit der Lebensrnte. 801
piiollefl dictes et la marine baisee au sou du taliour vous tons
UDerex rang 4 Taultre da soabvenir des nopces: ce sont petitz
ooipi de poing. Tels coaps seront donnez cn riant selon la
eoBtome obeerv^e en toates fian^ailles.^ In der Gegend von
dartres schlagen die Nfichststchendeu die jungen Eheleute wäh-
rend Erbebang der Monstranz dreimal mit einem Messerstiel zwi-
Kkra die Achseln y damit sie nicht eifersüchtig würden.* Nach
diem von Waekemagel mitgeteilten Trauformular aus saec XV.
nU der Priester selbst dem Bräutigam einen Schlag auf die
Sdiulter geben. ,yEt sie percate eum supra scapulas.''^ Bei Olaus
MagDUS L. XIV. c. 9 wird von den schwedischen Hochzeiten
enrihnt, daft sich die Jungen gegenseitig prügeln ^^dorso tenus
pigDO se astantes impetant, ut actum corroborent.^^
Offenbar ist von den vorstehenden Bräuchen der russische
ndit zu trennen y obgleich derselbe noch scheinbarer als diese
warn auch ebenso miftverständlich durch ein den heutigen Ver-
Utnissen entnommenes Motiv gedeutet wurde. Am ersten -Tage
laeh der Trauung steckte der Mann in einen seiner Stiefel eine
Fätsche. Die junge Frau, welcher die Verpflichtung oblag ihm
die Stiefel auszuziehen , konnte wählen , mit welchem sie begin-
nen wollte. Erwischte sie den mit dem Straiinstrument zuerst,
M> yersetzte ihr der Mann einen Schlag über den Rücken. Die-
ses schlagende Beispiel sollte ihr beweisen, daß der Gemahl voll-
^dige Gewalt über sie besitze. In andern Gegenden heißt der
Vater, der eine Tochter vermählt, am Morgen vor der Hochzeit
dieselbe ein Bündel Ruten hereintragen, und versetzt ihr damit
änige leichte Hiebe , indem er bemerkt , daß er sein ZUchtigungs-
recht von nun an ihren zukünftigen Mann abtrete.^ Doch es
Udbe dahingestellt, ob hier wirklich eine Symbolik der väter-
lichen Rechte der Ausgangspunkt oder nur eine Ursache der
Umdeutang des Brauches war. Um so unzweideutiger ist die
Uebereinstimmung, welche ein asiatischer Brauch mit dem deut-
1) Pantagruel IV. A. 2. Cf. die Synoden von Wladislaw 1568 und
^««o^oii 1669, bei Thiers, Superstitions anciennes et modernes. Amsterd.
1736 IV, 460. 464.
2) Memoires de Tacad. celt.IV, 242, Myth.» CXVIII, 19.
3) Haupt, Zs. f. D. Alt. U,555.
^) Heiraten und Hochzeiten aller Vdlker der Erde. Lpzg. sa. S. 34 — 35.
Kapikl in. Bauniscclc als Vcgetaidon&dämon:
jrben lei^ Bei den Koriaks auf Kamschatka wird der Bräa*
o^:aHi« wenn er seine Braut empfängt, von seinen zukünftigen
W^nmiidteu nnd Naehbam mit Stöcken geschlagen. Uebersteht
er die« mannhaft, so erweist er sich als fähig „die Htthen des
Lehens EU ertragen/' und wird ohne weitere Umstände in das
Oemaoh seiner Verlobten geführt.^ Auch m Abyssinien hat der
BriQtigam von Seiten der Verwandten seiner Braut eine Prllfinig
sn bestehen. Sie peitschen ihn aus, um zu sehen, ob er Mnt
luit Zuweilen fällt die Strafe tibertrieben hart aus, denn man
volhioht sie kräftigst mit der Kurbatsch oder Peitsche von Nil-
pfortlhaut. Will der Liebende für einen Mann gelten, so muB er
die Züchtigung mit freudigen Mienen hinnehmen und in diesem
Falle wird er vom Schwärme der Weiber bewundert und mit
einem schrillen Geschrei belohnt. ^ Daß nach diesem Zeugenver-
hOr die von W, Wackcmagel und Friedberg vertretene Ansicht
festgehalten werden müsse, die den jungen Eheleuten erteilten
Schläge seien lediglich ein symbolisches Hilfsmittel gewesen, mn
dem Gedächtnisse an ihren Treuschwur nachzuhelfen, wage ich
mit ziemlicher Sicherheit zu verneinen. Sollen wir diese juiv
dische Absicht auch den Koriaken und Abyssiniem dabei zusehrei-
ben? Viel zusagender ist dem Standpunkte der Naturvölker
der Wunsch, aus den jungen Eheleuten, die die Befruchtung und
Geburt zurückhaltenden Dämonen auszutreiben und die Ent-
fernung des die Entbindung hindernden bösen Geistes wird anch
die Absicht in dem folgenden neugriechischen Brauche sein.
Denn nicht nur bei der Hochzeit machen die Eheleute mit Schlä-
gen Bekanntschaft In Griechenland kommt der Ehemann seiner
in Kindesnöten kreißenden Ehehälfte zu Hilfe, indem er ihr mit
den Quasten seines Gürtels auf die Schulter schlägt und sagt:
Ich habe dich beladen und Gott soll dich wieder entladen {e.yii
a ffpoQTioaa, Y,i o i>L()g oi ^tifoQzioorjl) Dann wird sie leicht
gebären.*
Bei verschiedenen, ganz fernen Naturvölkern wiederholen
sich noch andere Begehungen, welche in entschiedener Ideen-
1) A. S. Bickiiiore, thc Ainos or hairy men, American Journal af
science, May 1868 p. 12 bei M Müller Essays. Lpzg. 1869 II, p.331.
2) Baker, Nilziiflüsse in Abyssinien I, 117.
3) Bybilakis, neugriechisches Leben S. 4.
Aualaaf Über die Innent&ule. 806
Temandtsehaft za den erläuterten Bräuehen stehen. In Neu«
olifiMniien wird das Mädchen beim Eintritt der Pubertät in
die Erde gegraben und diese mit Ruten geschlagen/ offenbar,
m das junge Weib durch Veijagung der Unfruchtbarkeitsdämo-
M der großen Gebärerin Erde gleich zur ErtUlung der Mutter-
pffifhten tauglich zu machen. Ganz ähnlich dem Schaumburgi-
fthen Flöhauaklappen (o. S. 268) wird von den Salivas (Sttd-
imerika) erwähnt, daß sie vor Beginn der Feldarbeit die jungen
Leute auszupeitschen pflegten, um ihnen, wie sie sagten, die
Faulheit auszutreiben.* Bei den Mandurucas (Brasilien) und Aro-
waken (Britisch Guyana) sollen beim Tanz zu Ehren eines Todten
die Waden blutig gepeitscht werden.' Dies geschieht, um die
Seele des Todten zu verscheuchen. Dieser Tanz gesellt sich zu
dm indianischen Brauche, der von der Bestattung des Gatten
liehnkehrenden Wittwe mit einer Hand voll grüner Zweige wie
mit emer Fliegenklatsche um den Kopf zu fächeln , um den Geist
des Verstorbenen von ihr zu treiben, damit sie wieder Freiheit
habe zu heiraten.^ In Mexico wurde am Feste der (röttin des
Oreisenalters, d. h. der Göttin, welche den Menschen Gesundheit
und langes Leben verlieh, Ilmateuctli, eine Weibsperson, die die
6Wm darstellte, geopfert. Sodann liefen die Priester durch die
Qi^mn und schlugen die ihnen begegnenden Personen weiblichen
Oeschlechtes mit Heubündehi.^
Aus diesen Parallelen wird der Sinn des alten Brauches
mit welchem vermutlich christlicher Ritus zur Palmsonntags-,
Schmackoster-, Kindeltagssitte in eins verschmolz, deutlich her-
Yoigehen. Es war die Baumseele, der Wachstumgeist, der durch
sddagende Berührung mit dem grünen, saftigen Zweige mitgeteilt
die Gespenster des Mißwachses und der Krankheit vertrieb und
Gedeihen und Fruchtbarkeit hervorrief.
§. 10. Auslauf Aber die IrmensSule. Es handelt sich um
die Frage, ob auch die Irmensäulen, welche viele Forscher mit
^ggdrasill zusammenstellen, in den Kreis der im Kapitel I. und
1) Waitz, Anthropologie der Naturvölker lY, 243 nach Schoolcraft.
2) Waitz a. a. 0. UI , 394 nach Alcedo.
3) Waitz UI , 393.
4) Tylor, die Anfänge der Cultur. Lpz. 1873 I, p. 447.
^) Müller, Geschichte der amerik. ürreligioncn S. 572.
Anslauf über die Irniensftale. 906
wenn wir uns darunter nach Art unserer Maibäume j der Questen-
beiger Eiche , des wendischen Kreuz- und Kronenbaumes, der
fl^;ii8chen Maypoles einen etwa bis hinauf zur Krone j oder ganz
und gar der Zweige beraubten , nur zu festlichen Zeiten mit Laub
geidunfickten Baum vorzustellen hätten , der als Lebens- und
Schicksalsbaum der größeren Gemeinschaft des Stam-
mes oder Volkes betrachtet wurde im Unterschiede von den
enteprechenden Lebensbäumen der Einzelnen und der Gemeinde?
Siole konnte ein solcher Baumstamm wol genannt werden, zumal
wenn er wie der Maibaum im Innthal (Oberöstreich) die Höhe
TM 40 F. erreichte, oder wie der 20 — 25 F. hohe Kreuzbaum der
Eibwenden einen Hahn gleichsam als Statue auf der Spitze trug.
Noch passender ließen sich die Londoner Maibäunie von St An-
drews Undershaft und auf dem Strande vergleichen.^ Aus dem
Ungut Irmliigül appellantes, qnod latine dicitiir universalis oolamna. Seibertz,
Indes- mid Bechtsgeschichte des Herzogtums Westfalen. Arnsberg 1861 I.
S. 185 legt iieh Rudolfs Worte so zu recht , daß er damit einen Baumstamm
baeidmen woUte, der mit seinen kräftigen Zweigen eine ähnliche Idee wie
4er bimmeltragende Atlas auszudrücken bestimmt war. Vgl. J. Grimms Aeuße-
rong Myth.* 107: ,, Unter truncus ligni dachte sich Raodolf wahrscheinlicher
dnen auserlesenen, heiliggehaltenen Baumstamm, als eine von Menschen-
lund gezimmerte Säule/' »iDer westtalischen Irmensäalo liegt die Vorstel-
lig ?on der hessischen Donnereiche sicher ganz nahe/* Und ebenders.
Mfth.< 64: „von dem heiligen Baome der altsächsischen Irmensul wird das
•white Cap. handeln." Beide . Grimm und Seibertz , scheinen einen leben-
den, an Ort und Stelle gewachsenen Baum im Sinne zu haben. Wenngleich
dieser metonymische Gebranch für truncus zuweilen vorkommt , zeigt doch dio
Verbindung truncum erectum, daß hier nur von einem künstlich uufgerich-
^^, mithin am Fuß verstümmelten, über der Wurzel abgehauenen Baume,
^m mastbaumartigen , hölzernen Schaft die Rede sein könne.
1) Von der St. Andreaskirche an der Nordwestecke von Aldgate wurde
v^hrend des 15. Jahrb. alljährlich ein Maibaum aufgerichtet, der die
^pitie des Kirchturms überragte. Nach ihm hieß die Kirche
^t Andrews Undershaft, und eine Allee, an deren einer Häuserreihe
9 unter den Vordächern auf großen eisernen Haken den größten Teil des
Jahres aufbewahrt wurde, Shaftalley. Seit einem Aufstande im J. 1517
vvrde er nicht mehr aufgerichtet und 1552 ganz zerstört (Stow bei Hone,
E»«ry daybook I, 278). Die Puritaner eröffneten einen Feldzug gegen alle
Maibiiune und setzten 1644 ein Verbot derselben durch Parlamcntsbeschluß
^^. Schon 1634 wird der Untergang des Maibaums auf dem Strande
fl^e der Katharinenstraße) beklagt , der so hoch war wie der Turm von
^^enweU und schöner, als irgend eine Stadt, Gemeinde oder Straße im
Ma&Bhardt. 20
306 . Kapitel m. Baumseele als Ven^tioiiBdamoii:
nämlichen Gedanken wie die Mai- nnd Jöhannisbäume hervor-
gegangen konnte der den Stanunesbanm darstellende Baamstamm
entsprechend der Größe der in ihm zar Erscheinong gebrachten
Idee nnd in Folge der dadurch gebotenen reicheren An»-
schmttckung bedentende Umwandlungen in Form und Maien,
möglicherweise selbst im Material erlitten haben; es konnte «ob
der einfachen Logik der Verhältnisse schon damals gesehdien
sein, was sich später an unseren Pfingst- nnd Mail^Unnen nd-
fach wiederholte. Die kolossale Dimension nötigte den Baum
slllndig zu machen nnd auf die lebende Blätterkrone zu Terridi*
ten; die Säulenform stellte sich von selbst ein nnd in der Fülle
ethischer und politischer Ideen, welche sich an den Stamm knflp^
ten, ward das einfache poetische Bild unkenntlich, das ursprüng-
lich zu Grunde lag.^ Ein treffendes Zeugniß für die Umwandloog
in Säulenform gewähren uns die bei Panzer I, 237, 262. 11, 82,
125 verzeichneten Bräuche des Boschenstechens in Niederbaiem.
Hier tritt der Maibaum auf in Gestalt einer sechs Fuß hohen
eichenen Säule , die in den Boden gepflanzt allezeit stehen bldbt
Um ihren oberen Teil ist ein hölzernes Faß mit Reifen hemm-
gelegt und mit Steinen gefüllt. Ganz oben an der Saide ist efai
Loch, in welches alljährlich am Pfingstmontag ein Fichtenbänm-
Laode einen hatte „All the parish did in one combine to monnt the road
of peace — and all the Insty yonkers i a rout with merry lasses danned
the rod abonf Als die Restauration unter Karl II. auch die Maibäom«
wieder, einführte, wurde auf Kosten des Kirchspiels i. J. 1661 auch der „may-
pole in the Strand*' auf dem alten Platze, aber größer und praehtFoUer
wieder errichtet. Er war 134 Fuß hoch, wurde mit Musikbegleitong unter
Voraustragung eines wehenden Banners in 2 Stücken an Ort luid Stelle
geführt und da die Landzimmerleute damit nicht fertig wurden, von 12 See-
leuten mit allem Werkzeug in die Höhe gebracht, zusammengefügt und mit
Eisenbändem und 6 Ankern verfestigt. Auf der Spitze war ein parpimee
Banner mit dem Wappen des Königs angebracht Zuerst hielten Morria-
tänzer, dann die Menge den Tanz um den Baum. Dieser blieb über öa
halbes Jahrhundert auf demselben Platze stehen und wurde bei allen fest-
lichen Gelegenheiten mit Fahnen , Flaggen , Guirlandon und Blumen gesehmftdEt»
bis er i. J. 1717 dem großen Astronomen Newton geschenkt wurde, um su
Wanstead in Essex als Stütze für das damals größte Telescop der Welt in
dienen. Hone a.a. 0. I, 279 — 280. II, 330.
1) Wie nahe uns heute noch immer die Reproduction des n&mliehmi
poetischen Bildes liegt, zeigen unsere neueren Dichter zur Genüge. Vgl.
z.B. „Wachse du deutsches Reich, grüne der Eiche gleieh. (Geib^)
AniUiif über die Inuentäale. 307
eben mit Tttchem , Spielzeug u. s. w. behangen eingepflanzt wird.
Nieh dnem Umritt um den Landbezirk wird dieser Maibuseh
TW den Reitern herabgestoehen , das dem ganzen Bezirke Segen
mleihende Heiltnm auf diese Weise angeeignet. Wäre unsere
Enrigong richtig y so wäre zwischen dem schwedischen und däni-
Kken Sdintsbaam des Hauses und der Familie, dem skandina-
risck- deutschen y englischen und französischen Baume der Dorf-
idiaft and Stadtgemeinde , und dem altnorwegischen Weltbaum
lag einsige noch fehlende Mittelglied, der Lebensbaum des Vol-
kes oder Stammes in der Irmensul aufgewiesen.^ Wie anlockend
diese Vermutung immer sein möge, die Armut unserer Quellen
Iber die Innensäulen reicht zwar aus, um dieselbe in manchen
wesentlichen Stücken zu unterstützen, nicht jedoch um eine ent-
edieidende Besttltigung zu gewähren. Das wichtigste Zeugniß
bleibt der offiziöse Bericht der annales Laurissenses über den
Feldzag Karls des Großen gegen die Sachsen im Jahre 772,
ixA habe die Eresburg eingenommen, sei von da ans bis zur
Enaeosäule gelangt (ad Ermensül usque pervenit) habe das Heilig-
tum (fimum) zerstört, das Gold und Silber, welches sich dort
Torfand, weggenommen und drei Tage am Orte verweilt, um die
Zerstörung vollständig zu machen. Alle übrigen Annalen sind
ibgekitete Quellen. Aus jenem authentischen Berichte al)er geht
Folgendes hervor. Eine geraume Strecke von der Eresburg'
entfernt lag der heilige Bezirk (fanuni,* wlh, harug), der nach
1) Noch an den ans dem Maibanm entstandenen Freiheitsbänmen des
repnblikuiüclien Frankreich sieht man, wie tief die Anlage zn politischen
Ideen in der Grundidee steckte.
2) Eresborg oder mons Martis , er^t seit saec. XIV. Stadtbergen a. d.
IKcmel genannt. S. die urkundlichen Belege bei Seibertz a. a. 0. I, 183.
Kbendcn. ürknndenbuch I, N. 1. 2. 3. 4. 51. 70 - 105 u. s. w. Für den Stand-
^ der Innens&ule in der Gegend des Bnllerboms bei Lippspringc sind die
»«n Ffirstenberg (Monumenta Paderborn. 241) aufgebrachten Beweise aner-
lanntemiaSen durchschlagend. Sie stand also in Engem, in der Mitte des
Stchsenlandes. S. Zeuss , die Deutschen und ihre Nachbarstämme S. 390.
3) So bezeichnet der Sprachgebrauch jener Zeit die Eultusstattcn der
^^^diseii« In der 785 erlassenen Capitulatio de partibus Saxoniae (Pertz
^.48) werden der Verleihung des Asylrechts an die christlichen Kirchen
die Worte vorangeschickt: Placuit omnibus, ut ecclesiae Christi quo modo
(l-: qnte modo) construantur in Saxonia et Deo sacratae sunt non minorem
^^^^eant honorem sed majorem et excellentioreni , quam vana (1. fana) habuis-
s«»t idolorum. Cf. Abel a. a. 0. 402
20*
:g^ Kapitel III. Baiimseele als Vegetationsdämon :
icr InueusUule als seinem wichtigsten Heiltam benannt war,
(jt6ri^ns aber Anlagen von ziemlich bedeutendem Umfange om-
üi)t haben maß, worunter auch Gebäude und möglicherweise die
Kultusstätten mehrerer Götter sich befanden, da das Heer drei
Tage zu deren Zerstörung brauchte. Daß Karl dieses Heiligtum
zum Zielpunkte seines ersten planmäßigen Eroberungszages nach
Sachsen wählte und eine so lange Zeit darauf verwandte, um es
vom Erdboden zu vertilgen , zeigt , daß er ihm eine hervorragende
politische Bedeutung beimaß, macht wahrscheinlich, daß es ein
Nationalheiligtum in besonderem Sinne war. Hiezu stimmt
sowol die Größe des heiligen Schatzes , als der Name des Heilig-
tums „Säule der Gesammtheit, Säule flir Alle/^ Hier hört nun
zwar das Tatsächliche auf, aber es liegt die Hypothese sehr
nahe, daß diese Irminsul der nationale Mittelpunkt des Engem-
stammes, das Symbol der Stammesgemeinschaft aller Eingemgaae
gewesen sei.^
1) Yilmar a. a. 0. meint des ganzen großen Sachsenstammes. Nun ict
freilich dies gewiR, daß wol schon im Heidentum sich die Sachsen aU
nationale Gemeinschaft gefühlt haben. Denn zwar verschärft and gereift
unter der Herrschaft der Karolinger, im Gegensatz za ihr, kann die Idee sein,
welche im 10. Jahrhundert bei dem Mönche Widukind die herrschende ist
dem sich die gens Saxonica, der populus Saxonicns als die oberste Einheit
darstellen, in der (abgesehen von der christlichen Kirche) sich alle Verschie-
denheiten und Gegensätze des Blutes und der Stellung, der Volksstamme,
Stände und Individuen aufheben und zu einem lebensvollen Organismus an
einander schließen, (S. R. Köpke, Widukind v. Corvey. Berlin 1867. S. 78ff.),
aber entstanden sein muß diese Idee bereits in der Zeit der volklichen Selb-
ständigkeit, üeber das Bewußtsein gleicher Stammeigentümlichkeit und
gleicher Lebensinteressen hinaus gedieh jedoch vor der Einrichtong eines
sächsischen Herzogtums das Gemeingefühl kaum; mindestens eine geschlos-
sene politische Einheit bildete der Sachsenstamm nicht; nicht einmal die
größeren Abteilungen (Westfalen, Engern, Ostfalen, Nordleute) schlössen
sich zu einer solchen zusammen; nur im Kriege und auch da nicht regel-
mäßig einten sich die verschiedenen Gaue der einzelnen Abteilungen zu
gemeinschaftlichem Angriff, oder Widerstand unter einem Führer. (8.
Waitz, D. Vcrfassungsgesch. Ausg. 1. in, 112 ff.) Aus diesem Grunde wird
die im 10. Jahrh. (Hucbaldi vita Lebuini) auftauchende Nachricht von einer
jährlichen Landcsversammlung Gesammtsachsens zu Marklo mit gutem Recht
für aprokryph oder ungenau gehalten (Waitz a. a. 0. III, 114. Nr. 3. Schaa-
mann, Gesch. des Niedersächs. Volks. S. 73.) Hienach möge man beurtei-
len^ ob es wahrscheinlich sei^ daß die Irmensul eine weitere Gemeinschaft,
als die der Stammabteilung verbeten habe.
Avilanf Ober die IrmenBänle. 809
Das ist Alles, was wir über die vcm Karl dem GroAen zer-
itöik Säule mit Sicherheit wissen. Widukind von Korvey, der
Muimtlieh um 967 die Vorzeit seines Stammes nach dem soeben
rerkfingenden Heldenepos (8. Wattenbach a. a. 0. 1 68. Köpke,
Widukind S. 3) schilderte , berichtet noch von einer andern Irmen-
oly welche die Sachsen im Jahre 532 nach der Eroberang von
Sdieidangen a. Unstmt vor dem östlichen Stadttor als göttlich
geehrtes Siegesmal (ara victoriae) errichtet hätten.^ Ist diese
Tatsache anch anhistorisch, ^ so dürfen wir aus der Dichtung
doch abnehmen, daft die Irmensäulen eine nicht auf einen Ort
beaehrftnkte , gelegentlich auf Höhepunkten des nationalen Lebens
nr Anwendung gebrachte Institution waren. In diesen beiden
Ustorischen Zeugnissen der annales Laurissenses und Widukinds
ist nichts enthalten was unserer Hypothese von der Irmensäule
ds Lebensbaum -der Volksgesammtheit widerspräche. DaB der
„Stimmesbanm^ inmitten eines sonst schon mit Heiligtümern
geschmückten Ortes aufgepflanzt wurde, oder daß um ihn her
andere Heih'gtümer entstanden, wie am Bullerbom wäre natür-
KcL Und daB an einem eroberten Platze als Siegeszeichen der
Lebensbaum des siegreichen Volkes (sigcfolc) aufgerichtet seiy
wSie nicht unwahrscheinlich. Der Deutung auf eine einfache
Trophäe als Entlehnung von den Dcnksäulcn der Römer wider-
spricht der Name Irmin-sül. Doch bei allem dem bleibt immer
die Möglichkeit tllr diese oder jene andere Erklärung der Irmen-
ral offen, so lange nicht die Form und der Baustoff derselben
nng authentisch und genauer bekannt ist. Die epische Ueber-
1) Pertz Scr. III, 423. vgl. Grimm Myth.« 100. Man wird sich Widu-
Woda Vorlage etwa so vorstellen müssen : jSigebokan «ettun cndi wihdnn,
'nninaül fora ostardonin. Was Widukind noch sonst hinzufügt ist ein Aus-
flsfi seiner „übel angewandten Schulgelehrsamkeit.'' Er entnimmt nämlich
M» dem Worte Irmensul, das er vermöge falscher Etymologie in einen Eigen-
umen and ein Appellativum zerlegt , und der Lage vor dem Ostertor einen
dnüachen Vergleich 1) des Namens Irmin mit Hermes , den er wegen des
..Siegesdenkmab" für Mars hält, 2) der Säule mit Herkules, dem die Säu-
1«B heilig sind , 3) der Lage mit dem Sonncngotte Apollo. Von einem Gottc,
dem die Irmensul geweiht war und von deren Aussehen stand augenschein-
lich in seiner Quelle , dem Heldenliedo, nichts. Vgl. a. S. Abel a. a. 0. 105-106.
I>*gegen bleibt Müllenhoffs in verschiedenen Stücken abweichende Auffassung
il Schmidt, allg. Zs. f. Geschichte VllI, 3 p. 2Ui) ff.) ernstlich zu erwägen.
2) 8. GI06I, in den Forschungen z. D. Geschichte IV, 189.
310 Kapitel III. Baumseele als VegetatioDsdamon :
lieferang bei Widukind und der historische Bericht in den Anna-
len gewähren darüber gar nichts; die Aassage des späteren
Rudolf von Fulda aber , welche scheinbar uns zu Gunsten spricht,
erweist sich zwar nicht als unglaubhaft/ aber doch als zu
unsicher, um darauf als einem festen Fundamente zu bauen.
Hiemit sei der Betrachtung eines Gegenstandes genug getan, den
ein wissenschaftlicher Brauch seit Jahrhunderten einen breiteren
Platz in der Behandlung unserer Altertümer gesichert hat
1) So yiel ich weiß, ist Badolfs Zengniß noch niemals einer eingehen-
deren Würdigong unterzogen worden. Woher entnahm derselbe 70 Jahn
nach dem Erlöschen des sächsischen Heidentums seine Angabe? Aoffiülai
muß, daß er den Worten ,,trancam — sub diyo colebant" hinzufügt „patrii
enm lingna Irminsül appellantes, quod latine dicitur colnmna univeraalu
quasi sustinens omnia. Sollen die letzten beiden Worte eine üeberseiziuii
von irmin (orania) sül (sustinens) sein, denkt sich also Rudolf unter eiiiei
Säule einen Gebälk tragenden Pfeiler, so begreift man nicht, wie deraeDM
Mann auf den Einfall kam , die Irminsul zu einem unter freiem Himmel da-
gegrabenen Baumstamm zu machen. Hatte er mithin eine wirkliche üeber<
lieferung,* die er nicht ganz verstand? Da das Andenken an die Irmenain-
len im Liede fortlebte , konnte er eben dort , wo er die sächsische Stamm-
sage hernahm (vgl. Wattenbach a. a. 0. ISO), auch davon etwas er&hrei
haben. Eine einfache Ueberlegung führt auf eine andere Fährte. Die Irmea-
sänle ist der einzige Gegenstand altsächsischen Kyltus, von detti die Arna-
len etwas wissen , ganz natürlich weil das Ereigniß des Jahres 772 die Eimd<
davon im Frankenreiche verbreiten mußte. Ist nun aber nicht bedenklich
daß Rudolf (abgesehen von dem aus der Germania entnommenen Stoffe) toi
dem unzweifelhaft reichen and mannigfaltigen Götterdienst der Altsachsec
(cf. die abrenuntiatio) , nichts zu nennen weiß als Baum- und Quellendieiw
und wieder die Irmcnsul? Liegt da nicht der Schluß nahe, daß er eben-
falls einem Bericht über die Geschichte des Feldzugs von 772. oder den Anna
len selbst seine Kunde verdanke? In ersterem Falle müßte er etwa gelegen!
lieh in seiner Jugend irgendwo , oder später am kaiserlichen Hofe mit einen
der wenigen bejahrten Augenzeugen, oder einem Nachkommen von Augen
zeugen zusammengetrolTen sein und aus deren Munde eine Erzählung jene
Ereignisses vomomnien haben. Unmöglich war das nicht, aber fast ein si
großer Zufall, um wahrscheinlich gefunden zu werden. Dennoch sehe id
keinen andern Ausweg, als diesen Fall anzunehmen. Denn noch nnWahr
scheinlicher ist es, daß außerhalb der uns bekannten Annalen eine verein
zelte schriftliche Notiz darüber aufgezeichnet war, die Rudolf zu Hindei
kam, oder daß er den kurzen Bericht der Annales Fuldenses oder der Lau
rissenses min. (fanum et lucum eorum famosum Irminsul subvertit) durcl
Conjectur interpretierte.
Kapitel IV.
Anthropomorphische Baum- und Waldgeister als
Yegetationsdämonen.
§1. Persönlich dargestellte Baum- und Waidgeister
ili Ycgetatlons-DiiiK^neii. Den Uebergang der Baumseele in
(kn allgemeinen Begriff des Vegetationsgeistes haben wir in den
iDDerhalb des vorigen Kapitels besprochenen Gebräaehen beob-
^AUL Wir gewahrten dabei mehrere Beispiele , in denen das
dem Gewächse innewohnende dämonische Wesen noch besonders
durch eine menschliche Persönlichkeit dargestellt wurde, welche
neben dem in Prozession umhergetragenen , oder feierlich aufge-
pflanzten Baume auftritt (z. B. Pfingstbutz und Johannes neben
dem Maibaum, Herbstschmudl neben dem Emtemai o. S. 162.
170. 203. 212) und ließe es sieh vielleicht vermuten, daß der die
Wepeböt werfende Bursche (o. S. 247) sowie die mit der
Selimackostermte Schlagenden und Geschlagenen ebenfalls Reprä-
sentanten von Vegetationsdämonen seien, eine Art dramatisieren-
der Darstellung, welche z. B. den die heiligen Dreikönige der
geistlichen Legende nachbildenden Stemsingern zu vergleichen
wäre. Daneben wurden wir andere Fälle gewahr, in denen der
dem Maibaum innewohnende Dämon durch eine demselben ange-
langte Puppe veranschaulicht wurde. Wir werden diese Bei-
spiele einer zwiefachen Verbildlichung des Vegetationsgeistes durch
Bamn und Mensch (resp. Baum und Menschenfigur) mit einigen
weitern von besondemi Interesse vermehren, um sodann eine
Beihe solcher Fälle zu verfolgen , in denen der Baum hinwegfällt
^d der Genius des Wachsturas nur durch eine menschliche Per-
sönlichkeit zur Darstellung kommt, deren Gestalt und Auffassung
teils den Waldgeistern sich anschließt, teils in eine Personifica-
tion der Jahreszeit übergeht. Ruhte mithin bei den dem vorigen
312 Kapitel lY. Baumgeistcr als Vegetationsdätnonen :
Hauptstttck einverleibten Gebräuchen unserem ersten Kapitel ent-
sprechend der Nachdruck auf dem Nachweise , daß in dem Baume
oder Baumzweig ein dämonisches Wesen verkörpert gedacht
werde, so haben es die nachstehenden Blätter analog dem zwei-
ten Kapitel mit der anthropomorphisehen Personwerdong des
Dämons der Pflanzenwelt, insofern sie in Gebräuchen hervortritt,
zu tun.
§ 2. Doppelt« Darstellung des Vegetatfonsdftmons durch
Baum und Mensehen. Die den Mai bäum in Prozession um-
hertragenden Knaben in Zabern führen einen in Stroh gehüllten
Kameraden mit sich, den Pfingstnickel ; in Buchsweiler dagegen
wurde ein mit Laub und Blumen voti Kopf bis zu den Füßen
bedeckter Knabe umhergelllhrt, der Pfingklötzel genannt^ noch
anderswo in Elsaß der Pfingstquack^ in Thann das Maien-
röslein (Mairesele) ein Mädchen in weißem Kleide, das eineiL
mit Blumenkränzen und Bändern verzierten Maienbaum trägt.
Seine Begleiter singen , indem sie an den Ttlren Gaben sanuneln^.
ein Lied, dessen Anfang lautet:
Maienröslein kebr dich dreimal eram,
Laß dich beschaaen 'rum und 'mm!
Maienröslein, komm in grünen Wald hinein,
Wir alle wollen lustig sein.
So fahren wir vom Maien in die Bösen.
Im Verlaufe des Liedes, sagt Uhland, wird den Leuten, di
nicht Eier, Wein, Oel, Brod spenden wollen, angewünscht,
der Marder die Hühner nehme, der Stock keine Trauben, d
Baum keine Nüsse, der Acker keine Frucht mehr gebe:
Erträgniß des Jahres hängt von dem kleinen Frtthlingsopfer
Hiezu will ich zunächst einen fränkischen Brauch, sodann zw
Zeugnisse aus dem lettischen und slavischen Osten stellen,
bairischen Frankenlande tanzt am Walburgistag (2 Mai) um d
vor dem Wirtshause aufgepflanzten Walberbaum ein vom Scher
bis zur Zehe in Stroh gewickelter Mann, efcm die Aehreti
Form einer Krone über dem Kopfe zusammengehundai sind,
Walber. Früher wurde diese Figur in den kleinen Städten d_
ser Gegend in feierlichem Zuge durch die mit Birkenreis^
1) A. Stöber, Alsatia 1851 p. 147.
2) Aug. Stöber, Elsäss. Vülksbnchlein , Straßburg 1842. S. 56. Als«-
1851 S. 140. ühland in Pfeiffers Germania V, 275. Ders. Sehr. IH, 30.
Doppelte Durelell. d. Vegetetionsdftmons dnreb Baum u. Menschen. 313
geeehmttekteii StraBen gefUhrt Alle Gewerkslente mit dem Emblemen
ihres Handwerks begleiteten ihn.^ In ross. Litauen stellte man
ehedem am 1. Maitag einen grtlnaasgeschlagenen bunt hebänder-
toi Baam anf einer Wiese vor dem Dorfe auf. Dann wählte
die DorQngend ans ihrer Mitte das schönste Mädchen,
setzte ihr einen Kranz auf den Kopf, umwand ihre
|l. Gestalt mit Birkenzweigen und tllhrtc sie so auf den
Spielplatz neben dem Maibaum, wo der yergnUgte Haufe Tänze
and Gesänge begann, welche von dem fortwährenden Ausruf
0 Naja! O Maja! unterbrochen werden.* Das am Tage des
fc. Georg (24. April) begangene Frühliugsfest der Slovenen in
^Übnthen und Krain wird folgendermaßen geschildert Nach
•Beendigung des Nachmittagsgottesdienstes strömt die freudig
f^^wegte Jugend durcheinander dem Orte zu, wo der am Vor-
^-l)end geteilte und entrindete Baum (Pappel oder Tanue) liegt,
^^^d schmückt ihn unter Gesängen mit Blumen und Kränzen,
of die am Baume angebrachten Querhölzer werden von den
lädchen verschiedenartige Tücher aus Seiden- und Baumwollen-
^ff gebunden. Drei Bauerbursche tragen den großen Baum
er Art, daß zwei zu beiden Seiten des Hauptträgers mit Unter-
^litzungsstangen das Gleichgewicht erhalten. Langsam bewegt
Ich der Zug, voran Pfeiffer und Hornbläser, deren Instrumente
omeist aus Kirschbaumrinde gemacht sind , mit wilder Musik die
n Melodien der Mädchen begleitend, indeß die zuschauende
ngeud begeisterte Jubelrufe ert<'>nen läßt. Die Hauptperson ün
iuge ist der grüne Georg (zelenc Juri), ein Bursche von
opf bis zu Fuß in grüne Birkenzweige eingehüllt
--^af dem Festplatze wird der Maibaura an eines der höchsten
^%äaser angelehnt, und nachdem Musikanten, Sängerinneu und
^^paßmacher ihr Bestes geleistet haben , lösen die Jin den Fenstern
^Änarrenden Mädchen Tücher und Kränze, zerbrechen die bunten
[uerhölzer und ein Blumenregen auf die jubehide Menge beschließt
Fest Während des allgemeinen Jubels wird der grüne Georg
i h. eine ihn darstellende Puppe) ins Wasser geworfen.
ÜCisondere Anerkennung findet ein Bursche, welcher die Yer-
"^^vechselung so flink zu bewerkstelligen weiß, daß sie nicht
1) Bavaria HI. 1, 357.
'^) Tereachtttchenko , Buit Kudkugo naroda. Petersbarg 18i8. VI. 212.
314 Kapitel lY. Baurogeister als VegetationsdSmoiMn:
bemerkt wird. In manchen Gegenden badet man aber den
lebenden grtlnen Georg selbst in einem Flusse oder Teiche
und zwar in der ausgesprochenen Absicht , damit er durch Begcn-
güsse während des Sommes Felder und Fluren grünen lasse.
An einigen Orten treibt man auch das Vieh bekiiUust ans
dem Stalle und singt:
Zelenigo Jnrja vödimo, den grünen Georg fahren wir,
Zeleniga Jnrje spramano, den grünen Georg begleiten wir,
naj naöe icde pasel bo, die Heerden er ans weide wohl. -
Ce ne ga w' vodo sünemo. Wenn nicht, er in das Wasser solL'
Diesen beiden slavischen Bräuchen reihen wir noch einen
französischen; einen elsässischen und einen englischen an. Bei
Brie (Isle de France) wird am Maitag ein Maibaum d. h. ein mit
einer Blumenkrone am Wipfel geschmückter, weiter unten mit
Laub und kleinen Zweigen umwundener, unten mit großen grünen
Aesten umsteckter Baumstamm in der Mitte des Dorfes aufge-
pflanzt und die Mädchen tanzen umher. Zugleich aber wird ein
in Laub gehüllter Bursch, le pere May umhergeftthrL
In Mels (Elsaß) veranstaltet man bei Beendigung der Weinlese
ein Erntefest, den „Herbst sonn tag", bei welchem sich ein
Mann als Weibsbild, ein Weib als Mann verkleidet
Der verkleidete Mann sitzt vorne im Wagen, der die letzten
Trauben nach Hause führt; er heißt Herbstschmudl und hält
einen großen Maibaum in der Hand, das Weib sitzt mit
dem Rücken gegen ihn und trägt einen Korb Blumen. Bei
Mühlhausen im Elsaß trägt das augebliche Weib eine möglichst
kostbare altmodische Bauertracht (Weiberrock mit goldenen
Schaumünzen behangen), der Mann ein mit Ruß geschwärztes
Gesicht. Sie herzen, küssen und drücken einander und machen
allerlei Unsinn. In manchen Orten (z. ß. um Schlettstadt) sitzt
auf der letzten Karre mit Trauben neben den schmucklosen Maien
nur ein ganz russiger Herbstschmudl, der alle Begegnenden mit
seinen russigen Händen schwarz zu machen sucht. Den Wagen
umgeben die übrigen Arbeiter, welche im Weinberge sich in
altfränkischer Tracht, die Weiber als Männer die Männer
als Weiber ausgeputzt haben. Erwähnt sei endlich der
1) Ausland 1872. S. 471.
Doppelt« Dtntall. d. VegetatioDsdiinont durch Baum o. Menschen. 315
eog^iMiie Bnuieh eine ^^May Lady, Lady of the May,
Qneen of the May d. h. entweder eine sobenannte lebende
Person in eine Lanbe neben den Maibaum zu setzen, oder eine
Poppe dieses Namens an denselben zu hängen. Browne in
umsk „Britania pastorals 1625. U^ 122 beschreibt das Maifest
UgendermaBen:
As J. have seene the Lad j of the May
Set in an arbow (on a holy-day)
Bnilt bj the Mai-pole« wherc the jocand swaines
Dance with the maidens to the bagpipes straüies.
In Gentlemans magazine Octob. 1793 p. 188 wird von
Dr. Geddes erzählt , er sei ein großer Liebhaber unschuldiger
Festlichkeiten gewesen, „He was seen in the summer of that
fear mounted on the poles behind the Queen of May
ü Marsden Fair in Oxfordshire/' ^ In einigen abgelegenen
Orten tragen die Kinder noch jetzt eine ganz in grfinbelaubte
Btiomzweige gehttilte Puppe und mehrere kleine mit
Kiiozen geschmückte Nachbildungen des größeren May poles
einher und bitten die Vorübergehenden um einen halipenny.'
Die angezogenen Bräuche reichen aus, um die Gewißheit
u begründen, daß in den Frühlings- (resp. Ernte-) aufztigen
der Dämon der Vegetation häutig außer dem Maibaum durch
einen in junges grünes Laub oder Blumen gehüllten Bur-
schen, oder ein ebenso geschmücktes Mädchen dargestellt wird.
& ist derselbe Genius, der den Baum beseelt und in der nie-
den Pflanze wirksam ist, und den wir schon des genauem in
dem Abschnitte über den Maibaum und Emtemai kennen lernten.
& ist ganz folgerichtig, daß er auch in der ersten Blume des
Frühlings sein Dasein offenbarend gedacht und durch ein das
Mairöslein repräsentierendes Mägdlein, nicht minder aber in
Gestalt des Walber (o. S. 313) als Bringer der Getreideernte
veranschaulicht wird. Der Umzug dieser Nachhildumj ffes gött^
liehen Wesens brachte vermeintlich die mimlichen Wirkungen ftlr
das Gedeihen des Federviehes, der Obstbäume, der
^ckerfruchi hervor, als die Gegenwart der Gottheit sdbst Mit
1) Brand, pop. Antiqu. I. S. 2*21. 258.
2) B. Chambers, The book of Days 1864 I, 573, wo auch eine Abbil-
^Qng des Brauches gegeben ist.
316 Kapitel IV. BaningeiBter als Vegetationsdämonen:
andern Worten, nicht als ein Abbild , gondern als eine wirkUche
Stellvertreterin des Vegetationsnumens galt die Maske; deshalb
wünscht die mit dem Maienröslein und dem Maibaum umziehende
Gompagnie denjenigen Häusern , welche die Gabe von Eiern imd
Schinken u. s. w. verweigern, daß ilir sie die Segnungen der
dem einhergeftthrten Dämou innewohnenden Kräfte nicht wirksam
werden mögen. Wir werden scJdiefien dürfen, daß überall jene
Bittgänge mit dem Maibaum (Maizweig) von Tür zu Tür (o. S. 162),
„deti Mai, den Sommer bringen", auch toetm der Dämon melU
noch besonders durch einen Menschen verbildlicht mrdj ursprüng-
lich eine ernst getneitite, so zusageti sakramentale Handlung
waren; man glaubte ja wirklich in dem Zweige unsichtbar die
Gottheit des Wachstums gegenwärtig; die durch die Prozession
jedem Hause zur Heilspendung nahe gebracht wurde. Benamit
ist auch der menschlich dargestellte Vegetationsdämon sehr häufig
analog den Bezeichnungen „Sommer, Mai, Harkelmai '^ für den
Maibaum und Emtebaum als Maja, Pere May, May-Lady, Queen
of the may, er verschmilzt mithin mit einer Personification der-
jenigen Jahreszeit, in welcher er seine augenfälligste Wirksam-
keit übt. Noch deutlicher ist dieser Vorgang bei dem fränkische
Walber (o. S. 313) zu beobachten. So enthält auch der Name
„grüne Georg" eine Personification desjenigen Tages, der den
Ostslaven als Tag des Frühlingsanfangs gilt,^ indeß der Begriff
unverkennbar der weit ältere des Wachstumsgeistes ist Im
Emtegebrauch des elsässischen Herbstschmudl sehen wir statt
des einen weiblichen oder männlichen Dämons ein Paar, Mann
und Weib, auftreten und es wird sich weiterhin ausweisen, daB
auch diese Variation Grund und Verbreitung hat.
§ 3. Laubeinkleidnng. Umgang zu Fuß. Diese Beob-
achtungen an die Spitze unserer Erörterungen in diesem Kapitel
gesetzt müssen sich als entschieden hinreichend erzeigen, um die
Reihenfolge der im Nachfolgenden zur Besprechung kommenden
1) Die russiscbeD Bauern in vielen Gegenden beginnen am St Georgstage
die Landarbeit. Der b. Juri (Georg) , sagt man , öffne die Erde, fahre den
Tau berab. Ein serbisches Land sagt, daß bei Teilung der Erde St Georg
Früblingsijlunien bekam. Nach bulgarischen Gedichten umgeht Georg die
Ackerplätze und siebt, ob das Getreide gut wachse u. s. w. Afanasieff I,
705. Vgl. 0. S. 313 u. S 317.
LMibeinklaidniif:. VmgKag zu FvR. 817
■Ttbologiflchen Figuren als eine einheitliche sofort and zweifellos
erkennen zu lassen.
ZanSchst ist wohl soviel klar, daft der in grüne Zweige ^
gefaflllte Mensch am Frtthlingsfeste auch dann den im Maibaum
Terköiperten Dämon darstellt , wenn dieser nicht besonders durch
du einseines individuell hervorgehobenes Bauniexemplar, sondern
duch eine Menge in Prozession eingebrachter grüner Aeste, oder
ueh gar nicht vertreten ist Zum Erweise hebe ich voriäufig die
folgenden 'Bräuche hervor. Nach Henr. Lubbart, Pastor zu Boh-
leadorf bei Lübeck (f 1703) wurden im März von den Kindern
lange, mit grünem Laub bewundene Stecken von Haus
10 Haus getragen, während die Knechte mit einem Dudel-
taek umherziehend einen mit sich führten, der mit einem
ymm Weiberrock behangen war. ^ Diese in grünes Zeug geklei-
dete Weibermaske neben den Maienstecken steht der litauischen
Hiie neben dem Maibaum gleich. Wie in Kämthen wird in ver-
iddedenen Gegenden Rußlands zum Georgstage ein schöner
jiiger Mann ausgesucht und ganz und gar in Grün geklei-
det Man legt ihm einen großen , runden mit Blumen geschmück-
ten Kachen auf den Kopf. Er trägt, in der Hand eine Fackel
schwingend, diesen Kuchen ins Feld und die ihm nachfolgenden
Midchen singen zu Ehren St. Georg's hergebrachte Gesänge.
So umwandeln sie dreimal in der Runde die besäten Fluren.
Dann bilden sie einen Kreis und legen inmitten desselben den
Kichen in eine Vertiefung der Erde. Jetzt wird ein Feuer ange-
niacht, ein Schmaus bereitet und bei diesem der wieder aufge-
nommene Kuchen verteilt, und verzehrt, so daß jeder ein Stück
erhält' Dieser russische Jüngling ist doch offenbar identisch
nrit dem grünen Georg der Slovenen; der bekränzte Kuchen, den
er anf dem Kopfe ins Ackerleld trägt und dort niederlegt, ist
eins mit dem Brode, das man in Deutschland beim Beginn der
Ackerarl)eit unter den Pflug legt, oder bei der Ernte in die letzte
Garbe bindet (o. S. 158) sowie mit den Semmeln, welche der
Hndler an seinem Leibe trägt (o. S. 269) ein Symbol der Nah-
"^ftlle der künftigen Ernte, an der jeder sein Teil haben
^ Die Fackel werden wir später noch verstehen lernen. Der
1) FastDachtsteafel p. 6. Myth.< 7dO.
2) Afmdeff I, 706.
318 Kapitel IV. Baningeister als VegetationsdimoneD:
Prozession des pfere May in Brie (o. S. 314) entspricht es, dat
im Dep. de TAin (Bourgogne) am ersten Mai 8 — 10 ELnaben ra
einer Gompagnie zusammentreten , einen ihrer Genossen in Lanb
kleiden und von Haas zu Haus gehend Gaben einsammeln. Der
ümhergeftlhrte heißt le fouiU^ (== le feuillö?). Hier fehlt der
Maibaum aber die im tlbrigen völlige Uebereinstimmung mit dem
Umgang des elsässischen Pfingstniekel , PiSngstklötzel bewEhit
diesen Umzug als denjenigen des Vegetationsgeistes.
Dem Mairöslein im Elsaß entspricht in niederdeutschen Land-
schaften die „ Pßngsiblume/' In Flandern sang im 17. Jahrh.
zu Pfingsten ein ganz junges weiß gekleidetes Mädchen mit.
Blumen und Bändern geschmückt „die Pinxterbloeme", die StraBe
hin geistliche Lieder und sammelte Almosen. ^ In Holland soll
nach Grimm noch in neuerer Zeit zur Pfingstzeit von armen
Weibern die Pinxterbloem, ein kleines blumengeschmücktes
Mädchen, auf einem Wagen sitzend nmgefilhrt worden sein,
uro Geld zu erbetteln;' in Nordbrabant umtanzt man dann eine
mit der Pfingstblume (pinxterbloem, uiversbloem d. i. Iris psend-
acorus nach Buddingh, oder wahrscheinlicher noch Gonyallaria
bifolia, die in Oldenburg Pinxterblome heißt'), gekränzte Jung-
frau und singt ein Lied, dessen Anfang lautet:
Pinxterblom Pfingstblume
Eeer oti reis oni Kehrt euch einmal nm>
Ganz ähnlich ist der Zuruf ans Mairesele „dreh dich dreimal
um!"^ In der Grafschaft Teklenburg (Westphalen) ziehen die
1) Willems, oude vlaenischc Liederen. Inlcid. VIII.
2) Myth;^ 748.
3) Strackerjan, Abcrgl. u. Saite, a. Oldenburg LI, 52, 319.
4) Dr. Hermans Aardb. 381. Buddiiigh. Verhandoling over het West-
land. Leyden 1844 p. 210 — 211. 351.
5) Zu vergleichen steht auch die folgende an den Maibaum geknüpfte
Sitte. In Elgersburg bei Ilmenau ward am ersten Pfingsttage eine bis zur
Krone abgeschälte Tanne, an der ein Kranz aufgehängt ist, in feierlicher
Prozession eingeholt, aufgerichtet und von den Kindern am zweiten Pfingst-
tage umtanzt. Dabei bilden sie einen großen Kreis um den Baum. Zwei
aber von ihnen drehen sich, mit einer Hand den Baum erfassend um den-
selben bald rechts, bald links, bis eines das andere wegstolit. Dieses treibt
wieder eins ans dem Kreise zum Baume und der Vorgang wiederholt sich.
Dabei singen sie: Der Summer, der Summer ist ane schene Zait, Dos mer
sullen lustig sain alle junge Lait. Sehen's all af mich and tnen's all af
Lüb6iiiUeidiing. ümg^ang m FaB. 819
Kinder am Pfingsteachmittage einher , indem sie mit Knitteln
bewaffiiet einen Knaben , der ganz mit grtliien Reisern und Pfrie-
menkrant (Ginster) bedeckt ist, und eine Blumenkrone auf
den Kopfe tr9gt vor sich her treiben. Man hat dazu offen-
bir denjenigra aasersehen, der moi^ns zuletzt aus dem Bette
kam. Denn die Verfolger singen:
I^Dgsterblome
fUe sAge (Saa)!
haratii 6r appestann
harr et di ken leid edannl*
Gleicherweise nennt man zu Wittround in Ostfriesland das
'Qletzt an^estandene Mädchen Pingsterbloeme.' Man erinnere
Aich, daS mit der Schmackoster - und sonstigen Lebensmte die
-[.««uigBehULfer aus dem Bette getrieben wurden (o. 8. 257 ff.) und dafi
di€8e Sitte anch die Lerchen, also den Frtlhling wecken hiei
Co- S. 253). Lag diesem Zuge vielleicht ursprünglich die Beden-
^a.ng einer Darstellung der Ueberlieferuug der Triebkraft des
a^lteo Jahres an die aus dem Winterschlafe geweckten Vegcta-
^ttcmdämonen des neuen Jahres zu Grunde? Dann dürfte auch
^ier die Pfingstblume den zuletzt erwachten, jüngsten Pflan-
zcogeist des Frtthlings yeranschaulichen. Der Identifizierung des
^^Mbstomsgenius mit einer Blume entspricht es, wenn der ihn
i^riUientierende Mensch nach einem Baume benannt ist. Im
^Temement Woronesch hielt man am Trinitatissonntagc einen
Umgang mit einem MÄdchen, welches „Vappel*' genannt wurde
ond hellglänzende Blumen in ihren Haaren trug.^
Erscheint hier der Dämon in einer (alle übrigen mit vertre-
ten) Pflanze verkörpert, so lassen andere Formen desselben
(vebranehes deutlicher den Gedanken an das gesammte Pflanzen-
pön hervortreten. Unter diesen Bräuchen kann man zwei Haupt-
lonnen unterscheiden; nach der einen wird die in Laub einge-
Ueidete Person zu Fuße ins Dorf geführt, nach der andeni in
^m berittenen Zuge aus dem Walde geholt.
^H _ Dreh dich mal ftm nnd noch emal um und wieder
°»»l rtirom. Kuhn, Mark. Sag. 325. Cf. auch o. 8. Iftl.
l)Kuhn, WestfaL Sag. 11,160,450. Firmenich, Germ. Völkerstim-
nwn 1,369.
2) Kühn, Nordd. Sag. 388, 72.
3) Balaton S. 234.
320 Kapitel lY. Baumgeister als VegetationsdATnonen :
In der Kuhla ziehen die Kinder, sobald die Bänme anfangen
grün zu werden, in den wiederbelaubten Wald, wählen eines
aus ihrer Mitte zum Laubmännchen, dieses binden sie Yom
Kopf zum Fuße in grüne Baumzweige, so daß nur seine Schuhe
sichtbar bleiben. Wo die Augen sind, hat man kleine Oeffiinngen
gelassen und über dem Kopfe sind die Zweige zu einer Art E^rone
geformt. Bunte Bänder, wollene und seidene Tücher,
die von den Mädchen zu diesem Zwecke hergeliehen
sind, hängen zu allen Seiten des Laubmännchens herab, ^
welches seine Gespielen tanzend und singend durchs Dorf führen.
Ebenso geschah es*^in dem benachbarten Ettenhausen bei Mark-
suhl und in Allendorf bei Salzungen (Meininger Oberland). Die
Begleiter des Laubmäunchens begehrten und erhielten bei ihrem
Umzüge von Haus zu Haus Victualien (Eier, Spqck^ Wttrtle,
Kuchen). Zuletzt besprengten sie den Laubmann mit
Wasser und hielten von den gesammelten Gaben einen gemein-
schaftlichen Schmauß.^
In der Gegend von Usingen (Nassau) ist „Lanbpnppe^
der Name des eingehüllten Knaben.^ In Niederbaiem hieB das
Laubmännchen Pfingstl. Er ti*ug eine sehr hohe, spitzig ans-
laufende, auf den Schultern ruhende Kappe aus Wasserblumen
(oaltha palustris?) und ihren langen Stengeln gemacht, ihre Spitze
zierte ein Kranz von Pfingstrosen. Nur zwei Oefinungen für die
Augen waren gelassen, über denen zwei Kränze von Wicken -
und Feldblumen angebracht waren. Aus Wasserpflanzen bestan-
den auch die Aermel der Kleider. Was Kappe und Aermel nicht
deckten, wurde mit Erlen- und Haselnußlaub bekleidet. So war
der Pfingstl ganz in Laub und Blumen eingehüllt. ,Zu beiden
Seiten gingen die Weiser, welche dem Pfingstl die ausgestreck-
ten Arme trugen. Sie und alle Knaben, welche den Pfingstl
von Haus zu Hause begleiteten, trugen entblößte Schwer-
ter, nur die Träger der eingesammelten Geschenke nicht Die
Leute erwarteten den Pfingstl im Verborgenen und ttberschttt-
1) Also genau so wie beim Maibaum geschieht.
2) Reimann, D. Volksfeste S. 159—00. A. Witsche!, Sitten u. Gebräuche
a. d. Umgegend v. P^isenach 18GG. S. 13.
3) Kehrein, Volkssjirache und Volkssitte im Herzogt. Nassau. Volks-
sitte S. 15G, 3.
liMibdiiklaicIiiiig. TJmgtmg m Fafi. 831
teten ihn mit Wasser, soviel sie konnten. Alle
JBbelten nnd frenten sich, wenn der Pfingstl tüch-
tig begossen wurde. Während des BeschUttens
gingen einige Knaben in das Haus und erhielten eine
(fftbe. War so der Zug durch das ganze Dorf gewandert, so
wurde der PfingsÜ in den Bach hineingeführt, wo er bis
nur lütte des Leibes im Wasser stand. Dann ging einer der
Vdaer auf den Steg und haute dem Pfingstl den Kopf
ib. Den Schluß bildete ein iröhliches Mahl, wobei die gesam-
iselten Gaben verzehrt wurden.^ In Schwaben vermummen
& Viehhirten oder sonstige Bursche vieli'ach einen ihrer Kame-
nim in blühende Pfriemen (ein Strauch mit gelben scjio-
teBtftigen Blumen), überziehen sein Qesicht mit Baum-
rinde, setzen ihm eine grüne spitze Laubmütze auf den Kopf,
und behüngen ihn von vorne und hinten mit Kuhschellen
Bnd Kuhglocken. In manchen Gegenden besteht die Ver-
munmang ans Tannenreisem. Der Vermummte heißt Pfingst-
Iflmmel, oder Pfingstbutz. Er wird Gaben heischend durchs
Dorf geftthrt, zuletzt wol auch unter Stroh und Mist
vergraben.*
Im Erzgebirge wird der am ersten Pfingsttag zuletzt aus-
treibende Hirte verlacht und Pfingstl ümniel gescholten, so
ineb in jedem Haus der zuletzt im Bette Angetrof-
fene. In mehreren Thüringischen Orten wird schon am ersten
Phgsttage der ELnecht , der sein Vieh am spätesten auf die Weide
treibt, in Tannen- und Birkenzweige gehüllt und unter
dem lauten Geschrei: „Pfingstschläfer! Pfingstsehläfer!''
darcb das Dorf gepeitscht.^ Dieses Peitschen des Lang-
Mhlftfers erinnert an das aus dem Bette Peitschen mit der Schmack-
OBterrute.
Abweichend ist die Ausrüstung des Pfingstlümmels im
Angbachischen. Da verkleiden die Buben einen aus ihrer Mitte
nüt alten zerrissenen Kleidern, schwärzen ihm das Gesicht
luit Kuß, umflechten ihn mit Strohbändern und fahren ihn mit
Eile und großem Lärm auf einem von 2 Pfluggestellen zusam-
1) Panzer 1,235,261.
5«) E. Meier S.4fÖ,94. 95.
5) Myth.* 74G.
"»ttöbtrdt 21
322 Kapitel TV. Banm^ister als VegetatfoDBd&monen:
mengesetzten Wagen von Haus zu Haas,* Die Sehwärzang des
Gesichts trafen wir schon beim Herbstschmndl an, wir werden
ihr in den Emtegebränchen bei Darstellung der Komdämoneii
vielfach wiederbegegnen. Sie ist mithin keineswegs bedeatinigB-
los und zwar scheint sie mir in roher Weise ausdrucken zu wA-
len, daß der dargestellte Dämon ein nicht sichtbares, fUr menseh-
liche Augen dunkles unheimliches Wesen, ein Schatten, ein
Gespenst sei.' Mit dieser Art Darstellung mag es yielleicht
zusammenhangen, daß in London die Kaminfeger am ersten Hai
sich gleichsam sämmtlich als Vertreter dieser unsichtbaren Vege-
tationsdämonen constituieren , und in Gompagnien geteilt
unter närrischen Verkleidungen von Goldpapier u. s. w. die StraAen
durchziehen, indem sie zum Tacte ihrer Schaufeln und Bflrsteii
tanzen. Größere Gompagnien haben einen Fiedler bei sich und
einen Hans in Grttn (Jack in the green), d.h. einen
Burschen, der in einer zuckerhutförmigen Piframide
von Reiserwerk steckt, welche mitBlumen und grtt-
nem Laube (oft Stechpalmen undEpheu) bedeckt ist,
und oben in eine Krane von Blumen und Bändern aus-
läuft, welche von einem Fähnchen überragt wird. Dieses Gtestell
über den Kopf gestülpt, tanzt er seinen Grcfährten zum großen
Vergnügen der Zuschauer vor. Zuweilen gesellen sich auch noch
ein Lord und eine Lady of the may hinzu. Von diesen später.'
Doch auch andere Leute aus dem andern Volk putzten „Jacks
o the green'' aus, welche in den Vorstädten Londons tanzten,
und auch die benachbarten Orte und kleinen Städte besuchten.
Sie trugen oft nur die stattliche Livree eines Lordmayorsdieners,
dabei aber einen mit Bändern und Blumen geschmückten Hut
und einen in Blumen gehüllten Stab, deutlich eine Abschwächnng
der- Laubeinhtillung.*
1) Panzer 11,90, 138. Geschwärztes Gesicht auch o. S. 162. 314.
2) Vgl. die Darstellung des Todes als langer schwarzer Mohr.
G. Schuller, Volkstüml. Glauhe und Brauch bei Tod und Begrfibniß in Sie-
benbürgen I, S. 5. Busswurm, Eibofolke II, §395,5: Schwarz wird auch
der Teufel gedacht als nächtiges Wesen. Myth.> 945.
3) S. Strutt , the sports and pastimes of the people of England. Lon-
don 1841. p. 358, XX. Hone, Every Daybook 1866. 1, 292 ff. Daselbst
befindet sich eine Abbildung des Aufzuges aus dem Jahre 1825. Bhuid,
populär, antiqu. ed. Ellis 1,231 —232.
4) Hone, Every Daybook 11,289.
Lanbeinkleidiiiig. Umgang zu Fuß. 828
Auch in einigen (fegenden Frankreichs z. B. (Moni de Mar-
OD Mp. des LfUides) wird ein Reisergestell mit Laub bekleidet,
eb Borsehe hineingesteckt und durchs Dorf geführt (mtindl.)
Im Friekdud (Aargan) bezeichnet man ein ganz ähnliches Korb-
gefledit mit dem Ausdruck Pfeisthntte (Pfingstkorb). Auf
dneni lange yorher, sobald die Bäume ergrttnen, ansersehenen
Platze, wird es im Walde in aller Heimlickkeit verfertigt, damit
ttdere mit gleichem Vorhaben den Veranstaltern nicht etwa
nroriLommen. Lange Laubzweige sind pyramidal um zwei Bei-
ün zusammengeflochten , die in Mannshöhe parallel ttber einan-
der gestellt sind und von der Spitze herab muß ein großer Blu-
neutraflA nicken. Dem hineingeschlüpften Knaben sitzt der
Obtfreif auf der Schulter auf und« erleichtert die Tracht; der
oiere hilft die Waden decken ; wo das Gesicht zu stehen kommt,
meht der Träger sich etwas Luft zum Atmen und Durchblicken ;
die ganze Gestalt erscheint wie ein wandelnder, rauschender
Bueh. Während des Bosenkranzgebetes am Abend um fünf
endieint diese Pfingsthtttte plötzlich im Dorfe. -Drei Knaben
Bmdderai vorauf und blasen auf dem aus Weidenrinde geschnit-
teien Pfingsthom. Von Pfarrer und Wirt erhält der Umzug ein
61u Wein. Darum ist es aber den Veranstaltern weniger zu
tos, als um das Becht, ihre Pfingsthutte zum Schluß auf
den Hauptbrunnen des Dorfes zu pflanzen und hier
behaupten zu können. Denn gleich sind dann auch die
Buben des obern oder untern Dorfes bei der Hand, um
dieHtttte hier abzunehmen, zu erobern und im Triumphe
tif dem Brunnenstocke ihres eigenen Dorfteiles auf-
iQpflanzen. Daß es dabei schließlich zum Handgemenge
kommt, bedarf keiner Versicherung. Dieser Brauch, der
bnBadischen das Pfingsthüttel heißt, ^ berührt sich auf das nächste
nut dem o. S. 241 beigebrachten Brauch der Elsässer, zu Neujahr
einea Maibaum auf den Brunnenrand zu pflanzen, und lehrt wieder
die mythologische Identität des Baumes und des laubeingehttllten
VeoBchen. In Hessen wurde derjenige Hirt, welcher zuletzt auf
der Pfingstweide tokam , an Armen und Beinen gefaßt und mit
der Kehrseite gegen einen Baum gerannt. Hierauf spielte
^^^ allerlei heitere Spiele, z.B. bewand man in Kauschen-
1) Rochholz, Alcmannischüs Kinderlicd 507—8, 102.
21*
324 Eapitel IV. Bauingfeiater als VegetationadAmonen:
berg einen Mann vom Kopf bis zu Füßen ganz dicht mit
gelben Wiesenblumen.^ Zu Laufenfelden b. Langenschwal-
bach in Nassau wird am 2. Pfingsttag der Schnak gemacht
Die Buben des Ortes bewickeln in einer Scheune einen dazu an»-
ersehenen Kameraden an Händen , Füßen und am ganzen Körper
mit Farrenkraut (Schnakenkraut). Auf den Kopf^wird ein Kreuz
gebunden, das mit Herrgottsschückelchen (Schotenklee , lotns
comiculatus) geziert ist. An das rechte Bein wird eine
Schelle gebunden^ in die rechte Hand bekommt er einen
dicken ELnotenstock. Nach beendigter Nachmittagskirehe wird
der Schnak zur Schau im Ort herumgetrieben. Seine Begleiter,
deren jeder von einem Mädchen einen Schnakenstrauft erhMltf
teils mit langen Ruten, teils mit Säbehi, Geldbüchsen n. s. w.
versehen, laufen von Haus zu Haus und sammeln Eier, Elreozer,
Speck u. s. w.^ Am Drömling (Altmark) wird am 2. Pfingsttag
von den Hirtenjungen einer der Art verkleidet, daß man ihm
zwei Weiberröckc anzieht, deren einer über den Kopf genom-
men und zu|^ebunden wird. Dann hüllt man ihn in Maien ein,
hängt ihm Blumenkränze um Hals und Arme und setzt ihm eine
Blumenkrone auf den Kopf. Er heißt „der fttstge MaL^
Die mit ihm umziehenden Knaben singen vor den Häusern:
Gdden Dag, goden Dag!
Wat gebet jüch (ihr) den Fiistge Mai?
Gebet jüch tisch (ans) Schock Eier nist,
So wören (gewährleisten? schützen?) wi Wischen (Wiesen)
und Koren (Korn) nist*
Bei Oebesfelde (Kr. Gardelegeu) lautet der Spruch beim
Umzüge des Ftistje Maier:
gäwen se ans de eier nich,
so legen de höner npt jär ök nich.
so weren wi wischen an koren 6k nich.
Dem Ftistge Maien stehen (zuweilen) ein König und mehrere
Beamte zur Seite, ein Führer (Leier), ein Korbträger (zur An-
nahme der Eier), ein Tabelträger (flir den Speck), ein Hunde-
Schläger und Katzenschläger, um Hunde und Katzen abzu-
1) Mülhause , Urreligion S. 21G.
2) Kehrein, Volkssitte S. 157,4.
3) Kahn, Mark. Sag. 321 ff.
Laalmiiihlklliiiig. Der Umgang zn FqB. 385
wdireo.* Um Ftlratenwalde heüt der von den Ochsoiynngen am
iwdten Pfiogsttage amhergefllhrte Knabe, der in Maibnsch
gehlllty eine Blamenkrone auf dem Kopfe und in jeder
Hftnd eine Glocke trägt, Kadernest oder Kandemest In
dem Bettelliede heiBt es :
Küdernest, küdeinest
hippel nf de Straße,
hat in^ii jelen strök gel^jen,
ia janz jrün und jel jewordefi.*
In der Gegend von Ertingen (Wttrtemberg) läßt man am
Vonnittage des Johannistages den Latzmann im Dorfe
Mhen. Dieser Liatzmann (der faale Mann von ahd. laz träge,'
weil wthneheinlich ehedem deijenige den Latzman spielen mnßte,
der ndetzt aas dem Bette gekommen war) ist ein Knabe, der
nnnelitlMir aus einem aus Stangen und Latten zusammengenagel-
ten Gestell, welches völlig mit Tannenreisern verkleidet ist,
henoDgeht Er hat eine Glocke bei sich drin und schellt,
nlUirend er geht Sein Gefolge besteht aus einer ganzen Anzahl
eharacteristisch herausgeputzter Personen, einem Läufer mit rot-
beUoderter Peitsche, einem Oberst mit Ofliziershut und Säbel,
dam kommen der Trabant, der Hanswurstl, der Metzgerbursch,
der Schmakhaf, der Mehlsack, der perkrätt, der Engel, der
Teufel, die Hexe, das Bäuerlein, das Bttntelein und zuletzt der
Doctor. Jede dieser Personen sagt vor den einzelnen Häusern
^en Spruch her. In Sauggart geht der Latzmann schon am
zweiten Ptingsttag mit seinem Gefolge umher. Hier ist es aber
ein vom Kopf bis zu den FUßen in Stroh gehüllter Bursche , den
Sehnlbuben mit Strohseilen hüben und drüben ftthren.^
Wir machen eine kurze Rast, um schon jetzt wieder aus
den mitgeteilten Traditionen die bedeutsamen Züge hervorzuheben
iindj soweit es bis dahin schon geschehen kann, zu erläutern.
Die Figur, welche unter dem Namen grüner Georg, le fouillö,
Lanbmännchen , Laubpuppe, Pfingstl, Pfingstnickel , Pfingstlüm-
1) Knhn , Nordd. Sag. 382 , i]3.
2) Kühn a. a. 0. rWT) , 67.
<J) Birlinger , Wörterbüchlcin zum Volkstttinlichen buh Schwaben. Frei-
^^g i. Br. 1862. S. 57.
^) BirHnger, Volkstüml. a. Schwaben II. S. lU, 144 ff. 120. 145.
326 Kapitel 17. Bamngeister als Vegetationsdimoneo:
mel, Pfingstbntz, Küdernedt, Schnak; Latzmann n. 8. w. zn
St (xeorg, Maitag, Pfingsten oder St Johannis von Hans m
Hans gefUhrt wird, ist entweder in ein mit Laub und Blumen
umwickeltes ReisergesteU (Jack in green, PfingsthttttC; Latzmann)
versteckt, oder unmittelbar in Baumzweige, Wald* und Wiesen-
blumen gebullt Sein Gesiebt deckt zuweilen (PfingstlUmmel in
Schwaben) eine Maske aus Baumrinden. Er soll also den
im Baume hausenden Geist darstellen ; denselben Gedanken drttckt
die hessische Ceremodie aus, den letzten, der auf der Pfingst-
weide ankam, mit der Kehrseite gegen einen Baum zu rennen;
er wird als mit dem Baumgeiste identisch bezeichnet Diese
Identität drückt auch noch ein anderer Umstand aus. In Wahr-
stedt bei Oebisfelde wird zu Pfingsten gelost, wer Fttstge Maier
(o. S. 324) sein soU. Das den Füstge Maier anzeigende Loos ist
dadurch besonders kenntlich, daß derStab gesehklt
und die Rinde nachher in Schlangenlinien darum
gewickelt ist,^ gradeso, wie derMaibaum in Ringeln
geschält ist' Oft bilden nur Feldblumen (Pfriemkraut), Kraut
(Farrenkraut) oder Stroh die Umhüllung; danach heiftt der
Pfingstl im Nassauischen Schnak, in der Altmark zuweilen
der bunte Junge.^ Diese Verkleidung und die noch häufigere
Mischung von Laub und Blumen erweisen deutlich, daß nicht
allein der in den Bäumen, sondern auch der in Wald und Feld-
kräutem lebendige Genius gemeint sei. Einen Versuch, die
geisterhafte Natur dieses Wesens anzudeuten, fanden wir in der
Schwärzung mit Ruß, welche einige Beispiele aufweisen (o. S. 322)
Pfingstlümmel, Kudemest, Schnak und Latzmann sind sämmtlich
mit einer oder mehreren Glocken oder Schellen ausgerüstet,
welche ans Bein gebunden, in der Hand getragen, um den gan-
zen Körper gehängt werden. Ich halte dazu, daß in den
Weihnachtsgebräuchen der bescheerende heil. Christ durch ein
geheimnißvolles Geklingel mit feinem Glöckchen seine Ankunft
verrät und daher Klinggeest (der klingende Geist) benannt
1) Kuhn, Nordd. Sag. 383,63.
2) Vgl. 0. S. 169. 172. 177 und vielfach sonst. Z.B. in Belgien, „tont
antour de Tarbre nne longue raie, qui de loin ressemble a un bean et large
ruban" Coremans, l'annee Belgique p. 137.
3) Kuhn, mark. Sagen S. 317.
Lubeüikleidaiig. Regenmädcken. 327
wilde. ^ und daft St Niklas, Knecht Rupreoht, Pelzmärte u. s. w.
mit ScheUen behängen antlreten. ' Wir werden später auch in
dieser bald Klaa, bald Kaprecht , oder Märten benannten Figur
doe besondere Form des Vegetationsdämons kennen lernen. Auch
im deutschen und* engliachen Fastnachtbrauch trägt der den
Umgestaltigen Dämon des Getreides darstellende Mensch eine
Gloeke auf dem Kücken. Ich schließe daher ^ daft Glocke oder
Sehelk nir onprtinglichen Darstellung des Wachstumsgeistes
griiOrten und eine notwendige Seite seines Wesens andeuten
sollten. Znr Erklärung kommt mir die feine Beobachtung Edw.
I^bm in den Sinn, daß Naturvölker den Abgeschiedenen oder
Geipenslemy Summen , Schwirren, Pfeifen, Quiken oder Zirpen
gkidisam den Geist emer Stimme als Sprache zuschreiben ^ und
ebendahin schlägt ein, daß die Erscheinung der Gespenster sich
00 hftufig durch Kettengerassel ankündigt Sollte nicht die Glocke
die gdsterhafle Stimme des Vegetationsdämons auszudrücken
bestimmt gewesen sein ? Die Umfahrt des Pfingstlümmels auf 2
Pfliggestellen und die Drohung mit der Unfruchtbarkeit der Hüh-
Ber, der Wiesen und des Komackcrs über die Verächter des
Kndemestes bewährt, daft man von dem Umgange ganz ernstlich
eine segnende Einwirkung auf Haustiere, Heuertrag und
Ackerfrucht erwartete (vgl. S. 312).
§.4. LaabumUeldung. RegenmXdelien. Eine besondere
Betrachtung verdient die Wasserbegießung oder die Eintauchung
in Bach oder Teich , welcher wir das Laubmännchen , den Pfingstl
1) 8. Handelmann , Weihnachten in Schleswig- Holstein S. 19. Schütze,
Idiotikon I, 10. II, 17. In Hamburg hing ein großer Junge ein Bettlaken
^ ud strich die Treppen auf und nieder mit feinen Glöckohen und Schel-
^ klingebd. — Nicht hiehcr zu ziehen ist der Schellenmoritz des Lette-
^twr Pfingstumgangs , denn dieser* heißt nach dem h. Mauritius, dessen
1*11 verfertigtes Steinhild in der Moritzkirche zu Halle nach der Sitte jener
Zeit am Gürtel mit Schellen und Kettchen behangen steht.
2) Vgl. den Beim aus Friedrichstadt a. Eider: St. Niklasäwen, denn geit
winabäben, denn klingelt de klokkcn. denn danzen de poppen u. s. w.
Im Danziger Werder: Heiige Krist du g6de mann, treck din besten tab-
'^rtan, komm veer onse deer, klinger ons wat veer. — Im Bemsthal in
Wöitemberg hält in der Adventszeit, sonst in Schwaben am Weihnachtsabend
der Pelzmärte seinen Umzug; er trägt eine alte Schelle (und einen Koch-
ten) Meier, Sagen S. 460, 196. 465, 214.
3) Urgeschichte der Menschheit I, 446.
328 Kapitel IV. Baomgeister als Vegetationsdamonen:
unterworfen sahen. Denn dies stimmt genan daza, daft jener
mit weiblichen Grewändem bekleidete Baum -bei den Bossen (o.
S. 157) am Trinitatisfeste; im Yoigtlande zu St. Johamüs der
Maibaum und der Johannes (o. S. 170), in Kämthen am Maitag
der grüne Georg (o. S. 313) ins Wasser geworfen, in der
Grafschaft Mark die mit dem Mai umgehende Compagnie der
Pfingstknechte oder Maienknechte mit Wasser besprengt (o. S. 162),
in Polen, Schlesien und Siebenbirgen das Mädchen, welches zu
Ostern die FrUhmette verschlafen hat [d. h. zuletzt erwacht ist,
wie der l^gstlttmmel, Pfingstschläfer u. s. w. o. S. 321] gewalt-
sam gebadet, resp., damit der Hanf gut wachse, benetzt,
bei der Ernte der Träger des Emtemais, resp. dieser selbst oder
die letzte Garbe begossen wird (o. S. 214). Wir wissen bereits,
daß diese Geremonie ein Regenzauber war, wofUr sttdeuropäische
Bräuche, die schon J. Grimm teilweise angezogen hat (myth.*
561) den vollständigen Beweis liefern. Wir vermögen von dem
gewonnenen Standpunkte aus etwas tiefer in ihre Bedeutung ein-
zudringen. Nach Dr. Theod. Kind in seiner Sammlung neugrie-
chischer Volkslieder. Lpz. 1833 S. 13 wählen die Kinder auf
Dörfern und in kleinen Städten in Griechenland, wenn ttber
vierzehn bis zwanzig Tage anhaltende Dttrre und Trockenheit
herrschte, unter sich eines, am liebsten ein Waisenkind, weil
Gott die Bitten der Armen und Waisen besonders erhöre. Dieses
Kind wird mit Kräutern und Blumen des Feldes vom Kopfe bis
zu den Füßen geschmückt und verhüllt, nachdem es vorher bis
auf die bloße Haut entkleidet worden ist; man nennt es JTvQTirj-
Qovnt. Die andern Kinder ziehen mit ihm von Haus zu Haus
und singen das nachfolgende Lied. Jeder Hausherr und jede
Hausfrau müssen der rivq/rrj^ovvu einen Para (V2 Pfenning) geben,
und ein Fäßchen Wasser über ihr Haupt ausgießen. Das Lied
•
lautet :
PyrpiruDa geht umher,
Betet, fleht zu Gott dem Herrn;
Einen Regen gieb' uns, Gott,
Einen Regen, fruchtbar sanft,
Dali da keimen, daß da blühen
Und auf daß die Welt bereichern
Des Getreides grüne Saaten
Und der Baumwoir teure Pflanzen,
Und die frischen duftgen Kräuter!
Lanbeinkleidang. RegcDmadchen. SS9
WMser PffttseD , Pf&tzen hoch,
Und ein Haafen , Haufen Fracht !
Bring* ein Malter jede Aehr*;
Jeder Weinstock eine Last,
Tranben eine Wanne yoll!^
Die Romanen in der Gegend von Mediasch (Siebenbürgen)
neben bei Segenmangel einem kloinen unter zehn Jahren stehen-
den Mädchen ein aus Kräutern und Blumen zusammengesetztes
Hemde an und alle Altersgenossen folgen der kleinen vermum-
ten, Papaluga genannten Person, tanzend und singend:
Pa|ialaga steig in den Himmel,
Oeifhe seine Türen,
Sende von oben Regen herab.
Daß gnt wachse der Koggen.
Dem Zuge wird, wohin er kommt, von den Weibern kaltes
Wasser über die Köpfe (fegossen.^ Die Bulgaren kleiden bei
Dflrre ein Mädchen in Nußbaumzweige , Blumen , Bohnen - , Kar-
toffel- und Zwiebelkraut und geben ihr in die Hände einen Blu-
menstrauB. Sie nennen sie Djuldjul oder Peperuga; mit letz-
terem Worte bezeichnen sie nicht allein das Mädchen, sondern
aoch den ihr angeblich inne wohnenden Geist, ähnlieh wie serb.
vieJtiza zugleich die Hexe und ihre in Gestalt des Schmetter-
lings zuweilen den Kr)rper verlassende Seele l)ezeichnet. Die
Peperuga geht in Begleitung eines großen Gefolges zu den Häu-
sern umher; der Hauswirt empfängt sie mit einem Kessel voll
Wasser, auf dessen Oberfläche hineingeworfene Blu-
nien schwimmen, und begießt den erwünschten Gast damit
beim Gesänge folgenden Liedes:
Es flog die Peporuga;
Gicb Gott Regen,
DaU gedeihen möge das Koni . die Hirse , der Weizen.
(Var. Flachs bis zum Gürtel).» In Dalmatien tritt an die Stelle
de« Mädchens ein junger unverheirateter Mann, der im Laub-
1) Cf. auch Firinenich '/\H'/ui,hti lUomaxu. Tbl. II, S. U')3 und örimm
Mytli.« 561.
*^^ W. Schmidt, das Jahr und seine Tage in Meinung und Brauch der
Aminen Siebenbirgens. Hermannstadt 18G6. 8. 17. Anton, Versuch über
^« SUTen L 73.
3) Afanasieflf, poet. Naturanschauungen II , »S. 17G.
830 Kapitel IV. Banmgeister als Vegetationadäinoneii :
schmuck tanzt, er heißt Pripats und seine Gefährten Prpo-
rushe. Potebiiia und Afanasieff erkennen wol mit Recht in den
Namen stldsl. Prporuäa, pri)rruga; bulg. peperuga, preperoga,
griech. /riQjn^Qoha, wal. papaluga durch den Uebergang von r
zu l vermittelte Varianten einer und derselben reduplizierten
Form, ob aber in russ. priskat spritzen, czech. prSeti regnen das
Etymon stecke/ mögen die Slavisten entscheiden. Dem balga-
rischen Djuldjul entspricht der serbische Name Dodola flir das
nackt ausgezogene, vom Scheitel bis zur Zehe, sogar im
Gesichte mit Gras, Kräutern, Blumen verhüllte Mädchen,
das inmitten eines Reigens von anderen Jungfrauen stehend vor
jedem Hause in einem fort sich umdreht und tanzt, indeft der
Ring eines der sogenannten Dodolalieder singt und die Hausfran
eine Mulde Wasser über es ausschüttet. Jeder Zeile des
Liedes wird der Ausruf: „Oj dodo! oj dodo!" eingeschaltet
Zu dem von Grimm Myth.* 561 angeführten Uede fttge ich hier
ein zweites:
Wir gehen durch das Dorf,
Die Wolken gehen am Himmel;
Wir gehen schneller,
Schneller gehen die Wolken;
Sie haben uns überholt
Und das Korn benetzt und den Weinstock.
oder Wir gehen durch das Dorf,
Die Wolken gehen am Himmel;
Aus den Wolken fiel ein Bing,
Ihn ergriff die Chorführcrin.
Bei Burkhard von Worms (f 1024) findet sich bei zwanzig
Tagen Kirchenbuße mit Wasser und Brod ein verwandter Regen-
zauber verboten, der, we es scheint, im Anfange des 11. Jahrh.
aus lebendiger Erfahrung in Hessen oder am Rhein geschöpft
ist.^ Bei großer Trockenheit entkleideten Jungfrauen ein kleines
Mädchen, llihrtcn sie nackt, wie sie war, vor das Dorf zu einer
Stelle, wo Bilsenkraut (ijelisa) wuchs, und hießen sie mit dem
kleinen Finger der rechten Hand dasselbe sammt der Wurzel
ausreißen, sodann an den kleinen Zeh ihres rechten Fußes bin-
1) Afanasieff a. a, 0. 177.
2) S. Friedberg, aus deutschen Bußbüchem. Halle 1868. S. 81. 101.
Grimm M^-th.« 5G0.
LMibdnkleidiiDg. Regenmadehen. 3S1
den, 80 daft es hinter ihr nachschleppte. Jede Jungfrau hatte
eine Rute in Händen. Sie tUhrten das Kegenmädchen in den
nichsten FluB hinein, besprengten sie vermöge der Ruten
mit der Flut desselben und sangen Beschwörungen (incan-
tatkmes), um Regen zu erlangen. Endlich tUhrten sie jene nach
Art des Krebses rückwärts schreitend vom Flusse zum Dorfe
xmtlck.* Eine Ueberschau der zusammengestellten slavischen
Blanche, im Vei^leich mit den deutschen vom Piingstl u. s. w.
begründet die Ueberzengung , daß die Pyrpiruna, (Papaluga,
Pepemga, Dodola) eine Darstellung des als weiblich vorgestell-
ten Vegetationsgeninsy eine möglichst coucret gedachte Personi-
fieation des Pflanzenwuchses selbst sein sollte , auf die man durch
die Wasserbegießung oder Wassereintauchung den Regen herab-
lo^en woUte. Als derartige Darstellung eines Geistes characte-
ririert sie auch die Anrufung des rumänischen und bulgarischen
liedes, daß Papaluga in den Himmel steigen möge, seine Hor-
ten zaOffiien, Peperuga fliege. Daß die Darstellerin jeder Klei-
dnng gich entäußert, bevor an ihren Leib sich eng und dicht die
Laobbttlle anschließt, sollte ausdrücken, daß letztere nicht nur
ein vertauschbares Gewand, sondern ein Zubehr>r ihres Wesens,
gleichsam ihre Haat aasmache; so nur mochte die Maske geeig-
net erscheinen die im Innern der Pflanzenwelt wirks'ame Seele
M vergegenwärtigen. Fein ist der Zug des bulgarischen
Braoches, in das zum Begießen gebrauchte Wasser Blumen zu
nuschen, denn solche sollen ja der Erfolg des durch die G^re-
monie herbeizuzaubemden Regens sein. In Rußland, im Gouver-
nement Kursk ergreifen bei langer Dtlrrc die Weiber einen Vor-
übeiigehenden und werfen ihn in den Fluß, oder begießen ihn
von Kopf bis zu Füßen,* und in Tirol (Burgeis) werden in glei-
efcer Weise am ersten Mai Mädchen , die sich auf dem Wege
wißcn, von den Burschen eingefangen und begossen oder ins
Wasser gestellt.* Wir werden später aus unwiderleglichen Bewei-
sen ersehen , daß am Emtefelde , dem Orte des Maifestes u. s. w.
1) Burchard. Worm. Cannon. LXIX. Col. 1548 S. 201»» Grimm myth.«
^ Bibl. patr. ed. Migne CXIu Paris 18o3. p. 974.
*^) AfaDasieff II, 174. In einigen Dörfern hielt man es nach den Gebe-
^ gegen die Dürre für nötig , den Popen auszubaden.
3) Zingerle, Tiroler Sitten: Aufl. 2. ö. 154, 1309. Zs. f. D. Myth.
n,360.
332 Kapitel IV. Baamgeister als VegctatioDadamonen:
vorübergehende unbekannte Fremde für Erscheinungen de» Vege-
tationsdUmon8 angesehen und als solche behandelt wurden. Ver-
blaßter ist die Sitte dort, wo der erste aus dem Felde zarflok-
kehrende Pflug sammt dem Zugvieh und dem Ackersmann Yon
den Frauen und Mädchen, die dies als ein Recht in Ansprach
nehmen, mit einem tüchtigen WasserguB durchnäßt wird.^ Wie
Schmackostem und Wasserguß (o, S. 259) gehört dieses BegieBra
des Pfluges und das hessische Auspeitschen der Mädchen (FlOh-
ausklopfen o. S. 268) zusammen. Ebenso wird aber von Aen
Weibern der Hirte, der zum erstenmale im Frühjahr auf die
Weide treibt, von den Männern die Magd, welche zum ersten-
male im Garten gegraben, oder die erste Last Gras nach Hauae
getragen hat, besprengt ^ begossen, oder in einen Bach geführt
und gebadet Alles dieses geschieht, damit das Kraut im Garten,
das Gras auf der Weide , das Korn aui* dem Acker gut wachse
und gedeihe, im Sommer kein Ungeziefer (Mücken, Flöhe n. dgl.)
die Begossenen plage , d. h. nach unserer o. S. 280 gegebenen
Erklärung die Krankheitsgeister von ihnen weichen. In West-
falen (Wittgenstehi) , beschütteten noch vor 50 Jahren Knechte
und Mägde am Fastnachttage, ja sogar die Schulkinder sich
gegenseitig eimerweise mit Wasser;* in Schlesien schleppte man
dann die Mädchen Nachts aus dem Bette an den Brunnen.
Ich erwälme diese in Deutschland weit verbreiteten Gebräuehe
nur, ohne hier ihre Verbreitung und ihre mannigfachen Spiel-
arten im einzelnen darzulegen. In der Mehrzahl der Fälle ver-
knüpfen sie die Erinnerung an den persönlichen Vegetations-
dämou mit derjenigen Person , welche durch ihre Arbeit im Früh-
jahr zuerst mit der Vegetation in Acker und Wiese in Berührung
kommt, den Geist derselben gleichsam an sich genommen hat'
Die zuletzt erwähnte wcsttalische und schlesischc Form des
Brauches erklärt sich, wie das Schmackostem, aus dem sym-
1) In ganz Hessen (Mülhause S. 130); in Westfalen (Kuhn, W. Sa^.
JI, 153, 428); Ilennebcrg (Zs. f. I). A. III, 361, i)).
2) Kahn. Wcstf. Sag. II, 129,389.
3) Grade so wird bei der Ernte der mit dein Schneiden der
letzten Halme oder mit dem Binden der letzten Garbe beschäf-
tigte Arbeiter (resp. Arbeiterin) mit dem im Korne haasonden
Vegetationsdämon identifiziert nnd deshalb, wie dieser der
die) Alte, Wolf, Hahn u. s. w. genannt.
Lubeiiikleiclniig. I>er wilde Mann. 838
pathiaehen Parallelismas des Menschen - und Pflanzenlebens. Das
Alter dieser Sitten erweist n. a. schon die aus Burkhard ausge-
hobene Stelle; auch in einem Erfurter Zuchtbriefe v. Jahre 1351
findet sieh die folgende Bestimmung: Das nieniant den
andern in das waszer trage. Unser hem verbieten auch;
das niemant zu Ostern, zu Pfingsten, noch zu einer
andern zeit den andern in das waszer tragen oder
werffen soll, als dicke sol er X Schillinge geben, vermag er
des geides nicht, so sal er seyn buess leyden in dem stocke.^^^
Daß die Aufpflanznng des Maibaums, oder der Pfingsthtitte (o.
S. 323) auf dem Brunnenrande nur eine abgeschwächte Fonn der
WiMerbegießung ist, wird jedem I^ser klar sein.
§.5. Laubelnkleldang. Der wilde Mann. Doch genug
der Abschweifung, zu der uns die Betrachtung einer einzelnen
traditionellen Handlung in dem Umgange des I^ubmanns oder
Pfngstlflmmels am Maitag oder Pfingsttag Veranlassung gab.
Wir nehmen jetzt den durch die Kegengebräuchc unterbrochenen
Faden wieder auf. Dem aufmerksamen Beobachter kann es
idiweilich entgangen sein, wie sehr der durch Jjaubeinkleidung
daigestellte Vegetationsdämon des Volksbrauchs den in einem
frflberen Abschnitt behandelten Gestalten der Volkssage, den
Voodeuten und dem wilden Manne (Nörgleiu u. s. w.) entspreche,
der im Frtthlinge oder Herbste erscheinen und den Bauern die
Zeit der Aussaat verkündigen soll o. S. 111. Noch schlagender
tritt diese Uebereinstimmung in einer bestimmten Spielart der
behandelten Qebräuche hervor, in denen auch der Name des
Pfingstl u. s. w. mit demjenigen des wilden Mannes vertauscht ,
Hl Im Etschlande, Ulten und Vintschgau wurde im vorigen
Jahrhundert noch allgemein an jedem Donnerstage vor Fastnacht
^<m den Schulkindern das Wildemannspiel aufgeführt'
Zingerle hat nach der Erzählung einer alten Magd den Hergang
dieses Spieles zu Marling bei Meran verzeichnet Festlich geklei-
det und mit weißen Schtlrzen angetan gingen die Hchulmädchen
in den Wald gegen St Felix, wo eine Höhle war, und suchten
^h dem wilden Mann, bis sie ihn fanden. Es war ein Bursche,
^) Mittheil, des thürlDg. - gächs. Altcrtnmsvereins VII , H. 2, 125.
2)Ziüf^erle, Sitten, Brauchu u. Meinangen. Auti. 2. Innsbruck 1871.
334 Kajdtel lY. Banmgeister als Vegetationsdamoneii :
dessen Kleid nur ans Banmbart nnd Haaren bestand;
sein Gesicht schien mit Bart und Moos so Überwachsen , da0
man nur die Augen sah. Als Schmuck führte er Ketten von
Schneckenschalen, die laut rasselten, wenn er aufsprang, oder
sich sonst bewegte (vgl. o. S. 326). In seiner Rechten ftthrte
er einen jungen Baum statt eines Stockes (o. S. 97).
Der wilde Mann hatte immer zwei Junge bei sich, die ebenso
wie ihr Vater gekleidet waren, und aus der HlJhle herausgeholt
werden mußten. Sic waren gar munter und sahen wie Aeffchen
aus. Wenn man aller drei habhaft war, wurden sie von den
singenden MHdchen mit roten Scidenbändem gebunden und ins
Dorf geitihrt, wo der wilde Mann allerlei Spaße machte. SchlieÄ-
lich wurden sämmtliche Kinder und die drei Wilden mit Wein,
Brod, Käse und Obst bewirtet. In Folge der rationalistisch
Richtung wurde dieses Spiel unter Kaiser Joseph abgestellt; V ^n
einzelnen Gegenden ist es später erneut, aber in modemisiert^^^f
Fassung. Ein ergötzliches Beispiel einer solchen allegoriscfak«
Umdeutung bietet ein von Zingerle aufgefundener Text der
fbhrung des Wildemannspiels zu Burgeis im Yintschgan ans A^^sm
Jahre 1829.^ Erkennen wir im Wildemannspiel mit Recht ^-Siie
Darstellung des Frühlingseinzuges, so würde damit nicht -im
Widerspruche stehen, daß zur nämlichen Jahreszeit, d.h.
Fastnacht tage /ZU Nürnberg in dem das Frühlingsfest fei
den Aufzüge der Metzger, dem sogenannten Schönbartlaufb
unter andern Mummereien auch ein wilder Mann und e
wildes Weib auftraten.* Zwar in der ältesten Zeit V(
1350 — 14G4* wird noch kein wilder Mann erwähnt. Dagcg^^^^
kommen der wilde Mann und die wilde Frau in den Jahw^^^^
1521 , 1524 und beim letzten Schönbart 1539 vor. „Bei diceen::^^*^
Schönbartlaufen (1539) fanden sich auch schöne und wolgezicrt^^^*^
Holzmannlein und Holzfräulein, deren Führer war AlberT"^^
Scheurl." Bei dem wilden Manne liest man in deiC^
Schönbartbüchem folgende Reimen:
1) Zingerle in Zeitschr. f. D. Myth. u. Sittenk. III, 200 ff.
2) S. Müllcnhoff über den Schwerttanz S. 11. 3G.
3) Vgl. Kleine Geschichte des Nürnberger Scbönbartlanfcns. Altdorf^"
1761. S. 10. Panzer, Beitr. U, 248.
4) Vgl. Maxim. Mayer, Nürnberg. Schembartbncb. Erstes Heft, Nüm — ^
borg 1803.
Lrabeinkleidniig. Der wilde Mann. S35
In eines wilden Mannes Gstalt ich
Bei dem Schönbart ließ finden mich.
Bei dem wilden Weibe:
Die weil mein Mann sich macht anf.d* Straßen
Will ich ihm folgen gleichermaßen. >
Gehörten hiernach die beiden Figuren wol nicht nrsprttnglicb
ond notwendig zum Nürnberger Fastnachtaufznge ^ so mögen sie
«u dem Fagtoachtbranebe eines anders Ortes hergeholt und dem
Tune der Metzger nachträglieh einverleibt sein. So tanzt z. B.
m eisten FastDachtsonntag (Invocavit) in Basel bei dem soge-
oaimten Moigenstreieh neben andern Masken ein wilder Mann
ioit einem entwurzelten Baume in der Hand, und Laub um
Üanpt und Lenden gewunden. Zu B^ziers in Langued'oc fand
^or 1793 'al^ährlich am Himmelfahrtstage die promenade du
^Inmeaa statt Ein künstliches Kameel, das ein in der Maske
steckender Mann bewegte, wurde durch die Stadt getUhrt Die
^^tidtisdien Behörden und die Zünfte schritten dem Zuge vorauf,
^em Kameele folgte ein mit grünen Büschen zu einer Laube
^gestalteter Wagen, den mit blauen Bändern geschmückte Manier
^ogeo« Eine Anzahl wilder Männer, d. h. in Blumen und
^rflne Baumzweige gehüllte Personen schlössen die Pro-
aession, die nach Beendigung des Umzuges durch die Stadt vor
der Kathedrale vom Domkapitel empfangen an der Kapelle der
l)laaen Büßer mit einer Brodspende an die Armen endigte.^
Näher zu der Tiroler Sitte stellt sich der P fingst brauch tliürin-
giflcher Orte. Mit mannichfachen Abweichungen, sagt Sommer,
erscheint zn Pfingsten das Spiel: „den wilden Mann aus dem
Hasche jagen,^^ oder, den wilden Mann aus dem Holze
blen.. Die gewöhnlichste Form ist folgende: Ein Bursche wird
inLanb nnd Moos gehüllt und heißt: „der wilde Mann/' „Er
Versteckt sich im Walde.'' Die übrigen Burschen des Dorfes
üehen ans ihn zu suchen, finden ihn, fähren ihn als Gefangenen
SQ8 dem Walde und schießen draußen mit blindgeladenen Geweh-
ren nach ihm. Er fällt wie todt zu Boden, wird aber
wieder ins Leben gebracht. Dann jubeln die andern, setzen
1) Kftrnberg. Schönbart- Buch and Gesellen -Stechen. Aus einem alten
^wnwript zum Druck befördert 1764. S. 47.
2) S. die Beschreibung von M. Pluraptre in Hon es Every Daybook U,
^^- Vgl. De Nore, eoutumes, mythes et traditions p. 74.
f
336 Kapitel IV. Banmgeister als VeffetatioiiBd&moiieii:
ihn auf den Wagen , binden ihn fest und nun fahren sie ins Dorf
und erzählen der yersammelten Gemeinde, wie sie den wilden
Mann gefangen haben und vor jedem Hanse erhalten sie ein
Geschenk. Offenbar .eine jüngere Form dieser Sitte ist diejenige,
wonach der wilde Mann nicht in Laub und Moos gekleidet, son-
dern mit Farben bunt bemalt wird. An einigen Orten heiSt
das Spiel: ,,den Teufel aus dem Busch holen.^ Dann ist der
Gesuchte von oben bis unten mit Ruß geschwärzt [der
Name Teufel entstand nur aus dem rußigen Aussehen des wil-
den Mannes. Vgl. o. S. 322.] Zuweilen erscheint er in einer
beliebigen Bekleidung und dann verkleiden sich auch die , welche
ausziehen ihn zu suchen.^ Ans dem Erzgebirge schildert Christiim
Lehmann y Pastor zu Scheibenberg, Kr. Dir. Zwickau (1638 — 88)
die Sitte, wie sie im Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts
bestand. ,,In unserm Gebirge trägt man sich mit einer alten
Tradition, daß wilde Waldleute bißweilen an die Waldhänser
und zu den Weibern in Waldräumen kommen. Solcher wilden
gebirgischen Satjren erinnerten sich von Alters die Einwohner
und Beigleute bei irem Quass und Fastnachtspiel, bei welchem
sie jährlich 2 wilde Männer verkleidet, den einen in Reisig in
Moos, den andern in Stro, solche auf den Gassen nrngefüret,
endlich aber auf dem Markt herumgejagt und niedergeschossen
und gestochen, welche dann mit herumtanmeln und seltsame
Geberden Gelächter machten und mit angeftlllten Blntblasen
unter die Leute sprützten, ehe sie gar niederfielen. Da fas-
seten sie die Jäger als tot auf Bretter und tragen sie
ins Wirtshaus. Die Bergleut gingen dameben her, bliesen eines
durch ire Pechpfeifen und Grubenleden auf, als hätten sie statt-
lich Wildpret gefangen. Dergleichen Aufzüge hielt man vor dem
30jahrigen Kriege, aber nun sind sie abgekommen.'^' Gans
ähnlich ist heute noch der Brauch in der Gegend von Schluckt
nau (Kr. Leitnieritz in Böhmen). Hier verfolgte die Volksmenge
zu Fastnacht einen Mann , der so vermummt ist, daß er das Aus-
sehen eines Wilden erhält, durch mehrere Straßen, bis ein vor-
1) 8omiiicr, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thü-
ringen S. 154.
2) Historischer Schauplatz der uatiirlichen Merkwürdigkeiten in dem
meißnischen ober Erzgebirge. 3. Auli. Leipzig lGi)9. 40. S. 757.
Lwtbdnkleidnng. Der wilde Miuui. 337
geiögener Strick ihn aufhält. Er wird gefangen; der Scharf-
riebter durchbohrt die blntgefüllte Blase, welche der
Wilde am den Leib gebunden hat, mit seinem Schwert,
and der Wilde stirbt, indem ein Strom von Blnt die Erde rietet.
KuB wird er auf einen Schlitten (oder Bahre) gelegt und fort-
getragen. Am n&chsten Tage wird eine ihm (dem Wilden)^ ähn-
fidie Starohpuppe unter zahlreicher Begleitung zu einem
Teiche getragen und ertränkt Man nennt das den
Fiiching begraben.^ Im Harz tritt alljährlich am Freischießen,
das man am Johannis hält, ein wilder Mann mit
' einer Tanne in der Hand und ganz in Moos gekleidet auf.*
h Westmannland in Schweden spielen die jungen Bursche an
Sonnttgsabenden Olaf im Versteck (Ole i skrymta). Einer von
ümeB kehrt sein rauhes Wollenwamms um, einige laubreiche
Btgchel Adlerfarnkraut (nägra yfvige ormbunkar, d. i. pteris
•qoQina) werden auf seine Mtttze gesetzt,^ ein gewaltiger
Stab wird in seine Hand gegeben. Im übrigen so schrecklich
ab mDglich ausstaffiert wird er unter überlautem Gelächter der
fleKÜBchaft in ein dichtes Gebüsch geleitet, wo er auf
einem Steine Platz nimmt. Nach gewissen Rufen und Ge-
lingeii kommt er sodann mit furchtbarer Miene aus seinem Ver-
iteeke in den Wald heraus und sucht einen von der GeseUschaft
a&ngen. Wen er zuerst mit seinem Stabe berührt, muß, wie
er gekleidet, und unter großen Freudenbezeugungen ins Gebüsch
gefllhrt seine Stelle einnehmen.^
Der Znsammenhang dieser Wildemannspiele im Frühling mit
^ Bräuchen des Pfingstlttmmels , Laubmanns u. s. w. steht außer
frage; steUen die meisten die FrUhliiigsciiiholung des wilden
Kannes als Vegetationsdämons dar, so macht das zuletzt
erwihnte schwedische den Eindruck, als ob es die Redensart:
wderWald hält" (skoje halder) o. S. 130 vcrkörpeni solle. Das
Dwr big heute zustehende Material reicht nicht aus , um die Frage
1) Krolmns, Staro^^ke povesty 1,410. Beinsberg- Dfiringßfeldf Böhm.
Festkalender S. 61.
2) Kuhn, Nordd. Sagen 188, 211.
3) Diese Pflanze soll dem Volksglauben nach nnr in der Mittsom-
'"'«rnacht blähen, Glück verleihen und unsichtbar machen. S. Hylten-
C»Ttlliu8, VSrend och Virdame II, Anh. XXI. Of. den Schnak o. S. 324.
*) Dybeck, Runa 1842. S. 20. '
"»»ahardt 22
d88 Kapitel IV. Banmgeister als Vegatatioiiadimoiieii:
ZU lösen y die ich fttr's erste nur anfwerfen kann, in welehen
Verhältniß zu diesen Darstellangen des wilden Mannes dniet
laubbekleidete Bursche andere Repräsentationen desselben ab
durchweg behaarter Waldschrat (Pilosus) o. S. 114 stehen. Eii
Beispiel dieser Art Darstellungen gewährt ein unter dem Namei
ballet des ardents bekanntes Ereigniß der franzttoisdien Gesehidifte
König Karl VI. gab am 29. Jan. 1393 im Hotel royal de Sain
Paul ein Fest zu Ehren der zweiten Heirat einer Hofdame dei
Königin Isabella von Baiem. Ein normannischer Edelmann kan
deshalb auf den Gedanken eines Charivari. Der König und 4
Herren vom Hofe führten einen Tanz als wilde Männer .aaf
vom Kopf bis zu Fuß in eng anschließende Leinwand ein
genäht, auf welche mittelst Harzpech Werg in Form von lot
tigen Haaren aufgelegt war. Der Herzog von Orieans kam einen
dieser Gavaliere mit einer Fackel zu nahe, derselbe fing Feoe:
und alle verbrannten mit Ausnahme des Königs, über den sräu
Tante, die Herzogin von Berry, ihn erkennend, schnell ihn
Bobe warf.^ Sollten diese Schaustellungen einer ronumisohei
Form des fraglichen Frflhlingsbrauches ihren Ursprung verdaa
ken? Wenigstens gab es auch in Spanien neben den Darstel
lungen der Maifrau (Maja s. unten) auch solche des wilden Man-
nes orco (o. S. 110). So wird in einer Bußordnung der spani
sehen Kirche, dem wahrscheinlich im 8. Jahrh. verfaßten zon
Teil aus fränkischen Quellen excerpierten Poenitentiale Vigila
num cap. 84 verboten: Qui in saltatione femineum habiton
gestiunt et monstruose sc fingnnt et majas et orcum et pelan
et bis similia exercent I ann. poen.^ Es scheinen bereits in
1) Froissart lY, 52. Paris 1574 IV 157 ff. nennt als Tag dea EreigBi»
ses mardi devant la chandelenr 1393. Nach ihm ließ Karl anfertigen „su
cottes de teile couuertes de delie lin en forme et couleor de oheveux." „ TL
farent vestns de ces cottes , qai estoient faites a leur point et ils fürent deduu
consus et ils se monstroient estrc hommes sannages, ils estoient ton
chargez de poil dcpnis le chef jusqaes a la plante dn pi^. Eine Abbilduni
des Tanzes nach einer Miniatur in einer Handschrift des FroiBsart an
saec. XV. s. bei P. Lacroix , moeurs nsages et costames du moyen age. Pari
1871 p. 263. Fig. 185.
2) Waschersieben , Bnßordn. der abendl. Kirche. Halle 1851. S. 533
Of. p. 71. lieber die Maja wird später noch die Rede sein; pelo bedeate
im Spanischen einen reichgekleidet«n Knaben, der auf den Scbnltem eine
Mannes am Frohnleichnamfeste dahergetragen wird.
LubeiBkleidung. Ber wilde Mann. 339
14. Jahrhundert^ vielleicht noch früher, diese Darstellungen ans
dem Volke in den Festbraneh der Ffirstenhöfe übergegangen und
hier vielfaeh verändert als sinnbildliche Vergegenwärtigungen der
rohen, ungezügelten Naturkraft und Sinnlichkeit aufgefaßt zu sein..
In dieser Auffassung zeigen uns den ^wilden Mann mehrere Kunst-
werke des 14. Jahrb., von denen ich das Kuppelgemälde eines
abendländischen Künstlers in der Gerichtsballe der Alhambra und
eiBen in braunem Holze geschnitzten Dolcbgriff des historischen
Msseoms zu Dresden erwähnen wilL^ Im Laufe des fünfzehnten
Jakrinmderts ging dann diese Verbildlichung des wilden Mannes
in den Gebraucb der Heraldik als Wappenhalter über, ver-
wtlieh als Darstellung der durch Oeist und Herrscherwillen des
Meuchen gebändigten und unterworfenen rohen Natur und der
von ihr ans entstehenden Hindemisse des Licbens. Ein Beispiel
1) Das Gemälde zeigt eine gras- a. blumenreiche mit Bäumen und
^h belebte Flnr, in deren Mitte sich ein Schloß mit Türmen und Zinnen
«Mit Ans dem ObergeschoK schanen eine Dame und ihre Zofe. Zur Bech-
ta des Schlosses (vom Beschauer) sieht man ein Turnier zwischen einem
clirictliehen Ritter und einem Mauren. Letzterer durchbohrt seinen Gegner.
Zv Linken ist eine reichgekloidete christliche Frau dargestellt , welche einen
nbenden Löwen an der Kett« hält. Ein wilder Mann mit Ausnahme
von Händen und Ffißen yöllig behaart, mit fliegendem Haar.
higem zweiteiligen Bart , bekleidet mit einer von den Hüften bis etwas über
^ Inie reichenden faltigen weißen Hose , faßt mit seinen Händen die bei-
^^ Arme der Dame, während er selbst von einem christlichen Ritter durch
^^^um Lanze in die Brust getroffen wird. Unter den zur Rechten turnieren-
^ Rittern wird ein Eber von Hunden gehetzt. Gänzlich älmlich ist die
*Witellung auf dem wenig älteren (1340 — 1350?) Dolche, von dem sich bei
^- Klemm Werkzeuge und Waffen. Lpzg. 1854. S. 174 und F. A. Frenzel,
''fthrer durch das historische Museum zu Dresden. Lpz. 1850. 8. 98 Abbil-
QQDgen finden. Auf der einen Seite sitzt unter einer gothischcn torförmigen
■"^t Türmen gekrönten Architectur eine geflügelte weibliche Figur, einen Hund
^*i>ter dem Arme auf zwei zottig behaarten männlichen Gestalten ,
^ovon man nur Kopf und Brust mit vorgestreckten Händen zu beiden Seiten
^nierkt Auf der entgegengesetzten Seite sind ein Weib und der ganz
behaarte wilde Mann zu sehen, letzterer mit einem Ringe um den
Hall imd zusammengelegten , mit einer Kette gefesselten Händen. Das Weib
bat mit der Rechten den Ring, mit der Linken das Ende der Kette ergrif-
^^' üeber beiden ein ruhender Hirsch und darüber der wilde Mann, sitzend,
^t der Linken eine Kette haltend , daran ein Affe gefesselt ist , der sich
hn Syiiegel sieht Offenbar doch sollte hier die Macht des Weibes, der Sieg
^^ Weiblichkeit , der Liebe über die rohe Kraft dargestellt werden.
22*
340 Kapitel IV. Baiungeister als Vegetationsäftmonen:
gewährt ein in Silber getriebener Pokal ans den Jahren 1450 —
1600.^ Auf deutschen Münzen und Wappenbildem wird im
16. Jahrhundert der wilde Mann nackt oder behaart mit Schilf-
oder Lanbkrone auf dem Kopf und Laubumhttllung um die Len-
den, in der Hand einen entwurzelten Baumstamm tragend abge-
bildet. Ich nenne beispielsweise die braunschweigisch-lttnebnr-
gischen Wildemannsmttnzen (Thaler, vergoldete Kupfermtlnzen,
Dukaten y Gulden),* sowie ein Wappenschild der Familie Hob-
hausen. ^ Auch auf den großem Volksfesten deutscher und eng-
lischer Städte , bei besondem fürstlichen Hoffesten , Vermählnngen
Feuerwerken u. dgl. spielten im 16. und 17. Jahrhundert der
wilde Mann und die wilde Frau in dem beschriebenen AnÜEOge
eine Rolle ^ in England heißt er Wildman, Woodhouse (Wald-
haus), oder green man, er wurde entweder mit Moos bedeckt,
oder in bäuerlichem Anzug mit einem einfachen Laub- oder
Schilfkranze um den Kopf, oder in einer aus zottigen Tierfellen
bestehenden, den ganzen Körper mit Ausnahme der freibleiben-
den Hände und Füße bedeckenden Kleidung mit grüner Laabom-
1) J. V. Hefner -Alteneck, Geräthe des christl. Mittelalters. Bd. HI.
Taf. 50. Der Pokal ruht auf drei wilden Männern, welche auf dem
rechten Beine kniend in der Linken ein Wappenschild halten. Ihr Körper
ist durchaus behaart, vergoldet, nur Hände und Kopf sind von reinem Silber.
Schon der Kupferstecher Martin Schongauer (1420? — 1488) verwandte den
wilden Mann als Wappcnhalter. Vgl. Bartsch, Peintres gravenrs. Schon-
gauer N. 103. 104. 105.
2) Z. B. Thaler Heinrichs IV. v. Wolfenbtittel 1554. Der wüde Mann
mit unbedeckten pudendis , in der rechten Hand einen Baum , in der Linken
eine Bergstufe haltend. — Goldgulden Heinrichs IV. 1558. Wilder Mann
mit Baum in der Rechten. Der Thaler desselben Fürsten v. 1541 wird nur
als Brustbild eines wilden Mannes mit bloßen Pudendis beschrieben. Vgl.
J. T. Köhler, voUständ. Ducatenkabinet II 1760. S. 550. Nr. 1755. Madfti,
Thalerkabinet. B. III Königsberg 1767. S. 242— 44. Dritte Fortaetnmg 1774.
S. 205. Nr. 6549.
3) Dasselbe stellt als Schild Halter einen nackten wilden Mann dar mit
langem auf die Hüften hinabhangendem Bart, Lenden und Haupt mit Blät-
tern und Zweigen umkränzt, als Stab einen entwurzelten Baum tragend.
Jost Amanns (Ammons) Wappenbuch 1579. Cf. C. Ritter von Mayer, heral-
disches A. B.C. -Buch. München 1857. Taf. LIV. 1., Vgl. Jost Ammons
Kunstbüchlein. Frankf. 1599. Zur Rechten eines leeren Wappenschildes steht
ein wildes Weib eine Frucht tragend, zur Linken der wilde Mann, jeder von
ihnen hält einen entwurzelten grünen Baumstamm.
Maikteig, PflDgttkönig , Maik&nigin. 841
kiftnzang von Haopt und Lenden dargestellt , oder er war ganz
und gar in Eichenbltttter oder Ephen gehüllt In der Hand trag
er einen noch grtfnen Baumstamm. In den Zwölften (twelfe
nights) 1515 führte man vor König Heinrich VIH. in der Halle
YOB Greenwich ein Pageant aof. Ein goldenes Zelt ward herein-
gebracht ^ Yor dem reich armierte Ritter standen. Sodainlay came
oot of a place lyke a wood 8 wyldemen, all apparayled
in grene mosse made with sleved sylke with nggly
weapons and terrible yisages and there foughte with tfae knyghtes
8 to 8 and after /long fighting the armed knightes drane the
vyide men ont of their places and followed the chace ont of
tie hall; and when they were departed, the tent opened and
ttere oame ont 6 lordes and 6 ladyes rychely apparayled and
dasDoed a great tyme.^ Im Jahre 1575 wurde Königin Elisa-
beth m Kenilworth mit yerschiedenen Schaustellungen empfangen.
Unter anderem kam der Dichter Thomas Gascoyne, als sie am
10. Juli Abends 9 Uhr von der Jagd heimkehrte , plötzlich aus
tei Wakle ganz in Epheu gehüllt ^ ein mit den Wurzeln aus-
{erigsenes Eichenbäumchen vor sich hertragend, und sprach
önge selbst erfundene Verse zu ihrem Lobe. Abbildungen des
wilden Mannes nach altem Kupferstichen liefert Strutt' Es ver-
dient näher untersucht zu werden, ob die höfiscjfen und städti-
sehen Darstellungen des wilden Mannes in den englischen
pigeants und firewarks und in den deutsehen Schaustellungen
sieh unabhängig von jenen französisch -spanischen Darstellungen
MW dem Frtthlingsbrauche der Dörfer cnt^vickelt haben, in wel-
chem historischen Verhältniß sie selbst zu einander stehen, und
wann zuerst, wie und auf welchem Wege jene Figuren in den
Apparat der bildenden Kunst übergegangen sind. Wir dürfen
Wer diese Probleme nur andqutcn, ohne ihre Lösung zu ver-
snehen, die doch dazu erforderlich sein wird, um den von uns
hehandelten mythologischen Volksbrauch nach allen Seiten hin
^ ahzngrenzen und die gewonnene Bedeutung zu sichern.
§6. lalkOnig, PflngstkOnIg, MalkSnlgin. Statt des Na-
ineoB Laabmann , Pfingstlümmel u. s. w. begegnet mehrfach der
1) Thom. Halls Chronicle (cd. princ. 1Mb). London 1809 p. 580.
^ S. Strutt , the sports ad pastimes of the people of England. Lon-
don 1841 p. 377 — 78. cf. 375. 253. XLI.
342 Kapitel IV. Baamgeistor als Vegetationsdlmonen :
Name Maikönig , Pfingstkönig und an Stelle des pire May tritt
in Frankreich ebenso nicht selten eine reine de may, reine de
printemps, in England eine Maylady, Queen of May^ in Böhmen
eine Kralovna (Königin) ein. Diese Benennungen setzen die
Anschauung voraus, daß der in der Vegetation verkörperte
Dämon ein Herrscher sei, dessen schöpferische Gewalt über
Höhen und Tal, über weite Lande sich erstredie. „König Mai,
König Lenz'^ sind übrigens so naheliegende Personificationen, daS
die Dichter des Mittelalters und der Neuzeit sie hundertmal wie^
derholt oder neugeschaffen haben. Es ist nicht bedentungsloSy
daß der englische Jack in the green (o. S. 322) auf dem Kopfe
eine Blumenkrone, der Walber (o. S. 312) eine Aehrenkrone trägt.
Die Herrschematur des Dämons sollte angedeutet werden. In
Kl. Scheppenstedty Cremlingen und andern Braunschweigiaohen
Orten wurde ein ganz in Maibttsche eingehüllter MaUcömg
gemacht, zu Molmerswende am Harz ein Pfingstkönig. In der
goldenen Aue ist es wieder ein Maikönig. Man baut ein Hols-
gestell von Mannesgröße , umwickelt es mit Birkenzweigen und
setzt der so gebildeten Figur (wie dem Jack in the green) eine
Krone von Birken und Blumen auf, in welcher zugleich eine
Klingel (o. S. 324 ff.) befestigt wird. Im nahen Gehölz wird
dann jemand hineingesteckt und nun versteckt man ihn im
Busch. Die Uebrigen ziehen hinaus und suchen ihn. Mit dem
Gefundenen geht es ins Dorf zum Amtmann , Prediger und ande-
ren Würdenträgern. Sie müssen raten , wer drin sei. Raten sie
falsch, so schüttelt der König seine Klingel und man zieht wei-
ter ; sie aber müssen tür's Nichtraten einen Eimer Bier als Strafe
geben. Bei Apolda wird der Maiköuig in Stroh statt in Laub
eingekleidet (vgl. den Walber o. S. 312).^ Auch in Oestreich
wählen die Dortjuugen einen Pfingstkönig, kleiden ihn mit grü-
nen Zweigen , schwärzen ihm das Angesicht (o. S. 322) und wer-
fen ihn in den Bach.^ Im Kreise Budweis stecken sich die Bur-
sche am Pfingstmontag in Anzüge aus Fichtenrinde und setzen
Mützen auf, welche gleichfalls aus Kinde gemacht und mit
Büschen von Knabenkraut und andern Wiesenblumen versehen
sind. Einer wird als König gekleidet auf einer Art Schlitten
1) Kuhn, Nordd. Sag. 383 — 84,64. 65.
2) Denis , Lesefrüchtc 1 , 130. My th.« 562.
MMJftnig, PfingBtkönig, MaikÖDigin. 343
mm Dor^latz gefahren und unterwegs mit lautem Hailoh in
einen Wasserpfuhl geworfen. Sein Gefolge besteht ans
Pfeiffern mit Flöten ans Weidenrinde ^ von denen einige Larren
tragen y andere nur das Gesicht geschwärzt haben. Auf dem
Doi^liUz sdilieAen sie feierlich um den König einen Kreis und
dn Ansmfer springt auf einen Stein und ruft über jedes Haus
rimge Spott- oder Lobverse aus. Wird die Gesellschaft
licht mit Prügeln davon gejagt , oder hat der König noch kein
Bid empfangen, so wird dann ein Strohmann ins Wasser
geworfen. Nach Ablegung der Kiudenhttlle ziehen dann die
jsDgen Leute mit Musik und einem Maibäumchen, das in
einem hölzernen Teller steckt , durchs Dorf und sammeln Gaben
ein.^ In Semic wird der König geköpß. Ein ziemlich starker
Tnpp junger Leute bewaffnet sich mit einem Holzsäbel , einem
Gürtel aus Baumrinde und einer Trompete aus Weidenrinde.
Dtt König trägt einen mit Blumen verzierten Ornat aus Baum-
rinde, eine mit Blumen und Zweigen ausgeschmückte Rinden-
krooe auf dem Haupt, die FUße mit Farrenkraut umwunden,
eine Papierlarve vor dem Gesicht und statt des Zepters eine
Ifoige Hagedomrutc in der Hatul. Einer von den Burschen ftihrt
Um an einem Seil, das ihm an den Fuß gebunden ist, durch
dag Dorf, indeß die andern herumspriugen , trompeten und pfeifen.
In jedem Gehöft wird der König in der Stube im Kreise umlier-
gqagt und unter Lärmen schlägt ihm einer mit dem Säbel auf
den Ornat, so daß es schallt. Dann fordert man Geschenke.^
Anderswo in der Mark, Thüringen, Böhmen, Baiem, Ungarn
wird der Pfingstkönig, Graskönig oder Lattichkönig beritten dar-
gestellt Davon soll im nächsten Abschnitte die Rede sem. In
Frankreich (Dauphin^, D^p. de Vls^re) feiern die Kinder in den
ersten Tagen des Mai ein Fest (maie) wobei sie einen unter sich
aufputzen und König (roi) nennen.^ Dem Maikönig oder Pfingst-
kijnig entspricht * eine Königin. Sie wird gemeinhin von den
Mädchen dargestellt und zum Gegenstände einer besondem Pro-
ttssion gemacht. In Deutsch - Ungarn halten die Bursche am
1) Das Panorama des Universums. Prag 1834 — 48. V, 309. Roinsberg -
Döringgfeld, böhm. Festkalender S. 2G1.
2) Beinsberg -Düringsfeld a. a. 0. 263.
3) Champollion , recherchos sor le Patois p. 183.
344 Kapitel IV. Banrogeister als Vegetationsd&monen:
roten Pfingsttag eiuen Wettritt. Der Sieger wird Pfingstkönig.
Die Mädchen dagegen wählen für sich besonders die schöiiBte
Maid zur Pfingstkönigin, schlingen einen großartig auf-
getürmten Kranz um ihre Stirne und tragen sie singend
dnrch die StraBen des Dorfes. Vor jedem Hanse halten
sie stille, schließen einen Kreis um sie, singen althergebrachte
Volkslieder von großer Schönheit und nehmen Gaben in Empfang.^
In der Gegend von Libchowic a. d. Eger in Böhmen führen am
tUnften Fastensonntag die Mädchen in weißen Kleidern , mit roten
Bändern und vergoldeten Sternchen im Haare und mit den ersten
FrühiingsUunien (Veilchen) wnd Maßlkhen geschmücM eine soge-
nannte Königin (Krälovna), di^ mit Blumen bekränzt isty im Dorf
umher. Während des Umzuges, der sehr feierlich vor sich
geht, darf keines der Mädchen stille stehen, sondern
alle müssen sich fortwährend singend drehen (vgl. das
Mairöslein o. S. 312. u. S. 318, das Regenmädchen o. S. 330 und
die Johannisfeier o. S. 181). Die Königin verkündet in jedem
Hause die Ankunft des Frühlings und wünscht den Bewohnern
Glück und Segen, wofür sie dann einige Geschenke erhält' Ans
den Niederlanden bringt Grimm myth.^ 1225 schon ein altes
Zeugniß tlir die Pfingstkönigin. Der Cisterziensermönch Aegidins
im 13. Jahrb., der eine Geschichte der Lütticher Bischöfe ver-
faßte, erzählt von einem Ereigniß unter Bischof Albero (t 1155):
„sae^rdotes ceteraeque ecclesiasticae personae cum nniverso
populo in solemnitatibus paschae et pcntccostes aliquam
ex sacerdotum concubiuis puri)uratam ac diademate renitentem
in eminentiori solio constitutam et cortiiüs velatam reginam crea-
baut et coram ea assistentes in choreis tympanis et aliis musica-
libus instrumentis tota die psallebant . et quasi idolatrae effecti
ipsam tanquum idolum colehant^' Chapeaville U, 98. Diese
Sitte nähert sich der alsbald darzulegenden provenzalischen Weise.
In Frankreich ist die Maikäniijin fast im ganzen Süden bekannt
Am ersten Mai wird in der Cöte d'or (Bourgogne) Reine de prin-
tenipSy in Weiß gekleidet, mit einer Bluraenkrone auf dem Kopfe
in einem Wagen dem Zuge vorangefahren, welcher in Pro-
1) Gebhard, Oesterr. Sagenbuch. Pest 1862. S.488.
2) Hanus , Bäjeslovny Kalendar slovansky. V. Praze 1860. S. 98. Reins-
berg-Düriugsfeld, Festkalender a. Böhmen S. 93.
MaiköDig, PfingstkOnig , Maikönigin. 845
leasioii folgt (mflndl.). Im Departement du Jura heiBt das von
den Hirten omhei^ftlhrte ganz in Blumen nnd Bänder gehflllte
Mldohen la Beüe'de mai, la Beine de Mai.^ Im Jahre 1466
ttbenmhm der Prior von Saint - Claude (D^p. du Jura) in den
damals aufgestellten Klosterregeln auf seine Präbende die jähr-
fidie Auszahlnng von Gaben an die Königin (Reine) und die
kleinen Mädchen anter neun Jahren, welche ihre
Begleitung bildeten. Dieselben sollten aber niemals in den
Sehlaiml oder das Kapitel kommen dürfen , nnd der ehrwür-
dige Vater sollte ihnen geben , so viel ihm beliebe , sans y estre
teoi nnDement fenr [d. i. si non] que par bonne coustnme et de
grSeei'^' Zn Lons - le - Saunier und Saint Amour im Jnra wurde
dieSdiönste mit. Blumen geschmückt und von den jungen
Leaten auf ihren Armen von Haus zu Haus getragen
(t^ 0. die nngar. Pfingstkönigin S. 344), wo man Eier nnd
udere EBwaaren einsammelte, indeß die Hirten auf Weiden-
ftM^ spielten.' Herr Ballcydier^ erzählt, daß er dicht vor
StPeray (D6p. de TArd^che, Languedoc) auf dem Wege nach
ValeDce ein jnnges Mädchen auf einem erhöhten mit Onirlanden
geflehmflekten Sitze gewahrte. Sie trug einen Kranz von weißen
Rosen, einen Zepter von Blumen und war umgeben von Gefähr-
Hnnen, welche den Hof dieser ländlichen Königin, oder wie man
«igte, der „Ma'fa,*' der Maischöuen bildeten. Ehedem mußte
jeder Vorübergehende der MaYa einen Kuß geben, bis
noQ auf den guten Einfall kam sich durch ein kleines Geldstück
von diesem erzwungenen Tribut los zu kaufen ; jetzt ist nur das
Geldgeschenk übrig geblieben. So lautete die Auskunft, welche
Herr ^lleydier auf sein Befragen von diesen Dingen erhielt.
Monnier glaubt wohl mit Recht, daß die Vorübergehenden den
KuÄ Yon der Maikönigin, dem schönsten und blühendsten Mäd-
chen der Ortschaft schwerlich als eine aufgezwungene Last
Iwtrachtet, noch denselben durch eine Geldgal)e abgelöst haben
würden; vielmehr daß diese Sitte den Hochzeitfesten nachgebil-
det sei, bei welchen die Braut alle diejenigen küsse, welche ihr
^ Monnier, Traditions popnlaires p. 285.
2) Monnier a. a. 0. 2'.H.
3) Corelt, Fctes religienses etc. S. 161.
*) Guide des voyageurs sur les rives du Khöne bei Monnier S. 296.
346 Kapitel IV. Baamgeister als Vegetatioiisd&monen:
ein Geldstück zur Aussteuer darbringen. Der KuA der IMne
de Mai sei eine Dankbezeugnng für die ihr dargebrachte 6abe^
welche nicht erst bei Aufhören desselben eingeführt wurde^
gewesen. In Nimes führen am ersten Maltag die Kinder ein
junges Mädchen umher, das sie la Reine Maia nennen. Man
setzt sie an einem Kreuzwege in eine Art blumengeschmttckter
Nische und ihre Begleiter bitten die Vorübergehenden um eine
Gabe zum Brautschatz (dot) fUr sie.^ In der ganzen Prorenoe
sieht man diese Majas auf blumengeschmückten Estraden oder
auf Bittgängen durch den Ort.^ Neuerdings sind an die Stdle
der lebenden Personen vielfach kleine mit weißen Rosen bekrämte
Madonnenbilder getreten, welche die Kinder in den Straften anf
weißgedeckten Tischchen aufstellen , indem sie die Vorübergehen-
den anbetteln: ,,un sous pour ma vierge!'' Man sieht sehr viele
solcher Schaustellungen in einem und demselben Orte. Aus Spa-
nien haben wir schon oben S. 338 ein Zeugniß des 8. Jahrh. ftr
die Maikönigin (Maja) beigebracht. Es ist zu bemerken, daß
von dem überladenen Aufputz dieser Majas im Spanischen die
Phrase Maja (resp. majo) übrig geblieben ist, womit junge Lente
auf dem Laude bezeichnet werden , welche durch eine affectierte
und übertriebene Eleganz der Kleidung und eine gewisse Frech*
heit und Rücksichtslosigkeit des Betragens sich auszeichnen und
den Ton bei allen Festlichkeiten angeben. Nach Audley^ klei-
deten auch die englischen Kinder zu Cambridge eine Puppe in
grotesker Manier aus, nannten sie May -Lady, setzten sie auf
einen Tisch , auf dem Wein u. dgl. stand , und sprachen die
Vorübergehenden um eine Gabe mit den Worten an: „Pray
remember the poor May- Lady !^' an. Aus andern englischen
Gegenden berichtet Douce, daß die Lady of the May zuweilen
auf den Schultern der Männer in Prozession dahergetragen
wurde, und Stephen Batman sagt, daß der Papst in derselben
Weise auf dem Rücken von 4 Diakonen umhergeführt werde,
wie die Eierkäseköuiginnen (Whytepot queenes) in den Maispie-
len der englischen Hebriden. Ohne Zweifel, fügt er hinzu, sei
1) Miliin, sur Ic midi de la France bei Monnier p. 297.
2) De Nore, coutuines S. 17.
3) Companion to the Almanack 1802 p. 21 bei Brand, pop. antiqu. ed.
EUis 1,221.
Dm Maienreiten. iil
&, ,, Queen of May^^ eine Darstellung der Flora.' Von der
Mayqiieen ist bereits o. S. 31 5 die Eede gewesen. Auf der Insel Man
kinpfie eane Queen of May mit einer Queen of winter und nahm
ae gefangen.' Weiter unten werden wir auf den MaikOnig und
die Maikönigin zurückzukommen durch eine Reihe von Gebräu-
ehen Gelegenheit finden , in welchen beide als Gatten vereint mit
einander auftreten. In Ungarn, im Jura, in England sahen wir
die Maikönigm beim feierlichen Umgange getragen. Dieser Um-
stand ist somit weder zufällig noch bedeutungslos. Batmans
Yei^idi desselben mit dem Umzüge des Plastes hat insofern
fftoBL Gmndy als in beiden. Fällen das nämliche Motiv der Ehr-
iudit der Ceremonie den Ursprung gab. So trägt man seit
gruem Altertum Götterbilder und Gegenstände von religiöser
HdKgkeit; nur entfernter darf an die Schilderhebung deutscher
Kteige (£. A. 234 ff.) erinnert werden.
§ 7. Dms Maienreiten. Einen großartigeren Character nimmt
die Einholung des Laubmanns an, wo er selbst und sein Gefolge
boritten sind; das Geleite wird häufig sehr groß; mehrere typi-
^ Figuren treten auf, eine Art dramatischer Kede und Wech-
Mbede, Fahnen- und Waffeuschmuck machen dieses Schauspiel
in seinen entwickelteren Formen farbenreich; im wesentlichen
weicht es nicht von der Grundlage ab, welche aus dem Umgange
des Laubmännchens zu Fuß uns bereits bekannt ist. In den mei-
sten Fälleu aber hat sich die Gabe , welche in Empfang genom-
■nen wird und ihr Maß zu einem festen Gewohnheitsrecht aus-
gebildet, welches unter dem Namen Pfingstrecht durch die
Berittenen als Schuldigkeit in Anspruch genommen wird. Sehr
einiach war noch der Umritt des Graskönigs zu Großvargula bei
Ungensalza am dritten Pfingsti'eiertage , wie er uns aus dem
vorigen Jahrhundert geschildert wird. Derselbe steckte in der
uiB schon bekannten Pyramide aus Pappelzweigen , deren Spitze
äne aus Zweigen und Blumen geschickt geflochtene Kaiserkrone
nrit einem Fähnlein schmückte (vgl. o. S. 342 j. Der Graskönig
ward aaf ein lediges Pferd gesetzt und die Pyramide über ihn
gegtülpt, deren untere Endzweige bis auf die Erde hinabreichten,
ftir sein Gesicht blieb eine Oeffnung. Die anderen berit-
1) Brand I, 258.
2) Waldron , Description of the Isle of Man. Works p. 154. Brand 1, 267.
di8 Kapitel IV. Baumgeister als VegetaidonsdAmonen :
tenen Bursche nahmen ihn in ihre Mitte; zwei der Ange-
sehensten in stattlichem Anzüge mit weißen Stäben
flihrten den Zug. Dann folgten die Musiker. Nachdem die An-
führer gefragt hatten , ob es ihnen erlaubt sei^ nach alter Sitte
den Graskönig aufzuführen, ging der Zug vor das AmtshanSy
die Pfarrwohnung y das Lutt^rodische Gut zu den Ober -Gemeinde -
Heimbtirgen, endlich zu den beiden Kämmerern. Dort erhielten
sie jedesmal sämmtlich einen Trunk Bier; die vier letzten maßten
jeder einen Kuchen geben. Unter den sieben Linden des nahen
Sommerberges wird dann der Graskönig seiner Httlle entkleidet,
die Krone dem Amtmann überreicht; die Bttsche steckte man
gerne auf den Leinacker ^ um langen Flachs dadurch zu bekommend
Die männliche Jugend von Deuna reitet am zweiten Pfingsttage
im Festgewande auf geschmückten Rossen im schnellsten Trabe
vor den nahen Wald. Hier findet sie einen armen Knaben,
den der Flurdiener vorher so mit Zweigen von Birken,
Saalweiden und andern Bäumen bedeckt hat, daß ihn
niemand mehr erkennen kann. Mit diesem kehrt der Zog
ins Dorf zurück, indem der Verhüllte zwischen zwei andern rei-
tet, die ihn, wenn es nötig ist, halten; man sagt: y,der Schoß-
meier wird eingeführt Man reitet zuerst auf die beiden adeligen
Güter, deren Besitzer den Schoßraeier erraten und jeder dem
Festzuge zwei Eimer Bier geben muß ; sodann vor das Wirtshaus,
wo der Ortsvorstand den Zug erwartet. Sobald dieser, dem eine
Tonne Bier beizusteuern obliegt, den Schoßmeier erraten hat,
wird derselbe entkleidet, seine HiUle in ihre einzelnen Zweige
aufgelöst und diese an alle Gegenwärtigen, Fremde und Eit^
heimische, besonders aber an junge Mädchen verteüf , welche sie
an ihre Fenster stecken.^ In der Voigtei Dorla bei Mttlhansen
wird der hoch zu Roß in stattlichem Laub- und Blumenkleide
eingeftihrte Schoßmeier nach dem Umzüge in^s Wasser gestürz^^
Zu Hinterweidental in der Pfalz, wo der Pfingstqtiack ganz in
1) Guädigst privilegirtc thüring. Vaterlandskunde IHOl — 1802. Bei-
mann , D. Volksfeste S. 157 — 59.
2) Waldmann, Eichsfeldsche Gebräuche und Sagen, lleiligenstadt 1864.
b. 8, o,
3) A. Witzschel , Sitten und Gebräuche aus der Umgegend von Eisenach
1866 S. 13,53.
Du Maienreiten. 849
bitiges Gk>ldpapier eiDgehttllt im Galopp zwischen 4 Reitern mit
gesehwärzten Gesichtern^ hohen spitzigen Kappen^ond hölzer-
lem Schwertern, reitet^ .indeß die Pferde mit BrttmelbeerblUten
goiert sind, laatet der vor jedem Hanse angebrachte Spruch:
Da kommen die armen Pfingstknecht !
Sie hätten gern das Pfingstrecht;
Ein Stftekel Speck, oder drei Eier,
Oder ein H&ndel voll Mehl,
Daß es ein' Simra Knöpf giebt.
Sind die Gaben eingesanunelt , so reiten sie auf einen freien
Phti und bilden um den PAngstqnack einen Kreis. Dieser sieht
n entkommen. Wird er erreicht , so reißt man ihm sein schö-
Ml Qtwand vom Leib und jeder sucht ein Stück m erhaschend
Aoflgebildeter und zu einem förmlichen Spiele geworden ist der
PIngstritt m Schwaben. Die Wurmlinger Sitte möge als Beispiel
dieoeiL Zwanzig ledige Bursche oder mehr kleiden sich in feine
weilte Hemden und weiße Beinkleider mit schönen Hosenträgem.
Kt roten Schärpen und Säbeln reiten sie auf buntbebänderten
Pferden unter Anführung zweier Trompeter in den Wald und
Mea den Pfingstbutz von Kopf bis Füßen in belaubte Eichen-
iweige, jedoch jedes Bein besonders, so daß er sich
fturg Pferd setzen kann. Man macht ihm einen langen
bbsilichen Hals und steckt einen Kopf mit einer Maske drauf.
Abs den Worten , die er nachher zu sagen hat, geht hervor, daß
ffingsUnUe derjenige sein mußte, welcher beim Ausreiten der
("Hedetzte war. Außerdem schneiden die Buben einen etwa zehn
FuB langen Buchen - oder Espenstamm als „Maien/' schmttcken
iiui mit gemeinsam gekauften bunten Maitttchem und seidenen
Kbidem und ttbergeben ihn einem besondem „Maienführer.^'
Jetzt reiten sie ins Dorf, ein Platzmeister voran ; im Zuge befin-
det sich noch ein Korporal mit einem Stock; ein Mohrenkönig
^ü russigem Gesicht, goldpapiemer Krone, weißem Ueberhemde
nnd goldener Schäq)e, der weiße Mann mit weißem Haar,
1) Panzt^r 1,238,264. Gradeso laatet der Sprach beim Umzüge des
^^^Isisser Piingst<|aack : ,,Da kommen die Maienknecht; sie haben gern
ihr Pfingstrecht. Drei Eier and ein Stück Speck von der der mohre
S«it erweck, ein halb Maß Wein in den Kübel hinein, da wolFn die Main-
knecht xufrieden sein."
350 Kapitel IV. BaumgeiHter als Vegetationsdämonen:
weißer Kappe, weißem Ueberhemd und roter Schärpe , der Koeh
mit dem Kochlöffel, der Kellermeister mit zwei Kannen voll
Bier und Wein, der Doctor Eisenbart, endlich der Hen-
ker. Auf einem freien Platze- machen sie halt und ein jeder
hält eine gereimte Anrede. Zuletzt erklärt der Henker, d^n
Pfingstbntz sei das Todesurteil gesprochen und haut ihm
den falschen Kopf ab. Dann beginnt ein Wettrüt nach dem
einige Büchsensclälsse vom Sammelplätze aufgepflanzten Maien;
wer ihn im Vorbeijagen ams dem Boden ziehen kann, hat ihn
sammt allen Bändern gewonnen. So wird dieser Pfingst-
ritt gewöhnlich alle zwei, drei Jahre in Warmlingen
aufgeführt^ Aehnlich geht es vielfach in Schwaben zu. Za
Friedingen a. d. Donau besteht die zwöli* oder mehr Reiter starke
Gesellschaft aus dem in Tannenrinde und Laub gehüllten Pfingat-
butz, dem Platzmeister, Oberst, Rittmeister, Fähndrich mit der
Fahne, Maienführer mit dem Maien u. s. w. Vor dem
Pfarrhause antwortet auf die Frage des zur Räumung des Plalaes
vorausgeeilten Platzmeisters: „woher treibt euch der Wind^ dafi
eure Schuh und Strümpfe so staubig sind?'^ der Rittmeister: „ab
alle Wiesen und AeckerJ^ Maienfbhrer und Oberst schwenken den
Degen und versprechen tapfer mit dem Türken fechten zu wol-
len. Dann reiten alle dreimal um den Dorfbrunnen
und baden den Pfingstbutz darin, worauf sie mit ihm
zum Betteln ausreiten, zuerst vor das Pfarrhaus. Einer Bagt
einen Spruch her, wonach sie hier den armen Mann
bringen, der sieben Jahre im Walde gelebt hat, von
allen Doctors und Balbierers beschaut ist, sie rieten ihn zn baden
lieber in Wein, als in Wasser.* Birlinger (Volkst a. Schw. H,
S. 122 — 160 Nr. 148 — 154) teilt eine ganze Reihe solcher SjMel-
weisen und Spieltexte aus Schwaben mit, wir wollen uns begnü-
gen einige characteristische Züge daraus hervorzuheben. Der
berittene Eingebrachte heißt Pfingstlümmel , Pfingsthagen , Pfingst-
butz, oder Hatzeler (vgl. Hatzer, Hezer vermummte Gestalt). Er
ist in Blumen^ grünes Reisig oder auch bloß ins Stroh ein-
gebunden , so daß er unkenntlich wird und ganz dick aussieht
Er reitet zwischen zwei Mitkameraden, z. B. zwischen 2 Maien-
1) Meier, Schw. Sag. 409, 101 ff.
2) Meier a. a. 0. 404 , 98.
Du MaienreHen. . 851
flOutrn oder zwei Trabanten n. s. w. ^ die ihn häniig wie einen
Gefimgenen an einem Seile halten. Hieniit stimmt die Auf-
üuBimg des Pfingstlfinunels als armer oder alter Mann j die noch
mebrbch s. B. zu Fnlgenstadt, zn Zinunem und Bettringen (Bir-
ÜDger S. 129. 138. 155) wiederkehrt Zu Hohenstadt ist nicht
der Pfingsflttmmely sondern der Maienflihrer in Lanb gekleidet,
in Zimmeni bei Bottweil der grüne Pfingsthagen , der ungeratene
Sohn des Mohrenkönigs. Mitunter (Fulgenstadt , Nusplingen)
giebt sich der Pfingstbutz oder Hatzeler durch seine Reden als
eise Person mit fuchsrotem Haar und als derjenige zu erken-
MB, welcher der allerletzte bei .dem Wettritt geworden,
der Ober die Verteilung der Rollen im Aufzuge entschieden hat.
b Hohenstadt ist der Pfingstlümmel jedesmal der Zweitstärkste
in Wettringen, das zu gleichem Zwecke angestellt wurde; aber
uier ihm, dem laubbekleideten Maienflihrer u. s. w. nimmt u. a.
«Mh derjenige am Zuge Teil, der bei dem Weidetreiben des
Viehs in der Frtthe des Pfingstsonntags der Letzte war. Die-
len wird ein Dornenbttschel auf den Rttcken gebun-
dei. Wenn nach dem Schluß des Gottesdienstes der Wetter-
ftgen geläutet wurde, kam der Pfingstritt in den Flecken hinein,
laritt dreimal die Htlle vor der Kirche (die zistemenar-
tige Regenwassergrube); man nahm jenem das Domenbttschlein
vom Rttcken und warf es ins Wasser; dagegen wird zu
Nusplingen und Bettringen wiederum der Pfingstbutz selbst ins
fftsser geworfen. Dem weißen Mann in Wunnlingen (o.
S.349) entspricht in Nusplingen der schneeweiß Gemuhlj der von
Kopf bis zu Fttften weiß gekleidet ist. Die Pfingstbuben oder
Pfiogstreiter insgemein sind in ihre Festkleider gehüllt, darttber
tngen sie ein weißes Hemd, das mit roten Bändern und Maschen
geaert ist, und um die Lenden einen Gürtel; ihr Kopf ist zu
Bettringen mit einem Kranz von gelben Butterblumen (caltha
ptlmtris) fast ganz bedeckt. Auch die Köpfe der wohlgenährten
Boeee sind mit diesen gell)en Blumen verziert. Zuweilen aber
(Fnlgenstadt) trägt nur der erste Reiter diesen Blumenschmuck.
Die Zahl der stehenden Figuren des Pfingstritts, zu denen jedes-
Dwl ein oder zwei MaienfiHirer mit ihrem verzierten Maien
(Birke, Buche oder Tanne) gehören, wächst zuweilen ansehnlich
^. In Zimmern bei Rottweil besteht der Pfingstritt aus dem
Mohrenkünig und seinem Sohn dem Pfingsthagen, zweien
352 Kapitel IV. Bamngeister als VegetatioiiBdäinoneii:
Maienführern zu dessen Seiten, Goliath and König David,
Vorreiter, Hauptmann, Offizier, dem ersten and zweiten Basa-
ren, dem Obeijäger und Unterjüger, dem armen Baaer and
dem Koch. In Nusplingen treten auf der Platzmeister, der
Quartiermeister, Franziskus römischer Kaiser, Ludwig XVL
König yon Frankreich, der türkische Kaiser oder Sultan, die
rassische Kaiserin, ihr General, der Maienf tth rer, 'der
Fähndrich, der Pfingstbutz, der schneeweiBe Gemahl,
der Koch.
Aus Oberbaiem, wo der Pfingstling, wie wir sogleich sehen
werden, Wasservogel heißt, wird uns vom Jahr 1840 eine noch
viel buntere Zusammensetzung der Pfingstprozession zu Sauerlaeh
geschildert. Im berittenen Zuge befanden sich folgende Personen
resp. Gruppep: 1. der Nachtwächter, 2. Feldmesser, 3. Trom-
peter, 4. Trommelschläger, 5. Fähndrich, 6. vierzig Mann
Iteiterei, T.berußter Kaminfeger, S.Hanswurst, B.Schlei-
fer, 10. Doctor, 11. Hansgrobian, 12. Krttgelmann, 13. der
Vater der Hochzeiterin, 14. die Hauptperson, der- im belaub-
ten Keisergestell steckende Wasservogel zu Pferd,
15. der Landrichter, 16. Bauer, 17. Stadtherr und BanermAd-
chen, 18. der Klausner, 19. ein Weibsbild mit Kindern, 20. ein
Tiroler, 21. Bacchus auf einem Faß sitzend, 22. der Pfarrer,
23. der schwarze Teufel, auf welchen öfter geschos-
sen wurde, 24. der bairische Hiesel, 25. Hansel und 6re-
tele von Stroh auf einem Schleifrad, 26. der Kttchen-
wagen mit zerbrochenen Hausgeräten, 27. die Hexe auf einer
Eggenschleife mit einer Flachsschwinge, 28. Martin Luther and
Kätchen, 29. ein Schäfer mit seinem Hund, 30. Hochzeit*
leutc mit Braut und Bräutigam, 31. Jäger, 32. Roßdieb,
33. Gensdarmen. Jede dieser Masken sagt einige ihrem Gharacter
entsprechende Verse her. In der bair. Provinz Schwaben and
Neuburg, in Niederbaiern , Oberbaiem ist der Brauch im allge-
meinen noch einfacher, häufig nur von 7 oder 9 Knaben oder
erwachsenen Burschen geübt, oder wenn von mehreren, ohne
die vielfachen, in bunten Mummenschanz auslaufenden Aeni-
ter. Der feierlich Eingebrachte heißt Ptingstlümmel, Pfingst-
hansl, Pfingstling oder Pfingstl, gemeinhin aber Wasservogel,
weil er fast durchgehend vor jedem Hanse, von der Schwelle
der Haustür aus oder vom oberen Stock herab mit Kübeln Was-
Dm Maienreiten. 858
ler besehttttet wird; der yoransreitende Bube fordert dazu mit
den Worten auf:
Pfingstl he! Pfingstl he! der PAngstl is da;
Nehmtfi en Krftgl voll Wasser and schfitt's 'n brav a!
oder man wirft ihn von der Brücke hinab in den Bach
oder Flaßy taacbt ihn dreimal in den Brunnentrog, oder
liBt ihn in den Bach hineinreiten, zieht ihn dort vom Pterde
Bsd steckt ihn ins Wasser. Woher die Bezeichnung als Vogel
illlurty wird bei einer anderen Gelegenheit zu erörtern sein. Zur
Unbeinkleidong des Wasservogels dienen je nach Gutdünken
Kike, Eiche, Linde, Wasservogelblumen, Schilf, oft nur Stroh;
nf seinem Kopf trUgt er oft eine Blumenkrone; mitunter besteht
^ne ganze Ausrüstung aus einem um den Hals geworfenen
Kranz von Lauh und Blumen (Abensberg Niederbaiem). Zu-
wdlen wird beim Pfingstreiten oder Wasservogelreiten (man sagt:
ntir reiten den Wasservogel'O kein lebender Mensch eingeftihrt,
Modem eine Puppe mit einem vom Schreiner geschnitzten und
li^nalten, mit dreieckigem Hute bedeckten Kopf, ausgezacktem
Papierkoller nm den Hals, Bekleidung von Schmalzblumen und
Wisservogelblumen um Arme und Leib; dreifachem Gürtel
aQ8 ausgeblasenen Eiern (o. S. 158) um die Lenden (Holz-
keim in Schwaben). Wasservogel wird , wer am Pfingsttag beim
Weidetreiben oder beim Wettrennen der Letzte war.
Der Umritt, der nach einem Liede zu Holzheim in Schwa-
ben ehedem auch rund um das Kornfeld („wir reiten um das
Kornfeld" Panzer H, 86) gegangen sein muß, läuft stäts in eine
CoHecte von Eiern, Sehmalz, Butter, Geld aus, wovon eine
gemeinsame Abendmahlzeit mit Musik und Tanz im Wirtshause
bestritten wird.^ Während in Baiem sich das Hauptinteresse um
die Wassertauche des Pfingstlings dreht, tritt in Böhmen das
Köpfen desselben entschieden in den Vordergrund. Der präch-
tig herausgeputzte König wie seine Söldner ganz oder teilweise
in Baumrinde gekleidet, mit Blumen und Bändeni geschmückt
nnd mit Säbeln ausgerüstet , sitzen auf Pferden , die gleichfalls
n^it grünen Zweigen und Blumen verziert sind. Sie umreiten
dreimal im Kreise eine Lauhhütf^^ aus grünen Maien, in der der
1) Panzer I, 234, 259. 235, 200. TT, 8;^, 120. i)0. 136. Srhmeller,
bair. Wörterbuch. Aufl. 2. S. 4'S^
Jitnahtrdt. 23
354 Kapitel lY. Baumgeister als Vegetationsdamonen:
König Platz nimmt [vgl. die Laube, arbour, mit derMayqueen in
England o. S. 315]. Nim werden die Hausfrauen, Hauswirk
und Mädchen hn Dorfe in Vtraen kritisiert , während dessen
aber steckt man einen mitgebrachten Frosch in ein€
Kneipe und zwackt und sticht ihn, bis er quakt. Aas
der Art seines Geschreis pflegen die Leute zu weissa-
gen. Der König spricht das Todesurteil über ihn aus,
worauf der Henker dem Frosch den Kopf abschlägt,
und den zappelnden blutigen Körper sammt der Kneipe
unter die Umstehenden wirft Zuletzt wird der König
aus der Hütte gejagt und von den Söldnern verfolgt*
Gelingt es nicht, den mit einigen Schritten Vorsprung in Carri^re
Davonreitenden einzuholen, so behält er noch ein JaJir seine Würde
und die Bursche müssen am Abend im Wirtshause seine Zeche
bezahlen, wird er aber gefangen, so peitscht man ihn entweder
mit Haselruten oder schlägt ihn mit hölzernen Säbeln./ Er muft
niederknien und der Scharfrichter, dem auf die Frage: „Soll ich
diesen König köpfen?" die Antwort „köpfen" zu Teil geworden
ist, schlägt ihm mit geschwungenem Schwert die Krone vom
Kopf, worauf er unter großem Geschrei der Umstehenden sa
ßoden fallt, auf eine Tragbahre gelegt und ins nächste Gehöft
getragen wird.'* Anderswo werden dem vom Richter verurteilten
König drei bis vier Hüte übereinander auf den Kopf gesetzt und
die Hhirichtung wird dargestellt, indem man die Hüte heninter-
liaut. Dem beschriebenen Character des böhmischen Königs-
spieles gemäß treten die einzelnen Mitglieder gemeinhin in tblgen-
den Characterrollen auf. Der Fähndrich mit geschmücktem Maien
eröffnet den Zug, dann folgen Trompeter und Pfeiffer, nach ihnen
der König, der Kn6z,^ der Richter, der Henker sammt seinem
Henkersknecht, der BUttel, zuletzt die Soldaten oder Söldner.
Der König trägt häufig ein Bäum eben als Zepter und in
der Linken einen Spieß, an dessen Spitze ein Laub-
frosch angebunden ist. Der Verfolgung und dem Köpfen
des Königs pflegt ein L'mgang oder Umritt durch das Dorf, das
1) Krolnuis T. 111, p. 13S -40. ReinsberK-Dtiringsfeld S. 262.
2) Kralinus 111, 92 122. Heinsberg - Diiringsfeld , Böhmischer Feat-
kaleiuler 8.201—0:').
3) «1. i. Priester.
Der Mairitt, £rl&aierung. 355
Gerieht ttber die Dorfleate anter dem Maibaum, oder in der
Miihfltte, sowie das Köpfen der Frösche (wobei oft mehrere
(Beter vorher an den Maibänmen aufgehängten Tiere
n^r das Volk geworfen werden) fast jedeHmal vorauszugehen.
Den König begleitete zum Dorfgerieht zuweilen eine Königin.^
§8. Der Mairitt, Erlinterung. Doch hier halten wir wie-
der einmal ein. Statt noch weiter das Füllhorn der Ueberliefe-
nog vor dem Leser auszuschfltten , machen wir den Versuch^
di8 Verständniß zu tbrdem , indem wir die in den einzelnen
Traditionen zerstreuten Züge nach einheitlichen Gesichtspunkten
umnielny ordnen und l>eleuchten. Wir verfahren dabei der Art,
daA wir zunächst einige sämmtlichen Formen der Laubeinklei-
doBg gemeinsame Stücke mit Hilfe des vermehrten Materiales
bener ins Licht stellen j sodann den Eigentümlichkeiten des Mai-
Ritens unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Zunächst ist es klar^
diB im wesentlichen ein Unterschied zwischen dem zu FuBe ein-
gebrachten und dem zu Rosse eingeftihrten Piingstlümmel nicht
besteht Die Einhüllung in Baumrinde, Laub, Blumen oder Kom-
itroh (o. S. 353) ebenso wie der Name Graskönig (o. S. 347)
eharacterisiert ihn als den im Wachstum der Bäume, Blumen, Grä-
ser und Kulturpflanzen waltenden Vegetationsdämon und stellt
ibn der serbischen Dodola und ihrer Sippe zur Seite, gleich der
er, um Regen über die l^anzenwelt herabzulocken, mit Wasser
begossen, oder in Teich, Bach, Brunnen gebadet wird. Dieses
Bad nimmt zuweilen einen sogar gewaltsamen Character an
(»Sturz von der Brücke). So notwendig erscheint der Kegcnzauber
dem Emritte des Pfingstlings zugehörig, daß dieser davon in
Baiem fast allgemein Wasscrvogcl zubenannt ist. Ganz die
niniliche Bedeutung hat das Kneipen oder Köpfen des Frosches
(O.S. 354), denn da die Laubfrösche schreien, wenn Regen bevor-
steht, so sagt der Volksglaube, wenn man einen Frosch tödte,
gebe es Regen.*
1) Vgl. Rcinsberg-Dftringsfeld a. a. 0. 231 — 34. 2r)3 — 71.
2} Kuhn, Weatfäl. Sag. II, SO, 24-L — Der gleiche Aberglaube herrscht
allgeQiein bei den Walachen. W. Schmidt, da8 Jahr und seine Tage in
Heinung und Brauch der Ronifinon Siebenbirgens , Hcrnuinnstadt 18GG S. 17.
Nun erklären sich auch die folgenden Uoberlieferungen als Uebcrbleibsel vol-
lerer. Wer von den Hüterbuben in Oestreich am Öt. Johannistag morgens
zu früh mit der Peitsche knallt, wird durch den Morgentau gezogen und
23*
356 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsdämonen:
Durch eine ganze Reihe Übereinstimmender Züge wird die
vorgetragene Ansicht über den Pfingstlttmmel bestätigt. Der Gür-
tel der ihn darstellenden Puppe besteht ans Eiern , den Symbolen
des Lebens (o. S. :J5:}). Der sogenannte Maienführer resp.
Fähndrich trägt ihm den Maibaum voraus (o. S. 350ff.) oder er
selbst trägt den Maibaum in der Hand (o. »S. 354). Es ist also
heißt das Jahr Tauwäscher; wer verschläft uud zaletzt austreibt,
ist ,,Frosch8chiiider/' Baumgarten, das Jahr und seine Tage, Liiiz.2
1860 S. 27. Auch zu Elsdorf bei Teupitz heiHt es , wessen Kuh am- Pfing .
sten zuletzt hinausgetrieben wird, der müsse Padden schinden. Knlm. ^
Nordd. Sag. 389, 74. Uebrigens erscheint es nicht überflüssig zu S. 314. 327 ft. :M
nachzutragen , dalt ähnlicher Kegenzauber sich bei verschiedenen wilden Ydl- .^
kern wiederfindet Die Mexikaner riefen im 6. Monat den Tlaloc, den Got:^«
des Regens, und Gewitters an, dem sie als dem duftgepalbten , blamenbc^to^
kränzten Könige des Paradieses bei Dürre klagten, daß die Götter d^^
Begeus sich entfernt und die Götter des Ueberflusses mit sich fortgef&hr,
hätten. Sie stellten ihm den trockenen Mund und die verdorrte Pflanze
holten Schilf aus dem See, um damit die Tempel zu decken und t%de^'
fuhrest ftie auf den See zu einem Waaserwirbel und opferten dort eif
Knaben und ein Mädehen, J. G. Müller, Amerik. ünrelig. 501. — Wert
die Saat aufging, versenkte man einen Knaben und ein Mädchen aus ede-
Geschleckte dem Tlaloc zu Ehren ins Wasser. Torqueniada, libros ritoa'
y mouarquia Indiana. Madrid 1723. VII, 21. Waitz, Anthropologie IV, 1£ .Kl
In Südcaroliiia wurde bei Gelegenheit eines Festes ein hölzernes Bild
Ackei' (luftfestellt und verehrt , darauf aber nw Wasser geworfen, angeblS^^C
um den Gott , von dem man das Gedeihen der Feldfrüchte erwartete , zu ^
übrigen Wassergöttern zurückkehren zu lassen. Herrera, Descripcion de ^
Indias occideutales. Madr. 1730,11,10,6. Waitz, ^ Anthropologie III, :s=^ ;
Im nördlichen Africa z. B. im Gebiet von Coustantine in Algier besteht ^^
Gewohnheit, dal! jedes Jahr bei Jangandauernder Trockenheit die Museli
ner einen oder mehrere arme Marabuts halb freiwillig halb gezwnngei
Fluß untertauchen, worauf sofort Kegen erfolgen soll. J. Grimm, Kl. S^^^cl
Il,44i*. In Joruba (Wests frica) wird bei anhaltender Dürre ein Sklave m^ fis
lieh bekränzt, zum Flusse ye führt und, um die Wassercföttin zu rersok — -«•«
in ihr Element geworfen, wo ihn rasch die Krokodile verzehren. Bas im,
geogr. u. ethnogr. Bilder, Jena 1873, S. 183. Wenn der Khonde die W^ien-
srhenojjfer martert, die der ErdgiHtin dargebracht werden, so freut er ^sicÄ,
sie reicfüich Trähnen vergießen zu sehen, denn das ist ein Zeichen, daß
häufige HegenscJiauer auf sein Laml niederfallen werden. Macpherson H~ »dii
p. 130. 3G3. Tylor II , 272. Der südeuropäische Landmann taucht eine ÜiM-
säule der Jungfrau oder St Petrus ins Wasser, um Regen zu erzielen. E«
geht daraus hervor, dal! die Laubeinkleidung nicht notwendig zum Rö^«»-
Zauber gehört.
Der Mairitt, Erl&uteruDg. «^7
hier dasBelhe Verhältniß eingetreten , wie beim grünen Georg und
ttioer Sippe (o. S. 312 ff.); der Maibauni nnd der in Laub geklei-
dete Mensch bilden die doppelte Darstellung eines und desselben
Gedankens. Wie der Maibaam wird der riingstlUmmel Frühjahrs
im Walde gefunden (o. Ö. 348). Wie der Maibaum auf das Dach
des Herrenhauses oder der Scheune gepflanzt wird, findet auch
d« Laub - und Reisergestell des Wasscrvogels , wie wir sehen
werden, auf dem Giebel des Stadels der l'fingstbraut Platz und
Ueibt dort das ganze Jahr bis zum nächsten Pfingsten.^ Oder
wo der ans Stroh gemachte Wasser\'ogel , resp. der als solcher
i^rmammte Bursche (dem Namen entsprechend) mit einem großen
i<HzemeD Schnabel ausgerüstet wird [eine theriomorphische Form
<teg Vegetationsdämons, über die wir später des weiteren ver-
i^ndeln werden], nagelt man den Schnabel, nachdem der Vogel
in« Wasser geworfen wurde, auf den Scheunenfirst als Amulet
Siegen Blitz nnd Feuer, gradeso wie den Emtemai und Kichtmai
(o. S. 216. 220).* Die Pfingstreiter ritten „rund um das
Kornfeld" (o. S. 353)und „ab alle Aecker" (o.S.350); man
erwartete Segen tlir die Saat von ihrem Umritt. Die grüne Hülle
des Graskönigs zu Großvargula wird in ihre einzelnen Zweige
^ii%elöst an die Dorfgenossen verteilt und in die Leimicker
gesteckt y um hohen Flachs zu bek^nwwn (o. S. 348); diejenige des
2SchoBmeiers wird ebenso verteilt und von den jungen Mädchen
an ihre Fenster gesteckt, (o. S. 348). Dem Pfingstquack in der
Pfalz reißt man sein schönes goldpapierencs Gewand vom Leibe
und Jeder sucht ein Stück davon zu erhaschen (o. S. 340).
Ein verbreiteter und jedenfalls uralter Gebrauch muß in der
Hinrichtung des Pfingstbutz erkannt werden. Die wilden Männer
im Erzgebirge wurden scheinbar niedergestoßen und gestochen;
man spritzte mit blutgefitllten Schweinsblasen unter die Leute
(o. S. 336). Ebenso wird in Thüringen der wilde Mann erschos-
sen, so daß er wie todt zu Boden tallt (o. 8.335). In Böhmen
dagegen geschieht die Köpfung allgemein, indem man schallend
mit dem Schwert auf die Laubhüllc schlägt, oder den falschen
lleiserkopf, die Königskrone oder einen von mehreren über ein-
ander gesetzten Hüten herunterhaut (o. S. 354). In Niederbaiem
1) Panier II , 87, 129.
2) Bavaria 1, 375 flf. 1003.
358 Kapitel IV. Banmgeister als Yegetationsd&monen :
finden wir Kegenzauber und Tödtung verbanden, insofern der
Pfingstl ins Wasser geführt und dort geköpft wird, während bei
Leitmeritz der Tödtungsact mit obligatem Durchstechen einer dem
Wilden unter das Wamms gebundenen Blutblase vorangeht and
das Ertränken einer ähnlichen Strohpuppe im Teiche nachfolgt
In Thüringen bringt ein als Arzt verkleideter Barsche den
getödteteu Wilden wieder ins Leben (o. 8. 335) und dieser näm-
liche Zug scheint in den bairischen und schwäbischen Spielfor-
men vorhanden gewesen zu sein, da ohne Zweifel dar^s das
Auftreten des Wunderdoctors Eisenbart (o. S. 350) oder schlecht-
hin des Doctors (o. S. 352) zu erklären sein dürfte. Offenbar
eine sehr befremdliche Erscheinung ist der Umstand, daft der
Repräsentant des Wachstums und des Lebens in mimischer Naeh-
ahmung getödtet wird. Wie kam man auf diesen Gredanken,
welches Motiv liegt ihm zu Grunde? Man müBte doch eher
erwarten, das der Winter im Bilde vernichtet würde, aber die-
sen kann der in Grün und Blumen Gekleidete , feierlich aas dem
Walde Geholte doch keineswegs vertreten? Fttr die Erklärong
des Kätsels scheinen mir zwei Möglichkeiten sich darzabieteo,
die vielleicht vereinigt das Richtige ergeben.
a. Falls der in der heutigen Tradition sehr verdunkelte Ad
der Wiederbelebung ursprünglich einen unerläßlichen und not-
wendigen Bestandteil des Brauches ausmachte, wäre es denkbar
daß die Hinrichtungsscene den Tod des Vegetationsdämons durcH
den Winter versinnbildlichen sollte und daß die Darstellung dies
ses der Zeit nach um 7 Monate zurückliegenden Vorgangs in der
Frühliugsgebrauch hineingeschoben sei, und das Erwachen des
Natur aus dem Tode, die Wiederbelebung sichtlich machen
zu können. Denn wie wollte man das Auferstehen anders vea
bildlichen, als durch vorgängige Darstellung des Todes? Di
Pflanzenwelt, welche der wilde Mann repräsentiert, ist ja df
nämliche, wie die abgestorbene des vorigen Jahres und doc
wieder eine neue. Diesen Gedanken sehen wir anders auch m
ausgedrückt, daß der so feierlich eingeholte laubbekleide «
Pfingstl ein alter armer Mann genannt wird, der siebs
Jahre im Wald gelebt habe, d. h. der Vegetationsgenias d-.
vergangenen Jahres ist während der sieben Monate des Wint€E
verarmt, seiner Schätze beraubt gewesen, alt und schwach gewc:
den (o. S. 350). Folgerechterweise sollte nun eine Verjüngung
Der Mairitt, Erlftutomng. 359
seene folgen , diese scheint meistenteils verloren gegangen; doch
Tielleieht scheint es nar so. Man beachte die folgenden Bräuche.
Ib Reidebnrg bei Halle a. S. hauen die Pfingstbursche frtthmor-
* gens im Walde die Pfingstmaie und itihren sie unter Musikbeglei-
tODg auf einem besonderen Wagen ins Dorf. Nachmittags findet
dB Fest statt, zu welchem die Bewohner der Nachbardörfer feier-
M emgeladen wurden. Die Maie mit einem Preise, Tuch oder
Westenieng geschmückt wird autgepflanzt. Ein Strohmann wird
«if eine Karre gelegt und eine Grube von der Länge eines Men-
seken gegraben. Einer von ^en Pfingstburschen nach dem andern
sieht mit verbundeneu Augen den Strohmann in die Grube zu
hrren. Wem es gelingt, die letztere zu treffen, erhält den an
die Maie gebundenen Preis. Der Strohmann bleibt in der Grube,
das Grab wird zugeschüttet; man Uxnzt um den Maibaum. Das
Spiel nennt man: „deti alt^h Mann ins Loch karren,*'^ So
^rd nan auch in Wttrtemberg der Fastnachtsbär, eine therio-
^rphische Figur des Vegetationsdämons, in Böhmen der uns
^hon bekannte wilde Mann zu Fastnacht im Strohbilde erst
feierlich geköpft, so daß das Blut aus der verborgenen Blut-
^^rst, Spritze oder Schweinsblase hervorspritzt (o. S. 336), sodann
t>egTaben , und wir werden in einem der nachfolgenden Abschnitte
diesen Begräbnißbrauch durch die Fastnachts-, Lätare- und Mitt-
Sommersitte zu verfolgen Anlaß haben. So schwierig die Beur-
teilang dieser Sitten auch ist, so erlauben die Umstände kaum
einen andern Schluß, als daß dieselben das Begräbniß des aus-
gelebten Vegetationsdämons des alten Jahres darstellen sollten,
der in den Boden verscharrt, unter Mist begraben wird, um neu-
geboren aufzuerstehen. Ist das richtig, so stellt der Maibaum
im Reideburger Brauch den auferstandenen Vegetationsdänion,
der in's Loch gekarrte alte Mann den dahingeschiedenen des
alten Jahres dar. Wir werden später sehen, daß auch in den
clen nordeuropäischen durchaus verwandten asiatischen Gebräu-
ehen des Attis- und Adonisknltus die Darstellung des Todes und
• der Wiederbelebung des Vegetationswesens dicht an einanderge-
rttckt in einem Feste verbunden sind. Wie also, wenn wir es
inunseren Mai-, (Pfingst-)gebräuchen nur mit verderbten und in
1) Sommer, Sagen, Märchen u. Oebr. a. Sachsen u. Thüringen. Halle
8. 152.
1^. 8. 152.
360 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetatiousdämonen:
Verwirrung gerateneu Bruchstttcken eines ursprünglich yoU-
ständigeren Brauches zu tun hatten, dessen Zusammenhang etwa-
der folgende war ? Auszug nach dem Walde , Tödtung (Köpfang)
des Pfingstl daselbst (Begräbniß), Wiederbelebung , feierliche
Heimtlihrung ins Dorf, Wassertauche.
b. Zwei Umstände freilich bereiten dieser Annahme Schwie-
rigkeit. Es ist schwer ersichtlich , wie der Tödtungsact von dem
Anfange des Spieles an das Ende geriet, wenn man nicht etwa
annehmen will, daß dies ans Mißverstand geschah, oder daB er
proleptisch schon das spätere Ende Tier Vegetation im Hochsom-
mer und Herbste bezeichnen soll. Sodann ist die Darstellung der
Hinrichtung eine so drastische, daß man durch die vielfache
Analogie der Abschwächung alter Gebräuche sich zu der Ver-
mutung veranlaßt finden kann, die gewaltsame TOdtung des in
Grün gehüllten Menschen sei in einer feraab liegenden barba-
rischen Urzeit, deren Nichtachtung des Menschenlebens uns u.a.
die Strafe flir Baumscbälen (o. S. 26 ff.) zeigte, nicht nur schein-
bar, sondern der Regel nach >virklich geübt worden. Die M({g-
lichkeit einer derartigen Annahme entnehme ich verschiedenen
bei Saat- und Erntefesten in Anwendung gewesenen oder noch
befindlichen Bräuchen wilder oder halbbarbarischer Völker. Bei
den Mexicanem wurde im Sommer zu Ehren der Göttin des
Welschkorns und des Ackerbaues Centeotl ein Fest gefeiert, wo-
bei sie nach der weichen Maisähre Xilotl den Beinamen Xilone
führte. Am letzten Tage des Festes tanzte ein Weib, das die
Göttin darstellte, und dieses wurde nachher geopfert.^ Teteio-
nan , die Göttermutter und Mutter des Hauptgottes und Herrn der
Pflanzenwelt Huitzilopochtli , eine der Centeotl nahverwandte
Gestalt, hatte in Mexico ebenfalls ein besonderes Fest, bei wel-
chem eine weibliche Person als die Göttin gekleidet und geopfert
wurde, indem man ihr auf den Schultern eines andern Weibes
den Kopf abschnitt und die Haut abzog, in welche man einen
Jtlngling hüllte, der so in zahlreicher Begleitung zum Tempel
des Huitzilopochtli zog.^ Im Mai d. h. im Beginn der Regen-
zeit, wenn plötzlich alles grün wird, feierte man in Mexico das
Jahresfest des Huitzilopochtli selber , das Fest der wiederbelebten
1) Müller, Gesch. der amerik. Urreligionen S. 493.
2) Müller a. a. 0. 494. 599. Vgl. 598.
Der Mairitt, Erlftatemng. 361
Nator, dann verfertigte man ein Bild des Gottes ans einer
eibaren Pflanze und aus Honig in der Größe seines höl-
zeneB Tempelbildes. Jünglinge sangen des Gottes Taten and
Imlige Gebetslieder am Regen and Fruchtbarkeit. Dann folgten
Wadtelopfer^ Bäaeherungen and der bedeutsame Tanz der hei-
ligen Jongfnuien und der Priester. Die Jungfrauen hießen an
diesem Tage Schwestern Huitzilöpochtli's ^ sie trugen auf dem
Hupte Kränze von dürren Maisblättern, in den Händen
gapillene Rohre nnd stellten so die dem Mai vorangegangene
dlrre Zeit dar. Ihnen gegenüber versinnbildlichte sich die neu
belebte Natur in den Priestern, deren jeder einen Stab trug, auf
dem eine Blume von Federn steckte nnd deren Lippen mit Honig
beatriehen waren y wie der Kolibri (die Tiergestalt und das Sym-
bol Hoitalöpocbtlis) um diese Zeit aus den Blumen seine Nahrung
seht und seine Jungen an seiner mit Honi^satl bedeckten Zunge
sugen l&Bt Zwischen den Priestern befand sich ein seit Jahres-
frist zum Opfer bestimmter Gefangener, „weiser Herr des
Himmels^ genannt, der den Gott selbst darstellte und die
Freiheit hatte, die Stunde der Opferung selbst zu bestimmen;
er starb nicht wie die übrigen Kriegsgefangenen auf dem Opfer-
stein, sondern auf den Schultern der Priester.^ Zur Zeit der
Wintersonnenwende, wenn in Mexico Schnee die Gebirge deokt,
die Pflanzen keine Nahrung mehr finden, viele Bäume ihr Laub
variieren, verfertigten die Priester ein großes Bild HuitzilöpoM'
l*s von allerlei Sanieti, die mit dem Blute geopferter Kinder
zusammengebacken waren. Ein Priester des Quetzalcoatl, des
Gottes der Fruchtbarkeit, wie sie durch den woltätigen Einfluß
der Luft zu Tage tritt (Müller a. a. 0. 583) durchschoß mit einem
Pfeile dieses aus Feldfrüchten verfertigte Idol und schnitt ihm,
wie den Menschenopfern, das Herz aus, das der König, der
Stellvertreter Gottes auf Erden, zu essen erhielt; den Leib aber
verteilten sie für die Quartiere der Stadt so, daß jeder Mann
ein Stückchen erhielt, das hieß man Teocualo, der Gott, den
Dwm iBt* Nach Torquemada u. a. wurde zu derselben Zeit
1) Prescott, Eroberung v. Mexico 1, 601. Clavigcro 1, 417 ff. Bemal. Diaz.
Entdeckung von Neuspanien übers, v. Rehfueß II , 275. Müller a. a. 0. Cm ff.
2) Clavigero 1 , 428. 343. 354. 421 ff. Humboldt Mouuni , 13-1. Tor-
qnemada Ind. Monarchie VI, 38. Müller a. a. 0. 605. Waitz, Anthropolo-
gie lY, 159.
362 Kapitel lY. Baamgeister als Vegetationsdämonen :
(Ende December) dem TIaloc (Gott der Feuchtigkeit und der
Gewässer) oder den Tlalocs ein gleiches Opfer im Tempel dar-
gebracht oder man vertertigte in den Häusern Idole aus Samen^
mit denen man wie mit den Menschenopfern yeifuhr, während
im Tempel wieder einige wirkliche Menschen geopfert worden.'
Am 10. Mai, am Ende der dürren Zeit und eben vor Anfang der
Regenmonate nahm der in der Kleidung und mit den Attributen
des höchsten Gottes Tetzcatlipoca auftretende , mit seinem Namen
benannte Oberpriester Staub von der Erde und verschluckte ihn,
am 19. Mai trugen dann in den Gott verkleidete Priester das
Bild Tetzcatlipocas auf einem aus gedörrten Maisstengeln yer-
fertigten Sessel daher, der für ein Sinnbild der Dürre erklärt
wurde. Die Tempel -Jünglinge und -Jungtrauen und viele Vor-
nehme trugen ebenfalls solche Stengel um d^n Hals und in den
Händen. Neben dem Bilde des Gottes schritt ein seit Jahres-
frist mit tiefster Devotion und Verehrung tlir die Rolle des Tetz-
catlipoca vorbereiteter und unterrichteter schöner Sclave; dem
man 20 Tage vor seinem Tode 4 junge Mädchen zur Gesell-
schaft gegeben und seit 5 Tagen prächtige Mahlzeiten ausgerieh-
tet hatte. Man opferte ihn, bot sein Herz dem Götzenbilde,
dann der Sonne dar, sein Leib wurde von Vornehmen und Prie-
stern verspeist.^ Diesen mexicanischen Cultgebräuchen stehen
noch einfachere Formen bei wilden Indianerstämmen und barba-
rischen Völkern Indiens und Africas zur Seite. Die Panis auf
der Westseite des Missisippi pflegten dem von ihnen besonders
verehrten großen Sterne, der Venus, alljährlich im Frtthlinge
(zuletzt 1837 oder 38) ein Opfer zur Erlangung einer guten
Ernte zu bringen. Der Gefangene, den man dazu ausersehen
hatte (es war in den letzten und bekanntesten Fällen ein Sioux-
mädchen), wurde wol genährt und gepflegt, über49ein Schicksal
aber in Unwissenheit gelassen. Man band das Opfcp auf einen
Scheiterhaufen und durchschoß es mit Pfeilen , doch ehe es starb,
schnitt man Stücke Fleisch von ihm ab und ließ
das Blut, welches man herauspreßte, auf die junge
Saat fallen.^ Die Khonds in Indien brachten der Erdgöttin
1) Müller a. a. 0. 502. Waitz IV. IGl.
2) Müller a. a. 0. S. 617. Waitz IV, 159.
8) De Smet, Missions de TOregon et voy. aux montagnes rocheuscs 1845,
Üandl848. J. Irving, Indian Sketches, London 1835, U, 136. Waitz 111,207.
Der Mftiritt, Erl&atenmg. 363
Tari Pennn unter T&nzen y trunkenen Orgien nnd einem Mygte-
rienspiel , das in dramatisehem Dialog den Zweck des Ritus dar-
legte, ein Menschenopfer dar, dessen vom Schmerz ausge-
preßte Trähnen die Kegenschauer bedeuteten, welche
ihr Land befruchten sollten. Dann rissen sie denOpfer-
leltven in Stücke und streuten dieselben ttber die Fel-
der, die sie befruchtet haben wollten.^ In Lagos (Africa)
warde alljährlich ein Mädchen gepfählt, um ein fruchtbares Jahr
n erzielen J So gewiB als jede Vermutung historischer Ver-
windtschaft zwischen diesen Bräuchen ttberseeischer Völker und
denen des europäischen Landvolks ausgeschlossen ist, bieten
dieflelben brauchbare Fingerzeige, um den unter verschiedenen
ffimmelsstrichen sich wiederholenden Gedankengang solcher Natur-
nenscbeny wie auch unsere Vorfahren unzweifelhaft ehedem waren,
Terstehen zu lernen. Aus verschiedenen Analogien ist als der
djesen Sitten zu Grunde liegende Gedanke die Vorstellung zu
entoehmen, daß der Geist des geopferten Sclaven vermöge des
Bhtes oder Fleischpartikels auf den Acker übergehe und darin
ab Fruchtbarkeit erzeugender Dämon wirke. Einen ganz ähn-
lichen Grund muß die Opferung der als Centeotl, Teteionan und
ab Huitzilöpochtli in seiner Frühlingsgestalt gekleideten und nach
diesen Götteni benannten Sclaven gehabt haben, welche, (wie
unsere laubeingekleideten Bursche, neben dem Maibaum) neben
den aus grünen Pflanzen oder Samen gefertigten Götterbildern
ab Doppelgänger hergehn ; das Blut und Fleisch derselben sollte
die Kraft und den Segen der Fruchtbarkeitsgottheiten auf die
GenieBenden tibertragen. In einigen dieser Gebräuche, welche
kaum scharf von den andern unterschieden sind, hat es den An-
«hein, als ob der Tod des Gottes nebenbei die Darstellung eines
Natonrorganges sein solle ; die Durchschießung des Bildes Huitzi-
löpochtlis zur Zeit der Wintersonnenwende und die Hinrichtung
des den Tetzcatlipoca darstellenden Sclaven zur Zeit der Dürre
Anfangs Mai, werden von Müller nicht ohne Wahrscheinlichkeit
*o%efaßt als Vergegenwärtigungeu des ersehnten und bevor-
1) Macpherson , India cap. VI. Tylor, Anföngc der Cultur I, 117. II,
2<2. Vgl. Bastian in Zb. f. Völkcrpsych. V, 313.
2) J. Adams, Sketches takcn during ten voyages to Africa (1786— 1800)
London s. a. p. 25. Waitz a. a. 0. II , 197.
364 Kapitel IV. Baamgeister als Vegetationsdämonen :
stehenden Dahingcheidens dieser Götter in ihrer schädliche]
Natarform, die ja sofort in anderer Gestalt als segnende Jahres
mächte wieder erscheinen werden. Trotzdem aber versehen Bio
und Fleisch dieser dahinsterbenden Götter oder ihrer Abbilde
die nämliche Function, die wir dem Gottesleibe in den vorher
gehenden Beispielen beigelegt sahen. Ich bilde mir eioi daJ
diese Analogien die Frage nach der Bedeutung des Köpfeni
unserer Laubmänner, wenn auch noch nicht zu lösen , so docl
auf einen zur endlichen Lösung hinfahrenden Weg zu weisei
wol geeignet sind. Jedenfalls ist die Möglichkeit einer Erkläranf
des rätselhaften Tödtungsprocesses der in den Mai- und Pfingst
brauchen laubuinhüUten Personen ohne Widerspruch mit ihrei
anderweitig feststehenden Bedeutung als Repräsentanten der Vege
tationsdämonen erwiesen. Nicht mehr beispiellos dtlrfte die An
nähme genannt werden , daß man in grauer Vorzeit die mit Laut
bedeckten feierlich aus dem Walde geholten Abbilder des Wach»
tumsgeistes oder des Frühlings einst zu guterletzt tödtete , nn
die mit ihrem Blute besprengten Aecker und Personen in gestei
gertem Grade ihres Lebens, ihrer göttlichen Kraft teilhaftig a
machen. Und noch eine Möglichkeit scheint mir aus den bei
gebrachten Analogien hervorzugehen. Für gewisse Fälle dürft«
eine Vereinigung beider in a und b aufgestellter Erklärungsyer
suche das Rechte treffen, insofern es auch Gebräuche giebt
welche, wie es scheint, zunächst den Tod der winterlichei
Gestalt des Vegetationsdämous darstellen i^ollen, die Darstellunj
in ihren Aeußerlichkeiten aber ganz der Analogie des Brauchei
folgen lassen, welcher nichts weiteres als die Mitteilung dei
Lebenssaftes und der Lebenskraft des Numen bezweckte. Da ei
uns einstweilen noch unmöglich ist, die im Vorstehenden ans
gesprochenen Vermutungen durch kritische Vergleichung zu ent
schiedenem Beweise zu bringen, begnügen wir uns damit , die
selben als eine eingehenderer späterer Prüfung und Erörteronj
bedürftige Hypothese mitgeteilt zu haben, und wenden uiis zui
Besprechung weiterer Züge in der Einholung des Pfingstlttmmeli
und seiner Sippschaft zurück.
In mehreren Spielarten wird der rohere Brauch der Köpfanj
des Ptingstlttmmels oder Pfingstkönigs durch das Eintreten einei
oder melirerer neUcr Gestalten ersetzt, welche nur durch ihrer
Namen an eine derartige Handlung erinnern; so in Zimmen
Der Mairitt, Erläutenmg. 365
darch Goliath nud David (o. 8. 352); in Nnsplingen durch König
Lodwig XVI. von Prankreicli (o. S. 35i>). Wie hier der eine Vege-
titioiLgdluion in die Gestalten des Pfingstl und des enthaup-
teten Franzosenkönigs gespalten ist, so in Nnsplingen in die
des Pfingstbntz nnd des nach S. 322 uns woblverständlichen
beroBten Mohrenkönigs; in Zimineni ist der Ffingsthagen der
angeratene Sohn des Mohrenkönigs und daneben tritt als dritte
YerkOrpernng desselben Gedankens Goliath auf (o. H. 351 ). In
Stuerlach in Oberbaiem erscheinen außer dein Wasservogel ein
nüHger Kaminfeger und ein schwarzer Teufel (o. S. 3r>2); im
Hinterweidentnl in der Pfalz wird der Pfingstquack zwischen
4 Reitern mit geschwärzten Gesichtern dahergettihrt. Im Kreise
Badweis tragen die I^feifTer im Gefolge <ies Pfingstkönigs ein
geschwärztes Antlitz (349. 342). Zu Nu8])lingen ist der Mohren-
kOnig zn einem türkischen Kaiser oder Sultan geworden (o. 8. 352).
Hier Oberall wird dur<*h diese Gestalten die Unsichtbarkeit^ die
geisterhafte Natur des Vegetations(}äm<ms angedeutet, die im
bairisehen Branche ungeschickt genug auch so dargestellt wird,
dȧ dem Wasservogel die Augen verbunden werden mit naiver
Umkehrung des Sachverhalts; statt zu machen, daß er von den
andern nicht gesehen werde , bewirkt man , daß er sie nicht sehen
kanu.* Was der weiße Mann in Wurmlingen, der schnee-
weiBe Gemahl in Nnsplingen bedeute, wage ich nicht zu sagen;
die in einem folgenden Abschnitt von der Maibraut aufgeitihrten
Tatsachen leiten darauf hin, auch in ihm eine Gestalt des Vege-
tationsgeistes im Lenze zu erkennen , unwillkürlich lenkt sich der
Gedanke auf den weißen Bllltcnschnee {o. S. 351).
Der böhmische Maikönig, der clnr langr Hagrdornrute in
i^ Hand trägt, wird im Kreise umhergejagt (o. S. 343) oder,
Wb er beim Wettritt eingeholt wird, mit Haselruten gepeitscJtt
(o.S. 354). Im Wurmlinger Pfingstritt ist nur etwas verblaßt
derselbe Zug erhalten. Der mit Huß geschwärzte Mohrenkönig
^ini vom Korporal mit rinem Stock (jesvltlageu. Der Korporal
^irft dem Könige vor, daß er zu lange im Bette gelegen habe
önd zu spät aufgestanden sei, droht ihn im Wasser zu ertränken
ttnd »agt schließlich: „Den Stock führ* ich allzeit mit mir, kann
^iflH 'naufschlagen dir." Der Kr>nig, der Land und Leute ver-
1) Panzer U,89, 134.
366 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsd&monen :
loren hat und lieber im Bette , als auf dem Felde schläft, di
wegen der kalten Herbst- und Wintermonate es auf dem Feld
nicht gut wohnen sei, bittet vergeblich: ,, Korporal , laß niiel
unkeit^' (ungeschlagen).' Im Erzgebirge wird der Pfingsiltimiiie
durchs Dorf gepeitscht (o. S. 321), die Begleiter des Sehnal
tragen lange Ruten (o. S. 324). Nicht minder wird zu Zimmen
im Remstale der Pfingstlümmel mit ,, Prügeln ^^ bedroht' Aucl
in der Grafschaft Teklenburg wird der die Pinxterblome darstel
lende Bursche mit Stecken einhergetrieben (o. S. 319) und nich
minder tragen die Jungfrauen im Gefolge des RegenmädcheiiJ
bei Burkhard von Worms jede eine Rute in der Hand. Dies«
Züge müssen, da auch der Vorwurf des Zuletztaufstehens gegei
den Pfingstlümmel mit dem gleichen Vorwurf gegen die Schmack
osterten hinzukommt (o. S. 253. 257. 259 u. s. w.) auf die Lebens
rute gedeutet worden. Sie verstärken die o. S. 319 ausgespro
ebene Vermutung, daß die mit dieser Rute Schlagenden um
Geschlagenen mythische Wesen, Vegetationsdämonen (Baam-
Kom-, Pflanzengeister) nachahmen sollen. Die mehrfach hervor
tretende Laubeinhüllung, oder Rindeubekleidung auch der Beglei
ter des Pfingstkönigs (o. S. 343) läßt ebenso wie die Ceremonv
des Wettritts, die Rede vom Zuletztaufstehen (o. S. 351) erken
nen, daß von einer Mehrheit, einer ganzen Schaar von Vage
tationsdämonen die Rede war, unter denen der Maikönig nu:
als der vorzüglichste hervorragt und daß die ihn festlich aus den
Walde einholenden Menschen von diesem Gefolge zu trennen seil
werden.
Im allgemeinen ist der Pfiugstritt nichts anderes, als ein<
feierlichere Weise der Einholung des Laubmanns oder Maiköuigs
Dem Könige gebührt reisiges und wehrhaftes Gefolge und di<
Ehre des Empfangs durch waffenfrohe und berittene Mannschatt
daher die vielen Namen kriegerischer Aemter im Aufzuge , nebei
denen doch noch im Koch , Kellermeister , Krügelmann (o. 8. 350
und ähnlichen Gestalten die Erinnerung an die zur Annahmi
der Victualien ausgerüsteten Beamten des Umgangs (Eierkrätl
Schnmlzhaf (o. S. 325) fortdauert. Daß der MaieniÜhrer, Fähudriel
oder Oberst auf den Säbel an der Seite pochend sich rühmte
1) Meier S. 412.
2) Meier 408 , 100.
Der Mairitt, Erl&ateniDg. 367
mit den TOrken müsse er streiten , ist wol nur soldatische Prah-
lerei und keinesweges Rest der Darstellung eines Kampfes mit
deo HSchten des Winters , der allerdings in vereinzelten Formen
Terwindter Gebräuche in das Spiel mit hineingezogen ist In
nehreren Spielformen sehen wir den Ptingstkr»nig und seine
Hypostasen (Mohrenkönig, Teufel, Kaminfeger, schneeweiß Gemahl,
Goliith o. s. w.) summt dem notwendigen Gefolge reisiger Tra-
hiaten und KUehenbeamten durch fremde Gestalten vermehrt,
wekhe entweder aus anderen FrUhlingsaufzUgen verwandter Bedeu-
toog hüiflbergenommen sind (wie Hansel und Gretel auf dem
SeUeifrade , Hochzeitlcute mit Braut und Bräutigam ) oder welche
fb den Gedanken des Festes ganz bedeutungslos nur die Ten-
denz verraten, die bunte Fülle der Masken durch einige auffal-
lende Figuren zu vergrößern (sg. »Stadtherr und Bauermädchen,
der bairische Hirsel, Bacchus, Hexe, Martin Luther und Kätcheu,
^bifer und Hund, Koßdieb u. s. w.). Der Sinn der Feier wird
überhaupt nicht mehr verstanden. Dies lehren aufs deutlichste
^i« sinnlosen oder mindestens großenteils jedes Bezuges auf die
'^^eutnng der Prozession entbehrenden , nur aus dem ihnen zuge-
^^-Iricbeneu Character hervorgehenden Reden, welche den ein-
^^locn Personen der Handlung in den Mund gelegt werden.
Iine die innere Einheit einer dramatischen Action ist hier doch
n Ansatz zu einer dramatischen Schaustellung gemacht, deren
^^^iguren von der starren Naturgebundenheit sich loslösen und der
xeiheit eines menschlichen Cbaracters entgegeustrcben. Wo der
nfzQg ganz vollständig ist, reitet ein Platzmeister voraus, der
<Ll.«n Ort der Darstellung für die Begehung derselben freimacht
i^mid von dem Zudrange des Publicums säubert. Einer oder meh-
«"%2re bebänderte Maibäume werden dem Zuge vorausgetragen;
d er Pfingstl, Pfingstlümmel reitet oder geht in der
iVlittc zweier Begleiter,* deren Fürsorge für ihn nötig war.
1) Der Pfinji^tl in Nioderbaiorn geht zwischen den zwei Weisern o.
5^- '^JM Panzer I, 23r». Der Wasservof^el in Auj^sburg wird von zwei andern
l^naben in der Stadt horunigeflihrt. Meier i^Ü), H>4. Die primitivste Art
^«» Pfingstreitens ist dem entsprechend die . daß der Ptingstlünimel nur von
- Keitern im Dorfe ninher^eführt wird. »Su im Kemstale. Meier 408, lÜO;
Center in Markt - Biberbach in Schwaben. Panzer II, HÜ, 135. Diese Beglei-
^H bleibt in der Regel auch dort, wu das (lefolge des Ptingstbutzen sich
^^^rgröllert. So hat der Pfingstlümmel zu Hohenstadt 2 Trabanten rechts
368 Kapitel IV. Banmgeister als Vegetationsdämonen:
da er in seiner Laubliöhle nichts oder wenig sehen konnte. De
Pfingstritt in den beschriebenen deutschen Formen ist znnächi
verwandt mit der o. 8. 162 Anm. 3 angeflihrten französische
Sitte, wonach am 1. Mai 1414 der Bastard von Bourbon Im
200 Rittern und einem stattlichen Gefolge von Fußvolk nach voi
heriger Ansage den Bürgern von Compiegne den Mai brachte; i
festlichen (nicht zum ernsten Kampfe bestimmten) Harnische
(bamais de fete) zogen sie vor das Tor der Stadt, indem si
einen großen grünen Zweig mit sich führten ,,pour les esmayer.
Hier wird also statt des Pfingstbutzes und des Maibaums de
letztere allein beritten eingebracht; die Empfängerin ist eine Stac
nnd die geleitenden Reisigen stellen ein kriegerisch geschmflcktc
Ehrengefolge dar. Da sehen wir den bäurischen Aufzug de
vorigen Beispiele ins Ritterliche übersetzt. Auch in Elnglaii
gingen die Mairitte und zwar, schließlich in ein Schützenfest an-
laufend j ins Hof leben über. König Heinrich VHI. übte den Braue
fast jährlich. So 1511: The first of maye the kiuge accoi
paignied with many lusty Batc*helers on greate and well doia
horses rode to the ivodde to fetch May, where a man might ha.
seen many a horse raysed on highe with galope, turne a^
stoppe , meruaylous to behold : where he and 3 other . . . whB
were chalengers with the kyng shyfted them selfes into cotes
gr(*^ne satyn, garded with crymosyn veluet. 1510: On mayd^
than next folowyng in the 2 yere of bis reygiie hys grace bey
yonge and willyng not to be idell, rose in the momynge v^
early to fetche May or grene bows, hym seife freshe and rych^
appareyled and clothed all hls knyghtes Squyers and GentlemcKr
whyte satyn and all hys garde and yomen of the croune^
white sarcenet : and so went every man with hi^ bove and arra
shotyng to the wood and to repaired to the court etJery ir-a
with a grene haugh in his cappe and at bis retumyng m^
hearynge of bis gooyng a Maiyng were desirous to se Ij
shote, for at that tyme his grace shotte as strong as any
bis garde. ^
und links Birlinger II, 123, 148. Zu Fulgenstadt wird der Hatzeler in BÄa
zweier Mitkameraden, die ihn an einem Seile halten, durchs Dorf geri
Birlinger a. a. O. 136, 150.
1) HaUs Chronicle (1548) London 180« p. 520. 515.
Der Maigraf. 369
§ 9. Der Maigraf. Eine besondere Spielart des Pfingstritts
bildete der mailiche Festbrauch mittelalterlicher Schutzgilden,
(reicher in den hanseatischen SUUiten Kiederdeutschlands , sowie
in mehreren dänischen und schwedischen Orten yorztiglicli wäh-
i^od des 15. nnd IG. Jahrhunderts in Blüte war^ sodann verfiel
Hnd im 17. an einigen Orten erst im 18. Jahrhundert sein Ende
^»reichte. Sein hervorstechendstes Merkmal war der Name Mai-
S^y Maigrave iUr den Piingstl. Am ersten Maitag, oder zu
-Adligsten ritten die Brüder der Gilde in blankem Waffenschmuck
<%it dem Maigrafen des alten Jahres vor die Stadt hinaus ins
»e Feld ; hier wurde der neue Maigraf gekoren ; man hing ihm
inen natürlichen oder künstlichen Kranz um den Hals. Dann
lielt er seinen feierlichen Einzug in die Stadt, wo der alte Mai-
if auf der Gildestube einen großartigen Festschmauß auszurich-
pflegte. Im Laufe der nsichsten Wochen folgte bisweilen ein
^K^ehrmaliger Ausritt des neuen Maigrafen und kleinere Trink-
Mit dem Maigrafenfest waren öfters Schützenfeste, Vogel-
(Papageienschießen) verbunden. Dies der allgemeine
^^haracter des Festbrauchs, dessen Einzelheiten wir einer Abhand-
lung entnehmen dürien, welche jüngeren Fachgenossen als ein
wecht vielfacher Nachfolge würdiges Muster monographischer
33ehandlnng empfohlen zu werden verdient. Nachdem zuerst
«Jacob Grimm ^ mehrfache Zeugnisse iUr den Maigrafen zusam-
:inengele8en , sodann Barthold ^ und Uhland ^ denselben bespro-
<ihen hatten, hat Eduard Pabst ihm eine eigene Schrift: „die
Tolksfeste des Maigrafen" Berlin 1865. gr. 4. 89 S. gewidmet,
"Welche eine sehr reiclihaltige und sorgfältige Sammlung und kri-
tische ErcJrterung der Originalnachrichten über diesen Gegenstand
enthält Die älteste Erwähnung bezöge sich auf die Metropole
4ler Hansastädte, wenn die Angabc Huitieldts (f 1608) histo-
liwhe Glaubwürdigkeit hätte, daß die Lübecker im Jahre 1226
«lag Joch der Dänen am St. Walpurgistjig abgeschüttelt hätten,
indem sie den dänischen Voigt unter dem Vorgeben, ihn zum
1) Mj-thJ U^. Myth.« 7;jr)-.38.
-) Deutsches Bfirgortuin in Poiuniern in l^mnors liistor. Tasclienbucli
X- \mi H. 06 ir. Ders. GoHchichtc der (loutscluMi Stiiilto III. Lyz^. IST»!.
^. 31 ff.
3) Pfi'illers üennania V, S. 27«; -H:1 Scliriftcn III, 18GG S. 31—35.
^«nohardt 24
370 Kapitel lY. ßanmgeister als Vegetationsdämonen:
Maigrafeu wählen zu wollen vor die Stadt auf das freie Feld
lockten, indeß die Bürger 8eine Zwingburg einnahmen und bra-
chen. Diese Erzählung beruht aber nur auf einer unverbttrgten
Sage , und mau wird kaum umhin können , Pabst Recht zu geben,
wenn er als wahrscheinlich annimmt, daß hier ein mythisches
Factum, die Niederreißung der Burg des Winters am Maitage, mit
einer geschichtlichen Erinnerung sich verbunden habe. Nur 90
viel wird auch dieser Sage zu entnehmen sein, daß in Lübeck
im 16. Jahrhundert das Maigrafenfest nicht unbekannt war. In
Wismar wird dasselbe zuerst um 14(X) in den Gesetzen der
Papagciencompagnie , einer seit Mitte des 14. Jahrhunderts
bestehenden reich begüterten Gilde der Brauer und Kanfleate
als eines ihrer Feste erwähnt; in Greifswald 1528, in Strahsand
1474. Dort (in Greifswald) erscheint der Mairitt als Sache des
^ Rates, hier als Festlichkeit der auf König Arendshoif (Artushof)
sich versammelnden Gilden. In Danzig beginnen die Nachrich-
ten über das Fest, das von der St Georgenbrüderschaft, die am
Abk<(mmlingen ritterbürtiger Geschlechter, sowie dem Schoppen -
und KatscoUegium bestand, und die eine vornehmere Hauptab-
teilung der auf dem Artushofe tagenden Brüderschaft bildete,
am Pfingstmontage oder Dienstage in Verbindung mit dem V(^l-
schießen begangen wurde, erst 148G, in Heiligenbeil 1543.* In
liiga wird des Maigrafen zuerst in gewissen aus Anfang saec. XV.
herrührenden Bestimmungen in der Schra der Kumpanie der
Kaufleute gedacht, welche sich später große Gilde nannte und
mit den Schwarzen -Häuptern zusannnen im Ki'mig Artnshofe
zusammen kam. Sic hielt zu gleicher Zeit Tuit dem Maigraien-
fest ein Schützenfest und Schützentrünke. In lieval tritt der
Maigraf schon etwas früher, Ende saec. XIV., in Verbindung mit
einem Papageienschießen auf; 1408 ist das erste bestimmt nenn-
bare Jahr. Auch hier war die Groß- oder Kaufmannsgilde,
welche auch Kindergilde hieß, die Veranstalterin des Festes.
1) Herzog Albrecht von Preußen sagt 1548 in der AnoWinung für die
Stadt Heiligenbeil. F. I). befmd«;n, daß man jährlich einen Gebrauch iii
Einhohing des Meygrebons hat und denen , die nieht genug dazu haben , den-
noch zum selbigen zwingen thut; derwogiMi ist P. Durchlaucht Befehl, daß
man hinfort zu deniselbigen liraucli niemand zwinge. Weil aber dieft Jahr
einer um eine Tonne l?ier gebüßt seyn soll, soll man ihm diese wieder
erstatten. liatsbuoh 115.
Der Malgrat 871
Id Hildesheim y woher uns eine ausführliche Beschreibung aus
im 18. Jahrhundert zusteht ^ welche Nachrichten des 16. Jahr-
hooderts willkommen ergänzt , war E. E. Kat der Stadt der Fest-
geber. Auch zu Bremen wird 1547 auf Befehl des Rates der
Kämmerer Thiele von Cleve am Pfingsttag den 29. Mai zum
Maigrafen gewählt, der dann mit einem stattlichen Gefolge von
Bdterii in die Stadt geführt, das Gastgebot hielt Zu Aalborg
war es die aus dänischen und deutschen Kaufieuten (mit Aus-
sdilnB der Handwerker) bestehende, 1441 gestiftete Papagoien-
gilde (oder Gudlegemslaug) , welche am Walpurgistage im Holze
die Maigrevenwahl vornahm , sodann den Papagei von dpr errich-
ten Stange abschoß und mit ihrem Papageienkönig und Mai-
greren zur Stadt zog.^ In Malmö und Lund feiern die Kanuts-
gflden* (A. 1549. 1586) am Walborgstag den Einritt des Mai-
gnfen; in letzterer Stadt giebt es auch ein Papageienschießen.
In IHbiemark finden wir endlich den Einritt des Maigreve mit
diranffblgendem Gelage (Gilde) als Maitagsbclustigung der DOrt-
ler wieder. Die ausführlichsten Nachrichten über den Festbrauch
besitien wir aus Reval, Riga, Danzig und Hildesheim. In Reval
wurde der Maigraf (1473) wol am Walburgistag auf freiem Felde
FOD dem bisherigen oder alten Maigrafen, dem Aeltermann der
Gilde, seinen Beisitzern und den dazu eigens eingeladenen Bttr-
genneister und Katmaijnen gekoren. Er mußte bemittelt sein,
Qm die ^stspielige Pflicht, reiche Pracht zu entfalten und bei
eigenem Ruhm für Anderer Lust und Genuß zu sorgen, Über-
nehmen zu können. Am nämlichen Tage scheint man mit ihm
feierlich in die Stadt eingeritten zu sein, derselben den Mai
gebracht zu haben. Der neue Maigraf hielt l^tingstmontag und
-Dienstag noch einen Ausritt. Am Frohnleichnamstage nahm er
unter Vortritt zweier Wjichskerzenträger an hervorragendem Platze
zwischen den vornehmsten Korporationen der Stadt, dem Sacra-
mente voranschreitend , an der Prozession Teil. Sein AnU behielt
er an Jahr lang. Am Abend der Wahl des Maigrafen fand ein
kofitbares Bankett auf der Gildestube statt; es ist nicht festzu-
stellen, ob der Abtretende, oder Neueintretende es auszurichten
verpflichtet war. Auch die Rigenser ktiren ihren Maigrafen auf
1) Wilda, das GildenweRen im Mittelalter, Berlin 1831. S. 285.
Ü) Uelier diese s. Wilda a. a. O. 100 S.
24*
372 Kapitel IV. Baumgeister als Vogctationsdämonen:
freiem Felde aus den Gildebrüdern ^ die mit ansgeritten sind; er
wählt sofort seine Amtsleute (d. h. den Marsehall und den Bei-
reiter), weil diese sehen bei dem feierlichen Einritt zu fiingieren
haben; die Sehaflfer ernennt er erst in der Gildestnbe mit Bewil-
ligung des Aeltermanns und seiner Weisesten. Am Maitag ist
sein höchster Ehrentag ; dann giebt der alte Maigraf seine ^, rechte
Kost;" der neue darf noch mehrere Ausritte halten bis zur Woche
nach Pfingsten. In Danzig war die Kavalkade des Mairittes im
Anfange des 16. Jahrhunderts zu besonderer Pracht gediehen.
Nicht allein die Junker der St. Georgenbrüderschaft, zu der wol
fast sämmtliche Mitglieder des Rates gehört haben werden , ritten
am Pfingstmontag mit kostbar ausgerüsteter Kavalkade ins Feld,
um daselbst einen Obersten, den sie Maigrafen nannten, zu wäh-
len und ihm einen Kranz von Mai um den Leib zu hängen,
sondern 1515 hatte E. E. Rat, auf daß die Hämische, Spiefte
und Wehren rein und bei der Hand gehalten werden, befohlen,
daß sich die waffenfähige Bürgerschaft mit in den Mai rüsten sollte,
ein jeder nach seiner Gelegenheit zu Fuße und zu Rosse. Im
Jahre 1552 wurde der Maigrefe eingeholt mit 234 Pferden in
vollem Hämisch und Rüstung, 460 Fußgängern mit langen Spieden
und Harnischen, 480 andern die mit Hellebarden und Schlacht-
Schwertern bewaffnet waren. Die Uebrigen tragen Feuergewehre
(Röhre). Im Ganzen waren es 1344 in 4 Fähnlein mit Pfeiffen
und Trommeln. Hatten die Junker sodann aus ihrer« Mitte den
Maigrafen gekoren, und waren sie mit ihm feierlich eingeritten,
so speisten sie mit ihm auf ihrem besonderen Versammlungshause
(am jetzigen Langgasser Tore) ; Nachmittags fand in ihrem Som-
merschießgarten am Hagelsberge das Vogelschießen mit Arm-
brüsten, am Abende das große Ranket und Tanz mit Jungfern
und Frauen im Artushofe statt. In Stralsund war es Sitte, daB
der Maigraf, wenn er bei einem Mairciten abschied, seinen
Kranz dem erwählten Nachfolger überreichte, der nachher des-
selben Jahres auch in den Mai ritt und sein Gelage auf dem
Artushofe gab, aber beim nächsten Mairitt des folgenden Jahres
den Kranz ttir den Nachfolger wieder hinausbraehte. Als 1564
das Maigrafenfest nach einer längeren Unterbrechung, die durch
die großen Unkosten des anszurichtendeu Schmauses herbeige-
ttihrt war (Herr Johann Hofmeister hatte 200 Fl. aufgewandt),
wieder erneuert wurde, brachte statt des inzwischen gealterten
Der Maigraf. 373
ktiten Maigrafen ein Ratsherr den Kranz hinaus. Im Zöge
befiuulen sieh ein Bürgcmieister, 4 Ratnianne und ungefähr 200
Mum mit Harnisch gerüstet zu Pi'erde ; nach einer andern Nach-
rickt wären es 100 ziemlich gerUstete Pferde gewesen. Wahr-
sdidididi gehörten diese den eigenth'chen Festgebem, Mitglie-
den des Artnshofes an. Es wird ausdrücklich erwähnt, daß sie
dtt Fest erneuerten , um die Rüstungen imd Wehren zu mustern.
In Greifswalde scheint der Brauch darauf hinaus gegangen zu
sein, da0 der Maigraf bei seinem Fesfgelage den Kranz dem
jttngsten Ratsherrn aufsetzte und diesen dadurch zum
Niehfolger weihte. Derselbe ritt dann am Maitag des näch-
sten Jahres in dem Mai aufs Feld und wieder zurück, wobei
üun ein Knabe aus Yomehmer Familie als Schildjunge den Kranz
Torfllhrte , den er wiederum bei seinem Gelage dem nun jüi^ten
CoUegen übergab. Der Kranz mag demnach wol ein künstlicher
gewesen sein. — Wenn in Wismar in der Pfingstwoche vor dem
Lübiflehen Tore der Vogel abgeschossen werden sollte, setzte
sieh die Papageiengesellschaft in folgender Ordnung nach dem
Sehieftplatze in Bewegung. Voran zwei Bürgermcisterdie-
ner, die zwischen sich einen aufs beste geschmückten
Knaben auf einem Pferde führten, sodann der alte Schützen-
könig in Begleitung der Bürgermeister an der Spitze des ganzen
Bat», drittens der (alte) Maigraf zwischen zwei Schaffern
der Papageiengesellschaft, zum Schluß die gesammten Glie-
der der Gesellschaft. Bei dem Bankett nach beendigtem Schießen
hielten der alte und der neue Schützenkönig, drei verheiratete
nnd ?ier unverheiratete Bürger sammt ebenso vielen Frauen und
Jungfrauen den ersten, der Maigraf mit seinem Zuge ordneten
den zweiten Tanz. Einige Tage später gab der neue Schützen-
könig sein Gelage. In einer früheren Stunde dieses Tages wurde
wlenniter der neue Maigraf gewählt, der darauf wol seinen Ein-
ritt hielt In Hildesheim wurde ein vom Riedemeisteramte prä-
sentierter und vom Magistrat erwählter junger Bürger zum Mai-
grafen des Jahres bestellt. Am Tage vor Pfingsten erlblgte sein
Ausritt Morgens um sechs Uhr marschierten 24 Stadtsoldaten
Jnit 2 Unteroffizieren nach Uppen und begleiteten von dort einen
^bereitstehenden vierspännigen Maiwagen in den Wald. Daselbst
«6, nach Anweisung der Holzgeschworenen durch die Uolzcrben
von sieben Dörfern gehauen , der grüne Mai , den die Stadt zum
374 Kapitel IV. Bauuigeister als Vegetationsdämonen :
PfingstBchmuck brauchte; was gehauen war, mußte aufgeladei
werden. Die Holzen begleiteten den beladenen Wagen bis Up
pen. Hierhin setzte sich etwas später als jenes Commando dei
Stadtsoldaten der aus seinem Hause von den Kiedemeistem aiMi
Gefolge abgeholte von seiner Freundschai't begleitete Maigraf ii
Bewegung, der an Pracht und Kostbarkeit das möglichste za
leisten suchte. Voraus ritten der Stallmeister und der Baaver-
Walter nebst Dienern, sodann der Maigraf zwischen den
beiden Riedemeistern, endlich zwei Abteilungen der bewaff-
neten und berittenen Bürgerschaft unter Vorritt von Trompetern
drei Mann hoch. An der Hauptwache und dem Ostertore prir
sentierte eine Ehrenwache von Stadtsoldaten das Gewehr. Ino
Passe zu Uppen begegnete man dem aus dem Walde heraofr
kommenden Maiwagen, den man im Kreise umschloß, woraoi
der Bauverwalter im Namen E. E. Rates von Hildesheim di<
Holzerben begrüßte, von ihnen den Mai kränz empfing and den
Riedemeister präsentierte. Dieser übergab den Kranz im Namei
des Bürgermeisters und Magistrats nach feierlicher Anrede den
Maigrafen; der Stallmeister hing ihm denselben schräge
über die Brust. Hierauf wurde vom Maigrafen in vorher auf
geschlagenen Zelten den Holzerben, den begleitenden Freonden
Bürgern, Fuhrleuten und Stadtsoldaten eine CoUation von Essei
und Trinken dargeboten, bei der es ziemlich unmäßig zuging
den Holzen mußten Krebse vorgesetzt werden; zu den Gesund
heiten während der Tafel gab das Militair Salven ab. Um 4Vj
Uhr bliesen die Trompeter zum Aufbruch; der Maigraf mit sei
ncm Kranze hielt seinen feierlichen Einzug in die Stadt, aU<
Wachen salutierten, die Kanonen wurden gelöst. Man ritt flbei
den Markt und (um den) Brunnen der Neustadt, sodann übei
den Markt der Altstadt und (um) den Pipenbrunnen, vor dk
Tür des regierenden Bürgermeisters und zuletzt zum Hanse de«
Maigrafen. Inzwischen ist auch das Maifnder^ von einigen Rats*
herren und einer Compagnie Soldaten empfangen und mit Flin-
tensalven begrüßt, zur Stadt gekommen und sein Inhalt an dei
Maigrafen , die Herren und Verwandten des Rats , an die Kirehei
und Klöster verteilt. Am Dienstag nach Pfingsten führte der Magi-
strat den Maigrafen unter Trompeten und Paukenschlag nael
dem Ratsweinkeller und bewirtete ihn da Namens der Stadt
Der Aufwand, den der Maigraf machen mußte, war bedeutend.
I>6r Maigraf. 375
im Anfang des 18. Jahrhunderts betrug er jedesmal zwischen
700—800 Taler. Schon 1627 erließ der Kait dagegen ein Luxus-
gesetiy sodann wnrde des Kostenpunktes wegen der Brauch nur
alle 7 Jahre y später nur alle 14 Jahre geübt; 1782 ist er defini-
fir abgeschafifi Diese Beispiele genügen. Nur des ländlichen
Maigrafen in Dänemark will ich noch etwas eingehender geden-
ken. Zwei Schaffer ritten am Walburgestage ihm voran, um
den Zog anzumelden. Zwei alte Männer folgten , deren jeder eine
hohe mit Bändern, Kränzen und seidenen Tüchern geschmückte
Stange [Maibaum] in der Hand trug. Nach ihnen kam der Mai-
graf zwischen seinen zwei Gesellen; endlich der ganze Zug
paarweise in blauen Röcken, weiße Handtücher von der Schulter
herabhängend.. Der Maigraf trug zwei Kränze, einen über
jeder Schulter, jeder der Uebrigen einen Kranz. Auf jeder
Feldmark legten sie einen Kranz auf die Hecktür, jeden Hof
amritten sie nach erbetener Erlaubniß dreimal und , wenn sie bei
den Fenstern vorbei kamen, grüßten sie. Dann stiegen sie von
den Pferden, sangen ein Lied, in dem sie erklärten, den Mai
ins Dorf und ins Haus zu bringen, tanzten eine Weile, stiegen
wieder zu Rosse und ritten weiter. Zur richtigen Beurteilung
des Maigrafen seien noch die Holzfahrt der Kölner und der Wal-
peraug der Erfurter erwähnt, -zwei den vorstehenden Bräuchen
der Sache nach eng verwandte Feste ^ bei denen aber der Name
Maigraf nicht vorkommt In Köln feierte man' den Donnerstag
Dach Pfingsten als Hölzgestag. Nachdem schon Tags zuvor ein
groBes Vogelschießen gehalten war, wählten sich die Bürger jetzt
nr „Holzfahrt'' einen Anführer, den sie Rittmeister nannten,
der sie nach dem Ostendorfer Busch führte, wo man ihm einen
Kranz aufsetzte, der Sage nach zur Erinnerung an einen Sieg,
den einst ein römischer Statthalter Marsilius durch die Hölzges-
iahrt über die Feinde errungen. Feierlich kehrte der Rittmeister
nüt seinem Kranze zur Stadt zurück und beschloß den Tag mit
einer Gasterei in seinem Hause, zu welcher die Vornehmsten der
Stadt geladen waren, indeß die übrigen Bürger und selbst die
Kl^ter bei sich die Holzfahrt mit Schmausereien feierten.
Der Kranz wurde beim Stadtbanner in einem eigenen
Schreine aufbewahrt, man zeigte ihn der Bürgerschaft,
80 oft bei drohender Gefahr oder feierlichen Gelegen-
heiten, oder nach dem Aussterben des halben Banner-
376 Kapitel IV. Baumgoister als Vegetationsdämonen:
rats das Stadtbanner aiisgesteckt wurde, oni »ie gleich-
sam an jenen Sieg des Marsilius zu mahnen. L. Ennen giaabt^
unzweifelhaft mit Kecht, schon in dem gleichzeitigen Berichte
des Stadtschreibers Gottfr. Hagen über eine Begebenheit des
Jahres 1257 eine Erwähnung der Ilolzfahrt, d.h. des Hölzges-
festes nachweisen zu können. Jedesfalls wird dasselbe in den
Stadtreehnungen des 14. Jahrhunderts bei Gelegenheit der dem
Kate daraus erwachsenden Kosten (40 Mark, 4 Schilling u.8. w.)
erwähnt.* Der Erfurter Walperzug, der urkundlich seit dem
Jahre 1310 nachweislich ist und bis in die erste Uälile des
18. Jahrhunderts in Uebung blieb, bestand darin, daB am Wal-
burgstage die Bürger zu Pferd und Fuß nach einem dem Kor-
llirsten von Mainz gehörigen Gehölz, der Wageweide auf der
Steigerhöhe zogen , wo sie an diesem Tage 4 Eichen fällen
durften. Fahnenträger, Spielleute und aus jedem der 4 Stadt-
viertel je ein Walperherr einen bekränzten Stab tragend, gingen
im Zuge. Ein großer Teil der Bevölkerung folgte, lagerte sich
gruppenweise in Zelten unter den Bäumen des Steigerwaldes,
jubelte und zechte und erst abends kehrte der Zug, grttne
Maien, die mau im Walde geschnitten, in den Händen
unter Absingung eines bezüglichen Liedes zur Stadt zurück. In
seiner Mitte führte man zwei Knaben mit Goldketten
und anderem Geschmeide ausgeschmückt zu Rosse in
die Stadt ein. Man- erzählte sich, der Walpcrzug sei die Erin-
nerung an die dereinst am 1. Mai 1289 geschehene Eroberung
und Zerstörung des auf der Wageweidc belegenen Raubschlosses
Dienstburg, dessen Burgl'rau durch einen Fußfall vom Kaiser
Rudolf die Lebeusrettung wenigstens ihrer beiden jungen Sühne
erbeten habe.
Auf Grund dieser um ein weniges vermehrten Auszüge aas
Pabst's fleißiger Arbeit glauben wir folgende Sätze dem Leser ein-
leuchtend machen zu können. 1. Der Maigrafenritt ist eine Ab-
zweigung der allgemein deutscheu Sitte des Mairitts oder Pfingst-
ritts. Der Maigraf entspricht dem Laubkönig, Gra^könig, Pfingsil
u. 8. w.; seine Darstellung durch einfaches Ucbcrwert'en eines
Kranzes statt der vollständigen Laubumhüllung entspricht genan
1) L. Ennen, Geschicht<; der Stadt Köln. Köln und Neuß 1865, Bd. II,
128. 538.
Der Maigraf. 377
der Weise y wie in Abensberg in Niederbaiern der WasHervogei
dugesteilt wird (o. S. 353). Wie der PfingsÜ zwischen zwei
Begieitera £0 reiten pflegt (o. 8. 367), so der Maigraf in liildes-
kttn zwischen zwei Uiedeineistem , der dänische zwischen zwei
Gesellen y der Wismarische zwischen zwei Schaifem und der
DtBxiger zwischen zweien der vornehmsten Männer. In Däne-
mrk wird ihm, wie dem schwäbischen and b(^hmischen Pfingst-
hitK and Pfingstkönig (o. S. 356) noch der geschmückte Maibaum
vonmgetragen. Wie der l)öhmische Maikünig (»ehält er ein Jahr
hiodareh seine Wttrde. Der stattliche Einritt mit bewaffnetem
Gefolge gleicht hier noch mehr, als in dem bäuerlichen Maibrauch,
dem Gepränge eines einziehenden Fürsten. Bei dem Hildeshei-
ner Maigrafenritt hat sich auch noch eine Spur der Wasser-
Unclie in dem Ritt ,,ttber den Brunnen^' sowol der Altstadt^
ab der Neustadt erhalten. Die Erinnerung an die mythische
Bedeutung des Aufzuges halten die technischen Benennungen des-
selben noch lange aufrecht: In dat meien rlden, ummc dat meien
riden (Stralsund) ^ in den Mai reiten, in das Feld reiten, sich in
den Mai rüsten (Danzig), at fore sommer i by, at ride sommer
i by, den Mai ins Dorf, in die Stadt einitihren , reiten (Däne-
mark, Riga n. s. w.). 2. Ebensowenig als die Gnindlayen des
Maigral'enfestes lassen sich, so viel auch noch dunkel bleibt, die
Huptamrisse der weiteren Entwickelung desselben verkennen.
Der PlSugstritt in der Form, daß der Dämon der lenzemeuten
Vegetation durch einen Mann mit übergeworfenem Kranze dar-
gestellt wird, wurde von den Landbesitzern, die sich als Bürger
in niederdeutschen Städten niederließen , dorthin mitgebracht und
«b Brauch der Bürgerschaft, wie sonst der Dorfschaft geübt.
Der Pfingstl hieß noch nicht Maigraf, sondern irgendwie anders
(Oberst, Rittmeister, Maikönig, Walburgshcrr, Maiherr u. s.w.).
Ein Bild dieser Entwickelungsstufe des Brauches stellt uns noch,
wenigstens nach einer Seite hin ein in mehr als einer Rücksicht
merkwürdiges Zeugniß aus Lüttichs Umgegend vor Augen. Albe-
•
'WU8 trium fontium II, 513 schildert einen Festzug, der sich in
«•«n Pfingsttagen 1224 durch die Straße von Iluy bei Lüttich
•Wegte: Universitas Hoycnsium tum senes quam juvenes mascu-
»ini 8CXU8 antiquos ludos vestibus mulierum induti barbis
f^w redueunt ad niemoriam : hfibvbani ailm praecdlvntcs perso-
^^ sccundufu diversiüitcs locoriim Impcratorem vUklicet, licyem,
^1^ Kapitel IV. Baunigeister aU Vegetationsdamoiieii:
thHTm,, a>mitefn et abhatcm, Qaidam eamm ^rani arfnati lorieL
ti tjutttii fulgcfUibus y gladiosque niulos poriantes in manibus sui
{K'Uitiees habebant pellicea grisea et vulpina deforis pilos habentis
et oiiines alii prout poterant ad modum malierum erant adomati
qni qQolibet die fest! pentecoBtes imllo domi remanente ibant pro
i'essionaliter bini et bini per vicos et plateas eantando.^ In die
seni Pfingstauizug gab es yersckiedene Bestandteile, z. B. Tier
niasken , Darstellung von Weibern u. dgi. , neben dem Unutug
oder Einzüge der Bewaffneten mit ibrem Oberhaupt. Da88elb<
itihrto damals in den yerschiedenen niederländisehen Gregendei
noeh verschiedene Namen: Kaiser, König, Herzog, Graf ode
Abt; wahrschehilTch ])arallel mit der Wttrde des Landesheim i
jedem der vielgeteilten Gebiete (Herzogtum Limburg, Abtei Stabl«
Grafschaft Namttr u. s. w.). Ein späteres Beispiel der näniliche
Vorstufe des Maigrafenbrauches gewährt die Sitte in Köln, ebeiifi
die Erfurter, wo die 4 Walperherren nur eine VerviellUltigiu:
des einen Maihcrm sind und ein jedes Stadtviertel den sein^
ttir sich haben wollte. Hieraus, wie aus der Aufbewahmng A.
Kranzes neben dem Stadtbanner zu Köln geht hervor, daft im..
den Einritt des Maiherrn gradcso wie anderswo die Anfriehtm.
des Maibaums als Ileiltum ttir die ganze Commune erae
In irgend einer niederdeutschen Stadt vertauschte man im
des 14. (spätestens im Anfange des 15.) Jahrhunderts den Nana
Maiherr, oder wie er sonst lautete, mit Maigrefe (nach Anal(^£
anderer Amtsnamen, Holtgrcfc, Deichgrefe. Cf. Grefe, Grebe «
Bezeichnung der sächsischen Dortbbrigkeit und das grävo prc
ses ahd. Glossen). Es muß dies eine Stadt gewesen sein^
welcher die reichsten oder vonichmsten, beziehungsweise c
Altl)tirgcr zu gegenseitigem Schutz, gemeinsamen geselligen Z
sammcnktinften und gottesdienstlichen Begehungen den Hani
wcrkem sowie anderen Neubürgern gegenüber in einer brttd«
liehen Genossenschaft, Gilde, große Gilde (summum, majus ccz
vivium, major gylda*) vereinigt waren. Diese ttihlte sich -
die eigentliche Bürgerschaft und stellte darum den Einritt c3
Maigrafen zum Besten der Stadt und, was nahezu dann zus
menfiel, ihrer eigenen Corporation alljährlich dar.^ Von jcn-
1) Cf. Licbreclit in Pfeiffers Germania XVI, 227.
2) Wilda a.a.O. IX 170.
3) Cf. Wilda a. a. 0. 77 ff.
Der Maigraf. 379
m Ulbeluulnten EntstehungBorte aus (Lübeck V) hat sich die Sitte
dffi MaigrafeDiestes sodann in der dort angenommenen Fonn und
iwar als Uebung der ersten Gilde mit unwesentlichen Modifica-
tknen zu andern niederdeutschen Städten fortgepflanzt, in denen
bereits ähnliche Gilden bestanden, oder neue gestiftet wurden.
Vont^ch seheint es der hanseatische Großhändler gewesen zu
sein, dorch den der Brauch bis in die deutschen Kolonien an
der baltischen Sttd- und Ostkttste und nach Skandinavien ver-
Ineitet ist Ein schlagendes Beispiel des Hergangs liesitzen wir
ao dem Maigrafenfest der o. S. 371 erwähnten Papageien- oder
IVohnleichnamsgilde zu Aalborg. Dieselbe ist 1441 als gemein-
sames Conyivium deutscher und dänischer Kaufleute mit Zulas-
sung der hohen Geistlichkeit und adeliger Herren , aber mit Aus-*
adduft der Handwerker gegründet worden.^ Die Kanutsgilden
la Malmö und Lund sind echt dänische Schöpfungen,' sie haben
ihren Maigrafen unzweifelhaft von den hanseatischen Factoreien
in ihrer nächsten Nähe überkommen. Die St. Georgsbrttderschaft
in Danzig und ihr Gildehaus, der Artushof führen zwar, wie
Th. Hirsch nachgewiesen hat,^ gleich allen gleichnamigen Insti-
tuten in PreuBen auf englische Anregung in saec. XIV. zurück,
aber doch nur die dem Vorbilde der Artusromane entlehnte Form
einer ihrer jährlichen rittermäßigen Vergnügungen und den Namen,
▼ielleicht auch die Gestalt der gebauten, nun zugleich als Gilde-
Btube gebrauchten Halle; die sonstige Einrichtung der Korporation
entsprach durchaus den längst in den deutsehen Städten bestehen-
den Ssphutz- und Kaufmanugilden, von denen mithin auch das
Maigrafenfest mit herübergenommen ist. Aehnlich wird es sich
in Biga, Reval und Stralsund ^ verhalten liaben. Da das Vogel-
sehiefien in den meisten Fällen mit dem Maigrafenausritt verbun-
den war, scheint dasselbe zu dem ursprünglichen Bestände die-
ses städtischen Festes gehört zu haben. Die Bedeutung dessel-
ben können wir jedoch erst an einer späteren Stelle unserer
Untersuchungen klar legen. Rätselhaft ist im Brauche von Wismar
1) WUda a. a. 0. 284 ff.
2) Wilda a. a. 0. 1^2. 100 — 101.
3) In dem vortrefflichen Aufsatze über den Ursprung der Preuß. Artus-
^ofe. Fo«, Zeitschr. f. PreuH. acschichte und Landeskunde I, 1864. S. 23.
i) Doch Tgl. Hirsch a. a. 0. 8. 31. Anm. 25.
380 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsd&monen :
der wolgeschmUckte Knabe, welcher von zwei Bttrgermeisterdie-
nem geltihrt dem Maigraien voranreitet Er erinnert an die bei-
den mit Goldketten und Geschmeiden behangenen Knaben im
Walperzuge zu Erfurt, 80>vie vielleicht an den Hchildjungen , der
in Greifs walde dem Bürgermeister den Kranz vorauftrug. Hatte
auch dieser Knabe symbolische Bedeutung? Personifizierte er
etwa in Gestalt eines Kindes die Anfange der Vegetation , den
ersten Frühling (wir werden später die mythische Gestalt eine»
Vegetationskindes des breiteren kennen lernen) während 'der
Maigraf den vorangeschrittenen Lenz, den Sommeranfang mit
seiner WachstumBfÜlle darstellte? Doch warum findet sich dann
anderswo beim Maigrafenfest keine Spur von jenem Knaben
mehr vor? Man müßte annehmen, daß ursprünglich auch der
städtische Maigrafcnbrauch noch voller und reichhaltiger war,
als er uns später geschildert wird. So würde es sich erklären,
daß dänische Landgemeinden , nachdem sie von den Städtern den
Maigrafen entlehnten, diesem noch ganz so wie der Baier nnd
Schwabe den Maibaum vorauftrugen , während dieser Zug in den
Festberichten aus den deutschen Städten selbst nicht mehr erwähnt
wird, weil sie als Bauern die ursprüngliche Form des überkom-
menen Brauches conservativcr bewahrten, als jede dem l)eweg-
teren Flusse politischen Lebens ausgesetzte Bürgergemeindc.
Oder wäre der dänische einheimische Maibrauch dem süddeut-
schen Pfingstritt so wunderbar ähnlich gewesen und hätte hier
nur eine Entlehnung des fremden Namens Maigrefve von den
Städten her stattgeiiniden? Wir wagen darüber noch nicht zu
entscheiden, denn für die letzte Ansicht spricht die eigentüm-
liche nirgend in den niederdeutschen Städten nachweisbare Sitte,
welche mit dem Maigrefveritt der dänischen Bauern verbunden war,
daß zugleich die Mädchen den Sommer ins Dorf liefen (lob Som-
mer i Bye) mit grünen und weißen Kleidcni angetan und Kränze
um Ko])f und Schultern. An dem Orte, wo das Gelage statt-
linden sollte, versammelten sie sich; dann gingen sie aufs Feld
hinaus und der Schaffer probierte an jeder einen gewissen Kranz.
Traf er endlieh eine, der er paßte, so war diese Maiinde.
Mit ihr liefen sie ins Dorf und zu den einzelnen Häusern. Vor
den Höfen, wo man sie empfangen wollte, war eine bekränzte
Stange aufgerichtet. Oder der Maigrefve warf, wenn sie vom
Zuge heimkamen, einen Kranz über dasjenige Mädchen, das er
Der Maigrraf. 381
' zur Maiin de erwählen wollte. Jetzt l)egann ein Wechselgesang
der Borsehe nnd Jungfrauen , in denen die AuRrufe wiederkeh-
ren: Mue J ere velkomne! Mai ihr seid willkommen! und: Glsede
jer Gud saa den soede sommer! Letze euch Gott auch so
den sfiften Sommer. Vielleicht sind beide Mriglichkeiten in einer
(bitten zu vereinigen, wonach ein nationaldänischer Maibrauch
bestand y der nicht allein im Namen, sondern auch im Ritus
dorch die damals noch vollständigere Maigrafenceremonie der
Stidte einige Abänderung eriuhr. 3. Ursprünglich war der Brauch
«och in den Städten noch durchsichtig und sinnvoll, man ahnte
«eise Bedeutung, hatte eine Erinnerung daran, daß er eine heil-
kräitige Wirkung fUr die Gemeinde haben solle. Die ganze
dmos entspringende Herzlichkeit lebte noch spät in dem länd-
Hdien Maigrafenbrauch in Dänemark fort und sprach sich in den
dibei gesungenen Liedern aus; ebenso in Reval in der offiziellen
Teilnahme des Maigrafen an der gottesdienstlichen Feier des
Frohnleichnamstages. Es war darum eine hohe Ehre, Maigraf
n sdn nnd der Patrizier, dem sie zu Teil wurde, setzte seinen
Stolz darin y diese Rolle würdig ja glanzvoll zu repräsentieren.
Mit der Zeit aber entschwand das GetUhl für die eigentliche
Bedentung des Aufzugs, derselbe wurde zu einer bloßen schwel-
gerischen Lustbarkeit; Luxusgesetze suchten den Aufwand bei
den Mahlzeiten und den Pomp der Kleider zu beschränken, den
nur die Reichsten und Voniehmsten auf sich nehmen konnten;
man ließ der Kosten wegen zwischen den einzelnen Begehungen
des Festes oft mehrere Jahre ausfallen, bis endlich das Mai-
SnfeDamt, nachdem es lange Zeit eine gern Ubemonunene Leitur-
gie gewesen war, vollends zu einer Last wurde. Schon 1474
entfloh in Stralsund der Kosten wegen der Junker Krassow, der
in den Mai reiten sollte, nach Rostock und der Rat mußte ihm
hei Strafe gebieten , sieb einzustellen. Um inzwischen der unver-
sÄndlich gewordenen Feier einen ostensiblen Zweck zu geben,
^rde im 16. Jahrhundert, der Ausritt der voniehmsten Bürger
in Harnisch und blanker Wehre als gute Gelegenheit benutzt,
^ Musterung über den Zustand der Waffen der nach Befehl
des Rates dem Zuge sich anschließenden Bürgerschaft anzustel-
'cn. So in Danzig 1515, wie 1564 in Stralsund. In letzterem
Orte wird als Gnnid, warum man das Maireiten iu voller Rüstung
^»cderinn anrichtete, angegeben, daß das Jahr zuvor 1563 als
382 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsdämoncii:
Herzog Erich von Braunschweig durch Pommern zog, die Bür- ■
gerschaft aufgehoten sei, um zu sehen, was an Rttstangen nnd
Wehren in der Stadt sei; sie sei aber nicht, wie es gewttnschet,
gertistet gewesen, etzliche haben ihre Harnische damals, welche
viel Jahre unter den Betten gelegen, aufgesucht Endlich ging
das Maigrafenfest ganz ein, oder wurde mit Abschaffung des
Ausrittes zu einem bloBen Schmause der ratsherrlichen Familien
(Greifswald 1560) oder endlich zu einem Feste* der Schuljugend
(in Pasewalk schon vor 1563). In Westfalen, Holstein u. b. w.
ist außerdem mehrfach der Name des städtischen Maigrafen auf
ländliche Maifeste übertragen, welche nur in weiterer Verwandt-
schaft mit diesem Brauche stehen.
§ 10. Pflngst-Wettlauf und -Wettrltt. Nicht außer Acht
lassen dürfen wir noch einen Zug, einen Wettlauf zu Fuß oder
einen Wettritt, der den Frtihlingsgebräuchen und zwar vorzogs-
weise den auf Pfingsten geübten wesentlich zu sein scheint Der
Wettlauf findet in der Mark und Provinz Sachsen zumeist in den
Pfingsttagen auf der zu Ostern oder längsten abgesteckten Pfingst-
weide nach einem Maienbusche statt Zu Groß-Wiebelitz bei
Salzwedel wird der im Wcttlaufe nach dem im Felde aufgesteck-
ten Busche siegende Junge König und erhält einen Blumen-
kranz um den Hals (wie der Maigraf) und einen Maien-
busch in die Hand, mit dem er nachher beim Umzüge den
Tau wegfegt, daher ist er DauschUiper zubenannt Der Letzte
heißt Pfingstkäm (wie in andern Orten der in Laub gehüllte
Pfingstltimrael o. S. 321) und muß das mit Blumen geschmückte
Rick tragen, an das Speck und Würste gehängt werden.^ Auch
in manchen üörfem südlich von Lehnin findet zu Pfingsten ein
Wettlauf nach einem im Felde eingegrabenen Maibuseh statt,
während in andeni Döriem der mit Geschenken behangene Mai-
baum erklettert wird.^ Zu Brunau" in der Altmark heißt der
Pfingstwettlauf auf der Pfingstweide das Molitzlaufen. Der Letzte
wird nämlich Molitz genannt, nmß sich ein Strohband ums Kniee
binden und hinken, weil er sich angeblich ins Knie gehauen
habe.^ Hiemit stimmt der Brauch im Kalbeschen Werder ttberein,
1) Kulm. Norda. Sag. 3R(), 57.
2) Kuhn. Nordd. Sag. 387. Hl
:i) Kuhn a a. O. :i80. t}{\.
Pfingst-Wettlauf und -Wettritt a83
WO Behon am Charfreitag oder ersten Ostertag die Juugen den
Wettiaof nach einer anf einem Uttgel in der Nähe der so eben
abgesteckten Pfingstweide aufgepflanzten^ mit Knochen behänge-
Ben, mit einem Pferdeschädel gekrönten Tanne anstellen. Hier
wird der Sieger ebenfalls König , der Letzte stellt sich, als sei
ihm em Bein gebrochen, und heißt der lahme Zimmermann.^ In
Halberstadt läuft am dritten Pfingsttag die männliche Jugend auf
dem Anger nm die Wette nach einem mit seidenen Tüchern
gescbmflckten Maibaum, darauf die weibliche nach einem Mai-
bueh, neben^ dem ein Lamm steht. Der letzte Bursche i>ekommt
den Namen Lambom oder Lämbo, das letzte Mädchen erhält
einenKIotz (vgl. o. S. 173 fif. 237) und heißt Klotz-Marine. Beide
aammt dem Klotz werden schließlich auf eine Tragbahre gesetzt
and miter Spott und Gelächter zur Stadt gebracht^ Der Wett-
lauf geht häufig in einen Wettritt über, oder beide Formen
encheinen neben einander. So wurde zu Bissingen in Schwaben
auf dem sogenannten oberen Kennwasen bis Anfang dieses Jahr-
handerts jährlich am Pfingstmontag ein Wettrennen, Wettlauf
gehalten»' In Stapel (Altmark) fand zu Pfingsten zuerst ein
Wetdanf zn Fuß statt, der Sieger wurde König, der Letzte
trog die Teerlappen zum Schmieren der Peitschen. Dann folgte
ein Wettrennen zu Pferde , wobei der Läuferkonig den Ehren-
platz als Erster in der lieihe inue hatte. ^ Eine Uebergangsform
ist das Karrenrennen i>ei Wangen im AUgäu , wo die Bursche ihre
(veliebten zu Pfingsten im Wettlauf auf Karren nach einem mit
Bändern, Nastttehern und andern PreisstUcken behangenen Mai-
baume schieben.^
Das Wettrennen tritt viel häufiger auf, es verhält sich zum
Wettläuf wie die berittene Einholung des Pfingstl zu der zu Fuße
geschehenen. Zu Wallenhausen in Schwaben hat man ehedem
am Pfingstmontag das DornbUschele ausgeritten. Drei Buben
ritten nach einem Ziel. Die ersten J^ciden erhielten Preise, dem
Dritten aber wurde ein Dornbüschelc auf den Rücken
1) Kuhn, mark. Sag. 324.
'^) Kühn , Nordd. Sag. 380 , i)^.
3)mrliiiger II, U]i),\iA.
4) Kuhn , Nordd. Sag. 371) , 55
•'')Z8. f. I). Myth. 1,443, 4.
3^ Kapitel IV. Baumgoister als Vegetationsdämonen :
gebunden^ cf. o. S. 351. In Westfalen wurde die von den Pfei
dejungen zu Ostern ausgesteckte Pfingstweide am ersten Pfings'
tage genieinsehaftlich eingeweilit, indem alle Jungen Nachl
12 Uhr zu Pferde saßen und dorthin ritten. Wer zuerst
wurde DäwestrUeh (Taustrauch) genannt, oben auf einer ^m
Berge auf einen Strauch gesetzt und unter allgemeine ^^ae^
Freudengcsehrei bis unten ins Tal durch den Tau gezoge^^aen*
Alle seine Pferde erhielten Kränze von Maien. Wer znlet9*.^EjBbll
ankam, hieß Pßngstnwcke und seine Pferde bekamen Kränze v^^zjm-m
Blumen,* Wie hier in der Ausschmückung des zuerst und dE^ de
zuletzt Angekommenen ein Unterschied gemacht wird, so i
einigen Gegenden in der Nähe von Salzwedel, wo der Sie^^^aeg«
im Wettrennen auf dem Pfingstheij mit Maien, rotem Fed»JE>^e
busch und h(")lzemem Säbel geschmückt und mit drei Vorreit^ii^^ jtei
zum Einritt in das Dorf beehrt, sein Pferd durch einen Dr^-^ZDri
splant'^ von Maibusch mit Knittergold auf dem Ko|y <~Dpi
ausgezeichnet wird; während man den Letzten „smuk mäF^^S^^^
d. h. in Blumen hüllt und daher den schmucken Jungen neK-^Esenon
Im Hause des Schmucken wird getanzt. Vergleiche auch m^^^-^Q^
daß in anderen Dörl'em der Altmark der Junge, dessen PÄ ^%nl
Pfingsten zuerst zur Weide kommt zum Tausrhleppery der znM^ /^^
hinaust reibende zum bunten Junffni eniannt wird. I-ietzt^dz:^;^^
wird von Kopi' I)i8 Füßen mit Feldblumen behangen und Mit=;(W
im Dorfe von Hof zu Hof geführt.* Bis tief nach Sachsen und
1) Panzer 1I,200,;U5.
2) Kuhn, Wcstf. Sa«j:. 104,401.
3) Dieser Droisplant kelirt auch noch in den niärkiRchcn Dorfermi am
Bcnzendorf wieder. Wenn die Ilo.£,'^enblnnie, Mohn nnd Riido in Uifite
stehen, wird ein Pferd mit buntbebändert4.*n Kränzen ^eschmfickt. auf n^inem
Kopf eiv mit (hn schönsten Blumen reichumwwndener dreiapalti^fer *St^*ck
augebracht. Kin mit Blumenguirlandeu behangener Pfordejunge, auf ^c\\\
Kopf eine aus Jlinsen (jejlochtene Mütze (s. o. S. 321) reitet auf dioftem K<>^»
von der Ptinjj^stweidc ins Dorf ein und dreimal um die Kirche, darf xi-^^*^
dabei nicht lachen, obwol man alles mögliche vornimmt, um ihn da^vi 2U
verleiten. Kuhn. mark. ^ag. 327. Er stellt den (diesmal ohne Gefolge) ••"*""
reitenden Vegetationsgeist dar. (leister lachen nicM. (S. W. Müller 1*^^^
ders. Sag. S. :iSO. Mannhardt, (ierm. Mythenf. 8.308.309.314). Der i>^"*''"
splaut \n\\[\ wol auf U<0)erli<'ferung beruhen, da auch der Krntemai in Fr»- **^'"
reich mehrfach die Gestalt eines in drei Aeste gespalt(Mien Zweiges anni"^ " '
S. 0. S. 201.
4) Kuhn. Mark. Sag. S. 317.
Pflügst- WettUmf und -Wettritt. 386
lifliii^n hinein ttbt man den Wettritt Ein Beispiel gewähre
iäidorf bei Schafttädt, wo man eine Tanne oder Birke aus
iB Walde holt und im Dorfe als Maibanm aufpflanzt, sodann
Felde einen Maienbusch aufsteckt und nach diesem reitet,
f Sieger wird als Maikönig ins Dort* zurttckgeflihrt. ' In der
omark ist das Ziel des Wettrennens zuweilen kein Maibusch,
dem ein in gewisser Entfernung aufgestellter Stuhl; wer die-
saerst erreicht und sich auf ihn setzt, wird in Laub ein-
kleidet als König ins Dort* gebracht* Zu Weißingen in
iwaben halten sieben Bauerbursche Pfingstmontag ein Wett-
iien zu Pferde. Der Erste am Ziel erholt einen reich mit
ndern geeierten Baum, den die Mädchen schmücken, der
site ein Schwert, der Dritte emen Geldbeutel, der Vierte einen
rkorb, der Fünfte einen Schmalzhafen, der Sechste ist der
iBBervogel.^ Aehnlich in Dinkclscherben Kr. Schwaben,
der Erste als Preis ein Sacktuch u. s. w. erhält, der Letzte
Wasservogel in Laub eingebunden und ins Wasser
werfen wird.^ In einzelnen schwäbischen Gegenden findet
' Wettritt nach dem mit Bändern gezierten Maien schon am
tennontag statt ^ Bei deun alle drei Jahre begangenen langst-
; zn Wurmlingen wird zuerst dem in Eichenzweige gekleideten
ngstl der Kopf abgehauen, darauf der etwa 10 Fuß hohe mit
Qten Nastflchem und seidenen Bändern geschmückte Maie, den
1 dahin der Maienflihrer trug, drei bis vier Büchsenschüsse
m Sammelplatze dicht an der Straße nur leicht in die Erde
Bteckt Dann stellen sich alle Pfingstreiter in eine Linie und
^n auf das Commando „ Marsch !'' in gestrecktem Galopp davon,
er den Maien zuerst erreicht und aus dem Boden hebt, hat
Q sammt seinem Schmucke gewonnen.^ In Semic, Kr. Pilsen
Böhmen dagegen ist die etwas ältere Form des Brauches
:halten, wonach der in Baumrinde, Baumzweige, Blumen und
arrenkraut gehüllte Pfingstkönig nach geschehenem Umritt und
t^haltenem Gericht unter dem Maibaum von den in zwei Reiben
1) Kühn , Mark. Sag. S. 325.
2) Kuhn, Westföl. Sag. 164, 4G0.
3) Panzer 11,87, 132.
4) Panzer a. a. 0. 87, 131.
^ E. Meier, Schwab. Sag. 31M, tJt).
6) Meier a. a. 0. 41«, 101 . Vgl. o. S. 341) - r)0.
Mtnnhardt. 25
386 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetatioiiad&moneii:
anfgestellten berittenen Burschen in Carriere verfolgt wird. Glelingl
seine Einholung nicht, so bleibt er noch ein Jahr König , ein-
geholt wird er geköpft.^ Diese Sitte aus obigem Znsammen
hange herauszulösen und als proleptische Darstellung einer Ver
folgung des im Herbste wieder entfliehenden flir den Winte
sterbenden Vegetationsdämons zu erklären, könnten die o. S. 360 fl
beigebrachten Erwägungen anraten, zu dem die Analogie de
nachstehenden Silvesterabendbrauchs in Mank (Niederöstreidij
Da wird der Tölpelhafteste aus dem Hausgesinde als Silvester-
könig mit einem ätrohkranze gekrönt und ihm ein Strohbflscbel
in die Hand gegeben. Die übrigen jagefrh ihn dann mit einer
aus Stroh geflochtenen Peitsche durch Tür und Tor, Er maß so
lange vor der Tür stehen, bis sich die jüngste Dirne seiner
annimmt und ihn hereinführt. Diese Dirne ist nun das Haupt
des Gesindes iür das kommende Jahr und den ganzen Abend
werden ihr Glückwünsche dargebracht. (Vemaleken, Mythen und
Bräuche S. 291, 14.) Hier scheint die Hinausjagung des Sil-
vesterkönigs doch die winterliche Entfernung des sommeiüdieii
Vegetationsdämons zu bedeuten, bis er zur Vermählung mit dem
jüngsten Mädchen (der Lenzbraut, s. unten Cap. V) wiederkehrt
Die Ceremonie des Hinauspeitschens selbst mag jedoch äUtereo
und anderen Ursprung und Sinn haben , beziehungsweise mit dei
Lebensrute zusammenhangen (s. o. S. 365 ff.). An eine noch frühere
Stelle d. h. ganz in den Anfang des Pfingstspiels verweist des
Wettritt die Sitte zu Fulgenstadt (in Würtemberg). Hier werden
nämlich, ähnlich wie in Weißingen o. S. 385, durch denselben
schon 8 Tage vorher die Rollen ausgelost, welche die einzelnen
Buben bei dem feierlichen Einritt des in frisches Laub gehüllten
Hatzelers (o. S. 350) zu spielen haben.* Auf Gülzow und andern
Rittergütern in Lauenburg wird um Pfingsten herum alljährlicli
ein Knechtereiten veransttiltet. Die Reiter sind mit Sträußen , die
Pferde mit Bändern geschmückt. Der Sieger heißt König und
erhält eine fingierte Braut (cf. unten Cap. V) als Königin an seine
Seite. ^ In Chätillon (Dep. de deux Sevres)^ begegnet um
1) Reinsberg-Düringsfeld, böhmischer Festkalender S. 2G4. 255.
2) Birlinger II. 136, 150.
3) Jahrbücher für liandesknndo von Schleswig - Holstein. Lauenborg-
Kiel 18G1. S." 181 , 92.
4) De Nore, Continnes, mythes et traditions p. 145.
.Pfingstwettritt, das Kranzstechen , BuschBtechen. 387
8. w. 0. der Mairitt gleichfalls. Am letzten Sonnabend im
April findet ein Hanmieltanz mit der zuletzt yerheirateten Ehe-
frUy am Sonntage ein Wett reiten mit dem zuletzt verheirateten
Hieiiuum, am 30. April endlieh die Aufrichtung des Maibau-
Mes statt.
§11. Pflngstwettrltt, das Kranzsteehen , Buschstechen.
Der mit Bändern und Tüchern geschmttckte Maibaum, welcher
w vielfach das Ziel des Wettritts ausmacht, ist im l^')hmerwalde
n einer Fahne geworden, an deren Stange die Preise itlr die
Seger (Westenzeug, Halstuch, HosentrUger) hangen.^ Zu Blumen-
bg^ bei Vierraden bildet ein Senimelweck auf eine Stange
ge$tedä das Mal beun Kantenreiten am ersten l^ngsttag.^ Noch
»derswo ^ z. B. Schiettau bei Halle , Edersleben bei Sangerhau-
len steckt statt dessen ein Hut auf der Spitze der Stange.^
Mehrfach yer^tt den Baum ein Kranz auf der Siattge.^ So im
Hin. Aus den Dörfern, wo noch das Pfingstreiten herrscht,
kommen die „Pfingstknechte^^ auf die benachbarten Dörfer und
Sttdtehen, um Gaben einzusammeln. Dann folgt zu Hause auf
dem Dorfanger das Reiten selber. Die Pferde haben Quasten
(Imnte Bänder) an Köpfen und Schwänzen , die Knechte an
Mlben und Schultern. Dem l^erde, welches das Mal zuerst
erreicht, wird der daselbst aufgehängte Kranz um den
1) S. die lebendige und ausführliche Beschreibung dieses Pßngstrcnncns
WJ. Rank, Aus dem Böhmerwaldo, Lpzg. 1813, S. 81 — «G.
2) Kuhn, Nordd. Sag. aSl, GG.
3) Kuhn a.a. 0. 381,61.
4) Vgl. Im Saterlande bestand der zu Pfingsten aufgerichtete Maibauni,
^ König und Königin dreimal umtanzten , aus einer hohen Stange , an der
<to dne grüne Birke befestigt war, unter dieser hing an einer Querstange
M doem Arm ein Kranz, au dem andern ein hölzerner Schinken.
Stnclterjan, Abergl. u. Sag. a. Oldenburg, II, 52,311). Zu Elgersburg bei
Dnienau besteht die am ersten Pfiugsttage feierlich eingeholte und umtanzte
Tanne aus einem hohen abgeschälten Baume, dem man nur unter der
Spitze einen kleinen Nadelbusch stehen läßt; darunter aber
Gefestigt man einen großen Blumenkranz. Kuhn, Mark. Sag. 325.
Genau so mit nur einem großen Kranze unter dem Wipfel ist der franzö-
sische Maibaum in den Marietteschen Bildern (Hone, every Daybook 11, 21)7)
gestellt, englische Maypolos bestehen zuweilen einzig ans einer Stange,
^ der mehrere Kränze hangen. (S. Beschreibung und Abbildung bei Herne
*'*-0. 11,288). Den deutschen Maibäumen fehlen Kränze als Teile ihrer
AusÄcbmuckung fast niemals. Vgl. o. S. 17G-177.
25*
388 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsdamonen :
Hals gehängt. (Lassfelde. Wülferstadt bei Gr. Oschereleben.*)
In der Nähe von Salzwedel, Perleberg, Havelberg findet ein
zweimaliges Wettrennen zu Pferde nach dem an der Stange auf-
gehängten und reich bebänderten Kranze statt Wer beidemale
den Kranz herunterreißt wird als König begrüßt und gekrönt;
er erhält als Preis ein von den Mägden gekauftes Tuch. Jubelnd
wird er ins Dort* zurückgeiührt und hier wird geschmaust und
getanzt.- Im Wendlande zwischen Salzwedel und Gartow wird
um Johannis nach dem Kranze geritten; der beim dritten Wett-
reiten Siegende wird König, der nächste nach ihm sein Bedien-
ter, der dritte heißt der Pracher.^ In Wunderthausen in West-
falen wird dreimal gerannt, und das Tuch ist gleich am Kranate,
wie sonst am Maibaum befestigt.* Diese Sitte geht wiederum in
die neue Form über, im Reiten den Kranz lierabzustechen und
so die Königswürde zu verdienen.^ Beim Kranzstechen am Nach-
mittage des ersten Pfingsttages muß der Sieger mit allen Mäd-
chen, die zu dem als Preis ausgesetzten seidenen Tuche etwas
gegeben haben, tanzen; am zweiten Pfingsttag zieht man dann
umher und sammelt Gaben ein.^ Aus dem Kranzstechen aber
erwuchs in Schleswig- Holstein das Kingreiten, welches in Hol-
stein zu Pfingsten, in Nordschleswig zur Fastenzeit derart geübt
wird, daß die auf blumengeschmtickten Pferden selbst bekränzt
Reitenden nach einem Ringe stechen, der von einem zwischen
zwei Piählen ausgespannten Seile herabhängt. Der Sieger wird
König und wählt sich seine Königin. Umzug und Gabensamm-
lung im Dorf, Tanz und Gelage beschließen das Fest' Wie
hier der Ring, ist sonst mehrfach der den Maibäum vertretende
Kranz aufgehängt. So spannt man zu Vechta auf Pfingsten an
vielen Stellen durch die ganze Stadt Kränze über die Straße;
in der Mitte des Kranzes hängt eine bebänderte Blumenkrone
1) J. Pröhle iu Zs. f. d. Myth. I, 80, 3. Pröhle, HarzLiMor S. 66.
2) Kuhn , Mark. Sag. S. 325.
3) Kuhn, Nordd. Sag. 390,81. Pracher = Bettler.
4) Kuhn , Westfäl. Sag. IT , 166 , 464.
5) Hasum bei Osnabrück. Kuhn, Nordd. Sag. 400,117. Seeburg bei
Göttingen. Kuhn, Westfäl. Sag. 1(;3, 458.
6) Kulm a.a.O. 163, 459.
7) S. H. Handelmann , Volks - und Kinderspiele der Horzogtünic«
Schleswig- Holstein -Lauenbnrg. Kiel 1862, S. 2— 4.
Wettaustrieb der Weidetiere 389
ODter der getanzt wird.^ Dem Herabstechen des Kranzes geht
in Mederbaiem als offenbar gleich bedeutend noch eine andere
Fonn des Brauches, das Boschenstechen oder der Was-
servogel zur Seite. Zu Baumgarten umreiten am Pfingst-
montage Mittags 12 Uhr mehrere Reiter unter Anführung
des Patrimonialgerichtsdieners die eine Hälfte des Bezir-
keSy im nächsten Jahr die andere Hälfte. (Diese Tei-
long geschah wegen der zu großen Ausdehnung des Bezirks.)
Während des Umritts befestigen die Schloßkttfner auf
einer Säule ein Faß, das ganz mit Reifen belegt ist,
nnd auf die Säule, einen Fichtenbusch, an welchem
Gewinnste z. B. Halstücher, Spielzeug i\ir Kinder u. dgl. ange-
biogt smd. Bei der Rückkehr hat jeder Reiter eine Stange mit
einem schneidenden Eisen und sucht damit, in schnellem Trabe
Torttberjagend, zuvor einen Reifen vom Faß, dann „den Boschen''
aboiBtechen. Derjenige, bei welchem der „Boschen^^ fäilt^
eihUt die Gewinnste.' Zu Baumbach war die 6 Fuß hohe eichene
Siole in den Boden gepflanzt und blieb immer stehen. Oben
in der Säule steckte in einem Loche da« Stämmchen eines Fich-
teDboschens, um das Oberende der Säule war ein kleines hölzer-
nes Faß mit hölzernen Reifen herumgelegt und mit Steinen aus-
gefüllt Bei klingendem Spiel und zahlreicher Versanmilung
SQehten die Bursche Pflngstmontag im schnellen Laufe der Pferde
die Reifen des Fasses zu durchstoßen , so daß die Steine herab-
fieIeD, dann den Fiehtenbosch herabzustechen, der au der Spitze
des Reiterznges dreimal um den Schloßhof geflihrt wurde. ^
, § 12. Wettaastrieb der Weidetiere. An Stelle des Wett-
litts tritt mehrfach eine andere Form der Wette dort, wo am
Hngsttage das Vieh zum erstenmal im Jahr auf die Brachweidc
getrieben wird. Die Bauenuägde oder Bauerbursche beeilen sich
wetteifernd nämlich ihre Kühe (Schafe, Gänse) so früh als mög-
lich auf die Weide oder dem Hirten zuzutreiben. Niemand will
fer Letzte sein. Wenn dann Abends die Tiere heimkehren , so
Wndet der Hirt dem zuerst ausgetriebenen einen Kranz oder
^h um den Hals oder an den Sehweif und giebt ihm einen
1) Strackerjan , Sag. u. Abergl. a. Oldcnb. U, 48,318. Cf. Kuhn,
Kordi Sag. 391 , 82.
2) Panzer 1,237,202.
3) Panzer H , 82, 125. Vgl. o. S. 3U6.
390 Kapitel IV. Baumgeister alä YegetatiousdämoiieD:
bezüglichen Namen. Vielfach heißt die erstausgetriebenc
Kuh Dauföjvr oder Dauschlöpper und erhält einen MaibnBch,
die „Dausleipe," an den Schwanz, während die zu letzt
ausgetriebene Kuh, die bunte Kuh genannt, einen Kranz
an den Hörnern trägt, oder mit Tamhenrcisem aUerJiand Grün
wid Feldblumen aufgeputzt tmrd. 7aVl Sprakenhahl bei Wittingen
im Hannoverschen heißt dagegen die letzte Kuh Dauschlöpper
und die erste Pingstkärel; ebenso erhielt in Havelberg die letzte
Kuh die Dausleipe, die erste eine Blumenkrone. In Westfalen
wird die zuletzt auf dem Plan erscheinende Kuh Pingstkan, der
letzte Ochse, wenns ein solcher ist, Pingstoss genannt und unter
großem Jubel mit Blumen und Laub geschmückt (gekrönet);
daher heißt es von einem geschmacklos mit Blumen in den
Haaren geschmückten Mädchen „se is gekrönet as en pingstosse'^
und von überladenem Putz überhaupt sagt man: Geputzt wie ein
Pfingstochse. In den Wendendörfem bei Salzwedel (namentlich
Seeben) wird auf die bunte, d. h. die zuletzt ausgetriebene Kuh
eine reich mit Feldblumen geschmückte menschengestaltige Puppe
aus Tannenzweigen, IIcu und Stroh in aufrecht sitzender Stel-
lung gebunden. Das Tier wird so lange im Dorfe von Hans zu
Haus getrieben, bis die Puppe herabfallt, oder in Stücke geht*
Die Dausleipe erläutert ein czechischer Brauch. Die Czeehen
nämlich schmücken eine von ihren Kühen mit griinen Zweigen,
bedecken sie mit einer reinen Decke und fähren sie so auft
Feld an einen Kreuzweg. Dort nehmen sie nach Gebet die Decke
ab, fangen darin den Tau des Wiesengrases und der Getreide-
saaten auf imd legen die Decke wiederum auf die Kuh, die nui^
zu Hause geflihrt und der Decke abermals entkleidet wird. Man
hängt die letztere an einem Türpfosten auf, giebt ihr die Gestalt
eines Kuheuters mit 4 Zitzen und windet sodann den Tau in
ein Gefäß aus. Von dem auf diese Weise erlangten Tau mischen
sie Einiges in das Getränk der Kühe, wodurch diese gesund
und milchreich werden sollen; mit einem andern Teile waschen
sich die Mädchen, um gesund und schön zu bleiben.^ In West-
falen hieß aber, wie wir sahen (o. S. 384) der zuletzt ankom-
1) Kuhn, Nordd. Sag. S. B88, 72. Kuhn, Mark. Sag. 315 ff. Kuhn,
Westfäl. Sag. löi), U\). 161 , 451 — 52.
2) Afanasicflf 11, 4if2.
Wettlanf and Wettritt, Erl&uterungen. 391
Hmide PferdejoDge zuweilen lyingstmockey Peugestmocke (Pfingst-
kih; mocke»Kuh| die BriÜlerin, vgl. mugire); im Bttden des
Bothaargebirges die zuletzt austreibende Magd Pfingstmucker.^
Aieh das zuerst auf der Weide eintreffende Pferd bekommt die
Dansleipe^ das letzte wird in Grün gelitUlt und das bunte
Pferd genannt (Mark Br.)' Anderswo in Westfalen schilt
man den beim Austreiben des Viehs zuletzt Kommenden (Bur-
fleiwn oder Magd), oder das zuletzt zum Melken auf die Weide
kommende Mädchen Fuchs, Pingstfoss. Man singt wol:
PinkestfosB, du Sulenkopp,
staiflt um Diegen 6aer op,
waerst en bietkcn acr upstän,
waersto keinen pinkstfoss warn.
and hat die Redensart y,he lachet as'n Pingstfoss,'^ „he Ificrt
ag'n Pingstfoss/'^ In Silberg a. d. Verse hieß der zuerst aus-
treibende Biiie Nachtrawe y der Zweite Datiefislkpery u. s. w., der
Letzte Pinkestfass, Der Pinkestfoss wurde , iccnn nian ihn erm-
sden konnte, in einen Teidi gesteckte Im Oldenburgischen heißt
fingsifosSy wer am Pfingstmorgen der Letzte im Bette ist.^ Zu
Theden a. d. Lenne wird derjenige, welcher Pfingsten seine
Kflhe zuletzt austreibt Pßngsthammel gescholten.^ Zu Mcrgers-
kcim in Schwaben wirft der Hirt der zuletzt ausgetriebenen Kuh
dnen bereit gehaltenen Kranz aus Feldblumen über den Ilals
und nennt sie Waidhammel. Ebenso geschieht es beim Austrei-
ben der Gänse. Die letzte Gans heißt der Pßngstlümmcl und
^t einen Feldblumenkranz um den Hals.^
§13. Wettlauf uiid Wettritt, Erläuterungen. Sobald
wir ins Auge fassen , daß in einigen dieser Ueberlieferungen die
richtige Beihenfolge der Begehungen verschoben sein muß, fällt
^ nicht schwer , ihren Sinn und die ihnen zukommende Stellung
ün Ganzen der Maitags- (Pfingst-) gebrauche warzunehmen.
1) Kahn, Westfäl. Sag. U, Üb , 461. 163, 457.
2) Kuhn , Mark. Sag. 316.
3) Kuhn, Westfäl. Sagen U, 160, 449. 161, 153. 162, 454. v. d. Ha-
gena Germania IX, 289.
4) Kuhn a.a.O. 162, 455.
5) StrackcTJan, Ahergl. u. Sagen a. Oldenburg 11,47,316.
6) Kuhn, Westf. Sag. II. 163, 457.
<) Panzer ü, 181,303.
392 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetatioiiadftmoiieii:
Denn augenscheinlich sind Wettritt und Wettlanl' Unr durch grSic
ren oder geringeren Aufwand unterschiedene Formen derselbe
Geremonie; diese selbst aber stimmt zusammen sowol mit dei
Zuge, daß zu Ostern der Langschläfer mit grünen Katen an
dem Bette getrieben , als daß anderswo der zuletzt ans dem Bett
Aufgestandene zur Mngsterblume , zum Pfingstltünmel, PfingBi
und zu anderen Darstellern des Vegetationsdämons verwand
werden. Vgl. o. S. 257 ff. 319 ff. 351. 353. Wir suchten scha
früher darin eine Verbildlichung des jüngsten, zuletzt erwachte
Pflanzengeistes im Frühling. Der Wettlauf nun scheint den wetl
eifernden Einzug der Pflanzengenien in Wald und Feld nachzii
bilden und es ist davon vielleicht ihre feierliche Einholung in
Dorf, rcsp. die Stadt durch die Menschen als zweiter Act de
Dramas zu trennen. Weil die Personen dieses Wettlaufe Pflai
zengeister darstellen, ist ihr Ziel der Maibusch oder Maibann
er ist per Synekdochen der Vertreter der Baumwelt, in welch
die vom Winterschlaf erwachenden Vegetationsgenien jetzt wiedc
ihren Einzug halten. Die ideelle Identität der Wettläufer (Wet
reiter) und der Gewächse ist nicht minder dadurch ansgedrflck
daß der zuerst Ankommende auf einen Strauch gesetzt und dure
den Tau gesogen, oder daß dem zuletzt Angelangten ein Base
des Dornstrauchs auf den Rücken gebunden wird; daß der Sü
ger oder der Letzte die Würde des Maikönigs, Pfingstittmmel
davonträgt und in grünes Laub gehüllt oder am Halse mit einei
Blumenkranze geschmückt daherprangt. Der Ritt nach dem au
gesteckten Hiäe (cf. R. A. 148 ff.) oder aufgestellten Königsskü
(R. A. 1«7. 242. 253) bedeuten auch nur die rechtliche Besit
nähme des Maikönigtums. Erstes Geschäft eines Königs war e
sein Land zu umreiten, oder durch das Land zu reiten, sich de
Untertanen zu zeigen und ihnen Recht und Frieden zu bestätige]
(R. A. 237 — 38.) Vgl. J. Grimm, Grenzaltertümer 132 (kl. Seh
11, 61): „Ein solcher Bcgang konnte gefordert werden, wenn ei
Grundstück aus einer in die andere Hand übertragen wurde; d<
Neuerwerbende ergriff eben dadurch leiblichen Besitz, da£ i
sich zu dem Grund und Boden hinbegab, auf einem dreibeinige
JStuhl in der Mitte desselben niederließ, dann aber anch all
Enden und Wenden in Augenschein nahm. So hatte selbst d«
neue König heim Antritt der Herrschaft sein Reich nach bestunn
ten Wegen zu durchziehen und von allen Marken feierliche
WettUiif und Wettritt, Erlänterangen. 898
Beriti za nehmen/' Dem entsprechend ist anch im Pfingstspiel
vq)rttiiglich der Wettritt nach Hut oder Stuhl dem feierlichen
Einritt in das Dorf oder um die Grenzen seiner Gremarkung vor-
«ugq;angen. Wenn zn- Blomenhagen eine auf die Statige
gespiette Semmd das Mal des Wettritts ist^ so will man andeu-
ten, daB die Kornernte das Ziel der Bewegung der Vegetation
sei Vgl. den Brodmann am Emtemai in La Palisse, (o. S. 205.
S13) das Brody über welches der erste Pflug ins Land geht
(o. S. 158) oder welches in die letzte Garbe eingebunden wird
(o. S. 158) , den vom grünen Georg aufs Feld getragenen Kuchen
0. S. 317, das in England am Dreikönigsabend dem Ochsen auf
die Homer gespießte Gebäck, s. unten Cap. VI, § 10 und den
Knehenritt zu Sindolfingen. ^ Bestätigt wird unsere Ansicht auch
durch den Umstand, daß der erste und letzte Ankömmling im
Wettritt durch grünen Maibusch und bunte Blumen unterschieden
werden. Denn offenbar stellt ersterer das frühere Stadium des
EigrIlnenSi letzterer die spätere Periode der bunten BlUteniHlle
in der Natur dar. An dem Maibaum, wenn er unterhalb der
Krone mit einem Blumenkranze geschmückt wird, sind beide
Momente, so scheint es, in eins gezogen und zugleich zur Dar-
BteUung gebracht Wo dagegen beim Wettlauf oder Wettritt die
Rollen derartig verteilt werden , daß der Erste den Maibaum (oder
abgekürzt auch nur einzelne der ehedem daran gehängten Preise)
«mpftugt, der Letzte (als Wasservogel u. s. w.) in Laub gehüllt
wird, erscheint keine Unterscheidung zwischen zu verschiedener
ij Berittene Burschen, Musik an der Spitze, fährten jährlich am
Pfingstdienstag (früher Pfingstmontag) 4 große bunt bebänderte Kuchen,
vdehe gewisse Mühlen zu liefern verpflichtet waren , auf Stangen durch den
M; rie umzogen dreimal den großen Klosterbrunnen und endigten mit
Gutmahl und Tanz auf dem Rathause. Meier, 421, 105. In Bußland ver-
^^ sich der Hausherr zu Weihnachten hinter einem Kuchen und erwartet,
WCDD er nicht gesehen wird, ein fruchtbares Jahr. AfanasiefF, Poet. Natur-
>B8ch. d. Russ. 111,745. Das ist noch ganz das Orakel, welches nach Saxo
OD 12. Jahrh. der Priester des Swantowit auf Arkona übte: „Placenta quo-
qne malso confecta rotundae formae , granditatis vero tantae , ut pacne homi-
^ Btftturam aequaret , sacrificio admovebatur. Quam sacerdos sibi ac populo
Bediam interponens, an a Rugianis cerneretur, porcontari solebat. Quibus
iUum a se videri respondentibus, ne post annuni ab hisdem cerni posset
<)ptabat. Quo precationis modo non snum aut fatum, sed futura messis
in^fflenta aptabat. Saxo gram. III , 404. Klotz.
394 Kapitel IV. Bauiiigeister als Vegetaiioasd&inoDeii:
Jahreszeit auftretenden Vegetationsgeistem gemacht , sondern ein
und derselbe Begriff auf doppelte Weise durch Baum and Mensch
dargestellt. Das Wettrennen nimmt mehrfach den Anschein einer
Verfolgung des Plingstkönigs u. s. w. an.
Der mit Gefolge einziehende Maikönig ist meistens beritten
und mit kriegerischem Schmucke angetan gedacht Er wird bei
dem Wettritt nach den Insignien seiner Würde oder seines Wesens
(dem Maibusch, Boschen, Kranz) diese mit dem Speer berührt
und so die Erreichung des Zieles bezeichnet haben. Das kann
bei Verdunkelung des ursprünglichen Sinnes leicht zum Wurfe
mit dem Speere nach Baum^ Kranz, King u. s. w. geworden sein.
Diese Bemerkung läßt mich ein bereits älteres 2^ugniß ftir unsere
Sitte in einer Nachricht in der saec. IX. geschriebenen , wie man
annimmt auf älteren der 'Hauptsache nach glaubwürdigen Quellen
beruhenden Vita St. Barbati erkennen. Zur Zeit König Grimoalds
(662 — 671) predigte in Benevent der Priester Barbatus gegen
die Ueberreste des Heidentums in der Sitte der Langobarden.
U. a. verehrten sie einen Baum, der nicht weit von den Mauern
von Benevent stand, als heilig; sie hingen ein Fell daran aui^
ritten alle isusammen um die Wette y so daß die Pferde von den
Sporen bluteten, hinweg, warfen mitten im Laufe mit den Spee-
ren rückwärts nach dem Fell und erhielten dann jeder ein^
Teil davon zum Verzehren. Dieser Ort hieß noch im 9. Jahr-
hunderi Votum. ^ Auf das am Baume hängende Fell, welches
hier das Ziel des Wettritts bildete, wirft ein litauischer Brauch
Licht, den Wilhelm Martini, Pfarrer zu Werden im Amte Memel j
um 1 645 in dem Dörfchen Matertiick a. d. Szuhze beobachtete. -
Daselbst war zm Anfang des Einsäens der Wmtersaaten von denMi
Bauern eine Ziege geschlachtet, das Fleisch mit vielen aber — -
gläubischen Cercmonicn und begleitendem Trinkgelage verzehrt^-^i^
das Fell aber auf einer sehr hohen Stunge aufgerichtet, in deK<
Nähe einer alten Eiclie und eines 5 Schritt davon liegendenc^
großen Steines. Dort blieb das Fell bis zur Ernte ; sodann wurd»^
über demselben ein großer Busch von allerlei Getreide und Krau^^
angebracht und das DoH' strömte zusammen. Ein alter ManiLJc:
faßte eine Schale (Kaußel) mit Bier und dankte Gott, daß
ihnen Essen, Trinken, Nahrung und Aufenthalt gegeben, wora
1) Ö. O. Abel, Paulus Diakonus. Berlin 184*J. 8.248.
WettUnf und Wettritt, firlänterongen. 3d5
di8 junge Volk um die Stange nnd Eiche tanzte. Sobald der
Beigen geendigt, betete der alte Mann wieder , trank das Bier
IUI und rtthrte die Stange an. Alle spramjen herzu, hoben die
Skmge aus und jeder griff' nach detn Busdie. Von dem Kraut
ood den Aehren auf der Spits^ der Stange erhielt jeder durch
den Alten ein spärliches Teil, das Fell der IjCtztere ftir seine
Mfibe. Eän mehrtägiges Trinkgelage folgte.^ Diese mit Kraut
und (frischen) Aehren geschmückte Stange entspricht dem Emte-
mai, ihre Aushebung dem Ausheben dessell>en durch die Weiber
(o. 8. 196). Später zu veröffentlichende Untersuchungen werden
durch unabweisliehe Analogien unzweifelhaft erweisen, daß das
M der Aussaat am Baume aufgehängte Fell ebenso wie jene im
Kilbisehen Werder zu Ostern mit Knochen und Pterdeschädel
gesehmttekte Tanne (o. S. 383) eine Verbildlichung des therioinor-
^kck gedockten Vegetationsdämotis sein sollen, der aus den
Resten, den abgehauenen Gliedern seines bei der letzten Ernte
getOdteten Vorgängers im Acker zu neuem Leben aufersteht
Stellte aber das in Litauen von der Aussaat bis zur Ernte am
Bume hangende Tierfell den tiergestaltigen Wachstumsgeist dar,
80 kann das auch bei jenem langobardischen Brauche der Fall
gewesen sein und auf diese Weise stellt sich die von Barbatus
beobachtete Sitte nicht nur als äuBeriich ähnlich, sondern auch
^ innerlich im wesentlichen gleichbedeutend zu unsenn Kranz-
weiten.
Erst die Betrachtung der in den Emtegebräuchen hervortre-
•^en Komdämonen wird dem Leser die tiergestaltigen Vege-
^onsgenien in ihrer Art und Weise völlig klar machen. Wir
'Gössen jedoch schon hier darauf hinweisen , wie die Namen und
^*6«talten der Pingstmocke (Pfingstkuh) oder bunten Kuh,* des
punten Pferdes, des Pfingsthammels und Pfingstfuchscs schon hier
^^Ji Bereiche der Frühlingsgebräuche den Glauben an solche in
^er Pflanzenwelt waltende Tierdämonen zu bezeugen scheinen,
^e statt der menschlich gedachten Vegetationsgeister noch hie
1) S. Math. Prätorius, Deliciae Pnissicae oder Preuß. Schaubühne, Buch
IV, §12. Vgl. einstweilen Piersons Ausgabe der Deliciae Fr., Berlin 1871.
>i. 23-24.
2) Merkwürdig ist die in Pomnierellen gebräuchliche Redensart: uWeiß
^^ii und die bunte Kuh,'* um etwas völlig RätseUiaftes zu bezeichnen.
396 Kapitel IV. Baumgeister als VegetatioiiBdimoiieii:
and da im Volksgebraach hervortreten und von denen dann 1
menschliche Personen bald Tiere als Bepräsentanten gelten.
fehlt durchaus nicht an Spuren., welche den FrUhlingseinsng
ser Dämonen auch in sonstigen Sitten aufweisen. Dazu rec
ich den Umzug d6s Pip-oss zu Ostern in Oldenburg, die ]
Zessionen der Metzger mit dem geschmückten Fastnachtsod
(boeuf gras, boeuf violet) u. s. w., das Auftreten des Sei
mels (chevalet, hobbyhorse) zu Fastnacht und Maitag , wie
Ernte; den angeblichen Umzug des Fuchses beim Osterfe
das Umtragen eines Fuchses im Frühling u. s. w. Hiei
auch gehört jeuer Lauf nach dem Lanmi oder Hammel
die Hammeltänze in verschiedener Form sowie manches and
Wir werden diese Sitten bei der allgemeinen sowie bei
speziellen Erörterung der th<^iomorphischen Eomdämonen
besprechen.
§ 14. Wettlauf nach der letzten «Garbe. Eine Schwic
keit in Betreff meiner Deutung sehe ich in dem Umstände
erheben , daß auch bei der Ernte ein Wettlauf nach der leti
Garbe angestellt wurde, die als der Sitz des Getreidedän
galt. Um Chambery heißt sie la gerbe du jeune boent* and
Schnitter laufen danach um die Wette. In Pommern wird
der Alte genannt und erhält die Gestalt eines Mannes. In e
gewissen Gegend dieser Provinz stellen die Mädchen i
dem Alten einen Wettlauf an; die Siegerin wird die erste 1
zerin am Abend des Erntefestes.^ Zu Ober-Grauschwit^, Ai
hauptmannsch. Grinmia (Kgr. Sachsen) findet am allgemei
Erntefest ein Wettlauf nach einem mit Tüchern behangenen
kenbusch statt. Zu Besdau bei Luckau stellen am Ernte
Knechte und Mägde einen. Wettlauf nach dem zu dieser F
gebackenen großen Stollen an (vgl. o. S. 393).* Zu Bergkirc
bei Minden hält man zur Ernte das Kranzstechen oder Kr
reiten (o. S. 387).^ Wenn der Wettlauf nach dem Maibusch
Frühlingseinzug der Vegetationsgeister in die Pflanze darst
was soll dann der Wcttlauf nach der letzten Garbe im Herh
Man sollte docli erwarten, daß jetzt der Abzug, der Davon
1) Kuhn , Mark. Sag. 342.
2) Kuhn , Nordd. Sag. 399 , WJ.
3) Kuhn a. a. 0. 400, 117.
EBchproxession , Flnrnroritt. 397
derWachstomsdämonen verBinnbildlicht werden müßte? Da al>er
die letzte Oarbe dag Ziel bildet , war unsere Deutung des Früh-
fiogswettrenneiis anrichtig ? Oder unterliegt dem Herbstrennen
eine tob diesem verschiedene Bedeutung? etwa der Wettlanf
von Menschen am das entweichende Getreidewesen zu fassen, zu
htfehen und für den Winter bei sich zu bergen ? Oder sind die
Heibetrennen nach bloßer Analogie zu den Frühlingswettritten
eoMmden and geformt? Oder endlich war der Wettlauf zur
ktiten Garbe vielleicht ursprünglich eine rohe Darstellung des
Entf^chens des in der letzten Garbe verborgenen Dämons und
aeines Grefolges; sodann übergegangen in die Auffassung als ein
Wettlaaf von Menschen, um den fliehenden Genius zu halten;
eodlich mehrfUllig gemodelt und nngeformt nach Analogie des
lebendiger aasgebildeten Frühlingslaufes? Es will mich die letz-
tere Erklärang die wahrscheinlichste bedünken.
§ 15. Eschprozesslon , Flurumritt. Wie die Sache sich
Uteh verhalte, wir haben noch schließlich als einen mit dem
Wettlauf oder Wettritt zusammenhangenden aber davon deutlich
lEterschiedenen Umgang oder Umritt, den Umzug um die Gren-
len des Saatfeldes resp. der Gemarkung zu betrachten. Wir
sahen, daß in Niederbaiem am Pfingstmontage die Grenze des
Gerichtsbezirkes umritten, sodann der Busch (Boscheu) im Wett-
ritt gestochen wurde (o. S. 389). Vermutlich war einstmals die
Ordnung der Ceremonie umgekehrt; man ritt um die Wette und
unritt nun erst mit dem Busch die Gemarkung.^ Für sich allein
tritt die Sitte solches Grenzbeganges oder Grenzumrittes zu
Ostem, Himmelfahrt, Pfingsten, Maitag in verschiedenen Gegen-
den hervor. Im Erzherzogt. Oestreich reiten die Söhne und
Knechte des Hauses Ostern vor Sonnenaufgang im schnellsten
Unfe^m die Felder; oft fanden sich 30-40 Bursche ein, und
wo drei Pfarren zusammengränzten , ließ man die Pferde die
jiinge Saat abgrasen. Es schützte sie gegen den Kost. Im Inn-
vierter ritten schon in der Nacht vorher 12 Bursche aus Raab
der Bauernschaft nach Maria Bründl. Hier ließen sie ihre
1) Man vgl. nur , daß in Baiem die von den Knaben bei den Prozes-
s^onen getragenen Palnistangen, lange Tannenstangen mit kleinen Fähn-
•^iien in die Getreidefelder, in Franken sogar von den Evangelischen die
^irkenzweige der Frobnleichnanisprozession in die Flacbsäcker gesteckt
»werden. Bavaria III , 342.
Kapitel IV. Banmgeister als Vegetationsdäinondn :
llienlo znr Kirche hineinsehen , trabten um die Kornfelder her
«nd stHinnn heim.^ Im Wagstädter Bezirk (Oestr. Schlesit
winl in den einzelnen Höfen das schönste Handpferd (das Pfe
ik^ nrhts eingespamit war), am Osteriage mit Bändern u
JCniMi^^H geschmückt. Nach dem Naehmittagsgottesdienst verl
mMi die Bursche auf ihren geschmückten Pferden das Dorf n
itMt4)in an der Grenze so lange hin, bis sie zu dem 6eh(]
oines Bauers vom benachbarten Dorfe kommen. Dort läHt m
Hie ein und sie reiten dreimal im Hofe herum unter dem Absiiif
heiliger Lieder, die gewöhnlich mit dem klösterlichen Alleli
lieschlossen werden. Der Hansvater bewirtet sie mit einem :
sehen Trunk Bieres oder Weines.* In Thüringen ist es noch
verschiedenen Orten um Eisenach Sitte, daß die Bauern and 11
Knechte in der Osternacht die Pferde ins Wasser reiten u
dann in ein Saatfeld , damit dieselben etwas von der jungen Si
fressen. Um Marksuhl reitet man die Pferde ebenfalls ins Ost«
wasser und dann in die grüne Saat, damit dieselbe b(
ser gedeihe.* In Keichenbach zogen ehedem „Saatreiter** \
Ostermorgen mit Gesang und Musik um die Felder der Sta
jetzt giebt es nur „Saatgänger," welche das feierliche „Fi
dich, Maria Himmelskönigin" in aller. Frühe anstimmen.^
den böhmischen Dörfern an der sächsischen Grenze versamm«
sich, sobald mit Sonnenaufgang die Glocken zu läuten anfange
die „Usterrciter" (Osterreiter) auf dem Anger vor der Kirc
und ziehen, voran ein Fahnenträger unter Glockengeläut, i
Osterlied singend, dreimal um die Kirche, sodann von Haus
Haus vor jedem singend und in einer Büchse Gaben Itlr i
Kirche sammelnd.^ In den katholischen Gemeinden Schwabe
fand ehedem am Himmelfahrtstage die Eschprosesmon , der i&«
gang (v. esch goth. atisks)oderF/wr^aw// zur Segnung der Saatfeld
statt. Ehedem umzog man die gesammle Gemarkung ; jetzt gc
man mitten hindurch, so daß man alle Grenzen übersehen kai
1) Baumgarten, das Jahr und seine Tage, S. 22.
2) Peter, Yolkstüml. a. Oestr. Schlesien II, S. 285.
3) At Witzschel, Sitten u. Gebräuche a. d. Umgegend von Kisena*
S. 13, 51.
4) Heinsberg -Oüringsfeld, Böhm. Festkalender. S. 140.
5) Ebd. S. 139.
Eschprozession, Flarninritt. d9d
Ad 4 SteÜen wird halt gemacht, ein Stück aus den Evangelien
gdesen, der Wettersegen gesprochen und ein Craciiix amher-
{jetngen. Außerdem wurde an diesem Tage das ganze Haus,
Nenichen und Tiere, geweiht und mit heiligem Wasser hesprefigt.^
Von der Benedictinerabtei Weingarten bei Altdorf ans wird am
Hnnmelfahrtstage der berühmte ßlutritt gehalten, bei welchem
io feierlicher Prozession der eingefaßte Tropfen vom heiligen Blut
Ckrmti vom weißgekleideten und auf einem Schimmel sitzenden
Cartos durch die Felder getragen und das Koni gesegnet wird,
damit kein Wetter ihm schade. Seit alter Zeit geht der Zug
durch die Scheuer eines Bauers bei Weingarten. Die meisten
Teünehmer sind zu Pferde mit Fahnen, Musik u. s. w.; auch den
Pferden bringt der Umzug Gedeihen.^ Eine der großartigsten
Prozessionen dieser Art geht alljährlich auf Himmelfahrt vom
Choriiernistift Beromünster im Kanton Luzem schon um f&nf Uhr
BCHgens ans, nachdem an 5 Altären der Stiftskirche Messe gele-
aen ist Dreißig Dragonern und Trompetern folgt der Stifts-
weibel im Scharlächmantel, der sein Boß mitbedeckt, an einem
Fahnenstabe den h. Michael tragend, von allen Unterbeamten
des Stiftes zu Pferde begleitet; dann Fahnenträger, Kreuzträger,
Latementräger; nach ihnen die Chorherm und Kapläne mit bren-
aeoden Wachskerzen, der Abt mit der Monstranz, alle beritten,
ndetzt Ratsglieder, Beamte und Bürger und Bauern des Orts
dkI der Umgegend; dem Keiterzuge strömt die noch größere
^aar der übrigen Wallfahrer zu Fuß nach. Im Jahre 1797
ketrug die Zahl der Reiter 200, die der Fußgänger 4000; im
J«hrc 1815 stieg die Zahl der ersteren auf 302, die der letz-
teren ani' 8460. Die Prozession durchzieht das ganze dem Mün-
^r gehörige Gebiet in einem siebenstUndigen Marsche zum
Schutze gegen Viehseuchen, Mißwachs und Verhagelung
der Felder. Am Hofe Hasenhausen ist der Bauer verpflichtet^
dem Aht^i eifien schänen Blumenkranjs zu überreiclu^n. Dieser
windet ihn um die Monstranz. Im Hofe Maihausen überreicht
der Hofbauer jedem Reiter eine Aukenschnitte (Butterbrod). Die-
ser stößt sie dem Brauche gemäß seinem Rosse ins Maul. Unter-
Ueße der Bauer diese Bewirtung, so würde sein Vieh sterben.
1) Meier S. 4(K) , ^^.
'£) Meier S. *6W , 84.
400 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsdämoneii:
sein Getreide verhageln. Auf zweien findet Feldpredigt statt. ^
Im DUrkheimer Landgericht in Schwaben ist das ,,Oescht-reiden^
(s. 0. S. 398) am Pfingstmontag gebräuchlich, auf welchen Tag
auch sonst meistenteils der Eschgang verlegt wurde. Der Pfieur-
rer zu Pferd mit der Krenzpartikel und hinter ihm alle jungen
Leute gleichfalls zu Roß umreiten die ganze Dorfflur , begleitet
von zahlreichen Fußgängern. An den 4 Ecken wird das Evan-
gelium gelesen und das Wetter gesegnet.^ Zu KOtzting im Baier-
walde nimmt der Pfingstritt die folgende Gestalt an; am Pfingst-
montage fllhren berittene Männer und Bursche unter Anftthnuig
des Geistlichen mit dem Allerheiligsten eine Wallfahrt nach dem
im Walde gelegenen Kirchlein St. Nikolaus in Stembtthl aus.
Unterwegs empfängt auf einer freien Wiese ein tugendreicher
Kötztinger Bürgerssohn aus der Hand des Geistlichen ein aus
Mieder, rotem Band und SUberdraM geflochtenes Kränzchen um
den Unken Ärm.^ In östr. Schlesien reiten am Pfingsmontage
der Dorfrichter und andere aus der Gemeinde auf schönen Pfer-
den ins Feld und umreiten langsam und mit Andacht ihre Aecker,
singen und beten. Sie hoffen dadurch Gottes Segen für ihre
jungen Sauten zu erflehen und Wetterschaden abzuhalten. Wer
das schönste Pferd bei dieser Feierlichkeit hat, wird als König
anerkannt. Nachmittags läßt der König ein schwarzes Schaf*:
braten , von dem jeder andere morgens vor Sonnenau%ang einen -m
Knochen in seine Saaten steckt.*' Schon vor 300 Jahren wurde^^
in Franken der Pfingstritt in ganz ähnlicher Weise gettbt.^
S. Sebast. Franck, Weltbuch 1534 f. CXXXI. „Auff dift fesÄ^-i
(Ostern) kompt die creütz woch, da gehet die gantz statt mxfM
dem creütz wallen auß der statt, ettwan in ein dorff zu eynenM3
heyligen, das er das treyd wöll bewaren vnd wolfeyle zeit vmF^
got erwerben. Das geschieht drei tag an eynander, da isse^^
man eyer vnd was man guts hat im grtlnen graß auff denr^
kirchoff vnd ermeyen sich die leüt wol. — (fronlichnamst
Auff diß fest (Pfingsten) kompt vusers herrn fronlichnamstag,
1) Rochholz, Natunnythen , S. 17— 2().
2) Panzer II, 90, 137.
3) Das Königreich Baiern in seinen Schönheiten III, 7. Schöppn«
Sagenbuch der Bair. Lande I, 91 N. 91.
4) Vcnialeken, Mythen :30G, 28.
liegt num ilaa Sacrament mit einer pfaffen procession, vnder
m&ok köstlichen verdeckten hynimel, den vier mit kemtzen
geziert tragent, in einer monstantzen heramb. — An diesem tag
folgt man auch an vil orten vmb den fluor, dz ist, vmb das
kon mit vil kertzen sbmgen, der Pfaflf reyt auch mit, tmgt
TDflern hergott leiphaiftig am hals in einem scckel, an l)estimpten
orten sitzt er ab , singt ein Evangelium über das kom , vnd singt
deren vier an vier orten , biß er vmb den fluor reyt. Die jnnck-
frtwen gehn schön geschumckt in einer Procession auch mit,
nngen vnd lassen jnen wol sein, vnd geschieht vil hoffart, mut-
will vnd bttberey von rennen, schwetzen, singen, sehen vnd
gesehen wollen sein.'' Im 15. Jahrhundert hielten die wendischen
Bewohner auf der Gabelhaide a. d. Sude in Mecklenburg noch
alljährlich im Sommer, im Mai einen festlichen Umzug um ihre
Sattfelder; vorauf der Spielmann, der eine mit Hundsfcll bezo-
geoe Pauke ftthrte, gleich hinter ihm der Vortänzer, dann alle
übrigen. Sie liefen und tanzten mit lautem Gesänge an
den Hafen hin und her und meinten dadurch die grti-
nende Saat vor Schaden durch Regen und Gewitter zu
schützen.^ Ein günstiges Geschick hat uns ein älteres ZeugniB
aoa jener Zeit bewahrt, als die deutsche Kirche begann, den
aus dem Heidentum ttbrig gebliebenen Flurbegang sich selbst
^zueignen und ttir ihre Zwecke umzuformen. Es ist dies eine
<iiii 940 erlassene Verordnung der Aebtissin Marcsuith im Kloster
^hildesche t>ei Bielefeld, durch welche, unzweifelhaft nach dem
^oigange anderer Kirchen, die vermutlich in der nämlichen
"Jahreszeit geübte profane Sitte fortan in eine geistliche Begehung
Verändert wurde: Statuimus, ut annuatim secuuda feria pente-
<^ostes patronum ecclesiae in parochiis nostris longo am-
^itu circumferentes et domos vestros lustrautes et pro genti-
Udo atvUßarvali in lacrymis et varia devotione vos ipsos mac-
tetis et ad refectionem pauperum eleemosynam com p or-
te tis et in hac curti penioctaiites super reiiquias vigiliis et can-
tiboä solennisetis ; ut praedieto mane determiuatum a vobis an^-
\ntam pia lustratione eoniplentes ad monasterium cum houore
1) Nicolai Marescalci Chronicon I, 14. Nicolai Marescdlci annalcs 1, 1).
Vi*" Whlen Berichte desselben Vorfasscrs ergänzen sich. S. Gliesebrecht,
wendische GeHchichten, Berlin lö43, 1,83. cf. Kuhn, Mark. Sag. 335.
XannhardL 26
402 Kapitel IV. Baumg^igter als Ve^tationBd&monen:
debito reportetiB: Confido autem de patroni hujos misericord
quod sie ab eo gyrade terrae semina uberius praveniant et vari
aeris indetnentiae cessent.^
§ 16. Steflfansritt. Außer Ostern, Himmelfahrt und Pfii
stell f findet der Umritt noch zu andern Zeiten z. B. in der Wei
nachtszeit statt, die wir ja bereits als ideellen Anfang des Frl
lings, des neuen Jahres kennen. Im Erzherzogtum Oestrei
fand der „Pfarritt," d. h. das Umreiten der Ptarrmarkung v
Seiten der Bauern unter Anfuhrung eines Priesters, wobei nd
an den Feldkapellen Stationen machte, und oft mit Einrechna
mehrerer Raststunden zur Einnahme von Erfrischungen, den gf
zen Tag zubrachte, bis in die 2jeiteu der Kaiserin Maria Tl
resia alljährlich statt, im Traunyiertel bald nach Ostern i
Beginn des Frühjahrs ^ in und um Kremsmünster auf Pankrati
(12. Mai), jenseits der Traun am Stephanstage (26. December
Anderswo ist nun aber dieser Ausritt um die Gemarkung f
St. Stephan von der Kirche aufgegeben und daher yerblaBt
einer Begehung geworden, welche das Gedeihen der Roe
sichern soll. Zu Backnang in Schwaben reitet man am 26. I
cember die Pferde aus und zwar so schnell als möglich, um i
dadurch vor Hexen zu schützen,^ ebenso erhalten dann im Hohe
lohischen sämmtliche Knechte von ihren Herren Erlaubnis n
Ritt und ziehen truppweise in die benachbarten Ortschaften, y
wacker gezecht wird.* In mehreren schwedischen Provini
halten Gesellschaften von Bauerbnrschen am St Stephansta
einen Umritt von Dorf zu Dorf und Haus zu Haus, ein gew
ses Volkslied (Staffansvisa) singend, woher sie Steffansm
(Stephansleute) heißen. Zugleich erneut man an diesem Ta
die Streu der Pferde, giebt ihnen besseres Futter und rek
ihnen Tränke, die sie vor Unglück bewahren sollen. Die Kt
logische Sage hat sich dieses Brauches bemächtigt und dara
die Geschichte eines einheimischen Heiligen geformt, der v
Heiden auf der Grenze von Gestrikland und Helsingland
düsteren Walde erschlagen sein und in Norrala begraben sc
1) Vita Marcsvidis bei Eccard 1,437. Myth.^ 1202. cf. Pfannenschra
Das Weihwasser S. 113.
2) Baumgarten, d. Jahr u. s. Tage, S. 25.
3) Meier 4GG, 21G.
4) Birlinger II, 12,23.
Steffansritt. 40B
floU. Er war sein I^btage eiiv Stallknecht (»talledräng) der all-
moigenlich schon Yor Sonnenaufgang bei Stemenlicht seine 5 Rosse,
zwei rote, zwei weiße, einen Apfelschinmiel besorgte, Uoldzaum
umI Ooldsattel auflegte und zur Quelle ritt. Diese liegende
wird in der Staffansvisa mit dem wiederholten Refrain „holt dig
vil folau min'' erzählt; Varianten lassen St. Steffan um Sonnen-
ao^ang ausreiten und mit dem Lianfe der Sonne Schwedens ver-
lehiedene Provinzen durchmessen.^ In der Umgegend von Krempe
(Holstein) begeben sich die jungen Bursche in der Steffansnacht
Inofenweise in die Häuser der Hausleute, um deren Pferde zu
potien, dann besteigen sie dieselben, reiten auf der Haus-
flor umher, machen auch sonst so viel Lärm als möglich und
lassen sieh bewirten. Darum heißt dieser Tag auch der Peerd^-
dtffm.^ Im Dorie WallsbUU an der sogenannten friesischen
Lindstraße von Flensburg nach Leck und Tondem hielten die
Bauerbursche früh am Margen des Skffanstages ein Wettrennen
Tom Dorf bis zu einem kleinen, jetzt niedergerissenen Krug im
nördlichen Teile des Kirchspiels, wer zuerst ankam erhielt den
Qirennainen Steffen und wurde im Wirtshaus bewirtet. Im Dorfe
Viöl bei Bredstadt dagegen erhielt dasjenige Kind, welches am
i^6. Deceniber zuletzt aufstand, den Namen Steffen und mußte
zum Nachbarn auf einer Heugabel reiten, erhielt dort zwar
Uckerbissen, wurde dann aber mit den Worten zur TUr hinaus-
gejagt: fydu bist ein fuider Hund und sollst das ganze Jahr
der Faulste sein, du Langschläfer/'^ In andern deutschen
Gegenden heißt St. Steffanstag „der große Pferdetag;" man
bringt an ihm den Rossen geweihtes Futter, tummelt sie sodann
**** schnellsten Laufe auf den Feldern umher, bis sie über und
ttber schwitzen, dann reitet man zur Schmiede und läßt sie zur Ader,
<iamit sie das Jahr über gesund bleiben; das Hlnt aber bewahrt
man als bewährtes Heilmittel gegen verschiedene Krankheiten auf.*
1) Geijer och Afzelhis, Svenska folkvisor T. III. »Stockholm 1816,
p. 206 — 17. Finn. MagnusHcn, lex Mythol. 7H1. Cf. Lloyd, ^vcnska allmo-
gena plä^eder, öfvers. af Swederus. Stockholm 1871. S. KW ff.
2) Schütze, Schleswigholst. Idioticoii III, 20().
3) Daselbst. Slesvij^sko Provindsialeftcrrctninger IV, 3G8. cf. S. 44. Han-
Achnann, Weihnachten in Schloswigholstein. S. '1-1.
4) HaltanB- Scheffer, .lalirzoitbiich. Erlangen 17l»7. S. 1G4. Th. Nao-
«^«rgus, Kognum papistirmn (Hasileuo) 1558 p. 182. Wolf, Heitr. I. 23U, 85G.
l'Mtter 11,283, 32.
20*
/
404 Kapitel IV. Baunigeister als Vcgetationsdimoneh :
Ebenso in England^ und Estland.^ Die Finnen endlich werfe
am St Steffanstag eine Münze oder ein Geldstück in den -Trc
der Pferde, und St. Steffan wird von ihnen unter dem Name
Matka-Teppo (Keise - Steffan) als Gott des Weges (tie-jmnaL
und Beschützer der Reise angerufen.^ Cf. noch St Stephani
in der Zanbertbrmel tllr kranke llosse, Myth.^ 1184. So i
St Steffan zu einem Beschützer der Pferde geworden, nur de
halb, weil man auf den nach ihm benannten Kalendertag de
Ausritt der Pferde verlegte, von dem an einzelnen Orten (<
S. 403) eine entschiedene V.erwandtschaft mit dem Pfingstwet
ritt noch durchbricht.^ Trotzdem hier und in einigen zan&ch)
verwandten Begehungen der Umritt um das Saatfeld und di
Gemarkung nicht mehr oder nur selten und undeutlich erwthi
wird, meine ich diese Bräuche von den vorherstehenden niel
trennen und deshalb auch nicht mit Gassei ° auf die altehristücl]
Auffassung des Protomartyr Stephanus als „invictus signifer oo<
lestis militiae'^ und daher als berittener Held zurückftlhren i
sollen. Dagegen meine ich die Sitte, in der St Steffans- od(
Weihnachtsnacht den Hafer behufs einer gesegneten Hafereml
durch eine solenne Messe zu weihen,^ resp. einen Karren m
1) Brand, pop. antiqu. ed. Ellis I, 532. Hone, Every Daybook 18©
I, 822.
2) Böcler-Krcutzwald , Der Ehsten abergläubische Gebräuche S. 95.
3) Brand a. a. 0. Castren finnische Mythologie, übers, v. Schiefiu
S. 118. 328.
4) Im Eichsfelde werden am Sonntage nach einem Marienfeste, in d<
Oberpfalz an St. Sebastian (20. Jan.), in Baiern an Georgi (24. Apr.), a
St. Leonhardstage (G. Nov.) die Pferde vor dem Hochamte dreimal nm eii
Kirche geritten, damit sie gesund bleiben, und die Kranken genesen. D
Kirchen, um welche der Umritt gehalten wird, liegen zumeist außerhalb d«
Dorfes vereinzelt auf einer Wiese oder schließen durch eine Bingmaaer eiiu
grünen Rasenplatz ein. Auch am Tage der Kirchweih geschieht der Umri
(Wuttke* § 711. Bavaria I, 384. 1001). Am Tage des"b. Wendelin (20. Oct
dessen Schutz vornehmlich die Pferde geuieUen, treibt man an der Laute
ach das Vieh der ganzen Gemarkung auf einem Wiesenplane znsammeu m
läßt es vom Pfarrer aussegncn ; auch bleibt es diesen Tag vom Spanndiensl
befreit, wälirend im Kegenthaie dieser Tag durch einen Flurnnigang nntt
Anführung des Pfarrers und Umtragen des Kreuzes gefeiert wird. Bavi
ria 11,311.
5) P. Casscl , Weihnachten , S. 217.
G) Knauth, Hist. veter. Cell. P. VIll. p. 44G bei Haltans a. a. 0. 164
Steffansritt. 405
Hiekflel oder ein Gefäß mit Hafer oder Gerste ins Freie zu
sehen und den Tan der heiligen Nacht daraaf fallen zu lassen
difflit Pferde und Menschen gesund bleiben,^ nach Cassels Vor-
pDge fbr ehristliehen Ursprungs ansehen und ans der Yersiifn-
Mug des messianisch gedeuteten Spruches ,, Tauet ihr Himmel'^
Jesaia, 46, 4. ableiten zu mttssen.* Wie wir sehen, ist die Um-
waodliuig des älteren profanen Brauches nicht ttberall auf gleiche
Wene erfolgt , bald mehr, bald weniger in kirchlichem Sinne
gdoDgen, bald auf Ostern, bald auf Himmelfahrt, bald auf
Pliigsten, bald auf Weihnachten verlegt. Wie die heidnische
Pnnession gestaltet war, wird sich im einzelnen schwer aus-
Biehen lassen. Eceard und Grimm erinnern mit Recht an das
„amulacmm quod per campos portant,'' das die Synode zu Lesti-
BM im Jahre 743 zugleich mit den „simulacris de pannis factis'^
Teibot Man wird an eine aus Stroh oder Aehren gefertigte^
Tidleicht mit grtlnen Zweigen umhüllte Puppe denken müssen,
welche nm die Felder mitgeftlhrt wurde. Nach der Aebtissin
Xarksvid hat es den Anschein, als sei auch ein Tier mitgetUhrt
md nachher geschlachtet worden; auf diese Frage kommen wir
bei späterer Gelegenheit wieder zurück. Bei dem Umzüge wur-
dm, wie es scheint, in den Dörfern auch die einzelnen Häuser
berührt und bei ihnen Gaben eingesammelt, welche Marksvid
in Almosen fUr die Armen verwandelt haben wollte. Entweder
non verstand Marksvid diese Begehung der Häuser mit dem
Anidnick lastrare , oder sie wollte damit vorschreiben , wie Pfan-
nenschmid will, und der Brauch bei der schwäbischen Eschpro-
Zession als möglich erscheinen läßt, dieselben mit Weihwasser
ai besprengen. War das der Fall, so konnte solche Vorschrift
bestimmt sein , die Wasserbeschüttung (Kegenzauber) zu ersetzen,
welche in den einzelnen Häusern oder Höfen dem Pfingstl zu
td wurde. An den ehemaligen profanen Piingstritt erinnern
tnch sonst noch einzelne als Rudimente stehen gebliebene Züge.
Der Blumenkranz, welcher im Luzemischen dem Abte von
Beromttnster überreicht (o. S. 399), im Baierwalde dem tugend-
haftesten Jüngling um den Arm gehäugt wird (o. S. 400), ver-
1) Kuhn, Westfäl. Sa^. II, 101, 313. Nordd. Sag. 404, 131. Gerva-
8W8 V. Tilbnry ed. Liebrecht p. 2.
2) P. Cassel, Weihnachten, S. 247 — 50.
06 Kapitel IV. Haumgeister als Vegctationttdäiiiouen:
gleicht sich dem Kranze, den der Maigraf bei seinem Ein-
ritte trägt (o. 8. :i7G) und weicher sich zor vollen Lanbnin-
kleidang grade so vechält, wie jener Wettritt nach dem Kranze
zum Wettritte nach dem Maihaum (o. 8. 387). Andererseits ist
auch hier festzustellen, daß die Kirche vermutlich ' ihrerseits
bereits eine Fluq)rozcssiou dem dentschheidnischen Brauche ent-
gegenbrachte. Wenigstens iHßt sich bereits aus dem dritten Jahr-
hundert als eine altertümliche christliche 8itte in Mesopotamien
ein jährlicher Gang der Bevölkerung aufs Feld nachweisen, am
daselbst unter Fasten und Wachen von Gott reichlichen Segen
fllr die Feldfrttchto zu erbitten.^
Ueberschlage ich alle erläuterten Ucberlieferungen , so triU
mir das Bild eines vollständigen liraiiches vor das innere Auge,
von welchem die hls Jwute erhaltenen Sitten nur die eersjtrengttn
und isolierten IJeherreste sind. Die CertmMnie begann 1, mit
dem Wettlauf oder Wettstreit zum Maibusch, 2, sie setzte sieh
fort in dem feierlichen Einzug mit dem Maibusch (resp. Mai^ — .5
bäum) und Pfingstkönig in das Dorf, S, in dem Umzug von -mmi
Haus zu Hause, 4. und schloß mit der Prozession um die Gren — .^^
zen der AecJcer und der ganzen Gemarkung.
§ 17. Hinan stragung des Yegetatlonsgelstes. Stellteirr.
unsere früheren Untersuchungen uns die Einholung des Frühlings-
gcistes aus dem Walde in Gestalt des wilden Mannes, Pfingstif^^
Maigrafen u. s. w. vor Augen , so lehrt der nachstehende in Gabc#^
lingen (Schwaben) geübte Brauch , daß man den nämlichen Gedairr:«:
ken, die Erscheinung des Vegetationsdämons auch auf andenke
Weise, d. h. durch Hinein tragung einer Puppe in den WfAm^
ausgedrückt hat. Zur Fristen nämlich macht man euien Mac^or
aus Lum])en und trägt ihn ins Feld hinaus. Hierauf verbind
man einem Burschen die Augen, der nun auf den
losgeht, ihn erfaßt und in den Waid hineinträgt. Findet er
Puppe nicht, so wird auf diese ein Hund losgelassen, wovon
Hetzmann heißt. Der Hund bellt die Figur an und zeij
dem Burschen den rechten AVeg. Am anderen Tage wird
Hetzmann wieder aus dem AValde geholt.^ Das Verbinden
Augen drückt die Un^^ichtbarkcit des dargestellten Dämons
1) Pipt-T, Evang. Kai. IHf)!. S. «)2.
2) Panzer II, Sl , 123.
Hinaantragong des Yegotationsgeistes. 407
(et 0. S. 365) y von dem vorausgesetzt wird, daß der Uund ihn
waniimmt; denn Hunde gelten als geistersichtig.'
Diesem dentschen Brauche entspricht genau ein estnischer
TOD welchem der Chronist Thomas Hiärn (f 1500) die erste
Kimde giebt* Sie haben in Estland , sagt er, noch diesen al>er-
gltabischen (Gebrauch , daß sie alle neue Jahr einen Götzen van
Sirok in Gestalt eines Mannes machen, den sie 3Ietziko [Mets-ik
Waidmann von mets WaldJ nennen. Sie eignen ihifl die Kraft
n, daß er ihr Vieh vor den wilden Tieren bewahren und ihre
Grenze hüten solle. Diesen begleiten sie alle ans dem Dorf und
tttien ihn auf die Grenzen auf den nächsten Baum, Kreutzwald
Ittt auf dem Festlande diese Festlichkeit nur noch durch Hören-
sagen kennen gelernt. Sie fand indessen am Ende des vorigen
«Jahrhunderts noch häufig statt und hieß metsa oder metsika
pide (Wald- oder Waldmannfest). Am Mariäverkündigungstage
^rde eine große Strohpuppe angefertigt, welche bald nictsa isa
(Waldvater) y em andermal mctsa ema (Waldmutter) benannt
Qiid demgemäß männlich oder weiblich bekleidet wurde. Man
bewahrte sie auf dem Boden des Viehstalles auf bis zu dem
Tage der feierlichen Prozession in den Wald. Dann steckte man
^ie auf eine lafigc Stamje, trug sie erst im Dorfe herum und
brachte sie dann in den Wald, wo der Metsik (Mctsaisa, Met-
saema) auf einen Baum gesetzt wurde. Dann folgte ein Bae^ha-
xijd, bei welchem y wie es seheint, die skandalösesten und unzUch-
tigsten Gebräuche vorkamen, auf die kein Erzähler sich weiter
einlassen wollte. Im Fennerschen Walde wollte man noch vor
^vvenigen Jahren solche Puppen gefunden haben. ^ Auf der Insel
Oesel ist noch bis heute der Metsik und das im Frühjahr
gefeierte Metsikfest (Mctsiko piddo) wolbekanut, zumal in den
Dörfern des Kirchspiels Karmel. Der Metsik gilt (jetzt) tür
einen bösen Geist, der über die Herden und über das Gedeihen
cles Viehs sowie der Aecker zu gebieten hat. In jedem Früh-
1) Wuttke , D. Volksabergl. Aufl. L\ § 2G8. Myth.» Abergl. 1111. Myth.«
632. Eine fast wunderbare UeboreiDstinnnung ist es, daß dicFauui, welche
genau unsom Waldgeistem entsprechen, von dem Hunden gesehen werden,
'wShrend sie den Menschen un8ichtbar bleiben. Plin. bist. nat. VIII. 40, 62.
2) Monuin. Livon. antiqn. I, 30.
3) J. W. Böclor, der Khsten abergl. Gebräuche beleuchtet von Fr.
R. Kreutzwald, St. Petersburg lö51, S. 12. öl.
408 Kapitel IV. Bauiugeiäter als Vegetationsdämonen:
jähr bestimmt der Aelteste des Dorfes einen Tag, an welchem
sieh alle Einwohner desselben versammeln. Dann macht man
ein Bild des Metsik, indem man Kleider voll Stroh stopft; der
Aelteste hebt die Gestalt aaf und trägt sie in Begleitung der
ganzen Versammlung auf die Dorfweide, wo er sie auf einen
hohen Baum set-zi, der mm einige male lärmend umtangt wird.
In anderen Dörfern wird der Metsik aus Korngarben verfertigt
und an irgend einer abgelegenen Stelle, an einem Zannstecken,
am liebsten auf einem hohen Baum im Walde aufgestellt Man
macht vor ihm allerlei Faxen und Figuren (der Berichterstatter
versteht unter diesem Ausdruck unzttchtige und unanständige
Geberden und Bewegungen), damit er das Getreide, das
Vieh und alles andere beschützen solle. Fast an jedem
Tage des Jahres wird er durch Opfer gebeten, das Vieh doch
zu schützen. Da er die Gebete selbstverständlich nicht immer
erhört, gilt er Itir böse oder schlecht — und deshalb heiBt der
Zuruf: „Sinna Metsik! d. i. Du Metsik'' soviel als: Du Hallnnke!
Das Bild des Metsik ver))leibt das Jahr über am betreffenden Orte
und wird im nächsten Jahre erneut.^ Daß der Waldmann die
Tiere beschützt, kann ans zwei sehr verschiedenen Anlässen ent-
springen; entweder übt er diese Function, weil der Wald ur-
sprünglich die Weidestätte war (cf. den finnischen Tapio, Met-
sän ukko Waldgreis, seine Gemahlin Mielikki metsän emftntil
Waldeswirtin und ihr ganzes Gefolge o. S. 30 sowie die russi-
schen Ljeschie o. S. 141 und den Tierkerl o. S. 117), oder er
sorgt ttir das Gedeihen der Herde aus demselben Grunde, wie
ttir das Gedeihen des Getreides; als Vegetationsdämon über-
haupt und als solcher vergleicht er sich dann ziemlich genau den
deutschen Holzfräulein (o. S. 76). Daß er zugleich die Grenzen
schützt ist ein Anzeichen der Ausdehnung seiner Wirksamkeit
auf die Menschen und ihr Gemeinwesen. Die Puppe auf dem
Baume gleicht sieh der bekleideten Birke am Semikfeste (S. 157),
dem mit einer Puppe geschmückten Maibaum oder Sommer
(S. 156), dem am Ernteniai hangenden Brodkerl im La Palisse
(0. S. 210), der in der Fastenzeit auf dem Baume verbrannten
Figur. Jene Geberden und Bewegungen, deren Beschreibung
1) Verhandlungen der estnischen Gesellschaft zu Dorpat, Bd. VII, H. 2,
ö. 10—11.
HiBmwtragaiig des VegutatioiusgeiBteK. 409
da8 Scliamgefllhl der Beriehteretatter uns vorenthlilt, dienten
ugemcheinlich dazu, den Metsik als Diimon der vegetativen
wie tierischen Fruchtbarkeit zu kennzeichnen und sich seine
Segenswirkung zu sichern.
Mit dem estnischen Brauche stimmt ein französischer voll-
konmen flberein. In der Beance (Orl6annais) wird am 24. oder
25. April ein Strohmann gemacht, den bezeichnet man als den
RejrrSsentanten des ,, gravid mondanV* Man sagt , der alte Mon-
diid sei inzwischen verstorben, man müsse ihm eine Statue
NlieD. Nachdem sie ku diesem Behnfe die Strohpuppe verfer-
tigt haben, tragen sie sie in feierlicher Prozrssion im Dorfe um-
kr und setzen sie endlich auf den ältesten Apfelbaum. Da bleibt
ne Mg zur Apfelemtc. Jetzt holt man den Strohmann herunter,
Terbrennt ihn und streut die Asche ins Wasser, oder
wirft ihn selbst ins Wasser. Auf diejenige Person aber^
welche die erste Frucht vom Apfelbaum nimmt, geht
der Name le grand mondard über. Wir werden bei späterer
Gelegenheit an sehr zahlreichen Beispielen kennen lernen, wie
wf den Arbeiter, welcher \m der Ernte die letzten Halme eines
Ackers schneidet oder bindet, der Name des vermeintlich darin
weilenden Korndämons tibertragen wird. Analog muß „le
gnmd mondard'' auch den im Wüchse der Aepfcl waltenden,
resp. den aUgemein wirksamen Vegetationsgeist bezeichnen,
womit die Verhrennmuj oder Wassertauche der Puppe als Son-
nen- und Regenzauber fllr die njichstjährige Vegetation tlberein-
kommt Mondard scheint mit der Ableitungssylbe -ard (dem
deatBchen - hart) , welche an Apellativa und Verba gehängt wird, '
TOD monder , schälen , enthülsen , aushülsen gebildet. (Man sagt
fflonder f^x nettoyer de l'orge, des amandes, en 6ter la pellicule
TgL mit. mundilia, ital. mondiglie, Abfälle, Schnitzel, Spreu,
Abgänge beim Sieben. Darf man das Wort „der Aushtllsekerl"
in dem Sinne verstehen, daß danmter der beim Auskernen der
Aepfel zum Vorschein kommende in den Kernen sein Leben und
Wesen habende Geist gemeint sei? Das würde später reichlich
anzufahrenden sachlichen Analogien (der Aumsau d. i. Spreusau,
dem Kimbaby u. s. w.) treflfend entsprechen. An eine Ableitung
von monde (der große Weltkerl V) ist doch nicht zu denken?
1) Diez, Gram. d. Rom. Sprachen, Bonn 1871, 11,380.
^10 Kapitel IV. Bauiugcister ab YegetatioiiAd&moneii :
Doch dies bleibe dahingestellt Deutlieh erseheint , daft dii
Dämon im Winter ftir gestorben galt, daß die erneute Anfr
tung seines Bildes vom Frühling bis zum Herbste sein Wiei
aufleben, seinen Wiedereinzug in die Natur und sein aoini]
langes Verweilen darin darstellen spll. Hier haben wir <
Form des Frtthliugsbraucbs, welche (so dünkt mich) die in {
gegebenen Erörterungen über das sogenannte Todaustragen
den Lätaregebräuchen augenfällig bestätigt. In der Zeh
Feier, in Bezug aut' die Prozession im Dorfe und hinaichl
der Aussetzung auf dem Baume berührt sich der Mondard
dem Metsik.
Letzterem soll auch noch eine deutsche Sitte verglic
werden, welche eigentlich schon in den Kreis der in einem i
teren Buche zu behandehidcn Vorstellungen von den Komdi
nen gehört, zu diesen eine Brücke bildet. Um EUsenach
Harksuhl wird aus der letzten Garbe der Ernte eine Puppe i
fertigt, welche Waldmann oder Feldmann genannt wird.
Unterellen bei Eisenach läßt man den Waldmann als Wäd
des Konies draußen auf dem Felde bis zur Einfahrt des leti
Fuders; dann wird er mit einem frischen Kranze geschmt
und auf dem Komwagen vom Vorschuitter gehalten, wälir
der Wagen, begleitet von den Schnittern, die Lieder sili
Inhalts singen , langsam zum Dori'e und auf den Hof des Besit:
einfährt.^ Es ist unverkennbar, daß der Geist der im Wi
waltenden Vegetation in diesem Gebrauche auch als Hervorbriu
des Korn Segens aufgefaßt erscheint, grade so wie der Metsik
wie die Holzfräulein.
§ 18. Hinaustragung und Eingrabung des Vegetaüc
gcist^s, Todaustragen. Die Hinaustragung des Hetsuni
Metsik, Mondard aufs Feld, gewährt uns den Anlaß und
Möglichkeit, mit Nutzen die o. S. 359 ausgesetzte Untersuch
der Sitte, den alten Mann ins Loch zu karren, vrieder an
nehmen. In der Nähe von Tübingen wird zu Fastnacht
Fastnachtbär, ein aus Stroh gemachter mit einem Paar a
Hosen bekleideter Mann, in dessen Hals eine frische Blutwi
oder mit Blut getUllte Spritze steckt, nach einer förmlichen ^
1) CS. Witzschel , Sitten und Gebräuche aus der Umgegend von Eiae
1866, S. 16.
Umuftragmig o. EiDgrabimg d. VegeUtioiisgciHtei, Todalutragen. 411
niteiliuig geköpft und begraben. Er wird in einen ISarg gelegt
und am Aschermittwoch nach der Kirche beerdigt, gewöhnlich
IB Orte selbst Das nennt man die Fastnacht vergraben. ^ Zu-
wtttoi wird die Puppe unter Stroh und Mist eingegraben oder
INI Wasser gestürzt. Statt des Itutzcn trug man auch einen
ktaidigen Menschen auf einer Bahre oder sonst von Stroh
bedeckt omher und stellte sich so, (d^ wolle ttian ihn begraben;
oder man machte den Fastnac^htsnarren trunken und begrub ihn
Biit großem Jammergeschrei unter Stroh oder warf ihn utUer
Jimemiusik ins Wasser. Das hieß die Fastnacht begraben.
h Wormlingen tanzt ein in Stroh gchtillter Bursche an einem
^e durchs Dorf gefllhrt am Fastnachtstage als Bär; am
iwhennittwoch wird ein falscher Strohmann in einen Tn)g
gelegt^ aufs Feld hinausgefahren und bcgra1>en. ' Sehr austUhrlich
beschreibt Leoprechting das Begral)en der Fastnacht in I^chrain.
Ein Mann in schwarzer weiblicher Tracht wird auf einer Keiß-
tnge von vier Männern einhergettihrt, von als Klageweibern
verkleideten Männern bejammert, vor dem größten Dung-
kanfen des Dorfes heruntergeworien, mit Wasser begossen,
in die Mistgrube eingegraben und mit Stroh bedeckt.^ Wie hier
ein lebender Mensch, wird in Marsberg (Westfalen) die Fast-
meht als Strohpuppe auf der DUugerstätte,^ in der Eifel die
fimies, ein Strohmann nebst Flasche und Glas, in einer Grube
vor dem Dorfe eingescharrt,* wogegen in Balwe (Westfalen) die
betreffende, die Fastnacht darstellende Strohpuppe in den Fluß,
Äe Hmne geivor/hn wird.^ Eine andere Form ist es, wenn zu
Fastnacht oder bei der Kirmes statt der Strohpuppe ein Koß-
ftAädel,' eine noch andere aber jüngere abgeleitete, wenn eine
Geige,® ein Glas mit^chnaps^ oder dergleichen vergraben wird.
Zu Vailyngen an der Enz wurde ehedem am Schluß des Maien-
1) E. Meier. Sagen, Sitten u. Gebräuche a. Schwaben, S. 371, 1.
2) Meier S. 373.
3) Leoprechting , Aus dem Lechrain S. 1G2 tf.
4) Kuhn, Weatföl. Sag. II, 131, 3114.
5) Schmitz. Sitten u. Bräuche des Kifler Volkes, I. \l^).
6) Kuhn. Wcstföl. Sag. 130, 303.
7) Montanus , Volksfeste 59. OO.
fi) Reinsberg - Düringsfeld , Böhm. Festkalender S. G3.
9)Pröhle, Harzbilder, 54.
412 Kapitel IV. Bauingeister als Vegetationsdimonen:
tages, auch' der Maie vergraben ^ wobei die Burschet^ Mädthev^
Jdeider, die Mädclwth Manmkleider anhattefi, * Ganz auBerordent-
lieh ähnlich, ja im wesentlichen hlemit identisch sind die
Gebräuche des sogenannten Todaustragens am Lätaresonntag.
In Nürnberg trugen festlich geschmückte Mädchen eine Puppe in
einem oflfenen kleinen Sarge, yon welchem ein weißes Leichen-
tuch herabhing, oder einen grünen Buchenzweig mit in die HShe
geriehtete^n Süd, woran ein Apfel statt des Kopfes befestigt war,
in einer Schachtd und sangen dabei: „Wir tragen den Tod iii8
Wasser, wol ist das!", oder: „Wir tragen den Tod ins Wasser,
wir tragen ihn nein ntui wieder raws."* Das Gemeinsame der
in Franken, Tliüringen, Meißen, dem Vogtland, Schlesien, der
I^usitz weitverbreiteten Formen desselben Brauches ist es,
daß eine mit dem Namen Tod bezeichnete weibliche oder minn-
liehe Figur aus Stroh oder Holz von jungen Leuten des anderen-
Geschlechts herumgetragen ins Walser, in einen Tümpd gewor-
fen oder verbrannt wurde. Nach dem Austragen des Todes wiitl
vielfach sofort der Sommer in Gestalt eines grünen Maibaames
oder eines Haumcs mit daran gehängter Puppe eingebracht. leb
erinnere nur an die schon o. S. 155 angezogene Lausitzer Sittes
wonach die Frauen, die dabei keine Männer dulden, mi .
Trauerschleiern behängt umziehen, eine Strohpuppe mS
einem weißen Hemde bekleiden, mit einer Sense und einem
Besen in der linken und rechten Hand ausrtlsten, vo^
steiyiwcrfenden Buhen verfolgt, bis zur Grenze tragen und dor^
zerreißen y worauf sie jenes nämliohc Hemde an einen schönes
Waldbaum hängen, diesen abhauen und heimtragen. In d»
Oberlausitz wird der Tod, eine Figur aus Stroh und Haderr-
1) E. Meier, Schwab. Sag. 398, 80. So tragen die Mägde, welche d^J
rheinischen Ernteinai einführen , Männerkleidcr (o. S. 201) , bei der Wei -■
lose im Elsad sind die Männer zoweilen als Weiber, die Weiber als M£^
ncr angezoj^en; von den beiden Herbstschmudl ist der eine ein als W^
vorkleideter Mann, der andere ein als Mann maskiertes Weib (o. S. 203. 31—
In Ost - Lancashire ziehen die jungen Bursche in der Woche vor Ostern tfa
dem Lande umher, wobei die einen Instrumente spielen, die andern tai
Cfelegentlich schlielien sich auch junge Frauenzimmer an, die dann Ms
nerklcidung tragen, während die Bursche sich als Weiber kleid«
Liebrecht in Pfeiffers Germania XVI , 228.
2) Myth.2 727.
Hinaottrigiing Q. Eingrabatig d. Vogetationsgeistes , TodaUKtragen. 413
mit dem Hemde des letzten Todteii und dein Schleier der
letiten Braut im Dorfe angetan von der stärksten Dirne auf
einer Stange einhergetragen , sodann mit Stehven und Stecken
hewfrfen und zuletzt in einem Wasser vor dem Dorfe ersäuft,
worauf alle Teilhaber des Zuges ein grünes Zweiglein brechen
vod heimbringen.^ Ganz ähnlich wird in Böhmen und Mähren
Quoittelbar nach einander der Tod aus dem Dorf getnigen, der
Sommer ins Dorf getragen , wobei die den Tpd darstellende
Plq)pe, die ebenfalls vielfach mit einer Sichel in der Hand aus-
gerüstet ist, zuerst zerschlagen oder zerrissen, resp. im Walde
dreimal an eine Eiche geschlagen und so entzweigemacht,
sodann von einer Brücke oder einem Felsen in die Tiefe eines
Vagsers hinuntergestürzt, häufig aber herausgezogen, heimge-
tagen und schüeBlich verbrannt wird. An vielen andern Orten
^r tritt das feierliche Begräbniß des Todes in einem Garten,
4tf einer Wiese, auf dem Acker oder hinter einer Scheuer dalllr
«iL* Die Puppe heißt statt Smrt Tod, auch wol Marena, bei
^eren Slaven Mamurienda, Muriena, „Wir wollen Mamu-
^enda aastragen; wir haben Muriena aus dem Dorf und den
JQtigen Mai ins Dori' getragen/^ Doch auch in Podlachien
Ertränkt man am Todtensonntag den Smierc (Tod), ein aus
^anf oder HeUm geflochtenes Menschenbild nach feierlichem Um-
züge durch die Stadt in einem nahen Sumpf oder Weiher.
Hin älteres Zeugniß fUr diese Bräuche gewährt im 15. Jahr-
liaiidert der Krakauer Domherr Jobann Dlugosz, der in seiner
Biatoria Poloniae 1. II, p. 94, Francof. 1711 berichtet, der erste
^christliche Herrscher Polens Miesco habe allen Gemeinden und
XKSrfem befohlen, an einem und dem nämlichen Tage d. h. am
"«. März sämmtliche Götzenbilder zu vernichten, d.h. zu zer-
l^rechen, in Sümpfe, Seen oder Teiche zu versenken (in paludes
laeus et stagna demergere) und mit Steinen zu überschütten
(saxis obruere). Zur Erinnerung werde dieser Vorgang noch
Wute .alljährlich in vielen polnischen Ortschaften wiederholt.
Quae quidam .... idolorum confractio et immersio tunc facta
apud nonnnllas Polouorum villas simulacra Dziewannae et Mar-
lumae in longo ligno extollentibus et in paludes in Do-
li Myth.« 731 — 32.
2) Rein8bcrg-T)ftrinj,'8feld, Böhm. Pestkai. 87 ff.
4t4 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsdftmoneii:
iniiiioa Quadragesimae Laetare projicientibns et demer
^eutibus repraesentatur (et) renovatur in hunc diem. Derselb
Sc*hrift8teller sagt einige Seiten vorher bei Aufzählung der heid
nischen Gottheiten des alten Polens: Ceres autem mater et De
frugum^ quarnni satis regio indigebat, Marzana vocata apud eo
in praecipuo eultn et veneratione habita luit. Da des Dingos
polnische Gottheiten sammt jenem Gebote Mieseos offenbar nicht
anderes sind als Rückschlüsse aus der lebenden Volkssitte , »
muß er die Gleichstellung der Marzana mit Ceres aus irgend
einem dem Lätarebrauch anhaftenden Umstände gefolgert haben
sei es, daß auch die polnischen Strohpuppen eine Sichel io de
Hand hielten , oder aus unausgedroschenen Getreidehalmen bestaii
den und somit diesell)e Gestalt hatten, wie die Emtepuppen.
§ 19. Hinaustragung und Etngrabung des Tei^etatlonf
dSmons. Doch nicht allein Fastnacht und Lätare (TodtensoBii
tag). Tage des Frühlingsanfangs, geben Gelegenheit zu dieae
Gebräuchen, in Kußland finden wir dieselben auch an St Petei
d. i. 29. Juni, also an Mittsommer oder Frtthlingsende geknflpf
An diesem oder dem folgenden Tage gehen nämlich Volksam
Züge im Schwange, welche den Namen Begräbniß der Kostrom
oder des Jarilo tragen. Nach Sacharoff hatte das Begräbniß de
Kostroma in den Gouvernements Simbirsk und Pensa folgende
Hergang. Nachdem am 28. Juni abends ein Scheiterhitofie
gebrannt hatte, und am Morgen des 29. das Spiel der aufgehei
den Sonne beobachtet war, wählten die Jungfrauen eine aus ihr»
Mitte, welche die Kostroma darzustellen verpflichtet sein soUfl
Ihre Gespielinnen traten unter tiefen Verbeugungen an sie herm
legten sie auf ein Brett und trugen sie zum Flusse. Dort beg»
nen sie sie zu haden , wobei die älteste Teilnehmerin eine Liscfar .
( Korb) von Lindenbast machte und darauf wie auf eine Tromna
schlug. Ins Dorf zurückgekehrt, beendigten sie den Tag ca
Umzügen, Spiel und Tanz. Im Kreise Muroui wird statt d^-
sen eine Strohpuppe , die mit tveiblichen Gewändern und B^
men I/eMeidet ist, in einen Trog gelegt und unter Gesängen
das Ufer eines Sees oder Flusses getragen. Hier teilt sich
am Ufer harrende Menge in zwei Parteien , deren eine die Pn^
beschützt, während die andere sie zu erobeni bemüht ist. Zul^
siegen die Angreifer, berauben die Figur des Schmucks und ^
Kleider, zerreißen sie, treten das Stroh, woraus sie geniad
HinAiutimgiiDg und Eingrabnng des Yogetationsd&inoxiB. 415
Wir, mit FttSen and werfen es in den Strom j iudeß die Vertei-
diger das Gesicht mit den Händen bedecken und sieh anstellen,
ab ob sie den Tod der Kostroma bejammern. Afanasieflf ver-
mutet, daB die Puppe ursprünglich nicht aus Stroh sondern ans
Feldkriatem verfertigt war, indem er annimmt, daß kostra,
koitrier, kostiera, fiute, Strauch, Unkraut im Korn das Etymon
TOI Kostroma sei. Nach TercschtscJienko heißt im Gouv. Sara-
tDv kostroma ein Bund Stroh, das zu Neujahr verbrannt wird;
dag mußte schon eine abgeleitete Form der Sitte sein. In Klein-
nlland war die am Montag nach dem Peterstage begrabene
Stiolipappe kostrub genannt. Man singt:
Es starb, es starb, es starb kostnibonko,
Der graae, Hebliche, blane.^
hl Ooavemement Saratow wird am 30. Juni eine Strohpuppe
mit Sarafan and Kokoschka bekleidet im Dorf umhergetragen
and hernach dieser Kleidungsstücke beraubt ins Wasser gewor-
fen. Das nennt man provod VjeSnji, Zug des Frtihlings, dem
entsprechend ist in andern Gegenden das Begräbniß des Jarilo.
Jarilo von jar Frühling ist eine in Kußland weit verbreitete
hrsonification des Lenzes oder der Wachstumskraft; im Lenze.
h Weißmßland versammeln sich die Mädchen Ende April ange-
«fchts der jungen Saaten und wählen aus ihrer Zahl eine, welche
i^ Jarilo darstellen soll, so wie sie sich ihn vorstellen. Sie
beiden sie aus wie einen Mann mit weißem Mantel, der auf
dem Kopfe einen Kranz von Frühlingsblumen trägt, in der Linken
^ne Handvoll geschnittener Aehren hält; unbeschuht sind die
Ptlße. Sie setzen den Jarilo auf ein weißes Roß und führen
^hn, ist das Wetter warm und hell, hinaus ins freie Feld auf
<Ue besäten Fluren. Hier umschlingt ihn in (Jegenwart der
Greise ein Reigen der bekränzten Gespielinnen, die zu Ehren
des Jarilo ein Lied singen, wie er umherziehe, das Getreide auf
den Fluren wachsen lasse und den Menschen gutes Gedeihen
gebe. „Wo er geht mit bloßen Füßen, heißt es, da ist das
Kom schockweise, und wo er hinblickt, da erblühen die Halme."*
In Woronesch kam am 29. Juni eine Menge Volks auf dem
^tadtmarkt zusammen und bestimmte, wer von den Anwesenden
1) Afanasieff, Poetische Naturanschauungen der Küssen ^ 111,724 — 20.
2) Afanasicif, a. a. O. I, 441
416 Kapitel IV. ßaumgeistor als Vegotationsd&monen:
der Darsteller des Jarilo sein solle. Diesem zogen sie ein<
bunte blumige Kleidung an, die außerdem mit Blumen um
Bändern geschmücM und mit kleinen Glöckchen behängt wa$
setzten ihm einen bemalten Kaipak von Papier mit einer Hahnen
feder darauf auf den Kopf und gaben ihm in die Hand eil
8t<)ckGhen mit einem Klopfer versehen. So zog er singend
tanzend und verschiedene komische Bewegungen ausftlhrend ante
Trommelbegleitung umher, von einer großen Volksmenge beglei
tet, die nach verschiedeneu Tänzen und Spielen sich in zwc
Parteien teilte und das Fest mit einer Art Faustkampf endigte
An anderen Orten nun wird am 29. oder 80. Juni das BegiiUb
niß des Jarilo aufgetUhrt. Im Kostromskischen Kreise übergal
man einem alten Manne einen kleinen Sarg, der eine dei
Jarilo darstellende Puppe mit einem Ungeheuern Priaj
enthielt. Der Greis trug denselben vor die Stadt, ihm tblgtei
die Weiber, Klagelieder singend und durch ihre Geberde
Schmerz und Verzweiflung ausdrttekend, bis zum Grabe ac
freiem Felde, wo hinein man unter Weinen und Wehgescbri
die Gestalt versenkte. Darauf begannen sofort Tänze, welch
an die altslavische Sitte der Kampfspicle (trisna) beim BegiUbnj
erinnern konnten. In Kleinrußland wurde die Jarilo benannj
Puppe, die mit allen dem Manne zukommenden Attributen air
gerüstet war, auch in einen Sarg gelegt und nach Sounennnta
gang auf die Straße getragen. Betrunkene Weiber umringte
den Sarg und wiederholten traurig: „Er ist gestorben! .Er
gestorben!" Die Männer erhoben und schüttelten d5
Puppe, als wenn sie sich bemühten, den Todten S
Leben zurückzurufen und sagten nachher: „He! He!
Weiber, heult nicht. Ich kenne, was noch süßer ist, als HonS
Doch die Weiher fuhren fort zu jammern und zu singen, ^
bei Begräbnissen üblich ist: „Wessen war er schuldig V Er im^
so gut. Er wird nicht mehr aufstehen. 0 wie sollen wir a
von dir trennen V Was ist das Leben, wenn du nicht mehr
bist! Erhebe dich, wenn auch nur auf ein Stündchen; alier (
steht nicht auf, er steht nicht auf!" Endlich verscharren Ä
Jarilo in einer Grube.*
1) Sacharoff II. 42, i)l — i>3. Tereschtscheiiko V, 100 — 104. Afanasielf
]II,72G — 27.
Hintnrtniginig il Begr&bniß d. Vegetationadämons, Erlänterungen. 417
§20. Hlnaustragnng und Begr&bniß des Tegetatlons-
iinoos, Erlin temngen. Uebrigens besteht eine aaflfallende
Aehnliehkeit zwischen den Sitten: den alten Mann ins Loch zn
b{reD| die Fastnacht zu köpfen, zu begraben oder zn ertiibi-
ken, den Tod zn beerdigen oder zu ersäufen und den Jariio
r^- die Kostroma zu bestatten oder ins Wasser zu werfen.
UnterBQchen wir genauer, ob die Uebereinstimmung mehr als
Sehein ist Das Begräbniß des Jariio ist an und fUr sich klar
und Ycrstiüidlich. Eine ganz ähnliche Gestalt wie der P6re May,
£oi de May, Lord of the May, die Maja, stellt er zwar den Lenz,
äe Jahreszeit dar, aber nicht abstract als solche, sondern als
<& bewegende Ursache und Grundkraft des Pflanzenwuches;
des bezeugt sein blumiges Gewand, das wol auf ehemalige
laobumhttllung zurückweist, dies die Ausrüstung seines Bildes
mit dem Priap, dies das zu seinen Ehren gesungene Lied. Es
ist schwerlich Zufall, daß seine Kleidung mit Glöckchen besetzt
18t, wie diejenige des Pfingstiilmmels (o. 8. 326). Im Beginn
der Hundstage, zu Mittsommer, wenn die Aehren gelb werden,
ist der zeagungskräftige Frühling dahin; trauernd wird er zu
Grabe geleitet In dem Woronescher Brauch dagegen scheint
er als noch bis in den Hochsommer hinein in der Rolle des
Vegetationsdämons fortdauernd wirksam gefeiert zu werden.
Sollte der Tod und die Bestattung des Kostrubonko, der Kostroma
eine andere Auflfassung fordern? Schwerlieh, außer, daß hier
iweh entschiedener die Bedeutung des Vegetationsgeistes die
^rhand hat. Schwer aber zu begreifen dürfte es sein, wie
iBao dazu kam, das Dahinscheiden derselben durch EHränken
^anostellen. Dasselbe hätte nur Sinn als Ausdruck der Erre-
long und des Zornes über allzulauge Dauer des Frühlings, oder
^ Darstellung der Tatsache seines gewaltsam durch das feuchte
Qement herbeigeführten Endes. Da aber beides nicht zutrifll,
tt müßten denn die Regengüsse des Herbstes gemeint sein , wei-
fte Frühling und Sommer vom Wachstum des nächsten Jahres
scheiden, so stehe ich nicht au als meine Vermutung auszu-
sprechen, daß die Wassertauche auch hier denselben Sinn
Iwibe, wie in so vielen anderen auf die Vegetationsdämonen
l^eiliglichen Gebräuchen, daß sie ein Abbild des Regens sein
«olle und entweder den bevorstehenden Tod der Pflanzenwelt
dttrch die Gewässer der Ilcrbstregen darstellen, oder im voraus
Mannhardt 27
418 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetatioiisdamoneii:
(wie in den Erntegebräuchen o. S. 214, vgl. S. 314 o.) die atmo-
sphärische Feuchtigkeit für die Vegetation des nächsten Jahres
sichern sollte. Bei aller augenscheinlichen Verwandtschaft scheint
obenhin angesehen der Lätaregebrauch ganz das Gegenteil za
diesen Mittsommersitten ausdrücken zu sollen; nicht das LeSen
sondern der Tod wird begraben , dessen populäre Personification
als Schnitter mit Sense , Sichel , oder Hippe ^ zur Ausrüstung der *
Strohpuppe mit solchen Emtewerkzeugen Anlaß gegeben haben«
kann. Aus dem Gegensatze des nach Austragung des Todeos
eingebrachten „Sommers'^ ergiebt sich jedoch, daß ursprünglidr:
nicht sowol die das tierische Leben abschneidende Naturgewalfetf
als vielmehr der Winter im Lätaregebrauch unter dem NameiK
des Todes gemeint war; wahrscheinlich dürfen wir noch eine^j
Schritt weiter gehen. Wenn der eingebrachte durch eihen grüner^
Baum dargestellte Sommer nicht sowol eigentlich die Jahren
zeit, als den sommerlichen Vegetationsgeist, oder die sommer«
liehe Vegetationskraft bedeutet,- *so wird auch sein Gegensatz
der Tod oder der Winter den Vegetationsdämon in seiner winte^
liehen Gestalt nicht als tödtend, sondern als todt oder getOdUd
darstellen. Tod also wäre hier nach unserer Ansicht passiv ^
verstehen als das ertödtete vegetative Leben im Winter; ni&^
die lebenraubende Naturmacht, nicht die winterliche Jahresz»^^
sollte durch Vergraben vernichtet werden, sondern der erstorbe^^
Vegetationsdämon wird in die Erde eingescharrt, um im F;
linge aus dem Boden wiedererweckt und neu belebt empo
steigen. Wäre diese Anschauung richtig, so würde die äoB*
liehe Uebereinstimmung des Sommer- und des Frühlingsbrauci
sich nun auch als eine innerliche, auf gleicher Bedeutung beruhei
erwiesen haben; das Begräbniß des Jarilo, das Vergraben
die Wassereinsenkung der Kostroma hätten danach im we
liehen den nämlichen Sinn, wie die Grablegung und W
tauche des Todes; nur daß die Darstellung desselben Vorga..^
das einemal au den Anfang der bösen, Leben und Wachs«^'*^
tödtenden 2ieit verlegt, das anderemal an das Ende dersek^ Tk
gerückt und mit der Feier der Auierstehung des Pflanzenwuckisisa
1) Vgl. G. Schuller, Volkstüml. Glaube und Brauch bei Tod and
BeKTäbni», Kronstadt 18G3, S. 4. 10 Vgl. das Kirchenlied: „Es ist e«
Schnitter, der heilJt Tod."
ffiiUHutr»|fiiiig n. Begr&bniß d. Vegetationsdämons, Erl&ateningen. 419
Terbimden ist. Die Wassertauche als Regenzauber tUr die künf-
tige Vegetation dem Vertreter der dahingeschiedenen des alten
Jihres gewidmet, ist uns ja bereits aus den Emtegebräuehen
behimt, wo die letzte Garbe der alten Ernte gradeso wie der
Haibanm begossen, das in die letzte Garbe eingebundene, den
£omdämon darstellende Mädchen resp. die Binderin gleich dem
ifl Laub gehüllten grünen Georg, Pfingstbutz u. s. w in einen
Ach gefilhrt wird (o. S. 21 4j, damit die nächstfolgende Pflan-
xengeneration gute Früchte hervorbringe. Ist es irgendwie wahr-
«deinlich, daß die Wassereintauchung bei der den Tod darstel-
lenden Puppe etwas ganz Entgegengesetztes bedeute, als bei
dem 80 htofig gleich nachher eingeholten Maien, daß sie in dem
einen Falle ein Symbol des Absehens, der gewünschten Ver-
nichtung, im andern ein Anzeichen des Wunsches, ja ein Zauber-
mittel sein sollte? Wer die hier aufgestellte Erklärung nicht
zulässig finden wollte, müßte mithin vorher nachweisen, daB
nch die Wassertauche des Maibaums u. s. w. keinen Bezug auf
£e atmosphärische Feuchtigkeit habe. Geben wir dagegen
uuerer Hypothese Raum, so gewinnt auch der mehrfach und
entschieden bedeutsame Zug der Steinigung ein anderes Ansehn,
ik auf den ersten Augenschein. In einer späteren Untersuchung
wild der Verfasser den Nachweis eines uralten Brauches bei der
Ernte resp. im Frühjahr Itihren, daß Bäume undl^anzen, sowie
<fie Abbilder der Vegetationsdämonen mit Steinen belegt oder
htH)rfen wurden, um die Schwere der erhofften FruchtfiÜle der
^öeA^^^n Ernte auszudrücken. So kann auch hier die Steinigung
^ sogenannten Todes ein dem Regenzauber ähnliches Zauber-
^ttel gewesen sein. Unter solchen Gesichtspunkten erscheint
^dlich auch das zuweilen an die Stelle des Begrabens oder Was-
•^reintauchens tretende Verbrennen des Todes dem Verbren-
"^11 des Maibaums im Oster-, Mai- oder Johannisfeuer (o.
S- 177 fiF.) parallel. Noch andere Umstände gereichen unserer
Hypothese zur Unterstützung. Wenn in jener Lausitzer Sitte
da« Hemde der den Tod darstellenden Strohpuppe dem Wald-
Wom übergeworfen wird (o. S. 156), so soll dieser doch wol als
Nachfolger, als dasselbe Wesen in verjüngter Gestalt bezeichnet
werden. Der Nürnberger Brauch stellt den Tod, wie den Mai
i iSommer), durch einen grünen Zweig mit einem Apfel dar. Wenn
E *^Podlachieu das den Tod darstellende Menschenbild noch aus
420 Kapitel IV. BaumgeiBter als Vegetationsdämonen:
Kornhalmen geflochten wird, während es sonst meistenteils ans
leerem Stroh gefertigt ist, giebt es andererseits verschiedene ^
Spuren, daß die im Hochsommer gereifte abgestorbene Vege-
tation der Kulturfriichte , welche gewöhnlich unter der Gestalt .o^j
eines alten Mannes oder einer alten Frau {der Alte, die AUe;^ ,.
so heißt die aus der letzten Garbe gefertigte Menschenge8talt]|^[~;;#>t)
personifiziert wird, zuweilen als die Todtc oder als der Tod auf—^l^j.
gefaßt wurde. So heißt zu Schwarzwaldan (Kr. Troppan) di^.£Je
letzte Garbe geradezu die „Todte^' mortua. Jeder Bauer
gräbt die seiuige auf dem Acker in den Boden. Nach etw£
2 Wochen gehen sie an einem verabredeten Tage aufs Feld an»
sehen nach, ob die eingegrabenen Garben grün ausgekeimt sin
Ist dies der Fall, so ist dies ein gutes Zeichen für die Ernte d
nächsten Jahres. Diejenige „Todte/^ welche <im meisten grttd^nin
ausgewachsen ist, wird wieder ausgegraben und ein Hahn [d. i.
ein Abbild des hahngestaltigen Vegetationsdämons ^] in sie hi ^iii
eingebunden; je mehr dieser schreit, desto ergiebiger und fmdbi^Bit-
barer wird das nächste Jahr sein. Es wird späterhin aus vi^^el-
tachen Beispielen erhellen, daß man die Kinder vor den ^ im
Korne hausenden Vegetationsdämonen zu warnen pflegt. ET Im
Kreise Hradisch in Mähren warnt mau die Kinder ins Korn zu
gehen, denn da sitze der zahnlose Tod (bezzubi Smrt) mit eiiiHZDner
Sense drin , oder der bezhlavy mu§ , Mann ohne Kopf. Im Kref- ^ise
Gomör in Oberungam heißt es der Tod (Smrt) sitze im Koo^ me
und fresse die Kinder; auch im Komitat Grau sagt man, im
wallenden Kornfeld reite der Tod auf einem Pferde und bespri^E^itie
die vorwitzig sich hineinwagenden Kinder mit Feuer. Die Sa^^Bcb-
sen in Siebenbürgen spielen während der Wälschkomemte ein
Kinderspiel, schämpelän d!d, d. i. schampelnder Tod genai^^mit
Einer der Mitspielenden, der Tod, ivird ganz mit Maisblät^^^em
bedeckt, die Andern stellen sich im Kreise herum und ml m'en:
„schämpelän did stand äf, es bot int (eins) geschlfm", er ^^ant-
wortet: ach lot mich noch et w^'nig schlöfen. Anrede und ^^^t-
wort wiederholen sieh je um eine Stunde vorrückend, bis e«
heißt: „es bot zwiilf geschlön!" Da springt der Verhüllte «of
und wen er erhaschen kann, muß an seine Stelle treten.* Ti^W
1) S. Mannhardt, Konidämonen S. 13 ff.
'2) G. Sclmller, Vulkst. GlauLeo ii. Brauch I, Kronstadt 18G3, S. 11. MöiII<?'.
Siebenbirg. Sag. 3«^». Haltricli, Archiv f. Siebenbirg. Landeskunde N. P. III. ^^^
Hinustragnng n. Begiftbniß des Vegetationsdämons, Erläuterungen. 421
es hiernach kaum zweifelhaft, daB der Yegetationsdämon in der
&ifc der Fruehtreife, der Ernte nicht selten als alter abgelebter
ßfeis, als Todter oder der Tod aufgefaßt wurde, so mag die
^oarflstung der Lätarepuppe mit Sichel oder Sense nunmehr
^'elleicht mit besserem Rechte darauf bezogen werden, daß die-
selbe grade so aussah und eben dasselbe bedeuten sollte, als
^ aus der letzten Garbe bei der Ernte gefertigte Figur. Auch
^Bese erhält zuweilen eine Sichel in die Hand. Ein weiteres
Beweisstück für unsere Auffassung liefert die Köpfung und Bestat-
^JUig^oder Verbrennung des Fastnachtsbären (o. S. 410), da die-
^r unzweifelhaft mit dem Erbsenbär, Roggenbär, einer therio-
iQorphischen Form des Yegetationsdämons identisch ist. Endlich
stiinmt auch der Zug, daß die am Todtensonntag verfertigte
Poppe, ist sie männlich, von Weibern, ist sie weiblich, von Män-
iiem getragen und ins Wasser geworfen werden muß (o. S. 412)
zo einem Wesen der Fruchtbarkeit. Daß das Ertränken oder
Vexipraben der Fastnacht nur eine verhältnißmäßig junge Um-
deatang des nämlichen Frühlingsbrauches sei, lehrt die einfache
Vergleichang. Ene Personification des Festes ist an die Stelle
des namenlosen Wesens getreten, das im Lätaregebrauch als
Tod bezeichnet wird. Daß hier die Puppe, resp. ein lebender
Mensch wie zuweilen der geköpfte Pfingstbutz (o. S. 321) unter
M^ist und Stroh begraben wird (o. S. 411), würde ganz unver-
ständlich sein, wenn es sich wirklich um eine Bestattung des
dahingeschiedenen Festes handelte, da doch wahrlich kein Grund
dazu da war, demselben hinterher einen Fußtritt zu geben, ihm
Verachtung zu bezeugen. Ganz anders stellt sich die Sache,
wenn von dem winterlichen oder verstorbenen und zum Wieder-
aufleben in den Schoß der Erde zu senkenden Vegetationsdämon
die Rede war, da der Dünger die Triebkraft der Pflanzen erhöht.
Kapitel V.
Vegetationsgeister : Maibrautschaft.
§ 1. Das MalkOnlgspaar. Unsere bisherigen Untersuchi^^^"^'
gen zeigten uns den Dämon der Vegetation bald in männliche -^ '
bald in weiblicher Gestalt verkörpert. An einem und demselb^-^-^^
Orte wurden zuweilen beide, die eine von den Mädchen, d»-^-*^^'
andere von den Burschen zu gleicher Zeit dargestellt, ab^^CTÄ^^
getrennt umhergettlhrt. Ein noch unerwähntes Beispiel aas Os'-^^^"
Kent gewährt der Fastnachtsbrauch, daß die Mädchen vc^"^^^
18 — 5 Jahren ein den Burschen gestohlenes Mannsbild, d^-^^den
HoUf/'boy, Stechpalmeuknaben , die jungen Leute eine den MäJ^-^d-
chen entwendete Frauenfigur Jvy-girl, Epheumädchen , untÄ^-Äiitei
lautem Geschrei umherftihrten und verbrannten (über das V^^N/er
brennen s. o. S. 177 flf., 419).^ Doch lernten wir bereits einif M=3igc
Darstellungen kennen, in denen Maikönig und Maikönigin s ab
ein Ehepaar verbunden auftreten. So beim Königsspiel in Bt^ ^Böh-
men (vgl. 0. S. 355). In Wfeskow bei Königsgrätz z. B. gefaczC^hen
König und Königin in ihrem besten Sonntagsstaat unter ein».^=HDem
Baldachin, die Königin hat einen Kranz auf dem Kopfe; c^ das
jtlngste Mädchen trägt ihr zwei Kränze auf einem Teller na.^^ach.
Das nächste Gefolge besteht aus Burschen und Mädchen, wel^-ÄTJche
wie Braiitführf^r und Brautjungfern gekleidet sind. Von HsI^Baiw
zu Haus werden Gaben eingesammelt und die Kinder mitgenc^ -kom-
men. Dann folgt das Gericht über die Dorfgenossen und die
Verurteilung des Königes zur Enthauptung. Doch stellt der a&
Ausnifer und Henker fungierende Bursche in Aussicht, daß die
Königin ihren Gemahl loskaufen könne und nennt eine fabelh -afle
Summe. Sie zögert ; nachdem aber der blanke Säbel drei- ^ma/
1) Gentleman 's Magazine 1779. Brand, pop. antiquities I, 68.
, '
Dm Ifaikönigspaar. 423
'^^ den Nacken des Königs geschwungen ist, legt sie ein anstän-
^^&s Lösegeld (oft bis neun Zwanziger) auf den Teller, ninunt
^iu^n Kranz vom Kopf und setzt ihn unter allgemeinem Jubel
^ber seine Erhaltung und unter Lobpreisungen ihrer Güte dem
I^osgekanften auf. Doch wird ihm dieser Kranz wieder abge-
nommen und beiden werden die Blumenkrouen aufgesetzt , welche
^^^« junge Mädchen nachtrug.^ Hiemit vergleiche man den Brauch
^ der Gemeinde Wehden , Kr. Lübbeke (Osnabrück). Hier wurde
^ti Pfingsten das schönste und beliebteste Mädchen von 12 — 14
^^ren erkoren, ergriffen und festlich geschmückt; ebenso
bemächtigte man sich des beliebtesten Knaben aus demselben
I^bensalfter, zierte sein Haupt mit einer hohen aus buuten Bän-
dern und Goldpapier gefertigten Krone und itihrte beide jubelnd
Ün Dorf umher. Dieser Umzug hieß Gummanie (d. i. Cumpanie,
CSompagnie).' Auch in Frankreich er>vählt man z. B. in der
Qegend von Grenoble am 1. Mai einen König und eine Königin
(toi et reine) und setzt sie wie sonst die Königin allein (o.
S. 346 ff.) auf einem Trone den Blicken der Vorübergehenden
Uta.' in den englischen Frühlingsgebräucheu begegnet uns gleich-
falls dieses Ehepaar in mehrfachen Formen wieder. Dahin gehört
miKweifelhaft schon das Verbot der Synode zu Worcester a. d. J.
J. 240 y can. 38 : Ne intersint ludis inhonestis nee sustineant ludos
fieri de rege et regina, nee arietes levari nee palestras publicas.^
Aim Rechnungen der Kirchenvorsteher zu Kingston upon Thames
^v^cm Jahre 1504 geht freilieh her\'or, daß man das Kilnigsspiel
cinmalfl auch um die Mitsommerzeit zum besten der Kirchen-
Ic^asse aufführte,^ aber das war wol nur eine locale Verschiebung
des Zeitpunktes der Aufführung. In den Maispielen stellte man
Csaec. XVI.) dem Robin Hood als seine Geliebte eine Maid
Marian zur Seite, bräutlich gekleidet oder königlich geschmückt
und eine rote Nelke , die Frühlingsbotin in der Hand, Wie er
1) Reinsberg-Mringsfeld, Böhmischer Festkalender S. 265 — 67.
2) Müller, Zs. f. Kulturgesch. 1872 I, S. 452.
3^ Champollion-Figeac beiMonnier, Traditions populaires comp. p. 304.
4) Brand, i>op. antiqu. ed. Ellis I, 260.
5) „Mem. That the 27 day of Joun a° 21 kynk H. 7, that we Adam
BikbouB and Harry Nycol, hath mado account for the kenggam, that
**nie tym don Wylm kempe, kenge and Joan Whytebrede, quen, and all
wrtB deducted ... iJ 4 ah. 5 d. o.'* Brand , pop. ant. 1 , 260.
424 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautechaft
King of May^ wurde sie queen of May genannt Daran
geht mindestens so viel hervor, daß in den Maygames ein kin
of may neben einer queen of may aufgetreten war, den man m
dem Robin Hood und seiner Geliebten identifizierte. Die Maj
queen allein haben wir schon oben S. 346 flf. kennen gelernt
§ 2. Maiherr und MailVau. Anderswo nannte man ds
Paar Lord and Lady of the fnay. Vom 30. Mai 1557 wird ein€
Maigame in Fenchurchstreet Erwähnung getan mit einem Am
ritt der neun Helden („with the nine worthies, who rode") einei
Morristanz und Lord and Lady of the May appearing to mak
up the show.* In einem Artikel der Literary - Gazette (Ma;
1847) gab Mr. L. Jewitt als Augenzeuge eine liebliche Schildenini
der Sitte, wie sie damals noch zu Headington, zwei Meilen va
Oxford, geübt wurde. Zwei kleine Mädchen im Sonntagsstaa
ganz in Weiß gekleidet, mit langer Schärpe und bunt bebänder
eine geschmackvoll mit Blumen verzierte Kopfbedeckung ai
dem Haupt, tragen auf einer langen Stange eine große, ac
Tonnenreifen verfertigte, mit Immergrün und Blumen Uberzoger
Krone, deren Spitze wieder von einer kleineren Krone odt
einem prächtigen Blumenstrauß überragt wird. Solch eine Krön
heißt garland (Guirlande). Zwei andere Kinder folgen, e;
Knabe und ein Mädchen, der Lord und die Lady, miteinand»
durch ein weißes Taschentuch verbunden, von dem jedes ein*
Zipfel hält. Sic sind so freundlich als möglich mit Bänden
Schärpen, Bosctten und Blumen herausgeputzt, und die La»
trägt eine möglichst große Geldtasche. Von Haus zu Ebb
gehend singen sie nach einer sehr einfachen Melodie:
Gcntlcinen and Ladies,
We wish you happy may!
We coino to show you a garland
Bccause it is May-day.
Eine der Trägerinnen der Krone fragt: Please to haudsel itf
Lords and Ladys purseV Gicbt einer eine Münze, so zieht ^
Lord den Hut, ergreift mit der Rechten eine Hand der La^
umschlingt mit dem linken Arm ihre Hüfte und
1) Dalryniple a. 1576 bei Brand I, 261.
2) Strype eccles. Mem. Vol. Ill , cap. 41» p. 377. Strutt a. a ^
353, XVI.
Maiherr und Maifraa. 425
Bie, die Münze wandert in die Geldtasche , und die Prozession
zieht weiter, nm vor dem nächsten Hause die nämliche Ceremo-
m'e zu wiederholen. Im Dorfc gab es ein Dutzend solcher Guir-
baden mit ihren Lords und Ladies , die dem Orte ein lustiges und
belebtes Ansehen verliehen.^ Aus dem Berichte eines Augen-
zeugen über das Maifest der Londoner Kaminfeger im Jahre
1B25 entnehmen wir, daß damals nach alter Sitte dem in der
I-«a]ibp7ramide daherschreitenden Jack in the green ein Lord
^^nd eine Lady vortanzten. Der Lord, sagt der Berichterstatter,
^^Bv^ar jedesmal der größte Mann in der GesellschafL Er trug eine
Kleidung, weiche zwischen einer Hofuniform und Gallalivree die
^tte hielt, auf der Brust einen ungeheuren Blumenstrauß, in
4er rechten Hand einen großen Stock mit blinkendem Metali-
knopf, in der Linken ein weißes Taschentuch, an einem Zipfel
^&ßt Die Lady wurde mitunter von einer drallen Dirne,
gewöhnlich von einem Burschen in Weiberkleidung gespielt; ihr
-Anzug entsprach dem des Lord, sie hielt in einer Hand einen
bpfemen Kochlöffel , in der andern gleich dem Lord ein Taschen-
tuch. So otlt der Zug stille stand, ent>vickelten beide alle ihre
Anmut in einem Mennet de la cour oder einem anderen gehal-
tenen Tanze, bald aber ging derselbe in einen lebhatteren und
komischeren über, wobei sie sich drehend und wendend einander
zuwinkten und lockten , indeß Jack in the Green sich fortwährend
^wischen ihnen im Tanze umdrehte und die übrigen berußten
Mitglieder der Compagnie mit Kellen und Besen klapperten,
^ach beendigtem Tanz verbeugten sich Lord und Lady gegen-
einander. Der Lord zog seinen Hut und wendete sich mit ein-
•irtnglichen Blicken und höflichen Bücklingen zu den Zuschauem
^>i den Fenstern und auf der Straße. Zu gleicher Zeit streckte
^ie Lady ihren Löffel aus und die andern hielten ihre Kellen
^in, uro auch die kleinsten Gaben dankend zu empfangen.* Es
*^t interessant zu beobachten, wie 19 Jahre später laut einem
'A.xtikel der Times v. 2. Mai 1844 der moderne Geschmack diese
l-«ii8tbarkeit der Kaminfeger fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt
*^atte. An Stelle des Lord und der Lady wurden eine Ballet-
1) S. Brand a. a. 0. 1 , 233 — 34.
2) Hone, Every day book 1,292 ff. Vpl. Reinsberg-Dttringsfeld, das
festUche Jahr. S. 134.
426 Kapitel V. Vegetatiousgeister: MaibraatsehafL
tänzerin , Marmsell Molliowski genannt , und ihr Impressario Jem
Grow Yorgeftlhrt, statt der Menuet ein Polka getanzt^ Ein
Berichterstatter aus Hitchin (Herefordshire) besehreibt in einem
vom 1. May 1823 datierten Briefe an Mr. Hone eine Gmppe yon
Mayers ; welche an diesem Tage, nachdem sie den Mädchen und
Dienstboten Maibüsche die Türe geheftet, frohlockend dorch die
Stadt zogen. Zuerst kamen die toUe Moll und ihr Mann (Mad
Moll and her husband), d. h. 2 Männer mit geselitoärzien Gesid^
tem; der eine von diesen hatte einen künstlichen Buckel und
trug einen Birkenbesen in der Hand; der andere, ganz in zer-
lumpte Frauenkleidung gehtUIt, eine Strohmütze und einen Koch-
löffel. Hinter diesem Paare kam ein zweites Paar, ,,der Lord
und die Lady.'^ Der Lord war phantastisch mit bunten seide-
nen Taschentüchern und Bändern herausgeputzt und trug ein
Schwert; die Lady, ein als feine Dame in weißen Mosaelin
gekleideter, über und über mit buntem Bandwerk bedeckter
Bursche. Ein Gefolge von 6 — 7 anderen ähnlich ausgeschmttdL-
ten Paaren schloß sich an, nur iUhrten die Männer keine Schwer-
ter. Derartiger Compagnien durchziehen mehrere wetteifernd
die Straßen. Hat eine derselben vor einem Hause eine reich-
liche Gabe erhalten, so giebt es davor Musik und Tanz, wobei
das Publicum sich vorzüglich an den possierlichen Geberden und
Mienen von Mad Molls Mann zu ergötzen pflegt.* Aus Cheps-
towcastle an der Mündung der Wye in den Bristolcanal (Mon-
raouth) empfing Hone die folgende Beschreibung des Maifestes:
Die Milchmägde hielten einen Umzug, wobei sie im Reigen
singend einen alten Mann umtanzten, dessen graue spärliche
Haare ein Kranz von Feldblumen schmückte; in seinei
rechten Hand trug er einen blühenden Weißdorn (hawthora)
in der Linken einen mit Primeln (Schlüsselblumen) und blanen
Glockenblumen umwundenen Stab. Ueber der Schulter hing ihm
ein Kuhhom, auf dem er vor jedem Hause blies. Der Beigen
bestand aus 30 — 40 jungen Burschen und Mädchen, welche
Arme, Kopf und Hals mit Büscheln von Maiglöckchen und wil-
den Rosen geziert hatten. Dahinter kam eine Dame mit apfel-
roten Wangen, mit einer Brille und mit niedrigem, breitkrämpigem
1) Brand ed. Ellis I, 231 — 32.
2) Hone a. a. O.1 , 283.
Haiherr and Maifran. 427
Hot, kurzem Bock, wollener Schärpe , blaaen Strümpfen, hohen
Sdrahen. In der einen Hand trug sie einen blankgescheaerten
Kipferkessel roll Sahne , in der andern einen Korb mit Wald-
erdbeeren nnd jedem y der mit einer Tasse oder Schale zu ihr
kiffl, gab sie aaf eine artige Weise von ihrer Sahne nnd Frtlch-
ten. Sie war Tante Cornelia (aunt Nelly), nnd ihr ,,Zweig-
triger^ (bongbearer) , Onkd Ämbrosius (Uncle Ambrose) geheißen.
Deo SchlaA des Zages bildeten sechs mit Blnmen verzierte Ziegen,
wekhe Gerätschaften znm Melken nnd Bntterroachen tragen,
sowie der Hilchpächter mit einem Stiere, der gleichfalls mit
Produkten von Feld nnd Wiese heransgepatzt war.^ Mit dieser
oigiisehen Sitte stimmt eine deutsche aus Schoraa bei Zerbst
nahe flberein. Hier wird das Pfingstgelage durch Aufrichtung
ooes Maibaums gefeiert, nachher ist Musik und Tanz, wobei
aDjIhrlich neue Platzmeister gewählt werden; die vorjährigen
wilden .flir sich allein. Vor dem Tanz erscheint gewöhnlich
ein Paar aus der a7/et» Zeit, ein alter Mann und eine alte Frau
(iQweilen zwei i^aare), die meistens Larven vor dem Gesichte
ludien; die Alte wird dabei immer durch einen Mann dargestellt^
Nicht minder aber gehört hierher eine IMroler Faschingssitte.
Am Fastnachtsdienstag gehen zwei Bursche um , von denen der
eine ein zerlumptes altes Weih darstellt Der andere trägt einen
^fohhockerj der durch ein darüber geworfenes Hemd verhüllt
^j und hat eine hohe Mütze auf dem Kopfe. Dieser heißt der
-4/fe (Wetscho), jene die Alte (Wetscha). Die Alte hat einen
Becher und eine Schweinsblase, der Alte trägt eine Stange
fTgL 0. S. 365). Beide sind voll Ruß und suchen andere, beson-
^«rs Mädchen zu berußen. Sie gehen vor die Häuser, kehren
dort, säeti Sägemehl für Rüben und schreien dabei. Daftir
^kommen sie in jedem Hause Eier, aus deren Erlöse sie eine
Messe lesen lassen.^ Nach Gabr. Ruesch wird in der Schweiz
«Ä Hirtenlande das Blockfest (s. o. S. 174. 237 flf., vgl. 30«) am
Donatustage (17. Februar) der Art gefeiert, daß ein mit Tannen-
wisern, Waldblumen und hänfenen Guirlanden geschmückter
1) Hone a. a. 0. II, 781 — 82. Vgl. Reinsberg - Dnringsfeld , festl.
Jahr 132.
2) Kühn, Nordd. Sag. 386, 70.
3) Zingerle Sitten, Autl. 2. 137, 1205.
428 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantsohaft
Baamstamm im Triumfe durch das Dorf gezogen wird. E\
Mann und ein Weib in alter Schweizertra4M mit Glocken (
S. 326) beftan^e/i * schreiten der Prozession voraus.^ Der al
Onkel Ambrosins im Schmucke der Frühlingsblumen kann kau
etwas anderes bedeuten^ als den neuveijüngten Alten der Veg
tation (s. o. S. 359), den der Alte in Schorau und Tirol mit ihn
Ehehälften noch unverjttngt vorfllhren. Und die nämliche Vo
Stellung des winterlichen Vegetationsgeistes als des wieder soi
merlich gewordenen durch zwei Paare ausgedrückt wird mi
vielleicht in der tollen Moll und ihrem berußten buckligen te
lumpten Gatten neben der schmucken Lady mit ihrem Lei
annehmen dürfen, falls nicht hier euie einfache Verdoppelu
vorliegt wie in dem Mohrenkönig neben dem Piingstl (o. S. 36£
wobei dann die Lumpen, Buckel und possierliche Gebärden ni
in Anknüpfung an das rußige Aussehen aus dem Bedfirfiiia
eines komischen Gegengewichtes gegen den Ernst des Aufzog«
hervorgegangen, somit lediglich dem Volkshnmor entsproe»
wären. Es dari* aber zur Unterstützung der ersten Annabn
angetUhrt werden, daß nach Wilhelm Müllers lesenswerten Nac
Weisungen in vielen deutschen Volkssagen von mythischem Gehal
die aus Verbannung in ein fernes Land, d. h. das Todtenrei«
oder den Winter zurückkehrenden (sommerlichen) Helden
schlechtem zerlumptem Aufzuge, an Körper und Kleidung v€
wandelt, jedenfalls unkenntlich, oder von Schmutz starrend , a
Bettler oder Pilger heimkommen.* Wie die geschwärzten G^sic
ter einzelner Mitglieder der Prozession, sowie des Tiroler Alte
dem rußigen Jack in green, dem Mohrenkönig des Pfingatrit
U.S.W, entsprechen, so begegnet der von der Lady, Mad Mc
oder Tante Nelly gettihrte Kochlöffel resp. Kessel in den den
sehen Maiumgängen in der Hand des Kochs oder Schmalzha
wieder; dieses Instrument stammt aus einer Periode, in welch
es den Umgängem noch wesentlich darum zu tun war, die Steaei
in Form von Naturalien einzusammeln, welche gemeinsam ve
zehrt wurden. Ursprünglich war dieser zum gemeinsame
Wirtshausvergnügen herabgesunkene Schmaus ein gemeinschai
liches Mahl von religiöser Bedeutung , eine Einigung (Conmmnic
1) Vernaleken, Alpcnsagcn S. 353, 22.
2) Niedersächs. Sagen, S. 395 flf. Vgl. namentlich S. 398. 405.
Maipaare; Hansl und Gretl. 429
odet nach altgermanischem Begriff eine CHlde gewesen. Die
^faqiady wird übrigens zaweilen nicht durch eine lebende Per-
Wxi; sondern durch eine Puppe dargestellt. So besteht bei
^^iigsthorpe in Northamptonshire die oben bei Headington beschrie-
f^&Tit Guirlande, welche am Maimorgen durch die Mädchen auf
^ix3er etwa 5' hohen Stange von Haus zu Haus getragen wird,
^c^8 zwei über einander gekreuzten Tonuenreifen , zwischen deren
^ Abteilungen je eine große hübsch gekleidete weibliche Puppe
^^^:^bracht ist^ Wie hier die MaifVau allein, finden wir in bairi
*^*5]ien Bräuchen das Maipaar nur in primitiverer Weise der
'^^-^wfllhrüng dargestellt
§ 3. Matpaare; Hansl und <lretl. Hans und Gretel sind
estopfte Figuren, welche an den entgegengesetzten
nden eines umlaufenden Rades befestigt sich wie zum
anze die Hände reichen. Sie werden am Pfingstmontag
iter allerlei Sprüchen von Trüppchen reitender Bauerbursche
^nungeführt , um die ,,SamtrUgI'^ genannte CoUecte von Butter,
, Eiern und Geld eiuzusanmieln , deren Ertrag dann im
irtshanse verzehrt wird. So produzierten sie sich ehemals
in der Stadt München. Uns begegneten Hansel und Gretel
^n Stroh auf dem Schleifrade bereits oben S. 352 in dem Gefolge
es Wasservogels. Auch auf dem Maibaum sieht man
äufig den Hansl mit der Gretl auf einem Windrad-
^ hen tanzend figurieren. Zuweilen saß nur die eine Puppe
_^retl) auf dem Rade; sie umr(k hinterher in den Brunnen
^^rztf die männliche Figur hieß dann Wassermann, wurde
inter dem Schleifrade hergetragen und schließlich dem Bauer,
er im Jahre etwas verschuldet hat, auf die Haustenne gewor-
, wozu stinunt, daß in Miesbach derjenige Arbeiter, welcher
en letzten Drischelschlag beim Komdreschen gefllhrt hat, zum
-^-^reschermahl einen großen mit der bräutlichen Pflanze Ros-
(o. S. 281) bekränzten Kuchen erhält, auf dem Hans
öd Gretel, zwei buntgekleidete Puppen, stehen. Mit-
^nter aber wurden Hansl und Gretl auch als Haupti)ersonen
^^8 Pfingstritts durch lebende Menschen gegeben und Hansl
**^te vor jedem Hause einen Spruch her, in dem es u. a.
Weß, sie seien aus dem rechten Paradies, wo viel Weizen,
l^ Hone, Every-da3 book 11,30«.
4dO Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
Korn, Haber and Gerste wachse.^ Ganz Uhniich war in Zürich
neben anderen Aufillhrangen am Hirsmontag (dem ersten
in der Fasten), an welchem abends Feuer angezündet wurden^
der Umzug des aus Stroh und Federn gefertigten Chridigladf%S^
und seines Weibes Else auf detn Schleifrad; auch diese beider^^^
Puppen sollen ins Wasser wnd zwar in den See geivorfen fi?e)r--^-c3
den sein.^ Wie Hansl und Gretl im Maibranch wird beim Emte^^^^j
fest ein den Dämon des Getreidewachstums darstellender Hahufj
nicht selten auf ein in Umdrehung versetztes Rad gebunden..
Unverkennbar liegt in diesem Zuge eine Symbolik des rollender
Jahres (jares umbihring Myth.* 716), das bei regelmäßiger ü
drehung das Maipaar wieder Hit Stelle bringt. TS» ist bemerkend
wert, wie auch hier der Regenzauber (vgl. o. S. 214 ff., 327
S. 355) in Form der Wassertauche nicht ferne blieb. Im Dorft^sc
Bubenö bei Prag beging man früher am 5. Mai (St Godeharc^rs^
das Kirchweihfest. Die Andächtigen wallfahrteten schon in
Frühe zu dem Brunnen Sw^tiöka unterhalb der Höhe, worar.
die St. Godehardskirche liegt und wuschen sich darin , nach de:
Hochamt zogen sie mit einer schön geschmückten Maie :
den Baumgarten, um dort den Rest des Tages vergnüglich znz*
bringen. An der Maie, die unweit des Brunnens im Boden d
Wiese befestigt wurde, hhig ein mit buntfarbigen Bändern um
grüfien 2!weigen verzierter weißer Stroksack, auf welchem
ausgestopfte Hguren , einen jungen Mann und ein junges
chen vorstellend y aufgenälit waren. Man tanzte und spielte
die Maie. Später soll diese Lustbarkeit auf den Dienstag n
Ostern verlegt sein und das sogenannte Strohsackfest veranls J
haben. In Redeis Sehenswürdigem, Prag 1728, S. 311 wird J
der Tat gesagt, daß am dritten Ostertag viele tausend Mensctfl
zu Wagen, Pferde und Fuß nach dem Park von Bubenö {AM
heutigen Baumgarten) hinausgehen, weil sodann die Kirchme^
dieses Dört'chens und Mayerhofls ist. Spuren in chronikaliscr
Nachrichten scheinen zu ergeben, daß ehedem, schon 1501 w
1) Scbmeller, Bair. Wörterb. 2. AuH. I, Sp. 43«. 1018. Panzer 1,
25iK 11,81, 12^1.222, 415.
2) Vernalokcii, Alpeiinagen, S. 3r)<>, 25. Rnn^e, Quellkultus in
Schweiz , S. 27. Aniii. 0.
3) (-f. ManTih«ardt, Konulänionen S. IK.
Maibraüt, PfiDgstbraut. 4SI
^Häi 1634 y der Baumgarten am Ostennontag das Loeal eines
Volksfestes war, an dem verschiedene Gewerke teilnamen. Bei
^<^ii8chengedenken waren die Prager Schneider die Hanptacteurs
de« Festes am Osterdienstag. Die jungen Schneidermeister zer-
^olmitten einen Strohsack von weißer Leinwand, die Gesellen
i&<^ Lehrbnrschen nähten ihn sauber, verzierten ihn mit Band-
^oUeifen roter, grüner, blauer und gelber Farbe, brachten die
'en des Jünglings und des Mädchens darauf an und hingen
am Haibaume auf, dessen Krone mit den ersten Frühlings-
l>l.imien, in Elrmangelung dessen mit einem Strauß von Zweigen
bereits ansgeschlagener Bäume, so wie mit Bändern geschmückt
ar. Unter großem Zudrange von Menschen zog man mit der
ie nach dem vorhin beschriebenen Platze in der Nähe des
C^nells Swöti^ka (des heiligen Quells?) und tanzte um sie herum
der Wiese, unter den Bäumen, aß, trank, würielte, spielte
zum späten Abend. Vor den Wirtshäusern, an den Ueber-
, auf Buden, Barken u. s. w. fast überall sah man an die-
Tage eine Wiederholung des Strohsacks mit seinen Figuren
Bäumen, Stangen, Erkern u. s. w. prangen.^ Man sieht, wie
ehrsame Schneidei^ewerk sich einen allgemeineren Brauch
.«irecht gemacht hat, um ftlr seine Gilde sich den Segen dessel-
besonders anzueignen.
§ 4. Haibraut, Pfingstbraut. Das paarweise Auftreten
.er Wachstumsgeister hätte keinen Sinn, wenn es nicht die
.Annahme verkörpern sollte, daß die jugendliche Geburtenflille
des Frühlings gleich menschlichem Kindersegen der Verbindung
ZTweier Geschlechter entsprieße. Lebhafter als durch die bloße
^Nebeneinanderstellung eines Mannes und einer Frau spricht sich
dieser Gedanke in der Annahme oder Darstellung eines Liebes-
1>imdes oder bräutlichen Verhältnisses, oder einer Vermählungs-
feier der Beiden aus. So verldeiden sich in Volkstädt, Thon-
dorf und manchen anderen sächsischen Dörtern am zweiten Pfingst-
. ieiertage ein Bursch und ein Mädchen und verstecken sich außer-
I JuiSh des Darfes im Gebüsche oder hohen Grase. Dann zieht das
B ^anze Dorf mit Musikanten aus, „das Bräutpaar zu suchen.^*
\ Wenn es gefunden ist, wird es von der Gemeinde umringt, die
I 1) Krolmus, Starodeske proycsti, Prag 1^5 — 51. II, 89 --93. Relns-
I W-Döringafeld, Festkalender a. Böhmen 174. 225.
432 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
Musikanten spielen auf, und so erfolgt der jubelnde Einzug ins
Dorf, wo abends ein Tanz stattfindet. Nur zuweilen heifit das
Brautpaar Prinz und Prinzessin.^ In einigen Holsteinischen Dör-
fern feierte man noch 1802 ein Volksfest MaigrOn (Maigrttn)
geheißen, wobei ein Paiir unverehelichte Leute in bestem Hoch-
zeitsschmucke Braut und Bräutigam vorstellten. Man nannte
den Bräutigam Maigrewe (Maigraf). Mit Laub und Maigrttn
bekränzt begleitete man Beide unter Musik in ein Wirts- oder
anderes Haus, wo gezecht und getanzt wurde. ^ Zwischen Ripen
und Tondem ist es noch jetzt gebräuchlich, daß am Nachmittage
des ersten oder zweiten Pfingsttages die Kinder zusammenkom-
men und aus ihrer Mitte ein Brautpaar wählen. Die Pfingst-
braut (Pindsebrud) wird mit Bändern und Blumen und was man
sonst herbeischaffen kann, ausgeschmückt, ebenso die Braut-
ftthrerin. Hintenan geht einer mit dem Korbe, um Gaben ein-
zusammeln. Ist genug eingekommen, so geht man nach dem
sogenannten Hochzeithause, wo es Speckpfannekuchen, Kaffee,
Kuchen und Met giebt und dann lustig getanzt wird.' Aehnlicb
war es in Schweden. Im südlichen Halland ftlhrten noch vor
wenigen Jahren Jünglinge und Jungfrauen, wie heutzutage noch
die Kinder, zu Pfingsten einen vollständigen Hochzeitszug auf
mit Brautführern (Brudriddare), Spielmann u. s. w. Eine Jung-
frau, Pßngstbraut genannt, als Braut mit der kostbaren Braut'-
kröne geschmückt, nahm die Gaben in Empfang, welche auf den
Herrenhöfen und in den Döriem gegeben wurden, die der Zog
besuchte, und davon Richtete man ein Festmahl (Gille) aus.^
in Oestergötland hieß die Pingstbrud Blumenbraut, Blofnsterhrud
Mau hatte aber den Aberglauben, wer die Blomsterbrud gespi^^
habe, werde nie eine wirkliche Brautkrone tragen.^ Etwa
die erstere Begehung einst tllr zu heilig galt, um durch menscj^Tl
liehe Wiederholung profaniert werden zu dtlri'en, oder weil
1) E. Sommer, Sagen aus Sachsen und Thüringen, S. 151 — 52.
2) Schütze . Schleswigholst. Idiotikon III. Hamburg 1802 S. 72.
Pabst, die Feste des Maigrafen. S. 37. § 41.
3) Grundtvig, Gamle Danske Minder i Folkemundc, III, 1G9. Of. J~
bücher f. Schleswigholst. Landeskunde. Bd. IV. Kiel 1861. S. 181.
4) P. Möller, Ordbog öfver Hallandska landskapsmälet Lund. IST:
V. Pingstbrud.
5) Törner, Lect4)r in Linkjöping (t \i\)0) has. Sämling af Vidske
Maibrant, Pfingstbrant. 403
Pfingstbraut einem unsichtbaren Wesen wirklich angetraut galt?
In diesem Falle würde man vermuten müssen , daß dem Umzüge
ein sichtbarer Bräutigam fehlte. Im Erzherzogtum Oestreieh
aber fand dieser Brauch bereits am Faschingssonntage statt.
Junge Barsche, meist ohne Larven, aber abenteuerlich gekleidet,
stellten eine ganze Hochzeit vor. Braut uml Bräutigam, Braut-
fSkrer und Kranjsßingfer, den Procurator, der bei Hochzeiten
aUes der Sitte und dem Herkommen gemäß anzuordnen hat, die
Gftste, Musikanten u. s. w., nachdem sie schon vorher das Haus-
geräte der Braut, aus lauter schlechtem Gerumpel bestehend, in
das Haus des Bräutigams gebracht und die Braut feierlich abge-
holt hatten.^ In Zürich hielten die Metzger ehedem jährlich am
Aisehermittwoch einen Umzug, angeblich zum Andenken an die
Moidnacht von 1330, in der sie sich durch Tapferkeit ausge-
zeichnet hatten. Dabei wurde ein in eine Bärenhaut einge-
kleideter Mensch an einer Kette umhergeführt und die
vordere Hälfte eines künstlichen Löwen mit klingendem Spiele
dahergetragen. Statt des Löwen hat man ehedem unzweifelhaft
cmmal einen Wolf gehabt, da die Figur noch immer Isegrim
oder Eisen^rind hieß. Zu beiden Seiten des Eisengrind gingen
^ei Knechte mit großen Schlachtbeilen. Geharnischte mit Spießen
^e Stadtfahne (resp. Zunftfahnc) umgebend begannen und schlös-
sen den Zug. Die Hauptfiguren aber waren im 16. Jahrhundert
^h Bullinger (Chronic. Tigur 1. ö. cap. 2) eine Braut und ein
Bräutigam: „Sie tragen wohl der Stadt Fähnli um den Leueu-
^opf zwischen den Schlachtbiclen herum , nennend aber den stri-
teuden Leuen den Isengrind, und muß denselben tragen, der des
i^-lres im viehkauf den hosten kauf gethan hat, denn mengklich
^^t, anders meint, denn er trage darum den Isengrind herum.
*^^zii hat mau erst gethan ein unfläthig spiel, ein brut und
^^^ brütigam, um welche (dies vollauft narren und butzen
l"> üren u. s. w.) mit schellen, trUnklen (Kubglocken) Kuh-
*^iiwäntzen und allerlei wusts. Es wird auch somlicher
^-*^2ug anders nüt genennt, denn der Metzger hruf: und wirft
^*€Zn endlich den hiitigam mit der brut in den brunnenJ^^
1) BauTDgarten , das Jahr iiDd seine Tage. Linz 1860. S. 18.
2) Vernaleken , Alpensagen S. StA ff. Runge , Quellcultus in der
^hweiz. 8. 2G.
434 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft
Früher scheint (wie Kunge mit Recht bemerkt) bei dieseim.
Ztlrcher Fastnachtaufzuge auch Laubeinkleidung stattgefunden zi^
haben, da ein Verbot aus Waldmanns Zeit besagt: Alles Batzen —
(Böggen-) werk auf den drei Fastnachten in bloßen Hemden)^
Epheu, Laub u. s. w. ist bei zwei Mark Silbers verboten^ ^
Ganz besonders lehrreich dürfte der nachstehende Brauch
der Umgegend von Brian^on im D^p. Hautes Alpes (Dauphin
sein. Am ersten Mai hfillen die jongei Leote eiien Birschei, deuei Brut
Liebste ihi ferlassen, beziehingsweise einen andern geheiratet hat, ii grliei Laih
Er legt sich anf die Erde und schläft scheinbar. Dann koniit ein Midehei, iu
gerne hat und bereit wäre ihn zu heiraten, weclit ihn, hebt ihn aif, reicht \km
Arm nnd eine Fahne. So zieht man zum Wirtshause , wo dieses Pi
den ersten Tanz hat. Sie müssen sich aber im nächsten
heiraten, sonst gelten sie als Hagestolz und alte Jungfer
ausgeschieden aus dem Kreise der Jugend. Der Bursche heil
„le fiance du mois de May/^ Im Wirtshause legt er die
ab. Daraus sammelt am Abend seine Tänzerin einen
den sie mit Blumen durchwindet und am anderen Tage vor
Brust trägt, wenn ihr Tänzer sie wieder zum Wirtshause ge"
tet.* Ganz genau hiezu stimmt der russische Brauch am
feste (Donnerstag vor Pfingsten, Semik s. o. S. 157) im
Nerechta. Dort ziehen die Mädchen hinaus in einen Birkenws^d,
umwinden eine schöne Hängebirke mit einem Gürtel oder
verflechten ihre unteren Zweige zu einem Kranze und kü^
sich durch denselben hindurch paarweise gegenseitig,' indem
sich so zu Gevattern ernennen und reden:
Seid gesund Gevatter und Gevatterin,
Die ihr die Birke geflochten habt.
Dann verzehren sie unter dem Baume Pflinzen und Krinj
Nun tritt eines der Mädchen in den Kreis stellt einei betronkeiei ^^^^
Tor, wirft sich auf den Boden, wälzt steh im CIrase, nUlt endlich iir Erde ind ^'^
1) Füßli, Waldmann S. 89.
2) Mündlich von einem Kriegsgefangenen.
3) Hiezu halte man , daß beim Johannisfeuer im Egerlande sich Bur«^^^
und Mädchen durch die vom verbrannten Baum hcrabgeholten Er&nze
schauen (u. S. 466).
1) Vgl. damit, daß bei den Rumänen Siebenbirgens im ersten FruhJ
am Theodorstage die Knaben und Mädchen unter sich Freundschaft sohlie ^
indem sie die zu diesem Zwecke eigens gebackenen Kuchen, dieses al
meine Symbol des Gedeihens und dör Fruchtbarkeit an einen Baum häi»
Maibrant, Pfingstbrant. 435
hhfo lie feit di. Im in SeHaffoto fM fin Mkm IIMei ii ier Mk
II km, erweckt ihi, kißt ihi ■■< 4er guu Reigei Terlißt iei PliU
deht mit andeni Liedern in den Wald, um die Kränze zu
Uy welche entweder noch am Abend oder am Pfingsttag
'asser geworfen werden und die Zukunft verkünden sollen,
ganzen Mimos begleitet ein erklärender Gesang,^ der nattlr-
on der eigentlichen Bedeutung der Ceremonie keine Ahnung
hat Man erkennt noch deutlich, daß dieser Brauch
iDglich von Darstellern verschiedener Geschlechter getlbt
\j ehe ein Mädchen auch die Rolle des Mannes überkam
»he die Gevatterschaft nur noch unter Jungfrauen geschlos-
mrde. Drei Actionen müssen unterschieden werden, das
n mehrerer Paare durch den Kranz, das Wälzen im Grase,
Schlaf und das Aufwecken durch ein Weib. Die Trun-
it des Schläfers ist nichts als eine rohe mißverständ-
Motivierung des Einschlafens. Spätere Untersuchungen
n wahrscheinlich machen , daß ursprünglich die Reihenfolge
egehungen vielleicht umgekehrt war, als jetzt; Schlaf und
ickung. Wälzen im Grase, Bruder- und Schwesterkuß der
are. Wie in jener Sitte von BrianQon von einem verlas-
Bräutigum die Rede ist, so in der folgenden von einer
ssenen Braut. Die Slovenen in Oberkrain fahren zu
icht eine Strohpuppe (den Fasching, pust) jauchzend im
umher und werfen sie dann ins Wasser oder verbrennen
vobei aus der hr)heren oder niederen Feuersäule auf die
)igkeit der nächsten Ernte geschlossen wird. Den lärmen-
^ug beschließt eine weibliche Maske, die an einem
ke ein großes Brett (deno. S. 237 erörterten Block?) nach
ieht, heult und schreit, sie sei eine verlassene Braut. Vor
Hause, in welchem eine sitzengebliebene Schöne wohnt,
der Zug halt und läßt es an derben Witzen nicht fehlen.*
nicht diese Sitte auf christlicher Symbolik beruht, eine
, die wir weiter unten eriJrtem werden, und dann der
lauung zum Ausdrucke dient, daß die Kirche in der Pas-
lachdem sie denselben unter Gesang mehrmals umkreist und umtanzt,
tlseitig tauschen und verspeisen. W. Schmidt, das Jahr u.s. Tage. S. (5.
.) Heinsberg -Düringsf cid, Illustr.- Zeitung 1873 Nr. 1561. S. 414.
Variante ans Weißrußland s. hinten im Nachtrag.
l) Ausland 1872. S. 469.
28»
436 Kapitel Y. Vegetationsgeister: Mnibrantschaft.
siouszeit eine vofm Bräutigam verlassene Braut sei, wenn ^
erlaubt ist Natursymbolik in der Begehung zu vermuten , «
werden wir die Vorstellung voraussetzen * dtlrfen, daß die ki^
dahin y d. h. während des Winters, verlassene Braut jetzt eii^«
neuen Bräutigam finden werde. Gleicherweise werden wir au^
wo uns sonst in den Frühlingsgebräuchen die Braut allein
net, dieselbe zu einem Paare ergänzen und den Glauben
muten dürfen, daB nunmehr die entflohene Braut wiederkeksL
oder daß der verlassene Bräutigam eine neue Geliebte, die ^4
lassene Braut* einen andern Bräutigam erhalten werde. ^^
wollen die betreffenden Gebräuche in der Ordnung der Kalend«
tage, an welche sie geknüpft sind, hier aufführen, unbeschaM
einer Sonderung verschiedener Fälle, welche künftig unter IbLsa
noch vorzunehmen sein dürfte. Aof itn lebridei nehaen wm LiehtM^t
(2. Febr.) die Haufrai ond die Dieistboten in jeder FaiiiUe eine lafergarl» 1
fitiei sie Bit den Heiden eines Weibes xn einer Fmnengestilt herans, stellt^B
in einen großen lorb, lehnen einen hSlxernen InBttel daran nnd neuen du du 1
der Brant: „Brides bed/^ worauf die Hansfran nnd die Dienstboten dreinul
Bride is eome, bride is welcome! Die Brant ist gekommen, will
men sei die Brant! Dies tun sie eben ?or in Bette gehen, nnd weu sie
anfstehen , sehen sie nach der Asche in der Erwartung, darin einen Eindrnek toi
InBttel der Brant in finden, (ieschieht dies, so erachten sie es fir eine
einer gnten Ernte nnd eines gfinstigen Jahres, du degenteil halten sie
schlechtes Zeichen.^ „Kommt^' die Braut in den ersten FrühlB-D
tagen, so ist sie zur Winterszeit nicht dagewesen. Ihr Kn-"Äi
erinnert an die 0. S. 251 ff. erläuterte Lebensrute. Der Metzgerh^ß
in Zürich entsprach der Fastnachtsumzug der Fleischer in Müm::*^
nach Schilderung einer Chronik des 16. Jahrh. Die Fleiar^sfe
ritten und gingen am Fastnachtdienstag abends durch die g'^uis
Stadt in alle Fieischerhäuser. Hinter den Stadtspielleuten ri^
zwei Gildemeister dem Zuge voraus, deren jeder eine F^hJ
führte. Alle Fleischersöhne, so echt und recht geboren wäre
folgten paarweise nach. Die so groß waren, daß sie sich aJJ^
auf den Pferden helfen konnten, ritten allein; die kleine^'
wurden von daneben gehenden Männern festgehalten ; die klei**'
Wiegenkinder hatten andere vor sich auf dem Sattel und wB-^
alle schön mit Gold und Silber gezieret. Auf sie folgten ^
zwei anderen Gildemeister mit der Braut zu Fuße; hinter die*
1) Martin, Description on the Western Islands 1716 p. 119.
ed. Ellkj 1,51.
Maibrant, Pfingstbrant. 437
imUiche übrige Fleischer Paar bei Paar nach ihrem
16 Braut, welche sie also umführten, war keine
16 Braut, sondern die älteste noch unverhei-
?ochter in der Zunft. Die Zunft verehrte ihr auch
, wenn sie so mit umging. Den Beschluß des Zuges
die Knechte und Jungen, zwischen ihnen Fackelträger,
dscber und jeder Knecht trug einen voh Zeug (Schnupf-
' anderem Stoffe) gemachten Kranz in der Hand. Kamen
jines Fleischers Haus, so öffnete man die Türen weit,
inden blieben draußen auf ihren Pferden sitzen, die
ister aber gingen mit der Braut in einer Reihe
[aus, und hinter ihnen, einer in des andern Kranz fas-
j übrigen Fleischer und Knechte. Wenn es an die
kam, zogen diese den Schwengel, daß der eine hier,
re dort lag, wobei es viel zu lachen gab. In jedem
ib es Bewirtung mit Wein und Bier. Zuletzt zogen sie
af den Markt, die Fußgänger umwandelten die Kränze
mit der Braut dreimal die Schäme (Fleischbank,
I und sangen ein Lied, das niemand verstand und das
niemand lehrten , als der zu ihnen gehörte. * In Deutsch-
lihren die Bursche am Aschermittwoche eine Aschen-
n Tür zu TUre.^ In den Dörfern am Südrande des
\ (Pr. Altmark) fllhreu die Mädchen, während die Jungen
in Ijftub gehüllten und einer Blumenkrone geschmückten
ai umgehen , die Maibraut von Haus zu Hause , welche
Braut mit Bändern geschmückt ist und namentlich das
8 zur Erde herunterhangende Brautband trägt. Auf
e hat sie einen großen Blumenstrauß. Sie singt:
Maibnit, Maibrüt!
Wat gt'bet ju de kleine Maibrüt V
Gebet ju wat, so het se wat,
So het se't ganze Jär wat.
Gebet jii nist, so het se nist,
So het se't ganze Jar nist. u. s. w.
Q D(*>rfeni des Drümlings (z. H. Neu-Ferchau und
), wo der laubeiiigehtillte Junge Pingstkääm hejßt,
; mit der Maibraut umgehenden Mädchen:
iblatt zu Nr. 1. der Rheinischen Trovinzialbl. Köln ia3S. S. 3-4.
insberg-Düringsteld, IJuhni. Festkalenders. 50.
438 Kapitel V. Yegetationsgeister : Maibrantschaft.
Halln tu tut! Un dat is gutl
Dat is unse Maibrüt
Gäwen sc wat, hct se wat^
So het se^t ganze Jär wat u. s. w. ^
Auch iu den Dörfern um Braunschweig erscheint za^
eine mit Blumen bekränzte Maihraut* In der Grafschaft
(Westfalen) flihrgi zwei Mädchen ein blnmeubekränztes c
„de Pingstbrüt,'' Eier heischend von Tür zu Türe, i
sie singen:
Rüt! Rüt!
Da kuem wi met der Brut.
De ßrüt, da es van Niggeruo'e (Nenrode),
Drüm mach sc gärne Aierduo'er (Eidotter);
Aierduo'cr int Molkenfatt,
Da wärt Brümer (Bräutigam) un Brut van satt.'
In andern westfälischen Gegenden wird Pingstbrut
Hngsfjuffer (Pfingstjungfer) dasjenige Mädchen genannt, w<
beim Austreiben des Viehes zuletzt auf dem Felde ank
Sie wird unter großem Jubel „gekrönt," d. h. mit Laub un<
men geschmückt; an einigen Orten freilich erhält sie nichi
men , sondern einen Strohkranz oder Nessclkranz als Putz.
Umherftlhren durchs Dorf singt man:
Pingstbrüt, füle Hut!
Wörst du'n bitkcn fröcr upstan,
Wör't di'n bitkcn beatcr gän.
Zuweilen endlich ist das zuerst erscheinende Mädchen Pi
braut und Königin des Festes.* Auch in der Oldenburger ä!
heißt die Magd, welche zuletzt zum Melken kommt, die Py
braut J Die Langschläferin grüßt uns sofort als alte Bek
ihr Antlitz verleugnet die Familienähnlichkeit mit den schi
osterten oder gepfefferten Burschen und Mägdlein, (o. S.
268), der Pfingstblume (o. S. 318), dem Pfingsthagen (o. S.
nicht. Zu Holzheim in Schwaben wird vor dem Festmahl
Maifestes der Wasservogel (o. S. 352) ausgepascht. Der G
1) Kubn, Mark. Sagen S. 319—322.
2) Kuhn, Nordd. Sagen 384, 64.
3) Fr. Woeste . Volksüberl. a. d. Grafschaft Mark 26 , 5.
4) Kuhn, Wcstfäl. Sagen IL IGO, 449. 161, 451,
5) Strackerjan, Abergl. u. Sagen a. Oldenburg, 1867. 11,47,31
t
Maibrant, Pfingstbrant. 439
neode inhrt seine Tochter oder Schwester zum Mahle. Dadurch
wird sie die Pßngsthraut und erhält einen Ehrenplatz am Tische,
90 wie den mit Eiern behangencn Schntlrriemen (Leibgttrtel) des
Wassenrogels. Letzterer wird nach Abnehmung dieses Gttrtels
tnf das Dach der Pfingstbraut gesetzt, wo er das ganze Jahr
bis znr nächsten Pfingsten bleibt.^ Nicht weniger als in Deutsch-
land ist die Maibraut in Frankreich gefeiert. In der Umgegend
von Grenoble feiert man ,Ja fete du preniier niai et de son
epousee," indem ein König und Königin auf einem Trone sich
den Blicken der Vorübergehenden darstellen.* Wir sahen o.
S. 346, wie in Süd -Frankreich z. B. Nimes für die „Reine
Maia'* oder ,, Belle de Mai" ein Hochzeitsgeschenk erbeten
wurde. An den Ufern der Seille sangen die Hirten , am Maitage
^in blumengeschmücktes Mädchen umttihrend:
Etrciinez notre ipousee\
Voici le iiiois,
Le juli inois de mai.
Etreniiez notre epuasee
En belle etrenne!
Voici le mois.
Le joli mois de mai.
Qu'on vous amene.*^
In der Bremse heißt die Gefeierte „/a Mnr'u'e.'' Ein Baum-
^fUger (dendrophore) mit grünem Maibaume geht ihr voraus, dann
^^'gt sie, von einem galanten Burschen geführt und bedeckt mit
ölomen, Bändern, Schmucksachen; nach ihr das übrige Land-
volk, ein Lied in Patois singend, aus dessen franzcwischer Ueber-
**^teung wir einige Strophen hersetzen wollen:
Voici venu le joli niois
I/alouette plante le mai.
Voici venu le joli mois;
Ti'alouette le plante;
Le coq prend sa vok^e,
Et la volaille chante.
Voici venu le joli mois,
La cle de ma mie j ai.
1) Panzer H, 87, 129.
2) E. Tort/'t, fotes rclipeuses. Paris 1867. p. IGl.
3) Monnier et Vingtrinier, Traditions populaires comparees. 283,
\
440 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibraatschaft.
Voici venu le joli mois,
J'ai la clc de ma inie;
La cle de ma mie j'ai,
Pendue ä ma ceinture.
Voici venu le joli mois;
Notro maitre, le bonsoir!
Voici venu le joli mois ;
Bonsoir donc, notre maitre,
Vous plairait-il de vous lever
Pour nous donner a boir?
Voici venu le joli mois,
La Mariee tCa pas soif.
Voici venu le joli mois,
Jju Mariee est saole;
Non, la mariee n'a pas soif,
Elle a bu ä la fiole.*
Die epousee de mai ist sprichwörtlich geworden. Wenn eine
Frau oder Jungfrau sich überladen herausgeputzt, mit Schmuck
oder Blumen behangen hat, sagt man spöttisch: ,,Elle est belle
camme V epousee du mois de mai^^ oder man nennt sie:- „la Belle
de mai, la Reine de mai.^ Nicht allein in Südwesten, auch
sttdöstlich greift der Brauch , die Frühlingsbraut umzuttihren , weit
über die deutschen Grenzen hinaus. Bei den Albanesen ziehen
am Lazarustage (dem letzten Tage der Osterfasten) Knaben ver-
kleidet und mit Schellen behängen von Dorf zu Dorf. Jeder
Trupp besteht in der Regel aus sechs Köpfen, einer trägt einen
Korb zum Einsammeln, ein anderer trompetet auf einem Destil-
lierhelm, und ein dritter ist als Braut verkleidet.^
§ 5. Huren, Feien. Eine eigentümliche Abart, der vor-
stehenden Bräuche fand sich noch im vierten Jahrzehnt unseres
Jahrhunderts im Marktflecken Großen - Gottern , Kr. Langensalza,
Rgbz. Erfurt. Dieser Ort steht unter einer einheitlichen und
gemeinsamen Schulzenverwaltung, umfaßt aber zwei evangelische
Kirchspiele mit besonderen Gotteshäusern, Schulen und Pfarrern.
Am ersten Pfingstfeiertage hüllen einerseits die erwachsenen
Bursche, andererseits die Knaben jedes Kirchspiels tiir sich, oinen
der Ihrigen in Lindeulaub als Schoßmeicr (o. S. 348) ein und
1) Monnier a. a. 0. 283—81.
2) Monnier a. a. 0. 285.
3) Hahn , Albanes. Stadien S. 156.
Haren, Feien. 441
setzen ihm womöglich einen Blamenstrauß als Krone auf, so daß
im Ganzen 4 SchoBmeier vorhanden sind. Zwei Fahnenträger,
zwei Platzmeister mit Pritschen, ein Musikcorps voran durch-
ziehen die Bursche beider Kirchspiele mit ihren Schoßmeiem
über Mittag auf den besten und schönsten Werden gesondert die
beiden Pfarreien; ebenso die Knaben, die größeren auf Gäulen
geringerer Qualität, die jüngeren auf buntbemalten Steckenpfer-
den. Begegnen die Bursche beider Kirchspiele oder die Schul-
knaben einander, so kommt es zu einer Prügelei, bei der es
darauf abgesehen ist, der andern Partei die Fahne zu rauben,
und wobei namentlich der mit einem tüchtigen Stecken (vgl.
0. S. 434. 343) bewaffnete Schoßmeier seine Pflicht zu tun
hat Die Besiegten müssen ihre Fahne durch eine Geldein-
zahlung in die Festkasse einlösen. Nach dem Umzüge werden
4 Tanzplätze und Lauben (vgl. o. S. 187) für die Musikanten
hergerichtet Dort findet am 2. Feiertage in den besten Klei-
dern der Tanz statt. Am Pfingstdicnst{jgc wiederholt sich der
Umzug, jedoch nur je in dem eigenen Kirchspiele. Dabei spie-
len dieselben Personen, welche Schoßmeier waren, die Haupt-
rolle, aber sie tragen nicht mehr d<is LaKhgfwand, sondei-n zcr-
rissetie Weiberkleider, Gesichtslarven , Körbe und Koher, und
»wn nennt sie Huren. Etwas zudringlich sammeln sie zwei Tage
Undureh Eier, Schinken, Würste und eigens für das Fest
gebackene Kuchen ein, welche bei den bis zum Mittwoch Abend
dauernden Tanzgelagen verzehrt werden. Dann ruht die Feier
<lreiTage, bis sie am Trinitatissonntage abends mit einer Pro-
w^on der vier Gelagstruppen l)eiderlei Geschlechtes auf die
Mder mit heiterer Musikbegleitung endigt, wo jeder Fahnen-
^er in ein grünes RoggenstUek hineingeht und seine Fahne
horizontal über dasselbe schwenkt; indeß alle übrigen einen
f-lioral „Nun danket alle Gott" oder ein äiinliches Lied singen.
Wese Roggenstücke hält der Volksglaube fUr besonders geseg-
^^^^ Auch in der Altmark ziehen mehrfach am dritten Pfingst-
leiertage die Tänzer und Tänzerinnen von Hof zu Hofe, darun-
1) Mündl. Zu dem letzten Acte des Festes vgl. den Saatgang der
*%- und Ackerleute nach den Niederhöfeu zu Langensalza am Nachmit-
^^- des Trinitatissonntages. A. Witzschel Sitten u. Gebräuche aus der
^'mgegend v. Eisenach. Kisenach 18G(> S. i:3, b\.
442 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
ter befinden sich mehrere junge Bursche in Vermum-
mung mit Weiberkleidern, und einer trägt einen geMlten
Bierkrng, den er jedem Hofwirte und, seiner Frau reicht, dann
wird einige Minuten auf der Tenne getanzt, indeß die Wirtin
mit ihren Gaben herausrückt* Man erinnere sich des o. S. 377
erwähnten Lütticher Pfingstumgangs vom Jahre 1224, bei wel-
chem „omues alii, prout poterant, ad modum mulierum erant
adomati^' und „tam senes quam juvenes masculini sexus antiqaos
ludos vestibus mulierum induti barbis rasis redncunt ad memo-
riam/' Nach Lubbert wurde bei Lübeck schon am Sonntage
Quinquagesimä ein mit einem grünen Weiberrocke behange-
ner Knecht umliergeflihrt (o. S. 317). In der Grafschaft Bup-
pin (Altmark) wiederum gehen in der Woche vor Weihnachten
mit dem Schinimelreiter und Ghristmann auch die Feien um,
Weiber gekleidete Bursche mit geschivärzten Gesichtern,* die sii
allerband Neckereien und Zudringlichkeiten erlauben, und ei
diese Feien (auch wol einfach Maschkers, Vermummte, genannt^A
zuweilen in der Dreizahl) stellen sich auch l>ei Hochzeiten ein^ns
während der Zug sich nach der Kirche bewegt und suchen denjCD
selben durch Possen zu stören und zum Lachen zu bringen, ^
oder sie treten am Abend in Begleitung des Erbsenbärs auf un^ ^
tanzen mit der Braut*
Obgleich in den letzten Beispielen statt der einen Maibrai
mehrere Fraueugestalten auftreten , und auch der Bräutigam fehl'
wird es schwerlich zu bezweifeln sein, daß diese Bräuche ni
mit etwas verschiedener Wendung denselben Gedanken enthall
wie diejenigen, in denen ein Brautpaar dargestellt wird. Dei
diese Mai- und Fastnachtsgebräuche sind ja unwillkürliche Ve -=i
anschaulichungen des Gedankens, daß die Natur im Begriffe s
eine neue Generation hervorzubringen. Dieser Gedanke
mythisch ausgedrückt durch die Vereinigung eines männlicbi
und eines weiblieben dämonischen Wesens, in deren Verhall
wiederum die Stimmung sich abspiegelt, welche im Frühja
jede noch unverdorbene Menschenseele ergreift, die zarte
1) Kuhn. Mark. Sagen S. 327.
2) Kuhn. Mark. Sag. 346. Kuhn, Nordd. Sag. 402, 125.
3) Kuhn. Mark. Sag. 3G2.
4) Kuhn , Nordd. Sag. 433, 280.
Bedeataug den Maibraatpaan. 448
sacht y das sttfte Verlangen, der goldene und reine Traum von
GtOek und Liebe, denen das Herz sich öflfhet, wenn im Februar
der Saft in die Bäume steigt und im Mai die Knospen springen.
Wo aber der grüne Vegetationsgeist (der Schoßmeier) in die
Hure sich wandelt, liegt der nämliche Grundgedanke der Pro-
creation vor, nur ist die unermeBliche WerdetUlle des vorgeschrit-
tenen Frühlings und Sommers in den Vordergrund gestellt und
dnreh ein Uebermaß der Zeugungen symbolisch angedeutet. Daß
wk die Feien nur VervieltUltigungen dieser Figur sind, die
in jener Lübecker Sitte noch einfach autlritt, erweist sowohl ihr
Käme, der auf den Begriff des Zauberkräftigen, Wunderwirken-
den ausgeht,^ als ihr Auftreten in Begleitung des Sehimmelrei-
ten and des £rbsenbärs (wie wir später sehen werden, zweier
I^egetationsdämonen) und auf Hochzeiten , wo sie doch offenbar
die Fruchtbarkeit des neugeschlossenen Ehebundes bewirken soll-
ten. Zur Zeit der Wintersonnenwende erscheinen sie, weil dann
der Frühling vorspukt (vgl. o. S. 236). Jener LUtticher Umgang
erweist, daß ihre Vervielfältigung local schon im 13. Jahrhundert
eingetreten war.
§ 6. Bedeutniig des Malbrantpaarn. Mit vollem Rechte
'»Ird an uns die Frage gerichtet werden, ob die Bedeutung des
liraatpaares nicht noch näher zu bestimmen sein m('>chte, als es
1) In diesem Sinne mag das rouicinische . ans fata entstandene Wort
^on städtischen Pfingstgebräuchen , weiche Sceneii der Artusromane nach-
bildeten, entleiint, und auf die ländliche Festfeier übertragen sein. Vgl.
Stiller- Zamke nihd. Wb. s. v. Feie. So erzählt bekanntlich die Magde-
burger Schoppenchronik zum Jahre 1285 , daU zu den Ptingstspielen dieses
Jahres der gelehrte Konstabtd Hrun von Sconebeke auf Bitte seiner Collcgen
»Hj Stadtregini ente ein Festspiel dichtete, dessen 8tolV der mit der Artussage
^'^Anndenen Gralssage entlehnt war. Die Hauptsaclie dabei war ein Lanzen-
'^nnen, wobei eine fahrende Schöne, Frau Feie genannt, als Siegespreis
Ätisgesetzt war (sc hedden eyne schone vrowen . de het vrow Feye , de scholdc
^«n ghewen den, de se vorwerwen künde mit tuchten und manheyt). liin
^ter Kaufmann aus (ioslar gewann sie, der sie mit sich nahm, aber mit
^*^ör gnten Mitgift ausgestattet einem ehrlichen Manne zur Ehe gab , so daß
^^ zuchtlose Weib ihr wildes Leben nicht mehr übte. Magdeburg. Schöp-
penchronik ed. Janike K 11. (Chronik der. d. Städte VII. 168 — 161). cf.
1^1». Hirsch über die Artushöfe S. 23. :U.) Janikes Vermutung, Feye sei
"i« Abkürzung des Namens Sophia, (niederd Fike, fries. Vye) dünkt mich
Wenig wahrscheinlich.
\
I
j
444 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
bis dahin von uns geschehen ist. Wer ist die Braut and wer
ist der Bräutigam? Der in Laub gehtlllte Fianc^ da mois de
may in der Dauphine, welcher nach Verlust der Braut schläft,
und von einer neuen wieder erweckt wird, ist doch deutlich der
im Winter schlummernde Geist der Pflanzenwelt, und wenn man
die Geliebte mit einer bestimmten Naturerscheinung zu identi-
fizieren genötigt wäre, würde man am ehesten au den Sonnen-
schein, oder die kSouuc denken, die in der zweiten Jahreshälfte
so zu sagen davongeht und die in der ersten Hälfte des folgen-
den Jahres gleichsam als eine andere wiederkehrt und das Grön
von neuem wachruft; oder an die Erde, welche im Winter, un-
fruchtbar geworden, sich dem Genius des Wachstums entzieh
im Frühjahr aufs neue ttir ihn bräutlieh sich schmückt. Seh
leicht ließe sich die Anschauung umkehren, so daß Sonne odi
Erde als die vom Wachstumsgeist verlassenen erscheinen,
ja das anthropomori)hi8che Bild von der Untreue oder dem To^3e
des (Tratten oder Verlobten nur die Unterbrechung oder A^^f-
hebung der zeugenden und gebärenden Naturgewalt darstel^^o
soll. Mau vergleiche nur, wie HiUderlin I, S. 99 sich ausdrücl^t:
„Mutter Erde, rief ich, du bist zur Wittwe geworden, dürt"tig
und kinderlos lebst du in langsamer Zeit." Doch ich meine, d^Ä
von einer rohen Identifizierung der Maibraut mit einer solcben
bestinnuten NaturiTscheinung überliaupt abzusehen sei, daß viel-
mehr das Verhältniß der Brautschaft, Ehe, Vermähluug,
den Kern des mythischen Gedankens ausmacht, der au und f^
sich unbestimmt, verschiedener Anknüpfung und Wendung fäbig
war, wie denn z. B. der Dichter Logau denselben Gedank<?^
anschlägt, wenn er in seinem bekannten Epigramme vom i**^
sagt: Dieser Monat ist ein Kuß, den der Himmel giebt der Erde, g
daß sie jetzo seine Braut, künftig aber Mutter werde. Und Cr^*"
bei: Der Himmel selbst ist tief herabgesunken, daß liebend *^
der Erde sich vermähle. Zwei uns wolbekauute Züge, das LaUg-
schläfertum , d. h. Aufstehen aus langem Schlafe und der Kcg^^;
Zauber sind übrigens untrügliche Merkmale, daß es sich *^^^
unserem Paare um Vegetatiousdämonen handelt. Die Entferüi^-^^6
des Gatten oder Bräutigams von der mit einem andern bulil^^'
den, verlobten oder vermählten Gattin oder Braut, sein vermei*^"
licher Tod, sein Verweilen in entlegener Feme (die sich du»*^
verschiedene symbolische Züge als das Todtenreich characteriBi^^
Bedentang dc8 Maibraotpaars. 445
und seine wunderbare Rückkehr und Wiederverniählung nach
geranmer Zeit (meist nach 7 Jahren) sind ebenfalls ein der ger-
manischen Mythe nnd Sage ganz geläufiges Bild, um den Wech-
sel der Jahreszeiten zu bezeichnen.^ In gleichem Sinne kennt
die Mythe den umgekehrten Zug der Untreue des den winter-
Bßhen Mächten verfallenden Bräutigams gegen die erste Verlobte
(Sigafrit). Dem nordischen Mythus von der trähnenschönen Göt-
tiö Freyja, die von ihrem Gemahle Odr verlassen suchend ihm
ittchzog von Land zu Lande,* steht auf deutscher Seite wie es
scheiot gegenüber die (o. S. 122 flf erörterte) Sage vom wilden
Jäger (Gronjette u. s. w.), der sieben Jahre seiner vor ihm fliehen-
den Geliebten nachjagt, bis er sie erlegt und quer über sein
fioS geworfen davon führt. Daß eine Ueberliefcrung die Gejagte
St Walpurgis nennt und die Jagd in den Frühlingszwölften
^• — 12. Mai vor sich gehen läßt (o. S. 121), macht es ziemlich
&ewiÄ, daß letztere nach alter Vorstellung überhaupt im Mai
^iidigte (mithin, wenn man 7 Jahre für den mythischen Ausdruck
'^on Monaten gelten läßt) von Anfang October bis Anfangs Mai
^^oemd gedacht wurde. Darf diese Jagd auf die Frau mit den
&»oßen Brüsten, in welcher wir das Blättergrün, die Pflanzen-
öle erkennen wollten (o. S. 124) mit Kuhn als eine rohe und
^^hr altertümliche Form des Brautraubes aufgefaßt werden, so
findet die Vermählung des Paares im Mai statt und wir haben
^^i jener Wodanssage ein Analogon zu den Gebräuchen von der
^aibraut. Die Uebercinstlnmmng ist um so augenfälliger, wenn
'lian sich vergegenwiirtigt, daß Verbannung, Flucht, Tod und
^hlaf der Götter nur verschiedene Wandelungen des Mythus
l^im Ausdrucke eines und des nämlichen Gedankens sind. Wir
"Verden nach allem diesem über den Gedankeninhalt der nach-
stehenden Tiroler Sitte nicht mehr im Dunkeln sein können.
-A^Oi unsinnigen Pfinztag, d. h. Faschingsdienstag verfertigt man
*^ Stroh und alten lumpigen Kleidern einen großen Mann, den
•^erthansel , und trägt ihn auf einer eigens dazu bereiteten
*i'agbahre herum. Auf den Plätzen und bei verschiedenen Häu-
^ni halten die Träger an und fragen den Strohmann um Neuig-
^^ 1) Ich verweise nur auf W. Müllers Erörterung, Niedersächs. Sag.
"^^^^407, der sich Vieles anreihen ließe.
2) Gylfaginning c. 35. Sn. E. Arn. 1 , 114.
446 Kapitel V. Vegetation sgeiater: MaibrantBcbaft.
keiten, worauf' ein Barsche, im Namen der Pappe antworte
alle anstößigen Tagesgeschichten kandmacht SchKeJlich w
der Egerthansel einer alten , aber den^ch heiratslustigen Ju
frau als Bräutigam beschert und über ihrer Haustüre aufgehäti
Ein gemeinsamer Tanz im Wirtshause beschließt den Tag.^ ]
Egert, Egärty Egerten ist eine ehemals gepflügte, Acker gev
sene Feldfläche, welche in Folge des Wirtschaftssystems ob
deutscher Gebirgslandschaften (der sogenannten Egartenwirtscht
später ftlr eine Zeit lang zu Graswuchs, Holz oder gar keine
Anbau Ode liegen geblieben ist.^ Der Egarthansel darf mith
verstanden werden als der Dämon, der ehedem in dem Leb
des Saatfeldes tätig , nun seit geraumer Zeit in der unfruchtbar
Wildniß oder Oede weilte, sein zerlumptes Aussehen stellt il
dem Onkel Ambrosius und anderen Vegetationsalten (o. S. 4S
zur Seite. Dürfen wir dieses Verweilen in der Wildniß als s
nen winterlichen Zustand auffassen, so ist die Symbolik U
weshalb er, nun zurückkehrend, einer Braut zu teil wird, wek
lange sehnsüchtig gewartet hat und über dem Warten alt wni
(ygl. die verlassene Braut jenes kämtischen Fastnachtsaufzuf
0. S. 435), aber noch immer mit ungetrübter Hoffnung der V<
mählung entgegenträumt. Im übrigen hat die Sitte, den Ege
hansei der heiratslustigen Alten auf den Stadel zu setzen, ü
nächste Verwandtschaft in jenem bairischen Brauche, der Pfing
braut den Wasservogel aufs Dach zu pflanzen o. S. 439.
Ergiebt sich nach allem diesem für jenen Brauch in Kämt«
auf Fastnacht eine verlassene Braut darzustellen, die Möglichk
einer bloßen Variation anderer Frühliugsgebräuche , so schwft(
sich damit die sonst große Wahrscheinlichkeit ftlr eine chri
liehe Deutung desselben ab, auf welche eine Aeußerung Belel
zu ftihreu scheint. „Septuagesima incipit a moerore et finit
cum gaudio, sicut psalmi poenitentiales utvocant. Septuagesii
vero sonat sexies decem et significat tempus viduitat
ecclesiae ac moerorem ejus propter absentiam spon;
Licet enim Christus sit nobis praesens secundum divinitatem jm
illud: Vobiscum sum usque ad consummationem seculi, taot
secundum, quod est homo, in coelo est et sedet ad dexterc
1) Zingerle, Sitten. Aufl. 2. 135,1195.
2^ Scbmeller, Bair. Wb. Aufl. 2. d45.
I Nachahmungen des Maibrautpaares. 447
jMitriB, id est, patri est co^qualis/'^ Diese Auffassung beruht
ttf dem Ausspraeh Christi Lue. 5, 35: Es werden Tage kommen,
dk der Bräutigam wird von ihnen genommen werden, alsdann
leiden sie fasten in denselben Tagen. Schon TertuUian schrieb
(LA. CQiitr. Psychicos cap. 2) : Gerte in Evangelio illos dies jeju-
ins determinatos putant, in quibus ablatus est sponsus. Der-
Mite a. a. O. cap. 13 : Ecce convenio vos et praeter pascha jeju-
iajotes citra illos dies, quibus ablatus est sponsus. Es liegt
huchaus nahe, aus diesem Gedankenkreise heraus die Kärntner
'Vistnacbtbraut (o. S. 435), vielleicht auch die Aschenbraut (S. 437),
Is Darstellung der in der Passionszeit verlassenen Braut Christi,
er Kirche, zu deuten; die Pfingstbraut, Maibraut, L'^pous^e
u mois de May; die den in Laub gehüllten verlassenen Bräu-
S'Bm aus dem Schlaf erweckende Jungfrau (o. S. 431), die in
l-<e8talt einer aus Hai'erähren geformten Figur auftretende, froh
rillkommen geheißene Lichtmeßbraut (o. S. 436) sind jedoch un-
kr«etig bildlicher Naturansehauung entsprungen, und es wäre wie-
ein fast wunderbar zu nennendes Zusammentreffen ganz hetero-
christlicher und außerchristlicher Ideen in der gleichen Form
tnes zu gleicher Jahreszeit geübten Brauches, wenn wir die obigen
^astenbräuche von den Darstellungen des Maipaars trennen und
^r Kirche als Erzeugnisse ihrer Gedankenarbeit zuweisen müßten.
•§ 7. Nachahmungen des Maibrautpaares. Auch dem
Maipaare (wir bezeichnen mit diesem Ausdrucke der Kürze
wegen die beiden dämonischen Wesen, deren Vereinigung im
Frühjahr, resp. Sommer, sei es zu Fastnacht, zu Walpurgis oder
gir zu Johannis gefeiert wird) entbricht eine Eigenschaft nicht,
welche wir mit fast allen übrigen Gestalten des Wachstumsgeistes
(ßmnseele, Waldgeistem, Maibaum, Emtemai, Lebensrute u. s. w.)
Terbonden fanden; ich meine jene Fähigkeit und Tendenz als
Vorbild des Menschen zu dienen, der sich selbst mit ihnen, sein
individuelles Geschick mit demjenigen der Natur identifizierte
^ dadurch ihrer Kraft, Gesundheit und Fülle teilhaftig zu wer-
^ gläubig erwartete. Aus diesen Egenschaften fließt eine
^ihe von Handlungen, denen zufolge sich die gesammte mann-
Bebe Bevölkerung in erwachsenem Alter, resp. die unverheiratete
1) J. Belethi Rationale diviiioram officiorum cap. 77 (ona cum Durando
^ Com. Lauriman. Lugd. 1605. p. 525).
448 Kapitel Y. . Vegetationsgeistcr: Maibraatiiehaft.
Jagend das Grebahren des Maipaares aneignete und durch Wa
einer Maibraut (Fastnacbtsbraut) dasselbe darstellend nachbilde!
Wir beginnen unsere Nachweise mit einer französischen SitI
welche an die oben (S. 122) erwähnte Sage vom wilden JSgi
erinnert. Zu Mont^limart Dep. de Drome in der Dauphin^ wi
es nämlich Brauch, daß die Ackerbürger (labonreurs) mit de
Amtleuten (bayles) am 30. April jedes Jahres auf einem dayc
Mai oder des Bouviers (Rinderhirten) benannten Platze de
Maihaum pflanzten. Am 1. Mai bestiegen sodann die Acke
bürger und ihre Amtleute (syndics) prachtvoll aufgeschirrte ur
mit Bändern geschmückte Mäuter, ein jeder nahm ein Bauerwei
oder eine Bauertochter hinter sich aufs Tier (en Croupe) und i
ritten sie mit Musik auf den Dörfern der Umgegend von ET
zu Hofe, teilten geweihtes Brod aus, sangen und ließen d
Bauermädel tanzen, wofür sie überall eine Bewirtung empfinge
In den Pfingsttagen fand endlich ein früher dreitägiges, in d«
Revolutionsepoche abgestelltes, seit seiner Erneuerung im Jah:
1818 auf einen Tag beschränktes Ackerbaufest statt, bei welche
die jungen Leute einen Aehrenstrauß im Knopfloche trugen ai
einen König wählten, der ein mit Aehren gekröntes SJept
führte.^ In der englischen Bearbeitung des Romans von Artha
Tod ist die nämliche Sitte beschrieben , ob schon das französiscl
Original sie kennt, habe ich nicht feststellen können. Im lustig«
Monat Mai, heißt es, rief Königin Genever die Ritter d^
Tafelrunde und gab ihnen einen Wink, sie werde früh a.
Morgen den Mairitt in die Wälder und Felder bei Westminst;
halten (ride on maying). Alle Ritter waren dabei in Grä
gekleidet, wol beritten, und jeder hatte eine Lady hinter Rie.
ein Schildknappe, zwei Trabanten folgten.* Daß es sich t
diesen Sitten in der Tat um die Nachbildung einer Hochz^
handelt, geht aus der Hochzeitsitte im Vogelsbergischen (Hess^
hervor. Am Morgen des Hochzeittages begiebt sich der Bräu,
gam mit berittenem Gefolge zur Braut. Hier finden die Reit:
eine gleiche Anzahl junger Mädchen, deren jedes einen Knu'
aus Kunstblumen, Gold- und Silberflittem auf dem Kopfe träc
1) M. de Croix , Statistique du D6p. de Drome bei Monnier p. 303.
2) Mürte Arthur, translated from the Prench by Sir Thomas Mallo i
knight, and first prmted by Caxton A. D. 1481 bei Strutt a. a. 0. 357.
Mailehen, YaleDtine. 449
Nich dem Frühstück wird der Rückzug angetreten. Voran ziehen
die Spielleute , hinter ihnen die Brautwerber in schwarzen Män-
teln mit dem Bräutigam in ihrer Mitte. Dann folgt einer der
finrntfUhrer, hinter welchem die Braut sitzt, und nun der Beihe
ueh die übrigen Reiter, jeder ein geschmücktes und bekränztes
lidehen auf seinem Pferde haltend. Kaum ist der Zug auf
einer Ebene angekommen, so verstummt die Musik, die Mädchen
buchen schnell vom Pferde und es beginnt ein vollständiges
Wettrennen nach einem Ziele, an das ein seidenes Halstuch, ein
ftuur Handschuhe und ein Band als Preise befestigt sind. Wer
»e gewinnt, schmückt sein l*ferd damit (Brautlauf).
hn Drömling ziehen die Hirtenjungen am weißen Sonntage
(Jndica, 14 Tage vor Ostern) hinaus auf die Weide und stecken
«inen Platz ab, auf welchen bis zum Pfingstfeste niemand sein
Vieh treiben darf. Ist dies geschehen , so nennen die Meineren
<fe» größeren ihre Braut und keiner darf den Namen verraten.
Daranf ziehn sie ins Dorf und sammeln Gaben ein, welche auf
ier Weide verzehrt werden. Zu Pfingsten wird die abgesteckte
Weide frei und jeder darf auch die ihm bezeichnete Braut nen-
nen.* In Kindleben bei Gotha findet am Himmelfahrtstage eine
Art Brautmarkt statt, indem sich dort alljährlich die Bursche
w»d Mädchen der Umgegend zur Brautschau stellen. Die Bursche
kommen in ihrem höchsten Staate und mit vollem Beutel, um
^len Naumburger Wein reichlich fließen zu lassen , die Mädchen
^t dreifacher Garderobe, da sie sich dreimal umkleiden mtts-
^D. In Kindlebcn entspinnen sich die meisten ehelichen Verbin-
^'ingen, welche die Statistik unter den Hauern jener Umgegend
^'crzeiehnet und manche heiße Debatte über Land und Geld fand
^ört statt. Der Tanz unter der alten Kindleber Linde, so wie
^c gemeinsame Heimfart sind entschiedenere Wahr/.eichen ihres
^öndes, als der erste r>flfentliche Ausgang eines Brautpaars in
^^f Stadt. Eine ähnliche Bedeutung mag der Tanz auf der
'^iese über der Ncbelhöhle in der schwäbiscben Alb gehabt
*^^ben, zu dem an jedem Pfingstmontiige die jungen Leute
^^r weiteren Umgegend zusammen strömen.
§8. Mallohoii, Valentine. In Hessen, Westfalen, Rhein-
^^nd werden am Maitiige die Mädchen versteigert oder zu Mai-
1) Kuhn. Mark. Öajr. :V21.
*<»anhardt. 29
450 Kapitel Y. Yegetationsgcister: Maibrautschaft.
leben ausgegeben. In der Sebwahngegend ziehen die hcirats-
fäbigen Bursebe, im Ziegenbainiseben nur diejenigen, welch^^
durcb einen besonderen Act in die junge Mannscbaft aufgenoiik^^
men sind, wäbrend der Walpurgisnacht singend, mit Peitscli^-^
knallend auf eine Anböbe vor dem Dorfe, wo sie früher bei dv^
ser Gelegenheit ein Feuer anzuzünden pflegten (wie in den -KV-.
sen Kirchhain und Ziegenhain noch jetzt geschieht). Einer st^^^nit
sich auf einen Stein und ruft:
Hier steh' ich auf der Höhen
Und rnfe aus das Lehen,
Das Lehn, das Lehn,
Das erste (zweite u. s. w.) Lehn,
Daß es die Herren recht verstehn!
Wem soll das sein?
Dann antwortet die Versammlung, indem sie den Namen eirÄies
Burschen und eines Mädchens nennt, mit dem Znsatze:
In diesem Jahre noch zur Ehe.
Dann beginnt aufs neue Gesang und Peitscbengeknall , bis ^ic
Reihe der Heiratsfähigen durchgegangen ist. Dies nennt DCian
das Mailehen. Aus demselben entspringt für beide Teile ^^^
Verpflichtung, das ganze Jahr mit keinem oder keiner driti*^^
zu tanzen. Das Mädchen befestigt seinem Burschen einen 30^^'
nannten Lehnstrauß an den Hut. Im Kirchhainer und ZiegT^^'^'
hainer Kreise wird angesichts des lodernden Maifeu^^''®
„das Mailehm^' zwar auch der Art ausgerufen, daß der i^"*^
rufer ein Mädchen und einen Jüngling (und zwar einen solel*^^"?
den sie schon zum Liebsten hat, oder mit dem man sie g^^^
beglücken möchte) nennt, aber jeder darf auf das Lehen, d— "•
auf das ausgerufene Mädchen bieten. Es wird nun geboten t» ^^
der Liebhaber darf sich nicht lumpen lassen, um die S«'^^"®
davonzutragen. Das erlöste Geld wird im Wirtshause verzefc^^
Mißfällt ein Mädchen, so schweigen alle, oder man bietet e^*-°^
geringfügige lächerliche Sache. Am nächsten Sonntage fin<^^-^^
die mit einem Liebsten beglückten Mädchen einen Strauß oc:^^^
Maibusch auf ihrem Kirchensitze, die Verschmähten einen D"^^*"'
neu- oder vertrockneten Zweig (vgl. o. S. 165. 184). Dem M«'^"'
eben steht es frei, seinen Käufer beim ersten Tanze durch ei^^*^"
verneinenden Knix abzulehnen (ist wol eine moderne Mildert^ ^^
der alten Sitte) oder ihn durch Anheftung der Blumen an se: ^•^^
Mailehen, Valentine. 451
iffltze als Liebsten anznerkennen.^ Au der Eifel and Ahr nnd
M Jlllicher Lande versammeln sieh sehon am Vorabende des
MmtägB alle Barsehe , welche eine Gilde mit gewählten Schult-
ÄeiBen, Schöffen nnd Schreibern bilden, unter der Linde oder
vor der Kirchttire; der Schultheiß oder ein Schöffe bietet die
Mädchen des Dorfes unter Anpreisung ihrer Vorzüge einzeln aus
önd ttbei^ebt jede feierlich dem Meistbietenden, zuerst die
Schönste, die zumeist der Reichste davonträgt, wo nicht beson-
dere Herzensneigung zu größeren Geldopfern anspornt. In abstei-
gender Linie geht er alle Mädchen durch; diejenigen, aufweiche
kein Angebot erfolgte, bilden den Bündel und Rummel und wer-
den zusammen in Bausch und Bogen einem Burschen angesteigert.
Der Schultheiß hat beim Ansteigem die Vorhand und ftlhrt mit
»einer Ersteigerten immer den Tanz an. Die Ersteigerten heißen
^^oifrauefi oder Maüienen. Der Ansteigerer hat das Recht,
^^"Uhrend des ganzen Frühlings und Sommers mit seiner Maifrau
ausschließlich zu tanzen und als ihr Bevorzugter zu gelten. Er
l>eeilt sich sofort nach der Versteigerung ihr einen schönen
Maien auf den Giebel zu setzen und sie schmückt seinen
Hut mit Blumen. Von dem erworbenen Gelde werden die Musi-
kanten bezahlt und der Ueberschuß verbraucht, um die Maifrauen
niit Wein und Speisen zu bewirten. In der Wetterau überreicht
das zu Lehn angenommene Mädchen seinem Ersteigerer den
„Keim" einen Rosmarinstrauß. In anderen Dörfern der
Eifel (z. B. Uelmen) werden die Mädchen 4 — 5 Wochen vor der
Kirmes versteigert, sie werden von da an bis zur Kirmes des
Meistbietenden Tänzerinnen.* In St. Goar fand die Versteigerung
1) Lyncker, Hessische Sagen 235, 317 nach Landau Zeitschr. f. hcss.
Gesch. II,272fi. Miilhause, ürreligion S. 177. Nach Soldan (Geschichte der
Heienprocesse S. 248) begeben sich die jungen Bursche in der ersten Mai-
nacht vor das Haus ihrer Geliebten, schießen, knallen mit den Peitsclien
^nd rufen :
Ich rnfc mir N N zum Lehen aus;
Ein Lehen ist ein Lelien ;
Wers nicht will , läOt es gehen.
2) Schmitz, Sitten und Bräuche des Eifler Volkes I, 32.48. Kinkel
^»« Ahr S. 116 ff. E. Weyden, das Ahrthal. S. 21.5. Dieffenbach, ürge-
•^^ichtc der Wetterau. In Brohl, Meckeudorf und anderen Dörfern der Eifel
29*
452 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.,
der Mailehen sogar auf dem Ratbause statt und das erlöste Geld fi
in die Stadtkasse.* Aus dem Herzogtum Berg schildert der Pseud
nyme Montanus den Hergang ganz ähnlich mit geringen Modificati
nen. Statt der Schultheißen, SchöflFen und Schreiber genannt«
Beamten wählen die am Maiabende unter der Linde versammelt«
Bursche sich einen Maikönig und zwei Maigrafen, die diesem a
Richter zur Seite stehen. Sie heben den Maigesang an, den d
Mädchen fem her vom Dorfe erwiedem. Dann wird die Lisi
der unverheirateten und heiratsfähigen Jünglinge und Jongfiraac
neu aufgestellt und der Maikönig wählt sich eine Maikönigii
Jetzt ruft der eine Maigraf nach der Reihe die Namen jed<
Jtlnglings auf, die Versammlung fragt: Wer soll seine Liebsl
sein? und der zweite Maigraf nennt den Namen der Jungfrai
die ihm zugeteilt wird. Burschen und Mädchen unlauteren Rufe
gingen dieser Ehre verlustig; beliebten Jungfrauen wurde di
Aui^flanzung des ehrenden Maibaums vor ihre Tür zuerkami
Am Maitage selbst brachte jeder dem bei der Maisprache Ihi
zuerteilten Mädchen Spruch und Gruß und empfing Dank an
einen Maiblumenstrauß, dann brachten alle singend der mit Bh
men gekrönten Maiköuigin ihre Huldigung dar. Nachmittag
begann der Maireigen unter der Linde, zu dem jeder Jünglin
an der Hand des ihm zuerteilten Maimädchens trat. I'> behie
es bis zum andern Maiabend und hatte es zu Karmes und Johai
nisreigen, zum Vogelschießteste und zum Schwingtage zu tUhrei
abzuholen und heimzugeleiten. Maikönig und Maikönigi
hatten überall den Vorsitz, die Maigrafen hielten die Ordnun
aufrecht und schlichteten mit dem Könige alle Zwiste in Lieber
handeln.* Südlicher finden wir die Spuren des Mailehens
Frankfurt am Main wieder, wo im Anfange des vorigen Jak
hunderts Kinder in einem grünen Wägelchen von Haus :
Hause fuhren und die Verse sangen:
Heute zum Lehen,
Morgen zur Ehe,
Uebers Jahr zu einem Paar.
muß die Maifrau mit ihrem Ansteigerer nicht allein ausschließlich tan^s
sondern sie diirt' sich auch mit keinem andern unterhalten, bis man Bl^
an d^n dicken Bohnen im yreim sieht.
1) Kri«>^'k, deutsclies lUirjrertum i. Mittelalter. Frankf a. M. 1868. S. ^
2} Montanus, die deutschen Volksfeste I, 1854. ö. 2^ ff.
Mailelien, Valentine. 453
Der Berichteretatter ist der AfiKieht, e» seien das dieselben
Worte, mit denen vor 1232 ehe von Heinrich VII. das Ehezwangs-
recht aufgehoben sei, ein Herold zuweilen einer Btirgerstochter
«ogektLadigt habe, daß der Kaiser sie der Hofleute einem zur
Ehe verleihe.* Um Kirchheimbolanden , Stetten u. s. w. in der
t Kbeiopfalz werden wiederum heute noch in der ersten Mainacht
die heiratsfähigen Mädchen in r»flFentlichcr Versammlung zur Ver-
^igerong einzeln ausgeboten und dem Höchstbietenden zuge-
schlagen. Der ErUis ist kein unbedeutender.^ Dagegen fand
»n der Mosel die Verteilung der mannbaren Mädchen an die
Ortsbarschen, das Mailehen, schon am ersten Sonntage in der
Pasten (Invocuvit) statt und hieß daselbst der Vfdentinsfag, es
'nirde 1799 polizeilich verboten.^ Hierüber äußert sich Zuccal-
maglio* folgendermaßen: „Von den witzigsten Burschen werden
am Rhein und weit nach Lothringen hinein alljährlich am ersten
Sonntag in den Fasten die ,, Liehehen;' ,,Vielliehehen ^'^ Valen-
tincJ^en" ausgerufen, deren Namen an der Sprachstelle jedesmal
eingeschaltet wird. Steht einem jungen Manne die zuerteilte
JuDgfran an,^so geht er am SonntJig zu ihr, die Bretzel zu
brechen, ihr auch wol ein kleines Geschenk zu machen; wo
nicht, so wird am zweitfolgenden Sonntag sein Name von den
Ausrufen! auf einem Zettel feierlich verbrannt. Daß aus dieser
mutwilligen Verlobung manche ernste folgt, läßt sich denken.''
Das Beispiel eines betreffenden Ausrufes lautet:
Ich weilJ iott! Was weißte denn?
Der Peter3 Olof en det Dulfes Drückclien det sind zwihi),
Mar machen e Paar doriis recht schiin
Zo Ostern geft et ein Bhimenstrnl?,
Un Ufer et Jör die We^en et Hiia!**
^'^ch die Knechte zu Dobischwald in Oesterr. Schlesien nehmen
^^■hon am ersten Fastensonntage das Mädchenvcrschreihen vor,
''^düni ein aus ihrer Mitte gewählter Fürsprech jedem nach
^*aßgabe seines Angebots ein schönes oder minder schönes Mäd-
1) Ang. F. V. Lcrr.ner, Chronik der Stadt Frankfurt 170(). I. fiO. Grimm,
^* A. 438. Aum. vgl. 43t5 — 38.
2) Bavaria IV, 2,3f;4.
3) Hocker, das Moselthal. S. 24 bei Kochholz drei (»augöttinnen S. 41.
4) Znccalmaglio (Krctschmer», Deutsche Volkslieder mit ihren Original-
^^is^n. T. II. Berl. 1840. S. 502.
5) Ebds. Nr. 277. S. r>01.
454 Kapitel Y. Vegetationsgeistcr: Maibrautschaft.
chen als ausschließliche Tänzerin zuschreibt^ Kriegk erwähnt^
daß es auch deutsche Orte habe, an denen die Versteigemng
am Ostermontage statt hatte. ^ In den meisten der aufgeführten
Fälle ist durch die Gesetze der Gilde streng t\lr Ordnung gesorgt^
und jeder Verstoß gegen die Sittlichkeit wird mit Geldbuße oder
Ausstoßung aus dem Vereine der Burschen (der Burschenschaft
oder Knabenschaft) bestraft. Das Mailehen führt oft zu wirk-
licher Brautschaft. Und in Ilolland ist, wie es scheint, dieses
Spiel der Liebe auf die ernste Freischaft übergegangen, indem
die Bewerber eines vielbegehrten Mädchens unter sich das Recht ^
versteigern und bis 50 Fl. bezahlen, dasselbe zwei bis drei^
Monate ausschließlich bei ihren Eltern besuchen und zum Tanz^
filhren zu dlirfen. Gelingt dem (Glücklichen während dieser Zei
seine Liebeswerbung nicht, so tritt ein anderer ein, bis sie enc
lieh an den Rechten Herz und Hand vergeben hat.^ Doch am
ohne Ersteigerung gewann man im Mittelalter ein Weib als Mi
frau, der man während einer gewissen Zeit seine Ritterdiei
weihen durfte ; der Scherz des Mailehens wurde in der vomehi
Welt auf zeitweilige gesellige Vereinigungen tibertragen. Alö
Frühlinge des Jahres 1474 Hans von Waldheim zu Oberbau
im Aargau, dem bertthmtcsten Badeorte seiner Zeit weilte,
da viel Adel aus der Schweiz, dem Breisgau und Schwai
und Hans von Ems, sein guter Freund, gab ihm artig s<
Frau zu einer MaienbuJde.^ Eine ganz altertümliche Form
1) A. Peter, Volkstüml. a. Ocsterr. Schlesien 11,280.
2) A. a. 0. 120. Vgl. über die Mailehcn nocli Giebel und Kauf in an v
Falke u. Müller Zeitschr. für die Kulturgeschichte 18.57. S. 95— 105.
nig, Geschichte der Burgen, Rittergüter, Abteien in den Kheinlanden.
1837.41.4. S. 8ff. Pfeiffer, Germania I,G5.
3) Wolf Wodana 11,203.
•1) Hans von Waldheim, Keise, Msc. in Wolfenbüttel. S. Ebert, U<5
lieferungen zur Geschichte der Litteratur und Kunst 1825. Vgl. daher &
in geistlichen Liedern den übertragenen Ausdnick ,,badenbule." ,,
hudcnbnle sie • Die allerschönsl Marie." Wackernagel , 1). Kirohenl.
Uhland, Schriften IIl, 470. Zuweilen ist von einer im Mai auf Zeit,
die Sommermonate geschlossenen Kuapi>en-, Pfaffen- oder Mcienchc die
(Agricola Sprichwörter Bl. 129). Darauf spielt schon saec. XIII. Nithanl^
des wil ich disen sumer lanc
sin släfgeselle sin
Ms. 111 , 217 «^ 3. Uhland a. a. 0. 390. 470.
Mailehen, Valentine. 455
Sitte hat sich za Nalbach im Kreise Saarloois erhalten, wo jeder
BaoerbnrBche am Kirchweihieste Nachmittags nach der Vesper
(oft sogar noch in der Kirche) dasjenige Mädchen raubt , das er
an. diesem Abende und das ganze Jahr zum Tanze itihren will.^
Zu einer breiteren eigentümlichen Entvvickeluug ist in Wälsch-
tirol, Frankreich und England jene Wahl des Lenzhuhle^t am
[ letzten Februar, am ersten Fastensonntage oder am Valentins-
tage (14. Februar) gediehen; den Uebergaug bildet die Form der
Sitte am Leutschfelder Berg an der Kyll (Eitel), wo die im
Herbst bei der Kirmes versteigerten Mädchen (o. ö. 451),
nur sie., am ersten Fastensonntagc , während ihre Lehnsherrn
das große Feuerrad vom Berge rollen, sich im Schulhause
versammeln, um den Herabkommenden Backwerk darzubieten.*
In Wälschtirol zünden die Bursche am Abend des letzten Februar
auf Hügeln oder Bergvorsprüngen die sogenannten Märzfeuer an
und rufen dabei singend Heiraten aus. Ein solcher Keimspruch
l>ei Pergine lautet:
Eutra ^larzo e buoDoni »ia,
1 cani air erba e Toni air ombria,
La pecorella
Giü per la vallicella:
In qoesto Marzo chi e la piii bclla
Tra le pntte da luaritarV
La piu bella e N. N.
A clii la vu<^liaiiio dar?
A chi iiou la vogliamo dar?
Diamola a N. N., che l'«* un bei i»ar!
Zu jeder einzelnen Ausrufung werden dann Flintenschüsse
»V>gefeuert und mit Schellen, Hörnern u. s. w. Lärm gemacht.^
Auf dem Berge Sardagna bei Tricnt versammeln sich die jungen
Bursche am Abend des 1. März und rufen zum Scherz gewählte
ßräute mit Jubelgeschrci aus.^ Der Sonntag Invocavit heißt
^kaiintlich in Frankreich le dimanche des brandons, Fackel-
sonntags weil man dann große Feuer anfachte und mit daran
^Qtetindeten Strohbündeln und Tannenreisern durch die Obstgärten
1) Zh. f. D. Myth. I,Hi),3.
. 2) Schmitz a. a. 0. 25.
3) Schneller , Märchen und Sa^^en aus Wälychtirol S. 235.
4) Y- Pallhausen , Bojoariae Tojjographia Romano - Celtica. 1. München
^^lO, S. 68.
456 Kapitel Y. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
und Saaten lief. Diese Feuer und Fackelzüge werden uns nocl
später beschäftigen, hier haben wir nur ihre dem italiänischei
Märzfeuer entsprechende Beziehung auf Liebe und Heirat n
erwähnen. In Verges auf der Lheute, einer Nebenkette des
Jura in Franche Comte erklimmt man die Spitze des Gebirges
baut dort um drei Bäume je ein Strohnest und setzt es in Flam
men. Zu den Aesten der allmählich auch in BranC
geratenen Bäume (cf. o. S. 177 ff.) springen die Umstehendei
in die Höhe, um daran trockene Lindenzweige anzuzünden
Diese hoch in der Luft schwingend, steigt man in Prozessioi
herab, fordert Haus bei Haus geröstete Erbsen und zwingt du
im letzten Jahre Nenverheirateten j einen Tanz anzustellen.^ Ii
ganz Westfrankreich waren diese Feuer Sitte, und man sagte
wer durch die Flamme springe, ohne die brennenden Holzseheitc
zu berühren, werde sich im nächsten Jahre verh<iiraien,^ In den
nr>rdlichen Teile der Vogesen (Gegend von Saarburg, Heming
u. s. w.) findet am Anfange der Fastenzeit das Scheihetüreibef^
(schibe - tribe) statt. Abends neun Uhr wird auf einer der Schi
beberg (la röche des Chibes) benannten Felskuppe, der höchstei
der Gegend , von den Burscheu ein Feuer aus Brombeergesträuel:
und Haidekraut angezündet, indeß die mannbaren Mädchen neu-
gierig in den Büschen sich verstecken. Plötzlich tritt der Dorf
hirte auf, eine künstliche Hocklarve auf dem Haupte (?), eine»
langen spitzen Bart unter dem Kinne, ein wollenes Fließ übei
die Schulter geworfen und proklamiert, je den Namen eines
Bursehen und einer Junglrau mit der Stimme eines Stiers in die
Nacht hinausbrülleud, die sämmtlicheu heimlichen Liebschaften
und künftigen Ehebündnissc der (remrinde, im nämlichen Augen-
blicke aber werden runde, in Flammen gesetzte Holzscheiben mit
Hilfe eines Stockes in die Luft geschleudert.^ In den südlichen
Vogesen, zumal in der Gegend von Epiual, errichtete man ac
mehreren Stellen der SUidt und an den Ufern der Mosel Holz-
stöße in pyramidaler Form, zu welchen die jungen I^ute, die
1) Monnier a. a. 0. 191.
2) Monnier a. a. 0. 203. In der Bretagne glaubte man , daß ein junges
Mädchen im Laufe des Jahres jieirate, wenn sie um neun JohanDls
feuer liintor einander getanzt habe. Magazin pittoresque II, 71.
3) Erckmanu-Chatrian, Histoire d'un sous-maitrc Paris 1,S71. p. 1»8— 1041
Mailehen, Valentine. 457
das Fest veranstalteten, schon einige Tage vorher die Scheite
»uammgebettelt hatten. Zur veral)redeten Stunde legte man
Fener an jeden Holzstoß , der nun Hyniens Altar wurde, und die
Unwtehcnden riefen: Qui dotie? Qui donc? Je done! Je done! —
Qüimarie? Qui marie? Je marle! Je ttKirie! Moyhsieur N. N,
fltw Madenmselle N, N, Und sie nannten die Namen von zwei
Personen, jungen oder alten, schönen oder häßlichen, reichen
oder armen, die sie auf ihre Weise vereinigen wollten. Die oft
wider WiUen in dieser Art verbundenen Paare sahen sich
genötigt, einander den Ami zu bieten und mehrere male die
Bünde am den Holzstoß zu machen inmitten der lärmenden ßei-
fallsrufe, des Gelächters und der neckenden Seherzreden der
Menge. Sobald die Feuer niedergel)rannt waren, breitete man
rieh in den Straßen der Stadt aus und begaim unter den Fen-
stern, vor denen man stille stand, die Namen der Brautpaare
^fiances), welche man Frchenofs und Fcchrnottei^ oder Valentins
'Uid Valentines nannte, zu proklamieren. Der Fechenot mußte
*€iner Fechenottte eine Putzsache, die Fechenotte ihrem Feche-
^ot ein buntes Huttiand schenken. Den Sonntag darauf flihrte
^^r Bräutigam (Föchenot oder Valentin) die Braut im besten
^^te und mit den gegenseitigen Brautgeschenken angetjin zum
*^ferlichen Tanze auf dem Danserosse cKler Danseresse genann-
^^n Felsen im Walde von St. Antoine. Dies durfte jedoch nur
S^^ehehen , wenn jener Gabenaustausch wirklich vor sicli gegjuigen
^^^r, der als Loskauf (rachat) vom Scheiterhaufen bezeichnet
^'Tirde. Denn anderesfalles zog man bei der Heimkehr aus dem
^^alde vor die Häuser dos Valentin und der Valentine und zUn-
^^te kleine Feuer an, in denen man ibr Hiklniß ver})rcnnen ließ
^^ter den Ausrufen: Qui brüleV (^ui brule? Je bnile! Jebrüle!
^'r. NN. et MUe NN. Wegen des Mißbrauchs, der mit dieser
^itt€ getrieben wurde, hat die Municipalbehiirde sich veranlaßt
&^tunden, sie zu verbieten.^ Dieser Brauch, allen jungen Leu-
^^n die künftigen Gatten oder Gattinnen zuzuweisen, ist schon
älter. Die Synode zu l'oul (15. April lü('>:i) ver»)ot ihn mit
1) Ch. Charton, les Vosges ]»ittorosques bei Cortot fetes religieuses.
?ari8l8()7, p. 101. Statt des Biinanchc dos Branduns (Invooavit) hatte
Äie beschriebene 8itt<) in einigen Conmuinen um Epinal am ersten Sonntage
«tt Mmzc statt. Wulf , Beiträge l , 70.
458 Kapitel Y. Vegetationsgeister : MaibrautBchaft.
folgenden Ausdrücken, woraus wir sehen , daß er auch noch an
anderen Sonntagen der Fastenzeit geübt wurde: Encore qne
chacun SQait ass^s que le Careme est un tems d'abstinence, non^
seulement de viandes, mais de jeux et de railleries et que poiir-
cela meme les noces y sont defendues, Nous Sharons nöanmoins^
qu'en plusieurs lieux de uotre Diocese es jours de Dimanche d^
ce Saint tems, comme aux grands et petits Brandons et autre^
Dinianches il se fait des assemblees de gargons et filles pon...
danser ou avec des vioions, ou avec des chansons inim(
et quelquefois des honnetes. Et de plus foifU des jeux dits
nottes, esquels ils designent ä Iiauts cris des cpot4X et epoiASes
tous les flls et fdles du village,^ Vgl. ferner Valentin: futi:::z
epoux, celui qu'on signifiait ä une fille, le jour des Brandons
qui des (lu'elle eüiit promise se nonimait Valentine (RoquefiK
Gloss. in voee).^ Mag übrigens in Frankreich der Brauch te^oi
ersten Fastensountage, resp. beim Scheibentreiben dieses Tag««K
Lenzbuhlen zu erwählen, schon früher bestanden haben, d^
Name Valentinen erklärt sich erst durch eine Uebertragung a^«
dem englischen Brauche. In England nämlich war es Sitte^
jeder sich am 14. Februar, St. Valentiustage (von dem
glaubte, daß an ihm die Vögel sich paaren) oder am Voraben
dieses Tages durch das I^os auf ein Jahr lang eine Dame zi
Gegenstande seiner Aufmerksamkeiten wählte, die er mit Krä
zen schmückte, mit Blumen beschenkte imd die seine Vcdenti:
wie er ihr Valentin hieß.^ Bei Shakespeare spielt Ophelia
diese Sitte an „to be your Valentine"* Buchanan (PoeuM
Lugd. Bat. 1628 p. 372) sagt darüber:
Festa Valentine rodiit Lux —
Quisquo sibi sociam jaiu legit ules uvem.
Iiide sibi Dominum per sortes qitaerere in annutn
Maiisit ab antiquis mos ropetitus avis.
Quisquc le<rit Domiiiam, quam casto observet amore
Quam nitidiH sertis, obscquioque colat,
Mitterc cui possit blaudi munuscula veris etc.
1 ) Thiers , Traitc des superstitioiis Paris IGUT bei Liebrecht , Gerv s^msius
V. Tilbury 2r)8, 4(>S.
2) Vgl. auch Menage, Dictionaire etymologiquc. S. v. Valentine.
i)) Unter uns ist diese Sitt<3 neuerdings durch G. Freytags Lust:r<i»iei
,,dic Valentine** allgemeiner bekannt geworden.
4) Hamlet, A. 4. Sc. 5.
Maileheu, Valentine. 459
Schon zwei Jahrhunderte früher war dieser Brauch am eng-
liwhen Hofe üblich, und wir besitzen noch viele am Valentius-
tige verfaßte Rondeaus und Balladen des Herzog Karl von Or-
km, der vom Jahre 1415 — 144u als Gefangener in England
irdlte, worin er der Sitte als einer I^andessitte Erwähnung tat
(e'est la coutume de pie ^'a). In einem derselben beklagt er
un Valentinsmorgen von den Vögeln geweckt, deren jeder heute
einen Gatten suche, seine Lage, die durch den Verlust seiner
Geaiahlin noch trostloser geworden ist „chascun de vous (oyeaulx)
* per (d. i. pair) qui lui agr^e, et point n*en ay; car mort, qui
tti'a trahy a prins mon per ; " alle haben sich Valentinen gewählt
(Saint Valentin choisissent eeste annee ceulx et celles de l'amou-
reu party), er allein hält sieh trostlos fern auf dem freude-
leeren Lager. Ein andermal kann er am Valentinstage, wo man
sich eine Genossin wählen muß, (qu'il me convient choisir uu per)
dem Gedanken an seine süße Beute nicht entfliehen (Je n'y puis
^«chapper pensce prens pour mon butin). Sie hat ihn morgens
S^weckt, indem sie an seine Türe klopfte; will sie aber zu sehr
sein Herz bestürmen, so wird es zwischen ihnen harte Kämpfe
Seben. Ja, wenn er Hoflnung auf Befreiung schöpfen kihmte,
cLum würde er aus ganz anderem Tone reden (je parhisse d'autre
Latin dans ce jour de Valentin). Auch der französische Hof
scheint diese Sitte damals entweder überhaupt geübt zu haben,
oder Karl hatte sie speciell in seiner Umgebung eingeführt. Eine
»cmer Rondeaux zeigt uns die Frau von ^Vngouldme als seine
Valentme.
A ce jour de saiiit Valentin
Puis qu'estes luun per ceste unnue,
De bien heureuse destint-e
Pussiüiis-nous purtir le butin etc.
1« mehreren Gedichten nennt der Herzog seine Dame geradezu seine
Valentine. Aus anderen Cliansons geht hervor, daß wenn der Va-
lentiüstat^ auf Aschennittwoch einfiel, die Wahl der „pairs" erst
aiu Nachmittage vorgenonnnen wurde; während die Morgenstunden
der kirchlichen Erbauung gewidmet blieben. ^ Ziemlich gleichzeitig
^»t den Poesien des Uerzogs von Orleans findet sich die Sitte
1) S. Goujet, Bibliütbequo Franroisc ou bistoire de la litterature Fran-
V^««T.IX. 1745 i>. 200-72.
400 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibraatschaft
der Valentinswahlen in einem Briefe vom Febraar 1446* sow
als auch in einem Gedichte des Mönches John Lydgate (f 14
zu Ehren der Königin Katharina, Gemahlin Heinrichs V. (1413
22) erwähnt; der letztgenannte Dichter bezeichnet sie in sein
Verzeichnisse poetischer Devisen als ,,chusing Loves
St. Valentines day."" Ja schon bei Gower (f 1402) find
wir ein französisches Valentinsgedichtchen, worin er seiner H
rin sagt, daß er bei Erwählung ihrer dem Beispiele der Vöj
gefolgt sei.^ Madame Royal, die Tochter Heinrichs IV. bai
bei Turin ein Schloß Valentine. Beim ersten Feste das sie d
gab, veranstaltete sie, daß die Damen ihre Liebhaber auf <
Jahr durchs Loos wählten; nur für sich selbst nahm sie fr
Wahl in Anspruch. Auf jedem Balle während des Jahres e
pfing jede Dame von ihrem Ritter einen Blumenstrauß, währe
sie bei jedem Turnier für den Schmuck seines Rosses sorgte.^
Die Art und Weise zu seiner Valentine zu kommen, y
verschieden. Diejenige unverwandte unverheiratete Person an<
ren Geschlechtes, aus einem anderen Hause, welche der Zul
am Morgen des Valentinstages zuerst entgegenflihrte, galt dafll
Gai schildert, wie zwei Milchmädchen an diesem Tage, da (
Vögel mit frohem Wechselgcsang ihre Liebchen finden, sich i
Tag und Tau in den Feldern begegnen und neugierig darauf;
sind, des ersten Burschen ansichtig zu werden, der wird il
treue Liebe sein. IJcbrigcns sollen sich auch junge Männer
genug schon in frühester Morgenstunde in der Nähe des Haui
oder der Straße aufstellen, wo ihre Geliebten vorbeikomn
müssen, und letztere gehen gern eine halbe Stunde um,
einem Nichtcrsebnten aus dem Wege zu gehen, oder sie sits
mit zugemachten Augen den halben Tag am Fenster, bis sie <
1) Fenn, Pastun Letters II, 211.
2) Chaucer, Works ed. Sjjcght. London 1G02. fol. 37().
3) Warton, history of English poetry add. to VoL II. p. 31. Aufl. 1.
4) Douce, Illustrations of Shakespeare 11,252.
r^) In der Gegend von Hüll gilt der Gebrauch noch. Choii^-m
from notes and querics. Folklore. London 1859. p. 1G5. Ebenso in Bucki
hanishiro. Henderson, notes on tlie Folkslorc of thc nortlicrn countie^
England. London 18()(> p. 73. Die Anrede lautete hier:
Good niorning to you Valentine,
First 'tis yours and then 'tis mine,
111 Ihank you for a Valentine.
Mailehen. Valentine. 461
HuDme des Ersehnten hr>ren. Eine andere Weise war, die Va-
iadneii durchs Loos bestimmen zu lassen. Nach Misson versam-
melte sich schon am Vorabende die gleiche Anzahl von Jung-
ten, yne von jungen Mädchen. Jedes schrieb seinen wahren
ler erdichteten Namen auf einen besonderen Zettel, rollte die-
n xosammen und wart* ihn in eine Büchse , worauf jeder junge
um ans der Büchse der Mädchen , jede Jungfrau aus derjenigen
r Barschen ein Loos itir sich herauszog. Wen man zog,
DDte man seinen Valentin oder seine Valentine. Beide
iren verpflichtet, sich gegenseitig zu beschenken, sie trugen
t Zettel Tage lang auf der Brust, oder dem Arme und gaben
"en Valentinen Gastmähler und Bälle. Doch hielten die Män-
r mehr an denen, die ihnen zufielen, als «in denen, denen
zugefallen waren. ^ Aus dem Scherze entwickelte sich häufig
ic wirkliche Liebe. Ja die Vereinigung als Valentinen galt
radezu als eine günstige Vorbedeutung für die künftige eheliche
rbindung. Aus Mr. Pepys Tagebuche vom Jahre 1667 1er-
I wir, daß damals lo(?al am Valentinsmorgen die Neuvertnäh-
durch Musik geweckt wurden und daß die Wahl der Valen-
m bereits sehr entstellte Formen angenommen hatte. Mit dem
men wurde zugleich ein Motto z. B. „most curteous and most
r" aus dem Glückstopfe gezogen ; sodann wählten auch Kinder
raehsene und sogar verheiratete Personen anderes Geschlechts
Valentinen und brachten ilmen dann wohl ehrfurchtsvoll ihren
men auf blau Papier mit goldenen Lettern geschrieben, wäh-
iid sie ein ansehnliches Geldgeschenk empfingen. So entwickelte
jh allmählich die in den Städten Englands herrschende Gewohn-
iit, einander am Valentinstage anonyme Liebesbriefe, launige
iebeskarten in artistischer Ausführung verschiedenartigsten
enres zuzusenden, denen jedoch selten ein von einem Pfeile
irchbortes Doppelherz mit der Inschrift fehlt:
Ich bin dein, wenn du bist mein.
Bin dein lieber Valentcin.
ril be youra, if you'll be mine,
1 am your pleasing Valentine.
Mehrere Hunderttausende Liebcserklärmigcn dieser Art, auf
welche nunmehr der Name Valentine übergegangen ist, werden
1) In Schottland herrscht diese Befragung des Looses am Valentins-
»Wnde noch. Henderson a. a. O.
462 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maihrautschaft
in London jHlirlich am 14. Februar durch die Post aosgetragen^ i
Mit den Engländern ist diese Sitte auch nach America gewai^^
dert, wohin die lateinische Race fUr sich ebenfalls Sproßfonn^n
des nämlichen Gebrauches gebracht hat. Dahin rechne ich, da0
jede junge Dame in Venezuela ihren Compadre (Fremid, Ehe-
herm) hat, der jedes Neujahr von neuem ihr durch das Lo«
zufällt, und das Recht hat, sie in ihrem Hause zu besuchen und mi
ihr zu plaudern.^ In Deutschland finden wir dieses dem Mythu
entspringende Verhältniß wiederum auf die Ehe übertragen, wem
14 Tage vor Neujahr am Tage St. Johannis des Apostels die
sämmtlichen Männer zu Obemdort* am Neckar mit ihren Weibcn
ins Wirtshaus gehen, wo die Frau ihren Gatten fragt: „Wit dn
deine Alte au wieder uflF a Jär dingen?" „Ja wills wieder pro-
biere mit meiner Alten." Alle sind lustig, wie junge Leute,
singen und trinken bis Mittemacht. Die Frau bezahlt Man
nennt dieses Fest „d/c Weiberdingete.*' ^ Auch der bekannte
Brauch gehJ^rt hieher, am Neujahrsabend mit einer Dame den
Doppelkem einer Mandel zu teilen und sie dadurch zum „Vid-
lichchen" zu erklären; wer von beiden den andern bei nächster
Zusammenkunft zuerst mit dem Namen „Vielliebchen" grüßt,
hat von ihm ein Geschenk zu erwarten. Schärfer kann sich
der Nationalcharacter kaum aussprechen als in der Sitte , welche
Romanen und Gennanen aus der gleichen Grundlage eines nnd
desselben mythologischen Brauches gemacht haben; hier neben
spießbürgerlicher Ehrbarkeit der unschuldige Humor, der den
Ernst des reinsten und heiligsten Bandes würzt; dort die Frivo-
lität, welche mit demselben spielend die Fesseln in gefährlichem
Grade erweitert.
§ 9. Das Maipaar und die Sonnwendfeuer. Wichtiger
itir unsere Untersuchungen erscheint der Umstand, daß sowohl
das Mailehen,'* als die Ernennung der Brautpaare am ersten
1) S. Brand pop. Antiqu. I-, 53-62. Hone, every Dayhook 1, 108— U**'
C(. Reinsbcrg-BüriTigsfeld, Jas festl. Jahr, S. 34. Nach dem Berichte des I-*^**'
doner PoKtamtes vom J. 1847 wurden daselbst in jenem Jahre am ValentinsW?®
4i^,000 Briefe, d. h. 2()0 bis 300.000 melir als an anderen Tagen ausgetrAiT^^»
abgesehen von vielen bezüglichen Inseraten der 145,000 Zeitungsnumui^'^'
2) Appun, Unter den Tropen. Jena 1871. 1,544.
3) Birlinger, Volksiiberliefeningen a. Schwaben 11,113.142.
4) O. S. 450 , auch in Dänemark Myth.« 736.
Das Maipaar und die Sannw»>ndfencr. 463
^Mtensonntagc, dem Dimanchc des brandons, mit VrWhWugHfciiern
erbnnden sind, und daß die Teilhaber der Letzteren zuweilen
ie im letzten Jahre Neuverheirateten zwingen , einen Tanz anzu-
dkn. Hierzu stimmt einmal, daß in manchen Communen der
tetagne ein Mädchen, welches den lebhaften Wunsch hat sich
1 Teriieiraten, um das Johannisfeuer tanzt, ^ sodann daß in Ober-
ittfeld und anderen Orten in der Eifel am ersten Fastensonntage
r tuletzt verheiratete EJtemann die große Kadscheibe stellen und
iliiden mnd, welche dann vom Berge ins Tal und in den
oft gerollt wird. Zu dieser Ceremonie sammeln die Schulkna-
D das Stroh, die Schulmädchen aber Erbsen, welche
B mit den Schulknaben verzehren* (vgl. o. S. 455). In
dem Dörfern derselben Gegend versammelt sich am nämlichen
ge die männliche und weibliche Jugend von 13 — 18 Jahren
Hause des zuletzt verheirateten Ehepaars. Die Mädchen bringen
hin den von Haus zu Hause erbettelten Vorrat von Speck,
tter, Eliem, Milch und Mehl und machen sich daran. Pfann-
chen zu backen. Die Burschen aber ziehen mit dem betreffen-
(1 jüngsten Ehemanne auf eine Anhöhe, umwickeln einen Baum
Form eines Kreuzes mit Reisig und Stroh (vgl. o. S. 177 flf.)
i zflnden ihn beim Läuten der Abendglocke unter lautem
bete und entblößten Hauptes mit Fackeln an. Dann rufen sie :
fie Burg brennt!" sodann umwandeln und nmtanzen sie diese
mmende „Burg" oder „Hütte," deren Spitze häufig noch ein vor-
rim Dorfe umhergetragener Strohmann krönt, und deren Rauch,
mn er zur Komflur zieht, eine reichliche Ernte andeutet,
i Hause verzehren die Jünglinge mit dem jungen Ehemanne, die
ingfrauen mit der jungen Frau an besonderen Tischen das Fest-
äU.* Zu Kobem in der Eifel muß die jüngste Ehefrau über
üd durch das Feuer springen, welches zur Verbrennung des
om Tode verurteilten Strohmanns am Fastnachtsdienstage ent-
oht wird (vgl. o. S. 179).* Diese Bräuche lassen mit einmal
^en Umstand bedeutsam erscheinen , der bei dem Mittsommer-
1) De Nore, Mythos, rontuines etc. ]). 1H8.
2)Zs. f T). Mytb. I. im, 7. Schmitz, Sitten und Bräuche des Eifler
Volke» 8. 24 - 2.5.
3) Schmitz a. a. 0. S. 21 —24.
*) Schmitz a. a. O. Ö. 20.
464 Kapitel Y. Vegetationsgeister: MaibnuitschAft.
feuer sich in verschiedenen Formen wiederholt In
Orten Sttdfrankreichs muß das jüngste Ehepaar der Gemeii
Johannisfeuer anzünden, in Puy de Dome, wo zugleich dm
Geschenken auf der mit Kränzen, Uhren, Weinflaschen gesch
ten Tanne geklettert wird , eine seit kurzem verheiratet
Frau, welche man in feierlichem Zuge einholt Nicht n
läßt man in Nivemais eine seit einigen Monaten vermahUe
mehrere Male um das Johannisfeuer gehen und dann ein
hineinspringen. Zu Jumieges in der Normandie legen da,
ein junger M-ensch und ein junges Mädchen mit Bli
bekränzt zu Mittsommer das Feuer an den HolzstoB
Deutschland wurde vielfach paartveise über das Feuer gespn
Im Erzherzogthum Oesterreich geschieht das vielfach noch.
in erbettelte alte Kleider gesteckte Strohpuppen, Hansl
Gretl (cf. o. S. 429) werden an der Spitze einer langen , bi
Grunde eingestrohten Stange befestigt, Gretl zu oberst,
ihr Hansel. Die Stange wird in die Mitte eines hohen Sei
haufens gesteckt und angezündet Sind die beiden Pappen
dem Jauchzen aller Umstehenden sammt der Stange verb;
so springen die Bursche und die Mädchen paarweise durc
Flammen.^ In Ober- und Nieder - Baiem , der Oberpfalz,
Schwaben und Unterschwaben besteht die Sitte ebenfalls i
Je ein Jüngling und eine Jungfrau, am liebsten erklärte L
paare, umtanzen Arm in Arm oder Hand in Hand den Ho
des Sommersonnwendfeuers und springen dann (oder, wie
in Schwaben sagt, jucken) mit einander durch die Fla
damit der Hanf oder Flachs recht hoch wachse, oder an
Jahr hindurch von ansteckenden Krankheiten verschont zu
ben. So jucken oft 40 — 50 Paare hintereinander hinüber
wenn die Reihe zu Ende ist, fängt der Sprang von vom
bis die letzte Kohle erloschen ist. Am Lech singt die ji
weise (Bub und Dirne) nach vollendetem Reigen um den l
nenden Baum durch das Simetsfeuer springende Jugend
term Kopf und obcrm Kopf tu i mein Hütl schwingen; '.
wenn d' mi gern hast, durchs Fuir must mit mi spriii
1 ) Banmgartcn , das Jahr und seine Tage. Linz 1860. S. 27.
2) Panzer I, 215, 241. Meier, Schwab. Sag. 423, 107. 106. 42£
Birlinger II, 97, 128. 104, 129. 105, ISO. 107, 131
3) Leo j> rech ting, Aus dem Lechrain S. 182 fF.
Das Maipaar und die Sonnwendfencr. 465
Statt des Hindu rchspriDgens der Liebespaare durch das Feuer
begegnet auch die andere Form, daß der Bursche am Faekel-
abende oder am Funkensonntage (ersten Sonntage in der Fasten)
ffir sieh and sein Mädchen die im Fastnaehtt'euer angezün-
dete Seheibe vom Schleudcrstocke hoch im Bogen in die Luft
wirft. So noch in der Gememde Matt, Kanton Glarus. Der
junge Mann ruft dabei :
Schibe, Schibe
üeberribe !
Die soll mi und N. N. blibe.
Dieser Brauch ist deutlich nur eine wenig veränderte Form jenes
französischen (o. S. 456), beim Kcheibentreibeu die Namen der
Brautpaare auszurufen, hier übernimmt der Liebhaljner nur selbst
die Verkündigung. Gewöhnlich ist die Sitte aber dahin abge-
Bchwächty daß der Liebhaber die Scheibe seinem Schatze , oder
'andern geliebten und geehrten Personen (den Eltern, Geschwi-
Btem, der h. Dreifaltigkeit) widmet:
0 da mei liebe Scheiben,
Wo will i di heit hintreibeu ?
1 waes schon wem i inaeu!
Der (Walburg) ganz allaen!
Oder:
Schibi, Schibo!
Wem soll d Schibe goV
Beim Fortschleudern der Scheibe wird dann der Name der
Geliebten genannt. Oder:
Schcib aus, Scheib ein,
Das soll der N. N. zeni Lädle 'nein.
Oder:
Scheible auf, Scheible ab
Gat über alle Aecker und Wiese na.
Der N. N. eine tausend gucte Nacht.*
Da die Scheiben so geformt sind, daß sie deutlich die Sonne
darstellen sollen, mithin ihr Werfen in hohem Bogen zu Früh-
^gsanfaug das Aufsteigen der Sommersonne versinnbildlichen
1) S. Vcrnaleken, Alpensagen 307.33. Panzer, Beitr. 1, S. 210-212
Ko. 231- 234. Meier, Schw. Sag. 380 — 383 No. 21— 27. Zingerle, Tiroler
Sitten HO, 1225. Birlinger II , 59 ff.
^«nnhardL 30
466 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
mußy bedeutet die Darbringung an das geliebte Mädchen , i
man ihr den vollen Sonnenschein des Glückes ins Haus wUnae
jene ältere Form der Sitte sagt aus , daß der Freier oder Y'
ehrer sich und sein Schätzchen unter die Gunst der Gedeih
spendenden Sonne stellt,^ d. h. er macht sich und sie zu Nax
ahmem des dämonischen Maibrautpaars, welches von der grol
Wärmespenderin unmittelbar die Lebenskraft empfängt 2
Belohnung für das Scheibentreiben und als Zeichen der Geg(
liebe erhält der Bursch von seinem Liebchen ein kranzßrm
Gebäck y den sogenannten Funkenring. Dieser Ring (der, i
dem runden Fladen zu Fastnacht vergleichbar, vielleicht <
järhring, järes umbihring, umhihwurft, orbis anni Myth.* 716 i
sinnbildlicht) erinnert an die Sitte im E^erlande, wo das Joh
nisfeuer in nachstehender Weise begangen wird. Wenn der l
mengeschmttckte Johannisbaum niedergebrannt ist, von dem
Bursche die durch ihre Schätzchen aufgehängten Kränze ^hn
des Brennens herabgeholt haben, stellen sich die Jtlnglinge ih
Mädchen gegenüber um das Feuer, und beide schauen sich e
ander durch Kränze und durch das Feuer an, um zu erfahi
ob sie sich treu sein und sich heiraten werden. Dann wer
sie sich nacheinander drei mal die Kränze durch oder über <
lodernde Feuer zu, und der Bursche muß, wenn er nicht eü
argen Verstoß begehen will, den Kranz fangen, den das Mi
chen ihm zuwirft.* Bei Bilcz in der Gegend von Sandomir
Polen singt man das Johannisfeuer umtanzend ein Lied, in ^
chem St. Johann selbst aufgefordert wird, sich ein Weib
suchen :
0 Johann, Johann, grüner Johann!
(0 Janie, Janie — Janie zielony!
Es fallen die Blätter nach allen Seiten
Und dn Johann Enechtchen
1) Vgl. das Volkslied (ühland Nr. 31):
Schein' uns du liebe Sonne,
Gieb uns lautem Schein;
Schein' uns zwei Lieb' zusammen,
Ei die gern bei einander wollen sein.
Cf. W. Menzel in Pfeiflfers Germania I, 64.
2) Reinsberg - Düringsfeld , Pestkalender a. Böhmen S. 308. Vgl.
Küssen durch den Kranz im russischen Semikbrauch o. S. 435.
Das Maipaar und die Sonnwendfeaer. 467
Suche dir eine Frau!
(sakay se zony)
Wo bei dem Henker, soll ich sie suchen?
Ich* werde zn Stephans gehen
Ans Fenster klopfen.
Klopf klopf ans Fenster.
Komm herans liebes Mariechen,
Qtjxz alleine.
Mariechen kam nicht, sie sandte die Schwester.
Schwester^ liebe Schwester,
Stehe f&r mich scharf,
So, als w&re ich es selber.
Dann aber wendet sich das Lied so, daß in der Aufforderung,
ein Weib zu suchen , ein Bursche z. B. aus der Familie Tomaly
(Tomalöwparobecku) untergeschoben wird; er kloptt bei Kohls
(de Kapusty) ans Fenster, Magdusch macht ihm auf und reicht
ihm das Händchen : „ Grüß dich Gott , mein Albertchen , ich werde
dich wollen." Und in dieser Weise werden dann nacheinander
die Namen aller jungen Männer und Mädchen aus dem Dorfe
zasanunengebracht Oder das Lied lautet:
Wulst du heiraten, weißer Johannes,
So wül ich dir ein Weib zufreien.
DsL ist bei den Sowini
Das hübsche Mariechen,
Hat ein Kränzlein von Rosen,
Nicht wenige, nicht viele.
Ach weißer Johannes.
Willst du heiraten weißer Johannes,
Ich will dir ein Weib freien.
Da ist ja bei Kästers
Das niedliche Eischen,
Hat ein Kränzlein von Pfingstrosen.
Bei ihr trinken die Beitersleate.
Ach weißer Johannes!
Und 80 fort, hintereinander werden auf diese Weise alle Mäd-
chen des Dorfes durchgehechelt. * Eine merkwürdige Aufhellung
erhalten diese Lieder durch einige z. T. ungedruckte lettische
Johaimisliedchen, deren Mitteilung und Uebersetzung ich meinem
freund A. Bielenstein danke.
1. Johannes schrie, Johannes rief:
Dem Johannes war das Weib verlöret^ gegangen.
1) Oskar Kolberg, Lud. Ser. I. Warszawa 1H65. p. 107, 108, 119 ff.
30*
468 Kapitel V. Yegetationsgeister: Maibraatschaft
Schroie nicht Jobannes, rufe nicht Johannes!
Wir werden das Weibchen finden,
Wir werden das Weibchen ünden.
Unter den Farrenkrautbüschen.
2. Wer glänzte, wer iliminerte
Im Farnkrautgebüsche V
Das silbergeschmückte
Weib des Johannes.
Büttner 2275 gewährt die Variante:
Das Weib des Johannes pflückt Kräuter,
Die Brust voll silberner Spangen.
3. Das Weib des Johannes
Hat eine große Brehze (Brustspange),
Sie (die Brehze) geht verloren
Am Johann isabend.
Die Sonne geht unter beim Suchen,
Die Sonne geht auf beim Finden. (Büttner 2274.)
4. Wer hat den Pfad
Mit Silber (silbernen Tautropfen? sudrabeem Plur.) begossen?
Die Geliebte (das Eheweib? lihgawa) des Johannes
Wassertragend.
In den lettischen Johannisliedem findet sich nicht die gering
Spur von Johamiisfeuem, so daß es fraglich bleiben muß, ob Ä
selben in Kurland altheimisch, oder von den Deutschen enÜel
sind, unzweifelhaft aber gehört die im polnischen Johannisli^
und Johannisbrauch ausgesprochene Anschauung in eine Rer:
mit der Idee von dem in der Johamiisnacht verschwundec:
Eheweibe des Johannes. Danach ist dem (mit dem Kalend^
namen des 23. Juni bezeichneten) mythischen Wesen zu IVIittsotf
mer das Weib, die Maifrau gestorben; die silberne Span^
welche sie trägt und die, gleich ihr, in der Nacht der Sonn«
wende verschwindet, mag die Sonne sein. Diese Art Symbolik
grade dem lettischen Volksliede geläufig. Hier ist aber geö
jenes Wesen (die Sonne?), das wir S. 431, vgl. S. 444 den
Laub gehüllten Schläfer im Frühjahr erwecken sahen. Für ^
andere Jahreshälfte sucht Johannes ein anderes Weib, er fin^
seine alte, aber verwandelt; oder eine neue (die winterliehe GSr
tin) zu neuer Vermählung. Von solcher mythischen Hochzeit
der polnische Johannisfeuerbrauch das launige Abbild. * In ei:*
1) Vgl. hinten den Nachtrag.
Dm Mupaar und die Sonnwendfeuer. 469
weit derberen uralten Symbolik wird l)ei den Esten auf der abge-
legeoen Insel Moon das „Beüager" der Johannispaare begangen.
im 23. Juni oder am 1. Juli (Vorabend des Heu-Marienfeiges)
werden dort große Feuer angeztindet , deren Mittelpunkt wol auch
wie aof ,der benachbarten Insel Dagdö und im Kirchspiel Karmel
auf Oesel ein großer Baum bildet (vgl. o. S. 179 — 80). An die-
sem heiligen Abende „muß der Mooner eine Beischläferin haben."
^Tährend nun die Weiber und Mädchen den ßundtanz um das
Jobaniusfeaer (resp. Heumarienfeuer oder Ledotulli) ausfuhren,
gehen die jungen Kerle um den Kreis herum, beobachten die
Äßdchen, entfernen sich dann in den Wald und geben einem
Inpp kleinerer Jungen den Auftrag, ihnen die Auserkorene zu
Idolen. Einer derselben ruft das bezeichnete Mädchen unter irgend
Einern Vorwande aus dem Ringe der Tänzerinnen heraus. Die
tSbrigeu Jungen, etwa zehn an der Zahl, umringen die Jungfrau
^ffld schleppen sie mit Grewalt, der eine vorne am Gurt ziehend^
^ andern hinten stoßend über Stock und Stein, über Zäune
^d Gräben, bis der Zug nach mehrmaligem Fallen und wieder-
holtem Ringen bei dem Harrenden angelangt ist. Dieser wiri't
«ie nieder, legt sich neben sie und schlägt ein Bein über das
HMchen (diese Ceremonie muß er durchaus beobachten, wenn
ilm das Mädchen nicht tHr einen Stümper halten soll). Ohne sie
'Weiter zu berühren, liegt er bis zum Morgen neben ihr. Die
iädchen aber, denen solches widerfährt, freuen sich dessen
iJielit wenig, selbst wenn man ihnen auf dem Transporte das
Hemde zerrissen hat (die Moonschen Weiber und Mädchen gehen
i^mlich im bloßen Hemde, nur wenn sie zur Taufe und Hochzeit
S^hen , ziehen sie einen Rock an). Die nicht gewühlten Mädchen
können ihren Neid und Mißmut kaum bezwingen und die Mütter
der Bevorzugten erzählen mit Wonne den Ruhm und die Vor-
zöge ihrer Töchter.^ Es gab noch rohere Formen dieser auf
Ehe, Liebe, Befruchtung bezüglichen Frühlingsgebräuchc. Kemble
(Sachsen m England übers, v. Brandes 1, 295) erzählt, daH zu
Inverchetin in der Osterwoche ein Priester die kleinen
Mädchen (puellulas) der Gemeine nötigte, einen Reigen aufzu-
führen, dem man auf einer Stange ein Priapusbild (membra
l) Verhandlungen der estiiiHchcn CJcsellschaft VII. Dorpat 1872. 2.
P- t>4-G5 vgl. G3.
470 Kapitel Y. Yegetationsgeister: MaibrantBohaft.
humana virtnti seminariae servientia saper asserem artificüita
voraoftrag. Da eben derselbe aus Laodania ein ZeugnÜ toi
Jahre 1268 beibringt, wonach ibeim Notfeuer ein simnlaenu
Priapi aufgestellt und mit den in Weihwasser getaachten Test!
kein eines Hundes das an der Lungenseuche erkrankte Viel
besprengt wurde, so ist es bei der Verwandtschafl der Ostei
feuer und der Notfeuer nicht unmöglich , wenngleich nicht not
wendig, daß ersterer Brauch früher auch beim Osterfeste yo
sich ging. Cf. Kuhn, Westfäl. Sag. 11. 138, 406. Ueberraschen
ist es der Braut in Verbindung mit dem Johannisfeuer bereit
vor dem 12. Jahrhundert auf dem Boden des griechischen Raisei
tums zu begegnen. Theodor Balsamon, Diaconus und Nomc
phylax in Byzanz , Ausgangs saec. XII. erzählt nämlich in seinen
Commentar zu Canon 65 des TruUanischen Goncils: ^ 6i xü
nvQxauov daifiovtwdrjg relerri nat at y.Xr]d6veg iyivovro fii^Qi %^
eqrrjf.iEqlag rov ayicoTatov TtctTQiciQX^^ Mix»'^^ tov yeyovihog vTtd
Tov Tiov (piJioaofpiüv eig Tourrjv Tfiog xrpf rcDv nnXiiov ßaatkevot
oav ovTwg. xorra T^r eoneqav TTjg y,y, rov lovviov (.irjvog rjS'Qoitoya
h Talg ^fAiac xat tv tiaiv oVyioig äpSgeg /.at yvvalxeg xal nqttk
Toxoxov Y.oqaOiov wincpixcog satoliCov. fiera yovv m
avf,i7toaiaaav xal ftaxxtxioTeQov oQxrjaaad-at xal yoqüaai xal alc
Id^ai i'ßalov ev ayyeUi) (Tvavotifi) x^^'^^? ^oLXatxiov vdioq xal eic
Tiva €KdaT(if zovTCJv dvrj'AovTat ' xal üarceq trjg naidog exsivm
laßovarjg iaxiv ex tov aaxavä 7CQ0fiTjvv€iv Ta iqtaviofjiBva , avt
fiiv Tteql TOV de Tivog dyad-ov fj xai d/torgoTtaiov aveßoMv eqc-
TrjiiiaT ixcig ' ro de xogdaiov and rwv ev r^ dyyeluj e/ußkfjd-ivxc
elöiov To Tiaqaxvxov eSayayofv^ v/cedeixvvev, h xai ka/nßay(a¥
dv6rp:og xovxov öeajioxrjg eTrlrjQoq^oQelxo xdxcc xd irr avrqt avi^
Xd-rjvat jtielkovxa, evxvyij xe xat dvaxi^fj' x^ enavQtov de /uc"
xtfiTTaviov xat x^Q^^ ^^^ ^'i^ xoQaaiq) elg xovg alyiaij)vg ana^'
f.i€voi xat vdiog d-aXdxxiov dcp&onog dvaXajußavofievoi xdg xccxm
xiiov axrtiov e^^aivov, xat ov jtiovov xavxa exekovvxo naqd xc
evai^excoxeQiov y dlld xat dt olr]g xrjg vvxxog dno xoqxc
(1. x^Q'^^^) Ttvqxa^Cdg dvd/txovxeg iTtrjdcov viregdvoi carxä.
xat ixkrjöovi^ovxo rjxoc ef.iayr€vovxo neqt euxvxiag xjat dvcxvxim
xat dkXiov xiriov dai^uovKoöcüg . xdg de ev&ev x(f7iel&ev Bladöor
avxcüv xat x6 dcojiidxiov ev lo exelelzo rj xlrfiiov avv xalg Trage
xetfiei'oig ivraiOQ^iQ x^icr/Cota/ nejtXoig xat arjQtxoig xaxexoGfitr
elg xi/nfjv xat v7iodoxfjv lug eoixe xov oixeuoaafievov avxo^
Der Brautball. 471
mwfS' S (J17 Ttavta 6 ^i]d'ug ayiunaiog TTazQidQxr^g fteva Tidarjg
imfulBiag TUxraQytjd'rjvat e/civQeipev . o xai ytyovt , xa< vhv eido-
noinog ^eov Ta xoiavra (Hoaivyri tgya .ntvtÜAog r^7iQuxrtjac(v.^
Liogst hatten eingewanderte Slaven und andere Fremdlinge das
Volksleben im byzantinischen Keiche beeinflußt; vielleicht ist auf
diese Weise die überraschende Aehnlichkcit mit den nordeuro-
plischen Bräuchen zu erklären.
§10. Der Brautball. Die Verbindung des Scheiben-
flchlagens am ersten Fastensonntage mit der Proclamation der
Liebespaare oder mit dem neuvermählten Ehepaare scheint
einen nahen Verwandten in dem zu Ostern geübten märkischen
Brauche des Brautbcdls zu haben, in Tangemiünde werden die
im verflossenen Jahre verheirateten Frauen am dritten Ostertage
um den Brautball gebeten, der nachher von den Knechten und
Hägden in den Tannen zerschlagen wird. Aehnlich bei Wer-
ben. Bei Salzwedel zieht das gesammte junge Volk am Oster-
tage oder Sonntage Judica auf den Hof des neuen Ehepaars
und singt:
Hie sind wi Junfem alle,
Wi singen en Brütballc.
Will uns de Brut den Ball nich gewen.
So wiirn wi är den Mann ok nenien.
Eier Mann, Eier ja;
N. N. mit sine junge Brut
Schmit uns den Brütball heriit.
So grot as cn Zipoll (Zwiebel).
Dun soll'n ji woll beholFn.
Die junge Frau wirtl dann einen Ball über das Dach des
Torwegs, der junge Mann zahlt einen (xulden (Thaler), die
Gesellschaft geht mit dem Segenswunsche ab, das Glück möge
jahraus jahrein währen, das Unglück zum Giebel heraus fahren;
der Ball wird am Ostertage so lange beim Ballspiel geschlagen,
^is er zertrümmert ist.^ In Camem bei Sandow an der Elbe
ziehen am Sonntage Judica ( 14 Tage vor Ostern) die Mädchen
#tlr sich, und die Bursche für sich vor das Haus der seit
Jahresfrist Neuvermählten, jene mahnen sich eine große
1) Balsanii Coninientar. in Canoncs Concilii so\t. in Trullo. Can. G5.
^eregii Synodicon Hive Pandcctae Canonum, Oxon. 1G72. T. I. f. 2.'M — 35.
2) Kuhn. Mark. sSag. 313 ff.
472 ' Kapitel Y. Yegetatdonsgeister: MaibraatBchaft.
Holzkngel (die Kliese), diese den BrautbaU (einen großen Ball
von Leder). Mit der Kliese wird Ball aus dem Loche gespielt^
der ßraatball wird so lange hin und wieder geschlagen, bis er
entzwei ist. In dem Gesänge heißt es:
Chrüfüöf! Grünlöf! Pris ober alle
Düssen Sommer, düssen Sommer
Lewen de Mäkens noch alle.
Wi manen uns den ßrüdcball! (de Kliese)
ünn wenn so uns den Ball (de Kliese) nich gcwen,
Denn will'n wi ihr den Mann (em de Liese) wegnehmen.
Denn wilFn wi'n ihr verschenken,
Si soll da wol dran denken.
ün is der Ball von Asche
So wiirn wi uns wol waschen;
Un is der Ball von Golde
Denn wilFn wi'n wol beholden.*
1
In Arendsee in der Altmark singen die Kinder und Lehrbnrschc
am Osteniachmittage unmittelbar nach dem Schlüsse des Gottes« -
dienstes vor den Fensteni der seit den vorigen Ostern verhe ^
rateten Eheleute:
Hier stchn wir Knäbloin alle
Und singen uns den Balle,
Und wiln se uns den Ball nich jeben.
Denn willn wi ä den Mann wegneem;
Tünpfil will wi ä wcrrä jeben.
Gran L6f\ (/rön Löf!
Jun<cfa schrnit se den Ball herüt.
Darauf werden mehrere (10. 30) lederne Kinderbälle und des3^
große mit Sägespänen gefüllte Brcmtujamsball herausgeworfen-
auf den die Lehrburschen Anspruch machen. Einen hübschere
BrauthaU mit Troddeln schenkt die Braut an ihre unverheiratete
Jugendgespielinnen. Nachher werden im Tamumcalde in Gege
wart fast der ganzen Stadt die Bälle verspielt, d. h. im Boge^^
einander zugeworfen, bis der Ball platzt. Jetzt packt jede^J
mit einem Finger ins Loch und sucM einen Fetzen des. Ledern^
zu erhalten, den et' als Andenken aufbeivaliH,^ In Hausen,
städt, Westhausen, Stottemheim (Sachsen - Weimar) teilen
jungest Eheleute am ersten Osterfeiertage „Ballen" aus, welc
1) Kuhn, Nord.l. Sajr. 872, 1().
2) Englien und Lahn, der Volksmund 18G8 I. 230, G.
Der BrautbaU. 473
dieMSdehen Bich schon Palmarum bestellen „hübsch rnnd, hübsch
brat, httbsch stachelig und eine lange Schleife dran." Die von
der Neuvermählten an die Mädchen ausgegebenen Bälle sind
flfadich Nadelkissen, mit Stecknadeln besteckt (man vgl. das
ackige Sonnenbild), woneben neuerdings auch Stecknadelbrief-
ßfcen verabfolgt werden; den Knaben wirft der junge Ehemann
gi^Be und kleine Lederbälle aus dem Fenster, wonach sie laufen,
so wie Hände voll „Killercher" und „Stenner" (Schußkugeln).
'd Klein- Mähen bei Erfurt werden die Schiißki^geln vorher heiß
ff^fnadU, so daß sich die Knaben beim Anfassen die Hände ver-
^f^ennen. In Ellichsleben (Schwarzburg Rudolstadt) beschenkt
•W das Ehepaar, welches im ersten Jahre kinderlos geblieben
8t, die Mädchen des Ortes mit Stecknadelbriefen und einem
rroßen Fangball, der ganz und gar derart mit Nadeln
respickt ist, daß die Spitzen nach außen stehen. Dieser
*all wird auf der Wiese emporgeschleudcrt und gehört dem,
'er ihn auffängt. Der Gewinner hängt seine mit blutiger Hand
f haschte Beute als Ehrenzeichen im Zimmer auf ^ Im Kirch-
piele Vieux-Pont, Dep. de TOme in der Normandie muß der
or dem Dimauche des Brandons (Invocavit) zuletzt
Erheiratete junge Ehemann einen Ball (pelote) oder eine
^Ugel, worin er Geld gesteckt bat, vom Fuße des Kreuzes
Us so hoch als möglich über die Kirch/' od/r den Kircfdurfu
werfen. Auf der andern Seite fängt einer von den jungen Leuten
er Gemeine den Ball auf, darf denselben jedoch erst dann sein
igen nennen, wenn er damit uneingeholt durch drei Kirchspiele
"elaufen ist. Wird er vorher von einem Mitbewerber erhascht,
o fahrt man ihn zur Kirche zurück und nun wirft er den Ball
einerseits. So geht das fort, bis derselbe einen Eigentümer
^funden hat.* In andern Orten der Normandie wirft die Braut
iinen Ball über die Kirche, den die Junggesellen und verhei-
rateten Männer zu fangen suchen ; nachher tanzt man miteinander.^
In Großbritannien knüpft sich die Sitte des Ballspiels an Hoch-
zeiten, Lichtmesse, Fastnacht, Ostern, Weihnachten; auch hier
1) F. Schmidt, Sitten und Gobränche bei Hochzeiten in Thüringen.
Veimar 18(>3. S. 4« ff.
^) De Nore, ctnitumea p. 214.
'^) Brand pop. ant. qu. ed. Ellis II, 1.%.
^7i Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibraatschaft
spielen Brautleute oder Neuverheiratete die erste ;fioll
offenbar ist es jüngerer Brauch, daß die Schaljagend daftlr ei
tritt. Bei den Kohlenarbeitem in Nordengland wird der na
der Trauung aus der Kirche tretende Bräutigam um Geld
einem Fußball (football) gebeten und er darf sich nicht weigen
Der Fußball ist ein mehr als kopfgroßer Lederball , mit Li
gefüllt, der mit dem Fuße fortgetrieben wird.* Eine neue Bra
mußte ihren Jugendgespielinnen ,, Ballgeld'' (Ballmoney) gebei
In Schottland fand am Lichtmeßtage zwischen den yerheirat
tcn Männern und den unverheirateten, oder zwischen äw
Kirchspielen ein Wettkampf mit dem Fußball statt, der vo
Ostende der Stadt bis zum Westemle (wie die Sonne geht) getri
ben wurde. Der „Lichtmeßball (Caudlemas Ba')" brachte d
ganze Bürgerschaft in Aufregung. In Jedburgh verpflanzten v
nicht allzulanger Zeit die streitenden Parteien nach zweistündige
Kampf in den Straßen denselben in das Flußbett des Jed ni
fochten ihn mit gegenseitigem Bespritzen zum großen ErgOt»
der von der Brücke zuschauenden Menge aus.* Im Kirchspi
Inverness (Mid Lothian) fand jährlich am Fastnachtdienstag e
Wettkampf mit dem Fußball zwischen den verheiratete
und unverheirateten Frauen statt, wobei die Verhi
rateten regelmäßig siegten.^ In der Pfarrei Scone (Perth) hal
der Kampf zwischen den verheirateten Männern und d
Junggesellen statt. Er nahm vom Kreuz (cross of Scoc
seinen Ausgang und währte von zwei Uhr bis Sonnenu
t e r g a n g. Wer einmal den Ball in die Hand bekam , lief dar
fort, bis einer der Gegenpartei ihn einholte; konnte er sich da
losmachen, so lief er weiter; wo nicht, wart* er den Ball ^
sich, es sei denn daß die Gegner ihm denselben entwunden h-
ten; doch niemand durfte ihn mit dem Fuße weiter stoß-
Die Aufgabe für die Verheirateten bestand darin, den Ball
„hängen" (hang), d. h. dreimal in ein kleines Loch im Moor
1) Brand 11,156.
2) Brand 11.417. Strntt, sports and pastimes 1811. p. 1(X>.
8) Coles, Dictionary bei Brand II, 15G. (^f. Chambers EdinbiL
Journ. March 12. 1842 bei -Kuhn, Nordd. Sasf. S. 511.
4) Chambers, thc Book of Days 18f;4. 1,214.
5) Frederick Morton Eden, Statistical account of Scotland bei R
1, 130.
Der Brautball. 475
treiben, der nach einer Seite hin die Grenze bildete; die.Auf-
gibe der Junggesellen war ihn za ertränken, d. h. dreimal in
etile tiefe Stelle des Baches zu stoßen, der den Kampfplatz auf
te andern Seite begrenzte. Gewann keine Partei , so ward der
iW hei SonnenuiUergattg in sivei ganz gleiche Teile zerscJinitten.^
h manchen Gegenden ist der Gegensatz zwischen Verheirateten
«dhI Unverheirateten verwischt oder geschwunden; in einzelnen
Allen vielleicht nur von den Berichterstattern außer Acht gelas-
sen. In Bniy (St. Edmunds (Sulfolk) schlagen auf Fastnacht
i2 alte Frauen Ball (trap and ball) bis Sonnenuntergang.* Noch
im Jahre 1815 bestand in Teddington, Twickenham, Bushy,
Bamptonwick und andern kleinen Städten in Hamptoushire nahe
liondon am Fastnachtdienstag die Sitte, alle Kauf luden zu schlie-
ßen und alle Fenster mit lüden, oder darllbergenagclten litten
211 versichern. Dann wurde von verschiedenen Gesellschaften
je ein Fußball (football) von Tür zu Tür durch die Straßen getra-
gen und Münze dafür erbettelt. Um Mittag begann ein vierstün-
diges Ballspiel auf den Straßen, wobei jeder, der es vermochte,
den Ball nut dem Fuße weitertrieb. Viele angeschene Personen
Wohnten dem Schauspiel bei.' Nach Alnwickcastle in Northumber-
land kamen jährlich am Fastnachtdonnerstag um 2 IJlir die Stadt-
pfeifFer und spielten auf, dann wurde der ^Mcngc ein Fußball
Über den Burgwall zugewortbn. Brand sah dies am (>. Febr.
1788.* So wird der Brautball über das Dach des Torwegs oder
der Kirche geworfen. Schon Fitzstephen, ein Schriftsteller des
13. Jahrh. berichtet, daß die Schuljugend von London zu Fast-
nacht unmittelbar nach dem Mittagsessen auf die Felder ging
und das berühmte Ballspiel trieb, jede Partei hatte ihren beson-
deren Ball.* Und noch 6 Jahrhundertc später nannte der Pre-
diger Kirkmichael in Perthshire den Football als gewiUmliche
Fastnachtbelustigung der Schulknaben.*' Wol aus der Feder des
ehemaligen Stadtherolds Handel Holme stammt die Nachricht,
daß ehemals bei einem auf dem Kodee (oder Uoodeye, einer
1) Morton Eden a. a. O. Cf. cnianibers a. a. 0. 1, 288.
2) Hone I, 215. Uober den trapLall s. Strutt S. lo7.
3) Hone 1 , 123.
4) Brand 1 , 92.
5) Strutt 92. Brand 1 , 70.
6) John Sinclaire, Statistical account ot'Scotland 179;') XV, 52 1. ßraudl, 70,
476 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantscbaft
Wiese zwischen der Kathedrale von ehester und dem Deeflusse^
stehenden Kreuze sich am Fastnachtdienstage der Mayor samm
dem ganzen Rat und alle 20 Gilden der Stadt mit ihren Vor
ständen prachtvoll geschmückt einfanden, um von da big zu
Rathause Fußball zu spielen. Der Mayor mit Amtsstab , Schwe
und Schirmhaube (cap of Maintenance) stand vor dem Kreuz
dann nahte die Zunft der Schuhmacher und überreichte ihm
unvordenklichem Brauche einen Lederball von drei "^i hlHiiiM
vier Pencc Wert; woraaf die Sattler hoch zu Roß, in ihrer-«
besten Staat herankamen und blumennmwundene HolzbälE' .
auf die Spitze ihrer Speere gesteckt, (vgl. o. S. 134) dajiB
brachten. Endlich waren alle diejenigen Bürger, welche ds J
erste Jahr ihrer Ehe noch nicht beendigt hatten , verpflichtet, ein^^
Ball von Sammt und Seide zu liefern. Alle diese Gesche
wurden dem Mayor oder in seiner Gegenwart der Gilde der Tu
hUndler, als der voniehmsten übergeben. Da das Ballspiel ö
zu Streitigkeiten führte, suchte man es unter Heinrich VIII. a
schaffen. Ein Verbot der Darbringung im Jahre 1533 bli
fruchtlos; da verwandelte man 1540 die Bälle in Preise fftr
Wettrennen auf dem Rodchcc, das nun — so scheint es —
die Stelle des Fußballspiels trat, und ttlr das Bogenschießen
Ostermontag, die Schuhmacher gaben fortan den Tuchhändl
in Gegenwart des Mayor eine silberne Lanze, die Sattler e
silberne Glocke, die Neu verheirateten einen silbernen Pfe^
Auch zu Ostern war bei Corporationen das Ballspiel übli
Kliedcm begaben sich Jahr um Jahr zu Ostern und Pfingst
der Mayor, die Aldermen und der SheriflF von Newcastle,
den Bürgerinnen erwartet, in voller Amtstracht auf den Fo
cme Art Malliebahn, um dem Ballspiel zuzuschauen oder da
teilzunehmen. 2 Eine erst in den letzten Jahrhunderten au
kommene Abart des Brauches ist es, daß junge Leute beider*^®'
(Jesehlechts auf Ostern um einen Rainfanikuchen (tansvca
Stuhlball (stoolball) oder Randball spielten.'* Dagegen spielt:
1) Kings Valc Eoyal of England p. 197. Brand I, 92. Strntt 101.
Chambers 1,428 flf.
2) Brockett, a glossary of North - county words s. v. Keppy-bi
Hone I.2ir>. Kuhn, Nordd. Sag. 511.
3) Bourne , antiquities of the commun people cap. 24. Strutt 94. üe
iiitoolball 8. Strutt *,)?. Der Kuchen aus Uaiiifarrenkraut, ein beliebtes Ost"
T
Der Brautball. 477
ttbo im fiühen Mittelalter die GeiBtlichen sogar in den Kirchen
fiilL Job. Beleth,^ spricht um 1165 in seiner „Divinorum.officio-
nm ac eommdem rationam explicatio/' wobei er vorzugsweise
fiebräache der Kirche von Poitiers im Äuge hatte , im Anschluß
^ das Ostertest cap. 120 ,,de quadam libertate Decembris^':
jifiestat, ut de eo nunc; agamus, quod ultimo loco in partitione
fiSperiori propositum fuit, nimirum de quadam libertate Decembris,
qiiae hoc tempore in quibusdaui locis observatur. Sunt enim
nonnullae ecclesiae, in quibus usitatum est, ut vel etiam Episcopi
et Archiepiscopi in coenobiis cum suis ludant subditis, ita ut
etiam sese'ad lusum pilae demittaut. Atque haec quidem
Ubertas ideo dicta est Decembrica, quod olim apud Ethnicos
moris faerit, ut mense loco* servi et imcillae et pastores velut
qaadam libertate donarentnr, fierentque cum domiuis suis pari
conditione, communia festa agentes post coUectionem messium.
Qiiamquam vero magnae ecclesiae , ut est Remensis , haue ludendi
Gonsnetadinem observant, videtur tamen laudabilius esse, non
ludere.' Noch Durand (Canonicus zu Narbonne, dann Bischof
von Mende) drttckt sich darüber in seinem 1286 veriaßteu Katio-
gcricbt, sollte angeblicli zur Erinnemiig an die beim Passabfest gebotenen
bitteren Krilnter gereicben. Brand I, 17G ff. Chambers 1. 429. Auf die
oben im Text erwähnten Oaterbelustigungen spielt ein Gedicht von 1G79 an :
At stoolball, Lncia, let ns play
For sugar, cakes er wino.
Cr for a tansy let us pay,
The loss be thine or niine.
If tbou, my dear, a wiuner be
At tmndling of the ball,
The wager thon shall have, and me
And my misfortunes all.
V'on demselben Gegenstande sprechen die folgenden Verse auf Ostern in
>• I*oor Robin's Almanack for 1677 " :
Joun^ men and maids
Now verv brisk
At barley- break and
Stoolball frisk.
Hoae 1, 215. Chambers a. a. 0.
1) Uebcr Beleih vgl. Piper, Monumentale Theologie S. (520 § 142.
2) Rationale divinorum officiorum a G. Durando concinnatum; adjectum
^^t aliud Rationale ab J. Beletho conscriptum. Lugdini 1605. T. II, 54G.
478 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
nale divinorum officiornm L. VI, cap. 86 „de sancto die Paschae^§
nach Beleths Vorgang folgendermaßen aas : In quibnsdam quoqii^.^
locis hac die in aleis, in natali Praelati cnm suis clerids Influn ^
in claustris, vel in domibus episcopalibns: itantdescei
dant ad ludum pilae, vel etiam ad choreas et cantos
Yocatnr libertas decembrica: quia antiquitns consaetndo foit
gentiles, qnod hoc mense send pastores et ancillae quadi^^
libertate fruerentar et cum dominis suis dominarentar et cmn
facerent festa et convivia post coUectas messes: landabilias tarn»
est a talibus abstinere. Während hier die Uebung des Ballspi^^^i
noch auf das Kloster oder den bischöflichen Hof sich beschrftn^^ ]
wurde es später in England sogar in die Kirche hineingezogagg
und als ein Appendix mit dem Gottesdienst verbunden. „A h^^
not of size to be grasped by one band only, being giyen-i^«>i
at Easter the Dean and bis representatives began an antipho— ni
suited to Easterday; then taking the ball in bis left band h
commenced a dance to the tune of the antiphone, the otL
dancing round band in band. At intervals, the ball was b
died^ as passed to each of the choristers. The organ plaj^ec
according to the dance and sport. The dancing and antiphf3ii(
being concluded, the choir went to take refreshment. It u* ^m
the privilege of the lord or bis locum tenens, to throw the b^BÜl;
even the archbishop did A."* — Im Schottischen Hochla^uid
gehört der Ballwettkampf (luchd-vouil) endlich auch zu ÄTÜen
Weihnachtsvergnügungen. ^
Der Brautball muß in irgend welcher näheren Bezieh^KU){
zum grünen Laube, zur jungen Vegetation gestanden ha^""le«
(vgl. das Zerschlagen im grUnen Tannenwalde), er scheint ^=fe«
jungen Ehepaare wesentlich gewesen zu sein. Ich stelle mir di'
Situation so vor, daß dieses auf ein Jahr lang in Ni^^ti
nießung des BrautbaUs gedacht sei, und daß die Mädchen ^
zurückfordern, weil mit dem Jahresschluß seine Function ™
dieses Paar erlischt, ein anderer ttir ein anderes Paar an ^
1) Bandy heißt den BaU mit einem Stecken weitertreiben (Strutt 10.^ — ^ ^v
das Auswerfen mit der Hand war allein dem Lord (Bischof u. s. w.) ^^^'
behalten.
2) Fosbroke's Brit. Monach bei Hone I, 215. Cf. ChamberB 1,42
3) Granty populär superstitions of the Highlands bei Hone 1,817.
Der Brantball. 479
kommen soll. Die Sache wäre klar^ wenn man den Braut-
hdl ab Symbol des Sonnenballs (jener feurigen Scheibe, an
iielche der „Ball von Asche, von Golde" (o. S. 472j, das GlUhend-
iHiehen der Schußkugeki in Klein - M<Usen , die Gestalt des den
Udchen gegebenen Zackenballs in Elliehsleben u. s. w. (o. S. 473),
4» vielleicht nicht bloß zufällig erinnert) und die Braut- und
Jagen Ehepaare auf ein Jahr lang als Gegenbilder des Lenz-
hin^MUurs auffassen dürfte. Datlir spricht, daß es die bis zum
Dinanche des Brandons Verheirateten (o. S. 473) sein sollen.
Und die Bedrohung der jungen Frau in Arendsee, scheint sie
mdit sagen zu sollen: Deinen wie ein grüner Baum blühenden
Qatten wollen wir dir nehmen und einen dürren Stock dafllr
geben? Die Ekitscheidung über diese Frage wird wol davon
sUiangen müssen, wie man die in Norddeutschland und England
Terbreitete Sitte, zu Fastnacht, Ostern, Weihnachten Ball zu
Khlagen, zu erklären hat In Landsbei^ a. d. Warthe spielt
BiD am dritten Ostertage auf einer Wiese Ball, den Beschluß
aaeht ein Tanz, das heißt: den Osterball feiern. In Kiez bei
K^nick geschieht das noch am ersten Festtage vor Son-
i^enaufgang, an anderen Orten zu anderen Tageszeiten, nicht
^en noch Schneegestöber hält davon ab. Die englischen For-
i&en des Brauches lehren, daß auch bei diesen Begehungen der
Gegensatz der Neuvermählten und der Unverheirateten
die erste Rolle spielte, daß sie Abschwächungen der Sitte, mit
dem Brautball zu spielen waren, und mit der Entwickelung des
Ballspiels in der Gesellschaft auch vielfache Modernisierungen
erKtten. Simrock fragt (Handb. d. Myth.^ 578): „Stand dies Ball-
spiel in Bezug auf die drei Freudensprünge, welche die Sonne
«U Ostern tun soll?" Dafür könnte sprechen, daß die Sitte
«uweilen noch vor Sonnenaufgang oder bis Sonnenunter-
ga.ng 0. S. 474 geübt wird oder gleich der Sonne die Richtung
von Ost nach West nimmt (o. S. 474); das Hinüberwerfen des
Baus über das Dach des Torwegs oder die Kirche gleicht sich
dem Scheibenwerfen. Die Bedeutsamkeit des Brauches der Oster-
bSLlle erweist der Umstand, daß die Politik der Kirche es tür nötig
hielt, denselben zu weihen oder gar zu christianisieren, indem
»ie ohne Zweifel durch gottesdienstliche Verwendung denselben
EU einem Sinnbild Christi selbst, der aufsteigenden Ostersonne,
umdeuteu zu können hoffte. Nicht am wenigsten kommt zu guter-
480 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibraatschaft.
letzt unserer Deutung zu gute, daß in Oldenburg der Osterlui
in offenbarem Zusammenhange mit dem Osterfeuer zu stehi
scheint. Das Ballspiel wird an den Nachmittagen beider Fea
tage von Kindern und Envachsenen getrieben. In Ganderkeab
begaben sich die Erwachsenen vom BaMspid zum Osterfeuer n
darauf ins Wirtshaus und spielten Klampsack, wozu aoeh
jungen Mädchen zugezogen wurden.^ Das Klumpsackspiel
in Westfalen auf dem Platze des Osterfeuers vorgenommen (
Westf. Sag. 11, 136, 405*') und zwar vor Änztlndung desseltz
Ebenso mag auch Ballspiel zum Osterfeuer gehört haben. 0 -
wäre trotz alledem die ganze Sitte des Brautballs zu Ostern kin
liehen Ursprungs , christlicher Symbolik entsprossen ? Und hb-
es damit zusammen, daß mehrfach der Ball über die Kir^
geworfen wird (o. S. 473) oder das Ballspiel vom Kreuz
seinen Ausgang nimmt (o. S. 474)V
§ 11. Brautlager auf dem Ackerfelde. Der Mooner g—
bolische Vermählungsbrauch (o. S. 469) rührt wieder an m^
eigentümliche Reihe von Sitten, deren characteristisches K
zeichen dies ist, dciß Mann und Weib verbundeti sich auf
Acker wälzen. In England hatte der Brauch am Maitag s ^
In einem Gedichte „May-Day" sagt R. Fletcher im J. 1656;
The game at best, the girls May roulil must bce,
Where Croyden and Mopsa, he and shee,
Each happy pair makc one hcrmaphrodite,
And tumbling, bonnce together, black and white.*
Zu Ostern und zu Pfingsten pflegten junge Paare sich vom 6r"^
wichhtigel herabzurollen. ^ In der Ukraine zieht am St. Ge<, .
tage (23. Apr. a. St.) nach beendigtem Gottesdienst der Geist
in vollem Ornat mit seinen Kirchendienern und der gar
Gemeinde auf die ausgesäten und bereits grünenden Felder
Dorfes, um sie nach griechischem Ritus einzusegnen. Den _
zen folgenden Nachmittag bis in die sinkende Nacht bringt dm
der Bauer auf den Feldern zu. Man geht von einem Felde
andern, begrüßt die Nachbarn und ißt besonders tlir dL
1) Strackerjan, Abergl. u. Sag. a. Oldenburg 11,40,315.
2) Translations and Poems, 1656. p. 210 bei Brand, pop. antiq
EUis 1 , 181.
3) Brand a. a. 0. „ the roUing of young conples down Greewichhi
Easter and Whitsnntide."
Brantlager auf dem Ackerfcldc. 481
zubereitete kalte Speisen unter dem gehörigen Zusatz
finumtwein. Die alten Leute mit den Kindern bleiben in
NUie der Feldwege; die erwaclisene Jugend aber entfernt
Aber die Felder, bis sie den Alten in einer Vertiefung aus
Gesichte verschwinden. Hier stecken sie eine Stange mit
1 angebundenen Tuche, oder einer Flagge auf, angeblich
ien Platz zu bezeichnen, auf dem sie sich vergnügen und
Zeichen, daß hier die Alten nichts zu suchen haben. Alk
sich auf die Felder, iind icer eine Frau hat, walzt sieh einige
mit ihr auf deni Saatacter um. Wie man denken kann,
1 diesem Beispiele auch die jungen Leute auf ihrem abseits
enen Turnplätze, „So oft ich fragte — schreibt mein Bericht-
tter, Hofrat Hochhuth in Pilomnik bei Kiew — , weshalb
ttif diese Weise auf den Feldern sich wälzten, erhielt ich
Antwort, daß das .von jeher so gewesen sei; der heilige
g habe sich auch auf den Aeckem gewälzt, und ich würde
i sehen, welcher Getreidesegen danach zum Vorsehein kam-
werde. Dieses Wälzen auf den Feldern ist besonders in
Bachen Steppen der Ukraine üblich , die aus sehr fruchtbarer
'arzerde bestehen; auf dem Sand- und Lehmboden des
Ideten Hügellandes von Wolhynien und in Podolien am Dnie-
ist es mir nicht vorgekommen." — Den vorstehenden Früh-
^ebräuchen stehen ganz ähnliche EmtcbrUuche gegenüber.
elbra (gold. Aue, Kr. Sangerhausen) werden die Schnitter
Schnitterinnen, welche das erste Jahr mit auf Arbeit gehen,
:ht gegen Gesicht zusammengebunden und unter fröhlichem
ßhter der anderen einen Hügel hin<ii)gerollt. In Scharrel
Irland) sammelten sich früher während des Roggenmähens
endlich Schnitter und Schnitterinnen nach getaner Arbeit auf
Grünenwege und dem Langhorstesch zu Trunk und Feier,
n umfaßten die Mädchen die Beine der Schnitter
die Schnitter die Beine der Mädchen, und so anein-
er geklammert rollte und wälzte man sich herum
nannte das walen.^ In Hessen (Gegend von Rinteln)
den Arbeitsleute, welche zum ersteumale ein Emtefeld besu-
i, besonders die Männer, welche zum ersteumale auf einem
e beim Roggenmäheu beschäftigt sind, auf Frauenspersonen
1) Strackerjan , Abergl. a. Oldenburg II,78,3G1.
^»nhftrdt. 31
482 Kapitel Y. Vegetationsgeister: Maibraatschaft.
gelegt nnd ihnen nach dem Takte des Liedes ^^Ala Jacob n^^^^^
der MtLhle will fahren '^ das Hinterteil so lange mit einem
Streicher bearbeitet 0, gebritzt'') bis sie angeloben, etwas zr
besten zu geben, was sie je nach Beschaffenheit ihrer Unterli^^^^
kürzere oder längere Zeit anstehen lassen.
Der Emtebraach stellt sich als einfache Wiederholung &:^ d
EVtthlingsbrauches dar; wie dieser hat er den Zweck, das Kocz^Ia
auf den Aeckem reichlich wachsen zu machen; auf Creor^'nK ij
Ostern , Pfingsten , Maitag geübt erstreckt die Sitte ihre Wirka^B:.HU
vermeintlich auf die diesjährige Ernte, nach dem Getreideschnc^cju
auf die Fruchtbarkeit des folgenden Jahres. In Greenwich rc^-oli
ten die Paare zu Ostern, in Sangerhausen nach der Ernte yc^ oh
Httgel herunter.
Zwei ganz verschiedene Bestandteile lassen sich in dEadeü
vorstehenden Bräuchen unschwer von einander scheiden. I hs
Wälzen auf dem Acker wird auch von Einzelneu geübt, ist aji^also
zu sondern von dem Auftreten eines Paares (Mann und We=r-ii).
In Helsingland und Jemtland pflegt der schwedische BaiK^er,
wenn er es im Frühjahr zum erstenmale donnern hört, sich
die Erde zu werfen mit dem Ausruf:
d. i.
Vi ska rulla.
Sa at det blir körn i hvar gmbba.
Wir werden rollen ,
So daß Korn entsteht in jeder Pflugfurche (Vertiefung im Acker).
Wer diesen Brauch übt, wird im Herbst eine reiche Ernte erh
ten, wer ihn aber versäumt, zur Strafe von KUckenschmens
geplagt werden.^ Auch in Oberöstreich warf man sich ehed^^
beim ersten Gewitter auf die Erde und wälzte sich auf dem Bodc^^
in der Meinung ein gutes Getreidejahr zu erwirken. Die Bulgare*
und Serben tun dasselbe, damit ihnen im Laufe des Jahres ^*
Knochen in den am Boden geriebenen Schultern nicht weh tuu
In der Oberpfalz, Baieni, Böhmen hoflft man nicht minder da
Jahr hindurch von Kreuzsehmerzen befreit zu sein, wenn ma
beim ersten Donner im Frühling sich dreimal rtLckwärts nie
derwirft, und den Rücken auf dem Boden wälzt ur
1) Hylten-Cavamus, Värend och Virdame II. TiR X.
Brantlager auf dem Ackerfelde.
483
1 bt^ Gradeso aber glanbt der Este, wenn er vor dem Georgs-
em Gewitter znm erstenmalo hört und dreimal einen Bnrzel-
t^^nm schlägt, in der gebtickten Stellang beim Komschneiden
^^Älrend der Ernte weder zu ermüden, noch Rückenschmerz zu
empfinden.* In manchen Orten Böhmens , Niederöstreichs u. s. w.
Silt solches vom ersten Donner während der Erntezeit,* und in
verschiedenen Gegenden Rußlands wälzen sich die Schnitter nach
Beendigung der Arbeit auf dem Rasen, indem sie sprechen:
yy Stoppelfeld, Stoppelfeld! gieb mir meine Kraft zurück; indem
icli dich geschnitten habe, ist die Kraft verloren gegangen."*
Lietztere Aeußerung stimmt damit übercin, daß in Deutschland,
Frankreich u. s. w. von einem während der Ernte ermüdenden,
Rückenschmerz empfindenden Arbeiter der Glaube geht, der im
Ackerfeld weilende, anthropomorphische oder theriomorphische
KoTudämon habe ihn berührt (der Bulle, der Austbock hat ihn
ffestofien; der Roggenwolf hat ihn untergekriegt; il a vue la
cliienne blanche u. s. w.).
An die Stelle des Donners treten zuweilen die den Beginn
les Frühlings anzeigenden Vögel. Beim ersten Kukuksruf wälzt
sicli der Meininger, hessische, westfälische Bauer ein paarmal
Ulf" der Erde, um das Jahr hindurch frei von Rückenschmerzen
tu. bleiben.* Gradeso warf sich im alten Griechenland rücklings
iL'jTritoc) nieder und wälzte sich auf dem Boden wer zum ersten-
iaa.le im Frühling eines Weihen (/zr/roc) ansichtig ward.^
Andere Formen des Brauches besagen, daß man auf der
Ss&sit sich wälzen solle, um sie ergiebig zu machen. Die
Z-w^iebehi wachsen groß, wenn man sich in der Johannisnacht
auf den Beeten wälzt.' Damit er hoch wachse, umtanzten die
1) Panzer II, 303. Schönwerth II, 125. Grohraann, Abergl. a. Böh-
^«Ä 39, 238. Wuttke« § 535.
2) Bocler-Kreutzwald, der Ehsten abergl. Gebr. S. 84.
3) Grohmann, Abergl. a. Böhmen 40, 242. Zs. f. 1). A. XII, 400.
4) TereschtBchenko IV, 134.
5) Zs. f. D. A. m, 362, 13. XII, 400. Zs. f. D. Myth. IV, 447. Knhn,
^estßl. Sag. n, 74,221.
^) Aristophan. av, 498 ff. c. schol.: ,"FM()og uoyouirov fxnrog ifafvitai
^'^ ^v 'Eklada . iff w ti^o^fvoi xivI/Woit«*." „o/ yiiQ IxTiroi in naXttibv
*'*? ♦iiJMttii'oy . ot nh'rriTfg ovv (tnaklay^iTt-g vor ;(fcuMrog fxvXivdom^TO »ttX
7) ClwmnitieT Rockenphil. 1709 No. 124.
31*
484 Kapitel Y. Vegetationsgeister: Maibrantscbaft
Mädchen im Saalfeldischen nachts den Flachs, zogen sich nac
aus und wälzten sich darin, ^ Die Rhönleute wälzten sich in c
Ghristnacht auf ungedroschenem Erbsenstroh, und mengten m
ausgefallenen Erbsen unter die Aussaat, um ihr Gredeihen a
Wachstum zu sichern..^ Aehnliche Absichten werden zu GruK
liegen , ' wenn bei Nördlingen im Ries (Kr. Schwaben , Baie
derjenige, welcher den letzten Drischelschlag machte, [als V
treter oder Darsteller des dem Korne innewohnenden Dämo
in Stroh eingebunden und auf der Tenne herumgerollt wi
In dem o. S. 434 beigebrachten Frtihlingsbrauch aus dem Kre
Nerechta wirft sich die Darstellerin des Vegetationsgeistes ai
auf den Boden und tcälst sich darauf. Diese Handlung ist de
lieh unterschieden von der Darstellung des Winterschlafes
nämlichen Brauche. Hier haben wir den vollen Beweis, daß <
Wälzende den Wachsturasdämon repräsentierte.
Unleugbar enthält die eine Hälfte der vorstehenden Gebräa^
die Absicht, dem Acker eine erhöhte Triebkraft, der Saa* grö
res Wachstumsvermögen mitzuteilen. Eine solche wird d
Volksglauben nach durch das Gewitter hervorgebracht, das
Pflanzen gedeihen, reichlich und üppig hervorsprießen ma<
Daher heißt z. B. in Schweden das Wetterleuchten Kombi
Komblick; in Norwegen Kommode, Kommoe, das Gewitter ^
Blitz und Donner in Schweden teils Kommode,^ teils Komboi
(der Kombauer).^ Im Augenblicke des ersten Frühlingsgewitt
1) Journal von und für Deutschland 1790. M}-th.> LXXXVm, 519-
2) Myth.» CLm, 990.
3) In Smuland sagt man sogar, wenn ein rotbärtiger Bettler
den Hof kommt, „sieh da kommt der Kommode." „Ich glaubte es sei
Kommode (Thor) selbst." Hylten-Cavallius, Värend I, S. 231.
4) Korabonden gär = det äskar (Der Korabauer geht = es gewitrfc-
Ein Rätsel aus Oestergötland fragt: hvad ropar högare an tranan? C"
ruft in größerer Höhe, als der Kranich?) Kornbon (askan) ropar hbgar^
tranan. (Der Kombonde (Donner) ruft in größerer Höhe, als der Erat»
Dybeck. Runa 1849 p. 48 No. 17. Ein Troll, der den Donner hört, f^
eine Frau, was das sei, sie antwortet: Det är bo'n, kör kora öfver l^-
(Das ist der Bauer , er fährt Korn über die Brücke.) Cf. Zs. f. D. M>'th.
30, 12: Der Donner entsteht dadurch, daß der Herrgott Getreide in den Ge^
dekasten schüttet (Kärnthen). Thor serena et fruges guberaat (Adam Bf <
Vgl. aucli die Gebete an den finnischen Donnergott ükko. Castr^n ^
Hyth. S. 37. 46 ß; und das von Gutslefif im J. 1644 mitgeteilte an den
Braatlager auf dem Ackerfelde. 485
«
>ti£ diese Einwirkang anf den Kornwachstum als am stärksten
^d wirksamsten gedacht sein ; und ebenso maß der Moment des
"Hto Erscheinens und des ersten Rufes der Frühlingsboten
Ulok und Weihe als die Wachstumskraft des Lenzes in inten-
^cr Weise yermittelnd gedacht sein. In dem einen oder andern
aUIe schießt grade dann gleichsam die Jirt^/zc caSt^rr^rj (o.
196) in das Erdreich ein. Wenn aber dem Boden oder den
lanzen eines bestimmten Ortes diese Mitteilung vermeintlich
K^ht unmittelbar, sondern erst durch das Medium einer auf dem
>den sich reibenden, an ihn gleichsam die aufgenommenen Kräfte
^ter abgebenden Person zu teil ward, so liegt hier deutlich
ae mythische Personifizierung vor. Der auf der Erde sich wäl-
nde Mensch vertritt ein mythisches Wesen, welches die im
3<hen Picker „ Lieber Donner , wir opfern dir einen Ochsen , der zwei Hör-
r und vier Klanen hat, und wollen dich bitten um unser Pflügen und
en, daß unser Stroh kupferrot, unser Getreide goldgelb werde. Stoß
derswohin alle dicken schwarzen Wolken über große Sümpfe, hohe Wälder
<1 breite Wüsten. Uns Pflügem und Säem gieb aber fruchtbare Zeit und
Ren Regen. Heiliger Donner, bewahre unsem Acker, daß er trage Stroh
"kerwärts, Aehren überwärts und gut Korn innenwärts." Bosenplänter,
?itr. V, 157. Myth.* 161. Nach Michael Agricolas Vorrede zum Davidin
sltari 1551 wurde in Kardien, „wenn die P^ühlingssaat gesät wurde,
tios Schale getrunken und Ukkos Korb gesucht, so die Magd und die Frau
nrascht und viele Schandtaten begangen, die man sowol hören als sehen
Bnte.'* Oastren, finn. Myth. 317. Diesem finnischen Feste entspricht —
e ich bereits anderswo ausgeführt habe (cf. Lasicii de diis Samagitarum
>eIlTis ed. Mannhardt 43 ff.) — ein estnisches Fest, wobei um die Tag- und
^cktgleiche im Frühling (des Donnergotts) Ukkos Pandel, ein mit Opfer-
i-l>en gefülltes Rindenkästcheu , umgeben von Speisen und Getränken aller
c^ auf den Tisch der Klete gesetzt wurde, worauf der Hausvater auch noch
öe mit Körnern jeder Getreideart gefüllte Borkenschalc hinzutat. Unfrücht-
^TC Weiber mußt^jn sich, naclits beim Ukkowak eingesperrt, daselbst einer
-leimen Ceremouie unterwerfen. Nachdem der Hausherr frühmorgens
i^htem die Grenzen seines Ackers umwandelt, begann ein Bacchanal, bei
^chem namentlich die Weiber viel trinken mußten. Drei Tage nach dem
^^ wurde die Schale mit den Körnern aus der ükkopaudel herausgenom-
^^sn, jede Getreideart wieder ausgesondert und in den Saatkaaten getan,
'^bandlungen der estn. Gesellsch. z. Dorpat 11,3. 1850. S. 46ff. Offenbar
«0 sollte der Gott des Frühlingsgowitters das auszustreuende Saatgetreide
'"Sichtbar macheu; gradeso wie die Inselschweden bei der Aussaat in das
^^bnit, woraus sie säen , einen Donnerkeil ('liisavigg) legen. Russwurm Eibo-
^olke U, § 37y.
486 Kapitel Y. Yegetationsgeister: Maibrantschaft.
Angenblicke des ersten Gewitters oder Yogelangangs (resp.
Gebart Christi o. S. 434) aufs höchste erregte Waehstomskraft
den Acker oder die Aussaat (Korn, Flachs, Zwiebeln,
u. 8. w.) ausströmt.
Anders liegt auf den ersten Anschein die Sache, wenn
Mensch sich auf der Erde wälzt, um von Kreuzschmerzen währ^
der Ernte befreit zu werden, oder zu bleiben; oder wenn er(
in Böhmen noch im vorigen Jahrhundert geschah) sich, sob
es donnert, auf die Erde wirft und sie kttßt;^ denn hier sch^l
er der Empfangende , der die in den Acker tibergegangene K
des Gewitters, resp. des einziehenden Frühlings an sich
Wenn aber nach schwedischem Glauben die Beobachtung
Wälzens auf dem Saatfeld eine reiche Getreideernte, die Nic^l
beobachtung dagegen Rückenschmerzen bei der Emtearbeit z
Folge hat, so ksxm schwerlich der Wälzende das einemal ^
mythisches Wesen vertreten, das anderemal in der Bolle
ganz gewöhnlichen Sterblichen handeln; vielmehr steht zu
muten, daß beidemal^ entweder Repräsentanten mythischer
sonificationen , oder einfache Menschen gemeint waren. Wir
den zunächst prtlfen müssen, ob und wie diese Vermutung n
unserem vorherigen Ergebnisse im Einklänge steht, daß die auf dL^
Saatfeldern , den Zwiebelbeeten , dem Flachs und Erbsenstroh öi^
Wälzenden Vertreter, resp. Darsteller von (Vegetations)-DämoM^^
seien, welche den Früchten und Pflanzen Wachstumskraft mitteile
Befinden sich die des Rückenwehs halber sich Wälzenden
scheinbaren Gegenteils im gleichen Falle? Die mitgeteilten
spiele ergeben, daß es sich dabei um diejenigen Kreuzschmer^
handelt , welche Ermüdung bei der Emtearbeit erzeugte ; sie v*^ ^
den aufgefaßt als ein durch Zusammenstoß mit dem Getreidedäs:^^
veränlaßter Kraftverlust. Nun ist es nach anderer Wendung ^
1) Grohmann , Abergl. a. Böhmen 40, 243.
2) Cf. Wenn es im Frühjahr zum erstcnmale donnert» soll man e
Schweres (einen Stein n. dgl.) heben und einige Schritte weit tragen^
erlangt man ungewöhnliche Stärke, kommt das Jahr hindurch nicht
Kräften und bewahrt sich bei schwerer Arbeit vor Leibesschaden. Gr
mann , Abergl. a. Böhmen S. 39 if. No. 237. 240. 241. Große Starke erl
auch wer einen Donnerkeil oder den Splitter eines vom -Blitz getroff«
Baumes bei sich trägt. Grohmann a. a, 0. 40, 239. Thorr hat einen
gürtel (Megingjardr), der 12 Männer Stärke verleiht.
Bnnüager auf dem Aokerfelde. 487
^onteDoDg der Gretreidegenins, der den ährenschweren Halmen ein-
^rcdmende Greist selber , der durch den Komschnitt einen Abbrach
^iae SchwSchnng erleidet Berücksichtigen wir jetzt einerseits j dafi
^lerjenige, welcher bei der Ernte den letzten Sensenhieb, oder
H^iischelschlag macht, hänfig den Komdämon vertritt und dar-
stellt und nun für ein Jahr den Namen Roggenwolf, Hahn, Hafer-
boek n. s. w. erhält,^ andererseits daß der den Baamgeist durch
Schädigung der Pflanze beeinträchtigende Frevler sofort stellver-
^r^etend an seinem eigenen Leibe die gleiche Schädigung erlei-
de (o. S. 36 ff. 104 ff.), so flihrt uns die Analogie auf die An-
iftchanung, daß der Schnitter zur Strafe und in dem Maße kraft-
los gedacht würde, als er durch seine Arbeit den Komdämon
^«maeht hatte. Selbstverständlich konnte er dann auch nur auf
dieselbe Weise , wie dieser , seinen Verlust ersetzen , d. h. durch
erflhrung mit der Erde, aus welcher die neue Pflanze her-
oreprießen soll. Ganz parallel stehen noch zwei andere Weisen,
«i der Erntearbeit empfangene Rückenschmerzen zu bessern,
cxier SU verhindern. Man tanzt um das Johannisfeuer und springt
lundnrch' (Baiem), oder man bindet um den Leib einen Gürtel
^v^cn drei Hahnen (Niederbaiem) , oder legt sich auf den Rücken
je eine Aehre aus der ersten, zweiten und dritten im Beginn der
Ernte abgeschnittenen Handvoll Frucht (Oberpfalz cf. o. S. 210).
In diesen ersten Aehren des Schnitts lebt noch die volle Kraft
des ungeschwächten Getreidedämons. Der Sprung durch das
Jchannisfeuer (vgl. o. S. 177 ff.) ist von uns (o. S. 186) als Nach-
bildung des Durchgangs der Vegetationsdämonen durch die Som-
merhitze erklärt worden; derselbe geschieht meistens paarweise,
uidem Jünglinge und Mädchen dem mythischen Maibrautpaar
'^«cheiferten. Diese Analogien bekräftigen, wie ich glaube, den
Schluß, auch der zur Beseitigung von Rückenweh auf dem Boden
®*ch wälzende Abergläubige handelt als Stellvertreter oder Jleprär
Scntant eines Komgeistes.
Werden wir nunmehr noch diejenige Form des Frühlings -
^i^d Emtebrauchs, in welcher ein Paar auf dem Acker gerollt
^^ttl, mißverstehen können V Seine Vereinigung stellt symbolisch
^c Vermählung des Maibrautpaars dar, welche in dem
1) 8. Mannhardt, Komdämonen S. 3. Koggen wolf^ S. 34.
2) Cf. Wattke» § 93.
488 Espitol V. Vegetationsgeister: Mubraatschtft.
Augenblicke vor sich geht, wenn das erste Frtthlingsgewitter
yenneintlich die Erde befrachtet, oder der erste Frtthlingsyogel
den Sommer mit sich bringt. Dieses feierliche und segensreiche
Brautlager einem besonderen Saatfelde recht wirksam zu macheoi
wälzen und reiben sich die irdischen Stellvertreter des mythischen
Paares auf der Erde, der dadurch die Kräfte der göttlichen
Vermählung zuströmen.
§ 12. NenyermShlt« als Abbilder des Haipaars. Spielt
in den Fastnacht-, Oster-, Mittsonmiergebräuchen das zuletzt ver-
heiratete Eliepaar^ oder eine jüngst vermählte Ehefrau^ zumeist
beim Feuer eine KoUe,^ so auf andere Weise in schwäbischen
Fastnachtsittcu die jüngstai Bürger, d. h. diejenigen Männer,
welche zuletzt Hochzeit hielten j oder sämmtliche im Laufe des
letzten Jahres neuverheirateten Männer, Man bezeichnet dieselben
als jyBräuÜinge'*^ und nötigt sie, in den Brunnen zu springen.
Zu Munderkingen sprang der Lctztvermählte am Aschermittwoche
dreimal in den zuvor gut umgerührten 10 — 12 Schuh tiefen
Marktbruunen und brachte dort ein Vivat aus.' In Scheer and
Sigmaringeu werden alle im letzten Jahre verheirateten Männer
nacheinander am Fastnachtmontage nach der Kirche im Rohr^
bnmnen gebadet y zu Fulgcnstadt geschah das vor etwa 50 Jah-
ren am Fastuaehtsonutage im augestauten Wasser des Dorfbachs,
zu Uigeudorf geschieht es noch am Fastuaehtdienstage im Brunnen-
troge des Pfarrbofs. Zu Scheer und Sigmaringen halten bei diese?
Gelegenheit die ledigen Gesellen zu allen Bräutlingen einen Um
zug, voran den Fastnaehtsnarrcu mit RollengeschcU und mäehtigf
Peitsche, der Kinder und Jmiglraueu russig macht, wenn er s
erwischt, sodann 2 — 4 Läufer ebenfalls mit Peitschen, endli
1) Andere Verpflichtungen liegen den Neuvermählten z. B. in Thürii
oh, wo sie einige Wochen nach der Hoclizeit entweder einen Hahnensc
veranstalten müssen, oder am ersten Palmsonntage die ledige Jugend
die Schulkinder mit Bretzeln heschenken (Hieben bei Gotha); Brotzeln ^
ja auch Geschenke bei Gelegenheit des iScheibentreibens s. o. S. 466.
das junge Ehepaar hat im Laufe des ersten Jahres der Jugend einen
bäum mit darangehängten Halstüchern und Westenstückchen u. s. w. i
rüsten, der zum IJursohen-^ oder Mädchentanz am Johannistage oder P
tage aus ilirem Hause unter Musik abgeholt wird. F. Schmidt, Sitt«
Gebräuche bei Hochzeiten in Thüringen S. 47 — 48.
2) Meier 377 , 15.
NenTerm&lilte als Abbilder des Ifaipaars. 489
die Hiisikbande, in der einer einen dicken, mit Bändern
Terziertea Prttgel trägt. In jedes Bräatlingshaos geht der Zag
hmelDy die Musik spielt auf and die jungen Eheleute tanzen
danaeh, indeß ihnen der Narr das Fleisch aus dem Hafen, einen
Braten vom Kamine herab stiehlt. Zuletzt wird der Bräutling
gefragt, ob er Wein oder Wasser wolle. Antwortet er Wein,
80 muß er ein Stück Geld geben, um die Gesellschaft im Gast-
banse zu bewirten, antwortet er Wasser, so wird er gebadet.
Er muß auf den Prttgel sitzen und wird so durchs ganze
Städtchen bis zum Rohrbrunnen getragen, um diesen
hernmgeftthrt und hineingeworfen. So geschieht es vom
Aeltesten angefangen der Reihe nach bei allen seit Jahresfrist
Nenrerheirateten. In einigen Orten bei Scheer findet der Brauch
jedoeh schon am Ende des Kalenderjahres statt. Aehnlich geht
es in den andern vorhin genannten Gegenden her. Zu Fulgen-
stsdt ist der mit Musik vom Hause abgeholte, im Dorfbache
gebadete Bräutling häufig maskiert ; zu Nigendorf verstecken sich
die betreffenden jungen Ehemänner, zuweilen sogar in einem
benachbarten Dorfe und werden von den als Teufel, Hexen
Hg. w. verkleideten ledigen Burschen gesucht, bei welcher
Gelegenheit diese in den Häusern an Eßwaaren mitlaufen lassen,
was ihnen unter die Häiidc kommt. Die aufgefundenen , jubelnd
l»üngefllhrten Bräutliuge wurden einzeln au den Brunnentrog ins
ffarrhaus gelTtthrt und mußten sich dort entweder loskaul'eu oder
Emtauchung gefallen lassen. In Sigmariugen war die Sitte
verändert, daß jeder Neuvermählte des verflossenen
J^Tt% von den Bräutlem , d. h. ledigen unbescholtenen BUrgcrs-
^'^en der Stadtgemeine beim Klange eigentümlicher Musik und
''Eiligen Sprüngen vermummter Gestalten auf einer
^^^'attelten Stange mehrere male um den Marktbrun-
^^Tx getragen wurde, worauf man ilmi im Angesichte des Mut-
. 'Sottesbildes die rechte Fußspitze wusch und ihn crmahnte,
1^ rechter ehrenfester Mann und Bürger zu sein.^ Doch nicht
*leii». in Süddeutschland hat sich die Sitte erhalten. Im Olden-
l^^^lgischen brachten die Junggesellen am Fastnachtdienstage
^^^tntliche Verheiratete, namentlich die im Laufe des Jahres Neu-
^^"Hiählten zusammen, die dann in die Zunft der Ehemänner auf-
1) S. Birlinger, Volkstüml. a. ^Schwaben. 11, 45— 50, No.60— 64.
^
490 Kapitel Y. Vegetationsgeister: MaibiantNhaft.
genommen wurden und bewirten mußten. Wer nicht gntwil
kam, wurde auf einer Leiter zum Wirtshause getragen. In Schi
rei (Sateriand) stellte man bei dieser Gelegenheit den JunggeK
len, welche die Zahl der Lebensjahre der Dreißig fiberschritte
ohne vermählt zu sein, eine bestimmte Frist, bis zu welcher i
eine Lebensgefährtin wählen mußten. Verlief dieselbe ohne I
gebniß, so wurde ihr Name in ein großes Buch mit Pergamei
Umschlag geschrieben. Im friesischen Barßel ermahnte eben&
bei dieser Gelegenheit einer der ältesten Ehemänner die Neulio
ihren Weibern treu zu sein und mit keiner andern sich ab:
geben. ^ In den Dörfern bei Brake. (Oldenburg) werden in <
Pfingstnacht die jungen neuvermählten Ehemänner, <m
die erst zu Mai angezogenen Hausväter von herumziehenden L
ten y,gehögt^^ d. h. auf den Annen oder einem Stuhle in die A
gehoben (cf. o. S. 347), fUr welche Ehrenbezeugung sie sich du:
Bewirtung mit Getränk erkenntlich zeigen müssen.' In Pol
(D^p. Deux-Sevres) hatte am Freitage vor dem letzten Sonnta
zu Ghätillon am letzten Freitage des Aprilmonats der Brai
statt, den Hammel zu schlagen (fesser le mouton). Die Jft
linge (bacheliers) aus beiden Kirchspielen des Ortes, fesÜ
geschmückt mit Degen und Federbusch begaben sich, Ma
an der Spitze, zu allen im letzten Jahre verheiratet
Frauen, überreichten ihnen einen Blumenstrauß und luden
zum Tanze ein. Am Sonnabend Abende führte man ein
Hammel zu einer mit weißem Tischtuche gedeckte
mit Brot und Wein besetzten Tonne und bot ihm dies
Speise an. Nachdem er gefressen und getrunken, trieb ihn
zuletzt verheiratete Frau mit einer Rute dreimal um die Ton
worauf ihn jeder Junggeselle auf seinen Rücken hob und di
mal um seineu Kopf schwang. Der Abend verging mit Tanz
Am Sonntage nach der Messe ergriffen sodann die Junggeaell
an den Kirchtüren der beiden Pfarrkirchen die beiden zne
hinausgehenden Bäuerinnen und tanzten mit ihnen den Hirt(
tanz. Sodann setzten sie sich in Weiß gekleidet zu Pferde u\
die beiden zuletzt verheiratetrji Ehemänner mußten sie in ihre
Hochzeitsstaat zu Pferde begleiten. So ritt man mehrere ma
1) Strackerjan, Abergl. u. Sag. a. Oldenburg II, 38» 305.
2) Ders. ebds. 47, 316.
KevTennähltd als Abbilder des Maipaan. 491
nnd am den Ort, endlich stieg man auf einer benachbarten Wiese
ab, om zu tanzen; wieder im Sattel, hielt man einen Tmnk,
viif das Glas zur Erde and jagte mit verhätigtem Zügel zar
Stadt bis Yor das Schloß. Die beiden zaerst Angekonmienen
'nirien als Könige (für jedes Kirchspiel einer), von ihren Lieb-
chen gekrönt Den Rest des Abends sowie des Monats ftillten
•Besache und Tänze aus, bis am letzten April der Maibai4m in
den beiden Kirchspielen gepflanzt und grüne Zweige und Blumen-
ketten Yor den Häusern angebracht wurden.^ Hier sind der
Hsmmeltanz der neuvermählten Weiber (anstatt des Hammels ist
Ursprünglich ein Widder zu denken und symbolische Beziehung
Änf die Fruchtbarkeit der Ehe unabweisbar) und der Wettritt
[v^ 0. S. 387] der neuvermählten Männer deutlich ein Vorfest
des Maibanmpflanzens. Zwei Bäuerinnen wurden zum Tanze auf-
S^fordert, zwei Könige wurden gewählt, weil zwei Kirchspiele,
da^ der Stadtpfarre und die Pfarre der Vorstadt Saint -Jouin
zusammen das Fest feierten. Bei dem auf Samstag fallenden
Teile der Feier waren sie also nur einfach durch die letzte Neu-
■^eimählte vertreten, bei derjenigen am Sonntage doppelt. In
dem Flecken Greven in Westfalen hinwiederum herrscht während
de» Karnevals die Gewohnheit, daß alle vier Jahre die inner-
l^alb dieser Zeit getrauten Ehepaare ohne Unterschied der Person
in einen zu diesem Zwecke auf dem Markte aufgestellten unge-
beoren Kübel kalten Wassers springen und sich durchbaden las-
sen müssen.* Es ist deutlich, daß hier (wie häufig) die ursprüng-
lich jährlich geübte Sitte , um ihr den Reiz der Neuheit und damit
das Interesse zu erhalten, in ein erst nach bestimmtem mehr
jährigem Zeiträume wiederkehrendes Fest verwandelt ist (vgl.
o. S. 175). Wie die Feien auch auf Hochzeiten auftreten, das
Mailehen in die ernste Freierwerbung Eingang fand (o. ö. 454),
ging das Bräutlingsbaden auch auf Vermälilungsfeste über. Zu
Blochingen a. d. Donau führten noch bis zum Jahre 1810 die
ledigen Bursche in der Frülie seines Hochzeittages jeden Bräu-
^am zum Dorfbrunnen, wo sie ihn, wenn er sich nicht los-
^ttfte, untertauchten. Alle hiel)ci beteiligten Bursche erschienen
Nachmittags auf der Hochzeit und schenkten et\va«.^ Es darl'
1) De Nore , Mythos , coutuincs etc. p. 145 iF.
2) Morgeublatt für gebiUlcte Leser 183H No. 307.
3) BiiÜDger a. a. 0. 40, Gl.
492 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantsohftfi
schließlich auch daran erinnert werden, daß in Belgien die c
Wasserbade parallel gehende Aufpeitschung mit der Lebensi
vorzugsweise an den im Laufe des Jahres neuvermähl
Eheleuten geübt wird (o. S. 286).
§ 13. Ergebnisse. Der Zusammenbang des Mailehens
der im ersten Teile dieses Abschnitts behandelten Maibraatsc!
steht wol außer Frage; von der Maibelelmung, die nicht se
von Maifeuem begleitet ist, wird das Ausrufen der Liebespi
(Valentinen) am Fastenfeuer und von diesem der erörterte n
nigfache Brauch hinsichtlich neuverheirateter Ehepaare oder ]
besleute beim Sonnwendi'euer und außer diesem nicht getn
werden dürfen, so daß eine einzige, in ihren einzelnen Q
dem sich ergänzende und stützende Reihe von Begehungen '
liegt. Dieselbe ist zwar vielfach mit christlichen Festtagen zos
mengewachsen, findet aber, so weit meine Kenntniß reicht, kei
Anknüpftmgspunkt in den durch dieselben ausgedrückten reli
sen Ideen des Christentums; die Vorstellung von der Witt?
Schaft der Kirche während der Fastenzeit (o. S. 446) widerspr
ihr sogar. Wir werden mithin bis auf weiteres berechtigt s
an der natursymbolischen Deutung dieser Bräuche festzahal
und nur darum wird die Untersuchung sich zu bewegen hal
ob sie als unmittelbare und selbstständige Wurzeltriebe ans
Metapher der Liebe, Werbung, Vermählung fttr das neue Le
in der Natur und der Meuseheubrust, das der Frühling her
ruft, emporschössen, oder ob sie als Blüten auf dem Zw<
jener mythischen Illusion gewachsen sind, welche die Lenzmoi
mit dem Glauben an ein in Wahrheit personhafles, dämonisc
Brautpaar oder junges Ehepaar eriüllte. Alle Anzeichen sprec
für die letztere Annahme, da manche Züge auch mit den in B
stehenden Sitten unabtrennbar verbunden sind, welche aus Jei
rein psychologischen Motive keineswegs abgeleitet werden 1
nen, sich aber von Vcgetatiousgeistcni mit Leichtigkeit erklS
(Wassertiiuche , Verbrennung); und in der Tat, täuscht n
alles, so sind das Mailehen, die Bündnisse der Valentine
Valentinen, der gemeinsame Sprung durchs Fastnachts- c
Joliannisfcuer, Scheibenwerf'en und Brautball zu Ostern,
Bräutlingsbaden ursprüngliclie Nachahmungen , vervieltaltigei
den Parallelismus des Mcnschcnwachstums mit dem Pflana
Wachstum bezeugende Darstellungen der Situationen des geis
Ergebnisse. 493
haften Lenzpaares gewesen. Es ist größtenteils noch ein Rest-
chen der Nabelschnur vorhanden , welche die abgeleiteten Sitten
mit dieser Grundvorstellung verbunden hat. So z. B. ^vird durch
den Hinweis auf das im Jahreslaufe seine Wirksamkeit entfal-
tende und erschöpfende dämonische Brautpaar die Verbindung
nf ein Jahr oder itir den Sommer beim Mailehen, bei den eng-
lisehen Valentinen, dem Gompadre und seiner Dame in Vene-
aela ond den schwäbischen Ehegatten verständlich , welcher die
Teünahme der im Laufe des letztvergangenen Jahres verheirate-
ten Ehepaare bei den Feuern , zugleich aber auch die Wahl des
Kaikonigs und Maigrafen ( cf. o. S. 369 ff.) auf ein Jahr von Mai-
^g bis Maitag oder von Pfingsten bis Pfingsten entspricht. Im
pohischen Brauche (o. S. 468) ist es noch ausdrücklich der grfine
oder weiße Johannes d. h. der nach dem Mittsommertage benannte
■öämon der sommerlichen Vegetation, die schon zur Weiße des
Emtefeldes hinneigt, der ein Weib sacht, sich verheiraten will; die
iKi^ischlichen Liebespaare sind anscheinend seine glücklicheren
Nachahmer. Wie unmerklich rinnt hier in anmutigem Spiele der
Mythus in rein menschliche Verhältnisse herüber. Eine andere
Bpnr des Zusanmienhangs mit dem Naturmythus gewährt, daß
in Westfalen beim Lehnausrufen an der Spitze der Maipaare ein
Vaikönig und eine Maikönigin ,stehn, und daß der Maibursche
seiner Maifrau einen Maibaum setzt. Das zweite Kapitel lehrte
Tins in letzterem ein Abbild, ein zweites Ich des Mädchens- ken-
nen; die Nachweise dieses Kapitels ergänzen diese Vorstellung
dahin, daß das Mädchen selbst als Vertreterin des den Baum
belebenden Vegetationsgeistes, als Mainymphe gedacht wird, und
Bomit der Queen of May (o. S. 315. 346), Maride de May (o.
S.439), der litauischen Maja (o. S. 313) u. s. w. gleichsteht, die
neben dem Maibaum hergehen, oder denen man einen Maibaum
f vorträgt. Wenn nun zuweilen der den Maibaum belebende Vege-
tationsgeist durch ein Liebes- oder Ehepaar dargestellt wird,
^^nn andrerseits es gewiß ist, daß die Verbrennung des Mai-
"'Wuns ein altes, und, wie es scheint, notwendiges Stück der
'ffthlings- und Mittsommerfeuer ausmachte (o. S. 177), wofür als
SJeichbedeutend zuweilen die Verbrennung der beiden das dämo-
'"^che Maipaar darstellenden Strohpuppen Hansl und Gredl (o.
^^•429) eintritt (o. S. 464), so läßt sich leicht einsehen, daß das
"^heibentreiben flir ein Liebespaar, der paarweise Sprung durch
494 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
ein Fastnacht- oder Johannisfeuer neben dem verbrennenden
Baume, oder (wo dieser fehlt) für sich allein die Verbrennung
der Vegetationsdämonen oder, wie wir oben S. 186 deuteten, dco
Durchgang derselben durch den Sonnenbrand des Sommers sinn-
bildlich darstellen sollten. In der Gegend von l^pinal wird das
Liebespaar, wenn es sieh nicht loskauft, ja wirklich in efSgie
verbrannt. Die Anzündung des Scheiterhaufeths oder der Scheibe
durch ein junges Ehepaar (resp. eine jung verheiratete Frau oder
den jtlngsten Ehemann) ist dann deutlich nur Abschwächung des
Durchgangs derselben durch die Flammen, doch erhielt sich dabei
noch die ältere Form, daß nur ein Paar statt mehrerer oder
vieler auftritt; zugleich aber erhellt, daß auch das Durchspringen
von Männern oder Frauen^ allein, oder das Hindurchtreiben von
Vieh durch diese Feuer zum Zwecke der Fruchtbarmachung der
Aecker oder zur Vertreibung resp. Femhaltung von Krankheiten
den nämlichen Sinn haben muß. Daß dem in der Tat so sei,
wird der Verfolg unserer Untersuchung lehren. Dieser Gebrauch
geht genau parallel dem Schlagen von Menschen und Tieren mifc^
der Lebensrute (Schmackostem), welches in so naher BeziehuDi
zur Pfingstbraut steht. Hier wie dort scheint das Gebahren de
Vegetationsdämonen von vielen Menschen im Interesse ihres Wo
befindens zum Vorbilde genommen; auch beim Bräutlingsbadefe :^
geschieht an allen jungen Ehemännern dieselbe Wassertanf^
welche (als Regenzauber) in Zürich zum Hirsmontage, an de
Chrideglade und seiner Else (o. S. 430), zum Aschermittwocti.e
an der Braut und dem Bräutigam (o. S. 433), in Baieni zu M«»ri-
tag oder Pfingsten an dem Ilansl und der Gredl (o. K. 429) sow^c
in verschiedenen (hegenden au dem Wasservogel, Pfingsthag^^:
Laubmännchen u. s. w. geübt wurde.
Kam es diesen Auseinandersetzungen zufolge wesentH^^
darauf an, in derselben Zeit, in welcher jenes göttliche Lieb^^'
paar seinen Bund schließt, in Nachahnmng dessen menschli^?^
Paare zu vereinigen, so blieb eine mehrfache Weise mögli^^^^
solche Vereinigung zu bewerkstelligen; für die würdigste
eine Götterbestimmung, ein Schicksalsspruch gegolten
Das Loos, der Ausruf des orakelnden, im geheimnisvollen W»l
verkehrenden, kräuter- und zauberkundigen Dorfhirten,*
1) Vgl. zu der o. S. 46f) aus der Gegend von Saarburg mitget^il^^
Sitte diejenige aus der Insel Mau, wo am letzten Tage der Zwölften
Ergebnisse. 495
durch höhere Eingebmig geeinigte Stimme der Um-
stehenden, die zufällige erste Begegnung in der Frühe des Mor-
gens (Angang) sind verschiedene Formen solcher Vorherbestim-
uumg; ich yennute, daß auch der Raub (o. S. 454) , die älteste
Weise der Brautwerbung, ursprünglich an der zufällig zuerst
Begeg;nenden geübt sein wird. Die Mädchenversteigerung ergiebt
odi somit aus inneren Gründen als eine abgeleitete verhältniß-
ndUKg junge und locale Gestaltung der anderswo in älteren E^t-
irieklongsstadien bewahrten Sitte. Es ist verständlich und natür-
leh, daß ebensowohl auf den ersten Fastensonntag, als auf den
14. Februar oder den ersten Maitag als Vertreter des Frühlings
^ Sitte fixiert werden konnte. Der 14. Februar wurde gewählt,
^il die Volksbeobachtung auf denselben (ich weiß nicht, aus
'^eldiem Grunde) auch die Paarung der Vögel ansetzte, so daß
^ eine passende Annahme schien, auf ihn die Hochzeit der
ff^ßen Naturwesen zu verlegen. Der Kalendeniame dieses Tages,
^^ Talentin, ist dann zunächst auf das mythische Lenzbrauti)aar
"'^^itragen, wie sonst der Monatsname Mai, Maja, auf den Vege-
***ion8dämon, und von diesem auf die dasselbe nachbildenden
"^Äre.i In Lothringen muß in ähnlicher Weise der Brauch, sef
^ aus eigener Uebcrlieferung oder in Na(»hahmung englischer
^*^t^ am 14. Februar geübt sein , ehe er mit dem gleichbedeuten-
den anderer Orte am dhnanche des brandons verschmolzen wurde,
^emi man die Wiederkehr des Frühlings von der Wiederkehr
des Lichtes an rechnete, so war man berechtigt, schon zu Wcih-
nac-bten oder Neujahr die Wiederkehr des Lenzl)rautj)aars zu
feiern. Es steht sich mythologisch gleich, ob man das Verhält-
'äß des Lenzpaares als Brautschaft oder als vollzogene Ehe
bezeichnen wollte, tlür den vorgcscTirittcncren Sommer, der der
Fruebtreife zuneigt, war die Bezeichnung als jungvermähltes
'^ledler, welcher während dieser Festzeit aufgespielt hat, seinen Kopf in
t^Oes Mädchens Schoos le^^o und der Reihe nach von einer <lrittcn Person
J^ alle unverheiratete Frauensleute befragt, von jeder aussagte, wen sie
^^'^ten werde. Dieser Au8sj>nich galt als ein untrügliches Orakel. Waldron,
^^^^ription of the Isle of Man. Works p. 155. Brand, pop. Antiqu. 1,32.
1) Die Legende des h. Valentin bietet keinen Ausgangspunkt oder An-
^** zur Erklärung des Brauches. Simrocks leichtfertige Deutung auf den nor-
*^^en Gott Vali (Handb.S 312 — ai3), der Rochliolz (Gaugöttinnen) beitritt,
^**<lieiit kaum Erwähnung.
496 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautscbaft.
Paar am passendsten. Wir sehen deshalb als personifid
Gegenhilder der die Sommerhitze passierenden Pflanzenwelt ^
zugsweise junge Eheleute durchs Mittsommerfener springen. D
insofern das Eand, der Emtesegen, noch in der Zukunft zu enr
ten ist, war es immer nicht widersinnig, im Abbilde die dän
nische Brautschaft oder Vermählung (vgl. den estnischen Brau
0. S. 469) zu begehen. Schließlich gewahren wir an mehrer
Beispielen, wie nach und nach auch die festen und sittlich
Verhältnisse ernsthafter Brautwerbung und Ehe zwischen d
Menschen durchstehend als Abbilder der großen Naturvoigäo
aufgefaßt werden. Die holländischen Bursche versteigern unl
sich das Hecht, die erstrebte Braut zu besuchen; der schi/^übisc
Bräutigam wird am Hochzeittage gewaltsam gebadet, alle jung
Ehemänner unterliegen der nämlichen Begehung; und die scIm
bischen Ehegatten dingen sich wenigstens scherzweise alle Jali
wieder.
Kapitel fl.
Vegetationsgeister: Sonnenzauber.
§ 1. Terbrenmiiig In den Faschings- und LBtarege-
Mnehen. Wie darch den Nachweis des Maibrautpaars die im
i Kapitel enthaltenen Ansflihrungen nach einer Seite hin erwei-
tert wurden, sind die nachstehenden Blätter bestimmt, dieselben
noch nach einer anderen Richtung zu ergänzen, indem wir die
FiUhlings- und Mittsommerfeuer einer nähern Betrachtung unter-
ziehen und dieselben des näheren als Darstellungen der die Vege-
tation zeitigenden Sommerwärme nachweisen. Die Untersuchungen
äoes früheren Abschnittes o. S. 417 ff. nötigten uns nämlich die
Ueberzeugung auf, daß in den Frühlingsgebräuchen des Todaus-
fragens, Fastnachtvergrabens u. s. w. ein allerdings weitverzweig-
te und unzweifelhaft altes , aber dennoch unleugbar vorhandenes
Mißverständnis des ursprünglichen Sinnes zu einer Umdeutung
iesselben geftlhrt hat. Die Eingrabung des „Todten," d. h. des
5ir Wiederauferstehung bestimmten vegetativen Lebens ist in ein
Hinwegschaffen, Verscharren des Todes oder des Winters ver-
federt. Den Beweis für unsere Hypothese fanden wir unter-
stützt durch den Umstand, daß die den sogenannten Tod (oder
den Pastnachtkerl) darstellende Figur statt des Begräbnisses, oder
>^rdem noch, ins Wasser geworfelt wird (Regenzauber) oder
'**^ Verbrennung ]co7nmt ,^ zuweilen allen dreien Oeremonien unter-
^^ Diese Verbrennung (in der wir eine symbolische Darstel-
'^ des Durchganges der Vegetation durch das Sonnenfeuer
^'kennen wollten) wird die Aufgabe der nächsten Erörterungen
^Men. Es wird sich zeigen, daß die Verbrennung einer
Menschlichen Gestalt, meistenteils aus Stroh oder zusam-
1) Myth.« 728. 730. Das Verbrennen des Todes im Eichsfelde belegt
Ä^ mebreren OrU-n Weidmann , Eichsfeld. Gebräuche und Sagen. 1864. S. 14.
V^nnhardt. 32
498 Kapitel VI. Vegetationsgeister : Sonnenzanber.
•
mengeflochtenen Reisern, sowohl mit dem Todaastragen t
den, als iUr sich allein einen wesentlichen Bestandteil der
(Fastnaehts-) und Mittsommerfeaer bildete, daß als andere
wesentliche Bestandteile dieser Feuer die folgenden Stüc
betrachten sind: 1) das Scheibenschlagen oder Rac
zen, 2) die Aufrichtung und Verbrennung eines
mes, in dessen Wipfel die Menschengestalt zu sitzen p
den Baum ersetzt häufig eine einfache Stange, 3) ein Fa
lauf, beziehungsweise die Anztlndung des Scheiterhaufens
Fackeln , oder der Fackeln am Scheiterhaufen , 4) der Glai
die Befruchtung der Felder und Obstgärten, 5
Hindurchspringen und Hindurchtreiben von Menschei
Tieren behufs der Gesundheit, abgesehen von versc
nen andern auf den Modus der Anzündung dieser Feuer
liehen Erfordernissen,^ 6) ein Scheinkampf auf den £
f eidern, endlich 7) als Schauplatz der Feier hohe I
gipfel, Anhöhen oder Kornfelder. Zu 5 gehört, w
bereits gezeigt haben, die Erwählung der Maibrautpaare.
Zunächst weisen wir noch einige Beispiele nach, in
die sogenannte Todaustragung mit der Verbrennung endig
Spachendorf (Oesterr. Schlesien) wird ein mit Schafi
und Pudelmütze bekleideter Strohkerl am Morgc
Rupertstages auf einer Stange befestigt, aufs
getragen und in eine weite Grube gestürzt, dau
kleidet und in ein Feuer geworfen. Von den brenn
Lumpen hascht jeder ein Stück, bindet es an den Asi
großen Obstbaumes, oder gräbt es im Acker
damit Bäume und Saaten besser gedeihen.^ I
Umgegend von Chrudim wird der Tod erst ins Wasser g
fen, dann verbrannt.^ Am ersten Montage nach FrUhlin
undnachtgleiche , sammeln die Buben in Zürich , indeß die
chen (Mareielis) einen Maibaum umtragen, für ihren Sl
mann oder Böken Gaben ein, den sie auf einem Wi
chen durch die Straßen führen, heniach Schlag 6 Uhr a
beim Klange der Vespcrglocke auf einer hohen St
1) Vgl. Kuhn, die Herabkunft des Feuers a. m. 0.
2) Vernaleken, Oesterr. Myth. 294, 19.
3) Ebd». 295, 20.
Verbrennniig in den Faschings- und Lätaregebräachen. 499
^^rb rennen. Dieses Fest heißt das Sechseläuten; die Ver-
brennimg geschieht an yerschiedeuen Stellen der Stadt. ^ Am
letzten Fastnachtstage verbrennt man zu Kichterschwyl am
Züricher See einen Strohmann, der vorher auf eine Bahre gelegt
Und von einem Zuge Vermummter auf eine Wiese getragen wird,
man ihn an eine hohe Stange befestigt und dann mit Fackeln
iiündet Darauf wird seine Asche „verlochet."* Zu Cobem
der Eifel wird am Fastnachtdienstage ein völlig bekleideter
S^trohmann, dem man sämmtliche Diebstähle der Umgegend zur
Last legt, vom Fastnachtgericht verurteilt und auf einem Schei-
terhaufen verbrannt, Ül)er den die jüngste Ehefrau springt.' Im
Oldenburgischen machte man sich am Fastnachtdienstage 8 — 12
Fuß lange Strohbündel (Beken) von 4—6 Zoll Durchmesser, um-
'^rickelte sie straff mit Bändern , zündete sie bei Dunkelwerden an,
und schwärmte damit, tolle Lieder singend, auf den' Aeckem
nuiher; zu guter letzt band man einen Strohkerl und verbrannte
ilxik; oder setzte ihn einer beliebigen Person auf den
F'irst des Hauses.^ Zu Kaldcnkirchen Kr. Kempen Rgbz.
Dliggeldorf war der zu Fastnacht verbrannte „Mann" aus einer
^i3aasgedroschenen Korngarbe gefertigt. Zu Dhorn Kr, Düren,
Rgbz. Aachen brachte man am Aschermittwoche den Erbsenbär
oder Lücketcics , einen in Erbsenstroh gehüllten Mann auf einen
l>estimniten Platz, zog ihn dort heimlich aus seiner Hülle heraus
^ttid verbrannte diese, so daß die Kinder meinten, der
-M ann brenne. Zu Pier Kr. Düren gingen zwei in Erbsenstroh
&^hülltc Personen , der Erbsenbjir und der Ltickcteies je an Seilen
^^xgeführt hintereinander her, beide wurden auf obige Weise ver-
l> rannt.
In Wälschtirol (Vallarsa) verbrennt man den Fasching , indem
i3aan auf einem Haufen von Holz und Stroh (il camevale genannt)
eine Stange mit einem Qucrholze errichtet, an dessen Ende Stroh-
l>tl8chei hangen, und dann anzündet, aulJerdem wird ein klei-
nerer Seheiterhaufe „la spia," der Spion, in Brand gesteckt. Im
Val di Ledro dagegen ist es Sitte , am letzten Faschingstage die
1) Vemaleken, Alpensagcn 3<k^ 29.
2) Ebds. 364,31.
3} Schmitz 1 , 20.
4) Strackerjan, Abergl. u. Sag. a. Oldenb. 11,39, 306.
32*
500 Kapitel VI. Yegctationsgeister : Sonnenzanber.
Alte ZU verbrennen „brusar la veccia," eine aus Stroh und Rei
zusammengestopfte Figur. ^ In der Lombardei, Venetien undl
mont geschieht das zu Mittfasten.* Da an demselben Tage
Oberitalien und Spanien vielfach eine Puppe mitten entzwei ges
wird, welche bald Quaresima (Fasten), bald la veccia, la vi
(Alte) heißt, wird deutlich, daß man jetzt auch die verbran
Gestalt als Personification des Faschings versteht, während
Name der Alten auf jene ältere Vorstellung hinweist, die n;
S. 359 zu beurteilen ist.
§ 2. Feuer am Fonkensonntage. Jene Feuer am Pj
nachtdienstage haben doch schwerlich einen andern Urspru
noch enthalten sie einen andern Gedanken , als die Scheiterhaui
welche anderswo am Sonntage nachher entzündet werden, •
außer den kirchlichen Namen Quadragesimä und Invocavit n<
die volkstümlichen „große Fastnacht, Herrenfastnacht, Allerman
fastnacht, der weiße Sonntag, Funkentag, Kässonntag, Htttt
Sonntag, Schofsonntag,^' franz. „fgte, dimanche des brande
behourdiz" fUhrt. An diesem Tage zog man auf der Rhön i
in den angrenzenden Gegenden bis zum Vogelsberge hin, wo
nach der herkömmlichen Speise Backobst-, Hutzelsonntag he
durch die Fruchtfelder auf eine Anhöhe oder einen Berg, z
dete hier Holzfackeln, geteerte Besen, mit Stroh umwick(
Stangen an und lief damit durch die Saatfelder, rollte auch
brennstoffumflochtenes Rad die Anhöhe hinab, das Hoalrad (Hag
rad, verderbt Hollerad)* hieß, weil es die Aecker vor Ha
bewahren sollte. Zuletzt warf man die Fackeln (Blüs, Blas«
nachdem man wie tobend mit ihnen umhergetanzt, auf einen H;
fen zusammen, den die Menge umstand, Gesangbuchslieder o(
Volkslieder singend. Man tat dies der h. Jungfrau zu Ehr
damit sie das Jahr hindurch die Feldfrtichte bewahre und segi
oder man meinte, mit den brennenden Strohwischen und Fackt
durch die Flur laufend, den „bösen Sämann zu vertre
1) Schneller Chr. , Märchen u. Sag. a. Wälschtirol. S. 233 . 9. 2S4
2) Gabriele Rosa , Dialette , costumi e tradizione delle provincie di
gamo e di Brescia. 2. Aufl. Bergamo 1858. S. 178. Jahrb. für rornft-i
engl. Liter. V, 376. Opinione 11. Apr. 1852. Zs. f. d. Myth. DI, 51.
3) Auch die Myth.* 594 erwähnte Benennung im Bbeingau „ Hallf^
ist durch Assimilatioii aus Haglfeuer entstanden.
Feuer am Fonkensonntat^e. 501
ben,^^ „den Hutzelmann zu verbrennen/'* An dem
oimlichen Tage hieben die Metzger und Weber von Konz die auf
dem Harxberge aufgepflanzte Eiche und rollten das bren-
nende Rad ins Tal der Mosel. In der Eifel fand dann ent-
weder das Badscheiben , d. i. die Anzttndung und HerabroUung
eineg Rades oder das Burgbrennen statt, wobei alle Teilnehmer
mit angezündeten Fackeln den mit einem Strohmanne
besetzten oder durch ein Querholz zu einem (ein rohes Manns-
irild darstellenden) Kreuze umgeschaffenen hohen und schlan-
gen Buchenstamm (die Burg) unter lautem Gebete in weitem
Kreise umwandelten, zuletzt sich plötzlich umwendend mit dem
Ckschrei: ,,die Burg brennt '^ auf denselben zustürzten und ihn
in Flammen setzten. So weit das Feuer leuchtete, der Rauch
zog, sollte die Kornflur fruchtbar werden.^ Um Echtemach
beifit die nämliche Ceremonie „die Hexe verbrennen."* In Vor-
ulberg umwickelt man an diesem Sonntage den Funka, eine
schlanke junge Tanne bis fast zum Wipfel mit Stroh und
setzt die Hexe, eine aus alten Kleidungsstücken gefertigte, mit
Schießpulver gefllUte Menschengestalt in denselben, häuft Holz-
acheiter umher und zttndets bei einbrechender Nacht an, indem
Knaben und Mädchen, brennende Fackeln schwingend,
ringsum laufen und dabei folgenden Reim singen:
Flack üs! flack üs!
Ueber alle Spitz und Berg üs!
Schmalz in der Pfanna,
Korn in der Wanna,
Pflueg in der Erda;
Gott alls grota (geraten) lot
ZwüBchat alla Stega nnd Wega.
tHeser Brauch heißt Funkenbrennen und Fackelschwingen.*
^^ Tirol werden an demselben Tage mit geringer Veränderung
^ie nämlichen Worte gesprochen, indem man den Namen der
Creliebten ausrufend die Scheiben schlägt.* In Schwaben
1) Witzschcl, Sitten u. Gebr. aus d. Umgegend von P^isenach S. 11. 39.
MölLause. Urreligion S. 112. Panzer 11,207,3^^1.
2) So an der Hard im ehemals Fuldaisehen. Schmeller W. B.« 1196.
3) S. 0. S. 463.
4) Zs. f. D. Myth. I, 89.¥
5) Vonbun, Beitr. z D. Mvth. 20.
6) Zingerle, Sitten« 140, 1224. 1225. Zs. f. D. Myth. 1,286.
502 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzauber.
beginnt man , sobald der Funke j d. h. der am die Hexe (das \
einer Stange aufgerichtete mit Kleidern und Hut geputzte Stn
weib) aufgeschichtete Stroh- und Holzhaufe angesteckt ist, u
so lange bis dieselbe heruntergebrannt ist, Scheiben ftir <
Geliebte u. s. w. zu schlagen und (oder) rotbrennende Kie
fackeln schwingend durchs Feuer zu „jucken '^ (springe
während in anderen schwäbischen Orten alle Welt mit bre
n enden Fackeln, d. h. Stangen mit oben daran befestigl
Strohbtlscheln auf die Berge zieht. Die Brafidreste der Strohfii
und der Scheiben trägt man nach Hause und steckt sie in d
selben Nacht in den Flachsa^her^ tvodurch das Ungeziefer v
scheucht wird.] Zu Ertingen findet das Verbrennen der dui
eine Puppe oder durch ein einfaches Reisbttschel oder Bogg<
schaub dargestellten Hexe in dem mit einer aufsteigenden Luj
entztlndeten St. Johannes- oder Senkafeuer statt, indeß die Bul
und Mädchen in ganzen Beihen durch die Flammen spring
damit der Flachs drei Ellen lang werde. So weit (
Helle der Flamme und der Bauch hinreichen, hat das Ja
lang keine Hexe Gewalt über Frucht und Vieh, b(
des wächst und gedeiht.* In einigen böhmischen Ort
z. B. Wall findet das Hexenbrennen , die Verbrennung einer we
liehen Figur „zur Vertreibung der die Saatfelder scb
d igen den Zauberinnen" im Mai statt.^ Woher der Wi
weht, so lange die Hexe brennt, daher weht er das ganze Jal
in der Biehtung, wohin die Hexe lallt, nehmen die Gewitter (
Jahr hindurch ibre Kichtung, ohne zu schlagen; wenn der Ment
am Funkensonntage keine Funken macht, so macht sie der He
gott durch ein Wetter.* Die Anztindung des Feuers auf Ko
feldem und das Umherlaufen mit Fackeln , wovon dieser SonnI
in Frankreich den Namen dimanche des brandons hat, werd
wir weiterhin noch besonders in Erwägung ziehen.
§ 3. Osterfeuer. Die Osterl'euer stehen zumeist im Diew
der katholischen Kirche. Die Vigilie am Charsamstage vor d«
1) Meier S. 380, 21. 283, 27. Birlinger II, 59, 76. 67, 77. Bav
U,2,S39.
2) Birlmger II , 105. iT
3) Vernaleken, Mythen 30G,29.
4) Zs. f. D. Myth. 1, 90. Birlinger U, 67, 77. Meier 382, 24.
Osterfeaer. 503
Osterfeste war in der alten Kirche besonders feierlicli. Dann
£uid nach vorheriger Weihung des Taufwiissers die Tante der
Catechnmenen statt. In das Taufwasser wurde die nach Aus-
Mong sämmtlicher übriger Kerzen und Lampen am Grttndon-
Kntage einzig and allein brennend erhaltene, riesige, mit den
Aeiligen Krenzesnägeln gesehmttckte Osterkerze (zuweilen waren
^ deren drei) dreimal hineingesenkt, sodann wurde sie neu ange-
sllndet and mit ihr dsis Feuer sämmtlicher Lichter mid Lampen
erneat Zu Bonitacius Zeit war in deutschen Kirchsprengeln
bereits der damals in Rom noch unbekannte Ritus ^ aufgekommen,
das neue heilige Feuer durch Schlagen aus einem Steine oder
durch ein Brennglas von Kristall hervorzurufen, feierlich zu
"leihen und daran die Osterkerze anzuzünden; später unter Leo V.
(Ö47— 855) hatte dieser Brauch bereits allgemeinere Geltung,
v^cn dem neuen Feuer wurde ans Volk ausgeteilt.* Nach und
nach hat die Geremonie m vielen deutschen Diöcesen folgende
Cjrestalt angenommen. Am Charsamstage wird im Kirchturme,'
auf dem Kirchhofe, oder auf einem anderen Platze unweit der
Kirche Brennholz (oft aus jedem Hause eines oder mehrere Schei-
ter) zusammengetragen, dieser Holzstoß mit aus dem Steine
K^esehlagenem Feuer angezündet und in demselben alles heilige,
im Laufe des Jahres tibergebene Ocl (Chrisam) und Salz ver-
brannt. Ist nun vom Priester das Feuer geweiht und das von
^^ .Gläubigen in Flaschen mitgebrachte Wasser gesegnet, so
Verden einige glühende Kohlen ins Weihrauchfaß gelegt, lichter-
loh angeblasen und hieraus mittelst einer großen Wachskerze das
^cue Licht gewonnen, mit dem jetzt die ewige Lampe und alle
Lichter der Kirche wieder entzündet werden. Dann strömt das
' olk hinzu, es wird ihm von dem ueugeweihtcn Weihwasser aus-
geteilt, es kohlt an dem geweihten Feuer 2 — 3 Fuß lange Ptähle
oder Scheiter an (von Eiche, Nußbaum, Buche), und trägt sie
1) S. den Briet' des Papstes Zacharias v. 4. Nov. 751. ßouifacii epi-
BtolaeSO. (Wärdtwein 87) Jatfc, Biblioth. Ker. Genn. 111,223.
2) Vgl. Herzog, Realcncyclopädie der protestantischen Theologie XI.
^Totba 1S59. S. 16.-) — 4. h. v. Pascha. Binterim, Denkwürdigkeiten der
christkath, Kirche. Bd. V. Tl. I. S. 214 Maft<?ne, de antiquit. discipl.
•^P« -4, S 409. Gnil. Durandus, Rationale divinor. officioruni. VI, 80, 81.
<^- J- W Wolf, Beiträge 11.389.
3) So in Vcchta-Ötrackerjan II, 42, 311.
ÖOi Kapitel VI. Vegetationsgeister : Sonnenzanber.
sammt den vom Holzstoße übrigbleibenden Kohlen mit sich da
Hause, wo ein Teil der Pfähle und Kohlen in einem nenang
zündeten Feuer verbrannt wird unter der Bitte, Gk>tt wolle i
Hofstatt vor Feuerschaden, Blitz oder Hagel bewahren, i
erhält jedes Hans ,, neues Feuer/^ Ein anderer Teil wird d
Jahr hindurch aufbewahrt und bei schwerem Gewitter auf d
Herdfeuer gelegt, damit der Donnerkeil nicht ins Haus falle, od
unter das Dach gesteckt, um als Präservativ gegen Wetter :
dienen. Ein dritter Teil (Kohlen, angebranntes Holz, Ascli
wird (am Kreuzerfindungstage oder auf Georgitag, oder aoni
auf die Äecker, Gärten und Wiesen gebracht mit denn Otbe
Gott woUe diese vor Mißwaehs und Hagel behüten.^ Sole
Äecker, Krautgärte^i und Wiesen gedeihen hesser als andere ^ he
Ungeziefer y keine Maus, kein Käfer frißt die Kömer aus, a
Pflanzen ab, keine Schlössen schlagen die Saat nieder^ keine He
schadet j und die Äehren stehen dicht und voü* Angekohl
Scheiter dieses Osterfeuers bringt man am Pfluge an (Eichsfeh
Asche davon mischt man sammt der Asche von geweihten Palm
bei der Aussaat unter den Samen, damit der Weizen nicht bn
dig werde (Franken).^ In den Stall oder unter die Stalltd
gelegt schützen diese Brände das Vieh vor Schaden, die HU
vor Zaubert Nicht minder hilft die Asche des Osteri'euers l
Viehkrankheiten (Altmark). In diesem kirchlich gebotenen OsU
feuer wird zuweilen eine hölzerne Figur verbrannt, die d
Namen des Verräters Judas trägt; daher heißt die Ceremonie d
1) S. Mainzer Agende vom Jahre 1599; Kitas von Passan bei Wa
mann, Eichsfeldische Gebr. u. Sagen S. 5, von Hildesheim Myth.* 583. D
kelscherben in Schwaben. Panzer 11,241, 447. Bühl, Wnrmlingen. Me
391 f 62. Hessen , Mülhause Urreligion S. 149. Auch in Picmont zündet n
am Charsamstage Brände am Feuer des Weihrauchfasses an und trägt d
ses geweihte Feuer sammt dem geweihten Wasser eiligen Laufes zum Hau
Zs. f. D. Myth. m,51.
2) Zingerle, Sitten» S. 149, 1287—89 (Kärnthen, Tirol). Grohmai
Abergl. a. Böhmen 62, 421. Beinsberg -Düringsfeld, Festkalender a. Bi
men 331 (Böhmen) Wuttke « § 81. S. 69.
3) WuUke« § 116. S. 91. § 652. S. 393. Vgl. am Aschermittwoche wi
die in der Kirche geweihte Asche auf die Felder gestreut. Das ist für die 8i
besser, als 3 Tage Regen und 3 Tage Sonnenschein (Baiem). Wuttke a.a.
4) Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen S. 134. Zingeri
Sitten» 149, 1286.
Osterfener. 505
Jodaflyerbrennen, das Judasfeaer (Oberbaiern).^ Der Name
Uieb, BQch wo die Figur längst abgeschafft ist (Leehrain, Tirol)^
ZoweilcA wird statt des kirchlichen ein profanes Feuer nicht
i« der Kirche, sondern auf dem Acker oder auf einer Anhöhe
AQlerlialb des Dorfes angefacht, es dient nicht zur Entzündung
db« neuen Kirchenlichtes, sondern wird an diesem entflammt.
Ok Männer und Buben tragen oder trugen am Charsanu^tag Nach-
mittag Holzscheiter auf dem nächsten Getreidefelde oder auf einem
-Bdggipfel zusammen, und befestigten in deren Mitte ein mit Stroh
Umwickeltes Kreuz, das einem Manne mit ausgestreckten Armen
iti()giichst ähnlich gemacht wurde. Dieser Strohmann hieß der
«Judas, oder der Ostermaun. Nach Beendigung des Auferstehungs-
Sottesdienstes zündeten die Burschen die Lichter ihrer Laternen
dem neugeweihten Kirchenlichte der Osterkerzen an und rann-
zu ihrem Holzstoße. Der zuerst Angelangte entzündete mit
Beinern Lichte den Strohmann und den Scheiterliaufen ; Frauen
and Mädchen duri'ten nur von ferne zusehen. Beim Verbrennen
des Strohmanns entstand immer großer Jubel, als würde der Ver-
nlter des Heilands in Person bestraft. Die Asche wurde gesam-
"nelt und bei Sonnenaufgang in rinnendes Wasser geworfen, oder
Mtt Ostermontage zugleich mit der Einj)flanzung am Charfreitage
•^gebrannter Palmzweige auf die Felder gestreut, um die
^*at vor Hagel zu schützen.^ Auch in Kiiln wurde von den
*^iiidem ein oft angekleideter Strohmann, der Judas, verbraimt.*
^ Mttnsterlande werden die Osterfeuer jedesmal auf bestimmten
''öhen, die davon Osler- oder Paskebcrge^ heißen, angezündet.
1) Bavaria 1,1,371.
2) Leoprcchting S. 172. Zinj^crlo, Sitten- U\), 12S(). Vgl. Laut Her-
*^K Maximilians von Baiem Lamlgt^jot wider di« Aberj^lanhcii. München
f^ll wurde in den Landkirchen am Himmelt'ahrtsta^^e ein an<;ekleidetes und
*n Brand gestecktes Bildniß des Teufels von d«T Höhe herabgewor-
^^n, um welches das gemeine Volk sich riM, um den Fetzen im Felde
^^f zustecken, damit der Schauer nicht in dasselbe schlagen
■<>lle. Panzer 11,281, 2S.
3j Althenneberg vOberbaiern) , Panzer I, 212, 236. Freising (Ober-
oaiem), Abensberg (Niederbaiern), Aufkirchen (Schwaben luid Neuburg).
^anaer 11,78,114. TlMl.').
4) Wolf, Beitr. 1 , 74.
5) Man darf mithin bei diesen Ortsnamen nicht an die angebliche, wahr-
«*cheinlich von Beda erfundene Göttin Ostara denken. Cf. Mannhardt, Göt-
te^elt 1, 314.
506 Ka])itel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzauber.
Die gauze Gemeinde ist versammelt, die verheirateten Haiisvä
sebiießen um den Holzstoß einen King, den die Jünglinge Q
Jungfrauen in weitem Bogen, Osterpsalmen singend, umkr
sen , bis mit dem Zusammenstiin&eu des Feuers itir sie der Aag<
bück naht, dasselbe zu durchspringen. Die Feier endigt i
einem dreimaligen Umzüge um die Kirche unter A
singung geistlicher Lieder, und mit dem Umlaufe der Ki
ben, wdclic brcnnemle Strohbändel über die Kornfelder trtJUfi
um dadurch Fruchtbarkeit für dmelben zu enmrken.^ Nie
minder werden im Hildesheimischen bei dem von der ganz
Gemeine umringten Osterfeuer Choräle gesungen.* Im Paderbi
nischen (Warburg) singt das Volk, den flammenden Holzstoft i
Kreise umringend, ein Auferstehungslied, dann steckt jed
Bnrsch daran seine Stroh fackel, eine lange mit Pech beschmier
und Stroh umwickelte IStange an. Beim Herunterkommen vc
Berge wird die Gesellschaft mit Gesang und Fähnlein abgeholl
Hier und in einigen andern Orten, an denen man mit weiB«
Stäben feierlich auf den Berg zog, sich wechselseitig bei d(
Händen fassend Osterlicder sang, und beim Halleluja die Stäl
zusammenschlug,^ stand der Brauch noch zur Hälfte zur Kirche
Beziehung, er ist gleichsam Fortsetzung der kirchlichen Fei
Diese Beziehung fehlt in den meisten Fällcu , in denen wir so
dem Osterfeuer in Nicderdeutsehland begegnen. So bei dem
hohen Plätzen angerichteten holländischen Paaschvuur durch
gesprungen wurde.'^ In Oldenburg hat jede Straße ihr eig<
Osterfeuer, in Delmenhorst gab es für die ganze Stadt ein
ziges gemeinsames, dessen Mittelpunkt zwei mit je zwölf '
tonnen besetzte Bäume bildeten, welcbe von Knaben mit S
wiepen, d. h. lo -15 Fuß langen von etwa 5 t^iß au'
mit Stroh umwickelten Bohnenstangen angezündet werden,
dem sie die zuerst brennend im jubelnden Laufe längere Z
den Scheiterhaufen herumgetragen haben. ^ Im Schaumbur
1) StratkLTJau ll,13,:n3.
2) Sdfart. Ilildesb. Sag. 11, 14a
3) Kuhn, Wostf. Sa^. H, 13G, lUf)»»
•n Myth.- r)S2.
f)) Buddinj^h . Verliandeling over het Westlaud S. 140.
Beitr. I, 7;').
G) Strackerjan II, 13, 313.
Otterfeaer. 507
lieht man meilenweit von den Bergen die Osterfener leuchten,
dfiren Gentium ein Teertaß auf einer strohamwandenen Tanne
«t^ Einen schönen Anblick gewähren auch die Ostert'euer des
Harzes, deren man oft bis 15 von einem Punkte leuchten sieht;
£e Art der Herrichtung wechselt, doch ist meistens das Reisig
vm einen dazu aufgerichteten Baum aufgeschichtet. Nicht selten
werden brennende Teertonnen von den Höhen ins Tal gerollt
ÜD Halberstädtischen zttndet man die Teertonnen am liebsten
mitalten Besen an. In Osterode sucht jeder einen tüchtigen
Brand zu erhaschen und springt damit herum; je besser diese
Fackel brennt, desto mehr Glück wird ihm selbst, desto mehr
Segen dem Lande zu Teil. In Grund finden dann Fackel-
'ftafe statt, wobei man schließlich um den Ort herumzieht.^ In
Dassel im Hildesheimischen ist die Weise diese, daß eine auf
filier Stange befestigte, mit Stroh und Teer gettlUte Tonne in
fiirsnd gesetzt und von kräftigen Burschen eilenden Laufes den
^erg hinuntergetragen, ist der Stiel durchgebrannt, vollends ins
1*al hinabgerollt wird. Ist sie unten angelangt, so entzündet
ttum daran Packe In. von trockenen Birkenästen, die so lange
tlher die Köpfe geschwenkt werden, bis sie veririschen.* Um
iHderstadt lohte am Ostcrsamstag jenes kirchliche Feuer, am
Ostersonntage dieses weltliche.* Auch in Hildesheini war dies
der Fall; daselbst wälzte man bei letzterem mit Stroh umwickelte
breimende Räder und brennende Teertonnen von den Bergen
herab.* In der Altmark, im Dröniling und Lünehurgisclieu bren-
nen auf Anhöhen am ersten oder zweiten üstertage an Stangen
Gefestigte Teertonnen oder Bienenkörbe. Die Asche sammelt
man als heilsam für Viehkrankheiten. So weit das Feuer
leuchtet, gedeiht im folgenden Jahre das Korn und
keine Feuersbrunst entsteht.^ In Mittonwald und Oberau
in Obcrbaiern wurden von steilem Hügel Scheiben oder hölzerne
1) Myth.* 582.
2j Zs. f. D. Myth. I. 79. Kuhn, Norda. Sagen 373. VJ. Auch Pröhlo,
^*^tUder S. r>8 berichtet über Osterfeuer im Harz, bei denen man mit
Bränden nnjherlänft.
3' Kuhn, Westfäl. Sag. II, 134, 404.
f^ Xs. f. I). Myth. II, 107.
^^ Seifart, Hildesheini. Sag. llJö, i».
^) Kuhn, Mark. Sag. 5l2.
508 Kapiiel IV. V egetationsgeister : Sonnenzanber.
Bolzen beim Osterfeuer zu Ehren der Mädchen brennend in
Luft geschlendert, oder ein strohumhlültes flammendes Wagi
rad den Berg hinuntergerollt ^ .In einigen schwäbischen Ol
wurde das Osterfeuer durch bloßes Reiben cntztlndet.'
Bräunrode am Harz verbrannte man in demselben Eichhöme
(auf dieselbe Sitte deutet ein Kölner Spruch);* in Westfalen ^
leicht ehedem Füchse (s. u. S. 515), in der Altmark Knoeb
in der Harzgegend wahrscheinlich einstmals ein Bockshorn. D
von diesen Dingen später ausführlich.
§ 4. Malfeuer, Johannisfeuer. Bei dem am ersten ^
in den schottischen Hochlanden angezündeten Bealtine, Bai
(v. gäl. bal globe, tine fire) wird ein Kuchen durch LoBung
teilt, in den einig Kohle verbacken ist. Wer verbundenen An
aus der Mütze das Stück mit der Kohle herausgreift, muß d
nml durch das Feuer laufen (is compcUed to leap three ti
over the flames). Die Ceremonie hatte den Zweck, das J
frucJUbar zu macJien (in rendering the year productive of
sustenance of men and beast).^ Vom deutschen Maifeuer,
mit dem Mailehen verbunden ist, war S. 450 die Rede. A
das dänische Maifeuer ((ladelld), das Mundelstrup (SpeciJ
gentilismi etianmum superstitis Hafn. 1684 fol. C. 2) in der a
Myth.* 736 ausgehobenen Stelle schildert, ist mit der Erwähl
von Maibräuten verbunden. Jeder Teilnehmer zündet e
1) Panzer 1 , 211 , 233. 212 , 234.
2) Birlinger 11.82,106.
3) Rosenkranz, N. Zeitschr. f. Gesch. der ^enn. Völker 1.2, s. M;
r)82. Firmenich, Völkernt. I, 426. 458. Wolf, Bcitr. I, /4.
4) Kuhn, Mark. Sag. 312.
5) Sinclair, Statistical account of Scotland 1794. XI, r.20. Cf. Bi
popul. antiquit. cd. Ellis 1 . 224 Myth.« ö79. Vielleicht ist man bercchtijf
bearltine aus dem Namen des in Gallien, Norditalien. Norica heimischen
tischen Sonnenjjottes Belenus oder Belinus (Martin, Religion des Gaaloifl
p. 378 ff. 31. H. d'Arbois de Jubainville, Revue archeolog. Mars 1873 p. 1
201), zu deuten, der aus Balanos „ardent resplendissant** entstanden in cai
sehen und cornischen Denkmälern Bele, Bili gelautet zu haben scheint.
Revue celtique T. I, p. 338. Zeuss. Gramm, celt.'^ p. 8G. 815—16.) In
den Fällen , ob Gäl. bal. ^globe) oder Beli das Etymon sei, werden wir
ncnfeuer übei*setzeu müssen , da auch ersteres auf den Sonnenball zu g
scheint; falls nicht ein Gebrauch, dem deutschen Scheibenwerfen analog
Feuer den Namen gab.
Maifener, Johannisfener. 509
lioge Stange (contnm) an dem großen Strohfeuer an
flfid schwingt sie in die Höhe; wer die seinige am höchsten
ttlnringt, ist Anfiihrer, erhält den Namen Gadebasse und wählt
Aii aeine Gadinde , worauf jeder andere sieh auch ein Mädchen
(Gidelam) zur sonntäglichen Tanzgenossin um den mit Blumen
md Schmucksachen behängten Maibaum während des Sommers
bis zum Heuschnitt erkiest. In Schweden leuchten am Abend
des ersten Mai vielfach von allen Bergen und Hügeln die Wal-
pmgisfeuer ( Walborgsmesseldar) , um welche die Jugend einen
oAiweifachen, dreifachen Ring zu fröhlichem Reigentanze schließt.
Silagen Flamme und Rauch nach Norden, so erwartet
man einen kalten, ziehen sie nach Süden, einen warmen
Frühling. Nicht selten glaubt die Phantasie der Versammelten
plötzlich einen Spuk in Gestalt eines alten Zauberwei-
bes n. dgl. leibhaftig mitten im Feuer vor sich zu sehen.^
Wir kommen jetzt zu dem Johannisfener am 23. Juni. Schon
«n Uterer mittelalterlicher Schriftsteller f hebt an demselben drei
Sticke, das Feuer selbst, den Umlauf mit Fackeln, die ümwäl-
nng des Rades hervor. Dicamus de tripudiis quae in vigilia B.
lohannis fieri solent tria genera. In vigilia enim beati Johannis
collig;ant pueri in quibusdam regionibus o,^sa et quaedam imnmnda
et id , simul cremant, et cxinde producitur fumus in a(?re. Faciunt
Äiw hrandas et circuunt arva cum brandis. Tertium de rota,
9^m faciufU voivi: quod cum immunda cremant, hoc habent ex
gWitUibus. Der Verfasser ftigt hinzu, der Rauch vertreibe die
schädlichen Drachen, welche tödliche Krankheit erzeugten, ferner:
»»*trfa involviiur ad significandum , quod sol tunc ascendif ad
ciiiora sui circuli et stathn regredltur.'' Mit dieser Aeußerung
BÖnimen die Auslassungen von Johann Beleth um 11G2 und
Vilh. Durantis um 1296, sowohl hinsichtlich der Feuer als der
Wickeln genau überein.* Mit einer Fackel zündete die schöne
8tt8aima Neithart 1497 in Kaiser Maximilians Gegenwart das
Jobannisfeuer zu Augsburg an.* Es bedarl' weniger Beispiele,
^) Lloyd, Svenska Allmogens Plägsedcr öfvers. af Swederus. S. 125.
2) Im Mannsc. der Harlej Bibl. British. Mus. 2345 Art. 100 ausgezo-
^''on Kemble, Sachsen in England tibers. v Brandes I, 21»6 (vgl. Kuhn,
^«abknnft S. 51) und Brand pop. antiqu. 1 , 298.
^) Vgl. M>'th.'' 587 mit Wolf Beitr. 11,887.
0 Hyth.« 586.
510 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber.
um zu zeigen , daß auch sonst die wesentlichen Bestandteile de
bisher genannten Feuer beim Sonnwendfeuer (Himmelsfeuer, Zfln
delfeuer, Senkenfeuer, oder wie sonst das Johannisfeuer heÜc
wiederkehren. In Schwaben springen dabei Buben und Mädchei
durch die Glut, man läßt brennende Strohräder die Berge himi
man betet, daß der Werg (Hanf) gedeihe.^ Im Lechrain wir
neben dem Sonnwendfeuer ein bis dreißig Schuh hoher strohuin
wundener Balken mit hohem Querholze aufgerichtet, den di
Buben mit zwanzig Fuß hohen Staugen, an deren Spitzen bren
nende Besen stecken, anzünden; um den flammenden Bau
tanzt man, bis endlich der Ring an einer Stelle zerreißt, mi
der paarweise Sprung durchs Feuer beginnt. Die ungesengte
Springer bleiben fieberfrei; so hoch sie springen, wächfi
der Flachs; ein angebranntes Scheit in die Flachssai
gesetzt, befördert deren Gedeihen.^ In Oesterr. Schlesie
dagegen zünden die Bursche umgekehrt ihre mit Pech getrilnkte
das Jahr hindurch mit Sorgfalt gesammelten Besen im Joha~
nisfeuer an und werfen sie unter wildem Tanze in die Höhe
Heinsbergs ausführliche Zusammenstellungen über das br)hmi8cl
Mittsommerfeuer zeigen uns ebenfalls den inmitten des Holzstoß-
flammenden Johannisbaum (vgl. o. S. 179), harztiberzogei
^Wagenräder den Berg hinabrollcnd , brennende Besen in J
Luft geschleudert, oder hochgeschwungen in stürmischer
lärmendem Laufe schaarcnwcise auf dem Berge hin un
her und herab zu Tal getragen, so wie den Sprung d.
Burschen mit seinem Mädchen über die Glut, endlich das Hi::
durchtreiben der Kühe durch das Feuer. Die Stümpfe d-
Besen steckt man in die Krautgärten, um sie vor Mück«
und Kaupen zu bewahren, die Brände und Kohlen des Feue
in die besäten Felder, Wiesen und Gärten, unter d
Dach oder die Türschwelle, um Haus und Hof vor Unwetter '
schützen. Von allen Bergen sieht man weithin die Johannisfeo.
leuchten.* Auf dem Stromberge an der Mosel unweit Sierk
1) Birlinger II, 9G, 128 ff. 103, 129 ff. Meier 423, 107 ff. 424. 109. 1
2) Leoprcchting S. 182 — 83. Cf. die Sanimlg. von Beweisstellen "
die Einwirkung der Johannisfeuer auf das Gedeihen des Flachses. Panff
11,549 — 50.
3) Peter, Volkst. a. Oesterr. Schlesien 11,287.
4) Reinsberg-Düringsfeld, böhmischer Festkalender. S. 306 — 311.
Maifeuer, Johannisfeaer. 511
Diedenhofen in Lothringen hatte im Jahre 1><23 das Johan-
nirfener der Banergenieinde Konz in folgender Weise statt. Die
Änoer waren auf dem Stromberge, die Weiber und Mildehen
Mfianbacher Brunnen versammelt Ein strohbewundenes Rad
AQd eine Menge Strohfackeln lag bereit. Auf ein Zeichen des
Maire Ton Sierk zündete einer mit der Fackel das Rad an,
da^ schnell in ßewegimg gesetzt wurde; Jubelgeschrei, allge-
lUeines Fackelschwingen durch die Luft. Gelangt das Rad
Vom größeren Teile der Männer gefolgt brennend bergab in die
ÄIcsel, so weissagt man eine reichliche Weinernte.*
£beiiso in Frankreich. In Poitou zündet man ein mit Stroh
Umwickeltes Rad an, und läuft damit durchs Feld, damit
d asselbe fruchtbar werde. In Brest schwingt man Pechfackelu,
Und oft werfen Hundertc ihre Fackeln zugleich gen Him-
meL Im Departement de la Vicnne läBt man einen Strauß von
W'ollkraut (Verbascum) und einen Nußbaumzweig durchs Feuer
strachen, die man anderen Tags vor Sonnenaufgang über der
ätalltllr befestigt.* Statt des Kollcns der Räder werden an ande-
Ten Orten Scheiben geschlagen.^ In Edersleben bei Sjinger-
hausen wird das Rad durch eine Teertonnc ersetzt, welche auf
einer hohen Stange befestigt ist, durch die eine bis zur Erde rei-
chende Kette gezogen wird. Ist das Ganze in Brand, so schwingt
man die Tonne unter großem Jubel rund um die Stange.^ Den
nämlichen Charmiter trägt die Sitte in England. Wir beschrän-
ken uns auf folgende Angaben: Ein Geistlicher berichtet hn Gent-
lemens Magiizine Febr. 17l»5 p. 121, daß er 1782 auf der Insel
Sky das «im 21. Juni angezündete Mittsonunerfeucr beobachtete:
»thepeople danced round the fires and at the close went
throu^h these fires and made thei r sons and daiighters
^ogether with thcir cattle pass through tlie fire, and the
^hole was conducted with religioiis solenmity." Borlasc (Anti-
<Hutleg of. Coniwall p. 130) ])esciircibt das Goluan genannte Mitt-
ßomraerfeiier am St. Johannisabeiid oder St. Peter in Coniwall
n^ these fires the ('omish attend with lighted torehes, tarr'd
^) ^femoires des antiqoaircs de France. V, 383 — 386.
^^ ^Volt, Beitr. II,3J»2ff.
^^ ^ini^erle, Sitten-^ If/J, 13r>4.
^) *^nhn, Nordd. Sag. 390, 79.
512 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber.
aDd pitch'd at the end and make their preambulations lonii
their fires and go from village to village canying their torohe
before them." Nach Moresin (Papatus p. 56. Faces ad festom dh
Petri (29. Juni) noctu Seoti in montibus et altioribns IocIb discoi
rentes accendere soliti snnt. Brand beschreibt die northombei
landische Sitte desselben Tages. Te inhabitants cärried Bcm
kiud of firebrand about the fields of their respective vilh
ges. They made encroachments on these occasions npon the bc
fires of the neighbouring towns, of which they took away son:
of the ashes by force; this they called carrying of the fl-
wer of the wake."^ Aus Schweden gentige des Olaus Magn"
Aussage: Omnis enim generis sexusque homines turmatim
publicum concurrunt exstructisque luculentis ignibus atqL
accensis facibus choreis tripudiisque sc exercent* In BuBIil':
kehren die nämlichen Bräuche wieder. In Kleinrußland tre:
man am St. Johannisabende einen Pfahl (Baum) in die Erde, n:
hüllt ihn mit Stroh und setzt ihn in Flammen. Sobald er brenJ
werfen die Bäuerinnen ßirkenzweige durchs Feuer mit A
Worten: „Werde mein Flachs so hoch als dieser Zwei^
Blumenbekränzt j mit heiligem Kraute umgürtet zünden Jttngliix
und Mädchen am 24. Juni ein Feuer an, das Kupalo hei
springen selbst darüber und treiben die Heerde hijndur©
um ihr Vieh vor den Waldgeistern (Ljeschje) zu schützen.'
Serbien binden die Hirten am 23. Juni Fackeln aus Birken
rinde, umschrciten damit Schafhürden und Ochsenzäune, steig
dann auf die Berge und lassen sie verbrennen.* Doch kehs
wir zunächst zum deutschen Mittsommerfeuer zurück. Auch ^
Verhrimniuig menscMich gestalteter Figuren war dabei ni*
1) Wilde (Irish superstitions p. 48 fF. bei Nilsson , Ureinwohner
Skandinavischen Nordens. Hamburg 18G6. S. 24) beschreibt das irische Ä
souunerfeuer , das ältere Leute unter leisen Gebeten umwandelten. Wer ^
längere Reise unternehmen , wer heiraten oder ein Wagstück nnt^meb^
wollte, lief dreimal hin und zurück durch das Feuer, um Glück bei sei^
Unternehmen zu haben, schwangere Fraueu gingen hindurch, um eine gl
liehe Niederkunft zu erlangen, selbst Kinder sah man über
glühenden Kohlen tragen.
2) Weitere Berichte in Dybecks Runa 1844. S. 22.
3) Ralston S. 240. Myth,« 591
4) Vuk 8. V. Ivan dan.
Maifeuer, Juhanniftfeaer. 513
9^. In Oesterreick (Marienkirehen im luuvicrtel) wird beim
Johaonisfener hoch auf einer Stange, die an die Stelle des
Aelaobten Baunes trat, das anderswo auf dem Muibaume pran-
gende Puppenpaar Gretel und Hansel (o. S. 42U. •ki\-k) in Flaiu-
flicn gesetzt. Zu Ertingeu in Sehwaben wird daim die Hexe ver-
brumt (o. S. 179). In Grätz vertertigten die gemeinen Bewohner
am 23. Juni einen Popanz, der Taterniann genannt, schleppten
ihn nach der Leinwandbleiehe an der Mur und bewarfen ihn
mit brennenden Besen so lange, bis er brannte.^ Im
ITnterinntal verbrennt man im Johunnisfeuer einen I^ottcr (Kerl
AUS Stroh und Lumpen), nachdem mau ihn auf einem Karren im
JDorfe umhergettihrt hat Einige haben das Wort Lotter in Mar-
tin Luther umgedeutet, woher denn in Ambras zwei Figuren,
Luther nud sein Katherl, auf den Holzstoß kommen.^ In franz.
Flandern verbrannte mau vor der Revolution von 1 789 in jeder
Gemeinde im Johanuisfeuer eine männliche Strohpuppe , auf Petri
(29. Juni) eine weibliche Puppe. In Cambrai (Cameryk) hängen
die Kinder mit Goldpapier verzierte Puppen ins Feuer, dasselbe
aoU in Valenciennes der Fall sein.^ Zu Kottenburg wurde bis
zum Jahre 1808 ein Stotzcn in den Boden getrieben und mit
umwickeltem Stroh zu einer menschlichen Gestalt geformt, welche
uugestreckte Arme und einen vom Hafner aus Tohn gefertigten
Kopf mit feinem und zierlichem Gesichte hatte. Diese Figur,
die man Engelmann naimte, umkleidvtc man von ahm his unfan
«wY Bluniefh, so duß der ganze Kerl damit bedeckt war.^ Dann
schichteten die Knaben Holz umher, und jeder faßte einen Degen.
Sobald der Holzstoß angezündet wurde , und die Pui)pe auf k)derte,
hieben alle zu gleicher Zeit mit dem Degen ein und zerfetz-
1) Vemaleken , Alpensugen S. 372 , 43.
2) Zingerle* 109, 13r>3. 1355.
3) Mad. Clement nee Hemery, histoire des fOtcs et des nsages du Depart
*« Nord p! 363 ff. Wolf, Bcitr ll,3i»2.
i) Vgl. die Beschreibung des Jubannisfeuers bei Bunneval (Meinoires
^ l'tcad. celtique iV, 428). La veille de Öt. Jean un feu de joic est allume
^3 Qn carrefuur. Au milieu du feu on place uno longue perche,
^ui le dominc et qui est garnie de feuillages et de flcurs. Le
^Tg^ 86 rend en grande pompe au lieu de la cercnionio, allume le feu,
^tonne quelques chants et se retire; ensuite les assistaus s'eu eiupareut,
>*ateDt par dessus et empurtent chez eux quelques tisuns,
9Q U6 placeut sur le ciel de leur lit couinie un preservatif contre la foadro.
^•Änhardt. 33
514 Kapitel VI. Vegetotioiisgelster: Sonnenzanber.
ten die letztere; ursprünglich hatte dies offenbar den Zw<
Stücke der Puppe sich anzueignen vgl. o. S. 348. 349. War
abgebrannt und zerhauen, so begannen die Sprünge über
brennenden Scheiter. Das hieß ^^den Engelmann köpfe:
In einigen Gegenden Kußlands macht man am Johannisabe
eine f^igur Kupalo genannt und verbrennt sie^ oder wirfl sie
Weisser, Zuweilen fällt man einen Baum, bedeckt ihn niit b
tefi Bändern, und pflanzt ihn an einem dazu auserlesenen PL
auf. In die Mähe dieses Baumes ; welcher den Namen Mai
(vgl. 0. S. 413) erhält, setzt mau die Strohfigur , der man
Größe eines Knaben oder eines Mannes, aber den Anzug ei
Weibes mit Halsband und Krone von Blumen zuteilt; ne
diese eine Tat'el, auf welcher Getränke und Speisen stehen. D
wird ein Feuer angezündet, über das die Bursche und Mädc
paarweise springen, die Strohfigur zwischen s
tragend. Tags darauf berauben sie Baum und Puppe il
Schmuckes und werfen beide in ein fließendes Wass«
Statt der Strohpuppe tritt bisweilen eine aus Weiden (i
Baumzweigen) geflochtene MenscheftgestaU ein. Eine solche
mannequin d'osier) verbrannten die Einwohner der rue aux C
zu Paris noch im vorigen Jahrhundert bis 1743 alljährlich
3. Juli. Die Figur, le göant de la rue aux Ours genannt, h
etwa G Metres Höhe; sie wurde zuvor einige Tage feierlich di
ganz Paris getragen. Augeblich geschah das zur Erinnerung
die Verbrennung eines gottesschäuderischen Soldaten, die
Jahre 1418 an diesem Mouatstage stattgehabt haben sollte; na
lieh eine ätiologische Fabel zur Erklänmg der lokalen Abweich
des Kirchspiels aux Ours von der allgemeinen Sitte, das &
sommerfcuer am 23. oder 24. Juni anzuzünden.' In Brie (
de France) verbrennt man „un mannequin d^osier" am 23. J
1) Birlinger 11,100, K8.
2) Kaiston 241.
3) De Köre Mythes p. 354. Eine andere Beschreibung des Feste
Magazin pittoresque Paris 1834 p. 2G2. Liebrecht, Gervasius v. Till
p. 212. Uienach bildeten die Bürger der rue aux Ours für diese Feier
Genossenschaft „Societe des bourgeois de la rue aujc Ours;** sie wftli
sich dazu einen König. Der Weide^kerl war mit den Gewändern e
Soldaten bekleidet. Der König zündete mit einer Fackel den Hob
an. Das Volk riß sich um die Ueberbleibsel der Figur. Diea
hieß zuletzt „le Suisse de la rue aux Ours.*'
Tiere im Sonnwendfeuer verbrannt 515
§ 5. Tiere Im Sonnwendfener yerbrannt. Wie im Oster-
feoer füchhömchen , so werden aach im Johamiisfeaer zuweilen
Kere, sogar lebend, oder Teile von Tieren yerbrannt So hingen
IQ Paris auf dem Greveplatze an dem Mastbaume (einer Ab-
schwädiiuig des Maibaams) , der den Mittelpunkt des oft von den
Königen angezündeten Johannisfeuers ausmachte^ in einem Korbe,
Käfige oder Sacke Katzen (bis zu zwei Dutzenden) und zuwei-
len Füchse, deren in der Todesangst ausgestoßenes Geschrei
die Umstehenden belustigte. In den Vogcsen brannte man die
Katien beim Fastnachti'eucr auf Holzpfählen todt, in Metz zün-
dete man jährlich auf der Esplanadc das Johannisfeuer an, wobei
6 Katzen auf dem Holzstöße mit verbraimt wurden. Im Elsaß
wiri man sie ins Osterfeuer. Dagegen soll in Rußland zuweilen
ein weißer Hahn im Kupalofeuer verbrannt worden sein.^
In Meißen oder Thüringen warf man, um das Johamiisfeuer tan-
zend ein Pferdehaupt in die Flammen.^ Der Name Bockhom,
welchen die Osterfeuer ehedem allgemein im Harze führten , muß
daher entstanden sein, daß man ein Bockhom ins Feuer warf,
wie sonst Knochen, was schon um 1162 Job. Beleth bezeugt:
Solent porro hoc tempore (in festo St. Johaunis) ex veteri con-
uetadine mortuorum animalium ossa e^omburi.^ Einen
sehr interessanten Belag gewährt der Bericht eines Augenzeugen
ttber eine derartige Begehung aus neuester Zeit. Zu Luchon in
den Pyrenäen ist es Sitte, am St. Joliannisabende eine aus
•tarken Weidenzweigen verfertigte ungefähr sech-
zig Fuß hohe Säule im Mittelpunkte der bedeutendsten Vor-
stadt zu errichten und mit grünem Laube vom Fuß bis
^^T Spitze zu durchflechten, indeß man unten die reizend-
sten Blumengruppen anbringt, um der Scene gleichsam einen
*iunutigen Hintergrund zu verleihen. Nachdem die Säule mit
brennenden Stoffen ausgeiUllt ist, setzt sich zu feststehender
Stunde (abends 8 Uhr) eine große Prozession in Bewegung. Der
Klerus an der Spitze, sodann Bursche und Mädchen in Sonntags-
Ueidem. Man singt geistliche Hymnen mid nimmt rings um die
1) Mytk« 591.
2) G. Strigenitius (f 1G()^) bei Eccard, Francia orientalis I, 425.
'^yth.« oBT).
3)Cf. Wolf, II, 387.
33*
516 Kapitel VI. Vegclationsgeistcr: Sonnenzauber.
Säule Aufstellung. Mittlerweile leuchten auf den benachbar
Hügeln die Johannisfeuer auf ^ ein wundervoller Anblick. Di
wirft man Schlangen, 8o viele als man sammeln konnte,
die Säule, und fünfzig Männer und Knaben ztlnden dieselbe,
mit Fackeln wie wahnsinnig ringsumtanzend. Die Schlaof
winden sich, um den Flammen zu entgehen, bis zur Spitze h
auf, wo sie vergeblich zur Seite auszubiegen suchen, bis :
schließlich zu Boden fallen. Ihre ängstlichen Windungen werd
von den Umstehenden mit lautem Jubel begrüßt.^ Wie hier w;
auch sonst, namentlich in Frankreich, mehrfach das Johani
feuer unter Assistenz der Geistlichkeit angezündet, gleichsam
religiöser Akt gefeiert.
Abarten der Fastnacht-, Oster- und Johannisfeuer sind <
Weihnachtsklütze (cf o. S. 1^24 ff), Michaelis- und Martinsfeuer, i
die hier nicht näher eingegangen werden soll.* Sie haben manc
Züge mit den besprochenen Feuern gemein ; dem am Niederrb
verbreiteten Martinsfeuer ist es eigentümlich, daß darin ein Ko
verbrannt wird, der urspiiinglich wol überall, wie noch jetzt
Dordrecht, allerlei Obst enthielt, das im Brennen herausgescb
telt und autgegriffen wurde.
§ G. Frflhllngs- und Soimwendfener. EriSuterong«
Die Uebereinstimmung aller wesentlichen Züge bei allen jen
drei Feuern ist geeignet, die Ucberzeugung zu begründen, d
dieselben ziemlich getreu und unverfälscht erhaltene Nachkomm
eines älteren Ritus seien. Die enge Verbindung mit kirchliefa
Ceremonien legt die Frage zu ernstlicher Erwägung nahe,
derselbe nicht etwa von einer Vergröberung christlicher Syml
lik, also entweder der kirchlichen Anztlndung des neuen Fem
zu Ostern oder einer symbolischen Darstellung des Scliriflgedi
kens in Math. 11, 11. Ev. Job. 1,7 — 9. 5, 35. 3, 30 ihren Ai
gang genommen haben könne. Die ausgedehnte Anwendung sii
bildlicher Darstellungen in der Kirche des Mittelalters und dan
entstandener Aberglaube sind mehrfach von uns besprochen o:
nachgewiesen, oder in Erwägung gezogen worden (s. o. S. 230
242 ff. 281 ff. 446). Wie die Heiligkeit des Taufwassers scb
1) Athenäum, Saturday. July 24. 1869. p. 115. Der Verfasser, wc
Badegast in Luchon, beobachtete den Brauch am 23. Juni 1868.
2) Schmitz, Sitten und Bräuche I, 43 — 45. Wolf, Beitr. 1,41—4
Zs. f. D. Myth. 1 , 88.
Frfthlings - Sonnweiidfener. Erläuteraiigen. jl7
Mb znm Glaoben an magische Wirkungen desselben Anlass
gAf^ konnte das nämliche mit dem heiligen Holze des kirch-
&4en Osterfeners geschehen sein. Wir haben jedoch — so
sefaeiDt es — hinreichende Anzeichen daillr, daß die Kirche sich
in diesem Falle eines vor der Zeit ihrer Ausbreitung in fast ganz
Europa bestehenden Brauches, nachdem sie denselben Jahrhun-
derte yei^bliefa bekämpft hatte, ^ bemächtigt, und denselben an
«ich zu knüpfen versucht hat, indem sie ihn christlich umdeutete,
teils (wie beim Osterfeuer) durch Hinübemahme einzelner Ztlge
davon in eine kirchliche Ceremonie unschädlich machte , teils aus
letzterer Stücke in die trotzdem fortbestehende weltliche Uebung
ttbertmg. So sind unsere Frühlings- und Sommerfeuer unzwei-
felhaft Erzeugnisse einer mannichfachen Wechselwirkung kirch-
licher Politik und des zähen Beharrungsvermögens altheidnischer
Gewohnheiten. Noch entgeht uns das Material, um dieses Ver-
flchmelzungsprodukt genau in seine einzelnen Bestand^He zu zer-
legen, und seine Genesis historisch zu veriblgcn, aber schon hier
darf die Vergleichung des römischen Palilienfeuers, und der phö-
1) Schon zu Chrysostomus Zeit schöpfte man in der Nacht Yor Epipha-
^iU (Christi Tanftag) Wasser in Krüge und bewahrte es als ein Jahr lang
^hbleihend auf. Um 451 bezeugt FuHo. Erzbischof von Antiochien, daß
^ Volk haufenweis herbeiströme , um von dem in der Epiphaniasvigilie
^ösecrierten Taufwasser zu schöpfen und es zur Vertreibung giftiger Tiero
^ böser Krankheiten und zur Bcspr engung der Aecker mit nach
^^ zu nehmen. Gregor von Tours f 595 berichtet , daß von dem geweih-
^ Taufwasser jeder ein volles Faß mit sich nehme , zum Schutz des Hau-
'^ und um Aecker und Weinberge segnend zu besprengen.
'^ffL die Belege bei Pfannenschmidt , Das Weihwasser. Hannover 1869.
p. 131 — 133.) Der Glaube und die Sitte bestellt in Franken und Baiem
^ocb bis heute fort. Wuttke « § 192. Ebenso in Tirol. Zingerle , Sitten «
^^, 1138. Damit hängt doch offenbar zusammen, daß die Albanesen am
^.Januar ihre Weinberge mit Wasser besprengen, an den 4Ecken
Wes Stückes 4 Weinstöcke mit einem Strohbande zusammenbinden, darun-
^®T ein Stück zu dem Ende eigeuds verfertigten Brodkuchens
**gen und Wein darauf schütten. Hahn, alban. Studien S. 155. So geht
wßi uns der erste Pflug über ein Stück Brod, in die letzte Garbe wird ein
Osterei und ein Stück Brod eingebunden fs. o. S. 158\ Wie weit jener alba-
uesiache Brauch von nicht christlicher Sitte durchsetzt, oder ob der genannte
deutsche Saat- und Erntegebrauch kirchlichen Ursprungs sei, kann hier
nicht ausgemacht werden. Jan. (5 feierte man die Hochzeit zu Kana, da
Wasser zu Wein wurde.
2)M)-th.« 592. Kuhn, Herabkunft S. 51 Anm. *.
518 Eapitol VI. Vef^etationsgeister: Sonnenzanber.
nikischen Baal (Molochs) feaer, über welche gleichfallB gesprnn
wurde, die symbolische Beziehung der Räder und aasgezad
Scheiben auf den Naturlauf der Sonne, die Verbrennimg
0. S. 177 ff. als Maibaum nachgewiesenen Baumes, die o. S. 46
n. 508 dargelegte Beziehung zum Frühlingsbrautpaar, alles di<
darf zur Bestätigung einer heidnischen Grundlage unserer F
nachtfener, Osterfeuer und Johannisfeuer geltend gemi
werden, selbst wenn wir nicht auf die Verwandtschaft mit <
unzweifelhaft heidnischen Notfeuer zuiUckgreifen.
§ 7. Notfener. Letzteres war ein nach Auslöschung i
übrigen Feuer im Dorfe nach urältester Weise der FeuerberdI
durch Reibung zweier Hölzer, Umdrehung eines Stabes in e
runden Scheibe oder der Nabe eines Rades u. s. w. erzeo
neues Feuer, durch welches man bei Viehseuchen die T
trieb, ^ zu Pestzeiten selbst hindurchging.^ Schon Grimm den
das Rad f Mb Bild der Sonne, von welcher Licht, Feuer
Gesundheit ausgehe. Bekanntlich gebot unter Karlmann eine
Jahre 742 unter dem Vorsitze des Bonifacins als Erzbischoft
Mainz abgehaltene Synode, an der die Bischöfe von Köln, W
bürg, Eichstedt, Straßburg teilnahmen, den Bischöfen und Gr
alle heidnischen Gebräuche (paganias) sorgsam zu verhind
als da seien Todtenopfer, Tieropfer nach heidnischem Ritus
Heiligen dargebracht „sive illos sacrilegos ignes, quos nie*
vocant, sive omnes quaecunque sunt paganorum observatioi
Die Synode zu Listines in den Niederlanden ein Jahr sp
handelte in dem vielgenannten Indiculus superstitionum et p:
1) Myth.2 .570 — 577. Krankes Vieh durch den Rauch getriebe
Indien, s. Zs. f. \g\, Sprachf. XV, 228.
2) Wolf, Beitr. II, 379. Zu diesen Nott'euem wird man hienach
solche Formen zu rechnen hahen , in denen auf einfachere Weise als c
Beibung bei allgemeiner Sterblichkeit der Scheiterhaufen entloht wird
Marseille starben im September 1865 viele Personen an der Cholera. In 1
dessen zündete man ungeheure Feuer an , deren Tausende und Tansen«
den 600 Straßen und Gassen brannten. Jede Straße hatte deren minde
drei, eine sogar 57. Vor der Praefectur errichtete die Feuerwehr den rie
Holzstoß. Um die Feuer tanzten, wie auch in Toulon. junge Mädchen
junge Burschen. An mehreren Stellen verbrannte man eine Puppe mit
schwarzem Gesichte, man meinte, das sei ein Bild der Cholera. So b<
teten damals die Zeitungen. Cf. Härtung, Religion und Mythologie
Griechen Bd. IL Vorw.
Nütfeucr. 51f»
nitmm „de siniplacris de panniB facti», de simalacro
(|Bod per cnmpo» portaiit, de igne fricato de ligno
/d est Nodfyr."* Kuhn hat bereits^ die ursprüngliche Iden-
fittt des Notfeuers mit dem Johannisfeucr wahrscheinlich gemacht,
indem er darauf hinwies, dnss bei beiden Räder resp. Scheiben
gerollt oder gedreht werden als mutmaßliche Uarstellungen der
SoDDe and daB nach einer in Obermediingen in Schwaben
(Panzer 11, 240) erhaltenen Spur das Sonnwendfeuer ehedem
ebenfalls durch Reibung, d. h. durch Umdrehung eines Rades
im einen Pfahl entztlndet wurde , hiezu aber stellt sich, daß die
Maoipulatiou des Scheibentreibens gleicherweise wol nur
ein abgekürzter Rest jener ältesten Weise der Feuerbereitung ist,
die ans der bohrenden Drehung eines Stockes in einer Scheibe
bestand. Es ward nämlich noch vor kurzem „die Scheibe,
welche im Mittelpunkte zum Einstecken eines Stockes durchbohrt
war, im Sonnwendfeuer angezündet (statt so lange darauf gedreht,
bis sie brannte), sodann schwang der liursche die Scheibe auf
dem Stocke, drehte sie auf dem Brette mit stjirkem Schwünge,
daB sie sieh vom Stocke trennte, hoch in die Luft sprang und
gitthend sich drehte, so daß man sie in weiter Feme sah."'
Der Zweck beider Feuer >var im (4 runde nicht verschieden, oft
gehen sie in einander über. Durchs Johnnnisfeuer treibt man
inRaßland, Serbien, Lithauen, Preußen, Br»hmen, P.ngland auch
das Vieh, um es vor Seuche, Zauberei und Milchbenehmung zu
bewahren.* Das Noticuer andrerseits wurde ebenfalls zuweilen
D^ch fittr Pflanzen günstig angesehen ( in Schweden räucherte tnan
^it Fischnetze und Obstbäume, um sie ertragreich zu machen),
zuweilen als Vorkehrmittel gegen künftige Krankheit für Men-
schen und Tiere zu fester Zeit und zwar am St. Johannisabende
angezündet und mit allem Zubehör ausgestattet, den wir
beim Johannisfeucr beol)achteten. In Mecklenburg „warmede
Daen sik bi S. Johannis lod und nodfllre, . . . löp und rönde
iurch dat für, dref dat vehe dardorch un is tusent
1) Pertz, Mon. Genn. I, 17. 20.
2^ Herabkunft, S. fKl.
3) Panzer T, 210. 231.
4) Ralst<»ii 240. Mytli.- -m. DobrowslJ bei ricinsberg-Düringsfeld. Fest-
kalender a. Böhmen, S. 307. Anni. 1. Brand, pop. antiqu. 1, 304.
520 Kai)it«l VI. Vegetationsgeister: Soniienzanber.
fl-oudeD vul gewesen/' ^ In Masuren löschte man am Johaimii
ahende alles Feuer, rammte einen eichenen Pfahl ein, legte ei
Rad daranf nnd drehte es, bis es zUndete. Jeder nahm eine
Brand xmd steckte damit zn Hanse sein Heerdfener wieder an
Lindenbrog im Glossar za den Capitularien: Rnsticaoi homim
in nmltis Germaniae locis et festo qnidem Johannis Ba|
tistae die palnm sepi extrahunt, extracto funem circnmligac
illumque hac illuc ducnnt, donec ignem concipiat; quem Btipn
lignisque aridioribus carate fovent ac cineres collect«
supra olera spargnnt hoc remedio erucas abigi posi
inani superstitione credentes. Enm ergo ignem Nodfenr et Na
fyr quasi necessarium ignem vocant.^ Aus dem Munde ein
alten Luzemer Bauers hat Kochholz verzeichnet, wie in sein
Jugend das Notfeuer oder „Ankenmilchbohren^' begangen wuim
In den Türpfosten eines Hauses, da« in einem engen Tale ]m
wurde am Johannisaben de oder an einem andern Tage c
Sonnenwende durch Umdrehung eines hineingesteckten StaK
Feuer entfacht, damit eine lange in doppelter Reihe zu beid
Seiten der schmalen Talgasse liegender Haufen von Bohnenstn«
Flachsagen nnd zerrissenen Körben in Brand gesteckt }M
trug dem Bache in Körben und auf Brettern Feuerbrände z"i
trieb alles Vieh zwischen den beiden Feuern hi.
durch, Bursche undMädchen sprangen vereint dur
dieFlammen. Die Knaben zündeten in enthusiastischer wilc
Lustigkeit Kienfackeln an der durch Reibung neugewonnen:
Flamme an und rannten in langer Feuerzeile auf S
Almen d, um diese zu durchräucheni. Das war die „We=
räuke," die Durchräucherung der Viehweide, damit vertri
man alle die Frucht und das Vieh schädigend*
Feldgespenster und Hexen. Waren auf einem Teile d
Hütung die abgebrannten Fackeln aul' einen Haufen geworfe
1) N. Gryse, Sjicgcl des Pawess doms Rostock. 15D3. p. LH
Myth.s 579.
2) Pisanski, N. Pr. Provincialbl VT, 148, 109.
3) Myth -^ 570.
4) So ließen in Epinal die Rinder am ersten Sonntag im Märze a
dem Bache Brettchen schwimmen, die mit kleinen Lichtem besetzt sin
indeß die Erwachsenen beim großen Freudenfeuer die Paare der Valentii
und Valentines wählen. Vgl. Wolf, Beitr. I, 76.
Schhlfolgenmgctn ftb. d. Bedeut. <]. Frdhlings- o. Mittsommerfenen. 521
>o gtrente man aof dem Rückwege die AHche in die
Saitfelder nnd machte sie frnchtbar. ^ Auch im Appenzeller
Uade kam die Asche des Nott'eaers anf die Äcker gegen Un-
^'efer. Da nun auch bei den profanen Osterteuem einzeln
^ufliidnng doreh Reibung vorkommt (o. K. 5()H), so wird man
Grimm beistimmen, daß das alte Notfeaer (d. h. erriebenes
Pmer von hnindan, hniotan), ehe seine Anwendung auf Vieh-
knnkbeiten eingeschränkt wurde, einen ausgedehnteren Begriff
hatte, mit dem Zusätze, daß andrerseits an den Frühlings- und
MittBommerfenem eine Einbuße der Feuerentzündung durch Reiben
wqgeDommen werden muß.
§ 8. Schlnßfolgerongen Aber die Redeotong des Frflh-
liig»- und Mfttsommerfeners. Ist dies richtig, so waren die
Slotfener einerseits, die Frühlings-, Oster- und Johannisfeuer andrer-
seits nur Differenzierungen eines älteren Feuers, welches im
F^jahre und Mittsommer, und außer der Zeit bei außerordent-
licher Sterblichkeit angezündet wurde, es wurde durch Drehung
eines die Sonne darstellenden Rades* (oder einer Scheibe)
enengt Rad oder Scheibe wurden bei den an bestimmte Jahres-
zeit gebundenen Feuern im Frühjahre im Bogen hoch durch die
LbH geworten, um Mittsommer vom Berge herabgerollt. [Daher
'begegnen wir jetzt bei den Frühlingsfeuem ötlter dem Scheiben-
^iben, bei den Mittsommerfeuem gewöhnlich dem Rade.] Des
-^cuers Mitte bildete ein Baum, Pflanzen wurden hindurchgezogen,
^fe Tiere hindurchgetrieben, Menschen sprangen hindurch.
*^e Flamme übte vermeintlich Einfluss auf Wachstum und
Gesundheit der Gewächse, des Viehes, der Men-
schenkinder; sie tat dies activ vermöge einer ihr innewoh-
nenden zeugenden Kraft, die sieh in der Beziehung des
''rühlingsbr autpaar 8 (o. S. 450. 462. 508) zu diesen Feuern
*^8spricht; wie denn 1268 zu Fentonc in England bei einer
liUngenseuche zugleich mit Anzündung des Notfeuers ein Priap
Vor der Tür des Viehhofs aufgesteckt, mit den in Weihwasser
getauchten Testikeln eines Hundes die Herde besprengt wurde. ^
1) Bochholz , Deutscher Glaube und Brauch. IT, 145 if. ,
2) Auf der Insel Mull wird das Rad bei Erzeugung des Notfeuers dem
lÄufe der Sonue entsprechend ,,tunied from east to weat."
3) Chronik von Lanercost bei Kemble , Sachsen in England. I, 2W ff.
"J^tthn, Herabkunft. S. 45.
522 Kapitel VL Vegetationsgeister : Sonnenzanber.
Mithin sind alle die Aassagen, daß die Feuer Insectenfn
Verbexung, Schädigung durch Drachen und dgl. abwenden, es
weder nur abgeleitete jtbigero Formen oder zwar gleich il
aber andere Seiten hervorhebende andere Wendungen des eige'
liehen Gedankens. Durch die positive Mitteilung der Wachatii
kraft werden zugleich die Dämonen des Mißwachses, der Knur
heit vertrieben oder vernichtet Vgl. o. S. 280. Hier zeigt gl
uns genau derselbe Parallelismus der Menschen, Tiere und Pfli
zen, den wir bei der Lebensrute, beim Maibaum, Erntemai u.fli.
beobachteten, d. h. die bei der Pflanzenwelt offenbare woltät
Einwirkung des Sonnenlichtes auf Leben und Gesundheit,
sjrmbolisch auch auf die hiiheren Wesen übertragen. Mit W
Kuhn u. a. anzunehmen , daß die Osterteuer einer Göttin Osta
die Frühlingsfeuer Donar, die Notfeuer und Johannisfeuer 1
heilig gewesen seien, liegt keine Veranlassimg vor. *
In jedem der besprochenen Feuer wird zuweilen noch e
Menschengestalt verbrannt, offenbar nach alter Ueberlie
rung; auch der Judas der Osterfeuer wird als ein kirchlicl
Gegenstück einer dadurch zu verbannenden Volkssitte zu dent
sein. Der Name Ostermann (o. S. 505) ist einfach der Zeit i
Festfeier entlehnt, wie Maikönig, Mai, Maja u. s. w., ebenso •
Benennung als Fasching (o. S. 499), wol auch Kupalo (S. 51
Sobald man die eigentliche symbolische Bedeutung des Hergai
nicht mehr verstand, und die aetive Prokreation in Abwehr
das Wachstum hindernden, schädlichen Einflüsse (Lustration) i
deutete, war es natürlich, die Verbrennung als Vernichtung ^
zufassen, 2 und deshalb die verbrannte Figur auf ein den Mensct
Tieren und l^anzcn feindliches Wesen (Tod resp. Winter, H^
Pest, Cholera) zu deuten. Doch weisen, wie es scheint, einze
Spuren noch auf die ältere Vorstellung, so die Verbrenn**
des Erbsenbärs, der Vegetatiousdämon ist (o. S. 499), des
1) Ein dem nordischen Freyr entsprechender deutöcher Pro ist vm
wiesen, ihn aus jenem Priaj) des Notfeuers zu schließen, wäre leiehtsir
und die Göttin Ostara ist, wie sclion o. S. 505 erwähnt wurde, schwer
etwas anderes als eine etymologische Conjectur Bedas.
2) Der unumstölJliclio Beweis, da!J diese Verbrennung wirklich d
Vernichtung bedeutete, sondern nur eine unbeholfene Verbildlichung des h
durchiiussierens durch die Sommerhitze war, crgiobt sich wie mir scheint
den Gebräuchen des PHugziehcns am Ende dieses Abschnitts.
SeUulfolgeroDgen üb. d. Hcdent d. Frfihlings- a. Mittsommerfeners. 523
onaiugedroBcheneTn Korne gefertigten Mannes (o. S. 499), des
gtnz in Blnnien gehüllten, also ein sommerliches Wesen
danteilenden Engelmannes (8. 514), des auf dem Baume befestig-
ten Strohmanns, des neben dem Baume vor eine reiche Tafel
gesetzten Knpalo (o. S. 514). Der in Paris verbrannte, aus
Briiem gefertigte g^ant de la rue aux Onrs (o. S. 518) erinnert
an die Reisergestelle unserer Laubmänner, Pfingstlümmel u. s. w.,
denen sich das mit grünen Blättern bedeckte Reisergestell jenes
Johannisbrauches aus Luchon (o. 8. 515) noch mehr nähert.^
Wir wagen aus dem allen den Schluß zu ziehen, daß man einst
die Pappe im Frühlings- resp. Mittsommerfeuer als Vergegen-
1) Zanächst entspricht diese im Mittsomincrfcaer verbrannte 18 Fuß
kohe Pnppe ans Flcchtwerk in Isle de France augonscheinlicli den zn Fast-
lucbt oder an einem andern Tage des Carnevals in Prozession einhergcf&krten
ttenormeg mannesquins d*osier'* iu Belgien nnd franzosisch Flandern, die
lUter der Bezeichnung reusjes, goants fast in jeder Gemeinde hergebracht
Und. Sie ffihren sehr verschiedene Sondernanien, z. B. de Rens (Antwerpen),
Ifcvroaw van Amazouie (Courtrai), Goliath (Ath), Ommcgan (Brüssel), Lange
Ihn (HaBselt). Mme Clement fetos historiqaes II, 250—52. De Consse-
■•tre chants pop. p. 141. Reinsberg-Dtiringsfeld, Calendrier Beige 1, 123—26.
1» Dünkirchen war der Riese 40 — 50 Fuß hoch aus Korbgeflecht und Scgel-
^h hergestellt, mehrere Menschen befanden sich in seinem Innern und
***wegten ihn von der Stelle. Zu Douai hat der Umzug an dem dem 7. Juli
*^ächöt liegenden Sonntage statt Eine Figur von 24 — 30' Höhe aus
'»eidengeflecht (mannequin d'osier) „Ic gaiant" g»»nannt, durch eine An-
*hl darin eingeschlossener Menschen (renfermes dans la machine) mit Hilfe
^Oü Wellen nnd Stricken in Bewegung gesetzt, bewegt sicli langsam durch
^c Straßen. Ihr Kopf aus Holz soll von Rubens geschnitzt und gemalt sein ;
^« trägt die ritterliche Bewaffnung, Lanze, Schwert, Helm und Schild.
'hinter dem Riesen (le colosse gaiant) gehen sein Weib mit^ einer Taille von
^8' Umfang und seine 15' hohen Kinder Jacot, Filliou und Binbin, Weiden-
"^ren nach demselben Prinzipe construiert. De Nore, coutumes mythes et
^f^ditions p. 323. Eine eigentümliche Form dieses Umzuges war wol die
Prozession der Schmiedstubenzunft in Zürich am Hirsmontage Montage nach
^Äcbcrraittwoch). Mit Wehr und Waffen angetan und mit klingendem Spiele
'TUgcn sie einen Korb herum, in dem die Figur eines Mannes steckte
^d warfen denselben schließlich in den Brunnen des Zunft-
Waes (Vernaleken, Alpensagen, Wien 1858 S. 3(^4, 30.) Hier vertritt der
Korb das Reisergestell, die Hinabwerfung ins Wasser ist deutlich Regen-
xauber, die Figur wird ehc<lem aus dem Brunnen herausgezogen und schließ-
lich verbrannt sein, wie kam sonst die Zunft der Feuerarbeiter dazu,
weh diese uralte Sitte anzueignen? Hirsmontag ist der Tag nach Funken-
wnntag. Vgl. o. S. 500 ff.
r)24 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber. '
wärtigang des das Sonnenfener passiereudcn Vegetation8dIiii.i
zu* verbrennen pflegte. Wenn nun (nach S. 177 ff.) der v^
brannte Banm dem Maibaume gleichsteht , wenn gerade so n
hier der im Maibaumc lebendige Genius nicht allein durch eu
an demselben angebrachte Figur (o. S. 210), sondern andersw
auch durch einen neben ihm hergehenden ganz in Laub gehüllta
oder in einem Reiscrgestcll steckenden Menschen (o. S. 312 ff.
dargestellt wird, wenn (nach S. 180) der im Sonnwendfeuer ?cr
brannte Maibaum durch einen den holzeinsammelnden Enabei
voranfgetragenen geputzten Baum ersetzt wird,^ wenn endfid
dem entsprechend die Anzündung des Johannisfeuers durch d»
jüngstverheiratetc Ehefrau sich als Abschwächung ihres Sprunge
durch die Glut ergab (o. S. 494), so wird der nachstehend
österreichisch -bairische Brauch als eine abgeleitete ode
jüngere Form fttr die Verbrennung des Laubmeier
oder Pfingstl, jenen in grüne Zweige gebundenen
oder in ein grünbekleidetes Reisergestell gesteck
ten Vertreter des Wachstumsgeistes verständlich. Z
Wolfeck im Erzherzogtum Oestreich geht am Sonnwendtage ei
ganz in grüne Tannenreiser gehüllter, etwa zwöl
jähriger Knabe unter zahlreicher lärmender Begleitung von Hai
zu Hause und sammelt die Scheiter zum Feuer mit den Worten
Waldbäumo will ich,
Trink 'ne saure Milich,
Bier und Wein,
Da kann der Wald mann schön brav lustig sein.*
Auch auf den Höhen des Jura in Mittelfranken führen d
Holzcinsammler vor Anzündung des Sibetsfeuers ein<
ihrer Kameraden vom Kopf bis zur Sohle in Fichte
zweige vermummt an einem Stricke durch das ganze Dor
In Moosheim (Würtcmberg) wurde am zweiten Sonntage n^
Johannis das Sante Hans Segensfeuer von einem aus d<
Walde herkommenden, in Laub und Reisig gehüllt
Burschen (der den später zu erklärenden Namen Moost
führte) ausgelöscht, indem er mit seinen Füßen es z<
1) So in Anspach, Hallstadt in Oberfranken u. s. w. Panzer I, 217. >
2) Baumgart^jn, das Jahr und seine Tage. Linz 1860. S. 27.
3) Bavaria, Mittelfranken. S. 956.
Ein altgallisches Jahrcsfeuer. 525
at^ Dieses Austreten des Feuers ist ein deatlieher Ueberrest
leoudigen Hindarchgehens dureh oder über die Kohlen.
§ 9. Ein altgallisehcä Jahresfeuer. Da bei verschiede-
en asiatischen und europäischen Völkern (Phüniker, Altpreußeu,
itaaer u. s. w.) Menschenopfer durch Feuertod nachweisbar sind,
Dd da wir lebende Tiere im Johannisfeuer bis in neurere Zeit
3rbninnt sehen (o. S. 515 ff.), ist die Frage nicht müßig, ob es
De Zeit gegeben habe, in welcher der in Laub gehüllte oder
einem Reisergestelle wandelnde Mann selbst, nicht bloß seine
sÄochtene Hülle verbrannt wurde. J. Grimm Myth.* 579 urteilte
»er das schottische Maiieuer (o. S. 508), daß der gezwungene
eimalige Hindurchlauf des dazu durclis Loos Erwählten durch
e Flammen deutlich auf ein Opfer hinweise, welches eine
sttmte Gottheit gnädig stimmen sollte, an dessen SteHe seien
äter Tieropfer getreten und endlich nur ein Springen über das
uer bei Menschen und Tieren übrig geblieben. Es scheint
r, als ließe sich ein altes Zeugniß aufbringen, welches die Ver-
iimung einer dem Pfingstl ähnlichen Puppe sammt mensch-
hem Inhalte mindestens sehr wahrscheinlich zu machen geeignet
. Dieses Zeugniß entnehme ich einem fast zweitausend Jahre
en Berichte über eine Feier der nämlichen Gegend, aus welcher
S. 516) die Verbrennung der laubumwundenen Säule
n Flechtwerk mit Schlangenftülung nachgewiesen wurde.
ist uns nicht mehr unmittelbar, sondern in dreien von ein-
der abweichenden Auszügen bei Caesar, Diodor und Strabo
lalten und gehört ursprünglich unzweifelhaft den Historien des
sidonius an, des bekannten rhodischen Philosophen, der im
hre 104 V. Chr. von Massilia aus den den Römern seit etwa
Jahren unterworfenen südlichen Teil von Gallien als wissen-
liatUicher Forschungsreisender besucht und ein nicht unbedeu-
ades Material naturwissenschaftlicher Beobachtungen geschicht-
:her und sittengeschichtlicher Erkundigungen gesammelt hatte,
sine Schrift liegt als Hauptquelle der Schilderung von Gallien
►wol bei Strabo (in dem 19 n. Chr. geschriebenen vierten Buche
ir Erdbeschreibung) als bei Diodor (in dessen etwas früherer
irischer Bibliothek Buch V) zu Grunde.* Wir stellen zunächst
1) Birlinger II, 121, 146.
2) Cf. Grosskurd Strabos Erdbeschreibung. Berl. 1831. L p. XVIII, XLI.
'^1 Pofddonii Rhodii reliqoiae doctrinae Lugd. Bat. 1810. p. Iö3.
526
Kapitel VI. Vegetationsgeister : Sonnenzauber.
den Wortlaut der Angaben Caesars, Strabos und Diodors zur
Vergleichung neben einander, um sodann den Versueh zu macben,
unter Feststellung ihres literarischen Verhältnisses den durch sie
bezeugten äaehverhalt herauszuschälen.
Caes. B. G. VI. 16.
Nachdem Caesar von
den mit Hinzuziehung
der Druiden durch Privat-
leute dargebrachten Men-
schenopfgrn bei Krankheit
oder Lebensgefahr gespro-
chen, fahrt er fort: Pjabli-
cequo habent instituta
sacrificia. Alii immani
magnitudine simu-
lacra habent, quorum
contcxta viminibus
membra vivis homini-
bus complcnt, quibus
Buccensis circumventi
flamma exanimantur
h 0 m i n e s. S it ppl icia
eorum, qui in furto aut
latrocinio aut aliqua
noxa sunt comprehensi.
gratiora dm immortali-
bus esse arbitrunturj sed
cum eitis generis copia
deficit, etiam ad innucen-
tium supplicia descendunt.
Strabo IV. C. 198.
**Ed-vov Sk ovx äv€v
/Jqvi ^(üV. xal ttXXa Si
Ttti. ;r«l yccQ xaTeTo^svov
Tivag xal clvtaTuvQOvv
Iv ToTg Ugoig xal xaza-
ax€vdaavTig xokoaaov
XOQTov xaC ^vliov ifi-
ßaXovjfs ffs TovTov ßoaxrj-
f^ara xal ^rjQia navrola
xal avi^QWTtovg takoxav-
TOVV.
Str. C. 197.
(Meineke 270.)
ras Sk (fovixäg SC'
xag judliata rovzot'g (jQv'i-
Jatg) (TnTiTQUTijo Sixu^HV,
orav 6k (fooa xovrtav J,
(fOQav xal trjg )^toQag vo-
Diod. V. 32 (415 Dindnf).
jixolov&tiK ^k r$ xan
avTüvg dyQtoTfiTi xal nr
rag O^valag ixrdnmg cccv
ßovai. Tovg yuQ xaxovm
yovg xaric ntyraini^m
(fvld^ttVTig avaaxoXoi^
Covoi ToTg &eotg. aas
uer* ttlXwv nokk^y oiric
Xoiv xa&ay(iovat nvqm
n afA fx^yi^ng xtttm
axevdCovTfg. jf^w»"
Jk xal toTg atx,u»ktürmg m
hQ((oig nQog rag rmw ^tm
Ttfidg, Tivkg dh avtwf ae
r« xara nokiuov kriq,&ita
C(^a /ufT« TtSv dv^^tinm
(CTToxTeh'Ovatv ? xara »«•
ovaiv, TJ riaiv äkkaig it
jbiOQ (ai g d(f€t %'iCo vai .
Wir dürfen voraussetzen, daß Caesar, wenn er einem älteren
Berichte auch den Grundriß seiner allgemeinen Schilderung von
Gallien B. G. VI. 13 — 20 entnahm, bei der Fülle des ihm zu
Gebote stehenden Materiales keine Einzelheiten daraus entliehen
haben wird, welche er nicht entweder aus eigener Eriahrung
verbürgen, oder nach besserem Wissen stillschweigend berichtigen
konnte. Wahrscheinlich also ist seiner Angabe Glauben beizu-
messen, daß auch noch zu seiner Zeit (habent, com-
plent) aus Zweigen geflochtene menschenähnliche
Figuren mit Gliedern von übermenschlicher Größe
dazu dienten, Menschen aufzunehmen, welche nach An-
Ein altgallischetf Jahresfeuer. 537
ifindaDg des Flechtwerks von unten her, d. h. vermöge emes
dtnim aolgeschichteten Hcheiterhaufens durch Bauch and
flitze umkamen. Es ist klar, daß diese riesigen Gebilde mit
jsier am Johannistage in Luchon verbrannten Säule, mit dem
iB Pariser Sonnwendteuer entflammten „mannequin d'osier'* von
<faei&cher Menschengröße, ^ sodann aber mit den Gestellen Aehn-
Ikiikeit haben, in welchen unsere Laubmäuner (o. S. 322. 323.
Üb) einherschreiteu , z. B. der Latzmann am Johannistage in
eoem etwa 12 Fuß hohen pyramidalen oder kegelt^^rmigen
Lattengestelle, umherwandelt, das ganz mit grünen Tannenreisem"
iie^eidet ist. Doch erhellt nicht (denn der Wortlaut des latei-
oischeD Textes erlaubt beide Autfassungen), ob jede solche Figur
Ton nur einem Menschen ausgefüllt wurde, wie bei unserm
Pfingsd, oder ob Caesar sagen wollte, daß das Keisergestell jedes-
nal mehrere Menschen , etwa in jedem Gliede einen , aufnehmen
iuiBte. Mit dieser Nachricht Caesars stehen die parallelen An-
(tben Strabos und Diodors ebensosehr teilweise wirklich oder
tebeiDbar im Widerspruch, als sie unzweifelhaft dieselbe Sache
kteichnen sollen und aul' dieselbe Grundlage zurückgehen. Für
* l^tKteres spricht außer der allgemeinen Aehnlichkeit des im näm-
^en Zusammenhange erwähnten Gegenstandes der überein-
stimmende Ausdruck i m m an i maguitudiue simulacra, x o / o a o n s:,
''*"^i; 7caii/teyt &ei ^; in letztere sehr allgemein gehaltene
^*Ärase verflüchtigt Diodor die concretere und ausführlichere Dar-
^*^llung der verbraimten ßiesenpuppe und ihrer Umgebung in
l^^er Vorlage, von deren Wortlaut bei ihm und Strabo noch da«
^fbum y,acmi/.LvaC^tn' (Str. '/j(i;ußy.£viiacci'itg , Diod. zataaxtta-
'*^iag) stehen geblieben ist. Daß aber Caesar den Figuren aus-
^^cklich aus Baumreisern geflochtene Glieder beilegt,
*^^lit von Strabo ab, der den Riesenkerl aus llolz und Gras,
' 1l doch wol aus einem Gestelle von Latten oder- Baumzweigen
1} Schon Liebrecht, Gervasius von Tilbury p. 213 steUt den geant de
rue aox Ours mit Caesars ,,simulacra viminibus contexta" zusammen.
Bezng anf die Zeit der letzteren Begeliung bemerkt er: „dali jenes von
erwähnte Opfer zu bestimmten Zeiten veranstaltet wurde, lassen
von ihm hinzugefüj^ten W^orte vermuten „„supplicia — descendunt."*'
V'o man auch Unschuldige dem Tode preisgab und zwar nur dann, wenn es
todeswürdigen Verbrechern zur Darbringung des Opfers fehlte, da maltte
ein feststehendes, regelmäiÜg wiederkehrendes sein/'
r^ Kapitel VI. Vegetatiousgeister : Sunnenzaaber.
mit einer Bekleidung von grünen Kräutern und Wiesenblu]
bestehen läßt Strabo kann nicht durch Caesar auf seine Anga
gekommen sein. Entweder also vereinigte die ihnen beiden
Grunde liegende Quelle die Merkmale der Riesenpuppe, d
(menschenähnlichen) Glieder, des Geflochtenseins, de
üeberkleidung mit Pflanzen, oder wir werden annehme
dürfen, daß Caesar hier nach den Ergebnissen seiner Erfahnn
den Ausdruck des Originals verändert und uns dadurch ei
zweites Zeugniß für den nämlichen Brauch aufbewahrt hat W\
begreifen, wie wol es möglich war, daß nach Zeit und Ort vei
schieden die kolossale Meuscheufigur bald aus Weiden, bald lo
festeren Latten zusammengefügt sein konnte.
Caesar meldet nur die Verbrennung von Menschen; Strab
sagt, man habe einige Meuschcn erschossen und (andere?) u
Pfähle gespießt, (noch andere?) in dem von Gras umkleidete
Holzriesen verbrannt Das letztere Schicksal teilten Weidevie
(Schafe, Ziegen, Schweine und dgl.) und andere Tiere (Hflhse:
Gänse, Katzen?), indem man sie in den Koloß hineinwarf. Dh
dor hingegen sagt ans, daß man die t)ir ein gewisses, alle 5 Jahi
veranstaltes Opfer bestimmten Menschen (zuerst? teils?) pftU'
und (sodann? teils?) in Gemeinschaft mit vielen andern Ers
lingeu verbrenne {y.aiyuyiZoioi). Unter d/caQ/ai (ein charact«
ristischer Ausdruck, der wol aus dem Originale übrig ist) müsse
hier unzweifelhaft den Druiden übergebene und flir diesen heilige
Zweck aufbewahrte Erstlinge der Herde und des Federviel
verstanden werden, die ßnoAn^^iaca und .favcnHu Di^qIu des Stral>
Ihr Schicksal war nicht durchgehend bei lebendigem Leibe s
Asche verbrannt zu werden. Denn Diodor selbst Itihrt im A.^
Schlüsse an obige Notiz den Gedanken aus:. Für gewöhnÜ^
verwendet man Verbrecher und Erstlinge (der Tiere) zu (dieflC
Opfern; unter Umständen aber (statt dessen) Kriegsgefang^-
und zuweilen auch im Kriege erbeutete Tiere, welche sie zuglei
mit den Menschen tödten oder verbrennen, oder auf irgend ei
andere grausame Art aus der Welt schaffen. Da diese BeH
tiere offenbar Stellvertreter jener anderen a //«(>/«/ waren, ^ J
1) Dies bestätigt auch Caesars selbstständige oder etwas verftnd^
Notiz, B. G. VI, 17. Huic (Marti) cam proelio dimicare constituerant,
qnae hello ceperunt, deuovent; quae superaverint animalia capta imiDol^
Ein altgallisches Jalircsfcaer. 629
sich aach diese letzteren nicht immer oder nicht sämmtlich
ib verbrannt, noch weniger als sammt und sonders in das Riesen-
Ud geworfen zu denken; der Originalbericht mußte dies aus-
pdrildLt haben; ihrer war darin somit schon früher und nicht
Bao enger Beziehung zu dem Kolosse wie bei Strabo gedacht.
)a flieh Caesars Schweigen Ut>er Tieropfer hinzugesellt, liegt die
fermotong nicht ferne, daß die Originalaufzeichnung, welche
wrol von Strabo als von Diodor stark ins Kurze gezogen wird,
wir der Tiere und ihrer Verbrennung gedacht ha])e, aber nicht
b einer Fttllnng des menschenähnlichen Lattengehäuses, sondern
keines notwendigen Stückes der ganzen Darbringung; daß aber
krabo irrtümlich herauslas, sie seien nicht allein überhaupt
otverbrannt, nicht allein auf den Seheiterhaufen geworfen, son-
kn auch in die Bildsäule hineingeschleudert worden.
Diodors Erwähnung der /.crAovQyoi zeigt den engen Zusam-
iienhang, in welchem in der Urschrift der Caesarische Satz
ifloppUcia — descendunt" mit dem Inhalte der vorhergehenden
'Triode stand. Sein Ende ,^ad innocentium supplicia descendunt ''
iitflpricht den Worten: xQiJvtaL de xal roig alxftahiraig bei
Sodor, der den in der Urschrift ausgedrückten Gegensatz
^orch abschwächt, daß er die zum Tode verurteilten Verbrecher
er unerwähnt läßt, weil er sie schon früher genannt hat. Wie
tesar die Kriegsgefangenen in unschuldige Menschen überhaupt
tallgemeinert , hat er auch den Satz „supplicia gratiora diis
tnortalibus esse arbitrantur" an Stelle einer in seiner Quelle
thaltenen bestimmteren Angabe geschrieben, die ich mit Sicher-
it in der von Strabo wenige Zeilen weiter nach oben in einen
dem Zusammenhang, in die Aufzählung der Functionen des
nüdenstandes geschobenen Bemerkung erkennen zu dürien meine,
a Druiden liege auch das Gericht über die Blutschulden \ ob,
snn es von diesen eine Fülle ((poga = große Menge cf. (poQcc
fodoTiüv y.al dioQoön/Mv Dem. 18, 61) gebe, so glauben sie,
Folge auch des Landes Fülle (q^oga Fruchtertrag, Gegensatz zu
poqia). Im Contexte des Strabo erscheinen diese Worte un-
liquas res in unum locuin confemnt. Offenbar wurden nicht alle im
&mpfe erbeuteten lebenden Wesen als Siegesopfer dargebracht, sondern nur
^^ti( davon. Es steht nichts im Wege, dafi ein weiterer Teil dieser
'»«(Mfa^ noch bei anderen gottesdienstlichen Begehungen als den Sieges-
^««^ Verwendung fand.
530
Kapitel VI. Vegctationsgeister: Sonoenzaaber.
gereimt, an den Blntscholden als solchen konnten die G5t
nicht Gefallen finden. Meinecke wollte vor dem ersten tpa
dajB übrigens durch das zweite g)OQd veranlaßt und ganz <
gezierten Schreibweise des Posidonius gemäß ist, eine Ltt^
annehmen.^ In Wirklichkeit sind aber von Strabo nur zi
ursprttngUch nicht zusammengehörige Notizen sehr ongeschi
mit einander verbunden. Die erstere von beiden, nämlich *
de q>ovixag dixag fiahata Tovroig iTteriroa/rTO dixd^uy^^ t
spricht Caesar VI, 13: „nam fere de omnibus oontrover
publicis privatisque constituunt, si qnod est admissum facinoft .
caedes facta, si de haereditate, de finibus controversia est, iid
decemunt, praemia poenasque constituunt^' etc. Habe nun je
diese Angabe aus Caesar, oder fand sich dieselbe schon
Posidonius, jedenfalls stand sie nicht in unmittelbarem Zusamm
hange mit dem; folgenden Satze, den Strabo, der die einzel
Excerpte aus seiner Vorlage nach neuen Gesichtspunkten fc
durcheinandermischt, ^ ganz anderswoher, notwendig aber
einem Stücke entlehnt haben muß, in welchem von Verbrecb
1) Vindiciae Strabon. p. 44.
2) Soviel ergiebt sofort die Analyse des Kap. IV, 4, 4 — 5 bei Sfc
im Vergleich mit Diodor. Bezeichnen wir bei letzterem in Cap. V, 31
Reihenfolge der einzelnen Sätze mit ic-if bei Strabo durch beide Oapitel
a-n, 80 entspricht:
Strabo IV, 4, 4. C. 197.
= Diod. V. =
= Caes. B. *
a) Drei geehrte Stände, Barden, Weis-
c. 31 (ß)
13
sager (vates), Druiden.
cf. Am
Marc. L
b) Druiden, Philosophen und Natur-
31 (/»)
1
kundige.
AmmiA
a.
c) Sie haben selbst Kriege geschlichtet.
31 (*)
•
d) Blutschulden zu richten war ihnen
übertragen.
e) War von Verbrechern Fülle so gab
cf .
es reichen Pruclitertrag.
f) Unsterblichkeit der Seelen und
Am
Eschatologie.
cf
EiB altgallischcs Jahresfeaer.
531
& Bede war. Da dies nur noch an einer zweiten SteUe der
M iti, ergiebt sieh folgerichtig fUr die fragliche Angabe folgen-
der Platz im Gredankengange des Originals. Für das große zu
gewissen Zeiten zu veranstaltende Opferfest spart man
die nun Tode verurteilten Verbrecher auf. Wenn von solchen
Verbrechern eine große Zahl da ist, so glaubt man
(fOfULflcai Str.y arbitrantur Caes.), daß auch dos Landes
Ertrag groß sein werde. (Nicht sowol von der Zahl der
Criminalflille, als der Menge der Opfer hängt hiemach die Menge
derFrttchte ab.) Wenn aber keine Fülle vorhanden ist,
greift man zu Kriegsgefangenen. Es ist leicht einzusehen,
wie genau sich Caesar („cum eins gencris copia deficit'') an das
to gleichlautende (poga des Tosidonius anschließt Auch das
geht wol aus Diodor hervor, daß der ursprüngliche Bericht-
erstatter, des Posidonius römischer Gasttreund oder er selbst die
besehriebene Kultushandlung auf emem großen von 5 zu 5 Jahren
wiederholten Opferfeste sah.
Waren unsere Iteobachtungen und Schlüsse zutreffend, so
werden wir als ausgemacht bezeichnen dürt'en, daß bei dieser
Gelegenheit aus Weiden geflochtene Menschenbilder
von mehr als Lebensgröße, in denen lebende Men-
schen steckten, verbraunt wurden, daß zugleich andere
Menschen und außerdem Tiere gepfählt, erschossen und vielleicht
Strabo IV, 4, 5. C. li»7.
= Diüd. V. = Caes. B G. VI.
K)Character der Gallier Prahlsucht
31 (.)
und Putzliebe.
•'l Goldene Hals- und Armbänder.
27
> Bnntgeförbte Kleider.
30
k) Köpfe der erschlagenen Feind«*.
2i)
*) Weissagung bei Opfern.
31 (;)
^) Sie opfern niemals ohne Druiden.
31 W
cf. Oaes. 16.
^) MeuBchenopfer.
32
Ana dieser Zusammenstellung geht mit Sicherheit hervor, daß Str.:
^ '^ e den alten Zusammenhang h 1' unterbrochen, mit Wahrscheinlichkeit,
^ß Str. e mit c nach m. mithin unmittelbar in die Nähe von n hingehört
habe.
34*
532 Kapitel VI. Ve^^etatioiisgeister: Sonnenzanber.
auch auf demselben Scheiterhaufen mit verbrannt sind. V^
der Zahl dieser Opfer hing vermeintlich die FrucT
barkeit des Landes (wol in dem folgenden vierjährigen
räume) ab.
Unentschieden muß es bleiben, ob einer oder mehrere
sehen, vielleicht gar Tiere in dem Reisergestelle stedL-C
Caesars Ausdruck „deren Glieder sie ausfüllen'^ (e<3
plent), würde eher auf die Weise unserer Laubmänner ml
lassen, so daß ein einzelner Mensch mit seinen Gliedern in d(
entsprechenden Gliedern der Figur darinsteckte /) wenn iiiet
die „copia^^ im folgenden Satze wieder auf eine gleichzei%
Vielheit von Menschenopfern hinwiese. Aber Caesar könnte darin
bei flüchtigem Auszüge aus Posidonius die Gepfählten und Er-
schossenen mit einbegriffen haben, welche nach Strabo aufterhalb
des Weidenmannes mitverbrannt wurden.
Mag nun diese Sache sich verhalten haben wie sie wolk^
so scheint mir die von Posidonius geschilderte Sitte im ZnauBr
menhange mit unseren Oster- oder Johannisfeuem zu steh^;
mit anderen Worten die Feuerweihe des Vegetatiousdämons oder
der Vegetationsdämonen bezeichnet zu haben. Falls die init
grünem Kraute umhüllte zur Vermehrung des Feldertrags (ffH!^
X(o()C(g) verbrannte, sicher nicht bedeutungslose Kiesengestalt »oä
Baumzweigen nur einen Menschen enthielt, wird derselbe dieitoi
d. h. dem Baumwucbse, den Kräutern innewohnende Seele «u
bezeichnen bestimmt gewesen sein ; falls sie abef wirklich mehrere
Menschen barg, wrd sie dennoch nur ein Wesen dargestfiß
haben. Die Mehrheit oder Vielheit der Insassen kann dabei ^
verschiedene Weise erklärt werden. Entweder sollten dieseW^
durch Vervielfältigung (Multiplication) der Menschenseele V'«
1) Es ist schwierig, von der technischen Herstellung des Gestelles ^
Vorstellung zu gewinnen, wenn dasselbe etwa eine Figur mit ausgestrecJ^
Armen und gespreizten Beinen gebildet hätte, die zur Aufnahme mehr^
Menschen bestimmt waren. Wie hätten die Glieder ohne Stütze die X^
ertragen? Lag der Mensch horizontal darin? Oder waren die Arme 0*
so groß, daß mehrere Menschen darin sitzen konnten? Wie riesig, der
ria in München ähnlich, hätte dann der Koloß sein müssen? Und
dann noch aus KorbgeÜccht möglich? Verzichtete man freilich auf ^
gestaltete Beine, nahm man Stützen zu Hilfe, so konnten immerhin i^^
Art jener niederländischen Riesenbilder in Füßen oder Rumpf mehrere "if-*
sehen verborgen sein.
Ein altgallisches Jahresfener. 538
reise die Macht, Stärke nnd Ucherlegenheit der Seele des
aiuärttcken, oder sie gründen sich auf die Anschauung
3r Mehrheit in einem Leibe wohnender Seelen (o. S. 25).
ön Fällen würden selbst die nach Strabo in den Koloß
worfenen Tiere hinzupassen. Die Frage, ob die außer-
B Itiesenkerls verbrannten Menscten und Tiere etwa die
5 oder ähnliche symbolische Bedeutung hatten, werden
späteren Verlaufe unserer Untersuchungen mit mehr Erfolg
enblicklich verhandeln können. Bemerkt darf jedoch
daß die Gepfählten, welche Strabo und Diodor erwähnen,
Puppen auf den im Frühlingsfeuer verbrannten Bäumen
7 ff.) erinnern, und daß die Katzen, Füchse, Hühner u.s.w.,
¥rir im Johannisfeuer u. s. w. verbrannt sehen, sich
Q als Repi^töentanten von Komdämonen erweisen werden.
l der nämliche Gedanke durch die in der Riesenfignr
ilossenen und durch die nebenher Gepfählten doppelt
3hrfach dargestellt wäre, dieser Pleonasmus dürfte uns
under nehmen, da die Frühlings- und Emtegebräuche
'ach die Erfahrung bestätigen, daß von verschiedenen
er verschiedene Formen eines und des nämlichen Brauches
• Begehung zusammenflössen und zwar um so gewisser,
die letztere eine besonders feierliche und prächtige wird,
r aber hier der Fall, denn augenscheinlich nur wegen
ztlglich reichen und kostspieligen Ausstattimg des viel-
'on einer ganzen Eidgenossenschafl mehrerer Stämme
m Festes war die Feier aus einer jährlichen zu einer
rischen geworden. Analogien bieten die bisher erläuter-
uche in Fülle. Der ursprüngliche Ausritt des Maigrafen
Hildesheim später nur jedes siebente Jahr statt (oben
; der Pfingstritt in Wumilingen alle 2 — 3 Jahre
0),^ die Questenberger Eiche (Maibaum) wird alle 7 Jahre
htet (o. S. 175).* Um Königinhof wird der anderswo jähr-
m Erntefest, zu Fastnacht oder zur Kirch weihe geübte
ehlag" mit besonderem Glänze, aber nur alle 5 Jahre
n,* das zu einer von Tausenden fremder Zuschauer
?ap8t, Fest des Maigrafen. S. 43. Meier 419, 101.
Eleimaun, D. Volksfeste. S. 250.
iTernaleken, Mvthen und Branche, 305.
534 Kapitel VI. Ve^tationsgeiBter : Sonnenzanber.
besuchten SchausteUnng herangewachsene, sehr yerschiedene
und sonstige Frühlingsgebräuche in sich vereinigende Pflngfe
zu Holl jedes siebente Jahr veranstaltet. Zu Greven mtlBsen d
jungen Ehepaare zu Fastnacht alle vier Jahre in den Wasse
kttbel springen (o. S. 491). Man braucht nicht auf das nalm
liegende Beispiel des Oberammergauer Passionsspiels zurflcks
greifen, oder auf die böotischen Daedalen, welche alle 7 Jalm
gefeiert wurden, obwohl sie die jährliche Brautschaft des Ze-i
mit der Hera versinnbildlichten, um gewiß zu werden, daft ^
ganz analoger, in der Natur der Dinge liegender Vorgaj
auch schon vor Posidonius' Zeit in Gallien stattgefunden hat^
konnte.
Der Kulturzustand Galliens zur Zeit des Posidonius y^^
eine Mischung roher Barbarei und nicht unbedeutender Ans&'i
der Bildung auf Unmöglich konnte in diesem 2jeitalter hes
nender Aufklärung das beschriebene Menschenopfer entstand
sein, vielmehr ragt es seihst als ein wahrscheinlich schon dama
nicht mehr recht verständlicher Rest einer noch älteren W^
anschauung der Gallier in die Periode des Marius hinein.
Aus dem Dämmerscheinc, in den fUr unsere Augen ^
Einzelheiten dieses keltischen Ritus gehüllt bleiben, führe
meine Leser zurück in den hellen Tag noch lebender o^
unlängst ausgestorbener Bräuche. Unsere Frühlings- und MT
Hommerteuer bieten der Betrachtung so manche fruchtbare Ein»
heiten dar, daß eine eingehende monographische Behandlung »•
erwünscht wäre. Wir müssen Vieles bei Seite lassen, z. B.
eingehende Erörterung der in die Flammen geworfenen Kran
sowie das dem Johanuisfeuer häufig zugesellte, oft auch tHr '
auftretende Johannisbad in Bach, Strom oder Meer (Myth.* 55
Wolf, Bcitr. 11, 392. 394), das wir gleich dem Begießen zu Of
(o. S. 259) als Regenzauber auffassen würden, wenn nicht
weite bis nach Afrika hinreichende Verbreitung dieser Sit
sehr früher Zeit zu vorsichtigem Urteil mahnte.
§ 10. Fackollauf Ober die Kornfelder. Nur '
Ergänzungen zu den bereits behandelten Eigenschaften der
und Sonnwendfeuer sollen an dierer Stelle Platz finden
unseren Zusammenstellungen geht mit unwiderleglicher Sic^
her\'or, daß ein Fackelzug zu den wesentlichen Bestar
aller Arten unserer Jahresfeuer gehörte. Entweder zo
Faekellaaf über die Kornfelder. 535
schon mit flammendeu Fackeln anf die Anhöhe, wo das groBe
FitUdings- oder Sonnwendteaer entloht wurde, oder man zündete
sie erst oben in demselben an, tanzte tobend und mit exsta-
tischen Sprüngen rings umher und lief dann talwärts
durch die Gesammtheit der zum Anbau dienenden Fel-
der (den Ekich, Oeseh, goth. atisks, ahd. ezzisc, bei Notker „der
heilego ezesg^' Gram. II, 373). Vicliach wurde nicht mehr auf
Berggipfeln, sondern auf den Äckern selbst das Feuer entloht;
oder die ganze Begehung schrumpfte auf den Umlauf mit den
Bränden durch die Saatfelder zusammen. Vorzugsweise trat dies
bei den Feuern am Sonntage nach Fasten ein. Auf diese Weise
erlangten losgerissene Stücke des alten Brauches eine individuelle
Selbstständigkeit: oft vielleicht nicht anders als scheinbar, inso-
fern nur die Berichte der übrigen Bestandteile der Sitte
geschweigen. Es frommt, diese Verhältnisse nach Anleitung der
nachstehenden Tatsachen klar zu durchschauen.
Um Rottweil wurde am weißen Sonntage (Invocavit) im
Winterösch ein Feuer angezündet, um der Saat Gedeihen zu
erflehen und unter lautem Abbeten des Kosenkranzes umher-
gelaufen; nachher zündete man Stangen mit Strohzöpfen an,
schwang sie und sprang über das Feuer. Dann erbettelten die
Baben von Haus zu Hause Victualien. * In Wurmlingen dagegen
w>gen die Knaben mit schon brennenden Fackeln (aus Stroh
inwendig Späne oder aus Holz von ungeheurer Länge und mit
Harz bestrichen) bei einbrechender Nacht auf den angeblümten
Oesch hinaus, um die eben aufkeimende Saat den Sommer
hindurch voV Blitz und Hagel zu schützen.^ Noch in vie-
*®D anderen schwäbischen Orten ist diese Faekelprozession auf
^^n Kornösch, das mit lautem Jubelgeschrei bewerkstelligte
-^üf- und Abziehen im Fruchtfelde, wo häufig so eben
^^Bt der Schnee zu schmelzen beginnt, und schließlich die
Einforderung einer Steuer von Speck und Eiern dafür üblich
^d führt den Namen der Fackclgang, das Saatleuchten
^der Samen zun den („der Same wird gezündet")- In benach-
'*^rten Orten tritt daitlr ein Fackelgang auf die an die Dörfer
Si^enzenden Höhen ein. Jene Namen sagen deutlich Zweck und
1) ßirlinger II, 1U9, 134.
2) Birlinger U, 108, 133.
536 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzauber.
Meinung der Ceremonie aus, die jedesfalls nieht, wie das sehwi^^
bische Volk glaubt , aus einer Nachahmung der Gefimgennilim^
Jesu auf dem Oelberge entstand. Wir werden kaum irre geh<
wenn wir annehmen^ daß die wild geschwungenen , mehrÜMf
durch die Luft geworfenen Fackeln die Blitze darsteUi
sollten, von denen man meinte, daß sie in segenbringender Foi
auftretend der Pflanzenwelt den Lebeusfunken mitteilen, währei
ihre verderbenbringende Form im Unwetter die Saaten yemi(
tönd niederfährt. Wie der Donnerkeil auf dem Heerde den BUI
vom Hause abhalten soll (similia similibus), gelten daher
die den Blitz sinnbildlich darstellenden angekohlten Scheite
Fackelstümpfe ins Feld oder unter das Dach gesteckt als Am^B
lette gegen vernichtenden Wetterschlag und Hagelschlossen. 1^
Frankreich war der Sonntag Invocavit von seinem Fackelnmzu^H
le jour des brandons schon a. 1222 dominica brandonui^H
oder kurzweg brandones benannt, wie sich dafUr 1254 in Lothring^E
der Name burae, 1251 dies focorum belegen läßt' Im Jui^
laufen die Kinder bei anbrechender Nacht mit Strohfacke!^B
ttber Berge und Felder, indem sie rufen: „plus de fruits qi
de feuilles.'^ In Loire et Cher glauben die Bauern die Fei
mause, in anderen Gegenden die Maulwürfe, das Unkraut ui
den Mehltau fernzuhalten, indem sie mit brennenden Facke
über die eingesäten Felder laufen; in der Champagne tun i\
wieder die Knaben, aber die Alten machen von dieser Ceremoi
ihre Beruhigung über den Ausfall der Obst- und Kornernte
bängig. In Yalenciennes rannten die Buben mit Pechfackel
„bouhours^' genannt, durch die Straßen und sangen:
Bour peunies poires (d. i. beurrc, pommes)
Des ceriscs noires! u. s. w.«
Daß auch in Frankreich diese Fackelumgänge nur Ablösungen
des vollständigeren Brauches waren, geht nicht allein aus älterei
Zeugnissen, noch aus noch heute erhaltenen vollständigere!
Begehungen, welche an diesem Tage das Fackelschwingen
1) Birlinger U, 65, 76. 71, 83. 72, 85.
2) Du Gange ed. Henschel s. v. v.
3) Mad. Clement, histoire des fetes du Dep. du Nord. Paris 1834 —
p. 350 ff. Wolf, Beitr. 1, 76. Thiers, Traite des Superstitions. Paris 1697.—
bei Liebrecht, Gcrvasius von Tilbury 220, 118.
Fackellaaf ober die Kornfelder. 587
das Scheibenwerfen und jene Proklamierung der
Liebespaare (Valentins und Valentinen) mit einem großen
Freadenfeuer vereinigen (s. o. S. 456)/ sondern auch aus
den Reimen hervor, die anderswo z. B. bei Chartres bei der
ITintragimg der Strohfackeln durch die Saatfelder gesungen wer-
den,' Verse, welche deutlich auf die dem Valentinbrauche zu
Grunde liegende Vorstellung der Lenzbuhlschaft hinweisen.
Diesen Fastnachtsgebräuchen stellen sich Begehungen der
Weihnachtszeit zur Seite. In einigen Communen der Normandie
laofen die jungen Bauern am h. Dreikönigsabende mit Stroh-
fackehi durch die Felder und rings um die Hofstätten. Im D^p.
de rOme, wo der Brauch coulines^ heißt, durchläuft man vor-
zugsweise die' mit Bim- und Apfelbäumen bepflanzten Gründe,
umkreist jeden Baum, brennt ihm mit der Fackel das Moos ab
und ruft:
1) 8. da Gange s. v. v. BraDdones, burae. Lit. remiss. ann. 1395:
OoiiuQe il soit de coostnme en la ville de Jaugcs et an pais d'environ de
^^€ cbacnn an le jonr des brandons apres sonpper fem ausqnelz les bonnes
Ifens ont aoeoustamo d*eulz asseinbler, dancier et les jeunes valles et enfans
* sauter par-dessus iceulx feux , quant il sont appetissiez. Ann. 1414 : Comme
" ©st acconstnme cbascnn an lo Diniancbc des Brandons faire esbatements
*^ dances environ le soir et avoir des faloz a bouchons de feurre boutez en
°^ baston et mettre le feu deden en les appellant les brandons. Zu
^brechies in franz. Flandern ist der Packellauf durcli die Felder mit einem
^oßen Feuer von Stroh verbunden „nomme el feu reu ou feux heureux,
^®*ge auquel les parent« eux memes att%ichent des idees de prosperite.
^^ch in französischen Gegenden steckte man Brände vom großen Freuden-
feUer des jour des brandons in die Gärten, um ihr Gedeiben zu fordern und
^oße Zwiebeln zu erzielen. Tbiers a. a. 0. 231, 149.
• 2) Brandons brulez
Pour les fiUes a marier.
^lemoires de Tacademie celtique IV, 242. Anderswo:
Brandeions brulez
Par ces vignes, par ces bles!
Brandeions brulez
Pour ces filles ä marier!
Barauf schreit man: Mais les vieilles n'en auront pas. Memoires des
antiqiiaijes I, 237.
3) Von couler, fließen, herablaufen, herunterrollen, kullern. Man rollte
^bei ^q1 aucb flammende Räder von den Anhöben und daher der Name,
®' jetzt den „brandons" zukommt.
538 Kapitel VI. Vegotationsgeister: Sonnenzaaber.
Taupes et mnlots, sortez de mon enclos,
Ou je V0U8 brülerai la barbc et les os.
Bon jour, les rois, jusqu' a douze mois.
Douzc mois passes, rois revenez.
Charge pommier, Charge poirier!
A chaque potite branchette,
Tout plein ma grande poachette.
Sind die meisten Fackeln (coulines) niedergebrannt, so vereinigt
man die übrigen zu einem gemeinsamen stürmischen
Laufe fouee* oder bourguel^e, den ein paar Pater noster, die
Wiederholung jenes Sanges und der Ruf „Adieu, les roi«!
beschließen.* Am Abende des nämlichen Tages (on the eve of
twelfth-day) versammelt in Gloucestershire an der Grenze von
Worcestershire, ebenso in Herefordshire jeder Farmer 8ci.«c
Dienstleute und Freunde auf einem mit Winterweizen besäfc^i^
Felde, auf dem die grüne Saat zu sprossen beginnt (wh^^e
wheate is growing). Dort zünden sie auf der höchsten Stelle ci. e«
Ackers zwölf kleine Feuer und ein großes an, welches alle, ciw
Gutsherr an der Spitze, im Kreise umringen, nach Herzensl«^»*
Apfelwein trinkend und in lautes gemeinsames Jubelgeschrei W- "*^
Hailohrufe ausbrechend, die oft von 50 — 60 Feuern her da«r"cli
die Arbeiter der benachbarten Dörfer und Felder beantwor^^^
werden. Nach Hause zurückgekehrt, trinkt man allen l^lugo^-^"^'
sen im Stalle zu , und spießt dem Hauptochsen einen durchlöel»^ ^''
ten Kuchen feierlich auf das Hörn. Diese Begehung hc^ ^^^
wassailing, d. h. das Gut -Heil wünschen;^ der dem Ochsen ^^'^^'
gesetzte Kuchen bezeichnet sichtlich die Fruchtbarkeit des
ihm bestellten oder zu bestellenden • Ackers. Man vgl. nur
bereits oben S. 813 beigebrachte russische Sitte des St Geo
tages, wonach ein ganz in Grün gekleideter Jüngli ^^'^^
die Fackel schwingend auf dem Kopfe einen rund
on
ie
n,
1) „füuee eine Art zu jagen des Nachts bei hellem Feuer längst *^
Gehege.'* .|
2) De Nore p. 253. Cf. Mercure Frany. ann. 1740 Febr. p. 2G6 A 1^^
p. 660 bei Du Cange s. o. flambard.
8) Brand ed. Ellis 1 , 30. 33. Meistenteils bestand das „Watsai^
,,Wa}?sailing" nur darin, dali man den Obstbäumen im Garten zutrank ^
der Aufforderung, viele Früchte zu bringen. (Brand a. a. 0. I, 29 ff.) zu^^^
len aber war damit auch der Schlag mit der Lebensrute verbun^^^^^^
(0. S. 276).
Fackellanf fiber dio Kornfelder. 589
nengeschmtlckten Kuchen auf die besäte Flur
;ty wo man den Kuchen in die Erde legt, ein
ies Feuer anzündet und umhertanzt. Jetzt wird uns
auch die Bedeutung der runden, durchlöcherten Kuchen
kenringe) klar, welche in Schwaben am Invocavit^onntage
) Mädchen ihrem Liebhaber, resp. Scheibenschläger zu geben
Uen ist Wenn jener mssische Georgstagsgebrauch und die
sehe Epiphaniassitte nicht christlichen Ursprungs sind, so
len die nachstehenden kirchlichen Sitten um so entschiedener
)riesterlichc Umänderungen älterer Volksgebräuche betrachtet
len. In Ca^'n liefen die Kinder am Weihnachtsabende mit
irbränden und bunten Laternen durch die Straßen und riefen:
u No^'l, Nofe'l s'en va. — „Flambard (fax taeda) vocant
enses lignum fnmo cortice avulso ezsiccatum atque ad medium
e fissum, quod in vigilia Natalis Domini clerus populnsque
ront circa forum tectum eiusdem civitatis, supplicantium
le quamvis festinanter procedentcs ad ecclesiam, ante cüius
im projiciuntur hujusmodi faces, ubi absnmuntur clero decan-
I hymnum „veni redemptor gentium '^ et populo clamante:
»1
•
Italiänischc Sitte war es, die Lenzpaare beim Märzfeuer
>. 455), in der Nacht zum 1. März auszurufen. Auch in fran-
chen Orten geschah es bisweilen am ersten Somitage im
.. Dem entspricht, daß nach Thicrs in manchen (fegenden
kreichs, nach Polydorus Virgilius auch in Urabrien die Kin-
am 1. Mära mit Bränden durch die Felder rennen der
r u c h t u u g h a l b e r. 2 In Wälsch - Tirol (Luserna) zündet man
letzten Sonntage im März Reisig und Strohblischel auf hoßen
gen an, während die Kinder mit Schellen und
cken läuten und schreien zum Jubel, daß der Winter
1) Du ('äuge s. v. Noel. Ganz abgeschlilfen , wo nicht ganz nnab-
g vom praktischen Bedürfnisse geschaffen ist der schwedische Brnacfa»
riesigen^ bis 12' langen Fackeln (Jnla-tannar von tända anzün-
j^enannt) am Weihnachtsabende zur Kirche zu ziehen und dieselben vor
örchtüre auf einen Scheiterhaufen zusammenzuwerfen. Hylten - Caval-
Värend I, 160. 2%. Ödman, Hägkomster frän Hembygden. üpsala
p. 25 bei Liebrecht Gervasius p. r>8.
2) Thiers a. a. 0. 233 , 159. Polydor Vergilius de inventione reram V, 2.
540 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzaaber.
vorüber ist. Mail heißt diese Flammen Märzenfeuer.* E^ie
Knaben der VII. Communi zünden «am letzten Februar o<i ^r
1. März auf einer Anhöhe Haufen von Holz und Stroh s^n,
springen mit Schellen in der Hand umher und ni±'^^3n
durch die Gassen ziehend: Merzo, Merzo, du pist da, sehelVa,
schella küme, de kapütsen saint garivet.^
§11. Komaufif ecken , Perehtelspr I n gen , Fasehingsm 'mmk-
IBnfe. Hier sehen wir emen neuen Zug in den Brauch ein^i^sr«-
ten, bei dem Umzüge über die Felder wird mit Glock. ^^n
geläutet. Mit dem Feuer- oder Fackellaufe verbunden t;i:— itt
dieser Zug noch an mehreren Orten auf, an anderen nimmt <st
selbstständig die Stelle des Fackellaufes ein. Zu Ulten rollt na ^nn
in den letzten Faschingstagen l)rennende Reisig- oder StrohbtiKa-
del über die Saatfelder hinab und nennt dies das KomaufwecJMr:^^'
In Proveis zünden die älteren Buben am Kässonntage (Invocav — ^t)
auf Wiesen und Aeckem große Feuer an und schießen mit Böc^ ^
sen und Pistolen, indeß die kleineren mit Schellen und Glock^^'^
„das Korn aufwecken/' indem sie klingelnd und schreiend w^^^
rasend durch die Felder laufen. Im Unterinntal „läuten" d^^ ^
Buben am 24. April „das Gras aus," d.h. sie läuten, damr'^
das Gras herauskomme , indem sie paarweise geordnet mit Schel-
len, Kuh- und Dachglocken unter schallendem Geläute auf di<
Dorffluren ziehen; rückkehrend erhalten sie bei manchem Hause, ^
dessen Felder vom Zuge berührt wurden, Brod, Butter, Käse
oder Geld. Mehrere Masken, der starke Melker, der berußte
Wurzengräber, der Iludler (vgl. o. S. 269) sind im Zuge. In
einigen Orten des Pinzgaus und Unterinntals hat das „Gras-
ausläuten" am ersten Mai statt. Im Vinstgau behängen sich
die Knaben schon zu Petri Stuhlfeier (22. Februar) mit großen
Schellen und Kuhglocken und läuten nach lärmendem Um-
laufe durchs Dorf vor allen Häusern. Dies heißt „rfeu Lnngas
(Le)iz) wccken,^^^ Zu Castasegna im Bergell an der lombardi-
schen Grenze ist es regelrecht wieder der erste März, der
1) Zingerle, Sitten« 143,1243.
2) Schmeller, W. B.« 732.
3) Zingerle, Sitten =^ 137,1202. 141,1227. 144,1233. 154,1310. 133.
1183. Zs. f. D. Myth. I, 287. H. 3G0, 6. III, 339. Alpenburg, Mythen
S. 351 „Das Frühlingswecken.'* Vgl. L. v. Hönnann, der heber gat in litun.
Innsbruck 1873. S. 47, 131 — 134; S. 44, 121.
Eornanfwecken , Perchtelspringen , FaschingsnmläQ/e. 641
der Märzfeuer und des Fackellaufes , sowie des römisehen
Jahresanfanges (vgl. o. S. 155. 593) , an dem alle Knaben mit
papiemen Offiziershttten geschmückt in militärischer Ordnung das
r>orf unter AntUhrung eines Hornbläsers und eines Trommel-
sehlägers mehrmals hinauf- und hinunterschreiten, indem sie
sämmtlich mit Kuhsehellen läuten. Als den Zweck ihres Umzugs
S^bcn sie an: ,yWir machen y daß das Gras wächst.^' Dafllr
erheben sie Nachmittags von den Haushaltimgen den üblichen
Tribut von Wein, Brod, Kastanien,. Aepfeln u. s. w.* Noch in
msuichen anderen Orten Graubündcns zieht die Jugend mit großen
und kleinen Kuhglocken behängt am 1. März durch die l>enach-
borten Dorfschaften und singt vor jedem Hause, wo man frei-
gebigeBewohner erwartet:
Calonda Mars, Calond' Avril:
Laschai las vaccas or d'nvil.^
Es ist lehrreich , noch weitere Formen dieses Frühlingsbrau-
clies zu verfolgen.
Am unsinnigen Pfinztag (Donnerstag vor Fastnacht) laufen
um Hall, Insbruck, Götzens, Ambras die Hexen und Hutler, d. h.
^ntgekleidete mit Besen und Peitschen versehene Jungen, wel-
che das Fastnachtsrößlein , ein künstliches Roß und seinen Reiter
begleiten, knallen und kehren die Zuschauer mit kotigen Besen
»b. Ihr Umzug gilt als unerläßlich, damit der Flachs
^nd Mais gedeihe; jemehr Hutler gehen, desto bes-
ser schlägt die Ernte aus.^
In vielen Dörfern des Vinstgaues laufen am unsinnigen Don-
nerstage und Fastnachtsdienstage die Schemen herum; Bursche,
^*^ Gesichter mit Ruß geschwärzt oder mit schwarzem
^^^che vermummt, welche Hemden als Röcke und Riemen
^^^^ je einer großen Kuhschelle als Schärpen tragen und
^^ Begegnenden mit Kohlenstaub anschwärzen. In ihrem Zuge
^blt niemals ein als Weib verkleideter Bursch ,,die Maie oder
^tthele-Maia," der Wasser in einem Kübel trägt und die Um-
^ 1) G. Leonhardi, Rhätische Sitten und Gebräuche. St. Gallen 1B44.
^- 4. 5.
2) Rochhülz, Alem. Kinderlied 505, 100:
„Der erste März und dann April,
hinaus was aus dem Stalle will.''
8) Zingerle, Sitten* 135, 11%. 139, 1211 — 12.
542 Kapitel VI. Vcgetationsgeister : Sonnenzanber.
stehenden bespritzt j oder sogar in die Brunnentröge springt ni
Wasser nach allen Seiten wirft.* (Regenzauber.)
Bei Lienz fand am letzten Faschingsabende das Perchtei
laufen statt y eine Art Maskenzug , die Vermummten hieSen Perd
ten ; man unterschied sie in schöne und schieche (häßliche). AI
trugen auf dem Kopfe eine große Schellenspitzhaabe m
Rollen und Glöckchen rings umhängen, vor de
Gesichte Larven und in der Hand Stöcke, die der schöm
waren mit bunten Bändern geziert, die der häßlichen endij
ten in einen Teufelskopf Sie sprangen und stürmten in wildi
Lust tobend und rasend über die Gassen und in die Häose
Gab es kein gutes Erntejahr, so schrieb man die Mü
ernte dem unterlassenen Perchtenspringen zu.^ In Mi
tersill bilden acht bis zehn rüstige Bursche eine Gesellschaf
zwei von ihnen stellen häßliche, mit Besen bewaffnete Geselle
vor, die Berchten. Ihnen folgt ein buntes Gesindel von Han
Würsten u. s. w., dann die Tänzer mit festauliegenden , buntb
bänderten Kleidern, auf dem Haupte eine Krone von Hahne:
federn , von wo unzählige lichtfarbenc Bänder auf Schultern ni
Rücken herabflattcm. Eine Larve verdeckt ihr Gesicht, a
Ende des Rückens haben sie eine Alpenglocke angehäng
die den Fußschlag der tanzenden Gruppe accompagniert. i:
ziehen sie von Pfarre zu Pfarre und begrüßen die besseren Häi
ser, wo ihnen der Tanz mit Brod und Branntwein gelohnt wird
Der Name Perchteln ist eine Uebertragung aus dem Epiphania
gebrauche. Denn an den „Perchtenabend," die h. Dreikönig
nacht (Jan. 5.) knüpfte sich die besprochene Sitte ebenfaUs no
daher hatten die Festteilnehmer den Namen Perchteln oder Percl
ten erhalten;^ von da aus erscheint Spiel und Name auf d
ganze Zeit der Zwölften, ja auf die Adventszeit rückwärts au;
gedehnt. In den Rauchnächten (den drei Donnerstagen vor Weil
nachten), ziehen im Pinzgau 100—300 Bursche, die Perchtei
in seltsamster Yermummung mit Kuhglocken und knallei
1) Zingerle a. a. 0. 136, 1198. 1200.
2) Zingerle a. a. 0. 138 — 39, 1209—10. B. Weber, Tirol, IJ, 174.
3) B. Weber bei Runge, der BerchtoUlstag in der Schweiz. Züri<
1857. S. 17. Vernaleken . Alpensagen S. 350. 20.
4) Belege ans Dux and Kössen bei Zingerle a. a. 0. 128, 1148. 1150.
Eonutufwerfen , Perchtelspringon , FaschingsmnUlnfe. 543
den Peitschen bewaffnet umher; im Gasteiner Tal geht der
^Qg, den lustige Burschen bis dreihundert anführen, httpfend und
jpringend von Ort zu Ort, von Haus zu Haus.^ Solche Sitte
des Perchtenspringens oder Pcrchtenlaufens ist über die
ganzen deutschen Alpen verbreitet. In Kalw und Betzingen bei
Tübingen kennt man die Sache ohne den Namen. Am h. Weih-
nachtsabend laufen die Knaben, lange Stecken in der Hand
mit Riemen voll Kuhschellen behängt von früh bis spät
durch den Ort und lärmen und läuten. Vor dem Hause des Pfar-
ren werden sie mit Aepfeln beschenkt.^ In Donaueschingen und
um Tuttlingen läuft am schmutzigen Donnerstage und den Fa-
scliingstagen der Hanseli in den Straßen herum. Er trägt einen
Fuchsschwanz im Nacken, große Sträuße von Papier und Flit-
tergold am Kopfe; sein Gesicht deckt eine schön lackierte höl-
zerne Larve; auf Rücken, Bauch und Beinen sieht man allerlei
gemalte Figuren, über der Brust kreuzen sich zwei mit Schellen
besetzte Lederriemen, die einen ohrzerreißendeu Lärm geben,
zunal wenn mehrere Hanselis zusammenkommen. In Donau-
eaohingen wirft der Hansel Aepfel und Birnen unter die Kinder
^Ufi.' In Baiem (Lcchrain) heißt der Donnerstag vor Fastnacht
der gumpige Donnerstag (von gunipeu, lustige Sprünge machen),
östnn besuchen die Buben des einen Dorfes das andere, alle
Verkleidet und im Gesichte durch Bemalung mit Ruß und Mehl
unkenntlich gemacht. Li Bettlaken gehüllt, den Schellenkranz
d.er Rosse um den Leib, das Haupt mit Hahnenfedern geziert,
d^Ä sind die gewöhnlichen Masken, deren Anführer der Schel-
l^rwrührer heißt.* Nach der Mitteilung des Herrn Professor
K., Säve in Upsala banden auch in Dalamc die Kinder Früh-
jcklirs alle erreichbaren Kuh- und Ziegenschellen zusammen und
rfefen: „längt- lain! längt -lain!" (langer Flachs!)
Durch ganz Deutschland und Skandinavien war der Umlauf
Vermummter zu Weihnachten oder Neujahr oder za Fastnacht
gelrUuchlich und überall trug er wesentlich denselben Gharacter.
1) Myth.« 256.
2) Meier 464 , 212. \^\. den Aufzug der Frau Perchtel im Salzbur-
^®«h€n und im MöUtal in Kärnten. Weinhold, Weihnachtsspiele S. 20.
3) Reinsberg-Düringsfeld, das festliche Jahr. S. 38.
4) Leoprechting , Aus dem Lcchrain 160, 26.
544 Kapitel VI. Yegetationsgeister: Sonnenzanber.
Ans Geilers von Kaisersberg Schilderung der Fastnachtiiarp
oder Butznarren geht hervor, daß im Elsaß die Teihiehmer i
demselben ,, vermummt und rerbutzt waren, Schellen tragen, si
das Gesicht schwarz bebrämt, berußt oder besudelt hatten , A
unsinnig geberdeten, als sei der Teufel in sie gefahren, t*
einem Hanse zum andern liefen und in die Stuben, selbst in i
Schlafzinuner drangen, um, wie sie sagten, das Küchlein (i
Fastnachtsbretzel) zu holen/' Sebast. Franck, Weltbach 16:
f. L^ schildert die Fastnacht der Frauken: „Etlich machen si
als die teafel, etlich lauffend nackend on alle schäm gar ei
plößt durch die statt. Etlich das sy kein schäm habend V(
butzen sy sich in laruen vnnd schönpart, das man sy nit ken
nit seer vngleich den heydnischen Luperealischen festen. Fem
f. CXXXI* von der Faßnacht der römischen Christen flberhaa}
An diesem fest pflegt man vil kurtzweil, spectackel, spil zu h
ten mit stechen, thurni^ren, tantzen, rockenfahrt, faßnad
spil. Da verkleiden sich die lettt, lauffen wie narren vnd vns
nigen in der statt vmb, mit mancherley abentheur vnd fantas
Was sy erdencken mögen, wer ettwas närrisch erdenckt der
meyster. Da sihet man in seltzamer rilstung seltzame mumn
rei, die frawen in mannskleydern, vnd die mann in wei
lieber waat. — Die herren haben yhr faßnacht an ein«
Sontag, darnach auff den afftermontag die Leyen. In somi
man fahet daran an allen mötwill vnd kurtzweil. Etlich laufl
on alle schäm allerding nackend umm. Etlich kriechen a
allen vieren wie die thier, etlich brütlen narren auß, etlich sei
mtinch, künig etc. auflf diß fest, des wol lachens werdt ist I
lieh gehen auff hohen steltzen mit flügeln vnd langen schnäb
seind storcken. Etlich Bereu, etlich wild Holtzleut, etü
Teufel ." Sebastian Franck schöpft aus Bo^-mus An
nus (mores, leges et ritus omnium gentium L. DI): Qui se lu
cro illi committunt, facies larvis obducunt, sexum et aetat
mentientes viri mulierum vestimenta, mulieres virorum indui
Quidam satyros aut malos daemones potius repraesentare volen
minis se aut atramento tingunt habituque nefando detorpa
alii nudi discurrentes Lupercos aguut .... per urbem vagan
obvios .... saccis cinere refertis percutiunt.^ Thomas Naoge
1) Jo. Bo(!mas Aubanus. Mores, Lugdnni 1576 p. 277.
Komanfweckeii , PerchtelspriDgcn , Faschingsumlänfe. 545
Sos^flihrt diese Schildenmg weiter aus. Man stellte Schein-
Hmpfe an (sunt qni concnrrant infestis eminns hastis,
*nt pngnam armati^coeptent), das Publicum nahm Partei fllr
<fie eine oder die andere Seite und lohnte die Sieger mit einer
S^ewissen Quantität Wein. Andere liefen in Tenfelsgestalt mit
jesehwärztem Gesicht durch die Stadt. (Ast alii hojribiles vul-
tua torramqne fignram Daemonis induti tota spaciantur in urbe,
Ätque occurrentes terrent, puerosque sequuntur u. s. w.*) In
größeren Städten^ in Nürnberg, wo die Umlaufenden Schemen,
Schembarte, Schftnbarte genannt waren,* und in Köln,* waren
die Umzüge schon früh .mit aller Art Pomp und fremdartigem
Beiwerk beladen worden, gewisse Grundztige blieben aber durch-
stellend und fast überall wiederkehrend. Dazu gehörte 1) ein
Migeberdiger Lauf durch die Straßen, sodann 2) Vermum-
Daung oder Schwärzung der Gesichter (hieraus ist sichtlich
CTBt die Teufelslarve entstanden und abgeleitet), 3) die Aus-
rüstung mit Schellen, 4) der Kleidcrtausch zwischen den Geschlech-
tern, 5) die Einkehr in die Häuser, um Victualien, zumal „das
Küchlein," d.h. die sogenannten Fastnachtbretzeln, d.h.
ringförmige, oder Fastnacht f laden, d.h. runde scheiben-
termige Fasttagsgebäeke abzuholen,* welche den o. S. 406 bespro-
<^lienen Funkenringen entsprechen und somit an eine einstige
Verbindung des Umlaufs mit dem Frtthlingsfeuer erinneni. Da
^elfach (z. B. im Harz) Bretzeln den Entgelt der Mädchen an
die Burschen für das Stäupen mit Birkenzweigen ausmachen,
erteilt auch hier wieder die nahe Verwandtscliaft der Fastnachts-
Daüniinerei mit dem Umzüge behufs des Schlags mit der Lebens -
'^te. Das Abholen der Bretzel weist zugleich auf jene ältere
Q^ßtalt des Umzugs zurück, wonach man einst als Tribut ttir
1) Regnum PapiBticum L. IV. Basileae 1559. p. 140 iF.
2) Vgl. die Markgräfl. Brandenburgisch - Culmbachische Polizeiordnung
^*^o 1622, worin auch das „ scliändliche Mummen oder Kastnachtkleiden "
streng verboten wird: „da die Fniwen in Manns-, und der Mann in Frawenklei-
^^'^, auch wol des bösen Feinds Gestalt, oder sonst abschcwlich und grew-
^^" sich verstellen und verkleiden."
3) Panzer 11,246—50.
4) Journal von und für Deutschland 1785. S. 452.
i . ^) VffJ- ä^ch die Gerichtsordnung des Klosters Adelsberg v. J. 1502
j^^ ^esold, Docum. rediv. Monaat. Wirtemberg. p. m 70. Haltaus - Scheffer,
*^>^€itbiich. Erlangen 1797. p. 203.
^^nnkmrdt. 35
546 Kapitel VI. VegctatioDsgeister: Sonnenzaaber.
eine durch denselben volUtihrte segensreiche Leistung von
Hausstande als Steuer den Kuchen erhob. Wir müssen es
versagen, auf die niederdeutsche und skandinavische Form
Gamevals (Schodüwellöp , Fastclaunslöben) näher einzugehesn.
Ich will nur darauf aufmerksam macheu, daß wir fast alle jer^e
Züge, das Schwärzen des Gesichtes (o. S. 322. 336. 365«J|^
den Kleiaertausch der Geschlechter (o. S. 412), dS. e
Schellen 1 (o. S. 325. 327. 334. 416. 440) schon bei den Repr»-
sentanten des Vegetationsdämons (Herbstschmudl , FfingsÜttmm^I,
Maikönig, Schnak, Kudemest, wilde Mann, Hans Trai>p,
St Niclas, Jarilo), dem Frühlingsbrautpaar antrafen. SchelL^n
trugen auch die Nürnberger Schönbartläufer an Hals, Gürtel ossd
Kinn, nicht minder an den Knien die Schwerttänzer in Hessen,
Ditmarschen, Schlesien und Schweden;^ die englischen Morris
dancers, die zu Ostern, am Maitage, zu Himmelfahrt, Pfingsi^ieii
und auf Hochzeiten auftraten, zu deren ältestem Personale die
Lady of the May, May queen, der Narr, der Pfeifer, mehrere
Tänzer^ und wol auch das dem (o. S. 541) erwähnten Fastnack'fc»-
rößlein entsprechende Hobbyhorse gehörten, hatten sowohl nai*
Ruß geschwärzte Gesichter,^ als Schellen an den Beinen. AJ^l^
1) Vgl. Weinhold, Weihnachtspiele S. 22.
2) MüUenhoff , Schwerttanz S. 16. 21. 13. 15.
3) Diesen Bestand weist n. a. das zwischen 1460 — 1470 verferti^^^
Bild des Israel von Mecheln (Douce lUastrations of Shakespeare U , 446) »."Cft^'
Später hieß die Lady: ,,Maid Marfan." Ein unter Jacob I. von Vinkenbo <^*'*
verfertigtes Gemälde zeigt 7 Figuren, Narr, Hobby -horse, Maid
und 3 Tänzer (Douce a. a. 0. 470). Der Name Maid Marfan ist augensche
lieh aus einem französischen Pfingstspielc herübergenommen, le jea du b
ger et de la bergere , das zur Zeit des lebhaften Verkehrs während der e
lisch französischen Krfege saec. XIV — XV in Frankreich sehr beliebt
und in welchem Robin uiüd Maid Marfan die Hauptcharaktere waren,
du Gange s. v. Bobinetus. Liter, remiss. a. 1392: Jehan le Begne et ci
ou six autres escolicrs , ses compagnons s'en alerent jouer par la ville d'
giers, Robin et Marion, ainsi qu'il accoustum4 de faire chascun an 1-
foiriez de Penthecouste en la ditto ville d'Angiers par les gens du pa>'^ *^
tant par les escoliers et filz de bourgois comme autres. Daher denn die U
taufe des an Seite der Mylady auftretenden Lord of the May in Robin od
Robin Hood. Cf. Douce a. a. 0. 451. Man sieht den Ungrund der bei deit
sehen Mythologen so beliebten Identifizierung von Robin Hood und Woda^
Als weitere Personen der Morrfstänze kamen noch hinzu Little John,
Tuck, endlich noch zuweilen ein Drache und St. Georg.
4) Junius (Du Jon) has informed us (Etymologicum Anglicanom)
the morris dancers usually blackcned their faces witb soot, that they
Komanfireckeii , Pcrchtelspringon , Faschingsnmläiife. 547
diese Spiele sind im wesentlichen mimische Frühlingsgebräuche
7on rerwandtem, mythischem Inhalte. Gehört zur Ausrüstung
ihrer Figuren die Schelle seit alter Zeit und so zu sagen begrifFs-
ocüiügy oder ist sie erst im 14. oder 15. Jahrhundert, als diese
Tracht in Deutschland flir den Adel und die vornehmen Bürger,
in Frankreich und England auch für die Narren allgemein wurde, ^
in jene Darstellungen hineingetragen worden? Ist letzteres der
Fall, und daßir spricht beim ersten Anschein die Uebereinstim-
mang des Aufputzes mit dem im Ausgange des Mittelalters
gebräuchlichen, so gehören die Schellen weder beim Komauf-
w^ecken, Grasausläuten, noch beim Perchtelspringen (o. S. 542)
nun wesentlichen Bestände des Brauches, und das laute unsin-
^ige Geschrei beim Umlauf durch die Felder dürfte der
W'eckruf gewesen sein, durch den man vordem die schlafende
Vegetation wieder ins Leben zu bringen resp. die Geister des
^odes und Mißwachses zu bannen vermeinte. Die Hutler o. S. 541
»bedienen sich ja zu gleichem Zwecke nur des Peitschengeknalles.
W^er Auffassung stellen sich doch nicht unwichtige Bedenken
^Ätgegen. Ließe es sich auch als abgeleitete, durch Umdeutung
^'^tstandene Form begreifen, daß zuweilen (vgl. z. B. den Kuder-
|*«st 0. S. 325, die Knaben der VIL communi o. S. 540) die Glocke
'^ der Hand statt an der Kleidung getragen wird, so scheint es
^^ch ohne die Annahme eines schon älteren Vorhandenseins der
^^helle in diesen mythischen Darstellungen schwer erklärlich,
^^^ dieselbe nicht allein in die Krone des Maikönigs (o. S. 342)
^^d das Laubgestell des Latzmanns (o. S. 325), sondern auch an
^^ Kleidung des russischen Jarilo (S. 416) und auf den Rücken
^^8 die Getreidehenne am Shrove - Tuesday darstellenden Spielers
^ England (S. 327) geriet. Da diese Schaustellungen schwerlich
'^om Perchtelspringen zu trennen sind, erscheint mir die zunächst
^^<5h darbietende einfache Erklärung, wie der Klang der
S^Weihten Kirchenglocke vermeintlich die Wetterdä-
^^^ better pass for Morris. Douce a. a. 0. 434. Sollte nicht der Name Mor-
^^8 dancers, Morris dances (in den ältesten Erwähnungen in den Churchwar-
deiu Books of Kinston up Thames unter Heinrich VII. Mores dawnsars,
^ores garments) einfach daher rühren , daß man die im Gesichte gcschwärz-
^^ Tänzer als Mohren auslegte?
1) S. J. Falke, die deutsche Trachten- und Modenwelt. Lpzg. 1858.
■^l. 1, 149. 236—245,
548 Kapitel YL YegctatioDsgeister: Sonnenzaaber.
monen vertreibt/ solle das Glockengeläute auf den AI
men die dem Wiesenwuchs feindlichen Geister vernich
ten, nicht ausreichend. Die Glocken und Schellen der Pereb
teln u. s. w. sind ja auch weder ELirchenglocken , noch geweihi
Die Redensart ^^das Korn anfwecken, den Langas wecken/^ aeti
Personification des vegetativen Lebens voraus. Durch den Hnd
1er (o. S. 268. 541) vermitteln sich der Umlauf zum Komaai
wecken und jener Umlauf mit der Lebensrute zum Aufwecke]
der Langschläfer, auch die Perchteln tragen noch lange Stöcke
Die mit Ruß geschwärzten Gestalten sehen dem Mohrenkönige
Kaminfeger oder schwarzen Teufel der Pfingstlümmelspiel«
(o. S. 322. 349. 352. 365. 367) u. s. w. ähnlich. Da schon dei
Römern die Schelle (tintinnabulum) selbst in der Verwendung al
Kuhglocke bekannt war , nach einer gfltigen Mitteilung des Hern
Geheimrat Schaaffhausen in Bonn eine solche kürzlich auch ii
einem fränkischen Grabe zum Vorschein kam , kann die Verwen
düng desselben in unseren Gebräuchen, keinen unbedingte]
Beweis ftlr die späte Entstehung der letzteren abgeben. Au
allen diesen Gründen möchte ich es flir wahrscheinlich haltei
daß die Ausrüstung der Perchteln schon seit alter Zeit die Schell
oder das Glöckchen enthielt (cf. o. S. 325. 327), im 15. Jahr!
aber der herrschenden Mode annähernder gemacht, und da
zugleich die ältere Auffassung des Umlaufs als in eine Vertrei
bung der Hexen und Feldgespenster durch Glockenschal
umgedeutet wurde. Ursprünglich wird — wie oben vemmtet -
der laute Ruf, Peitschengeknall u. dgl. die Glocken ersetzt habei
Wenn der Vergleich der Schemen, Perchteln, Fastnaehtbutze
mit dem Pfingstbutz, Kudemest, Latzmann u. s. w. stichhaltig sei
sollte , müßte angenommen werden, daß auch sie nach der Absiel
der ursprünglichen Veranstalter ihres Umlaufs Vegetationsdämone
repräsentierten, die durch ihr bloßes Erscheinen und Rufen di
das Wachstum hindernden Mächte vertrieben, die noch schlummen
den Geister der Gräser und Halme zu neuem Leben erweckten.
§ 12. Selieiiikampf beim Mlttsommerfener. Mit dei
Frühliugsfeuer und vielleicht urspiünglich auch dem Mittsommei
1) Vergleiche, daß im HiUlesheimischen auf Himmelfahrt die Mädche
mit allen Glocken vom Turme läuten^ um gute Flachsernte zu bekommei
Seifart U. S. 140.
Scheinkampf beim Mittsommerfener. 549
feaer war aoBer dem Umlaufe zum Kornwecken noch ein anderer
Bramch yerbonden, der auf die Fruchtbarkeit des Feldes Bezug
liatte. Der Sonntag Inyocavit flihrte neben dem Namen dimanche
des brandons auch die Benennung behourdis^ von behourd mit-
tellat behordinm, mhd. buhurt Kampfspiel, wobei zwei ganze
Scharen auf einander eindrangen und mit Schwert, Schild und
Speer, oder da es ein bloßes Schauspiel zur Kurzweil galt,
mit Keulen oder Stäben (l)ouhours, mittellat. bordae)* gegenein-
ander fochten. Solche Scheinkämpfe mit Knütteln und Stöcken
pflegten die Bauern und Städter in den beiden ersten Fasten-
Sonntagen zu liefern.' Liter, remiss. ann. 1424 ap. Du Gange
r. brandones: ,,Comme le jour des brandons iceulx compaignons
tenant bouhours en leurs mains desquelz ils esbatoient Tun
oontre Tautre." Lucien de Rosny schildert in seiner Chronik den
Einziig Louis XI. in Lille: „I^e 18. Fevrier 1463 le roy Loys se
pÄitist de Toumay et s'en alla a Lille - les - Flandres , lequel jour
®^toit le quatriesme de caresme, nnit de bchourdich, que lors
^^ a accoustume en la dicte ville de joustcr." Daß dieses Spiel
'^eben dem FackcUaufc herging, geht aus folgender Angabe her-
J^T. Liter, remiss. 1393 Du (^ange v. brandones: Conime le
join* j^g brandons plusieurs jeunes gens bouhourdaient Ics
^''^B eontre les autres, Jehanniu de Douligicr prist unc oupille
1) Liter, remiss. ann. 1393: „TiC preniier Dimanche de ijuaresmc appelle
^** l^xandons ou behourdiz.'* Dq Cange, s. v. brandons.
2) Daher heiUt der Sonntag Invocavit schon ann. 1219 bordao. Du
3) Vgl. Sebast. Brand, Narienschiff, Kap. 110''v. 76 if. S. 112 Zarncke,
^^ der Fastnacht: „so ladt man dann zu dantz vn<l stechen, Do miisz man
*^^t; die gper brechen Vnd bringen narren recht zii samen. Buren hantwerck
^^"t sich nit schämen Vnd nemen sich ouch stechens an , Der mancher doch
*^ ryten kan. Hiezu s. Zarnckes Oomiiientar: .,Im IG. .lahr, war Turnieren
^^^ohens) eine gewöhnliche P'astnachtlustbarkeit in den Städten < >berdeut^ch-
^'^^is, namentlich der vornehmen (ieschlechter, doch auch dvr geringeren
*^^rger und selbst der Bauern; ein solches Turnier boschreibt uns ausführ-
^^^h K. Wittenweilers Ring U'^ 13 ff. [geschr. vor 1153], auch der nd. Ueber-
^^tas^r kennt diese Sitte: „Man richtet denno oek an stekespyl. E>n büth
^^n anderen to steken uth. Dat dvinket den narren wesen gud. Amptgesel-
^^^ vnd andere kumpanen Brinckt meii toliopo up de baneu. Fallet sik lam
^Hd. kvmpt yn noet Moet denno ynt older bidden broet. Eyn yslick desser
g^ckheit lacht De düuel hefft dessen narren bedacht.** Hiezu füge man das
^* ^. 544 ausgehobene Zeugniß aus Seb. Franck.
550 Kapitel VI. Yegetationsgeistcr : Sonnenzanber.
(titrohfackel) allnmöe de feu, comme plnsieurs autres gern c
eul'ants avoient. Wir sahen (o. S. 536) , daß in Valenciemies de
Name bouhours sogar auf die Strohfackein übergegangen 19
Aus Zürich berichtet Vemaleken (Alpensagen S. 356): ^^AmlOif
montage (dem ersten nach Aschermittwoch , Tag nach Invocayü
kam die Jugend der benachbarten Gemeinden in yerschiede
nen Zügen mit Gewehr und Waffen in die Stadt Zttrio!
und marschierte darin herum. Diejenigen von Wiediko;
brachten neben allerhand Böken den Ghridigladi (s. o. S. 43tf
Abends waren Feuer (Funken) angezündet Der Hire
montag war ehedem kriegerischen Spielen and Jagd
Übungen gewidmet.^' Die Verbindung der bouhours mit dei
Fackelschwingen läßt darauf schließen, daß diese Scheinkämpf
auch eine symbolische Beziehung zur Beförderung des Fracht
Wuchses hatten. Losgelöst von dem Feuer treten uns dieselbe
auch in anderen Gegenden zur Fastnachtszeit, am Maitage an«
zu Johanni entgegen. Im Freienamte ziehen am Hirsmontag
(dem Tage nach Invocavit) zwei ganze Gemeinden gegen einai
der zu Felde, nachdem die eine der andern eine Kriegserkläran
zugesandt, etwa mit dem Vorgeben, dieselbe habe ihr eine
Geishirten geraubt und sie wolle ihn nun rächen, oder zurück
erobern.* Im Entlibuch (Luzem), sagt Rochholz,* wurde ai
Hirsmontage der Hirsmontagsschwung abgehalten, den der Pfai
rer Stalder von Escholzmatt (Fragmente über das Entlibuch) s
ausführlich beschrieben hat. Es war ein Scheingefecht, da
nachdrucksam und unter großem Pompe teils um Fastnacht, teil
um Mai und Ostern, auch um Pfingsten zwischen verschiedene
Talschaften und Ortschaften militärisch begangen wurde. Ei
solches Gefecht pflegten auch die Luzemer Nachbarorte Knutwi
und Bür^n sich alljährlich zu liefern. Die Kriegsanktlndigunj
geschah in Knüttelversen; ein großer Schmaus vereinte beid
Parteien nach langen und listig durchgeflihrten Manövern. Ii
Emmental (Kanton Bern) hielten die Dörfer Wymngen und AflFol
tem bei Burgdorf zur Maienzeit einen „Schimpfkrieg ''"ab; di
ganze Mannschaft zog zu Fuß und Roß imter ihren Ortsfahnei
aufs Oberfeld und seharmutzierten da miteinander. Darauf zogei
1) Rochholz, Alpensagen 11, 197. Ders. Alem. Kinderl. 485.
2) Alom. Kinderl. 484.
Scheink&nipfe beim Mittsouimerfener. 551
sie Paar um Paar, je ein Affoltrer uud ein Wjminger zusammen
ins Dort* zardck, wurden vom Ammann mit einer Bewillkomm-
niiDggrede empfangen und kostenfrei bewirtet. Dann geschah
dasselbe acht Tage darauf zu* AfFoltem.^ In Brabant und Lim-
bug teilen sich am Nachmittage des Frohnleichnamsfestes resp.
der Kirmeft die Schützen in zwei Heerhaufen , die sich bekämpfen
and von denen die eine Partei das Dorf besetzt und verteidigt,
die andere belagert und erstürmt.* Viel altertümlicher hatte sich
der Brauch in GraubUnden bis ins 16. Jahrh. erhalten. Ich
gebe nachstehend wörtlich den Bericht von Tschudi aus dessen
^yOrundtiiche vnd warhaffte beschreibung der vralten Alpischen
fihetde" etc. Basel 1538. Bl. 28 vw.
Von den Stopffem.
In obgedachter Riuier der Etuatiem , zu ylantz Lugnitz vnd
'^ der Grob ist der sitt von haydnischen zyten harkonmien, das
^y zA ettlichen iaren gemein versamlungen hond, verbutzend
®^^li,' legend harnasch vnd gwör an vnnd nimpt yeder
®*>^ starken grossen stecken oder knüttel, ziehend also in
^**^or harscht * mit einandem von eim dorflfzum andern, thuüond
*^ ^ oh Sprung und seltzam abenthür, als sy by warheyt veriehend,
^^-s sy söUich sprüng, nach hinthtiung jrer hämisch und endung
•J^^^ fümemens sollicher höhe un wyte uiendert gcthün mögend.
louffend starcks anlouffs in einandren, stossend
^^ d putschend mit krefften, ye einer an den andern,
^^^ es erhilt, sy stopffend* lut mit jren grossen stecken
_^l, 29 VW.) dafienthar werdend sy daselbß zfiland die stopflFer
Hempt, sy thunds das jne jr körn dester ha^z geraten sol, hal-
also disen aberglouben.® Joh. Stumpf, Pfarrer zu Bubikon
^^i Zürich, der 1548 seine Schweizer Chronik herausgab, giebt
1) Nach der 1653 verfaßten Chronik des Bauers Jost von Brächershau-
^^H über den Bauernkrieg. Schubler, Sitten und Taten der Eidgenossen III,
^H7 bei Rochholz a. a. 0. 4«3.
2) Zs. f. D. Myth. 1, ITG.
3) Vermummen sich als Masken.
4) barst = Heer, Heerhaufe. Weigand , I). WB. I, 481. Grimm WB.
lAr, 2, 498.
5) stopfen = stechen. Weigand WB. II , 836. unter stupf.
6) Aus Tschudi entnahm diesen Brauch Sebastian Münster (Kosmogra-
l>hei IIL cap. 235), aus diesem Kirchhoff (Wendunmuth Frankf. a. M. 1602.
XV, 285, 235.
552 Kapitel VI. Vegctationsgeister : Sonnenzauber.
dcD Bericht Tschndis mit einigen Zasätzen wieder , aus denei
lienoijgeht, daß der Umlauf mid das Gefecht der Stopfer mei
stens zur Zeit der Sonnenwende statt hatte, zu seiner Zeit abe:
schon obsolet geworden war und in keiner Achtung mehr stand.
Was die französischen Zeugnisse vermuten ließen, findet hie
seine völlige Bestätigung; das Kampfspiel hat nicht mindei
;Us der Fackellauf eine vermeintliche Einwirkung auf dai
Gedeihen der Saaten. Wo wir sonst noch dem Brauche zu:
uUmlichen Jahreszeit begegnen, ist diese Beziehung schon abge
streift. Im Birresbom und andern Orten der Eifel zog di<
Jugend des Dorfes am Nachmittage des Johannistages in zwe
Abteilungen geschaart und an zweien Ufern eines Baches ode
Grabens aufgestellt gegen einander los, schlug sich mit Hasel
ruten, suchte sich gegenseitig die Gerten zu entwinden und dii
Gegner in die Flucht zu schlagen. Das hieß „den Ewischtei
schlagen."^ Im Dorfe Belling bei Pasewalk ziehen die Bauen
am Sonntage vor Johannis in zwei Abteilungen, die Herren zi
Fuß, die Knechte zu Pferde morgens früh aus dem Dorfe auf
Feld und kämpfen mit einander, wobei die Knechte meistenteil
gewinnen. Nachher ist Scheibenschießen; der beste Schütz
wird König und geschmückt ins Dorf geführt.^ Außer Stand
eine durchschlagende Meinung zu begründen, sehe ich davon al
auch nur eine Vermutung Über die Bedeutung des „Schimpfspiels'
vorzutragen.^
1) Vonbun, Boitr. z. I). Myth. Chur 1862. S. 21. Auch Ulrich (^am
pell erwähnt dieses V\>lk8brauche8. S. 11 und bemerkt: „Mit diesem Gebrauch
hing früher der Glaube zusanmien, daß dessen Ausübung ein frucht
bares Jahr bringe.''
2) Schmitz, Sitt4?n und Bräuche. Trier 1856. S. 43.
a) Kuhn, Mark. Sag. 381.
4) DalJ dieses in der Tat ein feststehender Typus war, dafür spreche
merkwürdige asiatische Analogien. In Ne]>al liefern sich die jungen Ijcnt
in der nördliclien und südlichen Vorstadt Kathmandus Gefechte, um daran
VorauHAetZHtujen für die Fmchtharlceit des kommenden Jnhrefi zu zietie}
A. Bastian. Wanderungen in Kambodja. Ausland 1865. p. 1160. ,,Da
dritte Hauptfeat, welches in Maleyala gefeiert wird, hcillt Onain und fall
jedesmal auf den Neumond im September. Dann hört es auf zu regnei
pie Natur verjüngt sich, die Blumen sprießen von neuem hervor, die Bäum
aus; es ist die .Jahreszeit, die wir in Europa Früh
Das Fest scheint in der Absicht eingesetzt, ein gesegnett
^^^^uMUftgen wieder
^^^^^^Hk B e n n e n.
Das Pflagamzieheii. 558
§ 13. Das Pflagnmzieheiu Unsere Deutung der Früh-
tings- und Mittsommerfeuer als Nachbildungen des Sonnenfeuers,
der Sommerhitze und der Fackeln als Darstellungen der Gewitter,
Welche zum Gedeihen der Vegetation notwendig^ sind , empfängt
Bestätigung durch den englischen und deutschen Brauch des
Pflogumziehens. Sebastian Franck im Weltbuche 1534 f. 51*
teilt mit ,, an dem Rhein, Frankenland und etlichen anderen orten
^^en die jungen gesellen all dantzjunckfrauwen vnd setzen sy
bi ein pfläg und ziehen yhren spilman, der auf dem pfl&g sitzt
^nd pfeift, in das wasser; an andern orten ziehen sy ein
fearinen pflüg mit einem meifterlichen darauff
gemachten feur angezündet, bis er zfl trttmmern
f e 1 1." In Klein-Ludosch in Siebenbürgen im Unteralbenser Komi*
^^ hat man bei anhaltender Dürre den Brauch, daß einige
Mädchen sich gänzlich entkleiden und angeftlhrt von einer eben-
falls nackten älteren Frau eine Egge stehlen. Diese tragen sie
^^ einen Bach aufs Feld. Dann setzen sie sich auf die Egge
^*^d unterhalten während einer Stunde auf allen 4
^cken derselben ein kleines Flämmchen. Hierauf
l^Bsen sie die Egge im Wasser liegen und gehen nach Hause.
-^ti8 England erwähnt Brand I, 506 „In a eompendions treetise
^valogue of Dives and pauper 1493 among superstitions censured
^' t the beginuiug of the year we find the following:
*Ki fruchtbares Jahr zu erßelieti. Es dauert acht Tage, während welcher
^ e Inder ihre Häuser mit Blumen schmücken und mit dem Dünger der Kuh,
Xeses heiligen Tieres der Lakshmi, d.i. der indischen Ceres, hestreichen.
Dch legen sie bei der Gelegenheit neue Kleider an, werfen alle alten Töpfe
eg und ersetzen sie durch neue. Die Mannspersonen, besonders junge
€, formieren zwei Heere und schießen mit Ff eilen auf einander, die
war abgestumpft, aber sehr stark sind und mit großer Gewalt abgeschnellt
erden , so daß es auf beiden Seiten eine ganze Anzahl Verwundeter giebt.
u Ehren des Vishnu pflegen sie bei dieser Gelegenheit ein grojks Rad, das
ymbol des Gottes [Vishnu war ursprünglich Sonnengott] aus Blumen zu
erfertigen und in den Vorhöfen ihrer Häuser aufzustellen. Sie geben dadurch
nf sinnreiche Art zu verstehen, daS die Sonne nunmehr nach Verlauf der
egenzeit wieder im Annähern begrifi^en sei und ihre Herrschaft gleichsam
on neuem antrete.'* Fra Paolino da San Bartolonieo, Reise nach Ostindien
^rsg. V. R. Forster. Berlin 1798. S. 362. Hier begegnen wir sogar dem
uch beim Sonnwendfeuer gebräuchlichen Sonnenrade, wieder, üeber die
^merkwürdige Parallele im homerischen Hymnus an Demeter v. 266 werde ich
demnächst an anderem Orte ausführlicher verhandeln.
bbi Kapitel VI. YegetatioDsgeister: Sonnenzaaber.
ledingh of the ploughe aboute the fire as for go«
beginning of the yerc, tbat they gcbulde fare the better all i
yere foUowyng." Diese Verbreunung des Pfluges, der Egge od
Umftlhrang um ein Feuer, welcher der Brauch verglichen werd
muß, angekohlte Scheiter des Osterfeuers am Pfluge anzubringei
steht deutlich dem Hindurchgehen, dem Sprunge durch und de
Tanze um die Frühlings - und Mittsommerfeuer gleich , ist so
sagen ein Wärmezauber, um durch den Pflug, die Egge der Sa
den zu ihrem Gedeihen erforderlichen Sonnenschein u. s. w.
sichern; ihr steht der Regenzauber zur Seite, den Pflng i
Wasser zu ziehen (vgl. o. S. 332. 214 flf. 259. 327 flf. 356). Bei
Sitten sind offenbar zumal im Beginne des Jahres je nach n
meintlichem Erfordemiß abwechselnd geübt worden; zuweil
gemeinsam wie in obigem Siebenbirger Beispiel, wo die klein
Feuer auf den Ecken ein Uebermaß des erbetenen Regens r
hüten, abwechselnd Regen und Sonnenschein hervorzaub«
sollen ; der Feuerzauber kam früher in Abgang ; der Regenzanl
und noch andere Formen des Pflugziehens dauerten vielfach
in neuere Zieit fort Naogeorgus (in seiner 1553 zuerst ersdi
neuen Satyre Regnum papisticum B. IV) schildert die Sache j
ausflihrlichsten. Am Aschermittwoche rissen, die Burschen ci
Mägde aus den Häusern und spannten sie vor ein
Pflug, einer trieb und lenkte sie mit der Peitsche. In der Hi
des Pfluges saß ein Spielmann, sang und spielte. Ein Säma
folgte, der hinterher Sand oder Asche mit lächerlichen Geberc
ausstreute. So zog mau von Markt zu Markt, von Straße
Straße, endlich flihrte der Lenker (rector) die Mägde u
den Pflug in einen Bach und rief sie, naßgeworden, zu M:
und Tänzen. 2 Dasselbe geschah (um 1592) zu Hof auf Fa
nacht; die Mägde konnten sich jedoch mit Geld lösen und hin
dem Pfluge säte man Heckerling und Sägespäne.^ Auch
Leipzig geschah der Umzug am Fastuaehtdienstage; verlar
(personati) Junggesellen zwangen die untenvegs aufgegriffet
Jungfrauen in das Joch eines Pfluges zur Strafe, daß sie nc
1) Wuttke^ § 81. Vgl. 0. S. 504.
2) Thoni. Naogqorgus, Regnum Papisticum (Basileao) 1559. p. 144.
3) Enoch Wiedemaun, Chronik von Hof. Sachs.. Provinzialbl. VIII. 9
Myth.« 243.
^
Dm PflügimizieheiL 555
flicht geheiratet hatten. Als im Jahre 1499 einer der Barschen
ein beherztes Mädchen mit Gewalt für den Pfluggang pressen
Trollte, erstach sie ihn und entschuldigte sich auf frischer Tat
nun Richter geführt, sie habe keinen Menschen, sondern ein
Gespenst (spectrum) getroffen.^ Auch Hans Sachs erzählt, er
iuübe am Aschermittwoch bei Kegensburg sechs schöne Uausmaide
an einem Pfluge daherziehn sehen, ein Barsche trieb sie mit
der Geißel, ein anderer hielt zu hinterst den Pflug; und eins
rheils Gesellen trieb noch mehr Hausmägde herzu. Es waren
dieHausmaide, die überblieben waren und bisFast-
nacht keine Männer genommen.' Bei der Ausübung des
Brauches in Neustadt a/Saale entstand im Jahre 1578 Unfug und
einer wurde todtgestochen. Deshalb stellte man die Sitte ab.
In Uhn war schon 1530 verboten, sich in der Adventszeit zu
v'erbutzen und Pflug und Schiff herumzufahren.^ In ein-
zelnen Gegenden tritt die Egge an die Stelle des Pfluges. So
erzählt ebenfalls im 16. Jahrhundert die Chronik von Zimmern
(p* 1281 ed. Barak H, 117): „also uf die estrichen mittewochen
(Aschermittwoch), wie der prauch einest zu Scher (Dorf in Ober-
•chwaben), das die mediin vnd megt auch die jungen
S^sellen die eggen durch die Tonaw ziehen, do (hat)
S^ave Endres angericht, das dieselbigen den jungen herren, herr
Wilhelmen Wemhem ufgefangen haben, der hat inen mueßen
die eggen helfen durch die Tonaw ziehen." Vgl. den
^hwank „die Egen" (Keller, Fastnachtsp. I. no. 30. S. 246 ff.
"^^sschreier : „got grüß den wirt und die wirtin. (Es kumt ein
^^ir mit sim gesint und der wirtin). Was heur von meiden ist
^feerblieben und verlegen Die sein gespant in den pflüg
I^Jid in die egen. Das sie darinnen ziehen mußen, Und dar-
*^^en öffentlich pueßen, Das sie sein kumen zu iren tagen, Fut
^^ tutten vergebens tragen." Im Stanzcrtale in Tirol wurde aber
'locli vor nicht langer Zeit am Ostermontag oder Osterdienstag
^ Pflug unter Jauchzen und Lärmen feierlich umgeflihrt.* Im
1) Pfeiffer, Chronic. Lips. II. § 53. Haltaus -Scheffer, Jahrzeitbuch 202.
^ytl.* 243.
2) Schwank „Die Hausmaide im Pflug." Hans Sachs ed. A. Keller. V, 179.
3) Ratsprotocoll vom Niclasabend 1530 (Jäger, Schwab. Städtewesen des
^A. I, 525. Myth.2 242.
4) Zingerle , SittA. * S. 150, 1297. Im Zillcrthal ebenso am Äscher-
^ttwocL Hörmann, der heber gät in ütun. S. 44, 119.
566 Kapitel VI. VegetationsgeiBter: Sonnenzauber.
Ansbachischen wird zu Pfingsten der geschwärzte Pfing
lümmel auf einem aus zwei Pfaggestellen zusammengeseta
Wagen von Burschen, die mit Rollen, Schellen^ Klingeln behl
sind, umhergefahren ^ und zu Münnerstadt i. d. Rhön tragen
sogenannten Pfingstbuben schon im März einen kleinen Pflug
einem Brette von Haus zu Haus; in Bischofsheim Yor der I
bereits am 22. Februar (Petri Stuhlfeier, Anfang des fli
üblichen Gemeindejahres). Die einen bitten:
Da kommen die armen Pfingstbuben,
Mit Pflug und Schar
Und wollen hinaus in den Acker fahr".
Die andern:
Steuer, Steuer Pflug!
Hat weder Sech noch Schar,
Wir woir no lass beschlag',
Und bald 'naus 'n Acker fahr'.*
Nur von einem deutschen Orte weiß ich nachzuweisen,
an ihm die Bespannung des Pfluges mit Jungfrauen bis h
fortdauert. Zu Hollstadt bei Neustadt in Unterfranken findet
7 Jahre im Februar das Pflugfest statt, bei welchem u
anderen Aufzügen ein Pflug von sechs ausgesucht schönen 1
chen in ländlicher Festtracht dahergezogen wird, von Bauern
Geräten, Säeleuten, Schnittern, Dreschern, Heumachern, Winj
u. 8. w. in Bauerkleidung begleitet ; dem Pfluge l'olgt eine Rtii
schleife, mit welcher man die Rüben in den Acker drückt, e
falls mit vier Mädchen bespannt. * In Kärnten ist im Fasel
der Brauch des ploh ulcöiti (den l^ug wiederherstellen) i
jetzt fast allgemein; in den Vorstädten von Laibach hat er
am Aschermittwoch Nachmittag statt. Dabei wird mit eiu
Pfluge der Schnee umgeackert; hinter den Arbei
schreitet der herrschaftliche Amtmann, der sie mit unerbitüi
Kohheit schlägt. Die Burschen fahren jubelnd mit dem Pf 1
um die Ackergrenzen, während der Faschingsnarr in
Küchen geiziger Hausmütterchen sehleicht und mit der Ofeng
Würste und Rauchfleisch wegstipitzt.* Ein französisches Zeu{
1) Panzer II, 90, 138. Cf. Liebrecht i. d. Germania. V, 51-
2) Panzer I. 239, 2«;'). Leipz. Illustrierte Zeitung 1873. no. 1547.
3) Illustrierte Zeitung 1873. no. 1547. •
4) Ausland 1872. S. 469.
Das Pflagumziehen. 557
wonach za Sceaax bei Paris Barsche in Weiberkleidang auf
Ftttnacht einen Pflug ziehen, ist mir nur aus einer gelegent-
liciien Mitteilung von Liebrecht bekannt. ^ In England ftahrt der
Montag nach Epiphanias sogar allgemein den Namen Plough-
monday nach dem feierlichen Umzüge mit dem Narrenpfluge
(fool-ploughy auch fond-plough, stot-plough, white-plough genannt),
der vorzugsweise in Nordengland im Gebrauche war und ist
Aogeblich begann dann das Pflügen und andere Feldarbeit
DreiBig bis vierzig Bursche in Hemdsärmeln, das weiße Hemd
Aber die Weste geworfen und an den Schultern und Ärmeln
mit breiten, hellfarbigen Bandschleifen verziert, auf dem Kopfe
mit Bändern geschmückte Hüte, ziehen an langen Stricken den
ebenfalls mit Bändern behängten l^ug. Sie werden deshalb
zuweilen als plough-bullocks (Pflugochsen, eigentlich Bullen)
bezeichnet. Gewöhnlich begleitet sie ein altes Weib, oder ein
»Is solches verkleideter Bursch, Old Hessy (alte Liese) gerufen,
nut ungeheurer Nase, langem Kinn, hoher zuckerhutähnlicher
Kfltze und drolligem Aufputze. Oft folgt auch ein Narr (fool)
dem Zuge. Er ist über und über mit Bändern bedeckt, ganz
I ^öd gar in Pelle gekleidet und trägt einen lang
herabhängenden Schwanz; in der Hand Itihrt er eine
Wüchse, um bei den Zuschauem der Tänze, welche die Burschen
^JiflRihren, Geld einzusammeln. Das Buch „Costume ofYorkshire
^Öl4 bringt auf pl. XI eine Abbildung des foolplough, als dessen
ff^uptcharactere treten uns entgegen : 1) die Pflugzieher, 2) der
^ugtreiber, der als Peitsche einen Stocjc uiit aufgeblasener
S^^'hweinsblasc ftilirt, :0 der Fiedler, 4) ein Bursche in Weiber-
^^■'^ht, endlich 5) der Befehlshaber des Ganzen, Redner und
*^Dzer in einer Person, „Captain Caufstail," so genannt nach
^^lu Kalbsschwanze, den er trägt Wo die Bursche keine
^^ben erhalten, pflügen sie den Düngerhaufen, oder sie ziehen
^en l^ug über den P^strich und reißen den Boden vor dem
*^^rrenhause auf in Furchen. Brand lUhrt eine reiche Anzahl
^^ Belegen Itir das Alter und die Verbreitung der Sitte aus
*^ex, Westminster, Norfolk, Lincolnshire, Yorkshire, Northumber-
^^d saec. 15 — 18 auf Die christliche Priesterschaft hatte sich
^^ch dieses Brauchs lienüichtigt, von dem Ertrage der Einsamm-
1) Gervasios. S. 187. Anm. 57.
568 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzaaber.
lang floß ein Teil in die Kirchenkasse. Oft sind es Brttdc
Schäften, welche den Umzng zum Besten der Kirche halten.
Norfolk war laut Blomefield (Hist. of Norf. IV, 287) ehedem d
ganze Einnahme zur Unterhaltnng einer danach Plow light (Pfla
licht) zubenannten Kerze bestimmt, dergleichen die jungen m
alten Ehepaare der Gemeinde in manchen Kirchen vor den h
ligen Bildern unterhielten. Häufig führen die Bursche, weld
den Pflug schleppen, einen Schwerttanz auf; da dieser jedoch
England auch abgesondert und zwar zu anderen Zeiten, auf de
Festlande aber niemals mit dem Pflugziehen verbunden vorkomn
so ist es wahrscheinlich, daß beide Sitten erst in neuerer Z(
mit einander verbunden wurden. ^ In Dänemark veranstalteti
noch am Ende des vorigen Jahrhunderts die jungen Leo
beiderlei Geschlechts auf Alsen am Neujahrstage eine Güc
wozu sie das Geld durch den Pfluggang zusammenbracht!
Junge Bursche zogen einen Pflug, den ein „Prediger" (Pr«:
und ein „Küster" (Degn), sowie ein „Musikant" begleiteten, r
Haus zu Hause und sangen:
1) I lukke op jer Stuedör
Lad Nyaar ind til jer gaa.
Velkommen Nyaar og velkommcn her!
Vi ere velkomne i Herrens Aar og velkomnc her.
2) Med Gläde og med Gammen,
Med Helbred allesammen. n. s. w.
3) Med Plommer og med Pärer
Som Sommercn frembärer. u. s. w.
4) Med lange Bug paa Jolde
Og favre Foler i Stolde. u. s. w.
5) Med Fisk udi vor Fänge
Og smukke Piger i Senge.
6) Saa Yuggen den kan gange
Med deilige Böm og mauge.
7) Nu har den Vise en Ende
Alt Ond Gud fra os vende!
Hierauf hielt der Prediger eine tolle Rede, der Musika:
spielte auf, man tanzte mit den Mädchen des Hauses, nahm d
Gaben in Empfang, sang ein Danklied, lud zur Gilde em nii
1) S. Hone, Every Daybook I. London lß66. p. 36. Brand, pop. antiqi
ed. EUis I, IS^ p. 505-519. Müllenhoff, Schwerttanz. Berl. 1871. p. 24-37
Das Pflagamzieheii. 559
^ weiter. ^ Die Kirche , das sieht man , hat es sich angelegen
^in lassen, aaeh diesen profanen Brauch des Pflngziehens an
rieh and ihre Institutionen zu knüpfen. Hier fällt der Ertrag
der Einsammlung dem Gotteshause zu, dort wird davon eine
^weihte Kerze unterhalten, an manchen Orten mag versucht
^in, den Lenker des Pflugs durch einen Geistlichen und seinen
Küster zu ersetzen, daher der dänische Name Prägst. Von einer
andern Zeit des Frühlings wurde die Begehung auf Fastnacht
ftbcrtragen und die Aussaat von wirklichem Getreide dem Brauche
ie« Aschermittwochs entsprechend in das Ausstreuen von
A. sehe und Sand (oder Heckerling) verwandelt Vordem aber
^v-ÄT der Pfluggang eine von der Kirche unabhängige, ganz emst-
li&fi gemeinte symbolische Handlung, welche beim Beginn des
Irenen Jahres der Ackerarbeit in demselben den besten Erfolg
»ichem sollte. Paß in Ulm und anderen Orten der Umzug mit
Scliffen (oder SchiflFschlitten) daneben herging, läuft ganz parallel,
^^ war das Bittfest um günstige Schiffahrt, bevor das Wasser
^cder aufging.* In Dänemark fand der Umzug mit dem Pfluge
^^^^ Keujahrstage (1. Jan.) statt, in England am Montage nach
Epiphanias (vgl. o. S. 538), dem sogenannten großen Neujahr oder
^^risten Tage (oder at the beginning of the year (o. S. 557), in
pischofsheim am 22. Febr., dem ersten Tage des alten Civil-
jalires (gegenüber dem Kirchenjahre und legalen Jahre). Da nun
*^ch der (erste) März und Ostern, die im Mittelalter ebenfalls
^s Jahresanfänge vorkommen, als Tage des Pfluggangs genannt
^^^rden, so könnten sie auch in letzterer Beziehung den Jahr-
1) Sv. Qmndtvig, Gamlo Danske minder i Folkeniunde III. Kjöbenh.
l^Bei. p. 166—168. 1) Schließt auf eure Stubentür, daß das Neujahr zu euch
"^reingehn. Willkommen Neujahr und willkommen hier! Wir sind will-
kommen im Jahre des Herrn und willkommen hier. 2) Mit Freude und
Jubel, mit Gesundheit allezusammen. 3) Mit Pflaumen und Birnen, wie sie
^er Sommer hervorbringt. 4) Mit langem Roggen auf dem Kornboden und
schönen Füllen im Stall. 5) Mit Fischen in unseren Netzen und schönen
^'^chen im Bett. 6) So daß die Wiege gehen kann mit hübschen und vielen
^iödem. 7) Nun hat das Lied ein Ende, Gott wende alles Böse von uns.
2) Es wäre möglich^ daB Tacitus (Germ.) einen derartigen Umzug aU
*^e8t ^er Isis interpretierte ; an eine deutsche Göttin (Myth* 236 ff.) ist
^*hei nicht zu denken; Frau Eisen, das gemeinsame Machwerk des Klee-
_*Ätt8 Pseudoberosus (Annius von Viterbo), Aventin und Simrock möge end-
^^ fÖT immer in ihr schattenhaftes Nichts zurücksinken.
560 Kapitel VI. Yegetationsgeister: Sonnenzauber.
beginn bezeichnen sollen; wo nicht ^ sind sie als Vertreter des
Frühlingsanfangs aufzufassen. Der Zug bewegte sich wol ._
ursprünglich überall, wie in Kärnten, zuerst um
die Ackergrenzen, und man erwartete davon woltätige Wir
kung hinsichtlich der Saatfelder, danach erst wird der Umgan,
im Dorfe zur Einsammlung der Steuer ftir die segensreich
Begehung, und zugleich zur Lustration von Menschen und Tiere
begonnen haben. Wir sahen, daß gewisse symbolische Ae
(Wasserguß, Feuerweihe) bei dieser feierlichen Vorpflttgun
erforderlich waren; ein solcher sinnbildlicher Zug war onzweifel ^
hafti auch die Bespannung des Pfluges mit unverhei
ratet gebliebenen Jungfrauen. Entsprechend jenem Udi^h
hauen des Emtemai (o. S. 196), der Einholung des Frtthlingc^B
baumes (o. S. 211) durch die Weiber, muß dadurch das empfancs
gende und gebärende Element der vor der Saatbestellung noc^^]
jungfräulichen Erde angedeutet sein.^ Daß aber in der Tat dii
ser Zug der solennen, feierlichen, Zauberwirkung suchenden Weit
uralter, wirklicher Ackerbestellung angehört, erweist der W
mische Aberglaube. Nach Krolmus Staroöeske pov^sti II, ^ 9,
1) Der Vergleich des Weibes mit einem Fmchtfelde ist ein alter m^^Md
weitverbreiteter. In Indien sagte man bei der Ankunft des Brautzuges -Sm
Hause des Bräutigams: „Als Frucht feld kam hierher das Weib, ^Jß
beseeltes. Säet in sie, Männer, euren Samen." Atharvaved. XIV. § 2, 0. :i4,
Weber, Ind. Stud. V, 205. Im Koran (Sure 2, übers, von Boysen. Halle IT ^4.
S. 36) heißt es: „Eure Weiber sind eure Aecker, geht zu eurem Acker ^-»io,
wie ihr wollt." Den Griechen war Pflügen ein ganz gewöhnlicher Tro j)ob
für zeugen. Lucrez braucht v^mer und sulcus für die männlichen ond w ^ib-
lichen Unterscheidungsteile. Umgekehrt kann daher auch das Weib die ^en
Samen aufnehmende Natur oder Erde bezeichnen. Zu vergleichen stehti ein
indianischer Brauch, den Schoolcraft, Researches respecting the redmanl*-^'
p. 70; Oneota p. 83 mitteilt, ohne einen bestimmten Stamm zu nennen. ü™
sich eine reiche und gesegnete Ernte zu verschaifen und ihr kleines Fel^ ^®'
Würmern, lusecten, Eichhörnchen und die Frucht vor Mehltau zu 8icto.«rn,
geht die Hausfrau bei Nacht und bedecktem Iliinmel völlig entkleidet *^
den Acker und umwandelt ihn , ihre Machecota (Hauptbedeckung) mit J^^
einen Hand hinter sich herziehend. Man setzte voraus, daß das schä^^'^*
Gewürm nicht über die bezeichnete Linie kriechen könne Es ist bek^*"^
wie Longfellow diese Mitteilung Schoolcrafts in seinem HiawathaXIII, ül^^"'
von H. Schultz, Berl. 1^59. p. 100 cf. 174 verwertet hat. Genauso i"»'"^
z. B. in Masuren um ein Feld, auf welches Erbsen gesät werden, ein u***^
kleidetes Frauenzimmer gehen, oder sein Hemde getragen werden, um 31^" "
tau zu verhüten. Toppen < 93.
Das Pflngfoinziehcn. 561
Orohmaim, Abergl. 143, 1058 war es in Rosin Gebrauch, daß die
I^Bte bei der ersten Aussaat zur Nachtzeit in großem Zuge
ein nacktes Mädchen und einen schwarzen Kater dicht
vor einem Pfluge her aufs Feld führten, wo der Kater
lebendig vergraben wurde. Krolmus selbst sah vor etwa 40 Jahren
Bö Kfeseyn drei Weiber, wie sie Gott erschaffen, zur Nachtzeit
eineii Pflug, eine Schar und einen Wagen hinter sich auf den
Acker hinausziehen (a. a. 0. II, 39; Grohmann, S. 144). An diese
Sitte enthalten auch noch deutsche Sprichwörter deutliche Erinne-
ning: „tji, sait Aage, spSnt sin wtif f6'6r a plugh." Zieh, sagt
Age, da spannt er seine Frau vor den Pflug, (friesisch).
yy So möt't kämen , säd de Bür un spennt s!n Frfl vor de figg." ^
Sollte noch ein Zweifel walten können über den Zusammenhang
Jones Neujahrs- resp. Fastnachtgebrauchs, die Mägde vor den
t^ug zu spannen, mit der soeben vorgetragenen Beackerungs-
Methode, so mußten ihn die nachstehenden Sitten aus Rußland
hieben, welche die solenne, zauberwirksame Weise der Feld-
^»tellung auf einen Zauber zum Schutze gegen epidemische
Flinkheiten angewandt zeigen, und von denen die eine jenem
Neujahrs- (Fastnachts-) brauche, die andere dem Rosiner Saat-
K^brauche näher tritt. Noch im Jahre 1871 suchten die Land-
l^ute im Dorfe Dawydkowo bei Moskau beim Herannahen der
^liolera die Krankheit gleichsam zu consignieren. Zwölf Jung-
^^anen spannten sich um Mitternacht an einen Pflug
^nd zogen ihn rund um das Weichbild des Dorfes. In
^^sen Zauberkreis sollte die Cholera nicht mehr eintreten können.
-Einige Tage darauf entschloß sich die Geistlichkeit des Ortes
^it allen heiligen Geräten eine Prozession um die ausgezogenen
I^flugscharftirchen zu machen, um dem Zauberkreise auch noch
Öire ganz christliche Weihe zu geben. Die Mordwinen im Gouver-
lieinent Simbirsk umziehen, sobald in den umliegenden Orten sich
eine Viehseuche zeigt. Nachts ihr Dort' mit einer Furche. Der
Ortsvorstand ladet behufs dessen ehrbare Greise und unchuldige
Jttnglinge und Mädchen zu sich ein. Einer der Greise schreitet
^t dem Heiligen])ilde voran und hinter ihm ziehen Jünglinge
den Hakenpflug, den eine keusche Jungfrau lenkt. Ohne Geräusch
1) Mechlcnburg bei Haupt Zs. f. D. A. VIII. 371. 336. E. Höfer, Wie
^^ Volk spricht. Aufl. 4. Stuttg. 1862. no. 19. 174.
^*anh»rdt 36
062 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber.
and Rede, in lautloser Stille amfiirchen sie die Ortschaft Bi
weilen tragen die Ackerer, gleichsam als Opfer, ein sehwam
Kätzchen im Kober mit sich. Aas anderen russischen Lan
Schäften teilen Orest Miller und Tereschtschenko andere Eimc
heiten ttber den Brauch des Pflugziehens (Opaktiovanie) m
Bei einer Homseuche des Viehs versammeln sich die Weiber i
bloßen weißen Hemde, mit Besen und Schaufeln oder mit Senw
und Sicheln bewaffnet Die älteste unter ihnen wird t<
einen Pflug gespannt, und muß ihn dreimal nind um d^
Dorf ziehen; die übrigen folgen unter Absingung gewisser fl
diese Gelegenheit traditioneller Lieder (vgl. o. S. 15).* Nai
Tereschtschenko schreitet eine Jungfrau mit dem Bilde des he
ligen Blasius (Vlas) voran, hinterher die Dorfweiber mit Besc
und Strohbttndeln , andere auf Besenstielen reitend und Bra
pfannen schlagend, lärmend und tanzend; den Schluß machi
einige alte Frauen, welche angezündete Kienspäne in den Häiidi
halten und im Kreise die vor den Pflug gespannte Greisin, sow
eine Wittwe umschließen, die mit nichts anderem, a
einem Pferdekummet am Halse bekleidet ist V
jedem Hofe macht die Prozession halt und flihrt hier mit Topf«
und Pfannen eine Katzenmusik auf, indem man ausruft: „da i
der Kuhtod! Da geht er!^^ Läuft zufällig ein Hund oder eb
Katze vorbei, so wird das Tier als der leibhaftige Kuhtod (d.
Krankbeitsgeist) ergriffen und getödtet Dieser Brauch gilt m
vorzügliche Vorkehrung gegen die Viehseuche. Ein ander
wird als wirksam gegen verschiedene epidemische Krankheiti
betrachtet Die Weiber schleppen um Mittag auf jedem Enc
des Dorfes einen Haufen von Wirtschatitsabgängen auf und stecke
beide um Mittemacht in Brand. Zum einen Feuer ziehen d:
jungen Mädchen in weißen Hemden und mit lose fliegende
Haaren einen Pflug; eine trägt ein Heiligenbild hintenan. Zc
zweiten Brandstelle am entgegengesetzten Ende der Dorfstrafl
tragen die alten Frauen schwarz gekleidet einen schwarzen Hah
und ftlhren ihn dreimal herum. Dann ergreift eine Alte de
Hahn und läuft damit zum Feuer der Mädchen am anderen Don
ende, indeß der ganze Haufe das Geschrei laut werden läßl
„Stirb, verschwinde schwarze Seuche!" Dort angekommen wir
1) Orest Miller, Opnit I, 10.
Das Pfingomziehcn. 563
sie das Tier in die Flammen. Die Weiber ziehen jetzt den
Pflug dreimal rund um die Dorfgrenze. ^ Die Ackerfurcbe ist
li eilig, ihre Ueberschreitung rächt sich durch Tod oder Krank-
heit. Deshalb limitierte man in Rom die nengegrttndete Stadt
mit dem Pfluge (primigenius sulcus), nur die Stelle der Tore
fireilassend; jedes böse verderbliche Wesen vermeinte man auf
diese Weise von dem umschlossenen Bezirke fernhalten zu kön-
nen ' und aus gleichem Grunde geschah die Umfurchung des
Ortes bei Seuchen, die geheiligte Linie wehrte den Krankheits-
S^ist (die Pestfrau , den Viehtod u. s. w.) ab. Das Verbot der
Synode zu Lestines a. 743 (Indicul. paganiar. XXIII) „de sulcis
eirca villas" weist auch diese Sitte dem deutschen Heidentum
zu, wenn nicht gar die Umturchung des Dorfes mit jenem Frtth-
lingspfluge gemeint ist Das Ziehen der Furche aber geschah
^ Jedem Falle unzweifelhaft ganz nach dem fUr das Ackerungs-
"^orfest hergebrachten religiösen Ritus, wobei es gleichgUtig
®<5lieint, ob die Jungfrauen (resp. die Jungfrau oder das Weib)
^ein Pfluge vorangehen, ihn ziehen oder nachfolgen. Auch die
-^essy des englischen Brauchs werden wir jetzt als das der
^^remonie unerläßliche Weib verstehen lernen; ist ihr greisen-
^^Äftes, zerlumptes Wesen von Bedeutung, so muß an eine Modi-
*^^«ition in der englischen Auffassung gedacht werden, wonach
^^f die zur ersten Pflugzeit um Neujahr (Epiphanias) noch winter-
^Cihe Gestalt der Erde angespielt werden sollte (vgl. o. S. 444).
"'^er in Felle gehüllte, geschwänzte Narr oder Pflug-
-^Hhrer des englischen Brauchs stimmt zu der Katze, welche in
"^^hmen mit aufs Feld genommen wird. Eine an anderer Stelle
^^ gebende Darlegung wird über die Meinung auch dieses
-Brauches willkommene Aufklärung bringen. Das Tier oder der
^in Tier darstellende Mensch repräsentieren den theriomorphi-
^chen Vegetationsgeist, der nach Winters Frist wieder befruch-
't^nd in den Acker geht. Ob der im Simbirkischen aufs Feld
Xmtgenommene Kater (o.S. 561) denselben Sinn hat, oder den zu
"Vertilgenden Krankheitsgeist (o. S. 5G2) darstellen soll, lasse ich
^nausgemacht. Der auf dem Pfluge sitzende Pfingstlttmmel und
^er ebenso platzierte Spielmann, der ins Wasser gefahren
1) Tereschtschcnko VI, 41. Cf. Ralston, Song» 3% ff.
2) Cf. Schwegler, röm. üesch. I, 389. 43«. 446 ff.
36*
564 Kapitel VI. Vogetationsgeister: SonneBzanbor.
wird, dagegen sehen ans wie Darstellnngen des anthroponu
phischen Vegetationsgeistes, der im Branche anftritt, wo jei
fortfällt.
In England führte man zu Neujahr den Pflug ums Fen*
,,that they should fare the better all the year folloi
ing;'' also nicht bloß das Getreide soll gedeihen, alle mensc
liehen Angelegenheiten sollen guten Fortgang haben. D
dänische Lied beim Pfluggange nennt als die Gabe, welche (
Prozession mit sich bringt, Gesundheit des Leibes, Gedeihen d
Obstes und Getreides, des Viehes, des Fischfangs, und viele n
schöne Kinder in der Wiege. Der deutsche Umgang zu Fa
nacht, Pfingsten u. s. w., der den Acker nicht mehr berührt, se
eine gleiche Verallgemeinerung der Idee der Fruchtbarkeit v<
aus. Wir sehen also auch in diesem Falle den schon vielfa
von uns nachgewiesenen, zur vollen Identifizierung hinstrebend
Parallelismus des Pflanzenlebens mit dem animalischen bestäti
Ist dieses aber der Fall, war die Verbrennung eines Pflog
oder Umwandlung eines Feuers mit dem Pfluge nur eine Ma
fication des FrtthUngs- (Fastnachts-, Oster-) feuers, so mögen au
Menschen durch ein solches Feuer, in dem Pflugscharen gltthe
gemacht waren, gelaufen oder gesprungen sein in der Meinui
dadurch für sich und alle die Ihrigen Gesundheit und alle je
Güter der Fülle und des Wachstums zu erwerben. Die Erfa
rung mannigfacher Verletzung bei diesem Sprunge kann d
Glauben begründet haben, daß nur der Rechtschaffene unverle
die Flammen durchschreite und der Heiltümer teilhaftig wen
der Frevler zu seinem Schaden das Gegenteil erfahre. Und
hätten wir mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die heidnisc
Vorstellung und Sitte autgefunden, an welche die christlic
Priesterschaft anknüpfte, als sie zu einer Art des Ordals, zu
Gottesgericht für solche, die sich von einem Verdachte zu reinig
hatten, das Ueberschreiten von neun, im Feu(
geglühten, in bestimmter Entfernung von einander ausgelegt
Pflugscharen mit bloßen Füßen (R. A. 914) machte.^
Das Ordale der glühenden Pflugscharen hat uns wieder :
dem Hauptgegenstande der Besprechung in dem vorliegend
1) Doch wie verhält sich dazu der Wurf mit glühender Pflugschar
Ermitteluug gesetzlicher Weite? G. D. S. S. 58 ff.
Feuerdarchgang. Hoobzcitbraucb. 565
Absdudüdj den Frtihliügs- und Mittsommerfeuern zurückgeführt
IVenn es hislier eiica noch wvbeiviesen scheinen konnte^ daß die
Verbrennung, also Vernichtung des Bautnes, der Puppen u. s, w,
sinnbildliche Darstellung des IlindurcJigangs der Vegetation,
Vegetalionsdäfnons durch die Sonnctiwärme des Sommers war,
hebt die Verbrennung des Pfluges, ,,bi^s er zu Trümmern
' (o. S. 553) jeden Zweifel , daß in der Tat der erwälinle
G-^datike in dieser rohen Weise verbildlicht ist, daß der Umstand
Vernichtuftg des Symbols hinsichtlich seiner Deutung nicht
.Anschlag gebracht werden darf.
§ 14. Feuerdurebgang. Hocbzettbrauch. Wir schließen
zwei Bemerkungen. Die eine davon ist ein neuer Nachweis
Parallelismus der Vegetationsdämonen und der Menschen-
It Denn nur durch Vermittlung der Vorstellung von dem
jbrautpaare (o. S. 431 flF. 450. 462) erklärt sich, wie mir
soliemt, die Uebertragung der Bräuche des Mittsommer- oder
Frtlhlingsfeuers auf die Hochzeit. In der Gegend von Jüterbogk
und den benachbarten Gegenden der Mark Brandenburg war es
noch im vorigen Jahrhundert Sitte, nach der Hochzeitsfeier ein
altes Wagenrad vor dem Hause oder auf einem
Htlgel zu verbrennen und die Hochzeitgesellschaft einen
festlichen Tanz um dasselbe machen zu lassen. * Bei den Klein-
ssen muß die Braut auf der Fahrt nach der neuen Heimat
itten durch ein kleines Feuer fahren, das vor dem
"^ore angezündet wird. Zieht der Hochzeitszug abends aus der
-■^J'che, so wird vor jedem Dorfe ein Strohfeuer entloht, bei
^^^Ichem man so lange anhält, bis die Freiwerberinnen aus dem
^'^ten Schlitten daran kleine Kuchen gebacken haben. Auch
^er Bräutigam . bei den Protestanten im Gömörer Comitat läßt,
^^nti er die Braut zur Trauung abholt, den Wagen niehreremale
b^^lten, wirft Stroh hinab, entzündet ein Feuer davor und leert
^^^ diesem mehrere Gläser Branntwein. In Podlachien gehört
^ den Gerichten des Hochzeitmahles ein Hahn. Diesen hat
^^n, ehe man ihn tödtet und brät, zuvor an eine Leiter fest-
gebunden, und über einen brennenden Scheiterhaufen
1) Kuhn, Mark. Sag. S. 362.
>,> '\j{*. VI. Vegetationsgeister : Sonnenzaaber. Verbrennang d. Maibaams.
iiu qtttil her laufen lassen, den man zu diesem Zwecke
jtf <ttBer Hohe errichtet hat. ^
$ 15. Yerbreimnug des Hafbanms. Die andere Bemer
UH^ berrifit die Verbrennung des Maibaums, nachdem er ei
Pf/^r lang (oder wenigstens längere Zeft hindurch) seine Stell
MMoptet. Ich finde eine solche mehrfach in gewissermaße
meriicher Weise geschildert. Im Prager Kreise brechen sich di
jungen Leute Zweige des gemeinschaftlichen Maibaums ab un
«leeken sie in der Stube hinter den Heiligenbildern fest, wo si
bis zur nächsten Maitagsfeier aufgehoben und dann auf de
Herde verbrannt werden.^ Aus Belgien berichtet Schay
,^i la fin du mois de Mai on se rend la musique en tSte
chaque endroit, oü se trouve un mai, qui alors est cassö
brfil^.^ In Würtemberg verbleiben ebenfalls die auf* Palmsonn
an der Stall- resp. HaustUre aufgehängten, mit Buchsbaum, T
uenzweigen, Eiern, Aepfeln und Ntlssen geschmückten Bttscl
daselbst, bis sie herunteri'allen oder nach Jahresfrist ve
brannt werden (o. S. 289).
Es scheint aus dieser Uebereinstimmung hervorzugehen,
wir werden es später noch bestätigt finden, daß die Verbrenn
des alten Maibaums ein traditioneller Zug war. Lag demsel
eine tiefere Bedeutung zu Grunde, so mag es analog dem Wass
begießen der letzten Garbe des alten Jahres als Regenzaub ^r"^J
ein Sonnenzauber gewesen sein, um der neuen Vegetation LicJÄ^*
und Wärtne in erwünschtem Maße zu sichern.
1) Reinsberg-Düringsfeld, Hochzeitsbucli. S. 39. 27. 54. 46. 41.
2) Krolmus II, 257, 22. Rcinsbcr^ - Däringsfeld , böhm. Festkälende
S. 217.
3) Schayes A. G. B.. Essai historique. Louvain 1834. p. 209.
Kapitel HL
Vegetationsdämonen : Nerthus.
§ 1. Tacitus Aber die Nerthnsamfahrt. Obwohl die bis-
^T erörterten Frühliiigsgebräucbe das Ansehen eines weit älte-
Ursprungs tragen, reichen die meisten Zeugnisse fttr diesel-
»n nicht über den Anfang dieses Jahrtausends zurück; nur eine
'^^^rtvolie Angabe des Posidonius schien uns das Vorhandensein
^^^^screr Frtthlingsfeuer in Gallien bereits im 2. Jahrhundert der
'V-orchristlichen Aera zu bekunden. Diese Beobachtung muß an
^^«üirscheinlichkeit gewinnen, wenn es gelingen sollte, in des
1^a43itus Aulzeichnungen über Deutschland (Germania c. 40) eine
Spur dieser Classe von Gebräuchen nachzuweisen. Die
ichtigkeit dieses Stückes flir die vaterländische Altertumskunde
zur Entschuldigung dienen, wenn wir demselben eine alle
;lichkeiten erwägende breitere Behandlung widmen. „Reu-
A deinde et Aviones et Anglii et Variui et Eudoses et Suar-
is et Nuitones fluminibus aut silvis muuiuntur. Nee quidquam
not:abile in singulis, nisi quod in commune Nerthum, id est Ter-
^fa-ua matrem, coluut eamque interveuire rebus hominum, invehi
populig arbitrantur. Est in insula Oceani castum nemus dica-
^^mque in eo vehiculum, veste contectum, attiugere uni sacer-
^oti concessum. is adesse penetrali deam intellegit vectam-
^p^ bubus feminis multa cum veneratione prosequitur. laeti tunc
^^s, festa loca, quaecunque adventu hospitioque dignatur.
^^^ bella ineunt, non arma sumunt, clausum omne ferrum; pax
^^ ^nies tunc tantum amata, tunc tantum nota, donec idem sacer-
^^ satiatam conversatione mortalium deam templo reddat. mox
^Ixiculum et vestes et, si credere velis, numen ipsum
^üreto lacu abluitur. servi ministrant, quos statim lacus
^^rit. arcanus hinc terror sanctaque ignorantia, quid sit illud
568 Kapitel VII. Vcgetationsdämonen: Nerthos.
qaod taDtum peritari videut/^ An Ausführlichkeit und Anschai
lichkeit kommt keine einzige Sittenschilderong in der
der vorstehenden gleich; sie verrät sich als die Beobacht
eines Römers, der auf einer Reise den ihm auffälligen
gebrauch erlebte und weiter erkundete. Das Interesse
setzt höhere Bildung voraus; die militärische Position , die etwaij
Verteidigungsfähigkeit des Landes hatte einen Gegenstand sein.. -^38
Studiums gebildet; er war vertraut mit dem Leben resp. d^^ss
geistlichen Schaustellungen in der kaiserlichen ITi iihiili iiipliidi^ 1 i
Zwar scheint dieser Augenzeuge nicht Tacitus selbst gewesen ^eh
sein, der, wemi er überhaupt aus persönlicher BeobachtujiiKi^
schöpfte, allen Anzeichen nach seine Wamehmungen am Nied^^x*-
rhein gemacht hat/ jedesfalls aber ein ihm an Gesinnung
Lebenstellung nahestehender Mann.
§ 2. Der Sekanplatz des Festes. Ueber den Wohne»:
der 7 Stämme, welche den Nerthusdienst begangen haben soll«
läftt sich nur soviel mit einiger Gewißheit sagen, daß' er nördli.<^li
vom Bardengau (im Ltlneburgischeu) anzusetzen ist und wol eiim^s
großen Teil des heutigen Schleswig -Holstein (also ein Gel^i^
von mindestens 100 — 200 Geviertmeilen) in sich begriff!
Angeln müssen im östlichen Schleswig, die Varinen ihnen
Seite gedacht werden, die Avionen (goth. Aujans, ahd. Ouwc:^*^
agL Eävan Inselbewohner V) auf den Inseln an Schleswigs Oj
oder Westküste.^ An letzterer (im friesischen Wattenmeer) , oÄ-
vielleicht eher noch — wie Müllenhoff will — am meerbus^
artigen Unterlauf des einst noch breiteren Eibflusses werd
wir auch die Insel zu suchen haben, von wo aus die heili,
Prozession ihren Ausgang nahm. Der Besucher mochte
einem jener damals noch vereinzelten römischen Schiffe gekoi
men sein, deren ein Jahrhundert später häufig gewordenen V(
kehr in diesen Gegenden die schleswigschen Moorfunde zu beze
gen scheinen.
§ 3. Glaubwürdigkeit der Nachricht. Tacitus pflci^ -^ *j
seine Gewährsmänner sorgfältig zu wählen; die Glaubwtii '' ' ^
der berichteten Tatsachen darf daher nicht bezweifelt werdei
1) Cf.-G. Freytag, Bilder aus d. d. Vergangenheit, B. I. 1867. S. 32
2} S. Mtillenhoft', Nordalbing. Studien I, 117 ff. Griinm, G. D. S. 4r
Cf. C. Taciti Gcruiania ed. Schweizer- Sidler. Halle 1871. S. 72 ff.
ff.
Glaubwürdigkeit der Nachriebt. 569
dabei ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen; daß er die
A^ixssage des Berichterstatters mißverstand und weder Vollstän-
digkeit selbst der wesentlichen Züge, noch eine zutreffende Wie-
<lex^gabe des inneren Zusammenhanges und der Motive der ange-
sobanten Handlungen steht zu erwarten, vielmehr werden grade
die Angaben über diese mit größerer Wahrscheinlichkeit den
Schlußfolgerungen des Tacitus selbst oder seines Berichter-
staiters ihren Ursprung verdanken. Grade die Germania zeigt
ÄO mehreren Stellen, daß Tacitus die Beweggründe, die psycho-
lo^Bchen Anlässe der deutschen Sitten zu ideal, zu philosophisch
auffaßte. Vgl. z. B. was er Cap. IX über den noch bildlosen
Oottesdienst der Germanen äußert. Je deutlicher hier irgendwo
der Stempel taciteischen Geistes sich bemerkbar macht, um so
g'ewisser sind wir l>erechtigt, unbekümmert um die Auslegung
des Autors die tatsächlichen Züge herauszuheben, und nur diese
^mserer eigenen Deutung zu Grunde zu legen. In hohem Grade
aber prägt sich grade in der taciteischen Schilderung des Nerthus-
dienstes der eigenartige Character des Schriftstellers ab, jene
Hoheit unä Würde, die Plinius ihm nachrühmt, das Bestreben,
auf das innerste Wesen, in den psychologischen Grund der
Erscheinungen einzudringen, bei der Darstellung in gedrängter
®entenziöser Kürze allein das Bezeichnende und seiner Ansicht
'^ach Wichtigste herauszuheben. Wenn dabei seine Subjectivität
^iuen weiten Spielraum fand, so mag es leicht geschehen sein,
da.ß er unwillkürlich seinen objectiven StoflF durch Umdeutung
Veränderte. „Nee quidquam notabile in singulis nisi quod in
Commune Nerthum colunt," heißt das, „sie haben ein
gemeinsames Heiligtum oder Fest einer Gottheit Nerthus" oder
» Von jedem einzelnen Volksstamnie wüßte ich nichts Besonderes
C proprium) zu sagen, aber alle diese Volkstämmc haben eine
»einsame , von andern Vrilkerschaften sie unterscheidende
:entümlickheit, die NerthusverehrungV" Im ersteren Falle wäre
Kult nur an einem einzigen Orte oder von einem Orte aus-
Setibt, in letzterem krmnte er an vielen Stellen zugleich, nur auf
Sleiche oder ähnliche Weise vollzogen sein. Des Tacitus ganze
^Darstellung läßt uns darüber nicht im Unklaren, daß er selbst
seinen Ausdruck in ersterem Sinne verstanden wissen wollte.
^^ir werden jedoch am Ende unserer Erörterungen die Frage zu
^J'^agen haben, ol) nicht etwa die überlieferten Tatsachen den
570 Kapitel VII. Vegetationsdamonen: NerthoB.
SchlnB herausfordern^ daß sein Gewährsmann eme ähnlich
Wendung in anderer Meinung gebraucht hat Zei^edem
zunächst den sachlichen Inhalt der taciteischen Schilderung.
§ 4. Der Name Nerthus. Den sieben vorher genannten
men gemeinsam war eine gottesdienstliche Begehung^ in Bezug
welche der römische Berichterstatter den einheimischen Nam<
Nerthus vernahm. Diese Lesart, welche Uhland^ zu
der wegen des folgenden Terra mater vorgezogenen Variai^^
Herthum bekämpft,^ hat die größere Beglaubigung für siek:^. ^
Von ihr müssen wir ausgehen, wenn gleich das ungewöhnlii^'
h nach t Anstoß und Bedenken zu erregen geeignet ist
ganzen Gebiete des germanischen Sprachschatzes bietet sich
andere Analogie, als der Name einer altnordischen Gottb^it
Njördr, der in gothischer Sprache ausgedrückt Nairthus (Nerthn.»^,
in althochdeutscher Zunge Nirdu gelautet haben würde. A^iifii
dieser schönen Entdeckung J. Grimms aber sofort auf eine dc^m
Njördr entsprechende deutsche Göttin Nerthus zu schlieften,
wäre verfrüht, da wir nicht allein die Möglichkeit ein^r Verde rb-
niß der Ueberlieferung des Namens Nerthus von Tacitus bis Änf
Enochs Msc. uns gegenwärtig halten, sondern auch dies berück-
sichtigen müssen, daß der Ausdruck Nerthus nicht notwendig
eine Gottheit bezeichnen mußte, >ielmehr möglicherweise nur die
Bezeichnung der Ceremonie, oder eines wesentlichen Stück©®
darin war, falls die „interpretatio Romana: Terra mater," wi®
wir sehen werden, auf die Aehnlichkeit der Bräuche sich stützt© -
Selbst wenn eine Gottheit und sogar eine dem nordischen Njördr
verwandte gemeint war, muß nicht unbedingt an eine weibliel^^
gedacht werden ; die augenfälligen Aeußerlichkeiten des bildlo^^"*^
Cultus konnten die Verglcichung mit der Terra mater hen'<
rulen, auch wenn dem Worte Nerthus in der Sprache der E:
1) SagenforschuDgen IL Odhin. Schriften VI, 187.
2) Als durch fehlerhafte Wiederholung des ne von commune aus
Lesart „in commune nehertum" entstanden.
3) Cf. Gernmnia antiqua. Comelii Taciti lihellum ed. MüUenhof^
S. 37. Holtzmanns Einfall (Germ. Altertümer Lpzg. 1873 , S. 69. 254 die
in comnmne entstandenen Verderbnisse der Stuttgarter Codices inami
mammc für Herstellung einer Lesart Ammun Ertham zu verwerten,
abgesehen von der Handschriftenfrage durch die Notwendigkeit des Geg
satases von in commune zu singuUs.
Bedentong der Interpretatio Terra mater. 571
gnelwreiieii männliches Geschlecht zukam. Njörär durch Umlaut
ex^tstanden aus njar-du-r (Brechung von nir-du-r) würde emem
jpoth. Nair-pu-s (Brechung von Nir-Im-s) entsprechen. Dieses
w^lSre gebildet wie die Masculma dau-pu-s (Tod; Zustand des
SJLnschwindens von divan stumpf sein, todt sein) lei-pu-s Wein^
PT-tterigkeit (von Wurzel 1! flüssig sein), vahs-tu-s Wuchs (von
F^a^lisjan wachsen) lus-tu-s Lust (Wz. lash, begehren), drauhti-
iMflfe.«gn8, skalkinassus u. s. w. (aus drauhtinat-tu-s, skalkinat-
-b) Kriegsdienst, Dienst (von drauhtinöu, skalkiuön dienen);
latem. Masc. motus, exitus, fluctus, saltus, die griech. FenL
»j^nv, datTvg, idrjivg, lauter Abstracte mit dem primären Suffix
von Verbis abgeleitet. Nur hlif - tu - s Dieb von hlifan stehlen
S^^wShrt das Beispiel eines Nomen agentis. Nerthus würde nach
.^en Analogien auf einen Stamm niran, goth. nairan zurück-
shen, der den germanischen Sprachen verloren ist und über-
V^.^uipt als Verbum nicht mehr vorzukommen scheint, unzweifel-
aber aus Skr. nara Mann, Mensch, griech. dvi^Q, umbrisch
Mann, osk. neres viri strenui, sabin, nerio^ enes Mannheit|
Tapferkeit, Kraft, wälsch ner-th, Kraft, Macht, Hilfe, ner -thus
^Kräftig mächtig, gälisch 7iear-t Gewalt, iiear-tor kräftig mit der
ßcdeutung kräftig sein, sich als Mann beweisen, wird erschlos-
sen werden dürfen. Nerthus resp. Njördr könnten mithin Mann-
J^cit, Erweisung der Mamieskraft, oder den als Manu sich Erwei-
senden bezeichnen.^
§ 5. Bedeutung der Interpretatio Terra mater. Id est
^erram matrem, das ist die Interpretatio Romana (Germ. 43) des
^*^ den nächsten Sätzen beschriebenen Gebrauches; und zwar
*^^tte Tacitus oder sein Gewährsmann dabei nicht sowol die von
^^i" nationalen Priesterschaft bei feierlichen Gelöbnissen als
"^ ^rra mater gewöhnlich mit den Manen angerufene Tellus,*
1) H. Leo in Haupt Zs. f. D. Altert. III , 226 , 10. Simrock , Handb.
D. Myth.a 179. Ch. W. Glück, die kelt. Namen bei Cäsar München
Corssen, Zs. f. vgl. Sprachf. V, 116 ff. Cf. Curtius, Grundzüge.
. 1868. S. 275 Nr. 422. Fick, Indogenn. WB. 1868. S. J03.
2) Diis nianibus inatrique Terrae. Livius 8, 6. cf. 8. 9. 10, 28. Quura
^118 Tulgus (beim Tode Galliens) pari clamore Terram matrem Deosque
TOS precaretur. Aur. Vict. Caes. 38. Von Brutus: Ille tacens pronus
tri dedit oscula Terrae. Ovid Fast. II, 719. Cf. Preller, Rom.
Aufl.* 402. Uhland, Schriften VI, 187.
572 Kapitel YII. Yegetationsil&moneD : Nerthos.
als vielmehr abweichend von dem sacraleu und sonstigen Sprach-
gebrauch die phrygische magna mater, mater defim im Sinoe,
welche von den römischen Gelehrten als Göttin des &drandes
autgefaßt werde. ^ Denn die Gebräuche, welche die jährlichen
Feste der letzteren in Rom den Bewohnern der Hauptstadt auir
Schau stellten, waren in so vielen Stücken dem Nerthusknlte
gleich, daß sofort einleuchten muß, woher der Beobachter za
seinem Vergleiche kam. Vorzüglich kommt hierbei das Märzfest
in Betracht, wie es seit Kaiser Claudius begangen wurde. Es
begann mit dem 22. März, der im römischen Festkalender mit
dem Namen arbor intrat bezeichnet war. Im Pinienhain der
Cybele wurde dann ein schöner Baum auserkoren, seil
Stamm mit wollenen Binden bewickelt, seine Aeste mit Kramm
Stab, Tympana, Flöten, Klappenblechen (den Symbolen des KdL__ .
tus) behangen, außerdem reichlich mit frischen Veilchen, de
Erstlingen des Frühlings, geschmückt und umkränzt, und dazwL
sehen die Figur eines Jünglings, des entmannten im.
gestorbenen, sodann in die Fichte verwandelten Attis, des liel
lings der Cybele aufgehangen. Dieser Baum wurde abgehane jb
und feierlich (solemniter) in das Allerheiligste (adyton , sacrarioncM)
der großen Mutter getragen.^ Es folgte eine Zeit des FasteÄe^
1) Nani et ipsc Varro quasi de ipsa turba verecundatus unaiu dcÄni
Tult esse Tellurem Eamdeiii, inquit, dicuat Matrem magnam, qaoo
tynipanuni habeat, sigiiificari esse orbem terrae: quod turris in capi"^'
op])ida; quod sedes flugantur circa eani, cum omnia moveantur, ipsam noi»
moveri. Augnstin. civ. Dei VII, 24. Opp. Bassan. 1797 Sp. 23(5. Cf. »^
VI , 8. Sp. 203. Si autem interpretationis hujus . quando agitnr de s»cT^
Matris deüm, caput est certe, quod Mater deüin terra est. — Lucreti***
n. r. 11,657: Concedumus et hie terrarum dicat et orbem esse De '^^
matrem.
2) Arnobius 5, 16. 21. Quid sibi vult illa piiius. quam semper s^^^*
diebus in Deüin matris intromittitis sanctuario. nonne illius similitud» ^
arboris, si quae sibi furens manus et iiifaolix adolescentulus intulit et g<^
trix diviim in solatium sui vulneris consecravit? Quid lanarum vellc^ ^^\
quibus arboris colligatis et circumvolvitis stipitem? Q "•-* ,
compti violaceis coronis et redimiti arboris ramuli? Jul. Firmicat^ .
error. 3, p. 3. B. profan, rel. In sacris Phr3'giis, quae matris Deum dic»^^- '
per annos singulos arbor pinea colitur . et in media arbore simnlacr '^^ -,.
juvenis subligatur. Jo Lyd. de mens. IV, 41: .luu thxrtutus Ktuar ^^
A.imXiiav (ad. XI K. Apr. = 22. März) ^M^qv nl%v% nana riay S(Vi
Bedeutnn^ der Interpretatio Terra mater. 573
der Trauer, bitterer und exstatisoher Klage während mehrerer
Tage, welche Macrobius unter dem Namen yccrd.iafjig zusammen-
taÄt Auf die Trauer folgte am 25. März (Hilaria) die Freude
^ der Jubel , Attis wurde als wieder aufgelebt und der Göttin
^edei^geben gefeiert, nun da der Tag merkbar den Sieg Itber
die Nacht gewann.* Nach einem Ruhetag (requietio) fand am
27. März ein feierlicher Umzug statt; das Bild der Göttermutter
wnrde auf einem von Rindern gezogenen Wagen durch
die Stadt gefahren (ein schwarzer eckiger Stein bildete in
Silber gefaßt das Gesicht des Idols), umdrängt und umwogt von
«Der unabsehbaren vielfach maskierten Menge aus allen Ständen,
belebe sich jegliche Art von Spaß erlaubte. Das Ziel des Um-
zugs war die Mündung des Flusses Almo in die Tiber
dicht vor der Porta Capena (Porta di San Sebastiano) dort
^urde das Bild der Göttin sammt dem Wagen gebadet,*
^oher der Tag dies lavationis hieß. Auf Zeugung bezügliche
Lieder wurden bei dem Umzüge gesungen^ und wenn es mehr
*ls wahrscheinlich ist, daß auch in dem seit Claudius vervoll-
ständigten Kultus die älteren Bräuche noch fortdauerten, so hat
^an bei der Rückkehr in die Stadt Wagen und Zugtiere mit
^en jungen Blumen des Frühlings bestreut,* während ein
'föfion' ((f^ofTo h' tut rittlnrlc;, Cf. Bottichcr, Banmkultus S. 142. Prellcr,
Kern. Myth. Aufl. 1. p. 737.
1) Jol. de Dniatr. V, p. 168: r^^vfnfhttt yno ff rem ro ffonv fT/rJoor x«^'
'"" 'if^t'ijftr i'j rjhoi Li) to uxqov irg latjiniQiyf)s; cci/'.Oo,- t^t/tnu. Macr. S. 1,
^1» 10 quo primum tempore sol diem longiorem nocte protcndit. .
2) Ammian. Marcel. XXIII , 3 p. 259 Lindenbrog : ante diem scxtum kal.,
^'lo Eomae matri deorum pompac celebrantur annales. et carpentum,
^Uo vehitur simulacrum Almonis undis ablui perhibetur.
3) Augustin Civ. Dei II, 4: Ludis turpissimis qui diis dcabusque cxhi-
*>^V>antur obtestabamur. Caelesti virgini et Berecyntbiae matri omnium, ante
^^j^s lecticam die solemni lavationis ejus talia per publicum cantitabantur
^ uequissirais scenicis, qualia non dico matrem deonim, sed matrem qua-
limncunque senatorum vel quorumlibet bonestorum virorum immo vero qua-
**Ä nee matrem ipsorum scenicorum deceret audire.
4) Ovid Fast. IV, 336 if.: Est locus, in Tiberin qua lubricus influit
-^lino, et nomen magno perdit ab amne minor. Illic purpurea canus cum
^^ate sacerdos Almonis dominam sacraque lavit aquis . . . . Ipsa
l*>ea) gedens plaustro porta est invecta Capena, Sparguntur junctae
*^re Irecente boves. Cf. die Schilderung des Lucrez vom Umzug der
574 Kapitel YII. Vegetationsdämonen : Kerthns.
Priester nnd eine Priesterin phrygischer Abkunft anter FlMi
spiel und Pankenschlag und Absingung heiliger Lieder von c
Mutter (fup'QfJfa ftth]) Stadtviertel bei Stadtviertel eiD
Umgang (cr^'f^/io^) hielten und Haus bei Haus Gaben (sti'
einsammelten, man nannte das rij injvQi ayeigeiv,^ In R
war einzig und allein diese Colleete von Seiten religi((
Körperschaften erlaubt^ Die Umfahrt der großen Mut
auf dem rinderbespannten Wagen und ihr Bad sam
dem Fahrzeug sind so augenscheinliche Aehnlichkeiten mitd
von Tacitus geschilderten deutschen Brauch, daß offenbar
ihretwillen die Bezeichnung des letzteren als Kultus der Tei
mater statt hatte. Unmöglich bleibt es nicht, daß auch nc
andere Züge des deutschen Gottesdienstes geartet waren, ein
mit dem Cybelekult der römischen Hauptstadt bekannten Mai
in dieser Gleichsetzung zu bestärken. Für uns aber tritt , da cb
Urteil des Römers auf dem Vergleiche von Aeußerlichkdlc
beruhte, die Berechtigung sowol als Verpflichtung ein, lediglk
den tatsächlichen Inhalt der taciteischen Schilderung zu Bai
zu ziehen.
§ 6. Tatsächlicher Inhalt des taciteischen Beriehte
1) Fällt mit der Conjectur des taciteischen Gewährsmannes jedi
Beweis für die Geltung der Nerthus als Erdmutter, ja als eii
weibliche Gottheit überhaupt hinweg, so bleibt — wie es scheint -
als tatsächliche Grundlage des Berichtes der Glaube übrig, di
ein Numen, sei dies nun weiblich oder männlich gedacht i
gewissen Zeiten , um auf die menschlichen Angelegenheiten A
Einfluß zu üben, sich einfinde (intervenire rebus hominum) lU
auf einem Wagen zu den Völkern komme (mvehi populis). I
Annahme liegt am nächsten, daß die Erscheinung der Gk)ttb
zu bestimmten mit Regelmäßigkeit wiederkehrenden Zeiten öi
hatte, darauf bezieht sich der erste Satz, der zweite spricht ^
einer Prozession, welche nach dem Wamehmen der Erscheini
des Numen begann.
mater Idaca durch die Erde 11 , 539: acre atque argento stemunt iter o'
viaram, largiüca stipe ditantes, Dingantqae rosarum floribus, ambnu'
matrem comitnmqne catervam.
1) Orid Fast. IV, 350. Preller Röin. Myth.» S. 45011.
2) Cicero de leg. U. Praetor Ideae matris famulos eosqne jiistis ditf
ne quiB stipem cogito.
Die Tatsachen des Berichtes. 575
2) Der Ansgangspunkt der Prozession war ein heiliger Wald,
oder vielmehr ein solcher, welcher in stiller Abgelegenheit durch
den Besuch der Menge nicht entweiht war (castum nemus). Es
wird der Wahrheit nicht fem liegen, wenn wir vennuten, daB
lun dieses Umstandes willen einem Waide auf der Insei der
Vorzug vor einem solchen auf dem Festlande gegel)en wurde. ^
War dies der Fall, so wird am ehesten an ein der Küste nahe
liegendes oder im Strome l)eiegcnes kleineres unbewohntes Eiland
zu denken .und schon deswegen eine größere Insei, wie Kügen,
Femam u. s. w. außer Acht zu lassen sein.
3) Der Umzug begann, sobald der Priester an gewissen
Zeichen wamahm (inteilegit), daß die Gottheit in ihrem Heilig-
turne (penetrale) zugegen, daß ihre Erscheinung eingetreten sei.
Tacitus will, wie es scheint, den Ausdruck penetrale auf den
verhüllten Wagen bezogen wissen, während es viel natürlicher
wäre, an das Ailerheiligste des Waldes, das castum nemus zu
denken. War das Numeii in diesem nicht zu allen Zeiten gegen-
wärtig, so erfüllte es unzweifelhaft, sobald es erschien, auch den
Wagen. Wie leicht konnte Tacitus hier den Worten seines
Berichterstatters durch leise Verschiedenheit der Auflassung eine
Müdere Wendung geben, wie leicht dieser selbst, (der doch
schwerlich mit im Walde gewesen ist) seinen Gewährsmann miß-
verstehen. Und auch dies werden wir nicht mit Notwendigkeit
dem taciteischen Bericht als tatsächlich zu entnehmen haben,
dafi das dicatum vehiculum schon vorher dort l)ereit gestanden
habe, gleichsam das Nahen der Gottheit erwartend, sondern
^8 war da in dem Zeitpunkte, wann die Prozession beginnen
«ollte.
4) Auf einem mit Kleideni (oder Tüchern V) verhüllten Wagen
Wurde das Numen zum Festorte gefahren. Wie der Wagen über
da« Meer auf das Festland zu den „populis" gehängte, sagt
Tacitus nicht. Diese Breviloquenz kann ein Fingerzeig sein,
daß seine Schilderung auch andere wesentliche Züge ver-
schweigt. Zugleich aber dürfte die Nichterwähnung des
Kliffes eine iudirecte Bestätigung der Annahme enthalten, daß
1) Sehr in die Irre geht Uhland , wenn er in seiner Schwab. Sagen-
*^^de (Schriften VIII, 44-53) zu erweisen sucht, der Inselhain der „Erd-
"'^^tter" sei eine Erinnerung an die überseeische Urheimat der Germanen.
576 Kapitel VIT. Vegetationsdämonen: Nerthns.
die Seefahrt keine weite , die fragliche Insel nur ein Eiland -g^
der Nähe des Landes war (o. S. 586).
5) Der Wagen war von Ktlhen (bubus feminis) getogen vt^tm ^
mit Gewandung bedeckt (veste contectum). Er enthl^^It
offenbar kein Götterbild, aber wahrscheinlich irgend ein Symfc^ol
der Gottheit. Rinder waren die ältesten Zugtiere ; im Gottesdiei
und im Hof brauch, den treuesten imd beständigsten Bewahre
vergangener Culturzustände und Formen , dauerten sie auch
noch fort, als sie längst vom feurigeren Rosse auf allen höhei
Lebensgebieten ersetzt waren. Noch die merovingischen KOai^^
fuhren mit Rindergespann; bei Todtenbestattungen, die an d^r
Heiligkeit religiöser Acte teilnahmen, wurde der Leichnam naoli
Ausweis fränkischer Heiligenlegenden mit Kühen oder Ochsen
zu Grabe geftlhrt;^ in Anhaltischen Orten unweit Zerbst läßt
man noch heute jeden Todten auf einem mit Ochsen bespannten
Wagen zuvor in einen Teich fahren.^ Bei der FeldbesteUnn^:
und im Gebrauch des kleinen Ackerbürgers dauert das Rinder*
gespann dagegen vielfach noch fort Da zu Tacitus Zeit (Germ. lO)
bei anderen deutschen Stämmen bereits heilige Rosse an den
Wagen geschirrt, zu gottesdienstlichen Zwecken dienten, wird
man zweifelhaft sein, ob das Kuhgespann der Nerthus eine in
diesem Kultus bewahrte archaistische Reminiscenz war, oder ob
ihm eine besondere Absicht zu Grunde lag. In diesem Fall^
könnten die Rinder auf eine Beziehung der Prozession zum Acker-
bau, ihr weibliches Geschlecht auf die Idee der Befruchtung hi»-
weisen. Wie man sich das vehiculum veste contectum ^^
denken habe, scheint eine bereits von Grimm angezogene, ab«'-*
nicht ausgenutzte Analogie deutlich genug anzuzeigen,
heilige Martin von Tours begegnete einst einem Leichenzuge,
erftr einen heidnischen Umgang hielt: „Accidit autem in sequi
tempore, dum iter ageret, ut gentilis cujusdam corpus, quod *^
sepulcrum cum superstitioso funere deferebatur, obvium habe
Gonspicatnsque eminus venientem turbam quidam id esset igna:
pauUulum stetit. Nam cum fere quingentorum passuum inÄ^^^
Valium esset, ut diflicile fuerit dignoscere quid videret, tanr^
1) S. Mannhardt, Germ. Mythens. 51 — 52. -
2) H. Pröhle, Magdeburger Correspondent 1850. Qnart. 2. H. Vr^"^ ^
Harzsagen 1854. p. XXXI.
Die Tataachen des Borichtes. 577
qiiia rusticain manam cerneret et agente vento linteamina
eorpori snpcrjecta volitarent profanos sacrificiorom ritus
credidit: quia esset haec GaUorum rustwis consuefudo simu-
daemonum candido tecta vdamine misera per agros suos
cireumferre dementia}^ ^ Ganz so wird noch jetzt z. B. in Beken-
dorf im Halberstädtsehen und zu Hornhansen der Sarg jeder
Wöchnerin nnter einem weißen Laken auf den Friedhof getragen
und ins Grab gesenkt,* im Jeverland spreitet man ttber das
Bcliwarze Leichentuch ein weißes.' Nach Ausweis der Abbildung
de» Bades Homhausen in Merians Theatrum Europaeum V, 1651.
p. 1080 wurde dort im 17. Jahrhundert wol jede Leiche „mit
öinem weißen Tuche bedecket" getragen. Jener religiöse Umzug,
den St Martin nahe bei Tours in dem harmlosen Leichenzuge
*n erkennen vermeinte, wird wahrscheinlich kein anderer sein,
äI» derjenige , den Gregor von Tours (De gloria confessor c. 55.
Opp. pior. Paris 1640. P. I, 478) aus der Umgegend von Autun
schildert: „ferunt etiam in hac urbe simulachrum fuisse
Berecynthiae, sicut sancti martyris Symphoriani declarat
J^toria. Hanc cum in carpento pro salvatione agrorum
^t vinearum suarum misero gentilitatis more defer-
''ent, adfuit supradictus Simplicius episcopus haud procul aspi-
^ens cantantes atque psallentcs ante hoc simulacrum." Er macht
das Zeichen des Kreuzes und die Zugochsen bleiben stehen
(boves telluri sunt stabiliti). Sei jedoch die Sache, wie sie
^olle; gab es wirklich in Autun ein Heiligtum und Bild der aus
der Fremde gekommenen Cybele (Berecynthia), oder wurde der
Umzug einer gallischen Gottheit durch die Aecker mit der Pro-
zession der Göttemmtter verglichen (cf. Myth.* 234*), der dann
'^t jener heidnischen Begehung aus der Gegend von Tours ver-
wandt sein konnte, in jedem Falle steht soviel fest, daß es in
*^allien zu heidnischer Zeit Sitte war, Götterbilder, sowie es mit
'-^ichnamen gehalten wurde, und in Deutschland zum Teil heute
lioch gehalten wird, mit einem Tuche überdeckt auf den Aeckem
^überzutragen. Dies geschah in dem einen wie dem andern
1) Sulpitii Scveri Vita St. Martini cap. IX. Surius, de prob. Sctra. bist.
^- Vi. Col. Agripp. 1575. p. 252.
2) H. A. Pröhle, kirchliche Sitten. Berlin 1858. S. 201. Ders., Chronik
^^^ Homhausen 1850. S. 143.
3) Strackerjan, Abergl. u. Sagen II, 131, 460.
**»nnhardt. 37
578 Kapitel YII. Vegetatiousdamonen : NerthuB.
Falle aas Ehrftiroht, am den geheiligten Gegenstand nicht ei
geheim za halten, wol aber lieblosen Blicken za entziehen.
Uebereinstimmang der Kaltiirzastände im alten Germanien iL
Gallien war bei manchem bedeatenden Unterschiede groB gen
am es wahrscheinlich zu machen, daß auch der Nerthnswas^
einfach aus einem Gefährte bestand, das mit einem Tnche (
mehreren Decken) oder mit Kleidern (veste contectum, Y(
abluntur) bespreitet war. Dieser Auffassung entspricht auch
Sprachgebrauch von vestis, das außer der Garderobe den Tepp^i^^ji
bedeutet, womit man die Polster belegte. Eine andere Mügiäc^li.
keit freilich erhellt aus einer gleichfalls von Grimm bereits l>^i-
gebrachteu Begebenheit unter GU)then. Sozomenos bist eccL L 1/^.
c. 37 schildert nämlich die von Athanarich (zwischen den Jahr^ui
370 — 372) angestellte Christenverfolgung: Xeyetai yovv äg -ari
^oavov f.fp^ aQf.iaf.ia^qg eaxiog, oi ye tovto nouilv vtvo ^'9'Wk-
vaQixov TtQoaerdx'd^jOccVy xad'^ eTidaTtjv axtjvijv TteQtdyovr^ ^
Twv XQHJTiaviCeiv '^arayyellofdevwv , iyJXevov tovto fiQoaxwBTt
xai Sveiv. tmv de 7T€QiaiTOVf.iev(ov , avv avröig dvd-Qt'noig tai
axrpfdg ivemfiTtQiav. Es fragt sich, ob das Gebahren des Eönii^
eine ausnahmsweise Maßregel oder der Volkssitte nach gebildet
war. Hatten die Gothen den Brauch, zu gewissen Zeiten mit
dem Götterbilde von Haus zu Haus, von Zelt zu Zelt zu ziehen
und Opfergaben in Empfang zu nehmen^ nach Art unserer Um-
gänge mit dem Maibaum , Pflingstl , Regenmädchen u. s. w., ß<>
gab es freilich kein besseres Mittel, die Treue des Volkes gegen
den altvaterischen Glauben zu erkunden, als wenn solcher Umzug
jetzt zu außergewöhnlicher Zeit befohlen wurde. Das G^tterbiW
soll aber np' aQuajtid^rjg gestanden haben. 'y^QudjuaSa war ©^
persischer, bedeckter Rcisewagen, eine Art Rutsche (^r/iyv^ zr>t^-*i*
vr€(f'Q(r/fuvt^) mit Vorhängen, die man auf- und zuziehen koni*^
sodann ein Lastwagen. Demnach scheint Sozomenos sagen ^^
wollen, daß das Götterbild unter einem Zelte, oder BaldacÄ^^^
von einem (aus Zeug gefertigten) Dache überspannt auf A^
Wagen gestanden habe. Wsis im 4. Jahrhundert gothische S'^*
war, konnte im ersten suevischer gemäß sein. Dazu würde
taciteische Autfassung des „penetrale^^ besser sich fUgen, a.
der Ausdruck „veste contectum" entspricht mehr der vor^^
namhaft gemachten Form des Brauches. Und in der Tat
bedeckte Wagen mit Gardinen war zweckmäßig, wo es galt^
Die Tatiachen des Berichtes. 579
anfrechtstehende oder sitzende Holzbild bald den Augen der
Olänbigen darzustellen, bald profanen Blicken zu verhüllen. Es
batte aber keinen Sinn bei bildlosem Kultus. Denn der Nerthus-
ipragen enthielt noch kein Götterbild; wenigstens wußte Tacitns
nifshts davon. Anderes Falles hätte dieser ja unmöglich in der
allgemeinen Schilderung Germanicns (c. 9) versichern können:
Ceterum nee cohibere parietibus deos, neque in ullam human i
oris speciem assimulare ex magnitudine coelestium arbi-
trantur: lucos ac nemora consecrant; deorumque nominibus
appeUant secretum illud quod sola revcrentia vident. Auch die
Worte „et, si credere velis, numen ipsum abluitur" bewähren,
dafi Tacitus den Nerthusumgang ohne Götterstatue sich denkt.
Nun ist es doch andererseits wol wahrscheinlich, wenn gleich
lucht unbedingt notwendig, daß tatsächlich die Decken des Wagens
uigend einen greifbaren (Jegenstand verhüllten, daß irgend ein
solcher gewaschen wurde, woran als einem Symbole flir die
ClUUibigen anschaubar die Anwesenheit der Gottheit geknüpft
erschien.
6) Der Priester beobachtet und bemerkt die Anzeichen,
^ann das Numen zum Heiligtum kommt. Von derartigen und
anderen Beobachtungen der Göttemähe im heiligen Walde (aus
Vogelflug, Rosscwiehem u. s. w. Germ. 10) zeugen die ahd. Glos-
^n zur Verdeutschung des lat. haruspex parawari und harugari
(tMutisca I. 511^ 150'. Myth.* 78), zwei Worte, die von den
Benennungen heiliger Haine und Bäume paro, ags. bearo und
i^aruc ags. hearg (Myth.* 59) abgeleitet sind. Die Angabe, einzig
^nd allein der Priester habe den Wagen berühren dürfen, erweist
^ich als ungenau, da nachher bei der Wassertauche des Gefähr-
tes und der Decken ministrierende Knechte erwähnt werden.
^^is mag statt des Wagens das Symbol gemeint sein, welches die
trecke barg, oder die Erlaubniß der Berührung ist stillschweigend
^uch auf die GehiUen des Priesters ausgedehnt zu denken. In
Oedem Falle zeigt die Hervorhebung dieser exclusiven Berechtigung,
^aß auch noch andere Leute dabei Avaren, welchen das Fahr-
zeug zu berühren nicht gestattet war. Lag der Nerthushain zu
gewöhnlicher Zeit auch einsam, vom Verkehr der Menschen
'tmentweiht , nichts hindert, daß bei Beginn der Ausfahrt den
lieiligen Wagen eine feiernde Menge umdrängte. Nach Anschir-
Tong der Kühe begleitet der Priester den Wagen nut groAer
580 Kapitel YII. Vegetationsdämonen : Nerthns.
Ehrturcht. Wir werden uns den Vorgang zn denken haben ^v^me
in der Sage von Gunnar Helming (s. u.), wo das Götterbild
and das fllr seine Frau geltende Weib auf dem Wagen PL
haben ; der vornehmste Diener aber vorauf oder daneben g^bt
und das Boß lenkt (enn Gunnarr var til a^tlat^r at fylgja vagrcu-
num ok lei^a eykinn), ein größeres Gefolge von Dienstleu^t^j^n
sehritt vorher (ok skyldo pau Freyr ok kona hans si^a i vag^u,
en pionusto menn peirra skyldo gdnga fyrir). Das heilige Gefä.b wi
war nur fUr das Numen und die dasselbe darstellende Bllds&uJIe
und Person bestimmt; als der Rosselenker sich mit auf d^n
Wagen setzt, wird der im Freyrbilde steckende Teufel ungeberdl^
(Fommanna Sog. U, 74). Ein augenscheinliches Analogon bietet
wie schon MüUenhoflF bemerkte — der Germ. 10 als allgei
germanisch geschilderte Hergang. Proprium gentis equonun
quoque praesagia ac monitus experiri. publice aluntnr iisdeni
nemoribus ac lucis, candidi et nuUo mortali opere eontacfx:
qnos pressos curru sacerdos ac rex vel princeps civitatis
comitantur hinuitusque ac fremitus observant nee ulli auspi-
cio maior fides, non solum apud plebem, sed apud procerei^
apud sacerdotes: se enim ministros deorum, illos conscios
putant. Die Annahme könnte naheliegen, daß man die Ross^
gehen ließ, wohin sie wollten, daß die Beobachtung der von ihneii
eingeschlagenen Richtung für die Weißagung mitbestimmend wax,
daß aus diesem Grunde Priester und Fürst nur nebenherginge**?
ohne den Wagen zu lenken, und man könnte ein ähnlicb^^
Gewährenlassen für die Kühe des Nerthuswagens vermuten, ^^
daß die Wahl des Zielpunktes vom Zufall, von der jedesmalige^
Götterbestimmung abhing. Doch Tacitus nennt in dem e
Falle ausdrücklich nur das Wiehern und Schnauben der
als Gegenstand der priesterlichen Beobachtung, und in
anderen Falle widerspräche ein dem Zufall überlassenes Eintreflf^'^^
des Nerthuswagens anderen später zu erörternden Tatsachen.
7) Wohin der Wagen gelangt , da wird die Gottheit -^^^^^
lieber Gast empfangen (loca quaecunque adventu hospiti
que dignatur). Der Ort schmückt sich zum Feste, das mehre ^^^
Tage dauert. Inzwischen ruht jede Fehde.
8) Wie viele Wohnsitze der Umzug berührte, auf wie ' ^
Zeit er sich .ausdehnte, sagt Tacitus nicht. Schließlich bad
der Priester mit seinen Gesellen den Wagen, die Decken
Die Nerthnsamfahrt den Frühlingsgebränchen yerwandt. 581
'wol auch das Symbol der Gottheit in einem einsamen von den
^Wohnangen abgelegenen , durch den Gebrauch des täglichen
Lebens anentweihten Landsee , der darum sehr wol jedermann
bekannt sein konnte. Es ist nicht nötig und folgt nicht aus
TacitoSy daß derselbe auf der Insel oder in jenem heiligen Haine
Isig, von dem die Prozession ausging. Denn die Worte: ,,donec
idem sacerdos satiatam mortalium deam templo reddat^^ enthalten
unzweifelhaft eine subjective Deutung des Tacitus, der deswegen,
'^eil er voraussetzte , daß das heilige Fahrzeug, das Nahen der
Gt>ttheit erwartend, im Inselhaine bereit zu stehen pflege, das-
selbe auch wieder dahin zurückkehren lassen mußte.
9) Die bei Anschirruug der Kühe und der Wäsche des
Wagens wie der Decken hilfreichen Knechte wurden ebenfalls
tta Wasser geworfen. Dieser Tatsache ttigt der Autor als seine
Udividuelle Auslegung hinzu, es sei geschehen, weil, wer das
Numen geschaut habe (mit, Ausnahme des Priesters), sterben
^tlsse. Obgleich er sich das Numen körperlos also unsichtbar
denkt, braucht er metonymisch den Ausdruck vident, da ja
^e Wohnung desselben, das Innere des Wagens den Sklaven zu
Gesicht kam.
§ 7. Die Nerthusumfalirt den FrfilüIugsgebrSuchen
^^rwandt. Der Nachweis, daß der tatsächliche Inhalt des taci-
^ischen Berichtes mit noch heute lebenden und weitverbreiteten
^'tUhlingsbräuchen , wo nicht sich decke, so doch nahe verwandt
^^i, würde nicht allein jenem Beglaubigung und Anschaulichkeit,
^esen ein zweitausendjähriges Alter sichern, sondern auch den
-^erthuscultus aus der Vereinzelung herausheben und als beson-
^^re Form einer allgemeinen Erscheinung bewähren. Unsere
*^isherigen Untersuchungen bieten aber hinreichendes Material,
^^ darzutun, daß jene Umzüge, in denen wir als Gedankeninhalt
^^ie Einbringung des Vegetationsdämons im Lenze (in der Gestalt
^^8 Sommers [Ljeto], Maibaums o. S. 15G flf. 100 flf., Pfiugstlümmels
^^, S. 316 ff. oder ersten Pfluges o. S. 332. 553 ff.) nachwiesen, die
Entschiedensten Analogien zum Nerthuskultus darbieten und daß
^ie nämliche Anschauung als realer Kern desselben vorausgesetzt,
^lle wesentlichen Züge darin hinreichend erklärt, nur daß natür-
i ich keine der heutigen Formen des Gebrauches der ältesten genau
gleichkommt; am nächsten steht derselben in \ielen Stücken noch
<Iie 0. S. 157 ff. beschriebene russische Semiksitte. Der Aus-
582 Kapitel VII. Vegotationsdäuionen: Nerthns.
gangspankt der Einbringung des Dämons ist der Wald. S.
S. 157. 161 ff. 173. 320. 333. 318. 349. 431). Gradeso begiiBJCK.t
die Nerthnsprozession im Walde. Zwar dieser Aa8gaiig8piu&]s.t
mag nichts Besonderes zu haben scheinen, da zu Tacitns Z^ü
die Gottesverehnmg der Germanen überhaupt in heiligen Hekl.-
nen stattfand (Myth. ^ 61); der Ausdruck des Tacitos castu
nemus sagt aber eher aus, daß der Inselhain zu gewöhnlich
Zeiten unbetreten, also auch nicht der Schauplatz eines ständig^exi
Opferdienstes war, und wenn berichtet wird, daß der Pries^^j
daselbst die Anwesenheit der mithin nicht immer gegenwärti^^xi
Gottheit an gewissen Zeichen bemerkt, so wird wahrscheinlioli,
daß hier der Wald nicht bloß als Wohnstätte 4er Gottfaieit
gemeint war, sondern in einem inneren Verhältniß zur Ersehe >-
nung der Gottheit stand. In ihm konnte jedermann, wenn
Bäume sich belaubten, die erneute Gegenwart des Frühlings,
Wachstumsgeistes, der Gottheit des verjüngten Jahres spttreim ;
ihr Nahen, ihre erste Ankunft mochte ein schärferer Beobadite'
(der harugari?) etwa an dem Ergrünen gewisser Bäume ode^
Zweige, an dem Erblühen der ersten Waldblume (Veilchen^
Primel), oder dem Erscheinen des ersten Käfers (Myth. * 66 T'^
sichtlich warnehmen (intelligere). * Zu den frühesten Anzeichei^
der Vegetation in unsem Wäldern gehört die Blüte von Daphn^^
mezereum, Zeidelbast, altn. T5'vi(lr, ahd. Zigelinta, Zilant (Mjrth-*
1144). Sollte in diesen Namen eine Beziehung auf Zio als Frttb-^
lingshimmel durchschlagen und damit die Pflanze als Frühlingö-
verkünderin gekennzeichnet seinV Die Aufgabe des haruga.^^
kann möglicherweise darin gelegen haben, das erste sichtbaX'^
Anzeichen des in den verschiedenen Jahren früher oder spä,!^*
wiedererscheinenden Lenzes zu erspähen. Hierin glaubte
das Wachstumsnumen gegenwärtig. Der Priester mag dann
Baum, vielleicht nur einen Zweig, abgehauen, oder die Blnuß*-^
abgepflückt auf den Wagen gelegt und mit Ehri'urcht bedec?
haben. Sind wir nicht genötigt die Zeit der Abfahrt auf den if^
ment der ersten Beobachtung des göttlichen Naheseins anzusetzc:^
so kann auch ein schon völlig belaubter, nach gewissen d^^
Priester bekannten Merkmalen ausgesuchter Baum oder
t
1) Man vergl. o. S. 111 die Sage von dem Erscheinen des
Mannes, der den Bauern die Zeit der Aussaat verkündigt.
Die Nerthnsumfahrt den Frühliugägebr&uchen yerwandt. 583
len WaehstmuBgeist vertreten haben. In diesem Falle war es
m^lichy daß die Feier in jedem Jahre regelmäßig an einem
restslehenden Tage stattfand; anderesfalls war sie wechselnd und
vnirde vom Priester angesagt Ersteres hat die größere Wahr-
Boheinlichkeit für sich. Dem großen Wagen muß in diesen
Bräuchen nicht notwendig eine große Last entsprechen. Man
vgL S. 214, wonach im Emtebrauch ein winziger, den Vege-
tationsdämon darstellender Hahn den vierspännigen Leiterwagen
einnimmt Möglicherweise enthielt auch der Wagen unter der
Decke wirklich gar nichts, wie jener erste Pflug, jene erste Egge
(o. S. 332. 561); dann aber, sollte man denken, müßte er wenigstens
iB einem bestimmten Bezüge zur Vegetation und zwar zu den
Nutzpflanzen der Menschen gestanden haben, also nach Gestalt^
erkennbar etwa ein Erntewagen gewesen sein. Vielleicht
jedoch war auch das nicht einmal nötig. Man beachte nur, daß
bei Köpenik die Fischer ohne MitfUhrung irgend eines sichtbaren
Beiltums umgehen und sagen „wir sind das neue Wetterkind,^'
mithin bildeten sich die Gründer dieser Ceremonie ein .oder
fingierten, unsichtbar den Frühlingsdämon in ihrer Prozession
^t sich zu tlihren. Uebrigens waren Baum, Zweig, Blume,
K,^er nicht bloße Symbole, sondern galten als Verkörperungen
eitles Numen, der dcvauii; av^rju/jj. Die Einbringung des
V'^etatiousdämons zu Wagen läßt sich nacliweisen vom Mai-
'^Hum, o. S. 168. 173, von der Pinxterbloem , o. S. 318, von der
^t^ine de printemps, o. S. 344. Wir sahen oben S. 174. 182. 183.
ias Gefährt, auf welchem der Maibaum (Kreuzbaum) bei den
L^llneburgischen Wenden feierlich ins Dort' geführt wurde, mit
len Röcken sämmtlicher Hausväter bedeckt, und erinner-
en schon da an da^j vehiculuni veste contectum der Nerthus.
iVie dieses von Kühen, wurde der wendische Kreuzbaum von
Einern Paare, der englische Maypole von 20~4o Jochen Ochsen
gezogen (o. 8. 171. J74. 211). Man wird entgegenhalten, daß
iier Maibaum dieser Erörterung lern bleiben müsse, da Tacitus
Von einem Baume nichts sage, und sicherlich hat er selbst von
feinem solchen nichts gewußt, vielleicht aber sein Gewährsmann.
Der mit Kränzen, Blumen, Bändern, Eiern, Backwerk und allen
möglichen guten Sachen behangenc „Sommer" (o. S. 154) oder
„Maibauni" (o. S. IGG ff.) Birke, Tanne oder Fichte hat
auffallende Aehnlichkeit mit der von den Dendrophoren aas
584 Kapitel YIL Yegetationsdfimoiien: NerthuB.
dem Haine der Cybele in deren Allerheiligstes getragenen,
Flöten, Cymbeln, Tänien und Veilchen behangenen Pinie, <ü.6
anf tUnf Tage im Sacrarium den Blicken des großen Häufte ^eks
verschwand. So wird jener russische Semikbanm (o. S. l&T)
nach der Einbringung aus dem Walde drei Tage lang ms
einem Hause des Dorfes aufgestellt. Der Maibanm (im weiteren
Sinne) wird entweder zu Wagen eingefahren, als Lebensb&ixra
der Gemeinde inmitten der Ortschaft aufgepflanzt und amtax&z^
oder als Sommer, Maibaum (im engeren Sinne) Jobannisbsuiiii
u. s. w. der Prozession vorhergetragen oder nachgeitlhrt, weloh«
gabenheischeud von Haus zu Haus geht, und den Dämon der
Vegetation noch in anderer Gestalt (laubumkleideter Menscli,
Käfer u. s. w.) mit sich fUhrt. Statt der geschmückten , bunt-
behangenen Bäume oder außer dem im Dorfe aufgepflanzten Mai-
baum treten oft andere grüne Zweige ein. Cf. in Schleswig noc^l
zwischen 1630—40 „Ein sonderbarer Aufzug der Schleswigscb^s
Spinnradsamazonen einen cantharidem oder Maykäfer mm i
grünen Zweigen einzuholen." Myth. * 657. Wie wenn Dm*
Baum oder (resp. und) Zweige in der einen oder der ander*
Weise auch einen Bestandteil der Nerthusprozession gebild^'^
haben und dadurch der Beobachter in seiner zuveir -
sichtlichen Behauptung bestärkt wurde, dieselbe sei Verm-
ehrung der Terra mater? In seinem Berichte konnte er diesemd
Umstand als selbstverständliches Zubehör des Cybeledienste^ ^
oder als seiner Meinung nach weniger characteristisch oder be-
deutsam leicht unerwähnt oder mehr zurücktreten lassen, so da.-Ä3
Tacitus darauf nicht achtete. Vielleicht auch hatte der Ursprung?'
liehe Beobachter zuerst den verhüllten Wagen gesehen
dessen Decken, ihm unbewußt, den Maibaum bargen, und
nachher wieder den autgerichteten Baum, den er als Hauptstli<^ *•
der Feier nicht erkannte. Liegt nach imserer Ansicht somit cJ-^^
Möglichkeit (mehr behaupten Avir nicht) vor, daß in derinfJ^^**
pretatio Romana Terra mater ein Zcugniß flir den Maibanm ^ä- *®
Bestandteil der Nerthusprozession implicite enthalten sein kön ^^ *'
so gewährt nun namentlich der russische Semikbrauch (o. S. lö^ ^
die willkommenste Dlustration der Worte „laeti dies, festa Ic^
quaecunque adventu hospitioque dignatur." Wird doch t
der bekleidete Baum geradezu mit dem Namen „Gast" an|
redet und als solcher empfangen. Mau vergl die Tänze um
Die Nertinuumfohrt den Frahlingsgebränohen yenrandt. 585
itoehen aas dem Walde gebrachten Maibanm. Auch bei den
stigen Formen des Brauches trifit die taciteische Schildenmg
Jnbelgeschrei, von Gesang begleiteter Reigentanz, Festmahl-
en, die noch vielfach den Namen Gilden ftlhren, bezeichnen
ein gemeinsames Zubehör aller Variationen desselben die
bmft des den Wachstumsgeist im Frühling einbringenden Zuges.
stellen zwei wesentliche Bestandteile der altdeutschen reli-
sen Festfeier dar, den leih, goth. laiks, ags. läc,^ den Tanz
l das geld,' ahd. k€lt (tributum, sacrificium) die heilige Mahl-
;, zu welcher unter Herumfllhrung des Heiltums von Haus zu
D» die Naturalien gesammelt werden. Von solchem Umgang,
OS bei Haus, der unsem Frtlhlingsgebräuchen eigen ist (oben
162. 264. 312, 318. 320 ff. 328. 345. 348. 366. 369. 432. 546.
r ff.) gewährte anscheinend Sozomenos (o. S. 578) von den Gothen
' ein altes, beinahe bis an Tacitus Zeit hinaufreichendes Zeug-
. Die Prozession der mater magna zeichnete gleichfalls eine
che Hauscollecte aus (o. S. 574). Hier kann derselbe Fall
schlagen, wie hinsichtlich des Maibaums; die Einsammlung
r Steuer auf den einzelnen Häusern oder Höfen mag dazu
getragen haben, den Nerthusumgang mit dem Cybelekult zu
ntifizieren. Der Nerthuswagen wurde nach Beendigung
r Festzeit ins Wasser gezogen sammt den darüber
ipreiteten Decken und vielleicht dem unter ihnen verborgenen
nbol, geradeso wie das Regenmädchen (S. 331) und nach
mdigung der Festfeier der Tod S. 412 ff. 417, Kostroma
414 ff., der Maibaum S. 162. 215, der grüne Georg S. 313,
Pfingstlümmel 8. 320. 351, der erste Pflug und die erste
ge S. 332. 553 ff. (also das GefäJirt) mit Wasser begossen, oder
Bach, Strom, Teich oder See gestürzt werden, um auf die
!;etation erwünschten Regen berabzulocken. Besonders beleh-
i ist auch hier wieder der sehr altertümliche russische Semik-
ach. Nachdem der Maibaum drei Tage als Gast
eiert ist, wird er vors Dorf getragen und in den
•om (Bach) geworfen. Statt des Baumes tritt ein Mensch
r grüne Georg, wie im Enitebraueh die letzte Binderin) ein
S. 313. 215), oder man zieht Baum und Mensch ins Wasßcr
1) Myth.* 35. Müllenhoff , de poesi chorica p. 4. H. Leo in Zs. f. d.
±. m, 20 — 23. 2) Myth.-^ 34.
^^ Kapitel VII. Vegetatiunsd&monen : Nerthua.
(0. S. 170). Beim Pflugumziehen sahen wir dasAck
gerät (den Wagen) selbst sammt den davorgespai
ten Mägden ins Wasser getrieben (o. S. 554), bei
Bchiedenen lebenden Naturvölkern lernten wir als eine Form
Regenzaubers die Ertränkung von Mensehen, vorzugsweise Skia'
kennen (o. S. 356). Wenn nun die Umfahrt des Nerthu8wag-<
den FrUhlirigseinzug und Empfang des Vegetationsgeistes
stellte, das Bad des Wagens and seines Namen ein Regenzais.
war, so erhellt leicht, daß das Hineinwerfen der Diener in
See einen Teil dieser Geremonie selbst ausmachte und — gleich-
viel ob man sie dabei den Tod finden ließ, oder wieder hersas-
zog — die Wirkung der Benetzung des Wagens und seines
Inhaltes verstärken sollte. Haben wir somit fUr 5 wesentliche
Stücke, a) den Ausgangspunkt der Nerthusfahrt aus dem Wald^
b) die Wamehmung des Numens durch den Priester (harugarm3)
c) die Bedeckung des Wagens mit Decken oder Kleidern wm^
die Bespannung mit Kühen, d) den festlichen Empfang des Wagei^*
and seines Inhaltes als willkommener Gäste und festliche Ze^^
während ihres Weilens, e) die Wassertauche nach Beendigon^^
der Festzeit entschiedene und treflfende Analogien bei den Cerer--' '^
monien gefunden, welche den Empfang des Vegetationsdämon^^
betrelBFen, der nahezu in den BcgriflF des Frühlings übergeht
(cf. Sommer, pere May, Maikönig, Maja, reine de printemps), so^^-^
scheiut auch als sechstes und letztes der Name Nerthus aas
gleichem Zusammenhange erklärbar. Falls er nämlich die Mann-
heit oder den als Mann sich Beweisenden bezeichne
sollte (o. S. 571), würde dies für den im Frülüing wiederkehren- ^'
den Lenzgatten oder Lenzbräutigam (o. Ö. 436) resp. das
Fest seiner Erscheinung ein nicht unpassender Name sein. Es ^
darf als Analogie genannt werden, daß dem in Wald und Feld
heimischen altitalischen Gotte Mars, Marspiter, dessen Name
ja den Schinmiemden, Glänzenden (ein passender Name des
Frühlingsgottes) bezeichnet,^ eine Göttin Nerio, Nerienes, Mann-
heit zur Seite stand, die von. den Weibern um glückliche Ehe
1) Corscn, Zs. f. vgl. Sprachf. II, 1—35. Preller. Rom. Myth.* 295 ff.
Röscher, Apollon und Mars. 8. 18. Dagegen Graßmann, Zs. f. vgl. Sprachf.
XVI, 161 ff. Die Form Maspiter ließ Proller an Verwandtschaft mit mas
Mann denken, s. darüber Röscher, S. 19.
W. Mililer, MüUeiihofiE; Simrock über Nerthiu. 587
^^i'SeinfeD wurde/ mithin doch wol ursprünglich eine Personifica-
ion der Zengungskratik des Frühlings gewesen ist.
§ 8. W. MfUler, MUlenhoff, Simrock Aber Nerthus.
^r von ans yersuchten Erklärung sind, wie ich sehe, W. Mtlller,
^- JMtUlenhoff und Simrock bereits nahe gehommen, ohne jedoch
Kiese Deutung in die Einzelheiten zu vertblgen und auf die
E^ritik des Taciteischen Berichtes von Einfluß werden zu lassen.^
tfUler sagt in seinem System der altd. Religion S. 133: ,,Wie
wlion nach Tacitus die Nerthus auf einem Wagen durch die
Ghmen im Festzuge gcftlhrt wurde, finden wir noch in christ-
liehen Zeiten besonders im Frühjahr Gebräuche, deren
Elaapthandlung auf einem Umzüge beruht Der Festzug
geschieht entweder durch ein Dorf oder eine Stadt oder mehrere
Ortschaften, oder um die Aecker der Gemeinde, oder um die
Mark. Bei solchen Zügen wird häufig ein Symbol herumgeillhrt,
entweder ein Tier, welches in Beziehung zu irgend einem gött-
lichen Wesen stand, oder irgend ein Gerät'^ Und dann ftihrt er
die Umzüge mit Schiflf und Pflug an, die er auf eme Göttin
(bezieht, welche der Fruchtbarkeit der Erde und den Ehen vor-
stand. Müllenhoff setzt in seiner schönen Abhandlung de poesi
^horica, KU. 1847. p. 8 auseinander: Vehiculum veste contectum
'^Ubusque feminis vectum multa cum veneratione ubi de am
^desse penetrali intellexit i. e. verno tempore sacer-
ios, cui uni et attingere concessum, prosequebatur eo modo quo
*Hc5erdo8 et princeps sacrum currum equis candidis vectum. [Dar-
^l>er vgl. 0. S. 580]. Femer nimmt er an, die Nerthus sei eine
l^^utsche Freyja und der Kultus sei am Niederrhein in dem
^yth. * 237 ff. beschriebenen Umzüge mit einem auf Rädern
ebbenden Schiffe, in Oberdeutschland in dem Pflugumziehen
-ehalten, einer Prozession, die gleich der Nerthusfahrt mit Wasser-
buche endigte (veterem actionem, quam lustratione aqua aut igne
^^cta similiter ac Tacitus de Nerthus vehiculo narrat quondam
^nitam esse conjicio). Aus der Analogie dieser Umzüge mit Schiff
^Xnd Pflug zieht auch Müllenhoff folgenden Schluß: Uis fretis
1) Ebel, Zs. f. vgl. Sprachf. I, 307. Corsen a. a. 0. 33. Graßinann
8^. a. 0. 177. Preller a. a. 0. :j()2.
2) Von K. Müllenhoff ist eine derartige Untersuchnng unzweifelhaft im
zweiten Bande seiner Altertumskunde zu erwarten.
588 Kapitel YIL Vegetationsdämouen : Nerthiu.
testimoniis non dubito, qnin antiquo tempore ad talem pomi>!
deducendam non solnm doce sacerdote vel principe quomm
citns meminit, sed qnum qnaecunqne adventn hospitioqne
vel dens dignaretnr, loca festa laetosque tnnc ibi dies
memoretnr, ubiqne etiam choris juvenum virginnrnq ^ne
electis et arte doctis opus fnerit; qoibas non injuria posfc^xio
certe tempore masicomm tnrbam addas. Ubi enim ad vicos v^s-
tmn est, chori ordine composito circumfasa vociferaxi Ce
et jubilante multitudine, prodenntes deum yei deam advec-
tam cantibus salutarunt sacrnmqne vehiculum pars praecedentes,
pars et sabsequentes ant utrimqne stipantes intns dedaxemrKt
Qaae deinde acta sint, hoc loco exponere nostmm non est, se^^
tantnm id monendum, ut vehiculum eodem modo quo in yien
duxerint, etiam ad proximum prosecuti sint/' K. Simrock eni
lieh (Handb. d. D. Myth.* 556) schreibt: Schon der Einzug d^^
Nerthus, wie ihn Tacitus beschreibt , war eine Schaustellung aE^
deren symbolischen Sinn wir die erwachte Natur, die im Frfll^'
ling aus der Gewalt der Riesen befreite Erdmutter kennen. Da-^
Volk zog ihrem Wagen, wie bei dem späteren Sommer —
empfang, der davon übrig ist, festlich entgegen." Ge8tttt&*
auf die S. 571 flfl erörterten Tatsachen glauben wir unsererseits di^
von Simrock mehrfach (S. 17. 177. 341) wiederholte Identifizier
rung der Nerthus mit der alluährenden Mutter Erde, der altnord^
Jörd u. s. w. ablehnen , aus anderen Gründen aber den heutigecB-
Frühlingsbrauch nicht als Ueberbleibscl des Nerthusfestes, sondercm
als Ausläufer oder Sproßform eines früheren auch diesem Fest^
zu Grunde liegenden lYpus ansehen zu müssen.
§ 9. Nerthus, NJÖrdr und Freyr. Die Gleichstellung de »•
(nach Tacitus Worten vorausgesetzten) Nerthus mit Freyja stttte*
sich auf nachstehende Gründe. Nerthus ist sprachlich das nomr-
dische Njörflr, des Njördr Kinder waren Freyr und Freyja. &*^
Njörds Tagen, sagt die den Gott vermenschlichende Ynglingasag^*»
war allguter Friede und so große Fruchtbarkeit all*^^
Art, daß die Schweden glaubten, er walte über der Fruchtb^»**'
keit des Jahres und dem Viehreichtum der Menschen. Ai>-*^
Freyr galt und wurde angenifen als Geber von Frieden u^^J^
Fruchtbarkeit und erhielt datlir jährliche Gaben. Noch cl-^®
euhemeristische Sagenvenvässerung Snorris, die ihn zum mentj^^ .
liehen Könige macht, weiß, daß zu seinen Tagen der Frodl*^'
Nerthos, Njördr und Freyr. 589
^eden Aber alle Lande herschte und fraehtbare Jahre waren,
sowie, dafi sein Leichnam unverbrannt blieb in dem Glauben,
daß Friede und gute Zeit bleiben werde, so lange er in Schwe-
den sei.^ Vielleicht hatte auch der zwanzigtägige Landfriede,
den man zur Julzeit ansagte (Jolai'rid) auf ihn Bezug. Gemahnt
dies an den Frieden, der während des Nerthusumzuges statt-
gehabt haben soll, (obschon religiöse Ehrinrcht bei den Festen
sehr verschiedener Gottheiten eine Unterbrechung der Fehden
herbeiführen konnte), so kam noch hinzu, daß eine freilich späte
Quelle die abenteuerliche Erzählung von Gunnar Ilelming in der
gröfteren Olaf Tryggvasonssaga K. 173 (Fornmannasög II, 73-78)
niit dem Freysbilde eine der Nerthusprozession ähnliche Umfahrt
veranstalten läßt. Die Geschichte beruht indeß auf einer älteren,
unabhängigen Aufzeichnung, offenbar schwedischen Ursprungs,
welche nur ganz lose und ungeschickt mit dem Leben Olaf
l^^^^^ons verbunden und zu diesem in Beziehung gesetzt ist.
E^ ist darum wol möglich, daß in ihr einige echte Erinnerungen
an Zustände der heidnischen Zeit erhalten sind. Schauplatz der
Begebenheit ist der östliche Teil von Upland oder Södermann-
land. Hier lag ein Freystempel (hofstadr) mit vielen liegenden
Grrtinden. Das Volk glaubte Freys Bildsäule (likneski) lebe und
hatte ihm ein junges und schönes Weib, das seine Frau (Freys
kona) genannt wurde, zur Dienerin gegeben. Sie lebte angeblich
in wirklicher Ehegemeinschaft mit dem Gotte (ok «tladu, at bann
— Freyr — mundi purfa at eiga hjüskaparfar vid kono sina) und
verwaltete in seinem Namen den Tempel und dessen Besitzungen
(skyldi hün mest rada med Frey fyrir hofstadnum ok öllu pvi
®^ |>ar lä til). Im Winter fuhr die Priesterin mit der lebens-
ffJ'often, bekleideten Bildsäule Freys zu mehreren entlegenen Orten
J^Useits der Berge auf heilige Gastgebote, Gilden (veizlur), um
^©n Menschen daselbst „Jahrbuße," Aussicht auf Fruchtbarkeit
*^ schaffen {\)& er bann — Freyr — skal gera mönnum 4rb6t).
^^Uien sie zu dem Orte, wo ihnen die Gilde bereitet war, so
^^^i*den blutige und unblutige Opfer (blot ok fomir) dargebracht.
^**** Gastbesuch des Gottes und seiner Frau hatte vermeintlich
^^ Wirkung, daß die Witterung mild wurde und Hoffnung auf
1) Siehe die Belaf^sstellon vollständij^if bei Uhland, Schriften VI, 155,
10
Kapitel VII. Ve^etationsdämonen: Nerthus.
jne gate Ernte sich zeigte (var ok vettrAtta bIfS ok allir Intir
iy§L drva)nir, at engi madr mnndi slikt). Als einst die „Fran
des Freyr'' schwanger wurde (I)ikkjast menn finna, at kona
Freys er med bami), hielten die Schweden das flir ein sehr gntes
Zeichen. Ob man jedesmal nach dem Tempel znrflckkehrte, oder
von einer Gilde zur andern fuhr, ist nicht ersichtlich. In jedem
Falle hat die Ausfahrt des Freysbildes zum Gastbesnch anffal-
lende Aehnlichkeit mit der Fahrt des Nerthnswagens. Da nun
Freyr vermutlich eben deshalb Friedensgott genannt war, weil
vorzugsweise bei seinem Feste Landfrieden eintrat, und da auch
die dänische Sage von der drei Jahre im Lande umhergetahrenen
Leiche Frodhis ebenfalls die S})nr einer Umfahrt des Freyr na
enthalten scheint,^ werden wir J. Grimms allgemein gut geheile*
ner Annahme eines Znsanmicnhanges des Nerthuskultns mit
demjenigen des Njördr und seiner Familie auch unsererseits
Wahrscheinlichkeit zuzugestehen nicht entbrechen.
Die Yermittelung dieser Hypothese mit den yorgetragenei^^
Ergebnissen unserer Forschung würde in dem Umstände zu sncher^
sein, daß der Vegetationsgenius, dessen Einholung im Frühlings
die taciteische Schilderung beschreibt, bei dem nordgermanischeKa
Volke der Sviar im Laufe weiterer Anthropomorphose zu freiere ä"
Gharacterentwicklnng gelangte, und in die Gestalten Nj^^rdc^^
Freyr und Freyja sieh spaltete. Es ist schon oft bemerkt wor-
den, daß der Vater NjiJrdr nur als eine Wiederholung, cini
andere Form des Freyr erscheint, der vermittelst der Freyja seil
Wesen in eine mämiliche und eine weibliche Seite auseinander
legt, lieber diese Gottheiten hat am gründlichsten und zutref — ' '
fendsten meines Erachtens llhland gehandelt, der Schriften Vl,i^ ^'
150 ff. nachweist, daß in den Vanen die milden und woltätigeurf^^^
Stimmungen der Luit und des Wetters [)ersr»nlieh geworden
seien; darum gel)icten sie über Hegen, Sonnenschein und Wind,
und der Beginn wie die Ausbeute der SehiiVahrt und des Fisch- -^ ^
fanges, der Segen des Feldbaues und der Weiden hängt von ^^
ihnen ab, sie sind die Hringer und Geber des Iteichtums. Von ^^
Thorr und Odliinn, die gleichi'alls im Luftgebiet walten, scheidet
sie die Weichheit ihres Wesens, ihre Mythen ergeben sie als
irj?
u
% ^
1) Sjixo (Jram., liist. Dan. III (I. 2M V. K. MiUlerV Vgl. Petersen,^ ^
Nordisk Mythologie. S. ;j:)8. Ct. Ztsohr. f. I). A. lU, 43ff.
7/.
Nertbns , Njdrdr and Frejr. 591
vorzugsweise im Frflhlinge tätig. (Vgl. Gerdhr, Beli u. s. w.)
Wenn Njördr in Noatdn (Schiffsstätte) wolint nnd nur bei See-
fahrt and Fischfang angerufen wird^ so ist er (wie Uhland mit
Hedit bemerkt) darum kein Meergott , sondern er giebt guten
Wind für die Schiffahrt und das rechte Wetter für die FischereL
Der kräftige warme Hauch des Frühlings läßt die erstarrte
See offen gehen; an der Befreiung des Meeres, der Ströme und
Bäche von E^ses- Banden wird zuerst und am itihlbarsten der
Eintritt der neuen, die wintertodte Welt wiederbelebenden Macht
^ajrgenonmien. Wir werden daher, meine ich, Uhlands schöne
^^chweise dahin ergänzen können, daß Freyr und Freyja die
^^t^tationsgenien darstellten, welche im Lenze eintreten, das
^^ohstum von Pflanzen und Tieren bewirken, und zu diesem
ft^lufe in Wind, Regen, Sonnenschein ihre Gegenwart spüren
I^^sen. Ich erinnere daran, daß nach S. 42. 149 die Baumgeister
^^«h S. 119 die Dames vertes auch im Winde umfahren, und
*^^i anderer Gelegenheit werden wir reichlichen Beispielen
l^^gegnen, welche den Glauben an die Komdämonen, d. h. die
^^ Getreidekom waltenden Geister mit der VorsteUung verbin-
det, daß dieselben im Windeswehen sich vernehmbar machen.
Als Gott der zeugenden und belebenden Naturkraft im Frühling
tat Freyr in Upsala den Beinamen Friggi d. h. goth. Frija, i. e.
^mator, osculator erhalten. „Fricco, pacem voluptatemque lar-
^ens mortalibus, cujus ctiam simulacrum fingnnt ingenti priapo.
Si nuptiae celebrandae sunt, immolant Fricconi." Jene Umfahrt
Ües Freybildes mit einer sein Weib genannten Priesterin stellt
Bich so treffend zu dem in französischen, deutschen, englischen
Und skandinavischen Gegenden erhaltenen Umgang des Mai-
l>rautpaars (o. S. 431 ff.). Während Thorr und Odhinn Namen
tragen, welche ein bestimmtes Phänomen als die Natnrgrundlage
ibres allmählich mit reichem geistigen Inhalt eritillten Wesens
Erkennen lassen, sagt der Name Freyr, schwed. Frö entweder
fieu Herrn oder den Eri'reuendcn, vielleicht Beides in einem aus
CMyth.* 190 ff.) und giebt sich damit als die Bezeichnung ftlr ein
unbestimmtes Etwas, als den Gesammteindruck ftlr eine mehr
^fühlte, als in deutlicher Begrenzung angeschaute die Welt
durchdringende Macht; veraldar god heißt er Ynglingas.
cap. 13. Treffend vergleicht sich, daß den Semiten die Worte
Baal, Adoni (Herr, mein Herr) ebenfalls zu Namen göttlicher
592
Kapitel Vn. Vogctationsdäinonen: Nerthus.
Wesen ftlr nahezn denselben Begriff geworden sind, den wir als
Qmndbedentung von Freyr voraussetzen. War Freyr die zeu-
gende Natnrmacht in der Sonimerhälfte des Jahres ^ deren Weben
man in Sonnenstrahl und Windeswehen und in dem Erbittben
und der Vermehrung von Pflanzen, Tieren, Menschen wamabm,
so fligt sich wol als sein Urheber die Mannheit, njürdr (virtus,
yirilitas, s. o. S. 571). Das Wort muß seit der Trennung der
Nord- und Südgermanen von einander mit der Vorstellung von
dem Vegetationsgeiste verbunden geblieben und schließlich zu
einer Hypostase des Freyr selbst geworden sein, gradeso wie
Nerio (die Mannheit) Gattin des Mars heißt (o. 8. 586). Sollte
jemand flir so entlegene Zeiten und Entwicklungsstufen unseres
Volkes die Verwendung abstracter Namen und Begriffe unwar-
scheinlich finden, so dart' er vergleichsweise auf den Rigv^
verwiesen werden , wo in einer frühen , mindestens mit dem taci-
teischen Zeitalter in Deutschland vergleichbaren Periode der Osta- --
rier, Aditi (die Unendlichkeit. Ewigkeit) als die Mutter der Göt —
ter Aryaman, Varuna, Mitra, Bhaga u. s. w. genannt, hinwiedemn^
bald als Aditis Sohn, bald als ihr Vater Daksha masc. (Kraft^
aufgeftlhrt wird, wie denn die Göttin häufig Dakshapitarae»
d. i. den Daksha (die Kraft) zum Vater habend heißen. Im Ved^
sehwankt letzterer Ausdruck noch zwischen appellativer meta-
phorischer Bedeutung und Personification , in der späteren indi —
sehen Mythologie ist Daksha ein virtlig anthropomoq)her 6oi
geworden.* Der durch kein Zeugniß belegte deutsche GlM
tername Pro, den Grimm ans Freyr und der ulfileischen Ue1)er
Setzung des biblischen AVQiog erschloß, wird durch diesen Nach
weis der Wurzeln des suionischcn Gottes Frö (Freyr) und seine
Familie nicht zugleich dargetan.
§ 10. Die Umfahrt. Zum Schlüsse kehrt unsere EW^rtc-
rung auf die Frage zurück: wie haben wir uns die Gemeinsam-
keit der Nerthusverchrung bei den 7 V(»lkerschat1ten zu denken?
Zog der eine Wagen durch alle 7 Gaue? Wiederholte sich in
in
1) Vjfl. J. Muir , Original Sanskrit. Texts. Vol. V. London 1872 S. 48.
{>S. E. Wollheim, indische Mythologie, Beri. 1850, S. 89. Aehnliche Meta-
phern sind die Epitheta: Enkel der großen Stärke (napäta savaso mahah)
Söhne der Unsterblichkeit (sunnavah amritasya) für die Götter; Sohn der
Kraft (sahftsub sunu) von Agni, Sohn der Macht (savasah patra), Sohn der
Wahrheit (sunuiTi satyasya) von Indra. Muir a. a. 0. 52.
4
Die Umfahrt. 5d3
^Wb ein gleichartiger Aufzug? Oder hat eine dritte Möglich-
keit die Wahrscheiuliehkeit flir sieh? Man ist Über diese Frage
leieht hinweggeeilt, so lange mau sich keine bestimmtere Vor-
^Uang von dem bei Tacitus geschilderten ßrauche zu machen
Wagte, sondern begnügte sich mit der von Grimm Myth.' 237 — 42
das Rudolfs Chronik von 8t. Trond beigebrachten Analogie des
«Scliiffsumzuges (a. 1133) ohne sich doch Über das Wesen des
'etatcreu hinreichend klar geworden zu sein. Offenbar war der-
selbe die Auffrischung eines in seiner Hebung für einige Zeit
miterbrocheu gewesenen alten Herkommens (cf. ähnliche Vorgänge
'^^im Maigrafen o. 8. 372. 381); nur so erklärt es sich, daß die
^Irrigkeiten (potestates, judices, die Grafen von Duras und der
ostervoigt von St Trond) gegen den Willen der Geistlichkeit
.« Fest erlaubten, ja begünstigten und die Weber zwingen ließen.
''^^ÄBcs Ilerkonmien war die ümfUhrung eines Schiffes vor dem
^Vifange oder zur Zeit des Beginnes der Schifffahrt ui einem ähn-
*i<ihen Sinne, wie die Umfahrt des Pfluges (o. S. 553 ff.), eine Art
^^ulier ilir ein glückliches Aufgehen des Eises und guten Betrieb
^^r Navigation auf Meer und Strom, Oder war mit dem Schiffe
^^r Glaube verbunden, daß es die bösen Geister des Winters
^^itnehme und aufs unfruchtbare Meer hinaus trage? Man ver-
Cs^leiche nur die folgende Sitte der Malaien im hinterindischen
A^rchipelagus, welche A. Bastian, der Mensch in der Geschichte
il, 91 mitteilt. „Beim Beginn jeder trockenen Jahreszeit wird
^in Schiffsmodell in den Dr)rfern der Nicobaren herumgetragen.
l->ie Bewohner der Hütten jagen die Ivis oder bösen Geister * aus
denselben heraus und treiben sie au Bord des Schiffes, das dann
ins Meer gesetzt und den Winden preisgegeben wird, wie auf
Qen Maldivien." Ebds. S. 1)3 : Aehulich den Maldiviern bringen
'lie Bjajas auf Bomeo jährlich ihr Opfer dem Gotte des Hebels,
indem sie eine kleine Barke, beladen mit den Sünden und Un-
1) rf. „Die Vorstellungen dftr Nicobaren von dem, was nicht im unmit-
telbaren Bereiche ihrer Vorstellungen liegt, beschränken sich nach der Mit-
teilung eines Missionars nur auf die Furcht vor Wesen, doren P"inllur» sie
ungewöhnliche Unglücksfälle zuschreiben. Diese Wesen (Ivi), die von den
Aerzten beschworen, oder vertrieben werden können, haben ihren Aufent-
halt in dem Dickieht der Wälder und von Kinigen werden sie auch
als die Erhalter der Natur bezeichnet, die «lie PHanzen zum Wachsen bringen
können/' Bastian a.a.O. 11^1.
Mannbardt. 38
594 Kapitel VII. Vegetationsdämonen: Nerthuß.
glücksfällcn der Nation, vom Stapel lassen , welche dann auf das
arme Schiffsvolk fallen werden, das so unglücklich ist, die-
ser geopferten Barke zu begegnen. Auf einen einzehien Ort
beschiünkt, finden wir den Umzug des wol mit Masken in Fast-
nachtstracht besetzten Schiffes mit dem des Pfluges gepaart schon
zur Adventszeit an der Donau in Ulm (Myth.* 242). Heutzutage
hält man eben daselbst noch zuweilen auf Fastnacht Umzug mit
einem Schiffe. Es wird auf einen Schlitten gestellt, wenn man
noch Schnee hat und dann fahren die Leute darin unter Musik
und Jubel in der Stadt herum. ^ Im Oldenburgischen setzt man
zuweilen während der Pfingstnacht kleine Schiffe auf einen Wagen,
mit dem man am folgenden Morgen durch die Straßen des Ortes
fährt.' In früherer Zeit wird mau sich hier überall nicht mit
der Umfahrt des Schiffes durch die Stadt begnügt, sondern das-
selbe schließlich in den benachbarten Fluß, Strom oder Meeres-
hafen geführt, dem Wasser übergeben haben. In ganz Flandern
und manchen französischen Gegenden ist es gleichfalls Sitte, za
Fastnacht (und auf den daher abgeleiteten Kirchweihen) ein'aur
Räder oder Schlitten gesetztes Schiff mit Musikan^n und
Gameyalsmasken geftillt neben anderen grotesken Gestalten (jenem
Kiesen o. S. 523), Drachen, Glücksrädern, wol modernisierten
Darstellungen des Jahresringes , (cf. die Räder der Frühlingsfeaer)
von Pferden im Garneyalszuge durch die Stadt ziehen
zu lassen. (Hervorzuheben ist dabei der Ommegang in Brüs-
sel.)^ Dieser auf einen einzelnen Ort beschränkte, einst ernst
religiöse, dann zum Scherz herabgesunkene Umgang erscheint
nun im Flußgebiet der Maaß und Scheide durch besondere Um-
stände (als die wir die durch frühe und glänzende Entwickelung
des Handels und der Industrie, zumal der Weberei, erhöhte
Bedeutsamkeit der Schifilahrt leicht erkennen) auf ein größeres
Gebiet ausgedehnt. Bei Aachen ward im Walde selbst im ersten
Frühjahr, als die Tage noch ganz kurz waren (fugitiva adhue
luce diei), von einem Bauer und seinen Gesellen ein Schiff auf
1) Meier, 374, G. In den bairischen Donaugegenden zieht man Fast-
nachts Kähne auf Rollen durch die Ortschaften, die Mäste mit Eßwaaren
behängt, im Mastkorb Feuer. Rochholz, Aleni. Kinderl. 228.
2) Strackerjan II , S. 47, 31G.
3) Vgl. auch noch Dunlop, Prosaromano übers, v. Liebrecht, Vorr. XI.
(Jerniania V, 50.
Die Umfahrt 585
BSdern erlMuit Qeschah die Erbauung im Walde , statt ani der
l>equeiiieren Werft iu der Stadt, sobald dort die ersten Pflanzen-
triebe (Baumknospen) erspäht wurden, und glaubte man so den
FiHblingsgenius (Boi de printemps) unsichtbar im Schiffe zu
haben, der ja auch das Eis des Meeres UVst, milde Fahrwmde
[ ^*tbringt? Oder war sie ein archaistisches Ueberbleibsel jener
Vneitj als die Schiffe noch aus je einem einzigen vieUeicht durch
J^eaer ausgehöhlten Baumstamme (zumeist Eschen) bestanden?^
^tzteres werden wir flir den Fall wahrscheinlicher finden, daß
an Analogon zu der nicobarischen Sitte vorliegt Die Lein • und
^ollenweber wurden gezwungen, das Schiff an Stricken nach
'^^chen und weiter nach Mastricht zu ziehen. Wo man hinkam,
I^Bten die Weber des Ortes die Ziehenden ab ; kamen sie zu spät,
so verfielen sie der Strafe (proscriptionis sententiam accipiunt).
"^^•g und Nacht mußten sie im vollen Waffenschmuck Ehrenwache
d^Jbei halten, [so wird beim Maibaum gewacht o. S. 168]; nur
sie dürfen das Schiff berühren, wer außerdem anfaßt, muß
^in Pfand von seinem Halse geben (pignus de coUo ereptum),
<Hler sich durch beliebige Gabe auslösen. In diesen Zügen offen-
l^art sich ein sicheres Anzeichen von dem Alter der Sitte. Wie
die Schmackosterrute nicht mit bloßer Hand berührt werden darf
(o. S. 270), darf den Nerthuswagen und ebenso dieses Schiff niemand
aoß dem Volke, nur der berechtigte Priester, oder die Schaar der
darch das Herkommen dazu bestellten Führer und Wächter berüh-
ren, weil ein Numen einwohnt Wer ein göttliches geisterhaftes
Wesen berührt, stirbt nach der Anschauung des Al-
tertums, oder kann nur durch Haupt- und Ilalslösung sich ret-
ten. Dieses der zu Grunde liegende Gedanke. Warum aber hat-
ten grade die Weber mit dem Aufzuge zu tun, deren Gewerbe
^ii^t seit Berufung der Regensburger Weber durch Gral' Balduin
van Flandern im J. 959 in diesen Gegenden ausgebreitet* und
deren Vereinigung in Zünfte wenn überhaupt schon, so erst wenige
Jahre vor 1133 erfolgt warV^ Vermutlich hatten sie, auch ohne
1) W. Wackernagcl in Haupt, Zs. f. d. A. IX, 573. Kl. Schriften I,
*^ 85. Solche aus hohlen Baumstämmen gefertigte Schiffe halten 30 — 40
2) Rehlen , Geschichte der Gewerbe. Lpzg. 1866. S. 98. v. Kampen,
^««chichte der Niederlande I, Uil
3) Wilda y Gildenwesen des Mittelalters. 8. 313.
38*
590 Kapitel VII. Vegetationsdänionen : Nertlius.
rechtlich anerkannte ständige Vereine zn bilden , im zehnten oder
elften Jahrhundert als eine Ehre tUr ihren Stand das Amt de«
Vorspanns und der Ehrenwache in dem alten Branche zu erlangen
gesucht, sei es, weil ftlr die Zeugmanufactur der gute Verlauf
der Schiffiah rt eine Lebensfrage war, da sie ihr Rohmaterial
überwiegend aus England bezog und, da ihre Producte damals
die vorzuglichsten überseeischen Ausfuhrartikel der Niederlande
bildeten, oder sei es, weil die metaphorische Benennung eine«
Arbeitsgerätes, des WeberschifTelin ^ (radius, navicula) eine Ideen-
association des WclMjrhandwerks mit der Schifffahrt begründete.
In etwas späteren Zeiten sehen wir vielfach die Zünfte and Cor-
porationen bemüht, die Bräuche der alten Jahresfeste sich anzu-
eignen und zu eigentümlichen Festen ihrer Innung zu verengen,
indem sie am liebsten solche Formen wählten, welche durch irgend __
eine oft untergeordnete Aeußerlichkcit auf ihre Gewohnheitei^
bezogen werden konnten. Vgl. z. B. die Prozession der Zürichec —
Schmiedestubenzunft am Hirsmontag (o. S. 623) und den Mai —
bäum der Prager Schneider o. S. 431.) Möglicherweise hatte di^^
Beteiligung der Weber an dem Umzüge doch einen andern GrunA -
In Trier fanden wir Weber und Metzger (wol als die angesehen —
sten Züntle) die Aufrichtung und Verl)rennung der Frühlingseich^?
am Sonntage Inyocavit als bewaffnete Ehrenwache schirme»-^
(o. S. 501, vgl. Kulms Herabkuntt S. 96), wie an mehreren Orte» "*
die Metzger allein mit der Lenzbraut umziehen. Als im zwölf —
ten Jahrhundert der Reichtum und Stolz der uiederläudiscbei
Weber durch das Aufblühen der Industrie und vielleicht dei
neuen corporativen Zusammenschluß bedeutend wuchs, mocbtei
sie es nunmehr unter ihrer Würde halten, gleich Knechten dar
Schiff zu ziehen und deshalb den Brauch abstellen , bis das nacl
dem gewohnten Schauspiel begierige Volk einmal wieder si
zwang denselben aufzunehmen. Die Prozession mit dem Scbif
ging von Aachen nach Mastricht (4 Meilen), von Mastricht nae^nrh
Tongern (2V2 M.), Looz (2 M.)/St. Trond (l'/^ M.), St Lei=?H
(iVg M.); die genommene Richtung läßt schließen, daß man bea b-
sichtigte, das Fahrzeug direct über Löwen und Antwerpen ^t:_ji8
zur Westcrschelde zu führen und hier fausto omine dem Meez^re
zu übergel)en; mit lilicksicht auf dieses Ziel [oder weil man <J/e
1) Zarucke -Müller, nilid. \V. B. s. v.
Die Umfahrt. 597
anBzatrdbenden bösen Geister darin wähnte] , mag es ttir unglück-
lich und schimpflich gegolten haben, das Schiff irgenwo zu behal-
ten (maligni spiritus disseminaverunt in popnlo, qnod locus ille
et inhabitantes probroso nomine amplius notarentur, apud quos
TCQumsisse inveniretur). Bei Leau war etwa grade die Hälfte
de« znrttckzolegenden Weges erreicht; verweilte das Schiff auf
Mcr Station so lange, wie in St. Trond (12 — 14 Tage), so
lifttte es bis dahin etwa 2 Monate gebraucht und konnte, falls
^> wie in Ulm, im Beginne der Adventszeit die Reise l>egann,
Ende März , falls 1 — 2 Monate später * im Mai das Meer errei-
<^heii. Dieser Zeitraum erscheint bereits durch mißbräuchliche
'Ausdehnung bei Vergessenheit der eigentlichen Absicht des Brau-
nes zu lang gedehnt Auf den einzelnen Stationen wurde das
^hiff ähnlich dem trojanischen Pferde, sagt der geistliche
^richterstatter, von den Bürgern festlich in die Stadt eingeholt,
^labendlich bildete es (wie der Maibaum) den Mittelpunkt eines
Reigentanzes, an dem beide Geschlechter, sogar die Matronen
trotz der halbwinterlichen Frtthjahrszeit in bereits sommerlicher
Kleidung Teil nahmen und wenn der Reigen sich löste, ertönte
wie unsinniges Gejuchze und Jubelgeschrei (vgl. o. S. 191). Musik
luid weltliche, der Geistlichkeit anstößige Gesänge fehlten nicht
Ks scheint, daß während des Tanzes auf dem Fahrzeuge Mann-
schaft sich befand , welche mit Gommando (celeusma) und Ruder-
Schlag die Bewegung eines Schiffes nachahmte. Die Geistlich-
keit war diesem Treiben entgegen , es fehlte demselben also jede
kirchliche Beziehung. War es trotzdem nicht unmr>glich, so ist
eB doch unwahrscheinlich, daß der Umzug seit dem 10. Jahr-
bundert entstand, aber erweitert, ausgedehnt hat er sich wahr-
Bf^heinlich während dieser Zeit unter dem Einfluß des wachsen-
1) In Nordfriesland war Petri Stuhlfeier, 22. Februar, ein Frühlings-
^^st; dann tan7,te man mit seinen Frauen und Bräuten um grofic Feuer
^^iiltcn), wobei jeder Tänzer in der Hand einen brennenden Strohwisch
^«hwang (also nach S, 4D8 Sonnonzauber bei Frühlingsanfang): dann ver-
^ ießen die Schiffer das Land und begaben sich wieder zur See. Mül-
l^nhoff. Schleswigholst. Sag. S. 1G7. CCXXVIII. Auch nach deutschen,
^\änischen, czechisclien . französischen S[»ricliwörtem hebt St. Peter (22. Februar)
das Frühjahr an, geht der Winter fort, dann sucht der Storch sein Nest,
Itommt von* den Schwalben der Rest. Reinsberg-Düringsfeld, das Wetter
Im Sprichwort. S. 17. 19. 93.
598 Kapitel VII. Vegetationsdäroonen: Nerthns.
den Seeverkehrs und Exports der Niederlande nnd unter der
Teilnahme der Weber. In wie weit dart* die Analogie dieses
Frtihlingsaafzuges zum Verständniß der Nerthnsfahrt verwertet
werden? Traf unsere Deutung der letzteren zu, so gehören beide
Geremonien der nämlichen Kategorie von Gebräuchen an. Unter
Begünstigung besonderer Verhältnisse dürien wir uns die Um-
ftthrung eines den Frühling, resp. den im Frühjahr wieder wirk-
samen Vegetationsgeist bedeutenden Symbols zu Wagen , die wir
heute auf einen einzelnen Ort (Dorf, Städtchen) beschränkt,
höchstens auf einige wenige Dörfer (s. o. S. 168) erstreckt gewah-
ren, zu größerem Umfange, oder größerer Bedeutung gelangt
vorstellen, und zwar müssen Ursachen , welche heute dergleichen
zu Wege bringen, schon in alter heidnischer Zeit ähnliche Wir-
kungen erzeugt haben. Von den vielen loealen Resten des mit-
telalterlichen Schauspiels hat das Oberammergauer Passionsspiel
allein sich neuerdings zu einer von vielen Tausenden, zum TeiL
aus weiter Ferne besuchten geistlichen Schaustellung entwickelt;
das Pflugfest zu Hollstadt (o. S. 556), ist nur alle 7 Jahn
mit einer reicheren Ausstattung gefeiert in anseri
Jahrhundert zum Wallfahrtziel eines ganzen großen 6aui
geworden, während die entsprechenden jährlichen Feiern and(
rer Orte über ihr Dorf hinaus unbeachtet bleiben. Im Altertum«
ward durch ein eigentümliches Zusammentreffen historischer at
politischen und geographischen Verhältnissen hervorgegangene]
Constellationen die ursprünglich gemeingriechische von den Dör-
fern in ihrem Kreise geübte Saat- und Erntefeier in Eleusis zu
dem so individuell ausgestatteten, jährlich von vielen Tausenden
aus allen Stämmen begangenen Mysterienkultus. Auch die
Gebräuche des delischen Apollodienstes erklären sich zum Teile
als eine unzweifelhaft durch politische Begebenheiten begründete
Erweiterung des Erntefestes, indem mehrere Stämme des näch-
sten Festlandes, wie sonst Gehöft, Weiler oder Städtchen die
Erstlinge der Frucht dem in stiller züchtiger Unberührtheit auf
einer Insel liegenden Heiligtum des Sonnengottes übersandten.
Ein Stamm wird damit begonnen haben, dem die andern sich
allmählich anschlössen. So wird der Wald auf der Nerthusinsel ' '^
zuerst von den nächsten Anwohnern auf dem Festlande zur Ein- ^ '
holung des Frühlingssymboles benutzt sein; der Kuf besonderer
Heiligkeit und segensvoller Wirkung, welcher dem ans dem
'*i
^
Die Umfahrt 599
nnbertthrten Haine der Insel stammenden Heiltun beiwohnte,
▼erscliafiFte dem Umzug Berühmtheit und mit der Zeit Beteiligung
des ganzen angrenzenden Gaus; eine Art politiseher Verbindung,
VI ^eeleher späterhin die 7 Stämme gelangten, hat dann in den
Bundesgliedem den Wunseh rege gemacht, an der Segnung auch
i^^Yerseits Teil zu nehmen. Wir haben ja gesehen, wie in ein-
*^liien Formen des Brauches das Abbild des Vegetationsgeistes
^^ Tendenz hat , sieh zur Idee eines Schutzgeistes der Gemeinde,
^Staates zu erweitem (o. S. 166 ff. 303 ff.); dem zunächst-
^ohnenden Stamme aber dürfte der hieratische Beiname Reudigni
^ h. wol got Riudiggai, d. i. die Ehrwürdigen, aefivoi als den
^titem des heiligen Inselhaines oder als denjenigen, bei welchen
^e Festfeier statt hatte, ^ zugeflossen sein. So wäre erUäriicky
^oß ausnahmsweise von dem Strome kistarischen Ld^ens erfaßt
^ohan SU des Tadtus Zeit den Ktdtus eines Bundes von sieben
Gauen ausmachen kofinte . was im übrigen Deutschland Begehwig
•»•»r eines Dorfes, oder weniger Ortschaften geblieben ist
Unsere Untersuchung kehrt zu der bereits S. 000 berührten
Frage zurück , wie die Angabe zu verstehen sei , dafi die 7 Stämme
gemeinschatllich (in commune) die Nerthus verehrten. War der
Inselhain ihr unter einer Bundesverwaltung stehender Gesammt-
besitz und brachte der Priester dort im Namen des Bundes und
in Gegenwart von Gesandten der einzelnen Stämme zu bestimm-
ten Zeiten, oder ftir Private aus allen Gauen, so oft sie etwa
wollten, Opfer? Das ist unwahrscheinlich, weil Tacitus' Schil-
derung (zumal der Ausdruck castum nemus) einen ständigen, das
ganze Jahr hindurch geübten Opferdienst im Inselhaine aus-
schlieBt, und bei dem Feste nur den Ausgang der Prozession
ans demselben geschehen läßt (o. 8. 575). Offenbar also bezieht
sieh die Behauptung eines gemeinsamen Kultus auf die Festfeier,
die dann am ehesten als solcher erscheinen konnte, wenn zu ihr
an einem und demselben Orte Teilnehmer aus dien den genann-
ten Stämmen sich einfanden. Dies setzt einen vorher feststehen-
den Zeitpunkt des Festes voraus, der nicht minder durch den
unter den 7 Stämmen geltenden allgemeinen LandMeden erfor-
dert wird, da ein solcher, wenn er nicht eine periodisch wieder-
kehrende bestimmte Stelle im Jahreslauf hatte, viele Wochen
1) Grimm, Gesob. D. Spr. 716 ff.
BOO Kapitel VII. VegetationsdäiDoiieii : Ncrthns.
vor dem Beginn des FcBtcs hätte angesagt werden mtlssen. Ohne
ein zwingendes praktisches Interesse verstanden sich die kriege-
rischen Stämme schwerlich dazn , unbedingt jeder Fehde zu ent-
sagen; ein solches war das BcdUriniß mit sicherem Geleit zum
Festorte reisen zu können, der hei starkem Besuch von entlege-
neren Landstrichen her sich von selbst zum Markt, zur üfe-ssc
gestaltete. Berücksichtigen wir diese Bemerkungen, so ergänzt
sich uns das mutmaßliche Bild des Nerthnskultus etwa in folgen-
der Weise. Der an einem bestimmten Tage des Prflhlings
(1. Mai?) geübte Brauch, aus einem Walde auf nahegelegener
Insel den Vegetationsdämon einzuholen, hatte, zu einem besonders
großartigen und vielbesuchten Aufzuge geworden, vielleicht
begünstigt durch die Lage des Ortes , einen sehr lebhatlen , fried-
lichem Austausch dienenden Marktverkehr hervorgerufen, an den
sich leicht eine politische Beratung von Abgeordneten des Bun-
des — wenn ein solcher bestand — anschliefton mochte. Dem j
römischen Kcisenden, der in diesen Festverkehr hineingeriet, ^
vielleicht des Marktes wegen denselben aufsuchte, konnte die^?^
Feier kaum anders erseheinen, als Tacitus sie geschildert hat
Nur ein Umstand macht Bedenken und könnte einen gewich
tigen Einwand gegen unsere Deutung begründen, wenn die Auf-
fassung des Tacitus genau den Tatsachen entspräche. Es isi
dies die Angabe, daß der Nerthuswagen zu den Völkern gefahren.
komme (populis invehi), und daß mehrere Orte des Eintreffens
und des Gastbesuches der Gottheit gewürdigt wurden (quaecun-
que loca adventu hospitioque dignatur). Man hat bisher diese
Stellen so ausgelegt, daß der Ncrthuswagen durch die Gane
aller 7 Stämme geführt wurde. In diesem Falle mußte er min-
destens als Hauptstationen die 7 Vororte der verbündeten Can-
tone besuchen und darin verweilen. Rechnen wir aut* jeden die-
ser Orte eine Woche des Verweilens und unterweges keinen
Aufenthalt, so koimte bei 4() Reisetagen von je 4 — 5 Meilen
auf den noch ungebahnten Wegen jener Zeit möglicherweise in
einem Vierteljahre der Umzug vollbracht sein. Er hätte also
etwa die Jahreszeit in Anspruch genommen , welche bei uns dem
Zeitraum von Fastnacht bis Pfingsten entspricht, oder er würde, --
falls man den Endpunkt bis Mittsommer herausrücken will, die
Monate von Mitte März l)is Mitte Juni erfordert haben. In bei-
den Fällen wäre jedes Zeichen, an dem man im Anfange diese
\
Die Umfahrt 601
Periode die Ankunft des Vegetation8dänion8 im Walde erkennen
konnte ^ weit überholt durcli die inzwischen voll entwickelte , ja
bis zum Wiederabwclken reif gewordene Pflanzenwelt. Wozu
dann noch ein Umzug von Gau zu Gau mit einem Symbol, das
dock nur in den ersten Wochen des FrühKngs Interesse hatte,
^^ daran die Wiederkehr der guten Geister des lenzes sichtbar
^zuschauen? Was (Blume, jung ergrttnter oder in Rlattknospen
Wagebrochener Zweig oder dgl.) konnte in dem Wagen als sicht-
^Ter Vertreter des Wachstumsgeistes enthdten sein, ohne im
I'^ufe einer so langen Zeit abzusterben und zu welken? An
^^Kn Nadeigehölz brechen die frischen Triebe erst im Ausgang
^Hi oder Anfangs Juni hervor, mithin war auch wol Fichte,
'^Öhre und Tanne nicht verwendbar, falls die Umfahrt wirklich
^in Vierteljahr dauerte, alle 7 Gaue berührte. Wird durch diese
unehlichen Schwierigkeiten unsere Hypothese, daß der Umzug
^^8 Nerthnswagens eine besondere archaistische Form der Ein-
^tingung des Vegetationsdämons im Frtthünge war, umgestoßen V
Wir glauben diese Frage wegen der S. 581 ff. dargelegten Ueber-
^instimmnngen mit nein beantworten zu sollen. Vielmehr scheint
^8, als ob die einfache Erwägung der praktiscben Möglichkeit
den Bericht des Tacitus als nicht völlig den Tatsachen ent-
sprechend erweise. Als gemeinsamer Kultus hatte die Um-
fahrt keinen Sinn, wenn nicht allen Stämmen Gelegenheit gege-
ben wurde den heiligen Wagen bei sich zu sehen; die Dauer der
Heise würde sich vermutlich in Wirklichkeit länger , leicht bis zu
Einern halben Jahre ausgedehnt haben. Und eine so lange Zeit
^väre (jährlich?) Landfriede geboten und gehalten? Und wo fände
Hich ein zweites Beispiel einer so langen und so weiten Herum-
ttlhrung eines Göttersymbols? Die viel kürzere des Schiffes von
Oomelimünster (o. S. 596) ist aus der Richtung nach dem Meere
erklärlich, die Freysumfahrt (o. S. 589) beschränkte sich ver-
^nutlich auf die Nähe des Tempels und ])e8taud nicht in einer
Ununterbrochenen Reise von Ort zu Ort; der Empfang des Nu-
Tuens mit Tanz und Festmahl und der Glaube , durch seine Gegen-
wart sich der Fruchtl)arkeit des Landes versichern zu können,
bildete vermutlich seine Ilauptübereinstimmung mit dem Nerthus-
umzug und der Einbringung des Maibaunis. Unter diesen Um-
ständen muß ernstlich erwogen werden, ob nicht die Schwierig-
keit durch die Annahme zu lösen sei, daß jenes „in commune
Sehlußwort.
Baumgeist und Korndämon.
Die Hauptergebnisse unserer Betraehtangen lassen sieh in
^« folgenden Sätze zusammenfassen. Als Ueberlebsel der pri-
mitivsten Entwickelungszustände des menschlichen Geistes hat
^if5h bis in weit fortgeschrittenere 2feiten unter verschiedenen For-
cen die Vorstellung von Gleichartigkeit des Menschen und des
Raumes gerettet. Die Ueberzeugung , „der Baum hat eine Seele,
^e ein Mensch," und der Wunsch zu wachsen und zu blühen,
^e ein Baum , sind auch bei den deutschen und ihren slavischen
Und romanischen Nachbarn die Eltern eines weitverzweigten
Glaubens und mannigfacher Gebräuche gewesen. Die Baumseele
tcebt in dem Baume als in ihrem Leibe, den sie nicht verlasset^
kann, und empfängt so Opfer und Verehrung; eine rationalisti-
sche Abart dieser Vorstellung ist die Annahme, daß die Seele
eines verstorbenen Menschen im Baume eingekörpert sei. Der
Banmleib ist dabei vielfach dem menschlichen ähnlich gedacht,
verwundet blutet er (S. 34 flf. 41 ff.). So entsteht ein der Phan-
tasie stätig vorschwebender Parallelismus des Menschenkörpers,
seines Wuchses und seiner Zustände mit denen des Baumes.^
1) Derselbe spricht sich u. a. in der Sitte aas , Menschen mit ihren
Gedärmen um einen Banni zu wickeln o. S. 26 ff. Dieser grausame Brauch,
der im 12. und 13. Jahrhundert in Ländern , welche vorzugsweise dem Baura-
kultus ergeben waren, noch in wirklicher Ausübung als religiöse Begehung
stand , bezog sich ursprünglich nur auf Baumschäler und enthielt den Gedan-
ken, den geschädigten Baumgeist durch Ersatz zu sühnen. Er ragte offen-
bar auch in das Leben der Slaven , Letten und Finnen jener Zeit nur noch
als dunkler Rest einer längst entschwundenen, noch barbarischeren Vorzeit
hinein, stimmt aber völlig zu dem, was E. Tylor, Ausland 1874. 16. Febr.
S. 192 über die Rechtsanschauung wilder Völker bemerkt. „Wie man von
604 SchluHwort.
Die den Banin als Schmarotzer anfrcBScnden Insekten gelten
zugleich als die Krankheitsursachen im tierischen I^ibe (S. 12 ff).
Zuiceihn jedoch tritt der Baunigeist aus der I^lanze heraus ufid
lieben sie hin, so daß er zeitweilig m Menschengestalt den Pflan-
zenkörper verläßt und sich in Freiheit außer ihm bewegt, rrfwr
mit seinem Lehen an das Leben des Baumes gebunden bleibt
(0. S. 68. 69). Ln Rauschen de^ Windes macht er sein Dasein
bemerkbar (S. A2. 43). Die Sede des Einzelbaumes erweitert sich
sodunn zum Dämon eines ganzen Waldes und stellt sich so dar
als ein WaMgeist, oder eine Schaar von Waldgeistern, bald
männlichen, bald weiblichen Geschlechtes, die mit den Bäumen
zugleich entstehen und vergehen (S. 75. 89). Ott tragen sie,
ganz in Moos gehüllt, noch deutliche Abzeichen ihrer Natur ab
Personifikationen der Bäume an sich; dieselbe bricht auch i
ihren Namen (Hochrinde , Kohrinde u. s. w.) und in manchen ande
ren Zügen ihres Wesens durch (S. 7r>, 147). So versichern di
Weißrussen, daß ihr Wuch^ des Wiüdgeistes von der Höhe der
jenigen Bäume abMngig sei, in deren Näiie er geht und steht, '
oft ist dieser Zusammenhang mehr verwischt Sie zeigen sich- ,
außerhalb der Bäume lebend, in MaiscJwngestalt oder Tierg^^ —
statt (S. 146), fahren in Wirbelwind und Stunn dalier, di i***
Dames veries gehen im Winde über das wogeiulc Kornfdr'^
(S. 149 ff.). Hieher gehört, daß sie zuweilen im Tanze Kinder zr^^^
Tode kitzeln o. S. 87. 139 vgl. 89. Als Repräsentanten des Col
lectivbegriffs Wald machen sie den weiteren Fortschritt zu Gel
Stern der gesammten Vegetation o. S. 77 ff. 148. Wol als solch
tragen die weiblichen Waldgeister zum Anzeichen ewig wieder — "'
holter Geburtenltllle große herabhängende Brüste (S. 147), alae=^-*
solche verjagen sie die schädlichen Krankheitsgeister und we
zu Heildämonen , welche pestvertreibende Kräuter wissen (S. 81.^
106. 153).
den Wilden der brasilianiscben Wälder hört, daß der Bluträchcr demÄ^^
Mörder genau dieselben Wunden baut, oder stiebt, welcLc^^J* ^^
dieser dem Ermordeten heimgebracht hat, so ist das römische lex:
talionis, das jüdische Auge um Auge, Zahn um Zahn, Brennen um Brennen.«- ^'^^
Wunde um Wunde noch lieuto Gesetz in Abyssinien.** Vgl. hiezu, daß der*^ "^^^
Baumsoliädiger sich genau die Wunde beibringt, die er dem Baume schli»" ^'"* "^
o. S. 36 ff.
1) Afanasieff , poetische Naturanschauungcu II , 330. VgL o. S. 138.
Baomgeist und Kornd&mon. 605
Dem 01au1>en von der zum Oenius des Wachstums erweiter-
ten Baomseele nnd der magischen Wechselwirkung zwischen
'^'«lam und Mensehen scheint im Volksbrauch die »Sitte des Mai-
i^caums zu entsprechen, der als FrUblingsmai , Emtemui, Rieht-
■^^ai und Brautmai vor die Tür (ftler auf das Dach des HauspR
9^ipflanet wird, und zugleich die ^iVfr-ti/c uvir^viAri nnd wie der
^^ärdträd einen mythischen Doppelgänger einzelner Menschen,
^>€ier ganzer Gemeinden darstellt. Die völlige Uebereinstimnmng
CS Emt^mais mit der griechischen Eiresione spricht fllr den
crchristlichen Ursprung dieser Sitten , während die 8. 243 erör-
't^rten christlichen Vorstellungen und die Bräuche des Adams-
l>anmes S. 246, des Paradiesesbaumcs im Oberuferer Weihnacht-
Spiele S. *J42 und in der Moskauer Osterprozession S. 285, des
tVnchtl)ehangenen Palmzweiges in Frankreich und Belgien S. 280.
t287 ernstlich die Frage nahelegen, ob nicht dennoch unser Mai-
lianm eine den Lebensbaum Christus inmitten der Gemeinde dar-
Btellende kirchliche Sitte, ein ganz neuer Ansatz aus rein christ-
lichem Ideenkreise heraus gewesen sei. Derselbe Zweifel regt
sich hinsichtlich des Weihnachtblocks und Weihnachtbaums und
derjenigen Bräuche, welche wir unter dem Namen „Schlag mit
der Lebensrute ^^ zusammengefaßt haben. Doch scheint auch fUr
sie eine außerchristliche Grundlage nachweisbar. Für die Auf-
fassung des Maibaums als beseeltes Wesen spricht
die mehrfach an ihm beobachtete Bekleidung mit
dem Anzüge eines Menschen, die ihn als Person characte-
risieren sollte. Danchen wird der Baumgeist oder Vege-
tationsdämon durch eine menschlich gestaltete, an
den Baum gehängte Puppe, also doppelt dargestellt.
S. 210. Statt der Puppen aus Brod, Koni oder Laubgefleeht
tritt auch ein ganz in Laub oder Baumsweige ge/iiUlter Mensch
neben deni Matbaum auf und wird (zuweilen sammt dem Baume,
zuweilen allein) ins Wasser geworfen, dnmit reirhlieher Reyen
die Pflanzenicclt erquieke S. 313 — 314. Dieser mit grünen Zwei-
gen umhüllte Bursche (oder Mädchen) repräsentiert also den
Wachstümsdämon, und das ist auch dann der Fall, wenn der
Maibaum fortfällt und der Laubmann allein von Nachbar zu
Nachbar durchs Dorf gcflihrt wird, um durch seine Gegenwart
die Wacbstumskräfte auf Haus und Hof zu übertragen S. 316.
Der zumeist nach der Jahreszeit oder dem Kalendertage oder
606 Schlußwort
nach der Bekleidung Pere May^ Fflstge Mai, Grflner Geo^,
Pfingstl, Pfingsbutz, Kudemest, Schnak u. s. w. benaante Laab-
mann (Mädchen), der im Frühling bald zu Fuß, bald zu Bot
seinen Einzug ins Dorf hält, ist mehrfach durch Bekleidung des
Halses und Gesichts mit Baumrinde o. S. 321. 326. 342. 343.
353, einmal durch den Namen „Pappel'' o. S. 319 als Baum-
geist, ein andermal durch die Bezeichnung „der wilde Mann''
als Waldgeist characterisiert, ebenso oft bildet ein mit Ruß
geschwärztes AntliUs (S. 1G2. 314. 321. 323. 336. 342. 343. 349^
352. 365. 367. 426 — 28. 442. 541. 545) und eine an seincnc i
Körper angebrachte KuhscheUe (Pferdeglocke u. s. w.) (S. 324
325. 326. 327. 342. 416. 440. 539 if. 546), ein Zubehör seine]
Darstellung. Zu verstehen ist er als der im Lenz als Herrsche]
(Maikönig, Pfingstkönig, Reine de printenips, Queen of May^
wiederkehrende Genius der Vegetation überhaupt, worauf u.
die Namen Crraskönig, Lattidikönig, die Umhüllung mit Farren -
kraut (S. 324. 337), Pfriemenkraut und anderen WiesenblnmeviD
statt der Laubhülle, sowie die Wassertauche hindeuten, weichte
durch das Köpfen des Frosches (S. 354. 356) als Regt
eauber bewährt wird. Die grüne HuUe des Graskönig
Schoßmeiers u. s. w reijt fnan ihm vmn Leibe j um die Teile
Amulette in Aecker und Fenster zu stecken (S. 357). Auch
der Dämon als Maikönig in der Rolle des festlich einziehender»
Fürsten beritten U]id mit großem Gefolge auftritt, oder sich itM
mehrere Personen spaltet, sehen wir häufig wieder den Mai —
bäum als seinen Doppelgänger nebenhertragec^
S. 343. 349. Wer den Maikönig, Pfingstkönig, Maigrafen spielt---^
behält diese Würde und diesen Namen ein Jahr lang S. 354^
371, grade so wie der Emtemai ein Jahr lang auf dem Hausc^n:^
bleibt 8. 202. 204. 217. Zuweilen schwächt sich die Laubhttll<
des Pfingstl in einen bloßen Kranz oder eine Blumenkrone ab^
(Vgl. den Wasservogel in Abensberg S. 353, den Maigrafen, deir*''^^ "^
Ole i skrymUi 8. 337, den Jack o the green in Londons Vor-
städten S. 322, die Keine de May, Queen of May S. 343. 344:
vgl. mit 313. 315. Jarilo S. 415, so daß die Gestalt zuweilen^r^ ^^
auf den ersten Blick nichts anderes als eine Personification^^^ ^
der Jahreszeit scheint, oder in der Tat in eine solche hinflber-
rinnt. Zuweilen ergänzt sich der eine mäimliche, oder weib —
liehe Dämon zu einem Paare (Maipaar, Maibiuutpaar), das ii
Baningeister und Kornd&mon. 607
Winter entfernt ^ oder schlafend gedacht war, and dessen Wieder-
kehr, Erwachen oder Hochzeit mit dem Erwachen der Natnr
zasammenfiel. Wie aus dem Züge , daß der Läubmann (Pfingstl)
sehr häufig durch den zuletzt oder zuerst Erwachten (o. S. 319.
3&3) den Pfingstschläfer (S. 321) dargestellt wird, die Anschauung
hervorblickt, daß der Wachstuinsgeist im Winter schlummere,
^v^irde am 1. Mai ein in Laub gehüllter Schläfer im sttd-
ir suizösischen , durch eine russische Analogie als alt und volks-
tttmlich bewährten Brauch von einem Mädchen, das seine
ßraut sein will, erweckt (S. 434. 435). In feierlichem
Zuge wird „das Brautpaar '' aus dem Walde gehoU, oder zum
Rochzeithause geleitet; oft ftihrt man auch die Braut (Mai*
^rant, Pfingstbraut , Blumenbraut) mit der kostbaren Brantkrone
geschmückt daher S. 431 if. Unzweifelhaft hiezn in Beziehung
^teht es, daß am Maitag, Sonntag nach Fasten, 1. März die
^ämmtlichen Liebschaften des Dorfes offenbar gemacht, die Mäd-
chen den Burschen als Mailehen, Maifrauen, Vielliebchen, Valen-
tinen n. s. w. auf ein Jahr oder ftlr den Sommer zu Tänzerin-
nen ausgeteilt oder angesteigert werden. Die Versteigerung
geschieht oft in Gegenwart des Maibaums, während wie-
clenun im Värends härad in Ömäland (Schweden) jedes wirk-
liche Brautpaar auf dem Zuge zur Trauung mit seinem Gefolge
dreimal den vor dem Wohnhause aufgepflanzten
Maibaum (Majstäng) umreitet.^ In Hessen S. 450, Lothrin-
gen S. 456, Dänemark S. 508, Wälschtirol S. 455, Polen S. 467
Cef. die Eifel S. 455 und Estland (S. 469) ist die Sitte des Brautr
paarausrufs mit einem Sonnwendfeuer verbunden. Hiezn stimmt
^ine Reihe anderer Gebräuche (S. 462 ff.), aus denen hervorgeht,
claB einstmals die im Laufe des letzten Jahres neuver-
inählten Ehepaare oder Brautpaare durch das Feuer
Sprangen, oder die als Nachbildung der Sonne dienenden Räder
^der Scheiben warfen. (Verwandt erschien die Sitte auf Ostern
<len Neuvermählten den Brautball abzufordern.) In dem näm-
^chen Feuer wurde auch der Doppelgänger des Vegetationsdä-
:i[nonen, der Maibaum verbrannt S. 177 ff. Da diese Verbren-
nung unmöglich die Vernichtung der Vegetation selbst bedeuten
leann, muß ihre Reinigung von allen sie schädigenden, das
1) Lloyd, Svenska allmogens Plägseder öfvers. af Swederas p. 18.
•Ij
(X)8 Schlußwort
Wachstnm hindernden Einflüssen , der Tod aller jener die Pflanzen
auf Aeckem^ Wiesen, Obstgärten anfressenden , zerstörenden,
hindernden Insekten und Mißwachsgeister (Zauberer, Hexeu,
Feldgespenster 8. 500. 501. 502. 505. 520, Ungeziefer, Kaupen,
Mücken, Käfer, Mäuse 8. 502. 504. 510. 520) gemeint sein.
Wenn dieselben Feuer auch von Menschen und Tieren di
Pest und andere Krankheitsgeister fem halten , Gesundheit bewir
ken sollen, so ist dieser Parallelismus daraus zu erklären, d
man die Krankheitsstoffe oder Krankheitsursachen der Epidemie
u. s. w. fUr Wesen hielt, welche den Mißwaehs herbeitUhrende
Banmschmarotzem gleichartig, wo nicht gleichgestaltig seie ^si
(vgl. S. 13 ff'.). Andererseits hat diese Enttemung der WackE=j^9-
tumsfeinde zur notwendigen Kehrseite die positive ßei^(rdemi» ^^
der Uesundheit und des vegetativen Gedeihens, der Zengnng-^s^-
kraft ^ schon der Maibaum ttir sich bewirkt ja vermeintlich actS t
(jesundheit und Lebensftilie sowol der Menschen und Tiere, a-Is
der Kulturfrüchte , und grade diese active Wirksamkeit wird auoA
hinsichtlich des Feuers mehrfach durch drastische Syniliole her-
vorgehoben S. 521. Die fraglichen Feuer, ja der von ihnen aus- Jn:
gehende FackQÜauf über die Kornfelder könnten hienach rein
als Lustration, als Feuerreinigung aufgefaßt werden, wie sie l^i 1^^
vielen wilden Völkern vorkommt, welciie mit Feuerbriinden büj** |^
Geister verscheuchen, mit Feuer die Wöchnerin, das Kind, di*
vom ßegräbnisse zurttckkclircnden Hinterbliebenen von A^ ^
Befleckung und den iinion anhai'tendcn bösen Mächten zu l)efreicr ^
suchen. (Tyior, Anfänge der Cultur II, 11)5. 433 fl'.) Doch di ^
Zeit der Feuer, die als Darstellungen der Sonne aufzufassende^
Räder und Scheiben, welche dabei gerollt oder geworfen we
den, der Sprung der Liebespaare oder Neuvermählten (Kepn
sentanten des MHibrauti)aars) durch die Flamme, endlich dar^^
Parallelismus einer als Kegenzauber aufzufassenden Wassertauch
der jungen Eheleute, sowie auch die gleichzeitige Verbrenr
nung und Benetzung des Fastnachtpfluges (S. 553), machen e -
im hi>cksten (rraxic wahrscheinlich , daß in diesen Fällen da-
Reinigungsfeuer als Abbild und Vertreter des Sonnenfeuers ode
als an diesem entzündet, von ihm abstammend angesehen wurd&^ -*^^ '
Schwerlich wird die Wassertauche des Pfluges, der jungen Ebf^^ ^^
leute ein Regenzauber, ihre Feuerweihe daneben eine einfach
Lustratiou gewesen sein. Mithin haben wir - so scheint es -
BanmgeiBt und Eorndämon. 609
68 hier mit einer Nachbildung des Durchgangs der Vegetation
durch die Sommerwärme im Sinne und mit Wirkung einer Lustra-
tion zu tnn.^ Ein altgallisches Festfeuer , das Posidonius beob-
achtete, und die von Tacitus geschilderte Nerthusverehrung gewäh-
ren Zeugnisse flir das vorchristliche Alter der in diesem Bande
^oi^etragenen Sitten, während die S. 517 Anm. 1 zusammenge-
«teiUten Bräuche abermals (vgl. 224 fr. 251. 281 ff. 406. 446. 480.
^05) ein auffallendes Zusammentreffen christlicher Symbolik mit
4^B Gebilden des Naturkultus bekunden.
Sind somit manche ungelöste Fragen im Einzelnen übrig
S^ blieben, muß es insonderheit mehrfach der Zukunft überlassen
t>leiben, die Grenzlinie zwischen christlicher Symbolik und welt-i
liebem Brauche zu ziehen, im Ganzen und Großen bewährt
»ich unsere Deutung der in diesem Buche behandelten
Sagen und Sitten durch ein genau zutreffendes Seiten-
Stück. Wie ich an einem anderen Orte* schon nachgewiesen
liabe, dachte man sich gleich den Bäumen auch das Getreide
Von einem Geiste beseelt. Der Glaube von den Komdämonen
' entspricht nun in fast allen einzelnen Stücken genau den vorhin
ausgehobenen Vorstellungen und Gebräuchen hinsichtlich des
Baumgeistes. Der Dämon, welcher bald in Menschengestalt
(Mann, Frau, Kind), bald in Ticrgestalt (Wolf, Hund, Bock,
Rind, Schwein, Hahn u. s. w.) gedacht wird, erfüllt zunächst mit
Seinein Lehm die einzelne Aehre, er ist der Lehensgeist, die Seele
des fruehftragenden Getreidehalms, Daher spricht man im Für-
stentum Ratzeburg vom Arnkind (Aehrenkind) , in England vom
Kirnbaby (Kemkind), d.h. einem göttlichen Kinde, welches in
der Aehre, im Weizenkom driiisitze, in Oestreich „hat" der-
jenige, der das letzte Getreide drischt, „die Aumsau" (aum =
Spreu); in Lothringen heißt der auf dem letzten Erntefuder auf-
gesteckte grüne Busch nach dem Korndämon chien de la moisson,
oder chien peau de balle (Hund Schlaubenfell). Diese dämo-
nischen Wesen werden also in der Komhülse immanent gedacht.
1) In Poitou (I)eux Scvres) zündet man das Johann isfeuer an, um dem
Heiligen zu danken **,, de sen graces d'avoir protzige les famillcs en leur
preservant lenrs prairics contre les incidents do la söche-
resse" etc.
2) Roggenwolf und Roggenlnind. Danzig 18G5. Aufl.a 18G6. Die
Korndämonen. Berl. 1867.
Mannhardt. 39
610 SchluBwort.
Doch tritt der Korngeist auch aus der Pflanze heraus und neben
sie; beim Ausdrusch denkt man ihn dann in Tiergestalt oder
Menschengestalt zum Vorschein kommend. Meistenteils erweiiert
sich sein Weseti zu einetn CoUectivgenius , zum Dämon der Vege-
tation des gesamnUen Ackerfeldes, das er mit seinem Namen
erftUlt, in dem er seine Wohnung hat. In den letzten Aehren
des Feldes wird er ergriffen; in sie zog er sich vor den Schnit —
tem zurück; er ist jedoch mit seinem Leben noch so sehr
das Leben der Halme gebunden, daß er nun mit der letzte:
Garbe in die Scheune wandert, oder zugleich mit dem Abmähe
der letzten Halme als get<)dtet betrachtet wird.^ Nach russischi
Volksglauben in den Gouvernements Kiew und Tschemi —
goff sind analog den Vorstellufigen von der Größe des WaUC'
geistes die Poletmki (Feldgeister) der Hohe des Kornes gleich
nach der Ernte machen sie sich aber so klein wie die Stqppdn^ ^
Wo aber die Sitte herrscht, nach Beendigung des Komschnitfc=«
oder des Dreschens auf dem eigenen Besitztum eine den Kohm-
dämon darstellende Getreidepuppe dem nächsten Nachbar, de^r
noch nicht fertig wurde , zu ttberbringen , liegt unverkennbar die
Anschauung zu Grunde, daß der Dämon der Crenias des Karm^
Wachstums in der gesanirnten Landschaft sei, mithin nach
Beendigung der Ernte auf den eigenen Aeckem doch noeb
im unabgeemteten Korne des Nachbars weiterlebe. Wenn
nun in denselben Funktionen wie der „Kommann" ein Grum-
metkerl, statt der Konimutter, Fiachsmutter ein Arftenwtf^
Heumtttterli u. s. w., statt des chien de la moisson, Weizen^^
beller, Schotenmops, Dreschhund auch ein Heupudel auftritt u. s. w. ^^
wenn die aus der letzten Garbe gebildete Figur Waldmann heiß
(o. S. 410), so gewahren wir deutlich die Seele des Komhalms i
den Dämofi der gesammten Kulturfrucht ja der Vegetation Ober
haupt übergehen.^ Er ist denn auch ebenso gut wie der vo:
Baumgeist ausgehende Vegetationsgeist als Herrscher gedacht;^
1) Eorndämencn S. 5. 15.
2) Gouvernenientszeitung von Kiew 1845, 16. Gouvernementszeitan^ ^Jf ^
von Tschernigoff 1844, 50 bei Afanusicff, Poetische Natnranschaanngen dor^
Russen II, S. 329. Hienach ist o. S. 138 Z. 2 v. n. zu berichtigen „wclchc^=^
Polewiki (Feldgeister) heißen."
3) Vgl. Konulänionon S. 4.
Baningeist nnd KorDdftmoii. 611
dem Maikönig, GraskOnig, Lattichkönig, der Qneen of the May,
reine de printemps in den Frühlingsgebräuchen entsprechen als
N^amen des in der letzten Garbe waltenden Dämons im Ernte-
brauich ein König, Kong, Haferkönig , Haferkönigin, Aehrcnkö-
^iffin, Harvesfqueen u. s. w.^ Wie der Baumgeist im Kauschen
des Windes seine (Gegenwart bemerkbar macht , sieht die Phan-
tasie des Volkes, trenn der Wind im Getreide Wellen schlägt,
noht allein die Dames vertes über das Korn wandeln, auch „die
^ornmntter geht über das Getreide." „Da laufen die
W^Ölfe," „die wilden Schweine sind im Korn'' u. s. w. Die Korn-
^tMiter fahrt im Wirbelwinde. Wie die Wildtrauen, Lieschje
^- 8. w. Kinder zu Tode kitzeln , redet man von den im Korne
Tausenden Kidddhunden,* Wie die wilden Weiber hat die Kom-
^Jaotter lange über die Achseln geschlagene Brüste.^ Jene Redens-
arten „die Wölfe jagen sich im Korn," „die Komweiber laufen
durchs Korn u. s. w. lehren zugleich , daß den Waldgeistem ent-
^rechend auch bisweilen eine Vielheit von Komgeistem das
Ackerfeld erftUlend gedacht wurde.
Wie im Frühlingsbrauche der Dämon der Vegetation durch
den Maibaum, oder durch einen in Laub und Baumrinde gehüll-
ten Menschen, oder durch Baum und Menschen zugleich darge-
stellt wird, genau so im Emtebrauehe der Komgeist. Ihn ver-
gegenwärtigt man durch die mit bunten Bändern und Blumen
geschmückten, oder zu einer Tier- oder Menschengestalt aufge-
putzte letzte Garbe, die dann auch den Namen „der Alte," „die
K^ommutter," „Roggenwolf," „Roggensau," „Hafergeiß" u. s. w.
empfängt. Oft wird der Gutsherr oder der Schnitter (resp, die
Binderin) der letzten Halme , (dem in Grün gehüllten Pfingstbutz
Entsprechend) in die letzte Garbe hineingehunden und an ihm die
^iVdSsertuuche , der Regenzauber vorgenommen (vgl. o. S. 215).
^^ie man dem Graskönig die grünen Zweige vom Leibe reißt,
jpflüMe man dem Haferhräutigam die Haferhalme ab^ unzweifel-
liaft auch, damit sie als Amulet dienen sollten. Gewöhnlich
jedoch zerfällt die Darstellung des einen Getreidedämons in zwei
1) Vgl. Korndäraonen S. 27.
2) S. R<>ggenwolf und Roggenlmnd -* S. 14.
3) Korodäinonen S. 20.
4) S. Komdämonen S. 30.
612 Schlußwort.
Gestalten f die znr Pappe aufgeputzte letzte Garbe und einen
Menschen (Schnitter oder Drescher, resp. Binderin). Diese Per
son heißt wie die letzte Garbe „der Alte," „Wolf," „Bock,
„Hahn" u. s.w., und behält diesen Namen ein ganzes Jahr Infi
bis zur näcJisten Ertite, Sie muß die ihr gleichnamige Stroh
figur (z. B. die Roggensau) zum nächsten Nachbar tragen an
diesem in die Scheune oder auf die Tennen werfen. Wird
"i .
Ueberbringer erwischt, so behandelt man ihn als den gefangene^ -q
Dämon, man schwärzt ihm das Gesicht mit Ruß, lockt ihn wK. e
die Schweine, sperrt ihn in den Stall u. s. w. Sehr dentlii^tli
erhellt die zwiefache Darstellung desselben Begriffes aas einigeln
französischen Gebräuchen, in welchen der Gnmdeigentttmer od^^r /-tz?
dessen Frau die Kolle des Dämons spielen. Beim Dreschen wir-</
in St. Brieuc (Cotcs du Nord) die letzte Garbe auf einen dicken
Stock gespießt, dessen Enden 2 Männer auf ihre Schalter neii-
men; dann setzt sich der Proprietaire rücklings neben die Garbe
und wird so zweimal auf der Tenne herumgetragen. In der f^j^^'^
Commune Salignd Canton de Poiret (Vendöe) bindet man die ^^ *
Bourgeoise nebst der letzten Garbe in ein Bettlaken ein, legt
l)eide auf eine Tragbahre, trägt sie bis zur Dreschmaschise
und schiebt sie darunter. Dann zieht man die Frau heraus luil
drischt nun zwar die Garbe allein, aber prellt die Wirtin, dt
wirft sie im Bettlaken in die Höhe (Nachahmung des Worfeliwl
Es ist diese Verdoppelung eben nur eine unbehilfliche Weise
des Ausdrucks fllr den Gedanken, daß die letzte Garbe eiß
beseeltes, vernunftbegabtes Wesen sei. Besser gelungen ist diese
Darstellung schon zu Plaintcl (Cote du Nord), wo die Dreschet
den Eigentümer einladen, sich auf die letzte Garbe zu setzet»^
und dann im Triumphe herumtragen, oder in vielen deutsche**^
Gegenden, wo man die aus der letzten Garbe verfertigte Fig«^^
dem letzten Schnitter oder Drescher auf den Rückefi bitutr""^'
Vgl. S. 383. 384 den auf den Strauch gesetzten oder mit de' ^
Strauch auf dem Rücken bebundenen Frühlingsdämor' ^.
In diesen Fällen ist durch die Verbindung des Menschen ni^^"*^
Garbe oder Strauch die Zusammengehörigkeit beider als Bezeic^" ^
nungen des Pfianzenleibes und der ihm innewohnenden anthn^
popathischen Seele angedeutet. Wie der Pfingstbntz gabensaL
melnd von Haus zu Haus gettlhrt wird, halten in Stroh gcMdk^^^[*
Personen, Darsfclbmgm vom Koryidänion (Erbsenbär, Hirfergei ^^ '
t
Bauiiigcist und Korndämon. 618
f^oinkater ii. s. w) heim Erntefest, aber auch eu Weihna<Men,
^tsmsinadU u. s. w. Umzog. Aach zu Maitag (s. Walber o. S. 312
ÄÄr u. 8. w.) , und wenn der erste Pflug ins Feld geht, wird
2Ci.^^eilen mit einem in Korn gebundenen Manne Umgang gehal-
teen. Eg sind die nach winterlicher Abwesenheit im Frühjahr
wieder Emzug haltenden Wesen der Vegetation. Wie der
F^fingstbutz mit einer oder mehreren Glocken ausgerüstet ist^
w^mirde in England am Fastnachtdienstag die Getreidehenne
^^^.rch einen Barschen dargestellt, dem eine Henne auf den
R. ^eken gebunden (s. o. S. 327) und mehrere Pferdeglocken
^^-mgsum angehängt waren. Wie der Maibaum und Emtemai mit
s^Uen Pferden des Bauers zur Stelle gefahren werden (o. S. 171.
^OO. 204), wird in Schlesien zur Erntezeit der Getreidehahn auf
^neni vier- oder sedisspännigen Emiewagen nach dem Feldg
gefahren, wo er in Nachbildung des Getreideschnitts mit der
oense geköpft werden soll.^ Das Ganze ist ein Zauber zur
Erlangung einer schweren Ernte vgl. S. 211. 214. Wie sich
endlich der Laubmann, Pfiugstbutz, Maikönig zu einem Maipaar
ergänzt, tritt z. B. in Thüringen und Oberdeutschland , mehrfach
statt des einen Korndämons ein Brautpaar^ auf Der Erntezug
erhält den Character eines vollständigen Hochzeitzuges, die letzte
Garbe heißt Braut, oder la gerbende la jeuue financee (Cote du
Nord), mit Gewändern einer Braut bekleidet, wird sie mit dem
ältesten Knecht des Hauses iormlieh verheiratet u. s. w. (Mayenn«),
Vgl. auch S. 43G. Vereinzelt findet sich auch der Wettlauf
(o. S. 391 ff. und 396 flF.) so wie die Feiierweihe auf der Seite
der Erntegebräuchc wieder. In einigen Orten der Gegend von
Grenoble erhält die letzte Garbe einen Namen in Patois, der
Bich durch franz. esquillot (Splitter eines zerbrochenen Beines)
wiedergeben läßt, und wird dann verbrannt. Vor dem Aus-
drusch der letzten Garbe wird im Itgbz. Aachen der jüngste
Knecht mit einem Gcbunde zum Hausherrn geschickt und fragt
ihn, ob er dasselbe verbrennen oder ersäufen soll. Der Herr
antwortet ihm mit einem Eimer Wasser, das er ihm über
den Kopf gießt (Regenzauber) und geht dann unmittelbar mit
der Schnapsflascbe zur Scheune. In Ktickhoweu Kr. Erkelenz
1) Vgl. Korndänioncu S. 16.
2) Vgl Komdämonen S. 30.
614 Schlußwort
BgbK. Aachen bringen bei der FlacbBernte die Arbeiter, welche t
snerst fertig sind, den andern eine Fackel, d. h. sie zünden eine 4
Stroh nmwnndene Stange an and pflanzen dieselbe nnter Geschrei J
vor den Augen der andern auf. Gradeso yerbrennt man in^
Orthdz (Basses Pyren^es) eine Garbe (la gerbe de St Jean), antt
einen hoben Stock gesteckt, im Jobannisfeuer. Im Hostaners
Bezirk Kr. Pilsen in Böhmen verbrennen die Bauern nach Been —
digung der ganzen Ernte allesammt das Stroh der letzten Garbeir:]
in einem gemeinsamen Scheiterhaufen auf einem Berg-
gipfel. Bei Knin im Königreich Dalmatien wird nach der £mt^
das Feld mit Weihwasser besprengt und die letzte Garb^
(Dowrszag), die größer als die übrigen gemacht ist, in einei^
Feuer von Wachholderstrauch, das die Unverheirateten uo^.
tanzen, verbrannt Atis allen diesen bis ins Kleinste gehende^-^^
Uebereinstimmungen dürfen mr mit Sicherheit die Identität
Baumgeister und Komgeister folgern; sie sind besondere
festationen der Vorstellung „Vegetatiomdämon"
Nachtrag.
S. 12. Den schwedischen Berichten schließt sich der nach-
^hende aus Saetersdal in Norwegen an. In früheren Zeiten
^B man Milch über gewisse Bäume. Das geschah am Sonn-
)eiid und war ttir den Baumgeist (Vaetten) bestimmt. Am
Weihnachtsabend (lille lulaften 23. Dez.) goß man Bier bei dem-
ilben Baume aus. Das sollte auch der Baumgeist erhalten. Man
t dies, um Glück bei der bevorstehenden Ernte zu
iben (dette blev gjort, for at man skulde faa Lykke af det
m var indhöstet).
S. 133. Die anscheinend boshafte Tat des Köhlers, der der
aldfrau einen Feuerbrand unter die Kleider steckt, gewinnt
i ganz anderes Ansehen, sobald man das wahre Motiv in der
«icht erkennt, durch Feuer den Spuk zu vertreiben. In. ßuß-
id sagt man, der Waldgeist fürchte den Feuerbrand (Russ.
igeblatt 1859, 37. AfanasieflF II, 329) und viele wilde Völker
ben den Glauben durch Feuerbrändc oder Fackeln die bösen
iister zu vertreiben (Tylor, Anfänge der Cultur II , 195).
S. 132. 141. Der Waldgeist Herrscher der Waldtiere. Höchst
irkwürdig sind die Parallelen, welche neuerdings von Dr. G.
. Leituer, Results of a Tour in Dardistan. Labore. London
73) in Dardistan zwischen Hindukusch und Kaghan gesam-
3lte Sagen darbieten. Ein berühmter Jäger, Kiba Lori, hatte
le Fee zur Geliebten, die ihm verbot während der sieben
mdstage auszugehen. Sie müsse ihn verlassen und er dürfe
r nicht folgen, sonst müsse er sterben. Der liebende Jäger
)nnte ihre Abwesenheit jedoch nicht ertragen, sondern zog mit
inem Gewehr aus sie zu suchen. Er überstieg einen Berg und
nd eine Ebene mit einer großen Menge Wild. Seine geliebte
ee saß mitten dazwischen und melkte grade eine Hirschkuh in
0U> Nachtrag.
ein silbernes Gefäß. Ersebreckt durcb das Geräusch, das Kib:
Lori verursachte, warf sie das Gefäß um und schlug ihren Lieb — ..^_
haber ins Gesiebt; gleich darauf aber rief sie, von Vcrzweiflunj
crgriflFen: „Nun mußt du in vier Tilgen sterben. Doch
noch eines von diesen Tieren, damit die Leute nicht sagen, di
seist mit leeren Händen zurückgekommen/' Der arme Mann
dies, kehrte gebrochenen Herzens heim und starb in 4 Tagei
Globus XXIV. Nr. 21. S. 327.
S. 142. Auch die Verwandlung der Kohle in Gol
hat nach Leitner a. a. 0. in Dardistan ein indisches Seit^nstücl
Ein Mann Namens Ithuko , der an der Straße von Gilgil nacr* li
Nagyr wohnte, hatte einen Sohn, der beim Wasserholen vc^x
einem Jatsch gefangen wnrde. Der Jatsch zog die Spring^-
wurzel (Phuru) aus dem Boden, öflftiete damit eine Felsspal^«
und brachte den Knaben in einen großen Palast, in welche fw
Kobolde eine Hochzeit feierten. Die Brautmutter sang: „Kom
wird verteilt, Fleisch wird verteilt, Wein wird verteilt." Beim
Abschied gab der Dämon dem Knaben einen Sack Kohle un<l t^
brachte ihn durch die mit der Springwurzel gemachte Oeffhuitg |'rf
auf die nach seinem Dorfe führende Straße. Der Knabe schüttet«
hier den Sack aus, nur ein kleines Stückchen Kohl«
blieb darin, das sich bei der Berührung in Gold ver -
wandelte. Globus a. a. 0.
S. 231. Herrn Professor Fl. Romer in Buda-Pesth verdank.^
ich die Mitteilung eines neuen Beleges fUr die Darstellung d^^
Verkündigung durch die S. 231 — 232 besprochene Symbohl
In Tököl, einem Dorfe auf der großen Donauinsel Csepel (TscJ
pel), das ein Krongut der regierenden Familie ist, fand er eii
Meßkleid mit gewobenem Kreuze und der Jahreszahl 1444 Ih(
sus und Maria; femer einen Vespermantel, dessen Spie '^'
gel die Verkündigung Mariens in einer prachtvol -^'
len Stickerei enthält, welche, da das Kleid auf einen"^"^ ,
Krongute gefunden wurde, und das bekannte Monogramm KsA-^-^
ser Friedrichs des Dritten an sich trägt, von einer Hofdamen ^^
herrühren könnte. Der Mantel selbst (jetzt fast ganz abge-^^^^^
schlissen , einst — wie man an Fleckchen unter den Bordüreir* ^
noch recht wol erkennen kann — dunkelblauer geschorener Sam—
met) ist in erhabener Stickerei mit goldenen, jetzt fasP"
silbern erscheinenden, symmetrisch zerstreuten Aehre
Nachtrag. 617
besetzt Professor Römer möchte die Aehren etwa auf das
Brod des h. Abendmahles deuten.
S. 435. In Weißrußland ist der Brauch etwas verändert.
An einem Komfelde der Herrschaft oder eines Dorfbewohners
setzt sich das älteste Weib der Versammlung auf die Erde mit
einem an einen Strick angebundenen Bündel Nesseln, und stellt
sich dann, als ob sie spinne und in Schlaf falle. Die Mäd-
chen tanzen Hand in Hand unter Gesang um sie herum. , Plötzlich
springt das alte Weib in die Höhe, so hoch sie kann, macht allerlei
Possen und Geberden und schlägt die Mädchen mit dem
Nesselbündel auf die Hände. Grohmann, Abergl. a. Böh-
nieu S. 10 nach Schafarik o ßusalkich. Hier tritt statt des
sehlafenden männlichen Vegetationsgeistes die im Winter schlum-
niemde Mutter ein. (Vgl. Mannhardt, German. Myth. 492 — 518.)
Unverkennbar ist im zweiten Teile des Brauchs der Schlag mit
der Lebensrute. Vgl. S. 264.
S. 466. Inzwischen hat A. Bielenstein das lettische Johannis-
fest zum Gegenstande einer eingehenden und ausgezeichneten
Untersuchung gemacht, die in der Baltischen Monatschrift N.
J^. 1874 H. 1 — 2 veröffentlicht ist. Hieraus geTit hervor, daß
auffallend genug unter Hunderten von Johannisliedchen nur drei
das Feuer erwähnen, das im Gebrauche doch höchst wahrschem-
üch vorhanden war. Manche Lieder spielen darauf an, daß das
JMädchen in der Johannisnacht sich verlobt, ein Roß, einen
Sattel und des Bosses Reiter in dieser Nacht bekommt. Auch
die Sitte wird bezeugt, am Johannistage oder Petritage auf
Braut- oder Bräutigamsschau auszugehen. In einem Liede
preist das Mädchen die Rinder und Rößchen des Johannes, des
Kelchen und möchte gern groß sein, um des Johannes Frau zu
werden. Bielenstein fnigt deshalb, ob die Lieder vom Suchen
des Johannis nach der verlorenen Frau nicht etwa eine Beziehung
auf menschliche Liebesverhältnisse und menschliches Heiraten
haben , indem Johannes eollectivisch die das Fest feiernden Män-
ner, seine Geliebte die das Fest feiernden Mädchen bedeute.
Hätte Bielenstein Recht, so wäre da das nur wenig verdunkelte
fcJeitenstück zu den Kapitel V § 8 dargelegten Bräuchen.
Druckfehler.
S. 62 Z. 19 V. 0. lies älfgust mid elfbl&st für älfgast und elfbUsi
66 -
5
- IL
-
Parallolismus f. Parellelismus.
94 -
13
- 0.
-
FeDgg f. Pangg.
128 -
3
- U.
-
Hallandske f. Ualländske.
138 -
10
- 0.
-
viele Arbeit f. vile rbeit.
151 .
14
- 0.
-
Hohlefels f. Uohenfels.
193 .
10
- 0.
-
Zehntknecht f. Zehnknecht.
237 -
17
- 0,
-
Mittwinter f. Mitwinter.
287 -
7
- n.
-
Kirche f. Kircke.
295 -
15
- 0.
tilg(
3 mit.
325 -
15
- 0.
lies
unsichtbar in f. unsichtbar aus.
345 -
2
- U.'
• -
Cortet f. Corelt.
367 -
15
- 0.
-
Hiesel f. Hirsel.
368 -
1
- 0.
-
Laubhülle f. Laubhöhle.
377 -
19
- 0.
-
foere f fore.
406 -
16
- 0.
-
Wettausritt f. Wettstreit.
445 -
11
- 0.
-
Grönjette f. Gronjette.
472 -
26
- 0.
-
GrÖn Löf f. Gron Lot*.
491 -
10
- u.
-
Freiwerbung f. Freierwerbung.
492 .
4
- 0.
-
2(J8. f. 286.
523 -
16
- 0.
-
mannequins f. mannesquins.
526 -
7
- 0.
-
nvH^qfonoii^vaKav f. avd-qtonto&vaiiov
556 -
21
- 0.
-
xaraxafovatv f, xaia xaiovaiv.
526 -
13
- u.
-
uleciti f. ulcciti.
592 -
20
- 0.
•
Götter f. Göttin.
Register.
A.
te 244.
230.
^me 235
Tomünster 399.
tt £u Monteltmart 448.
Eva (24. Dez.) 242.
283.
^ 246. 605.
b 242. 291.
/ 539.
kraut 337.
. 293. 512. 555. 594.
ren. Drei 172. 209. 234.,
imai 195. 196. 199. 205.,
{rautmaie 222., am Mai-
., am Holunder im Saat-
213., bleiben auf dem
len 209. 210. , in die Erde
0. Attribut der Walpur-
Steme 235., bei Augen-
17.
linae 113.
» 7.
cuccagna 169.
39.
Alßd 62.
Älfloddern 19.
Ähndn Familie 51.
Älpenburg, D. J. N. , Ritter ?on, 101.
Andreasnacht 232.
Angane 116.
Alte der 196. 197.
cUter Mann 358. Den alten Mann
ins Loch karren 359. 410.
Amandus, der heilige 71.
Ankenmilch bohren 520.
Atiklöpßesel 293.
Annius Ton Yiterbo 559.
Anthropogonie 8.
AiUhropophagie 218.
Apfelbaum, Apfel 50. 61. HO. 166.
las. 204. 205. 230. 242. 243. 246.
247. 257. 265. 266. 276. 289. 409.
412. 419. 536. ^7. 538.
Apollo 66. 296.
Arndt, E. M. 131.
Arnkiel, Tr.. 10.
Artushof 370. 372. 379.
Artussage 117.
Arve 39.
Äsen und Alfen 66.
Asche 226. 291. 292. 504. 507. 512.
520. 521., Asch abkehren 256.
Aschermittwoch 11. 256. 411. 433. 437.
555. 559.
Aschenh^aut 437. 447.
Askafroa 11. 12.
Askr 7 ff.
620
Register.
Äsphodelos (AffodiU) 37. 291.
Äst, dürrer 50.
Asüoch 62.
Alhanarich, Gothenkönig 578.
AUys 572 ff.
Auerhahn 131. 132.
Aufliockcfi 111.
Aufwecken des Pfingstschläfcrs 434.
Augen yerbinden , Darstellung der Un-
sichtbarkeit 365., Kranke geheilt 17.
Aummu 409.
AwU Nelly und Uncle Ambrose 427.
Aussaat 158. 214. 226. 394. 395. 485.
554. 560. 561.
Austbock 483.
Austgarw 213.
Auswuchs, Geschwulst, Geschwür 20.
67. 226. 227.
Avesta 8.
Axt 36. 65. 85. 133. 135.
B.
Baal 518. 591.
Badebuhle 454.
Badnjak 224. 225. 236.
Bär 141.
Baldrian (Valeriana officinalis) 62. 81.
Ball 472. 476. 479.
Ballnwney 474.
Ballspiel 471 if. 477.
Ballet des ardents 338.
Balsamon, Theod., 470.
Bannen der Geister. 42 fF.
Bänder und Tücher am Maibaum
u. s. w. 182.
Barbara (4. Dez.) 266.
Jiarbatiis, der heilipfe, 394.
Barthold 3(19.
Bastard von Bourbon 162. 368.
Bastian, A., 1.
Bates 145.
Baum und Mensch verglichen 6., als
Person behandelt 9 ff., redet 10. 35.,
weint 35. 40., blutet 34 ff. 41 ff.
603. - Baumseele 5. 11. 25. 603. —
Wohnung einer armen Seele 35. 41.
69. 8^. Aus Leichnam hervorsprie-
ßend 65. Körper des i
33. Baum ParaHelism
sehen 63. 69. 75. 89.
einzelner Menschen unc
183. 184., von Braai
221., von Reisende 46
milie, des Hauses 51.
des Dorfes 182. 183. 1«
des Volkes 189. 304
Menschheit 250., der Yl
in der Geburtsstunde ge
Wohnsitz des Tomtegu'
fen, Unterirdischen u.
Entsendet Krankheitsge
sie zurück 12 ff. 25.
kriecht auf den Baum !
det Menschen und Ti
65., darf nicht gehanei
35. 51. 60. 61. 71. Voi
Alter gefälltes Holz da
geführt werden 35. 51.
len und Strafe dafür
32. 75. 360. 603., de
Verzeihung bitten 10. i
Baum bei Nauders 35 :
tin 57., zu Upsala 57.
und Zeugstücken bei
mit menschlichen Gewä
det 156. 157. 158. 2(
Fell behangen 394.
zen 48. 50. Im Baum E
Mäuse 24., Krankheit
pflöcken. Baum pfropf
gen , ])eit3chen 295 ff. ;
Baum rennen 323. 326.
Blitz getroffen 486.
des wilden Mannes 9
Vgl. Maibaum, Emtei
uisabend , Weihnachtsl
nachtsbaum , Värdträd,
Bautnhart (liehen barbat
Bainnmunn (trcmadr) 73
Baumrinde. Arme Seele
det 41. Kobold hat
Br. r>4. Jungfrau unt(
38. Br.Kleidung der '.
Kleidung des Laubmai
Bc^gfister.
e2i
lümmels, Maikönigs n. s. w. 320.
326. 342. 343. 350. 353. 355. 385.
6^., Geister sitzen unter der Rinde
12. ^5. Hexen schlüpfen unter die
^ ^5. Erankheit^geist unter die
^ verkeilt IX. 22 ff. Rinde abschä-
^^^ a. Baum seh&len. Vom Maibaum
^-^eachält 156. Namen eingesclmit-
^^ 163. 165. Korb und Schale aus
^^. 485. Wiege von Br. 76. 142.
^^^*thahn 197. 198. 201. 212.
^^trik 116.
^^Üager der Johannispaare 469.
^«»H 264.
^«fcm« 508 Anm. 5.
-^«Öf de May 345.
^eHe Vivane 99.
'^^chil 67.
-^erecynthia 577.
-tBerguhu 127.
-^esen 167. 507. 510. 513.
-Hetzen Hochzeit 300.
-^eubier 200.
^iak ludzie 18.
JBibernell (Bimelle) 81. 97.
Bickbeere (Blaubeere) 289.
JBienenkdrb 289.
Bier 60. 63. 173. 200. 215.
Mmesschneider 210.
Mümon 112.
Binse 384.
Birke 8. 34. 68. 141. 157. 158. 159.
161. 165. 167. 169. 173. 189. 191.
192. 195. 202. 203. 254. 256. 259.
261. 265. 270. 271. 272. 298. 313.
321. 348. 353. 396. 397. 434. 512.
545. 589.
imbaum 14. 50. 53. 146. 536. 537.
538.
litz und Donner. Bäume vom Blitz
getroffen 486. Schutz dagegen die
Richtmaic 220., der Cliristblock 227.
229.234., Palmbüschel, Palrazweig
258. 273. 286. 287. 288., Schnabel
des Wasservogels 557 , Flurbegang
401.
Blockfest 174. 237 ff. 427 vgl. 306.
Blockziehen 237.
Blomsterbrud 432.
Blümware 39.
Blontanz 188.
Blukkis 229.
Blumen im Wasser ^=^ Regenzauber
329. 331. Blumenstengel 278. mit
Blumenstrauß peitschen 264. Blu-
mcnumhüllung des wilden Mannes
335., des Pfingstochsen 390., des
Engelmanu 513., des schmucken
Jungen 384. Blumenumhülltes Rad
553. Blume Doppelgängerin des
Kindes 50.
Blut. Bäume bluten 34 ff 38. 40. 41.
42. Blumen und Baume aus dem
Blute d. i. Lebenssaft Gemordeter
39. 40. Blut und Fleisch des Opfers
auf das Saatfeld streuen 362. 363.
364. Blut in den Baum versenkt
21. Götzenbild aus Blut und Sa-
men 361.
BlutriU zu Weingarten 399.
Bock geschlachtet und wiederbelebt
116. Bockgestalt des Ljeschi 138.
Bockshorn ^ Osterfeuer 508. 515.
Bockheiligung der Sudauer 63. 69.
Boeuf gras 396.
Börtier, W. 74.
BonifaciuSy Apostel der Deutschen
503.
BoschenstecJien 306. 389.
Botanik 297.
Boträ 59 ff.
Bouhours 536. 549. 550.
Bouquet de la moisson 204 ff. 207.
Brandons 455. 457.
Branntwetnflasche 215. 411.
Brand im Getreide 297.
Braut 222. 223. 248. , verlassene 435.
446., die Braut nennen 449. Vgl.
Maibraut f Aschenbraut, Brides bed.
Blomsterbrud, Mailehen, Pfingst-
braut, Brautball.
Brautball 471 ff. 492.
Brautlager aaf dem Ackerfeld 480 ff.
«83
Register.
Brautmaie 46. 221 fL 295. 607.
BratUmarkt zu Eindleben 449.
BratUpaar im Walde snchen 431.,
ernennen 450. 462. 465. 537.
Brautraub 445. 455. 495.
Brautschleier 223. 413.
Brauhcagen 488.
BräuUing 488 ff.
Breithut 41.
Bretgel s. Brod.
Brides bed 436.
Brod, Knchen, Bretzel. — Symbol
der Fruchtbarkeit 158. 393.. im
Weihnachtsbrauch 393 Anm. 1. im
Kultus des Swantewit 393 Anm. 1.
Kuchen unter den Pflug, auf den
Acker gelegt 158. 317. 539., dem
Pflugochsen aufs Hom gespießt 538.,
unter den Weinstock gelegt 517.,
beim Dreschermahl 429., in die erste
oder letzte Garbe, oder Handvoll
Aehren gesteckt 158. 209. 215. 317.,
an den Maibaum, Erntemai, Som-
mer gebunden 157. 171. 200. 204.
205. 217. 387. 393., an die letzten
drei Aehren 209., an den Palm-
zweig 286., an die Wepelrot 247.
Brautkuchen 223., darin die Braut-
maie 223., an der Brautmaie 223.,
neben der Brautniaie ein hergetragen
222., bei Hochzeiten vom Wagen
geworfen 184., beim Hochzeitfeuer
gebacken 565 , am Gurt des Had-
ler8 269.317. Tansycake 476. Past-
nachtfladen 545. Funkenring 539.
Bretzel 157. 223. 288. 269. 545. 546.
Hetweggen 253. Pfefferkuchen 264 ff.
Osterbrod 263. Kuchen als Pfingst-
recht gefordert 348. Brodroann am
Emtemai 205. 210. 212. 218. Wett-
lauf nach dem Stollen 396. Kuchen-
ritt zu Sindolfingen 893. Brod dem
Baume gebracht 20. 21. 157., für
die Hollen in den Wachholderbusch
gelegt 65., für Puschkait unter
den Baum gelogt 63., mit Brod und
Salz dem Ljeschi geopfert 141.
Opfergabe an Quellen » Bim
Wald Weibchen , Hollen ,
Selige backen Brod (Kudi
80. 103.. stehlen Brod
107. Christus Himmelslm
Ostern vom Kirchengewölbc
gelassen 233. Kuchen zar
gebraucht 508. Yon frisdiei
essen 180. Brod unter da
tragen 185. Brod pipen 75
spende an die Armen 335.
Brombeere 226.
Brosamen in den Ofen werfen
Brunnen s. Wassertauche 24
259. 323. 332. 350. 874. 8^
488 ff. 542. - trog mit W
füllt 97. 98. Br. Siloah 2»
Brust große 88. 108. 117. ü
137. 138. 147. 445. 611., bin
146. 8. a. Slatte Langpatte.
Buche 56. 67. 76. 125. 165. H
199. 207. 229. 271. 349. 4
503.
Buchsbaum 46. 164. 256. 20
286. 287. 288. 291. 566.
Buckel 8. Auswuchs.
Buddelt 256.
Bugge, S., 55.
Burgbremieti 463.
Burkhard v Worms 330.
Bürste 290.
Buschjung/er 86.
BusdimänncJicn 92.
C.
Caesar y J. , 525 ff.
^amibaum 275.
Calignaou 226. 236.
Captain Caufstail 557.
Carlblom^ Pastor 53.
Cassel, P., 404. 405.
Caypora 145.
Cederbaum 293.
Ceyiteotl 360. 363.
Chahndal 226.
Charfreitng 233. 277. 290.
Charsamatag .502.
«1.
0. 494. 536. böO.
it der Lenden Davidi
■uns Same 234. SSTi.
330. 232. Apfel 230.
1244. Weizenkarn 231.
6. WeUen 230 ff. Mi-
^aradiesbaoin , L«benB-
294. 295. 605. Brod
143. SoDoe, Liebt 235.
79. Einhorn 251.
hre, grfine PrnchtbaQm
282. 294.
1 ff. 226 ff 250.
Weihnachtsbanm ,
äHChe (?) 210. 224 ff.
: 243- 251. 273. 281 ff
»ff 406. 406. 446. 477 ff
S. 517. 539. 609. 6115-
reneznela 462.
) za Nantes 71., Ronen
« 518. , Tnillaniachea
Di^tstahJ von Enft, Nshning 68-,
Korn 69., Saat 13a, Brod 75. 92.,
Ifilch 92. 112., Eindern 108. dnrch
geiatarhafta WeHn., dea HMbatuu
166.
• 107.
I (Invo
45Öff. 457. 500 503. 636 ff.
Diodor 525 ff
Dintei 15 40. 69.
Djutdjul 329.
Dio
:.ny *
413. 414.
Doetor (Eisenbart) 325. 3&0. 352. 3S8.
Dodola 330.
]>.,hhg'iif zu Dreaden 389.
Donaiuttag (17. Febr.) 427.
Donner 85. l.Sl . verfultrt den Banm-
elf 68., aio .^kiigsnufvii 137. 138.,
die Trolle 1* Jir. Wil.il'rauei] 109.,
Erster im Jahre 482. 486., in dar
EmteMit 483. 486. t. BUts.
Dmnerkeil 62. 485. 486. 504. 536.
Donneraag 131., D -.abend 59. 60. D.
nach Faatnai^t 178. , D. Tor Paat-
iiai'lit .'ttt.. nach Pfingsten 157.
Ilorffifdlei X-Xi- Aom.
Dorf linde 53.
Dorn 165. 167. 207. Dombuach 450..
auf den Backen binden 351., aus-
reiten 383.
Dowruag 614.
Drache 65. 69. 509.
Drei Aehren 171. 20» ff. 232. Drd
Donneratage 131. Drei SvngbKom
209. Drei Krenze 78. 83. 106.
Drei Zweige 192. 204. 226. Drei-
faclier Gflrtel »on Eiern 353, Vgl.
DieiBplant.
DrcifHU.ijkeit, h., 154. 209. 465.
DreifalliißfUfSioitnta/i 158- 168,
ilrcikönignahend lÖO- 247. 273. 637.
53a 542.
Dreiajflant 384.
Dresdten 202. 206. 215. 484.
DretiAhund 610,
634
Register.
Dachinnen 1S2,
Dünger. Letzte Fnhrc 192. Ddnger-
st&tte 271. 411. 421.
Durchkriechen durch gcspalteuen
BsniDf Stein 83.. nntcr einem Ka-
meel 32.
dvrufiig ttv^fiTtxri 19G. 208. 213. 4«5.
583. 605.
Dziewana 413.
£.
Kddgar von England 70.
Ebertimrz 97.
EgeHhansd 445. 446.
Egge 83. 553 if .
EheleuU neuvermählte 268. 299. 456.
461. 463. 464. 471 ff. 479. 488 ft
492. 493. 494. 607.
Ei, Eier schmücken den Ifaibaum
156. 157. 160. 165. 169. 177. 181.
241. 245. 271., Emtemai203., Richt-
mai 218. Eier ganze im Brautkuchen
223., auf dem Felde gegessen 158.,
in den Acker gesteckt 291. , in die !
letzte Garbe gebunden 158., cingc- i
sammelt, collectiert fiir das Schmack- |
OBtem. Feien u. s. w. 181. 256. 260. i
263. 264. 281. 353. 385. 427. 429.,
Gürti»! des Wasservogels a53., Eier-
lauf 264.
Eiche 9. 17. 36. 39. 41. 44. r)3. 67.
76. 157. 158. 164. 171. 174. 175.
178. 189. li>9. 201. 202. 205. 200.
207. 224. 228. 23<>. 271. 273. 306.
349. 353. 385. 500. 503. 59(5.
EichenhlaU 44.
Eichhörnchen 508.
Einsegnung mit Bier 173.
Eiresione 249. 295. 297. 298. 605.
Eisen Frau 559.
Eisennch , Sommergewinn daselbst
156.
Eiseng rind 433.
Elhe Elfen 14. 17. 62. 63. 65. iyiy. 67.
125. 289.
Elenntier 131.
Elexisis 598.
Elfarrow 66.
Elfäxing 62.
Elfhläst 62. 66.
Elfholt 66.
Elfdans 62.
Elfenring 62.
Elfgräs 62.
Elhorn s. Holunder.
Elisabeth, Eönigin von England
ElUfru 11.
ElUpige 122. 125.
ElUr 61.
Eis 126.
Else, rauhe 108. 113.
Elsenbawn 272. 288.
Embla 1. 8
Engelmann 513.
Engmtie 73. 99. 115.
enmajöler 163.
Epheu 322. 422. 434.
^^pousie du Mai 439. 447.
Erbse 234. 463. 484. 560.
Erbsenbär 421. 442. 443. 499. ÜVl
Erdbeerbaum 299.
Erde 152. 216. 233. 444. 560. Mr
ter Erde 303. 571 fEl ErdgöttiD dtf
Khonds 356. 362. BerühmnK «t
der Erde 487., die Erde kfliMi
486. 487.. sieh auf der Erd* wÖ"
zen 482 ff. Erdstummel 228.
Erengans 202.
Erenmaie 202. 203.
Eresbnrg 307.
Erle 167. 207.
£mgarw 213.
Ernte 77. 78. 79. 153. 158.
190 ff. 215. 266. 223. 259. 332.
394. 396. 463. 481. 496. 487.
541. 551. 560. r)85. 598. 609 ff.
Erntemai 190 fL 237. 295. 298.
357. 395. 560. 605 ff Hörke
(Hackelmai) 195 ff. als Mensch
gekleidet 200. 210. mit Aej
204. 205., mit Backwerk 200.,
Eiern 203., mit Bierkrügen
208., mit Weinflaschen 200.
205. 206. 208. 215., mit Klei«
und Tuchern u. dgl. 191. 192.
•N
3ij5
Vk^
Begiaier.
as5
mit Aehren 193. 195. 196.
)5. 212., mit letzter Garbe
oit Mäasen und Maulwürfen
it einer Puppe 2()5. 210. 408.,
'änzen 195. 197. behängen,
teren Zweige beraubt 195.,
iTagen voraufgetragen 197.
(chleift hinter dem Wagen
^7., in Verbindung mit Hahn
I 198. 203. 206. 211., hat
aen 192. 203. 212., heißt
198. 199., Mockel 192. von
ferden gezogen 200. 204. 214.,
jr eingegraben 195., von den
D herausgezogen 196., von
Q eingefahren 200. 208. 211.,
letzte Garbe gesteckt 191.
9. 207. 212. , auf oder unter
uehfang 190. 198. 204., auf
;h der Kornscheuer gesteckt
3. 204. 205. 217. , über die
Komscheuer 197. 198. 202.
uf das lUch 190. , des Her-
es 190. 202. 217 238., über
des Herrenhauses 197. 217.
zt, auf die Tafel gestellt
. 223., im Hofe 202., auf
hober aufgepflanzt 195. 204.
1., zum Kreuzstock hinaus-
192., mit Wasser begossen
^. 214., mit Wein besprengt
klettert 191. 208. Tanz um
itemai 193. Wettlauf nach
atemai 191. 209. 396.
m 583. G13.
t 66.
ich. 535.
9sion 397 ff.
LI. 41. 56. 199.
^. 368.
^.
am Weihnachtsbaum 24^.
d.
147.
schlagen 552.
rdt.
F.
Faelcel 71. 179. 317. 455 ff. 498 ff.
509. 614.
Fackellauf 463. 498. 500. 501. 502.
506. 509. 510. 511. 512. 515 520.
534 ff. 549.
FackeUonntag 455. 556.
Fairy 80.
Familienbaum 51. 53.
Famigen 89 ff.
FänJcen 73. 95. 98. 106.
Farrenkra^d 324. 343. 385.
Fasolt 105. 106. 148.
Fastnacht 174. 253. 254. 2.55. 256.
269. 276. 278. 280. 292. 332. 334.
336. 359. 410 ff. 427. 445. 457. 463.
473. 488 ff. 492. 555. 556. 594. 613.,
die Fastnacht vergraben 411.
Fastnachtdonnerstag 237.
Fastnachtfeuer 180 500 ff.
Fastnachtnarr 411.
Fastnachtfionntag s. Invocavit.
Fastnachttumier 549.
Fasttmchtumlauf 544 ff.
FauUieit austreiben 303.
Faunns 73. 115. 407.
FSchenot (Fa.ssenot) 457. 458.
Feien 442. 443. Frau Feie 443.
Feigenbaum 296.
Feldgespenst 520.
Feldmann 410.
Fell am Baume 394.
Fenggen TS. 89 ff. 98. 103. 106.
Fetischbaum 182.
Feii€r vertreibt Dämonen 133. 520.
615., dämonisches Ungeziefer 502.
504. 510. 520 , auf dem Saatfelde
317. 498 ff. Feuerbrand auf Obst-
bäume gelegt 225. 498., in die letzte
Garbe gesteckt 228. Feuer bewirkt
Fruchtbarkeit des Feldes 225 ff.
463. 498 500. 501. .*)02. 504. 506.
507. 508. 509. 510. 512. 519. 521.
530. 531. 535 ff. Feuer, neues im
Vcstatempcl 295., zu Ostern 503.,
bei Viehseuchen 518. Bestandteil«*
des Jahresfeuers 498. S. Johannis-
40
626
Register.
abend, Ostern, Martini, Funken-
sonntag, Eapalo. — Verbrennung
der Vegetationsdäinonen 493., des
liaibauros 177. 419. 5G6.. des Todes
156. 419. 497. , des Pfiiigstl 524.,
einer menschlich geHtalteten Puppe
409. 497. 498. 499. 501. 502. 505.
507. 512. 513., des Fasching 41^9 flf..
des PalmbDschels 2.'>8. 289. 566.,
des Fastnachtbären 421., der letz-
ten Garbe 613 ff., den Pfluges
553., von Tieren 515., Knochen 515.,
eines obstgcfüUten Korbes 516.
Durch Reiben entzündet 508. 518.
Feuer mit Erwälilung von Braut-
paaren 450. 455. 456. 457. 469. 508.,
Lauf oder Spnmg über oder durch
das Feuer 463. 464 If. 487. 498.
506. 507. 508. 510. 511. 514. 520.,
entsteht , wenn der Hausgeist sich
entfernt 44. (K).. verhütet durch
Schnabel des Piingstbutzes 357.
Holunder soll nicht verbrannt wer*
den 64.
Feuerheerd 223. 228.
Firdosi 7.
Firetcarkx 341.
Fischnetz 519.
Fitzellohn 281.
/itzeln 265.
Flavhs 18. 77. 8;J. 107. 201.215.253.
255. 269. 280. :M8. 357. 397. 464.
502. r)lO. 512. 541. 543. 614.
Flacfismutter 610.
fliege 18. 262. 263 280. 2iK). v^'l.
Insekten.
Floh 2G3. 280. 21K).
FWhauskIoi)fen 268. 303. 332.
Foolplough 557.
Frau 8. Weib.
Frau Berte 112.
Fratienhöhle lU).
FräuleJiopf, Berg 1H)().
Freibauyn 38. 39.
Freitiere (fridjus) 132.
Freifju 5S7. 5^6. r)iH). 591.
Freyr 522. 580. 588. 589. 590.
592.
Freytag, G., 458. 568.
Friar Tuch 546.
Fricco 591.
Friedherg, E., 299.
Friscfie Grün streicfien 265.
Frö 522. 592.
Frö 592.
Frohnleichnamstag 371. 379. 381
Frosdi 354. 355. 606. Frosche
der, Paddenschinder 356.
Frostbeule 227. s. Auswuchs.
Fruchtbare Bäume 39. 56. 76.
Fruchtfeld =- Weib 560.
Fuchs 290. 396. 515.
Fudelgeld 255.
/üen, fudeln 254 ff. 256. 280.
292.
Funkensonntag 465. 500 fil
Fuß 262. 263. 268. 269. 280-
Fußspitze waschen 489.
FußbaU 475.
Füstge Mai 326. 324.
Fylgja 45. 52.
G.
Gabriel hounds 251.
Gabriels Jagd 251.
Gadeild 508.
Gttdindc 509.
Gans 389 ff.
Garbe letzte 190. 213. 393. 396.
Todte" 420, gerbe de la p
231. 233., gerbe de la maitresse
gerbe a la galette 205., gerbe
205-, gerbe fleurie 207., de la fi
207. 613. De St. Jean 614.
gar w 213. Glücksgarbe 213. S
garbe 213. Stamm 213. Letzte
verbrannt 613. 614., schlagen
278. mit Wasser begossen 2
Getränk hinein gebunden 214 ff
bräutliches Gewand gekleidet i
grüner Baum hineingesteckt s. '.
teniai, dem Vieh am Weihn
ubond gegeben 233. Mensch hi
gebunden 215. 484. Brod,
^1.
061.
ohjo-
2Sl
2»i.
'11
■ -i :
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f-^T .M
-"I ^Mt^
- 't,
j-.-J ''■
\r .'t^e
h*
Register.
627
igebnnden s. Brod, Bi. Feuer-
.liiBeingebund€n228. St. Wal-
8 in eine Garbe gebunden 121.
e Garbe erbält Tiemaraen 487.
Garbe ^ Maria 230., in Jo>
Trarnn 234.
uud der Waldgeister 148, der
fran 87., der Seligen 103., der
ihoUen 102.
i, Frau 85
[e la me aox Onrs 514.
ö. 59. 63. 78. 141. 192. 203.
213. 218. 247. 512.
ibaum 49 ff. ^
%e ans dem Leibe winden 28 ft.
47
, wilder %.
Hein 96. 98.
if den Richtmai 220. 221., in
Baum stecken, wie die Esten
in ihre heiligen Bäume ton
in die Krippe 404., ins Weih-
tsfener 225 werfen.
del 284.
? 91.
le der Madonna zu Straubing,
aarkt , Breslau 231., des wilden
les in der Alhambra 339. Mi-
xen in Handschriften : Tanz um
Maibaum 188 Anm. 2. , ballet
irdents 338., Burglinden XIII.
Haustiere der wilden (seligen)
lein 100. 102. 132. 147.
a, Königin 448.
icUvatica 113.
der grüne, 313. 314. 316. 328.
585., der h 314. 316.
Uig ^23. Apr.) 270. 313. 317.
480.
7ul8t42. 64. 8. Auswuchs.
'€ s. Korn.
tzauber 211. 214. 419. 613.
•r 8. Blitz. Donner.
I. Krankheit.
fei 91.
Gild£ Opfermahlzeit 585. 428. 429.,
große 450., der Dorfburschen 450.,
Gildestnbe 369. 379.
Glodce (Schelle) 130. 290. 324. 325.
327. 416. 428. 433. 440. 455. 488.
539. 540. 541. 542. 543. 544. 546.
547. 548. 606. 613.
Glockenblume, blaue, 426.
Gloria 97.
Gloso 210.
Glück bringen 252. 263. 280.
Glückskorn 213.
Gode 85.
Göthe, Wolfg., V , 58. 239.
Gofar 128.
Gold aus Birkenlaub 76. 87., aus Spä-
nen 85., aus Kohlen 142. 616., aus
Baumrinde 142., aus Getreidekör-
nem 121. Geschenk der Waldgei-
ster 142. 152. Goldstück durch
den Mund ziehen 180. 187.
G(adiaie 43.
Goliath 8. Köpfang des Pfingstl.
Gower 460.
Ghras ausläuten 540. 547.
Graskönig 343. 347 ff. 355. 357.
Graswuchs 332.
GreentDichhül 480.
Ch-egoriustag (12. März) 274.
Grenze. Neun Grenzen 21. Grenzbaum
27. 39 Grenze verrücken 121.
Grenzbegang 397. 398.
Grimm, J., 2. 369. 405.
Crrimnismdl 54. 55.
Grönjette 122. 124. 445.
Gründonnerstag 184.
GHin Grüner Junge 64. Grüne Haare
138. Grünes Holz 184. Grüner
Georg 313. 316. 317., grüne Klei-
dung 111. 448. Grüner Weiberrock
317.442. Grüner Wagen 452. Grü-
nes Gesicht 34. Grüne Hand 64.
Grünes Moosweibchen 82. Grüne
Berg 223.
Grundblock 228.
Gürtel. Geschenk der Waldfrauen und
Hexenmeister 152., silberner am Som-
40*
628
Register.
mer 156. Gürtel des Pfingstl 353.
des Ehemanns 302., aus Halmen
210. 487. Thors Stärkcgürtel 486.
Guvmar Helming 580. 589 if.
Gtirö Bysnerofa 147.
Gyldeeiche 9.
H.
Haar = Lauh 76. 124. , grünes des
Ljeschi 64. , langes , fliegendes 76-
88. 102. 117. 123. 128. 137. 148.
Haariger Körper 113 flf. 147. 338 ff.
Haar in den Baum yerkeilen 48.
Hafer s. Korn.
Haferhräuiigam 610. 612.
Hafergeiß 611. 613.
Haferkömg 611.
Haferweihe 404.
Haffru 122.
HagedomnUe 343. 365.
Hagel 291. 502. 504. s. Blitz. Don-
ner.
Hahn (und Henne) auf Maibaam 160.
174 , auf Erntemai 197.
Hahn (Henne) 183. 197. 245- 290.
315. 327. 562. 565. 583- 613.,
auf Maibaum 160. 174. 211., auf
und bei Emtemai 197. 198. 199.
201. 205. 206. 212., auf Mimameidr
56. 183. 211., Hahnbaum 174., auf
Brauthemden 46. Opfer 148. 246.,
auf Erntewagen gefahren 613. , im
Kupalofeuer verbrannt 515. Hah-
nenschlag 488. 533. 547. Dreibei-
niger 42. Blüte des Hanfs 2.
Hain, heiliger 31. 70. 71. 572. 582.
584.
Hnllfeiier 500.
Hammel 396., —tanz 387. oiJ6. 490.
Hammerle, A. J. 101.
Hamster 538.
Hand 254. 255. 256. 262. 263. 264.
268. 280. 298., grüne 64.
Handtuch 270.
Hanf 259. 32S. 464. 510. cf. Flachs.
Jlansel und Gretel 429. 464. 493. 494.
513.
Hansel i 543.
Harke 197. 198.
Harkelmai 195. 196. 197, 198., Har-
kelmaigam 195. 196. Harkelnuu-
böm 195. 196. 237.
Harugari 579. 582.
Harvestqueen 611.
Hase 141. 204. 212.
Haselnuß a. Nußbaum.
Haselnußfräidi 106.
Hatzeler 350. 351. 368. 386.
Hausgeist 44 60. 61. 64. 65. 75. 81.
90 ff 95. 96. 103. 114. 115. 119.
137. 153. 154. 215. 238.
Heckerling 559., säen 554.
Heer wildes 67. 116. 122 ff 14Ö.
150 ff.
Heerdfeuer 198. 224 ff. 296. 566.
Heinrich VIIL, König von Englaid
341. 368.
Hemann 127.
Hemde 46. 156. 220. 419. 560.
Hense, G., 3.
Herbst mai 203.
Herbstschmudl 203. 311. 314. 322.
Herbstsonntag 203. 314.
Hetweggen 253.
Hetzmann 406.
Heuernte 101. 136. 192. 202. 206 209.
217.
Heumarienfeuer 469.
Heumütterli 610.
Hexe 14. 25. 66. 116. 162. 179. ^
273. 325. 329. 402. 501. 502. ^
541.
Hieronymus von Prag, MissioC^-"
Niederlitauen 36.
Hiesely der bairische 352. 367.
Himmelfahrt 397. 399. 449. 546^ * '
Hipelpipel 92.
Hirsch 132. 151.
Hirsmontag 523. 550.
Hirte 224. 230. 271 ff 290. 332
449. 456. 494.
Hoalrad 500.
Hobbyhorse 396. 546.
Hochrinta 89 ff.
Register.
629
Hachzeü 45. 46. 47. 48. 184. m>.
221 ff. 223. 245. 296. 299. 345. 442.
443. 448. 454. 468. 473. 488. 491.
546. 565. 613., des Ljeschi 143., der
Zwerge 92. 616., zu Kana 517. Hoch-
zeitlader 299. Hochzeitfeuer 565.
Hojemannel 127.
Hollen und Hollinnen 65. =» Selige
Fräulein 154. Holdichen 14.
Holla, Frau Holle, Holt 85. 120.
Hollybay 422,
HoUsaten 70.
Holunder 10. 11. 12. 15. 10. 20 21.
22. 52. 56. 63. 64. 70. 165. 166.
167. 189. 210. 222. 223. 257. 266. 298.
Holundermutter 10 ff.
Holzfahrt in Köln 375. 376.
HoUfräuleingam 76.
Holsieute (Holzfräulein, Moosmfinnchen,
Moosweiblein) 74. 75. 76. 77. 78.
79. 80. 81. 82. 90. 91 92. 103. 106.
114. 127. 137. 153. 217. 237. 333.
334. 335. 408. 544.
Holzheizer 82.
Molzmuoja 127.
Molzrüna 127.
Moyujatar 30.
Hopfen 232.
JHosantuUi, das große 282. 29.^.
JHrafnagaldr Odins 55.
Mudler, Buttler 268. 269. 317. 541.
548. Hudellaufen 268. ^
Jlügel hinabroUen 480 ff. vgl. Green-
wicbhill.
Muitzüopochtli 360 ff.
Hütte verbrannt 463. vgl. Laubhütte.
Hnlda 107.
Hulte, der 127.
Hund 212. 52]., der wilden Jagd 137.
138. Gestalt des Uaiuara 145.
Hundeschläger 324.
Hure 441. 443.
Hut auf der Maistange 387. 392.
Hutzehruinn 501.
hvannarknJfr 2.
Hyldemoer, Hyllcfroa s. Ilolunder-
muttcr.
I.
Jack in the green 322. 342. 425.
Jacohstag (25. Juli) 277.
Jättesa 138.
Jagd glückliche, Gabe des Waldgei-
stes 130. 131. 141., des Gabriel 251.,
wilde 82 ff. 85. 105. 112. 115. 116.
121. 122 ff 137. 145. 149. 150. 151.
251.
Jahresfrist 217. 218. 371. 452. 458.
493. 566. 606., in eine nach meh-
reren Jahren wiederkehrende cycli-
sche Feier verwandelt 172. 175.
371. 533 534.
Janchon 145.
järes umbihringy järhring 430. 466.
594.
Jarilo 415 ff. 547. 606.
Jauchzen 191. 199. 202. 215. 597.
Jenn, wilder Jäger 123.
Jesse 230. 235.
Jessen, E., 54.
Ilmateuctli 303.
Immermann j K. , 300.
Indra 14. 275. 592.
Insekten, Krankheitsgeister 13. 24.
25. 290. 296. 502. 504. 510. 520.
560. s. Fliege, Floh, Korn wurm,
Laus, Mücke, Kaupe, Spinne.
Invocavit, Fackelsonntag, Funken-
sonntag, dimanche des brandons
178. 453. 455. 463. 473. 479. 488.
500 ff. 536 ff. 549. 550.
Jochträger 90 ff.
Jods 210.
Jördh 588.
Johannes Person ification des Kalen-
dertages 170. 181. 212. 311. 466 ff.
493., Weib des Johannes 468.
Johannisabend (23. Juni) 159. 172.
173. 463 ff. 469. 483. 487. 488. 508 ff.
515 ff 519. 520.
JohanuiMtad 534.
Johannisbaum 244.
Johannisfcuer 177 ff. 237. 419. 463.
464. 406 ff. 487. 502. 508 ff. 519.
522. 524. 532 ff.
630
Register.
Johannistag (24. Juni) 33. 325. 355.
552.
St Johannisaposteltag 462.
Jost^23i.
Imm Gott 301 309.
,yii,i„ __ Verstärkungswort 304.
Jmitii^ 303 ff .
Irregdui 61. 84. 108. 109. 110. 118.
129. 140. 143. 144. 153.
licgrim 433.
Isis 559.
Issiteggi 94.
Jnchfoder 191.
Judas 504 ff. Judasfeuer 505.
Judicasonntag 471.
Julabrasa 229.
JnkUannar 539.
Juifriede 589.
Junge, schmucker 384., bunter 384.,
grüner 64.
ividhja 55.
/rw 593.
Ivygirl 422.
K.
Kfl/er 504. 582. 584.
Kälberquiekm 271. 294. 298.
Käse 96. 112. 113.
Kässonntag 540.
iCaZ6 Pflanzenschüß 2.
KawecZ 32. 335.
Kaminfeger 322. 352. 367. 425. 548.,
vgl. Schwärzung des Gesichts.
Kampf auf dem Kornfelde 498. 548 ff.
vgl. 545.
Kaninchen 122.
Kantenreiten 387.
Kanutsgilde 379.
iCon^dmann 91.
Karl der Große 307.
Karl VI. König von Frankreich 338.
Karl Herzog von Orleans 459.
Kastanie 207.
Xati 30.
Katze (Kater). Gestalt der Wald-
geister 89. 112. 146. 290., des Haus-
geistes 93., des Vegetationsdämons
und Krankheitgeistes 561 ff. , im
Johannisfeuer verbrannt 515.
kätzchen 2. Katzenkopf am
bäum 167.
Kenningar von B&umen herg<^zi.o
men 8 ff.
Kidd^lhund 611.
Kinder goldene Zweige 45., Blumei
50. Geburtsbaum, Lebensbaum toa
Kindern 48. Anm. 49 ffl tod der
todten Mutter gepflegt 104., rom
Holunder erschreckt 12., fiber Jo-
hannisfeuer getragen 512. Kind
durch Baumspalt gezogen 32 ff, mit
Leinsamen besät 33. Von den El-
tern gequitzt 270. Von den Dive
zeny 87., den Fanggen 90., der
Langtüttin 108-, den Seligeo 107.,
dem Eis 126. , dem Salvanel 118.,
dem Ljeschi 143., dem Caypora 145^
gestohlen. Vgl. 153. Vertauscht
65. Sein Eingeweide ausgefressen
295. Weinendes Kind Gestalt ^ti
Ljeschi 140. Kind der Waldfrau
88. 135 142. Kindersegen erwir-
ken 184. 226. 281. 558.
Kindbett, leichtes 51 52. 56. M
284. 302. 512.
Kindbetterin von den Seligen geragt«*
108. 153. , todte kehrt wieder VH
vgl. 112.
Kindein 266. 292. 293.
Kindsvöt 233.
Ki7ig of May and Queen of Ma
Kirche. Ball über die Kirche
473. 480. Dreimaliger Umzu
die Kirche 506.
Kirchenglocke 130 547.
Kirnbaby 409.
Kirnis 245.
Kirschbaum 18. 39. 41. 53. 126.
167. 205. 207. 226. 236. 245.
Kitzeln 87. 89. 139.
Klabautermufin 33.
Kleidung grüne 64. 88. 111. 117
341. 368. 448., dem Wal
Zwerg u. s w. geschenkt 73.
RegiBter.
6S1
lem Baum angetan 157. 158.
auf den Maibanm 157. 169.
^2. 174. 179. 191 209 464.
42. Tgl. Glocke.
ri 326.
tne 136.
44.
ine 883.
^tspid 480.
ih 180.
▼erbrannt 178. 509. 515.,
aibanm 383., ins Saatfeld
i;400.
Aehren iu Knoten 209. Kno-
n Krankheitsgcistem herrüh-
3. 14. 15. 16 19. 20. 22.
• Ch'oße 70.
in, A. 3.
13. 44. 64. 65. 69. 95. 96- 110.
4. ff 151. vgl. Hauägeist, Kla-
nann, Tomtegubbc.
). 352.
d 350. 428.
\2. 227. 228. 229. 504. 510.
KrautpHanze, Kohldtaiiim u.
ie 248.
ßbO.
J61.
Maikönig, Pfingstkönig, Syl-
Lönig, König Knoblauch 93.
der Katzen 93.
M 385. 392.
', Erschießang u. s. w. des
tbatzes, Maikönigs 321. 343.
m. 354. 357 ff. 364 ff 365.
k21., dcB Goliath 352. 365.,
gs XVI. 352. 366., des Engel-
8 514., des wilden Mannes
36., des Fastnachtbären 421.
it Obst im Martinsfeuer ver- ■
576. Korb im Umzüge derl
nie zu Zürich 523. Korbträ- 1
f4.
, Hochzeitbrauch der 302-
Kam (Getreide) s. Aehre, Asche,
Christus, Ernte, Emtemai, Fackef-
lauf, Feuer, Gewichtzauber, Hnüer,
Kampf, Sämann bdeer, Wasaer-
tauche. — HimmliMhes Korn -■
Ohristut 230. 232. Korn Tom Christ-
kind mitgebracht 233. — wichst um
das Muttergottesbild 232. Auf jedem
Weisen körn ein Mnttergottesbild
232. Krankes Kind 38, Weihnaehts-
klotz und Polaznik 284. 225., Kru-
zifix 233., Hochzeiter 222 mit Ge-
treide beschüttet Weihnachtsmte
ins Korn gesteckt 224. — Kom-
wachstum abhängii^ Ton den Holz-
fräulein 77 ff., Hulda und den Seli-
gen 107., St Walpurgi8 210., Jarilo
415., Metsik 407. 408., Thorr 48-1
Ukko 485. Korngeist 212. 215. 409.
410. 609 ff: Komaufwecken 540 ff.
547. 548. Korn wird fruchtbar,
Brand, Kost, Hagel abgehalten
durch Umreiten des Kornfeldes 350.
353. 357. 398., Eschprozession 398 ff.,
Wälzen auf dem Saatfelde 481 ff.,
Sprung durch das Feuer 464., Schlag
mit der Lebensrute 253. 255. 269.,
Gewichtszauber s. s. v., Hinein-
steckung von Palmen 291., Lorbeer
297., Zweigen der LaubumhüUnng
des Pfingstl 348. 357., Knochen 400
in das Saatfeld, durch Fackellauf,
Feuer, Asche s. s. vv. — Aussaat
des Kornes 17. 33. 77. 159. 212.
217. 226. 232. 233 262. 263. 488.
561. Vgl. 80. 158. 224. Korn im
Winde wogend 119. ; Tod sitzt darin
420. Einemtung 77. 80. 107. 112
121. 190 ff. 214. 420. 483. 609 ff
Dreschen 429. Fieber in Getreide-
kömer gebannt 17. Getreide steh-
len 60. 63. 65. 69. 75.
KoDibaum 190. 212.
Karnbonde 484.
Kommode 484.
KornmtUter 611.
Kornwarm 291.
ß32
Register.
Kvroivay 223.
Korybatitffi 7.
KosmoffOHie der Pliryger 8.
Kostroma 414. 417 ff.
Kraiotm 3*2. 344.
KratMeittH und ilirc Heilung. Krank-
beitsgeistor , ächmarotzer in Ge.stalt
der iMokten 13. 14. 15. 17. 18.
Anm. 3. 20. 22. 25. 2Ü2. 2G3. 26«.
2«0. 21H). 2i)2. 294. 332. , anderer
Tiero: Kröte 13., Maus 23 if., Katze
:«».» Hund 562., Hahn 562. Vieh-
l«id> Viehschelm 2im. 563. Strigon
l>l>j. : menschengestultige Kranklicits-
gtister 15., zwölf Mädcbon 15 , neun
Scliweütern 16., sieben Teufel 13.,
«Ite Wittweu 20. Elbe , Klfen 14.
62 ft*. 64. 66. Krankheit des Bäu-
men, SalvancI 113. durch Aufhocken
111., durch Anhauch 12. 62.. Kreu-
zung des Pfades 140. « durch l^feil-
sühuH, Axthieb (>6 ff. u. s. w. von
(■eistem entstunden. Kninkheits-
goistor im Baume heimisch und von
diesem entsandt 11. 12. 13ff. ^ aus
dem Walde kommend 14. 22 ff., aus
allerlei anderen Orten 22. Krank-
heit des Keisenden am zurückge-
bliebenen Baume bemerklich 4.S.
Vom Baume zurückgerufen, oder
auf ihn übertragen 16. Baum hilft
gegen Kr. 52. Krankheitsgeistor
in den Wald 17. (>2. 257 , die Wüste
17. 22., unter Steine 15. 16. 18. 21.
68. 69. verwiesen. Vom Vogel mit-
genommen 21. Waldgeister heilen
durch Kräuter Hl. H7. 106. 153.
Sympathetische Kuren 16. Heilung
durch Aussaugen des Kraukheits-
' geistes 3. 14. Einpilöckung dessel-
ben 21 ff. 24. ff. 71., durch Donner-
keil 14. 62., Kohle des Christbran-
des 22i». , Durchkriechen 32 ff. 129.
226., Taufwasser 517., Gold in den
Baum stecken 174. Knoten einbin-
den vgl. Knoten. Abwehr der Krank-
heit durch Feuer 518. 519. 562-
Feueraprung 464. 518., PflngziE
15. 561., Schlag mit der Lebens
257. 270. 272. 280., Opfer an
Baum 59., Wälzen auf dem A.<
4S;)., Flurritt 399., Stephansritt
Palmkätzchen 2iK). , Lorbeer
Blut vom Aderlail 403. - Au
'■>..
!»■■
.1.
>^
krankheit 17. 42. 64. Aasschi.I»<r
Auswuchs s. Cieschwuldt. Bein.
bruch 24. 36 ff. 105. Beinweh 2«>y
Bruchschaden 32. Buckel 67 (v^/
Geschwulst) Kinge weideschmerz 1./.
Elfenanhauch 62. Epilepsie 2^^/.
2t)6. Fieber 15. 17. 20- 2:^.66. 2fN;.
291. 292. 297. 510. Flechten Vj.
Frostbeulen 227. \g\, Geschwulst
Furunkeln 226. 237. GeschwaJüf.
Ausschlng u. s. w. 14. Anm. 3- VJ.
20. 23. 42. Gicht 13. 15. 21. Hals-
weh 2iN). 291. Hexenscliuß 66. Irr-
sinn 13. 26. Ko]ifweh 13. Krätze
228. 239. vgl. Ausschlag. Kreoiweh
210. 263. 280. 482 ff. 486. 487. Ma-
genkrampf 13. Nösch 13. Pest und
Cholera 16. 22. 66. 81. 97. 21«.
518. 561. 562. Rotlauf 2a ^
Schwindsucht 13. 14. 18. 68. 2Ä».
237. 290. 295. Strily 23. VieV
krankheit 275. 470. 518. 521. '^^■
Zahnweh 13. 17. 21. 22. 23. ^-•'^^
2i>l.
Kranz (Krone) am Mai bäum 169.
171. 175. 176. 177. 272. 318.
387. 388, am Hals des Pfii
353., des Maigrafen 369 ff. 372.
374. 375. 376. 406. 606., am
des Siegers im Wettlanf 382.,
siegenden Rosses 387-, um
Handpferd 31>8., um Hals, Seh
Hörner der Weidetiere 271. »
389 ff., beim Flurumritt überreich
3in». 40«). 4ö5. Preis des Wettt^
nens 388. Kranzstechon 388. ^
Erntekranz 196. 197. 215. 216, &
der Tür 295. Liebende sehen t
durch den Kranz an 466., kün* *
sich durch den Kranz 434.
C.r-:rr-fc
•-r
^ Z.z.-^r
'< -*'
--*■».
KufxOo 513. bU.
K^lopet, 94. 139.
! (Kohl) 348. 277. 382,
K).
!B Aehten 201- 305. 206., dem
m verglieheD 173. 242. Krenz
Innder im Palrabnach 257. 289.
Vax tlber der TSr 291., im Äcker
Irrt Kreuze tum Sehnte fBr die
eibehen 78. 83. M. 106. 148.
im Fenster 128., Feueter-
121. 138.. verleiht Schatz.
I 233. 284. 886. Ballspiel
^reuz an« 474. 476. 480.
anm der Wenden 174. 177.
J7. 305. 583. Kreuzweg =
BolstizV 125.
tum 173 174. 211.
üag 16Ü.
lilder 96.
75.
rige 146.. bunte 390. äÜT).
schwarze 126. , vom Wald-
eh0tet96ff. 141., vom Wald-
im SUIle gepflegt 80. 95.
die Knh gesund , milcbreich,
ittr zo machen 157. 271. 272.
SO. Kuh mit Raten geatri-
69 5., bekommt Namen 271 tf.
ilepper 3Ü0. , zuletzt anagc-
le 389 ff. Kuh (Mockel) Nanic
mtemai, der Icizten Garbe
. 192. 212. Kühe der Ner-
>76. Kuhsehwanz der Skog-
128. 130.
Laehen der Dunei vwtea 119-, des
Waldmanns 127., der Sb^mafvft
129. 130. 134., des Ljwohi 139. 140.,
des üchnclacbAqai 143. Oricter '
lachen nicht 384. Lachen wie dei
PSngstfuehs ä91.
I^ady at the May 181. 212.
LärcMavM 101.
Lätare LW^LW- 181. 222.244.^1.
269. 294. 410. 414.
IxiufeT 325.
I^füahmi 55-1.
Lampe ewige 508.
Langas wecken 540. 548.
Laiiytehläfer 254. ffi7. »9. 268. 310.
321. 323. 328. 349. 351. 353 382.
389 ir. 392- 393. 403- 438. 548.
LangtiOin 108.
Lagikmvtki. J. IS. 245.
Lattiehköniff 313.
Latzmann 325. .547.
Luidi in Gold verwandelt 76. 87.
Lanboinklcidong 316 ff- Lanbhttlle
des Scholimeiera. PtingHtqoaeka Amn-
let 348. 349. Laabniftnncben 320.,
Laubpappe 320.
Laubhütte dea Slaikönigs, SchDtien-
königa 187. 315. 354. 355.
LaabhütUnfm 283.
Lot« 290.
LaveniM 49.
,St. Laiarufiag (letzter Tag der Oster-
fasten) 440.
Lebensbaum im Hochzeitliede 45., in
Hocbzeitgebränchen 46. 221 ff. 607.,
in Fmblingsgebräacben s. Baum,
Maibaum. Lebeoabanm von Baom-
geistern 69. 75. 89. 91. Leben ei-
nes Henachen mit dem Leben eines
Baumes verknapfl 32. 33. 36. 87.
48 49. 63. Oeburtabanm 50. Le-
bffnsb«uiu von Familien vgl. Banm,
Boträ, V&rdti&d, Haibsam, lUaht-
634
Register.
mal, Lebensbaum des Dorfes s.
Maibauin, der Welt s. Yggdrasül,
Weihnachtsbaum.
Lebensrute 251 ff. 386. , mit Maibaum
verglichen 279., Schlag mit der 538.
Lehmann, Chr. 74. 336.
Leich 585.
Leichdorn 20.
Leiche durch Palmzweig unTerweslich
286. 287. Palmzweig in den Sarg
mitgeben 290. , . anfo Grab stecken
290.
Lenzgatte 586.
St. Leonhard (6. Nov.) 404-
Lerchen wecken 253. 319.
lesni muzove 87.
lesni panny 86.
Licht s. Christus.
Licht geweihtes 559. Lichtgestalt des
Vird 51. Lichter auf Bäumen 46.,
am Maibaum 178. 223. 244., auf
Weihnachtsbaum 238 ff. 243. , auf
Kirschbäumen bei der Burg 245.
Lichtmesse Mariae (2. Febr.) 203. 436.
447. 473.
Lichtmesshraut 431. 447.
Liebe 281.
Liebeszauber 31. 48
Ljeschi 94. 138 ff. 408. 512., ver-
mcählt mit Sterblichen 143.
Linie 8. 45. 51. 53. 58. 62. 165. 184.
187. 188. 266. 853. 449.
Linne , Familie , ihr Familienbaum 51.
Lisurika 142.
Lito (Ljeto) 156. 157. 181. 210. 246.
253. 581.
Löfviska 11.
Lohjungfern 74.
Lorbeer 164. 205. 207. 222. 241. 242.
242. 249. 281. 286. 287. 295. 296.
298., beseeltes Wesen 297.
Lord of the May 417. 546. Lord and
Lady of the May 424 ff.
Lubbart, Henr., 317.
Ludtüig XVL s. Köpfung des Pfingst-
butz.
LUcketeies 499.
Lügengarbe 213.
Lulabh 283.
Luperealien 298.
Luther, Martin , 352. 367. 513.
LydgaU J. 460.
M.
Mad Moll 426.
Mädchen 50. 156. 237. 244. 24^ — 248.
251. 257. 260. 205. 267. 278 281.
313. 320. 332. 357. 362. 363 — 385.
386. 388. 390. 396. 414. 41^ - 434.
435. 450 ff. 456. 463. 469. 47^». 4d5.
Anm. 548. 553 ff. 560. 561. »- ?e^
schreiben 453. vgl. Weib.
März, erster 269. 455. 539.540 _ 641.,
zweinndzwanzigster , Anfang' des
Cybelefestes 572. Mfirzfeuen- 4ö5.
456. 540. 541.
Mäume 92.
Mäumkenloch 02. 100.
Magnussen, P. 55.
Mahdküchel 107.
Mahjas Kungs 31. 52. 53. 245.
Mahlen Mühle 80.
Mai 1. 8. Walpurgisabend.
Maja 313. 316. 338. 346. 346 417.
495. 586.
Mai suchen, einholen 161. 316.
Maibaum 160 ff.. Bedeutung dess«^"
ben 180 ff, alter ego von Mcnscb*^^
u. Tieren 182. Genins des Wa«^^
tums 182. = Eiresione 295. 298-
Kreuz 250., vorchristlich 297.,
Lebensrute verglichen 279. , v^
der christliche Baum des Let>^^^^
294. Mb. und Erntemai, Uu
schied 211. Maibaum pflanzen %
einholen 161. 162. 168., 171. %
182. 183. 316. 368., von Rin*
gefahren 182. , mit 40 Joch Ock»
eingeholt 171., nmhergetragen 'S
180. 343. 350. 356. 375. 524.,
Haus getragen 220., auf den Scf^
tern heimgeführt 175., Ziel
Wettlaufs 209. 382 ff. 387., ^
des Wettritts 385., erklettert %^^'
170. 171. 172. 177. 179. 187. 1 ^^''
X'
3
e
ei
B^gister.
S86
-4 Jahre erneuert 169. 172.
i des Majpole 176. Maibamn
eifen umschwebt 176. 220.,
ihreren Stämmen znsammen-
169. 171. 172., in schlangen-
Bn Ringeln geschalt 165. 169.
77. 208. 326., bemalt 172.
bis znr Krone abgeästet 170.
73. Tgl. 288. Aepfel 166.
23., Aehren 171. 172. 183.
>9. 222. , Eier 156. 160. 165.
77. 181. 183. 203. 218. 219.
•45. 252. 271. 566-, Gebäck
69. 171., Getränk 164. 166.
ri. 172. . Tücher 164 ff. 170.
19. 220. 313., Puppe 223.,
m 383., Vogel 222. 223.,
171. 175. 179 208. 218. 219.
.ichter 46. 178. 223. 244. 245 ,
n 164., Pflöcke, Nägel 174
n., am Maibaum. Maibaum
»cken bedeckt 174. 181., auf
gestellt 223. vgl. 207., mit
llung des Leidens Christi
Tanz um den Maibaum 164.
69. 171. 174. 176. 179. 180.
^. Maibaum vergraben 412.,
mt 177. 186 ff. 244. 456. 463.
66. 469. 506. (vgl. 507. 512.
nach Jahresfrist 566. Was-
he 162. 170. 221. . Maibaum
Banzt im Dorfe 164. 168 ff.
.82. 188. (Village-Maypole
12.), auf der Hausfirst (Dach,
161. 162. 165. 219. 220.
7). 451., vor dem Kammcr-
166. 167., vor der Haustür
)3. 164. 165., vor dem Braut-
223. 607., auf der Dünger-
161. 165. 167., über dem
ill 161. 165. , auf dem Scho-
2., an oder auf dem Brun-
1. 323. 333. — Maibaum für
»upter der Gemeinde 163.
für Mädchen 161. 163. 164.
ß6. 167. 183. 184., für Vieh
74. 182. — Bekränzter Mai- 1
bäum =» Krone 16.K 170. Dürrer
Baum 165. 166. 184. -^ Maibanm
im Brod 223. — Maibanm der
Miaotse 189. — Neben Maibanm ein
Laubmann 311. — Vom jüngsten
Ehepaare ausgeriehtet 488. — Mai-
baum der Prager Schneider 431. 596.
Matbrcmtschaft , Maibrant, Maipaars.
Aschenbraut, Lichtmeftbraut» Pfingst-
braut, Hansel und GreteL 422 ff.
437 ff. 591 , Erklärung 444 cf. 352
(Hansel und Gretel und Hochzeit-
leute) 386.
Maid Marian 423. 546.
Maienbuhle 454.
Maienföder 191.
Maienf^hrer 349. 350. 351. 352. 385.
Mukfigäßlein 169
Maienknechte 162. 349.
Maienreiten 347.
Maifeuer 178. 180. 419. 450 ff. 508 ff.
525.
Maifrau 338. 451.
Maigraf 369 ff. 432. 533. 593. 606. ;
der Name 378 ; aus Maibutz hervor-
gegangeu 376 ff. ; zu Lübeck 369,
Wismar 370, 373, Greifswald 370.
373, Stralsund 370. 372, Danzig
370. 371. 372, HeUigeubeil 370,
Reval 370. 371, Riga 370. 371,
Hildesheim 371. 373, Bremen 371,
Aalborg 371, Malmö 371, Dänemark
371—375.
Maiherr, Umritt, Heiltum für die
ganze Commune 378.
Maiinde 380. 381.
Maikönig 187. 341 ff. 347. 353. 354.
365. 366. 385. 394. 452. 493. 546.
547. 586. 606., umhergejagt 343.,
geschlagen 854., Maikönigin 347.
355. 452., Maikönig und Königin
355. 386. 422 ff.
Mailehen 165. 188. 450 ff. 492.
Mairöslein 163. 312. 318.
Mais (türk. Weizen) 269. 280. 541,
Maisblätter dürre 361., Maisstengel
362.
6d6
Register.
Maistange 159.
MaUrä 159.
Mamurienda 413.
Mandel 244.
Mannbarkeitserklärung 269.
Mantel des wilden Mannes 98.
Mao 112.
MarceUus Bordigalensis 20. 83.
Maresuüh, Aebtissin von Schildesche
401. 405.
Marena 413. 514.
Maria s=^ Aarons Gerte 244., = Cc-
derbaom 293., =^ Garten mit Le-
bensbaum 242., füllt die Scheuern
mit Weizen 231., dargestellt mit
ährendurchwirktem Mantel 231. 232.,
trägt drei Aehren in der Ff and 232.,
notre Dame aux trois epis 210,
lälit drei Aehren horvonsprießon 232.
Muttergottesbild mit Getreide um-
wachsen 232., auf jedem Weizen -
und Speltkorn 232.
Maria Magdalena 13.
Maiiä Verkündigung 224. 232. 407.
616.
Manee du May 439. 493.
Markopole 63.
Marmousin 166.
Mars 586. 592.
Marsilius 375.
Martin St., der Heilige 577: Perso-
nification des Kalendertages 273.
274. 327 (Pelzmärte).
Martiniabend 273.
Martinifeuer 516.
Martinigerte 273.
Martini, W., 394. j
Marzana, Mar/anka 159. 181. 413.
414.
Maschia und Maschiäna 7.
Matka - Tejypo 404.
Matrosenquartier in Kopenhagen 52.
Ma^wurf 204. 291. 536. 538.
Manritiuspahne 8;
Maus 23. 204. 291. 504. , in Baum
verptiöckt 24.
Mag Ladg 315. 346.
May pole 171. 188. 305. 315.
Mayqueen 354. 546.
Medizinischer Aberglaube s. K
heiten.
Megingjardr 486.
Mehl amKübelreifcn82, gestohlen 75.
MeJdiau 536. 560.
Meienehe 454. <
Melusine 120.
Menschenfaß aus Wolken heral)|^^'
werfen 85.
Memchetiopfer 30 ff. 360 ff. 525. 5fe^^-
Merlin 117.
Messer in den Wirbelwind werfen 13^^^*
Metamorphose in Pflanzen 3.
Metzgerzunft zu Zürich 433., zu Mni
ster 436, zu Trier 178. 596.
metsa ema 407. metsa isa 407.
Metsik 407 408.
Michaelisfeuer 516.
Mielikki 408.
Miesco von Polen 413.
Milch. Opfer 11. 60. 103. 272.
erzeugt 161. 162., vormehrt 1(C^,
Diebstahl 92. 113., aus Milch Wac^lzu
112., Gold 97 machen. Lohn A^ä
wilden Geißlers 96. Nahrung ^^a
Salvanel 113., der Seligen 103.
Mimameiär 56 183. 217.
Mimirs Brunnen 56.
Mirtesgardn 273.
Mißwachs 399. 504.
Mistel 249. 273. 279.
Mitesser 69.
Mittivinterfest heidnisches 249.
Mockel s. Kuh.
Mohrenkönig s. Schwärzung des
sichts.
MoUtzlaufen 382.
3Iommsen, Th., 6.
Mond 234.
Mondard 409.
Moüsleute 74. 75. 82. 106. 114. ^
153 333., Moswyfjes in Flander«^
Mooskuh 524.
Morgentau 355
Morris 'dancer 8 546.
74.
Begblar.
687
63. 280. 510.
r, K , 309. 587.
7., 428. 587.
dura 106.
I Windes 43. 86
ife 191.
umpe 93.
J. 284. 287.
von Elensis 598.
N.
fr 151.
i 151.
Maibaam geschuitten 165.
Logvieh gegeben 271.
«w, Thom., 287. 288.
n einsammeln 428.
ipinst der Franberte 112.
«449.
%ba 148.
e 423.
;. {)92.
83. 567 ff. 587., Name 570 ft.
2., Insel derselben 568. 598.
0. , Umfahrt 600 ff.
7. 184. 264. ^
n 218 ff.
9. 227. 241. 2G5. 462. 553.
d.
ihend 150. 247. s. Sylvester.
iben 264. nenn Morgen 75.
^elten 55. neun Grenzen 21.
ihUe s. Eheleute.
l 192.
9 Personification des Ealen-
s 327.
eh, Kraut 81.
71. 288. 590. 591. 592.
\ Benental 188.
Org, Ork, Norg, 73. 110.
retterproi>het 111.
Norglein.
Norg 8. Nörglein.
Nornen 54.
Notfeuer 470. 518 ff.
Nußbaum, Nüsse (Symbole der Fmcht-
barkeit) 58. 164. 165. 166. 167.
184. 199. 207. 217. 222. 223. 238.
244. 245. 246. 257. 264. 265. 266.
272. 276. 277. 289. 329. 508. 511.,
Nüsse knacken «» Symbol für Zeu-
gung 184,
0.
Oblaten 233.
Oden (König) 122. 137.
Odhr 445.
Odinn 590.
Oelbaum 216. 227. 286. 288.
Oeschtreiden 400.
Old Bessy 257.
Ole i skrynUa 337.
Ommegän 523.
Ommegang 594.
Opfer 59. 64. 65. 71., bei Ernte 77.
78., für Holzfräulein 82,, für arme
Seelen 82., fürLjeschi 141., für den
mahjas kungs 245. , Menschenopfer
s. s. V. , im Schutzhain 245. , am
Semiktage 157. 158 ; für die Skog-
snufva auf einen Stein gelegt 130.
Opferfeuer 275.
Ophelia 458.
Orakel 495.
Orangenbaum 242. 285.
Orco 110. a38.
OrdnU der glühenden Pflugscharen
546.
Orken 73.
Ortles 110.
Ostara 505. 522.
Ostern 256 fL 25a 270. 277. 278.
290. 291. 292. 335. 385. 397. 398.
430. 454. 469. 471. 473. 476. 477.
478. 503. 507. 546. 565. 605.
Osterberg 505.
Osterbrod, gelbes, 263.
Osterei 158.
688
Register.
Osterfeuer 178. 180. 419. 470. 480.
502. 516. 522. 532.
Osterkerze 503.
Ostermann 505. 522.
Osterpeüsehe 261.
Osterpsalmen 506.
OsterreUer 8d8.
Osterwasser 293.
Oswald (Aswald) 209.
P.
Pabst, Ed., 369.
Padden schinden 356.
Paderborn, Landtag zn, 71.
Pageants 341.
Paldgabaum 275.
Palüien 295. 517.
Palmsanntag 231. 256. 258. 270. 273.
282. 284. 291. 292. 294. 295. 298.
488.
Palmzweig, Palmstrauß 278. 281. 294.
vgl. Weide. Dem Maibanm nach-
gebildet 246. In den Sarg 290.»
aufs Grab gelegt 290. Vieh damit
aufs Feld getrieben 270. 272., aufs
Feld gesteckt schützt vor Hagel
285. 505. , mit vergoldeten Eiern
geschmückt 257. , auf Scheune oder
Haastüre aufgesteckt 258. 285.,
nach Jahresfrist verbrannt 258. Palm-
besen 'J84. Palmsegnung 281. , in
Rom 286. Palmblatt 145. Palm-
esel 288.
Pan 73.
Pankratius (12. Mai) 402.
PapageienscJiießen 369.
Papageiengüde 371. 373. .379.
Papal^iga 329. 33U.
Pappel 165. 167. 177. 192. 207. 288.
313. 606. Darstellung des Vegeta- ,
tionsgeistes 319.
Paradiesesbaum 242. 243. 249. 005.
Paradiesspiel 242.
parawari 579.
Parstucken 63.
Paskeberg 505.
Passionsspid im Obenunmergta SSi
598.
Pelzmärte 327.
Peperuga 329. 330.
I Perchtel (Perchta) 85.
Perchten, Perchteln 542. 548. Percli.
t«n laufen 542. 543.
Pere May 314. 316. 318. 417.
Personification von Kalendertagen e.
Georg, Johannes, Martin, NicUiv
I Perchtl.
' Peter und Paul (29. Juni) 177. 611.
I 513.
! Petersüte 166. 185.
! Petri Stuhlfeier (22. Febr.) 566. 597.
j St. Petrus 274. 356.
I Pfaffe vor dem Palmesel gescbligen
I 258.
Pfaffenköchin 120. 122. 123.
' Pfefferkuchen 265. 266.
pfeffern 266. 267. 280.
Pfeisthutte 323.
Pferd 398 ff. 402 ff. 576. , das baute
. 390. ^891., heilige 500., bebinit
387. Vgl. Hobbyhorse, FaseröBl. -
Pferdekopf auf Maibaum 167. 383^
im Maifeuer 178., Johannisfeuer 516
j verbrannt; auf Fastnacht vergraben
i 411., der ungetreuen Liebsten über
! die Tür gehängt 167. 185. -
Ljcschi wiehert wie ein "Pt**^
139. — Pferd des Teufels 120. ^
Wildes Pferd in DeutschlanA^ ^'
misch 151. — Jagdobjoct des ^^'^
Jägers 151. — Heilige Bosse
I Pfifigsten 157. 159. 168. 170.
' 261. 264. 318. 319. 325. 333 -
' 344. 350. 370. 371. 382. 383^ -
389. 391. 393. 397. 400. 427^
'439. 441. 449. 476. 488. 490-^
I 594.
I Pfiugstbanm 211. m
Pfingsthlume Pflanze 318. 319. W
tationsdämon 318. 366. 438. 5^
'Pfingstbruut 3b7. 432. 438 ff
I 494. *
PfiiUfHtbiiben 556
B^gUtef«
iuU 311. 349. 368.
'uehs 391.
iageti 350. 351.
iammel 391.
UiUd 323.
fcoM 382.
i:<ditee{ 312.
iMeete 162. 387.
tönig 187. 341 ft 343. 385.
fcoit^'n 344. 345.
tuh 390. 395.
r 320. 331. 352 ff.
lümmel 327. 391. 55G. 581.,
hen 2 Begleitora 367., unter
▼ergraben 321.
mo€k€ 390.
mekel 162. 181. 212. 318. 384.
9uack 312. 348.
redit 347 ff. 349.
reiter 385.
ritt 400.
r<»e 320.
sMäfer 321.
Umgang zu Lüttich 442. 443.
irc«n« 404.
i 164.
^ 69. 223.
jrster 158. 214. 268. 280. 317.
517. 561. 581. — Pfingstlümmel
•flug fahrend 321. 327. — Pcrch-
ißt ihren Pflug vorkeilen 158.
— Kreuz auf Pflug schützt die
deute 83. — Kuchen der Moos-
chen und Fairies bei derPflug-
le 80. — Pflugumziehen, feier-
8, 553 ff. 586 ff. 593. vgl. die
t auf Eggenschleife 352. —
rfest zu Hollstadt 534. 556.
'•— Pflug bei Krankheiten um*8
15. 561., ums Feuer geführt
564. - von Frauen gezogen
554 ff. — Pflugochfic 214. 538.
flugschar glühende^ Ordale 564.
.enkraut 320.
n der Bäume 31.
>.
Phutnmathevada 44.
Fieker 484.
PiMajatar 30.
PÜ09U8 114. 338.
Pimpemuß 270.
Pinie 572.
Piposs 396.
Pippe kong 93.
Pvru 22.
PliniuB Valerianus 20. 71.
pHöh uleöiti 556.
Ploughmonday 557.
plow'light 558.
Pöppig 144.
polcusnik 225.
poUard'Mh 24.
Polyphem 94.
pomlazka 259. 261. 270.
Posidanius 525 ff.
Preußen, die alten 35.
Priap 416. 417. 469. 521.
Priester 579. 580. 583. 599.
Primigenius sulcus 562.
Pripats 330.
ptUlus 2.
Pulstereicihli lOo.
Puppe (simulacrum) um die Felder
geführt 405. , aus Lappen 62. 167.
405. 406., vgl. voddeventen, in den
Wald getragen 406., au Baum ge-
hängt 156. 158., vor die Tür ge-
setzt 166.
PuschkaiHs 63. 69.
puu'halijad 68. 84.
Pyramide aus Reisern 322. 323. 326.
347. 425. 524.
Pyrpiruna 328. 330. 331.
Pysslingar 61. 127. 152.
Queen of the May 315. 347. 493.
Queste in Questenberg 175.
Quetzalcoatl 361.
Quieke 279.
quitzen (quieken) 270 ff.
640
Begfister.
IL
Rad 430. 455. 4G3. 500. 501. 507.
509 510. 511. 518. 519. 520. 521.
537. 553. 565.
Rätsel von den Sternen 235.
Ralstofi, W. B. S., 15. 143. 663.
Rauhnächte (drei Donnerstage vor
Weihnachten) 542.
Raupen 13. 14. 291. 510. 520. vgl
Insecten.
Recktsgdyräuche , und Gewohnheits-
rechte 27 ff. 89. 171. 175. 299 fF.
323. 373 ff.
Regen, Freys Spende, 591. Begen-
mädchen 327 ff. 366.
Regenza%iber s. Wassertauche. Frosch
köpfen 355. 356.
Regia 295.
RehbreU 40.
Reiben am Maihaum 174.
Reibung, Feuer durch , 518 ff.
Reine de printenips 344.
l^n«&fr(7 - Düringsfeld , 0. v., 246.
Reivaspflanze 7.
Reudingi 599.
ReiMJes 523.
Richtmai 218 ff. 295. 357.
Rinder ziehen den Mai bäum 171. 174.
182., den Nerthuswagen 183. 566.
676. 583.
Ring aus den Wolken 330. Ringrei-
ten 388.
Rippe aus Erlenholz 116.
Robin et Marion 546.
Robin Hood 423. 546.
Rodnerinnenlocken 104.
Römer, der in Frankfurt a/M. 167.
Roggenbär 421.
Roggenwolf 483. 487. 611.
Rohrinta Fanggenname 89. 90. 91.
Rotten auf der Tenne 484.
Ropenkerl 127.
Rosegger, P. K., 58.
Rosenstrauch 164. 205. 207.
Rosmarin 254. 265. 266. 281. 429.
451.
Ro/J s. Pferd.
Rost im Getreide 227. 297.
Rubens y P. P., 523.
Rücken, hohler, 120. 121. 125. 126.
128. 130. 133. 134. 147., auf den
Bttcken schlagen 257. 262. 270. 272.
Rüster 61.
Rüttelweiber 74. 82.
Rudolf von Fulda 304. 310.
Ruf des Ljeschi 139., des Waldgei-
stes 144.
Rukkhathevada 44.
RuprecJU, Knecht 327.
Saat s. Korn, Aehre 39. — Kampi im
Saatfeld s. Kampf. — Saatfeld vgl.
Georg, grüner. - - Holunder im
Saatfeld 210. Saatgang 441., der
Wenden auf der Gabelhaide 401. —
Saatleuchten 455 ff. 535. — Saat-
reiter 398.
Sägemehl säen 427.
Sämann 158., böser 500.
Saide aus Flechtwerk im Johannis-
feuer verbrannt 515. Irmensfiul«
8. 8. V.
Salatstaude 44.
Salbanello 114.
Salbei wilder 88.
Salvadegh 112. 113.
Salvanel 112. 113.
Salva/ngs 113.
Salz 227. 237.
Samen, Götterbild von 361., Samen-
zünden 535.
Samtrügl 429.
Satyr 73. 114.
Schaaffhausen , Professor, 147. 548.
Schachtelhalm 88. 138.
ScJhaf 210. , schwarzes 400. Schafstall
184. 295. 389 ff.
SchanhoUen 102.
Scheibentreiben 456. 465. 466. 488.
492. 498. 501. 502. 507. 511. 519.
521. 537.
Schellenmoritz 327.
Schembart, Schönbart, 545.
Begystdi.
G41
SchieksaldHHim des Einzelnen 49 ff.,
der Familie, Dorüschaft 51 » der
Stadt 57.
Schiff 555. 559. 587. 598 ff. Schiffs-
kobold 33. 44.
Schilf 353.
SchiOer, Fr., 6.
Schimmelreiter 442.
SchUig mit der Lebensrate 251 fL
Durchs Dorf peitschen 321. Peit-
schen des Pfingstkönigs 365. 366.
Schlange 8. 44., im Johannisfeuer
verbrannt 516.
SehUiermacher, Fr., 239.
ScMüsseiblume 426.
JSchmackostern 259 ff. 270. 292. 293'
311. 319. 332. 438. 595. 596.
JSchmdlihaf 325.
JSchmelber 43.
Schmetterling 14. 115. 329.
sSchmiedezwnft in Zürich 596.
Schnäbel des Wasservogels 357.
JSchnak 324. 366.
Schnee 232.
Schneefräulein 100.
Schneidergewerk 431. 596.
ßchnellcr, Chr., 110.
Schnitter 481. 483.
Schnupfen 89.
Schödüwel 546.
Schönbarüaufen 334. 335.
SchötteJnMy 191.
Schoolcraft 560.
Schofhneier 348. 357. 440 ff.
Schotenklee (Iotas comiculatas) 324.
Sd^rätel 290.
6'cÄra« 115.
Schretlein 115.
Schützenfest 187. 369. 552.
Schwärzung des Gesichts, 162. 314.
321. 322. 326. 336. 342. 343. 349.
427. 428. 442. 540. 541. 545. i>16.
547. 548. 606. Kaminfeger 322
352. 365. Moiirenkönig 351. 365.,
schwarzer Teufel 352. 365., tür-
kischer Kaiser 365.
MannhArdt
Schwanz des Skogsnofva 128. 130.
134. 135.
Sehicartz, Wilh., 85. 152.
Schwarzer Mann 42.
Schwertgebwrt , Maler, 239.
SchwerUane 546. 558.
St. Sebastian (20. Jan.) 404.
SechseiätUen in Zflrich 496.
Seele arme 19. 40 iL 82. 152. 532. «
Lafthaach 152. = Schmetterling 329.
= Maas 24. = Hand 41. Mehrere
in einem Körper 25. 532., kommt
• wieder 69., bannen 43.
Seidelbast 291.
Selb 94.
Selige Fräulein j Salgfr&alein 91. 95.
99 ff. 101. 102. 103. 104. 106. 111.
116. = Holden and weiße Frauen
154.
Semikbaum 584.
Semiktag (Donnerst, vor Pfingsten)
157. 434.
Sesleria caerulea 62.
Sevenbaum 257. 288.
shretoash 24.
Sieben Jahre (mythisch) 125. 150.
350. 445.
Sigeminne 109.
Sigufrit 445.
Silen 73.
Silvanus 113. 114.
Simrock, K., 93 479. 495. 559. 588.
Sinngrün 223.
Sjörä 128. 131. 136.
Skaidenpoesie 8.
Skogsnisse 130.
Skogsrä 128. 130.
Skogsnufva 73. 113. 119. 125. 127 ff
skogtagen 130.
skoje halder 130.
Skougman 127.
Statte Langpatto 123.
Smrt. 413 420.
Sommer 156. 246. 251. 252. 295. 412.,
heißt Mai 294. Sommer a. Winter
245. Sommer einbringen 222. Som-
mcrgabel 252. Sommergewinn zu
41
6^
Register.
Eisenach 156. Sommerkinder 252.
Sommerwecken 253.
Sonne 151. 152. 187. 234. 235. 362.
444. 465. 466. 468. 474. 479. 497.
508. 509. 518. 519. 521. 553. 591.
Sonnenkraut, Sonnenwende 187.
Sonnen8cheibe 187.
Sonnentier 151.
Sonnwendfeuer 462 ff. Deutnng 516.
521 ff.
Sonnenzaüber 466. 521. 554. 566.
Späne goldene >» Blitze 85.
Speer, mit demselben Gabe reichen
134.
Spiwnen 60. 65. 76. 104. 107. 112.
118. 120.
Spottverse 343. 354.
Spreu 165. 167. 184.
Souche de No^ 226.
Stcidtbanner von Köln 375.
Stadtmaye in Nürnberg 169.
stäupen 254 ff 260.
Staffansvisa 402.
Stamm 213.
Stechpalme 204. 207. 241. 247. 273.
278. 322.
Stecknadel 67. 473.
SteffansriU 402 ff.
Stein anf Disteln legen 15. 69., in
der Nähe des 'Krankenhauses anf-
gehoben 18. Krankheit unter einen
Stein tragen 21., auf Wacholder-
busch legen 68. ^ auf drei Halme
gelegt 210. Sitz des wilden Man-
nes 96. 97. Opfer für die Skogs-
nufva darauf gelegt 130. — Stein-
werfen 389. 412. 413. 419.
Stephanstag (26. Dez.) 267. 402 ff.
Sterne 233. 234. 235. = Aehren 235.
Stettin, heiliger Baum daselbst 57.
Stimmen im Walde 72.
Stockgarbe 213.
Stoolball 476.
Stopfer 551.
Stoppelhahn 199.
Strabo 525 ff.
Strigen 295.
Strohsackfest zn Prag 430.
Strutei'Buzzi 91.
Stutzemutze (Staunze - Mannze) 89.
91. 93. 106.
Stutzforche 89.
Stutzkatze 146.
Sudauer im Samland 63. 69.
Süßholz 262.
Suso, Heinrich, 250.
Svend Vonved 117.
Swantowit 393. Anm.
Sylvesterabend 276.
Sylvesterkönig 386.
T.
Täbadk, dem Ljeschi geopfert X41.,
am Emtemai 200.
Tabelträger 324.
Tacitus, C, 568 ff.
Tänie 182. 278.
Talgilgen 106.
Tanne, Pichte, Kiefer, 15. 46. *''•
57. 135. 136. 156. 157 161. ^^•
165. 166. 169. 170. 177. 179. ^^^•
189. 191. 192. 194. 195. 199. Ö^^'
202. 203. 205. 207. 219. 222. ^^•
238. 239 240. 241. 245. 246.
254. 257. 267. 278. 288. 289.
313 318. 321. 325. 337. 342. -
^
^
385. 390. 427. 455. 501. 524. fcs^
589. Stab des wilden Mannes
97. 105. 340. 341. Tannzapr
Symbol der Fruchtbarkeit 223.
Tanz =- Sturmlied 86. 87. , des Lt.
Chi = Wirbelwind 143., um •
Feuer 518., um das Johannisfe'^
466. 469. 510. 511., um den Johi
nisbaum 244., um das Hochz^'
feuer 565., der Elfen 125., der HiT'
1er 269., der wilden M&nner _
beim Schiffsumzug 597., am Mai#'-^
450 ff., unter der Linde 449.,
Begrabnisse des Jarilo 416.,
dem Acker 253.
Tapio 408.
Tari Pennu 363.
Tatermann 513.
Bflguter.
64a
idi demelben ziehen 384.,
B& 390.
0r 298. 503. 517.
iir
362.
ter 571 iL 584.
251.
360. 363.
oea 362.
)6. 505. 548. 8. SehwärzuDg
tichts.
aldaabend 178.
ag 434.
2.
8, Sknlo, 55.
>. 484. 486. 590.
AktL 128. 150.
, 239.
ch einen hohlen Banm ziehen
tn Ifetsik gehütet 407. 408.,
Lehensrate geschlagen 269 £
re Tom Waldgeist im Stall
t 80. 95., Segen «um Ge-
derselben 325. Hanstiere
r. 141. , Waldtiere 117. 131.
m Walde vom Waldgeist
Tiergestalt der gente sal-
113.
.17. 408.
, Familie 51.
6. 362.
es wilden Mannes s. Köpfnng,
reide 420. s. 8mrt. Kinder-
ir Erntezeit 4*20., des Haus-
en Bäumen angesagt 9. Tod
en 155. 222. 410.
!><5 60. 84. 215.
l 60.
247. 248.
). 75.
5.
Sonntag 441. ^
5 ff. 484.
M#e 19.
5S, zum Anfassen der Lebens-
3r Mistel 279., am Maibaum
aum, Tänie.
TüeheJbawm 223.
Tünwhä/r 247.
Twmetar 30.
Turnier 544.
Tylor, £., 327. 606.
t^tfidr 8. Seidelbast
ü.
Uaiuara 145.
Uchttdla-chaqui 143.
UMand, L., 312. 369. 590 fEl
Ukko 484. Ukkos Schale 485. , Korb
485., Pandel 485.
Ulme 8. 51. 172.
ütstüpen 254.
Umdrehen beim Tana 181. 312. 3ia
dxt/. ijö{}» «j4n.
Umritt um die Gemarkung 389. 397.,
der Maipaare 448.
Un (Oden) 122.
Unfruchtbar machen 31.
Unkraut 536.
UnackxOdige Kinder (28. Dez.) 265 ff.
275. 292.
Unsichtbarkfit dargesteUt 322. 365.,
unsichtbar machen 337.
Unterirdische 61.
Unwan, Erzbischof v. Bremen, 70.
Uodelgart 105.
Uppstallsbäume 189.
Upsaltty Göttertempel, 57.
Urdharbrtmnen 57.
Urvoüc wildes 14d.
Urwald in Brasilien 144., in Schwe-
den 126
V.
Vrettar 63.
Valdemar König, 122. 123.
Valentin, Valentine, 457 ff. 491. 537.
Vale^itinsbriefe 461. 462.
Valentinstag (14. Febr.) 453. 458.
495.
Vanen 590.
Värdtrüd 35. 51 ff. 57. 58. 59. 70.
182. 183. 217.
Väsolt 82.
644
BßgisbdT.
\
h
Vegetalumageistery üebergang der
Waldgeister in 148.
VeiMien 344. 582.
Venus, Planet, 362.
Verfolgung des Pfingstkönigs 386.
Verkündigung, Darstellung der, 231.
232. 616.
Vicdin 70.
Viäofnir 183.
VieOiebchen 453. 462.
Vishnu 552.
voddeventen 166.
Völuspa 55. 56.
Vogel an Brantmaie angebunden 222.,
nimmt das Fieber mit 21.
Vogelheerhaum 8. 40. 165. 166. 241.
271. 272. 298.
Vorübergehende 331.
Votum 394.
W.
Wachholder (Kranewit) 34. 65. 68.
242. 247. 257. 265. 267. 272. 275.
278. 281.
Wade 255.
Wälzen auf dem Saatfelde 480 fF., auf
der Dreschtenne 484., im Grase
435.
Wäsche der Waldfrauen 101. 112. 120.
129. 152., der Zwerge 61.
Waffenmiisterung 372. 373. 381. 382.
Wagen 583. 584. 592., zerbrochener
85., mit Tüchern behangen 578 ff.
Waidhammel 391.
Walber 312. 315. 316. 342.
Walborgsmesseldar 509.
Wald heiliger 575.
Waldfänken 94. 95.
Waldfrauen 99.
Waldmann 410.
Waldgeister Gestalt 146. Verschmel-
zung mit den Windgeistem 146.
Uebergang in Feldgeister 154.
waUn 481.
Walperherren, vier 378.
Wälperzug in Erfurt 375. 376.
WalpwrgiB^ heilige, Penonificitioii
des Kalendertages 121. 445.
Walpwrgisabend (1. Mu) 66. 67. 93.
121. 150. 160 ff. 171. 178. 252. 264.
270 ff. 272. 273. 277. 291. 312 ft
316. 318. 322. 368. 869. 871. 875.
426. 429. 434. 437. 489. 449 ff.
480. 508.
Walpurgistag (2. Mai) 312.
Waltminne 109.
Walts<^rate 114. 33a
Wassaüing 538.
Wasserbesprengung zu Ostern 289.,
des Christblocks 227. 237. , des Hau-
ses zu Himmelfahrt 899.
Wasserblume (caltha palnstris) 820.
Wassermann 289. 429.
WassertaiAche Begenzanber 156. 158.
159. 162. 170. 181. 197. 198. 207.,
214. 215. 216. 221. 259. 81S. 814. .
320. 328. 333. 337. 342. 848. 348..
350. 351. 353. 35&. 357. 874. 385-
405. 409. 411. 412. 413. 414. 415-
417. 418. 429. 430. 435. 488. 491.
497. 514. vgl. 517. 553. 554. 563-
566. 573. 581. 585. 586. 587. 606-
606. 613 . bei wilden Völkern 356-
Wasservogel 352. 353. 355. 385. 389—
393. 438. 446.
Wasservogelbhime 353.
Wate 106.
Wauer, Frau, 123.'
Weben, lehren die Seligen 104.
Weberzufift in Trier 178, in Flandern
595.
Wegedorn 295. 296.
Weü) vgl. Mädchen 173. 174. 183.
211. 216 ff. 221. 238. 255. 2b7. 265.
267. 281. 332. 395. 412. 484. 560.
Weiberdingete 462.
Weiberkleidung der Männer 314.
Weiberrock tfi4.
Weide 42. 69. 195. 199. 207. 247. 252.
257. 261. 284. 288. 289. 270. 283.
291. 348. 514.
Weidräuke 520.
Weihe, Vogel, 483. 485.
— •«,
4.
Jb.
«1.
Register.
646
WeihuacfUen 9. 150. 224 225. 226.
22a 229. :^. 234. 265 ff. 276 292-
293. 326. 404. 442. 473. 484. Wie-
derkehr des Frühlings ankündigend
278.
TVeihnachtsbaum 224. 238 ff. 266.
605. Bedeutang desselben 250.
^Veihnachtshlock 224 ff. 516. 605.
'Weihwasser 215. 222. 287. 292. 297.
503. 521.
'Wein, wilder Mann damit berauscht
96. 97. 112. 113., über Emtemai
195. , Badnjak 225. , Christblock
227. 237. ausgegossen. — Wein-
flaschen am Maibaum 164. (vgl. 166).
171., Emtemai 205. 206. — Wein-
berg und Weinernte 202. 217. 511.
517. 537. 577.
Weinhold, K., 99.
Weißdorn 65 178. 295. 426.
Weiße Mann, der, 349. 350. 351. 365.
Weiße Weiber (witte wiwcr) 122.
123. 124. = Selige und Holden 154.
Weizen s. Korn.
St Wendelin (20. Oet.) 401.
Wepelröt 247. 248. 311.
Wessel, Franz, 233.
Wetscho 427.
Wetterbaum j Wolkengebilde, 55
Wetterfräulein 78.
Wetterhex^ 122 123 294.
Wetterkind 583.
Wettersegen 400.
Wettlauf und Wettritt nach der letz-
ten Garbe 396, nach dem Stollen
387. 396., nach dem Maibaum 350.
382 ff., nach dem Erntemai 191.,
zu Pfingsten 344. 351 , am Steffans-
tage 403, nach dem Königsstuhl
385. 392., nach dem Hute 387.
392.
^hytepotqueen 346.
^Vichtelweibchen 91.
Wickelkinder 281.
Widewibli 106.
Widukind von Korvey 309 ff.
Mannhardt.
Wiederbelebung 116. 151. 395., des
Vegetationsdämons, Darstellung der-
selben 358. Sbd.
Wilde Häuser 87.
WUde Jagd s. Jäger.
Wildeleutloch 88.
.Wildeleutschüasel 88.
Wildemannspiel 333. 334.
Wildemannstein 98.
WildfrätUeinhaus 88.
WildfräideinhöU 93.
Wüdfräulekrüt , Baldrian 106.
Wildfrauenloch 88.
Wildleute in Böhmen 86. 87., in
Hessen, Rheinland, Baden 87, in
der keltischen Sage 117. — Wilde
Mann 105. 357. 582. 606. Darstel-
lung in den Frühlingsgebränchen
333—341., fallt wie todt hin 335.,
bunt bemalt 336, in der Heraldik
339 ff., Numismatik 340 ff., in Bra-
silien 145., verfolgt weiße Weiber,
Ellepige, Meerfrauen 122 ff., jagt
die Seligen 105. 106., Gemahl der
Fanggen 89. — Wildes Männchen
95. 97. 98. 110. 111. - Wilde
Frauen (Fräulein) 93. 102. 103.
106. 113. 117. 127.
Wildmann 340.
Wind 591. 604. Dames vertes gehn
im Winde übers Getreide 119.
Windsbraut 132. 152. — Wirbel-
wind 68. 72. 86. 116. 126. 127.
128. 129. 132. 139. 140. 143. 149
Wintersonnenwende 151. 236. 443.
Wittwenscliaft der Kirche 446. 492.
Wizl 92.
Wodan 546.
Wade 251.
Wolf 135. 138. 111. 433.
Wolfdietrich 108. 109.
Wolke, Wäsche der Seligen , 101. 152.
Wolle 65.
Wollkraut (Verbascura) 511.
Woodhouse 340.
Würmer 560. s. auch Insect.
Würste am Emtemai 202. 203.
42
646
Register.
Wurzelcfide 235.
Wmhhoundii 122.
Y.
YggdrasUl 5-1. 70.
Ystctter-KajsH 13^.
Yukclog 22iK 2. «.
Z.
Zahnschmerzen s. Krankheiten.
Zauber Abwehr 296., zum Schutze
gegen Curupira 145., zur Befruch-
tung der Vegetation, Begenzauber
8. Wassertauchc : zur Erzeugung
von Licht und Wanne s. Sonnen-
zauber; zur Schwere der künftigen
Ernte 2U. 419., den Ertrag der
B&ume schwer zu machen 220. —
Zaubersegen für glückliche Jagd
141., um den Ljeschi herbeizurufen
141. 142.
Zeidelbast s. Seidelbast
Zeitgung 281.
Ziegenfüjie der Diale 95. 115.
ZitMuemiami der lahme 383.
Zimne ludzie 14.
Zingerkt J. V. , 101.
Zo2)f flechten bei der Ernte 77.
Zuibotschnik 139.
Zwerge 61. 92. 93. HO. 114.
ZwUbel 483. 486.
Zwölften (24. Dez. — 5. Jan.) 41«4. M2.
(
Halle, Bachdruckerei Aw WaiMnhauiieii.
WALD- UND FELDKULTE.
VON
WILHELM MANNHARDL
Zweiter Teil.
ANTIKE WALD- UND FELDKULTE.
BERLIN 1877.
GEBRÜDER BORNTRAEGER
ED. EGGEBS.
ANTIKE
WALD- UND FELDKÜLTE
AUS
NORDEUßOPÄISCHEß ÜBERLIEFERUNG
ERLÄUTERT
VON
WnJIELM MANNHARDT.
BERLIN 1877.
GEBRÜDER BORNTRAEGER
ED. BQ0BB8.
Vorwort.
Zu den im ersten Bande dieses Werkes „ BaumJculitis der
">»nanen und ihrer Nachbar stamme ^^ vorgefUhrten Vorstellungen
L Gebräuchen weist das vorliegende Buch, den einzelnen
E^iteln desselben folgend, griechische, rOmische und vorder-
^tische Seitenstücke auf. Buchhändlerische Rücksichten empfah-
' eine Anzahl auf die antiken Ackerbaukulte (Lityerses, Elen-
den, Thesmophorien, Chthonien, Buphonien, Octoberroß, Luper-
^en) bezüglicher Aufsätze fUr eine nächstfolgende besondere
eröflfentlichung zurückzulegen; diese Fortlassung bot zugleich
äh Vorteil, eine größere Conformität mit dem ersten Teile her-
tellen zu können. ^ Die Darstellung ist so gehalten , daß sie
.ueh als selbständiges Ganze aus sich selbst verständlich bleibt;
inem eindringenderen Studium ist die Nachprüfung der aufge-
teilten Behauptungen jedoch durch fortlaufende Verweisung auf
üe entsprechenden Untersuchungen und Tatsachen im ersten Teile
irleichtert.
Wer die Schwierigkeit aus Erfahrung kennt, die «es macht,
Ir das Ganze solcher Einzeluntersuchungen, wie sie in meinem
Verke vereinigt sind, eine allen theoretischen und praktischen
1) Auf don folgenden Blättern ist derselbe stäts unter der Bezeichnung
)k. angezogen.
VI Vorwort.
Ansprüchen genügende Aufschrift zu finden, wird mit Nachsiebt
beurteilen, daß der Titel meines Buches nicht genau mit dem
Inhalte sich deckt. Ich weiß recht wol, daß er streng genommen
nach der einen Seite hin zu weit, nach der anderen zu eng
gegriffen ist. Was das erstcre betriflft, so erschöpfen meine Dar-
legungen den Umfang des europäischen Baum- und Waldkultns
nicht. Wenn ich jedoch mit dem Tropus der Synekdoche den
Namen des Ganzen flir den wichtigsten Teil in Anspruch nahm,
während ich nur diejenigen Vorstellungen und Gebräuche geschil-
dert hatte, welche nach meiner Ansicht auf die Grundvorstellaog
der Baumseele und die daraus abgeleiteten bzw. mit ihr verbun-
denen Begriffe der Baum- und Waldgeister entweder zurückgehen
oder mit denselben verknüpft sind, so habe ich keinen Augemi-
blick verkannt, weder, daß noch einzelne abseits liegende Art^^n
von Baumverehrung vorhanden waren und sind, die aus ga.uz
anderen Gedankenkreisen ihren Ursprung nahmen (z. B. gewisee
Fälle der Heiligung von Bäumen im Dienste von Göttern), Il<X^h
habe ich eine reich entwickelte mythische Botanik leugnen w^3l-
len, welche Bäumen und anderen Pflanzen teils wegen auffalle ^''
der Eigenschaften, oder zur Erklärung dieser Eigenschaften, t^^^
in Folge ihrer mannigfaltigen Verwendung zur metaphoriselB. ^n
Bezeichnung anderer Naturgegenstände oder geistiger BegrL^*ß
eine Stellung in Sitte und Sage anweist. Da aber diese Gebil ^®
in überwiegender Mehrzahl nicht sowol Zeugnisse flir die Vef^^^'
mng der Bäume , als für die Verwendung von Bäumen in Kult**®»
Zauber und Aberglauben gewähren, glaubte ich sie mit gut^™
Rechte außer Betracht lassen zu dürfen. Zu eng aber kann ct^"^
Titel MdMmkultus erscheinen, einmal deshalb, weil ich in meiu^^"*
Buche mich nicht allein mit den ILvXigebräuchen beschät'tig*'^'
sondern auch in ebenso breiter Ausführung mythische Vorst^^
hingen behandelte, welche aus derselben Wurzel, wie jex^^
erwachse^) sind; sodann, weil ganze Abschnitte des Werkes (d^^
auf die allgemeinen Vegetationsgeister, die Sonnwendfeuer, A^^
Brautlager auf dem Ackerfelde , Pflugziehen u. s. w. bezüglich^^^-*^
nicht eigentlich unter die Kategorie der Baumverehrung fall^^'
sondern nur wegen des engen Zusammenhanges der in iht^^^
dargelegten Anschauungen und Sitten oder wichtiger Teile do^*
selben (vgl. z. B. den Maibaum, die Laubpuppen im Sonnwen^^*
Vorwort. vii
fener) mit den in den übrigen Kapiteln besprochenen Traditionen
herangezogen sind. Sie dienen eben zur Vervollständigung, ohne
<iaß ich damit sie alle ihrem gesammten Inhalte nach aus der
Ornndvorstellung der Baumseele oder emer Personification der
vegetativen Natur abgeleitet wissen möchte. Dies zur Vorbeu-
gong Ton etviraigen Mißverständnissen. Den richtigen Gesichts-
pimkt fllr dasjenige, v^as ich mit meinen Auseinandersetzungen
1)ezweckte und erstrebte, v^ird der Leser durch die Darlegung
gewinnen, daß und wie die veröffentlichten Untersuchungen von
der Ausführung eines größeren Planes, dessen Verwirklichung
teils in mehreren fertig ausgearbeiteten Manuscripten , teils im
äto£fe mehr oder minder abgeschlossen daliegt, nur einen Teil
ausmachen. Diese Darlegung glaube ich dem Publicum schuldig
zu sein, selbst auf die Gefahr hm, dadurch den mich bedrücken-
den Abstand meines WoUens vom Können ans helle Licht zu
ziehen. Wenn ich mir erlaube, dabei einige persönliche Verhält-
nisse anzudeuten, so geschieht es, weil die in Bede stehenden
Arbeiten so enge mit meinem Leben verwachsen und in der Art
ihrer Ausfuhrung so sehr durch die Geschicke desselben beein-
flußt sind, daß eine gerechte Beurteilung ohne einige Kenntniß
der 'bei ihnen mitwirkenden subjectiven Factoren kaum möglich
zu sein scheint
Schon ft'ühe ist in mir ein Gefallen an mythologischen
Gegenständen begründet worden. Als Knabe lange Zeit an ein
Streckbett gefesselt, das dem Uebel, welches das große Hemm-
niß meines Lebens zu werden bestimmt war, nur weitere Aus-
dehnung gab , nahm ich in freien Stunden die hehre Wunderwelt
der griechischen Götter - und Heroengestalten aus Beckers
meisterhafter Wiedererzählung in meine Seele auf, um sie auf
meinem Lager mit lebhafter Einbildungskraft in mir weiter zu
verarbeiten. Zudem von Jugend auf durch ungewöhnliche Kurz-
sichtigkeit einer scharfen Erfassung der Dinge außer mir beraubt
wurde ich auf die innere Welt der Phantasie zurückgeworfen und
gewöhnte mich ihre Gestalten auseinanderzuhalten und unter
verschiedenen Verhüllungen wieder zu erkennen. Als angehender
Jüngling lernte ich während der durch meüien Gesundheitszu-
stand nötig gewordenen Schulfreiheit eines Sommerhalbjahrs im
grünen Wald und am rauschenden Meeresstrand zugleich Milton
vm Vorwort.
Ossian und eine nordische Mythologie kennen. Der Wunsch, exum
befreundeten Dänen Widerpart zu halten, der mir, dem gebore*
nen Schleswig -Holsteiner, als auszeichnenden Vorzug seines Vol-
kes wieder und wieder dessen herliche Götterwelt vorhielt,
veranlaßte mich, mich um J. Grimms „deutsche Mythologie" zu
bemtthen. Es waren die Sommerferien; der Augustapfelbaum
inmitten unseres Gartens warf mir seine rotbackigen Frttchte in
den Schoß. So habe ich, damals Secundaner, das schweremm-
gene Meisterwerk von Anfang bis Ende gelesen — and die
Richtung meines Lebens war entschieden. Die Verhältnisse,
unter denen ich aufwuchs, zeitigten in mir frühe im Gegensätze
zu meiner starr preußischen Umgebung eine entschieden nationale
Denkweise, und ein lebhaftes Interesse an den verschiedenen
Gestaltungen religiösen Lebens. So betrat ich 1851 die Schwelle
der Universität mit dem Wunsche, durch das Studium der Alter-
tttmer unseres Volkes in dessen innerstes Wesen einzudringen
und mich tüchtig zu machen, vor allem Grimms mythologische
Forschung weiterzubilden. Mein Schicksal ftlhrte mich nach
Berlin; ein CoUegienheft von Lobecks G riech. Mythologie and der
Mythologus von Bnttmann waren meine Reisebegleiter. Lachmann
war kürzlich gestorben ; des Leiters entbehrend erfuhr ich manche
Anregung, aber in der Hauptsache blieb ich auf mich selbst
angewiesen und das außerordentlich geruige Maß meiner durch
den Körper gehinderten Leistungsfähigkeit nötigte mich bei in die
Weite strebendem Interesse immer wieder zur Beschränkung, und
führte mich stäts zur Mythologie als dem Mittelpunkte zurück,
auf den alle meine sprachlichen und sachlichen Studien Beziehung
gewannen.
Als Lernender blieb ich selbstversändlich lange Zeit völlig
unter dem Einflüsse derjenigen Männer befangen, deren For-
schungen damals der jungen Wissenschaft neue und vielverhei-
ßende Wege und Ziele zu eröffnen schienen. Das waren außer
J. Grimm selbst vorzugsweise A. Kuhn und W. Schwartz. Ich
lebte mich gänzlich in den (ledankenkreis ihrer Erörterungen
hinein und teilte aucli die Irrtümer, welche diesen ersten Ver-
suchen auf neuem Boden naturgemäß anhafteten.
Grimms grundlegendes Meisterwerk ist ebensowenig, als
alle sonstigen historischen Gebilde, unvermittelt in die Erschei-
Vorwort. IX
lg getreten. Schon seit dem Refonnationszeitalter hatten, teils
Interesse einer ErläuteruDg des Abgüttereiverbots im Kate-
mos, teils ans humanistischem oder ans natioualantiquarischem
trebeuy Männer wie Mäletius, Agricola, Porthan, Amkiel
lerlein, G. Schütz, Mone und Finn Magnussen vereinzelt Aber-
iben, Bräuche und Sagen als Reste heidnischer Mythologie
iiuit und benutzt.
J. Grimms mit wunderbarer üombinationsgabe ausgerlisteter
liuSy der zugleich auch kindlieh und naiv den Geist des Alter-
8 nachzufühlen verstand, hat zum erstenmale in großartigstem
fang derartige Quellen in ein Bette geleitet, mit den spärlich
Altenen unmittelbaren Zeugnissen über deutsches Heidentum
banden, und in Zusammenhang mit der von ihm zu histori-
im Verständniß gebrachten Sprache, mit den Sitten und
ensanschauungen unserer Vorzeit und der Mythologie des
«sandten Nordens gesetzt. Da erst war das Ei des Columbus
inden und den Nationen ein Weg vorgezeichnet, der sie über
weites Mare incoifnitum in das goldene Land ihrer eigenen
dheit zu leiten und durch Ausdelmung ihrer Selbsterinnerung
in eine ferne Periode rückwärts ihrem Lehen und ihrer Per-
lichkeit ein ansehnliches Stück hinzufügen zu können schien.
den Augen der staunenden Zeitgenossen stieg nun ein Bild
altgermanischeu Religion empor, in den Hauptsachen so
effend, daß es Itir immer das zu entwickelnde und zu ver-
$emde Vorbild weiterer Untersuchungen bleiben wird, und
leich so überwältigend reichhaltig, daß es nunmehr fast ein
bes Jahrhundert die Wissenschaft beherrsclit. Allmählich
innt es sich soweit in das freie geistige Eigentum der Forscher
verwandeln, um der so notwendigen kritischen Betrachtung
eimzufallen, und nach Ausscheidung seiner Mäugel in geläu-
er und verjüngter Gestalt daraus hervor/ugehen. Nur selten
ein Buch eine so großartige Nachfolge geweckt, wie dieses,
ward zu einer nationalen Tat, Sitte, Sage, Märehen, Aber-
iben, Lieder, kurz niUndlicbe Ueberlieferungcn jeder Art als
'umente der vaterländischen Urzeit zusammenzubringen und
rerwertcn. Wir verdanken diesem Streben eine reiche Fülle
r. treftlieher Sammlungen. Die anderen Stämme Europas
n es uns nach; am eifrigsten diejenigen, welche so gut wie
X Vorwort.
aller Kunde über die Religion ihrer Urväter entbehrten und auf
diese Weise in Erfahrung zu bringen glaubten, wie in der Zeit
ungebrochenen nationalen Wesens vor Einführung des Christen-
tums der Geist ihres Volkes sich in seinen idealsten Angelegen-
heiten geäußert habe (z. B. Slaven, Magyaren). Gleichgiltiger
verhielten sich dem entsprechend andere Völker (z. B. Skandina-
veu, Romanen), die im Besitze reichlicher Nachrichten über ihre
Vorfahren keine Lockung verspürten, 'diesen Schatz, wie groß
oder klein er sein mochte, aus den neuen bis dahin so verach-
teten Fundgruben zu vermehren. Dies anfängliche Vorwiegen die-
ser rein nationalen Tendenz auch in meinen Bestrebungen ver-
schuldete, daß meine Arbeit vorzugsweise der lebendigen Volks-
überlieferung, als der vermeintlichen Hauptquelle einer eigentfim-
lich deutschen Mythologie zugewandt blieb, selbst als ich erkannt
hatte, wie notwendig u. a. zur Ergänzung die Forderung einer
nicht bloß bruchstttckweisen , sondern zusammenhangenden kri-
tisch historischen Bearbeitung der gcsammten nordischen Mytho-
logie aufzustellen sei. Die Manen des teuren Meisters, der in
echter Bescheidenheit seine Forschung als eine Scheuer voll nach-
gelesener Aehren demjenigen vermacht wissen wollte, welcher
mit der Ausstellung und Ernte des großen Feldes in vollen Zug
kommen werde, können nicht zürnen, wenn diejenigen, welche
auf seinen Schultern stellen, heutzutage, neben dankbarster Aner-
kennung des von ihm emi)tangenen bleibenden Besitzes, der
Erkenntniß Kaum gehen, daß seine großartige Leistung in vieler
Hinsicht noch unvollständig imd mangelhaft war, daß der Bau,
den er aufführte, mehrfach schon in den Fundamenten eine
schiefe Richtung hatte und zu unbrauchbarem Weiterbau Veran-
lassung gab. Eine alles Unhaltbare ausscheidende Kritik >vtirde
den Umfang seines Buches vielleicht auf nicht weniger als die
Hälfte zu verkleinern haben. Es ist hier nicht der Ort, dies
eingehender zu erörtern; * nur Einiges will ich andeuten.
J. Grimm machte den großen Fortschritt, die Mythologie nicht
1) Eiiii<j:c treftendc kritische Bemerkuugon über J. Griranis System siDd
iuW. Selierers Schrift über J. Grimm, Berlin 1865, S. 141--150 nieder-
gelegt.
Vonrort. xi
mehr als Erzengnift bewußter Speculation, sondern als eine der
Sprache anal(^ Schöpfung des unbewußt dichtenden Volksgeistes
zu erfassen. Damit hat er den Grund gelegt für d<is tcissen-
schafÜiche Verständniß nicht allein der germanischen, sondern
auch der griechischen und römisclien und (dler sonsti{jcn Mytho-
logie. In der Ausübung aber machte er keine strenge Scheidung
zwischen den als Wirklichkeit empfundenen Gebilden des Mythus
und den ihnen vielfach zum Verwechseln ähnlichen Metaphern
und Personificationen subjcctiver Dichter. Er verschloß sich noch
der Einsicht; zu welcher bereits Heyne, noch mehr aber David Strauß
den Weg bahnte, daß der Mythus auf einer bestimmten Anschauungs-
weise oder Denkform beruhe, deren sich jedes Volk auf gewissen
Entwickelungsstufen mit Notwendigkeit bedienen • muß. Diese
Denkform bleibt bei fortschreitender Kultur das Eigentum rück-
ständiger niederer Kreise des Volkes und hält ni ihnen teils die
geistigen Produkte der von den fortgeschritteneren Klassen über-
wundenen Vergangenheit als Ueberzeugung fest, teils zieht sie
die Ideen und Schöpfungen einer reformierten oder von außen
her eingeführten höheren Religion (Christentum, Islam, Buddhis-
mus u. 8. w.) auf ihr Niveau heral). und formt sie nach ihren
Kategorien um, teils äußert sie sich noch fortwährend in manchen
neuen mythischen Appereeptionen verschiedenartigen Stoffes.
Xndem J. Grimm diese Unterschiede hintenansetzte, mußte er
geneigt sein, alles Mythische unter den Bevölkerungen der Jetzt-
zeit für Niederscldag , Verkleidung, Abschwäehung oder Vergrö-
ßerung einer einstigen heidnischen Mythologie zu halten und
55war ftlr den in grader Linie fortgepflanzten Nachklang der
Mythologie grade desjenigen Volkes, bei dem die in Frage
IjLommende Tradition vorgefunden wurde. Denn auch dies ließ
^r außer Rechnung, daß im Lauf der Geschichte eine ununter-
1)rochene Bewegung der Bevölkerungen und Stände auch in den
Tinteren Volksklassen einen weitreichenden Austausch von Ideen
und UeberUeferungen selbst mit fremden Ländern begünstigt
latte. Endlich überschätzte er bei weitem den Einfluß des Mythus
auf die Sprache. In Folge dieser Irrtümer verwertete er als
Zeugnisse für die von ihm erstrebte deutsch - heidnische Mytholo-
gie vielfoch ebensowol rein poetische Personificationen mittel-
alterlicher Dichter (Frou Zuht, Fron ßre, diu Triuwe, Wunsch
xn Vorwort.
n. 8. w. ^) y als ans christlicher Symbolik oder den zeitweiligen
tendenziösen Phantasien einzelner kirchlicher Kreise entsprossene
Sagen , abergläubische VorstelluDgen und Bräuehe, sowie maimig-
fache allgemein menschliche oder fremdländische SupentitioneD
von ungewisser Entlehungszeit. Vor allem aber schlug er die
nach dem sicheren Zeugniß der Merseburger Sprüche und ande-
ren Spuren nicht unbeträchtliche Uebereinstimmung der nordischen
und deutschen Sage deunoch^zu hoch an, da er nach der Weise
der alten Theologie die Ed^lamythen itir einen einheitlichen Com-
plex gleichartiger, die altererbte Yolksreligion der Nordgermanoi
ausprägender Anschauungen ansah, während üi Wahrheit darin
das letzte Ergebniß einer historischen Entwickelung zu erkennen
sein wird, in welcher der Hauptanteil den letzten Jahrhunderten
vor Einitihrung des Christentums, also nach der Trennung von
den Südgermanen, und in diesem Zeiträume vorzugsweise der die
Gedanken und Bilder ihrer Vorgänger immer weiter fortspinnen-
den bewußten Arbeit von Kunstdichtern der höheren Gesellschafi
zufällt. Der Vorrat alter echter Volksmjthen ist darin dn nur
beschränkter (über eine solche s. unten S. 151); vielÜBU^h aber
lassen sich noch die Stufen nachweisen, welche die Ausbüdnng
einzelner Mythen durch Dichterhand durchmachte. * In weit
1) Wer möchte z. B. noch jetzt die schöne Verbildlichung des Wunders
der Empfängnis bei Frauenlob, dall Gott, der gewaltigste aller Künstler,
„der Schmied aus Obcrlande," seinen Hammer in Marien Schoß warf, d. h-
gcheimnißvoll den Gottessohn darin wirkte, mit Myth. * 165 als eine Erinne-
rung an Thors riesentödtcnden Hammer auffassen?
2) Wie ich dies meine, davon ist Bk. 5G Anm.l hinsichtlich Yggdrasil«
ein Beispiel gegeben. Ein anderes bietet Grimnisra. 25 dar. Die Angabe
dieses späten katalogisierenden Liedes , Odhinn lebe allein von Wein, der nur
Göttern und großen Königen erreichbaren Einfuhrwaare (Weinbold altnord.
Leben S. 155), seine Einherien von Fleisch und Met, ist doch offenbar nicht
Volksmytlie, sondern eine individuelle Dichtererfindung. Daß in der Sage
von Freyd und Woud b ,'i Schönwerth 11, 312 If. sich dieser Zag in der Form
wiederholt, „Freyd trank Wasser, Woud eine Art Wein", ist mir troö
J. Grimms Verteidigung der Echtheit ^Monatsber. 1859, S. 420 ff. Kl. Sehr.
U, 428) neben vielem anderen ein Beweis für den Ursprung dieser Erzählung
aus Reminiscenzon. — Noch läiU sich beobachten, wie Eigennamen aus Appel-
lativen entstanden. ,,Der goldborstige*' ist in der älteren Poesie stehende»
Beiwort von Freys Eber (Hyndlul. 7. Skäldskaparm 35), erst der Verfi»«»
Vorwort. xm
»herem Orade, als man seit J. Grimm anzunehmen pflegt, war
e in Kede stehende Mythologie ein durch die Natur und
^schichte ihrer Heimat bedingtes eigentümliches Erzengniß des
andinavischen Nordens. ^
Fassen wir alle diese Gesichtspunkte zusammen, so zeigt
;h uns die Notwendigkeit, (entweder ein für allemal oder bis auf
»tere Beweise) nicht allein die große Keihe lediglich aus dem
»rhandensein der den nordischen Güttemamen zu Grunde lie-
nden Wortstämme in deutscher Kede erschlossener Gottheiten,
e Gart, Nanda, Rähana, Brego, Hadu, Fro (Gerdr, Nanna,
in, Bragi, Hödhr; Freyr), sondern auch die Personificationen
Q Festtagen wie Ostara (Bk. 505. 522), Berchta (unten S. 185),
ristliche oder historische Sagengestalten, wie den bergentrück-
1 Kaiser* u. s. w. aus dem deutsch -heidnischen Götterhimmel
entfernen, und nur in späterem Volksglauben bezeugte
sstalten, wie Holda, Here, Harke u. s. w. nicht unmittel-
r mit den in alten Quellen überlieferten auf einen Boden
stellen.
Der Autorität des Meisters folgend und dessen Fehler oft
\ Maßlose übertreibend versuchten die Schüler, unter ihnen der
Erfasser dieses Buches, neben fleißiger Stoffsammlung den Wei-
•ban seines Systems, indem sie, zumeist gestützt auf das Zu-
mmentreffen einzelner rein äußerlicher Merkmale in jede ver-
i Gylfaginning macht aus dem „Freyr ridr guUi byrstum** der Husdräpa
■ Uggasons um 995 ^Skaldskaparm 7), die er benutzt, ein nomen proprium
llinbursti.
1) So wertvoll und ehrwürdig, ja unentbehrlich uns immer die Edda als
e der wichtigsten Quellen germanischen Altertums und insbesondere der
thologie bleiben wird, stellen wir neidlos unseren skandinavischen, zumal
wogischen Brüdern ihren höheren Anspruch daran zurück. Ucber die über-
>bene Wertschätzung derselben als „deutschon'* Nationaleigontums äußerte
Bückert viel Lesenswertes in einem Aufsatz^ der mit nächstem in der von
ler besorgten Ausgabe seiner kleinen Schriften zum Wiederabdruck gelan-
I wird.
2) Vgl. den vorzüglichen Aufsatz v. G. Voigt „ die deutsche Kaisersage"
3ybel8 histor. Zeitschr. B.XXVI, 1871, S. 131 — 187, nebst DümmlersNach-
ff XXK, 1873, S. 491.
XIV Vorwort.
einzelte Sage, jedes Märchen, jede Heiligenlegende eine nordische
Gottheit hineintrugen. Gelangte diese Richtung in Simrock,
J. W. Wolf, Hocker, Woeste, Rochholz u. A. zur vollen Blttte, so
vermochten sich doch selbst die in Lachmanns Schule erzoge-
nen Vertreter der deutschen Philologie ihr nicht gänzlich za
entziehen.
Bleibenden Gewinn versprach nur eine solche FortfOhnmg
des begonnenen Riesenwerkes, welche zunächst einmal in dem
Baumaterial selber sich orientierte und ohne Rücksicht auf ein
vorher bestimmtes Resultat die Volksüberlieferungen einerseits
unter sich, andererseits mit den zunächstliegenden verwandten
Erscheinungen verglich. Einen kleinen, aber schönen, von der
späteren Forschung noch nicht ausgenutzten Anfang in letzterer
Richtung machte K. Müllenhojf] indem er in der Vorrede zu sei-
ner musterhaften Sammlung Schleswig - Holst. Sagen 1845 auf
vielfache Berührungen mit der Poesie und Sitte des Mittelalters
hinwies. Das andere aber versuchte zuerst Ä. Kuhn. Als das
bedeutendste Verdienst dieses großen Sprachforschers neben sei-
nen drei großen und wichtigen Stoffsammlungen (Mark. Sag.
1843. Nordd. Sag. 1848. Westf. Sag. 1859) erachte ich die
Anmerkungen zu den beiden letztgenannten Schritten, in denen
viele Varianten zu den emzelnen Uebcrlieferungen aus der Lite-
ratur der Sagensammluugen zusammengestellt und mit einander
verglichen werden. ^ Zahlreiche Verwandtschaften und Abwei-
chungen traten unter ihnen hervor. Üoch erstreckte sich die
Vergleichung immer nur auf einzelne Züge oder auf kleinere
Sagengruppen und auch Kuhn kam häufig genug auf eine aus
bloß äußerlichen Aehnlichkeiten erschlossene Identifizierung von
Sagengestalten mit nordischen Göttern und nicht selten grade
mit den tür Deutschland noch nicht nachgewiesenen hinaus.'
1) Solche Zusammonstelliingen vorwandten Stoffes verleihen auch man-
chen Abschnitten in J. W. Wolfs Arbeiten fortdauernden Wert, obgleich
dieselben zum Zwecke eines Beweises aufgestellt sind, der völlig hin-
fallig ist.
2) Vgl. z. B. Die aus der letzten Garbe geformte Puppe, der Alte,
beziehe sich auf Donar, weil Thorr, der als Gewittergott nach Adam vpn
Bremen auch „fruges gubernat," [von irgend einem Skalden einmal auch]
Vorwort. xv
eit höheren Buhm hat Kuhn durch die glänzenden and Über-
sehenden Schlußfolgerungen in einer ganzen Reihe von Aufsätzen
id Schriften erlangt, in welchen er, als einer der bedeutendsten
igrttnder und Förderer der vergleichenden Sprachwissenschaft,
rimms Methode auf das weitere indogermanische Gebiet über-
lg und, gestützt auf die wirkliche oder vermeintliche Ueber-
istimmung von Namen und Sachen, mit genialem Scharfsinn
den Mythen und Göttergestalten des Veda (deren VerständniB
ih ihm bei Belauschung der deutschen Volkssage unter ihren
wendigen Trägem, den Bauern, entzündete) die der Grundform
ch sehr nahestehenden Niederschläge einer Urmythologie nach-
weisen unternahm, aus welcher auch die griechische und
mische Mythenwelt geflossen sei. * Diese Arbeiten wurden
anz abgesehen von der Richtigkeit der durch sie zunächst zu
ige geförderten Ergebnisse) von entscheidender Bedeutung flir
lg Schicksal der germanischen Mythenforschung, indem sie der-
Iben neue Ziele steckten und ihre Tendenz verschoben. In den
edas, in der Götterwelt der indischen Epen und in derjenigen
$r Puranas lagen die verschiedenen Stul'en des Lebensganges
ner Mythologie von der Jugend bis zum Greisenalter vor Augen,
ie Lieder des Rigveda, obwohl sie keinesweges eine rein
•sprüngliche und naive, sondern eine viell'ach schon subjective
id nut Allegorie durchsetzte Poesie enthalten, zeigten, wie eine
ythologie in ihrem Werdeprozeß aussieht. Man lernte hier eine
K^h ganz im Flusse befindliclie gläubige Naturauschauung als
rsprung eines großen Teiles der späteren wunderbaren Götter-
bli genannt war, was Grimm Myth. * 154 Großvater, Altvater übersetzt,
ährend es doch unzweifelhaft Abwandlung von atall, acer, strenuua ist].
)rdd. Sag. Gebr. Anm. 102. Der Nix im Darrassen, der mit einem
jh werte bewaffnet in den See springt, muß Heimdall oder Freyr sein,
)il ersterer in der Skaldensj>rache Schwert -Ase heißt, letzterer ein Schwert
saß, das er weggeschenkt hat (Westf. Sag. I, 54). Das zur Sonnenwende
Bezug stehende Notfcuor muß dem [hypothetischen] Sonnengott Frö geweiht
iwesen sein, w^^il in England dabei ein Priap aufgepflanzt wurde, in Upsala
■er Frös Bildsäule mit einem Phallus ausgerüstet war. Herabk. S. 101.
lasen wir aber, ob es überhaupt irgend einem Gotte gewidmet war?
1) Hermes - Sarameyas , Zs. f. d. A. VI. 1848. S. 117 — 134. Telchln,
I. f. vgl. Spr. I, 1852, S. 179 ff. Saranyu-Erinnys. Ebenda. 439 — 470
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Vorwort. xm
icht zarückhalten , daß nach meiner Ansicht die vergleichende
idogermanische Mythologie die Früchte noch nicht getragen hat,
reiche man allzu hofibungsreich von ihr erwartete. Der sichere
rewinn beschränkt sich doch auf einige sehr wenige Gottesna-
len (wie Dyaus — Zeus — Tius; Parjanya — Perkunas;
ihaga — Bog; Varuna — Uranos u. s. w.) ,und Mythenansätze
nd im Übrigen auf zahlreiche Analogien, welche aber noch nicht
oitoendig historische Urverwandtschaft begründen. Grade die beim
rste'n Anblick scheinbarsten Vergleichungeu, z. B. Säramgya =
enneias, Saranyus == Demeter Eriunys, Kentauros = Gandharva
8. w., und ein großer Teil der in dem berühmten Buche
Herabknnft des Feuers" vorgeführten Parallelen halten nach
einer Ueberzeugiing, die ich in kurzem mit Gründen zu bele-
jn Gelegenheit haben werde, vor einer eindringenden Kritik
cht Stand; ich fllrchte, daß die Geschichte der Wissenschaft
) einmal eher als geistvolle Spiele des Witzes, denn als
währte Tatsachen zu verzeichnen haben wird. Schon der
instand, daß sie nicht die stätig fortzeugende Kraft bewähren,
alche Grimms und Bopps sprachlichen Entdeckungen inne
)hnte, muß gegen ihre Wahrheit mißtrauisch machen, und zur
>rsicht mahnen selbst bei Beurteilung so wahrscheinlicher Iden-
siten, wie die vom Kampfe der Devas und Vritras oder Ahis mit
;n Sagen von Erlegung des schatzhütenden oder frauenrauben-
jn Drachen und vom Tode des Cacus durch Recaranus- Hercules,
nzweifelhaft hat es neben der Sprache auch schon eine gemein-
,me Grundlage der religiösen Vorstellungen in der arischen Ur-
^imat gegeben, und die Veden bewahren die ältesten uns erhal-
nen Sproßformen davon ; ob aber ausgebildetere größere Mythen-
>mplexc von dorther in den europäischen Mythologien übrig
ud, bleibt vor der Hand noch eine offene Frage. Nicht das
rinzip trägt die Schuld davon, daß wir noch nicht weiter sind,
)ndeni die augewandte Methode, deren Gnmdfelüer in einem
Mangel an historischem Sinne zu suchen ist. Man ließ außer
echnung, daß die Mythologien einen bei weitem verwickeiteren
cid weit weniger der ßegcl unterworfenen Zustand vielfach
iisammengesetzter Bildungen darstellen, als die verhältnißmäßig
infachen Erscheinungen der Sprache; man machte sich noch
icht klar, daß das geistige Leben der Kulturvölker niemals in
Mannhardt. II. b
xvni Vorwort
der graden Linie einer ungestörten Entwickelung ans nationalem
Keime verlief , daß es von dem Zuströmen fremdländischer Ideen
reichliche Impulse empfing; und indem man unmittelbar die bei-
den Endpunkte zweier in ziemlichem Abstände von dem hypo-
thetischen Ausgangspunkte auslaufender Entwickelungen mit ein-
ander combinatorisch verknüpfte, unterließ man, die letzteren
durch die nachweisbaren Zwischenglieder Schritt für Schritt bis
auf ihre wirklich erreichbare, oft nicht weit dahinten liegende
Grundform rückwärts zu verfolgen. Ohne alte und junge Ueber-
lieferungen, bloße Nachahmungen, dichterische Erfindungen, ätio-
logische Erklärungen zu scheiden und je anders nach ihrem wah-
ren Werte zu verwenden, spannte man die europäischen Mythen
in das Prokrustesbett einer nach den zwar alten aber doch
schon national indischen Anschauungen entworfenen Schablone
und vernachlässigte darüber ihre nächsten historischen Zusam-
menhänge, ihre Bedingtheit durch den Ideenkreis der Zeit oder:^
der Schriftsteller, ihren ethischen Gehalt und ihre Beziehungeiv^
zu den localen Formen der Naturverhältnisse. Dazu stützte
die Vergleichung nicht selten auf Bruchstücke, die aus ihrem natür-
lichen Zusammenhang gerissen waren, oder man legte solch^^w
vedische Anschauungen zu Grunde, deren Bedeutung noch unklar un<
Gegenstand verschiedenartiger Auslegung ist. Die europäische]
Mythen sollten nun fast durchgehend irdische Localisierungei
einer bildlichen Veranschaulichung himmlischer Naturvorgäng^p»*^
sein; die zum Beweise des Ursprungs in der urarischen Periode^ -^
vorgebrachte Uebereinstimmung in Namen und Sachen zwischen::^^!
den indischen und griechischen oder deutschen Traditionen, isr -^t
aber sehr häufig im etymologischen oder sachlichen Teil(
oder in beiden trügerisch , und damit fällt das
zusammen. ^
1) Mau Süll es mir nicht als kleinliches Mäkeln an den hohen Verdien
sten des Gründers der comparativen M}i;hologie auslegen, wenn ich grad-^e^
aus seinen Schriften einige Beispiele outlehne, um meine Bchauptangen nich- "♦
ganz ohne Beweis zu lassen. Ich habe sie z. T. nebensächlichen Erört^rna —
gen entnommen, aber manche Eckpfeiler der Induction sind ihnen gleichar—
tig. Man darf indessen vermuten, daß Kuhn selber manches Derartige sdK^v
selbst stillschweigend aufgegeben hat. Mit der Farbe der goldenen Tanoeii
Vorwort.
Eine besondere Fraction in der vergleichenden Mythologie
Indete M. Müller (1856), indem er in mehreren Stücken von
hn abwich. Während nämlich dieser und seine Schule anfangs
t aussehließlich in den wechselnden Naturerscheinungen der
»Iken und Winde die Ausgangspunkte der mythischen Bilder-
It suchte^ setzte jener dieselben noch mehr ausschließlich in
I überwältigenden Eindruck der sich täglich wiederholenden
inomene, der Sonne und der Morgenröte, auf die kindliche
dem silbernen Schilde des Herakles wird deren Bedeutung als diejenige
I^laiuender Sonnenstrahlen belegt (unten 8. 88). Poseidon soll Ursprung-
ein Sonnengott gewesen sein dem Vergleich einer arkadischen mit
T vedischen Sage zu Liebe, in den nur ein Sonnengott hineinpaßt. Zum
'eis "wird beigebracht 1) eine bedenkliche Etymologie, 2) der Gebrauch
>8 und desselben Wortes für Wolkenhimmel und Ocean in der vedischen
sie, 3) der Umstand, daß Poseidons Palast, seine Geißel, die Mähne sei-
Bosse im griechischen Epos golden sind (,Zs. f. vgl. Spr. I, 456). Aber
1 ist bei den Dichtern das Material aller göttlichen Besitztümer. — Ein
chnitt aus der „Herabkunft'* ist unten S. 335 analysiert. Eina andere
fübmng (üerabk. 238 ff.) finde hier kurz Erwähnung. Kuhn erörtert, der
terbote Hermes sei ein Feuergott, weil der vedischo Feuergott Agni auch
e der Götter heiße [als ob nicht die Idee des Götterboten aus verschiede-
Anlüssen, z. B. aus Person ificatiou des Windes, entspringen konnte],
Min weil er [der Gott der Erfindungen] das Feuerzeug erfand. Wahr-
nnlich aber werde die Hypothese dadurch, daß Kallimachos (Hymn. in
n. V. 64 — 71) Hermes gradezu den feurigen Kyklopen gleichsetze,
am er ihn statt dieser, mit Kuß bedeckt, vom Herde her herbeikommen
;e. Was sagt nun Kallimachos? Die neugeborne Artemis geht mit ihrem
olge von Okeaniueu zu den Kyklopen in den Aetna, um sich von ihnen
jen und Pfeile schmieden zu lassen. Die Okeaninen fürchten sich vor den
,^efügen Gesellen. Ganz natürlich. Denn, wenn ein Töchterchen bei den
:tern ungehorsam ist, ruft die Mutter nach den Kyklopen; und aus dem
lersten des Hauses kommt Hermes, mit Kuß bestrichen, und das Kindlein
ht in den Schoß der Mutter und bedeckt seine Augen mit den Händen,
«mis aber fürchete sicli nie, u. s. w. — Hier ist keine Spur von einem
ten Mythus, alles freie dichterische Erfindung zur Verherrlichung der
ungenen Göttin. Die Kyklopen [übrigens auch keine Feuergottheiten]
mieden der jungen Artemis Walfou in Nachahmung der älteren Dichter,
lohe sie dem Zeus solche anfertigen lassen. Hierin liegt kein Naturmythus.
3 Uebrige stellt eine liebliche menschliche Familienscene in die Götterwelt
ertragen dar. Die Kyklopen spielen darin die KoUe unseres Schornstein-
ers, und Hermes verkleidet sich in Uire Gestalt lediglich als Diener oder
usknecht der Götter, nicht im entferntesten als Naturgott.
b*
XX Vorwort.
Seele der Urväter. Außerdem wollte M. Müller nicht sowol aas
einer Erstarrung einfacher poetischer Metaphern, als yielmehr ans
einem rein sprachlichen Vorgange die Mehrzahl der Mythen
ableiten. Ursprünglich nämlich seien mehrere Gegenstände (oder
Handlungen) mit einem und demselben Worte von generellem
Sinne bezeichnet worden. Als später der Gebrauch dieses Wortes
sich auf einen jener Gegenstände einschränkte, itir die übrigen in
Vergessenheit geriet, hefteten sich an ersteren auch die Begriffs-
merkmale des letzteren. So seien einst die Morgenröte und die
Lorbeerpflanze ddcpvrj, d. h. die brennende, bzw. leichtbrennende
[? = einem hypothetischen skr. dahana] genannt gewesen; von
der Morgenröte sagte man aus, die Sonne habe sie verfolg^
d. h. schwinden machen. Die spätere Sprache behielt nur ddqvr^j
Lorbeer, und nun erzählte man, Apoll habe einer Nymphe
Daphne nachgestellt, welche die Götter dann in den Lorbeer ver-
wandelten (vgl. unten S. 20). * Ich vermag dem von M. Müller
aufgestellten Principe, wenn überhaupt eine, so doch nur eine
sehr beschränkte Geltung zuzugestehen. Kuhn hat sich ihm in
seinen neuesten Aufsätzen wesentlich genähert.
Alles in allem ^ genommen halte ich den größeren Teil der
bisherigen Ergebnisse auf dem Boden der indo- germanischen
Mythenvergleichung noch für verfehlt, verfrüht oder mangelhaft,
meine eigenen Versuche in „Germ. Mythen 1858" mit eingeschlos-
sen. Daß ich jedoch nicht, wie man zu sagen pflegt, das
Kind mit dem Bade verschütte, bezeugt mein Aufsatz „Let-
tische Sonnenniythen in Bastian -Hartmanns Zeitschr. f. Ethnol
VU, 1875." 2
1) M. Müller Oxford Essays 1856 S. 57. Vorles. üb. Wissensch. d. Spr.
2. Ser. 461 flF. 577.
2) Hier habe ich in etwa 90 Liedern der Litauer und Letten, welche tradi-
tionell an Hochzeiten gesungen werden, und deren Grundideen älter al^
das Christentum sein müssen (S. 87), als Inhalt mehrfach variierte M)'th^
von der Sonne, der Sonnentocliter oder Gottestochter, den Gottessöhnen, dem
Monde, von Perkun und einem Himmelsschmiede, sowie die in einer reichen
Fülle poetischer Bilder niedergelegte Beschreibung ihrer Handlungen aufge-
wiesen. Ich stellte mir zunächst nur das Verständniß des Ideengehalts dieser
Lieder zur Aufgabe. Aus ihnen selbst ergiobt sich vermöge der Variantefli
Vorwort.
Auf den Wanderungen, welche W. Schwartz als Begleiter
d Teilnehmer seines Schwagers Kuhn zum Zwecke der Samm-
ig märkischer und norddeutscher unternahm, fanden beide
legenheit, den Zusammenhang einiger Gruppen derselben,
tnentllch derjenigen vom Wode und der wilden Jagd mit der
»endigen Naturanschauung des Volkes zu beobachten. Während
Q Kuhn dadurch auf die Beachtung analoger Erscheinungen in
a Veden geleitet wurde , 8ch(>pfte Schwartz aus jener Beobach-
denen einmal die Naturerscheinung, ein andermal die Personification mit
i nämlichen Prädicaten verbunden ist, für die Sonnentochter die Bedeutung
Dämmerung oder der Morgenröte^ für den Gottessohn die Bedeutung des
rgen - Abendsterns : jene poetischen Bilder aber tat ich als anch anderswo
Knfige Metaphern für Zustande der himmlischen Lichterscheinungen dar.
1 der Berechtigung, ja der durch den Zusammenhang gebotenen Notwen-
keit, die Deutung in dieser Eichtung zu suchen, wird sich überzeugen,
: ao&nerksam und vorurteilslos prüft und seine Prüfung mit den Abschnit-
über Sonnenroß (93) , Sonnenboot (102), Sonnenapfel (103) beginnt. Nicht
e Deutung (z. B. die des Eichbaums) wage ich für bereits gelungen auszu-
>en. Nur als Analogien, als Illustrationen, welche durch den Nachweis
chischer Möglichkeit einer Apperception des nämlichen Naturvorgangs
>er den nämlichen Metaphern , wie in den lettischen Sonnenliedern, meiner
itung zur Stütze dienen sollen, nicht als Zeugnisse historischen Zusam-
ohangs werden deutsche und slavische Sonnenlieder, auf Sunnenwesen
ögliche vedischo Hymnen , griechische Mythen und Dichter, Märchen und
ar die Sagen fremder Weltteile verglichen (Vgl. darüber S. 325— 329). Ich
one diese Absicht noch ausdrücklich hinsichtlich dessen, was ich über den
inentisch der Aethiopen i^S. 230, vgl. 244), das goldene Vließ am Eichbaum
283), die Hesperidcnäpfcl (234) ausgeführt habe. Einige der beigebrach-
Analogien sind unrichtig. Der Stein Alatir (S. 287} z B. entstammt
istlicher Symbolik des M. A. (cf. Jagic im Archiv f. slav. Phil. 1,89—101).
r erst hinterher glaubte ich durch die über ihr Ganzes sich erstreckende
jraus große Uebereinstimmung der unbestrittenermaßen auf demselben
turgebiete sich bewegenden Sagenkreise von üshas und den A^vins, von
lena und den Dioskuren mit demjenigen von der Sonnentochter und den
ttessöhnen genötigt zu sein, als einstweilige Vermtitung (S. 329)
en indogermanischen Ursprung für sie alle anzusprechen. Für bewiesen
rde ich diese Vermutung nicht eher erklären , als bis erneute und eindrin-
idere Unsersuchungen die von mir gegebene Construction jedes der drei
•glichenen Sagenkreise als der ältesten Ueberlieferungsform entsprechend
(tätigt, und bis die Fortschritte unserer Kenntniß die indogermanische
pothese in mehreren Fällen, denn bis jetzt, überzeugend gemacht haben
rden.
xxn Vorwort.
tung die in einem gewissen Umfang richtige Entdeckmig, daB in
den unter dem Volke noch lebendigen Sagenmassen eine „ niedere
Mythologie'' enthalten sei^ welche einen früheren Zustand, eine
embryonale Entwickelungsform der späteren Götter- und Dämo-
nenwelt festhalte, möge die letztere auch in weit früheren
geschichtlichen Zeugnissen überliefert werden. Nicht also bloB
Abschwächungen , Niederschläge der in der Edda u. s. w. yorlie-
genden ausgebildeteren Mythologie des Heidentums treten nns
hier entgegen, wie Grimm wollte, sondern die Keime undGmnd-
elemente, aus denen sie sich entwickelte. Schwartz legte dieae
Beobachtungen in einem Schulprogramm nieder. ^ Zugleich
machte er fruchtbare Wahrnehmungen ttber die Veränderongen,
denen die Sagen im Laufe ihrer Fortpflanzung von Mund za
Mund fast mit der Regelmäßigkeit eines Gesetzes unterliegen.
Indem er in späteren Aufsätzen und Schriften ' auch bei andere
Völkern den bildlichen Naturauffassungen und den Residnen
der rohesten und einfachsten Mythenelemente nachging, wnrde
er neben Th. Waitz (Anthropologie der Naturvölker 1859 — 1865)
Bahnbrecher ftlr die zuerst von A. Bastian * mit unerhörter aber
unkritischer Gelehrsamkeit unter scharisinniger Auffindung vieler
wertvoller allgemeiner Gesichtspunkte gegründete, dann (zwar
auch nicht ohne Verwendung manches ganz wertlosen Bausteines)
mit nüchterner Besonnenheit von E, Tf/Ior * fortgeführte ethnogra-
phisch - anthropologische Betrachtung der Sitte und Sage , welche
1) Der Volksglaube u. das alte Heidenthum. Berlin 1849. Zweite Anfl.
Berlin 1862.
2) Die hauptsächlichsten sind : T'rsprung dor Mythologie. Berlin 1S60.
Sonne, Mond und Sterne. Berl. 1864. Der (rotho) öonnenphallus der Urzeit
Zeitschr. f. Ethnologie VI, 1874, S. 107 ff.
3) Der Mensch in der Geschiclite. 3 Bde. Lpzg. 1860. Beiträge iw
vergl. Psychologie. Die Seele und ihre Erscheinungsweisen in der Ethnogra-
phie. Berl. 1868. Ethnolog. Forschungen B. II. Jena 1873. Kap. IV. (Zar
vergl. Mythologi* Tod und Krankheit.) Der Baum in vergl. Ethnologie. Zs.
f. Volkerpsych. B. V, 1868, S. 287—317 und zahlreiche andere Aufsätze und
Schriften.
4) „Early history of Mankind.'* (ürgt^schichtc der Mcnschlieit^ deutsch
von H. Müller. Lpzg. Ahel, li^67.) Primitive Culture. (Die Anfange der
Cultur, deutsch von Sprengel u. Poske. Li)zg. 1873.)
Vorwort.
darauf ausgeht , an Tatsachen bei den verschiedensten Naturvöl-
kern den analogen Verlauf der ältesten Sitten-, Religions- und
Mytfaenbildung zu veranschaulichen. Ihr verdanken wir nament-
lich die Einsicht, daß fast sämmtliche Eutwickelungsphasen und
Lebensformen, welche der geistige Zustand der Menschheit aU-
m&hlich durchlaufen hat, in heutigen Völkern der Erde noch
lebende Vertreter zählen und daß man in der Beobachtung dieser
sin treffliches Hilfsmittel besitze, um die im Leben der civi-
iaierten Nationen erhaltenen Ueberlebsel früherer Kulturstufen zu
itadieren, und daß viele solcher Ueberlebsel selbst bis in die
irimitive Stufe des Fetischismus und der Wildheit zurückreichen.
Inf diese Weise wird durch Analogien Verständniß ermittelt;
laneben wird man künftig auch hinsichtlich solcher rudimentärer
itesidnen in jedem einzelnen Falle die Frage stellen müssen , ob
de als Lehngut oder als eigenes Erzeugniß der Urväter ihres
jeweiligen Besitzers zu betrachten seien. Diesen Forschungen
^ommt die Gunst der 2ieitgenossen entgegen, seit im letzten
lahrzehnt unter dem Einflüsse des Darwinismus die Urgeschichte
unseres Geschlechtes gradezu in den Vordergrund des wissen-
schaftlichen Interesses gerückt ist. Während aber die verglei-
3hende Ethnologie die Mythologie bisher nur als Teil des geisti-
gen Gesammtlebens in Betracht zog, widmet ihr Schwartz die
^nze Breite seiner Forschung; auch knüpft er seine Erörterun-
gen doch vorzugsweise an deutsche und griechische Mythen an.
lieider muß man beklagen, daß er in seinen späteren Schriften
luf dem in seinem bahnbrechenden Programm betretenen Wege
licht mit Besonnenheit fortgeschritten ist, sondern sich in eine
größtenteils selbsterschaffene wirre Phautasiewelt verstrickt hat.
Indem er nämlich die Abstractionen aus dem einen Mythenkreise,
len er zuerst im Ganzen richtig beobachtet hatte, «lUzuhastig ver-
illgemeinerte , gelangte er zu folgender Grundansehauung. „Es
^igte sich als Ausgang und Mittelpunkt der ganzen Mythologie
ein in den mannigfachsten Kreisen und Zeiten entstandenes Chaos
gläubiger Vorstellungen von den in den wunderbaren Erscheinun-
gen des Himmels und namentlich des Gewitters sich bekundenden
Wesen und Dingen als einer zauberhaften Welt, die nur mit
ihren Symptomen in diese Erdenwelt hineinzureichen schien, die
iber das Volk oder vielmehr die Menschen sich nach Analogie
Vorwort.
der letzteren gläubig zurechtlegten, und deren Veränderungen
ihnen also zu einer den irdischen Verhältnissen analogen Geschichte
wurden."^ Den Beweis für seine Theorie lieferte ihm eine
Methode, von deren VerhältniB zu den Anforderungen histori-
scher Kritik dasselbe gilt, wie von derjenigen Kuhns. Ja es
steht damit noch bedenklicher, insofern die verglichenen antiken
Mythen zumeist aus ganz abgeleiteten Darstellungen, dem mythoL
Lexicon u. s. w. entnommen werden. Doch ist andererseits ein
wesentlicher Unterschied zwischen dem Verfahren der beiden
Gelehrten bemerkbar. Schwartz stellt nicht je zwei Sagen in
ihrer Totalität einander gegenüber, wobei dann der Harmonistik
zu Liebe ein Teil der einen sich häufig gewaltsame Verrenkun-
gen gefallen lassen muß , sondern er geht überall auf die Urele-
mente. Diese gewinnt er aber nicht durch historische AnalyBe,
sondern indem er irgend einen einzelnen auffallenden Zug, einen
losen Faden aus dem zusammenhangenden Gewebe der Sage
herauszieht und nun leichten Spieles mit einem ähnlich aussehen-
den Naturbilde combiniert Zwar hat er das Verdienst, dabei
viele volkstümliche Naturanschauungen und ihre Uebereinstim-
mung mit Metaphern der Dichter wirklich nachgewiesen zu haben;
sehr viele der von ihm zum Ausgangspunkte der Mythen gemachten
Naturauffassuugen haben aber entweder nur in der äußerst frucht-
baren Einbildungskraft des Autors oder in der Subjectivität ver-
einzelter Poeten ein Dasein ; und ebenso unberücksichtigt bleibt,
daß nicht jede bildliche Apperccptiou von Naturerscheuiungen an
sich Mythos ist oder überall zum Mythus sich weiterbildet und
deshalb ihr Vorhandensein noch keinesweges von vorneherein
die Vermutung begünstigt, sie in den Sagen wiederzufinden.*
1) Berliner Zeitschr. f. Gynmasialwesen 1861, S. 833.
2) In den Yeden spielt bekanntlich die poetische Auffassung derBegen-
wolken als milchspendende Kühe eine große Rolle ; sie findet vielfache Ver-
wendung in dem M^ihenkreis des Gewittergottes Indra. Das deutsche Volk
könnt die nämliche poetische Metapher (unten S. 203): in nordischen Volk»-
rätseln nähert sich dieses Naturbild mythischem Charactcr (Mannhardt Ger-
man. Mvth. 7.. Götterwelt S. 89^ , in einem Sonnenliede (Germ. M)th. 7., vgl.
dazu S. 386 ff.) ist es völlig zu mythischer Anschauung geworden , mit wel-
cher vielleicht einzelne abtrgläubisclie Vorstellungen zusammenhangen
mögen. Aber auch die Araber haben dieselbe Naturanschauung produziert
Vorwort. xxv
loh kann diese meine Bedenken gegen Schwartz nnd seine Naeh-
folger, deren besonnenster Äfanasieff sein dürfte, hier ebenfalls
nur andeuten (vgl. unten S. 101. 157. 292); ich werde auch sie
im Gegensatze zu meiner eigenen Auffassung künftig an beleh-
renden Beispielen darzulegen Gelegenheit haben.
Durch die großartigen Entdeckungen auf dem Gebiete der
orientalischen, besonders der ägyptischen und assyrischen Alter-
tumskunde und die Funde der prähistorischen Archäologie nicht
weniger, als durch die vergleichende Sprachwissenschaft, hat die
griechische Kulturgeschichte aufgehört mit Homer zu beginnen;
sie ist zu einem in der Mitte liegenden Zwischengliede einer
schon Jahrtausende früher anhebenden, immer mehr aus dem
Dunkel hervortretenden Entwickelungsreihe geworden. Man
beginnt der allmählichen Aufeinanderfolge des Einströmens man-
nigfaltiger Kulturerwerbungen vom früher zum Aufschwung
gelangten nichtindogermanischen Asien her in die europäische Welt
bis in deren vorhistorische Perioden nachzuspüren (V. Hehn) ;
seit J. Olshausen zuerst zahlreiche phoenikische Wortstämme in
griechischen Ortsnamen nachwies, macht sich bei einem Teile der
Historiker (E. Curtius , C. Wachsmuth u. a.) das Streben geltend,
das Vorhandensein und den Einfluß eines starken semitischen
Elements unter der vorhomerischen Bevölkerung Griechenlands
darzutun. Allen diesen in den Anfängen begriffenen neuen
Erkenntnissen gegenüber muß die von einem Teile der klassi-
schen Philologen festgehaltene Behauptung einer rein autochthonen
hellenischen Entwickelung als einseitig zurückgewiesen werden.
Dennoch verteidigen auch die Vertreter dieser Richtung wichtige
Sie findet sich mehrfach in deren ältester vorislamischer Poesie. Im 4. Jahr-
hand, d. Hedschra stellte sodann Abu Bekr Ibn Uuräid Ausdrücko über Wolke
und Regen zusammen , die er grölUenteils aus dem Munde improvisierender
Wüstenbeduinen aufgezeichnet hatto. Da finden sich ganz dieselben Natur-
bilder, wie in den Vedcn. Die Wolken sind Kameelhorden , die einzelne
Wolke heißt Wall oder Berg; oder sie wird als Kamecl gefaßt, welches der
Wind treibt und befruchtet, als gefülltos Euter, aus welchem die Regenmilch
niederströrat , als Schlauch , aus dessen Ritzen Wasser sickert. (Will. Wright
Opusc. arab. collect, a. edit. froni Mss. in the University of Leyden. — Göt-
ting. gel. Anz. 1800, p. 094.) Aber alle diese Bilder sind hier rein poetisch,
von einer Fortbildung zum Mythus ist nichts bekannt.
xrvi Vorwort.
Wahrheiten. Und auf dem Gebiete der seit Preller nur in Har-
tungs verkehrter Religion der Griechen umfassend behandelten
antiken Mythologie, haben grade K. Lehrs und seine Schale in
Einzelarbeiten sehr wertvolle Beiträge geliefert Sie machen mit
Recht geltend , daß man die griechische und römische Götterwelt
zunächst vom Boden des hellenischen und römischen Volkstums
aus begreifen lernen soll; sie haben uns die Empfindung nachflih-
len lassen, welche die Alten in historischer Zeit mit ihren Göt-
tern verbanden ; ein Verständniß von den mannigfachen Ursprüngen
und den Lebensgesetzen der mythischen Bilderwelt besitzen sie
nicht. Eine besondere Beachtung verdienen E, Plews Unter-
suchungen , weil sie (in Bezug auf die späteren Geschicke d<
lomythus und mehrere Kulte der in jüngerer Zeit entlehnte]
fremdländischen Gottheiten glücklich) mit einer historische]
Betrachtung entschiedensten Ernst machen. Gleich sehr um sei — ^^-
ner Methode willen hervorzuheben ist Ä. Bapps Aufsatz über di^a^^e
Mänade (Rhein. Mus. n. F. XXVU, 1872). Ganz neuerdings ha-^Mtt
E. Curtius (Preuß. Jahrb. XXXVI, 1875, 1 flf.) die Frage
geworfen, ob nicht sämmtliche hellenische Göttinnen ans einer
DiflFerenzieruug der durch Entlehnung angeeigneten großen
tisch -phrygischen Naturgöttin Vorderasiens hervorgegangen seiei
Die Frage als solche ist berechtigt neben der nach dem indo- ^-
«uropäischen oder ethnisch -griechischen Ursprung, da die Viel -Äll-
seitigkeit der meisten Göttinnen in der Tat an Pantheismus -^ß
erinnert. Bewiesen ist aber noch nichts und die schließUch^ -^^
Lösung des Problems dürfte schwerlich so allgemein im Sinn^ -^^
des Fragestellers ausfallen.
So sehen wir denn in den letzten Jahrzehnten von den vei
schiedenstcn Seiten her neue WegG cröflFuet, um in das Verstän<
niß der Mythologie einzudringen ; aber alle diese Arbeiten stehei
erst im Begiimc, und ihrer manche haben sich, von der gradei
Richtung abgelenkt, in der Wikbüß verlaufen. Wenn es jedod
für seineu freien Fortschritt ein unab weisliches Bedüiiniß de^=^ ^
menschlichen Geistes ist, die psychischen Petrefacten der Vec^""-
gangenheit Avieder lebendig zu machen , wenn die Wissenscha-rÄ
unserer Tage sich als eines der letzten und höchsten Ziele ihr^^«
Ringens einen Stammbaum der gesammten Ideenwelt stellt, wer^Ji
endlich die verschiedensten Einzelwissenschaften an einem strer^ff
Vorwort. xxvu
saenschaftlichen Aafbau der Mythologie ein Interesse haben,
nn darf das begonnene Werk nicht liegen bleiben. Indem der
irfEisser dieses Buches sein Augenmerk darauf richtete, von
an angedeuteten Richtungen zu lernen, das Wahre aus ihnen
&anelmien, die Fehler auszusondern, bildete er sich seinen
;enen Standpunkt. Selbst\'erständlich nimmt er keine Unfehl-
rkeit für sich in Anspruch, nur das Zeugniß gewissenhaften
rebens und eines deutlichen Bewußtseins der zu verfolgenden
ile und anzuwendenden Mittel. Und niemals wird er.verleug-
tt, daß er von Männern wieWclcker, Preller, Lehrs, Bötticher,
ihn, Schwartz, Tylor und andern lernte und sich ihnen oft zu
tnke verpflichtet weiß, selbst da, wo er zu andern Ergebnissen
langte, als sie.
Der Befreiungsprozeß von den herrschenden Richtungen voll-
^ sich in mir naturgemäß sehr allmählich, ein schärferes Auge
rd seine Symptome bereits in meinen Jugendarbeiten ^ erken-
Q. Meine jetzige Ansichten und Absichten lassen sich etwa in
gende Sätze zusammenfassen. Noch immer bleibt der wissen-
laftliche Aufbau einer deutschen bzw. germanischen Mythologie
r Mittelpunkt , auf welchen alle meuie Bestrebungen hinzielen ;
er ich erkenne, daß es noch fttj lauge nicht an der Zeit sein
rd, den Bau im Ganzen {luszultihren. Die Mythologie eines
dkes umfaßt mir alle in seinem Geiste unter dem Einflüsse
rthischer Denkform zu Stande gekommenen Verbildlichungen
herer Ideen, miJgen die letzteren von ihm selbst erzeugt oder
Q außen her aufgenommen sein, sowie die Geschichte dieser
listesproducte und ihrer Veränderungen durch Verschiebung
er Umdeutung des ursprünglichen Sinnes, durch Zutaten,
roh Verschmelzung und Mischung mit anderen rein mythischen
er geschichtlichen Traditionen , endlich durch dichterische oder
nstlerische Behandlung, nachdem sie aufgehört haben im
wußtsein ihrer Träger Wirklichkeit zu beanspruchen. Diese
trachtung berührt Vieles, was weder Philosophie (wenn auch
ch so primitive) noch Religion ist. Sie fällt daher nicht zusam-
1) Germanisclic 3Iython. Forschungen. Borlin 1858. Dio Götterwelt der
itechen und nordischen Völker, I. Berlin 18G0.
.*ui Vorwort
IC», ist aber versch^vistert mit einer anderen Betrachtaogy welche
teil Oolialt und die Umwandinngen der mythisch ansgedrttckten
UKvn unter dem Gesichtspunkt der Entstehung und fortschreiten-
den Gntwickelung des philosophischen und religiösen Gedankens
y.u prüfen hat. Diesen Grundsätzen gemäß stelle ich den Begriff
der deutschen ÄFythologic anders, als J. Grimm tat. Nicht allein
die Gestalten und Phantasicgebildc , unter welchen unsere Vor-
eltern während der verschiedenen Epochen ihres Lebens vor
Einführung des Christentums die Götter- und Geisterwelt ru
erfassen suchten, rechne ich dahin, sondern auch diejenigen Per-
Bonificationen und vermeintlichen Aeußerungen übersinnlicher
Mächte, welche sie später vermiige der Fortdauer des mythen—
bildenden Triebes aus sieh selbst oder durch Versinnlichung dei
Ideen des Christentums oder aus anderen Anregungen nemin
erschufen. Bei dieser Auflassung gewinnen dann auch PAr^hta
der bergentrückte Kaiser, der Teufel des Volksglaubens un<
Aehnliches wieder eine berechtigte Stelle in der deutschen Myth<
logie; fem aber bleiben die schon fertig übernommenen uni
unverändert fortgetragenen Verbildlichungen, mit denen di.
christliche Kirchenlehre ihre hohen Wahrheiten der menschlicher
Anschauung nahe bringt. Innerhalb des beschriebenen
muß angestrebt werden, verschiedene Perioden (ältere und spätei
Mythologie des Heidentums, Volksmythologie des Mittelaltei
u. s. w.) zu trennen und Je mit dem ihnen eigentümlichen Inhalt
zu erfüllen; es muß zwischen den Anschauungen (Sage, Braucl
Kultus) des gcsannntcn Volkes und einzehier Teile desselbe
(Stämme, Stände, Familien u. s. w.) unterschieden werdei
Quelle ist überall, wo es sich nicht um die späteren Schicksal
der Mythen in Kunst und Literatur handelt, der lebendige Voll
glaube. Ihn in seiner echten Form zu ermittehi und in seine fl
Entwickelungsphasen bis auf die ursprüngliche, die Grundide^^^
am reinsten ausdrückende, Fassung zu verfolgen, ist eine dc^r
ersten Aufgaben , mag die Ueberlieferung unmittelbar aus de"«^3?
Volksmunde oder aus dem Schrilttum entnommen sein. Iliet^/
wird jedoch ein Unterschied zu beobachten sein. Ue1)erall, y^^o
eine Tradition (Sage, Brauch, Glaube) uns auf literarischem
Wege überliefert wird, oder wo sie in den Strom geschichtlich ei?
Lebens hineingerissen von diesem eine Zeitlang weitergetragefl
Vorwort.
GUTy 80 daß sie innerhalb eines erkennbaren bistoriscben Zusanimen-
mgs steht^ hat der Forseber vorab alle diejenigen durch Jahr-
loderte lange Erfahrung ausgebildeten kritischen Handhaben
ihrem VerständniB anzuwenden , deren sich die Philologie und
^schichtswissenschaft zur Lösung ihrer Aufgaben bedienen,* nur
it gebührender Berücksichtigung der eigentümlichen Beschaffen-
it des zu bearbeitenden Stoffes. Jede üeberlieferung ist zuerst
15 sich selbst uml aus ihrem vcichsten Umkreise zu erklären;
)t wenn hier die Rechnung nicht aufgeht, darf schrittweise
jiter und tiefer rückwärts gegriffen werden.
Die Chronologie der Zeugnisse ist in erster Linie zu befragen ;
r Mythenforscher wird jedoch nicht vergessen, dass unter Um-
inden eine junge Aufzeichnung die ältere und echtere Form
r Üeberlieferung zu Tage fordert. Wo unmittelbare Volkstra-
'ion vorliegt, ist nach inneren Gründen, auf dem Woge der
lalyse und mit Hilfe von Analogien, die nach Wert und Inhalt
larf geprüft sind, ebenfalls nach Möglichkeit eine chronologische
Kierung und die Herstellung der ürgestalt zu erstreben. Sind
loch solche Traditionen in geschichtsloscn ^ Volksschichten weiter
1) Nicht um am'h nur im entferntesten ein»^ Anschauung der vielen
ibei in Betracht kommenden Verrichtungen niederer und höherer Art (von
• Tcxtherichtigung und quellengoschichtlichen Untersuchung bis zu der
rch innere Kritik erreichbaren Zerlegung des Objccts in seine genetischen
imente) zu gewähren, sondern nur um von der Anwendung des Prinzips
r die in Rede stehenden Gegenstände überhaupt einen Begriflf zu geben,
ite ich Einiges an. Man vgl. den Nadiweis über die verscliiedenen Wand-
igen der epischen Sago von Rauch -Else his auf die Volkssage vom wilden
übe zurück. (Bk. 108 ff.) Dem entsprechend ist die Darlegung der ver-
liedenen Entwickelungstadien der Sage von Peleus und Thetis (unten
77). — Einen gedi<»genen Versuch kritischer Untersuchung der verscbie-
[len Aufzeichnungen einer Volkssage macht S c h o tt m ü 11 e r in s. Programm-
fsatz „die Krügerin von Eichmedien." Bartenstoiu 1H75 ; doch der Schluß
rläßt die eingeschlagene Bahn und gelangt daher zu unbefriedigenden
gebnissen. (Vgl. unten Ö. i)6.) Ein Muster der methodischen Bearbeitung
les Volksbrauches, der in einer von höherem geschichtlichen Leben bewegten
»Iksschicht weiter gebildet wurde, bietet ,, E. Pabst, die Volksfeste der Mai-
afen. Berlin 18G5." ^Vgl. meine Weiterführnng der Untersuchung Bk.
376 ff.) Dazu stellt sich gleichwertig K. Müllenhoffs monographische Behand-
ag des Schwerttanzes i^Gabeu für Homeyer. Berlin 1871.)
2) Dies Wort werde cum grano salis verstanden. Unter den Kultur-
Ikem haben freilich auch die niederen, rückständigen Volksschichten am
\
Vorwort.
getragen, so sind wir meistenteils berechtigt, sie wie Natar-
objeete zu behandeln, und nach vorgängiger Prüfung ihrer Echt-
heit derjenigen Untersuchungsmethode zu unterwerfen, welche die
Naturforschung fllr ihre Gegenstände anwendet Wie in einem
Gebirge sich die organischen Reste verschiedener Erdbildungs-
Perioden über einander ablagern, bewahrt das Gedäditniß des
Volkes unbewußt Ablagerungen der verschiedenen Kulturepoehen,
die dasselbe jemals durchgemacht hat, mit vielen fremden Ein-
schlüssen; aber die Lage der Schichten hat sich vielfach ver-
schoben und durchkreuzt, der Inhalt jedes einzelnen hat sich
durch Verwitterung, Vermischung oder rein äußerliche Verbm-
dung mit den Produkten anderer umgestaltet^ Damit aus de
Versteinerungen die Geschichte der Vorwelt wieder hergestellt^ -t
werden könne, mußte der Tätigkeit der Geologen und Paläonto — -^
logen die elementare Arbeit descriptiven der Mioeralogie, Zoologi<
und Botanik vorausgehen, welche die Fülle der individuelle]
Erscheinungen nach Gattungen, Arten und Unterarten
und die gemeinsamen Merkmale jedes derselben umgrenztem— ^.
Sodann machte der Geologe seine Längen-, Queer- und Höhen- -ä-
durchschnitte und verzeichnete das Verhältniß der einzelnen Lage— ^-
>-
historischen Leben der Nation ihren Anteil, aber einen weit geringeren, al -^Bls
die höheren Klassen; und nicht alle Ideen und Lebensgebicte ihrer Angehö
rigen unterliegen in gleiclicni Maße dem umbildenden Einflüsse neuer Kulti
Strömungen. Wie wir in unseren Hansastädten vielfach alte Häuser antreffe
deren Fayade modern ist, oder dem Rockockostyl angehört, während in ihre
entlegenen Hinterhause noch die verblichene Pracht der Renaissancezei
erhalten ist, in der Seitenwand am Hiutergäßchen und unter Dächern an
Treppen gar noch unberührt die Gothik träumt, giebt es namentlich bei de
in einfacher, gloiclimälHger Arbeit dahin lebenden Landvolk noch einzeln—
Leben sgebieto, Winkel und Ecken der Vorstellungswelt , an denen eine mehr^
tausendjährige Geschiclite fast ganz spurlos vorüberschritt. Ein solches Gebie=-
ist beispielshalber dasjenige der Erntegebräuche. Andere in den niedere
Ständen haftende Vorstellungskrcise repräsentieren ebenfalls läng8tvcrgangent£^i
aber jüngere Kulturstufen, und im Großen und Ganzen darf man urteilcira -.
daß der Wellenschlag der geschichtlichen Strömungen ihren Ideenvorrat ni» r
langsam und selten bewegte.
1) Vgl. unten S. 205. In Bezug auf die Verbindung verschiedener
Sagenelemente (Accumulation und Assimilation) macht Schottmüller a. a. O.
gute Beobachtungeu.
Vorwort.
niDgsschichten und ihrer Einschlüsse. Es ist nicht zu bezweifeln,
daß ein entsprechendes Verfahren auch der mit der Volkstlber-
liefemng arbeitende Mythologe einzuschlagen hat. Bei noch sehr
uiiTollständig gesammeltem Material stehen wir noch vor der
Aufgabe, die der Naturwissenschaft im vorigen Jahrhundert oblag,
der Aufgabe der Klassifizierung^ und der rationellen und voll-
aitändigen Sammlung der zu jeder Abteilung gehörigen Erschei-
Qiuigsformen, sodann der Verknüpfung derselben mit anderen
Typen zu generelleren Klassen.' Dabei kommt es darauf
Eui, die reinen Typen heraus zu erkennen und selbst im
Zustande der Verwitterung wiederzuerkennen , ^ oder mehrere
1) Wenn man eine solche rein schematistisch und olino vorgängige
Anwendung der kritischen Operationen vornimmt, gelangt man zu den Irr-
kümem, in welche der wackere J. G. v. Uaiin in seinen „Mythologischen
Parallelen, Jena 1859'* und „Sagwissenschaftlichen Studien^ Jena 187G''
sich yerfangen hat.
2) So haho ich z. B. Bk. IGO — 190 die Merkmale des Maihaumtypus in
seiner dreifachen Ausgestaltung als Lebensbuum der Ortschaft, des Gemeinde-
worstehers und des geliebten Mädchens aus der Vielheit der individuellen
Erscheinungen herausgezogen, und diesen Typus aucli als Grundform des
vielfach gemodelten englischen Maypole nachgewiesen: S. 190 ff. sind der
Jlrnteraai, S. 218 der Richtmai, S. 221 die Brautmaie, 8.155 der Leto als
l>e8ondere, verwandte Tyj»en beschrieben, sudann aber mit dem Maibaum zu
«iner gemeinsamen Klasse verknüpft. Ebenso verzeichnet Bk. 498 ff. die
Xennzeichen des Sonnwendfeuers und bespricht sodann die Unterarten dieses
BegrifTs. In vorliegendem Bande sind S. 155 — 171 die bockägestaltigen Korn-
nnd Grasdämonen beschrieben, S. 171 — 173 werden damit verschiedene
Arten von bocksgestaltigen Haus- und Feldgcistem und S. 113 -1,')5 sttd- und
nordeuropäische Waldgeistor als Begriffe von nah verwandtem Inhalt zu einer
größeren Gruppe verbynden, ob mit Rocht, kann erst die systematische Durch-
forschung der Totalität des antiken und nordischen Volksglauben ausweisen.
3) Wie den Goliatli, Ludwig XVI. und Mohrenkönig als den geköpften
Maikönig Bk. 365, das Ringstechen als Wettritt nach dem Kranze des Mai-
baums Bk. 388. W. Schwartz lehrte uns das „Fortrücken'* der Sagen
kennen und unter den Wandlungen raumlicher und zeitlicher Scenerie die
Substanz eines urspränglichen Mythus herausfinden. Viele Trümmer echter
Volksanschauungen sind erst aus der Auflösung der ätiologischen Sagen her-
auszulesen , welche durch sie veranlaßt sind ^^s. unten 229 ff. 339 ff.}. Der
Trieb zur ätiologischon Sagenbildung spielt eine der bedeutendsten Rollen in
aller Mythologie. U. a. ist seine Betätigung in den aus Kunstwerken ent-
xxxu Vorwort.
uuvolktäudige beziehungsweise in verschiedene Ziisanimenhän{
einpflügte Exemplare zur gegenseitigen Erläuterung oder Ei
gHuzung zu verwenden.^ Zugleich aber mit dieser Anfstelluu^
der Typen muß schon jetzt für jeden einzelnen Fall oder ftL_
jede Gruppe der Versuch einer sowol äußeren als inneren Chrc
nologie (durch historische Zeugnisse und durch Beobachtung di
Verhältnisses der Entwickelungsformen) angestellt, und es mi». ß
vorläufig damit begonnen werden, die Ablagerungsscbichten di
verschiedenen kulturhistorischen Perioden in ihrer ganzen An
dehnung zu verfolgen, ihre Einschlüsse (Entlehnungen) anzumerk^^
und zu beobachten, was von andern Ueberlieferungen über, onti^r
oder neben ihnen liegt.
Bei allen diesen Verrichtungen kann die deutsche Myth^n-
forschung des Hilfsmittels der Vergleichung mit den niythisctk. ^^n
Gebilden anderer europäischer und nichtcuropäischer Völker nic:z=lit
entraten, noch sich der Beobachtung analoger Fälle entschlag^isn,
die mitten im Zusammenhange einer in der Gegenwart geübKi^n
standenen Sagen des Altertums und des Mittelalters von G. Kinckel (Mos
z. Kunstgeschichte. Berl. 1876. S. IGl — 243) so eben ausführlich besprocl
auch die Mehrzahl der lilumensagcn und viele andere Pflanzensagen
lediglich ätiologiscli. Schwiirtz verkennt diese Verhältnisse durchaus,
er sich über L. Friedländer lustig macht (Jahrb. f. Phil, und Pädagog.
1874, S. 180 1V.), weil dieser der [nur zu eng gegriffenen] Kategorie
,, Küstersagen" d. h. der im Kopfe der Periegeten entstandenen Legei
einen groHen Anteil an dem, was uns als griechische Mythologie überli(
ist, zuschreibt.
1) 8o wird z. B. der niederlitauische Glaube von der Rache, welche die
Baumgeister üben, wenn man den Baum der Kinde beraubt (Bk. 12), diirci
den franz. Aberglauben vom Wasserholunder (ebds.) erklärt. Beide Traditiouea
erläutern sowohl viele Stücke der Volksmedizin, als namentlich die in Uecbts-
formein lange erhaltene Strafe für Baumschäler (Bk. 20 ff.) und den deut-
schen (flauben. daß ein Moosmännclien sterbe, wenn man vom Baum die
Rinde abdrehe (Bk. 75). Der irische Aberglaube, daß ein Baum verweüre.
wenn man ihm einen Traum sagt, läßt das Verbot der Holzfräulein (Panxer
II, 161. Bk. 75) verstehen; die Superstition, daß es regne, wenn man einen
Frosch köpft, erläutert das Froschtödten im Maikonigsspiel. (Bk. 355). Hie-
durch findet auch die in dem Namen Fruschschinder unvollständig erhaltene
Tradition i^Bk. 35G) Vervollständigung und Beleuchtung. Der vereinzelte
Name Heugeiß (unten 171) darf nach Analogie des in voller Breite erhal-
tenen Glaubens vom Kornbock ergänzt werden u. s. w.
>
Vorwort. xxzm
^Iksreligion befindlich sind. Sie bedarf dieser Hilfsmittel sowohl,
^ die Typen festzustellen, als um unser Eigentum von fremdem
^td unterscheiden zu lernen; nur darf niemals nach einer
hablone verfahren werden, und bloße Analogien oder Aehn-
hkeiten und wirkliehe Congruenzen sind sorgfältig auseinanderzu-
Iten.
Vor der Verwendung irgend eines fremdländischen Stückes
r Vergleichung müssen auch au diesem alle diejenigen Forde-
Dgen erillllt sein, welche wir in Bezug auf deutsche Mythen
tistellten, und das um so entschiedener, wenn sie einer Mytho-
i;ie angehören, welche ein so langes geschichtliches Leben
iter sich hat, wie die der Griechen und Römer. Hier muß es
r allem obliegen, den Kern, die smfangliche echte Volksvor-
Jlung aus den umhüllenden Schalen zu lösen, und mit andern
»Iksvorstellungen darf nur diese Volksvorstellung , Gleichartiges
t Gleichartigem, in Vergleichung gebracht werden.
Der Widerstand ist groß, den die Eigenartigkeit und Lücken-
ftigkeit des ätofTes und die tausendfältige Verschlingung der
scheinungen einer Uebersetzung dieser Grundsätze in ihre tat-
^hliche Anwendung entgegenstellen. Mehr als auf anderen
bieten liegt es hier in der Natur der Sache, daß erst aus
len vergeblichen Versuchen allmählich das Richtige sich her-
anarbeitet und daß der Weg zur Wahrheit mit Irrtümern gepila-
rt ist Darum ist die größte Vorsicht geboten und, was blei-
dden Wert erlangen soll, bedarf einer längeren, allseitig und
rgsam prüfenden Vorbereitung.
Die methodische Grundlage flir Forschungen der bezeichneten
t müßte ein Urkundetibuch , ein QueUcnschatz der germanischen
»Iksüberlieferung abgeben, in welchem jede Tradition über das
nze Gebiet ihres Vorkommens bis auf dessen letzte Grenzen,
d historisch rückwärts bis auf ihre erste Erwähnung verfolgt
rd. Ein solches Unternehmen ist aber fttr jetzt noch weit
bwieriger als die Sammlung und Bearbeitung der Geschichts-
hreiber und diplomatischen Documente, weil es sich nicht um
reits zusammenhangende und mehr oder minder leicht datier-
.re große Contexte und deren kritische Behandlung, sondern
Q unzählige im Volksmund und der Literatur zerstreute, zeitlich
hwer bestimmbare, Kleinigkeiten handelt, die erst in Zusammen-
Mftnnhftrdt. II. C
Vorwort.
hang gebracht werden sollen, und weil die dreihundert]Umg^^=^
Erfahrung fehlt, welche den historischen Monumentenwerkei
bereits zu festen Normen verholfen hat. Zunächst kann nur
einen Versuch mit einer kleinen Gruppe von UeberlieferongeiK^üi
gedacht werden.
Sobald ich diesen Gedanken gefaßt hatte, machte ich 186(r j>
der historischen «Commission in Mtlnchen den Vorschlag mit ,,dei
mythischen und magischen Liedern" zu beginnen. Jedoch ver-
hinderten äußere Verhältnisse sowohl die Ausführung diesem :sb
Planes ; als die Fortsetzung meiner „Götterwelt," deren BeendL^KJ-
gung sodann in Folge der Umwandlung meiner Anschauungen ^n
unterbleiben mußte. Unter dem Druck dieser Verhältnisse brac!"-.^!
meine Gesundheit zusammen und ich sah mich genötigt, die begoi
nene akademische Lehrtätigkeit an der Berliner Universität einzu-
stellen und mich nach der Provinz in die Pflege meiner Famili-
zurückzuziehen, wo meine Kräfte sehr alhnählich wieder erstarktei
Jetzt vertauschte ich den ins Auge gefaßten Arbeitsstoff mit „ des — =»
mythischen Gebräuchen beim Äckerbau,'' weil die Tatsache,
in Schweden fllr den Oden, in Norddeutschland flir den W<
die letzte Garbe auf dem Felde stehen blieb, eine Schicht vo
üeberlieferungen anzeigte, welche einen sicher innerhalb d<
deutschen Heidentums stehenden Ausgangspunkt darbot.
Ausführung meiner Absicht habe ich nach und nach eine Anzal
bestimmter Fragen in Hunderttausendeu von Exemplaren üb<
ganz Deutschland und in die übrigen Länder Europas verbreite
Es gelang mir, durch die Beteiligung fast sämmtlicher deutschi
Schullehrerseminare und der vom Lande gebürtigen
vieler Gymnasien, durch die landwirtschaftlichen Vereine un^ -^
viele einzelne Personen, mit denen ich in Verbindung trat, ei^ -^
sehr umfangreiches Material aus Deutschland zusammen zu bringecr^:::^
ein minder umfangreiches aber wertv^olles aus Holland (wo sictll^
die Maatschappy der Nederlandske Letterkunde der Sache m^^^
Eiler annahm), aus Schweden, Norwegen, Polen und verschic^^*
denen Teilen Rußlands. Ich ergänzte die Sammlung durch eigeiL ^
Aufzeichnungen aus meiner Umgebung und auf* Reisen nac ^
Schweden,^ Holland, den russischen Ostseeprovinzen), so wÄ-^
1) Hier habe ich u. a. 1874 Gelegenheit gefunden unter Asbjöi
8ens Beistand die norwegischen Soldaten der kgl. Leibgarde, in Beglc3?i-
Vorwort.
1 die Literatur. Auch die mir bekannt gewordenen Ver-
tlichungen von Saat- und Emtegebränchen während des
m Jahrzehnts (aus Oestreieh, der Schweiz, Oesel, Bulgarien)
len auf Sammlungen mit Hilfe meiner Frageblätter. Außer-
kamen mir die siegreichen Kriege 1864 — 1870 zu statten,
le viele bei dem Landbau aufgewachsene Männer als Kriegs-
igene in meine Nähe führten. Zuerst suchte und fand ich
felegenheit, in Graudenz einige Hunderte von Dänen ftir meine
ske auszuforschen; demnächst konnte ich trotz der unter den
Qgenen herrschenden Cholera ein Vierteljahr lang täglich
»chselnd in den Kasernen zu Danzig und im Lager bei Dir-
1 die dort eingelegten Angehörigen eines beträchtlichen Teils
Völkerstämme des Kaisertums Oestreich ausbeuten, wobei
mehrere, ihrer jedesmaligen Regimentssprache wol kundige
nach längerer Beobachtung mit Vorsicht ausgewählte Feld-
ilkadetten als Dolmetscher schätzbare Dienste leisteten. End-
verschaffte mir der Krieg mit Frankreich die Möglichkeit,
fuße die mythischen Ackerbaugebräuche in Elsaß -Lothringen
fast sämmtlichen Departements von Frankreich zu erfragen,
von Laisnel de Salle neuerdings in Berry aufgezeichneten
jgebräuche bestätigten die Zuverlässigkeit meiner Erhebungen,
diese Weise gewann ich eine lebendige und reiche Anschauung
der meinen Gegenstand betreffenden Tradition im nördlichen
mittleren Europa bis an die nördliche Grenze der drei sttd-
n Halbinseln; die Sammlung in Griechenland ist im Beginne
iffen. Die Bearbeitung des umfangreichen Stoffes, von der
in größter Kttrze einige wenige Proben mitteilte,^ bewährte
^chtigkeit des Prinzipes, indem sie das Bild eines großen
mmenhangenden , in fast allen seinen Zwischengliedern erhal-
i Anschauungskreises entrollten. Neben einer Fülle von
n und sonstigen Aberglauben traten viele bis dahin unbe-
te mythische Gestalten so vollständig und lebendig zu Tage,
eines sclnv cd i scheu Gelehrten die Insassen einer schwedischen Kaserne
fragen.
1) Roggenwolf und Roggenhund. Danzig 1865. Aufl. 2. 1866. fVgl.
8. 318—327). Die Korndämcneu. Berl. 1867. Vgl. ßk. 190—218.
smai): unten 8. 155—171. 179 — 1H9. (Kornbock).
c*
Vorwort.
wie bis dahin kaum irgendwo eine andere mythische Penomfi-
cation. Zugleich sind diese Gestalten einander so analog, djJ
die noch nicht aufgefundenen Stücke der einen sich fast mit der
Sicherheit sprachlicher Flexionsformen oder osteologischer ädi-
logien aus den vollständiger erhaltenen anderen ergänzen lassen.^
Wider Erwarten zeigte es sich aber, daß diese Traditionai
mit dem germanischen Sprachgebiet nicht aufhörten, senden
weit in das Gebiet der Romanen, Kelten, Slaven und Litauer
hineinreichten, so jedoch, daß an einigen Stellen eine Grenie
sichtbar zu werden scheint, wo sie dünner werden und end-
lich ganz verschwinden. Die französische und norditaliänisehe
Form der Tradition zeichnet sich durch einige wenige fast
unmerkliche, aber bedeutsame Verschiedenheiten von den näm-
lichen Ueberlieferungen in Deutschland und dessen OstlieheD
und nördlichen Nachbarländern aus, und ich entdeckte darin
zu meiner Ueberraschung die Uebergangsformen und Mittel-
glieder, welche das Verständniß der ältesten griechischen
und römischen auf den Ackerbau bezüglichen Kulte mir auf-
schlössen. In Bezug auf ihr Verhältniß zu den großen Klllta^
epochcn betrachtet, erwies sich in den in Rede stehenden
Bräuchen oben aufliegend eine starke Schicht christlicher Symbo-
lik , wie , wenn die letzte Garbe in Folge der AuflFassung Christi
als himmlischen Weizens la gerbe de la passion heißt (Bk. 231 ff),
oder den Tieren in der Christnacht in die Krippe gelegt wird.
Man sieht, wie mächtig und tief der christliche Vorstellungskreis
in das Gemüt des Volkes eingriff. Darunter liegt eine ganz kleine
Zahl von Ueberlieferungen des späteren germanischen oder slavi-
schen Heidentums (letzte Garbe dem Öden-Wode geweiht; drei-
köpfiger Komalter = Swantewit. Komdämon. S. 32). Aber
diese Formationen der beiden oberen Schichten sind augenschein-
lich nur Umwandlungen einer in weit älterer Zeit erzeugtcD
Substanz, deren Produkte (Darstellung der anthropomorphen und
theriomorphen Korndämonen) in breitester Fülle erhalten sind.
1) Vgl. einstweilen den Alten (Korndäm. 23 ff.), die Kornmutter
(Komd. 19 fl.), das Kornkind (Korndäm. 28 ff.), das Kornschwein (Rogg^^'
wolf. S. 1 ff.), den Roggenliund (Roggenwolf a. a. 0.), den Komwolf, ^«"^
Kornbock, den Kornkator (unten 8. 172 ff.) Komhahn (Korndäm. S. 13 ff.).
Vorwort.
Sie beiühren sich (was ich teils mit vollster Sicherheit, teils mit
sehr Tioher Wahrscheinlichkeit nachzuweisen unternehmen darf)
mit den vorhomerischen und sonstigen allerältesten Agrarkulten
in Griechenland und Phrygien, denjenigen der Köuigszeit in Kom,
den vonnosaischen in Palästina. In der Zeit des späteren ger-
manischen Heidentums mögen sie schon außerhalb des herschen-
den Kultus gestanden haben und nur noch als altüberlieferte
Bräuche fortgetibt sein. * üb sie aber bei den Vorfahren der
nordeuropäischen Völker entstanden, oder im grauen Altertum
etwa im Gefolge des Ackerbaus emwanderten, läßt sich noch
nicht erkennen. Ganz ähnlich steht in jeder Beziehung die Sache
hinsichtlich des Maibaums und der Sonnwendfeuer. Seien sie
entlehnt oder autochthon, so haben sich in ihnen die unwillkür-
lichen Schöpfungen einer von sinnlicher Frische der Auffassung
erflüiten fernen Jugendzeit der Menschheit breit und lebendig im
heutigen Volksglauben erhalten und den Sieg über die wol schon
nehr vergeistigten Kulthandlungen des Wodanglaubens behauptet.
jrradeso dauerten in Kom grade die ältesten Kulte aus der
Cönigszeit (Argeer, Üctoberroß, Luperealien) bis gegen das
tinfte Jahrhundert unter den christlichen Kaisern noch fort, als
angst die geistigeren Götterdienste der historischen Zeit der
Religion des Kreuzes zum Opfer gefallen waren. Sollte aber
iiese Beobachtung, daß nur eine dünne Schicht späteren deut-
chen Heidentums in der heutigen Volksüberlieferung erhalten ist,
ich in weiterem Umfange bestätigen , so beruht unsere vorzüg-
ichste Hoffnung, außer den spärlichen Zeugnissen der ältesten
Geschichtsschreiber Urkunden und Sprachdenkmäler etwas Aus-
^ebiges darüber zu erfahren, auf der Ausscheidung der mythi-
schen Elemente aus der germanischen Heldensage. Möge es
5. Müllenhoff, der dieses Gebiet so gründlich, wie kein anderer
^or ihm, kennt und wie vielleicht niemand nach ihm es durch-
forschen wird , möge es ihm vergönnt sein, dieses wichtige Stück
seiner reichen Lebensarbeit zu vollenden und zum Gemeingute
VI machen.
1) Dum widerspricht nicht, <hi({ sie boj den alten Preußen gleich nach
der Bekehrung zum Christentum als Götterverehrung verboten werden
(Komdäm. 26.)
xxxvm Vorwort.
Da selbst bei einer objeetiven Sammlang, wie die mdnige.
noch mehr aber bei ihrer Einrichtung die stäte Mitwirkung
aprioristischen Elementes nicht auszuschließen ist, es aber
ankommt, derselben als dem Anfang eines größeren Qoellen-
schatzes in Form, Umfang und Anordnung möglichste Vollkom-
menheit zu geben , damit nicht ein verfehlter Beginn fllr di
künftige WeitcrfUhrung durch mich oder andere verhängnißvoUf ^
werde, so sah ich mich zu einer Anzahl von Vor- und NebenarbeiteuHijHi
genötigt, die dann unwillkürlich z. T. zu selbständigen größere]
Untersuchungen heranwuchsen. So widmete ich, um über
auf den Ackerbaukultus bezügliche wichtige Zeugnisse mir Klar — -
heit zu verschaffen, zwei Jahre lang der Sanmilung, sowit^ ^e
textkritischen und quellengeschichtlichen Erforschung aller
Aufzeichnungen über litauische, preußische und lettische Mythe--
logie. Diese Arbeit ist bis auf die letzte Feile im Manuserip
vollendet. Aus der gleichen Ursache, d. h. aus dem Bestrebei
über die Stellung der Komdämonen und der auf sie bezügliche]
und anderer Gebräuche zu den nahverwandten Vorstellungen vo^-^n
den Baumgeistem und der Baumseele und zu den durch die obeK: ^sa
S. XXXVI erwähnte Beobachtung an den französischen Traditioner -^sn
mir nahe gerückten Ackerbaukulten der alten Welt ins Beine zr
kommen , sind denn auch die iu den beiden Teilen dieses Buche
und in den S. v genannten Aufsätzen niedergelegten Unter^ir -r-
suchungen hervorgegangen. Ich betone, daß es mir bei den darici Ä»
angestellten Vergleichungen vorzugsweise darauf ankam, ein» ^^^
Einsicht in die den nordeuropäisehen gleichartigen Typen zr -^^
gewinnen , nicht aber für die historischen Probleme verfrüht ein^ ^^
Entscheidung zu suchen.
Daß ich die Veröffentlichung dieser Vorarbeiten der Samnu*^^'
lung der Ackergebräuche selbst vorangehen lasse, hat folgend^^ -^
Gründe. Ich mußte wünschen zur Vervollständigung der Sammli
noch Zeit zu gewinnen. Noch fehlt mir trotz aufgewandter Mühi
die Tradition einiger deutscher Landstriche, es fehlt noch seh
an der wünschenswerten Ergänzung durch ältere literarische un<
archivarische Zeugnisse (wie unten S. 319) und durch bildlicb ^
Darstellungen der Gebräuche. Aus mehreren fremden Länder"^«'
floß trotz stäts erneuter Anstrengung die Ausbeute nicht so reich::» -
lieh als es erwünscht war. Und doch wollte ich selbst bei dies^"»
Vorwort.
nicht auf ein gewisses Maß von Vollständigkeit verzichten, weil
grüde ans ihnen nicht selten eine Aufklärung gewährende Con-
gmeiiz zu irgend einer bestimmten Form der Ueberlieferung zum
Yorschein kam, welche in Deutschland unter vielen Tausenden
Ton Aufeeichnungen nur einmal aufgetaucht war (vgl. z. B. den
Bairer und den Smolensker Emtcbrauch Bk. 277 ff.). Die Wahr-
scheinlichkeit, zu dem erwünschten Materiale zu gelangen, beruht
aber auf der Fortsetzung der systematischen Eribrschung auf Grund-
lage ebenderselben Fragen, welche der ganzen übrigen Sammlung
zu Grunde liegen. Zu Ausfüllung der angedeuteten Lücken mußte
ich wünschen, neue Teilnehmer und Helfer aus verschiedenen
Bernfskreisen zu wecken. Deshalb veröffentlichte ich meine klei-
nen Schriften „Roggenwolf" und „Korndämonen". Die wissen-
schaftliche Presse des Inlandes beobachtete aber darüber (wie
auch bisher über den ersten Teil des vorliegenden Werkes) ein
fast tödtliches Stillschweigen; nur die Beistimmung der Akade-
mien der Wissenschaften zu Wien und Berlin, mehrerer wissen-
schaftlichen Versammlungen und einiger Stimmen des Auslandes
dienten meinem Streben zur Ermunterung. Da wagte ich denn
den Versuch, Interesse für meine Bestrebungen durch Darlegungen
anzuregen, welche den Zusammenhang derselben mit allgemeiner
gekannten und allseitiger geschätzten Wissensgebieten und ihren
Nutzen für dieselben nebenbei ins Licht zu setzen geeignet schie-
nen. Sollte ich mich in meiner Hoffnung getäuscht haben? Für
den in der Provinz einsam Arbeitenden, der nie Gelegenheit hat,
sich über seine Studien mit Gleichstrebenden auszusprechen, ist
es doppelt niederschlagend , wenn seinem Kufe kein Echo wider-
hallt, keine zurechtweisende oder anerkennende Stimme ihm
Förderung gewährt. Wie es aber auch komme, unbeirrt werde
ich, so lange mir die äußere Mr^glichkeit nicht abgeschnitten
wird, fortfahren, die erfaßte Aufgabe und das begonnene Werk,
so weit meine schwachen Kräfte reichen, zur Vollendung zu
führen.
Es bleibt mir noch die angenehme PHicht, meinen verehrten
Freunden, Herrn Professor Dr. 2?G7>6r, der mich bei vorliegender
Arbeit mit den Schätzen der Gymnasialbibliothek und seiner
eigenen Büchcrsammlung, nicht minder mit öfterer Auskunft aus
dem Schachte seines tiefen Wissens unterstützte, sowie den Herren
XL
Vorwort.
Gymnasialdirector a. D. Dr. Lehmann and Gymnasiallehre
Dr. Schömcmn herzlichen Dank zu sagen ^ von denen der erste:
bei der Correctur des Ganzen, der letztere bei der CorrectiL__
einiger Bogen mir wertvollen Beistand gewährte. Vor allen ab
gilt auch diesmal mein ehrerbietigster Dank E. h. ünterrich
ministerium, dessen hochgeneigte Unterstützung mir die Fortsetzun
meiner Arbeiten ermöglichte.
Möge die Zukunft in meinem Buche wenigstens einige We
stücke entdecken, würdig genug, um in den bleibenden Besitzstac^^^ ^
der Wissenschaft überzugehen.
Danzig, den 1. November 1876.
Dr. W. Mumhirdt.
Inhalt.
Entf8 lapiteL
Dryaden.
l^- Blwuenm/igdlein , Behenmädchen, Die Milre im Alcxanderliede enthält
eine auf Volkssage beruhende, den Baum- und Komgeistern analoge
Vorstellung von der Pflanzenseele S. 1 — 2: stimmt überein mit einer
von Lucian parodierten hellenistischen Sage von Bebenmädchen
S.3— 4.
Die Dryaden, Die Dryaden und Hamadryaden den nordeuropäischen
Baum- und Waldgeistem verwandt. Baumnymphe, an das Leben des
Baumes gebunden. Dryaden im hom. Hymnus auf Aphrodite S. 5 — 7,
bei Pindar .Seite 8. Sagen von Paraibios und Erysichthon und
deren volkstümliche Grundlage S. 8 — 13. Die Dr. bei Nonnus
S . 14 — 15. Arkas und Rhoikos S. 16. Beweise für die Vorstel-
lung von den Dr. als wirklichen Volksglauben in Hellas S. 17 — 18,
Dryaden verschiedener Baumarten S.'19.
Die Baumsede, Diese Vorstellung Grundlage des Dryadenglaubens
S. 20. Verletzter Baum blutet S. 21. Seelen Verstorbener in Bäume
verwandelt S. 21— 22.
=- Wechselbeziehung zwischen Memch und Baum; Zubehör der Vorstel-
lung von Baumseele und Dryaden. Geburtsbüume S. 23. Italische
Lebens- und Schicksalsbäume der Familien, der Stände, der Nation
S. 23 — 25. Heiliger Burgölbaum, Schicksalsbaum des athenischen
Staates S. 25 — 29. Oliven Lebensbäume der Phyle Hyrnetho S. 27.
Baumschädiger verwundet sich selbst; Halirrhotios S. 28 — 29. Baum
Doppelgänger des Phylakos S. 30. Sicilianische Parallelen S. 31.
^. Dryaden, Nymphen und Neraiden. Uebereinstimmendc Züge der Blu-
menmädchen , Dryaden und nordischen Baum - und Waldgcister.
Lebensäußcning im Winde S. 32. Gehen aus immanenten Psychen der
Gewächse in danebenstehende Wesen oder darüber waltende Erzeuger
der Pflanzen und danebenwolmende Waldgeister über. Die homerischen
Orestiaden S. 33 — 34. Unmerklicher Uebergang in Berg-, Wiesen-,
Feld-, Wassergeister, Nymphen S. 35. Verwandtschaft mit den deut-
schen Eiben S. 36. Fortleben der Dr. in einem Teil der ueugriechi-
IUI Inhalt.
sehen Neraiden und ilirer Männer : Lehonsänßerung derselben in
und Wirbelwind S. 36—38.
Zweites lapitel.
Die wilden Leute der griechischen und römischen Sage I.
§ 1. Cliaracteristik der wilden Leute. Die auszeichnenden Merkmale
deutscheu, schwedischen, russischen Waldgeister. Dieselben fin<
sich bei Kentauren und Kyklopen wieder S. 39.
§ 2. Kenturen, Keschers und Plews Ansichten über diese; erneute ün^i.^x'.
suchung notwendig. Der Volksglaube von den K. ist uns nur bns.<^l3-
stückweise in der verdunkelten Gestalt episch verwerteter S^k^j-^n
bekannt, Lapithenkampf und Cheiron als Arzt S. 40. Wesen der
tauren als Berg- und Waldgeister bei Homer und Üesiod S. 41
in den älteren Herakleen S. 43 — 44. Raub der Braut auf der Hooli-
zeit des Peirithoos S. 44 — 46.
§ 3. Cheiron. Vorhomerische Entstehung des Namens und der Gestalt die-
ses heilkräftigen Waldgeistes durch Individualisierung einer allgeixioi-
nen Eigenschaft der Kentauren im Epos S. 46. Zeugnisse liir ^sa
Fortleben der verlorenen Heldensage von seiner Heiltat in Brauck "and
Glauben des Volkes S. 47 — 48. Unterrichtet den Landesberos in d«r
Heilkunst, wird Heldenerzieher S. 48 — 49. Sage von Achills Pflo^
durch Cheiron bei ApoUodor. Diese Erzählung die Auflösung oizi^s
epischen Gesanges von Peleus S. 49 — 52.
§ 4. IXe alte Fdei« (Episode zur weiteren Erläuterung des Vorigen). Jener
Gesang aus mehreren durch Dichterhand verbundenen echten Volkssa^en
zusammengesetzt S. 53. a) Peleus [über den Namen desselben vgl. ^e
richtigere Entwickclung S. 207] und sein Kampf mit den Tieren übereio-
stimnjeiid mit Märchen, Tristan- und Sigfridssage S. 54 —58. Anülogfien
in griechischer Sage S. 57. Aelterc Gestalt dieser releussage icar die ftr-
lorcue Sage von Cheirom Heiltat S. 58 — 59. Des Peleus Kampf mit den
Kentauren analog den P^ortsetzungon der Sage vom Drachenkampf S. 59.
b) Des Peleus Heirat mit Thetis eine noch fortlebende Elfensage S. 6*'.
[Thetis dem Xamcu und der Sache nach die deutsehe WasserrouliD»«?
S. 2U7.] «) rcru'a?idlmigen da- geraubten Elfin. Altgriech. Varianten
und Nachahmungen dieser Sage S. 61 — 62. Nordische Varian^M
S. 63 — 67. Weitere Verwandtschaften S. 68. ß) rVötzliehcs T>rw*in>»<^
der Thetis S. 68. Persische Parallele S. 69. Spuren dieses Zuges bei
Homer S. 70. c) Cheiron erzieht den Achilleus; seine Erziebungsmitlel
beruhen auf der Weltanschauung eines reinen Naturvolks S. 71. Versnch
einer Erklärung des Namens Achilleus S. 72. Keim dieser Heldengestalt
in der Peleussage ; ilire Ausbildung eine ganz ethische Schöpfaog "^
Epos ohne mythistjhe Zutat S. 73- 75. Die analysierte: Erz^ihlting Ap^^
dora it>t die durch verschiedene literarische Zwischenglieder permittelte Z"***
saische yinjlüsung eines vor homerischen Feleusgesangs S. 75 — 77. Vcrsclu®"
•
dene Stufen (Ringe) der späteren Erweiterung der ursprünglich im f^'
facher mythischer Volkssage geschöpften Geschichte des Peleus iv ^P^
>
Inhalt. xun
S. 77. Diese Ergebnisse als Gegenbeweis gegen Benfcys Theorie des
Märchens und als Zeagniß für Gemeinsamkeit altgriechischer, altgermani-
scher and keltischer Sagenstoffo S. 78.
Gestalt der Kentauren. SchnellfölUgkeit derK.: Riesenfüßo derselben
S. 78 — 79. Behaarung des Leibes. Ihre Halbroßgestalt in der älte-
ren, modifiziert in der jüngeren Kunst S. 79, bei Homer und Hcsiod
noch nicht nachweisbar, vermutlich künstlerische Wiedergabe eines in
verlorenen Epen bewahrten echten Sagenzuges oder poetischen Bildes
S. 81 — 82. Diese Sage ist nicht in den das Kunstidoal voraussetzen-
den Erzählungen von Choirtjns Geburt und von Ixion erhalten. S. 82 — 83.
Die Saffe von Ixion: Analyse derselben S. 83. Jxion Perso-
niticatioD des Wirbelwindes 8. 85 — 87 [Beschreibung dieses Natur-
phäuomens S. 85 — 8ü]. Ixions Sohn Kentauros weist auf Leben sänße-
rung der Kentauren als Waldgeister im Winde S. 88— 89. Auch die
Lapithen Sturmgeistcr S. 90 , den Harpyien verwandt. [Episode über
die Harpifteti. ihre Sage S. 90 — 92. Sturmwesen gleich der deutschen Winds-
braut, fahrenden f'rau, Ffaifenköehin. I)ie Dtineusiage gleich Verfolgung
der Ffafinköchinnen durch die wiUUn Jäger S. 92. 93. Der Raub des Mah-
les S. 94 — 95, Verwandlung der Harpyie in ein Roß begegnet gleicher
Verwandlunjr der Pfatfcnköchin S. 95 — 9C.] Die Elemente der Sage vom
Kampf der Lajnthen und Kentauren auf der Hochzeit sind vollstän-
dig vorhanden im Volksglauben rom Kampfe der im Orkan zur Hocf^-
zeit fahrenden und sich bekämpf tulen Waldgeister gegen einafuier
S. 96 — 97. Ursache der ungleichartigen Vermenschlichung der Lapi-
then und Kentauren im Ej>os 8. 97. Lösung der Aufgabe: Nachweis
der Ulbereinsfimmung der Kentauren und der deutschen wilden Män-
ner durch GegenübersteUung ihrer Eigenschaften. Erklärung der
Halbro/^gestalt S.dS — 100. Analogie d. s sndtirolischen Orco S. 99.
Landschaftliche Verschiedenheit der verschiedenen Personificationen des
Wirbelwindes S. 100 — 101. Deutungsversuche anderer Forscher S. 102.
Kyklopen. Auch diese zeigen Uebereinstimmung mit nordischen Wald-
und Berggeistern. Vergleich mit dem einäugigen Ljeschi und ein-
äugigen Almputz S. 103 — 105. Sageu von Niemand und Selbstgetan
S. 106 — 107. Kyklupon und Phaiaken S. 108. Kyklopen bei Ilesiod
S. 1(J8- 109. Das Kundauge S. 1 10— 112.
l^ritifs Kapitel.
Die wilden Leute der antiken Sage IL
Faunus und die Faune. Waldgötter S. 1L3— 114, von Einfluli auf
das Wach.stum der Früchte S. IM. Ihre Gestalt S. 114 Ruf im
Walde S. 115. Weiberliehe 8. 116. Alpdruck S. 116. Segnen die
Heerde S. 117. Faunusfeste S. 117. Faunus und Picus im Rausch
gefesselt S. 117.
Süvanus und die Silvam. Waldgcister S. 118. Silvanus segnet und
hütet die Heerdcn S. 120, verleiht Jagdglück S. 120 und Emtesegen
XLiv Inhalt.
S. 120. Sein heiliger Baum Hüter der Grundstücke und Faniili-«:]^:^]
S. 121 — 122, später Hüter derG&rten; dadurch boTiirkte ümwandlirszft. ^
des Silvanglaubens S. 123. Silvan raubt Wiegenkinder 8. 124. E^ ^>j
Verfassers Deutung von Pilumnus und Picumnus S. 125. SilvÄ--Ä:^j
behaarte Gestalt S. 125. Silvani und Silvanae S. 125.
§ 3. Faune und Sürane im rownni'idten Volksglauben S. 126 — 127.
§ 4. Pan und Pane arkadische Waldgoister S. 128. Pan im homeri8clA.^Ti
Hymnus S. 128 — 129. Gott des Wildes, der Heerden S. 129 — 1_^0.
Sein Sang, Tanz und Spiel mit den Dryaden im Windeswehen S. L C3 1.
Lüsternheit S. 131. Rufe im Walde; panischer Schrecken S. 131. E^^n
bewirkt Irrsinn S. 131. Pans Bocksgestalt S. 131- 132. VolkssrM ^e
vom Tode des großen Pan S.132 — 134. Zusammenfassendos S.lLÜij.
Der Name Pan S. 135 — 136.
§ 5. Satyrn ursprünglich argivische Waldgeister S. 136. Figuren des di.o-
nysischen Thiasos S. 136 — 137. Sagen S. 106. Fesselung <ies
berauschten Satyrs S. 137 —138. NjTnphenräuber S. 138. Bock8ge?»t,alt
S. 188— 139.
§ 6. Bocksgestaltige Wahl- und Feldgeister im heutigen Griecheni^M^^d
S. 139 — 140.
§ 7. Seikne phrygische Waldgeister. Hymnus auf Aphrodite. Sage von
Fesselung des berauschten Seilens S. 140 — 142. Gestalt und Kleidvuig
S. 142. XiTCJV fAttXXiOTog und XoQTaTog S. 143.
§ 8. Bocksgestaltige Wald- und Feldgeister in semitischen LänH^T'n
S. 143-144.
§ 9. Verwandte nordeiiropäiscJte Waldgeister. Nachweise der UebereinÄtinJ-
mung des bocksgestaltigen russischen Ljeschi mit Pan S. 144 — 1^^»
und beider mit skandinavischen und deutschen oft halb tiergestaltij^^^ß
Waldgeistern, wilden Leuten, Fanggen S. 146— 148. Die Sage vofn
Tode des großen Pan gleich einer von Fanggen und ander n
Wald- and Feldgeistern erzählten Sage S. 148 — 149. V^i.
S. 345. Die Pane und die wilden Geißhirten S. 149 — 150. Die Fes-
selung des FaunuSy Satyrs ^ Seilens identisch den Sagen von Fesae-
lang der deutschen Waldgeister S. 150. Sage von UeberlistüD/^
Polyphenis durch Niemand gleich Ueberlistung der Fanggin durch
SelbgeUn S. 150. Das Alter dieser deutschen Sagen S. 151. [TrniD-
mer von Volksmärchen in der antiken Literatur S. 151.] üebergang
der Waldgeister in Feldgeister S. 152. Bocksgestaltige Feldgeütff'
Härdloute S. 152, Uriskin S. 153, Härjapolwelasc pogg S. 153 -IM,
Haubukke S. 154. . Goda-Het-niß S. 154—155.
§10. Bocksgestaltige Kam- und Feldgeister in Nardeuropa, Waldgcister
und Korndämonen durchweg parallel: darum bocksgestaltige Korngci-
ster Analogien er Faune, Pane und Satyrn S. 155. Komböcke im
Winde durch Getreide gehend S. 155 — 156. [Andere Personificatiomn
von Wind- und Wettererschcinungon als Bocke S. 156 — 157.] Warnung
vor dem im Saatfelde und Walde hausenden Getreidebock, BockmMD
und Bockelmann S. 158.
\
Inhalt ZLV
Gebräuche beim Knrnschnitt AuBtbock stößt bei der Ernte
8. 159. Olewstags Böckchen ^. 160. langsamer Mäher als Bock
geneckt S. 161. In der letzten (iarbo Uabergeiß gefangen S. 162,
Benennung der Garbe S. 162—164, dos Schnitters und der Binderin
nach dem Getreidebock S. 164 — 165. Getreidebock als Numen des
gesammten Kornwuchses zum Nachbar gebracht S. 165. Korngeiß beim
. Aehrenschnitt getödtet S. 166.
Kombock im Drescherbrauch. Umzug mit der Komgeiß S. 167.
Halmbock in der Garbe S. 167 — 168. Habergeißmaskerade S. 168.
Kombock dem Nachbar zugeschoben S. 169. Tod der Komgeiß
8.169—170.
liCtzte Hahne dem Bock als Nahrung gelassen S. 170. Vorüber-
gehender Fremder Horbuck S. 170. De Böm bi den Buck bringen
S. 170—171. Heubock S. 171.
lieber gmxg des Komhocks in Hausgeister und Feldgeister. Gaard-
buck: Variante der Sage vom Tode des großen Pan S. 171 — 172.
Bocksgestaltige Kobolde S. 172 — 175. [Genaue Analogien im Glauben
vom Korakater S. 172 — 174.] Bockschnitter S. 175 — 176. Bocksge-
staltige Haus- und Feldgeister S. 176 — 177. Moorbuck S. 177.
Bocksmärte S. 178. Bock beim Osterfeuer S. 179, vgl. S. 316.
Ändere Tiere Stellvertreter des Kornbocks ^ Fortsetzung des Vorigen.
Insekten zeitweilige Erscheinungsformen des Kornbocks 8. 179. Die
Heerschnepfe und Eule vom Ton ihrer Stimme Habergeiß benannt
S. 180, und im Volksglauben zu gespenstigen Wesen geworden S. 181
bis 182 , verschmelzen mit der in mehreren Stücken ähnlichen Vorstel-
lung vom Kombock S. 183.
Dramatische Darstellungen des Vegetationsbocks zu Fastnacht S. 183
bis 185. [Personificationen der Kalendertage, Perchta keine heid-
nische Göttin, Knecht Ruprecht nicht Wodan S. 184 — 187.]
Umzüge des Kombocks zur Weihnachtszeit in Deutschland S. 186 bis
190, des Julbocks und der Julgeiß in Skandinavien 8. 191 — 198.
WiederauHeben des Julbocks zu Neujalir und in der jungen Saat
8. 197 — 198. Kombock auf Hochzeiten und in Kinderspielen
8.198 — 199.
Die wilden Leute der griechischen und römischen Sage. Schluß-
beirachtungen. Die Pane, Satyrn, Faune, Dämonen des Wachstums
in Wald- und Feldgeister übergehend, zeigen, wie die Komdämonen,
die Tendenz zu dramatischer Vergegenw&rtigung zumal im Frühjahr
und zur Zeit der Wintersonnenwende S. 200. ürspmng der Tragödie
8. 201. Pane und Satyrn Ueberreste einer Reihe verschiedengestaltiger
theriomorpher , die Natur der Windgeister und Pflanzengenien verbin-
dender Wildleute S. 201, von denen u. a. die Kentauren übrig sind
S. 201-202.
[Ueber Personification verschiedener Naturelemente, der Sonne, der
Meer- und Fluß wellen, der Wolke, des Windes unter den nämlichen
Tiergestalten S. 203. Zusammenrinnen mythischer Gebilde verschiedenes
XLYi Inhalt.
Ursprungs. Die Verbindung des Begriffs Pflanzengeist mit dem als se
Lebensäußerung gedachten , thcriomorph aufgefaßten Winde mag die
riomorphosc auch des ersteren nach sich gezogen haben 8. 204. — ,- ^^
wilden Leute der antiken Sage entsprechen dem Wesen nach imBern El^^^^g
S. 204. Einige allgemeinere Betrachtungen: Wind- und Pflanzengeisa»
halbflüssige Gebilde inmitten des Assimilier ungs- und Miscbungsproze^ j
verschiedenartiger mythischer Aperceptionen S. 205 — 206. Zusammenria ik:^^
ganzer Sagencomplexe (Argonauten, Boreaden, Pbinens und Oreith^£^
Wassermuhme Thetis und die Pcleussage S. 206 — 208).]
§ 14. Die antiken Wtldleute in der Kunst, Die griechischen Wildleute in
Verhältniß zu den olympischen Gottheiten S. 201 — 209. Ihr Ghana oter
im Vermenschlichungsprozeß durch Literatur und Kunst S. 209— SlO.
Analogie zu den wilden Leuten der nordischen Sage S. 211.
Viertes lapitel.
Erntemai und Maibaum in der antiken Welt.
§ 1. Ernteniai und Maibaum in Nordeuropa S. 212 — 214.
§ 2. DieEirenione und das Pyanejmen fest. Die Eirosione am Pyaoepi
fest entspricht dem Enitcmai S. 214. Quellen der Zeugnisse fftr di
Bra ch S 215. Erntefest (Thargelien) und Erntedankfest <,[^anep
als geschichtliche Erinnerung an Theseus umgedeutet 8. 215 —
Ritus der Pyanepsien und Oschophoricii S. 216 — 217, Notiz
Theophrast über die private Eiresione S. 217. Quellengesehicht
Untersuchung über die Berichte von der öffentlichen Eircsionc S
bis 220. Inhalt dieser Berichte S. 221. Aufpflanzung der E. vor
Haustür S. 221 — 222. Verbrennung nach Jahresfrist S. 222.
schmückimg mit Bändern S. 223, Früchten S. 224, Gefäßen voll
sigkeit S. 225, Kuchen S. 22ü. Chytrcn und Panspermie 8. 227.
E. der Thargelien 8.228-229.
§ 3. Aetiologische Legenden über den Ursprung der Eiresione, Leg ^ß"'-*
bei Krates 8. 229, bei Lykurgos 8. 230 — 231 und bei Philocl— -^oros
•
8. 231 — 232. Die beiden letzteren setzen die Pyanepsieneiresioi^^ ^ ^"
Beziehung zum Thargelien feste auf Delos. In der Pompa der D^^i^***
welche zur Entstehung der Hyperboreer sage Veranlassung gab, ^^^
ein Erntezug erhalten 8. 232 — 238, der in der lykurgischen Le^ -^^^^^
als Dankfest beim Erntebeginn betrachtet ist, während die Eire??^ ^**D6
der Pyanepsien als Opfer vor der Pftügung (Proerosia) aufgefaßt y^ '^^^^'
(Abweisung anderer Deutungen der Proerosia) 8. 238 — 240. ^^^
Philochoros die delischen Thargelien Verheißung auf das \cylkre
Herbstfest der Pyanepsien 8. 241. Die delische Pompa wahrschei u^^"^
von einer Eiresione begleitet 8. 242.
§ 4. JJas pseudohonierische Eiresionelied, Erläuterung dosselben. Uni^-
staltung eines bei Einbringung der ersten Früchte gesungenen Ernte-
liedes in ein Bettelliod 8. 243 — 248.
Inhalt. XLvn
Die Panspermie der Pyanejmen. Die Panspermie der öffentlichen und
privaten Feier S. 249. Dentache , litauische und lettische Analogie
S. 249— 252. Bedeutung der Panspermie S. 252 — 253.
Die Oschopfiorie der Umführang der Uerbstschmudel und der Eom-
dämonen verwandt 8.253—254. Staphylodromie im Kameios S. 255.
Das Emtegekreisch S. 256.
Die Eiresione, GesamnUergebnisse S. 256 — 258.
Maibaum der Kotyto S. 258— 259.
Das Friihlingsfest der syrischen Göttin. Maibaum im Frühlingsfeuor
verbrannt S. 259—260. Atargatis S. 261—252. Tamulische Parallele
S. 263.
Fiiftfs lapiteL
Persönliche Vogetationsgeister in Jahrfestgebräuchen.
Darstellung der Vegetationsgeister in Jahrfestgebräuchen. ümföhrung,
Aufstellung, Wassertauche der deutschen Laubmännor. Begräbniß des
Jarilo S. 264 - 265.
Die Argeer den Laubmännem entsprechend S. 265 — 273.
Ädonis. Tammuz und Duvzi S. 273 — 276. Der phoenikisch -grie-
chische Adonis. Mythus und Kult S. 276 — 278. Wassertauche 278.
Adonisgärten S. 279 — 280- Parallelen: Klage um Lines S. 281 und
die erste Garbe S. 282. Bedeutung der Fostgobräuche S. 283. Preis-
gebung der Frauen an Fremde S. 284 — 285. Nachweis der Analogien
des Adoniskults mit den nordeuropäischen Bräuchen S. 285 — 291.
Ättis und sein Kult. Analogien zum „Sommerbringen", zum Nerthus-
dienst u. s. w. S. 291 — 295.
Ergebnisse. Die vorstehenden südlichen Kulte zeigen Gleichartigkeit
der Conception mit den angezogenen nordischen Bräuchen: die Frage
nach ihrem historischen Verhältnisse ist noch verfrüht S. 296-301.
Seckstfs lapitfL
Sonnwendfeuer im Altertum.
A.
Orientalische und altrömische Sonnwendfeuer.
Orientalische San ntvend fetter den europäischen gleichartig. Johannis-
feuer: Baal- und Molochsfeuer S. 302 — 305. Feuersprung am Purim-
feste S. 305, beim Erntefeste der Badagas in Südindien S. 306— 307.
Typhonisches Sonnwendfeuer S. 307 — 309.
Die Falilien in Rom. Oeffentliche und private Begehung S. 309 — 310.
Die Gebräuche des privaten Feuers; Fruchtbannachung der Viehweide
S. 310 — 313. Der Staatskultus; Fruchtbarmachung des Getreides, der
Tiere, der Menschen S. 313 — 317 (Octoberroß, Fordicidien, Bocks-
hombrennen).
XYLni
Inhalt.
Hirpi Sorani.
§ 1. Getreidewölfe, Varianten der Kornböcke und Kornkater 8.318 —
Grüner Wolf {= Komwolf) zu Jumiiges um das Johännisfeuer
fend S. 323— 3.
§ 2. Feronia. Der Johannisbrauch von Jumieges kommt überein mit o
Kultbraucb im Dienste der Feronia und des Soranus. Erweis,
Feronia Getreidegöttin war S. 327 — 330.
§ 3. Hirpi Sorani, d. i. Wölfe des Sonnengottes liefen zu Ehren des
nengottes und der Feronia durchs Sonnwendfeuer S. 330 — 332, «tz^^i/en
wahrscheinlich Getreidewülfe dar S. 333. Ihr Verhältniß zum ^Vo//e
des Mars S. 334 — 336 (Auseinandersetzung mit A. Kuhn S. 3351
§ 4. Die Lylcma in Arkadien am Sonnwendfest mit Umlauf eines Wolfes
werden verglichen, um die Richtigkeit der den Hirpi Sorani gege-
bonon Deutung daran zu messen. Die Frage bleibt unentschiedeo
S. 336— 344.
323.
lath
Sofl.
Nachträge S. 345—346.
Schlußwort S. 347 — 350.
Register S. 351 — 359.
Kapitel L
Dryaden.
§. 1. BlnmenmSgdlcin, Bebcnmftdchen. Wer kennte
licht — sei es auch nur durch Viimars oder Uhiands anmutige
iViedererzählung — die Märe von den Blumenniägdlein im
\.lexanderliede des Pl'aflFen Lamprecht (v. 5004 — 5205). Im schat-
igen Walde hatten sie ihre Stätte, den kalte Brttnulein durch-
rauschen und sttßer Yogelgesang durchtönt. Wenn der Winter
lavonging und der Frühling erschien, wenn es zu grünen begann
ind die Blumen hervorkamen, dann sproßten aus dem Boden
les Waldes in unübersehbarer Menge wundergroße Knospen her-
vor. Sie öffneten sich und aus jeder tauchte eine zarte Mädchen-
Gestalt, wie zwölfjährig anzuschauen; schöner war nie eine
uidere Blume und nie sah man an Frauen schöneres Antlitz, noch
schönere Augen. Ihres Leibes ganzes Gewand war fest an de
gewachsen^ an die Haut und an das Haar, an Farbe waren sie
genau deti Blumen auf der Aue gleich, rot und weiß, wie
Schnee getan. Alle diese Hunderttausende wonniger Wesen
schwebten y spielten und s^rrangen in zierlichem Reigen durch
grünen Klee und kühlen Waldesschatten auf und ab und misch-
ten wettstreitend in das Lied der Vögel ihren mehrstinmiigen
txesang. Wer sie sah und hörte, der vergaß alles Herzeleid,
das ihm je von Kindheit an geschehen, und er meinte genug zu
liaben an Freude und Reichtum sein ganzes Leben. Wehe aber
den holden Mägdlein, wenn sie die schattige Waldeinsamkeit ver-
ließen ; beschien ihrer welche die Sonne , von denen blieb keines
am Leben. Wenn dann die Monate des Sommers vergangen
waren, dann war alle Freude dahin, „die Blumen verdarben, die
schönen Frauen starben, die Bäume ihr Laub ließen, die Brun-
nen das Fließen und die Vögel ihr Singen." Alexander und seine
Helden gelangten an diesen wunderreichen Ort, schlugen ihr
Gezelt im Walde auf und hatten ihre Freude an den seltsamen
Mannhardt. II. 1
Kapitel I. Dryaden.
^ruiivtf * h^iuon sie dort immer bleiben dttrfen, sie wären genese^
vfit Jiiifr ängstlichen Not und hätten nichts als den Tod geflL"rt^-
jj/w l^rvi Monate und zwölf Tage hatte die Lust gewährt , Aa
^idJhru sie tagtäglich eine Blume nach der andern welken und ^'
ittählich alle die lieben schönen Frauen, mit denen sie in W(^^ne
^lebt, dahinsterben. Traurig schied der König mit allen seS^^en
Mannen.
Elin lieblicheres Bild der Sommerlust dttrtle schwerlich jencnals
ersonnen werden , als dieses poetische Gemälde y dessen äs- ^^e-
tische Zergliederung eine Fülle einzelner Schönheiten offenb^BJ^n
würde. Zu diesen rechne ich besonders, daß die BlomengeL ^ster
eine wundersame Melodie in den Chor der Vögel ertönen lasiLJcn;
der Einklang aller reinen Eindrücke auf das Qemüt des Menflclkneii,
die aus Farbe imd Duft der Blüten, wie aus den Stimmen ^imd
Lauten des Waldes entspringen, ist damit auf das treffen^cdste
ausgesprochen. Auch ohne die Erzählung bis auf ihre erste ^ETie-
derschrü't zurückvertblgen zu können, werden wir nicht fehige TSien,
wenn wir sie nicht für ein Erzeugniß subjectiver Reflection, ^Bon-
dern für den Ausfluß eines irgendwo einmal lebendigen Fu> ^ks^
glaubens licUten, wofiach der Blume eine Nymphe etnwof^^nkf
deren Lebest an dem Leben der Pflanze haftete; wie diese ***
Lenis geboren, des Schattens und der Sommerwärnie gleiche^^^^i
bedürftig y tvelkt und stirbt sie ebenso im gliihefiden Sonz: ^'^'
strahl, wie beim Nahen des Herbstes. Ztigleich aber löste ^*^
Vorstellung den Blumengeist von der Pflanze ab; dies(^^==^^
Wesen y welche mit der Blume zugleich entstehen ufid ^^'
gehen, treten zeitiveilig aus derselben heraus. ,ySie gin 9^^
und lebten''* nach den Worten des Gedichtes, „sie hc^^^^^
Menschen Sinn und redeten und baten, wie Mägdlein ^^
zwölf Jahren, sie spidten^ spra^ngen und sangen auf dem gri^^*^^
KleeJ^ Diese doppelte Darstellung des der Blume inne^^^^^l^
nenden Numens durch Weib und Pflanze entspricht genau u^^e™
bei nordeuropäischen Pflanzengeistem (Baumgeistem, Korrr:^^^^^
monen) beobachteten Verhältniß. ^ Dürfte man die ErzähL — -^S
von den Blumenmädchen, gleich der ganzen Episode ^^
Alexanderliedes, in welche sie eingeschoben ist, auf ^^ioe
1) Bk. 603. 604. 609. 610.
•i
Blumenmägdlein , Bebeniu&dchen. 8
ieehische Qaelle der alexandrinischen Zeit zurflekführen ^ so
Ire somit ftlr ein Land der hellenistischen Welt ein mit jenen
rdenropäisehen Anschanongen übereinstimmender Volksglaabe
«riesen, den der Urheber desselben benutzte. ^ Als ein indi-
etes Zeugniß für den in letzter Instanz antiken Ursprung des in
)de stehenden Reiseabenteuers erscheint die Wundergeschichte,
dehe Lucian in seiner ,, wahren Geschichte ^^ dem Urbilde von
lUivers Reisen und Mflnchhausens Abenteuern (c. 8) auftischt
Q jenseitigen Ufer eines Flusses, der Wein statt Wasser filhrte, so
richtet der Dichter, stießen wir auf* eine außerordentliche Art von
emreben. Unten am Boden bestanden sie aus einem sehr kräfti-
a und dicken Stamm, tveiter aufwärts aber waren die Mäd-
!f» 9 die bis auf die Hüften herab an allen Teilen vollkommen
1) Die ErzähluRg von den Blumenm&dchen bildet bei Lamprecbt einen
1 der Epistel Alezanders an seinen Meister Aristoteles nnd seine Mutter
'mpiM, findet sieb jedoch in den uns bekannten Handschriften des Pseado-
Usthenes, Julius Yalerius und über de preliis nicht, so daß allem An-
eine nach die griechisch - ägyptiscbe Hauptquelle der mittelalterlichen
ixanderromano sie nicht enthalten bat. Es bleibt somit ungewiß, woher
nprechts Gewährsmann Aubry von Besan^on sie entlehnte. Auch in dem
xanderepos des Lambert li Tors ist sie benutzt. Cf.:
ä Tentree dlvier, encontre le froidure
entrent toutes en ti^re et muent lor faiture.
et quant estes rovient et li clars tans s^apure,
ä guisc des flors blanques muent ä lor nature.
ccles qui dedcns nesscnt sunt de Teors la figuro
et la flor qu'est dedena, si est lor vesteure etc.
Ronmans d*Alixandre ed. Michelant 8. 341 ff. WeiBmann Alexanderl. II.
) ff. Guil. de Turre spielt auf die Fabel an:
plus que las domnas , que aug dir
qu' Alixandrcs trobet et bruoill,
qu'eran totas de tal escouoiU
que non podian ses morir
outra Tombra del brouoill anar.
lynouard , choix de poesies des Troubadours II, 299). Es läßt sich Monach
jetzt nur soviel mit Sicherheit ersehen, daß die Sago von den Mädchen-
men im 12. Jahrhundert in einer uns noch unbel^annten selbständigen
eile von Alexander erzählt wurde und wol von dort aus in die französi-
len Bearbeitungen des aus dem Pseudokallistbenes stammenden Stoffes ein-
ligt wurde. Vgl. Weißmann a. a. 0. I, p. XVI. J. Zacher Alexandri Magni
r ad paradisum. . Regiom. 1859, S. 14 ff. Hartczjck in Zacbers Zeitschr. f.
PWl. IV, 167.
1*
4 Kapitel I. Dryaden.
ausgebildet waren, ähnlich wie man die Daphne malt in d^em
Augenblicke, da sie zum Baume wird. Aus ihren Finger8pit::ate&
sproßten Schößlinge, die voller Trauben hingen, und sogar im
ihre Köpfe schlangen sich statt der Haare Weinranken mit L^Eub
und Trauben. Freundlich grüßend kamen sie auf uns zu 'Kznd
hießen uns willkommen. Die meisten sprachen griechiseh, einzige
auch lydisch und indisch. Sie küßten uns auch auf den Mcsjid,
aber wer geküßt wurde, ilihlte sich im Augenblick betrunken mmd
verwirrt Daß man Beeren von ihnen abpflückte, litten sie nlc^h^
sondern schrien vor Schmerz laut auf, so wie man welche al>jrd-
ßen wollte. Als aber zwei meiner Gelehrten sich völlig ik^-ren
reizenden Umarmungen hingaben, konnten sie sich nicht wi^^er
losmachen, sondern wuchsen und wurzelten dergestalt mit ÜMJSieD
zu einem Gewächse zusammen, daß auch ihnen die FingeK* in
Schößlinge ausliefen und Weinranken sich um ihre Köpfe waa^en.
Es wird nicht lange angestanden haben, so werden auch T^jvan-
ben aus ihnen gewachsen sein. Diese Erzählung ist augenseis. ein-
lich eine geistreiche Parodie, wo nicht auf diese Episode der
Alexandersage, so doch auf eine nah verwandte Greschichte 1^
einem griechischen Schrii'täteller, da Lucians Absicht bekann 'i^ch
dahin ging, die Wuudererzählungen in der geschichtlichen und
geographischen Literatur durch selbstertundene übertreib^^nde
Seitenstücke zu verspotten. Die Parodie weist jedesfalls m^Bttel-
bar hinter sich selbst und über ihr der Märe von den BluE=^cn-
mädcheu entsprechendes Vorbild auf eine dem letzteren vorau^e-süc-
gende Volksvorstellung zurück.
§. 2. Die Dryaden, ünzweilfelhaft betreten wir das G^^^iet
des Volksglaubens mit der antiken Vorstellung von Beseelun^^^ der
Waldbäumc durch Nymphen, welche, ebenso wie jene hlm::::^-^^^'
mädcheu an das Leben des Gewächses gebunden, doch auch auv — ^^'
halb desselben ein Dasein lühren. Homer giebt von den Wald- "°d
Feldgeistern so wenige Züge, daß es einigen Forschem zweifeilÄliaft
erschienen ist, ob zu seiner Zeit derjenige Begriff bestaK^deo
habe, welcher in der späteren Literatur an den Namen der
Dryaden und Hamadryaden sich knüpfte. Zeus beruft die G^-'^^^
zum Olymp und keiner von den Flüssen blieb fem, noch y^^
den Nymphen, wclclw die schönen (heiligen) Haine r>^»^
haben {Xv/ucfuojy, uii' aXoeu Y.aka vi/novrai)^ und die Qa^^Ueo
der Flüsse und die kräuterreichen Marschen {nia^a nosriey-
Die Dryaden. 5
), IL XX, 7 — 9. Mit der pfeilschttttenden Artemis, die an
r Jagd auf Eber und schnelle Hirsche sich vergnttgt, spielen
r dem Taygetos und Erymanthos fddbewohnende Nymphen
fiq^i äyonfoftoi), die Töchter des ägishaltenden Zeus. Od. VI,
S. Um den Grabhügel des Eetion pflanzen Bergnymphen
t Töchter des ägishaltenden Zeus (iT/tiq-ai oQeanadag, •AovQai
bg aiytnynio) ülmenhäume. II. VI, 420. Kirke ist von
«den umgeben, von denen die einen aus Quellen, die andern
I HcUnen, die dritten aus Flüssen entstdi^i {ylyvovrai
aga raiy' «x te x^jyvtW, arro t* aXoiiav, fx, t*>' t€Q(ov ;roTa-
¥ oiV «Ig ahxiB, nQO()iovoiv. Od. X, 350 flf.) Wir lassen einst-
ilen diese homerischen Angaben, um in §. 5 auf sie zurückzu-
nmen. Der sogenannte homerische Hymnus auf Aphrodite
vährt die folgende ausftlhrliche Erörterung über das Wesen
- Orestiaden. Die Liebesgöttin vertraut ihren Sohn, den klei-
I Aeneas, der Hut und Pflege der Dämonen des Ida an.
rfbusige Nymplien haben dieselben auf dem Berge ihr
^r, das göttliche große Waldgebirg ist ihre Wohnung
itqHXi ogeoy.otni (ia^t\7LohjT niy cei Tode vaierdovaiv ngog juiya
La&inv Th). Weder den Menschen arten sie nach, noch
1 Unsterblichen. Lange zwar leben sie, sie genießen un-
rbliche Speise und mit UnsterUicJien führen sie schöne Bei-
vtänze auf; Seilcne gatten sich ihnen und auch Hermes
heinüichen Winkd IteUi^her Grotten. Zugleich aber mit
\en^ wenn sie geboren werden, entsprießen auf hohen Ber-
» aus der männemährenden Erde sclwne FicMen oder
^hen, [Hochragend stehen diese da; man nennt sie Haine
" UnsterUichen und nicht hauen die Menschen sie mit
n Stahle.] Wenn aber die Moira des Todes herantritt y so
rden zuerst auf dem Erdreich die schönen Bäume dürr,
\ Binde ringsum stirbt ab, abfallen die Acste und zugleich
läßt die Seele der Nymphen das Licht der Sonne. * Der
1) Hymn. i. Ven. Homer.:
V. 265 Tfiat d' Uli ti (kdrai iil ^Qvfs vtfuxciQrjvoi
xc()mI, T7j).f(h(covfrtu , h' ot'n((Tir rtjirjXotair.
[föTüa^ i))JßnTor Tffifvt] cT^ ^ xixXijaxovaiv
iiUavdjuyr f Titg cT oVxi flQorol xftQOvOi cri-cfi/py].
6 Kapitel I. Dryaden.
Hymnus auf Aphrodite hat zum Inhalt die bereits episdi yer-
dunkeite Stammsage der unzweifelhaft längst gi^isierten Aenea*
den in den Städten der kleinasiatischen Landschaft Troas, tob
einem jonischen Sänger in naehhomerischer Zeit bearbeitet So
deutlich die Sage selbst in den Hauptsachen die Sparen phiy-
gischer Mythologie zeigt, ^ und so wahrscheinlich ein Uem*
asiatischer Ursprung des Liedes ist, wäre es zu weit gegangen,
alle ausmalenden Züge auf niehtgriechischen Ursprung zurfidut-
tUhren. Mithin gehört auch die Beschreibung der Bamnnymphoi
nicht mit Notwendigkeit dem Kreise der vom Dichter bewahrteB
Reminiseenzen phrygischen Volksglaubens an, obschon die Erwih-
nung der Seilene daitir sprechen könnte. Auch der feinen BemeT-
kung Welckers, ' der Dichter des Hymnus schildere die ü^iüx
der Hamadryaden so ausführlich, als ob seiner Zeit und seis^^
Kreisen die merkwürdige Anschauung und die EmpfindnBgj .
worauf sie beruhe, neu und befremdend genug erschiene, vm
poetisch zu wirken, darf nur in soweit Wahrheit zugestand
werden, als die schon reflectierende, vornehme und onzweifeUuft
großentheils städtische Gesellschaft, für welche der epische Sie-
ger dichtete, längst entwöhnt war, sich die Pflanze als göttlioles
Wesen zu denken, und daß ihr die Eintlihrung dieser Vorstellig
aus dem Glauben der im Verkehr mit der Natur naiv gebliebe-
nen Landleute in die Poesie und zwar in ein unter göttlioleo
und heroischen Wesen der grauen Vorzeit spielendes Idyll rüh-
rend und reizvoll erscheinen mochte ; sicher aber hat der Rhapsode
die Anschauung nicht aus dem Seinen genommen, sondern ent-
weder in der von ihm bearbeiteten troisch - äolischen Ueberlicfe-
rung, oder im lebendigen Glauben der Bevölkerung von AeoJis
oder lonien voi^funden. Die beiden oflfenbar eingeschobenen
Verse 268 — 9 bekunden, daß auch der Verfasser der interpolier-
ten Verse, doch sicher ein Grieche, die in Rede stehende \oT'
270 fUA' OTS X6V ^rj MoTqU TTCtQiÖTljxrj daVKTOtO,
Tüiv Jf &' öuoö rjjv/fj Xilnti (fäog -^eUoto.
1 ) Vgl. darüber R. Thiele Prolegomena ad hymnum i. Ven. Homer. Bahi
1872, 61 flf.
2i Griechische Götterlehre III, 57.
Die Dryaden. . 7
iteDong als eine zu seiner Zeit lebendige kannte, aber in anderer
Form, nicht an jeden Baom geknüpft, sondern an die mit beson-
derer Ehrinreht betrachteten Baumexemplare heiliger Haine,
welche niemand umzuhauen oder zu verletzen wagte, weil sie als
der Körper, die Hülle oder das Alterego der Baumnymphe galten.
Der Sache nach ganz genau entsprechen im europäischen Volks-
glauben hallende Vorstellungen. Auf dieselbe Weise, wie das
Leben der Nymphen im homerischen Hymnus, ist das Leben
casechischer und deutscher Baum- und Waldgeister, Moosleute,
Fanggen, Elfen an dasjenige ihres Baumes gebunden (Bk. 69.
89. 91. 75. 62. 124). Der Glaube an solche Baumgenien, ur-
sprttnglich auf alle Bäume bezüglich , schränkt sich auch im Nor-
den allmählich auf die heiligen Haine ein (Bk. 29. 38. 39). Das
Seiwort ßaOvxolTioi tiefbusig, welches v. 258 den Nymphen
^ebt, erinnert, da die Tiefe der Einbiegung eine entsprechende
Erhöhung der hervorragenden Weichteile des weiblichen Ober-
körpers voraussetzt, an die großen Brüste der deutschen und
skandinavischen Waldweiber (Bk. 147) und könnte immerhin ein
etwas edler gehaltener Ausdruck ftlr die üppige WerdefllUe der
Vegetation sein, wenn nicht der Dichter ein den Trojanerinnen
bei Homer zuständiges Epitheton in die Schilderung der auf dem
Ida hausenden Göttinnen emfach als Redeschmuck herübergenom-
men hat. Bäume, die als Doppelgänger, Wohnsitz oder Körper
des Baumgeistes gelten, dürfen nicht abgehauen werden (Bk. 35
l>i8 37. lOflF. 60. 62. 57. 70. 71), ja man bittet den Baum um
Erlaubniß, ehe man ihn fällt, oder Holz von ihm abschneidet, und
wagt nicht einmal windbrüchige Aeste aus seiner Umgebung zu
entfernen (Bk. 35. 51).
Seit dieser — wie es scheint — ersten umständlicheren
Einführung der Bsiumuymphen in die griechische Literatur durch
den Hymnus auf Aphrodite begegnen wir ihnen darin mehrfach
wieder, ohne daß sich in jedem Falle wird ausmachen lassen, ob
die Schilderung durch literarische Tradition auf das pseudohome-
rische Gedicht oder durch eine selbständige Erhebung aus dem
Borne des Volkslebens auf wirklichen und fortdauernden Glauben
zurückgeht. Letzteres werden wir annehmen müssen, sobald uns
Spuren einer vom H}'Tnnus abweichenden Vorstellung aufstoßen,
welche gleichwol aus inneren Gründen als echte Volksanschauung
sich zu erkennen giebt.
8 Kapitel I. Dryaden.
Nächst dem homerischen Hymnus ist Pindar fttr xxda
älteste Zeuge ; aus einem semer yeriorenen Gedichte ist ein V^ «»
erhalten, in welchem er von Nymphen redet, die das ^Sid
eines baumgleichen Lebens erloßten, und auch der Name Di m-
den, oder vielmehr Hamadryaden scheint für diese Nymp-^^^hei^
von ihm in Anwendung gebracht zu sein, ^ Der Name
dryaden drückt eben die Vorstellung ans, da0 Baum
Nymphe zusammengehören , gleichzeitig entstehen und gemi
sam sterben, wie eine Glosse des Mnesimachos im Schol.
Apoll, ßhod. Argon. II, v. 478 ganz richtig sagt: 'A^iadqvadaq
q>ai dia t6 cifia zcag ÖQual yivvao^ai ?J eitel doTiOvaiv aftia
ögvoi cpd-eiQead^ai.
Nicht unwahrscheinlich dtlnkt mich eine Vermutung l^^aiei-
nekes, der mit leichter Aenderung den offenbar ungehörigen "i^nd
eingeschobenen Versen des Kallimacheischen Hymnus in De'K^nm
79 — 85 hinter v. 40 des Hymnus in Cererem Ton demseLTbcn
Dichter eine Stelle giebt. Dadurch entsteht folgender wolbegÄrlto-
detcr Zusammenhang (Hymn. in Cer. 25 — 40) : In Dotion ha^^Kcn
Pelasger der Göttin Demeter einen schönen, dichten, wolbesc^Ä**"
teten Hain geweiht, in dem Fichten,' hohe Ulmen, Birnen ^^^
liebliche Pfirschen wuchsen. Vom Schutzgeiste seines HaE^i^-^JS^s
verlassen faßte einst Erysichthon den verderblichen Entsch l^ß,
mit zwanzig Sklaven den Lustwald umzuhauen. Ein Pap^__Jß^'
bäum stand da, schlank und hoch, der den Himmel bertibrrnrte,
und unter welchem die Nymphen um die Mittagszeit tc — ^^'
ten. Dieser ward zuerst abgehauen und sein Aechzen sang ^^^
andern ein unheilvolles Lied. (Hymn. in Del. 79 — 85): Sie a ^h
die hier am Orte geborene 3Ielie {vvftfpt] jttah't], otTox^wr), ^^
bisher unter dem Baume getanzt hatte {v/rodivtjO^slaa), ücß
ab vom Reigen und entfärbte ihre Wangen, um den ihr gle^5=ich-
altrigen Eichbaum Pein erduldend, als sie dessen HaupH^^aar
1) Plutarch do defect. orac. 11 spricht von eiDigen Versen des He= ^'<x^f
welche der Krähe neun Menschenalter, dem Hirsche vier Krähenalter» ^^
Raben drei Hirschenalter, dem Phönix neun Rahenalter, den Nymphen, -^eus
Töchtern, zehn Phönixalter beilegen, und berechnet daraus die angele lJc^<?
Länge des Nyniphenaltos. Andere aber nähmen dafür eine weit geriri^frc
Jahreszahl an: nl^or (Vov niröaoog (iQrjxfv, fitnorp zng rvfjitfng ^fjv fa€y€f/r-
^Qor T^xuo)(t afiorog Xa/ovöag , tSib xa) xnXfTv nvrag Aun^Qvä^ng. Vgl. X'^öf.
Erot. 15. Öchol. Apoll.' Rhod. v. H, 478,
Die Dryaden. 9
$ben sah. Helikomerinnen , meine Göttinnen, o sagt mir, ob
iiklich die Eichen and Nymphen gleichzeitig entstanden?
ie Nymphen freueti sich, wann Regen die Eichet^ wach-
n macht, die Nymphen weinen y wann die Eichen keine
läUer mehr haben. (Hymn. in Cerer. 41): Demeter merkte,
lB ihr heiliges Holz verletzt war und sprach unwillig: Wer
Mi mir in meine schönen Bäume ? ^ Nachdem sie zuerst ver-
blich in der Gestalt ihrer Priesterin versucht hat den Frevler
LTcb gütliches Zureden von seinem Vorhaben abzubringen, ver-
mdelt sie sich in die furchtbare Gestalt der ztlmenden Göttin,
d die Sklaven lassen erschreckt die Aexte in den Eichen haf-
1. Der Bösewicht wird mit der Krankheit ewigen Hungers
straft.' Der Dichter schildert mit großen Zügen; kunstvoll
rvollständigt er (da die trockene Aufzählung in v. 28 — 29
5ht weiter fortgesetzt werden durfte, ohne prosaisch zu werden)
sere Anschauung von der Reichhaltigkeit des Demeterhaines
durch, daß er uns nach und nach wissen läßt, auch Pappeln,
ichen, Eichen gehörten zu dessen Insassen, aus gleichem Grunde
»braucht er (Hjmn. in Del. 80) Melie (Eischennymphe) syno-
Tn mit Dryas in der allgemeinen Bedeutung Baumnymphe und
Bt sie über die mit ihr geborene Eiche klagen, deren Wipfel
hon in ängstlichem Vorgefühl ])ebt, da sie die Pappel bereits
aällt sieht, und die Dryaden aller übrigen Bäume weinen mit
r. — Eine ganz ähnliche Geschichte besingt ApoUonios von
hodos in seinen Argonauten H, 471 flF. Schwerlich hat ihm
sin Feind Kallimachus bei der Erzählung zum Vorbilde gedient,
ie Spanheim will, den Stoff der Sage hat er sicherlich anders-
oher; sie zeigt anscheinend eine neue und selbständige Auffas-
mg der Baumnymphcn. Des Paraibios Vater, im Begriff im
aine von Thyne Bäume zu bauen, wird in klagendem und fle-
endem Ton von einer Haniadryade {a/naÖQt^ag vvfiffr/j angerufen,
ie ihr gleichaltrige Eiche, auf oder m (f^ri) welcher sie so
mge gelebt hätte , nicht zu fällen. ^ Er achtet im Jugendüber-
1) NvfUfat fxtv /jtfQovaiv, ^n Snvttg Hfißfiog ic^^ei
Nvfiffctt <r nv xXatovötv , oif {fQvaIv ovk^ri (fvX).«.
2) S. Callimachus ed. Meineke p. 185.
3) ui) TUfi/eiv HQ^/Ltrov tforng ijXtxog, t] ^tt) ttovIvv nfoh'fc TQtßfftxt
iijvfx^g.
\
10 Kapitel I. Dryaden.
»
mat der Bitten nicht Die des Banmes beraubte Nymphe st
ihn selbst und seine Kinder mit Verlust der Habe und bitU! — tw
Armut und wendet das Geschick erst, als der Sohn ParaiL-üsioA
ihr einen Altar errichtet und versöhnende Opfer bringt
also ist die Nymphe im Stamme, oder swischen den
des Baumes wohiüiaft gedacht ; ^ mit dem Gewächse gngU «A
entstanden, überlebt sie dasselbe doch; die Schädigung des tob
ihr bewohnten Baumes hat den Verlust der Habe (d. h. wie
beim Landmanne wol von selbst versteht und im Sinne der
ren Sage den Tod der Heerden) des Frevlers und seines 'HJe-
schlechtes und ihre völlige Verarmung (Nahrungslosigkeity Da^Hnn-
schwinden) zur Folge. Das sind großenteils Züge, welche ab
Varianten der im homerischen Hymnus vertretenen VorstelL ~nng;
auch in deutschen Sagen wiederkehren. Vgl. die im Ba^Knme
hausenden oder auf dem Baumstumpf sitzenden Moosfräo — Idn
Bk. 76. 83. 77. Vgl. 60. Daß freilich die Nymphe mit der
Pflanze zwar zugleich geboren \vird, aber nicht zugleich mit ihr
stirbt, sieht nach einem Misverständniß der Ueberliefernng ^muu;
die ursprüngliche Sage wird nicht von einem völligen Abh^^Men
des Baumes, sondern nur von einem Hiebe in seinen St^^BHun
erzählt haben, es müßte denn angenommen sein, daß die Ba^^iua-
seele im Stubben fortlebte (vgl. Bk. 68). In Folge dessen ^^ter-
ben dem Täter die Haustiere, wie Bk. 12. 60. 53 Hühner «»*
Kühe, er hat Abgang in seinem Vermögen, er leidet Hunger wid
verkümmert und sein Geschlecht dazu (Vgl. Bk. 51. 53. ^^
Anm. 3). Diese Verkümmerung findet erst dann ein Ende, ^
die Dryas mit Opfern bedacht wird, gerade so wie das ^
Beschädigung der schwedischen Eschenfrau empfangene U- ^
aufhört, sobald der Beschädiger ein Opfer von Milch oder y^^^^'
ser über die Wurzeln des Baumes ausgießt, d. h. das verlt^s^*^*®
Numen des Gewächses wieder erquickt und zu Kräften br -^8*
Bk. 11.
Sind die Parallelen richtig, so werden wir auch in die t=-ÄIiy-
sichthonsage zu einer klareren Einsicht zu gelangen vermö^^f^"-
Die Darstellung des Kallimachus würde — wenn sie allein ^*
erhalten wäre — leicht zu dem irrigen Schlüsse verführen, ^^
Sage sei von Hause aus eine Demetermythe und die um Er 'ÄäI-
1) Auch Schol. II. Vril, 20 erklärt die Hamadryaden ^nl i&v JA^C*'^*
Die Dryaden. 11
^ üureB Baomes bangende Dryas Bei nur zur dichterischen
Bboiig des Stoffes nach dem Muster des homerischen Hymnns
die von Verletzung des heiligen Haines der Getreidegöttm
delnde Schilderung eingelUhrt. Nun sind uns aber nicht allem
uren einer früheren Niederschrift dieser Sage bei dem Mytho-
phen Hellanikos (saec. V a. Gh.) und anderen,^ sondern es ist
Oyid (Metam. Vin, 738 — 878) sogar eine vollständige Bear-
nng erhalten, welche trotz Einmischung ganz modemer Alle-
len eine ursprünglichere Form der Sage aufweist, und ohne
eifel auf eine griechische, wenn nicht der Abfassungszeit, so
ligBtens dem Stoffe nach vorkallimacheische Dichtung (Nikan-
8 *Et€Qowv^ava?) als ihre Quelle zurückgeht Im uralten Haine
' Ceres stand eine heilige Eiche:
Stabat in bis iDgens annoso robore qaercos,
Una nemiiB: >ittae mediam memoresque tabellae
Sertaque eingebaut, voti argumenta potentis.
ter diesem Bautne pflegteti die Dryaden festliche Beigen auf-
'Ohren, oftmals umkreisten sie mit zum Tane in einander
Mungenen Händen den Stamm (manibus nexis ex ordine
nci circuiere modum), der fünf Ellen dick mit Riesenhöhe die
igen Waldbäume überragte. Erysichthon befiehlt den Baum
zuhauen, und entreißt, als die Diener zögern, einem der-
ben das Beil. „Die Eiche soll fallen, und wäre sie selbst
e Göttin." Als er die Axt schwingt, seufzt der Baum und ver-
ndet strömt er Blut aus:
Contremuit, genütumque dcdit Deo'ia qucrcns:
Et paritcr frondes, pariter pallcscero glandcs
Coepero ac longi palloreni ducero rami.
Cujus ut in trunco fecit manus impia vulnus»
Haut alitor fluxit, discussa cortice, sanguis,
Quam solet, ante aras ingens ubi victiina taurus
Concidit, abrupta cruor e cervice profusus.
I der Frevler dennoch von seinem Vorhaben nicht abläßt,
Editus e medio sonus est cum robore talis:
Nympha sub hoc ego sum, Cereri gratissima, ligno:
Quae tibi factorum poenas instare tuorum
Vaticinor moriens nostri solatia leti.
f Bitten der gesammten Dryaden entsendet Ceres eine Oreade
m Wohnsitz des Hungers auf dem eisigen Gaucasus, um ihm
J) S. Preller Demeter und Persephone 8. 331.
12 Kapitel I. Dryaden.
ZU befehlen, daß er in Erysichthons Leibe Platz nehme,
geschieht und alsbald peinigt diesen das nagendste Hiuigeigeft2K]bl*,
er schlingt und schlingt unaufhörlich, aber die Nahrung säfer-Migt
nicht und verschlägt nichts; er ißt sich arm; als alles sein ^Knt
dahin ist, verzehrt er seine eigenen Glieder. — Deutlicher a «och
als in der Paraibiossage ist in dieser Fassung der Erzähl^^ong
vom Erysichthon der Baum die Hülle der Baumsede;
der verletzte Baum redet und Blut ausströmt, ist ein
volksmäßiger, in der mythischen Vorstellung wolbegründeter ^Zag
(s. Bk. 34. 35. 36. 38. 40. 41. 42).^ Keinesfalls also. gehört der
Umstand, daß durch das Einhauen in den Baum die Nyn^^he
selbst verwundet wird, dem Scharfsinne des Ovid an, wie LeBnrs*
wollte. Daß der von der Nymphe bewohnte Baum mit BiniK^en,
Votivtäfelchen, Kränzen behängt im heiligen Haine stand, zernag
schon einer sehr frühen Gestalt der Sage angehören. Es stiflCDimit
dies mit der Interpolation im homerischen Hynmus; auch der
deutsche und slavische mit Kränzen , bunten Bändern und anc^em
Gegenständen behangene Sommer- und Maibaum, der von dei^BL im
Mailehen Vegetationsgeister nachahmenden Paaren in festlic-""lÄcm
Reigen umkreist wird, wie die heilige Eiche von den Drya--^en,
ist Sitz eines göttlichen Wesens. (Bk. 157. 160 flf. 18 1 ff.
311 ff.). In den Worten der sterbenden Nymphe sehe ich ^^ach
noch eine Erinnerung an den natürlichen und richtigen
menhang des Mythus bewahrt; Erysichthon wird von dem
aufzehrenden Hunger befallen in notwendiger Folge seint
der Nymphe verübten Frevels, der ursprünglich wie bei
machus nur bis zu tödtlicher Verwundung, nicht bis zur völ
Vernichtung gegangen sein wird. Da der Baum fortan verl
mcrt, welkt und dorrt, ergreiftauch ihn Abzehrung, Mange
Nährfähigkeit, wie in dem Beispiel aus Skinnersäla. Bk. 62
Ein Erzähler, der das nicht mehr verstand, fasste diesen Mi
positiv als nicht zu befriedigende Esslust auf. Dem Volksglai
nach ist die Heißhunger genannte Krankheit (griech. ßoi}j "^9t
ßovXiftia) oder die Polyphagie in der Tat mit Abzehrung i -^^en-
1) Vgl. Plin. histor. natiir. XII, 72. Humor et cortici arborum est- -- W
sangiiis camm intelligi (lebet, non idera omnibus. — Atque in totnm co- :^po^
arbonim, ut roliquorum animalium, cutis, sanguis, caro, nervi, venae, ofi«,
medullae, pro cute cortex.
2) Populäre Aufsätze aus dem Alterthum. Aufl. « Lpzg. 1875. S. Jifi
Die Dryaden. IS
;h.^ Später reflectierte man, daß unstillbarer Hanger eine
afe der speisegebenden Göttin Demeter sein müsse, und machte
1) Vgl Dr. Hartliebs Buch aller verboten kunst 1455. p. 76' (Grimm
Ji.^ LXVII): Das wissen die natürlichen ärzt wol und sprechen das ain
ilchait sei, die haißt bolismas oder appetitus caninus; die selb
ikhait mag man mit kainem essen oder trinken, dan allain mit artznei
llen.': Wann alle speis gat ungedäwt durch den leibe, also verschwindt
i flaisch vnd die kuochen bleiben in ir grosse, das macht das
id 80 ungestalt, umb das haist man die chind Wächselkind. Die von
'tlieb beschriebene Krankheit ist die atrophia infantilis, (Paedatrophia,
J8 mcsenterica s. scrophulosa), die Darrsucht (üngedeihen, Bchextsein,
dfeln), zn deren vorzüglichsten Symptomen Abzehrung, Abmagern, Dfinn-
den der Extremitäten und Schwinden der Muskeln bei stark aufgetriebe-
I Unterleib nnd dabei häufig hoch gesteigerter Appetit (UeiÜ-
ager) besonders nach groben Speisen gehören; gleichzeitig schwellen
Bücken, Brust, Schultern und Schenkeln die Talgdrüsen an, aus denen
a madenartige Wülste herausdrücken kann, die das Volk Mitesser,
brwürmer nennt und für krankheiterzeugende Elbe h<, dergleichen
Baume zu Hause sind. Diese Krankheit konnte füglich für eine vom
imgeist ausgehende Strafe gelten, (vgl. Bk. 68). Ganz verschieden sind
i dieser nur bei Kindern vorkommenden Krankheit der häufig mit all-
meiner Entkräftung verbundene Heißhunger, Bulimus {gr. ßov-
og, ßovliuCa) und der auf Unempfindlichkeit der Magennerven beruhende
ngel an Sättigungsgefühl , Vielgefräßigkeit (Polyphagia, appetitus
linus; nnd die Erscheinungen der Wurmkrankheiteu ^Spulwurm, Bandwurm),
deren Symptomen Abmagerung und Blässe ohne äußere Veranlas-
g trotz guter Nahrung und unregelmäßiger mit Heißhunger ab-
chselnder Appetit gehören. Vgl. H. E. Richter, Grundriß der inneren
nik. Lpzg. 1853. § 2()0 S. 292, § 602 S. 868, § 626 S. 909. Hartlieb
mischt diese Krankheitsformen , wie denn überhaupt in älteren Zeiten ganz
8chiodene Uebel, zu deren Aoußerungen Heißhunger gehörte, für eins
lalten sind. Vgl. üb. ßovXifiog Plut. Symp. 6, 8 und Suid. v. ßovXifA^i^ I,
G. 1022 Bemhardy. Griechische Aerzte vermischten ßovXifiog und nolv-
yla. S. Bernard ad Theoph. Nonnum de curat, morb. c. 156. T. II, p. 16.
r werden es somit für sehr wahrscheinlich, ja für gewiß halten müssen,
\ der griechische Bauer erst recht die genannten Krankheiten nicht aus-
anderhielt, und duß in seinem Kopfe der bei der Paedatrophie und den
irmzufallen mit Abmagerung verbundene Heißhunger einerseits zu einem
MTöhnlichen Zubehör der Abzehrung wurde , andererseits mit den stärkeren
ngeranfällen der Polyphagie und des Bulismus sich vermischte. Wenn er
an den Glauben hegte, daß der vermeintliche Parallelismus des Menschen-
•ens und Baumlebens den die Pflanze schädigenden Baumfrevler in dem-
ben Grade dahinschwinden und auszehren mache, als der verletzte Baum
rdorre und absterbe , konnte sich leicht dieser Vorstellung das Sympton
r Vielfgcfräßigkeit zugesellen und in starker mythischer Uebertreibung die
ysichthonfabel erzeugen.
\
14 Kapitel I. Dryaden.
ff
nun den geschändeten Hain zu ihrem Eigentmne, was um so e%M!(
geschehen konnte, als der Demeter nnd ihrer Tochter vielCaüäi
heilige Haine bei ihren Heiligtümern geweiht waren. Wir gelaiE^en
somit für die Erysichthonsage auf eine echte, einfache Volks^^^or-
stellung als Grundlage zurück; ob der Zusatz der Demeter dc^udi
Dichterhand, oder schon im Volksmunde gemacht wurde,
sich nicht ausmachen lassen.
Mit dem Vorgänger Ovids übereinstimmend stellt auch
nns sich den Baum als die Behausung oder Hülle der Hamadr-^a%
oder, wie er auch sagt, Hadryas oder Mdia vor. Die rKflr-
zere Form Hadryas hat wol keinen Anspruch darauf, flbr
ein altes, einst aus lebendiger Volkssprache geschöpftes ¥^oit
mit Präfix ä (a) nach Analogie von ä-nägy a-^^öog,'
a-Xoxog angesehen zu werden, der überkühne Wortbilcäner
Nonnus hat offenbar nur der Metrik zu Liebe ganz ^%¥ill-
kürlich aftaÖQvdg um eine Sylbe verkleinert Nach Noicmiu
also hat jeder Baum eine solche mit ihm zugleich entstaim^^ieM
und ihn bewohnende Nymphe, welche bei verschiedenen GM^^en-
heiten sich über die Wipfel desselben heraushebt,^ bei Wal«3ver-
wüstungen aus ihm herauskommt , und den Baum beklagend sich
zu den Najaden ins Gewässer flüchtet. Der „ Spätling '^ Nc^oinuB
zeigt nicht selten Kenntniß volkstümlicher Sitten und An-
schauungen.^ Deshalb darf wol vergleichsweise auf jene ^eutr
sehen Sagen hingewiesen werden, nach denen eine Seele den
Baum so sehr, daß Blut in seinem Geäder umläuft , mit m^ :si8cb-
lichem Leben ertUlt, häufig aber als schwarzer Mann hinter dem
Baume auftaucht. Bk. 42. Wie Nonnus die Dryade zu den
Najaden flüchten lässt, ist das Secweib des Mälar Schut^Egeist
der Rlintatanne. Bk. 136. Auch sonst finden wir schocR Tor
Nonnus die Dryaden den Najaden zugerechnet.^ Das geh.* wol
1) Nonnus Dionys II, 92 ff.:
jiS{)i'ciä€g (ff
fßixfg tbSvQOVTo Xtnocxia 6^vJ()f(t Nvutftti
xai Tig l'vTiTOQxHiio Si/ctCou^voto xonvfißov
«Ti'y/^oi'Of (txQTJdffivog uif^aSitväg ärihoQf 6d(fvrig.
Derselbe spricht XIV, 212 von av^tfv^tg AUKat d(jv6g ijXtxog Ders. XVI, 2i5:
"iiff (fttjo {AUXCrj) xal iS(tv6g hiog ixaviv ofiijXixog.
2) Vgl. W. Schwartz in Zs. f. vgl. Sprachf. XX, 207.
3) Wenn eine Zeitgenossin des Kallimachus, die Dichterin Myro, in
einem Epigramm von den Dryaden als Töchtern (oder Mädchen) des Flasi«
{
Die Dryaden« 15
uaf eine Volksvorstellang zaiHck, wonach Diyaden und Najaden
die belebenden NatorgeiBter der Bäume und des Wassers , als
Sieicharfcige Wesen empfunden wurden, gradeso wie der deutsche
Volksglaube Roggenmöder und Watermöder (resp. Roggenmoem'
lind Watermoem') neben emander nennt. Zu gleicher Zeit aber
seheint die JBezeichnung der Dryaden als Najaden den Anfang
der Sntwickelung zu bezeichnen, welche auf neugriechischem
Boden dahin führte alle Nymphen mit dem Gemeinnamen der
Geralden d. i. Wasserjungfern ^ zu belegen. Freie epische , auf
ketnenoi Volksglauben beruhende Erfindung ist es dagegen, daß
17 onnos« Hamadryaden verfolgte Bacchantinnen schützend in ihren
Saum aufnehmen läßt, wie es auch nichts anderes als ein dem
Schauplatz der Begebenheit zu Liebe gewähltes, rührendes Bild
sein kann, wenn bei ihm Pentheus, in Gefahr im Walde von
den Mänaden zerfleischt zu werden, die vv^q>aL l(4/iiadQvddeg um
Seistand anruft
(norafAoö xögai) spricht, deren rosige Füße die Tiefen betreten, (Anthol.
J?al. VI, 189) 80 hat sie die bestimmte Scenerie eines Gewässers im Sinne , das
die Wurzeln der an seinem Ufer gedeihenden Bäume mit Lebenskraft trankt.
Das Wasser ist gleichsam die Mutter der Vegetation, am Wasser gedeiht der
X^anzen wachs am üppigsten und vorzugsweise an Quellen, Bächen und Flüssen
stehende Baomexemplare wurden eben deshalb als Dryadenbäome geehrt.
Diese Vorstellungen mögen die Identifizierung der Dryaden mit den Najaden
iresentlich befördert haben. S. Pausan. VIII, 4,12. jQvä^ag yaQ <f^ xal
^EnifÄTiliädtts Tng kaiitjv IxdXoi-v NufiSag. Bei Ovid Metam. I, 689 befindet
sich unter den Hamadryaden eine Xaias, in ihrem Treiben der Diana ähnlich,
Satyrn stellen ihr nach ;^ in Ovids Fast. IV, 251 tödtet Venus (d. i. Cybele)
die Baumnymphe, welcher Attes sein Herz geschenkt hatte: Na'ida volneri-
bos succidit in arbore factis. lila perit. Fat um Naidos arbor erat.
Auch Properz verschmilzt Dryaden und Najaden, indem er umgekehrt ersterer
an Stellen gedenkt, wo nach gewöhnlichem Sprachgebrauch die Najaden
erwähnt sein müssten. Cf. Lobeck de Nympharum sacris lU, p. 399, Schoe-
mann Opusc. acad. II, p. 129. flf. Die griechischen Vorbilder dieser Dichter
müssen bereits mit der Verwechselung vorangegangen sein. Auch daß in den
beiden jüngeren Becensionen des Pseudokallisthenes Kaie , Alexanders natür-
liche Tochter, von ihrem Vater verstoßen, weil sie vom Wasser der Unsterb-
lichkeit trank, zur Nereide wird, zeigt im 4. Jahrb. unserer Zeitrechnung
den im jetzigen griechischen Volksglauben vollendeten Entwickelungsproceß
bereits im Beginn, der die Nymphen der antiken Sage dem Namen nach
zu Neraiden d. h. Wassergeistern machte. Cf. J. Zacher Pseudokallisthenes.
Halle 1869. I, 141.
1) S. B. Schmidt, das Volksleben der Neugriechen. S. 98 ff.
16 Kapitel I. Dryaden.
Nicht ganz so sind die Erzählungen zu bearteilen wie die
vermutlich auf Eumelos (760 y. Chr.) zurückgehende von Arkas,
dem sich eine Hamadryas zu eigen gab, weil er den Bam^
in wdcJiem die Nymphe geboren war, vor der GefUir,
durch einen Bergstrom fortgerissen zu werden , vermittebit eines
Dammes geschützt hatte (Gharon von Lampsakos bei TzetMSsd
Lycophr. 480) ; oder die ganz ähnliche vom Enidier Bhoikog, den
die Baumnymphe mit ihrer Liebe belohnte , da er den gnikeDde&
Baum gestützt hatte , mit dem sie selbst im Begriff war untem-
gehen {uikkovaa avfxq^d-uQaa&ac t^ dgvt Nvfuqirj)] ein Bienldi
war ihr Liebesbote. Rhoikos verscherzte die Gunst der Hama-
dryade y als er einst in der Leidenschaft des Würfelspiels ihre
Einladung unbeachtet ließ. (Gharon v. Lampsak. in SchoLApolL
Bhod. II, 481). Schon die homerische Dichtung kennt Liebes-
verhältnisse der Nymphen mit Sterblichen (D, VI, 21. XIV, 444), in
denen sich — wie in jenen Erzählungen des Gharon von Lamp-
sakos die unwiderstehliche Anziehungskraft des Waldes — der
tiefe Eindruck reflectiert, den die Schönheit der quelldurchrieselteD
Aue auf das unverdorbene Gemüt ausübt. Noch näher aber ver-
gleichen sich nordeuropäische Sagen, nach denen die Banm-
nymphe, das Holzfräulein mit einem sterblichen Manne in trauter,
oft ehelicher Gemeinschaft lebt. Bk. 69. 79. 102. 103. 109. 112.
113 u. s. w.
Daß die Annahme, die Hamadryaden lebten in dem Bamue
selbst, oder entsprängen aus ihm, ein wirklicher, allgemeiner
verbreiteter Volksglaube war, daftlr lassen sich noch mehrere
unmittelbare Beweise aufbringen. Dahin gehören außer dem im
Namen Drj'^aden und Melien liegenden Zeugnisse selbst meh-
rere Mitteilungen des Pausanias und Antoninus LiberaliS'
Nach der einen (Paus. X, 32, 6) erklärte, gegenüber den ge-
lehrten Namensdeutungen der Schriftsteller, das Volk (^
hnyotQioi) in der Umgegend von Tithorea in Phokis, dieser
Name stamme von einer Nymphe Tithorea von der Art, «^
sie nach alter Sage hei den Dichtern soivol aus andern Bäuf»c^f
als atirch ganz besonders aus Eichen entstanden (wuchsen)- *
1) oitti TW (CQ/afq) X6^*(p Tfjj TTotTjTuir fffvoiTo am'i rf äklwv 3^f^^
xttl fitiXtarn und rCtv ÖQvtav.
Die Dryaden. ]7
£in ganz in der Nähe heimisches Seitenstiick dieser Volkssage
läßt sich mit unumstößlicher Sicherheit aus einer Erzählung her-
ausschälen, welche Anton. Lib. XXX, 11 und Ovid Metam. IX, 327
den ^t»TEqoiov(.iBva des Nikander entlehnten. Am Oeta bei Am-
phissa in Lokris stand auf dem Felde neben einer Quelle ein
kleiner Hain, bestehend aus einer Pappel und mehreren Fichten
nebst einem reuevog der Dryaden; dort fand zu gewissen Zeiten
eine Feier statt, deren HauptstUck ein Wettlauf war (cf. Bk. 392 flF.),
bei dem kein Weib zugegen sein durfte. In der Pappel und
den Fichten schaute man die Göttinnen selbst als gegenwärtig
any glaubte jedoch, daß sie zu Spiel, Tanz und Gesängen aus
dem Baumkörper zeitweilig hervorträten. Späterer Rationalismus
sah in diesen Bäumen (dem Vorgänge ßk. 39 ff. entsprechend)
die Verwandlung eines Menschenkindes, der Tochter des Landes-
königs, die man dem Wortanklange an Dryaden zu Liebe mit
dem Namen Dryope belegte, und bald war genealogisierendc
Gelehrsamkeit geschäftig aus den Ortsnamen der Umgegend die
Geschichte dieser Verwandlung zusammenzufügen. Dem griechi-
schen Gemeinbewußtsein wohnte eben in historischer Zeit die
Neigung em, die Stadt- und Inselnamen als Nymphen zu hypo-
stasieren, (s. darüber Lehrs pop. Aufsätze Aufl.* S. 121), an
diesen Glauben knüpfte die erweiternde Combination der Schrift-
steller an. Dryops, König am Oeta (d. h. der Eponymus des
Dryopis, später Doris genannten Ländchens), der Sohn des
Flusses Spercheios , (der die nördlich angrenzende Landschaft der
Aenianen oder Oetäer durchströmte) hat eine einzige Tochter
Dryope , welche ihres Vaters Heerden weidend von den Dryaden
liebgewonnen und zur Genossin ihrer Spiele gemacht wurde, {hi ei
di avTi]v f^ydjrtjOav huoffviTg'u^jucxd^vcideg tnonjaavro ovfiJiaiTtTQtav
iaiTwr y,ai fdida^av iitiveiv &6obQ y.ai xoQBvetv), Auch Apollo
— der Hauptgott jener Landschaften — liebt sie und verwandelt
sich, um sie zu gewimien, in eine Schildkröte [deren Schale
bekanntlich den Schallboden der Lyra bildete], dann, als sie
diese in ihren Busen steckt, in eine Schlange (vgl. Orakel-
schlange) und wohnt ihr bei. Mit Andraimon (nach einigen z. B.
Arist bei Harp. Gründer von Amphissa, man zeigte daselbst das
Grab dieses Heros) verheiratet, gebar sie vom Apollo den Am-
phissos (Eponyraos der Stadt). Aus dem von Andraimon dem
Apollo gebauten Tempel raubten sie die Dryaden, umhüllten sie
Mannkardt. II. 2
Kapitel I. Dryaden.
ji'^ }i/iise der Pappel und machten sie zu einer der Ihrigen.
^.. «^ i-KTO .raQohaav xo uqov jQvo/cfjv ijq/iaaav ^u4fiadi}vaäi(;
,,*,#.... V4'i (vuivetav Tcai airipf f.itv a/rty,QVif*av ai^ tijv vhv,
..** -v^ »t> aiyetQOv dricpfjvav Ix rijt; yrjg xai naqu rf^v aiyu{^w
v*Y '^'•'Ä".?^'*'* -Jq^ojiI' dt uexLiale '/ml dyxi d-vr^zT^Q fyivtin
,.*ii'. Aniphissos aber errichtet zum GedUchtniß seiner Mutter
äu l>nadcn ein Heiligtum und gründet die noch bestehende
4^^o*r yjaqov tögvoaxo vv/tKptüv y.al 7iQunog äyiavu f.7r€Tf?^a€ öqofiov
vxft iti vvv Ol a/nxi'jQiot öiaq^vkciaaoiOL toltov, yvvuiyu d' 01%
Mwur .iaqaTvxtiv,) Zwei JungiVauen aber, welche die )[eta-
HK^rphose der Dryope mit angesehen, werden von den Dryaden
^Mchtalls in Fichten verwandelt Hier scheidet sich der wirk-
Ikrhe Volksglaube und der ins Dunkel einer unbekannten Vorzeit
sich verlierende Brauch leicht und reinlich von der nur ad-
^tragenen Schminke pragmatischer Geschichtsdeutelei. Den
localen Volkssagen von Tithorea und Amphissa stelle ich als
nächste Analogie die Sage von Phigalia in Arkadien zur Seite,
wonach diese »Stadt von einer gleichnamigen Dryade den Namen
haben sollte (Pausan. Vlll, 3ü, 2). Diese Sage bewährt eine beim
gemeinen Mann in verschiedenen Teilen Griechenlands verbreitete
Neigung, den Ursprung der Landesbevölkerung von einer Baum-
nyniphe abzuleiten, und in diesem Sinne wird auch Mclia
als Gemahlin des Flußgottes Inachos und Mutter des Urkönigs von
Argos, Phoroncus, gegolten haben, ApoUod. II, 1, 1, ehe Dichter-
hand sie, die Dryade, zur Okeaniue ummodelte. Offenbart sieh
in solcher Neigung eine dunkele Erinnerung an jenen uralten
Glauben, daß die ältesten Menschen aus Fels und Baum (cr/r/*
dgiog y.ai ujro /utqi^q) hervorgingen ? (Bk. 7 ff. Schümann (Jp.
Ac. H, 13()). Ein anderes Beispiel (Paus. VIII, 24, 4), in welchem
die Nymphe mit dem Baume fast vollständig in eins zusam-
menfällt, ist aus dem Peloponnes. Auf einem Berge bei Pso-
phis in Arkadien sah Pausanias heilige Cypressen, welche nie-
mand Hmzuhaiicn ivaijte; Periegetengelehrsamkeit nannte sie
die Cypressen des Alkmaion, weil dieser in der Nähe begra-
ben sein sollte; das Volk aber hieß sit: Junf/fraHen {vraQxftivi),
Solche Vorstellung von Einheit der Nymphe und des Baumes
spiegelt sich auch noch in den Vergleichen ganz aufgeklärter
Dichter eines si)äten Zeitalters. Vgl. die Verse aus Nikanders
Thebais (150 v.Chr.):
Die Dryaden. 19
Xtti uiv vno ZtavaTov lioog ö{tvi<; (c/mf/ Tt (frjyuf
oiu Ti 7ia{td^tvixa(.^
laait Vergils Aen. 11, 626—631 :
Ac velati summis antiquam in montibus ornum
Qnum ferro accisam crebrique bipennibns instant
£raere agricolae certatim; illa nsque minatur
Et tremefacta coniam concusso verticc nutat;
Volneribus donec paullatim evicta, supremura
Congeniuit traxitque jugis avolsa ruinam.
Jener Volksglaube von Tithorea, Araphissa, Phigalia und Psophis
^Jestätigt — was schon die mehrfach vorkommende Benennung
^elie lehren konnte, — daß die Beseelung durch Nymphen nicht
^ui eine einzelne Pflanzenart gebunden ist. Ein Epigramm des
^gathias spricht von Nvftcpat derÖQirideg überhaupt. Der epische
Dichter Pherenikos von Heraklea erzählte, daß die Feige von
Syke der Tochter des Oxylos den Namen habe. Oxylos, (d. i.
O-xyl-os Holzmann) der Sohn des Orias (Bergmann), habe näm-
Tich aus der Umarmung seiner Schwester Hamadryas die Karya
(Nuß), Balanos (Eichel), Aigciros (Pappel), Ptelea (Ulme), den
Ampelos (Weinstock) und die Syke (Feige) gezeugt und daher
seien diese Hamadryaden geheißen, nach ihnen aber viele Bäume
benannt worden. * Das ist natürlich keine mythische , sondern
eine etj-mologische Sage, aber dieselbe setzt den Glauben voraus,
daß auch andere Pflanzen, nicht allein Eichen und Eschen,
von Dryaden eifUllt seien. Und hi Wirklichkeit finden wir Phi-
lyra (Linde), JDaphnc (Lorbeer), Bhoiai^ (Granaten), Hclikc
(Weide) als Namen von Nymphen in der griechischen Mythe
genannt, * ohne daß man sich später ihres Dryadencharacters
1) Nicandr. Thebais fragm. XXXVI Lehrs et Dtibncr. Schol Nicandr.
Theriac. v. 460.
2) X«) TKVTug l/f/n(CifQV€i(U(g ri'/LUfitg xnhTad^fu xtd itn^ airrm' noXXu roh'
i(viS(Htiv nQognyoQtvtaxkiu. Athen. lü, 14 f. 78 Casaub.
3) Kostath. ad. Od. VII, 115 un cT* ^Poiai ouiorv/ntog Ttu öM^tp xuX «i
ni(i\ ttirjug fivO^txnl vvfiqKiy Ji^Aolt«! x(u uUm/oCi. Ders. ad. Od. XXIV, 340
(f(TT(( MnkiriiSfgy (firra * Poittt , (((rra Mtldw h' oig vvu(f(Jijr fJtr iia)v
dv6fi(cr(( T« O^rjkvxd, tö tff ifinu ^ntf^^riuu Tii/ovg ör]kwTtx('n'. Solcher Aus-
mfe bedienten sich die Mädchen bei Wettlauf und Spiel: rag yitQ riuqag
(i'if rjttovü«! xf^ovai naool-vrovaiu (W.ijkag tig rd/og. Pollux IX, 127. Erinnert
Werden darf an den Wcttlauf zum Dryadenheiligtnni bei Amphissa. o. S. 17.
4) Die umständlicheren Belege bei Schömann a. a. 0. 128, Anm. 5.
2*
'20 Kapitel I. Dryaden.
noch jedesmal bewußt war. Zuweilen hatte sich der alte Glaube |^
in die schon o. S. 17 hinsichtlich der Dryope erwähnte rationel-
lere Form umgesetzt, daß die Nymphe eine in einen Baum ver-
wandelte Sterbliche, Najade, Okeauiue u. s. w. sei. So ward I;*.
Philyra zur Linde, Daphne zum Lorbeer. Die Motivienrng der
Metamorphose fließt aus verschiedenen Anlässen, bei Daphne ein- V^
fach aus ihrer Heiligkeit im Kulte Apollos, weswegen der Gott %^
sie liebt. Es ist kein Grund, die von Max Müller aufgestellt^
aul' sprachliche Metapher gegründete Deutung des Mythus ai*-^
die vom Sonnengott getödtete Morgenröte hier, wo jeder tiu^'
sächliche Anhalt dafllr fehlt, gelten zu lassen. (Vgl. Bk. 297).
§ 3. Die Baumseele. Wenn wir den aufgefundenen Spure-^^^^
folgen dürfen, so waren mehrere Varianten des Dryadenglaubcn^ -^
unter den europäischen und kleinasiatischen Griechen dem Volk^^ ^^
vertraut. Dieselben stimmen im wesentlichen mit ganz analogen^^ ^^
Sagen und Sitten unter nordeuropäischen Völkern überein nni-^^^
erklären sich wie die letzteren, sobald man als ihren Ausgangs-
punkt die Vorstellung von einer in verschiedener Weise und i
verschiedenen Abstufungen sich äußernden Beseelung des Baumes
erblickt, nicht aber mit Lehrs die Hamadrj'aden flir jüngere, voicac-^B
Dichterlaune eingegebene Individualisierungen des allgemeinereinÄ^^^"
Begriffs von Waldnymphen, welche in großem und freiem Stjl^^^
Repräsentanten des inneren Naturlebens darstellen, erklärt- -^'
Einen Beweis für die Richtigkeit unserer Ansicht ergiebt der Um-
stand, daß auch im alten Griechenland eine Reihe solcher Vor-
stellungen nachweisbar ist, welche mit dem Dryadenglauben i
untrennbarer Verbindung stehend sich als Abwandlungen der Ide
Baumseele zu erkennen geben, keinesweges aber aus der Vcr— '■^^'
enger UDg des Begriffes Waldgeist abgeleitet werden können. DaßÄ-^
der Baum beseelt sei, geht in den Glauben über, daß die Seeleä^'^^
(das Blut, d. i. das Leben) eines Verstorbenen in einen Baumc-«^^^
sich wandele und daß dieser bei Verletzungen blute. Diese Vor— *^ •'
Stellung war z. B. auf^^Geryon übertragen, von dem es heißt, dai^Ä-^
aus seinem Blute eine Art Kirschbaum entsproß, * oder eine Dop — ^^^
1) Popul. Aufsätze Aufl.«. 114 ff. Auch schon Welcker Griech. Götter— -^'®'
lehre III, Gl spricht sich „ausdrücklich" gegen Lehrs Auffassung aus.
2) De cujus sduguine dicitur arbor nata, quae vergiliamm tempore pomi^-^
in modum cerasi sino ossibüs ferat. Serv. ad Vt»rg. Aen. VlI, 662.
Die Baumseele. 21
elfichte, welche Blut austräufte. ^ Als Aeneas auf dem Grabe
jines ennordeteii Verwandten Polydorus Laubwerk zur Be-
ränznng der Altäre abhauen wollte, flössen aus dem ersten
aufne, den er mit den Wurzeln aus deni Boden rißy
lutstrapfen hervor, und befleckten die Erde, und immer wei-
r strömte schwarzes Blut aus den abgebrochenen Zweigen,
idlich ertönt« aus dem Grabe ein Seufzer und eine Stimme:
Vas zerfleischest du mich Unglückseligen, der hier begraben liegt?
cht fremd ist dir das Blut, das aus diesem Stamme fließt. Ich
D Polydorus" * Vgl. Bk. 39—44. Wegen der Vorstellung, daß
is Leben, die Seele des Bestatteten in den sein Grab beschatten-
m Baum oder Hain tibergegangen sei, war es demnach nattir-
jh, daß die Athener jeden, welcher ein Bäumchen in einem
eroon abhieb, mit dem Tode bestraften.* Das Alter und die
olksmäßigkeit dieser Anschauungen bewährt die Erweiterung
jrselben zu der auf dem Glauben an Beseelung der Pflanze
>erhaupt, nicht allein des Baumes beruhenden Vorstellung, daß
e Seele (das Lebensprinzip) jedes Begrabenen in eine Blume,
n Kraut, einen Strauch tibergehe, und zu dem Brauche, Blumen
ler Bäume als Abbilder davon auf die Gräber der Angehörigen
1 pflanzen.^ Derselbe Glaube und dieselbe Sitte bestand bei
3n Römern.^ In mehreren deutschen Sagen wird der Baumgeist
. B. derjenige der Kestenberger Eiche Bk. 41, so wie der des
''ildegger Birnbaums Bk. 42) ftir die Seele eines Menschen er-
lärt, der sich an dem Baume crJwnkt hat. Dieser Zug begeg-
3t gleichartigen Erzählungen in griechischer Sage. Phyllis,
önigin von Thracien, verlobt sich mit dem aus Troja zurtick-
ehrenden Demophoon, Theseus Sohn, der ihr verspricht nach
>rdnung seiner Angelegenheiten in Athen zur Vermählung zu-
Ickzukehren. Da er lange ausbleibt, meint sie verschmäht
a sein, sie erhenJct sich mit einem Stricke imd wird in einen
landdbaum verwandelt, der keine Blätter trägt. Als Demo-
1) Philostr. imagg. I, 4.
2) Vergl. Aen. 111, 19—47.
3) Oti Toaoi'jor jjr l4'hiV(iioiq i^tioiötauovdtg' il rig JiQtviihov i^^xoijjev
: rjQOioi' , au^xitivor artov. Acliaii var. hist. V, 17.
4) S. BOtticber Uaumkiütus der Hellenen S. 2b2 ff.
5) Bötticher a. a. 0. 292. Preller Rom. Myth. 481 ff.
22 Kaidtcl I. Dryaden.
phoon ankommt, umarmt er den Stamm der sofort, als empfin^lie
Phyllis die Gegenwart des Geliebten, Blätter treibt.* Allem
Anscheine nach sind wir berechtigt hiezu die folgende Ue\)ei-
lieferung zu stellen. Auf Rhodos gab es ein Heiligtum der Helena
Dendritis. Man erzählte, Helena sei nach dem Tode des 3C«ne-
laos zur Königin Polyxo gefluchtet, sei aber auf deren B^feU
von verkleideten Dienerinnen im Bade überfallen und an dm
Baume aufgehüngt, * Mit Recht vergleicht Bötticher ' der
Helena Dendritis die jy^v(pf] dsvögntg" d. i. Baumnymphe ^ die
als göttliches Wesen und Baum zugleich gedacht wird^ bei
Agath. 46. Er leitet daraus die folgende Erklärung ab. ^^E^ gab
auf Rhodos ein Heiligtum der Helena Dendritis, also der B^sum-
Helena, von einem Baume so genannt, welcher der Helena luieilig
oder vielmehr Helena selbst war, die von ihm eben das Beiwort
Dendritis empfing. Helena lebte in dem Baume fort; der !^arau
nahm das Wesen der Helena in sich auf." Es liegt wol aimrf der
Hand und geht aus der durchaus erkünstelten Anknüpfung ara dan
Epos hervor, daß der Name und die Geschichte der Helenai- hier
mit übler Gelehrsamkeit einer älteren an dem heiligen RÄnme
haftenden Sage aufgepfropft sind. Die Veranlassung dazu niag
die Aehnlichkeit mit einem im dorischen Mutterlande der Kim odier
verehrten Helcnabaum gegeben haben, der vermutlich e"ininal
als die aus dem Grabe der Heroine emporgestiegene Seelen ^^^'
selben gegolten hat. Wenn nämlich Theokrit Id. XVII H ^^
Lakonischen Jungfrauen in dem Hochzeitliede zu Ehren dec=^ ^'^'
nelaos und der Helena der letzteren geloben läßt, ihr zuerst <iwen
Kranz von erd wachsendem Lotos auf die Platane zu hängei^^ ^"
Oel aus silberner Flasche unter dem Baume auszugießen :3 *^*
dessen Rinde der Vorübergehende lesen werde „verehre "^*^">
ich bin der Helena Baum" {atßov u. 'EXevct^ (pvcov si^ti): r==»^ ^^^
das unzweifelhaft mit Rücksicht auf die zur Zeit des Dic^'^^^'*
oder seines Gewährsmannes noch bestehende Sitte der Bekrär: ^i^""©
einer • wirklichen Helena- Platane in der Umgebung Sparüis g«i38^>
welche wir uns am ftiglichsten zu Therapne, dem alten Sitz^*^ der
1) Scrvius ad Vcrg. Bucol. V, 10.
2) Pausan. 3, 19, 10.
3) Haumkultus dur Hellenen S. 50.
Wechselbeziehuog zwischou Mciisch und Baum. 23
ordorischen Könige, in dem gemeiusamen Heroon des Menelaos
nd der Helena, wo man Beider Grab zeigte,^ zu denken
aben.
§. 4. Wechselbeziehung zwischen Mensch und Baum.
Ke Verschiebung der Vorstellungen Baumuymphe, Bauraseele, im
^aiun wohnende oder eingek(')rperte Seele eines gestorbenen
Eenschen von einer zur andern ist möglich, weil ein lebendiger
.nd häufig bis zur Annahme eines durchgreifenden Parallelismus
:edeihender Vergleich zwischen dem wachsenden und welkenden
fenschen und der Pflanze diesem ganzen Vorstellungskreise zu
Ironde liegt Nicht anders, als im nordeuropäischen Volksglauben,
ritt die nämliche Anschauung auch schon bei den Alten hervor.
Vis Vergils Mutter mit ihm schwanger war, träumte sie, sie habe
dnen Lorbeerzweig geboren, der auf den Boden gefallen sofort
estwurzelte und zu einem mit Blüten und Früchten erfüllten
Saume emporschoß; am folgenden Morgen wurde sie von dem
Dichter entbunden* (Vgl. Bk. 46). Entsprechend dieser bildlichen
Auflassung des Kindes als grüner Baumzweig hatte man den
Brauch als Doppelgänger des Neugebomen an der Geburtsstätte
einen Baum zu pflanzen. (Vgl. Bk. 50). Auch daitir gewährt
das Leben Vergils einen Belag. ^ Ganze Familien hatten ihre
Bäume, deren Gedeihen man als vorbedeutsam fUr ihr Schicksal
ansah. Auf dem Landgut der Flavier vor der Stadt sUmd eine
alte dem Mars geweihte Eiche. Als Vespasia, des Kaisers Ve-
spasian Mutter, das erste Kind, ein Mädchen, gebar, trieb der
Baum einen Schößling, der klein blieb und bald vertrocknete;
1) Pausan. 111, 19, 1): IMtvO-dov d^ lajiv h' «rr/J vubg xcä Miv^laov x«l
XX^vrjr H'tuOUk xatfiivat kiyovair. Vgl. Ourtius Peloponnesos II,
236. 239.
2) Praegnans eo mater soinniavit Maja, enixam sc laurcura ramam,
quem contacta terra confestim cernerct evaluissc et excrevisse in speciem na-
'Urac arboris refertae variis pomis et floribus, ac seqiienti luce cum inarito
"US propinquuiii petons ex itinere divertit atque in subjecta fossa partu levata
St. Donati Vita Virgilü cap. I, §. 3. Virgilius Heynii cur. Wagner, Lips.
830, p. LXXXll.
3) Et accessit aliud praesagium: siquideni virga populea more
egionis in puerpcriis oodem statim loco (der Stätte der Geburt)
.0 pacta ita brevi coaluit, ut inulto ante satas populus adaequarit. Quae
rbor Virgilü ex eu dicta atquc consecrata est; summa gravidarum et fe-
arum religione suscipicutium ibi et holventium vota. Donatus a. a. 0. §. 5.
24 Kapitel I. Dryaden.
die kleine Neugeborene erreichte nicht das erste Jahr ; als Vespa-
sia darauf mit Sabinus, dem späteren Praefectus arbis, niedet-
kam, war das wieder ein Zweig, diesmal ein starker und ftp^-
gevy der großes Glück yorbedeutete ; bei der Grebort des ktlnfti-
gen Imperators entsproß ein dritter Zweig, einem Baume gleidh,
und die Haruspices weissagten, das Kind werde 'zum Troluid
gelangen* (Ct'. Bk. 49. 50). Während seiner Aedilität w^xirdc
Yespasian vom Kaiser Caligula einer erniedrigenden Besehimpf img
unterworfen, bald darauf sttlrzte auf seinem väterlichen L«2iBd-
gutc eine Cypresse ohne ersichtliche Ursache zu Boden , riefctetc
sich aber am folgenden Tage von selbst wieder auf. Als Yespa-
sian zur Regierung kam, erinnerte er sich dieses Vorfalls und
faßte ihn als ein Vorzeichen , welches ihm die Erhebung nac^li flo
schmählicher Erniedrigung habe vorbedeuten sollen; und fovtao,
falls nicht die Cypresse schon seit längerer Zeit als Schiele sals-
bäum der Flavischen Familie gegolten hatte, wurde sie fttr* das
Gedeihen des Kaiserhauses als vorbedeutend betrachtet Hau
4
bemerkte, daß sie wenige Tage vor dem Tode des Dommtian,
mit dem das Haus der Flavier ausstarb^ abermal umsank, und
sich nicht wieder erhob. * Auf des Augustus vejentischem I -^nd-
gut bestand ein Lorbeerwäldchen. Aus diesem brach j^^^
Triumphator der Augusteischen Familie den Zweig, welche "»^ er
beim Sicgeseinzuge in der Hand hielt, pflanzte ihn dann wS-cder
in dem Wäldchen ein , und pflegte sein wol. Der- so aufr^wacU-
sende Baum starb al)er, so erzählte man, jedesmal sobald^ ^^^
Tod dessen, der ihn gepflanzt hatte, herannahte, und als^ ™*^
Nero die Augusteische Familie erlosch, verdorrte das
1) Sueton. Vcspas. 5. In suburbano Flaviorum qucrcus antiqua, ^^^
erat Marti sacra, per trcs Vesi)a8iae partns sinnlos reponte ranios a t rnln'c
dcdit, haud dubia sigiia futuri cujnsquc fati: priiimin, exilein ^t===^* ^'^'^
arefactuiii, ideoque puella nata uon perannavit: secundum, praevalidn:^*-"* *^
prolixuiii, et qui magiiain felicitatem portenderet: tcrtiaui vero iustar ac ^"*'
Quarc patrom Sabiimm ferunt baruspicio in super contirinatam renoiv^ ^*****
matri: Nepoteni ei Caesarem genitum.
2) Arbur quoque cuprcssus in agro avito sine ulla vi tcnipc^'''^^*
evulsa radicitus atquo prostrata , insequ<>nti die viridior ac tinnior resu .^tt^^"*
SuctoD. Vcspas^. 5. (^f. Tac. Ilist. 11, 7H. Dio Cass. GÜ, 1. Arbor, H^^
privat«) adbuc Vespasiano cversa surrexerat, tunc rursus repente c*:^»"™"*
Suet Doniit. 15.
Wechselboziehaog zwischen Menech und Baum. 25
ildchea ^ Wie das Schicksal von Familien schien dasjenige
' Stände oder des Volkes mit dem Lieben eines correspondie-
den Baumes verknüpft. Im Heiligtum des Quirinus d. h. Ro-
Ins (dem Quirinal) — sagt Plinius XV, 36 — standen vor dem
npel (aedes) zwei heilige Myrtenbäume, die patricische und
plebejische Myrte genannt. Die patricische hatte lange Jahre
laeres Gedeihen und frühliche Ausbreitung, so lange die Macht
I Senates in Blüte stand; die mächtige plebejische stand dürr
1 traurig da. Als sie erstarkte, begann zur Zeit des Marsi-
len Krieges die Macht des Senates zu schwmden und zugleich
Ikte die Schönheit der patrieischen Myrte dahin. Im Cimbem-
ege — sagt Plinius — geschah den Quirlten das Wunder-
chen; daß eine Ulme im Haine der Juno zu Nuceria, welche
ne ersichtliche Ursache von selbst umzusinken und auf den
ter ihr stehenden Altar zu stürzen drohte und welche deshalb
•es Wipfels beraubt war, sieh von selbst >vieder aufrichtete und
'»hlich grünte, worauf alsbald die durch Niederlagen gebeugte
ijestät des römischen Volkes sich von neuem zu erheben
gann.*
Der auf römischem Hoden somit scharf ausgeprägte Glaube
ler mystischen Wechselbeziehung zwischen Baum und Mensch
It sich auch unter den Griechen in maunigi'aeheu Spuren nach-
jisen. Doch mag es ausreichen statt vieler ein hervorragendes
^ispiel namhaft zu machen. Schon die älteste uns zugängliche
►esie der Hellenen vergleicht den Wuchs des Menschen dem
ifwuehs des Baumes, nisondcrheit des Oelbauuis, der Palme,
• ö* aviÖQcmtv bQvii ]aüi;.'' II. 18, 437. inr d' fjiel O^Qtfl'av
Ol igvei Jany. Od. 14, 175. Cf. II. 17, 53. Od. 6, 163. Auf
r Akropolis zu Athen im Heiligtume^ des Landesheros
echtheus und der stadtschimienden Göttin (Athene Polias)
fand sich nebst einem „Meer" genannten Salzwasserbrunnen
1 heiliger Oelbaum, iloit]^ sc. ^?Mia Stadtolive oder fiogia
1) Sucton. Galba 1. Tlin. List. nat. 15, 39. 40.
2) Plin. hiat. nat. IG, 57.
3) Vermutlich in dem westlich an das Erechtlieion stonendcu Tenipclbofe.
W. Vischcr Erinnerungen u. Eindrücke a. Griechenland, Basel 1857 S. 142.
TsiaD Geogr. v. Griorhenl. 1, :Urt.
4) HCfirj, (Xu(n t) fv (txnonoX^i, r) xuXovfxfmi ^(iyxrffog Sin x^^nuaXf'niixn.
»sych. 8. V. "EXtyov ovv l^ariiv (Xti(av t>;j' f'i iix(»07r6Xta>i f ri^v xul *itQuv.
26 Kapital I. Dryaden.
Schicksalsolive (Substantivierung des Feminins von fioQiog
lis ') geheißen ; man wähnte , daß an ihn das Geschick der S "%a&1
und des Landes geknüpft sei. Unzweifelhaft hat das als h^^Uig
verehrte Exemplar im Laufe der Zeit mehrmals gewech^^lt,
beziehungsweise in Schößlingen sich selbst aus der Wurzel en^^ent)
er war in der Periode , aus welcher die Glossen o. S. 25 si^kam-
men, krumm und klein, aber man schrieb ihm immeigrün^^^Bode
Kraft zu. ^ Der wol schon in dem alten Erechthensheilifr^rtom
Euötath. ad Odyss A. p. 1383. Cf. TTayxvtfog l).a(ag tldög rt xaraxe^^mvifdi
xal TttTTdvov h rfj \4xQon6Xti. Hosycb. s. v.
D Den Ursprung von f.ion('ä aus dem Adjectiv fxoQiog erweist d^^rAc-
cent (Vgl. Miateli Z. f. vgl. Spr. XVJl, 161. IGö^. Dieses nur spät imc^B ver-
einzelt in der Scliriftsprache auftauchende Wort kann der älteren ^»^olig-
sprache in Attika gleichwol geläufig gewesen sein; es steht zu fioQo^^^ und
ftoQifiog wie ntaiog zu alau und (ttai ^og. Auch in der Bedeutung triM^JBt ^e
Analogie zu MoQog entspringt aus W. uto Anteil, Zuteilung erhalteik frgl
ftdQouai nebst /i^^m? Anteil, juoion aus u6o-in gebührender Anteil, Ge»«jhick,
fioQtc Heerabteilung, ^on-tov Teilchen, fx^nog Anteil], wie anogog Haii.<31aDg
des Aussäens aus W. a/rfo [anftQot] säen, bedeutet also die Erlangun^^ de«
gcbübrendüu Anteils, des vom Schicksal Zuerteilteu, sei dieses Loß gufc oder
böse. lu der epischen Sprache ist uonog freilich vorwiegend in schlixmner
Nebenbedeutung, ja geradezu für Todesloß gebraucht, aber das ist eiao we-
sentlich durch den Strjff bedingte besondere Anwendung des allgemeineren
Begriffs, der z. B. in d(T Redensart rnw uonov (vgl. vntQ aiaar) noch deut-
lich vorliegt, wie denn auch ttoomog 11. XX, 302 von der Lebensret t^^g»
fjitiQfaOai mehrfach von Erlangung der Ehre gesagt wird, während wir *i^
sinnverwandte taait d. h. der gleiche, gebührende Ant<;il ebenso wul y(»13 *-''^"
glück und Tod, häufiger aber [in Folge seines Ursprungs aus laog Cii^^"^^
Grundz.3 340V] in glückhaftem Sinne verwandt sehen. Dem lebcacli^*^^
Sprachgebrauch Altattikas dürfen wir die der Jit.vuudogie entsprechende »»^'^"
trale Bedeutung „zur Erlangung des Lebensanteilä, des Sdiicksalsloßcs i^*^
rig" für uooiog noch zutrauen, und wie das sinnverwandte aTaiog miC-
^^»bo-
--r» •-' ,.,ww.,,s t.x^v,.. ^«.,*c*«v,.. , ^..x* ,wv. — , ^ai
Begriffen Dimner, Vogel, Adler u. s. w. verbunden in die Bedeutung ^-r
Geschick verkündend, glückvorbcdcutend " übergeht, konnte dem ^^
ner der Baum , aus dessen Gedeihen er ein Vorzeichen und Wahrzeicbc ^ ^^^
das gesunde Leben der Bürgerschaft entnahm, des.sen etwaiger Fall den ^^^
selbst mit Tod und Untergang becb-uhte, mit gutem Kechte uo^woj heiß--^-?*
2) Eurip. Jon. M:i3. "/.Vjn Iv itj iixnon6).i kuiij ^r^fx^fjog lov p' '",
v^og MyofAtynv tirtci rtjog, h' Zft) ^Xitirj rf x(u ihiXuaaa tri . . . ittiTtf^"
T>;r 0,uiriv (iUK T^} (VMfi into xaxtXaßh ^fjuioriaihftvat vnö im* ßa^ßd^Hav *
T^Qijl (T* 7)fi^oiji tcno jtjg ^u/in/jaiog l4!h}rtooi nl !h'fiv vtio ßaailfjog xt-^
fifvoi tog i\v^ßi]auv fg to'' toov ohmv ßXaarov fx rof^ anK/fog oaor xer ^
yvaifyv (h'(((Uth^>((UT)x6i((. ovroi fi^r rri' jaüra hfitaanv. Herod. L.VllI,
Wechselbeziehung zwischen Mensch and Bamn. 27
len dem Tempel stehende Baum gleicht dem in Gallien und
mmeniy Schweden nachgewiesenen (von einem Numen be-
hnten) Baume ficben deni Göiterhause, Bk. 57. Es wird nr-
Unglich ein wilder Oelbaam gewesen sein; einen solchen, der
>en der den Nymphen geweihten Grotte auf Ithaka wachs,
mt schon der Fortsetzer in Odyss. XIII, 373 heilig (ieQtjg
ga nv&/iiiv' ilairig), er kannte also unzweifelhaft heilige Oel-
ime in ähnlicher Situation.^ Als die Knltur der veredelten
ye nach Attika kam, mag man den wilden Burgoelbaum mit
em fremden Reise gepfropft haben. ^ Als später die Perser
I Stadt anzündeten, verbrannte mit dem alten Erechtheion anch
r heilige Oelbaum, aber bald darauf, angeblich schon am
3hstfolgenden Tage, hatte der Stumpf wieder einen ellenlangen
hößling getrieben. Von diesem heiligen Baume war ein Able-
r nach dem Platze der Akademie am Kephissos verpflanzt, von
m 12 weitere Stecklinge, vielleicht als Schicksalsbäume der
Phratrien, ausgesetzt wurden. Diese Bäume, die sich später
einem ganzen Haine vermehrten, heiBcn auch (.lonlai. Von
len pflegte man das heilige Oel zu nehmen, das beim Feste
r Panathenäen in kunstvollen schönbemalten Hydrien den
3gem als Preis zucrtcilt wurde. ^ Von der (.loqict auf der
IWn der Nähe von E])i(lauros gab es noch zn Pausanias Zeit einen
iligen Hain von wilden Oclbäumcn, der Hyrncthion hieß nnd Schan-
ttz festlicher IJe^'chungen war (vgl. E. Curtius Peloponnesos 11, 425). l)a-
Is leitete man Ortsnuinen und Fest ätiologisch von dem Schicksal einer
ler ersc^hlosscnen Horoino Hyrnetho ab 'Pausan. II, 28, 2 ff."). In Wahr-
t wird hier, so vermute ich, der Yorsainmlungsplatz einer Phylc Hyrnc-
a gewesen sein, welche zwar für Epidauros nicht wie für Argt^s bewiesen
, aber doch mit 0. Müllir iDorier II, 8.53. 72) angenommen werden darf.
1. auch Bursian üeogr. v. (Jriechenl. II, 44. 56. 73. 75. Es bestand ein
setz, wonach das windbrüchige Holz der heiligen Oliven und
dernBäume desHains von niemand fortgenommen, nach Hause
tragen und gebraucht werden durfte, sondern liegen bleiben
ßte »Pausan. a. a. 0. 28, 3i. Vgl. die genauen üebereinstimmungen
, 35, 3. Knüpfte einst an diese Bäume der Stamm sein Schicksal, wie
Athen die ganze älteste Gemeinde das ihrige an den Burgölbaum?
2) Vgl. V. Hehn Kulturpü. u. Haustiere, Aufl. « S. 95.
3) AIoq(m (X(ch(i ito(d r^s" liO-tjviig, l^ mv to fXnior l^nnd^lov i^Cdoro
g Vtxtaai t« Uttvaih/ivattc. fjaav dt nQütmi if( xov itntif^iuov, al /nfTiCffv-
^(Taai fx rfjg \-/xoo/r(Mi)g tfg \^x«(^r}itfav. Suid. v. uonfnt. 'O Jt \-totOro-
¥jg xiti Tolg rix^imai r« //ur(i!h]yM(t ^ka^ov loO ix fionCtav ytyi'ouivov cf/-
28 Kapitel I. Dryaden.
Burg sowol, als von den Morien beim Gymnasium der Akade-
mie ging der Glaube, daß derjenige, wdcJier es wctge, iv^
einen der Bäume zu hauen, sich selbst verwunde. Man erzäklti^
einst habe Poseidon , erzürnt über den Sieg, den Athene dairc^lh
die Pflanzung der heiligen Burgolive über ihn davongetrag-^
den Baum zu zerstören versucht. Er sandte deshalb seinen
Halirrhotios , den Dämon des Wogengebrauses, ab, um
Oelbaum ahzuliau&n. Dieser schlug aber fehl, traf
eigenen Fuß uyid starb, * Es ist augenscheinlich, daß
ganze echte Grund dieser Sage einzig und allein die Vorstelluvig
war, der heilige BurgrJbaum , der Schicksalsbaum, das alter e^o
der Stadt, und seine Sprößlinge seien beseelte Wesen und des-
halb haue nach dem Gesetze strenger Wiedervergeltung, T^«r
ihren Fuß schädige, sich selbst ins Bern. Vgl. o- S. 24 uxad
Bk. 26 ff. 603. Anm. 1. 36 ff. 105. 63. Als diese aus hohem
Altertum herrührende Vorstellung in der Blütezeit städtischer
Kultur und staatlicher Macht den Athenern unverständlich um3d
befremdlich geworden war, aber glcichwol kraft der Gewohnhei*
ihr Dasein fristete, suchte man nach einer Erklärung fttr ihr^n
Ursprung. Man mußte vermuten, daß die Erfahrung in einc^ifl
bestimmten Falle dazu den Anlaß gegeben habe. Wenn m^^^
weiter fragte, wem daran gelegen sein konnte, die heilige Oli"^*^^
zu vernichten, so blieb der Blick auf Poseidon haften, der m"»'^
Athene um die Herrschaft von Attika streitend, als WahrzeieU ^^"^
seines Besitzrechtes, jene Salzquelle beim Erechtheion geschafften
haben, aber der Göttin unterlegen sein sollte, als diese zt^^
Zeugniß ihres besseren Anrechts den heiligen Oell)aum aufwa*-=^ "'
sen ließ. Offenbar war auch diese Sage eine ätiologische, ^^"^
doaiinC (ftjai. Cf. Meursii Panath. c. 11 (Gronov. Thcs. Gr. Ant. VII). ^^**'"
<hr(hm. Schol. Aristoph. Nubb. liX)').
i//f TÖv viov airroC l:iki(}()ußioy Tnvrrfj' TiiioOrra. 6 di dvartCvag rör 7t ^*-^'
3evv, TKihtjg utr iiOT6/i]Ot' röv iH Tiöd'ic avTov nlti^ug iiflfi'itjOf - ^"^
ovTb} (.lOQdt t) ÜM(a ^xlt'iOriy thg ftooov nnotxrixti — AI U{HtX IXaUc* ""i^
li'hiviig iv Tfi axQUTiolti uomiu fxuXoüvro. Kyovai yao ort l4Xii}^9ic>^ • ^
nuTg Jloatn^m'og, ti'f^eltjOtj' Ixxöxjjtu ttcritg, Ji« to ti;^* fXtUttg ivofOt^'^^t^
XQi O-rfvia Tt^g l-id^väg riiv noXiV o Jf unatditg ror TitXixm' xtä rttf^li
unoTv^iav (TiXii^fv hciTov x(t) an^^uvf. xn) diä toCto uoqüci tei /X^*^"*
^xXi^f^riffccr. Sehol. Aririfoph. NuLb. 1005.
Wechselbeziehung zwischen Mensch nad Banm. S9
tnng des Ursprungs der längst vorhandenen Burgolive und
Salzquelle (x^dkaooa) gebildet nach Analogie einer allgemei-
Q in verschiedenen Varianten verbreiteten Erzählung vom
ite der elementaren Gewalten des Wassers und der Erde um
griecbiscben Ktistenstädte (Vgl. Welcker Griecb. Götterl. ü,
E). Daß aber diese Sage hier grade an die Burgolive sich
)te, seheint lediglich aus den Verhältnissen des sechsten
hnnderts begreiflich zu werden. Damals gedieh die von ans-
8 kommende Kunst der Veredelung der Obstbäume und ihr
bringender Anbau im Gegensatz zu anderen griechischen
Ischaften in Attika zu so hoher Bedeutung und wurde in
mrrenz mit dem Ertrage der Schiffahrt so sehr Quelle des
onalwolstandes, daß man solchen Segen stolz und dankbar als
auszeichnendes Geschenk der Landesgöttin empfand. ^ Indem
r dem Einflüsse dieses Bewußtseins jene Sage vom Kampfe
Landes und Meeres sich in localer Bestimmtheit umbildete
modernisierte, bot sie zugleich ein treffendes Material zur
ärung des heiligen Baumes und der Quelle «auf der Burg,
beleidigte Meergott, dessen Streit mit Athene später ja auch
t neben dem Erechtheion am westlichen Giebelfelde des Par-
on und unter den zwischen diesem Tempel und dem Erech-
m aufgestellten Weihgeschenken verewigt wurde,* imd des-
Wogen man bei Südwinde in dem Salzbrunnen rauschen zu
n vermeinte , ^ mußte nun seinen Sohn , den Meeresbraus
rrhotios abgesandt haben, den unweit stehenden Baum zu
:ören. Der Name Halirrhotios weist uns gleichfalls in das
ste oder das beginnende tUnfte Jahrhundert als Entstehungs-
für die Sage, da grade in dieser Periode die Wörter
bot^ioc:, aXi^^oO^nc: von den Orphikern und Aeschylos modern
acht wurden. Wenn dann aber die Er/älüung in den Schluß
iutt, er hieb mit der Axt in den Oelhaum uml sich in den
, so setzt dies die feste Ueberseuifung von derartiger Bestra-
1) S. V. Hchn a. a. 0.
2) S. Michaelis Parthenon S. 179 ff. 5. 108.
3) tiXXä TOiSf (fofiiQ lg avyyiufriv 7Tt€Q^/fT€a xv/Lnertov fiX^v fjrl voto)
7tcvTt. xa\ jniciirtjc ^(Tt)v Iv t^ nf'rtm a/rj/nce. rnCrra cT^ l^yfTtci IToafi-
uttorrnm ^g 7i]v (CfHfKTßfJTtioir rtjg /aumg tfavfivtti. Pausan. T, 26, 6.
Dreizack war iiatiirlich erst in Folge der Sage angebracht.
30 Kapitel I. Dryadeu.
fang des Sacrilegs an der Burgolive als einen zur Entstekur^^^.
zeit der Sage lebendigen Glauben voraus. Zugleich ist deatlmc^l
daß letztere den ursprünglichen Burgölbaum , nicht die Mok*1.«q
der Akademie im Auge hatte.
Die Vorstellung des Parallelismus und einer gewissen m^^ ti-
schen Verknüpfung eines heiligen Baumes mit einem Menscb^n-
leben erhellt auch schon aus der Sage des Melampus, welcslie
bereits in die vorhomerische Zeit (Od. XV, 230 flf.) zurUckreicslit.
Ihre aus älteren Quellen geschöpfte Aufzeichnung bei Pherek^^des
ist uns nur in einem doppelten Auszuge bei ApoUodor und dem
Scholiasten zu Homer Odyss. XI, 289 (Pherecyd. Fragm. XJS^VI
Sturz) erhalten; von ersterem weist C. Robert (de Apollodori Iri-
bliotheca. Berol. 1873 p. 35ff.) überzeugend nach, daß er zn
Nutz und Frommen der Schuljugend vorgenommene Auslassang^en
und Abänderungen enthalte, so daß wir genötigt sind, durch Com-
bmation beider Excerpte die Erzählung des Pherekydes herzu-
stellen. Der Seher Mclampus, welcher die Vögelsprache ver-
steht, so lautete danach der Inhalt des Stückes, auf welches es
uns hier ankommt, verspricht dem Phylakos ausfindig zu madien,
weshalb sein Sohn Iphikles kinderlos bleibe, und ein Mittel zar
Abhilfe herbeizuschafFen. Melampus schlachtet dem Zeus eiiicu
Stier und ruft alle Vögel zur Teilnahme am Mahle herbei. Alle
kommen mit Ausnahme des Geiers und werden von ihm nach
einem Heilmittel flir Iphikles befragt ; da keiner etwas weiß , ho-
len sie auch den Geier. Dieser macht sofort die Ursache der
Schwäche des Kihiigssohnes ausfindig. Als Phylakos einst Ham-
mel machte [xQtoig zi^iviov htl tcuv aiöoltov], sah er, wi^»®^^
noch junger Sohn Iphikles etwas Unzüchtiges beging. VoLl^ Un-
willen drohte er dem Knaben , mit dem blutigen Messe :^ ^^^
ebenso zu tun, wie den Widdern, und da dieser erschr«*^!^*^"
floh, sti^ß er die Schneide in einen danebensteJienden li^e^il^9^'^
Eichbaum; Rinde wuchs seitdem darüber, Iphikles aber v^*""
lor die Manneskraft. Werde das Messer nun herausge^ßoge'';
der Rost abgeschabt und zehn Tage lang von Iphikl^^« '^
Wein getrunken, so werde letzterer einen Erben zeugen. ^
sprach der Geier; es geschah nach seinen Worten und die ^'^^'
hersage erttillte sich. Hier spielt der Batim deutlich die i^''^
eines Doppelgängers des Iphikles, er empfängt den für diesen
bestimmten Messerstich und derselbe hat dieselbe Wirkung; ^^
Dryaden, Nymphen und Keraiden. 31
nn er den Körper des Menschen selbst getroffen hätte. Vgl.
:. 46 ff. 31. Anm. 1.
Solche Wechselbeziehung zwischen Mensch und Banm und
\ Yorsteilong von der Banmseele ließe sich auf altgriechischem
1 italischem Boden, sowie unter den heute diese Länder bewoh-
iden Völkern * noch viel weiter und in mannigfache Verzwei-
Qgen des Grundgedankens hinein verfolgen , die beigebrachten
Dgnisse reichen aber wol aus, um wahrscheinlich zu machen,
B auch der Dryadenglaube aus dieser Wurzel erwachsen ist.
ir kehren rückblickend noch einmal zu diesem zurück, um
n YerhältniB zu dem Nymphenglauben im allgemeinen uns klar
machen.
§. 5. Dryaden, Nymphen und Neralden. Wie immer es
t der Vermutung bestellt sein möge, daß die unbekannte Quelle
r Sage von den Blumenmädchen einmal in einem Lande helle-
(cher Bevölkerung gerauscht habe (o. S. 4), so viel steht fest,
6 dieselbe ein fast ganz genaues Seitcnstüek zu dem Dryaden-
luben bildet. Als Pflanzen werden die Mägdlein geboren, Blu-
snblätter sind ihr mitangebomes Gewand, mit den Pflanzen
irben sie in Sonnenglut, aber losgelöst tanzen, spielen und
1) Vgl. boispiclsweise die von Mattia di Martino aus Noto in Sicilicn
sammelten Zaubersprüche is. J. v. Düringsfeld Ausland 1875 n. 3. S. 55)
t Bk. 00. Mau stößt einen Dolch in einen Baumstamm und spricht:
La campana sona
'nta lu cori di tiziu ci va a tona;
E cu gesti c cu palori
*stu imtieddu oi lu apizzu 'nta lu cori.
e Glocke hallt und hallt im Herzen N. N's wieder und mit Geberden und
»rten steche ich ihm dieses Messer ins Herz. — Wird das Messer bei einem
kUse in den Boden gesteckt:
Spiritu di ficu o diavuli di nuci
tanti pampiiü siti, tanti diavuli \i faciti,
In casa di chLstn vi 'ne jiti,
tanti tanti cci uni rati,
muurto 'n t<»rra lu lassati,
no pi oampari, no pi muriri,
ma pi avillu o me vnliri.
»igenbaumgeist, Nußbaumteufel, 80 viele Blätter ihr seid, zu so
?len Teufeln werdet, falirt in das Haus des N. N., keilt ihn gehörig durch,
M ihn ffir todt auf der Erde, nicht um zu loben, nicht um zu sterben, aber
1 mir zu Willen zu sein!
i
32 Kapitel I. Dryaden.
singen sie auch im grünen Klee. Die Dryas lebt im Baume, ist
der als 7taQ&6vog bezeichnete (o. S. 18), beim Axthieb blutende
(o. S. 11) Baum selbst, führt aber zugleich Reigentänze und Ge-
sänge um denselben auf. Beide Vorstellungen, diejenige von den
Blumenmädchen und die andere von den Baumjungfrauen sind
augenscheinlich nach einem Modell gebildet, oder vielmehr aas
einer Wurzel entsprossen, und zwar in einer Volksschicht,
deren naturwüchsige Anschauungen durch keine literarische Gelehr-
samkeit getrübt waren. So dienen sie einander gegenseitig zur
Bewährung ihrer Ursprünglichkeit. Da mithin auch Tams und
Sang als ein wesentlicher anfänglicher Bestandteil des durch
sie vertretenen Typus erkannt werden muß, gehen wir sicher
nicht irre, wenn wir darin die durch den griechischen Volksgeist
in die Sphäre des Schönen erhobene Vorstellung wiederfinden,
nach welcher in roherer Form Windesrauschen, Sturm ond^E^ij
Wirbelwind an und flir sich oder unter dem Bilde von
und Musik gefaßt als die Lebensäußerung nordenropäisehe]
Baum-, Wald - und Komgeister gedacht wurde (Bt 43
86. 87. 101. .116. 143. 604. 611). Die letzteren gewährei:»:— n
überhaupt ein neues Analogon zu den Dryaden, indem ancW^^sh
sie zunächst die immanenten Psychen der einzelnen
sind^ sodann aber in Menschen- oder Tiergestalt aus densd
ben Jieraus und hieben sie hintreten. Auch ihr weiteres VerhaltCK" ^^n
ist lehrreich. Meistenteils nämlich erweitert sich der Getreides^^^-
dämon zum CoUectivgenius des ganzen Ackerfeldes oder de^^ae»
Komwachstums in der ganzen Landschaft, nicht selten zur ScelÄT -le
der gesanimten Kulturfrucht, ja der Vegetation überhaupt, und i ä~ in
allen diesen Vorstcllungsformen zeigt sich das Leben der
geister mehr oder minder deutlich erkennbar an das Leben d
Halme selbst gebunden (Bk. 600 ff.). Daneben aber taucht zi
weilen als eine dritte Entwickelungsstufe die Anschauung ai
daß der Dämon nicht dem Halme einwohnt und sein Lebensl
teilt, sondern der Erzeuger desselben ist, so daß er nicht in d
zuletzt übrigbleibenden Aehren gefangen wird, sondern diese
ihn auf dem Felde stehen bleiben (S. m. Komdämonen S. 7 fiF. 3
Genau so sehen wir im nordeuropäischen Volksglauben in d
Gestalten der Moosweibchen, Holzfräulein, wilden Weiber, Dam^ «s
vertes, Skogsnufvar, Ljeschie u. s. w. die Baumseelen unmeE-"i-
lich in eine Schaar von Waldgeistem übergehen, Genien CMes
Dryaden, Nymphoii und Neraidiii ii3
gesamiuteu Waldes, mit ihrem Leben an diesen, znweilen noch
an einzelne Bänme gebunden, bald nur noch in schwachen Spu-
ren den Zusammenhang mit der Pflanze verratend, endlieh zu
Geistern der Vegetation überhaupt sich erweiternd. Dieses nor-
«lisphe Gegenbild macht uns das Verhältnis der o. S. 5 erwähn-
ten homerischen Waldnyniphen zu den Dryaden anschaulich.
Die Orestiaden des Hymnus in Vcn., welche mit den Bäumen zu-
gleich geboren werden und sterben, entsprechen den deutschen
^oosweibchen, deren eines jedesmal stirbt, sobald man ein Bänm-
<:hen auf dem Stamme driebt (Bk. 75). Aus den kurzen Andeu-
tungen in Homers Gesängen ersehen wir nicht, inwieweit und in
'welcher Weise die Dichter derselben einer Beziehung der vvfKpai,
€11 aXaea xa?M vif.i(n'cai oder an^ aXanov yr/vnvrcn zu den Bäu-
men sich bewußt waren. Da aber ulaog in jenen Dichtungen
^orzogsweise von heiligen Hainen gebraucht wird, liegt es doch
nahe anzunehmen, daß gradezu die Dryaden solcher von dem
-Axthieb gefreiten heiligen Baumgruppen {ii^uvtj) gemeint waren,
'wie sie die Verse 2G8 — 2Gt) des Hynmus in Ven. (o. S. 5) vor
^ugen führen. Ganz richtig sah Lehrs, daß jenes a/ro ähjimv
Q^iyvovtai (Od. X, 350) „elementares Entstehen aus den Wäldern"
zu bezeichnen scheine. ^ Wenn aber nach II. VI, 420 Orestiaden
um das Grab des Eetion Bäume pflanzen, d. h. wachsen lassen,
so ist das freilich eine andere Stufe der Vorstellung, die Genien
lallen nicht mehr in der Pflanze ihre Wohnung; daß aber grade
sie das Liebeswerk verrichten, verrät dem durch die o. S. 32
angelUhrten Analogien geschärften Auge sofort eine Spur dessel-
1) Popül. Aufs. Autl. •^. 115 Anm. Wenn derselbe aber gleichzeitig
behauptet, diese aus Wäldern und die andern aus Quellen und Flüssen ihren
Unsprung nehmenden Dienerinnen der Kirke seien keine Nynipheif, sondern
etwas Besonderes der Zaubersphäre ent8i>rechend, [er meint also wol Kobolde,
Spiritus familiäres, nach Art der aus Besen, bunten La]>pcn und allerlei In-
gredienzien verfertigten und belebt^-n Zaubergehilfen, Alraune, Skratte, Til-
berar, Diharar u. s. w. nordischer Sagen], so widcrsi)richt diesem Sopliisma aufs
bestimmteste der Umstand, daft die Verrichtung dieser Wesen, die einfache
Hauswirtschaft , die Versorgung der Sessel und Tische mit Teppichen Speise
und Trank, keinerlei übernatürlichen Zwecken dient, in keiner Weise zauberhafte
Verwendung der Kräfte des Wassers oder der Wälder erfordert oder voraus-
setzt. Nein, es sind wirkliche Nymphen. Alles AuHallige erklärt sich auf die
einfachste Weise ^ indem der späte Dichter, welchem die Abenteuer des Odys-
seus bei Eirkc angehören, ein Epigone jener aus der Eddapoesie so wol be-
MftnnhArdt. IL 3
34 Kapitel I. Dryaden.
ben Vorstellungskreises, der in den Orestiadeu des Hymous ai
Tage tritt. Sie handeln so nicht rein aus gemütlichem Antrieb,
sondern weil es in ihrer Natur liegt, weil sie Schöpfer, Erzeuger
der Baumpflanze sind. Es entsprechen also die homerischen Ore-
stiaden und Hainnymphen in der Tat der Gattung nach uns^
Holzfräulein, Danies vertes u. s. w. in deren verschiedenen Ab-
stufungen. Daneben bestand ohne Zweiibl der davon untrennbare
Glaube an Dryaden im engsten Sinne, d. h. an eigentlicbe
Baumpsychen, wenn auch nur noch local erhalten; nur modite
dem Gemeinbewußtsein der aufgeklärteren städtischen, indostriel-
len und ritterlichen Kreise, aus welchen das Epos hervorging
und itlr welche die dem naiveren Landmanne noch nicht flbendl
aufgegangene Scheidung des botanischen Begriffs Baum and der
Anschauung der Bäume als begeisteter Wesen sich längst voll-
zogen hatte, die Vorstellung von Genien zusagender und geläu-
figer seui, welche in mehr allgemeiner Weise und in freierem
und größerem Style, d. h. ohne sofort erkennbare elementare
Gebundenheit das Leben und Weben der Bäume und des Waldes
repräsentieren.
Waldnymphen, auch im Namen unseren Holzfräulein ver-
gleichbar, waren wol die dgr^ildeg, Nymphen des Eichenwaldes
{dQifidg), welche Herodian aus einem Dichter antllhrt ^ Ihnen
entsprechen wol die römischen Vtrne (picrquetnlnnae „nym-
phae praesidentes qucrqueto vircsccnti" Fest. p. 261. Müller. Cf.
Prcllcr Körn. Myth. Aufl. \ p. 88. Henzen Acta Fratr. Arval
p. 145.
kannten Art, welcher bereits dii» aus früheren Vorbihlern entnoiniD«*n*D
Motive sammelt und in njehr und minder meclianischou Aufzählnnjren
nebeneinanderstellt, den Einfall hatte, die Bedeutung seiner Heldin dadurA
hervorzuheben , dalJ er ihr Nymphen aus allen Gebieten der Natur zu ücflib^
tinnen gab. Auch Welcker Götterlehre III, 58 nennt in nnausgcsprot-henw
Zurückweisung von Lehrs die Dienerinnen der Kirke „drei natürliche Artei
von Nymphen , und darunter Hamadryaden , ohne etwas Zauberhaftes."
1) Gramer Anecd. Gr. Oxon. p. 225, 1 'Ouijoov ^mu^niau. x. öroftn ^^T
m'VLiov (tnoTtXfi'Tni (\nö tutv th '«»" o'ivTortt' d\n\uo^ ^iQv/nig «cy* ov
jQVfjL(6fg ri'jutfai.
Daß diese Drymiden in den Drymien der Neugricchen erhalten seien, ▼**
B. Schmidt Volksleb. d. Neugr. I, 130. Rhein. Mus. NF. XXVII, m go^
Wachsmuth Götting. gel. Anz. 1872 S. 253. Khein. Mus. NF. XXVII, 342 ff-
zu erweisen sucht, ist mir im höchsten Grade UDwahrscheinlich.
Dnadcii, N}ini»hin und Noruiilon. 35
Den deutschen Waldmeistern stehen Genien der niederen
danzenwclt anf I5erj;:hahlen und Wiesen (Bk. 100) zur Seite,
"adeso wie den Bauni^eistern die Komdämonen ; andererseits
jhen Ilolzlrjiulein , Fangen, »Selige und ihre Sippe einmal in
enien eines gnißeren Vegetationsgebiets, sodann in so leisen
id unmerklichen Abwandlungen in Berg- und Feldgeister, Ko-
dde, Elbe aller Art (Bk. 154), ja in Meerfrauen (Bk. 122 ff.)
>er, daß die Schranke zwischen diesen verschiedenen Klassen
«1 Wesen stäts flüssig erhalten wird, und niemals die Faniilien-
inliehkeit zer8t()rt. Wiederum dieselbe Beobachtung kntipil sich
1 die griechischen Waldgeister. Denn den Oreaden gesellen
eh Nymphen der Wiesen (niaea ^roitjirra), Xuficoriddeg,
•ophocl. Philoct. 145 4\ der Waldsehluchten und Täler, Na/raloi,
fvhoyiadegy der Felder (t'fftifac dygordfint) der Felsen (;r£r^a7o/);
id diese 'sind abgesehen von ihrem Wohnsitz wieder so wenig
m den Sumptnymphen kijuvddeg, ÜMovofioi, Wassernymphen
pvdQidäegy fied^cdgiddeg^ norajur^tdegj F/ri7roTajtiideg, fjriTroTUfiioi^
tjyalaiy y.Qtp'alai ^ y.Q).videg, endlich den Meemymphen (iktat,
Uadeg, NrjQf/l'dag, 'üxtavldeg nach Art, Wesen und Verrichtungen,
^schieden, daß — wie wir o. S. 15 sahen — Dryaden und Najaden
einander rinnen konnten. Wenn nun die Nereiden unzweifelhaft
\e belebenden Elementargeister, die Psychen der Meereswellen,
enn die Flußnymphen, ai yrijydg nozai^uor viiinvzai o. S. 4, die
imanenten aber zugleich gleich den Blumenmädchen, Baumnym-
lien, Komdämonen (o. S. 32) aus ihrem Elemente hervortretenden
}er demselben in freier Bewegung waltenden Quellgeister waren,
e erst weiterhin neben dem Quell oder Flusse ihren Wohnsitz
jhmen, f.rtnnrafi/deg werden, so wird ein ganz entsprechendes
erhältniß auch bei den meisten übrigen Nymphenklassen anzu-
jhmen sein, während einige (z. B. die 7iirQ(aai) durch Analogie-
Idung hinzugekommen sein mögen. Alle diese Nymphen stehen
if einem gemeinsamen Boden, bilden eine und dieselbe große
attung, tragen eine und dieselbe Physiognomie, und diese Gleich-
•tigkeit beruht auf einem inneren Grunde. Alles spricht dem-
ich dafür, die Psychen der Baundeiber, die Dryaden, von An-
.ng au unter ihnen vorhanden und zu den Oreaden in demselben
erhältniß wie die Potamiaden zu den Ei)ipotanuadeu zu denken,
ie Aufenthaltsorte seiner Landnymphen, Haine und Grotten,
ebte der Grieche mit sprudelndem Quelle belebt (o. S. 15), aber
3*
36 Kapitel I. Dryaden.
unerweisHch und unrichtig ist Welckers öfter von Andern wieder-
holte Hypothese, alle Nymphen seien ursprünglich Personificationoi^
von Quellen.
Die in den vorgetragenen Tatsachen ausgesproclie^^^
Gleichung unserer Elbe mit den Nymphen verstärkt sich dnit^
die Uebereinstimnnmg einiger sehr characteristischer Züge. W\
die Nymphen, spinnen und wehen nicht allein andere Elbe, so:
dem auch die Baum- und Waldfräulehi (Bk. Gf). 76. 104. 107
Wer die Nymphen erblickt, wird mmvfrunrH, vvftqokt^ntog.-
Unter diesem Zustand verstand man ursprünglich wirkliche Geistes-^
Zerrüttung; wie aber dem Orientalen noch heute der Wahnsinnige^^
vielfach als gottbegeisterter Prophet und Heiliger gilt, diente
jenes Wort dem Griechen später zur Bezeichnung exstatischer
Begeisterung und Weissagung, in seiner ursprünglichen Be-
deutung kommt das Ergriffensein von den Nymphen damit ttber-
ein, daß auch im Norden, wer den Weg der Eiben kreazt^K-
krank, oder irrsinnig wird. (Bk. 62. 126. 140).
Auch der neugriechische Volksglaube, welcher bei maneheoH
unzweifelhaft slavischcn Beimischung doch noch vielfach die alt-
griechische Volkstradition, nicht die Mythologie der LiteratUE: _l j
fortsetzt, zeigt uns dasselbe Bild. In Folge des o. S. 15 ei — nr-
wähnten, in dem Mittelalter zur Reife gekommenen Entwickelonga^^^-
Prozesses begreii't der Ncugricchc unter dem N.imen NeraidcM^ n
oder Exotika alle Arten von Nymphen. Unter ihnen treten aber^^r
noch vielfach kennbar die Dryaden hervor, deren Name jQi'adt=^^;
nach üikonomos noch heute auf Aegina, nach F. W. Sieber
der Nähe von Goniais an den nordöstlichen Abhängen des kn
tischen Ida erhalten sein soll.* Auf Zakynthos hausen Neraid<
nach der bei den Bergbewohnern herschenden Vorstellung besoi
ders in Stcineiehen (^reo^uoia), auch werden auf dieser Ins» -^el
die Löcher und Höhlungen (y,oi(fd?Mig) in den Stämmen groß^»- er
alter Olivenbäume als Wohnungen von Geistern betrachtet — In
1) Vulf^o autem meinoriao prodituni est, quicunquo speciem quandnm— ■ *
fontc i. 0. cffigicm N^inphac vidorint, furondi non fccisse iiiietn, quos Gra -^t'i
vvu(f(drJ7iToi'(: vocant, Latini lymphaticos appcllaut. Paul. p. 120.
2) Hier (in ('a^cs) orfulir ich, daß der Glaube an die Nereiden c^W
Dryaden noch nicht verloschen sei, indem man sie selbst noch zu nenm ^o
wußte, doch vermengte man beide mit einander. Man müsse sie st&tB, w^»fl
man einsam sei, loben, ihrer ja nicht spotten, besonders aber dem E'Cbo
Dryaden, Nymphen und Neraiden. 37
Li*2ichoba nimmt man u. a. auch in Feigenhäumen Neraiden
a- Doch setzt das Volk auch die in Gebirgen, Wäldern und
men wohnhaften Neraiden gern in Beziehung zum Wasser
läßt sie an Quellen, Mtthlbächen und Wassennühlen ihr Spiel
ei.l)en. (Schmidt a. a. 0. 1(>2). Hier vorzugsweise ruhen oder
ifgen sie sich gern um die Mittagsstunde oder um Mitter-
i^lt, gradeso wie die Drj'aden im kallimacheisehen Hymnus
S. 8). Deshalb hütet sich der imi die Mittagsstunde Vor-
stehende scharf nach denselben hinzusehen (Schmidt a. a. 0.
^, und man wanit davor, im Sommer tibermittags sich am
«ser oder im Schatten von Bäumen, namentlich unter Plata-
, Pappeln, Feigen, Nußbäumen und Johannisbrodbäumen
uhalten oder gar dem Schlafe hinzugeben, weil man sonst
lit „von den Neraiden ergriffen** wird d. h. einen Schlag
ommt, in Folge dessen der Mensch geistig oder hörperlich
''ankt, LäJimung des Körpers oder eines Gliedes, Verkrüp-
^^Xmg oder Verlust des Verstandes sich zuzieht (Schmidt
^0. 119 — 120). Hier haben wir noch die einfache volks-
^^cjQliche Grundform der Nymi)holepsie. Die Neraiden si)innen
Xid weben, und eine in zahlreichen Kanken um die Bäume sich
^Vudende Schlingpilanze heißt tu iiviqaiöoyvtfutTLt oder viQiudo-
^i^iaia Neraideugarn (Schmidt a. a. 0. 106). Vgl. das Holzfräu-
^-^ingam Bk. 76. Wie die nordcuroi)äischen Konidämonen (Korn-
^äm. 2. 19 Bk. 611) Baum- und Waldgeister in Sturm- und Wirbel-
Vmd ihr Leben kundtun (Bk. 119), gelten auch die Neraiden als
\Jrheberinnen des alles nnt sich fortreißenden Wirhelwimles
i^dvefwoTQOfiilog) , welcher in G riech tmland , zumal im Som-
mer häufig einzutreten pflegt. In ihm schreiten sie daher und
reißen begegnende Menschen mit sich in die Lüfte, Sie be-
rühren den Boden nur schwebend f)der streifend mit der Sohle
ihrer Fttße, deren Spur man in den Kreisen erkennen will,
welche der Wirbelwind im Sande bildet. In den an eine von
e^itMtixatg bewohnte Höhle in den pierischen Bergen angrenzenden
Wäldern wagt niemand auch nur einen Baum zu fallen j und
wenn auf den benachbarten Höhen sich Stürme bilden, so rufen
nicht Dacbäffoii, weil sii? sU-h dann beöon<ltTs an Miiibbon /u rächen pflegten;
man müsse mit Achtung von ihnen sprechen, du sie auch (lutes, besonders
Kindern erzeigten. F. W. Sieber Keise nach Kreta. Lpzg. u. Sorau 1823
I, S. 432.
38 Kapitel I. Dryaden.
die Bäueriimeu „Houig und Milch! '^ (ue?u ydla) oder „Honig
und Milch auf euren Weg!", um die geiürchteteu Wesen zu
beschwören. Wer sich der Höhle nähert, wird von Wahtisinn
befallen. Auf Korfu opfert man den Neraiden bei einem i)iöt>
Udien stauhaicfwählenden Wirbel in Wirklichkeit Honig und
Milch. Vgl. das Opfer von Milch an den 'Baumgeist Bk. 11.
Auf Zakynthos sagt man vom Wirbelwinde „die Neraiden Um-
jgfßH." (Schmidt a. a. 0. 123 — 125). Und wie unsere Waldgeister
in Hausgeister tibergehen (Bk. 80), kehren auch die Neraiden
öfter in die Wohnung einer von ihnen begnadeten Familie ein
und verrichten alle Arbeit, so daß die Haustrau morgens beim
Aufstehen alles fein und sauber gekehrt und geputzt findet; oder •_ ^^_^^^^
spinnen am Rocken und weben am Webstuhl, oder sie ver — ^•^^-
wirren das Gara (wie Frau Holle und Frau Berchte). Schmidf',^^ ^^
a. a. 0. 118.
Die nordeuropäischen Waldgcister werden nicht allein toeib^^ -j.
lidi gedacht. Es giebt Moosmännchen und Moosweiblein, wiliflEl^e
Männer und wilde Frauen; ebenso stehen den schwedische^^^en
Skogsnufvar männliche Waldgeister der Skougman oder Hult^o^-te,
den männlichen russischen Ljeschie weibliche Lisunki zur Seit^Kie.
Der eine Teil solches Paares, der Mann oder das Weib, lä .^ßt
dann gewöhnlich entschiedener die meteorische Seite der Wal-_^Äd-
geisternatur hervortreten, so daß er fast wie eine reme PersuL-^Moi-
fication von Sturm und Wirbelwind sich ausnimmt. (Vgl. Bk. l*^ — ^7.
105. 127). Gradeso sind nun aucli die Neraiden der Neugriech»» eu
als die Frauen männlicher Dämonen oder Teufel gedacht (SchmMMdt
a. a. 0. 108), welche dem Volke vielfach mit Wind und Wirb^""^l-
wind zusannnenfallen ; daher der Ausdruck avtfiog: ftlr Teaf^ — d-
Schmidt a. a. 0. 175. 177 — 78. Von ihnen meint man, daß ^^»ie
den Neraiden zum Tanz aufs])ielen und oft glaubt das Volk v ou
Arachoba von den Felsliöhen des Paniassos herab ihre bezaubeEzrrn-
den Weisen zu vernehmen (Schmidt a. a. 0. 110). Im allMÄen
Griechenland liefen nicht minder neben den weiblichen Wa^^d-
nymphen männliche Waldgeister her. Mit ihnen haben sich die
Untersuchungen des nächstfolgenden Kapitels zu beschäftigen.
Kapitel U.
Die wilden Leute der griechischen und
r ö m i s c li e n Sage.
§ 1. Characterlstik der wilden Leute. Die altgriechi-
«eben Sagengestalten der Kentauren und Kyklopen, die altrömi-
eehen der 8ilvane «iud möglichst genaue Gegenbilder nordeuro-
päiseher Waldgeister. Die im ersten Bande veröffentlichten
Untersuchungen lehrten uns als die bezeichnenden Eigenschaften
<ier wildeti Leute in Deutschland, des Hulte und der Skog-
snoiVar in Schweden, der Ljeschie in Rußland, vorzüglich folgende
lennen. Sie sind herg - oder traWbewohnende Wesen von oft
riesiger Gestalt, deren ursprünglicher Zusammenhang mit dai
Baumseden noch deutlich in mehreren Zügen hervorbricht (Bk.
147. 148), wie sie auch als Vegetationsgeister durch ihre
KeufUniß van Heilkräutern für Pest und Viehsterben sich
kundtun. (Bk. 81. 1)7. 106. 153); Wate hat von einem wilden
Weibe die Kunst erlernt mit guten Wurzeln Wunden zu heilen.
(Bk. 106 flF.). Von Kopf bis zu Fuß sind die Waldgcister mit
Moos oder mit rauhen sottigen Haaren bewachsen. (Bk. 147.
Anm. 2), ihr langes Haiq)thaar fliegt im Winde. (Bk. 148.
Anm. 1). Zuweilen erscheinen sie in Tiergestalt. (Bk. 146.
147). Im Winde, zumal im Wirbelwinde j geben sie ihr Da-
sein kund. (Bk. 140 ff.). Die männlichen Waldgeister tragen
ausgerisseyie Tannen oder andere Bäume als Waffen in der
Band (Bk. 86. 96. 105. liO), mit entwurzelten Bäumen und aus
defn Boden gerissenen Felshlöcken liefern sie einander SeJdach-
ien, (Bk. 130). Die Verwüstungen der Orkane gelten dem
mssisehen Bauer als Wirkungen dieser mächtigen Kämpfe der
Waldgeister (Bk. 130. 140). Andererseits wird deren Umfahrt im
Wirbelwinde als ein Brautzug aufgefaßt (Bk. 143) und fast
insgemein sind sie lüstern und weibcrliehend (Bk. 153). Durch
Feuerhrände werden diese Dämonen vertrieben. (Bmk. 615.
m0 *-* >-v\
40 Kapitel II. Dio wilden Leute der griechischen nnd römischen Sage.
§ 2. Keutauren. Im Gegensatz zu der neuerdings Yon
einem so tüchtigen Forscher wie W. Koscher* weitläufiger aus-
getUhrten Behauptung, dal) die Kentauren ursprünglich nichts
weiter als die Pcrsonificationeu wilder, von hohen Waldgebirgen
niederstürzender Bäche seien, spricht E. Plew als Ergebniß seiner
sorgsamen Prüfung dieser Ansicht^ aus: ,,Bei unserer äußerst
geringen Kenutniß von den ersten Phasen des Kentaurenmythos
müssen wir uns wol mit der Annahme begnügen, daß die Phan-
tasie der Griechen oder eines einzelnen Stammes derselben die
Vorzeit gewisser Gebirge, namentlich — wie es seheint — des
Pelion mit wilden tierisch rohen Gestalten bevölkerte , die erst;^.^^
nach schweren Kämpfen durch die civilisierten Einwohner VLudM^^^^d
zwar durch deren berühmteste Helden, aus ihren Wohnsitzeii::^'«-^^
vertrieben und unschädlich gemacht waren." Eine erneute, nkhrM^ht
bloß auf die Negative gerichtete Untei-suchung der vorhandenenKr^^en
Quellen dürfte diese von Plew entworfene Zeichnung zwar ün allf ^STJ].
gemeinen Umriß bestätigen, doch im einzelnen weit lebendige^' -^sr,
deutlicher und verständlicher machen.
Schon vor Homer waren die Kentauren aus Gestalten d(
Volksglaubens Figuren epischer Dichtung geworden; einzelne vo
ihnen umlaufende rein mythische Erzählungen in Episoden d(
Heldensage verüochten und der frei weiterbildenden und nacl
ahmenden poetischen Tradition anheimgefallen. Nicht jede solcht
Erzählungen hatte das volle Bild der mythischen Wesen, wie
im Volksglauben der Heimat lebte, in sich aufgenommen;
eine hatte diesen, die andere jenen Characterzug betont od<
breiter geschildert. Da aber die Geschichten außerhalb des
cals ihrer Entstehung reproduziert wurden, so hafteten in
jedesmaligen Wiederholungen besten Falles nur diejenigen Zt
des ursprünglichen Porträts, welche in der ersten dichterischc^^^-^^
Bearbeitung zur Benutzung gekommen waren, bis durch Z
mentragung und Vermischung der verschiedenen Angaben
verschiedenen Geschichten und Quellen eine meist Späteres ui
Jüngeres, Echtes und Unechtes unentwirrbar vereinigende
sammtvorstellung zu entstehen pflegt. In den homerischen
dichten wird vorzüglich auf zwei thessalische Volkssagen öl
1) Jahrb. f. class. Phil. 1872. S. 421 ff.
2) Jalirb. f. class. Phil. 1873. S. 193 ff.
Kentauren. 41
die Kentauren Bezug genomuicu , vom Kampf derselben mit den
Lapithen und von Cheiron als Lehrer der Arzneikunst. Beide
liegen uns aber weder in Ilias noch Odyssee vollständig, noch in
der Form des ursprünglichen Mythus vor, sondern sind nur in
Andeutungen erhalten, welche eine selbststäudige t>ereits episch
entwickelte Ueberlieferung in Liedern zur notwendigen Voraus-
setzung haben.
Im Hause des Peirithoos, Königs der Lapithen, der nach
IL XIV, 318 der Sohn des Zeus mit der Gemahlin des Ixion
war, verttbte nach der Odyssee der hochbertihmte Kentaur
Eurytion im Weinrausch arge Frevel, weshalb ihn die ver-
sammelten Helden (J/^wtc), daa beleidigte Gastrecht rächend, vor
die Türe warten, und ihm Nase und Ohren abschnitten. Daher
entstand der Streit zwischen den Menschen und den Kentauren^
Od. XXI, 295 — 303. Auf diesen Streit wird auch 11. I, 262 flf.
n, 742 fF. Bezug genommen; hier werden die Kentauren das
einemal als sehr stark (x«^r/aro/) und als (frjQei; ogea-Aotot geschil-
dert; die andere Stelle nennt sie (flgag htxvi]tvvaQ. Sie sind
also von den Menschen unterschiedene, im Waldgebirg (ö^oc)
haasende Dämonen von rauhheliaarter , tierartiger Gestalt, von
der es nicht deutlich ist, ob der Theriomoqihismus bloß in
der zottigen Haut, oder auch im Zusätze tierischer Glieder
zum Menschenköq)er bestand. Und zwar ist das Peliougebirge
der Wohnsitz dieser Wesen, von da werden sie durch die
Lapithen schließlich zu den Aithikeni auf das Pindusgebirge
an der westlichsten Grenze Thessaliens gegen Epirus hin ver-
trieben. Ihre Stärke denkt man sich so groß, daß ihre Be-
kämpfung selbst für die gewaltigsten Helden der an Kraft die
Mitwelt weit überragenden Vorzeit eine schwierige Aufgabe war.
JLus der volleren epischen Ueberlieferung, welcher diese An-
deutungen in der homerischen Dichtung entnommen sind, entlehnt
auch noch Ilesiod (Scut. Heracl. 178 — 188) eine Erwähnung des
Kampfes, aus welcher hervorzuheben ist, daß die Kentauren
als Waffen Fichten in den Händen tragen, (x^vata^; ikdiag
iv /eQOip tynriec). Die Namen und Beiwörter, welche der Dichter
den auf dem Schilde abgebildeten Kentauren giebt, sind insofern
von mythologischem Wert, als sie nicht wie in ähnlichen Fällen
1) /| ov KtvTuvnoiai. '/AU (ti'öofiOt veTxog (TV/(}t].
42 Kapiti^l II. Die wilden Leute der griechischen und römischen Sage.
beliebig aus dem Vorrate gebräuehlicher Personennamen ausge-
wählt sind, sondern in Wahrheit sämmtlich naeh verschiedenen
Seiten hin die Auffassung wiederspiegeln , welche die Sänger des
älteren Epos von diesen Wesen hatten. Auf ihre Heimat im
Gebirge und ihr Treiben in Berg und Wald gehen die Namen
Pdraios (IlerQaJog), Ureios (ücgaioQ), Koseformen etwa zn
llezQoßiog, Tkiq6v()f.io(^, OvQoßiOi^, ^OQeayjTtog ^ ^ und Dry - atas
d. i. Baumspringer , wie Hipp - alos auf das Pferd springend. * s
Dryalos wird Peukidc (flevyitiörjg) genannt, sein Vater hieß also ^
PeukcuSy'^ d. i. Kosename wol zu IlevArj-ffOQog Fichieniräger. ^,
Weist derselbe auf die Bewaffnung der Kentauren mit Baom-
Stämmen, so dürfte As-holos = '^ai-ßokog der am Werfen ,^^
Beilagen findet^ von den (durch andere Quellen bezeugten) ^j
Steinwtlrlen derselben hergenommen sein. Ärktos entweder "m.ty
schlechthin Bär, oder Verkürzung fUr Arktomenes, Arktosthenes^ ^ ^i
vergleicht die Kentauren entweder von Seiten der Kraft ödes des .^ -g
Aussehens mit dem Waldtiere, denn kaaiavxffV mit dicht- — ^
beliaartem, zottigem Naelcen, wie im homerischen Hynm. in m:m:ji
Merc. 224 der Kentaur heißt (i'x*''« — Keviavqov laaiavxi- -
vog) y wird im Hymu. 6 in Bacch. 46 der Bär genannt (of^xroy *<«4
e/toirjaey laatai^tva). Die behaarte Gestalt des Kentauren schil
dert ganz übereinstimmend das Beiwort ^lekayxamfi (vgl. tlvovo
Xahrjg) mit lose fUeijemlem , frei herabwaUendeniy scJiwarzem^^r^m
IIaupth<iar, das Hesiod Sc. Her. 186 dem Mimas erteilt^^iA^^t
dessen Name (3i/-//«-)^ -(; wie yi-ya-vv-g) den begehrlich^^zxA
Daherstürmenden [vgl. fnwfiai begehre, ftdaoficu suche zu be-,^^^.
tasten, berühren', fuiiaa verlange heftig, begehre, strebe yorm: ^i^j.
wärts] bezeichnet und füglich ein treffender Hinweis auf dL^^^^
Neigung der Unholde, Frauen zu rauben, gewesen sem könnti*.^:^- ^
Der Name Ferimedes, der in hohem Grade Batkluge, endlic^^^^^
vergegenwärtigt uns diese Dämonen gleichzeitig als Inhab^cTDer
manches Wissens von den verborgenen Kräften der Natur, (v-— ^«^
1) V^'l. Fick, Griedi. Porsoncim. Göttingen 1874. S. XXXVII. XXS:i.IX.
2) V.ltI. Fick a. a. 0. S. 100.
3) Vgl. ^Jh/tn^i;, J/iXltiih]i: , lirmuhjq zu Atytvg , li/ilhvg, Ifr^^fv;.
Zö. f. vgl. ►Sprmhf. IX, 177.
4) Vgl. Fkk. a. a. 0. S. 16. Curtius Grundz.3 251.
5) Vgl. Fick a. a. 0. XVIII ff.
Kentauren. 43
Cheiron). Eine Variaute der Sage vom Lapitlieiikampie finden
wir im Pelopounes an den dorischen Stanimhelden Herakle»
geknüpft wieder. In einer aus allerlei Lappen zusanimcngefliekten
jedoch wahrscheinlich schon vor Pisander (650 v. Chr.) entstande-
nen Hcraklee,* welche ApoUodor (Biblioth. II, 5, 4) auszugsweise
wiedergiebt, werden die Kentauren, zu deren Namen Agrios
(für Agriandros?) dar wilde Mann [vgl. Hesiod. Thcog. 1013
^AyQiog = Faunus] und Elatos d. h. Elatoi)horos Fichtenträger *
[falls nicht bloße Anwendung des grundverschiedenen Namens
Elatos von IXavvio^ wegen des Gleichklangs mit DAcr- anzunehmen
ißt] gehören, vom Gerüche eines ihnen gemeinsam zustämligen
Fasses Wein herbeigelockt, das Pholos seinem Gaste Herakles zu
Ehren öffnet. Sie geraten mit diesem in Streit und kämpfen mit
Baumstämmen und Felsstücken; Herakles, aberjagte sie durch
Feuerbrände, die er warf, zurück, die übrigen verfolgte er durch
Pfeilschüsse.* Der Kentaur Pholos (Eponymus des Gebirges Pho-
ioe auf der Grenze zwischen Arkadien und Elis) heißt der Sohn
der Melia (also einer im Eschenbaume wohnenden Dryas) und eines
Seitens; er verzehrt alles Fleisch roh und wohnt in einer Berghöhle.
Der Dichter der lleraklec muß eine Vorlage gehabt haben, welche
um mehrere Züge aus dem Bilde der Kentauren, und zwar um
solche von sehr altertümlichem Gejiräge (das Rohessen, Stein-
wcrfcn, Angelocktwcrden durch den Geruch eines Weinfasses,
1) V^O. .]. Tl. Voss Mythol. IJricfc II, IJr. XXXIII. 8. 2(>7. Herakles
führt no<'h Hogeu und Pfeile und uirht die Keule, die Pisander in die Poesie
«jiiiführtc. Hernliardy ^v. IJteraturg. 11.'^ 3'ii>. Pisander selbst behandelte
Siuch wol diesen (ie^^enstand. Vi^l. das aus ihm stammende Spriehwort roi\
itv nium hi-rJHvnnini. Hesy«h. — Außer bei ApoUodor ist die oben erwähnte
Hffaklee z. T. ausriihrlieher. größtenteils nber llüehtiger und mit Einmisehuug
eij^ener Gelehrsamkeit ausgezo<^en bei l>iodor. Sie. Hibl. IV, 70.^
2) Vgl. o. S. l'J Peuk-rus aus Peukephoro.s. und Fi«'k S. G.
3) Vgl. Klatos Freier der P.nidnix' Od, XXII, 1>(J7. Trojaner 11. VI, 33
mit Fiek a. a. O. IGt».
4) Aijorrtn;; tSt (lirttr ' llow/.).t(n\; , lif tj (UAoixtuti luv xoirur rtjv
AhVTaroov lO'o/crw :iiifi)r. t}Knntiv t)n- Jiiumy.tktrauuf-rag Ifnuxliic, aiHov
iji'ai^i:, >,ii) utr o** .70/. r (Vm'< r /} s n o u i, i^ aiaiioutvoi JinnfiOuv oi h^v-
T H V n (j I ;i ^h o fK I v t'n ;i /. i a 11 1-' voi xai ^. ). d i (c 1 <; t.i ) to ToO 'In'tlov an i]kai ov
Toi-s; ntr ovr ;iniöri)r>^ lo/.nt'ioc.rnii; hom jiHnÜ.ltHi* ^iy/iov x«) 'liyniov
//occx/^V ^Tof^il'cin fitcltor (h'.}.ntg. tov^ dt Xomoi'^; höitiae ifiomor t</Qi
Tr^g JMuh'ag.
44 Kapitel 11. Die wilden Leute der griechischon und rÖmischeD Sage.
\
Wohnsitz in der Höhle , Vertreibung durch Feuerbrände) reicher
ausgestattet war, als die hesiodeische Darstellung des Lapithen-
kampfes. Dieselben sind um so weniger tiir archaisierende eitle
Erfindungen eines Dichters zu halten , als die Fabel auch in
anderen Teilen den Character echter Volkssage aufweist, wie
denn z. B. der Tod des Pholos einer solchen nachgebildet ist
Letzterer hatte aus dem Leichnam eines Kentauren den Todes-
pfeil gezogen; während er sich nun wunderte, wie ein so kleines
Ding so große Männer hatte niederwerfen können, entglitt das
Geschoß seiner Hand, fuhr ihm in den Fuß und tödtete ihn
plötzlich. Hiczu vgl. die Sagen von Hackelberend, Oenrarr Odd,
Sigurd Orkneyinga Jarl u. s. w. ^ Dagegen ist die EHnniischnng
des Cheiron augenscheinlich ein vermutlich erst vom Verfasser ^«r^j
der Heraklee herrührendes rein dichterisches Einschiebsel. Mag ^^jg
denn nun die Erzählung von Pholos eine auf peluponnesischem
Boden gewachsene Localisierung des Mythus oder die bewußte
epische Nachbildung eines aus Thessalien stammenden Liedes
sein, in jedem Falle darf mit großer Wahrscheinlichkeit ange —
nommen werden, daß ihr echter Volksglaube und echte Volks—
sage zu Grunde lag.
Nur in unbestimmten Ausdrücken deutet Homer (Od. XX
auf die Gelegenheit hin, bei welcher der Streit mit den Lapithe
entstand, und auf die Gräuel, welche ihn veranlaßten. Vc»-.^.^
Schollene nachhomerisclie Epen, deren Inhalt Phcidias auf de^-^.jj
Metopcn des Parthenon verwertete,^ von denen uns aber GviÄ^^j^
1) Grimm D. S. I, 399, 310. Myth. «. 901. W. Schwartz der heu^^y^^
Volksgl. Auti.ä. S. 55 ff. Simmk Haudb. d. d. Myth. Aufl.«. S. S^ägtJ.
Äfenzel Odiu. 209.
2) FüDt" Metopen der Südseite (Mii'haelis Parthenon T. III, 10. 12- 22.
25) und die sehr verstümmelte (IV, 29) stellen mit mannigfacher Abwechue ^ uug
franenraiibende Kentauren (hir. Vgl. Michaelis a. a. 0. S. 132. 135. 13e.
Auch auf dem hintern Giebelfeld des Zeustcmpels zu Olympia war \'OtM der
Hand dos Alkamcncs unter des Pheidias Aufsieht und Anleitung die Ho^^'Ä^wit
des Pcirithoos dargestellt; man sah den Eurytion, wie er die Braut cr^rfaßt
hatte, ferner einen Kentauren, der eine Jungfrau, einen anderen, der «^^nc«
schönen Knaben forts('hlepi)tc. Pausan. V, 10. Vgl. Curtius Peloponn. XÄ- »^^•
Aus derselben Zeit rührte die Darstellung der Kcntauromachic auf dem 0*:^«se
des Theseions zu Athen, wie des Apollotempels zu Phigalia, auch in let^«-*^/^
begegnet der Raub des Mädchens u. des Knaben. (0. Müller, Handb. d. Ar^ Biwl.
§ 118. 119.)
KcDtauren. 45
und Vergils auszügliche Naehbilduiigen eine Vorstellung zu geben
im Stande sind, ^ lassen den Streit auf der Hochzeit des
Petri/Äoos • mit Hippodanieia und zwar darüber sich entspinnen,
daß die .Kentauren im Rauscht' hrgvhrliche Hände nach der
Braut und ihren Gefähtiinnen atisstrech^i.^ Diese im rohen
Character wilder Waldnienschen wolbegründeten Züge sind ein
Erbstück aus der älteren Poesie^ und waren ohne Zweifel in
den von Homer benutzten ausflihrlicheren Schilderungen aus-
drttcklich genannt. Denn aus ihnen erklären sich am einfach-
sten und natürlichsten die kurzen, den SagenstoiT als bekannt
Yoranssetzenden Andeutungen der Odyssee vom Bruche des Gast-
rechts auf einer von den namhatlesten auswärtigen Heroen und
zugleich von dem ungehobelten Nachbar Kentaur besuchten Ge-
sellschaft, ja die Erzählung des zu den jüngsten Erweiterungen
der Ilias gehörigen Schiflfskatalogs (H, 740 ff.) setzt — wenn ich
nicht irre — gradezu die angegebene Fabel als ihr älteres Vor-
bild voraus. Der Dichter der Teichomachie (Iliad. XII, 127 ff.),
dem es darauf ankam, auch die berühmten Lapithen am Kampf
gegen Ilion teilnehmen zu lassen , hatte als deren Führer einen
»Sohn des Peirithoos erfinden müssen, da letzterer nach anderen
Liedern (IL I, 266) längst gestorben war. Wenn nun der Ver-
fasser des Schiffsverzeichnisses diesen neugebackenen Polypoites
jrade an dem'Tage gcl)oren werden läßt, an dem der Vater an den
1) Vermutlich oin<* Thosois (vgl. Benihardy Gr. Literaturg. ». 11, 334),
eren Verfasser vielleicht die o. Ö. 43 erwähnte Heraklee benutzte, war es,
roranf die Metopen des Parthenon und Ovid Metani. XII, 210 — 535 zurück-
rehen, ein nächstverwan<ltes Gedicht ist von Vergil Georg. II, 454 — 57.
Ven. VIII, 293— % und Valerius Flaccus I, 140. 338 benutzt. Vgl. Michaelis
,. a. O. S. 131 zu Met. 3 un<l Voss zu Vcrg. Georg. II, 454.
2) Diodor. Sic. IV, 70: Ihiod^uvg yt'juug 'inTioöuufKiv ttjv Buvtov xaX
nißnl^oS^ai j€uq xfxli]uh'(tiq yvrut!^ x(c) [i(i( u(ayhathu. Raptaturque conüa
»er viin nova nupta prohensis. Eurytus Hippodamen , alii quam quisque pro-
»araut, Aut poterant rapiunt. Ov. Met. XII, 223 — 25.
3) Mindestens war <lie Lüsternheit bereits in der erwähnten vorpisan-
Irisohen Heraklce als Characterzug der Kentauren ausgesprochen. Der Ken-
taur Nessus will der DcTaneira Gewalt antun. Apollod II, 7, G. Der Kentaur
Eurytion (so hieß der Urheber des Lapithenkampfs) findet sein Ende, als er
im Begriff steht sich an der Jungfrau Mnesimache zu vergreifen. Apollod.
El, 5, 5. Muß eine derartige Handlung nicht schon nach der früheren Poesie
i-ü seinem Character gelegen haben?
40 Kapitel If. Die wilden L(Mit«» d«'r «rriecliis«*hen und römischen Sage.
Kentauren Kaebe nalnn und sie zu den Aithikern vertrieb, so
beabsichtige er augensebeinlicb, in leicht erkennbarem Parallelis-
mus dem IIochzcitst4i^e der Eltern, an welchem durch Beleidigung
der Mutter der Frevel begangen war, als dem Ausgsmgspunkte
des Streites, den Geburtstag des Sohnes, an dem die Untat
gesühnt sei, als Ende des Kampfes entgegenzustellen.
Noch ein ursprünglicher Zug aus den älteren Bearbeitungen
des Lapithenkampfes scheint durch Pindar (Fragm. 147 Boeekh) f ^
erhalten zu sein. Kaum hatten die Kentauren den Geruch des ^^^
männerbezwingenden Weines gespürt, so stiejien s/c die weiße 'T:%\yq^
Milch von den Tischen {ajro uiv kar/.ov yaka x^qoi tQa7r£t(h'.m:'S'^
oiOeov) und berauschten sich aus silbernen llöniem. BoeekfcB'^^il]
vermutet, daß aus demselben Liede das Pindarische Frsignienr' mrm- .tn\
148 übrig sei, wonach Kaineus in die Erde sinkt, von den gm-%r^ — ö-
nen Tannen des Kentauren (jctr offen (xl(0Qa7g eXazaiai rvTrelt;).
§ 3. Cheiroii« Neben den Liedern vom LapithenkampiT^^^fe
liefen andere aus thessalischem Volksglauben geschöpfte um, irM in
welchen die Kentauren «als hräuterhundige ^ krankhcitJmlcnJ^^ sde
Wald ' und Berggeister geschildert werden. Nach IL XI, 83 ^Iw 30
bis 48 hat Achill von Chciron , dem gerechtesten aller Keir.M- ru-
tauren, blutstillende, schmerzlindernde Ileilwurzeln kennen gc^-i^e-
lemt. Nach II. IV, 219 besitzt Machaon, der Ar/t, des Askl<» M le-
pios Sohn, einen lindernden Wundbalsam, den einst dem Vatc^-iÄcr
vcrliehn der gewogene Cheiron. Diese Andeutungen sctzcri^ ,oij
frühere, ausführlichere Erzählungen von Cheiron voraus, de ^rucs-
scn auf die geschickte Iland des Wundarztes deuteud» -JFler
Name, Abkürzung von Cheirisophos ' oder einem ander» — j-oii
mit xf.t() zusammengesetzten Worte, daraus entsinnngen s/-"
muß , daß ihm seihst in einer Sage eine tätige Holle als Noih
fer ^f (geschrieben wurde: auch wird diese Sage zu den berül
testen und bekanntesten der alten Zeit gehr)rt haben. So
konnte es geschehen, dali die Zuni't der Asklepiaden, * wel
nach Ausweis der Geburtslcgcnde des Gottes in Thessidicn ei
ihrer ältesten Sitze hatte, und daselbst während des homeris^^
Zeitalters oder doch bald nachher vorzugsweise in Trikka blül~mtc,^
1) Firk rjric<'h. IVrsoiioiiii. XXVI.
2) lieber dies«' vgl, Häser (leschichte der Medizin I. Jona ISTiS. S. ^ff.
3) II. II. 721».
Cheiron. 47
lie chirurgische Seite ihrer Kunst, „den Brauch der h'nden Hand,"
inf das mythische Vorbild der im Besitze schmerzstillender Heil-
uüater befindlichen Waldgeister zurückführte und dieselbe dadurch
m adeln suchte, daß sie ihren Ahnherrn Asklepios zum Schüler
iines derselben machte. ^ Schon vor dem Aufkommen einer zünf-
3gen Betreibung der Heilungen als priesterlicher Kirnst mögen
Familien , in denen die erprobte Anwendung vegetabilischer Haus-
nittel sich fortpflanzte, ihre Kenntniß mit Stolz und Ueberzeu-
^Dg in die sagenhafte Vorzeit zurückgeleitet haben. Von einer
solchen Familie in Demetrias am Fuße des Pelion; hatte man
loch im vierten Jahrhundert v. Chr. Kunde , in ihr vererbten sich
7on Vater auf Sohn gewisse Geheimmittel aus der Wurzel und dem
lüraut eines lür Nervenleiden, Uuterleibskrankheiten , Augenfluß
leilsamen kaum fußhohen Strauchs von dunkler Farbe , und deren
Anwendung. Sie rühmte sich der Abkunft von Cheiron und hielt
58 für Ehrensache, mit ihrem Wissen jedem Bedürftigen unent-
^Itlich zu dienen. * Mehrere tlir heilkräftig oder zaubermächtig
ingesehene Pflanzen , an denen das Pcliongebirge reich war, ^
zeichnete man durch die Namen XeiQiovtov, XetQcavog {ti'ia, xtr-
tavQiov (xeviavQeiov , jiivzavQUj, yievvuvQii;) als solche, welche von
Cheiron oder den Kentauren überhaupt angewendet und empfoh-
en seien, aus.* Eine derselben war das Tausendgüldenkraut,
)der Fieberkraut (Centaurea Centaurium L.), das auf den Alpen
1) Chiron ccntaurus Saturni lilhis artoni modicinam chirurgicÄiii ex hcr-
is primum iiistituit. Ily^. lab. 274. p. loO. Schmidt. Cf. alii (volunt repor-
im) hcrbariam et mcdicamciitariam a Chirone. Pliii. hist. nat. VII, sect. 57.
Utß^vutjTK Xffodri' Totifff kixHrtt} r ^Iüüoy" ^vditv T^yfi, xtd fTifirev
axki]niov. 7üj' tfuouiixMv th'tht^f u «ktixo/fi o(t vuuov. Find. Nem. III,
2, Vgl. Pyth. III, liT.
2) TavTi]r (F* rtiv ihh'uuir Vr rcur rroA/rwr onFf y^vog o (F»y X^yfira
Zf ioojvo^ ((Tioyoror f^h'iti /T(co((Öi'i^(0(Ti J^ xit) öftxvvffi Tiurijo i'iai xid
irnog f) di'rttuis (pvXancin«! , Ws ort^A/s «AAo? oiih rvjr iioXudjr ov/ oaior
i rovs t7H(fT((uf'i'ovs; Tt( (futmaxd uiat>ov loig xi((.iV(nni (itn]'>hiv uXXu jiüoTxh.
"u fjh' ovv ITi]).i()v xui liiv .U]urij(inUhi avLtßtßtixf^ Tuiavjiiv th'fu. Dicacarch.
'r. 60. Mnilcr Fragm. Graec, liist. II, p. 263, 12 sqq.
3) 7o J^ i'mog TUtlvffdoucixor Tf ^gt) x(d TToXkikq f/ov xa\ 7i(tvtOiSn7T(tq
"^wafÄfig Ttig Tf öipfig (tiTuJr yivütaxavai x«l /nrja'hci ^vvufih'oig. Dicaearch.
•>. 60. Müller Fr. hist. Graec. II, j.. 2(;2.
4) Nicandr. Thcriac. 505. Dioscor. III, 57. 71. Theophr. hist. pl. IX, 12.
Plin. hist. nat. XXV, sect. 13. 14.
48 Kapitel II. Die wilden Leute der griecliisclicn und ruinischen Stige.
der Südländer drei Ellen hoch wächst. * Vom \€iQ(th'toy sagt
Dicaearch, die Wurzel dieses kleinen Strauches, der gerne im
Gebüsche wachse, hal)e die Kraft Schlangen fern zu halten, zn
vertreiben , oder unschädlich zu machen und durch ihren Gernch
zu tödten. Dem Menschen wegen seines thymianähiilicheu Duftes
angenehm , heile das Kraut jeden Schlangenbiß. * Die Eingamm-
1er von Heilkräutern (Khizotomen) übten auf dem Pelion denn
auch den frommen Brauch, die Erstlinge ihrer Ausbeate dem
Cheiron darzubringen ; ^ sie werden einige Hände voll auf einen
Stein gelegt oder ins Gebüsch geworfen haben, wie der frän-
kische Bauer noch heute den Holzfräulein opfert (Bk, 77 — 79).
Früher als die Anknüpfung der ärztlichen Zunft an Cheiron
mag auch die Vorstellung schon dagewesen sein , daß der Wald
geist den Landesheros selbst in der dem Helden so wiehtigei
Kunst des Wundverbandes unterrichtet habe (II. XI, 830 ff.); si'
erweiterte sich bald dahin, daß Cheiron der ganzen Pflege un»
Erziehung des jungen Fürsten sich annahm^ wie Regln des Sr
gurd. Schon Hesiod benutzte alte Lieder dieses Inhalts von Jasoi
den Cheiron in seiner Höhle erzog,* er kannte sogar schon ei
jüngere Ueberlieferung, welche nun gar den Medcios, JasoiciM^ ^3ds
Sohn, zum Zögling des Kentauren machte.^ In ihr ist uns ab^^^Jer
das erste äußere Zeugniß ftir eine unzweifelhaft alte, aus früh^ ä le-
ren Dichtungen überkommene Vorstellung erhalten ; Cheiron hell m: ißt
PhilyridcSj Sohn der Dryade Philyra, d. h. der Linde, gracT:^ -de
so wie Pholos o. S. 43 Sohn der Esche (Melia). '^
51
1) Fraas Synopsis plantarum florao classicac. München 1845 S. ItjL. i^ «50.
(^f. Voss zu Verg. Gcorf?. IV, 270.
2) Dicaoarrh Fr. 00. Müller Fra^nn. liistor. Graec. II, p. 2(»1.
B) Ti\itf)i iaIv l-tyrirondhj ^ jMiiyrtjTfg iV* XefoMVt, Toi^g Timiiro/^ /^^ '«-
TQfOa«! Xfyou^i'(ßi>;, «<7r«f>/«s xo/i/Corn/' (n'Ctu ytin ffai xtu ftoTurai ^ ♦'*
UV im'Tu rolv xtiumrutg. Plnt. Syin[». III, 1, 3.
4) yliaiov os T^xfiy iior V//(7oi'«, rroiuh'«. Xnm\
'^'Or Xfmo)}' fi'hjfijf' tri IfrjXtu) vktjtin.
Hesiod. fragm. 111. Cf. Piiular. Noiii. III, i>2. Schol. Pind. Nem. III. 112. V -V^
Preller Gr. Myth.» II, 322 Anm. 1.
5) j\h'nhior ify.f maiht, tot ovnfair fTOfffs Xf/oow *PiXvQ/Jrig. Hesi»- — MOu.
Theo??. 1(K)1.
G) \^]. Schöniann opnsc. aoad. II. 128. Die spätere enhemcristis^ che
Sage läßt Philyra in eine Linde verwandelt werden. Quidam Philynim ^n
Cheiron. 49
Da vielleicht schon im hcsiodeischen Zeitalter ein Lehr-
gedicht vnodijxai oder '^ra(jaiv^(J6ic; \tt\Kin'og f;ti didaaxa?Jce ttj
4%iX)ikoq entstand/ nuiß die im übrigen ziemlich spät ])ezeugte*
Pabel von Achilleus Erziehung behn Kentauren weit früher vor-
banden gewesen sein; sie lief vermutlich neben der homerischen
Version, welche PhHnix zum Pfleger des jungen Helden machte,
^eichzeitig her. Diese Vermutung scheint sich durch eine auf
echten Volkssagen von sehr altem Geprilge beruhende Peleis zu
bestätigen , welche den Cheiron mehrfach mit sehr bezeichnenden
Verrichtungen in die Handlung verflocht, und von deren wesent-
lichem Inhalt schon Hesiod Gebrauch machte, Apollodor sei es
nach diesem, sei es nach Akusilaos, einen dürftigen, aus eini-
gen sonst erhaltenen Nachklängen derselben oder einer nächst-
verwandten Dichtung zu ergänzenden Auszug erhalten hat.
Die folgende Darstellung giebt den Inhalt der Erzählung
nach Apollodor mit gleichzeitiger Angabe der aus jenen anderen
Quellen sich ergebenden Berichtigungen und Ergänzungen. Pe-
leiis wird beim Könige Akastos von Jolkos, dem Sohne des Pe-
lias, an dessen Hofe er als Flüchtling weilt, von dessen Gemah-
lin Astydameia verläumderisch unehrenhatler Anträge beschuldigt.
Akastos scheut sich ihn zu tödten , sucht sich aber seiner zu ent-
ledigen, indem er ihn zur gefahrvollen Jagd auf die schädlichen
Raubtiere des Pelion überredet. Ergänzend tritt hier Schol. Ari-
stoph. Nubb. lOG.'i ein: '0 öf. Aiilvcti /niv, ov xa^^tjuevy ova rjßov'
li^&fj' fxßci'l?.6i ()f^ UV vor eic; %6 Jl/jkiov, oiKog v7io i^ijQtov pQto-
^€19], Ol äf. ^toi ötct zljv aiüfpooavvijv dedioxatriv avrtji jlicixctiQCfv
TiQog To ajcaXi^tiv lä x^rj^ia. * Vgl. auch Zenobii Proverb. V,
Äoretn convcrsam ossc dicnnt vel in arborem, uiulc Über pbiljrinus, quo co-
ronae illigantur. Philargyr. ad. Verg. Georg. III, 93. Cf. Hygin. fab. 138
>. 16, 7 sqq. Schmidt nach dvm Autor der üigantomachie bei Schol. Apollon.
ihod. I, 554 (Düntzor fragni. op. p. 3i. Dosith. p. 71.
1) Pausan. IX, 31, i Cf. BtTnhardy grioch. Litcraturgcsch. II, 536.
>och fehlt es im Altertum nicht an Stimmen, welche einen Zweifel gegen
in so hohes Alter dieses Gedichtes aussprechen. Borgk Grioch. Literaturg.
» 10<)8. Auf dem im Zeitalter des Krösus gesehaiFenen Tron des amy-
^äischcn Apollo war abgebildet, wie Polens dem Cheiron den Achill über-
riebt. Pausan, III, IH. Vgl. Pindar. P. 7, 22. Eurip. Iph. A. 209. 709.
►27. 1066. Prellcr Griech. M}'th. II, 401.
2) Aas einer verwan<lten dichterischen Bearbeitung, welche aber das
Weib des Akast Hippolyte nennt, rührt der Auszug: 'O'lixnarog ua&ary xttl
Mannhardt. IL 4
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un-v'^^'^Vr^- ^^:r-'^«'/'^""'"'
t.n
Chciron. 51
l^o K*iu aufzunehmen, wonach Jason und die Dioskuren bei diesem
Peleus Helfer waren. — Chcinm rrthtc dm Helden nidU
n aus Lebensiiefahrj sondern half ihm auch das vom (leschiek
iliKUM bestimmte Glück zu erreichen, imkm er ihn mit errichtete ^
er es anstelleti müsse, um die Nereide lliefis , welcher der
■ch Abweisung seiner Werbungen erzürnte Göttervater einen
Tblichcn zum Gatten bestimmt habe, zu fangen. Peleus paßte
d^icft. richtigen Augenblick ab, ergriff die Meerjungfrau und hielt
si^ trotz alles Widerstrebens fest; sie verwandelte sich in meh-
r^it-^ Gestalten: Feuer, Wasser und ein wildes l^er [nach einer
Sophocles benutzten Quelle in Löwe, Scldange, Feuer, Was-
J,* doch er ließ nicht los, bis Thetis sich ergab und wieder
»schliche Gestalt annehmend ihm folgte. Schon Homer deutet
die Erzählung hin; IL XVHl, 432 klagt Thetis:
*Ex jii^v /<' ttUittüir uindtoi' itv^f») dtiuittJatr {Z(vg)
AtnxKSfi Ili]X>ii y xtii hlr^r itv^iun; fii'i^r
(dem Pdion (in Cheirons Höhle) wurde das Beilager gehal-
, [alle Götter waren zugegen] und Poseidon (als oberster Ge-
iler der Meermaid) schenkte zwei unsterbliche Kosse, Cheiron
^^ einen gewaltigen Speer, eine Esche auf Pelions Gipfel
^^auen. Auch dieser Teil der Sage läßt sich aus Homer belegen.
1. 11. XVI, 8G7. XVII, 194. 443. XVUI, «4. XIX, 390. XXIU,
"7. XXIV, G2, besonders XVI, 140 flF.:
JioiOv, /i^/«, an,i(UH'n'' lu [a;'/Os] uiv ov övvfcr' liXkoi li/ttttüv
JJukkfir^ t(XX(( uir oio«»* (niojuju nfiXut A^^iXXtvq'
/IriXiitt^« LH-X(i]V, Tip' ntao) (fiXo) nuof Xbdnov
I7r}Xiüv ix xotivif fjs <, (fovor fuufrici t){tuiinaiY.
Schweigend verweilte Thetis bei dem Gatten. So legt mei-
8 Erachtens B. Schmidt Volksleben d. Neugriechen S. 116 ganz
1) Piudar. Nein. III, 00: -ak) Tioriiur dfriv x«r^^«(n/'fr iyxovfiTi.
M, Schol. Pind. N. III, GO: ^ iioxo^x^vii y(\o im' (tirov uir^ßaXXf r«^ /*0(>-
^g f Utk ulv f/«r ^Oo, or^ J^ tis ^rjofu. o Ja x€C(ij lor/aag JTioiy^yoi'f.
tgü Si fÄiTKUootfuidhviig «i>r»7c x«i 2^oifoxXfig . . . iv yl/iXX^iog f{ta(JT(tTg
ragm. Branck III, p. 404):
T{g ydo uf. u6/'hßg ovx fninTtirta ; X^utv
gl. Pind. N. IV, 100. Proller Gr. Mytb. II, 398 Anm. 1.
52 Kapitel II. Dio wilden Leute der griechiHchcn und römischen Sage.
richtig die Verse ans dem Troilus des Sophokles (Schol. Find.
III, GO. Fr. Sopli. Bruiiek. III, p. 452) ans :
' Eyi]in-r WC ?ynuf-r (< tf ff^nyy ovs yduovg
Tfi /iKvinuuoffat (^^Titfi <1viiJiXuxk(<; norh.
Als Thetis daranf einen Knalien geboren, wollte sie ihn u
sterblich machen, vt5rbarg ihn, von Peleus nngesehen, nachts l
Feuer und vertilgte so, was vom Vater her an ihm sterblich wl_ -^'
Bei Tage salbte sie ihn mit Ambrosia. Peleus aber belansel^^^ ^
sie einst und schrie laut auf, als er seinen Sohn im Fener za^^L ^
peln sah. Da verschwand Thetis und ging zu den Nereid-
zurück. Peleus brachte nunmehr den Knaben sf^ CJkeiran. D"
ser nahm ihn wol auf und nährte ihn mit der .Leber von
und Löwen und mit dem- Mark/t von Bären, und hieß ihn Ad
leus , da er vorher einen andern Namen ftlhrtc. *
In dieser Erzählung weht der frischeste Hauch des höchst
Altertums. So glaubt noch heute der Wilde, daß die Kraft
Gewandtheit des erlegten und verzehrten tierischen oder men&
liehen Gegners in ihn übergehen werde (Bk. 218); vor allem
von jeher Essen des Herzens als des Lebenssitzes bedentsa. ,
Lokis Bosheit wird vom Genuß eines halbvcrbrannten steinhai— *: ^d
Frauenherzens a))gelcitet. * Da es nicht denkbar ist, daß <^Ä
späterer Dichter diesen echt mythischen Zug erfand, rückt ^ie
Fabel von Achillcus Erziehung durch Cheirou hoch in die Vor-
zeit hinauf. Dieses Ergcbniß gewinnt volle Sicherheit durch ^/e
Wahrnehmung, daß auch die ti))rigcn Teile der durch Clmf^^^s
mcderholtes Eingreifen in die Ilandlumj als ein altes einmal -^"'
sammenffehörifjes StücJ: eharalderisierten Peleis (oder Achillc^i»))
nämlich die Abenteuer bei Akastos und die Heirat mit Tlm^tis
sich dem Kundigen als echte Volkssagcn darstelleti. Die W^ich-
tigkeit der Sache möge entschuldigen, daß wir den Beweis ^^
diese Behauptung als eine den Gang unserer Untersuchung LÄber
die Kentauren einstweilen unterbrecliende Episode in dieselbe ^Äicr
einschalten.
§. i. Die alte Peleis. Mit Recht ahnte Preller (Gr. Myth. *D.
39G) in den Abenteuern des Peleus bei Akastos „märchentm-^
Züge einer altertümlichen Ueberlieferung , welche ursprün^i'c^
1) Apollod. Ribl. ni, 13, 2 — 7.
2) Hyndlul. 38. Simrock Hamlb. d. d. Myth. 2. Aufl. 332.
Die alte Peleis. 58
ol noch einen andern Sinn als den der gewöhnlichen Sage hat-
tt.*' Sie zeigen auf den Heros Eponymos der Peliotis, den Pe-
ns * (Hypokoristikon von Peliarchos, Pcliokrates oder Pclioraa-
loe) übertragen ^ jenen uralten Mythus , welcher bei den Germa-
fcn. einen Hauptteil der Sigi'ritsage und den Gehalt mehrerer
äirchen [am nächsten kommt das Märchen von „den beiden
"ttdem"], bei Kelten einen Teil der Tristausage bildete. Ein
er Held, Königssohn oder Jäger, kommt zu einer Stadt, wo
e eine Königstochter einem sicbenkr)pfigen Drachen zur Beute
LS^esetzt werden soll. Mit Hülle eines wunderbaren, auf dem
^''^:4cketd)erge vergndjenen , oder daselbst in einer Kapelle aufge-
99^n, edles erhauende u Sehivertes, das er eben vor Beginn des
mpfes aufßmlet, und das zu schwingen vermag, wer drei da-
en gestellte, geftlllte Becher austrinkt,^ besiegt er das Unge-
er, schlägt ihm die sieben Köpfeherunter, schneidet die Zun-
heraus, wickelt sie in ein Tuch und verwahrt sie wohl.
^Mtt und kampfmüde füllt er sammt der erlösten Jungfrau und
^*:i treuen Tieren, die sein Gefolge bilden (Löwe, Bär, WoU"),
Schlaf; darüber kommt der Hofmarschall zu, schlägt dem
-lilummemden das Haupt ab, bringt die Jungfrau zu ihrem
^ter und giebt sich für den Sieger aus. Ihm wird als Sieges-
'"^^is die Hand der Königstochter zugesagt. Auf der Hochzeit
^^r erscheint der von seinen treuen Tieren mit einer Lebenswur-
*i vom Tode ivieder erweeJUe Held, weist sieh durch die Zungen
f 'S deth echten Dracheniödtcr aus , und gewinnt die Braut * In
1) Das nach seinem fruchtbaren T.ehniboden [7Tr,lag vgl. ndv J' fml rt\
^og fAtilaxiiv yfOiXotfop rf xta Tidutfunor. Dicaearch bei Müller F. hist. Gr.
I, 261] benannte Gebirge Pelion gab 8ta<lt und liaudscluift an seinem Fußo
l^snien. Iltiltumg = 'lodxog; Jhjliti unil lltiltit; die Stadt, welche später
^fjinctrias hieß, ein einzelner Kinwohncr derselben /hihf-vg. JftiXfig für fJtj-
»*tV» wie Utßti^s f. Ih])Ath; nnd //tjkui'r., Nynijdie, der ein Hain am Fuße
es Pelion bei der Mündung des IJrychnnflusses goweiht war (Dicaearch
1, 7. Fr. 60, 7. Müller. Fr. Hist, Gr. II, 202} für Jffßiaf«
2) Erst als seine .Sage berühmt wnrde , können ihn die Nachbarn in der
'hthiotis sich angeeignet und zu ihrem Könige gemacht haben ; noch jünger
st oft'enbar die Anknüpfung an Aigina und Aiakos.
3) Vgl. Mannhardt Germ. Myth. 171. 21G.
4) KHM. n. m bf). E. Meier Volksmärchen a. {Schwaben n. 58 S. 204.
Tgl. n. 1.
}
54 Ka])itel U. Die wilden Leute der griecliisclieii und römischen Sage.
den schwedi»chcu und norwegischen Varianten dieses Märchens
crscUägt der Held drei Meertrollc sammt ihren Händen »117 Hilfe^^^^
seines einen oder seiner drei alles niederreißenden Hunde nnS:^^^
seines Schwertes, welches ein ganzes Heer auf einfnäl zu Bodem
streckt ; er hat es von einer Alten sum Dank für die
ihres gestohlenen Auges erhalten. Er schläft fiach dem Kampß^^^^A
auf dem Schöße der befreiten Königstochter ein; ein Hitter (odev^^ ei
Schneider), der von ferne zugesehen, will sich den Siegerpreis st^^ -z^.
tvendeny wird aber durch die ausgestodienen Zungen bzhw, äuqi^ tm.
äpfel, oder die in den Schiffen verborgenen Schätze der Troir^Ä"*||o
widerlegt, Iliemit im wesentlichen stimmt das litauische Märchen ^en
vom hörnenen Manne.*
Eine eigentümliche Abart dieser Sage bildet KHM. n. ^?" 9i
,;datErdmänneken.'^ Dazu vgl. das oberhessische Siglritmärch» .^cn
bei Raßmann D. Ileldens. I, 360 ff. Der Held wird im Wal» ^flde
durch ein Erdmännchen, dem er den Bart in einen Bautnspi^ alt
klemmt, in die Tiefe unter die Erde zum Aufenthaltsorte üreSr ier
von einem sie])enk()])iigcn Draclien gefangen gehaltener Köni^^K^
töchter gefllhrt. Er fimlet hier ein zauherisciws Schwert, das ( Un
daneben stehender Trank ihn zu heben befähigt y erschlägt
Drachen und schneidet ihm die Zungen aus (Raßmann I, S. 36
Seine Brüder bemächtigen sich der befreiten Jungfrauen,
lassen ihn allein in der Unterwelt zurück. Er entkommt jede
von dort und bewährt sich mit den Drachenzungen als den rc<
ten Sieger und Bräutigam.
Auch KHJf. 101 „der gelernte Jäger" sei erwähnt. E=3"i
Jäger tödtet drei Riesen, die. in djis Schlafgemach der im (zaul
risehen) Schlummer daliegenden Königstochter kriechen woll—
mit dem dnseWst vorgefundenen immer siegreielien Schwer
schneidet ihnen die Zungen aus und entlarvt damit nach Jahr
1) LUlekort. Asbjörnseu Norske Folke-Evcntyr. n. 24. Tr. Udg. 9
Silwerhwit ooh Lillewucker. H}it«''n-Caviillius Scliwed. Märch. übers, v. Ol
loitner, Va. Der Halbtroll, ebds. IV.
2) Schleiclier Lit. Lcsobuch S. 118. Ders. Lit. Märchen u. s. w. \^^^«*
raar 1857 S. 4 — 7. Auf die Vcrwiiiidtsehaft dieses Märchens mit dem Lr^*!— ^^^
vom hürnen . iSigfrit nuiclito Scliloiohcr aufmerksam im Sitzunpsber. d. YT ^^^-
Akad. Octb. 1852, s. jotzt auch Kdzardi in Bartsch Germania XX, ^Ä-57j
S. 317 flf.
Die alte Peleis. 55
fijgt einen alten Hauptmann, welcher als angeblicher Kiesentöd-
ter die erlöste Juiigi'rau heimzufllhrcn im BegriiT steht.
Beim Haare (beim Barte vgl. Nib. 4G8) gefußt und an die
Sieinwaiid gedrückt tllhrt Zwergkönig Eugd den jungen Helden
Seyfiied zum Berge, wo der Riese Kuperan ein vom Drachen
entführtes Mägdlein hütet. Seyfried bestellt zuerst den liiesen, da-
nadi cfei» Drachen, fällt dann (d/er vor Ermattung wie todt nieder,
neben ihm die Jungfrau^ Engel aber holt eine Ileilwursel und
madU sie alsbald gesund (Lied vom Hürnen Sejiried).
Bekanntlieh hat die nändiche ^lythe auch in den bretoni-
schen Sagenkreis von Tristan Eingang gefmiden; in Gotirits (üe-
dicht wird sie (217, 35 — 272, 8) in wesentlicher Uebereinstimmung
mit Eilhart von Oberge c. 10 — 11 und dem englischen Gedichte
von Sir Tristram H, 21 — 15 ^ folgendermaßen erzählt. Ein Braehe
sdiädigt auf Irland Land mul Leute der Art, daß der König schwört
demjenigen, der ihn erlege, seine Tochter Isot zur Frau zu geben.
Tristan besiegt und tödtet das Ungeheuer nach langem gefahrvol-
len Kampfe, schneidet ihm die Zunge aus und steckt sie in den
Busen; dann sucht er in der Wildniß ein verborgenes Flätsclien,
um zu rulicn, und wieder zu Kräften zu kommen; er war so
ermattet, daß er kaum leben konnte. Der aus der Drachenzunge
hervorbrechende Qualm raubt ihm vollends die Besinnung, bleich
und regmigslos liegt er wie ein Todter da. Der Truvliseß des
Königs fimlet den Körper des Drachen, und versetzt demselben
3inige Hiebe; nachdem er vergeblich nach Tristan gesucht, um
ien Ermüdeten zu erschlagen, nimmt er tds Drachensie4jcr die
^athd der jungen Königin in Anspruch, Doch die Königinnen,
söt und deren Mutter, schenken seiner Prahlerei keinen Glauben,
ie besichtigen mit Gefolge den Kampfplatz und entdecken den
mscJieinend entseelten Tristan, meinen anfangs, der Trucliseß
\abe ihn ern^rdet, rufen ibn dann aber durch Entfernung der
Jrachenzunge und Einflößung eines Theriaks (aus Pflanzen und
lonig bestehenden Gegengiites) ins Lel)en und Bewußteein zurück.
^on den Frauen heimlich ins Scliloß geführt, wird er dem seine
Belohnung einfordernden Truchseß als Käm])e gegcntlbergestellt,
der durch die vorgewiesene Drachenzunge des Betruges übcrf'ührt
den Zweikampf aufgiebt.
1) Vgl. K. Ueinzcl in Zs. f. D. A. X.IV, 410.
56 Kapitel II. Die wilden Leato der griechischen und römischen Sage.
Mehrfach hat der Dracheiikampf ein Vorspiel oda^ ein Nach'
spiel von gleiclier Bedeutung. Bei Meier a. a. 0. n. 29 S. 101
erlöst Hans mit Hilfe einer Zauberflöte eine Prinzessin im&.
Walde naeheinander von drei Riesen, de^ien er die Zungen
Augen nimmt. Naciideni er sicli durch diese als den wahrei
Riesenerleger legitimiert bat, soll er die erlöste Prinzessin nich\«:^ht
eher heiraten , bis er in Ymem verwünscMen Kloster geschlafe
worin dreisehn Teufel hausen^. Er tödtet auch diese und
König. — In einer neugriecbi'scben Erzählung^ findet man
Märchen vom Erdmänueken und von den beiden Brüdern ver ^ver-
bunden. Der Prinz erschlägt mit dem Zauberschwert in d^^Her
Unterwelt den drei goldige Jungtrauen bewachenden Drachens :^of
nachher von seinen Brüdern daselbst im Stich gelassen tödtet » er
eine zwöIitLöptige , brunneuverstopl'ende Sehlange y wdche jem-^ssde
Woche ein MädcJien frißt, nachdem er zuvor auf dem Schoft -^ße
der dem Ungetüm als Opfer herausgeiilhrteu Königstocht^Jlr tcr
gesMafen Juit, Ein Mohr giebt sich ilir den Sieger ans, wii. "^rd
aber vom Helden durch Vorweisung der Dradietizungen
legt. Aus einer Verbindung der nämlichen beiden Sagenstor
besteht auch Schott wal. Märch. n. 11 S. 144. Petru Firitsch»
gelangt, einem daumenlangen Zwerge folgend, den er beim Bai
erwisclU hat^ in eine tiefe Höhle, wo ihn seine Brüder im Stic==
lassen. Hier erlegt er mehrere Drachen, später noch eL
einen zwölltöpfigen Drachen, dem eine Kaiserstochter zu^^iun
Fräße dargebracht wird. NacMem er die zwölf Zungen aus^^J^'
schnitten y wird er , auf dem Schoß der Jungfrau eiitgeschlaf^ ^"^»
omh einem Zigeuner gdödtet; aber durch ein heilkräftiges Schlc^^^^
genkraut wird er wieder ins Leben zurückgerufen, — Nach Ha^E^^"
rieh (Siebenbirg. Märch. n. 24 S. 127 flf.) tödtet ein Knabe mit^-^ ^
wunderbaren Hunden in einer Räuberhöhle, wo er ein Zaubm mTier-
Schwert findet, sechs Räuber (Abschwächung von Riesen); spä-^^^'
kommt er zu einer Stadt, wo er eine Königstoe/Uer vom sidm'
köpfigen Drachen erlöst, aber von dem Schweife des sterbenc-i
erschlagen wird. Die Hunde erwecken ihn mit Lebenswai
Die Lügen des Kutschers werden durch die Drachenzungen
solche dargetan. — Haltrich u. 22 S. 112 verbindet KHM. n.^
und n. 60. Der Held erlegt einen Löwen, einen Bären, ei
1) Hahn Griccli. u. alb. Märchen n. 70 Bd. II. S. 49 flf.
Die alte Peleis. 57
Wolf und schmidct ihnen die Pfoten ab; heniach tOdtet er mit
lern WuDschschwert drei Hünen, weiclie ins Schiafgeniacli der
Königstochter kriechen wollen; er schläft bei der Maid und
immt als Wahrzeichen die Hiluenznngen mit. Durch Pfoten und
#aiigen bewährt er sich späterhin als Sieger.
So kämpft auch Sigfrit im Liedc vom hürnen Sigfrit zuerst
lit dem Riesen Kuperan, dann mit dem Drachen. In KHM.
1. 60 und Varianten folgt dem Streite des Helden mit den
)rachen (Trollen) häufig als Nachspiel, daß eine Hexe (oder
dännlicher Troll, des zuvor Getödteten Bruder) den Helden
Mein in einen Wald lockt , durch List der Hilfe seiner Tiere
»eranbt und tckltct, worauf derselbe aber durch Lebenswasser
neder erweckt wird.
Unverkennbar wird durch die Uebejeinstimmung mehrerer,
D der gleichen Reihenfolge mit einander verbundener Züge
Kampf gegen Ungeheuer auf einem Berge, Erlangung eines sieg-
lal'ten Zauberschwertes im x\ugenblickc des Kampfes, Ausschnei-
len der Zungen, Bewährung als Sieger durch dieselben. Schlaf
luf dem Kampfplatz) die Identität der erwähnten Märchen und
Seidensagen mit dem Abenteuer des Peleus dargctiui; am deut-
jchsten tritt die Verwandtschaft der Traditionen wol bei der
rristansage hervor. Ebenso unverkennbar ist der Umstand, daß
iie griechische Sage teils unvollständig, teils in sehr abgeschwäch-
ter, den ursprtingliclien Zusammenhang verrückender Form über-
liefert ist. . Die wilden Tiere, zu deren Bekämpfung der Held
eines überall sieghaften von Hephäst geschmiedeten Dolchmessers
benötigt ist, hat man unzweifelhaft als übernatürliche, dämonische
Wesen zu denken, dem ganzen Lande oder dem Königshause
schädlich; wie hätten die Ilöfiiuge sonst ein so großes Interesse
daran gehabt, sich die Beute zuzueignen V In der griechischen
Sage treten mehrfach andere Tiere in der Rolle auf, welche sonst ^
der Drache spielt. Anipliitryo zieht gegen den Teumcssischen
Fuchs aus, den Niemand ergreifen konnte; jeden Monat nmßten
die Thebaner dem Tiere einen Knaben vorwerfen, das sich
durch Zerreißen Vieler zu entschädigen suchte, wenn einmal die
1) Vgl. z.B. Kyclirciis wird König von Salamis, weil er oine unge-
heure Sclilango 107/1' i'Trf-ntfiijid/nfytfh)^), welche die Einwohner verschlang,
siegreich bestoht. Ai)ollod. III, 12, 7. Diod. Sic. Bibl. IV, 72.
58 Kapitell!. Die wiMeii Leute der griechiRchen und römischen Sage.
bestimmte Lieferung unterblieb. Der Held gewinnt fttr sein
Unternehmen den Beistand des Kephalos oder vielmehr de» dem-
selben gehr)rigen Hundes, der alles, was er vertblgt, ergreifen
muß. ^ Hier ist der Fuchs ein genau zutreffendes Gegenstttck
zu dem Drachen (oder Troll) , der alle Jahr eine reine Jungfrau
haben nmß , sonst venvüstet er das ganze Land (KHAf . n. 60)
oder verzehrt täglich einen Ghristenmenscheu (Basile Pentame — -^^jö
rone 1, 7, 7. KHM. III ^, 21)2), der Hund des Kephalos abcn
zu dem unwiderstehlichen Hunde, der dem Helden unseres Mär-
chens beim Kampfe Beistand leistet. ^ Es ist deutlich , daB deK ^^ Jle
Mythus in der überlieferten Gestalt der Amphitryonsage nicht zcp^bt »
Ende gebracht, sondern von einem rationalistischen Erzähler, der^^JHe
(mißverständlich) die gleiche, wunderbare Eigenschaft beide^^^Ee
Fabeltiere nicht zu reimen wußte, durch Annahme ihrer VersteiC^s^^i
nerung mitten durchgeschnitten ist. Die Sage vom Teumes8ischeK^> Mei
Fuchs war in unverstümmeltem Zustande eine Variante vor^z^^oi
KHM. n. 60. Für die Peleussage erwächst aus dieser Wahmehmon^ m::k jog
der Gewinn, daß wir in ganz analoger Weise die Jagd auf deinr^^m
Pelion als Kampf mit einem Ungeheuer in Gestalt eines wildere» ^en
Tieres aufzufassen uns l)ercchtigt sehen, welches wol auch LandeeiB ^^s-
kinder zum Fräße verlangte. Nach diesen Darlegungen wird du -tue
Vermutung berechtigt sein, daß der Schlummer, in den Peleus fäll K MJltf
in der älteren Tradition unmittelbar auf den Kampf folgte VLUMim^ Jnd
durch die ErmiUlang in Folge desselben motiviert wurde. Dai*«*^: •»'»
lo^ird er auch von einem neidischen Höflinge im Scidaf gctödtet aiiÄ^-^wi
durch Chciron mit einer lleilivxirzel wieder ins Leben zurückgerufen:^ "yfcn
sein , und jetzt erst durch Vorzeigung der Zungen sieh als Siegen Z^^^
erwiesen haben. So ivird es erklärlich, wie mmi dazu kam, «fek-^a^St?»
Kräuterkenner Cheiron in dieser Sage eine Rolle zuzuteilen; ir-^^^^sr«r
treffen hier äugen scheinlich auf den Ausgangspunkt und dt^^^^^
1) Apollod. II, 4, fi. 7. Pausaii. IX, 19. 1. Suid. Ttl^iata.
2) S. Millionhoff Sdileswi;,' - holst. Sa^'. n. 20 S. 452. Hylten-Cavall» Miliw
Schwcd. Märch. üIkts. v. Oberloitncr n. 4 S. G4 ff. Basile Peutamerone ^s^ 1,
I, 7 u\ KHM. Iir-^. 21>2. In doii mcistoii Voröionon siod es ^rax VL^m=^nik
(z. B. HyU.n-ravalliu.^ a. a. O. V, 8. 78 ff. Haltrioh Siobonbirg. Märch. d. ^^
»S. 127 ff.' ihit Namen wie Haltan, Groifan, Brich Eisen und Stahl. Z^^^BM.
III3, 101. Haltt'ost, Heil! zusammen, Horch. Hylten-Cavallius XIII, 235=^=^i8:
Vgl. Mannliardt Gorm. Myth. 174. 21G.
(
Die alte Peleis. 59
2Uusier für alle weiteren Erzählungen von den FreumkcJuiflser'
Ufeisufigen des Clwiron gegen Fdeus; ja die größte Wahrschein-
iichkeit sjnricIU dafür, diiß iv/r Imr die einst hochher ahmte,
9j9dter verschollene Sage aufgefunden haben, welche
Cheiron seihst den Namen gab, (s. o. Ö. 40). Doch schon
Ulf thessalischem Boden hat die Sage ihre (vorhin 8. 50 dar-
^legte) Neigung zur Verstärkung durch gleichbedeutende Vari-
auiten bewährt, indem sie Peleus einen zweiten Kampf und zwar
mit den Unholden des Gebirges ; den Kentauren, bestehen und
in Folge dessen m der bisherigen Fabel die erlbrderlichen Aen-
demngen eintreten ließ. Als Peleus schlief, bemächtigte sich
Akastos seines Zauberschwertes und legte sich in einen Hinter-
halt, um ihn damit, sobald er aufwachend es suche, zu ermorden.
Bald aber überlegte er, daB es genügend sei, ihm das Schwert
zu verstecken, und die Vernichtung des Wehrlosen dem Angriffe
€ler wilden Bergkentauren zu überlassen. Diese konnnen, und
sind im Begriffe ihn zu tiklten, aber Cheiron wehrt den Tod von
mhm ab. Diese Auffassung scheint mir als diejenige der alten
J^eleis aus der Combination der beiden Dichterstellen Ilesiod
TFragm. Cx. (s. o. S. 50) und Pindar Nem. IV, 95:
Tu A'((i(h'd(o tU u«y(({tm
Vix Afi/or ffikitio ntcTg.
l4la).xt^ tU XkCimv.
Tiervorzugehcu. Hier ist der Tod des Peleus in ein Bedroht-
virerden durch Akastos abgeschwächt (Vgl. Tristan). Die Her-
Einziehung der Kentauren setzt den noch lebendigen Volksglau])en
voraus, daß der waldige Rücken des Pclion von den menschen-
mörderischen Berggeistern bewohnt sei. Das zweite Buch der
Ilias ist schon der Widerhall einer grübelnden Zeit, welche den
Widerspruch zwischen der hellen historischen Wirklichkeit, dem
Nichtvorhandensein der Kentauren auf diesem Local, und der
Sage durch Annahme ihrer Vertreibung auf den Pindus nationa-
listisch auszugleichen suchte, gradcso wie der norddeutsche Bauer
vermeint, daß der alte Fritz die Zwerge ül)er das schwarze
Meer, Napoleon und seine Franzosen die Kabautermännchcn oder
auch allen Spuk, Gott weiß wohin, aus dem Lande getrieben
haben. *
1) Kuhn, Xordd. Sag. ii. 1H9, 2. S. 1G3 nebst Anm.
)
60 Kapitel II. Die wilden Leute der griechischen und römischen Sage.
Vom Tode wieder auferweekt wird Peleus der echten Sage
gemäß allein, als einzeluer Held nach Jolkos gezogen sein, die
Zungen vorgewiesen und Rache geübt haben. (Vgl. o. S. 50).
Der Verfolg des Epos schließt nun eine andere auf das
Leben des Peleiis übertragene echte Volkssage , die Heirat des
Helden mit der Thetis, an. Noch heute wird dieselbe Sage
auf Kreta von den Ncraiden erzählt, welche die Stelle der
antiken Nymphen, unserer Elfen , einnehmen. In der Eparchie
Pediada befmdet sich eine Höhle 6 ^'egaYdoc/iijlog genannt , der
ein klarer Quell entströmt. Hier pflegten die Neraiden zu Zeite;
nachts nach der Musik zu tanzen, welche ein Bursch ans Sgoa
rokephali aul' der Laute machte. In eine von ihnen verlieb
faßte er einst, von einem alten Weibe unterwiesen, als morgens
der Habukrat nahte, die Ersehute bei den Haaren und hielt sii
fest, obwohl sie sich in einen Ilwid, eine Schlange, ein Ka^
nieel und in Feuer verwandelte, bis der Hahn krähte, und di^
übrigen Neraiden verschwanden. Da iiahm sie ihre niei
Gestalt wieder an und folgte ihm, gebar ihm auch einen
sprach aber nie ein Wort, * bis der Gatte einst 3Iiene machte
Kind in den Backofen zu werfen. Da verschwand sie mit de
Knaben. ^
Die nachfolgende Erörterung wird erweiseu, daß wir in d^^Hi^^r
kretischen Erzählung nicht einen Nachhall der Brautwerbung di^^i^h^s
Pclcus sondern einen Elfenmythus vor uns haben, von welche ^^ii
auch die antike Heldensage nur Localisicrung war. Schon d le
Alten bemerkten die Vcnvandtschatt unserer Thetissage mit d^^i*^3n
Verwandlungen des Proteus, des Meergreises, der aus d^^iEH^n
Fluten gestiegen, von Jfenclaos festgclialten, in einen Löwe ^h
1) Audi »licscr Zu<j^ (s. o S. 52) ist echt und alt. Nach einer englisc!
Sage, welche Walter Maj», der Freund Königs Heinrich II., in seiner zwiscl
1180 — 1193 verfullten Schrift ini^ac curialium von dem hcrühmten aog —
sächsischen Kitter Edric dem Wilden (Lappeubcrg Gesch. Englands II,
erzählt, hat derselbe im Walde tiinzende Waldfrauen belauscht, eine
selben ergritTon und nach lanirem Kampfe siegreich mit sich fortgegcble|:
Drei Tage ii^t sie ihm vJdlig zu Willen, spricht aber kein Wort,
vierten öffnet sie den Mund, um ihn mit holdseliger Rede zu grtißen und i
Glück zu verheißen, so lange er sie nicht schelte. Als er dieseiast^
Uebereilung tut, ist sie verschwunden. S. G. Philipps Walter Map. W^M,eo
1853. S. <;7. Vjpl. Bk. IIG.
2) B. Schmidt, Volksleben der Neugriechen. Lpzg. 1871. S. 115 ff-
I
Die alte Poleis. 61
^rddy Dracheny Eber, in Wasser, Fiuersglut und einen Baum
lieh umgestaltet, bevor er sieh ergiebt, und au8 dem Schatze
lemes Wissens die an ihn gestellten Fragen l)eantwortet. (Odyss.
V, 365 — 570). In einer v<m Pherekydes ausgezogenen Heraklee
iel dem Nereus diesell>e Rolle zu. Dem nach den goldenen Aepfeln
tUBziehenden Herakles offenbaren die Nymphen des J^eus und der
Phemis am Eridanos, wie er den Nereus im Schlaf ttberraschen,
md obwohl derselbe in Feuer, Wasser und allerlei (iestalteyi
rieh foandelt, fesseln krinne. Nereus zeigt dann den Weg zu den
Elesperiden. (Apollod. H, 5, 11, G. Cf. Pherek. Fragm. 30.
j^Ottling. Schol. Apollon. 4, 139, G. Hier ist bewußte Nachahmung
m Spiel. ^) Eine andere antike Variante dieser Sage kntiptl sich
IQ Dionysos. Von ihm berichteten die 'ETtQotovfteya des Nikander
y^ei Antonin. Liber. Praef. 10), die Töchter des Minyas von
1) Nar eine spätere Uebertragung aus Analogie der Sagen vom Proteus
und Tlietis mochto ich auch in derjenigen vom Achelous erkennen, nach
«reicher der Flußgolt im Ringkampfe um Dcianeini mit Herakles, sich in
BiiMn Stier, eine Schlange, einen Mann mit Stierhaupt wandelt,
irobei ihm der Gegner zuletzt ein Hörn abbricht. Soph. Trachin. 18 ff. (Vgl.
Dvid Metam. JX, 8 — 80 nach Nikanders Metamorphosen oder dessen Aetolica).
Denn bei ApoUodor, der vielleicht auch hier wie vielfach aus Pherekydes
schöpft, und bei Hygin ist noch die ältere Gestalt der Sage erhalten, daß
Achelous, der gemeinen Vorstellung von den Flußgöttern entsprechend, sich
in einen Stier und nur in diesen verwandelt. Apollod. II, 7, 5. Hygin
fab. 31). Onehin verrat sich die ganze Geschichte dor Dcianeira in jedem
Zage als das gekünstelte Machwerk eines nachhesiodeischen Herakleen-
dichters, der das Wesen der in den älteren Heraklceu als Gegner des Zeus-
sohnes auftretenden Kentauren mißverstand und, um seine Vorgänger zu über-
bieten, die Geschichte vom vergifteten Hemde erfand, den Kentauren ganz
gegen dessen Natur in «ler Rolle eines Flußgottes, als eine Art Wate, tatig
gein ließ un<l mit einem wahrscheinlich lediglich aus Hesiod (Theog. 341)
entlehnten Flußnamen beschenkte. In der alten Sage vom Tode des Hera-
kles war dessen Verbrennungsto«! noch nicht durch dio Qualen des Nessus-
hemdes motiviert. Vgl. auch Jacobi Myth. W. B. 31^G). Daß auch die Dichtung
der Kyprien, Nemesis habe vor Zeus in verschiedene Gestalten sich gewandelt,
die Erzählung eines hesiodeischen Fragments, Poseidon habe seinem Sohne
Periklymenos die Gabe der Metamorphose in alle Tierarten verliehen, endlich
die ganz junge Ausschmfickung der Ery sich thonsage, des Hungernden Tochter
habe, um diesem Unterhalt zu schaffen und durch ihren Liebhaber Poseidon
dazu beföhigt , in den verschiedensten Verwandlungen sich selbst verkauft,
daß alle diese Angaben aus den Sagen von Thctis und Proteus verstandes-
uMig abgeleitet sind, bedarf wol keines Beweises.
G2 Kapitel II. Die wilden Leute der griechi sehen und römischen Sage.
Orchomeuos widersetzten sieb der Einftihrung des Bakehosknlts,
bis Dionysos selbst in Gestalt eines Mädcbens vor sie trat mit
der Ermabuung, die Weibeu des Gottes niebt zu vernachlässigen.
Als sie darauf niebt acbtetcn, erachien ihfwfi der Gott in vinsckicde-
tien Oestcdten (ds Stier, als Löwe uml Panthtr und von ihrem
Webstuhl Hoß Nektar und Milch. Erschreckt beschlossen sie den^rx-^^en
Gott durch ein Opfer zu versöhnen. Das Loß zerrissen zu werdenrs^^ en
traf Leukippes Sohn. — Offenbar sind auf dem langen
vom Ursprünge bis zu Nikaudcr einige sehr wesentliche
abhanden gekommen. Wie Thetis und Proteus nur durch Zwsa^Mwman
festgehalten sich in so und so viel Gestalten wandeln, wird ancI^^>M::aiel
Dionysos in seiner Verkleidung von den Minyaden fcstgehalter^^kCt^Jtei
seiU; um seinem schwärmerischen Rasen als Bakchantin Einliar,fl^M:Jial
zu tun; und auch die Reihe der Metamorphosen läßt mehrere vec^^^^rer
missen , welche sonst nicht zu fehlen pflegen. Diese Ansicht wir» r-^ri
vollkommen bestätigt durch eine Variante bei einem älteren SchrifJ^.ff-wift-
steller, in den Bakchen des Euripides. Pentheus will dem tiac^^s^^aeh
Theben geJcomnienni Dionysos Fesseln anlegen; plötzlich sieht ^ z er
einen Stier vor sich; er wirft ihm Schlingen über Knie aürv .flcnnd
jKlau'n, da leuchtet Feuer sciwin und scheinbar steht das gansM^mze
Haus in Flammen, vergeblich wird es von oben bis unten nB^msr^rmit
Wasser heyossen] nun stellt sich wieder D/on?/.<J05 den Augen d^^t^des
Königs dar, der sticht nach ihm, doch fährt das Schwert dur^-:«: :reh
leere Luft. Endlich stürzt Bakch<>s zomgemut das ganze Ha .^^s-nus
in Trümmer. Wage nimmer ein Sterblicher wider einen Gott r zu
kämpfen! Noch vollständiger zählt v. 1015 die in der Sa^^-Äigc,
welche Eurii)ides frei benutzte, aufgenannten Verwandlungen ar-^^sauf.
Der Bakchcnchor ruft beim Herannahen des Pentheus, der d»-fc^deu
Mänaden Einhalt tun will, dem Gotte zu
*Pi(vrjx'h T((uo(ig, fj 71 oXvxo(tr6g y' iJfh'
Erschein' als Stier, erschein' viclhanptig anzuscliaun
Ein Draeh' und, in strahlender Glut
Das Anlitz, ein Leu I
In Gedichten, die Nounus ausschrieb (40, 41), wechselte Dionyss ^^
als Untier y Feuer, linum und Wasser. In allen diesen Ueb^c_3er-
lieferungen begegnet uns ein geisterhaftes Wesen, welches ^^'^ou
einem Sterl)lichen zu diesem oder jenem Zwecke festgehalten a-^«/cA
i
Die alte Peleis. 63
demselben durch mehrere MeUimorphosen iu Tiere,' zumal eine
Schlange (Thetis, Neraide, Proteus, Dionysos), Fetwr und Wasser
za entziehen sucht und entweder den Bann bricht, oder sich
e]f;eben muß und nun auf einige Zeit leibhaftige Menschengestalt
imd Menschentum annimmt.
Den griechischen Traditionen treten interessante nordeuro-
piische zur Seite. So oft Janet, Gräfin von March, an einer
gewissen Quelle, neben der sie einen weißen Zelter stehen sieht,
Basen pflückt , erscheint der Kitter, dem das Roß gehört, und
verbietet ihr das Pflücken [der Rosenstock ist die Hülle seiner
Seele]. Sie liebt ihn und wird von ihm Mutter. Er giebt sich
ihr als Tamlane, Cfraf von Murray, zu erkennen, der als acht-
jähriges Kind von den Elfen geraubt und mit Abstreifung von
Leib und Gliedern zu einem der Ihrigen gemacht sei. Alle sieben
Jahre ziehe er mit den Elfen zur Hölle, wo der Teufel ein Opfer
verlange ; in der nächsten Mainacht sei er dazu ausersehen. Janet
könne ihn retten, wenn sie soviel Mut und Liebe besitze, ihn
den Ellen zu entreißen. Sie solle um Mittemacht den Zug der
Blfen erwarten. Sie werde ihn dann an gewissen Zeichen er-
cennen, vom weißen Bosse herabzieJ^en , sie werde ihn in ihre
4.mie sclüießen und dürfe ihn nicht daraus loslassen, wenn er
tich auch nacheinamler in Schlange, Molch, Feuer und glühendes
Eisen verwandele. Er tue ihr nichts zu leide. Dann möge sie
hn in ein Faß mit Milch, und nachher ins Wasser werfen, aber
iocb da noch festhalten, denn er werde zu einem Aal und einer
Kröte, sodann zu einer Taube und zuletzt zu einem Schwan
iverden; hierauf aber müsse sie ihren grünen Mantel über ihn
werfen, denn er werde nun wieder ein Mensch und nackend
)eiii; wie er zur Welt gekommen. Als Janet dieses alles buch-
stäblich erfüllte, bekam sie ihren Tamlane wieder, die Elfen-
königin aber ließ aus dem Gebüsche ihre lauten KLogen über den
STerlust des schönen Jünglings ertönen. Dies der Inhalt einer
schottischen Ballade.^ Eine andere Fassung der Ballade enthält
nur die Verwandlungen in eine Eisscholle, Feuer, Schlange^
1) Die Stiorgestalt wird, so scheint es, beim Dionysos allein erwähnt.
Das hän^ offenbar mit seinem f,'cwöhnliehen Beinamen Stier oder Stier-
gestaltiger {raüQog, rnroouooffoq) zusammen und ist von diesem in die oben
l)ehandelto Verwand lungsfabel hineingetragen.
2) W. Scott Minstrelsy of Scottish borders T. 11, p. 193.
64 Kapitel II. Die wilden Leute der griccbiRchcn und römischen Sage.
Schwan, * — Nah verwandt Hiiid die vielen deutschen »Sagen voin»-^
der schatzhütenden weißen Frau oder Jungfrau , deren ErlGsoD^^ ^^g
d. h. dauernde Rückkehr zur Menschengestalt und zu menschlicher ^^^er
Art und Lebensweise (Grinnn D. S. I, S. 17. n. 13) davon abhängttf^^^gt
daß ein reiner Jüngling sie dreimal küßt, obwohl sie sich wähKr^'^jt^ii
rend dessen in fremde Gestalten, Sc}d<in<)e (Drache), Kröte (FrosclMLC^^mch
resp. Jmiiffrau, Bär, Ochse (Kuhn Westf. Sag. I, 242, 276) ode^J^Bde
Frosch, Wolf, Sehlnngc (MüUenhoff Schleswigh. Sag. S. 580, 597V ^^7
oder Frosch, Schlange, Feuerdrache (Baader I, S. 198) W(inMfk^%r^i.
In den meisten Sagen mißlingt die Erlösung.
Am auffallendsten ist es jedoch, daß sogar der Eintritt jed£»^de
menschlichen Seele in die Leil>lichkeit von den nämlichen V*^ Er
scheinungen begleitet gedacht wurde. Ungetaufte Kinder werd« f»*dei
im heutigen Griechenland die Knaben Drache (ßganog, d^'xoircrar^ -ag)^
die Mädchen Drachin (ßQaxatva, dgaiiovla, dQoxovtiaaa) gcnanr rnnrnint-
man muß bei ihrem Anblick sofort ausspeien und KnoblaiKar ^ncli
sagen, ^ wie man zu tun pflegt, um Behexung abzuwenden, al' ■L-alles
empfangene Schlimme von sich auszustoßen. Die aufiUUige l^C Be-
nennung erhält ausreichendes Licht durch die Angaben , welcz^ icfae
der Freiherr J. W. Valvassor zu Wagensperg in Crain in seinK' iner
Ehre des Herzogtums Crain 1689 uns über den Aberglauben -j in
seiner Heimat hinterlassen hat. „In einem gewissen Distrikt ^^ aof
dem Karst, oder an der Poig hat sichs zuweilen zugetragen, d. .-■aß,
wann es mit einem schwangeren Weibe bis an die Gclr ^■»nrt
gelanget, anstatt eines Kindes eine Schlange von ihr gekomm- ^en.
Solche Schlange wird mit Ruten gestrichen und in ein SclÄrJiaff
voll Wasser getrieben (welches zu dem Ende mitten in die StnL ^■>en
hingesetzt ist) und mit Kutenstreichen so lange angehalten; . ^'^
sie in das Wasser geht. Alsdann soll man allerlei Handw^erÄ^^er
und sonst auch Leute, oder vielmehr Aemter der Leute u-^und
1) Aytoun Ballads of Scotland I, p. 7. Allingliam Ballad-B^ ^ook.
K. Kiiortz Schott. Bulladon. S. 51.
2) Vgl. Mytb.«. 1)21. Wolf Bcitr. z. D. Mytli. II, 247. Rochhoh ^ 7.^^.
f. D. Myth. IV, 289. Ders. Naturmythen IGO, 8. Stöber Elsäss. Sag. S. 346,=r 277.
Wuckc Werrasag. II, S. 132. Pri.hh) Harzs. 217, 2. 177. Birlinger ^3
Schwaben I, 203, 274. Panzer II, 154, 231). Zingorle Sagen u. Marchc « a.
Trrol 223, 31)7. In Ulrichs von Zazikhovcn Lanzolot v. 7845 ff. erlost der
Held eine Königstochter von Tile (Thule), welche verzaubert ist, so Ic^fl^
eine Schlange zu sein, bis sie der beste Ritter küsse.
3) C. Wachsmath, das alte Griechenland im neuen. Bonn 1864. S. SC- CS.
Die alto IVIeis. 05
aancberlei Staude, auch so^ar geistliche, nacheinuiider benennen,
lebst Befragen y was das Kind künftig werden wolle. Als zum
ixempel: Wirst du ein Schuster, Sehneider, Kürschner, l^arbier,
techtsgelehrter, Pfarrer u. s. w. werden? Bei jedwedem Amts-
lamen gibt man der Si?hlangen mit der Kiiten einen Streich, bis
ie sich verwandelt in rin Kimij welches hernach einmal zu
olehem Handwerk, Amt, oder Würde und Stand gelangt, bei
lesBcn Nennung und Namen die Schlange zum Knäblein sich
erbildet hat Es soll oft grscluhen, da/S die Scldanffe vrrschmndet
ind alsdann findet sich auch kein Kin<l mehr. Man sagt auch
ttr gewiß, es soll noch auf den heutigen Tjig auf dem Karst
tin Geistlicher am Leben sein, welcher gleicher Gestillt geboren
forden. Es ist noch ein altes Weib am l^ben , welches zweiuial
»ei solcher Verwandlung soll gegenwärtig gewest sein. Als ich
Dl Juni 1685 auf dem Karst war, schickte ich nach demselbigen
Veibe, daß ich solches vcm ihr selber miichtc vernehmen, sie
var aber nicht daheim." Valvassor gesteht nun von dergleichen
Verwandlungen viel gehört, aber nienials Augenzeugen gesprochen
u haben, er würde die Sache verschwiegen haben, wenn ihn
licht folgende Stelle in den vor 22 Jahren geschriebenen „Anna-
ns Norici'* des gelehrten M. Bauscher dazu veranlaßt hätte, dem
terttcbte Gewicht beizulegen. „ In einer adligen Familie in dieser
^andsehafk des Karst — sagt Bauscher — ffrwinmri alle Kinder,
fenn sie aus Muiterleihe kamm/*n, ein SrJdanffemjvsieht , oder
'cfdf^nyengestalt. Sobald aber das Kind zum erslenwale (je-
foschen mrd, legt es das Schlangenangesiehf ait und entdeckt
nne menschliche Oestalt, die zuvor mit einer Schlangenform
erlarvt war. Solches seheinet nach einem Muster des ersten
rbsüudlichen Fleckens zu riechen."
Zur Darlegung des mutmaßlichen Gedankenzusanunenliangs
er vorstehenden Superatitionen erlaube man mir einige Sätze
.as meinen „Gennanischen Mythen." Berlin 1858. S. 310 zu
(wiederholen. „Das neugeborne Kind galt, so lange es die heid-
ische Wassertaufe, mit welcher die Namengebung verbunden
var, noch nicht empfangen, oder noch keine menschliche Speise
;enos8eu hatte, als Seele. Der menschliche so wie jeder andere
iörper wurde als ein Gewand gedacht, das die Seele anzieht,
lih-ham, altn. llk-hamr). Das Band zwischen der Seele und
lern Leibe galt Itirerst noch als lose." —
Mannhardt. II. 5
6G Kapitel II. Die wildon Leute der griechischen und römischen Sage.
yyWeil die Verbindung mit dem Körper noch nicht Halter ^\
gewonnen hat, ist das Kind bis znr Taufe, die im Ycdkgabei
glauben die Stelle der heidnischen Wasserbegießnng vertritt , dei
Vertauschung mit Wechselbälgen ausgesetzt d. h. in Gefahr ,
den Geistern (Nixen, Unterirdischen, Zwergen, wilden Weibern'
ohne weiteres wieder in ihre Gemeinschaft gezogen und dureW^^^-xd
einen nur anscheinend mit menschlicher Körperlichkeit behafteter ^^«^lie
Geist, eine zur vollen Menschheit nicht durchgedrungene SeehM^^^
(Kretin) ersetzt zu werden/' ^ Dem entsprechend schekit ma^^^ .0:113
angenommen zu haben, daß ebenso wie in den Sagen von Thetir«-;#.^ti
Proteus, Tamlane und von den verwünschten weißen Fraaen eS^a» ei
zu zeitweiliger oder dauernder Annahme menschlicher LeiMieV-^^^eh
keit gezwungener Geist (Dämon) vor seiner Verkörperung n. . «. a
in die Gestalt einer Schlange (Thetis, Proteus, Neraide, TAmlftn»-^ Mnnc,
weiße Frau) sich wandelt, schließlich auch in Wasser sich nim Mcmm-
gestaltet (Thetis, Proteus) oder ms Wasser geworfen toird (Ti
lane), ebenso auch die zum Austritt aus der Geisterwelt und
Eintritt in den Menschenkörper bestimmte Seele jedes Sterblieb*^«cflDieii
zuvor als Schlange sich darstelle, ehe sie nach dem Durchga^s^rsing
durchs Wasser zu fester und dauernder Verkörperung gelang «"Bge.
Hiermit vgl. die buddhistische Erzählung im Teluguwerke Dh^ .^er-
mangada Cheritra (Mackenzie, CoUection I, 324. Benfey Vnw mini
schatantra 1, 254. § 92). Die Frau des Dharmangada, KönEi^^gs
von Kanakapuri in Kashmir, wird von einer Schlange entbund'^^ien.
Dieses wird verheimlicht und bekannt gemacht, sie habe eiizü^BCD
Sohn geboren. Der König von Suväshtra bietet diesem seine Toeh^H=iter
zur Frau. Dharmangada nimmt sie an, um das Geheimniß ni»^ ^cbt
zu verraten. Das Mädchen kommt nach Kashmir, und als sie
reif ist, fragt sie nach ihrem Manne. 3Ian giebt ihr die Schlau ^ige.
Obgleich sehr bekümmert, pflegt sie sie, und führt sie nach cs^^den
heiligen Orten. In dem letzten, den sie besucht, erhält sie ^^^ den
Befehl, die Schlange in den WasserbeJiäUer jsu setzen. Nachö^:r^^n^
sie es getan, nimmt die Schlange die Gestalt des Mannes of*,
und die Frau kehrt mit. diesem vergnügt nach Kashnodr zariJ^ci.
Hier sind die beiden Verwandlungen des Geistes in die Schlang^^ bei
der (Geburt und bei der Heirat mit einander combiniert Zar
1) Den Versuch eines Beweises für obenstehende Sätze 8. Germ. ^^Jtb.
311—313.
Die altu Feieis. 67
tigimg des Gesagten gereicht es, daß die KUckverwaudlung des
xam Menschen gewordenen Geistes oder Albs in Geistematur
mit den nämlichen Erscheinungen verbunden ist. Dies lehrt sehr
deutlich die älteste Gestalt der Melusinensage, wie sie um das
Jahr 1211 Gervasius von Tilbury in seinen Otia imperialia I, 15
(liebrechts Gervasius S. 4 flf.) aufschrieb. Kaimund Herr von
Biisset bei Trets unweit Aix in der Provence trifft am Ufer des
den Burgberg besptilenden Flusses einmal eine herlich gekleidete
Jungfrau auf kostbar geschmücktem Zelter, die sich ihm zur Ehe
gelobt, wenn er verspreche, sie niemals nackt zu sehen. Nach
vielen Jahren bricht der bis dahin überaus glückliche Gatte sein
Wort und stürmt in das Badegemach seiner Frau. Quid moror,
erepto linteo, qtw balneum operitur, miles ut uxorem nudam
videat, accedit, staümque domina in ser^tenlein conversa, misso
sab aqua balnei capite, disjHiruit, nunquam msa imposterum nee
audüa, nisi quandoque de nocte, cum ad infantidos suos visi-
tandos veniebat, nutricibus audientibus, sed ab ejus aspectu sem-
per arctatis. Hier also verwandelt sich die Waldfrau oder
Bmnnenfrau, als sie durch den Bruch des Versprechens gezwungen
wirdy die Leiblichkeit wieder abzustreifen und zu den Geistern
zurückzukehren, in eine vollständige Schlange, in gleichzeitigen
anderen Localisierungen desselben Mythus erscheint dann freilich
die Vorstellung, daÄ die mit Menschen vermählten Eiben von Zeit
2n Zeit die Sehnsucht oder Notwendigkeit fühlen , auf kurze Zeit
lie Fesseln der angenommenen Menschengestalt abzustreifen [vgl.
äie Skogsfiru Bk. 135], aber noch immer ist es eine ganze Schlange,
in deren Aussehen der freigewordene Geist sich hüllt. So erzählt
am 1205 Helinand, (bei Vincentius Bellovacenis Spec. natur. H,
127. Liebrecht Gervasius S. 66): In Lingonensi provincia quidam
Qobilis in sylvarum ahdih's reperit mulierem speciosam preciosis
restibus amictam , quam adamavit et duxit. lila plurimum balneis
deleetabatur, in quibus visa est a quadam puella m serpentis
speeie se volutare. Incusata viro et deprehensa in balneo nun-
quam deinceps comparitura disparuit et adhuc durat ejus pro-
genies. * Wie das Wasserbad dazu gehörte , um in menschlichen
Körper eingehen zu können, mochte es auch zur Abstreifung des-
selben von Seiten der Geister flir erforderlich gehalten werden.
1) Vgl. die Sage von Henne bei Walter Map. (PbUipps a. a. 0. S. G9.)
5*
G« Kapitel II. Die wilden Leate Her griocliischen und rümischcn SMtgc.
Erst in spUtcrcii Versionen und Hcarbeitungcn der Melusinesage^E^^-^
(vgl. Dunlop (lesch. der rrcisaroniane übers, v. F. Liebreeht 40«^ ^M^,
544. Anni. ITf). Nachtr. 544 *) ist die Verwafidlung der Ellntm^^'^i^
in eine Üchhimjv dnrvh (Uv Mischffestall aus Mnisch und Fif^cl^-^^^^^
(oder Sohlanijv) erseht.
Den unnierklicben IJcberganfJi; dieser Sageniamilie in ander»-:» -«jj»j^
Formen und ibre Verwandtscbait mit denselben^ (z. B. den Sago.r^-*,r^.^
und Märelien von den Schwan jmujfraneii ^ Tierklndcm u. s. w ^^r^- ^^ \
erweisen die von lienfey Pantsebatantra I, S. 254 — 2611 ziunnKK^,^«]i|.
mcngestellten Heispiele.
Wie vieles aucb so noeb immer dunkel bleibt , und w^^-^r^^-j^
manebes Stück der vorstellenden Auseimmdersetzung der B^rS J|^».
riebtigung bedUri'tig sein mag^ wie endlieb das gegenseitige V^ "^Wer-
bältnil^ die llrt'orm und Grundbedeutung der angezogenen Ueb€»N«.flier.
lieferungen sieb berausstelle, in jedem Falle ergiebt sich vom. mii
Sicberbeit die Brautwerbung des I'eleus um Tbetis als eine etXM^r^hte
Volkssage und zwar als eine Elfensage , welebc durch das Hj^S^^jHßS
zur Helden- und Göttersage aufgebauscbt , beziehungsweise in
dieselbe vertlocbten ist.
Schwieriger ist die Entscheidung^ ob auch der Zug in ech.^». iter
Sage begründet sei, daß Tbetis vom Polens plötzlich sich trenrz^nte^
weil dieser sie durch seinen Aufschrei unterbrach ^ als sie cz^aden
jungen Acbilleus Nachts ins Feuer hielt. Das plötzliclie I" er-
schuinden ^ ist völlig dem echten Mythus gemäß. So verschw^üiü'in-
det Mehisine <»der die mit einem sterblichen Manne vermäLj^lilte
Selige, sol)ald derselbe ihren Namen, oder sonst das Gehcim^^^tfuiB
ihres rrsj)rungs eriabrt oder sich einf<dlen läßt sie su sche^^^ien
(vgl. Bk. 10:» -104; ienier c». S. (»0 Anm. und Alpenburg, Al-
pensagen :n2, :j:{0). Die Bearbeitung der Beleussjige, wel che
Sophokles in <len ,, >/////Mf/v: ^QtafKu^'' zu Grunde legte, entli^^'t^'t
denselben Zug. ,,2V)<^o//.7|C c)^ h' 'ylyjkuio^ l^aaiaii^ (fi^aiy ^^vio
Jftj'/,H'i^ K n I () (i(t 1^ iV binar i l^r Httiv /.aiakiueiy aiTor." (Sc "Twl
Aristopli. Aid. Xubb. lo08; j). 4 i:j F. Didot.) Im Aigimios, euiem ^i-n
Sngcnkreis des Herakles iiebandelnden Gediehte der besiodeiscr- Tifio
Zeit, war erzählt, daß Tbetis ibre von Beleus geborenen KiL:Mder
in einen Kessel siedenden Wassers warl', um zu erproben, ob sie
1) Virl. Li,.],rooht in Zpits.l,r. f. v«:!. Spruchf. XVIII, 50—00.
2) V^]. Aristo|»]i. Nubl». 1007: xa) li^r Htrir «r ^yr,u( cV/« lu (tit^^ffto-
Die alte Pcleis. 69
insterblich seien; mehrere Helen duhei unigekonunen, den Aehil-
3118 aber habe Peleu8 gjerettet, indem er verbot, ihn in den Kessel
u werfen. ^ Das sehehit doeh wol nur eine Abwandhni^ der
kndem Sage, welehe übereinstimmend mit ApoUodor (o. S. 52)
>cIiol. Aristoph. Nubb. lUGH r(%cndermalien erzählt: tfuoiv l'ai
ovg; yirofi^yoig /ralöag Iv. inv ili^livtg !^ Hin^z )Atu{Uty()vou .il-
iuxate %n xh't-iov aiiioi' oviitit (iüi').ofn'ri^ itinHX LtihivavnvQ
jiHEiv' xcd /coV.nvi; i/xtroi y.fti vor ^///AA^« mv it/jwoa t:ii-
t^i]X£v eli; lo /fVQ. '/mi yvots: n Ui^),tvi^ f^i/n^aey. t) (U Ai/i/^-
i^tlaa f/wQUfxh^.' Die Uebereinstimnuin^ dieser P^rzählun^ von
Thetis und Aehilleus mit der im so^^enannten homerischen llynuuis
»ron Demeter und ihrem Plie^^iin^ Demoi)hoon erzählten krumte
leicht zu der Annahme lühren, <laß erstere eine Naehl)ildun{; der
letzteren sei, da nieht uiiwiehtif^e Gründe lur die Vermutung
sprechen, dali die eleusinisehe [.egende durch einen Kultakt ver-
anlaßt wunhö. Wir werden bei späterer Gelegenheit das richtige
Verhältniß kennen lernen. Einstweilen macht schon der olVenl)ar
deutisehe, nur fälschlich auf den Vater bezogene Zug der kreti-
ichcn Volkssage, daß die Neraide verschwindet, als das Kind in
leu Backofen geworlen wird, noch mehr aber die folgende jicr-
ische Parallele augenscheinlich, (biß die fragliche Tradition echte
^olkssage war. Ein Kaiser von China rettet auf der Jagd eine
/-eiße Schlainjc aus Lebensgelähr und trägt sie in sein Kabinet.
LUi nächsten ^lorgen hat sie sich in eine wunderliehliche Teri
erwandelt, welche ihm als Dank Schätze, Wissen geheimer
Lrzeneikräuter, endlich ihre eigene Schwester zur (jlattia anbie-
gt. Dieselbe wird unter der Bedingung sein Weib, daß er sie
ie nach den Ursachen ihrer 1 landhingen frage. AU sie den
rsten Sohn geboren y lUunmt ein helles Feuer vor der Tür auf;
ie wiekelt das Kind in ein Tueh und wirft es in die Glut,
)as zweite Kind wiiit sie einer Bärin in den Rachen ^ und lu^i
^uöbrechendem Kriege zerschneidet sie mitten in der Wüste die
Irodsäeke und Wasserschläuche. Jetzt bricht der Gonahl in
ichdt warte tind Veru-ünsehungen aus. Die Peri erklärt, der
iluudvorrat sei von einem Verräter vergiftet gewesen, das erste
1) Schul. Apollon. Ulio.l. IV. SM. Seliol. Arist. AM. Nubb. UMlS ]k4\:V
?. Didot.
1») Vgl. Apolbm. Uh.Kl. IV, 8GGir. ScboL II. XVI, 3G. lAkoi^bron
r. 178 et 8rhol ; Ptobm. H«'|.bi.st. VF, p -iSl. Heyne ad Apollod. lÜ, 13, (J.
70 Kapitel II. Die wilden Leute der griechischen and römischen Sige.
Kind war nicht lebensfähig, die Bärin aber des zweiten Ammi
Sogleich erscheint letztere mit dem reichgeschmttckten Pflegling =r -^
die Pcri, zu zart, um mit M&nschen zu leben, ist entflohen.^
Nach diesen Analogien bin ich überzeugt, daß auch die Ver^^-^-
brennungsgeschichte zur Schilderung der Jugend des Achill r^.^ ja
der alten Peleis gehörte. Da es aber nicht wol abzusehen is^^e^^
wie neben derselben und ihren literarischen Sprossen sich noc^^^^i]
selbständig die Kcnntniß einer ebenfalls noch aus echter Volle.9h^g.
Überlieferung geschöpften Variante erhalten haben sollte, so wir^»--ifj
man anzunehmen haben, daß der von Sophokles hervorgehober ^^^ene
Umstand, Thetis sei durch die Scheltworte ihres Gatten ^^ zm
Flucht bewogen worden, auch einen Teil der Darstellung im
Peleusepos bildete, und hier, wie in jener persischen Sage, die )■? Er-
zählung von der Feuerprobe des Kindes abschloß. Obwohl _f in
den homerischen Gesängen mehrfach (11. I, 396. XVI, 574) d^EiIar-
auf hingedeutet ist, daß Thetis jahrelang im Hause des Gat^z^BKen
wohnte, sehen wir sie doch nicht bei diesem, der nach D. ^ -'Y^
420. IX, 394. 400. XVUI, 331. 434 als hochbetagter Greis JLmmoch
lebt, sondern bei ihren Schwestern im Meere weilen und von
dort aus hilfreich hervorkommen, so oft es sich um das Yi^^obl
und Wehe ihres geliebten Sohnes Achilleus handelt. Wir h^«i-/)CD
guten Grund erstercs fllr eine epische Abschwächung, letzteres ffir
das Ursprünglichere und zwar für jene durch die epische BehandB. nng
nur wenig verdunkelte Form des Mythus zu halten, welche nns
auch bei Melusine, den seligen Fräulein, todten WöchneriEÄ-Ucn
u. s. w. mehrfach entgegentritt, daß die von dem Manne plöt^M
geschiedene Eibin, Verstorbene u. s. w. noch wiederkehrt, um ihre
Kinder zu pflegen. Bk. 103. 104. Vgl. KHM. III», 21 nr- 11
Hylt^n - Cavallius Schwed. Volksm. übers, v. Oberleitner ^
S. 147. Vgl. die neuerdings aufgenommene Neraidensage ans
Euboea, der Nachbarschaft Thessaliens, bei Hahn Neugricci.
Märch. nr. 83 (II, S. 82 ff). Ein Mann hat eine Neraide dadarei
in seine Gewalt bekommen, daß er ihr die Flügel wegnahm, die
sie beim Tanzen auf einer Tenne abgelegt hatte. Als ihr Sohn
fünf Jahr alt ist, giebt er ihr einmal die Flügel wieder und sofort
verschwindet sie mit dem Ausruf: „lebe wohl. Mann, achte auf
1) Hammer - Purgstall , Rosenöl 162 — 164. J. W. Wolf Beitr. t D.
Myth. II, 262 ff.
\
Die alte Peleis. 71
unser Kind'^ Täglich kommt nie, wenn ihr Mann weggegangen
ist, wieder ins Haus^ backt Brod ftir ilm, speist das Kind und
besorgt alle Geschäfte. Dann fliegt sie auf den Acker und be-
grüßt ihren dort arbeitenden Gatten, ist alier niemals zu bewegen
wieder in seinem Hause zu wohnen. Dies gleicht ganz dem Ver-
hältniß der Thetis zu Peleus.
Die Volkssage von der Heirat des Peleus ist mit dem Ver-
schwinden der Thetis eigentlich zu Ende; das zur Fortsetzung
der epischen Handlung anget^chobene neue Sttlck kündigt sich
durch ein abermaliges Auftreten des Cheiron an, und verrät da-
durch die Hand derselben Rhapsodenschule, welche zuerst die
Hochzeitgeschichte mit dem Tier- oder Drachenkampfe des Peleus
v^erband Wenn nun ein wesentlicher Teil seines Inhalts sofort
alB sehr altertümlicher Volksaberglaube in die Augen springt
^o. S. 52), erlaubt dann die Gesellschaft, in welcher dieser Be-
richt über die erste Erziehuug des Achilleus sich befindet, auch
nur einen Augenblick an seinem eigenen Alter zu zweifeln? Ob
der von Pindar (Nera. HI, 75 — 91 Böckh) bewahrte Zug, daß
der siebenjährige Held von Cheiron gelernt hatte, Eber und Hirsche
schnell wie der Wiful (ioog drtfioii;) im Liaufe einzuholen, ohne
Hund zu fassen und auf starkem Arm seinem Lehrmeister zuzu-
tragen, ebenfalls alt und bereits im Epos ausgesprochen, ja der
Ausgangspunkt des homerischen Beiworts Ttodag (mvg (Iliad. X,
58) gewesen sei, ist bei dem Mangel äußerer Zeugnisse nicht mit
Gewißheit zu sagen; es trägt aber auch diese Angabe noch so
sehr den Character derselben von Bergesluft und Waldesduft
durchwürzten Naturpoesie, wie die Erzählung von der Ernährung
mit Bärenherzen, daß wir sie unbedenklich derselben noch von
lebendiger Kenntniß des Wesens der Kentauren durchdrungenen
Zeit, wie das vorhin analysirte Peleusepos, zuzuschreiben und
aas Uebertragung einer den Kentauren beigemessenen Eigenschaft,
der SchnelUÜßigkeit, auf den Zögling zu erklären geneigt sein
werden. ^ Daß übrigens die erste Erziehung des Thctissohnes in
1) Nach Bergk (Griech. Literaturg. 1, 1008) entnahmen dio fraglichen
Verse aiis der Einleitung des dem Hesiod zugeschriebenen Lehrgedichts Xil-
(Hovog v7To&fjX((i ihren Stoff, welches ein Kritiker des Altertums, Stephanus
von Byzanz, für unecht d. h. nachhesiodoisch erklärte. Selbst wenn letzteres
richtig ist, darf vermutet werden, daß grade die epische Einleitung des Lehr-
gedichts älteren Vorbildern nacherzählt war.
72 Eapitül n. Die \rildeii Leute der griechischen und römisclieii Sage.
der Tat nur eine Fortsetzung und Ergänzung der Heiratsge-
schicbte des Pelcus und ein Werk desjenigen Geistes war, wel — _-
eher die dieser zu Grunde liegende Volkssage zum Heldenepo^e- ^
maehte, geht auch aus dem Namen Achilleus hervor, wenn di^^^\e
im Folgenden vorgetragene Vermutung über seine Bedentang zn«-.^ zu-
treffend wäre. Derselbe ist ein liypokorißma auf -eus, and weis^f 4\gt
auf einen mit ax^kk- anlautenden Vollnamen zurtlek, ieh nehoLsrirsnt
an etwa I/x/AAa-ytV/^(; oder llx^M-yoroi;; in dem ersten Wor-^^3rt
teil aber suche ich eine Ableitung {*axihj, *ax/Aifr) von *^^^yi^'?xt\
Sehlange (Grundform von txi<;, skr. abis, lat anguis, ahd. mic^«:sDc]
gebildet wie ogyilog zornig von oQyrj, rgoxi^og Strandläafer v<^"%^nroi
TQoxog, (TrQOfiü^og Kreisel, Wirbelwind von acqoßog^ oder e:^^ eii
einfaches Dcmmutivuni wie vcxivilo^ von vavi^g. Als Schlaop^^ ^m
frau oder Schlange konnte die gefangene und wieder verschwoLV ^^Fon-
dene Nereide bezeichnet werden, insofern die Verwandlung in c^ die
Schlange die hauptsächlichste ihrer geisterhaften Gestalten war (v^^^Jvgl
die deutschen weißen Frauen o. S. 64), als Sehlangenkind i: ihr
zurückgelassenes Söhnchen. Diese Bezeichnung ^ mag ans c^ der
noch einfacheren Volkssage in das Epos herttbergenommen ns:^ und
zu einem Namen geworden sein, an den sich mythische ZttzV 2öge
ansetzten. Zunächst wol der, daß der von einem der gewalttätig-
sten Helden und einer Ellin erzeugte Sohn eine Steigerung <^ der
Kräfte enthielt, „noch stärker und gewaltiger ivurdc als der )-^ Va-
ter/' So lautete jedenfalls die einfache Fonnel im Volksmur .^'-ind,
welche unter der Hand der Sänger dahin umgestaltet ist, es ^^
der Thetis geweissagt, sie werde einen Sohn gebären, der gröE -ÄJßcr
werde, als sein Vater, sodann, Zeus habe um solcher Weissagci^ "M^
willen auf ihr Bett verzichtet und sie einem sterblichen Mar:^^ --^^^
gegeben. Wer diesen Darlegungen beistimmt, — und es möcr -=!^«hte
schwer halten eine andere gleich sehr aus der Sache fließeri^ ^^^^
psychologische Genesis des in Rede stehenden Sagenzuges a-Ä=^*^
findig zu machen — ^ gesteht zugleich ein , daß die Gestalt
1) V^H. dio Ik'zeichnung st^irkcr Hans, Askcladdcn u. s. w. im Märrl
2) Zwar ist riudar der «»rsto erlialtüno Zeuge, welcher von einem Sti
des Zeus uii<l rosoidon um den Hesitz der blühenden Nercustochtor ci
da habe Themis den Götlcrbesclilul] {7rt7tnoHi(''vor) verkündet, der
tin sei OS bestinniit. von oiueni Soliii zu genesen stärker als der
zeuger (iff-'oitnui' yontv <>i mnxra /tutqoi; Ttxfiv Tuniitn' iHor), es sei
halb ilirc Vermahlung mit einem sterblichen Manne, dem frommen Pel ^=^os,
anzuraten, als dessen Gattin sie oinon Sohn gevrinnen werde, der zwar" ^
des
Die alte Poleis. 73
Ldiilleng in der Sage späteren Ursprungs war, als die des Pe-
^nSy während sonst nicht selten umgekehrt der Vater erst um des
lohnes willen erdichtet wurde. Der Ijaulesrettcr und Utihold-
tsieger Peleus muß den Hellenen in Thessalien einmal ein hohes,
an göUlicJi^m Lichte umflossenes Ideal des Heldentums von der
(^llrde und Bedeutung eiues deutschen Higl'rit gewesen sein.
[an erkennt dies an der Helligkeit der Strahlen, mit denen noch
er Abglanz seines Kuhmes Cheirons Haupt umspielt; Homers
Darstellung läßt die Größe des Heros kaum mehr ahnen. Unter
olchen Umständen ist es erklärlieh, daß der vom localen Epos
rfaßte und fortgetragene Schluß seiner wunderbaren Heirats-
:e8chichte: „das suriiekgelassene Kind der Neraide wurde noch
rößer, als der Held der Helden ^ sein Vaf4*r , war ,^^ zu einem
reibenden Keime sich ausbildete, welcher hernach im großen
kraft der Arme doui Ares, iin Schnelligkeit den lUitzen gleich sein, aber im
Lampfe dahin sinken werde. Dieso Ueberlieferung cntstainmt aber derselben
on Pindar benutzten e[»i6C'lien Quelle über die Taten des Peleus, welche auch
onst mehrere sehr alte und edik Züge bewahrt hat (o. S. 49. S. 50) und
hre Hanptntucke liegen augonscheinlich der Rede der Thetis II. XVIII, 431 ff.
Zt, 85 zu Grunde. Denn d;is Verhältnin beider Erzählungen zu einander ist
o, daß entweder die jundarische sofort oder allmählich aus den kurzen Andcu-
QDgeu bei Homer herausgesponnen ward, oder dieser den Kern der von Pindur
iricdererzählton Sage gekannt und in kurzen Andeutungen [P»etonung einerseits
ler Sterblichkeit des Mannes, dem Zeus die Thetis wider ihren Willen
nit Zwang unterwirlt, andererseit der Stärke und des kurzen Lebens des
iohns] darauf angcs])ielt haben muß. Die Priorität «ler vollständigeren pinda-
ischen ihrem weKentiichstcn Inhalte nach geht aber daraus hervor, daii sie
las richtige Motiv für den von Zeus gegen Thetis ausgeübten Zwang bewahrt
lat. In der Tat war der in Rede stehende Zug nicht eine haare Erfindung
ler nachhoineriscJien Epiker. Niemandem hatte es einfallen können, aus
)lauor Luft zu erfinden , Zeus od«T Poseidon [der hier nur wieder als Ober-
lerr der Nereiden in die Fabel hineinkommt] hätte durch Verbindung mit der
intergeordneten Halbgöttin ein höheres und stärkeres Wesen, als er selbst,
»rzeugen müs.sen. Wie viele Liebschaften des Zeus mit Nymphen und Göttinnen
)leiben ohne s(dche Folge? Und w<^rin hätte bei der Nereide die größere Gefahr
>cstehen sollen ? Ganz anders verhielt es sich mit Peleus, wenn er mit einem
iVeibc höheriT Ordnung sich verband. Poi ihm allein hatte die Rede vom
f^infQog yorn<; Sinn, die nachmals die Epiker zur Pointe machten. War sie
iber einmal vorhanden, so konnte leicht, sobald der Stolz der Nordachäer
fragte, warum ihr großer Held denn nicht ein Kiml von Zeus sei, die Ver-
nähluug des Peleus wenigstens als eine Veranstaltung des Göttervaters
betrachtet und für <lessen Handlungsweise der bei Pindar genannte Grund
gefolgert werden.
74 Kapitel II. Die wilden Leute der griechischen und römischen Sage.
gemeingriechischen Epos fruchtbar aufging und herlich empor-
wuchs. Denu als im Laufe der griechischen Yölkerwandenuig,
welche der Einbruch der Dorier in den Peloponues eröffnete, den
zuerst an Kleinasicns Nordwestl^Uste augesiedelten Aeolem ans
dem Peloponnes, unter denen damals die Sage von Zierstörang
Trojas nach zehnjähriger Belagerung durch Helden v^irschiedener
griechischer Stämme aber unter Anführung des peloponnesisoheo
Königsgeschlechts der Atriden entstand , als diesen sttdachäischea.
Stämmen Nordachäer aus Thessalien nachrückten, ^ trugen letztere
mit sich zugleich den Namen Achills hinüber in Verbindung mit
einer noch unausgeülhrten Anweisung auf wundersame Helden-
größe. Freilich die Zeit war vorbei, man stand in einer za lichten,
durch historische Tat und mancherlei im Contact mit der Frenatde
gewonnene KenntniB aufgeklärten Kulturepoche, um noch an de
Uebertragmig wunderbarer, dem wirklichen Leben grell wider
sprechender Mythen auf den Namen des Helden Gefallen zu fin.
den. Im Gegensatz zu Pcleus blieb die ganze Geschichte Achill-:
mit Ausnahme jener ersten Kindheit leer von jedem alieti u
ecJUen mythologischmi Inhalt.^ Dagegen mußte der Wunsch
dem ruhmvollen Kampfe um Troja auch teilgenommen zu hal
sich naturgemäß zum guten Glauben umgestalten, der Hdd übe-
alle Helden^ t^oxog iiQtocov (II. XVIU, 56) habe die Großtaten, dl
man zu Hause nicht aufnennen konnte, hier in der Fremde ver"
richtet; er mußte den Jwrvorragendsten Anteil an jenem Krieg"
gehabt haben. Aber Troja war zerstört; und er nicht der Ze
störer? Nach der bereits feststehenden Sage vollbrachten di^
Atriden diese Tat. Nun ja, Achilleus war vor der Endkatastropl»- -^^ -^
gefallen. War er nicht OberanlÜhrer, noch Zerstörer, worL
-€
1) Hiusichtlich dieser Vorhältnisse imd über die Kotstehung der
von Troja verweise ick auf Müllen hoffs epochomacheude Forschung in s. Alte
tumsk. I, 1870 S. 8—30.
2) Die Erzeugung auf dem Pelion, die Fußschnelligkeit und der
Tod Achills reichen nicht hin , um in diesem mit MüUenhoff (a. a. O. S
die Person ification eines Waldstroms zu erkennen« der nach kurzem, rasche
Laufe vom Pclion sich ins Meer stürze (,und solche hohle Allegorie hätte di
Kraft in sich getragen, die Idee des Holden x«t' i^oxh^ 2U erwecken?)^
noch weniger sein Tod in Jugcudfülle uud seine (hekanntlich erst der jfin^—
sten Sageubildung — PrcUer Gr. M. II, S. 436 Anm. 1 — angohörigo) Unver-
wundbarkeit, um mit M. Müller (^Essays, Lpzg. 18G9, 11, S. 95ff.) in üub
den allabendlich in jugendlicher Kraft sterbenden Sonnenball wiederzufinden-
Die alte Peleis. 76
bestand dann seine Großtat? Er hatte den üanptheldeu und
Verteidiger Trojas , den Erhalter (Hektor) getr»dtet. Durch diese
natürlichen Schlußfolgerungen bildeten sich die Hauptmomente
der Achilleussage. Wie die Vorstellung vom Zorn des Achill
(jn/vig) als eine notwendige Folge aus dem Gegensatz hervorging,
in den die flir ihren Achill begeisterten und Itir seinen Ehrenan-
teil an Trojas Unterwerfung mit Entschiedenheit der Ueberzeu-
gung eintretenden Nordachäer von Anfang an gegen die älteren
Ansprüche der Atriden geraten mußten , darUl>er wolle man Müi-
lenhoffs scharfsinnige Auseinandersetzung a. a. 0. 2ß nachlesen.
Mithin war die Gestalt des Achilleus kein Gebilde des My-
thnSy sondern einzig und allein dos epischeu Gesanges, eine reine
Schöpfung der ethischen Mächte, welche die Brust des üellenen
in seiner Heldenzeit bei der Besiedeluug Kleiuasiens in höchster
Erregung bewegten.
Die wichtigen Schlußfolgerungen, die wir im Bcgriflf sind
ans den bisherigen Darlegungen zu ziehen, veranlassen uns den
Inhalt der letzteren noch einmal rückblickend zu überschlagen.
Der Vorgänger, aus welchem Apollodor die drei Erzählungen von
des Peleus Kampf mit den Ungeheuern, vom Raube der Thetis
und von Achills frühesten Jugendtagen bei Cheiron schöpfte und
seinem im Anfange des zweiten Jahrh. n. Chr. compilierten Com-
pendium der griechischen Mythologie einverleibte, war schwer-
lich sein Hauptgewährsmann Pherekydes, obwol dieser grade
di^ unmittelbar vorausgehenden und unmittelbar nachfolgenden
Notizen hergegeben hat. * Vielmehr wird an ein Excerpt aus
Hesiod (vgl. o. S. 49) oder aus einem anderen älteren Dichter zu den-
ken sein, der wiederum einem noch älteren, seinem Stoffe nach in
das vorhomerische Epos hineinreichenden Vorbilde nachdichtete.
Zu solchem Schlüsse berechtigt der Umstand, daß jene drei Sagen
der Hauptsache nach vor Homer bekannt gewesen sein müssen,
da sie den kurzen Andeutungen desselben über des Peleus Schick-
sale zu Grunde liegen: der Kampf mit den Ungeheuern und die
Lebeusrettung durch Cheiron, weil daraus der Name und die
1) S. Kobert de Apolloilori bibliothcca Borol. 1873 S. 67. Vgl. Apol-
lodlll, c. 13 S. 1. §. 1 - S. 2. §. 3 p. 342—43. Heyne. Pberccyd. Fragm. 3.
Göttling. p. 71— 70 (Schol. Pind. Ncni. 4, 81. Tzetzes ad Lycopbr. 175.
Schol. Hom. II. n. 175.. Apollod. III, 13 S. 7. — Pherecyd. Frag. 3. Gött-
liBg. p. 80. Schol. Pindar. Nem. 3, 55.
76 Kapitel II. Die wilden Leute der griechischen and römischen Sage.
ganze Gestalt des Cheiron und dessen Auffassung als dixaio^owg
Kevxavqiüv (IL XI, 830) und als lebenslänglicher Freund de« Pc-
leus erst hervorging (o. S. 59). Erst nachdem diese Geschfchte
sich fixiert hatte und im epischen Gesänge, der in Thessalien,
der ältesten Stätte griechischer Kultur und der Mutter sowol des
olympischen Göttersystems als des ritterlichen Wesens, besonders
lebhaft war , ^ bereits verschiedene Wandlungen erlitten hatte
(o. S. 53), konnte es einem Kha])soden einfallen, nun auch eine
Elfensage auf Peleus zu übertragen und dem Cheiron als seinem
Freunde eine Rolle dabei beizumessen. Der Raub der Thetis nun,
das Beilager auf dem Pelion und d:is Verschwinden der Nereide
nach der Geburt des Achilleus dienen den homerischen Gresängea
ebenfalls zur Voraussetzung, da nur daraus mehrere AeaBerungen
des Helden zu seiner Mutter, ihr Sträuben gegen die erzwun-
gene menschliche Heirat, sowie die Geschenke und die Gegen-
wart der Götter bei der Heirat und das in der Ilias geschilderte
Vcrhältniß der Thetis zu Gatten und Sohn sich erklären (Vgl. o-
S. 70). Eine neue aus des Peleus und Cheirons Freondschafts-
bunde fließende Zudiehtung ist erst hienach in dem Stücke von
Achills Erziehung bei Cheiron hinzugetreten. Auch sie war Ho-
mer unzweifelhaft bekannt. Ich darf darüber Th. Bergk
Gr. Literaturg. I, 348 reden lassen: „Wenn Homer den Achilles
unter allen Heroen durch das Beiwort schnelltllßig auszeichnet,
so gab dazu die homerische Dichtung selbst keinen Anlaß, man
sieht, Homer hat dieses characteristische Beiwort von fnUaren
Dichtern übirkammen, welche (J^e Jugendzeit des Helden und die
Kämpfe schilderten, die der frühreife Knabe in der Pflege des
Kentauren Cheiron mit den gewaltigen Tieren des Waldes bestand,
wo ebenso die ungewöhnliche Schnelligkeit, wie die Körperkrall
des Achilles hei-vortrat. — (Hesiod oder wer sonst das Spruch-
gedi<*lit \f:iootvog hiod^ijxai verfaßt hat, mag solche alte Lieder
noch gekannt haben.) — Andere Lieder mochten von der Ver-
mählung des Peleus mit der Thetis melden." Auch die Ileilkunst
(s. 0. S. 4(>) lernte Achill wol am chestciu vom Cheiron , wenn er
dessen Zögling war. Und endlich kommt hinzu, daß die rem
äußerlichen Mittel, durch welche Cheiron seinem Schutzbefohlenen
moralische Eigenschaften beizubringen sucht (Ilerzesscn o.S.52), eine
1) Th. Bergk, Gricch. Literaturg. 1872 I, 310 ff. 317 ff.
Die alte Peleis. 77
hinter der Wcltsiiischauuiig des homerischen Zeitalters weit zurück-
liegende Autl'assuug der Dinge verraten. Während also die
bonieriseken Andeutungen sich vollständig als Nachhall der bei
ApoUodor aufbewahrten, der echten Volkssage noch ganz nahe
stehenden Tradition erklären, konnte diene nimnurtmhr umgekehrt
aus der hon^rischen V eberlief erung erwachsen. Wenn nun alle
drei als vorhouierisch nachzuweisenden Sagen in dem apoUodo-
riscben Stücke unmitteU)ar mit einander vereinigt nebeneinander-
stehen und zwar der Art, daß dreimal Cheiron augenscheinlich
in den Vordergrund tritt, so liegt es nahe, darin eine bewußte
künstlerische Anordnung zu erblicken, und es dürfte vielleicht die
Vermutung nicht allzukUhn sein, daß ein günstiges Geschick uns
In diesen zusammengehörigen Stücken durch eine Anzahl unbe-
kannter Mittelglieder hindurch den Inhalt einer altthessalischen
Bhapsodie, eines vorhomerisehen i^eleusliedes mit einiger Treue
erhalten habe.
Wie dem nun auch sei, die l'estgestellten Tatsachen gewäh-
ren einige überraschende Einblicke in das Leben des griechischen
Heldengesangs vor der Ausbildung der großen Kationalepik.
EinfacJte mtfthische Volkssagen, nach Art, Form und Umfang
genau solchen kurzen Erzätdungcn (Märchen oder Sagen) ent-
sprechend, loelcfie jede nordische Sagensammlung als nodi heute
im Volksmunde Ichendig ausweist, waren die Keime, aus welchen
utUer Dichterhänden die Heroengcstalt des Pdeus und seiner An-
geJiorigen allmäldich emporwuchs. Zuerst speziell Magnesia und dem
Peliongebirge angehr>rig und der dort im localen Gesänge gefeierte
Held ward er von den Hellenen in Phthia aufgenommen und zum
eigenen Nationalhcros und Landeskihiig gemacht, sodann mit den
genealogischen Localsagen auch noch anderer Landschaften in Ver-
bindimg gesetzt. Seine Schicksale erleben so im thessalischen
Epos mehriache Umwandlungen, ehe seine Sage, in das große
homerische Nationalcpos verpflanzt, ihrem Hauptstamme nach
erstirbt, aber in der Gestalt des Achilleus einen zu tippigstem
Wachstum gedeihenden Seitenzweig treibt. So lassen sich z. B.
in Entwickelung der Sage von seiner Verbindung mit Thetis noch
folgende Hinge deutlich unterscheiden: 1) Peleus umarmt die
geraubte Mecnnaid in einsamer Waldgrotte. 2) Regelrechte
Schließung einer legitimen Ehe daselbst, Cheiron und Poseidon
geben Geschenke. 3) Glänzende Vermählungsfeier; alle Götter
78 Kapitel II. Die wilden Leute der griecbischeu and römischen Sage.
sind zugegen, Apoll spielt 'die Lyra. Jene Volkssagen y toelehe
den Kern der Peleussnge bildeten, decken sich mit einer ESfen-
sage und einem sogenannten SiglVitsmärchen. Hier liegt ein tm-
umstößli/ilier Beweis gegen Benfi^s Belinupiung vor, daß die
Märehenstoffe durchweg buddhistiscJien Ursprungs und in ver-
hältnißmäßig später Zeit nach Europa gelangt seien. Ein ande-
res Beweisstück glaube ich in meinem Aufsatze über ^^ lettische
Sonnenmythen (Bastian - Hartmanns Zeitschrift für Ethnologie VII,
1875 »S. 235 — 243) geliefert zu haben, indem ich dartat, dad die
älteste Aufzeichnung einer noch heute in Südeuropa (Griechen-
land, Rumänien, SUdrußland) weit verbreiteten Märchenfamilie
in dem altägyptischen Roman von den beiden Brüdern Batan and
Anepu erhalten ist. Von nicht geringerem Gewicht dürfte die
Beobachtung sein, daß grad^i dieselben Sagenstoffe es waren,
welche beim ersten Erwachen höherer Kultur von Griechen und
fast zweitausend Jahre später unter ähnlichen Verhältnissen von
Germanen und Kelten aus der Tiefe der Volksseele heranfge-
hoben und zum Ausgang und Mittelpunkte epischen Gesanges
gemacht wurden, ein Anzeichen dafür, daß eben vor und bei dem
ersten Zusammenstoß mit der christlichen Kultur die Germanen,
eben vor dem Eintritt ihrer Völkerwanderung und des frucht-
baren Austausches mit der höheren vorderasiatischen Civilisation
die Griechen von den nämlichen geistigen Mächten bewegt, von
einer sehr ähnlichen Weltanschauung erillllt waren.
§. 5. Gestalt der Keutauren. Nach langer Abschweifung
kehren wir zur Untersuchung über das Wesen der Kentauren
zurück. Wenn unsere Untersuchungen in dem Punkte die Wahr-
heit trafen , daß Achilleus kein Gebilde des Mythus, sondern ein-
zig und allein des epischen Gesanges war, so sind wir berech-
tigt, die Ui-sache seiner Schnell füßigJccit (o. S. 71) nicht aus sei-
nem Wesen, sondern wie die Kenntniß der lleilkunst aus dem
Vorbilde seines Lehnneisters Cheirou abzuleiten und da kein
Grund vorhanden ist, weshalb diesem die genannte Kunst oder
Eigenschaft individuell zukommen sollte, dieselbe folgerichiig als
ein Zubehör der Kentauren überlmupt anzusehen (Vgl. a. o. S. 76).
Einen charakteristischen Zug bewahrt der sogenannte homerische
Hynmus auf Hermes. Der neugebome Gott hat dem Apollo Rin-
der gestohlen; um ihre Spur zu verwischen, trieb er sie rück-
wärts; er selbst aber band sich jungbelaubte Zweige von Tama-
Gestalt der KiDtauren. 79
risken und Myrten mit allem mätterwerk müer die Füße, Als
nun später Apollo die dadurch cntstaudenen Eindrücke im Sande
sieht y erstaunt er über die rirsrngroßcn seltsamen Fußspuren:
„Das sind keines Mannes Schritte , ncK^h eines Weil>es, noch ge-
hören sie Löwen, Bären oder \V(>lt'en an. Idt will doch nicht
fürchten j daß nie einem KvnlaureJi ei(ß7ien, der mit schtiffllen
FttBen so gewaltig einhersch reitet {onU ii KtvzaiQov /.aaiavx^vog
Hymn. in Merc. 219 ff. Man schrieb also zur Zeit des Dichters
den Kentauren ungeheure, ungestalte FUBe zu, welche mit jenen
um eine breitere Grundfläche herum sich verästelnden I^im-
zweigen wenigstens annähernd verglichen werden konnten.
liäheres läßt sich über diese Anschauung nicht sagen; sie erin-
nert aber an mancherlei nordischen und sonstigen Volksglauben
hinsichtlich der Füße von Waldgeistern und andern Dämonen.
So ist es gefährlich in die Spur des russischen Waldgeistes
Ljeschi zu treten , doch verdeckt er dieselbe mit Sand oder Laub.
Bk. 140. Beim peruanischen Waldgeist wird der Abdruck seiner
ungleichen Füße als unheimlich und gefahrbringend hervorgeho-
t>en. Bk. 144. Die wilden Leute der deutschen Sage haben
liäafig ZiegenOiße oder Gansfüße y den letzteren könnten die
beschriebenen Kentanrenttiße ähnlich erscheinen.
Einen solchen Vergleich machte augenscheinlich niemand,
der die Kentauren nach der Weise der späteren Kunstwerke als
Mischgestalten aus menschlichem Oberkörper und tierischem Un-
teAörper mit vier Pferdefüßen sich vorstellte. Von der Kunst ans
drang letztere Darstelinngs weise seit dem sechsten Jahrhundert
auch in die Poesie und die durch sie bewirkte Fortbildung der
alten Sage ein und verdrängte jede abweichende Vorstellung über
das Aussehen der Kentauren. Es ging ihr aber in der älteren
griechischen Kunst eine andere Auffassungsweise vorher, wonach
der Kentaur vom Koi)f bis zum Zeh die Gestalt eines Mannes
hatte, dem rückwärts die hintere Haltte eines Pierdes an-
gewachsen war. * Das älteste Kunstwerk dieser Art, von
dem wir Kunde haben, war die Darstellung des Gheiron als
1) Nachweisungen über solche Darstellungen auf Vasen von Clusium
und Volci , Bronzen, Gemmen und Reliefs bei 0. Müller Handbuch d. Archäol.
d. Kunst, 1835 §. 389, 2 S. 584. Roß archäol. Aufs. S. 101.
80 Kapitel IL Die wilden Leute der griechischen und römischeD Sage.
Tröstei-8 Achills nach dem Tode des Patroklos auf der zur Auf-
bewahrung heihger Gewänder bestimmten Lade im Heratempel
zu Olympia, welche angeblich das Weihgesehenk eines korinthi-
schen Fürsten aus dem Hause des Kypselos im siebenten Jahr-
hundert V. Chr. gewesen ist. * Auch die von Herakles mit Pfei-
len verfolgten Kentauren (Pholossage) auf derselben Bildfläehe
müssen die gleiche Gestalt getragen haben, da sonst Pausanias
die Abweichung angemerkt hätte. Der Veri'ertiger des Kastens
war somit der erste nicht, der die Kentauren so abbildete; die
typische Vei-weudung der Mischgestalt setzt eine bereits vorauf-
gegangene längere künstlerische Tradition voraus. Quelle der
Künstler war die Poesie; doch in dieser suchen wir einen deut-
lichen Anlaß der in Rede stehenden Darstellungsform vei^ebens;
weder Homer, noch Hesiod oder irgend welche andere aaf uns
gekommene Bruchstücke der älteren Epik schildern die Kentao-
ren als Halbrosse, noch enthalten die aus dem alten Epos abge-
bildeten Kentaurensagen irgend eine Situation, welche die Dämo-
nen als solche zu zeichnen Veranlassung geben konnte. Zwar
heißen die Kentauren Tiere (tw^^'j !'• I> 268. II, 743) and da-
bei haben sie Hände, mit denen sie Baumstämme schwingen
(Hesiod. sc. Herc. 187). Im übrigen werden sie nur durch die
Beiwörter itelayyahri: (He».), ?.a(jiavy)jv (Hymn. in Merc.), la-
xvijti^ (Uom.) mit dunkclm herabwalleudeu Haupthaar (Mähne?),
mit zottigem Nacken, rauhhaarig characterisiert. Wollte man
diese Epitheta auf TiergesUilt deuten, so würde sich zwar auch
eine Zwitterform der Kentauren, und zwar eine den indischen
Kinnaras oder Kimpurushas ähnliche (Menschen mit menschlichen
Armen und Pferdekopf), nicht aber diejenige der griechischen
Kunst (Pferde mit menschlichem Vorderlcib) ergeben. Eine so
eigenartige und ungewöhnliche Vorstellung wäre schwerlich —
und am wenigsten in der absichtlich ausmalenden Beschreibung^
Hesiods — durch die obigen Beiwörter allein und ohne weiteren
Zusatz, d. h. mit Verschweigung der Hauptsache ausgedrückt
worden. Da außerdem die Wörter x^'^^^jy "'bf'/*' häufiger vom
Haupthaar und Nacken des Menschen, als von der Mähne und
dem Halse der Tiere gesetzt werden, liegt kein Grund vor jene
1) Pausan. V, 17,2. 10, 2. V^j^l. J. J. Schubring deCypselo CorinÜiior.
tyranno. Gotting. 18G2 p. 24— 29.
Qestalt der Kentaareo. 81
Epitheta in theriomoq)hisehem Siune zn verstehen ^ und es wird
deshalb wol bei der zaerst von J. H. Voß, Myth. Br. U, n. 33
ansgesproehenen Deatung sein Bewenden haben, daB die Bezeich-
nung Tiere bei Homer nur auf Tierähnlichkeit gemünzt war, daß
die Sänger des alten Epos dabei nur eine etwas wildere, durch
zottigen Haarwuchs am ganzen Leibe, vorzttglich an Kopf und
Nacken entstellte Menschengestalt im Sinne hatten.
Woher kam dann den Bildnern die kentaurisehe Mischgestalt?
Wir antworten auf diese Frage mit dem ehrlichen Geständniß des
Nichtwissens, vermuten aber, daß eine verschollene Sage dazu
Veranlassung gegeben hatte, welche neben den auf uns gekom-
menen Kentaurensagen herlaufend, und für sich Gegenstand epi-
scher Bearbeitung geworden, einen oder mehrere Kentauren viel-
leicht in Folge einer bestimmten Situation derartig geschildert
hatte, daß in der Zeichensprache der Kunst die nachmals durch
Generalisierung fllr die Darstellung auch aller übrigen Kentauren-
sagen maßgebend gewordene Zwiegestalt als der getreueste Aus-
druck dieses Gedankens gelten konnte.
Die Betrachtung einiger Analogien wird vielleicht fllr das
Verständniß unseres Falles förderlich sein. Auf dem Kypselos-
kasten waren mehrere Menschen - und Tiergestalten mit fremd-
artigen Zutaten dargestellt, Artemis und die Rosse sowohl des
Pelops als diejenigen der Thetis mit Flügeln, Boreas mit Schlan-
genfUßen und vemmtlieh ebenfalls mit Flügeln (s. Voß Myth. Br.
I, Br. 35 p. 239), Ker mit Krallen an den Händen, der personi-
fizierte Schrecken (Phobos) als Mann mit Löwenkopf Hier Überall
waren die fremden Gliedmaßen der allegorische Ausdruck einer
dem dargestellten Wesen innewohnenden Eigenschaft. Manche
dieser Zeichen mögen zuerst von den nach einem Notbehelf su-
chenden Bildneni eingeführt sein, vielfach aber hatte diesen
die Poesie bereits vorgearbeitet, sei es durch Vergleiche, welche
ihnen Anregung gewährten, sei es durch Phantasicgebilde, welche
den Gedanken bereits in anschaulichen Gestalten verkörperten.
1) Durcli diese Bemerkunp^ und das Ganze unserer* obigen Ausein-
andersetzungen erledigt sich J. H. Vossens irrige Ansicht, zur neueren
Pabel gehörten die Kentauren im Hynin. in Merc. v. 224 mit ihrem
haarigen Nacken und unmenschlichen Fußspuren, wodurch Halbrosse ange-
zeigt würden.
Mannhardt. U. 6
82 Kapitel ü. Die wilden Leat« der griechiBchen und römischen Sage.
So gingen die Flttgel| welche der göttlichen Jägerin Artemis,
den in der Wettfahrt siegenden göttlichen Bossen des Pelops,
dem über Land und Meer schwebenden Gespanne der Nereiden
znr Bezeichnung wunderbarer Schnelligkeit beigelegt wurden, un-
zweifelhaft in letzter Instanz auf Vergleiche im Epos, wie Hymn.
hom. in Cer. v. 43 von Demeter j^aevaro d* üat' olatvog^^ zurück.
Die Keren haben bereits auf dem Schilde des Herakles bei He-
siod als dahinraffende Todesgöttinnen Krallen, aus demselben
Grunde die Moiren und Achlys (tiefe Bekümmemiß). Vgl. Ifann-
hardt Germ. Myth. S. 626). Boreas wird noch von Tyrtaios als
laufend geschildert; die Drachenschwänze an Stelle der Fttße auf
dem Kypseloskasten setzen eine andere poetische Auffassung ge-
wisser Erscheinungen des Naturereignisses voraus, und Lieder, in
denen das geschah, müssen damals neben anderen, welche Boreas
ganz menschlich schilderten, hergelaufen sein. Aehnlich, meine
ich, werde die Zwiegestalt der Kentauren die Versinnlichung
einer dem Wesen derselben einwohnenden Eigenschaft sein,
welche eine nur noch in fernen Nachwirkungen fortlebende Dich-
tung hervorgehoben hatte. Vielleicht ist es nicht zufällig, dafi
auf dem Kypseloskasten grade Cheiron als Halbroß uns bege-
gnet, daß eine schon vom Logographen Pherekydes nacherzählte
genealogische Mythe zur Erklärung speziell dieser seiner Mißge-
stalt ersonnen war. War Cheiron etwa Träger jener verscholle-
nen Sage, aus welcher der Koßleib der Kentauren entuonunen
istV Er war ja der Lehrer des fußschnellen (jroßiixt^g, ttoöuq-
xtjg, 7r(idag jLOAvg) Achillens und soll diesen darin unterwiesen
haben, „schnell wie der Wind," loog avifioig^ das Wild im Lauf
einzuholen. Der Vergleich schnelles Laufes mit dem Winde war
und blieb den Griechen sehr geläufig (vgl. die Worte ftodaiQog,
aello/rovg, aelXoTrogy jcvoii/ioig und Ilodavsftog)] ly^^S I, 3
bekennt, den unkriegerischen Mann nicht zu achten:
Nein, und war' er Kyklopen an Riesenwuchs und Gestalt gleich,
Siegt' er im Laufe sogar über den thrakischen Nord.
In einer Gigantomaehie und demnächst bei Pherekydes, Dositheos .
und Hygin^ ist die Sage erzählt, Kronos habe sich in ein Koß
1) Phorec. Fragm. 33. Schol. Apoll. Rhod. I, 554. II, 1233. Ci
Duentzer fragm. ep. p. 3. Dosith. p. 71. Hygin. f. 138, p. 16. Schmidt.
Schol. Apoll. Rhod. U, 1235.
* Gestalt der Kentauren. Ixion. 83
verwandelt und mit der Philyra den Kentauren Cheiron erzeugt.
Diese Ueberlieferung setzt die Ilalbrottgestalt des Cheiron voraus,
%n deren Erklärung die ganze Er/ilhluug ersonnen scheint. Die
Erfindung schmeckt nach dem Zeitalter der Göttergenealogien
resp. Hesiods; Kronos, der Herscher einer noch halb chaotischen
Urzeit, ist der Vater, damit nicht Zeus eine umnenschliche
MiBgestalt erzeugen soll. Eine ähnliche , aber offenbar noch s])ä-
tere Dichtnng läßt die Itoßkentauren aus der Begattung des
Ixionsohnes Kentauros mit magnesischen Stuten hervorgehen. So
las Pindar (Pyth 2, 78 ff.) in irgend einem Gedichte; al)er ohne
Zweifel war dies ein zugedichteter Zug, erst in junger Zeit einer
älteren Mythe ganz lose angefltgt, welche vom Keutauros berich-
tete, ohne seine Roligestalt zu kennen, oder zu erwähnen.
Die Mythe lautet nach Pindar und Schollen folgendermaßen :
Ixion (nach Aischylos des Antion, nach Pherekydes des Peision,
nach einigen des Ares und nach Asklepiadcs des Phlegyas Sohn)
hat Dia, die Tochter des Deionais, geheiratet, der mit Ge-
walt das Brautgeschenk vom Schwiegersohne eintreibt. Daflttr
rächt sich dieser, indem er eine Grube gräbt und mit Feuer fllllt
{diOQv^ag ßoi^gov y.al jrhiQtoaag nvQ6g)y in welche er den treulos
zum Schmause geladenen Deioneus fallen läßt. Derselbe ver-
brennt {üaiXO^foy üg Ttjv nvQctv tvdov tTttae y,ai yLaTey.cn'thj). Nie-
mand habe den Ixion vom Morde reinigen wollen, nur Zeus
erbarmte sich seiner, entsUndigtc ihn, führte ihn ni den Himmel
nnd nahm ihn sogar zu seinem Tischgenossen. Doch der Schänd-
liche vergaß die Woltat und trachtete der Hera nach. Da schob
Zeus eine der Gülte rkönigin ähnliche Wolke unter. Ixion um-
armte sie stürmisch {lov öi V^/ornr xhuadtievov FfpoQfnjimi y.ai
mtQai^h^rivai) und aus beider Verbindung ging ein wilder
(äyQtOi:) und wunderlicher (rf^aifr/Ji^c) Kerl hen'or, den man
KeMtnuros hieß. Nachmals fesselte Zeus die Füße und Hände
des Ixion auf ein rwi(j sieh drehendes Rad , indem er ausrief, es
gezieme sich, Woltäteni mit Gutem zu vergelten, nicht ihnen zu
schaden. Pindar legt diese Sentenz dem „am flugschnelle^t
Bad allivärfs int Kreise gerollten ^^ ^ Ixion in den Mund als
eine Mahnung, die er nach der Götter Gel)ot allem Volke zuru-
fen muß. Es ist deutlich, daß Pindar die Fabel als bekannt
1) 'Ev TTTfQÖfvTi T(ioxtp TtnvTä xvlivSdf^ivov. Find. Pyth. 11, 40.
6»
Bi Kapitel ü. Die wilden Leute der griecbiachen und römischen Sage.
Yoraassetzt, and daß schon frühere Dichter (Simonides? Bakchy-
lides?) dieselbe als Beispiel ftlr einen ethischen Satz bearbeitet
hatten. Das weist auf noch ältere Quellen zurück. Weiter hin-
auf fUhrt kein äußeres Zeugniß, der Widerspruch gegen Homers
Angabe, der Ixion zum Vater des Peirithoos macht, scheint so-
gar auf den ersten Blick die ganze Erzählung zu einer neueren
Erfindung zu stempeln. Eine genauere sachliche Analyse eigiebt
jedoch, wie es scheint, überzeugend das Alter derselben und
ihren Ursprung aus einem Naturmythus.
Die Verflechtung Ixions auf ein ewig rollendes Rad ist eine
so singulare Strafe, daß sie als epische Entwickelung aus der
Verschuldung des Heros nicht verstanden werden kann, vielmehr
wird sie den Kern der Fabel gebildet haben , * um den sich das
Uebrige anspann. Und in der Tat hat dieser Zug alle Vermu-
tung des Alters und der Echtheit fttr sich, wenn man erwägt,
daß bei Homer des Ixion Sohn mit offenbarer Anspielung auf
eine Eigenschaft des Vaters Fetri-thoos der liingsumläufer*
heißt; wenn II. 14, 318 Zeus sich rühmt, denselben mit des
Ixions Ehegemahl erzeugt zu haben, so setzt dies als frühere
Sagengestalt die wirkliche Vaterschaft des Ixion voraus ; nur der
Wunsch, das Ansehen des Helden Peirithoos noch zu vergrößern,
hatte einen Rhapsoden veranlaßt, den Göttervater einzumengen.
Berechtigt uns diese frühe Spur des Mythus nach verschiedenen
Analogien an ein zu Grunde liegendes Naturbild zu denken, so
bietet sich von selbst eine Erklärung, auf welche schon alte Dich-
ter verfallen waren, deren einer dem Logographen Pherekydes
als Gewährsmann diente. Asclepiad. Fragm. 3 ; Schol Pind. Pyth.
II, 39: jiqoi^ioioQOvat dt: fWo/, loc: xal ftaveifj o ^I^iiov cic; za*
(DtQe^vdtjg' yiai T/yi' i/cl lov t()oxov xolaaiv avuo /t aQtyxexiitQrixa'
aiv vjcö yaQ öivijg xai O^vekkrjg avcov i^agn aOy^ivia
1) Der Naiiie Ixion ist wol Hypokorisma einer zweistäminigen Form, etwa
jii(-aToo((>oq auf dem Rade, mit der Achse herumgedreht. Vgl. FicksAw-
einundorsetzungen über die Bildung der griech. Eigennamen auf -(tav. P«^
souenn. S. XXXIV. «chon Kuhn (Herabk. 60) und Breal (le mythe d' Oedipe
10) nahmen den Anlaut von Ixion als Schwüchung von a; nach ihnen licg^
eine Form 'f^ifuv ■= skr. Akshivan, Achseuträger , Radmann (vgl. gr. Ä^
Achse, tiu'te^tt, Wagen, skr. akshas, lat. axis, ahd. ahsa) zu Grunde. 'Vgl.
auch CurtiuB Grundz. "^ G43 Anm.
2) Vgl. Pott Za. f. vgl. Öpr. VII, 93.
Gestalt der Kentauren. Ixion. 85
(fx^a^^vai g>aair. Ixion war der Wirbelwind, das Bad die
Umdrehung einer Trombe (o. 8. 38). Ein Knabe aus Zoppot bei
Danzig beschrieb mir 1864, sein Vater habe auf der Chaussee
nach Koliebke ein feuriges Bad mit großem Geräusch „schisch!
schisch ! '^ in horizontaler Lage fliegend sieh fortbewegen gesehen.
Der deutsche Volksglaube behauptet, im Wirbelwind sitze der
Teufel, ein Hexenmeister oder eine Hexe; sobald man ein Mes-
ser, Hut oder Mütze hineinwerfe, höre er auf [vgl. das. Abschie-
ßen der Kanonenkugel, u. S. 86 Anm. unt.]; der Hut sollte Ober-
herrschaft über den Dämon begrtüiden (vgl. RA. 148 ff. Bk. 392),
das Messer denselben verwunden.^ Dann fällt nach manchen Sa-
gen der Zauberer oder die Hexe nackt, oder mit ausgestocJienem
Auge aus dem Wirbel herab. Dem Neugriechen schreitet oder
tanzt im Wirbelwinde die Neraide (o. Ö. 37 flf.) oder der Teufel, der
daher auch o liveftoi; heißt. * Ganz ähnlich sehen wir im Typhös
auch schon eine griechische Verbildlichung des Wirbelsturms als
ein persönliches, unholdes Wesen, dem bei plötzlichem Sturm,
Stoßwind, Wirbelwind (xaratyigy f()i(o?.i^, arQOiit?A0(Sf^g rireiiog)
— aller dieser Vorsteher war Typhos, Typhon — das Opfer eines
schwarzen Lammes gebracht wurde, damit er aufhöre (Schol.
Arist. Equ. 511. Ran. 847).^ In den homerischen und hesiodei-
1) Vgl. Manuhanit Gött(Twelt d. d. u. nord. Völker 99. Kuhn nordd.
Sag. 454, 405. 406.
2) Schuiidt Volkslebeu der Neujrriechen 175. 177.
3) Da es für UDserc Untersuchung von Wichtigkeit scheint, lasse ich eine
Beschreibung dos Naturphänoniens aus dem Munde der Alten und n:ich neue-
ren wissenschaftlichen Beobachtungen folgen. Plin. histor. nat. II, cap. 48:
Nunc de repentinis Hatibus qui cxhalante terra coorti, rursusque dejecti,
Interim obducta nubium cut<', multiformes existuut. Vagi quippe et ruen-
t€8 torrentium modo tonitrua et fulgura edunt. Majore voro iUati pon-
dere incursuque, si latc rupere nubem, procellam gignunt, quae voca-
tur a Graecis Ecnephias (^xt'ftfuti). Sin vero depresso sinu arctins rotati
effregerint, sine igne hoc est sine fulmine vorticcm faciunt, qui Ty-
phon vocatur, id est vibratus Ecnephias. Defert hie secum aliquid
abruptum e nube gelida, convolvens, versansque, et ruiuam suam illo pondero
2iggrü\'fina , et locum ex loco mutans rapida vertigine: praecipua na-
Tigantiam postis, nou auteimas modo , verum ipsa navigia contorta frangens,
tenui remedio aceti in advenientem etfusi, cui est frigidissima natura. Idem
illisu ipse repercussus, corropta secum in caelum refert, sorbetqne
in excelsum. Quod si majore depressae nubis cruperit spccu, sed
minus lato, quam procella, nee sine fragore Turbinem vocant, proxima
86 Kapitel II. Die wilden Leute der griechisches and römischen Sage.
sehen Gestalten Typhöeus und Typhaon ist die Personifieation
diefeer Naturerscheinung mit der poetischen AuiTassung des Vul-
cans vermischt. Auch der Araber sieht im Wirbelwind einen
Dschin, wirft ein Stück Eisen hinein und ruft: ,, Eisen, o Unse-
liger!^^ (Bk. 132 Anm. l). Wie leicht also konnte es geschehen,
qnaeque prostementem. Idom ardcntior, accensusqne dum fiirit, Presier
vocatur, aniburens contaeta paritcr et protercns. Hiezu vergl. man die
Schildertiiig bei Martins, Troiubcs terrestres in Poggcndorfs Annal. 81, 444.
Schniid Meteor. 1860 S. 552, der wir aus Arago's wertvoller Zusammenstel-
lung vielfacher Einzelbeobachtun«^en (Werke, Lpzg. 1860. B. XVI, S. 254 bii
286) noch einige Züge hinzufügen. „Nicht selten geht der Windhose ein
Gewitter voraus oder begleitet sie/' Fast immer entwickelt sie sich ans
einer Wolke, die sich in Form eines Kegels oder Schlauches der Erde nähert
Das Aussehen dieser Wolke gleicht dem Rauche einer Feuersbrunst oder
eines mit Steinkohlen gespeisten Ofens und fast immer bemerkt man
darin unter Begleitung von Blitzen [daraus hervorsprühenden Flammen,
Feuerkugeln, Funken], heftig wallende und wirbelnde Bewegungen. Fast
alle Beobachter haben beim Herannahen der Windhose ein starkes Ge-
räusch bemerkt, vergleichbar mit dem Dröhnen eines schweren Lastwa-
gens auf stoinigcm Damm oder eines Eisenbabnzugs [,,Den raschen Lauf
der Trombe begleit ote ein Geräusch, wie das Hollen eines galoppierenden
Wagens über das SteinpÜaster; die Explosion der Feuer- und Dampfkn-
goln hörte sich an, Avie das in Intervallen rasch aufeinanderfol-
gende Geknatter von Flintenschüssen und der stürmisehe Wind ließ
dazu ein entsetzliches Pfeifen vernehmen"]. Der Weg der Windhose über
i\\o p>dobcrflächi^ ist mit Trümmern bezeichnet. Bäume werden entwur-
zelt und i^estürzt, verdreht, zcrspellt und zujjrleich ausgedörrt, [Steine und
FelsbliH'ke weit hinweggeschleudert, Gebäude zertrümmert, erschüttert, ab-
gedeckt, Sand, Erde, Pflanzen, Dachziegel, Heuschober, Kornhan feo.
zuweilen Menschen und Tiere vom Wirbel ergriffen, zerstreut und Streckten
weit durch die Luft fortgeführt]. Das Phacnomen ist von einem sehr stin-
kend eu seh wefelartijxen Geruch begleitet. Die Wirbelsäule hat nicht
selten das Aussehen eines von einem starken Luftstrom bewegten Bandes
oder die Gestalt einer mehrere Hundert Schritte langen Schlange. Wäh-
rend des Wirbelstunns herrscht nicht selten völlige Dunkelheit. [„Die Sonne
soll, wie die meisten Zuschauer versichern, um diese Zeit gar nicht j^feschi«*-
neu haben." „Die Säule verbreitete sich an der Obertiäche der Erde onH
Hell einen sehr schwarzen Rauch ausströmeu , welcher die ganze Ebene bc-
tleckte und eine solche Finsternift erzeugte, dal5 die Bewohner der nnih>"
gcnden Anhöhen glaubten , die Conmiune von St. Seurin sei ganz verschwan-
den uud vom Meteore verschlungen worden."] Sobald aber die Trombe »vni
zerteilt, tritt plötzlich Windstille und Sonnenhelle ein, und «uglei<'b
schweigt der Donner, der vorher von allen Seiten des Firma-
mentes vernehmbar gewesen ist. Man kann die Windhose zerreißen,
wenn man eine Kanonenkugel oder Flintenkugeln dahinein abfeuert.
Gestalt der Kentanren. Ldon. 87
daß der Olaabe, in der Trombe sitze ein b()ser Dämon ^ in die
Vorstellung von einem anseiigen Geiste umschlug, der verwünscht
sei, im Kade oder auf einem Rade sich zu drehen. Mit dieser
Deutung stimmen alle Einzelheiten des Mythus auf das vollstän-
digste und beste zusammen. Das Phänomen berührt und ver-
düstert den Himmel und kann, wie des Typhöeus Ansturm gegen
Zeus lehrt; als ein Angriff auf die höchste Himmelsmacht (hier
Hera) aufgefaßt werden^ aber die Wolke schiebt sich unter, welche
jedesmal von oben sich herablassend den Beginn des Schauspiels
bildet, woher der griechische Name i-Avetfiag (o. S. 85). Ihr
steigt vom Erdboden ein Wirbel entgegen, so daß die ganze Er-
scheinung als Vermählung zweier Wesen aufgefaßt werden konnte,
wie in Rußland, wo der Wirbelwind der Brautzug des Ljeschi
oder der Tanz des Ljeschi mit seiner Braut genannt wird
(Bk. 143). Jene von Ixion umarmte Wolke konnte aber auch
Jia , die himmlische , genannt werden , und aus dem Dampf und
den feurigen Entladungen, welche das Phaenomen des Wirbel-
sturmes jedesmal begleiten, erklärt sich von selbst, weshalb Bei"
on-eus (doppeltes Hypokorisma eines mit dry/'o-c,', sengend, bren-
nend, verzehrend [vgl. dtjioi' jivq] zusammengesetzten Namens,
wahrscheinlich J ti'tji i-qoc:)^ von seinem Schwiegersohne in der
mit Kohlen gettillten Grube verbrannt wird; ja sogar die Grube
hat in der Wirklichkeit ihr Vorbild , insofern die Säule des Wir-
belwinds, wo sie die Erde berührt, jedesmal eine Verftefufig
bewirkt. * Ursprünglich bestand die Legende aus zwei Erzählun-
gen, in deren einer Nephele, in deren anderer Dia das Weib
des Ixion hieß. Zu welcher von beiden die Bestrafung des Ixion
mit dem Wirbelrade gehr)rte, wie und wann die Durchdringung
1) Cf. Pütt Zs. f. vgl. Sprachf. VII, 91. VIII, 428.
2) Vjjl. das Phaenomen, Assonvalle bei Boulogne 6. Juli 1822 Mittags.
Mehrere Wolken von verschiedenen Seiten sammelten sich zu einer einzi-
gen Wolke, die den ganzen Horizont übordeckto. Aus dieser senkte sich
ahfbald ein Kegel dichten Dampfes von der bläulichen Farbe des brennen-
den Schwefels herab, dessen Grundfläche auf der Wolke ruhte» während
die Spitze sich zur Krdo senkte, bald darauf eine von der Wolke ge-
löste sich drohende Masse bildete. Diese erhob sich mit d^m Ge-
räusch einer explodierenden Bombe und ließ auf der Erde eine Vertie-
fung in Gestalt einer kreisförmigen Höhlung von 8 Meter Umfang
zurück.
88 Kapitel II. Die wilden Leute der griechischen nnd romischen Sage.
derselben mit ethischen Motiven und ihre Vereinigung vor sich
ging; ist nicht mehr auszumachen.
Der Sohn der Wolke und des Wirbelwindes, Kiv%avqo^
muB selbst eine meteorische Erscheinung sein, sei es, daß er eine
bloße Wiederholung gewisser Wesensseiten des Vaters, wie
0ai&wv des 'ff Aioc;, war, oder daß man schwächere Windtrom-
ben von geringer Ausdehnung und weniger verderblicher Wirkung,
wie sie bei heißen Sommertagen häufig über Aecker und Wald
tanzen, als Kinder eines stärkeren Wirbelsturms ansah, oder daß
der die Trombe begleitende oder ihr nachfolgende sons%e Luft-
zug als ihr Sprößling betrachtet worden ist. Hiemit dürfte sich
auch die Etymologie des Wortes nivr-atQog als Luftstachler,
Luftanspomer vertragen, insofern der im Wirbel oder im Luftzug
inwohnende Geist die Luft anspornt, zum Laufe antreibt (Vgl
xivaaiy II. XXIII, 337 vom Anspornen der Pferde, xevr^cci, x^V-
TQov). Vielleicht wäre sogar die Auffassung als „Roß-anspomer"
erlaubt, wenn mit Kuhn und Ebel Zs. f. vgl. Spr. IV, 42; V,
392 ein Substantiv, aiQogj Renner, Pferd == skr. arvan, aus dem
bei Grammatikern angeftlhrten Adj. avgog = ''^ax^g und avQoiy
hxywoi Lobeck Aglaoph. II, 848 erschlossen werden dürfte. Diese
Deutung empfiehlt sich doch wol noch eher als A. Kuhns nach
eigenem Geständniß auf lauter sprachlichen Ausnahmen beruhende
Gleichstellung von Kentauros mit dem indischen GatidJiarvaj^
zumal da auch die austllhrlich begründete sachliche Uebereinstim-
mung bei näherer Prüfung unter den Händen verschwindet. Denn
1) Cf. Zeitschr. f. vgl. Sprachf. I, 5U— 512, bes. S. 514-516. Vgl.
Kuhn Hcrabkunft des Feuers S. 132. 173. 253. — Ixion wird dabei (Zs. f. vgl.
Spr. I, 535) auf das Sonnenrad, Chciron wird als Beiname des Sonnengottos
wegen der Sonnenstrahlen nach Analogie von hiranyapäni, (goldhandig) für
den indischen Helios Savitar und von (to^oJnxTv).og '//wj (a. a. O. 536), der
nach jungen Quellen von Cheiron als Lehrer der Jagd geführte Bogen wird
auf den Regenbogen (Herabkunft S. 253) , die von den silbernen Kentauren
auf dem Schilde des Herakles geschwungenen goldenen Fichten worden ^Zs.
f. vgl. Spr. I, 540) als die hinter Wolken hervorbrechenden Sonnenstrahlen
(vgl. engl, beam) gedeutet. Kuhns Hypothese hat mannigfache Zustimmung
gefunden (z. B. bei W. Schwartz Urspr. d. Myth. S. 10. Ebel Zs. f. vgl. Spr.
V, 392. A. Maury, histoiro des religions de la Grece antique S. 202. Breal,
le mythe d'Oedipe S. 10); sprachliche Bedenken erhob schon Pott Zs. f. vgl
Spr. VII, 88. S. auch Fick , die Spracheinheit der Indogermanen S. 153.
Uebereinstimmend mit Kuhns Deutungen hatte Lauer System d. gr. Myth. 280
Ixion für eine Epiphanie des Apollon erklärt.
Gestalt der Kentauren. Lapithen. 89
wenn Gandhanra die hinter der Wolke und den Nebeln verbor-
gene Sonne ist (Kuhn a. a. 0. 518 if.), so entspricht dem auf Seite
der Kentauren kein Zug. Die IJebercinstinjmungen , daß die
Gandharven nach Trunk und Weibern lüstern und Sammler heil-
kräftiger Kräuter, dazu die Gatten der Apsarasen , d. h. der Was-
ser- oder Wolkenfrauen sind, wozu ich nach Atharvav. IV, 37, 11
bei Muir Orig. Sanscr. Text«. V, S. 309 noch tilge, daß sie gleich
Hunden oder Affen haarig erscheinen, wilhrend eine Abart von
ihnen , die Kinnaras (d. h. Halbnienschen) als Männer mit Pferde-
köpfen geschildert werden, diese Uebereinstiramungen reichen
unter den erörterten Umständen nicht hin, um das Urteil der
hi^rischen Identität beider Wesen zu begriinden, so lange die
Grundvorstellung — so viel wir erkennen können — auseinan-
dergeht. Die Natur der Kentauren als Windgeister, Dämonen
des Sturms und Wirbelwindes bestätigt sich dagegen durch die
von ihnen als Waffen geschwungene^^ Bäume und im Kampf ge-
sddeudertah Felsstücke (o. S. 41 ff.), während auch ihre lamjen ufid
tairreti Ha^re ein auch sonst den Sturmgeistem eignendes Attri-
but sind (Bk. 148). In einem Dithyrambos, welchen Aristophanes
Kubb. 336 verspottet, war die Kede von den Locken (/f Aox«//o/) des
hundertköpfigen Tt/plios, ^ Als Windgeister mochten die Kentauren
endlich fußschnell genannt (vgl. die /foJet; Lc/.af.iaTai desTyphoeus
Hes. Theog. 824, o. Ö. 80) und roßlUßig, roßgestaltig, sich in ein
Roß wandelnd, oder auf einem Roß reitend geschildert werden.
Der russische Waldgeist Ljeschi kreischt, lacht, klatscht, belÜ
wie ein Hund, hrüllt wie eine Kuh [auch Typhöeus brüllt wie
ein Stier, und belfert wie Hündlcin], sodann wieliert er wie ein
Pferd. Bk. 139. Der vom Roß entnommene Name KinavQoi,
Luftspomer, läßt beinahe vermuten, daß man sich die Kentauren
u. a. auch als Sturmrc/^r gedacht habe.
Wie fügt sich zu diesen Deutungen die homerische Angabe,
daß Ixion und Peirithoos Lapithen ^ die Lapithen aber Menschen
(aVcJ^ec) waren im Gegensätze zu den Kentauren, die von ihnen
aufs heftigste bekämpft wurden? Macht nicht die früher bezeugte
1) Tavi'' an lno(otv vyQdv Mnff).ür or(}t/iTaiylny dtiiov oQfiav,
nXoxdfxovq 0" txni oyxnf tilu Tvifih, Jim]tnavnva(tq it Ov^XXttg. Kudra,
der Sturuigott, lieißt »»bonso der Gelockte (kapardliin, keyi), auch die
Gandharven einmal windhaarig, vayuke^an.
90 Kapitel II. Die wilden Leute der ^echischen und römischen Sage.
und innerlich bewähi*te Genealogie Ixion-Peirithoos Lapithenk()nig
die später auftauchende Ixion - Kentanros von vorneherein unglaab-
würdig? In dem Falle nicht, wenn die zuerst bei Pindar auf-
tauchende Mythe als eine einst neben Homer herlaufende gleichalte
Variante der ersteren Sage sich erweisen ließe. Und das tut sie
wirklich^ wie es den Anschein hat Um es gleich heransznsageiiy
auch die Lapithen waren kein wirkliches ,,halbmythi8che8^ ^
Volk , sondern ganzmythische Gestalten, ursprünglich Personifizie-
rungen von Sturmerscheinungen, und deshalb konnte ihnen der-
selbe Ahnherr zugesprochen werden, wie den Kentanren. Wenn
Peirühoos den Herumläufer bedeutet, mithin eüi Doppelgänger
Ixions ist, müssen auch die Lapithen im allgemeinen derselben
Art gewesen sein. AaTT-i^-ai (gebildet wie sQ-id'-og^ Lohn-
arbeiter von oQ Curtius Grundz. ^ S. 306) entsprießt dem Stamme
Xajr , reißen, raffen, zerstören, welcher in lai-laip^ artog (Aat-,
Aa- verstärkende Vorsatzpartikel) Sturmwind mit Regen erhal-
ten ist, von Düntzer (Zs. f. vgl. Spr. XU, 12 ff.) auch in kano^o,
d'la/tdKco, ausleeren, zerstören und plündern (IL H, 367. XXIV,
245 u. 8. w.) gesucht wird. Es ist eine Nebenform von ^a/r,
griech. gewöhnlich ctQ/c-^ wozu lat. rapio, rapax, gricch. uQuaS,
aQ7iah-oi; und der Name der raffenden Sturmgöttinnen ^.AQiivim.
Eine Nebenform wiederum der Wurzel rap war rup, brechen,
zerreißen, wohin lat. rumpo, griech. Xv:ü-iu}^ betrübe, skr.
lurap.-ami, breche, verderbe. S. Curtius Grundz.* S. 238. 240.
Mithin stehen die Lapithen den llarpyicn etymologisch und auch
wol dem Wesen nach ganz nahe. Dies ttihrt uns zu einer kurzen
Untersuchung über diese llalbgotthcitcn.
Die Ilarpiiien des griechischen Altertums entsprechen genau
gewissen Gestalten unserer deutschen Sagen. Bei Homer sind
sie Göttinnen des Sturmes, welche unversehends Menschen aus
Gesicht und Gehör wegraffen; Tclemach und Eumaios geben
ihnen des Odysseus Enttiihrung Schuld.- Dieselbe Meinung erhellt
aus der Rede der Pcnelopc Od. XX, 63 ff., wo sie den Wunsch
ausspricht, ein Sturmwind (xh'-Ma) möge sie in die Höhe raffen
((n'((Q;f((^(«Ta) imdj weit hinweg über dämmernde Pfade fortschrei-
tend, sie dahintragen und hinwerfen, wo kreisend die Flut des
1) Bursian Googr. v. Griechenland I, 45.
2) iVfT Ji juiv (cxht(b$ Z-ionviai uvf\QU\pavTo. Od. I, 241. XIV, 371.
Gestalt der Kentauren. (Uarp3rien.) 91
Okeanos ausstrümt. So hätten einst die Sturmwinde (^vekkai)
des Pandareos Trichter in die Höhe gerissen. Der verwaisten
Kinder hätten Athene, Artemis, Here und Aphrodite gepflegt
und ihnen alle bei Frauen begehrenswerten Eigenschaften mitge-
teilt Als nun Aphrodite sie vermählen wollte, hätten die Ilar-
pyien die Mädchen gerauht, und den Ermnyen dienstbar gemacht.
Hesiod Theog. 267 denkt sich die Harpyien Sturmfuß und
Schneüfliegerin (Aello, Hypokorisma wol von Aellopus, Stumifufi
Okypete) als schöngelockte (rjr/.oftoi) Göttinnen (vgl. o. S. 89),
welche mit der Fittige Schwung des Windes Anhauch und himm-
lische Vögel erreichen. In die Argonautensagen war femer der
alte, schon von Hesiod^ behandelte Mythus vonPhineus verfloch-
ten. In der sehr altertümlichen Form, welcher ApoUodor 1, 1», 21
folgt , lautet er der Hauptsache nach folgendermaßen : Der ge-
bletulete Phineus wurde von den Harpyien belästigt, welche, so-
bald ihm der Tisch gedeckt war, vom Himmel mit Geschrei
herabflogen, die meisten Speisen ivegraubten und die übrigen
Brocken mit solchem Gestmik iHilmßet zurückließen, daß sie zum
Essen untauglich waren. Vom Schicksal war ihnen bestinmit
durch die liorcadcn umzukommen , diesen hinwiederum selbst zu
sterben, wenn sie mit der Verfolgung nicht zum Ziele gehangen
könnten. Als nun die Nordwindsöhue Zefes und Kaiais, mit den
Argonauten nach Thracien gekommen, die Not des Phineus sahen,
rissen sie ihre Schwerter heraus und verfolgten die Harpyien
durch die Luft bis zu den strophmlischcn Inseln, die, vorher
Ikihinaden genannt, ihren Namen daher bekamen, daß hier die
eineHaqiyie, nachdem die andere schon abgefallen war, umkeh-
ren wollte; als sie aber gegen das Ufer kam, flel sie vor großer
Ermattung mit ihrem Verfolger zugleich nieder. Die von Hesiod
benutzte Fassung der Sage scheint mehrere Jligentümlichkeiten
gehabt zu haben. Er erzählte (Strab. VII, p. iO.S.C), die Har-
pyien hätten Phineus in ein fernes Land, das der Milehesser
(durch die Luff) entfährt (lov ilhrta i,io taov \!{t;in(iiv (iycirO^ai
,yrX((Aroqtiyiov i/c cxlav (xjii'-i'cti^ fHAi* ^/or^^)l'*'), wozu Heyne
Observ. ad Apoll. I, D, 21 bemerkt: ('eterum Hesiodeam narra-
tionem habenms adhuc in Orphicis quae liinc illustranda v. 675.
1) Frapn. CLWXIX mIuzu v^l. Kirohhoff im riiilol. XV, 10 und Bergk
n. Jahrb. f. Phil. 1873, :jy, G) und CCXl, p. 21»4. 2l>9. Göttling.
92 Kapitel IL Die wilden Leute der griechischen und römischen Sage.
6. 7: avzaQ ifciKaineyrjg BoQtt^g aTQOfpddeoaiv aiklaig
ccQTta^ag, e-Avlxvdev viro dQVfxa rtviava aal vhxg Btatnvir^^ %m
xrjQ* (ikoijv %ai notfiov uticn-Q, In den hesiodeisclien EiOeen,
welche die Blendung des Phinens damit motiirierten ^ dai er
Fhrixos den Weg gezeigt habe, war die Beraubung des Mahles
durch die Uarpyien mit sehr altertümlichen Zügen geschildert,
„elg rag nvoag hqsxnv," „in die Windhauche liefen sie*^ (die
Harpyien) SchoL Apoll. Rhod. II, 178 ff. 276 ff.; wozu die Be-
schreibung des Theognis (um 540 v. Chr.) Paraen. v. 534
stimmt :
wxvTfQog S^ ftridf&n Tiodag tnx^&v jiQnvtüVj
xai TiaiStav BoqIov, rdtv ätpaQ dot nöSig.
Ob du auch hurtiger wärst, wie die faßgeschwinden Harpyien,
Oder des Boreas 8ölin', eilend mit flüchtigem Faß.
Für €ig Tag 7cvoag erQsxov hätte gesagt werden können und ist
auch wol einmal gesagt eig rag avQOipadag sc. äillag (vgl o.
Z. 1). So offenbart sich auf eimnal, durch welches Mißverständ-
niß man dazu kam, die Verfolgung der Harpyien bis zu den
gleichnamigen Strophadcninseln gehen zu lassen. — Zuweilen
nehmen die windschnellen Harpyien Roßgestalt an. Homer
erwähnt IL XVI, 149 ff. die unsterblichen Rosse des Achilleus, welche
die Harpyic Fußschnell (lIodaQyr^) dem Westwind gebar, als sie
auf der Wieso am Okeanos geweidet. Die Bildersprache dieser
Mythen blieb völlig durchsichtig. Die Harpyien sind eine weib-
liche Persouwerdung einer milderen Form der nämlichen Natur-
erscheinung, deren furchtbarste Gestaltung eine andere griechische
Landschaft als den männlichen Dämon Typhoeus auffaßte, d.h.
des Menschen mit sich fortreißenden Wirbelwindes, der ja auch
bei Neugriechen als Lebensäußerung der Neraide gedacht wird
(o. S. 37). Ganz genau entsprechen deutsche und nordische Auf-
fassungen. In den Niederlanden sagt man, wenn Wirbelwinde auf
Erden wüten und alles mit fortreißen, die fahrende Mutter Judie ihre
Umzüge. ' Am Niederrhein heißt es , im Wirbelwind sitze eine
böse Hexe,'^ ebenso im Lechrain. Die Hexen können einen
Sturmwind erregen, in dessen Windgäspeln sie sich dann ver-
bergen , und Getreide oder Heu mit sich fort nach Hause flihren.'
1) J. W. Wolf Niederl. Sag. 1843 S. GIG. n. 518.
2) Kuhn Westf. Öap. II, 93.
3) Leoprechting Lechrain S. 15. 101.
Gestalt der Kentauren. (Harpyien.) i^
In Westfaleu denkt mau beim Wirbelwinde an niehrere dämo-
nische Weiber, „da fliegen die Buschjangl'ern" (Bk. 8G). Seit
alten Zeiteu heißt der einem Gewitter voraasgekende Wirbelwind
in Deutsehland Wimlsbraut , Windis prüt oder das ,, fahrende
Weib," Vgl. ff Lief spätide als ein wiudiB brüt durch daz gras." *
„Die Windsbraut ist Vorläuferin einer Witterung, eines Unwet-
ters, das kommen wird. Den Staub treibt sie wie Rauch von
großem Feuer in die Höhe und itihrt ihn weit fort." ^ Geht man
voraus nicht auf die Seite y so nimmt sie einen mit, — Jemand
war unterwegs; da kam die Windsbraut daher. Er ward zornig
und rief: „Komm nur wieder, du Hexe" und warf sein Messer
hinein. Da nahm ihn der Wind mit und führte ihn zweihundert
Stunden weit. Hier harrte seiner im Wirtshause ein Mann mit
einem Auge; der zeigte ihm sein Messer und sagte: „Schau, das
zweite Auge hast du mir ausgestochen!" Er warnte ihn ilir die
Zukunft und ließ eine Windsbraut kotnmen, die ihn wieder heim
führte. ^ In Schweden wird dieser Wirbelwind als ein Mädchen
(Thors pjäska) gedacht, das dem Blitz vorherläuft (Bk. 128),
oder als ein Trollweib, eine Skogsnufva (Waldfrau), welche der
gute Vater (Gofar), d. i. der Donner, verfolge (Bk. a. a. 0.).
Diese Vorstellung wendet sich zuweilen dahin, daß der personifi-
zierte Sturm, König Oden, hoch zu Roß, mit seinen Jagdhunden,
und begleitet vom Donner der Trollfrau nachjage, sie endlich
erlege und quer über sein Roß hänge (Bk. 137 ff.). Dieser schwe-
dischen entsprechen zahlreiche deutsche Sagen, in welchen vom
unldeti Jäger oder von den tvilden Jägern (den Geistern des Stur-
mes) ein gespenstiges Weib (Wetterhexe mit roten fliegenden
Haaren, weißes Weib) die Buhle des Verfolgers, oder eine
ganze Schaar wilder Frauen , Unterirdischen u. s. w. verfolgt
werden. Jemand sieht ein Weib ängstlich vorüherlaufen , bald
darauf stttrzt ein Reiter, der wilde Jäger mit seinen Hunden, ihr
nach, und es dauert nicht lange, so kehrt er wieder und hat
die Frau, welche nackt ist, quer vor sich auf dem Pferde liegen.*
1) Mj-th.«. 598. 599.
2) Schönwertli aus der Oberpfalz II, 112.
3) Schön werth a. a. 0. 115.
4) Vgl. W. Schwartz der Volksgl. u. d. a. Heidentum Ai\fl. « S. 22 ff.
43 ff. Bk. 82 ff 86. 105 ff. 109 ff 112, 115. 116. 121. 122 ff. 128. 149 ff
94 Kapitel 11. Die wilden Leute der griechischen und römischen Sage.
In Mecklenburg jagt Fru Wauer die unterirdischen oder weißen
Weiber, Einst kam Mutter Wamcke in Sukow aus der Back-
kaninier und hatte eben den Teig eingesäuert^ um am anderen
Morgen zu backen. Da hr>rte sie in der Lowitz das Gretöse der
wilden Jagd und im Nu waren die Hunde da, drangen groß und klein
mit „Juckjack huuch!" in die Backkammer, fielen über den Teig
und schlürften, als ob sie bei der Tranktonne wären. Die alle
Frau rief in ihrer Angst: „Nu frett dat DUwelstUg mi all den
Deg up!" Zu gleicher Zeit gab Fru Wauer ein Hornsignal und
die Meute stürzte zur Tür hinaus. Neugierig schielte Mutter
Wamcke aus der Tür und sah Fru Wauer hoch zu Boß die bei-
den weißen Weiber mit den Haaren zummnie^igelznüpft vor sitk
über dem Pferde hängende Auch sonst heißt es von der wilden
Jagd : „Läßt man die Tür auf, so zieht der Wode hindurch, und
seine Hunde vermehren alles, was im Hause ist, sonderlich den
Brodteig y wenn eben gebacken wird. * Von der wilden Jägerin
Frick wird erzählt, daß sie einem Bauer, der mit Mehlsäckcn
von der Boitzenburger Mühle kam, begegnete. In seiner Her-
zensaugst soliüttete er seine Mehlsäckc den anstürmenden Hunden
dahin, die sogleich darüber herfielen und ulle^ Mehl an/fraßen.
Auch in einem norwegischen Märcrhcn 7iimmt der Nordwind
einein Bur sehen dreimal das Mehl weg, wie es in manchen Ge-
genden Sitte war, bei starkem Winde einen Mehlsack auszustau-
ben, um den Wind zu ftittcrn. ^ Vom Wirbelwinde im Frühjahr
sagt der Schwede: „Der Troll ist draußen Stint su stehlen^*
(Bk. 12S). In Franken ruft man, wenn der Wirbelwind etwas
von Heu oder Oelreide in die Lnlt und mit sich fortgedreht hat,
der vermeintlich im Wirbel steckenden Hexe (Trübte) zu: „Du
Luder, hast doch et ivas mif genommen J^^ In Böhmen heißt der
Wirbelwind Karasek. Er ist ein boshafter Geist, der die Men-
schen neckt und ihnen s(;hadet, indem er plötdich die Garben
vom Felde wegträgt. Oft ist er so stark, daß er dem Menscheo
unvermutet in die Augen fahrt und ihn des Augenlichts beratM^
- - - \
1) Niedorhüflr»'r Moil'lonburgs Volkssagen III, »S. 1*J1.
2) Müllenhoff Schleswig -holst. Sag. n. 500 S. 372.
3) W. Schwartz a. a. 0. 25—27.
4) Royuitsch Truhton , und Truhtensteine 1«02 S. 78.
5) V. GrobmaDu Aberglauben und Gebräuche aus Mähren 8. 15, 73.
Gestalt der Keutaureu. (Harpyien.) %
Nach diesen Analogien wird wol kein Zweifel sein, daß die
Mythe von Verfolgung der Harpyien durch die ßureaden
eine griechische Variation der germanischeu von Ver-
folgung (Ter Trollweiber , lloljsfräulein, weißen Frauen,
u. 8. w, durdi die wilden Jäger , Oden u. s. w. war; und daß
za ihr der Kampf des Zeus mit TypbOeus sieh grade so verhält,
wie zu der ihr entsprechenden deutschen Sage die Feindschaft
Thors gegen die Trolle, des Donners gegen die Waldwciber,
Biesen a. s. w. (Bk. luu. 128). Die Blendung oder Blindheit des
Phineus (des Himmels V liimmelsriesen V ') erklärt sich durch die
Verdeckung des Sonnenlichtes (o. S. 86) beim Phänomene des
Wirbelstnrms. Der Baub der Speisen scheint mir aus dem Fort-
ilihren des Getreides vom Erntefelde durch den Wirbelwind, oder
aas Sagen, welche jenen deutschen von Ausschttttuug des Mehls
parallel gingen, jedenfalls aus drr Vorstellung von Gefräßigkeit
des Windes (Wirbelwindes) notwendig hervorgegangen. ^ Sollte
der Zug, daß die Har])yien^ indem sie das Mahl des Phineus
entraffen, zugleich die übriggelassenen Brocken mit übelriechefi-
dem Unrat besudeln, welchen Apollonius (Argon, II, 189 ff. 228 ff.
270 ff.) vorträgt, noch auf alte und echte Quellen zurtickgehn, so
ließe er sich ttiglich auf den nach dem Auiliören des Wirbelwin-
des bemerkbaren stinkenden Schwefelgeruch (o. S. 86) deuten. '
— Endlich hat auch die Verwandlung der ilaq>yie in ein Roß
Dordeuropäische Analoga. Beweisend wäre schon die Anitihrung
eines Volksausdruijks in Masureu. Wenn der Wirbelwind so
stark ist, daß auch Erde aufgerührt und mitgetUhrt wird, so sagt
man: „Am Pferd fliegt durch die llWiTw." * Wir sind aber
sogar im Staude, wenigstens an euicr besonderen Form der in
Rede stehenden nordeuropäisclicn llebcrlieferungen noch beide
Hauptzüge der Harpyiensjige (die im Sturme veri'olgten Weiber
und deren Koßgestalt) beisammen nachzuweisen. Die im Sturme
gejagte Frau, dieser unselige (icist, wurde vom regen Gewissen
des christlichen Volkes in die Seele der gn'^ßten Frevlerin am
Heiligen, der Pfaffenhure umgedeutet. Bald ist nun von einer
1) Vgl. W. Schwartz, Ursprung der Myth. 1^),
2) Vgl. W. Mannliardt Oöttcrwelt H. 100.
3) Vgl. auch W. 8chwartz Ursprung 8. 197.
4) Toppen Abergl. a. Masurcn. Aufl. 2, S. 34.
96 Kapitel 11. Die wildeu Leute der griechischen npd rdinischeii tta^e.
einzelnen Coucnbiua sacerdotis die Kede, welche ein wilder JSger
verfolgt, bald (wie bei den Harpyien) bilden Verfolger und Ver-
folgte eine ganze Schaar. Diese Pfaffenköchinnen heiBen aber
auch die' Reitpferde des Teufels, der sie nach manchen Sagen
mit Hufeisen beschlagen iUßt. Sie werden also auch als Bosse
(«= Wirbelwinde) gedacht. ^ Beide Vorstellungen combiniert die
Sage, daß die tvüd^n Jäger (das wilde Gjaid) in einem schiffiB-
artigen Schlitten, vor den die in der Christnacht mit Hufeisen be-
schlagenen Seelen böser Dienstm'ägde als Pferde gedpannt sind,
die Wildfrauen jagen. Bk. 120.
Wenn der Name die Ijapithen den Harpyien äufierlich ver-
wandt erscheinen läßt, 80 zeigt der „Ringsumläufer** Peirithoos
nun auch ihre innere Verwandtschaft. Sie sind gleichsam männ-
liche Harpyien, eine schwächere Auflage des (ursprünglichen)
TyphOeus oder Typhaon. Typhaon wird von Hesiod als vßQt-
aTi)g avo(.io(; (oder avifiog) bezeichnet (Theog. 307), grade so
bedeutete lajiluo sich übermütig betragen, luniai/jg em Prahler.
In Böhmen sagt man, im Wirbelwinde fahre die Brauty die sich
der Teufel von der Erde holt, in Masuren: „der Teufel fakri
zur Hochzeit j*^ ^ in Rußland ist der Wirbelwind die Vermählung
des Waldgeistes und der Tanz desselben mit seiner Braut (Bk.
143); in Deutsehland hieß die Erscheinung seit alters auch
Windsbraut y Pfaffen/zM/v, Cow€«^/wa sacerdotis. Halten wir dazu,
daß die Kentauren als Waldgeister lüstern sind (o. S. 39. 45),
daß dem russischen Bauer die Verwüstungen der Orkane aus
1) Vgl. Bk. 120. 123 Anm. 4. German. Myth. 711. Wolf Beitr. II. 143.
145. Noch ein Helag aus Frankreich: „Nos moissonneuri^ appellent ser-
vantes de pretres ces suiulaines et violentes bonifees de vent qui, par on
temps calme, survicnnent tout a coiip , sonlcvent, cbassent. devant elles, et
emportent en tourbillounant, Houvent a de grandcs distanccs. les javelles des
chauips, le» andains des pres, la poussiere des chemins. Laianel de la Salle,
Croyauces ei legendes du centre de la France II, 138. „ITne meHchiiie de
prestre, perseverant et niourant on pecbie, est chevalet au dyable."
„Quant vouH veez un cheval si terrible, qu'il ne veult soufTrir qa'on loonte
ßur lui, ou ne veult entrer en un navire ou sur un pont, dLstes luy en
Toreille ces parolles : (Cheval , aussi vraj quc meschine de prestre est che?a]
au dyablo, tu vueilles que je monte sur toy. Et tantost il sera painible, et
en forez vostre volontt^. Kvangile^ des qucnouilles Saec. XV (Nouv. ed. p. P.
Janet. Paris 1855. p. 133. 90). Vgl aucb Scbottniüller die Krügerin von Eich-
medien. Bartenstein 1875.
2) Grobmann Abgl. a. Böbm. S. 35, 195. Toppen Abgl. a. Masuren.* di
Lapithen und Kentauren. 97
dem Kampfe der Whldgeister (Liesowih) gegen dnatider entsprin-
gen y wobei die Kämpfer hundertßüirige Baumstämme und vieriau-
send Pfund schwere FelsstiicJce auf Entfernungen von hundert
Werst gegeneinander schleudern, * sowie daß nach neugriechischer
YorsteUung die Ortsgeistcr in den Stürmen einander wütende
Schlachten liefern:^ so liegen nan die Elemente völlig klar^ aas
denen die Sage von der Uochzcit des Pcirithoos, von dem bei
dieser erfolgten Angriff der Kentauren auf die Braut, und von
dem Elampfe zwischen Lapithen und Kentauren entsprossen ist.
Die beiden Gregner in diesem Streite waren also ursprünglich
gleichartig y ^ Lapithen und Kentauren synonym, oder doch höch-
stens so verschieden wie Wirbelwind und Sturm,* und daher
konnten sie in zwei verschiedenen Sagen sehr wol als Kinder des-
selben Vater» genannt werden. Mit der Verflechtung der Sage
ins Epos beginnt der Prozeß der Vermenschlichung, welcher an
beiden Teilen in ungleichem Maße, an den Kentauren sehr un-
vollkommen, an den Lapithen aber fast vollständig sich vollzogen
hat, weil fiir letztere als folgenreicher Factor der Humanisierung
die Gemeinschaft mit den geehrtesten Helden der Vorzeit (The-
seas u. 8. w.) wirksam wurde , welche die der Naturgrundlage
des Mythos vergessene Dichtung nach und nach ihnen als Hel-
fer zugesellte.
1) Bk. 139. Afanasieff poet. Naturansch. IT, S. 333. Vgl. Um Alt-
bunzlau sagt man , wenn oin starkes Gewitter ist und die Winde gegeneinan-
der wehen, „die bösen Engel streiten wider einander*' und der ge-
meine Mann nm Au Big erklärt sich den Hagel daraus, daß böse Geister sich
in der Luft bekämpfen. Sie schleudern Mühlsteine gegen einander, die auf-
einanderstoßend in tausend kleine Stückchen zerspringen und als Hagelkörner
herunter&llen. Grohmann Abergl. a. Böhmen S. 33, n. 183. 184.
2) S. Schmidt Volksl. d. Nengriechen S. 189. In Rumolien kämpft der
Meergeiflt mit dem Geiste einer tausendjährigen Platane. Wenn einer
besiegt wird, sterben in der Nachbarschaft viele Menschen. Auf dem Gipfel
des Parnasos liefern sich die verschiedenen Ortsgeister dieses Gebirges tobende
Schlachten, und von diesen leiten die Arachobiten die Schneestürme ab.
3) Die Gleichheit würde noch stärker hervortreten, wenn die bei Eustath.
ad Rom. p. 102, 2 erhaltene Etymologie eines Grammatikers (Herodians? Ah-
rens Dial. Dor. 160), Peirithoos habe den Namen (Ringsumläufer), weil
Zeus in Roßgestalt werbend dessen Mutter umkreiste, auf eine
ältere und echte üeborlieferung gebaut wäre. Doch beruht dieselbe wahr-
Bcheinlich auf einer bloßen Verwechselung der La[)ithon mit den roßleibigen
Kentauren von Seiten eines gelehrten Grüblers.
4) Oder wieFangga und wilder Mann (Bk.89), Skogsfru und Kulte (Bk.l27).
Mannkardt. II. 7
98 Kapitel n. Die wilden Leate der griechischen nnd römischen Sag».
Nunmehr sehen wir uns ausgerüstet, ^durch eine einfache
Zusammenstellung der an den Rentauren wahrgenommenen Eigen-
schaften die im Anfange unseres Aufsatzes ausgesprochene Be-
hauptung ihrer Einerleiheit mit unseren taildcn Männern zu
erhärten. Die Kentauren sini- Berg- und Waldgeister; das Pe-
liongebirge , welchem sie am nächsten zugehören , war besonders
waldreich (vgl. TlrjXiov vl¥jsv o. S. 48), * nicht minder die Pholoe,
wohin die Verpflanzung der Sage ihren Sitz übertrug. Aus Bfto-
men nahmen sie ihren Ursprung, Cheiron aus der Linde, Pholos
aus der Esche (o. S. 43. 48), ganz ähnlich sind die Fanggen Kinder
der Stutzföhre, Rohrinde, oder sie heißen selbst wie diese Wald-
bäume (Bk. 89. 91). Die Kräuter des Waldes und Oebirges
wuchsen unter ihrer Obhut Im Luftzüge, der den Wald belebt,
äußerten sie sichtbar ihr Dasein, sei es, daß derselbe in Stnrm
und Wirbelwind zu furchtbarer Größe anschwillt nnd alles mit
sich fortreißt, sei es, daß er als sanfterer Hauch den Wanderer
umfächelt. Darum sind die Kentauren einerseits schreckhafte
Unholde, welche FelsblOcke und entwurzelte Bäume als Waffen
schleudern; auch das Geschenk Cheirons an Peleus, die auf dem
Pelion geschnittene Esche, welche kein gewöhnlicher Sterblicher
als Lanze heben kann , ist noch epische Verwertung dieses Zuges.
Es lag daher nahe, daß eine andere Auffassung die Kentanren
vom Wirbelsturm (Ixion) abstammen ließ. Andererseits aber
erweisen sie sich dem Menschen freundlich und hilfreich. Diese
Seite ihres Wesens hat ihren typischen Ausdruck gefunden in
Cheiron, dessen Name, wenn wir recht sahen, mit der rettenden
Tat einer Todtenerweckung in einer berühmten Heldensage zu-
sammenhing, und daher zum leuchtenden Vorbilde ärztlicher
Kunst, ja der Lebensrettungen und Auferweckungen des Askle-
pios wurde. Wie die deutsehen wilden Leute und andere im
Winde waltende Wesen waren sie von rauher, mit langen Haa-
ren behangener Gestalt; dazu passen ihre riesigen unförmlichen,
den Waldgeist anzeigenden Füße im hom. Hymnus (o. S. 79);
daß spätere Bildner sie als Halbrosse darstellten , muß auf eine
verlorene Sage zurückgehu, in welcher ein Kentaur als Roß oder
teilweises Roß geschildert war. Grade so erscheint die den Ken-
tauren nah verwandte Harpyie bei Homer gewöhnlich als Weib,
1) Vgl. Bürsian Geogr. v. Griechanl. I, 97.
Wesen der Kentauren. 99
in einer Stelle als weidendes Roß. Das Roß ist eine Gestalt des
Wirbelwindes (o. S. 95) ; der rassische Waldgeist Ljeschi wiehert
wie ein Pferd (Bk. 139); beim Umzug der wilden Jagd hört man,
wie nnten im Walde die Eichen krachen, oben in der Lnft die
Hunde bellen , die Wagen rollen , die Rosse wiehern, ^ Da über-
dies die nordischen Wald- und Windgeister teils ganz, teils teil-
weise in zeitweiliger Tiergestalt erscheinen, der vollen Kuhgestalt
der dänischen Waldfran der Kuhschwam der schwedischen Skogs-
nufVa und norvegischen Huldra (Bk. 126. 128 ff.), der vollen
Oeißgestalt der Delle Vivane (Bk. 116) die Bockshörner und
Bocksfüße der Dialen und Ljeschie (Bk. 95. 138) entsprechen,
der in Baiem zuweilen Windmu genannte Wirbelwind in Thü-
ringen und Pranken auch Sflstert, Schwelnezagel, Sauzagel ange-
redet wird:' so sehen wir durch diese Analogie zahlreicher Bei-
1) Myth. » 877, Schwartz Der heutige Volksglaube. Aufl. 2 S. 29. Ein
romanisches Seitenstöck dor Kentauren ist der zumeist boshafte südtirolische
Orco (Bk. 110. 338), dor bald als Mensch, bald als Roß erscheint.
Häufig zeigt er sich als Kugel (Alpenbni^ Myth. 74, 16. StaflTler Tirol IT,
2, 294. 8. Y. Hörmann Mythol. Beitr. a. Wälschtir. 12 ff.) oder als Knänel
(Schneller Sag. a. Wälschtir. 219. VI, 6); er entführt Bauern , die ihm nach-
spotten, zwei Stunden weit durch die Luft fort (Alpcnb. Myth. 74, 17) und
hinterläßt beim Verschwinden einen ekelerregenden Gestank (Alpenb. Myth.
73, 15. Staffier a. a. 0.). Diese Zöge föhren unverkennbar auf eine Perso-
Bifieation des Wirbelwindes hin; grade so stürzen die schwedischen Trolle vor
dem Donner flüchtend (Bk. 128. 149) in Gestalt einer Kugel oder eines
Knäuels, oder eines Tiers vom Berg auf die Wiesen hinab; gleich hinter-
her schlägt der Blitz ein (Afzelius Sagohäfder 1, 10. Grimm Myth.* 952.
Baß wurm Eibofolke 11, §. 380) und die norveg. Huldre fahren ebenfalls sau-
send daher wie graue Garnknäuel. Asbjörnsen Huldreoventyr I, 51, vgl. 47.
Als Tiergestalten des Orco werden Hund, Geiß, Lamm, Esel genannt; am
liebsten jedoch erscheint er als Pferd mit feuersprühenden Hufen (Alpen-
bnrg M. 72, 14), als Kaufmann, der später plötzlich als weißes Pferd da-
steht (Schneller a. a. O. 218, Vi, 1), als weidendes Ro8, das zum Besteigen
einlädt. Wagt dies jemand , so verlängern sich die Beine des Gauls derge-
stalt immer höher und höher, daß der erschreckte Reiter aus schwindelnder
Höhe kaum mehr den Erdboden unter sich sieht, und dann gehts in sausen-
dem Galopp in die granseste Wildniß über Stock und Block, bis der unglück-
liche Phaethon aus seiner Luftregion niederstürzt und an Gesicht und Hän-
den zerschunden sich aus dem Domgestrüpp herauswindet (Staffier a. a. 0.
T. Hörmann a. a. 0.).
2) Vgl. Panzer Beitr. z. D. Myth. II. 216. Schwartz Der VolksgL Aufl. «
S. 61. Mannhardt Hoggenwolf. Aufl.» S. 1.
7*
100 Eiapitcl II. Die wilden Leute der griechischen und römischen Sage.
spiele von Roßleil), sonstigem TicrkOrper oder tierischer Bei-
mischung zu menschlichem Körper als Ausdruck ilir das Wesen
mehrerer den Kentauren nahverwandter Naturgeister die Bedeu-
tung und Entstehung des von der bildenden Kunst fixierten Ken-
taurentypuSy so gut, als wir es noch irgend hoffen konnten,
verdeutlicht. Wie die Skogsnufvar und Ljeschie durch ange-
zündete IlolzstUcke verscheucht werden (Bk. 133. 615), so be-
kämpft Herakles die Kentauren mit Feuerbränden, die er auf sie
schleudert (o. S. 43). *
Soweit die Kargheit unserer Quellen einen SchluA erlaub^
mag der Unterschied zwischen Lapithen und Kentanren, wenn
ein solcher ursprünglich bestand, darin zu suchen sein, daB
crstere Personificationen des Wirbelwindes an sich waren, letztere
in sich' die Beziehung auf das Local und die Pflanzenwelt des
Berges und Waldes trugen, sie waren Berg- und Waldgeister
und die Bewegungen der Luft ihre Lebensäußerung. Typhaon
oder T}nphoeus und die Harpyien sind mit den Lapithen gewis-
sermaßen Synonyma, mythische Ausdrücke für gewisse Formen
des Wirbelwindes, aber unzweifelhaft in anderen griechisehen
Landschaften gewachsen. Grade so ist dem Neugriechen der
Wirbelwind hier eine Ncraide (o. S. 37), dort der Teufel (o. S. 38).
Zwar die Ueberlicfcrung II. XVI, 151, daß die Harpyie Podarge
des Achilleus unsterbliche ßosse geboren, scheint auch die Har-
pyien schon der vorhomerischen Sage am Pelion zuzuweisen.
Allein wenn auch die Ersetzung der als Urform der Sage zu
erschließenden Erzählung, daß Pelcua in verschwiegener Wald-
nacht des Pclion mit seiner schönen Gefangenen sich vermählte,
durch eine Ilochzeitfeier in Cheirons Höhle einer frühen Er-
1) So in der von Apollodor bewahrten Tradition. Erst in der, wie
schon die Kentauren nainen zeigen, abweichenden und jüngeren Dichtang,
welche Diodor IV, 12 (nach dem Kyklo^aphen Dionysios von Samos?) auf-
zog, sind die Feuerbrände von Herakles auf die Kentanren übertragen. Die Ver-
treibung der Dämonen durch Feuerbrände blieb aber im griechischen Volks-
glauben lebendig. In den jüngeren Interpolationen des Briefes Alexanden
an Olympias beim Pscudocallisthcnes werden nackte schwarzbehaarte MenscheD-
fresser, welche die Macedonier mit Knütteln und Steinen anfallen, darch
Feuer vortrieben. Zacher Pseudocallisthenes. Halle 1867, & 137 (33).
138 (34). Noch der neugriecliisclie Volksglaube schreibt vor, durch einen vor de»
Hause aufgesteckten Feuerbrand die Kallikantsaren fern zu halten. Schmidt
Volksl. d. Neugr. S. 150.
Wesen der Kentauren. 101
weitening des ältesten Peleusepos (o. S. 51) angehört, wobei
Poseidon als Herr der Nereiden und zugleich der Winde und
Wogen (IToaiidotv y/i/fios*) zwei wunderbare, windschiiclle Rosse,
Cheiron des Peleus Ketter und Freund als baumschwingender
Kentaur die wuchtige Esche schenkend genannt wurden, so tlUlt
die weitere Entwickelung der llochzcitgeschichte, die Heranzie-
hung aller Götter, namentlich des Apollo und der Musen, der
Eris u. s. w. der späteren Weit<^rbildung des Epos zu (o. S. 77).
Eine solche von Homer bereits vorausgesetzte und vielleicht schon
in Europa vollzogene Erweiterung der alten Tradition ist denn
auch der Zug, daß die Rosse, welche nach dem Sinne der ur-
sprünglichen Dichtung ihre wunderbaren Eigenschai'ten als Schö-
pfungen oder Gaben des Poseidon besitzen, dieselben nun erst
als Zeugungen des Zephyros und der llaq)yia empfangen haben
sollen. Hfk'hst wahrscheinlich jedoch entstand diese Umdich-
tang nicht mehr in unmittelbarer Nähe des Pelion ; schon in kur-
zer geographischer Entfernung aber konnte allenfalls noch in Thes-
salien selbst statt der männlichen Persouiiication des Wirbelwin-
des in den Lapithen die weibliche Harpyia herschender Volks-
glaube sein. Auf diese Weise löst sich die bedenkliche und fUr
eine einzelne Landschaft unwahrscheinliche Vielheit gleichbedeu-
tender Personifizierungen desselben Meteors (Kentauren, Ty-
phaon, Typhöeus, Ixion, Pcirithoos, Lapithes, Harpyia) in klei-
nere Reihen teils durch landschaftlichen Entstehungsort, teils
durch sachliche Nuancen unterschiedener Varianten auf.
Durch die gegebenen Nachweise hoflFe ich einer «ausführlichen
Widerlegung der Ansichten meiner Vorgänger überhoben zu sein.
Uebrigens vereinigte sich die neuere Forschung bereits in dem
Gedanken, daß die Kentauren Personiiicationen von Naturgewal-
ten waren. Uebcr Kuhn ist o. S. 88 berichtet. Klausen (Aeneas
und die Penaten 4i)5ft*), Härtung (Kelig. u. Myth. der Griechen
U, 34), W. Röscher (Jahrb. f class. Phil. 1872 S. 421) erklärten
sie fUr baumentwurzclnde Bergströme; Preller (Gricch. Myth. ^
U, 16) schwankte zwischen Gießbächen und Stünuen; W. Schwartz,
obgleich er Kuhns Zusammeustelluug mit den Gaudharven billigt,
sieht in den Kentiiurcu doch ausschließlich Gewittererscheinungen.
Demgemäß ist ihm sowol Philyra das „Wetterbaum" genannte
Wolkengebildc, um welches Kronos im Gewittersturm buhle
(Urspr. d. Myth. 170), als auch Ixions liad das j^rollcnde Blitz-
102 Kapitel IL Die wilden Leute der griechischen and römischen Sage.
feuer^' (a. a. 0. 83); die Boßfilße desKentaars Cheiron gehen auf
den hallenden gleichsam galoppierenden Boviner (a. a. 0. 166).
Blitze sind auch die himndischen Heilkräater^ welche Cheiron
austeilt (a. a. 0. 179); der BIüb ist die Esche, welche Cheiron
dem Peleos als Lanze schenkt (a. a. 0. 141) u. s. w.ü!
Der Unterschied meiner Auffassung von diesen Deutungen
W. Schwartz's beruht , abgesehen von der nach ersterer notw^i-
digen Scheidung jüngerer und älterer UeberlieferungeOy nicht
allein auf der Annahme verschiedener Naturgrundlagen der auf
solchen beruhenden mythischen Bilder , sondern weit mehr noch
darin , daß ich tlberhaupt die Kentauren nicht ftir Personifiziermi-
gen atmosphärischer Erscheinungen schlechthin, vielmehr fllr
Wald - und Berggeister erkenne , als deren Ijebensäußerung jene
meteorischen Vorgänge angesehen wurden. Die Genealogien Phi-
lyra - Cheiron und Melia - Pholos, von denen die letztere
möglicherweise der ersteren einfach nachgebildet sein könnte,
sind nur ein schwaches Band, welches diese Wald- and Berg-
geister mit der Pflanzenwelt verbindet , sie mit den Seelen der
Waldbäume identisch erscheinen läßt; aber die folgende Analogie
kann lehren die Stärke dieses Bandes durchaus nicht zu unter-
schätzen. Im Gouvernement Archangel stritten sich zwei Ljeschie
mit einem dritten um Teilung der Waldgaben, warfen ihn nieder
und banden ihn. Ein Jäger, der zufällig auf ihn stieß, befreite
ihn. Aus Dankbarkeit trug der Waldgeist seinen Retter mit einem
Wirhdmnde aus der Fremde in das Vaterland, trat flir ihn als
Rekrut ein und machte eine schwere Dienstzeit durch. ^ Im we-
sentlichen dieselbe Geschichte erzählt der Este vom Baumdf,
der vor dem Gewitter flieht (Trombe vor dem Wetter Bk, 128),
zugleich in den Wurzeln der Birke Sitz und Wohnung haty und
seinen Retter durch die Lull gedankenschnell aus der Fremde in
die Heimat sendet (Bk. 68). Hier sind deutlich Baumgeist, Wald-
gßist und Personification des Wirbelwindes identisch. Und grade
so schreibt der Neugrieche, der gerne Teufel und Wirbelwind
identifiziert, das Einschlagen des Blitzes in große Bäume
der Absicht Gottes zu, die darin hausenden Dämonen zu ver-
nichten. *
1) Afanasieff poet. Naturansch. der Rossen 11, 335.
2) Schmidt Volksleben der Nengr. S. 33.
Kyklopcn. 103
§. 6. Kyklopen. Unzweifelhaft haben die Kentauren als
(Testalten des mrklichen Volksglaubens nur locale Geltung gehabt;
erst die Kunst machte sie zum Gemeingut der griechischen Welt
In anderen hellenischen Landschaften erwuchsen andere Gegen-
bilder der nordeuropäischen wilden Leute; wir nennen die Kyklo-
pen, Pane, Satyrn , denen sich die griechischen SeilenC; die ita-
lischen Faune und Silvane anschließen.
Meine Behauptung, daß die Kyklopen den Wald- und Berg-
geistern der griechischen Sage einzureihen und den wilden Leu-
ten der nordeuropäischen VolksUberlicferung, den Kentauren der
thessalischen au die Seite zu stellen seien, gründet sich auf nach-
stehende Tatsachen. Von den nordischen Berggeistern wird
mehrfach berichtet, daß sie einäugig seien. So hat der russische
Lrjeschi nur ein Auge (Bk. 94. 130), woher schon Afanasieff auf
seine Verwandtschaft mit den Kyklopen schloß; er ist es, der —
wie wir gesehen — in Sturm und Wirbelwind sein Dasein be-
merkbar macht; er hütet aber auch, günstig gestimmt, die im
Walde grasfmde lleAirde des Dorfes.^ Giebt ihm im Gouverne-
ment Olonetz der flirte bei Sommeranfang keine Kuh zu eigen,
80 wird er böse und verdirbt die ganze Heerde. ^ Nach andern
soll der russische Waldgeist, wie Hexen und Feuerdrachen, den
Kühen die Milch aussaugen. — In Norwegen glaubt man, daß
im Herbste , wenn Hirt und Heerde die Sommerweide (sjeter) auf
dem Gebirge verlassen, die Huldren (das Huldrefolk) mit ihren
Küheth (Hulderkyr, Hulderfe, Huddekr{c;tur) und Hirtenhunden
(Huddebikkjcr) von den still gewordenen Plätzen und Sennhütten
Besitz nehmen , ^ sie , denen man Sommers im Walde begegnet,
wie- sie (Männer wie Weiber) hinten durch langen Kuhschwanz
entstellt, bei rauhem Wetter ihre Heerde, schwarzgraue Kühe
oder Schafe, vor sich her treiben, oder (den Melkeimer in der
Hand) an der Spitze derselben einhergchen. Sie wohnen Som-
mers in Höhlen, finden besonderes Gefallen an Frauen und sind
einerseits, wie der schwedische Hulte (Bk. 127) und die nieder-
1) Gedächtninbuoli dos Gonvcrnom. Arcliaiigclek auf das .Tahr 1864 bei
Afanasielf poct. Naturansch. II, 332. Bk. 111.
2) Bk. Ml. AfaDiisirlT a. a. 0. nach raschkolF Beschreibung des Gou-
vem. Olonetz.
. 3) Asbjörnsen Norsk«» Huldreeventyr 1, 1859, S. 77 ff.
104 Kapitel ü. Die wilden Leate der griechischen und römischen Sage.
rheinischen Holden (Bk. 154) erweisen, die nächsten Verwandten
der SkogsnufVar y seligen Fräulein nnd mlden Leute, während sie
andererseits in kinderabtauschende , hUgelbewohnende Unterir-
dische und seebewohnende Wassergeister übergehen. ' Grade so
erzählt man nun auch in den Tiroler Alpen von den „AlpabütjSj"
welche alljährlich im Herbst, wenn die letzte Kuh bei der Ab-
fahrt das Gebiet der Alpe verläßt, die traulichen Deihjen (Alp-
hiitten) beziehen, dort senuen und käsen, brtlhen und Milchkttbel
fegen und wieder in Wälder und Töbler (Schluchten) zurttckilie-
hen, sobald bei der Auffahrt die erste Kuh von neuem ihren
Fuß auf die Alpe setzt. Im Ultentale in Tirol heißen diese Gei-
ster nach den zur Käsebereitung dienenden Htttten auf den Al-
men (Käser), Kctscrniandl. Im übrigen denkt man sie sich ent-
weder einzeln auf der Alpe hausend, und dann führen sie den
Namen von den Almen, z. B. Hnttlabutz, Novabutz, Bolzifenzer-
wibli nach den Alpen Huttlas, Nova, Balzifenz; oder sie kehren
in Haufen über Winter in die Käser und Sennhütten ein. Da
hört mau denn am St. Martinsabende das Geläute von Almschel-
len und das Geklingel der Geißglöcklein; oft vernimmt man den
Almgeist oder Alberer lieftig lännen^ er wirft mit Steinen um
sichy oft arbeitet er still in der Hütte, „er tut abkasen," „Seine
Eigenheit ist," sagt ein Bericht vom Kasermandl auf der Hoch-
alm im Unterinutal, „nächst der, daß er auf der Alm au&ieht,
wenn das Vieli abzieht, sieb durch LärmnKicItcfi axissuzeichnen'*
Das tut er den ganzen Winter hindurch, aber auch im Sommer
läßt er sich hören und macht oft in dunkeln Nächten einen Lärm,
wie die wilde Jagd, um die Almhütten her, mit Schellenge-
läute, Peitschengeknalle, und es ist, als sprengten Hunderte- von
wüden Pferden gegen die Hüttentüren, bisweilen verläßt er auch
die Alm und geht gegen die Talweiden zu. So hörten ihn am
10. Aug. 1854 mehrere Grenzjäger, die in der Sennhütte auf der
Hochalm übernachteten. Es entstand ein furchtbares Getöse
außerhalb der Hütte, wie wenn die wilde Jagd vorbeiziehe. E«
war, als würden alle Kühe um die Hütte gejagt und auch die
Bosse, denn es war ein stütes Schellenläuten und Stampfen
Auch der als Käser gekleidete kopflose Almputz aul' der Alpe
1) Vgl. Fayc Norskc Sagu S. 39. 42. Müllers Sagabiblioth. übers, t.
Lachmann S. 274. Germ. Myth. 8.
Kyklopen. 105
Yerwall nimmt von der Alpe erst Besitz, wenn die Heerde ab-
gezogen ist, ciher an Vorabenden gefährlicher Gewitter läßt er
sich auch im Sommer wahrnehmen und heuU, wie das Sausen der
Wind^aut. Sichtbar wird er als Mensch, grau vom Kopf bis
zu Fufi, wie wenn er ganz in Bawnbist gewickeÜ wäre; oder in
TiergestaUen , z. B. als Hund, Katze, Koß. Als einer einmal
beim Emwintem auf die Fludrigaalm in Vorarlberg wieder hin-
aufstieg, um noch et>vas ans der Alphütte zu holen, da saß da
auf dem Boden eine schwarze Katze, hatte eine Maultrommel in
der linken Pfote und spielte darauf Das war der Alpbutz, der
also zuweilen in Katzengestalt erscheint grade so wie in andern
tirolischen Landschaften die Fanggen (Bk. 89 fl. 146. 147). Ein
andermal aber eignet ihm zeitweise Koßgcstalt, wie den Kentau-
ren. Ein Heuer, der mit seinem Kameraden in einer Barga auf
dem Henstocke übernachtete, ließ, mit Respect zu vermelden,
einen Wind streichen und rief: „der geliört dem BargabutzJ^ Da
rauschte es rückwärts im Heustock und ein schwarzer Roßkopf
mit feuerspriHiefiden Augen hob sich aus dem Heustocke. Die
Tiergestalt wechselt aber wie beim Ljcschi mit Menschengestalt,
ja letztere ist die gewöhnlichere. Eine Ueberliefcrung bewahrt
sehr altertümliche Züge. Einst kehrte ein Wildschütze im Spät-
herbste bei der verlassenen Klapfl)ergeralpe im Ultentale ein, um
droben zu übernachten, da hörte er in der Nacht alsbald ein Kascr-
mandl in die Nähe kommen und verbarg sich in einer Ecke der
Hütte. Das Ka^ermandl öffnete die Türe, trat herein und hatte
nur ein einziges großem Auge mitten auf der Stirtie. Das Mandl
machte Feuer an, kochte schwarze Speise, aß sie, verweilte
ziemlich lange Zeit beim Feuer, löschte es endlich aus, reinigte
das Kochgeschirr, ging hinaus ins Freie und war verschwunden.^
Da haben wir also aus Rußland und Tirol je ein Beispiel eines
heerdelmtenden, melkenden oder käsenden Berg- oder Waldgeistes
mit dem einen Auge vorn auf der Stirn , und die vorstehende
Zusammenstellung sowie die breiteren AuslUhrungen in Kap. II
des Baumkultus lassen wol keinen Zweifel darüber bestehen, daß
beide, der einäugige Ljeschi und das einäugige Kasermandle,
1) Zs. f. D. Altert. XI, 171 ff. Vonbun Beitr. z. D. Myth. Chur 1862,
S. 71 — 78. Alpenburg, D. Alpensagen. Wien 1861, S. 265, 277. Alpenburg
Mythen 171, 34. 178, 46. 162, 25. 175, 43.
106 Kapitel II. Die wilden Leute der griechischen and römischen Sage.
Einzelgestalten einer zusammengehörigen, in mannigfachen Ntlan-
ciemngto abgestuften Reihe gleichartiger Dämonen sind, der auf
griechischem Boden auch die Kentauren zugezählt werden mttssen.
Da nun, wie das Verhältniß der riesigen Fanggen zu den
zwerghaftien Waldfänken und Fenggen lehrt (Bk. 94), bei den
Wald - und Berggeistern der Unterschied der Körpergröße keinen
Unterschied des Wesens begründet, so liegt es nahe, den home-
rischen Kyklopen (Odyss. IX) JPolyphenws (Bopenkerl, Bk. 127
Anm. 2) zu vergleichen, den Einäugigen, der (wie die wilden
Männer entwurzelte Tannen) einen wilden Olivenbanm als Keule
trägt, und im Gebirge seine Schafe und Ziegen hütet, melkt und
Käse macht. Nicht Menschen siebt er ähnlich, sondern dem
bewaldeten Gipfel eines einsam ragenden Felsgebirgs. Zn Men-
schenfressern werden in der Sage zuweilen auch andere Berg-
nnd Waldgeister (vgl. den rom. orco, huorco, fr. ogre „je sens
la chair fraische,^' Myth. ^ 459, o. S. 99; die Bregostane, Bk. 113,
L. V. Hörmann Myth. Beitr. 4, der wilde Mann ; Alpenb. Mjrttt 26).
Verstärkt wird unsere Berechtigung, den Kyklopen Polyphemoe
und seine Sippschaft mit den wilden Leuten, Almputzen, Ljescbie,
Huldre der nordeuropäischen Tradition zusammenzustellen, durch
den Umstand, daß noch ein anderer Zug seiner Sage sich grade
bei unscm wilden Leuteti und verwandten elbischen Wesen wie-
derfindet. Von einem Menschen mißhandelt nennen sie dessen
vermeintlichen Namen: „fcA selbst*' als Täter (Bk. 94. 95), wie
OdysseuB den Niemand; eine estnische Variante, welche den
Ausruf: „Selbst tats," dem sehier Augen beraubten Fddteufd
beimißt (Myth. * 979), verbürgt die Identität mit der Polyphemos-
sage. Der uralte Mythus vom Fortgange eines Sommergottes in
die Untenveit fllr den Winter, seine Wiederkehr übers Meer her
im Frühling und die Befreiung seiner verlasseneu, inzwischen
von winterlichen Mächten, zudringlichen Freiem umworbenen
Gattin ^ ist im meerumschlungenen Griechenland frühzeitig zur
Siige eines Heros der Seefahrt, Odysseus, d. h. de« Führers,
geworden, auf den jonischen Inseln localisiert, sodann in den
troischen Sagenkreis verflochten und zum beliebten Thema epi-
1) Bk. 444if. W. Mtillers Niedere. Sag. 3% -407. . Steinthal in Zs. f.
Völkerpsychol. VU, 82.
Kyklopen. 107
sehen Gesanges gemacht. ^ Das Abenteuer bei dem Kyklopen
bildete eine der frühesten Erweiterungen der Erzählung von Odys-
sens Fahrt y die Besehreibung desselben machte schon einen Be-
standteil des ältesten von Kirchhoff als ;,der alte Nostos'^ bezeich-
neten Stückes der uns erhaltenen homerischen Odyssee aus. An
und für sich aber hat es mit dem Mythus und der Person des
Odysseos nichts zu tun , sondern ist anderswoher auf ihn über-
tragen. ' In der Tat ist uns in verschiedenen Aufzeichnungen aus
Frankreich (historia Septem sapientum, Dolopatbos Saec. XU.
XIII) y Turkestan (Korkuds Geschichte der Oghuzier saec. XIII.
XrV.), Arabien (Sindbads Reisen), Serbien (Wuk Märchen), Sie-
benbirgen (Obcrt),' eine Fassung erhalten, welche der griechi-
schen möglichst nahe stehend in euiigen Stücken (wohin nament-
lich der Zug zu rechnen ist, daß der Held in die Haut eines
Widders hineinschlttpft) die der homerischen soeben vorangehende
Entwickelungsstuie der Tradition vergegenwärtigt* Dieser Fas-
sung fehlt die List, womit sich Odysseus einen irreleitenden Na-
men (Niemand) beilegt, sie ist reicher um den Zusatz des am
Bing oder Stabe haftenden Zaubers, durch welchen der geblen-
dete Riese den entflohenen Helden beinahe dennoch in seine Ge-
walt gebracht hätte; sie bezeugt als schon alte Bestandteile die
Blendung eines menschenfressenden Riesen mit einem Stirnauge
(Depe Ghöz heißt Scheitelauge) und die Flucht des Täters in
Gestalt eines Bocks aus der vom Riesen gepflegten Ueerde. Es
wäre ja nun sehr wol möglich , daß diese Geschichte ursprüng-
lich gar nicht griechisch , sondern in vorhomerischer Zeit aus der
Fremde entlehnt wäre; allein die einäugigen Kyklopen sind auch
sonst der griechischen Sage bekannt, so daß sie Haft und Halt
im Volksglauben gehabt haben müssen. Nach der Vorstellung
der Kreise , aus denen die ältesten Bestandteile der Odyssee
herrühren , standen die Kyklopen mit den unholden Giganten und
mit den Phaiaken, dämonischen Wesen von menschenfreundlichem
1) Cf. Müllenhüff, D. Alterlumskimdo I, 31. 42.
2) W. Griium die Sape von Polypliem S. 18 ff.
3) S. W. Griinm die Sa^e von Polyphem. (Abhandl. der Berl. Akad. d.
Wiss. 1857.) S. 4 — 16.
4) W. Grimm a. a. 0. 18. 20. 23.
106 Kapitel II. Die wilden Lente der griechischen und römischen Sage.
Sinne, unsern Lichtelben vergleiclibar/ in nahem Zusammenhang
und waren gleich ihnen den Göttern nahestehend (Od. VII, 65ff.
206); ja die Kyklopen sind stärker als die GU^tter {fpiqzeqoi Od.
IX, 276) und Verächter derselben; ihr Wohnsitz ein von den
Menschen geschiedenes, geräumiges mythisches Land, Hyperda
das Oberland, wo ehedem auch die Phaiaken ihre Nachbani
waren (Od. VI, 4), zu deren seligem von allen Gütern der Kultur
verschönten Wunschleben sie jedoch als Vertreter äußerster Roh-
heit und wilden Naturzustandes in schroffem Gegensatz stehen.
Aus allen diesen Stücken geht jedesfalls soviel hervor, dad die
Kyklopen nicht eine ungewöhnliche Art wilder Menschen, sondern
übernatürliche Wesen von älterem Datum als die Götter waren.
Ich vermag nicht mit Müllenhoff (a. a. 0. 47) in ihnen Personifi-
cationen der wilden und wüsten Naturgewalt Poseidons id
erblicken, vielmehr vermute ich, daß der von Odysseus geblen-
dete Polyphemos erst deshalb zum Sohne des Poseidon und der
Meernymphe Thoosa, Phorkys Tochter, gemacht ist (Od. 1,70),
um in dem Zorne des Vaters einen Grund zu haben für die Zer-
trümmerung der Schiffe des Helden und seine in der ursprüng-
lichen Sage begründete alleinige Ankunft bei Kaly{)so. Hesiod
(Theog. 139 ff.) trägt eine ganz abweichende Genealogie vor.
Aus der Verbindung von Himmel und Erde (Uranos und Gaia)
entsprießen die drei Kyklopen mit dem Herzen voll Uebermnt,
Blitz, Donner und Wetterstrahl (Brontes, Steropes und Arges),
welche dem Zeus den Donner schenkten und den DonnerkeU
schmiedeten ; in allem übrigen waren sie den unsterblichen Göttern
ähnlich, nur trugen sie mitten auf der Stirn ein einziges Auge.
Unzweifelhaft hat Klausen recht, wenn er diese hesiodeische Form
der Kyklopen iltir im ganzen älter ansieht, als die homerische,'
1) Dies ist das Ergebniß, welches die von Gerlaud (Altgriech. Märchen
in der Odyssee. Magdeburg 1869, S. 10 — 16) angestellte Vergleichaug der
Phaiaken mit den indischen Yidyadharcn zu ergeben scheint; einen engeren
Zusammenhang der beiden letzteren Dämonengeschlechter kann ich ebenso
wenig einsehen, als eine nähere Verwandtschaft zwischen dem Märchen Ton
Saktidcva und dem Inhalt der lUicher X — Xll der Odyssee (Gerland a. a. 0.
17 ff.). Preller ^Griech. Myth.« I, 517) und MüUenhoif (D. Altertuiusk. I. 47)
suchen in den Phaiaken die guten Geister der Schiffahrt, Personificationen
der guten Fahrwinde.
2) Die Abenteuer des Odysseus aus Hesiodus erklärt. Bonn 1894.
S. 2 ff.
Eyklopen. 109
mit der sie bei aller Abweichung doch die cbaracteristiselie Aus-
rüstung mit dem Stimauge und die übermütige, freche Gesinnung
gemein haben, ein Epitheton , das ans Hcsiods Darstellung sich
nieht erklärt, sondeni noch eine breitere, von dem Dichter ver-
schwiegene Uel)erlielerung von ihnen voraussetzt ^ Eine Verbin-
dung des homerischen Zuges der Weseuähnlichkeit mit den Gigan-
ten and des hesiodeischen der Kunstfertigkeit tritt in den Sagen
zu Tage, wonach entweder Kyklopen oder Giganten für die Bau-
meister aus verschollener vorhistorischer Vorzeit UbriggebUebene-
ner als Riesenwerk erseheinender Städtemauem oder Schatzkam-
mern ausgegeben wurden. * Hesiod schöpfte entweder schon aus
einer Titanomachie , oder seine Darstellung wurde bald nachher
in einer solchen benutzt, von der uns Apollodor ßibl. I, 1, 2.
2, 1 eine Vorstellung bewahrt hat. Danach waren die Kyklopen
sammt den Hekatoncheiren von ihrem Vater Uranos in den Tar-
taros geworfen, Zeus befreite sie, indem er ihre Wächterin Kampe
tödtete, und sie gaben dafür ihm Blitz, Donner und Donnerkeil
zum Kampfe gegen Kronos, dem Pluton einen unsichtbar machen-
den Helm, dem Poseidon den Dreizack. Erst der neueren nach-
hesiodeischen Dichtung gehr^rt die Verbindung der Kyklopen mit
Hephaistos an, der in allen älteren Quellen ohne Gehilfen, und
zwar allerlei kunstvolle Werke, aber nicht den Blitzstrahl schmie-
det, und am allerwenigsten in der Tiefe feuerspeiender Berge
(Aetna u. s. w.) seine Werkstatt hat, sehr natürlich, wenn unser
an einem anderen Orte (Zs. f. Ethnologie 1875 S. 322) versuchter
Nachweis recht hätte, daß Hephaistos ursprünglich der im Morgen-
rot die Sonne schmiedende Himmelsschmied gewesen sei. Wir
dürfen mithin diese secundären Sagen bei Seite lassen, und uns
auf die Erörterung der Frage beschränken , wie Homers und He-
siods Kyklopen zu vereinigen seien. Wir antworten mit Schömann
a. a. 0., beide gehen aus einer dritten, älteren Form hervor. So-
wol die Analogie des einäugigen russischen Ljeschi und des Tiro-
ler Kasermandl zum homerischen Polyphem,* als die Verfertigung
der Blitze durch die hesiodeischen Kyklopen, sowie deren Ver-
1) Falls nicht etwa, wie Flach will (System der hesiodeischen Kosmo-
gonie S. 27) die Verse Thcog. 142 — 146 durchweg unecht sind.
2) S. die Belege in 6. F. Schömanns Schcdiasma de Cyclop. Opnsc.
Acad. IV. Berol. 1871, S. 326ff.
110 Kapitel II. Dio wilden Lonte der griochischen and römisehen Sage.
flechtang in den Titanenkampf weist auf meteorische, mit elek-
trischen Entladungen verbundene Phaenomene, auf Gewitterstarme
und Wirbelwinde als eine Naturgrundlage ihres Wesens hin. Von
solchen konnte ebensowol gedichtet werden, daß sie Ziens Blitz
und Donner liefern, als sie als Lebeusäußerungen von Bei^- und
Waldgeistem aufgefaßt werden konnten. Was aber bedentet ihr
kreisförmiges oder radftJrmiges Stimauge und seine Vemichtong?
Man konnte die deutsche Sage zur Eriliuterung heranziehen, dafi
jemand durch ein in den Wirbelwind hineingeworfenes Messer
dem darin sitzenden Dlimon ein Auge ausstach,^ d.h. das Phäno-
men aufhören machte. Dürfte man das, so blUe sich eine ziem-
lich einfache Erklärung des Auges in Form eines Kreises oder
Rades. Wir sahen bereits bei Ixion, daß der Grieche die Erschei-
nung des Wirbehmndes als feuriges Rad auffaßte (o. S. 85). Eben-
sowol, als sich daraus in Verbindung mit dem Glauben an seine
Natur als dämonisches Wesen die Vorstellung eines aufs Rad
Gebundenen entwickelte, konnte daraus ein andermal die Meinung
von einem Riesen entstehen, dessen hauptsächlichstes Glied ein
gewaltiges Rad oder rollendes Auge^ sei. Damit wäre der Ky-
klop den Kentauren und den Wald- und Berggeistern der nord-
europäischen Sage ^ in der Tat ganz nahe gerückt und zugleich
erklärt, warum der Ljesehi und das Kasermandl auch nur ein
Auge haben. Ganz andei-s freilich haben meine nächsten Vorgän-
ger die Frage zu ir^acii versucht, was unter dem Kreisauge oder
Rudaiige zu verstehen sei. W. Grimm antwortete darauf, die
Sonne, das Weltauge, das den Kyklopcn als Zeichen ihrer gött-
lichen Abkunft geblieben sei. Ihm haben sich namhafte spätere
Forscher angeschlosseu. Man darf' jedoch nicht behaupten , daß
durch diese Deutung ein Verständniß der Sage erreicht wäre.
Wenn das Auge die Sonne sein soll, wer war denn der gehlen-
dete Riese , wer der ihn verstümmelnde Held V W. Schwartz sagt,
1) Schon werth, aus der Oberpfalz II, 113.
2) Vgl. Hesiod. Theog. 826 vom ripsigen Typhoeus ,Jx 64 ol Öaatar
O^iajTtafrjg xfffttlfjaiv vn' ntfoi'at Ttvo tcut(()v(fat."
3) Vgl. den Grinkcnsehmicd, wekhcr wie oin feuriger ruuderKorn-
scheffel den Knecht verfolgt, der ihm seinen Braten aufgegessen hat Kuhn
Westf. Sag. I, S. 91 n. 89 und den Alke, welcher in Gestalt eines glühenden
Rades, wie in Blitz hinter dem hersaust, der ihm zugerufen hat: „Alke,
gehst du mit?" Ebds. S. 33 n. 33».
Kyklopen. 111
ersterer sei der Himmelsriese (also der Himmel selbst), mit dem
Sonnenaage , der im Gewitter geblendet werde , ^ im Sturm und
Wetter auf die verschiedenste Weise sieh bekunde, * im Wetter-
leuchten sein Schmiedefeuer blinken lasse, als dessen Funken die
Sterne (?) gefaßt seien, ^ während er im „sich auftürmenden"
Unwetter die Wolkenburg aufrichte, sich als Baumeister erweise.*
Diese Auffassung wird weder der homerischen, noch der hcsio-
deisehen Sage gerecht. Denn wenn der Himmel im Unwetter des
Gesichts beraubt, d. h. der Sonne Schein ausgelöscht wird, wie
wäre er dann zugleich als Menschenfresser aufgefaßt ? Und wenn
andererseits der Himmel selbst im Gewitter tobend, frevelnden
Uebermut beweisend, den Donnerkeil schmiedet, wie kann es da
heißen, daß er die Sonne als Auge trage, und daß er dem lich-
ten Himmel, Zeus, zum Titanenkampfe die Waffen liefere? Kaum
Kegt hier derselbe Fall vor, wie in der Herakles- und Simson-
sage, in welcher die Tödtung des Löwen einen Sieg der Sonne
über die Sonne, die Ueberwindung des verderblichen Sonnendä-
mons durch den segnenden Sonnengott, der heißen Glutsonne der
Hnndstage durch den milderen Schein des Spätsommers bedeuten
soll. Auch Ruhn's Deutungen ftlhren nicht zu einem befriedigen-
den Verständniß. Er meint doch auch wol den Himmel selbst,
wenn er den Kyklopen ttir den sonnenäugigen Riesen erklärt, der
morgens seine Schafe, d. h. goldige Lichtwolken austreibe, nachts
dieselben in eine finstere Höhle, den Nachthimmel, einpferche^
und dieselbe mit einem Stein, dem Ball der untergehenden Sonne,
zuschließe. ^ Eine andere Erklärung wird Herabkunft S. 69 vor-
getragen. Der gefräßige Kyklop („Radauge") sei gleich dem
gefräßigen, versengenden Dämon der Inder, dem Qushna, dem
Austrockner (d. i. der verzehrenden ausdörrenden Gluthitze des
Hochsommers), der das Sonnenrad besitzt oder gestohlen hat, und
welchem Indra, mit den Rossen des Windes herbeieilend, im Ge-
witter dasselbe entreißt. ^ Ich halte die vorhin von mir vorge-
1) Sonne, Mone und Sterne I, 83.
2) ürspr. der Myth. 17.
3) Sonne, Mond und Sterne 105.
4) ürspr. d. Myth. 16.
5) EntwickelungsHtufen der Mythenbildung S. 141.
6) A. a. 0. S. 150.
7) Vgl. aach Härtung Griech. Myth. II, 89 ff., der u. a. an den drei-
äagigen Zeus l^Qxeiog zu Argos erinnert.
112 Kapitel ü. Die wilden Leute der griechischen and römiachen Sage.
tragene Deutung fUr wahrscheinlicher, glaube aber, dafi ein end-
giltiges Urteil noch verfrüht sein würde, so lange nicht die mög-
licherweise analogen Sagen von den Dorftieren (Hund, Kalb
u. s. w.) mit Augen gl^h einem glühenden Teller oder runden
Fenster ^ und deren etwaige Verwandtschaft mit den beiden vier-
äugigen Hunden des Yama, den Sarameyau,* und der yieräugigen
Augenhltndin Sttkjenitza^ der Albanesen, sowie die Mythen vom
einäugigen Fisch und einäugigen Tier der wilden Jagd * in ihrer
Bedeutung an sich und in ihrem Verhältniß zur Kyklopensage
klar liegen.
1) Rochholz Aargausagen II, S. 36 n. 2ß5^. 38 n. 265 r. Vgl. 37 n. 265p.
Stöher Elsäss. Sag. 30, 24. Schamhaeh- Müller Niederaächs. Sag. 8.194
n. 210, 2. 195 n. 212, 2. Schmitz Sag. d. Eifel II, 34. Schamhaeh -Mfiller
S. 196, n. 214,3. Schmitz a. a. 0. II, 36. Colshorn Märchen a. Sag. Han-
nov. 1854, S. 114 n. 35. Vgl. auch den Vegetationsdämon, die Gloso.
2) Muir Original Sanscrit Toxts Vol. V, S. 294. Knhn in Hanpt Zs. t
D. Altert. A^, 125 ff. Derselbe Zs. f. vgl. Spr. II, 314 ff. M. Mfiller Vorles.
fih. Wissensch. d. Spr. II, 438.
3) Hahn albanesische Stadien S. 162. Ders. Nengriech. und alhan. Mär-
chen II, S. 110 n. 95.
4) Knhn Wcstfal. Sag. I, 8. 324. 326 ff
Kapitel III.
Die wilden Leute der antiken Sage IL
§. 1. Faunus und die Faune. In Bespreclinng der anti-
ken Gestalten y welche unsem wilden Leuten wesenähnlich sind,
wenden wir uns nun der zumeist bocksgestaltigen (Gesellschaft der
Faune, SUvane, Pane, Satjrn, sowie ihren Verwandten, den Sei-
lenen, zunächst aber den beiden erstgenannten zu. Auch sie sind
Wald- und Feldgeister, welche mit ihren nordischen Vettern
in mehr als einem Zuge ttbereinstimmen. Den Nachweis dieser
Uebereinstimmung im Einzelnen geben wir am Ende der ganzen
Reihe , nachdem wir die griechischen und italischen Dämonen zu-
nächst fllr sich betrachtet haben werden. Die italischen Bauern
erzählten bald von einem einzehien Dämon Famius, bald von
einer ganzen Schaar von Fauni oder, wie sie bei den Umbrem
hießen, FuJics (Zusammenziehung aus Faunes), d. i. die Holden,
Gnädigen, vom Verbalstamm fav- (favere) mit Suffix no (vgl. le-
nis, seg-nis, pro-nus) abgeleitet. Vgl. umbr. fo-ns gnädig,
günstig. * Diese Wesen waren Waldg<Uter. - Als Waldj::ott hat
Faunus nach einigen den giUtlichen Schwar/spccht, den Picus,
zum Vater ^ und die Dryaden sind die Gespielinnen der Faune. *
Horaz schildert den Anteil der Natur an dem winterlichen Feste
des Faunus, den ländlichen Faunalien im Dccembcr, mit den an
1) Aufrecht und Kirclilioff rmbr. SpraclKleiilviii. 11, 131). I>ufrj,'o in Zs.
f. vgl. 8pr. III, 41.
2"» Fönes dei silvestrcs. (iloss. Isid. Mart. Cap. II, 107. Kurirolae sil-
varum nuraina Fauni. Ovid. Mctani. VI. 3i)2. Picus und Faunus lieißon sil-
vestria numina, di nemorum. ,,Di sumus agrestes et qui domincmur in altis
montibus. Ovid. Fast. III, 303. 3<.m. 315.
3i Fauno Piius pater. Ver;,^ Aen. VII, 48.
4) Quin et Silvan^s Faunos(|uo et dearum gj'nora silvi.s, a«* sua numina,
tanquaiu et caclo, attribnta crodinjus. Plin. bist. uat. XII, 2. Scinidoac
Dryades Fauniqu«^ biconios. Ovid. lloroid. IV, 41). Kt vns ji^'restuni praoscn-
tia numina, Fauni, ferto Hinnil Faunique ])edem Dryadesi^ue pucllae. Verg.
Georg. I, 10.
Msnnbardt. fl. 8
114 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
den Gott gerichteten Worten: „Öpargit agrcstes tibi silva fron-
des" (Od. III, 18). Der Wald war somit der Faune eigentlicher
Aufenthalt, doch zeigten sie sich nicht selten auch in den
Getreideäckern. Die Landleute in der römischen Campagna
wollten sie häufig auf der Waldweide oder auf den Feldern er-
blicken , ' deren Früehte durch ihreti Einfluß GedeOien luiüenJ' *
Deshalb macht die S<age auch zu Faunus Sohn den Stercutiug
(Plin. bist. nat. XVII, 6), oder setzt ihn selbst zu Mars, dem agra-
rischen Gotte, ins Sohnesverhältniß. ^ liier auf den Feldern hat
er seine Wohnung in der Erde. ^ Auf den Feldern sonnt er sich
in heiler Mittagsstunde, es ist unheilvoll ihn zu belauschen oder
zu stören.^ Für gewöhnlich sind die Faune unsichtbar, nur die
geistersichtigen Hunde (vgl. Myth. * 632. Odyss. XVI, 160),
und unter diesen zumal weibliche Erstgeburten nehmen ihrer
wahr. ^ Eine genaue deutsche Parallele dieses Glaubens ist Bk.
406 nachgewiesen. Wenn sie sich aber zeigen, so bemerkt man
an ihnen Judhticrlsche Gedalt , Zietjenhärner ufid Geißfüße,^
Ihr Haupt umkränzt gerne, der Natur der Waldgöttcr entsprechend,
ein grüner Fichtenzweig. Als Waldgeister segnen und behüten
sie die im Walde weidende Heerdc, als Waldgeister werden sie
auch durch einige in der römischen Sage bereits ziemlich ver-
dunkelte Züge characterisiert. Im stillen Urwalde, zumal zwischen
Bergen, schallt jeder Laut, sei es das Geräusch eines brechen-
den oder sich reibenden Astes oder Stammes, die Stimme eines
Tieres, oder Windespfeifen im hohlen Baum doppelt, ja vielfach
verstärkt und oft vernimmt man unvermutet sporadische, uner-
1) Flures autciii existiinantur esse ctiaiii praesontes. ldc-ire<> rusticis j'tT-
sua.sum est iiu'oleiitibus eam jiartem Italiae, quac suburbana est, saepe eos in
agris conspici. Pnjbus z. Vcrj^. Geor^»". 1, 10.
2) Quidani Faunos putant dictos ab eo, quod frugibus faveant. S«*rv.
Verg. Georg I, 10.
3) Dionys. Hai. 1, 31.
4) Faunus inferuus dicitur deus Nam nibil est terra inferius. in
qua babitat Faunus. 8erv. Vorg. A. VII, ül.
b) Nee nos vidoamus Faununi inedio quum preiuit arva die. OtIJ.
Fast. 4, 7<>1.
G) Et ab ea (eauc) quae foniina sit ex primipara genita Faunos cemi
Plin. H. N. Vm, 40, G2.
7) Daber heißen Faunus und die Faune somicaper. Ov. Fast. IV, 75:2.
V, IUI. Cornipes Ov. 1. 1. II, 3G0. Quations eornua Faunus Ov. 1. L III
312. Capripedes Fauni. Plin. H. N. Fauni bicornes. Ov. Herold. IV, i^-
Fauniis und dio Faune. 115
kläriicbe^ durch das Gniuliche der Einsamkeit schreckhaft ge-
machte Töne, durchdringende Schreie/ welche die Phantasie
des Wanderers bei den verschiedensten Völkern als einen Kuf,
oder als höhnisches Lachen des Waldgeistes aufzufassen pflegt.
Der brasilische Indianer schreibt dem Curupira oder wilden
Manne jene unerklUrlichen Töne zu; der Peruaner glaubt, daß
der Waldgeist Uchuclachaqui den Keisenden iu erlogener Gestalt
in die Oede des dunkelsten Dickichts locke und zuletzt mit Holm-
gdächter verschwinde (Bk. 14:5 ff.). Wenn im Sturmwetter das
Knarren der Aeste, das Krachen der Stämme wiederhallt, ver-
nimmt der russische Bauer kein Echo, sondern den Huf der
Ljeschie^ welche einen unvorsichtigen Jäger oder Holzhauer auf
gefährlichen Grund zu verlocken trachten und zu Tode kitsein,
sobald sie ihn m ihrer Gewalt haben (Bk. lo9). Der Waldmann
(Skongman) in Schonen fllhrt Menschen in die Irre und lacht
dann: ha! ha! ha! Wenn der Berguhu im Walde sich hören
läßt, sagt man, der Skougmau sei draußen und schreie (Bk. 127).
In deutschen Sagen entspricht ein Waldgeist, der von einem Rufe
hebe! oder hoho! den Namen Iloimanu (Oberpfalz), Hemanu
(Böhmen), das Homännchen, de Röpenkerl (Westfalen) führt
(Bk. a. a. 0.). Ganz so schrieb man dem iu verschiedene Ge-
stalten sich wandelnden Faunus die spukhaften Bilder zu, die
den Wanderer im Zwielicht der Waldschluchten äffen, sowie die
gespenstischen Laute im Kauschen des Laubes und der Blätter. *
Aus dem Walde, zumal in der Morgenstille plötzlich hervorbre-
chende Töne wurden auf ihn zurückgeführt, woher die Sage
rührt, daß des Faunus Stimme, die Feinde erschreckend, den
Römern in der Schlacht zu Hilfe gekommen sei. ^ In andern
1) So tönt z. B. der Schrei der Waldelster, das Gesclirei des Fal-
ken n. 8. w.
2) Vgl. Schweglrr Rom. Gesch. I, 215.
3) Cf. Dionys. Halicaru. V, 16 vom Kampfe der Römer mit den Söh-
nen des Tarquinius. Aruiis und Brutus sind gefallen, die Römer denken
daran das Lager zu verlassen. Toittvia iV cdTÜy diavoovu^vMv xa) ihtdtyo-
^i(vo)v yToos lUÄ/y/oriT, 7in^) itjr 7io(6r7}v ;iov iiitliata (fv).nxitr, ^x rov J(J1'-
fioi', Tiati \\v ^(TToicTdJift^fvOtn'to, tfMj'i'j II ^ i]xoro!hi nag övrütudiv tiu ff ort-
oatg yfyovruc, o'iaiy ajariag «rTr]<; (ixoi'f^ir, ttif: ritc xia^/uvKtg to jA
lifvos ijoomg , Hrt t (tr xu).uvu h roi ^icit'ov. Ktiru) yaf) (<i'((Ti!HUc(fi iio
Sttffiovi *PüHii(ioi tu .Kcvixu xtu öoic ffdoiiuTd uD.iiTt ulküCag Ta/ornt /<oo-
(fug lii 6\}jir (h'^hmtnuor fo/orTitt , (hfiiaTu fftooiTtt, Tj (fun'al öaiuoriot ru-
8*
116 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage U.
Ueberlieferungen sind die {ihnungsvoUen Stimmen des Waldes zu
prophetischen Verkündigungen des Faunus geworden, dessen
Orakclsprilche man im Walde und unter Bäumen zu erlauschen
sucht; und wenn es heißt, daß die Faune in den Wäldern die
ältesten (satuminischen) Verse gesungen hätten, wer verkennte
darin das urälteste aller Lieder, das die Wipfel der Eichen und
Buchen im Winde rauschen ? ^ Als Waldgeister endlich stellen
sich die Faune dar durch ihre enge Verbindung und gelegent-
liche Identifizierung mit den Silvani , ^ mit denen sie auch die
Eigenschaft der Weiberlicbe teilen. * Vorzugsweise scheint man
die letztere den unter Feigenbäumen oder in Feigenbäumen hau-
senden Faunen nachgesagt zu haben.* Aus griechischer Dich-
tung und Kunst dürfte entlehnt sein, daß die Faune die flüchti-
gen Nymphen haschen. Beängstigende Träume und Alpdrücken
wurden ebenfalls dem Faunus beigemessen. Eine merkwürdige
Tradition aus später Quelle, von der es zweifelhaft bleibt, ob
sie aus altem römischen Volksglauben stammt, oder dem einhei-
mischen Aberglauben von Provinzialen entnommen ist, setze ich
gleichwol hieher, da sie sich mit dem deutschen Glauben an die
Hollen, Holden (Bk. 14 Anm. 3. 65. 154 Anm. 1) eng berührt.
Der Anonymus de monstris c. G , -^ den Berger de Xivrey ins
nuirüiaai rin; «xo«V, tovtov (faa)r ilvui toO Ufov tu t^yor. 7) J^ tov dal-
tioro^ (fo)i'fj iha]oHv TKwfxe/.fctTo roiV Piouaiuig t'o-; r(vixi]xöniv . h'i nXfiovi
Hviii Toi'^ Toii' jioltuiMv IUI o(f (Uvovau vfxooi's. Cf. a Ijiciunt rairac'ula huic
])Uf^nae; silentio j)roximao noctis ex silva Arsia inp^ontcm cditam voceni: Sil-
vani vocem oani croditam. Liv. II. 7. Sacpc Faanoruin vocca exauditac
saepo visae formae deorum quenivis mm aut hubetom aut iinpium praescnt«'^
dcos confitori coogorunt. Cicor. Nat. Deor. II, 2, 6. Saepo ctiam in proeliis
Fauni auditi. Ciccr. Div. I, 45.
1) Vgl. Prellcr Rom. Mytli. 338.
2) Hunc Faunum pleriquo cundeni Silvanum a silvis — dixcrunt. Aurcl.
Vict. orig. gent. Koni. 4.
3) Multiquc se oxpertos vol ab ein qui cxperti essent, de quomm fide
dubitandum non est, audisse confirmant , Silvanos et Fanno.s, quos vulgo
incnbos vocant, improbos saepo oxstitisse raulieribus et earoin appeti.sse et
peregisse coDCubitum. Aug. C. D. 1. XV, 23.
4) Vol incubones vel satvros vel silvostres quosdam homines, quos non-
nulli Faunos ficarios vocant. Hieronym. in Is. V, 13, 21. Vgl. o. S. 31
den spiritu di ficu.
5) S. Borger de Xivroy traditions toratologiques p. 20. Vgl. p. XXXIV
und IG. Liebrecht Gervasius v. Tilburv S. 7G.
Faunns uud die Faune. 117
6. Jahrhundert setzt, giebt an: Fauni fiaseuntur de vennibus,
natis inter lignnm et cortkcMj et postrcmo procedunt ad terram
et Buseipiunt alas et eas aniittunt postmodum vi effichintur liomi-
nes süvestres. Et plurima cantiea de iis poetae cecmerunt.
Zweimal im Jahr beging man dem Faunus zu Ehren ein Fest,
einmal beim Herannahen der Wintersonnenwende, an den Nonen
des Dezembers (Dez. 5). Dann kam das ganze Dort* zu festlichem
Tanz auf dem Anger zusammen, ein Böcklein wurde zum Fest-
mahl gesehlachtet, der Weinschlauch zum Festtruuk geöfinet und
der alte Altar mit Weihrauch bestreut. Menschen und Tiere
feierten von aller Arbeit. Dann flehte der Landmanu, daß Fau-
nus gnädig über seine Grenzen und somiigen Felder gehen und
den jungen Anwuchs der Herde schonen mr)ge. Alles freut sich,
sagt der Dichter, das Vieh hüpft auf kriluterreicher Weide, das
Lamm flirchtet nicht den Wolf und der Wald streut dem Gotte
seine Blätter. * Mit Recht entnimmt Preller dieser Schilderung
die Andeutung, daß des Faunus Gunst den Viehstand vermehre,
sein Zorn, wenn er nahe, Seuche unter den Tieren hervorbringe.
Das zweite Faunusfest hatte im Beginne des Frühlings statt. Am
15. Februar hielten die in Bocksfelle gekleideten Luperci, ver-
mutlich irdische Abbilder von Faunen, einen Umlauf um die pa-
latinische Altstadt. Wir kommen in einem eigenen Aufsatze auf
diese Jius den frühesten Tagen Korns herrührende Begehung
zurück. In späterer Zeit sehen wir, vermutlich anderswoher , das
Faunusfest in Kom in noch anderer Form eingebürgert. In dem
im Jahre 196 v. Chr. erbauten Faunustempel auf der Tiberinsel
wurde, offenbar in Nachahmung ländlicher Sitte, am 13. Februar
(Id. Febr.) ein Opfer begangen. Ehie Volkssage erzählte, daß
aus einem vom Dickicht mächtiger Steineichen umschatteten Quelle
am Fuße des Aventin Picus und Faunus zu trinken pflegten.
Numa, der von ihnen das Geheinmiß herauslocken will, den Blitz
zu sühnen, steUt mehrere müchthjey mit Wein gef Hilfe Beelier hin
und wartet mit swiilf erlesenen Jünglingen in naher Höhle tvr-
stecMy his die beiden Waldgöttcr den dußigcn Dank gefunden
und versucht haben und davon bcraiiseht ins Gras gesunken sind.
Schnell legt man ihnen Fesseln an uud nötigt so die Erwachten,
die Zauberformel mitzuteilen, durch welche Juj)iter vom Himmel
1) Horat. Od. III, 18,
118 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
bcrabgelockt wird ^ den Numa dann darch seine Schlauheit dahin
bringt, das Menschenopfer aufzugeben. Diese Gestalt der Sage
(bei Amobius V, 1, 7. üvid. Fast. III, 285. 344. Platarch Nuni.
15) stammt aus dem zweiten Buche der Annalen des Valerius Äntias,
eines Zeitgenossen des Sulla, der wahrscheinlich wieder ansCal-
pumius Piso Frugi, einem Historiker der gracchischen Zeit,
schupfte. ^ Selbst die aufklärerische Richtung dieses Autors hat
die schlichte Ehifalt der weit älteren zur Erklärung der Fnlgnri-
talgebräuche aus echtem mythischen Material geformten Sage
nicht vernichtet Plutarch verwebt in seine Darstellung noch eine
zweite unabhängige, aber sichtlich volkstümliche Version der
Sage aus unbekannter Quelle, wonach Numa den Waldbronnen
selbst mit Wein mischte und von den gefangenen Dämonen an-
mittelbar das Geheimniß der BlitzsUhnung erfuhr. Fassen wir
rückblickend die erläuterten Züge zusammen, so stellen sich uns
die Faune als Waldgcister dar in teilweiser Tier- (Geiß-) Gestalt
(cf. Bk. 146); die Stimmen des Waldes, zumal die Windhauche,
sind ihre Lebensäußerung (cf. Bk. 127 flF. 139. 143 ff. 149); sie
behüten und bringen zu Gedeihen die im Walde weidende Heerde
(cf. Bk. 96ff. 111), sie ftirdern aber auch das Wachstum der
Kulturtrucht auf den Acckern (cf. Bk. 148 ff.). Sie sind lüstern,
stellen den Frauen nach (cf. Bk. 152 ff.), und gehen in den nächt-
lich drückenden Alp über.
§. 2. Silvaiius und Silvaiie. Noch entschiedener als die
Faunen characterisicren sich schon dem Namen nach Silvanus und
die Silvane als Waldgeister. Zwar die Quellen, aus denen wir
diese Wesen kennen lernen, sind ebenso wie bei den Faunen
großenteils sehr jungen Datums, Dichtungen und Inschriilen der
römischen Kaiserzeit. Es ist somit wol begreiiiich, daß mehri'aeh
nicht die ursprünglichen, sondern durch historische Verhältnisse
modifizierte Formen der Ueberlieferung in den auf sie bezüglichen
Kultusgcbräuchen und Sagen uns entgegentreten, doch hat uns
die Gunst des Schicksals auch einige Stücke autl>ehalten, welche
uns den älteren Zustand deutlich erkennen lassen. Vergil (Aen.
Vlll, 601) nennt Silvanus einen Gott des Viehs und der Aecker
(arvorum et pecoris deus) und sagt, schon die ältesten Einwoh-
ner v(m Latiuni hätten ihm einen heiligen Ilain luid einen Fest-
1) Cf. Si<balcl de Val. Aiit. p. 20. Potor dio Qu«dleii Plutanrhs S. 1»*»7.
Silvanus und Silvane. 119
tag (lacnm et dicm) geweiht. Erläutert wird diese Nachrieht
durch ein altes Opferritiial , welches Cato (R. K. c. 83) auf-
bewahrt „Das Gelübde für die Rinder , daß sie wohl seien,
sollst du also tun. Dem Mars Silvanus sollst du in einem W(dde
unter Tags für jedes Stück Kind p^loben drei Pfund Dinkel und
vier Pfund Speck und vier Pfund von den Knochen gelöstes
Fleisch und drei NOsel Wein. Das kannst du in ein Gefäß tun
und den Wein kannst du gleichfalls in ein Gefäß tun. Das Opfer
kann ein Sklave oder ein Freier verrichten, das ist einerlei.
Wenn das Opfer verrichtet ist, soll er (den Anteil) gleich eben-
daselbst verzehren. Ein Weib darf bei diesem Opfer nicht zuge-
gen sein und nicht zusehen, wie es geschieht. Dies Gelübde
kannst du, so du willst, alljährlich wiederholen."* Man identi-
fizierte also Silvanus mit Mars als agrarischem Gotte oder hielt
ihn seinen Wirkungen nach für nah verwandt mit diesem, den
der Römer zur Zeit der Saatblüte, die Opfertiere um das (tc-
treidefeld herumttihrcnd, um das Wachstum und Gedeihen (gran-
dire et evenire sinas) der Gewächse , sowohl des Getreides und
der sonstigen Früchte, als auch der Weinstöcke und Gesträuche,
zugleich aber um die Gesundheit der Heerden und Hirten, und
das Wolsein der eignen Person, Familie und Hausgenossenschaft
anrief. * Ganz die nämliche Verbindung von Pflanzen , Menschen
und Tieren tritt in deutschen (Gebräuchen hervor, z. B. bei dem
sogenannten Schlag mit der Lebensrute (Bk, 269 — 278\ bei den
Frühlings- und Sommerfeuern (Bk. 521), und bei Maibaum und
Emtemai; auch in den nmiischen und griechischen Begehungen
der Luperealien, Palilien und Thargelien begegnet — wie
wir sehen werden — dieselbe Erscheinung. Jn allen diesen Ce-
remonien handelt es sich um den Parallelisnms des Wachstums
bei Menschen, Tieren und Pflanzen und um Uebertragung der
li Votum pro bubus, nt valeant, sie facito. Marti Silvano in
Silva interdius, in cajiita singula boum votuni facito t'arris adorei libras III
et lardi p. IV s. et pulpae p. IV s. vini sextarios tres. Id in unum vas liceto
conjicero, et viiunn itrm in unuin vas liecto eonjicere. Eain rem divinaui vel
servus, vel liber liccbit fa^-iat. Ubi r«s ilivina facta orit, statim ibidem
(V)nsurait<>. iMulier ad eam r<'m diviiiam no adsit, nove videat, quo
modo fiat. llnc votuiii in ann«t.s slngubK, si voles, licebit vovere. Cato R.
R. LXXXIll.
2, Cato R. R. CXLI.
1:^) Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage 11.
Vegetationskräfte auf Wesen mit willkürlicher Bewegung. Es
ergiebt sieh aus diesen Analogien, daß Silvanus nicht allein des-
halb Hirtenstelle bei den Weidetieren vertrat,^ und dem 2ialme
des Wolfes wehrte, ^ weil auch der Italer ursprünglich sein Vieh
auf Waldlichtungen grasen ließ,^ wie er denn auch gleich ande-
ren Waldgeistern (Bk. 117. 131. 141) das Wild des Waldes als
Herr befehligt und dem Jäger Jagdglück verleiht oder versagt;*
sondern es muß in seinem Wesen gelegen haben, Wachstunis-
kräfte zu verleihen. Aus diesem Grunde wurde er in dankbarer
Gesinnung bei Erntefesten nächst Tellus als derjenige, welcher
dem Korne Gedeihen verlieh, mit einem Opfer bedacht, indem
man ihm Milch darbrachte/ die man unzweifelhaft über die Wur-
zeln des ihm heiligen Baumes oder Haines ausgoß (cf. BL 11).
Wie die Holzfräulcin in Franken, denen die Erstlinge der Früchte
geopfert werden (Bk. 77 flf.), Yegetationsgcnien des Waldes, Per-
sonificationen von Bäumen oder Baumcomplexen sind (Bk. 75 ff.),
werden auch Silvanus imd die Silvane von diesem Begriffe aus-
gegangen und in einzelnen hervorragenden Baumexemplaren oder
1) „Magno deus, Silvane potcns sanctissime pastor'* Hcntzen Inscr.
Lat. n. 5751.
2) Luporum exactor heißt er in einem Fragment des Lucilins (No-
nius Marc. p. 110, Cf. Dcmster zu ßosini antiqq. Rom. p. 184). So ruft auch
die finnische Hauswirtin in ihren langen Gebeten bei Enthassung der Heerde
den (^nüt grünem Pelz aus Baummooa und hohem Hut aus Fölireunadeln be-
kleideten) Waldgott Kuippana oder Tapio an, er möge seinen Hunden, den
Wi'lCen, Eicheln und Schwämme in die Naslöcher stecken, damit sie nicht
nach der Heerde schnui>pern, er möge ihnen Ohren und Augen verstopfen
und verbinden , oder noch besser si«; fern von den Weideplätzen mit goldge-
schmiu'kter Fessel in Waldeshöhlen festbinden. Kalewala R. XXXII, 4U3 ff.
Schiefner.
3) Saltuni Gallus Aelius I. II significationum . . . ita definit. Saltus
est ubi silvae et i>astiones sunt. Fest. p. 302. Cf. Röscher Apollon und
Mars S. 67.
4) Vgl. die Weihinschrift eines Jagdfreundes, des Praefectcn Ctetius
Veturius Micianus zu Stanhope in Britannien: Silvano invieto Sjicrum ob
aprum eximiae formae capturn, quem multi antecessores ejus praedari nou po-
tuerunt. Donati I, \>. 40, 4. Orelli n. 1(303.
5) Hör. K]nst. II. 140 fT.:
Condita post frumenta, levantes tempore festo
Corpus et ipsum animuni spe ünis dura ferentem.
Cum soi'iis operum ]>uoris et conjuge lida,
Tellun-m porco , Silvunum lacte piabant.
Silvanas und Silvane. 121
Banmgrnppen verkörpert gedacht sein. Deswegen liebte man
es bis in späte Zeit, das Bild des Gottes unter einem Banme
aufzustellen oder ans einem solchen hervorwachsen zu lassen. ^
Vermutlich hatte jedes Grundstück in alter Zeit hinter dem Hofe
oder auf der Grenze einen solchen Baum oder Hain, der den
Silyan vorstellte, oder ihm geweiht war und vermöge jenes o.
S. 23 ff. beobachteten Glaubens an einen Parallclismus des Baum-
nnd Menschenlebens als alter ego, Lebens- und Schicksalsbaum
der auf dem Grundstück wohnenden Familie und ihrer Haustiere
galt (vgl. Bk. 51 und den Hain des Mahjas kungs Bk. 52). Mit
der Zeit wurde dieser eine Silvanus nach den (nur scheinbar)
verschiedenen Seiten seiner Wirksamkeit in drei differenziert.
Wir erfahren nämlich aus einer Stelle in den Schriften über die
Feldraine, daß jede Besitzung (possessio) drei verachiedene Sil-
vane hatte, den Haussilvan (S. domesticus), der flir Haus und
Hof Sorge trug, den Fhirsilran (S. agrestis), dem der Schutz
der Heerden und Hirten befohlen war, und den Grenzsüvan (S.
Orientalis), dem auf der Zusammengrenzung zweier oder mehre-
rer Grundstücke, deren Marken von dort ausgingen (oriebautur),
ein ganzer Hain geweiht zu werden pflegte. Man hat sich vor-
zustellen, daß drei Standbilder des Gottes nebst dem betreffenden
Baume, das eine beim Hause, das andere auf der Flur, das dritte
auf der (irenze zu sehen waren. Diese Angabe der Feldmesser
wird durch die Inschriften vielfach bestätigt und ergänzt. Die-
1) Ein Simulacrnm Silvani stand z. B. unter einem Feigenbaum beim
Saturnustempel auf dem Capitol; als der Baum durch seine Ausbreitung das
Bildwerk umzustürzen drohte, entfernte man ihn nacli einem von den Vesta-
linnen, den Hüterinnen des lieiligen Staatsheerdes, gebrachten Opfer im J.
d. St. 260 (= 494 v. Chr.). So erzählt Plinius h. n. XV, 18, 20. Eine zu
Aixmc gefundene Inschrift (Orelli n. 1G13) redet den Gott an: Silvane sacra
semiduse fraxino. Vgl. das Bildwerk bei ^lillin Mythol. Gallerie , Berl. 1836,
Tab. CXVI n. 289. Silvan mit Tannzapfon gekränzt, einen großen Tannen-
ast in der einen, eine Sichel oder Gartenmesser in der andern Hand, Wein-
trauben und Baumfrüchto im Mantel tragend, steht neben einem Altar, bei
dem der Hund der Laren liegt, unter einem Tannenbaum, der mit einem
Kranze geschmückt ist. Bauern bringen ein Opfer. Cf. ähnliche Dar-
stellungen auf dem Marmor 28 der antiken Sculpturen des Berliner Museums
bei Bötticher Baumkultus der Hellenen Taf. II, Fig. 6 ; Clarac Mus. PI. 259,
Fig. 567. Bötticher a.a.O. Taf. VI, Fig. 16. 17; Moses Collection PL 52.
Bötticher a. a.O. , T. VI, F. 16; Gerhard ant. Bildw. T. 42. Bötticher a. a. 0.
T. X, F. 32.
122 Kapitel III. Die wüden Leute der antiken Sage U.
selben reden ebenfalls von dem Silvamis domesiicus (Or. n. 1601.
4960. Hentzen n. 5746), casanicus (Or. 1600), oder villicuSf und
zwar rufen sie ihn an als Erhalter (conservator. Hentzen n. 5742),
Behütcr (Custos), Heilgeber (Salutaris, Or. 1609), Wiederk&rskl'
ler der Gesundheit oder des Vermögens (restitutor, Hentzen 5750)
einzelner Personen' oder ganzer Familien,^ als deren Zugehörige
die Verwalter und Freigelassenen derselben sich mit einrechnen.*
Die Bewahrung auf Reisen und die glückliche ZurttcktUhmng zur
Heimat wird ebenfalls als Werk des Silvanus angesehen ^ (Bk. 48).
Die Bezeichnung Silvanus domesticus wechselt auch mit einem
vom Namen des Grundeigentümers oder des Gutes hergenomme-
nen Beiwort (Silvanus Staianus , Sinquas , Pegasianus , Caesarien-
sis, Caminensis u. dgl.). Den Silvanus agrestis erkennen wir
wieder in dem Silvanus lar agrestis einer römischen Inschrift;*
daß er Gras und Kräuter auf der Viehweide wachsen läßt, drückt
wol der Name Silvanus (h)erbarius^ aus. Den Silvanus orienta-
lis meint Horaz, wenn er Epod. U, 22 vom Silvanus tutor finium
redet, und der Divus Sylvanus portae Komanae zu Venafrum'
wird in dieselbe Kategorie gehören. Als in einem großen Teile
Italiens die Latifundien der römischen Großen den kleinen Gnmd-
1) Silvano custodi Papirii. Hentzen n. 5743. Silvano doraostico pro S.
T. (pro salute) T. Flavi Crescentis. Grell, n. lüOl.
2) Cf. Silvano Flaviornm. Hentzen n. 57-48. Numini domus Augustae
et san(cti Silvani) salutaris sacrura. Grell, n. 1;VJG.
3) Diese errichten Bild und Altar des Gottes öfter für das Gedeihen
ihrer Herrschaft. Hentzen n. 5751. Pro salute et inc^dumitate indnlgentia-
simorum dominorum Marcio Lib. proc. sacris eoruni judiciis gratns SilTano
Deo praesenti effigiem loci ornatum religionem instituit consecravitcjue libens
aniniü. Gr. liiOH. Haec ego quae fcci dominorum causa salutis et mea pr<»-
quo meis orans vitanKpie benignam offidumque gerens fautor tu dexter adesto.
Hentzen 5751.
4) Pro salute et reditu L. Turselli Maximi, L. Tursellius Restutus
L(ibertus) »Silvano Casanico vot. lib. solvit. Grell, n. liiUO: cf. n. 1012. 1587;
cf. das Bildwerk mit der üedication „Silvano D. D.**, worauf eine Herme
des Gottes unter der ihm heiligen Fiehte, daneben als Weihgeschenk , un-
zweifelhaft für die glüelfliehe Rückkehr von gefahrvoller Handelsreise, ein
Ballen Kaufinannswaare und ein Hermesstab dargestellt sind. Mose« Collect.
PI. 52. Böttieher l^aumkultus Taf. VF, 18.
5) Grelli u. W)\. Vgl. dazu Hentzens Bt»merkung.
(]) Hentzen n. 5747.
7) Hentzen n. 5745.
Silvanus nnd Silvane. 123
besitz verdrängten und Land nnd Stadt mit weitlänftigen Park-
und Gartenanlagen itillten, wurden die Bäume und Haine, Sta-
tuen nnd Kapellen des Silvanus in die neuen Gründungen mit
anigenommen und, indem sie im allgemeinen ihren alten Platz
hinter dem Hause oder auf der Grenze des (jfrundstücks behaup-
teten, den veränderten Zwecken und Verhältnissen angepaBt.
An die Stelle der einheimischen Waldbäume traten jetzt vielfach
die aus der Fremde entlehnten * (iartengewächse Pinie und Cy-
presse; Silvanus wurde nun neben Priapus zum Schützer der
Gärten.* Schon früher mag man ihn mit einer entwurzelten
Fichte oder einem anderen Waldbaum in der Hand sich vorge-
stellt haben, wie die griechischen Kentauren und deutschen wil-
den Männer, und aus gleichem Grunde. Denn daß auch die Ge-
räusch verursachenden Bewegungen und Windhauche im Walde
als Lebensäußerungen des Silvanus gefaßt wurden, geht aus dem
Umstände hervor, daß man plötzliche Laute ihm, wie dem Fau-
nus, zuschrieb.^ Üic als Waffe getragene, sturmentwurzelte
Fichte oder Taime wurde unter dem Einfluß der neuen Verhält-
nisse zu einem Bäumcheu umgedeutet, das der sorgsame Pfleger
der Gärten mit der Wurzel ausgehoben hat, um es an einen
geeigneteren Ort zu verpflanzen. * Eine andere Deutung , welche
aui'kam, um die Cypresse in der Hand des Gottes zu erklären,
ging dahin, Cyparissus sei der Liebling Silvans, ein schöner
Knabe, gewesen, welcher aus Gram über den Tod seiner zah-
men Hirschkuh starb und vom Gotte in den Baum gleiches Na-
mens verwandelt wurde, den derselbe, um sich zu trösten, stets
in der Hand trägt.-* Das ist aber nur eine Uebertnigung aus
li V^'I. V. Hehn Kulturi)tlanzen und Haustiere 1870, S. Ijr2 ff. 205 ff.
2) Vgl. Silvane sacra semicluse fraxino et liuju3 alti smume custos lior-
tuli. Orcli. n. 1G1J3: cf. If)!«). Hör. Kpod. 2, 21 ff.
3> Livius I, 7. o. S. 115 Anm. Cf. Valer. Max. VIII, 5. Ingens re-
pente vox proxima silva .\sia, quao oro Silvani in hiinc poue inodum
ernis8a traditiir: uno plns Hetru.sci cadent, Romaniis exen-itus victor abibit.
Martial nentit »Silvanus tonans viai dem donncrlauton Hall seiner Stimme
im "Walde X, 1)2, 5: Seniidocta villi<-i mann structas tonanti.s aras borri-
dique Silvani.
4) Vorg. (ioorg. f, 20: Et ton»Tam ab radico fon»ns Sylvane cupressum.
Servius Comni. 1. 1. Quidam Sylvanum prinium instituisso plantationes di-
cunt. Cf. das Weintrauben und Obst tragende Bild des Silvan o. S. 121 Anm.
5) S«Tviiis zu Verg. (Joorg. I, 20.
124 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage IL
der älteren griechischen Sage, welche ApoUon an Stelle des Sil-
vanos nennt. ^ Und weil die Cypresse den Alten auch ein Sym-
bol der Trauer war und vor dem Sterbehause aufgepflanzt wurde,*
so wurde der Cypressenbaumträger Silvanus zum Schutzgott ron
Sterbeladen, Verbindungen, die unter dem Namen collegia oder
sodalitia dendrophororum zum Zwecke gegenseitiger Unterstützung
bei Begräbnissen zusammengetreten.
Man glaubte, daß die Silvane die Wöchnerin belästigten und
Kinder raubten (vgl. Bk. 153), ohne Zweifel, um sie zu sich in
den Wald zu tragen , wie unsere Eiben, wilden Weiber (Bk. 108).
Mulieri fetae post partum tres deos custodes commemorat adhi-
beri (Varro), ne Silvanus deus per noctem ingrediatur et vexd;
eorumque custodum significandorum caassa tres homines noctn
circumire limina domus et primo limen secuii ferire , postea pilo,
tertio deverrere scopis, ut bis datis culturae signis deus Silvanus
prohibeatur intrare, quod neque arbores caeduntur ac putantur
sine ferro, neque far conficitur sine pilo, neque fruges coacer-
vantur sine scopis; ab bis autem tribus rebus tres nuncupatos
deos, Intercidonam a securis intercisione , Pilumnum a pilo, De-
vcrram a scopis, quibus diis custodibus contra vim dei Silvani
feta conservaretur. Es muß einer späteren Gelegenheit aufbehal-
ten bleiben, diesen Glauben und Brauch zu deuten; nur so viel
dürfte ohne weiteres klar sein, daß Varros Auflassung an meh-
reren Unrichtigkeiten leidet. Intercidona und Deverra und in
diesem Zusammenhange auch Pilumnus sind lediglich Personifica-
tionen, Schutzgottheiten, der von den drei Männern als Averrun-
cation geübten Tätigkeiten des Durchhauens der Schwelle, des
Schiagens mit idcr Mörserkeule und des Ausfegens, welche die
Averrunzierenden in einer einzelnen Verrichtung dramatisch nach-
bildeten, nicht Götter von selbständiger und umfassenderer Bedeu-
tung. Das Durchhauen der Schwelle soll dem Silvan unmöglich
machen, darüber hineinzukommen, das Ausfegen den etwa schon
ins Haus gedrungenen bösen Zauber hinausschaffen. (Cf. die zahl-
reichen ähnlichen Indigitalgötter. Preller Köm. Mytlf. 572 bis
1) Servius zu Verg. Aen. III, G4. 680. Ovid. Metamorph. X, 106—142.
Cf. riiilostrat. Vit. Apoll. I. 16. Vgl. die Sago von Daphne o. S. 20.
2) Servius zu Verg. Aen. II, 714. Plin. Hist. nat. 16, 60. Festusp.öS.
Bötticher Baumkultus S. 488.
Silvanus und Silvane. 125
596). Jedenfalls liegt also der Gegensatz des wilden Waldes, in
den Silvanns die Neugcbornen zurückzuholen sucht, und der davon
befreienden Tätigkeit des die Kulturfrucht erbauenden Landmanns
mindestens nicht in der Weise in den von Yarro beschriebenen Hand-
langen ausgedrückt, wie er meint. * Höchstens könnte die
Androhung, den Öilvan mit dem Komquetscher zu zerstoßen,
auf eine Vermischung des ersteren mit Korndämonen (vgl.
die Holzfräulein und den Waldmann, Bk. 77. 410) hindeuten.
— Wie die Kentiiuren langhaarig, die wilden Leute der
deutschen, die Ljcschie der russischen Sage mit rauhem
Haarwuchs, wird auch »Silvau als zottig (horridus) gedacht,
1) Varro bei Augiistin ('iv. 1>. VI, 9. Nur eine andere Form desselben
Gebrancbes ist es, wenn man. so lange bis das Kind vom Boden erhoben, f&r le-
bensfähig erklärt, vom Vater anerkannt war, im Hause dem Pilumnus und Picum-
nus ein Lectistemium bereitete , als einen Sitz , worauf ruhend sie den Silvan
vom Säugling abwehren sollten. Varro de vit. jmp. Rom. 1. Cap. Non. s. v.
Pilumnus: Xatu« si erat vitalis ac sublatus ab obstetrioe statuebatur in
terra, nt auspicaretur rectus esse, diis conjugalibus Pilumno et Picumno in
aedibus lectus steruebatur. Sorv. ad Verg. Aen. X, 76. Varro Pilumnnm
et Hcumuum deos esse ait «isque pro puerpera lectum in atrio sterni, dum
oxploretur an vitalis sit qui natus est. So brennt in deutschen
Bauernhäusern ein Licht neben der Wiege, bis das Kind getauft ist,
damit die Unterirdischen, Zwerge, die Roggenmuhme u. s. w. es nicht ab-
tauschen. Ganz dasselbe geschah bei den Römern, und dieser Handlung
stand eine Göttin Candelifera vor. Pilumnus, d.h. der mit der Mörser-
keule Versehene oder der Keulenschwiiiger (vgl. Zeyß Zs. f. vgl. Spr. XVU,
419. 420) ist uns auch noch sonst bezeugt als eine von den Bäckern verelirto
Gottheit, eben die Persouifieation des Komquetschens zum Brotbacken. Ser-
vius ad. V. A. IX, 4. (Invenit usum Pilumnus pinseudi frumentum, undo et
a pistoribus colitur. ) Ihas Zusammenauftreten mit ihm, wie die sprach-
liche Form machen gewiß, daß wir auch in Picumnus nichts anderes als
eine analoge Personification einer averrunzicrenden Tätigkeit zu suchen liaben,
zu deren Verständiiin uns jedoch mit dem Etymon , wovou es abgeleitet ist,
das Material verloren gegangen ist. Denn in Wahrheit erfahren wir aus der
römischen Literatur außerdem keinen echten Zug über den lediglich den Göt-
tern der Indigitamenta angehörenden Gott Picumnus. Nur eine falsche Ety-
mologie hat die römisclien Antiquare schon vor Varro verleitet , ihn mit Pi-
cus zu identifizieren , und dessen Beinamen Sterquilinus auf ihn (Serv. a. V.
A. IX. 4), ja auf Pilumnus (Serv. a. Aen. X, TO) zu iibertragen. Das Ver-
hältniß ist noch durchsichtig selbst in der Notiz des Nonius Marc^llus s. v.
Picumnus: Picumnus est avis Marti dicata, quam picum vel picam vocant
(die falsche Combination) et deus qui sacris Romauis \\tl dem angeführten
Brauch) adbibetur.
120 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
ein rechtes Abbild des Waldes. ^ Wie bald von einem FaiinaSy
bald von einer Gesellschaft der Faanen die Rede ist, sprach man
auch von vielen Süvatuni, * sowie von weiblichen Waldgeistem,
Sümnae (Orell. 2103), Salevae (Or. 2101. 2099), Saleviae Or.
2100), welche zuweilen Feldnymphen, Campcstres (Or. 2101.
2102) oder Nymphen der Kreuzwege^ Quadriviae, Quadribae
(Or. 2103) gesellt sind.
§. 3. Faune und Silvanc Im romanischen Yolksglauben.
Als ein noch heute lebender Nachklang dieser antiken Elemen-
targeister müssen die wilden Leute, gcntc salvaticay in Nordita-
lien bezeichnet werden. Um Mantua werden sie beschrieben als
Geister, luüb Mensch, halb Tier, mit einem Schwänze hinten,
welche die Menschen mit sich forttragen und auftressen (Bk. 113);
schon im frühen Mittelalter werden femniae agrcstes, quas Silva-
ticas vocant^ genannt, welche Liebschaften mit sterblichen Män-
nern suchen (Bk. 113). In Wälsch- Tirol heißt der wilde Mann
Vom Salvadegh, d. i. homo silvaticus oder Salvang, d. i. Silvanus,
Salvanel oder Salband, d. i. Silvanellus. Die Form Salband
hat bereits in einer antiken Inschrift „Silbano sacrum" (Marini
atti II, 3G7. Or. 1617) ein Vorbild. Der Salvanel inValsugana
läßt Leute , die in seine Fußtapfen geraten , im Wald in die Irre
gehen. Er raubt wie Silvanus (o. S. 124) kleine Kindery besonders
Mädchen, nährt sie in seiner Höhle und behält sie mit ungemeiner
Liebe bei sich. Er stiehlt gern den Hirten die Milch. Einst
setzte der Bestohlene ihm zwei mit Wein gefüllte Milchgefdße
hin; er trank, wurde berauscht, gefangen und gebunden, lehrte
den Hirten gegen seine Freilassung Käse machen und rief im
Verschwinden: „hättest du mich noch ein wenig festgehalten, so
hätte ich dich gelehrt aus Milchabguß Wachs zu machen.^'*
Diese möglichst genau mit der altrömischcn Sage von Picus und
1) Horridi duineta Silvani Hör. Od. III, 29, 22 silva dumis horrida,
Hör. Vgl. Martial X, 92, 5; o. S. 39. 41 und die Bildwerke.
2) Calybe Silvanis v. s. 1. di. Marin, atti delli fr. Arv. II, j». 543.
Orclli n. IGIG. Quin et 8ilvaiios Faun(>sque et deorum genora silvis ac
sua Dumina tanquam et caclo attributa crcdinms. Plin. H. n. XJI, 1. 2.
3) Bk. 113. 0. Schneller Märchen und Sagen aus Wälsch -Tirol. Inns-
bruck 18G7, S. 214 ff. Vgl. L v. Hürmann Mytbol. Beiträge a. WäUch- Tirol.
Innsbr. 1870, S. 3.
SilvanoB u. SUvane im romauisciiun Volksglauben. Pan u. Pane.. 127
Fannns übcreiustimmende Sage erweist die Identität der geilte
BilTatica, der Salvanelli n. t». w. mit deu antiken Faunen und
SOyaDen. Auch als Baumeiiivvohner zeigt »ich noch der Salvanel,
mBofem man im Etschlande von krankhaften Stellen am Baume
sagt, derselbe habe deu Salvanel. Und wenn um Mantua eine
menschlieh gestaltete Puppe im Saatfeld „Salha^iello^^ heißt, so
ist das genau der Silvanus agrestis, o. S 121. Auch sonst fin-
den sieh nämlich Spuren, daß die Popanze oder Vogelscheuchen
im Saatacker ursprünglich nicht sowol aus nüchtern praktischen
Zwecken hervorgegangene Schreckmittel für die Vögel gewesen
sind, sondern daß sie Darstellungen des Vegetation sdämons wa-
ren, der m iiositiver und negativer Richtung zugleich wirksam
Ungeziefer vertreibt und Wachstum fördert. So wird in Königs-
wartha Kr. Bautzen die den Komgeist darstellende beim Ausdrusch
der letzten Koggengarbe aus einem mit Stroh umwundenen Holz-
kreuz gefertigte Menschenfigur, der Alte oder Stary, bis zum
Frühjahr verwahrt und dann mit Rock und Hut bekleidet und
mit einem Besen in der Hand ins Krautfeld gesteckt. — In Fassa
stellte man sich die Salvegn (Flur. v. Salvangj, welche gern Kin-
der abtauschten, von Ansehen wie große Aflfen vor, stark, haarig
und mit langen Nägeln an den behaarten Fingern. ^ Die wilden
Weiber heiüen m Wälsch- Tirol Bregosüine, Enguane oder Delle
Vivane. Ein Mann von Muzin hatte eine solche gefangen und
sie willigte ehi, sein Weib zu werden, wenn er sie nie Geiß
nennen wolle. Sie gebar ihm Kinder und unter ihren Händen
mehrte sich der Wohlstand des Hauses, bis nach 5 Jahren der
Gatte sie bei einem Wortwechsel Geiß schalt. Da entstand im
Zimmer ein Staubwirbel , in dem sie verschwand. ^ Oflenbar
glaubte man, daß diese Wesen, wenn sie in ihrer wahren Gestalt
sichtbar würden, die Gestalt einer Geiß zeigten, oder daß sie
sich zeitweilig in eine solche zu wandeln vermöchten. Vermut-
lich leben die Faune und Silvane auch in der lebendigen Volks-
überlieferung Mittel- und Süditalicns fort, doch ist es mir noch
nicht gelungen, darüber Auskunft zu erhalten.
§. 4. Paii und Paue. Unzweifelhaft richtig war die bereits
von den Alten gemachte Annahme, daß der griechische Pan und
1) L. V. HörniaDn a. a. 0.
2) Hörmann a. a. 0. S. 8.
128 Kapitel IIL Die wilden Leute der antiken Sage II.
die Pane den Silvanen und Faunen der Hauptsache nach iden-
tisch seien. „Wir haben," sagt darüber Welcher^ treffend, „in
Pan bei den jüngsten Nachrichten, da Homer und Hesiod ihn
nicht einmal kennen, einen der ältesten Götter auf altgriechi-
schem Boden, zum Teil die einfachsten Anschauungen der älte-
sten Zeit, zum Teil armselige Volksvorstellungen." Seine frü-
heste Erwähnung in einem dem Epimenides (um 600 v. Chr.) zu-
geschriebenen Verse lehrt ihn uns als eine locale, aber schon
auswärts bekannt gewordene Mythengestalt der Arkader kennen.
Pan und Arkas werden als Brüder bezeichnet. ^ Auch Simonides
(490 V. Chr.), Pmdar (490 v. Chr.), Pausanias, Dionysios nennen
ihn Arkader, Arkadiens Herscher, der Arkader ältesten und
geehrtesten Gott. Erst nach der Schlacht bei Marathon ist der
Kult des Pan nach Athen verpflanzt* und von hier aus wurde
der Gott in Griechenland allbekannt, mit mehreren der nationa-
len Götter in Verbindung gesetzt und auf verschiedene Weise
in die genealogischen Systeme eingereiht.^ Nach Böotien scheint
ihn Pindar gebracht zu haben, der ihn schon der phrygischen
Göttermutter zugesellt. In den dionysischen ^hiasos aufgenom-
men ward er und sein Geschlecht ein beliebter Gegenstand der
Kunst. Aus diesen späteren Quellen muß auf sein ursprüngliches
Wesen zurückgeschlossen werden. Am reinsten und altertümlich-
sten zeigt dasselbe nocli der sogenannte homerische Hymnus auf
Pan. Zwar ist diese Dichtung, welche uns Pan ebenfalls schon
als Maskenfigur in den dionysischen Festtänzen kennzeichnet, nur
die mit Geist und Feinheit freiertündene humoristische Nachah-
mung älterer, zu heiligem Gebrauche bestimmter, die Geburts-
1) Gütterlehro I, 452.
2) Schol. Tlieocr. I, 3. Schol. Rhes. 36. Wcleker a, a. 0. 4.^3.
3) Herod. II, 145. Voss. myth. 15r. I, 13.
4) S. dieselben bei Jacobi Handwörterbuch d. gr. u. röin. Mytb. II,
694 Anm. *. Unter diesen Genealogien berulit diejenige, welche Pan zum
Sohne der Pcnelupe, sei es mit Hermes (Herod. II, 145. Schol. Theoer. I,
123. Verg. Aon. II, 43). mit Odyssens (Serv. Verg. Georg. 1, 16. Schol. Theoer.
a. a. 0.) oder mit allen (jfdvTior) Freiern i^Duris. Schol. Lyk. 772. Schol. Theoer. I,
3) machte, nach Meinekes treffender Bemerkung (Anal. Alex. p. 159) lediglich
auf etymologischer Spielerei mit dem Gleicliklang der Namen. Man sirlit,
wie fernab von jeder Wahrheit die Deutung von W. Schwartz (Sonne, Mond
und Stern, 70 — 71) liegt, Pan sei ein Numen des gehörnten Blitzes, den
Penelope, die spinnende S(>nnengüttin , gebäre.
Fan und Pane. 129
legende irgend einer Gottheit mit religiösem Ernste verherr-
lichender Rhapsodien. ^ Der Dichter kannte aber noch den
Volksglauben von Pan und benutzte den Contrast desselben mit
der höher entwickelten Vorstellung von den Olympiern zur Ko-
mik. Uns gehen nur die Spuren der volkstümlichen Ueberliefe-
rnng in dem Mythus an. Pan war danach zunächst und eigent-
lich Waldgeist oder Baumgott, wie ihn denn ein von Macrobius
aus unbekannter Quelle ausgehobenes griechisches Zeugniß
geradezu %hv jfjg vkr^g xvgiov nennt.* Deshalb macht ihn der
Dichter zum Enkel eines Dryops, wie denn auch ein Fichten-
kranz auf dem Kopf oder ein Fichtenzweig in der Hand zu
seinen Attributen in der künstlerischen Darstellung gehört; und
eine ihm geheiligte Eiche oder Fichte pflegt neben seinem Hei-
ligtum zu stehen. •* Auf baumbewachsenen Wiesen (ava Ttiatj
dtvögr^evra) treibt er sich mit tanzliebenden Nymphen um, er
wandelt hin und her durchs dichte Gebüsch (q>oiT(( l'v&a xat
iv&a dia ^(onrjia Ttvxvd). Doch geht er bereits über in das Nu-
men der Bergwildniß überhaupt; alle beschneite Höhen, Bergfir-
sten und Felsenpfade gehören ihm und eine Berghöhle ist seme
Wohnung, weshalb ihm später als Kultstätten in Marathon,
Athen, Delphi u. s. w. Grotten eingerichtet wurden. Als Waldgeist
ist er Gebieter und Jäger des Wildes * und zugleich Schützer und
1) Vgl. Welcker Gr. Gött^rl. II, (ittO.
2) Haue (leum (PaDa) Arcades colunt appellantos roj' r^g Vlfjs xvqiov.
Macrob. Saturn. I, 22.
3) /U(t{im'Ti St T(n> r«(}(iTf}v x(t) n QogfXth'n*j i ajtu^iovg iS^xtt Iluvog iariv
Iftmy, X(u noog uiTtp Sqi\ hoa xn) aiii] tov fltti'og. Pausan. VIII, 54, 3.
Pans unter einer Pinie stehendes Bil<l, dem ein mit Fichtenlaub bekränzter
Hock, Kränze und Trauben geopfert werden. Longiis II, 24. 31. Vgl. die
Panshenne unter einem Baume. Gerhard antike IJildw. , T. 48. Bötticher
Baamkultus S. 148.
4) ItiyQtvg' o ffäv nuou yiihirai'utg, tbg l47tokl6JM(tog. Hesych. s. v. —
Wenn keine .Jagdbeute da war, peitschten die Arkadier sein Bild. Theoer.
7. 107. Wie die seligen Fräulein und andere wilde Weiber das Wild, welches
sie nicht dem Jäger ]»reisgcben wollen , vor dem Gesciiosse desselben in ihren
Grotten bergen (Bk. S. 10(). 131 — 132), so erzählt Aelian, in Arkadien gebe
es auf dem Gijjfol des Lykaion einen dem Pan heiligen Ort, .4vXtj (Hof» ge-
heil.en. Alle Tiere, welche dahin gleichsam hilfeflehend fliehen, nimmt der
Gott auf und schützt ihr Leben. Denn die verfolgenden Wölfe wagen es
Mannhardt. IL 9
130 Kapitel III. Die wilden Leate der antiken Sage 11.
Mehrer des auf den Waldwiesen weidenden Viehes, wo Krokos
und Hyazinten duften. Besonders die letztere Eigenschaft wird
an ihm hervorgehoben. Der Hymnus nennt ihn vo^iog ^eog;
Pindar heißt ihn Genossen der Böcklein (Fragm. 18), Piaton
(Krat. p. 280'') Ziegenhirt; von des Daphnis sorgfältig gepflegter
Heerde, der der junge Hirt die Homer salbt und die. Haare
kämmt, äußert Longus, man hätte meinen können, eine heilige
Heerde des Pan zu sehen. ^ Das bocksflißige und gehörnte Bild
des Pan unter der Pinie hat in der einen Hand eine Syrinx, in
der andern einen springenden Bock. ^ Auch die Heerden von
Menschen stehen zuweilen unter der Pflege Paus. Als Feinde
die Schafe und Ziegen des Daphnis weggetrieben , erscheint der
Gott dem Feldherrn im Traum und schilt ihn, daß er Tiere, die
unter seiner Obhut seien, geraubt habe. ^ Auch der Bienenstöcke
nimmt Pan sich an, die der Hirt im Walde aushebt ^^ und Milch
und Honig bringt man ihm als Opfer dar (vgl. o. S. 38).
Abends spielt §r die Syrinx, seine Erfindung;* kein Vogel über-
trifft ihn, der im Frühling in den Zweigen hüpfend süßen Klage-
gesang flötet. Mit dem Pan singen und tanzen die lautsingenden
Nymphen und um den Berggipfel tönt der Widerhall. Wer er-
kennte nicht in dieser Schilderung den vergeistigten Keflex der
nämlichen Naturerscheinung, welche ein feiner Naturbeobachter,
Berthold Sigismund, im Thüringer Walde folgendermaßen ver-
nahm? „Abends nach Sonnenuntergang sang der Wald seui
Abendlied, schöner als je. Die Vögel waren verstummt, kein
Lüftchen regte sich. Da ließ sich von fem ein leises Murmeln
hören, wie ein ernster Männerchor. Die tiefen Töne wogten in
schwankenden Accorden auf und nieder, wie wenn eine Windharfe
rauscht, endlich schwollen sie zum Brausen einer vollen Orgel
an. Es tönte tvie ein ernster feierlicher Gesang y gleich als wolle
nicht das Asyl za betreten. Aelian Hist. anim. XI, 7. Pan nährt das Wild
anf den schneewipfeligen Bergen; daher nennt ihn ein Lied des KastorioD
O-rjQovöfxot;.
1) Hirtengesch. IV, 4.
2) Ebendas. U, 24.
3) Ebendas. II, 27.
4) Anthol. Pal. IX, 226. Welcker Götterl. ü, 662. Theokr. 5, 53.
5) Pausan. X, 32, 5. Welcker a. a. 0. II, 664.
Pan und Pane. 131
der Wald das tiefe Geheimniß aussprechen^ das in allem Leben-
den und Wachsenden verschleiert liegt." ^ Wenn nach einem
platonischen Epigramm Pan mit seiner Syrinx die Baumnymphen
(Hamadryaden) und Quellnymphen (Hydriaden) zum Tanzen
bringt, wenn er die Pitys, die personifizierte Fichte, geliebt
haben soll, * so ist deutlich zu erkennen, wie man im Sausen des
Wmdes , der die Bäume tanzen macht , seine Gegenwart spürte. ^
Dann buhlt er , gleich Faunus , um die Dryaden , woher er auch,
gleich sonstigen Waldgeistem, als Ulstern, geil, befruchtend, xrikaip
(Kratinos), ^rolva/ioQog, 7idvayioQog, geschildert wurde; Heraklit
braucht navtveiv ywaiyLag im Sinne von beschlafen. Auch jene
plötzlichen, oft erschreckenden Töne und Widerhalle des Waldes
(o. S. 114) schrieb man Pan zu,^ und plötzlicher Schrecken hieß
daher ein panischer. * Sein Zorn bewirkt Irrsinn ^ (vgl. o. S. 36).
Die Gestalt, in welcher die städtischen Künstler Pan aus
dem Volksglauben der Bauern überkamen, war nach Herodot II, 46
die eines Menschen mit Bocksbeinen und Bocksgesicht, d. h. er trug
Bocksschenkel und Geißfüße, sowie zwei Homer auf dem Kopf und
1) B. Auerbachs Volkskal. 1860. S. 129.
2) Longus II, 39 iiodai^ri uhv IHrvog, i)oua*^i} J^ 2ivQiy'yos, naviTKi J^
ovJiTimf ^Iqvugiv Iro/kuir x(c\ ^K:i i ui]).iai rvutftcig TtuQtj^ttn' Tioiiy-
uKjtt. Aristides I, 249. Jebb sagt: bei den Dichtern hallen die Pane und
Sat}Tn auf den Bergen und um die Bäume sich ergötzend in der Sommer-
zeit als die musikalischsten der (f Otter.
3) Vgl. M. Müller Essays II, 142: „Gab es irgendwo in Hellas eine
mit Fichten bedeckte Seeküste , wie die Küste von Dorset, so mochte wol ein
griechischer Dichter, der ein Ohr hatte für das weiche klagende Gespräcli
des Windes und der zitternden Fichten und ein Auge für die Verwüstung,
die ein wilder Nordwind anrichtete, seinen Kindern von den Wundern des
Waldes erzählen und von der armen Pitys, der Fichte, um die Pan, der
sanfte Windhauch, wirbt und die vom eifersüchtigen Borcas, dem Nordwinde,
niedergestreckt wird." Vgl. auch Welckcr G. L. II, 66G — 67.
4) Cf. ApoUod. bei Schol. Kur. Khes. 36: t« Um] kta «/ vunm xtc)
TrnvTn Tic vmtrjoa Tiur oodtr iariv ii/ioJy, nor/JkMV yiä jiavioiUtnm' ifuivm'
iv ToTg Öotai ytrou^vinr in 6 Tf xrrriym' y.iu coiwr t)ut-'oo)i' it x«l «;Wöw'
^oi dl fjLiur^Tixo) yh'orrai rot'rwr. öihiv nokXdxig iirtg itt iilv öiüuutu lür
fftovuvvTtav ovx <H'w*Tff, nhiiv 6t uoviiv rr^r n(tooji(nrovanr tfün'rjr tfual
riiivic öiv Kcig rvutftcig h' toig ih'TQoig itfr' uvlCjv xiii avoCyyuiV {fmviTv.
5) ITkv vofjiiOaiv ityuxhbg Ji« to ro^ioi', xtu xvvf}yoTg diu tö äy^iov.
TüTg Jf XoinoTg äxuTnaTna(ug xn) (^ot}vßovg ar/uufvfi. Artemidor. 11, 37.
6) Eurip. Med. 1162. Wclcker G. L. II, 669. Anm. iu.
9*
132 Kapitel III. Die wilden Leate der antiken Sage 11.
einen oft tierischen Gesichtsausdruck, ^ wie er auf vielen erhalte-
nen Denkmälern zu sehen ist. ^ Auch der homerische Hymnus
bezeichnet ihn als aiyircodrjg, dixeQwg, Aristophanes Ran. 232 als
KSQoßaTrjQ, Simonides als TQay67iovg, und mehrfach wird er als
AlytTtav bezeichnet. Den übrigen Stücken der Tiergestalt gesellt
sich zuweilen ein Schwanz hinzu. Noch näher an tierisches We-
sen streift das dem Bock zukommende Beiwort alyißdrrjg, wel-
ches Theokrit IX, 433 dem Pan beilegt; übereinstimmend stellt
ihn eine in Neapel befindliche Marmorgruppe dar, wie er sich
mit einer Ziege begattet. ^ Vermutlich dachte man sich ihn ur-
sprünglich als ein zuweilen ganz ziegengestaltig erscheinendes
Wesen mit menschlichem Bewußtsein. Als ein geisterhaftes We-
sen bekundet sich Pan auch dadurch, daß er wie Pannus dem
Alp, Ephialtes, gleichgesetzt wurde.* Schon Aeschylus, Sopho-
kles und Aristophanes kannten eine ganze Klasse von Ilccveg oder
Jlaviaxoi, bocksgestaltige Waldteulei und Dämonen, die in allen
Stücken dem einen Pan ähnlich von den bildenden Künstlern
häufig auch mit Weib und Kind beschenkt wurden. Es ist kein
Beweis vorhanden, daß diese mehreren Pane nicht aus volkstüm-
licher Quelle geflossen seien. ^
Es liefen verschiedene Volkssageu um, nach denen Pan und
die Pane im Gebirge oder auf einem am Meere liegenden Vor-
gebirge Vorübergehende angerufen haben sollten. Eine solche
Volkssage gab Veranlassung , daß vor der Schlacht bei Marathon
Pheidippides, der nach Sparta gesandte Herold, da die Lacedä-
monier den Ausmarsch aufschoben, den Athenern Mut machte,
indem er vorgab, am Parthenischen Gebirge bei Tegea sei ihm
Pan begegnet, habe ihn augerufen und gesagt, daß er den
Athenern gewogen sei und bei Marathon für sie kämpfen
1) Herod. II, 46: y^dipovaC re Sij xai ylvq.ovai ol Cüiynittfoi xtä oi
tcyaXf^KTonoioi roO llttvög XfxyyttXfxaj xicjuniQ "Ellrjvtg j alyonooamnov xai
ToayoaxeXtu.
2) Vgl. Wieseler zur Kunstmythol. Pans. Götting. Nachrichten d. Ge-
sellsch. d. Wissensch. 1875 n. 17, S. 433 — 78. Ebenders.: Ind. lect. aest. Georg.
Aug. 1875. Coiiimentatio de Pane et Paniscis.
3) S. 0. Müller Handbuch der Archäologie § 387, 4.
4) Hesych.: TJuvög axotog olov vvxi&Qivug tpavTaalug. Artem. II, 34:
ExiiTT] xtu näv xccl ^Etf'iuXiTjg. 37: o Sk ^ICtfiaXrrjg 6 «tTo? itvtti rö //«ci'i
vevof^iarui.
5) Schol. Theoer. IV, 62. Aristoph. Eccles. 1069. Cic. Nat. Deor. 3, 17.
Pan und Pane. IdS
werde. ' Nachahmung einer solchen Volkssage ist auch erkenn-
bar in der Erzählung des Longus, wie die Flotte der Methyninäer
nach einem Raubzuge in das Gebiet der Mytilenäer bei einem Vor-
gebirge Anker warf. Da hörte man am Lande Schlaehtgetöse und von
dem sehr schroffen Felsen, der das Vorgebirge krönte, ward furcht-
bar wie Drommetenhall der Ton einer Syrinx vernommen ; um die
Mittagszeit aber erschien Pan dem Feldherm selbst im Traum und
mahnte ihn, seinen Schützling, eine geraubte Jungfrau sammt ihrer
Heerde herauszugeben. Als dies geschehen, tönte die Syrinx
wieder vom Felsen her, aber nicht mehr furchtbar kriegerisch,
sondern hirtlich. ^ In die Reihe solcher noch spät umlaufenden
Volkssagen gehört auch die von Plutarch^ autbewahrte Erzählung,
welche ich um der Wichtigkeit willen, die sie flir unsere Unter-
suchung erweisen wird, ganz hieher setze. Der Rhetor Aemilia-
nus, ein durchaus enisthafter Mann, pflegte zu erzählen, sein in
Chäronea ansässiger Vater Epitherses habe in der Absicht, nach
Italien zu fahren, ein schwerbeladenes Kauffahrteischiff bestiegen.
Als sie in die Nähe der Echinaden, gegenüber Akamanten,
gekommen waren , trat Windstille ein und sie kreuzten bis zu den
Paxiinseln (weiter nördlich gegenüber Epirus). Viele von den
Fahrgästen wachten auf Deck, während andere nach aufgehobener
Tafel noch beim Weine saßen. Da hörte man plötzlich von der
Paxiinsel her eine Stimme, welche zu aller Verwunderung einen
gewissen Thamus mit Namen rief. Dieser Thamus war ein ägyp-
tischer Steuermann , dem Nanten nach den wenigsten Mitreisenden
bekannt. Er schwieg auch, als er zum zweitenmalc gerufen
wurde. Als aber der Ruf zum drittenmale ertönte, ant^vortete er,
und nun sprach die Stimme in erregtem Tone : ,, Wemi du nach
PcUodes kommst y melde, daß der gmße Pari gestorben ist'^ (Jitav
ytvTj TLavcL t6 Ilahddtg ctitayyulnv , oii ITav o jtieyag xi&vr-Kt),
Alle waren bestürzt, so erzählte Epitherses, und stritten darüber,
ob man den Auftrag ausführen müsse oder nicht. Thamus aber
entschied, wenn guter Wind wehe, wolle man, ohne ein Wort
zu sagen, vorüberfahren ; weim aber Windstille eintrete , werde er
melden, was er gehört habe. Als man nun nach Palodes kam,
1) Herod. VI, 105. Pausan. U, 28, 4.
2) Longus II, 26 — 28.
3) Plutarch de defect orac. XVII. Moralia II, 490 Wyttenbach.
134 Kapitel III. Dio wildon Leute der antiken Sage II.
lag das Meer spiegelglatt da uud kein Lttilchcn regte sich. Da
stellte sich Thamus auf das Hinterteil des Schiffes und rief,
gegen das Land hin blickend, wie er gehört hatte: „der große
Pan ist todt." (0 ^uyag ITav T6dyt]X£v). Kaum hatte er geen-
det, 50 hörte man ein lautes Wehklagen nicht von einer y sondern
von vielen Stimmen, Wie aber wol geschieht, wenn viele Zeugen
zugegen sind, der Kaiser Tiberius hörte von der Sache, Heß
Thamus holen und glaubte seine Erzählung so fest, daß er seine
Hofgelehrten befragte, was das für ein Pan sein könne ^ und sie
entschieden, es müsse der Sohn des Hermes und der Penelope
(o. S. 128) sein. ^ Wir werden es später (u. S. 148) bestätigt
finden, daß Epitherses nur einer älteren Yolkssage dadurch
Interesse zu verleihen suchte, daß er sie in der Gegenwart loca-
lisierte und als sein eigenes Reiseabenteuer erzählte. In dersel-
ben war unzweifelhaft der Ausdruck 6 fieyag Ilav in demselben
Sinne gemeint, wie Zeus fiiyag d-ewv ßaailevg, der Perserkönig
Oberkönig, Großkönig, itiiyag ßaailevg genannt wird, als der
Ober -Pan, der große Pan zum Unterschiede von der untergeord-
neten Schaar der Panisken. Zu einer Deutung des materiellen
Inhalts der Sage selbst gebricht uns das Material. *
Fassen wir alle Züge der populären Gestalt des Pan zusam-
men, so erscheint er als bocksgestaltiger „die geheime Lust und
1) Dieser Zusatz zur Volkssage entsprang daher, daß Kaiser Tiberias
als Liebhaber spitzfindiger mythologischer Gelehrsamkeit allbekannt war. Vgl.
Sueton Tiber. 70: Maxime tarnen curavit notitiam historiae fabnlaris usquc
ad ineptias atque derisum ; nam et grammaticos , qaod genas hominnm prae-
cipue, ut diximus, appetebat, ejusmodi fere quaestionibus experiebatur, quae
mater Heeubae, qiiod Achilli uomen inter virgines faisset, quid Sirenes can-
tare sint solitae. Es war Sitte, Naturseltsamkeiten den Kaisern zu senden oder
zu melden ; dem Tiber berichtete man aus Lissabon, ein Triton sei gesehen wor-
den. Plin. H. N. IX, 9. Friedländer Sitteng. R. 1873. I, 43.
2) Mit diesen tatsächlichen Nachweisen werden auch alle bisherigen
Erläuterungen der Erzählung hinfällig. Welcker (Götterl. II, 671) meinte,
ein weitblickender Heide, der den nahenden Untergang des großen Pans,
d. h. des Allgotts, anders gesagt dos Pantheismus der neuplatonischen Phi-
losophie wie der vulgären flachen Auffassung des Heidentums, gegenüber der
neuen christlichen Bewegung der Geister ahnte, habe dem Edebtein dieses
tiefsinnigen Gedankens die Anecdote als kunstreiche Einfassung gegeben.
Preller (Gr. Myth.^ I, G16) glaubt, das seltsame Märchen erkläre sich aus
der in Plutarchs Zeit natürlichen Geneigtheit, den älteren Wald- und Berg-
Pau des arkadischen Volksglaubens neben dem jüngeren All -Pan der Philo-
sophie für einen sterblichen Dämon nach Art der Nymphen za halten.
Pan lind Pane. 195
das dunkle Granen der wilden Waldeinsamkeit," ^ wie die üppige
WachBtamstlille des Waldes darstellender Waldgcist, der in einen
Dämon der Vegetation und des Lebens im ganzen Waldgel)irge
übergehend bald als Eiuzelgestalt, bald zu einem Schwärme ver-
vielfältigt erscheint. Denn er ist Befruchter, und inTn'izen ver-
ehrte man ihn unter dem Namen ytvzrjQiog, weil er der Obrig-
keit daselbst Heilmittel gegen die Pest gezeigt, sich als Lebens-
erhaltcr erprobt hatte. * Die Verallgemeinerung seines Wesens
zu einer Personification des gesammten Lebens im Waldgebirge
spricht sich deutlich im Volksglauben aus, daß bei der Gluthitze
der südlichen Mittagssonne von der Jagd ausruhend der Gott,
gleichsam die Natur selbst, schlafe; niemand darf ihn stören und
der Hirt scheut sich die Svrinx zu blasen. ^ Nur muß diese
volkstümliche Anschauung streng geschieden werden von der
durch Orphiker aufgekommenen philosophischen Deutung Paus
als Allgottes, welche aus einem etj'mologischen Irrtum entsprang.
ilay, Gen. Ilävog hat nur mittelbar etwas mit Trüg, Gen.
navTog zu tun, ist auch nicht mit M. Müller a. a. 0. von pu reini-
gen als Name des fegenden und reinigenden Windes abzu-
leiten und einer hypothetischen Sanskritlbrm pavan gleichzu-
stellen, sondern muß (nach der Analogie von ^trjv, (.n,v6g^ Monat,
aus Wurzel mä, messen) von dem Stamme i)ä, hüten, schützen,
weiden, mit der Nebenform pan, nähren, abgeleitet sein, welche
1) Cf. 0. Müller Handbuch der Arcbäol. S. 378 §. 387.
2) Pausan. II. 32, 5.
3} Thcücr. Id. I, 15. 18. Dieser Vorstellung verglcieht sich zunäcliHl
die czeehischc von der Poledniec u. dorn Poledniiek. Die Poledniec (Mittag.sfrau,
von poledne, Mittag) wird in der altböhmisehen Glosse von Waeehrad als
Dryas bezeichnet (Hanka Zbirka p. G) und noch Krolnms hörte von Keinem
Großvater, daß in der zantischen Linde bei IJirzinka, unter der alle Früh-
ling8S])iele gehalten wunlen, eine Polednice oder wilde Frau, eine bald
gute, bald böse Alte wohne und zuweilen unter vielem Glänze aus derselben
herauskomme. Nach der gangbaren Vorstelhiiig al>er ist die Poledniec^ ein
Waldweib, das nur um die Mittagsstunde ausgeht und im Walde oder
auf dem Erntefelde Wöehnerinneii ihre kleinen Kinder fortholt oder verwech-
seit. Ebenso durchsucht <ler Polednieek Mittags zwischen 11 — 12 die Felder
und Wälder. S. Grohmann Sagen aus Böhmen S. 111. Ders. Abcrgl. ans
Böhmen S. 13. Auch die deutsche Sage kennt eine Mittagsfrau En-ongermöer
(von onger = d. i. undorn die mittlere Stunde zwischen Sonnenaufgang und
Mittag), welche in den Getreidefeldern umgeht. Eine Parallele a. Japan s. Aus-
land 1875 U.48. S.952. Vgl. a.SchellingPhil. d.Ofifenb. Werke 1858. 11,3. S.439.
186 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage 11.
in den gr. Worten ttwv, Heerde, Tioä, Gras, eigentlich Weide,
TtoifiijVj Hirt, nav-i-a^ Fülle nnd in lat. pa-BCO, weide, pa-
balam, Weide, pan-is, Brod, pen-us, Nahrung, Vorrat steckt*
Der Name Ilav bedeutet sonach den Hirten (vgl. den wilden
Ktther, wilden Geißler. Bk. 96) oder den Nahnmgsgcber,
genau mit dem von uns entwickelten sachlichen Inhalt der an ihn
geknüpften Vorstellung übereinstimmend.
§. 5. Satyrn. Auf das nächste mit den Panen verwandt,
ursprünglich vielleicht nur eine argivische Variante derselben,
waren auch die Satyrn Elementargeister der Wälder und Berge
von halbtierischer Gestalt. * Ihre älteste Erwähnung weist auf
Argos als ihre Heimat hin. Hesiod' nennt sie „das Greschlecht
der nichtsnutzigen und durchtriebenen Satyrn" {yivog ovtidavwv
2aTVQ€f}v xal a^irj^avoEqyiijv) nämlich Enkel des Urkönigs von
Argos, Phoroneus, von dessen Tochter sie sammt den Nymphen
der Berge und den Enreten entsprossen. Die Zusammenstellung
mit den Kureten, den Waffentänzem im kretischen Zeuskultus ^
(KovQfjrig te d-eol noXvnaiyi^oveg o^xrjürrjqeg) macht wahrschein-
lich, daß der Dichter die Satyrn bereits als Characterrollen in
irgend einem Thiasos, die Verbindung mit den Bergnymphen,
daß er sie zugleich noch als Nachbildungen elementarer Dämonen
kannte. Hiemit stimmt die Nachricht, daß in Korinth unter der
Regierung des Tyrannen Periander (v. Chr. 625 --585) Arion dem
an den Dionysosfesten gesungenen Dithyrambos, dem Vorläufer
der Tragödie, eine derartige Einrichtung gegeben habe, daß der
bis dahin seinen Standort beliebig wechselnde Chor einen festen
Platz in einer geordneten Festversammlung erhielt und von tkn
dramatischen Rollen der Satyrn unterschieden wurde, denen man
nun einen versifizierten Text in den Mund legte. ^ Mithin müssen
1) Vgl. Curtius Grundz. Aufl. 2 S. 244. Prellcr Griech. Myih. Aufl. 3.
I, S. 611.
2) Vgl. Preller Griech. Myth. Aufl. 3 ed. Plew. I, 599.
3) Fragm. bei Strabo X, 471. Cf. Preller a. a. 0. 540. Anni. 3. 2«rr-
Qog ÖQ€iog ^af/utov. Kallistr. 1.
4) Vgl. Preller a. a. 0. 540 S. Hermann gottesdienstl. Altert Aufl. 2.
§. 29, 21. §. 67, 27,
5) AiyiTKi x«i TQccyixoO tqotiov (vofrijg ytv^a&ni xal nndtjog /otHtv ffr^-
aai xai Si&vQ(t^ißo7' (tani x«) dvofidaui %o aifouivov vno xov ;^0(>oi', x«i 2.*«-
jtjQovg eigeveyxetv ff4f4tTQtt X^yovtag. Suidas. Vgl. Bemhardy Griech. Litora-
tnrg. n, 575 ff.
Satyrn. 137
schon vor Arion im 7. Jahrhundert im nördlichen Pelopounes die
Festgenossen und Chöre, welche den Dionysos au seinen Festen
feierten , in ihren Verkleidungen vorzugsweise Satyrn nachgeahmt
und dargestellt haben. ^ Auch noch später blieben sie Haupt-
figuren der dionysischen Pompe,- sie fllhrten dabei einen aus
bocksähnlichen Sprtlngen bestehenden Tanz, aiyjwig, auf, wovon
sie axiQToiy Springer^ zubenannt wurden. Ihr Wesen spricht
sich in Volkssagen aus, die noch in später Ueberlieferung aus
älteren Quellen zu uns herUl)crtönen. Argos stellte sich einem
Satyr, der den Arkadem Beleidigungen zufügte und ihre Heer-
den wegtrieb , entgegen und tödtete ihn. * Danaos schickt bei
großer Dürre seine Töchter in den Wald, um Wasserquellen auf-
zusuchen. Die eine von ihnen, Amymone, schreckt dabei einen
Hirsch auf, ihr Pfeil verfehlt aber sein Ziel und triflft einen im
Gebtisch schlafenden Satyr. Derselbe springt in die Höhe und
begehrt dem Mädchen beizuwohnen. * Apollonins von Thyana
kommt in Aethiopien an ein Dorf, wo ein Satyr den Weibern
nachstellt. Er geht zum Komarchen und erbietet sich, den
Unhold zu bannen. „Wenn die Dorfleute Wein haben, sagt er,
wollen wir ihn dem SatjT mischen." Dieser Rat gefiel und man
schtittete 4 aegyptische Amphoren Wein in den Trog, aus wel-
chem die Schafe zu trinken pflegten. Dann rief Apollonins den
Satyr bei Namen und fügte heimlich einige Verwünschungen
hinzu. Der Satvr wurde nun zwar nicht sichtbar, aber man
merkte, wie der Wein im Troge abnahm. „Spenden wir dem
Satyr," sagte Apollonins, als das Gelaß leer war, „er schläft
schon." Und mit diesen Worten führte er die Dorfleute zur
Nymphengrotte, welche nur hundert Schritte vom Dorfe entfernt
lag, zeigte ihnen darin den sclilafenden Dämon, hieß sie aber
denselben weder schlagen noch schelten, denn er werde jetzt von
1) Vgl. Bcrnbardy a. a. 0. 572. Paiily Realen cyclop. 8. v. Tragödie.
2^ ^vyyomrnu .Uorvaov 2^HTV{toi. Aolian var. bist. III, 40. 2ixioTti-
TJ/s 2!€cri'oog. Mosch. Id. VI. 2.
.*]) Cornut. (\ XXX, daraus Malela II, p. 17. Ccdren. p. 21 B. Lobeck
Aglaoph. 1311. iromiann gottesd. Altert. Anft.'-« §.29,20. üeber den Sikin-
nis vgl. Wieseler das Satyrspiel, (iötting«n 1848 S. 51 ff. G2 IV.
4) Apollod. Bibl. II, 1, 2, wol nach des Hellanikos Pboronis.
5) Apollod. II, 1, 4.
138 Kaiütcl III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
selbst aailiöreii ihnen Streiche zu spielen.^ Das ist, auf Apol-
lonius übertragen, im wesentlichen dieselbe Volkssage, welche
wir vorhin (o. S. 117) von Numa und Faunus erzählt fanden.
Wenn sie nicht von Faunus oder Silen entlehnt ist, zeugt sie für
die alte Verwandtschail der Satyrn und Faune. Philostratos iUgt
hinzu, er habe auf Lemnos einen Mann gekannt, dessen Mutter
es mit einem Satyr zu tun gehabt haben sollte, weil er einen
dicht behaarten Rücken hatte, der wie ein auf dem Leibe ange-
wachsenes Tierteil (veßQig) aussah, dessen Yorderzipfel über der
Brust zusammengetUgt seien. * In den Darstellungen der frühe-
sten Kunst dürfen ebenfalls noch aus dem Volksglauben oder den
aui* diesem beruhenden Darstellungen der älteren Dionysosfeste
herrührende Motive vermutet werden. Auf den sehr alten Mün-
zen von Thasos umarmt der Satyr eine Nymphe oder verfolgt
die vor ihm fliehende , ^ wie denn auch die ältere Vasenmalerei
die Satyrn gern als Nymphenräuber darstellt Die Gestalt der
Satyrn in der Kunst war die vermenschlichte von Böcken; kräf-
tige Gliedertbrmen, gemeines, in der älteren Zeit stäts ein lang-
bärtiges Gesicht voll niederer Smnlichkeit oder Bosheit, Platt-
nasen, ziegenartige Spitzohren, zwei Knollen, sogenannte .Hegen-
warzen (q)^Q€a) am Halse, zuweilen sprossende Homer, tierisch
geformte Geschlechtsteile, hinten ein Schwänzchen. Dazu hatten
wol die Masken im Mummenschanz der Dionysosfeste ein erstes
Vorbild gegeben. Bei diesen iudeß sehen wir in den Darstellun-
gen des daraus abgeleiteten attischen Satyrdramas noch viel
deutli eher die Bocksgestalt bewahrt. Nach Pollux und nach Aus-
weis mehrerer uns erhaltener Abbildungen bestand das Haupt-
stUck derselben, die aajvQiTifj ia^g aus einem Schurz von
Ziegenfell mit Phallus (aly^, tjv aal i^akrjv symIow Y.ai TQayrjv*)-
1) Philostrati vita Apollonii VI, cap. 27, p. 123. Kayser.
2) ü. a. 0. Wenn Macrobius Saturn. I, 16 erzählt: „in hoc nionte Par-
naso - ubi etSatyrornm, ut aiferunt, frequens cernitur coetus et plenim-
<iue voces propriae eorum exaudiuntur,'* so muß es eher für wahracheinlich
gelialten werden, daß hier Verwechselung mit den Panen vorliegt.
3) 0. Müller Handb. d. Archäol. u. Kunst 78 §. 98, 3.
4) Pollux onomast. IV, 118. Vgl. Wieseler das Satyrspiel, Göttingen
1848. Monum. de Inst, di corresp. arch. 111, T. 21. Wicseler Theatergebäude
U. D3nkm. Taf. VI, 2.
)
Bucksgostaltigc Wald- ti. Frldgcistcr im heutigen Griechenland. IHO
Die Satyrn werden daher auch gradezu als thvQOi * oder TQaym,
Böcke,* als &fjQeg'oder qn^^^g' bezeichnet. Ja der Name cjorr-
Qog soll gleich zitvQog Bock bedeuten. * Die Vergleichung dieser
Tatsachen wird uns das Geständniß abnötigen, daß die 2^ug-
nisse über die ursprüngliche Gestalt und Bedeutung der Satyrn
zwar noch viel lückenhafter sind , als die auf den Pan bezügliche
Tradition, daß aber dieselben hinreichen, um mit Wahrscheinlich-
keit auch in ihnen theriomorphische peloponnesische Waldgeister
erkennen zu lassen. Mit der Bocksgestalt mag aber dem Volks-
g:lauben nach in den Aufführungen der Dionysien Roßgestalt und
lä<*rdeartige Maske gewechselt haben, da in den älteren
Kr.n:?tdarstellungen der Schwanz des Satyrs häufig ein Roß-
schweif ist. *
§. 6. Bocksgestaltige Wald- nnd Feldgeistcr Im heu-
tigen Orlechenland. Wie die Faune im Volksglauben der
Italiäner als gentc salvatica u. s. w. fortleben, bestehen Pane und
Satyrn auf dem Boden des heutigen Griechenlands ebenfalls noch
in mannigfachen Gestalten des lebendigen Volksglaubens fort.
Im epirotischen Zagori ist der Gamotzaruchos ein ziegenbockarti-
ger Unhold mit Höniern auf dem Kopf, langem, bartvollem Kinn,
von Haaren umstarrteu Augen uud meckernder Stimme, der
Schwangere und Wöchnerinnen verfolgt und str)ßt, jungen Mäd-
chen Gewalt antut. ^ Die auf dem Parnaß weidenden Hirten
glauben an einen Dämon, der die Hasen und wilden Ziegen
hütet und schützt; auf Zakynthos soll derselbe noch heute Ildvog
oder IJaviog genannt als Vorsteher der Ziegen betrachtet und in
den Höhlen und Schluchten der Berge wohnhaft gedacht werden.
1) T{tv()oi Satyre. Eustath. II. 18 p. 1214. Scliol. Thcocr. 7, 172. ön
Ol aiyj^OQfiTai ^liovraov 2,'ttrt'(toi iiauv, oi vn' h'iiov TdvQoi drouaCofitroi
Aol. Var. bist. III, 40. Laconuni lingua tityrus dioitur aries major, qui
grcgem anteire consuevit. Servius ad Verg. Biicul. Ed. 1.
2) Touyovg ^(CTvnorg J/« to indytov (?na f/tir. Bei Acschylos Fraglli.
210 (p. 38) wird cm Satyr angeredet: rodyog y^rtiov «(>« ntv^rjafis t«/«.
Bock, Bock, du wirst dir gleich den Bart verbrennen.
3) Euripid. Cycl. G20. ihilvn bei Hippokr. Epid. 6.
4)*Plin. bist. n. VllI, 60 und Solin 27 nennen Satyro eine Art zahmer
Affen, die beim Theoplirast charact. VI Tityre heilJen.
5) Bei Bekk. Aneed. Gr. p. 44 wird der Öatyrechwanz als i'/inovQig be-
zeichnet.
6) B. Schmidt, das Volksleben der Nougriechcn 1871. B- 1, 154 — 55,
140 Kapitel in. Die wilden Leute der antiken Sage IL
Zuweilen mit ihm identifiziert^ zuweilen von ihm geschieden wird
• der mit dem Namen )Mßco^ia (Schaden, Verderben) bezeichnete
Dämon^ der in Gestalt eines Bockes mit langem Barte die Ziegen
zu besteigen und dadurch ihren raschen Tod herbeizuführen pflegt.
[Vgl. den Tlav alyißdrtjg o. S. 132.] Man entzieht ihm die Tiere
durch Versetzung in eine andere Gegend. Auch im Peloponnes
ist das Laboma den Schafen gefährlich; es besteigt dieselben
jedoch nächtens in Gestalt eines Hundes oder einer Katze. ^
Nach dem Glauben der Moreaten, welche das sogenannte Pen-
tadaktylon, einen Teil des alten Gebirges Taygetos in Lakonika
bewohnen; tanzen auf dem Gipfel des Berges Skardamyla drei
Mädchen von bezaubernder Schönheit mit Ziegenfüßen beständig
im Kreise umher. Jeder, der sich ihnen nähert, muß sie um-
armen und wird darauf zur Strafe für • seine Frechheit von der
Höhe des Berges in den Abgrund gestürzt. * Auf Rhodos wiederum
hausen nach der Vorstellung des Landvolks in den Wäidem
Dämonen und ein dortiger Bauer antwortete auf die Frage, wie
sie aussähen, er glaube, sie hätten Ziegenheine und Ziegen^
schwänze und seien ähnlich den auf griechischen Vasen gemalten
Figuren. ^ Die Albanesen in Griechenland hinwiederum haben
die Dämonen brotomorphisiert und sind nun überzeugt, daß es
Menschen von großer Stärke mit Ziegcnschtvänzen oder kJmien
Pferdeschivänzen gebe. So tief wurzelt dieser Volksglaube, daß
mehrere Leute, mit denen von Hahn sprach, behaupteten, solche
Leute gesehen zu haben. *
§. 7. Seileiie. Die Albanesen sind wahrscheinlich Ueber-
bleibsel derlUyrier, welche den geographischen wie ethnographi-
schen Uebergang bilden zu dem phrygischen Stamme, der zu
beiden Seiten des Hellespont angesessen neuerdings von Fick
seiner Sprache nach als dem europäischen Zweige der indoger-
manischen Familie angehörig nachgewiesen wurde. Bei ihm
scheinen die Scilene den Pancn und SatjTu der Griechen ent-
sprochen zu haben. Die älteste Nachricht von ihnen findet sieb
im homeridisehen Hymnus auf Aphrodite, von dem schon oben
1) Schmidt a. a. 0. 156. Der übliche Ausdruck ist ^«(Jx«A«f/ r« y^^^^^
derselbe, den man von wirklichen Böcken braucht.
2) Firmenich Touyovihu Ptoutaxu. Berlin 1840 S. 57.
3) Newton Trav. a. Discover. I, 211. Schmidt a. a. 0. 111.
4) V. Hahn albanes. Studien S. 163.
Seilene. 141
S. 6 erwähnt ist, daß sein neuester Erklärer, ß. Thiele, ihn
auf Grund troisch- (phrygisch-) griechischer Sagen im 9. Jahr-
hundert V. Chr. in Gergythium bei Kyme an der kleinasiatischen
Küste verfaßt sein läßt. * Die 8eilenen, heißt es da, und Hermes
begatten sich im Dunkel der Grotten mit den (Baumgeistem)
bergbewohnenden Nymphen, welche zugleich mit den Eichen
entstehen, aufwachsen und sterben. ^ Scheiden wir das Local der
Liebeswerbung in den Grotten als späteren epischen Zusatz des
die mythologische Anschauung nicht mehr verstehenden Dichters
aus, so bleibt hier dieselbe Vorstellung, wie wenn Pan die Pitys
umfreit. Den wilden Männern der Tiroler (o. S. 39), den Fau-
nen und Satyrn dagegen begegnen die Seilene in der Sage von
der Weinberauschung, die zuerst Bakchylides (Fr. 2) um 450
V. Chr. erwähnt, Theopomp aber, der in Karten um 350 v. Chr.
schrieb, im achten Buche seiner Philippischen Geschichten zur
Einkleidung für seine lehrhafte Dichtung benutzte. Nach ihm
wurde Seilen von den Hirten des König Midas im Weinrausch
gefesselt; und so gezwungen offenbarte er dem Könige sein
geheimstes Wissen, er sang ein Lied über den Ursprung und die
Beschaffenheit der Welt,* und beschenkte ihn mit dem Satze,
daß es tür den Menschen am besten sei, nicht geboren zu wer-
den, nächstdem aber sobald als möglich zu sterben,* offenbar
die Umwandlung einer älteren , einfacheren Fabel, in welcher der
mitgeteilte Weisheitssatz mehr populärer Natur war. Einen
verblaßten Rest einer einfacheren Form der Sage bewahrt Philo-
stratos. Als Midas Eselsohren bekam, habe ein Satyr (Silen)
singend und blasend das Geheimniß in die Welt hinausposaunt.
1) R. Thiele Prolegg. ad hymn. in Vener. Halis 1872 p. 79.
2) Hymn. in Vener. 257—275.
3) S. Servius ad Vcrg. Biicol. VI, 13. 2G. Cf. Aelian Var. hist. UI, 18.
Dem elenden Loße der Menschen ließ Theopomp den Seilen die sentimentale
Idyllo der Meropis, eines glückseligen Landes am fernsten Erdrande gegen-
überstellen. Uchcr diese Dichtung Theopomps und ihre Stellung in der Lite-
ratur s. Rhode, der griechische Koman. Leipzig 187G. 204 ff. Nach dem
Vorgange des Theopomp läßt Vergil Ecl. VI, 13 ff. den beim Gelage
eingeschlafenen Silen, dem im Ransche der Kranz vom Kopfe gefallen,
von zwei Satyrn gefunden und mit aus dem Kranze geflochtenen Fesseln
gebunden werden, worauf er, um sich zu lösen, ihnen in begeisterndem Liede
den Ursprung der Welt singt.
4) Cicero Tuscul. I, 48, 114.
142 Kapitel III. Dio wilden Leute der antiken Sage II.
Midas aber hatte von seiner Mutter gehört, wie man solchen
Gesellen zur Vernunft bringen könne, er ließ die Quelle neben
der Königsburg mit Wein tUllen und schickte den Spötter dahin.
Dieser trank und wurde gefangen. ^ An mehreren Orten in
Phrygien zeigte m^ Midasbrunnen, welche der König, um den
Seilen zu fangen, mit Wein gemischt haben sollte, so zu Ankyra,'
zu Thymbrium zwischen Keramus und Tyriaeum. * Die phry-
gische Bevölkerung in Makedonien endlich verlegte den Schau-
platz der Begebenheit in die sogenannten Gärten des Midas am
Berge Bormios, wo die sechzigblättrige süßduftende Böse ohne
menschliches Zutun aus dem Boden sproßte. ^ Unzweifelhaft
erweisen diese Zeugnisse, daß die Sage von der Gefangennehmnng
des trunkenen Silen den Phrygem nicht bloß angedichtet, sondern
in ihrem Volksglauben heimisch war. Die Verwandtschaft der
Seilene mit den Satyrn geht auch daraus hervor, daß erstere
schon früh aus kleinasiatisch -griechischer Ueberlieferung in das
Satyrdrama übernommen und den Satyrn als eine besondere Art
beigesellt wurden.^ Der Seilen galt ftlr einen greisen Satyr*
und behielt als solcher den phrygischen Namen nanTiogy Papa,
Großpapa.^ Und zwar unterschied man deutlich, wie den Ober-
pan (6 ^liyaq Jldv^ o. S. 134), so den Papposilen, den greisen
Vater der Satyrn, als bestimmte Person von der Mehrzahl der
andern Silene. ^ Auf Bildwerken trägt Seilen eine zottige , eng-
anschließende, den ganzen Körper bedeckende Kleidung von
Ziegenfell. So sieht mau an einer Statue der Villa Albani Ana-
gyriden (Beinkleider) von Ziegenfell und einen bis zu den Knien
herabreichenden Chiton aus gleichem Stoff mit langen bis an die
1) Philostr. Vit. Apoll, a. a. 0. p. 124.
2) Pansan. I, 4, 5.
3) Xenoph. Anab. I, 2, 13. Hier wird aber statt des Silcns ein Satyr
genannt.
4) Horod. Vm, 138. Cf. Conon narrat. 1. Nicimder Fr. 74, 11 ff.
5) Gerhard del Dio Fauno p. 17.
6) 2:(iTVimv ö ysQadarog. Eurip. Cycl. v. 103. Cf. 85. 274. 436. 601.
7) Polluc. ODomast. V, 132: aaivQixa S^ Tigoatana S^aiv(>6g noltoi,
2^äTV()og ytviiüiVj SdrvQog ayivuogy ^silt]v6q nännog. r^llXte öftoiu r«
TTQÖacjna, Tilrjv Saoig fx rör dvofidrtav nl nttQicXXayat STjXoOvittt , üam^
xttl 6 ndnnog 2eilriv6g rrfv i^iav iarl &ij()t(od^aT€Qog.
8) Lanzi de vasi ant. dip. dissert. II, §. 6. in Opnsc. raccolt. da accad.
Ital. Vol. I, p. 96. Gerhard ant. Bildw. Text. S. 299. 0. Müller Handb. d.
Archaol. §. 386, 5. Wieseler Satyrsp. S. 29.
Bocksgestaltige Wald- u. Feldgeister in semitischen Landern. 143
Hand herabgehenden Aermeln. ^ Eine Gemme bei Wieseler,
Denkm. d. Btthnenwesens , beweist, daß diese Kleidung flir die
Silenen der Bühne angewendet wurde. Die Silenstatue im Palast
Giostiniani alle Zechere in Venedig hat am Leibe lauter kleine
Zotteln. Auch in der Literatur ist oft von einem ringsum zotti-
gen (ßaXlanog, afi(pi^aU.og) Chiton der Seilene die Rede.* Wie-
seler glaubt, daß man anfangs rohe haarige Felle zur Bekleidung
des Seilen im Drama verwandte, später dieselben aus Wolle mit
künstlich gearbeiteten Haaren nachahmte. ^ Wir werden darin
vielleicht den Rest einer Vorstellung erblicken dürfen, welche
sich den Seilen gleich den deutscheu wilden Männern (Bk. 147),
Kentauren u. s. w. als einen zottigen, behaarten Waldgeist dachte.
Nach Wieseler ist dieser zottige Anzug der x^Q^^^og x«TcJy, der
als Bekleidung der Seilene im Satyrspiel mehrfach erwähnt wird,*
indem er ihn mit dem vorhin genannten x^^<(>)' ding>i^aXXog ^ fiak-
hunog identifiziert und annimmt , der Ausdruck habe ursprünglich
einen Anzug bedeutet, der für den Viehhof oder Weideplatz im
Freien paßte (vgl. ayoQoiog ztrwv), also einem Hirten (vgl. oben
S. 130. 136) zukam. Es bleibt jedoch zu erwähnen, daß
andere Gelehrte^ durch den fialhovog, a(.i(piixaXkog^ xoQToiog xitlüv
verschiedene Kleidungsstücke bezeichnet glauben, und daß hin-
sichtlich des letzteren die Ansicht aufgestellt ist, derselbe sei die
spätere Nachbildung eines in den ältesten Aufführungen ttir den
Seilen gebräuchlich gewesenen Anzugs, welcher aus einem eng-
anschließenden Gewand mit darauf genähten Gräsern (xoqftog)
bestanden habe.^
§. 8. Bocksgestaltige Wald- und Feldgeister In semitl-
sehen Ländern. Die ethnographischen Grenzen des Indogerma-
1) Clarac Musee de Sculpt. T. V, pl. 874. A. 2221. Wieseler Denkmäler
des Bühnenwesens T. VI, 8.
2) ^Eat^Tig 6' riy tois 2:ikTjvoTg afjnf)(fXttkXoi /nuiveg. Aelian var. hist.
III, 40.
3) Wieseler Satyrspiel 101.
4) Kai /OQTcdog ;(iTdiv d^aavg, ^v ol 2ifikr\vol (foooOaiv. Pollux IV, 118.
5) Caes. Sealigor de com. et trag. CXIII im Thesaur. Graec. antiqu.
VIII, 1521. Welcker Zeitschr. f. Gesch. u. Anal. d. alt. Kunst S. 535 A. 19.
Schneider Theaterwesen S. 166.
6) Casaubon. p. 107 ff. H. Stephan, Thesaur. V. Vll, p. 10680. Lon-
don. Toup opusc. crit. P. II, p. 53 ff. Welcker zu Theogn. p. XI. Nachtr.
z. aeschyl. Trilog. 214.
144 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage U.
nentums überspringend finden wir bocksgestaltige , offenbar den
Faunen, Panen und Satyrn ähnliche Feldgeister auch im semiti-
schen Asien verbreitet. Das Wort sair, Bock, Plur. seirim
bezeichnet dem Hebräer einen Feldgeist, der zwischen Nesseln
und Disteln in lautloser Wildniß seinen Ruf ertönen läßt^ und
der einst mit religiöser Scheu geehrt sein muß, da mehrfach die
heidnischen Götter, denen Israel nicht opfern soll, in yerächt-
lichem Sinne mit dem Namen der im Aberglauben fortdauernden
Seirim belegt werden. * Aus syrischem oder babylonischem
Volksglauben lehrt uns das entsprechende Wesen Jamblichus
kennen, der ein Zeitgenosse des Lucian und Apulcjus in Syrien
geboren, aber in Babylon erzogen war, und seinem dortigen
Pflegevater den Stoff zu den tatoQiai, BaßvXwvixai verdankte.
In diesen erzählt er, wie zwei Liebende, Rhodanes und Sinonis,
vor König Garmus von Babylon fliehend auf einer Wiese Zuflucht
suchten. Hier zeigte sich plötzlich ein gespenstiges Ungetüm
einem Bocke ähnlich {rQayov ti qxia^a)^ welches die Sinonis zu
umarmen strebte. Mit Zurücklassung ihres Kranzes floh sie von
der Wiese, um seinen seltsamen Anträgen zu entgehen. '
§. 9. Verwandte nordenropSische Waldgeister. Viel
entschiedener gleichen den Faunen, Panen und Satyrn nordeuro-
päische Wald-, Feld- und Pflanzengeister, über deren Natur wir
eingehender und noch unmittelbar aus volkstümlichen Quellen
unterrichtet sind, so daß sie vorzüglich geeignet erscheinen zu
einer Vorstellung von dem Urbild und der Grundbedeutung der
,gräco - italischen Dämonen uns zu verhelfen. Wir wiederholen
1) Vgl. Jos. 34, 14 von der Zukunft Edoms. „Und Domen schießen auf
in seinen Palästen, Nesseln und Disteln in seinen Wegen. Und er wird der
Schakale Behausung, ein OehÖfte für die Straußen. Da treffen sich die
wilden Katzen und Wölfe, ein Feldteufel i^sair) ruft dein andern zu.
Dort, wie nirgend sonst, rastet das Nachtgespenst (lilith, ein Unhold, in
(iestalt eines scliöngestalteton VVeib'\*«, der besonders den Kindern nackstellt)."
et Jes. 13, 21. Baruch 4, 35. Otfenb. 18, 1.
2) 3 Mos. 17, 17 ; 2 Chron. 11, 15; 5 Mos. 32, 17. Ueber die richtige
Auffassung dieser Stollen s. Bandissin Studien z. sem. Religionsgo^eh. Lpzg.
187G. I, S. 121). 13G — 139.
3) Passow Corp. script. erot. 1, p. 31 ff. Photii exccrpt. e Jambl. bist
Bab. cap. 3. 4. Vgl. auch Grenzlxiten Jahrg. XXX, 1871, n. 4G S. 7G2. 764.
Dunlo]». , Gesch. d. Prosadicht, übers, v. Liebrecht S. G. Rhode, der griet^h.
Roman , Lpzg. 187G S. 361 ff.
Verwandte nordonropäischc Waldgei«ter. 145
•
hier in größter Ktirze ftlr ungern gegenwärtigen Zweck neu grup-
piert und etwas vervollständigt, was wir über sie Bk. Kap. II aus-
iUhrlieh auseinandergesetzt bähen. Am aufTälligsten zeigt sich die
Uebereinstimmung bei den russischen Waldgcistern (Bk. 138 — 143).
Der Ljesehak, Ljesowik, Liesnik, Lisun, Polisun oder Ljeschi
der Waldgeist (von Ijes Wald abgeleitet) erscheint oft und gern
von Ansehn wie ein Bauer im ungegürteten Kittel von Schatiell,
zeigt er sich aber in seiner wahren (»estalt, so bemerkt man an
seiner Stirn zwei Hörfier, am Unterkörper Boeksheine, am Kopf
und Körper zottige Hanre von grüner Farbe [vgl. den yj^^^^
xnQtaloq o. S. 143 VV], an den Armen lange Klauen.^ In manchen
Gegenden heißen die Waldgeister Waldhospodarc. In der Nähe
von Rjäsan (Großrußland) sagt man, daß in den Wäldern solche
(■zarki rHerscher) mit goldenen Hörnern wohnen. * Der Ljeschi
oder Lisun kann seine Statur beliebig ändern, oft ist er so groß
als die Bäume, oft so klein als das Gras. Nach der Versicherung
der Weißrussen ist sein Wuchs nämlich abhängig von der Höhe
derjenigen Bäume, in deren Nähe er geht oder steht, auf Wiesen
macht er sich den (Jlräsem gleich. ^ In den Gouvernements KieflF
und TschemigoflF unterscheidet man den Lisun, einen Ries(yi von
aschgrauer Farbe, und den Polewik, der der Höhe des im Felde
waclisenden Kornes gleichkommt und nach der Ernte so klein
geworden ist als die übriggebliebenen Stoppeln. Mit andern
Worten, die Ljeschie sind als die Lebensgeister der Bäume selbst
zu denken, denen die Geister der Getreidchalme, die Polewiki
parallel gehen. Hieraus erklärt sich auch der Volksglaube, daß
die im Walddickicht lebenden Ljeschie mit den ersten Nacht-
frösten im October in die Erde sinken und ttir den ganzen Winter
verschwinden, um im Frühjahr wieder aus der Erde hervorzu-
kommen, als wären sie gar nicht fort gewesen.* Der Ljeschi
äußert sein Leben im Winde oder Sturm, zumal beim Wirbel-
winde. Im Sturme fährt er daher, wie Silvanus und die Ken-
tauren mit einem entwurzelten Baumstamm bewaffnet. Wenn
1) Daschkoflf Boscbr. d. Gouvorn.,01onetz 217 ff. TercHohtschenko VI, 128.
Aboff 234. Afiinasio.T poet. Natuninsch. II, 334.
2) Abeff 234. Riäzan Gouverneinentszeitung 18 tG, IG. Moskauer Be-
obachter 1837 Mai, D. II, 247. Afanaaicff Natiiranscli. II. 332
3) Afanasieff II. 330. Ka^^sar.)^v Vors. .\ slav. M3tb. S. 71.
4) Afanasieff 11, 32G.
Mannhardt. IL 10
146 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage 11.
beim Unwetter das Echo das Krachen der Aeste wiederhallt, ver-
nimmt der Bauer darin den Pfiif des Waldmanns; der prickelnde,
Sandkörner aufwirbelnde Wirbelwind gab Veranlassung zur Vor-
stellung, dass der Ljeschi Holzhauer oder Jäger verlocke und
zu Tode kitzele. ^ Zumal wenn er sich vom Walde trennt, (also
wol im Herbste) wird er rasend, zerbricht Bäume wie sprödes
Rohr, vertreibt alle Tiere aus ihrem Lager und es heult an
diesem Tage im Walde ttirchterlicher Wind. ^ Der Ljeschi ent-
ttlhrt gerne sterbliche Jungfrauen und schließt mit ihnen eheliche
Verbindungen; die Wirbelwinde gelten im Archangelschen als
Tänze solcher Paare bei ihrer Vermählung, oder als der Braut-
zug des Waldmanns mit der Waldfrau (Lisunka). Vgl. das Ver-
schwinden der Geiß gescholtenen wälschtirolischen Waldfrau im
Wirbelwinde (Bk. 116) und o. S. 32. Mitleidige Menschen, welche
sich der rauhhaarigen Kinder amiehmen, werden von ihnen mit
Kohlen beschenkt, die sich nachher in Gold verwandeln. Wald-
weidcnde Heerden schützt der Ljeschi, wenn er dem Hirten
gewogen ist, er vernichtet dieselben oder saugt den Kühen die
Milch aus, wenn er zürnt. Im Gouvernement Olonetz schenkt ihm
deshalb jeder Hirtc bei Sommeranfang eine Kuh, damit er nicht
böse werde und alle Tiere veniichte, im Gouvernement Archan-
gelsk hütet er, wenn es gelang ihn zu gewinnen, selber die
Heerde. Das Wild des Waldes steht unter seiner Obhut und er
ist es, von dem das Glück des Jägers abhängt.
Wer sieht nicht, daß die Uebereinstimmung des Ljeschi mit
dem Pan und den Pauen so vollkommen als möglich ist? Diese
russische Ueberlieferung leitet aber hinüber zum VerständuiB des
Eiusseins der antiken Waldgeister mit germanischen, welche
nicht mehr oder nicht grade in Bocksgcstalt auftreten, sondern
die Ueberreste anderer Tieifomien aufzeigen, im Uebrigen al)er
auf unzweideutige Weise ihre Wesensgleichkeit mit der gesammten
Gevatterschaft der Faune und Paue kundgeben. Aehnlieh dem
Ljeschi ist der schwedische Waldmanu (Skougmau) für gewöhu-
lich so groß als ein Mann, stiert man ihn aber an, so wird er
so hoch als ein Haus. Oft hört man ihn im Walde schreien oder
lachen: ha! ha! ha! Er ist sehr sinnlich und strebt nach Ver-
1) Afanasicff II, 325. Kayssarow a. a. 0.
2) Sachoroff Skazauija llusskago naruda II, 60 — Gl.
Verwandte nordonropäischo WaldgeUter. 147
bindung mit christlichen Frauen. Sein Weib ist die im Wirbel-
wind umfahrende ; in Tierfelle gekleidete, hinten mit einem Kuh-
schwänz ausgerüstete Waldfrau (Skogsnufva), die in der Sage
viel bedeutsamer hervortritt als ihr Mann. Ihr Kuhschwanz darf
als Anzeichen davon betrachtet werden, daß man sich einst die
Kuh als genuine theriomorphische Form der Skogsnufva gedacht
hat (Bk. 126 — 138).
Ebenso spielen in der deutschen Volksmythologie die Wald-
weiber die erste KoUe unter den Waldgeistera , die unter dem
Namen Moosleute, Buschleute, wilde Leute, Fanggen bekannt
sind und gleich dialektischen Varianten den russischen Ljeschi
entsprechen.
Im Voigtlande kennt man sie als Moosleute, die Frauen als
Holzfräulein, Buschweibchen. Ihr Leben ist an das Leben der
Waldbäume gebunden; mit jedem Stämmchen, das man a])dreht,
stirbt eines von ihnen. Frauen, die ihnen ihre Waldkinder mit-
leidig säugen, schenken sie Baumrinde, die sich in Gold ver-
wandelt. Sie walten in der Vegetation des Waldes, aber auch
der Segen des Ackers ist ihr Werk und man läßt fiir sie die
letzten Korn- Flachs- Grashalme auf dem Felde liegen. Im
Wirbelwimle fliegen die liuschjungfeni. Sie gehen in Hausgeister
über und helfen den Bauern bei den Fcldgeschäften. (Bk. 74 — 86).
Bei den Czechen stehen den Waldmännem (leäni niuzov^), welche
Mädchen rauhen und sie zwingen mit ihnen in Ehe zu leben,
Waldjungfo-n (leäni panny) oder ivilde Weiher (div6 zeny) zur
Seite, die — wie Pan — die Musik liehen und in der Luft leiden-
schaftliche Tänze ausltihren. Mit Mädchen tanzen sie wol den
lieben langen Tag; Knaben, die in ihre Gewalt kommen, kitzdn
sie zu TodCj wie der Ljeschi (o. S. 146). Blätter, die sie schenken,
wandeln sich in Gold (vgl. o. S. 146 u. 147 Z. 17. Bk. 86). Die
hessischen Wildmänncr gehen entweder hnumgroß Über die Berge
und rütteln an den Wipfeln des Waldes, oder sie wandeln, sieh
klein machend, zwischen den Schachtelhalmen einher. Ihre
Frauen steigen oftmals in Mondnächten in die Lüfte. Ihre
Kleidung id grün und rauh, gleichsam zottig, ihr Haar lang
und aufgelöst. Oder sie zeigen sich fast ganz unbekleidet, tvie
Tiere am ganzen Kärper behaart. Auch sie unterstützen die Ein-
wohner der benachbarten Dr>rfer bei den Ackergeschätten.» Sie
kennen heilsame Kräuter, namentlich solche, welche gegen die
10*
148 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sa^e II.
Pest gut ;sind. (Vgl. Pan Lytcrios o. S. 135) Bk. 87. In Tirol
heißen die Wildfrauen Fanggen. Sie sind ungeheure Gestalten,
am ganzen Körper heJiaart, ihr schwarzes Haupthaar hängt voll
Baumbart (liehen barbatus); ihr Wamms besteht aus Baumrinde
und ihre Schürze bildet ein Wildkatzenfell. Sie sind an den
Wald, ja an bestimmte Bäume gebunden; mit dem Walde oder
Einzelbaumc gehen auch sie zu Grunde und demgemäß fahren
sie auch Namen wie HochrifUa (Hochrinde), RüchritUa (Rauh-
rinde), SMsforche (StntiföhTe). Daneben weist der Name Stutze-
mutze (Stutzkatze), der ebenfalls bei den Fanggen geläufig ist,
darauf hin, daß man sie sich auch in der Tiergestalt von Wild-
katzen dachte. Der Gemahl der Faugga ist der wilde Mann,
der riesenhaft eiyien mächtigen entwurzelten Baumstamm in der
Hand tragend im Sturm durch die Lüfte fährt. Auch die Fan^a
äußert ihr Leben im Wirbelwind. Wie der Ljeschi , die hessische
Waldfrau zu Tode kitzelt, reibt sie, kommen kleine Buben in
ihre Gewalt, dieselben au alten dürren Bäumen, bis sie zu Staub
geraspelt sind. Auch stiehlt sie, wie Silvanus, Kinder ans der
Wiege. Andererseits gehen auch die Fanggen hi Hausgeister
über, treten bei Menschen in Dienst und hellen ihm bei der
Arbeit. Nach allem diesem kann kein Zweifel sein, daß die
Fauggen und ihre Gatten, die Wildmänner, den Ljcschie ent-
sprechen. Wenn es nun andererseits richtig ist, daß die letzteren
dem Geschlecht der Pane gleichstehen, so müssen nach einem
unfehlbaren mathematischen Satze auch die Fanggen diesen dem
Wesen nach entsprechend sein. Und in der Tat tiuden wir die-
selbe Sage, welche Epitherses (o. S. 133) von Pan erzählte, unter
dem oberdeutschen Volke von Fanggen und Wildfrauen berichtet
(Bk. 90 — 93). Aus den vielen Varianten der deutschen Tradition
wollen wir hier nur einige wenige mitteilen. Bei einem Bauer
in Flies stand eine unbekannte, riesenstarke Dirne in Dienst,
welche aber nichts vom Christentum wußte. Einst vom Markte
nach Hause kehrend kam der Bauer durch den Bannwald, die
Joche der verkauften Oechslein über die Schulter gehängt. Da
hörte er aus der Mitte des Waldes eine sehr laute, unbekannte
Stimme ,yJoclhträger, sag der Stulzkatzc die Uodirinde sei todt!''
Darauf ward alles wieder still. Als der Bauer zu Hause beim
Abendessen das Abenteuer erzählt, springt die Magd mit dem
Geschrei jj meine Mutter ist todf' vom Tische auf und ist bald
Vorwandte nordoiiropäisclie Waldgeister. 149
im Banmvalde verschwunden, wo sie das Geschilft der Mutter,
Kinderstehlen u. s. w. fleißig fortsetzt. * Noch viel deutlicher
stimmt die folgende Version mit der i^ansjige tibereiu. Einem
Bauern in Tirol bot eine Mag<l ihre Dienste an, unter deren
Händen sein ganzes Hauswesen, besonders der Viehstand, wie
mit einer Fülle von Segen tibcrscliUttct gedieh. Einst saßen sie
beim Mittagessen, als dreimal eine unsichtbare Stimme durchs
Fenster ert()nte: Salome komm! Die Magd sprang auf und ver-
schwand und sogleich 7virJf (Irr Srgni vom II(iusi\ Einige Jahre
später ging ein Metzger um Mitternacht durch den Hohlweg von
Saalfelden im Pinzgau. Da rief eine Stimme aus der Felswand:
Metzger, wenn du hei der langen Unlen^r Wand vorbeikommsf,
so rufe in die Spalte hinein „..Salome ist gestorhen!^^'' Noch
vor Tagesanbruch an die lange Wand gekommen ruft er das
Aufgetragene dreimal hinein. Da ertihite aus der Tiefe des Berges
ein Inutes vielstimmiges Wehklagen und Jammern , und der Metz-
ger eilte voll Schrecken seines Weges. * Dieselbe Geschichte
wird durch alle deutschen Gaue von Tirol und Baiem bis in die
dänisch redenden Landschaften Nordschleswigs hinauf erzählt;
die handelnden Personen derselben sind wilde Weiber, Holz-
weiblcin, Buschmännchen oder auf dem Felde unter der Erde
wohnender Zwerge. In ihrem Munde lautet die Nachricht bald
„die Mutter Pumpe ist todt" oder „der König ist todt," was
noch näher an den Ausruf „r' ^dyctg Ilav rtd^rr/.e^^ heranreicht.
Knüpft diese Erzählung sich vorzugsweise an die wilden Weiber,
so wird von den wilden Männern eine Mythe erzählt, welche sie
den Faunen, Satjrn und Seilenen gleichstellt. Die w^ilden Männer
werden in Tirol, Vorarlberg, der Schweiz bald riesig, bald klein
und in Hauskobolde oder Zwcrgniännchen übergehend, inmicr
aber als von großer Körperstärke , ganz behaarten Leibes und
mit Tierfellen bekleidet geschildert, eine mit den Wurzeln aus-
gerissene Tanne in der Hand tragend. Sie treiben Heerden von
Kühen oder Gnßen in den Wald und hüten den Mensehen,
welchen sie wolwollcn, hoch oben im Gebirge das Vieh, wes-
wegen sie oft als wilde Geißirr oder wilde Küher bezeichnet
werden. Morgens treibt man ihnen bis vors Dorf zu einem Steine,
1) Alpciiburg Mythen u. 8;i?^eii S. 07.
2j Panzer Bcitr. z. D. Mytli. II, 48 — 63, Vgl. hinten den Nachtrag z. d. S.
l>0 Kapitel 111. Die wilden Leute der antiken Sago ü.
aaf den man von Zeit zu Zeit als Lohn einige Käse hinlegt, die
Ueerde zu, abends kommt dieselbe mit strotzendem Euter zurück.
Entweicht der wilde Mann^ so geht mit ihm der Wal stand und
Segen des Dorfes verloren. Den stäts Schweigenden suchten Mut-
willige zur Mitteilung seiner Geheimnisse zu bewegen, indem sie
ihn berauschten. Meist ist es ein Mittel gegen die Pest was ein
Bauer ihm entlocken will; der ütllt deshalb die Höhlung seines
Lieblingsplatzes mit Wein. Er kommt, kostet nach längerer Zeit
neugierig und vorsichtig. Endlich lustig geworden, wird er von
dem aus dem Versteck Hervorspringenden überrascht und nach
dem Heihnittel befragt. „Ich weiß es wohl, sagt er, Bibemell
und Eberwurz, aber das sage ich dir noch lange nicht" Oder
man füllt zwei Brunnentröge mit Wein, den einen mit rotem,
den andern mit weißem. Der Waldfänke trinkt von letzterem,
da er die Farbe des Wassers hat, wird im Rausch gebunden
und soll als Lösegeld seinem Peiniger die Kunst aus Milchschotten
Gold zu bereiten oder ein anderes seiner Geheimnisse verraten.
Losgebunden findet er sich schelmisch mit einer Wetterregel ab.
Auch diese Sage ist in mannigfachen Varianten verbreitet
(Bk. 96 — 98. 112. 113). Sie stimmt genau zu den von Faunus,
dem Satyr und Seilen erzählten antiken Ueberlieferungen o. S.
117. 118. 137. 138. 141. 142; in weiterem Kreise zu denjenigen
Formen der o. S. 60 if. behandelten Elfensage, in welchen der
Meergreis gebunden und zur Weissagung gezwungen wird.*
Endlich wird von einem Fenggaweibchen (in Unterengadin
von einer ziegenfüßigen Diale) und einem schlauen Bauer, der
sich listiger Weise Selb nennt, dieselbe Geschichte erzählt, welche
Homer an den Kyklopcn Polyphem und Odysseus knüi)ft (Bk. 94
0. S. 106). * Es kann nicht daran gedacht werden , daß diese
Sagen von der Todankündigung, von der Gefangennehmung im
Weinrausch und von der Ueberlistung des Geschädigten durch
den Namen Selb (= Niemand) aus Plutarch, Ovid, Homer in
die deutsche Volksüberlieferung gekommen sein sollten. Denn
erstens würden sie aus gelehrter Quelle stammend nicht eine so
1) Vgl. auch die ontsprochondc aus Indien stammende altfrauzös. Sa^rf
von Merlin. (Val. Schmidt Straparola p. 33G ff. Liobrecht und B<'nfey , «Orient
und Occident I, 341 — 3r>l. Rhode der gricch. Roman 204, Anm. 3).
2) Vgl. auch Rhode a. a. 0. S. 173.
Verwandte nordeuropäische Waldgeistcr. 151
einiache, naive und vielfach eigentümliche Gestalt aufweisen,
zweitens nicht so weit verbreitet und jedesmal an elbische Wesen
und nur solche geknüpft sein, noch würden sie drittens in einem
und demselben Sagenkreise (von den Wildleuteu) beisammen
gefunden werden. Wer bis dahin hätte jemals die Kenntniß und
das Interesse gehabt, aus der Literatur der Alten, und zwar aus
entlegenen Schriftstelleni diese Stücke als zusammengehörig her-
auszulesen, auf den Panen und ihrer Sippe wirklich entsprechende
Wesen der deutsehen Volksmythologie zu übertragen und so dem
gemeinen Manne zu erzählen V Und wenn dies an einem Punkte
geschehen wäre, wie ließe sich erklären, daß bei der Weiter-
verbreitung von da auch die Weiterübertragung auf echte ver-
wandte Mythengestalteu erfolgte V Somit müssen wir annehmen,
daß diese Geschichten sich auf mündlichem Wege seit den Zeiten
des Altertums fortgepflanzt haben, und niemand kann die Mög-
lichkeit leugnen, der unseren Nachweis der Identität der Peleus-
sage mit dem Märchen von den zwei Brüdern anerkennt. ^ Zum
Uebei'fluß aber kommt dieser Auflfiissung noch eine andere schla-
gende und sichere Analogie zu Hill'e. In Valsugana knüpft sich
an den wilden Mann genau dieselbe Sage, welche die Edda von
Thorr und seinen Böcken zu berichten weiß (Bk. IIG). Ist hier
eine literarische Vermittelung noch gewisser ausgeschlossen, als
bei den Parallelen jener antiken Sagen, zumal da diese Er-
zählung nur die Variante einer in den Alpen weitverbreiteten
ganz eigentümlichen, aber aus der nordischen Mythenform keines-
falls abzuleitenden Sagenversion ist (Germ. Myth. 57 — 62); haben
wir also hier ein sicheres Beispiel der ursprünglichen Ueberein-
stimmung eines mindestens im 10. Jahrhundert in Norwegen ver-
11 Hiezu stimmen die vielfachen Kiu'hwcisc echt volksmäßiger ]\Iärchen-
triimmer in der griccJjischen und römischen Literatur, welche Friedländer in
seinem Aufsatze über ,,das Märehen von Amor und Psyche und andere
►Spuren des Volksmän^hens im Altertum.** Sittengesch. R. I, 1873. S. 509 ff.
und Rohde der griechische Roman Ljjzg. 1876. a. m. 0. (s. das Inhaltsverz.
u. Märchen) gegeben haben. Hinzuweisen ist ferner auf die von mir darge-
legten Uebereinstimmungen des aegyptischen Märchens von Batau und Anepu
mit X. H. M. n. 88 (Bastian -Hartmanns Zs. f. Kthnologie 1875. S. 2:^r)ff.) und
der von Ovid bearbeiteten griechischen Vokssage von der Klytia mit deut-
schen und rumänischen Volkssageu und Volksliedern. (Klytia in Virchows
u. HoltzeudoiHs Sammlung gemeinnütziger Vorträge. Heft 3U. Berliti 1875).
152 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage IL
breiteten lieidnisclien Mythus mit der Tiroler Volkstradition von
heute : so ist anzuerkennen, daß nichts hindert, ganz analog auch
die nahe Verwandtschaft jener altrömischen und tirolischen Sagen
auf' Rechnung alter Mythengleichheit zu setzen. Schon, daB der
wilde Mann in den Fesselungssagen als Geißler oder Ktlher auf-
tritt, wie Pan als vo/luoc:, sichert denselben Selbständigkeit und
Altertümlichkeit gegenüber den römischen und griechischen Ver-
sionen,, die von diesem Zuge in dieser üeberlieferung nichts
wissen.
Die soeben erörterte Uebereinstimmung in den genannten
Sagen festigt nun das schon vorher gewonnene Ergebniß, daß
die Pane, Faune, Satyrn und Seilene (resp. Kyklopen) den wilden
Leuten der nordeuropäischen Sage aufs nächste und engste ver-
wandt sind, mythischen Wesen, welche aus Geistern der Bäume
zu Genien des Waldes, ja zu Komwuchs bel(5rdemden Vegeta-
tionsgeistem überhaupt sich erweitem, im Winde ihr Leben und
Dasein äußern, bei menschenartigem Bewußtsein ganz oder teil-
weise die Gestalt von Tieren (z. B. Böcken, Kühen, Katzen) führen,
endUch vielfach in Hauskobolde oder zwergische Feldgeister
übergehen. Und wenn irgend etwas die Glaubwürdigkeit dieses
Kesultates noch verstärken kann, so ist es einmal der Uebergang,
den die norditalische Gente salvatica und die geißgestaltigcn Delle
Vivaue (o. S. 127) zu den wilden Leuten der alten Griechen und
Kömer machen , sodann der Umstand , daß im Schweizer Jura
Zwerge und Zwerginnen, die Härdleute, Erdleute oder Heiden-
leute, welche im Walde Berghöhlen bewohnen und wie die Holz-
leute und wilden Leute daraus hervorkommend den Menschen bei
den Feldarbeiten helfen, übrigens aber mit langen Mänteln stäts
die Füße bedeckt halten, sobald man ihnen aber Asche oder
Kleie hinstreut, den Abdruck von Entenfüßen oder GeißfüQvti oder
je eines Menschenfußes und eines Geißfußes zurücklassen. '
Gradeso erzählt man in Sehottland von den Uriskin, Waldgeisteni
von einer GesUdt, welche zivisclien Geiß und Maisch die Mitte
1) Griinm Myth.« 410, Anm. =•* V^'l. Grimm D.S. n. 140. Uochholz
Aargaus. 1, 270, 181". 280, H»3, 12. Rochholz Naturmytlien S. 103. 123.
Daß dabei diese Wesen nocli immer als Geister gcdaclit seien, geht aus
mannigfadieu Analogien hervor. Vgl. Tylor Anfänge der Cultur II, 198.
Zingerlc Sitten^ 227, 1790.
Verwandte' nordouropäischo Waldgcister. 15JJ
hält, Sie wohnen in unzugilnglichen Waldhöhlen, kommen aber
gerne zu den Menschen, um Dienste als Hausgeister zu leisten.*
Und auch das estnische Epos Kalewipoeg schildert Urdmännclwn
(Härjapdlwelase poeg) in ganz ähnlicher Weise:
1) Walter Scott, Lady of the Lake Cmio IIL (Works Frankf. a'M. 1834.
p. 1Ü2):
By many bard in Celti<j tongue
Uas Coirnan - Uriskin becn sung,
A softer name the Saxonsgave
A cal'd the grot the Gobiin -cave.
I)a/.n die Anm. (p. 421)) : Ooir-nan-üriskin. This is a very stcop and
inost romautic hollow in tho mountain of Ben-venuc, overhanging the
southeastern extreniity of Loch-Katrine. It is surr(mnded with stupondeous
rocks and overshadowed with birchtrees mingled with oaks, th<i s])ontiineous
produetion of the mountain, even wherc its cliff appear denuded of soll.
The namo litterally implies the corri or Den of the wild or shaggy mon.
Perhaps this may have originally only implied its being tho hount of a fero-
cions banditti. But the tradition has jiscribed the Urisk, who gives
name to the cavcrn, a ügurc between a goat and a man, in short
howower muoh the classical reader may be startled, precisely that of the
Grecian Sat\T. The Urisk seoms not to have inherited with the form tho
petulancc of the silvan deity of the chwsics: his occupatious on the
contrary ressembled those of Miltons Lubber Fiends or of the 8cottish
Brownies, though he diifered froni buth in uamc and appearence. „The
Urisks, says Mr. Graham, wero a sort of lubberly supernaturals , who likc
tlie Brownies could bo gainod over by kind attention, to perform tlie drud-
gcry uf the farm, and it was believed, tliat many of the families in tlie
Highlands had one of the order attaehed to it. They were supposed to bo
dispersed over the Highlands, each in his own wild recess, but the solemn
stated meetings of the order were regularly held in the cave of Ben-veuue.'*
Hiermit vergleiche man die Aussage von Reginald Scot (Discoverie of Witch-
craft 1655, 11. «;. 4). Ein Brownie Namens Luridan bewohnte lange Jahre
die Insel Pomona, die größte der Orkneys in Schottland, und ersetzte die
Stelle einer Magd mit bewunderungswürdiger Emsigkeit bei den Familien,
bei welchen er zu spuken pflegte, iudem er ihre Zimmrr kehrte, ilire
Schüsseln wusch und Feuer anmachte lange vurluT, ehe sie morgens auf-
standen. Nach 70 .Jahren müsse er seinen Platz an Balkin, den Herrn der
nördlichen Berge abgeben, dieser sei wie ein Satyr gestaltet, habe
12(X)0 Weiber und Kinder aus dem Geschlechte der nördlichen Elfen, welche
die Höhlen in den Felsen von Southerlaud, ('atanes und den umliegenden
Inseln bewohnen. Mit ditisen Sagen wird der schottische Volksglaube in Ver-
bindung stehen, daß die Ziegen ein gutes Einvernehmen mit den Elfen
haben, deren gute Bekannte sind, und mehr wissen, als man glauben sollte.
Grimm Ir. Elfonmärch. XL.
IM Kapitel Ul. Die wilden Leute der antiken Sage IL
Da ans tiefem Basengrando
Stieg hervor von Furcht befangen
Mit gcheimnißvollen Schritten
Einer von dem Zwerggescblecbte,
Mochte drei der Spannen messen,
Trug am Hals ein goldnos Glöckchen,
Kleine Hörner hinterm Ohre,
Unterm Kinn ein Ziegcnbärtchen."
Die ErzähluDg, in welcher dieser Zwerg handelnd auftritt, ist
identisch mit dem Märchen „dat Erdmänncken" K. H. M. n. 91.
Vgl. K.II.M. IIP, 1 62. Raßmanu D. Heldens. I, 860—373 und o. Ö. 5 1.
Bemerkenswert ist das goldene Glöckchen am Halse des Zwerges,
das der Kalewide im Verfolg demselben abnimmt, und auf seine
Stirne schlägt, worauf ,,gleich aJs Mm' der Donneralte, als ob
Äike (der Donnergott) selber käme,^^ das Zwerggebilde mit krachen-
dem Gepolter in der Erde Schoß hinabiährt (v. 625- 683). Diese
Schelle des estnischen Erdmännchens gleicht dem Glöckchen auf
der ZwergenmUtze in den Zwergsagen von Rügen.* Sie bewährt
einerseits die Selbständigkeit der estnischen Ueberlieferung und
stellt andererseits den estnischen Dämon zu den schwedischen
im Wirbelwind umfahrenden vom Donner verfolgten Trollen und
Skogsnuftrar (Bk. 138). In Norwegen spricht man von IliUjd-
böcken (Uoubukke). „Sie haben — sagt der Berichterstatter —
ihren Namen von den Hügeln, in denen sie sich autlialten; sie
kommen nach dem Begriffe des gemeinen Volkes ganz überein
mit den heidnischen Satyrn oder Waldgeistern, Daß nmn ihnen
hl alten Tagen Speise hinsetzte, gleichsam opferte, ist noch bekannt
genug/* ^ Ist auch die Geißgestalt nicht ausdrücklich bezeugt,
weist auf ein den Hügelböckcn ähnliches oder gleiches Wesen
dennoch deutlich hin eine gotländischc Ueberlieferung, die I^vcn
beibringt: Wettis tanquam Diis tcrrestribus libaruni sine dubio
1) Kalewipocg verd. v. Hertram Dorpat 1861, XMl, v. 42:) ff. S. 5r>o.
Vgl. S. 546 — 567. Vgl. a. Bluniborg Quellen und Realien des Kalcwipoeg S. ir>.
2) S. E. M. Arndt Märchen nnd .lugenderinnorungen. Berlin 1818.
Keigtliley Mythologie der Feen und Elfen übers, v. 0. L. B. Wolf I, 378.
3) (Hans StrönO Physisk og oekonomisk Beskrivelse over Fogderiot
Söndniör i Borgens Stil't. Soroe 1762, 8. 537. Vgl. den Bock der Trolle
Odnianns Babuslän »S. 224. Myth.^ 426. llov, im zweiten Teil von Zusam-
mensetzungen houg (altn. haugr) ist eine kleine Krböbung auf der Erde, ein
kleiner Hügel, in Telemarkcn eiire gröücre Erböhung, ein kleiner Berg.
Bockgestaltigo Korn- und Foldgeister in Nordonropa. 155
varii gofieris cscidenta et caprarii Iwdiernl retinucruut inoreni.
Nam, cum in pancuis coenantiir, partlunadas panis, caavi alio-
rumque Wettis sive Goda-Ucit-Niss scponuut et ceHpitc vivo
saperstitione teguiit, ne pccori vel gregibus noceant implacata et
laeva numina. *
§. 10. Bocksji^estaltige Koni- und Foldpeister in Nord-
europa« Wir sahen die Waldgeistcr einerseits im Winde ihr
Leben kundgeben, andererseits mit ihrem Leben an das Leben
der Waldbäume gebunden, gleichsam als Genien, Beseelungen
derselben auftreten, sodann ihre Wirksamkeit nicht bloß im Wald-
wuchs, sondern auch im Getreidewachstum äußern. Es gab
Ljeschie des Waldes und Ljeschie des Kornfeldes (o. S. 1 15) und
auch sonst ergeben sich die bald anthropomorphischen bald the-
riomorphischen Getreidegeister in der deutschen Ucberlieferung
den Waldgenien als wesensgleich (Bk. 6o:5flF.). So heißt die den
Getreidedämon darstellende letzte Garbe in der Gegend von
Eisenach Wcädmami (Bk. 4iu); in 8t. Polten ob dem Wiener
Walde warnt man die Kinder nicht ms Koni zu gehen, darin
hause der Waldteufel , der sie vom rechten Wege ab in die Irre
tilhre. Mehrfach heißt es, der Hemann (Bk. 127, o. S. 115) fahre
im Winde durchs Korn und weile zwischen den letzten Halmen
des Ackers, woher auch die letzte Garbe nach ihm benannt wird
(Böhmen, Mähren, Ücstreich). In Aurich in Ostfriesland warnt
man, wie sonst vor dem Schotenhund, Weizenbeller , Kornmops,
vor den Klddclhundcn im Kornfeld, welche Kinder zu Tode
kitzeln, wie die wilde Frau, Fangga und der Ljeschi (o. S. 146.
147. 148). Mithin ist es deutlich, daß wir in dem bocksgestal-
tigen Getreidedämon den Bruder oder nächsten Anverwandten
des bocksgestaltigen Waldgeistes zu suchen hal)en. Dieses Wesen
tritt in einer reichen Fülle von Ucberlieferungcn hervor. Zunächst
macht es sich auch im Windesicclien l)emerkbar und zwar ent-
weder als einzelner Dämon, oder zu ganzen Scharen. Wenn das
Korn in Wellen auf- und abwogt .Jaycu sich die Böcke,'' ,,t reiht
der Wind die Böcke durchs Korn,*' ,, weiden da die Böcke/' und
man erwartet eine sehr günstige Enite. (Umgegend von Krmigs-
berg, Lyck, Olctzko, Prov. Preußen). Bei Sensburg und Kreutz-
burg (Pr. Preußen) heißt es dann, „der Haferbock sitze im Hafer-
1) Lüvc'n Dlssertatio graduiilis de Gotliungia. Londini Gothw. 1745. 1S.*J0,
156 Kapitel III. Die wilden Leute dur antiken Sago II.
feld, der Kornbock im Roggenfelde," und bei Gardelegen sagt
man vom wogenden Korn „datKoarn huckV^ In diesen Redens-
arten macht sich dasselbe Verhäitniß zwischen dem einen Korn-
bock und mehreren Getreideböcken geltend, welches zwischen
Faunus und Faunen , Pan und Panen obwaltet. *
1) Hängt mit diesen Vorstellungen zusammen, daß dem Litauer am
kurischen Haif der Südostwind ozinnis (trumpas ozinnis Ostsüdostwind , ilgas
ozinnis Südsüdostwind) d. h. der böckische, vom Bock ausgehende heißt?
Auch Wolken werden als Böcke gefaßt. Bei Oscherslebcn heißen schwarze
Massenwolken de Murrkater, Bullkater, aber auch dcBockkerl (Bockniaun-.
Zu üntrup Amt Rhynow Kr. Hamm Rgbz. Arnsberg nennt man die leichten
Wolken, welche bei heißen Tagen nach und nach aufsteigen, Gewitter-
böcko. Damit stimmt die Benennung Thors bockar für diese kleinen
schwarzen Wetterwolken im Dialekt der Insel Gotlaud (C. Säve om de nor-
diska Gudenamnens Betydelse. üpsala 1860, p. 78) überein. Cf. Thors Böcke
Tanngrisnir und Tanngniostr. Kinderlieder, welche die Auffassung der Wolken
als Böcke zu enthalten scheinen, habe ich nachgewiesen. Germ. Myth.
390 — 91. Dazu vgl. Bk. 116. Bemerkenswert ist die Sage vom Holzenberg
(Baselland). Auf demselben läßt sich zuweilen zur Zeit der £rnte eine
Ziege hören, welche fürchterlich brüllt; dann stellt .sich jedesmal
schlechte Witterung ein. (Lenggenhager, Volkssagen a. Ranton Basel-
land. Basel 1874, S. 99^ Da im Baselland Erzählungen von Witterungs-
wechsel ankündigenden Geistern sehr verbreitet sind, und jedesmal Töne von
sich gebende Geister des Sturmes (Schloßherr, der den Kopf zum Berge heraus-
steckt und schreit; a.a.O. S. 111; luftfahrende Männer 117, Schimmelreiler
118, wilde Jäger 118, Geister in der Kutsche u. s. w. 96^ oder als Windper-
soniticationcn bekannte Tiere (bellender Hund 15, Pferd 115) als solche
genannt werden, wird auch diese brüllende Geiß eine NaturauiFassung des
dem Gewitter vorangehenden Windstoßes (Windsbraut) oder Wirbelwindes
sein. Diese Auffassung scheinen zwei andere Sagen aus Baselland (a. a. O.
65. 37) zu festigen. Ein schwarzer Mann in altmodischer schwarzer Tracht
mit breitkrämpigem Hut geht auf dem Fußweg unter der Alp von Sissach,
Reiser ausziehend und in kleine Stücke zerteilend. In einem klei-
nen Gehölz purzelt er den Abhang kopfüber hinab und hinauf und geht dann
an das vorige Geschäft. Bald folgt ein schwerer Gewitterregen. — Zu Häfel-
fingen schreitet bei der Heuernte ein unbekannter Mann in grauem Kittel
mit breitrandigem Hute daher, grußlos an Kindern vorbei und scheinbar iu
die Sense des am Wege mähenden Bauern hinein, der nichts von der
Erscheinung sieht, wc^lche bald darauf verschwindet und durch ein mächtiges
ciewitter abgelöst wird. (Vgl. bei einem während der Enite heraufziehenden
Gewitter pÜegt der aargauische Bauer zu seinen im Acker helfenden Kindern
zu sagen: „Buben macht schnell, der schwarze Mann kommt!** K4>ch-
holz Sag. a. d. Aargau 1, 198). Aufs nächste stellt sieh die Häfelßnger Sage
zu der schwedischen bei Afzelius Sagohäfder I, 10 lübers. v. üngcwitter I. 23;,
wonach die Bergtrolle beim Gewitter iu allerhand Gestalten, besonders in
Bocksgestaltige Korn- und Feldgeister in Nordenropa. 157
Andererseits warut man die Kinder ins Kornfeld zu gehen,
um die hlaiieii Konibhumm (Cyanus ecntaurea) abzupflücken, oder
in die Erbsenbeete, um Schoten zu naschen, denn da sitze oder
liege der lioggenfßock (Gardelegen), Kortibock (Mohrungen, Neu-
baldensleben , Ilsenburg, Kr. Wernigerode), Haferbock (Garde-
legen), Arftetibuck, Erbsenbock (Mohrungen, Wanzleben, Verden,
Stade, Grätsch. Hoya), liohienhock (Göttingen, Lüneburg), die
Gestalt großer Kugeln oder Knäuel vom Berge heruntergerollt gekommen
Schutz bei den Heuniähern gesucht hätten, welche die Gefahr wol erkennend
sie stäts mit den Sensen von sich abgewehrt, wobei es denn oft vorgekommen,
daß der Blitz herabgefahren und die Sensen zertrümmert, worauf der Kobold
mit kläglichem Gewimmer in den Berg zuriickgeilohen.'* (Vgl. (►. S. 99).
Diese Erscheinung ist deutlich die Trombe, deren rauchwolkenartiger Anfang
das sich herabsenkende Knäuel darstellt. Die Bauern wehren den Dämon mit
der Sichel ab. wie sonst durch Messerwurf oder Kanonenschuß (o. S. 8lj. 1 10) ;
die Heuernte ergiebt sich aus der Jahreszeit. [Man sieht, wie ungegründet
die von W. Schwartz aufgestellte Deutung des Knäuels auf das dicke Blitz-
ende ( y ) und der Sichel auf den Regenbogen war. Schwartz Urspr. d. Myth.
.S. 136. Der Volksglaube Aufl.- S. 44J. Nun aber erwäge mau die folgende
Erzähluug aus Litau^^n. Der als Lehrer Schleichers bekannte Schullehrer
Kumutatis in (rroß Kakschen teilte mir mit, seine Xachbarin habe ihm erzählt,
als ihre Mutter noch ein unverheiratetes Mädchen war, wurde auf den Som-
merwiesen an einem schwülen Sommertago Heu geharkt. Während dessen
stieg ein Gewitter auf: und als es schon ganz in der Nähe der Harker war,
kam ein Ziegenbock gelaufen, mitten durch die Leute, welche aber den
Bock seiner Sciinelligkeit wegen mit den Blicken nicht verfolgen konnten.
Unmittelbar darauf kam ein Jäger, grün gekleidet, und fragte die Leute, ob
sie nicht einen Ziegenbock gesehen. Kaum hatte der Jäger sich in der
ihm angedeuteten Richtung von den Leuten entfernt, so fuhr ein heftiger
Wetterschlag in einen Heuhaufen, zündete ihn an und verbrannte ihn. Ein
Mann in Puskeppeln sah vor dem Gewitter einen großen schwarzen Hund
durchs Dorf ins Feld laufen, worauf alsbald ein heftiger Blitzschlag folgte,
der den grausig heulenden Hund erschlug, wobei der Bauer bemerkte „ach
(rott sei Dank! da ist wieder ein Teufel todtgeschlagen ! " Sind hienach Thors
Böcke, die gotländischen Thors bockar und der litauisch«^ und Baselländische
Ziegenbock deutlich Naturbilder bald für die dem starken Gewitt^rausbruch
vorangehenden Winderscheinungen (Windsbraut, Wirbelwind), bald für
die voraufgehenden Wolkenbildungen, so darf an eine Uebertragung von einem
Bilde aufs andere gedacht werden, und da werden wir den oft schon mit
feurigen Phaeiiomenen gemischten Winderscheinungen den Vorzug geben.
(Vgl. 0. 8.99 den Orco). Hier ist nun auch der Punkt, wo sich die schon
von Preller auf die ,.W<'tterwolke" gedeutete Aegis des Zeus an die von uns
behandelt<'n Vorstellung<'n .anschließt. Vgl. auch die estnischen Erdmännchen
o. S. 154.
158 Kapitel III. Die wilden Leute der aDtiken Sage 11.
Habergeiß (Ramsau Ohersteiennark), der Nickelbock (Nenhaldens-
leben) und nehme sie mit, stoße oder tödte sie. Der Name
Nickelbock weist auf Verwechselung oder Vermischung des Kom-
bocks mit dem Nix des den Acker durchrieselnden Baches. Zu-
weilen braucht man den Ausdruck Bohnenbock auch dann, wenn
Kinder davor gewarnt werden, in ein Weisenfeld oder Roggen-
feld zu laufen. (Fallersleben , Lüneburg, Wecke bei Göttingen).
In der Altmark schreckt man vom Komfelde zurtlck ^ indem man
sagt: de Bockkerl sitt'r imie un nimmt dick tnidde, womit denn,
noch augenfälliger an Pan erinnernd, die um Zusmarshausen
(Kr. Schwaben und Neuburg) gebräuchliche Kedensart, die Kinder
vom Verlaufen in den Wald abzuhalten, parallel geht „da sei
der Bockemä'^ (Bockmann); und hiezu gesellt sich die schon im
16. Jahrhundert nachweisbare Kinderscheuche Bockelnmnn.^ Durch
1) Vgl. Grimm D. W.-B. II, 224 aus Seb. Franck Heillosigkeit 33:
,,Pan wird gcacht der gott sein, der die lout erschreckt und furchtig macht,
den die Kinder Hockelmann oder Bercbt heißen." A. Bastian (der
Mensch II, 113) führt aus Luther folgende Stelle an: „Da droben in der
Luft schweben die bösen Geister, wie die Wolken Über uns, flattern und
fliegen allenthalben um uns her, wie die Hummeln in gr(»ßen unzähligen
Haufen, lassen sich wol auch sehen in leiblicher Gestalt wie die Flammen
daherziehen in Drachen gestalt oder andern Figuren, item in Wäldi^rn und
bei dem Wasser, da man sie siebet wie Böcke springen oder bürnen
wie die Fische." Von diesem Bockolmann handelt die Sage bei Panzer
II, 59. Ein bocks füßig er Teufel in grtinor Jägerkleidung kam jedesmal
aus dem Walde, s(» oft eine gewisse Bauermagd auf einer Wiese bei Nürnberg
heuen sollte, schäkerte und liebelte mit ihr und besorgte inzwischen unsicht-
bar das Grasschueiden , so daß sie nichts anderes zu tun hatte, als das Heu
einzuraff'en. Der Pfarrer gab ihr zwei Kräuter auf der Brust zu
tragen, die vertrieben ihn. Oft strich er um ihr Haus und jammerte
„Wireutla und Mireutla, das bringt mich um mein schöns Bräutla.*' So
helfen die Holzfräulein (Bk. 7i)), Wildfräulein ^ßk. 88), Seligen (Bk. 104. 107
beim Heuen und Kornschneiden und die Kräuter Dorant (antirrhinum* und
Dorant (origanum) werden getragen, um Nixen und Kobulde davon abzu-
halten, Kinder zu vertauschen (vgl. Wuttke Abergl. - §. 5G. 135. 570. 581):
Kümmel vertreibt die Moosleuto (Bk. 75 1. Somit erweist sich der Inhalt
obiger Sage als echt volkstümlich und höchstens leicht beeinflußt, nicht etwa
abgeleitet von den si^ätmittelalterlichen Vorstellungen der Theologen und
Juristen von einem bocksg«'staltigen Teufel, welche aus den seit Mitte saecXlII
(Vgl. Nicola v. Pisa s. Pii)er Mythol. u. Symbol, d. christl. Kunst I, 1, 495.
405) aufgekommenen Kunstdarstellungen des Teufels als antiker Satyr in die
Literatur (Matth. Parisiensis histor. maj. ad a. 1100, bei Soldan Gesch. d.
Hexenproz. 8. 150), im 15. .lahrh. in das Gewebe der den Ketzern und Hexen
Bocksgestalti^o Korn- and Feldgeister in Nordeuropa. 159
Metonymie vom Getreidcdänion heißt die hlatie Kornblume selbst
landsehaillich Ziegenbock oder Zieijenbein , ' sie muß *il8 eine Er-
scheinungsform jenes Geistes gegolten haben und sollte deshalb
nicht gebrochen werden. Daß man den Getreideboek als einen
wirklich wesenhaften und wirksamen Dämon tllrchtAe oder ehrte,
geht aus der Vorstellung hervor, daß der bis dahin im Acker
verboi^ene, beim Schneiden des Getreides aber zum Vorschein
kommende es verschulde, wenn ein Arbeiter (Arbeiterin) während
der Ernte, zumal in den ersten Tagen derselben, krank wird
oder hinter seinen Genossen aus Schwäche, Ermüdung, Trunken-
sein zurückbleibt. Dann ruft man letztcrem (ihr) zu, oder sagt von
ihm (ihr): ^jl)e Ausfbuck hef em (är) statt ^^ „d. i. der Emtebock
hat ihn (sie) gestoßen," ^^ er hat sich vom Kornbock stoßen lassen^^
(allgemein Mecklenburg -Strelitz, Hannover, Lüneburg). Nament-
lich gebraucht man diese Redeweise von einem Mädchen, das
während der Erntezeit erkrankt. * Junge Dirnen, die zum ersten-
male binden, warnt man in Mecklenburg „Laß dich nicht vom
Erntebock stoßen (lät di nich von'n Austbuck stiften). Wird eine
von Aufregung, Hitze u. s. w. wirklich krank, so hört man jjde
Austbuck hrt är nnnerkrngen^^ und kommt eine Magd in interes-
sante Umstände und zwar so, daß nach der Rechnung, welche
jede Kameradsch unfehlbar anstellt, die Ursache davon in der
alle Sinne aufregenden Zeit der Roggenernte zu suchen ist, so
lautet der Spottruf „Du h^^t di wol vnnn Austbuck 'n Bing
stäken Idten^^ oder „(// hrt ivol de Austbuck ivat unncre Sclii'ni
stäken}^ Siehe da, das Seitenstück zum Faunus iicarius (o. S. 116)
und seinen weiberfreundliclicn Collegen Pan, Satyr und Seilen!
Neben dem Getreideboek gab es auch, wie wir sehen werden,
einen bocksgestjiltigen Dämon des Grases. Zuweilen wird
vorgeworfenen, orträumton Bcscliuhligun^^en gerieten. Soldan Gesch. d. Hexen-
proz. 101. 2(^5. Vgl. auch lUoniberg, der Teufel u. s. Gesellen i. d. bilden-
den Kunst S. 25. 32.
1) Heinsius volkstfiml. W.-H, der d. Spr. S. 1757. Eine ähnliche Me-
tonymie ist vielleicht der Name }^)ekahorn Bockshorn für das Mutterkoni
secale cornutum (Moller Ordhog ofver Hallandska Landskapsm. Land 1858),
da auch die sonstigen Namen desselben Kornmutter, Wolf, Ilundebrod
auf Korndämonen (Kornmutter, Kornwolf. Kornhund) zurück zu wei.sen scheinen.
S. Mannhardt Roggenwolf 8. 22 ff.
2) Hetze bei Lüneburg: „deck het de Kornbuck stött.'* Vgl. Heyse
Punschendörp 8. 231 Smidt-en het de Austbuck stütt.
KiO Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
derjenige , der bei der Heuernte auf diesen gestoßen ist , so zu
sagen mit ihm identifiziert. So spotten die Esten auf der Insel
Dagden an der russischen Ostseeküste , wenn beim Schnitt ein
Arbeiter mit den andern nicht Strich halten kami „se on Ole-
päwa ois, mis numa päle jääb '^ d. i. das ist des OUwstags Böek-
chen . welches auf der Mast bleibt. ' Olewstag d. h. St. Olafetag
(29. Juli)' ist ein altes Erntefest , dann feierte man den Schluß
der Heumahd und den glücklichen Beginn der Kornernte. ^ Dann
schlachteten die Esten und Finnen unter sehr altertümlichen Cere-
monien ein Tier, meistens ein Lanmi,^ ohne Zweifel zuweilen
1) Holzmayor Osiliana. Verliandl. d. estn. Gesellsch. zu Dorpat. B. VII,
S. 115.
2) Holzmayer a. a. 0. S. 64 nennt irrtümlich Juni 29. statt Juli 29.
(10. August n. St.).
3) Vgl. Pinn Magnussen (den forste November og den forste August,
to kalendariske Undersögelser Khvn. 1829, p. 77 ff.): „Der 29. Juli ist ein
St. Olaf geweihtes Uauptfest im ganzen Norden. Auf ein ält<>res gleichzeitiges
Erntefest gründete sich wol die Legende, daß der König kurz vor seinem
Tode durch Gebet und Besegnung ein von Pferden niedergetretenes Kornfeld
in ein üppig gedeihendes umwandelte. Die norwegischen Kirchengesetze ver-
ordnen eine Komlieferung an den königlichen Heiligen unter dem Namen
Olafskorn (Olafs-korn, Olafs- told, Olafs- pengei — ohne Zweifel als Ab-
gabr von den ersten Früchten dos Foldfs — um davon in der Domkirche zu
Drontheim, der Landeshauptkirche, Messen für Frieden und Fruchtbarkeit
lesen zu lassen. Am Abend vor diesem großen Nationalfest begann auch der
sogenannte Olafsfrieden (Olofsfreden) oder Krntefrieden (Hustens Holig-
hed, Hösthelgen), der bis Michaelis dauerte, begleitet von großen Märkten,
die an manchen Orten bis Mi(!haelis währten. In Oesterbotn wird am (Hafs-
tage der SlStterost (Mäherkäse) bereitet, ein Käse, mit welchem die Haus-
leute zur Feier des Schlusses der Heuernte bewirtet werden. In S<hwedeii
und Norwegen hat seit uralter Zeit um diesi» Tage ein Gastgebot und Trink-
gelage stattgefunden , das in beiden Reichen Slätöl , Slättöl u. dgl. hieß und
zugleich als Daukfest für die vollbrachte Heuernte und frober Bett^ig für «lie
Kornernte diente.
4) Die Esten auf Oesel halten für unerläßliche Pflicht am Olaustage
(Olewi-pä) in jedem Hofe ein eßbares Tier zu schlachten: „denn, sagen sie, am
Olaustage muß das Messer blutig gemacht werden.** Htdzmayer a. a. O. G4.
In Wierland und Alientacken wurde ein Lamm (Olewi - lamnias) geschlachtet
dessen Blut den Schutzgeistern des Hauses ge<»pfert wurde; die Eingeweid.«
brachte man auf den Ukkostein (Opferstein des Donnergottes), das Fleisih
verzehrte das Hausgesinde. Boeder -Kr«»utzwald der Ehsten ab»»rgl. Gebr.
S. 87. Die Karelen in Finnland braten am Olewstage, an welchem sie von
aller Arbeit ruhen, ein ganzes Lamm, das ohne Messer getödtet ist, und
dessen Knochen nicht zerbrochen werden dürfen.* Es ist seit dem Frühjahr
Bocksgestaltige Korn- and Feldgoistcr in Nordenropa. 161
ein Ziegenböckchen. Man wird die Vorstellung gehabt haben,
daß das am Olewstage verzehrte Lamm oder Böckchen den Vege-
tationsdämon des Grases darstelle, der beim Schluß der Heuernte
znm Vorschein komme und als segnendes Heiltum von den Haus-
genossen genossen werde, weswegen kein Fremder am Mahle
teilnehmen darf. Verlangsamt sich ein Mäher, so hat er schon
vorher unerwarteten Widerstand gefunden, er ist auf den Dämon
gestoßen. Gleiche Vorstellungen muß es bei der Kornernte gege-
ben haben. Denn abgeleitet daher ist es, daß man zu Fisch-
hausen im Samlande zu dem Schwächsten bei irgend einem Spiele
oder zu demjenigen, der am wenigsten vom Spiele versteht, sagt:
du gehst für Haferbock. Nicht minder nennt man in der Graf-
schaft Glatz einen rohen und ungeschickten Menschen Häherhock,
In der Gegend von Braunsberg (Ermeland) sputet sich deshalb
beim Haferbinden ein jeder, damit ihn nicht der Kornhock stoße.
Am meisten jenem estnischen Olafstagsbrauche ähnlich ist der
folgende norwegische. In Oefoten schneidet bei der Kornernte
jeder sein bestimmtes Stück (Fei); und wenn nun einer, der in
der Mitte steht, später fertig wird, so schneidet (skjjerer) der
andere sein Stück und man sagt von ihm, dessen Stück geschnit-
ten wurde, er bleibe auf dem Holme (Insel)* stehen (han bliver
staaende paa Holme). Ist er ein Mann, so tut man, als locke
man einen Bock (kalder man paa Bukken) „kille Biikjen!^^^,
nicht geschoren. Wird es Jinf den Tisch getragen, so spritzt man mit Baum -
zweigen von Eller oder Föhre Wasser über die Ttirschwclle und setzt etwas
von der Mahlzeit in einen Winkel oberhalb der Bank am Tischende (für die
Hausgeister), einen andern Teil schüttet man aufs Feld und neben die
Birkenbäume, welche dazu ausersehen sind im nächsten Jahre als M ai-
Stangen beim Mittsommerfest ins Gehöft (Bk. 159 ff.) gepflanzt zu werden. Die
Eingeweide werden in die Erde vergraben. Kein Fremder darf vom Fleische
kosten. Diese Gebräuche, sagt Finn Magnussen, gehörten höchst
wahrscheinlich zu dem ersten (»der vorläufigen Erntefest der
Finnen. Finn Magnussen a. a. 0. 78. Ders. Loxicon mythol. 830. Nach
Lcncquist de 8U])erst. vet. Fenn. 31 heißt das Lamm willa-wuona (Wollelamm).
1) Holm 1. eine Insel, 2. ein Fleck , der sich von der umliegenden Erde
unterscheidet. Z. B. ein Grasplatz auf einem Acker, ein Stück unabgemähte
Wiese u. s. w. Aasen.
2) Kille aus kidla Zicklein ist Lock wort, womit man Geiße zu sich
ruft. (AasenV Vom Schafbock gebraucht findet sich das Wort als Koseform
„liebes Böckchen*' in Björnstjern Björnsous Arne. Bergen 1858. S. 40.
„ killebukken , lammet mit*'
Mannbardt. II. 11
162 Kapitel HL Die wilden Leute der antiken Sage IL
ist er ein Mädchen^ so stellt man sich, als locke man die Gtiß
yykiUe gjeita!^^
Der im Ackerfelde sich aufhaltende Getreidebock wird von
den Schnittern bis in die letzten Halme verfolgt and in diesen
oder beim Schneiden oder beim Binden der letzten Garbe er-
griffen. Er ist nattlrlich ein ansichtbares Wesen, wird aber gerne
aach äußerlich dargestellt. Man ruft deshalb der Binderin der
letzten Garbe zu, in der Garbe sitze der Bock (Erentzbai^ Ost-
preußen). In der Gegend von Straubing (Niederbayem) sagt man
von demjenigen, der das letzte Getreide schneidet, je nach der
Fruchtart „er hat die Korngeiß , WeizengeijS, Habergeiß.^ Dem
letzten der Korn- oder Weizenhaufen (Mandel) werden zwei
Homer aufgesetzt; derselbe heißt dann der gehörnte Bock (Grafe-
nau bei Straubing Niederbayem). Im Hundsrttckviertel in Ober-
östreich heißt es bei jeder Getreidesorte, sei es auch Koro oder
Weizen, von demjenigen, der beim Abmähen der Stoppeln den
letzten Sensenhieb illhrt, er hat die Habergeiß. Wenn in Gab-
iingen (Schwaben) das letzte Haferfeld eines Bauerhofes geschnit-
ten wird, schnitzen die Schnitter aus Holz eine Geiß. Durch die
Nasenlöcher und das Maul stecken sie in entgegengesetzter
Richtung je zwei Haferähren (Haberspitz) und auf das Genick
eine. Auf dem Rücken der Geiß liegt von den Hömera bis zum
Schweif eine Blumenkette, an welcher noch andere Blumenketten
befestigt sind, die über den Leib herabhangen. Die Geiß wird
auf den Acker hingestellt und heißt die Habergeiß. Wenn die
Schnitter das letzte zwischen zwei Furchen liegende Ackerbeet
(Strang) schneiden, beeilt sich jeder zuerst fertig zu werden.
Wer der letzte ist „bekommt die Hahergeiß.^^ *
Es ist ganz natürlich, daß auf die letzte Garbe, in welcher
der Bock ergriffen wird, der Name derselben übergeht. So heißt
in Schweden (Umgegend von Linkjöping) die erste Garbe, welche
in die Scheuer gelegt wird, (also die oberste, letzte des letzten
Erntewagens) an manchen Orten Vorherresbockj Herrgottsbock
Verlangt ein Neugieriger den Bock zu sehen, so umklammert
man ihm mit den Händen den Kopf und hebt ihn in die Höhe. '
1) Panzer Beitr. z. d. Myth. ü, 232, 426.
2) In gleicher Weise verfahrt man, indem man ein Kind firagt „har
du sett herrans höns? Hast da die Herrgottshühnor (Marienkäfer ?gl
BoeksgeflAaltige Korn- und Feldgeister in Nordeuiopa. 168
Im Tale der Wiesent in Oberfranken heißt die letzte Garbe, die
auf dem Acker gebunden wird , der Bock und man sagt sprich-
wörtlich „ der Acker muß einen Bock tragen." ^ Im Kreise Khein-
bach Rbgz. Köln heißt die letzte Einfuhr die Mahlegeiß y Mahlde-
geiß oder Mahdegeiß. Eine Garbe wird auireeht gestellt , mit
Bändern und Blumen, Taback, Weißbrod und Branntweinflaschen
als Lohn für die Arbeiter geschmückt. In Spachbrttcken Großhrzt
Hessen heißt die letzte Handvoll, die geschnitten wird, Oeiß,
and wer sie schneidet, muß viel Gespötte darum erdulden. Und
ebenso wird im Ostkreis des Herzogtums Altenburg der Schnitter
der letzten Handvoll Winterfrucht damit geneckt, daß er „die
Ziege" geschnitten habe.
In vielen Gegenden wird die letzte Garbe nur dann, wenn
sie unvollständig gerät, also kleiner ist als die anderen, Bock
(Kr. Schleusingen Kgbz. Erfurt ; Kreutznach, Wetzlar Rbgz. Coblenz ;
Kr. Neustadt, Dieburg, Lindenfels Prov. Starkenburg im Groß-
hrzgt. Hessen; Aemter Weizen, Diez, Usingen in Nassau), in
Mittelfranken Bock, Böckla (Böckchen) genannt. * Entweder läßt
man es auf den Zufall ankommen, ob die Garbe klein wird und
betrachtet dies dann als ein gutes Vorzeichen für das Gedeihen
der Frucht im nächsten Jahr:
heuer a Böckla,
s' nächst Jahr a Schöckla! (Oberfranken).
Der karge Ertrag in diesem Herbste giebt Anwartschaft auf
einen größeren in der Zukunft. Wem alle Garben klein geraten,
meine Germ. Myth. 243 — 255 und meinen Aufsatz Lettische Sonnenm}i;hen
in Bastian -Hartmanns Zeitschr. f. Anthropologie VII, 1875, S. 98. 209. 211.
217. 232. 296) gesehn? Arwidsson Svenska Fornsanger TU, 494. In Hol-
stein fragt man das Kind „Willst du Bremen sehen?'* Wenn es ja ant-
wortet, faßt man es mit beiden Händen am Kopf oder den Ohren und hebt
es in die Höhe. Schütze Schleswigholst. Idiotik I, 152. Handelmann Volks -
und Kindersp. S. 4(). In der Oberpfalz „zeigt man einem Paris," indem
man ihn „knirren läßt*' d. h. schreien macht dadurch, daß man ihm die
Finger hinter den Ohren eindrückt. Schmeller Bair. W.-B. U, 375 (Aufl.« I,
1353). Bremen und Paris stehen hier höchst wahrscheinlich an Stelle eines
mythischen Ortes.
1) Panzer Beitr. z. d. Myth. II, 228, 422.
2) Vgl. jedoch auch den metaphorischen Gebrauch von Bock l.für den
kleinen Kohlenmeiler der am Schlüsse des Brandes aus den Resten des
großen gebaut wird, 2. im Bergbau für einen Rost, der nicht den gewöhn-
lichen Erzgehalt hat, unvollständig ist Grimm D. W.-B. II, 204.
11*
164 Kapitel HI. Die wilden Leato der antiken Sage IL
der heißt „der Bockbinder ^^ (Kr. Friedberg Oberhessen). Oder
man richtet es mit Absicht so ein, daß auf jedem Acker die
zuletzt gebundene Garbe kleiner werde, als die anderen. Fragt
man dann den Bauer , wie groß seine Ernte sein werde ^ so ant-
wortet er : „ so und so viel Garben, Haufen und Böcke" ^ letztere
zeigen die Zahl der bestellten Aecker an (Oberbeerbach Prov.
Starkenburg Großhrzgt Hessen). Auch giebt man der letzten,
absichtlich dünneren Garbe mitunter die Gestalt eines Bocks
(Sonnenburg Meiningen) und sagt: ^^der Boch sitet drin^^ (Eisfeld
Meiningen). Der Name Bock geht von der letzten Garbe auch
über auf die Schwaden oder Haufen, in denen das Getreide einst-
weilen auf dem Felde zu liegen oder stehen konmit Sechs Ge-
lege werden zu einem Bock zusammengestellt und dieser später
mittelst Strohseils zu einer Garbe zusammengebunden (Wünschen-
suhl bei Eisenach). Oft besteht der Bock nur aus zwei Gelegen,
die Arbeit des Aufsetzens heißt „böckeln''] oder das mittelste
Gelege ist Bock und in den letzten Bock wird ein grünes Reis
gesteckt (Unterellen a. d. Elda). In der Ereisdirection Dresden
bleibt (Oelsnit2 bei Großenhain) das Haidekom in Schwaden
liegeü und wird dann in „ Böckchen " gesetzt. Um Krems (Nieder-
östreich) setzt man auf 9 nebeneinandergestellte Garben die zehnte
als Hut. Diese Form der Aufstellung bezeichnet man als Korn-
bock oder BockerL ^ Eine andere Uebertragung der Benennungen
des dämonischen Getreidenumens findet statt auf die Personen,
welche die letzten Halme geschnitten, resp. die letzte Garbe
gebunden haben. Der Binderin ruft man zu „du bist Äustbock^^
(Amt Grabow Mecklenburg). In der Gegend von Uelzen (Hanno-
ver) beginnt das Fest des Großaust mit dem Bringen de^ Ernte-
bockSy d.h. die Schnitterin, welche die letzte Garbe band, wird
mit Stroh ummckelt, mit einem Erntekranz gekrönt und so auf
einer Schiebkarre ins Dorf gefahren, wo alsbald ein Kundtanz
beginnt. Auch um Lüneburg wird die Binderin des Letzten mit
einem Aehrenkranze geziert und Kortibock geheißen; ganz ähn-
lich führten in Unterfranken (Gerolzheim) Schnitter und letzte
Garbe den gleichen Namen Bock. Auch in Kauton St. Gallen
1) Nach Grimin D. W.-B. II, 204 heißt irgendwo Bock auch die erste
Armvoll Gotreido, die man nach Beendigung des Schnitts aufsetzt; es ist wol
die letzte geschnittene.
2) E. Landsteiner Reste des Hoidenglaubens in Niederöstreich S. 65.
Bocksgestaltige Korn- und Feldgeistor in Nordeuropa. 165
(Ctem. Henan) ruft man Korngeiß, RoggengeijS oder einfach Geiß
(Goaß) die Person, welche auf dem Ackerfelde die letzte Hand-
voll Aehren schneidet, welche zuletzt ablegt oder den letzten
Erntewagen in die Scheuer führt. Im Bezirk Tobel (Thurgau)
wird sie Kornbock geheißen, gleich einer Geiß am Halse mit
einer Almglocke behängen, im Triumphe umhergefUhrt und mit
Getränk überschüttet. Auch in Kr. Graz (Steiermark) ist Kam-
bocky Haberbock u. s. w. der Schnitter des Letzten. In der Regel
verbleibt der Name Kornbock u. s. w. seinem Träger ein ganzes
Jahr bis zur nächsten Ernte, gradeso wie der Maigraf, Maikönig
seine Würde ein Jahr lang behält. (Vgl. Bk. 606. 612).
Der in den letzten Halmen des Ackerfeldes erhaschte Bock
(Geiß) überwintert nach einer Vorstellung auf dem Gehöfte des
Bauern. Danach hat die Feldmark jedes Ackerwirts ihren beson-
deren Getreidedämon. Nach anderer Betrachtungsweise ist der-
selbe jedoch das Numen des gesammteu Komwuchses. Durch
die vollendete Ernte von dem Acker des einen Landmanns ver-
trieben flüchtet er natürlich in das noch unabgemähte Feld des
zunächst Wohnenden. Dies wird symbolisch in der Emtesitte
auf der Insel Skye an der schottischen Küste« dargestellt. Der
Grundbesitzer, welcher zuerst mit dem Kornschnitte fertig wird,
sendet einen Mann oder ein Mädchen zu dem nächsten Nachbar,
der noch nicht fertig ist, mit einem Bund Aehren; dieser schickt
dasselbe, sobald er fertig wurde, zu seinem Nachbar, der noch
ungeemtete Felder hat, und so fort, bis im ganzen Dorfe die
Ernte vollendet ist. Jenes Aehrenbund heißt goabhir -bhacagh
d. L die lahme Geiß,^ Lahm heißt die Geiß, weil dem Dämon
durch das Fortnehmen des Getreides ein Teil seiner Kraft ent-
zogen wurde. Wenn im. Böhmer Walde zwei Hausbesitzer zu-
gleich einfahren, so wetteifern sie zuerst nach Hause zu kommen.
Wer zuletzt ankommt, dem setzen die Dorfbursche in der fol-
genden Nacht aufs Haus die Haber geiß, eine kolossale Strohfigur
in Gestalt einer Ziege, die von einem Ende des Daches bis zum
andern reicht Darauf sitzt em kolossaler Strohmann, in der
einen Hand eine Geißel, in der andern einen Knüttel*
1) Gentlemans Magazine. Febniary 1795, p. 124 bei Brand pop. antiqu.
ed. EUiß. II. 24.
2) J. Rank aus dem Böhmerwalde S. 110.
166 Kapitel lU. Die wilden Leate der antiken Sage IL
Der Kombock ist die Seele, das Nomen der Pflanze und
kann deshalb, wie die Dryas, bald in und mit derselben lebend,
bald aus ihr heraus und neben sie hin heraustretend voi^stellt
werden. Im ersteren Falle modifizieren sich die bisher betrachte-
ten Anschauungen dahin, daß der Dämon nicht nach der Ernte
fortlebend, sondern mit dem Korne zugleich sterbend, durch die
Sichel oder Sense getödtet gedacht wird. Im Kreise Bemkastel
(Kbz. Trier) wird durchs Loß bestimmt, in welcher Reihe die
Schnitter auf einander folgen. Der erste heißt der Vorschnitter,
der letzte der Schwangpräger. Vorsichtig teilt man das Feld in
gleiche Gänge ein, damit der eine nicht mehr zu tun bekommt
als der andere. Holt ein Schnitter seinen Vordermann ein, so
schneidet er rasch an ihm vorbei und biegt dann so um, da£ ftlr
diesen ein kleiner bloßgelegter Streifen (die Insel jenes norvegi-
schen Berichtes o. S. 161) übrig bleibt, „ die Geiß}^ Das begeg-
net nur unbeholfenen oder unaufmerksamen Schnittern. Hat man
aber einem „die Greiß geschnitten/^ so bleibt dieser den ganzen
Tag dem Gelächter ausgesetzt und muß spitzige Reden hören.
Ist der Schwaneträger so weit vorgedrungen, dann y, schneidet er
der Geiß den Hals ah.^* In der Dauphin^ (Umgegend von Gre-
noble) schmückt man vor Beendigung des Komschnitts eine
lebendige Ziege mit Blumen und Bändern, und läßt sie in das
Feld laufen. Die Schnitter eilen hinterher und suchen sie zu
haschen (sie stellt ja den vor der Sichel entweichenden therio-
morphischen Komdämon dar). Ist sie gefangen, so hält die
Bäuerin sie fest, indeß der Bauer ihr deti Kopf abschneidet.
Vom Fleische wird die Emtemahlzeit ausgerichtet. Ein Stückchen
desselben pökelt man ein ^nd bewahrt es^ bis zur nächsten Ernte
wieder eine Ziege geschlachtet unrd. Dann essen alle Arbeiter
davon. Noch denselben Tag verfertigt man aus dem Ziegenfell
ein Mäntelchen, manteau, das der mitarbeitende Hausherr zur
Erntezeit stäts tragen muß, wann Regen oder schlechtes Wetter
eintritt Bekommt ein Arbeiter Kreuzschmerzen u. dgl., so giebt
man statt des Herren ihm das Mäntelchen zu tragen.
Doch ist es auch damit der Verschiedenheit der Auffassungen
nicht genug. Eine neue Anschauung läßt den beim Komschnitt
eingefangenen Dämon im Getreide der Scheuer sich verstecken
und erst beim Ausdrusch im letzten Gebunde zum Vorschein
kommen. Deshalb wiederholen sich beim Dreschen alle jene
Bocksgostaltigc Korn- und Feldgcister in Nordeuropa. 167
Züge, welche wir beim Kornschnitt beobachteten. Bemerkens-
wert scheint die Sitte von Tiefenbach (Oberpfalz). Die Haber-
geiß zeigt nämlich; sobald der Moment des Äusdreschens naht,
ihre eigene Gegenwart an. Am Tage, bevor das letzte Getreide
aiLSgedroschen wird, macht sich der Oberknecht eine hölzerne
Geißy hängt sie sich an einem Bande über die Schalter und
nimmt sie zwischen die Beine. Er selbst verkleidet sich und
bedeckt sich und die Geiß mit einem großen Mantel, so daß man
seiner Füße nicht ansichtig wird, und es den Anschein hat, als
reite er wirklich auf der Geiß. So reitet er zuerst zur Bäuerin
und meldet ihr, daß morgen ausgedroschen werde, sie also zum
„Ausdrisch" (Festmahl bestehend aus Mehlspeise von 4 Getreide-
sorten) sich richten möge. Dann zieht er von Haus zu Haus,
ruft zum Fenster hinein „HobagoajS!^^ und benennt dabei die
Bauern, bei denen gedroschen wird. ^ Eigentlich jedoch ist der
Bock in dem zum Ausdrusch kommenden Getreide verborgen.
Dies sagt deutlich die Sitte bei der Buchweizenemte zu Marktl
und Umgegend in Oberbayem. Die Garben werden unter den
Aehren gebunden und aufrecht hingestellt. Die Garbe heißt
Halmbock oder auch nur Bock, Die Halmböcke werden auf
freiem Felde in einen großen Haufen zusammengelegt und dann
von zwei einander gegenüberstehenden Drescherreihen ausgeklopft,
wobei sich die Nachbarn gegenseitig unterstützen. In dem wäh-
rend der Arbeit gesungenen Liede heißt es:
Dal dal inn halm drin
dal dal is dr Halmbock drin,
dal dal hän i cinigschaut,
dal dal wars laut.*
d. i.
Dort, dort im Halme drin
Dort, dort ist der Ha Im bock drin;
Dort, dort hab' ich hineingeschaut,
Das war ein schöner Anblick!
Wenn der letzte Bock auf den Haufen geworfen wird, sagen sie :
1) Schönwerth a. d. Oberpfalz I, S. 402.
2) Vgl. Schmeller W.-B. I, 347 (N. Ausg. I, 475) da-1, da-n dort,
damals. Ebendas. II, 515 — 16 (N. A. I, 1530) laud, laut aufifallend, wol-
tönend, schönschmeckcndi schön anzusehen, prächtig.
168 Kapitel III. Die wilden Lc^ute der antiken Sage II.
Hab' mor emal nix meer ghabt,
habms uns en alto gaos herbracht
and en bock ach!
Hopsasa!
d. i.
Haben wir einmal nicht mehr gehabt,
Da haben sie uns 'ne alte Geiß hergebracht
Und 'n Bock auch.
Hopsasa!
Dieser letzte Bock wird mit einem schönen Kranze von Amberten
(Ampferstaaden? Laubbirken? betola ovataV) Veildien und atidern
schönen Blumen sodann mit einer Schnur von Kuchen behängt
und schön in die Mitte des ausgedroschenen Haufens geworfen.
Nun fallen einige darauf und reißen das Beste heraus, andere
aber schlagen mit ihren Drischein zu, daß es oft schon blutige
Köpfe gesetzt hat. Dieses Dreschen des letzten Halmbocks heißt
xor* ^^o^r/v Drasch; dabei läßt jede der einander gegenüberstehenden
Beihen ihre Drischein zu gleicher Zeit fallen , indem in gereimten
gegenseitigen Spottreden ein Teil dem andern vorwirft, was jeder
sich das Jahr über hat zu Schulden kommen Uissen. ^ Im Ober-
inntal (Tirol) wird der letzte Drescher Bock genannt * Wer in
Tettnang (Würtemberg) bei der letzten Komlage, bevor dieselbe
gewendet, den letzten Streich mit dem Flegel tut, heißt der Bock,
Man sagt „cfer hat den Bock verschlafen !^^ Wer dann nach
dem Umwenden den allerletzten Schlag tut, wird die Geiß
genannt.^ Hier wird deutlich ein Paar von Komgeistem, Bock
und Ziege, als Inwohner des abgeschnittenen Getreides gekenn-
zeichnet. Li Fruchtlaching a. d. Spitze des Chiemsees wird [um
anzudeuten , daß er das Numen des Kornes darstelle] ein Knecht,
der yjHaring^^ d. i. magere Person, in die zuletzt ausgedrosdiene
Garbe gebunden und dann mit Peitschenhieben auf der Tenne
umhergetrieben. Mager heißt er augenscheinlich, weil der Dämon
durch Verlust der Kömer seine Fülle verloren hat, dünn >vird,
wie ein ausgenommener Häring. In einigen Orten des Bezirks
Traunstein (Oberbayem) pflegen sich bei dem auf das Dreschen
folgende Mahl einige Personen zu vermummen, und besonders den
Kindern nachzusetzen, schließlich dieselben, falls sie als brav
1) Panzer Bcitr. z. D. M}'th. II, 225—229, 421.
2} L. V. Hörmann, der heber gät in litum 35, 68,
3) £. Meior Sagen a. Schwaben S. 4i5, 162.
Booksg^taltige Korn- und Foldgcisier in Nordonropa. 169
befunden werden, mit Obst und Spielsaclien zu belohnen. Diese
Vermummten heißen Hoher geiße.
Das ergriflFene Korntier wird dem Nachbar zugeschoben. Im
Franche Comte (D6p. Jura) setzen die jungen Leute sofort nach
beendigtem Ausdrusch dem Nachbar, der noch nicht fertig ist,
eine Ziege von Stroh (chevre de paille) auf den Hof. Er muß
das Geschenk mit einer Gegengabe von Wein oder Geld entgel-
ten. Bei Ellwangen (Neueuheim) in WUrteraberg verfertigt man
beim Dreschen aus dem letzten Gebunde Korn einen liockd
(Bock), i^hdem nier Stecken die FüjSe, zwei Stecken die Härner
bilden und eine mit Stroh ausgestopfte Zipfelmütze untergebunden
tvird. Wer den letzten streich mit dem Flegel macht, muß die-
sen Bock dem noch dreschenden Nachbar in die Scheune werfen;
wird er dabei erwischt, so bindet man ihm den Bockel auf den
Kücken. Zu Indersdorf in Oberbayera werfen nicht minder die
Dienstboten, wenn sie früher ausgedroschen haben , dem Nachbar
fneckernd einen aus Stroh geformten Bock in die Scheuer. Der
dabei erwischte Knecht (oder Magd) wird im Gesicht geschwärzt
und ihm der Bockel auf den Rücken gebunden. ^ Bei Zabem
(Elsaß) dagegen setzen die Nachbarn demjenigen, der gegen sie
8 — 14 Tage mit dem Dreschen im Rückstande ist, einen wirk-
lichen ausgestopften Ziegenbock oder Fuchs vor die Tür. Statt
des wirklichen Tiers stellt dann im Mtihlviertel (Oberöstreich)
eine symbolische Miniaturgestalt den Komdämon dar, indem man
nach Beendigung des eigenen Ausdnisches dem noch unfertigen
Nachbar als „UabergeiJ^' einen ausgehöhlten, mit Weizenkörnem
gefüllten j mit drei Spänchen als Füßen versehenen Erdapfel
schickt. * Diese dreifüßige Habergeiß entspricht der schottischen
lahmen Geiß o. S. 165.
Endlich tritt auch hier beim Dreschen die Vorstellung ein,
daß durch dasselbe die Komgeiß des alten Jahres getödtet werde.
1) Panzer Beitr. z. D. Myth. II, 224, 420.
2) Bemerkbar sind antike Analogion. Die Athener opferten dem Hera-
klos Alexikakos statt des entflohenen Ochsen einen Apfel \^filov) mit 4
Zweigen izA«Jo/) als Beinen und zwei Hörnern. (Zenob. Cent, V, 22.) Die
Lokrer anoQoOvr^g jiüxt (ioog nQog örjuankrj iH^aiuv , aixvoig vnod^^vr tg
li.'A« uixQtc x((l ayi]uuT(aavTtg ßniyv , oi'tm tö IHio^v ^x^tQfimvaav. (Ze-
nob. Cent. V, 5.) Vgl. Hermann Gottesd. Altert. Th. II, c. II. §. 25, 14. Vgl.
die Darstellung des Todes in Nürnberg. Bk. 412.
170 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage IL
Im Bezirk Traunstein (Oberbayem) meint man von der letzten
Hafergarbe, in ihr stecke die Udbergeißy die so letz (verkehrt,
nicht geheuer) ist. Abgebildet wird diese, indem man einen
alten Rechen aufstellt, einen alten Topf als Kopf darüber stülpt
und ein altes Leintuch darauf hängt. Den Kindern wird die
Aufgabe gestellt, „die Haber geiß zu erschlagen}^ Selbst hiemit
ist der Kreis der auf den Dämon bezüglichen Vorstellungen noch
nicht beendigt. Auch die Wendung nimmt die Yorstellong von
ihm, daß das Korn eigentlich sein Eigentum, seine Nahrung sei
und daß er in der Ernte von den Menschen darum beraubt
werde. Nach dieser Vorstellung bleibt er über Winter auf dem
Felde, und so wird völlig verständlich sein, weshalb man noch
vor 20 — 80 Jahren zu Wannenfeld bei Gardelegen und zwischen
Salzwedel und Calbe die letzten Halme unabgeschnitten auf dem
Acker stehen ließ mit den Worten: „Do^ sali de Bück heihol-
len!'' (Das soll der Bock behalten!) Wenigstens ein kleiner
Best soll ihn gegen das Verhungern schützen. Nach sicheren
Analogien dürfen wir diese Vorstellung dahin ergänzen, daß der
Bock dem Bauern über Winter in die Scheune falle und sie von
Korn leer fresse, wenn ihm dieser Rest nicht bleibe. ^
Ein Unbekannter, Fremder, welcher an einem Emtefelde
vorüberging, kam in den Verdacht, flir den entweichenden
Getreidedämon gehalten zu werden. Hieraus möchte ich die
süderditmarsische Sitte erklären, daß alle zur Erntezeit auf dem
Felde Beschäftigten, wenn ein Fremder vorbeikommt, wie aus
einer Kehle: „Horbuck! Horbuck!" schreien. Im Schleswigschen
(Eiderstedt, Husum, Tondern) ertönt beim Rappsaatdreschen,* das
meistenteils auf dem Felde geschieht, derselbe Ruf, falls der
Fremde nicht seinen Hut zieht.
Schon vorhin lernten wir den Kombock sls nächstverwandt oder
identisch mit dem im Wachstum des Waldes waltenden Bocke kennen.
Dasselbe Ergebniß gewährt eine niedersächsische Sitte. Zu Sievem
bei Stade binden einige Leute am Weihnachtsabend Stroh um ihre
Obstbäume. Man nennt dieses Verfahren: „rfß Böm hi den Buch
bringen'^ und erhofft davon einen besonders ergiebigen Frucht-
ertrag. Damit stimmt die westfälische Redensart: „de Böm
hocket, ^^ wenn der Wind in den Zwölften so recht mit den Bäu-
1) M. Korndämonen S. 8. 32.
Bocksgestaltige Korn- und Feldgeister in Nordenropa. 171
men geht, nun gebe es im nächsten Jahre reichlich Obst, sowie
die schwäbische und westfälische: „die Bäume rammelet, es
giebt wieder Obst." * (Cf. Rammel Schaftock und „der Bock
rammelt" aries, caper coit.) Hier haben wir das genaue Gegen-
bild des im Winde um die tanzenden Dryaden werbenden Pans
(o. S. 131), der mit den Baumnymphen buhlenden Seilene
(o. S. 141).
Es war sicherlich nur Zufall, daß bis jetzt so geringe Spu-
ren des Crrasbocks oder Heuboeks neben dem Baum- und Kam-
hock in unsem Quellen aufgetaucht sind. Auf dem Schwarzwalde
heißt der letzte Wagen Heu die Heugeiß. Nachher werden
Kuchen gebacken, an Wein Ueberfluß aufgetragen, damit „die
Heugeiß ^^ recht getrunken werden könne; man lädt Bekannte,
besonders auch die Mähder, zum Schmause ein. ^ Nach diesem
Brauche dürfen wir den Grasbock um so gewisser nach Analogie
anderer Grasdämonen (Heupudel, Heukatze, Heumockel, Heuhahn,
Grummetkerl u. s. w.) voraussetzen, als J. Grimm D. WB. H, 204
Bock auch als figürliche Bezeichnung für einen Heuhaufen anflihrt.
Hiemit stimmt die zu Rimberg von Weibsleuten, welche beim
Grasschneiden , Heumachen oder sonst auf dem Felde beschäftigt,
dabei müßig zusammenstehen oder sitzen und plaudern, gebrauchte
Redensart: ,,deti Bock schinden,^^ Die Metapher will sagen, den
Bock langsam und schmerzhaft statt durch tüchtige Arbeit schnell
und leicht zu Tode zu bringen. ^
Wir sahen o. S. 138. 152 ff., daß die Waldgeister in Hausgeister
tibergingen. Denselben Vorgang können wir bei den Komdämo-
nen beobachten. Der Geist des Wachstums , der Vegetation, der
in Feld und Wald tätig ist, wird eben auch in Haus, Viehstall
und Komscheuer segnende Wirksamkeit entfaltend gedacht. Was
den Kornbock insbesondere betrifft, so heißt in Dänemark der
Hausgeist, Nisse, Gaardbuk (Hofbock), Husbuk (Hausbock).
Man muß also ehedem geglaubt haben, daß der in Haus und
Hof waltende Spiritus familiaris zeitweilig in Bocksgestalt sicht-
bar werde, wie anderswo der kombringende Kobold als Katze,
Hund, Hahn, Huhn oder Schlange sich sehen läßt. Der Gaard-
1) Kuhn wcstfiil. Sag. II, 116,356. E.Meier Sag. a. Schwab. 258, 288.
Woeste in Zeitschr. f. D. Myth. L 394.
2) Birlinj,'er Aus Schwaben 1874. II, 333.
3) Schmeller WB. I, 151. N. A. I, 204.
17^ Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
Mc futtert die Pferde im Stall und trägt durch die Luft seiaen
Verehrern die Kornähren zu, die er der Scheuer emeß bei ihm
in Ungnade Btehenden Nachbars entnimmt. Dadurch verhilft er
ihnen zu großem Reichtum. Man setzt ihm als Opfer eine
Schüssel Grütze hin mit einem tüchtigen Stück Butter in der
Mitte. ^ Eine Volkssage in Aistrupsogn erzählt von ihm genau
dasselbe, was die Tiroler Sage (o. S. 148) von der Fanggin, die
griechische (o. S. 133) von Pan berichtet. Auf einem Hofe hielt
sich ein HushuJc auf. Die Leute versäumten niemals ihm Abends
Grütze hinzusetzen und ihn aufs beste zu pflegen. Zum Lohne
daillr glückte ihnen alles vortrefflich, und Geld strömte ihnen von
allen Seiten zu. Eines Abends, als der Mann über einen Bach
heimkehrte, trat ein kleines Männlein an ihn heran und sagte:
„Sage doch Atfod^ wenn du heimkommst^ daß VcUfod todt ist.^
Als der Mann das zu Hause erzählte, erhob sich der Husback,
rief aus: „Ist Vatfod todt, so muß ich heim. Lebt wohl, habt
niemals Mangel!^' und verschwand. Diesem £fti$&t<2; entsprechend
hat in einer Thüringer Sage ein von einem alten Weibe zu
Frauenbreitungen in einer Schachtel unter einem Birnbaum ver-
grabener Kobold von kohlschwarzer Leibesfarbe, glühende Tetter-
äugen (vgl. o. S. 112), Bochhörner und Pferdehufe.* In Strauß-
berg besaß ein Weber Kobolde ; die ihm während der Nacht die
Arbeit fertig stellten. Als die Dienstmagd einmal durch die Tür-
ritze schaute , sah sie zwei Ziegenböcke am Wehstuhle sitzen. *
1) Sv. Grundtvig Gamle Dansko Minder i. Folkemunde I, 155» 203.
142, 171. 138, 160. 126, 130.
2) L. Bechstein Sagonschatz des Thüringer Landes. IV. Hildbnrghaa-
sen 1864, S. 138.
3) Kuhn mark. Sag. S. 191 no. 180. Die Richtigkeit der obigen Zusam-
mensteUungen scheint nicht wenig dadurch bewährt zu werden , daß dieselben
Stücke von der Katze, als Gestalt des Vegetationsdämons, ausgesagt wieder-
kehren. Nur ganz kur2, mit wenigen Beispielen belegt, sei diese Reihe hier
vorgefühlt. Die Waldgeister, Fanggen (Bk. 89. 90) und wilden Weiber
(Bk. 112) werden zeitweilig als Katzen gedacht. In Eisfeld (Herzogt. Moi-
ningen) sagt man , wenn Kinder auf dem Felde sind , und nicht folgen wol-
len: „die Holzkatze kommt!" und auf dem Fichtelgobirge schreckt man
die Kinder mit dem Waldgeist „Katzenveit" (Der Katzenveit kommt!
Myth. * 448). Im Bremischen sagt man, wenn der Wind im Getreide geht:
„die Windkatzen laufen im Getreide," „die Wetterkatzen sind im
Korn." Gradeso heißt es im Saterlande, wenn im Frühling und Sommer die
BocksgeBtalUge Korn- and Fcldgeister in Nordenropa. 173
Wir verstehen jetzt die von J. Grimm DWB. II, 203 ange-
fahrte und mit Beispielen belegte fränkische und schwäbische
Sonne heiß aufs feuchte Moor scheint, ,.de Ssummerkatten lope'* (Strakerjan
II, 89,375). Bullkator, Wettcrkatzo sind weitverbreitete «.zumal pomme-
rische) Benennungen fiir Wind- und Wetterwolken. In der Provinz Sachsen
sagt man daf&r auch Murrkater, schwarze Kater, „da kommt ein
schwarzer Kater herauf,** „da. steht ein Murrkater,*' bei Liegnitz: „ach die
grauen Wolken, die sind die rechten Katzen.** In derPropstei bei Kiel
warnt man die Kinder davor, ins Korn zu gehen^ ,,da sitze der Bullka-
ter drin.** während in einigen Orten des Eisenacher Oberlandes bei gleicher
Gelegenheit vor der Kornkatze gewarnt wird. (Die Komkatze kommt und
holt dich. Merkers bei Tiefenort. Der Komkater geht im Korn. Kr. Butt-
stedt.) Der faule Schnitter soll nicht mit der beliebten Formel: „die Katze
will mir auf den Buckel springen,'* die Mühen der Arbeit beklagen
(Zürich). Im Kr. Freistadt in Schlesien wird beim Abmähen der Aehren
„der Kater gehascht.** Auch beim Dreschen heißt hier derjenige, der den
letzten Flegelschlag tut, „der Kater.'* In der Gegend von Lyon heißt die
letzte Garbe und das Emtemahl le Chat, um Vesoul sagt man beim Abern-
ten des Letzten, „man halte die Katze beim Schwanz" ^nous tenons
le chat par la queue). Zu Brian^on (Dauphine) wird im Anfang des Aehren-
schnitts eine Katze mit Bändern, Blumen und Aehren herausgeputzt und
geschmückt. Sie heißt ,,le chat de peau de balle." Wird während der
Ernte ein Arbeiter verwundet , so legt man die Katze zu ihm, damit sie ihm
die Wunden lecke. Am Tage, wenn man das Letzte schneidet, putzt man
die Katze abermals mit Bändern und Aehren; man tanzt und ist fröhlich.
Nach beendetem Tanz wird die Katze von den Mädchen feierlich der Blumen
und Aehren entkleidet. BeiAmiens sagt man statt die Ernte beendigen „on
va bouffer (tuer) le chat.** Wenn das Letzte geschnitten ist, tödtet der
Eigentümer nach altem Herkommen auf dem Hofe eine Katze. Wer in Grüne-
berg in Schlesien beim Ernten, nauiontlich beim Kornabschneideu zuletzt fer-
tig wird, ist Kater. Derselbe wird bei her Domanialemte mit Roggen-
halmen und mit grünen Beisern umbunden und ausgeputzt und mit
einem langen geflochtenen Schwanz versehen. Sämmtliche Emte-
arbeiter halten hinter ihm ihren Einzug vom Felde auf den herschaftlichen
Hof. Oft wird ihm zur Gesollschaft eine Kitsche (Katze) beigegeben, die
ebenso ausgeschmückt ist. Beide werden übrigens immer durch männliche
Personen dargestellt. Ihre Hauptaufgabe ist. den in Weg und Sicht
Kommenden, namentlich Kindern, nachzulaufen und sie mit einer gro-
ßen Rute zu hauen (Englion und Lahn der Volksmund I, 1868 S. 235, 8).
Und diese selbe Gestalt ging wieder zu Weihnachten um. E. M. Arndt (Erinne-
rungen a. Schweden , Berlin 1818 S. 367 berichtet (doch wol aus Pommern),
daß in „Nordteutschland'* zu Weihnachten, den schwedischen Julböcken ähn-
lich, Masken auftreten, welche „mit einem mit Sand und Steinchen gefüllten
Beutel und einer herzhaften Birkenrute bewaffnet auch Mädchen -
und Knabenschrecken sind, und mit der gräulichsten Zusammensetzung den
174 Kapitel III. Die wilden Leute der antikeii Sage II.
Kedensart: ,,der Bock gehet jemanden an/' welche einerseits
soviel bedeutet als: „die Not ist groß," andererseits: „er hat
Namen Bullkater (Arndt übersetzt Stierkater) führen." In mehreren Orten
des Kreises Franzburg, Rgbz. Stralsund, ruft der Drescher seinem neugieri-
gen Kinde zu; „warte, der Scheunkater wird dich kriegen !'' und in den
nämlichen Orten geht zu Weihnachten der Bullkater, d. i. ein Mann
mit einer fürchterlichen Larve, auf einem Ziegenbock reitend, in die Häuser.
In Pouilly (Gegend von Dijou) wird die letzte Garbe nicht ausgedroschen,
sondern überm Kamine aufgehängt und bleibt da, bis sie ganz schwarz
geworden ist. Unter das letzte Korn, das zum Ausdrusch kommt,
legt man eine lebendige Katze und schlägt sie mit dem Dresch-
flegel todt (gewöhnlich richtet man es so ein, daß der DrischelschluB anf
einen Samstag fällt) , um das Tier am Sonntag als Festbraten zu verschman-
Ben. In Norwegen im Stift Bergen sagt man an manchen Orten, wenn das
Dreschen sich dem Ende zuneigt , unter dem noch übrigen Getreide liege ein
Tier, ohne daß noch man die Gestalt desselben anzugeben wüßte, während in
anderen Orten die erste auf die Tenne gelegte Garbe, also die zuletzt zum
Ausdrusch gelangende Logkatten (Tennenkatze), Yorherresbuk (Herr-
gottsbock) oder Stögubben (der Stadelalte) heißt. Verlangt jemand die
Dreschkatze (Logkat) zn sehen, so legt man den Dreschflegel um
seinen Hals und kneift ihn damit. Anderswo geschieht dies mit jedem,
der beim oder kurz nach dem Ausdreschen dos letzten Gebundes auf die
Dreschdicle kommt. Man nennt das „at give Laavekat,*' „han faar
Laavekatten.** — DerKornkatzo steht wiederum eine Heukatze zur Seite.
„Heukatze*' heißt in schwäbischen Orten das Fest der Sichelhenke (Meier
Schwab. Sag. S. 439. Birlinger, aus Schwaben U, 333). Katzen sind Gestalten des
getreidezutragenden Kobolds. Derselbe zeigt sich am Himmel als feuriger Strei-
fen, auf Erden als schwarze Katze (Kuhn Nordd. Sag. Gebr. 206). Nach Stender
soll auch der lettische Komalp in Gestalt einer schwarzen Katze von seinen Wir-
ten gehalten werden. Vgl. die Sage von der Katze, die nach Begehr ihres Herrn
Mäuse, Roggen oder Geld bringt. MüUenhofFSchlesw. -Holst. Sag. n. 281. Hexen
und Hausgeister lieben Katzcngestalt; Katzen wie Hausgeister heißen Hinz, Hin-
zelmann; einen Katzobutz, Katzebutzerole wies J. Grimm (Myth. * 474), einen
KazroU ich(Zs.f D.Myth.II,197) nach.— Dieselbe Geschichte, welche wir oben
an den Gaardbuk geknüpft sahen, ist bereits Bk. S. 93 aus England und Deutsch-
land von der Katze nachgewiesen. Vgl. noch: Ein Bauer bei Tabor in Böh-
men erschlug seinen alten Kater , worauf die junge Katze das Haus verließ
und an der Brücke dem vorüberfahrenden Postillion zurief: gehe in jenes
Wirtshaus und sage dem Kater , er möchte heut Nacht zur Leiche kommen,
der Mirermauer (alter Kater) sei gestorben. Der Postillion vollzog staunend
den Auftrag. Des Wirten erschlagener Kater war verschwunden, erschien
seinem Mörder aber jedesmal, so oft er durch einen Wald ging, in
Gestalt eines großen Mannes mit broitkrämpigem Hut und langem Stabe.
Vemaleken Mythen u. Bräuche, 1859, S. 26, 8. Ein Mahlgast aus Dubna, der
in die Kreseyner Mühle ging, sah am Berge Bohatec eine große Schaar Katzen,
Bocksgestaltige Eom- und Fcldgeister in Nordeoropa. 175
vid Geld eingenommen,"' „er hat recht Glück gehabt." Ganz
ähnlich geht der Getreidehahn in den unter Hahngestalt weizen-
speienden Drachen, oder, was dasselbe ist, in den als Hahn
resp. Huhn erscheinenden kom - oder geldtragenden Kobold über. *
Wenn dieser Dämon und die ihm entsprechenden Geister ihren
Besitzer oder Verehrer reich machen , ihrem Verächter aber die
Scheuer ausleeren, um die Frucht ersteren zuzutragen, so stimmt
das genau zu dem Zuge, daß der Komdämon dem Bauer, der
ihm nicht etwas von der Ernte als Speise auf dem Felde stehen
läßt, die Scheune leer frißt. ^ Andererseits erscheint der kom-
stehlende oder konibringende Kobold (Stepke) oftmals so ent-
schieden identisch dem das Heu oder die Aehren vom Felde ent-
führenden, dem befruchtenden Gewitter oder dem die Ernte ver--
Dichtenden Hagelwetter voraufgehenden Wirbelwinde, daß der
im Wind sein Leben bekundende Komdämon auch von dieser
Seite her bis auf das engste mit dem Drachen oder Kobold sich
berührt. Aus der zürnenden oder schädlichen Aeußerung dieser
Naturmacht möchte ich daher die Sage vom Pilwiz entstanden
glauben, der wie Waldgeister im Baume (pilbisbaum) seinen Sitz
hat (Myth. * 442), im Stall die Pferde besorgt, ihnen die Mähnen
flicht, zugleich aber mit einer Sichel an den Füßen die reifenden
Getreideäcker durchschreitet. Auf dem Teil des Feldes , den er
umgrenzt hat, werden die Halme braun, alle Aehren kömerleer,
oder alle Kömer fliegen beim Dreschen durch die Luft in seine
Scheuer, oder in die des Bauern, dem er als Hausgeist dient,
wenn er nicht euhemeristisch als Zauberer, sondern sachgemäßer
als elbisches Wesen aufgefaßt wird.* Der Bilwisschnitt heißt
aus der ein Kater ihm zurief: „ Sage dem Wau, er solle morgen zumBegräb-
niß kommen." In der Mühle erzählt er dies dem Altgesellen , da springt ein
alter Kater vom Gesimse und fährt durchs Fenster auf Nimmerwiedorsehn.
Krolmus 8t«rocesk. povest. II, 42. Grohmann Sag. a. Böhmen S. 227. Ein
Webergeselle zu Bamberg stand mit der großen grauen Katze seines Mei-
sters in besonders gutem Einvernehmen. Sie war ein Teufel, der für den
Gesellen die Arbeit tat. Als der Meister einmal Nachts in die Werkstnbe
guckte, sah er die Katze am Webstuhl sitzen und mit ihren Füßen das
öchifiFlein rasend hin- und herwerfen. Panzer II, 59, 7G.
1) S. Komdämonen S. 18 ff. 41 Anm. 54.
2) Korndämonen S. 8. 25. 32.
3) Vgl. Myth. 2 441—445. Simrock Handb. d. d. Myth. « 459. Feifalik
in Zs. f. östorr. Gymnas. 1858 S. 406 ff.
tt^ Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage 11.
auch BocJcsschnitt , ^ weil der Bilwisschnitter auf einem Bocke
reitend und Hörner wie der Teufel auf dem Kopfe durch den
Roggen reitet; wo er reitet, gehört alles sein. Oder er schwebt
über den Aeckem, die Sdmittsicliel am Geißfüße, und wo der
Fuß anstreift, werden die Aehren bis zur Hälfte des Halmes ab,
dieser aber schwarz. * Der Kombock oder halbbockgestaltige
Komgeist selber — so scheint es — schafft in seinem Zorne das
Gegenteil seiner sonstigen Wirkungen, taube Aehren oder Krank-
heit der Halme. Der Bockreiter ist nichts als ein von der Glie-
dermischung abweichender Versuch, den Anthropopathismns des
Getreidebocks zur Anschauung zu bringen.
Stellt der Bockschnitter — falls wir Hecht haben — die
Kehrseite der Vorstellungen vom komzutragenden Kobolde dar,
so begegnet uns namentlich in der Schweiz und Frankreich die
Ziege ganz in der Itolle des die Geschicke des Hauses und der
Familie bewachenden Hausgeistes. So erscheint am Fenster des
Schlosses von Gtimoens im Canton Waadt jedesmal eine weiße
Ziege, ^ so oft den Bewohnern der Landschaft ein freudiges
Ereigniß bevorsteht. * Nicht selten haben ganze Dörfer einen
gemeinschaftlichen Gemeindekobold, „servant." Derjenige des
Waadtländischcn Dorfes Beiair wälzte sich bald als Kugel (vgl.
0. S. 99. 157) rings um den Kirchhof, bald ließ er sich in
Gestalt eines kopflosen Schinmiels, einer Geiß oder eines unge-
schwänzten Hundes sehen. ^ Auch in anderen Gegenden glaubt
man an solche tiergestaltige Geister der Gebäude und der
Gemarkung, genii loci, nur daß ihre Bedeutung als Schutzgeister
nicht mehr so erkenntlich auf der Hand liegt Sie treten oft als<
Bockreiter oder Böcke auf. Zwischen Sissach und Thümen
1) Schmeller WB. I, 151. N. A. I, 204. Myth, « 445.
2) Schönwerth Aus der Oberpfalz I, S. 427. 429. Panzer Beitr. z. d.
Myth. I, S. 240, 266. II, 209, 370.
3) D. Monnier et A. Vingtrinier traditioDS populaires comparees. Paris
1854, ö. 679.
4) Hiezu vgl. die Sage, daß zu Vallorbe (Neufchatel) eine Fee mit einer
Heerde weißer Ziegen aus dem Berge herauskommt, um ein fruchtbares
Jahr anzukündigen, ihre Tiere sind schwarz, wenn Mißwachs eintreten soll.
Monnier a. a. 0.
5) VuUiemin Canton de Vaud 2. Abt. 2. p. 37 bei Rochholz Aargaus.
I, 130.
Bocksgestaltige Korn- und Fcldgeister Id Nordonropa. 177
(Canton Basellaud) reitet eine weißgekleidete Jungfrau auf einem
Ziegenbocke den Bach entlang mit fliegenden Haaren im Mond-
schein. ^ Im Hügel bei Zunzgen (Baselland) hält sich eine gol-
{Jene Jungfrau mit einem Ziegenbock au/*, auf welchem sie am
Weihnachtsmorgen an den Bach reitet, sich wäscht und die
Haare strählt. ^ In der Johanniskirche der Neustadt zu Werni-
gerode zeigt sich ein Ziegenbockreiter , besonders um Weihflach-
fen, winkt den Kindern aus der Kirche und reitet ins Johannis-
tor. * Auf dem Schloßberge bei Ilsenburg sieht man bei hellem
Tage einen Bockreiter, Das Volk hält daltir, er sei der Geist
eines ungerechten Gerichtsherrn. * Auf dem Knüppeldamm bei
Stolberg geht ein Ziegenbock um und zupft Kinder am Kleide,
die dann dahinsiechen und sterben. ^ Auf Worms (Insel an der
estnischen Küste) begegnete einem von der Jagd heimkehrenden
Bauer ein schwarzer Ziegenbock, der sich in einen schwarzen
Kerl verwandelte. * Auf der Iburg in Baden sahen zwei holz-
lesende Mädchen am Schlosse ein Gdßböcklein stehen, das sich
zu ihnen gesellte und sie nach Art der Waldgeister stundenlang
im Walde irre fllhrte. Erst, als sie die Schuhe umkehrten, ver-
schwand er. ' Im Kulzermoos in der Oberpfabz verfuhrt eine
Geiß die Leute und verschlieft sich dann in di^ Erde,^ In
einem kleinen Birkeniväldchen um Tiefenbach stoßen sich zwei
Geißböcke, so daß man meinen sollte, es müsse einer von ihnen
auf dem Platze bleiben. •
An diese Sagen schließt sich wieder eine niederdeutsche
Redensart. In Schleswig- Holstein (Ditmarschen, Eiderstedt) sagt
• man, wenn ein Mädchen beim Torfstechen eine Karre mit Torf
umfallen läßt: „de Moorbuck het är stötf' (Vgl. o. S. 159: de
Austbuck het är stött). Bei Burg (Ditmarschen) heißt es, wenn
jemand am Abend seine tausend Torfziegel nicht fertig brachte,
1) Lcnggfuhager Volkssagen aus Basolland S. 7U.
2) Ebend. S 8G.
3) Prölilr Sagen des Unterharzos 08, 172.
4) Pröhle a. a. 0. 111,287.
5) Pröbl.^ a. a. O. IGl», 445. Vgl. 109, 272.
ü) Rur.wunii Kibofolke II, S. 267. §. 38i), 5.
7) B. Baader Volkssagen a. IJaden. Karlsnibe 1851, S. 128, 141.
8; Scliönwertb a. d. Oberpfalz IIJ, 193.
y) Schönwerth a. a. 0. IM.
Mannbardt. II. 12
178 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
„c/<' Mom'huck het cm statt" Im Bndjadingerlande (Oldenburg)
ist Moorhuck Schimpfwort.
So ftlhrt eine geschlossene Kette von Analogien ohne Unter-
brechung von den bocksgestaltigen Waldgeistem und Komgeistem
zu den Hausgeistern und von diesen zu den Waldgeistem und
Feldgeistem zurück. Ueberall treten Aehnlichkeiten mit Faiinus
und seiner Sippe hervor. Vollständigere Kunde würde noch
mehrere derselben zu Tage fördern. Denn auch was noch zu
fehlen scheinen könnte, ist einmal dagewesen. Auch das Alp-
drücken ist, wie Faunus o. S. 116 und den Panen o. S. 132 in ehe-
mals slavischen Distrikten Deutschlands einem bockgestaltigen Wesen
zugeschrieben worden. Im Altenburgischen (P()chau und Stolpen)
nennt man ein Gespenst „Bocksmarte." ^ Märte aber oder Drüt
ist der Menschen, Tiere, Bäume, Steine reitende oder drückende
Windgeist, der im Winde (Wirbelwinde, Dröten winde) daher-
fahrt, Haare und Mähnen verwirrt (Märklatt) und Bäume oder
Kornh^hm beständig zittern, verkümmern, verdorren macht,
wenn er darauf ausruht. * Dieser Menschen und Bäume reitende
Windgeist vermittelt den um die Dryaden buhlenden Pan mit dem
Ephialtes (o. S. 131). Die Märte oder der Mär heißt polnisch
mora, czech. masc. niorous, fem. müra Plur. moruzzi. Von ihm
sagt der altböhmische Glossator Wacehrad (mater verbor.) : „mo-
ruszi pilosi, qui a Graeeis panites a Latinis incubi voeantur,
quonim forma ah humana incipit^ sed hestiall extrcmif<ite termi-
natura Nach Krok II, p. 360 bei Hanush Wissensch. d. slav.
Mythus S. 332 werden die moruzzi vom Volke als Waldyeister
„lesj^^ (lies leschi) bezeichnet.
Wie ich (Bk. 177 ff. 492 flf. 515. 516 fr.) erwiesen zu haben
glaube, hatte die in deutschen, skandinavischen, slavischen und
keltischen Landen heimische Sitte, zu Fastnacht, Ostern, Maitag
oder Johanuis ein großes Feuer anzuzünden, ringsumher zu tan-
zen nnd einen Baiim^ Kräuter, oder lehemle Tiere, die Vertreter
von Getreidedämonen darin zu verbrennen, den Sinn einer Dar-
stellung des Durchgangs der Vegetation durch das Feuer der
Somnicrsonue. Das Passieren der Mensehen oder Tiere durchs
Feuer wird häufig durch ein bloßes Erscheinen bei demselben
1) Kuhn Nordd. Sag. 520. XV.
2) Mannhardt (Norman. Myth. S. 45 ff. 712.
k.
Andere Tiore Stellvertreter des KombocIcM. 179
dargestellt (Bk. S. 494. 524). Dahin gehört aiigenschc»inlieh auch
der Volksglaube in Norland (Schweden), daß l)eiin Mittsonmier-
feuer sieh JUler ein Bork oder rinc Zi/'gc sehen lUßt, von dem
(der) man meint, e« sei der Pa/rw (Teufel, konizutragende Kol)old). ^
Im Harze hieß ehedem das Osterteuer Bockshorn,^ wie ich nicht
zweifle, weil man ehedem das Hom eines Hockes in die Flamme
warf, als Ausdruck des (Uaubens, daß aus dem abgehauenen
Gliede (Reste) des im Herl)ste getödteten Getreidedämons durch
Einfluß der SonnenwHrme des Frühjahrs sich die ganze Gestalt
desselben bele])en und zum Wiederaufleben gelangen werde.
§.11. Andere Tiere StollTertreter des Kornboeks. Der
Kombock wurde als ein geisterhaftes Wesen gedacht; man
glaubte jedoch, daß derselbe mehrere Gestalten annehmen könne.
Die blauen Kornblumen (o. S. 1510, mehrere Insekten und Vögel
seheinen als Gestalten gegolten zu haben, unter denen der Ge-
treidebock zeitweilig dem Auge sichtbar wird. So heißt die grüne
Heuschrecke (locusta acridium) in Holstein und Mecklenburg Atist-
bück, ' in der Altmark Prov. Sachsen (Kr. Gardelegen, Salzwedel,
Wanzleben u. s. w.) Hawvrhuck. Die langtüßige Komspinne (pha-
langium opilio) ist Mä-hock (Pr. Sachsen Kr. Oscherslehen),
HafergeiJ Hahergciß (Pr. Sachsen Kr. Jericho, Rgbz. Coblenz,
Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayeni u. s. w.) genannt. Wenn
ihr Gewebe zu Anfang der Ernte oben an den Aehren sitzt, steigt
das Koni im Preise, sitzt es am Wurzelende, so fällt der Kom-
preis. In Meiningen nennt man ein vom Berichterstatter nicht
näher bezeichnetes Insekt Kornhock und in Ichtershausen bei Gotha
ebenso ein kleines schwarzes Tierchen, das in der ausgedrosche-
nen Frucht, wenn sie lange auf dem Speicher gelegen hat, sieh
einfindet und dieselbe hohl frißt; wol in beiden Fällen der
schwarze Kornwurni (culandra granaria), der anderswo auch
Kornwolf genannt wird. Diese Benennungen (Kornbock, Kom-
wolf) gehen auf die Vorstellung von dem die Scheuer ausfressen-
den Getreidedämon zurück. * Dagegen ist es kaum zweifelhaft,
1) Dybeck Runa 1844 S. 22.
2i Ö. Jacobs der Brocken und sein Gebiet S. KW — 160. 241 belegt diesen
Namen durch urkundliche Zeu«;nissc.
3) \gl. Schiller zum Tier- und Kräuterbuche des meklenburg. Volkes
II, 1«.
4) S. 0. 8. 170. Roggenwolf AuH.-', S. 10-21. Korndämonen S. 8.
12*
180 Kapitel III. Die wildcu Leate der antiken Sage II.
daß der gleichlautende Name der Beecassine , Heerschnepfe (seo-
lopax galliuago) Uawcrzeg (Pommern, Mecklenburg) Hawerzicke
(Kr. Jericho U Pr. Sachsen, Kr. Czemikow Rgbz. Bromberg),
Häiverhuck, Hawerbock (Altmark, Angeln, Flensburg, Kr. Gar-
delegen, Wolmirstedt u. s. w.), Haber geiß , Habergäes (Kr. Keu-
haldensleben ; Kr. Ottweiler Rgbz. Trier, Bayern, Zürich u. s. w.)
nicht von Hause aus oder unmittelbar in diese Eeihe gehöre.
Der Vogel hat nämlich mit dem Getreide nichts zu tun; seinen
Vergleich mit dem Ziegengeschlecht verdankt er ganz offenbar
dem Umstände, daß das Männchen zur Begattungszeit bei heiterem
Wetter sich in ganz enorme Höhe in die Luft schwingt, und dort
mit den Flügeln ein dem fernen Meckern eines Bockes ähnliches
Geräusch hervorbringt, weshalb er als Eribrscher der höchsten
Regionen Regen und nahendes Unwetter verkünden soll und aui-h
Gotteszkge, Himmelsziege^ Donnersziege, lit. Perkuno ahsis, ozelis,
D^vo ozys, Dangaus ozys, lett. Perkona kasa genannt wird.
Es ist möglich, aber nicht erweislich, daß in heidnischer Zeit
diese Benennungen eine Beziehung auf den persönlichen Himmels-
gott oder Donnergott enthalten haben. Der erste Oompositions-
teil hawer (luiher) aber soll nach J. Grimms Erklärung (G. d.
D. Spr. 35) das alte Wort ags. häfer, altnord. hafr Bock, lat
capcr bewahren, so daß Hafer -bock eine nicht beispiellose Tau-
tologie enthielte. ^ In diesem Falle muß freilich der süddeutsche
Name Hahergeiß für den Vogel erst nachträglich aus Haberhock
gebildet sein, wo nicht das dem lat. haedus, lioedus Laut tllr
Laut entsprechende gaiß auch hier ursprünglich ohne Unterscliied
des Geschlechts ein Tier des Ziegengeschlechts bezeichnete.* Die
kleine Eule (strix aluco, strix ortus) \vird ihren Namen Häher-
geiß (Kr. Gardclegeu, Kr. Delitsch, Naumburg, Bayern, Tirol)
auf gleiche Weise wegen des meckernden Tons ihrer Stimme
erhalten haben. Sicher aber ist, daß diese Benennung lür die
beiden Vögel mißverständlich sehr leicht sowohl etymologisch mii
der Getreideart in Zusammenhang gebracht, als auch mit dem
Glauben an den Getreidebock zusammengebracht werden konnte.
Hiezu lud einmal der Umstund ein, daß ja auch der KomlKK'k,
die Habergeiß z. T. in Wind und Wetter, speziell in dem Gewitter
1) \^\. auch Schiller a. a. 0. J, 8.
2i l)orh ist f^oth. gaits horeit« Fcniin.
Andere Tiere Stellvertreter des Eorubocks. 181
vorhergehenden Wirbehvinde sein Leben kundgebend gedacht
wurde, niitliin außer dem Einklang der Namen zwei verwandte
Vorstellungen von vonieherein sich anzogen (Vgl. Bk. 250), anderer-
seits mußte die Verbindung um so gewisser zu Stande kommen,
wenn die Volksphantasie schon vorher ohnedies geschäftig gewesen
war, den wirklichen Vogel in ein geisterhaftes Wesen umzu-
schaffen. ^ Der Sumpfschnepfe (Häwabuck) legt man z. B. in der
Altmark den Ruf unter, den man meckernd hersagt: Is Häwa all
sät? Ik häw min all mäht! (Ist der Hafer schon gesät V Ich
habe meinen schon gemäht). In 01)erdeutschland erzählt man sich
viel von der gespenstigen Habergeiß. Um Nüziders im Walgau
sagt man, sie sei ein Vogel mit gelbem Gefieder und der Stimme
einer Geiß. Derselbe werde heim Bctjinne der Maienzeit nur den
Blicken ))evorzugter Sterblicher sichtbar und seine meckernde
Stimme sei so gut ein FrUhlingslmte, wie der Ruf des Kuckuks.
Andere sagen, die Ilabergeiß habe im Ganzen die Gestalt einer
Geißy aber Pfcrdefüjr^ und ein Maid, das einer h<ilb(jeö/f'neten
Hanfbrechc gleiche, noch andere halten die Habergeiß ttir eine
junge Gemse mit Flügeln.^ Dem Steiermärker gilt sie ttir das
Gespenst einer Ziege, mit welcher ihr Herr sich vom Felsen in
den Abgrund stürzte, als sein Gläubiger dem Armen dieses sein
einziges Gut entreißen wollte. Sie verkündet mit ihrem Gekrächze
Unglück.* Nach andern aber ist sie ein Vogel mit drei Füjlfen,
der sich gewöhnlich in den Fehlern hören läßt. Wer ihren Huf
fuichäff't, den sucht sie nachts heim. Oft erscheint der Teufel
in ihrer Gestalt (Steiermark , Kämthen). ^ Sie entspricht keinem
wirklichen Tier. Im Auswärts (Frühjahr) hiirt man sie nachts
plärren, wie eine Geiß (Oberöstrcich). Noch «•mdem aber ist sie
die Seele eines verstorbenen Menschen, der in Gestalt einer Ziege
in den Kornfeldern um das Sterbehaus sich aufhält, und dort um
die (Jeisterstunde so lange umgeht, bis die nächste Leiche her-
1) ÄL^hrere aborj^läubifje VorstellnD<i:en an dw Heor8(hne])fo geheftet
sind verz.'i«-lmet MytL.>, H>8. Zeitschr. f. tl. Myth. 111, 221 ff.
2) Di«* Stimm«' der Strix aluco spielt \\o\ zuweilen aueli in einen dem
Gewi«h«'r älmliehen Laut über, wie das drr Ileersehnepfe, di«' dem Skan-
dinavii r nicht Donnerziejr«', sondern dän. nnrehest, Hrhwed. Imrsf^jiW'k, isl.
hros.'^a.L.Mukr (PtVnh»-Kukuek) IieilJt.
i]> Vunl>un Ih'itr. z. d. Mytli. a. Churrhätitu S. 110.
4. Zeitschr. f. <1. Mytii. I, 244.
5) Wrinliold Weihnacht8piele S. 10.
182 Kapitel III. Die wilden Leute der antikcu Sage II.
ausgetragen wird (Reichenau Kr. unter dem Wiener Walde).*
Oder sie soll eine verwunschene Jungfrau sein, die in Gestalt
einer weißeti Geiß in den Getreidefddeni, namentlich zur Ernte-
zeit kläglich schreit, auch wol der Teufel selber, der als schtvarze
Geiß umgehe (Erzherzogt. Oestr. Umgegend v. Krems).* Auch
der Tiroler beschreibt die Habergeiß als einen verwünschten
Menschen , als ein Wesen halb Vogel halb Geiß , als einen „Vogel
der wie ein Mann aussieht ,'' welcher Leuten, die nachts zum
Fenster heraussehen, tüchtige Ohrfeigen giebt Sie wohnt auf der
höchsten Steinwand. Ihre Eigenschaften berühretv und vermisclien
sich teils mit derienigen der ivilden Jagd, teils mit denen der Haus^
geistcr, fliegenden Drachen und des Büsenschnitters, Das Jauchzen
der wilden Jagd und das Schreien der Habergeiß soll man nicht
nachäifen, sonst kommen sie herbei. Die Habergeiß jagt dem
Nachrufer nach, zerkratzt oder frißt ihn und verfolgt ihn bis an
seine Haustür, die er nur mit Not vor sich zuschlägt. (Vgl. die
iSagen vom wilden Jäger resp. Nachtraben). Sie hängt sich ihm
als blutiges Fell vor die Türe, wie der wilde Jäger ein Viertel
des Jagdticres an die Türpfosten des Nachrufers heftet. Im
Erzherzogtum Oestreich nennt man mehrfach die Habergeiß als
Teilnehmerin der wilden Jagd, des Zuges derPerchtl; der Teufel
reitet auf ihr. Auch der uiederöstreichische Glaube, daß sie bei
starkem Gewitter (Hagel u. s. w.) das schon geschnittene Getreide
von einem Acker auf den andern fremden trage, zeigt ebenso-
wohl Sturm, Hagelschlag und Wirbelwind als ihr Element, wie
er an den getreide tragen den Drachen erinnert. Im Oetztal stellen
sich die Leute die Uabergeiß gradezu als glühenden Draclicn vor.
Schreit sie vor Ave Marialäuten, so bedeutet es Glück, später
Unglück ; schreit sie im Spätherbst, so kommt langer Winter und
große Heunot, Wo sie hinkommt, bedeutet es Unsegen und Unrat,
das Korn verdirbt, die Kühe magern ab, geben keine Milch und
haben verfilzte Mähnen, ^
1) Entstand wol aus Vorsclnnolzung dos Korndämons HabiTgciß mit der
Eulo (strix aluco), die auf dorn Baum vor dem 8torl>ehause sitzend die baldige
Lcie.he ansagt und erwartet. Hei Meran sagt man, der Ruf der Habergeill
(strix aluoo) vorkündige baMigen Todesfall. Zingerle Sitten* 81, 679.
' 2) Landsteiner Reste di'S H«'idenglaubens S. (»G.
3) Mündl. — Zingerle Tiroler Sitten •-» S. 80— 82, n. 67l-i;82. Zeits^rhr.
f. d. Myth. I, 214. III, 30, 15. Alpeuburg Mythen 385. Landsteiner a.a.O.
Dramatiifchc DarstollaDgcn des Vegetationsbocks. 183
Efl bestätigt sich somit, daß mehrere Stücke, (der Name
Habeigeiß, der Aufenthalt im Konifelde, die Lebensäußerung in
Wind und Wetter, die Berührung mit fliegenden Drachen und
Hausgeistern u. s. w.) dem gespenstigen Vogel und dem bald seg-
nend, bald zürnend waltenden (ietreidebocke gemeinsam waren,
welche zu einer Verschmelzung von beiden flihren mußten. Alehrerc
Züge z.B. die an die lahme Geiß (o. S. 165) erinnernde Dreifüßig-
keit^ das einer Hanfbreche ähnliche Gebiß mit langen, scharten
Zähnen mögen die Vorstellungen vom mythischen Vogel direct
den Vorstellungen von dem Komdämon Habergeiß und dessen
bildlichen Repräsentationen entlehnt haben. Dagegen weisen die
letzteren wiederum den Einfluß des Glaubens an den gespenstigen
Vogel mehrfach auf das deutlichste auf Es ist die Volkssitte,
in der wir das Produkt der angedeuteten Mischung kennen lernen.
§. 12. Dramatische BarstelluDgen des Vegetationsbocks.
Nicht allein auf dem Enitefelde und der Dreschdiele, sondern
auch unabhängig davon liebte man den Getreidedämon sich durch
Darstellung zu vergegenwärtigen, zumal in feierlichen Umzügen
während des Frühjahrs und um die Winfersonne7iweiidc, durch
welche der Wiedereinzug der segnenden Mächte des Sommers in
die verödete Natur veranschaulicht werden sollte.
In Steiereck und Mühlviertel (Erzherzogt. Oestr.) ist die
Hauptfigur des Fastnachtumzuges ein Ungetüm, gebildet durch
zwei Männer, welche unter hochemporgehaltencr Plahe gehen,
worauf ein Geißkopf sitzt. Ein dritter führt die Ziegcngestalt;
mehrere Wagen folgen, von denen die übrigen allerlei komische,
bucklige oder kropfige Masken tragen, einer ganz mit grünen
Tannen oder Ficidenzweigen IfedecM einen Strohmann enthält, der
an der Donau ins Wasser geworten wird. ^ Diese Wassertauche
ist — wie ich Bk. a. m. 0. ausfilhrlich erörterte — ciu Regen-
zauber. Kein Zweifel, daß die ganze Begehung den im Lenze
wieder ins Land einziehenden Vegetationsdämon darzustellen
bestimmt war. In Böhmen (Kr. Tabor) geht um die Faschings-
zeit die Habergeiß um. Sie wird verschieden dargestellt z. B.
als Jlcnsch, der ganz in Stroh ringehidU ist, drei Füße, einen
Menschenkopf mit Hörnern, zuweilen aber auch noch einen langen
Schnabel zeigt. Die Einhüllung in Stroh macht abgesehen von
1) A. Baumf^arton das Jahr nn<l seine Tage. Linz 18(30, »S. 19.
iSi Kapitel III. Bio wildcu Lcuto der antikt^n Sago IL
den weiterhin anzuilibrenden norddentsehen and skandinavischen
Parallelen gewiß, daß dieser Fasehingsumzug mit der analogen
Darstellung auf dem Emtefelde und der Dreschtenne (o. S. 168)
zusammenhängt, daß nicht das Vogelgespenst, sondern der Ge-
treidedämon Habergeiß dargestellt werden sollte; aber ersteres
wirkte mit, die rohe und vielleicht von Anfang an schnabelartige
Darstellung der Schiiauze in diejenige eines wirklichen Schnabels
umzuformen. Noch durchgreifender ist dies in Tirol geschehen,
wenn zu Fastnacht und Weihnachten als Hahergeiß ein ganz in
Stroh gekleideter Bursch von Haus zu Haus geleitet wird, der
mit rot' oder buntangestrichenetn Storch- oder Spechtschnabel und
gleichartig gefärbtem Strohschwanz ausgerüstet einem Vogel ähn-
lich sieht. Seine Begleiter tragen ein großes Netz als Vogelfänger.
Solche Darstellung der Habergeiß als Vogel hat jedoch nur
beschränkte Verbreitung. In der Kreisdirection Leipzig (Wemers-
dorf) gingen früher zu Fastnacht in Getreidestroh gehüllte Per-
sonen von Tür zu Tür, wo man ihnen Bratwürste, Speck und
andere gute Sachen schenkte. Diese Personen hießen Habergeiß
und Erbsenbär. Der Erbsenbär wird von uns durch positive
Zeugnisse späterhin als Korndämon nachgewiesen, mithin spricJU
die größte Wahrscheinlichkeit dafür, daß auch seine Begleiter
Schimmclreiter und Geiß,^ ja selbst der gleich zu erwähnende
Nicolaus (Klaas , Buhlaas , Knecht Buprecht u. s. tv.) dieselbe
Bedeutung haben. * Wie iu Leipzig und Bühl der irrtümlich hin-
1) In Bühl (WürtcmbcTg) füllt man zu Fastnacht einen Sack mit Streu
und Häcksel, an dem man mit ilen Zipfeln des darüber gebängten weißen
Lakens einen Pferde köpf mit langen Ohren befestigt und wie ein Pferd
aufzäumt. Di<ser Sehinnuel heilJt der Golisch* Bock (Meier Schwab. Sas?.
372,3). Im Münstertal (F^lsaliJ dagegen zogen die Weiber in der Fastnacht
maskiert mit einem lebendigen aufgeputzten Bock und einem schel-
lenbrhangenen Pft^de, das zwei Fässer Wi;in trug, durch die Straßen, und
kein Mann dürft«' sieh vor Abend selbst an den Fenstern sehen
lassen. Dit Brauch wurde im Jahr 1681 auf Anregung dos Pastors Forstor
abgeschaflt (Curiosites d'Alsace. Colmar 1861, I, p. 82 bei W. Hertz deutsche
Sage im Elsuü. 1872, S. 26). Hiermit mag zusammenhangen, daß in der
Gegend von Saulgau der in April Geschickte mit dem Rufe Aprillcnbock!
Aprillrnbock! vorfolgt. wird (Birlingor Volkstüml. a. Schwaben II, 93, 122.
2) St. Niclas (Rubklas, Asclienklas u. s. w.) ist in diesen Gebräuchen mit
niehten der kinderliobcnde Bisehof von Myra und deshalb auch in dessen
Legende kein Anhaltspunkt für dit- Entstehung der Sitte zu finden, sondern
^ (iulisch wol Abkürzung' von goliathiscli, riesig.
Dramatische Darstelliuigeii deH Vegetationsbocks. 185
eingetragene Anklang an den Vogel fehlt , im Elsaß das leben-
dige Tier über die reine Ziegengestalt keinen Zweifel läßt, treffen
die oinfache Personification dos Kalendortapres, 6. Dezember.
Solche Personificationen sind im europäischen Volksglauben sehr gewöhnlich,
lu Rumänien glaubt man an gütige Wesen Swinta maica Dominica, swinta
niaica Mercuri, swinta Maica Vinire oder Paraskeve, d. i. heilige Muttor
Sonntag, Mittwoch und Freitag, von denen man manche Sagen erzählt (Toll-
hausen i. d. Didaskalia. Prankf. 1841, Nov. 25. Arthur Schott im Ausland 1849,
n. 231. Ders. Walach -Märchen n. 11. 23. 25. J. K. Schuller Kolinda Her-
mannstadt 1860, S. 12). Gradeso werden in Schweden der Donnerstag und
Freitag (Thorsdag, Fredag; als Thor und Frigg personifiziert. In der Nacht
von Donnerstag zu Freitag muß jedes Si)inDrad ruheu, denn dann spinnen
Thoregnd och Frigg e darauf. «Hylten-Cavallius Wärend och Wirdarne
1, S. 188), wo oifenbar nicht der Asathor und Odins Gemahlin sondern der
Person gewordene Donnerstag und Freitag zu verstehen sind. In Oberdeutsch-
land ist der Donnerstag (Pfinztag) zu einem mythischen Wesen, die Pfinze,
geworden. „Dominae Habundiae vulgariter Pfinzen.*' Schmeller W.-ß.' 439.
Die Bussen haben aus dem Worte pjatnica Freitag eine Heilige, Pjatnica
(spr. Pjatnitza\ gemacht, welche zornig sei, wenn die Leute ihr Fest nicht
halten. An einem gewissen Festtage führt man in Kloinrußland eine Frauens-
person mit fliegenden Haaren als Pjatnica in Kirchenprozession herum.
J. Glenking Gebr. d. griech. Kirche (deutsch 1773) p. 398. Wie in den bis-
her angeführten Beispielen die Wochentage, sind auch hervorragende Heiligen-
tagc des Kalenders zu Personen geworden, deren Namen dann uatnrlich mit
dem Namen des Heiligen zusammenfallen, ohne mit seinem Wesen und seiner
Legende etwas gemein zu haben. Wir nennen zuerst Berchtay Verchtay
toelchehisher mit Ungrtmd nach Grimms Vorgang für eine Göttin
unserer heidnischen Vorfahren gehalten icorden ist. Vielmehr ist
sie lediglich die Personification des Epiphanientages (Berchtentag, Berchten-
nacht) und ihr steht eine ganz analoge Gestalt in der italiänischen Fee Be-
fania, Befana d. i. Epiphauia zur Seite. [Für Berchte bietet die reichhaltigste
Lese älterer Zeugnisse Sciimeller - Frommann W.-B.=^ I, 2G9 — 272, über
Befana vgl. H. Usener im Rhein. Museum XXX , p. 197]. xVm G. Januar
lEpiphania Domini, festum trium regum, adoratio magorum) feiert die Kirche
die Anbetung der drei Weisen uns dem Morgenlande, welcher auf dem Fußo
der bcthlehemitische Kindermord folgte. Deshalb ist leicht einzusehen, wo-
her der Volksglaube die Perehtl in der Perchtennacht umziehen läßt,
in endloser Reihe von einem Heere zarter, ungetauft verstorbe-
ner Kinder gefolgt, denen der fromme Bauer mitleidig einen Tisch mit
Speise hinsetzt (Alpenburg Mythen Tirols S. 48). Diese Kinderseelen sind
dann vielfach in Schretzleiu, Heimchen u. s. w. umbenannt. Aus der einen
von deutschem in slavischen Volksglauben übergegangenen (Zs. f. d. Myth.
IV, 387} und weit verbreiteten Perehta sind dann vielfach mehrere Perchteln,
Eroberte u. s. w. geworden, bei denen der Zusammenhang mit dem Kalender-
tage sich verdunkelt hat. Im Baierwalde glaubt man eine Personification
186 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
wir in Obersteiermark deutlich die Ziege, die Korageifi, ftlr sich.
Hier geht nämlich die Habergeiß zur Weihnachtszeit in der
der Zwölften oder Ranchtnächte (d. 1. der Tage zwischen Weihnachten und
Neujahr) „die Eauhnacht/* welche durch eine vermnmmte stark verhüUte
Weibsperson dargestellt wird. Schmeller W.-B.« II, 14. Der 13. Dcc. St Ln-
cia, der im Mittelalter für den Tag der Wintersonnenwende galt [„Vitus et
Lncia sunt duo solstitia" „Lucia bringt die längsten Nacht" Schmeller W.-B.*
1549J ist ebenfalls zu einer mj^hischen Person geworden, Lncia, Lnti
Schmeller I, 1549. Rank a. d. Böhmerwaldo S. 137. Aus Fronfasten d. i. den
Quatembem hat man eine Frau Faste gemacht (Schwaben; Schweiz. Myth.*
742). Als männliche Porsonificationen von Kalendertagen im Volksgebranch
sind von uns bereits der Walber (von Walpurgis) Bk. 312. 316, Georg
Bk. 313. 316. 317, St. Johannis Bk. 468, St. Stephan Bk. 404. (Vgl.
meinen Aufsatz „Die lettischen Sonnenmythen in Bastians Zs. f. Ethnologie
VII, 1875, S. 95) nachgewiesen. Auch Bartel, der am Bartolomänstagc
(24. Aug.) die Brombeern beschmutzt d. h. weißblau färbt und den Kohl-
pflanzen die Häuptehen einsetzt (Kuhn Nordd. Sag. 400, 113. Wuttke Abergl.«
§. 665), Martin (Pclzmärten u. s. w.) in den Martini- und Adventsgebräuchen
sind keinoswe^^es die Heiligen, oder gar Wodan; wenn Martin auf dem Schim<
mel reitet, so geschieht dies, weil und wann in der Zeit des Martinstages
(11. Nov.) der erste Schnee fällt. (Vgl. Weinhold Weilmachtspielo S. 7). Die
Ansätze zu solchen Persouificationen der Kalendertage kann man vielfach in
den Wetterregeln der europäischen Völker beobachten. Z. B.: Die heiligen
drei Könige kommen zu Wasser oder gehen zu Wasser. (Brandenb.). St. An-
tonius macht die Brücke und St. Paulus (25. .lan.) zerbricht sie. i Venedig).
Saut Bastia la viola en ma d. i. St. Bastian das Veilchen in der Hand.
St. Mathias schickt Saft in den Baum. St. Agnes treibt die Lerchen aus
der Stadt. St. Dorothee brinj^'t den meisten Schnee. St. Severin wirft den
kalten Stein in den Rhin , St. (Jertnid mit der Maus holt ihn heraus u. s. w.
(S. Reinsberg-Düringsfeld, das Wetter im Sprichwort 18G4, S. 64 ff.). Und
wie die Wochentage und Heiligentage erleiden auch Monate und Jahreszeiten
eine ähnliche Personification; Perc Mai, Reine Maia. rnss. Jarilo iFrühlingi
u. 8. w., slav. Leto (Sommer) sind (Bk. a. a. 0.) von uns als solche besprochen;
wir glauben au den betreffenden Stellen zugleich nachgewiesen zu
haben, dal» mit diesen Personificationeu der Jahreszeiten und Kalen-
dertage sich ältere mythi sehe Vorstellungen aus dem Kreise ilcr
Veg^'tationsdämonen, der Sagen vom wilden" Heer u. s. w. ver-
bunden haben. Einmal zu (restulten des Volksgebrauchs geworden haben
sie durch Attraction und Assimilation ähnlicher Gebräuche dann häufig ihre
Stelle im Kalenderjahr verrückt, ihr Gebiet rückwärts oder vorwärts erweitert.
Berchta, die Person gewordene Epij)hania, und St. Martin, der Dämon des
10. Novembers, gehen auch in der ganzen Advents- und Weihnachtszeit «als
Perchtel, Pelzmärte u. s. w.) um. Auf gleiche Weise ist denn auch St. Niklas
in den Advents- und Weihnachtsumzügen für den Person gewordenen
Nicolaustag (6. December) zu erachten, der mit dem um die Win-
Dramatische Darst^^Uaugen diA Vegetationsbock«. 187
Begleitung des Nikolo um. Sie wird durch vier Männer gebildet,
welche sich aneinander halten und mit weißen Kotzen bedeckt
sind. Der vorderste hält einen hölzernen Geißkopf empor, dessen
untere Kinnlade hcweglieh ist, und womit er klappert (Weinhold
Weihnachtsp. S. 10). Im Böhmerwalde wird ebenfalls eine mit
übergebreitetem Leintuch und durchstehenden Hörnern als Ziege
maskierte Person von einer Art Niklo hcrumgeflihrt, hier aber ent-
lehnt sie ihren Namen Luzia von der Personitication des Heiligen-
tages (12. Dec); sie enuahnt die Kinder zum Beten, beschenkt
gute mit Obst und droht den schlimmen, sie werde ilmen den
Bauch aufechlitzcn und Stroh und Kieselsteine hineinlegen ( J. ßank
a- d. Böhmcrwalde S. 3GG). In Überöstreich ist die Darstellung
ganz ähnlich. Auch hier tritt die Ilabergeiß im Gefolge des Nikla
auf und zwar am Vorabende seines Tages (am 5. Dec). Um sie
darzustellen nimmt man eine Plahe über sich und darunter zwei
Stäbe, womit man bald vorwärts, bald rückwärts, bald in der
Richtung nach oben, bald wieder nach unten herumschiebt, so
daß das Ungeheuer bald Hörner, Kopf und Hals zu verlängern,
oder zu verküi-zen, bald den Hinterleib mannigfaltig zu verändern
tersonneiiwende wieder ins Land einziclieiHlou Vegetations-
dämon verschmolzen ist. Letzteres ersieht man deutlich aus der uftmaUgcn
Einhüllung in Erbsenstroh, wie son^t in Pelz, so wie aus der Ausrüstung
mit obstgefülltem Korbe o<ler Sa<*k und Gerte oder Rute. Darin gleicht
er genau dem zu Weiimachten unigelienden , mit einer Birkenrute bewaffneten
Bullkater (o. S. 174\ der doch von dem der f>nteprozession ^oranschreiten-
dcn Komkater, der den (jetrt?idedämon vorstellt, niciit getrennt werden kann.
Gegen diese Auffassung des Rauliklas, Aschenklas, Niclas kann auch der in
einigen Gegenden (Br.hmen, Halle, Insel T'sedom) demselben zustehende Name
Knecht Ruprecht nicht ins Feld geführt werden. Die von Kuhn (Zs. f. d.
Altert. V, 482 ff.) aufgestellte und seitdem allgemein angenommene Meinung
ist nicht zu halten: „kein Kneciit sei in dem alten Pelzträger verborgen,
sondern, wie s<diori der Name verkündet, ein ruhmglänzender Gott (Hruod-
peraht), niemand anders als Wodan." Vielmehr worden wir auch in Ruprecht
eine dem Niclas. Pelzmärten u s. w. analoge Figur (vielleicht ursprünglich
männliehe Personitication des IJerchtentages: vgl. in der Schweiz Bertholdstag
d.i. Jan. 3.) zu suchen haben. Die Gerte (Rute), welche Ruprecht, Polz-
märte, Niklo u. s. w. (wie der Bullkatcr o. S. 173) in der Hand führen, um
die Begegnenden, namentli(rh Kinder, zu sehlagen, ist nichts anders, als die
auch vom Maikünig geführte, Waelistum hervorbringende Lebensrute (Rk. 365.
366s welehe lediglich aus Millverständniß umgedeutet wird in das i)ädago-
glsche Instrument des Schulmeisters. Vgl. die russ. Plingst- und Sonnwend-
person iticatiouen Rusalky und Koljada. Miklosich Rusalien. Wien 1864.
• I
188 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
scheint. In jenem Bühler Fastnachtnmzng (o. S. 184 Anm.) ist die
Habergeiß mit dem Schimmclreiter zu einer Gestalt verschmolzen.
Dasselbe geschieht im Weihnachtsbrauche in mehreren (regenden
mit dem Erbsenbär. Um Krakau besteht der Weihnachtsumzng
aus drei Gestalten. Ein Mann ist gane in ZiegenfeUe gehülU und
auf einen Schubkarren gesetzt, die heiden anderen sind in Erbsen-
Stroh eingebunden. Merkwürdigerweise wird nun der in Felle
gehtillte Mensch Erbsenbär (grochowej niedz'wiedz') genannt ^ vor
jedem Hause, wo man anlangt, bmmnit er; und wird dies Brum-
men zuerst von einem Mädchen gehört, so soll es bald heiraten. *
Bei Marburg in Steiermark tritt noch ein dritter Geselle als Factor
in den Verschmelzungsprozeß mit ein. Wer beim DrescJien den
m
letzten Schlag macht, heißt Wolf. Alle Knechte laufen eiligst aus
der Scheuer heraus und lauem ihm auf, htlllen ihn, wenn er
herauskommt, in Stroh in Gestalt eitles Wolfes und führeti ihn
so im Dorfe herum. Den Namen Wolf behUlt er bis Weihnachten.
Dann steckt man ihn in ein Ziegenfell, hüllt ihn übrigens in Erb-
senstroh und iUhrt ihn als Erbsenbär an einem Stricke von Hans
zu Haus. Hier liegt (wie beim Kornkater o, S, 173 ff.)
ein neuer, sicherer Belag für den Zusammenhang,
die Identität, des nach der Ernte angestellten, den
Korndämon darstellenden Umgangs und des Um-
zugs in der W eihnachtszeit vor, — In Rühmen (Neuhaus)
bcHteht der Nikolausumgang aus vielen Masken. Da gie])t es
zwei Bischöfe f Vervielfältigung des einen h. Nikolaus, der Per-
sonification des Heiligentages) Soldaten, Husaren, Teufel, Kamin-
feger, Quacksalber, Sehacherjuden. Den Keni- und Mittelpunkt
des Aufzuges aber bilden die folgenden Figuren. Einer scheint
auf einem künstlichen Schimmel zu reiten, ein zweiter auf einer
ähnlichen Ziege, der dritte und vierte endlich erscheinen in bären-
artiger Gestalt, behangen mit mannigfachen Glocken und Sehellen,
mit denen sie imaufhörlich läuten. Dem Haufen werden Aepfel
1) Man erzählt sogar eine Geschichte, um die sonderbare Miscbgcstalt
zu erklären. Vor jedem Hause wiederholen die Führer, dies sei der Erbsen-
bär, drr den Sohn Gotti-s erschrecken wolito. Ein Müller hatte sich nämlich
den Übeln Spaß erdacht an einem Weihnachtsabend das Jesnkind zu ängstigen.
Er steckte sich in ein Ziegen feil und umwand sich mit Erbsenstroh.
Zur Strafe wurde er in einen Bären verwandelt. Der Umzug geschehe zum
Andenken an diese Begebenheit.
Dramatischo Darstellangeu des Vegetation sbocks. 189
imd Ntisse vorhergctrageu, welche die Bischöfe an die guten
Kinder verteilen. Gewöhnlich geht diesem Zuge noch ein Vor-
läufer voraus, der in das Zimmer tretend den Hausvater fragt,
ob der h. Niklas kommen dürfe, und ihn, fällt die Antwort
bejahend aus, hereinruft Nun giebt es vielerlei Spaß. Der
Handelsjnde stiehlt etwas aus dem Hause, bietet es dann zum
Verkauf dem Hauswiii; an und dieser muB sein Eigentum mit
Geld auslösen. In reicheren Häusern bekommen die Niklasum-
gänger Getreide j Überall al)er Finch s. Auch verkleiden sich drei
junge Leute als Engel, Teufel und Bock. Letzterer hat die Auf-
gabe, die Kinder, welche nicht beten können, mithin vom Engel
nicht beschenkt werden , auf seine Hörner zu heben , so daß der
Teufel ihnen einige Schläge mit seiner Bute gehen kann, ein Scherz,
den sich übrigens selbst die erwachsenen Knaben und Mädchen
gefallen lassen müssen. ^
Unter anderem Namen finden wir Geiß und Bär auf der
Insel Usedom wieder. Hier ziehen am Weihnachtsabend die
Knechte mit Schimmelreiter, Erbsenbär und dem Klapperbock
von Hof zu Hof. Letzterer ist ein Mensch, der eine Stange trägt,
über welche eine Bocksluiut gespannt >vurde, mit daran befind-
lichem hölzernem Kopf, an dessen unterer Kinnlade eine Schnur
befestigt ist, so daß, wenn der Tragende daran zieht, die beiden
Kinnladen klappenid zusammenschlagen. Mit dem Klapperbock
werden die Kinder, die nicht beten können, gestoßen. ^ In Ilsen-
burg (Harz) geht zu Weihnachten der Habersack, ein in Stroh
gehüllter Mensch , den Kopf mit Hörnern geziert. ^ In Natangen
(Ostpreußen) ziehen am Sylvesterabend ein Schimmel, ein Bock
und ein Mensch umher. Der Bock ist ein mit Tüchern verhange-
ner Kerl, welcher mit einem Flachsschwanz versehen eine Ofen-
gäbet reitet^ deren Zinken Hörner darstellen. Er stößt immer
den mitziehenden buckligen Kerl.** Bei den Deutschen in Preuß.
Litauen heißt Neujahrshock ein mit Pelzen behangener Bursch,
der in die Häuser dringt und daselbst seine Fratzen treibt. In
manchen Ort sind der Sehimmelreiter und Neujahrshock zusammen-
geflossen, insofern jemand den letzteren darstellt, indem er einen
1) RuiiiskTg-Düriug8feld, Festkalender a Böhmen S. 528. 521).
2) Kuhn Nordd. Sair. 403, 126.
3) H. Pröhlc Harzbildor 51.
4) Reusch in N. Preuß. Provinzialbl. Kgbg. 1J548, Bd. VI, S. 220, 55.
Dramatische Darstillun^'cn des Vcgctationsbocks. 191
von dem man durch den Lärm die feindlichen wachstumhindem-
den Geister verscheuchen wollte, und den man im Nachbardorfe
absetzte, wie bei der Ernte die Konipuj)j)e beim Nachbar (o. S. 165),
weil die Nachbarn eigentlich verpflichtet waren, ihn weiter zu
bringen. Der Name Po8terliyV///rw für den Brauch und die Dar-
stellung als alte Hexe oder alte Ziege lileiben bei dieser Auf-
fassung als zufällig oder jüngeres MißverstäudniB außer Acht
gelassen. Und in der Tat, sobald das Volk den Umzug bei
erloschenem Verständnis ins Komische und Schreckhafte um-
deutete, lag es nahe stott der (erwachsenen) Ziege überhaupt
eine recht alte und garstige Geiß zu wählen und die Hexe so
abschreckend als möglicli zu bilden; das Vorangehen im Zuge
mußte dann als Cfcjagtwerden erscheinen. Zu dem Entlibucher
Brauch stellt sich die Tiroler Sage, daß zu Küssen sich vor
einigen Jahren die eigentliche Percht (der Genius der Perchten-
nacht) am h. Dreikönigsabend unter die Perchtelläufer gemischt
habe. Sie gab sich durch einen Kiesensprung übers Brunnenhaus
zu erkennen und man sah ihre Boeksfüßc. ^
Viel lebendiger ist die Darstellung des Getreidebocks unter
dem Namen Julbuck noch in Skandinavien gebliel>en. Hier hat
man noch entschiedene Erinnerungen an die eigentliche Be-
deutung desselben bewahrt, indem man noch sehr wol weiß,
daß die Julböcke m den Julspiclen Darstellungen geisterhafter
Wesen seien, welche bald Jola.'ivehmr (Weihnachtsbursche), bald
Joldbukkar, Julebokkar genannt werden.* Die Jolesveinar sollen
ihren Aufenthalt in Hügeln und Bergen haben und nicht größer
als die Zwerge sein (Mo in Helgeland). Gradeso hörte H. Ström
im vorigen Jahrhundert im Stifte Bergen, die Masken des Jw-
lebuk und der Julegjed seien Nachahnmngen der Hügelböcke
(o. S. 154). In Mandal (Stift Christiansand) sagt man, der JuU
bock halte sich Sommers in den Wäldern auf, aber jeden Tag
kommt er ein Stückchen näher; Weihnachtsvorabend (lille Jul-
aften 23. Dez.) ist er in der Badstube, Weihnachtsabend (24. Dez.)
im Stubenwinkel, wo er darauf ausgeht die Julgrtitze zu schmecken
1) Zingerlc Sitten « 129, 1150.
2) Vgl. Aasen W.-B.: Jolobukk ni. og Jologeit f. Maske eller mas-
keret Person i Juk'log. Jolesveinar pl. Vaitter, som besoege Gaardene i
Jnletiden; Jolasvcinar Hardanger, paa Söndmür Julebokkar.
192 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sago 11.
und die kleinen Kinder fortzunehmen , welche in die Stube kom-
men. Ist ersteres geschehen, so geht er wieder fort. In Sönd-
möre nähert sich die Julgeiß (Julgjed ; man hört hier selten oder
nie Julebukken) von den Bergen Jier langsam dem Gehöft, das
sie am Weihnachtsabend erreicht; ihre Gegenwart kündigte sich
durch ein eigentümliches Brennen der Lichter an. In Nordmöre
heißt es, daß der Julebuk, der im allgemeinen einem Bocke
gleiche, um Mittemacht eintreffe, wo er hinter dem Ofen (wie
ein Hausgeist) Platz nehme. Setzt man ihm dann kein Abend-
brod dorthin , so verwüstet er alles in der ganzen Stube. In
Mandal glaubt man denn auch nicht vergnügt sein zu können,
ohne dem Julbuk eine Schale Julgrütze und eine Schale Julbier
hinter den Ofen zu setzen, grade wie sonst dem Tomtegubbe.
Vernachlässigt trinkt derselbe die Bierfässer im Keller leer und
füllt sie mit Wasser, und in der Speisekanuner verzehrt er die Jul-
grütze (Grebstad). Wer nicht zu Julabend neue Kleider bekommt
oder irgend etwas Neues, wird von den Julesveinar fortgeholt
Dasselbe sagt man von der Julegjed am Weihnachtsabend und
vom Nytaarslnik (Neujahrsbock) am Neujahrsabend (Saltdaleu).
In diesen Schilderungen ist der Zug von dem langsamen Heran-
kommen des Dämons und die Forderung, etwas Neues zu
bekonmieu, deutlich einer Personification des Jultages und Neu-
jahrs entlehnt, daß aber in der Tat dennoch der Getreidebock
gemeint sei, geht aus der Sitte in Ibestad hervor, in der Jul-
'nacht etwas von Stuhl (Axt, Messer u. dgl.) in die Scheune su
legen, um den Julbuk und die Jvlcfjed zu verhitulern hineinzu-
kommen, und vom Heu su speisen. Geschehe d<is, so werde mau
den ganzen Wiräer hindurch Futternuingel und Unglück mit dem
Vieh haben. Das nämliche wird vom Getreidedämon ausgesagt,
wenn man ihm den geringen Winterunterhalt auf dem Felde zu
lassen verabsäumt hat (o. S. 170). Auch in Schonen wußte man
im 17. Jahrhundert noch von den geisterhaften Urbildern der
Julböcke. Ein Bericht a. d. J. 1730 sagt: „Vor 40 Jahren lagen
hier in den Kirchspielen Gessin und Eskilstorp im Oxinhärad die
Julspiele dem Volke sehr am Herzen; man pflegte da Julböcke
von schrecklichem Ansehn auszurüsten. Da haben ein Kitter und
mehrere junge Leute, des Bockes Fülirer, einen solchen abends
in eine Spielstube gebracht. Doch nicht lange hatten sie ihren
Spaß mit ihm getrieben, als die Lichter erloschen und man im
DramaUsche Dardtelluugeu des Vegetatiousbocks. IHS
Mondschein einen andern, größeren und viel furchtbarem Back
zu sehen bekam, der den Kornsdiober vor dem Fenster immer
auf und ab , auf- und abliefe ein Anblick , von dem der eine
oder der andere der Alten noch jetzt nicht ohne Schauder
berichten kann."^ Das war der wahre Julbock gewesen, der
Kombock im Getreideschober, der die Nachäffung seiner Person
übel nahm. Seinem Ursprünge entsprechend war denn der Jul-
bock auch noch yielfach in Komhalme gekleidet. In Bergslags-
härad (Oerebro-Län in Schweden) führte man ehedem [jetzt
geschieht es nur noch selten] den Julbock herum, ganz in Ge-
treidehidme gehülU, mit den Hörnern eines Bocks ode7' einer Ziege
auf detn Kopf. Er glich so einem Bock, nur war er beträcht-
lich größer.
Anderswo aber wird der Julbock meistenteils mittels einer
Vorrichtung fast genau so, wie die Habergeiß in Oberdeutschland,
der Klapperbock in Usedom u. s. w. dargestellt Bei den Dänen
beschreibt ihn Sorterup' „capri Jolenses, qui olim machinä qua-
dam, capro simili at nolis crepitantibus tonante, sed davä tundente
instructa inter Danos repraesentari soluerunf In dieser oder
einfacherer Gestalt bildet der Julbock (oder die Julziege resp.
beide) eine stehende Figur in der zu allerlei lustigem Spiel die-
nenden Festversammlung zu Weihnachten, der sogenannten Weih-
nachtstube (Julestue), von der wir durch L. Holbergs lebendige
Schilderung in seinem 1724 zuerst aufgeiUhrten einaktigen Lust-
spiel „Julestue '^^ eine anschauliche Vorstellung zu gewinnen in
Stand gesetzt sind. Der alte grämliche Hausherr Hieronymus
will am Weihnachtsabend nichts von einer Julstube wissen und
ohrfeigt den Knecht, der bereits als Jidbock vermummt im Hause
umherläuft. Die ganze Familie ist höchst betrlibt; bei der Be-
scherung erlaubt er auf Bitten der Kinder die Julstube dennoch.
Die Nachbarn kommen, man beginnt Pfänderspiele, der Knecht
tritt als Julbischof auf, endlich spielt man Blindekuh u. s. w.
Der Ausputz dieses dänischen Julebuk (resp. der Julegjed d. i.
Julgeiß, wo sie auftrat) bestand darin, daß ein junger Bursch
1) Dybeck RuDa 1844, S. 64.
2) Prodromus calcndarii ethnici medii aevi (Msc.) ap. Finn Magnussen
lex. mvth. 643.
o) L. HoHmtj^s udviilgte SkriftiT iulgivno vrd Ralib«'ck Hd. If, l.'iT --li»2.
VI, 322 — 363.
Maiiiihardt. II. 13
194 Kapitel III. Dio wilden Leute der antiken Sago II.
(Mädchen), in ein zottiges Fell oder weißes Laken gehttUt nnd
mit zwei Hörnern an der Stirn versehen, die Stimme des Bocks
nachahmte und durch seine Sprünge und Narrenstreiche die Ge-
sellschaft belustigte. Besonders fiihr der Julbock über die Dir-
nen und Kinder her, um sie zu erschrecken oder zu stoßen,
oß hcUte er auch eine lange Rute und geißelte sie damit ; der
dabei gesungene Spielreim ist nicht erhalten. ^ Eine eigentümliche
Form der Sitte schildert Finn Magnussen, Eddaloere lU, 328.
Man schwärzte einem Burschen das Gesicht (Bk. a. v. 0.), band
ihn in ein Laken ein, gab ihm einen Schwanz und einen mit
brennenden Lichtern besetzten Stock in den Mund. In der Jnl-
stube ringsum laufend erhielt er Äepfel und Nüsse.
In Norwegen spielt man Weihnachtsabend Julbock (agjeres
Julebuk). Dies geschieht in Mandal der Art, daß jemand sich
eine Stange verschafft, so lang als er selbst, sich dann eine
bewegliche Kinnlade verfertigt, rot färbt und oben an der Stange
befestigt, die vorne mit einer Gabel, hinten mit einem Schwänze
versehen wird. Er setzt sich in reitender Stellung darauf nnd
über das Ganze werden Tierfelle gespannt. Er paßt es gerne ab,
grade dann anzukommen, wenn die Julgrütze auf dem Tische
steht. Es gehört dazu, den „ Julbock '' mit Schnaps, Julbier und
einigen Löffeln Grütze zu traktieren. In Ibestad war der Dar-
steller des Julebuk in ein Fell gehüllt und hatte einen mit
großen Zähnen besetzten adlermäßigen Schnabel, auf den große
Augen und bunte Streifen und Büsche gemalt waren, damit es
recht prächtig aussehen sollte. Er ging in gebückter Stellung
über die Diele, schielte nach allen Seiten hin, und es sah aus,
als wolle er mit seinem Schnabel die Umstehenden hauen. Hier
begegnen wir wieder einer Art Vogelgestalt Aus einem Dorfe
bei Mandal ist noch eine andere Art der Darstellung des Jnl-
bocks bezeugt. Man verfertigte aus einem Baumstock das Bild
eines Bockes, welches die Jugend in der Weihnachtsnacht vor
dem einen oder vor dem anderen Hause aufstellte, so daß es
das erste war, was dessen Einwohner am Weihnachtsmoiigen zu
Gesicht bekamen. Siehe da , ein Seitenstück zur Aufstellung der
den Komdämon darstellenden Puppe vor dem Hause (o. S. 169)!
1) Vgl. dio wertvollen Mitteilungen von H. Handelmann, Weihnachten
in Sclileswigholstein. Kiel 1866. S. 67 — 76.
Dramatische Vorstellungcii des Vegetationsbocks. 195
Und auf einem Hofe, Annex zu Mandal, war es gebräuchlich,
zu Weihnachten einen Julebuk auf Papier su zeichnen , der einen
Reiter und sein Roß angreift, und dieses Bild während der Jul-
spiele an die Wand zu hängen, wo es zwanzig Tage lang ver-
blieb. ^ Wieder ein Beweis, daß man sich bewußt war, die Jul-
bukmaske stelle ein geisterhaftes Wesen dar, dessen Gegenwart
man durch die Abbildung während der ganzen Festzeit sich zu
veranschaulichen suchte.
Aus Schweden vermag ich ziemlich ausführliche Nachrichten
mitzuteilen, welche die Identität der Maske des Julbocks mit
deijenigen des Klapperbocks und der Habergeiß außer Frage
stellen. E. M. Arndt beschreibt sie nach eigener Anschauung so:
„ Junge Leute oder Knechte zogen sich das Fell eines Bockes an,
und setzten sieh seine Homer auf, und so fuhren sie über die
jungen Dirnen und Knaben her um sie zu erschrecken, auch wol
mit Ruten zu geißeln und mit den fürchterlichen Hörnern zu
stoßen." * In Westerbottn stellt man den Julbock dar, indem man
einen beim Teerschwälen gebrauchten Quirl an das Ende eines
Felles bindet, so daß die rohe Gestalt eines Hauptes heraus-
kommt Im Kreuz befestigt man eine andere Ecke des Felles
an eine Ofengabel vermittelst einer an ihr festgemachten Gerte.
Auf die Ofengabel, dieselbe mit einer Hand festhaltend, steigt
rittlings ein Bursche, der mit der andern Hand den Teerquast
mit dem Fellhaupt hält und nun mit dem übrigen Teile des Felles
ganz verhüllt wird. So ausgerüstet wandert der Julbock in der
Gesellschaft herum und von seiner Geschicklichkeit die Maske
zu bewegen hängt das Ergötzen der Zuschauer ab.' Auch bei
den Inselschweden an der russischen Ostseeküste (Dagoe, Nuckoe)
verkleiden sich die jungen Kerle als Julbock, indem sie sich von
Stroh zwei Homer und einen langen Schwanz verfertigen und
eine Decke über den Kopf ziehen, kommen brummend in das
Zimmer, ergreifen einige Kinder, schleppen sie ins Vorhaus
1) Diese Notiz wie einen Teil der übrigen Nachrichten über den nor-
wegischen Julbock entnehme ich der handschriftlichen Sammlung des ver-
storbenen Lehrers Storaker zu Mandal auf der üniverHitätsbibliothek zu
Ohristiania.
2) E. M. Arndt, Aus Schweden 1818, S. 3G7.
3) D.vbcck Runa 1844, S. 119.
13*
19G Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage 11.
uud lassen sie nach einiger ausgestandener Angst wieder frei.^
Von den Schweden ist die Sitte zu den Esten übergegangen.
Auf der Insel Oesel nehmen die jungen Kerle am Weihnachts-
abend ein Krummholz^ binden an das eine Ende einen Badeqaast,
an das andere Ende einen Bockkopf fest; hängen es an einer
Schnur so über die Schultern, daß sie rittlings darauf sitzen, und
hüllen sich selbst in einen umgekehrten Pelz ein. Diese Ver-
mummung heißt Joulosdk (Weihnachtsbock). So gehen sie in die
Gesinde (Bauerhöfe) , wo junge MädcJien sind, treiben mit Hinen
allerhand Scherze , werden aber auch oft genug recht arg von
denselben mitgeuonmien. Besonders lustig ist es, wenn sich in
einem Gesinde mehrere Böcke begegnen. ^ Auf der Insel Dagden
macht ebenfalls ein in allerlei Kleider vermummter , auf einem
Krummholz rittlings sitzender Mensch den Weihnachtsboek (Jou-
lopuk).^ In Willstad wickelt man Weihnachtsabend nach dem
Abendbrod; während der sogenannte Engeltanz (ängladansen) auf-
gefllhrt wird, um eine gute I lachsernte zu erzielen^ einige Halme
des während der Feiertage den Fußboden bedeckenden langen
Weizen- oder Boggenstrohs (Julstrohs) zusammen und verfertigt
daraus die Gestalt eines Bockes, den man mitten unter die
Tanzenden wirft, indem man ihnen zurui't, sie sollten den Julbock
fassen (sägaude, at de skulle taga julabocken). In Dalame hat
man denselben Brauch, sagt aber statt Julbock julgumse (Julwid-
der).^ Das gleicht sich wieder genau den Ernte- und Drescher-
sitten, wobei man aufibrdeii;, das Getreidetier zu haschen, oder
eine dasselbe darstellende Kompuppe dem Nachbar in die Scheune
zu werfen mit den Worten „ da habt ihr den Wolf, Bock u. s. w.'*
In Upland (Langtora Säten) verfertigt man ans den Halmen des
Weihnachtstrohs Bocksfiguren mit Hörnern und Füßen zum Spiel-
zeug iür die Kinder.
Eine eigentümliche Wendung nimmt der Brauch im südlichen
Schweden (Schonen, Blekingen, Oeland u. s. w.). Der von zwei
Führern in der Gesellschaft rings umhergeleitete Bock wird er-
schlagen und lebt wieder auf unter dem Gesänge eines Liedes,
1) RuIJwurm Eibofolke II, 96. §. 296.
2) Holzmayer Osiliana. Verhandl. der estnischen Gesellscliaft zu Dorpat.
1872. S. 56.
3) Ebds. S. 114.
4) Hylten-Cavallius Wärend och Wirdarae II, LIV. Tüläg §. 124.
Dramatische Darstellangen des Yegetationsbocks. 197
dessen Text von Strophe zu Strophe die einzelnen Akte der
Handlung mit einem Commentar begleitet. Die in Blekingen
gebräuchliche Version erzählt, die Führer hätten den Bock auf
der Höhe der hohen Bergeswand getroffen, da stand er so böse
und schüttelte seinen Bart. Weil er Brod fraß (?), legten sie
auf ihn einen roten MafitcL Einer drohte, der andere schlug ihn^
der Bock fiel nieder zur Erde. Sie legten auf den Bock einen
blauen Mantel, weil das Tier grau war, sie legten auf ihn einen
weißen Mantel, weil der Bock Leiche war, Sie legten auf ihn
einen gelben Mantel, weil die Weihnacht kommen sollte. Doch
ehe er in Salz gelegt wurde , sprang der Bock auf und schüttelte
seinen Bart, und er schlägt sein Haupt durch die ttlnfte Mauer.
Bei den letzten Worten des Liedes erhebt sich der todte Bock
vom Boden und erzeugt durch Sprung und Anprall großen Wirr-
warr und Jubel unter den Versammelten.^ Der Oeländische Text
des Liedes läßt die den Julbock begleitenden zwei Bauern, Vater
und Sohn, ein Lied anstimmen, wie das Boot gebaut wird, wie
sie das Vieh auf die Weide treiben, wie sie den Bock (auf der
Gebirgswiesc) aufspüren und erlegen. Dabei feuert der Sohn die
Pistole ab und ruft: paflF! Der Julbock fällt wie todt nieder.
Dann geht das Lied weiter, wie der Bock eingehüllt und nach
Hause gebracht wird, dort- aber ivieder auflebt. Der Refrain ist:
„so laden sie den Bock ins Boot." Beim letzten Verse springt
der Julbock wieder auf und beginnt umherzutoben.^ Es scheint
ursprünglich das Wiederaufleben des in der Ernte getödteten
Vegetationsbockes, oder des gestorbenen Jahresbockes gemeint
gewesen zu sein. Um das Wiederaufleben zu veranschaulichen,
mußte vorher die Tödtung dargestellt werden. Auf den gleichen
Gedankenkreis leiten auch noch andere Stücke des Weihnachts-
brauches. So jene aus dem Julstroh gefertigten Bocksfiguren,
insofern das Julstroh im Frühjahr auf die Aecker gestreut der
Saat Gedeihen, um die Obstbäume gebunden denselben große
Tragfähigkeit geben soll. Außerdem backt man zu Weihnachten
in Dänemark und Schweden Weihnachtstollen aus feinem Mehl,
welche den Namen Julbock , Jidgumse (Julmdder) oder Jtdgalt
(Juleber) führen und entweder die Gestalt des entsprechenden
1) Dybeck Runa 1844, S. 119.
2) Arvidson Svcnska Forasängor III, 525.
198 Kapitel III. Dio wilden Leute der antiken Sage II.
Tieres haben; oder ein Abbild desselben auf ihrer Oberfläche
tragen. Dazu mrd mehrfach das Korn der letzten Crarbe ver-
wandt Der Kuchen steht, mit Schinken, Butter, Käse, Bier
und Branntwein auf den Tisch gesetzt, daselbst bis St. Knut
Häufig wird er, bis zur SäezeU aufbewahrt^ teils unter das aus-
zustreuende SacUkom gemengt, teils genossen und den Pflug-
ochsen zum Essen gegeben ^ in Hoffnung einer glücklichen Ernte
und persönlichen besseren Wolseins und Gedeihens. Der dieser
Sitte zu Grunde liegende Gedanke ist ja augenscheinlich der,
daß mit den aufsprossenden Getreidepflänzchen der neuen Aus-
saat der Kombock wieder ersteht Da nun der Julbnk- Kuchen
offenbar nicht von der Julbuk- Maske getrennt werden darf, haben
wir in demselben einen neuen Beweis daftlr, daß die Julböcke
und ihre deutschen Verwandten Klapperbock und Habergeiß in
der Tat — wie wir aus verschiedenen gewichtigen Gründen
schließen zu mttssen glaubten — Getreidedämonen darstellten.
Von diesem Ergebniß aus fällt erwünschtes Licht auf mehrere
verdunkelte Stücke des] ganzen Brauches. Zunächst nämlich ist
deutlich, daß der Umgang der Julböcke von Haus zu Hans und
in die Stuben hinein ursprünglich kein bloßer Spaß war, daß er
einen ernsten religiösen Zweck verfolgte; mithin muß er den
Vegetationsbock nicht als fnrchbares, im Zorne schadendes Un-
geheuer sondern als segnenden, den Menschen und den Tieren
Gedeihen, Wachstum, Vermehrung verleihenden Dämon zur 55eit
seiner Wiedereinkehr ins Land mit der Wintersonnenwende
gemeint und gefeiert haben. Hierauf aber weist noch weiter
sehr deutlich der Zug, daß das Mädchen heiraten soll, wenn sie
zuerst den in Ziegenfell gehüllten Umgänger hört, und daß der
Julbock in Schweden sich vorzugsweise an junge Mädchen wen-
det und mit ihnen Scherz treibt. Mit den hier zu Grunde liegen-
den Ideen hängt es nämlich höchst wahrscheinlich zusanmien,
daß auch auf Hochzeiten (Bulkesch in Siebenbirgen) ein Geißtanz
aufgeführt wird, wobei ein als Geißhock ausgekleideter, mit einem
Plum2)sack versehener VoHänzer allerlei Sprünge und Bewegungen
1) Mündl. Aradt Erinnerungen a. Schweden S. 3B5. Ueber die dänische
Sitte vgl. Finn Magnussen lex. myth. p. 779: Jalegalt sivc aper Jolensi» ve!
etiam caper Jolensis, dictus Julbocken, qui panesdeindc ad seuKMi-
tis tempus servati tunc ab operariis et cquis religiöse consunii debuerunt.
DramatUche Darstellungen des VegetationsboclcB. 199
vonnacht, welche seine Gespielen genau nachahmen müssen,
wenn sie nicht seinen Plampsack fühlen sollen.^ Verschiedene
tatsächliche Beobachtungen über die Rolle des Plumpsacks im
Kinderspiel , welche an dieser Stelle zu erörtern zu weit iUhren
wtirde, nötigen mir die Vermutung ab, daß dieser Plumpsack an
die Stelle jener Rute (Lebensrutc) getreten sein möge, welche wir
gewöhnlich in der Hand des Knechts Ruprecht, Niklas u. s. w.
(o. S. 184), mehrfach in der Hand des Julbocks antreflFen.
Wie ganz unwillkürlich und aus sich heraus die Gestalt des
Getreidebocks zur dramatischen Darstellung hindrängte, geht auch
daraus hervor, daß dieselbe in mancherlei Kinderspiele Eingang
fand. Zu Ichtershausen bei Gotha erzählten alte Leute von
70 Jahren aus ihrer Jugend von einem Spiele „der Kornbock, ^^
bei dem sich Kinder in Stroh einhiillteyi. Im Gerichtsamt
Plauen (Kr.- Dir. Zwickau) ist im Reigen „kling, klang kloria!"*
das „Königstöchterlein" durch den Kombock ersetzt Ein Mäd-
chen setzt sich. Ihren Oberrock halten die übrigen Mitspieler,
einen Kreis bildend , mit ihren zwei Händen fest. Ein Kind geht
ringsumher und singt:
Ringel, ringe! dorne.
Wer sitzt in diesem Korne?
Das kleine Eornböckelein,
Ma^n kann es kaum ersehen.
Ist das Lied zu Ende, so schlägt der Umgehende dem zunächst-
stehenden Kinde eine Iland vom Rocke ab. Sind alle Hände frei,
so muß der Kombock aufspringen, um von den Uebrigen nicht
gehascht zu werden. Auch in einem sonst ganz anders lautenden
Abzählreim^ treffen wir in Steiermark den Haberbock wieder:
1. 2. 3
pipa pa])a pci,
pipa papa Haberkorn!
Zehn Kinder sind geborn.
Liegt der Fisch
Auf dem Tisch,
Kommt der Katz und frißt den Fisch.
Hasel nudcl Schock,
Komm' heraus Haberbock!
1) J. Haltrich, zur «loutschen Tiersage. Kronstadt 1855. S. 8. Anm. 13.
2) S. Mannhardt Germ. Mj-th. 8. 492. 504.
3) Mannhardt in Zs. f. D. Myth. IV, 438.
200 Kapitel ni. Die wilden Leute der antiken Sage II.
Deijenige, auf den die letzte Silbe trifft, ist Haberbodc and maß
die andern haschen.
§. 13. Die wilden Leute der griechisch -rOmlschen Smge.
Schloßbetraehtnngen. Wenn vorstehende Untersuchongen ein
stichhaltiges Ergebniß lieferten , so waren die bocksgestaltigen
Geister der antiken Welt, Pane, Satyrn, Fanne unseren Wald-
geistem nnd wilden Leuten, die im Winde ihr Leben äußern,
identisch und da diese von den bocksgestaltigen Komdämonen
nicht zu trennen sind, in weiterem Sinne auch den letzteren. Sie
sind Dämonen des Wachstums, welche wie ihre nordischen Ver-
wandten z, T, in Feldgeister übergehen. Wir vermögen dieses
Resultat in Bezug auf die Faune und Satyrn noch durch einen
neuen Umstand zu festigen. Wir sahen o. S. 117, daß dem Fau-
nus zwei Feste (eines im Februar das andere im Dezember)
gefeiert wurden, bei dem ersteren fand eine Begehung statt,
deren Teilnehmer, die Luperci, vermutlich Faune darstellten,
gradeso wie Satyrmasken an den Dionysosfesten auftraten. Zu
Athen erhielten noch in später historischer Zeit die im Poseideon
(Dezember) begangenen ländlichen oder kleinen Dionysien und
Lenäen und die im Elaphebolion (März) gefeierten großen Diony-
sien in vielfach gewandelter Form die Erinnerung an ein Winter-
fest und ein Frühlingsfest des Vegetationsgottes Dionysos fest,
bei welchen unzweifelhaft einst ebenso, wie bei dem Erntefest
der Weinlese , die Satyrn als Masken der Pompe eine Rolle
spielten. Denn offenbar dieser Umstand war die Veranlassung,
daß man auch die ausgebildeten theatralischen Vorstellungen der
Tragoedie u. s. w. auf diese Feste verlegte. Wir werden mit großer
Wahrscheinlichkeit vermuten dürfen, daß besonders in der Jahres-
zeit, wann die Sonne wiederkehrt, um die Wintersonnenwende
und Frühjahr (Februar, März, Fastnacht) die antiken wie die
nordeuropäischen Vegetationsdämonen gegenwärtig gedacht und
festlich gefeiert wurden. Unsere Untersuchungen haben schon
dargetan und werden es noch weiter dartun, daß y.az' e^oyr^r
die Vegetationsdämonen die ausgesprochene Tendenz zeigen, in
lebendiger dramatischer Darstellung dem nach Berührung des
Göttlichen sehnsüchtigen Volke vergegenwärtigt zu werden. (Vgl.
Pfingstquak, Maiköuig, Wilde Mann Bk. Kap. IV; Ernte bock,
Roggenwolf, Halmstier, Komkater, Erbsenbär u. s. w.). Schon
auf dem Emtefelde beginnt in Nordeuropa diese Darstellung, sie
Die wilden Leute der griechisch -römiächon Sage. Schlußbetrachtangon. 201
setzt sich freier geworden im Weihnachtsumgange fort. So wird
es erklärlich, wie die Alten dazu kamen ihre Satyrn al» drama-
tische Figuren zunächst des Emtebrauchs, sodann des Mittwinter -
und Frtthlingsfestes im Gefolge des der Vegetation vorstehenden
Gottes Dionysos zu schaffen , und zugleich wird es deutlich, daß
unsere Habergeifie, Klapperböcke und Julböcke die lebendigen
Gegenbilder, aus gleicher Wurzel hervorgewa^hsenen Seitenstücke
J3U den Jialb bocksgestaltigen Gesellen bilden, dereti Gesänge die
Tragödie ihren ersten Ursprung und Namen verdankt. Ob und
inwiefern diese Wahrnehmung auch der Aesthetik von Nutzen sein
und dazu dienen könne, ein tieferes Yerständniß der Grundlagen
des dramatischen Kunstwerks zu gewinnen, diese Frage zu er-
örtern muß einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben. Be-
achten wir, daß in Skandinavien die dramatische Darstellung
der Vegetationsfcöcie zur Mittwinterzeit im Kampf um das Dasein
allein den Platz behauptet hat [wonebcn nur in schwachen Spuren
nocji die Julsveinar, Julbagge (Jul Widder), Julgalt (Juleber)
bemerkbar sind], während sie in Deutschland zwar mit Schimmel-
reiter, Erbsenbär, Knecht Ruprecht die Bühne teilen, aber die
Repräsentation anderer Korndämonen (z. B. des Komkaters, Kom-
stiers, Roggenwolfs) bei gleicher Gelegenheit bis auf ganz ver-
einzelte Fälle zurückgedrängt haben: so wird durch diese Ana-
logie vollkommen ersichtlich, wie es möglich war, daß auch in
Griechenland Pane und Satyrn auf den ersten Blick scheinbar
eine so vereinzelte Stellung einnehmen.
Doch ist diese Isolierung wirklich nur scheinbar. Wir wiesen
ja nach, daß die halbroßgestaltigen Kentauren, vielleicht auch
die Kyklopen, mit SatjTu und Panen in eine Reihe gehören.
Zwar nur geringe Spuren waren es, welche bei ihnen auf einen
Zusammenhang mit der Vegetation hindeuteten (o. S. 48. 98) ; viel-
mehr drängt sich die Beziehung zu Wind und Wetter so in den
Vordergnind, daß man sie gradezu als Personificationen von
Wirbelwinden und Stürmen aufzufassen versucht sein könnte.
Allein diese Tatsache steht in keinem Widerspruch zu unserer
Behauptung. Kein Stück im ganzen Kreise unserer Unter-
suchungen ist sicherer begründet, als dieses, daß sowohl die
Baumgeister und WaUhjcimter (Hk. 42. 43. 149 ff.), als auch die
Korndämonen im Wetter und vorzüglich im Windwirbel ihr Leben
äußern. Der vom Donner verfolgte Wirbelwind ist zugleich Baum-
202 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage IL
elf (6k. 68. vgl. 0. S. 102). Und auch bei den Komdämonen tritt
die Windnatur oft so stark hervor, daß sie auf den ersten Augen-
blick die Hauptsache, der Grundbegriff zu sein scheinen kann,
wie denn in der Tat der Roggenwolf zuerst von diesem Gresichts-
punkte aus von mir behandelt wurde. Dieses mythische Tier,
welches in der letzten Garbe drin sitzt, beim Schneiden oder
Dreschen aus derselben hervorspringt, also Genius des Kornes
ist,^ läßt in den Redensarten ,yhe rärt (brüUt) as eii Roggenwulfy
he fritt a^n Boggenwtdf^^ und in einem von Windstille handeln-
den Kinderspiel ' gradezu nur seine andere Eigenschaft als Stnrm-
geist blicken. Ebenso ist das im Winde umgehende, wie im
Halme drin sitzende Roggenschwein von der Windsau auf keine
Weise zu trennen. Wer aber nur die Sagen von dem im Wirbel-
winde fahrenden Teufel, dem Sauschwanz, Sfistert (Sausteiß)
Windsau, Duivels zwijntje kennt, gewinnt keine Ähnung von
diesem Zusammenhang. Die Kornmuttcr, welche in den Wind-
tromben dahertahrt, sieht der fahrenden Mutter und der von ^m
wilden Jäger gejagten Frau zum Verwechseln ähnlich ; diese ver-
raten durch nichts, daß sie mehr als reine Windwesen seien.
Der Volksglaube, so werden wir sagen dürfen, stellt eine enge
Verbindung des Pflanzengenius und des Windgeistes zu einer
Persönlichkeit her, in der bald die eine, bald die andere Wesens-
seite deutlicher hervortritt. Daneben bemerken wir auch Pflanzen-
dämonen und Windgeister, in welchen je einer der beiden Fak-
toren jenes Produktes noch unverbunden verharrte, oder wieder
aus der Verbindung herausgelöst ist ; im letzteren Falle zuweilen
nicht ohne irgend ein Stückchen oder Merkmal der einstigen Ver-
einigung niitzufUhren und an sich zu tragen. So darf es uns
nicht Wunder nehmen, daß bei den Kentauren das vegetative
Element gegen das meteorische fast ganz zurücktritt^ und daß sie
mit Geistern in Verbindung stehen (Lapithen), welche (wie die
Harpyien) nur im Winde ihre Wirksamkeit entfalten.
Die Mythologie kennt theriomorphischc Wesen verschiedener
Art und verschiedenen Ursprungs. Ein Grundfehler bei Guber-
natis ist es, sie allzuausschließlich als Sonnenapotypome gefaßt
zu haben. Sichere Beispiele einer Verbildlichung der Sonne in
1) Mannhardt Roggeiiwolf« S. 33 ff .
2) Roggen woIf* S. 16—19. 44.
Die wilden Lente der griechisch-römischen Sage. Schlnfibetrachtnngen. 203
Tiergestalt sind aber z. B. das Sonnenroß/ der Sonnen widder,*
der Sonnenliirsch (Solarhjörtr), Sonnenschwan, auch wol der gold-
borstige Eber Freys. Wolkenrinder sind nicht bloß den Indem
eigen ; sondern auch in deutschem Volksglauben nachweisbar.'
Die Sonnenrosse (Alsvidr und Arvakr) laufen in germanischer
Mythe ebenso neben der Auffassung des Windes als Pferd ein-
her, wie die Rosse des Helios neben der roßgestaltigen Harpyie
(o. S. 92) in griechischer Sage; ein drittes roßgestaltiges Natur-
bild ist die Personification der Wogen fließender Gewässer als
Sosse, wenn der Nix als Roß aus den Fluten steigt, oder in
Schweden von vielen Wasserrossen (Vatnhestar) * die Rede ist.
Neben der Wolke als Kuh, der Verbildlichung des Tages oder
der Sonne als weiße oder bunte Kuh,* werden auch Wasser-
wellen mythisch als Rinder (waterbuUs) appercipiert,* was genau
der Stierbildung der Flüsse bei den Griechen entspricht.' Auf
die Verbildlichung des Mondes sei an diesem Orte nicht einge-
gangen, noch weniger auf die Veranschaulichung geistiger Begriffe,
wie Stärke, Klugheit u. s. w. durch Tiergestalten.® Wenn somit
aus sehr verschiedenen Anlässen Theriomorphosen , die in der
Mythologie eine Rolle spielen,^ entsprungen sind, so haben doch
kaum irgendwelche andere theriomorphische Bildungen eine gleiche
1) S. Mannhardt, Lcttischo Sünnenmythen in Bastians Zs. f. Ethnologie
und Anthropologie VII, 1875, IS. 93 — 96.
2) Ebendas. S. 243 ff. 310.
3) Mannhardt Gütterwelt S. 89. German. Myth. 4 ff. Die an diesen
beiden Orten beigebrachton nur teilweise zutreffenden Nachweise ergänzen
folgende unmittelbare Zeugnisse. Zu Dorenburg ^Kr. Halberstadt) heißt ein
leichtes flockiges Gewölk Lämmergewölk: haben die Wolkenteile größere
Ausdehnung, so spricht man von Himmelskühen. Um KremsmiSnster (Oest-
reich) hört man statt Lämmchen Kuh „dieKüh* stehn als still** d.i. die
Wolken bewegen sich nicht. Regenwolken = Ochsen (Rakow Kr. Grimmen
Rgbz. Stralsund). Leichte Wolken Schafe, dunklere Kühe, ganz dunkle
Ochsen oder Bullkater (Gürslow Amt Schwerin).
4) Hylten-Cavallius Wärend och Wirdame I, S. 424 ff.
5) Lettische Sonnenmyth. S. 3()8. Daher wol die westpreußische Redens-
art „Weiß (iott und die bunte Kuh" d. i. „Weiß Gott und die all-
Behende Sonne, der allsehcmle Tag.
6) Mannhardt Germ. Myth 7 ff.
7) Prellcr Griech. Myth. ^ I, 448. 449.
8) Vgl. Mannhardt Götterwelt S. 17.
9) Vgl. Mannhardt a. a. 0. S. 17.
20i Kapitel IIL Die wilden Leute der antiken Sage II.
Aktivität im Volksglauben und Volksbranch aufeuweisen, wie die
derartigen Personifieationen der Wind- und Wettererscheinungen
und des Päanzengeistes. Der strenge Parallelismus und die enge
Verbindung beider legt nun den Gedanken nahe, daß beide einen
gleichen Ursprung haben. Es kann die Frage entstehen , ob
nicht der Glaube an die Tiergestalt zunächst an und aus gewis-
sen Erscheinungsformen des Windes, zumal des Wirbelwindes
(schneller Lauf, wiehernder Laut der Trombe = Pferd, Heulen, Bel-
len des Windes = Hund, springende Bewegung, meckernder Laut =-
Ziege, erdaufwtihlende Gewalt =- Schwein u. s. w.) sich entwickelte,
bei der Verbindung mit den Päanzengeistem das Produkt mit
übernommen wurde, und bei abermaliger Trennung der Elemente,
wo eine solche geschah, als Rest der Vereinigung an den Baum -
und Komdämonen haften blieb. Doch ist das vorläufig nur ein
Gedanke, dessen Beweis oder Widerlegung im jetzigen Augen-
blicke mir noch verfrüht erscheint.
Mit größerer Zuversicht darf ich als Frucht unserer Unter-
suchungen den Satz aussprechen und fUr bewiesen erachten, die
Dryaden, Ni/m2)hen, Nereiden, Kentauren, Satyrn,
Pane, Seilenc, Faune der Alten sind unsere Elbe,
Von Windgeistem durch Baum-, Wald- und Komgeister führt
eine zusammenhangende Kette von UebergUngen zu Berg- und
Feldgeistern, Kobolden, Zwergen und Mährten. Mit unsem
Waldgeistern und wilden Männern sind die Pane, Faune, Ken-
tauren und ihre Sippschaft ebenso eins, wie die Baumgeister mit
den Dryaden; und von letzteren leitet eine ganz ähnliche Reihe
zu den Nymphen und neugriechischen Neraiden, deren Umfahrt
im Wirbelwinde (o. S. 37. 38) wieder an die Windgeister, an Skog-
snufvar und an Kentauren anschließt. Wer erwägt, daß auf
griechischer Seite das Material der alten Volkssage nur in lücken-
haften Bruchstücken erhalten blieb, während die Mittelglieder
verloren gingen, und wer zugleich die notwendige Verschiedenheit
der individuellen Ausgestaltung gleicher Grundgestaltungen in An-
schlag bringt, wird die Uebereinstimraung mit dem nordeuropäi-
schen Elfenglauben überraschend groß finden.
Wie unsere Wald- und Komgeister auf der einen Seite mit
den Windgeistem in engster Verbindung stehen, nach einer zwei-
ten hin in Kobolde und Zwerge sich verlieren, erweitem sie sich
nach einer dritten Richtung zu Dämonen der von den Phasen des
Die wilden Leute der griechiscli - rom. Sage. Schloßbeiracbtangen. 205
Jahre slanfs bedingten Vegetation überhaupt und nehmen als solche
häufig das Aussehen von Persouificationen der Jahreszeit oder
bezeichnender Abschnitte oder Momente derselben an. In diesem
Falle stoßen oder rinnen sie zuweilen sogar mit ähnlichen Natur-
bildem des Wassers oder der Sonne zusammen. Man sehe spä-
ter, was von uns bei anderer Gelegenheit über die schwedische Kom-
sau, die Gloso, und Freys goldborstigen Eber, sowie das zu
Weihnachten oder Neujahr im Traum erscheinende goldene
Schweinchen vorgetragen werden wird. DerMythus vom Raube
und nachherigen Verschwinden der elbischen Braut ist in altgrie-
chischer Sage (Thetis) an ein Wasserwesen, im Norden vielfach
an Waldfrauen, aber auch an die Valkyilsn geknüpft, als deren
letzte, wenn auch tief zurückliegende Naturgrundlage man viel-
leicht einige Ursache hat die Sonne anzusehen. ^ Ebenso haftet
die Erzählung von Selbgetan, litis gleichmäßig an Kyklopen,
wilden Weibern, Nixen (o. S. 106. 150. Bk. 94). Mehrere Züge
unserer Waldgeister- und Zwergsagen, z. B. die aus dem Acker
oder See emporsteigenden Kuchen, sowie von den durch die Zwerge
während der Nacht geschmiedeten Schüsseln und Waffen wird
man vielleicht anders, als ich es Bk. S. 80 getan habe, aus der
Sonnenmythologie deuten müssen. * Auch einige der Vorstellun-
gen, die in der Legende des Stephanstages ausgeprägt sind,
ergeben sich sicher als Sonnenmythen, ^ während die Gebrmiche
dieses Tages Zusammenhang mit den dem Gedankenkreise der
Vegetationsdämonen angehörigen Frühlings - und Emtegebräuchen
zeigen (Bk. 403). Unter den Eiben giebt sich eine ganze Klasse,
diejenige der Lichtelfen (Liosälfar) als Persouificationen von Licht-
erscheinungen zu erkennen. Ist aus diesen Tatsachen irgend ein
Gegenbeweis gegen unsere bisher vorgetragenen Theorien abzu-
leiten ? Mit nichten , sondern nur dies werden tmr daran zu fol-
gern Ärt&en, daß die Wind- und Fflanzcngeister keinesweges
aUcin undisoUert aJs constantCy starr geword&ne Arten dastanden
und dastehen^ sondern als halbflüssige Gebilde inmitten eines
lebendigen Kreises aus heterogenen Anlässen auf älinliche Weise
vollzogener mythisciher Appcrceptionen ^ welclie fortwährend auf
1) Mannhardt Lett. Sonnenmythen S. 320.
2) Lett. Sonncnm. 101. 102. 321.
3) Lett. Sonnen m. S. 95.
206 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage IL
einander einwirkten, sich gegenseitig anzogen oder abstießen, einem
mannigfachen Assimilier ungs- oder Mischungsprozesse unterlagen^
oder zu Neubildungen und Umbildungen nach Analogie vorhandener^
Macht gewinnender Vorstellungen Veranlassung gaben. Es ist für
den Forscher schwer, in vielen Fällen unmöglichy die dnzdnen Ele-
mente reinlich zu sofidern, weil die Wirklichkeit eben in einem
Ineinanderrinnen des ursprünglich Verschiedenen ihr Bestehen hat.
Dies zeigt sich natürlich noch äaffälliger, wo einzelne my-
thische Volkssagen durch freie Dichtung zu längeren epischen
Sagenreihen mit einander verbunden und verschmolzen werden.
Wenn irgend eine der von mir vorgetragenen Vergleichungen,
scheint mir die o. S. ^ ff. gegebene Deutung der Phineossage
in ihrer ältesten Gestalt auf das großartige Naturphänomen des
Gewittersturms gesichert. Diese Sage muß längere Zeit für sich
bestanden haben, ehe die Boreaden und mit ihnen Phineaa und
die Harpyien einerseits in die Argonautensage hineingezogen und
verflochten wurden , deren Grundstock sich allem Anscheine nach
aus dem Zusammenfluß mehrerer auf das Leben der Sonne bezüg-
licher poetischer Bilder kristallisierte, ^ und ehe andererseits der
Name der Boreaden die Attraction der verwandten attischen Sage
von Boreas und Oreithyia veranlaßte. Denn ursprünglich war
Z'qrrjQ, dor. ZaTog, der Sturmwind (Contraction von Za-i^rt^g,
Zadiag, d. i. dia-di^Trjg. Vgl. dt^vfjg IL XIV, 254. Laei nvei
Kv/TQiot, Curtius Gr. E. ^ 544) sicherlich Zijtrjg Bogiddr^g , d. i.
äiJTTjg ßoqio) genannt ohne Beziehung auf die Erzählung, daß der
Nordwind vom Ilissosufer die Oreithyia „die auf den Bergen
DaJherbrausende'' ^ entfllhrte. Es war dies offenbar eine gleich-
bedeutende Variante der Mythe von Verfolgung der faJirenden
Frau, der Harpyie u. s. w. durch den Sturmgott; wobei wir den
Uebergang dieses Wirbelwindwesens in eine echte Berg- und
Waldnymphe (Oreade, Orestiade o. S. 33) genau ebenso beobach-
ten können, wie beispielsweise bei den weißen Weibern (Bk. 122 ff.).
Erst später können Zi^rjg und sein Bruder Kaiais * genealogisch
1) S. m. Aufsatz „ Lettische Sonnenmythen in Bastian - Hartmanns Zeit-
schrift f. Ethnologie VII, 1875, S. 281 ff.
2) Vgl. ävk^og auv lalkajii Ü-von'. Od. XII, 400. urfutav ^vovan' co^rrcf
Hes. 0. e. D. 519, {t^v-Ma, nv^uoio O^vflla.
3) Diesen wie IdgiOTaig, EfQrjvaig , 'Eariaig gebildeten Kosenamen wago
ich nicht zu erklären.
Die wilden Leute der griechisch -röm. Sage. Schlaßbetrachtungen. 207
ZU Söhnen dieses Paares gemacht sein. — Auch der Thetissage
liegt eine Volksttberliefcrung von schlichtester Form zu Grande,
wie ein Held die Wasssermuhme raubte (o. S. 60 ff.): Thetis,
Odrig, &HT12, [nach dem von Fick (Bildung der griech. Per-
sonenn. S. LVI) vorgetragenen Gesetze vielleicht abgekürzt ans
KYMO'^eng, HloÜhig oder 'r_/^/7'0- ^^ng '] bewahrt die
ältere Form des durch Aspiration später gemodelten Wortes
'^Tjdig, Muhnie, Tante; lit. dede, Muhme, Tante; vgl. v^clog,
Oheim; lit. dedas Oheim (cf. Curtius Gr. Etym. 2. 229. Lobeck
ad Phryn. p. 1). Hier, wie beim Boreaden Zrjir^g steht die
Bezeichnung des göttlichen Wesens noch ganz auf appellativer
Stufe. Von der Wärme des Herzens eingegeben war ^trig zu-
traulicher Ehrenname, ganz genau dem deutschen Muome, muo-
mila, Watermöme, Wassermuhme ftlr die weiblichen Elementar-
geister des Wassers,' und Kornmuhme j Boggenmuhme für den
Eorndämon entsprechend; während Ttj^^vg, Name der Gemahlin
des Okeanos (abgektlrzt aus KvuoTr^d'vgj ^^AXotr^d-vg?) ^ die Alte,
Nährmuttex, Wasseralte eine Variation des Wortes tj^'^i^ Groß-
mutter und eine Parallele zur deutschen WatermMer, lettischen
Jurasmäte, Meeresmutter, estnischen Wete-efna, Wassermutter,
finnischen Weene - ukho, Wasseralte darstellte. Diese Sage wurde
durch Association mit dem aus ganz anderen phymchen Anre-
gungen entstandenen Mythus vom Kampfe mit den Ungeheuern
verbunden, dessen Held (dahin glaube ich jetzt meine o. S. 53
vorgetragene Namensdeutung modifizieren zu müssen) den durch
eine delphische Inschrift bezeugten Namen TltjXe-xUag (Curtius
Grandz. * 430), d. i. der Weithinberühmte, oder einen ähnlichen,
abgekürzt FeleuSy führte. Die Gleichheit des Aiüauts in den
Namen Feleus und Pelion veranlaßte die Localisierung der
Begebenheit auf letzterem Gebirge. Erst die Vereinigung der
Mythe vom Raube der Wassermuhme mit der nun in Raum und
Zeit fixierten Heldensage vom Peleus und zugleich das durch
das siegreiche Vordringen der jtlngeren appellativen Form xtjv^ig
tUr Muhme bewirkte Vergessen der älteren Form x^t/vig machten
QtTig zum vollen Eigennamen. Und noch weit später, erst in
1) Vgl. homer. tdü-avJvrj Meerestochter, 'Ydaro-audyT} (Kollimachos)
Wassertochter, Nereide.
2) Mj-th. « 458.
^>^ Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage II.
Fol^ des ausgebildeten Epos, entstand der Kult der Thetis im
Tbetideion und am Sepiasstrande.
Mit diesen allgemeinen Betrachtungen sei die Untersuchung
fther die wilden Leute der griechisch - römischen Sage beschlossen,
welche einzig darauf hinausging, soweit es möglich, die ursprting-
tiehe Gestalt derselben im naiven Volksglauben aufzufinden und
daivh den Nachweis ihrer Uebereinstimmung mit nordeuropäischen
Anaii^en ins Licht zu setzen. Wir mußten uns dabei versagen,
die mannigfachen, übrigens zu großem Teile durchsichtigen
Sproßtbrmen aufzuführen, welche die dargelegten elementaren
Anschauungen im Munde des Volks oder der Kunstdichter ein-
gingen, wie wenn Pan Vater des Krotos (Getöse) oder Geliebter
der Echo genannt, oder wenn die Aehnlichkeit der durch
Geräusch in Wäldern und Schluchten (die Ilavixa xinj/icrra)
scheu gewordenen Heerden mit dem plötzlichen Grauen, der lee-
ren Angst und Verwirrung {O^oQvßog, zagoxog navr/.og)y welche
zumal im Dunkel der Nacht kämpfende Heerhaufen nicht selten
ergreifen und in die Luft treiben, zu Erzählungen Anlaß gab und
weitergebildet wurde, wie Pan in dieser und jener bestimmten
Schlacht seinen Freunden zu Hilfe kam oder die feindlichen Mas-
sen durch Muschelblasen, Zuruf u. s.w. in Verwirrung brachte.
Ausgeschlossen blieb auch die Erörterung der mannigfachen und
immer reicher werdenden Ent>vickelung, welche der Character
dieser Wesen im Drama und der bildenden Kunst erfuhr. Doch
möchte ich mir hierüber wenigstens einige andeutende Bemer-
kungen gestatten.
§. 14. Die antiken Wildlente In der Knust. Schon im
homerischen Zeitalter hatte der griechische Volksgeist, insoweit
er in der Poesie sich offenbarte, die Stufe der Naturreligion über-
wunden; seine Götterwelt ist von ideellem Gehalt durchdrungen,
besteht aus wesentlich ethischen Gestalten, in denen das phy-
sische Substrat, welches ihren Ursprung bedingte, oft wenig oder
gar nicht mehr deutbar, vom Gemeinbewußtsein sieher nicht
mehr verstanden, nur als elementare Bildung noch fortdauerte.
Jeder historische Fortschritt war zugleich ein Fortschritt zur
Humanität, vermehrte den an Wert steigenden Gehalt der geistigen
Beziehungen, welche an diese authropomori)hischen Wesen sich
knüpften, bis sie schließlich zu Grunde gehen mußten an dem
Widerstreit der in ihnen lebendigen Idee mit der Eierschale ihres
Die antiken WiMleute in der Kunst. 209
physisch -geistigen Ursprungs, die sie unabstreifbar mit sieh
herumzutragen verurteilt waren. Erst tmchdem clor WenUxyrozeß
der olympischen (htthrUfin in der Hauptsache längst varübcr war^
traten die Pane, Satyrn y SeilcfiCt Kentauren, die im niederen
Volksglauben w(^it treuer den Zusanunenhang mit der poetisciien
Naturanscluiuung bewahrt hatten, aber dafür leerer an geistigem
Inhalt geblieben waren , in den städtischen Kult und in die Lite-
ratur ein. Gewissermaßen vergleichbar erscheint es, daß erst
tausend Jahre nach dem lieginne einer deutselien Literatur die
Gestalten des wilden Jägers, der hochzeitt'eiernden Zwerge, des
gemsenhUtenden Berggeistes durch Bürger, Göthe, Schiller aus
den Tiefen der bis dahin unbea(*hteten Volkssage in die Poesie
eingeführt wurden. Eine notwendige Folge des dargestellten Ver-
hältnisses war es, daß die wilden Leute zwar an dem Prozesse
der Vergeistigung teilnahmen, aber fortdauernd in weitem Abstände
hinter den Olympiern zurückblieben, und mit wenigen . Ausnah-
men ^ niemals zu so lebendiger, freier und individueller Gharac-
terausbildung gelangten , wie diese. Gleich unseren Kobolden all-
zusehr mit dem Gewichte der Materie behaftet und doch voll
Anspruches auf religiöse Verehrung ließen sie durch das Erbteil
tierischer Körperteile den Contrast mit dem Adel göttlicher
Wesenheit als Komik empfinden, und empfingen daher großenteils
in Dichtung und bildender Kunst als Beigabe ihrer Eigentümlich-
keit einen Zug von Schalkheit, Ironie oder Humor, der im Kul-
tus und naiven Glauben der Landleute — wie noch Longus zeigt
— natürlich nicht oder wenig hervortritt. Zwar in einigen dun-
keln Reminiszenzen dauerte die Kenntniß der objectiven Natur-
anlässe fort, welche die Bildung ihrer Gestalt im Volksgciste
beeinflußt Initten, doch im allgemeinen verdichtete sie sich zu
Spiegelbildern der wilden ursprünglichen, von der Herrschaft der
Kultur gebändigten und unterworfenen, aber noch nicht veredel-
ten Natur als Prinzip,^ weiterhin wurden sie zu ideellen Typen
1) Vf^l. Chciron, der oinzig durch die im Jlpos fj^egobenc Rollo ala Ret-
ter dos Polens und di»' dadurch horvorgerulene Auffassung als thxcciurnTOi
Kfiinvtmr von seiner Sippe getrennt nnd mit der auf mannigfache Weise
fruchtbar gewcson«'n Triebkraft zu ethischer Veredelung ausgerüstet wurde.
2) Nicht unzutreffend sind Schellings Bemerkungen (Philosophie der
OffenbaruTig. Werke II, 3. 1858. 8. 4:J8. 430. 437): „Silenos ist das mild
und zahm geworden«', ebcm darum seiner selbst bcwullte und sieh selbst mit
Manrnhardt. II. 14
210 Kapitel III. Die wilden Leute der antiken Sage IL
jener auch im höchsten Kulturleben nie aussterbenden Menschen-
gattnngy welche , von Naturkraft strotzend, die Schranke der
Sinnlichkeit und des niederen Geisteslebens nicht zu durchbrechen,
in das Reich der Ideen und wahrer Humanität nicht vorzudringen
vermag. Sie dienen deshalb den Vertretern der letzteren als
Folie ; so die Kentauren als Barbaren dem Heldenideale (vgl. die
Metopen des Parthenon u. s. w.), die Satyrn, Pane, Seilenc dem
Dionysos und seinen Mänaden. Was veredelte Menschen begei-
stert, weckt ihnen nur sinnliches Behagen (vgl. den Faun Bar-
berini). Oft sind sie roh, feige, gemein, immer nur auf ihren
augenblicklichen Nutzen bedacht (vgl. d. Kyklops des Euripides);
nicht selten auch behende, aufgeweckt, lustig, munter in Ein-
fällen, in ländlichen Scherzen, dabei lüstern, üppig, einem Teile
nach gutmütig, wolgefällig, freundlich, aber zeitlebens an den
Spielen, Tändeleien, Vergnügungen der Jugend haftend. Diese
Menschenart fiihrt die Kunst vor, wenn sie in jugendlicher Freude,
unerfahrener Lüsternheit und Neugier hier einen Satyr mit unend-
lichem Appetit die süße Traube kosten, dort ein Faunchen die
Nymphe belauschen und haschen, einen anderen mit kindischem
Vergnügen die FüUe blasen läßt. So offenbaren Maler und Bild-
hauer Gestalten dieser Art von großer Schönheit. Aber indem
sie hier ein Schweifchen , dort ein Hörnchen sprießen, ein spitzes
Ohr lauschen, die Zunge lüsten lassen, und jene Wesen dadurch
schon ihrer Art naph zum gaukelnden Sprunge, zur lüsternen
Fröhlichkeit gemacht zeigen, zeichnen sie dieselben zugleich aus
als der reinen Menschheit nicht ganz würdig. [Inser Auge würde
vielleicht nicht beleidigt, wenn ein gans mensehUcher Jüngling
mit einer Nymphe scherzt, das Auge der Griechen ward es.
Die Gestalt eines Jünglings war heilig, aber ein Satyr durfte so
scherzen und tändeln. Diese characteristische Unterscheidung, die
Irouio botrachtende wilde Prinzip/* ,,P»'^n» ^^ Inwohnende dor uun «gewor-
denen beruhigten Natur, jenes unsiclitbar Webende, das der Mensrh in di-r
Stille der Wälder, in dem Schweigen der Fluren um sich empfindet, eben
darum vorzüglich der Gott der Landleute, der Hirten und aller, die in freier
Natur ein einsames Geschäft verrichten. Es ist der nicht mehr geftirchtoto,
mild gewordene, dessen ehemalige Wildheit eben darum nur noch gleichs^im
scherzhaft, mit Ironie dargestellt wird, wie er selbst durch seine Ironie iillf
Götter ergötzt.** „Die Satyri und Tityri stellen das Bild jenes {hr,fuM^vt^
Cr^v dar, jenes tierähnlichen Lebens, von welchem die Menschheit duri*h
Dionysos befreit worden."
Die antiken Wildlente in der Knnst 211
Begierden solcher Art gleichsam au die Grenze der menschlichen
Natar rockte, war höchst sittlich gedacht, und die reine mensch-
liche Natur, insonderheit der menschliche Jüngling ward durch
sie hoch geehrt.
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß ich
in den letzten Sätzen, großenteils mit seinen eigenen Worten,
wenig beachtete Gedanken Herders (Briefe zur Beförderung der
Humanität, Samml. 6. Br. G9) wiederhole, an welche zu erinnern
nicht ganz überflüssig schien. Man vgl., was derselbe a.a.O.
über die Seilene, Kentauren und Kyklopen ausführt. Wie die
Kunst den Hnmanisierungsprozeß weiterführte, indem sie Seilene
und Satyrn, endlich sogar die Pane immer weiter vermenschlichte
und ins Schöne verklärte, aber trotzdem den angedeuteten Cha-
racter nicht austilgte, dies zu erörtern liegt außer unserer Aufgabe.
Es ist nun bemerkenswert, daß auch der nordeuropäische
wilde Mann insofern eine den wilden Leuten der griechischen
Sage analoge Entwickelung durchgemacht hat, als auch er in der
Kunst und Heraldik des Mittelalters zum Typus der durch Ritter-
tum und edle Weiblichkeit bezwungenen rohen Kraft geworden
ist (Bk. 339), wie denn auch seine Darstellung als Maske bei
Festlichkeiten , höfischen Schaustellungen z. T. auf diesen Gedan-
kenkreis hinauslief Nur in seiner völligen Loslösung von dem
Boden der herschenden Volksreligion und in den Geschicken der
mittelalterlichen Kunstgeschichte liegt es begründet, daß er sich
in eine abstracte und abgeblaßte Allegorie vei'flüchtigte und nicht
zu der mannigfaltigen und lebensvollen Characteristik gelangte,
welche die Gestalten seiner antiken Geschlechts verwandten in
immer steigendem Maße erfuhren.
14
*
Kapitel IT.
Erntemai und Maibaum in der antiken Welt.
§. 1. Erntemal nnd Maibanm in Nordenropa. Dryaden
sind die typischen Gegenbilder der deutseben Baumgeister. Die
Oreaden, Kentauren und Kyklopen, sowie die Sippschaft der
Faune, Satyrn, Psine, Seilene und Silvane entsprechen ihrem
Wesen nach vollkommen nordeuropäischen Waldgeistem, in denen
allmählich der Begriff der Baumseele sich nahezu bis zur Unkennt-
lichkeit verflüchtigt, oder gegen Personificationen von Wettererschei-
nangen als Lebensäußerung dieser Dämonen fast gänzlich zurttck-
tritt. Die sonstigen mythologischen Gebilde, welche wir im ersten
Bande dieses Werkes als Ausflüsse oder als bald nahes bald ent-
fernteres Zubehör der Vorstellung Baumpsyche erörterten, hat-
ten unter den Völkern des Altertums ebenfalls Vertreter. Auf
den nachstehenden Blätteni sollen zwei derselben, der Erntemai
und der Maibaum , einer eiDgehenderen Betrachtung unterzogen
werden.
Auf dem letzten Erntewagen pflegt man im westlichen
Deutschland und dem größeren Teile von Frankreich einen grü-
nen Baum oder Baumzweig heimzufahren, der mit bunten Bändern
oder Papierstreifen, häufig auch mit farbigen Hals- oder Taschen-
tüchern, sowie allerhand Kleidungsstücken (Bk. 11)2. 193), mit
allen möglichen Getreidearten, Nüssen (Bk. 195. 199. 205), auch
wol Aqpfeln, Birnen, Blumen (Bk. 205. 204. 201 Anm.), Kuchen
oder anderem Backwerk, Eiern, verschiedenen Coufitüren (Bk.
200. 202. 203), zuweilen sogar mit Wurst, Schinken, Tabacks-
roUen, Ringen, Nadeln (200) behangen ist. Nicht selten werden
auch Ilasehen mit Wein (Bk. 203. 204. 205. 200) oder mit
Bierkrügen an diesem Baumzweig befestigt, welcher die Namen
Mai, Emtemai, Harkelmai, l)ouquet de la moisson'zu ftihren
pflegt. Er wird häufig während der Enite «auf dem abzumähen-
den Ackerfelde selbst eingepflanzt. Bei der Einfahrt prangt er
Erntemai und Maibanm in Nordonropa. 313
inmitten derjenigen Garbe, welche zuletzt gebunden oder zuletzt
aufgeladen wurde, oder ohne diese auszeichnende Stelle auf dem
mit den letzten Garben einer bestimmten Fruchtart oder der
gesammten Ernte heimkehrendeu Fuder , oder man läßt ihn, mit
einem Kranze geschniUckt, dem Wagen vorauf tragen; oder es
sitzt ein Knecht oben auf dem Fuder und schwingt den mit Kranz
und Bändern verzierten Tannenbaum in der Hand (Bk. 197. 202.
192). Zu Hause angekommen wird der Emtemai vom Hauswirt
feierlich empfangen und an der Einfahrt der ScJieuney über
der Tür oder dem Tor, an Dach, First, Giebel des Hauses oder
der Scheune, unter dem Rauchfang des Herrenhauses, vor den
Türen, oder auf dem Komschober (Bk. 197. 198. 202. 205. 204.
206) aufgesteckt, und verhleiU hier ein ganzes Jahr ^ bis sein
Nachfolger ihn ersetzt. Was bei diesem Wechsel mit den alten
MaibUscheu geschieht, darüber besitze ich keine Angaben. Wie
aber die ihnen entsprechenden am Palmsonntage oder Maitag
aufgepflanzten Maibüsche bei Gelegenheit ihres Austausches nach
Jahresfrist an manchen Orten feierlich verbrannt werden (Bk. 566),
werden auch sie ehedem auf diese Weise, nachdem sie ausge-
dient, dem profanen Gebrauche Itir immer entzogen sein. Der
Erntemai und die ihn einbringenden Arbeiter werden sodann
(es ist dies ein Regenzauber) mit Wasser begossen (Bk. 197) oder
mit Wein besprengt (Bk. 191. 207). Beim Aufstellen und Ein-
fahren des Maibusches lassen die Arbeiter ein lautes eigentüm-
lichcs Jauchzen oder Gvjuchze^ das häutig eher wie ein Klage-
geheul klingt, hören (Bk. 191. 199. 202). In Form eines ein-
fachen grünen Busches oder Baumes, der auf der letzten Fuhre,
oder in der letzten Garbe steckt, ist übrigens auch im östlichen
Deutschland der Emtemai viel häufiger zu belegen , als ich früher
annahm.
Die vorstehenden Gebräuche beziehen sich auf die Einbrin-
gung der letzten Fuhre irgend einer Frucht. Eine etwas andere
Form nimmt die Sitte bei dem der Einemtung aller Früchte fol-
genden allgemeinen Erntefeste im Sj)ätherbste an. In Chlumetz
Kr. Gicin in Böhmen z. B. ladet der Gutsherr bei Ueberbringung
der aus mehreren der allerletzten Schwaden der ganzen Jahres-
emte verfertigten großen Garbe, der „Baba/' die Arbeiter auf den
nächsten Sonntag zum Erntefest ein. Dann läßt er auf einer
Wiese eine hohe, glatte Stange (Abschwächung des grünen am
214 Kapitel IV. Emtemai nnd Maibanm in dor antiken Wolt
Stamm beschälteD Baamcs. Bk. 169) in die Erde stecken nnd
mit wertvollen Sachen als Uhren, Kleidern , Geld, Hüten , seide-
nen Tüchern behängen and die Arbeiter danach klettern. An
verschiedenen Orten findet dasselbe an einem weite'r hinaasge-
schobenen Zeitpunkte nach der Ernte oder an dem mit der Kirch-
weih verbandenen allgemeinen Erntedankfest im October oder
November statt. In vielen Dörfern des Königreichs und der
Provinz Sachsen geschieht die Aufpflanzung dieses Maibaums
im Ausgang September oder Anfang October, man schmückt ihn
mit bunten Bändern , Tüchern, Kleidern, Kuchen, Obst xmd stellt
einen Wettlauf danach an (Bk. 191), was damit übereiustimmt,
daß in manchen Gegenden nach der als Komdämon (Alter, Korn-
stier n. s. w.) benannten resp. ausgestatteten letzten Garbe die
Schnitter um die Wette laufen (Bk. 396).
Bis ins Einzelne hinein ließ sich der Emtemai als eine Abart
des „Sommers" (Bk. 156) oder Maibaums nachweisen (Bk. 208 flF.),
welcher, beim Erwachen des Frühlings aus dem ergrünenden
Walde geholt, mit bunte^i Bändern, Tüchern, Backwerk, Eiern.
Weinflaschen geziert als Lehensbaum der Gemeinde auf dem Dorf-
platz oder einzelnen Personen vor der Tür oder auf dem Dach
ihres Hauses aufgesteckt und hier längere Zeit , meistens ein Jahr
bewahrt (Bk. 161 flf.), vorher mehrfach inmitten einer größeren An-
zahl von Trägem kleinerer grüner Zweige in gabensammelndem
Umgang von Haus zu Haus getragen wird (Bk. 162). Sofern
aus den Gebräuchen selbst auf die ihnen zu Grande liegende
Idee ein Schluß gemacht werden kann, stellen der Maibaum und
Emtemai das der Pflanzenwelt einwohnende Numen, den Genius
des Wachstums, dha^ug av^rjriTcrj dar. Daher rührt die Aus-
schmückung des Baumes oder Zweiges mit allerlei Früchten und
Gebacken, daher die Aufrichtung als Amulet au Haus oder
Scheuer (Bk. 211 ff.).
§. 2. Die Eiresione nnd das Pyanepsienfest. Dem nord-
europäischen Erntemai entsprach — fast könnte man sagen, mit
photographischer Genauigkeit — die Eiresione der Griechen.
Ein paar gelegentliche Anspielungen des Aristophancs (Equit 721».
Vesp. 398. Plut. 1054) gewähren die ältesten Zeugnisse flir den
Brauch. Ihnen verdanken wir, daß die Granunatiker der alexcin-
drinischen Periode ( Commentatoren und Lexilogen) mehrfach
einander ergänzend oder berichtigend; aus der Literatur der
Die 'Eirosionc und das PyanepsioDfest. 215
Atthidographen und Ileortologeu einige ausführlichere Notizen
darüber zosanimentrugeu, welche jedoch nur in den lückenhafiten
Aaszttgen teils der Historiker und Lcxicographen der römischen
Kaiserzeit, teils der byzantinischen Aristophanesscholiasten des
4. — 5. Jahrhunderts durch Vemiittelung der späteren Scholien-
sammlungen und der Wortschätze eines Photius, Ilarpokration,
Hesych, Suidas u. s. w. auf uns gekommen sind. So wenig es
noch möglich ist, jedes einzelne Stück in dieser Fülle von Scho-
llen und Glossen ihrem ersten Verfasser zurückzustellen und in
ihrem gegenseitigen Verhältniß genau zu bestimmen, lassen sieb
doch unter ihnen mehrere und verschiedene literarische Ueberlie-
ferungen mit Sicherheit aussondern und z. T. bis ins ftlnfte oder
vierte Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen.
Wie andere Völker (im Altertum u. A. die Hebräer und
Römer) begingen die Griechen ein zwiefaches oder dreifaches
Erntefest, nämlich ein Fest des Emtebeginns im Anfang der Ein-
heimsung der ersten reif gewordenen Früchte im Mai, sodann
ein zweites Erntefest nach Beendigung der gesammten Getreide-
ernte und nach dem Beginn des Dreschens zwischen Ende Juli
und Anfang September , endlich zwei Monate später ein allgemei-
nes Dankfest flir Bergung sämmtlicher Korn-, Obst-, Wein-
erträge des Jahres, dem dann noch zuweilen gegen die Zeit der
Wintersonnenwende im Dezember eine Wiederholung des letzte-
ren (vgl. z.B. die Consualien, Saturnalien und Opalien am 12.,
15., 17. — 21. Dezember in Rom) folgte. Nach diesen Festen
waren mehrfach Monate benannt, so im jonisch -attischen Kalen-
der in Athen, Delos, Paros, Tenos nach dem Früherntefeste der
Tharyelidn (Mai — Juni), nach dem allgemeinen Erntedankfest
im October — November der Pj/anepsion (Athen) oder Kyanepsiön
(Samos, Ky/ikos). Bei allen genannten Völkern wiederholt sich
die Erscheinung, daß diese Naturfeste in einer verhältnißmäßig
jungen Zeit zu Gunsten einer ethisch -historischen Auffassung
umgedeutet und in Erinnerungstiige eines sagenhaften Ereignisses
der nationalen Urgeschichte venvandelt wurden. ^ Athen hatte
1) Dieselbe Ersehcinuiij^-, welelie u. a. auch bei dem hebräischen Früh-
erntefest (Pesadn und hor])3tli(heni Erntedankfest (Laubhüttenfest) zu Tage
tritt, und der Au.stlul) eines weil{,Teifendun psycholt)gis«?hen Gesetzes ist, wie-
derholt sich in nordischem Brauche. Die Kölner Holzfahrt wurde als histo-
rischer Gedenktag des erdichteten Sieges eines römischen Statthalters Marsi-
216 Kapitel IV. Erntcmai und Maibaum in der antiken Welt
(wahrscheinlich erst in der Epoche lebhaft angeregten attischen
Selbstgefühls gleich nach den Perserkriegen) die beiden Ernte-
feste der Thargelien und Pyanepsien mit dem Andenken an den
(mythischen) Zug des Theseus nach Kreta verschmolzen, und diese
Beziehung spielt selbsvcrständlich eine bedeutende Rolle in den
späteren Berichten, aus denen wir jene Feste kennen lernen.
An einem der ersten Tage des Pyanepsion fand die Begehung
der Oschophorien statt. Sie bestand zunächst aus einer feierliehen
Prozession. An der Sxntse des Chores^ der Itir die Gelegenheit
geeignete (oschophorische) Lieder sang, gingen zwei in tceihliche
Stola gehüllte Jünglinge (xora yuyar/Mg }oioXiöiuvoi\ welche eifien
mit reifeyi Trauben hehufigenen Rebzweig (yJijfia a^utüjov Aoui-
tovTtg fieOTOv ev^cthov ßoTQvoßv) trugen. ^ Außerdem fand ein
Wettluuf von Epheben aus den reichsten und vornehmsten Fami-
lien' statt. Jede Phyle stellte dazu zwei Söhne noch lebender
Eltern. Die Läufer trugen fruchtbeladene Reben, und wer siegte,
erhielt einen aus Wein, Oel, Honig, Mehl und Käse bereiteten
Fttnftrank und durfte am Konios des Chores teilnehmen.^ Als
der Ausgangspunkt beider Festakte wird ein Dionysostempel, als
das Ziel das Heiligtum der Athene Ökiros im Hafen Phaleros
liu8, der Erfurter Walperzug als Erinnoninjj an die Zerstörung dor Dienst-
burg gefeiert (Bk. 375. 876\ Ebens«^ beli**bt war die ätioli>gisehe Erklärung
der Volk.>bräucbo au8 der heiligen (?esehichte. Die Aufrichtung des Maihaunis
vor den Haustüren am Aposteltag.* dos h. Philippus (2. Mai) gab den Kuniä-
non zu folgender Legende Veranlassung. Als die Juden St. .laeobus. dessen
Fest auf den ersten Mai fällt, enthauptet hatten, wollten sie an St. Pliilij»-
pus ein Gleiches tun. Ihr Vorhaben ward jedoch zu Sehanden, weil der
Baum, den man als Erkennungszeichen vor sein Haus jicsetzt hatte, Tags
darauf vor allen Türen Jerusalems aufgeschossen gefunden wurde. W. Schmidt
das Jahr u. s. Tage. Ilermannstadt 18GG S. 12. Hiezu vgl. die Erklärung
Adventbrauches o. S. 188 Anm.
1) Proklus Chrestnm. bei Photius bibl. c. 239 p. 322. Hermann G. A.
§.56, 10. 11. Plutareh. Thes. 23 erzählt, Theseus habe zwei d«*n Miidrh.-n
möglichst ähnlich grmachte Jünglinge mit sich nach Kreta geführt: f:iH lU
fjittvfiliHv (ciTOV Tf- Tiountvoai y.(u roiV vt(trt'(Txor<; ofitoi itujih/tnthvm^
f'V vvv ttfjLn^/ovKu Tovg löa/oig tf^novitg.
2) Hesych. s. o. vja^otn'uun.
3) Aristodemus hhj) IIivAvoov III bei Athcnaeus XI, G2, \>. Uli. Din-
dorf. Proklos a. a. 0. Hermann G. A. §, 56, 11.
Die EiresioDO und das Pyancpsienfest. 217
genannt, neben welchem, offenbar bievon, ein Platz den Namen
Oschophorion führte. '
Es bleibt ungewiß, wie das Verhältniß beider Begehungen
zu denken sei. Am wahrscheinlichsten jedoch ging der Wettlauf
voran, welcher ilbcr die Teil nähme am Festziige entschied (xai 6
vrAtjoag . . xio/ttaLti tihrn yoQor. Athen, a. a. 0.); der Austeilung
deg FUnftranks und dem damit verbundenen Trankopfer folgte
sodann die Pompe, der Festzug selbst, der seines heiteren Cha-
rakters wegen und, weil er ja. dem Dionysos galt, bei Athenäus
als Komos bezeichnet ist. Ein Herold mit bekränztem Stabe
schritt vorauf j hinter ihm die beiden Jünglinge in iveiblicher
Tracht^ sie allein trugen jetzt, in der Prozession, die Rebzweige,
oder größere als die andern und hießen vorzugsweise Oschopho-
ren; endlich die übrigen 7 Sieger des vorangegangenen Wett-
kampfes , so daß alle 10 Phylen vertreten waren und dadurch die
Begehung als eine zum Heil gemeijier Bürgerschaft angestellte
religiöse Handlung charakterisierten. Vom Augenblicke der Liba-
tion an ertönte der Ruf: FAeleu! Jul Ju!j unter dessen fortwäh-
render Wiederholung der Umgang sich der Stadt zuwandte * und
wahrscheinlich am Tempel des Dionysos sein Ziel fand.
Um die nämliche Jahreszeit, möglicherweise am nämlichen
Tage , und zwar am siebenten Pyanepsion hatte der Umzug mit
der Eircsione statt. Außer einer, wie es scheint , offiziellen Pro-
zession zum Ajwllotcmi^el fanden private Umzüge statt. Auf die
letzteren bezieht sich die bei Porphyr, de abstinentia II, 7 aus
Theophrast und in den otfenbar aucli aus letzterem stammenden
Öchol. Arist. Equ. 72l>, Schol. Arist. Plut. 1051 erhaltene nur
öchcmbar widersprechende Notiz, die gottesdieustliche Begehung
gelte dem Helios und den Hören, ^ die sich ganz einfach aus dem
1) Hesych. s. v. wa/or/omor.
2) Dieiio Darstollini^ ist auf den sicheren KückscbluU aus der ätiologi-
schen Legende bei Phitarch Theseus c. 22 gegründet : Proklos a. a. 0. ist
unrichtig oder un^^enau
3) Porphyr, ih* abstin. 11, 7: Oig uianrnfiv i^oixt- xa) i) llih]ri]an' hi
xni rCr dnotuf-'rr) Tiaujirj '///i'or x(() 'll(tiur. IJouutvti yuo tikvonuu i(y(HO-
am ^:ü 71 ritffi'ion' ');'^(*''<fs , öo/ioi«. <)V»/\,' |1. ru^^ojVor«?] uifHuxvXu, xniUftt\
nvüfU, niOAiHti, t)ytiir,nu< t}).n'oo)t' /t r(ii'fU)r xu) xoiih'noy 7 /lo/ s" , <){}ihtaiujui,
XII Qo<;. Schol. Arist. Kiju. 72*. > : nravtxlnnn; xal (•^ui)ytiUoi<; *77A/fji xul
"lliHcig tooTuCovaii' AOrivaioi. tf.foovai J* o/ naiöti tovg n d-aklovg ({iioig
218 Kapitel IV. Erntemai und Maibaum in dor antiken Welt
UmBtande erklärt, daß ein gottesdieDstlicher Akt bei einem
bekannten Heiligtum in der privaten Pyanepsien - wie Thargelien-
feier nicht vorkam, Apollo aber, den in seiner Eigenschatl als
früchtereifenden Sonnengott die Prozession verherlichte, seit der
Zeit des Aeschylos and Euripides ganz gewölinlich mit Helios flir
eins gehalten wurde, während die Analogie des sogenannten
homerischen Eiresioneliedchens v. 4 — 5 es als eine naheliegende
Möglichkeit erweist, daß in attischen Gesängen bei dieser Gele-
genheit Hören und Chariten gefeiert wurden. Somit konnte ein
Schriftsteller, der im Augenblick nur die privaten Eiresionen im
Auge hatte, ohne großen Verstoß gegen die Wahrheit, statt Apolls
Helios und die Hören nennen.
Ueber die öffentliche Feier belehrt uns eine Ueberlieferung,
welche durch eine unmittelbar und unverktlrzt aus dem Original
oder wahrscheinlicher bereits in einem Auszuge von Eustathius
zu II. XXTIl, p. 1283, 6 und Suidas s. v. elgeaicivr] überkommene
Glosse des Rhetors Pausanias, der sein rhetorisches Lexicon unter
Hadrian verfaßte, ^ sodann durch die Glossen nvavoxpia (resp.
Ttvavexpia) bei Harpokration Hesych, aiQeaiijivrj , Etj^mol. Magn.,
dl?Mxov de leyszaij Eustatli. a. a. 0., Suid. v. elgsGiaivt!, endlich
durch Plutarchs Thescus Cap. XVUI u. XXH vertreten ist. Plu-
tarchs und seines Zeitgenossen Pausanias gemeinsame Quelle
stellte bereits die Aussagen mehrerer Schriftsteller vergleichend
zusammen; was letzterer über den Ursprung des Eiresione-
gebrauchs bei Unfruchtbarkeit aus Krates, die Parallelstelle im
Et}nn. Magn. s, v. eiQeaiwvtj (s. u. S. 219 flf.) aus Lykurgos meldet, -
ntQitt).rju^rorg^ 8^'Hv fineatärrci )JyovT€u xiu xoviovg ttqo i6jr O lotjr
XQtuixiair. l^t'iOTrjvTa lU tmv OnlXior at tjoai. Cf. Scljül. Arist. Plut. KKil:
ITvfd'fiJjioig xct) Sanyißtotg ^iDJuj xfti "Sinnig OvovOi Aikrivaioi ' if^norat St of
7TaT(Sig Tit TT ooxm fi Xiyu fva «xooJor« x(c) iitiru 77 (>o rwr i/tttuir xnt'
fiihai. xttTii Ti ()'i: /nr^a T t'ioi Ol' /roo? icnoTQon i^v liuov ikitu ^ztoiou.
Hemsterliuys bemerkte, daß r« iiüoxnTt^iUyuh'ra uxno^nva als .,anti.' rt*cen-
siti i't enumerati frnctus.*' niclit als ,,illa prius (ilecta frugnm
genera*' aufzufassen, und daß dieser Au^lruck bei Tbeophrast sieh auf die
nns von Porphyrios erhaltene Aufzcählunjj beziehe. Für die Zasaininon^elii*-
rifrkeit beider Fragmente bei Porphyrius und im Schol. Arist. spricht au«h
das in beiden Stücken gebrauchte Präsens.
1) W. Rind Heisch de Pausaniae et Aelii Dionysii lexicis rlietoricis. Ko-
giom. Pr. 18()(), j). 10.
2) S. Sauppc in Orator. attic. Turici 1850, p. 272.
Die Eircsione und das Pyanepsiciifcst. 219
zieht ersterer mit Uebergehung dieses Namens zu dem Vorherigen.
Die erwähnten Glossen aber verraten denselben Ursprung, wie die
z. B. bei Harpokration durch die Artikel vT^oxww«, irelavog u. s. w.
vertretene Klasse, in welcher uns der Redner Lykurgos {natd
Meveaalxfiovy niqi isQsiag u. s. w.) um 340 v. Chr., die Heorto-
logen und Atthidenschreiber Apollonios aus Aehamae, Demon aus
Athen (ttsqI O-vauov) um 306 v. Chr., Krates aus Athen, Tregi
tiüv ^A&fjvijai d-vaiiov) als benutzte Gewährsmänner entgegen-
treten. Wenn wir nun einigen Grund haben zu vermuten, daß
diese Glossen durch Ciceros Zeitgenossen Didymus in die lexilo-
gische Literatur kamen, dieser aber itir sie ebenfalls schon eine
eine ältere Schrift excerpierte, so wird bei letzterer nicht ohne
Wahrscheinlichkeit an die Atthis des Ister, eines Sklaven dann
Freundes des Kallimachos (zwischen 248 — 224 v. Chr.), eine
Compilation der Angaben verschiedener Autoren über attische
Altertümer, gedacht werden dürfen, die Gilbert^ als unmittelbare
Quelle des plutarchischen Theseus zu erweisen einen höchst
beachtungswerten Versuch gemacht hat. Aus ihm muß denn auch
die Glosse des Pausanias geflossen sein. Ister aber folgte in sei-
ner Schrift vorzugsweise der Atthis des Philochoros * (zw. 320
bis 260 V. Chr.), indem er aus andern Schriftstellern, zumal den
übrigen Atthidographen , eine Anzahl ihm geläufiger Notizen in
sein Werk aufnahm. Cap. 22 des Theseus (Oschophorien und Eire-
sione) beruht aber nach Gilbert entschieden seinem Hauptteile nach
auf Philochoros. ^ Da aber dieser sich ohne Zweifel vielfach ohne
1) Philologus XXXIII, 1873, S. 47 — 50
2) üeber d. s. Böckh. Berl. Akad. d. Wissenschaft H. Ph. Kl. 1832,
1». 1 —30. Gilbort a. a. 0. 53 ff. Vgl. :^I. Hang die (JueUeii Plutarclis, Tübin-
gon 1853, S. 14.
3) a) Pausanias bei Eustath. ad II. XXII, p. 1283, 6 (cf. Suidas s. v.
finfOKürj)): V.'r lU loig Ilavauriov xhixiu tuitw tfot-aiiorf], ihtkXog D.a(agy
lanuuh'og ^qUo, n lutgxmimutvoi g h/on' (^laq onoig ^x yf]g xu{)noi'g' toCtov
^xtffoti naTg uuff lifaXijg xu) rdhiOi Tino i'>i(>Cf>r toC l4n6}Morog U()oC iv Toig
nvavtxl'loig' X^ytTtd ;'«'(>, *4 U^' i ^fjOHc , oTf tfg hoijTijv i7i).ti , TiQogG/övrtt
.h'iUo Tfj rt'jrfo) tSiic ytium'ic ti'iaait^«! ^inölkbryt xttTaaj^\l>aGO^ai xXtUSoig ^Xnfng,
f:i Tov Drlirunuvnov XTtirag atj'hfj, xtu iHOKtativ. xit) yoi'v liiv ixiTt]o(uv
jniTf]v xmitOTfr'x'Kcg hl'i,ar.i Xtynta /ri(t(cg Uxß^icuag xitt ^rvovg xai ßojfÄor
hhivanoiHii' J/o xid Ilvar^ipia ktytdiUu oiov xiaut^pia^ <fio %ö nvuiiovg
iinoTfQitv roig xruuorg xultiöUar tjyoy <)*^ ^fj// 6'r* Ticvja X€tl fnl anoTQonfi
XiuoP' fi^ov iVt ntoiStg oI'to)' „ffQfaiiartj aCxu q^Qd xccl ntovttg üqtovq xni
220 Kapitel IV. Erntemai und Maibaum in der antiken Welt
NamensDeimnng des Materials seiner Vorgänger bediente, die seit
geraumer Zeit sich auf factische Ansmittelang der attischen Alter-
tümer in Mythen, Sagen, Opfern, Festen, Gebräuchen und Denk-
würdigkeiten gelegt und dafUr in ihren Attbiden ein ansehnliches
Material zusammengebracht hatten (Müller Fragm. bist. 6r. II,
Prolegg. p. 85), so reicht die erste Niederschrift der in Rede ste-
henden Ueberlieferung sicher bis ins vierte, vielleicht bis ins
fünfte Jahrhundert zurück.
/i^XtTog xoTvkrjv xid (Xtuov ^TttxQriattaO^tct , sicd xvXixu ft''^cD(>oi', ^ra uiiß-voiau
xu'&iv^ty /una J^ Tfjv ioQTriv f$(o ayotjv iti^^aat nuQtc rag '>i'««f. KoitTr^g
it^ (frjtTiv, (c(foofag noil xaraaxovarjg ji'>i]i'ug Üdllovg xnrttaidl'avTag lQ(oig
ixfjfiQdtv ävn^fivat lAnoklbn'i . b) Pin tarch. Thes. c. XVIII: r^vofA^vov ^k toO
xlrJQOv JittQaXaßm' rovg Xa^orrng 6 OriOfvg fx toD fjQiTftvffov xai nuQtk'htov
iig ^UXifh'iov f&rjxtv v/r^o atrrwv r^^AnöXXvDVt ttiv ixfrrjQfnv. ^Ifr <f* xkdSng
uno r^g ifoüg (ka(ag fotiu l€vx(^ xttTtajfuu^vog. Lv^cififvog J^ xar^ßaivkr
%xxr^ firivög inl ^ukaoauv iarre/a^rov Movvv^^im'ogf rj xa) rOr fri rieg xonag
TT^finovöiv IXnaofx^vttg tfg JiXffd'iov. C. XXII: f)(hlfng <U toi* ntcrfoa t«
^AnoXXtovi Ti)v n^'X^v änidtSov Tfj ißdofifj toü JJvavkiptCtvog tirjvog /otn/j/roi"
TftiTj yaQ ur^ßr^aar tfg äarv aioi^fvrfg. *i/ ^ttv ovf ^if/rjOig rwv oOnoiMV
XfytTfti ytr^a/httt (fi« t6 Obi^h^rag airiovg tfg r«iTo avfifAi^ai rn TitQtorxu
Xbiv aiT^MV xa) uttcv xth(>fev xon'ijV tilJtJ0((iT((g avvtfJTKCxftjrni ;f«l avyxarm^tt-
ytiv (ü.XtjXoig. Tiiv ift tfotOKovtjr ^xtf^ooiai xXd^or n.aiug ^(*(m utv urtOTtu-
utvoj'i (otTTitQ TOTt Tt]!' fxtTrjoiuv , TKnioiUcTim' (U uränXtor XicranyutcTiin' rf/«
TO Xfj^ai rrjv CafondiVy ^nic^oi'Tig' „FJoiaitoirj ai^xa ^/(ttiv xn) niorng tto-
Tovg x(() /j^Xi h' xoTrXtj x(c) tXaiov (ivcol.n]<saa'h(ti t xu) xvXix' ti"\toQOV, tag ^r
fitih'üLOa xaUti'd'tjr c) Etymol. Magn. 303, 18 ff. 868 Gaisf.: Efotanorri.
Jjrutyt^f^rjg . . xluiSog ^| ^qimv t/iov OTtuuaia, xXtorag xai fayut)'teg xitt
Tü>r xaOaounf uxooihn'un» oouaOovg. ^11 ihuXXog ^auv fXiUug Tturrteg rf»i>
(^1. ncnTtnUiTTorg) xuonorg f/ov d/itjorrjutfürg xic) aT^nuit Xtvxuv xtti tfotffxnCr.
fTootriiHjo ()7 ix^aia lut li.-ioXXtori ^xtnij rfi f)/iH-'{i(c^ if ot TTtm i^rintUe aotl^t-
vui tfoxoCfft. AfCTtt/raiKiT« <!ft xaf xvXixa oivor xtxnautrr,r xaitt/toiit^
(crrtjg hriXhyovaiv. ,. Efofoitortj aCxu f/t'oti x(c) nforng äororg, xici atXi-
fog xoT rXtjr xn) tXuioy uno\jft]aiia'hu ^ xtu xrXtx' tKotooio^ i'ru fit'f^iovaa
XKxhfv^tj" — — ^tvxovoyog ^4 «fijatr ut^oudtg ytvoutj'ijg lUi^^rm'otg tui'to
fnntXtaOtfVtti x(ct(\ /()r]fffi(H' (Jtor txf-rtinfccg. d) Eustath. a. a O. : l-iXXrt/in'
tH X^ytrai xu) ort ar^fjua Xtrxur xa) (foirixovv i\:n'joTijTo ror" fhcXXov xfti uji
TioorrilhTO ixKTia rio l-ifidlXiori xalF t]v i)u^imv ot ntn) GfiO^a (Tot'i t^rtti
öoxoCai, xfc) (irt xam/vouuTit xa) xrXixa uJrov xbxoau^vr)r fni/j^oiitg fttri^g
^n^Xtyor iffV nrfi>tiaav imhiv. e") Harpocration s. v. llvaroilua. ^Irxnruyitg
h' 1(0 xaxa Altvtaai'/uor. xa) f'ijuti^g Tlvaroihia raritjr r^r tooTtfV ynX(trut9''
Ol (f' äXXoi ^'JjXXtji'tg IfaroH'ia , ori ndriag tlihiv xao.iovg Tfj (Ui'tt. \t7ioXXt^'h-
ri oi; xa) o/fihW ndiTt-c; o/ ;uo) ndr A'ht]rii(liv toonuv ytynatfoitg^ llritvty'ifh'
rog ti^ih'jfni la ffrai'f-'ilfia .I;f(iXXo)ri äytaihat (friai. thiv th' (faui Xtytir rirarf-
ipta xa) Toy ufjra HiartV^noiva. nvara yao t^povatv h* «tVo/V xai r) tf^ttaionTf
äytrai. Cf. Suid. 3. v. Ilvavtipidrog.
Die Eiresione und das PyaDepsienfcst 221
Nach dieser also trug (i'KtpeQei) ein Knabe, dem beide Eltern
noch lebten (naig dfiqi&alrjg), wir wissen nicht mehr von wel-
chem Punkte aus, einer Prozession voran einefh mit wollefien Bän-
dern und allen möglicJwn FcldfrücUen behangetien Oehweig bis
zum Apollotempd und pflanzte oder hüig ihn hier vor dessen Ttlr
auf. Die Prozession wird der oiSziellen Feier gemäß aus ernsten,
angesehenen und grundbesitzenden Männern, die dem Knaben
folgten, bestanden haben. In der Tat zeigt der einzige attische
Kalender in bildlicher Darstellung, der aus dem Altertum auf
uns gekommen ist,^ als Bezeichnung des Pyanepsion den mit der
Eiresione ausgerüsteten Ephcben, dem ein Mann in reiferen Jah-
ren hinten nachfolgt. Der eine Eupatride ist unzweifelhaft nur
der Vertreter einer ganzen Öchaar, da der Künstler gezwungen
war, sich in knappster Andeutung mit so wenigen Figuren als
möglich zu behelfeu, wie denn eine derartige artistische Kurz-
schrift der Weise athenischer Reliefplastik überhaupt entsprach. *
Zu dieser im öflFentlichen Interesse einhergetragenen Eiresione
mag zu Zeiten ein Zweig von der heiligen Burgolive, der Moria,
verwandt sein (vgl. o. S. 25 flf. S.220 Anm.). Doch zeigt der soeben
erwähnte bildliche Kalender nach Böttichers Angabe einen Lor-
beerzweig, und einen solchen nennt auch ein Scholion (Schol. in
Arist. Plut. 105t) als abwechselnd mit der Olive: algeoKov?/
iyaXkog £).alag )] dacpvt^g, e.^ f.QUov avf.i7r€7tleynevog tx^ov aQTOv
i^rjQrrrjfjevov xat y.oTvhjv etc.
Von der öflFentlichen unterschied sich die private Begehung
dadurch, daß jeder Grundeigentümer, welcher Ackerbau und Obst-
kultur betrieb, — denn nur von solchen, nicht von allen, nicht von den
nur mit städtischen Grundstücken angesessenen Bürgern wird der
Brauch geübt sein — die Eiresione vor der Tür seinem Hauses
aufpflanzen und dort ein Jahr lang stehen oder hängen ließ.
Nach Jahresfrist wurde die vertrocknete mit einer frischen ver-
tauseht. ^
1) E» ist oin Relief, welches einst als Zophoros eines antiken Gebäudes
diente, s]>äter in die Westwand des Gotteshauses der Panagia (Jorgopiko in
Athen einj^elassen , incorrect von Lobas (Voyage archeolo^iquc en Grece ett\
PI. 21. 22) und genauer von Bötticher (in Philologus XXII, Göttiingen 1865)
publiziert wurde.
2) Vgl. Michaelis Parthenon 8. 208.
3) Taitfii' Sf rijr tiofGiofrtjV Tiito rwr uixti/jiCTtav frfi^iVTu oi
jilfi]vnioi xiil x«t' trog (curriv iilurrov. Schol. in Arist. Plut. 1054:
222 Kapitel IV. Erntemai und Maibauni in der antiken Welt.
Auf diese Verhältnisse beziehen sich verschiedene Anspie-
lungen des Aristophanes. Demos, der vor seiner Hanstfir
Geschrei und — wie er meint — zu Tätlichkeiten ausgearteten
Zank gehört hat, tritt mit den besorgten Worten hervor:
Wer sind die Schreier? Port von meiner Tür!
Den Segensölzweig (Eiresione) habt ihr mir herabgorupft!
Er ttirchtet, daß bei der Kauferei seine Eiresione von der Tür
herabgerissen und als Schlaginstrument benutzt sei. ^ In den
Wespen läßt sich d^r eingesperrte Philokieon an einem Seile zum
Fenster hinaus, Bdelykleon .rät dem Sosius, um dies zu ver-
hindern:
Flink steig' ans andere Fenster hinauf, und hau ihn hier mit den
Zweigen,
Dann rudert er wol mit dem Hintern zurück, von der Eiresione
getroffen. ■
Im Griechischen enthält die letzte Zeile ein sehr wirksames Wort-
spiel, welches auf dem Gleichklang von Eiresione mit eiresia,
das Rudern, beruht. Im Plutos endlich wird von einem alten
Weibe, das einem schwärmenden Jtlngling zurief, ihr nicht uoiit der
Fackel nahe zu kommen, gesagt:
Nun da hat sie Reclit!
Denn wenn sie auch ein einzger Funke nur ergreift,
Zu Asche brennt sie wie ein alter Segenszweig. ^
Einen besseren Zunder gab es in der Tat kaum, als die ver-
trocknete und ausgedörrte Eiresione, wenn sie das Jahr hindurch
ihren Platz behauptete Der Dichter spricht davon aber wie von
einer allgemein gemachten Erfahrung; augenscheinlich wurde die
ausgediente Eiresione nicht auf den MilUhaufen geworfen, sondern
älXoi- (f^ (paOiV titg koifxoö non h'(Txij\l.iavTog jiS^rjva^oigy 'ixuarog noo ttir
(hvQtüv (arrjauv eloeaim'ng itg anoTQoni]v tov loiuoü. xn\ di^uivfi' flg
fviavTov. ijr xa) ^rjQicr 'ff fattv Trakt v xrtr^ trog inoifi (r^oni' j^lod-
Co V aar. Ibid. Cod. Reg.
1) Equit, 729: tP/v ffQfatoh'rjv /uov xaTfanttQd^an. Schol. : t6 cf^ xa-
TfO'7r«(>«|«r€ (7/ifv iTTfi^rj ttlki]kovg Monv.
2) Vesp. 398: urcißaiv avvaag xfträ rijv ir^ouv xal raTair ifvlldai
7iC(t€ f ijv Tiüjg JiovfitvtjV uraxQovariTm, nXriytXg raTg (i(>€aim'(cig. Schol.: ^E:ift
x).(aSotg Tial 7T€co«x8).fi'fTai 7tii{fiv (iVTor xoTg tiqö rijg oix(t<g' dia toCto rnTg
ff(}6ai(üvaig finf . . ffo8ai(6ynig ^f itnlutg rotg ^rjQOig xkiiöoig.
3) Flut. 1054: Mr yao niTtiV tig fxovog aniV\f-ii(> kdßr^ äanfo TtaXainr
(fQeanavrjv xavaitai. Schol. nalaittv: xitrd^iiQot'.
Die Eiresione nnd daR Pyanepsicnfcst. 223
aas Ehrerbietang durch Fencr vernichtet. Der Aufpflanzung der
Eiresione im (städtischen?) Herrenhanse ging aber ein Umgang mit
derselben auf dem Dorte und den Aeckem vorher. *
Die Ausschmtlckung der Eiresione war begreiflicherweise bei
den einzelnen Prozessionen kleineu Verschiedenheiten unterwor-
fen. Bald war sie ein sehr großer Ast (evfieyid'rjg xlddog) mit
vielen Bändern oder Binden (vittae, stemmata), bald ein kleiner
Zweig (x^dkog) mit einem Bande geschmtlckt (Etym. Magn. 303.
8. 0. S. 220). Die Farbe der Bänder war vorherrschend weiß
und rot. 2 Außerdem umwanden abwechselnd rote und weiße
Wollenfäden, wie es scheint, den Schaft des Baumzweiges,'' auch
1) Wenn Pansanias o. S. 219 zuerst von einem einzigen Knaben
spricht, der die £. znm Apollotcmpel trägt, später ein Liedchcu erwähnt,
das mehrere Knaben bei Umtragung der E. singen (jcTov cT^ TTtti^eg oitw),
und endlich fortfährt: t^ufric lU Ttjv ionriiv 6^w üyodiv rtO^tnat ntcQtc jag
^t'()«<;,*' so ist es klar, daß hier in dem stark abkürzenden Auszuge des
Lexicographen zwei verschiedene Teile seiner Vorlage , die Schilderung, der
öffentlichen und diejenige der privaten Begehungen, in eins geworfen sind.
Schon die Mehrheit der singenden Knaben gehört der letzteren an; mehrere
Knaben sind es, weil jeder Prozession von Gutsangehörigen je ein nai^g äfA-
fft^(drjg vorausschreitet. Wenn aber nach dem Feste die E. außerhalb
der Aecker oder ländlichen Besitzungen, d.h. in den Herrenhäusern
der Güter oder in stä^ltischcn Häusern der Gutsherren zur Aufbewahrung vor
die Tür gehängt wird , so muß das Fest selbst , d. h. hier die Prozession, der
Umgang mit dem Segenszweige, im Gegensatz dazu innerhalb der Aecker
oder Landgüter vollzogen sein und schon deshalb die Erklärung von Meur-
sias (Graec. fer. L. V. in Gronovii Thes. antiqn. Gr. T. VII, p. 847) verworfen
werden, die vor dem Apollotempel aufgepflanzte Eiresione sei nach dem Feste
von dort entfernt und vor den Privathäusorn aufgesteckt. Wie vielfach müßte
dann jene eine E. geteilt sein ! Oder unberechtigter Weise müßten aus der
einen durch die Ueberlieferung bezeugten Prozession zum Apollotempel deren
sehr viele gemacht werden.
2) *// ihdXog f(fr\v ^Xniag TiuvTüiUinovg xuojTovg ^/ov äni]^Tiixii'ovg xal
ar^fAua Xfvxov xal ifoivixoCv. Etym. Magn. 3()3. s. o. S. 220. ^AXlaxoC dk
X^yijai xa)j ort ax^u^u Xfvxov xid (foinxovv utujotvito toO O^akkoO. Eustath.
s. o. S. 219. Dieses Stcmma war also der Art aufgehängt , daß es vom
Zweige herabhing.
3) Darauf bezieht sich, was der Scholiast zu Statins Thebais II, 736
berichtet, wenn er von der (von uns später zu besprechenden") Eiresione am
Panathenäenfeste redend, ,,in qua omnium frugum pomorumque primitias
obligabant," diese Beigaben mit roten und weißen Fäden angehängt nennt
(purpureiö nexibus supra dicta pendebant, quae tamen interjecta duobus pedi-
bus Candida flla discriminabant). Hieniit stimmt die Angabe in Schol. Arist.
224 Kapitel IV. Erntemai nnd Maibaoin in der antiken Welt.
waren alle möglichen reifen Früchte daran gehängt* Falls die
0. S. 218 ausgesprochene Ansicht über die Aussage des Theo-
phrast begründet ist , so muß außer Früchten des Erdbeerbaomes
(jituaixvka)y Bohnen {HaTtgta)^ Gersten- und Weizenähren (z^i-
d-ai^ 7rvQoi)y Wicken (? elhgnoa äyQioaTtg), runden Kuchen
((pd'ötg) und aufrechtstehenden Gebacken {oQO-oaravai) von Ger-
sten- und Weizenmehl auch das so beliebte Confekt aus den in
länglicher Form zusammengepreßten Kernen von Steinobst, Wein-
beeren oder Pinienäpfeln {nvqrjvuov riyrj^ia^ 1. ijyfjit/Qict) und aus
Feigen TtaXdiyrj fjyrjTriQla) zuweilen zu diesem Schmuck der Eire-
sione gehört haben ; ' wenn aber auch Kochtöpfe nebst Inhalt
{xvtqol) als Gegenstände der UmfÜhrung {no^irrt]) genannt wer-
den, so halte ich für wahrscheinlicher ^ daß diese — wie sich
nachher ergeben wird — nebenher getragen wurden. Der Seho-
liast des Statins erwähnt auch Aepfel unter den Anhängseln.
Dagegen sagte der Astronom Hippareh (128— 102 v. Chr.), dem
Homer jede Kunst und jede Wissenschaft zuzusprechen, wäre
grade so, wie wenn jemand der attischen Eiresione Aepfel and
Birnen, die sie nicht tragen kann, zuspräche.^ Ein sicheres
Zeugniß ttir die Ausrüstung des Segenszweiges gewährt das Bruch-
stück eines launigen Liedchens, welches vor Aufhängung dessel-
ben am Herrenhause von seinem Träger gesungen wurde :
Eiresione ist da! Horbstfeigen träj^ sie und fette
Kuchen und Honig im Napf und Gel die Glieder zu salben.
Lauteren Weins ein Becherchen auch, um trunken zu schhininiem. *
Equ . 729 : KXnöog /A«/««; ^(jtoi g n f q i n i tt ). f y tn^ r o t g ti r « <T * it f ti f rngy
und Schol. Arist. Phit. 1054 in der entsj>reehenden Ueberlief»Tung ab^^okürz-
ter: xXdßog ^r ^{}(oig /if/thym^vog. Ebenso Thoophrast o. S. 217: ihtU.ovg
fQ(oig 7¥fnif.ilT]fi^yorg.
1) Pausan. b. Eustath. p. 1283, o. S.210: ihaWtg nm'ag , ^arftiunnc
^Q^oj n oogxexQfcu^vorg fyior öidffonovg Ix yfjg x«n7f ovg. Dafiir Suida«»
in der näml. Gb»sse: 7iai*nt($njiuvg tmv Ix yfjg xuottmi: Schol. Arist. Ei[n.
720, vgl. (». S.218: AXäiJog flaing ^ofoig n^oijfbnlhyu^rovg i(r(uUthu/r(tg f^i]*»-
rniTo iH Kujov toofcTn jiniTu lixonSm'u.
2^ Auch 6()vg Eichen werden genannt, oiVenbar ha. Verd«'r]»uil5. Dr. G.
SchOmann macht mich aufmerksam, dal» «xooJor« zu b\><en sein dürfte.
3) Strabo IG Casaub.
4^ rJofatMVtj aC'xa tf^of-t xa) n(uvng äorovg
Kit) u(h h* xoivkij xft) f/Mtor «;ioi/'/)fT«ry.Vc«.
Äff) xvlix* fiKoutoto, JV« ufHvovöa xtdUnhi.
IMo Eiresione nnd das Pyanopsionfest. 225
Ander Kuchen und Feigen sehen wir also Gefäße mit llHfisi(ßri-
ten, Honig, Oel, Weiyi an den Baumzweig gehängt, der nach
Ausweis des o. S. 221 erwähnten Reliefs in aimähemd wagerech-
ter Lage über die Schulter zurückgelehnt getragen wurde. ^ Den
Inhalt der an Schnüren herabhangenden Gefäße go/ man hei
Beendigung des Umgangs über die Eiresione selbst aus. * Diese
Ceremonie hat das Liedchen im Sinn, indem es die Eiresione
Iiersonifiziert, die über sie ausgeschütteten Flüssigkeiten Honig,
Oel und Wein gleichsam als Gebrauchs- und Genußmitlel dersel-
ben auffaßt und ihr schalkhaft für das Jahr, welches sie auf dem
ihr nunmehr anzuweisenden Platze verharren soll, einen guten
Schlummer in süßem Räuschlein an wünscht. Im „Landmann"
des Timokles, eines als Feinschmeckers berüchtigten Dichters der
mittleren Komödie, hatte jemand das mit frischen und getrock-
neten Feigen y mit Oel itnd Honig besetzte l'ischtuch scherzhaft
seine alles produzierende Landwirtschaft genannt, welche ihm
jegliche Fruchtftille herzütrage; ein anderer erwicderte im Hin-
blick darauf, daß dieser Ertrag nicht an Ort und Stelle gewach-
sen sei, man könne das wol eher eine Eiresione nennen.' Nach
Pausan. ap. Eustath. et Suid. : öchol. Aristoph. Plut. 1054. Equit. 729;
Etym. Magn. 303; Plutarch Thos. XXJI: Mich. Apostol. lirovorb. XXI, 24.
Phavorin 240"*. Die beiden ersten Verse auch Clemens Alex. 8troui. 9, 33,
Pott. 1) (f^ofir Plutarch. aOxa (ffott xccl uTilu Schol. Clem. Alex. p. 9, 33,
Pott 2) xKt u^h h xoTvXi]. Schol. Arintoph. Plut. et Equ.: Plutarch, »Suid.,
Phavorin., Apostol., Clemens. uOjTog xoTthjv Eustath., Etymol. Ma«rn.
äno^priGaai^at Etym. Magn., Schol. Arist. Plut. 1054, Suid., Apostol. ara-
ifßTjaaaOai Plutarch, Schol. Axist. Equ. 729, Clemens, v.roijjiiauaiha Pha-
vorin 240. inixniiaaaU(ci Eustath. 3) xvlixu fv^owor Eustath. xvXix' ti\ta-
nor Suid., Plutarch., Schol. Arist. Plut. Equ. o;iov Suid. x«'/* i'tV/;^ Suid.
1) Schol. Arist. Plut. 1054: ihtkUt^ ^/.aiug fj ihafi't]^' ^i ^nUttv (Hjunt'
7i/.fyfi^rog f/(or iVoror ^ ^iioTy/nf-'ror x((i xot vk^jV faii dl- uf-roor (o
vvv xukoOfifi ijui^faroi'] >.(u avxii [xat nurra Tic (}-/((!) ü]. TierTijr lU jifr tiof-
(Tiiüytjv 71QÖ Ttüv oixi]udnov tTUhhVTo Ol Alhivuiui x(ii x((T hog ICVlijl'
fJÄUTTov. iitiiüht dt Tiaig CiutfiiHiVug utuf' liiifi T((C'T(C At'yfiv „tintatu'n'r^ afxit
ff^ofi'* otc.
2) h((T€(/rau(CT(c tU x(() xvlr/M ulrov xhxoauh'rir xuTuyHtVTt'; arn^g tm-
X^yovair. Etym. Magn. s. o. S. 220. Cf. Eustath.: x(d öji xura/iauuru
xtä xiXixu oU'ov xtxoauhviiv i jri/tovT fg lii'Tfjs tJiO.kyov liji' (n]thHauv
3) Clom. Alex. Strom. L. IV, Cap. II. S- 7. P. 5GG P(»tt. - /rrixu ol
ainmuntlg ijitwj' Xitn't Tor yKooyov TinioxlHug Tur X(Ofiixoi)
avx\ r/Ml Ol', !(j/t(d\cg,
Maniihardt. II. 1«^
226 Kapitel lY. Grntomai nnd Maibaam in der antiken Welt.
dem Glossokoraon des Geschichtsschreibers Meuekles, eines Zeit-
genossen des Ptoloraaeas Physkon (145 — 118 v. Chr.), backen
die Athener Lyra , Napf (Kotyle) , Rebzweig und wieder andere
in Formen gegossene Kuchen von kreisförmiger Gestalt und häng-
ten sie an die Eiresione. Dieses Gebäck hieß Diakonion oder in
der Mehrzahl Diakonia. ^ Auch bei anderem Anlaß und anderswo
(z. B. zu Patara in Lykien) wurden dem ApoUon in heiliger Kiste
als Weiheopfer Kuchen in Gestalt seiner Attribute Leier, Sogen
und Pfeile zugetragen.^ Während somit die der Eiresione ange-
hängte Lyra die athenische Eiresione als Darbringung an Apollo
bewährt, waren die aus Teig geformte Kotyle und Rebzweige
nur ein jtlngerer Ersatz für einen wirklichen mit Trauben hehan-
genen Ast und das wirkliche mit Honig oder flilssigem Inhalt
erfüllte Gefäß, welche jenes Liederbruchsttick uns kennen lehrte.
Beide Formen des Brauches können in Attika neben einander
bestanden haben.*
Die in der Schilderung des Theophrast (o. S. 217. 224)
als Gegenstände der Pompe erwähnten Kochtöpfe (Chytren) bezie-
hen sich unzweifelhaft auf diejenige Handlung, welche dem Pya-
nepsienfestc den Namen gab und somit als dessen llauptveran-
staltung aufgefaßt wurde.* Es wurden nämlich nach vollendetem
au iih' timaioh'fjr od ytiü^yiuv X^ytig.
1) zi I €(x6ri or. oi fxh' ziir roO n)MxoC'VTog xoriniöa. JMfrfxkffi; J*
h' IM) r).o)aaoxouoi TtiVTct ttmyxe Treol airjov' l-l&fjvurot tiu l'inoJJ.un'i ri,*-
xalovuh'Tiv Kloeanüi'rjy Ikav Troiöjai , nXtcTim'Tfg Xvnap ts xnl xorvlriV xai
xkfjuu x(c) (ilV ärra xvxXoTto^ n^u^aTa, laOra xicXoCai Siaxcn'iov' )Jynat Jf
Ini Tivoi' iyxmiToig. 6uotti)i; iU xtci l4fxf()ti(^ iSi((x6vtn tu x((tu Tr^v fr/(>fryico-
vtjf 1^) *A/i6U.(ori jilaaaoiuva ntuuicKc. Suid.
2) Stephan. Byz. s. v. ritaaoa.
3) Von mehreren Arten Kuchen spricht auch das Scholion Arist.
Plut. 1051: Efofaim'tj ai^uiutra 7ino tvjv 7iv)Aor nfoifiXrjufvic nXuxovr-
jixoTg Tiöi xo).).vnoi g xal ü).).oig toi o rr otootioi g roTg Tf tboautig
xanmoig xal i)Mifig dnoxfxo(cutr((.
4) f[ vavo^hia tonrij ylfh^i'tjatv ^-liioXliüvog. ihvouicaff^r] (Tf xa) dia Tu
kipoun'ov fTiog TüJi' xviiuiov ro yno f^rrog xa) lifr alH'amv nvnrcc xnXoCffir'
(C(f' ou xiu uj)V i(TTt Uiuvhiljnoi' Xfyoiitvog. IT vuvf-ü'i oiv urjr lifhf)rriai <f'.
iv 0) x(u TU iTvuvu ti/'*T«/, tlg TiurjV T(tO l4/iö?Mürog. nvuvu de nuvxa r« «.70
yfjg iihoiJiuu ()(T7Ton6ötj f u a vvuyovT f g fi'joraiv ir /vTotag ^ ufftionr TioioCr-
Tfg. Photius: Ilarpokriit.
Die Eiresione und das Pyanepsienfest 227
Eiresioneamzag verschiedene Getreidearten und Hülsenfrüchte
zusammengekocIU und aus einem Topfe von den Hausgenossen
gemeinsam verzehrt. Diese Weise der Pyauepsienmahlzeit geht
aas ihrem Spiegelbilde in der ätiologischen, d. h. zur Erklärung
ihres Ursprungs erfundenen Legende deutlich hervor. Der Rhe-
tor Pausanias (o. S. 219) drückt sich darüber so aus. Nachdem
Theseus von Kreta rückkehrend mit den Geretteten ans Land
gestiegen; schmückte er die Eiresione aus, kochte dann Töpfe mit
Weizen - und Gemüsebrei {x^%^g ad^dgag Tcai aTvovg) und errich-
tete einen Altar. Plutarchs Bericht, der auf die nämliche Quelle
zarückgeht, wie der des Pausanias, mithin zur Ergänzung und
Verdeutlichung des letzteren verwandt werden darf', sagt, die
Begleiter des Theseus hätten nach ihrer Rettung und Heimkehr
die übriggebliebenen vegetabilischen Lebensmittel untereinander-
gemischt in einem gemeinsamen Topfe gekocM und in gemeinsamer
MaJdzeit mit einander ve^'zehrt (s. o. S. 220). Nach Sosibios bei
Athen. XIV, G48 und Hesych. waren di^ pyanoi ein aus allen
möglichen Erdfrüchten, einer „ Panspennie," gekochter süßer Brei. *
Wie es nach Theophrast den Anschein hat, wurde die zum Pya-
nepsienfestmahl verwandte, Getreide- und Gemüsefrüchte umfas-
sende Panspermie bei dem feierlichen Umzüge in Kochtöpfen,
wie sie auch sonst zur Bereitung religiös geheiligter Speisen dien-
ten (Schol. Arist. Pac. 924), der Eiresione (an der diese Töpfe
doch wol nicht aufgehängt werden konnten) hinterhergetragen und
demnächst verzehrt.
1) ^I^gtI (T^ tü 7tv(irioVy Mi (prjffi S^bjatfStog, Ttccranfouta h' ylvxfT r)Hiij-
tit'rrj. Athen. XIV, 648. Für ;7r«roi' liam auch die Nebenform nractrut vor.
Vgl. Hesych.: Tivaiina, 7mvanfou(a kifiht]. Für pro wohnlich gebrauchte
man die Ausdrücke nvitvuvy 7ivuYtt, nvuroi , nviivior für das hvo^, nämlich
für eine Speise von 6anoia [ß. o. S. 226), d. h. von solchen Erdfrüchten,
welche nicht zum Brodbacken verwandt werden. (Cf. öanom txiiva nov
^:1riufiT{tiax(ov a:tfQ^uTü}Vy ^^ (ov ii()TOi ov yivnut. Galen, de aliment.
facult. p. 314, 14. Bas.) Und zwar war die Mischung aus verschiedenen
Fruchtarten wesentlich. So Theognost. Can. 23: juvuroi utyfta navTo-
Sandr öanotbjy. Doch wird niurov auch von Getreidebrei, speziell Wei-
zenbrei {iiO^iit}^) gebraucht. ;ir«rd?///« — diu to u'hinag hl'iTv a seidoüai
nviiva. Hesych. Cf. Hogesander b. Athen. IX, S. 406 1).: rfn xGtv nvoibv
tVn]anoq tfiirur^Ohlans; oi iih' ,i(Omi(i) iivarov, of cff vvv a).6;rvoor noamyo-
okvovatr. Vgl. Ahrt-ns Rhein. Mus. XVI f, 343.
15*
\.
228 Kapitel IV. Erntomai und Maibanm in der antiken Welt.
Nur die iu den Aristophanesscholien bewahrte Stelle des
Theopbmst (o: S. 217) sagt ausdrttcklicb ans, daß auch an dem
Früh^^rntefeste der TJuirgelien im Mai zu Ebren des Helios und
der Hören eine Umtragung der Eiresione stattgefunden habe.
Die Richtigkeit dieser Angabe wird indessen durch unabhängige
Zeugnisse aus anderen Gegenden stark gestützt. Der Monat
Thargelion hatte seinen Namen von den ThargeKen (^a^y^iUa),
d. h. dem in ihm gefeierten Feste des mit Helios identifizierten
Apollo , auf welches diese Benennung von den dabei dargebrach-
ten Weihegaben übergegangen war. Man nannte also Thargelien
(d^agyriha) einmal die Erstlinge der bis dahin zum Vorschein
gekommenen Früchte (anaqyag tiov (paivo/niviay ^ zwv 7teq>rpf6to»
xaQTtoßv)] diese trug man in besondere Bündel gebunden prozes-
sionsweise umher {ana^aq TtoiovvTai xal 7tBQi%0(.iiC,ovai\^ wobei
Reigentänze nicht fehlten {tatcevro de ev avtfj xal xoqoi^)] sodann
eine Panspermie^ eine Schüssel mit Brei aus den Erstlingen ver-
schiedener Fruchtarten zusammengekocht. ^ Endlich hieß ^-a^-
ytjXog ein mit WoUe umtvundener Oelzweig, den tnan als BiU-
isweig an den Hiargelien einhertrug,^ und das aus der neuen
Ernte zuerst gebackene Brod (resp. .Kuchen). Letzterer Sprach-
gebrauch dehnte sich auch auf das erste vom Ausdrusch im Hoch-
sommer gemachte und, wie es scheint, stark mit Sesam versetzte
Brod aus. ^
Wir treffen hier also auf einen genauen Parallelismus zu den
Pyanepsien , Benennung des ganzen Monats nach dem Namen des
1) S(toyi]).i a linoU.on'og fooTtj. xicl ölog 6 fAtji' hoög rot* r>€oC'. '/7r
cT^ Toi'g iytwyt]k(oig j itg ä7J(C()^(cg rcDr (f((i vofA^VMV ti oi oOvt (ci xai nfoi-
xou^Corai. Tuvra^i yk(toyf]hd ffua. Hesyeh. cf. Harpokr. Suid. s.v. ^«(>;'iji.i«.
2) Suid. s. V. iha{tyriha.
3) Kul o ihdoytilog /iknog lm\v itviinXiwg anfQfidtbrv. Hesyeh. s. v.
(rfccoyrßi(c. — 'HcoyTjXi (c . . . x(d 6 twv a/rfoudronf ^ifarog /iV()o«; h(»oO lipfj-
ftuTog. fj^lfOi'V cT' h' airrfj unao)((tg tö ihfio tcjv nefftjvÖTüJV xuo7idh% ovoua^tH
iitru) ihiö rov '/^ofir tiiv yrjv , t0 «rrw ötti Ttp 'UkOtj. Said. 8. V. nach
Küsters Emondation.
4) Ka) Tfii' lxhri]o(nv ^xuXovv thco}'r)Xov. Hesyeh s. v. x^noyrjXta.
5) Ilaofi^f ^l Torror o liXtil^dig üaniQ xai rov duQyrjXov, or rirfg
xaXovat ihuXvaiov — AaicTJjg cJ' h' (hiiiou lirrix^g Si€tl(xTov {f^tc(f)'rjXor xtt-
Xfioiha Tor Ix rfjg acyxoui&rjg /r^xoTor yfvouhrov liinov — x«\ tbv arianui-
Ttp'. Athen. III, 8. p. 114 C. Vgl. ihaXiaiu ui rcDr x(i{)nm* unao/t<{. (hz-
Xvatog äoTog dno TTjg uXoi nnToufvog TtotoTog. Hesyeh.'
Aetiologlscbo liegenden über den Ursprong der Eiresione. 229
Festes, UmiUhnrng der zuerst geschnittenen Früchte ^ Genuß eines
Breies aus Vermischung mehrerer Fruchtarten, Umhertragung
eines mit Wolle bewickelten Baumzweiges. Da der letztere Thar-
gelos hieß, wie diie ersten Emtebtlndel, läßt sich mit Sicherheit
annehmen, daß er in dem nämlichen Festzuge, wie diese, seinen
Platz gehabt haben wird. Nattlrlich entbehrte er des reicheren
Schmucks der erst später reif gewordenen Baum- und Ilülsen-
frtlchte, im tlbrigcn entspricht er deutlich der Eiresione der Pya-
nepsien.
§. 3. Aetlologlsehe Legenden fiber den Ursprung der
Eiresione. Auf das nämliche Ergebuiß , das Vorhandensein der
Eiresione bei den Thargelien wie bei den Pyanepsien Itihrt die
Analyse der ätiologischen Sagen über den Ursprung der Eiresione.
Von diesen sind als solche, die nicht erst späterer Buchgelchr-
samkeit ihr Dasein verdanken, sondern aus lebendiger Kenntniß
des bestehenden Brauches flössen, zwei zu verzeichnen, welche
die Pyanepsicneiresione mit der athenischen Beschickung des deli-
schen Thargclienfcstes in Verbindung bringen.
Die erste derselben liegt scheinbar in dem aus Krates
(o. S. 220) erhaltenen Auszuge in ihrer einfachsten Form vor.
Als in AttiJca einst Miß wachs (d(fOQta) herrschte, hatten die
Athener in Folge eines Orakelspruchs dem Apoll den mit WoU-
bändem umwundenen Bittzweig (ly.eztjQia) aufgestellt. ^ Dieser
Erzäldumj liegt augenscli>einlich einsig und allein der Glaube zu
Grunde, daß die Eiresiojie Hungersnot, Mißivachs abwehre und
verhütCj als divaititg av^tjTiyiij ftir die nächste Ernte wirksam sei.
Aufßilligerwcise aber setzt das Etymol. Magnuni in dem
gleichlautenden Abschnitt des Artikels elgeoKuvt] (o. S. 220) den
Namen des Lykurgos an die Stelle des Krates. Das erklärt sich
vielleicht als Acnderung eines Glossators, welcher wahrnahm,
daß Lykurgos etwas Aelmliches ausgesagt hatte. Oder Krates
hatte den Lykurgos ausgeschrieben ^ und der dem Pausauias wie
demEtym. M. zu Grunde liegende Context citierte beide Gewährs-
männer neben einander. In letztcrem Falle aber wäre die
1) Vgl. liuof^ /'"C' ^V(7xtpl'i(2'TOi; (ii'tilty 6 »>*Os' Tng tfnfaioh'ftg tiqo
Tör th'Qm' xohuuoai. Scliol. Arist. Plat. 1054.
2) Dies ist die MeiuuDg Sauppe's. S. Bait. et Sauppe Orator. Att.
II, 272.
230 Kapitel lY. Erntemai und Maibanm in der antiken Welt
BeschränkuDg des Mißwachses auf Athen ungenau und auf die
Darstellung des Lykurgos nicht ganz zutreffend. Denn dieser
hatte zwar dieselbe Legende, aber in einer erweiterten und kllnst-
licher ausgebildeten Gestalt erzählt^ nach welcher die Hungers-
not nicht allein Attika, sondern die ganze bewohnte Erde betraf.
Die erwähnte Aeußerung lesen wir in den Fragmenten einer Rede,
durch welche Lykurgos seinen Feind Menesaichmos in Bezug auf
die alljährlich zu den Thargelieu nach Delos entsandte Theorie
der Gottlosigkeit anklagte. ^ Der Angeklagte verteidigte sich
mit der von den Alten gemeinhin ftir eine Ausarbeitung des Dei-
narch ausgegebenen, von Dionysios für ein eigenes Werk des
Menesaichmos erkannten Gegenrede nsQl Trjg J^lov ^HJiagy
welche anhub lycetevoinev vfnag xat u. s. w. Obwol der ganze Vor-
trag des Lykurg auf die delische Theorie und die delischen Hei-
ligttlmer abzielte, * nimmt unter den erhaltenen zehn Fragmen-
ten die Hälfte Bezug auf den uns beschäftigenden Gegenstand. '
1) S. Bocckh Erklärung einer attischen Urkunde über das Vermögen
des apollinischen Heiligtums auf Delos, S. 15 Anm. 4. Abhandl. d. Berl
Akad. d. W. 1834. Bait. et Sauppe Orat. Att. II, 270.
2) Cf. Sauppo a. a. 0.: etiam hoc patet, totam Lycurgi orationem ad sacra
Dcliaca pertinuisse.
3) Wir geben in Folgendem eine Zusammenstellung dieser Bruchstucke,
insoweit des Lykurgos eigene Worte erhalten sind, in der Ordnung, welche
sie uns im Zusammenhango der Rede gehabt zu haben scheinen. 1) ^irikia-
aral ol tig JfiXov d^aoQoC' AvxoOQyog xtira Ahveatti^^uov. Harpokr. 2) ^/i'-
xoi'oyog 6 (n]Tü)n u^uvrjrat tov l^fiuoifSog (v tu) xarä Ahnani/fiov Xoyot k^ytar^
Oll XiuoO ytvou^vov h' roi^g ^YntoßoQ^oig ijl(her 6 ^ü^ßnQig Iv rg *£^kudt xm
^uaih'ßivaf TtpjinolXurvr xal ^^nhc/f^rj TiaQ' kvtoO t6 /ofiauoloyeTr. xai
ovTM xodTtüv To ß^Xog d)g ovußoXov ToO llnoXXfOvog {ro^oTrjg yicQ ourog 6 O^eog)
7ni)ifiti /QriafxoXoytbv nüaav ttjv ^EXXd^a. Eudocia Viel. p. 20. Sch<d. Gre-
gor. Nazianz. in catal. bibl. Bodleianae p. 51. 'lißanig Övoua xiQior. XoiuoC
J^ (fttai X(CT(t Tifiaap rrp' oixoi'ft^rr]i' yfyororog uvfi^Xtv 6 lAnoXXtav ftnrtfvch-
/iitvoig"EXXi]ai xat ßnoßctooig tov l-l'hji'(t((üv ^fjuov vTTfo ndiiMV kv)(ag Tioiu-
a!Hii. 7i{)taß^vo{xtv(t)v öt noXXtbv ^OvioP Tiobg ccrjoug xai ^l^ßccQir ^^ 'Ynifoßo-
o^MV 7Z(»6fT/?ftTf/j' (HfixhGihii X^orötp. Harpokr. 3) ,ivxovny6g (frfair fr tu
xara j\Urtc((d/uov „Kai yuo vOv noXXag xal utydXag vuTv Tiiing oiffiXm.
xa\ u]Xut nana näatv '[EXXfjCfi uavTfivoutvoig tuv .1(a 7iuor]noaiar noit]o€ta\Hti.
Suid. V. TiQorjQoaia. Sauppc's wahrscheinliche Verbesscruug dieser verdorbe-
nen Stelle lautet: Aa) yao ti-v noXXag xa\ fifydXag vuir nuicg dtff/iorair
[^^ oi' tiot'] avtiXfj' d i'Hög arraotr "JCXXjjai uarifvouivoig tch' tTfjttor noor^-
Qoaia non]aaaiHit [ttj ^hjoi' vnlo anarrtov]. 4) tiofaitovi]. ^ivxovir^'og d^ tfr,-
aiv, affjOQfag ytvofiirrjg li(hrjvaioig tovto (die Umtragung der Eiresione) A71-
Aetiologisclie Legenden über den ürsprnng der Eiresione. 231
Der Zasammenhang der von Lykurgos vorgebrachten Legende
scheint danach der folgende gewesen zu sein. Ueber die ganze
Welt war eine Hungersnot oder Pest hereingebrochen. Durch
dieselbe aus seinem Vaterlande vertrieben kam der Hypcrboräer
Abaris nach Griechenland, lernte vom Apollo die Weissagung
und reiste umher; durch seinen Mund erteilte der Gott den ihn
befragenden Barbaren und Hellenen die Antwort, die Plage werde
anfhr^ren, w^enn die Athener itir alle ein Vorpflügcopfcr {fj TtQor^-
goaia) darbrUchten. Dies geschah und das Uebcl nahm ein Ende.
Daher, d. h, weil die Athener die Procrosia darbrachten, (in
Nachahmung dessen) bringen die Athener noch jetzt das Opfer zur
Abwehr des Hungers, der Pest, indem sie die mit allen Früchten
behangene Eiresione aufpflanzen. Dieses Fest nannten die Hellenen
Panopsia, weil sie alle Frtlchte mit Augen sahen, die Athener
sagen daltlr Pyanepsia. Für ihre Tat schulden die Hellenen den
Athenern große Ehren und deshalb senden (oder sandten) sie als
Dank die Erstlinge aller Früchte nach Attika.
Die zweite Legende, als deren älteren Aufzeichner wir ver-
mutlich Philochoros bezeichnen dürfen (s. o. S. 2110? konmit uns
zur Anschauung durch Combination des Lexicographen Pausanias
Tbltaihf^vni xitiu XQrjaiiöv olov ixfTt^otccg. Etym. Magn. p. 303, 34. Cf. Anecd.
Oxon. Craineri II, p. 436. 5) Uvuroxhui. ^iv/.uvnyog h rw y.mii Ahviaici/fiov'
Xitl tjtitTg IlL'avoijjicc T(tiTi]V ifii' hooiiiv XftXoNifr y oi «V rY/./.or ^'jjJ.tivti; IJav-
o^fjia, f)Ti rrdvrag *?Jo»' rovg xnonoig rff öiIju. Harpokr. Hiemit vgl. man
Schol. Aristoph. Equ. 729: JJod ^f tmv Ornidv laräaiv avrr]v (sc. stnfoion'rjv)
fia^Ti xtci vOv. TtotoOoi (ft ToOro xaiä THUAUor rt /orjaTtjoiov' ui ulv yä(>
ifaati' int Xifiov^ ol 61 Ihi xai Xoiuov Trjv 'jtCiauv xdTUG/ovTug oixovii^VYi\\
^Qtatt^j'on' jiva äv jQOJior .ntvamro to J^n'or, jiiV Ivoiy rtcvrr}]' 6 Tlv'hiog
^ utcvT ti'a ((7 Oj ti Ji(}oi]o6aior v,ito ujiuvtmv Al}i]V(iioi i^vanKV' ^vcfih'Ton' ovv
T(orl'f*hivttto}v 70 dfiyor ^/KcrdtcTa. x(u ol'iiog löamo y(ini(fTi]mor ot Timta-
^6&(r TOtg \4*hirtt(oig ^fikUTJov tmv xanjitor «./«'jTwr rng (t:mn/tig. Sie cf^
xtuZ-lßaod' fficai tov^ Ynfo,3omior ^/.ihirr« '/fwoor ffg TifV^rAXiiöa.lint'dXdyvi ^tj-
Tf taai xfc) oi'iM avyyituifmt j<ii<g/otjauovg lotv vrv JioognyooH'oiiiii'ovg ^{idoi&og.
ot>iv efotit rii\ /y7Ar Jfcr (crirfiioat tov xXu^ov, Xhyovai kcOkcj li^i()fanari] avxa (f/-
Qfi etc. — Cf. Schul. Arist. Plut. 1054: lOitcour i)'*- (cviuv {xXäöov tXu(ag) nno
ttav /hvoiov xnjd naXutov yoi]nn]ni(n'' oi ulr yuo t/ccaiv, on Xiuoi), oi cTt
xnl ÜTt Xoiuov ;rn(T(tv rifV yTjV xttma/nvTog o thkog tJne nQorjtuKTfttV Tfi .1i]oT
vnto itn (iiiMV ^f-i'Gf ci Oralav .Hhjvtttorg. av frfxcc/ani(TTijoi(t TUtiiayo-
(Hv ix/iiunoraiv l^Ot'i^'aCf tüjv xaonutr dnao/iig noug ditoTooirifV tov Xoiuoü.
ThXuTtu Jt ii Ovatu lii'tn 7ia()u zwr thu^mv Tvjr Afhiralviv. Cf. auch Suif'
s. rJiiiOtwvii.
232 Kapitel IV. Erntemai uud Maibaam in der antiken Welt.
(o. S. 220) mit Plutarchs Theseus (o. S. 220). Als sich Theseus
mit den zum Opfer des Minotaurus bestimmten Jünglingen und
Jungfrauen nach Kreta einschiffen wollte, brachte er flir sie alle
einen Bittzweig {IxeTj^Qiä), d. h. einen mit weißer Wolle amwon-
denen Zweig des heiligen Burgölbaums im Tempel des Apollo
Delphinios dar, sprach ein Gebet und stach am sechsten des Mo-
nats Munychion, an welchem es in historischer Zeit Sitte war,
Mädchen in den Tempel des Delphinios zu entsenden, in See.
Nach Pausanias wurde er sodann auf der Hinreise nach Kreta
durch einen Sturm an die Küste von Delos verschlagen und
gelobte hier, wenn er den Minotauros tödte und gerettet werde,
dem Apollo einen Oelzweig zu schmücken und darzubringen.
Plutarch läßt erst auf der glückhaften Heimreise die Landung des
Theseus auf Dclos vor sich gehen, wo er Reigentänze um den
Altar des Gottes und Kampfspielc stillet (cf. Pollux IV, lOl)-
Bei der Wiederkehr nach Athen am 7, Pyanepsion weihte er dem
Apoll das bei der Abreise Gelobte, indem er neben den Chytren
(0. S. 227) die Eiresione dahertrug, einen Oelzweig, welcher, wie
damals der Bittzweig, mit Wolle umwunden, jetzt zugleich mit
allerlei Fruchterstlingen behängen war. An demselben Tage
(7. PyaDcpsion) — Plutarch sagt Thes. 3G irrtümlich am 8., wie
A. Momniscu Heortol. richtig zu bemerken scheint — fand im
Theseion ein feierliches Opfer zum Andenken an Theseus Rück-
kehr aus Kreta statt.
Beide Legenden haben das Gemeinsame, daß sie die Umtra-
gung der Eiresione am Pyanepsienfeste in Parallelismus stellen
mit der Uebcrführuug von Erstlingsgarben aus Attika und Um-
gegend zum Thargelienfeste auf Delos, und legen dadurch ein
indirektes Zeugniß dafür ab, daß Eircsionen, mit Wolle (und
Früchten?) geschmückte Baumzweige Begleiter der dem Apoll
übersandten Erntehündel waren. Um diese .auf den ersten Blick
vielleicht befremdlichen Behauptungen zu erweisen und in helles
Licht zu stellen, dürfte es erforderlich sein, einiges Nähere über
die delische Theorie und die mit ihr verbundene Hyperboräcrsagc
vorauszuscliicken.
Am (). oder 7. Thargelion, also zur nämlichen Zeit wie zu
Athen das Früherntefest der Thargclien, fand auf Delos zu Ehren
des ApoUon die Feier der Delien statt, welche seit der Reform
im Jahre 426 v. Chr. in besonders großartiger Weise mit gymni-
Aetiologbche Legenden über den Unprong der Eircsione. 233
sehen und musischen Wettkämpfen alle vier Jahre, in kleinerem
Maßstäbe alljährlich von den zu einer Amphiktyonie vereinigten
Bewohnern der Kykladen begangen wurde. Diese Amphiktyonie,
die nächste Nachfolgerin des großen attischen Seebundes, war
eine zeitgemäße Erneuerung einer ins Dunkel der Vorzeit hinaui-
reichenden religiös - politischen Vereinigung aller meeranwohnen-
den lonier aui* europäischem und asiatischem Boden. Schon sie
hatten das kleine öde Eiland zum Schauplatze einer von zahl-
reichen Teilnehmern und Zuschauem, darunter Frauen und Ean-
dem, besuchten Festfeier gemacht^ (vgl. Bk, 598), in welcher
bereits das Schaugepränge neu hinzugefügter Stücke, wetteifern-
der orchestischer, gymnischer und musischer Aufführungen und
Kämpfe den nur als Teil der heiligen Begehungen festgehaltenen
ursprünglichen, vielleicht schon aus einer vorionischen Periode
her an diesem Orte haftenden Kern der Kultushandlung tiber-
wucherte. * Noch mehr tand dies bcgreillicherweise in der neuen
Epoche unter Athens glänzendem Protektorat statt; aber selbst
in die reformierte Gestalt des Festes vom Jahre 426 wurde
augenscheinlich der älteste religiöse Festbrauch mit herüber-
genonmien.
Alljährlich gingen von Seiten der teilnehmenden Staaten
amtliche Gesandtschaften (Theorien) zum Feste nach Delos ab,
welche die Weihgeschenkc , Opfer, das wol eingeübte Personal
der von Staatswegen dargestellten Männer- oder Frauenchöre
hinübergeleiteten. Von Athen aus diente im fünften und vierten
Jahrhundert v. Chr. zu diesem heiligen Zwecke die Triere Delias
oder Theoris, welche immer wieder ausgeflickt bis auf die Zeit
des Demetrios von Phaleros (um 309 v. Chr.) sich erhielt. Schon
zu Sokrates Zeit galt sie für das Schiff, auf (lern TJieseus mit
den Opfern des Minotauros nach Kreta fahrend in Delos gelan-
det sei, und für den Fall der Bettung dem Apoll eine jährliche
Theorie zu senden gelobt habe. ^ Unzweifelhaft auf dieser heiligen
Triere wurden — und dies war einer jener vorerwähnten uralten
Kultusbräuche — neben Chortänzern und sonstigem Festpersonal,
sowie neben anderen Weihgeschenken, Erstlinge der Ernte ein-
1) V^l. Böckh C. J. I, p. 250.
2) Hymu. Ilom. in Apoll. UG ff. Tliucyd. III, 104.
3) Plutarcü Thob. 23. Piaton. Phacdou iuit.
234 Kapitel IV. Ernteroai tuid Maibanm in der antiken Welt.
geschiflPt,^ dergleichen sämmtliche Festteilnebmer auch anders-
woher einsandten. * In die erstgeschnittenen Garben waren z. T.
auch Gaben anderer ÄH, Opfer für den Gott, der Art eifigcbun-
den, daß sie von den Halmen ganz verhüllt wurden, ^ Offenbar
wnrden diese heiligen Fmchtsendongen nicht sämmtlich in natura
dem Altare des Gottes zngefllhrt, sondern statt aller wurden
einige Garben vor Apollon in einem alle Amphiktyonen stellver-
tretenden Festzage gebracht, dessen altüberlieferter Brauch die
Veranlassung zur bertthmten Sage von den Hyperboreern gewor-
den ist, welche schon über die Zeit des Hekatäus und Hesiod
hinaufreicht* Das bei diesem Festzuge funktionierende Personal
bestand (falls hier mit gleichem Rechte, wie in hundert ähnlichen
Fällen ein Rückschluß aus der ätiologischen heiligen Legende
der Delier bei Herodot IV, 33 erlaubt ist) aus zwei Frauen und
fünf Männern , Perpherees (7T€Qq>€Q€€g) genannt ^ und öfter als
Garbenträger {anaXXocpoQoi ^ ovXocpoqoi) bezeichnet. * Flöten,
Syringen und Cithern begleiteten ihren Gesang. ' Diese sieben
Personen stellten mit verhältnißmäßig sehr getreuer Bewahrung
des Alten — wie denn der Kultus überhaupt in seinen wichtig-
1) Vgl. A. Moininscn lleortol. 402, zumal Anm. * u. **, wo mit Wahr-
scheinlichkeit nachgewiesen wird, daß am 6. Munychion die Prymna der Do-
lias im Phaleroshafon zur Ahfahrt hekränzt wurde, die Ahfahrt aber erst
erfolgte, sobald die Erstlinge des Emtcscgcns wirklich da waren; dann erst
wird sie dieselben zu Prasiä an Bord genommen haben, üeber die Orientie-
rung des Thargelionfestes im Kalender und dessen Stellung zum tatsächlichen
Eintritt der Ernte s. A. Mommscn Heortologic 98. 99. 402. Ebenders. Griech.
Jahreszeiten S. 54.
2) Kallimach. Hymn. in Del. 278: aiufitxtig i^fxajrjtfÖQoi alh ch7«o/«i
TT^UnOVTUI.
3) Pausan. Descr. Graec. lug iVf nnan/ag xtxni'y'hai ^tv h' x(Utcu>j
TTVQ&v , yiv(ü<Txfafhci öi rn^ or^n'o)v- Herod. IV, 33:] inä h'tSf<hu^i'fc /r .ti«-
^1^ XKlitfUtJ.
4) Vgl. Stein zu Herod. IV, 33. Ukert Geogr. d. Griech. u. R. III, 2,
S. 393—406. 0. Müller Dorier I», 267—281.
5) Herod. IV, 33: n^fxxl'ftt ff>iooia«g r« !na 6ro xov()itg .... r«<i« St
(cvT^ai . . . TT^VTf Tiounovg, tovTovg Oi vir IJi-offt(ttfg xaX^ovj«! , riuag uf-
yälag Iv JrjXo) f/ovTfg. Vgl. Stein zu dieser Stelle.
6) Porphyr, de abstin. II, 19. Servius Verg. Aen. XI, 858.
7) Tu l^ 'Yntoßoo^ioi' iton un^ avkatv xm avQiyyojv x iti xi(Hi{tag
ffg r//j' Jt)l6i tfjttai lo jialaibv arMtoO^Ki. Plntarch. Mor. 1136.
Aetiologische Legenden über den Ursprung der Eiresione. 235
sten Stücken sehr conscrvativ zu sein pflegt — das Bild der
Erntezüge dar, welche in alter Zeit von den Inseln resp. den
Küstenlandschaften des Festlandes h^r die Erstlingsgarben nach
Delos überführten. Perpherees nämlich ist eine äolisierende Neben-
form ftlr v7r€Qq:>€Q€€g j Hertiberbringer , da tv^q im Aeolischen =
v7t€Q gesetzt wird. * Daneben scheint ehedem eine zweite Form
dieses Amtsnamens Hyperboroi {vniQßoQOi) oder Hyperberetai
{vTtBQßeqlTai) bestanden zu haben, welche sich aus Analogie der
im Makedonischen häufigen Vertauschung von qp und ß als iTtiq-
(poQoi^ v7tEQ(p^qhaL erklärt und durch den Monatsnamen vTteqße-
Qeralog für den Monat des Herbstemtefestes (September) in Make-
donien, und der Frühemte (Mai, später nach Verrtickung des
Kalenders um zwei Monate, Juli) auf Kreta wesentliche Unter-
stützung erhält. Zu solchen Vermutungen berechtigt die Fiction
der heiligen Sage von Delos, jene Garben sammt ihrem Einschluß
seien Gaben eines im hohen Norden jenseits des Boreas in seli-
gem Glück und Frieden lebenden, dem ApoUon immerdar zur
Kithara heilige Lieder singenden Volkes, der Hyperboreer, welche
die Getreideerstlinge anfangs durch eine Gesandtschaft der oben
beschriebenen Art überbracht hätten, jetzt aber von Stamm zu
Stamm über Dodona, den malischen Meerbusen in Südthessalien,
Karystos auf Euboea und die Kykladcninscl Tenos nach Delos
weitergäben. Natürlich spielt hier einerseits ein etymologisches
Mißverständnis des Wortes Hyperboreer mit; zu Grunde liegt
aber andererseits unzweifelhaft auch noch ein historisches Factum,
welches wir uns etwa der Art zu denken haben werden, daß der
ionischen Kultgenossenschaft eine ältere äolisch-achäische vom
pagasäischen oder malischen Meerbusen ausgegangene der Zeit
nach voraufgeschritten war, welche das kleine, wüste und men-
schenleere Eiland von Delos wegen seiner Unberührtheit vom
alltäglichen Menschengetriebe (vgl. Bk. 598) zur Statte ihres
Apollodienstes gewählt hatte, oder daß zur Festfeier der lonier
auch thessalischc Griechen, vielleicht angeregt durch Verwandte
auf Tenos, zu irgend einer Zeit Festtheorien zu entsenden ver-
anlaßt wurden, die in ilirer Sprache mit Makedonen verwandt
von dieser Sendung den Namen ihres Erntemonats entlehnten
und denselben weiter nach Makedonien hinein verbreiteten, wie
1) Ahrens Biall. I, 151.
236 Kapitel IV. Erntemai und Maibaain in der antiken Welt.
er andererseits über Delos nach Kreta gelangte. ^ Seit sie die
politische Führerschaft des ionischen Bandes an sich nahmen, zur
Zeit des großen Seebundes und später der delischen Amphiktyonie
haben die Athener Brauch und Legende im Interesse ihrer Stel-
lung umgewandelt. Einerseits setzten sie durch, daß sie von ver-
schiedenen Seiten [zumal wol von asiatischen Kolonien griechi-
schen Stammes, welche seit der Not der Ferserkriege sich
beeiferten, Kolonien Athens zu heißen], wie den zur delischen
Bnndeskasse einzuzahlenden Geldbeitrag, so auch die einzuliefern-
den Erstlingsgarben zur Ablieferung nach Delos erhielten, welche
dann die delische Theorie zu Frasiä an Bord nahm. Andererseits
entnahmen sie aus dieser Tatsache in prahlerischer Uebertreibung
die Behauptung, aus der ganzen Welt Ehiteerstlinge zu empfan-
gen, und die Bezeichnung fitjTQOTtolig tüv TLagitiov ttir ihre Stadt,
sowie die Fiction, die Garbenerstlinge der Hyperboräer gelangten
durch Yemiittelung der Arimaspen, Issedonen und Skythen nach
Sinope in Pontes und von da nach Prasiä. * Auch nach dem
Apolloheiligtum in Delphi sandten weit entfernte Städte die Erst-
linge ihrer Ernte, Metapont, Myrine, Pantikapaeum, ApoUonia
symbolisch in Gestalt goldener Aehren {xQ^aovv d^iqog)] andere
goldene Rettige, silberne Beete (betae) , bleierne Rüben, * während
ursprünglich solche Weihung in naturellen Früchten am nächst-
gelegenen ApoUohciligtum der Heimat vor sich ging. Auf einem
Candclaberfuß siebt man z. B. Apollon, einen Priester und ein
Weib, das drei Äehreti darbringt* (vgl. die drei Achrvn
ßk. 209 fif.). Jene Rettige, Beete und Rüben entsprechen den an
die Eiresionc befestigten Gemüsen (o. S. 224), und wie die letz-
tere in Athen vor der Tür des Apollotempels befestigt wurde,
heftete man in Delphi die Ernteerstlinge an die heiligen Tür-
pfosten und eine hohe Säule. ^ Nach Delos also wurden als
1) lieber alles dieses vgl. AliroDs im Rhein. Mus. XVII, 18G2, 8. 840
bis 342. 0. Müller Dorior I, S. 202. 272. Welckcr Gr. Götterl. IT, 352.
Bnrsian Gr. Geogr. II, S. 454.
2) Pausan. Descr. Gr. I, 31, 2. Vgl. BursianGr. Geogr. I, 351. Momiu-
sen Heortologie 8. 50. 218. 402.
3) Strabo VI, p. 205. Plut-arch de P}i,h. orac. 6. Pliii. IL N. XIX, «(>•
4) Annal. d. Inst, arcli. XXII, 59. Tav. B. D.
5) Clem. Alei. Strom. IV, 24 §. 164 p. 149. Pott. tUXä xn\ n r»;r lU-
QMndtr noit]a«^ iarooti lo h' Jkhfoig üyiO.un ^Anulltavog xfavn tina cf/«
Aetiologische Legenden über den Ursprung der Eircsionc. 237
äna^ai volle Garben von weiterher geliefert, welche zum grö-
ßeren Teile in den Vorratskammern der Priesterschaft aufgespei-
chert und in einigen wenigen stellvertretenden Exemplaren {vneQ
TrdvTwv) durch die Pompe der Perpherees vor den Altar des
Gottes selbst gebracht werden mochten. Was es aber mit den
in die Halme eingebundenen Opfergaben (ieQo) o. S. 234 auf sich
habe, welche Welcker wunderlicherweise fllr samländischen Bern-
stein erklären wollte , * lehrt auf das deutlichste die Vergleichung
nordeuropäischer Erntefeste. Es wird nämlich in außerordentlich
zahlreichen Fällen noch jetzt ein Mensch * oder ein Tier , * oder
ein Ei (Osterei) und Brod (Bk. 158) in die erste oder letzte
Garbe des Aehrenschnitts als Vertreter des Wachstumsgeistes,
hineingebunden. Im griechischen und italischen Brauche spielt
aber die erste Garbe der Ernte die Rolle, welche in Nord-
europa gemeinhin der letzten zufällt. Unzweifelhaft waren auch
die in Weizengar])en eingebundenen Opfergaben des delischen
Erntefestes von gleicher Art; Herüberbringer (7teQq)€Qe€g, vnBQßo-
eteg) hießen ursprünglich die Festgesandten, welche sie von den
Kykladen oder vom Festlande über das Meer zum Inselheilig-
tume von Delos geleiteten; ihr Name haftete später im Ganzen
des ausgebildeten Festgepränges an den Personen, welche eine
Auswahl in Prozession dem Altare des Gottes zuführten. Diese
Prozession bildete aber nur den Emtezug nach, der anfänglich
wol in jedem Dorfc bei Einbringung der zuerst geschnittenen
Garbe (des Praemetium) gebräuchlich war. Bei Gelegenheit einer
in Zukunft zu veröffentlichenden Untersuchung werde ich nach-
weisen können, daß auch noch andere Stücke des delischen Fest-
gebrauchs auf alter, einfacher, dorflicher Emtefcier beruhen.
Die Delien waren demnach ihrem Ilauptcharacter nach
nichts anderes als die Thargelien; sie waren das auf einen
ajui^fxCiv hx ^tcif-iüiv xai xiovog i'i//ij>loro.
C)f. ux{iotHvttt (d Ttjr h'utvaittCtov xitonuir icn(C()/a(. Suld. ux{ioi^Cviov U7i(((i/ii
x(Wii(bv . . uxnoihhiuY u^mo^i] rtbv ihrür. htv(<; J* tia\v ol acjQol ruiv nv-
ittov 1} xQi'ktity. ff nüau «/7«(j»;^/;. Hosycli.
1) Gr. Götterl. II, 354.
2; So S. ir>4. S. 173. Vgl. Bk. 215. Gll. Komdänioupii S. 34.
S) S. 0. Korii(Iäinon(>n 15. *
238 K^apitel IV. Erntemai und Maibaum in der antiken Welt
bestimmten Jahrestag fixierte Frilhemtefest , und selbst die
darüber hinausgehenden Zutaten der ionischen Periode hatten die
HauptzUge nicht verwischen können. Erst die Zeit der atheni-
schen Hegemonie nach den Perserkriegen kann die Umdeutong
des Festes und seiner Bräuche in eine historische Erinnerung an
die Erlebnisse des attischen Nationalhelden Theseus unternommen
und ; so gut als möglich , durchgefiUhrt haben. ^
Kehren wir nach dieser Abschweifung mit der nun gewon-
nenen Ausbeute an neuen Gesichtspunkten zu der o. S. 232 unter-
brochenen Erörterung zurück, so finden wir uns zu dem Nach-
weise ausgerüstet, daß in der Tat beide Legenden, wie wir
behaupteten, die Entstehung der Pyanepsien zu der Theorie nach
*Delos in Beziehung bringen. Denn die Erstlinge aus aller Welt,
welche als Dank nach Athen gesandt werden (o. S. 231), sind
eben nichts anderes als die Weihegaben zu den delischen Thar-
gellen ; von einer Sendung der a/rag^ai zu einer anderen Zeit, zu-
mal zum Pyanepsienfest, weiß keine Quelle etwas ; und folgerich-
tig können auch die auf Geheiß des Hyperboreers Abaris iUr alle
Welt dargebrachten Vorpflügeopfer (fCQorjQoaia) ^ welche einerseits
als widerholende Fortsetzung die Pyanepsieneiresione veranlaßt,
andererseits als dankbare Erwiederung (xa^farij^ta) die allseitige
Versendung der Erstlingsgarben nach Attika hervorgerufen haben
sollen, in diesem Zusammenhange nichts anderes bedeuten als
eben die am Pyanepsienfest unmittelbar vor dem Beginn der Saat-
zeit geschehene Aufpflanzung der fruchtbehangenen Oelzweige,
da sie ebenso gut wie als Dank für die vollbrachte diesjährige
Ernte als ein boni ominis causa dargebrachtes Bittopfer flir die
künftige aufgefaßt werden durften.
1) Die historische Anknüpfung der delischen Heiligtümer an Athen zum
Erweise eines uralten Anrechts der Athener an die Verwaltung derselben ver-
snchte man damals durch mannigfache Fictionen. Phanodemos iui zweiten
Buche seiner Attlüs erzählte , daß schon Krysichthon , der Sohn des KokTOps,
nach l)elos fulir, daselbst den Apollotempel gründete und von dort das Bild
der Von den Hyperboreern nach Delos gekommenen Eileithyia nach Attika
brachte (Euseb. Canon, p. 497. Athen IX, 392 D.). An der Al)fabrtsstation
der Hyperboreererstlinge zu Prasiä (o. S. 236) zeigte man Erysichthons Grab-
mal i^Pausau. I, 18, 5. 31, 2). Die dem Deinarchos zugeschriebene Bede
Jrihaxoi; l6yo<; machte Anius, (h'U delischen König zur Zeit des Trojaiier-
krieges, zum Enkel des Theseus. Vgl. Bot'ckh über e. att. Urk. S. 15. Abb.
d. Berl. Akad. 1834.
Aetiologische Legenden über den Ursprang der Eiresione. 239
Die Darbringung der Eiresione wird mehrfach als dvaia
bezeichnet (o. S. 231). Es liegt somit nahe zu vermuten, daß
Proerosia (d. h. das der Pflügung voraufgehende Fest) überhaupt
nur eine andere gelegentliche Bezeichnung für die unmittelbar
vor der Wintersaatzeit eintretende, sonst und zumal offiziell Pya-
nepsia genannte Feier, die Eiresionen das von den Lexicographen
erwähnte, fllr alle an Hungersnot und Pest leidenden Völker
dargebrachte Fruchtopfer 7tq6 tov uqoiov waren. ^ Denn auch
1) n{iori{ioaiai «i ;t(>ü tov uqotqov yiroutvai ikvaiai jiiQi t&v fifklav^
Twv fafo&tti xuimiovy üait xtliatfo^ttToxyM. Suid. — Mit obiger Annahme
stimmt auch der den Proerosien vom ältesten Atthidenschroiber Kleidemos
(oder Kleitodemos um 380 v. Chr.) bei Stephanos s. v. ji^orinoaia den Proe-
rosien beigelegte Name Proarkturia wol ftberein, da das Pyanepsicnfest in
die letzte Hälfte des Oetobers fiel, der heliakische Untergang des Arktur in
das Ende dieses Monats (vgl. Mommsen Heortol. 77). Merkwürdiger Weise hat
man die richtige Erklärung der Proerosien bisher gänzlich verkannt und in
Urnen ein eigenes Fest gesucht. Der Irrtum entstand durch die uu bewiesene,
ja sicher falsche Conjectur, daß die Proerosien mit den drei heiligen Pflü-
gungen der Athener ("Rinck Gr. R. IT, p. 180 n. 9: Mommsen Heort. 76) oder
mit einer derselben (Hermann G. A. 56, 28) zusammenfielen. Sie waren ja
aber ihrem Namen nach ein der Pflügung voraufgehendes Fest, nicht ein Fest
der Vorpflügung selbst. Dieser Grundirrtum verleitete zu den geschraubte-
sten Annahmen. Nach Mommsen a. a. 0. 218 ist die Eiresione ein dem Apoll
dargebrachter Dank, weil der Gott in allgemeiner Not Proerosien angeraten
babe; an den letzteren nämlich wurden aus aller Welt eingesandte Aparchai
von den Athenern für alle geopfert. Als dankenswerte Sache aber mußten
die Proerosienopfer dem Erntedankf(>st der Eiresione im Kalender der Eire-
sione vorausgehn. Grade das Gegenteil von dieser Mommsenschen Aufstel-
lung sagt die Ucberlieferung (o. 8. 231). Die Athener stellen die Eiresionen
vor die Türen als Wiederholung dessen, was ehedem nach Befehl des Orakel-
sprucrhs geschah; diese sind also die dankenswerte Sache, die Proerosien,
welche der Gott für alle zu opfern befahl. Die xitQiarTJota aber bestehen aus
den von aller Welt [zur Weiterbeförderung nach Dolos o. S. 233 ff.] gesandten
änttoxai. C. Th. Anton (mos hieme expulsa aestatem salutandi. Gorlicii
1840, II, p. 12 0".) sieht zwar richtig, daß die Eiresione an den Proerosien im
Umzüge dahergetragen wurdo, hält aber irrigerweise mit Ilgen (Opusc. var.
phil. I, 13G — 139) die Angaben des Plutarch von Aufpflanzung derselben am
Pyanepsienfeste für unzuverlässig. Auch Preller »Dem. u. Perseph. S. 295), der
die Proerosien als einzelnen Akt mit den großen Eleusinien verbinden möchte,
täuscht sich, wenn or meint, daß an diesen das von unseren Quellen gemeinte
Opfer von Erstlingsgarben aus aller Welt dargebracht sei. Eine derselben
(o. S. 231 1 sagt zwar, es habe der Deo (Demeter) gegolten. Es lag aber nahe,
trotzdem die Feier hauptsächlich dun Apollo anging, daneben auch wie
der Hören (o. 8.217), so der Demeter dabei zu gedenken. Auch an den
J4M Kapitel IV. Erntemai und Maibanm in der antiken Welt.
d^ spricht ftir die Identität, daß nach Lykurgos die Eiresione,
wie die Proerosien, des Mißwachses wegen gestiftet sein soll
(o! S. 220. S. 230). Und so heißt es in der Tat in dem rhetor.
Lexic. Bekk. Anecd. 6r. 246, die Eiresione sei ein Bittzweig,
den man mit Hymnen von allen Volksstämmen dem Appllon
weihe, damit die Erde fruchtbar würde und die Früchte erschie-
nen. ' Von den Proerosien sprach auch Hypereides in seiner
i. J. 346 V. Chr. vor dem Amphiktyonenrate gehaltenen delischen
Rede (loyog JTjhaxdg)^ in welcher er das uralte Recht Athens
auf die Verwaltung des delischen Tempels siegreich erwies.*
Er wird so ziemlich dieselben Argumente ins Feld geführt haben
wie Lykurgos (o. S. 230), der ebenfalls die Proerosien und da-
neben Pyanepsien, Eiresione, Abaris in engem Zusammenhange
mit Delos und zwar mit der Thargelientheorie erwähnte. Augen-
scheinlich , um dfesen Zusammenhang glaublich zu machen , war
der Hyperboreer Abaris als Urheber des Proerosien -Pyanepsien-
festes in die Legende eingeführt. Ebenso augenscheinlich können
in diesem Zusammenhange die den Athenern für die erste Dar-
bringung des Proerosienopfers von Seiten der andern Hellenen
gebührenden großen Ehren schwerlich etwas anderes bedeuten,
als die Leitung der hyperboreischen Theorie. Der Zusatz javtipf
TTjv eoQTtjv zu dem offiziellen Namen des Festes Pyauopsia
(o. S. 231) weist auf eine vorausgehende Beschreibung desselben
unter anderer Bezeichnung zurück, und es ist klar, daß eben
TTQorjQoaia in dem Vorherigen diese Function erttillte. Wir
Thargolien wurde am 8. Thargclion zugleich der Demeter Chloe ein Scliaf
geopfert. So hat es deun auch nichts Auffallendes, daß [wie ich annehme,
am Pyanepsien- = Proerosientage , zehn Tage] nach den Eleusinien, ein
Stieropfer dargebracht wurde , das auf Ephebeninschriften einer sehr späten
Zeit unter dom Namen dfr Proerosia hinter den eleusinischeu Mysterieu-
opfem, also doch wol als eine in der Kalenderzeit darauf folgende Bege-
hung, vielleicht sehr jungen Ursprungs erwähnt wird (Ephemeris. 401>8, 8.
4104. Mommsen a. a. 0. 220. 77).
1) EiQfGi (ovrj xul Tiolhv ij xtav nvarixpCiov ioQTtj: iooTfjg öyoua xnl
txetrjQdc xnl vuroi ntivTMV tO-vOjv Ttodi l4n6lk(ora cf*« Trjv Trjg yfjg fvfTrioir.r
xa) Ji« rd Tfi Ö^l'fi rotV xno7iovg (fttrtjrtti. ;fAf<cyof ^Inift^ xul tfutfrrn nou
TuJv oixtibv TiMtfro<;, 7iAijo»;<; noXKav (bifftiur avuöiöiu^vMV. rovro ifl fy^rfTo
ini Tififj Ttüv i^füiv üajiio (\7Ta()/a<; XitußccvoiTMr. Vgl. auch Schol. Arist. Flut.
Cod. R^g.: li^Gaut loig l4ih. vnln nih'TMv xia Tuihriv ir/v f/(if(J/curiyi' tiMolriaur
oiovfl nuvTtüv rm' XKOiiüv unfw/tig.
2) S. Bait. et Sauppe Orat. Att. IT, 285 fr.
Aetiologische Legenden über den Ursprung der Eiresione. 241
gewinnen aus alledem die Gewißheit, daß Lykurgos die Pya-
nepsien und die Eiresionepompa zu der delischen Tliargelien-
pompa in Parallelismus setzte. Wie das weiter begründet wurde,
wie man die Weiterflilirung der Emteerstlinge von Athen nach
Delos motivierte, wissen wir nicht. Eine Andeutung aber gewährt
die von Diodor bewahrte Notiz, Abaris habe die alte Freundschaft
der Hyperboreer mit den Deliem erneuert. * — Sicherlich fanden
Lykurg und Hypereides die Legende bereits vor, da sie als
Beweisstttcke nicht Selbsterfimdenes vorbringen durften; dieselbe
reicht also sicher in den Anfang des vierten , wo nicht ins flinfte
Jahrhundert zurück. Die Erwähnung der Proerosien bei Kleito-
demos (o. S. 239) giebt zu der Vermutung Anlaß, daß schon bei
ihm davon die Rede war.
Noch deutlicher liegt die Parallelisierung der Pyanepsien und
delischen Thargclien in der an die Geschichte des Theseus
geknüpften anderen Legende (o. S. 219. 8.231) zu Tage, welche
vermutlich auf Philochoros zurückgeht, aber deren Entstehung
noch in das fünfte Jahrhundert zurückreicht, da bereits Plato im
Phaedon Hauptteile von ihr voraussetzt. In dieser Legende lie-
gen (vgl. S. 232) die behaupteten Beziehungen so auf der Hand,
daß ich darüber in weitere Auseinandersetzungen einzutreten nicht
für erforderlich halte. Beide Erzählungen, die wir kurzweg
und cum grano "tealis verstanden, als die Philoohoreische und
Lykurgische (o. S. 219. S. 232) unterscheiden wollen, setzen also
die Pyanepsien zu den Delieu in Beziehung, aber auf eine ganz
entgegengesetzte Weise. Während die letztere nämlich die herbst-
liche Eiresione als Zaubermittel faßt, welchem der durch reich-
liche Einsendung der Erstlinge bezeugte Segen der imThargelion
des nächsten Jahres zur Reife kommenden Ernte zu verdanken
sein wird , geht umgekehrt die von Philochoros verzeichnete Deu-
tung des Pyanepsienfcstes vom Standpunkte des Thargelienfestes
aus und läßt den mit geringem Fruchtschmuck auftretenden Oel-
zweig desselben (Thargelos o. S. 228, Eiresione vgl. Theophrast
o. S. 217, oder Hiketeria o. S. 228 Anm. 4) eine Verheißung des volle-
ren der herbstlichen Erntefeste sein. Wenn somit beide ätiolo-
gische Sagen von einander unabhängig sind, und dennoch über-
1) Diod. Sic. II, 47: 'ilgfciroig «^^ x(u fx rair 'Y7Uoßo()t(av "4ßa(}iv efg
riiV*r.ll(iS(i xaimTiiauriii tu jiukmöv avaadatu t»/1' 7i{}6g ^1r\X(ovi eüvoidv TB
x(tl avyyiviinv.
Mannhardt. II. 16
242 Kapitel IV. ErDtemai und Maibaum in 4er antiken Welt.
einstimmend die Herbsteiresione zu der Sendung von Garbenerst-
lingen nach Delos in Parallele stellen, so konnte das nur
geschehen, wenn die Aehnlichkeit der Feier der delischen
Thargelien und der attischen Pyanepsien auffallend groß war.
Nur weil sich dies in der Tat so verhielt, fühlte man sich ver-
anlaßt, die vom attischen Nationalstolze verlangte ZurüekfÜhrung
der seit den Perserkriegen von Athen geleiteten delischen Theo-
rie auf die Reise des Theseus nach Kreta auch auf die Pyanepsien
auszudehnen, in Folge dessen die Heimkehr der Geretteten auf
den 7. Pyanepsion zu verlegen, und aus der Ceremonie des Pya-
nepsien- oder Proerosienfestes die noch unbekannte Geschichte
dieses Vorgangs mit dem Schmucke neuerdichteten Details zu
beleben. Nach allem diesem wird der Vermutung nicht ausge-
wichen werden können, daß — wie die ümtragung der Pansper-
mie und der Eiresione im herbstlichen Erntedankfest verbunden
waren — so auch die Ponipa der Garbenerstlinge im Frühjahr
von einer derselben voraufgetragenen Eiresione (Thargelos, Hike-
teria) waJirscheinlich begleitet gewesen ist.
Uebrigens wurde an den Thargelien zu einzelnen Apollohei-
ligtümem Attikas wol eine Lorbeereiresionc statt des bekränzten
Oelbaumzweiges einhergetragen ; so in Phlye, und daneben wird
die Panspermic in einem heiligen Korbe statt in Töpfen (Chy-
tren) dahergeflihrt sein. Eine solche Lorbeereiresionc scheint
dann auch abwechselnd mit der Oelbaumeiresione oder neben
dieser die delische Garbensendung begleitet zu haben, oder einem
der zum Inselfestc abgeordneten Tanzchöre voraufgetragen
zu sein. ^
1) Vgl. Theophrast b. Athen. X, 24: taQ/oOrro J' ovrot nfQl idv toC-
Ajiollüjvog i'fibv loO ^IriKoVy t(üv ttqmtmv ÖVTfg riav Idthjvafatt' , xetl xitif-
fft'ojTO i/uiKTia rdiv f^rjoiäxuiv 6 dh AnokXtav ovtog iariv y ('i) r« f^«(>;'ijZ/«
nyovai , xal t^iaöojCfTUi 'Plvfiatv iv ko jfa(fvrj(fOQf{q) yQMpjf /leQi Tovrar.
Ueber diese Daphnephorie vgl. Biitticher Baumkult S. 390. Procl. ad Hesiod.
0. e. D. 7G7 : x«l uifhrivaToi xkvttiv (liir ^ßö6fxf]v) log uinokXan'iaxtfV tiuojoi
Snff vriffOQovvT e g xai xttvoOv iniaT^ifoiTig xtcl vuvovvjfg röv '>for. He-
sycb: KoQv'haKa öti(fvr\ fOKfif^^rTj' Tivlg ttji' fiQeffitovtjr, ä/J.oi J^
vn:€(}6()tor ^for (1. vneQßoQior x^-eTov). Aus welchem anderen Grunde, als
dem oben vermuteten kann der bindengeschmückte Lorbeer Eiresione oder
hyperboreischcs Hoiltum genannt sein? t>fTov ist nach Harpokr. v. ^totooi
technischer Ausdruck für die in Obhut der zu einem Feste abgeordneten
Theoren gestellten Heiltümer, die man in der Pompa cinhcrtnig. Cf. Her-
mann G. A. Ausg. 2. §. 31, 16.
Das psendohomcrische Eiresionelied. 243
§. 4. Das psendohomerlsehc Eiresionelied. In dem
angeblieh herodoteischen Leben Homers, einer Corapilation aus
der Mitte des zweiten Jahrhunderts der christlichen Aera , ^ ist
ans ein mit dem Namen der Eiresione bezeichnetes Volksliedchen
erhalten, welches zunächst wol dem Duris (324 v. Chr.), von
diesem des Eugeon samischen ^ßpot entnommen* sein wird, vor-
her aber lange Zeit ohne Namen des Verfassers von Mund zu
Mund getragen sein mag, bis man (gradeso wie ein ganz ähn-
liches Volkslied beim FrUhlingsumgang mit der Schwalbe auf
Rhodos in der Schrift des Theognis 7t€Qi twv iv T6d(fi dvaiwv
dem Kleobulos von Lindos zugewiesen war*) durch das hohe
Ansehen der Festdichtung und deren altertümliches Gepräge auf
den Einfall gebracht wurde, sie dem Homer zuzuschreiben. An
den Kaienden, oder den ersten Tagen (vovfa-viaig) eines Frtth-
lingsmonats wurde dieses Volkslied zu Ehren ApoUons von Kna-
ben gesungen, welche von Haus zu Haus vor den Türen der
Reichen sangen und Gaben dafür in Empfang nahmen. Hiemit
ist deutlich die am Anfange des Thargelion eintreffende apolli-
nische Festzeit bezeichnet. Ob die Knaben noch den mit dem
Stemma geschmückten Oliven- oder Lorbeerzweig in Händen
trugen, sagt unsere Quelle nicht. Die Nichterwähnung kann
durch Schuld der Excerptoren der ersten Niederschrift des Brau-
ches in zweiter, dritter Hand veranlaßt sein. Der Name Eire-
sione konnte aber auch geblieben sein, wenn nur die Gabenein-
sammlung fortdauerte, das umhergetragene Heiltum aber, um
dessen willen dieselbe geschah, in Abgang kam; ein Vorgang,
den ich bei anderer Gelegenheit mehrfach aus deutschen Früh-
lingsumgängen belegen werde, welche der Art nach jenen
gabeneinsammclnden Umzügen mit der Schwalbe oder Krähe als
symbolischen Vertretern des den Frühling herbeiflihrenden Numens
völlig gleichstehen. Jedesfalls hatte das lAcd einst durch Meto-
nymie von dem umhergetragenen Baumzweige den Namen Eire-
sione empfangen, genau sowie auch ^a^yjyAoc, jener andere Name
für letztere, auf den bei der Umtragung gesungenen Hymnus
1) Vgl. J. Schmidt de Hcrodotea quac fertur vita Homcri. 1875 p. 115.
2) Schmidt a. a. 0. 91 ff.
3) Athenaeus VIII, 860 B. Of. Schmidt a. a. 0. 89.
IG*
ä44 Kapitel IV. Erntemai nnd Maibaum in der antiken Welt
übergegangen war. * Dadurch aber unterschied sich der saoDusche
Brauch von der attischen und delischen Thargelien- and Pya-
nepsiensitte , daß in letzterer der glückliche Knabe die Eiresione
zum Apollotempel oder zum Hause des Gutsherrn, dessen die
Ernte war, brachte und sie hier vor der Tür aufipflanzte, dort
aber eine Compagnie armer barfüßiger Knaben den Segenszweig
bei verschiedenen Besitzern von Haus zu Haus trug.' Ursprüng-
lich geschah das in allem Ernste, um jede Haushaltung der
innewohnenden Segenskraft teilhaft zu machen, und man empfing
eine Gabe als Opfer für das dem Segenszweige immanente Numen,
wie sonst ftlr die Schwalbe , Krähe ^ u. s. w. ; mit der 2ieit war
der zur Spielerei hinabgesunkene Brauch zu einer bloßen Gele-
genheit geworden, Almosen zu erbetteln. Der Art nach vergleicht
sich von deutschen Bräuchen das in Prozession von Haus zu Hans
geschehende Inshausbringen des Mais in der Grafschaft Mark
(Bk. 162), das eine Abwandlung der Sitte ist, den eingeholten
Mai ohne solchen Umzug vor der Türe aufzupflanzen. * Der
Wortlaut des gesungenen Liedchens ergiebt, daß dieser Umzug
der wirklichen Einbringung der auf dem Felde ausgedroschenen
Ernte um kurze Frist voranging, deren fllUestrotzenden baldigen
Einzug anktlndigte, und die Hauswirtschaft derselben wie aller
mit ihr verbundenen leiblichen und geistigen Güter gewiß machen
sollte. V. 1 — 10 :
Hier nun stebn wir am Hanse des viel vermögenden Mannes,
Der gar Großes vermag und groß stäts rauschet in Vollem;
Dreht euch zurück, Türflügel, von selbst! Ein gehet ja
Plutos
Lastvoll; auch saramt Plutos des Frohsinns blühende Charis,
Und Fried-Hora mit Gut. An den Eand sei jedes Gefäß voll.
1) Kai ö O-aQyrjlog naQu Alikfjafotg i^öofiivri inl (fQovi^aii. Hesych.
2) Die Sänger vergleichen sich selbst mit den Chelidonisten V. 11 ff.
3) Vgl. Athen, a. a. 0. 359: xo(hüvti x^*Q^ JifwsJore xQid^^otr rfj nai&l
t' Anokltovog. . . . xal rfj xoqojvtj; naQd^^vog (p^Qti oOxa. 360: lA XfUötar
Xttl Xtxi&Cjav oi!X uTKüO^eTrat.
4) Vgl. auch : Zu Kirchohmfeld im Eichsfeld ziehen am zweiten Pfingst-
tag die Knaben in oder vor die Häuser, indem einer einen langen Stab
trägt, der bis auf die Mitte mit allerlei Blumen bedeckt ist. Vor
einem Hause angekommen schreien alle Knaben: „Eier! Eier! Eier! ein
ganzes Nest voll!'* und erhalten dann Eier und andere Gaben. Waldmann
Eichsfeld. Uebr. u. Sag. Heiligenstadt 1864 S. 9.
Das pseudohomerische £irc8ionelied. 245
Schwellend fließe der Teig, der eingerührte, vom Backtrog.
[Jetzo den Kuchen gebackt mit lieblichem Bildniß, von Gerste
Und mit Sesam bestreut!]
Siehe, die Grattin des Sohns wird bald auf den Wagen euch schreiten,
Kraftige Mäuler fahren sie her ins Haus, wo sie selbst nun
Webe den bemsteinglanzenden Tritt mit dem Fuße beschreitend.*
Auftun sollen sich die Türen des Hauses von selbst, denn Plutos,
der Dämon der Fülle, des Emtesegens, der Sohn der Demeter, *
wiü hinziehn, mit ihm die gute Eirene, die Höre des Friedens,
und die blühende Euphrosyne, die Charis des Frohsinns;* so
1) Herod. Vita Homer, und daraus Suidas s. v. ^O^^tog.
1 Jßt^n TiQoqtJQttnoittaO' itrSobg fi^yti SvrufAivoio,
^g fi^yn fih Svrnratj ^^yn Ji ßQ^f*^' tiXfiiog idtf.
niTtti ttvttxXh'ead-f di'^«/. 17 k oörog yä{i tanaiv
TTokk g, avv nXovjM dt x«l Ertf Qoavvi] TfO^aXvicc,
5 KiQtjvrj r' uyad^rj. oa« J' liyyeit, jueOTtt fihv tif},
xvQXttCrj [Suid.; xv(tßaCri Herod.] <f* attl xtaä xuqöohov tQTioi uuCn.
[vOv fÄtv XQtd^ttiriv tv(oni6n aTjafcuootatd']
Tov Tiftidog (Tf yvvr] xara ddfQnxK ßrjatrni ifUfiiVy
riuforoi J' ä^ovai xofaainoSfg fg rdJf SdfAtt'
10 «IT»/ rf' i'drov v<fuivoi />t' ijX^XTQO) ßf'ßavin.
i'€VfÄnt TOI, vtvfJLKi ^vuevatog, löan Xtlidtav.
'iGxi]x iv TTQO&vQoigy xlfiXög noöag' aXka f/V(/ «?i//«
TitnOfci TM jtnoXkoivi yvi(ixi6og
FA fA^v Ti ^iäatig' tl dt uri, ov/ ian^^ofitv
15 ov y«() avvoixrjaoyTfg h'O^ud' ijlO^o/uti'.
2) II).oüTog Fülle bezeichnet zunächst und in eigentlichstem Sinne den
Getreidesegen. Vgl. nloCTog' i} rwr antQudTMV ^nixuonia xa) fi navaniQfiCu,
Hosych. Der Getreidesegen , Plutos , als Person gedacht Sohn der Demeter.
Hesiod. Theog. 969. Heerdgenosso der Demeter und Köre. Hymn. Hom. in
Cerer. 488 ff. Im Gebote neben Demeter, Köre, Kalligen eia, Ge, Hermes
und den Chariten angerufen. Aristoi)h. Thesmophor. 295. üeber die gleiche
persönliche Bedeutung m unserem Eiresionelied s. J. H. Voss, Hymne an De-
meter, Heidelberg 1826 S. 147 ff. Ö. namentlich auch Mannhardt Korndämo-
nen S. 38. Da ich darauf bei anderer Gelegenheit in kurzem ausführlicher
zurückkomme, begnüge ich mich für jetzt mit diesen Nachweisen.
3) Hesiud Thoog. 902 nennt FAQr]vri TffhctXrTa als eine der Hören. Auf
dem Tholos des athenischen Marktes stand neben den Stammhelden (Epony-
mcn), nach welchen Klcisthenes die Phylon benannte, Eirene den Knaben
Plutos auf dem Arme tragend, ein Werk des Bildhauers Kephisodotos
(392—372 v. Chr.), Vaters des Praxiteles, welches Brunn in der Münchener Leu-
kothea wieder erkannt hat. Die Hören gelten als der Demeter verbunden,
246 Kapitel lY. Emtemai und Maibaum in der antiken Welt
reich möge der Emtesegen sein ; daß alle Gefäße sich füllen. ^
Nun wird neues Brod und Kuchen zum Erntefeste gebacken,' und
so groß sei die Fülle, daß der aufgehende Teig über den Band
des Backtrogs hinabfließe. Auf diese Verse folgt v. 8 — 10 , ein
anderes Stück, ^ welches an die den Herrschaften dargebrachten
sie selbst heißt im homor. Hymnns dtQrj(f6()og, sie wird mit den furchendoreh-
wandelnden Hören zugleich angerufen. Bei Aristophanes (Pax 1166) sagt der
Chor: „Ist die Frühfeige gereift, so kost' ich sie, so esse ich sie und singe
dabei: „0 liebe Hören!'' (Anfang eines Liedes). Der innige Zusammenbang
zwischen Becht und Frieden und ungestörtem Betrieb und Genuß des Acker-
baues ist der schöne Grundgedanke hiebei. „Den Sterblichen," sagte Bak-
chylides, der Hofgenosse Hioros, „gebiert die erhabene Eirene Reichtum und
die Blumen der honigstimmigen Gesänge. Vgl. Eallimachos ruft Demeter
an: q>^Q€ araxw, olae ^(QiOfioVy (p^Qß^ xal tiQavttv , tv* ^g äQoae Ti^vos
äjLtdari. Hymn. in Cor. 137 ff. Meineke. At nobis, Pax alma, veni, spicam-
que toneto. Tibull. I, 10, 67. Aw^/a . . rorg näatv av&Qtonoiaiv ElQtjviiSf
iflXr\g &öiX(fr^. Aristophan. Fragm. Meineke Fr. Com. II, p. 1065. dlßt-
^ÖTiiQav EiQipfijv, xovQOTQÖifov d^€uv. Eurlp. Bacch. 416. Pax Cererem nu-
trit , pacis alumna Ceres. Ovid. Fast. I, 704. Pax aluit vitcs. Tibull. I, 10,
47. Noch auf Münzen der Agrippina , Gemahlin des Claudius , ist diese als
Eirene abgebildet in Gestalt einer Frau, deren Haupt Aohren kränzen und
aus deren Basen A ehren hervorwachsen. Cf. Spanhoim zu Callim. II, Ji^
Erncsti. — Eurynome gebar die drei Chanten uiyXai'riv n xal Lvtfooavrrjr
BnUrjv r' ftmTnitji'. Hcsiod. Theog. 909. Die Athener verehrten zwei Cha-
riten Auxo und Hegemone. Pausan. Descr. Gr. IX, 35. Auf Bildwerken
sieht man die Chariten häufig mit Aehrcn oder mit Blumen und Aehren oder
mit Füllhörnern in der Hand dargestellt. Oft erscheinen die Grazien mit
den Hören vereint als Spenderinnen erfreulicher Naturgaben im Umlaufe des
Jalires, als Reize der Jahresseiten, oder wo ihr Dienst ausschließlich geübt
wurde, als — mit den Worten eines großen Forschers zu reden — nur pro-
vinziell von den Hören verschieden. Gädechcns Verhandl. d. Kieler Philolo-
genvers. 1869 S. 139 ff. Auf der Hand des delischen Apolls von Angelion
und Tektaios sah man drei Chariten gebildet. Pausan. D. Gr. IX, 35.
1) Das ausgedroschene Getreide wurde in Gefäßen geborgen. Vgl. Hes.
0. 0. D. 597 ff. :
JfXbtal (T* fjioTQvvsiv JrjuijTSoog Uqöv «xrr/v
div^utv t für &v noCjxa (fm'fj aO-^vog *li(){(avog,
f^(T(){p J' iv xo^^aaaO-atr iv äyytaiy.
Auch versandt wurde Oel, Wein, Getreide in TongefaiJen, so in den aus Rho-
dos, Thasos, Knidos stammenden, die man mit dem Namensstempel des Ma-
gistrats und den Emblemen des Orts versehen vorfindet, von wo uie Waare aus
gesandt wurde. 0. Jahn Verhandl. d. sächs. Gesellsehaft d. Wissensch. 1851 S. 361.
2) Vgl. das Thargelosbrod o. 8. 228 Anm. 5.
3) Uebcr das Elektron am Webstuhl s. Buttmann Mytholog 11, 339. 350.
Das psoadohomcrisclio Eiresionelicd. 247
Wünsche deutscher und slavischer Erntelieder bei Einbringung
des Erntekranzes oder der letzten Garbe anklingt, wie „Wir
wünschen der Frau 'ne goldene Krön , aufs andere Jahr 'nen
jungen Sohn; wir wünschen der Jungfer 'ne silberne Kann', aufs
andere Jahr 'nen Gen'ral zum Mann!" Oder vergleicht sich der
Glaube, daß, wer die letzte Garbe bindet, die letzten (resp. ersten)
Halme schneidet, noch in diesem Jahre heiraten werde? Nun
kommen v. 1 1 — 19 die sehr verderbten Zeilen des Vergleichs
des Eiresionenumzugs mit der Prozession der Chelidonisten. End-
lich schließen v. 14. 15 in verändertem, jambischem Metrum mit
einem den Bettelliedem der Naturfeste gewöhnlichen Aufruf zur
Mildtätigkeit ab, der ganz äußerlich angeschoben ist. ^ Somit
besteht der tiberlieferte samische Eiresionetext aus einem Flick-
werk verschiedener Bruchstücke verschiedener Lieder, von denen
das älteste v. 1 — 10 einen im flinften und vierten Jahrhmidert
sehr lebendigen Ideenkreis (vgl. o. S. 245 Anm. 3) verrät und
auch wol in diese Zeit, auf welche auch die literarhistorische
Untersuchung leitet, hinaufreichen wird, wenngleich hier schon
rationalistischer Mißverstand die in Kultus und Poesie der genann-
ten Periode „als persönliche Wesen warm, innig und lebendig
empfundenen" Gottheiten Plutos Eirene und Euphrosyne in bloße
BegriflFsdarstellungen, abstrakte Allegorien aufzulösen sich anschickt.
Doch in dem „llXociog i'aeiai^^ bricht die volle Personification
durch, zu der das Beiwort nollog nicht paßt. In dem urspriing-
lichen Liede wird ein anderes (ioMcig? Hesiod Theog. 972)
gestanden haben; setzen wir dieses in sein Recht ein, so offen-
bart sich uns echte mythische Anschauung. Betrachte ich nun-
mehr den ganzen Eingang des Eiresioneliedes als ein ursprünglich
nicht zu dem Folgenden gehöriges, mit ihm nur durch die Einhertra-
gung des Eiresionezweiges vermitteltes Stück für sich, und erwäge
ich seinen Gedankenzusammenhang lediglich aus seinen eigenen An-
gaben, so gewinne ich den Eindruck, daß es einem Gesänge entnom-
men sei, welcher nicht bei einem Umzüge von Haus zu Haus, son-
dern hei FjiyihrbKjang der ersten (ccnaQxctl) Gäben der Ernte unter
Vortragung der vielleicht auch hier vor der Tür des Herrenhau-
1) V. 14 kehrt mit Veränderung eines Wortes {iäaofjes f. lan^^ofitv)
im Chelidonisma wieder: ti u^v n diorrfig' ft <H ui], orx fdaoutg. Cf.
iSchmidt a. a. 0 Hi). Zu V. 15 vgl. im rumänischen Soareliedo (Mannhardt
Klytia S. 13): „kamen nicht ums Sitzen."
248 Kapitel IV. Erntemai und Maibaom in der antiken Welt
ses demnächst aufzupflanzenden Segenszweiges rezitiert umrde.
Erst später mag sich diese Sitte in den Bittgang von Tür zu Ttlr
(ßy€Qfi6g) umgesetzt haben, was um so eher geschehen konntei
da auch bei ihr die mit der Eiresione aufziehenden Emtearbeiter
— wie die unsrigen — vom Herrn und seinen zum Feste des
Emtebeginns versammelten Gästen eine Gabe empfangen haben
werden, welche ursprünglich als Steuer für die segenbringende
Gottheit galt. Noch in dem großen delischen Thargelienfest war
als besonderer Festakt auch ein gabeneinsammelnder Umzug der
Weiber erhalten, bei welchem man Artemis unter den Namen Opis
und Arge (Hekaerge) in einem Hymnus (ayeigovrag luveeip) an-
flehte. Da man diese unverständlich gewordenen Beinamen der
Schwester Apollos für Namen zweier Hyperhnreerinnen ausgab,
welche die Inselleute undloner den Brauch gelehrt haben sollten,^
wird der aya^fiog zur Pompa mit den Erstlingsgarben in Bezie-
hung gestanden haben.
§. 5. Die Panspermle der Pyanepsicn. Sowol die
herbstliche Pyanepsieneiresione (o. S. 226), als der sommerliche
Thargelos (o. S. 228) waren von einer Panspermie, d. h. dem
Aufführen , Kochen und Verzehren einer Zusammenschüttung ver-
schiedener Früchte begleitet. Die letztere bildete einen wesent-
lichen Bestandteil des Erntefestes, wir finden sie scll)st in der
Privaterntefeier des kleinen Landbesitzers wieder. In einem Epi-
gramm des Diodor Zonas aus Sardes stellt Heronax für die eine
Worfschaufel schwingende Demeter und die furchendurchwandcln-
den Hören von seinem armen und kleinen Felde die Erstlinge
der ausgedroschenen Aehren und eine Panspermie nach altem
Brauche auf den drciiüßigen Holztisch. ^ Wenngleich beide Dar-
bringungen in weitcrem Sinne als Weihen an die Gottheit gelten
konnten, wird man doch von der zuerst genannten fiolqu der
Demeter und der Hören das Sämereiengemisch als den von der hei-
ligen Darbringung den Menschen zum sakramentalen Genuß zu-
1) Herodot IV, 35. Vgl. dazu Steins Anmerkuiig.
2) ,lriot Aixundji xtti h'itvkttxof^olTiöiv ^Llnaig
'll(>(üva^ nn'i/otjg ^^ d).iyi]ooa(jig
ftomar uXtolTa arä/vog nuvantQ^iii, rt lavia
log jioiv fnl nXuxivov tov6' Uhno To^no^og.
Anthol. Pal. VI, 08. Said. s. v. ^iixdtog. — uUmja f. «Jtwf/T«/ Correctur
Mcinekes, Delect. 8. 223,
Die Panspennie der Pyanepsien. 2i9
fallenden Anteil unterscheiden können. Dies wird recht deutlich
durch nordeuropäische Analogien, welche viel dazu beitragen,
ans das Wesen der Panspennie zum klaren Verständniß zu
bringen.
In der Oberpfalz besteht das Festmahl beim Schlüsse des
Dreschens aus Mehlspeise von vier Getreidesorten (o. S. 167). —
Matth. Prätorius, v. J. 1664 — 1684 Pfarrer zu Niebudzen zwi-
schen Insterburg und Gumbinnen, envarb sich das Verdienst, im
Verein mit mehreren gleichstrebcnden Geistlichen litauischen
Volksbrauch und Volksglauben zu sammeln. Seine wertvollen
Ermittelungen finden sich in höchst breiter, erst 1703 vollendeter
Ausführung letzter Hand in den handschriftlichen Foliobänden
„Deliciae Prussicae oder Preußische Schaubühne" niedergelegt.^
B. V, cap. 7, S. 23 beschreibt Prätorius „das Fest Samborios oder
Getreydigt-Fest" der Litauer seinerzeit; wir geben nachstehend
die Haupttatsachen seines Berichtes wieder. Nach beendigter
Ernte und Winteraussaat, wenn schon das Dreschen begonnen
hat, anfangs Dezember, halten sie ein Fest, das sie Sqbarios
nennen [d. i. Fest der Zusammenschtittung, s^-baria, Gen. ios von
s^-berti, zusammenschütten, zusammenstreuen], weil sie dann
das Getreidig zusammenwerfen und aus den zusammengeworfenen
Fladen, d. i. kreisrunde Kuchen backen und Bier brauen. Es
heißt auch das Fest der dreimal ncune (ant tryu dewinu) und
schließt in sich eine Heiligung [sacrificium] aller Getreidearten,
welche Gott ihnen segnen wolle, damit sie von jeder mögen
Nutzen haben. Der Wirt nimmt row jeder Getreidesorte, die man
aussät, Weisen, Leinsaat, Gerste, Hafer, Bohnen, Linsen
u. s. w., je neun Handvoll und zwar so, daß er je dreimal zugrei-
fend jede Handvoll wieder in drei Teile teilt. So wirft er 27
Würfe von jedem Getreide auf einen Haufen und schüttet alles
zusammen. Dieses Getreide muß aber das zuerst ausgedroschene
und geworfelte sein und wird schon vorher alsbald abgeschüttet
und ttlr sich verwahrt , denn wenn es schon mit anderem, wovon
1) In. z. T. wörtlicliein Au.szii|^o (aber ungenügend) herausgeg. von W.
Pierson, Berlin 1871. Ich folge deni Originalmanuscr. und verweise hiefür
wie für das beliauptcto Verliältiiil? Brodowski's und Ruhiges zu Prätorius im
Voraus auf die Nachweise in meinen später herauszugebenden „Denkmälern
der lettopreulJischcn Mytliologie."
250 Kapitel IV. Emtomai und Maibaum in der antiken Welt
etwas zum Gebrauch genommen wurde, vermischt war, bringt es
keinen Vorteil. Von diesem Getreide wird nun zunächst ftir jeden
Hausgenossen ein kleines Brödchen gebacken, das Uebrige wird
mit soviel anderer Gerste oder Hafer versetzt, als nötig ist, um
Malz für ein viertel oder halbes Tönnchen Bier zu geben, und
von diesem Gebräu macht der Wirt den ersten Maisch allein für
sich, sein Weib und seine Kinder fertig und hebt's besonders auf,
kein Fremder darf daran konunen; vom zweiten Aufguß erhält
das Gesinde, zuweilen auch ein zufällig ankommender Fremder;
nur darf niemand darauf zu Gaste geladen werden. Ist das Bier
fertig, so erwählt der Hausvater einen Abend, wann man keine
Fremden vermutet, nach getaner Hausarbeit und Abilltterung de«
Viehes zum Vollzug des Festes, Zunächst kniet er dann vor dem
Tönnchen nieder, zapft sich ein Kännchen Bier und gießt unter
Gebet dreimal auf den Spund: „Blütenbrmgcrin Erde (Zemynele
zedkellei) lasse blühen Roggen, Gerste und alles Getreide; Gott
sei uns gnädig, laß die heiligen Engel bei unserm Werke sein,
die bösen Menschen aber treibe zur Seite, damit sie uns nicht
verspotten!" In der Stube envarten den Hausvater Weib und
Kinder; vor ihnen liegt am Boden gebunden ein im Laufe des
Jahrs geborener schwarzer, weißer oder bunter Hahn (ja kein
roter) und eine eben solche Henne, mit dem Hahn aus derselben
Brut. Der Bauer kniet nieder, die Kanne in der Hand haltend,
und dankt Gott für die gute Ernte, den reichlichen Ertrag des
Ausdrusches, die gnädig bewahrte Gesundheit, bittet flir die neu
ausgestreute Saat und um das Gedeihen der nächstjährigen Feld-
früchte , um Segnung des Brodes in Ofen und Keller, um Bewah-
rung von Haus und Hof, Gesinde und Vieh, vor Unglück und
spricht ein Vaterunser. Dann heben alle die Hände auf: „Gott
und du Zeminele, wir schenken dir diesen Hahn und Henne,
nimm sie als Gabe aus gutem Willen," und er schlägt mit einem
hölzernen Kochlöflfcl die beiden Tiere tot, er darl* sie nicht ab-
schneiden. Den Hahn unter dem linken Arm erneuert er das
Dankgebet, und setzt dann die Kanne weg, von welcher er nach
dem ersten Gebet, nach der Tödtung des Hahns und dcrjenigeu
der Henne je ein Drittel geleert hat. Nachdem die Hühner von
der Magd gebrüht und gerupft sind, so schickt die Wirtin das
Gesinde hinaus, nimmt die Hühner aus, macht sie rein und kocht
sie hl einem neuen noch ungebrauchten Topf; keine gemietde Ptr^
Die Panspermio der Pyanepsien. 251
s<m darf zugegen sein nnd kosten. In der Stube wird ein umge-
stttlptes Seheffdmaß mit einem Tischtuch bedeckt, und auf dieses
nebst etwas Butter für jedes Familienglied eines der oben
beschriebenen Brödchen gelegt, in die Mitte die Schüssel mit den
beiden Htlhnem aufgetragen. Inzwischen hat der Hausvater em
Gefäß mit dem Festbier herbeigeholt; man bringt einen nur zu
dieser Gelegenheit gebrauchten Schöpflöflfel und drei ebenfalls
sonderbarlieh dazu bestellte Trinkschälchen (Kauszelen), aus
denen niemand sonst trinken darf, und er fUllt jede derselben in
dreimaligem Schöpfen mit Bier. Alle knien um das Scheffelmaß;
der Vater , seine Kauszel in der Hand haltend, spricht den Glau-
ben und die zehn Gebote ; und mit dem Gebete , daß Gott im
nächsten Jahre nicht mehr und nicht weniger geben möge, trinkt
er die drei mit beiden Händen erfaßten Kauszehi nacheinander
aui' einen Zug aus. Ebenso tun der Beihe nach alle Knienden.
Unter Segenswunsch werden darauf die Brode und das Fleisch
des Hahns und der Henne verzehrt. Und nun beginnt der Um-
trunk aufs neue, bis jeder neunmal die drei Schälchen geleert
hat, und ein geistliches Lied die Feier schließt. Von der MaM-
zeit darf niclUs übrig bleiben ; geschieht dies doch , so muß es am
andern Morgen mit den nämlichen Cercmonieu verzehrt werden.
Die Knochen muß der dazu herbeigeholte treue Wächter, der
Hofhund, vor den Augen des Wirts rein auffressen; jeder etwaige
Best wird auf emem Teller im Stall unter dem Miste vergraben.
An dem Tage , an welchem diese Feier vorgenommen wird, darf
man dem Gesinde kein böses Wort geben, sondern muß mit
allen freundlich umgehen. ^ Das erwähnte Herbstbier hieß sj^be-
rinis (samberinis) alus. ^
1) Vgl. M. Prät(^>rius Deliciac Prussicae, lirsg. v. Pierson. S. 60flf.
2) Vorarbeiten des Prätorius gerieten in einem mit subjectiven Conjec-
turen durchsetzten Auszüge in J. Brodowski's uijd Ph. Ruhig's Hände, die
davon zwischen 1730 — 1750 in ihren litauischen Wörterbüchern Gebrauch
machten. Da ist denn erstens die Zeit des Festes mißverständlich auf Ostern
verlegt, zweitens aus dem Sf^bariosfest ein Gott Sambarys, d. i. Pluto (^Bro-
dowski) und mit weiterer Verdrhung Zcmbarys, d. i. Erdbcstreuor (Ruhig)
gemacht, der seitdem iu der ]»reulUschün Mythologie (Ostermeyer, Voigt
u. 8. w.) und sogar noch in Ncs>elmanns Wörterbuch seinen Spuk treibt.
Alles, was von diesen vermeintlichen Göttern ausgesagt wird, sind entstellte
Excerpte aus obigen Mitteilungen des Prätorius. Auch hierüber Näheres in
den „Denkmälern''.
252 Kapitel lY. Erntemai und Maibanin in der antiken Welt
Mit dem geschilderten litauischen Brauche stimmt als Abart
ein lettischer bei Festzeiten zusammen ^ den fun&ig Jahre firtther
der Superintendent S. Einhorn verzeichnete^. In Zeiten der
Pestilenz j sagt er^ hatten die Undeutschen hier zu Lande ein
Opfer j welches sie Sdbar ^ nannten , das ist ein zusammengeleget
oder von vielen zusammengeschüttet Opfer, denn ihrer viele tra-
ten zusammen , legten jeder ein gleiches Stück Geldes znsanmien,
kauften dafür ein Stück Vieh, opferten es und verzehrten her-
nach das Uebrige. Auch haben sie einer so viel Getreide, als der
andere, ßusammengeschüttet, davon gebacken und gebratoen. Dann
haben sie hernach abergläubiger Weise mit ihren heidnischen
Ceremonien zusammen Gott angerufen, daß er die Pestilenz ab-
wenden wolle, und darauf ein Gonvivium gehalten und die zusam-
mengebrachte Speise und Trank mit einander verzehrt. Das
geschieht noch jetzt heimlich, da es öffentlich nicht erlaubt ist;
ich habe von mehreren gehört, daß sie im Traum von den Spee-
tris, die sich alsdann an etlichen Orten sehen lassen, dazu ver-
mahnet sein, sich durch ein Sobar von der Plage zu befreien.
In der großen Pestilenz 1602 und wiederum später 1625 hat
man's, wie ich von vielen erfahren, ins Werk gerichtet, um die
Pest zu vertreiben.^
Dem aufmerksamen Beobachter kann es nicht entgehen, daß
die vorstehenden Bräuche eine altüberlieferte Handlung von sacra-
mentalem Character enthalten. Das in der gesammten Kultur-
frucht waltende, in den Erstlingen sich offenbarende Numen giebt
sich zum Genüsse dar; damit seine segnenden Kräfte ausschließ-
lich der Familie des Bauers zu Gute kommen, darf kein Frem-
der an dem Mahle teilnehmen (vgl. auch das finnische Fest oben
S. 161). Weil dasselbe ein Hciltum ist, darf* nichts umkommen.
1) P. Einhorn Reformatio gontis Letticae in Ducatu Curlandiae. Riga
1636. Cap. 2 p. 8^
2) Dialektisch von sa-hehrt zusammenschütten.
3) Aus dieser Aufzeichnung Einhorns machte Stender in s. lettiscben
Mythologie: „Sobarri die Opfer, die man zur Pestzeit dem Auskat brachte.
Von sobahrt anstatt sabehrt zusammenschütten, weil sie das zusammen-
gebrachte Korn zusammenschütteten und daraus ein Saufopfer bereiteten.**
Die Zueignung an Ausknt [d. i. den Auschants des Sudanerbüchleins , den
Lasicki nach Mäletius als Auscotnm incolumitatis et aegritudinis doum nennt',
ist conjecturcller Zusatz Stenders.
Die Oschophorie. 25d
wird sogar der letzte Best der Knochen als segenbringend im
Yiehstall vergraben. Die Feier ist gut christlich gemeint ^ in
christlicher Frömmigkeit geübt, ihrer Substanz nach aber noch
heidnisch, und sogar die heidnische Personification der Erdgöttin ^
Zeminele mischt sich noch hinein. Sie war zugleich ein Ernte-
dankfest und ein Bittfest tUr die neue Ernte , und sollte Wachs-
tum, Gedeihen, Gesundheit des Bauerwirts, seines Weibes und
seiner Kinder erwirken. Darum schien dieselbe Ceremonie,
welche WachstumsfliUe der nächstjährigen Frucht verbürgte, mit
in der Sache liegenden Abänderungen geeignet, auch schon
entstandene Krankheit, Seuche abzuwenden. Vgl. o. S. 231.
S. 239.
Werden wir nach diesen Analogien darüber zweifelhaft sein
können, was es mit der bei den griechischen Erntefesten gekoch-
ten Panspermie auf sich hatte? Sie war die sacramentale
Er^nznng der zugleich sacramentellen und sacrifiealen Weihung
der Eüresione oder der dem Gotte dargebrachten omaQ^aL
§. 6. Die Oschophorie. Noch deutlicher wird die ursprüng-
liche Natur der Pyanepsienbräuche als eines reinen Naturfestes,
wenn wir nachweisen können, daß auch die beiden Akte der
dazu gehörigen oder wenigstens damit in Verbindung stehenden
und ebenfalls auf die Geschichte des Theseus gedeuteten Oscho-
phorie, die Prozession mit den Bebzweigen und der Wettlauf,
nichts anderes waren als eine Uebertragung gewöhnlicher Emte-
gebräuche auf die Weinlese. Wem wollte entgehen, daß die von
zwei als Frauen angekleideten Jünglingen angeführte Oschopho-
rienpompa sowol dem von zicei Frauen geleiteten Emtezuge der
Dellen (o. S. 234) , als auch dem clsässischen Winzerfest mit den
beiden Herbstschmudeln (Bk. 203) auffallend ähnlich sieht? In
weiterem Kreise vergleicht sich der Brauch deutscher Erntefeste,
1} Die Anrufung dorselben dauerte in manchen Formeln bis auf den
heutigen Tag. Ich setze ein noch unveröffentlichtes Liedchen hieher, das
Kurontatis erst 1806 in Mazuiken aus Volksmnnd aufzeichnete:
Zeminele mus kawok, Zeminele segne uns,
Dirwas musu per/egnok, Segne unsro Aecker,
Perzegnok girres, laukus, Segne die Wälder, Felder,
Xl^nus lankas ir szlaitus. Die Ackerstücke neben den Bau-
stellen und die hohen Fluß-
ufer.
254 Kapitel IV. Emtemai und Maibaum in der antiken Welt
bei welchen eine als Eorndämon characterisierte Person oder zwei
(s. z. B. 0. S. 173 Kater und Eitsche) dem feierlichen Znge der
Emtearbeiter durchs Dorf vorausschreiten (Bk. 612. 613). Von
derselben Art sind die Maitags- und Pfingstumgänge mit dem
Laubmann oder mit einem Brautpaar (Bk. 312 ff. 431 ff.). Im
EHsaB wurde dann von der den Brauch ausfahrenden Gompagnie
ein großer Maibaum voraufgetragen; diesem folgte der in ein
weißes Hemde gekleidete Pfingstnickel , sodann die fibrigen Mit-
glieder der Gompagnie ; jeder mit einem kleineren Maibaum
bewaffnet (Bk. 162. vgl. 315. 316. 312 ff.). In der Bresse
ging ein ,,Dendrophore'' mit grünem Maibaum an der Spitze,
hinter ihm die blumengeschmückte Maibraut (la mariee); von einem
galanten Burschen geführt , endlich das liedersingende Gefolge
(Bk. 439). Gradeso war in Athen die Reihenfolge: 1) Herold
mit bekränztem Stabe, 2) die zwei Weibermasken mit Rebzwei-
gen, 3) die übrigen Rebträger oder Prozessions - Teilnehmer.
Jene deutschen Maitags - und Emteumgänge nehmen mehr-
fach auch die Form eines WeUlaufs an , bei welchem entweder
die letzte, den Eorndämon darstellende Garbe oder der Maibanm
(vgl. 0. S. 214) das Ziel ist (Bk. 396), oder durch welchen die
Rollen bei dem Umgange mit dem Laubmann, Pfingstbutz a. s. w.
entschieden werden (Bk. 382 ff.). Der Wettlauf bildet den ersten
Akt, die Prozession mit dem durch den Sieger in demselben
dargestellten Vegetationsdämon den zweiten Akt der Festbege-
hungen (Bk. 406). Genau so verhält es sich mit dem Verlauf
der Oschophorie; erst Wettlauf, der über die Teilnahme am Cho-
ros der Pompa, unzweifelhaft und folgerichtig auch über die ein-
zelnen Aemter desselben (den Herold, die beiden Frauenrollen
u. 8. w.) bestimmte; darauf die Pompa selbst. Jener andere Fall
aber, der Lauf hinter dem Darsteller des Vegetationsdämons
her, tritt uns deutlich in dem Brauche eines peloponnesisehen
Erntefestes entgegen.
Im Monate Kameios, der im Ganzen unserm August ent-
spricht, und den Beginn der Weinlese bezeichnet, feierten näm-
lich die Dorier im Peloponnes ihre Kameia, das Erntefest der
Trauben, welches hernach zu einem Kriegerfeste umgedeutet
war.* Dabei wurde ein TTc^^/aw/" angestellt, indem einer gute
1) Roschor Apollon und Mars 8. 59. Vgl. Sauppc Mysterienschrift v.
Andania. Gottingen 18G0. S. 45 ff.
Dio Oschophorio. 2&5
Wünsche für die Stadt sprechend voranlief, andere Trauhenläu-
fer (Staphylodronien) ihn verfolgten. Holten sie ihn ein, so
teurde das als ein gutes Zeichen y das Gegenteil als ein schlimmes
betrachtet.^ Schümann zog daraus den Schluß, dessen Richtig-
keit die zahlreichen von uns zu Tage gefiirdcrten nordeuropäi-
schen Analogien in emer von ihm ungeahnten Weise bestätigen:
Der Voranlaufende bedeutete den Herhstsegen; wurde
er eingeholt, so bedeutete dies, daß auch der Stadt der Segen
nicht entgelten iverdeJ' * Auch die Lauben oder Hütten (ayuadeg),
in denen die festteiemde Gemeinde, nach Phratrien abgeteilt,
lagerte, waren unzweifelhaft, wie bei dem aus dem herbstlichen
Emtedankiest hervorgegangenen ebräischen Laubhüttenfest
(ßk. 281 flf.), ein Zubehör des alten Naturfestes, der Laubhütte
oder den Laubhütten entsprechend, welche bei uns auf Maitag,
Pfingsten, Johannis u. s. w. neben dem Maibaum iUr den Mai-
könig u. 8. w. errichtet wurden (Bk. 187. 315. 323. 354. 355).
Später erfolgte die Umdeutung in Lagerzelte. ^ja(fvlodQ6f.iot
hießen die Wettläufer augenscheinlich, weil sie einst Kebzweige
mit Trauben trugen, wie die Läufer am Oschophorienfest.
Wenn nun hier der voranlaufende Jüngling deutlich den per^
sonifizierten Herbstsegen darstellt, ein College unserer Korndä-
monen ist, so werden auch die beiden der athenischen Oscliopho-
rienpompe, wie der delisclien TJiargelienprozession voranschreiten-
den Frauengestalten in gleichem Sinne aufzufassen sein. Ich darf
den Leser nicht durch weiteres Abschweifen verwirren, bemerke
aber schon hier ftlr diejenigen, welchen dieses Ergebniß noch
befremdlich erscheinen möchte, daß weitere, in der Kürze zu
veröffentlichende Untersuchungen den, wie ich meine, zutreflFen-
den Nachweis enthalten werden, wie mehrere sowol römische als
griechische Kulte der ältesten geschichtlichen Zeit das Vorhan-
densein der Vorstellung von anthropomorphischen und theriomor-
phischen Konidämonen aufs entschiedenste bestätigen, daß Wett-
1) Ilesych. s. v. (Trtafvlo^oouot' jivlg rior KuQVfnrm' TrnQOQ/JüivTfg
jovg fnl Touyjj. Bekkcri Anecd. I. p. 303, 25: (n. xhtu jriv Ttttv JictQretMV
fogrijV aj^uuitiu rig nf-oi!)^ufrog jot'^it , ^ntvyyufvog t/ t»7 noXn )rQt}ar6v'
i7Ttdio)xoi'ai (Tf ttvTov r^oi amtfvkoifoouoi xalovufvot. xa\ fav fth' xarald-
ßtoaiv uvTor, «;'«'>o^• ti noogdoxiaatv xata i/ti^cjoia ifj ndifi, d <J^ ^i},
TOl^VttlTfor.
2) Schümann Gottesd. Altert. 1859. II *, S. 438.
256 Kapitel IV. Emtemai und Maibaum in der antiken Welt
laufe der ebenbeschriebenen Arten vielfach ein Zubehör de«
Erntefestes waren ^ endlich daß u. a. auch der athenische und
kleinasiatische Thargelienbrauch der Austreibung der Pharmakoi
als Abwandlung der Umftlhrung des Komdämons sich mit größter
Wahrscheinlichkeit dartun läßt^ und daß die Zahl der unbedingt
sicheren Beispiele flir den behaupteten Anschauungskreis groß
genug ist, um die Vereinzelung aufzuheben, in welcher meine
bisherigen Auseinandersetzungen noch dastehen.
Ebensowol als der Wettlauf war wol auch der beständige
Kuf: Eleleu! Ju! Ju!y unter dem die Oschophorienprozession vor
sich ging (o. S. 217), ein auf die Weinlese übertragener Brauch
des Erntefestes. Er begegnet nämlich dem eigentümlichen Gekreisch
oder Gejuchee, das bei Einbringung der letzten Garbe resp. del
Emtemais sich hören läßt (o. S. 213). Eine andere Form von ihm
scheint der im Gotte Jakchos personifizierte Eleusinienruf iakche ! ,
ich würde sagen ist, wenn nicht das Verhältniß zu Bakchos eine
eigene Untersuchung nötig machte.
§. 7. Die Elreslone. Gesammtergebnlsse. Halten wir
Musterung über die Gesammtergebnisse dieses Kapitels, so wird
die Behauptung nicht mehr als kühn erscheinen, daß die Eiresione
so vollständig als möglich unserem Erntenmi entsprach. Wie
dieser ein Baumzweig mit Bändern, Früchten, Backwerk, Wein-
krügen (o. S. 212. S. 223 flF. S. 226) behangen, wurde sie in Prozes-
sion einhergetragen , und wie unser Emtemai , Maibaum u. s. w.
als Regenzauber mit Wasser oder Wein resp. Branntwein (o. S. 212,
vgl. Bk. 197. 207. 214 vgl. 227) mit dem Inhalt des angebunde-
nen Weinbechers begossen (o. S. 225). Vor der Tür des Herren-
hauses oder des Tempels autgehängt oder aufgepflanzt (o. S. 213.
221. 231. 236), in anderen Landschaften wahrscheinlich neben
den Ahnenbildem im Innern der Wohnung selbst angebracht, "
verblieb sie ein Jahr lang daselbst (o. S. 213. S. 221) und wurde
dann bei Vertauschung mit einem neuen Exemplare verbranfU
1) Nach Theophrast Char. XVI waren Hermapliroditeu gewisse lienuen-
artige Ahnenbilder. Bei Alciphron III, 37 liest man von der Wittwe Pbae-
dria, deren Mann wol aus Alopecae war: fioiotdvrjy jik^uaa tjtiv tig 'Tmu-
tttfQodljoVf T(^ lAXojntxfjd^tv Trakrjv ura(hriaovatt. Cf. Lübeck Aglaoph. 1007.
So stellen die Kleinrussen die erste gemähte Garbe an den Ehrenplatz unt^r
die Heiligenbilder: so nagelt man iu Schwaben den „Palmbüschel** entweder
an die Haustüre oder das Scheunentor oder unter das Kmziiix (Bk. 289), wo
er verbleibt, bis er herunterfallt.
Die Oschophorie. 257
(o. S. 213 S. 217). Der Auipflanzung vor dem Eapatridenhause
ging wol ein Umzug in dem Dorf und auf den Aeckern ^ voran
(o. S. 213. 223).
Die Ausübung des Brauches geschah am Erntefeste und zwar
sowol am Frühemtefeste der Thargelien als am herbstlichen
Dankfest des Pyanepsion.* Wenn es uns gelungen sein sollte,
aus den lückenhaften und noch immer manche Schwierigkeiten
darbietenden Andeutungen der Alten über die delischen Tharge-
lien überhaupt und namentlich in der Hinsicht ein einigermaßen
zutreffendes Bild zu gewinnen, daß bei dem altüberlieferten
Emtezuge an denselben den Erstlingsgarben Eiresionen vorauf-
getragen wurden, und daß dies traditionelle Fortsetzung eines in
§ehr frühe Zeit zurückreichenden gewöhnlichen Erntefestes war,
so rückten wir hiednrch, wie auch durch die vielleicht den ersten
Versen des pseudohomerischen Eiresioneliedchens zu Grunde lie-
gende Festweise (o. S. 247) noch näher an die deutsche Sitte,
den Harkelmai dem letzten Emtefuder voraufzutragen oder der
letzten Garbe einzuheften , heran. Die Eiresione ist eine symbo-
lische Repräsentation des Wachstumsgenius, sie wird wie eine
Persönlichkeit angeredet (o. S. 224 flF.); und als solche hat man den
Lorbeer (vgl. o. S. 221) als die verwandelte Geliebte Apollons
aufgefaßt (cf. Bk. 297). Daß Apoll durch Orakelspruch die Eiresione
angeordnet habe, um Hungersnot und P^s^ abzuwenden (o. S. 231.
S. 253), ist wieder eine ätiologische Fabel, durch welche uns die
feste Ueberzeugung der Festteilnehmer verbürgt wird, daß lieber-
tragung der Wachstumsfiille auf die Feldfrüchte, wie (vermöge
1) So faßt auch Böttichor die. Sache: „Der Oelzweig, welchen man mit
Früchten hehangen vom Acker hrachte und als Eiresione vor das Haus
stellte." Banmk. 362. 397.
2) Nach dem Scholiasten zu Clem. Alex. I*Totrept. p. 9, 33. Pott wäre
auch hei den Panathenäen im Hekatomhäon (Augast) eine Eiresione darge-
bracht. „fQ^qß"' rijv Ifyofi^vrjv iiQtanüvrjv ifrjdfiVf ijr ovTia 7T((ii-
€1 loOvTfg iQ^oig xal Tuiviatg vtfaauicT toi' kir^tov — rjp (T* xliiJog
und Tfjg MoQtag fXcc^ag — xal ax{)odQvoig naitofoig niQittQTm'Tig^ ni'fj^'or
€tg axQOJToXiv rij TTohtidt ji9-r]ratoi nnvad-rfvaia^ ovTtog fv(fTjjJovvT€g' </(>f-
aiwf] ffOxtt (f^Q€i xal jufjla xat i^fjg. Allein diese Glosse ist offenbar dnrch
üble Verwechselung des Scholiasten aus derselben Quelle herausgezogen, aus
welcher Platarch o. S. 220 schöpfte, wie die Anführung des Liederbruchstticks
beweist. Wegen der heiligen Moria glaubte der Commentator lieber an die
Panathenäen denken zu sollen, deren Thallophorie (Micliaelis Parthenon
Bi2U. 330 n. 201—205) die Combination begünstigte.
Mannhardt. n. 17
258 Kapitel lY. Emtcmai und Maibaum in der antiken Welt.
des Parallelismas der tierischen und pflanzlichen Vegetation) auf
die Menschen die sicher zu erhoflfende Wirkung des Brauches sei.
Aus letzterem Grunde erfolgte auch die Aufsteckung des heiligen
Zweiges vor dem Eupatridenhause.
In nordischer Sitte geht der aus gleicher Absicht vor oder
auf dem Hause, dem Stall oder der Scheuer aufgesteckte Ernte-
mai oder Maibaum in den auf dem Hausdache angebrachten
Bichtmai (Bk. 218 ff.), sowie in die dem jungen Ehepaar bei der
Hochzeit aufs Dach gesetzte oder prozessionsweise überbrachte
Brautmaie (Bk. 47. 221 ff.) und in die den jungen Mädchen als
Lebensbäume vor ihr Fenster gestellten Maibäume (Bk. 163 ff.)
über, und ins Saatfeld steckt man zur Abwendung schädlicher
Einflüsse und zur Fruchtbarmachung grüne Zweige, resp. den
Emtemai (Bk. 210). Dieselben Sitten wies ich bereits Bk. 296 ff.
auch als griechische nach, insofern auch in Hellas den Jünglingen
und Jungfrauen bei den Ephebien und am Feste der Hochzeit
Lorbeerzweige vor die Türe gestellt und ebensolche Zweige zur
Abwehr von Würmerfraß und Kostschaden ins sprossende Saat-
feld gesteckt zu werden pflegten.
Wer ApoUons ausgesprochene Bedeutung als Emtegott und
die 0. S. 246 aufgewiesene Verbindung der Begriffe des Friedens
und der Ernte erwägt, wird es wahrscheinlich finden, daß sowol
die sämmtliche apollinische Daphnephorie als die Verwendung
des bekränzten Oelzweiges zum Bittzweig (Hiketeria) der um
Frieden und Schutz Flehenden und zum Stabe des Frieden hei-
schenden und gebietenden Herolds, sowie auch die im Kulte
anderer der Vegetation vorstehender Götter (Athene, Dionysos)
weitverbreitete Thallophorie aus dem Kreise der im Maibaum
und Erntemai verkörperten Vorstellungen hervorgegangen sind.
§. 8. Maibaum der Kotyto. Uebrigens beschränkten sich
diese Sitten nicht allein auf Griechenland. Wir finden dieselben
z. B. im Kultus der Kotys oder Kotyto, einer Göttin des thra-
kischen Volkes der Hedonen wieder, welcher sich nach Korinth,
Athen und Sizilien verbreitet hatte. Ueber ihn besitzen wir aus
keinem Orte eine zusammenhängende Beschreibung. In Sizilien
aber pflegte man am Feste Kotj^tis mit Kuchen und Baumfrüch-
ten behangene Bmmiäste dem Volke zur Plünderung preiszugebend
1) AQTiaycc KoriTioig. KoTvr)g ^onrtj r(g fart ^ixflixij, fv tj TTfQf rtra^
xld^ovg ^'ifinromg nimuva xttl axQoÖQva in^roairov agnäCiiv. Plutarch. piy-
verb. 78. Vgl. Lobeck Aglaoph. 1031 ff.
Das Fr&hlingsfest der syrischen Göttin. 259
Aus Athen - Korinth erfahren wir, daß die da8 Fest der Göttin
feiernden Compagnien oder Gesellschaüten (Thiascu), unter denen
sich junge Mäntier in Weibcrkleidern befanden, vermutlich spott-
weise Bapten genannt wurden, weil sie jemand oder vielleicht
einander ins Wasser warfen. Die Feier stand im Rufe großer
Zdgelloßigkeit und Unsittlichkeit, doch ist wol dabei teils die
Uebertreibung halbunterrichteter Schriftsteller, teils das.. Kase-
rtlmpfen der guten Gesellschaft im Spiele; die Wahrheit wird in
sinnlich derben^ das Geschlechtliche berührenden, mit der 2^it
zu profaner Belustigung gewordenen Festgebräuchen zu suchen
sein. ^ Die Plünderung des fruchtbehangenen Astes entspricht dem
HerabreijSen und Herabholen der Anhängsel vom Emtemai
(Bk. 202) und Maibaum (Bk. 1 70 flf.), welches ursprünglich sakrar
mentale Aneignung des Fruchtsegens war (vgl. das Herabreißen
der Hülle des Graskönigs (Bk. 349. 357. 606); das Bad begeg-
net der so häufig mit der Aufsteckung jener Bäume verbundenen
WassertaiAche (Regenzauber). Vgl. o. S. 256 und Bk. 158. 162.
170. 197. 215 u. s. w.). Die Vorwürfe über sittliche Ausschrei-
tungen aber beruhen unzweifelhaft auf ursprünglich religiösen
symbolischen Gebräuchen von Art unserer Mailehen (Bk. 449 flf.
cf- 469).» Zur Wäberkleidung vgl. Bk. 314. 441 ff. 544. 338. 378.
§. 9. Das Frfihlingsfest der syrischen (jrSttin. Wenn
es wahr ist, daß die thrakische Kotyto ihrem Wesen nach mit
der in Vorderasien als Kybele , große Mutter u. s. w. gefeierten
Gottheit nahe verwandt war, so kann es uns nmi nicht mehr
Wunder nehmen, auch im Dienste der großen Göttin zu Hiera-
polis in Syrien dem Maibaum wieder zu begegnen. Wir wiesen
Bk. 177 — 180. 456. 463 flf. 498 nach, daß im Oster - Maitags -
oder St. Johannisfeuer ein Baum, der Maibaum , verbrannt werde.
Statt des einen Baumes sehen wir z. B. zu Thann im Elsaß drei,
zu Dehnenhorst zwei (Bk. 178. 179), in der Franche Comte
(Bk. 456) ebenfalls drei Bäume aufgerichtet, mit Stroh und Rei-
sig umhüllt und angezündet. Diese Vervielfältigung des Maibaums
1) Lobeck Aglaoph. S. 1007 — 1039. Buttmann Mythol. II, 150 — 167.
2) Gegenseitiges Hineinwerfen ins Wasser war auch in Rom am Mai-
tag Brauch (Suid. s. v. Atniorurtc): damit vgl. das Bad am Johannistage
in Köln, Neapel, Nordafrika (Myth.* 555 — 556), und man wird jetzt l)ogrcif-
lich finden , wit^ auch diese Sitte dorn verallgemeinerten Regen brauchzan her
am Maitag und Mittsonimerfest ihre Entstehung verdanken kann.
17*
260 EapitellY. Emtemai und Maibanm in der antiken Welt.
diente in manchen Fällen vielleicht nur dem Pomp; in anderen
entstand sie dadurch, daß mehrere Dorfgemeinden oder Stadtteile
ihre Festteier mit einander vereinigten. (Auch wo der Maibaom
nicht verbrannt wird, sieht man z. B. im Kreise Chrudim in
Böhmen am Pfingstfest neun junge Fichten um eine bedeutend
höhere, deren Krone mit Bandschleifen und BlumensträuBen
geziert ist, im Kreise herumstehen. ^) Um den Scheiterhaufen
tanzt das Volk, religiöse Lieder singend, (oft unter Anführung des
Pfarrers), es steckt denselben mit langen Strohfackeln an, mit
denen es auch über die Felder läuft, um dieselben fruchtbar zu
machen (Bk. 498 ff.). Der Maibaum ist in diesen Fällen nur
noch ganz vereinzelt (Bk. 179) mit allen den schönen Sachen,
bunten Bändern ^ Tüchern y allerlei Kleidungsstücken (Hosen und
Westen), vergoldeten Eiern, Geld, silbernen Uhren, glitzernden
Spiegehl, Backwerk und anderen Eßwaaren geschmückt, welche
ihn dort zieren, wo er nicht verbrannt wird und zur Plünderung
bestimmt ist (vgl. z. B. Bk. 157. 169 ff. 172. 192 ff. 200. 218 ff.
223), er ist aber von letzterem, an denselben Tagen aufgesteckten, in
keiner Weise zu trennen. In manchen Formen desselben begeg-
nen uns auch noch lebende Kleintiere als Anhängsel desselben.
So wird au den Emtemai in Frankreich häufig ein Huhn, eine
Taube, kalekutische Henne oder dergl. (Bk. 206), an die mit
Früchten und bunten Bändern geschmückte Brautmaie ein Vogel
(Bk. 222. De Nore 193) angebunden. Im Egerlande trägt man
zu Pfingsten gabensammelnd eine junge Fichte einher, an deren
Krone ein Querholz mit fünf darangebundenen jungen KraJie»
befestigt wird, während die ineinandergeflochtenen Zweige sich
wie ein breites Querholz um das Stämmchen herwinden. * In
Neupilseu pflanzt man zur gleichen Zeit im Dorfe drei bis zu
den Wipfeln abgeschälte und oben mit Bändern geschmückte
Fichten auf und errichtet daneben eine Laubhütte und eine Stange,
an welcher mehrere Frösche (vgl. Bk. 355) lebendig aufgehängt
sind. ^ Wiederum in der Zeit der Wintersonnenwende (am St
Stephanstag 26. Dez.) tragen die jungen Dorfbewohner Südirlands
von Haus zu Haus einen mit Bändern geschmückten Stechpalmen-
zweig, von welchem mehrere Zaunkönige (wrens) mit den Köpf en
1) Roinsberg - Diiringsfeld Böhm. Festkalender S. 258.
2) Keinsborg - Düriugsfeld Böhm. Festkalender 8. 268.
3) Reinsberg-Dtiringsfold a. a. 0. 260.
Das Frühlingsfest der syrischen GöttiD. 261
nach unten herabhängen. * Vergegenwärtigen wir nns diese Tat-
sachen, 80 verstehen wir den Bericht der anter Lucians Namen
gehenden Schrift über das Hauptfest der Göttin (Atargatis, Der-'
keto , Tii^ata) zu Hierapolis (Bambyke, Mabug) in Syrien unweit
des Euphrai Es wurde im Beginne des Frühjahrs gefeiert, den
Oster- und Maitagsbräuchen entsprechend. Im Tempelhofe waren
mehrere große Bäume aufgerichtet, die man im Walde schlug,
mit lebenden Schafen, Ziegen, anderem Kleinvieh, mit Vögeln,
Gewandstttcken, Gold- und Silbersachen ähnlich dem Maibaum
and Emtemai, nur in größerem Style, behängte. Bings umher
schichtete man einen Scheiterhaufen und verbrannte die Bäume
mit ihrem Schmuck. Mehrere Gemeinden oder Völkerschaften
nahmen am Feste Teil , und hielten mit ihren Heiligttlmem einen
Reigen um die brennenden Bäume. Man darf vielleicht anneh-
men, daß jede einen derselben als ihren Lebensbaum (Bk. 169.
182) gestellt hatte. Das Fest hieß Scheiterhaufen oder Fackel,
es wurde also der Holzstoß, wie bei unsem Sonnenwendfeuem,
mit Fackeln angezündet, vielleicht auch war ein Fackellauf
damit verbunden, der, obschon von Lucian verschwiegen, einen
wichtigen Teil der Feier ausmachte. *
Atargatis^ nach Levy Nöldecke^ und Schrader Athar-
athe, war die aramäische Form der phtUiikischen Astarte, Aschera,
der assyrischen Istar, „eine spezielle Vorstellung der assyrisch -
phönikischen Venus." ^ Näheres über ihr Wesen läßt sich aus
dem Umstände schließen, daß ihr Tauben und Fische, Symbole
fippigster Geburtenflille, als heilige Tiere unterhalten, Fische von
den Priestern als Opfer dargebracht und Von den Gläubigen in
1) Sandys Christmas- Carols. London 1833 p. LXV.
2) Lucian de Syria dca. c. 49. Opp. III, p. 236 Dindorf. *OQT^m' df na-
aftav Tcöi' ol9ti fieyfffrrjv roü iT«i)og ÜQ/onivov ^nmKovai , xnl /niv ol
fA^v 71 vQTjr, ol (f^ XufXTtiiiUt xulhovoi. %hvait]V dl h' uvTfi ToiTivdf Tioiiovai'
iT^rJof« fitydlu ^xxtnitnrT^g h' rf} nvlfj lajüat, /jnä Se äyivfomg nl-
ytig Tf Xftl Ö'ing xn) äXXtt xTrjvfn tft>« fx Ttoi' Sfv^Q^tov unctQ-
riovai. h' ifl xu) fiortf^ag xiu ffunrn xn) /ovaitt xttl aqyvQfa
TT oiTJfJtnrit. fnfitr <fi- h'Tf-l^a Tidvia viotfjObnTni n tQiivdxnvTfg t« Iqu.
ttiqI tu J^rJ(>*« Tivnrjr iriiioi, t« lU teiT^xa narra xulovTai. lg rav-
jfiv Tip' dotip' noXXoi äv(h{to}noi itmxv^oiTai hx re 2^i'(t(Tjg xal TtDr n^Qi$
^lOQ^tar naa^toVy- tf^Qovai T€ t« liovratv loa txnaTOi xnl tu arj/ntji« €xu
aroi fj^ovOi ig T«tf« fAtfttuT}jjh'€(.
3) Zß. d. morgenl. Gesclls. XXIV, 1870. S. 92. Levy phön. Stud. II, 38.
4) Bandissin z. sem. Keligionsgcsch. 1876 S. 238.
262 Kapitel lY. Erntemai und Maibaum in der antiken Welt.
goldener und silberner Nachbildung geweiht worden. ^ Weil man
sie mit der phrygischen Göttermatter Rhea-Kybele identifizierte,
finden wir in ihrem Personale auch freiwillig Verschnittene wie-
der, welche mit weiblichen Hierodulen exstatisch -erotische Um-
armungen ausführten und mit allem Zubehör von Pfeifen, Trom-
peten, Klapperblechen gabensammelnd umherzogen. Sie wurde
bald als Hera, bald als Aphrodite aufgefaßt (Hygin); Apolejns
nennt sie ÄllmtUter (omniparens Dea Syria. — Met. VIII, 257,
rerum naturae parens, elementorum omnium domina. XI, p. 182,
rerum naturae prisca parens. IV, 90). Plutarch sagt (Grassos
cap. 27) , sie sei das Prinzip der Natur, welches die Keime und
Anfänge allen Dingen aus dem feuchten Elemente mitteile , ' und
beschreibt sie als die gütige Göttin, welche den Menschen die Ur-
sprünge aller Güter zeige {rijv navvvjv eig dv^QOJTrorg a^rjv ayal^ww
xaradet^aoav). Das sind Ideen, welche völlig begreiflich machen,
wie auch die Aufrichtung des in deutschen und andern nordeuro-
päischen Bräuchen als Lebensbaum und Darstellung der Wachs-
tumskraft ((5(;vai//(;m;^i7rixf^)sichmanifestierendenMaibaums (Johan-
nisbaums) in ihren Kultus hineingezogen werden konnte.^ Daß
wir aber wirklich berechtigt sind, die am Frtihlingsfeste der
1) Lucian a. a. 0. Hygin. fab. 127. Eratostbencs catastb. 38. Mnaseas
b. Atben. VIII, 34G. Diod. Sic. II, 4. Nur obenstebendcr Kultverbalt war Veran-
lassung der in diesen Stellen vorgebracbten ätiologiscben Sagen über die Göttin.
2) Cf. Movers I, 584 — 600.
3) Scbon Movors erkannte als näcbstc Verwandte der Atargatis die
kananitiscbe Göttin, deren Numen und Idol, ein vielfacb nocb mit Laub Tcr-
scliencr auf künstlicben Höhen nebou den Altären des Baal und anderer Göt-
ter aufgerichteter Baum oder Baumstamm, mit dem gleichen Namen Ascbora
belegt wurden (Movers I, 560 — 584). Die nabeliegende Frage, üb nicht
diese Ascheren ebenfalls aus Analogie des Maibaums zu erklären seien, über-
lasse ich den Semitisten zu näherer Untersuchung. Ebenso verdient es Er-
wägung, ob nicht auch der auf assyrischen Denkmälern erscheinende Lebens-
baum , statt ein naturwüchsiger Baum zu sein, dem Maibaumtyxms entsprach.
Er erscheint als ein schlanker, von Knoten unterbrochener Stamm mit einer
Krone gleich einem siebenfäclierigen Palmblatt; er ist jedesmal rings
umgeben mit einem Geschmeide von ähnlichen Blättern oder
Blüten, die unter sich und mit dem Stamm durch ein Netz v^n
Bändern verbunden sind, welche auch den Baumschaft selbst, wie die
gemalten oder geschälten Riuge unsem Maibaum i^Bk. 16'J. 170. 172. 177.
208. 326) in spiralförmigen Windungen umwinden i^s. Piper Evangel. Kai. 1863
S. 23. 79). Der ganz im ethischen und geistigen Gebiet spielende Baum
des (ewigen) Lebens, der Unsterblichkeit in einem jüngeren Zusatz dt-r
Das Frühlingsfcst der syrischen Göttin. 2G3
Atargatis verbrannten Bäume für denselben Typus wie unsere
Maibäume zu erklären ^ maeht die im letzten Kapitel dieses
Buches nachzuweisende genaue Uebereinstimmung unserer Oster-,
Mai- und Sonnwendfeuer, deren Mittelpunkt die Maibäume bilden,
mit den vorderasiatischen Jahrcsfeuem so gut wie gewiß.
Wenn wir den zur Fruchtbarmachung der Aecker auf den
Kornfeldern geübten Scheinkampf in Nepal und Maleyala, wie in
Deutschland wiederfanden (ßk. 552), darf es nicht Wunder neh-
men, daß wir auch zur Verbrennung des Maibaums ein südin-
disches Seitenstück anzuführen haben, von dem es für jetzt
dahingestellt bleibe, ob die Aehnlichkeit nur äußerlich und schein-
bar sei, oder auf tieferem Grunde beruhe. Die Tamulen feiern
im November das Fest Mäbaliräja-tirunal, angeblich zum Anden-
ken an die Höllenfahrt des von Vishnu in die Unterwelt hinab-
getretenen Königs Mabaliräja. Dann zündet man in allen Pago-
den eine Unzahl Lampen an; vor ihnen aber wird ein großer
Palmyrahaum in die Erde gesetzt , um welchen man rund herum
ein Geländer von Holz macht, das man mit dürren Palmyrablät-
tem bedeckt. Dies (dies zümlet man mit einer Fackel an und
verbrennt Baum und Umfriedigung. ^
biblischen Schöpfunj,'s«]roschichte , der zuerst in den salomonischen Schriften
erscheint (EwaM Dichter d. A. B. Ansg. 2. II, S. 4. Lelire d. Bibel v. Gott II I, 72),
war wol ein aus ostsenutisclier Vorstellung? entlehntes vergeistigtes Bild,
welchem eine concrctere Ans<"hauung von Art derjenigen des Maibaum-Lebens-
baums zu Grunde liegen mochte.
1) S. Ziegenbalgs i. J. 17i;> geschriebene „Malabar. Götter" hrsg. von
German, 8.267, vgl. 98. — Zum Kotytienbrauch o. S. 258, vgl. Ziegenbalg
a. a. 0. S. 2G4. An dem im August gefeierten Geburtsfest Krishnas werden der
Pagode gegenüber und zwar gewöhnlich an einem Kreuzwege vier Bäume
in die Erde gesteckt und über selbige ein Pandel aus Aesten von Kokos-
bäumen gemacht, an welches Kokosnüsse und Feigen gebunden
werden. Wenn nun das Krishiiakind aus der Pagode auf die Straße getra-
gen wir<l und vor ein solches Pandel konmit, Läuft ein Hirte herzu und
schlägt na<'h den Früehten. Alsdann begielien sie ihn von oben her-
unter mit Buttermih'li oder mit Wasser, das mit Safran gelb gemacht ist.
Das mag Umdoutung eines älteren Brauchs im Sinne der Krishnalegende sein.
Kapitel V.
Persönliche Vegetationsgeister in Jahrfestgebräuchen.
§. 1. Darstellung der Tegetationsgeister In Jahrfest-
gebrftuchen. Ließ uns das Vorhergehende Kapitel die Darstel-
lung des unpersönlichen Yegetationsgeistes, der Wachstumskraft,
durch einen mit allerhand guten Gaben geschmückten Baum, wie
in Nordenropa, so auch in Griechenland und dem Orient, ak
Gegenstand mehrerer Feste erkennen , so sollen die nächstfolgen-
den Blätter den Versuch machen, in den Gestalten der römischen
Argeer einen Typus nachzuweisen, welcher unseren Laubmänn-
chen , Graskönigen , Pfingstbutzen , Maikönigen u. s. w. der Art
nach verwandt ist. Nächstdem sollen einige weitere Bemerkun-
gen die Gründe darlegen, welche dahin führen, mythische Gestal-
ten ähnlicher Art auch in dem phönikischeu Adonis und phrygi-
schen Attis zu vennuten. Das nordeuropäische Seitenstück des
Argeeropfers erblicke ich in jenem Kreise deutscher und slavi-
scher FrühUngs- und Sommergebräuche, den Maibaum (Bk. 159)
oder Johannisbaum (Bk. 170) oder den in grüne Zweige einge-
bmidefien grünen Georg (a. a. 0. 313), Pfingstbutz, Pfingstl, Pfingst-
könig (Bk. 355), oder statt dessen nur eine menschlich gestaltete
aus grüneyi Beisern geflochtene Puppe (Bk. 313), oder eine S^roA-
puppe, oft mit Kleidern angetan (Bk. 410 fif.), am Lätaresonntag,
am 24. April, zu Pfingsten, am 23., 28. oder 30. Juni (Bk. 159)
in den Bach oder Fluß zu führen oder zu werfen, im Dorfbrun-
nen zu baden, oder von der Brücke in ein fließendes Wasser zu
stürzen (Bk. 353 vgl. Panzer II, 89). Weil er ins Wasser gewor-
fen werden soll, besteht der Pfingstl (Wasservogel) nicht selten
aus einem vom Schreiner gefertigten Gestell in roher Menschen-
gestalt, das ganz mit Sumpfblumen, Wasservogelblumcn (caltha
palustris) umivunden ist (Panzer 11, 85). Die zuweilen ausschließ-
lich von Weibern in Traucrschleiern oder von als Klageweiber
verkleideten Männern um Fastnacht unter Wehklagen hinansge-
Dantellimg der Vegetationsgeister in Jahrfestgebräachen. 265
tragenen Götzen aus Stroh , Hanf oder Halm , heißen in den 8la-
▼ischen Ländern Marena, Marzana u. 8. w. (Bk. 410 ff.). In Ruß-
land wechselt der Brauch , auf Mittsommer das Begrähniß des
in einen Sarg gebetteten Jarilo {Frühling) oder der Kostroma
darzustellen (Bk. 414ff.), wobei Trähnen und Klagen und die
Wassertauche nicht fehlen, mit Bräuchen wie diese, einen mit
bunten Bändern behangenen Baum aufzurichten, der Marena
genannt wird, daneben eine Strohpuppe in Weiberkleidung von
springenden Knaben und Mädchen durch das Johannisfeuer tra-
gen zu lassen und am folgenden Tage Baum und Puppe in ein
fließendes Gewässer zu werfen (Bk. 514). Wir wiesen nach, daß
die Wassertauche ein Regenzauber war, daß sie im Norden im
April oder Mai angewandt dem ins Land einziehenden (durch den
in Laub gekleideten Menschen oder die Puppe, zuweilen, wie in
dem letzten Beispiel, durch Baum und Puppe zugleich dargestell-
ten) Wachstumsgeist die nötige Feuchtigkeit und fröhliches Ge-
deihen erwirken sollte. Dem Ausgangs Juni als sterbend, zu
Lätare als gestorben versinnbildlichten (und daher Marzana, Ma-
rena genannten) Vegetationsdämon zu Teil werdend, sollte diese
Wassertauche dem Nachfolger desselben den zur Erhaltung seiner
Lebenskräfte hinreichenden Regen verschaffen. Zugleich aber
bezweckte die sichtliche Vergegenwärtigung des Wachstumsgeistes
vermöge einer Art mystischer Parallelisierung des Menschenlebens
mit dem Pflauzenleben das Gedeihen der zu einem Gehöft, einer
Gemeinde u. s. w. gehörigen Menschen. Sehr deutlich trat die
vermeintlich zauberkräftige Beziehung der Wassertauche auf Zu-
stände der Zukunft in dem Eryitehrauch hervor, eine aus der
letzten Garbe gefertigte Puppe , den Alten oder die Alte (der Ve-
getation) u. s. w., resp. einen in die letzte Garbe gebundenen
Menschen mit Wasser zu beschütten oder in den Bach zu leiten,
damit es im nächsten Jahre den wachsenden Halmen an Regen
nicht fehle.
§. 2. Die Argeer. Das Tatsächliche, was uns über das
Argeerfest tiberliefert ist, besteht in den nachfolgenden Zügen. In
jeder der 4 städtischen Tribus befanden sich 6, im Ganzen also 24*
1) Varro L. L. V, 45 nennt irrtümlich als Gesammlzahl 27. lieber die
richtige Zahl s. Ri^per lucubr. pontif. P. I. Ged. 1849, p. 19 ff. 23. Becker-
Marqaardt Handbach röm. Altert IV, 200.
266 Kapitel V. Persönliche Vegetationsgeister in Jahrfestgebriuclien.
kleine Kapellen (sacella, sacraria), welche den Namen Argeiy
loca Argea oder Argeorum sacraria^ führten — ein Name, den die
gelehrte Deutelei römischer Antiquare durch die Annahme zu
erklären suchte , diese Orte seien die Grabstätten mit Hercules
eingewanderter Argiyer. ^ Zu diesen 24 Kapellen zog man am
16. und 17. März. * Möglicherweise war es dieser Umzug, wobei
nach Fabius Pictor bei Grellius die Flaminica Dialis mit unge-
kämmten Haaren , d. h. im Traueraufzuge erschien. ^ Da nach
Ovid am 16. März der Umzug der Salier mit dem Mamurius^
stattfand, von dem Tage dieses Umzuges aber gleichfalls die
Anwesenheit der ungekämmten Flaminica bezeugt wird, * müßte
man in diesem Falle annehmen, in Ovids Quelle sei der Gang
zu den Argcem in so enger Verbindung mit dem Salierumznge
genannt gewesen, daß er irrtümlich den dorthin gehörigen Um-
stand hierher verlegte, oder daß eben die Salier auch zu den Argeem
zogen. Möglicherweise jedoch bezog sich die Notiz des Fabius
Pictor nicht auf die Märzfeier, sondern auf die gleich zu nennende
Maifeier. ' Am 13. Mai trug man sodann, nachdem die Pontifices
1) Liv. I, 21: looa sacris facicndis, qua c Arg cos pontifices vocant. Pau-
las p. 19 Argea loca. Varro L. L. V, 45. Argeorum aacraria. Cf. Schweg-
1er K. G. I, 379.
2) Paul. p. 19. Argea loca Romao appellantur, quod in liis sepulti
essent quidam Argivorum illustres viri. Cf. Varro a. a. 0. Ueber diese et\-
mol«)gischc Sage s. ausführlicher R. Sachs, die Argeor im röm. Cultu».
Progr. V. Motten IL Landshut 18G8, S. 3 — 8.
3) Ond. Fast. III, 791: Itur ad Argoos .... Hac si comnieniini
praet^ritaque die.
4) N. A. X, 15, 30: cum it ad Argeos, quod neque corait capnt, no-
quo capillum depectit. Cf. Röper a. a. 0. 25 Anm. 83.
5) UebcT diesen vgl. IL Usener italische Mythen. Rhein, l^fus. B. XXX,
1875, S. 2()9 ff. W. Koscher Apollon und Mars. Lpzg. 1873, S. M.
4G ff. K. Müllonhoflf über den Schwei*ttanz (Festgaben an Honieyer). Berlin
1871, S. 7.
6) Ovid. Fast. III, 397 von den Marauralien: His etiam conjnx apicati
cuncta Dialis Lucibus impexas debet habere comas.
7) Die uns über letztere erhaltenen Berichte [bei Dionysius v. Halicarn.
I, 19. 38; Ovid. Fast. V, (i21sq.; Fest, sexagenarios p. 334 Müller; MafT«»h.
Saturn. 1, 7 , der aus Eigenem fälschlich die Saturnalien hineinniengt (I^"^p€r
a. a. 0. 9)], scheinen z. T., wie aus Dionysius I, 19 erhellt, auf den Histo-
riker L. Manilius zur Zeit des Sulla und zwar großent<>il3 durch Verinittelung
von Varro, im Uebrigen auf des Letzteren gründliche Keuntniß römischer
Die Argeer. 267
und VestaÜDiien das an den Idas gesetzliche Opfer eines Schafs
vollzogen hatten, * 24 {Dionysius sagt wol irrig 30) aus Stroh
oder Binsen in Menschengestalt geflochtefie, mit Schmuck und
Kleidern versehene, an Händen und Füßen zusammengebundene
Puppen zum Pons sublicius, von wo in Gegenwart des Praetor»
und der Vollbürger (cives optimo jure), welche allein das Recht
hatten zuzuschauen,' die Schar der Vestalischen Jungfrauen
dieselben in den Tiberstrom hinabstieß. ^ Diese Ceremonie galt
als eine Lustration (wegen ihres umfangreichen Apparates nennt
Sacralaltertümcr zurückzugehen (Merkel zu Ovid. Fast. CIV: cf. CLXXI.
CC. Ambrosch Studien und Andeutungen S. 198 Anm. 18. Vgl. Sachs ü,
S. 19). Dionys. Antiqu. Rom. I, 38: X^yovai 61 x«l i«? fhvaiag iniUXtiv
T^ Ji(t6i'(fi Tovs nidttiov^f ügnifj iv JK(C()/rj(5üvi , titog ij Tiohg tSi^juaive xal
naQu KtXioig tig TOih /^orov yd'hrm , xnl ^v tikXoig nat jwv lanenfcjr iO^vwv
itr^QOffovovg' *JlQ((xk((i 61, ndioiu jov roMor r»7? (H'omg ßovXrjfh^jtn, tov t€
ß(ou6v ld{iva(t(fO-(ti TOV fn\ rot 2^rtTonr{o} x«/ xtcTcin^na/hfu O^vunxMV äyvCiv fnl
xa&itQ^ ttvq) aCou(rbn\ S'r« 6h urjöh' iTrj rofg avO-oianoig fvif-vtiiov dtg TtaxQltav
ilkoyr\x6üi Ovaidji', 6i6t(^at zovg inix(OQfoL>g unouttkirrofj^rovg rrjv toü &(oO
fifjriv, urr) Ttbr i\vO^()(jj:i (or, ovg avu.ioJii^ovTtg xal tmv )^tiQtav
axQarfig noiovvTfg ^{i{)(7ir()vv fig ro Tißh'oiog (^€iO^(toVf tXSmXa
TT OloVt'Tdg €tv6()fJxfX(i, XtXOaUllu(V(t TOV ftVTOP Ixtd'Oig TQOTTOV,
iußitXfTr ffg ror noTtiuov ^ JV« dt] ro r^c oriffag ort 6rj noTf tj}' iv ratg
d7iävT€or lUv^nig nK{inu^vov f^aiofO^fj, rdiv hixovtov toü TritXttioö fO-oifg €ti ctoi-
^ouivtav. toOto 6k x€t\ (i^^/Qtg ^fioO 6ifT^XofV ^Pmuaioi 6Qm'rig 6'aor ti fxi-
XQOV VoTf oo V (aoi yfjg i(Jf}u t oucg fv fxii vi Altctfo , ta^g xaXov(x(vaig i6 o7g,
6i/ouTjvt6u ßovXo/Ltfvoi Hvtu Tici'TrjV lijy tj/n^o(cr. h' ij n (toO^vOterifg ifQ«
Ttt xKT(c Tovg i'OfjLOvg Ol xaXovutroi ffoiidfixtg , ffo^an' of 6in*f(iv^(fTaT0i
xal avv niToTg ttt t6 nfhirttroi' tivo 6i€ufvXrcTiovGni naQd^fvoi ^ aTOKTrjyot re
xal Tüh' äXXfov TioXtriSiv^ ovg iKtotTvai rnig Uoovoy(aig (f^^utg ^ fl6toXa fiOQ-
(ftcTg i\v t^QtoTiwv iixaa u^ra tqi tcxovTU rör uQiO^ftov uno rfjg itQäg
yfifVQug ßuXXovaiv tfg ro ()tiuf( rov Ti ß^Qi og Id^ye f ovg avrä xa-
XovrTf^^g. Plutarch. Quaest. Rom. 80 : öti ko urjrl roihtii tov utyiarov
71 Ol oOvTKi T(ör xuiHi Ott (0 V rvv uh' it6(oXa (u jTToOitfg ano r^g yerpvQng
efg lov noTauöv, ndXai (f' (trihou'movg. Plut. Quaest. R. 32: toO Matov
firjvög ttno rfjg ^vXd'rig y^f VQug ^l6oiXa (tinroCiT^g arlhQianbiv ffg rov TTorafxöVy
jiQykiovg T« (nnTovutvic xaXoüaiv.
1) Paul. Diac. p. 104, Müller v. „Idulis ovls," Ovid. Fast. 1,56. Hör.
Carm. 111, 30, 8. Vgl. R. Sachs a. a. 0. I, 18G6, S. 3.
2) 8. darüber Sachs a. a. 0. S. 4 Anm. 8.
3) Paul. Diac. p 15. M. Argoos vocabant scirpeas offigios, quao per
Virgines Vestalcs annis singulis jaciebantnr in Tiberim. Ovid. Fast. V, 621.
Tum quoque prisconim virgo simulacra virorura Mittere roboreo scirpea
ponte solet.
268 Kapitel V. Persönliche Yegetationsgeister in Jabrfestgebr&nchen.
Plutarch sie sogar tov jueyiatov riov xax^aQitiov)^ man erwartete da-
von also für die Gemeinde Entfernung von Schäden und Uebeln.
Aach bei dieser Gelegenheit zeigte sich die Flaminiea, eine mttr-
rische Miene annehmend, ungekämmt und ungewaschen. ^ Als
Götter, denen das Opfer dai^ebracht wurde, galten Scdumus
(Eronos) und (oder) Dis pater (Z^idrjg)] eine alte Sage behauptete,
es seien früher Menschen und zwar alte Leute von 60 Jahren, an
deren Stelle als Ersatz später die Binsenmänner (scirpei Quirites)
in den Fluß geworfen. Es ist nun längst wahrgenommen, daß
die 24 Puppen * Vertreter von 24 Stadtbezirken waren; ' jeder
derselben wollte seinen Einwohnern durch die Wc^sertauche ein
besonderes Heiltum sichern. Die Yestalinnen und Pontifices ver-
treten wie bei den Fordicidien das Zusammenfassende, die Staats-
idee; die Prätoren ((TTQccrrjyni) ^ deren Gegenwart offenbar eine
Einrichtung späterer Zeit, vertreten dagegen den Senat, welcher
als oberste Aufsichtsbehörde über Religion und Kultus für die
Reinhaltung der vaterländischen Gottesverehrung Sorge zu tragen
hatte. * Wenn, wie man mehrfach beobachten kann, die Idee der
Lustration die negative Kehrseite der positiven Mitteilung von
Kräften des Wachstums und Gedeihens ist,* so liegt es nahe,
auch in dem Argeeropfer eine der vielfältigen Darstellungen der
Vegetationsnumina zu vermuten. Und in der Tat ist die Aehn-
lichkeit der o. S. 264 angeführten deutschen und slavischen Sitten
so auffallend, daß schon J. Grimm Myth. * 733 Anm. 1 den
Lätarebrauch , beim Todaustreiben Strohpuppen ins Wasser zu
werfen, mit dem Argeeropfer verglich. Dagegen erhob Preller
R. M. 516 Anm. 2, unter Anerkennung der Aehnlichkeit mit Recht
den Einwand, daß die Jahreszeit zu dieser Vorstellung nicht
1) Plutarch. Qiiaest. Born. 86: J/o rryi» (fla^irixav ii^uv xfig "limt^
fivni doxovaav vd'ö/Liiaiai axvxhQtoTitt^iiv /nrjrt kavo/ui^vriv firftt xoOfAOvutftir.
2) Varro 1. 1. Vll, 44. Argei fiunt e scirpeis siraulacra hominum
XXIV , ea quotannis de ponte sublicio a sacordotibos publice dciici solcnt in
Tiberim.
3) S. Schwegler R. G. I, 377. Marquardt Handbuch IV, 201.
4) S. Sachs a. a. 0. 5 Anm. 2. Vgl. Becker -Marquardt Handbuch II, 2
S. 452.
5) Hierüber werde ich später bei Publication einer eingehenden Arbeit
über die Luperealien ausführlichere Beweise beizubringen Gelegenheit haben.
Einstweilen vgl. Bk. C07. 608.
Die Argeer. 269
passe. Da der Taurus 23. » jal. 9. Mai nach dem römischen
Bauemkalender den Sommeranfang bezeichnete, Aries 1. =
17. März Frühlingsanfang und Nenjahr,^ so ist es emlenchteud,
daB die beiden Argeerfeste im März und Mai sich dem Gedanken
nach entsprechen, wie Lenzesbeginn und Lenzesende; daß mithin
das Argeeropfer, wenn überhaupt in die von uns vermutete
Kategorie fallend, den oben S. 265 erwähnten Mittsommerbräu-
chen vergleichbar , das Hinaustragen des sterbenden Frühlings-
dämons (vgl. Jarilo) und seine Wassertauche , die Prozession am
17. März seinen Einzug ins Land darstellen sollte. Es ist wahr-
scheinlich, daß diese Fixierung auf Frühlingsanfang und die
ersten Idus (Neumond) nach Sommeranfang einmal von den
Pontifices selbst in jenen langen Zeiten der Verwirrung des offi-
ziellen Kalenders geschehen sein mochte, als die früheren fixier-
ten Festtage von den ihnen zukommenden Jahreszeiten allzuweit
entfernt waren ^, und nicht unmöglich bleibt es, daß das ältere
und ursprünglichere Datum des Argeeropfers im Hochsommer,
um die Zeit der Sonnenwende, zu suchen ist. Eine ziemlich
deutliche Spur der einstigen Verlegung vom Juni in den Mai
vermeine ich folgenden Tatsachen entnehmen zu dürfen. Das
Argeeropfer fiel in dieselben Tage , wann die drei ältesten Vesta-
liunen (7. — 14. Mai) die frühesten reif gewordenen Öpeltähren
schnitten, in Emtekörben (corbes messuariae) aufsammelten, zur
Tenne trugen, rösteten, mahlten und das Mehl zur Aufbewahrung
in den Penus Vestae brachten. Serv. Virg. Buc: YUly 82. Vier
Wochen später vom 9. — 15. Juni, d. h. in der Zeit, wann im
Großen und Oanzen die Einheimsung des Getreides ernstlich
begann und in Zug kam (nach Varro R. R. sogar erst „inter
solstitium et caniculum plerique messem faciunt^'), folgte das
Fest der Vestalia, ein Erntefest, wobei Müller und Bäcker ob
des neuen Vorrats jubelten und mit Blumen und Broden bekränzte
Esel umhertllhrten. Dann bereiteten die Vestalinnen durch Zu-
mischung von Salz aus jenem heiligen Mehl die zu Opfern uner-
läßliche mola Salsa oder mola casta; ^ dann reinigten sie den
Penus Vestae und trugen den Kehrricht in den Tiberstrom,
1) Th. Momnisen Rom. Chronol. Aufl. 2 S. 2G. Cf. 70.
2) Mommson a. a 0. S. 70 Anm. 99.
3) Serv. Verg. Bucol. VIII, HJ. Cf. Prouner Hestia-Vesta S. 307.
270 Kapitel V. Persönliche Vegetationsgoister in Jahrfestgebräuchexi. *
damit ihn dieser ins Meer entßhre (Ovid. Fast. VI, 707), oder
auf eine gewisse Stelle des capitolinischcn Hügels; dann endlich
erschien auch die Flaminica Dialis in dem Traaeraofzoge, unge-
kämmt, mit ungeschnittenen Nägeln, wie beim Argeeropfer, und
den Bürgern waren keine Hochzeiten gestattet. Ovid. Fast VI,
226 sagt die Flaminica:
Donec in Iliaca placidus purgamina Vesta
Detulerit flavis in mare Tibris aquis,
Non mihi detonsae crines depectere buxo,
Non urigues ferro subsecnisse licet,
Non tetigisse vimm, quamvis Jovis ille sacerdos,
Quamvis perpetua sit mihi lege datas.
Nun hatte die Auskehrung doch offenbar ursprünglich keinen
andern Sinn, als zur Aufnahme des neuen Vorrats vom heiligen
Mehl das Haus und die Vorratskammer der Göttin zu säubern,
mithin wird dieser Vorrat selbst schwerlich 4 Wochen zuvor
beschafft und herbeigetragen sein. Somit ist anzunehmen, daß
ehedem die Bereitung des heiligen Mehls aus den Körnern der
neuen Frucht mit der Mischung zur mola salsa in der eigent-
lichen Erntezeit zusammenfiel, aber später in den Mai verlegt
wurde. Ist es da nicht glaublich, daß die Hinaustragung der den
Dämon der abgelebten Vegetation darstellenden Argeerpuppen in
den Fluß einst in dieselben Tage der Auskehr des Alten gefallen
ist, und daß damit der Traueraufzug der Flaminica verbunden
war, der bei der Verlegung in den Mai sowol am Argeeropfer,
als an dem Tage der Uinaustragung der Reste und Abgänge des
alten Vorrats haften blieb? Doch wie dem auch sei, auch ohne
die ehemalige Zusammengehörigkeit der Vestalien und des Ar-
geeropfers wird unsere Deutung desselben als sommerliches Fest
durch die einzelnen Züge desselben augenscheinlich bestätigt.
Die Bezeichnung der Argeerkapellen als Begräbnißstätten
ruht mutmaßlich auf dem Umstände, daß die hier dargebrachten
Opfer die Merkmale emes Todtenkultus an sich trugen, den
Parentalia ähnlich sahen, ^ ganz natürlich, wenn die Maifeier Tod
und Bestattung des nach den 24 Bezirken vervielfältigten Vege-
tationsgeistes des Frühlings darstellen sollte, da die Binsenidole
doch wol aus den Sacellis abgeholt wurden. So erklärt sich auch
der Traueraufzug der Flaminica. Daß die Puppen nicht, wie
1) Cf. Schwegler ß. G. I, 379 Anin. 10.
Die Argeer. 271
größtenteils im Norden, ans grünbelaubteu Reisern, sondern aus
Binsen hergestellt wurden, steht ganz jener Bekleidung des Was-
servogels mit Caltha palustris (o. ä. 264) parallel, und war außer
dureh die Rüeksieht auf ihre Bestimmung zur Wsissertauehe aueh
wol dureh das Bestreben bedingt, ihnen auf einige Monate Halt-
barkeit zu geben. Deim wenn ich recht sehe, hat man (in älte-
rer Zeit wenigstens) schon im März die Puppen angefertigt und
(wie unsere Maibäume) dieselben an den bestimmten Orten auf-
gestellt, welche mit der Zeit in umschlossene mit Altar versehene
Heiligtümer, Kapellchen, sacella, verwandelt wurden, von der Art,
wie solche bei den Alten häutig (nach den Seiten hin offen) hei-
lige Bäume einfriedigten und überbauten. ^ Hier blieben sie daim
wol bis zu ihrer WegtÜhrung im Juni oder Mai. Daß jeder
Stadtbezirk seine Argeerpuppe hatte, entspricht genau der Auf-
richtung eines besonderen Maibaums in jedem Viertel oder jeder
Straße zumal französischer Städte (Bk. 169). Durch diese An-
nahme, daß die heiligen Orte ursprünglich die Bestimmung hat-
ten j Standorte der liinsenmänncr zu sein^ erUärt sich auf ein-
fädle und ungezwungene Weise, iceshalb sie wie die letzteren
Argei genannt waren. Die aufgestellten Puppen (Argei) selbst
waren das Ziel, zu welchem während der beiden Märztage die
Besuche der Bezirksgenossen strömten, wie in Kußland zu dem
als Idol aufgepflanzten Pfingstbaimi (Bk. 158); oder zu denen
man vielleicht von Kapelle zu Kapelle in feierlicher Prozession
Rundgang hielt in der Weise, wie heute am Frohnleichnamstage
die festlich gekleidete Menge von einem in grünem Birkenschmucke
prangenden Feldaltar zum andern betend und singend mit ihren
Fahnen und Kreuzen fortschreitet. Der Ausdruck „itur ad Ar-
geos" läßt beide Deutungen zu. Die älteste Erwähnung der
Argeer in den Versen des Ennius (Fr. 123 — 124 Vahlen):
mensas constituit itlemque ancilia
lil>a(|ue fictores Argcos et tutulatos
würde, sobald man sie mit Röper als eine Aufzählung der Fest-
tage des 15. — 17. März betrachten dürfte, die Aufstellung der
1) Böttiehcr ßaamkultus der Helleneu S. 152 ff. Cf. Festus p. 319:
Sacella diciintur loca diis sacrata sine tecto. — Gcllius 6, 13: Trobatius
in libro de religiuiiibu.s secando. äacelluui est locus parvus dco sacratus
cum ara. Fest. p. Hl: Fagu[tal] Kacelluni Jovis, in quo fuit fagus arbor, quao
Jovis Sacra babebatur.
272 Kapitel V. Persönliche Vegetationsgeifiter in Jahrfestgebräuchen.
Argeerpuppen fttr diese Tage ausdrücklich bezeugen, da das
Wort Argei neben den gedeckten Festtafeln (mensae) und heili-
gen Schilden (ancilia) der Salier, sowie den vielleicht (wie oft
andere derartige Opferkuchen) auch Tier- oder Menschengestalt
nachahmenden Fladen (liba) des Festes der Anna Perenna und
ihren Verfertigern (fictores) als Einrichtungen des Numa genannt,
etwas Substantielles, einen Apparat des Festes bezeichnen muß.^
Allein Sachs a. a. 0. S. 28 bemerkt dagegen mit Recht, daß aus
dem Fragmente keinesweges zu ersehen sei, daß Ennius die auf-
gezählten Stücke als unter einander in Verbindung stehend
genannt habe, sondern nur dieses, daß er sie sänuq^ch itir
Einrichtungen des Numa erklärte. Dagegen spricht der Ausdruck
des Ovid „itur ad Argeos; qui sint sua pagina dicd: hac, ri
commemini, praeteritaque die^' (nämlich März 16. 17.), entschie-
den zu Gunsten unserer Auslegung. Denn offenbar sind hier
unter den Argei die V, 62^ und 630 zwar nicht benannten, aber
deutlich beschriebenen simulacra virorum scirpea, straminei Qui-
rites, somit die Binsenpuppen und nicht die gleichnamigen Kapel-
len zu verstehen. Das Hinabwerfen der ausgedienten Argeer-
puppen, der nunmehrigen Alten der Vegetation^ in den Fluß hat
seine nächsten Analogien in der vorhin erwähnten Ausschüttung
des alten Kehrrichts der aedes Vestae, sowie ein andermal der
auf geweihtem Boden gewachsenen Ernte des Tarquinius in den
Tiberstrom. Unrat und Ernte, beides sollte vernichtet werden,
aber ihnen wohnte zu sehr Empfindung des Verbundenseins mit
dem Heiligen bei, als daß dies auf profane Weise möglich schien.
Sie wurden deshalb dem reinen Strom übergeben, damit er sie
ins Meer entillhre. Es ist sehr wahrscheinlich, daß man vielleicht
schon im Ausgange der königlichen Zeit das Argeeropfer in
gleichem Sinne aufgefaßt habe; aber eine ältere Stufe lag dahinter,
in welcher die Wassertauche der Laub- oder Binsenpuppe noch
1) Cf. Marquardt Handb. IV, S. 202 Anni. 6. Roper a. a. 0. 25: Itaqne si
teste Ovidio „hac praeteritaque die itur ad Argeoß:** eosdem patet signi-
ficare Knnium; eosdem vero Enuii interpres Varro dixit fieri e scirpls sima-
lacra hominam 24, oaque quotannis de ponte sublicio a sacerdotibiis deiici
solere in Tiberim.
2) Cf. den „Alten", Komdämonen S. 24ff. Daher vielleicht die Sage,
Greise seien ehedem von der Brücke gestürzt und an deren Stelle das Ar-
geeropfer getreten.
Adonis. 273
HegenzaulKr war. Damals , als man die agrarischen Beziehungen
des Brauches noch durehftthlte, wird man denselben zu Sa^'tur-
nus, dem Gotte der Saaten , in Beziehung gesetzt haben; auch
diese Beziehung erführ eine Umdeutung, indem man die Wasser-
•
tauche der Binsenmänner als Opfer und zwar als Surrogat eines
Menschenopfers auffaßte (eine für eine sehr frühe vorhistorische
Periode der Wildheit vielleicht nicht unrichtige [Bk. 364], für die
Zeit der römischen Könige, in welcher ja die Puppen [also nicht
in Laub, Binsen u. s. w. gekleidete Menschen] in den sacella Ar-
georum aufgestellt wurden, abzuweisende Conjectur). Nunmehr
dachte man an die Analogie des mit Menschenopfeni geehrten
karthagischen Kronos (El) und fügte dem so als Unterweltswesen
gefaßten Satumus den erst im Beginne der Republik eingeführten
Dispater ^ als Mitempfanger des Opfers bei. liätselhaft bleibt
nur der Umstand, daß auch beim Frühlingsfeste die Flaminica
Dialis im Traueraufzuge erschien. Entweder hat Ovids Vorlage
irrtümlich einen Zug des Maifestes auf die Märzfeier übertragen,
oder die Priesterin der Juno vertrat bei letzterer diejenige Seite
des Festgedankens, welche bei unseren Lätaregebräuchen durch
das Todaustragen vor Einführung des Sommers, beim Attisfeste
durch die drei ersten Trauertage zum Ausdruck gebracht war.
§. 3. Adonis. Wenn ich nunmehr dazu übergehe, die von
Phoenikem, zunächst wol denen auf Cypern, entlehnte Adonisfeier
der Griechen* mit den in §. 1 d. Kapitels berührten Volks-
gebräuchcn Nordeuropas zu vergleichen, so geschieht dies selbst-
verständlich keinesweges in der Meinung, diesen wichtigen
Gegenstand schon jetzt zur endgiltigen Lösung zu bringen, bei
dessen Erörterung die semitische Altertumswissenschaft das ent-
scheidende Wort zu sprechen hat. Wol aber glaube ich v(m den
Gesichtspunkten aus , welche unsere vorangehenden Untersuchun-
gen eröffnen, auf mehrere Tatsachen aufmerksam machen zu
müssen, welche es verdienen, beim Fortgange der Forschung
1) Preller R. M. 474 if. Marquardt Handbuch IV, S. 51.
2^ lieber diesen Kalturt vgl. im Allgemeinen W. H. Engel Kypros. Berl.
1.S41. II, S. 536 — ()43. Movers Phoenizier L 191—253. H. Brugsch Ado-
nisklage und Linoslied. Berlin 1852. Baudissin Studien zur sem. Religions-
Kcscliichte I. LjJZg. 1H76. J. M»'ursii Graeeia fcrinta 1. 1, in Gronov. Thesaur.
(Jraec. anti^iu. VII, Lugd. Bat. 1691), \^. 706 — 709. l*reller Griech. M.vth. I,«
285-289. Pauly Realenc.vclopädio I/^ 175- 178.
Mannhardt. II. 18
274 Kapitel V, Persönliche Vcgetationsgeister in JahrfestgebrancheiL
in den Kreis der Erwägungen aufgenommen und darin berück-
sichtigt zu werden. Der neueste Stand der Frage ist, so viel
mir bekannt geworden, der folgende. Aus den Nachrichten
griechischer Schriftsteller, welche z. T. bis ins siebente Jahrhun-
dert V. Chr. zurückreichen, wissen wir von einem Feste, bei
welchem laute Todtenklage um einen in der Blüte der Jugend
gestorbenen Heros oder Oott Adonis, den Geliebten der Aphrodite,
ertönte, sodann dessen Wiederaufleben gefeiert wurde. Die
schon durch den phönikischen Namen Adon, d. i. Herr, bewährte
semitische Herkunft dieses Kultus ist den Alten stäts im Bewußt-
sein geblieben und in genealogischen Mythen ausgesprochen.^
Noch Cicero weiß, daß die dem Adonis vermählte Venus die
lyrisch -syrische Astarte sei.* Erst durch Strabo (L. XVI, c. 2.
§. 18. C. 755) lernen wir Byblos als einen Hanptsitz der Feier
in Phoenikien selbst kennen und der Verfasser der angeblich
Lucianischen Schrift über die syrische Göttin giebt uns von der
bereits mit Ideen und Gebräuchen des ägyptischen Osirisknltos
verschmolzenen Begehung daselbst eine eingehendere Beschreibung.
Da aber das Wort Adon, Herr, in den uns bekannt gewordenen
phoenikischen Inschriften ein ehrendes Epitheton mehrerer, ver-
schiedener Götter ist, liegt die Vermutung nahe, daß die Griechen
die Benennung des Gottes nicht einem einheimisch semitischen
Eigennamen desselben , sondern den Anrufungen des Kefrains des
Klageliedes „Adonai," d. i. mein Herr! entlehnten.^ Mit ziem-
licher Gewißheit darf man behaupten^ daß die aus Babylonien
nach Jerusalem verpflanzte Klage um Taynmuz (Ezechiel 8, 14),
nach welcher der Monat bei den Chaldäem, und in nachexili-
scher Zeit bei den Juden Tammuz, bei Syrern Tomnz genannt
wurde,* der Adouisfeier verwandt war, ob genauer entsprechend
ist nicht auszumachen. Doch zeugt daftlr allerdings die Ent-
deckung der neueren Assyrologie, deren Correctheit zu prüfen
1) Vgl. Baudissin Studien S. 299 fF.
2) Cicero nat. deor. III, 23. Quarte (Venus) Syria Tyroque concq^ts^
quao Astarte vocatur, quam Adonidi nupsisse proditum est.
3) Brugsch Adonisklago 8. 19. Baudissin a. a. 0.
4) Ideler Chronologie der alten Völker S. 430. 509. Delitzsch bei Bau-
dissin a. a. 0. S. 35. 301. Oppert. Schradcr Jahrb. f. protest. Thool. 1. 1875.
8. 128. Lenormant Anfänge der Cultur II, 50 IF. 71. Dcrs. La langiie primi-
tive de la Chaldeo 370. 431.
AdoniA. 275
nicht in meinen Kräften steht, daß dem hebräischen Monatsnamen
Tammnz der assyrisch -akkadische vierte Monat (Juni, Juli) Duzfi
oder in anderer Aussprache Duvzi, Dumuzi, Sohn des Lebens,
d. h. Sprößling entspreche. In den epischen Gesängen, welche
Sardanapai nach Lenormant aus altchaldäischen Originalen des
17. Jahrhunderts v. Chr. abschreiben ließ, ist Duzi, der Sohn des
Lebens, der Gegenstand der Leidenschaft der Istar (der phoeni-
kischen Astarte) gestorben; Istar geht in das Todtenrelch, um für
ihn die himmlischen Wasser des Lebens zu holen , und wird dort
festgehalten. Da bespringt nicht mehr der Stier die Kuh, der
Esel die Eselin, die Zeugung unter den Menschen hört auf. Die
Gfitter l)efehlen Istars Befreiung; sie steigt wieder durch die Pfor-
ten der sieben Sphären des Landes ohne Heimkehr empor, ihre
abgelegten Kleidungsstücke wieder an sich nehmend, empfängt
aber zuvor im Pabiste des Geistes der Erde das Lebenswasser,
um es auf den Sohn des I^bens , den jungen Mann , ihre glü-
hende Leidenschaft, zu sprengen, und zwar, wie es nach den
Schlußzeilen des Liedes von der Höllenfahrt der Istar scheint,
bei dem großen Trauerfeste , das Männer und Weiber mit vielen
Trähnen am Sarge des Duzi begehen. Ein anderer Text stellt
den Sohn des Lebens selbst zu den Wohnsitzen der Todten hin-
absteigend, ein dritter, der ihn mit der Sonne vergleicht, sein
Vcrhältniß zu Istar nicht als das des Gatten oder Bräutigams,
sondern als das des Sohnes dar. Das Epos von Izdubar läßt
diesen Gott oder Helden die vom Sohne des Lebens zurückgelas-
sene Witbve Istar freien. ^ Wenn die Uebersetzung dieser Stücke
bereits Verläßlichkeit besitzt, ist es einleuchtend, daß die mit-
geteilte Erzählung größtenteils eine ätiologische Mythe, eine
historische Erklärung der Klagefeicr war, bei deren Schluß über
eine Bahre oder eine den ,,götUichcn Sprößling ^^ bezeichnende
Gestalt Wasser ausgegossen wurde, vofi dem man ein
Wiederaufleben crwaHete. Diese Feier, welche nach Ausweis des
Monatsnamens zur Zeit der Sommersonnemvende ^ stattfand, muß
1) Lenormant die Anfänfro der Cultur IL 58. 6«. (38 ff. 70 — 73.
2) Nach einem von Mos. Maimonidos bewahrton Fragmente des Buelics
,,die nabatäischc Landwirtschaft" war d(T Schau phitz der Tammiizlclai^o zu
Babylon das Innere eines Tim])els mit einer pfroßon BildHänle, welche die
Sonne darHtcUte. Aber dieses Ihicli ist von selir zweifelhaftiT Eclitheit.
Lcuonnant a. a. 0. 72.
18*
276 Kapitel Y. Persönliche Vogetationsgeister in Jahrfestgebräachenu
aber, da die Benennnng der handelnden Personen (Istar, DuTzi)
sich nur aus der akkadischen Sprache erklärt, bereits in der fer-
nen, den Chaldäem voraufgehenden Kulturepoche anter den
Akkader genannten tnranischen Ureinwohnern Babylons entstan-
den und von diesen auf ihre semitischen Nachfolger vererbt and
später durch die assyrischen und babylonischen Eroberungszüge
nach Palästina weiterverbreitet sein. Istar ward bald als Gk>ttheit
des Mondes, bald als Gottheit des Planeten Venus gedeutet, sie
galt aber auch als Urheberin der Fruchtbarkeit, und nur in die-
ser göttlichen Eigenschaft spielt sie nach einer richtigen Bemer-
kung Baudissins ^ in Brauch und Mythus der Duvzifeier eine
Rolle. Ueber die Bedeutung des „göttlichen Sprößlings'^
scheint nichts überliefert, sie ist lediglich aus dem Kultas zu
erschließen.
Der akkadisch- babylonische Ursprung der palästinensischen
Tammuztrauer schließt nicht aus , daß in der Adonisklage schon
seit alters ein ganz analoger Typus bei den Semiten Vorderasiens
selbständig bestand. * Ob also das Yerhältniß der letzteren Feier
zur ersteren ein töchterliches oder schwesterliches, oder noch
anderer Natur war, bleibt vor der Hand eine offene Frage;
jedesfalls bezeugen die überlieferten Bräuche in hohem Grade
Verwandtschaft der Art. Frauen in Trauergewändem ließen
einen oder mehrere Tage hindurch, die Brust schlagend, herz-
zerreißende Klagerufe und Klagelieder ertönen. Die Klage galt,
wie man sagte, dem Tode eines schönen Jünglings, des Gelieb-
ten der Aphrodite (d. i. der phönikischen Astarte oder Baaltis)^
den in der Blüte des Lebens der Eber des Ares getödtet. Zu
den Todten hinabgestiegen, gewann er auch hier in so hohem
Grade die Liebe der Persephone, daß sie ihn nicht fortlassen
wollte, und nur mit Schmerz auf der Götter Gebot darin willigte,
daß er je alljährlich auf sechs Monate ^ (später hieß es zwei Drit-
tel des Jahres *) zur liebenden Aphrodite an das Licht der Sonne
1) Baudissin S. 33.
2) Vgl. Engel a. a. 0. 623 ff.
3) Schol. Theokr. III, 48. Lucian Göttergespr. 11. Hygln. poot
astron. II, 7.
4) Die Mythe bei Fanyasis (vgl. Engel a. a. 0. 570) halte ich nicht für
eine Mysteriensage, sondern für eine wahrscheinlich durch die athenische
Erichthoniossage beeinflußte Sproßform des gewöhnlichen Adonismythoa.
Adonis. 277
wieder emporsteige. Das Verhaltniß der Göttin zu dem Gelieb-
ten ist dabei stäts als ein edles, bräutlicbes oder als das ehrba-
rer Gattenliebe gedaeht^ Dieser Mythus nun war nicht etwa
der Ursprung der Bräuehe, sondern umgekehrt die Umsetzung
der Festhandlungen und ihres ideellen Inhalts in eine Hegeben-
heit. Zu Grunde lag die Vorstellung, daß Jahr um Jahr im
Frühling ein göttliches jugendschrmes Wesen , sei es die Personi-
fication 3er im Keimen, Wachsen und Keifen der Tflanzen sieh
vollendenden Frühlings- und Sommerzeit, sei es die personifizierte
Wachstumskraft der Natur zur Aphrodite-Astarte zu bräutliehem
Liebesleben emporsteige, im heißen Hochsommer oder Herbste
aber ins Schattenreich, in die unsichtbare Welt dahinscheide, um
im nächsten Lenze wieder zu erscheinen. Diesen Gedanken
stellten die Festgebräuche in verschiedener Weise dar, jenach-
dem die Feier in den Frühling, oder in den Hochsommer fiel.
Entweder nämlich ging der Trauertag voraus und die Verherr-
lichung des Wiederauflebens des Adonis folgte, oder man stellte
zuerst das bräutliche Zusammenleben des Gottes mit Aphrodite
dar, und danach sein Scheiden, aber nicht ohne die Bitte um
gnädige Wiederkehr im nächsten Jahre. Von ersterer Form
bietet Byblos ein Beispiel. Da hier die Begehung in den Früh-
ling fiel (Febr. — März ^) , stellte man zuerst das Bild des Adonis in
Gestalt eines Todten aus, welcher unter den Klageliedern, Träh-
nen und Janmierrufen der au ihre Brust schlagenden Weiber mit
Todtenopfem vermutlich zu Grabe gel)racht wurde. Am Tage
darauf aber holte man ihn jubehid wieder her\^or und sagte, er
sei auferstanden. •* Die zweite Weise der Feier lehrt Alexandria
kennen, wo nach Ausweis der um die Bahre gehäuften soeben
gereiften Früchte die Begehung in den Spätsonmier gefallen sein
muß. * Theokrit beschreibt Id. XV die glänzende Feier, welche
Ptolemaeus Philadelphus und seine Gemahlm Arsinoe (wahr-
scheinlich 277 V. Chr.) nach kyprischem Vorbilde in ihrer Hof-
burg anstellten. Auf purpurnem Polster ruhte Adonis, das Bild
1) Engel a. a. 0. 573. 601 ff.
2) Die Beweise liefert Baudissiii a. a. 0. S. 29S Anm. 3.
3) Lucian de dea Syria 6: f/jfnr c^^ nnoTvilnnvinC Tf xtä änoxXctv-
atonat , nQdnrt fih' xajay(C.ovai tw lii^tarnh oxm^ fotfjt v^xvi , fit tu dt ifl
li^Qfj 'A"^('t/ itin:iv i^ (Ätv fivdoXoy^oroi xm ti rov ^i^QU n^/nnovaiv.
4) Vgl. Engel a. a. 0. 547.
278 Kapitel Y. Porsönliche Vcgetatiunsgcister in Jabrfestgebraudioii.
ehies Achtzehnjährigen in schönster Jugendflüle, neben ihm war
auf gleiche Weise Aphrodite gebettet. Neben ihnen und rings
umher standen oder lagen Früchte jeder Art und Adonis^urtchen,
in silbernen Körben^ Kuchen aus Mehl, Honig und Oel, allerlei
(gebackene?) Tiere, fliegende und kriechende. At^ch grüne
Laubdächer waren errichtet y mit zartem Dille belastet, über
welche Eroten hinflatterten, wie junge Nachtigallen, die von Zweig
zu Zweig hüpfend den ersten Flug versuchen. Und nun alles
das Ebenholz, Gold und die beiden elfenbememen Adler, den
Ganymed emportragend! Eine Sängerin trug Aphroditens Lob
vor, wie ihr die Hören nach Jahresfrist den Adonis aus dem
Acheron zurückgeführt hätten. Heute, so schloß die Sängerin,
möge Aphrodite des Adonis sich erfreuen, morgen mit dem Früh-
rot wollen wir Weiber ihn ins Meer tragen , mit aufgelösten Haa-
ren, das Gewand zerreißend, die Brust entblößend, und lauten
Gesang erhebend: „Sei uns gnädig, lieber Adonis, jetzt und im
künftigen Jahre! Freundlich kamst du, und freundlich komme,
wann du wiederkehrst." Und auch das zuschauende Volk singt:
„Gehab' dich wol, geliebter Adonis, und zu Glücklichen komme
zurück!"* Nach einer Notiz in dem Argumentum des Theokri-
tischen Idylls scheint man übrigens nicht bloß in der Königs-
halle, sondern an mehreren Orten der Stadt Adonisbildcr ausge-
stellt zu haben, welche jedesmal die vornehmsten Frauen ins
Meer trugen.^ Doch ließe sich die Angabe auch wol anders
fassen und Ihre Glaubwürdigkeit ist zweifelhaft. Sicher aber fand
in Athen an verschiedenen Stellen die Ausstellung (yM&eÖQa) * von
1) Tlieokr. Id. XV, v. 112: 7T(\q /uiv ot (Öqkc xttrcii , oaa d{tvog iixQC
fftnoiTi , 7?«// (V (i7i((Xo) y.anoi , n^f^rXityniroi h' nOxwiaxotg aoyv{tioii
Dazu bemerkt der »Scholiast: Tidria tfria) ja axoo^Qva nuQKiiiitviKi tä
Adm'iöi , «77 o Timiolag tSing onajorn'.
2) V. lo2: LiibO^fv <r äutufg ivr lifAic ifnoaot icd^QOta ?|w oiad^ufg ttoti
xvum' (n' uiovi Tniorrn. V. 143: XlaO^i vi^v, (f(V'^^ü)ri, xai (g v(vn H"
^vut]a(ug. x(d vir ^vi^tg. yithori , x((t oxx' iafi'xij, ^().og fj^fig. V. 149: X«/V*
IVcfwr «;'«7i«r^, x(a ^g /c({oorT((g (ctfixnv. Vgl. Scbol. zu v. 132: ^.it ytto
liiv iH'daoaav fx^ttyoi^jHg xov yidontr t^tttitrov tn' arrtji'.
3) "/iV>of ;«() fi/oi' ol ii'!Alt^aviS()iiit ir roig jiSorviotg xttXov^^ioig, loQrr,
^t i]v V7i^(i Tov Id^tüvtöog Ttlovfji^vriy xoajuftv ttöotXit roO \4^wri6og xtu
/utTu libv int()t/üva(oi' Inl ji^r i^uluaaav xofifitiv.
4) Hesycb. : xai^^doa. i}vaia Mm'idog,
Adonis. 279
Todtenbildem statt und die Weiber auf den Dächern klagten,
weinten , sangen Trauerlieder und schlugen sich an die Brust. ^
In Athen treffen wir auch die Adonisgärten (tl^hoi '^ddvidog)
wieder an, erdgefUllte Körbe oder Töpfe mit allerlei zarten
Pflanzen (Blumen, Getreide, Fenchel und Lattich), welche durch
Sonnenwärme in acht Tagen künstlich getrieben waren und
darum kraftlos und hinfällig auffallend schnell verwelkten , ^ so
daB der Name Adonisgärten sprichwörtlich wurde, um damit,
wie wir von Treibhauspflanzen im Gegensatz zum Naturwüchsigen
reden, schnell Entsprossenes, aber nicht zur Reife Gediehenes aus-
zudrücken. ^ Diese Gärtchen standen neben der Bahre des Ado-
nis und wurden daher als htizdq)ioL bezeichnet , oder in dem
Vorhof, vor der Türe der Tempel, wenigstens im Orient*, wo
auch im Walde (?) abgehauene Bäume zu Ehren des Adonis in
1) Flutaroh. Alcibiad. 18: ElSiaXa nolXaxov rexQoTg (xxofit^ofxivoig
BfAoitt n^oVxettto rnig ywai^l^ x(tl raifccg i/ui/noHnro xoTitoutvm xal d^Qtjvovg
y6ov. Plut. Nicias 73: jldioviu yäo i]yov al ym'aixig notf, xni JiQoVxfiro
noXXa^oO^t Tfjg Ttolfoig fT^toXct xal xtafoi Tifol «iV« x«) xontjol ym'ttixdry
fjaav. Vgl. Aristoph. Lysistr. 389 ff.: *0 r' lidtovtnafiog ovrog ov 'nl rwv
Tty&v; — ij yin'i] d' öo/ovf4.^vr] al itt !l4Ja)riv (f-ija^v — ^ vnont7i(oxvVy ^
ywii ^7il Toö j^yovg xonrtoif' *M(oviv, (f.r\olv,
2) Eudocia 1: ^t(xrjv jidan'tSog xt'jTiov narrodaTJoTg ävx^iatv tvto-
^fai ßgvovTtg. Scbol. Tbeocr. Id. XV, v. 112: Liatihnai yä() iv roTg utöia-
v(oigj nv()ovg xttl x{)ix)^ccg anfiQftv fv riai n^onffThCmg (?), xnl jovg (fv-
Ttvi^ivrag xjqnovg ji^on'(ovg 7inog((yo()fVfir. Simplic. iu Aristot. Phys. V, 403
Bekk. : Kai aTrog (fiä S^^ourjv la/v (frfiai xa) aV^ftai h' roTg l4S(ovi6og
xaXoi'u^t'Otg xrJTioig, tiqo tov ^iCtjO^fjrai xa) TTiXrjf^fjrai h' t^ yfj. Suid. :
Id^tin'i^og xfjTioi fx ^Qt^dxtav xal fiaQdihQon', änfQ xai^anfiQov fv düTQUXotg.
Julian. Caesar, c. XXIV, I. p. 329 Spanh.: xal 6 2!fiXi]r6g: dXX' ij lovg Mio-
vtSog xrjnovg wg *(>;'« »?,«n', w Kiovaiavrivty laiioO 7iQoaq({iftgy al yvj'aTxtg
T^» Tfjg ji(f()o^(Trjg dr^Ql (fvtivovair daT{)axioig ^TiajUTjafe/mvai yfjv Xa/av(av.
XXcjQfjaavra J^ rarra ngog oXiyov ^ aii(xa d7iofAa{ia(vtTai. Platon. Phaedr.
C. 61: *0 %'oVv fj^otr ysto^yög , ojr GnfQudnov xi^(fotTo xal iyxaQna ßovXoiro
yfV^af^at , TTÖTfQa dv O^Qovg flg 'AdtaviSog x/jnovg aQUh' ^afgoi ^fa>()ä>]' xa-
Xovg iv ^fi^Qaiaiv öxtm ytyvou^vovg ; fj rreür« /n^v örj naiSiäg T€ xal ioQiijg
X^Q*y <^('wj/ äVy ort xal noioT.
3) Vgl. A. Boeckh in Humboldts Kosmos V, 131.
4) Pbüostr. Vit. Apoll. VII, 14: ij St avXij dv^^tav ijiti^f'iXti
x^noig, ovg !A6(üvtSog !AaavQtoi jioioüvrai ujiIq ÖQy((ov dfAfOQoipCotg aurovg
tfVTtvovTcg.
280 Kapitel V. Persöulicho Vcgctationsgcistor in JahrfcstgebrftucheD.
den Boden aufgepflanzt zu sein scheinen. ^ Adonisbild and Ado-
nisgarten trug man dann mit einander zum Orte hinaus und warf
sie beide ins Meer oder in einen Quell. ^ Die Pflanzen des
Adonisgartens waren ein zweiter Ausdruck für
Adonis selbst;^ das Idol und die Kräuter gehörten
zusammen wie Bild und Unterschrift, oder besser
wie zwei Hälften, in die der sichtliche Ausdruck des
einen Begriffes Numen der Vegetation zerfiel. Die
menschenähnliche Puppe zeigte den Gott oder Dämon
als anthropopathisch, die danebengestellte Pflanzung
und Fruchtfülle zeigte denselben seinem Wesen nach
als Seele oder Beseeler der Pflanzenwelt an. Im Frtthlinge
kam Adonis, von den Hören geleitet; in den Frühlingsblumen
stieg er aus der Unterwelt empor. Deshalb heißt es, daß das
Kind des Lenzes, die Anemone, aus seinem Blute entsjyrossen sei ;
dies will sagen, daß seine Seele, sein Leben in ihr wieder zum
Vorschein komme (vgl. Bk. 40). In den Kräutern, Nährpflan-
zen, Früchten des Sommers führt er sein Leben weiter; mit
ihnen stirbt er im Hochsommer, wann die Glut der Sonne die
Pflanzenwelt verdorren macht, die Sichel des Schnitters und die
1) Hesych. : Lioict: d'^rd'ti« xonTÖutva x€tk urfCTtt^tju^rtt ttj jiifoodiit^,
(hg iaioQii A(caa(crd\>og, TiQog rctig figodoig. Nach dem Etymol. MagD. v.
L4(Jiog war l-/(p auf Cypern Beiname des Adonis.
2) Hesych: Li(hi}rtih)g xtjTToi: h' roig Adtorioig f-T(^o}X(c f^uyorair
xal xi^novg ^ji^ ttaifidxorv xoX TKcvTtuhcirijV ononmv, otor ix ^€t{idif{Hov xni
i^QnSdxaiv naoaaxtrdCovaiv (tirrtp jorg xrjnovg. x«i y(\(f fr i^nidnxiroig
xaTuxli v'^rjvni vtto ^c/ooJ'/'r»;^ (fccatv. Enstath. ad Honi. Od. 11 S. 451*:
xfjnot ycio AÖMVu^og (fVTtcoia T(c/v urtcrdXXovzai tau} /tTQitg ^ €l(io{/or xai
okiog xoffCvov Tivog, x(u ^i in nutvu xuitt i^uXdaarig xnt afficriCoutra xuif
o tiviüTrjtn rivci toO xarä tov (bxvftooov ^ji^otrir //«r«ror, ng ihu'^^ang i'torrj-
aiov Tfif/L' (cnipTrjaf xnTctßkTjff^itg ina y^(}fb}g xarit tov uC'iov yvvnixfg tU Toig
ToioiTovg TTi^iXovaai , xi'inovg looCow ^ n iTaifCovg lAöutviSog. Zen*jb.
Paroem. Cent. I, 41): Ftrovrai iVf: orroi ot xfjnoi rot- l-li^atyi^og tig ityyfia
xfQUfitiK anti()üfttvot ü^qi /Aoi;? fionig. ixf^^QovTai iVt aijui t^ /.t vrcjm
t>€0 xai (5//r TOt'iT«/ ttg X{)r)vag.
3) Das BewuHtseiii davon spricht sich auch in der Fabel aus, der Lat-
tich werde deshalb in die Adonis^ärten gosät. weil Aphrodite den verwun«lo-
ten Geliebten in Lattich niedor«rolcgt, vcrbor^ani habe. iS. Hesych. o. S. 2^0
Anm. 2. Wol erst in Fol;jre dor Anwenduni^j des Lattichs bei den als ijnrti-
(f'ioi gebrauchten Adonisgärtchcn kam diese Pflanze in den Ruf, die Zeu-
gungskraft zu benehmen.
AdoDis. 281
Hippe des Winzers die Früchte dahinrafft. Es war daher eine
zwar einseitige und allzuenge, aber der Wahrheit einigermaßen
nahekommende Schlußfolgerung aus der noch vollständiger vorlie-
genden Gesammtheit der Gebräuche und Mythen des Kultus,
wenn die Gelehrsamkeit des späteren Altertums selbst bald den
Adonis als ein Bild der reif gewordenen Frucht , seinen Tod als
dfis Mähen der gereiften FrucM oder das Hinabsteigen des
Samens in die Erde ausdeutete , ^ während andere Physiologen
ihn als Personification des Maimonats nehmen wollten, welchem
Aphrodite, der Frühling oder April, von dem Winter oder Ares
abgewendet, sich zuneige,* noch andere gar als die Sonne,
deren Abnahme und Zunahme in seinem Mythus dargestellt sei. ^
Es gab verwandte Vorstellungen, welche sich auf ein enge-
res Gebiet einschränkten. Längst hat man erkannt , daß das von
den Griechen aus Phoenikien und Cypern übernommene, nach
dem Klageruf: ai leuu! wehe uns! gräzisiert aihvov! benannte
Linodied dem Adoniasmos nahe verwandt war. * In dem älte-
sten Zeugniß für den Brauch wird uns ein noch fruchtschwerer
Weingarten vor Augen geführt, von dem der Zug der Winzer
und Winzerinnen die (ersten) abgeschnittenen Trauben zur Kelter
trägt Inmitten geht ein Kitharist, der zur Leier den schönen
Linos besingt, die andern aber folgen ihm singend, hüpfend und
juchzeml (ivyfKp. Vgl. o. S. 256).'' Das Linoslied kehrt an dem
argivischen Enitefest im Anieios wieder. Die ätiologische Le-
gende, daß Linos ein schöner, jugendlicher Sänger gewesen sei.
1) Etyni. Magn. M(o, "AStavig xvntog' Svvttxai yaQ 6 xtconog tivni,
olov .Athovn^og )^(C()7i6g, ün^axor. Aniinlau. Marceil XIX, 1: mau sehe die
Vorehreriinien der Venus weinen an d«T heiligen Adonisfeier ,,quod simula-
crum frugum adulüirum regiones mysticae docent." (Jemens Alexandr. Hom.
6, 11: Inußih'ot'ai J* xa) yfJon'iv ffg oumfovg xiumovg. Euseb. praep. evang.
III, 4: o ()7 '^Jiovig ro tmv Ttlftinr xannibr fxTouijg av/j/foXor. Schol.
Tbcücr. III, 48: oyltfaing, ijym'v n anog 6 a^rtnytut-vog, ?^* urjvag h> r^ yfj
TTOiti iinu Tfjg anotidg, xttt i'if uijyag ^/hi uitov q L-itfiiodfitj, t) tvx(}(caia toO
€C^Qog' xrci ix loit Xnaßdrovaiv raVor ol ävxhQOinoi Cf. Hicronym. ad
Ezccb. VIII, 4.
2) Job. LydiLs de niensibus IV, 44.
3) Macrob. Saturn. I, 21.
4) Movers Pboon. I, 244. 245. Brugscli Adonlskl. IG IT. Prcllcr Gr.
Mytb. I. » 377 ff. Baudissin Studien 302 ff.
5) Hom. 11. XVI II, 561 ff.
282 Kapitel V. Persönliche Vegetationsgoister in Jahrfcstgebiänchen.
' den Hunde zerrissen oder Apollo tödtete, läßt darauf schliefien,
daB man im Linosgesang den allzufrtiken Tod eines schönen
Jünglings beklagte; er ynrd namenlos gewesen sein und das Nomen,
den Dämon des Weinwuchses , resp. der Feldirttchte bedeutet
haben, der in der Ernte stirbt. Dies folgere ich aus mehreren
Analogien. Zunächst vergleiche man den ägyptischen Brauch,
den Diodor. Sic. I, 14 beschreibt: Isis habe den Anbau des
Weizens und der Gerste erfunden. eVt yaQ xal vvv xctvä %q9
^eqiafiov xovg nQWTOvg dftirj'^ivtag ata%vg ^irrag rovg av^
d-^Ttovg xoTtread'ai nkrjaiov %ov dgayiAazog tuxI t^ ^Iolv
avaKaleia&aLy xal tovto TrQarreiv aftoviftovTag ti^rjv %y x^eqf twp
evQrjuhojv naza %ov i^ ofx^g %rjg evQeaewg naiQov. Offenbar ist
hier derselbe Klagegesang gemeint, von welchem Xenopbanes
von Kolophon in seiner Apostrophe an die Aegypter redete:
äklwg öi yeloiiov äfxa ^Qrjvovvtag Biixeod-ai tovg xaqnovg
TtaXtv dvaq>aiv€tv xai tekeioCv kavTOvgy OTtwg ndXiv onfo-
XiaTuavrai %al &^äycai. Plut Is- e. Osir. c. 70 p. 124 Parthey.
Der beschriebene Emtebrauch hatte keinen Smn, wenn die Klage
nicht ursprünglich einem persönlichen Wesen gaU, desseti Tod
durch die Sicliel man beiveinte , dessen fröhliches WiederaufltAen
aber gleichzeitig als Hoffnung jubelnd ausgesprochen wurde.
Diese Beziehung mochte zu Diodors Zeit bereits stark verdunkelt
sein, und man rief jetzt die Isis als Geberin der Fruchtbarkeit
an, im nächsten Jahr neue Früchte zu schaffen. Dies deutet
gleich darauf (c 71) Plutarch an: -^Qrjvovac ^ev zovg yutqnovg,
evxovrai di zolg ahiotg xai doTxjqoi Oeolg, ereQovg naJuv viovg
noielv xai dvacpveiv dvzi tüv d7roU.vf.i€V(ov, Den von der Sichel
getödteten Getreidedämon zeigt aber wol erhalten, in der Fülle
aller feinsten und kleinsten Züge — wie ich demnächst ausflihr-
lieber, als es „Korndämonen S. 34" geschehen konnte, darlegen
werde — unserem Älfm (Komdäm. 24) entsprechend der phry-
gische Emtebrauch, dessen Schnitterlied gradeso wie der Linos-
gesang den Personennamen fUr eine ätiologische Fabel her-
gegeben hat.
Betrachten wir in dem Lichte der gewonnenen Ergebnisse
wieder die Adonienbräuche selbst, so ist klar, daß in der Früh-
lingsfeier, wo eine solche stattfand, wie in Byblos, der zweite
Teil, die Darstellung des Wiederauflebens die Hauptsache war.
Der Naturvorgang j welchen die erste Festlwlfte im Spiegel eines
Adonis. 283
götÜidicn Lcbcfis verbildlichte, war schon im HucJisammer des vcr-
gangenen Jahres gescheiten, aber der KuUu^ mußte auch ihn
darstellen , um das Aufleben des Adonis eben als Wiederaufer ste-
hen aus dem Tode zur Anschauung zu bringen. Die Sommer-
feste dagegen, wie z. B. in Alexandria, vergegenwärtigten das
Schicksal des Person gewordenen Blütenlebens im laufenden
Jahre und stellten demgemäß die Veranschaulichung des bräut-
lichen Beisammenseins des Adonis und der Aphrodite voran, und
ließen darauf die Todtenklage folgen, indem sie zugleich in
Gestalt des Wunsches und hoffnungsvollen Zurufs auf die Wieder-
kunft des Gottes im nächsten Frühjahr Bezug nahmen. Es fragt
sich nun, welchen Gedankengehalt im Zusammenhange dieser
Gebräuche die schließliche Hinabwertung des Adonisbildes und
Adonisgartens i^is Wasser zum Ausdruck bringen sollte. Neben
dem Wurfe ins Meer oder in einen (^udl steht als dritte die assy-
rische Form der Begießumj mit Wasser^ und zwar wurde diese als
ein Mittel zur Wiederbelebung des Gestorbenen gedacht (o. S. 275).
Wenn diese Tatsachen richtig sind, kann diese Wassertauche^
Begießung wie Wurfy nicht die VernidUung des Adonis bedeutet
haben ^ sotidem sie muß notwendig in Beziehung auf das künftige
Wiederaufleben der Vegetation geübt sein.
In Byblos schnitten sich die Frauen beim Trauerfeste die
Haare ab, wie die Aegypter, wenn der Apis gestorben war.
Diejenigen aber , welche sich diesem Opfer nicht unterziehen
wollten, hatten die Pflicht, sich einen Tag lang den auf dem
Markte zusammenströmenden Fremden zur Schau zu stellen und
einem derselben ihre Schönheit preiszugeben, den Erlös aber der
Göttin zu weihen. * Das muß am Freudentage, der zweiten Fest-
bälfte, geschehen sein. In Paphos und Cyi)ern bestand derselbe
Gebrauch, wie die zur Erklärung desselben erfundene Erzählung
beweist, die leiblichen Schwestern des Adonis, Kinder des Kin-
yras, des Gründers und Heros von Paphos, und der Kyprierin
Metharme, die Jungfrauen Orsedike, Laogara und Braisia hätten
sich dem Willen der erzUmtcu Aphrodite gemäß fremden Männern
preisgegeben.* Vielleicht zeigt es eine Abweichung von der
1) Luciau a. a. 0.
2) Apollüd. Bibl. III, 14, 3. Die andere Sage, wonach Adonis aus der
geborstenen Rinde der in einen Myrrheubaum verwandelten Myrrba, der
284 Kapitel V. Persönliche Vegetationsgoistor in Jahrfestgebranchen.
byblischen Sitte, wenn Justin. XVIII, 5 berichtet, auf Cypeni
sei es Gebrauch gewesen, daß die jungen Mädchen vor ihrer
Verheiratung sich an bestimmten Tagen ans Gestade begäben,
um durch Preisgebung an fremde Männer sich ein Heiratsgut zu
erwerben. Die von Herodot I, 199 beschriebene babylonische
Sitte, daß jede Frau einmal im Leben im Heiligtum der Aphro-
dite-Mylitta sich dem ersten Fremden zu eigen geben mußte,
der ihr ein Sttlck Geld in den Schoß warf, mag ursprttngUcb
ebenfalls dem Duzifeste oder einem entsprechenden angehört
haben, von demselben aber nachher abgelöst sein. Oder, was
wahrscheinlicher ist, fand sie wirklich an einem solchen Feste
statt, und war der von Herodot mißdeutete Sachverhalt dieser,
daß die Weiber, ohne nach Hause entlassen zu werden, das
ganze Fest hindurch ausharren mußten, bis sie einen Liebhaber
fanden , und daß die Unschönen oft drei bis vier Jahre hinterein-
ander dies wiederholten, bis sich endlich ihrer jemand annahm?
Mit diesen Festgebräuchen, so widerstrebend dieselben dem geläu-
terten moralischen Geftlhle erscheinen, vertrug und verband sich
ohne Zweifel völlig strenge Keuschheit außerhalb des Festes und
in der Ehe. * Hervorgegangen aus einer Lebensanschauung,
welche in Bezug auf geschlechtliche Verhältnisse anders war als
unsere, waren sie nicht unsittlich im Sinne gemeiner Lust Sic
waren symbolischer und mystischer Ausdruck eines religiösen
Gedankens und als göttlichen und geheiligten Urspnmgs wenig-
stens ursprünglich von dem viehischen Sinuenrausch und ^vildcn
Taumel fem, zu dem sie und verwandte Begehungen später in*
dem hier nicht zu berührenden Dienste der Aphrodite Paiidemos
ausarteten. Die ihre Keuschheit opfernden Frauen ahmten das
Beispiel der Aphrodite selber nach, welche mit dem wiederkeh-
renden Adonis sich aufs neue vermählt. Sie handelten als Ab-
bilder, Stellvertreterinnen, Vervielfältigungen der Göttin. Der
kyprische Kult drückte dies der Art aus , daß diejenigen, welche
sich in den Kult der Aphrodite in dem von Kinyras erbauten
Tochter des Kinyras, geboren wurde, war ätiologische Erklärung der Anwen-
dung von Myrrhen als Weibrauch bei der Todtenfeier des Adonis, wie Prel-
ler Gr. Myth. I. » S. 285 sehr richtig erkannt hat. Vgl. die Sage der in eine
Weihrauchstaude verwandelten Leukothea. Manuhardt Klytia. Berlin ISlh.
S. 20.
1) Vgl. Aelian Var. Bist. IV, 1. Engel Kypros II, 143 ff. 146.
Adonis. 385
Tempel einweihen ließen, einen kleinen Phallos empfingen und
ein Stück Geld ,,mercedis nomine'' der Göttin selbst in die Hand
gaben. * Stellte aber jedes Weib die 6r»ttin dar, so der Frefude,
der erschien and ihre Liebe genoß, folgerichtig den unkenntlich
aas der Fremde, dem Todtenlande ankommenden Adonis. Ich
mnß auf die Möglichkeit, vielleicht Wahrscheinlichkeit hinweisen,
daß der Fremde hier ebenso aufzufassen ist, wie in dem phrygi-
sehen Lytiersesgebrauche, in welchem einst — wie ich jetzt durch
zahlreiche nicht zu mißdeutende nordeuropäische Analogien (vgl. übri-
gens auch 0. S. 170) mit unumstößlicher Sicherheit betceiscn kann
— der am Emtefelde vorbeigehende Fremdling illr den Konigeist
genommen , in eine Garbe eingebunden und wirklich oder schein-
bar geköpft wurde.*
Schließlich sei noch ein Umstand erwähnt, der möglicher-
weise ein weiteres Zeugniß für die Uebereinstimmung des Kul-
tus und Mythus der Istar und des göttlichen Sprößlings mit den
Adonien ablegt, falls die Deutung der Aphrodite -Astarte in
Byblos und Antiochia auf einen Stern, wol den Jlorgenstem, alt
und nicht erst spätere Entlehnung ist. Kaiser Julian fand bei
seinem Einzüge in Antiochien Stadt und Palast vom Geheul,
Wehklagen und Trauergesang der Adonien erfüllt: „Publicas
niiratus voces multitudinis magnae, salutare sidus inluxisse eois
partibus, acclamantis.'^ ^ In Byblos sah man an einem bestimm-
ten Tage von der Spitze des Libanon ein Feuer gleich einem
Sterne in den Fluß schießen. Dies hielt man flir die Aphrodite*
Ich konnte nicht vermeiden, dem Leser das von früheren
Forschem über den Adoniskult gesammelte Material nach zum
Teil neuen Gesichtspunkten geordnet abermals vorzuführen, wenn
ich meine Absicht erreichen wollte, darzutun, daß die in §. 1
dieses Kapitels erwähnten Frühlings- und Mittsommergebräuche
aus eben denselben Elementen zusammengesetzt seien, als jener
asiatisch - griechische Gottesdienst. Zergliedern wir die Adonis-
mythe und die Adonisfeier, so finden wir darin folgende
Bestandteile.
1) Arnob. adv. gent. V, 19. Firmic. de error, prof. rel. p. 425.
2) Vgl. einstweilen Korndära. S. 34.
3) Amniian. Marcell. XXII, 10.
4) Sozomenos II, 5.
286 Kapitel V. Persönliche Vegotationsgeister in Jahrfestgcbraachen.
«
A. Die sehöne Jahreszeit , resp. das Bltltenleben , die Vege-
tation derselben ist personifiziert als ein schöner Jüngling.
B. Derselbe wird im Kultus dargestellt durch eine menschen-
ähnliche Figur und die leichtwelkenden Kräuter des Ado-
nisgartens.
C. Er kommt im Frühling und tritt in das VerhältniB des
Bräutigams oder Gatten zu einer liebenden Göttin, welche
sonst auf ein Gestirn gedeutet, sich doch vorzugsweise als
Göttin der Fruchtbarkeit manifestiert. Sie leben während
der schönen Jahreszeit in inniger Vereinigung, man darf
sie als Lenzbratäpaar bezeichnen.
D. Im Hochsommer verschwindet der Gatte oder Bräutigam
und weilt während des Winters und Herbstes in der un-
sichtbaren Welt des Todes.
E. Mit lauter Klage wird seine Bestattung, mit Jubel sein
Wiedererscheinen gefeiert. Beide Feiern sind im Frtlhling
und Hochsommer in verschiedener Ordnung verbunden.
F. Das Bild des Dämons und die ihn repräsentierende Pflanze
werden mit Wasser begossen, in Quellen oder ins Meer
geworfen.
a. Das göttliche Lenzbrautpaar wird nachgeahmt durch den
mystischen Brauch eines zeitweiligen geschlechtlichen Bun-
des eines Mannes und einer Frau.
Alle diese Bestandteile finden wir in verschiedener Zusam-
menstellung in den nordeuropäischen Bräuchen wieder. A. Die
Wachstumskraft, das Numen der Vegetation wird in einem per-
sönlichen Wesen personifiziert, das in eine Personification der
schönen Jahreszeit übergeht und demgemäß bald die Namen Laiib-
mann (Bk. 320), Lattichkimig (Bk. 343, vgl. o. S. 280 Anm. 3),
bald die Bezeichnungen Pßngstl, Maikönig, Pere-Mai^ Jarilo (ii.
Frühling 4 1 5 ff.) u. s. w. trägt. Vgl. Bk. 310. Ü06. Vgl. 610. B. Dieses
Wesen wird im Volksgebrauch dargestellt entweder unpersönlich
durch einen geschmückten Baum oder persönlich durch einen in
Laub gekleideten oder bekränzten Menschen oder eine Puppe.
Häufig aber dient ein daneben aufgestellter oder hergetragener
Maibaum dazu, um durch ein Doppetbild die Idee des Wachs-
tumsgeistes vollständig auszudrücken. Bk. 311 — 316. 605. Die
nämliche Doppeldarstellung durch Mensch und Garbe ist beim
Adonis. 287
Komdämon bemerkbar (Bk. 612). In dem dentschen Maibanm
und den südliehen Pflanzen des Adonisgärtehens wird also die
nämliehe Absicht anf gleiche Weise durch ein ähnliches Mittel
zur Ansfllhrung gebracht Sollte aber nicht vielleicht der, wie
der Maibanm und die Eiresione, vor die Tür des Tempels auf-
gepflanzte Banm (o. S. 280) in denselben Znsammenhang gehören ?
Und wären die Latiben des alexandrinischeu Brauchs (o. S. 278)
die Abschwächung davon ? Der Einzug des Wachstumsgeistes wird
im Frühling, am Lätaresonntag (Sonmier Bk. 156), am ersten Mai,
Pfingsten (Bk. 157. 311 ff.) u. s. w. dargestellt Er kommt im
Lenze und gesellt sich vielfach eine Maikönigin ^ Maibrauty
Pfingstbrautj Reine MaYa zu ; die Hochzeit dieses Maibrautpaars
oder dieser dämonischen Maigatten wird gefeiert. Bk. 422 — 447.
D. Während des Winters dachte man den Bräutigam oder die
Braut verschwunden oder schlafend, die Braut vom Bräutigam
verlassen. Bk. 438. 494 flf. 445 ff. Auch wo der Pfingstl nicht
in bräutlichem Verhältniß dargestellt wird, gilt er als vom Schlafe
soeben erwacht, alsPßngstschläfer (Bk. 321. 319). Oder man sagt, er
sei sieben Jahre, d. h. sieben Monate im Walde gewesen. Bk. 338.
E. In Rußland wird um Mittsonmier eine den Jarilo darstellende
Puppe m einen Sarg gelegt und mit herzzerreißender Todtenklage
bestattet (Bk. 416, o. S. 266), oder es wird eme Strohfigur (Ko-
stroma, Kostrubonko) ins Wasser geworfen und als todt bejam-
mert; diese Ceremonie heißt u. a. Zug des Frühlings (Bk. 415).
Diesem Mittsommerieste steht nun in andern slavischen und ehe-
mals von Slaven bewohnten deutschen Landschaften die Sitte im
ersten Frühling zur Seite, daß eine (als Tod, Marzana u. s. w.
benannte) Puppe oder ein in einen Sarg gelegter Buchenzweig
mit darangestecktem Apfel zuweilen von Frauen oder Mädchen
in Trauerschleiern begraben^ ins Wasser geworfen oder verbrannt
wird. Diese Puppe bedeutet, wie ich Bk. 418 zu zeigen mich
bemühte, den erstorbenen Vegetationsdämofi des vergangenen
Jahres. An das Begräbniß schließt sich dann unmittelbar der
Akt der Wiedererweckung in Form der Einhertragung eines als
So^nnier benannten Maibaums oder eines mit einer Menschenfigur
behangenen Baumes. ^ Daneben läuft eine andere Form der Sitte,
1) Hk. 156 if. 359. 410 ff. Reinsbcrg-Düringsfeld Festkai. a. Böhmen
92. Vernaleken Mythen n. Br. a. Oestr. S. 296.
288 Kapitel V. Persönliche Vegotationsgeister in Jahrfestgebräuchen.
wonach der Maibi^utigam zuerst schlafend {oder todt) ssu Boden
fällt, und dann von der Maibraut geweckt wird. Bk. 434. 435.
Da im deutschen Pfingst- oder Maitagsgebrauch die AnflEBissiuig
der winterlichen Zustände des Vegetationsgeistes als Schlaf Tor-
herrscht, fällt hier Begräbniß und Todtenklage natürlich fort;
aber vereinzelt bricht dennoch auch letztere Form der Anschauung
durch. So fällt der aus dem Walde geholte, in Laub gehttllte
wilde Mann in Thüringen zuerst erschossen wie todt zu Boden^
und wird dann wieder ins Lehen gebracht (Bk. 335). Zuweilen
aber trägt die Pfingstfeier umgekehrt proleptisch den Character
des Sommerfestes. Indem der Pfingstbutz nach geschehenem Um-
zug geköpft oder unter Stroh und Mist vergraben wird, schlieBt
sich an die vorausgehende Darstellung seines FrOhlingseinzuges
als zweite Hälfte die Begehung seines Todes (Bk. 321. 357 ff.).
F. Der Laubmann , Maikönig, Pfingstl und der daneben herge-
tragene Maibaum, der Maibräutigam, die Kostroma, der Tod u. s. w.
werden mit Wasser begossen, im Strom oder Bach versenkt
(o. S. 265. Bk., Register unter Wassertauche) und es sind sichere
Beweise daftlr vorhanden (Bk. 327 ff., vgl. das Froschtödten.
Bk. 355), daß diese Handlung ein Regenzauber war. Liegt es
nicht äußerst naJie, die gleiche Ceremonie beim Ädonis in gleichein
Sinne zu deuten? G. Wie endlich in Byblos und auf Cypem der
Beischlaf' der festfeiernden Frauen mit einem Fremden den Akt
der ehelichen Wiedervereinigung der Aphrodite und des aus der
Fremde heimkehrenden Adouis nachbildete, ^ werden die europäi-
schen Maipaare nachgeahmt durch eine Vielheit menschlicher Lie-
bespaare, welche im Frühlingsanfang (14. Febr.; Sonntag luvooa-
vit), am Maitag und am Mittsommerfeste, beim Maibaum oder
beim lodernden Sonnweudfeuer durch Versteigerung oder Loß
einander zugeteilt ein halbes Jahr lang, oder ein Jahr in eio
bräutliches oder nominell eheliches Verhältniß zu einander tre-
ten (Bk. 447 ff.). Daß diese Maibuhlen, VicllicbcJmi^ Vfdcfiiins,
1) Vgl. Bk. 444.
2) Hieraus entstand die Belustiguug der guten Gesellschaft, sich auf
Zeit Vielliebchen zu wählen (vgl. noch Moreto , Donna Diana und Göthe,
Wahrh. u. Dichtung B. VI. XV nebst Loepers Anmerkung. Göthe Hempcl
XXI, S. 248). Diese Sitte nahm schließlich die Form dos Vielliebchen-
ossens (Bk. 462) an und ist in ihrer deutschen Form nach Frankreich zurück-
geströmt, wo aus Vielliebchen der Name des Paars Philippe und Philip-
Adonis. 289
und ValetUines (normannisches Dialectwort ftlr galantius, Lieb-
haber *) in der Tat Nachahmuugen von Vegctationsgeisteni sein
sollen, erweist wieder eine merkwürdige Parallele in den Ernte-
gebräuchen. Im Kirchspiele Hafslo (Nordre Bergeushus, Stift
Bergen) in Norwegen geht derjenige, der sich eine Tennenfrau
(Laakone, Lovekone) gewinnen will, am ersten Werkeltag nach
Neujahr auf die Dreschtenne und fangt an zu dresch^^n. Das erste
unverheiratete Frauenzimmer, welches von Weihnachten bis Neu-
jahr nicht im Hause war (also eine Fremde j vgl. o. S. 285j, und
nun in die Stube tritt, in der er täglich sich aufhält, heißt sein
Tetinenweib und wird von ihm traktiert. Sie vertritt die aus
dem Korn herausgetriebene KomjurKjfrr. Auf gleiche Weise
erwirbt ein Frauenzimmer sieh einen Dreschmann (Laavemand).
Die eingehende Erläuterung dieses Brauches gebe ich an einem
anderen Orte. Bei der vielfach nachweisbaren Analogie von
Emtegebräuchen und Hochzeitsitten wird mit einem ähnlichen
Brauche irgendwie der mir noch nicht völlig verständliche Um-
stand zusammenhangen, daß in der Lausitz das alf^ Wcibj welches
bei der Heimholung dem Bräutigam zuerst an Stelle der wirk-
lichen Braut und unter dem Vorgeben, diese sei es, zugeführt wird,
das alk Spreuweih y phtca haha heißt. Wie dem aber auch sei,
jedesfalls rückt die Sitte der das dämonische Brautpaar nachbil-
denden Lenzpaare * dem asiatischen Kultgebrauch dadurch noch
pine geworden ist. In Spanion übt man vielfach den Brauch, daß jede Frau
am Sylvesterabend durch das Loß den Namen eines Mannes zieht, der da-
durch das Vorrecht erhält, sie im nächsten Jahre unangemeldet zu besuchen,
mit Blumen und SfilUgkeiten zu versorgen ui.d bei ihren Ausgängen zu beglei-
ten. Derselbe heißt „ano", Jahr.
1) Hienach ist die Bk. ^>'t^ vorgetragene Ansicht über das Verhältniß des
französischen zum englischen Valeutinbrauche zu berichtigen. Im Depart.
de la Meuse nennen sich die wirklichen Brautleute vom Tage des Ver-
apmchs ab Valentin und Valentine. De Nore j). 307.
2) Vgl. noch den Johannisfestgebraueb im Herzogtum Berg. Unter
einer über der Straße aufgehangenen, mit Laubwerk, Blumen, Eierschnüren,
bunten Bändern und Flittergold gezierten Krone, welche Ueberbleibsel des
mit solcher Krone geschmückten Maibaums ist (Bk. IGO. 169. 170. 17G), tanzen
auf dem mit Laub und Blumen bestreuten Boden die jungen Leute den Rei-
gen. Ein Mann tritt in die Mitte des Kreises. Alle singen:
0 Bauer hast du Geld?
0 Bauer hast du Kirmesgeld,
Mannhardt. U. 19
290 Kapitel V. Persönliche Vegetationsgeister in Jahrfestgebräaehen.
näher, daß das Verhältniß der Brautleute nicht selten die Gestalt
eines nengesMossenen Ehebundes, ^ zuweilen der symbolischen
Darstellung des Beilagers annimmt (Bk. 469. 480 ff.). — Wie der
eine Teil des göttlichen Lenzpaars den Phoenikem sonst als der
Morgenstern gilt, so treten die dasselbe nachbildenden europäischen
Lenzpaare in den Gebräuchen des Scheibentreibens und Brant-
ballwerfens« (Bk. 466. 465. 471 AF;, vgl. Bk. 4 44. 187) deutlich in
Bezug zur Sonne, Hierin offenbart sich eine gewichtige Abwei-
chung; es muß durch weitere Untersuchungen festgestellt werden,
ob dieselbe bei der völligen Analogie aller übrigen Merkmale so
erheblich erscheint, um darauf hin zwischen den asiatischen und
europäischen Bräuchen Gnmdverschiedenheit des Typus zu
statuieren.
Eine mehrfach bei Russen und Walachen (Bk. 434) auf-
tauchende moralisierende Form der Schließung des Maibundes ist
die unter einem Baume vor sich gehende gegenseitige Erwählung
von Gevattern, welche im russischen Kreise Nerechta unmittelbar
mit der Darstellung des Todes und der Auferweckung des Mai-
bräutigams verbunden ist. Dieser Brauch, ursprünglich und noch
Kirmesgeld V 0 Bauer hast du Geld?
So nehme dir ein Weib! u. s. w.
Der im Kreise Stehende wählt sich eine beliebige Person.
So kniee dich auf die Erd*!
So knioc dich auf die Kirmeserd*! u. s. w.
Beide knieen nieder.
Steh auf von dieser Erd'! u. s. w.
So küsse dir dein Weib! u. s. w.
Heraus, hinaus vom Kreis! u. s. w.
Wer zuerst im Kreise gestanden, tritt in die Reihe wieder ein; «lor aiidoro
bleibt darin, und llesang und Tanz beginnen von neuem, bis allr im Kiiijrel
gewesen sind. Montanus Volksfeste I, 35,
1) S. Bk. Register: Eheleute, neuvermählte.
2) Zu den in den Kreis dieser Sitte gt>hörigen Bniuchen vgl. noch 'fol-
genden französischen Brauch. In Lacs bei Chatro (Berry) sammeln die Mäil-
chen bei Frühlingsanfang jährlich viele Himmelsschlüsselchen (]>rinnil:i
veris) und machen daraus dicke goldene Bälle (dont elles composent «ie
grosses pelotes dorees), die sie durch die Luft werfen. Dabei rufen sie
wiederholt: grand soule! p'tit soule! (grand soleil! petit 8<deil!). Laii;-
nel de la Salle. croyances et legendes du centre de la France I, 85. Ander-
])rofane und kirchliche Formen dos Brauchs ebendas. 86 — 87. E. Souvostre
les derniers Bretons.
Adonis. 291
yielfach zwischen zwei jungen Personen verschiedenen Geschlech-
tes ansgettbt, ist dann weiterhin häutig zu einem Bunde zwischen
je zwei Knaben oder Mädchen abgeschwächt. Er besteht auch
in Sizilien und wird hier am Tage Johannis des Täufers vollzo-
gen. Der Knabe und das Mädchen (resp. die beiden Mädchen
oder Knaben) ziehen sich jeder ein Haar aus , drehen beide zu-
sammen und blasen sie fort in die Luft. Dann haken sie ihre
kleben Finger ineinander und erklären, sich als Gevattern (com-
pari) für die Zeit bis Weihnachten betrachten, und bis dahin
alles, was sie haben, mit einander teilen zu wollen. Noch an dem-
selben Tage schickt man sich die Gevattergeschenke. Vielfach
dienen dazu die sogenannten piatti dt sepulcruoder die lavuri,
Ersteres sind Teller, auf denen man Hanf ausgebreitet und Lin-
sen, Erbsen oder Weisen gesät, und durch Begießen schnell in
die Hohe getrieben hat (Pinna de' Greci). Die lavuri sind Wei-
zenschößlinge, vierzig Tage vor Johaniii auf Watte in einen Blu-
mentopf gesät (Ciancina), Die Empfäugerin schneidet entweder
ein Büschel der Frucht ab, legt es, mit zierlichem Bändchen
umflochten, zu ihren liebsten Familienreliquien und sendet das
Uebrige zurück ; oder sie schneidet einen Halm des lavuru mit
der Scheere ab und beide Gevatteni essen die Hälfte desselben.^
Diese in Tupfe gesäten und zu schnellem Wachstum getriebenen
Früchte erinnern in diesem Zusammenhange lebhaft an die Ado-
nisgärtchen der Alten.
. §. 4. Attls. In anderer Ordnung kehren die Elemente im
phrygischen Attiskultus wieder, dessen Gebräuche unseren Lätare-
bräuchen am meisten verwandt sind, falls die römische Festfeier
einen Schluß auf den heimatlichen Brauch gestattet. Danach
wurde am ersten Tage, der den Namen „arbor intrat'' Itlhrte,
im Haine der Cybele eine schöne Fichte (Pinie) abgehauen und
von dem Collegium der Dendrophoren feierlich in das Sanctuarium
des Tempels der Göttin getragen. Hier wol erst wurde der Baum
mit den Attributen des phrygischen Dienstes Krumnistaby Tym-
pami, Flöten und Klappcrblechen geziert. Außerdem schmücJcte
die Pinie das darangebundene Bild eines Jünglings, Es hieß.
1) Gnihcppe Pitrc Usi populari Siciliani iiolla Fosta di S. Giovanni
Battista I. IL Palermo 1871. 1873. Vgl. Ausland 1873. n. 40.
19*
292 Kapitel V. Persönlicho Vegetationsgeister in JalurfestgebrancheiL
das sei das Bild des Attis , ^ eines der großen Mutter verbände-
nen göttlichen Wesens,^ das dem Adonis der Phoeniker, wie es
scheint, gleichartig war. Attis war ein Liebling der Kybele^ und
als ein Eber ihn (wie Adonis) tödtete, haäe ihn Kybele in die
heilige Pinie verwandelt. ^ Es bewahrt diese Sage das Bewußt-
sein, daß die an den Baum gehäugte Puppe das dem Baume
einwohnende Numen der Vegetation bezeichnen sollte (Vgl. Bk. 156.
210). Eine andere Version, d. h. eme den eigentlichen Grund
der Baumauipflanzung mißverstehende Deutung des Vorhandenseins
der Gallen im Kultus der großen Mutter, erzählte, Attis habe
(aus dieser oder jener Ursache *) sich unter der Fichte seiner
Zeugungskraft beraubt und in seinem Blute sein Leben ausge-
haucht. Dem entsprechend fand, nachdem den 2. Tag (Tubilu-
strium) hindurch fortwährend mit Hümem geblasen war, am drit-
ten Festtage (Sanguen) unter heftigem Wehklagen und Jammer
jene ekstatische Ceremouie statt, derzufolge jedes neueingetretene
Mitglied des CoUegs der Gallen sich der Castration unterziehen
mußte, der Vorsteher (Archigallus) sich den Arm blutig ritzte,
worauf die übrigen mit aufgelösten Haaren und Weinen und Weh-
rufen sich an die Brust schlagend ebenso taten. ^ Die . Priester
betrachteten sich dabei als Nachahmer des Gottes , ^ was noch
1) In sacris Phrygiacis, quao matris Deüni dicunt, per annos singulos
arbor piuca colitur et iu media arboro siiuulacrum juvenis snbli-
gatur. Jul. Finiiic. de error, prufau. relig. 24.
2) Numeu conjunctum .... Matris Deum Attys. Verg. Aen. yil, 7:
3) üvid. Metamorph. X, 103 ff.
Et succinta comas, hirsataque yertico pinus:
Grata deam matri siquidem Cybeläius Attis
Exiit hac hominem truncoque induruit illo.
Of. Arnobias V, IG. Cur ad ultimum pinus ipsa paulo ante in damis incertissi-
mum nutans lignum mox ut aliquid praesens atque augnstissimnm
numen doüm matris constituatur in sedibus?
4) Die verschiedenen Varianten der Motivierung s. bei Nitsch MytÜol.
W. B. 8. V. Attis.
5) Die Belege s. Marquardt Handbuch d. R. A. IV, 317 Anm. 2103. 31fc^,
Anm. 2106.
6) W. Schwartz läßt aber seiner Phantasie zu freien Lauf, wenn er den
Gebrauch der Gallen, sich zu entmannen, für die Nachahmung der im Gewit-
ter geglaubten Entmannung des Sonnenwesens erklärt, der man in der £x-
stase meinte folgen zu müssen. !!! Schwartz in Bastian-Hartmanns Zs. f. Ethnol.
1Ö74 S. 173. 1875 S. 403. — Vgl. hinton den Nachtrag z. d. S.
Attds. 293
deutlicher daraus hervorgeht, daß der Gott selbst, wie die Prie-
ster , Gallus genannt wird. \ Endlich wurde dann an manchen
Orten ein Attisbild auf einem Todtenbettchen aufgestellt, mit
Trauei^esängen beklagt und heroisch bestattet. * Wol am Abend
dieses Tages oder am folgenden umwand man den Baum mit
Kränzen aus frischen Veilchen und mit Binden von Wolle; die
Veilchen , sagte man zur Erklärung des Brauchs , seien aus dem
Blute des Attis entsprungen (die eigentliche Feier der Sanguen-
tages war mithin schon vorhergegangen), seine Seele, sein Leben,
war in diesen erstgebomen Kindern des FrUhlmgs wieder neuge-
boren zum Vorschein gekommen.'* Der vierte Tag, Hilaria
genannt, und als laetitiae exordium bezeichnet,* feierte nach
Diodor das Wiederauffinden (evQeaig) des von Kybele Gesuchten
im Hades, seine Wiederheraufführung ans Licht und seine Ver-
einigung mit der Göttin. Wie die Darstellung des Todes und
der Trauer eine dreitägige war, erstreckte sich nun auch das
Freudenfest auf einen dreitägigen Zeitraum. Es schloß am
6. Tage (Lavatio) mit einem Bade des Wagens, des Idols und
anderer Sacra der großen Mutter im Flusse Almo. Vorauf gin-
gen dem Wagen Mitglieder der vornehmsten Gesellschaft mit
bloßen Füßen (vgl. die römischen Aquaelicien), man trug alle
möglichen Kostbarkeiten, Wunder der Natur und Kunst vorher.
1) Julian, orat. V, p. 168. C. Spanh. Tfj ToiTtj dt- T^/urma t6 Uqov x«)
^nonQriJor i^^Qog toV d^fov rdllov. Gradeso heinoii die lidx/oi von JUcx/os.
die die deutschen Korndämonen darstellenden Menschen wie diese ,,der Alte,
die Kornmutter, Wolf" u. s. w. Mannhardt Korndänionen S. 3 Bk. 612.
2) Diod. Sic. Ill, bS. 59.
3) Arnob. V, 16. Quid enim sibi vult illa pinus, quam sempcr statutis
diebus in Deum Matris intromittitis sanctuariu? Nonne illius similitudo est
arboris, sub qua sibi furens manus et infelix adulescentulus intulit et genc-
trix divum solatium sui vulneris conseeravit? Quid lanarum vellera, qui-
bas arboris coUigatis et circumvolvitis stipitem? Nonne illarum repetitio
lanarum est, quibus Ja deficientem cont<;xit? Quid compti violacois coronis
et redimiti arboris ramuli? Nonne illud imlicant, uti mater primigc-
niis floribus adornaverit pinum? — Quid coronue , quid violac? quid volu-
cra mollium velamenta lanarum ? — Cf V, 7 : Evolat cum i)rofluvio sangui-
nis vita: sed abscissa quae fuerant magna Icgit mater Deftm et iniicit bister-
ram , vesto prius tectis atque involutis defuncti. Fluore de sanguinis viola
flos nascitur et redimitur ex hac arbos. Inde natum et ortum est, nunc etiam
sacras velarier et coronarier pinos.
4) Macrob. Saturn. I, 21.
294 Kapitel V. Persönliche Vegetationsgeister in Jahrfestgebräuchen.
Während der Wagen mit dem Idol sich durch die Straßen
bewegte, sang das Gefolge auf Fruchtbarkeit bezügliche Lieder,
die Einwohner beschütteten den Zug mit Blumen und die Gallen
sammelten an den Türen Gaben ein. ^ In der hier beschriebenen
Gestalt war das Fest erst unter Kaiser Claudius in Rom einge-
tührt, vorher bestand bloß die letzte Prozession, die mit der
Wassertauche der Göttin schloß; da das Bad der Göttermuttcr
auch aus Kyzikos und Ankyra bezeugt ist, ^ mithin nicht aUein
dem urspiilnglichen asiatischen Kult der Kybele anzugehören,
sondeni auch ein Hauptstück desselben gewesen zu sein scheint,
dürfen wir urteilen, daß dieser Ritus ein notwendiger Teil der
ganzen, durch Claudius nur in erweiterter und prächtigerer Form
restaurierten Feier war. Es liegt auf der Hand, daß die zweite
Hälfte derselben, die Darstellung des Heraufsteigens der Kybele
mit Attis aus dem Hades, ^ der Kenipunkt des Festes war, daß
auf ihr der Accent ruhen sollte; es geht das auch schon aus dem
Zeitpunkt hervor, auf welchen man es verlegt hatte, d. h. die
Woche, in welcher der Tag anfängt über die Nacht den Sieg zn
gewinnen. Die erste Hälfte, das Trauerfest, die Darstellung des
winterlichen Zustandes, in welchem der Vegetationsdänion die
Geliebte verläßt (Bk. 444 iF.), der Zeugungskraft beraubt, gestor-
ben ist , bildet somit trotz der gleichen Zeitdauer, trotz der dabei
1) Ovid. Fast. IV, 340: Ulic purpurea (*anus cum vestc sacerdos Alnio-
uis dominaiii sacraque lavit aqais. Ammiau. Marc. XXIII, 3. A. 1). VI.
Kai., quo Romae matri doorum pompae celebrantur aniiales et carpeiituin.
quo vehitur siniulacrum Alinoniy undis ablui perhibctur. Auibrus. ep. c.
Symnuicli. iu Parei Symniachns p. 482: Unde iijitur exoinpluin quod cnrnis
suos siinulato Almonis iu tluniine lavatCybcloV Serv. ad Vorg. G. 1, 1G3 : Eleu-
sinao luatvis volveiitia plaustra . . . qualibus iiiator Douni colitur. Xaiu ip>a
est etiam Ceres, Romae quoqiie sacra huius deae plaustris vchi consucve-
rant. Prudentius 7te{)t ar^f/^rwr X, 153: Nudare plantas ante carpeiituni
scio procores togatos niatris Ideae sacris. Lapis nigellus evebendus ossed-j
muliebris oris clausus argc^nto sedet: quem dum ad lavacrum praccnndo
ducitls, podes rcmotis attorontes calceis Almouis usque pervenitis
rivulum.
2) S. Marquardt, Handb. IV, 318 An .«. 2107. Vgl. über die ganze Feier
m. 572. 574. Bötticber IJaunicultus 242 — 247. Preller R. Myth. 735 ff.
3) Damascius Vita Isidori I»ei Photius p. 341". Becker: ror* rtj "ffotcntp-
Ui ^yxaihtv^iiaug iiSöxori' övint o l'i/z/ys ytviathu xuC uoi ^nntltioi^m naoic
Tt)g ^t)Tods itjy Iftüiv ÜM{>üür xu/.oi utro)p 60(>r//j' 07f<(> ^drjXov rrjv i^ «cfoi
Attis. 295
vorgenommenen Entmannung der Galleu, nur da« Vorspiel zu der
eigentlichen der Jahreszeit angemessenen Frühlingsfeier und hat
keinen andern Zweck, als den Zustand der dabei auftretenden
mythischen Personen als den des IVurfcrcnvachtseins oder Wie-
rferautlebens zu bezeichnen. Ganz dasselbe Verhältniß der Teile,
ganz die nämliche Grundidee und der gleiche Ausdruck derselben,
ein mit der Puppe und (im Attiskulte) mit Frühlingsblumen (wie
in Böhmen mit Eiern) hehangcyie Baum (Sommer) als Verkörpe-
rung des vom Tode erwachten Wachstumsgeistes findet sich auch
in unsem deutschen und slavischen Lätareliräuchen. ^ Denmach wird
es schwerlich von der Wahrheit abliegen, wenn wir aueh im Attis-
kidt die Wassertattch^ des Kyhcleidoh und Wagens mit dem in
den nordischen Frühlingshräuehen so stehenden Wasserhadc,
das wir für eitlen liegenzaiüjer erklären mußten , für identisch
halten,^ Falls aber sowol diese Schlußfolgerung als auch das
Ergebniß unserer (Bk. 567 — 602) vorgetragenen Untersuchungen
über die deutsche Nerthusumfahrt richtig sein sollten, so erhellte,
daß zwar die unmittelbare Identification des letzteren deutschen
Kultus mit demjenigen der phiygischen großen Mutter durch die
römische Interpretatio fehlgriif , daß aber die unleugbare Aehn-
lichkeit beider Begehungen nicht auf liloß äußerlichem, zufälligem
Znsammentreffen , sondern auf einer inneren Verwandtschaft der
Vorstellung und ihres symbolischen oder mythischen Ausdrucks
beruhte. In weitem Abstände dagegen hält sich die ethische
Richtung. Die maßlosen sinnlichen Ausschreitungen, zu welchen
das heiße Blut des Südens die Asiaten verlockte, lag dem reinen
Naturgefühl und keuschen Geiste der Germanen und ihrer euro-
päischen Nachbarn so liimmelfenie, daß in dem Kreise von
Gebräuchen , welchem wir den Nerthuskult zuwiesen, trotz scharf
ausgeprägter geschlechtlicher Symbolik jeder sittliche Makel mit
Strenge verhütet wird (Bk. 105. 188. Vgl. selbst Bk. 469). Sollte
sich bei weiteren Untersuchungen herausstellen, daß rohere Formen
der Feier ehedem in au8gc<lehntem Maße geübt wurden, so blie-
ben dieselben, soweit wir sie verfolgen können, doch rein sinn-
bildlich , und die Verschönerung ins Zarte gereicht unseren Bevöl-
kerungen zu desto größerer Ehre.
1) Bk. 150. 417 ff. 3r)Hir. Myth.'-" 727 ff. Reinsberg-Diiringsfold Fest-
kalender aus IJöhincu S. 87 ff.
2) Vgl. Bk. Register s. V. Kegenzaubor and namcutl. S. 3h5.
296 Kapitel V. Persönliche Vegetationsgeister in Jahrfestgebräuchen.
§. 5. Ergebnisse. Die orientalischen Feste des Adonis, des
Attis und der Kotyto, welche nach Griechenland and Italien
verpflanzt, dort viele Jahrhunderte lang als „freff^dländische
Ktdte^^ fortgeübt wurden, zeigen gleich dem Frtthlingsfest der
Atargatis (o. S.259 flF.) eine auffallende Uehereinstimmwng des Typus,
eine Iwhe Gleichartigkeit der Coyiception mit den nordeuropäischen
Begehungen des Maibaums, Emtemais, Laubmanns, Maibraat-
paars, Todaustragens. Diese Gleichartigkeit ist jedoch keines-
weges der Art^ daß man etwa die letzteren von den ersteren
ableiten könnte, vielmehr machen grade diese den Eindruck der
jüngeren, weniger ursprünglichen Form. Die Uebereinstimmung
tritt auf Seiten der nordischen Bräuche nämlich in dem Vorhat^
densein aller oder fast aller derjenigen Eletnente hervor, aas
denen sich auch jene orientalischen Feiern zusammensetzen; die
Verbindung dieser Elemente untereinander aber folgt dort nicht
immer der hier historisch gewordenen Reihe und Ordnung, son-
dern bleibt durchaus eine freie. Der noch völlig durchsichtige
Grundgedanke erweist sich in den slavogermanischen Bräuchen
eines mehriachen, gleichwertigen Ausdruckes iahig. Dieselben
verzweigen sich, weithin das Volksleben durchziehend, in meh-
reren Seitenästen (Erntemai, Kichtmai, Brautmaie, Vielliebchen-
essen u. s. w) ; sie stehen so als unauslösbare Glieder inmitten
eines großen Kreises lebendiger Volkssitten, welche noch einen
weit unmittelbareren und frischeren Naturzusammenhang verraten,
und eine weit einfachere, primitivere Gestalt haben, als die
genannten orientalischen Kulte. (Vgl. z. B. das Aufsuchen des in
Laub gehüllten Maibrautpaars im Walde gegenüber der Ausstel-
lung der kunstvollen Götterbilder des Adonis und der Aphrodite
in der Köuigshalle. Ferner die Begießung des Laubmanus,
Pfingstkönigs, mit Wasser in der beimißten Absicht eines Regen-
zaubers u. s. w.) Umgekehrt zeigen die Adonien und der Attis-
kult die ursprünglichen Elemente bereits durch Auslese und Ord-
nung in eine feste oder wenig verschiebbare Form gebannt, in der
sie bei weiterer geographischer Verbreitung erstarrt und isoliert
verharrten , ohne neue Öproßformcn zu erzeugen und tiefere Wur-
zeln im Volksleben zu schlagen. Wir werden schwerlich irre
gehn, wenn wir annehmen, daß der aus historischer Zeit
bekannten Gestalt dieser Kulte eine volkstümlichere, ältere
und einfachere vorangegangen war, welche den in Rede
Ergebnisse. 297
stehenden germano - slavischen Bräuchen noch weit ähn-
licher gewesen sein muß.
Dagegen gab es in Griechenland und Italien neben jenen
aus Vorderasien herübergekommenen Kulten des Adonis, Attis
and der Kotyto eine Anzahl einheimischer Begehungen desselben
Inhalts und derselben Art, wie die nordeuropäischen Bräuche.
Ich habe o. S. 265 flf. den Versuch gemacht, in den römischen
Argeem ein Seitenstück unserer Pfingstlümmel nachzuweisen.
Die Gelehrsamkeit eines MüUenhoflF * hat sich mit derjenigen
L. Prellers , * W. Koschers ^ und H. Useners ' vereinigt , um in
den zu Rom in der Mitte des Märzmonats begangenen Festhand-
lungen die entsprechenden Gegenbilder deutsch -slavischer Früh-
{jnijf^gebräuche (Schwerttanz; Todaustragen u. s. w.) aufzuzeigen.
Die an die Namen Anna Perenna, Mamurius Veturius, Mars
geknüpften Riten und Sagen ergeben sich als Darstellungen der
Schicksale des sterbenden, bzw. vertriebenen, tcieder geborenen,
sofort siegreichen und sich wieder vermählenden Jahresgottes und
Wachstumsgebers Mars. Sollte jemand fragen, wie sich mit die-
sen Ergebnissen die o. S. 269 von uns vorgetragene Ansicht über
die Aufstellung der Argeerpuppen als Repräsentanten des neuein-
ziehenden Wachstumsgeistes vereinigen lasse , da ja Mars bereits
diese Idee ausdrücke, so ist darauf zu erwiedem, daß erfah-
rungsmäßig bei der solennen, volkstümlichen Feier von Natur-
festen sehr oft mehrere Begehungen von verschiedenen Seiten
her zusammenfließen, und neben- oder nacheinander sich abspie-
len, welche den nämlichen oder einen nahverwandten Gedanken
auf verschiedene Weise mythisch ausdrücken. Nicht anders wird
es sich in diesem Falle verhalten. Ja die Figuren des alten
Vegetationsdämons und seiner Frau, des neuverjüngten Wachs-
tumsgottes und seiner Braut und des Laubmanns, d. i. im römi-
schen Kultus des Mamurius Veturius und der Anna Perenna,
des Mars und der Neriene, endlich der Argeer finden sich
(jradeso vereinigt in Mad Moll and her husband, Mylord und
Mylady, endlich dem Jack in the green des Londoner Kamin-
1) K. MüUonhoflf Schwerttauz S. 7.
2) Rom. Myth. S. 317 ff.
3) Apollon und Mars. Lpzg. 1873, S. 25 — 28. 45.
4) Itaüsche Mythen. Rhein. Museum XXX. Bonn 1875, S. 182—229.
298 Kapitel V. Persönlicho Vegetationsgobter in Jahrfostgcbranchen.
fegerumgangs (Bk. 426) wieder. Usener macht in seiner lehr-
reichen Abhandlung zugleich einleuchtend, daß die bis in die
Gegenwart hinein lebendige Neigung des Volkes, Kalendertage
oder Zeitabschnitte in mythischen Personen zu verbildlichen und
auf letztere die Functionen von Yegetationsgeistem zu übertragen
(s, 0. S. 184 flF. 188. 192. 286), bereits in den Tagen der römi-
schen Königszeit wirksam war, und daß auch in dem symboli-
schen Begräbniß der Charila zu Delphi eine dem Todanstragen
verwandte, einheimisch griechische Ceremonie zu finden ist
Kennten wir die religiösen Volksgebräuche der Landstädte und
Dörfer von Hellas und Italien im Altertum auch nur so vollstän-
dig, wie diejenigen von Athen und von Rom, so würde sich
(nach den vorstehenden Fingerzeigen zu urteilen) eine Fülle jetzt
ungeahnter einheimischer und naturwüchsiger Correspondenzen
der nordischen Lätare-, Fastnachts-, Maitags-, Pfingst- und
Johannistagsgebräuche herausstellen, über welche eine vollstän-
dige Sammlung und kritische Untersuchung der spanischen, ita-
liänischen^ neugriechischen Volksgebräuche uns wol in Zukunft
noch einmal wenigstens mittelbare Kunde znftthrt. Eine solche
Sammlung würde uns zugleich den Umfang und den Grad der
Uebereinstimnmng zwischen den gräcoromanischen und den deut-
schen, slavischen, keltischen Bräuchen vor Augen- stellen, und
dadurch einige Handhaben darbieten zur Entscheidung der ftir
den Augenblick noch verfrühten und unlöslichen Frage nach dem
historischen Vcrhältniß dieser Bräuche untereinander und zu den
vorhin mehrfach erwähnten vorderasiatischen Kulten. Von den
drei ttberliaupt in Betracht kommenden Möglichkeiten, die Ueber-
einstimmung' zu erklären, Vererbung aus einer dem gemeinsamen
Stammvolk angeh(*)rigen proethnischen Grundform, selbständiger
Entstehung bei mehreren Völkern aus gleichen psychischen Kei-
men, Verbreitung von Volk zu Volk durch Entlehnung und
Ucbcrtragung, von diesen drei Möglichkeiten liegt die erste in un-
serm Falle weiter ab. Eine Verbreitung vorderasiatischer Religions-
gcbräuche zu Deutschen und Slaven in altheiduischcr Zeit wäre
an und flir sich cbensowol möglich als die Wanderung der phoc-
nikischen Schriftzeichen und der babylonischen siebentägigen
Woche, sowie mancher Kulturpflanzen und Haustiere nach dem
Norden. Wann aber und auf welchem Wege sollte sie geschehen
sein? Sie müßte Italien bereits vor der römischen Königszeit
Ergebnisse. 299
and, bevor der Adoniskult in seiner jetzigen Form fixiert
wurde, erreicht haben. Zu welcher Zeit erfolgte der Uebergang
nach Deutschland? Unsere Untersuchungen im ersten Teile
dieses Werkes bringen darüber keinen Aufschluß; ja wir haben die
Frage nicht einmal berührt, da es sich (nach Bk. S. 6) bei unse-
ren Zusammenstellungen daselbst „noch nicht um die Darlegung
irgend welcher historischen Verwandtschaft y sondern um die
üescJireibung vofi Typen handelte'' Wir führten demnach als der
in mannigfachen Bräuchen ausgeprägten Vorstellung von der
Baumseele und den Waldgeistern der Idee nach am nächsten
sich anschließend jenen Complex von Volkssitten auf, welcher
die verschiedenen Arten und Formen des Maibaums (bzw. Som-
mers)^ Laubmanns, Maibrautpaars und Sonnwendfeuers umfaßt.
Die genannten Volkssitten sind durch ein so enges Band gegen-
seitiger Beziehungen miteinander verknüpft, daß es folgerichtig
erscheint, ihnen im Ganzen und Großen eine gleichzeitige und
genieinsame Herkunft zuzutrauen ; somit würde der Nachweis über
das Vorhandensein des einen Stückes zu einer bestimmten Zeit
zugleich das Vorhandensem der übrigen mit Wahrscheinlichkeit
bezeugen. Die älteste Spur vermeinten wir in dem von uns fllr
Verbrennung des Laubmanns erklärten großen Jahresfeuer der
Gallier hundert Jahre vor Christo aufzufinden (Bk. 525 fi^.); zwei
Jahrhunderte später glauben wir in dem Berichte des Tacitus vom
Kultus der Nerthus eine römisch gefärbte Beschreibung der Früh-
lingseinholung und Wassertauche des Vegetationsdämons erkennen
zu müssen (Bk. 567 fl^.). Haben wir recht, so mtlßte die Entleh-
nung dieser Kultgebräuche aus der Fremde , falls überhaupt Ent-
lehnung vorliegt, vor Beginn unserer Zeitrechnung erfolgt sein.
Wir sind jedoch nicht berechtigt, diese unsere mit guten Gründen
gestützte vermutungsweise Deutung der beiden Kulte schon als
grundlegende Tatsache mitreden zu lassen. Erst im achten Jahr-
hundert zeigen uns die Synoden unter Karlmann das Notfeuer
als einen von der Kirche für heidnisch erklärten Brauch in deut-
schen Landen (Bk. 5 18); ob derselbe schon im deutschen Heiden-
tum geübt wurde, oder in die früh zum Christentum bekehrten
südlichen und westlichen Diöcesen Deutschlands aus der römischen
Welt gekommen war, erhellt aus dem Zeugniß der Synoden nicht.
Im 12. Jahrhundert tauchen in Frankreich, Griechenland (Bk. 470)
die ersten Belege für das Sonnwendfeuer am Vorabend St. Johannis
Mf CipäKlT. Persönliche Yegetationsgeister in Jahrfestgebr&ncheD.
(sipc&scaie und zugleich ftlr die Verbindang desselben mit der Mai-
^nofisehaft auf. Einen urkundlichen Belag über den Maibaum
bdo^ endlich das Jahr 1225 (Bk. 170), und bald darauf b^in-
neit die Zeugnisse für den Maigrafen , welcher , aus dem Laub-
ttuum^ Haikönig abgezweigt, diesen mit bewährt (Bk. 369 ff.). In
liaüen, Frankreich und Deutschland sehen wir nicht viel später
^$aec. XIY) die heutzutage auch in Rumänien , Spanien n. s. w.
oiK'hzuweisende Sitte, vor dem Hause des geliebten Mädchens
einen Maibaum aufzustecken. Fiele in diesen Fällen die Greogra-
phie und Chronologie der ersten literarischen Erwähnung notwen-
dig zusammen mit dem Zeitpunkte und Local der ersten Ekitste-
hung der Bräuche, wenigstens der in Rede stehenden Form der-
selben, so würde unserer Deutung des Nerthuskultus und jenes
gallischen Jahrtagsfeuers auf denselben Complex von Gebräuchen
eine große Schwierigkeit erwachsen. Aus mannigfachen Gründen
sind wir jedoch berechtigt, einen solchen Schluß in seiner AUge-
meinheit zurückzuweisen ; schon die Lückenhaftigkeit der bisheri-
gen Ausbeute des älteren Schrifttums nach den hier einschlägi-
gen Gesichtspunkten hin muß vor voreiligen Schlüssen warnen
Können wir in dem verhältnißmäßig späten Zeitpunkt der litera-
rischen Zeugnisse keinen Grund sehen, an dem weit früheren
Alter unserer Fastnacht-, Maitags- und Sonnwendgebräuche zu
zweilein, so erheischt doch das mehrfach gleichzeitige Auftreten
derselben in gleicher volkstümlicher oder kirchlichgewordener Form
auf dem Boden des griechischen, romanischen, deutschen Mittel-
alters eine gesonderte eingehende Erklärung und Untersuchung
des Entstehungsheerdes jeder Spezialform für sich. Wir werden
uns der P^insicht nicht verschließen können, daß wir es hier nicht
überall mit einfachen Verhältnissen zu tun haben, daß wir nicht
den Produkten einer gradlinigen parallelen Entwickelung aus
uralten, einander sehr ähnlichen Geistesgebilden des nationalen
Heidentums jedes dieser Länder gegenüberstehen, sondern daß im
Mittelalter die betreffenden Volksgebräuche der europäischen Län-
der in der irgendwo erhaltenen Modification mit Ueberspringung
der Sprachgrenzen weiter verbreitet und wechselseitig ausgetauscht
seien. Es bleibt dabei immer die Möglichkeit bestehen, daß in
sehr alter Zeit, bereits um den Beginn der christlichen Aera, ein
Grundstock sehr ähnlicher Bräuche in den südlichen und nordi-
schen Ländern Europas bestand; es bleibt die Möglichk/nt , daß
ErgebiiisBo. 301
derselbe in einer dem Adonis - und Attiskult voraufgehenden Form
ans Vorderasien vielleicht über Italien und GjiUieu eingewandert
war. Von solcher Möglichkeit ist es ein weiter Abstand bis zur
Wahrscheinlichkeit oder Gewißheit; und das von der neueren
Anthropologie auf das unwiderleglichste erwiesene „psychische
Elinerlei des Menschengeschlechtes" ' nötigt uns, als gleiche Mög-
lichkeit anzuerkennen, daß in Nordeuropa, bei den sUdeuropäischen
Stämmen und in Vorderasien die in Frage stehenden einander
analogen Frühlings- und Sommergebräuche selbständig, aus glei-
cher Geistesorganisation erzeugt seien.
Bei diesem verwickelten Zustande der Frage bleibt der For-
schung nichts übrig, als dem Urteil über den historischen Zusam-
menhang ^ die Herkunft und die Geschichte des gesammten Com-
plexes der in Rede stehenden Bräuche vor der Hand zu entsagen
und sich einfach darauf zu beschränken , die Gestalt, den Tyi)us,
die Merkmale und die Bedeutung derselben festzustellen, die
näheren und weiteren Uebereinstimmungen derselben geographisch
und historisch zu verfolgen, im Emzelnen Sproßformen und Ent-
lehnungen von Mutterformen (vgl. z. B. Bk.376, o. S.288fif.) morpho-
logisch zu scheiden und womöglich chronologisch zu fixieren und
so allmählich feste aus innerer mori)hologischer und äußerer ur-
kundlicher Chronologie zusammengesetzte Anhaltspunkte zu
gewinnen, welche bei fortgesetzter Ausbeute der Literatur und des
Volkslebens mit der Zeit zu deutlicher Einsicht auch in das flir
jetzt noch unklare geschichtliche Verhalten führen werden.
1) ünkrindige seien darüber hier nur auf Peschels klare Auseinander-
setzung „Völkerkunde. Leipzig 1874, S. 22— 27" verwiesen.
Kapitel Tl.
Sonnwendfeuer im Altertum.
A.
Orientalische und altrömische Sonnwendfeuer.
§. 1. Orientalische Sonnwendfeuer. Sollte jemand^ trotz
der 0. S. 259 ff. nachgewiesenen Uebereinstimmangen bis ins Kleinste
hin, im Zweifel sein, ob das Fest der syrischen Göttin mit der
Verbrennung des Maibaums in unseren Oster -Maitags- und
Johannisfeuem nur zufällig übereinkomme,* oder damit als Sproß-
form desselben Typus zusammengehöre , so muß erwiedert werden,
daß auch die schon längst und immer wiederholt bemerkte Aehn-
lichkeit unserer Sonnwendfeuer mit den heiligen Feuetm der
Phoeniker, Syrer und anderer Semiten, durch welche die Festf eiern-
den ihre Söhyie und Töchter hindurchgehen ließen,^ sich durch
1) Vgl. auch Nilson, Ureinwohner des skandinav. Nordens. Hamburg
1866. S. 597
2) S. über diese Feuer: 5. Mos. 18, 10. 2. Kon. 16, 3. 17, 17. 21, 6.
23, 10. Jer. 32, 35. Man ließ die Kinder auf den Höhen des Baal „hin-
durchgehen dem Moloch (König)." Wenn in mehreren Parallelstellen von
Verbrennung die Rede ist (4. Mos. 18, 21. Jer. 7, 31. 19, 5), so ist das wol
in manchen Fällen Uebertreibuug: doch kam auch vullständige Verbrennung:
von Kindern nach vorheriger Tüdtung vor (Ez. ü3, 37. 16, 20. 21: Plutareh
de supcrst c. 13. Philo bei Euseb. i)raep evaug. I, 10. Cf. Movers Phoe-
nizier I, 380. 879. 31); im Kultus der Karthager (Movers 301 flf.\ Moabiter
(2. Kön. 3, 27. Inschrift des Mesa\ von öepharvaim (Syrien? Mesopotamien?
2. Kön. 17, 31. Movers 8. 410.) und zwar jährlich an einem bestimm-
ten Tage, wahrscheinlich im Hochsommer, sodann wie bei unsem Not-
feuern, um Dürre j Seuchen oder großes Kriegsunglück zu wenden oder
abzuwehren. Diese Anwendung bei Kriegsunglück war wol erst secundär aus
dem Begriff größter Calamität entsprungen. Vgl. a. J. G. Müller Artikel
Moloch in Herzogs Realencycl. der protc-st Theol. IX. 717. Eine besondere
Abart war die Verbrennung von Kindern in einem ehernen Idol mit Stier-
Oriontalische Sonnwendfeaer. 303
bisher anbeachtet gebliebenes Detail bis in Einzelheiten hinein
verfolgen läßt. Man gönne, da hier nicht der Ort ist, diese
Sache erschöpfend und allseitig zu behandeln, gütigst den nach-
stehenden Zasammenstelliingen Raum. Laisnel de la Salle
(Croyances et legendes du centre de la France. Paris 1875 T. I.
p. 79 flF.) beschreibt das Johannisfeuer (la jonöe d. i. joanee,
jouannöe) in Berry folgendermaßen: „Dans nos villages, la veille
de la St. Jean (23. juin) ä la tonibee de la nuit, chaque famille
foumit, Selon ses facultes, un ou plusieurs fagots pour faire la
jonee. On emjnle ccs fagots au pied et le lotuj d'une perche fichee
en terre sur le Heu le j^l^s &minent des envirous. [Dies ist der
Maibaum inmitten des Sonnwendfeuers. Vgl. Bk. 177 ff. 388.
456. 463 ff.] ... ä peine les fagots commencent-ils ä pötiller
et se tordre sous Tetreinte des flammes, que tous les assistants,
jeunes et vieux, se prennent par la main et se mettait ä danser
des rondes autour de la jon^e. Les danseurs se n'arretent, que
pour activer, au moyeyi de longues perclies [das sind die Stroh-
fackeln der deutschen Gebräuche] l'ardeur du brasier et en faire
jaillir des jets de flammes et d'etincelles. . . Tandisque la joyeuse
faraudole s'agite en chantant devant le feu de la jön^e, les
jeunes gens les plus lestes s'en detachent de temps ä autre, et
köpf (Bnch Jalkut , Rabbi Kimdii, R. Jarcbi Midrascb £cha ad. Tbrcn. c. 1, 9.
Diod. Sic. XX, 14. Plutarch de superstit. c. 13. Tertnllian apolog. adv.
gent. c. 9. Miiiuc. Fei. Octav. c. 30, §. 3. Clitarchi Scliol. in Plat. Sie-
benkees Anecd. Gr. p. 47. Cf. Seiden de diis Syr. I, 5, p. 96. Movors
1, 379.) Wir begegnen hier mehreren Typen. 1) Ea gab ein Feuer, durch
welches Menschen hindurch liefen oder hindurch sprangen. Es darf zunächst
als Lustration , als Verbrennung der schädlichen Stoffe oder Krankheitsgeister
bei den Hindurchlanfenden gefaßt werden, erhält aber durch seine Vollziehung
zu Ehren des Baal oder El eine weitere Beziehung zur Sonne: 2) In andern
Feuern wurden Menschen lebendig oder nach vorheriger Tödtung verbrannt
im Kultus derselben Götter. Hier liegt entweder die Vorstellung eines Opfers,
einer Darbringung, oder die Symbolik der Verbrennung eines Repräsentanten
des schadenden Dämons, oder endlich die symbolische Darstellung eines
Naturvorgangs als Gedanke zu Grunde. Alle diese Formen rinnen aber in
unsem Quellen, zumal dem alten Testament, der Art in einander, daß eine
Scheidung im Einzelnen nicht vorgenommen werden kann. Wir werden
schließen dürfen, daß sie in der Tat unter einander verwandt sind, und ver-
schiedene Seiten eines in mehrfachen Richtungen sich entfaltenden Ideen-
compleies zur Anschauung bringen, worüber ich die nähere Auseinandersetzung
späterer Gelegenheit vorbehalte, und einstweilen auf Bk. 521 ff. verweise.
304 Kapital VI. Sonnwendfeuer im Altortam.
s'elancent ä pltmeurs reprises, et non Sans danger, ä travers les
flammes de Vincendie. On regarde cette tbnnalit^ comme nne
Sorte de pnrifications^ qui chasse les mcdadies et qui doit porter
bonheur ä ceux qui Vaccomplissent Aussi les 2)eres et les meres
ont'ils soin, lorsque la flamme est tombee, de prendre les petUs
enfans dans leurs hras et de leur faire traverser le brasier de la
joneeJ' Wilde, Irish Superstitions p. 49 berichtet über das
Johannisfener der Bergschotten, mit seinen Pfeiffem und Geigern,
wie es in späterer Nacht ganz den wilden Character der Satnr-
nalien angenommen. Jüngere Leute springen durch das Feuer,
ältere gehen leise Gebete murmelnd rund um dasselbe. Wollte
jemand eine längere Reise unternehmen, so lief er dreimal hin
und jsurikk durch das Feuer. Galt es eine Heirat, so tat er es,
um sich zu der ehelichen Verbindung zu reinigen. Hatte er
irgend ein Wagestück im Sinne , so lief er durch das Feuer, um
sich unverwundbar zu machen. Wenn das Feuer matter wurde,
gingen die Mädchen hindurch, um gute Männer zu bekommen,
schwangere Frauen sah man hindurchgehen, um eine glückliche
Niederkunft zu haben, selbst Kinder sah nmn durch die glühen-
den Kohlen tragen. Damit vergleiche man zunächst den Bericht
des Bischofs Theodoret (saec 5 p. Chr.) zu Cyrus in Syrien über
den zu seiner Zeit daselbst geübten Brauch : eidov yaq hv tiai
Ttoleatv OLTia^ tov erovg ev talg /ilaTeiatg ämofuvag fcvQccg
xat TavTug riväg vneqaXXofxivovg xai nrßüvxag ov fiovov
Tvaldag aD.ä xal ävÖQag . za di ye ßqeipti naqä xüv fiijTe-
Q(ov 7taQoicpeq6f.iEva cJia xi^g q)Xoy6g. ido'KSi öi rovto ano-
TQ07iiaaf.i6g elvai yxxI xd&aQOig.^
Hiezu füge ich zunächst einige Aussagen altjüdischer Rab-
biuen, von denen es hinsichtlich der auf das MolocMener bezüg-
lichen freilich noch fraglich bleibt, ob sie auf Ueberlieferung oder
nur aufConjectur beruhen. Nach den Erläuterungen des Talmud
zu den Büchern der Könige bestand das Molochfeuer aus einem
Scheiterhaufen, durch welchen inmitten einer doppelten Mauer
von Ziegelsteinen erwachsene Menschen oder Kinder hindurch-
liefen, geführt oder getragen wurden. In der Mischnach, San-
hedrin p. 64 ist auseinandergesetzt, daß nur derjenige als wirk-
lich straflfäUig zu betrachten sei, bei welchem beide Stücke zu-
1) Theodoreti Opp. ed. Sinüond. Paris. 1642. I, 352. Myth.« 592.
Oriontalisflie Sonnwondfener. BOT)
sauimentrefFcn , daß er sein Kind dem Priester ftlr den Moloch
überliefert und daß er es durchs Feuer geitihrt habe. Dies
erläutert die Gemara z. Sanhcdrin p. 04 B dahin „Es lehrte
Kaph Jehnda (saec. 3 p. Chr.): Er ist nur dann straflTällig. wenn
er seinen Samen so durchttihrt, wie es Gebrauch ist. Wie war
es denn Brauch? Darauf sagte Abaji (Zeitgenosse Constantins
des Großen): p]in Feuer; Ziegelsteine in der Mitte und Feuer von
der einen Seite und Feuer von der andern Seite. Kabba aber
(zu derselben Zeit): Es war eine Art Verehrung wie das Schwin-
gen am Purimfeste." Nach älteren Quellen erläutert der Com-
mentator Kaschi (1040 — 1105 p. Chr.) die vorstehende Gemara:
Die Durchfuhrung fand statt, ohne daß der Tod des Durchge-
führten notwendig war. [Dagegen führt der Verfasser des Wiirter-
buchs Aruch eine andere Erklärung an, wonach die Hinüber-
fbhrung über die Ziegelsteine so lange wiederholt wurde, bis das
Feuer den Durchgeführten ergrifi' und er in dasseli)e hineinfiel].
Man ttihrte den betrefiFenden Menschen nicht schrittweise, sondeni
man sprang wie die Kinder am Purimfeste. Da war eine Grube
in der Erde, worin Feuer brannte, und man sprang von Kand zu
Kand. [Wiederum berichtet das Wörterbuch Aruch aus älteren
Schriftstellern, es sei in Babylon und Elam der Gebrauch
gewesen, daß Bursche sich Bilder und Figuren Ilamans fer-
tigten und diese auf ihren Dächern vier bis fünf Tage aufhängten.
An den Purimtagen machten sie ein Feuer und warfen diese
Figur hinein, stellten sich rings umher und sangen Lieder dazu.
Sie hatten einen King über dem Feuer aufgehängt. Darein griffen
sie und sprangen so von der einen Seltr, des Feuers zu der
anderen Seite.\ — Dieser Nachricht liegt sicher tatsächliches
Material zu Grunde.
Die vorstehenden Bräuche wurden in Phoenikien zu Ehren
des Sonnengoites Baal geübt.* Wie sie einschließlich der Ver-
brennung der aus Lumpen, Stroh u. dgl. hergestellten Menschen-
gestalt mit den deutschen, russischen u. s. w. Sonnwendfeuern
sich decken, ist Bk. 407 ff. nachzusehen. Es erhellt deutlich,
daß der Ritus des Purimfestes ursprünglich eine von den Ein-
gebomen in Babylon und Elam geübte Volkssitte war, w^elclie
die jüdische Kolonie sich aneignete und hi ihrem Sinne umdcu-
1) Movtrs a. a. O. Ö. I, 178—184.
Maiinbardt. II. 20
306 Kapitel VI. Sonnwendfeuer im Altertum.
tete, indem ihr der in effigie verbraunte Dämon des Mißwachses,
der Krankheit (Bk. 622) zum Bilde ihres Nationalfeindes Haman,
wie den Christen zum Bilde des Verräters Judas wurde. Wir
finden aber dieselbe Sitte nach zweien Seiten hin noch weiter
über den Orient verbreitet, und zwar in Indien sowol als
Acgypten.
Aus dem arischen Teile Indiens ist mir nur die unserem
Notfeuer (Bk. 518 flF.) entsprechende Vorschrift in Ä^valäyanas
Hausregel IV 8, 40 — 42 bekannt, bei einer Viehseuche dem
Kudra in der Mitte der Kuhhürdc ein Feuer anzuzünden und,
nachdem man die Opferstreu und geschmolzene Butter in das-
selbe geworien, die Kühe durch den Bauch iu fi\hrcn.^ Aus-
führlicheres kann ich von mehreren Stämmen der dravidiscben
Urbevölkerung Südindiens berichten. Dem Berichte des Missio-
nars J. J. Metz „über die Volksstämme der Nilagiris. Basel Ver-
lag des Missionshauses 1858" entnehme ich zunächst die fol-
genden Tatsachen. Im Süden des Hochlandes von Mysore steigt
das Gebirge der Schwarzberge, Nilagiris, bis zu 9000 Fuß Höhe
hinan; es wird von einem eingewanderten Tamulenstamm , den
Todas, und mehreren ciugebornen canaresischen Stämmen
bewohnt, unter denen wieder das in is Klassen geteilte Volk
der Badagas das vornehmste ist. Ucber die eine dieser Klassen
äußert Missionar Metz S. 54 — 56: „Die Ilaruwaru sind eine
gesunkene Brahminenklasse, stehen aber dessen ungeachtet an
Unreinigkcit und Schmutz den übrigen Bergstämmen nicht nach,
Ihre Brahminenschnur und der anererbte Stolz sind alles, was
sie noch besitzen, um zu zeigen, daß sie der Klasse der Zwei-
malgebornen angehören. In der Regel tragen sie Lasten flir
Europäer, es sei denn, sie vermuten, dieselben enthalten Fleisch.
Sie wohnen teils in einigen Dörfern, von denen sie sechs inne
haben, teils aber auch zerstreut unter den Badagas, denen sie
zur Erntezeit als Priester dienen. Bei dieser Gelegenheit
waren sie' geivohnt, alle zwei Jahre mit noch andern Lingait^
barfuß auf glühenden Kohlen zu laufen und vor den Augen der
kurzsichtigen Zuschauer ein Wunder zu tun, Sie gaben vor,
derOott, dem sie dienen, lindere die Hitze und mache dasFener
1) iStcnzlcr, At;valayanas Hausregoln. Heft 2. Tebersf^tzung. Lpj^r.
18G5. S. 144.
Orientalische Sonnwoitdfeuer. 307
für sie unschädlich. Weil sie aber nur wenige Secunden auf den
Kohlen verweilten, ^var es natürlich, daß ihnen die Hitze nur
geringen Schaden zuttigte. Einmal kam einer dieser Leute zu
mir und bat um eine Salbe fUr seine Füße; er fügte hinzu, in der
Aufregung habe er etwas länger, als üblich sei , auf den Kohlen
verweilt und in Folge davon seine Fußsohlen ziemlich verbrannt.
Trotz dieses ofiFenbaren Betruges, gab es doch jederzeit Hunderte
von Badagas, die sich versammelten und mit Verwunderung
einem solchen Schauspiele zusahen. Als die Regierung unlängst
einen Befehl erließ, welcher die obige Unsitte verbot, so glaubten
sie, ich hätte denselben veranlaßt, und überschütteten mich mit
den furchtbarsten Verwünschungen. Bald darauf ging eines
ihrer Dörfer in Flammen auf. Um das Unglück zu erklären,
behaupteten sie, es sei nichts anderes, als eine Offenbarung des
Zornes ihres Gottes, w^elcher auf diese Weise seine Unzufrieden-
heit gegen das Regierungsverbot an den Tag lege." Hiezu stellt
sich das Fest Ä'ezupyson tinmul bei den Tamulen in Französ.
Indien, an ivelchem ein ungeheurer Scheiterhaufen errichtet tvird,
um den die Menge tanzt, und durch dessen Kohlen sie springt^
die kleinen Kinder in den Armen tragend. Die Holz - und Aschen-
reste werden mit heiliger Scheu von den Umstehenden gesam-
melt.^ Es verlohnte sich zu untersuchen, inwiefern damit das
angeblich zu Ehren desDharma, seiner Brüder und ihres Weibes
Draupadi gefeierte Fest zusammenhängt, bei welchem die Prie-
ster der Vislmuiten in Malabar mit bloßen Füßen durchs Feuer
gehend
Während in den vorstehenden Beispielen die geographische
Verbreitung der bei den Phoenikern an Baal oder El geknüi)ften
Feuer sich weit in das südöstliche Asien fortsetzt, ohne daß wir
jetzt schon zu sagen berechtigt wären, ob dieselben genuin oder
von Semiten oder einem diesen der geschichtlichen Entwickelung
nach voraufgehenden Volke entlehnt waren, spricht nach Sach-
lage der historischen Verhältnisse die größere Wahrscheinlichkeit
flir einen immittelbar semitischen Ursprung bei dem von Manetho
erwähnten Sonnwendfciier in Aegypten. „In der Stadt Eileithyia
1) Inde Fran(;ai8e bei Laisnel de la Salle a. a. 0. I, 84.
2) Ziegenbalf; nialabar. Gött^T herausg. v. Geruian. Madras ii. Erlangen
18G7. S. 99.
20*
308 Kapitel VJ. • Sonnwendfcucr im Altertum.
hat man sogar, wie Maiietho erzählt , lebende Menschen verbrannt,
die man Typhonische 7iannte, und ihre Asche mit Getreideschwin'
gen in alle Winde verstreut. Dies geschah öffentlich und zu eitler
bestimmten Zeit in den Hundstagen, * Da der aegyptische Set
oder Sutech, den die griechische Benennung Typhon* wieder-
giebt, seit den Zeiten des neuen Reichs viele Züge des mit ihm
identifizierten und verschmolzenen Baal oder Bär der kananäischen
Hyksos in sich aufgenommen hat,"* so liegt es nahe zu vermuten,
daß dieses Feuer im Hochsommer aus dem Kultus jener semiti-
schen Eindringlinge stammte, um so mehr, als im echt aegypti-
schen Gottesdienst keine Menschenopfer nachweisbar sind. Plu-
tarch lUhrt es als eine durch die Oeffentlichkeit des Ritus und die
Verbrennung ohne vorherige Tödtung unterschiedene Steigerung
der Bedrohung und nachherige Opferung heiliger, dem Typhon
geweihter l'iere auf, welche geschah, so oft ein heftiger und
beschwerlicher Glutwind verderbliche Krankheiten oder andere
ungewöhnliche und außerordentliche Landplagen im Uebermaß
herbeiführte. Will er damit sagen, daß auch das Feuer an den
Hundstagen den gleichen Zweck erfüllte? Geht man bei dem
Versuche einer Deutung dieses Brauches von der nach Meyers
Nachweis bereits in ältester Zeit vorhandenen Grundbedeutung
des Set als Urhebers alles Schädlichen und Bösen in der Natur
aus, und nimmt man demgemäß mitPlutarch an, in den „typho-
nischen" Menschen solle der Dämon als in den Abbildern seiner
selbst bestraft werden, so stellt sich das aegyptisch - kananäische
Hundstagsfeuer zu denjenigen Fonuen unserer Sonnwendfcucr, in
denen „die Hexe u. s. w." als Abbild der schadenden Macht
(Bk. 522) verbrannt wird. War aber dieser Kult nur einfach aus
dem Dienste des Biir herUbergenommen, so kann diese Auffassung
1) Plutarch Is. et Osir. c. 73. p. 12i). Parthey: xal yuo fv nXftihit:;
7i6/.fi ^iüVT(cg uvO^oatnoig y.ui t :i t [.i jIq aa av^ (hg Alayffhog iaTOQffXf,
TvtfMvtovi; yMXoin'Thg y.(ti Ttjr r^fpQttv li % ft ojvt fg »}f/«r/cor xul it i(a n tt-
Qov. üXXu Tof'To 11 tr i()\)((To tfiivfniog x(d xulf h'(( xniooy /r rtcig xvrtlair
ijfx^Qui g.
2) Teber den aegyptisclien Ursprung auch dieses vom Typhos, Typhaon
(o. S. 85) scharf zu trennenden Namens s. H. Krugsch Zeitschr. f. Aegyptol.
1875. S. 5 ff.
3) Vgl. Baudissin Jalive et Moloch. Lips. 1874 S. :U— 32. Ed. M.ycr
Set- Typhon. Lpzg. 1875. S. 47— 48. 51—58. BaudiKsin Studien S. 278.
Die Piililion. 30n
zwar alt sein, wie beim Purinifeöte (o. S. 305), aber sie ist nicht
notwendig die ursjrränglichc gewesen, und wir sind berechtigt,
auch dem von Manetho berichteten Ritus anfänglich keinen
anderen Gedankeninhalt zuzutrauen, als in den meisten entspre-
chenden Begehungen der Phoeniker, Karthager u. s. w.* Das
Hinausstreuen der Asche nach allen Kichtungen der Windrose
vermittelst einer Worfschaufel oder Gefreideschwinge gleicht auf-
fallend dem ausstreuen der Ische tmserer Sonnwendfeuer auf die
Wiesen und Getreidefelder (Bk 504. 512. 520. 521). Denn das
bei jener Manipulation in Anwendung gebrachte Gerät zeigt deut-
lich, daß der Verbrennungsstaub durch das Sieb nach unten, auf
den Boden fallen sollte. Wer die Absicht nicht mehr verstand,
konnte die Ceremonie sehr leicht in einen Akt völliger Vernich-
tung (r]qittviuor) der Typhonrepräsentanten umdeuten. Zu der
Verbrennung der Typhonischen Menschen stellt sich der altgalli-
sche Brauch, in Mannsfiguren aus Weidengeflecht Kriegsgefangene
zu verbrennen; auch von dieser Ceremonie erwartete man J'rwc//^
harJceit der AecJccr, Bk. 525 flF.
§. 2. Die ValilieiK Die Brücke zwischen diesen orientali-
schen Begehungen und den nordeuropäischen Sonnwendfeuem
bilden der heutige Brauch in Griechenland, zur Zeit der Sonnen-
wende ein Feuer anzuzünden, durch welches die Weiber mit
dem Rufe y^ich lasse meine Sünden^^ springen;^ sodann das in
die frühesten Tage Koivis zurückreichende Fest der Palilien oder
Parilien. Die Uebereinstimmung desselben mit unseren Oster -
und Johannisfeuem ist allgemein anerkannt; es verlohnt sich aber,
dieselbe einmal wenigstens kurz in ihren feineren Einzelheiten
zu beleuchten. Die Palilien wurden am 21. April sowol in den
Städten, als auf den Dörfern begangen, und zwar unterschied
man in beiden eine öftentHchc Feier von Staats- oder Gemeinde-
1) Hängt mit dem obigen Hundsta^sbraucbe noch ursächlich die heu-
tige Johannisfoler in Acgyptcn zusammen? ,, Alexandria 6. Juli 1844 . . .
Man hat hier eine Ceremonie am Vorabend des Johannisfestes, wo die Pest
verbrannt wird: heuer bat die Ceremonie das üebel nicht zu bannen ver-
mocht. Allgcm. Ztg. 1844 Beil. S. 1653." Oder weist das bestimmte Datum
des 23. Juni auf Entlehnung dieser Form des Brauchs aus der christlichen
Welt?
2) Preller Köm. Myth. 3G8. Analogie a. d. Türkei s. Magazin f. Lite-
ratur d. Auslandes IJ^IO p. 601. Beul les Turques en Europe II, 500.
310 Kapitel VI. Sonnweudfeuer im Altertum.
wegen und eine private der einzelnen Wirtschaften.* Ovid hat
um Fast. IV, 721 — 861 die eingehendste aber nicht in allen
Stücken deutliche Keschreibung des Festes hinterlassen. Nach-
dem er V. 725 — 28. 731 — 34 aus eigener Anschauung die
Hauptstücke der städtischen öflfentlichen Begehung angegeben.-
wendet er sich 735 if. zur Schilderung der in den Vorstädten
und auf dem Lande üblichen privaten Feier. ^ Dieselbe bestand
aus folgenden Akten. 1) Der Schafstall wurde mit Laub und
grünen Zweigen besteckt und an der Türe ein großer Kranz auf-
gehängt, Hiemit vergleicht sich die nordeuropäische Sitte, am
Johannisabend die Stuben- und Haustüren, wie zu Pfingsten mit
grünen Zweigen, zu schmücken. In Danzig war dieselbe in den
an die Badaune beim Ausiiuß in die Mottlau anstoßenden StraBen
vor 2 Jahrzehnten noch in folgender Weise geübt. Ueber der
Haustür wurden Birkehzweige angeheftet. Vor der Tür war von
ebensolchen Zweigen, eine Laube errichtet, in welcher die Familie
Platz nahm. Wenige Schritte davor, zwischen Haus und Fluß-
ufer, brannte vor jeder Wohnung ein kleines Johannisfeuer.
Ebenso geschah es in Schottland. Am Abend vor Midsummer-
day ging man in den Wald und brachte Zweige heim, die über
den Türen befestigt wurden; nachher zündete man bontires an,
um die man tanzte, und über die man fortsprang (Chambers in
Edinburgh Journal. 2. Juli 1842). In London waren alle Türen,
Haus bei Haus, überschattet von grünen Birkenzweigen, und
geschmückt mit Fenchel, fetter Henne, weißen Lilien, vielen
Kränzen von schönen Blumen und brennenden Lampen. In den
Straßen brannten Johannisfeuer.^ Diese grünen Büsche sind
augenscheinUch eins mit den vor Haus oder Viehsfall am Mai-
1) Varro b. Schol. Persii I, 72 Palilia tarn privata r[uani publica amii
apud rusticoö. Labeo bei Festus \k 2bo Müller nennt die Parilia unter «le»
l>opularia saera.
2) In dieser nennt er als handelnd den populus, die städtische I>ür;:er-
schaft: fiir die aus derselben am Acte Teilnehmenden allein reichte das Blnt
des einen Octoberrosses und der Fordicidienkälber aus.
3) liier ist der „pastor'' Acteur, die Handlung spielt sich z. T. in den
Schafställeu ab , die wir in der Großstiidt nicht suchen dürfen, und die ganze
Feior ist von lebendigster Frische des Wald- und Weidelebens im Gegensatz
zu den städtischen Verhältnissen durchweht.
4) Stow, Survey of London bei Brand pop. antiqu. ed. Ellis. I, 307.
Die ralilien 311
tag zur Vertreibung der Hexen und Gewinnung von Milchreich-
tum aufgepflanzten Maibüschen und aufgehängten Kränzen. (Bk.
161. 162.) 2) Bei Beginn der Abenddämmerung (ad prima cre-
pusenla) wurde ein Feuer von Stroh ayigezündet und man trieb
die Schafe hindurch (v. 805 per flaniuias saluisse pecus). Hicbei
räucherte man mit Schwefel.^ Es ist aber nicht ersichtlich, ob
derselbe in den Scheiterhaufen geworfen, oder schon vorher, etwa
im Stalle, zum Brennen gebracht wurde.* .*)) Vorher schon war
vermöge eines Lorbeerquastes der Boden gekehrt und mit Wasser
besprengt , ein Rcinigungsakt, der griechischem Ritus entnommen
zu sein scheint. Vgl. Bütticher, Baumk. 361) flF. 372 ff.). Nun
wurde auch noch auf dem Herd oder einem tragbaren Altar ein
Lorbeerast nebst Zweigen von Oelbaum, Fichte oder Sadelbaum
verbrannt, und aus dem Knistern des Lorbeers ein gutes Vor-
zeichen entnommen (v. 741 — 742). Auch diese Cereraouie war
nichts anders als eine Accumulation der Käucherung mit Schwe-
fel, eine aus dem griechischen Apollokulte durch die Kömer
entlehnte Purgation, von der man die Befreiung von Sünden und
Uebeln, und in Folge dessen reiche Korn- und Weinernte,
Kindersegen u. s. w. erwartete. (Vgl. TibuU H, 5, 79 flf. Bötti-
cher a. a. 0. 365 fl".). 4) Gleichzeitig brachte der Hirte der
Weidegöttin Pales ein Opfer von Kuchen aus Hirsemehl von
Hirsekörnern in einem Körbchen, und von Milch dar, und flehte
sie in einer dreimal wiederholten Gebetsformel um Abwendung
und Wiederentfernung aller derjenigen Schäden an, welche die
Schallieerde etwa durch den Zorn und Anhauch waldbewohnen-
der Elfen, der Dryaden, Faune und Nymphen wegen unabsicht-
licher Schädigung oder Störung ihrer heiligen Bäume, Haine und
Grotten sich zugezogen haben könnte. (Vgl. den Elfenanhauch
0. S. 36. 37.) Ueberhaupt erhellt aus diesem Gebete als Absicht
des Palüienfeuers , alle Krankheit erzeugenden Mächte von den
Aufenthaltsorten der Schafhecrde fern zu halten^^ die zumeist im
1) V. 739 Caerulci fiant de sulphure fumi, tactaquo fumanti sulphure
balet Ovis.
2) Käucherii mit Schwefel als Lustrationsmittel war Griechen und
Römern gemeinsam. Hermann G. A. § 23, 11.
3) V. 748 Eflfugiat stabulis noxa repulsa meis. 763. Pelle procul morbos,
aleant hominesque gregesque.
312 Kapitel VI. Sounwendfeaerim Altertum.
W(dde belegene Weide mit reichlichem Graswuchs zu begabeUj^
den Tieren volle Euter und reichliche Nachkomnienschaß zu
sichernd Denn unbedingt sind wir berechtigt, diese zu Ovids
Zeit von Palcs besonders erflehten Güter nach älterer Auffassung
ttlr die vermeintliche unmittelbare Wirkung des maßgebenden
Kultakts, des Feuersprungs zu erachten. Der Idee nach steht
also das Palilienfest ganz jener Luzemischeu ^^Weidbrüiüci'^ der
Beräucherung der Viehweide gleich, durch welche der Bauer
alle die Frucht beschädigenden Fcldgespenster, alle das Milchvieh
behexenden* Weiber vertreiben will. (Bk. 520). 5) Nach dem
Gebete wusch sich der Festteilnehmer in frischem Jhendiau (vivo
rore) die Hände. Zwar kam Waschung im Tau auch sonst im
römischen Gottesdienst vor, doch darf mit dieser vielleicht verglichen
werden, daß der in der Johannisnacht oder Mainacht, ako in den-
selben Nächten, wann die Honnwend- und Maitagsfeuer ange-
zündet werden, vom Himmel fallende Tau ebenso in Deutschland
und England wie in Portugal und Aegypteu für wundersam
kräftig und heilsam zur Vertreibung von Pest, Hautkrankheiten
gilt, weshalb man sich an diesen Tagen darin badet. ^ G) Nach-
dem sich die Festgesellschaft der Hirten inzwischen durch einen
Trunk Milch oder Most gestärkt, beginnt nun auch der Sprung
der Menschen durch das vermittelst lleihung zweier Steine crzcwjic
und mit Stroh oder Heu genährte Feuert Falls die Käucherung
mit Schwefel einen Akt lür sich bildete, nu*>gen auch die Tiere
1) 7G7. Absit iniqua fames, hcrbae frondesqiie supcrsint.
2) V. 771. Sitque salax arics, conceptaquc Kcmioa conjiix rcd'lat.
3) S. Mannliardt, gerui. Mytb. 28 — 33. Brand popul. autiqu. I, 218.
Clioice-notcs from notes aud qucries. London 1859. S. 18.
4) V. 781 Mox([ue per ardentes stipulae cropitantis acervos trajioias
celeri strenua membra pede. Cf. Tibiill. II, 5, 88:
At nuididus Baccbo sua festa Palilia pastor
Concinot: a stabulis tunc procul este lupi.
Illü levis stipulao solennes potus acervos
A Geendet, flammas transilietque sacras.
Propert. IV, 4, 75:
Annua pastorum convivia, lusns in urbc,
Cum pagana madent fercula deliciis:
Cumque super raros foeni flammantis acervos
Trajicit immundos ebria turba pcdes.
Die Palilicn. 313
erst jetzt durch die Flamue getrieben sein. Wie bei der (*>tfent-
lichen Feier mag ein jeder den Sprung dreimal , d. li. je einmal
tlber drei hintereinander gelegte Haufen brennender Halme gemacht
haben. ' Aehnlich lief beim schottischen Bcaltinc der dazu
Erwählte dreimal durchs Feuer (Bk. üOS).
Die von Stajitswcgen angestellte Feier zu Rom unterschied
sich von dem Feste der Hirten außer der Teilnahme des Pontifex
Maximus in alter Zeit des Königs, der als geistlicher pater
familias ttlr das Volk opferte,- wol dadurch, daß nur Menschen,
nicht mehr Heerden durch die Flammen sprangen. Es war ver-
mutlich € i n an einem bestimmten Platze angezündetes Feuer, zu
welchem die VestaUnnen den Festteilnehmern die Materialien
lieferten, Bohnenstroh'^ und, soweit der Vorrat davon reichte,
Asche der Fordicidienkiilber und lUut des Octoherrosses. Letz-
tere wurden als limicheriingsmittel (suffimenta) in das nun mit
den Bohnenhalmen entlohte Feuer geworfen ; diese dreierlei Dinge
zusammen bildeten den Keinigungsapparat (februa castaj, durch
welchen die Feiernden von der Infection physischer Uebel gesäu-
bert werden sollten. Während aber die brennenden Halme augen-
* scheinlich die Vernichtung oder Austreibung der Krankheitsgeister
bewirken sollten , vervollständigten die Äsche der Fordicidienköl-
ber und das Blut des Ocfoberpferdes die Idee des Brauches nach
1^ V. 72G. Corte ego transsilui positas ter iu urdiuc Haiuiuas.
2} Bocker- Marquardt llandb. d. Köm. Altort. IV, 165.
3) V. 725 — 2(1: (Vrto ego de vitulo cinereni stipulainijuo faba-
lem saopc tuli plcna, febraa casta, manu. Diese Vorso schildern ledig-
lich die Herbeiholung der zum Feuer orF(>rdorlichen Bestandteile. Die
hier genannte stipula fabalis ist ohne Zweifel identisch mit den V. 781
und 797 als Material des Palilienfcuers selbst erwähnten ,,stipulao", und
dieser Auifassung steht nicht entgegen, dalJ Properz IV, 1, 11^ V, 4, 77
an Stelle dessen mit ungenauem Ausdruck ,,fuenum'* nennt. Die Herbeiho-
lung muß jedoch nicht notwendig von einem und demselben Orte her gesche-
hen Sein, und sehr wol möglich ist es, daß das Bohnenstroh nicht dem Penus
Vestae entnommen wurde, woher Blut und Asche nachweislich kamen. In
Ovid. Fa^t. IV, 727: ,,(/erto ego transsilui positas ter in ordine flammas,"
ist dann die Verwendung der Februa im Palilienfeuer berichtet. Die her-
gebrachte Deutung \. V. 725 — 26. 731 — 34 auf ein außerhalb des letzteren
zur Räucherung verwandtes, von den Vestalinnen bereitetes künstliches Ge-
misch von Blut, Asche und Bohnenstroh, ist ebenso unnötig, als sachlich
unwahrscheinlich.
314 Kapitel VI. Suiiiiwcndfcuer im Altertum.
einer andern Richtung hin, insofern ihnen nur der Zweck unter-
liegen konnte, in positiver Weise Gesundheit und Wachstums-
kräfte mitzuteilen. Sechs Tage vor den Paiiiien, am 15. April,
wurden teils auf dem Capitol, teils in jeder der 30 Curicn, der
Versammlungsörter jener gleichnamigen Abteilungen in der ältesten
patrizischen Bürgerschaft, zu Ehren der Erdgöttin Tellus träch-
tige Kühe (fordae) geopfert. Die noch ungeborenen Kälber, the-
rimnorplhische Gegenbilder des Numens der noch im Mutierschoß
der Halme verborgenen und um diese Zeit daraus in Gestalt
von Aehren oder Schoten hervorbrechenden 'neuen Früchte, ^ riß
man dabei aus den schwangeren Leibern und die älteste der
vestalischen Jungfrauen verbrannte dieselben wol auf dem Staats-
heerde im Vestatempcl zu Asche, von dort holten die Fcstfeiem-
den die letztere am 21, ab zur Verwendung beim Palilienfeuer. *
Die Absicht dos Fordicidienopfers zielte dahin, durch gedeihliche
Abwechselung von Regen und mildem Sonnenschein das Gedeihen
und die regelrechte Geburt der keimenden und wachsenden Halm-
früchte und jungen Tiere zu sichern. * Die aufbewahrte Asche
1) Cf. die Cominentarii pontificum bei Plinius H. N. XVIII, 3, 3, von
dem um dieselbe Zeit, im April, stattfindenden Opfer rötlicher Hunde .,iit
fruges flavescentes ad maturitatom j)erdueerentur. Augurio canario aj^eudo
dies constituantur, priusquam frumenta vaj^inis excant et antequam in vagi-
nas porveuiant. Cf. Preller K.M. S. 438. Einer derartigen Symbolik ist sich
auch noch Ovid bewußt. IV, 632: Nunc gravidum pecus est, gravidae quo-
que somma terrae. Telluri plenae victima jdona datur. Nur darf, da das
Getreide bereits in Halmen steht, nicht mehr au die im Mutterschoß der Erde
verborgene Saat gedacht werden.
2) Ovid. Fast. IV, G37 :
Ast ubi visceribus vitulos rapuere ministri
Sectaque fumosis extra dedero focis,
Igne cremat vitulos quae natu maxima virgo est,
Luee Palis populos purget ut ille cinis.
Id. IV, 731 :
1 pete virginea, populus, suffimen ab ara,
Vesta dabit, Vestae munere purus eris.
Sanguis equi suffimen erit, vituliquo favilla
Tertia res (^das dritte zum Feuer erforderliche Stück i
durao culmon inane fabae.
3) Als Grund der Einsetzung des Kultus wird augegeben. Ovid. Fast:
IV, 641:
Rege Numa fructu non respondente labori
Irrita decepti vota colentis erant.
bic Palilien. 315
der Kälber, welche wieder an die über die Saatfelder ausgestreute
Asche der Oster- und Maifeuer erinnert, kann keinen anderen
Zweck gehabt haben, als ccrealische und animalische Wachstums-
krafl und Fruchtbarkeit mitzuteilen. Ganz dasselbe gilt von dem
Blute, d. i. dem Lebenssaß des Octoberrosscs , d. h. des beim
Erntedankfest, am 15. October, auf dem Marsfelde geschlachte-
ten, wahrscheinlich als Abbild eines dämonischen Getreiderosses
(von derselben Art wie Kornbock, Kornkatze, Komwolf, Korn-
hund, Kornstier u. s. w.) ' mit Broden bekränzten Pferdes, um
dessen Haupt als um ein Heiltum zwei der ältesten Stadtteile
Roms sich stritten. Das aufgefangene Blut scheint von den
Vestalinnen präpariert und bis zum Palilienfeste im Penus Vestae
bewahrt zu sein, um dann mit der Asche jener Kälber in das
lodernde Feuer geworfen zu werden. ^ Den Palilientag hielt man
für den Gründungstag Roms; man hatte also die Vorstellung von
einer in unvordenkliche Vorzeit fallenden Entstehung des Kultus.
Bestätigt wird dieser Glaube durch die Beteiligung der Vestalin-
nen daran und den engen Zusammenhang der in die früheste Zeit
der Könige hinaufreichenden Agrargebräuchc der Fordicidien und
des Octoberrosscs mit dem Palilienfeuer. Ich vermute nun auf
Grund nordeuropäischer und griechischer Analogien, die hier noch
außer Betracht bleiben sollen, daß nach ursprünglicher Anschauung
Nam modo siccus erat gclidis aquiUmibus aiinus,
Nunc ager assidua luxuriabat aqua.
Saepc Ccrea primis dominum fallebat in herbis
Et levis obsesso stabat avcna solo.
Et pecus ante diem partus odcbat acerbos
Agnaque nascondo sacpo necabat ovcm.
Die Wirkung des Opfers v. 671:
Exta bovis dantur gravidao. Folicior annus
Provenit, et fruetum terra pecusque ferunt.
1) Den Nachweis für diese Behauptung habe ich vermöge nordcuropäi-
schcr Analogien in einem später zu veröffentlichenden eigenen Aufsatz, wie
ich glaube, zu hoher Wahrscheinlichkeit führen können.
2") Fcstus j). 178 s. V. October equus. Paul. p. 222. Panibus: Plutarch.
Quaest Rom. 97. Cf. Preller K. M. 323. Becker - Marquardt Handb. d. Rom.
Altert. IV, 277 ff. Preuncr Hestia- Vesta 257 tf. 312. 313. Ovid. Fast. IV, 733
Sanguiö equi suffimen erit vitulique favilla. Propert. V. (IV), 1, 19:
Annuaque accenso celebrare Palilia foeno,
Qualia nuuc curto lustra novantur equo.
316 Kapitel VI. Sonnwciidfoiier im Altotura.
au.s dem Blute des Octoberrosses im Frühling, in der Zeit, wann
die neuen FrUcbte sich bilden, das dämonische Korntier sich
wieder erneuern sollte, und daß die ins Feuer geworfene Asche
der Fordicidienkälber , die gleichfalls Symbole der werdenden
Früchte sind, den erhofften ungefährdeten Durchgang derseUicn
durch die Sonnenhitze des Sommers bedeuten mochte. Wie dem
nun auch sei, jedesfalls wird dem Schluß nicht auszuweichen
sein , daß , abgesehen von der Lustration der Menschen in jener
alten Zeit, als die staatliche Begehung der römischen Palilien ihre
^äter bleibend gewordene Form erhielt, ei^ie ^zauberhafte
Einwirkung nicht bloß auf den Graswuchs der Wiesen
und Weiden, sondern auch auf das Gedeihen der Feld-
fruchte beabsichtigt wurde, welche vermöge der mehrfach
besprochenen Sympathie mit dem animalischen Lel>en zugleich
den Menschen Wachstumskräfte, Gesundheit u. s. w. mitzuteilen
bestimmt war. Hier liegt also eine zweite Form des Brauches
vor neben der auf die Schafheerdc beschränkten Palilienfeier der
Hirten. Sie entstand, als die palatinische Altstadt von Rom, erst
durch die allernächsten benachbarten Ansiedelungen enveitcrt,
noch aus Ackerbürgern bestand, welche durch eigenen Anbau
ihre Lebensbedürfnisse deckten. Wie nun unsere Sonnwendfeuer
sowol in jener Beziehung auf die Fruchtbarkeit der Getreidefel-
der reichliche Analogien darbieten (Bk. 4i>8ff.), stellt sich ganz
speziell zu dem Ilinahiverfen der Kälberasche und des Pferdeblu-
tes in das Palilienfencr der Umstand, daß nicht selten ganze
Tiere oder Teile von Tieren oder Tierknochen in dem Oster -
oder Johannisfeuer verbrannt iviirden, wobei der Gedanke nahe-
liegt, dieselben auf die theriomorphischen Korndämonen zu deu-
ten (Bk. 515). Von der Anwendung solcher Knochen (bones)
ist wol noch der englische Ausdruck ,jbonfire'* übrig. In Thü-
ringen warf man ein Fferdehaiipt in die Flamme, wie in Rom
das Pferdeblut y und mau darf dabei an das in deutschen und
französischen Erntegebräuchen sicher und ausgiebig nachweisbare
Kornroß erinnert werden. Im Harze hieß das Osterfeuer das
Bockshornbrennen oder kurzweg das Bockshorn^ ^ unzweifelhaft,
1) „Als» die Kinder dort (\\\ der Stadt Hasselfoldo i. J. 1559) kurtz zu-
vor die Oestcrlichoii Foyertaj^o über [der 1. Festtag fiel auf d. 26. März] das
Osterfeuer, oder wie man es delJ Orts nennet, den Bockshorn, vor dem
Die Palilicn. 317
weil man ehedem ein Boclcshorn in die Flammen wart", weFches
vermutlich dem Kornboek (o. S. 155 ff.) angehcirig gedacht wurde.
Menschen müssen ehedem durchs Boekshorufeuer gelaufen oder
getrieben sein; denn darauf bezieht sich augenscheinlich die
Redensart: ^ Jemanden ins Bockshorn jagen , ins Bockshorn trci'
hen,^^ d. h. in blinden Schrecken setzen. Das Osterfeucr sieht
zwar getahrlich aus, verbrennt aber den Hindurchlaufenden nicht.
Die Beziehung des (öffentlichen Palilienfestes auf den Acker-
bau leitet zu dem Kultus der Hirpi Sorani, einem anderen alt-
italischen Sonnwendfeuer hinüber, welches zu erstcrem sich ver-
hält, wie unser Johannisfeuer zum Osterfeuer. Dasselbe erlbr-
dert eine für sich stehende Betrachtung, und soll deshalb in einem
besonderen Abschnitt behandelt werden.
Flecken brennen und dabey allcrley Ueppigkeit treiben gesehen, solches nach-
zuahmen, haben die einföltigen Kinder Stroho auf einen Schweinskoffen zu-
sammengetragen und dasselbe angestecket." (Zeiller -Merian), Topograph, v.
Braunschweig u. Lüneburg 1654, S. 110. In der Grafschaft Wernigerode wird
in der zweiton Hälfte des 17. Jahrh. das „Bockshornbrennen oder das
abgöttische Osterfeuer" als großes Aergerniß bezeichnet (Zeit«chr. d. Harz-
vereins. 1868, S. 105). Nacli der Amtsrechnung von 1601 zu 1602 wurden
Namens der Herrschaft verausgabt: ,,9 gioschon Thomas Hofchen (alias Wein-
schenke) zur Theertonnen zum Bockshorn." Letzner, historia 8t Bonifacii.
Hildesh. 1602 c. 12 bericlitet auf dem Retberge zwischen Brunstein -und Wibb-
rechtshausen sei am Ostertage bei Sonnenuntergang noch bei Menschengeden-
ken das Osterfeuer gehalten, ,,welchs die Alten Bockshorn geheißen." Im
Texte steht zwar Bocksthorn; aber das ist Druckfehler; denn am Rande ist
vom Verfasser bemerkt: ,,Osterfewr für alters Bockshorn genand." Danach
ist Myth. « 583 Anm. 1 zu berichtigen. Diese Nachweise entnehme ich der
treft'lichen Schrift von Jacobs, der Brocken und sein Gebiet, S. 168. 240.
B.
Hirpi Soraiii.
§. 1. Getreldewölfc. Führten die Untersuchungen des
dritten Kapitels uns zu der Ueberzeugung , daß die Faune, Sei-
lene, Pane, Satyrn und Silvanc der Alten unseren Waldgcistem
entsprechen und durch diese mit den Komgcistem verwandt sind,
so glaube ich nun mit ziemlicher Wahrsclieinlichkcit eine Dar-
Btellung dieser selbst in einem altrömischen Gebrauche nach-
weisen zu können, der sich aus grauem Altertum bis in die
Kaiseraeit erhielt. Mit einem Worte gesagt, die Hirpi Soratn
scheinen Darstellungen der Getreidcwole gewesen zu sein.
lieber letztere habe ich in einem eigenen Schriftchen ' gehan-
delt. Hier sei mit Einfiigung vieles, durch Nennung des Fund-
orts und etwaige literarische Belege gekennzeichneten neue«
Materials nur so viel wiederholt, als zum Verständniß notwendig
erscheint, im Uebrigen aber auf meine ausführlichere Abhandluug
verwiesen. Die Namen Boggenwolf^ Kormvolfj Haferwolf, Fflau-
menwolf, G-rastvolf bezeichnen eine der mannigfachen Formen,
unter denen der im Winde und zugleich im Leben der Kräuter
und Bäume waltende Geist des Wachstums dem Glauben der
Vorwelt als persönlich geworden vorschwebte. Wann der Wind
die Aehren des Saatfeldes in wellenförmige Bewegung setzt, sagt
man „(Zcr Wolf geht durch das Korn, der Wolf geht üher das
Korn, der lioggenwolf jagt idjcr das Feld, der Kornivolf ist im
Felde, der Boggenwolf ist schon da;^^ in Niederungarn (Kr. diess.
d. Theiss) „die Wölfin hat im Korne Junge geworfen," oder ..die
TFc>7/^ jagen sich" u.s.w.^ Nicht minder sagt man in französischen
1) Roggenwolf und Roggeiihund. Danzig 1865. Aufl. 2. 186G.
2i Audi ohno Verbindung mit dem Konigeist sprach man vom Wind-
wolf. Außer dem Roggenw.*^ S. 3 — 5 Angeführten dient zum Erweise der
Namo W^indolf. nach dem u. a. noch jetzt eine Wieso heilit. Waldmann
Ortsnamen von HeiligenBtadt. 1850, S. 31.
Kapitel VI. Soiinwoiidfeiur, B, Hir|>i Sorani. 319
Landschaften vom wallenden Korn „le loup est dans les bles*'
(Bourgogne Üep de i'Ain) „Vers la fin du mois de Mai on dit,
que le loup passe dans les bies, ce qui est fait par un vent
foilet en tourbillons" (Sonmie). Man warnt die Kinder sieh zum
Abpflücken von Kornblumen (Cyanen) ins Getreidefeld zu ver-
laufen ^ denn der Roggenwolf oder Kornwolf sitze darin und
fresse sie auf oder nehme sie mit. Ich vermag diesen Glauben
mit Wahrscheinlichkeit bereits ilir das 14. Jahrhundert zu belegen;
denn zu Frankfurt a/M. wurde im Jahr 1343 ein Haus an der
Ecke der Kornhlumenstrqfie Kornwolf geuanut^ Auch in Frank-
reich (z. B. Nivemais; Flandres, Dep. du Nord; Champagne, Haute
Marne) warnt man bei der Gelegenheit „le louj) vous manger a^^ „le
loup vous prendra" und bei den Esten (Kirchsp. Karmel Insel
Oesel) jjhunt istiih ruggis^' der Wolf sitzt im Korn, oder „Wiljahunt,
VhbahufU, Ernelmnt tulleb!*' der Korn-, Bohnen', Erhsenwolf
kommt !^ Bei den Letten ist Rudsuwilks Roggenwolf zum bloßen
Schimpfwort gesunken; auch ein Gesinde (Baiferhof) bei Linden
heißt Eudsuwilki; dort spukt es noch jetzt und es soll dort der
Werwolf (wilkats) sein Wesen treiben. Sind Steige im Getreide,
so ist der Wolf dagewesen und hat ein Kind mitgenommen
(Rgbz. Magdeburg). Die von gefräßigen Menschen und weinen-
den Kindern gebrauchten Kedensarten „er frißt tvie ein Roggen^
wolf {oder Pflaumenwolf), ^ „he hült, rärt, bölkt as'n Roggenwulf ^^
(er heult, brüllt wie e. R.) vergleichen diese mit dem im Sturme
oder Wirbelwind durchs Getreide gehenden dämonischen Tier.
Beim Schneiden des Kornes zieht sich der Kornwolf vor den
1) Ich verdanke diesen Nachweis Dr. H. Pfunnenschmidt in Hannover.
In Battons örtl. Beschreibung der Stadt Frankfurt a/M. herausg. v. Dr. Euler
3. Hft. Frankf. a/M. 1864 heißt S. 59 ein Haus auf der mittügigcn Seite der
kleinen Bockgasse im 14. Jalirh. (urkundl. bereits 1343) Kornwolf. Es war
das Eck bei der Kornblumengasse. S. 60. Der Besitzer dieses Hauses
Heylo, Heyle (S. 59, Anm. 70) oder Heylraann legte sich nach der Sitte der
Zeit den Namen von seinem Hanse bei. Er schrieb sich nun a. 1343 Heyle
Korn wolf (S. 59, Anm. 70). S. 66. Im 14. Jahrh. noch wurde das Haus in
zwei getcdlt, beide hießen Korn wolf.
2) Wiü bei uns neben der Roggenmuhnie eine Wassermuhme steht,
spricht man auch in Estland neben dem Wiljahunt vom Brunnen wolf Kae-
wahunt mit großem blutigem Rachen. Wenn man mit diesem schreckt, zeigt
man dem Kinde sein eigenes Gesicht im Brunnen als Kaewahunt. Holzmayer
Osiliana S. 113.
320 Kapitel VI. Sonn wen dfcuor, B. Hirpi Sorani.
vordringenden Arbeitern in die Mitte des Ackers zurück und wird
in den letzten Halmen gefangen, um in feierlichem Zuge nach
Hause geleitet zu werden. Wird ein Arbeiter während der Ernte
krank, so sagt man „de Boggenwulf hat ein unnerkrägen;^^
gradeso sagt man in Villefranche im Lyonnais (Rhone), wenn
jemand langsamerarbeitet, als die Uebrigen, j,il a le loup/^ auch
nennt man den zweiten Arbeiter, wenn er dem Vormäher nicht
zu folgen vermag, h hup. In der Bretagne heißt es, wenn beim
Abnehmen der Trauben, Aepfel oder Birnen im Herbste jemand
ermüdet, von ihm „il a les c6tes debout comme un loup." Wenn
zwei Kameraden zusammen arbeiten und einer den andern bös-
willig allein läßt, heißt es von dem Verlassenen „il a vu passer
le loup blanc, il le suit." (Seine inferieure). — In der letzten
Garbe, sagt man in Deutschland, sitze der Wolf; die Binderin
der letzten Garbe muß den Wolf herausholen; die letzte Garbe
selbst bekommt den Namen Wolf (ehedem erhielt sie auch die
rohe Gestalt einet Wolfes) und wird unter Jubelgeschrei auf dem
letzten Fuder nach Hause geführt Man nennt das „den Wolf
hringeny In Patznaun und im Zillertal in Tirol heißt es auch
bei der Heuernte von demjenigen, der das Letzte vom Berg her-
abbringt, ,jdcr bringt den Wolf!''' Zuweilen stellt die Binderin
der letzten Garbe yjden Woip' dar. Auf Rügen ruft man ihr zu
„ du büst Wtdfj'^ zu Hause angelangt beifit sie die Frau und die
Wirtschafterin und erhält daftir ein ziemlich großes Stück Fleisch.
Gradeso ruft man in Frankreich bei der Ernte dem Schnitter der
letzten Hahne zu „Vous attraperez le loup!" (Vilaine); in Cham-
bery schließt man um die letzten Aehrcn einen Kreis und ruft
„le loup est dedans!" und in Fiuistere „les moissonneurs , qui
tiennent chacun un sillon, s'ecrient, lorsqu'ils sont pour terminer
la moissou: „„/7-//-a le loup; nous Tattraperons." " Celui qui
arrive le prcmicr au bout de son sillon, repete yj,yfni pris Ic
loup!'''' In Lure (Haute Saonc) heißt die Beendigung des Ge-
treideschnitts jyChasser le loup." In Guyenne (Pruuel Cant. Tard.
Lot et Oaronne) führt man nach dem Schnitt der letzten Halme
einen Hammel um alle 4 Seiten des Ackers an einem Bande
umher. Dieser Hammel heißt le loup du ehamp. Er ist geschmückt
mit einem Kranze von Blumen und Achren um die Homer, einem
Kranz am Halse und einem Kranze um den Leib nebst vielen
bunten Bändern. Alle Schnitter ziehen singend hinterher. Dann
Getreidewölfe. 321
wird er auf dem Felde getödtet. Die letzte Garbe heißt hier
gewöhnlich cotijaulaye (im Patois Ausdruck für Hammel und zwar
den kleinsten der Schafherde des Gutes). Hier ist offenbar der
Tod des Komdämons durch das Schneiden des Getreides (s. o.
S. 166) dargestellt, und dabei Komwolf und Kornwidder ebenso
mit einander vermischt, wie im Steiermärkischen Drescherbrauch
0. S. 188 Kornwolf und Kombock. Im Kreise Wreschen (Pr. Posen)
werden die Knechte, welche das erstemal eine Ernte mitmachen,
auf folgende- Weise in den Kreis der MUher aufgenommen. Der
Neuling heißt an diesem Tage Wolf (wilk). Mit Blumen
geschmückt begiebt er sich vor Sonnenaufgang in Begleitung der
älteren Mäher auf das Emtefeld, wo er den ersten Schnitt mit
der Sense macht und den ganzen Tag Vordermann bleibt. Die
hinter ihm folgenden Mäher strengen ihre Kräfte an, ihm mit
der Sense möglichst nahe zu kommen, so daß er sich sputen
muß, um ihnen zu entkommen und nicht verwundet zu werden.
So geht es bis Sonnenuntergang. Man nennt das „den Wolf
jagen^^ (wilkg^ gonid). Abends wird er mit Getreidehalmen und
Strohbändern bewickelt, mit einer Art Krone von Binsen und
Blumen geschmückt, und unter Gesang und Jubel auf zwei Stroh-
bändern von zweien Führern in Begleitung aller Mäher zum
Herrenhause gebracht. Unterweges sträubt er sich, will ent-
laufen, Vorübergehende, zumal alle begegnenden Mädchen an
sich reißen, wird aber immer zurückgehalten. Vor dem Herren-
hause trinkt unter den Klängen der Musik ein jeder dem Wolfe
zu, zuletzt wird ihm das Glas gefüllt. Im Kruge zecht man bis
Mitternacht. Sobald aber der Hahn kräht, steigt der Wolf aufs
Dach seiner Geliebten und ruft durch die Oeffnung des Scham-
Steins ihren Namen hinein, Sie bleibt dann während der Ernte
seine Begleiterin und wird oft in der Folge seine Frau. Heim-
geführt versteckt sich der Komwolf in den abgeschnittenen Aehren
in der Scheuer und wird durch den Dreschflegel aus dem zuletzt
zum Ausdrusch kommenden Gebunde, in das er sich geflüchtet,
hervorgetrieben. Dann veranstalten um Wanzleben bei Magde-
burg die Bauem einen Umzug, wobei ein in das ausgedroschene
Stroh eingewickelter Mann an einer Kette herumgeftihrt wird.
Derselbe heißt Wolf Im Regierungsbezirk Trier herscht der
Glaube, der Kornwolf finde beim Dreschen seinen Tod. Die Ar-
beiter schlagen auf die letzte Garbe so lange los, bis sie ganz
Manuhardt. IT. 21
322 Kapitel VI. Sonnwondfeuer. B. Hirpi Sorani.
ZU Häcksel verwandelt ist. Damit soll der Kornwolf, der in der
letzten Garbe steckte, sicher todtgeschlagen sein.
Auch außerhalb der Erntezeit wird der Korntoclf oder Crras-
wolf durch dramatische Darstellungen, welche heutzutage als
Kinderspiele geübt werden, vergegenwärtigt. Dieselben haben
um so mehr Sinn, als der Volksglaube dem dämonischen Roggen-
wolf stäts menschenähnliches Selbstbewußtsein zuschrieb, wes-
halb man ihn leicht mit dem Werwolf (Lykanthropos) verwechselte
und die Kinder warnte, nicht ins Korn zu gehen, *da ^it^e der
Werwolf drin. Hat der Wind das Getreidefeld nach allen Seiten
hin niedergeworfen, so sagt man in Ostfriesland „Zei, dar het
de Wulf vernacht släpen^' und um Osnabrück nennt man eine
solche Stelle Werwolfsnesf, Gradeso wieder warnt man in Isle
de France (Seine et Marne) die Kinder, im Korne sitze der
hup-garou und in Limousin (Correze) „lorsque les bl^s se
trouvent couch^s, on dit, que c'est Le beroux (loup garou); in
Loire inferieure ,,c'est le loup, qui se roulait W." Auch der
Glaube vom Roggen wolf ninmit zuweilen die Wendung, daß der
in den letzten Halmen eingefangeue Geist des Feldes fortlebe und
den Winter über bis zum Frühjahr unsichtbar auf dem Hofe des
Landmanns verweile. Die Wiederkehr des Lichtes in der Winter-
sonnenwende kündigt die Rückkehr des Lenzes und aller seiner
waltenden Mächte an und es pflegen daher um die Weihnachts-
zeit im Volksgebrauch dieselben aufzutreten (vgl. o. S. 187. 200 ff.).
So rührt sich auch der den Winter hindurch im Hause gehegte
Komwolf In Polen wirft dann jemand eine Wolfshaut über den
Kopf und wird von einem andern umhergcftlhrt; daher das Sprich-
wort „er läuft herum wie mit der Wolfshaut zu Weihnachten
bzw. Neujahr (bicga z nim by z wilcz^, skora po kol^dzie); * oder
man trägt einen ausgestopften Wolf gabensanimelnd umher.*
Auch in der russischen und russuiischen Weihnachtsfeier spielen
Vermummungen in Wölfe durch umgehängte Wildschuren (Wolfs-
pelze) eine Hauptrolle; diese Masken lassen umherlaufend nie-
mand in Haus und Hof und auf den Gassen in Ruhe. ^ Und wie
man in Skandinavien aus Körnern der letzten Garbe den
1) Wurzbach, Sprichwörter der Polen. Wien 1852, S. 148. 150.
2) Linde s. v. kolijda.
3) Zs. f. D. Myth. IV, 19G.
Getreidowölfe. Loup vert. 323
Jüleber oder Julbock backt (o. S. 197), so ist es a. d. Ebrach in
Mittelfranken Sitte zu Weihnachten, im Steigerwaldc zu Neujahr,
daß die Bauern je nach ihrem plastischen Talente aus besonderem
Teige allerlei Figuren formen, die dann gebacken und unter dem
Kamen Hauswolf teils an Kinder und Gesinde verteilt, teils auf-
bewahrt und bei ausbrechendem Feuer zur Stillung des Brandes
in die Flammen geworfen werden. ^ In Pommern dagegen wurde
zu Ostern ein Gebäck Osterwulf gefertigt, wofür wir ein Zeug-
niß von 1451 besitzen. Die Bäcker hatten es einem Ratsmit-
gliede zu liefern.* Dieses Brod sollte doch wol den nämlichen
Gedanken ausdrücken, wie die Umzüge zu Fastnacht und Pfingsten,
in denen der Vegetationswolf wieder segnend in den grünen Wald
und den sprossenden Acker einziehend gedacht wird. Im Fast-
naehtaufzuge der Nürnberger Metzger, dem Schönbartlaufen (Bk.
334), lief neben dem wilden Mann und dem wilden Weibe ein
Mann mit einem Wolfskopfe , in demjenigen der Züricher Metz-
ger trug man ein Tierbild umher, welches Isegrim, Eisengrind
hieß, wie der Wolf in der Tiersage , durch späteres Mißverstand-
niß jedoch die Gestalt eines halben Löwen bekommen hatte
(Bk. 433). Im Hanauischen war es „ Pfingstrecht," daß die jungen
Bursche auf jungen Pferden, deren Schweif und Mähne mit
buntfarbigen Bändern geschmückt war, am ersten bzw. zweiten
Pfingsttag zur Herrschaft ritten und von dieser, so wie von jedem
Pferchbeständer 10 Kreuzer „Wolfsgeld" „von wegen des Wolfs ^^
erhoben. ^ Die Analogie der unter dem Namen des Pfingstrechts
in Hessen und Thüringen verbreiteten verwandten Gebräuche
(Bk. 347 — 349) macht gewiß, daß die umziehenden Bursche einst
einen in grünes Laub gehiÜUen Gefährten mit sich führten, der
den Wolf darstellte und für dessen Umherfllhrung sie die Steuer
beanspruchten. Wie dies nun deutliche Beweise sind tlir den
Frühlingseinzug des Vegetationswolfes, so bilden sie auch den
Uebergang zu einer merkwürdigen Sitte der Normandie, über
welche ausiührlich zu berichten gestattet sein möge.
„Tons les ans, ä Jumieges, Ic 23. juin, veille de la Saint -
Jean-Baptiste, la confrerie du Loup- Vert va chercher son
1) Bavaria III, 340.
2) Pfeiffers Germania XV, 82.
3) Han. Magaz. 1778, S. 428. Lyncker hessische Sagen S. 249.
21*
324 Kapitel VI. Sonnwendfeuer. B. Hirpi Sorani.
nonveau chef on mattre daus Ic hameau de Conihont: c'est la
seulement que Tusage permet de le choisir. LliabUant prend k
titre de Loup-Vert; ü revet une large houpdmide verte^ d se
couvre la Ute d'un bonnet vert de forme conique, trh rlere et sans
hords. Ainsi costumö, il se met en marche ä la tete des freres.
Uassoeiation s'ayanee en chantant ThyinDe de saiiit Jean au bruit
des p^tards et des mousquetades , la croix et la bänniere en
tgte, jusqu'au lieu dit Chouquet La, le eure vient avec les
ehantres et les enfants de cboeur au-devant des freies et les
eonduit ä T^glise paroissiale. Apres Toffice, on retourne chez k
Loup' Verty oü est servi un repas tont en maigre, Ensuite on
danse devant la porte en attendant Theure, oü doit s'allumer le
feu de la Saint -Jean. La nuit venue, un jeune komme et une
jeune fille, pares de fleurs, mettent le feu au bücher * au son
des clochettes. Des que la flamme s'eleve, on ebante le Te
Deum; puis un villageois entonne en patois normand un ean-
tiquc, espece de parodie de 1 „ut queant laxis." Pendant ee temps
le loup et les freres, le chaperon sur Tepaulc, se tenant tous par
la main, eourent autour du feu aprh c^luiy quHls ont designe
pour etre le loup Vannee stiivante, Le premier et le dernier de
ces singuliers chasscurs ont seuls une main libre; il faut eepen-
dant, qiCils enveloppent le fntur loup, qui, en cherchant ä leur
echapper, frappe ä coups redoubles les con freres d'unc gründe
baguetfc, dont il est arme, Lorsqu'ü est enfin 2>ris, on h j>ortr
au bucher et Von feint de Fy jeter. Cette ceremonic tenninee,
on se rend chez le loup et Ton y soupe encore en mnigre, La
moindre parole ineonvenante ou ^trangere ä la solennite est
intcrdite, un des convives a la Charge de ceuscur, et il agite
des clochettes, si Ton nobserve pas cette regle, celui, qui la
transgresse, est obligd de reciter immediatement, debout et a
haute voix, le Pater noster; raais ä Fapparition du dessert ou
ä minuit sonnant, la libertc la plus entiere fait place ä la con-
traintc; les chansous bachiques succcdent aux hymnes religieuses,
et les aigres accords du menctrier du village peuvent ä peine
dominer les voix detonnantcs des joyeux compagnons de la con-
frerie du Ix)up-Vert. On va dormir cnfin et puiser de nouvelles
forces et un nouvel appetit pour Ic lendcmain. Le 24. juin la
1) Vgl. Hk. 4G4.
Loup vert. 325
fete de Saint -Jean est cel^bree par les meraes personuages avec
la meme gaiete. Une des. cercmonies consiste ä proniener, au
son de la mousqueterie, un enorme pain bcnif ä plusieurs ctages,
surmonte d'une pyramide de vcrdure ornee de nihans'^ apres quoi
les r^ligieuses clochettes, deposdes sur le degre de Tautel, sont
confideS; comme insignes de sa future dignite, ä celui, qui doit
6tre le Loup - Vert Tannee suivante. *
Der beschriebene Brauch ist das Fest einer Gilde, gradeso
wie der Einritt des Maigrafen (Bk. 369 flF.) und gradeso wie bei
diesem ein uralter Naturkultus, der Wiedereinzug des Vegeta-
tionsdämons mit den religiösen Bedürftiissen des Mittelalters in
Verbindung gebracht ist, wenn z. B. in Reval der Maigraf in der
kirchlichen Frohnleichnamsprozcssion dem h. Sakramente voran-
schreitet (Bk. 71. 81), so ist auch hier ein verwandter Natur-
dienst mit dem christlichen Gottesdienst der Gildegenossen ver-
schmolzen. Das christliche Element scheidet sich aber leicht aus,
und was übrig bleibt, zeigt uns eine auf den Vegetationswolf
bezügliche Sitte. Ich glaube Bk. 497 flF. 516 flF. 521 flF. erwiesen
zu haben, daß das Mittsommerfeuer ein Sounenzauber war und
1) Magazin pittoresqne. Paris 1840, S. 287ff. , daraus Liebrecht Gerva-
sius V. Tilbury ö. 209. vgl. 192 und Cortct cssay sur les fetes religieuses.
Paris 1867, S. 221. Die Archäologen von Ronen z. B. Hyacintho Langlois
bringen einfältiger Weise den Brauch de8 Loup -vert in ätiologischen Zusam-
menhang mit einer zufällig in derselben Gegend localisierten Legende; welche
damit auch im entferntesten nichts zu tun hat. Die Abtei von Jumieges in
der Nonnandie wurde im Jahre 654 von St. Philibcrt gegründet: derselbe
bcwog die heilige Austrebertha 4 Meilen davon zu Pavilly (Savilly?) ein
Nonnenkloster zu erbauen. P^in Esel, der abgerichtet war, ohne Begleitung
eines Menschen zwischen der Abtei und dem Jungfrauenstifte die Wäsche hin
und her zu tragen, wurde einst im Walde von Jumieges von einem Wolfe
aufgefressen. Austrebertha, durch den Notschrei des Esels herbeigerufen,
legte die Hand auf den Wolf und zwang ihn zeit seines Lebens den Dienst
des von ihm getödteten Grauchens zu vollziehen. An der Stelle, wo der Esel
verendet war, im Walde von Jumieges, gründete man noch im 7. Jalirhundert
eine Ka]»elle; als diese zerfiel, ersetzte sie ein Steinkreuz; da im Anfang
des 18. Jahrhunderts auch dieses zerbröckelte, pflanzte man eine Eiche, in
die man einige Bilder der h. Jungfrau einfügte und nannte sie „ebene -ä-
Täno.*' Ein Basrelief im Kloster und mehrere Skulpturen in der St. Peters-
kirche stellen die Legende dar. Eine der letzteren zeigt St. Austrebertha,
wie sie den Wolf streichelt, der Verzeihung zu erflohen scheint. Magaz.
pittor. a. a. 0.; Amelie Bosquet, la Normandie romanesque. Paris 1845,
S. 357 ff.
326 Kapitel VI. Sonnwendfouer. B. Hirpi Sorani.
das Licht und die Wärme der Sommersonne darstellen sollte,
durch welche zu ihrem Gedeihen die. Vegetation hindurchgehen
muß. Menschen und Haustiere wurden hindurchgetrieben, um
an diesem Gedeihen der Vegetation teil zu haben. Wenn man
an anderen Orten lebendige Tiere (Katzen vgl. o. S.172flF., Füchse,
weiße Hähne vgl. Komdämonen S. 13flF., Schlangen u. s. w.) ins
Feuer warf und darin verbrannte (Bk.515), so scheinen damit Beprä-
sentanten der Vegetationsdämonen gemeint, welche um Sommers-
mitte die Glut der Hundstage zu bestehen haben. Wenn in
Schwaben ein in grime Heiser mid Blätter gehüllter Mann, Moos-
kuh genannt, mit seinen Füßen das Sonnwendfeuer austritt (Bk.
524), so vertritt derselbe augenscheinlich den später einmal zu
besprechenden theriomorphischen Dämon Komhuh oder Vegeia-
tionsrind. Ich werde daher schwerlich besorgen dürfen auf
Widerspruch zu stoßen, wenn ich behaupte, daß auch der grüne
Wolf des Johannisabendgebrauches zu Jumi^ges^ jedesmal den
Geist der heurigen Pflanzenwelt bedeutet. Er ist schon durch
den Sommersonnenschein hindurchgegangen, der Blätter und
Blüten zur Entfaltung brachte, und nun von der Sonnenwende an
aus der erreichten Höhe herabsinkt. Mit der bald eintretenden
Ernte ist sein, des grünen Wolfes, des Komwolfs Leben und
Regiment geendet. Aber sein Nachfolger, der Komwolf des
nächsten Jahres, der nächstens mit dem Samen der reifenden
Pflanze geboren wird, hat behufs seiner Reife vom künftigen
Frühjahr bis Mittsommer das Feuer des Sonnenbrandes zu pas-
sieren. Ihn verfolgt deshalb die Brüderschaft und wirft ihn ins
Feuer, um diesen erfolgreichen Akt im Naturlcben vorzubilden
und dessen Segnungen sich zu sichern. Als der nunmehr gewaltige
Vegetationsdämon schlägt er, wie der Maikönig, Komkater u. s. w.
(Bk. 365, 0. S. 187) mit der Lebensrute, Noch ist es magere
2eit, so lange der grüne Wolf des alten Jahres herscht, die alten
Vorräte sind aufgezehrt; erst die Zeit nach Johannis, die Ernte,
bringt neuer Nahrung FtQle. Deshalb speist die Gilde beim alten
Loup vert nur Fastenkost, magere Gerichte, sobald aber die
Jahreswende vollbracht ist, nach Mitternacht, aus voller Schüssel.
Das riesenhafte Brod am folgenden Tage in Prozession umher-
getragen, das Sinnbild des Emtesegens (Bk. 158. 317. 393. 396.
538. 539 u. 8. w.) bewährt die agrarische Bedeutung der ganzen
Ceremonie. Wollte noch jemand diese Symbolik verkennen , so
Feronia. 327
wtlrde ich ihm ein lettisches Johannisliedchen zu bedenken geben,
worin von den drei Tagen St. Johannis (24. Juni), Peter und
Paul (29. Juni) und Jacobi (25. Juli) folgendermaßen die Rede ist:
Arm und hungrig kommt Johannes,
Noch verhungerter St. Peter :
Doch St. Jacob ist der Reiche,
Kommt mit Roggen und mit Gerste.'
Daß die grüne Kleidung des Loup vert und seiner Gesellen die
einstige Einhüllung in grüne Büsche ersetzt, hat ein genaues
Analogon in der russischen Darstellung der Personification des
St Georgstages mit grünem Gewände (Bk. 317), während d^r
slo venische grüne Georg noch in grüne Birkenzweige eingebunden
ist (Bk. 313). Vgl. den Mann im grünen Weiherroch im Bohlen-
dorfer Märzumgang (Bk. 317) und die grüngekleideten Maireiter
(Bk. 448. 368). «
§. 2. Feronia. Die normannische Sitte leitet uns hinüber
zu dem altitalischen Brauch der Hirpi Sorani. Mitten aus einer
fruchtbaren Landschaft erhebt sich einige Meilen von Born der
weißschimmernde (candidus) Kalkfelsen des Monte di Silvestro,^
im Altertum Soracte genannt; auf seinem Gipfel lag der uralte
Tempel des Soranus. Soranus war ein sabinischer Sonnengott,
wie schon sein Name besagt, den, auf Curtius * gestützt, L. Preller ^
mit Recht von sora Sonne, d. i. svaijä, einem Worte derselben
Wurzel ableitet, welche auch den Worten. sol, serenus goth.
savil, lit. saule Sonne, griech. oelgiog zu Grunde liegt. Nach
1) ülmann Lettische Volkslieder S. 81, n. 262.
2) Vgl. auch noch die folgende französische Sitte. Bei dem Papageien-
feste in Montpellier, welches, wie man sagt, durch die Könige von Minorca
gestiftet war, und am ersten Mai gefeiert wurde, schritt an der Spitze
der Gesellschaft ein großer Mann in grünem Bocke einher, der die
Functionen des Narren ausübte. Auf dem Hintern trug er einen Cupido in
Goldstickerei (J. W. Wolfs Papiere). Da das Papageienfest eine mittelalter-
liche städtische Form des Maigrafenfestes war (Bk. 369. 371. 373. 379), so geht
auch hier der grüne Rock des voranschreitenden Mannes unzweifelhaft auf
die grüne Laubhülle des ehemals dem Zuge vorangeführten Vegetations-
dämons seinem Ursprünge nach zurück.
3) So heißt er nach dem auf einer seiner Spitzen liegenden von Karl Mar-
tells Sohne Karlmann i. J. 747 gegründeten Kloster San Silvestro.
4) Zs. f. vgl. Sprachf. I, 29 AT.
5) Rom. Myth. 239.
328 Kapitel VI. Souuwcndfeuor. B. Hirpi »Sorani.
dein Eindringen der griechischen Bildung hat man ihn mit Apollo
identifiziert, ohne Zweifel, um ihn als Sonnengott zu bezeichnen.
„Summe deüm — sagt Verg. Aen. XI, 785 — sancti custos
Soractis Apollo." Am Fuße des Berges, wo jetzt das Dorf
San Oreste liegt, befand sich im Altertum der Hain der Feronia,
ein Heiligtum und vielgefeierter Wallfahrtsort, wo sich an die
Feste der Göttin eine Messe (Markt und Waarenaustauschj ange-
knüpft hatte. Feronia war eine Getreidegöttin. Dies sagt ver-
mutlich schon der Name, der im römischen Volksmunde mit
Faronia abwechselte. Vgl. Dionys. Halicam. Antiqu. II, 49, der
erzählt, die Sabiner seien nach der Meinung einiger Schriftsteller
ausgewanderte Lacedämonier „ xorrax^^' vrac? de xr^ 'haliag itaqi
TCL xaXotfUvu lIcüfievTiva nedlay to, xe xioqlov^ h ^ irQcdrov tJ^^u/-
aavTOy (DsQiüviav ä/io rijg iteXayiov qoQi^atiog orofidoai ' yxd d^eceg
Uqov idQiaaa^at Oeqoyviag^ Jj zag ei'xag eO^ewo' \]v vvv, trog
dXXay^ yga/nfiaTog OaQiov'lav xaloioiv.^^ Wir haben uns
die Sache wol so zu denken, daß die eine dieser beiden Namens-
formen die römische der lingua rustica, die andere die sabinische
war. Die Endung -ona -onia bildet Denominativa ; Faronia ergiebt
sich somit (wie Pomona, Populonia McUona Vallona von pomum,
populus mel vallis) gleich far-iua (für fars-ina) von far, (d.i.
farr aus fars) Gen. farris abgeleitet. Föronia weist auf eine
geschwächte Stammform fer d. i. ferr, fers mit Ersatzdehnung lK?i
ausgefallenem Consonantcn. Vgl. ver Frühling für verr, vesr aus
veser, verer und in noch älterer Zeit vaser. ^ Vgl. auch setius
aus sectius, penis aus pesnis, pedo aus perdo. Die Schwächung
ferr statt farr entspräche Beispielen wie volsk-umbr. vesclis =
lat. vasculis (Corssen de Volsc. dial. g). Vgl. aber auch lat. scdes
neben l'dog skr. sadas, cera neben TcfjQog, verus Würz, var, serus
Würz. sar. Far Dinkel, Spelt galt als die älteste Speise in
Latium;- Feronia wäre etjmol. ein goth. barizcins und der volle
Name Feronia mater, den Scrvius Aen. VH, 504 bezeugt, ent-
spräche etwa einer Sanskritischen * bharsäni mätä Getreidemutter,
Mit diesem immerhin noch weiterer Aufklärung über das Ver-
1) Vgl. Graßmanii in Zs. f. vgl. Sprachf. XVI, 110. Ein römisches
Ferronirt , Feronia neben far stände in gleichem Verhältniß wie Epona neben
equus, insofern beide Götternanicn dialectisehe Nebenformen (ferr oder fiT,
epus) statt der gebräuchlichen Appellativa zum Etymon haben.
2) Vgl. Kuhn Herabkunft S. 99.
Feronia. 329
hältniß der beiden Namensformeii bedürftigen Ergebniß der sprach-
liehen Analyse stunmt der sachliche Verhalt tiberein. Durch
Livius erfahren wir, daß die ältesten Bewohner der Gegend in
den Hain der Feronia die Erstlinge der Feldfrüchte und andere
Gaben brachten, um für den Segen der Ernte zu danken. „Inde
Hanibal ad lucum Feroniae pergit ire, teuiplum ea tempestate
inclitum divitiis: Capenatcs antiqui accolae ejus erant, primitias
frugum eo donaque alia pro copia portantes multo auro argen-
toque id exornatuni habebant." ^ Wenn Feronia als dvS^riffOQog,
cpiXooiiffctrog, HeQaecfovr] characterisiert wurde,* so scheint das
einerseits eine Metonymie von dem Tempel, an dessen Pfosten,
wie am Heiligtumc der Ceres, der mit Blumen geschmückte Ernte-
kranz aufgehängt wurde ; andererseits ist die mit der mystischen
Pcrsephoue-Kore identifizierte Froseipina zum Vergleiche heran-
gezogen , welche die römischen Antiquare als fecunditas seminum
erklärten.* Aus diesem Vergleiche der Feronia mit Proserpina,
erzeugte sich die weitere Combination des der ersteren gesellten
Soranus mit Dis d.i. Pluto -Aidcs, dem Gatten der Persephone,
die von einigen Gelehrten gemacht wurde.* Außerdem wissen
wir, daß Feronia von den Freigelassenen besonders verehrt wurde.
Varro nannte sie libertorum dea. Zu Terracina unweit Suessa
Pometia hatte sie ebenso wie am Soracte einen Hain mit einer
Quelle ; hier war m ihrem Heiligtum ein Stein, auf den zur Frei-
lassung bestimmte Sklaven sich setzten, um als Freie wieder
1) Liv. XXVI, 11.
2) Dionys. Halle. III, 32: Uqöv ^an xoivfj ri/tKoimvov vnö 2^aßiv(ov re
xnl Aarivon* f äytov tv TOig tiuvv Ü^tui 4^(Q0)Vftag ovoibiaCofA^vtjg , fjv ol fifra-
(fQfii^ovTtg ^ig T//r *£AA«(f« yktüoaccv o/ filv IdvO^rnföfiov y ol dl 'Pi loari-
(ffd'oVy ol öi- 'i^tQaf if 6ri]v xnXoOaiv.
3) Praefcceinint ergo Proseridnain frumentis germinantibns. Varro bei
August. Civ. Doi IV, 9. In Cereris autem sacris praodicantur illa Eleusinia,
quae apud Athenienses nobilissima fuerunt. De quibus ille (Varro) nihil inter-
pretatur, nisi quod attinet ad frumentum, quod Ceres invenit et ad Proser-
pinam, quam rapiente Orco perdidit, et hanc ipsam dicit significare
fecunditatem seminum: quao cum defuisset quodam tempore, oademque
storilitate terra moereret, exortam esse opinionem, quod filiam Cereris, id
est ipsam fecunditatem, quae a proserpendo Proserpina dicta
esset, Orcus abstulerat etc. Augustin a. a. 0. VII, 20.
1) Serv. Verg. Aen. XI, 785.
330 Kapitel VI. Sonnweiidfeacr. B. Hirpi Sorani.
anfzostehen. ^ Sodann erhielten sie nach Abscheenuig des Haupt-
haars den Freiheitshut ^ Als man in Rom während des zweiten
panischen Krieges beschloß , alle Götter durch außerordentliche
Geschenke gnädig zu stimmen, waren es die freigelassenen Weiber,
welche der Feronia das Weihgeschenk zusammenstenem mußten.'
Dieses Verhältniß der Liberten zu der Göttin erklärt sich sehr
einfach und befriedigend aus den Gebräuchen des Erntefestes.
Denn am Erntefeste war es bei den Alten Sitte/ wie sie es
noch bei uns ist, daß die Herren allen Standesunterschied ver-
gessend mit den Knechten sich auf gleichen Fuß setzten , mit
ihnen aßen, tranken und ganz als mit ihresgleichen verkehrten.
Dieser Umstand mochte Zeit und Ort eines Festes der Emte-
göttin als besonders geeignet erscheinen lassen, um damit die
feierliche Freilassung verdienter Sklaven zu verbinden, durch
solche Potenzierung des Festgedankens die Würde der Feier
gewissenmaßen noch zu erhöhen. Wie Feronia wurde auch die
Emtegöttin Dea Dia in einem Haine verehrt und Demeter besaß
gleichfalls heilige Haine (o. S. 14).
§. 3. Hirpl Sorani. Zu Ehren beider Götter, des Sora-
• nus und der Feronia fand alljährlich zu einer gewissen Zeit im
Haine der Göttin am Soracte ein Fest statt, wobei die Mitglieder
gewisser ortsansäßiger Familien, welche sieh Hirpi d. i. Wölfe
nannten, mit nackten Füßen durch ein Feuer liefen. Der ältere
Plinius sagt : * Nicht weit ' von Rom im Gau der Falisker giebt
es einige wenige Familien , welche man Hirpi nennt. Diese wan-
deln Jahr für Jahr an dem Feste zu Ehren des Apollo, welches
beim Berge Soracte veranstaltet wird, über einen angezündeten
Holzstoß und verbrennen sich nicht. Deshalb genießen sie nach
einem Senatsbeschluß auf ewige Zeiten Befreiung vom Kriegs-
dienst und anderen Lasten. ^ Vergils Dichtung macht den Aruns,
1) In hujus teniplo Tarracinae sedile lapidenm fuit, in quo bic versns
incisns erat : Bene raeriti servi sedeant, surgent liberi. Servius Aen. VIII, 564
2) Servius a. a. 0.
3) Liv. XXII, 1 Quin ut libortinae et ipsae, unde Feroniae doniun dare-
tur, pecuniam pro facultatibus suis conferrent.
4) S. darüber die Zusammenstellungen von Buttmann, Mythologua ü,
52—56.
5) Eist. nat. VII, 2.
6) Plin. bist. nat. VII, 2 Haud procul urbe Roma in Faliscorum agro
familiae sunt paucao, quae vocantur Hirpi: hae sacrificio annao, quod fit
Hirpi 80 ran i. o31
Tarquins Sohn, zu einem Gliede jener Genossenschaft,* und
Varro behauptet, die Hirpi hätten sich mit einer gewissen Salbe
die Fußsohlen bestrichen und seien dadurch gegen die Verbren-
nung geschützt ^gewesen. * Strabo ergänzt diese Berichte dahin,
daß die Begehung im Haine der Feronia stattfand , auch auf die
Göttin Beziehung und viele dazu herbeigeströmte Besucher zu Zu-
schauem hatte. „Unter dem Berge Soracte — sagt er — liegt
die Stadt Feronia, gleichnamig einer einheimischen von den
Bewohnern geehrten Göttin, deren an diesem Orte befindlicher
Tempelhain eine wunderbare Feierhandlung darbietet. Denn mit
bloßen Füßen durchwandeln die von der Göttin Ergriffenen
Kohlen und Glutaschc unbeschädigt, und sowol wegen des Volks-
festes, das jährlich gefeiert wird, als wegen des erwähnten
Schauspiels versammelt sich hier eine große Menschenmenge."
Wir besitzen eine ätiologische Sage, ein Histörchen, welches
irgend jemand lediglich zur Erklärung der ebenerwähnten Bräuche
erdacht hat; Servius, der die Geschichte einem älteren Schrift-
steller nacherzählt , verdunkelt sie etwas, indem er mit den Hirpi
Sorani das sabinische Volk der Hirpini confundiert. Einst bei
einem Opfer, das die Hirten dem Gotte auf dem Soracte brach-
ten , erschienen plötzlich Wölfe, rissen das Opfer fleisch aus dem
Feuer und trugen es davon. Die Hirten ihnen nacheilend,
gelangten zu einer Höhle von giftiger Ausdünstung, durch welche
sie mit einer Seuche behaftet und todt hingestreckt wurden. Als
die Einwohner Abhilfe des Uebels bei den Göttern suchten, lau-
tete die Weissagung dahin, daß die Fest aufhören werde, wenn
sie sich wie Wölfe geberden würden. Sie taten dies und fortan
hieß das Volk Hirpi Sorani. * Dieser Name bedeutete Wölfe
ad inontem Sqractem ApoUiiü, super ambustam ligni struem ambu-
lantes noii aduruntur. Et ob id perpctuo Öenatusconsulto uilitlae omnium-
que aliorum muuerum vacationem habent.
1) Verg. Aen. XI, 785.
2) Serviu8 ad Verg. Aen. XI, 787 : Varro ubiquo expugnator religionis alt,
cum quoddam medicamentum describeret: üt solent Hirpini, qui ambulaturi
per igues mcdicamento plantas tingunt
3) Serv. a. Verg. Aen. XI, 785. Soractis mens est Hirpinorum in Fla-
minia collocatus. In hoc autem monte cum aliquando Diti patri sacrum por-
solverotur; nara [diis] manibus consecratus est, subito veniontes lupi eita
[de igni] rapuerunt, quos cum diu [pastores] sequercntur, delati sunt ad
332 Kapitel VI. Soniiwcudl'uuer. B. Hirpi Soraiü.
des Sonnemjottes j denn hirpns war der sabinische Ansdruck ftr
Wolf. * Aus der vorstehenden ätiologischen Sage sind wir berech-
tigt auf den Gebrauch , dessen Entstehung sie begreiflich machen
sollte, zurttckznschließen , und soviel zu entnehmen , einmal, daß
die Familien, von denen der Brauch geübt wurde, nicht zufällig
oder aus irgend einem andern Grunde Hirpi hießen , sondern nur
deshalb, weil sie am Feste des Soranus die Bolle von Wölfen
spielten, durch Geberden (Geheul u. s. w.) und vielleicht auch
Kleidung sich als Darstellungen von solchen zu erkennen gabeu,
sodann, daß von dem Durchlauf dieser Wölfe durch das Feuer
Oesundheity Freisein mid Befreitwerden von Seuclien als Wirkung
erwartet wurde.
Hiemit sind wir im Besitz einer hinreichenden Reihe von
Uebereinstimmungen, um die schon von Preller* aufgestellte Ver-
mutung für gewiß ansehen zu dürfen , daß die Begehung der Hirpi
Sorani unseren Sonnwendfeuerny dem Osferfeuer oder Johannis-
feuer identisch war. Hier wie da ein Sonnenfest; hier wie da
ein Durchlaufen von Menschen durch die Flamme, hier wie da
endlich der Glaube, daß durch das Feuer bösartige Krankheit
vertrieben werde. Die Hii-pi hießen Wölfe des Sonn^mgoftes So-
ranus, weil sie am Feste der Sommersonnenwende ihren Feuer-
sprung ausführten. Wenn nun die Sonuwendfeuer nachweisbar
auch die vermeintliche Wirkung ausübten, die Fruchtbarkeit des
Kornfeldes und der Viehweide zu befördern (o. S. 316), so liegt
es klar am Tage, weshalb das Somiwendfeuer am Soracte im
Haine der Getreidegöttin Feronia begangen ist, und daß dabei
vorzugsweise die agrarischen Beziehungen betont wurden.
Eine einigermaßen verdunkelte Spur des Glaubens, daß das
im Haine der Feronia angezündete Feuer auf die Wiedcrbclchung
quandam speluncam, halitum ex se pcstifcnim emittentom, adco ut juxta
Btantes nccaret: [et] exintle est orta pcstilentia, quia faerant lupos secnti:
de qua responsum est, posse cam scdari, si lupos im itaren tur, i. e. rapto
viverent. Quod postquani factum est dicti sunt isti populi Hirpi
Sorani. Die Erklärung „i. e. rapto viverent" giebt sich sofort als irriger
Zusatz des Servius zu den Worten seiner Vorlage zu erkennen.
1) Servius a. a. 0.: Nam Inpi Sabinorum lingua hirpi vocantur. So-
rani vero a Dite: nam Dispater Soranus vocatur: quasi Lupi Ditis pa-
tris. Strabo V, 4,12. p. 250: Xo;ior xidoCair ol ^^KvrJiai töv Xixor. Paul.
Diac. p. 106: Irpini appellati nomine lupi, quem irpum dicunt Samnites:
cum enim duccui secuti agros occupavere.
2) R. M. S. 240.
Hirpi Sorani. 333
der in den Hundstagen iferbrannteti Vegetation Einfluß idfc,
liegt wol in der wiederum ätiologischen Legende vor, daß der
Hain der Göttin zu Terracina (Anxur) clnM in Brand geraten
sei, plötzlich aber ^ als die Einwohner zur Rettung der Götterbil-
der herbeieilten, wieder frisch und grün vor ihren Augen dage-
standen Iwbe. * Wahrscheinlich gab es auch in Terracina ein
Sonnwendfeuer und man mochte bei demselben grüne Büsche
oder Bäume aufpflanzen (vgl. o. S. 310), ein Brauch, den
man dann nachmals als Erinnerung an die vermutete einmalige
Begebenheit eines Hainbrandes deutete, indem man in diese
Legende zugleich einen Hinweis auf die vom Feuer erwartete
Wirkung hineinmischte.
Auch von dieser Seite her bestätigt sich unser Ergebniß.
Der Festakt am Soracte fand zur Zeit der Sommersonnenwende
statt zu Ehren des Sonnengottes und zu Ehren der Getreide-
göttin Feronia; es hatte also, wie jener stidindisehe Feuer-
sprung bei den Badagas (o. S. 306), auf dieEryite Bezug, wie
nach den Indizien des ätiologischen Mythus auf die Gesundheit
der Menschen und Tiere. Die Wölfe liefen durchs Sonnenfeuer,
um glückliche Ernte auf den Aeckern, sich und ihren Mitbürgern
ein krankheitfreies Jahr zu erzielen. Gicbt man diese Vorder-
sätze zu, und ich sehe keinen Ausweg, sich ihnen zu entziehen,
so ergiebt sich zugleich das Fest der Hirpi Sorani als nach Jah-
reszeit, Zweck und Ausführung übereinstimmend mit der Feier
der Confrerie du Loup Vert s. zu Jumieges , und wir werden
dann kaum umhin können, die Wölfe des Soranus auf
gleiche Weise, wie die grünen Wölfe des normannischen
Brauches und die schwäbische Mooskuh, d, h. als Korn-
wölfe, Vegetationswölfe zu deuten. Mit einem Worte,
das Vorhandensein der Korndämonen scheint auch im
römischen Volksglauben nachgewiesen zu sein. Es scheint
so, denn die Möglichkeit bleibt immerhin nicht ausgeschlossen,
daß durch eine Laune des Zufalls trotz der aufl^lligen Ueberein-
stimmung die Wölfe hier einen anderen Ursprung und eine
andere Bedeutung hätten, als in dem normannischen Brauche;
1) Sorvius ad Vcrg. Aon. VII, 800: Nain cum aliquando hujus fontis
lucus fortuito ar8i«set incendio <»t vollont incolao exinde transferro
simulacra , subito roviruit.
334 Kapitel VI. Sonnweudfeuer. ß. Hirpi Sorani.
aber die Wahrscheinlichkeit ftlr yorstehende Deutang verstärkt
sich in hohem Grade durch den in später zu veröffentlichenden
Untersuchungen geführten und in einigen Beispielen bis za un-
umstößlicher Grewißheit gedeihenden Nachweis, daß Vorderasien,
Griechenland und Altitalien den unsrigen ganz genau entspre-
chende anthropomorphische und theriomorphische Komdämonen
kannten.
Die Getreidegöttin Feronia wurde offenbar in naher Bezie-
hung zu Mars gedacht, der in der Urzeit Gott des Wachstums,
der tellurischen und animalischen Fruchtbarkeit und zugleich
Kriegsgott war, und dessen verschiedene Wesensseiten von W.
Boscher mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit aus dem gemein-
samen Ausgangspunkte einer Sonnengottheit begreiflich gemacht
sind. ' Jene durch ihre agrarische Bedeutung bedingte Beziehung
beider Gottheiten äußert sich u. a. darin, daß eine Spechtart
(picus Martins) dem Mars, eine andere (picus Feronius) der Fe-
ronia heiUg war, beide galten als Vögel, welche sowol durch
ihre Stimme , als ihren Flug zu Auspicien dienten. ^ Vielleicht
lag die Ursache ihrer Heiligkeit darin, daß der Specht wie der
Kukuk und die Heerschnepfe (Regenvogel, Gießvogel, Ha wer-
jsicke 0. S. 180) dem Ackerbauer als Wetterkilnder von Wichtig-
keit war, da er beständig piept, tvenn es regnen soll. ^ Im skan-
dinavischen Norden ist der rothaubige Schwarzspecht, St. Gertuds-
vogel (ähnlich wie die Habergeiß o. S. 181 ff.) dadurch gleich dem
Kukuk, jy Bäckerknecht/' zu einem brodgebend^n anthropopathi-
schen Dämon in Vogelgestalt geworden, dessen Dasein man sich
nachmals aus der Verwandlung einer brodbackenden Frau durch
St. Gertrud erklärte. Gradeso war Picus den ßömern ein therio-
morphischer Waldgeist, des Faunus Vater, den man nachmals
zu einem Urkönige Latiums vermenschlichte und als Jüngling mit
einem Specht auf dem Haupte darstellte, in anderen Kreisen
aus Metamorphose eines Menschen entstehen ließ, worauf man
bei weiterem Grübeln endlich die große Zauberin Kirke als
1) Roseber Apollon und Mars. Lpzg. 1873.
2) Festus p. 197 v. oseines aves. Vgl. W. Wackemagel r.'ifn :iTk-
QOivra 25.
3) Vgl. Myth.* G39. Maiinhardt in Zs. f. d. Mi^th. III, 221. Ebend.
209 ff.
Hirpi Sorani. 336
Urheberin dieser Verwandlung hinzudichtete. ^ Ein anderes Tier
des Mars war der Wolf (lupus Marti us, lupus Martialis), der
sich entschieden dem Wolfe des Apollo bei den Griechen ver-
1) Bios gegen Kuhns unhistorische Auffassung, Herabknnft S. 30. 31.
32. Ich stelle nachstehend in knappster Andeutung gegen die gründlich ver-
schiedene Entwickelung dieses Forschers meine eigene abweichende Ansicht.
Feronia hält er (Herabkunft 30 ff.) A. für eine Feuergöttin undHer-
abbringerin des himmlischen Feuers im Blitze, und zwar a] weil ihr
zu Ehren ein Feuer angezündet wurde und weil einmal ihr Hain gebrannt
haben soll. Aber ein Feuer im Dienst einer Gottheit beweist nichts für diese
als Numen des Feuers, b) Feronia sei sprachlich und sachlich identisch mit
Phoroneus , auf den die Argiver die Erfindung des Feuers zurückführten, und
mit bhuranyu, einem Beinamen des indischen in Yogelgestalt gedachten
Blitz- und Feuergottes Agni. Aber Feronia war Denominativ, und steht
auch durch Länge der ersten Sylbe von Phoroneus ab, der als Begründer der
Kultur in Argos das Feuer erfunden haben wird ; von Herabholung des Feuers
wie bei Prometheus wußte seine Sage nichts, c) Feronia sei Proserpina
genannt, weil sie der Despolna = Persophone der Arkader gleichstand, die
Kuhn mit der indischen Wolkenfrau ? Blitzgöttin ? Dasapatni identifiziert.
Letztere Gleichstellung ist sprachlich bedenklich, sachlich unhaltbar. Ueber
den Grund der griechischen Interpretatio der Feronia durch Persephone s. o.
S. 329. B. Im Feuer des Blitzes steige nach verschiedenen Mythen die Seele
des Menschen , stieg einst der erste Mensch zur Erde. Dieser Glaube haftete
an der Blitzgöttin Feronia und daher heiße a) der älteste König Herilus von
Praeneste ihr Sohn. Aber daß Herilus der älteste König war, sagt die Ueber-
lieferung nicht; die ältesten Könige sind noch nicht die ersten Menschen,
und die Urkönige der italischen Sage sind , wo sie überhaupt Gottheiten wa-
ron , rückwärts durch Euhemerismus zur Königsrolle gekommen, b) Der Blitz-
göttin Feronia war der Specht (picus Feronius) geweiht, an den sich die
Sage von der Springwurzel knüpft, welche Kuhn auf den als Vogel gedach-
ten Blitz deutet. Der Italer hielt den picus also für den Bringer des Blitzes,
in dem aus dem himmlischen Seeionreich in den Wolken auch der erste
Mensch zur Erde kam. Daher gelte Picus 1) selbst für einen ersten König,
der mit Faunus den Blitz (Jupiter Elicius) aus der Wolke herablockte, nach
anderer Vorstellung selbst aus dem Seelenreich kam. Dies bedeute die Sage
seiner Verwandlung in einen Vogel durch die Unterweltsgöttin (!I) Circe.
2) Der Specht nährte Romulus und Eemus, ^wieder zwei erste Menschen.
3) Picumnus d. i. Picua galt noch später für einen kinderhütenden Genius,
d. h. für den Herabbringer der Seelen im Blitze. Nun ist aber die behaup-
tete Bedeutung der Springwurzelsage noch keinesweges bewiesen. Ueber
Picus und Circe s. o. S. 334. Romulus und Bemus werden vom picus Martins
als dem heiligen Tiere ihres Vaters genährt. Ueber Picumnus, der von Picus
zu scheiden , viel m dir eine männliche Nebenform der Intorcidona, und dessen
Name wahrscheinlich von einem verlorenen Verbum des Stammes pik schnei-
den abzuleiten ist, vgl. o. S. 125.
336 Kapitel VL Sonnwendfeuer. B. Hirpi Sorani.
gleicht. In welchem Verhältniß stehen nun diese Tiere za den
— wie wir vermuten — durch die Hirpi Sorani dargestellten
Kornwölfen? Ist es nötig, daß der Uebereinstimmung des piciis
Feronius und picus Martialis entsprechend die hirpi des Soranus
und der Feronia denselben Gedanken verkörpern wie die lupi
Martis und Apollinis? Von diesen beiden gilt gleicherweise, daß
„ihre Bedeutung einen tieferen bis jetzt noch nicht erkannten
Grund haben muß/'^ Man würde es vielleicht nicht für uner-
laubt erachten, auch hier eine agrarische Beziehung zu suppo-
nieren, wenn man den schon Roggenwolf* S. 15 beigebrachten
Gumbinner Volksglauben in Erwägung zieht: „Wenn ein Wolf
durch ein AcJcerfeld oder eine Wiese laufend erblickt wurde,
gaben die Bauern Acht, ob er den Schweif nachschleppen ließ.
Geschah dieses, so gingen sie ihm nach und dankten ikm^ daß er
ihnen Segen gebracht habe, ja sie legten ihm wo möglich einen
Leckerbissen hin; trug er jedoch den Sohweif hoch, so verfluch-
ten sie ihn und suchten ihn zu tödten." Weit wahrschein-
licher jedoch ist, daß der Wolf dem Mars und ApoUon aus der
nämlichen Ursache beigegeben war, wie dem nordischen Odhinn,
d. h. als poetisches Bild des siegreichen Helden. * In diesem
Falle triflFt ein ganz ähnliches Verhältniß aus dem Germanischen
genau zu. Denn auch Odhinn war wie Mars, ohne im Uel)rigrn
diesem conform zu sein, zugleich Gott des Krieges und ein Emte-
gott, insofern ihm in Schweden die letzte Korngarbe für sein
Roß auf dem Acker stehen blieb; die Wölfe des Sieges al)er,
welche zu des Siegvaters Füßen Hegen oder ihn atzungsbegierig
in die Schlacht begleiten, und die Kornwölfe blieben gesonderte
Gestalten, welche aus verschiedenen Wurzeln vom Volksgeiste
erzeugt neben einander herliefen, ohne sich zu berühren oder
einander auszuschließen. In gleicher Weise dürfen trotz der
Berührung des Mars und der Feronia in gewissen Stücken der
lupus Martins und die Hirpi Sorani für Verkörperungen verscfhie-
dener Ideen erklärt werden.
§. 4. Die Lykaia. Unser Urteil, daß die Hirpi Sorani
Getreidewölfe darstellen, ging einerseits aus ihrer unverkenn-
1) 0. Müller Dorior I, 305. Welcker Götterl. 1, 481. Koscher Apollnn
und Mars S. 89.
2) Vgl. Liv. X, 27, Victor Martins Inpns. XX, 40. Homer. 11. XVI.l.'»«».
3r>i. XI, 72. XVT, 352.
Die Lykaia. 337
baren Beziehung, zu Sonnengott und Ernte, andererseits ans der
deutlichen Analogie der normannischen Umläufe des Loup veri
hervor. Ich halte mich jedoch ttlr verpflichtet noch eme grie-
chische Begehung vergleichend in Erwägung zu ziehen, in welcher
anscheinend gleichfalls der Umlauf eines einen Wolf darstellen-
den Menschen zur Zeit der Sommersonnenwende die Hauptsache
war, und die Frage zu beantworten, ob etwa diese Analogie es
ratsam mache, den Hirpi Sorani eine andere Bedeutung, als die
vorhin aufgestellte, zuzuweisen. Ich meine das Fest der Lykaia
in Arkadien, dessen Verständniß durch die bisherige Forschung
sehr unvollständig erreicht ist.
Im südwestlichen Randgebirge Arkadiens erhebt sich die
4737' hohe zweigipfelige Bergkuppe Diaphorti von isolierter Lage
und weiter Rundsicht, deren südliche jetzt nacH dem heiligen
Elias benannte Spitze im Altertum Lykaion hieß und diesen ihren
Namen in weiterem Sinne zunächst dem Gebirgsstock , sodann
sogar der ganzen umliegenden, von dem Stamme der Parrhasier
bewohnten Landschaft mitgeteilt hatte. Doch blieb man sich
allezeit bewußt, daß der Name Lykaion eigentlich und zunächst
der Felskuppe zukomme. Sie hieß so als Schauplatz eines ur-
alten Kultus des Zeus, bei welchem der Lauf eines Wolfes den
Hauptritus ausmachte. Von dem Namen des Bergstockes und
der Landschaft war ein Heros Eponymos Lykaon abgeleitet, auf
dessen Geschlecht die parrhasischen Städte, Lykosura, Trapezus
u. s. w. ihren Ursprung zurückführten. ' Der Diaphortigipfel, die
„heilige Höhe der Arkader," noch jetzt eine runde künstlich
geebnete Fläche von 150 Fuß Durchmesser, trug einst auf der
gegen Sonnenaufgang gerichteten Seite zwei Säulen mit vergolde-
ten Adlern, den Vögeln des Zeus, und zwischen beiden eine
Erdaufschüttung, von der aus man einen großen Teil des Pelo-
ponnes überschaute und auf welcher im Geheimen, d. h. nur
durch wenige dazu Berufene mit Ausschluß einer zuschauenden
Menge, Opferceremonien vollzogen wurden. Der Platz war ein
aßarov und so heilig, daß man glaubte, ein jeder, der ihn ohne
Beruf und Erlaubniß betrete , müsse im Laufe des Jahres sterben.
Beim Eindringen betroflFen , wurde er gesteinigt. * Von denen,
1) Pauaan. Descr. Gr. VIII, 3.
2) Pausan. VIII, 38, 5. Plutarch. Quaest. Gr. 39.
M«nnh«rdt II. 22
338 Kapitel VI. Sonnwendfeaer. B. Hirpi SoranL
welche in das Heiligtum hineingingen, wurde man keinen Schatten
gewahr.^ Man darf aus dieser sicher übertreibenden , doch un-
zweifelhaft irgend wie tatsächlich begründeten Angabe schließen,
daß der heilige Brauch, welcher einzig und allein Menschen in
den sonst nie betretenen, geweihten Raum hineinführte, in einem
Momente statt hatte, wann die Sonne möglichst senkrecht über
den Köpfen stand, der Schatten nur sehr gering war; am wahr-
scheinlichsten in der Mittagsstunde des längsten Tages, Denn
dann beträgt der Schatten für den Peloponnes ein Fünftel der
Höhe aller aufrechten Gegenstände und wird bei dem Menschen
vom Fuße fast völlig bedeckt. Zwischen zweien Vorsprtingen
des Berggipfels führt nach Norden eine lange und tiefe Schlucht
zu Tale, an deren bewaldetem westlichem Abhang von der Opfer-
höhe aus sich Her heilige Bezirk des Zeus bis an den Kopf einer
Quelle hinabzog, welche xar' i^oxfjv die heilige, HagnS oder als
Quellnymphe personifiziert Hagno, genannt war. Jenseits der-
selben am östlichen Abhänge der Schlucht lag ein Hain and Hei-
ligtum des Pan, vermutlich dasselbe, welches nach Aelian H. A
XI^ 6 (vgl. 0. S. 129) Aule genannt und als eine Freistatt des
Wildes betrachtet wurde, in die kein Jäger, angeblich auch kern
Raubtier ein Tier zu verfolgen wagte. * Nördlich der heiligen
Quelle schlössen sich an den Hain ein Hippodrom und ein Sta-
dion, angeblich die ältesten Einrichtungen dieser Art in Griechen-
land, an , in welchen die Lykaia genannten Spiele und Wettläufe
nach Preisen abgehalten wurden. * lieber den Ritus des Gottes-
dienstes im Lykaion erfahren wir durch Plato, daß dem Gerüchte
nach noch zu seinen Tagen ein Menschenopfer daselbst dar-
1) Nur diea sagt-e die ältesto Tradition, welche von Theopomp allerdings
bereits in ein „schattenlos trcrrfen" umgedeutet wird. Polyb. XVI, 12, 7...
GiOTro/JTiog (fi^Occg, rovg dg t6 toi^ /1t 6g äßarov hißiirrug xcct* 'AuxttSiar
aax(ovg y^yrffr^^cti . Später hat sich daraus aus Mißvorstand die vergröberte
und , wie es scheint , selbst von den Umwohnern geglaubte Mähr gebildet,
auf dem heiligen Platze bleibe zu jeder Zeit alles Lebende , was <iahin
komme, schattenlos. Pausan. VIII, 38, 5.
2) Augenscheinlich auf Verwechselung dieses Panheiligtums mit dem
Lykaion beruht es, daß nach Pausanias a. a. 0. dessen mündliche Berichter-
statter von letztcrem behaupteten, der Jäger verfolge kein Tier hinein
und ihm nachsehend nehme er keinen Schatten desselben wahr.
3^ Curtius Peloponnesos I, 300 — 304. 338 ff.
Die Lykaia. 339
gebracht wurde, ^ und sogar Theophrast behauptet noch dasselbe
für seine Zeit. ^ Wenn Pausanias sich abhalten ließ, genauer
nachzuforschen, wie es sich mit dem Opfer verhalte, so sieht
man, daß er nichts Tatsächliches darüber wußte, sondern durch
den Glauben an die alte Ssige von moralischer Scheu erftillt war.^
An einer zweiten Stelle berichtet Plato von Hörensagen, wer im
Heiligtum des lykäischen Zeus menschliche Eingeweide gekostet,
werde mit Notwendigkeit zum Wolfe. * Auch Tansanias weiß
davon, daß ehedem beim Opfer des Lykäischen Zeus immer
einer ein Wolf, nach zehn Jahren aber wieder ein Mensch gewor-
den sei, wenn er sich inzwischen des Menschcnfieisches enthalten
habe.* Hiermit stimmt Plinius tiberein, dessen aus Euanthes
geschöpfter Bericht auf arkadische Schriftsteller zurückgeht. Hie-
nach wurde aus dem Geschlechtc des Anthos jedesmal derjenige
durchs Loß bestimmt, der neun Jahre in Einöden mit Wölfen
in Wolfsgestalt sein Wesen treiben, dann aber wieder seine
vorige Gestalt erhalten sollte. Nach Agriopas, der Nachrichten
über die Sieger in Olympia sammelte, hatte ein gewisser Dema-
^ nätus von Parrhasia, nachdem er an den Lykaien vom Fleische
eines geopferten Knaben gegessen, sich in einen Wolf verwandelt,
im zehnten Jahre wieder Menschengestalt angenommen und zu
OljTiipia einen Sieg im Faustkampf errungen.^ Offenbar bildet
dieselbe Tatsache, welche diesen den Sachverhalt phantastisch
ausschmtickenden Gerüchten zu Grunde lag, auch den Ausgangs-
punkt der vielfach variierten Sagen ^ vom Könige Lykaon , der
allein oder sammt seinen 50 Söhnen zum Wolfe wird, weil er
Zeus, der ihn als unerkannter Fremdling besuchte, die Eingeweide
eines geschlachteten Kindes vorgesetzt. Der Gott habe mit seinem
Blitzstrahl dreingeschlagen , oder zornig aufspringend den Tisch
1) S. Plato Minos p. 315 mit den Verbesserungen Boeckhs u. Welckers.
2) Theophrast bei Porphyr, de abstin. 11^ 27.
3) Pausan. VIII, 38, 5.
4) Plato de republ. VIII, p. 565d.
5) Pansan. VIII, 38, 2, 3.
6) Plin. Hist. nat VIII. 22.
7) Pausan. VIII, 2, 3. Apollodor. Bibl. III. 8, 1. Tzetzes ad Lycophr.
481, cd. Müller. Lpzg. 1810. II, p. 035. Hygin. Fab. Nicol. Damasc. Hi-
stor. Excerpt. et Fragni. ed. Orell. Lpzg. 1804, p. 41 sqq. Ovid. Metara. 1,
198 ff.
22*
840 Kapitel VI. Sonn wendf euer. B. Hirpi Sorani.
(trapeza) umgestoßen, woher der Ort den Namen Trapezus
empfing. *
Darf nun vielfachen Analogien entsprechend in der einen
Klasse dieser Traditionen eine von der Wundersucht der aber-
gläubischen Menge bewirkte Vergrößerung der mysteriösen Cere-
monien, in der andern ein genetischer Dentungs versuch derselben
gesucht werden, so ergiebt sich als der wahrscheinliche Sachver-
halt der folgende. Alle 9 oder 10 Jahre fand an der Sommer-
Sonnenwende von Seiten eines bestimmten Geschlechts (der Anthier)
in dem ftlr gewöhnlich und iUr jeden andern unnahbaren Haine
des Zeus allein oder mit andern Opfern vermischt das wirkliehe
oder symbolische Opfer eines Kindes statt. Einer der Teilneh-
menden, durchs Loß erwählt, hielt darauf einen Umlauf, wel-
chen man als Flucht auffaßte, und bekam den Namen Wolfj der
ihm bis zur Zeit der nächsten Feier verblieb. Die zehnjährige
Wiederholung des Festes trat unzweifelhaft einst an die Stelle
einer jährlichen Begehung, wie in vielen ähnlichen Fällen
(Bk. 533. 534). Vermutlich fand einst die Opferung eines Kindes
wirklich statt ; ob dieser Brauch aber noch in Wahrheit zu Piatos
Zeit, ja noch später geübt, oder nur vom übertreibenden Gerüchte
behauptet wurde, bleibt streitig. Doch spricht ftlr letztere An-
nahme und gegen die erstere, da sowol Plato als Theophrast
nicht Augenzeugen waren, nicht allein die ethische Richtung der
Hellenen des ftlnften und vierten Jahrhunderts im allgemeinen, son-
dern ganz insbesondere die aus der nächsten Umgebung des Lykaion
hervorgegangene ätiologische Lykaonsage selbst. Denn schwerlich
konnte dieselbe in derjenigen Form concipiert werden, welche
sie hat, daß nämlich die Wolfsverwandlung als Strafe von Seiten
des ein Mahl von Menschenfleisch verabscheuenden Zeus ausge-
geben wurde , wenn sich im Kultus ein wirkliches Menschenopfer
1) Dieser plnmpo Versuch einer DentuDg des wol von viereckiger Anlajce
des Platzes ausgegangenen Ortsnamens Trapozus gehört natürlich zu den
jüngsten Auswüchsen der Lykaonsage. W. Schwartz aber, der Kult und Sage
als Gewittermythologie deutet und den Lykaon zum heulenden Sturm.
daher Wolf, das geschlachtete Kind zu dem aus der Wolke geborenen
Blitz , die Steinigung des unberufenen Eindringlings in das Lykaion zur Nach-
bildung der vermeintlich im Gowitter herabfallenden Donnersteine machen
will, verkennt auch hier das vareQov jiQoxkQov [der Ortsname war natürlich
eher da, als die Sago] und sieht in dem Umstürzen des Tisches ein Bild des
krachenden Donnergepolters, (ürspr. d. Myth. 100. 118.)
Die Lykaia. 341
fllr diesen Gott stäts wiederholte. Dagegen vertrug sich mit der
sittlichen Würde des Gottes sehr wol eine symbolische, vielleicht
im Hin- und Herweben über dem Opferfeuer bestehende Dar-
bringung eines Kindes, indem diese sammt dem Umlauf des Wolf
genannten Mensehen als Erinnerungsfeier an jene aus diesen Tat-
sachen herausgesponnene Geschichte des Lykaon aufgefaßt wurde.
Vielen griechischen und orientalischen Gottesdiensten, zumal
Emtekulten, eignete, wie wir später nachweisen werden, die
Deutung eines rituellen Umlaufs als Flucht. Die Vermutung, daß
das Opfer zur 55eit der Sonnenwende stattfand, mithin ein Gottes-
dienst war, welcher wahrscheinlich gleich den anderswo ange-
zündeten Mittsommerfeuem den Zweck hatte, Seuche und Miß-
wachs fem zu halten und das Gedeihen der Pflanzen zu fördern,
wird verstärkt durch den in denselben Ideenkreis fallenden
Regenzauber an der Quelle Hagno. Wenn in der Gluthitze des
Sommers langanhaltende Trockenheit die Felder und Weiden und
das Laub der Bäume ausdörrte, brach der Priester des Zeus
einen Eichenzweig und sprach, die Opferspende verrichtend, ein
besonderes Gebet, indeß er den Zweig in die heilige Quelle
senkte, ohne jedoch den Grund derselben zu berühren. Alsbald,
sagte man, bewege sich das Wasser, walle auf, und eir^ dickte
Dunstsäule steige empor, die zu Wolken verdichtet ganz Arkadien
mit erquickendem Regen überströme. \
1) So schlagen Hoxen mit Gerten so lange in Wasserbäche, bis Nebel
hervorkommen und sich zu schwarzen Wolken zusammenballen (Myth.*1041).
Der „heilige Bach" (estn. pöhajöggi, lettisch swehti upe) bei Ilmegerwe
in Estland lag in einem heiligen Hain, in dessen Umkreis niemand
einen Baum hieb, oder eine Rute brach, aus Furcht im nächsten Jahr
zu sterben. Bedurfte man Regen, ward etwas hineingeworfen
(Gutsleff bei Grimm. Myth.* 565). Bäche oder Seee, welche der Sage nach,
sobald Holz oder Steine hineingeworfen wurden, Sturm- und
Wetterwolken aufsteigen lieBon, sind über ganz Europa verbreitet
(Myth. * 563). So erzählt Gervasius v. Tilbury i. J. 1221 (Otia imperial,
p. 990 Leibnitz, p. 41 Liebrecht): Est in provincia regni Arelatensis fons
quidam pellucidus, in quem silapidem vel lignum aut hujuscemodi materiam
projeceris, statim de fönte pluvia ascendit, quae projicientem totum
humectat. Vgl. Liebrecht Gervasius v. Tilbury S. 146fF. H. Runge Pilatus
u. St. Dominik. Zürich 1859, S. 162, S. 165— 166. Derselbe Quellkultus in
der Schweiz. Zürich 1859, S. 16. 17. Der arabische Schriftsteller AI Utbi
im Kitab Jamliii (11. Jahrh.) spricht auch von einem Bache in Indien, aus
dem bei Verunreinigung Gewitter und Stürme hervorbrechen (S. Nöldecke
342 Kapitel VI. Sonnwendfeuer. 6. Hirpi SoranL
Der Erdaui^rarf (yfjg xCj^iei), der als Opferplatz (ßtofiog)
diente , könnte darauf hindeuten, daß das Opferfeuer eine größere
Ausbreitung als gewöhnlich hatte, nach Art unserer Sonnwend-
feuer construiert war;^ dagegen weist die Mittagsstunde als Zeit
der Begehung (falls wir hierin das Richtige trafen) von denselben
ab, da sie in den uns bekannten Fällen stäts im Dunkel des
Abends angezündet werden. Ist demnach eine volle Ueberein-
stimmnng der Lykaia mit den Sonnwendfeuem, und somit auch
dem Kultus der Hirpi Sorani sehr zweifelhaft, so l)egründen
gleichwol die Jahreszeit (Sommersonnenwende), das wirkliehe
oder symbolische Kinderopfer y und die Absicht, Mißwachs abzu-
wenden, eine nahe Verwandtschaft der Art mit jenen Kinderopfem
im Dienste des Baal oder El, die im Orient in mannigfacher
Form geübt wurden. Ja möglicherweise liegt hier, bei den
Lykaia ein Fall historischer Entlehnung vor, indem die Hellenen
den an den arkadischen Berggipfel geknüpften Kult einer uralten
phönikischen Kolonie sich angeeignet und fortgesetzt, und deren
Hauptgott El (abweichend von der sonstigen Uebertragung durch
Kronos) in die erhabene Majestät des Zeus umgedeutet haben.
Wenn wir nun nicht berechtigt sind, die verschiedenen Formen
jener semitischen Kulthandlung als gänzlich verschieden von ein-
ander zu treimen, wenn alle Arten derselben nähere oder ent-
ferntere Verwandtschaft mit den Sonnwendfeuem aufweisen (oben
S. 302 ff.), so liegt selbst bei ziemlicher Verschiedenheit der Feste im
Detail die Vermutung nahe, daß der Lauf des einzelnen Lykaien-
Sitziingsber. d. Wien. Akad. 1857, XXIIl, JS. 75). Der Hergang dieses Brau-
ches, erst nach der Hand in den Zorn der Wassergeister wegen Verunreini-
gung ihres Elementes umgedeutet, waf ursprünglich eine rohe XachahmuDg
des Gewittervorgangs (vgl. iSchwartz Ursprung S. '261). Vgl auch den Regen-
zauber in Mammast bei Dorpat. Bei großer Dürre stiegen drei Männer auf
die Fichten eines alten heiligen Haines. Drr eine trommelte «lort oben
mit einem Hammer auf einen Kessel oder (.«ine kleine Tonne , um den Donner
darzustellen; der zw<.*ite schlug zwei Feuerbräude an einander und ließ sie
Funken sprühen (Blitz): und der dritte, ,,der Regenmacher/' sprengte
mit einem Reisigquast aus einem Eimer Wasser nach allen Sei-
ten. Bald darauf spendete der Himmel RegQn in Fülle i^Hurt Sagen a. Pol we,
Dorpat 1863, S. 1\
1) Dann dürfte der „Wolf*' durchs Feuer gelaufen sein und das Kind
hindurchgotragcn haben, wora'is sich vielleicht am ehesten dies Gerücht, er
habe vom MenschenÜeische gespeist, entwickeln konnte.
Die Lykaia. 343
Wolfs hier, der Umlauf der Hirpi Sorani dort demselben Typus
angehören, dieselbe Grundidee ausdrücken. Folgt nun aus die-
sem Umstände — wir «wiederholen hier die o. S. 337 aufgewor-
fene Frage — ein Gegenbeweis gegen unsere Auffassung der
Hirpi als Komdämonen ? Eine Antwort hierauf könnte nur dann
mit Sicherheit gegeben werden, wenn das schattenhafte und
unsichere, nur durch Conjectur einigermaßen erschließbare Bild
des arkadischen Kultus mit näheren Einzelheiten ausgestattet
wäre, welche uns erlaubten, aus ihm selbst ein begrtlndbares
Urteil über die Bedeutung der umlaufenden Wolfsmaske zu schöpfen.
Bei dem Stande der uns erhattenen Ueberlieferung bleiben wir
aber darüber in völliger Unkenntniß. Wenn 0. Jahns Schlußfol-
gerung ^ richtig wäre , da Varro und andere römische Antiquare *
die römischen Luperealien stäts mit den Lykaia der Arkader als
daher entlehnt identifizieren, so müsse letzterer Brauch den
ersteren sehr ähnlich gewesen sein, so würden wir vielleicht den
Umlauf des Lykaienwolfs dem Umlauf unserer Korndämonen noch
übereinstimmender denken dürfen, als die sonstigen Quellen
erraten lassen; die unilatifenden Luperci schlugen mit Riemen,
wie der Loup vert , der Komkater, der Maikönig u. s. w. mit Ger-
ten schlagen. Aber jene gelehrte Identifizierung des griechischen
und römischen Kultus beruht unzweifelhaft nicht auf genauerer
Kenntniß der Gebräuche, sondern auf bloßer etymologisclier Ver-
gleichuny der Namen Lykaia und Lupercalia in Verbindung mit
einer Combination des dem Lykaion benachbarten Dienstes des
Pan und der in dem Umlauf der Luperci bewerkstelligten Ver-
ehrung des Faunus. Es bleibt trotzdem die unbewiesene Mög-
lichkeit, daß die Lykaien mit dem Feste der Hirpi Sorani und
dem des Loup Vert im Character näher zusammenstimmten, aber
ebensowol konnten sie in uns unbekanntem Detail so auseinander-
gehen , daß bei aller äußeren Aehulichkeit der umlaufende, Wolf
genannte Mensch die Merkmale eines ganz anderen Ideeninhalts
an sich trug, als die in jenem auftretenden Umlauf er. Es ist
daher von dieser Seite her weder ein Analogiebeweis noch ein
Gegenbeweis gegen unsere Deutung der römischen und nor-
1) Berichte der sächs. Gesellsch. d. Wissensch. zu Leipzig 1848, I, 427.
2} Vor Varro bereits L. Cincius AJimontus (210 v. Chr.) und Cassius
Hcmina (146 v. Chr.). S. Merkel zu üvids Fast. p. CCU,
844 Kapitel YI. Sonnwendfener. B. Hirpi Sorani.
mannischen Feier zu entnehmen nnd wir haben Grand die-
selbe aufrecht zn halten, so lange nicht andere entschei-
dende Widersprüche dagegen aufgedeckt sind. Ja ich möchte
die erstere Möglichkeit selbst ftir die Lykaia als nicht unwahr-
scheinlich festhalten, da auch im Kreise der orientalischen
Bräuche, in welchen^wir die nächste'^ Verwandtschaft derselben
suchen zir müssen glaubten (o. S. 342), nach Ausweis später zu
veröffentlichender Tatsachen zwar noch nicht die spezielle Gestalt
des Komwolfs, wol aber andere theriomorphische Komdämonen
teils mit unzweifelhafter Gewißheit, teils mit großer Wahrschein-
lichkeit aufgezeigt werden können.
Nachtrag.
S. 76. 77. Der Verfasser hat sich gestattet, die Wörter
Rhapsode, Rhapsodie hier in dem weiteren Sinne des epischen
Vortrags, nicht in ihrer engeren, technischen, auf die Kunst
der nachhomerischen Recitatoren eingeschränkten Bedeutung zu
gebrauchen.
S. 85. 97. 99. 157. Vgl Ein Bauer im Amt Svendborg auf
Ftinen sah einen Wirbdwind (den der dortige Volksglaube flir
einen Zusammenstoß böser Geister erklärt), und das war anzu-
sehen, lüie ein schwarzer Knäud^ welcher sich immer um sich selbst
drehe. Grundtvig G. D. Mmd. i. Folkemund. II. 1857. S. 236. 361.
S. 115. Von der in einen Lindwurm verwandelten Jung-
frau heißt es Lanz. 7892" daß sie y,schre als ein wildez wip}^
Vgl.: Ir schreien^ wie ein Hohiveib. Uhland Volksl. I, S. 149.
Müller und Schambach Nieders. Sag. S. 350.
S. 149. Fast noch näher, als die mitgeteilte Fanggensage,
tritt eine Oldenburger Zwergensage an die Erzählung vom Tode
des großen Pan heran. Die Erdmännchen im Osenberge bei
Oldenburg haben eine Königin , Vehmäme oder Vehkemöme
(Viehmuhme, also genau dem Pan nomios entsprechend). Als
einst der Bauer von Grashorn auf dem Rückwege von Oldenburg
im Sandkruge einkehrte, erzählten die Wirtsleute, in der verflos-
senen Nacht habe man plötzlich eine Stimme vernommen : „ Veh-
kemöme is död,^^ und dann sei lautes Klagen vieler Stimmen
gefolgt. Als der Bauer diesen Vorfall zu Hause erzählte, wurde hier
eine Stimme laut, welche rief: „Is Vehkemöme dod, so is mine
Möme 6k dod." Dann begann ein Rumoren und Poltern; endlieh
ward es still, und die Erdmännchen aus dem Osenberge, welche
im Bauerhause gemaust hatten , waren mit Zurücklassung eines
hübschen Kesselchens abgezogen. Strackerjan Abergl. a. Olden-
burg. I, § 257 f. S. 402.
S. 174. Die Sage vom Tode^des großen Pan erzählt von
der Katze auch Strackerjan a. a. 0. § 220 k S. 330.
846 Nachtrag.
S. 244. In der verderbten Glosse des Hesych: „xori 6 ^q-
yrilog nagd MiXrjoioig ^dofiivr] int q>Q0vi^O€t^^ möchte ich vor-
schlagen, statt der letzten Worte zu lesen: iTtt (pQovTidi. Vgl.
Harpocrat. p. 146: d-eioQol Xiyovrai ov fxovov oi d-earal, dlldyMi
Ol elg ^eovg ne/LtnotievoL • xai oXiog tovg tcl d-eia qn:XaTTOvtag rj
Tüiv d-eiuiv q^QovTi^ovTag ovrtjg (üvofxatpv' wQtjy eleyov ttjv
(pQovTida, Vgl. auch o. S. 242 Anm. 1.
S. 258. Vgl. die japanische Sitte, daß zur Feier des auf den
8. Februar fallenden Neujahrsfestes die Landleute in die Stadt
kommen, um sich zu vergnügen und Neujahrsamulete einzukau-
fen. Unter letzteren spielen die Glückshäume, Zweige der Trauer-
weide mit Zuckerwerk, Würfehi, Glaskorallen, Masken und Metall-
Stückchen behängt, eine Rolle; unter ihrem Einfluß sollen die
Kinder httbsch gedeihen. H. Floß, das Kind in Brauch und Sitte.
Lpzg. 1876, I, 72.
S. 292. Wie die Entmannung der Gallen in ursprünglicher
Form aussah und gemeint war, als Mittel die Zeugungslust eeit-
weilig zu schwächen, dürfte aus folgendem Analogen erraten wer-
den können. Die Pipilen in Mictlan mußten sich vor der Ernte,
auf Geheiß des Priesters, des Beischlafs etifhaÜen, Sie gruben
dann die Sämereien in die Erde ein (oder setzten Coca unter
freiem Himmel aus), ritzten sich blutig und etUzogen auch der
Zunge und den Genitalien Blut, A. Bastian, der Mensch. Lpzg.
1860, ni, 72. Auch der Brauch der Gallen wird ursprünglich
gewiß nicht in Abschneidung, sondern nur in einem Aderlaß, Ein-
ritzung u. 8. w. der Zeugungsteile bestanden haben.
S. 342. Sollte nicht die Mythe von dem Sturze der Herr-
schaft des kinderfressenden Kronos in der Tat von dem vielleicht
an mehreren Orten wiederholten religionsgeschichtiichen Vorgang
der Verdrängung eines Localkults des mit Kinderopfem geehrten
El -Kronos durch Zeus ihren Ausgang genommen haben? Einen
Zusammenhang dieser Mythe mit den Ideen jenes asiatischen
Dienstes erkannten bereits Diodor Sic. XX, 14, Movers Phoen. I,
299, Preller Gr. M. I, 46, Flach System der hesiod. Kosmog.
11, 36 u. A.
Sehloszwort.
Zum Schlüsse unserer Betrachtuugen mustern und umgrenzen
wir noch einmal in der Kürze den Ge^vinn, den dieselben itir das
Verständniß der deutschen und antiken Mythologie im Allgemeinen
zu Tage gefördert haben. Zunächst erachte ich Itir einen solchen
die Erkenntniß, daß mehreren großen Gruppen unter uns tradi-
tionell getlbter und von Germanen, Slaven und Kelten etgentüm^
lieh ausgebildeter Gebräuche und Vorstellungen (Maibaum und
Emtemai, Sonnwendfeuer, Baumseele und Waldgeister) in der
Religion der antiken Völker mehr oder minder genau entsprechende
Typen begegnen , d. h. Gebilde, welche die nämlichen organischen
Elemente und das nämliche oder ein sehr ähnliches Lagerungs-
verhältniß derselben aufweisen. Wir finden diese correspondie-
renden T}^pen bei Kömern, Griechen, Thrakern, Semiten in den
Gottesdienst hoher göttlicher Wesen (Apollo, Feronia und Sora-
nus, Kotyto, Baal, Set -Typhon, Atargatis, Baaltis, Kybele
u. s. w.) verwebt oder zum Gegenstande gottesdienstlicher Vereh-
rung gemacht (Pan , Adonis u. s. w.). Mindestens einige dieser
Typen ergeben sich als so alt, daß ihre Genesis vor der Ausbil-
dung der größeren Gottheiten sich vollzogen haben muß. * Es
wird nun hiedurch die bloße Vemmtung zu einer an Gewißheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit erhoben, daß auch jene nordischen
Bräuche und Anschauungen nicht während der Herrschaft des
Christentums entstanden seien, sondern ihren Ursprung irgendwo
im Heidentume , ja in einer sehr frühen Periode desselben hatten,
und an ihrer Geburtsstätte einen Bestandteil wirklicher Volks-
1) Vgl. über die wilden Leute der antiken Sage ob«n S. 201 ff. Dumuzi-
Adonis vorsomitischen Ursprungs ob. S. 273 ff. Hinsichtlich der Sonnwend-
feuer vgl. o. S. 307. Bereits Bk. 182 wies ich darauf hin , daß der Maibaum
und die sonstigen mit Tänien behängten heiligen Bäume in letzter Instanz
auf einer jüngeren Umdeutung des boi den wilden Völkern vielfach auftre-
tenden Tyi)us der mit Lajjpen und Zeugstücken behangenen Fetischbäume
beruhen könnten. Wie sich nun in den Kultus der Brahmanen und Buddhi-
st4;n vielfach gewisse Riten von Baumverehrung der vorasischen Naturvölker
Indiens übertragen Iiaben [darüber giebt Fergussons mir nicht zugängliches
Werk Auskunft], darf immerhin die Frage gestellt werden , ob nicht auch
in Vorderasien der Typus des Fetischbaumes dem Maibaum zu Grunde lag
und sich dann neben dieser Difforenzierung im Volksbrauch erhielt. Jul. Seiff
(Reisen in der asiatischen Türkei, Lpzg. 1875) berichtet, daß ihm vielfach
kleine Bäumchen aufholen, welche mit Läppchen und Fetzen behangen waren.
Auf seine Frage nach der Ursache des Gebrauches teilte man ihm mit, ein
jeder, der einen solchen am Wege stehenden Baum mit Lappen behänge|
wähne sich dadurch vor Krankheit zu schützen.
848 Schlußwort
religion bildeten. Dies ist aber, wie ich meine; ein Ergebniß Ton
nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, wenn wir auch auf viele
damit zusammenhangende Fragen uns vorläufig einer entscheiden-
den Antwort enthalten müssen, nicht zu geringstem Teile deshalb,
weil eine eingehendere Kenntniß der Volksüberlieferungen des
europäischen Südens (Spanien, Italien, Balkanhalbinsel) uns noch
entgeht. Falls wir berechtigt sind, den in Rede stehenden Bräu-
chen und Anschauungen einen Lebenslauf innerhalb des Heidentums
der nordeuropäischen Völker zuzuerkennen (unverächtliche Gründe
sprechen dafttr Bk. 525 ff. 567 ff., o. S. 299, und dieser Auffassung
würde selbst der Nachweis einer sehr frühen Entlehnung ans der
Fremde nicht widersprechen), so muß die Möglichkeit zugegeben
werden, daß sie (mindestens in späterer Zeit) ebenso, wie im
Süden an höhere Gottheiten geknüpft waren, aber ebenso mög-
lich bleibt es, daß sie im jüngeren Heidentum schon außerhalb des
herschenden Kultus standen (o. S. xxxvii) und auf jeden Fall ist zu
betonen, daß fiir uns die Kenntniß jener Gottheiten und des Zusam-
menhangs mit ihnen verloren ist (vgl. o. S. xm). Ohne Kenntniß sind
wir ferner bis jetzt noch über den jedesmaligen Entstehungsheerd
der ganzen Gebilde und ihrer einzelnen Sproßformen. Es bleibt
die Frage bestehen, ob die von mir aus Verwandtschaft der Ideen
und Fortnen versuchten Verknüpfungen dem historischen Sachver-
halt entsprechen ; es bleibt das große Problem, ob die behandelten
Ueberlieferungen Lehngut seien , oder ob sie sämmtlich oder teil-
weise auf nordeuropäischem Boden wuchsen, und, wenn dies, ob
sie in ihren GrundzUgcn schon aus Asien mitgebracht oder ob sie
erst in den europäischen Sitzen concipiert wurden. War letzteres
der Fall, so müßte die Uebereinstimmung mit den mythischen
Gebilden der südlichen Völker lediglich auf der gleichen Wirkung
gleicher Ursachen, d. h. auf analoger Entwickeluug aus gleichen
psychischen Keimen unter ähnlichen Verhältnissen beruhen. Reichen
sie aber in den frühesten Urzustand unserer nordischen Bevölke-
rungen zurück, so können ihre Anfänge vor der indogermanischen
Völkertrennung selbst dann vorhanden gewesen sein, wenn unsere
ältesten arischen Quellen nichts darüber ergeben, da dieselben in
ganz anderen Vorstellungskreisen sich bewegen und durchaus nicht
das gesammte Volksleben wiederspiegeln. Hierüber sind weitere
Untersuchungen Berufener abzuwarten. Gelang es uns, zur Lösung
aller dieser Fragen einiges Material herbeizutragen und das Pro-
blem deutlicher , als bisher^ zu stellen , so scheint damit ein wei-
Schlußwort. 349
terer Gewinu für die deutsche Mythologie erreicht. Zu solcher Klar-
stellung dürfte nicht wenig der Nachweis beitragen, daß manche
der deutschheidnischen Mythologie zugezählte Gestalten dem Fort-
wirken des mythenbildenden Triebes in späterer Zeit ihr Dasem
verdanken. So ist Perchta Personification eines christlichen Hei-
ligentages ; daß sie aber lebende Menschen mit sich durch die Luft
trägt, oder ihren zerbrochenen Pflug zimmern läßt, ist aus der
Sage von den fahrenden Frauen (Gode , Frick u. s. w.) herüber-
genommen, mit denen diese Personification vermischt wurde.
Für das Verständniß der antiken Mythologie schließen die
angestellten Untersuchungen eine ganz neue Seite auf. Was unsere
mythologischen Handbücher uns von derselben zur Anschauung
bringen, ist die Fülle jüngerer und jüngster Bildungen, welche
in der Literatur, im historisch bewegten und verfeinerten Leben
städtischer Volkskreise, aus den ursprünglichen mythischen Vor-
stellungen und Handlungen erwachsen sind. Nun schimmert unter
dieser Mythologie der Gebildeten mit einmal eine Volksmytholo-
gie hervor, welche die überraschendste Aehnlichkeit jnit den Volkg-
tiberlieferungen der nordeuropäischen Bauern bekundet. Diese
Aehnlichkeit erstreckt sich auf Volkssagen, Märchen und Gebräuche;
die einzelnen Ueberlieferungen behandeln dieselben Gegenstände,
wie die unsrigen, und decken sich nach Inhalt und Umfang mit
denselben. Da wiederholen sich die Volkssagen vom Tode des
Waldgeistes (= Tod des großen Pan) o. S. 132. 149, von der
Fesselung der berauschten Waldgeister o. S. 150, von der Selbst-
bestrafung des Baumschädigers o. S. 23 , von den Verwandlungen
und dem Verschwinden der Elfin (= Thetissage) o. S. 60. 61. 68,
von der Wandlung der am Wege harrenden Geliebten des Sonnen-
gottes in die Sonnenblume o. S. 151; von der Metamorphose der
im Wirbelwind fahrenden Frau (Harpyie) in ein Roß o. S. 95.
Aber auch unsere Volkssage von der Verwandlung von Schätzen
in Kohlen , ^ von dem Lagern des Drachen auf dem Goldhort, ■
von den (Zwergen oder) Kobolden, die sichtbar werden, sobald
man ihnen den Hut oder die Mütze abschlägt, müssen bekannt
1^ Vgl. das Sprichwort: äv&gaxfg d (hriaaigdg n^tfvxf. Zenob. Cent. Cf.
Baader Bad. Sag. 27. 272. 370. 390. 398.
2) Vgl. Phaedr. IV, 19. Ein grabender Fuchs stößt auf die Höhle des
goldhütenden Drachen „ ad draconis speluncam ultimani, custodiebat qui the-
sauros abditos." Artemidor. oneirocrit. II, 13: xal nXoürov xai xQVf*'*'''*
arifiaCvii 6 dQaxtov diu t6 inl rovs ^aavQovg ISgöa&ai,
850 Schlußwort
gewesen sein. ^ Da finden wir ferner Märehen, wie das vom
Drachentödter (Peleus) o. S. 54 ff. (cf. das altägyptische o. S. 78.
151); endlich die Übereinstimmenden Gebräuche des Maibanms o.
S. 258. 259 ff., des Emtemai o. S. 212 ff., des Emteeinzugs 232 ff.
243 ff. , der Emtemahlzeit 249 ff. , des Emtewettlaufs 253 ff. , der
Laubmänner im Frühlingsbrauch 265 ff., der Sonnwendfeuer (Pali-
lien, Hirpi Sorani) u. s. w. Auch dieselben mythischen Personifi-
cationen, unmittelbare Schöpfungen eines primitiven religiösen
Gefühls aus dem Materiale der Naturanschauung, wie in unserem
Volksglauben treten, uns entgegen. Da begegnen uns in ganz
analogen Gestalten der wilde Jäger (Zetes, Boreaden) o. S. 92.
206, die fahrende Frau (Harpyie) o. S. 92 ff., die Moosleute und
Holzfräulein (Dryaden), die wilden Männer (Kyklopen, Kentauren,
Pane, Satyrn), die Wassermuhme (Thetis) o. S. 207 , der stier-
gestaltige Flußgeist (Elfstier) o. S. 203. Wir vermögen mehrere der
genannten Ueberlieferungen hinter Homer zurück zu verfolgen; nicht
alle sind in ihrer ältest erreichbaren Form schon in Naturpoesie auf-
lösbar, sondern einige erscheinen bereits da als feste unverständ-
lich gewordene Gebilde (z. B. der Kampf mit den Ungeheuern cf.
Peleus). Wir geben auch diese Beobachtungen, ohne hinsichtlich
ihrer die letzte höchst wahrscheinlich nicht einfach und gleich-
mäßig zu beantwortende historische Frage schon jetzt zu stellen.
Nur soviel ist klar ersichtlich. Da wir tatsächlich verfolgen kön-
nen, wie aus mehreren der genannten Traditionen eine reichere
Sage und ein ausgebildeter Kultus in jüngerer Zeit hervorwucbs,
haben wir hier Stücke aus einer sehr altfen Schicht des antiken
Volksglaubens vor uns, icelclie eine weit bedeutetidere Ausdehnung
besaßt als ihre bis jetzt zu Tage gekonmieyien Trümmer erJcennen
lassen, und welche (mag sie vielleicht schon in sich nicht ganz
gleichartig gewesen sein, sodaß sie neben ihren eigenen Produkten
Erbstücke aus der indogermanischen Urzeit und einzehies Lehngut
aus der Fremde in sich schloß), einem großen Teile der antiken
Mythen und gottesdienstlichen Verrichtungen zu Grunde lag. So
bestätigt sich durch gewichtige Analogie Schwartz's Entdeckung,
daß der Volksglaube der Bauern die noch größtenteils in unmit-
telbarem Zusammenhang stehenden Keime der höheren Mytholo-
gie in sich berge.
1) Cum modo incuboni pileum rapuisset, thcsaurum invenit. Petron
Fragm. 38. Burm. Cf. Myth. « 431 ff.
Register.
A.
Äharüi Hyperboreer 230. 231. 240. 241.
Acheloos Flußgott 61.
Achüleus 49. 6«. 71. 82. 100. Etymo-
loiB^ie des Nameos 72. Ursprung
seiner Sage 74 ff.
Adonis 273 ff. 296.
Adonisgarten 278 ff. 291.
Aegis 157.
Aello Harpyie 91.
Agrios Kentaur 43.
Alke estn. Donnergott 154.
Akastos König v. Jolkos 49 ff. 52.
Alherer Tiroler Berggeist lOi.
Alexander d. Große 1 ff. 15. 100.
Alke Fem. westfäl. Feldgeist 110.
Almgeist Tirojer Berggeist 104.
Alpabütz Tiroler Berggeist 104.
Alpdrücken 116. 132. 178.
Alsvidr altnord. Sonnenroß 203.
Alte, der, Korndämon 127. 272. 282.
Amor und Psycho 151.
Ampelos Sohn des Oiylos 19.
Amphissos Eponymos v. Amphissa 17 ff.
Amphiiryo König v. Tirynth 57.
Andraimon Gründer v. Amphissa 17.
Anemone Blume 280.
Anios König v. Dolos 238.
Anna Perenna 297.
Ano = Lenzbräutigam 289.
Aphrodite 276 ff. Hymnus auf A. 5 ff.
140.
Apollon 17. 78. 88. 101. 218 ff. 221 ff
226. 231 ff. 236. 239. 243. 246. 257.
282. 311. 328. 330. 335 ff. 336. Ap.
Delphinios 232.
Aprillenbock Neck wort 184.
Ajysaraaen indische Nymphen 89.
Arge Beiname der Artemis 248.
Argeer 265 ff. 297.
Arges Kyklop 108.
Argonautensage 206.
Arkas Eponymos v. Arkadien 16. 128.
Arktos Kentaur 42.
Artemis 81. 248.
Arvakr altnord. Sonnenroß 203.
Asbolos Kentaur 42.
Ascliera phön. Göttin 262.
Asklepios 46. 98.
Asta^-te phön. Göttin 276.
Astydatneia Gemahlin d. Akastos 49.
Atargatis syr. Göttin 261. 262. 296.
Atfod dän. Hausgeist 172.
Athene Potias 25. 28 ff.
Attis 291 ff 296.
Aule Heiligtum des Pan 129. 338.
AuscJiauts altpreuß. Gott 252.
Austhuck Korndämon 159. 164. Insekt
179.
Auxo Charitin 246.
B.
Baal 262. 293. 307. 342.
Baaltis phön. Göttin 276.
Badagas Feuersprung bei denselb. 306.
Bakchen 293.
Balkin Berggeist der Orkneys 153.
Bapten Thiasoten der Kotyto 259.
5ttr-Baal 308.
Bargahutz Tirol. Berggeist 105.
Bartel Personification des Bartholo-
mäustages 186.
Batati und Anepu ägypt. Märchenfigu-
ren 78. 151.
Baum Kind u. B. verglichen. B. darf
nicht gehauen werden 5. 7. 33. 37.
Hülle einer Seele; Baumseele 20 ff.
39, blutet 11. 12. 21, Körper oder
Sitz der Dryaden s. Dryaden, Sitz
des Baumelfs 102, der Neraiden 36.
Verwandlung i. B. 61. 62, vgl.
Daphne, Myrrha. Verknüpfung des
Lebens mit B. 5. Geburtsbaum 23.
Schicksalsbaum von Familien 23 ff.
121. Baumfrevler haut sich in den
Fuß 28 ff. Messer in den Baum
stoßen 30. B. des Lebens , assyri-
scher 262, biblischer 263. Böm bi
den Bück bringen 170. Puppe am
Baume 29. Maibund unter B. 290.
Baum verbrannt 259—263. Vgl. die
352
Register.
Artikel, Cypresse, Eiche, Esche,
Feige, Fichte, Myrte, Oelbaum, Pap-
pel, Platane, Ulme: Maibauin, Eire-
sionc, Emtemai.
Baumgeister 204.
BaumseeU 10, 12. 20 ff.
Bedlthie 313.
Befana Personification des Dreiköuigs-
tages 185.
Benfeij Th. 78.
Bergtroll 156.
Blumenmädchen 1 ff. 31.
Bock Opfer f. Pan 130. Tiergestalt
von Wald-, Feld- und Korngeistern
114. 127. 131. 138. 144. 145. 152
bis 199. Lobender Bock im Fast-
nachtaufzug 184, im Emtebrauch
160. 161. 166, vgl. 169. Bock =
Gewitterwolke 156, =- Wind, Wir-
belwind 156. 157.
Bockahorn secale comutum 159.
Bockelmann Kinderscheuche 158.
Bockemä Kinderscheuche 158.
Bockkerl Wolke 156. Korndämon 158.
Bockreiter = Pilwiz 176 ff.
Bockschnitt 176.
Bock schinden 171.
Bockshorn Ostorfouer 179. 316. Ins
Bockshorn jagen 317.
Bocksmärte Gespenst 178.
Böcke jagen durchs Korn 155.
Bonfire 310. 316.
Boreaden 91. 206.
Boreaa 81. 206.
Brauthall 290.
Brautmaie 258. 260. 29().
jB;T(/os/an«wälschtir(d.Waldgci8terl27.
Bremen selieyi, Kinderspiel 1G3.
Brontes Kyklop 108.
Brüste des Waldweibes 7.
Brumunwolf estn. Wassergeist 319.
Bullkater Wolke 173. Korndämon
174. 187.
Buschmännchen Feldgeister 149.
C.
Campestres Feldnymphen 126.
Candelifcra röm. Göttin 125.
Charila 298.
Chariten 218. 245 ff.
Cheiron Kentaur 41. 43. 46 ff. 51. 58 ff.
71. 75. 79. 82 ff. 98 101. 102. 209.
Ch. dixaioTUTog KfvravQoyv 76. 209.
Chelidonisma 243 ff.
Chelidonisten 247.
Consualien röm. Fest 215.
XoQjaToi /iTu'iv 143.
XqvOovv h^^Qog 236.
' Curupira brasilian. Waldgeist. 115.
! (^Uishna indischer Dämon 111.
Cyparissus Liebling Silvans 123.
Cypresse heiliger Baum 18. 24; des
Silvan 123. 124.
^'
Daphne Baumnymphe 19. 20. 124. 257.
Daphnephorie 258.
Dasiapatni ind. Wolkenfrau 335.
Bea Dia 330.
Deiufieira 45. 61.
Beioneus 83 87.
Uelias Triere 233
Delien Fest 232 ff.
Delle Vivane Tirol. Waldgeister 99.
127. 152.
Demeter 8 ff. 13 ff. 69. 239. 240. 245.
246 330.
Demophoon Sohn des Theseus 21.
Sohn des Keleus 69.
/livdoCji^tg vvuifAu 19. 22.
De^ie Ghöz türkischer Kyklop 107.
Derketo syr. Göttin 261.
Deverra röm. Göttin 124.
Dioskuren 51.
Dharma ind. Held 307.
Dharmangada König in Kashmir 66.
Dia Tochter des Deioneus 83 ff. 87.
Diakonion heil. Backwerk 226.
Dialen Waldgeister i. Engadin 99. 150.
Dionysien 200.
Dionysos 61 ff. 136 ff.
Disjyater röm. Gott 268. 329.
Dorfticre 112.
Drache (Schlange) vom Helden erlegt
53 ff. 57. Verwandlung in Dr. 51.
61 ff. 64. 67, neugeboniPsKindDr. 64.
Draupadi ind. Heroine 307.
Dreschkatze Korndämon 173.
Dryaden 4 ff . 113. 178 204. 212.311.
Dryalos Kentaur 42.
Drymides Waldn}Tnphcn 34.
Drymien neugr. Dämonen 34.
Dryope Tochter des Dryops 17.
i>ri/o;A<f Eponymos von Drvopis 17. Dr.
Großvater Pans 1^9.
Dschin arab. Elfe 86.
Dmninica Personific. d. Sonntags isO.
Dumuziy Duozi assyr. Dämon 275.
E.
Echo Geliebte Pans 208.
i Edric der Wilde 60.
LEiche h. Baum 5. 23. 30. 129.
Eetion König zu Theben in Kl. A. 5.
Eirene Höre 245 ff. Statue des Kephi-
sodotos 245.
Register.
853
Eiresione 214 ff. 257. Eiresionelied
pseudohom. 243.
Eisengrirul Isegrim 323.
FA phön. Gott 3()3. 307. 342.
Elatos Keotaur 43.
Eh'usinien Fest 239. 240.
Elfen 63. G8. 69. 150. 153. 204.
Elfenanfiauch 36. 37. 311. Vgl.
Wahnsinn '
Enfjuane Waldgeister 127.
Etujyujermoer weatföl. Korndämon 135.
Ephehien Fest 258.
Ephialtes Alp 132. 178.
Epitherscs 133. 148.
Erbsenbür Korndämon 156. 184. 188.
190. 200. 201.
Erb. Kienböck Korndämon 156.
Erdmüyuichen 152 fif.
Erechtheas 25.
Erichthonios 276.
Eris 101.
Ernte s. Kornwaclistum.
Erntebock Korndämon 164.
Ertütmai 119. 212 ff. 256. 260. 296.
Erifsichton Sohn des Triopas 8 ff. 12 ff".
61. Sohn des Kokrops 238.
Esche \i. Baum 10, vgl. Melia.
Engel Zwergkönig 55.
Eüphrosyne Charitin 245.
Eurytimi Kentaur 41. 44. 45.
F.
FackeUauf über die Felder 261 ff.
Fanygen oberd. Waldgoister 7. 35.
105*. 147 ff. 155. 172.
Faumdia Fest 113. 117.
Faiinus \V6^. 150. 178.204. 212.
311. Fauni 113 ff. 150. 178.
Februu 313.
Feige h. Baum, Sitz des Neraiden37,
des Faun US 116.
Feigenbaunufcist sizilian. 31.
Feronia ital. Göttin 327 ff.
Feuer, Verwandlung der Geister in
F. 61 ff. Tiere 78. 313 ff., Kinder
im F. verbrennen 302. Kinder ins
F. halten 52. 60. 68. Sonnwendfeuer
119. 178 ff. 259 ff. 299. 3a3ft*. 308ff.
350 ff. Feuer vertreibt Dämonen 43.
44. 100.
Fichte des Pan 129.
Flaminica Dialis 266.^273.
Flufhvmphen 5 ff. 35 ff.
Fönes 113.
Fordicidie^i Fest 268. 310. 313 ff.
Frau Faste 186.
Frau, weiße 64. 93. 94.
Fremder 170. 284—285.
Mannbar dt. II.
Freyr altn. Gott 203. Pr's Eber 205.
Frigg altn. Göttin 185. Fr. Personi-
lication des Freitags 185.
Fritz , der alte, 59.
Fuchs Teumessischer 57. 58.
Gaardbuk dän. Kobold 171. 173.
Gallen Priestor der Kybele 292 ff.
Gamotzaruchos neugr. Feldgeist 139.
Gandharva ind. Dämon 88. 101.
Garben mit Einschluß von Opf ergaben
234 ff. 237.
Geiß = Windsbraut 156.
Gente saluatica 126.
Gerlahd G. 108.
Gertrudsvogel 334.
Geryon 20.
Getreidetoolf s. Komwolf.
Gewitterbock Wolke 156.
Giganten 107. 109.
Gloso schwed. Komdämon 205.
Goabbir bhacagh Korndämon 165.
Goda - Hett - Nisz norw. Feldgoister
155.
Gotisch Bock 184.
Grinkensmit westfal. Zwerg 110.
Grüner Georg 327.
Habergeiß Vogel 158. 162 ff. 180 ff.
195. 201. 334. Insekt 179.
Hadry ts 14.
Härdleute Schweizer Zwerge 152.
Härja pölwelase pölg estn. Zwerg 153.
Haferbock 155. 161.
Hagno heil. Quelle 338.
Haine heilige 5 ff. 14. 21.24. 27. 33.341.
Hakelberend nordd. Sturmgeist 44.
Halirrhotios Sohn des Poseidon 28 ff.
Hahnbock Korndämon 167 ff.
Hamadryadm 4.n 8 ff. 15 ff. 20. 131.
Hamm 305. 306.
Harkelmai 257.
Harpyien 90 ff. 100. 101. 202. 206.
Hausgeister SS. 147.153. 17 Iff. 173. 175ff.
Hauswolf Weihnachtsgebäck 323.
Heidenleute Zwerge 152.
Heilkräuter 39. 47. 55. 58. 69. 98.
147, vgl. 135. 150.
Heimcfhen Eiben 185.
Hekatuncheiren 109.
Helena 21 ff.
Helios 203. 217 ff. 230.
Hemann Waldgeist 155.
Henno 67.
Hephaistos 50. 57. 109.
Hera 83. 87.
23
354
Register.
HeraMea 43. 61. 80. 100. 111. H.
alexikakos 169.
Herbstsdimudel Erntedäinon 253.
Hemniphrodüen 256.
Hermes 78 ff. 128. 141.
Heroldsstab 258.
Herzessen 71. 76.
Heugeiß Komdämon 171.
Hevkatze Korndämon 173.
Hüaria Fest 293.
Hippodameia Gemahlin d. Peirithoos 45.
Hippolyte Gemahlin d. Akastos 49. 50.
Hirpi Soruni 318 ff. 330 ff. 336. 342.
HAmann Waldgeist 115.
Holbeig L. 193.
Holdenmederd, Peldgeistcr 104. Baum-
elbe 116.
Holzfahrt, Kölner» Fest 215.
HoUfräulein Waldgeister 48. 120. 125.
Holzkatze Waldgeist 172.
Holzleute Waldgeister 120. 152.
Hörbuch Korndämon 170.
Hören 217 ff. 230. 245. 280.
Houbukke norweg. Feldgcister 154.
Hvddra norweg. Waldfrau 103.
Hiüdte 99. 103.
HuUe schwed. Waldgeist 38. 97.
Hund des Drachentödters 56. 58 = H.
des Kephalos 58. H. geistersichtig
114. H. = Wind 157. 204. Hund
Korngeist s. Kiddellmnd. Hunde d.
Huldre (Huddojbikker) 103. Hund
Gestalt des Orco 99. Sükjenitza 112.
Saranieyau 112.
Hungersnot abwenden 257.
Husbuk dän. Kobold 170.
Hydriaden 131.
mperboreer 234. 238. 239. 248.
Hypereia myth. Land 108.
Hymetho Heroine 27.
L
Jack in the green 297.
Jarilo russ. Personilic. d. Frühlings
186. 268. 286 ff
Jason 48. 51.
ItUercidona röm. Göttin. 124. 335.
St. Johannes Personific. d. Kalender-
tages 186.
Johannisfeuer2bd. 265. 293 ff.3ÖJ ff.310.
jönee^ == Johannisfeuer 293 ff.
Joulosak estn. Weihnachtsmaske 196.
Iphikles Sohn des Phylakos 30.
Isis aeg. Göttin 282.
Istar assyr. Göttin 275 ff.
Judas Puppe im Osterfeuer 306.
JuXbock Weihnachtsmaske 191 ff. 193 ff.
Weihnachtsgebäck 197.
Julestue 193.
JulgaÜ Weihnachtsgebäck 197. 201.
Jidgjed Weihnachtsmaske 191 ff.
Julgumse Weihnachtsgebäck 197 ff
Julstroh 197 ff.
Julsveitmr 197. 201.
Juno 273. J. von Unceria 25.
Jupiter Elicius 117.
Jurasmäte lett. Meermuttcr 207.
Ixion 83 ff. 98. 101. 110.
Izdubar assyr. Held. 275.
K.
Kaluts Sohn des Boreas 91. 206.
Kaie Tochter Alexanders d. Gr. 15.
KaUiqeneia 245.
KaUikantsaren neugriech.Dämuneo 100.
Kamjye Wäclterin der Hekatoncheiren
109.
Karneia Pest 254 ff
Karya Tochter des Oxylos 19.
Ä:cwennan<?/Berggeistl04.105. 109.110.
Katze Gestalt deiFangge 1 48. d. Alpputz
105, des Laboma 140, des Korndä-
mons 172 ff., des Kobolds 174 ff.
Wolke = Katze 173.
Katzebutz Kobold 174.
Katzenveit Waldgeist 172.
Kazroll 174.
Kentauren 40 ff. 97 ff. 145. 2(4. 210.
212. sclAiellfüßig 71. 78 ff. Gestalt
80 ff. Halbrosse 79 ff. 98 ff.
Kentauros Sohn des Ixion 83.
Kephalos Sohn des Dcion 58.
Ker Todesgöttin 81.
Kiddelhund Komdämon 155
Kinhpurushas ind. Dämonen 80.
Kind = Seele 65. = Drache 61;
Tierkind 68; K ins Feuer gehalten
52. 60. 68. 69 , durchs Feuer getra-
gen 304, geopfert 302. 340. 342:
vom Waldgeist geraubt 124 ff. 126.
127.
Kinnaras indische Dämonen 80.
Kinyras König v. Paphos 283 ff.
Kirke Tochter des Aötes 33. 334. 335.
Kirmesweib Figur des Sonnwendfestes
290.
Kitzeln 147. 148. 155.
Klapperbock Weihnachtsmaske 189.
195. 201.
Klytia Geliebte des Helios 151.
Knäuel, der Trolle 156. 157.
Kornblume 159. 319.
Kornbock 156 ff. 161. 198. 317, im
Kinderspiel 199.
Korndämonen 2. 32, in Bocksgestalt
155 — 171, in Katzengestalt 172 bis
Register.
355
174, in Schweinegestalt 202, in
Wolfsgestalt 318—325, in Roßgc-
stalt, in Rindsgestalt 326. 333, in
Menschengestalt: der Alte 127,272.
2S2, Kornmatter 202. 293, Korn-
jungfer 289.
Kornkater 172 ff. 187. 188. 2(X). 201.
2tA. 326.
Kornkatze 172 ff.
Kornkuh 326.
Kornwachstum und Ernte 114. 118.
119. 120. 160. 164 ff. 187. 196. 212 ff.
21.9. 228 ff 236. 237. 242. 243 ff
254. 256 ff. 269. 282. 313 ff. 318 ff.
329 ff. 336
Kornwolf 188. 293. 318-325. 344.
Insekt 179.
Koronisma Frühlingshraucli 2o9 ff'
Kostroma russ. Mittsomnierh rauch 26'>.
287. 288.
Kotytia Fest 258.
Kotyio thrac. Göttin 258 ft'. 296. 297.
Krishna ind. Gott 263, sein Geburts-
fest 263.
Kranos 82 ff. 101. 102. lOJ). 271.
Krotos Sohn des Pan 208.
Kuh, Stier ^ Apperception der Wolke
20:5 Anm., der FluHwellen 61. 203.
Kuh bunte 203. Kuhgestiilt der
Skogsnufva 147, Huldra 103, des
Komdäm.326.Fürdicidienkälber313ff.
Kuhn A. 88. 89. 111. 335 viii. xivff.
Kukuk 334.
Knretffn kretische Festtänzer 136.
Kybelc phryg. Göttin 259. 291 ff.
Kychreus Ki'mig von Salamis 57.
Kyklopen 81. 103 ff. 201. 2u5. xix.
Kypseloskasten 80.
L.
Laakone 289.
Laacekaty Logkat Korndänion 173.
Laboma neugr. Dämon 140.
Lapithen 41 ff 44. 45. 89 ff. 97. 202.
Lattich 280. 286.
Laubhütten 255.
Laubhütten fest 215.
Lavatio Fest 293.
Larari 291.
Lebensrute 119. 173. 187. 189 193.
191. 19.y 199. 326. 343.
Lehrs K. 20. 33
IjCukothea Tochter des Orcliamos 284.
lAchtelfen 205.
Ljcschie russ. Waldgeister 32. 79. 87.
89. 100. 103. 105. 109. 110. 125.
145 ff. 155.
Linos 281
Lisunka russ. Waldfran 146.
Lityerses 282. 285.
Loki altnord. Gott 52.
Ijoup rert 323 ff. 337. 343.
Lucia Person ific. d. Lucientages 186.
Lupcrci 200. 343.
Luridan Brown ie 153.
Lykaian 129. 337 ff.
Lykaon 337. 339. 340 ff.
N.
MäbaUrajatirunal malabar. Fest 263.
Machaon 46.
Mad Moll Figur des Maifestes 297.
Märdien 151.
Mahdegeiß Korndämon 163.
Mahjax Kungs Ictt. Hausgeist 121.
Mahlten drückende Elbe 178. 204.
Mai ins Haus bringen 244.
Maibaum 12. 119. 212ff.2.ö9.30O.302ff.
Maibraatpaar 286. 287. 296.
Maigraf 16'. 3(X). 325.
Maikönig 165. 200. 286 ff.
Maikönigin 287.
Mailehen 12. 259.
Mamurius Veturins 266. 297.
Marcna 265.
Marienkäfer 162 ff.
Mars 114. 125. 297. 334. 335. 336.
Mars Silvanus 119.
Martin , St. , Personific. des Kalender-
tages 186.
Marlana 265.
Medeios Sohn des Jason 48.
Melampos Sohn des Amythaon 30.
Melia Baumnvmphe 8. 14. 18. 43. 102.
Melusine 67 if.
Menelaos 23. 60.
Mestra Tochter des Ery sichthon 61.
Midus König v. Phrygien 141 ff
Mimas Kentaur 42.
Mliotauros 232 ff.
Minyaden 61 ff.
Mittagsstunde 37. 135.
Mne.>imache Tochter d. Dexamenos 4».
Mola Salsa 269.
Moloch phön. Gott 302 ff.
Mommscn A. 239.
Moorbuck Feldgeist 177 ff.
Mooskuh Komdämpn 326. 333
Moosleute 7 10. 33. 147.
Mora, Müra Alp 178.
Moria heil. Baum 26 ff. 221. 257.
Morous böhm. Alp 178.
Mofuzzi = Mährten 178.
3/M/?enÄo/fK.74.75.108,xiv.xxix.xxxvii.
Murrkater Wetterwolke 173.
Mutter fahrende 92.
23*
356
Register.
Mjfrrha Tochter des Kinyras 283. 284.
^^ffie , heilige , auf dem Qnirinal 25.
Najaden Uff.
'Napoleon 59.
Nemesis 61.
NepJiele 87.
Neraid^n neugr. Elfen 15. 36 ff. 60.
66. 69. 70. 71. 73. 85. 100. 204.
NeraideDgarn 37.
Nereiden 15. 35. 36. 51. 70. 204.
Nereus 61.
Neriene Gemahlin des Mars 297.
Ncrthus d. Göttin 295. 299.
Nessos Kentaur 45. 61.
Nenjahrshock 189.
Nesupysan tirunal tamul. Fest 307.
Niklas, St., Personific. d. Kalender- 1
tages 184. 186. 187. 188.
Nixe in Roßgcstalt 203.
Noifemr 299.
Nußbaumteufel sizilian. 31.
Nymphen 35 ff. 60. 204. 311.
vmKfoXrinTog 36. 37. Vgl. Wahusyin.
Nytaarshuk 192.
0.
Octöberroß röm. Emteopfer 310. 313.
315.
Oähinn 93. 336.
Odyssetis 106 ff. 108. 128. 150.
Oeibauin heiliger 25 ff.
Oervarr Odd skandin. Held 44.
Okypete Harpyio 91.
Olafsfrieden 160.
Olafskorn Abgabe 160.
Olewi-lammas finn. Ernteopfer 160.
Olewstags Böckchen 160.
Opis Beiname der Artomis 248.
Orco wälschtirol. Borggeist 99. 106. ! Vflanmenwolf Baumgeist 319
157. I Phaiaken 107. 108.
Oreadeyi 33. 35. 206. 212. Phigalia 18.
Oreithyia. Tochter des Erechtheus 206. pnuyra Baumnvmphe 19. 48. 83. 101.
Orestiiulen 4 ff. 33. i ;^02.
Orias Vator des Oxylos 19. i pkinc^^s König v. Salmydessos91. 20<3.
Osclwphorien 216 ff. 2d3 ü. Phlegyas Vater des Ixion 83.
Pandareos 91.
Panios neugr. Berggeist 139.
Panhfphos h. Baura 26.
Pamper mie 228 ff. 242. 248 ff".
Papageienfest 327.
Pappel 8. 37.
Papposilen 142.
Paraibios 9 ff.
Paraskeve Personific. d. Freitags 185.
Paris sehen Kinderspiel 163.
naoih^voi Dryaden 18. 32.
Peirithoos Lapithe 41. 44. 45. 46. 84ff.
97. 101.
Peleus König von Phthia 49 ff. 68. 75.
100. 101. 209. Bedeutung des Na-
mens 207. Ideal des Heldentums 73.
Penelope 128. 134.
Pentheus König v. Theben 15. 62.
PcrcÄf aPersonification des Dreikönigs-
tages, keine Göttin 185. 191
Pere Mai 186.
Peri uers. Fee 69 ff.
Perikiymenos Sohn des Poseidon 61.
Perimedes Kentaur 42.
Perpherees Kultpersonen auf Delos 234.
Persephone 276. 335.
Pesachfest 215.
Pest und Hungersnot abwenden 39.
135. 148. 150. 219. 231. 252. 253.
257. 208. 309. 311 ff. 332.
Peiraios Kentaur 42.
Peukeus Kentaur 42.
Pfafl'enhure Sturmgeist 96
Pfingstbraut 287.
Pfingstbutz 264.
Pfingstkönig 296.
Ptingstl 264.
Pfingstnickel 254.
iYt>i2re Personific. des Donnerstages ls;>.
Ostericulf Ostergebäck 323.
Oxiflos Sohn des Orias 19.
O'zinuis lit. Windname 156.
P.
Pales 311 ff.
Palilien Fest 309 ff.
Pan 127 ff. 148. 149. 152. 158. 171.
178. 208. 209 ff. Pano 127 ff. 152.
Phobos 81.
Phoinix Sohn des Amvntor 49. -
Pholos Kentaur 43 ff. 80. 98. 102.
Phoroneus König v. Ärgos 18. 136. 3^^>.
Pjatnitza russ. Personificat. des Frei-
tags 185.
Piatta di sepulcni 291.
Picumnus röm. Jndigitalgott 125. 33.'»
201.204. Pano in der Kunst 209. j P/cmä TCönig von Latium llo. 117.
Panathenäen Fest 27. 257. | 334 ff.
Register.
357
Ficus Feronius 334.
Picu.^ Martius 334.
Pihimmis röm. Indif^italgott 124 ff.
Pihciz 174.
Pitijs Baumnymphe 131.
Platmie beilige 22. 97.
Plowa haha 289.
Plutos Dämon der Erntefülle 244 ff.
Podarge Harpyio 92. 100.
Püledhice czech. Mittagsfrau 135.
Polednicek 135.
Polcwik nis8. Komdämon 145.
Pohjdoros Sohn des Priamos 21.
Pohjphemos Kyklop 106. 108. 109. 150.
Pohipoites Sohn des Peirithoos 45.
Poseidon 28. 51. 61. 72. 101. 108. 109.
Posterli 190 ff.
PrUipus 123.
Proarktnria Fest 239.
Proer osia Fest 231. 238. 239.240.241.
Proserpina 3-29.
Proteus Mccrgrels 60. 66.
Psophis Dryadon daselbst 18.
Purimf est 305.
Pyanepsien Fest 214 ff. 257. Pyanep-
sieniuablzcit 227.
R.
Rarasek Windgeist 94.
PauJnuicht 186.
RehenmcUichen 3 ff.
Pegenzauher 213. 256. 259. 263. (?)
264. 265. 268. 269. 272. 273. 275.
278. 280. 283. 287. 288. 293. 295.
299. 341. 342.
Reine Mala 186.
Rhea - Kyhcle 262.
Rhoiu Banmnymphe 19.
Rhoikos 16.
Roggenmuhme Korndäuion 125.
Roggenmutier Komdämon 15.
Roggensau 202.
Roggenwolf 200. 201. 202. 318 ff., s. o.
Kornwolf.
Röpenkerl Waldgeist 105. 115.
RofJ s. Wind, Sonne, Octoberroß,
Vatnhestar, Roß, Gestallt des Nix
203, des Oreo 99. Rosse dos Acbil-
leus 100 ff. Roßgestalt der Wald-
geister 8. Kentauren: anderer W^ald-
geister 139. 140.
Rudsmrilks 319.
Ruprecht y Knecht, 1^4. 187. 199.
S.
Sahariosfest lit. 249.
Saetumus 273.
Salhanello Waldgoist 127.
Salier 272.
Salome Waldgeist 149.
Salvadegh Wald- und Feldgeist 126.
Salvanel Wald- u. Feldgeist 126.127.
Salvang Wald - u. Feldgeist 127.
SamharySy zembarys angeblicher Gott
der Litauer 251.
Sanguen Festtag 292.
Sarameyau ind. Höllenhunde 112.
Satyrn 136 ff. 142. 149. 150. 152. 201.
• 204. 209 ff.
Scheunkater Komdämon 173.
Schimmelreiter 184.
Schlange s. Drache.
Schotenhund Komdämon 155.
Schrezlein Elbe 185.
Schwanjinigfran 68.
SchwartzW. 101 .157. 292. 340. 350. xxiff.
Schicarze Mann 156.
Seilen 5. 140 ff. 149. 150. 152. 171.
204. 209 ff. 212.
Seirim sem. Feldgeister 144.
Selb, Selbgetan 150. 205
Selige Wald- u. Berggeister 68.
Servant Kobold 176.
Set- Typhon aeg. Gott 308 ff.
Sigfrit 53. 55. 57.
Sikinnis Tanz 137.
Silranae 126.
Sihani 113. 118 ff 212.
Silranus 113. 118 ff. 145, agrestis 121.
122. 127, domesticus 121. 122, vil-
licus 122, custos 122, orientalis
121 , Kinderräuber 124.
Sivisofi 111.
Skoqsnufvar schwed. Waldfrauen 32.
38. 67. 93. 97. 99. 100 147. 204.
Skou(pnan schwod. Waldgeist 38. 115.
146.
Sobari lettischer Pestilenzgebrauch 252.
Solarhjörtr 203.
Sommer Lütarebrauch 295.
Sommerkatze 173.
Sonne, Appercoption derselben als Rad
88. 89. 110 ff, Kuh 203, Roß 203,
Widder 203 , Hirsch 203.
Sanneumythen 205 ff.
Sorahus 327 ff.
Soule Ball beim Frühlingsfest 290.
Springwurzel 335.
Staphylodromen 255.
Stary Korndämon 127.
Stephanstag 205.
Stepke Wirbelwind, Kobold 174.
Steropes Kyklop 108.
SterquiUnus röm. Gott 125.
Stögubbe Korndämon 173.
358
Register.
Strophaden Inseln 91. 92.
Stutzkatze Waldgeist 148.
Suleviae Waldnymphen 126.
Sükjenitza alban. Gespenst 112.
Syke Baumnymphe 19.
T.
Tamlane, Graf v. Munav, Elf 63. 66.
Tamimiz 274 flf.
Tanz der Dryaden 11. 32, vgl. Wald-
geister.
TaiHO finn. Waldgott 121.
Taubaden 312.
Tellus 120.
Tennenweib 289.
Teihys Gem. des Okeanos 207.
Teufel bocksgestaltig 158.
Thallophorie 257. 258.
Thargelien Fest 215 ff. 230 ff 234 ff.
243. 244. 248. 255. 256 257.
Thargehs 228. 244.
Tfierapne Heroon daselbst 22.
Theseus 45. 97. 216. 232 ff. 238. 241.
242.
Tlietis Nereide 51. 60. 61. 66. 68. 69.
70 ff. 81. 205. 208. Bedeutung des
Namens == Muhme, Wassermuhme
207.
llwosa Tochter des Phorkys 108.
Ihoregud Personific. des Donnerstags
185.
Tlwrr altnord. Uonnor^^ott 93. 151.
156. 157. 185.
Tierkind 68.
IWiorctty Drvaden daselbst 16.
Todaustragen 268. 273. 287. 296 ff.
Tragödie , Ursprung der, 200. 201.
Tristan 55.
Trolle 99.
Typhami 86. 96. 100. 101.
Typhoeus H6 89. 100 101. 110.
Tyjfhon, Typhös Dämon des Wirbel-
wind.s 85. 89. 308.
Typhon -Set äg. Gott 308.
l.
Ukkostein finn. Opferplatz 160.
Vhne heilige 25.
Uranos 108. 109.
Ureios Kentaur 42.
Uriskin schott. Wald- u. Berggeister
152 ff
V.
Vattar 151.
Valentins 288 ff.
Vatnhestar schwed. Wassergeister 203.
Vehmöme 350.
Vergüius r. Dichter 23.
Vespasianus r. Kaiser 23.
Vestaiia Fest 269.
Vestalinnen 121. 267 ff 313 ff.
Vidyadharen ind. Elfen 108.
Vietliebcheti2SS. Vielliebchenessen 296.
Vinire rum. Pcrsonif . d. Freitags 185.
ViraeqaerquetulanaeBaümnym)^henS4.
Vishnu ind. Gott 263.
Vogelscheuchen 127.
VorJierresbock schwed. Eomdämon 162.
173.
W.
Wahnsinn in Folge der Berührung
mit Geistern 36. 37 38. 131.
Walber 186.
Waldgeister. Lange, zottige Haare der
Wald- und Sturmg. 39 41. 42. 89
98. 125. 147. 149. Tiergestalt 39.
79 ff 99. 114 ff 126. 127. 131. 138.
139 ff 145 ff 150. 152. ff 203. 201.
Tragen Baum als Waffe 39. 41. 42.
43. 46. 89. 98. 123. 148, vgl. 86:
schleudern Felsblöcke 39 44.89.96.
99. Vgl. 86. Ihr Ruf oder Schrei
114 ff 131 ff. 146 ff 206. 360 Ihre
Lösternheit (Weiberliebe, 39. 42. 44
45. 96. 103. 116. 118. 126. 131. 137.
138. 139. 144. 147. 159. 170. 196.
Tanz der Wald- und Windgeister
38. 62. 131. 147. Wind ihre Lobi-ns-
äuUcrung s. Wind- u. Wirbelwind.
Vgl. die Artikel: (>urui»ira, Dell"
Vivane, Dialen, Drymides, Faunus.
Fönes, Hemann, Holzfriiulein, Hul-
dra , Kentauren, Ljeschi. Lisuiika,
Moosleute, Pan, Ropcnkorl. Salba-
nello, Salvadegh, Salvany, Satyr,
Silvanus, Uriskin, Wilde Leute. —
Waldgeist hütet (segnet) die Hecrde
103 ff 117. 119. 120. 122. 130. 136.
139. 146. 149 ff., Schützer des Wil-
des 129. 135. 146, raubt Kinder s.
Kind.
Waldmann Korndämon 155.
Waldteufel Korndämon 15.').
Walperzug in Erfurt Maitagsgebr.2l6.
Wassertauche s. Regenzanber.
Wasservogel Figur des Pfingstbrau«:hs
264.
Wuterbulls Wassergeister 203.
Water möder Wassergeist 207.
Wauer Frau, Sturmgeist 94.
Wcidbräuki 312.
Werwolf 322.
Wete-ema finn. Wassermutter 207.
Wettlauf 254. 256.
Register.
359
Wilde GeifiUr 149. 151.
mide Leute 39. 103. U7. 150. 155.
172. 211.
Wind - und Wirbehcind. Ww. in
Griechunland liäiitijLr 37. Boschroi-
bun^' des Phänomens 85 flf. Ww.
bzw. \V. apjicrzipiert als Mimk
31. llü. 130. U7. Tanz, 38. 131.
1-47, lirautztuf 39. 96. 97, Kamj.f
der Wald • und Sturni<?oister 97 ;
als Rad 85. 87. Kujjel oder Knäuel
99. 157. 176, alfl Roß 89. 95. 96.
99. 204, vgl. 10-4. 105 [vgl. Winde
und Wogen ^^ Rosse 100 1, Katze
173, Schwrin 99. 204, Hund (der
wilden Jagd) 99. 2«)4, Schlange
S6. - Ww. prrüonitiziort als Teu-
fel 38. 1(K), H<«xe 93, Thorsiijäska 93,
fahrrnde Slutter 93, Pfaffenhure 95,
Rarasok 94, Dschin 86, Typhoa,
Tvphon 85 (Tvphaon, TyphOcus 85.
1(M)^ Ixion 87. 98, Lapithen S9ff.,
Ilarpyie 90 ff 95. 100. Wind. bzw.
Ww. Lebt'nsäuUerung der Baum- u.
WaWgtister 39. 98. 201 ff., d(«.s Baum-
elfs i02, der Buschjungfern 147,
Ljeschi 103. 146, Skogsnufvar 147.
204, der delle Vivane 127, der
Korndämonen 155. 172. 201. 202.
318, der Neraiden 38. 92. 100. 204,
dfs Silvan 123, des Pan 131, der
Drvaden 32, der Kentauren 189.
Wind huMeriscli 131. 170. 171.
Sturm == wild«' Jäger 95, Zetirs
206 ff Schnell wie der Wind 71. 82.
Wulke 87, apperzi]>iert als Kuh 203,
Katze 15<]. 173. 2<UK Bock und Geiß
156. 157, schwarzer Mann 156,
At'gis 157. V^gl. XXV.
Yama ind. Todtengott 112.
Ziiidijne lit. Neujahrsbrauch 19i>.
Zauberschivert 53 ff. 59.
Zembarys s. Sambarys.
Zeininele lit. Erdgöttin 250. 253.
Zephyros 101.
Zetes Sohn des Boreas 91 ff. 20<j.
Zcfiii 72 ff. 83. 108. 342. Z Lykaios
;W9. Herkeio.s 111.
Ziegen Freunde der Elfen 153.
Zwerye 125. 204. 205.
Berichtigungen.
ö. 9 Z. 4 V. u.
- 21 . 4 - u.
- 110 - a - u.
- 110 - 2 - u.
- IGi) - 7-11.
- 207 - 18 - 0.
- 220 - 7 - u.
- 224 - 7 - u.
tU^i für äi^ti.
"Oll f. Ot/.
die Alke, welche f. der Alke, wclduT.
<ler ilir f. der ihm.
Hemerkenswert f. Bemerkbar.
Moeriuutter f. NährmuttiT.
r»/i' f. T^'.
llullu, liucliiiruckui'ui de» WaiäuubaUauä.
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