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Full text of "Wald- und Feldkulte"

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00081 374T 


*  ■ 


• 


«  . 


I 


WALD-  UND  FELDKULTE. 


VON 


WILHELM  MANNHARDT. 


Erster  Teil. 

DER  BAUMKUI-TÜ8  DER  GERMANEN  UND  IHRER  NACHBARSTÄMME. 


BERUN,  1875. 


GEBRUDER  BORNTRAEGER 

ED.  E00ER3. 


DER  BAÜMKÜLTUS 


DER 


(jERMANEN  und  fflRER  NACHBARSTÄMME 


MYTHOLOGISCHE    ÜNTERSüCHÜN(;KN 


VON 


WILHELM  MANNHARDT. 


BERLIN,  1875. 

GEBRÜDER   BORNTRAEGER 


ED.   K00ER9. 


•     ■  *    t  ■ 


KARL  MÜLLENHOFF 


ALS  ZEICHEN  DEK  LIEBE   UND  DANKBAKKEIT 


ZUGEEIGNET. 


Vorwort 


Das  vorliegende  Buch,  welchem  denmäcIiBt  ein  zweiter  Band 
„  grieclusche  and  römische  Agrarkolte  aas  nordearopäischen  Ueber- 
lieferungen  erläatert^'  folgen  wird^  beginnt  die  Veröfifentlichong 
einer  Keihe  von  Vorarbeiten  ^  die  sich  dem  Verfasser  als  erforder- 
lich ergeben  hatten  ^  am  znr  Klarheit  and  Sicherheit  Aber  das 
Fachwerk  za  gelangen ,  in  welches  die  einzelnen  Sttlcke  der  von 
ihm  unternommenen  „Sammlung  der  Äckergebräuche"  einzaordnen 
seien.  Es  ist  hier  der  Versach  gemacht  worden ,  die  wichtigsten 
Sagen,  Frühlings-  and  Sommergebräache,  welche  za  den  Emte- 
gebräachen  in  anverkennbarer  Analogie  stehen ,  einzig  and  allein 
aas  sich  selbst  heraas  einer  methodischen  Untersachong  aaf 
ihren  Inhalt  and  dessen  Bedeatang  za  unterwerfen,  soweit  es 
der  Hauptsache  nach  aaf  Grand  des  in  der  Literatur  vorhande- 
nen Materiales  schon  jetzt  geschehen  konnte.  Doch  sind  an 
vielen  Orten  bisher  angedruckte  Ueberlieferungen  eingestreut. 
In  größerem  Umfange  ist  dies  bei  Gelegenheit  des  Emtemai 
geschehen;  die  rheinländischen  Sitten  und  die  zu  Kuhns  Auf- 
zeichnungen hinaugekommenen  westfälischen  verdanke  ich  schritl- 
lichen  Mittheilungen,  so  auch  alle  tfbrigen,  dagegen  sind  die 
IS.  203  flF.  verzeichneten  französischen  einer  größeren  Sammlung 
entnommen,  welche  mir  im  Jahre  1870  persönlich  aus  der  Unter- 
haltung mit  Kriegsgefangenen  zu  schöpfen  vergönnt  war.  Den 
mannigfachen  neuen  Stoff,  welchen  ich  in  dem  Abschnitte  tlber 
die  schwedischen   Waldgeister  verwenden   konnte,   schulde  ich 


vra  Vorwort 

dem  gtttigen  und  liebreichen  Entgegenkommen  der  Herren 
D.  D.  Hildebrand  (Vater  und  Sohn)  in  Stockholm ,  Propst  E.  Rietz 
in  Tygelsjö  bei  Malmö  (inzwischen  verstorben),  und  Baron  Djurklou 
auf  Sörby  bei  Orebro,  welche  bei  meinem  ersten  Aufenthalt  in 
Schweden  im  Herbste  1867  mir  die  im  Besitze  des  Reichsanti- 
quariums,  des  Schonischen  Altertumsvereins  und  ihrer  selbst 
befindlichen  handschriftlichen  Aufzeichnungen  von  Volksüberlie- 
ferungen mit  außerordentlicher  Liberalität  zugänglich  machten 
und  deren  Benutzung  erleichterten.  Meinem  verehrten  Freunde 
Professor  H.  Weiß,  Custos  des  Kupferstichkabinets  in  Berlin,  bin 
ich  für  den  Nachweis  mehrerer  der  auf  S.  339 — 340  erwähnten 
Kunstwerke,  den  Vorständen  und  Beamten  der  königlichen  und 
Universitätsbibliothek  zu  Berlin  fllr  freundlichen,  unermüdlichen 
Beistand  verpflichtet.  Vor  allem  aber  tühle  ich  mich  gedrungen, 
dem  hohen  Unterrichtsministerium  meinen  ehrerbietigsten  Dank 
für  die  fortgesetzte  hochgeneigte  Förderung  und  Unterstützung 
meiner  Bestrebungen  auszusprechen.  Eine  eingehendere  Erörte- 
rung über  die  Grundsätze ,  das  Rüstzeug  und  die  Methode ,  sowie 
über  die  allgemeinen  Ergebnisse  meiner  Arbeit  wird  den  zweiten 
Band  einleiten,  der  durch  treflTende  Belege  die  Wahrheit  der 
aufgestellten  Sätze  zu  bestärken  Gelegenheit  giebt.  Im  übrigen 
bilden  die  in  diesem  Bande  vereinigten  Untersuchungen  ein  abge- 
schlossenes Ganzes  fllr  sich.  Mögen  sie  sich  Freunde  erwerben 
und  als  ein  nicht  unbrauchbarer  Beitrag  zur  Lösung  der  großen 
Aufgaben  erfunden  werden,  welche  der  Kulturgeschichte  heut- 
zutage im  Zusammenwirken   der  Wissenschaften  zugefallen  sind. 

Dan  zig,  den  13.  October  1874. 

Wilhelm  Mannhardt. 


Inhalt. 


CrruBdaiiscluuiwiflr.  Ans  der  Beobachtung  des  Wachstums  schloß  der 
Urmensch  auf  Wesensgleichbeit  zwischen  sich  und  der  Pflanze;  er  maß  ihr 
eine  der  seinigen  ähnliche  Seele  bei.  Auf  dieser  Grundvorstellung  beruht 
der  Baomkultus  nordenropäischer  Völker  S.  1  —  4. 

Erit««  lapitel. 

Die  Baumseele. 

§  1.  Gleichsetzung  des  Menschen  und  der  Pflanze,  Verschiedene  Formen 
dieses  Glaubens  S.  5. 

$  2,      Mensch  und  Baum,  Gleichniß  im  Hävamdl  8.  6. 

$  3.      Anthropogonischer  Mythus  von  Askr  und  Einhla  S.  7. 

§  4.      Der  Baum  als  Person  behandelt  S.  9. 

§  5.      Die  Holundermidter,  die  Eschenfrau  und  ihre  Sippe.    Verehrung  des 
'  Baumgeistes,  dem  das  Vermögen  zu  schaden  beigemessen  wird,  durch 
Opfer  und  Gebet  S.  10.    Vgl.  S.  G15. 

§  6.  Niederlitauische  Baumgeister.  Verbot  des  Baumschälens ;  zwischen 
Stamm  und  Rinde  sitzende  Geister  schaden  den  Haustieren  S.  12. 

§  7.  Baum,  Menscheyüeü)  und  Krankheitsdämonen.  Die  unter  der  Borke 
weilenden  Insekten  mit  den  wurmgestaltigen  Erankheitsgeistern  (Eiben, 
bösen  Dingern,  Holdichen)  identifiziert,*  führen  zu  dem  Volksglauben, 
daß   der  Baum   Krankheiten  entsenden,  oder  entfernen  (zurückrufen) 


1)  Vgl.  auch  noch  den  franz.  Aberglauben:  das  Haar  eines  verwimdeten 
Menifcben,  oder  Tiers  unter  die  Rinde  einer  Zitterespe  gesteckt,  macht  die  Wür- 
mer aus  der  Wunde  herausfallen,  oder  sterben.  Thiers  bei  Liebrecht,  Gerva- 
^ius  S.  238,  227. 


X  Inhalt. 

könne  S.  12— 16.  Hieraus  entspringende  sympatbetische  Euren,  um 
den  Krankheitsgeist  in  den  Baum  oder  Wald  zuröckzubannen  S.  16  — 
22.  Sproßform,  Verpflöckung  der  Maus  in  den  Baum  S.  23.  Hiebei 
ist  der  Baum  selbst  mit  dem  Menscbenleibe  in  Parallelismus  gedacht 
S.  25. 

§  8.  Strafe  für  BaumscMler  nach  dem  Grundsatz  Auge  um  Auge,  Zahn 
um  Zahn  setzt  den  Glauben  an  Persönlichkeit  des  Baumes  voraus 
S.  26.  Vgl.  S.  603.  Historische  Zeugnisse  für  die  Ausübung  des 
Brauchs  als  religiöse  Handlung  S.  28—31. 

§  9.  Müeinanderwtichs  des  Baumes  und  des  MenschevdeiJbes,  Kranke  mit 
Leibessch&den  verknüpfen  ihr  Leben  auf  mystische  Weise  mit  einem 
Baume ,  indem  sie  durch  einen  Spalt  desselben  kriechen  S.  32. 

§  10.  VerUtste  Bäume  bluten.  Die  Beseelung  des  Baumes  gedeiht  bis  zur 
Annahme  menschlicher  Körperlichkeit  unter  der  Binde.  Die  magische 
Wechselwirkung  mit  dem  Menschen  spricht  sich  in  dem  Glauben  aus, 
daß  der  Baumsch&diger  sich  selbst  die  gleiche  Wunde  beibringe,  wie 
dem  Baume  S.  34  —38. 

§  II.  Freibaume,  die  nicht  gehauen  werden  durften,  von  einem  Geiste 
beseelt  S.  38. 

§  12.  Baum  zeitweilige  HüUe  einer  abgeschiedenen  Seele.  Die  Vorstellung 
von  der  Baumseele  kleidet  sich  auch  in  die  Gestalt,  daß  Bäume  aus 
dem  Leichnam  Todter  hervorsprießen,  oder  daß  die  Seelen  Verstor- 
bener im  Baume  verkörpert  sind,  oder  im  Baume  Wohnung  haben 
und  zeitweilig  außerhalb  desselben  im  Winde  umfahren  S.  39  —  44. 

§13.  Baum,  Aufenthalt  des  Hausgeistes,  Abart  der  zuletztgenannten  Vor- 
stellung S.  44. 

§  14.  Baum,  Schuizgeist  oder  Sitz  des  Schutzgeistes.  Der  ideale  Doppel- 
gänger, der  Genius  einer  Menschenseele  oder  der  Seele  eines  ganzen 
Geschlechtes  mit  der  Seele  eines  bestimmten  Baumes  identifiziert 
S.44.  ^ 

§  14*.  Baum  ^  Lebensbaum.  Brautleute  sehen  das  Abbild  ihrer  Person, 
ihres  Lebens  in  einem  grünen  Baume;  ein  solcher  wird  ihnen  aufs 
oder  vors  Haus  gesetzt  S.  45 — 48. 

§  14**.  Fortreisende  verknüpfen  ihr  Leben  mit  einem  Baume  S.  48—49. 

§  14*.  Schicksals-  und  Geburtsbaum  von  Einzelnen  und  Familien  S.  49  — 51. 

§  14*^.  Värdträd,  der  vom  Schutzgeist  bewohnte  Schicksalsbaum  hinter  dem 
Hofe  in  Schweden,  Dänemark,  den  Alpen  S.  51  —  54. 

§  15.    Der  Weltbaum  YggdrasiU  aus  dem  Värdträd  entstanden  S.  54— 58. 

§  16.    Erläuternde  Begegnisse  au>s  dem  täglichen  Leben  S.  58  —  59. 

§  17.  Boträ.  Der  Baum  am  Hause ,  beziehungsweise  dessen  Wurzel  statt 
des  einen  Schutzgeistes  von  vieled*  Hauskobolden ,  Elfen ,  Hollen  u.  s.  w. 


Inludt  ZI 

bewohnt  Der  altpreaßiBche  Piuchkaitis  8.59—60.  Baumzweifi^ 
nachts  des  Elfenkönigs  Soldaten.  [Das  Göttergeschoß,  esa  gescot  in 
der  Baum  und  Mensch  gleichstellenden  Sagenfaroilie  vom  Axthieb 
der  wilden  Jäger,  Hexen  n.  s.  w.  S.  66 — 67.]  Estnische  Sage  vom 
Banmelf  als  Beheiprscher  der  Bamngeister  S.  68.  Banmelfen  als  Diebe 
S.  68.  Die  Bamnnymphe  tritt,  mit  ihrem  Leben  an  den  Baom  geknüpft, 
ans  demselben  zeitweise  heraus  and  lebt  mit  Menschen  in  Ehegemein- 
schaffc  S.  69. 

§  18.    ChroncOogische  Zeugnisse  S.  70—71. 

Zweit«  IipiteL 

Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe. 

§  1.  Ud^ersicht.  Ans  der  Mehrheit  der  Banmgeister  entstehen  als  ihre 
coUective  Repräsentanten  die  Waldgeister;  freiwaltende  Persönlich- 
keiten, deren  Leben  jedoch  an  d«as  Schicksal  der  Bänme  gebunden 
ist,  äußern  sie  ihr  Dasein  im  Winde,  erweitem  sich  zu  Dämonen  der 
Vegetation.    Baummänner  im  Hävamäl  S.  72. 

§  2.  HoiZ'  und  Moosfräuiein.  Gestalt;  geben  Verbote  aus  Trieb  der  Selbst- 
erhaltung  S.  74—76.  Dire  Garnknäuel  S.  76.  Wirksamkeit  im  gesamm- 
ten  Wachstum.  Opfer  f&r  sie  bei  der  Flachs  - ,  Heu  - ,  Korn  -  Obsternte 
S.  76  —  79.  Verbindung  mit  Menschen.  Hilfe  bei  der  Erntearbeit. 
Haussegen  S.  79  —  80.  Entfernen  als  Wachstnmsgeister  ^ankheit 
S.  81  —  82.  Fahren  ira  Winde  vom  wilden  Jäger  verfolgt.  Drei 
Kreuze  in  die  Bäume  gehauen  S.  82 — 86. 

§  3.     WildleuU  in  Böhmen  S.  86. 

§  4.      Wildleute  in  Hessen,  Rheinland,  Baden  S.  87—88. 

§  5-  Die  Wildleute  in  Tirol,  Fanggen,  Riesige  Waldgeister,  an  das 
Leben  des  Waldes  geknüpft,  fahren  im  Wirbelwinde,  werden  Haus- 
geister, Sage  vom  Tode  der  Hochrinde  S.  88 — 92. 

§  6.  Wildleule  in  Graubünden,  Waldfänken,  gehen  in  Zwerge  (Fenggen) 
und  Hauskobülde  über  S.  93 — 94  (Seitenstück  zur  Polyphemsage 
S.  94  —  95),  hüten  die  Kühe  in  den  Alpen,  werden  durch  Wein 
berauscht  und  gefangen  S.  96—99. 

§  7.  Wüdleute  in  Tirol.  Selige  Fräulein  in  Tirol,  Wilde  Frauen  in  Salz- 
burg, eine  andere  Form  der  Tiroler  Waldgeister  in  Berg-  und  Feld- 
geister übergehend.  Wohnen  in  Berggrotten.  Gemsen  ihr  Getier. 
Verlockender  Gesang  S.  102.  Ihre  Garnknäuel  und  sonstigen  Geschenke. 
Dienen  als  Hausgeister.  Ehe  mit  Menschen  S.  104,  Spuren  ehemaliger 
Geltung  als  Baumgeister  S.  104.  Ihr  Gatte  der  riesige  wilde  Mann, 
der  sie  im  Sturme  verfolgt  S.  105. 106.  Heilkundig  S.  106.  Kinder- 
raub.    Lange  Brüste  S.  108. 

§  8.     Wüdleute.    Die  rauhe  Else  der  Wolfdietrichssage  S.  106—110. 


xn  Inhalt. 

§  9.  Wilde  LeuU,  Norggen,  d.  h.  zwerghafte  Wildmännl  sagen  die  Wit- 
terung voraus  S.  110—112. 

§10.  Wilde  Leute.  Bümon,  Salvadegh,  Salvanel  in  Wälschtirol;  gente 
salvatica  um  Mantua  den  Faunen  ähnlich  S.  112  —  114. 

§11.  Wüde  Leute.    Pilosus,  Schrat,  Schratlein  S.  114—115. 

§  12.  Wildleute,  Deüe  Vivane,  Enguane  in  Wälschtirol  S.  115. 

§  13.  Wilde  Leute  der  keltischen  Sage  S.  117. 

§14.  Barnes  vertes  in  Frankreich  S.  117  — 120. 

§  15.  Wildfrauen  in  Steiermark.    Hohl  wie  ein  Baumstamm  S.  120. 

§  16.  St.  WalpuTffis  S.  121. 

§17.  Weiße  Weiber,  Ellepiger,  Meerfrauen  in  Niederdeutschland  und  Däne- 
mark. Beziehungen  zur  Pflanzenwelt.  Vom  wilden  Jäger  gejagt 
Hohler  Rücken  S.  122  — 126. 

§18.  IHe  schwedischen  Waldgeister.  Skougmann  (Hult«)  und  Skogsnufva. 
Wirbelwind  ihr  Element.  Euhschwanz,  lange  Brüste,  hohler  Bücken 
S.  127  — 128.  Lachen.  Irreleiten  S.  129.  Opfer  auf  einem  Steine 
S.  130.  Skogsfru  Herrin  der  Waldtiere  und  der  Jagd  S.  131  - 132. 
(vgl.  S.  615.)  Liebschaft  und  Ehe  mit  Menschen  S.  133—136.  Von 
König  Oden  verfolgt  S.  137  —  138. 

§  19.  Die  russischen  Waldgeister,  Ljeschje  sind  oft  bocksgestaltig.  Ihre 
Größe  dem  Pflanzenwuchs  gleich  S.  138  (vgl.  S.  610  Anm.  2.);  haben 
ein  Auge;  walten  in  Orkan  und  Wirbelwind  S.  139  fr.;  leiten  den 
Wanderer  irre  S.  140.  Behüten  die  Heerde,  Opfer  für  sie  auf  einem 
Baumstumpf  S.  141.  Zauberspruch,  sie  herbeizurufen  S.  141.  Machen 
Kohlen  zu  Gold  S.  142  vgl.  S.  616.  Hochzeit  im  Wirbelwind.  Kin- 
derraub S.  143. 

§20.  Peruanische  und  brasüianiscJie  Waldgeister  den  nordeuropäischen 
ähnlich  S.  143  —  145. 

§21.  Rückblicke  und  Ergebnisse.  Waldgeister,  Verschmelzung  von  Baum- 
geistem  und  Windgeistem  S.  145 — 146.  Ihre  Gestalt  S.  146.  Ihr 
Zusammenhang  mit  der  Baumwclt  S.  147 — 149.  Ihre  Lebensäußerung 
in  Wind  und  Wetter  S.  149 — 153.  Geschlechtliche  Verbindung  mit 
Menschen  S.  152  — 153.  Raub  von  Kindern  und  Wöchnerinnen  S.  153. 
Uebergang  in  Hausgeister  S.  153,  in  Feldgeister  S.  154. 

Drittes  Kapit«]. 

Die  Baumseele  als  Vegetationsdämon. 

§  1.  Genius  des  Wcuhstums.  Die  Baumseele,  der  Doppelgänger  und 
Schützer  menschlichen  Lebens,  wird  in  Gebräuchen  zum  allgemeinen 
Vegetationsgeist  und  geht  in  eine  Personüication  der  schönen  Jahres- 
zeit über  S.  154. 


Inhmlt.  im 

$  2.  Baymsede,  WaekgtutMgeist  <»  Saminer  in  den  Lätaregebräuchen 
S.  lo5  — 157. 

§  3.  Russische  Pfingsigehräuche.  Als  Mensch  ausgekleidete  Birke  verehrt, 
ans  dem  Walde  geholt  S.  157  — 159. 

§  4.     MiUmmmerstangt  tti  Schweden  S.  159  — 160. 

§  5.  Miiibaum.  Feierliche  Einholung  des  Maihanms  ans  dem  Walde,  Anf- 
pflanznng  anf  oder  vor  Stall  and  Hans  für  Tiere  und  Menschen 
8.161—163;  Vaienstecken  för  das  geliebte  M&dchen  S.  163  —  165, 
f&r  die  Antorit&ten  der  Gemeinde  166 — 167;  für  das  gesammte  Dorf 
(Stadtteil  n.  s.  w.).  Großer  Maibanm  mit  Bändern  und  Eßwaaren 
geschmückt;  erklettert  168 — 170.  Bemerkenswerte  Formen  des  Brau- 
ches. Maibanm  mit  3  Aehren  zu  Lncca  S.  171,  mit  Darstellung  der 
Passion  in  Oberbaiem  S.172.  Kronenbaum  und  Ereuzbaum  der  Wen- 
den 173  — 174.  Die  Questenberger  Eiche  S.  175.  Die  ursprüngliche 
Gestalt  des  Maibaums  S.  176  — 177.  Maibaum  im  Maifeuer  oder  Johan- 
nisfeuer  verbrannt  S.  177 — 180.  Elfäuterung  der  vorstehenden  Brfiuche. 
Maibaum  =  Sommer  S.  181,  Lebensbaum ,  Schutzgeist ,  alter  ego  der 
Tiere,  geliebten  Mädchen,  der  Gemeinde  S.  182  —  186;  seine  Verbren- 
nung, Darstellung  des  Durchgangs  der  Vegetation  durch  die  Sommer- 
wärme S.  186  —  187.  Die  Dorf  linde  oder  Burglinde  >  ersetzt  den  Mai- 
baum S.  187  — 190. 

§  G.  Emtemai,  Auf  dem  letzten  Erntewagen  wird  ein  Maibaum  aufge- 
steckt und  auf  das  Scheunendach  befestigt  S.  190 — 194.  Der  Harkel- 
mai  in  Westfalen  S.  194  —  199.  Der  Emtemai  im  Rheinland  S.  199  — 
202;  in  Elsaß  und  Lothringen  S.  202-203;  in  Frankreich  S.  203— 
206.  Zusammengehörigkeit  des  Maibaums  und  des  Erntemais  [drei 
Aehren  im  Emtebrauch]  S.  208 — 211.  Deutung  der  gemeinsamen 
Züge  S.  212 — 221.  Maibaum  anthropopatisch  S.  212  ist  die  personifizierte 
Wachsturaskraft  S.  213 ;  daher  mit  Wasser  begossen  als  Regenzauber 
S.  214  —  216;  daher  Beziehung  zum  weiblichen  Geschlecht  S.  216  und 
Aufpflanzung  auf  ein  Jahr  an  Haus,  Stall,  Scheuer  S.  217 — 218. 

§7.      Richtmai.    Lebensbaum  der  Bewohner  des  neuerbauten  Hauses  S.  218 — 
221. 

^  8.      Brautmaie.    Lebensbaum  der  neugegründeten  Familie  S.  221  — 223. 

$  9.  Chrutiblock  und  Weihnachtsbatwi.  Junge  Bäume  Weihnachten  ins 
Getreide  gesteckt  S.  224 ,  oder  mit  Getreide  beschüttet  und  ins  Fener 


1)  Auf  älteren  Gemälden  sieht  man  häufig  fnitten  im  Burghof  einen  eifuigen 
Baum  stehen,  der  offenbar  eine  symbolische  Bedeutung  hatte.  Statt  vieler  Bei- 
spiele erwähne  ich  den  „ridderlyk  Hof  vun  Hollaeckon  in  Brabantla  illustrata 
and  ein  Aquarell  von  Hans  Bol  a.  d.  J.  1589.*' 


XIV  Inbalt. 

gelegt  S.  225 ;  Banmzweige ,  Baumklötze  im  Weihnacbtsfeaer  ver- 
brannt haben  Zauberwirkung  für  Menseben ,  Tiere ,  Pflanzen  S.  226  — 
230.  Nächstliegende  Deutung  dieser  Bräuche  aus  christlicher  Symbo- 
lik. Christus  =  Gerte  Aarons,  Wurzel  Aarons,  Weizen  auf  Marien - 
Acker.  Auf  letzterem  Bilde  beruhende  Sitten  und  Sagen  S.  230 — 231. 
Die  Empfangniß  durch  Aehren  auf  dem  Mantel  der  Madonna  darge- 
stellt S.  231—232.  Vgl.  S.  616.  Christus  der  himmlische  Weizen  in 
weiteren  kirchlichen  Sitten  und  Volksgebräuchen  S.  232  —  235.  Christ- 
block «=  virga  e  radice  Jesse?  S.  235.  Diese  christlichen  Deutungen 
lösen  nicht  alle  Züge;  der  Christblock  mit  dem  Maibaum  verwandt 
S.  236— 237,  ist  christlich  umgedeutet  S.  238.  Ebenso  Verhaltes  sich 
mit  dem  Weihnachtsbaum.  Derselbe  ist  erst  seit  einem  Jahrhundert 
allmählich  verbreitet  S.  238  —  241;  ging  möglicherweise  aus  dem  Para- 
diesesbaum hervor  S.  242 — 243  [Versinnlichung  des  ,,de  fructu"  in 
der  Kirche  S.  243].  Doch  ist  ebensowenig  Uebereinstimmung  mit  dem 
Maibaum  zu  verkennen.  Maibäume  mit  Kerzen,  Wepelrot,  Sommer- 
umtragung  zur  Weihnachtszeit  machen  den  Maibaum  als  Figur  des 
Mittwinterfestes  und  seine  ümdeutung  in  christlichem  Sinne  wahr- 
scheinlich S.  243  —  249.  Er  bedeutet  den  Lebensbaum  der  idealen 
Menschheit  S.  250.  Gesetz  derartiger  Umdeutungen  S.  250.  Ümdeu- 
tung des  Maibaums  in  das  Kreuz,  der  Wodansjagd  in  die  Jagd  des 
Engels  Gabriel  S.  250—251. 

§  10.  Der  Schlag  mit  der  LebensnUe.  Menschen,  Tiere,  Pflanzen  zu  gewis- 
sen Zeiten  mit  einem  grünen  Zweige  (resp.  Stock)  geschlagen,  um 
gesund,  kräftige  fruchtbar  zu  werden  S.  251 ;  zu  Lichtmesse  und  Fast- 
nacht (Pudeln)  S.  252— 256;  am  Palmsonntag  256— 257,  zu  Ostern 
(Schmackostem)  S.  258 ,  auf  Maitag  S.  264 ;  zu  Weihnachten  (Frische- 
grünstreichen,  fitzeln,  pfeffern)  265 — 268.  Flöhausklappen  S.  268. 
Hudlerlauf  S.  269.  Menschen  und  Tiere  gepeitscht  S.  269—270.  Tiere 
(Kälberquieken)  S.  270— 275;  Bäume  und  Pflanzen,  Krautköpfe,  die 
letzte  Garbe  geschlagen  S.  275 — 278.  Erläuterungen.  Die  schlagende 
Rute  (Lebensrute)  soll  Saft ,  Wachstumskraft  mitteilen ,  die  Geister  der 
Krankheit  und  des  Mißwachses  aus  dem  Körper  vertreiben  S.  278  —  281. 
Dem  ersten  Anschein  nach  sind  diese  Sitten  vom  Palmsonntag  ausge- 
gangen S.  281.  Die  Palmweihe  S.  282— 294.  Auf  den  Pahnbüschel 
sind  in  Griechenland  nachweisbar  vorchristliche  Vorstellungen  über- 
tragen, welche  mit  dem  Maibaum  übereinstimmen,  den  die  Eiresione 
als  nicht  kirchlich  bewährt  S.  294  —  299.  Auch  die  Peitschung  des 
Brautpaars  oder  junger  Eheleute  S.  299  —  301,  wozu  Parallelen  bei 
Naturvölkern  S.  302 — 303,  soll  wol  die  der  Befruchtung  hindernden 
Dämonen  vertreiben  S.  302 — 303. 

§  11.  Auslauf  über  die  IrmensävHe.  Neben  dem  Maibaum  als  Lebensbaum 
der  Gemeinde  war  die  Irmensul  vielleicht  Lebensbaum  des  Volkes 
S.  303 — 306,  doch  erlauben  die  historischen  Zeugnisse  keine  sichere 
Entscheidung  der  Frage  S.  307  —  310.    Vgl.  S.  889. 


Inhalt  ZT 

liirtM  lipileL 

Anthropomorphische   Wald-    und   Baamgeister 
als  Vegetationsdämonen. 

§  1.  Persönheh  dargestelUe  Waid-  und  Baumgeister  ah  VegeMionsdä- 
mumen.  Die  dem  Maibanm  innewohnende  Seele  durch  eine  daran- 
gehingte  Pappe  oder  einen  nebenher  gehenden  oft  in  grflnes  Lanb 
gehüllten  Mensehen  yeranschaolicht  S.  311. 

i  2.  Doppelte  Darstellung  des  Vegetationsdämons  durch  Baum  und  Men^ 
sdkm  im  Elsaß  (Pfingstqnak,  Mairesele)  Franken  (Walber)  S.  312, 
Litauen  (Maja),  Kftmthen  (Qrüner  Georg)  313,  Frankreich  (P^re  May), 
Elaaft  (Herbstschmudel)  S.  314 ,  England  (Majlady)  S.  315.  Der  Um- 
zug mit  diesen  Stellvertretern  des  Vegetationsnumeus  eine  sakramen- 
tale Handlung  S.  316. 

}  3.  Laubeinläeidungy  Umgang  su  Fuß,  Hftufig  fällt  der  Maibanm  fort 
und  der  in  Laub  Gehüllte  allein  stellt  den  Wachstnmsgeist  dar  (Grü- 
ner Georg,  Pfingstblume,  Pappel)  S.  316—318;  derselbe  wird  in  feier- 
licher Prozession  zu  Fufi  aus  dem  Walde  geholt,  zuweilen  mit  Was- 
ser begossen.  Laubmfinnchen ,  Pfingstl,  Pfingstschläf er ,  Pfingstlüm- 
mel,  Jack  in  thegreen,  Pfingsthütte,  Schak,  Füstge  Mai,  Eudemest, 
Latzmann  S.  318—325.  Erläuterung  der  aufgeführten  Sitten  S.  325  — 
327. 

§4.  Laubeinkleidungj  Begenmädchen.  Auch  bei  Dürre  ein  den  Wachs- 
tumsgelBt  darstellender,  in  Laub  gehüllter  Mensch  behufs  Regen- 
zaubers mit  Wasser  begossen  S.  327 — 31.  Weitere  Fälle  des  Regen - 
Zaubers  S.  332  — 333  vgl.  S.  356. 

§  5.  Laubeinkleidung;  der  wilde  Mann.  Spielart  des  Laubmännchens 
S.  333  — 337.  Darstellung  des  wilden  Mannes  als  Laubmann  oder  als 
behaarter  Waldschrat  bei  Hoffesten,  und  in  Kunst,  Heraldik  und 
Numismatik  des  Mittelalters  S.  337  —  341. 

§  6.  MaQumig,  Pfingstkönig,  Maikönigin.  Der  Vegetationsgeist  als  Herr- 
scher aufgefaßt  vrird  zum  MaikÖnig,  Pfingstkönig,  Lattichkönig, 
Graskönig,  Maikönigin,  Reine  de  Printemps,  Reine  de  Mai  S.  341  — 
347. 

§  7.  Das  Maienreiten.  Der  Umzug  zu  Fuß  wird  in  Folge  dessen  zum 
ritterlichen  Einritt  S.  347  —  350,  bei  dem  sich  die  Figur  des  Laub- 
manns, Pfingstiümmels,  in  mehrere  spaltet  S.  351—352.  Das  böhmische 
Pfings^önigsspiel  S.  353— 354. 

S  8.  Der  Mauriti,  Erläuterung.  Der  zu  Roß  aus  dem  Walde  geholte  Pfingst- 
lümmel  unterliegt  als  Wachstumsgeist  dem  Regenzauber  S.  355  — 356. 
[Regenzauber  bei  enÜegenen  Naturvölkern  8.  356].  Ihm  wird  der 
Maibaum  zur  Seite  getragen;  seine  Laubhülle  Amulet  S.  357.     Der 


xvt  Inhftlt. 

Pfingstkönig  geköpft.  Bedeatong  dieses  Brancbs  entweder  nnbehilf- 
liche  Darstellang  des  Yoranfgegangenen  Todes  der  Vegetation  um 
das  Auftreten  im  Frühling  als  Wiederaufleben  zu  bezeichnen  S.  357  — 
360  oder  nach  Analogie  vieler  Bräuche  bei  wilden  Völkern  (S.  360  — 
363).  üeberlebsel  einer  uralten  barbarischen  Sitte,  mit  dem  Blute 
der  geopferten  Repräsentanten  des  Vegetationsgeistes  den  Aeckem 
Wachstumskräfte  zu  geben  S.  363—365.  Differenzierungen  des  Pfingst- 
lümmels  S.  365.  Analogien  zum  Schlag  mit  der  Lebensrute  S.  365  — 
366.  Aemter  des  berittenen  Gefolges  S.  366  — 367.  Der  Mairitt  an 
fürstlichen  Höfen  S.  368. 

§  9.  Der  Maigraf,  ein  städtischer  Sprosse  des  ländlichen  Pfingstlümmels. 
Die  Bräuche  des  Festes  8.369— 376.  Nachweis  der  Abzweigung  vom 
Mairitt  des  Pfingstlings  S.  376— 377.  Zeit  derselben  das  dreizehnte 
Jahrhundert  S.  377—378.  Weitere  Erläuterung  der  Bräuche  S.  378  — 
382. 

§10.  PfingsttDettlauf  und  Wettritt.  Wettlauf  oder  Wettritt  nach  dem 
Maibaum  S.  382-387. 

§11.  Pfingstwettritt f  das  Kranzstechen,  Busehstechen ,  die  letzteren  Sproß- 
formen des  ersten  S.  387  —  389. 

§  12.    Wettaustrieb  der  Weidetiere  S.  389  —  391. 

§  13.  Wettlauf  und  Wettritt ,  Erläuterungen.  Vermutlich  liegt  als  Gedanke 
der  wetteifernde  Einzug  der  Vegetationsdämonen  und  rechtliche  Besitz- 
nahme des  Maikönigtums  zu  Grunde  S.  391  — 396. 

§  14.    Wettlauf  nach  der  letzten  Garbe  S.  396. 

§  15.  Eschprozeasion ,  Flurumritt.  Umritt  um  die  Gemarkung  zum  Gedeihen 
der  Saaten,  zumeist  kirchlicher  Brauch  S.  397  —402. 

§16.  Steffansritt.  Ausritt,  oder  Wettrennen  der  Pferde  am  26.  Dezember 
S.  402  —  404.  Erläuterung  der  Eschprozession  (und  des  Steifansrittes) 
als  mutmaßliche  Teile  der  Feierlichkeit  beim  Einzüge  des  Pfingst- 
königs  S.  404—406. 

§  17.  Hinaustragung  des  Vegetationsgeistes.  Darstellung  des  im  Frühjahr 
wieder  zum  Walde  kommenden  Wachstumsdämons  durch  eine  Puppe. 
Hetzmann  in  Schwaben  S.  406,  Metziko  in  Estland  S.  407-409,  vgl. 
grand  mondard  in  Orleannais  S.  409 ,   Waldmann  bei  Eisenach  S.  410. 

§  18.  Hinaustragung  wnd  Eingrdbung  des  Vegetationsgeistes.  Todaustragen 
auf  Fastnacht  S.  410  -  414. 

§  19.  Hinaustragung  und  Eingrabung  des  Vegetationsdämons  um  Mitsom- 
mer S.  414  —  416.    Jarilo  415. 

§  20  Hinaustragung  und  Begräbniß  des  Vegetationsdämons ,  Erläuterungen. 
S.  416  — 421. 


Inhalt.  xvn 

Fliftei  EapiteL 

Vegetation 8 ge ister:    Maibrantsehaft 

§  1.  Das  Mctikönigspattr.  An  Stelle  des  einen  männlichen  oder  weiblichen 
Vegetationsdämons ,  Lanbmanns ,  Pfingstkönigs  n.  s.  w.  erscheint  oft 
ein  Paar.    König  and  Königin  8.  422—424  vgl.  8.  986. 

§  2.  Maiherr  und  Maifrau,  Lord  and  Lady  of  the  Maj  in  England  8.  424  — 
426 ;  andere  Farmen  des  Braacbs.    8.  426—420. 

§  3.     Maipaare:-  Hansl  und  Gretl.    8. 429  — 431. 

§  4.  Maibraut,  Pfingsthraut  Das  Maipaar  als  Braatpaar  dargestellt, 
wird  im  Walde  gesucht  S.  431.  Darstellang  des  Hochzeitzages  (Püngst- 
braat,  Blamenbraut,  Metzgerbraat)  8.  432— 433.  Braut  erweckt  den 
schlafenden  Laubmann  8.  434—435  vgl.  8.  617.  Verlassene  Braut 
8.  435.  Wiederkehrende  Braut  8.  436.  Metzgerbraat  in  Münster; 
Aschenbraat  8.  437.  Umzug  der  Maibraut  in  Niederdeatschland  und 
Frankreich  8.438  —  440. 

§  5.  Huren,  Feien.  Im  Thüringer  Brauche  wandelt  sich  der  Laubmann, 
8choßmeier  in  die  mit  Weiberkleidern  geschmückte  „Hurey"  8ymbol 
der  Werdefülle  des  8ommers.  Vgl.  die  Feien  der  Altmark  8.  440 — 
443. 

§  6.  Bedeutung  des  Maihr autpaar s.  Der  Vegetationsdamon  verlfißt  oder 
verliert  im  Winter  seine  Liebste  (Gattin),  im  Lenze  neue  Vermählung 
8.443—445.  Egarthansel  8.445-446.  Kommt  christliche  Symbo- 
lik in  Frage  ?  8.  446  —  447. 

§  7.  Nachahmungen  des  Maibrautpaars  durch  menschliche  Liebespaare. 
Am  1.  Mai  Hochzeitritt,  wobei  je  eine  Dame  en  Croupe  hinter  dem 
Reiter  sitzt.  Das  Brautnennen  am  Drömling.  Brautmarkt  zu  Kind- 
leben 8.  44V— 449. 

§  8.  MaileJ^n,  Valentine.  Am  1.  Mai  bei  Maibaura  und  Maifeuer  die 
Mädchen  der  Gemeinde  versteigert  (Mailehen)  S.  449— 452.  Desglei- 
chen am  ersten  Fastensountage  und  1.  März  8.  4^5.  Ausruf  der  Lie- 
bespaare (Valentins  und  Valeutiues)  beim  Leuzfeuer  8.  45t)  —  458. 
Erlösung  der  Geliebten  am  Valentiustage  8.  458  — 4G2.  Compadre, 
Weiberdingete,  Vielliebchen  8.462. 

ij  9.  Uas  Maipaar  und  die  iSonnwefidfeiier.  Beziehung  des  jüngst  ver- 
heirateten  Ehepaars  und  der  Brautpaare  zum   Frühlings-   und   Sonn- 

wendfeuor  8.  462  —  466.  Suchen  des  Weibes  oder  des  Liebchens  beim 
polnischen  und  lettischen  8.  466—468,  das  „Beila<rer"  beim  estni- 
schen Johannisfeuer  8.  469.  Priapeu  beim  keltischen  Frühlings-  und 
Notfeuer  8.  469  —  470.  Wahrsagende  Braut  beim  griechischen  Johan- 
nisfeuer S.  470  — 471. 

?j  10.  Der  Braiilhall.  Den  Neuvermählten  zu  Ostern  der  Brautball  abge- 
fordert,   und  im  grünen  TannenwaKle  zerschlagen  8.471  —  473.     Ball- 

Mannhardt.  b 


xym  Inhajtf 

spiel  zu  Ostern,  Fastnacht,  Lichtmesse,  Weihnachten  S.  473  — 477, 
sogar  in  der  Kirche  S.  477  —  478.  Erl&uterungen ;  Verwandtschaft  die- 
ses Brauchs  mit  den  Bräuchen  beim  Sonnwendteuer  S.  478 — 480. 

§1L  BrauiXager  ctuf  dem  Ackerfelde,  Mann  und  Weib  verbunden  wäl- 
zen sich  auf  dem  Acker,  damit  das  Korn  wachse  S.  480 — 482. 
Das  Wälzen  auf  dem  Saatfelde  bezweckt  Mitteilung  von  Wachstums- 
kraft  an  das  Erdreich  S.  482— 487,  die  Verbindung  der  Geschlechter 
drückt  symbolisch  den  Augenblick  der  Vermählung  des  dämonischen 
Maibrautpaars  aus  487 — 488. 

§  12.  Neu/oermälüte  ah  Abbilder  des  Maipaars.  Die  jungen  Ehemänner 
(Bräutlinge)  werden  zu  Fastnacht  ins  Wasser  getaucht  (Regen zauber, 
Lustration).  TJebertragung  dieses  Brauches  auf  Hochzeiten  S.  488  — 
492. 

§13.    Ef gebwisse  der  Untersuchung  über  das  Maibrautpaar  S.  492 — 496. 

SMkstei  Kayitei. 
Vegetationsgeister:   Sonnen z au ber. 

• 

§  1.  Verhrennimg  in  den  Faschings-  und  Lätaregehräuchen  an  einer 
Puppe,  dem  Fasching,  Tode  u.  s.  w.  geübt,  stellt  sinnbildlich  das 
Hindurchgehen  der  im  Winter  erstorbenen,  zum  Wiederaufleben 
bestimmten  Vegetation  durch  das  von  den  Krankheits-  und  Mißwachs- 
geistem  reinigende  Sonnenfeuer  dar.  Eine  menschliche  Gestalt  nebst 
einem  Baume  (dem  Maibaum)  auch  in  andern  Frühlings-  und  Sonn- 
wendfeuem  verbrannt,  zu  deren  Zubehör  aufierdem  Scheibenschlagen, 
Hindurchgang  von  Menschen  und  Tieren,  Fackellauf  über  die  Korn- 
felder, und  ein  Scheinkampf  auf  denselben  gehören  S.  497 — 500. 

2.     Feuer  am  Funkensonntage  S.  500—502. 

§  3.      Oster feuer  S.  502—508. 

§  4.  Maifeuer,  Johannisfeuer  S.  508  —  514.  Menschliche  Figuren  aus 
Weidengeflecht  verbrannt  514. 

§  5.  Tiere  im  Sonnwendfeuer  verbrannt,  z.  B.  Katzen,  Füchse,  Hähne. 
StidfranzÖsische  Verbrennung  von  Schlangen  in  weidengeflochtener 
Säule  S.  515  —  516.    Michaelis  und  Martinsfeuer  S.  516. 

§  ().  Frühlings-  und  Sonnwendfeuer.  Erläuterungen.  Alle  jene  Feuer 
Nachkommen  eines  älteren  Bitus,  der  ursprünglich  heidnisch  von  der 
Kirche  in  ihren  Bereich  zu  ziehen  versucht  wurde  S.  516  —  518. 

§  7.  Notfeuer.  Zum  Beweise  dient  die  Uebereinstimmung  aller  wesent- 
lichen Züge  beim  Notfeuer  S.  518-521. 

§  8.  Schlußfolgerungen  über  die  Bedeutung  des  Frühlings-  urhd  Mittsom- 
merfeuers. Dasselbe  übt  einerseits  durch  Vernichtung  der  Mißwachs- 
und Kiankheitsgeister ,  anderseits  durch  Mitteilung  zeugender  Kraft 
Einfluß    auf  Wachstum   und    Gesundheit   der  Menschen ,    des   Viehes, 


der  Gewächse.  Die  verl^raimte  Menscliengestalt  ursprünglich  Darstel- 
lung der  von  den  Krankheitsgeistern  zu  reinigenden  personifizierten 
Vegetation,  die  noch  zuweilen  ein  neben  dem  Johannisfeuer  hergehen- 
der Latibmann  veranschaulicht  S.  521  —  525. 

§  9.  Ein  dltgallisd^s  Jahres  fetter  von  pentaeterischer  Wiederkehr ,  in 
welchem  mit  lebenden  Menschen  gefüllte  Menschengestalten  aus  Baum- 
zweigen der  Fruchtbarkeit  halber  verbrannt  wurden,  von  Posidonius 
beobachtet,  dessen  bei  Cäsar,  Strabo  und  Diodor  erhaltener  Bericht 
kritisch  untersucht  wird  S.  525  —  533.  Beispiele  fCür  den  üebergang 
eines  jährlichen  Naturfestes  in  ein  nach  regelmäßigem  Zwischenraum 
mehrerer  Jahre  gefeiertes  S.  533. 

§10.  Fackdlauf  über  die  Kornfelder,  („Samenzünden/'  „Saatleuchten,'') 
ein  Zubehör  der  Jahresfeuer  S.  534  —  540. 

Ul.  Komauf wecken,  Perchtelspringen ,  Faschingsumläufe ,  Abarten  des 
FackeUaufs  S.  540— 54a 

§12.  Sdienikam^  beim  Mittsommerfeuer  und  von  diesem  losgelöst  im 
Frühling  und  Mittsommer  auf  den  Aeckem,  damit  das  Eom  besser 
w!tehse.    Asiatische  Parallelen  S.  548 — 552. 

§13.  Das  Pflugumziehen.  Zu  Fastnacht,  Weihnachten  und  bei  Dürre  ein 
Pflug  in  Brand  gesteckt  und  ins  Wasser  gezogen,  Regen-  und  Sön- 
nenzauber  S.  553  —  554.  Fastnachtbrauch,  ;Mägde  vor  den  Pflug  oder 
die  Egge  zu  spannen  S.  554 — 557.  Foolplough  am  Montag  nach 
Epiphanias  S.  557,  Pfluggang  zu  Neujahr  S.  558.  Die  Sitte  ein  zau- 
berisches Vorpflügungsfest  vor  Beginn  der  Ackerarbeit,  als  solches 
noch  in  Böhmen  erhalten  S.  559  —  561,*  sowie  in  daraus  abgeleiteten 
russischen  Pfluggängen  bei  Epidemien  S.  561 — 563.  Weitere  Erläu- 
terungen S.  563.     Das  Ordale  der  glühenden  Pflugscharen  S.  564. 

§  14-     Feuerdurchgang  Hochzeitbrauch  S.  565. 

§  15-     Verbrennung  des  Maibaums  nach  Jahresfrist  S.  566. 

Siebentes  Kapitel. 

Vegetationsdämonen;  Nerthus. 
§  1 .      TacUus  über  die  Nerthusumfahrt  S.  567  —  568. 
§  2.      Ver  Schauplatz  des  Festes  Ö.  568. 
§  3.      Glaubwürdigkeit  der  Nadiricht  8.  568  —  570. 
§  4.      Der  Name  Nerthus  S.  570 — 571. 
5$  5.      Bedeutung  der  Interpretatio  Terra  mater  S.  571 — 574. 


1)  Nach  Pliniuß,  bist,  natur.  XVII,  5  wurde  in  Byzacium  (Africa  pro- 
pria)  ein  altes  Weih  neben  einem  Esel  vor  den  Pflug  gespannt,  nach  Dureau  de 
la  Malle  in   der  Liniagne  (Auvergne)  die  Frau  de»  Bauern  neben  einer  Kuh. 


XX  Inhalt. 

§  6.     Tatsächlicher  Inhalt  des  taciteischen  Berichtes  S.  574 — 581. 

§  7.  Die  Nerthusumfahrt  den  Friihlingsgehräuchen  vertoandtj  zumal  der 
Einholung  des  Malbaums  S.  581  —  587. 

§  8.     W.  Müüer,  Müllenhoff,  Simrock  über  Nerthus  S.  587—588. 

§  9.     Nerthus,  Njördhr  und  Freyja  S.  588—592. 

§10.  Die  Umfahrt.  Gewährt  der  Schiffsumzug  des  Jahres  1133  eine  Ana- 
logie? Erl&uterung  desselben  durch  asiatische  Analogien  und  histo- 
rische Verhältnisse  S.  592 — 598.  Das  Nerthusfest  yennutlich  localc 
Vergrößerung  eines  allgemeinen  Frühlingsfestes  598  —  599.  Unmög- 
lichkeit der  Umfahrt  bei  allen  sieben  Stämmen;  der  wahrscheinliche 
Sachverhalt  S.  599—602. 

SeUlißwttrt 

Baurageist  und  Korndämon. 

Zusammenfassende  Darstellung  der  hauptsächlichsten  Resultate.  Ein 
Hauptergebniß,  der  Nachweis  des  in  verschiedenen  Formen  und  Zügen  aus- 
geprägten Glaubens  an  die  Baumseele ,  den  Baumgeist  S.  603  -  608,  findet 
vollständige  Bestätigung  durch  den  in  allen  Einzelheiten  entsprechenden 
Parallelismus  des  Glaubens  vom  Eomdämon  S.  611  —  614. 

lacItrlgeS.  615-617. 


Grnndanschannngen. 

In  dem  ewigen  Kreislauf,  der  die  Atome  aller  irdischen 
Dinge  nmhertreibt  nnd  in  welchem  jeder,  aach  der  festeste  K(5r- 
per,  nichts  anderes  darstellt,  als  eine  zeitweilige  Form  der  unauf- 
haltsamen Bewegung,  einen  Strudel  im  Strome,  ist  trügendem 
Augenscheine  nach  dem  Steine  ein  ruhiges  Verharren  gegeben. 
Von  seiner  Starrheit  hebt  sich  unterscheidend  der  verhältnißmäßig 
schnelle  und  in  regelmäßiger  Wiederkehr  nachweisbare  Verlauf 
in  der  Veränderung  organischer  Bildungen  ab.  Alle  lebenden 
Wesen  vom  Menschen  bis  zur  Pflanze  haben  Geborenwerden, 
Wachstum  und  Tod  miteinander  gemein  und  diese  Gemeinsamkeit 
des  Schicksals  mag  in  einer  fernen  Kindheitsperiode  unsers  Ge- 
schlechtes so  überwältigend  auf  die  noch  ungeübte  Beobachtung 
unserer  Voreltern  eingedrungen  sein,  daß  sie  darüber  die  Unter- 
schiede übersahen,  welche  jene  Schöpfungsstufen  von  einander 
trennen.  ^ 

Die  Anerkennutig  der  Gleichartigkeit  ging  so  weit,  daß 
manche  Völker  die  ersten  Mensehen  aus  Bäumen  oder  Pflanzen 
gewachsen  oder  geschaffen  annahmen;  noch  in  historischer  Zeit 
verfügt  die  Sprache  und  naturwüchsige  Dichtung  der  meisten 
Nationen  über  einen  mannigfaltigen  Vorrat  von  schönen  Verglei- 
chen des  animalischen  und  des  vegetabilischen  Lebens,  welche 
teils  als  zerbröckelte  Trümmer  uralter,  auf  das  naive  Bewußtsein  '^ 
der  Identität  gegrttndeter  Mythen  anzusehen  sind,  teils  die 
ursprünglichen  ästhetischen,  in  Anschauung  umgesetzten  Empfin- 
dungen conservieren  oder  aus  der  Tiefe  des  Menschengeistes  neu 
erzeugen,  die  auch  jenen  das  Dasein  gaben.    Am  häufigsten  fin- 

1)  Daß  der  NaturmeDSch  deu  Unterschied  von  Geist  und  Körper  noch 
weni^  beachtet,  sich  mit  seinen  Nebengeschöpfen  auf  gleichem  Niveau  ran- 
jriert,  nicht  nur  Menschen,  Tieren,  Pflanzen,  sondern  auch  Steinen  und 
Hausgeräten  Seele  und  Wiederaufstehen  im  Jenseits  zuschreibt ,  auf  Tiere 
mit  Stolz  seine  Ahnenreihe  zurtickleitet  u.  s.  w.  setzt  A.  Bastian  in  Stein- 
thals Zeitschr.  f.  Völkerpsychol.  V,  153  gut  auseinander. 

MannhardL  1 


2  Grandanschaunngen. 

den  wir  auf  Zustände  in  der  Entwickelung  des  Menschen  die 
entsprechenden  Erscheinungen  des  vegetabilischen  Daseins  in 
bildlicher  Redeweise  übertragen.  Der  Mensch  blüht,  wächst  und 
welkt;  in  seiner  Vergänglichkeit  gleicht  er  dem  Grase  des  Fel- 
des; der  Mann  in  seiner  Kraft  erinnert  an  die  starke  Eiche,  das 
hingebende,  anmutige  Weib  an  den  umrankenden  Epheu,  die 
duftende  Blume.  Der  Liebende  aller  Zeiten  und  Länder  weiß 
die  Schönheit  der  Geliebten  nicht  treffender  zu  schildern,  als 
wenn  er  das  Mädchen  als  seine  Kose,  Lilie,  als  Myrte  oder 
Granatblüte  feiert  Die  reiche  Lese  verwandter  Wendungen, 
Beiwörter  und  Kosenamen,  welche  J.  Grimm  in  seinem  feinsinni- 
gen Aufsatze  „Frauennamen  aus  Blumen ^^  zusammengebracht  hat, 
ließe  sich  von  allen  Feldern  der  Weltliteratur  mit  Leichtigkeit 
ins  Unübersehbare  vermehren.  Andererseits  machen  Sprache  und 
Dichtung  umgekehrt  die  Pflanze  zum  Spiegel  animalischen  Lebens. 
Der  junge  Pflanzenschoß  im  Frühlinge  wird  dem  jungen  Tiere 
verglichen.  Dem  Römer  erschien  er  wie  ein  Kind,  Füllen  oder 
Küchlein  (puUus),  dem  Griechen  wie  ein  Kälbchen  (//oaxog);  die 
Berechtigung  dieser  Auflassung  werden  die  nachfolgenden  Unter- 
suchungen hoffentlich  dartun.  Unsere  Palmkätzchen  gehören 
einer  andern  Vorstellungsgruppe  an,  sie  tragen  ihren  Namen  von 
dem  silbergrauen,  sammetweichen  Fell;  aber  im  skandinavischen 
Norden  war  kalfr  Kalb  vom  neuen  Pflanzensproß  im  Gebrauch, 
z.B.  hvannarkälfr  Fomaldars. I,  472  r.  1  =  üng  hvönn  Engelwurz- 
schößlein, angelica  tenella.  Die  weibliche  und  männliche  Blüte 
des  Hanfs  wird  als  Hahn  und  Henne  unterschieden,  wie  das 
Männchen  und  Weibchen  mancher  Singvögel;  und  nicht  unerwähnt 
bleibe  die  auf  dem  Gebiete  der  Pflanzennamen  reichlich  und 
schon  seit  alters  hervortretende  Neigung,  die  Gestalt  der  Kräuter 
einzelnen  Gliedmaßen  der  Tiere  zu  gleichen  (Wolfsfuß,  Gansfuß, 
Storchschnabel,  Löwenzahn  u.  s.  w.).  Auch  diesmal  bietet  die 
Menschengestalt,  welche  zwar  übrigens  im  weitesten  Abstände 
von  der  am  Boden  haftenden  Pflanze  befindlich ,  durch  ihren  auf- 
rechten Wuchs  derselben  sich  wiederum  am  meisten  nähert,  die 
ausgiebigste  Veranlassung  zu  personifizierenden  Gleichnissen.  Wir 
legen  den  Gewächsen  im  Schmuck  der  poetischen  Darstellung 
gerne  Fuß  und  Arm,  Kopf  und  Augen,  Brust,  Busen,  Haar  und 
Kleidung  u.  dergl.  bei.  Reichliche  Beispiele  für  diesen  Sprach- 
gebrauch bei  neueren  deutschen  Dichtem,  Shakefpeare  und  den 


Gnmdanschannngen.  8 

Autoren  des  klassischen  Altertums  ließen  sich  aus  der  reichhal- 
tigen und  lehrreichen  Schrift  von  6.  Hense  „  Personificationen  in 
griechischen  Dichtungen,  Thl.  I.  Halle  1868"  zusammenstellen. 
Schon  diese  so  zu  sagen  teilweise  und  vorübergehende  Art  von 
Personification  setzt  Beseelung  voraus;  der  Mensch  leiht  dem 
bewußtlosen  Gewächse  Empfindung  und  weil  wir  in  demselben 
gewisse  Eigenschaften  wahrzunehmen  glauben,  die  an  verwandte 
Saiten  in  unserm  Innern  anklingen,  sucht  unsere  Phantasie  in 
ihm  ein  Leben  wie  das  unsrige,  Geist  von  unserm  Geiste.  Diese 
Vorstellung  steigerte  sich  in  früher  Vorzeit  ohne  Zweifel  zu  dem 
wirklichen  Glauben,  daß  die  Pflanze  ein  dem  Menschen  gleich- 
artiges ,  mit  Denken  und  Gesiimung  begabtes  Wesen ,  Mann  oder 
Weib  sei.  Als  später  im  primitiven  Bewußtsein  ein  Bruch  ein- 
trat nnd  eine  Art  von  botanischem  Begriff  aufzukommen  begann, 
sachte  jener  Glaube  in  veränderten  Formen  sein  Dasein  zu  retten. 
Zunächst  mußte  er  sich  von  Tag  zu  Tage  fortschreitend  eine 
Bnschränkung  auf  einzelne  Individuen  gefallen  lassen,  an  denen 
das  Wunder  noch  haftete ,  während  die  große  Mehrzahl  der  Ge- 
wächse der  nüchternen  Betrachtung  und  dem  noch  mehr  ernüch- 
ternden Gebrauche  des  wirtschaftlichen  Lebens  verfiel.  Sodann 
hieß  es  nun  entweder,  die  Pflanze  sei  der  zeitweilige  Sitz,  das 
Kleid ,  die  Hülle  einer  durch  den  Tod  aus  dem  leiblichen  Dasein 
entrückten  Menschensccle.  Kobcrsteins  trefl*lichc  Abhandlung  ^ 
hi  noch  immer  das  Beste,  was  bisher  über  diesen  (Gegenstand 
veröffentlicht  wurde.  Nach  anderer  Auifassuiig  sind  gewisse 
Pflanzen  verwandelte  Menschen  oder  Halbgötter,  deren  Bewußt- 
sein durch  Zauber  oder  Schicksalsspruch  in  ihnen  noch  fortlebt. 
Hieraus  erklärt  sich  in  weit  größcrem  umfange,  als  man  bisher 
zu  wissen  scheint,  eine  Anzahl  der  vielen  Volkssagen,  in  wel- 
chen von  einer  Metamorphose   in  Pflanzen    die  Rede   ist.  -     End- 

1)  Kobf*rstein ,  A.,  üb.  d.  Vorstellung  v.  d.  Fortleben  menschlicher  See- 
len in  der  Pflanzenwelt.  Naumburg  1849;  wieder  abgedruckt  Weimar.  Jahr- 
bwih  I,  72—100.  Vgl.  den  Nachtrag  Reinhold  Köhlers  ebd.  479  —  483, 
Herrig.  Archiv  f.  d.  Stud.  der  n.  Spr.  XVII,  444.  Sitzungsberichte  der  Wie- 
ner Akad.  18oG.  XX,  94.  Slavische  Beispiele  bei  Grohniann,  Abergl.  a. 
Böhmen  193,  1361.     93,  648. 

2)  Gute  und  richtige  Bemerkungen  über  diesen  (legenstand  machte 
B.  Schmidt  in  .s.  hübschen  Aufsatz  übor  Caldcrons  Behandlung  antiker  My- 
then im  Khein.  Museum  X.  18.%,  p.  :>41 :  „Jener  Glaube  (an  Verwandlungen 
von  Menschen  in  Pflanzen)  wurzelt  durchaus  in  einem  Gefühle  der  alten  Völ- 

1* 


4  Grundanschanongen. 

lieh  eine  dritte  Ansehauungs weise  weiß  von  einem  geister- 
haften Wesen,  einem  Dämon,  dessen  Leben  an  das 
Leben  der  Pflanze  gebunden  ist  Mit  ihr  wird  er 
geboren,  mit  ihr  stirbt  er.  In  ihr  hat  er  seinen  ge- 
wöhnlichen Aufenthalt,  sie  ist  gleichsam  sein  Kör- 
per und  doch  erscheint  er  vielfach  auch  außer  ihr  in 
Tier-  oder  Menschengestalt  und  bewegt  sich  in 
Freiheit   neben   ihr. 

Eine  Abart  dieser  Vorstellung  tritt  uns  entgegen  in  Form 
der  Annahme,  daß  der  Dämon  nicht  der  einzelnen  Pflanze,  son- 
dern einer' Vielheit  derselben,  oder  der  gesammten  Vegetation 
einwohne  und  darum  auch  nicht  im  Herbste  mit  den  einzelnen 
Gewächsen  vergehe ,  sondern  irgendwo  überwintere  und  im  neuen 
Jahre  sein  Leben  in  der  Natur  weiteritihre.  Einmal  aus  der 
Pflanze  herausgetreten,  wird  der  Dämon  endlich  zuweilen  im 
Fortschritte  der  Entwickelung  zum  Geber  oder  Schöpfer  ihres 
Lebens,  er  ist  und  webt  nun  nicht  sowohl  in  der  Vegetation,  er 
bringt  dieselbe  hervor. 

Die  auf  vorstehenden  Blättern  nach  verschiedenen  Stufen 
gesonderten  Anschauungen  gehen  in  der  Wirklichkeit  meistens 
in  einander  über.  Das  Volksgedächtniß  bewahrt  sie  neben  ein- 
ander oder  verbindet  sie  oder  ihre  Spielarten  in  mannigfaltigster 
Weise  zu  neuen  Grebilden.  Der  Verfasser  meint  dartun  zu  kön- 
nen, daß  auf  der  Entwickelung  dieser  Grundanschauungen  ein 
nicht  geringer  Teil  des  GLiubeus  und  Brauches  der  europäischen 
Menschheit  und  zwar  sowohl  der  nordeuropäischen  Stämme,  als 
der  Hellenen  und  Italer  beruhte.  Das  vorliegende  Buch  ist 
bestimmt,  dem  Erweise  dieses  Satzes  zunächst  in  Bezug  auf  die 
nordeuropäischen  Baum-  und  Waldgeister  zu  dienen. 


ker,  das  der  Deueren  Zeit  volbV  fremd  ist.  in  ihrer  religiösen  Sympathie  mit 
der  Natur.  Vermöge  dieser  empfanden  sie  die  Pflanze  wie  den  Stein  und 
das  Gewässer  als  indiTidceU  begeistet.  dagegen  den  Meii^hen  auch  in  seinem 
geistigen  und  sittlichen  Dasein  als  eine  Gestalt  der  Natar.  brachten  also  far 
ihre  Betrachtung  das  Naturleben  und  das  Leben  der  Menschen  in  ein  Ver- 
}i&ltniß  innerer  Gleichartigkeit  nnd  gemütlicher  Nähe  and  sahen  darum  auch 
die  Schranken  zwischen  dem  einen  und  dem  andern  als  leicht  überschreitbar  an/' 


Kapitel  I. 

Die  Baiimseele. 

§.  1.     Glelchsetznng   des  Menschen  und   der   Pflanze. 
Terschledenc  Formen  dieses  Glaubens.    Wir  wenden  uns  zu- 
Dichst  der  Betrachtung  einer  Reihe  germanischer,  lettoslavischer 
od  keltisch  -  romanischer  Anschauungen  und  Bräuche  zu ,  welche 
ms  darüber  belehren,  wie  und  in  welcher  Weise  der  Gedanke, 
daß    die   Pflanze    beseelt  sei,    in  Bezug  auf  die  Bäume  weiter 
ind  in  mannigfachen  Formen  bis  zu  so   völliger  Gleichstellung 
mit  den  Menschen  hinausgesponnen  und  entwickelt  wurde,   daß 
die  einen  so  zu  sagen  als  vollendete  Doppelgänger  der  andern 
auftreten.     Schon  im*  anthropogonischen  Mythus  nehmen  wir  eine 
Art  solcher  Gleichsetzung  wahr;  eine  andere  äußert  sich  in   der 
Behandlang  des   Baumes  als  persönliches  Wesen.    Die  Identifi- 
zierung erstreckt  sich  zuweilen   sogar  auf  eine  imaginäre   Ver- 
schmelzung   der    Körperlichkeit    von    Mensch    (oder    Tier)    und 
Pflanze,   und  ftihrt  zu  der  Annahme,   daß   der  Baum  der  Körper 
einer   durch  den  Tod  dem  Mcnschenlcibe  entrückten  Seele,  der 
Wohnsitz  mehrerer  Elfen  oder  eines  Schutzgeistes  sei,  der  wieder- 
um   kaum   von  einem  alter  ego  des  Menschen  zu   unterscheiden 
sein  möchte.    Zuweilen  führt  die  Baumseele  oder  der  Baumgenius 
auch    schon  ein  Leben  außer  dem  Baumleibe  in  Sturm  und  Un- 
wetter ,  in  Wald  und  Feld.    Da  wir  die  in  diesen  Ueberlieferungen 
lichr  scharf'  und   deutlich  zu  Tage  tretenden  Verhältnisse  später 
einmal    vorzugsweise    zum    Verständniß    von    Komgeistem    ver- 
gleichend  zu   nutzen  gedenken,   gestatten   wir  uns  hier   bereits 
gelegentlich    von    selbst    aufstoßende    Uebercinstimmungeu    der 
Ikiumsage    mit   dem   an   das  Getreide   geknüpften  Volksglauben 
vorzumerken.     Und  auch  das  möge  den  Leser  nicht  stören,  wenn 
er  (da  sich  ein  anderer  Platz  dazu  nicht  eignete)  in  die  Darlegung 
des   Baamglaubens   nordeuropäischer   Stämme  nicht  ganz   selten 
auch  einzelne  Analogien  aus  fernen  Ländern  und  Weltteilen   ein- 


6  Kapitel  I.    Die  Baamseele: 

geflochten  findet.  Es  geschähe  gegen  unseren  Willen,  wenn 
durch  Schuld  dieser  Einschaltungen  das  Bild  des  nordischen 
Banmcultus  sich  in  einen  verschwimmenden  Allerweltsnebel  auf- 
lösen würde.  Wir  stimmen  vollkommen  den  goldenen  Worten 
Th.  Mommsens  zu  (Rom.  Chronologie):  „das  über  die  Kluft  der 
Nationen  hinweggerichtete  Auge  erfaßt  nur  allzuleicht  der  Schwin- 
del und  man  vergißt  den  wahren  und  hauptsächlichsten  Grund- 
,8atz  aller  historischen  Kritik,  daß  die  einzelne  historische 
Erscheinung  zunächst  im  Kreise  der  Nation,  der  sie  angehört, 
geprüft  und  erklärt  werden  soll  und  erst  das  Resultat  dieser 
Forschung  als  Grundlage  der  internationalen  dienen  darf."  Inso- 
fern es  sich  aber  bei  unseren  Zusammenstellungen  zunächst  noch 
nicht  um  die  Darlegung  irgend  welcher  historischen  Verwandt- 
schaft, sondern  um  die  Beschreibung  von  Typen  handelt,  so 
bedienen  wir  uns  desselben  Vorteils,  den  etwa  der  Botaniker 
genießt,  wenn  er  die  Coniferen  Europas  und  Amerikas  mitein- 
ander vergleichen  kann.  Die  Beobachtung  gewisser  gleicher 
Eigenschaften  bei  beiden  macht  klar,  daß  dieselben  zum  Wesen 
der  Gattung  gehören.  Gleichartigkeit  der  Vorstellungen  über  den 
nämlichen  Gegenstand  in  zwei  verschiedenen  Zonen  läßt  zumeist 
auf  eine  gewisse  psychologische  Notwendigkeit  derselben  schließen 
und  die  eine  erläutert  die  andere.  Nur  als  ein  solches  die  Natur 
und  den  Sinn  der  nordeuropäischen  Traditionen  durch  Analogie 
erläuterndes  Material  wünscht  der  Verfasser  Einschiebsel  aus  der 
Fremde  betrachtet  zu  sehen. 

§.  2.    Hensch  und  Baum.    Olelehniß  im  Hävamäl.    Die 

germanische  Welt  hat  die  Gleichung  Mensch  und  Pflanze  zur 
mannigfachsten  Entfaltung  gebracht.  Auch  abgesehen  von  jeder 
mythischen  Verkörperung  war  dieselbe  in  unserer  Poesie  von 
alters  her  lebendig.  Wie  neuerdings  Schiller  den  von  seinen 
Anhängern  verlassenen  Wallenstein  einen  entlaubten  Stamm  nennt, 
hatte  z.  B.  schon  ein  altnorwegischer  Gnomendichter,  dessen  Sinn- 
spruch man  später  dem  Odhinn  in  den  Mund  legte,  gesagt:  der 
Baum,  der  einsam  im  Dorfe  steht,  stirbt  ab  und  nicht  Laub  noch 
Rinde  halten  ihn  türder  warm;  so  ist  der  Mann,  den  niemand 
liebt,  was  soll  er  länger  leben?*) 


*)   Hävam.  50.    Vgl.  Egüson,  lex.  poet.  S.  915,  der  übrigens  parpi  d 
abweichend  in  colli  verstanden  wissen  will. 


Anthropogoiusoher  Mjthos  von  Askr  and  Enibla.  7 

§.  3.    Anthropogonisehfr  Mythus  ron  Askr  und  Embla. 

Jahrhunderte  bevor  dieses  Stttckchen  Volksweinheit  sein  poeti- 
sches Gewand  erhielt,  mag  der  bekannte  anthropogonische  Mythus 
von  Askr  und  Embla  entstanden  sein.  Derselbe  ist  jedoch  —  ich 
folgere  dies  aus  psychologischen  Gründen  —  unmöglich  in  der 
ans  Yorliegenden  Form  zuerst  entsprungen,  sondern  wir  besitzen 
ihn  in  einer  Gestalt,  welche  erst  das  ErgebniB  mehrfacher  Um- 
wandlungen im  Hunde  der  Dichter  gewesen  zu  sein  scheint.  Wie 
die  Urform  lautete,  werden  wir  verstehen,  wenn  wir  die  noch 
einfachere  Gestalt  entsprechender  Sagen  bei  anderen  Völkern  in 
Vergleich  ziehen. 

Bekanntlich  läßt  eine  der  eranischen  Kch(>pfungssagen,  aus 
denen  die  Cosmogonie  des  Buudehesch  zusammengesetzt  ist,  das 
erste  Menschenpaar  Maschia  und  Maschiana  in  Gestalt  einer 
Reivaspflanze  (rhcum  ribes)  aus  der  Erde  emporwachsen.  Sie 
machten  ursprünglich  ein  ungetrenntes  Ganze  aus  und  trieben 
Blätter;  in  der  Mitte  bildeten  sie  einen  Stamm,  oben  aber  umarm- 
ten sie  sich  dergestalt,  daß  die  Hände  (Zweige,  Aeste)  des  einen 
sich  um  die  Ohren  des  andern  schlangen.  Erst  später  wurden 
&ie  von  einander  getrcmit.  In  diesen  K()rper  goß  Ahuramazda 
die  zuvor  bereitete  Seele  und  sie  wuchsen  zur  Meußchcngestalt, 
indem  jener  Glanz  geistiger  Weise  zum  üurehbruch  kam,  der 
die  Seele  kundgiebt.  *  Diese  weder  dem  Avesta,  noch  den 
ahen  von  Firdosi  benutzten  Quellen  bekannte  Anthropogonie  * 
macht  gleich wol  auf  hohes  Altertum  Anspruch,  insofern  sie  noch 
ziemlieh  unverändert  jene  früheste  xinschauungsstufe  vor  Augen 
stellt,  wonach  Mensch  und  Pflanze  gleiches  Wesens  waren,  und 
unmittelbar  in  einander  übergingen.  Eine  ganz  ähnliche  Vorstel- 
lung begegnet  bei  den  den  Eraniern  allem  Anseheine  nach  nah- 
verwandten Phrygem  im  Stromgebiete  des  Saugarios.  Ihnen  gal- 
ten die  Korybanten  als  die  ersten  Menschen ;  die  Sonne  beschien 
sie  zuerst,  als  sie  baumartig  ((JcjJ^or/^rfc/c:)  emporsproßten.  ^  Wir 
wissen  nicht,  wie  sich  der  Kationalismus  einer  späteren  Zeit  den 
in  der  Mythe  ausgesprochenen  Ueliergang  des  Üaunies  in  die 
Menschengestalt  in  diesem  Falle  zurechtlegte.  Nach  den  Sioux, 
die    gleich    den    Karaibcn    und   Antillenindianern    ebenialls    die 

1 )  S.  ßundebescli  Cap.  15.     Wiiidischmaun ,  Zoroastr   Studicu  »S.  213. 
-J)  S.  Spiegel,  Eranische  Altertuinskun lo  1,  457.  473  fgg. 
3)  Findar  bei  Hippolyt,  Philoa.  p.  *a6.  Miller. 


8  Kapitel  I.    Die  Banmseele: 

Stammeltem  im  Anfange  als  zwei  Bäume  entstehen  ließen,  stan- 
den diese  viele  Menschenalter  hindurch  mit  den  Füßen  im  Boden 
haftend,  bis  eine  große  Schlange  sie  an  den  Wurzeln  benagte, 
worauf  sie  als  Menschen  weggehen  konnten.  ^  Diesen  Beispielen 
entsprechend  wird  auch  der  germanische  Mythus  die  Urahnen 
anfänglich  nicht  aus  todten  Hölzern,  sondern  aus  lebendigen 
aus  der  Erde  aufsprießenden  Bäumen  (einem  mit  einem 
männlichen  Namen  und  einem  mit  weiblicher  Benennung)  haben 
hervorgehen  lassen;  später  hat  er  dann  zur  Motivierung  der 
freien  Beweglichkeit  des  Menschen  eine  Umänderung  dahin 
erfahren,  daß  drei  kräftige  und  liebreiche  Götter  am  Strande 
zwei  über  Meer  von  den  Wellen  ans  Land  getriebene  Bäume 
(Askr  und  Elmja  (?),  Esche  und  Ulme  (?)  fanden  und  den 
noch  Schicksalslosen  Geist,  Sprache,  Blut  und  blühende  Farbe 
einflößten.  Die  belebten  Bäume  Askr  und  Elmja  (?  fem.  zu  almr 
Ulmbaum)  waren  die  Stammeltem  aller  Menschen,  Uns  ist  diese 
Erzählung  nur  in  einer  zweiten  Umformung  bewahrt,  in  welcher 
der  schwer  über  die  Zunge  gleitende  Name  der  Stammmutter 
durch  Metathesis  mundrecht  gemacht  und  so  in  den  geläufigeren 
Embla  (aus  Emla  =  amlja  die  arbeitsame)  verändert  ist.  *  Auf 
den  von  uns  flir  die  Grundform  dieser  Schöpfungssage  voraus- 
gesetzten primitiven  Standpunkt  d.  h.  bis  nahezu  an  die  Schwelle 
wirklichen  Glaubens  an  die  Identität  von  Mensch  und  Pflanze 
würden  uns  gewisse  der  Skaldenpoesie  geläufige  Metaphern 
zurückweisen,  falls  nicht  deren  unmittelbarer  Zusanmienhang  mit 
der  Naturpoesie  sehr  zweifelhaft  wäre.  ^ 


1)  CatliD,  lettrcs  and  notes  ou  the  manners  castoms  and  conditions  of 
the  North  -  America  Indiana,  2.  ed.  ü,  289.  Andere  Stammsagen  der  India- 
ner, z.  B.  diejenige  der  Tamanaken  in  Guyana,  welche  die  Uteltern  aus  den 
Kernen  der  Mauritiuspalme  entsprießen  läßt  (Ausland  1872,  S.  372),  scheinen 
über  die  Art  und  Weise ,  wie  die  Trennung  der  als  JBäume  geborenen  Pro- 
toplasten vom  Mutterschoß  der  Erde  erfolgte,  sich  ebensowenig  auszuspre- 
chen, als  die  phrygische  Sage  bei  Pindar. 

2)  Völuspä  Str.  17  fgg.  Vgl.  Uhland,  Schriften  z.  Gesch.  d.  Dichtung 
und  Sage  VI,  189. 

3)  In  der  altnorwegischen  und  altisländischen  Skalden poesie  werden 
nämlich  der  Mann  durch  alle  männlichen  Baumnamen  (vidr,  meidr  Baum, 
hlynr,  Platane,  askr  Esche,  ro^^nir  Vogelbeerbaum,  das  Weib  durch  alle 
weiblichen  Baumnamen  björk,  lind,  eik,  Birke,  Linde,  Eiche  u.  s.  w.  bezeich- 
net und  durch  Hinzufiigung  eines  Kennworts  näher  determiniert.    Ausdrücke 


Der  Baum  als  Penon  behandelt  9 

§.  4.  Ber  Banm  als  Person  behandelt.  Beraht  der 
anthropogonische  Mythos  der  Nordgermanen  auf  der  Anschauung 
„der  Mensch  ist  wie  ein  Baum'^,  so  haftet  der  umgekehrte  Ver* 
gleich  „  der  Baum  ist  wie  ein  Mensch  '^  nicht  minder  tief  in  dem 
Yolksglanhen  sowol  der  skandinavischen  als  der  deutschen  Stämme, 
denen  sich  slarische  und  finnische  Nachbarn  anschließen.  Schon 
anf  den  untersten  Stufen  zeigt  sich  diese  Vorstellung  in  verschie- 
denen Formen  y  fast  überall  jedoch  —  wo  sie  auftritt  —  hat  sie 
den  Standpunkt  der  reinen  Identität  bereits  verlassen  und  als 
Beimischnng  die  Annahme  eines  dem  Menschen  zwar  ähnlichen, 
aber  geheimniBvoUen  und  übematttriichen  Wesens  erhalten.  Am 
tiehsten  kommt  es  jenem  ursprünglichen  Standpunkt,  daß  der 
Mensch  den  Banm  selbst  ganz  als  eine  ihm  gleich  stehende  oder 
ibergeordnete ,  mit  individuell  bestimmtem  Character,  mit  mensch- 
Eefaem  Ethos  begabte  Persönlichkeit  behandelt  und  anredet.  Man 
kündigt  in  Westfalen  den  Bäumen  den  Tod  des  Hausherrn  an, 
indem  man  sie  schüttelt  und  spricht:  „der  Wirt  ist  todt".'  Die 
mährische  Bäuerin  streichelt  den  Obstbaum  mit  den  von  Berei- 
tong  des  Weihnachtsteiges  klebrigen  Händen  und  sagt:  „Bäum- 
chen  bringe  viele  Früchte".*  Man  springt  und  tanzt  in  der  Syl- 
vestemacht  um  die  Obstbäume  und  ruft: 

Freae  ju  Bönio 

Ntijär  ist  komen! 

Dit  Jär  ne  Kare  vull, 

Up  et  Jär  en  Wagen  vull!  ^ 

Zwischen  Eslöf  und  Sallerup  im  Haragers  Härad  in  Schwe- 
den befand  sich  noch  1624  ein  Hain,  den  eine  Kiesenjungfrau 
gesät  haben  sollte;  darin  gab  es  eine  Eiche,  die  Gyldeeiehe, 
worin   in  alten  Tagen  viel  Spukerei  gespürt  war.    Wer  irgend 

wie  elmci'fr  fctilpelar  Baura  des  Schwcrt^rsturms  d.  i  Held  könnten  sehr 
wjlil  von  dem  Bilde  des  im  Sturme  Stand  haltenden  Baumes  hergenommen 
and  zu  anderen  Umschreibungen  Anlaß  geworden  sein.  Nach  Snorris  mit 
•iern  künstlichen  Character  jener  Dichtergattung  übereinstimmender  Erklä- 
rung (Skäldskaparm.  31.  47.)  soll  jedoch  der  in  Kode  stehende  Sprachge- 
brauch statt  ursprünglich  in  einfacher  Naturpoesie  zu  wurzeln,  das  Product 
einer  techniHchen  Spielerei  sein.  Nur  eine  chronologische  Untersuchung  der 
erhaltenen  Reste  der  Skaldeupoesie  könnte  die  Frage  möglicherweise  zur 
Entscheidung  bringen. 

1)  Vgl.  A.  Kuhn,  Westfäl.  Sagen  II,  52. 

2)  V.  Grohmann ,  Aberglaube  aud  Böhmen  S.  87. 

3)  K.  Seifart,  Hildesheim.  Sag.  n,  137. 


10  Kap.  I.    Baufflseele: 

vorbeiging,  grüßte  den  Baum  mit  Ehrerbietung  „Guten  Morgen 
Gyide!"  „Guten  Abend  Gylde!"^  Allem  Anscheine  nach  auf 
einstigem  Gebrauche  ruht,  was  der  Tiroler  vom  Holunder  sagt: 
„der  Holer  ist  ein  so  edler  Baum,  daß  man  vor  ihm  den  Hut 
abnehmen  [soll."  ^  Die  Holzarbeiter  in  der  Oberpfalz  reden  von 
den  Waldbäumen  wie  von  Personen;  zieht  der  Wind  durch  die 
Baumkrone,  so  „neigt  sie  sich  und  beginnt  zu  sprechen";  die 
Bäume  „verstehen  sich".  Der  Baum  „singt",  wenn  die 
Luft  durch  seinen  Wipfel  streicht;  nur  ungern  „läßt  er  sein 
Leben";  unter  dem  Axtschlag  „seufzt",  zu  Boden  fallend 
„stöhnt"  er.  Ein  Förster  stritt  mit  dem  Herrn  des  Waldes, 
welche  von  den  zwei  schönen  Buchen  vor  ihnen  gefällt  werden 
solle.  Da  beugten  sich  beide  Bäume  seufzend  hin  und  wieder. 
„Wer  hat  geseufzt?"  rief  der  Herr.  Es  war  aber  niemand  da, 
der  Antwort  gab.  Furcht  trieb  sie  von  dannen  und  die  herrlichen 
Bäume  blieben  verschont.  Noch  jetzt  bitten  die  Holzfäller 
den  schönen  gesunden  Baum  um  Verzeihung,  ehe  sie 
ihm  „das  Leben  abtun".^ 

§.  5.  Die  Holanderinnttcr ,  die  Esclienfran  und  ilu*c 
Sippe.  Trogill  Arukiel,  ,cin  gebomer  Nordschleswiger  und  Pastor 
zu  Apenrade  erzählt  1703,  daß  in  seiner  Jugendzeit  (wie  er  öfters 
gehört  und  gesehen)  niemand  es  wagte,  frischweg  einen  Elhorn- 
baum  (Holunder)  zu  unterhauen,  sondern  wo  sie  denselben  unter- 
bauen (d.  i.  die  Aeste  stutzen)  mußten,  so  pflegten  sie  vorher  mit 
gebeugten  Knien,  entblößtem  Haupte  und  gefalteten  Händen  dies 
Gebet  zu  tun:  „Frau  Elhorn  gib  mir  was  von  deinem 
Holtze,  denn  will  ich  dir  von  meinem  auch  was  geben, 
wann  es  wächst  im  Walde."* 

Die  Wahrheit  dieser  Erzählung  erhärtet  eine  Aufzeichnung 
aus  Dänemark  v.  J.  1722:  Paganismo  ortum  debet  super- 

1)  Hylten  -  CavalUiis,  Värend  och  Virdarne.     Stockholm  18G3.    I,  36. 

2)  Zingerle ,  Sitten ,  Branche  und  Meinungen  des  Tiroler  Volkes.  Aufl.  2. 
S.  105,  897.  Vgl. :  Vörm  höllerkenstrük  maut  meu  'n  haut  afniäinen.  Kuhn, 
Westf.  Sag.  II,  189,  533. 

3)  Schönwerth,  aus  der  Oberpfalz  U,  335.  Bavaria  II,  23  i.  Es  fragt 
sich  nur,  ob  Schönwerths  aus  Neuenhammer  stammender  Bericht  durch- 
aus ungefärbt  sei.  Vergl.  die  übrigen  mit  Neueuhanimer  bezeichneten  Stücke 
in  der  verdienstlichen  Sammlung. 

d)  Trog.  Arnkiel,  außführliche  Eröffnung  u.  s.  w.  B.  I.  Cimbrische  Hey- 
denreligion.     Hamburg  1703.    S.  179. 


Die  Holnndermattor,  die  Eschenfrau  und  ihre  Sippe.  11 

stitio,  sambucnm  non  esse  exscindendam,  niaiprius 
rogata  permissione  hisverbis:  mater  sambuci,  mater 
sambaci  permitte  mihi  tuam  caedere  silvam.^'^  Der 
dänische  Name  des  angeruienen  Wesens  lautet  Hyldemoer,  es 
wird  auch  sonst  erwähnt,  daß  man  dreimal  hinter  einander  eine 
der  Amkielschen  fast  wörtlich  entsprechende  Formel  aassprechen 
müsse,  ehe  man  etwas  vom  Holunderbaom  breche.*  In  Schonen 
spricht  man  ebenso  von  der  Hyllefroa  (Holnnderfrau),  in 
Ljonitshärad  ebendaselbst  von  der  Askafroa  (Eschenfrau).  Am 
Asehermittwochsmorgen  [askons  dags  morgen ,  diese  Zeit  ist  nur 
wegen  des  zufälligen  Gleichklangs  mit  ask  Esche  gewählt]  opfer- 
ten die  Alten  der  Askafroa,  indem  sie  vor  Sonnenaufgang  (denn 
iann  sind  die  Geister  rege)  Wasser  über  die  Wurzeln 
des  Baumes  ausgössen  mit  den  Worten:  nu  offrar  jag, 
si  gör  du  oss  ingen  skada.  Nun  opfere  ich,  tue  uns 
keinen  Schaden!  Wer  einen  Holunderbaum  beschädigte  oder 
Tenmreinigte,  bekam  eine  Krankheit,  Hylleskäl  genannt,  dagegen 
bOtete  man,  indem  man  Milch  über  die  Wurzeln  des 
Baumes  ausgoß,^  d.h.  durch  ehrerbietige  Speisung  des  im 
Baume  verkörperten  Namens  den  begangenen  Fehler  wieder  gut 
machte.  Den  Dänen  ist  auch  eine  Ellefru  (Eilerfrau)  bekannt, 
die  im  Elrlenbaum  (eile)  lebt*  In  der  Smäläudischen  Landschaft 
Värend  heißt  das  der  Holunderfrau  und  Esehenfrau  entsprechende 
Wesen    in  gewissen  Laubbäumen   Löfviska.  * 

In  der  Mehrzahl  dieser  Beispiele  erscheint  der  mit  reli- 
giöser Scheu  geehrte  Dämon  auch  als  der  mit  Denkkraft  und 
Sinnen  ausgerüstete  Baum  selbst;  nicht  anders  verschieden  steht 
der  Baumgeist  dem  Holze  gegenüber,  als  der  menschliche  Ueist 
dem  menschlichen  Körper.  Auch  da  noch  bilden  Baum  und 
Baumgeist  eine  geschlossene  Einheit,  wo  von  dem  Holunderbaum 


^  1)  Thiele,  Danske  Folkesagn.   Aufl.  1.  III,  119 --120.    Danach  Grimm, 
Mvth.'  CXVl. 

2)  J.  Boesens,  Beskriv.  over  Helsingöer  S.  23.  Bei  Thiele,  Danmarks 
Folkesagn.    Aufl.  2.    II,  283. 

3)  Hylten  -  Cavallius ,  Värend  och  Virdarne  1 ,  310.  Vgl.  noch  Pehr 
Loven,  Dissert.  de  Gothungia.  Londini  Gothorum  1715,  p.  20:  llyllfruen, 
qaam  elTaso  lacte  placavit  iucolarum  vesania. 

4)  Sv.  Grundtvig,  Gamle  Danske  Minder  i  Folkemunde  I,  1854,  S.  15, 

5)  HylteD  -  Cavallias  a.  a.  0. 


12  Kapitel  I.    Die  Banmseele: 

auf  einem  dänischen  Pachthofe  erzählt  wird,  der  oflk  in  der 
Dämmerung  spatzieren  gehe  und  durch  das  Fenster  gucke, 
wenn  die  Kinder  allein  im  Zimmer  sind.  *  Diese  Erzählung  ist 
der  einfache  Widerschein  der.  tiefen  Furcht,  welchen  abergläu- 
big erzogene  Kinder  vor  jenem  Baume  als  einem  gespenstigen 
Wesen  hegten. 

§.  6.  Nieder  litauische  Waldgeister.  Der  Glaube,  daß 
der  von  seinem  Geiste  erfüllte  Baum  schaden  könne  (s.  o.  die 
Askafroa)  kehrt  auch  sonst  wieder.  Zwischen  1563  —  15'70 
bemühte  sich  der  Revisor  von  Niederlitauen,  Jacub  Laszkowski, 
die  noch  stark  in  heidnischen  Anschauungen  befangenen  Zemaiten 
von  ihrem  Aberglauben  abzubringen.  „Jussi  autem  a  Lascovio 
arbores  exscindere,  invitissimi  id,  nee  prius  quam  ipsemet  inchoa-' 
ret  fecerunt.  Deos  enim  nemora  incolere  persuasum  habent;  Tum 
unus  inter  alios  percontari,  num  etiam  decorticare  arbo- 
res liceret.  Annuente  praefecto  aliquot  magno  nisu  haec 
repetens  decorticavit:  Vos  me  meis  anseribus,  gallis- 
que  gallinaceis  spoliastis;  proinde  et.e'go  nudas  vos 
faciam.  Credebat  enim  demens  deos  rei  suae  familiär! 
perniciösos  intra  arbores  et  cortices  latere.* 

§.  7.  Baum,  Hensclienlelb  und  Erankheltsdämoneii. 
Ein  merkwürdiger  französischer  Brauch  aus  der  Nähe  der  Pyre- 
näen  schließt  uns  das  Verständniß  dieses  litauischen  Glaubens 
auf.  Lorsque  les  habitants  du  canton  de  Labruguiere  (Montagne 
noire)  ont  un  animal  malade  de  quelque  plaie  envahie  par  les 
vers,  ils  sc  rendent  dans  la  campagne  aupres  d'un  pied  de  yeble, 
Sambucus  ebulus,  et  tordant  une  poign^e  de  cette  plante 
dans  leurs  mains ,  ils  lui  fönt  un  grand  salut  et  lui  adressent  les 
paroles  suivantes  en  patois:  „Adiii  sies,  mousu  Taoüssier, 
8^  ne  trases  pas  lous  bers  de  moun  berbenier,  vous 
coupi  la  cambo,  mai  lou  pey."  Ce  qui  veut  dire:  „Bon- 
jour  monsieur  le  yeble,  si  vous  ne  sortez  pas  les  vers  de  Teudroit 
oü  ils  sont,  je  vous  coupe  la  jambe  et  le  pied."  Cette  menace 
efiFectu($e,  la  guerison  est  assurec  ou  peu  s*en  faut.^  So  weit 
de  Nore's  Mitteilung.    Der  Askafroa ,  den  niederlitauischen  Baum- 

1)  J.  M.  Thiele,  Danmarks  Folkesagn.    Kjobenhavn  1843.  D.H.  S.283. 

2)  Laszkowski  bei  Job.  Lasitius  de  diis  Samagitarum  46  (p.  10  Mann- 
hardt). 

3)  De  Nore .  contames  mythes  et  traditions  des  proTinces  de  France  p.  102. 


Banm,  Menschenleib  und  Krankhcitsdämonen.  13 

dSmonen^  dem  Monsieur  le  y^ble  wurde  die  Macht  zugeschrieben^ 
Menschen  und  Tieren  zu  schaden.  Dies  geschah  —  wie  der  franzö- 
fflsdie  Bericht  in  Verbindung  mit  dem  litauischen  lehrt  —  dem  Volks- 
glauben nach  vermittelst  der  Insekten  von  mancherlei  Gestalt  und 
Farbe,  welche  in  und  unter  Rinde,  Stamm  und  Wurzehi  der  Bäume 
and  Kräuter  ihren  Auienthalt  haben.  Man  warf  dieses  Gewürm  näm- 
lich mit  den  bösen  Geistern  in  Wurmgestalt  zusammen,  welche 
nadh  einer  uralten  schon  bei  den  Indem  in  dem  Atharvayeda  und 
in  den  Grihyasutras  ganz  ähnlich  wie  unter  den  Germanen  ent- 
wickelten Vorstellung  sich  als  Schmetterlinge,  Kaupen,  Bingel- 
wfirmer,  Kröten  u.  s.  w.  in  den  menschlichen  oder  tierischen  Kör- 
per einschleichen  und  darin  als  Parasiten  verweilend  die 
Terschiedensten  Krankheiten  (z.  B.  Schwindsucht,  Kopfweh, 
Magenkrampf,  Zahnweh,  besonders  nagende,  bohrende  und  ste- 
chende Schmerzen  u.  s.  w.)  hervorbringen  sollten.  *    Der  Glaube 


1)  \gL  Myth.«  1109.  1115.  1122.  1184.  Kahn,  Ztechr.  f.  vgl.  Sprachf. 
1111,63—74.  135  —  151.  Töppeo,  Abergl.  a.  Masuren«  22—28.  Groh- 
mann,  Abergl.  aus  Böhmen  I,  147  fgg.  1.53.  Wuttke,  Abergl.«  §.  231,  S.  161. 
Wie  von  Motten  und  Kaupen  im  Kopfe,  spricht  man  vom  Fingerwurm,  Herz- 
wnrm ,  Fleischwurm ,  Beinwurm ,  Markwurm ,  Haarwurm  (Gicht)  u.  s.  w.  In 
einem  altsächsischen  Segen  wird  der  Wurm  nesso  (nhd.  Nösch,  laufende 
Gicht)  mit  seinen  9  Jungen  beschworen,  aus  Fleisch  und  Haut  des  spad- 
iahmen  Bosses  zu  entweichen;  eine  Pferdekrankheit  heißt  der  blasende  Wurm 
u.  s.  w.  (Myth.*  1115.  Müllenhoff  u.  Scherer,  Denkm.  IV.  5.  S.  8.  2G7).  Auch 
in  Palästina  und  wahrscheinlich  in  ganz  Vorderasien  schrieb  der  Volksglaube 
Unterleibs krankheiten  verzehrenden  Würmern  (S.  Ewald,  Gesch.  d.  Volkes 
Lsrael,  2.  Ausg.  1858.  B.  VII,  S.  332),  wie  überhaupt  die  Krankheiten  bösen 
Geistern  zu,  die  den  Körper  als  Schmarotzer  in  Besitz  nehmen.  Vgl.  z.  B. 
die  7  Teufel,  von  denen  Maria  Magdalena  besessen  war  (Marc.  IG,  9).  Ueber 
Aegypten  s.  Zs.  f.  d.  Myth.  IV,  254  fgg.  Nicht  minder  wiederholt  sich  die 
Vorstellung  bei  verschiedenen  wilden  Völkerschaften.  Nach  der  Behauptung 
der  Medicinmänner  bei  den  Mundurucus  in  Brasilien  entstehen  die  meisten 
Krankheiten  durch  einen  Wurm,  den  der  Medicinmann  entfernt,  indem  er 
die  leidende  Stelle  mit  Tabacksrauch  dampft  und  sie  dann  saugt.  Nachher 
zieht  er  einen  Wurm  aus  dem  Munde,  der  aber  nichts  anderes  ist,  als  die 
weiße  Luftwurzel  einer  Pflanze.  Globus,  1871,  XX,  S.  201.  Auch  die  Häupt- 
linge der  Chiquitos  in  Oberperu ,  die  zugleich  Aerzte  sind ,  heilen  die  Krank- 
heiten durch  Aussaugen  des  leidenden  Teiles,  weil  man  denkt,  daß  sie  durch 
Tiergeister  entstehen,  die  in  den  Leib  des  Kranken  ihren  Weg  gefunden 
haben  und  ihn  von  innen  zernagen.  Waitz,  Anthropologie  der  Naturvölker, 
III,  S.  531.  Die  Tahitier  schreiben  ilire  innerlichen  Schmerzen  Dämonen  zu, 
die  in  ihnen  sind  und  ihre  Eingeweide  in  Knoten   binden.    In  Folge  ahn- 


14  Kapitel  I.    Banmseele: 

an  dieses  Gewürm  beraht  auf  einem  ganz  einfachen  psychologi- 
schen Vorgange  und  erzeugt  sich  häufig  auch  jetzt  noch  in  den 
Fieberphantasien  sonst  ganz  gebildeter  Kranker  auf  Momente 
wieder.  Aus  dem  wilden  Walde,  meinte  man,  kämen  diese  Gei- 
.  ster,  welche  häufig  Elbe  genannt  werden,^  zu  Menschen  und  Vieh.* 
Der  Baum,  dessen  Rinde  sie  beherberge,  entsende  sie  entweder 
aus  Lust  am  Schaden,  oder  um  sie  loszuwerden,  weil  sie  in  sei- 
nem eigenen  Leibe,  wie  in  den  Eingeweiden  des  Menschen  ver- 
zehrend wüteten. 

Wie  der  Baum  oder  Baumgeist  das  krankheitserzeugende 
geisterhafte  Ungeziefer  (Eiben  u.  s.  w.) '  schickt ,  kann  er  es  wie- 
der zurücknehmen.  Deshalb  umwandelt  man  z.  B.  bei  Zahn- 
schmerzen einen  Birnbaum  rechts  und  umfaßt  ihn  mit  den  Worten: 

Birnbaum,  ich  klage  dir» 
Drei  Würmer,  die  stechen  mir, 

liehen  Glaubens  mögen  die  Ijapländer  unter  gewissen  Umständen  keine  Kno- 
ten in  ihre  Kleider  binden.    Tyler,  Urgesch.  d.  Menschheit,   S.  169. 

1)  Myth.«  1109.    Haupt,  Zs.  f.  d.  A.  IV,  389.    Kuhn,  Wcstf.  Sag.  II, 

19  U.  8.  w. 

2)  Vgl.  z.  B.  die  zimnc  ludze  (kalten  Leute) ,  kleine  Tierchen ,  so  ^roß 
wie  Stecknadelköpfe  kommen  reihenweise  durch  den  Wald  gekrochen 
und  bringen  die  Krankheit,  die  sich  durch  blaue  Nägel  verrät.  (Toppen, 
a.  a.  0.  25).  Schon  die  Sprüche  des  Atharvaveda  rechnen  die  Würmer,  die 
in  Bergen  und  Wäldern  sind,  in  Kräutern,  in  Tieren  und  auch  im  Was- 
ser, die  unsern  Leib  betreten  haben ,  den  Wurm ,  der  im  Gedärm,  im  Haupte 
sitzt,  den  Wurm  dann,  der  im  Rückgrat  weilt"  in  eine  Klasse;  sie  und  alle 
ihre  Brut  werden  durch  Zauberwort  mit  der  Kraft  von  Indras  des  Donner- 
gottes Mühlstein  zermalmt    (Kuhn,  Ztschr.  f.  vgl.  Sprachf.  XIII,  138.) 

3)  In  dem  späteren  Hexenglauben  ist  es  nicht  mehr  der  Baum  oder  die 
Baumnymphe ,  sondern  eine  menschliche  Zauberin ,  welche  die  Würmer  aus- 
sendet. Hier  griff  Euhemerismus  Platz ,  aber  die  alten  Grundlagen  der  Vor- 
stellung blieben  unversehrt.  In  den  Wald  gehend,  schüttelt  die  Hexe 
die  „bösen"  oder  „guten  Ding  er",  „fliegende  Elbe",  „Holdi- 
chen"  oder  ,,guten  Kinder",  die  bald'als  Schmetterlinge,  bald  als  Hum- 
meln ,  Queppen ,  Raupen  oder  andere  Würmer  beschrieben  werden ,  von  den 
Bäumen  herab  oder  gräbt  sie  unter  dem  Holunder  hervor,  um  sich  ihrer  zu 
Hervorbringung  von  Krankheiten,  Geschwulst  bei  Menschen  und  Vieh  zu  bedie- 
nen, indem  sie  sie  in  Haut  und  Gebein  beschwört.  Wie  die  Elbe  das  Espen- 
holz  abfressen,  fressen  sie  den  Memchoiy  d^m  sie  zugedacht  sind:  haben 
die  Holdichen  ihren  Zweck  erfüllt,  so  bringt  sie  die  Hexe,  die  sie  zuge- 
bracht hat,  auch  wieder  ab,  verweist  sie  in  den  Wald  und  gräbt  sie  unter 
dem  Baum  ein;  sie  gelten  für  eine  Frucht  aus  der  Vermischung  der  Zaube- 
rin mit  dem  Teufel.    Mj-th. «  1027. 

t 


Baum,  Menschenleib  und  Krankheitsdftmonen.  15 

Der  eine  ist  gran, 

Der  andere  ist  Man, 

Der  dritte  ist  rot, 

Ich  wollte  wünschen,  sie  wären  alle  'drei  todt 

Diese  Ceremonie  nennt  man  den  Baum  ,,  anklagen  ^^  ^  Anch 
andere  Pflanzen,  als  Bäume,  stehen  im  Verdacht,  durch  ihren 
Willen  die  Würmer  im  tierischen  Organismus  festzuhalten.  So 
schreibt  z.  B.  der  böhmische  Aberglaube  vor,  auf  dem  Felde  eine 
Distel  zu  suchen,  einen  Stein  und  eine  Ackerkrume  darauf 
za  legen  und  zu  sagen: 

Distclchen,  Distelcben 
Ich  lass*  nicht  eher  dein  Köpfchen  los, 
So  lang  da  nicht  frei  läßt  die  Würmer  der  Kuh 

(des  Pferdes  n.  dgl.).^ 

Die  einmal  vorhandene  Vorstellung  von  dem  Verweilen  der 
Erankheitsgeister  im  Baume  haftete  so  sehr^  daß  man  sie  auch 
da  beibehielt,  wo  diese  Dämonen  nicht  in  Wurmgestalt,  sondern 
in  anderer  Tier-  oder  Menschengestalt  gedacht  wurden.  Auch 
da  ist  es  häufig  der  Baum,  der  durch  ihre  Entsendung  Epidemien 
hervorruft,  durch  ihre  Zurttckberufung  die  Gesundheit  wiederher- 
stellt Lehrreich  in  dieser  Beziehung  ist  ein  Lied,  welches  bei 
einer  Seuche  die  russischen  Weiber  singen,  indem  sie  mit  einem 
Pflug  um  das  Dorf  die  die  bösen  Geister  abwehrende  Furche 
ziehen : 

Vom  Ocean,  von  der  tiefen  See 

Sind  zwölf  Mädchen  gekommen; 

Sie  nahmen  ihren  Weg  —  kein  kleiner  war's  — 

Zu  den  steilen  Höh'n,  zu  den  Bergen  empor, 

Zu  den  drei   alten  Holunderhänmen. 

1)  Friedrichahagen  bei  Köpenick,  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  S.  441.  Nr.  328. 
Vgl.  „Tannenbaum  ich  klage  dir,  die  Gicht  plagt  mich  schier.'*  Spricht  man 
dies  drei  Freitage  hintereinander  nach  Sonnenuntergang,  so  dörrt  der  Tan- 
nenbaum und  die  Gicht  hört  auf.  Myth.*  1122.  Mit  einem  ähnlichen  Spruche 
klagt  man  bei  W^ehlau  die  neunundneunzigerlei  Gicht,  indem  man  vor  der 
Fichte  auf  die  Knie  fällt  und  sie  dreimal  umkriecht.  Frisch- 
bier, Hexenspruch  S.  6i),  1.  Der  Fieberkranke  macht  einen  Knoten  (s.  o. 
S.  13)  in  die  Zweige  einer  Weide  und  sagt  diese  Worte :  Liebe  Weide  ich 
klage  dir,    siebenundsiebenzig  Fieber  plagen  mir.    Frischbier,  a.  a.  0.  54,  f). 

2)  Grohmann  a.  a.  0.  J53,  1107.  Vgl.  aus  Ostpreußen:  hat  ein  Vieh 
Warmer  in  Wunden,  so  knickt  man  vor  Tage  vier  rotblähende  Disteln  um 
die  vier  Köpfe  nach  den  vier  Himmelsgegenden  und  legt  einen  Stein  in  "die 
Mitte.    Wuttke*  409,  §.680.    Toppen,  Abergl.  a.  Masuren  S.  9t). 


16  Kapitel  L    Banmseole: 

Diese  zwölf  Mädchen,  die  in  vielen  gegen  sie  gerichteten 
Beschwörungsformeln  „die  bösen  Schütteier"  oder  „Töch- 
ter des  Herodes"  oder  einzeln  mit  den  Namen  besonderer  Krank- 
heiten genannt  werden,  mithin  Personificationen  der  Krankheits- 
ursachen sind,^  werden  nun  redend  eingeführt: 

Macht  fertig  die  weißen  Eichentische, 
Schärfet  die  Messer  Ton  Stahl, 
Macht  heiß  die  siedenden  EesseL 
Spaltet,  durchhohrt  bis  zum  Tode 
Jedes  Leben  unter  dem  Himmel. 

Die  Holunder  geben  ihre  Zustimmung  zu  dem  Wunsche  der 
zwölf  Schwestern;  alle  lebenden  Wesen  sind  dem  Tode  geweiht. 

In  diesen  siedenden  Kesseln 
Brennt  mit  unauslöschlichem  Feuer 
Jedes  Lebeif  unter  dem  Himmel. 

Doch  die  drei  Holunder  erfaßt  mitleidige  Rührung: 

Bund  um  die  siedenden  Kessel 

Stehen  die  alten  Holunder. 

Die  alten  Holunder  singen, 

Sie  singen  von  Leben,  sie  singen  von  Tod, 

Sie  singen  vom  ganzen  Menschengeschlecht. 

Die  alten  Holunder  verleihen 

Der  ganzen  Welt  langes  Leben; 

Doch  dem  andern,  dem  Übeln  Tode, 

Bestimmen  die  alten  Holunder 

Eine  weite  und  große  Reise. 

Die  alten  Holunder  versprechen 

Ein  beständiges  Leben 

Dem  ganzen  Geschlechte  der  Menschen.  ^ 

liief  der  Baumgeist  die  Krankheit  verursachenden  Eiben 
nicht  freiwillig  zurück,  so  bediente  man  sich  zauberischer  Worte 
und  symbolischer  Handlungen,  der  unter  uns  sogenannten  sym- 
pathetischen Kuren,  welche  darauf  hinausgingen,  die  schäd- 
lichen Geister  unter  einen  Stein,  in  die  Wttstenei  zu  verweisen, 
einem  Vogel  zum  Mitnehmen  zu  empfehlen,  oder  sonst  zu  ver- 
bannen, vorzüglich  aber  sie  auf  einen  Baum  oder  ein  Kraut  zu 


1)  Vgl.  in  Götzcs  russ.  Volksliedern  S.  62,  Myth.«  1107  die  9  Schwe- 
stern, welche  das  Menschengeschlecht  mit  Fiebern  plsigen,  wenn  sie  aus  der 
Erdhöle,  in  der  sie  gefesselt  liegen,  losgelassen  worden, 

'    2)   Orest.  Miller,    Opuit  istoriczeskago    obozijenija  Kusskoi  slovenosti. 
St.  Petersburg  1866.    I,  10. 


Baum,  Mensehenleib  and  Eranheitsdäiponen.  17 

übertragen,  da  sie  ja  zu  solchen  gehören,  von  solchen  aasgingen;  ^ 
oder  wo  diese  letztere  Vorstellung  nicht  mehr  obwaltete,  bewog 
die  in  der  Menschheit  ewig  rege  Selbstsucht  die  Schmerzen  des 
eigenen  Leibes  auf  einen  fremden  (den  des  Pflanzendämons)  abzu- 
leiten. Eine  von  Räncherung  geweihter  Kräuter  und  Rosenblät^ 
ter  begleitete  Beschwörung  in  Böhmen  lautet: 

leb  Yerwünsche  each  Gliederweh, 

Brandweh,  Beinweh 

In  den  tiefen  Wald,  ' 

In  die  hohe  Eiche, 

In  das  stehende  Holz 

Und   in  das  liegende. 

Dort  schlagt  euch  hemm  und  stoßet 

Und  gebet  dieser  Person  (Name)  RnhQ,* 

In  Mecklenburg  spricht  der  Kranke  bei  abnehmendem  Monde, 
(fie  Würmer  anredend: 

Ji  solt  mit  mi  führen  to  Holt, 
D&r  steit  en  Bömken  köl  an  stolt, 
D&rin  will  ik  ju  versenken, 
Ertraoken ! ' 

In  Böhmen  hält  der  Besegner  behufs  Entfernung  der  „fres- 
senden Würmer  in  den  Augen''  ein  Büschel  von  29  Sommer- 
kornähren an  das  kranke  Auge  und  sagt :  „  Du  N.  N.  hast  fres- 
sende Würmer  in  den  Augen.  Ich  laß  sie  nicht  dort,  ich 
bespreche  sie  heraus.  Kommt  ihr  Würmer  in  diese  Aehren."* 
Uebereinstimmend  ist  der  mit  mehrfachen  Modiiicationen  weit 
verbreitete  Brauch,  das  Fieber  in  Getreidekömer  (Gerste,  Buch- 
weizen u.  s.  w.)  durch  Berührung  mit  dem  Körper  des  Kranken 
übergehen  zu  lassen,    und  dieselben  dann  auszusäen;    verfaulen 


1)  Sehr  häufig  findet  sich  für  diesen  Gedanken  nur  der  allgemeine 
Ausdrack,  daß  die  Krankheiten,  die  Elbe  in  den  wilden  Wald,  anter 
den  Busch  verwiesen  werden.  Birlinger  Volkst.  a.  Schwaben  I,  S.  209  n. 
317  und  Myth. >  CXLIU.  aus  Voigt,  Quedlinb.  Hexenacten:  „Du  Eiben 
and  da  Elbinne,  mir  ist  gesagt,  du  kannst  den  König  von  der  Königin 
bringen  und  den  Vogel  von  dem  Nest,  du  sollst  nicht  ruhen  noch  rasten, 
du  kommest  denn  unter  den  Busch,  daB  du  den  Menschen  keinen  Scha- 
den tost. 

2)  Grohmann,  Abergl.  a.  Böhmen,  S.  158,  1137. 

3)  Struck,  Sympathien,  S.  27,  14.  Wol  Vermischung  mit  einem  andern 
Segen,  wonach  die  Würmer  in  einen  Brunnen  verwiesen  werden. 

4)  Grohmann y  Abergl.  a.  Böhmen,  I,  185,  1301. 

Mannhardt.  2 


18  Kapitel  I.    Baumseele: 

sie  in  der  Erde,  so  starb  der  Quälgeist  mit,  gehen  sie  auf  und 
schießen  in  Hahnen  empor,  so  steckt  er  in  diesen  und  sie  zittern 
bei  ruhiger  Luft  beständig  in  Fieberschauem.  *  Wer  an  Schwin- 
del leidet,  läuft  nach  Sonnenuntergang  dreimal  nackt  um  ein 
Flachsfeld,  dann  bekommt  der  Flachs  dien  Schwindel.* 

Wenn  jemandem  in  Masuren  die  krazno  lutki  (Fettleute), 
kleine  rote  Würmer,  in  den  Eingeweiden  an  der  Lunge  zehren, 
so  schneidet  man  etwa  40  Paar  Hölzchen  von  neunerlei  Holz 
(Kaddik,  Erle,  Birke  u.  s.  w.)  —  dieselben  müssen  jedoch  unter 
einem  Aestchen  abgeschnitten  sein,  so  daß  sie  mit  die- 
sem die  Gestalt  eines  Häckchens  bilden  -  übergießt  den  Kran- 
ken mit  einem  Kübel  warmen,  bei  abnehmendem  Licht  aus  flie- 
ßendem Rinnsal  geschöpften  Wassers  und  wirft  die  Hölzchen 
paarweise  hinein.  Dann  wäscht  man  den  Leidenden  (besonders 
die  Ohren,  Nasenlöcher,  Achselgruben  und  Kniekehlen)  und  sieht 
nun  nach,  wie  viele  Hölzchen  oben  im  Wasser  schwimmen,  und 
wie  viele  zu  Boden  gesunken  sind.  Die  ersteren  zeigen  die  An- 
zahl der  krazno  lutki  an,  welche  den  Körper  des  Patienten 
bereits  verlassen  haben  (d.  h.  in  die  Baumzweige  übergegangen 
sind),  die  letzteren  entsprechen  der  Anzahl  der  noch  im  Fleisch 
und  Gebein  des  Unglücklichen  verweilenden  Plagegeister.^  An 
drei  Donnerstagen  wird  die  Procedur  wiederholt,  bis  alle  Fett- 
leute aus  dem  Körper  heraus  sind,  oder  die  Unheilbarkeit  sich 
herausstellte.  Ein  ganz  ähnliches  Verfahren  wendet  man  mit  drei 
m  81  kleine  Stäbchen  zerlegten  Zweigen  des  Kirschbaums 
an ,  um  zu  erkennen ,  ob  jemand  mit  „weißen  Leuten"  (biale 
ludzie)  in  Haut,  Blut,  Adern  und  Gelenken  behaftet  sei.  Bleiben 
alle  Stäbchen  schwimmen ,  so  ist  der  Besegnete  von  weißen  Leu- 


1)  Wuttke ,  a.  a.  0.  §.  493. 

2)  Wuttke ,  a.  a.  0.  §  489. 

3)  Als  lehrreiches  Analogon  beachte  man  das  Verbot  bei  Barchard 
V.  Worms  (Myth.  *  XXXVII) :  Fecisti  quod  quidara  faciunt ,  dum  visitant  ali- 
quem  infirrnnm,  cum  appropinquaverint  domui,  ubi  infirmus  decumbit,  si 
invenerint  aliquem  lapidem  juxta  jacentem,  rovolvunt  lapidem  et 
requirunt  in  loco  ubi  jacebat  lapis,  si  ibi  sit  a liquid  subtus  quod 
yivat,  et  si  invenerint  ibi  lumbricum  aut  muscam  aut  formicam 
aut  aliquid  quod  se  moveat,  tunc  affirmant  aegrotum  convalescere ;  si 
autem  nihil  ibi  invenerint  quod  se  moveat,  dicunt  esse  moriturum.  Sie  sehen 
zu,  ob  die  insektenförmigcn  Krankheitsgeister  schon  aus  dem  Körper  des 
Leidenden  unter  den  Stein  zurückgekehrt  seien. 


Baum,  Mensehenleib  nnd  Erankheitsdämonen.  19 

ten  frei,  geht  ein  Teil  nnter,  so  ist  er  mit  ihnen  in  dem  Orade 
behaftet,  als  das  Verhältniß  zu  den  schwimmenden  Zweigteilchen 
ingiebt  ^ 

Hiezn  stellt  sich  a.  a.  der  Brauch  aas  Vorarlberg,  die  TschUta- 
laose  (d.  i.  Flechten ,  herpes)  einem  kranken  Tier  zu  vertreiben, 
selbst  wenn  das  Stück  entfernt  ist  Man  bricht  bei  Sonnenunter- 
gang von  der  Holunderstande  drei  Schossen  ab  unter  Vcr- 
wahning  ftlr  das  namentlich  genannte  Tier,  dem  man  zu  helfen 
Teriangt  (dadurch  gehen,  wie  man  sich  offenbar  vorstellte,  die 
Plagegeister  in  die  Schößlinge  über),  hernach  bindet  man  sie 
znsammen  und  henkt  sie  in  den  Kamin  oder  sonst  in  den  Kauch ; 
90  geschwind  die  Schosse  dürr  werden ,  werden  auch  die  TschUta- 
äose  weg  sein.*  Aus  diesen  und  ähnlichen  Bräuchen  darf  wol 
pfolgert  werden,  daß  die  Vorstellung  von  den  gespenstigen  Wür- 
nem  im  kranken  Menschenkörper  wieder  rückwärts  gewirkt 
habe  auf  die  Vorstellung  von  dem  den  Baum-  oder  sonstigen 
Pflanzenkörper  bewohnenden  Gewürm.  Nicht  allein  unter  dem 
Baume,  oder  zwischen  dessen  Borke,  sondern  (trichinenartig)  in 
seinem  Innern  dachte  man  sich  nun  wol  derartig  die  ElDcn  ver- 
teilt, daß  im  Holze  jedes  Zweiges  mehrere  ihren  Sitz  hatten,  wie 
mnst  in  Fleisch  und  Gliedern  des  Menschen.  In  einen  solchen 
Zweig  sollten  -<lie  vorstehenden  Zauberformeln  sie  zürUcklocken. 
Möglich  ist,  daß  die  Knoten  dar  Astansäfze  iür  Anzeichen  des 
Daseins  je  eines  FAben  oder  eines  Eibenpaares  (Ell)  und  Eibin, 
wie  Wurm  und  Wünuin)  gehalten  wurden ;  wenigstens  die  Unfor- 
men  und  auffallenden  Knorren  sollen  von  alten  Eiben  herrühren, 
die  sich  im  Baum  verkriechen  und  dann  verwachsen.  ^  Bei  Pots- 
dam heißen  sie  Alfloddern  und  verursachen,  wenn  man  unter 
ihnen  durchgeht,  einen  schlimmen  Kojif.  *  (üer  Alb  springt  von 
ihnen  herab  in  den  Kopf  des  Menschen.)    Im  menschlichen  Kör- 

1)  Toppen,  Abergl.  a.  Masuren«  S.  24.  So  die  Berichte.  Aber  werden 
die  Hölzchen  nicht  unter  allen  Umstunden  auf  dein  Wasser  schwimmen? 
VergL  Prißchbier,  Hexenspruch;  S.  74  —  78. 

2)  Vonbun ,  Beiträge  z.  D.  Mythologie  ges.  in  Churrhätien.  Chur  1862. 
S.  128. 

3)  E.  M.  Arndt,  Märchen  und  Jugenderinnoningcn  bei  Mannhardt, 
Germ.  Mvthenforsch.  476. 

4)  Kuhn ,  Westfal.  Sag.  II ,  55,  15H.  Vgl. :  In  Strohseilknoten,  die  man 
aof  dem  Acker  iindet,  sitzen  arme  Seelen;  sie  werden  erlöst,  wenn  man  den- 
selben auflöst     Wuttke ,  Abergl.  §.  767. 

2* 


20  .  Kapitel  I.    Baomseele: 

per  entsprechen  diesen  Knorren  und  Auswüchsen  vorzugsweise 
die  Geschwulste,  Warzen  und  Leichdörner,  weil  diese  das  Dasein 
eines  Geistes  verraten;  auch  sie  sind  angeblich  durch  Uebertra- 
gung  auf  einen  andern  Menschen,  aut'  Tiere  und  Bäume,  durch 
Begenwasser,  das  auf  einem  Leichensteine  gesammelt  wurde, 
u.  s.  w.  zu  heilen.  ^ 

Den  vorstehenden  Auseinandersetzungen  entspricht  es,  daß 
der  Beschwörer  den  krankheitverursachenden  Geist  bald  auf  den 
Ast  des  Baumes  sich  setzen  heißt,  bald  leibhaftig  mitten  in  das 
Innere  des  Baumkörpers  hineinzuversetzen  sucht:  „Zweig  ich 
biege  dich,  Fieber  nun  meide  mich!"  (Myth.^  CXL,  XXVf), 
oder  „Holunderast  hebe  dich  auf,  Rotlauf  setze  dich 
drauf!"  (Myth.  ^  1122),  oder  den  Holunderbaum,  während  naan 
Fieber  hat,  schüttelnd:  „Holunder!  Holunder!  Holunder!  Auf 
mich  kriecht  die  Kälte;  wenn  sie  mich  verlassen  wird,  kriecht 
sie  dann  auf  dich!  (Wuttke,  §.  488.  Grohmann,  Abergl.  164, 1153) 
oder:  „Goden  Abend  Herr  Fleder!  hier  bring  ick  min 
FSber!"  oder  frühmorgens  drei  Knoten  in  den  Ast  eines  alten 
Weidenbaumes  knüpfend:  „Gön  morgen,  Olde,  ickgefu 
de  Kolde;  gön  morgen,  Olde!  (Myth.  ^  1123).  Schon  etwas 
cbmplizierter,  mithin  auf  ältere  einfachere  Formen  zurückweisend 
ist  das  von  Plinius  Valerianus  (oder  Siberius,  eineiü  Gallier  des 
>.  Jahrh.)  gemeldete  Heilmittel  für  das  viertägige  Fieber :  Panem 
et  salem  in  linteo  de  lyco  (lies:  deliculo)  liget  et  circa  arborem 
licio   alliget    et  juret   ter   per  panem  et  salem:    „Crastino  mihi 

— ■  — ■  -  ■         ■  —  —  -  -  .  # 

1)  Wuttke  a.  a.  0.  §.  513.  Perger,  Pflanzensagen  348.  Prischbier,  Ile- 
xenspruch  93.  Jetzt  wird  auch  die  Vorschrift  verständlich,  welche  schon 
im  4.  Jahrh.  der  gallische  Arzt  Marcellus  von  Bordeaux  verzeichnet :  ne  inguen 
ex  ulcere  aliquo  aut  vulnere  intumescat,  surculum  anethi  in  cingulo  aut 
in  fascia  habeto  ligatum  in  sparto  vel  quocunque  vinculo,  quo«hoIu8  aut 
obsonium  fuerit  innexum,  septem  nodos  facies  et  per  singulos  nectens  nomi- 
nabis  singulas  anus  viduas  et  singulas  feras  et  in cruce  vel  brachio, 
cujus  pars  vulnerata  fuerit  alligabis.  Quae  si  prius  faeias  ante  quam  na- 
scantur  inguina  omnem  inguinum  vel  glandularum  molestiam  prohibebis,  si 
postea  dolorem  tumoremque  sedabis.  Inguinibus  potenter  medebere,  si  de 
licio  Septem  nodos  faeias  et  ad  singulos  viduas  nominos  et  supra  talum 
ejus  pedis  alliges,  in  cujus  parte  erunt  inguina.  Marceil.  Burdigal.  ed.  Cor- 
nar.  cap.  32,  p.  225.  J.  Grimm  tib.  Marcellus  p.  24,  90.  Kl.  Sehr.  11,  141. 
Die  beim  Enotenmachen  als  Zauberinnen  und  Untiere  genannten  alten  Wei- 
ber sind  die  Geschwulst  verursachenden  Krankheitsgeister  (vgl.  o.  S.  16  fF.  die 
12  Mädchen  in  dem  russischen  Zauberspruch). 


Baum,  Menschenleib  und  KnuikheitsdftTnoneii.  21 

hospites  yentari  örnit,  sascipite  illos."  Hoc  ter  dicat  Plin.  Valer. 
m.  6.  p.  191\  Die  Gägte  sind  die  Plagegeister;  der  Kranke, 
der  sie  nicht  haben  will ,  bringt  sie  dem  Baum  zugleich  mit  Brod 
und  Sadz,  damit  dieser  sie  bewirte.  Dazu  vgl.  Frischbier,  Hexen- 
gprach  S.  53 ,  3 ,  wo  der  Fieberkranke  ein  Geldstück  und  ein 
Stfick  Brod  in  einem  Lappen  jenseits  neun  Grenzen  unter  einen 
Stein  (vgl.  o.  S.  18  Anm.  3)  trägt  und  spricht: 

„Orenze,  Grenze,  ich  klage  dir 
Kalt  und  Heiß  plaget  mir, 
Der  erste  Vogel,  der  rüber  fliegt 
Nehm'  es  anter  seine  Flucht'." 

and  dazu  wieder  den  Spruch  ebds.  4.  welcher  lehrt,  daß  auch 
d^n  Baume  der  Erankheitsgeist  zuweilen  nur  übergeben  wird, 
damit  er  denselben  einem  Vogel  zum  Hinwegtragen  in  weite 
Feme  überliefere: 

Böm,  Born  öck  schödder  di, 
Dät  kdle  Feber  bring  ock  di. 
De  Erseht  Vagel,  der  r&werflücht, 
Dat  de  dat  Föber  kriege  mücht. 

lieber  die  ganze  Vorstellung  s.  Kuhn,  Zs.  f.  vgl.  Sprachf. 
Xm.  73,  der  nicht  allein  Analoga  aus  den  Veden  und  der  Edda 
anftthrt,  sondern  auch  an  den  Gebrauch  in  der  Altmark  erinnert, 
daß  Kopfwehkranke  einen  Faden  zuerst  dreimal  um  ihr  Haupt 
binden,  dann  in  Form  einer  Schlinge  an  einen  Baum  hängen. 
Fliegt  ein  Vogel  hindurch,  so  nimmt  er  das  Kopfweh  mit.  Ein 
Gichtkranker  soll  sich  vor  Tagesanbruch  im  Walde  einfinden, 
dort  dreiTropfen  seines  (von  den  unsichtbaren  Plagegeistern 
erfüllten)  Blutes  in  den  Spalt  einer  jungen  Fichte  ver- 
senken und  nachdem  die  Ocflfnung  mit  Wachs  von  Jungfem- 
honig verschlossen  ist,  laut  rufen:  Gut  morgen,  Frau  Fichte, 
da  bring  i  dir  die  Gichte!  was  ich  getragen  hab'  Jahr  und 
Tag ,  das  sollst  du  tragen  dein  Lebetag !  ^  Wer  jemanden  von 
Zahnschmerzen  befreien  will  geht  rücklings  aus  der  Stube  zu 
einem  Holunderstrauch  und  spricht  dreimal 

Liebe  Hölter 

Leiht  mir  einen  Spalter 

Den  bring  ich  euch  wieder ! 


1)  Ernst  W^agner,    ABC  eines  Henneberg.  Piebolschützen  Tübing.  1810. 
p.  25».  Myth. »  CXLV,  XLIV. 


22  Kapitel  L    Baumseele: 

Unterdessen  macht  er,  sich  umdrehend^  zwei  neben  einander  lie- 
gende Einschnitte  und  schält  die  Binde  auf  eines  Zolls  Länge, 
doch  so  daß  sie  möglichst  angerissen  unten  mit  dem  Aste  ver- 
einigt bleibt,  schneidet  aus  dem  bloßgelegten  Holz  einen  Splitter 
und  trägt  den  wieder  rücklings  gehend  in  die  Stube.  Der  Lei- 
dende ritzt  dort  mit  dem  grünen  Splitter  sein  Zahnfleisch  bis 
derselbe  blutig  wird,  (mit  dem  Blute  den  das  Zahnweh  verur- 
sachenden Geist  in  sich  aufnimmt).  Dann  bringt  ihn  der  Be- 
schwörer immer  rückwärts  gehend  wieder  zu,  dem  Holderbaum, 
drückt  ihn  in  den  Splint,  legt  die  Binde,  wie  sie  gewesen  und 
befestigt  sie  mit  einem  Bindfaden,  damit  der  Einschnitt  desto 
eher  verwachse.  Dann  noch  einiges  Gemurmel  unverständlicher 
Worte  und  der  Zahnschmerz  ist  fort.^  In  Dänemark  nimmt  man 
bei  Zahnweh  einen  Holunderzweig  in  den  Mund  und  steckt  ihn 
dann  in  die  Wand  mit  den  Worten :  „Weiche  böser  Geist."* 

Es  ist  nun  wol  deutlich,  wie  alle  vielfachen  Kuren,  welche 
sonst  noch  auf  ein  Verpflöcken  der  Krankheit  in  den  Baum, 
(sogar  die  Pest  wird  als  Schmetterling  in  den  Baum  verkeilt), 
oder  aui*  ein  Einknoten  oder  Einbinden  in  Zweige  hinausgehen 
sammt  und  sonders  auf  eine  und  dieselbe  Grundvorstellung  zurück- 
zufahren sind.' 


1)  WestfaleD.  Montanas,  Volksfeste  S.  149. 

2)  Myth. '  CXVI.  162. 

3)  Wer  eine  lebendige  Anschauung  gewinnen  will  von  der  heidni-chen 
Vorstellung  über  die  Herkunft  der  Krankheitsdämonen,  unterlasse  nicht  das 
finnische  Epos  Ealevala  übers,  v.  Schiefner.  Helsingfors  1852.  R  XVII. 
S.  88 — 95  nachzulesen.  Auch  der  Finne  hält  die  Krankheiten  für  lebende 
Geister  von  böser  Natur  z.  Teil  in  Tiergestalt.  (Fingerwurm,  Zahnwunn, 
Hund  u.  8.  w.)  Castrcn ,  Finn  Mythol.  S.  173.  Schröter ,  tinn.  Runen  S.  48  fF. 
Vgl.  Myth.*  1113.  Sie  kommen  teilweise  aus  des  bösen  Hiisi  Waldhürden, 
aus  der  holen  Föhre  Wipfel ,  aus  der  morschen  Tanne ,  der  sausenden  Fichte 
Kalevala  XVJI.  V.  206  ff.)  Der  Wald  mit  seinen  Waldgeist em,  der  Wacholder 
insbesondere,  werden  angefleht  sie  zum  Weichen  zu  bringen.  (V.  270.)  Der 
Beschwörer  bannt  sie  in  Piru's  (des  Teufels)  Eberesche  (Zs.  f.  vgl.  Sprachf. 
Xin,  151)  und,  wenn  sie  dorther  kamen,  in  des  Hiisiwaldes  Schluchten,  in 
die  Wohnung  des  Föhrenhains,  in  den  Winkel  des  Tannendickichts.  (V.  384  ff.) 
Daneben  aber  giebt  es  noch  tausenderlei  andere  Krankheitsdämonen,  die  aus 
dem  Fuchsloch,  der  Löwenhöle,  aus  der  Erde  Schoß,  aus  sandiger  Wüste, 
aus  Sümpfen  und  Quellen,  aus  Schlachtfeldern  und  Gräbern,  vom  kahlen 
Kupferberge  und  öden  Meeresrücken,  vom  Pfad  der  Winde,  vom  Rand  der 
Wolken,  aus  der  Umgebung  der  Zauberer,  aus  dem  Reiche  des  Todtengottes 


Baum,  Mensehenleib  und  Krankheitsdämonen.  23 

Von  den  unzähligen  individuellen  Ausgestaltungen  und  Sproß- 
fonnen  der  dargelegten  Ideen  will  ich  nur  noch  eine  hier  erwähnen, 
welche  aufs  neue  recht  deutlich  den  im  Volksglauben  feststehen- 
den Parallelismus  des  Baumes  und  d^s  Menschenkörpers  zeigt. 
Offimbar  um  seiner  Form  willen  heißt  ein  schwellend  hervor- 
springender Fleischteil  bei  Menschen ,  der  Muskel ,  unter  Hellenen, 
Bömem  und  Deutschen  Maus,  Mäuslein,  Mäuschen,  ahd.  mfis, 
grieeh.  fivg,  lat  musculus.    Auch  von  Tieren  gilt  dasselbe  Wort 


aoCtfteigen  und  jeder  mit  Anrufung  der  über  die  genannten  Elemente  gebie- 
tatden  gottlichen  Wesen  an  ihren  Ort  verwiesen  werden.  Ganz  dieselbe  An- 
lehannng ,  wie  dieser  Gesang  aus  Kalevala,  sprechen  namentlich  auch  böhmische 
Bne^nngen  unumwunden  aus.  Die  StHly  (stechende  Schmerzen)  flogen 
4aher  Tereinigt  mit  dem  Botlauf  und  hielten  sich  im  Kopfe,  den  Ohren ^  den 
TÜmem.  Sie  werden  verwünscht.  Sind  sie  aus  dem  Winde,  so  sollen  sie 
lieder  in  den  Wald  (var.  Wind)  gehen ,  um  dort  Holz  in  den  größten  Dickich- 
ten zu  brechen ;  sind  sie  aus  dem  Wasser ,  so  sollen  sie  wieder  ins  Wasser 
zurückkehren  und  in  den  größten  Tiefen  Sand  binden ;  sind  sie  aus  den  Felsen, 
so  sollen  sie  wieder  in  die  Felsen  gehen  und  Steine  brechen;  aber  Kopf, 
Ohren  und  Zähne  soUen  sie  in  Ruhe  lassen  und  nicht  mehr  martern.  Man 
bannt  sie  in  eine  Hand  voll  Haferkömer.  S.  Grohmann ,  Abergl.  a.  Böhmen 
S.  158  —  162.  N».  1138.  1143.  1144.  —  Aehulich  sind  auch  die  deutschen  im 
Baum  lebenden  Elbe  nur  so  zu  sagen  eine  Abteilung  einer  größeren  Genossen- 
sebaft.  Lehrreich  ist  es  auch  manche  analoge  Vorstellungen  anderer  fremder 
Naturvölker  zu  vergleichen.  Der  Karen  in  Hinterindien,  der  seine  malaria- 
scbwangeren  Wälder  bereisend  sich  vom  Fieberfrost  geschüttelt  fühlt,  glaubt 
in  seinem  Körper  das  Wüten  des  boshaften  Phi  zu  fühlen  und  beeilt  sich 
Qpfergaben  an  den  Stamm  dos  Baumes  zu  stellen,  unter  dem  er  zuletzt  geruht 
hat ,  denn  aus  dessen  schwankenden  Wipfeln  ist  dieser  zwischen  den  Blättern 
lauernde  Martergeist  auf  ihn  herabgefallen.  Bastian  in  Zs.  f.  Völkerps.  V,  287. 
Man  vgl.  was  eben  derselbe  Gelehrte  (Völker  des  östl.  Asiens  VI.  Vorw.  Vü.) 
über  den  nämlichen  Gegenstand  äußert:  „daß  sein  Nebeumensch  ilm  in  ein 
Fieber  zu  schütteln  vermöchte,  darüber  besitzt  der  Wilde  keine  Erfahrung 
und  fühlt  er  sich  also  von  demselben  gepackt,  so  hat  er  seinen  geschlossenen 
Lleenkreis  durch  Aufnahme  eines  Hilfsgliedes  zu  erweitem  und  }>flegt  er  in 
dem  Fieber  einen  von  menschlicher  Existenz  abgelösten,  aber  immerhin  (weil 
am  nächsten  liegend)  in  menschlicher  Form  erscheinenden  Dämon  zu  erkennen, 
der  auf  den  Bäumen  der  Malariawälder  lauert.'*  Deutlich  ist  hier  das 
Zittern  des  vom  Fieberfrost  geschüttelten  Menschenkörpers 
.mit  dem  Zittern  des  vom  Winde  bewegten  Baumkörpers  in 
der  Idee  der  Wilden  combiniert,  und  es  darf  wol  gefragt  werden,  ob 
neben  den  Insekten  (o.  S.  13)  nicht  auch  diese  Vorstellung  zu  den  psy- 
chologischen Factoren  unserer  sympathetischen  Kuren  gehört 

habe? 
f 


24  Kapitel  I.    Bauuiseele: 

So  heißt  in  Augsburg  ein  besonders  geschätzter  Teil  des  Rind- 
fleisches Herrenmaas.  Man  hat  aber  sicherlich  diese  Stelle  einst 
auch  wirklich  von  einem  geisterhaften  Wesen  in  Mausgestalt 
erftillt  gedacht  In  vielen  Sagen  schlüpft  die  den  Menschenleib 
bewohnende  Seele  in  Mausgestalt  aus  dem  Munde  und  verläßt 
zeitweilig  oder  ftir  immer  den  Körper.^  Auch  Hexen,  Hausgeister, 
Waldgeister  vtnd  andere  Dämonen  nehmen  Mausgestalt  an.' 
Caspar  Peucer,  Melanchthons  Schwiegersohn  war  doch  wol  durch 
eine  aUgemeine  Anschauungsweise  seiner  Zeit  zu  der  Ueberzeu- 
gung  und  Behauptung  verleitet,  er  selbst  habe  bei  einer  beses- 
senen Weibsperson  den  Teufel  in  Gestalt  einer  Maus  unter  der 
Haut  hin  und  herlaufen  sehen. ^  Wenn  daher  der  Aberglaube 
versicherte,  gewisse  unerklärliche  und  krankhafte  Anschwellungen 
des  Körpers  bei  Menschen  und  Vieh  rührten  daher,  weil  eine 
Feldmaus  darüber  hingelaufen  sei,  so  wird  diese  Vorstellung 
ursprünglich  ein  Hineinschlüpfen  gemeint  haben  und  nichts  anderes 
besagen,  als  daß  diese  Geschwülste  ähnlich  den  Warzen  und 
anderen  Auswüchsen  durch  einen  gespenstigen  Parasiten  und  zwar 
einen  mausgestaltigen  erzeugt  würden.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung wird  es  dann  vollkommen  erklärbar,  weshalb  man,  um 
jene  Krankheit  zu  heben ,  eine  lebendige  Feldmaus  in  eine  Eiche, 
Ulme  oder  Esche,  (poUardash,  shrewash)  verpflöckte  und  der 
Ansicht  war,  mit  einem  Zweige  dieses  Baumes  berührt,  werde 
die  Geschwulst  sofort  aufhören.^  Natürlich,  die  gespenstige 
Maus  wurde  als  in  den  Baum  zurückgegangen  gedacht  Man 
gewahrt  hier  aber  deutlieh,  wie  durch  Analogie  und  Wechsel- 
wirkung der  Vorstellungen,  nachdem  zuerst  die  im  Baume  hau- 
senden   Insekten    mit    den     vermeintlichen    schmerzerregenden 


1)  Myth.*  1036.   Mannhardt,  Germ.  Uyth.  79  Zs.  f.  D.  Myth.  IV.  449. 
Grohmann ,  Apollo  Sniintbcus  S.  21  ff. 

2)  Vernaleken,  Mythen    und  Gebr.   239.     Kuhn   and  Schwarz  Nordd. 
Sag.  411. 

3)  De  praecip.  gener.  divinat.  Viteb.  1580  S.  10  bei  Grohmann  a.  a.  0. 
S.  24. 

4)  Gil.  White,  the  natural  history  and  antiqnities  of  Selbome.    London 
1789,  4.  p.  202  —  204  bei  Grimm  Myth.«  1120  vgl.  K.  Stndleys  Bericht  ans  ' 
Devonshire  y.  J.  1806  Brand,  Populär  antiquities  of  Great  Britain.  ed.  Ellis. 
London  1855.  III.  S.  293.    Rob.  Plot  natural  history  of  Staffordshire  Oxford 
1686  S.  222.  Mj-th.s  1120. 


Baum,  Mensdienleib  und  KimnUieitsdamonen.  25 

Wfinnem  identifiziert  worden  waren ,  nun  auch  andererseits  die 
auf  Gewürm  oder  Ungeziefer  anderer  Art  erweiterte  Vorstellung 
Ton  den  Krankheitsgeistem  rückwärts  auf  den  Baum  als  ursprüng- 
lichen Wohnsitz  derselben  übertragen  worden  und  daher  der 
Glaube  an  die  Heilung  durch  eingepflöckte  Feldmäuse  entstanden 
ist  Fast  überall  wird  bei  derartigen  Heilversuchen  der  Baum- 
geist angeredet  y  und  von  den  Krankheit  bringenden  Geistern,  den 
Eiben y  unterschieden.  Nicht  also  das  bewußtlose  Gewächs,  son- 
dern der  empfindend  und  denkend  gedachte,  der  vollen  Anthro- 
pomorphose sich  annähernde  Baum  beherbergt,  entsendet  und 
nimmt  wieder  auf  die  schädlichen  geisterhaften  Würmer.^  Jene 
Aussage  Laszkowskis  über  den  Glauben  der  Niederlitauer  wirft, 
wie  es  scheint,  die  Baumgeister  und  die  Eiben  in  eins.  Erstere 
rollte  der  erzürnte  Neu  bekehrte  tödten  oder  schädigen,  indem 
er  von  den  Bäumen  die  Rinde  abschälte  (ego  tos  nudas 
ftdam);  aber  unter  den  dem  Viehstand  schädlichen  Götterchen, 
welche  y,intra  arborcs  et  cortices"  verborgen  seien,  sind  sowol  die 
den  Baum  als  ihren  Körper  erftiUende  unter  der  Binde  als  unter 
ihrer  Haut  sich  bergende  Baumseele,  welche  die  Plagegeister  auf 
Tiere  und  Menschen  entläßt,  als  die  in  Holz  und  Borke  umher- 
kriechenden den  Leib  des  Baumgeistes  bevölkernden  ,^  bösen 
Dinger"  von  dem  in  die  Einzelheiten  der  Vorstellung  schwerlich 
genauer    eingeweihten    Berichterstatter    zusammengefaßt.^     Die 


1)  Zuweilen  verwendet  der  abergläubische  Brauch  freilich  auch  leblose 
Dinge  als  Vertreter  lebender  Wesen,  wie  wenn  z.  B.  das  zerbrochene  Bein 
eines  Schafes  oder  Schweines  dadurch  geheilt  werden  soll,  daß  man  das 
entsprechende  Bein  eines  Stuhles  von  gesundem  Holze  schient  und  verbindet 
und  den  Stuhl  dann  unangerührt  stehen  läßt.  Panzer  Bcitr.  II.  3()2.  Der 
vierbeinige  Stuhl  ist  um  seiner  Gestalt  willen  zum  Substituten  des  geschä- 
digten Tieres  gewählt.  Solche  Analogien  erhärten  aber  nur  unsere  Behauptung, 
daß  der  Baum  als  alter  ego  des  Menschen  aufgefaßt  wurde,  zu  dem  sein 
aufrechter  Wuchs  und  die  Eigenschaft  des  Wachstums  ihn  in  Parallelismus 
setzte. 

2)  Oder  nahm  der  Zemaite  etwa  mehrere  Seelen  in  einem  Baume  zu- 
^eich  an  und  identifizierte  diese  mit  den  Eiben?  Aehnlich  lebt  ja  der 
Oaraibe  des  Glaubens,  daß  der  Mensch  so  viele  Seelen  habe,  als  er 
Adern  in  sich  schlagen  fühle.  Die  vornehmste  Seele  habe  im  Herzen 
ihren  Sitz;  sie  gehe  nach  dem  Tode  zum  Himmel  und  lebe  dort  in  Gesell- 
schaft der  Götter  auf  die  gewohnte  Art.  Die  andern  Seelen,  die  nicht  im 
Herzen  ihren  Sitz  hatten,  hegeben  sich  teils  zur  Seeseite  und  sind  Ursache, 


26  Kapitel  L    Banmseele: 

Richtigkeit  dieser  Behauptung  werden  die  auf  den  nachfolgenden 
Seiten  anzustellenden  Untersuchungen  dartun ,  welche  nachzu- 
weisen bestimmt  sind,  wie  detailliert  sich  der  Volksglaube  die 
Analogie  des  Baumleibes  mit  dem  Menschenköiper  weiterhin 
ausmalte. 

§.  8.  Strafe  fflr  BanmscliBler.  Von  allem  anderen  abge- 
sehen beweist  Laszkowkis  Mitteilung,  daß  bei  einem  Volke 
lettischen  Stammes  es  fllr  einen  Frevel  galt  h 'eilige  Bäume 
der  Rinde  zu  berauben,  weil  dadurch  innewohnende  Dämo- 
nen geschädigt  würden;  wer  dies  dennoch  tat,  erwartete  für  sich 
einen  unerhörten  Nachteil.  Hiermit  stimmt  nun  genau  das  Ver- 
bot des  Baumschälens  in  dem  uralten  Gewohnheitsrechte  der 
deutschen  Markgenossenschaften  zusammen,  welches  ftirchtbare 
Strafen  ftlr  solchen  Forstfrevel  androhte.  Aus  den  Weisttlmem 
hat  J.Grimm  K.  A.  519  flf.  viele  Beispiele  zusammengestellt,  ihrer 
noch  weit  mehrere  sind  hie  und  dort  in  seiner  großen  Weisttlmer- 
sammlung  veröffentlicht;  sie  gleichen  sich  und  es  genfigt  das  eine 
oder  das  andere  herauszuheben.  „Item  es  soll  niemand  Bäume 
in  der  Mark  schälen,  wer  das  täte,  dem  soll  man  sein  Nabel 
aus  seinem  Bauch  schneiden  und  ihn  mit  demselben  an  den 
Baum  negeln  und  denselben  Baumschäler  um  den  Baum  ftlhren, 
so  lang  bis  sein  Gedärm  alle  aus  dem  Bauch  auf  den  Baum 
gewunden  seien.  (Oberurseier  Weistum.)  Wenn  jemand  eine 
Weide  abschält,  soll  mau  ihn  mit  seinem  Gedärme  den  Schaden 
bedecken  lassen;  kann  er  das  venvinden,  kann  es  der  Baum 
auch  verwinden.  (Weudhager  Bauernrecht.)  Der  cn  fruchtbaren 
Baum  truttelde,  soll  mit  seinen  Dermen  nach  ufgeschnittenem 
Bauche  umb  den  Schaden  gebunden  und  damit  zugehelen  werden. 
Wenn  jemand  einen  fruchtbaren  Baum  abhauete  und  den 
Stamm  verdeckte  dieblicher  Weise,  dem  soll  seine  rechte  Hand 
uf  den  Rucken  gebunden  und  sein  Gcmechte  uf  den  Stammen 
genegelt  werden  und  in  die  linke  Hand  eine  Axe  geben  sich 
damit  zu  lösen.  (Sehaumburger  altes  Landrecht.)  Wir  haben 
meines  Wissens  keinen  Beweis  dafür,  daß  dieses  barbarische  Recht 
in  Deutschland  zu  historischer  Zeit  jemals  in  Anwendung  gebracht 


daß  die  Schiifo  untergehen,  teils  gehen  sie  in  die  Wälder  und  heißen 
Mabosos.  Davies ,  history  of  the  Caribes  288  ff.  Klemm,  Allgem.  Eultorgescb. 
n,  165. 


Strafe  Ar  BaamBcliäler.  27 

sd.    Der  Schuldige  konnte  Hals  und  Glied  mit  einer  geringen 
Geldfiomme  lösen.  ^ 

Ein  um  so  bemerkenswerteres  Zeugniß  tUr  die  Wahrheit  des 
Dichterwortes ,  daß  „Rechte  und  Gesetze ^^  sich  längst  überlebt 
wie  eine  ewige  Krankheit  fortpflanzen,  bietet  daher  u.  A.  das 
Protokoll  des  Holt-tings  zum  Harenberg  unweit  Blumenau  und 
limmer  bei  Hannoyer  am  13.  Nov.  1720.  Noch  damals  erklär- 
tcai  die  Beisitzer  des  unter  dem  Herrn  voü  Holle  als  Erben  und 
Holzgrafen  zusanmiengetretenen  Holzgerichts:  Frage  22:  Wenn 
dner  befunden  würde  „der  einen  Heister  (ndd.  bester  junger 
Eieh-  oder  Bucbbaum)  witjede  (von  witjen  weiß  machen,  schälen), 
vie  hoch  derselbe  soll  gestraft  werden?  Antw.:  Man  solle  dem 
Titer  das  Eingeweide  aus  dem  Leibe  schneiden  und  daran 
bipfen  und  ihn  so  lange  umb  den  Heister  herumjagen,  bis  er 
wieder  bewunden  wird.  Fr.  23 :  So  einer  befunden ,  der  einem 
firoehtbaren  Heister  den  Poll  (Wiptel,  Kopf*)  abhauete,  wie 
hodi  derselbe  soll  gestrafet  werden  ?  Antw. :  Wenn  der  Heister 
fiichtbar  sei,  solle  dem  Täter  der  Kopf  wider  abgehauen  werden. 
Fr.  24:  Wenn  einer  einen  Schnatbaum  (Grenzbaum)  abhauet,  wie 
boeh  derselbe  solle  gestrafet  werden?  Antw.:  Man  soll  dem 
Tater  den  Kopf  auf  dem  Stamm  wider  abhauen.^    Augenschein- 


1)  S.  J.  Grimm  R.  A.  S.  520.  739  ff.  G.  L.  v.  Maurer,  Geschichte  der 
KirkeiiTerfassiiiig  1856.  S.  371.  F.  Thndichum ,  die  Gau  -  und  Markenver- 
bssimg  in  Deutschland  1860.  S.  276.  Noch  mehrere  Beispiele  aus  Grimms 
Weistümem  siud  zusammengestellt  bei  Maurer  a.  a.  0.  370. 

2)  Vgl.  bi  de  polle  krigen  beim  Kopf  fassen,  jemandem  in  die  Haare 
fallen ;  de  polle  lüsen  die  Haare  raufen. 

3)  Grimm  Weistümer  III.  283.  Grenzbäume  hatten  besondere  Heiligkeit, 
8.  J.  Grimm  Grcnzaltert.  128.  Kl.  Sehr.  II.  56.  Vgl.  noch  als  höchst  bezeich- 
nend: Wer  eine  Eiche  verstümmelt  hat,  „den  soll  man  bringen  bei  den 
Stänunen  und  hauen  jhme  seinen  Kopf  ab  und  setzen  deuselbigen  so 
lauge  darauf,  bis  das  er  wieder  wächst."  (Beberer  Mark.  Grimm 
Wifist  III.  S.  305  Nr.  16.)  „Wenn  einer  einen  Baum  köpfete,  derselbe 
toll  wiederum  geköpfet  werden."  (Glimmer  Holzmark.  Weist.  III.  288.  Nr.  26). 
„Wann  einer  einer  Eiche  den  Poll  abhauete,  dem  soll  man  den 
Kopf  abhauen  und  in  die  Stelle  setzen.  (Hülscder  Mark.  Weist 
III.  302,  Nr.  25.)  Wer  Blumholz  (eine  Bloemware)  zur  Nachtzeit  (s.  o. 
S.  11)  gehauen  hatte,  sollte  mit  dem  Stamm  vor  Gericht  gebracht  und 
ihm  daselbst  auf  dem  Stamm  mit  einem  Blaser  d.  h.  mit  einem  Hiebe 
dur  Kopf  abgeschlagen  werden,  (Spellor  Mark.  Weist.  III.  183),  d.  h.  so,  daß 
Bein  Geist  aus  dem  Haupte  in  den  Baumrumpf  übergehen  könnte. 


28  Kapitel  I.    Banmseele: 

lieh  hatten  diese  fhrehtbaren  Strafandrohungen  nur  dann  Sinn, 
wenn  man  zur  Zeit,  als  sie  zuerst  ausgesprochen  wurden,  annahm, 
daß  der  Wipfel  den  Kopf,  die  deckende  Rinde  die  Haut,  der 
umwickelnde  Bast  die  Eingeweide  des  Baumes  als  eines  beseelten, 
menschenartig  empfindenden  Wesens  darstellten.  Wer  die  Krone 
haut,  Borke  und  Bast  des  lebenden  Baumes  reißt,  beraubt  den 
Baumgeist  der  zum  Leben  notwendigsten  Glieder.  Vgl.  oben  den 
2iemaiten  Lazskowskis  und  unten  in  Kap.  U.  die  Moosweibchen 
im  Orlagau.  Nach  dem  Grundsatze  Auge  um  Auge,  Zahn  um 
Zahn  sollte  der  frevelnde  Mensch  mit  dem  entsprechenden  Teile 
seines  Körpers  gut  machen,  was  er  an  jenem  gesündigt;  er  sollte 
die  entfremdeten  Glieder  mit  seinen  eigenen  gleichsam  ersetzen. 
Zu  einer  gewissen  Zeit  muß  es  mit  solchen  Strafandrohungen 
auch  in  Deutschland  bitterer  Ernst  gewesen  sein,  mag  diese 
Periode  auch  vielleicht  hinter  der  Zeit  der  Bekehrung  zum  Christen* 
tum  weit  zurückliegen.  In  abgelegenen  Strichen  des  Westens 
z.  B.  in  Irland  dauerte  sie  aber  im  elften  Jahrhundert,  in  den 
heidnischen  Ländern  des  Ostens  im  dreizehnten  Jahrhundert  noch 
fort.  Was  in  unsem  Weistümem  nur  als  eine  durch  die  Tradition 
fortgepflanzte,  in  der  Praxis  schwerlich  ausgeführte  Rechtsformel 
uns  entgegentritt,  war  dort  noch  ein  Stück  lebendiger  Sitte. 

Als  die  deutschen  Ordensritter  die  Eroberung  Preußens  kaum 
begonnen  hatten,  wurde  ihnen  im  J.  1231  von  seinem  eigenen 
Oheim  einer  ihrer  hartnäckigsten  Gegner,  der  Häuptling  Pipin 
in  die  Hand  geliefert.  „Quem  deleto  castro  suo  totaliter  pere- 
merunt.  Ventrem  namquc  ipsins  circa  umbilicum  aperire  fecerunt 
et  umbilicum  arbori  affixerunt  et  per  circuitum  arboris  currere  vi 
pracccpcrunt,  quousque  penitus  evisceratus  tuit  et  sie  qui  multos 
Christianos  impie  necaverat  crudeliter  fuit  interemptus.  So  erzählt 
nach  einer  den  Ereignissen  fast  gleichzeitigen  Quelle  die  ältere 
Chronik  von  Oliva  p.  21.  (Script.  Rer.  Prussic.  edd.  Hirsch 
Strehlke,  Tr>ppcn  I.  077.)  Obwohl  das  wirkliche  Verhalten  der 
deutschen  Ordensritter  keineswegs  durchaus  dem  idealen  Bilde 
entsprach,  an  welches  J.  Voigts  berühmte  Darstellung  die  Lese- 
welt gewöhnt  hat,  müßte  uns  ein  so  barbarisches  Verfahren  von 
ihrer  Seite  unbegreiflich  erscheinen,  wenn  dasselbe  nicht  eine 
ganz  besondere  Veranlassung  hatte;  die  Venvunderung  schwindet, 
sobald  wir  der  naheliegenden  Vermutung  Raum  geben,  daß  die 
Deutschherren   ihrem   Gegner    diejenige    Todesart    zuerkannten, 


Strafe  fftr  Baiunsch&ler.  29 

welche  er  zuvor  einem  oder  mehreren  ihrer  Untergebenen  mochte 
angetan   haben.     Wenn    man  sich  erinnert,   daß  heilige  Bäame 
md  Haine,  denen  kein  Christ  nahen  durtlte  (Adam.  Brem.  IV.  18) 
bä  den  Völkern  lettischen  Stammes  den  Fremden  als  die  äugen- 
fiUligste  Aeußemng  ihres  Cultus  immer  zuerst  bemerkbar  gewor- 
den sind,  daB  mithin  grade  diese  die  nächsten  Opfer  desfronunen 
Bekehmngseifers  der  Christen  sein  mußten,   so  ist  leicht  einzu- 
sehen, wie  der  preußische  Häuptling  seinerseits  freche  Eindring- 
Enge  ftar  ein  an  heiligen  Bäumen  begangenes  Sacrileg  strafen  zu 
Bisgen  geglaubt  hat    Wenn  die  Deutschen  dies  dann  vneder  für 
iddits  anderes,  als  einen  rohen  Ausbruch  blutdürstigen  Hasses 
tuahen  und  demgemäß  behandelten,  so  gewährt  uns  diese  Bloß- 
kping    der   wahren  Motive    nur  einen  weiteren  Beleg  fUr  die 
tnuige  Wahrheit,  daß  viele  unserem  Gefühle  Schauder  erregende 
Taten  der  beiderseitigen  UniUhigkeit  entspringen  sich  in  die  Ge- 
dankenwelt des  Gegners  zu  versetzen.    Uebrigens  darf  uns  der 
buharische  Character  der  Strafe  nicht  verleiten  den  Culturzustand 
da  alten  Preußen  allzuniedrig  anzunehmen,   sie  standen  (zumal 
io  wirtschaftlicher  Beziehung,  wie  das  Neumannsche  Vocabular 
lehrt)  kaum  niedriger  als  ihre  christlichen  Nachbarn  in  Polen  und 
irenn   der  obige  Bericht  Laszkowski's  die  Entdärmung  auch  in 
lettopreußischer    Sitte    als    anfängliche   Vergeltung    für   Baum- 
schälen  begreiflich  macht,  so  läßt  mich  der  Umstand,   daß  die 
Bekehrer  heilige  Bäume  eher  mit  der  Axt  umzuhauen  pflegten, 
daran  denken,  daß  wol  schon  1231  jenes  Vertahren  iUr  jede  Art 
Verletzung  der  geweihten  Haine  und  der  mit  religiöser  Ehrfurcht 
behandelten  Stämme  in  Anwendung  gebracht  sein  mag,  und  im 
späteren  Verlauf  des  zweihundertjährigen  Religionskrieges,    der 
mit  der  Ankunft  der  Deutschen  auhub,    wird   es   bei  steigender 
Erbitterang  auch  in  solchen  Fällen  auf  Christen  ausgedehnt  sein, 
wenn   sie  kein  specieUes  Baumheiligtum  geschädigt  hatten.^     So 


1)  Auch  anderswo  muß  das  ursprünglich  für  Baumbeschädigang  oder 
IbrkfreYel  giltige  Strafverfahren  des  Ausdärmens  später  verallgemeinert  sein. 
Griinm  EA.  520.  Anm.  führt  aus  der  Nialasaga  S.  158  p.  275  die  ich  nicht 
zur  Hand  habe,  an,  daß  es  im  Juhre  1014  in  Irland  und  nicht  wegen  Mark- 
frevels  an  einem  Gefangenen  zur  Anwendung  gebracht  wurde.  ,,Man  ritzte 
ihm  den  Unterleib,  führte  ihn  um  die  Kiche  und  wickelte  so  die  Gedärme 
aas  ihm,  and  nicht  eher  starb  er,  bis  sie  alle  aus  ihm  herausgewickelt 
waren.** 


80  Kapitel  I.    Banmseele: 

wird  der  folgende  Vorgang  verständlich.  Im  Januar  1345  erschien 
der  heidnische  Litauerkönig  mit  seinem  Heere  vor  Biga.  Festi- 
nans  ad  transitum  (Dtlnabrücke ,  die  zur  Stadt  führte)  occurrit 
ei  juvenis  mercator  nihil  sciens  de  guerris;  quem  apprehenderant 
et  ligaverunt  pagani,  yentrem  ejus  sciderunt  et  circumduciint 
eum  arbori,  donec  intestina  ejus  omnia  extraheret,  deposuenint- 
que  euAi  de  trunco,  sanguinem  ejus  sacrificando  in  quo 
delectabantur  exultantes.  (Wigand  Marburg,  cap.  32.  Lat  Ausz. 
Scr.  Rer.  Prussic.  U.  505.)  Auch  dieses  Zeugniß  bewährt ,  dall 
wir  es  mit  einer  relivgiösen  Handlung,  nicht  mit  einer  profanen 
Strafe  oder  leei'en  Grausamkeit  zu  tun  haben ;  und  auf  eben  den- 
selben Punkt  triff);  noch  ein  weiterer  Beweis,  den  ein  Ereignift 
aus  der  Zeit  um  1236  darbietet.  Papst  Gregor  IX.  spricht  sich 
nämlich  1238  in  einer  Bulle  über  die  Verfolgung  der  Neubekehr- 
ten  in  Tawastland  durch  die  finnischen  Heiden  tblgendermafien 
aus:  Letztere  tödten  die  getauften  Kindlein,  quosdam  adoltos 
extractis  ab  eis  primo  visceribus  daemonibus  immolant  et 
alios  usque  ad  amissionem  Spiritus  arborem  cireuire 
compellunt^  Eine  so  blutige  Ceremonie  durfte  wol  von  den 
Christen  als  ein  den  Dämonen  dargebrachtes  Opfer  bezeichnet 
werden,  wenn  sie  auch  nach  Anschauung  der  Heiden  eine  Stlhne 
ftlr  ihre  beleidigten  Götter  war.  Unter  den  letzteren  werden 
¥m:  auch  in  diesem  Falle  zunächst  an  jene  der  Hyldemoer,  Aska 
froa  u.  s.  w.  zu  vergleichenden  Baumnymphen  denken,  welche 
der  Finne  unter  dem  Namen  Kati,  puiden  emuu  (Kati?  Baum- 
mutter)  Tuometar  (von  tuomi  Traubenkirsche)  Katajatar,  (von 
kataja  Wacholder),  Hongatar  (von  honka  Tanne),  Pihlajatar  (von 
pihlaja  Eberesche)  als  Pflegerinnen  und  Schtitzerinnen  der  Wald- 
bäume verehrte,'  und  deren  ja  in  jedem  heiligen  Haine  eine 
oder  mehrere  zur  Stelle  waren.  Es  tlihrt  uns  tief  in  das  frische 
Waldleben  der  Vorzeit  ein,  wenn  diese  Gottheiten  —  die  nach 
S.  22  Anm.  3  unzweifelhaft  auch  als  Menschen  und  Tieren 
gefährlich  gedacht  worden  sind  —  anderseits  angerufen  werden, 
sich  der  auf  der  Waldweide  gehenden  Viehheerden  anzuQehmen 


1)  Kaynald,  annal.  eccles.  Tom  XUI.  p.  457.    Liljegren,  Diplom.  Suec. 
I.  290.  Nr.  298.    Script  Rer.  Livon.  I.  ;k<9. 

2)  Castren.  finn.  Mythologie  übers,  v.  Schiefner  S.  105. 


Strafe  ftr  BaumsehAler.  81 

md  ihneii  in  reichlichem  Maße  Laub  zum  Fatter  zu  spenden.^ 
Wie  durch  die  vorheiigehenden  Zeugnisse  bei  Finnen  und  Litauern, 
kmen  wir  die  Sitte  der  Entdännung  durch  Helmold  auch  als 
Brauch  der  heidnischen  Slaven  des  12.  Jahrhunderts  in  Wagrien, 
Pdabien  und  Obotritenland  kennen.  Er  schildert  deren  Blut- 
durst und  fügt  hinzu:  ;;Wie  viele  Todesarten  sie  den  Christen 
idion  sogefiigt  haben  ist  schwer  zu  er^Uilen,  da  sie  den 
einen  die  Eingeweide  aus  dem  Leibe  rissen,  und  sie 
im  einen  Pfahl  wickelten  (his  viscera  extorserint  palo 
dreumducentes),  die  andern  ans  Kreuz  schlugen,  um  das  Zeichen 
nserer  Erlösung  zu  verhöhnen.^'  ^  Bei  den  Wagriem  lag  das 
Christentum  damals  bereits  seit  mehreren  Jahrhunderten  mit  dem 
Heidentum  im  Kampf  und  dieser  war  zu  großer  Erbitterung 
gediehen.  Da  wir  aber  von  ihnen  ebenfalls  wissen,  daß  Land 
and  Städte  an  heiligen  Hainen  und  Hausgöttern  (luci  et  penates) 
UeberfluB  hatten  (redundabant),'  so  ist  leicht  zu  erraten,  daß 
auch  hier  jene  Marterart  gegen  die  Christen  ursprünglich  mit 
dem  Auftreten  der  Missionare  in  Zusammenhang  gestanden  haben 
'wird.* 


; 


1)  Kalevala  |l.  XXXII.  Sollte  es  gar  zu  befremdlich  scheinen,  daß 
jemals  der  Glanbe  entstehen  konnte,  das  Leben  des  Baumes  werde  gef(')rdert, 
wenn  man  eine  entsprechende  (^eremonie  am  Körper  des  Mensehen  vornehme, 
M>  stellt  sich  u.  A  ein  anderer  barbarischer  Brauch  im  fernen  Orient  in 
Parallele ,  den  uns  das  Buch  über  die  nabatäische  Landwirtschaft  tiberliefert 
Du  Pfropfen  der  Baume  lieBen  die  Nabatäer  durch  ein  schönes  Mädchen  vor- 
nehmen, dem  während  dieser  Operation  ein  Mann  auf  unnatürliche  Weise 
beiwohnte.  Hier  bietet,  wenn  ich  mich  mit  Thümmel  so  ausdrücken  darf, 
die  Inocnlation  der  Liebe  das  animalische  Seitenstück  zur  Oculierung  des 
Baumes  und  soll  als  solches  den  £rfolg  desselben  fördern.  S.  Bastian,  der 
Mensch  in  der  Geschichte  III,  319.  Vgl.  das  ekelhafte  Zaubermittel  in  einer 
Bofiordnnng  bei  Waschersieben ,  Bußordnungen  der  abendländischen  Kirche. 
Halle  1851.  S.  576.  Ein  Weib  wird  unfruchtbar  „si  seiren  viri  sui  neglexerit 
aut  in  arborem  putridam  ponit."  Es  ist  klar,  daß  in  diesem  Brauche  der 
Baum  ein  Doppelgänger  des  Weibes  sein  soll. 

2)  Helmold,  chronicon  Slavor.  I.  c.  52. 

3)  Helmold  a.  a.  0.  I,  52.  cf.  83.  Vgl.  unten  die  schwedischen  Vardtrad 
und  die  Haine  des  mahjas  kungs  bei  den  Letten. 

4)  Noch  Helmold  selbst  war  im  J.  1155  Augenzeuge  einer  fanatischen 
Vernichtung  heiliger  Bäume  und  als  dann  Priester  Bruno  nach  Aldenburg  in 
Wagrien  berufen  wurde  „  trat  er  das  Werk  Gottes  mit  großem  Eifer  an, 
indem  er  die  Haine  niederhieb.*'  Helmold  a.  a.  0.  I.  83.  So  aber 
war  es  sicher  schon   seit  Jahrhunderten  bei  jedem  neuen  Siege  der  Christen 


32  Kapitel  L    Baomseele: 

§.  9.  Miteinanderwuclis  des  Baumes  nnd  des  Menschen- 
lelbes.  Das  Gegenstück  aber  zu  dem  durch  die  Strafe  für 
Baumschäler  geforderten  Ersatz  zerstörter  Baumglieder  liefert  der 
Volksglaube  y  daß  umgekehrt  Grebrechen  des  Menschen  durch  den 
Baum  ausgeglichen  werden  könnten.  Bekommt  ein  neugeborenes 
Kind  einen  Leibesschaden,  so  schlitzt  man  am  nächsten  Char- 
freitag  ein  Weidenstämmchen  auf ,  zieht  das  Kind  hindurch  nnd 
verbindet  den  Spalt  wieder,  sobald  er  verwächst  wird  das  Kind 
gesund.^  Meistens  ist  es  eine  in  der  Mitte  gespaltene  mit  großen 
Keilen  auf  eine  Weile  auseinander  gesperrte  später  wieder  fest 
verbundene  und  verklebte  junge  Eiche  oder  ein  Obstbaum,  wo- 
durch man  das  lahme,  oder  an  Nabelbruch  oder  an  zurückblei- 
bendem Wachstum  (englischer  Krankheit)  leidende  Kind  vor 
Sonnenaufgang  schweigend  und  nackt  kriechen  läßt.^  Acker- 
mann sah  um  1790  in  dem  Eichenschlage  eines  gewissen  Dorfes 
viele  junge  Eichen,  an  denen  dieser  Versuch  gemacht  war.' 
Rüekgratsverkrümmungen  heilt  man,  indem  man  den  kranken 
Kleinen  dreimal  durch  den  aus  der  Erde  hervorragenden  Bogen 
einer  Wurzel  zieht;  kann  er  nicht  gehen  lernen,  so  heißt  man 
ihn  durch  die  in  die  Erde  gewachsenen  Ranken  des  Brombeer- 
strauchs kriechen.  Wenn  der  Bruch  des  Baumes  verwächst,  ver- 
wächst der  Bruch  des  *  Menschenleibes ,  wenn  der  Baum,  der 
Brombeerstrauch  von  der  Wurzel  aus  grade  und  gesund  in  die 
Höhe  wächst  und  Fortgang  nimmt,  so  der  darunter  durchkriechende 
Mensch.  Derselbe  hat  sein  Schicksal,  sein  Leben  mit  demjeni- 
gen der  Pflanze  gleichsam  auf  mystische  Weise  verknüpft,  sich 
selbst   mit  ihr  so  zu  sagen  für  eins   erklärt.^    Dies  geht  noch 


getrieben  worden  und  die  Strafe  för  sacrilegische  Schändung  oder  Ver- 
niebtung  der  Baunibeiligtümer  konnte  längst  traditionelle  Weise  des  Menschen- 
opfers aus  christlichen  Gefangenen  geworden  sein. 

1)  Oberpfalz,  Bavaria  II,  255. 

2)  Wuttke  a.  a.  0.  §.  503.  Grimm  Myth.*  1118.  1119.  Schüler  z. 
Tier-  und  Kräuterbucb  des  Mecklenburger  Volkes  III,  30. 

3}  Deutsche  Monatsschr.  1791.  S.  439. 

4)  Auf  dieselbe  Weise  identifizierte  man  das  menschliche  Leben  mit 
demjenigen  von  Tieren.  Baker,  Nilzuflüsse  in  Abyssinien  I,  251  berichtet 
als  Aberglaube  der  arabischen  Weiber,  daß  Frauen,  welche  sich  in  interres- 
santcn  Umständen  befinden ,  einem  recht  starken  Kameel  zwischen  Vorder- 
und  Hinterbeinen  durchkriechen  in  der  Meinung,  daß  diese  Handlung  dem 
Kinde  die  Stärke  des  Tieres  mitteilen  werde. 


IGteinanderwnchs  deg  BaumeB  und  des  Menschenleibes.  SB 

deoüicher  aas  dem  Umstände  hervor ,  daB  es  fortan  ftlr  den  so 
GeheOten  sehr  gefahr>'oll  sein  soll,  wenn  der  mit  ihm  in  Sym- 
pathie gebraehte  Baum  abgehauen  wird.^  Sein  Leben  geht  mit 
dem  des  Baumes  zu  Ende.  Und  umgekehrt  stirbt  der«  Menseh 
zaent,  so  geht  —  nach  UUgischem  Glaaben  —  sein  Geist  in  den 
betreffenden  Bamn  über  and  wird  der  letztere  nach  Jahren  zam 
Schiffsbau  tauglich  and  dazu  benutzt,  so  entsteht  aus  dem  im 
Holze  weilenden  Geiste  der  Klabautermann,  d.  h.  der  Kobold 
oder  Schntzgeist  des  Schiffes  und  der  Schiffsmannschaft.^  Uebri- 
gaiß  lehrte  schon  unter  Theodosius  Marcellus  von  Bordeaux  die 
in  Rede  stehende  Kur:  Si  pnero  ramex  descenderit,  cerasum 
Bovellam  radicibus  suis  stantem  mediam  findito,  ita  ut  per  plagam 
fier  trajici  possit,  ac  rursus  arbusculam  conjunge  et  fimo  bubulo 
iliisqae  fomentis  obline,  quo  facilius  in  se  quae  scissa  sunt  coeant 
^pianto  autem  celerius  arbuscula  coaluerit  et  cicatricem  duxerit, 
tinto  citins  ramex  pueri  sanabitur.' 

Es  liegt  von  meinem  gegenwärtigen  Zwecke  ab  auszuftihren, 
wie  dieses  Durchkriechen  durch  einen  gespaltenen  Baum  sich 
omgesetzt  hat  in  das  Durchkriechen  durch  die  natürliche  Höhlung, 
welche  durch  zwei  unten  sich  trennende  oben  vneder  in  eins 
zusammen  wachsende  Aeste  gebildet  wird,  oder  durch  alle  mög- 
lichen anderen  Spalten  und  Höhlungen  z.  B.  in  Steinen,  in  der 
aufgegrabenen  Erde  (Friedberg,  Bußbücher  S.  99)  u.  s.  w.  Was 
wir  jedoch  vom  Baume  geglaubt  sehen,  findet  auch  auf  das  Ge- 
treide Anwendung.  Hat  ein  Kind  kein  Gedeihen,  so  legt  man 
es  am  Johannismorgen  nackt  in  den  Käsen  und  sät  Leinsamen 
Aber  dasselbe,  oder  mau  übersät  es  im  Frühjahr  mit  Sommer- 
gerste, wenn  die  Saat  aufgeht,  zu  „laufen'^  anfängt,  fängt  auch 
das  Kind  an  zu  laufen.^  Der  aufsprießende  Halm  ist  hier  der 
Doppelgänger  des  jungen  Menschen  und  sein  Wachstum  verbürgt 
das  Emporschießen  und  die  Gesundheit  desselben.     Und  anderer- 


1)  D.  Monatschr.  1791.  a.  a.  0.  Bei  entlegenen  Naturvölkern  begegnen 
Analogien.  Nach  Baätian,  Zs.  f.  Völkerpsych.  V,  297  knüpfen  z.  B.  die  Küsten- 
bewohner im  Camerongebirge  (Guinea)  ihr  Leben  geheimnißvoU  an  einen 
Banni. 

2)  Zs.  f.  D.  Myth.  U,  141. 

3)  Marcellas  Burdigalensis  Cap.  33,  p.  229.  Qriinm,  MarceUos  p.  24,  91. 
KL  Sehr,  n,  141.    . 

4)  Wnttke  a.  a.  0.  §.  543. 

Mannliardt.  3 


31  Kapitel  L    Baumseele : 

^eits  trat  an  die  Stelle  des  Menschen  auch  wol  das  Tier;  im 
7.  Jahrhundert  predigt  der  h.  Eligins  im  Frankenreiche  ,;Nullu8 
praesomat  pecora  per  cavam  arborem  transire  (Ifyth.  *  XXX.). 
Es  ist  also  auch  das  Tier  ^mit  dem  Baume  gewissermaßen  iden- 
tifiziert worden.  ^ 

§.  10.  Verletzte  BSnme  blnten.  Die  Verschmelzung  von 
Mensch  (oder  Tier)  und  Pflanze  in  der  Phantasie,  die  magische 
Wechselwirkung  zwischen  beiden,  welche  in  dem  bisher  bespro- 
chenen Volksglauben  uns  entgegentrat,  steigerte  sich  zuletzt  zu 
der  noch  mehr  anthropomorphischen  Vorstellung,  daß  heilige 
Bäume  und  andere  Pflanzen  bei  Verletzungen  bluten,  als  wären 
sie  leibhafte  Menschen  und  nur  dem  äußeren  Scheine  nach  Vege- 
tabilien.  Loccenius  im  17.  Jahrhundert  erzählt,^  daß  ein  Knecht 
auf  dem  Gute  Vendel  im  Kirchspiel  Ostcrhanning  in  Södermann- 
land  einen  schönen  schattenreichen  Wachholder  hauen  wollte, 
der  von  andern  Bäumen  umgeben  auf  einem  ebenen,  runden 
Platze  stand.  Da  hörte  er  eine  Stinmie  „Haue  den  Wachholder 
nicht !  '^  und  als  er  sich  dennoch  anschickte  zuzuschlagen,  ertönte 
die  Stimme  abermals:  „Ich  sage  dir  haue  don  Wachholder 
nicht.^^  Afzelius '  berichtet  damit  übereinstimmend  nach  einer 
älteren  Schrift,  als  ein  Mann  einen  Baum  im  Walde  habe  ab- 
hauen  wollen,  habe  aus  der  Erde  eine  Stimme  gerufen  „Lieber, 
haue  nicht!^^  und  aus  denBaumwurzeln  sei  Blut  geflos- 
sen. Eine  der  ersten  schwedischen  ähnliche  Sage  erzählt  man 
in  Baden  Yon  einem  Kirschbäumchen  bei  der  Barbarakirche  zu 
Herrenalb ,  aus  dem  sich  ein  Bauer  eine  Flegelrute  machen  wollte. 
Da  rief  es  beim  ersten  Schnitte  hinein  „Au  weh!  und  ebenso 
beim  zweiten,  worauf  der  Bauer  sich  mit  Grauen  davon  machte. 
Am  andern  Tage  war  das  Bäumchen  verschwunden.  Ein  ander 
Mal,  als  ein  Kttfer  dort  eine  Birke  abschneiden  wollte,  rief  es 
bei  jedem  der  drei  Schnitte  aus  ihr  „  o  Jesus ! "  Auf  dieses  ließ 
der  Küfer  die  Birke  stehen,  die  er  später  nicht  wiederfinden 
konnte.^  Doch  auch  der  von  Afzelius  berichtete  Zug  findet  unter 
deutschredenden  Stämmen  Analogien.  Man  vergleiche  nur  was 
Schiller  Walter  Teil  zu  seinem  Vater  sagen  läßt  (Act.  UI.  Sc.  3): 


1)  Loccenius,  antiquitat.  Sueogoth.  3  bei  Arnkiel  a.  a.  0.  p.  179.* 

2)  Volkssageu  und  Volkslieder  Schwedens,  übers,  v.  Ungewitter  II,  308. 

3)  Baader,  Volkssagcn  aus  Baden.  I,  172,  185. 


Verletzte  Bäume  bluten.  35 

« 

Vater  ists  wahr,  daß  auf  dem  Berge  dort 
Die  Bäume  bluten,  wenn  man  einen  Streich 
Drauf  führe  mit  der  Axt? 

Teil:  Wer  sagt  das  Knabe? 

Walter:  Der  Meister  Hirt  erzählts.    Die  Bäume  seien 

Gebannt,  sagt  er,  und  wer  sie  schädige 

Dem  wachse  seine  Hand  heraus  zum  Grabe. 

Grimm  Myth.»  619  führt  aus  Meinerts  Kuhländchen  S.  122, 
dag  mir  nicht  zur  Hand  ist,  an,  daß  die  Erle  anhebe  zn  bluten, 
n  weinen  mid  zn  reden,  wenn  einer  sie  haue.  Nach  Schön- 
werth  soll  es  auch  oberpfälzische  Sagen  geben,  daß  der  Baum 
Mote,  wenn  er  umgehauen  wird.^  Derselbe  Glaube  herrscht  noch 
ii  österr.  Schlesien.*  In  jeder  Hinsicht  beglaubigt  ist  femer  die 
ikhtige  Aufzeichnung  von  J.  V.  Zingerle  über  den  erst  1855 
■edergehauenen  „heiligen  Baum''  bei  Nauders  in  Tirol.  Es 
wtr  ein  uralter  zwieseliger  Lärchbaum,  aus  dessen  Nähe  das 
Vdk  aas  heiliger  Scheu  selbst  bei  öffentlichen  Holzverteilungen 
kein  Brenn-  oder  Bauholz  nehmen  mochte.^  Lärmen  und  Schreien 
bei  diesem  Baume  galt  ftlr  den  größten  Unfug,  Fluchen  und 
Sdielten  f)ir  einen  himmelschreienden  Frevel,  der  auf  der  Stelle 


1)  Aus  der  Oberpfalz  II,  335. 

2)  A.  Peter,  Volkstümliches  aus  Oesterr.  Schlesien.  Troppau  1867  II, 
S.  30  teilt  darüber  Folgendes  mit:  In  Waldbäumen  wohnt,  wie  noch  jetzt  alte 
liente  glauben ,  ein  höheres  Wesen.  Nicht  jeder  Landmann  gestattet  es^  daß 
man  ohne  besondere  Veranlassung  in  die  Binde  eines  Waldbaumes 
hi neinschneide.  Er  hat  von  seinem  Vater  und  Großvater  gehört,  der 
angeschnittene  Baum  blute  und  die  ihm  zugefügte  Wunde  ver- 
ursache ihm  nicht  geringere  Schmerzen,  als  einem  verwunde- 
ten Menschen.  Wenn  man  einen  bejahrten  Holzhacker  im  Walde  belauscht, 
10  kann  man  hören,  wie  er  dem  Baume,  den  er  eben  fällen  will, 
Abbitte  leistet.  Fragt  man  ihn  nach  der  Ursache  dieses  sonderbaren 
Vorgangs,  so  antwortet  er,  er  müsse  das  tun;  in  jedem  Baume  wohne 
eine  arme  Seele,  der  er  dadurch,  daß  er  ihr  Abbitte  leiste, 
Erlösung  bringe,  während  sie  leiden  und  imBaumstrunke  fortleben 
müsse,  wenn  er  das  zu  tun  unterlasse. 

3)  Hiezu  vgl.  was  Laur.  Blumenau  im  Jahre  1457  in  s.  historia  de 
ordine  cruciferorum  doch  wol  nach  den  Ueberresten  des  Heidentums  in  aeiner 
Zeit  von  den  heiligen  Wäldern  der  alten  Preußen  berichtet :  ,, Nonnullas  Silvas 
adeo  sacras  esse  arbitrabantur,  ut  nee  lignaincidere.  nee  vctustate 
qaidem  dejectas  arbores  inibi  abducere  permittebant.  (Cf.  Script. 
Eer.  Prussic.  I,  53).  Vom  Värdträd  (unten  §  14«*)  durfte,  kein  windbrüchiges 
Holz  genommen  werden. 

3* 


36  Kapitel  L    ßanmseele: 

geahndet  werde.  Oft  hörte  man  die  Warnung:  „Tu  nicht  so, 
hier  ist  der  heilige  Baum  und  dem  Zorne  wurde  sofort  E^inhalt 
geboten.  Allgemein  herrscht  der  Glaube,  der  Baum  blute,  wenn 
man  hineinhacke  und  der  Hieb  gehe  in  den  Baum  find  in  den 
Leib  des  Frevlers  zugleich.  Der  Hieb  dringe  in  beide  gleich  weit 
ein  und  Baum  und  Leibuninde  bluten  gleich  stark,  ja  die  Wunde 
am  Leibe  lieüe  nicht  früher,  als  der  Hieb  am  Baume  vernarbe. 
Ein  frecher  Knecht  nahm  sich  vor  —  so  erzählt  man  —  den 
heiligen  Baum  zu  fällen^  um  den  Volksglauben  zu  Schanden  zu 
machen.  Schon  schwang  er  die  Axt  zum  zweiten  Hiebe,  als 
Blut  aus  dem  Stamm  quoll  und  Blutstropfen  von  den 
Aesten  niederträufelten.  Der  Holzknecht  ließ  die  Axt  vor 
Schrecken  fallen  und  lief  davon,  fiel  aber  bald  ohnmächtig  zur 
Erde  nieder  und  kam  erst  Tags  darauf  zur  Besinnung.  Die  Blut- 
spuren blieben  noch  lange  Zeit  am  Baume  sichtbar.  Die  Narbei 
die  von  jenem  Streiche  herrühren  sollte,  sah  man  noch  vor  eini- 
gen Jahren.^  Zur  Stütze  dieses  Berichtes  aus  neuester  Zeit  dient, 
was  der  (wol  zwischen  1409  — 1418)  in  Niederlitauen  unter  den 
noch  halbheidnischen  Zemaiten  missionierende  Calmaldolenser- 
mönch  Hieronymus  aus  Prag  im  Jahre  1431  zu  Basel  dem  dama- 
ligen Secretär  Enea  Silvio  Piccolomini,  späteren  Papste  Pius  IL 
über  seine  Erfahrungen  mitteilte,  und  was  dieser  der  Nachwelt 
in  seiner  „Europa''  aufbewahrt  hat:  Postremo  alios  populos  adiit 
(Hieronymus  kam  zu  den  Leuten  eines  anderen  Gaus),  qui  sylvas 
daemonibus  consecratas  venerabantur  et  inter  alias  unam  cultn 
digniorem  putavere.  Praedicavit  huic  genti  pluribus  diebus  fidei 
nostrae  aperiens  sacramenta,  denique  ut  sylvam  succideret  impe- 
ravit  Ubi  populus  cum  securibus  affuit,  nemo  erat,  qui  sacmm 
Ugnnm  ferro  contingere  änderet.  Prior  itaque  Hieronymus 
assumpta  bipenni  excellentem  quandam  arborem  detruncavit 
Tum  secuta  multitudo  alacri  certamine  alii  serris,  alii  dolabris, 
alii  securibus  sylvam  dejiciebant  Ventum  erat  ad  medium  nemo- 
ris^  ubi  quercum  vetustissimam  et  ante  omnes  arbores  religione 
sacram  et  quam  potissime  sedem  esse  putabant  percutere  aliquam 
diu  nullus  praesumpsit  Postremo  ut  est  alter  altero  audacior 
increpans  quidam  socios,  qui  lignum  rem   insensatam  percutere 


1)   Zingerle,   Sagen,   Märchen   nnd   Gebräuche   aus    Tirol.     Innsbrock 
1859.    109  ff.,  176. 


Verletzte  Bäume  bluten.  37 

fonnidarent,  elevata  bipenni  magno  ictu  cum  arborem 
caedere  arbitraretur  tibiam  suam  percussit  (er  traf  sein 
Sduenbein)  atque  in  terram  semianimis  cecidit  Atto- 
mta  circmn  turba  flere  conqueri^  Hieronymom  accusare,  qui 
sacram  dei  domum  violari  soasisset  Neqae  jam  qaisqaam 
erat,  qoi  fermm  exercere  änderet  Tnm  Hjeronymns  ülnsiones 
daemonom  esse  affinnans  ^  qnae  deceptae  plebis  oculos  fascinarent, 
mrgere  qnem  cecidisse  vulneratnm  diximus  imperavit 
et  nnlla  in  parte  laesum  osjiendit  et  mox  ad  arborem 
idacto  ferro  adjuvante  mnltitndine  ingens  onus  cum  magno  fragore 
prostravity  totum  nemus  succidit  Erant  in  ea  regione  plures 
Q'lvae  pari  religione  sacrae.  Ad  quaa  dum  Hieronymus  ampu- 
tuidaa  pergity  mulierum  ingend  numerus  plorans  atque  ejulans 
fitoldnm  (den  Utauerherzog  Vitautas)  adit,  sacrum  lucum  sucd- 
mm  qneritur  et  domum  dei  ademptam^  in  qua  divinam  opem 
petere  consuevissent;  inde  pluvias,  inde  soles  obtinuisse;  nescire 
jam  qno  in  loco  deum  quaerant^  cui  domicilium  abstulerint  Esse 
aliqaos  minores  lucos,  in  queis  dii  coli  soleant,  eos  quoque  delere 
Hieronymom  velle.^  Hier  ist  von  demselben  Lande  die  Bede,  in 
welchem  noch  150  Jahre  später  Laszkowski  heilige  Bäume  um- 
hieb, (o.  S.  12).  So  tief  wurzelte  der  Glaube  an  die  geheim- 
nißvoUe  Sympathie  zwischen  dem  heiligen,  von  einem  für  göttlich 
erachteten  Geiste  erfüllten  Baume  und  dem  beschädigenden  Men- 
sehen, daß  den  bereits  zu  der  rationellen  Erkenntniß  Vorgedrun- 
genen, die  Eiche  sei  ja  nur  ein  lebloses  Stück  Holz,  im  Augen- 
bhcke  als  er  den  Streich  ausführt,  jene  ältere  ihm  anerzogene 
Vorstellung  mit  Macht  wieder  überkommt  und  er  unwillkürlich 
das  Beil  auf  seinen  eigenen  Fuß  lenkt.  Ueberzeugt,  daß  er  ver- 
wundet sei,  so  tief,  als  er  vermutlich  in  den  Baum  gehauen, 
fällt  er  hin  und  bleibt  liegen,  bis  ihn  der  Mönch  aufstehen  heißt 
and  zeigt,  daß  er  keine  Wunde  davon  getragen.'    Schön  ist  die 


1)  S.  Aeneac  Sjlvii  Europa,  c.  XXVI.  Cf.  Script  rer.  Prussic.  IV, 
238—239. 

2)  Auch  bei  niederen  Pflanzen  läßt  sich  diese  Art  von  Anthropomorphose 
belegen,  falls  in  der  von  J.  W.  Wolf  Beitr.  II,  241  dem  Thomas  v.  Chantimprö 
nacherzählten  Geschichte  die  hastula  regia  =  asphodelos,  nicht  ein  kleiner 
Baomzweig  gemeint  ist.  Zu  Munchengrätz  in  Böhmen  sagt  man,  daß  Blut 
aus  dem  Grase  fließe,  welches  an  Maria  Namen  gemäht  wird.  Grohmann, 
Abergl.  a.  Böhmen  S.  90 ,  632. 


88  Kapitel  I.    BanmBeele: 

Anwendung  y  welche  eine  S^e  aus  Millstadt  in  Kärnten  vom 
Glauben  an  das  Bluten  der  Waldbäume  macht.  Ein  vaterloses 
Mädchen  liebt  einen  Soldaten  und  wird  deshalb  durch  den  Fluch 
seiner  Mutter  in  einen  Ahombaum  verwünscht;  sein  Leib  wird 
zäh,  seine  Brust  knorrig ,  seine  Haut  Rindd,  die  Hände  ästig 
und  die  Haare  Laub.  Ein  Spielmann  will  sich  von  dem  Baume 
einen  Zweig  zum  Bogen  schneiden,  da  quillt  Blut  heraus.  Eine 
Stimme  aber  spricht:  Mein  Blut  ist  versöhnt,  schneide  dir  einen 
Bogen  und  spiele  mir  mit  demselben  ein  Grablied;  dann  gehe 
zum  Bleicherhause  und  siehst  du  meine  Mutter,  so  geige  ihr  ein 
Sttlcklein  und  sage,  daß  der  Bogen  von  ihrem  Kinde  sei.  Als 
die  Mutter  das  Spiel  des  Bogens  hörte,  der  noch  nie  solche  Töne 
hervorgebracht  hatte,  wie  dies  mal,  ward  sie  blaß  und  versöhnt 
und  reuevoll  rief  sie  aus:  „Fttrwahr,  ein  gefallenes  Kind  ist 
besser,  als  keines.^  Hier  ist  die  Baumnymphe,  deren  Blut  dem 
verletzten  Stamme  entströmt,  durch  rationalistische  Deutung  zur 
Metamorphose  einer  menschlichen  Jungfrau  geworden ;  die  ttbrigen 
Zttge  der  Sage  gehören  größtenteils  einer  zart  empiundenen  freien 
Erdichtung  zur  Motivierung  dieser  Verwandlungsgeschichte  an, 
welche  auf  ihre  wahre  Meinung  und  ursprtlnglichste  Grundform 
zurückgeführt  deutlicher  als  die  vorhergehenden  Beispiele  die 
Baumgöttin  mit  der  Verschmelzung  menschenartiger  und  vegeta- 
bilischer Leiblichkeit  vor  Augen  fllhrt. 

§.11.  FrelbSume.  Derartiger  Glaube  konnte  der  Erfahrung 
des  praktischen  Lebens  gegenüber  nattlrlich  in  Bezug  auf  wenige 
Baumexemplare   sich    halten.     In   heidnischer  Zeit   werden   das 


1)  Th.  Vemaloken,  AlpeDsageu  289,  207.  Hier  findet  sich  denn 
anoh  wol  der  naturgemäße  Anschluß  für  Vorstellungen  und  Sagen,  wie  die 
eines  serbischen  Liedes  (Vuk  296.  Talvj,  Vollcsl.  d.  Serben.  Aufl.  1.  1825. 
p.  35.    Handb.  der  slav.  Sprache  und  Literatur  329): 

Fleht  zu  Gott  ein  junger  Knabe: 

„Gieb  0  Gott  mir  goldne  Homer, 

Gieb  mir  silbernes  Geweihe, 

Daß  ich  dieser  Kiefer  Rinde 

Spaltend  sehe  was  darinnen.*^ 

Gab  ihm  Gott  die  goldnen  Hörner, 

Gab  das  silberne  Geweihe; 

Und  er  spaltete  die  Binde. 

Saß  ein  junges  Mädchen  drinnen, 

Das  gleich  einer  Sonne  strahlte. 


Freibäome.  39 

vorzugsweise  die  Bäume  geheiligter  Haine  gewesen  sein,  welche 
dem  wirtschaftlichen  Gebrauche  durchaus  entzogen  waren.  Aber 
auch  später  noch  finden  wir,  daß  in  den  Marken  oder  Gemein- 
Waldungen  gewisse  Bäume  davor  geschützt  waren,  von  jedem 
Markgenossen  geschlagen  zu  werden.  Sie  umzuhauen  war  bei 
Kapitalstrafe  verboten.  Dazu  gehörten  vorzugsweise  die  „frucht- 
baren/' d.  h.  zur  Mast  dienenden  Harthölzer  Eiche  und  BuehCi 
(das  Blomholz ,  die  Blumware)  wogegen  es  in  alter  Zeit  jeder- 
mann freistand,  das  „unfruchtbare'^  weiche  Taub-  oder  Dust- 
holz nach  Belieben  für  seinen  Gebrauch  zu  hauen  ;^  femer  die 
mr  Bezeichnung  der  Grenze  dienenden  Bäume.  In  manchen 
Gebirgstälern  der  Schweiz  z.  B.  im  Urserental  waren  Arven  und 
Tannen  gebannt  d.  h.  vor  dem  Axthieb  gefreit.  Auf  dem  Um- 
kanen  gewisser  Grenzarven  stand  der  Tod.*  Unzweifelhaft  blieben 
einzelne  Exemplare  stäts  unbertlhrt  stehen,  während  andere  zu  Bau- 
holz angewiesen  wurden.  Solche  Schutz  -  oder  Freibäume  scheinen 
▼ielfach  die  Träger  der  alten  mythischen  Anschauung  geworden 
n  sein  (vgl.  o.  S.  35).  In  Schweden  spricht  man  von  gewissen 
friträd  (Freibäumen)  welche  nicht  gehauen  werden  mögen  „denn 
die  Bewohnerin  des  Baumes  (hon  som  bor  i  trädet)  will  nicht 
gehauen  sein".^  , 

§.  12.  Baum,  zeitweilige  HOlle  einer  abgeseliiedenen 
Seele.  In  weiterer  Entwickelung  nehmen  nun  die  bisher  behan- 
delten Vorstellungen  von  einem  Baumgeiste  mannigfach  andere 
Formen  an,  von  denen  wir  jedoch  nur  einige  der  einfacheren 
und  von  fremder  Beimischung  frei  gebliebenen,  teils  erwähnen, 
teils  näher  darlegen  wollen.  Aus  dem  Glauben,  daß  die 
Pflanze  eine  Seele  habe,  erwuchs  die  Ansicht,  daß 
dlf'sdhc  (ler  zeitweilige  Ki/rper  einer  Menschenseele  sei.  Die  Seelen 
Liebender  oder  unschuldig  Gemordeter  wandeln  sich  in  weiße 
Lilien  und  andere  Blumen,  welche  aus  dem  Grabe,  oder  aus 
dem  hinströmenden  Blute  hervorsprießen  (S.  die  o.  S.  3  Anm.  1 
angeführten  Schriften).  Die  70  Fuß  hohe  sogenannte  „schöne 
Eiche"   im  Walde  bei  Lüchow  soll  aus  dem  Munde  eines  in  der 

1)  Vgl.  Lex  Bnrgund.  XXVIII.  1  —  2.  Es  ist  jedermann  die  Erlaubniß 
gewahrt  ,, incidendi  ligna  ad  usus  suos  de  jacentivis  et  sine  fruetu  arbori- 
bus  in  cujuslibet  silva.     Vgl.  Koscher,  System  der  Volkswirtschaft  II,  522. 

2)  Rochholz,  Aargau.  Sagen  1,  72.    Ders.  Alemann.  Kinderlied  287. 

3)  Hylt^-n-Cavallius  a.  a.  0.  S.  310. 


Kapitel  I.    BaniDseele: 

^reäJlenen  Kt>mg8  hervorgewachsen  sein.^  Ebenso  giebt 
^iN  «x\c  Sd^n  viHi  sogenannten  Blatbäumen,  die  aus  dem  Blute 
^'Msiik\!i  Oeriohteter  entstanden;  mit  dem  Blute  ging  die  Seele 
*t  $w  Iber.  Zu  Camera  waren  das  7  Eichen,  die  sich  wunder- 
Ndtr  ja  einem  Stanmie  vereinigten,  und  als  man  einst  eine  der- 
selben fUlte,  schwitzte  der  Stumpf  blutige  Tränen,  bis  ein  neuer 
K»am  ans  demselben  hervorwuchs.*  Zu  Mödrufell  im  EyjaQördr 
Ättf  Island  ist  es  ein  Vogelbeerbaum  (reynir) ,  der  aus  dem  Blute 
iweier  wegen  vermeintlicher  Blutschande  unschuldig  hingerichteter 
Geschwister  entsteht.*  In  der  HöU  (Oberpfalz)  hängt  man  an  dem 
Orte,  wo  jemand  gewaltsamen  Todes  starb,  eine  Tafel  mit  einer 
GedäehtniBinschrift  an  einen  Baum.  Bei  Tag  soll  dann  die  arme 
Seele  des  Getödteten  im  Baume  hausen.  Nachts  aber  entbunden 
sein  und  in  einem  gewissen  Umkreise  frei  schalten  dürfen.* 

Doch  nicht  bloß  reine  und  selige  Menschengeister ,  auch  die 
Seelen  Verdammter  nehmen  nach  dem  Tode  Pflanzenleib  an.  In 
einem  Laubwalde  zwischen  Altstrelitz  und  Neubrandenburg,  an 
einer  Stelle,  wo  einst  ein  Meuchelmord  begangen  wurde, 
stieg  täglich  mit  dem  ersten  Schlage  der  Mittagsstunde  eine 
distelähnliche  Pflanze  aus  dem  Boden,  deren  Stamm  zwei 
mit  Stacheln  besetzte  Arme  mit  in  einander  genmgenen  Hän- 
den bildeten,  unten  am  Stiel  zwei  über  und  über  mit  Stacheln 
oder  Doraen  besetzte  Menschenköpfe.  Sobald  es  zwölf  aus- 
geschlagen hatte,  war  das  Gewächs  spurlos  verschwunden. 
Einem  Pastor,  der  mit  seinem  Stocke  darüber  hinfuhr,  verkohlte 

1)  N.  Vatcrl.  Archiv  I,  347.  Harrys,  Volkssagen  Niedersacbsens  1840 
I,  88,  55. 

2)  Kuhn ,  Dordd.  Sagen  107,  122. 

3)  Maurer,  Island.  Sag.  177. 

4)  Schönwerth,  ans  der  Oberpfalz  I,  291.  Näheres  über  diese  Sitte  in 
anderen  Bairischen  Landschaften  liest  man  in  Lndw.  Steubs  Bairischem  Hoch- 
land S.  60.  Man  legt  den  Verstorbenen  sogleich  nach  dem  Tode  auf  ein 
Brett,  das  Eehbrett,  (d.  i.  Leichenbrett,  vgl  rahd.  re,  ahd.  hreo,  goth. 
hraivs  Leichnam,  vorzugsweise  wol  der  blutige,  getödtete  Leib  =  (skr.  kra- 
vis,  kravjam  rohes  Fleisch,  gr.  XQt'itg^  lat.  caro  und  cruor,  lit,  kraujas  Blut, 
altsl.  kruvi  Blut).  Auf  dem  Rehbrett  bleibt  er  bis  zum  Begräbniß  liegen. 
Dann  giebt  man  es  dem  Maler,  der  es  blau  anstreicht,  den  Namen  des  Ver- 
storbenen ,  eine  Bitte  um  ein  Vaterunser  und  ein  R,  i.  p.  (requiescat  in  pace) 
darauf  setzt.  Diese  Andenken  werden  dann  auf  der  Flur  oder  im  Walde, 
wo  die  Fußsteige  vorübergehen .  an  Feldkreuzen  oder  Baumstämmen 
festgemacht  und  bleiben  dort,  bis  sie  verwittern. 


B«im  xeitweilige  HftUe  einer  abgeschiedenen  Seele.  41 

der  Stock  und  verlahmte  der  Arm.^    Diese  Mecklenbni^r  Sage 
leigt  eine  wunderliche  Zutat  mittelalterlichen  Fegefeuerglaubens. 
Beiner  ist  die  bairische  von  den  drei  verfluchten  Jungfern,  die  in 
dnem  Waldschlosse  bei  Ntlmberg  ein  gottloses  Leben  ftlhrten. 
Fremde  anlockten ,  ausplünderten  und  tödteten.    Gottes  Blitz- 
strahl erschlug   sie  und  verbrannte  ihr  Haus;   ihre 
8eelen  aber  fuhren  in  drei  große  Bäume  und  so  oft 
einer  davon    gefällt  wird,  geht  die  Seele   in   einen 
andern.     Nach  Gebetläuten  hört  der  Vorübergehende  von^  den 
Wipfeln   dieser  Bäume   herab  lockende  Stimmen  oder  schaden- 
frohes Gekicher  und  nicht ,  undeutlich   glaubt  er   zwischen   den 
Aesten  eine  Gestalt  zu  sehen,  die  ihn  zu  sich  winkt'    Breithut, 
ier  Geist  eines  berüchtigten  Raubritters  im  Geißenthäle  läßt  sich 
Me  und  da  als  Baumklotz  oder  gradezu  als  Baum  blicken.'    Ein 
Pfleger,  der  Waisengelder  angegriffen  hat,  spukt  im  Walde.    Er 
seht   aus,    wie    in  Baumrinde    gekleidet,    lehnt  sich   an  einen 
Baumstamm  und  schaut  die  Holzarbeiter  starr  an,    bis  sie  ent- 
setzt fliehen.^    An  der  Pfaffenhaide  am  Hallwiler  See  stand  bis 
Tor  karzem  ein  sehr  alter  Kirschbaam.    Dahinter  sah  jeder,  der 
Nachts  vorüber  ging,   einen  Mann   stehen,  der  die  Hand  vor- 
streckte,  dann   rasch  hervorsprang  und  verschwand.    Wer  sich 
nach   ihm  umsah,   dem  blieb  der  Hals   verdreht.     Einem  Weib 
hing  er  sich  als  Dom  in  die  Jttppe  und  als  sie  diesen  entfernen 
wollte,   schwoll  ihr  der  Kopf  an.    Man  hieb  den  Birnbaum  um. 
Seitdem  ist  auch  jene  Stelle  frei,    aber  ebenso  lange  sitzt  im 
Keller  des  nächstgelegenen  Hauses  ein  schwarzer  Hund  auf  einer 
Kiste  und  heißt  wie  der  längst  verstorbene  Ahnherr  dieses  Hauses 
SucheUs.^    Im  Buchenwalde  auf  dem  Kestenberg  zwischen   den 
Schlössern   Wildegg  und  Brunegg  hat   sich   ein  Jäger  an  einer 
Eiche  erhängt    Als  der  Schloßherr  ihn  fand,  vom  Winde  in  den 
Zweigen  hin   und  her  geschaukelt,  befahl  derselbe  die  Eiche  zu 
fallen;    aber  Blut   quoll  unter  den  Axthieben    hervor    und  rote 

1)  Niederhöffer,  Mecklenburgs  Volkssagen  III,  193. 

2)  Panzer.  Beitr.  z.  D.  Myth.  U.  197.  342. 

3)  Birlinger,  Volkstüml.  a.  Schwaben  I,  10,  8. 

4)  Schönwerth,  ans  der  Oberpfalz  III,  131.  Vgl.  den  Geist  in  der  hohlen 
Esche  bei  Genkingen,  der  vorübergehende  Menschen  mit  in  den  Banm  zu 
fi^bmen  sucht.    £.  Meier.  Schwab.  Sagen  251,  280. 

5)  Bochholz,  Schweizersagen  ans  dem  Aargau  B.  I-  Aaran  1856.  S.  80,  68. 


42  Kapitel  I.    Baumseele: 

Adern  durchzogen  den  Stamm.  Da  verbrannten  die  Leute  Stamm 
und  Leichnam.  Seitdem  pirscht  aber  der  Todte  als  Wildhans 
yon  Wildegg  mit  gespenstigen  Hunden  durch  den  Waid,  oft  hört 
man  dieselben  winseln,  wenn  er  sie  an  die  Bäume  hängt,  um 
sie  mit  Riemen  zu  hauen.  ^  Eine  Variante  dieser  Sage  knüpft 
sich  unweit  davon  an  einen  Holzbimbaum  zwischen  Wildegg 
und  Lupfig.  Der  krumme  Jäger,  der  an  diesem  Baume  seine 
Hunde  aufzuhängen  pflegte ,  sich  an  ihm  erhängt  hatte  und  unter 
demselben  begraben  war,  ließ  sich  da  noch  immer  sehen  z.  B. 
als  dreibeiniger  Hase  mit  Augen  so  groß  wie  ein  Pflugrad.  Wer 
ihm  nachschaute,  dem  schwoll  der  Kopf.  Oder  er  stand  als 
schwarzer  Mann  hinter  dem  Baume.  Einer  der  ihn  an- 
redete, büßte  mit  gedunsenem  Mund  und  geschwollenen  Algen, 
Die  Gemeinde  beschloß  nun  den  Baum  umhauen  zu  lassen.  Aber 
während  das  Gebüsche  ringsum  unbewegt  in  der  ruhigen  Luft 
stand,  schüttelte  ein  Brausen  die  Aeste  des  Holzbimbaums.  Den 
Arbeitem  sprang  die  große  Waldsäge  ab,  und  wo  man  mit  der 
Axt  hintraf,  war  das  Beil  stumpf  und  ein  blutroter  Saft  quoll 
nach.^  Diese  Sagen  sind  in  mancher  Hinsicht  lehrreich.  Die 
Seele  des  Verstorbenen  geht  in  den  Baum  über,  erfüllt 
ihn  gleichsam  mit  menschlichem  Leben,  so  daß  Blut 
in  seinem  Geäder  umläuft.  Zugleich  aber  läßt  sie 
sich  als  Schatten  in  Tier-  oder  Menschengestalt  außer- 
halb des  Baumes  aber  in  dessen  Nähe  sehen,  und  ihr 
Anschauen  verursacht  jene  Krankheiten,  mit  welchen 
der  unverhttllte  Anblick  von  Geistern  auch  sonst  be- 
straft wird.  Durch  die  Vernichtung  des  Baumes  frei  geworden, 
vereinigt  sie  sich  mit  dem  Winde  und  tobt  in  der  wilden  Jagd 
daher.'  Es  wird  uuif  auch  wol  verständlich  sein,  weshalb  auch 
Gespenster  und  Klopfgeister  in  hohle  Bäume,  Weidenbäume 
u.  dgl.  gebannt  werden.*    Man  giebt  ihnen,  um  sie  los  zu  werden, 

1)  Rochholz  a.  a  0.  I,  73,  57. 

2)  Rochholz  a.  a.  0.  I,  69,  56. 

3)  Vgl.  Mannhardt,  GöUerwelt.  S.  107  ff. 

4)  Vgl.  H.  Pröhle,  Harzsagen  S.  166  ff. ,  I  —  IV.  Den  Zusammenhang 
oder  die  Ucbergänge  der  dargelegten  Anschauungen  zeigt  u.  A.  auch  die 
Mitteilung  Panzers  (Beitr.  II,  3()2)  daß  der  Sägeschmiod  zu  fischenfelden 
in  der  Oberpfalz,  wenn  er  Fieber  hatte,  gradczu  nach  dem  Manne  schickte, 
der  sich  mit  Geisterbannen  abgab.  Dieser  hob  die  Türschwelle  aus,  bannte 
den  Geist  und  keilte  ihn  in  einen  Weidenbaum  ein. 


Baum  zeitweilige  Hülle  einer  abgeschiedenen  Seele.  4S 

den  Baum  zum  Leibe.  Der  im  Weinkeller  ^pokende  Geist  eines 
Uien  Wirts  ist  in  die  Rückfelder  Linde  bei  Zarzaeh  gebannt 
worden.  Dort  hauste  er  in  einem  Astloch.  Nachts  saß  er  oft 
lof  einem  Aste  und  geigte  und  je  schärfer  im  Winter  die  Schnee- 
flocken über  Rackfeld  stöberten  ^  desto  schöner  und  schärfer 
geigte  er  drauf  los.  Ein  Bauer ,  der  nach  diesen  Tönen  tanzte. 
Im  er  umfiel,  ist  von  Stund  an  der  beste  Tänzer  im  Lande 
geworden.  Dieses  zauberische  Geigenspiel  ist  die  Musik  des 
Waldes,  das  Ued  des  Sturmes,  welches  alles  bewegt  und  tanzen 
Baeht.^  Die  breite  Eiche  auf  dem  BleB  bei  Salzungen  war  die 
■ichtjgste  des  ganzen  Forstes.  Als  sie  hohl  wurde  trugen  die 
Jesuiten  manchen  Foltei^eist  in  dieselbe.  Leute,  die  vorbei- 
pqgen ,  hörten  die  Geister  darinnen  rumoren.  Li  die  dicht  belaub- 
te steilen  Wände  der  wilden  Löcher  einer  Schlucht  in  der  Nähe 
ieser  Eiche  sind  ebenfalls  Foltergeister  getragen  und  festgebannt. 
Noch  heute  guckt  fast  ans  jeder  Ecke  und  aus  jedem  Baum- 
itompf  ein  Spukgesicht  heraus  und  erschreckt  die  armen  Leute, 
die  dort  Leseholz  suchen.  Ein  Tagelöhner  aus  Salzungen  hatte 
Uer  Baumstubben  gerodet  und  spaltete  dieselben  unter  seinem 
Fenster  vor  dem  neuen  Tore;  da  sah  er,  als  er  so  eben  einen 
Keil  eintrieb,  ans  dem  Stubben  ein  kleines  graues  Männlein  her- 
aas nnd  durch  die  Türe  in  das  Haus  schlüpfen  und  ehe  der 
Tagelöhner  sich  noch  von  seinem  Sehrecken  erholt  hatte ,  guckte 
der  kleine  Mann  auch  schon  durch  die  runden  Scheiben  der 
Wohnstube,  schnitt  allerlei  Gesichter  und  trieb  so  lange  Unfug, 
bis  er  ihn  durch  einen  Geisterbanner  fangen  nnd  wieder  ban- 
nen ließ.' 

Noch  ein  Beispiel  sei  angeführt,  welches  wieder  erinnern 
mag,  daß  auch  diese  Vorstellungsweise  die  Bäume  und  niederen 
Pflanzen  gemeinsam  umfaßt.  Man  soll  die  Sehroelber  (Schmeicher 
oder  Schmielen)  eine  hohe  schlanke  Grasart  nicht  abreißen,  oder 
damit  die  Zähne  ausstochern,  damit  man  nicht  von  den  bösen 
Geistern  oder  Teufeln  besessen  werde,  welche  oft  dahinein 
^bannt,  oder  darauf  gespießt  sind.^     Zu  vergleichen  steht  die 

1)  Rochholz  a.  a.  0.  310.  Manubardt,  Gottei^elt,  S.  113.  114.  123. 
Die  NatorcrBcheinung  selbst  ist  beschrieben  in  Auerbachs  Volkskolendor  18()0, 
S.  129. 

2)  S.  L.  Wucke,   Sagen  der  mittlorcn  Werra  II,  48. 

3)  Schonwerth,  aus  der  Oberpfalz  III,  115.  Meier,  Schwab.  £ag.  247, 271. 


44  Kapitel  I.    Baumseele: 

von  J.  W.  Wolf,  Beitr.  11,  242  aas  Jacob  a  Voragine  angeführte 
Legende  von  einem  bösen  Geist,  der  in  oder  zwischen  den  Blät- 
tern einer  Salatstaude  saß. 

§.  13.  Baum,  Aufenthalt  des  Hausgeistes.  Mit  den  zoletst 
behandelten  Sagen  berührt  sich,  was  wir  schon  oben  S.  33  wahr- 
nahmen ,  daft  die  Seele  eines  durch  sympathetische  Kur  mit  dem 
Baume  verbundenen  Menschen  nach  dem  Tode  in  ersteren  über- 
geht, nach  dem  Abholzen  des  Baumes  in  dem  daraus  gezimmer- 
ten Balken  verbleibt  und  Klabautermann  d.  h.  Schutzgeist  des 
Schiffes  wird.  Ebenso  weilt  nach  manchen  Sagen  der  Hausgeist 
inb  Hausbalken  und  bleibt  wo  dieser  verbleibt*  Er  war  wol 
auch  vorher  Geist  des  zum  Balken  verarbeiteten  Baumstanmies. 
W.  Menzel*  bezieht  auf  die  Herkunft  des  Hauskobolds  aus  dem 
Baume  vielleicht  nicht  mit  Unrecht  auch  die  folgende  Sage.  Ein 
Hausgeist  zu  Sachsenheim,  der  sogenannte  Klopferle,  schenkte 
der  Magd,  so  oft  sie  in  den  Keller  kam,  ein  Geldsttlck.  Als 
ihm  aber  der  Ritter  befahl  mehr  zu  bringen,  erschien  der  Geist 
vor  dem  Ritter  mit  einem  Eichenblatte  im  Munde,  woran  drei 
Eicheln  hingen  und  verbrannte  ihn  sammt  dem  Schlosse.^  Sollte 
das  Eichenblatt  andeuten,  daß  der  Schutzgeist  des  Hauses  in 
den  Wald  zurückkehren  wolle? 

§.  14.  Banm,  Sehutzgelst  oder  Sitz  des  Sehntzgelstes. 
Jedenfalls  gehört  es  in  den  Kreis  dieser  Vorstellungen,  daß  der 


1)  Müllenho£f,  Schleswigholst.  Sagen  371,  451.  Bochholz,  Schweizer- 
sagen a.  d.  Aargaa  I,  75,  59.  Vgl.:  Die  Siamesen  bringen  nach  Yollendong 
eines  Bootes  dem  Dämon  oder  Rukkhathevada  des  Baumes,  woraus  es  gezim- 
mert wurde ,  Opfergaben ,  um  ihn  zu  bewegen  in  Schlangengestalt  fortan  als 
Schutzgeist  im  Kiele  des  Fahrzeugs  zu  verbleiben.  Auch  beim  Häuserbaa 
opfern  sie  den^aus  dem  Walde  herbeigebrachten  und  jetzt  in  der  Wohnung 
aufgerichteten  Pfosten,  um  die  einwohnende  Geisterkraft  als  schützenden 
Dämon  dem  Hause  zu  bewahren.  Einige  solcher  in  Bäumen  lebenden  Phum- 
mathevada  oder  Bukkhathevada  verlassen  willig  den  unt^r  dem  Axthieb  fal- 
lenden Stamm,  und  suchen  einen  andern,  andere  werden  hose  und  rächen 
sich.    A.  Bastian ,  Zs.  f.  Völkerpsych.  V,  288.  296. 

2)  Literaturgeschichte  I,  109. 

3)  Magenau ,  Schwab.  Sagen  145.  Im  Zabergau  heißt  es ,  daß  der  ruch- 
lose Ritter  auf  Blankenhom  den  Hausgeist  durch  einen  Pfaffen  beschwören 
ließ,  um  mehr  Geld  zu  erpressen.  Da  erschien  dieser  als  Ungeheuer  eine 
Eichel  und  ein  Eichenblatt  im  Maul  und  hinter  ihm  brach  Feuer  in  den  Saal 
und  verschlang  die  Burg  sammt  allen  Bewohnern.  Klunzinger,  Geschichte 
des  Zabergans  II,  133. 


Baum  -»  Lebensbaum.  45 

ideale  Doppelgänger  der  Menschenseele,  der  Schatzgeist  (genius 
tatelaris)  der  einzelnen  Persönlichkeit  (oder  ganzer  Geschlechter) 
die  Pylgja,  wie  der  Altnorweger  sagte  (Myth.*  828  ff.  Mann- 
hardty  germ.  Mythen  306  ff.)  in  einem  Baume  Wohnung  haben 
8olL  Um  jedoch  diese  letztere  Anschauung  vollständig  ver- 
ttändlieh  zu  machen ,  gehen  wir,  ehe  wir  ihren  Bestand  auffUh- 
Ten,  noch  einmal  auf  eine  schon  vorhin  von  einem  andern  Funkte 
ans  angeschlagene  G^dankenreihe  ein. 

§.  14\   Baum  »  LebeDsbapm.    Die  unter  uns  ganz  geläufige 
Bede  weise  „der  Baum  meines ,   deines,   seines  u.  s.  w.  Lebens 
gribit,  welkt  y  stirbt  ab^^  zeigt  uns  den  Vei^leich  menschlichen 
lud  vegetabilischen  Wachstums  in  persönlichster  Anwendung  zu 
mem    stätag   dem  Bewußtsein    vorschwebenden  Bilde  gediehen. 
Während  wir  uns  aber  darüber  klar  sind,  daß  das  uns  imma- 
nente Leben  y  die  Gesammtheit  der  Zustände  und  Veränderungen 
«itteres  Seins  durch  dieses  Bild  ausgedrückt  werde ,  tritt  dasselbe 
für  das  Bewußtsein  mancher  Menschen  auf  niederen  Stui'en  durch 
Hypostase    als  etwas  Beales  und  Selbständiges ,    gleichsam  als 
flv  Doppelgänger y   der   alle  ihre  Schicksale  mitmacht,   anzeigt| 
oder  gar    bestinmit,  aus  ihrer  Persönlichkeit  heraus  und  neben 
dieselbe.     Man  sehe  nur,   wie  in  einem  von  Orest  Miller^  mit- 
geteilten   schönen  russischen  Hochzeitliede  ans  dem  Permschen 
Gouvernement   das  Mädchen  sein  Verhältniß  zu  dem  künftigen 
Ehegatten  schildert: 

Nor  wenig  schlief  ich  Junge, 
Wenig  die  ganze  Nacht. 
Doch  in  dem  Schlnninier  hatt'  ich 
Einen  schönen  Traum. 
Ich  sah  in  Hofes  Mitten 
Wuchs  ein  Cypressenbaum 
Und  ihm  zur  Seit'  ein  andrer, 
Ein  zuckersüßer  Baum, 
und  auf  dem  Baume  waren 
Goldener  Zweige  viel. 
Zweige  von  Gold  und  Silber. 
Da  sprach  das  Haupt  des  Hauses, 
Der  Meister  „liebes  Herz, 
Soll  ich  den 'Traum  dir  deuten? 
Sieh  der  Cyprcssenstamni 
Bin  ich,  der  ich  dein  eigen. 

1)  Khristomatija  P.  I.    Petersburg  1866  I.  S.  28. 


46  Kapitel  I.    Baumseele: 

Der  zuckersüße  Baum 
Bist  du,  und  du  bist  mein. 
Und  auf  dem  Baum  die  Aeste 
Sind  unsre  Kleinen  ja, 
Die  lieben  teuren  Kinder." 

Obgleich  Hunderte  von  Meilen  von  Perm  entfernt,  liefert 
das  Saterland  den  nächsten  Verwandten  dieses  Volksliedes  in 
einem  Hochzeitbrauche.^  In  die  eine  Ecke  der  Bettlaken,  welche 
ein  Bräutigam  mitbekommt,  wenn  er  aus  dem  elterlichen  Hause 
in  einen  fremden  Hof  hineinheiratet  (und  nur  dann)  stickt  man  mit 
bunten  Fäden  einige  Blumen  und  einen  Baum,  auf  dessen 
Wipfel  und  reich  belaubten  Aesten  Hähne  (eine  leicht  ver- 
ständliche Symbolik)  sitzen.  Zu  beiden  Seiten  des  Stammes 
stehen  die  Anfangsbuchstaben  seines  Tauf-  und  Familiennamens. 
Ebenso  sticken  die  Mädchen  in  ihre  Aussteuerhemden  am  Halse 
auf  jede  Seite  der  Spange  je  einen  Baum  und  die  Buch- 
staben ihres  Namens.  Es  ist  der  Schicksals-  oder 
Lebensbaum  der  jungen  Leute  selber  gemeint,  der  aus  dem 
heimatlichen  Boden  verpflanzt  künftig  auch  in  dem  neuen  Wohn- 
sitze grünen,  wachsen  und  Früchte  bringen  soll.  Auf  der  glei- 
chen Anschauung  beruht  eine  Reihe  schöner  Hochzeitsitten,  die 
sich  durch  viele  deutsche,  slavische  und  lettische  Landschaften 
verfolgen  lassen.  Dem  jungen  Paare  werden  bei  der  Hochzeit 
grüne  Bäume  vorangetragen,  ein  grtlner  Baum  prangt  auf  dem 
Wagen,  der  die  Aussteuer  der  Braut  in  die  neue  Heimat  führt, 
auf  dem  Dach  oder  vor  der  Tür  des  Hochzeithauses.  Im  Dröm- 
ling  tragen  die  Braut-  und  Bräutigamsjungfern  auf  dem  Wege 
zur  Kirche  dem  Brautpaar  brennende  Lichter  auf  jungen  Tan- 
nen oder  mit  Buchsbaum  umwundenen  Gestellen  voran.*  Im 
Hannoverschen  Wendlande  tragen  die  Kranzjungfem  während  der 
Ehrentänze  der  Brautillhrer  und  des  jungen  Ehemanns  mit  der 
Neuvermählten  mit  brennenden  Lichtern  besteckte  grüne 
Tannenbüumcheu  vorauf;  indem  die  jungen  Eheleute  diese 
Lichter  mit  Tüchern  ausschlagen  (sie  wollen  ihren  Lebensbaum 
illr  sich  behalten),  geben  sie  das  Zeichen  zum  Beginne  des  allge- 
meinen  Tanzes.^      In    den  wendischen  Dörfern   bei   Ratzeburg 


1)  L.  Strackerjan,  Aberglaube  und  Sage  aus  Oldenburg  II,  124,  437. 

2)  Kuhn,  Mark.  Sagen  357. 

3)  R.  Müldener,  aus  allen  Welttheilen  1873  S.  200. 


Baum  «=  Lebensbaum.  47 

dagegen  hatte  ein«  grüner  Baum  auf  dem  Brantwagen  Platz.^ 
In  der  Oberpfalz  steckt  ebenso  vom  auf  der  äußersten  Spitze  des 
Kammerwagens y  der  die  Aussteuer  der  Braut  trägt,  ein  verzier- 
tes Fiehtenstämmchen,'  nicht  minder  schmücken  den  schwär 
bischen  Brantwagen  um  Ehingen,  der  die  Kunkel  und  das  Ehe- 
bett fbhrt,  sechs  mit  seidenen  Bändern,  Goldflittem  und  Blumen 
gezierte  Tannenbäume.'     Auf  den  lettischen  Bauerhochzeiten  in 
Kurland   wurde,   sobald   das  neue  Paar  aus  der  Brautkammer 
tnt,  nachgeforscht,  ob  der  junge  Ehemann  die  Liebesprobe  kräf- 
bestanden.    Befand  es  sich  so,  so  wurde  große  Fröhlich- 
gellbt  und  ein   großer  grttner  Baum  oder  Kranz  oben 
inf  das  Haus  gestellt^     Der  Lebensbaum  des  Bräutigams, 
«der  des  neubegrttndeten  Stammes  steht  gut,  wenn  Aussicht  auf 
Sacbkommenschaft  da  ist     In  Schweden  ninmit  man  als  Braut- 
Ahl,  anf  dem  das  Hochzeitpaar  während  der  Trauung  sitzt,  einen 
Choistahl,  pflanzt  zwei  Tannen  mit  Blumen  und  Goldpa- 
pier Tor  dessen  Türen,  spannt  oben  eine  weiße  Decke  aus  und 
nfzieit  es   auffallend.      Zu    Väßbo   werden    am  Vorabend   der 
Hodizeit  an  allen  Tttren ,  Pforten  und  Gattertoren  Tannen  gesetzt, 
eine  zu  jeder  Seite.*     Im  Zwodtagrunde  im  Voigtlande  werden, 
wie  auch  in  Thüringen  Fichten  vor  das  Hochzeithaus  gesetzt.^ 
Im  Weimarischen  pflanzen  die  Bursche  und  Mädchen  des  Ortes 
am  Vorabend    der  Hochzeit   grüne  Tannen   vor   das  Brauthaus 
und  verbinden  sie   mit  Blumengewinden,  Kränzen,  bunten  Bän- 
dern und  einer  Citrone,  worauf  die  Namen  der  Brautleute  ein- 
gestochen sind.^    Dies  geht  schon  über  in  eine  andere  Form  der 
lämlichen  Sitte,    welche    wir   später   nach  Erörterung   des  Mai- 
baoms  und  Emtemais  betrachten  werden. 

Nicht  selten  geschah  es,  daß  unwillkürlich  oder  mit  Absicht 
ein  bestimmter  lebender  Baum  zum  Träger  des  zweiten  Gliedes  der 
Gleichung  und  dadurch  gleichsam  dauernd  zum  alter  ego  eines 


1)  Jahrbücher  f.  Schleswigholst.  Landeskunde. 

2)  Schönwerth,  aus  der  Oberpfalz  I,  67. 

3)  Birlinger,  II,  358. 

4)  V.   Brand,   Reisen   durch   die    Mark   Brandenburg   n.  s.  w.     Wesel 
1TC^2.  78. 

5)  Reinsberg-Düringsfeld,  Hochzeitbuch  S.  5. 

G)  Kühler,  Volksbraach  im  Voigtland(;  1867,  S.  236. 

7)  F.  Schmidt,  Sitten  und  Gebräuche  bei  Hochzeiten  in  Thüringen,  S.  33. 


48  Kapitel  L    Baumseele:  * 

bestimmten  Menschen  gemacht  wurde.  In  Hochheün^  Emzingen 
und  anderen  Orten  in  der  Nähe  von  Gotha  z.  B.  besteht  der 
Brauch,  daß  das  Brautpaar  zur  Hochzeit  oder  kurz  danach  zwei 
junge  Bäumchen  auf  Gemeindeeigeutum  pflanzen  muß.  An  sie 
knüpft  sich  der  Glaube,  wann  das  eine  oder' das  andere  eingehe^ 
müsse  auch  das  eine  oder  andere  der  Eheleute  bald  sterben.^ 
Auf  ähnliche  Anschauung,  vermöge  deren  der  Liebhaber  einen 
Baum  mit  sich  selbst  identifiziert,  gründet  sich  u.  A.  auch  der 
preußische  Aberglaube,  wenn  man  die  Liebe  eines  Mädchens 
begehrt,  drei  Haare  desselben  in  eine  Baumspalte  einzuklenmien, 
so  daß  sie  mit  dem  Baume  verwachsen  müssen.  Das  Mädchen 
kann  dann  nicht  mehr  von  einem  lassen.* 

§.  14^.    Fortreisende  verknttpfen  Ihr  Leben  mit  einem 
Banme*     Sehr  deutlich  springt  diese  Vorstellung  vom  Schick- 
sals- oder  Lebensbaum  in  einer  Beihe  weitverbreiteter  Traditio- 
nen hervor,  wonach  ein  Fortreisender  sein  Leben  sympathetisch 
mit  einer  daheimbleibenden  Pflanze  verknüpft.    Im  Märchen  von 
den  zwei  Brüdern  (K.  H.  M.  Nr.  60)  z.  B.  stößt  der  Fortziehende 
sein  Messer    in  den  Baum  vor  der  Tür  des  Vaterhauses.     So  - 
lange  es  nicht  roste,  sei  das  ein  Zeichen,  daß  er  selbst  gesund  ^ 
sei,  wie  der  Baum.    Im  Märchen  von  den  Goldkindem  (Nr.  85)  I 
lassen  die  beiden  Jünglinge,  als  sie  ausziehen,  um  die  Welt  za  ] 
sehen,  ihrem  Vater  ihre  beiden  Goldlilien  zurück.     „An  ihnen  ' 
kannst   du   sehen,   wie   es   uns  ergeht     Wenn  sie  frisch  sind, 
befinden  wir  uns  wohl;  wenn  sie  welken,  sind  wir  krank,  wenn 
sie  abfallen  sind  wir  todf     Ob  diese  Märchen,  denen  sich  ver- 
wandte Züge  nicht  allein  aus  Indien,  sondern  selbst  aus  Mexiko 
und  Aegypten  an  die  Seite  stellen  lassen,^  einheimische  Gewächse 


1)  In  Weimar  ist  der  Brauch  abgelöst;  es  wird  ein  sogenanntes  Bäum- 
chengeld  (2  Rthlr.  1  gr.  8  Pf.)  an  die  Stadtkasse  zur  Pflege  der  Obstbaum- 
zucht  bezahlt.  Schmidt,  Sitten  und  Bräuche  bei  Hochzeiten  in  Thüringen, 
S.  46.  Vgl.:  Wenn  in  British -Guyana  zwei  kleine  Kinder  mit  einander  ver- 
lobt werden,  pflanzen  die  betreffenden  Parteien  als  Zeugen  für  den  Con- 
tract  zwei  Bäume  und  wenn  einer  von  diebcn  Bäumen  verdorren  sollte,  stirbt 
das  Kind,  dem  es  angehört,  sicherlich.  Tyler,  Forschungen  über  Urgeschichte 
der  Menschheit,  S.  168  nach  Eev.  J.  U.  Bernau,  Missionary  labours  in  Bri- 
tish-Guiana,  London  1847,  S.  59. 

2)  Prischbier,  Hexenspruch  S.  160. 

3)  In  einem  von  W.  Grimm  nachgewiesenen  indischen  Volksliede 
(Broughton,  selections  from  the  populär  poetry  of  the  Hindoos,  London  1814, 


Schicksals-  und  Geburtsbaoin  von  Einzelnen  und  Familien.  49 

seien  ist  mehr  als  zweifelhaft;  ganz  nahe  aber  ihrem  Inhalt  liegt 
der  Gedanke  in  der  fein  empfundenen  dritten  Strophe  des  Volks- 
fiedes:  „Morgen  muß  ich  fort  von  hier."  Der  in  Abschiedsweh 
üist  vergehende  Liebhaber  erklärt  sein  Leben  mit  der  zurück- 
Ueibenden  Geliebten,  die  vne  ein  Baum  auf  grüner  Aue  sprießt, 
der  Art  eins  und  verwachsen,  daß  es  (wenn  er  mit  dem  Körper 
daVonziehe)  gleichsam  dableiben  und  sein  Wiederbild  in  der 
Feme  absterben  werde: 

Dort  auf  jener  grünen  Au, 
Steht  mein  junges  Leben. 
Soll  ich  denn  mein  Lebelang 
In  der  Fremde  schweben? 
Hab'  ich  dir  was  Leids  getan 
Halt  ich  um  Verzeihung  an; 
Denn  es  geht  zu  EndeJ 

§.  l4^     Schleksals-   und  Oeburtsbanm  von  Einzelnen 

uA  Familien.  Jedesfalls  kann  nunmehr  kein  Zweifel  sein  über 
fie  richtige  Auffassung  des  folgenden  von  Geyler  von  Kaisers- 
berg als  wirkliche  Geschichte  aus  dem  15.  Jahrhundert  berich- 
teten Vorgangs.  Als  Molber,  ein  Schuhmacher  zu  Basel,  ein 
Beues  Hans  bezog,  wählte  jedes  seiner  drei  Kinder  sich  im  Gar- 
ten einen  Baum.  Die  Bäume  der  beiden  Mädchen,  Katharina 
mid  Adelheid  brachten,  „als  der  Glentz  (Lenz)  hereinstach,"  weiße 


S.  107)  pflanzt  ein  junger  Ehemann ,  der  die  neuvermählte  Gattin  verlassen 
muß  eine  Lavendelstaude  in  den  Garten  und  heißt  sie  darauf  achten.  So 
lange  sie  grüne  und  hltihe  gehe  es  ihm  wohl,  welke  sie  aher  und  sterbe,  so 
■ei  ihm  ein  Unglück  begegnet.  Brasaeur  im  Popul  Vuh  (S.  141)  t^ilt  eine 
^Btral  -  amerikanische  Erzählung  von  zwei  Brüdern  mit,  die  vor  dem  Beginn 
ikrer  gefährlichen  Reise  in  das  Land  Xibalba ,  wo  ihr  Vater  umkam ,  jeder 
»■in  Rohr  in  die  Mitte  des  Hauses  ihrer  Großmutter  pflanzen,  damit  dieselbe 
»n  dessen  Blühen  oder  Welken  erkennen  möge,  ob  sie  lebendig  oder  todt 
s«en.  (VgL  Tyler,  Urgeschichte  S.  1G8.  Max  Müller,  Essays  II,  241).  Wie 
w»lt  aber  in  der  Menschheit  der  Glaube  an  diese  Art  Sympathie  zwischen 
Mt-nschenleben  und  Pflanzenleben  sein  müsse ,  dürfte  das  bekannte  ägyptische 
Xärrhen  von  Satu  und  Anepn  aus  der  Zeit  des  Mose  im  Pai)yrus  d'Orbiney 
^tweisen.  Satu  verbirgt  sein  Ilerz  d.  h.  den  Sitz  des  Lebens  (s.  Zeitschr.  f. 
D.  Mythologie  IV,  238)  in  die  Blüte  eines  Baumes.  An  diesen  Baum  ist 
fortan  sein  Leben  geknüpft.  Als  derselbe  umgehauen  wird ,  stirbt  er  und  im 
lämliehen  Augenblicke  wird  sein  in  weiter  Entfernung  lebender  Bruder  Anepn 
seineg  Toiles  inne. 

1)  Des  Knaben  Wunderhorn  IIL  32. 

Mannhartlt.  4 


50  Kapitel  I.    Banmsoclc: 

• 

Blüten  hervor;  die  deuteten  auf  ihren  ktlnfligen  Beruf  als  Non- 
nen. Der  des  Bruders  Johannes  trug  eine  rote  Rose;  er  ward 
Predigermöneh  in  Prag  und  fand  als  Märtyrer  durch  die  Hussiten 
seinen  Tod.^  Die  reinste  und  folgerichtigste  Ausgestaltung  der 
hier  zu  Grunde  liegenden  Anschauung  war  die  schöne  Sitte,  schon 
in  der  Geburtstunde  eines  Kindes  ein  Bäumchen  zu  setzen.  Im 
Aargau  geschieht  das  noch  jetzt  ziemlich  allgemein  und  man 
meint  dort,  der  Neugebome  gedeihe  oder  serbe  (verkümmere) 
wie  dieses  Bäumchen.  Für  Knaben  setzt  man  Apfelbäume,  für 
Mädchen  Birnbäume.  Noch  in  der  letzten  Generation  kam  der 
Fall  vor,  daß  ein  Aargauer  Vater  im  Zonic  über  einen  misrate- 
nen  Sohn,  der  eben  in  der  Fremde  und  also  der  väterlichen 
Züchtigung  unerreichbar  war,  aufs  Feld  ging  und  den  dort  ' 
gepflanzten  Geburtsbaum  wieder  umhieb.*  Zuweilen  sieht 
der  Bauer  auch  ohne  ausdrückliche  Anpflanzung  fUr  eine  bestimmte 
Person  das  Schicksal  seiner  Familienglieder  mit  dem  Schicksal 
der  Bäume  am  Hause  verbunden.  Der  Voigtländer  ftlnditet, 
jemand  aus  der  Familie  werde  sterben ,  wenn  ein  Baum  im  Garten, 
oder  ein  einzelner  Ast  plötzlich  dürr  wird,*  auch  in  Baiem  bedeu- 
tet ein  Baum  am  Hause,  der  verdirbt,  einen  Todten  vom  Hause* 
und  dem  Siebenbirger  Sachsen  verkündigt  es  einen  Todesfall,  * 
wenn  ihm  im  Trciume  ein  umstürzender  Baum  zu  Gesichte  kommt' 
Genau  hiezu  passt  es,  daß  in  Siebenbirgcn  (Sächsisch  Regen) 
auch  der  poetische  Glaube  herrscht,  dem  Kinde  nahe  der  Tod 
nicht  mit  der  Sense,  sondern  er  breche  im  Garten  eine  Blnme 
vom  Stengel,  im  nämlichen  Augenblicke  sterbe  das  Kind.^ 

• 

1)  Goylor  V.  Kays*^rshcrg ,  Emeis  (1508  gelialtcner  Prcdigtcyclus).  S, 
A.  Stöbor,  zur  Geschichte  dos  Volksaberglaubens  im  Anfange  des  IG.  Jahrb., 
Basel  1850 ,  S.  7. 

2)  Rochholz,  alemann.  Kinderlied,  S.  284.  280.  So  pflanzte  man  auch  in 
Polynesien  bei  der  Geburt  eines  Kindes  einen  Kokosbaum,  dessen  Knoten 
gleich  zum  Zählen  der  Jahre  dienten  und  die  Papuas  verknüpfen  das  Leben 
des  Neugebomen  mystisch  mit  oinoni  JJaunistamine,  unter  de.«<sen  Kinde  sie 
einen  Kiesel  einfügen  und  glauben  mit  dem  Umhauen  würde  der  Menscii 
zugleich  sterben.     A.  Bastian,  der  Mensch  in  der  Geschichte  III,  19X 

3)  Köhler,  Volksbrauch  im  Voigtlande  S.  :]i»2. 
4>  Panzer  I,  200,  ir,r>. 

.'))  G.  Schuller,    Volkstüml.  Glaube  und  Brauch  bei  Tod  und  Begrabniß 
im  Siebenbirger  Sachsenlande.  I.     Kronstadt  1S03.  S.  :$7.   llf». 
0)  G.  Sehuller  a.  a.  O.  S.  10. 


VSrdtrad.  51 

Wie  ein  Einzelner  kann  aber,  auch  eine  Vereinigung  mehrerer 
Menschen,   eine  Familie,  eine  Dorfsehaft  in  einem  Baume  das 
reale  Abbild  ihres  gemeinsamen  Lebens  empfinden.    In  Schweden 
sind  nachweislich  die  Namen  mehrerer  Familien  von  einem  heili. 
gen  Baame  bei  ihrem  Stammhofe  hergenommen;  so  der  des  Ge- 
scUeehts  Alm^n  von  einer  großen  Ulme,  die  ehemals  am  Hofe 
Bjdlermäla    im    Sockn   Almundsryd   stand.    Die    drei  Familien 
linnaeuB  (Linne)  Lindelius  und  Tiliander  hießen  angeblich  nach 
einem   nnd    demselben  Baume,    einer    großen    Linde    mit    drei 
Stfmmen,    welche   zu  Jdnsboda  Lindegärd   in  Hvitarydssocken 
Landschs^  Finveden  wuchs.    Als  die  Familie  Lindelius  ausstarb, 
vertrocknete  einer  der  Hauptäste  der  alten  Linde ;  nach  dem  Tode 
der  Tochter  des  großen  Botanikers  Linne  hörte  der  zweite  Ast 
waf  Blätter  zu  treiben   und  als  der  Letzte  der  Familie  Tiliander 
sfcnrb,  war  die  Kraft  des  Baumes  erschöpft,  aber  der  erstorbene 
Stamm  der  Linde  steht  noch  und  wird  hoch  in  Ehren  gehalten.^ 
§.  14^   TirdtriM.    Diese  Linde  und  ähnliche  Bäume  werden 
ab  Vlbd-tiäd,  Schutzbäume,  bezeichnet.    Värd(von  värda  warten, 
bewachen,  hüten)  bezeichnet  Fürsorge,  Obhut,  Schutz;  värdträd 
ist  also   der  Baum,  der  die  Ftfrsorge,  die  Obhut  ausübt;   oder 
vielmehr  der  die  Fürsorge  persönlich  ist.    Der  Värd  wird  näm- 
lifh  als  ein  persönliches  Wesen  gedacht,  also  ein  üeist  der  dem 
Menschen  folgt,  wohin  derselbe  geht;  er  offenbart  sich  zuweilen, 
m  es   als  Lichtlein,  (das  Licht  ist  eine  Form  der  Seele,  vgl. 
Lehenslicht),  sei  es  als  des  Menschen  Sehcinbild.    Es  giebt 
noch    heute   unweit   der  Gehöfte    manche   tltlr   heilig  gehaltene 
Bäume,  welche  Värdträd  genannt  sind,  offenbar  als  Wohnstätten 
der  Värdar  oder  persönlichen  Schutzgeistor   der  Hoflentc,    oder 
der  Familie ,  die  den  Hof  bewohnt.    Vor  wenigen  Mensehenaltem 
pih  CS  in  der  SmäUlndischen  Landschaft  Värend  einen  Värdträd 
noch  in  der  Nähe  jedes  Hofes.     Es  war  eine  alte  Linde,  Esche 
^»der  Ulme.     Niemand  brach   davon  Jin(*li  nur  ein  Blatt  nnd  ihre 
BeiM»hädignng  rächte   sich  sicher  durch  l-nglUck,  oder  Siechtum. 
In  Hänger   erlaubte    die   Volkssitte   nicht    einmal    windbrüchiges 
Holz  davon  weg  zu  nehmen  und  zu  Hanse  zu  verbrennen,   son- 
dern Dian  häafte  es  zu  einem  Reiserhaufen  oder  Holzstoß  (^bäl") 
am  Fuße  des  heiligen  Baumes  auf.    Srlnmnfirrr  nmfaßfen  sowol 

1)  Hylt«^n-('avanius,  Vürond  I,  144.    Pas«iargo.  Sj^liwo.lon  S.  217. 

4* 


52  Kapitel  I.    Banmseele: 

in  Värend  cUs   in  Vestbo  in  ihrer  Not  d^m  Värdträd,   um  eine 
leichte  Entbifidung  su  erhalten.^ 

Der  Värd  entspricht  genau  demjenigen  Begriffe,  den  der  Alt- 
norweger und  Isländer  mit  dem  Namen  Fylgja  verband  und  wir 
sind  somit  hier  auf  dem  Punkte  angelangt,  von  dem  ans  mit 
vollem  Verständniß  die  o.  S.  45  angektlndigte  Vorstellungsreihe 
zu  verfolgen  möglich  ist  Die  Fylgja*  (d.  h.  Folgegeist)  ist  das 
Leben,  der  Genius  des  Menschen  selbst  als  ein  besonderer  Dämon 
personifiziert  und  als  solcher  zum  Begleiter,  Schicksalsverkfiiider 
und  Schicksalsurheber  geworden.  Von  •  da  war  es  nur  ein  un- 
merklicher Schritt  und  die  F}igja  wurde  ein  warnender  oder 
helfender  Schutzgeist,  der  für  den  ihm  zugeteilten  Menschen 
liebreich  sorgte.  Die  als  Abbild  oder  Doppelgänger  eines 
menschlichen  Einzellebens  oder  des  Lebens  emer  menschlichen 
Gemeinschaft  gedachte  Baumseele  in  derselben  Weise  mit  Baum 
und  Menschen  zugleich  verbunden  und  zugleich  von  beiden 
als  selbständig  hypostasiert,  sodann  als  schützender,  helfender 
Genius  aufgefaßt  ist  der  Värd.  Die  Sitte  einen  Värdträd  hinter 
dem  Hause  zu  haben,  hatte  in  Dänemark  ein  unverkennbares 
Seitenstück.  Noch  H.  Steffens  (Gebirgssagen)  konnte  davon 
erzählen.  In  einer  entlegenen  Vorstadt  von  Kopenhagen  —  sagt 
er  —  innerhalb  der  Wälle,  bewohnen  die  Matrosen  der  dänischen 
Marine  ein  Quartier,  welches  fast  eine  eigene  Stadt  bildet  In 
einem  jeden  Hof  ihrer  kleinen  Häuser  sieht  man  ttber  die  Planken 
hervorragend  einen  Holunderbaum ,  der  mit  einem  religi(toen  Eifer 
unterhalten  und  gepflegt  wird.  Der  Geist  dieses  Baumes  ist 
Schutzgeist  des  Hauses.  Er  hilft  in  Krankheit,  steht  den  Frauen 
in  Kindesnöten  bei,  beschtttzt  die  Kinder,  aber  verschwindet  auch, 
wenn  der  Baum  abstirbt  Sicher  aber  war  dieser  Glaube  sehr 
alt  und  in  die  heidnische  Vorzeit  hinaufreichend.  Dies  möchte 
ich  aus  der  Uebereinstimmung  mit  der  Sitte  eines  andern  auch 
am  Ostseerande  wohnenden  Volkes,  der  Letten  nämlich,  schließen, 
bei  denen  ehedem  hinter  jedem  Hause  unweit  der  Hofstatt  ein 
kleiner  Hain  von  mehreren  Bäumen  gefunden  wurde ,  in  welchem 
der  „Mahjas   kungs^'  (Herr  der  Heimat,  Wohnung,  Behausung) 

1)  Hylten-OaTallins,  Värend  I,   p.  357  §.92.   143  ff.   §.32.    11,   Tülag 
zu  §.  32.    Vgl.  den  h.  ßanm  bei  Nandere  (o.  S.  35). 

2)  Vgl.  außer  den  o.  S.  45  angeführten  Citaten  N.  M.  Pj't^Tsen,  Nordisk 
•  Mythologi  S.  143. 


VSrdtrftd.  53 

also  der  Schatzgeist  des  Hofes  wohnen  sollte ,  dem  man  von  Zeit 
zu  Zeit  kleine  blutige  und  unblutige  Opfergaben  hineinwarf.    Es 
mangelt  nns   nicht  an  älteren  Zeugnissen  über  die  Sache,   aber 
noch  1836  u.  a.  zerstörte  Pastor  Carlbom  in  dem  einen  Kirchspiel 
Ennes  in  Liyland  innerhalb  14  Tagen  etwa  80  solcher  Grötzen- 
haine.^    Wer  den  Hain  umhieb,  sah  den  Mahjas  Kungs  in  Gestalt 
eines  Vogels  miter  Sturmwind  entweichen  und  mußte  des  Aus- 
sterbens seiner  Familie  und  des  Verlustes  seines  gesanmiten  Vieh- 
Standes  gewärtig  sein.*    Das  Leben  also  der  Menschen  und  der 
Tiere  in  der  gesammten  Wirtschaft  war  an  das  Wolbefinden  der 
Bänme,  resp.  des  Mahjas  Kungs  geknüpit,  der  andererseits  ihr 
Heil  fllrsorglich  in  Schutz  nahm. 

Ob  and  wieweit  auch  in  Deutschland  vor  alters  Haus  und 
Familie  ihren  Schutzbaum  hatten  und  pflegten,  darüber  kann  ich 
Bichts  Aasreichendes  mitteilen.  Einzelne  Spuren  scheinen  dafllr 
n  reden.  Der  Aelpler  im  AU^u  und  Bregenzer  Walde  hat  noch 
einen  Familienbaum,  unter  dem  er  mit  den  Seinen  sein  Abend- 
gebet yerrichtet  Viele  reservieren  sich  solche  Bäume,  wenn  sie 
auch  sonst  Hab  und  Gut  verkaufen  und  sind  bei  ihrem  Absterben 
Ingstlich  um  junge  Stämme  und  Aeste  bemüht.^  Manche  Namen 
deutscher  Familien  (wie  Linde,  Eiehbaum,  Buchheister,  Holunder, 
Kirschbaum,  Birnbaum,  Eschenmayer,  Birkmayer,  Pirkmayer, 
0.  8.  w.)^  könnten  wenigstens  mittelbar  auf  unsem  Ideenkreis 
xnrttckweisen ,  falls  die  Bauerhöfe,  von  denen  sie  herstammten 
nach  besonders  hochgehaltenen  Bäumen  in  ihrer  Umgebung  genannt 
waren.*  Und  wenn  es  Familienbäume  gab,  sollte  vermöge  natur- 
gemäßer Erweiterung  nicht  auch  die  Dorfschalt  in  einem  Baume 
ein  Gegenbild  und  Symbol  ihres  Lebens,  ihren  Schutzgeist 
gesucht  haben?  Bewahren  nicht  etwa  unsere  deutschen  Dorf- 
hnden  eine  Erinnerung,  einen  Anklang  daran?    Es  verlohnte  sich 


1)  Inland  183(5. 

2)  müDdl.  Mitteilang. 

3)  Vonbnn,  Beiträge  z.  D.  Mythologie  124.  Wanderer  im  Allgäa. 
Kempten  1^7.  p.  102  bei  Bochholz,  Alemann  Kinderlied  S.  2B6. 

4)  S.  Andresen ,  die  deutschen  Familiennamen  1862  S.  17.  Pott,  Per- 
Bonennamcn  Lpzg.  1853.  S.  53.  676. 

5)  Namen  von  Lehnshöfen  nach  Bänmen  führt  Birlinger,  Volkstüml.  a. 
^hwaben  II,  184,  182  auf,  die  jedoch  schwerlich  sehr  alt  sind  und  willkür- 
lich gegeben-^u  sein  scheinen. 


54  Kapitel  I.    Banmsecle: 

woly  diesen  Gegenstand  einmal  ernstlich  zur  Frage  und  Unter- 
snchnng  zu  stellen. 

§.  15.  Weltbamn  Yggdrasill.  Falls  sich  Schutzbäome  der 
Dprfschaft  erweisen  ließen  (und  ich  bitte  den  Leser  darüber  nach- 
zusehen was  ich  weiter  unten  Kap.  III.  hinsichtlich  der  Maibäome 
anmerken  werde)  so  wäre  damit  ein  wichtiges  Mittelglied  au%e- 
iunden^  um  einer  Hypothese  zu  großer  Wahrscheinlichkeit  zu 
verhelfen  y  welche  sich  auch  ohnedem  unabweislich  mir  aufdrängen 
will.  Ich  vermute  nämlich ,  daß  auch  der  tieüsinnigen  Eddamythe 
vom  Weltbaum  Yggdrasill  in  ihrer  ältesten  Gestalt  nichts  anderes 
als  eine  ins  Große  malende  Anwendung  der  Vorstellung  vom 
Värdträd  auf  das  allgemeine  Menschenheim  zu  Grunde  gelegen 
habe.  Schon  diejenige  Form,  in  welcher  der  Yggdrasihnythus 
in  der  Völusp4  uns  entgegentritt,  noch  mehr  diejenige  des 
Grimnismdl  enthält  spekulative  Gedankea  durch  Allegorie  aus- 
gedrückt, und  so  einheitlich  und  harmonisch  das  aus  allen  Vor- 
stufen als  schließliches  Ergebniß  hervorgegangene  großartige  und 
allumfassende,  die  Einheit  des  gesammten  Universums,  wie  es 
sich  in  Raum  und  Zeit  darstellt,  vergegenwärtigende  Bild  auch 
zu  sein  scheint,^  schon  der  Name  Yggdrasill  (Odhins  Roß),'  die 
Vorstellung,  daß  Götter  und  Nomen  als  Richter  und  Urteiler 
unter  dem  Baume  Ding  halten^  und  die  andere,  daß  die  drei 
Schicksalsfrauen  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  mit 
Fluten  aus  dem  Brunnen  der  Vergangenheit  die  Erde  begießen 
und  frisch  erhalten,  stellen  ebenso  viele  verschiedene  Entwicke- 
lungsphasen  der  Sage  dar,  die  ohne  Zweifel  vor  Abfassung  der 
VöluspÄ  schon  längere  Zeit  von  den  Dichtem  bearbeitet  und 
unter  stäts  neuen  und  andern  Gesichtspunkten  dargestellt  war; 
auch  später  noch,  wie  Grinmismäl  lehrt,  der  Gegenstand  ergän- 
zender oder  umgestaltender  Darstellungen  blieb.  Eine  mehriach 
abweichende  Variante  zur  Auffassung  des  Weltbaums  neben  der- 
jenigen in  Völuspa  gewährt  das  Lied  Fjölsvinnsmal  19  —  24.*    Der 


1)  Vgl.  Lüning,  Edda  S.  46  N.  M.  Petersen ,  Nordisk  Mythologi  S.  127  ff. 

2)  Petersen  a.  a.  0.  S.  129.    ühland,  Schriften  VI,  20(5. 

3)  Vgl.  Mannhardt,  Gorraan.  Mythenf.  S.  594—604:. 

4)  Diese  meine  Beobachtungen  stimmen  gut  überein  mit  den  neueren 
Ergebnissen  der  Eddakritik ,  zumal  mit  den  glänzenden  Forschungen  E.  Jessens 
ober  die  Eddalieder  in  Zachcrs  Zeitschrift  f.  D.  Philologie  B.  III,  1871. 
S.  71  ff.  68.  69.   74.,   wonach  die  Völuspa  eine  im  10.  Jahrh.  auf  Island  mit 


Weltbaum  Yggdnnll.  56 

Kemstoff  der  Compontion,  in  welchen  alle  anderen  specnlativen 
Bexllge  erst  hineingebOdet  wurden  ^  war  danach  deutlich  erkenn- 
bar  ein  kosmologischcs  Philosophen!  in  Gestalt  einer  lebendigen 
mythsichen  YorsteUung^  die  Anschauung  des  Weltalls  selbst  als 
immeigrflner  vom  Himmel  bis  in  die  Tiefen  der  Unterwelt  rei- 
ebender  Baum,  der  beim  Weltuntergang  zittert,  sich  entzündet' 
Die  erweiternde  Spekulation  zeigt  ihn  vom  Wipfel  bis  zum  Fufle 
Tom  regsten  Leben  erftUlt,  an  der  Wurzel  aber  fortwährend  yon 
tcUldlichem  Gewttrme   benagt     So   ist  es  wohl  klar,   weshalb 
jede  der  neun  Welten  einen  solchen  Weltbaum  besitzt,  ein  Gegen- 
biM  ihrer  selbst'    Es  ist  aber  kaum  denkbar,  daß  jemand  darauf 
gekommen    sein   sollte    den   Doppelgänger   des    Gesammtlebens 
agleich  zum  Schicksalsbaum  zu  machen,  wenn  nicht  diese  Idee 
gldeh  von  Anfang  an  mit  dem  Bilde  verbunden  gewesen  wäre. 
War  dies  aber  der  Fall,   galt  mit  der  Esche  das  Geschick  der 
Welt  von  Anfang  an  verknüpft,   war  der  Genius   des  Baumes, 
oder  waren  die  in  oder  unter  ihm  wohnenden  Genien  zi^leich 
icfatltzende  und  schicksalbestimmcnde  Mächte  der  Menschheit,  so 


trilweiser  wörtlicher  Benütznii^  filterer  epischer  Lieder  ycrfaßtc  Uobersicht 
der  Götterlchrc  war ,  GrimniRinäl  eine  von  einem  ChriFtcn  vollgepfropfte  Vor- 
ratskammer mythologischer  Spocialitäten  aus  sacc.  XL  Sollten  hier  nicht 
die  Angaben  mehrerer  Lieder  fiber  Yggdrasill  in  eiijs  gezogen  sein? 

1)  Schon  Sknlo  Thorlacins  erklärte  die  Ksche  Yggdrasill  für  ein  Sinn- 
MW  der  gesammten  Natnr  (Antiqn.  bor.  ITI.  54.  VIT.  184);  nnd  Finn  Magnns- 
Mü  ?agte  (lex.  myih.  588)  „  der  Weltbaum  odor  unsere  Welt  unter  dem  Sym- 
bol oder  Bilde  der  Esche  dargiBstellt."  Dieser  Deutung  folgten  die  meisten 
skaad.  Forscher.  Vgl.  darüber  und  gegen  die  von  A.  Kuhn  zuerst  aufgestellte 
und  dann  von  Andern  (z.  B.  seiner  Zeit  mir  selbst)  geteilte  Zusammenstellung 
Ton  Yggdrasill  mit  dem  Wetterbaum  auch  M.  MTillers  schlagende  und  über- 
wagende Auseinandersetzung,  Essays  Lpzg.  1SG9.  Bd.  IL  184. 

2)  Xiu  man  ok  heima,  niu  h-i/li.  Vrduspa  2.  Neun  Welten:  Vafthrudnism. 
43.  Gylfag.  34  (dagegen  Alvism.  9  nach  Bugge  Neudichtung  eines  Interpola- 
t«T8)  ividr  arbor  maxima.  S  Weinhold,  Riesen,  Sitzungsberichte  d.  Wien. 
.\kad.  18.'>8  S.  2S9  Anm.  4.  üeber  die  9  Welten  s.  Werner  Hahn  im  Archiv 
f.  nf^ucre  Sprachen  XXXTV.  S.  440—452.  DielLiuksbok  liest  in  Vol.  2  statt 
irifii  ivi«tjur  (Bugge  Edda  S.  1.  19).  Aus  dieser  von  Bugge  mit  Recht  ver- 
worfenen Losart  in  Verbindung  mit  einer  Zeile  im  Gedichte  Hrafnagaldr 
O-lins  (Str.  1  elr  ivi^ja)  hat  man  ehedem  auf  einen  altnorwegischen  Baumgeist, 
eiiM»  Dryas  ividja  (quae  in  arbore  habitat)  geschlossen.  Seit  Bugge  a.  a.  0. 
XTjVI.  LXIX.  jedoch  dargetan ,  daß  Odhins  Rabengesang  ein  gelehrtes  Mach- 
werk des  17.  Jahrh.  sei,  ist  jeder  Beweis  für  die  Existenz  der  Ividien  aus  der 
Ed'la  geschwunden. 


56  Kapitel  I.    Baamseele: 

ist  in  allen  Teilen  die  Aehnliehkeit  des  Grundgedankens  so  groß, 
daß  man  kaum  umhin  kann  den  Värdträd^  den  Schutzbaam, 
falls  dieser  —  wie  doch  wol  schwerlich  zweifelhailk  sein  kann  — 
wirklich  bis  in  die  heidnische  Zeit  hinaufreicht,  als  das  ursprüng- 
liche und  einfache  Urbild  des  Weltbaums  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Ein  unverwerfliches  Beweissttlck  fUr  diese  Behauptung  wird  aas 
Fjölsyinnsm  20  ff.  Bugge  entnommen  werden  dttrfen ,  wo  (was  audi 
immer  die  Beziehung  zum  Zusammenhange  der  Dichtung  sei)  der 
Mimirsbaum  (Mimameidr),  der  ttber  alle  Lande  seine  Zweige 
breitet,  dessen  Wurzel  niemand  kennt  und  den  kein  Feuer  noch 
Eisen  schädigt,  unwiderleglich  als  der  sonst  Yggdrasill  benannte 
Weltbaum  zu  verstehen  ist.^  Von  ihm  heißt  es,  mun  soUe  von 
seiner  FnJuM  ins  Feuer  tragen,  dann  würden  Kindbetterinnen 
ihrer  Bürde  ledig  (utar  hverfa  |)az  paer  inna  skyli).  Dieser  Zog 
ist  so  realistiscli,  daß  er  schwerlich  aus  dem  bloßen  poetischen 
Bilde  des  Weltalls  als  eines  Baumes  entstanden  sein  kann,  scm- 
dem  als  Vorbild  einen  Brauch  in  der  Wirklichkeit  voraussetzt, 
mit  den  Früchten  eines  Baumes  bei  Entbindungen  zu  räuchern. 
Diese  Form  der  Sitte  weiß  ich  nun  zwar  nicht  nachzuweisen, 
wol  aber  stellt  sich  aufs  nächste  dazu,  daß  in  Schweden 
Schwangere  in  ihrer  Not  den  Värdträd  umfassen  und  in 
Dänemark  der  Holunder  neben  dem  Hause  den  Kreißen- 
den hilfreich  sein  soll.  (S.  o.  S.  52.)  Was  also  ist  wahr- 
scheinlicher, als  daß  von  dem  Schutzbaume  die  Idee  von  Yggdra- 
sill ausging? 

Vom  Standpunkte  der  so  gewonnenen  Erkenntnisse  aus  ver- 
lohnt es  sich,  Nyerups  ^  bekannte  und  mit  so  großem  Beifall 
aufgenommene   Conjectur,   daß   der    vor    dem    Göttertempel    in 


1)  Mimirs  Baum  l^eißt  er  nach  Mirairs  Brunnen,  der  nach  Sn.  E.  I,  68 
unter  einer  Wurzel  von  Yggdrasill  quiUt.  Außer  den  oben  angeführten 
Uebereinstimmungen  vgl.  noch  die  Ausdrücke:  i  enum  häva  vidi,  ins  maera 
vidai*,  med  mönnum  mjötudr  P.  M.  23.  21.  22.  von  Mimameidr;  här  badmr. 
mjötvid  roaeran ,  mjötudr  Völ.  19.  2.  46  von  Yggdrasill ,  welche  wol  auf  eine 
von  den  Dichtern  beider  Lieder  mittelbar  oder  unmittelbar  benutzte  ältere 
Dichtung ,  zurückweisen ,  die  eine  der  ursprünglichen  Vorstellung  verhältniß- 
mä4iig  noch  nahe  stehende  Fassung  des  Mythus  enthielt.  Schlagen  unsere 
obigen  Auseinandersetzungen  ein ,  so  war  hier  der  Weltbaum  noch  ein  Prucht- 
baum  (etwa  Buche)  und  erst  der  Verfasser  von  Völuspa  mag  dafür  die  Esche 
eingeführt  haben,  die  dann  dichterisches  Gemeingut  wurde. 

2)  Wörterbuch  der  nord.  Mythologie  S.  128.  129. 


Weltbaam  YggdraaUl.  ^  57 

ITpsala  an  einer  Quelle  stehende,  Sommer  and  Winter  grünende 
Banm  unbekannten  Geschleehts  ein  irdisches  Abbild  von  Yggdra- 
sili  mit  dem  Urdharbrannen  war,^  noch  einmal  zn  erwägen.  Von 
diesem  Baume  wissen  wir  aus  dem  wahrscheinlich  vom  Verfasser 
selbst  herrflhrenden ,  aus  einer  Mitteilung  des  Dänenkönigs  Svend 
Estrithson  oder  seiner  Hofleute  um  1070  stammenden  Scholion 
134 '  zn  des  Adam  von  Bremen  Schilderung  des  Göttertempels 
in  Upsala.  Ist  die  Notiz  tatsächlich  begründet  y  woftir  ein  gleich- 
leitiges  Analogon  ans  Pommern  spricht)  ^  so  ist  damit  noch  nicht 
bewiesen,  wenn  gleich  sehr  glaublich,  daß  der  Baum  religiöse 
Bedeutung  hatte.  In  diesem  Falle  scheint  es  jedoch  weit  näher 
XU  liegen,  in  ihm  den  Värdträd  des  Upsalahofs  als  ein  Abbild 
des  Universums  zu  vermuten.  Nyemps  Hypothese  ist  umzukehren. 
Es   läge   also  nach  unserer  Auslegung    bei   Meister  Adam   ein 


1)  AdamBrem.  de  situ  Dan.  IV,  26  Schol.  134:  Propc  t^mplum  estarbor 
maxhna  latc  ramos  extendons  aestato  et  hyeme  semper  virens.  Cnjas  illa 
generU  sit,  nemo  seit.  Ibi  etiam  est  fons,  abi  sacrificia  paganorum  io]ent 
exerceri  etc. 

2)  Wattenba<-h,  D.  Geschichtsquellen  Aufl.  1.  S.  253.  255. 

3)  Als  Bischof  Otto  von  Bamberg  i.  J.  1124  auf  seiner  Missions- 
reise nach  Stettin  kam,  fand  er  neben  einem  der  zu  gottesdicnst- 
licheni  Gebrauche  dienenden  Gebäude  (Continen)  einen  heiligen 
Baum  mit  einer  Quelle:  Erat  praetcrca  ibi  quercus  ingens  et 
frondosa  et  fons  subter  eam  amoenissimus,  quam  plebs  simplex 
naminis  alicujus  inhabitatione  sacram  existimans  magna  vene- 
ratione  colebat.  Hanc  etiam  episcopus  quum  post  destructas  continas  inciderc 
Teilet,  rogatus  est  a  populo  ne  faceret.  Promittebant  enim  nunquam  sc  ulte- 
rins  sub  nomine  religiunis  nee  arborem  illam  colituros ,  nee  locum ,  sed  solius 
üinbrae  atqne  amoenitatis  gratia,  qaia  hoc  peecatum  non  sit;  salvare  illam 
potins,  quam  salvari  ab  illa  se  velle  (der  Baum  war  also  ein  Schutz- 
baom).  Qua  suscepta  promissione:  Acquiesco,  inquit  episcopus,  de  arbore. 
Herbordi  vita  Ottonis  ep.  Babenb.  1.  II.  c.  31.  Mon.  (ierm.  Scr.  XII,  794. 
Ein  weit  älteres  Zeugniß  für  den  heiligen  vom  Schutzgeist  (V)  bewohnten  Baum 
neben  dem  Tempel  gewährt  des  Sulpicius  Severus  vita  Sti  Martini,  cap.  X.  ap. 
Snrium  de  probatis  sanctorum  historiis  T.  VI.  Colon.  1575  p.  254 :  Item  dum 
in  vico  quodam  templum  antiquissinium  diruisset  et  arborem  pinum,  quae 
fano  eratproxima,  esset  aggressus  excidere,  tum  vero  antistes  loci  illius 
ceteraque  gentilium  turba  coepit  obsistere.  Et  cum  ijdem  iUi ,  dum  templum 
evertitur  imperante  domino,  acquievissent,  succidi  arborem  non  patie- 
bantur.  Ille  quidem  eos  sedule  commonerc,  nihil  esse  religionis  in  stipite, 
Dominum  potius  cui  scrviret  ipse  sequerentur,  arborem  illam  excidi 
oportere  quia  esset  daemoni  dodicata. 


bS  Kapitel  I.    Baumseele: 

Fingerzeig  vor,  daß  im  11.  Jahrb.  neben  dem  Hanse  der  Göt- 
ter (ebenso  wie  neben  dem  Priyathause)  ein  Värdträd  stand,  wo- 
möglich neben  einem  Quell,  in  den  man  Gaben  fUr  dte  Gh)ttheit 
versenkte.  Solche  Bänme  aber  waren  nicht  Nachbildungen,  son- 
dern Vorbilder  des  in  norrönen  und  isländischen  Liedern  des 
10.  und  11.  Jahrb.  uns  entgegentretenden  Weltbaums. 

§.  16.  Erläuternde  Begegnisse  ans  dem  täglichen  Leben. 
Sollte  übrigens  noch  jemand  vorhanden  sein ,  dem  die  Entstehung 
der  VorsteDungen  vom  Schutebaum  ein  psychologisches  Rätsel 
darböte ,  so  dürfen  wir  ihn  glücklicherweise  einladen  in  den  Schil- 
derungen neuerer,  aus  der  Fülle  wirklicher  Erlebnisse  schöpfender 
Dichter  Schritt  fUr  Schritt  noch  heute  so  zu  sagen  die  Genesis 
derselben  zu  belauschen.  Mit  feiner  Beobachtungsgabe  hat  z.  B. 
Göthe  im  Werther  das  Anwachsen  gemütlicher  Beziehungen  zwi- 
schen Mensch  und  Baum  veranschaulicht.  Werther  trifft  den 
altßn  Pfarrer  zu  St.  auf  seinem  von  Nußbäumen  beschatteten 
Pfarrhof.  Der  Alte  wurde  ganz  munter ,  und  da  ich  nicht  umhin 
konnte,  die  schönen  Nußbäume  zu  loben,  die  uns  so  lieblich 
beschatteten,  fing  er  an,  wiewohl  mit  einiger  Beschwerlichkeit  die 
Geschichte  davon  zu  geben.  „Den  alten,  sagte  er,  wissen  wir 
nicht,  wer  den  gepflanzt  hat.  Einige  sagen  dieser,  andere  jener 
Pfarrer.  Der  jüngere  aber  dahinten  ist  so  alt  als  meine  Frau, 
im  October  fünfzig  Jahre.  Ihr  Vater  pflanzte  ihn  des  Morgens, 
als  sie  gegen  Abend  geboren  wurde.  Es  war  mein  Vorfahr  im 
Amte  und  wie  lieb  ihm  der  Baum  war,  ist  nicht  zu  sagen;  mir 
ist  ers  gewiß  nicht  weniger.  Meine  Frau  saß  darunter,  da  ich 
vor  sieben  und  zwanzig  Jahren  als  ein  armer  Student  zum  ersten 
male  hier  auf  den  Hof  kam."  Auch  Werthem  wachsen  diese 
Bäume  ans  Herz  und  als  später  eine  neue  Pfarrcrin  dieselben 
umhauen  läßt,  weil  sie  ihr  unbequem  sind,  möchte  er  rasend 
werden,  daß  es  Menschen  geben  soll  ohne\Sinn  und  GeiÜhl  an 
dem  wenigen,  was  noch  auf  Erden  Wert  hat.  Er  könnte  „den 
Hund  ermorden,  der  den  ersten  Hieb  daran  tat."  Aber  auch 
das  ganze  Dorf  murrt  und  die  Frau  Pfarrcrin  soll  es  an  Butter  und 
Eiern  und  übrigem  Zutrauen  spüren,  was  fUr  eine  Wunde  sie 
ihrem  Orte  gegeben  hat.  Hören  wir  außer  Göthe  noch  einen 
neueren  Kenner  des  Volkslebens.  P.  K.  Roseggcr  schildert  in 
seinen  „Gestalten  aus  dem  Volke  der  östcrr.  Alpcnwclt"  S.  280  ff. 
den  reichen  Bauer  Hagenzweig  in  der  Eben,  der  so  nach  seinem 


Erläntemde  ßegegnisse  aas  dem  täglichen  lieben.  59 

Gehöfte  benannt  ist,  aber  auch  wol  als  der  Lindenbaner  bezeioh- 
neC  wird,  da  ein  mächtiger  Lindenbanm  an  der  Ecke  seiner  Stal- 
Inngen  steht  Nach  diesem  Baume  kennzeichnet  man  dem  fragen- 
den Wanderer,  Holz-  oder  Viehhändler  das  GnmdstQck,  ,,der 
Hof  y  über  den  die  ai^  Lande  schaut'^  Unter  ihm  versammelt 
der  Herr  Pfarrer  die  Kinder  des  Dorfes  zuweilen  zur  Christen- 
lehre, unter  ihm  auf  dem  Bänkchen,  das  rund  um  den  Stamm 
ftoft,  sitzt  der  Bauer  oft  abends  mit  seiner  Familie.  Schon  den 
Vätern  war  der  Baum  wert,  und  der  Bauer  ehrt  ihn  mit  fast 
religiöser  Scheu.  Tee  von  seinen  Blüten  trinkt  er  als  unfehlbares 
Uniyersalmittel  in  allen  Krankheiten,  und  sterbend  verweist  er 
den  Sohn  fbr  die  Zeit  der  Not  im  Alter  auf  die  alte  Linde.  Der 
Sohn  erbt  die  Ehrfurcht  vor  dem  Baume,  trinkt  auch  seinerseitg 
^treulich  Lindenbltttentee  und  als  er  durch  MiBemten  verarmt, 
kann  er  sich  nicht  entschlieBeo ,  den  stattlichen  Stamm  um  den 
flmi  angebotenen  Preis  von  45  Dukaten  zu  verkaufen,  während 
er  doch  kurz  vorher  den  vergoldeten  Wetterhahn  vom  Dach  ohne 
Bedenken  vei^Bert  hat.  Als  bald  hernach  ein  Wetter  den  Baum 
stfirzt,  daß  er  ttber  Haus  und  Stall  morsch  in  sich  zusammen- 
bricht, ist  es  dem  Lindenbauer,  als  sei  es  mit  ihm  selbst  zu  Ende 
Bnd  auch  er  bricht  zusammen  mit  dem  Kufe:  Jetzt  bin  ich  der 
Hagenzweig  nicht  mehr  und  jetzt  kann  ich  nicht  bleiben  im  Hof 
auf  der  Eben.  Aber  im  hohlen  Stamme  der  gefallenen  Linde 
findet  sich  ein  Topf  Geld,  den  der  Vater  dort  versteckte,  und 
80  hilft  der  Baum  dem  heruntergekommenen  Lindenbauer  wieder 
zu  Kraft  und  Vermr>gen.  Wieviel  fehlte  denn  noch  daran,  daß 
der  Oesterrcicher  Hagenzweig  von  seiner  Linde  dieselbe  Vor- 
stellung hegte,  wie  der  Schwede  vom  Värdträd? 

§.  17.  Boträ.  Zuweilen  erhält  der  Värdträd  den  Namen 
BoRträd  oder  Boträ  (Wohn8itzl)aum)  d.  h.  entweder  Baum,  der 
xnr  Wohnung  des  Menschen  gehört,  oder  der  der  Wohnsitz  gewis- 
ser Wesen  ist.  In  letzterem  Falle  bezeichnet  dieser  Ausdruck 
den  Baum  nicht  mehr  als  den  Körper  oder  als  das  Gewand, 
Bondem  als  die  vertauschbare  Wohnung  eines  mythischen  Natur- 
geistes, der  außerhalb  des  Baumes  seine  Wirksamkeit  übt,  und 
bei  dessen  Untergang  heimatlos  wird.  Vor  solchen  Bäumen  hat 
man  ^jebete  und  Opfer  zumal  an  Donnerstagsabenden  und  an  den 
Vorabenden  der  großen  Feste  dargebracht,  um  Siechtum,  Unglück 
und  Unheil   von  Menschen  und  Vieh   abzuwehren.     Das   Opfer 


60  Kapitel  I.    Baumseelc: 

bestand  gemeinhin  in  Milch  oder  Bier,  das  man  über  die  Wnrzehi 
des  Baumes  sprengte.  Noch  im  Jahre  1744  wurde  ein  Mann 
im  Fosspastorat  in  Bohuslän,  der  von  einem  Boträd  einen 
Zweig  abgehauen,  dann  aber  vor  dem  Baume  einen  Knie- 
fall getan  und  um  Verzeihung  gebeten  hatte,  in  der  Beichte  zn 
einer  Buße  verurteilt.  Man  denkt  sich  aber  häufig  nicht  einen 
einzelnen  Geist,  sondern  eine  ganze  Gesellschaft  als  Bewohner 
des  Baumes.  Als  einmal  ein  Bauer  im  Värend  einen  solchen 
Wohnsitzbaum  umhieb,  hörte  er  es  Abends  im  Stubben  singen 

husvilla  &'  vi 
husvilla  a'  vi 
husvill  fikal  da  ocksa  bli. 

d.  h.  wir  verloren  unser  Haus,  wir  verloren  unser  Haus,  audi 
du  sollst  das  deine  verlieren.  Tags  darauf  brannte  das  ganze 
Gehöft  nieder.^  Diese  mythischen  Baumbewohner  werden  Tomte- 
gubbar  benannt,  sie  sind  VerviellUltigungen  des  einen  Värd, 
den  wir  vorhin  im  Baume  walten  sahen  (o.  S.  51)  und  in  ihnen 
erscheint  uns  der  Baumgeist ,  der  nach  vorhin  behandelten  Sagen 
erst  nach  der  Einftigung  des  gefällten  Baumes  als  Balken  in 
Haus  und  Schifif  zum  Hausgeist  wurde,  schon  bei  Leben  der 
Pflanze  als  solcher  tätig.  Ihre  Behausung  wird  bald  in  den 
Stamm  selbst,  bald  unter  die  Wurzeln  des  Baumes  ver- 
legt. In  Bohuslän  wohnen  die  Tomtegubbar  (die  „Alten  im  Gre- 
hölle^O  ^'  ^-  Hauskoboldc,  welche  ungesehen  dem  Bauer  hilf- 
reich in  der  Wirtschaft  zur  Seite  stehn  z.  B.  des  Viehs  sich 
annehmen,  Aehren  vom  fremden  Kornboden  auf  den  seinigen 
tragen ,  das  Haus  mit  Wolstand  begaben ,  und  vor  Brandschaden 
(cid  och  brand)  schützen  (weshalb  bei  ihrem  Fortgange  Feuer 
ausbricht  s.  o.  S.  44),  im  Baume  nahe  dem  Hofe;  man  hütet 
sich  Donnerstag  Abends  etwas  zu  hauen  oder  zu  spinnen,  damit 
sie  nicht  erzürnt  werden  und  mit  ihrem  Segen  entweichen.*  In 
Norwegen  soll  der  Tomtegubbe  unter  Bäumen  bei  den  Wohn- 

1)  Hylten  -  Cavallius  a.  a.  0.  143.  311.  Odman^  Bobusläns  Beskrifning 
Stockh.  1746.  p.  75.  Myth.»  CXII.  110. 

2)  Odinan  a.  a.  0.  Auch  Töroer  hörte  am  1700  in  Smäland ,  dafi  man 
alte  Bäume,  welche  lange  Zeit  beim  Hofe  standen,  nicht  gerne  abhaut,  weil 
nach  dem  Volksglauben  einige  Genien  darin  ihre  Wohnung  haben,  nach 
denen  man  sie  auch  Tomteträd  nennt.  De  reliquiis  paganismi  in  Smnlan- 
dia  bei  Hylt^^n  -  Cavallins ,  Värend  och  Virdame  I.  Tilläg  IX. 


Hotrft.  61 

hioseni  seinen  Sitz  haben  und  deshalb  darf  man  diese  nie  ganz 
flUlen.^    Aber  aueh  Zwerge ^  Unterjordiske  (Unterirdische,  Unner 
erdsken)  wohnen  wie  unter  Httgeln  und  Häusern,  so  zuweilen 
unter   gewissen  Bäumen,   die   man    deshalb    nicht  fällen  darf* 
Doch   —   das  ist  der  Unterschied  —  diese   Bäume  sind    nicht 
mehr  immer  beim  Hause,  sondern  in  Feld  und  Wald  zu  suchen.^ 
Auf  einer  Haide  zwischen  Falsterbro  und  Skanör  in  »Schonen  steht 
ein  uralter  Apfelbaum,  unter  dem  kleine  Leutchen  (et  Pysslinge- 
folk)  wohnten,  eine  Schuhmacherfamilie.     Oft  sieht  man  sie 
noch   hei   schönem  Wetter   ihr    kleines  Leinenzeug   im 
Baume  aufhängen  und   trocknen.     Als  ein  gewisser  Jons 
P&hlsson    einen    grttnen    Zweig   zum    Hirtenstabe    abhieb, 
bekam  er  Schmerzen  in  den  Eingeweiden ,  welche  erst  aufhörten, 
ib  er  um  Vergebung  bat.    Ein  Seemann  in  Falsterbro,   der 
Mhnelle  Auf  bruchsordre   empfing   und  sein   Schuhzeug  nicht  in 
Ordnung  hatte,  rief  im  Vorbeifahren  spottend,  der  Schuhmacher 
inter  dem  Apfelbaum  solle  ihm  die  Stiefel  flicken.    Als  er  abends 
wieder  an  jene  Stelle   kam,  wurde  er  irre   und  fuhr  die 
ganze  Nacht  um  den  Baum  herum,  dieWageni^er  ließen 
eine  bleibende  Spur  .zurtlck.^    Auch  in  deutschen  Sagen  liegt  der 
Eingang  zu  den  Wohnungen  der  Unterirdischen  (d.  h.  der  Zwerge) 
unter  einem  Apfelbaume,  einer  Rüster,  in  der  Ellemkuhle 
IL  8.  w.*     In  Verwirrung  geraten  scheint  die  folgende  Sage.    Zu 
Menzingen  im  Kanton  Zug  stand  mitten  im  Dorf  ein  hoher  Baum, 
30  hoch,   daß    er  vom  Sturme  gebrochen   alle  Wohnungen   zer- 
schlagen hätte.    Da  niemand  ihn  zu  fällen  wagte,   gewann  man 


1)  Vgl.  J.*N.  Wilse,  Beskrivclse  over  Spydebergs  Praestejjjelil.  Christiania 
1779  p.  418. 

2)  S.  Hans  Ström ,    Beskrivelse  over  Fogderiet  Sondmör  i  Bergens  Stift 
i  Norge  Soröc  17G2.  I.  p.  537. 

3)  Nach  Myth.^  CXII.  jedoch  wohnen  die  Unterirdischen  (iinderjordisk 
kW)  uti  botra.  In  Dänemark  weiß  man  von  einzelnen  Bäumen ,  welche  die 
Unterjordiske  nicht  umhauen  lassen ,  das  Glück  des  Gehöftes  sinkt  dahin, 
w«?nn  ihnen  Gewalt  geschieht.  Ein  solcher  Banm  stand  auf  einem  Felde  bei 
Eakildstmp  Amt  Sorö;  der  Eigner  hielt  ihn  hoch  in  Ehren  und  sagte,  es 
hätten  da  früher  zwei  gleiche  Bäume  gestanden ,  als  aber  ein  Mann  den  einen 
umhauen  lieft .  sei  alles  Unglück  über  ihn  und  sein  Haus  gekommen.  Thiele, 
Danmarks,  Folkesagn  1843.  U,  S.  52  ff. 

4)  Nicolovins,  Folkelifvet  i  Skyttshärad  i  Skäne  S.  185. 

r»)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  262,  292.   Wo.  12(),  1.    1(>6,  189,  6. 


62  Kapitel  I.  *  BaumReele: 

ein  Bergmännchen.  Das  kappte  den  Banm  und  verschwand  dann 
im  hohlen  Baum  auf  immer.  Der  Ber^eist  hauste  wol  auch  vor- 
her schon  im  Baume.  ^  Der  Schwede  nennt  als  Bewohner  solcher 
Bäume  auch  jene  Elfen  (elfvor),  welche  wie  kleine  Puppen  gestal- 
tet auf  den  Wiesen  tanzen.  Unsichtbar  fahren  sie  mit  gleicher 
LfCichtigkeit  durch  Luft,  Feuer,  Erde,  Wasser,  Berge  und  Bäume. 
Sichtbar,  erscheinen  sie  in  mancherlei  Gestalt,  oft  sah  man  sie 
als  Eulen  zwischen  den  Baumästen  herumhtlpfen. 
Aufwiesen  gewahrt  man  oft  Ringe  von  grUncrem  und  frischerem 
Gras,  d^  ist  der  sogenannte  „Elfdans'',  da  schwangen  sich 
die  Elfen  während  lichter  Sommernächte  in  luftigem  Beigen  und 
unter  ihren  Füßen  wuchs  das  Kraut  üppiger.^  Am  liebsten  üben 
sie  ihre  Spiele  unter  Linden  und  andern  Laubbäumen.  Sie  hallen 
allerlei  Aufenthaltsorte  in  der  Erde,  in  Steinen,  wie  in  Bäumen. 
Wer  solchen  Bäumen  irgend  wie  schadet,  wer  durch  ein  Astloch 
nach  den  Elfen  sieht,  oder  wer  das  Gras  der  Elfenringe  nieder- 
tritt, der  erblindet,  oder  er  wird  von  den  Geistern  angehaucht 
und  bekommt  ein  Geschwulst  oder  eine  Wunde  am  Kopf,  eine 
Krankheit,  die  alfild  (Elfenfeuer)  oder  alfgast  und  elfbläst  (Elfen- 
anhauch) heißt,  gradeso  wie  in  Schottland  und  Irland  schon  der 
Moße  Anblick  der  Elfen  Tod,  Fieber  oder  Verlust  des  Verstandes, 
ihr  Anhauch  Beulen  und  Krankheiten  zur  Folge  hat.  Doch  sau- 
gen die  Elfen  auch  behexten  Kindern  an  Fingern  und  Zehen ,  so 
daß  sie  klein  und  schwach  bleiben.  Als  Gegenmittel  gegen  diese 
Krankheiten  bindet  man  den  Kindern  entweder  Donnerkeile 
um  den  Hals  oder  man  schmiert  die  Löcher  oder  Vertiefungen  in 
gewissen  großen  tief  in  den  Wäldern  liegenden  Steinen  oder 
Riescubctten  mit  Butter  aus  und  setzt  Puppen  von^Zeuglappen 
gemacht  in  Gestalt  der  Elfen  hinein.  Oder  ein  kluger  Maim  räu- 
chert das  kranke  Kind  mit  Vendelört  (Valeriana  officinalis);  dann 
sieht  man  die  Elfen  in  Gestalt  kleiner  Puppen  über  den  Fußboden 
gehen  und  bitten,  man  möge  ihnen  nur  erlauben  eine  andere 
Stelle  aufzusuchen.  In  Skinuersala  in  Vesterrunisoeku  ging  eine 
Bäuerin  in  den  Wald,  um  sich  Kien  zu  hauen.     Sie  hieb  einen 


1)  Rochholz ,  AargauRiOgcn  I.  SIK  78. 

"2)  Die  Pflanzo  sosloria  caoruloa  hoiP.t  elfdansar ,  olfpfriis,  elfaxhi^  (kleine 
Aohro)  dieses  (iras  breitet  sicli  kToi8fl')nni^  vom  Mittelpunkte  uach  allen  Seiten 
aus  und  stirbt  nachher  in  der  Mitt.e  ab:   daher  die  Ringe.     Runa  1845.  S.  ."jO. 


ßoträ.  63 

Baumstampf  mit  der  Wnrzel  heraus  and  wurde  sofort 
80  siech,  daß  sie  kaum  heimgehen  konnte.    Niemand  wußte  was 
ihr  fehle,  bis  ein  kluger  Mann  erkannte,   daß  sie  einem  Elfen 
geschadet  haben  müsse.     Und  erholt  sieh  (kommer  sig)  der  Elfe, 
sagt  er,  so  erholt  sich  die  Bäuerin  auch,  stirbt  aber  der  Elf,  so 
stirbt  die  Bäuerin  ebenfalls.    Die  Frau  sah  nun  ein,  daß  ein  Elf 
hn  Baumstamm  gewohnt  haben  müsse  und  starb  bald  nachher, 
demi  der  Elf  konnte  nicht  leben,  da  der  Stubben  mit  den  Wur- 
zeln ausgenommen  war.  ^    Diese  Elfen  sind  offenbar  den  deutschen 
krankheiterzeugenden  Eiben,  von  denen  wir  oben  sprachen,  aufs 
Dichste  verwandt    Befallen  sie  einen  Menschen,   so  werden  sie 
in  eflSgie   (aus  Zeuglappen)   zum  Walde   zurückgetragen.     Eine 
dinische  Ueberlieferung  von  1722  bezeichnet  die  in  oder  bei  den 
Turzeln  des  Baumes    wohnenden   Geister  ganz    allgemein    als 
Taetter:  Videmus  quoque  rusticos  orsuros  caesionem  arboris  ier 
cxspuere,  quasi hac excretionc  vettas  aliosque  latentes  ad 
radicem  arboris  noxios  genios  abacturos(Myth.^CXVI.  162.) 
Doi  schwedischen  Erzählungen  von  den  Hausgeistern  unter  dem 
Boträd  gleichen  wieder  mehr  die  Angaben  in  einer  Denkschrift, 
welche  zwischen  den  Jahren  1526  — 1530  über  den  heidenartigen 
Aberglauben  der  noch  ihren  alten,  dem  lettischen  Stamme  ange- 
hurigen,  Dialekt  «prechenden  Bewohner  des  nordwestlichen  Win- 
kels im  preußischen  Samlande  verfaßt,  aber  erst  nach  1560  unter 
dem  Titel   „von  der  Bockheiligiing  der  Sudauer"  gedruckt  ist. 
Der  Verfasser  (wahrscheinlich  ein  evangelischer  GeiRtli(*her)  bczeieh- 
Dct  die  Pcrsonificationen  des  Volksglaubens  ak  heidnische  (TÖtter. 
Nach  Herstellung  des  Textes  auf  Grund  der  ältesten  Handschriften 
ergiebt  die  Denkschrill  über  die  Verehrung  des  Holunderbaunies 
Folgendes.    Sein  Holz  gelte  für  großwürdig  und  heilig.     Unter 
ihm  wohne  in  der  Erde  der  Erdeugott  Puschkaiti.s.    Diesen  bitte 
man,  indem  manBrod,  Bier  und  andere  Speisen  unter  den  Baum 
trage,  er  wolle  seine  Markopolen  d.  h.  die  Erdleutehen  und  seilte 
Parstucken   d.  h.   kleine  Männlein   in  die  Scheune  schicken,    um 
^ietreide  dahinein  zu  tragen  und  wol  zu  behüten.    In  der  Nacht 
setzen    die  Bauern  Si)eiscn   in   die  Scheune   und   rufen  jene    zu 


1)  Aufzoichniingen  dos  Ilorm  M.  II.  Hnltin  im  Jaliro  lHr»2  poinaoht. 
Handsirhr.  des  Reichsant'Ktuarimn.'i  zu  Stxx^kholiii.  Vffl.  IIylti;n-(-avalliüB  ^^fK) 
|.ti4.  144;.  fcj.  :U.     Prittmaiin.  Nord.  Klfeimuirehen  S.  ü(i.  Myth.-*  430. 


64  Kapitel  I.    Baamsoele  : 

Qaste.  Wenn  sie  morgens  viel  verzehrt  finden,  hoffen  sie  aaf 
Vermehrung  ihres  Getreides.  Da  die  Namen  Paschkaitis  nnd 
Marko])ole  etymologisch  noch  unaufgeklärt  sind,  läßt  sich  nicht 
sagen,  ob  der  Verfasser  mit  seiner  Angabe  „der  Erden  Gott^ 
recht  habe.  Sei  Puschkait  jedoch  eine  Personification  wessen  er 
wolle,  jedesfalls  geht  soviel  daraus  hervor,  daß  nach  altpreuBi- 
schem  Volksglauben  unter  dem  Holunder  ein  Dämon  wohnt, 
welcher  sowol  ttber  Zwerge  (Markopole) ,  als  Kobolde  (Parstucken. 
Fingerlinge  ?)  Macht  hat  und  dieselben  zu  Gunsten  oder  Schaden 
der  Menschen  aufbietet.  Nach  den  gleichzeitigen  Mitteilungen 
des  Lucas  David  war  anderswo  in  Preußen  der  Glaube  verbreitet, 
daß  wenn  man  die  Erde  unter  dem  Holunderstrauch  verunreinige, 
der  Gast,  so  unsichtbar  unter  dem  Baume  wohne,  das  Auge  ver- 
unstalte; verbrenne  lüan  den  Busch,  so  nehme  man  ihm  seine 
Herberge. 

Ueberschlagen  wir  alle  diese  Ueberlieferungen,  so  wird  es 
klar,  daß  in  denselben  eine  Verschmelzung  verschiedener  Vor- 
stellungen statt  hatte.  Der  Hausgeist  (Tomtegubbe  u.  s.  w.) 
im  Boträd  tritt  uns  entgegen  gleichsam  als  der  Baumgeist,  der 
personifizierte  Baum  selbst.  Neben  anderm  was  wir  schon  bei- 
brachten, stimmt  hiezu  aufs  beste,  daß  der  Kobold  in  den  Nie- 
derlanden, Holstein,  Thüringen,  Hessen  und  Baden  zuweilen 
grünes  Gewand  trägt,  daß  er  in  Holland  ein  grünes  Gesicht 
und  grüne  Hände,  in  Belgien  ein  Antlitz  verschrumpelt 
wie  die  Rinde  eines  Baumes^'  haben  soll,  und  daß  er  in  der 
Mark  der  grüne  Junge  heißt.^  Diesen  Hausgeist,  der  der 
Baumdämon  selber,  sehen  wir  nun  nach  Analogie  der  „Elbe" 
mitunter  zu  einer  ganzen  Schaar  vervielfältigt,  die  in  oder  unter 
dem  Baume  Wohnung  nimmt  und  mit  Attributen  ausgerüstet, 
welche  diesen  als  Kranklieitsgeistem  zukommen.  Andererseits 
gewahren  wir  die  Elfen  ein  Stück  von  dem  Wesen  des  Baum- 
geistes selbst  annehmen.  Konnten  sie  dem  Körper  des  Menschen 
und  der  Tiere  schaden,  so  mochten  sie  besänftigt  auch  woltätig 
wirkend  gedacht  sein  und  so  auch  von  dieser  Seite  her  mit  der 
Idee  des  Schutzgeistes  zusammenfließen.  Daher  erklärt  sich  das 
im  Eichsfelde   gebräuchliche  Verbot  Holunderbolz  zu  verbrennen, 


1)  J.  W.  Wolf  hat  Beitr.  z.  d.  M.nh.  II,  332  33.  eine  Anzahl  einschlä- 
giger  Beispiele  gesammelt. 


Boträ.  65 

wen  sonst  im  ganzen  Hanse  die  Hühner  sterben.^    Das  Leben 
der  Hflhner  ist  mit  dem  des  Banmes  so  zn  sagen  iden- 
tisch geworden.    Hiemit  stimmt  die  Sage  vom  Stodderstabben 
bei  BOnsvig  (Pnestoe  auf  Seeland).    Es  ist  ein  Weißdornstampf, 
der  ab  Seemarke  dient    Wer  Hand  daran  legt,  dem  widerfährt 
Unglflck.    Einem  Baner ,  der  ihn  zum  Pflnghanpt  abhauen  woUte, 
fahr  die  Axt  ins  Bein  (vgl.  ob.  S.  36).     A\b  er  zam  zweitenmale 
Hand  anlegte,  starb  ihm  eine  Knh.   Stodderstabben  (Bettlerstumpf) 
heiBt  der  Baom,  weil  da  ein  Bettler  begraben  ist  (vgl.  ob.  S.  39).' 
Endlich  treten  sogar  auch  die  Zwerge  an  die  Stelle  der  Eiben. 
Vielleicht  wird  es  weise  getan  sein  zu  erinnern ,  daß  die  von  uns 
nur  Besprechung  gebrachten  Characterzüge  das  Wesen  weder  der 
Kobolde  und  Hausgeister,  noch  der  Elbe  und  Zwerge  erschöpfen. 
Die  Kobolde  namentlich  gehen  fast  durchgängig  in  Personifica- 
fimen    feuriger  Lufterscheinungen    (Drachen)  über,   so  daß  die 
Bezeichnung  als  Baumgeister  eine  yiel  zu  enge  wäre.    Und  auch 
TOD    den  Eiben  (Elfen)   hat  man  festzuhalten,  daß  ihr  Aufent- 
Ut  im  Baume  und  ihre  Eigenschaft  als  Krankheit  yerursachende 
Geister    nur   eine    einzelne    unter   ihren  mannigfachen   Erschei- 
nangsformen  sind,  wenn  auch  eine  nicht  ungewöhnliche,  wie  ich 
durdi    noch    einige    weitere   Metamorphosen  dieser  Vorstellung 
erhärten    möchte.     Im   Waldeckischen    versteht  man   unter   den 
„Hollen"  kleine  schwarze   Leute,  welche   Züge  der  Zwergsage 
imd  der  Koboldsage    yereinigen.      Sie    wohnen   im  Hollenstein, 
vertanschen  Kinder,  backen  dem  Ackerer  Kuchen,  tragen  ihren 
lieblingen  Korn  von  eines  andern  Boden   zu.^     Doch  auch  im 
Baume  wähnt  man  sie  gegenwärtig.    Wenn  kleine  Kinder  krän- 
keln, müssen  die  Eltern  Wolle  und  Brod  in  den  Wachholder- 
bnseh  einer  andern  Feldflur  bringen  und  dabei  sprechen: 

Ihr  Hollen  und  Uollinneii, 

Hier  bring*  ich  ench  was  zu  spinnen 

Und  was  zu  essen. 

Ihr  sollt  spinnen  und  essen 

Und  meines  Kindes  vergessen.* 

1)  Seifart,  Hildesheim.  Sagen  U,  166. 

2)  Thiele ,  Danroarks  Folkesagn  1843,  II,  54.  nach  Repholtzs  Bcskr.  over 
Baroniet  Stampenborg  118. 

3)  Cnrtze,  Volksüberlieferungen  aus  Waldeck  S.  219.  225. 

4)  Curtze  a.  a.  0.  373.    Vgl.  ob.  S.  20  nebst  dem  Fiebersegen  aus  Pli- 
niiis  Yalerianns  und  S.  14  die  guten  Holdichen. 

Manahardt  5 


66  Kapitel  I.    Baumseele: 

Auf  dem  Kirchhofe  von  Storeheddinge  auf  der  Insel  Seeland 
finden  sich  Ueberbleibsel  eines  Eichenwaldes.  Das  sind  —  sagt 
der  gemeine  Mann  —  des  Elfenkönigs  Soldaten,  bei  Tage 
Bäume,  bei  Nacht  tapfere  Krieger.  Aus  einem  Baume  im 
Walde  zu  Bugaard  auf  derselben  Insel  wird  Nachts  ein  ganzes 
EJlfenvolk  und  läuft  lebendig  herum.  ^  Das  sind  die  neben  dem 
eigentlichen  Baumgeist  die  Zweige  des  Baumes  bewohnenden 
Elbe.  Die  Auffassung  der  krankheitverursachenden  Elbe  als 
Würmer  war  die  eine  uralt  indoeuropäische  Vorstellung,  welche 
yielfach  bis  auf  die  neueste  Zeit  maßgebend  geblieben  ist  In 
den  Soldaten  der  soeben  augefahrten  seeländischen  Sage  erkenne 
ich  dagegen  einen  Ausfluß  einer  andern  daneben  herlaufenden 
und,  wie  das  Beispiel  des  durch  seine  Pfeile  Pest  hervorrufenden 
Apollo  zeigt,  nicht  minder  alten  Auffassung,  wonach  die  Schmer- 
zen als  unsichtbare  Verwundungen  durch  kleine  Speere  oder 
Pfeile  von  Götterhand  oder  aus  der  Hand  der  Elfen  betrachtet 
werden.  Vgl.  die  englischen  "und  schottischen  Vorstellungen  vom 
elfbolt,  elfarrow^  und  den  ags.  Segen  in  der  Us.  der  Harlej^ 
Samml.  N.  585,  gegen  Stiche,^  wo  es  heißt,  daß  Hexen  gellende 
Speere  (gyllende  gäras)  Göttergeschoß,  Elfengeschoß,  Hexen- 
geschoß (esa  gescot,  ylfa  gescot,  hägtessan  gescot)  in  Haut,  Fleisch, 
Blut  oder  Glied  entstaudten  „heraus  kleiner  Speer  (ut  lytel  spere)." 
So  sprechen  wir  noch  heute  von  Hexenschuß,  und  dem  Schweden 
heißt  älfbläst  auch  elfskudt.  Die  Zusammenstellung  Ssa  gescot, 
ylfa  gescot  aber,  welche  in  der  stellenden  formelhatten  Miteinan- 
demennwig  von  Äsen  und  Alfen  in  Liedern   der  älteren  Edda* 


1)  Jonge,  Nordsiell  -  Landalm ,  S.  301.  Thiele,  Danmarks  Folkesagn, 
Kbhvn  1843,  H,  190.  53. 

j)       Grimm,  irische  Elfenmärchen  S.  CIL  CXIIL  XLV.    Myth.«  429. 

3)  Myth.2  1192.    J.  M.  Kemble,  die  Sachsen  in  England  I,  438. 

4)  Z.  B.  Hvat  er  med  äsum ,  hvat  er  med  älfum?  Thrvmsq.  7.  In  unzwei- 
felhaftem Zusammenhange  mit  der  oben  dargelegten  Anschauung  steht  eine 
Sagenfamilie ,  welche  die  Geister  der  wilden  Jagd ,  Hexen ,  Zwerge  oder  Frau 
Perchta  gewissermaßen  als  die  ins  Groteske  vergrößerten  Elbe  erscheinen 
läßt.  Sic  Tcrgegenwärtigt  uns  einigermaßen  was  der  Angelsachse  unter  flsa 
gescot  verstanden  haben  wird,  und  bestätigt  zugleich,  daß  der  Parellelismos 
des  Menschen  mit  dem  Baume  auch  dieser  Anschauung  zu  Grunde  liegt. 
Eine  Hexe  haut  einem  Manne  im  Vorbeireiten  während  der  Walpurgisnacht 
ein  Beil  in  die  Lende,  indem  sie  spricht:  „hier  steht  ein  Baumstumpf 
(stuke),  da  will  ich  mein  Beil  hineinhauen.''    Kein  Arzt  vermag  es,  das  Beil 


Boträ.  67 


flir  Seitenstflck  hat ,  spricht  dafür ,  daß  diese  Ausdrücke  auf  ger- 
manisehem  Boden  in  eine  dem  Heidentam  angehörige  Angelsach- 


benosznzieheD.     In  der  Walpurgisnacht  des  nächsten  Jahres  stellt  sich  der 
Mazm  an  denselben  Platz.     Dieselbe  Hexe   kommt   wieder  Torbei  und  sagt: 
,I>er  Stanpf  steht  hier   noch,   ich  will  mein  Beil  herausnehmen;   aber  ein 
andennal  stehe  der  Stampf  nicht  wieder  da."    (Wolften,  Schambach  u.  Mül- 
ler, Niedere.  Sag.  179, 195.)    Einem  Manne  in  Mainzholzen  steckte  eine  vor- 
beÜkhreade    Hexe   eine  Stecknadel   in's  Knie  nnd  zog  sie   nach  Jahresfrist 
wieder  heraus   mit   den  Worten:   „Vor   einem  Jahre   habe    ich    eine 
Stecknadel   in    eine  alte  Buche  gesteckt,   ich  will  doch  einmal 
sehen,  ob  sie  noch  da  ist.*'    (Schambach -Müller  a.a.O.    S.  Anm.  359, 
195.)    Die  Berchtl    an  der  Spitze  der   wilden  Fahrt   schlug  eine   Hacke  in 
h&  Knie    eines  Mannes   mit  dem  Ausruf:    „Wartet!    da    unten   ist  ein 
Stock  (Baumstumpf),  in   den   muß   ich  dieses  Hackl  hineinhauen." 
Sich  einem  Jahre  zog  sie  es   wieder  heraus  (Zingerle,  Sagen,  Märch.  und 
Gebr.  a.  Tirol  1859,  Nr.  23.  S.  17).    Ein  Knecht  legt  einen  Baumstamm  quer 
,  Iber  den  Weg,  den  die  wilde  Fahrt  daherkommt.    Als  er  Nachts  im  Bette 
lieft,  hört  er  eine  Stimme:  In   diesen  Bnum  schlage  ich  eine  Hacke 
kinein."    Alsbald  empfindet  er  große   Schmerzen   am  Fuße,  bis 
■ach  Jahresfrist  die  wüde  Fahrt  ihm  diese  wieder  abnimmt.   (Zingerle  a.  a.  0. 
Kr.  24.  S.  18.)    Ein   Spielmann   versteckt  sich  vor  der  wilden  Jagd  hinter 
einer   Eiche.    Einer   der   wilden  Jäger   stürzt  auf  den  Baum  zu  und  ruft: 
Hier  will   ich  mein  Beil  hineinhaucn.    Im  Augenblicke  empfindet  der  Spiel- 
luum  einen  großen  Schlag  auf  dem  Kücken  und  von  Stunde  an  hat  er  einen 
großen  Buckel    (vgl.  S.  20  die    durch   Elbe   erzeugten   Auswüchse).     Nach 
Jahresfrist  steht  er  hinter  derselben  Eiche.    Die  wilde  Jagd  kommt  und  der- 
«Ibe  Jäger  stürzt  wieder  auf  den  Baum  zu:  „hier  hieb  ich  vor  einem  Jahre 
mein  Beil  hinein,  hier  will  ich's  wieder  herausziehen."    Ein  gewaltiger  Ruck 
im  Bücken  des  Spielmanns  und  der  Buckel  ist  fort.    (Templin.   Kuhn ,  NArdd. 
iSag.  Nr.  69.  S.  65  fF.)    Weitere  Beispiele  sind   zusammengestellt  bei  Scham- 
bach  und  Müller  a.  a.  0.  S.  359 ,  und  Eochholz ,  Sagen  a.  d.  Aargau   II,  147. 
Boe  Abart  dieser  Sagenfamilic  ist  eine  andere,  nach  welcher  ein  zauberkun- 
diger Wilddieb  sich  vor  dem  nabenden  Forstwart  in  einen  daliegenden  Baum- 
stamm verwandelt.     Der  Förster   aber   setzt   sich    gelassen   auf  den  Stamm, 
patzt  seine  Tabackspfeife   mit  dem  Messer  oder  Pfriem  aus  und  läßt  dieses 
dann  wie  aus  Vergessenheit  tief  im  Stamme  stecken.     Der  Wildschütz  erzählt 
nachher  von   den  Schmerzen,   den   ihm  das  tief  in    seinem  Kopfe  steckende 
Messer  oder  nadelförmige  Instrument  verursache.    Rochholz ,  Aargaus.  11, 147, 
371  u.  Anm.     Wie   die  Vorstellung,   daß   die  krankheiterzeugenden  Elbe  in 
Wurmgcstalt   im  Baume  verkörpert  sind  und  von  da  aus  zur  Qual  des  Men- 
schen ausfliegen,  nur  die  Kehrseite  der  Anschauung  ist,  daß  gleich  den  den 
Baumstamm   anbohrenden  Würmern   bohrende   und    nagende  Schmerzen    den 
menschlichen  Körper  peinigen ,  steht  neben  der  durch  die  Sage  von  Storehed- 
dinge  vertretenen   Vorstellung,   daß    durch   Schuß   verwundende  Elbe    vom 

5* 


68  Kapitel  I.    Baumseele: 

sen  und  Skandinaven  gemeiiigame  Kulturepoche  znrttckreichen. 
Sehr  deutlich  zeigt  uns  den  Baumgeist  als  Beherrscher  der  in 
den  Baumgliedem  lebenden  Elfen  die  estnische  Tradition.  Der 
Este  erzählt  nämlich  von  Baumelfen  puu-halijad,  welche  im 
Baume  wohnen  und  bei  aufsteigendem  Gewitter  sich  aus  Angst 
vor  der  Verfolgung  des  Donners  mehrere  Fuß  tief 
unter  des  Baumes  Wurzeln  verkriechen.  Ein  Bauersmann 
findet  einst  bei  aufsteigendem  Gewitter  einen  fremden  Mann  unter 
einem  Baume  schlafen  und  weckt  ihn.  Der  Fremde  sagt  ihm 
seine  Gegendienste  zu.  Wenn  er  einst  fem  vom  Vaterlande  ein- 
mal Heimweh  bekomme,  werde  er  eine  krumme  Birke  gewahren. 
Er  solle  anklopfen  und  fragen:  Ist  der  Krumme  zu  Hause?  Dies 
geschieht,  als  er  nach  Jahren  als  Kriegsmann  im  fernen  Finn- 
land dient.  Er  sieht  die  Birke,  er  fragt  nach  dem  Krummen, 
der  Fremde  steht  vor  ihm,  und  ruft  sogleich  in  den  Baum  hin- 
ein nach  den  schnellsten  von  seinen  Jungen.  Wetteifernd  drängen 
sie  sich,  endlich  erhält  einer,  schneller  als  der  Gedanke,  Befehl 
den  Kriegsmann  mit  einem  guten  Geldsack  in  seine  Heimat  zn 
tragen.     Der  Krumme  war  der  Baumelf  (puuhalijas)  gewesen.^ 

Insofern  die  Elbe  dem  Menschen  und  Tiere  seine  Kraft, 
sein  Fleisch  oder  die  Nahrung  rauben  (vgl.  den  Ausdruck  Mit- 
esser) konnten  sie  wol  Diebe  genannt  werden.  Indem  man  aber 
misverständlich  „was  von  ihnen  gesagt  wurde,  auch  auf  mensch- 
liche Stehler  übertrug,  kam  man  dahin  zu  glauben,  Frau  Wach- 
holder könne  Diebe  zwingen,  gestohlenes  Gut  zurückzubringen. 
Man  geht  zu  diesem  Zwecke  vor  Sonnenaufgang  zum  Wachhol- 
derbusch,  beugt  einen  Zweig  mit  der  Linken  nach  Osten  bis  auf 
die  Erde  herab  und  legt  einen  Stein  darauf,  damit  er  nicht 
emporschnellen  kann,  und  spricht:  Wachholderstrauch ,  ich  tue 
dich  bücken  und  drücken ,  bis  der  Dieb  dem  N.  N.  sein  gestohlen 
Gut  wiederbracht  hat."  Der  Dieb  wird  kommen.  Sobald  er 
aber  das  Gestohlene  gebracht  hat,  muß  man  den  Zweig  lösen 


Baume  ausgehen,  wo^  als  üeberbleibsel  einer  älteren  Stufe  unsere  Sagen- 
familie. Ihre  GrundTorstellung  läßt  sich  so  ausdrücken,  daß  wie  der  Baum 
von  den  Geschossen,  oder  der  Waffe  im  Sturme  umfahrender  mächtiger  Dä- 
monen (dem  Blitz?)  getroffen  wird,  ganz  ähnlich  der  erkrankende  Menschen- 
leib  den  Schlag  oder  Stich  der  dämonischen  Waffe  empfindet. 

1)  Böcler-Kreutzwald,    der  Ehsten  abergläubische   Gebräuche,   Peters- 
burg 1854,  S.  111  ff.  146. 


Botra.  69 

nnd  den  Stein  genau  an  seine  vorige  Stelle  legen.  ^  Man  taerke 
wohl,  wie  genan  diese  Beschwörang  der  ob.  S.  15  mitgeteilten 
gleicht,  welche  den  Baum  bewegen  soll,  den  Krankheitsdämon 
nurflckznmfen.  Dort  wurde  nämlich  ein  Stein  auf  eine  Distel 
gelegt  Ganz  dasselbe  geschieht  in  Estland,  sobald  das  erste 
KoiB  der  neuen  Ernte  zum  Dörren  aufgestellt  wird.  Man  legt 
auf  jedes  Fensterloch  eine  große  Distel  und  auf  diese 
einen  Stein.  Dann  kann  der  Kobold  während  des 
Dreschens  das  Korn  nicht  fortschleppen.  Der  korn- 
stehlende Kobold  oder  fliegende  Drache  wird  hier  deutlich 
in  die  Distel  (als  einen  seinem  Wesen  entsprechenden  Wohnsitz) 
gebannt'  Nun  erklärt  sich  auch,  weshalb  in  der  schon  erwähn- 
ten Denkschrift  von  der  Sudauer  Bockheilignng  Puschkait  (s.  ob. 
8.63)  bei  Diebstählen  ermahnt  wird,  den  Dieb  nicht  über  die 
Giense  zu  lassen.^ 

Unbemerkt  gelangten  wir  der  Entwickelung  des  Baumkultus 
folgend  bereits  an  diejenige  Stufe,  welche  wir  in  der  Einleitung 
ab  die  dritte  bezeichneten,  d.  h.  zu  solchen  mythischen  Gestal- 
ten, welche  scheinbar  mit  Freiheit  außerhalb  der  Pflanze  sich 
bewegen ,  mit  ihrem  Leben  aber  an  das  Geschick  derselben  gebun- 
den sind.  So  kann  die  Baumnymphe  zuweilen  der  Art  von  ihrem 
Baume  sich  lösen,  daß  sie  mit  Menschen  in  ehelicher  Gemein- 
Schaft  lebt  In  Böhmen  gab  es  im  Bidschower  Kreise  einmal 
eine  Familie,  deren  Mutter  Nacht  für  Nacht  ihren  Körper  ver- 
fieß,  um  in  eine  Weide  am  Bache  zu  gehen.  Als  ihr  Mann  davon 
erAdir,  faUte  er  die  Weide,  aber  im  nächsten  Augenblick  starb 
auch  sein  Weib  wie  von  einer  Sichel  abgehauen.  Nur  die  Liebe 
ni  den  Kindern  überdauerte  die  Verstorbene.  Die  aus  der  Weide 
gemachte  Wiege  schläferte  die  zurückgebliebene  Waise  ein  und 
als  diese  heranwuchs  und  aus  dem  Weidengebüsch,  das  aus  dem 


1)  J.  W.  Wolf,  hess.  Sag.  Nr.  22.  Vgl.  Zingerle,  Sitten,  Aufl.  2. 
S.  73,  620. 

2)  Böcler  -  Kreutzwald ,  der  Ehsten  abergl.  Gebräuche ,  S.  142. 

3)  Aus  Toppen,  Abergl.  a.  Masuren*,  S.  59  ist  zu  lernen,  wie  diese  Vor- 
steUungen  sich  weiter  verzweigten.  Ein  Teil  von  dem  geretteten  Gut  in 
einen  Baum  (Birkenbaum,  Pflaumenbaum)  verkeilt,  zieht,  sobald  es  verdirbt, 
den  Tod  des  Diebes  nach  sich.  Ist  der  Baum  eine  Espe,  so  muß  der  Dieb 
zittern  wie  Espenlaub. 


70  Kapitel  L    Banmseele:  • 

Baumstümpfe  hervorwachs,  sich  Pfeifen  verfertigte^  sprach  wäh- 
rend des  Pfeifens  die  Matter  mit  ihr.^ 

§.  18.  Chronologische  Zeugnisse.  Hiemit  schließen  wir 
den  schon  breit  genug  ausgelaufenen  Nachweis,  daß  und  in  wie 
mannigfachen  Gestalten  der  Volksglaube  ein  enges  und  magisches 
Band  zwischen  dem  Baume  (resp.  der  Pflanze)  und  dem  Men- 
schen als  vorhanden  setzt.  Wir  trafen  die  Baumverehrung  und 
damit  zusammenhangende  Gebräuche  und  Anschauungen  wesent- 
lich in  denselben  Formen  aus  Skandinavien,  Deutschland,  Eng- 
land ,  Litauen ,  Bußland ,  Böhmen  und  Frankreich  bezeugt  Bei 
mehreren  derselben  fehlt  es  außer  den  inneren  Anzeichen  auch 
an  den  äußeren  Zeugnissen  fUr  ein  hohes  Altertum  nicht 
Wenn  unsere  Auseinandersetzungen  über  Yggdrasill  richtig  sind, 
muß  der  Glaube  an  den  Värdträd  mindestens  ins  8.  — 10.  Jahr- 
hundert zurückreichen.  Die  ins  Strafrecht  der  Holzgenossenschaf- 
ten übergegangene  Identifizierung  des  Baum  -  und  Menschenleibes 
ist  älter  als  das  11.  Jahrhundert  (ob.  S.  29);  Herzog  Bretis- 
law  n.  von  Böhmen  (1092  —  1100)  ließ  Haine  und  heidnische 
Bäume  (lucos  et  arbores  gentiles)  umhauen  (Cosmas  Prägens^ 
üb.  HI).  König  Knut  der  Große  (1014  — 1035)  verbietet  in  Eng- 
land die  Verehrung  jeder  Art  von  Waldbäumen  (seniges  cynnes 
wudutreowa),  König  Eddgär  (959  —  975)  die  eiteli;i  Gebräuche 
mit  Holunder  und  manchen  andern  Bäumen  (on  ellenum 
and  cic  on  odrum  mislicum  treowum),  S.  Kemble,  Sachsen  in 
England  I^  433.  436.  Schmidt,  Gesetze  der  Angelsachsen,  Lpz. 
1858.  S.  272.  Heilige  Haine  waren  auch  den  Sachsenstämmen 
des  Festlandes  gemeinsam.  Noch  Erzbischof  Unwan  von  Bremen 
(1013  — 1029)  „ließ  die  Haine,  welche  die  Marschbewohner  sei- 
nes Sprengeis  in  törichter  Verblendung  besuchten,  niederhauen 
und  davon  die  Kirchen  neu  bauen"  (Adam-Brem  1.  H,  c.  46)  und 
als  Vicelin  um  das  Jahr  1129  zu  den  Holtsaten  in  Faldera  (Neu- 
münster) kam ,  fand  er ,  daß  sie  nichts  weiter  als  den  Namen  von 
Christen  hatten,  denn  die  Verehrung  von  Hainen  und  Quellen 
und  sonst  noch  mancherlei  Aberglaube  herrschte  bei  ihnen  (Hel- 
mold  chronic  Slavor.  I.  Cap.  47).  Schon  der  Landtag  zu  Pader- 
born im  Jahre  785,  wenige  Jahre  nach  Christianisierung  der 
Sachsen  bedrohte  unter  andern 'Resten  des  Heidentums  mit  Strafe 


1)  Grohmann,  Abcrgl.  a.  Böhmen ,  S.  87. 


Chronologische  Zeugnisse.  71 

„81  qnis  ad  fontes  ant  arbores  vel  Incos  votom  fecerit  ant 
aliqoit  more  gentiliam  obtolerit'^  Monom.  Germ.  III ,  49.  Wenn 
das  Concil  zu  Nantes  im  Jahre  895  den  Bischöfen  die  Aasrot- 
tong  der  arbores  daemonibns  consecratae  qnas  volgns  colit  et  in 
tanta  yeneratione  habet,  nt  nee  ramnm  vel  sarcnlmn  audeat  am- 
patare  zur  Pflicht  macht,  so  brauchen  darunter  keine  andere  als 
£e  Yom  Baumgeist  bewohnten  verstanden  zu  werden  (Myth.^ 
XXXY);  ebenso  wie  der  Baum,  den  der  h.  Amandus  (f  671) 
mter  Nordfranken  verehrt  fand  „idolum  scilicet  arborem,  quae 
ent  daemoni  dedicata^^  (Myth.*  63),  keine  andere  Interpretation 
fttlangt  Auch  die  so  oft  von  den  Bußbttchem  erwähnten  obla- 
tiones  ad  arbores  finden  durch  S.  11  hinreichende  Erklärung. 
Wahrscheinlich  schon  im  7.  Jahrhundert  (Concil  v.  Ronen  650. 
t4)  übten  Hirten  und  Fischer  den  Brauch  yermittelst  eines  an 
im  leidenden  Teil  angebundenen  Brodsttlcks  oder  Krautes  Vieh- 
knnkheiten  in  einen  Baum  zu  verkeilen  (S.  £.  Friedberg,  aus 
deotsehen  Bußbttchem  26  ff.  66.  84  ff.).  In  noch  frtthere  Zeit 
irdsen  die  3-  ^0.  34  beigebrachten  Zeugnisse  aus  dem  h.  Eligius, 
Ibroellus  von  Bordeaux  und  Plinius  yalerianus.  Wenn  die  Decrete 
nd  Buftbttcher  der  christlichen  Kirche  des  Mittelalters  in  den 
voifaingenannten  Ländern  bald  nach  der  Bekehrung  noch  andere 
Arten  der  Baum-  und  Hainverehrung  als  im  Heidentum  gewöhnlich 
und  aus  diesem  noch  später  übrig  bezeugen  z.B.  Opfer,  Gelübde, 
Faekelanzttndung  an  Bäumen,  so  erklären  sich  auch  diese  teil- 
weise aus  den  von  uns  dargelegten  Formen  des  Kultus,  teilweise 
sehließen  sie  sich  an  andere  Seiten  desselben  an,  welche  weiter 
zu  verfolgen  unserm  gegenwärtigen  Zwecke  femer  liegt. 


Kapitel  0. 

Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe. 

§.  1.  Ueberslcht.  Der  Erörterung  der  Baumseelen  lassen 
wir  die  Besprechung  der  Waldgeister  folgen.  War  der  einzelne 
Baum  beseelt,  so  mußte  man  sich  den  Wald  von  einer  Vielheit 
dämonischer  Wesen  erfüllt  denken.  Dieselben  erschemen  jedoch 
nicht  mehr  als  die  immanenten  Psychen  der  Baumleiber,  sondern 
als  selbständige  freiwaltende  Persönlichkeiten,  deren  Leben  an 
dasjenige  der  Bäume  gebunden  ist ,  und  deren  Verrichtungen  zum 
Teile  aus  der  Vorstellung  des  anthropomorphisierten  Baumes 
geflossen  sind,  die  aber  gemeinhin  außerhalb  der  Bäume  wohnen 
und  handeln.  Man  könnte  es  gewissermaßen  als  ein  abgekürztes 
Verfahren  von  Seiten  der  Phantasie  bezeichnen ,  wird  .  es  aber 
natürlich  finden,  wenn  schon  einige  wenige  dieser  Baumgeister 
ausreichen,  um  coUectivisch  den  ganzen  Wald  zu  vertreten  und 
wenn  in  die  Vorstellung  und  den  Glauben,  die  man  von  ihnen 
hegt,- Züge  übergehen,  welche  in  plastischer  Anschaulichkeit  den 
Eindruck  verkörpern,  den  nicht  sowol  der  einzelne  Baum  als  die 
Gesammtheit  der  Bäume  mit  ihren  Lebensäußerungen  auf  die 
menschliche  Seele  ausübt.  So  gelten  nicht  allein  die  mannig- 
fachen Stimmen  und  Töne,  die  im  Walde  laut  werden,  sondern 
auch  die  Bewegungen  der  Aeste  für  Anzeichen  von  dem  Dasein 
der  Waldgeister,  fttr  Formen  ihrer  Lebenstätigkeit.  Was  wir  oben 
S.  42  wahrnahmen,  bestätigt  sich 'hier;  im  Bauschen  der  Blätter, 
im  Sausen  und  Brausen  der  erregten  Luft  macht  sich  die  Baum- 
seele, die  Seele  des  Waldes  selbst  bemerkbar,  es  schweben  die 
Waldgenien  im  Wirbelwinde  und  Sturme  dahin,  und  ziehen  als 
Jäger  oder  Gejagte  in  der  wilden  Jagd  einher.  Der  grüne  Wald 
ist  die  großartigste  üppigste  und  augenfälligste  Entfaltung  von 
Pflanzenwuchs;  deshalb  "vrird  der  Waldgeist,  indem  er  in  aber- 
maliger Begrifi'serweiterung  generellen   Character  ammnmt,   zum 


üebenichi  78 

Dlmon  der  Vegetation ;  so  dafi  er  sogar  in  dem  Leben  der  Enltar- 
pflanzen  waltend,  Korn  und  Flachs  hervorbringend  gedacht  wurde. 
Und  sei  es  nun,  daB  von  hier  aus  eine  Uebertragnng  stattfand, 
oder  daß  aus  dem  Pflanzenwuchs  in  Feld  und  Alpenwiese  sich 
ganz  gleichmäßig  ebenfalls  die  Gestalten  von  Vegetationsdämonen 
entwickelten ,  genug  auch  außerhalb  der  Wälder  kennt  der  Volks- 
glaube Berg-  und  Feldgeister,  welche  mit  geringer  Abweichung 
den  geisterhaften  Waldleuten  zum  Verwechseln  ähnlich  sehen. 
Der  gemütliche  und  geistige  Reflex  localer  Naturyerhältnisse  allein 
scheint  alle  diese  Wesen  durch  individuelle  Besonderheiten  unter- 
sdiieden  zu  haben.  Die  Holz-  und  Moosleute  in  Mitteldeutsch- 
land, Franken  und  Baiem ,  die  wilden  Leute  in  der  Eifel ,  Hessen, 
Salzburg,  Tirol,  die  Waldfrauen  und  Waldmänner  in  Böhmen, 
die  Tiroler  Fanggen,  Fänken,  Nörgel  und  selige  Fräulein,  die 
romanischen  Orken,  Enguane,  Dialen,  die  dänischen  EUekoner, 
die  schwedischen  Skogsnufvar,  endlich  die  russischen  Ljeschie 
bQden  auf  diese  Weise  eine  einzige  Sippe  mythischer  Gestalten. 
Es  wird  unsere  Aufgabe  sein ,  im  Folgenden  die  Zusammengehö- 
rigkeit dieser  Gestalten  darzutun,  um  zugleich  an  ihnen  die 
charaeteristischen  Eigentümlichkeiten  in  Eigenschaften  und  Ver- 
richtungen zu  beobachten  und  uns  zum  Bewußtsein  zu  bringen, 
welche  die  Tradition  diesen  Wald-  und  Feldgeistem  zuschreibt. 
Etwas  ausführlicher  werden  wir  in  dieser  Auseinandersetzung  bei 
einigen  Sagen  verweilen  müssen,  denen  wir  später  im  grauen 
Altertume  bei  Faunen,  Satyrn,  Panen  und  Silenen  wiederbegeg- 
nen und  einen  wesentlichen  Beitrag  zum  Verständniß  der  Natur 
dieser  Wesen  verdanken  werden. 

Wir  beginnen  mit  einem  au  eine  Volkssage  oder  Volksvor- 
stellung angelehnten  altnorwegischen  Sinnspruch,  der  wirksamer 
den  nämlichen  Gedanken  ausdrückt,  wie  unser  Sprichwort  „Klei- 
der machen  Leute''.  Das  nordische  Epigramm  lautet:  „Meine 
Kleider  gab  ich  auf  dem  Felde  zweien  Baummännern.  Sie 
dflnkten  sich  Helden,  als  sie  Gewände  hatten;  der  Schmähung  aus- 
ge43etzt  ist  der  nackende  Mann".^  Der  einsame  laub-  und  rinden- 
lose Baum  (o.  S.  6)  ist  hier  deutlich  zu  einem  freibeweglichen 
koboldartigen  Wesen  geworden;  wie  denn  von  hilfreichen  Zwergen, 


1)  Vadir   minar  gaf   ec   velli  at  tveim  tremonnum ;   reccar  I>at  pottuz, 
er  peir  rift  hofdo,  ueiss  er  neycciuidr  halr.    Hävain  49  Bagge. 


74  Kapitel  ü.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

HauBgeistem  und  Kobolden  in  Deutschland  yielfach  die  Sage 
vorkommt ;  daß  man  zum  Lohn  ihrer  Dienste  und  aus  Mitleid 
mit  ihrer  Nacktheit  ihnen  Kleider  schenkt ,  sobald  sie  das  sehen, 
dünken  sie  sich  zu  yomehm  zu'  arbeiten  und  verschwinden. 
Diesen  aus  der  Baumseele  hervorgegangenen  nordischen  Baum-* 
männem  stehen  deutsche  Waldgeister  ganz  parallel. 

§.  2.  Holz-  und  Moosfräulein.  Wolbekannt  ist  in  Mittel- 
deutschland eine  Klasse  geisterhafter  Wesen, ^  welche  im  Riesen- 
gebirge  isds  ßüttelweiber,  im  Böhmerwalde  und  der  Oberpfalz  als 
Holzfräulein,  Waldfräulein,  Wald  weiblein ,  im  Orlagau  und 
Harz  als  Moos  weiblein,  Holzweibel,  um  Halle  als  Lohjungfem 
(von  loch  =  lucus  Gebüsch)  bekannt  sind  und  denen  sich  entspre- 
chende männliche  Gestalten  Waldmännlein ,  Moosmännlein  zugesel- 
len.^ Die  letzteren  sind  seltener,  als  die  Moosweibchen  und  ganz 
in  Grün  gekleidet.  In  der  Gegend  von  Saalfeld  bilden  Hand- 
werker, besonders  Drechsler  diese  Wesen  als  Püppchen  nach  und 


1)  Die  Ueberlieferung  von  diesen  Wesen  zeichnete  unter  Neuern  zuerst 
der  Leipziger  Magister  Joh.  Prätorius  (f  1680)  aus  dem  Saalfeldischen  und 
dem  Riesengebirge  auf  in  seiner  Weltbeschreibung  I,  691 — 94.  Daemonologia 
Rübenzahlii  II,  134—136.  Daraus  Grimm  D.  Sag.  I,  59-61.  360.  N.  47. 
48.  270.  Mit  ihm  gleichzeitig  sammelte  in  der  Zwickauer  Gegend  Christian 
Lehmann ,  der  1638—1688  Pastor  zu  Schoibenberg'war.  Seine  hiehergehörigen 
Mitteilungen  in  s.  „Histor.  Schauplatz  der  Merkwürdigkeiten  des  meißnischen 
Erzgebirges.  Aufl.  3.  Leipzig  1699.  S.  78.  188.  757  sind,  wie  es  scheint, 
bisher  unbeachtet  geblieben.  Später  erwarb  sich  das  grollte  Verdienst  darum 
Pastor  W.  Börner  zu  Endschütz  im  Voigtland ,  der  in  s.  Volkssagen  aus  dem 
Orlagau  Altenburg  1838  S.  188  —  235  8  Sagen  mitteilte  und  noch  mehrere 
weitere  Aufzeichnungen  handschriftlich  im  Archiv  des  voigtländ.  Vereins  zu 
Hohenleuben  hinterließ  Daraus  schöpfte  dann  mit  Hinzufügung  einiges  neu 
gewonnenen  Materials  R.  Eisel,  Sagenbuch  des  Voigtlaudes  Gera  1871;  vor 
Römer  hatte  bereits  Schmidt,  Topographie  der  Pflege  Reichenfels  1827,  mit 
Sorgfalt  und  Glück  gesammelt.  Neben  den  Genannten  sind  wegen  einiges 
neuen  Materialcs  zu  vergleichen  A.  Witschel,  Sagen  a.  Thüringen  Wien  1866 '» 
J.  A.  E.  Köhler,  Volksbrauch  im  Voigtlande.  Lpzg.  1867;  sodann  E.  Sommer, 
Sagen  a.  Sachsen  u.  Thüringen  S.  7,  3.  Die  fränkische  und  oberpfalzische 
Tradition  verzeichnen  die  bekannten  Bücher  von  Panzer  und  Schönwerth) 
die  Lausitzer  Haupt,  Sagenb.  d.  Lausitz  I,  40 — 43.  N.  36  —  41  und  Gräve, 
Volkss.  d.  Lausitz  S.  56. 

2)  Auch  in  Franz  Flandern  kennt  man  moswyfjes ,  femmes  de  mousse. 
Ich  weiß  über  sie  jedoch  nichts  anderes  mitzuteilen ,  als  was  De  Nore  p.  339 
von  ihnen  angiebt,  daß  sie  zuweilen  den  Holzarbeitern  im  Walde  sichtbar 
werden. 


Holz-  und  Moosfr&nleiD.  75 

flt^en    sie   za  Verkauf;   zamal   zu   Weihnachten   stellt   man  in 
Beichenbach  noch  kleine  Moosmänner  auf  den  Tisch.    Als  Ober- 
haupt der  Moosfränlein  wird  an  der  Saale  die  Busehgroßmutter 
genannt    Die  Mooslente  beiderlei  Geschlechts  haben  einen  behaar- 
ten Körper ,  jedoch  ein  altes  runzeliges  Gesicht,  das  an  mehreren 
Stellen  gleich  alten  Banihstämmen  ganz  mit  Moos  bewachsen  ist. 
Eine  Oberpfälzer  Sage  sagt ,  das  Holzfralerl  sah  ganz  mosig  aus, 
wie  Wickelwerg,  klein  und  ohne  bestimmte  Gestalt;  eine  Harzer 
ans  Wildemann   beschreibt  die  Moosweiblein   als  ganz   in  Moos 
gekleidet,  das  sie  wie  eine  Decke,   oder  ein  Fell  umgab. ^    Ihr 
Leben  ist  an  das  Leben  der  Waldbäume  gebunden.    So 
oft  ein  Mensch  ein  Bäumchen  auf  dem  Stamme  driebt, 
d.  h.  so  lange  umdreht,  bis  Rinde  und  Bast  abspringen, 
muß  eines  von  den  Waldleutcn  sterben.    Es  ist  mithin  der 
Trieb  der  Selbsterhaltung,   der  sie  veranlaßt  den  Menschen,   mit 
welchen   sie   zusammen  kommen,  als  gute  Lehre  einzuschärfen: 
„Schär    keinen   Baum^'^    oder    „reiß    nicht    aus    einen 


1)  Eisel,  Sagenbach  des  Voigtlandes  S.  22  Anm.  **  nach  einer  Auf- 
zdchnimg  Börners.    Schönwerth  II ,  359  —  368.    Pröhle ,  deutsche  Sagen  37, 8. 

2)  Borner  a.  d.  Orlagau  S.  190.  Der  vollständige  Spruch  der  Waldweib- 
chenlautet:  ,,Pip'  keinBrod,  schäT  keineuBaum,  erzähT  keinen 
Traum,  back'  keinen  Kümmel  ins  Brod,  so  hilft  dir  Gott  in  aller  Not." 
Alle  diese  Verbote  tun  die  Waldgenien  um  ihrer  selbst  willen.  Dieselben 
pflegen  nämlich  gerne  von  den  frisch  gebackenen  Broden  aus 
dem  Backofen  zu  stehlen.  Gepiptes ,  d.  h.  durch  Eindrücke  mit  den 
Fingerspitzen  bekreuztes  Brod  aber  dürfen  sie  als  heidnische  Wesen  nicht 
anrühren.  Der  Kümmel  scheint  die  Wirkung  zu  haben,  an  die  Stätte  fest 
m  bannen,  so  daß  die  Diebe  mit  ihrem  Raube  nicht  fortkommen  würden.  (?) 
Vgl.  Witschel ,  Sagen  aus  Thüringen  S.  241,  243.  Wir  werden  später  anders- 
wo die  Vermutung  begründen,  daß  die  Sage  vom  Brod -Mehl  -  u.  s.  w.  -Diebstahl 
der  Wald-  und  Feldgeister ,  Hausgeister  u.  s.  w.  nur  eine  andere  Form  jenes 
Komdäm.  S.  8.  32  besprochenen  Glaubens  sei,  daß  die  Vegetationsgeister, 
«nter  Umstanden  aus  Haus-  und  Vorratskammern  die  ihnen  im  Herbst  ent- 
wendete Frucht  stehlen,  den  Kornboden  u.  s.  w.  leerfressen.  Das  Verbot  einen 
Traum  zu  erzählen  erläutert  sich  trefflich  durch  den  folgenden  irischen 
AbeigUuben:  Erzähle  nie  einem  lebenden  Menschen  nüchtern  einen  Traum. 
Gehst  du  neun  Morgen  nüchtern  an  einen  Baum  voll  Laub  und 
sigst  ihm  einen  Traum,  so  wird  nach  Verfluß  dieser  Zeit  kein 
Blittchen  mehr  am  Baum,  er  wird  ganz  vertrocknet  und  ver- 
welkt sein  (K.  v.  K.  Erin  VI,  446).  Bei  Panzer  warnt  die  Holzfrau  gradezu: 
„erzähl'  keinen  nüchternen  Traum.*' 


76  Kapitel  IL    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

fruchtbaren  Baum."*  Unter  dem  fruchtbaren  Baum  ist  hier 
noch  ganz  altertümlich  (s.  o.  S.  39)  nicht  der  Obstbaunrzu  ver- 
stehen, sondern  der  Waldbaum,  welcher  Eckern  (d.  h.  Frucht^ 
goth.  akran  *)  trägt,  Eiche  oder  Buche.  Das  Verbot  des  Baam- 
schälens  gewinnt  durch  die  vorhin  besprochenen  Strafen  (o.  S.  26 
—  32)  ebensowol  einen  tiefen  und  realen  Hintergrund,  als  es 
unserer  Auseinandersetzung  darüber  zur  Bestätigung  gereicht 
Wenn  es  zuweilen  heißt,  daß  die  Holzfräulein  lange  gelbe  Haare 
haben,*  so  darf  vergleichsweise  darauf  hingewiesen  werden,  daß 
in  dichterischer  Sprache  nicht  selten  das  Laub  der  Bäume  als 
deren  Haar  bezeichnet  wird.^  Lassen  diese  Angaben  noch  die 
Ansicht  durchblicken,  als  wenn  die  Waldleute  den  Bäumen  des 
Waldes  als  deren  Elementargeister  immanent  seien,  so  zeigen 
andere  Aussagen  sie  in  freier  Tätigkeit,  so  jedoch,  daß  noch 
mehr  als  ein  Characterzug  eine  fortwährende  Erinnerung  an  ihr 
Baumleben  bewahrt.  Sie  wohnen  in  hohlen  Bäumen ,  nach  andern 
in  Mooshütten ,  betten  ihre  Kinder  auf  Moos  oder  in  Wiegen  von 
Baumrinde,  schenken  grünes  Laub,  das  sich  in  Gold  verwandelt 
und  spinnen  das  zarte  Miesmoos,  das  oft  viele  Schuhe  lang  von 
einem  Baume  zum  andern  gleich  einem  Seile  hängt.  Denn  davon 
haben  sie  ihr  Gewand.  Daher  sollen  sie  auch  wunderbare  nie 
endende  Garnknäuel  an  ihre  Lieblinge  vergaben.^  Anderes  Tun 
von  ihrer  Seite  characterisiert  sie  —  wie  es  scheint  —  als  Genien 
eines  großem  Vegetationsgebiets  oder  den  Vegetation  überhaupt 


1)  Panzer  Beitr.  z.  d.  M)i;h.  II,  161,  260. 

2)  Vgl.  Müllenhoff,  zur  Runenlehre  S.  29. 

3)  Beschreibung  von  Königshain  1752.  S.  61.  Haupt,  Sagenbuch  der 
Lausitz  I,  40,  37. 

4)  Hense ,  poetische  Personification  S.  6  ff. 

5)  Es  ist  lehrreich ,  wie  schon  auf  kleinem  Gebiete  durch  Differenzierung 
und  Verdunkelung  der  ursprünglichen  Beziehungen  die  Vorstellung  ausein- 
andergeht. Zu  Münchberg  am  Fichtelgebirge  spinnen  die  Holzfräulein  das 
Muusmoos  von  den  Bäumen.  Schönwertfi  11,  378.  Ebenso  lautet  die 
Beschreibung  von  Naab:  Ihre  Kleidchen  waren  von  Baummoos,  das  sie 
von  den  Bäumen  mit  einer  Spindel  spannen.  Ders.  a.  a.  0.  366,  10 
von  Windischeschenhach  in  der  Oberpfalz.  Dagegen  berichtet  Panzer  II, 
160,  255  noch  das  Ursprünglichere.  Holzfräuleingarn  nennt  man  die 
Moosfäden  (meisfadn.) ,  welche  die  Holzfräulein  aus  Moos  (meis)  spinnen  und 
um  die  Baumäste  wie  um  einen  Haspel  winden.  Solche  Aeste 
wurden  von  den  Alten  abgehauen ,  die  Fäden  sorgßtltig  aufbewahrt.  Denn 
das  Holzfräuleingarn  bringt  dem  Hause  Glück  und  Segen. 


Holi-  und  Maoflfiränlein.  77 

Denn  wie  andere  wäre  der  Zug  zu  deuten  y  daß  man  z.  B.  in  der 
Oberpüdz  beim  Leinsäen  einige  Kömer  ftlr  das  Holzfränlein  in 
die  Btlsche  des  nahen  Waldes  warf?  War  die  Leinsaat  aufge- 
gangen; so  verfertigte  man  bei  Gelegenheit  des  Jätens  aus  den 
Bestehen  von  Flaehsstengeln  ein  Httttchen  und  rief: 

■ 

Halzfrall  dau  is  daft  Dal! 

Gib  an  Flachs  an  kiftftinga  Flang, 

Nan  hob  i  nn  du  gnang.* 

Auch  bei  der  Ernte  läßt  man  im  Frankeuwalde  drei  Hände 
T(ril  Flachs  für  die  Holzweibel  auf  dem  Felde  liegen.^  Zu  Neuen- 
hammer  in  der  Oberpfalz  bindet  man  beim  Ausraufen  des  Flachses 
vom  Felde  5 — 6  Halme,  die  man  stehen  läßt,  oben  in  einen 
Knoten  zusanmien,  damit  das  Hulzfral  sich  darunter  setze  und 
Schutz  finde.  Auch  kleidet  sich  das  Hulzfral  in  Flachs- 
halme.' Man  traf  einst  ein  solches  zur  Erntezeit  ganz 
inFlachshalme  eingewickelt  auf  einem  Baumstumpf  im  Walde 
sitzen;  Elmtearbeiter  nahmen  es  mit  nach  Hause.  Es  sprach  eine 
iiiTerständliche  Sprache  und  winselte  so  lange,  bis  man  es 
wieder  an  seinen  Ort  brachte.* 

Jener  Flachsbttschel,  welcher  vielfach  (z.  B.  Pilsen  in 
Böhmen)  auf  dem  Acker  stehen  bleibt,^  wird  mitunter 
(z.  B.  Küps  bei  Kronach  in  Oberfranken)  in  Gestalt  eines 
Zopfes  geflochten  und  jubelnd  umtanzt^  wobei  die  jungen 
Leute  rufen: 

Holzfrala,  Holzfrala!  ' 

Flecht  ich  dir  a  Zöpfla 
Auf  dei  nackets  Eöpfla.<* 

Panzer  bringt  aus  dem  Coburgischen  eine  Variante  bei, 
welche  besagt,  daß  man  schamhaft  bemüht  sei,  dem  durch  das 
Abernten  des  Flachsfeldes  entblößten  Mutterschoße  der  Holzfrau 
eine  Hülle  zu  bereiten.^    Aber  nicht  allein  bei  der  Flachsernte, 


1)  Schönwerth ,  a.  d.  Oberpfalz  II,  369  ff. 

2)  Schmidt,  Topographie  der  Pflege  Reichenfels  S.  147.  Myth.«  403. 

3)  Schönwerth,  U.  360. 

4)  Schönwerth,  II,  362. 

5)  Panzer  U ,  160,  254. 

6)  Das  Flechten   des  Zopfes  ist  eine  ältere  Emtesitte,    über  welche  ich 
einstweilen  auf  m.  Eorndämonen  S.  23  yerweise. 

7)  Panzer  H,  161,  257.  551. 


78  Kapitel  II.    Die  Wftldgeister  nnd  ihre  Sippe: 

auch  bei  der^Heu'-  und  Kornernte  bedenkt  fromme  Einfalt 
die  Uolzweibchen.  Im  Amte  Sonneberg  bei  Meiningen,  überhaupt 
im  Meininger  Oberland,  bei  Culmbach  in  Oberfranken  u.  s.  w.* 
läßt  man,  wenn  das  Grummet  eingefahren  wird,  ein  kleines  Häuf- 
chen Heu  auf  der  Wiese  liegen  und  sagt,  das  gehöre  den  Holz- 
fräulein, oder  dem  Hulzfräle  für  den  gebrachten  Segen.  End- 
lich ist  aus  dem  Böhmerwalde,  der  Oberpfalz  und  Oberfranken 
auch  die  Sitte  bezeugt  auf  dem  Fruchtacker  einige  reife  Aehren 
der  Ernte,  einen  Bilschel,  als  dem  Holzfräulein,  der  Holzfrau, 
dem  Waldfräulein  zugehörig  stehen  zu  lassen,^  dann  soU  man 
im  nächsten  Jahr  desto  mehr  Segen  in  ihre  Komscheuera  ein- 
heimsen. Und  nicht  minder  bleibt  zu  Guttenbcrg  B.  A.  Stadt- 
steinach in  Oberfranken  auf  jedem  Obstbaum  etwas  von 
der  Frucht  flir  das  Holzfräulein  hangen.^ 

Deutlich  erkennt  man  in  diesen  Gebräuchen  die  folgenden 
Anschauungen:  Wie  wir  oben  dieselben  Geister  bald  den  Baum, 
bald  niedere  Pflanzen  bewohnen,  von  ihnen  ausgehen  und  zu 
ihnen  zurückkehren  sahen,  so  zeigt  das  nämliche  Wesen,  wel- 
ches in  der  Vegetation  des  Waldes  wirksam  ist,  sich  auch  in 
dem  Leben  des  Korn-  und  Flachsfeldes  und  der  Graswiese  reg- 
sam. Es  lebt  in  ihnen  und  lebt  ihr  Leben  mit.  Daher  sind  die 
Flachshalme  die  Hülle  seines  Leibes,  darum  entblößt  ihm  das 
Ausraufen  der  Halme  Kopf  und  Schoß.  Aber  daneben  her  läuft 
wieder  die  andere  Wendung  dieser  Vorstellung,  daß  es  im  Felde 
wohne  und  den  Halmen  guten  Schutz  zum  Wachstum  gebe. 
Daher    bereitet  ihm    fromme  Sorgfalt  ein  Hüttchen.     Man   darf 


1)  Mündlich,  außerdem  Witschel,  Sitten  und  Gebr.  a.  d.  Umgegend  von 
Eisenach.  1866.  S.  16.  Panzer  II,  161,259.  In  der  Oberpfalz  taten  die 
Leute  beim  Heumachen  stets  einen  Teil  unter  einen  kleinen  Busch ,  drückten 
mit  der  Hand  segnend  drei  Kreuze  drauf  und  beteten  drei  Vaterunser,  daß 
das  wilde  Heer  den  Holzweiblein  nicht  ankomme.  Schönwerth  II,  378.  In 
Ahomberg  bei  Münchberg  in  Oberfranken  reilit  man  von  jeder  Fuhre  Heu 
etwas  ab  und  wirfts  auf  die  Erde,  damit  das  Holzfrala  sich  darauf  setzen 
könne,  wenn  sie  von  dem  Bösen  umgetrieben  wird. 

2)  Panzer  II,  160,  254  —  .55.  161,  259.  Außerdem  z.  B.  Warmensteinach 
B.  A.  Baireuth,  Pressek,  L.  G.  Stadtsteinach. 

8)  Mündlich.  Zu  Pommersfelden ,  Bez.  A.  Höchstädt  in  Oberfranken 
tritt  für  das  Holzfräulein  „das  Wetterfräulein*'  ein,  dem  der  letzte 
Apfel,  die  letzte  Birne  auf  dem  Baume  zugeeignet  und  ungepflückt  belas- 
sen wird. 


Holz«  and  MoosfräuleiiL  79 

alle  diese  Bilder  and  mythischen  Vergleiche  nicht  bis  ins  Ein- 
lebe ausmalen;  zu  ihrem  Wesen  gehört  eine  reizvolle  Unbe- 
stimmtheit Der  geistige  Eündmok,  den  die  Natur  macht ,  hat 
sieh  in  ihnen  zu  lebendigen  Gestalten  verkörpert^  welche  ein- 
zelne Zlige  der  bildlich  angeschauten  Wirklichkeit  entlehnen ,  mit 
den  übrigen  aber  durch  eine  freie  Schöpfung  der  ergänzenden 
Phantasie  beschenkt  sind.  Die  einmal  gewordene  Gestalt  lebt^ 
da  sie  im  Volksglauben  eine  erträumte  Realität  besitzt ,  weiter 
nod  entwickelt,  verändert  sich  in  den  Köpfen  der  Gläubigen. 
Es  kann  daher  uns  nicht  auffallend  sein,  neben  den  dargelegten 
Anschauungen  der  andern  Auffassung  zu  begegnen ,  daß  das  Holz- 
wdbehen  Eigentümerin  des  Flachses,  Getreides,  Grases  sei  und 
deshalb  ihm  wenigstens  ein  Anteil,  ein  Büschel,  eine  Handvoll 
gelassen  werden  müsse,  während  der  Mensch  das  Uebrige  in 
seinem  Nutzen  verwendet  lieber  diese  in  analogen  Emtiege- 
brinchen  vielfach  hervortretende  Meinung  verweise  ich  einstweilen 
ttf  Komdämonen  S.  7.  8.  22. 

Mehrfach  wird  erzählt,  daß  die  Holzfräulein  mit  Menschen 
Verbindungen  schlössen.^    Das  ist  vielleicht  ein  Reflex  des  tiefen 
onwiderstehlichen  Eindrucks,  den  die  Waldnatnr  auf  das  Gemüt 
ausübt     Auf  einer  jungem   Entwickelungsstufe   zeigt   sich   der 
Glaube    an   die  Moosweibchen  (Holzfräulein)  in  der  Angabe,  daß 
sie  zur  Erntezeit  aus  ihrem  Walde  hervorkommen ,  um  die  Mähen- 
den zu  necken,  oder  beim  Heumachen  allerlei  Mutwillen  zu  trei- 
ben, oder  um  den  Menschen  beim  Heuen  und  Komschneiden  als 
Tfistige  Arbeiter  zu  helfen.'    Dachte  man  sich  ehedem  einmal  die 
Graben   der  Ernte  als  ihr  Werk,  so  war  es  ein  Schritt  zu  der 
Annahme,  daß  sie  auch  der  Emtearbeit  Segen  verliehen  und  so 
mochte   sich  die  Vorstellung  von  persönlicher  Mithilfe  dabei  her- 


1)  Der  Bitter  findet  nach  Jahren  seinen  mit  der  Waldfrau  erzeugten 
Knaben  auf  der  Jagd  verlassen  unter  einem  Baume  sitzen,  nimmt  ihn  uner- 
kannt auf  und  erzieht  ihn;  er  wird  eine  Art  starker  Hans  und  soll  einst  als 
Kraftprobe  einen  mächtigen  Holzstoß  kleinhauen;  aus  dem  dann  das  Holz- 
fräolein  hervorkommt  nnd  ihn  dem  Vater  zu  erkennen  giebt.  Schönwerth 
n«  371 ,  17.  Bechstein ,  Thüring.  Sagenbuch  nach  Bömer  im  Yoigtländ. 
Archiv.  S.  Eisel,  Sagenb.  d.  Voigtlandes,  23,  41.  Grohmann,  Sagen  a. 
Böhmen,  S.  130.  131. 

3)  Voigtländ.  Altertumsarchiv  13  bei  Eisel,  Sagenb.  d.  Voigtl.,  25,  45. 
Bömer,  Sagen  d.  Orlagaus,  S.  189,  227.    Grohmann,  Sagen  a.  Böhmen,  S.  127. 


80  Kapitel  ü.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

Yorbüden.  Immerhin  kami  dieser  Zag  trotz  relativ  jttngem  Alten 
in  sehr  frtlhe  Zeit  hinaufreichen.  Ihm  schließt  sich  aber  eine 
ganze  Reihe  von  andern  Erzählungen  an^  nach  welchen  unsere 
Waldleutchen  in  den  Dienst  der  Bauern  treten,  fleißig  das  Yieli 
im  Stalle  besorgen  und  flittem,  auf  der  Mühle  mahlen  und  Brod 
backen,^  wogegen  man  ihnen  die  Ueberbleibsel  der  Mahlzeiten 
hinstellt.  So  lange  sie  im  Hause  weilen,  ist  Glück 
und  Segen  bei  den  Bewohnern.  Man  darf  sie  aber  niclit 
mit  einem  neuen  Kleide  flir  die  nur  ärmlich  und  dürftig  verhüllte 
oder  ganz  unbedeckte  Blöße  ihres  haarigen  Leibes  beschenken^ 
denn  dann  verschwinden  sie  augenblicklich.^    Ebenso  verschwin- 


1)  Verschiedene  Male  kehrt  die  Sage  wieder,  wie  jemand  (zumeist  ein 
auf  dem  Acker  pflügender  oder  das  reife  Korn  schneidender  Knecht)  hörte, 
daß  die  Holzweihehen  hacken  wollten.  Er  rief  ihnen  zu ,  sie  möchten  doch 
für  ihn  mithacken.  Da  stieg  ein  schöner  Kuchen  aus  dem  Boden  auf.  Aehn- 
liches  aher  wird  von  den  Unnererdsken  und  den  Zwergen  erzählt.  Aus  der 
Furche  des  Ackers  lassen  sie  ein  Brod,  einen  Kuchen,  ein  mit  einer  leckem 
Mahlzeit  hesetztesTuch,  ein  ,, Tischchen  deck  dich*'  emporsteigen.  Darf  die- 
ses Mahl  auf  die  Tafel  gedeutet  werden,  welche  die  Elementargeister  durch 
das  reife  Kornfeld  und  die  Baumfrucht  dem  Menschen  und  den  Tiaren  all- 
jährlich decken?  Mich  dünkt  diese  Bedeutung  sei  noch  ziemlich  durchsichtig 
in  der  Mitteilung  von  Chamhers,  populär  rhymes  p.  33:  It  was  tili  lately 
believed  hy  the  ploughmen  of  Cljdesdale ,  that  if  thcy  repeated  the  rhyme : 

Fairy,  fairy,  hake  me  a  hannok  and  roast  me  a  coUop, 

And  ril  gie  ye  a  spurtlc  off  my  gad  end 
threc  several  times,  on  tuming  thcir  cattle  at  the  terminations  of  ridges, 
they  would  find  the  said  farc  prepared  for  them  on  reaching  the  end  of  the; 
fourth  furrow.  (Vergl.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  Nr.  189,  Anm.)  Andererseits  giebt 
es  in  der  Oberpfalz  noch  manche  Häuser,  in  welchen  man  beim  Brodbacken 
für  die  Holzfräulein  ein  oder  zwei  Kuchen  mithackt  und  auf  dem  Heerde 
läßt.    Schönwerth  II,  377. 

2)  Eine  interessante  Sage  bei  Schönwerth  II,  379,  21  aus  Pfaffenreuth 
bei  Eschenbach  sagt  uns,  daß  die  Zeit  dieser  Arbeit  in  Haus  und  Viehstall 
des  Bauern  der  Winter  war.  War  das  Fräulein  nicht  bei  den  Tieren,  so 
saß  es  Tag  und  Nacht  auf  dem  Ofenmäurl;  es  sah  blaß  aus  und  trug  einen 
zerrissenen  Rock  von  Leinwand.  Die  Leute  mußten  ihm  dreimal  des  Tages 
ein  weniges  von  ihrem  Essen  hinstellen.  Gegen  das  Frühjahr,  als  man  das 
Vieh  austrieb,  ging  sie  in  das  Gehölz  des  Hofbesitzers  hinaus.  Die  Lente 
stellten  ihr  dann  das  Essen  auf  einen  Stock,  worauf  sie  herkam  und  es 
holte.  Das  leere  Geschirr  stellte  sie  wieder  dar.  Als  ihr  die  Bäuerin  ein 
Kleid  machen  ließ,  jammerte  sie  und  sagte,  jetzt  müsse  sie  auf's  neue 
so  lange  leiden,  bis  dieses  Kleid  zerrissen  sQi.  Auch  andere 
Kobolde  und  Hausgeister  ziehen   fort  sobald  sie  ein  neues  Gewand  erhalten, 


Holz-  und  Moosfräalein.  81 

den  sie,  wenn  man  in  ihrer  Gegenwart  einen  Finch  an8st?^ßt 
Alle  diese  Zflge,  die  Pflege  der  Hanstiere,  die  Mitarbeit  bei  den 
hloBlicheii  Verrichtnngen ,  das  Verschwinden  bei  Empfang  eines 
neaen  Gewandes  nnd  die  Entgegennahme  von  Speiseresten  als 
OgUches  Opfer  sind  Zflge,  welche  in  deutscher  Sage  allen  Kobol- 
den und  Hausgeistern  gemein  sind.    Wir  entnehmen  aus  dieser 
Tatsache  einstweilen  nichts  anderes,  als  die  unbestreitbare  Wahr- 
heit,   daB  auch   die   Waldfrauen    (Moosweibchen,    Holzfräulein, 
Holzmännlein  n.  s.  w.)  in  Hausgeister  übergehen,  wie  der  Baum- 
gdst,  von  welchem  oben  S.  44  die  Rede  war.    Auf  die  Kräuter 
des  Waldes  verstehen  sich  diese  Wesen  gut  und  helfen  damit 
den  Menschen  bei  Krankheiten.    Zur  Zeit  der  Pest  kamen 
iie  Holzfräulein  aus  dem  Walde  und  ri>efen:  Eßt  Bi- 
lellen  und  Baldrian,  so  geht  euch  die  Pest  nicht  an. 
Pnd  einem  Tagelöhnerweibe  hilft  eine  Waldfrau  in 
der  Kindesnot  mit  der  schönen  blauen  Blume  Nim- 
mer weh.  ^    Auch  die  Moosweiblein  von  Wildemann  teilten  Wan- 
derern Wurzeln  und  Kräuter  zur  Nahrung  und  Gesund- 
heit mit.*     Nicht  minder  lehrt  das  Moderwitzer  Moos  weiblein 
Heilmittel  gegen  Krankheiten  der  Schafe.^    Aus  diesen 

■DT  daß   der  Beweggrund  ihres  Yerschwindens  verschieden  angegeben  wird, 
z.  B.  als  kindischer  Stolz  wegen  der  Kleidung.    Da  aber  schon  Korndämonen 
S.  19.  41,  Anm.  54.  6.  7  das  Zosammen fallen   der  Hausgeister  und  Kobolde 
mit  Komdämonen  wahrscheinlich  gemacht  ist,   welche  in  Haus  und  Hof  des 
Aekerwirts  überwintern ,  und  da  diese  Annahme  durch  unsere  weiteren  ünter- 
suchongen  vielfache  Bestätigung  fanden  wird,   darf  gefragt  werden,  ob  obige 
Sage  nicht  etwa  den  Schlüssel  zu  jenem  seltsamen  Sagenzuge  liefere.    Der 
I>ämon  der  Vegetation  erweitert  sich  zum  Genius  des  Wachstums  überhaupt 
und   zieht   sich  im  Herbst,   wenn  der  Sturm  das  Moos-  und  Blätterkleid  der 
Biome  zerreißt,  in  Hof  und  Haus  des  Landmanns  zurück,  um  hier  als  seg- 
nender Ebkusgeist  für  Gedeihen  und  Wachstum  zu  wirken;  er  kehrt  zu  Wald 
ud  Flur   zurück,   sobald   er  im  Frühlinge  ein  neues  Gewand  bekommt  und 
seine  Pfleglinge  die  Tiere  wieder  im  Freipn  ihren  Aufenthalt  nehmen.    Daß 
die  Holzfrau  [sich  beklagt  wiederum   leiden  zu  müssen,  bis  auch  dieses  neue 
Kleid  zerrissen   sei.  verrät  diejenige  Anschauung,   wonach  die  Baumnymphe 
«ine   arme  Seele   sei,  welche  in   den  Körper  der  Pflanze  gebannt  mit  deren 
Tode  erlost,  frei  wird. 

1)  Panzer  II,  161,  258.  205,  357.  Vgl.  Schönwerth  II,  380,  24.  Hier 
ruft  das  Holzfräulein:  Eßt  grüne  Kramelbir  und  Binmaln,  so  wird  die  Pest 
niederfalln. 

2)  Prfthle,  D.  Sag.  37,  8. 

3)  Thuringia   1842,  S.  271.    Witschel,  Sagen  a.  Thüringen,  234,  235. 

Maanhardt.  6 


82  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

Beispielen  geht  hervor ,  daß  die  Moosleate  und  Holzfränlein 
als  krankheitabwehrende,  gesandheitverleihende  Wesen  gedadht 
wurden.  Im  Verein  mit  dem  Glauben  an  deren  KoUe  als  segen- 
bringende  Hausgeister  geht  dieser  Zug  —  wie  später  klar  wer- 
den wird  --  aut'  die  Grundvorslellung  zurück,  daß  sie  Geister 
des  Wachstums  seien,  mithin  auf  die  nämliche  Ansohauung^ 
welche  sie  auch  im  Leben  des  Ackers  wirksam  sein  ließ. 

Der  Glaube  von  den  Holzfräulein  nimmt  jedoch  vermöge  des 
ob.  S.  39  entwickelten  Gedankenprozesses  zuweilen  die  Wendang, 
daß  diese  Genien  ftlr  arme  Seelen  erklärt  werden.  Auf  diese 
Eigenschaft  bezieht  sich  der  Brauch,  für  die  Holzfräulein  die  bei 
den  Mahlzeiten  übrig  gebliebenen  Brosamen  in  den  Ofen  zu  wer- 
fen, die  beim  Herausschöpfen  am  Rande  der  Schüssel  hangen 
gebliebenen  Tropfen,  das  am  Kübelreifen  sitzen  gebliebene  Mehl 
ihnen  zuzueignen.^  Wenigstens  die  erstere  Sitte  ist  ein  auch 
sonst  in  Norddeutschland  wie  Süddeutschland  den  armen  Seelen 
dargebrachtes  Opfer.  ^ 

Der  Moosweibchen  und  zugleich  der  armen  Seelen  erbitterte 
Feinde  sind  die  Geister  der  wilden  Jagd,  in  der  Oberpfalz  auch 
die  Holzhetzer  genannt.  Dieselben  fahren  bekanntlich  im  Sturm- 
winde und  Ungewitter  durch  die  Wipfel  des  Waldes  daher.  Prä- 
torius  zeichnete  vor  200  Jahren  aus  der  Umgegend  von  Saalfeld 
die  Sage  auf,  wie  der  wilde  Jäger  unsichtbar  mit  seinen  Hunden 
die  Moosleute  jagte.  Der  Schall  seines  Hernes  und  das  (xebell 
der  Hunde  war  weithin  hörbar.  Ein  Bauer,  dem  sein  Vorwitz 
eingab  in  den  Jägerruf  einzustimmen,  fand  am  andern  Morgen 
an  seinem  Pferdestall  das  Viertel  eines  grünen  Mooswcibcheng 
autgehängt.'  So  jagt  schon  der  Sturmriese  Vasolt  nach  dem 
Eckenlied  ein  wildes  Fräulein  im  Walde  *,  in  Schlesien  der  Nacht- 
jäger die  mit  Moos  bekleideten  Rüttelweiber.  ^  Um  Halle  hetst 
der  wilde  Jäger,  der  ohne  Kopf  auf  seinem  Schimmel  durch  die 
Luft  fährt,  mit  vielen  Hunden  die  Lohjungfem;  im  Voigtlande, 


1)  Panzer  II,  69,  92.    Scliönwerth  II,  360,  §  33, 1.  §  34,  4.  365,  §  34,9. 

2)  Vgl.  Wuttke «  275  §  430. 

3)  Prätorius,  Weltbcschreibung  I,  693.    Grimm,  d.  Sag.  I.  60,48. 

4)  Eckenlict  Str.  161  —  201.  Zupitza.  Vgl.  Myth.»  CXXXU,  Myth.* 
1231.  Vgl.  304.  Simrock,  Handbuch  d.  d.  Myth.«  441.  Mannhardt,  Götter- 
wolt,  S.  119  Anm.  *. 

5)  Prätorius,  Rübezahl  II,  134—136.    Grimm,  D.  Sag.  360,  270. 


Holz-  und  Moosfränlein.  83 

Oiiagan,  Franken  nnd  Oberpfalz  jagt  der  wilde  Jäger  die  Holz- 
weibehen  oder  Holzfränlein  nnd  ihre  Männchen.    Bald  fällt  der 
halbe  Leib  eines  dieser  Wesen,  bald  ein  Fnß  mit  grünem  Schah 
beUeidet  dem  nachrufenden  Spötter  gleichsam  als  sein  Jagdanteil 
aas  den  Wolken  herab.  ^     Nur  dann  haben  die  kleinen  Wald- 
leate  Ruhe ,  wenn  sie  sich  auf  einen  Baumstumpf  retten  kOnnen, 
aufweichen  der  Holzhauer  während  der  Baum  fiel  „bevor 
er  im  Sturz  mit  der  Spitze  den  Erdboden  erreichte"  oder  „wäh- 
rend der  Zeit,  daß  der  Schall  des  fallenden  Baumes 
noch  hörbar  war,"  mit  scharfer  Axt  drei  Kreuze  in  einem 
Zwickel  oder    keilförmigen    Dreieck   einhieb.     Deshalb 
unterlassen  die  Holzhauer  es   selten   in  der  angegebenen  Weise 
fe  Stöcke  zu  kreuzen  und  man  sah  deren  in  der  ersten  Hälfte 
fa  Jahrhunderts  noch  viele  in  den  Wäldern;  Bömer  erwähnt 
Hmentlieh    die    Waldungen    des    Saalufers,    vornehmlich    bei 
Hmgers-  oder  Hunnenbui^;   Schwanthaler  sah  dasselbe  in  den 
Nadelwaldungen  bei  Bamberg.    Es  müssen  aber  jedesmal  2  Arbei- 
ter dabei  beschäftigt  sein,  weil  einer  es  nicht  so  schnell  fertig 
bringt     Durch  jeden    so  gekreuzten  Stock  soll  ein  Holzweibel 
erlöst   werden.     Es   setzt  sich  darauf  und   dann  kann  ihm  die 
wüde  Jagd  nichts  anhaben;*  nach  andern  werden  die  Holzträu- 
lein    durch   drei  Kreuze  auf  den    Stöcken   unschädlich,*   nach 
noch  andern  können  sie  dann  ihre  Wohnung,  die  sie 
bis    dahin    im  Baume  gehabt  hatten,   behalten.^     Um 
den  Holzweibein  vor  ihrem  Feinde  noch  mehr  Schutz  zu  bieten, 
sind    „über  Mittag"    auch  auf  allen  Ackergerätschaften  (Eggen 
und    Pflügen)    dergleichen    Kreuze    angebracht  wotden.^      Auch 
zwischen    den    beim  Schluß    der   Ernte   auf  dem   Acker   stehen 
gelassenen  Flachshalmen  sucht  und  findet  die  Holzfrau  Sicherung 


1)  Sommer,  Sag.  a.  Sachsen  u.  Thüringen,  S.  7  Nr.  3.,  cf.  S.  167. 
Börner  a.  a.  0.  212.  222.  Schönwerth  II,  162.  Kuhn  und  Schwartz,  Nordd. 
Sag.  S.  478.    S.  A.  76.    Panzer  II,  70  ff. 

2)  Borner,  Sagen  des  Orlagaus,  S.  220.  Eisel,  Sagenbuch  des  Voigt- 
laiides  28,  56.  Panaer  II,  S.  69—71.  Schönwerth  II,  162.  360.  378.  Köh- 
ler, Volksbrauch  454. 

3)  Eisel  a.  a.  0.  28 ,  56. 

4)  Schmidt,    Topographie   der  Pflege    Reichenfcls   bei   Köhler,    Volks- 
brauch im  Voigtlande  II,  45. 

5)  Bömer,  Orlagau  S.213.     Eisel  a.  a.  0.  28,  56. 

6* 


84  Kapitel  Ü.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

vor  dem  wilden  Jäger.  ^  Waldmännlein  und  Waldweiblein  ver-- 
gelten  den  Holzhackem  ihren  Liebesdienst  damit,  daß  sie  die- 
selben zur  Nachtzeit  ohne  Irrgang  aus  dem  Forste 
geleiten,  auch  manchmal  abgeworfene  Hirsch-  und 
Behgeweihe  finden  lassen.^  Es  scheint  mir  nnverkennbari 
daß  die  Bekreuzung  der  Baumstümpfe  —  selbst  wenn  sie  etwa 
ursprünglich  den  nüchtern  praktischen  Zweck  gehabt  haben  sollte, 
die  abgehauenen  Stämme  als  rechtmäßig  nach  Anweisung  durch 
den  Bannwart  gefällte  zu  bezeichnen  —  nur  deswegen  in  der 
kurzen  Zeit  geschehen  sollte,  während  der  Baum  fällt,  damit  die 
Baumseele  nicht  entweiche,  sondern  noch  rechtzeitig  der  geöfihete' 
Baumleib  durch  ein  magisches  Siegel  gleichsam  wieder  geschioft- 
sen  und  zugleich  gegen  Eindrmglinge  von  außen  her  geschützt 
werde.  Nach  vorhin  mitgeteilten  Sagen  soll  man  ja  den  vom 
Tomtegubbe  bewohnten  Baum  nie  ganz  umhauen;  der  Elf  stirbt, 
wenn  der  Baum  mit  den  Wurzeln  ausgerissen  wird;  auter  Um- 
ständen lebt  der  Dämon  also  auch  noch  im  Baumstumpfe  fort 
Es  ist  mithin  wol  begreiflich,  weshalb  im  bekreuzten  Stocke 
(truncus)  die  Moosleute  ihre  Wohnung  behalten  können.  Die 
wilde  Jagd  ist  eine  Personification  des  baumerschüttemden  Sturm- 
windes. Wie  nun  der  estnische  Baumelf  (ob.  S.  68)  vor  dem 
Gewitter  erschreckt  in  die  tiefsten  Wurzeln  zurückweicht,  ist 
auch  der  Sturm,  der  manchen  Stamm  damiederstreckt,  den 
Baurageistem  gefährlich  und  veranlaßt  sie,  sich  in  ihre  Pflanzen- 
hülle zurückzuziehen.  Der  unberührte  Baumstamm  ist  keinen 
Augenblick  davor  sicher ,  der  Wut  des  Sturmriesen  zum  Opfer  za 
fallen ,  aber  dem  abgehauenen  Baumstumpf  kann  derselbe  nichts 
mehr  anhaben.  Dieses  nmß  der  anfängliche  Gedankenkreis  sein, 
aus  welchem  nach  mehrfachen  IVIittelgliedem  die  Vorstellung 
erwachsen  ist,  daß  die  Moos  -  und  Holzleutc  auf  bekreuzten  Stöcken 
vor  dem  wilden  Jäger  Schutz  fänden ,  und  von  da  aus  vollzog  sich 
in  Folge  der  Identifizierung  der  Holzfrau  mit  dem  Getreidedämon 
die  weitere  Uebertragung  des  Schutzortes  auf  Ackergerätschaften, 
während  das  Flüchten  in  die  letzten  Flachshalmc  wol  nur  wie- 
derum besagt,  daß  der  Genius  der  Pflanze  sich  beim  Sturm  in 
seine  eigene  Haut  zurückziehe,  wie  die  Schnecke  in  ihr  Häuschen. 


1)  Schonwerth  II.  3«0. 

2)  Panzer  II,  70,  93. 


HoU-  und  Moosfränlein.  85 

Doch  es  erübrigt  die  Holzleute  noch  von  einer  nenen  Seite 
kennen  zu  lernen.    Einem  Waldweibchen  war  der  Schiebkarren 
gebrochen.    Sie  bat  einen  Vorübergehenden  ihr  denselben  aasza- 
bessern.    Während  dies  geschah,  steckte  sie  ihrem  Helfer  eifrig 
die  herabfidlenden  Späne  in  die  Tasche.    Der  warf  sie  verächt- 
lieh  heraus,  einige  wenige  aber,  welche  er  nicht  beachtet,  hatten 
sich  am  andern  Tage  in  harte  Taler  verwandelt^    Die  nämliche 
Sige  er^Uilt  man  in  allen  wesentlichen  Sttlcken  ttbereinstinmiend 
wa  Frau  Gauden  (Gdde)  Holla  und  Perchta,  sie  lassen  sich  ihr 
itfbrochenes  Gefährt  (Wagen   oder  Pflug)  zinmiem,   oder  einen 
Pfidii  zuspitzen,  oder  arbeiten   selbst  daran,  so  daß  die  Späne 
iegen.    Diese  herabfallenden  Splitter  werden  schieres  rotes  Gold.  * 
Qode^   Holla  und  Perchta  fahren  im  Sturme  daher.     Während 
ier  die  Waldleute  nach  den  vorhin  angeiUhrten  Sagen  der  wil- 
kß  Jagd  als  Jagdobject  dienen,  sind  diese  mythischen  Frauen 
«ddie  Wesen,  welche  in  übereinstimmenden  Ueberlieferungen  als 
Anfthrerinnen  der  wilden  Jagd  an  der  Spitze  derselben  auftreten 
nd  dn  gespenstiges  Wild  veriblgen,  auch  wol  Menschenfuß  und 
Measchenlende  dem  Spötter  aus  den  Wolken  zuwerien.^    Auf  im 
Stunne  waltende  Wesen  passt  —  wie  es  scheint  —  sehr  wol  die 
Deutung,   welche  W.  Schwarz  den  goldenen  Spänen  des  zerbro- 
chenen Gefährtes  gegeben  hat,  indem  er  au  die  Aehniiehkeit  des 
rollenden  Donners  mit  dem  Getöse  rollender  Wageü  und  an  jene 
ditmarsische  Auffassung  des  Gewitters  erinnerte,  wonach  „  der  Alte 
da  oben  am  Himmel  wieder  einmal  fahrt,   und  mit  der  Axt  an 
die  Räder  schlägt"  *    Danach  wären  also  jene  Sagen  der  Nieder- 
schlag eines  großartigen  Naturbildes.    Im  tobenden  Gewittersturm 
wird  der  zerbrochene  Wagen  der  wilden  Jägerin  verkeilt  und  die 


1)  Börner,  Sagen  des  Orlagaus  S.  205. 

2)  Frau  Gauden:  M>th.-^  «78  ff.  Gode:  Kuhn.Nordd.  Sag.  2,  1.  Holle: 
(irinun,  D.  Sag.  1, 10,  8.  Frau  Perchta:  Jiorncr,  Sagen  d.  Orlagaus  S.  118. 
126.  173.  182. 

3)  Frau  Gauden:  M>th.*  877.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  3,  2,  4.  Frau 
Holle:  Mannhardt,  Mythenforsch.  202.  Perchta:  J.  V.  Zingerle,  Sagcn^ 
Märchen,  Gebrauche.  Innsbruck  1859.  S.  Iti  N.  22.  Landsteiner,  Koste  des 
Heidenglaubens  in  Sagen  und  Gebräuchen  des  niederösterreich.  Volkes.  Krems 
lö69.  S.  34— 36. 

4)  Müllenhoff,  Schleswigholst.  Sag.  S.  358. 


86  Kapitel  ü«    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

goldgelben  Blitze  sind  die  herabfallenden  SpSne.  ^  Sei  nun  diese 
Deutung  richtig  oder  nicht ,  jedenfalls  nötigt  uns  die  Ueberein- 
Stimmung  der  beigebrachten  Ueberlieferungen  mit  der  Sage  Yom 
Schubkärrchen  des  Moosweibleins  entweder  in  letzterer  eine  nur 
fälschliche  Uebertragung  eines  ursprttngUch  fremden  Mythenzuges 
anzunehmen  y  oder  zuzugestehen ,  daß  auch  die  Moosweibchen  im 
Sturme  durch  die  Luft  fahrend  gedacht  wurden.  Dabei  kaj|^  es 
uns  zunächst  ganz  gleichgiltig  sein,  ob  sie  als  Jagdobject  dientnii  ^ 
oder  selbst  als  Jägerinnen  auftreten,  falls  in  der  Tat  die  fliegen- 
den Späne  nur  ein  bildlicher  Ausdruck  für  gey^isise  Vorgänge 
beim  Gewittersturme  sind.  Nun  haben  wir  nicht  allein  schon 
oben  S.  42  gesehen ,  daß  Geister ,  welche  man  im  Baume  hausend^ 
dem  Baum  einwohnend  sich  vorstellte  y  gleichwol  auch  im  Stumie 
daherzogen,  sondern  es  giebt  auch  sonst  noch  Spuren ,  welche 
verraten  y  daß  man  im  Wmde  die  Umfahrt  der  Waldfrauen  ver- 
nahm. In  Westfalen  sagt  man  beim  Wirbelwinde  y,da  fliegen 
die  Buschjungfern.^^^  Die  Leute  um  Warmsdorf  im  nördlichen 
Böhmen  glauben  fest  an  das  Dasein  des  Buschweibchens;  es 
erscheint  als  steinaltes  Mtltterchen  y  mit  schneeweißen  wild  herab* 
hängenden  Haaren  und  moosbewachsenen  Füßen,  auf  einen  Enoten- 
stock  gestützt  y  und  beschenkt  mit  gelben  Blättern ,  die  zu  Gold 
werden.  Wenn  im  Frühlinge  und  Herbste  zerrissenes  Nebel- 
gewölk vom  Gebirge  aufsteigt,  wenn  ,,der  Wald  raucht'^,  so 
pflegt  man  zu  sagen  „das  Buschweibchen  kocht'^  Jene 
Nebelstreüen  werden  als  der  Bauch  von  seinem  Heerde  bezeichnet 
Naht  im  April  ein  Hagelschauer,  so  ruft  man  „das  Buschweib- 
chen steigt  über  das  Gebirge."^ 

§.  3.  Wildleute  In  Böhmen.  Bei  den  Czechen  entsprechen 
unseren  Waldweibern  die  lesni  panny  Waldjungfem  oder  div6 
2eny  wilde  Weiber;  sie  lieben  Musik  (das  Sturmlied)*  und 
Tanz  (den  drehenden  Wirbel  des  Wirbelwindes)  der  von  iluien 
bei  einem  heftigen  Sturme  mit  der  ausgelassensten 


1)  W.  Schwartz,  der  heutige  Volksglaube  und  das  Heidentam.    Aufl.  2. 
Berlin  1862.  S.  32.  37.  42. 

2)  Montanus,  die  deutschen  Volksfeste.    Iserlohn  1854.  II,  S.  103. 

3)  Vemaleken,  Mythen  und  Bräuche  des  Volkes  in  Oesterreich  242,  51. 

4)  Mannhardt,  Götterwelt  S.  113.   114.  117.    Vgl.  B.  Auerbachs  Volks- 
kalcnder  18GÜ  S.  12i). 


"Wildleate  in  HeBsen,  Rheinland,  Baden.  87 

Wildheit  in  der  Luft  ausgeführt  wird.^    Ihnen  stehen  Wald- 
mSimer  zur  Seite   lesni  maioye,   welche  Mädchen  rauben 
and  sie  zwingen  mit  ihnen  inEhe  zu  leben.*    Ein  tanz- 
lustiges Mädchen  htltete  in  einem  Birkenwalde  die  Ziegen  und 
spum  dabei  Flachs.    Mittags  erschien  so  die  Waldfrau  in  weißem 
Gewände  y  dttnn  wie  Spinngewebe ,  mit  einem  Kranze  von  Wald- 
Umnen  in  den  bis  zum  Gtirtel  hinabfließenden  Goldlocken.    Sie 
erfiaßte  das  Mädchen   und   tanzte   mit  ihr  bis  Sonnenuntergang 
whOn  und  so  leicht,  daß  sieh  das  Gras  unter  ihren  Fttßen  nicht 
bog,  wozu  die  Vögel  lieblich  sangen.    So  geschah  es  drei  Tage 
Unter  einander.     Um  die  Versäumniß   zu   ersetzen,    spann  die 
Waldfrau  dem  Mädchen  den  Rocken  voll,  und  gab  dem  Garne 
die  Eigenschaft  nicht  abzunehmen,  so  lange  man  auch 
weifte  ond  sie  füllte  ihm  die  Taschen  mit  Birkenlaub,  das  sich 
k  Gold  verwandelte  (die  nämlichen  Züge  begegneten  uns  o.  S.  76 
bd  den  Moosweibchen).     Wäre   das  Mädchen   aber  ein   Knabe 
gewesen,  so  hätte  die  Waldfrau  ihn  zu  Tode  getanzt  oder 
IQ  Tode  gekitzelt^ 

§.  4.  Wildleute  in  Hessen,  Rheinland,  Baden.  In  Hessen 
entsprechen  den  Waldfrauen  und  Waldmännem,  nur  ins  Riesen- 
liafte   übersetzt,   die  wilden  Leute,   welche  im  Walde  zwischen 
den  Basaltfelsen  an  der  Kinzig  ihr  Wesen  treiben.    Die  gewalti- 
gen   Steinmassen,    welche    im   Bcmhardswalde    hei    Sehlüehtem 
niederstarren,    heißen   nach  ihnen    wilde  Häuser.     Schon  vor 
dem   11.  Jahrhundert  nennt  eine  hessische  Urkunde  ])ei  Dronke, 
Traditiones  Fuldenses  p.  514  in  jener  Gegend  einen  Ort  „>vilder6 
iivibo    hüs"  „ad   domum  wildero  wibo.     Vgl.  Roth,  Kl.  Beiträge 
zur  Sprach-  Orts-  und  Namensforscliung  1S50  I,  231.    Landau, 
Gan  Wetareiba.    1855.    S.  128   in  der  Nähe  von  Salmtinster,   wo 
mehrere  Wildfrauenhäuser  vorkommen.  Förstemann,  Altd.  Namcnb. 
II,  1534.    Die  wilden   Männer  sind  am  vergnügtesten, 
wenn  der  Sturmwind  tobt  und  der  Blitz  aus  den  Wolken 
fährt.     Dann  gehen  sie  hoch  oben  über  die  Berge  und  rütteln 


1)  Grohinann,  Sagen  aus  Böhmen  I,    S.  123.    Grohinann,   Aberglauben 
an«  ri<>hmen  I,  11.  16.    Vernaleken  a.  a.  0.  249.  N.  55. 

2)  Grohinann,  Abergl.  15,  G8.    Grohinann,  Sagen  S.  120. 

3j  Nach  Krbens  Oitanka  S.  21».    Wenzig  wcHtslav.  Märchenschatz  S.  198. 
Grohmann^  Sagen  ans  Böhmen  I,  S.  124. 


88  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe : 

an  den  Wipfeln  der  Bäume;  aber  sie  freaefi  sicti  auch,  wenn 
die  Aronspflanze  gedeihlich  emporwächst,  und  wenn  sie  zwischen 
den  Schachtelhalmen  dahergehen  können.  Ihre  großen  schienen 
Frauen  steigen  in  den  Mondnächten  in  die  Lüfte,  ihre 
Kinder  schützen  die  Kinder  der  Menschen,  wenn  sie  im  Walde 
Beeren  suchen.^  Auf  dem  Hohenberg  in  Hessen  sieht  man  die 
Spuren,  wo  sie  saßen  und  wo  sie  Hände  und  Füße  liegen  hatten. 
Ihre  Kleidung  ist  grün  und  rauh,  gleichsam  zottig,  ihr 
Haar  lang  und  aufgelöst.  Das  giebt  ihrem  Aussehen  etwas 
schauerlich  Wildes,  so  daß  sich  jedermann  vor  ihnen  fürchtet. 
Dabei  sind  sie  ganz  zutraulich  gegen  die  Menschen,  raten  und 
helfen  ihnen ,  wo  sie  nur  können.  Oft  werden  sie  von  den  rohen 
Bauern  verfolgt,  auch  gefangen,  aber  sie  rächen  sich  nie. 
In  einer  Höhle  am  Rodenstein  wohnten  zwei  wilde  Weiber.  Die 
eine  war  sehr  schön.  In  sie  verliebte  sich  ein  Jäger  and 
sie  gebar  ihm  bald  ein  Kind.  Sie  sind  in  die  Zukunft  einge- 
weiht. Wenn  in  der  Gegend  von  Fulda  jemand  sterben  sollte^ 
dann  kam  eines  aus  dem  WUdfrauenloch  heraus  und  zeigte  sieh 
wehklagend  in  der  Nähe  des  Sterbehauses.  Auch  die  Kunde  der 
geheimen  Naturkräfte  wohnt  ihnen  bei.  Sie  wissen,  wozu  die 
wilden  weißen  Haiden  und  die  wilden  weißen  Selben  (Salbei)  gut 
sind ;  und  wenn  die  Bauern  das  wüßten ,  ijvürden  sie  mit  silbernen 
Karsten  hacken.^  In  der  Eifel  wohnten  die  wilden  Frauen  eben- 
falls in  Felsgrotteu,  die  das  vulkanische  Gestein  gebildet  hat. 
Dergleichen  Grotten  heißen  zuweilen  „das  Wildfräuleinhaus." 
Darin  saßen  sie  und  boten  jedem  ihre  Brüste  y  die  &ie  über  die 
Schaltern  ivarfen,  zum  Trinken  dar.^  Auch  im  Badischen  hal)en 
wilde  Leute  im  Wildeleutloch  in  einer  Höhle  des  £ichelber- 
ges  bei  Oberflockenbach  gewohnt,  sie  waren  ganz  haarig  und 
fast  unbekleidet.  Sic  halfen  den  Einwohnern  der  benach- 
barten Dörfer  bei  den  Feldgeschäften,  grade  so  wie  die 
Holzfräulein.  Der  Felsen  über  ihrer  Höhle  hieß  Wildeleutstein 
und  auf  ihm  befand  sich  ein  Trog,  aus  dem  sie  zu  essen  pflegten, 
die  Wildeleutschüssel  genannt* 


1)  Lynker,  Hessische  Sagen.    Cassel  1854.  S.  59,  91. 

2)  Wolf,  Hessische  Sagen  53  ff. 

3)  Schmitz,  Sitten  und  Bräuche  des  Eifler  Volkes  II,  14. 

4)  Baader,  Bad.  Sagen  I,  313,  346. 


Die  Wildleate  in  Tirol:  Fanggen.  89 

§.  5.    Die  Wildleate  in  Tirol ,  Fanggen.    In  den  Alpen- 
läDdern  haben  sich  die  wilden  Leute  in  verschiedene  Gestalten 
gespalten.    Als  riesige  Waldgeister  erscheinen  die  Wildfraaen  im 
Patzoaun-y  Stanzer  und  Oberinnthale  in  Tirol  unter  dem  Namen 
Fanggen  (Sing.  Fangga,   Fanggin)  Wildfanggen,   wilde  Weiber; 
ungeheure  Gestalten,  am  ganzen  Körper  behaart  und  beborstet; 
ihr  Anflits  ist  yerzerrt,  ihr  Mund  ist  von  einem  Ohre  zum  andern 
gezogen.    Ihr  schwarzes  Haupthaar  hängt  voll  Baumbart 
(fliehen  barbatus)  und  reicht  rauh  und  struppig  tiber  den  ßttcken. 
Ihre  Stiiiune  ist  rauhe  Mannesstimme ,  ihre  dunklen  Augen  sprühen 
so  SIeiten  BUtze.    Joppen  von  Baumrinden  und  Schürzen  von 
Wildkatzenpelzen  bilden  ihre  Kleidung.    Sie  leben  in  Gesell- 
ichaft  in  Wäldern,  vorzüglich  nannte  man  als  ihren  Aufenthalt 
eiaen   großen  Urwald  im  Urgthal  zwischen  Landeck  und  Ladis 
nd  einen  andern  Urwald,  den  „Bannwald'^  (vgl.  o.  S.  39)  am 
Pillerberg  im  Oberinnthal.     Die  in   ein  und  demsclbcfi  Walde 
hausenden  Fanggeti  waren  an  diesen  Wald  gebunden;  wurde  der 
Waid  geschlagen,  so  schwanden  sie;  starb  ein  Baum,  oder  wurde 
er  gefallt,  van  dem  eine  Fangga  den  Namen  trug,  so  war  auch 
Ar  Dasein  dahin.    Sie  hatten  nämlich  noch  jede  ihren  besondem 
Namen  als  Hochrinta  (hohe  Rinde)  Stutzforche  (Stutziohre)  Rohrinta 
{Banhrinde)  Stntzemutze  (Stutzkatze).    Der   im  Sturm  den  Wald 
durchfahrende  Riese,  der  wilde  Mann,  wird  als  der  Gemahl  der 
Fangga  genannt.^   Gleich  ihm  hat  sie  menschenfrcsserischc  Neigun- 
gen.    Wenn  die  Fangga  im  Walde  von  Naßereit,  welche  von  der 
Größe   eines    mittelmäßigen  Baumes  war,    kleine   Buben   zu 
fassen  bekam,  so  schnupfte  sie  dieselben  wie  Schnupf- 
taback  in  ihre  Nase,   oder  rieb   sie   an  alten  dürren 
Bäumen,  die  von  stechenden Aesten  starrten,  bis  sie 
zu  Staub  geraspelt  waren.*    Wer  erkennt  in   diesem  Zuge 
aicht  jenes  Zutodekitzeln  wieder,  das  von  der  böhmischen  Wald- 
frau  ausgesagt  wurde,   mithin  eine  Naturauffassung  des  Wirbel- 
windes? (s.  0.  S.  87).  Andererseits  sind  die  Fanggen  unverkennbar 
eine  Belebung  der  mächtigen  Bäume  des  Urwaldes  im  Hochgebirge 
und  ihre  Grausamkeit  ist  Ausdruck  des  furchtbaren   und  unge- 
heuerliehen Eindrucks,  den  diese  gewaltige  Waldnatur  auf  das 


1)  Alpenburg,  Mythen  und  Sagen  Tirols  S.  51.  52. 

2)  Alpenburg  a.  a.  0.  52. 


90  Kapitel  ü.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

Cremüt  macht.  ^  So  bestätigt  es  sich  auch  in  diesem  Falle  ^  daß 
die  Baumgeister  als  Verkörperungen  von  meteori- 
schen Erscheinungen  oder  wenigstens  als  in  diesen 
einen  Teil  ihrer  Lebensäußerungen  betätigend  gedacht 
wurden.  Doch  auch  noch  andere  uns  schon  bekannte  Wahr- 
nehmungen jßr härtet  die  Fanggensage  durch  neue  Beläge.  Aach 
die  Fanggen  spielen  die  Rolle  von  Hausgeistern.  Wie 
die  Holzweibchen  (o.  S.  80)  treten  sie  freiwillig  bei 
Menschen  in  Dienst  und  arbeiten  fttr  diese,  bis  plötzlich  das 
Bekanntwerden  ihrer  Herkunft  und  ihres  Namens  sie  verschwin- 
den macht.  Eine  fttr  unsere  weiteren  Untersuchungen  wichtige 
Sage,  die  darauf  Bezug  hat,  wollen  wir  mitteilen.  Bei  einem 
Bauer  zu  Flies  stand  eine  unbekannte  Dirne  im 
Dienst,  welche  riesenstark  war  und  mehr  arbeitete,  aki 
zehn  andere  zusammen,  aber  nichts  vom  Christentum  wuftte  imd 
wollte.  Es  war  ein  Fanggenmädchen.  Einst  kam  der  Bauer 
vom  Imster  Markt  über  den  Pillerber'g  nach  HauBe. 
Wie  er  nun  durch  den  Bannwald  kommt,  die  Joche 
der  verkauften  Oechslein  ttber  die, Schulter  gehängt, 
hört  er  mit. einmal  aus  der  Mitte  des  Waldes  eine 
unbekannte  sehr  laute  Stimme:  Jochträger,  Joch- 
träger, sag'  der  Stutzkatze  (Stutzamutza)  die  Hoch- 
rinde (Hoachrinta)  sei  todt.  Drauf  wird  alles  wieder 
still.  Von  Angstschweiß  triefend  kommt  der  Bauer 
nach  Hause  und  erzählt  das  im  Bannwalde  erlebte  Aben- 
teuer seiner  Frau  und  der  Dirne,  die  grade  beim 
Muöessen  sitzen.  Als  er  die  Worte  erwähnt:  „Sag 
der  Stutzkatzc  die  Hochrinde  sei  todt",  springt  die 
Magd  mit  dem  hellen  Geschrei  „die  Mutter!  die  Mut- 
ter!" empor,  läßt  alles  stehn  und  liegen  und  läuft  dem 
Bannwalde  zu.  Niemals  wurde  sie  mehr  gesehen;  aber 
bald  verbreitete  sich  die  Nachricht,  daß  Stutzkatze 
nun  im  Walde  hause  und  das  Geschäft  ihrer  Mutter, 
Kinder  stehlen    und    fressen    fleißig    fortsetze.*      Mit 


1)  Vergl.   Woinhüld,   die   Riesen.      Sitzungsberichte    der   Wien.    Akad. 
XXVI.  1858   S.  290. 

2)  Alpenburg,  Mythen  und  Sagen  S.  67.    Uebereinstimmendes  wird  im 
I^rätigau   von   einer  Wuldfäukin    erzählt.     Der  aus  dem  Borge  heimkehrende 


Die  Wildleate  in  Tirol:  Fanggen.  91 

anwesentlichen  Varianten  ist  diese  Erzählung  in  Bezug  auf  Fang- 
gen und  verwandte   Wesen,  Hokweibchen  und  Buschmännchen/ 
Sauge  Fräulein,  Nörkel,    Zwerge,    katzengestaitige  oder  bock- 
gestaltige  Kobolde    weit   bis  in   den   Norden  verbreitet^     Mit 


DiengtiieiT  hört  hier  die  Worte:   „Jochträger  sag*   der  Büchrinden,   Giki- 
Gäki  sei  todt  anf  Hurgerhom."    Die  Magd  wirft  den  Löffel  weg  und  jammert 
im  Yenchwinden,  ihr  Vater  sei  gestorben.    Vonbnn,  Beitr&ge  S.  48.    Vgl. 
Panzer  U,  S.  197,  340.  lB41.   wo  ein  Wichtelweiblein  oder  Nörkelweibchen 
Staze-mtze,   die  t&glich  den  Banerhof  besncbt  und  alle  Arbeiten  macht,  die 
Smpfangerin  der  Nachricht  vom   Tode   der  Bauche  Binte  ist,   worauf  das 
Wlel&telweiblein  ausruft:    „Meine  Tochter  ist  gestorben.'*     Vgl.  femer  die 
Variante  bei  Baader,  Volkssagen  a.  Baden  I,  1851,  20,  26.    Bei  einem  Bauer 
in  Holl  dient  ein  unbekanntes  Mädchen,  das  sehr  fleißig  ist,  aber  durch- 
aus   nicht  sagt,  wie  sie  heiße.    Als  einst  der  Mann  ein  Joch  tragend 
TDm  Felde  heimging ,  rief  ihm  die  Stimme  eines  Unsichtbaren  mehrmals  nach : 
Joehtrlger,  sage  der  Gloria,  der  Eanzelmann  sei  gestorben.    Beim  Nachtessen 
erinnert  sieh  der  Bauer  des  VorfaUs  und  erzahlt  ihn  dem  Mädchen  mit  dem 
Hinnf&gen,   nun  wisse  er,   dai  sie  Gloria  ^eUe.    Da  sprang  das  Mädchen 
iber  Hals  und  Kopf  davon  und  ließ  sich  nie  wieder  sehen.    Vgl.  Alponburg, 
Alpensagen  209,  212. ,  wo  das  als  Magd  dienende  Fangenkind ,  dessen  Namen 
niemand   kennt,   einst  auf  der  Alp  in  großer  Gesellschaft  vom  Gebirge  her 
eine    weibliche  Stimme   rufen  hört:    Sag   zur  Strozzi - Buzzi ,   Bauhrinde  sei 
ladt.     Sehönwerth^  a.  d.  Oberpfalz  11,  366.    Der  Fischmatz  zu  Naab  hat  ein 
Holzweiblein  gefangen.    Anderes  Tages  geht  er  wieder  ins  Holz ,  ein  Ochsen- 
joch   über   der  Schulter.     Da  schreit   ein  anderes  Holzwciblein  vom  Baum 
heranter    „He  Mann,   Jochträger,   ist  die    Staunzen  Mauiizen   zu   Hause V 
Alle  diese  Varianton  mit  den  characteris tischen  Namen  „Rauhrinde  und  Joch- 
trikger"   gehen   ofienbar  auf  eine  noch  nicht  fem  zurückliegende  gemeinsame 
Urform   zurück,   von   der  die  Frzählung  bei  Zingerle,   Sagen,    Märchen   und 
Gebr.  25,  30  aus  dem  Vintschgau   bereits    eine  Verschlechterung   darstellt 
Danach  war  die  Dienstmagd  ein  Öalgfräulein,   zu  dem  der  wilde  Mann  kam 
und  sagte:  „Stutza-Mutza,  du  sollst  heim  gehen,  der  Monn  Jochträger  hat 
gesagt,    deine  Mutter  sei  gestorben."    Auf  diese  Worte  eilt  sie  davon,   bald 
hört  man   wimmern   und  heulen.    Das  Fräulein  kam  nicht  wieder  zum  Vor- 
schein.   Cf.  auch  Alpenburg,  Alpens.  104,  167. 

1)  Wichtig,  wenn  alt  und  durchweg  echt,  ist  die  Aufzeichnung  Alpen- 
burgs,  Mythen  und  Sagen  68,  6.  In  dem  von  Fanggen  bewohnten  Urwald 
Urgenthal  waren  einst  einige  Bäume  gefällt.  Zwei  Männer  aus  Urgen  gingen 
ftu  der  Grenze  des  Waldes  durch  den  Gebirgssteig  hin.  Da  tönte  aus  dem 
Tannendickicht  eine  gebieterische  Stimme  an  ihre  Ohren :  „  Saget  Stutzf drehe 
(Föhre),  die  Rohrinde  sei  gefallet  und  todtr'  Sie  erzählten  diese  Geschichte 
daheim  einem  Bauer,  der  einst  ein  ganz  behaartes  weibliches  Kind  gefunden 
ond  aufgezogen  hat,  das  später  als  Magd  bei  ihm  diente,  um  liebsten  aber 
im  Walde  wur.     Dieses  Mädchen   hört  in  der  Nebenkammer  die  Erzählung 


92  Kapitel  IL    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

einiger  Sicherheit  ist  daraas  za  schließen ,  daß  sie  in  dem  Wesen 
der  Wald-  resp.  Erdgeister  begründet  sei.* 


dos  Unbekannten ,  föngt  an  laut  zn  jammern ,   läuft  in  die  Wildnis  und  ist 
für  immer  verschwunden. 

1)  Ohne  in  eine  Deutung  der  Sage  einzutreten,  wollen  wir  in  Kürze 
die  Hauptabweichungen  anderer  Fassungen  von  der  in  vorletzter  Anmerkung 
zusammengestellten  Abteilung  unserer  Sagenfamilie  angeben.  Nicht  immer 
ist  der  abgerufene  Dämon  Dienstmagd.  Auf  dem  Heideberge  bei  Königshain 
i.  d.  Oberlausitz  ist  das  ein  Holzweiblein  gewesen,  welches  sich  den  Winter 
über  zu  dem  Besitzer  des  Berges  in  die  Stube  geflüchtet.  Im  Frühjahr  kam 
ein  anderes  Holzweiblein  ans  Fenster  und  rief  ,,  deuto!"  worauf  sie  jammernd 
verschwand.  Haupt,  Sagenb.  d.  Lausitz  1, 40, 37.  Beim  letzten  Bauern  am  Ende 
von  Königshain  lebten  die  zwei  letzten  Buschmännchen  und  zeigten  sich  zuwei- 
len. Einst  erschien  das  eine  Männchen  und  wehklagte:  Hipelpipel  ist  todt! 
worauf  es  verschwand  Haupt  a.  a.  0.  40,  36.  Ein  wildes  Weibchen  kommt 
7  Jahre  hintereinander  zu  einer  Familie  im  Oberinnthal  zu  Besuch  und  setct 
sich  schweigend  auf  den  Heerd.  Als  der  Bauer  einst  auf  einem  Berge 
Holz  hackt,  steht  ein  wilder  Mann  vor  ihm  und  spricht:  ,,du  Holzhacker, 
sag  zum  Stizl  zumWizl,  derThorizl  sei  gestorben."  Der  Bauer  teilt  abends 
heimgekommen  dem  Weiblein  die  Botschaft  mit,  das  weinend  mit  den  Wor- 
ten davongeht:  „hättet  ihr  mich  mehr  gefragt,  hätte  ich  euch  mehr  gesagt." 
Zingerle,  Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  38,  48.  Zuweilen  ist  der  Heim- 
berufene ein  Zwerg  der  sich  beim  Bauern  Milch  holt  oder  der  sich  unsicht- 
bar zum  edeln  Geschäfte  des  Milch-  oder  Broddiebstahls  (vgl.  ob.  S.  75)  im 
Hause  befindet  und  nun  aus  Schreck  seine  silberne  Kanne  oder  den  Krug  ver- 
gißt (Müllenhoff,  Schleswigholst.  Sag.  291,  398  —  399)  oder  das  Gestohlene 
faliren  lälit.  .Als  einst  ein  Bauer  auf  der  Fahrt  von  Halberstadt  nach  Bör- 
neke  nahe  den  Quergeshöhlen  von  Westerhausen  am  Tekenberge  vorbeikommt» 
schreit  ihm  einer  nach:  „KieliiTopf,  sage  doch  Torke,  er  soll  nach  Hauae 
kommen ,  sein  Kind  sei  todt.'*  Zu  Hause  erzählt  er  den  Vorfall  seiner  Frau, 
da  rufts  in  der  Stube:  „So!  dann  muß  ich  macheu,  daß  Ich  komme/*  und 
indem  fällt  ein  Beutel  mit  Teig,  der  aus  ihrem  Backofen  gefüllt  war,  aus 
der  Luft  zu  Boden.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  162,  189,  1.  Vgl.  189,  2.  Ein 
Amtmann  auf  der  Schaumburg  hat  es  mit  dem  Mäumken  (der  Zwergmutter) 
in  dem  Mäumkenloch  (Zwerghöhle)  auf  der  Paschenburg  gehalten.  Seine  Frau 
findet  lim  bei  dem  Mäumken  sitzen  und  führt  ihn  heraus.  Bald  hernach 
erschien  ein  Zwerg  auf  der  Spitze  des  Berges  und  rief  nach  der  Schaumburg 
hinunter:  „Die  Mäume  ist  todt!*'  Lynker,  Hess.  Sag.  55,88.  Vgl.  Kuhn, 
Westfäl.  Sag.  I,  246,  282.  Eine  Zwergenhochzeit  wird  dadurch  gestört,  daß 
ein  Zwerg  hereinstürzt  und  ruft:  „0  große  Not,  die  Mutter  Pumpe  ist  todt!*' 
worauf  das  kleine  Volii  wehklagend  die  Flucht  nimmt.  Büsching,  wöchentL 
Nachrichten  1,  97  tf.  Die  Erzählung  wiederholt  sich  anderswo  mit  der  Aen- 
derung,  daß  der  Klageruf  lautet:  Urban  ist  todt!  oder  „der  König  ist 
todt."  Davon  eilend  lassen  die  Zwerge  dem  Hause,  in  welchem  sie  die 
Hochzeit  feiern ,  ein  glückbringendes  Kleinod  zurück,  Büsching  a.  a.  0. 99—101, 


Wildlento  io  Granbünden :  WaldftDken.  dS 

§.  6.    Wildleute   In    ftraubflnden:    WaldfSnken.      Den 
Tiroler  Fanggen  entspreehen  die  Graubttndner  Waldfänken,  die 
besonders  in  den  dentschen  Tälern ,  im  Prätigäu ,  Schalfik ,  Chur- 
waldental  und  Savien  bekannt  sind.    Sie  werden  nicht  ganz  so 
onhold  geschildert y    als  die  Tiroler  Fanggen,   und  treten   öfter 
paarweise  auf.     Auch  den  Waldfänkcn  mißt  die  Sage  gewaltige 
Stärke^  Körpergewandtheit,  daneben  Witz,  genaue  Wetter-  und 
SiiUiterkenntnisse  und  den  Besitz  von  Geheünnissen  der  Vieh- 
zBeht  bei.    Ihre  Weiber,  welche  häufig  auch  Waldmutem  (Wald- 
mfitter)  genannt  werden,  sind  in  umgeworfene  Felle  gekleidet, 
die  männlichen  WaldiJUiken,  oder  „wilden  Männer,'^  tlber  und  tlber 
am  ganzen  Körper  behaart  und  mit  Eichenlaub  bekränzt.    Ihre 
Behausimg  ist  der  Wald.     Auch  sie  tragen  einzehie  Personen- 
umen  (weibl.  Rfichrinden  u.  s.  w.,  männl.  Giki,  Gäki  u.  s.  w.) 
h  den  beiden  Vorarlbergischen  Tälern  Montavon  und  Klostertal 
endlich  heißen  die  männlichen  Wesen  Fenggen  und  unter  ihnen 
begegnen  wieder  weibliche  Eügennamen  wie  Jochrumpia,  Joch- 
ringglay  Muggastutz,  Rohrinda,  männliche  wie  Urhans.    Sie  wer- 
den  zwar  auch  häufig  als  riesige  .Wildmänner  und  Wildfirauen 


vi«  nach  jenen  andern  Sagen  (s.  ob.  92)  die  Milchkanne.     Aach  in  Varianten 
dw    letzteren  auf  Amram  und  Alscn  in  Schleswig  begegnet  die  Klage  „der 
König  sei  todt  (No  is  Pippe  Kong  dod!)  Müllenhoff  a.  a  0.  291  ff.    Nach 
Kuhn ,  Nordd.  Sag.  289,  323  lassen  sich  Zwerge  (Oelken)  über  die  Ems  setzen, 
nm   das  Land   für  immer   zu  verlassen,   indem   sie  klagen:    „der  König  ist 
todt!'*    Eine    englische   Erzählung   lautet:   In  einem   verfallenen   llause  ist 
Katzenversammlung,  die  ein  Mann  belauscht.     Da  springt  die  eine  Katze  auf 
die  Mauer  und   ruft:    Sage  Dildrum,   daiS   Doldrum   todt   sei.     Der   Mann 
erzählt  dies  beim  Abendessen   seiner  Frau,  da  springt  seine  Licblingskatze 
(also  ein  Hausgeist)  auf  und  auf  nimmer  Wiedersehen  in  den  Kamin  mit  den 
Worten  „Mord   und  Doldrum  ist  todtV     Eine   deutsche  Variante   läßt   die 
Katze  mit  den  Worten  aufspringen:  „So  bin   ich   König  der  Katzen!*' 
Es  verdient   doch   wol   bemerkt   zu  werden,    daß   die   obigen   oberdeutschen 
Sagen  mehrfach  den  Namen:  Stuze - muze  Stutzkatze  gewähren.    Mit  Unrecht 
zahlt  Simrock.  Handbuch  d.  Myth.*  453  die  Rede:  „  König  Knoblauch  ist  todt" 
zu  den  Klagerufen  um  den  Tod  des  Zwergkönigs.    Grimm ,  d.  Sag.  II ,  185, 
4S5.    Grinmis  Myth.*  422  Anm.  *  gab  die  unschuldige  Veranlassung  zu  die- 
sem Miß  Verständnis.    Noch  eine  andere  Wendung  nehmen  Sagenformen,  wie 
Zingerle,  Sagen,  M&rchen  S.  32,  42.    Aus  der  Wildfräuleinhöle  in  der  Gams- 
lecke  hörten    die  Talbewohner,    ehe    die   wilden   Fräulein   für   immer  ver- 
schwanden, am  Vorabend  des  Walpurgistages  den  Klagegesang:   „die  Runa 
und  der  Tuit  sind  gestorben,  uns  trifft's  morgen." 


94  Kapitel  11.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

beschrieben,  am  ganzen  Körper  mit  struppigen  Haaren  bedeckt, 
80  daß  nur  an  den  Wangen  die  Fleischfarbe  kümmerlich  duitdi- 
schimmerte,  oft  aber  schreibt  man  ihnen  t-  wie  zuweilen  schcm 
den  Waldfänken  in  Granbtlnden  —  zwerghaften  Wuchs  zu  und 
sie  gehen  dann  ganz  in  Zwerge  und  Hansgeister  Aber,  so  swar, 
daß  sie  nun  zwar  in  Höhlen  und  Felslöchem  (Fenggalöcher,  Feng- 
gatöbler,  's  wild  Mannlis  Balma),  zuweilen  hoch  über  dem  Wald- 
wuchs auf  hohen  Alpenrevieren  ihre  Wohnung  aufschlagen,  im 
übrigen  aber  dieselben  Verrichtungen  haben  und  (jcgenstand  der- 
selben Erzählungen  sind,  wie  ihre  riesenhaften  Namensver- 
wandten.^  Auch  sie  verraten  noch  deutlich  Beziehungen  zum 
Leben  des  Waldes.  Sie  sind  so  alt,  als  der  und  der  Wald,  ja 
ein  Fangg  im  Kilknerwald  in  Gaschum  kommt  herzngelanfeo, 
als  man  eine  Tanne  fallt  und  bittet,  den  Baum  stehen  zu  lassen; 
er  sei  so  viel  Jahr  alt,  als  derselbe  Nadeln  habe,  und  könne 
wenn  er  falle  sein  Alter  nicht  mehr  zählen.' 

Es  geht  daraus  hervor,  daß  die  Größe  der  Gestalt  keinen 
wesentlichen  Unterschied  zwischen  diesen  Geistern  bezeichnet 
Als  besonders  bemerkenswert  aus  dem  Kreise  der  Sagen,  welche 
sich  an  diese  wilden  Leute  knüpfen,  will  ich  nur  zwei  besonders 
hervorheben.  Die  eine  ist  ein  Seiteiistück  zu  der  bekannten  Er- 
zählung von  Odysseuä  Ueberlistung  des  Polyphem,  aus  deren 
weiter  Verbreitung  unter  Türken,  Arabern,  Serben,  Rumänen, 
Esten  und  Finnen  schon  W.  Grimm  ^  nachwies,  daß  sie  eine  alte 
auf  Elementargeister  bezügliche  Vdlkssage.  sei,  die  Homer  auf 
einen  Helden  übertrug.  Die  Uebereinstimmung  der  Waldfänken - 
und  Polyphcmossage  gewinnt  an  Bedeutung  durch  den  Umstand, 
daß  ein  Waldgeist,  und  zwar  der  russische  Ljeschi  (s.  u.  §.  19), 
gleich  den^  Kyklopen  nur  ein  Auge  hat  Zu  einem  Holzhaoer 
im  Walde  gesellt  sich  ein  geschwätziges  Fenggaweibchen  und 
verdrießt  ihn  durch  ihre  neugierigen  Fragen.  Er  giebt  sich  erst 
den  falschen  Namen  S  c  1  b ,  ^  während  er  doch  Hannes  heißt  und 


1)  S.  Vonbun ,  Beitrage  z.  D.  Mythol.  S.  44  ff.  63. 

2)  Vonbun ,  Vorarlberg.  Sag.    1858.   S.  5.   Beitr&ge  S.  47. 

3)  W.  Grimm,  die  Sage  von  Polyphem.    Berlin,  1857. 

4)  In  der  entsprechenden  estnischon  Sage  von  Issiteggi  lautet  die  Rede 
des  geblendeten  Teufels  gradeso:  „Selbst  tÄt's"  und  die  Antwort  der  pflfigen- 
den  Leute,  denen  er  sein  Leid  klagt:  „Selbst  gptan,  selbst  hab's!"  Myth.« 
979.    W.  Grimm,  Polyphem  S.  17. 


Wildlente  in  Gnobünden:  Waldftnken.  95 

alB  dann  das  Weiblein  seinen  Aerger  noch  weiter  reizt ,  dabei 

aber  im  Eiter  die  Hand  in  eine  Holzspalte  bringt ,  zieht  er  schnell 

Axt  und  Keil  heraus  und  klemmt  die  jämmeiüch  Schreiende  aoi* 

dieae  Weise  in  den  Baum  ein.     Auf  ihren  Angstruf  kommt  das 

wilde  Fengmännlein  hinzu  und  fragt,  wer  ihm  das  getan  habe: 

„0  selb  tfin!'^     Da  lacht  das   wilde  Männiem  und  ruft:  „Selb 

tSo  j  selb  hän !    Dieselbe  Erzählung  geht  von  WaldHinken ,  sowie 

TOD  Nixen   und  Zwergeu>    Die  zweite  Tradition,   von   der  win 

reden   zu  wollen  ankündigten,  wird  sich  späterhin  als  besonders 

irichtig  für  das  Ganze  unserer  Untersuchungen  herausstellen  und 

gieiehfalls   aus  dem  alten  Griechenland  und  Italien  nachweisen 

lassen.     Sie  wird  ebensowohl  von  den  wilden  Männern  der  rie- 

Bgen    Waldfänken,    als   von    den   zwerghaften   Fänkenmännlein 

erzählt.     Die  Fänkenmännlein   in   Ghurrhätien   nämlich   ttber- 

lehmen   ganz  ebenso   wie  in  Mitteldeutschland  die  Busch-  und 

Mooemämichen ,  Holzfräulein  u.  s. .  w.  sehr  gern  und  häufig  die 

Bolle    der  Hausgeister  und  Kobolde;   sie  besorgen  im  Stalle 

das  Viehy   ftlttem,   tränken  und  striegeln  es  nach  schönster  Art 

oft  ganz  ohne  Lohn,  oft  nur  um  ein  paar  Käse,  um  ein  Napf* 


1)  Kuhn^  Nordd.   Sag.  S.  97,  111.     Im  Unteren {jad in  lieißen  die  den 
Salinen  Fräulein  entüprcchendon  feenhaften  Weiber  Dialen ;    sie  sind  freund- 
lich und  gutmütig,  anch  leidlicli  schon,  doch  haben  sie  Ziegcnfülie.    Einem 
BAuer    in  Guanla,   der  anf  einer  Borgwiese   Heu  auflad,   gesellte  sich  eine 
Diale  und  half  ihm  sein  Fuder  laden.    Als  er  aber  ihre  Ziegcufnße  gewahrte^ 
eifaßte  ihm  ein  Granen  und  er  glaubte  es  mit  dem  Teufel  zu  tun  zu  liaben. 
Die  Diale  fragte  nach  seinem  Namen.     Er  antwortete:  „ich  selbst  (eug  suess). 
Als  das  Fuder  geladen  war,  sti<;B  der  Mann  der  Diale  die  eiKeme  Heugabel 
4iireh    den   Leib   und  floh.     Bald   sammelte   sich   eine   unabsehbare   Menge 
Dimlen   und   fragte:    Wer   hat  das   getan?    Sic  gab  sterbend  zur  Antwort: 
„ich    selbtft**    Da  sagten   die  andern:   „was  man   selbst  tut,   genieUt  mau 
«elbst"  (chi  suess  fa,  suess  giauda")  Vernalekcn,   Alpens.  S.  220,  151.     Die 
Erzählung  rom  Einklemmen  in  den  Spalt  ist  ebenfalls  ein  uralter,    weitver- 
breiteter in  Märchen  Übergegangener  Zug.     Hier  sei  nur  ans   E.  R.  Tylor, 
4ie  Anfänge  der  Cultur  I,  375  die  folgende  Notiz   ausgehoben.     „Im  Hito- 
padesa  steht  eine  bekannte  hinduische  Fabel,  welche  als  Warnung  für  ein- 
faltige Nachahmer  das   Schicksal   des  Affen   erzählt,  der  dem   Zimmermann 
nachahmt«   und   in  der  Spalte  gefangen  war,    als  er  den  Keil  herausstieß. 
Diese  Fabel  wird  auf  Sumatra  als  eine  wahre  Geschichte  von  einem  der  ein- 
?ebomen  Wilden  der  Insel  erzählt"  (Marsden,  Sumatra  p.  41).    In  unseren  Mär- 
chen heftet  sich  die  Sage  an  den  Bären  oder  den  Teufel,    cf.  Grimm ,  K.  H.  M. 
11.  n.  114  nnd  dazu  K.  H.  M.  ID.  S.  195.    Eiseh  Sagenb.  d.  Voigtl.  127,  330. 


96  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  and  ihre  Sippe: 

chen  Milch  oder  um  den  Schaum  der  Milch.  Am  liebsten  jedoch 
verstehen  sie  sich  zur  Hnt  der  Heerden  anf  den  Alpen  und  in 
den  Maisessen  and  werden  daher  Öfters  wilde  Ktther  oder 
wilde  Geißler  genannt  Schenkt  man  ihnen  aber  Kleider  oder 
Sohnhe  znm  Lohn,  so  werden  sie,  wie  im  gleichen  Falle  die 
mitteldeutschen  Waldleute  (s.  o.  S.  80)  verscheucht.  Solch  ein 
wilder  Mann  (Geißler  oder  Küher)  wird  regelmäßig  beschrieben 
-als  von  großer  Körperstärke,  behaarten  Leibes  und  nur  mit 
einem  Schurz  von  Fellen  bekleidet.  In  der  Hand  führt  er 
eine  mit  den  Wurzeln  ausgerissene  .  Tanne.^  Man  trieb 
ihm  die  Geiße  oder  Ktthe  der  Ortschaft  gemeinhein  vor  das  Dorf 
entgegen  bis  zu  einem  großen  Steine,  solche  FelsblOcke 
werden  noch  gezeigt  und  heißen  gern  „der  Geißlerstein.*** 
Dort  nahm  er  schweigend  die  Tiere  in  Empfang  und  trieb  sie 
weiter,  man  wußte  nicht  wohin.  Abends  waren  sie  alle  zur 
bestimmten  Zeit  wieder  mit  strotzendem  Euter  beim  Steine,  Bö 
daß  sie  kaum  gehen  konnten.  Offenbar  sind  diese  wilden  Männer 
nicht  Personificationen  einzelner  Bäume,  sondern  des  gesammten 
Waldes  mit  dem  Uebergang  in  Geister  der  gesammten  Vegetation 
der  Alpe.  Dem  wilden  Geißler  gleicht  sich  die  finnische  Wald- 
jungfrau, welche  in  der  Kalevala  angerufen  wird,  das  Vieh  vor 
Schaden  zu  hüten,  resp.  abends  nach  Hause  zu  treiben  (vgl.  o. 
S.  30  und  Kalcv.  übers,  von  Schiefner  1852  XXXU.  v.  60—100); 
andererseits  ließe  er  sich  ftiglich  als  ein  Spiritus  familiaris  der 
Dorfschaft  auffassen.  Auf  den  Stein  legte  man  ihm  den  ausbe- 
dungenen Lohn  an  Milch  oder  Käse.  Da  er  auf  diese  Weiae 
mit  den  Leuten  in  keinen  mündlichen  Verkehr  trat,  und  niemals 
zu  den  Wohnungen  kam,  suchte  man  ihn  zu  fangen  und  zur 
Mitteilung  seiner  Geheimnisse  zu  bewegen.  Es  geschah  dies,  in- 
dem man  ihn  in  Wein  oder  Branntwein  berauschte.  Die  nähern 
Umstände  dieser  Begebenheit  werden  mit  kleinen  Abweichungen 
erzählt,  zu  deren  Characteristik  die  folgenden  Varianten  neben- 
einander erwähnt  werden  ra(>gen.  Zu  Monbiel  stellte  man  dem 
die  Heimkühe  leitenden  Männlein  einen  Schoppen  Veltliner 


1)  Rochholz,  Aargausagen  I,  319,  228.  (47).    Vonbun,  BeitrÄgc  S.  47. 
Zingcrle  Sagen,  Märchen  S.  83,  131. 

2)  Vonbun  a.  a.  0.  bö,  61.    Kochholz  a.  a.  0.    Vemaleken,  Alpensagon 
8.  212. 


Wildleute  in  Granbünden:  WaldfSnkan.  97 

laf  den  Stein.    Es   betrachtete   den  Wein  lange  nnd  besann 
sieh,   ob  es  trinken  solle.    Endlich  setzte  es  ganz  vorsichtig  die 
Lippen   an.    Da   mundete  ihm  das  Getränk  äußerst  wol  und  es 
trank  den  ganzen  Schoppen.^    Zur  Zeit,  als  die  Pest  in  Graubün- 
den unzählige  Opfer  forderte,  starl>en  keine  wilde  Weiblein  nnd 
Hinnlein   und  man  kam  zu  dem  Schlüsse,  daß  sie  ein  Geheim- 
mittel  besitzen  müssen.    Ein  Bauer  wußte  mit  List  dasselbe  einem 
flmkeiunännlein  zu  entlocken,  welches  sich  oft  auf  einem  Steine 
zeigte,   der   eine  bedeutende  Höhlung  hatte.    Ihm  war  das  Lieb- 
Giigsplätzchen   des   wilden  Männchens  wolt)ekannt,    er  ging  hin, 
AUlte  die  Höhlung  des  Steines  mit  gutem  Yeltliuerwein  und  ver- 
btig  sich  in  der  Nähe.    Das  Männchen  war  verdutzt,  als  es  die 
Höhlung  seines  Lieblingssteines  mit  funkelndem  Naß  geillllt  sah. 
Eft  beugte  sich  mehrmals  mit  dem  Naschen  über  den  Wein,  winkte. 
Bit  dem  Zeigefinger  und  rief  „Nein  du  überkommst  mich  nicht !^' 
Endlich  kostete   es  doch  und  immer  mehr  und  wurde  lustig  und 
lustiger  nnd  fing  an  allerlei  Zeuges  zu  schwatzen.    Da  trat  der 
Bauer  ans  seinem  Verstecke  hervor  und  fragte,  was  gut  sei  gegen 
die  Pest.    „Ich  weiß   es  wol,  sagte  das  Männchen,   Eberwurz 
and  Bibemell;  aber  das  sage  ich   dir  noch  Linge  nicht!"    Jetzt 
war    der  Bauer   zufrieden    und  nach  dem  Gebrauche  von  Eber- 
wurz   und  Bibemell  starb  niemand  mehr  an  der  Seuche.*    Vgl. 
o.  S.  81.     Ein  Waldfänke  bei  Centers  hütete  einst  einen  Sommer 
liindarch    die  Ziegen   des  Dorfes,    sein   Hirtenstab    war    ein 
Tannenbaum.     Hatte  er  die  Geißen  Abends  bis  zu  einer  gewis- 
sen Stelle  zurückgeführt,  kehrte  er  in  den  Wald  heim.    Vergeb- 
lieh suchten  ihn  die  Söhne  von  Conters  zu  fangen.     Endlich  flillten 
sie  zwei  Brunnentröge,   aus  denen  er  zu  trinken  pflegte,  den 
einen   mit  rotem  Weine,   und   den  andern  mit  Branntwein.     Der 
wilde  Geißler   sah    zuerst   den    roten  Wein  und  rief  „Rr»teli  du 
verführst  mi  net!"  und  labte  sich  dann  mit  Branntwein,  da  dieser 
die  Farbe  des  Wassers  trug.    In   der   darauf  folgenden  Be- 
rauschung wurde  er  gebunden  und,   da  die  Sage  ging,    die 
Fänken   wüßten    aus  Miichschotten  Gold    zu   bereiten  und   ähn- 
liches, so  wollten  ihn  seine  Peiniger  nicht  eher  loslassen,  bis  er 
ihnen  ein  Geheimmittel  entdeckt  habe.    Er  versprach,    wenn  sie 


1)  Vonbun,  Beitr.  60.    VemalekeTi,  Alpens.  212. 

2)  Vernaleken.  Alpensagen  S.  214.    Vonbun,  Beitr.  55  ff. 

M&Dohardt.  7 


98  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

ihn  losbänden,   einen  guten  Rat.    Die  Burschen  ließen  ihn  also 
frei.    Da  sagte  er  schelmisch: 

Ists  Wetter  ^t,  so  nimm  dein  Oberwamms  mit. 
WirdB  dann  leidig,  kannst  tnn  wie  da  willst. > 

Nach  der  Sage  von  Klosters  im  Prätigau  waren  es  mehrere 
neugierige  Burschen,  die  gern  die  nähere  Bekanntschaft  des 
Geißlers  gemacht  hätten.  Er  hatte  die  Gewohnheit  jeden 
Abend  aus  dem  kleinen  BrUnnlein  zu  trinken,  das  zu- 
nächst dem  Geißlersteine  sich  befand.  Die  jungen 
Leute  sammelten  im  Dorfe  manche  Maß  Kirschenwasser 
und  füllten  an  einem  heißen  Sommertage  unver- 
sehends  das  ganze  Brünnlein  damit.  Der  wilde  Mann 
schöpfte  mit  der  hohlen  Hand.  Anfangs  misfiel  ihm  der  Trunk, 
bald  jedoch  behagte  er  ihm;  er  trank  in  vollen  Zügen  und  sank 
bald  von  der  Wirkung  des  berauschenden  Wassers  bezwungen 
machtlos  zu  Boden.  Schnell  sprangen  die  Bursche  aus  ihrem 
Verstecke  hervor,  banden  ihn  mit  Weiden  und  Stricken  und  tra- 
gen ihn  ins  Dorf  in  eine  festverschlossene  Kammer,  aus  der  er 
um  Mittemacht  ausbrach,  um  sich  nie  wieder  sehen  zu  lassen. 
Mit  ihm  war  der  Wolstand  des  Dorfes  dahin.*  In  der 
Ueberlieferung  von  Klausen  ist  es  wiederum  ein  Brunnentrog,  den 
man  dem  riesigen,  mit  zottigen  Haaren  überwachsenen 
Wild  mann  mit  Branntwein  ftlllt.  Die  Sage  von  Afing  erzählt, 
daß  der  Wilde  auf  einen  ausgerissenen  Baum  gestützt  Tags  oder 
in  stiller  Nacht  die  Holzfäller  im  Hauserwalde  störte  und  ihnen 
das  Wasser  aus  dein  Troge  des  Schleifrads  austrank.  Um  ihm 
dies  zu  verleiden,  füllten  sie  den  Trog  mit  Branntwein,  imd  als 
er  berauscht  war,  hieben  sie  ihm  den  Kopf  ab.^ 

Was  den  Namen  der  Fanggen ,  Fänken  oder  Fenggen  betrifft, 
so  hat  ein  Kenner  der  deutschen  und  romanischen  Volksdialekte 


1)  Yonbon  a.  a.  0.  47.  Vernaleken,  Alpens.  213.  Vgl.  dazu  Zingerle 
82,  129.  Der  wilde  Mann  vom  Wildemannstein  im  Langtaaferstal  sah  die 
künftige  Witterung  voraus  und  verkündete  sie  den  Hauern.  Bei  schÖDem 
Wetter  und  Sonnenschein  stand  er  in  seinen  Mantel  gehüllt  und  vom  breit- 
krämpigen  Hute  beschattet  da,  als  zittere  er  vor  Prost,  bei  Regen  und  Un- 
wetter saß  er  mit  vergnügtem  Gesicl^t  ohne  Hut  und  Mantel  auf  dem  Steine. 

2)  Rochholz  a.  a.  0. 

3)  Zingerle,   Sagen,  Märchen  S.  83,  130.  131. 


Wildlaute  in  Tirol:  Selige  Fräulein.  99 

des  Alpengebiets  Chr.  Schneller  die  Vermatiuig  aasgesprochen/ 
daB  er  aus  der  Mandart  der  benachbarten  ladinischen  Gemeinden 
entlehnt  und  zwar  ans  dem  Feminin,  zn  Salvang  d.  i.  Sylvanns 
ibgekfirzt  sei,  mit  welchem  Worte  man  dort  den  wilden  Mann 
so  bezeichnen  pflegt  Dieser  Meinung  stehen  zwar  einige,  doch 
wie  ich  glaube  nicht  durchschlagende  sachliche  Gründe  entgegen ; 
niefat  allza  sehr  ins  Gewicht  fallen  dürfte;  daß  bei  den  Ladinem 
di8  Fem.  Salvangga  bereits  ausgestorben  und  dafür  eine  andere 
Beieichnnng  der  wilden  Weiber  aufgekommen  ist.  Dagegen 
fflflMe  der  Uebergang  von  v  in  f  für  jene  Dialecte  erst  nachge- 
wiesen sein,  ehe  wir  uns  entschließen  können  Schnellers  Erklä- 
nng  beizatreten. 

§    7.    WUdleute  In  Tirol:  Selige  FrBuleln.    Ganz  ver- 
flUeden    von  den  Wildfanggen   scheinen   auf  den  ersten  Blick, 
dker  auch  nur  auf  den  ersten  Blick   diejenigen  Wesen  zu  sein, 
wdehe  in  Deutschtirol ,  namentlich  in  Vintschgau  und  Oberinnthal, 
n^r  dem  Namen  Selige  oder  Salige  Fräulein  Salgfräulein,  Salin- 
ger, sonst  auch  als  wilde  Frauen  oder  wilde  Fräulein,  in  Wälsch- 
tiiol  als  Enguane  oder  Belle  (resp.  Delle)  Vivane  bekannt 
sind,    obwol   auch  in  ihnen  nach   einem  Worte  Weinholds,*  der 
die  Seligen    als  die  lieblichsten  Schöpfungen   unserer  Mythologie 
diaracterisiert,  Wald-  und   Bergfrauen^   nicht  verkannt  werden 
können,   milde,   schöne  Geister  des  Waldes   und  Gebirges,    die 
über  and  unter  der  Erde  segnend  wirken ,  den  Menschen  hilfreich, 
die  Tiere   schützend.    In  der  Tat  haben  sie  fast  alle  Züge  mit 
den  Moosleuten  und  Buschfrauen  Mitteldeutschlands  gemein,  noch 
mehr  stimmen   sie  zu  den  wilden  Frauen  in  Oberbaiem  und  im 
Salzbnrgischen  ^    welche  wir   als  die  Vertreterinnen  der  geogra- 
phischen wie  sachlichen  Mittelglieder  zu  den  Salgfräulein  an  dieser 
Stelle  beiläufig  in  die  Betrachtung  mit  hineinziehen  werden,  aber 
das  Kolorit  der  Sage  von  den  Seligen  und  die  Scenerie,   in  der 
sie   auftreten,  ist  verändert  und  ihr  Wesen  verklärt  und  vergei- 
stigt   In  einzelnen  Fällen  z.  B.  im  Pusterthale  ist  jedoch   ihre 
Gestalt  noch  nicht  von   diesem  so  zu  sagen  ätherischen  Hauche 


1)  Ausland  1871.  N.  41.  S.  966. 

2)  Weinhold,  Sitzungsberichte  der  Wiener  Akad.  XXVI.    1858.    8.290. 

3)  Zuweilen   heißen    sie   auch   gradezu   WaMfrauon,    Waldweiblein;    so 
Zingerle ,  Märchen  und  Sagen ,  30 ,  39. 

7» 


100  Kapitel  IL    Die  Waldgeister  nnd  ihre  Sippe: 

umwoben.  ^  Irre  ich  nicht ,  so  spiegelt  sich  in  ihrer  Eigentttmlich- 
keit  getreu  die  Empfindung,  welche  hoch  oben  in  der  klaren, 
freien  und  reinen  Bergluft  zwischen  den  Gletscherfimen  die  Seele 
des  Landeseinwohuers  ergriff,  der  mit  dieser  Empfindung  das 
anererbte  Material  der  Wildeleutsage  durchströmte  und  so  ans 
den  Tiefen  seines  .vorstellenden  nnd  fllhlenden  Geistes  dämonische 
Personificationen  zugleich  der  Vegetation  und  der  sonstigen  Natur 
auf  den  höchsten  Höhen  der  Alpenwelt  hervorgehen  ließ.  Sehr 
deutlich  läßt  der  Vergleich  der  Sage  von  hessischen  und  bairisch- 
salzburgischen  Wildlrauen  gewahren,  wie  groß  der  Einfluß  gewe- 
sen ist,  den  die  Natur  des  Landes  auf  die  Umgestaltung  der 
Sage  von  den  seligen  Fräulein  ausgeübt  hat.  Diese  wohnen  in 
den  innersten  Tälern  und  Berggegenden  ;^  ihre  Behausung  sind 
schimmernde  Eis-  und  Ery  Stallgrotten,  ^  die  sich  im  Schöße  der 
Berge  zu  prachtvollen  Bäumen  erweitem  nnd  oftmals  talwärts 
von  einem  verborgenen  Paradiese  bebltimter  Hügel  und  grüner 
Wiesen  umgeben  sein  sollen.  Hier  hegen  sie  als  ihr  Hausgetier 
die  Gemsen,  schützen  dieselben  vor  den  Jägern  und  bestrafen 
deren  Verfolgung.  Hat  ein  Gamsjäger  eines  der  Tiere  getödtet, 
so  jammern  sie,  daß  er  ihre  Kuh  erschossen  habe,  Züge  welche 
übrigens  ebensowol  auch  an  den  Fanggen  und  anderen  Wild- 
frauen haften.^  Nach  den  Seligen,  die  darauf  hausen,-  ist  ein 
Femer  im  Sulzauerstock  (zwischen  den  hintersten  Alpen  des 
Stubeitals)  Fräule köpf  genannt  und  die  Fräulein  selbst  werden 
dort  häufig  auch  als  Schnee  fr  äulein  bezeichnet,  weil  sie 
nicht  allein  die  Alpweiden  segnen  und  den  Hirten  gutes  tan, 
sondem  auch  den  letzteren  Winke  zum  frühen  Abfahren  geben, 
wenn  große  Schneewetter    einzufallen  drohen.*^     Oft  sieht   man 


1)  Alpenburg ,  Alpensagen  S.  312. 

2)  Zingerle  a.  a.  0.  33,  43. 

3)  Eine  solche  Grotte  heißt  „Salingerloch"  (Alpenburg,  Alpens.  312,  330) 
gradeso  wie  die  Wohnungen  der  bairischen  und  Salzburger  Wildfrauen  Wild- 
frauenloch.  Panzer  I,  200,  220.  Frauenloch,  Panzer  I,  15,  16.  Frauenlöcher 
Panzer  I,  9,  9.  Frauenhöhle  Panzer  I,  14, 15.  Fräuleinhöhle  Zingerle,  31,  42. 
Vgl.  die  Höhlen  der  Fenggen  (o.  S.  94)  und  das  Mäumekeuloch  (o.  S.  92). 

4)  Alpenburg,  Alpens.  210,  213.  Alpenburg,  Mythen  4—9.  17  —  21. 
Zingerle  24,  30.  35,  45.  36,  46.  66,  102  mit  der  Anmerkung.  Vgl.  Schillers 
Gemsenjäger. 

5)  Alpenburg,  Alpensagen  S.  282,  298.       • 


Wildleiite  in  Tirol:  Selij^e  Frfttileiii.  101 

hoch  oben  an  den  höchsten  Gipfeln  Wäsche ,  schneeweiBe  Gewän- 
der oder  Kindstttchel  wie  weiße  Wölkchen  schweben,  oder  an 
den  Sonnenstrahlen,  die  sich  durch  dichtes  Waldlanb  oder  Fels- 
Uansen  stehlen,  znm  Trocknen  aufgehängt    Wenn  die  Wäsche 
an  den  Felswänden  sichtbar  wird,  giebt  es  schönes  Wetter,  deut- 
lieh also   sind   es  Nebel   oder  lichte  Wölkchen,   worin  man  die 
Gewebe  der  Seligen  zu  erkennen  meinte.^  Blondlockig,  blauäugig, 
in  blendendes  WeiB  oder  Silberzindel  gekleidet,  wie  der  Schnee, 
der  die  Berggipfel  deckt,  und  das  Eis  der  Gletscher,  und  von 
Gestalt  himmlisch  schön  sitzen  diese  da  oben  und  lassen  einen 
wmiderlieblichen   Gesang   ins  Tal   hinabschallen,    der  manchem 
gaton  Barschen  das  Herz  mit  unnennbarer  Sehnsucht  dehnt,  wie 
beh  oben  anf  sonniger  schneebeglänzter  Höhe ,  wo  man  mit  sich 
■dGrott  allein  ist,  dasGeftlhl  der  Unendlichkeit  die  Brust  weitet 
Sar   aittlieh    reine  Menschen    dürfen    den  Fiilulein   nahen.    Da 
aehrere  Berichterstatter  z.  B.  Hammerle  und  Alpenburg,  wie  es 
scheint,   durch  sentimentale  Auffassung  verleitet  wurden,  diese 
Sagen   mehr  zu  idealisieren,  als  sie  es  in  Wirklichkeit  sind,  so 
wollen  wir  zur  Kennzeichnung  derselben  dem  objectiv  berichten- 
den Zingerle  eine  der  vielen  Geschichten  nacherzählen,  welche 
im  Volksmunde  von  den  Saligen  in  Umlauf  gehen.    Bei  Graun 
im  Obervintschgau  steht  ein  Mittelgebirg,  die  „Salge'',  hier  sollen 
vor  alten  Zeiten  die  „  Salgfräulein  '^  gehaust  haben.    Sic  wohnten 
nnter    diesen  Steinblöcken  in   weiten    prachtvollen 
Bänmen  und  waren  den  Menschen  hold  und  freundlich.     Oft 
saßen   sie  abends  weiß  gekleidet  auf  einem  großen  Stein 
nnter   dem  alten  Lärchbaum  und  sangen  Lieder.     Eines 
Abends  ging  ein  Hirt  vorüber,  der  von  dem  schönen  Gesänge  so 
bezaubert  wurde,  daß  er  stille  stand,   sich  auf  eüien  Stein  setzte 
und   bis   tief  in  die  Nacht  hinein  den  Salgfräulein  zuhörte.    Erst 
als  diese  mit  untergehendem  Monde  verschwanden,   gedachte  er 
seiner  Heerde  und  seines  jungen  Weibes  und  ging  heim.    Seit- 
dem aber  war  er  einsilbig  und  schwermütig  und,  ohne  seinem 


1)  üeber  diese  Wäsche  der  Seligen  und  wilden  Frauen  ».  Alpenburg, 
Alpen».  20,  21.  Panzer,  Beitr.  I,  11,  14.  Alpenburg,  Mythen  21.  Zingerle 
^\  39.  Im  Tale  bei  der  Trolle  witsch  alni  hat  man  zu  Zeiten  Salige  erblickt, 
welche  im  Loche  Wäsche  wuschen ,  aber  schnell  enteilten ,  sobald  ein  Mensch 
fleh  nahte.    Alpenborg,  Alpens.  313,  330. 


102  Kapitel  ü.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

Weibe  etwas  davon  zu  sagen,  ging  er  nun  oft  aof  die  Salg,  um 
dem  Gesänge  zu  lauschen.  Endlieh  wurden  die  schönen  Fi^ulein 
mit  ihm  vertrauter  und  führten  ihn  in  ihre  Grotten,  wo  ganze 
Reihen  von  Gemsen  an  Krippen  standen.  Sein  Weib  bemerkte» 
daß  er  öfter  des  Nachts  sich  entfernte  und  ausblieb.  Um  m. 
erfahren,  wohin  er  gehe,  befestigte  sie  einst  heimlich  an  einem 
seiner  Wammsknöpfe  einen  Gamfaden,  behielt  aber  den  daran 
hangenden  Knäuel  zurück.  Dem  leitenden  Faden  folgend  erreichte 
sie  die  Höhle  der  Saligen,  in  deren  Mitte  sie  ihren  Mann  vor- 
fand. Da  fing  sie  an  zu  weinen  und  zu  klagen  und  verwünschte 
den  Tag  ihrer  Hochzeit  und  die  Salgfräulein,  die  sofort  unter 
den  Steinisn  verschwanden,  um  nicht  wieder  gesehen  zu  werden.^ 
Von  den  Waldfräulein  in  Falkwand  bei  Stuls  und  noch  ausflihr- 
lieber  von  den  wilden  Weibern  im  Untersbei^e  bei  Salzboig 
wird  dieselbe  Geschichte  etwas  abweichend  erzählt  Eine  der 
wilden  Frauen,  welche  oftmals  aus  dem  Unterbei^e  gegen  das 
Dorf  Anif  herabkam  und  sich  auf  dem  Felde  in  die  Erde  Löcher 
und  Liegerstatt  machte,  hatte  so  schöne  lange  Haare,  daß  sie 
ihr  bis  auf  die  Fußsohlen  herabfielen.  Ein  Bauer  verliebte  sich 
hauptsächlich  um  dieses  Umstandes  willen  in  sie  und  legte  sich 
in  Einfalt  zu  ihr  in  ihre  Lagerstätte,  ohne  etwas  Ungebührliches 
zu  tun.  Am  zweiten  Abend  fragte  sie  ihn,  ob  er  eine  Fraa 
habe.  Er  leugnete,  aber  am  dritten  Abend  ging  seine  Frau  ihm 
nach,  fand  ihn  und  rief,  die  Wildfrau  erblickend  „0  behüte 
Gott  deine  schönen  Haare!  Was  tut  ihr  da  mit  einander?** 
Da  verwies  die  wilde  Frau  dem  Bauer  seine  Lüge,  schenkte  ihr 
einen  Schuh  voll  Geld  und  ermahhte  ihn  seinem  Weibe  treu  zn' 
bleiben.'  In  der  norddeutschen  Ebene  knüpft  sich  die  noch  rohe 
Erzählung  an  solche  Zwerge  (SchanhoUen  u.  s.  w.),  welche  nur 
mit  localer  Aenderung  entschieden  den  Waldleuten  der  oberdeut- 
schen Sage  entsprechen.  Hier  schläft  der  Bauer  im  Arme  der 
Zwergin ,  deren  langes  Haar  bis  auf  die  Erde  hinabhängt.  Behut- 
sam hebt  seine  mit  Hilfe  des  Garnknäuels  nachgekommene  Gat- 
tin   es   auf   und  legt  es  zur  schönen  Eigentümerin  auä  Bett' 

1)  ZiDgerle,  Sagen,  Märchen  und  Gebr&nche  S.  23,  30. 

2)  Grimm,  D.  Sagen  I,  65.    Zingerle  a.  a.  0.    Panzer,  Beitr.  I,  13. 

3)  Kuhn,  Westföl.  Sagen  I,  160,  165.  vgl.  246,  282.  Lynker,  Hessische 
Sagen  55,  88.  Grimm,  D.  Sag.  I,  89,  70.  Stöber,  Elsäss.  Sag.  295,  230. 
Curtze ,  Vülkfiüberüefcr.  a.  Waldeck  219,  41, 


1 


Wüdkvte  in  Tirol:  Selige  Fräolein.  103 

Dentoiig  dieser  Erzählimg  würde  an  diesem  Orte  zu  Erör- 
tenmgen  ftthren ,  welche  von  unserm  gegenwärtigen  Zwecke  seitab 
Ue^en;   wir  entnehmen  aus  ihr  nur  ein  Zeugniß  von  der  Ueber- 
tfrrngtiiTininng  der  SalgMuleinsage  mit  derjenigen  von  den  wilden 
Fiaaen  resp.  Waldweibem.    Wie  die  Uohsfräulein  (ob.  S.  76)  nie 
endende  Garnknäuel   spenden,   schenkt  die  wilde  Frau  in  der 
FekhöUe  bei  Widrechthausen  ein  solches  dem  Widreohthäuser 
Bauer  y  als  ihn  dessen  Frau  bei  ihr  schlai'end  gefunden  und  zum 
Zengnii,  daß  er  ihr  eine  Haarlocke  abgeschnitten  hatte.  ^    Auch 
die  selige  Jungfrau  aus  der  Lecklahne  begabt  zum  Abschied  mit 
■olchem  wunderbaren  Zwimknäuel ,  als  sie  aus  dem  Dienste  eines 
Banem    plötzlich   scheidet,   weil   man   ihren  Namen   ertahren.' 
Aieh  ein  Brodlaib  der,  so  lange  man  davon  kein  Redens  macht, 
■dit  ein  Ende  nimmt,  wird  als  ihr  Greschenk  erwähnt*    Oleich 
den   Holzfräulein ,  Fanggentöchtem  u.  s.  w.  sind  sie ,  ohne  Liohn 
■ad   Gabe  zu  nehmen  und  ohne  Namen  und  Herkunft  zu  ver- 
laten,  hilfreich  in  der  Bauemwirtschaft  und,  wo  sie  weilen  und 
tdiaffen,    stellt   sich  Segen  und  Ueberfinß  ein.     Alles  gedeiht, 
aber   sie  yerschwinden  und  mit  ihnen  Gedeihen  und  Reichtum, 
sobald  man  in  ihrer  Gegenwart  flucht  (vgl.  ob.  S.  81),  nach  ihnen 
idüägt,  ihnen  Speise  vorsetzt  oder  ihren  Namen  nennt;  oder  sie 
weiden  durch  Ansage  eines  Todesfalles  unter  den  Ihrigen  (s.  ob. 
S.  IM,»)  abberufen.*    Im  Stalle  sammeln  sie  die  verschüttete  Milch 
und  trinken  daitlr  wol  —  andere  Nahrung  verschmähen  sie  — 
aus   der  Milchbutte ,  in  der  dann  <iber  die  Milch  nicht  ab,  son- 
dern zunimmt^     F<ast  in  jedem  Hause  wohnte  ehedem  ein  sol- 
ches geisterhaftes  Wesen.*   Sie  bewähren  sich  somit  voll- 
kommen als  gute  Hausgeister.    Zuweilen  gehen  sie  auch 
mit  irdischen  Männern  eine  Ehe  ein  und  ge1)ären  Kinder,   ver- 
schwinden aber,  wenn  das  Geheimniß  ihres  Namens,  oder  ihrer 
Herkunft  verletzt  wird.      Dann    kehren   sie  jedoch  noch  immer 


1)  Alpenborg,  Alpens.  19,  21. 

2)  Zinfiferle  a.a.O.  29,  37.     Vgl.  Hainnierlc,  Neue  Erinncranp^en  a.  d 
Bergen  Tirols  1854.    S.  15.    Weitere  Zeugnisse  dafür,  ilaB  die  Seligen  end- 
hae  Garnknänel  verehren,  s.  Alpenburg,  Myth.  33,  10.    Zingerle  77,  llö. 

3)  Zingorle  a.  a.  0.  26,  31. 

4)  S.  Ziugerle  25  ff.  32.    Ali>cnburg,  Alpen«.  2(53,  274.    264,  275. 

5)  Zingerle ,  Sagen  u.  Märchen  S.  26  32. 
6j  Zingerle,  Sagen  u.  Märchen  S.  25,  31. 


104  Kapitel  11.    Die  Waldgeister  and  ihre  Sippe: 

an   gewissen   Tagen    zurück,   um  ihre  Kinder  zn  waschen ,   za 
kämmen  mid  zu  kleiden.^ 

Man  erinnere  sich,  daß  wir  auch  diesem  Zuge  bereits  Im 
der  Bidschower  Sage  von  der  Nymphe  eines  Weidenbanmes 
begegnet  sind  (ob.  S.  69);  er  wird  sonst  anch  von  Nachtmahren* 
und  von  den  Seelen  verstorbener  Mütter  erzählt ,  welche  noch  Aber 
das  Grab  hinaus  ihre  Liebe  bewähren.^  Seelen  Abgeschiedener 
und  Pflanzengeister  sahen  wir  ja  schon  mehrfach  in  einander 
übergehen  -(S.  40.  44).  Auch  noch  ein  weiterer  Zug,  dafi  die 
Saligen  zuweilen  vom  Berge  niedersteigend  in  den  Spinnstuben 
sich  sehen  lassen,  und  wundersam  spinnen,  so  wie  Spinnen  und 
Weben  lehren,*  wird  anderswo  unmittelbar  von  Baumgeistern 
berichtet^  Noch  eine  weitere  Aussage  gemahnt  unmittelbar  an 
die  (ob.  S.  36)  entwickelten  Baumsagen,  nach  welchen  ver- 
möge der  Sympathie  zwischen  Pflanze  und  Mensch  jeder  Hieb, 
der  die  Baumnymphe  trifft,  ebenso  tief  als  ins  Holz  in  Fleisch 
und  Bein  des  Frevlers  eindringen  soll.  Wenn  das  Heu 
gemäht  wurde,  gesellten  sich  die  Fräulein  gerne  den  Menschen 
zu  und  halfen  bei  der  Arbeit.  Wenn  der  Mähder  das  Rodnerin- 
nenlocken  übte,  d.  h.  dreimal  mit  dem  Wetzstein  über  die  Sense 
strich,  so  kam  bei  diesem  schrillen,  weithin  hallenden  Tone 
jedesmal  ein  Salgfräulein  in  die  Wiese  herunter  und  zerstreute 


1)  Vernaleken ,  Mythen  246 ,  53.  Zingerle  29,  36.  34,  43.  Alpenburg. 
Alpens.  312,  330.  270,  283.  verschwindet  samnit  ihren  13  Kindern:  Zingerle 
27,  33.    Zs.  f.  D.  Myth.  I,  292.   II,  356,  183. 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  91,  102.  299,  338.    MüUenhofF  243. 

3)  GrondTig,  Gamle  Dauske  minder  i  Folkemund  I,  18.  Schambach- 
Müller,  Niedersächs.  Sagen  220,  235.  Pröhle,  Harzsagon  79,  7.  Wolf, 
Nieder  1.  Sag.  403,  326.  Man  erkennt  die  Wiederkehr  der  verstorbenen  Wöch- 
nerin daran,  daß  man  morgens  das  Bett  eingedrückt  findet  Wattke, 
Abergl.«  §  748. 

4)  Alpenburg ,  Mythen  u.  Sagen  S.  6.  32 ,  10. 

5)  In  eine  Spinnstube  zu  Rouge -Vie  bei  Foncogney  in  den  Vogesen 
pflegten  12  liebliche  Jungfrauen  mit  ihren  niedlichen  Spindeln  zu 
kommen.  Niemand  wagte  sie  nach  ihren  Namen  und  ihrer  Abkunft  zu  fra- 
gen. Ein  Bursche ,  der  ihnen  neugierig  folgte ,  sah  sie  auf  der  ,,  la  planche 
aux  helles  fiUes'*  genannten  Bergeshalde  einander  gute  Nacht  sagen,  worauf 
eine  jede  in  einen  Baum  hineinging.  Der  Vorwitzdge  fiel  drei  Tage 
darauf  von  einer  Fichte,  und  brach  den  Hals.  S.  Des.  Monnier,  Traditions 
populaires  p.  407. 


WOdlente  in  Tirol:  Selige  Fräolein.  105 

die  Mahden.    Ein  Baaer ,  dem  dies  anch  geschab ,  yei^ckte  sich 
in  ^38  imbekannte  Mädchen.     Als  im  Herbste  die  Heuernte  zu 
Ende  ging  und  die  Selige  das  letzte  Fuder  faßte ,  machte  der 
imgeschickte  Liebhaber  ein  Schlöf  in  das  Bindseil  und  band  das 
Mldchen  am  Fuße  fest    Das  Fräulein,  in  dem  Bestreben 
sieh  loszumachen,  brach  das  zarte  Bein  und  verschwand 
iranend.    Anderen  Tages  brach  das  Bäuerlein  auch  ein 
Bein  nnd  blieb  lebenslänglich  l^hm.     Sein  Geschlecht 
naiB  es  noch  bis  heute  büßen,  denn  allemal  je  ein  Glied  der 
Familie  muß  lahm  gehen.  ^    Endlich  teilt  die  Ueberlieferung  von 
den  Salgfiränlein  mit  deijenigen  von  den  Busch-  und  Holzweib- 
dien    auch  noch   den  Characterzug,   daß  sie   von   dem  wilden 
Jiger    gejagt  werden,    der    hier   aber    der   wilde  Mann 
keiAt  und  ganz  wie  die  uns  schon  bekannten  wilden  Männer  in 
fliessen  und  in  Granbünden  (die  Fankenmänner)  beschrieben  wird. 
Er  ist  ein  gewaltiger  Mann,  von  weitem  gleicht  er  einer 
Fiehte,   die   ganz  mit  Moos  (Baumbart)  Uberkleidet 
ist     Wenn  er  auf  dem  Wege  eines  Stockes  benötigt, 
80   reißt    er   grade    einen  Baumstamm   aus  ,und  der 
Warzelstock  dient  als  Staggel  unten  dran.    Bei  schö- 
nem Wetter  trägt  er  einen  Mantel,  um  bei  schlechtem  —  wie  er 
sagt  —  tun  zu  können  was  er  wolle. ^    Wer  ihm,  wenn  er  wie 
die  Windsbraut  daherstürmt,  zuruft:  „halt  und  fach  (fange)!  mir 
die  Halba  und  dir  die  Halba!'^  oder  „Jag  toll!   und  bring  mer 
moarga  o  a  Viartl  davon!"  oder  „Wilder  Mann  hual,  nimm  dein 
Toall",  dem  braust  bald  der  Wind  mit  fttrchtcLlichem  Toben  um 
seine  Hütte,  er  vernimmt  ein  herzzerreißendes  Wehgeheul  in  den 
Lüften   und  die  erbetene  Hälfte   eines   seligen  Fräuleins   hängt 


1)  Hammerle  a.a.O.  17,  18.  Alpenburg,  Mythen  S.  8.  10.  Vgl.  auch 
Vernaleken,  Mythen,  Brauche  S. 245,  52. 

2)  Hammerle  a.  a.  0.  21.  Ganz  wie  der  wilde  Mann  focht  auch  Fasolt, 
der  das  wilde  Fräulein  hetzt  ^  im  Eckenliede  mit  Baumästen.  Str.  184. 
..Her  Väsolt  einen  ast  gevie:  den  brach  er  abc  eim  boume  hie,  der  was 
gr<iK  onde  swaere.  der  wart  im  schier  zcrhouwen  gar.  er  greif  nach  einem 
andern  dar:  der  boun  wart  este  lierc.  er  gebarte  rehte  als  er  den  walt 
wolt  loubes  äne  machen:  wan  hörte  deste  mänicvalt  ein  halbe  mile  krachen, 
er  zart  die  boume  dazs  sich  klubcn.**  —  Auch  Fasolts  Sippe  bedient  sich  der- 
selben Waffe.  Str.  240  Uodelgart  ,,ein  boun  si  üz  der  erde  brach,  der  was 
grdz.  Str.  24'!:  des  boumes  este  brach  si  dan,  zehant  lief  si  den  Ber- 
ner  an. 


106  ^pitel  n.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

ihm  am  Türpfosten.  Nur  wenn  sie  sich  auf  einen  im  Fallen  des 
Stammes  schnell  <lurch  12  Axtschläge  mit  drei  Kreuzen  bezeich- 
neten Baumstmnk  setzen  können,  finden  die  Seligen  vor  dem 
wilden  Manne  Schutz,  alles  dieses  den  thttringischen  und  frän- 
kischen Waldweibchen  entsprechend.  Im  Vintschgau  giebt  es 
noch  manchen  Holzknecht,  der  nicht  versäumt  derartige  Slxeiize 
einzuhacken.^  Beziehen  sich  diese  Mythen  deutlich  auf  Baum- 
genien,  so  weisen  andere  auf  einen  Zusammenhang  mit  der  nie- 
deren Pflanzenwelt  der  Hochalpentäler  hin.  Unter  den  Saligen 
begegnen  jene  von  Fanggen  und  Fäuken  uns  bekannten  Namen 
Stutzamntza  u.  s.  w. ,  in  der  Hinterdux  jedoch  nennt  man  die  im 
Innern  des  Duxer  Femers  hausenden  Fräulein  „Talgilgen^^ 
d.  h.  Maiblumen  (Lilien  des  Tales).  Sollte  das  nur  ihre  Mhlings- 
frische  Schönheit  ausdrücken?  Im  Kanton  Glarus  heiBt  so  ein 
Bergfräulein  bei  Schwanden  Wldewibli  (Weidenweiblein),  ein 
anderes  bei  Engl  Pulsterewibli  (Huflattichweiblem).*  Im 
Kanton  St.  Gallen  ruft  man  den  Kindern,  um  sie  vom  Pflücken 
der  unreiien  Haselnüsse  abzuhalten,  zu:  „'s  Haselnuß  fr  äuli 
chumt.'^  Das  Letztere  ist  wol  eine  Personification  engerer  Ai% 
als  die  vorhergehenden.  Und  wenn  in  Montavon  eine  Art  Bal- 
drian (Valeriana  celtica)  Wildfräulekrut  heißt, ^  so  hängt  das 
deutlich  damit  zusammen,  daß  die  wilden  Frauen  auch  als  heil- 
kundig gedacht  wurden,  wie  die  Harzer  Moosweiblein  und  ober- 
pfälzischen Holzfräulein  (S.  81.  1)7).  Schon  ein  altes  Zeugnift 
dattlr  besitzen  wir  im  Gudrunepos  (Str.  529);  Wate  hat  von  einem 
„wilden  wibe"  die  Heilkunst  gelernt  und  heilt  mit  guten  Wur- 
zeln die  Wunden  auf  dem  Schlachtfelde.*  Auch  im  Ecken  liet 
gräbt  das  von  Fasolt  gejagte  „wilde  vrouwelin"   eine   Wurzel, 


1)  Alpenburi?,  Mythen  S- 5.  24.  29.  31.  Zingerle  24,  30,  78  —  80, 
121  —  127.  Alpenburg,  Alpens.  330,356.  287,  3u3.  288,301.  Hammerle 
a.  a.  Ü.    Schneller ,  Märchen  und  Sagen  aus  Wälachtyrol  S.  209  ff. 

2)  Alpenburg,  Mythen  u.  Sagen  33,  11.  Vernaleken,  Alpens.  224,  154. 
Hier  darf  wohl  die  walachische  Waldfrau  Muma  padura  (Waldmutter)  ver- 
glichen werden,  welche  in  Gestalt  eines  alten  Mütterchens  verirrten  Kindern 
beisteht,  aber  wie  es  scheint  auch  in  Gestalt  einer  Pflanze  erscheint.  Denn 
der  Waldmeister  (asperula  odorata)  hcilJt  ebenfalls  muma  padura.  Vgl. 
Schott,  Walach.  Märchen.    Stuttg.  u.  Tübing.   1845,  S.  297. 

3)  Vonbun,  Beitr.  131.  Vgl.  o.  S.  62.    Valeriana  vertreibt  Krankheitselbe. 

4)  Si  beten  in  langer  zite  da  vor  wol  vemomen,  da?  Wate  arzät  waere 
von  einem  wilden  wibe.     Als  ein  Bauer  in  Seefeld  (Tirol)  das  Wichteli,  das 


WUdlente  in  Tirol:  Seüge  Fr&nlein.  107 

zeneibt  sie  in  der  Hand  und  bestreicht  damit  den  wnnden  Diet- 
rkh  von  Bern  und  sein  Roß,   davon  das  Weh  verschwand  and 
alle  Müdigkeit  wich  ^    Nach  den  ttber  die  mitteldeutschen  Holz- 
frSolein  gepflogenen  Erörterungen  darf*  jedoch  das  Folgende  wol 
wieder  auf  eine  unmittelbare  Beziehung  der  Saligen  zur  Vege- 
tation gedeutet  werden.    Wenn  Alpenburg  recht  berichtet  ist,  so 
flberwandeln  die  .Seligen  zur  Zeit   der  Flachsbltite  unter 
Anf&hnuDig  ihrer  Königin  Hulda  die  Flachsfelder ,  richten  geknickte 
Stengel   auf  und   segnen  Kraut  und   Blüten.*     Der  Flachsbau, 
Spinnen  und"  Weben  ist  der  Gegenstand  ihrer  besonderen  Fttr- 
EorgeJ    Yorzfiglich  aber  wenn  der  Flachs  gejätet,   das  Gras 
der  Wiese  gemäht,  das  Korn  des  Feldes  geschnitten 
wird,  stellen  die  Seligen  oder  wilden  Frauen  sich  ein,  helfen 
heuen    oder  Aehren  schneiden,    oder   eilen   vom  wilden  Mann 
geja^  vorüber.^    Den  Mähdem  auf  den  Bergwiesen  stehlen  sie 
gerne   die  Küchlein   und  Krapfen  vom  Kohlenfeuer  und  wenn 
das    Heu   im  Winter    mit   Schlitten  von    den   Alpen 
geholt  wird,  hockt  ihrer  wohl  ein  ganzes  Dutzend  hintenaul' 
imd  fährt  mit,^  auch  ruhen  sie  gern  in  Heuschupfen. ^    In  Mar- 
lell   werden  den  Arbeitem  auf  den  Bergwiesen  immer  die  soge- 
nannten „ Mahdküchel''  mitgegeben,  angeblich  itir  einen  zufäl- 
ligen Besuch  der  weißen  Fräulein.    Auch  erscheint  jeder  Arbeiter 
beim  Mahle  in  Feiertagskleidem ,  was  wie  das  späte  Mittagsessen 
sonst  nicht  gebräuchlich  ist.    Alles  dies  geschieht,  wie  die  Leute 
sagen ,   „  der  Fräulein  wegen." '     So   wol  die  Mitarl)eit  bei  der 
Ernte,   als  das  Brod-   oder  Kuchenstehlen  sind  uns  bereits  wol- 
bekannte  Züge  (ob.  S.  75).     Sollte  das  Schlafen  im  Heuschober 


ihm  beim  Strearechen  and  anderen  Arbeiten  za  hellen  pflegte,  fing  nnd 
band,  warf  es  ihm  seine  Undankbarkeit  vor  und  sprach:  Ich  würde  dir  Kräu- 
ter für  Menschen  and  Vieh  heilsam  gezeigt  haben  und  du  wärest  ein  groller 
Arzt  geworden.    Panzer  II,  100,  151. 

1)  Ecken  liet  Str.  174  —  76.     Zupitza. 

2)  Alpenburg,  Mythen  3.     Hammerle,  Neue  Erinnerungen  a.  d.  Bergen 
Tirols.    Innsbruck  1854:,  S.  14. 

3)  Hammerle  a.  a.  0.  S.  8.  14  —  15.  19.    Alpenburg  a.  a.  0.  32,  10. 

4)  Alpenburg,    Mythen  3.  5.  31.     Panzer  I,    12.     Alpenburg,  Alpen- 
sagen  312,  330.  287,  303.  288,  304.    Ziugerle,  79,  125.  79,  123. 

5)  Zingerle  33 .  43. 

Ü)  Alpenburg,  Alpens.  313,  330. 

7)  Zingerle ,  Sitten.    Auü.  2.  167,  1394. 


108  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

und  das  unsichtbare  Mitfahren  mit  dem  von  der  Alpe  heimge- 
führten Heu  eine  Erinnerung  daran  enthalten,  daB  die  Fräulein 
als  Vegetationsdämonen  an  das  Gras  mehr  oder  minder  gebun- 
den seien  y  oder  liegt  diesen  Erzählungen  ein  rein  menschliches 
Motiv  zu  Grunde  ?  Zur  Vervollständigung  der  Wildfräuleinmythen 
sei  noch  dieses  angeführt,  daß  sie  (resp.  die  Seligen)  Wöch- 
nerinnen, die  nicht  aufgesegnet  sind,  mit  sicli  neh- 
men;^ daB  sie  Kinder  rauben,  die  später  (grfingekleidet) 
in  ihrer  Gesellschaft  gesehen  werden.*  Diese  Eigenschaft  teilen 
sie  mit  der  mehr  riesenhaften  wilden  Frau,  der  Fangg.  Eine 
solche,  die  des  wilden  Mannes  Gefährtin  ist,  heißt  in  Passeier 
Langtüttin,  von  ihren  langen  Brüsten,  die  sie  den 
Kindern,  ihnen  nachlaufend,  darbietet.  Aus  der  einen 
fließt  Milch,  Eiter  aus  der  anderen  (vgl.  ob.  S.  88). ^ 

§.  8.  Wildleute :  die  rauhe  Else  der  Wolfdietrichssage. 
Wir  bemerkten  (ob.  S.  100),  daß  die  wilden  Frauen  in  baierischer 
Ueberlieferung  noch  eine  rohere  und  ursprünglichere  Gestalt 
bewahrten,  als  die  Tiroler  Salgfräulein.  Ein  in  Baiem  um  1221 
verfaßtes  Stück  spielmännischer  Poesie,  das  zweite  Lied  hn  Wolf- 
dietrich B.  gewährt  in  der  Episode  von  «der  rauhen  Else  die  Ver- 
flechtung einer  Wildi'rauensage  in  einer  dem  Zeitgeschmack  hul- 
digenden Umdichtung,  jedoch  mit  Bewahrung  mancher  noch  sehr 
altertümlicher  Züge,  in  das  Epos.  Wolfdietrich  wacht  auf  einem 
grünen  Auger  im  Walde  beim  Feuer,  indeß  seine  Gefährten 
schlafen.  Da  kriecht  auf  allen  Vieren,  wie  ein  Bär,  ein  unge- 
schlachtes behaartes  Waldweib,  die  rauhe  Else  herbei  und 
fordert  ihn  auf  sie  zu  minnen.  Da  er  sie  entrüstet  zurückweist, 
verzaubert  sie  ihn,  so  daß  er  in  derselben  Nacht  zwölf 
Meilen  läuft,  bis  er  unter  einem  schönen  Baume  die  rauhe 
Else  abermals  trifft.  Sie  wiederholt  die  Frage:  „wilt  du  mich 
minnen?"  er  die  Weigerung.  Da  wirft  sie  zornig  einen  stärkeren 
Zauber  auf  den  Mann,  so  daß  er  schlaftrunken  auf  den  grünen 
Plan  niedersinkt  und  sie  ihm  zwei  Haarlocken  vom  Kopfe  und 
die  Nagclspitzen  von  den  Fingern  schneiden  kann.  Jetzt  ist  er 
ihr  verfallen.    Sie  macht  ihn  zu  einem  Toren ,  so  daß  er  ein  hal- 


1)  Zingerle  27,  34. 

2)  Panzer  I,  12.    Zingerle  32,  42. 

3)  Zingerle  80,127.  öl,  128. 


Wildleute:  die  rauhe  Else  dor  Wolfdietrichssa^.  109 

bes  Jahr  olme  Besinnung  im  Walde  ^^wild  laufen^'  muß  and 
Kräater  von  der  Erde  als  Speise  anfraift.    Endlich  gebietet  Gott 
dem  Weibe  durch  einen  Engel  die  Verzauberung  rückgängig  zu 
machen^  widrigenfalls  ihr  der  Donner  in  dreien  Tagen 
das  Leben  nehmen  werde  (oder  dir  nimt  der  donre  in  drin 
tagen  dinen  lip).    Alsbald  stellt  sie  sich  Wolfdietrichen  wiederum 
dar  und  jetzt  willigt  er  ein,  sobald  sie  getauft  sein  werde.    8ie 
fährt    ihn  zu  Schiffe  über  Meer  in  ein  Land,   drin  sie  als  Köni- 
gin schaltet  (Troja)^  läßt  sich  da  in  einem  Jungbrunnen  taufen, 
legt  in  demselben  ihre  rauhe  Haut  ab  und  steigt  mit  dem  neuen 
Kamen  Sigeminne  aus  demselben  als   die  schönste  aller  Weiber 
hervor.^    Nach  dem  Dichter  zog  sie  schon  drei  Jahre  dem  Hel- 
den   nach,   den  sie  zum  Manne  wollte,  ihr  neuer  Imperativisch 
gebildeter  Name  soll   daher  den  Triumpf  der  Liebe  ausdrücken 
■nd  ist  nicht  mit  J.  Grimm  Myth.^   405  mit  waltminne  (lamia) 
merminne  (sirena)  zusammenzustellen. 

Unverkennbar  sind  die  Spurren  mehrerer  Wandlungen ,  welche 
die  Erzählung  durchgemacht  hat,  ehe  sie  in  die  Hände  des  letz- 
ten Bearbeiters  geriet     Königswttrde,  Rönigssitz  in  Troja,  Be- 
werkstelligung  des   Zaubers   durch    ein    äußeres   Mittel   (Ueber- 
werfen),  Namengebung  sowie  eine  spätere  Entführung  der  Sige- 
minne durch  einen  Zwergkönig  *  mögen  Erfindungen  des  Dichters 
von  Wolfdietrich  B.  sein,  einer  früheren  Bearbeitung  gehört  das 
Bad  im  Jungbrunnen  an,  doch  auch  dies  ist  kein  ursprunglicher 
Bestandteil    der   Sage,    welche    unzweifelhaft    nur   dies 
wußte,  daß  die  anfangs  in  rauher,  behaarter  Gestalt 
auftretende  Jungfrau   dem   Helden   endlich   in  lieb- 
reizender Schönheit  nahte,  falls  nicht  dies  den  ursprtlng- 
lichen  Schluß  der  Erzählung  bildete,  daß  Gott  dem  Wald weibe,  in 
dessen  Gewalt  der  Held  geraten  war,  befahl  denselben  loszulassen. 
In  der  Drohung  mit  dem  Donner  bricht,  wie  J.  Grimm  (Namen  des 
Donners  322  KJ.  Sehr.  H,  425)  mit  Recht  bemerkte,  ein  alter  Sa- 
genrug  durch;  der  erste  Urheber  der  Episode  wußte  noch,  daß  die 
Waidfrauen,   deren  eine  seine  Verse  verherrlichten,  dem  Volks- 
glauben nach  gewöhnlich  von  dem  Gewitter  verfolgt  wer- 


1)  Wolfdictrich,  B.   Str.  305  —  342.  Jänicke.    Heldenbuch   LII,   Berlin 
\^'i\.   S.  213 — 218.    Vgl.  des  Herausgebers  Einleitung. 

2)  Vgl.  Wolfdietrich,  B.  Str.  388  —  455.    Heldenbuch  a.  a.  O.L;  LXni. 


110  Kapitel  ü.    Die  Waldmeister  und  ihre  Sippe: 

den  (vgl.  den  estnischen  Banmelf  ob.  S.  68)  wie  die  Seligen  vom 
Stunnriesen.  Weicht  schon  dieser  Zug  von  den  bisher  ange- 
führten deutschen  Sagenformen  ab,  so  noch  mehr,  daß  das  Wald- 
weib den  Kitter  irre  laufen  läßt  (vgl.  ob.  S.  61  die  Sage  vom 
Apfelbaum  bei  Falsterbro)  und  daß  dasselbe  von  seiner  Seite 
die  geschlechtliche  Verbindung  mit  Menschen  sucht 
Die  Vergleichung  der  schwedischen  Skogsnuf^ar  wird  uns  jedoch 
Zug  f\lr  Zug  gewiß  machen,  daß  wir  es  in  diesen  aus  der  dich- 
terischen Verarbeitung  herausgeschälten  Volksanschauungen  mit 
einer  uralten  in  Deutschland  seit  Jahrhunderten  verschollenen 
Form  der  Ueberlieferung  zu  tun  haben. 

§.  9.  Wilde  Leute:  Norggen.  Wie  in  Graubünden  mid 
Vorarlberg  die  riesigen  Fänkenmänner  in  die  zwerghaften  Feng^ 
gen  übergehen,  kennt  der  Tiroler  Volksglaube  neben  dem  unge- 
heuren wilden  Mann,  der  die  Seligen  verfolgt,  ein  harmloses 
„Wildmännl."  Diese  „wilden  Männlein''  führen  häufig 
den  wälschen  Namen  der  Norgen^  (Nörglein,  Orgen,  Orken,  oder 
Lorgen  d.  i.  ital.  il  orco,  franz.  ogre,  Fem.  it.  orca  fr.  ogresse 
aus  lat  Orcus,  in  orco,  ein  Name,  der  nach  der  Predigt  des 
h.  Eligius  (myth.^  XXX)  schon  im  7.  Jahrhundert  unter  den 
Romanen  des  Frankenlandes  ein  Wesen  des  Volksglaubens 
,  bezeichnete  und  dem  Begriffe  nach,  wol  dem  griechischen 
^€og  xx^oviogy  dem  deutschen  „Unnererdschen"  Zwerg  u.  s.  w.  ent- 
sprechen wird.  Es  ist  aber  fast  nur  der  Name  von  den  Wäl- 
dchen entlehnt,  denn  der  Orco  der  Ladiner,  ein  tückischer  Bei^- 
geist,  der  den  Menschen  schlimm  mitspielt,  und  sich  in  alle 
Gestalten  wandeln  kann ,  wird  in  vielen  und  wesentlichen  Stücken 
verschieden  von  dem  Ork  und  Nörkele  der  Deutschtiroler  geschil- 
dert.^ Letzterer  ist  halb  Zwerg,  halb  Kobold  und  zeigt  sich  als 
solcher  gern  von  der  neckischen  Seite.  Die  Norgen  sollen  vom 
Himmel  gestürzte  Engel  sein,  welche  im  Fall  an  Bergen  und 
Bäumen  hangen  blieben  und  noch  jetzt  in  hohlen  Bäumen  und 
andern  Löchern  und  Berghöhlen  wohnen.^    Sie  hüten  dem  Bauer 


1)  Nach  den  Norken  haben  einzelne  Felsspitzen  den  Namen  z.  B.  zwi- 
schen dem  Matscher  und  Planailtale.  Chr.  Schneller  vermutet  (Ausland  1871 
N.  41,  S.  %4,  daß  auch  der  Ortles  eine  cima  d'orcles  Nörkelnspitze  sei,  da 
im  Grodnerischen  tl  aus  cl  entsteht. 

2)  S.  Alpenhurg,  Mythen  S.  71—74. 

3)  Zingerle  39,  51. 


Wilde  Leute:  Norggen.  111 

juf  der  Alp  oder  im  Stalle  das  Vieh,  spielen  den  Mägden  man- 
dien  Possen,  gehen  davon,  sobald  man  sie  mit  neuem  Gewände 
beechenkt,  stehlen  Kinder,  hocken  dem  Wanderer  auf  un^ 
machen  sidi  so  furchtbar  schwer,  daß  mancher  der  Last  erlag,  oder 
Krankheit  davon  trug.    Ihre  Töchter,  die  beim  Bauer  dienen,  wei^ 
den  auf  die  schon  bekannte  Art  durch  Ansage ,  daß  der  Vater  todt 
sei,  heim  berufen  (vgl.  ob. 8. 90). ^  Sie  tragen  sich  gern  in  Grttn,  in 
Bergmoos',  grflne  Jacke  und  grüne  Hosen' oder  grttne  Strümpfe 
gekleidet^    Sie  sind  also,  abgesehen  davon,  daß  bei  ihnen,  etwa 
von  ihrem  ladinischen  Namensvater  dem  Orco  her,  die  schalkhaile 
Seite  des  Koboldcharacters  mehr  herausgebildet  ist,  den  Fenggen 
Graubündens  ganz   gleich.     Oft   erwähnt   von    diesen   wilden 
Man  nein  oder  Nörgeln  ist  der  folgende  Zug,  der  übrigens  auch 
Ton   den  Seligen  berichtet   wird.^    Bei    herannahendem  Regen- 
wetter läßt  sich  das  Nörgl  jauchzend  auf  einer  Anhöhe  sehen 
and  dient^als  Wetterprophet.    Im  Frühling,  oder  Spätherbst,  zur 
Zeit   der  Aussaat    erscheint   dem  Bauer  das   befreundete  wilde 
Häanlein  und  bezeichnet  ihm  die  Zeit,  wann  er  das  Feld  bebauen 
solle.     Entweder  giebt  es    durch   sein   persönliches   Erscheinen 
dieses  Zeichen  oder  indem  es  einen  Püug,  oder  eine  Egge  auf 
den  Acker  stellt^    Aelter  wol  und  ursprünglicher  ist  die  erstere 
Angabe.    In  Navis  erschien  immer  zur  Zeit  der  Aus- 
saat ein   wildes  Männlein   und  die   Bauern  konnten 
darauf  rechnen,  daß  sie,  sobald  es  sich  zeigte,  aus- 
säen  und  eine  gute  Ernte  hoffen  durften.     Auf  den  Vol- 
dererberg  kam  alle  Frühjahr  ein  Mannl.    Niemand  wußte 
wie  es   hieß  oder  woher  es  kam;  und  doch  stand  es  mit 
den  Bauern  auf  bestem  Fuß,  gab  ihnen  manchen  Hat  und  bestimmte 
genau  die  Tage,   an   denen  sie  diese  oder  jene  Arbeit  bestellen 
sollten.    So  lange   der  Bauer  dem  Winke  des  wilden  Männleins 


1)  Zingerle  38,  49. 

2)  Zingerle  52,  79. 

3)  Zingerle  53,  80, 

4)  Alpenburg,  Mythen  119,  33. 

5)  Zingerle  28,  35:  Die  Jnngfranen  von  der  Lecklabne  gaben  dem 
liochersbanem  gute  Rate,  sie  sagten  ihm,  wann  er  säen  und  ernten  solle. 
Vgl.  ob.  S.  98,  daA  der  riesige  wilde  Mann  den  Leuten  die  Witterung  vor- 
Musagt 

6)  Zingerle  S.  45,  G2.  46,  64.  47,  (>5.  47,  66.    Alpenburg,  Myth.  1 15, 2a 


112  Kapitel  ü.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe : 

(Norgleins)  folgt,  erfreut  er  sich  jedesmal  einer  reichen  Ernte. 
Was  er  einstmals  aber,  da  der  Norg  oder  s^in  Zeichen  lange 
ausbleibt,  auf  eigene  Hand  aussät,  oder  einheimst,  kommt  hinter- 
her noch  ein  Unwetter,  das  die  ganze  Ernte  vernichtet  Der 
wilde  Mann  verschwindet  flir  immer  mit  den  Worten:  „hättet  ihr 
mich  viel  gefragt,  hätte  ich  euch  viel  gesagt."^ 

§.  10.  Wilde  Leute:  Bilmon,  Salvadegh^  Salvanel  in 
WBlsch- Tirol.  In  Wälschtirol  zumal  um  Folgareit  sprechen  die 
Deutschen  vom  wilden  mon,  Bilmon  oder  Bedelmon  (wilden 
mann),  der  in  Höhlen 'wohnt  als  wilder  Jäger  zur  Zeit  des 
Heumähens  jagt  und,  wenn  man  von  ihm  einen  Jagdanteil  ver- 
langt, einen  halben  Menscheuleib  an  die  Haustüre  wirft'  Er 
lehrt  Holzschläger  die  Kunst  Käse  zu  machen,  als  man  ihn  einst 
berauscht  und  so  gefangen  hat.^  Wäre  er  nicht  zu  frOhe 
entkommen,  so  hätte  er  noch  manche  schöne  Dinge  gelehrt» 
besonders  aus  Milch  Wachs  zu  machen.  Das  von  ilyn  gejagte 
Weib  heiratet  einen  Menschen,  der  sie  rettet,  verläßt  denselben, 
weil  er  ihr  mit  der  linken  statt  der  rechten  Hand  den  SchweiB 
getrocknet  hat,  kehrt  aber  zurück,  um  ihre  Kinder  zu  waschen 
und  zu  kämmen  (vgl.  o.  S.  104);*  oder  sie  eilt  davon,  weil  ihr 
Mann  mit  seinem  Wagen  durch  den  Wald  fahrend  plötzlich  eine 
Stimme  hört:  „Sag  der  Mao,  daß  Mamao  gestorben  ist^.^ 
Die  Frauen  der  wilden  Männer,  die  wilden  Weiber  heißen  in 
Folgareit  und  Trambileno  zuweilen  Frauberte,  sie  führen  den 
Wanderer  gerne  in  den  Wäldern  irre,  indem  sie  plötzlich 
Stücke  Leinwand  durch  den  Wald  spinnen  und  ihm  den 
Weg  sperren  (Nebel).  Dieser  wilde  Mann  wird  von  den  Ladi- 
nem  in  den  nämlichen  Tälern  von  Folgareit  und  Trambileno 
Tom  salvadegh  (=  franz.  l'homme  sauvage  aus  salvage,  lat. 
homo  sUvaticus)  genannt.    Die  entsprechende  weibliche  Form  läBt 


1)  Zingerle  46,  64.  47,  65.    Alpcnburg,  Mythen  115,  28. 

2)  SchneUer,  Märchen  und  Sagen  209,  1.  2.  211,  6.  212,  8. 

3)  A.  a.  0.  200,  2.  210,  3. 

4)  A.  a.  0.  211,  6.  210,  5. 

5)  A.  a.  0.  210,  4.  212.  7.  Hier  noch  der  Zug,  daß  sie  dem  Bauer  die 
Zeit  des  Pflügens ,  Säcns ,  Mähens  und  Behenauf  hindens  ansagt.  Jene  Namen 
Mao,  Mamao,  Nachahmung  des  Katzengeschreis  weisen  darauf  hin,  daß  man 
sich  diese  Wesen  als  zuweilen  katzengestaltig,  wie  die  Fangen  oben 
S.  89  als  Wildkatzen  gedacht  hat. 


Wnde  Leute:  Bilmon,  Salvadegh,  Siilvanel  in  Wälsch  -  Tirol.        113 

sich   bereits  im  10.  Jahrhundert  ans  des  Burchard  von  Worms 
Decretensammlong  p.  lOS**  (myth.*  XXXVIII.)  erweisen:  Crcdi- 
disti  qood  quidam  credere  solent,  quodsint  agrestes  feminae, 
qaas     silvaticas    vocant,    quas    dicunt  esse   corporeas   et 
qiumdo  Yoluerint  ostendant  se  suis  amatoribus  et  cum 
eis  diennt  se  oblectasse  et  item  qnando  voluerint  abscondant 
86   et  evanescant^'    Deutlich  ist  ^^agrestis  femina^'  Uebersetzung 
des  deutschen  Ausdrucks  ^^wilde  Frau'^  (Vgl.  weiter  unten  die 
Sagen  von  der  schwedischen  SkogsnufVa  und  o.  S.  1 08  die  rauhe 
Else.)    In  Valsugana  um  Borgo  heißt  der  Salvadegh  Salvanel. 
Man  erzählt  hier  von  ihm  ebenfalls,   daß  er  mitten  in  Wäldern 
Höhlen  bewohnt,  den  Hirten  die  Milch  stiehlt  und,  als  man  ihn 
einst  durch  2  mit  Wein  gefüllte  Milchgefäße  fängt 
uA  bindet,  die  Bereitung  von  Butter,  Käse  und  Lab  lehrt.    Er 
lubt  kleine  Kinder,  besonders  Mädchen.    Wenn  ein  Baum  absteht 
md  auf  einer  Seite  des  Stammes  an  einer  schon  von  der  Fäul- 
mß  ergriffenen  Stelle  ein  Wässeriger  Saft  abfließt,  so  sagen  im 
Irischen  Etschlande   die   Bauern,   er   habe   den   Salvanel.^ 
Salvanel  entspräche  latein.  Silvanellus,  d.  h.  doppeltem  Diminutiv 
von  Süvanus.    In  Fassa  Enneberg  und  der  Gegend  des  Kreuz- 
kofels führen  die  wilden  Männer  den  Namen  Salvangs  (Sing.  Sal- 
vang  Plur.  Salvegn)  =  lat.  Silvani,  Silvanii.    Sie  waren  stark, 
haarig  und  hatten  lange  Nägel  an  den  behaarten  Fingern.  Man 
ftrehtete   sich    vor   ihnen,   weil   sie  gerne   Kinder   abtauschten. 
Deshalb    trifft  man   noch  jetzt   an    alten   Häusern    der   dortigen 
Gegend  nur  kleine   runde  Fenster,   die   sich   bequem   mit  einem 
Schubladen  schließen   lassen.^    Die  wilden  Weiber  der  Salvegn 
heißen  in  Fassa  Bregostane,  in  Enneberg  Cannes  ^  (über  Fangga 
8.  0.  S.  99). 

Noch  wilder,  den  Fanggen  Deutschtirols  ähnlich,  denkt  sich 
das  Volk  um  Mantua  die  gente  salvatica,  Geister  luüh  Mmschj 
halb  Tier  mit  einem  Schwänze  hinten y  welche  Menschen  mit  sich 
in  den  Wald  tragen  und  auffressen.  Ein  ins  Saatfeld  gesteckter 
Popanz  aus  alten  Lumpen,   von  dem   man  den  Kindern  sagt  er 


1)  Schneller  a.  a.  0.  213,  IV. 

2)  L.  y.  Hörmann ,  Mytholog.  Beiträge  a.  Wälscbtirol ,   Innsbruck  1870. 
S.3ff. 

3)  Staffier,  Tirol  II.  S.  294.  L.  v.  Hörmann  a.  a.  0.   S.  3.  7. 

Mannhardt.  8 


a 
r. 


114  Kapitel  IL    Die  Waldgeistor  und  ihre  Sippe: 

werde  sie  forttragen,  wird  ebendaselbst  als  Salbanello  bezeich- 
net^ Niemand  wird  sich  hier  dem  Zugeständniß  entziehen  können, 
daß  in  allmählichen  Uebergängen  ein  grader  Weg  von  den  Bamn- 
genien  nnd  mitteldeutschen  Waldlenten  uns  bis  an  den  römischen 
Silvanns  nnd  Pannus  herangef&hrt  hat.  Wir  werden  davon 
Act  nehmen  dürfen,  um  uns  dieses  Zugeständnisses  an  einem 
andern  Orte  zu  erinnern,  wenn  wir  von  ganz  anderer  Seite  den 
nämlichen  Endpunkt  erreicht  haben  werden. 

§.11.    Wilde  Leute:  Pilosns,  Schrat,  SchrStlein.    Fflrs 

erste  liegt  uns  jedoch  die  Pflicht  ob  die  Bedeutung  noch  eines 
andern  sehr  scheinbaren  Zeugnisses  fUr  die  Uebereinstimmnng 
unserer  Waldgeister  mit  den  Panen  und  Satyrn  auf  ihren  wahren 
Wert  hinabzustimmen.  Wir  sahen ,  daß  die  Moosleute  und  wilden 
Männer  als  am  ganzen  Leibe  behaart  geschildert  werden.  Bei 
romanischen,  deutschen  und  slavischen  Si^hriftstellem  des  M.  A^ 
namentlich  Glossatoren  ist  die  Rede  von  geisterhaften  Wesen 
„Pilosi,  qui  graece  panitae,  latine  incubi  appellantur'^  von  denen 
dann  verschiedene  den  Hausgeistern ,  Kobolden  und  Zwergen  zu- 
kommende Geschichten  erzählt  werden.^  Daraus  darf  aber  keines- 
weges  etwa  ein  Zeugniß  entnommen  werden,  daß  die  Erzähler 
dieser  Sagen  die  betreffenden  Hausgeister  u.  s.  w.,  denen  sie 
den  Namen  Pilosi ,  satyri  u.  s.  w.  beilegen ,  als  den  Faunen  oder 
Panen  in  Gestalt  oder  Verrichtungen  genauer  entsprechend  bezeich- 
nen wollen.  Vielmehr  drückt  dieser  Name  für  sie  nur  den  all- 
gemeinen Begriff  daijuovinv  aus,  im  Anschluß  an  Jesaias  13,  21 
in  der  Vulgatattbersetzung.  Letztere  Stelle  liegt  allen  den  erwähn- 
ten Glossen  zu  Grunde,  oder  schwebt  den  meist  kirchlichen 
Schriftstellern  vor.  Deutlich  aber  läßt  sich  an  einem  einheimi- 
schen Namen,  der  zuweilen  zur  Verdeutschung  von  pilosus  gebraucht 
wird,  der  schon  oft  beobachtete  Uebergang  vom  Waldgeist  in 
den  Hüter  und  Schützer  des  Hauses  aufs  neue  beobachten. 
Althochd.  Glossen  Myth.^  447  gewährten  scratun,  pilosi;  walt- 
schrate   satyrus'  auch  mhd.  begegnet  „ein  wilder  walt- 


1)  mündlich. 

2)  Grimm,  Myth.«  447.  449.  Grimm,  Irische  Elfenmärchen  CIX  —  CXIV. 

3)  Nach  nnserer  vorstehenden  Bemerkung  war  Grimm  Myth.*  448  also 
durch  diese  Glosse  noch  nicht  herechtigt  zn  der  sachlich  vielleicht  dennoch 
zutreffenden  Schilderung:  Schrat  ein  ,, wilder  zottiger''  Waldgeist. 


Wildlente:  Delle  Vivanc,  En^nane.  115 

schraf    Nach  Konunann  mons  Veneria  1644  p.  161   wurde 
der    rOtliehe  Saft,    den  die  Schmetterlinge   an   die 
Blame  ansetzen,  für  das  Blut  der  vom  Teufel  yer- 
folgten   und  verwundeten  Schretlein  gehalten.    Man 
glaubte,  daB  sie  jene  Blutspuren  zurücklassen,  wenn 
sie,   um  vor  dem  Bösen  sich  zu  retten,  in  das  Innere 
der  Blame  hineinschlttpfen.     Die  Schrate  oder  Schretel, 
Sdiretlein  n.  s.  w.  stellten  sich  also  unsem  vom  wilden  Jäger 
gejagten  Mooslenten  und  den  estnischen  vom  Donner  verfolgten 
Bamnelfen  (s.  o.  S.  68)  nahe  zur  Seite.    Zu  bemerken  ist  iJ)er, 
dai  in  Niederbaiem  Schratl  den  Wirbelwind  bezeich- 
let*     Schon  von  alter  Zeit  her  wird  den  Schraten  gleichzeitig 
wA  die  Bolle  von  Hausgeistern  und  Kobolden  zuerteilt   Vgl. 
äbretlili  penates.  Vocab.  v.  1482  srate  lares  mali.  Sumerl.  10,  66. 
Jedes  Hans   hat    ein  Schrezlein;   wer  es    hegt,   dem  giebt    es 
6«t  mid  Ehre  u.  s.  w.  Michel  Beham  8,  9 ;  screti  penates  intimi 
et  leeretales.    Wacehrad  mater  verhör.   Namentlich  ist  der  Skrat 
bei  den  Inselschweden  und  ebenso  durch  Entlehnuhg  von  diesen 
ii  der  Form  Erat  bei  den  Esten  ein  Hausgeist  oder  Kobold,  der 
aodi    mit    dem   fliegenden   Drachen   identifiziert  wird)  welcher 
seinem  Besitzer  Getreide  und  andere  Dinge  durch  die  Luft  zuträgt.  ^ 
Ob  in  Eekehards  Waltharius  die  flir  den  in  langer  Waldwande- 
rmg  an  Aussehen  verwilderten  Helden  gebrauchte  Vergleichung 
„sahibns  assuetus  Faunus^',  „Silvanus  Faunus'^  jenes   deutsche 
Waltschrate   übersetzt,   wie  Grimm   meint,    mag   dahin   gestellt 
bleiben.    Der  Schrat  wird  gewöhnlich  zwerghaft,  in  Kindesgröße 
gedacht;  aber  das  Beispiel  des  Tiroler  wilden  Mannes  lehrt,  daB 
daneben  sehr  wohl  eine  riesige  Gestaltung  desselben  Wesens  her- 
liufen  konnte      Wir  sahen   die  gente  salvaticä  vorhin  in   Tier- 
gestalt flbei^ehen ;  schon  früher  begegnete  uns  ein  dem  Salgfräu- 
1cm  entsprechendes  weibliches  Wesen,  eine  Diale  mit  Ziegen- 
fftßen  (o.  S.  95). 

§.  12.  Wildleate:  Delle  Vlvane,  Engnane.  Im  Grödener 
Tale  heißen  die  Seligen  Belle  Vivane,  in  Fassa  Delle  Vivane. 
^e  solche  hockte  jedesmal  einem  Bauer  auf  den  Wagen,  wenn 
er  Holz  von  der  Alpe  nach  Hause  flihrte,  und  fahr  bis  zu  einer 


1)  P&Mer,  Beitr.  II,  209. 

2)  ßnEwnrm,  Eibofolke  §.  373  ff. 

8 


IIG  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sip|»e: 

gewissen  Brücke  mit.  Dem  Rate  einer  klugen  Alten  folgend 
wußte  der  Bauer  sie  zu  fangen  und  zu  bestimmen ,  sein  Weib  so 
werden.  Sie  willigte  ein,  wenn  er  sie  nie  Geiß  nennen 
wolle.  Als  er  dies  nach  Jahren  in  der  Leidenschaft  eines 
Wortwechsels  dennoch  tat,  tanzte  plötzlich  alles  im  Zim- 
mer, es  entstand  in  dessen  Mitte  ein  Staubwirbel  und 
darin  verschwand  sie.^  Im  Nonsberg  und  Valsugana  in 
Wälseh- Tirol  heißen  die  Seligen  Angane  (Enguane,  Egauie); 
von  ihnen  werden  die  bekannten  Wildfrauensagen  erzählt ,  ihr 
Verfolger  aber  ist  ein  wilder  Jäger  Namens  Beatrik,  der  sa 
Roß  und  mit  vielen  kleinen  Hündchen,  besonders  zu  Weihnachten 
dahersttlrmt.  Wir  nennen  ihn  hier  besonders,  um  zu  erwähnen^' 
daß  er  einst  einem  Hirten  befiehlt  einen  Bock  von  der  Spitie 
eines  Httgels  zu  holen,  zu  schlachten,  zu  kochen  and  ' 
dann  mit  zu  essen.  Nach  dem  Essen  warf  der  Beatrik 
die  abgezogene  Haut  des  Bockes  auf  die  wohl  aafge^ 
hobenen  Beine,  da  war  der  Bock  lebendig  und  ging 
zur  Ttlr«  hinaus,  aber  er  hinkte  ein  wenig,  weil  der 
Hirte  ein  Beinchen  vom  Fuße  verschluckt  hatte.'  Es  \i 
ist  dieselbe  Mythe,  welche  in  der  jungem  Edda  vom  Glewitter^ 
gotte  Thorr,  in  Oberdeutschland  von  der  Wiederbelebung  eines 
Hasen,  einer  Gemse,  einer  Kuh  durch  das  wilde  Heer  (Nach^ 
volk)  Zwerge,  wilde  Frauen  oder  Hexen,  in  den  Niederlanden 
und  England  von  Erneuerung  eines  Ochsen,  Kalbes  oder  Schwei- 
nes durch  die  wilde  Jägerin  Herodias  oder  durch  Heilige  berichtet 
wird.* 


1)  L.  V.  Hormann  a.  a.  0.  8. 

2)  Schneller  a.  a.  0.  207,  5. 

3)  S.  Mannhardt,  German.  Myth.  57  —  62.  Zin^erle,  Sagen,  M&rehen 
u.  B.  w.  10,  13.  11,  Ift.  411,  725.  Vgl.  Rochholz,  Aargaus.  I,  S.  384.  Den. 
Naturmythen  S.  122.  Ders.,  Deutscher  Glaube  und  Brauch  I,  S.  222  ff.  Kuhn 
in  Zachers  Zeitschr.  f.  d.  Phil.  1,  llü.  Beachtenswert  ist  die  folgende  Variante: 
Ein  Bursch ,  der  auf  einem  Baume  sitzt ,  sieht  Hexen  eine  aus  ihrer  Mitte  in 
Stücke  reißen  und  die  Brocken  in  die  Höhe  werfen.  Der  junge  Mann  erwischt 
eine  Kippe  und  behält  sie  bei  sich.  Bevor  die  Hexen  abziehen,  suchen  sie 
die  Stücke  wieder  zusammen  und  formen  daraus  den  alten  Körper.  Da  aie 
die  Rippe  nicht  linden ,  setzen  sie  dafür  eine  andere  aus  Erlholz  ein  und 
machen  dann  die  Tüdte  wieder  lebendig.  Zs.  f.  d.  M^th.  II,  178,  20. 
Zingerle,  Sagen  337,  58G  vgl.  338,  587.  Wem  fiele  dabei  nicht  Pelops 
elfenbeinerne  Schulter  ein? 


Wilde  Leate  der  kclÜBchün  Sage.     Damcs  veiies.  117 

§.  13.   Wilde  Leute  der  keltischen  Sage.    Haben  mr  ein- 
mal im  Verfolg  der  verschiedenen  Gestalten  der  Waldgeister  die 
germanische  Orenze  nach  der  romanischen  Seite  hin  überschritten, 
00  sei  gleich  des  wilden  Mannes  nnd   des  wilden  Weibos 
in  der  ArtOBsage  gedacht,  zweier  Figuren ,  welche  wahrscheinlich 
ans   der  keltischen  Ueberlicfemng  der  Bretagne  ihren  Ursprung 
ableiten.     £0   sind  Riesen  von*  grausiger   Gestalt,    ellenbreitem 
Haopt ,  ebergleichen  Stoßzähnen ,  roten  Augen  und  über  die  Ohren 
hinabhangendem  ruBfarbenem  Haare.    Das  Weib  ist  nicht  minder 
tehreeklichy  als   der  Mann.    Ea   zeichnen   sie   kaum  die  Länge 
ihres  Haares  und  ihre  weit  herabhangenden  Brtlste  aus 
[r  brtlste  nider   hiengeu,   di   siten   si   beviengeu    gelich  zwein 
grdaen  taschen  da].    Der  Mann  trägt  einen  mächtigen  Eisenkolben 
dl  Waffe.    Sein  Geschält  ist,  in  dem  märchenhaften  Walde  von 
kexQiande  als  ^rte  die  wilden  Tiere  des  Waldes,  Wi- 
Kode    nnd  Auerochsen  zu   weiden,   die  ihm  bebend  als  ihrem 
Meister  gehorchen.^ 

§.  14.  Dames  yertes«  Dem  ersten  Anscheine  nach  yciliig 
TOD  diesen  keltischen  Wildleuten  verschieden  weisen  die  w  e  i  ß  e  n 
oder  grünen  Fraue^  des  Franche  Comte  (Dames  blanche«, 
Dames  vertes)  doch  auch  Venvandtscbai't  mit  dem  wilden  Weibe 
in  Deutschland  aui*.  Grüne  Frauen  haben  u.  a.  in  einem  Walde 
bei  Relans  D^p.  du  Jura  iliren  Aufenthalt.  An  einer  gewissen 
Eiche  (chSne  des  bras)  zünden  sie  Feuer  an,  da  hört  man  sie 
singen  und  schreien.  Auf  engem  Waldpfade  l>egegncn  sie  den 
Menschen  und  locken  sie  mit  unwiderstehlichen  Keizen  in  das 
tieiste  und  entlegenste  Dickicht;  da  schwindet  der  Zauber;  die 
holdseligen    Liebhaberinnen     wandeln    sich     in     erbarmungslose 


l)  Hartinann,  Iwein  v.  425  ff.  Wirnt  v.  Gravenlierg,  Wigalois  ed.  Pfeiffer 

S.  162  Lady  Guest,  Mabinogion  1,   S.  45  — 46.    Vgl.  Ziugcrle  i.  d.  Zs.   f.  d. 

Myth.  III,  1%  ft.  und  ühland  Schriften  111,  S.  52  ff.  und  S.  VM)  ff.,  wo  weitere 

Nachweisningcn  ans  der  altfranzösischen  und  altenglischen  Literatur  und  den 

Mabinogion  gegeben  sind.    Vgl.  den  Zauberer  Merlin  .  der  nach  dem  Gedichte 

Galefrids  von  Monmouth.  Vita  Merlini   saec.  XII.  im  Dickicht  der  Urwälder 

eine  Heerde    von  Hirschen    und  Rehen  vor   sich  hertreibt.    (Uhland  a.  a.  0. 

S.  53.  144J.)     Uhland  vergleicht  den  Tierkerl  im   dänischen  Liede  von  Sveud 

Vonved.     Derselbe  stammt  ohne  Zweifel  mit  dem  wilden  Mann  der  Iweinsago 

aas  einer  Quelle,  da  auch  die  Schicksale  SvendVonveds  denjenigen  des  Kilhwch 

eines  Helden  der  Tafelrunde  in  vielen  Einzelheiten  entsprechen.     S.  Sv.  Grundt- 

rig,  Danmarks  H.  Folkeviser  1,  23'J. 


118  Kapitel  II.     Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

Furien,  welche  ihr  Opfer  eben  so  eifrig  verfqlgen,  ids  sie  e« 
zuvor  angezogen  hatten.  Die  großen  und  schönen  grflnen 
Frauen  in  den  Wäldern  beim  Dorfe  Veyria  sind  so  mutwillig^ 
die  Vorübergehenden  beim  Arme  zu  fassen  und  sie  zu  einem 
Gange  über  die  Ortsgrenzen  hinaus  zu  verleiten.  Da  verirren 
sie  sich  mit  ihnen  vom  rechten  Wege  und  dieselben 
kommen  zum  Verdruß  der  e^ersflchtigen  Mägdlein  von  Veym 
erst  spät  wieder.  Im  Tale  von  Salins  im  Walde  von  Andelot 
bei  Pont  d'Hery  befindet  sich  eine  Grotte  y,chambre  de  la 
dame  verte'^  genannt.  Auf  dem  großen  Wege  unfern  diTon 
läßt  sich  die  grttne  Dame  oft  genug  sehen.  Einst  traf  sie  ein 
fUnizigjähriger  Mann  aus  Andelot,  Cousin,  der  den  Spitznamen  . 
Badaud  (Einfaltspinsel)  flihrte ,  wie  sie  grade  ihr  Strumpfband  : 
befestigte.  Er  bot  ihr  seine  Dienste  an;  sie  tat  als  nehme  sie  i 
sein  Anerbieten  an  und  schlug  ihm  einen  kleinen  Spatziergang  i 
in  den  Schonungen  und  Wäldern  vor.  Da  er  hoffiiungsvoli  md  ^ 
eifrig  darauf  einging,  nahm  sie  seinen  Arm,  drückte  ihn  fest 
an  sich  und  schleppte  ihn  dann  atemlos  durch  Dorn 
und  Hecken,  Brücher  und  Sümpfe,  wobei  sie  sich  ap-  ; 
stellte,  als  merke  sie  nichts.  Als  der  Unglückliche 
endlich  um  Gnade  bat,  war  sie  so  gefällig  ihn  über 
beackertesLand,  oder  spitze  Felsen  laufen  zulassen. 
Er  hatte  ein  Btlndel  auf  dem  Markte  gekauften  Flachses  bei  sicsh 
„Laß  uns  deinen  Flachs  spinnen,  sagte  sie,  Badaud,  laß  uns 
deinen  Flachs  spinnen !''  Und  allenthalben  wurde  hier  etwas 
Flachs  von  den  Domen  gekämmt,  blieb  dort  etwas  an  den  Baum- 
ästen hängen.  „Laß  uns  deinen  Flachs  spinnen !''  wiederholte 
sie  und  von  seinem  Bündel  blieb  auch  kein  Faden  übrig.  In 
der  Umgegend  von  Salins  erscheint  die  grüne  Frau  oft  den  Ein- 
wohnern von  Aresches  und  Th^sy,  auch  sieht  man  sie  am  Quell 
von  Alon.  Einem  jungen  Vorwitzigen  Petit  Poulot,  der  sie  am 
den  schlanken  Leib  faßte,  um  mit  ihr  zu  schäckem,  gab  sie  eine 
derbe  Lection,  die  ihn  ftlr  längere  Zeit  zum  Gespötte  seiner 
Bekannten  machte.  Die  über  die  Combe-ä-la  Dame  unweit 
Glömont  vom  Jahrmarkt  von  St.  Hippolyte  zurückkehrenden  Barsche 
finden  sich  plötzlich  im  wilden  Waldesdickicht  umringt  von  einer 
Schaar  junger  neckischer  und  niedlicher  Damen  (aussi  espiögles 
que  jolies);  an  ihrer  Spitze,  die  andern  um  eines  Hauptes  Länge 
überragend  die  grüne  Frau.    Sie   trieben  mit  den  Burschen  ihr 


Daines  Tertes.  119 

Spiel y  allerlei  Koboldstreiche ,  ftlhrten  sie  vom  Wege  ab  und 
brachen   endlich    in  helles  Gelächter  aus,    welches 
als  vielfaches  Echo  spöttisch  wiederhallte.    Zwischen 
Keiifchätel  und  B^mondan  heißt  ein  Berg  ,,la  röche  de  la  Dame 
Yerte'^    Da   verbirgt  sich   die   grüne  Frao^  wenn  es 
regnet,  in  engem  Versteck  hinter  Bachen  nnd  einem 
dichten  Vorhang  biegsamer  Schlingpflanzen.     Auch 
anf  einer  Wiese  an  den  Ufern  der  Braine  zwischen  Seilli^res  nnd 
Ve»  wird  eine  grüne  Dame  sichtbar ,  die  sich  auf  Kosten  der 
jiiqgen  Leute  in   diesen  Orten  lustig  zu  machen  liebt    In  den 
■eben  Quellen  inmitten  eines  sehr   einsamen  Tales  bei  Greye 
adit   man   die  grünen  Frauen  fröhlich  ihre   Wäsche  waschen. 
Am  fiebsten  läAt  sich  die  grüne  Dame  in  Grebüschen  am  Bande 
iur  Wiesen^  am  Abhänge  gegen  einen  Weiher  und  am  Ufer  der 
<)aeUen   sehen  und  gerne  stößt  sie  den  Gast,   den  sie  an  sich 
gelockt  hat,  ins  Wasser.    Dr.  Gaspard  aus  Gigny  (D^p.  du  Jura) 
weiß  noch  sehr  wol  aus  seiner  Jugend  des  folgenden  Umstandes 
ach  ZQ  erinnern.    Wenn  man  in  der  weiten  Prairie  das  Gras 
mähte,    so  behaupteten   die   Arbeiterinnen,   welche 
das  Heu  streuten  und  umwendeten,  fast  regelmäßig 
die  „Dame  verte'^  ganz  in  ihrer  Nähe  haben  vorüber- 
gehen zu   sehen.    Dies  geschah  zumal  auf  der  sogenannten 
Bosenwiese  und  in  der  Nähe  der  „  Grotten '',  wo  sie  und  ihre 
Gefährtinnen   sich   vereinigen   sollen.     Schwankten   die  Kräuter 
und  Halme  (epis)  im  Winde,  so  sagte  man^  die  grüne  Dame  und 
ihre  Gefährtinnen  seien  da,  die  mit  ihren  leichten  Füßen  darüber 
himoandelnd  Blumen  und  Aehren  'niederbögen.     Und   bei   aller 
Tücke  in  ihrem  Wesen  leisten  doch  auch  sie  dem  nahen  Dorfe 
gewissermaßen  den  Beistand  eines  guten  Hausgeistes.    Zu  Mai- 
»ieres  im  Tale  von  Loue  (D^p.  du  Doubs)  erschien  die  grüne  Frau 
am  Vorabende  eines  das  Dörfchen  verheerenden  Brandes  durch 
die  Kornfelder  und  Baumgärten  wandehid;  doch  niemand 
beachtete  ihre  stmnme  Mahnung.^    Vgl.  o.  S.  108  die  rauhe  Else, 
diefeminae  agrestes  silvaticae  o.  S.  113,  und  weiter  unten  die  schwe- 
dischen Skogsnufvar.    Hinsichtlich  der  Wäsche  vgl.  S.  101.   112. 
Am    bemerkenswertesten    jedoch   ist   der  Umstand, 


1)  S.  Monnier,  Traditions  populaires  comparöes.  Paris  1854.  S.  228— 29. 
255-260.  759—762. 


120  Kapitel  IL    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

daß  dieselben  Frauen,  welche  das  Leben  des  Waldes 
erfüllen,  auch  im  Winde  durch  oder  über  die  Gras- 
halme der  Wiese,  die  Kornhalme  des  Ackerfeldes 
(und  die  Wipfel  der  Obstbäume)  wandeln.  Vgl.  .0.  S.  77 
die  Holzfräulein.  Die  Promenade  durch  Dom  und  Hecken  erinnert 
sehr  an  die  Sturmnatur  anderer  Waldgeister.  Das  Flachsspinnen 
gleicht  dem  Gamspinnen  der  Holzfrau  0.  S.  76. 

§.  15.  Wildfrauen  In  Steiermark.  Von  der  Abschwei- 
fung ins  romanische  Ausland  kehren  wir  auf  deutschen  Boden 
zurück.  In  Steiermark  hetzt  eine  ganze  Genossen- 
Schaft  von  wilden  Jägern  (das  wilde  Gjaid)  in  einem 
halb  pflüg-  halb  schiifartigen  Schlitten  fahrend  und  von  den 
gleich  Rossen  vom  Schmied  beschlagenen  Geistern  böser  Dienst- 
mägde ^  gezogen  die  W  i  1  d  f  r  a  u  e  n.  Diese  sind  verwanschene 
Menschen,  welche  von  der  Rückseite  hohl,  oder  mnl- 
denartig  gestaltet  sein  sollen.  Sie  wohnen  in  einem 
bewaldeten  Kogel  (Berggipfel)  und  waschen  in  kleinen  Lachen 
ihre  Wäsche  rein  und  weiß,  die  man  sie  zum  Trocknen  aufhängen 
sieht  ^  Das  Verständniß  dieser  seltsamen  Beschreibung  der  Wild- 
frauen liefert  vielleicht  eine  Schilderung  der  Frau  Holle  in  hes- 
sischen Hexenacten ;  die  an  der  Spitze  des  wilden  Heeres  daher- 
fahrende  „Frau  Holt  were  von  vorn  her  wie  ein  fein 
weibsmensch,  aber  binden  her  wie  ein  hohler  Banm 
von  rohen  Rinden".*  Sind  die  WildlVauen  Waldgenien,  so 
liegt  es  doch  wohl  am  nächsten,  daran  zu  denken,  daß  (wie  bei 
der  Melusine  das  menschengestaltete  Oberteil  ihr  geistiges  Wesen, 
der  fischförmige  Unterleib  ihre  Zugehörigkeit  zum  feuchten  Ele- 
mente ausspricht)   der  hohle  Rücken,   einem  vom  Alter  morsch- 


1)  Mit  diesen  DieDstmägden  vgl.  die  Tom  wilden  Jäger  gejagten  soge- 
nannten Pfaffenköchinnen  (Bebelii  tacetiae  Tübing.  1555  S.  11*;  CaesarioB 
V.  Heisterbach,  Dialog  XII,  20.  cf.  Wolf,  Beiträge  U,  143.  Myth.  1230)  welche 
nach  andern  Berichten  des  Teufels  Pferde  sein  sollen  (Zs.  f.  d.  Myth.  III» 
311,  60.  Wolf,  Niederl.  Sag.  690  Anm.  258j  und  daii  der  Teufel  auf  Hexen, 
die  zeitweilig  in  Roßgestalt  verwandelt  sind ,  durch  die  Luft  reitet  und  ihnen 
Hände  und  Füße  mit  Hufeisen  beschlagen  läßt.  Stöber,  Sag.  d.  Elsafi  281, 
218.  Baader,  Bad.  Sag.  275.  294.  Tettau  u.  Tenime,  Preuß.  Volkss.  193, 
198.  Vemaleken,  Alpens.  283,  208.  Müllenhoff,  Schleswig  -  Holst.  Sag.  226, 
309.  310.     Wolf,  D.  M.  S.  248,  141. 

2)  Zs.  f.  D.  Myth.  II,  32,  7. 

3)  Zs.  f  D.  Myth.  1,  274.   Vgl.  Maunhardt,  Germ.  Myth.  258.  673.  Anm.  1- 


St.  Walpurgis.  121 

gewordenen  Baume  entlehnt,  ihr  Naturelement  andeuten  sollte.^ 
Wollte  man  jedoch  dieser  Deutung  Raum  geben,  so  müßte  erst 
erwiesen  sein ,  daß  der  hohle  Rücken  ein  ursprüngliches  Zubehör 
der  Wildfrauengestalt  und  nicht  etwa  ein  aus  der  Beschreibung 
anderer  Geister  hergcnonmienes  Merkmal  gewesen  sei.  An  die- 
ser Stelle  konmit  es  nur  erst  darauf  an,  dem  Leser  ein  Material 
fiber  Waldgenien  vorzuführen,  welches  ihn  später  befähigt  über 
die  Natar  derselben  ein  begründetes  Urteil  herauszubilden. 

§.  16.    St.  Walpurgis.    In  den  meisten  dieser  oberdeutschen 
Ueberlieferungen   tritt  die  Beziehung  der  gejagten    Frauen 
lur  Korn-  oder  Heuernte,  welche  wir  bei  den  Holzfräulein 
md  den  Seligen  beobachteten  (ob.  S.  77)  ganz  zurück.    In  einer 
'uederöstereichischen  Tradition  aus  der  Gegend  von  Mank  kommt 
fieselbe  wieder  zum  Vorschein.    Die  neun  Tage  vor  dem  1.  Mai 
keißen  Walpurgisnächte  und  auch  andere  Tage,   besonders  die 
Emtetage,  sind  der  h.  Walpurga  gewidmet    In  diesen  Zeiten  wird 
die  heilige  Walpurga,  ein  weißes  Weib  mit  feurigen  Schuhen'  und 
goldener  Krone,    in  der  Hand   einen  Spiegel   und  eine  Spindel 
tragend,  von  bösen  Geistern  auf  weißen  Rossen  durch  die  tie- 
fen Wiesen  und  Wälder  unaufhörlich  verfolgt.    Vor  ihnen 
flüchtet  sie  sich  gerne  in  die  geöffneten  Fenster  eines  Baucrhau- 
hauses  und  verbirgt  sich  hinter  dem  Fensterkreuz.     Einem  Bauer, 
der  bei  Nacht  sein  Getreide  heimführte,   begegnete  die  h.  Wal- 
purga auf  ihrer  Flacht  und  bat  ihn  um  Schutz.     Er  band  sie 
in  eine    Garbe   ein,  bis    die   wilden  Verfolger  vorübergetost 
waren.      Beim    Ausdreschen    ergab    diese    Garbe    Goldkörncr.^ 

1)  Es  verträgt  sich  mit  dieser  Deutung  (nach  S  14)  ganz  wol,  daß  der 
Mb  einen  Rücken  hat,  wie  ein  Teigtrog  (Myth.*  CXIilV.  Mannhardt,  Germ. 
Myth.  259^ ,  und  daß  Caesarius  v.  Heistorhach  einen  koboldartigen  Teufel 
iagen  läßt:  ,,wir  nehmen  menschliche  Gestalt  an ,  haben  aber  keinen  Rücken '* 
«Caeaariuö  III»  G.  s.  Maimhardt  a.  a.  0.  A.  Kaufmann,  Caesarius  v.  Heister- 
bach 140).  Schwieriger  ist  und  nur  durch  Annahme  einer  unrichtigen  üeber- 
tngong  damit  der  Umstand  zu  vereinigen,  daß  auch  die  (übrigens  ebenfalls 
im  Walde  umgehenden)  feurigen  Männer  in  der  Oberpfalz  einen  muldenför- 
migen Kücken  besitzen,  aus  dessen  Höhlung  das  Feuer  schlägt.  Um  Tiefen - 
kach  sehen  sie  aus,  wie  zwei  zusammengesetzte  Metzgermulden,  um  Ebnat 
wie  eine  Backmulde.  Schönwerth  II,  90.  Oder  hat  die  Volksphantasie  bei 
Verkörperung  dieser  verdammten  Grenzmarkverrücker  sich  an  die  phospho- 
reaiiereuden  hohlen  Baumstämme  des  Waldes  angelehnt? 

2)  Vemaleken.  Alpcnsagen  S.  101»  ff.     Vgl.  Grohmann ,  Sagen  aus  Böh- 
men S.  44  ff.  offenbar  aus  derselben  Quelle ! 


} 


122  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

Rochholz  (drei  Gaugöttinnen,  Leipzig  1870)  hat  vergeblich  yer- 
sucht  nachzuweisen  9  daß  Walpurgis  eine  altgermanische  Göttin 
war,  aus  deren  Sagenkreis  u.  a.  die  vorstehende  Ueberliefenmg 
als  Rest  geblieben.  #Aus  Tatsachen,  die  wir  im  Laufe  unserer 
Darlegung  mitzuteilen,  auch  ftlr  die  Erklärung  der  vorliegenden 
Sage  nutzbar  zu  machen  gedenken,  wird  vielmehr  hervorgehen, 
daß  der  Name  Walpurga  nur  von  dem  Kalendernamen  der  Zeit 
hergenommen  ist,  in  welche  der  Volksglaube  die  Jagd  auf  das 
geisterhafte  mit  den  Holzfräulein,  Seligen  u.  s.  w.  im  übrigen 
identische  Weib  verlegte. 

§.  17.  Weiße  Weiber,  EUepIger,  Heerfrauen.  Im  nord- 
deutschen Flachland  und  Dänemark,  soviel  ich  weiß  auch  in 
England,  treten  die  Waldgenien  als  solche  sehr  zurück.  Zwar 
fehlt  es  nicht  an  Seitenstücken  zu  vielen  der  von  den  Holzleaten 
und  wil4en  Leuten  erzählten  Sagen,  aber  in  diesen  werden  an 
Stelle  jener  Wesen  die  sogenannten  Unterirdischen,  oder  weißen 
Weiber  oder  Meerfrauen  (Haffruer)  handelnd  oder  leidend  ange- 
führt, oder  es  ist  ein  einzelnes  weißes  Weib  (Frau,  Jungfrau, 
Wetterhexe,  Haffru,  Ellepige)  der  Gegenstand  der  Verfolgung 
von  Seiten  des  wilden  Jägers  (Wode,  Frau  Wauer,  in  Däne- 
mark Un,  d.  i.  Zusammenziehung  aus  Oden,  Grönjette,  Kong 
Valdemar)  und  es  wird  wol  hinzugesetzt,  daß  es  seine  Buhle^ 
sei,  die  er  sieben  Jahre  lang  verfolgt  habe  und  wenn  er  sie 
heute  nicht  erreiche,  so  sei  sie  erlöst.^    Dabei  kehren  mehrere 


1)  S.  Kuhn,  Nordd/  Sagen  131,  151.  Ehenso  jagt  in  der  romanischen 
Sage  der  wilde  Jäger  seine  Geliebte  (Myth.*  895)  und  bei  Caesarius  der 
infemalis  venator  die  Concubina  sacerdotis.  Wolf,  Beiträge  z.  D.  Myth. 
II,  143. 

2)  Ebd.  145,  vgl.  die  Sage  vom  Grönjette  auf  Möen.  Grimm,  Myth.* 
896.  Die  Jagd  auf  ein  einzelnes  Weib  ist  auch  in  der  englischen  Sage  zu 
Hause.  Zu  Dartmoor  in  Devonshiro  jagt  ein  wilder  Jäger  (wild  huntsman) 
Nacht  für  Nacht  mit  schwarzen  Doggen,  welche  Wushhounds  heißen.  Ein 
altes  Weib  nahm  einst  ein  weißes  Kaninchen  schützend  in  ihren  Korb  auf, 
das  sie  mit  menschlicher  Stimme  um  Hilfe  bat.  Bald  darauf  kommt  der 
wilde  Jäger  mit  seinen  feuerspeienden  Hunden  und  fragt  nach  dem  weifien 
Kanin.  Als  die  wilde  Jagd  vorbeigebraust  ist,  entsteigt  dem  Korbe  eine 
weiße  Jungfrau.  (Mitgeteilt  von  Mr.  S.  Baring - Gould).  Auch  in  Nort» 
hamptonshire  in  den  Wäldern  von  Whitlebury  und  Rockingham  jagt  der 
wild  man  mit  seinen  wildhounds  ewig  eine  Jungfrau,  seine  Geliebte, 
um   deren  willen   er  sich  den  Tod  gab.    Täglich  tödtet  er  sie  und  täglich 


Weiße  Weiber,  Ellepiger,  MeerfraaeiL 


123 


«08  bereits  bekannte  characteriBtische  Züge  wieder.  Die  gejag- 
ten Wesen  haben  lange  fliegende  (einmal  wird  auch 
gesagt  gelbe)  Haare.^  Der  Wilde  hängt  sie,  wenn  er  sie 
eilegty  mit  denselben  zusanmiengeknüpfl  quer  über  sein  Boft. 
Auch  die  Brüste  des  .verfolgten  Weibes  werden  als  lang  und  groB 
hervoigehoben,  wovon  sie  auch  Slatte  Langpatte  heißt  ^ 

Als  eharacteristische  Züge ,  die  vielleicht  von  Bedeutung  sind, 
dürfen  vielleicht  noch  die  folgenden  hervorgehoben  werden.  Die 
verfolgte  Frau  muß  wie  auch  der  wilde  Jäger  einen  Kreuz- 
weg passieren,  der  ihre  Fahrt  unterbricht;  im  Laufe  auf  der 
Flacht  wird  sie  kleiner  und  kleiner,  bis  sie  zuletzt 
nur  anf  den  Knien  läuft' 

Was  auch  immer  die  Bedeutung  der  Sage  von  der  Jagd 
des  wilden  Jägers  auf  die  einzelne  Frau,  oder  eine  Schaar  elbi- 
aeher  Wesen  sei  [beide  Formen  der  Tradition  sind  im  Grunde 
nidit  verschieden  ^] ,  jedenfalls  ist  die  Verwandlung  der  Verfolg- 


Ubt  ne  mf ,  nm  aafs  neue  sein  Jagdobject  zu  werden.    Stemberg,  the  dia- 
ket  and  foUdore  of  Northamptonshire  1851,  p.  143. 

1)  Mfillenhoff,  Schleswig -Holst.  Sagen  373,  500.  Der  Wode  jagt  in 
Lanenbnrg  die  ünnererdschen  mit  den  gelben  Haaren.  Die  Mecklenburgische 
Sage  bei  Schwartz,  Volksglaube,  Aufl.  2.  S.  43  bestätigt,  daß  der  wilde 
Jäger  zwei  kleine  Männchen  mit  den  Haaren  zusammengebun- 
den quer  über  dem  Pferde  liegen  hatte.  Bei  Suckow  in  Mecklen- 
burg hat  Frau  Wauer  zwei  weiße  Weiber  mit  den  Haaren  zusammen- 
geknäpft.  Niederhöffer,  Mecklenburgs  Volkssagen  111,  190  ff.  Auch  die  Wet- 
terhexe, welche  der  Jäger  Jenn  verfolgt,  hat  fliegende  Haare  (Nioder- 
h5ffer  III,  92  ff.).  Und  schon  in  der  ältesten  Aufzeichnung  unserer  Sage  bei 
Ciesarina  v.  Heisterbach  werden  die  Haare  hervorgehoben  s.  J.  W.  Wolf, 
Bdtr.  U,  143. 

2)  Der  wilde  Jäger  Un  hat  die  Meerfrauen  mit  den  Brüsten  zu* 
•zmmengebunden  und  Über  sein  Roß  geworfen.  Sv.  Grundtvig, 
Gamle  Danske  Minder  i Folkcmunde  III,  58.  Kong  Vallemand  jagt  eine  Frau 
mit  langen  Brüsten  und  Brustwarzen,  die  ihr  über  den  Leib 
niederhängen  (ebd.  60,  6).  Bei  Ringsted  hat  das  Weib  ein  Paar 
Brüste,  welche  auf  der  Erde  schleppen.  Der  Verfolger  fragt  einen 
Kann ,  ob  er  die  Frau  mit  den  schlaffen  langen  Brüsten  (Slutte  Langpatte) 
nicht  gesehen  habe  (ebd.  Gl,  9  ff.)  Auch  in  Fünen  jagt  der  Palnajäger  die 
lAngpatte.    Thiele,  Danmarks  Felkes.  II,  121,  1 

3)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  99,  115. 

4)  Bald  ist  es  eine  Concubina,  bald  eine  ganze  Schaar  Pfaffenköchin- 
nen,  bald  ist  ein  weißes  Weib,  bald  sind  mehrere  die  Jagdbeute  des  gespen- 
itigen  Verfolgers.     J.  W.  Wolf  a.  a.  0.   143.   144.     Niederhöffer ,  Mecklenb 


124  Kapitel  II.    Die  Waldgebtcr  und  ihre  Sippe: 

ten  in  Meerfrauen  ein  durch  die  geographische  Lage  der  däni- 
schen Inseln  veranlaßtes  Misverständuiß  und  ebenso  scheinen 
unter  den  UnnerSrdschen  und  weißen  Weibern  (witte  wiwer) 
hier  Dämonen  gedacht  zu  sein^  welche  vor  andern 
Geistern  gleiches  Namens  durch  noch  deutlich 
erkennbare  Beziehungen  zur  Pflanzenwelt  sich  her- 
vortun. Sie  wohnen  zwar  meistens  auf  freiem  Felde  unter 
Büschen  oder  in  der  Erde,  oder  in  kleinen  Erdhttgeln  (dem 
flachländischen  Gegenstück  der  Tiroler  Berghöhlen)  und  wären 
danach  wol  als  Feldgeister  zu  bezeichnen,  aber  zuweilen 
hausen  sie  auch  in  Waldlichtungen,  oder  unter  den  Wur- 
zeln alter  Bäume.  Und  wenn  man,  was  doch  wol  sehr 
wahrscheinlich  ist,  die  witte  Wtwer  in  Mecklenburg  von  den  witte 
Wtwer  auf  dem  benachbarten  Rügen  nicht  trennen  darf,  so  bie- 
tet die  folgende  Sage  einen  directen  Belag  datUr,  daß  sie  teil- 
weise mit  den  Baumseelen  zusammen  fallen.  Bei  Mönchgut 
stand  eine  Eiche.  Als  die  Witten  Wiwer  von  dort 
vertrieben  wurden,  vertrocknete  die  Eiche  und  sie 
sagten,  wenn  die  Eiche  wieder  ausschlüge,  würden 
auch  sie  wieder  kommen.  Zeitschr.  f.  d.  Myth.  II,  145. 
Da  es  femer  nicht  ungewöhnlich  ist,  das  Laub  der  Bäume  als 
Haar  aufzufassen  (ob.  S.  76),  so  liegt  es  nahe  mit  Müllenhoff 
(a.  a.  0.  und  Vorr.  XLVl;  XLVII)  die  langen  (gelben)  Haare 
der  verfolgten  Wesen  auf  ein  characteristisches  Zubehör  von  Moos- 
leuten oder  Waldfraueu ,  mit  andern  Worten  auf  das  gelb  gewor- 
dene durch  den  Sturmriesen  im  Herbste  von  den  Bäumen  gejagte 
BlättergrUn  zu  deuten.  Hierauf  würde  auch  der  Name  des  Ver- 
folgers hinweisen,  wenn  man  den  Grönjätte  auf  Möen  als  Rie- 
sen d.  h.  entweder  den  riesigen  Dämon  oder  den  Vemichter,  . 
Verfolger  des  Grüns  fassen  dürfte.^    Das  einzelne  gejagte  Weib 

Volkss.  a.  a.  0.  lieber  die  verschiedenen  Formen  dieser  Sagen  und  ihre  älte- 
sten Autzeichnungen  beim  Helinand  und  Vincentius  von  Bcauvais,  denen 
Boccaccio,  Hans  Sachs  und  Pauli  mit  ihren  Bearbeitungen  folgten  vgl.  W. 
Menzel,  Odin  Stuttg.  1855.    S.  212-214. 

1)  Vgl.  altnord.  jotunn  van  dar  gigas  arboruni  i.  e.  ventus.  Nach 
J.  E.  lUetz,  urdbog  öfver  Svenska  allmogcspräket.  Lund  18G6  p.  214  ist 
in  Schonen  gröu  2  fem^^  grönska,  die  Grüne.  Vgl.  das  oberdeutsche  Feinin. 
grüene,  grüne  Farbe,  Lexer  125.  Doch  fragt  es  sich,  ob  nicht  der  Name 
ürönjctte  localen  Bezug  hat;  d.  h.  von  dem  Walde  Grönvald  hergenommen 
ist,  in  weichem  er  jagen  soll  (Thiele ,  üanmarks  Folkesagn  1843  II ,  119). 


Weiße  Weiber,  Ellepiger,  Meerfranen. 


125 


wäre  Mann  wol  als  eine  Personification  der  ganjsen  Vegetation 
TU  verstehen,  deren  ttppige  Nahrungskraft  and  Zeu- 
gangs fülle  dorch  die  ungeheure  (von  der  jüngeren  Volkssage 
schließlich  ins  Unschöne  übertriebene),  Entwickelung  ihrer  Brüste 
angedeutet  wird.  Im  Herbste  wird  sie  von  Tag  zu  Tage  kleiner 
und  kleiner.  Sie  war  des  sommerlichen  Gottes  Buhle;  jetzt  ent- 
lieht sie  sich  ihm,  vor  ihm  fliehend,  während  der  sieben  Win- 
termonate (der  7  Jahre  der  Sage);  als  Kreuzweg  muß  die 
Jahreswende  (Mittwinter,  Wintersolstiz  resp.  Neiyahr)  überschrit- 
ten werden.^  Wir  kommen  auf  diese  Deutung  weiterhin  noch 
einmal  zurück. 

Zuweilen  wird  die  vom  wilden  Jäger  in  Dänemark  geja^ 
Frau  gradezu  als  Ellepige  (Elfenmaid)  oder  Ellefru  bezeich- 
let'  Die  Elfen  (EUefolket)  wohnen  im  Erlenbruch,  der  Mann 
erscheint  als  alter  Kerl  mit  breitem  Hut;  bläst  er  Menschen  an 
oder  gerät  ein  Tier  aui*  die  Stelle,  wo  er  mit  den  Seinigen 
weilte,  so  fallen  sie  in  Siechtum.  Die  Weiber  tanzen  bei  Mond- 
sehein  ihren  Reigen  im  grünen  Grase,  von  vorne  jung  und 
Terftthrerisch  schön,  sind  sie  hinten  hohl  wie  ein 
Backtrog.^*  Der  letztere  Z^ug  kehrt  aber  auch  in  dänischen 
Sagen  wieder,  welche  Waldfrauen  in  einer  ganz  ähnlichen  Weise 
sdüldem,  wie  die  weiterhin  zu  besprechenden  schwedischen 
Skogsnufvar.  Eines  Tages  ging  ein  Kind  mit  seiner  Mutter  zu 
Walde,  da  sah  es  ein  großes  Weib,  das  rauchte  Taback. 
Was  ist  das  für  emeV  fragte  der  Junge.  Laß  du  sie  nur  gehen, 
sagte  die  Mutter;  da  wandte  sich  das  Weib  und  zeigte  einen 
hohlen  Rücken.^  Wol  nur  irrtümlich  ist  in  der  folgenden 
Sage,  die  sonst  genau  den  Skogsnufvarsagen  entspricht,  am 
Schlüsse  auch  ein  männlicher  Elf  eingetllhrt.  Auf  der  Insel  Möen 
giug  Margarete  Per  Mikaeis  als  kleines  Mädchen  einmal  durch 
den  Buchenwald  bei  Stevns,  da  begegnete  ihr  ein  großes 
Weib  mit  schwarzer  Haube  und  langen  Fingern,  die  wurde 
größer  und  größer.     Margarete  lief  vor  ihr,  spürte  aber  bald 


1)  Vgl.    die   im  wesentlichsten  Obereinstimmende  Erklärung  A.  Kahns, 
Xwdd.  Sag.  8.  481 .  Anm.  115. 

2)  8.  Grundtvig,  G.  D.  Minder  i  Folkem.  I,  11.  12.    III,  62. 
3l  Thiele,  Danmarks  Folkesagn  II,  17G. 

4)  Gmndtvig,  G.  D.  M.  i  F.  I,  183,  220. 


126  Kapitel  Tl.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

ihre  langen  Finger  anf  der  Schulter,  das  Laub  wirbelte  in 
den  Baumwipfeln,  und  das  Kind  fiel  um  und  blieb  liegen, 
bis  das  unheimliche  Wesen  sich  bei  Sonnenuntergang  in  eine 
schwarze  Kuh  verwandelte.  Margarete  war  von  da  an  drei 
Jahre  verstörten  Geistes.  Einst  als  die  Kirschbäume  bltlhten, 
pflückte  Margaret  alle  Blüten  ab  und  lag  dann  9  Tage  zu  Bette, 
in  der  neunten  Nacht  erschien  ein  Männchen,  das  war  ein  Elb 
und  wollte  das  Kind  mit  sich  fortnehmen;  da  sie  aber  fest  schlief 
vermochte  er  ihr  nichts  anzuhaben.  Ein  Eis  ist  ein  Wesen  mit 
hohlem  Rücken,  das  hat  Macht  über  solche,  bei  deren  Taufe 
es  nicht  ganz  richtig  zugegangen.^  Margaret  blieb  immer  ver- 
stört; im  Walde  empfand  sie  stets  einen  unwiderstehlichen  Zug 
zu  der  Stelle,  wo  jenes  Weib  ihr  begegnet  war.* 

§.  18.  Die  schwedischen  Waldgefster.  Wie  die  dänische 
Inselnatur  der  überlieferten  Sage  durch  Verwandlung  der  gejag- 
ten Frau  in  eine  Meerfrau  ihren  Stempel  aufdrückte ,  so  auch  die 
starre  Gebirgsformation  Skandinaviens.  Um  die  Waldgeister 
Schwedens  wahrhaft  zu  verstehen,  muß  man  nach  eigener  Er- 
fahrung den  Eindruck  sich  zum  Bewußtsein  gebracht  haben,  den 
die  unermeßliche  Wildniß  des  schwedischen  Urwaldes  auf  Gemflt 
und  Phantasie  ausübt;  man  muß  den  dunkeln ,  oft  grausigen  Skog 
kennen,  dieses  meilenweit  ununterbrochene  chaotische  Gemisch 
von  Laub-  und  Nadelholz  (meist  Fichten,  Kiefern,  Birken  und 
Erlen)  von  Felstrümmem  und  umgestürzten  Baumstämmen  und 
einem  Stein  und  Stock  pilzartig  überwuchernden  Teppich  von 
Moos  und  niederem  Pflanzengestrüpp.  Da  hat  man  nach  wenigen 
Minuten  Pfad  und  Richtung  verloren.  Hie  und  da  leitet  dich 
wol  ein  vom  weidenden  Vieh  getretener  Gang,  immer  aber  in 
die  Irre;  du  brichst  durch  den  Pflanzenpelz,  der  die  Untiefen 
überzieht,  zerreißest  deine  Kleider,  deine  Haut  an  Gestrüpp  und 
Felskanten  und  verzichtest  auf  jedes  weitere  Vordringen.'    Wie 


1)  Man   könnte  fast   auf  den  Einfall   kommen,     daß   Bähe -Else   (ob. 
S.  108)  kein  Eigenname ,  sondern  ein  Appellativurn  sei. 

2)  Grundtvig  a.  a.  0.  I,  181,  217. 

3)  L.  Passarge,  Schweden,  Lpz.  1867.  S.  32.  Die  Grundlage  der  nach- 
stehenden Schilderung  des  schwedischen  Waldwcihes  gewährte  Hylten-Ca- 
vallius,  Värend  I,  S.  277—281.  Ich  verweise  darauf  ein  für  allemal  and 
führe  nur  die  außerdem  von  mir  benutzten  meist  hdschr.  Quellen  in  den  fol- 
genden Anmerkungen  an  ihrer  Stelle  auf. 


Die  sehwedischen  Waldgeister. 


127 


in  Deutschland  sind  in  Schweden  männliche  and  weibliche  Wald- 
geister  bekannt      Der  Mann    heifit    in    Schonen    Skonman, 
Skougman  (Waldmann).      Er]  sieht  ans  wie   ein   Mann, 
stiert   man  ihn  aber  an,  so  wird  er  so  hoch  als  der 
höchste  Baumstamm.^    Fr  ilihrt  die  Menschen  im  Walde  in 
£e  Irre  and  wenn  sie  vor  Farcht  weinen,  lacht  er:  Ha  ha  ha!* 
Wenn  der  Bergnha  im  Walde  sich  hören  läfit,  sagt  man,  der 
Skougman  sei  draaßen  and  schreie.'    Im  übrigen  ist  er  sehr 
sinnlich    and    strebt    gerne    nach    Verbindnng    mit 
christlichen  Fraaen.    In  Smäland  heifit  der  Skogman  Halte, 
er    fährt    in   Starm    and  Unwetter   daher   and   kann 
jeden  Banm  niederwerfen.    Die  Skogsnafva,  Skogs- 
fra  aber  ist  das  Weib  des  Skogman  oder  des  Halte.    Die 
Skogsnafva^   wird  zar  Familie  der  Trolle  gerechnet,   welche 


1)  FQr  diesen  Zhg  ULfit  sich  ans  Deutschland  ein  älteres  Analogon  bei- 
knigen.  Caesar.  Heisterbae.,  Dial.  mirac.  D.  V,  c.  55  erzahlt  ans  dem  An- 
finge des  13.  Jahrh.:  Der  Pfarrer  von  Bode  bei  Köln  ging  nm  Pfingsten 
dvch  den  Wald.  Da  faßte  ihn  plötzlich  eine  nie  empfandene  Angst.  Er 
erblickte  einen  langen  Mann  von  überaus  häßlichem  Aussehen, 
der  an  einen  der  Bäume  gelehnt  war.  Je  länger  der  Pfarrer  den 
Mian  ansah,  desto  riesiger  wuchs  dessen  Qestalt  empor,  bis 
sie  die  höchsten  Bäume  überragte.  Zugleich  erhob  sich  ein 
lehrecklicher  Wirbelwind  und  dieser  verfolgte  den  Pfarrer,  so  schnell 
er  auch  Bode  zulief,  bis  in  sein  Dorf.  (Vgl.  Wolf,  D.  Sag.  203,  91  und 
Qbes  S.41.  87.). 

2)  Diese  Form  des  Waldgeistes  entspricht  am  nächsten  den  Sagen  vom 
Honnann,  oder  Hüamann  in  der  Oberpfalz  (Schönwerth  11,  342  —  350),  vom 
Hamann  ciech.  Hejkadio  in  Böhmen.  Grohmann,  Abergl.  a.  Böhmen  15,  69. 
Den.,  Sagen  a.  Böhmen  S.  118—- 19).  Vgl.  die  Hojemannlen  im  Lechrain 
(Leeprediting,  aus  dem  Lechrain  S.  32),  das  Hömännchen  und  Hemann- 
^en  „in  den  Büschen'*  bei  Lembeck  und  Tungerloh,  das  Heitmännchen 
bei  Sundwig,  den  BopenkSrl  bei  Iburg.  Kuhn,  Westf.  Sag.  1,  S.  111  —  112, 
118-119.    146-148,  150—151.    II,  27,  72. 

3)  So  heifit  die  Eule  am  Lechrain  „HolzweibP*  und  gilt  als  der 
Waldgeist,  der  jetzt  grade  die  Qestalt  dieses  Vogels  angenommen.  Leop- 
Twhting  a.a.O.  82.  Altdeutsche  Glossen  ergeben  wildiu  wip  =  ululae, 
limiae,  holzmuoja,  holzrüna,  holzfrowe  =  lamia,  ulula  Grimm, 
Mytb.«  403.  404.    Vgl.  Müllenhoff,  zur  Bunenlehre  50. 

4)  Der  Name  Skogsnufva  wird  verschieden  gedeutet,  von  Grimm,  Myth.« 
ß5  anhelans,  von  Hyltdn-Cavallius  als  die  „Schnaubende,"  weil  sio 
Tag  und  Nacht  „snufvar";  in  der  Zeitschr.  Runa  1844.  S.  44  vom  schoni- 
ichen  Verbum  snua  die  Einsamkeit  suchen. 


128  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

SO  ziemlich  nnsem  Unnererdschen  entsprechen ,  dieselben  sind  zu- 
meist  klein  von  Wuchs,  gebieten  über  Wald  und  Wild;  See  und 
Fische,  Wetter  imd  Wind,  vertauschen  Kinder  mit  ihren  Wedi- 
seibälgen;  zu  ihnen  zählen  in  Schonen  auch!  die  ob.  S.  61  erwähn- 
ten Pysslingar.  Wohnen  sie  in  Berghöhlen,  so  heißen  sie  Beig- 
troll.  Im  Wirbelwinde  fahren  sie  einher  und  da  ein  solcheor 
im  Sommer  häufig  entsteht,  bevor  ein  Gewitter  losbricht,  heitt 
es,  daß  der  Donner  (Gofar)  die  Trolle  verfolge.*  An  die 
Stelle  des  Gattungsnamens  Troll  tritt  zuweilen  Rä  (Nentr.) 
Flur.  Rade  und  die  Skogsnufva  heißt  Skogsrä,  wie  es  ebenfalls 
ein  Sjörä  (Seerä)  giebt.  Die  Skogsnufva  ist  ein  bösgesinntes^ 
leichtfertiges  und  unheilvolles  Wesen.  Sie  nimmt  das  Aussehen 
iEdler  Tiere,  Bäume  und  anderer  Naturdinge  an,  welche  im 
Walde  vorkommen.  Ihre  wahre  Gestalt  ist  diejenige  eines  in 
Tierfelle  gekleideten  alten  Weibes  mit  fliegendem 
Haar  und  langen  Brüsten,  die  über  die  Achseln 
geschlängt  sind.  Im  Rücken  trägt  sie  einen  langen 
Kuhschwanz,  oder  sie  ist  hohl,  wie  ein  alter  fauler 
Baumstock  oder  ein  zu  Boden  geworfener  Stamm, 
oder  Backtrog.  Dem  Jäger  zeigt  sie  sich  gerne  als  eine 
schöne  und  verflihrerische  Jungfrau,  aber  nur  von  vorne;  auf  der 
Hinterseite   kann   sie  nach   den    meisten   Sagen  ihre   Ungestalt 


1)  Die  Wirbelwinde  entstehen  vorzüglich  im  Sommer  knrz  vor 
einem  Gewitter  und  im  Frühlinge  zur  Zeit  der  Aussaat.  Im  ersteren 
FaU  sagt  man  in  Smaland:  Sieh!  der  Troll  eilt  nach  Hanse,  gleich  kommt 
der  Donner  gefahren  (se  sä  trollen  fa  brädt  om  att  fara  hem;  na  böijar 
shart  Gofar  köra);  in  letzterem  Falle  „der  Troll  ist  draußen  Saat  sn 
stehlen.*'  Man  glaubt  nämlich,  daß  das  Trollweib  vor  dem  Sämann  her- 
geht und  die  Saat  in  ihrem  Kleide  auffängt.  Nun  ist  wol  sicher  Tersi&nd- 
lich.  was  der  gotländische  Volksglaube  meint,  wenn  er  von  einem  Don- 
nersmädchen  Thors  pjäska  spricht.  Sie  ist  eine  Jungfrau  von  etwa 20  Jah- 
ren, kommt  beim  Gewitter  in  die  Häuser  und  bittet  um  Aufnahme.  Von 
vorne  ist  sie  schön,  von  hinten  wie  ein  Backtrog  hohl.  Nimmt 
man  sie  ins  Haus  auf,  so  schlägt  der  Blitz  ein..  Um  dies  zu  verhin- 
dern macht  man  in  alle  Fenster  Kreuze.  (Durch  Prof.  Säve  in  Up- 
sala.)  Die  Thors  pjäska  ist  Personification  des  vor  dem  Gewitter  entstehen- 
den Wirbelwindes.  Pjäske  pl.  pjäsker  (vgl.  engl,  pixy  a  fairy)  ist  ein  klei- 
ner Troll  (smätroll);  Hcmpjäske  sind  Hausgeister;  der  gute  Nissen  ist  ein 
Hempjäske.  S.  44.  P.  Möller ,  Ordbog  öfver  Halländske  landskapsmälet. 
Lund  1858  s.  v.  —  Man  vgl.  die  mitgeteilten  Züge  der  Sage  von  St.  Wal- 
purgiso  b.  S.  1.21 


Die  sehwedisehen  Waldgeister.  129 

yeibergen.     Schützen  and  andere ,  welche  ihre  Wege  im 
Urwald   haben,  hören  oft  die  SkogsnufVa  trällern ,  lachen,  wis- 
pern  nnd  flttstem  in  Busch  nnd  Dickicht,  denn  sie  kann  jede 
Art  Lant  annehmen.    Spricht  sie  aber,  so  geschieht  es  stäts  mit 
IteiBerer  Stinune.    Ihre  Erscheinung  kündigt  sie  im  vor- 
ao8  mit  einem  scharfen  eigentümlichen  Wirbelwinde 
an,  der  die  Baumstämme  bis  zum  Zusammenbrechen 
schfltteli    Hört  man  —  wie  es  zuweilen  geschieht  —  am  ein- 
samen  Waldbach    einen  klatschenden   oder  schnalzenden   Laut, 
80  sagt  das  Volk:  „da  wäscht  die  Waldfrau''   und  werden 
im  Frtthlinge   schneeweiße  Flecken   und  Stellen   tief  hinten  im 
dunkeln  Walde  sichtbar,  so  „ist  das  die  Skogsnufva,  welche 
ihre    Kleider    ausbreitet"    (vgl.    die   Wildfrauen    in    Tirol 
S.  101.  112).    Wer  sich  aber  tiefer  hineinbegiebt  in  den  wilden 
VTald  mag  sich  wol  vorsehen,   denn  die  Skogsnufva  sucht  auf 
jede  Weise  Macht  über  ihn  zu  erhalten. 

Oft  hört  man  sich  laut  bbi  Namen  rufen ,  dann  antworte  man 
bei  Leibe  nicht  „ja",  sondern  „he!"  denn  die  Waldfrau  rief 
Qod  mit  der  Antwort  „ja"  giebt  man  sich  in  ihre  Gewali  Dann 
lacht  j9ie  laut  auf,  so  daß  es  im  ganzen  Walde  wiederhallt. 
W'er  so  in  ihrer  Macht  ist,  den  macht  sie  irre  (förvillar)  auf 
mehr  als  eine  Weise.  Er  findet  nicht  wieder  aus  dem  Walde 
heraus ,  sondern  geht  und  geht  und  kommt  immer  wieder  auf  die 
Dämliche  Stelle.  Zuletzt  ist  er  so  sinnverwirrt,  daß  er  nicht  mehr 
sein  eigen  Haus  erkennt  Oder  der  eine  Stunde  lang  vom  rech- 
ten Wege  ab  die  Kreuz  und  Quer  durch  Hag  und  Dom  Genarrte 
glaubt  endlich  in  tiefem  Morast  zu  waten  und  schürzt  die  Kleider 
auf.  Da  hört  er  plötzlich  das  Lachen  der  Skogsnufva  im  Walde 
wiederhaUen  und  sieht  sich  auf  trocknem  Boden.  ^  Das  einzige 
Gegenmittel  ist,  Wamms,  Mütze  oder  Strümpfe  umkehren,  oder 
das  Vaterunser  rückwärts  beten.  MilzsUchtige  melancholische 
Menschen,  welche  die  Einsamkeit  suchen,  stehen  in  dem  Rufe, 
daß  die  Skogsnufva  sie  locke,  oder  Macht  über  sie  bekommen 
habe.  (Vgl.  die  Saligen  o.  S.  101  AT.)  Von  dieser  Verzauberung 
kann  man  nur  frei  werden,  wenn  man  nach  der  Anordnung  eines 
„klugen  Mannes"  dreimal  durch  einen  Eichenkloben 
kriecht,   der  mit  Holzkeilen  und  Holzaxt  ohne  Eisen  gespalten 


1)  Nicolovius,  Folkelifvct  i  Sk>-tt8härad  i  Skäne  S,  101. 

Mannhardt.  9 


t.jM  Kapitel  JI\    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

Wt  Bei  Menschengedenken  ist  noch  ein  Bursche  im  Ljuder- 
$%H'kou,  der  davon  „Skogsnisse'^  genannt  wurde,  von  der  Skog- 
«uufva  verwirrt  und  durch  den  beschriebenen  Act  von  ihr  befreit 
wonlen,  der  (nach  S.  32)  die  Identification  mit  einem  Baume 
l>edeutet  Im  mittleren  Oesterbotten  erzählt  man ,  zuweilen  werde 
das  im  Walde  weidende  Vieh,  oder  werden  Menschen  in  einem 
ftlr  sterbliche  Augen  unsichtl)aren ,  aber  in  der  Tat  dichten  und 
undurchdringlichen  Flor  oder  Netze  gefangen,  welches  sie  wie 
ein  Dach  umhüllt,  so  daß  sie  sich  —  so  lange  sie  unter  des 
Skogsrä  Einfluß  stehen  —  weder  rühren,  noch  um  Hilfe  rufen 
können.  Doch  der  Kirchenglocken  Klang  bricht  den  Zauber 
augenblicklich^  und  deshalb  kann  dieser  nie  länger  als  eine 
Woche  währen.  Wem  dies  begegnet,  der  heißt  „skogtagen, 
walderfaßt '^  Oft  stößt  er  morgens  aufwachend  sofort  auf  das 
ersehnte  Ziel  und  sieht,  daß  es  ihm  zur  Seite  lag.  Zuweilen 
offenbart  sich  ihm  das  Skogsrä  leibhaftig  als  altes  Weib,  großer 
, Vogel,  oder  als  polternder  Greis  mit  starkem  Barte.  Man  erzählt 
manche  factische  Beispiele  von  Skogtagning,  meistens  auf  Ktthe 
und  Kinder,  zuweilen  auch  auf  ältere  Personen  bezüglich.  Das 
Volk  pflegt  sich  dabei  allgemein  auszudrücken  „skoje  halder 
d.  h.  der  Wald  hält  fest",  wird  aber  gefragt,  ob  es  der 
Wald  selbst  sei^  der  festhalte,  so  erhält  man  zur 
Antwort  „Nein  die  Skogsrä"  („nej  skogsräde").*  Nur  die 
Jäger  suchen  und  gewinnen  zuweilen  des  Waldweibes  Freund- 
schaft, denn  sie  ist  es,  die  allem  Wilde  im  weiten  Skog  gebietet 
und  wer  mit  ihr  gut  steht,  kann  schießen,  so  viel  er  will.  Alte 
Schützen  pflegen  deshalb  eine  Kupfermünze  (Slant,  Sechsstüber) 
oder  etwas  Speise  ftlr  die  Skogsnufva  (das  Skogsrä)  auf  einen 
Baumstubben  oder  einen  Stein  als  Opfer  niederzulegen. 
Oder   man    geht  Ostermorgens   um  Sonnenaufgang/  auf  so   viele 


1)  Vgl.  Einem  Bauer  erscheint  am  Sonntagsmorgen  ein  Skogsrä  in  Ge- 
stalt eines  schönen  Weibes  nnd  fragt  ihn:  „hörtest  du  da  des  Priestere 
Kuhglocken?"  Als  der  Bauer  das  nicht  versteht,  und  „nein"  antwortet, 
wird  just  das  Sonntagsgeläut  hörbar.  Da  ruft  sie  zornig:  „  So  hörst  dn  sie 
jetzt"  und  verschwindet  mit  Gelächter,  nicht  ohne  ihren  hohlen  Rücken 
und  langen  Schwanz  blicken  zu  lassen.  (Djurklou  Antcckningar.)  Aach 
die  deutschen  Zwerge  hassen  das  Glockengeläut. 

2)  S.  A.  Böhm^  Nägra  Ord  om  den  Svenska  allmogens  i  meddlerste 
Osterbotten  öfvertro  otc   Us  des  Kiksantiquariums  in  Stockholm. 


Die  schwedischen  Waldufeister.  131 

Grandstficke,   als   man   beschicken  kann,   bricht  auf  jedem 
einen  kleinen  Baum  ab  und  sagt:  Ich  opfre  dieses  fUr  mich, 
damit  ich  das  Jahr  hindurch  Glück  nnd  Frieden  bei  der  Jagd 
habe.'    (Vgl.  unten  das  Zaubermittel  den   russischen  Waldgeist 
berbeizarufen.)    Geht  man  drei  Donnerstage  hintereinander  nüch- 
tern  auf  die  Jagd,   so   trifft  man  wol  die  Skogsfm  selbst  und 
erhält  von  ihr  das  Recht  so  viel  zu  treffen,   als  man  Lust  hat; 
beim  Fortgehen   darf  man   sich   aber   nicht  nach  ihr  umsehen.^ 
Dem  Schützen,    den  sie  gern   hat,  flihrt  sie  zuweilen  selber  das 
Wildpret  in  den  Weg.    Dem  FiJrster  (Skogvaktare)  Vestholm  in 
Frjrktdelsherad  in   Värmeland  begegnete  einst  die  Skogsfm  wie 
«e   einen   großen  Elennochsen  (elgoxe)  am   Home  ftlhrte.     Sie 
rief  ,,schieB!    schieß!   (skjut,   skjut!)"   doch  er  wagte  es  nicht.* 
Wem  aber  das  Waldweib  nicht  hold  ist,  den  narrt  sie  in  Gestalt 
eines  Behbocks   oder   er  jagt  bei   aller  Mühe  vergeblich.     Ein 
Skogsrä  untersuchte ,  da  sie  schliefen ,  die  Büchsen  zweier  Jäger, 
£e  ihr  Nachtquartier  im   Walde   genommen   hatten.     Das  eine 
Gewehr  lobte  sie,  „gut!  gut!  gut  (bra,  bra,  bra)."    Der  Eigen- 
tllmer  schoß   am  nächsten  Tage  viele  *Auerhähne.     Das  andere 
tadelte  sie:  „fi!  fi!  fi!"     Derjenige,   dem  es  angehörte,  machte 
nur  Fehlschüsse.*     E.  M.  Arndt  erfuhr  von  einem  seiner  Führer, 
er  sei  einmal  mit  sieben  andern  aufs  Tjäderspiel  (Auerhahnjagd) 
ausgewesen.    Als  sie  nun  da  saßen  und  auf  den  Vogel  lauerten, 
fahr  ein  Skogsrä  aus   einem  Baume  in  hellstem  Glänze 
an  ihnen  vorbei.    Sie  sahen  so  viele  Auerhähne ,  wie  noch  nie, 
aber  sie  schössen  an  jedem  vorbei,  und  fingen  nicht  einen.    Ein 
andermal  fuhr  das  Rä  mit  Sausen  aus  der  Luft  herab,   mit 
gewaltigen   breiten  Sprüngen   auf  ihn  zu   und  bcschüt- 


1)  F.  L.  Raaf  handscbr.  Sammlung  vod  Zauberformeln  (Svenska  skräk 
ok  signerier  antecknade  i  Bokstafordning)  im  Riksantiquarinm  zu  Stockholm 
7  Bde.  s.  V.  Vgl.  Ihre  (Moman)  de  superstitionibas  hodiemis  e  gentilismo 
KsidQis  üpsal.  1750  p.  28:  Nee  minus  usitatum  est  pecunias  et  esculenta 
dicare  Nymphis  [skogsrä]  et  najadibus  [sjörä],  unde  piscatores  et  sagittarii 
oaximnm  sibi  pollicentnr  lucmm.  Existimant  autem  quosdam  lacus  et  sylvas 
>deo  usqne  in  eomm  geniomm  ditione  esse ,  ut  nisi  homm  favorem  sibi  con- 
cüient,  frastranens  fntams  sit  eorum  labor. 

2)  Kä&f  a.  a.  0. 

3)  Borgström,  Besaberättelser  ur  Värmeland  1845.    Hdschr.  des  Riks- 
tntiqiiarinms. 

4)  Aafzeichnnng  des  Baron  G.  Djurkloa  ans  Nerikc. 

9* 


132  Kapitel  Ü.     Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

tete  ihn  mit  Regen  aus  einer  wirbelnden  Wolke,  wäh- 
rend es  sonst  allenthalben  still  und  heiter  war.  Vierzehn 
Tage  blieb  sein  Schießen  behext,  bis  er  endlich  so  glücklich 
war  ein  Skogsrä  sausend  vorbeifahren  zu  hören  und  sein  Messer 
darüber  zu  werfen;  so  wurde  sein  Bann  gelöst.^  Einzelne  Tiere, 
Hirsche,  Rehe,  Hasen  und  Auerhtihner  eignet  sich  die  Skogsfm 
ausschließlich  zu;  sie  heißen  Freitiere  (Fridjur  vgl.  ob.  S.  39  die 
Friträd)  und  niemand  kann  sie  schießen,  es  sei  denn  mit  einer 
besonders  bereiteten  Ladung.  Zielt  jemand  auf  solch  ein  dem 
Skogsrä  zugeeignetes  Tier ,  so  kommt  es  ihm  nachher  immer  vors 
Gewehr,  er  kann  hundertmal  danach  schießen  und  triflFt  es  nie. 
Gelingt  ihm  aber  auch  auf  die  angegebene  Weise  der  Schuß,  so 
verdirbt  jedenfalls  seine  Büchse  und  ist  verhext  und  unbrauch- 
bar. (Vgl.  die  Gemsen  der  Seligen  ob.  S.  100).  Nur  selten  ist 
die  Begegnung  des  Waldweibes  mit  Menschen  ganz  harmlos. 
Kersten  Klemens  Tochter  aus  Nykalvatten  im  Fryktdelshärad 
(Värmeland)  traf  zweimal  die  Skogsjungfru  im  Walde.  Sie  trug 
einen  blauen  Rock,  der  bis  auf  iiie  Knie  reichte,  ein  weißes 
Kopftuch  und  rauhe  Hemdsärmel  mit  schönen  Säumen  an  der 
Hand.  Sie  sah  so  freundlich  aus,  daß  Kersten  sich  ärgerte 
sie  nicht  angeredet  zu  haben  und  sich  ^es  flir  das  drittemal 
vornahm. 

Dem  Köhler,  der  Nachts  einsam  bei  dem  schwelenden  Mei- 
ler wacht,  oder  dem  Jäger,  der  sich  um  Mittemacht  an  einem 
Waldfeuer  ausruht,  naht  sich  die  Skogsfru  gerne  in  liebreizen- 
dem Körper  und  sucht  ihn  zur  Zärtlichkeit  zu  verlocken.  Läßt 
er  sich  von  ihr  betören,  so  sehnt  er  sich  fortan  Nacht  und  Tag 
danach  ihr  im  Walde  zu   begegnen  und  kommt  schließlich  ganz 


1)  So  macht  man  den  Neck  unschädlich  durch  etwas  Metallisches,  das 
man  ins  Wasser  wirft;  Arndt,  Reise  in  Schweden  lU ,  17.  Püttmann,  Nord. 
Elfenm&rchen  150.  Ein  Messer  in  den  Wirbel  hineinzuwerfen  ist  in  Deutsch- 
land ein  Mittelf  um  den  in  der  Windsbraut  einherfahrenden  Dämon  zu 
verwunden.  Schönwerth,  a.  d.  Oberpfalz  U,  113.  Vgl.  Mannhardt,  Götter- 
welt S.  99.  Vgl.  die  merkwürdige  Uebereinstimmung ,  daß  nach  dem  Glau- 
ben des  ägyptischen  Fellah  auch  die  Dschinnen  großen  Respcct  vor  dem 
Eisen  haben.  Sieht  er  einen  Wirbelwind  oder  eine  Sandhose  auf  sich 
zu  kommen,  so  ruft  er  dem  darin  sitzenden  Geiste  zu:  „Chadid  ya 
maschttn.  Eisen,  o  Unseliger!'*  und  glaubt  sich  gesichert.  Grenzboten 
1863.    S.  127. 


Die  idiwediMheii  Waldgeifter. 


138 


von  SiniiffliL^  Oder  das  tückische  Waldweib  schreit  laut  auf  und 
mit  ihren  anholden  Gatten,  der  herbei  stürzt  un.d  den  Liebhaber 
m  Boden  schlägt'  Dabei  ist  sie  freilich  nicht  immer  im  Unrecht 
Einen  Herbstabend  kam  ein  Skogsrä  zu  einem  Kohlenmeiler  and 
winnte  sich.  Dem  rohen  Köhler  fiel  es  ein,  ihr  einen  Feuer- 
bimnd  in  die  Kleider  zu  stecken,  worauf  sie  einen  Jammerschrei 
aoastieß  and  ihren  Mann  rief,  so  daB  der  ganze  Wald 
erbebte  and  die  Baamwipfel  über  ihr  sich  zusam- 
menbogen. Elrschreckt  eilte  der  Köhler  heim  und  konnte 
andern  Tages  kaum  den  Platz,  da  sein  Meiler  stand,  finden.* 

Wem  fiele  nicht  auf,  daß  diese  Geschichte  natürlich  mit  ver- 
ioderter  Sceneri^  genau  der  Erzählung  von  dem  in  eine  Baum- 
ipalte  eingeklemmten  Wildweibe  in  Tirol  (ob.  S.  95)  entspricht? 
In  ähnlicher  Weise  endet  die  Erzählung  auch  des  Jägers  von 
seinem  Abenteuer  fast  in  allen  Fällen.  Grade  als  sie  vor  dem 
Feuer  hochmütig  dastand  und  ihre  schöne  Gestalt  zeigte,  —  so 
erzählt  er  wol  —  nahm  ich  einen  Brand  aus  der  Flanmie  und 
lefalug  ihr  damit  auf  die  Hand,  indem  ich  ihr  zurief:  „Fahre  hin 
in  den  Wald,  du  böser  Geist!''  Da  fuhr  sie  mit  einem  lauten 
Wimmern  dahin  und  ein  furchtbares  Unwetter  ent- 
stand, so  dafi  die  Bäume  sich  mit  den  Wurzeln  aus 
der  Erde  zu  heben  schienen,  und  als  sie  uns  den 
Rttcken  zuwendete,  war  sie  anzuschauen,  wie  ein 
hohler  Baum,  oder  wie  ein  Backtrog.^  E. M.  Arndt  hörte 
TOD  seinem  schon  erwähnten  Führer,  als  derselbe  einmal  auf  der 
Äaerhuhnjagd  sich  ein  Feuer  anzündete  und  aß,  trat  eine  Jung- 
frau zu  ihm  in  großem  »Schmuck,  grüßte  ihn  freundlich,  winkte 
and  lockte.  Sie  war  klein  von  Wuchs,  hatte  blonde  Locken, 
aber  —  o  weh!  —  Klauen  statt  der  Nägel.  Er  fragte,  ob  sie 
mit  ihm  essen,  oder  am  Feuer  sich  wärmen  wollte;  sie  nickte 
freundlich.    Da  nahm  er  behutsam  das  Ende  seiner  Axt,  legte 


1)  Hylten-Cavamus  a.  a.  0.  U— 17.    Vgl.  ob.  S.  108  die  rauhe  Else  in 
Oberdeutschland. 

2)  Annerfeldtf  framställning  af  vidskcpelige  foreställningar  i  Sydvestra 
8kine.    Hsc.  der  Sk&nska  fomminnes  forening. 

3)  Buna  1844.    ä.  44. 

4)  Afzelios,  Volkssagen  aus  Schwedens  älterer  und  neuerer  Zeit  übers. 
Ton  üngewitter  II,  311. 


134  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  nud  ihre  Sippe: 

Speise  darauf,  und  reichte  sie  ihr,^  denn  die  Hände 
wollte  er  nicht  gegen  ihre  Klauen  setzen.  Sie  nahm  es  nicht^ 
sondern  lächelte  und  verschwand  grade  wie  eine  Fackel 
die  man  wirft.  Ein  Waldwärter  (Skogsvaktare)  trank  auf 
einem  Fichtenstamm  sitzend  einen  Schluck  Brantwein.  Da  setzte 
sich  die  Skogsfru  auf  die  andere  Seite  des  Baumes.  Er  fragte: 
„Trinkt  die  Jungfer V"  (Super  mamscllV)  Sie  schüttelte  den  Kopf 
und  verschwand.'*  Ein  Bursche  in  Finntorp,  der  eine  Braut  in 
Billing  hatte,  lud  dieselbe  zu  einem  Stelldichein  auf  den  Lad- 
backen. Sie  blieb  aber  aus  und  die  Skogsfru  des  Berges  zog 
ihre  Gestalt  (hamn)  an,  tat  mit  dem  Jüngling  schön  und  bot 
ihm  eine  Bretzel.  Er  aß  mit  großem  Wohlgeschmack.  Kaum 
hatte  er  jedoch  den  letzten  Bissen  heruntergeschluckt,  so  lachte 
sie  aus  vollem  Halse,  so  daß  es  im  Walde  krachend 
wiederhallte  und  verschwand  zwischen  den  Felsen; 
im  Verschwind-en  sah  er  den  ausgehöhlten  Rücken  und 
langen  Schwanz.  In  der  Meinung,  das  Mädchen,  welches  sein 
Herz  gewonnen  hatte,  sei  ein  Skogsrä,  vermied  er  dasselbe 
fortan.^  Zuweilen  kommt  es  zu  einer  engem  Verbindung  zwi- 
schen der  Waldfrau  und  einem  Menschen,  welcher  Kinder  von 
größerem  Wuchs  und  höherer  Kraft  als  andere  Menschen,  nach 
andern  dagegen  abscheuliche  Mißgeburten  entspringen.  Doch 
wird  der  Liebhaber  dieses  Verhältnisses  bald  überdrtlssig  und  er 
sucht  dann  wol  Hilfe  bei  einem  „Klugen.''  Allein  er  wird  das 
Skogsrä  gemeinhin  nur  los,  wenn  er  eins  ihrer  Haupthaare  um 
seine  Büchse  wickeln  und  sie  damit  schießen  kann.  Dann  hört 
man  einen  entsetzlichen  Aufschrei,  ein  furchtbares  Tosen  im 
Walde  und  er  sieht  sie  niemals  wieder.  Ein  Jäger  tat  nie  einen 
Fehlschuß,  weil  er  mit  einem  Skogsrä  im  Bunde  stand  und  sich 
von  ihr  jedesmal  die  Büchse  laden  ließ.  Endlich  faßte  er  Wider- 
willen gegen  sie,  bat  sie,  ihm  das  Gewehr  mit  tödtlichem  Mei- 
sterschuß zu  laden  und  erschoß  sie.    Seitdem  hatte  er  keine  Ruhe 


1)  Mit  der  Waffe  (Ger  u.  s.w.)  Gabe  reichen,  resp.  aufnehmen  war  bei 
Begegnung  Fremder  odpr  feindlichen  Stämmen  Angehöriger  eine  hoch  hinauf- 
reichende Sitt«  des  deutschen  und  skandinavischen  Altertums.  S.  J.  Grimm, 
über  Schenken  und  Geben.    Kl.  Sehr  II,  199. 

2)  Värmeland  Fryktdelshärad  nach  Borgström  Resaberättelser  1845.   Msc. 

3)  Djurklou,  Anteckningar  ur  Nerikes  folkelifvet    Msc. 


Dia  fchwedMcheii  Wald^ister.  185 

mehr,  weder  im  Schlafen  noch  Wachen.^     In  alten  Zeiten  war 
ein  Bauer,  ohne  ihre  Herkunft  zu  wissen,  mit  einer  Wald- 
fimii  die  Ehe  eingegangen.    Sie  lebten  manche  Jahre  glttck- 
Kdi  und  zeugten  Söhne   und  Töchter.     Als  sie  einst  gemeinsam 
im  Walde  daran  arbeiteten,  einen  fertig  gebrannten  Kohlenmeiler 
auseinander  zu  reißen ,  fand  sich ,  daß  sie  den  Speisesack  verges- 
sen hatten.    Er  ging  nach  Hause,  denselben  zu  holen.    Da  sprach 
die  Hausfraa  „Kommst  du  zurück,  so  schlage  drei  Schläge 
in  den  und  den  Baum  da,''    und  damit  bezeichnete  sie  eine 
Tanne,  welche  eine  gute  Strecke  von  ihnen  entfernt  stand.    Der 
Bauer  versprach  ihrem  Wunsche  nachzukommen.    Ob  er  das  aber 
leigaB  oder  filr  unnötig  hielt,  genug  bei  seiner  Zurttckkunft  sah 
er  zu  seinem  großen  Schrecken,  wie  sie  die  Kohlen  mit  bloßen 
Binden   aus  dem  Meiler  riß  und  mit  ihrem  langen  Schwänze 
«ulösehte.    Sofort  drehte  er  um  und  tat  drei  Schläge  mit  seinem 
Axthammer  auf  die  Tanne  (slog  tre  slag  i  tallen  med  yxhamma- 
len),  worauf  das  Weib  sich  sofort  wieder  in  gewöhnliche  und  in 
dien  Teilen  gleichartige  Menschengestalt  verwandeltcj    [Nur  auf 
ömnd  weitem  Materials  wollte  ich  es  unternehmen  zu  entschei- 
den, ob  jene  drei  Axtschläge  nur  den  Zweck  haben  die  Skogsfru 
von  der  Annäherung  ihres  rtlckkehrenden  Mannes  zu  benachrich- 
tigen, oder  ob  sie  zu  deren  Verwandlung  in  einer  inneren  Be- 
aehong  stehen].     Seitdem  dachte  der  Bauer  darauf  seine  Frau 
log  zu  werden.    Endlich  gab  ihm  ein  klages  Weib  ihren  Rat  und 
zugleich    einen   großen   Zauberbeutel    als  Amulet  um  den  Hals 
za  hängen.     Er  fährt  mit  Frau  und  Kindern  zu  Schlitten  über 
einen   See,    angebhch  um  sie  auf  eine  Hochzeit  zu  ftihren.    In 
Sees  Mitte  liest  er  mehrere  Worte ,  die  die  Alte  ihm  aufgeschrie- 
ben, und  sofort  kommt  eine  Menge  von  Wölfen  zum  Vorschein. 
Eiligst  spannt  er  das  Pferd  aus  und  reitet  davon,   wie  ängstlich 
anch  die  Gattin  ihm  nachruft:  Kehre  um,  wenn  nicht  um  meinet- 
willen,  so   doch  um  Snorpipas  willen,   sonst  fressen  die  Wölfe 
nns  auf!     Snorpipa  (Schnarrpfeife)  hieß  ihr  jüngstes  Töchterchen, 
b  ihrer  Not  rief  sie  dann  aus  Leibeskräften  nach  ihrer  Schwester 
Strissa.    Der  Troll  in  der  Grube  (Erzgrube  V)  Strässa  war  näm- 
lich ihre  Schwester.    Dieselbe  kam  daher  gefahren,  so  daß  es 


1)  Aufgez.  1852  von  M.  H.  Hultio,  Hdschr.  des  Reichsantiquariums  zu 
StoclLholm. 


136  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

in  der  Luft  sauste  und  pfiff  and  entrückte  sie  den  Wölfen, 
die  schon  alle  Kinder  gefressen  hatten.  Den  bösen  Bauer  ver- 
folgte eine  Trollkatze,  vor  deren  Wuth  ihn  das  Amulet  schützte, 
obwol  die  hinter  ihm  zuschlagende  Tür  eines  Hauses,  in  das  er 
sich  rettete,  in  Stücke  sprang.  Als  er  einst  badend  das  Amulet 
ablegte,  drehte  ihm  ein  Troll  den  Hals  um.^  So  fest  haftete  der 
Glaube  an  Liebschaften  von  Menschen  mit  Waldfrauen,  daB  z.  B. 
am  22.-23.  Dezember  1691  vom  Häradsgericht  ein  zwei  und 
zwanzigjähriger  Bursch  aus  dem  Markshärad  zum  Tode  vemr- 
teilt  wurde,  „wegen  unerlaubter  Vermischung  mit  einem 
Skogs-  oder  Bergsrä.'^  Und  noch  am  5.  August  1701  vnirde 
Volontair  Mäns  Malm  augeklagt  und  vor  Gericht  gezogen,  wdl 
er  solle  mit  einem  Skoügrä  zu  tun  haben.  Eis  verdient  hervor- 
gehoben zu  werden,  daß  diese  schwedischen  Traditionen  den 
besten  Gommentar  zu  des  Burkhard  v.  Worms  (ob.  S.  113)  Aus- 
sage über  die  Waldfrauen  liefern.  Wie  in  obiger  Sage  der  Troll 
in  der  Erzgrube  der  Skogsfru  Schwester  ist,  wird  andererseits 
der  Name  Skogsrä  auch  auf  Wesen  ausgedehnt,  welche  auf  Al- 
men (saetter)  ihren  Auienthalt  haben.  So  weiß  man  in  den  Wald- 
gegenden der  Distrikte  Asker  und  Lennäs  in  Nerike  noch  viel 
von  einem  Skogsrä  zu  erzählen,  welches  von  der  Bergwiese 
Y-ssetter  den  Namen  Yssetter-Kajsa  (Ysaetter-Kätchen)  ftlhrte. 
Als  einst  diese  Alme  gemäht  wurde,  und  die  Schnitter  beim 
Abendbrod  saßen,  rühmte  sich  ein  Bursch,  er  habe  Lust  mit  der 
Ysaetterkajsa  Streit  anzufangen,  und  da  wolle  er  ihr  schon  auf 
den  Pelz  geben.  Kaum  sprach  er  dies,  so  hörte  man  hinter  ihm 
ein  Geräusch  und  er  erhielt  von  unsichtbarer  Hand  eine  so  derbe 
Ohrfeige,  daß  er  Blut  werfen  mußte.*  Statt  des  Skogsr&  d.  h. 
der  Personification  des  gesammten  Waldes  wird  mitunter  auch 
das  Rä  eines  einzelnen  Baumes  genannt  und  so  zu  sagen  mit 
einem  andern  Geiste  identifiziert. 

Bei  Badelund  in  Westmannlaud  stand  eine  Tanne,  die  Klin- 
tatanne  (Klintatall)  auf  kahlem  Felsen,  unter  welchem  im  Bei^ 
der  Tanne  Schutzgeist  (Kä)  wohnte.  Das  war  ein.  Meerweib, 
welches  man  oft  aus  einer  Bucht  des  nahen  Mälarsees  schnee- 
weiße Kinder  über  die  Wiesen  zum  Baume  treiben  sah,  dessen 


1)  Djurklou,  Anteckniogar. 

2)  Djurklou  a.  a.  0. 


Die  MhwediBchen  Wald^ister. 


187 


z*    • 


Aeste  niemand  anzortthren  wagte.  ^  Ueberhaupt  stehen  sich  die 
Bergsrä,  Skogsrä  and  Sjörä  (Bergrä,  Waldrä  and  Seer&)  ein- 
ander sehr  nahe  and  sind  fast  nar  darch  ihren  Wohnsitz  and 
dnige  damit  znsammenhängende  Besonderheiten  verschieden. 

Die   weiblichen  Skogsrä  kehren  zuweilen  anch  in  Mühlen, 
StiUle,  Brennereien  a.  s.  w.  ein.     Da  kündigen  sie  ihre  Gegen- 
wart dadurch  an^   daß  die  Sachen  irgendwie  in  Unordnnng  lie- 
gen.   Dann  deckt  man  an  dieser  Stelle  einen  Tisch  mit  ein  wenig 
tanrichtong  und  ruft  mehrmals:  ,, Findet  sich  da  irgend  ein 
^j  80  komme  hervor*!'^    Erweist  man  dem  erscheinenden  Geiste 
teine  liebe  mit  freandUcher  and  liebreicher  Zuspräche  und  höf- 
ieher   Begegnung    (weitergebender    Vertraulichkeit    bedarf    es 
■dt  notwendig)  so  erwiedert  derselbe  das  WolwoUen,  indem  er 
lilBchaften  verrichtet  ^  dem  Hause  Glück  schafft  u.  s.  w.'   Kurzum 
aeh  die  Skogsrä  gehen   in  Hausgeister   über  (vgl  die  Dienst- 
loBtangen  der  Seligen  ob.  S.  90.  103  und  Moosleute  S.  80). 

Wie  alle  Trolle  haben  die  Skogsrä  Furcht  vor  dem  Donner, 
der  sie  verfolgt  und  erschlägt.  Oft  hört  man  im  Walde  während 
des  Gewitters  den  Skogsman  und  die  Skogsfru  laut  jfumiem.' 
Doeh  auch  der  wilden  Jagd  dienen  sie  als  Verfolgungsziel.  Ein 
Sehneider  im  Nordmarkshärad  in  Värmeland  liebte  leidensehaft- 
Eeh  die  Jagd.  Als  er  einst  Nachts  auf  dem  Anstand  lag,  floh 
ein  Skogsrä  an  ihm  vorbei  mit  großen  über  die  Achseln  geschla- 
genen Brüsten  und  das  herabwalleudc  Haar  flatterte  wild  hinter 
ihr  un  Winde,  ihr  folgte  ein  Jäger  mit  zwei  pechschwarzen 
Händen.  Bald  kam  er  zurück  und  hatte  das  Wildpret  erlegt- 
Die  Beine  des  Skogsrä  hatte  er  über  die  Schulter  geworfen,  ihr 
Haapt  und  ihre  Brüste  schleppten  auf  dem  Boden  nach  und  troffen 
Ton  Blut,  das  die  Hunde  begierig  aufleckten.  Der  Jäger  fragte 
den  Schneider,  wie  er  dazu  komme  in  seinem  Walde  zu  jagen 
umI  verbot  es  ihm.^  in  Smäland  und  andern  Gegenden  wird 
gradezu  König  Oden  als  der  nächtliche  Jäger  bezeichnet,  der 
mit  Jagdhorn   und  Spieß  (resp.  Büchse)   und   mit   zwei   Hunden 


1)  Afzclios,    Volkösagcn    und    Volksl.    übers,    v.    Ungewittcr   II,   308. 
Mytb.*  Giy.    Püttmann,  nonl.  Klfennmrchen  S.  15G  ff. 

2)  Raäfs  Sammlung  a.  Bersoryd. 

3)  Annerfeld  a.  a.  0.  8.  if2.     Djurklou ,  Anteckningar  Nr.  71. 

4)  Borgström,  Besaberättelser. 


1)  Aufzeichnung  v.  M.  H.  Hultin  1858. 
•   2)  Hieraus  erklärt  sich  die  verdunkelte  üeberlieferung  aus  Hessen  ob. 
S.  88,   daß  die  wilden  Männer  bald  hoch  oben  durch  die  Wipfel  der  Bäume 
fahren  j  bald  sich  freuen  zwischen  den  Schachtelhalmen  cinhergehen  zu  können. 


138  Kapitel  U.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

daherfahrend    sich    zum  Wilde   anveränderlich  eine  Skogsnnfra 
oder  ein  Bergatroll  ausersehen  hat,  die  vor  ihm  durch  die  Lnft 
fliehen  mit  fliegendem  Haar  und  über  die  Achseln  geschlängten 
Brüsten.     Die  Jagd  geht  über  Wald  und  Berg,   wie  VogeUJog 
oder  Sturmeswehn.     Von  der  nächtigen  Fahrt  heimkehrend  hat 
Oden   die  getOdtete  Skogsnufva    quer  über  dem  Rosse  htogen.    , 
Einem  Soldaten    der   ihm  einst  auf  einer  Fahrt  begegnet,    giebt 
er  sich  zu  erkennen.    „Ich  bin  König  Oden  und  vom  Allraächtigeii    { 
dazu  gesetzt,  alle  Trolle  und  Trollweiber  (alla  troll  och  pyskaii 
8.  ob.  S.  128)  auszurotten."     Da  habt  Ihr*  wol  vile  rbeit?  meinte 
der  Soldat    König  Oden  antwortete:  „Ja,  doch  ich  habe  den 
Donner  zu  Hilfe"  (Ja  men  jag  har  äskan  til  hjelp).^    Statt  dea    i 
Skogsrä  oder  Bergtrolls  wird  zuweilen  eine  Riesin  (jättesa)  mit   ^ 
eimergroßen  Brüsten  als  Jagdstück,  in  andern  Sagen  ihr  eige-^   j 
ner  Gatte,  oder  (entsprechend  der  ob.  S.  135  mitgeteilten  lieber-   ' 
lieferung)  eine  Schaar  gespenstiger  Wölfe  als  Verfolger  genannt 
Oefter  sucht  die  Verfolgte  in  dem.  Fenster  einer  Heuscheuer 
mitten  im  Walde  (hölada)  Schutz  und  spottet  da  der  Hunde  odw 
Wölfe,  wird  aber  von  einem  sie  belauschenden  Menschen  anbanv- 
herzig  unter  sie  hinabgestoßen. 

§.  19.  Die  russischen  Waldgeister.    Der  russische  Wald- 
geist Ljeschi  (von  Ijes,  poln.  las  Wald)  wird  allgemeui  in  Men- 
schengestalt mit   Bockshörnern,  Bocksohren  und  Oeii- 
füßen  gedacht,  die  Finger  enden  in  lange  Klauen,  Kopf   . 
und   Körper  werden   von   rauhen    und   zottigen  Haaren   j 
bedeckt,  die  häufig  von  grüner  Farbe  sind.    Er  kann  aber   \ 
mancherlei  Gestalten  annehmen  und  seine  Größe  willkürlich  ver-    i 
ändern.     Geht  er  im  Felde,  so  verkleinert  er  sicJi  bis  zur  Größe    ; 
des   Grases;   gelit   er   im    Walde,   so   erreicht  er   die  Höhe  der 
Bäume,^    Die  Einwohner  der  Gouvernements  Kiew  und  Tscher- 
nigotf  teilen  deshalb  die  Ljeschie  in   zwei  Klassen.     Die  einen, 
die  eigentlichen  Waldljeschie  sind  graufarbige  Riesen,  die  andern^ 
welche  nicht  minder  Ljeschie  (Waldgeister)  heißen,  sind  Wesen 
des  Kornfelds,   Dämotien  des   Getreidewuchses  selbst.      Vor  der 


Die  nuwiseheii  Waldgeister.  189 

EnUe  haben  sie  dieselbe  Hohe,  wie  die  noch  grOnen  Uainie,  nach 
ier  Ernte  sehrwnpfen  sie  zusammen,  bis  sie  nicht  höher  sind,  als 
das  Stoppdfdd.  Man  darf  daraus  schliefien,  daß  auch  die 
fligentlicheii  Waldljeschie  als  Dämonen  der  Waldvegetation  zu 
denken  sind. 

Bäbifig  aber  nehmen  die  Ljeschie  völlig  menBchliche  Gestalt 
a,  nar  daB  sie  niemals  Angenbraaen  und  Wimpern  und  häufig 
gleieh  den  Kyklopen  nur  ein  Auge  haben.    Sie  tragen  dann  das 
Gewand  eines  Bauern  aus  Schaffell ,  aber  ohne  Gürtel ;  statt  des- 
HD  sind  die  beiden  Bockzipfel  in  einander  geschlungen.    Wirbel- 
wind und   Sturm  sind  das  Element ,  in  welchem  der  Ljeschi 
nie  Anwesenheit  offenbart    Nach  dem  Glauben  der  Bauern 
ntspringen  die  Verwüstungen  der  Orkane  dem  Kampfe 
ieser    Waldgeister    gegeneinander,    wobei    sie    Baum- 
rilmme  und  Felsstttcke  schleudern.    Hält  der  Ljeschi  Rund- 
pag  dorch  sein  Reich,  so  brüllt  der  Wald  und  die  Bäume  zit- 
km    Oder  der  Waldgeist  springt  spielend  von  Ast  zu  Ast  und 
vi^  sich  selbst  in  den  Zweigen,   wovon  er  an  einigen  Orten 
Znbotschnik  (vgl  Zuibka  Wiege)  genannt  ist    In  solchen  Stun- 
im  macht  er  alle  Arten  von  Lärm.    Er  kreischt  und  lacht,   er 
kblBcht  in  die  Hände,  er  wiehert  wie  ein  Pferd,  brüllt  wie 
eme  Kuh,  bellt  wie  ein  Hund.    Sein  Lachen  kann  man  meilen- 
wot  in   der  Runde  hören.    Wenn  Jbei  Sturmwetter  das  Knarren 
der  Aeste,  das  Krachen  der  Stämme  wiederhallt,  so  vernimmt 
der  russische  Bauer  kein  Echo,  sondern  den  Ruf  der  Ljeschie, 
welche    einen   unvorsichtigen  Jäger  oder  Holzhauer  auf  gefähr- 
fiehen    Grand   zu    verlocken   trachten,    um   ihn   zu   Tode    zu 
kitzeln,  sobald  sie  ihn  in  ihrer  Gewalt  haben.     [Wir  begegneten 
dem    nämlichen   Zuge   bereits  ob.    S.  87].      Nachts  schläft  der 
Ljesehi  in  irgend  einer  Hütte  in  der  Tiefe  der  Wälder  und  findet 
er  etwa    seinen  Zufluchtsort    von    einem  verspäteten  Wanderer 
bereits    besetzt,  so   streicht    er   als  Wirbelwind   über  die 
Hfltte,    rüttelt    an    der  Tür   und    hebt    das   Dach,    indeß 
nngsom  alle  Bäume  sich  biegen  und  winden  und  ein  furchtbares 
Geheul  durch  den  Forst  schallt.     Und  wenn  der  ungebetene  Gast 
alle    diese   Winke   verachtet   und   sich  nicht   entfernt,    läuft   er 
Gefahr  am  nächsten  Tage  sich  in  den  Wäldern  zu  verlieren,  oder 
fai    einen   Morast    zu  versinken.     Im   Gouvernement   Archangel 
erzählt  man,  bei  einem  der  erwähnten  Kämpfe  mit  zwei  andern 


140  Kapitel  II.    Dio  Waldgeister  and  ihre  Sippe : 

Gteistem  seiner  Klasse  über  die  Bechte  auf  einen  gewissen  Wald 
wurde  ein  Ljeschi  einmal  überwunden  und  von  jenen  an  den 
Händen  so  fest  zusammengeschntlrt,  daß  er  sich  nicht  rühren 
konnte.  So  fand  ihn  ein  reisender  Kaufinann  und  band  ihn  los. 
Zum  Dank  sendete  er  seinen  Wohltäter  in  einem  Wirbel- 
winde heim  und  tat  nachher  noch  manches  andere  für  ihn  (vgl 
ob.  S.  68  die  Geschichte  des  estnischen  Baumelfen). 

Als  ehedem  die  Wälder  noch  größer  und  dichter  waren, 
denn  heutzutage ,  verlockte  der  Ljeschi  beständig  die  Wanderer 
und  führte  sie  vom.  rechten  Wege  ab  in  die  Irre.  Bald  versetzte 
er  die  Grenzsteine ,  bald  nahm  er  die  Form  eines  Baumes  im, 
nach  welchem  die  Nachbarn  die  Richtung  zu  bestimmen  pflegten. 
Zuweilen  veränderte  er  sich  in  das  Aussehen  eines  Wanderers 
und  verflocht  den  Vorübergehenden  in  eine  Unterhaltung.  Der 
Verflihrte  plauderte  unbefangen ,  bis  er  plötzlich  gewahr  wurde, 
daß  er  sich  mitten  in  einem  Sumpf  oder  Waldbach  befinde. 
Dann  hörte  er  ein  lautes  Gelächter  und  wenige  Schritte  von  sich 
sah  er  den  Ljeschi  grinsend  iü  seiner  wahren  Gestalt.  Auch 
venmnmt  der  Waldwart  mitunter  bei  Nacht  das  Weinen  eines 
Kindes  und  Seufzer,  welche  deutlich  von  einem  Sterbenden  her- 
zurühren scheinen.  Da  tut  er  gut,  schleunig  nach  Hause  zu 
eilen,  ohne  auf  diese  Stimmen  zu  achten.  Denn  folgt  er  ihnen, 
so  gerät  er  wahrscheinlich  in.  einen  reißenden  Strom,  der  daher- 
rauscht,  wo  früher  kein  Wasser  war.  Wo  immer  der  Ljeschi 
geht,  läßt  er  keine  Spur  hinter  sich  zurück,  er  verdeckt  den 
Abdruck  seiner  Füße  mit  Sand,  Laub  oder  Schnee.  Tritt  aber 
jemand  zufällig  in  seine  noch  frische  Fährte,  so  wird  derselbe 
irre  geführt  und  findet  nicht  leicht  den  rechten  Weg  wieder.  In 
dieser  Not  ist  es  das  beste  Mittel ,  das  Futter  von  Hemd,  Schuhen 
oder  Pelz  nach  außen  zu  kehren.  Doch  auch  abgesehen  von  die- 
ser Irreleitung  der  Wanderer  macht  sich  der  Waldgeist  noch 
in  mancherlei  anderer  Weise  auf  Kosten  derselben  lustig;  er 
bläst  ihnen  Sand  in  die  Augen,  schlägt  ihnen  die  Mütze  vom 
Kopfe,  läßt  ihre  Schlitten  am  Boden  fest  frieren.  ,,Geh  nicht  in 
den  Wald,''  hört  man  oft  sagen,  „der  Ljeschi  spielt  dir  da  einen 
Possen.''  Schlimmer  ist,  daß  er  oft  Krankheit  verursacht,  so  daß 
von  jemandem,  der  nach  der  Rückkehr  aus  den  Waldungen 
unpäßlich  wurde,  die  sprichwörtliche  Redensart  gilt:  „er  hat  den 
Pfad  der  Ljeschie  gekreuzt"     Um  geheilt  zu  werden,   trägt  er 


Die  rassuehen  Waldgeister.  141 

Brod  und  Salz  in  einen  reinlichen  Lappen  gebunden  in  den  Wald^ 
and  legt  es  unter  Crebet  als  Opfer  ftlr  den  Ljeschi  ins  Moos  in 
der  festen  Ueberzengung  bei  der  Nachhausekunft  von  seiner 
Krankheit  befreit  zu  sein.  Den  Hirten ,  die  im  Walde  ihre 
Heerde  weiden ,  sangt  der  Ljeschi  gerne  das  Euter  der  Kühe  aus. 
Sie  müssen  deshalb  mit  ihm  in  gutes  Einvernehmen  zu  kommen 
sDcben.  Im  Gouvernement  Olonetz  glaubt  man,  der  Hirte  mtisse 
jeden  Sonuner  dem  Ljeschi  eine  Kuh  geben ,  geschehe  das  nicht, 
80  zerstöre  der  Waldgeist  die  ganze  Heerde.  Im  Gouvernement 
Arehangel  hält  man  daftLr,  wenn  man  das  Glück  habe,  dem 
Ljeschi  zu  gefallen,  so  behüte  er  die  ganze  Heerde  auf 
der  Weide  (vgl.  ob.  S.  30  die  finnischen  Baunmymphen). 

Andererseits  stehen  alle  Vögel  und  Tiere  des  Waldes  unter 
dem  Schutz  des  Ljeschi.  In  Kleinrußland  soll  er  insonderheit 
der  Schutzherr  der  Wölfe  sein.  Gemeinhin  gilt  als  sein  Liebling 
der  Bär,  sein  Diener,  der  bei  ihm  wacht,  wenn  er  zuviel  von 
dem  starken  Getiiüik  genommen  hat,  das  er  so  sehr  liebt,  und 
um  vor  den  Angriffen  der  Waldgeister  behütet 

Wenn  die  Eichhörnchen ,  Feldmäuse  und  einige  andere  Tiere 
inSchaaren  ihre  periodischen  Wanderungen  antreten,  erklärt  das 
Volk,  die  Waldgeister  treiben  ihre  Heerde  von  einem  Wald  in 
den  andern.  Unter  solchen  Umständen  hängt  auch  der  Ertblg 
des  Waidmanns  von  seinem  Verbältniß  zum  Ljeschi  wesentlich 
ab.  Er  legt,  um  denselben  ftlr  sich  zu  gewinnen,  ein  Stttck- 
ehen  Brod  oder  Pfannkuchen  mit  Salz  bestreut  auf 
einen  Baumstumpf  (vgl.  ob.  S.  130),  wie  denn  die  Ljeschie 
nweilen  auch  Kuchen  von  den  im  Wald  arbeitenden  Dorf- 
lenten  fordern  (vgl.  ob.  S.  107)  und,  nachdem  sie  solche  erhal- 
ten, sich  mit  schrecklich  tönender  Stinmie  entfernen.  Im  Gouver- 
nement Perm  weihen  die  Landleute  einmal  im  Jahre  dem  Ljeschi 
ihre  Gebete  Ifaid  bringen  ihm  dabei  ein  Päckchen  Blättertaback 
dar,  worin  er  ganz  vernarrt  ist.  In  einigen  Distrikten  eignen 
ihm  die  Jäger  das  erste  Tier  zu,  welches  sie  fangen,  indem  sie 
dasselbe  für  ihn  in  einem  Eichwalde  zurücklassen.  Ein  gewisser 
Zaubersegen ,  der  von  Jägern  öfter  gebraucht  wird ,  ruft  die  Teu- 
fel und  Ljeschie  an,  ihnen  die  Hasen  in  den  Schuß  zu  treiben, 
und  die  magische  Gewalt  dieses  Spruches  soll  so  groß  sein,  daß 
die  Waldgeister  gehorchen.  Wer  den  Ljeschi  selbst  her- 
beibeschwören will,   soll  eine  Anzahl  junger  Birken  ab- 


142  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  nnd  ihre  Sippe: 

hauen  und  mit  den  Wipfeln  nach  innen  in  einen  Kreis 
legen.    Dann  muß  er  im  Kreise  stehend  laut  rufen:  Grofivaterl 
(djeduschka) ;  sofort  wird  der  Waldgeist  erscheinen.*     Oder  fx 
soll  sich  auf  einen  Baumstumpf  stellen,  mit  dem  Gresichte  naeh 
Osten,    soll    sich  niederbückend  zwischen   seinen  Beinen  dnrdh. 
sehen  und  dabei  sagen:  „Onkel  Ljeschi  erscheine,  nicht  als  grauer 
Wolf,   nicht  als  schwarzer  Rabe,  nicht   als   brennendes  Feuer, 
sondern    als   meines  gleichen !''     Dann  fangen  die  Blätter  der 
Espe  an  zu  zittern,  wie  wenn  ein  sanfter  Wind  durch  sie  hin- 
streiche,  und  der  Ljeschi  wird  sichtbar  in  Menschengestalt    Bei 
solchen  Gelegenheiten  geht  er  gerne  einen  Handel  mit  seinem 
Beschwörer  ein  und  ist  bereit  jede  Art  von  Beistand  zu  gewähren, 
wenn  ihm  dafür  des  andern  Seele  zu  Teil  wird  (aus  christlichein  '-' 
Teufelsglauben   entlehnt).      Nach    diesen    Beschwörungi-» 
formein    wurde    der  Waldgeist    doch   wohl   aus   den 
Birkenwipfeln  oder  dem  Baumstumpf  hervortretend, 
also  in   diesen  weilend  gedacht.     Während  in  Deutsch- 
land und  Skandinavien  die  Wald  fr  au  die  Hauptrolle  spielt  nnd 
häufig  allein  auftritt,   kennt  die  mssische  Sage  umgekehrt  vor- 
zugsweise den  männlichen  Waldgeist.    Zuweilen  jedoch  findet  man  j 
demselben  auch  Weib  und  Kinder,  dicLisunki,  gesellt,  behaarMJ 
Wesen  von  abschreckendem  Aeußem.     Eine  kleinrussische  Er-1 
Zählung  berichtet,  daß  ein  Menschenweib  einmal  einen  neugebor^  \ 
neu  Ljeschi  nackend  und  kreischend  auf  der  Erde  liegen  fand.  \ 
Sie    hob   ihn  mitleidig  auf  und  deckte  ihn  mit  ihrem  wannen  \ 
Tuch.    Bald  darauf  kam  die  Lisunka,  die  Mutter  des  Kleinen,  ] 
und  beschenkte  das  mitleidige   Weib  dankbar  mit  einem  Topfe  J 
glühender  Kohlen,  die  sich  hinterher  in  Gold  verwandelten.    Im  ''- 
wesentlichen  dieselbe  Geschichte  wird  in  Thüringen  von  einem    ' 
Holzweibchen  erzählt.'    Zuweilen  entführen  die  Ljeschi  sterbliche 
Jungfrauen  und  machen  sie  zu  ihren  Eheweibern.    Doch  ob  sie 
nun  unter  sich  eheliche  Verbindungen  schließen,  oder  mit  Sterb- 


1)  Vgl.  ob.  S.  131  den  schwedischen  Zanberbranch. 

2)  Anf  dem  Hangerberge  bei  Wilhelmdorf  fand  eine  HolzleseriD  dai 
Kind  eines  Waldweibes  in  einer  Banmrinde  wie  in  einer  Wiege  liegen.  Sie 
reichte  ihm  mitleidig  die  Brust.  Da  kam  die  Mutter  herzu  und  beschenkte 
sie  mit  der  Wiege  des  Säuglings;  die  Leserin  brach  von  der  Binde  einen 
Splitter  ab  und  warf  ihn  auf  ihre  Holzbürde.  Zu  Hause  zeigte  sichs,  daB 
er  von  Gold  gewesen     Bömer ,  Sagen  des  Orlagans  S.  231. 


Pemaniaehe  and  brasilianisclie  Waldgeister.  148 

Ucheo,  ihre  Vermählimg  ist  stäts  von  lärmenden  Festlichkeiten  nnd 
heftigen  Stürmen  begleitet  Geht  der  Hochzeitzag  durch  ein  Dorf, 
so  wird  manches  Haus  zu  Schaden  kommen ,  geht  er  durch  einen 
Wald  9  so  konunt  mancher  Baum  zu  Falle.  Selten  wagt  es  ein 
Bauer  auf  einem  Waldpfade  sich  hinzulegen  j  denn  der  Brautzug 
des  Waldgeistes  könnte  des  Weges  kommen  und  ihn  im  Schlafe 
lermalmen.  Im  Gouvernement  Archangel  gilt  der  Wir- 
belwind als  der  Tanz  des  Ljeschl  mit  seiner  Braut 
Den  zweiten  Tag  nach  seiner  Hochzeit  geht  der  Waldgeist  nach 
allgemein  russischer  Sitte  mit  seinem  jungen  Weibe  zum  Bade 
nnd  wenn  ihnen  dann  ein  Sterblicher  ))egegnety  so  bespritzt  ihn 
das  würdige  Paar  mit  Wasser  und  weicht  ihn  von  Kopf  bis  zu 
FdB  ein.  Wie  Weiber  raubt  der  Ljeschi  Kinder,  trügt 
sie  in  seine  unterirdische  Behausung  und  läßt  sie  erst  nach  Jah- 
ren ganz  verwUdert  wieder  heraus.' 

§.  20.  Peraanlsehe  und  brasUlanlsche  Waldgeister.  Zum 
Vergleich  mit  diesen  europäischen  Waldgeistem  und  ehe  wir  noch 
eiDinal  ihre  lange  Reihe  prüfend  überschauen ,  setze  ich  noch  ein 
Beispiel  aus  einem  entlegenen  Weltteil  und  einer  andern  Zone  her, 
an  welchem  einigermaBen  gemessen  werden  kann,  in  wie  weit 
die  Apperception  ähnlicher  Naturverhältnisse  zu  ähnlichen  mythi- 
schen Gebilden  sich  verdichtet  Pöppig '  fand  in  den  Wäldern 
von  Peru  den  Glauben  an  ein  gespenstiges  Wesen  lebendig ,  Na- 
mens UchucUa-chaqui.  Wo  der  Wald  am  dunkelsten  ist,  wo  die 
lichtscheuen  Amphibien  und  Nachtvögel  sich  aufhalten ,  wohnt 
dieses  geföhrliche  Wesen  und  versucht  in  befreundeter 
Gestalt  erscheinend  den  Indianer  zu  verderben.  Es 
giebt  die  wohlverstandenen  Zeichen ,  deren  sich  die  geselligen 
Jäger  zu  bedienen  pflegen;  es  lockt  den  Getäuschten  selbst 
immer  unerreichbar  weiter  und  tiefer  in  die  Oede 
Qnd  verschwindet  mit  lautem  Hohngelächter,  wenn 
der  Rückweg  verloren  ist  und  die  Schrecken  der-Wildniß  durch 
die  herabsinkenden  Schatten  der  Nacht  sich  mehren.    Bisweilen 


1)  W.  R  S.  Ralston,  the  soDgs  of  the  Russian  people  153—160. 
Afanasieff ,  Poetische  NaturaDschauangen  der  Russen  I,  140.  710.  715.  II,  235. 
243  325  —  349.  718.  722.  UI,  78.  303—313.  803.  Cf.  Kaysarow,  Versuch 
e.  slayischen  Myth.,  70.  Mona,  Heidentum  im  nördlichen  Europa  I,  143. 
WaldbrfihI,  Balalaika  229.    Karamsin,  Gesch   d.  russ.  Volkes  I,  Kap.  III. 

2)  Reise  in  ChiU  und  Peru  Bd.  U.    Lpzg.  1836.    S.  358. 


144  Kapitel  IT.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

trennt  es  wohl  auch  die  gemeinsam  auf  Jagd  gezogenen,  allein 
nie  täuscht  es  den  Erfahrenen,  der  in  seinem  Mistrauen  die  Spur 
des  Feindes  untersucht.    Kaum  gewahrt  er  die  ganz  angleiche 
Größe  des  Abdrucks  der  Füße,  so  kehrt  er  eilig  znrttek 
und  wohl  längere  Zeit  wagt  niemand  einen  Zug  in  die  WUdniS^ 
denn  nur  vorttbergehend  sind  die  Besuche  des  Unholds/'    In  jener 
Fabel,  fllgt  der  Erzähler  hinzu,  gewahrt  man  den  Einflaß,  den  . 
die  ^unbeschreibliche  Wildniß  und  Trauer  der  sumpfigsten  und 
unbesuchtesten  Urwälder  bleibst  auf  die  sonst  schwer  bewegliche 
Phantasie  des  Amerikaners  ausübt.     Von  ihr  schaflFt  sich  kein 
Europäer  ein  Bild,  denn  die  einsamsten  Forste  seines  Weltteils 
bieten  ihm  nirgend  etwas  Aehnliches  (?).    AUgemein  verbreitet  ist 
der  Glaube  an  jenes  gespenstige  Wesen,  das  sogar  Nachts 
die  im  Freien   schlafenden  Reisenden  umlauert,  nm* 
sie  nach  halbem  Erwachen  unter  erlogener  Gestalt 
irre  zu  leiten.     Viele  Geschichten,  zum  Teile  der  nenest^it 
Zeit  angehörig,    werden  von  solchem  Verlieren  besonders   der 
Kinder  erzählt  und  in  der  Tat  ist  nichts  leichter  möglich,    als 
in  solchem  Walde  nach  wenigen  Schritten  Entfernung  das  Lager 
nicht  wieder  finden  zu  können ,  wenn  weder  ein  Lichtschein  noch 
rufende  Stimmen  die  Richtung  angeben.'^    Ganz  übereinstimmende  i 
Erfahrungen    machten    in    neuerer    Zeit   Bates    und    nach    ihm  1 
R.  Schlobach  in  Brasilien.^     Bates    schildert    den  fremdartigen  | 
Eindruck,  den  die  Düsterheit  und  Stille  im  brasilianischen  Walde  i| 
hervorbringt  und  spricht  von  dem  betäubenden  Geheul  der  Affen  1 
und  dem  plötzlichen  Todesschrei  von  Schlangen  und  Tigern  ver-   j 
folgter  Tiere,  sporadischen  Lauten,  durch  welche  das  Geftihl  der   j 
ungastlichen  Einöde,  das  der  Wald  hervorruft,  nur  noch  mehr   : 
erhöht   wird.     Außerdem   hört   man  Töne,   die  man   sich  nicht 
erklären  kann,   „und   die  Eingebomen  waren   dies  —   wie  iah 
fand  —  noch  weniger  im  Stande ,  als  ich  selbst."    Zuweilen  hört 
man  Töne,  als  ob  mit  einer  eisernen  Stange  an  einen 
hohlen    harten   Baum   geschlagen   würde,    oder  ein 
durchdringender   Schrei    hallt  durch  die  Luft     Das 
darauf  folgende  Stillschwelgen    erh(5ht  den  unangenehmen   ESn- 
druck ,  den  solche  einzelne  nicht  wiederholte  Töne  auf  das  Gemflt 


1)  Bates.  Naturforscher  am  Amazon enstrom.    Lpzg.  1866.   S.  40.    Schlo- 
bach in  d.  Illustrirten  Zeitung  v.  25.  Mai  1872. 


Rückblicke  und  Ergebnisse.  145 

machcD.    Bei    den  Eingebornen  ist   es  immer  der  Cu- 
rnpira,   der  wilde  Mann,   der  Waldgeist,   der  diese 
unerklärlichen  Töne  hervorbringt.     Dieser  ist  ein  sehr 
gebeimnißvolles  Wesen,  dessen  Attribute  sehr  ungewiß  sind,  da 
sie  nach  der  Oertlichkeit  wechseln.    Er  hat  Weib  und  Kind  and 
kommt  zuweilen  in  die  Ro^as  (Pflanzungen),  um  Mandioca  zu 
stehlen.     Ein  junger  Mameluco  in  Bates  Dienste,    dessen  Kopf 
mit  den  Sagen  und  Aberglauben  des  Landes  angeflillt  war,  zit- 
terte am  ganzen  Leibe,  so  oft  er  im  Walde  die  oben  erwähnten 
Laute  hörte,  kroch  hinter  Bates  und  bat  ihn  umzukehren.    Er 
wurde   erst  wieder  ruhig,   nachdem    er    ein  Zaubermittel    zum 
Schutze  gegen  den  Gurupira  gemacht  hatte.    Zu  diesem  Zwecke 
nahm  er  ein  junges  Palmblatt,   welches  er  zusammenflocht  und 
einen  Ring  daraus  bildete,  den  er  an  einem  Aste  auf  dem  Wege 
aufhing.    Wollte  er  dadurch  den  Waldgeist  an  den  Baum  fesseln? 
Vergleichen  wir  noch  was  J.  6.  MtÜler  von  den  Waldgeistem 
der  südamerikanischen  Völker  meldet^    Die  Gurupira  sind  necki- 
sehe,  schadenfrohe  Waldgeister,  die  den  Indianern  unter  allen 
Formen   begegnen,   sich   auch  einmal  in  ein  Gespräch  mit 
ihnen  einlassen,  auch  Feindschaften  zwischen  einzelnen  Personen 
erregen   und  erhalten.     Bei  den  Botokuden  heißen  die  Waldgei- 
ster, welche  größer  oder  kleiner  gedacht  werden,  Janchon;  sie 
beonrahigen  ebenfalls  die  Leute.     Sonst  gehört  zu  den  Waldgei- 
stem auch  Uaiuara,  bald  ein  kleines  Männchen,  bald  ein  gewal- 
tiger  Hund   mit   langen   klappernden  Ohren.     Er    läßt   sich, 
wie  das  deutsche  wilde  Heer,  am  furchtbarsten  um 
Mitternacht  vernehmen.    Ein  anderer  berühmter  Waldgeist 
ist    der    Caypara    der    Ktistenbewohner,    der    Kinder   und 
junge   Leute  raubt,   sie  in  hohle  Bäume   verbirgt  und  dort 
füttert" 

« 

§.21.  Bfiekblieke  und  Ergebnisse.  Blicken  wir  noch 
einmal  auf  die  lange  Reihe  der  besprochenen  Wald-  und  Feld- 
geister zurück,  so  wird  das  Beispiel  der  zuletzt  aufgeführten 
südamerikanischen  Dämonen  uns  Innreicbend  belehren  können, 
daß  unter  ganz  verschiedenen  Himmelsstrichen,  bei  Völkern, 
deren  Lage  jeden  Gedanken  einer  Entlehnung  von  einander  aus- 
schließt,  aus   einer  Art  psychologischer  Notwendigkeit  sich  über- 


1)  Geschichte  der  amerikaniBchen  Urreligioneii.    Basel  1855.    S.  251). 

Mannbardt.  10 


146  Kapitel  ü.    Die  Wald^oibtcr  and  ihre  Sippe: 

raschend  ähnliche  Mythengestalten  erzeugt  haben.  Die  lieber- 
einstimnuing  jener  mdianischen  Vorstellungen  vom  Waldgeist  ist 
am  größten  mit  dem  Volksglauben  in  Schweden  und  Rußland, 
zweien  europäischen  Ländern,  deren  Wald  noch  am  meisten  die 
Natur  des  Urwaldes  bewahrte.  Sie  betrifft  vorzugsweise  Charac- 
terzüge  und  Handlungen  y  welche  aus  diesem  Naturverhalt  fließen, 
Kufen,  Hohngelächter,  Irreführen.  Eine  jedoch  weit  größere 
Familienähnlichkeit  mit  einander  tragen  die  nordeuropäischen 
Waldgeister  an  sich,  sie  sind  offenbar  Varietäten  ein  und  der- 
selben Art,  deren  verschiedene  Abwandlungen  wesentlich  durch 
die  Reflexe  der  localen  Naturverhältnisse  bedingt  werden.  Zum 
Erweise  dieser  Behauptung  stelle  ich  in  übersichtlicher  Kürze  die 
übereinstimmenden  Züge  zusammen.  Aus  denselben  wird  hervor' 
gehen,  daß  mr  die  Wcddleute  (wilden  Leute,  Skogsnufvar,  I^es- 
chie  u,  s.  i/o,)  anzusehen  haben  als  eine  Verschmelzung  von  Baum^- 
geistern  und  Windgeistern;  schwerlich  spielt  eine  Erinnerung  ao 
wirkliche  Menschen,  rohe  halbtierische  Ureinwohner  hinein,  die 
sich  vor  unserer  Race  in  die  Wälder  zurückgezogen  hätten  und 
im  Volksgedächtniß  zu  Dämonen  geworden  wären,  eine  Ansicht^ 
die  neuerdings  allerdings  einige  mehr  oder  minder  consequente 
Vertreter  (Hylten  -  Cavallius ,  Chr.  Schneller  u.  s.  w.)  gefunden  hat 
Die  Gestalt  der  Waldgeister  wird  bald  riesenhaft,  bald 
zwergisch  beschrieben,  für  gewöhnlich  menschenähnlich,  aber  in 
alle  möglichen  Tier-  und  Pflanzenformen  verwandlungsfähig, 
llergestalt  auf  längere  Dauer  mißt  man  der  gente  salvatica 
S.  113,  zeitweilige  Geißgestalt  den  Ljeschie  S.  138,  Dialen 
S.  95,  Delle  Vivane  S.  116  bei.  Die  vom  wilden  Jäger 
gejagten  ganz  in  Moos  gekleideten  Moosweibchen  in  Wildemann 
trugen  Gänsefllße.^  Die  Skogsnufva  trägt  Tierfelle  und  Kuh- 
schwanz S.  128,  die  ihr  entsprechende  dänische  Waldfrau  S.  126 
verwandelt  sich  noch  altertümlicher  m  eine  Kuh.*  Wenn  die 
Fangga  sich  in  Wildkatzenfellc  kleidet  und  Stutzkatze  heißt,  so 
erblicke  icli  darin  einen  Fingerzeig,  daß  dieses  Wesen  auch  Wild- 


1)  Pröhlo,  Deutsche  Sagen  S.  37. 

2)  So  kennt  die  Thüringische  Sage  eine  feurige  Kuh.  die  sich  in 
einen  Hirn  bäum  und  dann  in  ein  iiltes  Weib  verwandelt.  Thronicon 
monasterii  St.  Petri,  S.  Pauliini  syntagnui  p.  IJM  bei  Jiechstein,  Sagenschatz 
detf  Thüringer  Landes  I,  12G.     Witschel,  Sagen  a.  Thüringen  115,  110. 


Rückblicke  and  Ergebnisse.  147 

katzengestalt  annehmen  konnte.  Die  HolzweiI>er ,  wilden  Weiber 
and  der  Skongmann  sitzen  auch  wol  als  Eulen  auf  den  Bäu- 
men S.  127,  der  lettische  mahjais  kungs  entweicht  in  Gestalt 
eines  Vogels  S.  53,  auf  der  unersteiglichen  Alpe  Morin  in 
Tirol  sollen  drei  Selige  wohnen,  die  in  Geiergestalt  die  Gemsen 
beschützen  und  den  Jägern  feind,  den  Hirten  freund  sind.^  Das 
Aussehen  der  Waldgeister .  wenn  sie  anthropomorphisch  auftre- 
ten, enthält  manche  Züge,  welche  daraul*  hindeuten ,  daß  die 
Phantasie  zu  ihrer  Ausstattung  bei  den  Bäumen  eine 
Anleihe  machte.  Sie  tragen  einen  behaarten  moosbewachsenen 
Leib  oder  grüne  Kleidung;^  einen  Rücken  hohl  wie  ein  morscher 
Baumstamm  oder  ein  Backtrog;'  und  ihre  großen  Brüste  dtlrf- 
ten  als  ein  sinnlich  symbolischer  Ausdruck  der  Vegetationsflille 
betrachtet  werden;^  ihre  langen  gelben  oder  sonst  weithin  im 


1)  Scbaubach,  die  deutschen  Alpen.    Jena  1847.   II ,  42. 

2)  Mooslente:  behaarter  Körper ,  runzeliges  moosbewachsenes  Gesicht. 
'Waldfänken:  behaarter  Leib,    Kopf   mit  Eichenlaub   bekränzt     Wild- 

lente  in  Hessen:  Eleidnng  grün  und  rauh,  gleichsam  zottig.  Nörgele: 
in  grüne  Jacke  und  Bergmoos  gekleidet.  Fanggen:  Haar  voll  Baumbart, 
Joppen  von  Baumrinden.  Wilder  Mann  in  Tirol:  Aussehen  gleich  einer 
moosbewachsenen  Fichte.  Skogsnufva:  in  Tierfelle  gekleidet,  in  Waldtierc 
and  Bäume  verwandlungsfähig.  Ljeschie  mit  zottigen  Haaren  bedeckt, 
die  häufig  grüne  Farbe  haben.    Dames  vertes:  grüne  Kleidung  (?). 

3)  Hohlen  Rücken  haben:  Frau  Hult,  Anführerin  der  wilden  Jagd 
S.  120.  Teufel  S.  121,  Feurige  Männer  S.  121.  Wildfrauen  in  Steiermark,  von 
der  wilden  Jagd  gejagt  S.  120.  Dan.  Waldfrauen  und  Ellefruer  S.  125.  Norweg. 
Waldfrau  Huldra  (Faye  ö.^  42).  Skogsnufva  von  Oden  gejagt  S.  134.  Auch 
die  als  Anführerin  des  wütenden  Heeres  (Aasgardreid)  in  Norwegen  umhcr- 
xiehende  Guro  Rysserofa  (s.  Mannhardt,  Götterwelt  S.  155.  304  flf.)  und  ihr 
Gefolge  hat  Bücken  wie  hohle  zerspaltene  Espenbäume,  ospeskryte  (Land- 
stad,  Norske  Folkeviser  p.  133).  Nichts  widerspricht  der  Annahme,  daß  der 
hohle  Bücken  ursprünglich  den  Waldgeistern  als  solchen  angehörte  und,  da 
diese  als  im  Sturme  umfahrend  gedacht  worden,  auch  auf  andere  im  Sturme 
waltende  Geister,  die  im  Walde  ihr  Wesen  treiben,  ausgedehnt  wurde. 

4)  Lange  Brüste:  Hessische  Waldfrau,  Gattin  des  wilden  Mannes; 
Fangga  Langtüttin,  Gesellin  des  wilden  Mannes  S.  108;  keltisches  Waldweib 
8.  117;  dänische  Meerweiber  und  Ellefruer  Jagdobjectc  des  wilden  Jägers 
S.  125;  Skogsnufvar,  Trolle  und  Riesinnen,  die  Oden  und  der  Donner  jagen 
S.  128.  Aus  einer  Notiz  des  Prof.  Schaafhauscn ,  Archiv  f.  Anthropologie  I, 
1866.  S.  188  ersehe  ich,  daß  bei  den  eingebornen  Weibern  Neuhollands, 
mithin  unter  einem  auf  niedrigster  Stufe  stehenden  wilden  Volke  birnför- 
uiige  Brüste,    welche   nach  Belieben  über  die  Schulter  gewor- 

10* 


148  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

Winde  flatternden  Haare  ^  erinnern  an  die  Auffassang  des  (vom 
Sturme  durch  den  Wald  gejagten)  Laubes  als  Baumhaar.  Gra- 
dezu  als  Fftamengeister  treten  sie  auf,  wenn  ihr  Leben  und  ihre 
Größe  an  das  Leben  der  Bäume  und  Gräser  geknüpft  erscheint' 
Hiemit  stimmen  indirecte  Zeugnisse  ttberein.  Das  Schrätlein  zieht 
sich  Tom  Teufel  verfolgt  in  den  Baum  zurück  S.  115;  die  Ver- 
wundung des  seligen  Fräuleins  wird  bestraft ,  wie  ein  Axthieb  in 
den  Waldbaum  S.  105.  Um  die  Holzweibel,  Seligen  u.  g.  w.  zu 
retten y  muß  man  drei  Kreuze  in  den  Baum  hauen,  wäh- 
rend er  fällt  S.  83.  106.  Auch  die  Gamknäul  der  Holzfräolein, 
Seligen,  Fanggen  und  wilden  Weiber  weisen  nach  S.  76  viel- 
leicht auf  Moosfäden  zurück. 

Bas  Wesen  der  Waldgeister  erweitert  sich  aber  deutlich  van 
Baumgeistem  zu  Genien  der  gesamnvten  Vegetation.  Die  Holz* 
fräulein  walten  auch  im  Gras-  und  Komwuchs  S.  77flf.,  die  Ljes- 
chie  sind  Waldgeister  und  zugleich  Dämonen  der  niedem  Kultur- 
pflanzen S.  138;  vgl.  dazu  die  hessischen  Wildleute  S.  87. 
Die  nämliche  Doppelrolle  als  Wald-  und  Komdämonen  spielen 
die  Dames  vertes.    Auch  die  wilden  Weiber  erscheinen  als  Ge- 


fen  werden  können,  in  Wirklichkeit  vorkommen.  Ich  halte  das  fttr  sehr 
beachtenswert,  wage  jedoch  nicht  ans  diesem  einen  Umstände  die  Einwir- 
kung einer  realen  Erinnerung  an  wilde  Ureinwohner  auf  die  von  uns  besproche- 
nen Sagen  zu  folgern.  War  denn  in  Deutschland  und  Skandinavien  das  näm- 
liche gleichgestaltige  Urvolk  waldflüditig?  Oder  waren  diese  Sagen  vom 
Norden  zum  Süden  oder  umgekehrt  gewandert? 

1)  Lange  aufgelöste  Haare:  die  gejagte  Frau  bei  Cäsarius  v.  Heister- 
bach S.  123;  Holzfräulein  S.  76;  hessische  Wildfirauen  und  Selige  S.  88.  100; 
Unnererdsche,  die  der  Wode  jagt  S.  123;  weiße  Weiber  in  Mecklenburg,  Ob- 
ject  der  wilden  Jagd  S.  123 ;  keltisches  Waldweib  S.  117 ;  Skogsnufva  S.  128. 
Zupitza  macht  darauf  aufmerksam,  daß  Väsolt  (ob.  S.  82.  105)  im  Ecken- 
liedc  165,  11  „här  alsap  ein  wip'*  d.  h.  wol  im  Winde  flatterndes  langes 
Haar  trägt.  Mit  langen  fliegenden  Haaren  stattet  auch  die  Phantasie 
des  Negers  am  Gambia  die  Waldgeister  aus,  die  er  für  mächtige  Wesen 
von  weißer  Farbe  erklärt,  deren  Zorn  dem  Beisenden  gefahrlich  sein  würde. 
Um  sie  zu  besänftigen  wird  ein  weißes  junges  Huhn  als  Opfer  an  die  Zweige 
eines  Baumes  gebunden.  S.  Mungo  Park,  Reise  [in  das  Innere  von  Afrika. 
Hamburg  1799.  S.  81.  An  einen  solchen  Baum  (Neema  Taba)  befestigte  jeder 
Beisende  ein  Stückchen  Tuch.    Mungo  Park  a.  a.  0.  50. 

2)  Moosleute  S.  75;  witte  Wiwer  S.  124;  Fanggen  S.  89.  91  Anm.; 
Ljeschie  S.  138.  141.  Dazu  vgl.  wilde  Männer  in  Hessen  S.  88;  Dames 
vertes  S.  119;  Beiles  Alles  zu  Beuge -vie  S.  104. 


Kfickblicke  und  Ergebnisse.  149 

nien  Yon  Kräutern  S.  106.  Die  vom  wilden  Jäger  gejagte 
Fraa  läBt  aich  als  Walpurgis  in  eine  Garbe  einbinden  ob.  S.  121. 
Vgl  den  rassischen  und  den  schwedischen  Zaubersegeu,  am  die 
Waldgeister  herbeizarofen  S.  142. 

Andererseits  springt  deutlichst  als  durchstehende  Varstdlung 
in  die  Äugen,  Wirbdwind,   Sturm  und   Gewitier  seien  Lebens- 
äußerungen  des  nämlichen  Geistes^  der  in  ruhigen  Momenten  — 
wie  wir  sahen  —  in  Waldbäumen  verkörpert  erscheint^     Vom 
wilden  Jäger  oder  Teafel^  resp.  dem  Donner  gejagt  finden  wir 
die  Hoosleate,   Holz&äolein,   Selige,  Schrätlein,   Wildfraaen  in 
Steiermark  y  Unterirdische  and  weiße  Weiber  in  Laaenburg  and 
Mecklenbarg,  dänische  Meerfraaen,   SkogsnafVar   in  Schweden. 
Nach    verschiedenen    z.  T.    den    ältesten    bezeagten  Varianten 
ist    die    gejagte    Fraa    die   Bahle   des   wilden  Jägers   S.  125. 
Dem  Rassen  gilt  der  Wirbelwind  als  der  Hochzeitstanz  des  Wald- 
geistes mit  seiner  Braat  S.  143.    Da  nan  die  Erscheinang  der 
wilden  Jagd    meistenteils    mit   dem   Gewitterstarme   zasammen- 
ßllt,'  dem  Gewitter  aber,  das  physikalisch  betrachtet  ja  ttber- 
haapt  nar  ein  secandäres  Prodact  des  vom  Boden  au^teigenden, 
oder  von  oben  her  hereinbrechenden  und  den  entgegengesetzten 
Passat  verdrängenden  Luftstromes  ist,  größtenteils  merklich  Wir- 
belwind vorangeht  and  heftigerer  Wind  nachfolgt;'  da  der  Wir- 


1)  Vgl.  Wagen  des  Waldweibchens  =  Gewittersturin  S.  85.  Musik 
der  böhmischen  Waldwciber  S.  8G.  =^  Sturm.  Tanz  und  Kitzeln  der  böh- 
mischen Waldfrau  S.  87,  des  Ljcschi  S.  139,  Schuui>fen  der  Fang^^'a  S.  89 
=  Wirbelwind.  Buschjungforn  Wirbelwind  S.  86.  Im  Sturm  fahrt 
der  hessische  S.  87  und  Tiroler  wilde  Mann  daher  S.  105.  Delle  Vivano  ver- 
schwinden im  Staubwirbel  S.  116.  Der  wilde  Mann  in  Tirol  S.  105,  Fän- 
keninännlein  S.  96 ,  Waldweibchen  S.  86  führen  einen  (im  Sturm)  entwurzel- 
ten Baumstamm  als  Spazierstock  vgl.  Modelgart  S.lOf).  Schratl==^  Wirbel- 
winds. 115.  Dänische  Waldfrau --=  W i r b c  1  w i n d  S.  lL>6,  Hulte  =  Sturm 
8.  127,  Skogsnufva=-  Wirbelwind  S.  12^),  Hegen  S.  132,  Blitz  oder  Stern- 
schnuppe (Fackel,  die  man  wirft).  Vgl.  den  wie  ein  feuriger  Wiesbaum  dahin 
ziehenden  fliegenden  Drachen ,  der  übrigens  häutig  auch  Personification  des 
Wirbelwindes  ist.  S.  134.  Ljeschi  =- Wirbelwind  S.  134  und  Sturm  S  139. 
Die  Dames  vertes  gehen  im  Windes  wehen  über  die  wogenden  Kornfel- 
der S.  119. 

2)  S.  Schwartz ,  der  heutige  Volksglaube  und  das  alte  Heidentum  18G2. 

S.  15  ff.  30  ff. 

3)  Vgl  N.  Gräger,  Sonnenschein  und  Regen.  Weimar  1870.  S.  164  ff. 
J.  S.  Gehler,  PhysikaL  Wörterb.  IV,  2,  1582  ff. 


150  Kapitel  IL    Die  Waldgeister  and  ihre  Sippe: 

beiwind  als  fahrende  Frau, ^ 'Hexe,«  ThOrs  pjäska  (S.  128) 
Windsbraut,'  auch  sonst  in  Gestalt  eines  weibliehen  Wesens  per- 
sonifiziert wird,  so  halte  ieh  es  fbr  wahrseheinlich,  daß  anfäng- 
lich der  im  Wirbelwinde  sein  Dasein  bekundende  Waldgeist 
es  war,  der  vom  ?nlden  Jäger  (dem  nachfolgenden  stärkeren 
Unwetter)  gejagt  erschien.^  Es  ist  auch  deutlich,  warum  inson- 
derheit die  männlichen  Waldgeister  (wilder  Mann,  Ilulte,  Ljes- 
chi)  sodann  aber  auch  z.  T.  eben  jene  weiblichen  Waldgenien 
ebensowol  ftlr  sich  allein  im  Winde  daherfahrend ,  oder  als  An- 
flihrer  der  wilden  Jagd  daherstürmend  dargestellt  werden  konn- 
ten. Die  angegebene  Deutung  trifft  auf  die  Gewitterstttrme  im 
Sommer  und  die  Mehrzahl  unserer  Sagen  vollkommen  zu.  Wenn 
aber  daneben  nach  manchen  Sagen  der  Umzug  der  wilden  Jagd 
oder  des  wütenden  Heeres  und  ebenso  der  unserer  Waldgeister 
zu  Weihnachten  in  der  Neujahrsnacht,  oder  Dreikönigg- 
naoht  vor  sich  geht,  wenn  die  Jagd  auf  das  geisterhafte  Weib 
sieben  Jahre  (d.  h.  doch  wol  die  7  Wintermonate  von  October 
bis  Mai)  dauern  soll ,  so  ist  es  bei  der  Seltenheit  der  Winter- 
gewitter in  unsem  Gegenden  allerdings  offenbar,  daß  hier  die 
Jagd  auf  das  Waldweib  die  angegebene  Bedeutung  nicht  haben 
kann.  Vielmehr  sprachen  wir  schon  S.  124  unsere  Meinung 
dahin,  aus,  daß  dabei  der  Gedanke  zu  Grunde  zu  liegen  scheint, 
im  Winter  sei  der  weibliche  Waldgcist,  die  Genie  des  Blät- 
tergrüns, gleichsam  verzaubert  und  fliehe  vor  dem  im 
Sturme  ihm  nachsetzenden  Gefährten,  der  zum  Maitag 
(vgl  St.  Walpurgis  S.  121)  sie  erreiche,  und  [nach  urtümlichst 
roher  Weise  der  Hochzeit  durch  Frauenraub]  quer  über  sein  Roß 
lege.*  Ist  diese  Deutung  richtig,  so  hat  eine  Verschiebung, 
eine  Umdeutung  eines  ursprünglichen  Gleichnisses  in  ein  ande- 
res stattgefunden.    Die  Probe  würde  erst  gemacht  werden  kön- 


1)  S.  Mannhardt,  Götterwolt  Ö.  98.  Wolf,  Niederl.  Sagen  lb43.  616, 
518.  519. 

2)  Mannhardt^  a.  a.  0.  S.  99. 

3)  Panzer  II,  208  ff.     Schönwerth  n,  112  ff. 

4)  S.  W.  Schwartz  a.  a.  0.  S.  25. 

5)  Vgl.  die  bekannten  Darstellungen  des  Pluton ,  der  die  geraubte  Per- 
scphonc  quer  über  sein  Roß  geworfen  bat.  Man  muß  dann  annebmen,  daß 
die  in  einigen  Varianten  erwähnte  Tod  tun  g  des  Waldweibes  nur  mißver- 
ständlicbc  Fortbildung  der  Sage  sei.    Vgl.  auch  Schwartos  a.  a.  0.  S.  65. 


Buckblicke  und  Ergebnisse.  151 

oen  durch  eine  genaue  Untersuchung  aller  sonstigen  Jagdohjecte 
des  wilden  Jägers ,  denn  es  ist  jedenl'alls  wichtig  zuvor  zu  wis- 
sen, ob  die  Eber,  Rosse,*  (Rinder V),  Hirsche,  (Rehe),  Kanin- 
chen, Hühner,  welche  je  in  verschiedenen  Landschaften  statt  der 
Waldiraueu  den  Gegenstand  der  Veriblgung  von  Seiten  der  wil- 
den Jagd  ausmachen,  und  deren  Schenkel  dem  Spötter  aus  den 
Wolken  zugeworfen  werden,  wie  der  Fuß  des  Waldweibes,  ent- 
weder sämmtlich,  oder  doch  teilweise  nur  eine  andere  Form  des- 
selben Gedankens  sind,  den  die  gejagten  Waldleu^  ausdrücken. 
Wir  müssen  davon  abstehen  diese  schwierige  Frage  an  diesem 
Orte   weiter  zu   verfolgen.^      Es  erscheint  uns   die  zuerst   von 


1)  Die  Jagd  auf  Rosse  scheint  wirklieb  als  die  Spur  einer  Erinnerung 
an  eine  langst  verschwundene  Knltur])hasc  geltend  gemacht  werden  zu  müs- 
sen, da  neuere  Ausgrabungen  in  den  Hohlen  des  Hohenfels  in  Würtemberg 
erwiesen  haben,  daß  das  Roß  seit  grauem  Altertum  in  Stiddeutschland  ein 
Jagdst^ck  war.  Ebenso  dienten  nach  den  Untersuchungen  Duponts  in  den 
Höhlen  Belgiens  zur  Zeit  der  Renntierperiode  daselbst  Pferde  als  Jagdtiere, 
namentlich  die  Bewohner  der  Höhle  von  Chalen  scheinen  Pferdefleisch  allem 
andern  vorgezogen  zu  haben.  Es  blieb  das  bis  in  die  späteste  Zeit  des 
Heidentums.  Vgl.  Gregorii  ej).  ad.  Bonifacium,  ep.  28  cd.  Jafte,  Bibl.  rer 
(»erman.  ni,  i»3 :  inter  ea  agrestem  caballum  aliquantos  adiunxisti  come- 
dcre ,  plerosquc  et  domesticum.  Ep.  80  Jaffe  III,  222:  Ab  esu  Christia- 
nonim  .  .  .  leporcs  et  equi  silvatici  niulto  aniplius  vitandi. 

2)  A.  Kuhn  hat  in  Zachers  Zeitschr.  f.  D.  Philologie  I,  llf)  if.  nicht 
ohne  einen  gewissen  Schein  die  vom  wilden  Jäger  verfolgten  Tiere,  Eber, 
Roß,  Rind  als  Naturbilder  der  Sonne  nachzuweisen  versucht.  Der  wilde 
Jäger,  (jott  des  finsteren  Sturmes,  gehe,  wie  sein  in  Deutschland  und  Schwe- 
den mchrfacli  bekannter  Name  Nachtjäj^'er  (vgl.  das  Nachtvolk  =  wütendes 
Heer,  den  Nachtraben  als  Begleiter  des  wilden  Jägers)  bezeuge,  mehrfach 
in  den  Begritf  eines  Dämons  der  Nacht  über.  Als  solcher  stelle  er  der  Sonne 
nach^  die  er  jeden  Abend  erreiche  und  tödte.  Und  neben  den  V'orstcllungen  und 
Sagen  von  der  täglichen  Erlegung  des  Sonnentieres  liefen  andere  Traditionen 
her,  wonach  die  Tödtung  des  später  wieder  auflebenden  Tieres  zur  Zeit  der 
Wintersonnenwende  statt  habe.  Also  auch  Kuhn  ist  genötigt,  gleich  uns 
oben ,  eine  Verschiebung  eines  wiederholten  sommerlichen  Vorgangs  auf  einen 
einmaligen  über  längeren  Zeitraum  ausgedehnten  im  Winter  anzunehmen. 
Hätte  er  recht,  so  würde  sich  aus  dieser  Analogie  auf  das  beste  erklären, 
sowohl,  daß  die  vom  wildmau  in  Northamptonshire  gejagte  Jungfrau  all- 
nächtlich getüdtet  wird  und  wieder  auflebt  (S.  122)  als  auch,  daß  die 
Weiße  Frau  im  Havelländischen  bei  der  Verfolgung  immer  kleiner  wurde, 
bis  sie  nur  noch  auf  den  Knien  lief  (S.  12^5).  Ich  entscheide  mich  noch 
für  nichts  endgiltig,  bis  eine  umrassende,  die  Urformen  der  Tradition,  ihre 
Wandlungen    und  Verderbnisse  aufspürende  Untersuchung  der  Sagen  von  der 


152  Kapitel  IL    Die  Waldgeistcr  und  ihre  Sippe: 

W.  Schwartz  aufgestellte  Deutung,  wonach  die  von  der  wilden 
Jagd  herabgeworfene  Lende  oder  Hälfte  der  Holzfrau,  sowie  die 
in  Gold  sich  wandelnden  Geschenke  der  thüringischen  und  czechi- 
sehen  Waldweiber,  Lisunki  u.  s.  w.  ursprünglich  den  Blitz  bedeu- 
ten, nicht  unwahrscheinlich,  wenngleich  keinesweges  gesichert. 
Mit  der  Natur  der  Waldgeister  als  Wind-  und  Wetterwesen 
scheint  auch  der  Zug  zusammenzuhängen,  daß  die  Waldfranen 
einen  Gürtel  schenken,  welchen  sie  einen  Menschen  anlegen 
heißen.  Der  Beschenkte  umgürtet  damit  aber  zuvor  einen 
Baum  und  derselbe  springt  augenblicklich  zerrissen  und  zer- 
splittert in  Stücke.^  Einen  ebensolchen  Gürtel  verleiht  näm- 
lich   auch    der    in    der     Windsbraut    umfahrende   Hexenmei- 

* 

ster.*  Der  den  Wald  erfüllende  Nebel  oder  weiße  an  den  Ber- 
gen hangende  Wölkchen  gelten  als  die  Wäsche  der  Waldfrauen. 
Dergleichen  wird  erwähnt  bezüglich  der  wilden  und  seligen  Fräu- 
lein, der  Wildfrauen  in  Steiermark,  der  Froberte,  Skogsnufvar 
und  Dames  vertes,  sowie  der  Pysslingar  unter  dem  Apfelbaum 
zu  Falsterbro  (ob.  S.  61).  Da  die  menschliche  Seele  als  Luft- 
hauch (animus,  spiritus)  betrachtet  wurde, ^  so  steht  es  auch  wol 
mit  der  Windnatur  der  Waldgeister  in  Verbindung,  daß  die  Holz- 
fräulein in  arme  Seelen,  die  Seligen  in  die  Geister  todter  Mütter 
übergehen. 

Ihrem  Ursprünge  nach  dunkler,  als  die  bis  hieher  behan- 
delten Eigenschatten ,  sind  diejenigen  Aussagm ,  welche  den  Wald- 
frauen d(is  Streben  mich  der  Verhindung   mit  stcrhliclien  Man- 


wilden  Jagd  voraufgegangen  sein  wird.  In  jedem  Falle,  meine  ich  jedoch, 
würde  nur  davon  die  Rede  sein  können,  daß  etwa  seeundär  die  Vorstel- 
lung und  Sage  von  dem  einer  Frau  nachsetzenden  Dämon  (Riesen,  Gotte) 
des  Gewittersturmes  auf  die  Nacht  und  eine  Verfolgung  der  Sonne  während 
des  Tages,  endlich  in  zweiter  Linie  auf  den  Winter  und  das  Nachsetzen  des 
sommerlichen  Gottes  hinter  dem  fliehenden,  immer  schwächer  scheinenden 
Sonnonwcsen  umgedeutet  wurde  und  in  einigen  Sagenformen  diese  Au£fiEtö- 
sung  Ausdruck  fand.  Inwieweit  dabei  etwa  die  von  uns  bereits  Genn. 
M}th.  37  fF.  besprochene  Uebereinstiramung  vieler  Naturbilder  für  Wind, 
Wolke,  Licht  (oder  Sonne)  und  Erde  zu  solcher  Umdeutung  mitwirken  konnte, 
ist  erst  im  einzelnen  näher  zu  erforschen. 

1)  S.  Panzer,  Beitrag  I,  17,  19.     Zingerle,   Sagen,  Märchen   u.  Gebr. 
3i,  44.     Vgl.  Meier,  Schwab.  Sag.  69,  4.    Panzer  1,  71,  88. 

2)  Panzer  a.  a.  0.  II,  208,  365.    Vgl.  Myth.«  907. 

3)  Mannhardt,  German.  Mythen  269. 


Bockblicke  und  Ergebnisse.  153 

nem,  deni  Waldfnann  die  Sucht  nach  christlichen  Frauen  eu- 
schreiben.  Die  Holzfräulein ,  die  Seligen,  Fanggen,  die  Skog- 
snufVar  nnd  Ljeschie  gehen  eheliche  Vereinigungen  mit  Menschen 
m  S.  79.  87.  103.  135.  143.  Der  Gesang  und  ^  die  schöne 
Gestalt  der  Seligen  und  wilden  Weiber  lockt  Jünglinge  und  junge 
Männer  an  ihre  Seite.  Wem),  manche  Sagen  dieses  VerhältniB 
aoterordentlich  zart  und  geistig  darstellen  (S.  101),  so  zeigen 
andere   eine  rohere,  vermutlich  ältere  Form  S.  102. 

Saohe  Else  naht,  wie  die  Skogsnufva,  dem  am  nächtigen 
Feuer  Liegenden  und  verlangt  nach  seiner  Minne  S.  108. 
Vgl  die  agrestes  feminae  bei  Burkhard  v.  Worms  S.  143. 
Das  badische  Wildweib  hat  mit  dem  Jäger  ein  Kind,  S.  88,  und 
die  Dames  vertes  locken  den  betörten  Liebhaber  ins  Dickicht 
S.  118.*  Der  Hulte  stellt  christlichen  Weibern  nach  S.  127, 
ebenso  die  lesni  muSove  in  Böhmen  S.  87. 

Daneben  wird  behauptet,  daß  die  Waldgeister  kleine  Kin- 
der rauben  oder  an  sich  ziehen  und  tödten.  Der  Salvanel ,  die 
wilden  Weiber  am  ünterberge,  die  Fanggen  S.  90,  die  divö 
zeny  in  Böhmen  S.  87  stehlen*  kleine  Kinder.  Oder  die  böh- 
mische Waldfrau  lockt  sie  an  sich  S.  87.  Die  Tiroler  Lang- 
tüttin  legt  sie  an  ihre  großen  unheimlichen  Brüste  S.  108.  Die 
Seligen  holen  sogar  Wöchnerinnen  aus  dem  Kindbett 
weg  S.  108.  Steht  dazu  in  irgend  einem  Verhältniß  der  Zug 
des  Irreleitens,  der  von  den  Froberte,  den  Dames  vertes,  der 
rauhen  Else,  der  Skogsnufva  und  ihrem  Geniahle,  dem  Hulte, 
den  Ljeschi,  wie  dem  peruanischen  Uchuclla  berichtet  wird?  Bei 
unseren  Waldweibchen  und  Moosleuten  schlägt  dieser  Zug  gradezu 
*m  sein  Gegenteil  um.  Die  Moosweiblein  im  Wildemann  z.  B.  lei- 
teten Fremde,  die  sieh  verloren  hatten,  auf  die  rechte  Straße 
und  teilten  ihnen  Wurzeln  und  Kräuter  zur  Nahrung  und  Gesund- 
heit mit.^ 

Die  Waldgcistcr  zeigen  sich  auch  sonst  den  Menschen  gerne 
dienstbar  und  gehen  in  Uausgeistcr  über.  Die  Holzfräulein  in 
Thüringen  und  Franken ,  die  wilden  Leute  in  Baden ,  die  Saugen 
in  llrol  helfen  zur  Erntezeit  den  Arbeitern.  Aber  auch  ständig 
treten  Holzweiber  und  Waldmännchen ,  Fanggen ,  Salige ,  zuweilen 


1)  VerDaleken,  Mythen  und  Bräuche  249,  55. 

2)  Pröhle,  D.  Sag.  S.  37,  8.    Vgl.  auch  ob.  S.  84. 


154  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

auch  Skogsrä  in  den  Dienst  des  Menschen,  besorgen  das  Vieh 
im  Stalle  und  segnen  Vieh  und  Vorratskammer;  auch  die  Schre- 
tel  spielen  die  Rolle  der  Penaten  S.  115.  Die  wilden  Geißler 
(S.  96  ff.)  stellen  gewissennaßen  Penaten  der  Dorfschait  vor. 
Wie  hier  in  Hausgeister  gehen  die  Waldgeister  anderswo  unmerk" 
lieh  in  andere  Elbe,  namentlich  in  Höhlen  und  ebenes  Fdd  bewahr- 
nende  Zwerge  über.  Die  Fanggen  verlieren  sich  in  Fenggen  und . 
Fänken.  Die  von  Fanggen,  Uolzweiblein  und  wilden  Frauen 
erzählte  Geschichte  von  Todansagen  (S.  90)  wird  auch  von 
Zwergen  berichtet  Wilde  Leute  werden  local  zu  Nörgeln  und 
Norken  (S.  110),  die  Seligen  zu  SchanhoUen  (S.  102).^  Und 
die  Seligen  selber,  die  in  fast  allen  Stücken  den  Wald- 
und  Moosweibchen  entsprechen^  verlieren  den  Gharacter  eigent- 
licher Waldgenien  fast  ganz.  In  der  norddeutschen  Ebene  ver- 
treten die  Unnerßrdschen  und  weißen  Weiber  die  Waldgeister 
des  deutschen  Südens  mid  skandinavischen  Nordens  (S.  124). 
Mit  eifumi  Worte  Wald^  und  Feldgeister  sind  sowenig  durch 
eine  feste  Schranke  geschieden,  daß  sie  vielfach  in  einander  rinnen. 


1)  Die  Identität  der  Seligen,  witte  Wiwer  und  Hollen  erweisen  die 
Mitteilungen  von  A.  Kaulfuianu  und  Birlinger  in  Pfeiffers  Germania  XI,  411  ff. 
und  XVII,  78,  wonach  in  Aufzeichnungen  des  XVI.  JahrlL  von  niederrheini- 

« 

sehen  unter  schönen  Bäumen  und  krausen  Büschen  wohnenden  Gei- 
stern die  Rede  ist,  für  welche  die  Namen  „selige  frauwen,**  „holden," 
„wyUe  frauwen**  als  Synonyma  gehraucht  werden. 


Kapitel  UI. 

Die  Baumseele  als  Vegetationsdcämon. 

§.  1.  Crenius  des  Wachstums.  Die  lange  Folge  der  in  den 
beiden  ersten  Kapiteln  erläuterten  Anschauungen  wird ;  wenn  ich 
nicht  irre^  dazu  helfen ,  uiit  einiger  Wahrscheinlichkeit  auch 
die  Bedeutung  mehrerer  Gebräuche  zu  erschließen,  welche  wir 
an  hervorragende  Jahresfeste  geknüpft  sehen.  Auch  in  ihnen  hat 
die  Vorstellung  vom  Baumgeiste  als  Doppelgänger  und  Schützer 
menschlichen  Lebens  mehrseitige  Verwertung  gefunden,  aber  in 
Verbindung  mit  einer  von  uns  bisher  noch  wenig  berührten  Idee. 
Wir  gewahren  die  Baumseele  gefaßt  als  Genius  des  Wachstums. 
Da  aber  an  der  jährlichen  Verjüngung  der  I^anzenwelt  im  Frtth- 
ling,  ihrem  Absterben  im  Herbste  Jim  augenscheinlichsten  der 
Wechsel  der  Jahreszeiten  offenbar  wird,  liegt  es  nahe,  daß  die 
Anschauung  von  dem  im  Baume  verkörperten  Dämon  der  Vege- 
tation in  seiner  sommerlichen  Gestalt  leicht  umschlägt  in  eine 
gleiehgestaltete  Personification  des  Frühlings  oder  Sommers  und 
auch  wohl  mit  diesem  Namen  benannt  wird.  Der  der  Abstraction 
ungewohnte,  für  begriffliche  Scheidungen  ungeschulte  Naturmensch 
trennt  diese  verschiedenen  Momente  nicht,  sondern  Vegetation, 
Frühling  (Sommer)  schützender  (stellvertretender)  Baumgeist  ver- 
schwimmen ihm  vielfach  in  einen  einzigen  Begrift'.  Von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  beleuchtet,  werden  uns  —  so  scheint  es  — 
mehrere  slavische  und  germanische  Lätare-,  Mai-  und  Pfingst- 
gebräuche  ihr  Geheimniß  entschleiern. 

g.  2.  Baumseele:  Waelistumgeist-- Sommer  in  den  Lätare- 
gebräuchen.  Ich  erinnere  zunächst  an  die  Sitte  des  Todaus- 
tragens am  Lätaresonntii^  bei  den  Wenden  in  der  Lausitz,  den 
Czechen  in  B?5hmen  und  bei  andern  Slaven.  Bekanntlich  zogen 
die  Frauen  der  Lausitz  am  genannten  Tage  in  Trauerschleieni 
aus,  banden  eine  Strohpuppe,  bekleideten  sie  mit  einem  Uemde 


156  Kai)it«l  III.    Baomsccle  als  VegetationsdaiDon: 

gaben  ihr  Sense  und  Besen  in  die  Hände,  tragen  sie  zur  Grenze 
des  nächsten  Dorfes  und  zerrissen  sie  dort;  sodann  hieben 
sie  im  Walde  einen  schönen  Baum,  hingen  das  Hemd 
daran  und  trugen  ihn  unter  Gesängen  heim.^  In  Böhmen  stür- 
zen die  jungen  Leute  eine  Puppe,  den  Tod,  ins  Wasser;  hierauf 
begeben  sich  die  Mädchen  in  den  Wald,  schneiden  ein 
junges  Bäumchen  mit  einer  grttnen  Krone,  an  dem  sie 
unt^n  die  Rinde  abschälen,  oben  eine  Elle  lang  Zweige 
daran  lassen  und  verzieren  dasselbe  mit  Eierschalen. 
Dann  hängen  sie  eine  aus  Lumpen  gemachte  Puppe  in 
Gestalt  einer  weißgekleideten  Frau  daran,  die  sie  gleich 
den  Zweigen  mit  roten  und  weißen  Bändern  schmücken. 
Dieses  Bäumchen  heißt  Lito  (Sommer),  und  damit  ziehen  die 
Mädchen  in  Procession  Gaben  sammelnd  von  Haus  zu  Haus,  Lie- 
der singend,  in  denen  sich  der  Ruf*  wiederholt: 

Smrt  neseme  ze  vsi 
Leto  nesem  do  vsi  atd. 

Den  Tod  tragen  wir  aus  dem  Dorfe, 
Den  Sommer  tragen  wir  in  das  Dorf.* 

Zuweilen  ist  dieser  böhmische  „Soninicr^'  ein  mit  silber- 
nen Gürteln,  goldenen  Hauben,  Perlen,  Winterkränzen, 
Kai-tenblättem ,  bunten  Eierschalen,  gefärbtem  Papier 
gezierter  Baum;  nachdem  ihn  die  Knaben  von  Haus  zu  Haus 
getragen,  pflanzen  sie  ilm  zuletzt  einem  der  vornehmsten. ver- 
heirateten Weiber  vor  die  Tttr.^  Auch  bei  der  ursprüng- 
lich unzweifelhaft  slavischen  Sitte  des  öommergewinus  zu  Eise- 
nach am  Sonntag  Lätare*  wurde  noch  im  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts einerseits  ein  Strohmann,  der  Tod,  verbrannt,  anderer- 
seits ging  man  vor  das  Georgentor  hinaus,  um  die  ausge- 
hängte und  in  einer  frischen  Tanne  oder  Fichte  sitzende 
Sommerdocke  zu  sehen,  und  sich  einen  sogenannten  Sommer 
d.  h.    Tannen    und    Fichtenreiser   mit    daran    gehängten 

1)  Christ.  Arnold,  Anhang  zu  Alex.  Kossens  untersch.  Gottesd.  Hei- 
delb.  1074  S.  I3r>  bei  Ciriinm,  Myth.-i  732. 

2)  S.  Reinsberg-Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen.    S.  86  — 92. 

3)  Reiinann,  I).  Volksfeste  S.  18. 

4)  S.  Witschel,  der  Sommergcwinn  in  Eisenach  1852.  Vgl.  Zs.  f.  D. 
Myth.  m,  318. 


Rosaigeher  Pfingstgebraüch.  157 

Bretielüy   Gipstäflein  mit  biblischen  Bildern,  Bändern, 
kleinen  Kuchen,  gefärbten  Eierschalen,  Schneckenhäu- 
sern und  andern    Sachen  zu  kaufen  und  heimzutragen.    Zu- 
weilen holte  man  auch  aus  dem  Walde  bei  der  Wartburg  eine 
hohe  Tanne,  grub  «e  auf  dem  Plan  fest  ein,  schmückte  sie 
mit  Bändern   und  Tüchern  und   die  Mannsleute  kletter- 
ten nach   diesen.^     In  Schlesien  heiBen  die  mit  dem  grünen 
Bänmehen,    dem    Idto,    umziehenden   Kinder   Sommerkinder. 
Will  man,  daB  die  Kühe  gut  gedeihen,  so  soll  man  ihnen  den 
Sommer  abkaufen  und    hinter    die  Türe    des    Viehstalles 
stecken.* 

§.  8.  Bnsaisehe  PflngstgebrSaehe.  Unmöglich  wäre  es, 
die  Verwandtschaft  zu  verkennen,  welche  zwischen  diesen  west- 
slavischen  liUaregebräuchen  und  der  russischen  Pfingstsitte 
obwaltet  Am  h.  Semiktag  d.  h.  Donnerstag  nach  Pfingsten  gehen 
die  Bauern  und  das  gemeine  Volk  der  Städter  in  die  Wälder, 
flechten  Kumengewinde  und  hauen  eine  junge  Birke,  die  sie  mU 
den  Kleidern  einer  Frau  sdimücken,  oder  mit  bunten  Lappen 
und  Bändern  von  allerlei  Farben  ausputzen.  Im  Hinausgehen, 
während  sie  zu  den  Kränzen  und  Ouirlandeü  Blumen  sarameb, . 
singen  die  Mädchen  welche  die  Birke  einholen  sollen: 

Freot  eaeh  nicht  ihr  Eichen, 
Freut  ench  nicht  ihr  grünen  Eichen. 
Nicht  zu  euch  ja  gehen  die  Mädchen, 
Euch  nicht  bringen  sie  den  FleLschbrei, 
Kuchen  nicht  und  Eierspeise. 
Hei  juchei.    Dreifaltigkeit! 
Freuet  euch  ihr  Birkenbäume, 
Freuet  euch  ihr  grtknen  hoch! 
Denn  es  gehn  zu  euch  die  Mägdlein, 
Bringen  euch  den  Fleischbrei  dar, 
Kuchen  euch  und  Eierspeise. 

Nach  diesen  Worten  ist  kein  Zweifel,  daß  man  ehedem  die 
genannten  Speisen  als  Opfer  vor  die  mit  menschlichen  Kleidern 
zu  einer  Frauengestalt  aufgeputzte   Birke   stellte,   ehe  man   sie 


1)  S.  Koch,  CoUectaneen  zur  Gesch.  v.  Eisenach  1704,  bei  Witschel, 
Sitten  u.  Gebräuche  a.  Kisenach  1866,  S.  12,  Cf.  Zs.  f.  D.  M>th.  II,  103. 
tUfimann,  D.  Volksfeste  18:59,  S.  23— -25. 

2)  M>-th.^  CLVm   1097. 


158  Kapitel  m.    ^aumseele  als  Vegetationsdämon: 

• 

abhieb.  Ist  dieses  geschehen,  so  folgt  noch  jetzt  ein  festlicher 
Schmaus  im  Angesichte  des  Baumes,  nach  dessen  Beendigung 
die  bekleidete  Birke  unter  jubelndem  Gesänge  heimgefllhrt 
und  in  irgend  einem  Hause  aufgestellt  wird,  wo  sie  als  hoch- 
geehrter Gast  zwei  Tage  bis  zum  Dreifaltigkeitssonntage  ver- 
bleibt Während  dieser  Tage  wird  das  Haus  von  Leuten  moht 
leer,  welche  ihrem  ,, Gaste''  den  schuldigen  Besuch  abzu- 
statten kamen.  Am  dritten  Tage  aber  (am  Trinitatissonntage) 
tragen  sie  ihn  0u  fließendem  Wasser^  werfen  ihn  hinein  und  ihre 
Semikkränze  und  Laubgewinde  hinterher.^ 

Die  einfachste  Ueberleguug  ergiebt,  daß  die  nach  Menschen- 
art  bekleidete,  ehrfurchtsvoll  mit  Opferspeisen  begrttfite,  als  Gast 
hochgehaltene  Birke  etwas  anderes  als  das  seelenlose  Gewädis, 
daB  sie  einen  in  ihr  waltenden,  zur  Persönlichkeit 
gediehenen  Geist  darstellen  soll;  und  eben  denselben  Ge- 
danken drttckt  auch  das  dem  lausitzischen  Bäumchen  übergezogene 
Hemd,  die  in  Böhmen  und  Eisenach  angehängte  weiBgekleidete 
Docke  aus.  Doch  der  eine  Baum,  den  man  einholt,  ist  symbo- 
lischer Vertreter  von  allen;  nicht  die  individuelle  Baumseele 
.  meint  man,  sondern  coUectivisch  den  Dämon  der  gesammten 
Vegetation.  Daß  die  Birke,  nicht  die  Eiche  diesen  Dämon  dsT- 
stellt  ist  natürlich,  da  sie  von  allen  Waldbäumen  sich  zuerst 
belaubt. 

Unsere  Auffassung  bewährt  die  Ausschmückung  des  Baumes 
mit  Eiern,  den  Sinnbildern  des  neukeimenden  Lebens. 
Denn  daß  diese  Bedeutung  auszudrücken  beabsichtigt  war,  lehr); 
der  Vergleich  anderer  Volkssitten.  So  wird  viell'ach  in  die 
erste  Garbe  der  Ernte  ein  Brod  und  ein  Osterei  ein- 
gebunden als  Gewähr  des  Wiederauf keimens  und  reichlichen 
Ertrages  der  Saat  im  nächsten  Jahre ,  *  der  erste  Pflug  über  ein 
Brod  und  Ei  in  den  Acker  geführt,*  oder  beides  wird  in  das 
besäte  Feld  vergraben,*  oder  der  Sämann  ißt  mit  seiner  Familie  ein 
paar  frische  Eier  auf  dem  so  eben  bestellten  Lande  (Thüringen).' 


1)  Ralston,  songs  of  the  Russian  peoplc.     London  1872.    S.  234.  238. 

2)  Vgl.  z.  B.  Panzer,  Beitr.  z.  D.  Myth.  U,  211  —  213. 

3)  Wuttko ,  Abergl.«  §.  428. 

4)  Panzer  a.  a.  0. 

5)  Wuttke  §.  657. 


MittsommcrstaTi^  in  Scliweden.  159 

Während  des  Winters  war  der  Vegetationsdänion  gleichsam  abwe- 
mii,  m  Lätare  will  er  kommen,  zu  Pfingsten  ist  er  da,  und 
zogleieh  ist  er  der  leibhaftige  in  Blüten  und  Blüttem  webende 
iSommery  aber  nur  wie  ein  „Gast^'  kam  er,  der  bald  wieder 
davongeht  Gleich  ihm  wffnscht  man  auch  Tiere  und  Menschen 
ferjlingt;  wir  lernten  ja  hinreichend  die  Sympathie  zwischen 
Menschenleben  und  Pflanzenleben  kennen.  So  ergab  sich  die 
Ceremonie  der  Heimholnng  nach  Stadt  und  Dorf,  deren  Bewohner 
deh  nnmittelbar  und  greifbar  der  segnenden  Nähe  ihres  Schutz- 
geistes  Tergewissem  wollten.'  Das  Hineinwerfen  der  rns- 
gischen  Birke  in  fließendes  Wasser  am  Ende  des  Festes 
ist  (glaube  ich)  zu  beurteilen,  wie  die  Wassertaufe  vieler , in 
einem  späteren  Paragraphen  mitzuteilender  deutscher  Pfingst- 
gebrauche  und  Emtesitten  als  Regenzauber  ftir  das  weitere  Ge- 
deihen der  Pflanzenwelt.  Das  mythische  Wesen,  welches  diese 
älavischen  Latäre-  und  SemikgebrUuche  z.  T.  unter  dem  Namen 
„ Sommer ''  verherrlichen,  meinen  wir  also  zwar  als  Personific^- 
tion  der  schönen  Jahreszeit  auffassen  zu  sollen,  doch  als  Dämon 
der  sommerlichen  Vegetation  näher  bestimmen  zu  können. 
Wer  die  Gesetze  der  Mythenbildung  einigermaBen  kennt,  wird 
es  nicht  verwunderlich  finden ,  daß  in  dem  wcstslavischen  Branche 
ein  anderer  Dämon  der  Vegetation  in  ihrem  winterlichen  Zustande 
unter  dem  Namen  Tod,  Alter  u.  s.  w.  nebenhergeht.  Wir  werden 
bei  einem  spätem  Anlaß  noch  Gelegenheit  finden,  diese  AuffaH- 
tiung  durch  Erläuterung  der  polnischen  Mar/ana  (d.  i.  Geres  nach 
der  Conjectur  von  Dlugosz)  za  rechtfertigen. 

§.  4.    Xittsommorstauge   in   Schweden.     Das  Mittelglied 

zwischen    dem    russischen    Semik-(Pfingst-)  gebrauch   und    dem 

deutschen  Maienstecken  bildet  eine  schwedische  Mitsommersitte. 

An  St  Johannisabend ,  wann  die  Pflanzenwelt  in  üppigster  Kraft 

und  Schönheit   steht,    richtet  man   bei  jedem   Hofe   oder   auf 

freiem  Felde  die  sogenannte  Mittsommerstange,  Maistange  oder 

Mai  bäum  (Maistang,  Maiträ)  auf  und  tanzt  um  sie  herum  das 

Mittsommerspiel,   indcß  jedes  Zimmer  und  jede  Hausflur  in  den 

Städten    sowol,    als    auf    dem    Lande,    mit  Laub    und  Blumen 

^'eselmiüekt  smd.    In  ►Stockholm  wird  am  22.  Juni  ein  förmlicher 

Markt  mit  Laubzweigeu  und  kleinen  Maistangen  für  Kinder 

abgebalten,  wozu  die  ganze  Umgegend  die  Handelsartikel  liefert, 

welche  reichlichen  Absatz  finden.    Vielfach  ist  die  Maistange  nur 


160  Kapitel  IIL    Baunseele  als  Vegetationsdämon : 

eine  hohe  Stange ,  der  gradeste  and  schlankste  Baum,  den  man 
im  Walde  finden  konnte ,  einfach  mit  Laub  und  Blumen  bekränz^ 
oft  auf  der  Spitze  von  einem  roten  Wetterhahn  gekrönt,^ 
den  der  Wind  umtreibt.  Zuweilen  aber  (und  zwar  ebenfaUs  in 
Smäland)  kommt  auch  noch  eine  andere  Form  vor,  welche  sieh 
dem  geschilderten  russischen  Brauche  enge  anschließt  Frau 
Flygare- Carlen  giebt  davon  in  ihrem  Roman  Päl  Yäming  die  fol- 
gende Beschreibung.  Eine  hohe  Malstange ,  welche  schon  einen 
langen  Zeitraum  hindurch  Jahr  für  Jahr  auf  einer  und  derselben 
großen  Ebene  getront  hatte,  stand  heute  (am  Johannisabend)  wieder 
festlich  geschmückt  in  langen  Kleidern  von  Birkenlaab; 
die  Arme  mit  bunten  Blumenkränzen  umwunden  neigten 
sich  in  stolzen  Halbbogen  gegen  die  schlanke  Mitte,  in- 
deß  der  sogenannte  Hals  von  Blattgold  und  großen  Perl- 
bändern aus  Eierschalen  leuchtete,  eine  Krone  in  gewal- 
tigem Maßstabe  schmückte  das  Haupt  und  vollendete 
die  Kleidung.  Alles  atmete  lieben  und  Freude  und  in  buntem 
Reigen  bewegten  sich  nach  dem  Tone  der  Violine  die  frohen 
Schaaren  um  die  Braut  des  Abends,  die  geschmückte  Maistange.* 
Auch  in  Norwegen  soll  man  am  Johannisfeste  hohe  Maistangen 
aufrichten,  die  mit  Kränzen  und  Bändern  geschmückt  sind  und 
um  welche  die  jungen  Leute  in  der  Hoffnung  auf  eine  reiche 
Ernte  singen  und  tanzen.^ 

§.  5.  Malbanm.  Am  ersten  Maitag,  zu  längsten,  oder  am 
Abend  des  23.  Juni  findet  in  deutschen,  westslavischen ,  eng- 
lischen, französischen  und  andern  keltischen  und  romanischen 
Landschaften  die  Einholung  und  Aufpflanzung  der  Maibäume 
statt.  Diese  Sitte  erscheint  schon  in  Urkunden  des  frühem 
Mittelalters  (13.  Jahrh.)  als  traditionell.  Vergeblich  kämpfen  die 
geistlichen   und   weltlichen    Besitzer    der    Waldungen   dagegen 


1)  Hylten-CavaUius  Väreod  och  Virdarne  I,  S.  2f^8.  328.  Westerdahl, 
Beskrlfning  om  Svenska  allmogons  Seder.  Stockholm  1774.  S.  7.  Cf.  Piun 
MagDussen  lex  myth  552:  ^ygallum  illum  qui  ad  recentiora  usque  teiupora 
apnd  Suecos  rusticos  in  culmine  majalis  arhoris  collocari  solait." 

2)  Flygare- Carlen,  Paul  Wärning  ühers.  v.  C.  F.  Stuttg.  1845.  S.232. 
237.,  vgl.  Liebrecht  in  Pfeüfcrs  Germania  IV.  1859.  S.  379.  Vgl.  dazu  die 
Andeutung  &hnlicher  Maistangen  mit  blnmcnumwundenen  Bügeln  bei  Wester- 
dahl a.  a.  0. 

3)  S.  Beiraann,  D.  Volksfeste  S.  401. 


Maibaom.  161 

an.^    Sie  zerfällt  in  mehrere  Acte,  öder  nimmt  verschiedene  For- 
men an,  Yon  denen  die  einen  hier,  die  andern  dort  noch  beisam- 
men sind.    Eine  eingehendere  Monographie  wttrde  zur  Ehitschei> 
dnng  bringen  müssen,  wie  viele  von  ihnen. von  Anfang  zusammen- 
gehörten.    Die  Schaar  der  Bürger  (in  späterer  Zeit  häufig  nur 
der  Kinder    des   Ortes)    oder    der   Mitglieder    einer    zfinftigen 
Genossenschaft  (z.  B.  der  Schuster ,  der  Leinweber  u.  s.  w.)  zieht 
in  den  Wald  hinaus,  um  den  Mai  zu  suchen  (quaerere  majum, 
qaerir  le  may,  fetch  in  the  may)  und  bringt  grüne  Büsche  und  junge 
Bäume,  vorzugsweise  Birken  oder  Tannen  mit  heim,  welche  vor 
der  Tür  oder  auf  der  First  des  Hauses'  auf  die  Dünger- 
stätte oder  vor  dem  Viehstall  aufgepflanzt  werden  und  zwar 
hier  gerne  für  jedes  Stück  Vieh  (Pferde  und  Kühe)  ein  beson- 
deres  Bäumchen.     Die  Kühe  sollen  dadurch  milchreich,   die 


1)  VgL  die  französiscbeB  Belege  aus  saec.  XIII.  XIV  bei  Du  Cangei 
gloss.  med.  lat.  ed.  Henscbel  s.  t.  y.  majum  et  majus,  einen  Aachener  aus 
saec.  XIII  bei  Oaesarius  t.  Heisterbacb  (s.  unten  S.  170),  die  Frankfurter  a 
saec.  XY  bei  Eriegk,  Deutscbes  Bürgertum  im  Mittelalter  1868  S.  451;  aus 
Köln  bei  Hüllmann,  Deutscbes  St&dtewesen  IV,  S.  171.  Vgl.  Schmeller  II, 
533.  Aus  den  Niederlanden  liefert  Berichte  Westreenen  van  Thiellandt, 
raderl.  Letteroefcn.  1831.  Nr  14. ,  1832  IV,  162.  üeber  die  jährliche  Auf- 
Pflanzung  des  Maibaumes  im  Haag,  worauf  im  Jahre  1734  ein  Pfenning 
geschlagen  wurde  (van  Loon  Nederl.  Hist.  penn.  U,  225)  vgl.  man  Tegenw. 
Staat  van  Holland  XVI,  100;  de  Riemer  Beschr.  van's  Gravenhage  etc.  In 
der  Schweiz  wurde  das  Maienhauen  im  17.  Jahrb.  durch  zahlreiche  Verbote 
interdrückt.  Der  Wintertburer  Rat  z.  B.  ließ  1659  den  Großweibcl  in  der 
Kirche  verkünden  „dafi  bei  hoher  Strafe  die  jungen  Knaben  am  Maitag  weder 
Roth  -  noch  Weißdändli  In  Mayen  hauen  sollen  als  ein  schädlich  und  unnütz 
Ding."  Troll ,  Gesch.  von  Winterthur  III,  188  bei  Rochholz ,  Alem.  KinderL 
507,  102. 

2)  Aus  Frankreich  vgl.  Du  Gange  a.  a.  0.  Urkunden  aus  den  Jahren 
1207,  1257,  1397,  1400.  Aus  Italien  saec.  XVI,  s.  das  Zeugniß  des  Polydo- 
nis  Vergilius  de  invent  rer.  5.  2  bei  Grimm  Myth.*  741.  Vgl.  über  Neapel, 
wo  am  ersten  Mai  jedes  Haus  durch  ausgesteckte  Büsche  zum  Wirthshaus 
werde,  Cortese,  Ciullo  e  Perna  1,2.  Liebrecht,  Pentamerone  des  Basüe  I, 
S99.  Aus  England  s.  die  Beschreibung  Boumes  bei  Strutt ,  sports  and  pastimes 
of  the  people  of  England  1841,  351  —353.  Brand,  populär  antiquities  ed. 
EUis  1853.  I,  212—247.  In  Belgien  s.  Reinsberg-Düringsfeld,  Calendrier 
Beige  I,  278  ff.  In  Deutschland  s.  Kuhn,  Wcstfäl.  Sag.  U,  168,  471.  173, 
482—483.  156,  439—441.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  386,  70.  Alsatia  ia51,  139. 
Lyncker,  bess.  Sagen  S.  246—248.  Cf.  Reinsberg-Düringsfeld,  das  festig 
Jahr  127  — 130. 

Mannhardt.  11 


162  Kapitel  HI.    Baumseele  als  VegetatioDsdämon : 

Hexen  vertrieben  werden.^  Zuweilen  werden  die  mit  Sträußen 
und  Bändern  verzierten  Maibäumchen  zuvor  in 'feierlichem  Um* 
zuge  unter  Gesang  gabenheischend  von  Haus  zu  Haus  getragen, 
ehe  sie  vor  denjenigen  Häusern,  in  welchen  Gaben  an  Eien^ 
Speck,  Wurst  u.  s.  w.  verabfolgt  wurden ,  ihren  Platz  finden. 
Die  Träger  heißen  Maienknechte,  Pfingstknechte^  Maijungen  u.  s.  w^* 
sie  werden  z.  B.  in  der  Grafschaft  Mark ,  wo  sie  mit  d^n  Gesänge 
umziehen  ,,Hi  breng'k  ink  den  Mai  in't  Hfis'^'  mit  Wasser 
begossen.^  In  der  Gegend  von  Zabern  bilden  sich  ver- 
schiedene Compagnien,  deren  jede  mit  einem  Maibaum 
)ind  einem  verkleideten  Butz,  dem  Pßngstnickd^  d.  h. 
einem  Burschen  in  weißem  Hemde  umzieht,  der  ein 
geschwäretes  Gesicht  und  mit  Stroh  ausgestopften  Bauch 
hat.  Einer  aus  der  Gesellschaft  trägt  einen  riesigen 
Korb,  worin  sie  Eier,  Speck  u.  d.  gl.  sammeln.  Außer 
dem  größeren  Maien,  den  man  dem  Pfingstnickel  voran 
trägt,  führen  die  übrigen  Mitglieder  der  Gompagnie 
jeder  einen  kleineren.  Oft  begegnen  sich  drei  bis  vier 
Gompagnien  und  es  kommt  zu  einem  Kampfe,  nach  wel- 
chem dem  unterlegenen  Teile  der  große  Mai  abgebro- 


1)  S.  Meier,  Schwab.  Sagen  397,  76.  Gräter,  Bragur  VI,  1798  8. 121. 
Peter,  Volkstlmiliches  a.  Oesterr.  Schlesien  II,  28G.  Roinsberg-Dtüingafeld» 
Festkalender  a.  Böhmen  S.  210.  Cf.  „  They  fancy  a  green  bongh  of  a  tree, 
fastencd  on  May-Day  against  the  honse,  will  prodnce  plenty  of  milk  that 
summer.  Camden,  antient  and  modern  manners  of  tho  Irish  bei  Brand 
a.  a.  0.  227.  Weitere  Nachweisungen  aus  Dänemark  nnd  Norwegen  g^ebt 
Mannhardt,  Germ.  Myth.  17  ff. 

2)  Alsatia  1851  S.  144.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  387,70.  Peter,  Volkß- 
tümliches  aus  Oesterr.  Schlesien  II,  280.  I,  88.  Schmitz,  Sitten  und  Br&uche 
des  Eifler  Volkes  a.  Trier  1856  I,  33.  Reinsberg-Duringsfeld,  das  festliche 
Jahr  130. 

3)  Fr.  Woeste,  Volksüberl.  a.  d.  Grafschaft  Mark  26.  Im  Mittel- 
alter gestaltete  dieses  „den  Mai  ins  Haus  bringen^*  sich  mehrfach  zu 
einem  berittenen  Einzug.  Vgl.  Le  Fevre  de  Saint- Remy  bei  Cortet, 
F^tes  religieuses  p.  158  vom  Jahre  1414:  Messire  Hector,  bätard  de  Bourbon, 
manda  a  ceux  de  Compiögne,  que  le  premier  jour  de  may  il  les  irait 
osmayer;  la  quelle  chose  il  fit,  monta  a  cheyal,  ayant  en  sa  compag^e 
deux  Cents  hommes  d'armes  des  plus  vaillants  avec  une  belle  compagnie  de 
gens  de  pied  et  tous  cnsemble,  chacun  un  chapeau  de  mai  sur  leurs  har- 
uais  de  fete,  allerent  ä  la  porte  de  Compi^no  et  avec  enx  portale nt 
unc  grande  brauche  de  mai  pour  les  csmayer. 


Maibanm.  IM 

ehen  wird  (müDdl).  Oder  ein  Kind,  das  Mairesde  (MaienrOs- 
lein),  Mgt  einen  mit  BlnmenstränBen  und  Bändern  geschmfickten 
Maien y  ein  anderes  einen  Korb,  nm  die  Gaben  für  die  kleinen 
Sänger  in  Empfang  zn  nehmen ,  die  dem  Mairöslein  folgen  (Thann 
im  OberelsaB).  Wo  nicht  vor  jedem  Hause  ein  Maibaum  ange- 
pflanzt wird  j  beschränkt  die  Sitte  diese  Handlung  größtenteils  auf 
diejenigen  Wohnstätten,  in  denen  heiratsfähige  Mädchen  sich 
befinden,  oder  die  Häupter  der  Gemeinde  (Stadt,  Dorfschaft 
u.  8.  w.)  ihren  Sitz  haben. 

Das  Maienstecken  ftlr  die  jungen  Mädchen  geschieht 
entweder  als  Zeichen  der  Achtung  von  sämmtlichen  Burschen  der 
gesammten  Gemeinde  zusammen  (oft  erhält  jede  mannbare  Jung- 
frau im  Hause  ihren  besondem  Baum,  die  ältere  eine  größere, 
die  jüngere  eine  kleinere  Maie) ,  oder  als  Ausdruck  inniger  Liebe, 
als  symbolischer  Heiratsantrag  von  Seiten  des  Liebhabers  allein, 
und  in  diesem  Falle  schneidet  der  letztere  wol  auch  seinen 
Namen  in  die  Binde  des  Baumes  ein.^     Nur  den  ehrenwerten 


1)  In  Italien  heißt  majo  der  Zweig  (von  Birken  oder  Eichen)  der  der 
Geliebten  vor  die  Türe  gesetzt  wird.  Man  hat  daher  das  Sprichwort  ,,ap- 
piccare  il  majo  ad  ogni  nscio"  f&r  ,,inamorarsi  per  tutto.*'  Nach  T.  Bar- 
äalli  im  Diritto.  Roma  1873.  n.  108  ist  es  ein  mit  woldnftenden  ginster- 
aitigen  Blüten  in  Traubenform  bedeckter  Banm  (Akazie?),  den  man  als 
Maggie  oder  Majella  bezeichnet  und  dessen  blütenschwere  Zweige  die 
liebenden  Jünglinge  in  der  Nacht  Tom  letzten  April  bis  zum  ersten  Mai  ihren 
MSdehen  yor  die  Türe  setzen.  Man  nennt  das  ,,piantar  Maggie." 
Schon  Lorenzo  Ton  Medici  in  einer  seiner  Kanzonen  sagt: 

Se  tu  vuo"  appiccare  un  majo 

A  qualcona  che  tu  ami , 

und  Michel  Angelo  Bonaroti  in  der  Tancia  spielt  darauf  an: 

Coti  gettat'  ho  via  ciö,  che  fei  mal. 
Per  lei  e  doni,  e  feste  e  serenate: 
In  vano  al  Maggio  io  le  ho  ataccati  i  maj. 
Auch  in  Spanien  ist  majo  =  arbole  de  enamorado.    Bei  den  BurnSnen  seteen 
die  Barsche  am  Himmelfahrtstage  den   stattlichen  Maibaum  Tor  die  Fenster 
der  mannbaren  Mädchen.    W.  Schmidt ,  das  Jahr  der  Romanen  Siebenbirgens. 
Hennannstadt  1866.  p.  12.    In  Frankreich  vgl.  Du  Gange  a.  a.  0.,  der  z.  B. 

flg.  ürknifee  t.  1380  beibringt.      „Robin  d'Ambert  fust  allez  avec 

eartaias  compaignons  de  la  ville  de  Crecy  sur  Sere  par  esbatement  cneil- 
lir  da  may  on  aatre  yerdore  pour  porter  devant  les  hotelz  des 
jeanes  filles,  si  comme  il  est  acoustnme  de  faire  en  celle  nuit.  Die 
Sitte  hieß  enma/ff^Ur  oder  ebvmyer  (verschieden  von  esmayer  d.  i.  smagare 
enehrecken).    Urk.  v.  1375:  La  searveüle  du   premier  jour  de  may  iceulx 

11* 


164  Kapitel  III.    Baninsaele  als  Vegetationsdamon : 

sittlich  unbescholtenen  Jungfrauen    oder  jungen  Wittwen   wiid 
diese  Ehre  zu  Teil;  deiyenigen,  welche  sich  Unkeuschheit  oder 


snpplians  votdant  aler  onmaioler  les  dittes  filles,  comme  il  est  de  cons- 
tame.  In  der  Niederbretagne  steckt  man  einen  mit  einer  Blnmenkrone 
geschmückten  Maibaum  an  die  Tür  der  Geliebten.  Cf. De Nore,  mythea 
p.  207.  Im  D^p.  du  Nord  bringt  man  am  1.  Mai  Birkenzweige  an  Fenster 
nnd  Dach  der  Wittwen  and  Jangfrauen  an.  De  Nore  339.  In  der  Bretagne 
(Loire  inferieure)  heftet  der  Liebhaber  seiner  Schönen  ein  Bosenbouqnet 
über  die  Tür.  Im  Nivemais  sind  es  Kirschen-  oder  Pfirsichzweige, 
die  man  dem  Schätzchen  in  der  Mainacht  oben  zur  Seite  der  Hanstür 
anbringt  (mündl.)  Im  Jura  befestigen  sie  denmit  J^Zum^n,  Bändern,  Ku^en 
und  Wemflaschen  gezierten  Maien  hoi^nlich  am  Eammerfenster  oder  oben 
am  Schornstein  des  Hauses  der  Geliebten.  E.  Cortet,  fetes  religiensee. 
Paris  1867,  p.  164.  üeber  die  Allgemeinheit  der  Sitte  in  Frankreich  8.  Mon- 
nier,  traditions  popnlaires.  Paris  1857,  p.  307.  In  der  Provence  hat  man  in 
Bezng  darauf  folgendes  Liedchen : 

Veci  Ion  djoli  mh  de  mai, 
Qae  lou  galans  plantan  Ion  mal: 
N'en  planterai  ion  a  ma  mio ; 
Sara  plus  hiant  qne  sa  tiolino. 
d.  i. 

Voici  le  joli  mois  de  mai, 
Qne  Ics  amooreux  plantent  le  mai: 
J'en  planterai  an  a  ma  mie; 
n  sera  plus  haut  qne  son  toit. 

Monnier  a.  a.  0.  295  —  6.  Im  Elsaß  stellen  die  jungen  Bursche  ihren  Mäd- 
chen in  der  Walpurgisnacht  eine  schlanke  Tanne  mit  Blumen  und  Bin- 
dern vor  das  Fenster,  indeß  die  Kinder  den  in  der  Mitte  des  Dorfes  stehen- 
den großen  Maibaum  singend  umtanzen  (Alsatia  1851 ,  141  ff.)*  1°  ^^^  Gegend 
von  Zabern  setzen  die  jungen  Leute  ihrer  Liebsten  einen  Maibusch  vor  die 
Tür  oder  auf  das  Dach.  Letzteres  ist  ein  Zeichen  brennender  Liebe 
(mündl.).  In  Limburg  und  Brabant,  sowie  in  den  angrenzenden  belgischen 
Provinzen,  zieren  hohe  belaubte  Stämmchen  oder  grüne  Zweige  von  Lorbeem, 
Tannen  oder  Birken  (oft  auch  nur  Buchsbaumzweige,  Meipalmen)  mit  Bän- 
dern, buntem  Papier  und  Flittergold  geschmückt  die  Dächer,  das  Schlaf- 
stubenfenster oder  die  Haustür  der  geliebten  und  tugendhaften  Mädchen. 
Z».  f.  d.  Myth.  1, 175.  Reinsberg-Düringsfeld,  Calendrier  Beige  I,  279— 280. 
Zuweilen  sind  dem  Maibaum  Verse  angehängt,  wie  „Mai  de  chöne,  je  vona 
arene  (aime)''  oder:  „Mai  de  core  (noyer),  je  vous  adore**  Reinsberg •  Dü- 
ringsfeld,  Cal.  Belg.  280.  Solche  Devisen  und  Bilder  pflegten  aneh  die 
Frankfurter  Patrizier  söhne  den  Maien  anzuhängen,  die  sie  verehrten  Frauen 
oder  Jungfrauen  steckten;  so  Johann  Knoblauch  i  J.  1464  den  Spruch:  „Fal- 
scher Grund  ist  meinem  Herzen  unkund"  Lersner  bei  Kriegk  a.  a.  0.  452. 
Im  Harz,  in  Sachsen,  Thüringen  und  im  Voigtlande  ist  es  die  Pfingst- 


Maibaam.  165 

Wankelmnt  in  der  Liebe  zu  Schulden  kommen  ließen  oder  durch 

iiir  sonstiges  Betragen  HaB   and  Verachtung  anf  sich  geladen 

haben,  setzt  man  einen  dürren  Baum,  oder  auch  einen  Baum  von 

besonderer  Art  (Holunder,  Hasel,  Pappel,  Yogelbeerbanm,  Dom, 

n.  8.  w.)  oder  endlich  man  verfertigt  einen  Strohmann  und  steckt 

ihnen  den  vor  die  Tür,  das  Kammerfenster  oder  auf  das  Dach 

und  bestreut  den  Weg  zwischen  ihnen  und  ihrem  unrechtmäßigen 

Liebhaber  mit  Spreu.  ^ 


Oft  cht,  in  der  die  B&mmtlichen  jungen  Bursche  den  M&dehen,  die  sie  ehren 
und  lieb  haben,  Maien  Tor  die  Tür  setzen.    E.  Sommer,  Sag.  u.  M&rehen 
S.  151.     Pröhle,   Kirchl.   Sitten   S.  261.     Kuhn,   Westf.  Sag.  II,  169,  474. 
Kohler,  Yolksbrauch  im  Yoigtlande  1867,  S.  175.     In  der  Nacht  vom  ersten 
znm   zweiten    Pfingsttag   erh&lt  im  Wittgensteinschen  jedes  unverheiratete 
Weib  Yon   den  unverheirateten  M&nnem  seinen  Maistrauch.    Kuhn,   Westf. 
Sagen  II,  168,470.     In  Schwaben  stecken  die  Bursche  gemeinhin  nur  ihren 
Schätzen  die  Maitanne  oder  Maibirke  vors  Haus;  im  Oberamt  Welzheim  aber 
wird  zu  Ehren  der  Magd  oder  Tochter  vor  den  Stall   oder  auf  den  Mist 
jedes  Hauses   ein  grüner  Zweig  gesetzt;  daran  je   nach  der  Sch&tzung  des 
Mädchens  mehr  oder  minder  flotte  Bänder  hangen.     Gilt  es  mehreren  M&d- 
eben,  so  wird  für  jede  ein  besonderer  Baumzweig  gesteckt.    Meier,  397,  76. 
Ebenso  in  Tremi<^  in  Böhmen;  jedes  erwachsene  Mädchen   im  Hause  erhält 
seinen  Baum;   das    älteste   den    größten,   das  jüngste  den  kleinsten  Maien. 
Reinsberg-Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen  S.  214.    In  der  Eifel  befestigt 
jeder  Bursch  seiner  bei  der  Mädchenversteigerung  zu  Lehne  erhaltenen  Maifrau 
einen  schönen  Maien  auf  den  Giebel,  oder  das  Dach  der  Wohnung  (Schmitz 
a.  a.  0.  S.  32) ,  während  im  Bergischen  bei  der  Maisprache  die  jungen  Bursche 
der  Landgemeinde   ausmachen,  welchem   der  ausgeteilten  Mädchen  der  Mai- 
baum (eine  schöne  mit  vergoldeten,   weißen  und  bunten  Kiern, 
Blumen  und  Bändern  gezierte  LtVi^e  oder  ein  Maibuchenast)  als  beson- 
dere Ehre  vor  die    Türe  gestellt  werden  solle.    Montanus,  die  deutschen 
Volksfeste   S.  30.     Im  Prager  Kreise  schälen  viele  Bursche  die  Rinde  unter 
der  Krone  des  Maibaumes  ab  und  schneiden  ihren  Namen  hinein,  damit 
das  Mädchen   wisse,   wer   ihr  den  Maien  gesetzt  hat,   und  sie   zur  Frau 
begehrt     Reinsberg-Düringsfeld,    Festkalender    S.  214.     In   Rheinhessen 
and  einigen  nassauischen  Orten  haben  die  Bäume,  welche  die  Bursche  ihren 
Schätzen   am  Abend  vor  1.  Mai  vors  Haus  setzen,  keine  weitere  Verzierung, 
als    oben    unter    den    ersten    Aesten    drei    durch   Ablösen    des 
Bastes  hergestellte  Ringe.    Aber  wehe  dem  Burschen,  der  diese  Auf- 
merksamkeit unterließe.    Seine  Schöne  machte  ihm  Tage  lang  ein  böses  Ge- 
sicht    Denn    „wem   mr  gut  is,   dem   sticht   mrn   mai**  heißt  es.    Kehrein, 
Volksspr.  u.  Volkssitte  in  Nassau  S.  155. 

1)  Alles   in  der  vorigen  Anmerkung  Beigebrachte  gilt  aber  nur  jungen 
und  unbescholtenen  Frauen,  haftet  auf  einer  ein  sittlicher  Makel,   oder  hat 


166  Kapitel  III.    Bauniseele  als  Vegetationsd&mon: 

Außer  den  Wohnungen  geehrter  Mädchen  wird  sodann  das- 
jenige Haus  durch  einen  Maien  ausgezeichnet,  in  welchem  die 


sie  sieh  eine  Untreae  gegen  den  Liebsten  zu  Schulden  kommen  lassen,  so 
tritt  an  die  Stelle  des  grünen  Maibanmes  ein  bl&tterloser  Baom  oder  ein 
Strohmann,  oder  irgend  ein  Baum  besonderer  Art,  zuweilen  gilt  dies  anch 
solchen,  die  sich  sonst  durch  ihr  Wesen  und  Betragen  unleidlich  gemacht 
haben.  Auf  dem  Lechrain  steckten  zuweilen  die  Liebhaber  allein  ihren 
Schätzen,  zuweilen  alle  Buben  der  Gemeinde  sämmtlichen  braven  Dirnen 
fünfzehn  bis  zwanzig  Fuß  hohe  grüne  Tannenbäume  mit  farbigen  Bän- 
dern, Marschanzkem  (d.  i.  Borstorfer  Aepfeln)  Eipferln  (Backwerk)  und 
voüen  Bowliflasdien  geziert  auf  den  First  ihres  Hauses,  oder  vor  die 
Kammertür;  schlechten  Weibsbildern  aber  statt  dessen  dürre  Bäume  mit  ver- 
schmierten Hadern  statt  der  Bänder  und  einen  Sirohmann  mit  zerrissener 
Jacke  und  Hut,  Tattermann  genannt  von  tattern  d.  i.  erschrecken.  Leo- 
prechting,  aus  dem  Lechrain  S.  177.  Erwarb  sich  das  Mädchen  durch  Bein- 
liohkeit  und  Qeschicklichkeit  die  Anerkennung  des  Orts,  so  steckten  ihr  die 
Bursche  eine  „gestämmte  junge  Tanne,'*  an  deren  Gipfelästen  die  Ge- 
schenke des  Liebhabers  hangen.  Im  andern  Falle  sieht  sie  am  Kammer- 
fenster Teile  ihres  eigenen  schmutzigen  Anzugs.  Ihr  Bub  darf 
sie  nicht  wieder  öffentlich  zeigen,  die  Spinnstuben  sind  ihr  verschlossen,  sie 
muß  auswärts  in  Dienst  treten  und  darf  erst  nach  Jahresfrist  mit  guten 
Zeugnissen  sich  wieder  zu  Hause  sehen  lassen.  Birlinger,  Volkst.  a.  Schwa- 
ben n,  95, 125.  In  ähnlicher  Weise  bildet  überall  die  Bestrafung  der  nichts- 
nutzigen Dirne  den  Gegensatz  zum  frischen  grünen  Maien  ^  der  der  jungen 
und  ehrenhaften  Jungfrau  gepflanzt  wird.  Bei  Aerschot  (Südbrabant)  gilt  ein 
vertrockneter  Baumstamm  als  Spott  für  alte  und  verbaßte  Mädchen ;  bei 
Campine  setzt  man  den  ungetreuen  oder  zu  Fall  gekommenen  vollständig 
bekleidete  Strohmänner  (voddeventen  Lumpenkerle)  rittlings  aufs  Dach  oder 
auf  einen  Baum  vors  Schlafstubenfenstcr.  In  franz.  Flandern  heißt 
solcher  Strohmann  marmousin  (Meerkatze),  woraus  in  Ostflandem  mahomet 
wurde.  In  Limburg  heftet  man  den  unehrenhaften  Mädchen  einen  Stianß 
Petersilien  an  die  Tür  (Beinsberg - Düringsfeld ,  Calendr.  Belg.  I, 
279 — 280).  Zu  Pont  TEvöque  in  der  Normandie  fanden  gute  Gesellen  i.  J. 
1393  vor  dem  Hause  eines  jungen  Mädchens  einen  Haselstrauch  als  Mai 
aufgepflanzt,  es  schien  ihnen  „qu'il  n'estoit  pas  bien  honneste  pour  le  mettre 
dcvant  Tostel  d'une  bonne  Alle;  le  quel  may  ilz  osterent."  Im  Jahre  1367 
beklagte  sich  die  Tochter  eines  bekannten  Mannes,  Johanna,  daß  ein  gewisser 
Oaronchel  ihr  einen  Maien  gesteckt  habe  (il  Tavait  csmayee)  und  zwar  habe 
er  ihr  einen  Holunderzweig  auf's  Haus  gesetzt,  sie  sei  aber  keine 
Frau,  der  man  dergleichen  esmayements  und  Verspottungen  bieten  dürfe, 
noch  sei  sie  so  anrüchig  (puante)  als  der  Holunder  anzeige.  S.  Du  Gange 
a.  a.  0.  In  Schmallenberg  in  Westfalen  pflanzt  man  unordentlichen  Mädchen 
statt  der  Birken  Vogelbeerbäume  (queken)  vor'sHaus;  auch  in  Thüringen 
drückt  die  Eberesche  vor  der  Tür  dos  Mädchens  Spott  oder  Abneigung  aus. 
Kuhn,  Westf.  Sag.  156,  442.     Köhler,   Volksbrauch  S.  175.     In   Thüringen 


Maibaum/  167 


hdehste  Autorität  der  Gemeinde  tront,  die  Wolumng  des  Bürger- 
meisterB,  das  Gerichtshaus  n.  dgl./  seltener  die  Kirche  und  das 


am  Han  und  Elm   stecken   sie  Unkeuschcn   Holunder,   Fappelzweige, 
oder  Dornwasen   vor  die  Fenster  (Kuhn,   Nordd.  Sag.  389,70);  im  Bcr- 
giscfaen   Kirscbbaumzwoige  (Montanas  S.  cK)),  in  Böhmen  alte   abge- 
kehrte Besen  (SchmalfuH,  d.  Deutschen  in  Böhmen  8.71).     Häufig  aber 
Yertritt  die  Stelle  des  dürren  Baumes  em  Strohmatz.    Schwangeren  Mädchen 
oder   sonst  in   übelm  Qeruchc   stehenden  Personen    wird   ein  hölzerner  mit 
Lumpen  und  Fetzen  bekleideter  Mann  oder  ein  Strohmann  Tor  das  Kammer- 
feaater,   auf  den  Mist^   auf  einen  Baum,  oder  gar  auf  den  First  dos  Hausea 
befestigt  und  der  Weg  zu  ihrem  Liebhaber  mit  Spreu  oder   Heckerling 
bestreut.    S.  Birlinger,  Volkst.  a.  Schwaben  II,  94,  124.    Kuhn,  Nordd.  Sag. 
389,  76.     Ders.  Westf.  Sag.  156.  442.    Mülbause,  Urreligion  S.  212  (Hessen). 
Bemerkenswert  ist  die  Sitte  in  der  Gegend  von  Zabern,  der  falschen  Geliebten 
einen   mit  mehreren  Strohseilen   umwundenen  und  mit  Herings- 
imd  E  atzenköpfen  behangenen  Maibusch  zu  bringen:  in  der  Güte  d'or  und 
im  Niyemais   ilir  einen    Tierschädel    (Pferdekopf,    Ochsenkopfj   über   der 
Tdre  aufzuhängen.    Auch  in  England  fehlen  die  beschriebenen  Sitten  nicht 
In  Cheshire  setzen- die  jungen  Leute  am  Maitag  Birkenzweige  über  die  Türe 
ihrer  Liebsten,   die  Wohnung   einer  Zänkerin  aber  bezeichnen  sie  durch  eine 
Erle,   diejenige   einer  Schlampe   durch    einen   Nußbaumast  (Hone,   Every 
dav-book  1866,  II,  299).    In  Hitchin  (Herofordshire)  binden  die  Mayers  aus 
dem  Walde   zurückkommend  grüne  Maizweige  an  die  Klopfer  der  Türen ,  je 
langer  der  Mai,  desto  größere  Ehre  für  das  Haus,  hat  aber  einer  der  Dienst- 
boten  dieses  Hauses  den  Mayers   während  des  Jahres  Anstoß  (offence)  gege- 
ben, so  heften  sie  einen  Erlenzweig  mit  einem  Bunde  Nesseln  an  die  Tür 
und  das  ist  eine  große  Schande  (Hone  a.  a.  0.  I,  283). 

1)  In  der  Jurakette  von  Belley  (Dop.  de  TAin)  bis  Forentruy  stellt  man 
einen  belaubten  Maibauni  vor  die  Wohnung  des  neuerwählten  Maire.    Mon- 
nier,  trad.  pop.  p.  307.    In  Paris  bestand  noch  im  17.  Jahrh.  die  Sitte,   daß 
die  riercs   der  Bazoche    in  dem  Cour    de  mai  benannten  Hofe  des  Justiz- 
palastes  jährlich  den  geschmückten  Maibaum  aufricliteten.   Cortet,  fotes  roli- 
gieuses  p.  158.     In  Frankfurt  a.  M.   schmückte   man  im  IG.  Jahrhundert  die 
Ratsstube  zu  der  am  1.  Mai  stattfindenden  Bürgermeisterwahl  mit  Maien  aus, 
pflaume   sodann   vor   dem   Römer,   sowie  vor  den  Häusern  der  ab-  und 
angehenden  Bürgermeister   und  Forstmeister   (d.  h.    der  dem  Forstamte  vor- 
stehenden Ratsglieder)  Maibäume   auf.     Da   der  Misbrauch  einriß,   das  auch 
außer  am  1,  Mai  zu  andern  Jahreszeiten  zu  tun,  wurde  1597  verordnet,  daß 
vor  dem  Römer,    den  Häusern   der  Bürgermeister  und  Forstmeister  jährlich 
nur  einmal   ein  Maibaum   gesetzt  werde.    Kriegk  a.  a.  0.   452.     In  manchen 
Gegenden  Schwabens    wird    am  1.  Mai   den  Herren  d.  h.   dem  Pfarrer,   dem 
Wirten,  zu  andern  Zeiten  auch  wol  einem  neuen  Schultheißen  zu  Ehren  ein 
Maibanm  gesteckt.    Meier,    Schw.  Sagen   397,  75.      In  der  Bretagne  pflanzt 
man  den  Mai  bäum   in  der  Mainacht   vor   die  Tür   der  Oberhäupter  größerer 
Familien.    De  Nore  207. 


168  Kapitel  lU.    Batunseele  als  Yegetationsdämon: 

Sohnlhaus.  Alle  diese  vor  den  Häusern  aufgepflanasten  Maien 
müssen  anterschieden  werden  von  dem  gröBeren  Maibanm  oder 
der  Maistange  (engl,  maypole)  welche  in  der  Mitte  des  Dorfes, 
auf  dem  Markte  der  Stadt  unter  der  Teilnahme  der  ganzen  6e* 
meinde ,  aufgerichtet  wird.  Einstimmigkeit  aller  Bauern  dazu  ist 
erforderlich ,  um  diesen  Baum  feierlich  aus  dem  Walde  zu  holen. 
Im  Mittelpunkt  der  Ortschaft,  der  Straße,  oder  des  Stadtviertels 
eingegraben,  wird  er  mit  Eifersucht  bewacht;  gelingt  es  trotz- 
dem einer  fremden.  Ortschaft  ihn  zu  stehlen,  so  wird  er  von  der 
Bauerschaft  ausgelöst  und  mit  großem  Pompe  zurückgebracht^ 


1)  Die  hohen  anfgezierten  Maibänme  werden  unter  Teilnahme  der  gan- 
zen Gemeinde  mit  fröhlichem  Tanz  und  Gesang  gesetzt.  Leoprechting, 
Lechrain  S.  177.  Die  ganze  Gemeinde  muß  einig  sein,  den  Maibaum 
einzuholen.  Meier,  Schwab.  Sagen  396,  IX.  74.  Ein  schöner  Maibaum  ist 
im  Yoigüand  der  Stolz  des  Dorfes.  Köhler  a.  a.  0.  S.  177,  9.  Im  Stad- 
und  Budjadingerlande  (Oldenburg)  werden  bei  den  einzelnen  Höfen  Maib&ome 
errichtet,  viele  Bauerschaften  aber  haben  einen  gemeinsamen 
Mai  bäum,  den  der  Bauervoigt  oder  der  Wirt  das  Jahr  über  aufbewahrt, 
eine  möglichst  hohe  Stange,  deren  Höhe  mitunter  noch  durch  Stangenwerk 
vergrößert  wird.  Tags  vor  Pfingsten  wird  sie  mit  grünem  Mai,  Büschen 
und  Kränzen ,  auch  wol  mit  Flaggen  geziert  und  die  Nacht  hindurch  sorgsam 
bewacht,  wobei  nicht  wenig  gezecht  wird.  Sie  bleibt  bis  zum  Trinita- 
tis Sonntage  stehen.  Während  der  Maibaum  steht,  ist  es  andern  Dorf- 
schaften erlaubt,  ihn  zu  stehlen,  doch  dürfen  sie  keinen  der  Stricke,  die  ihn 
halten ,  durchschneiden.  Gelang  der  Diebstahl ,  so  muß  die  unachtsame  Bauer- 
schaft ihren  Baum  mit  einer  Tonne  Bier  lösen.  Auch  in  Jeverland  setzt 
man  Maibäume  und  es  gilt  für  sehr  ehrenvoll  einen  solchen  zu  stehlen.  Der 
gestohlene  wird  mit  großem  Pompe  zurückgebracht.  Hinter  einem  Wagen 
mit  Musikanten  folgt  auf  zweien  Wagen  der  Maibaum,  dann  auf  meh- 
reren Fahrzeugen  die  Entführer  des  Baumes  mit  ihren  Mädchen.  Pferde, 
Menschen  und  Wagen  sind  reichlich  mit  Grün  und  Blumen  geschmückt.  In 
dem  Orte,  woher  der  Maibaum  stammt,  empfängt  den  unter  Musikbegleitung 
nahenden  Zug  eine  Ehrenpforte;  hinter  derselben  steigen  die  Gäste  ab,  und 
werden,  nachdem  der  Baum  wieder  aufgerichtet  ist,  reichlich  mit  Speise  und 
Trank  bewirtet;  man  macht  ein  paar  Tänze  und  der  Zug  kehrt  zurück. 
Strackerjan,  Abergl.  u.  Sagen  a.  Oldenburg  II,  47.  §.  317.  Hiemit  stinunt 
was  Owen  in  s.  Welsh  dictionary  s.  v.  bedwen  (Birke)  aus  Wales  mitteilt: 
Bcdwen  a  maypole,  because  it  is  always  made  of  birch.  It  was  customary 
to  have  games  of  various  sorts  round  the  bedwen,  but  the  chief  aim,  and 
of  which  the  famo  of  the  village  depended,  was  to  preservo  it 
from  being  stolen  away,  as  parties  from  othor  places  were  continuaUy 
on  the  watch  for  an  opportunity,  who  if  successfuU,  had  their  feats  recor- 
dod  in  songs  on  the  occasion.    Brand,  pop.  antiqu.  ed  Ellis  1,238.     In  Bor- 


Maibaum.  169 

VoD^  Klöstern  und  großen  Grundbesitzern  war  zuweilen  die  jähr- 
liehe Lieferung  des  Maibaums   als   emphyteutische  Last   einem 
Erbpächter  auferlegt.    Der  in  Rede  stehende  Maibaum  ist  eine 
groBe  Birke  oder  Tanne,  oder  ein  anderer  sehr  großer  Baum, 
dessen  Stamm  häufig  bis  unter  die  Krone  von  Zweigen  entblößt 
nnd  ganz  glatt  abgeschält  ist,  die  obersten  Zweige  des  Wipfels 
läßt  man  in  vollem  Laube  stehen.     Die  Abschälung  der  Rinde 
geschieht  vielüach   in   scMangenförmigen   Windwngen^   oder  der 
abgeschälte  Stamm  wird  auf  dieselbe  Art  in  bunten  Farben  bemalt 
und  mit  Rauschgold  und  Bändern  geschmückt.     Zuweilen   aber 
vertritt  (ursprünglich  geschah  dies  ohne  Zweifel  aus  ökonomischen 
Rücksichten)  den  Maibaum  eine  große  Stange,  welche  oben  mit 
Laub  und  Blumen  umwunden  wird,  und  nicht  selten  so  rie- 
sig  ist,  daß  sie  aus  mehreren  Stämmen  zusammen  ge- 
fugt  werden  mußte.    In    diesem   Falle    wird   der  Baum 
nicht  jedes  Jahr   erneut,    sondern  er  behauptet  seinen 
Platz  und  wird  nur  alljährlich  mit  frischem  Grün  beklei- 
det.    Den  Wipfel  zieren  häufig  Eier,  (am  Pfingstbaum  imOlden- 
burgischen  sind  sie  vergoldet)  Würste,  Kuchen,  sonstige  Ess- 
waaren    darunter    zuweilen    volle    Flaschen    mit    Getränk, 
bunte  Bänder,  aber  auchTttcher  und  andere  begehrens- 
werte Dinge.     Um   den  Maibaum  wird  ein   festlicher    Reigen 
getanzt ;  die  Bursche  klettern  danach  und  suchen  wcttcil'crnd  die 
guten  Gaben  herunterzuholen,   nach  denen  der  Baum  in  Wälsch- 
tirol  albero  della  cuccagiia  Baum  des  Ueberflusses   heißt.  ^     Die 

deaox  errichtoten  die  Bewohner  jeder  StralJe  ihren  besondem  Maibanni .  um 
den  sie  Lieder  im  Patois  singend  tanzten.  De  Nore  a.  a.  0.  137.  In  Nürn- 
berg heißt  das  MaiengälUein  nach  dem  bis  1561  errichtoten  ..Stadtmayenr 

1)  Im  Voigtlande  werden  auf  dem  Dorf  platz  am  Ptingstfeicrtag  grüne, 
zuweilen  mit  bunten  Bändern  geschmückte  Bäume  aufgestellt.  Köhler,  Volks- 
brauch  S.  175,  8.  Oberhalb  Thale  im  Gebirge  findet  zu  Pfingsten  der  soge- 
nannte Birkentauz  statt;  mit  Musik  holt  man  eine  Birke  jubelnd  ins 
Dorf  und  richtet  sie  dort  auf;  um  dieselbe  wird  dann  getanzt.  In  Hasse- 
rode und  andern  Orten  hat  man  statt  der  Birke  eine  Tanne.  Kuhn,  Nordd. 
Sag.  387,  70.  In  der  Eifel  zwischen  Aachen  und  Trier  fällten  die  Bursche 
des  Ortes  in  der  Pfingstnacht  eine  junge ,  schnacke  Buche ,  richteten  sie  auf 
dem  Dorfplatze  auf  und  umgaben  den  Gipfel  mit  einem  Kranze  von 
Eierschalen  und  Bändern.  So  lange  der  Baum  stand,  tanzte  das 
Jungvolk  allabendlich  singend  einen  Reihen  um  denselben;  das  hielJ:  „um 
die  Krone  tanzen,''  später  wurde  der  Baum  versteigert  und  ilas  soge- 
nannte Krottemjeluy   gehalten.     Schmitz  I,  38.     Für   diesen    heutigen    Eifler 


170  Kapitel  III.    Baumseele  als  Vegetationsdamon: 

altertttmlichste  Form  der  AuBschmttckung  des  Banmes  mit  Speigen 
n.  d.  gl.   ist  ohne  Zweifel  in  dem  Brauche  erhalten,  von  dem 


Brauch  besitzen  wir  bereits  ein  altes  Zeugniß  in  einem  Voifall,  der  L  J. 
1225  zu  Aachen  statt  hatte.  Da^  der  Pfarrer  Johannes  in  geistlichem  Eifer 
den  mit  Kränzen  geschmückten  Baum,  welchen  das  Volk  umtanzte,  umhieb 
(cum  Corona  fuit  erecta  et  Johannes  arborem  succidisset  et  alias  Coronas) 
leisteten  die  Bfirger  ihm  Widerstand  und  verwundeten  den  Priester.  Der 
Vogt  Wilhelm  aber  befahl  demselben  zum  Trotze  einen  höheren  Banm  zu 
errichtto  (altiorem  arborem  erigere).  Cacsarius  Heisterbac.  mirac.  lib. 
I,  cap.  17.  Vgl.  A.  Kaufmann,  Caesarius  t.  Heisterbach,  Göln  1862^  p.  190. 
121.  Anm.  2).  Die  loccUe  Form  des  Maibaumsetzens  war  cUso  in  der  näm- 
liehen  Gegend  schon  vor  650  Jahren  die  nämliche,  wie  hetUe;  es  muß  weü 
länger  her  sein,  daß  sie  sich  von  der  allgemeinen  Sitte  ablöste.  Pur  diese 
selbst  reicht  man  mithin  durch  dieses  Zeugniß  schon  näher  an  die  Zeit  des 
450  Jahre  früher  erloschenen  Heidentums  in  Westfalen  hinan.  Im  Weidenaner 
Bezirk  (Oestcrr.  Schlesien)  wird  bei  frühestem  Morgen  den  1.  Mai  eine 
schlanke,  schon  vorher  abgeschälte  Tanne,  deren  Gipfeläste  man  stehen 
läßt,  auf  einem  freien  Platze  des  Dorfes  so  aufgerichtet,  dafi 
sie  im  ganzen  Orte  gesehen  worden  kann.  Die  Aeste  sind  mit 
Bändern  und  Schnupftüchern  behangen,  welche  derjenige  erhält, 
der  den  Baum  bis  zum  Wipfel  erklettert.  Der  Baum  bleibt  8 — 14  Tage 
stehen.  Peter ,  Yolkstüml.  i.  Schlesien  II,  286.  In  Reichenbach  im  Yoigt- 
lande  stellte  man  am  Johannisabend  einen  Maibaum  mit  allerlei  Gegenstän- 
den behangen  auf  dem  Anger  auf,  man  tanzte  umher  und  die  jungen  Bursche 
holten  sich  die  daran  hangenden  Sachen.  Zum  Schlüsse  warf  man  den 
Maibaum  ins  Wasser,  vorher  aber  noch  eine  Person,  welche  ynan  Johannes 
fiannte.  Das  Spiel  hieß  Firlefanz.  Köhler  S.  176,  9.  In  Oestreich  (Inn vier- 
tel) wählt  man  zu  den  am  ersten  Sonntag  im  Mai  gesetzten  Maibäumen 
hohe  schlanke  Stämme;  man  schält  sie  völlig  ab,  den  Wipfel  aas- 
genommen, dem  Binde  und  Zweige  verbleiben;  der  Wipfel  wird  mit  bunten 
flatternden  Seidenbändem ,  mit  Rauschgold  und  mit  Preisen  behängen^  letz- 
tere so  gereiht,  daß  das  Beste  den  Wipfel  selbst  krönt.  Der  Stamm  ist 
bemalt.  Nach  den  Preisen  wird  geklettert.  Baumgarten,  das  Jahr  u.  s. 
Tage ,  Linz  1860,  S.  24.  Am  Harz  wird  die  aufgerichtete  Maie  gewöhnlich 
bis  zur  Krone  geschält  und  nachher  mit  der  Rinde  schlangen- 
förmig  umwunden.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  387,  70.  In  den  wendischen 
Dörfern  der  Lausitz  holen  die  Burschen  am  Pfingstfeiertag  einen  Banm, 
schälen  den  Stamm  ab,  so  daß  er  ganz  weiß  aussieht,  und  die 
Mädchen  schmücken  den  Gipfel  mit  Tuchern.  Nachher  werden  die  Tücher 
von  den  Burschen  geholt.  Köhler,  Voigtknd  S.  177,  9.  Der  Maie  in  den 
katholischen  Dörfern  um  Ellwangen  in  Würtenberg  ist  eine  hohe  geschälte 
Fichte,  an  deren  obere  Spitze  noch  ein  jüngerer  mit  Bändern  geschmückter 
Fichtenbaum  als  Wipfel  angeschmiedet  ist.  (Uebrigens  werden  in  Schwaben 
zuweilen  auch  die  Bäumchen,  welche  man  geliebten  Mädchen  oder  andern 
geehrten  Personen  z.B.  dem  Pfarrer  „steckt,"'   abgeschält,   bis   an  die 


ICubanm.  171 

DOS  eine  U^nnde  aas  Italien  Konde  giebt:   Prima  die  mcyi  cui- 
dam  emphjfieusin  ab  arphanis  Lucensibus  haberUi  id  onus  incum- 


Kromt  geringelt  und  dann  mit  Bindern  und  Kr&nsen  geeclunückt  (Bir- 
linger  a.  a.  0.  94,  124).    In  der  Umgegend  Ton  Ellwangen,  wird  am  1.  Mai 
ein  großer,  oft  aas  mehreren  Stämmen  zusammengesetzter  Mai 
gesteckt;  die  Krone  ist  mit  Tüchern  and  Bändern  behangen,  die  als  Preis 
die  besten  Kletterer  erhalten.    Unter  Masik  and  Jnbel  tanzt  man  am  den 
Baum.     Meier  S.  896,  74.    In  Oberbaiem  and  dem  Salzkammergut  ist  der 
Maihaum  hfofig oberhalb  des  grünen  Wipfels  mit  einer  Flagge,  anter- 
halb  desselben  mit  mehreren   besteckt,   etwas  weiter  anten  sind  mehrere 
Kränse  wagrecht  angebracht,   so  daß   der   Schaft   des   Baames    das 
Centmm  bildet.    Aach  in  Frankreich  and  England  warde  der  Maibaam  vom 
Dorfe  oder  Ijrehspiel  (village,  parish,  paroisse)  gemeinsam  errichtet  and  es 
ist   deswegen   oft  Ton  dem  vüUtge-maypole  die  Rede.    In  einem  alten  fran- 
söosohen  Draek  (a  Paris  chez  Mariettc)   der  die  4  Jahreszeiten   darstellt 
(wiederholt  bei  Hone,  ETery-Daybook  1866  II,  297)  ist  die  Aafrichtang  des 
französischen   Maibanmes    aaf  dem  Dorfplatz   mit  Hilfe  von   Stricken  and 
Hebeln  dargestellt    Nor  die  obem  Aeste  stehen  in  vollem  Lanbe,  alle  antem 
Zweige  and  Aeste  sind  abgehanen.    Flatternde  Bander,  Bandschleifen,   ein 
über    einen  Ast    geworfener    Kranz,    Backwerk    and    Weinflaschen 
schmücken  die  Krone  and  den  obem  Teil  des  Stammes;  Trommler  and  Trom- 
peter erwarten  die  VoUendang  des  Werkes,  am  ihr  Spiel  za  beginnen.    Den 
englischen  Maibaam  schildert  sehr  anschaalich  Stabbs  in  s.  anatomie  of  ab- 
oses  1585  p.  94.     Nachdem  er  erwähnt,   daß  jede  Pfarre,    Dorf  oder  Stadt, 
alt  and  jang  in  der  Mainacht  zusammen  oder  in  Gosellschaften  (com- 
panies)  geteilt  in  die  Wälder  and  Berge  gingen,  erwähnt  er,  daß 
sie  jonge  Birkenzweige   and  Aeste   zugleich  mitbrachten.    Ihr  Hauptkleinod 
jedoch  war  der  Maibaam  (maiepole),  den  sie  mit  groBer  Ehrerbietung  (vene- 
ration)  aus   dem  Walde   holten  zwanzig  oder  vierzig  Joch  Ochsen  mit  blu- 
mennmwundenen  Hörnern  zogen  den  mit  verschiedenen  Farben  bemalten  von 
der  Krone  bis  zum  Fuß  mit  Lauby  Blumen,  Kräutern  und  Bändern  um^ 
umndenen  Stamm  unter  dem  Geleite   von  200  bis  300  Menschen  (Männern, 
Weibern,  Kindern)  nach  Hause,  wo  man  Banner,  Schnupftücher,  Fahnen  an 
seinen  Wipfel   band   und  Lauben  daneben   errichtete  und  ringsumher  Tänze 
saffuhrte,   die   den  Verfasser   an  die  Tänze  der  Heiden  zu  Ehren  ihrer  Göt- 
ter erinnerten.     Die  Ausgelassenheit   sei   so   groß,    daß  von   den  zu  Walde 
mitgehenden  Mädchen   der   dritte  Teil  die  Ehre  verliere.     S.  Brand  ed  Ellis 
1,235.    Strutt  a.  a.  0.  352.    Aehnlichen  Eindruc^k  empfing  ein  anderer  Schrift- 
iteller  jener  Zeit  (im  Jahre  1577).    In^Northbrookes  Treatise  etc.  wird  erzählt, 
da£  die  jungen  Leute  in  der  Mainacht  auf  fremdem  Grunde  einen  Maibaum 
stehlen   und  unter  Musikbegleitung  in  ihr  Kirchspiel  bringen;  wann  sie  ihn 
sufgestellt  haben,   bedecken   sie   ihn  mit  Blumen  und  Blumengewinden  und 
tftozen  umher,   wie   die  Kinder   Israel  um  das  goldene  Kalb.    Brand  a.  a.  0. 
237.    YgL  Stevenson  in  the  Twelf  moneths  1661:  Te   tall   young  oak  is 
cut  down  for  a  maypolc   and  tlie  frolick  fry  of  the  town  prevent  the 


172  Kapitel  III.    Baomseele  als  VegetatioDsd&mon: 

bü,  ut  ad  eos  arhoreni  majaletn  deferat,  non  paiucis  taeniis  omor 
tarn  annexis  trilms  frumenti  spicis\  si  istae  cibessent  emphyteuia 
a  beneficii  possessione  statim  decideret  (Muratori  antiquit.  DI,  187 
bei  Glimm  R.  A.  361).  Doch  wir  wollen  noch  ein  paar  besonders 
groteske  Beispiele  von  Bäumen  der  geschilderten  Art  im  Einzelnen 
namhaft  machen.  Ich  ftlhre  zmiächst  eine  oberbairische  Form 
der  Sitte  auf:  „Noch  immer  hält  durch  das  ganze  oberbairische 
Land  ein  ehrlich  Dorf  viel  auf  einen  schönen  in  feierlichem  Zuge 
aus  dem  Walde  geholten  Maibaum  ftlr  die  gesammte  Gemeinde; 
namentlich  im  Ampergrund,  aber  auch  im  Innthal  und  im  Chiem- 
gau  sieht  man  sie  reich  und  schön  verziert  und  alle  drei  bis 
fünf  Jahre  erneut.  Neben  den  bloßen  Zierraten  (Fahnen, 
Wappen,  Kränzen,  Inschriften)  hat  der  Maibaum  auch  wesent- 
liche unerläßliche  Bestandteile,  so  den  „Maibüschel,^'  den  grünen 


rising  of  the  son  and  witb  joy  in  their  faces  and  houghs  in  their  hands, 
they  march  before  it  to  the  place  of  erection.  Brand  a.  a.  0.  236.  Daß  die 
ein  für  allemal  stehen  bleibende  Malstange  nur  eine  Ersparniß  für  den  jähr- 
lich aus  dem  Waldo  zn  holenden  lebendigen  Maibanm  sein  soUte,  erhellt 
deutlich  ai^s  Beschreibungen  wie  die  folgende  des  Maibaumes  in  Wewcrham 
(Chcshire):  ,,sidcs  are  hung  with  garlands  and  the  top  terminated  by  a 
birch  or  other  tall  slender  trec  with  its  leaves  on;  the  bark 
becing  poclcd  and  the  stem  spliced  to  the  pole,  so  as  to  give 
the  appearencc  of  one  trec  from  the  summit.  Hone  every  day-book 
II,  2f)9.  Die  Puritaner  des  17.  Jahrhunderts  verfolgten  die  Maibäume.  Sehn- 
süchtig, gedenkt  Pasquil»  palinodia  i.  J.  1634  der  guten  alten  Zeit:  „when 
evcry  village  did  a  maypole  raise.''  Brand  a.  a.  0.  239.  Auch  in 
England  kannte  man  maypoles:  ,,painted  yellow  and  black  in  spiral 
lines**  und  ,,painted  in  various  colours."  Brand  a.a.O.  237.  Vgl. 
Borlase  von  dem  Maibaum  in  Cornwales:  From  town  the  make  incursions 
on  may-cve  into  the  country,  cut  down  a  tall  elm,  bring  it  into  the  town 
with  rejoicing  and  having  littcd  a  straight  tapor  pole  to  the  end  of  it  and 
painted  it,  erect  in  the  most  public  part  and  upon  holidays  and 
festivals  dress  it  with  garlands  and  iiowers  or  ensigns  and  streamers. 
In  Wälschtirol  ist  es  eine  Volksbelustigung  an  Kirchweihen,  einen  hohen  ent- 
ästeten und  entrindeten  wol  geglätteten  und  mit  Seife  eingeriebenen  Baum 
aufzustellen,  den  Baum  des  Uebertiusses  (Valbero  della  cuccagna)  an  dessen 
Spitze  Geld,  Kleider,  Weinflaschen,  Würste  aufgehängt  sind.  Nach  die- 
sen Gegenständen  wird  barfuß  wetteifernd  geklettert.  Schneller,  Märchen  und 
Sagen  aus  Wälschtirol,  Innsbruck  1867,  S.  237.  Aehnlich  ist  auch  in  Deutsch- 
land die  Sitte  des  Maibaumes  vielfacli  zur  bloßen  Aufpflanzung  einer  mit 
Preisen  behängten  Kletterstange  am  St.  Johanuisabend  und  bei  verschiedenen 
Volksfesten  geworden. 


Mailfauin.  173 

• 

Tannenwipfel  hoch  oben,   der  erinnern  soll^  da6  wir  nicht  vor 
einer  todten  Stange  stehen,  Bondem  vor  einem  lel)enden  Banm 
«OS  dem  frisdben  Wald,  dann  das  Leiden  Christi,  d.  h.  alle  Werk- 
zeuge seines  Leidens  (Saale,  Geißel,  Rute,  Leiter,  Hahn^,  Säbel, 
Laterne,  Hammer,  Zange,  Nägel,  Würfel,  Speer,  Schwamm  nnd 
Krug).    Dann  Kirche  nnd  Banerhans,  Bauer  und  Bäuerin,  die 
Zeichen  der  Qewerke  und  zu  unterst  vier  Armbrüste  gegen  die 
4  Winde  gespannt,  das  drohende  Symbol  bäurischer  Wehrhaftig^ 
keit  gegen  den  Feind  aus  der  Zeit  des  Mittelalters  vererbt    Ein 
Freitmnk  und  Freitanz  des  Wirtes,  vor  dessen  Hause  der  Baum 
errichtet  ist,  belohnt  die  Bursche  für  ihre  Beihilfe  bei  Aufrieb- 
tODg   desselben/^'     Der  Ausputz  des  oberbairischen  Maibaums 
iat  mannigfach.     In  manchen  Orten  sind  darauf  Vögel,  Hirsche, 
Ifirsclyagden  angebracht,  zuweilen  auch  große  in  Tuch  und  Lein- 
wand gekleidete  Holzpuppen  (Mann  und  Frau),  welche  mit  Hand 
und  Knien  den  Stamm   zu   erklettern  scheinen.     Dieser  ganze 
Auspatz  bleibt  auf  dem  Baume,  bis  er  von  Wind  und  Wetter 
zerstört  wird,  oder  im  nächsten  Mai  einem  neuen  Platz  macht* 
Bei  den  Wenden  nördlich  von  Salzwedel  richteten  die 
Weiber  (und  zwar  sie  allein)  alljährlich  am  St  Johannistage 
eine  Birke,  der  sänmitliche  Zweige  bis  unter  den  Gipfel  abge- 
hauen waren,   den  sogenannten  Kronenbaum  auf,   den  sie  unter 
Gesängen  aus  dem  Walde  holten ,  indem  sie  sich  statt  der  Pferde 
an  den  Wagen  spannten,     (lieber  den  Namen  Kronenbauni  vgl. 
den    Kronentanz   und   das  Kronengelag  i.  d.  Eifel  ob.  S.  170.) 
Im  Dorfe  angekommen,  hiel>en  sie  den  alten  Kronenbaum  um,  den 
ein  Kossater  (Häusimg)  um  2  Schillinge  zu  Brantwein  fiir  die  Frauen 
kaufen  muBte ,  und  richteten  frohlockend  den  neuen  auf,  behingen 
ihn  mit  Kränzen  und  Blumen    und    segneten  ihn   auf  ihre 
Art  mit  zwölf  Kannen  Bier  cin.^    Diese  Sitte  erinnert  leb- 
haft daran,   daß   in  Schwaben  und  an  der  Mosel  die  Weiber 


1)  ßavaria  I,  1860  S.  372.  Die  AusBchmÜcknngr  des  Maibaums  mit  den 
Marterwerkzengen  bernht  auf  der  unten  §.  9  zu  besprechenden  Ver^leichung 
des  Kreuzes  mit  dem  Maibaum. 

2)  R.  Chambers,  The  Book  of  Days  I,  576  gicbt  die  Abbildung  eines 
solchen  ßaumes  aus  St.  Egidien  bei  Salzburg. 

3)  Visitationsbericht  des  hcrzogl.  zellischcn  Obersuporintendonten  D.  Hil- 
<l€bran«l  v.  Jahre  1672  zuerst  ediert  von  J.  G.  Kcyßler  in  dessen  „Neuosten 
Beisen*'  B.  U,  8.  1377  ff.    Vgl.  auch  Kuhn,  Mark.  Sag.  S.  331  ff. 


174  Kapitel  III.    BamuBeel^  als  Vegetatioiudäinon: 

• 

das  Recht  hatten  alljährlich  um  Fastnacht  den  schtasten  Baum 
im  G^meindewalde  zu  fällen ^  ins  Dorf  zu  bringen,  zu  verkaufen 
und  den  Erlös  zu  vertrinken.^  Ist  der  letztere  Brauch  vieUeicht 
nur  ein  verstilmmelter  Ueberrest  des  vorigen?  —  Bei  den  nttm- 
liehen  Eibwenden  richtete  man  auf  einem  runden  Htigel  mitleii 
im  Dorfe  eine  zwanzig  oder  mehr  Ellen  hohe  Eiche,  den  soge- 
nannten Kreuzbaum  oder  Hahnbaum  auf,  der  so  lange  stehen 
blieb,  bis  er  von  selbst  umfiel  Die  Aufrichtung  des  neuen  Bau- 
mes geschah  nie  anders  als  an  Maria  Himmelfahrt  (2.  Juli). 
Dann  tat  jeder  Hauswirt  einen  Hieb  m  den  zuvor  erwählten 
Baum  im  Walde,  bis  er  gefällt  war,  und  nun  mit  Jubelgeschrei 
auf  einem  mit  Ochsen  bespannten  Wagen,  mit  den  Hocken  der 
Hauswirte  bedeckt,  so  daß  er  nicht  su  sehen  war^  an  seinen  Be- 
stimmungsort gefahren  wurde.  Hier  wurde  er  viereckig  gehauen, 
und  auf  %  beiden  Seiten  Pflöcke  angebracht,  so  daft  man  hinauf- 
steigen konnte.  War  er  nun  eingegraben ,  so  kletterte  der  Schulze 
hinauf  und  brachte  ein  hölzernes  Kreuz  mit  einem  darüber  fest- 
stehenden eisernen  Hahn  [vgl.  ob.  S.  160  die  schwedische  Mitt- 
sommerstange] auf  der  Spitze  an.  Der  Hahn  war  dabei  das 
wesentlichste;  denn  in  manchen  Dörfern  war  das  Kreuz  auf  den 
Bäumen  weggelassen,  der  Vogel  aber  beibehalten.  Dann  tanzte 
man  (der  Schulze  in  Sonntagskleidern  und  weißer  Leibbinde 
voran)  mit  vollen  Sprüngen  um  den  Baum  und  segnete  mit  Bier 
jeden  Baum  in  Haus  und  Hof,  sowie  zu  besserem  Gedeihen  das 
Vieh  ein ,  das  man  ringumher  jagte.  Auch  außerdem  wurde  alles 
Vieh  jedes  Jahr  an  einem  bestimmten  Tage  um  den  Baum  getrie- 
ben. Jede  junge  Frau,  die  aus  einem  andern  Orte  durch  Heirat 
in  ein  solches  .wendisches  Dorf  kam,  mußte  einen  Tanz  um  den 
Kreuzbaum  tun,  und  etwas  Geld  hineinstecken;  em  alter  Mann 
kniete  täglich  vor  demselben  nieder  und  hielt  seine  besondere 
Andacht.  Wer  eine  Wunde  hatte,  steckte  ebenfalls  Geld  in  den 
Baum  und  rieb  sich  an  demselben;  so  glaubte  er  geheilt  zu  wer- 
den. Die  Wenden  sagten,  daß  sich  an  der  Stätte  des  Baumes 
ein  Genius  aufhalte,  von  dem  sie  nicht  sicher  wußten,  ob  er 
männlichen  oder  weiblichen  Geschlechtes  sei;  dieser  Geist  leide 
es    nicht,    daß   jemand    mit  garstigen  Ftlßen   über  den  Platz 


1)  Meier,  Schwab.  Sag.  379,  20.  Zs.  f.  d.  MyÜi.  I,  89.   Schmitz,  Sitten 
and  Gebräuche  des  Eiflcr  Volkes  I.  S.  13  ff. 


Maibaum.  175 

gelie.^  Ist  in  dieaem  wendischen  Brauche  die  Zeit  der  Baom- 
pflanzoDg  bis  über  Mittsommer  vorgerückt  ^  so  trifft  wieder  in  den 
Frühling  die  bekannte  Sitte  der  Qnestenberger  am  Harz.  In 
Qaestenberg  (unweit  Stolberg -Boftla)  suchten  am  Tage  vor  Pfing- 
sten die  Barsche  alljährlich  vor  Sonnenaufgang  die  schönste  und 
grOBte  Eiche  im  Forste,  kappten  ihr  die  Äeste  und  brachten  sie 
am  dritten  Pfingsttag  «if  den  die  Gegend  beherrschenden  ,,Que- 
stenbergy^'  befestigten  einen  von  Birkenzweigen  geflochtenen  mit 
bunten  Blumm  durchwobenen  Kranz  in  der  Größe  und  Gestalt 
eines  Wagenrades  daran,  an  dessen  beiden  Seiten  große  Quasten 
?on  eben  solchen  Zweigen  hingen,  und  riefen:  „Die  Queste  (der 
so  geschmückte  Kranz)  hängt  !^'  Dann  wurde  um  den  Baum 
getanzt,  Baum  und  Kranz  aber  jährlich  erneuert  Später  nahm 
man  jedoch  nur  alle  sieben  Jahre  einen  neuen  Baum,  heut- 
zutage  wird  nur  dann  ein  neuer  geholt,  wenn  der  alte  umfällt; 
die  Aufhängung  des  Kranzes  geschieht  noch  jährlicL  '  Der  Baum 
darf  aber  nicht  herangefahren  werden,  sondern  die  Qnesten- 
berger müssen  ihn  selbst  auf  den  Schultern  herbei- 
tragen.' 

Städtische  Maibäume,  vorzüglich  in  England  hatten  vielfach 
eine  Form  angenommen,  welche  die  einfache  Grundgestalt  kaum 
noch  erkennen  läßt.  Der  Vergleich  datierbarcr  Abbildungen  von 
englischen,  französischen,  niederländischen  und  deutschen  Mai- 
bäumen, deren  Chambers  the  Book  of  Days  1864  I,  572. 
575  —  76,  Hone  Every-Daybook  1866  II,  297.  336,  Brand  popu- 
lär antiquities  ed.  Ellis  1853  I  (Titelkupfer)  eine  ansehnliche 
Anzahl   reproduziert  haben,    läßt  aber  deutlich  die  allmähliche 


1)  Hildebrands  Visitation  a.  a.  0.  Darnach  aoszüglich  Kuhn  a.  a.  0. 
333  iL    Vgl.  Bodemcyer,  Hannoversche  Itochtsaltertümer  S.  57. 

2)  Der  Berg  hat  seinen  Namen  augenscheinlich  von  dem  Gebrauch, 
nach  dem  Berge  heißt  wiederum  das  Dorf,  das  früher  Vynsterberg  genannt 
wurde,  angeblich  urkundlich  seit  dem  13.  Jahrhundert  Questenberg.  Min- 
dfistens  ebenso  alt  muß  also  auch  die  Sitte  sein.  Vgl.  Grottschalk,  Bitter- 
Wgen  und  Bergschlosser  Deutschlands  II,  38;  daraus  Beimann  d.  Volksfeste 

3)  Otmars  (Nachtigalls)  Volkssagen  S.  128.  129.  Grimm,  Myth.«  51. 
Kuhn ,  Nordd.  Sag. ,  22G ,  250.  Auch  in  Wolfshagen  in  Hessen  trugen  die 
•.Htijongen''  die  Maibäumchen  ehedem  auf  den  Schultern  vom  Walde  in 
^e  Stadt.    Lynker ,  Hess.  Sag.  247. 


176  Kapitel  IQ.    Baumsecle  als  Vegetationsd&mon : 

Eiitwickelung  aus  einer  Urform  und  ihren  Spielarten  von  Stufe 
EU  Stufe  verfolgen.     Danach  ergiebt  sich  als  der  den  meisten 
Sproßformen  zu  Grunde  liegende  Haupttypus  der  folgende.    Der 
Schaft  des  Maibaumes  erhob  9ich  auf  einem  künstlichen  mit  Gras 
bewachsenen  Erdhügel,  auf  dem  der  Reigen  statt  hatte.    Dieser 
Erdhttgel  ward  denn  vielfach  durch  eine  Umzäunung  gegen  Be- 
schädigung\  (Hone  a.  a.  0.  336 ,  Johannisfeststange  in  Jäschkental 
bei  Danzig) ,  oder  durch  Zimmerwerk  oder  Steine  an  den  Seiten 
gegen  das  Zusammensinken  gesichert  und  bekam  dadurch  mehr- 
fach eine  polygone  Form;  auch  ließ  man  ihn  wohl  in  mehreren 
Terrassen  emporsteigen.     Vgl.  den  Maypole  auf  einem  Fenster- 
gemSlde   aus    Heinrichs  VHI.  Zeit   in    Betley   in    Staffordshire, 
abgebildet  im  Variorum  Shakespeare  und  Chambers  a.  a.  0.  575 
und  den  im  Msc.  der  „Horae"  von  1499  (Chambers  a.  a.  0.),  so 
wie  den  von  St.  Andrew  Undershaft  (Brand  a.  a.  0.),    Die  Spitze 
der  unten  abgeästeten  Maistange  'bildete  ursprünglich  die  leben- 
dige Krone  des  Baumes  selbst  (vgl.  den  Salzburger  Chambers  I^ 
576,  den  schottischen  Hone  H,  305,  den  englischen  Chambers 
572,  den  französischen  Hone  H,  297),  später  vielfach  ein  ange- 
bundenes Bäumchen,  oder  ein  Blumentopf,  in  den  ein  lebendes 
Bäumchen  gepflanzt  war.     (Vgl.  das  niederländ.   Gemälde  von 
1625.    Chambers  576).      Unterhalb  des  Wipfels  waren  Banner 
und  Flaggen  angebracht  (St.  Georgs  rotes  Kreuzbanner  auf  dem 
Fenster  von  Betley  u.  s.  w.)^  sodann  viele  bunte  Bänder;  schließ- 
lich ein  Kranz  oder  mehrere  Kränze  über  die  Aeste  der  Krone 
gehängt   (Hone  U,  297),    oder   lotrecht  an    Nägeln   am   Schatte 
herabhangend  (Hone  H,  288),  oder  endlich  in  horizontaler  Lage 
den  Baum  umgebend.    In  diesem  Falle  pflegte  der  unterste  Kranz 
der  größte  und  breiteste,  jeder  nach   Oben  hin  folgende  kleiner 

und  schmaler  zu  sein.      Die  Zahl  dieser  Kränze  oder  blumen- 

• 

bewundenen  Reifen,  die  an  oberhalb  am  Stamm  zusammenlaufen- 
den, den  Speichen  eines  Bades  gleichenden  Schnüren  befestigt 
waren,  machte  2  —  3  aus  (Chambers  572.  575.  576),  zuweilen 
wurden  sie  stark  z.  B.  zu  Necton  in  Norfolk  Pfingsten  1817  bis 
auf  20  vermehrt,  so  daß  sie  bis  auf  Mannshöhe  vom  Boden 
herunter  illnf  Sechstel  des  ganzen  Schaftes  umspannten  (Hone 
a.  a.  0.  336.)  Anderswo  aber  ist  aus  dem  wagrecht  befestigten 
Kranze  ein  hölzernes  (wahrscheinlich  ehedem  jedes  Jahr  mit 
frischen   Blumen  umwundenes)   Rad  geworden.      Vgl.   z.  B.   die 


Maibanm.  177 

St  Johannisstange  anf  der  Jäschkeotaler  Wiese  bei  Danadg.  Von 
diesen  Kräiizeu  hingen  ursprünglich  vergoldete  Eier  als  Sinn- 
bilder des  neuerwachenden  Lebens  herab  (vgl.  S.  165. 169  die  Berg. 
0.  Oldenb.  Sitte) ,  später  wurden  dieselben  unverständlich  gewor- 
den durch  vergoldete  Bälle  von  Holz  oder  Metall  ersetzt  (Gham- 
>«  575.  576).  Unterhalb  der  großen  Kränze  setzte  sich  die 
^linlförmige  Umwindung  des  Stammes  mit  einer  eng  au  densel- 
ben angeschlossenen  Guirlande  bis  auf  den  Erdboden  fort.  (Vgl. 
Cliambers  572.  Hone  II,  288).  Hieraus  entwickelte  sich  meines 
Eracbtens  die  bunte  spiralförmige  Bemalung  oder  Beschä- 
long  vieler  deutscher  und  englischer  Maibäume  (vgl.  die  Abbil- 
dongen  Chambers  575.  576.    Brand  a.  a.  0.). 

Wie  in  Schweden  wird  auch  in  Deutschland  in  germanisier- 
ten Slavenländem ,  sowie  in  Frankreich  (Gironde)  die  Aufrichtung 
des  Baumes  zuweilen  um  Mittsommer  vorgenommen,  um  die  bis 
znr  Krone  geschälte  Tanne  oder  Birke  (resp.  Stange)  getanzt, 
nach  den  angehängten  Tüchern  geklettert.^  Wir  haben  bereits 
vorhin  einige  Beispiele  namhaft  gemacht  In  Oestreich  bewahrt 
man  den  am  1.  Mai  gesetzten  Maibaum  zur  Nahrung  des  Johan- 
nisfeuers.'  Im  Departement  des  hautes  Pyr^nees  wird  am  1.  Mai 
der  h()chste  und  schlankste  Baum  (Tanne,  Fichte  oder  Pappel) 
omgehauen,  man  schlägt,  wie  beim  w^end.  Kreuzbaum  S.  174 
cf.  HoneU,  288),  eine  Anzahl  fußlanger  Keile  hinein  und  bewahrt 
ihi^  bis  zum  23.  Juni  auf  Dann  wälzt  man  ihn  auf  einen  Hügel, 
rammelt  ihn  in  die  Erde,  und  setzt  ilm  in  Flammen.^  Auch  in 
andern  französischen  Gegenden  bildete  den  Mittelpunkt  des 
St  Johannisfeuers  ein  belaubter  Baum ,  wenn  auch  häufig  nur  ein 
klemerer.  Die  schon  (o.  S.  171)  erwähnten  Kupferstiche  von  Ma- 
rictte  stellen  so  den  Sommer  dar  auf  der  Tafel  „Ic  fcu  de 
St  Jean."  *  In  Angouleme ,  z.  B.  im  Kirchspiel  St  Martial ,  findet 
diese  Verbrennung  am  29.  Juni  (St  Peter)  statt  Schon  am  Mor- 
gen   wird    ehie    hohe    und   schöne  Pappel   voll   grünen   Laub- 


1)  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  390,  öO.  391 ,  82.  Zs.  f.  d.  Mytli.  I,  81,  4.  Kuhn, 
Westf.  Sag.  177,  490.  von  der  Hagen ,  Gennania  IX ,  289.  De  Norc  a  a.  0. 
Hii.  Vgl  ferner  o.  S.  170. 173  die  Beispiele  aus  dem  Vidgtland,  der  Mark 
tt.  3.  w. 

2)  Baumgarten,  das  Jahr  u.  s.  Tage,  Linz  1860,  S.  27. 

3)  Memoires  des  antiquitos  celtiques  V,  387.  Mytli.«  589. 

4)  Wiederabgobildet  bei  Hone  a.  a.  0.  1 ,  412. 

MannhardL  12 


178  Kapitel  m.    Baumsecle  als  Vegetationsdämon: 

Schmucks  auf  dem  Markte  aufgepflanzt  und  mit  vielen  Bündeln 
trockenen  Wachholders  umschichtet.  Abends  zündet  der  Dorf- 
pfarrer selbst  mit  seinen  Vicaren  diesen  Scheiterhaufen  an.*  Zu 
Thann  im  Elsaß  holten  in  der  Nacht  vom  30.  Juni,  döm  Vor- 
abend des  St.  Theobaldfestes,  der  Pfarrer  mit  seinen  Vicaren, 
der  Maire ,  der  übrige  Ortsvorstand  und  eine  unzählige  Menschen- 
menge brennende  Kerzen  aus  dem  Münster,  und  zündeten  damit 
auf  dem  Kirchplatze  nach  und  nach  drei  vom  Stadtpfarrer 
geweihte  große  Tannenbäume  an ,  die  von  oben  bis  unten  geschlitzt 
und  mit  Holzspänen  ausgefüllt  waren.  Jeder  suchte  einen  herab- 
fallenden Holzspan  als  Heilmittel  gegen  Fieber  zu  erobern.  Man 
bezog  diesen  Brauch  sehr  gezwungen  auf  die  Legende  des 
h.  Theobald,  des  Schutzheiligen  des  Münsters.*  Aus  England 
ist  zunächst  zu  vergleichen  was  Hutchinson  im  J.  1795  in  der 
Umgegend  von  Launceston  in  Comwall  erfuhr:  „there  was  for- 
merly  a  great  bonfire.on  Midsummer  eve,  a  large  summcr  pole 
was  fixed  in  thc  ccntre,  round  which  the  fuel  was  heaped  up. 
It  had  a  large  bush  on  the  top  of  it.  Round  this  were  parties 
of  wrestlers  contending  for  small  prizes.^  Ganz  ähnlich  ging 
es  bei  Her  Maifeier  in  Dublin  und  Umgegend  zu.  Die  jungen 
Leute  holten  in  der  Mainacht  einen  4  —  5  Fuß  hohen  Busch 
(may-bush),  einen  Weißdom,  aus  dem  Walde,  pflanzten  ihn  auf 
dem  Marktplatz  auf,  besteckten  die  Zweige  mit  Kerzen 
und  häuften  einen  Scheiterhaufen  ringsum,  wolür  sie  im  Orte 
Haus  bei  Haus  Geld  einsammelten.  Auf  den  Scheiterhaufen 
gehörte  auch  noch  ein  Pferdeschädel  und  verschiedene  andere 
Knochen.  Dann  steckten  sie  die  Lichter  an,  und  tanzten  mit 
lautem  Hurrah  um  den  Maibaum.  Nach  einer  Stunde  entflammte 
man  den  Holzstoß,  und  waren  die  Kerzen  niedergebrannt,  so 
stieß  man  den  ganzen  Maibaum  in  die  Flammen.* 

In  Trier  hieben  schon  am  ersten  Sonnt^ige  in  der  Fasten 
(Invocavit)  die  Metzger  und  Weber  eine  am  Donnerstage  vorher 
auf  dem  Marxberge  aufgepflanzte  Eiche  um ,  und  rollten  sie  nebst 


1)  J]iiie  Abbildung  ist  in  der  Illustration,  Journal  uuiversel.    Paris  1872. 
Vol.  LX.    Nr.  Vö\\\  gegeben. 

2)  A.  St(')ber,  Sagen  des  Elsasses  S.  40. 

3)  nistory  of  Nortlminberland  II,  15  bei  Brand  a.  a.  O.  I,  318. 
1)  Hone  a.  a.  O.  11,298. 


Maibaum.  179 

einem  Feaerrade  ins  Tal  der  Mosel.  Die  erste  Erwähnung  die- 
ser Feier  findet  sieh  im  Jahre  1550.^  An  demselben  Sonntage 
hiiii£en  die  Barsche  von  Echtemach  im  Großherzogtum  Luxemburg 
Stroh  um  einen  Baum  an  und  entloben  es.  Das  heiBt  die  Hexe 
Terbrennen.'  Ebenso  in  der  Eifel,  wo  die  Sitte  das  Bnrgbrennen 
genannt  wird,^  und  gleichfalls  in  Vorarlberg.^  In  den  Bergstädten 
des  Htfzes  ward  das  Osterfeuer  am  Charsamstag  auch  um  einen 
Baum  aufgeschichtet;  zu  Delmenhorst  (Oldenburg)  lieferte  der 
Förster  zu  dem  der  ganzen  Stadt  gemeinsamen  Osterfeuer  zwei 
Binme^  welche  neben  einander  in  die  Erde  gerammt,  oben  mit 
12  flbereinandergestellten  Teertonnen  besetzt,  unten  mit  Reisig 
Offlhäaft  und  schließlich  mit  brennenden  Strohwiepen  augezilndet 
worden,^  und  nicht  minder  bildet  in  Hessen  den  Mittelpunkt  des 
Osterfeuers  eine  in  den  Boden  gegrabene,  bis  zur  Spitze  mit 
Sbx)h  beworfene,  oben  mit  einer  Teertoune  besetzte  Tanne.  ^ 

Nicht  minder  schichtet  man  den  Scheiterhaufen  des  Johan- 
nisfeners  im  Kiesengebirge  gern  um  einen  hohen  Baum  auf.  Im 
Egerlande  pflegte  man  dazu  eine  hohe  und  grade,  recht  harz- 
leiche  Tanne  oder  Fichte  zu  nehmen,  mit  Blumensträußen, 
Bändern  und  Kränzen  zu  behängen,  um  sie  herum  Brenn- 
materialien zu  häufen  und  dieselben  bei  Dunkelheit  anzuzünden. 
Während  das  Reisig  brannte,  kletterten  <lie  Bursche  auf  den 
Johannisbaum,  um  die  von  den  Mädchen  daran  befestigten  Kränze 
and  Bänder  herabzuholen.  ^  Auf  der  Halbinsel  Heia  bei  Danzig 
tanzen  die  jungen  Leute  am  Johannisabend  ebenfalls  den  Reigen 
nm  eme  aui*  einem  Hügel  auigepflanzte  Fichte,  die  man  später 
mit  Stroh  und  Reisig  umhüllt  und  verbrennt;  daneben  leuchten 
Teertonnen.  Offenbar  haben  die  Esten  diese  Weise  des  Johan- 
nigfeuers  von  slavischen  oder  germanischen  Nachbarn  gelernt. 
Auch  sie  zünden  dabei  nämlich  einen  Bamn  an,  der  von  der  Erde 


1)  N.    Hocker,    des   Mosellandes    Geschichten,    »Sagen   und   Legenden. 
Trier  1852 ,  S.  415.    Kuhn ,  Herabkunft  dos  Feuers  S.  DG. 

2)  Zs.  f.  D.  Myth.  1,89,  6. 

3)  Schmitz,  Sitten  u.  Bräuche  des  Eifler  Volkes  1,21. 

4)  Vonbun,  Beitr.  z.  D.  Myth.    Chur  lö62,  S.  20. 

5)  Kuhn,  NorJd.  Sag.  373,  11).    Strackerjau,  Abergl.  u.  Sag.  a.  Olden- 
l>«fgll,43,313. 

^>)  Lyncker,  Hessische  Sagen  S.  241. 

7)  Heinsberg -Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen.    S.  807  ff. 

12^ 


180  Kapitel  m.    Baumseele  als  Vegetationsdämon : 

bis  zum  Wipfel  mit  brennbaren  Stoffen  umgeben  und  auf  der 
Spitze  mit  einem  Fähnlein  versehen  wird,  das  die  Bursche  mit 
einem  Knittel  herabzuwerfen  suchen ,  ehe  es  zu  brennen  anföngt 
Wem  dies  gelingt,  hat  Glück  zu  erwarten.  Man  wirft  Holzreiser 
in  die  Flammen  mit  den  Worten:  „das  Unkraut  ins  Feuer,  den 
Flachs  aufs  Fe^d."^  In  Oberfranken  (Hallstadt)  und  Mittelfran- 
ken (Ansbach)  verbrannte  man  zwar  nicht  mehr  einen  Baum  im 
Johannisfeuer,  aber  dem  Knabenhaufen,  der  von  I{aus  zu  Hans 
das  Holz  zu  demselben  zusammenbettelte,  trug  einer  in  feierlicher 
Prozession  noch,  einen  geschmückten  Maibaum  voran,  indes 
man  sang: 

Maja,  Maja,  mia  mö; 

Wöll  raä  Holz  zasamma  tragn 

Uebers  Kannesfeuer.* 

Als  im  J.  1489  auf  dem  Markte  vor  dem  Rathause  zu  Frank- 
furt vornehme  Herren  in  Gegenwart  des  Königs  den  Reigen  um 
das  Johannisfeuer  tanzten ,  prangte  auf  dem  Scheiterhaufen  zwar 
kein  größerer  Maibaum,  wol  aber  die  Fahne  des  Königs  nebst 
anderen  Fahnen  umgeben  von  grünen  Zweigen  (circa  ligna  rami 
virentes  positi).^  Durch  diese  Zeugnisse  erweist  sich  die  Ver- 
brennung eines  mit  den  Attributen  des  Maibaums  ausgerüsteten 
und  vielfach  unmittelbstr  als  solcher  kenntlichen  Baumes  den 
Fastnacht-,  Oster -,  Mai-  und  Johannisfeuem  als  wesentlich.  In 
Perigord  hatte  dagegen  zur  Sonmiersonnenwende  ein  ganz  eigen- 
tümlicher Brauch  statt.  Man  reinigte  die  Zähne  mit  Knoblauch 
und  zog  dann  ein  Goldstück  durch  dieselben.  Hieraufpflanzte 
man  feierlich  einen  Maibaum  und  aß  vom  frischen  Brode.* 

Diejenigen  Leser,  welche  so  geduldig  waren,  meinem  Ge- 
dankengange während  der  ersten  Darlegungen  dieses  Kapitels 
zu  folgen ,  werden  mit  mir  einverstanden  sein ,  daß  es  keine  allzu- 
große Schwierigkeit  mache,  aus  den  ziemlich  ausilihrlich  mitge- 
teilten Tatsachen  Antwort  auf  die  Frage  herauszuschälen,  was 
der  Maibaum   ursprünglich  war  und  was  er  zu  bedeuten  hatte. 


1)  Vorliandlungen  der  ohstnischen  Gesellschaft  zu  Dorpat  B.  VII.  1872. 
H.  2.    S.  02—64. 

2)  Panzer,  Beitr.  z.  D.  Mytb.  I,  217,  245.  219,  249. 

3)  Petr.  Herb.,  Annal.  Francofurt.  bei  Grimm  Myth.«  586. 

4)  De  Nore ,  Coutumes  m}  thes  et  traditions  S.  149. 


Maibaam.  181 

Oflenbar  ist  er  nur  eine  andere  Form  jenes  slavischen  Lieto 
(o.S.156),  wie  der  Vergleich  des  russischen  Semikfestes  erweist, 
mithin  der  Gkist  des  Frühlings  oder  des  Sommers,  die  personifi- 
lierte  schöne  Jahreszeit,  als  Dämon  der  Vegetation  in  Baomge- 
stalt  aufgefaßt  (s.  o.  S.  158).  Sehr  deutlich  wird  die  Identität 
des  Leto  und  des  Maibaums  durch  den  Lätarebrauch  zu  Lacza 
bei  Räuden  (Oberschlesien).  Sobald  nämlich  die  Puppe  Marzanka 
ii»  Wasser  geworfen  ist,  versehen  sich  ihre  Trägerinnen  *  mit 
Fichten-  oder  Tannenzweigen  und  einem  besonders  geschmückten 
Blümchen  und  kehren  ins  Dorf  zurück  unter  Einsammlung  von 
Geld  und  Eiern  singend : 

Wir  trugen  die  Pest  aus  dem  Dorfe, 

Den  Sproß  (latorösl)  bringen  wir  ins  Dorf; 

Unser  Bänmchcn  ist  grün, 

Schön  aufgeputzt 

Auf  unserm  Maibäumchen  (na  nasz^iu  inaiku) 

Sind  gemalte  Eierchcn, 

Welche  gemalt  hat 

üjisere  Frau  Krftgerin. 

Unser  Maibaum  (maik)  ist  grün, 

Schön  aufgeputzt. 

Auf  unserm  Maibäumchen 

Sind  lauter  goldene  Schärpen, 

Die  wir  anhingen 

In  diesen  allerteuersten  Zeiten.» 

Hier  heißt  der  Sommer  gradezu  S2)roß  (Vegetationsgeist)  und 
Maibaum.  Zu  benennen  aber  weiß  das  Volk  den  Vegetations- 
geist gemeinhin  nicht  anders,  als  mit  dem  Namen  der  Jahreszeit 
selbst  Deshalb  steht  neben  dem  englischen  Maypole  vielfach 
nach  alten  und  guten  Zeugnissen  eine  Lady  of  tbe  May,  neben 
dem  elsässischen  Maibaum  ein  l^ngstnickel ,  neben  dem  Voigt- 
ländischen Johannisbaum  ein  Johannes  genannter  Mensch  (s.  o. 
8.170).  Diese  Figuren  stellen  den  im  Baume  waltenden  Geist, 
aber  aus  diesem  herausgetreten,  neben  ihn  hingestellt  dar.  Im 
Harz  drehen  die  Mädchen  am  23.  Juni  die  mit  bunten  Eiern  und 
Blumen  geschmückten  TannenbHume,  um  welche  sie  tanzen,  von 
der  Linken  zur  Kochten  um,  wie  die  Sonne  geht,  und  singen 
dabei:  „die  Jungfer  hat  sich  umgedreht  u,  s.  w."^    Das  ist 


1)  J.  Rof^er,  Piosni  Indu  polakiogo  o  goriiym  Szlaska. 

2)  S.  J.  PrOhle ,  Zs.  für  D.  My th.  1 ,  »1. 


182  Kapitel  III.     Baumseelc  als  Vegetationsdämon: 

deutlich  eine  Anspielung  auf  die  Sonnenwende.  Xrleichwohl 
möchte  ich  nicht  annehmen ,  daß  der  Baum  eine  Darstelliing  der 
Sonnengöttin  sein  sollte  (vgl.  etwa  engl,  sunbeam  Sonnenstrahl),^ 
sondern  daß  die  Uebersetzung  der  mythischen  Personification  in 
einen  uns  geläufigen  Begriff  allgemeiner  das  Jahr,  die  Jahreszeit, 
die  Zßit  zu  lauten  hätte,  und  zwar  in  Gestalt  der  Vegetation  ver- 
körpert. Sei  dem,  wie  ihm  sei,  unverkennbar  tritt  in  dem  Mai- 
baum (resp.  Johannisbaum)  außer  der  Identifizierung  des  Vege- 
tationsdämons mit  dem  Geiste  der  Jahreszeit  zugleich  derjenige 
Gedankenkreis  hervor,  den  wir  o.  S.  51ff.  bei  Gelegenheit  des 
Värdträd  erläuterten.  Der  Genius  des  Wachstums  gilt  als  der 
Schutzgeist  der  Menschen  und  'Kere,  zugleich  als  ihr  alter  ego, 
ihr  mythischer  Doppelgänger.  Der  große  Maibaum,  den  die 
gesammte  Dorfschaft  feierlich  einholt,  auf  freiem  Platze  in  ihrer 
Mitte  autpflanzt  und  wie  ihren  Augapfel  bewacht ,  damit  ihn  nicht 
neidisch  eine  fremde  Dorfschaft  entwende ,  stellt  den  Lebensbaum, 
den  genius  tutelaris,  das  zweite  Ich  der  ganzen  Gemeinde  vor. 
Ihm  zu  nahen  ist  itir  jedes  Glied  derselben  ein  Heiltum ;  deshalb 
wird  er  in  feierlichem  Reigen  umtanzt;  man  kniet  auch  wol  vor 
ihm  betend  nieder  und  opfert  Geld,  wie  einer  Gottheit  (S.  174). 
Bunte  I^änder  schmücken  seinen  Wipfel,  wie  Taenien  im  alten 
Griechenland  die  heiligen  Bäume,  wie  Lappen  mid  Zeugstttcke 
die  Fetischbäume  bei  noch  lebenden  Naturvölkern  und  wiederum 
auch  in  Litauen  bunte  Bänder  die  heiligen  vom  Baumgeist  belebt 
gedachten  Stämme,  namentlich  solche,  welche  zwieselartig  ver- 
ästet oben  wieder  zusammenwuchsen  und  nmi  dazu  dienen  ver- 
krüppelte Kinder  der  Heilung  wegen  hindurchzuziehen.*  Bei 
den  Wenden  mußte  jede  aus  der  Fremde  ins  Dorf  heiratende. 
Frau  den  gemeinsamen  Lebensbaum  ihrer  neuen  Heimat  (den 
Kreuzbaum),  der  Wunden  heilt  und  auch  dem  Vieh  die  Lebens- 
kraft stärkt,  durch  Verehrung  zu  ihrem  eigenen  macheu  (vgl.  o. 
S.  174  u.  161).  Dieser  nämliche  Baum  wurde  auf  einem  mit 
Ochsen  bespannten  Wagen  aus  (lern  Walde  geholt  j  mit  den  liöcken 
der  Hauswirte  bedeckt  „so  daß  er  nicht  zu  sehen  war.  (o.  S.  174.) 


1)  Cf.  Noch  bemane   ic  u  mere  by  den  zonnen  boom  en  by  der  iDanen. 
Willems  Bel^.  Mus.  1,326;  cf.  W.  Wolf,  Wodana  1I,XXVI1. 

2)  Vgl.  einstweilen   Prätorius,  PreuH.  Schaubühne   ed  Pierson.     Berlin 
1871.     S.  16. 


Haibaoiu.  183 

Dm  stiiomt  wörtlich  zu  dem  Berichte  des  Taeitns  über  die  Ver- 
ehnmg  einer  norddeutschen  Gottheit ,  die  er  Nertlius  oder  Terra 
mater  nennt  Est  in  insnla  oceani  castum  fiemtis  dicatum()ue  in 
eo  vehicuium  veste  contedum.  Den  heiligen  Wagen  ziehen  Kühe. 
(Germania  cap.  40)  Hier  offenbaren  sieh  nns  einzelne  Züge  eines 
uralten  Kultns.  Der  Dämon  des  Wachstunis  kWhit  sich  mit 
Früchten  (deshalb  sehen  wir  den  Wipfel  des  Maibaums  mit 
Aehren,  mit  Eiern  den  Hiunbildeni  des  tierischen  Werdens  und 
Wachsens,  mit  allerlei  guten  Gaben  geziert);  daran  haben  alle 
Teil,  aber  ein  Wetteifer  regt  sich,  das  Beste  flir  sich  herunter- 
zuholen. Auch  der  Hahn  auf  dem  schwedischen  und  wendischen 
Johannisbaum  könnte  vielleicht  nur  das  bedeuten ,  was  der  Hahn 
auf  dem  Lebensbaum  des  ssiterländischen  Bräutigams,  ein  Symbol 
der  Zenguugsitille  (o.  S.  Iti),  wenn  nicht  etwa  hier  schon  an  die 
später  nachzuweisende  Gestalt  des  Vegetationshahns,  Getreidc- 
hahns  zu  denken  ist.  Bedeutsam  d<arf  sein,  daß  auch  auf  Mima- 
meirlr  (o.  S.  56)  ein  Hahn  (Vitlofuir)  sitzt.  Wk  Mimirs  Baum 
und  der  Värdfräd  gcbämulefi  Fraur^  hdfm ,  sehen  icir  mehrfach 
die  Weiber  mU  dem  ausschUeßUchen  liechte  begabt,  den  als  Mai- 
haum  etc.  diencfultti  Baum  aus  dem  Walde  zu  hdcn;  es  muß 
ihm  wol  ein  besonderer  Einfluß  auch  auf  die  anitnalische  Frucht- 
harkeit  bei{f€messen  seht.  (s.  o.  S.  174.)^ 

Im  wesentlichen  derselbe  Gcdankeninhalt  vcrk<)rpcrt  sich  in 
den  kleineren  Maibäumen,  oder  Maibüschen ,  welche  dazu  dienen, 
jedem  einzelnen  Hause  die  Segnungen  des  Ganzen  noch  beson- 
ders anzueignen  oder  zu  sichern.  Der  bmmigest<iltige  Schutz- 
geist der  Gemeinde  in  verkleinertem  Maßstitbc  prangt  vor  den 
Gebäuden,  wo  die  majcstas  populi  tront.  Den  Tieren  im  Stalle, 
der  treuerfundenen  Junglrau  setzen  den  einen  Eigennutz,  der 
anderen  Liebe  deren  eigenen  Lebensbaum  vor  die  Tür  oder  auf 


1)  Auf  den  alsbalii  zu  besprecbcnden  rarallclismus  dor  Jungfrau  (Frau) 
öiit  dem  Baume,  der  gleiohsaiii  ilir  alt^r  ego  ist,  weist  die  eigentümliche 
Porm  der  Sitte  bei  den  Slovenen  in  Kiimtlien.  Am  Frohnleichnamsfeste 
werden  Hundertc  von  hohen  mit  Bändern .  Blumen ,  Rauschgold  und  Fähn- 
chen geschmückte  Maibäum«n  (maja)  in  den  Dörfern  aufgepflanzt.  Nachbar- 
orti?  wetteifern  den  schönsten  und  höchsten  Maibaum  zu  haben ,  wobei  die 
I^orfniädchen  alles  aufbieten  den  Baum  [»rächtig  zu  schmücken,  denn 
.»schöner  Mai  bäum  schöne  Mädchen"  heiüt  es  unter  der  slovcnischen 
Jugend.    -Ausland  1872,  473. 


Ib4  Kapitel  HI.    Bamuseele  als  Vegetationsdämon: 

das  Dach,  der  darum  je  nach  dem  Alter  des  Menschen  oder 
Tieres  größer  oder  kleiner  ist.  Sittlich  verwahrloste  Mädchen 
erblicken  statt  dessen  in  dürren  Bäumchen, ^  in  abgekehrten  ganz 
entblätterten  Strauchbesen ,  in  den  mit  verschmierten  Lumpen  ihres 
eigenen  Anzuges  bekleideten  Stämmen  sich  selbst,  das  D(^pelbild 
ihres  Wesens,  die  Gestalt  ihres  Fervers  lebhaft  vor  sich.  Nttsse 
knacken  war  ein  Euphemismus  ftlr  Zeugung;  wenn's  viele  Nüsse 
giebt,  heißt  es,  giebt  es  viele  Kinder  der  Liebe;  und  Volklieder 
feiern  die  Tanne  im  Gegensatz  zur  Hasel  als  Symbol  der  Be- 
ständigkeit, treuer  Minne.'  Es  ist  also  wol  klar,  weshalb  die 
Haselstaude  als  Maibaum  ein  unverheiratetes  Weib  anrüchig 
macht;  eine  ähnliche  Beziehung  muß  wenigstens  einem  Teile 
auch  der  andern  Bäume,    Sträuche  oder  angehängten  Pflanzen 


1)  Vgl.  die  Warnung  der  Nachtigall  im  Yolksliede  (Uhland,  Volksl. 
N.  17  A.  cf.  Uhland,  Schriften  III,  90.  427):  Und  wann  die  Lind'  ihr  Laub 
verliert,  behält  sie  nur  dieAeste,  daran  gedenkt  ihr  Mägdlein  jung  und 
haltet  eu*r  Kränzlein  feste!  Auch  dem  kirchlichen  Sprachgebrauch 
des  Mittelalters  war  nach  Luc.  23,  31  die  Bezeichnung  „grünes  Holz*' 
für  Bittenreine,  zur  Hervorbringung  guter  Früchte  tüchtige  Menschen  geläu- 
fig, während  man  unter  dürrem  Holze  dem  Göttlichen  abgestorbene,  ver- 
stockte (zum  dürren  Stock  gewordene)  Menschen  verstand.  Vgl.  Eychmaus 
vocab.  pred.  viridis,  ein  grünender,  der  da  ön  suude  ist,  grün.  Weigand 
D.  Wörterb.  Art.  Gründonnerstag. 

2)  S  meine  Nachweise  Zs.  f.  d.  Myth.  UI,  95  ff.,  die  sich  überreichlich 
vermehren  ließen.  Man  vgl.  nur  z.  B.  bei  Nithard  das  Lied  vom  Bimmost, 
zu  dem  die  Wirtin  mit  dem  Sänger  braune  Nüsse  knackt.  Eine  kinderlose 
Herzogin  geht  im  Nu£walde  spatzieren,  da  begegnen  ihr  drei  Nomen  und 
versprechen  ihr  ein  Kind.  Maurer,  Island.  Volkss.  S.  284.  Eine  doppelte  oder 
mehrfache  Nuß  vergräbt  man  im  Schafstalle,  damit  die  Schafe  gedeihen  und 
Zwillingslämmer  gebären.  Kußwurm,  Eibofolke  §.  355.  Quitzmann,  Religion 
der  Baiwaren  18G0  S.  90  führt  ein  bair.  Volkslied  „  des  Klausners  Abschied  *' 
an;  „Pfiati  Gott  Schatzerl!  —  I  muß  a  Klausna  wern;  —  hast  a*8  letzt 
Schmatzcrl,  Haslnußkern!  —  Wer  woaß  wer  d'  Nuß  aufbeißt,  —  wer 
woaß  wer's  Kuterl  (feminal)  zVeißt ;  —  alli  Leut  essen  gern  —  schöni  Hasl- 
nußkern." Im  Hannoverschen  Wendlande  verlangt  die  Dorfjugend  bei  Hoch- 
zeiten mit  lautem  Geschrei  Nüsse  (not!  not!)  die  auf  dem  Wagen  des  Braut- 
vaters bei  den  Mobilien  der  Braut  sitzende  Korbmuhme  (Korfmöm')  wirft 
dann  zwar  nicht  wirkliche  Nüsse ,  aber  ganz  kleine  Brödchen  an  deren  Stelle 
herab.  Am  Morgen  des  dritten  Hochzeittages  steigt  endlich  die  junge  Frau 
mit  Hilfe  einer  Leiter  auf  ihren  neuen  Kleiderschrank  und  wirft  von  dort 
aus  Nüsse  unter  die  unten  stehenden  Hochzeitsgäste.  R.  Müldener  in  Aus 
allen  Weltteilen  1873.  S.  200. 


Maibaam.  185 

beiwohnen,  dnrch  die  man  bescholtene  Franenzimmer  kennzeich- 
net^   Mit  der  Vorsteilang^  daß  der  Maibaam  das  Ebenbild  der 
beehrten  Fran  sei^  scheint  jedoch  die  andere  abzuwechsehi ,  daft 
er  den  Vegetationsdämon  nnd  zugleich  Ijebensbaum  des  getrenen 
Liebhabers   darstelle,    der    darum    durch  die  Auipflanzung  vor 
der  Tttr  des  Mädchens    einen  Heiratsantrag  stellt,    oder  durch 
seinen  eingeschnittenen  Namen  sich  selber  kenntlich  macht    In 
der  Cöte  d'or  (Gegend  von  Dijon)  setzt  man  der  treugebliebenen 
Liebsten  einen  Strohmann,  der  im  Walde  mit  grünen  Blät- 
tern bekleidet  wurde,  vor  die  Tttr,  während  die  ungetreue 
einen  Pferdeschädel  erhält    Wo.nuü  diese  Anschauung  maß- 
gebend ist,  sagt  der  dtlrre  Strohmann  vor  dem  Kammertenster 
der  wetterwendischen  oder  unwttrdigen  Braut  das  Gegenteil  aus. 
Das  der  fortpflanzenden  Getreidekömer  beraubte  leere  Stroh  ist 
ein   Sinnbild    der   freiwilligen    oder    erzwungenen    Ehelosigkeit, 
geschlechtlichen  Ohnmacht,  oder  Wertlosigkeit;  ein  Kränzlein  von 
dttrrem   Stroh   auf  dem  Haupte   der  Jungfrau   galt  in   unserer 


1)  Die  Nessel  (s.  o.  S.  167)  ist  Sinnbild  einer  im  Uebermaß  heißen, 
schmerzlich  brennenden  Liebeswundo,   daher  häufig  einer  vergeblichen,  hoff- 
nangslosen  Liebe.     Vgl.   die   beiden  Liebeszauber   „Bedeutung  der  Blumen 
N.  29  bei  Perger,  Pflanzensagen  S.  155  und  Anzeiger  für  Kunde  d.  D.  Vorzeit 
im  S.  190,  sowie  das  Volkslied  bei  Uhland  Volksl.  N.  252:    „das  Nessel- 
krant  ist  bitter  nnd  sauer  und  brennet  mich ,  verloren  hab'  ich  mein  schönes 
Lieb,  das  reuet  mich/*    Entweder  also  ist  am  Maibanm  das  S}7nbol  über- 
miUigen  Liebesfeuers  zum  Ausdruck  unrechtmäßiger  Gluten  geworden,   oder 
es  soll  gesagt  werden ,  daß  der  bisherige  getreue  Anboter  die  Gefallene  nicht 
mehr  lieben  kann  und  ihr  daher  hoffnungslose  Sehnsucht  als  Anteil  zuspricht. 
VoD  der  Petersilie  (o.  S.  IGVy)  vermag  ich  nur  erotische  Beziehungen  über- 
haupt aufzuweisen:    Vgl.   das   Kinderlied:   Petersilje    Soppenknit,    wasst  in 
üi«m  Garen,    Use  Antjen  is  de  Brut;   schall  nich  lang  mer  waren,    dat  so 
nä  der  Karken  geit  un  de  Hock  en  Folen  sleit.    (Schmidt)  Bremenser  Kinder 
und  Anmienreime  1836,  19,  20.     Cf.  das  Schaumburgor  Miirtinilied.  Reimann, 
D.  Volksfeste  S.  286.  —  Baben  want  de  rikc  mann,  de  let  üs  allens  wassen, 
göd  Hawer  un  göd  Gassen  (Gerste),  godet  Petersiljenkrut;    tokum  Jär  is  üse 
l^ter  Brut.    Ans  dem  Kinderleben ,  Oldenburg  1851.  S.  87.     Siise  de  bnise, 
wo    want   Peter  Kruse,    in    de    Petersiljensträt    (Var:    Kosmarinstrat) 
wir  de  wakkern   meisjes   gät.     (Südschlcswig ;    Oldenburg.)    Liebende 
säen  ihren  Namen  mit  Petersilie  und  schließen   von  dem  Wachstum  auf  das 
Wen  in  der  Ehe.  —  Wenn  die  Braut  zur  Trauung  geht,    soll  sie  Petersilie 
'ind  Brod  unter   dem  Anne  tragen,    damit    ihr  die  bösen  Geister  nichts  an- 
iiaben.    Mcduiaiiski,  Abergl.  Meinungen  71  bei  Hauusch,  Slav.  Myth.  284. 


186  Kapitel  UI.    Baumscele  als  Yegetationsdamon: 

älteren  Poesie  als  Zeichen  der  Abweisung,  die  sie  dem  Freier 
zu  Teil  werden  läßt,  oder  als  Ausdruck  der  Klage,  daß  sie  ein- 
sam ihr  Leben  vertrauern  müsse.  ^  Der  Strohmann  soll  mithin 
ebenso  entweder  eine  Abweisung  ausdrücken;  der  ihn  aufpflan- 
zende Bursche  will  sich  seiner  bisherigen  *  Geliebten  gegenüber 
fortan  als  Hagestolz  verhalten,  oder  der  Strohmatz  soll  ab 
Doppelgänger  desjenigen  gefaßt  werden,  und  sie  zu  demjenigen 
hinweisen,  der  sie  zur  Untreue  verleitete  und  dem  die  Eifersucht 
und  Entrüstung  des  Gekränkten  Unfruchtbarkeit  wünscht  ^  oder 
dessen  sittlichen  oder  persönlichen  Wert  derselbe  der  entkörnten 
Aehre  vergleicht.  Hierauf  deutet  die  bis  zu  jenem  Hause  aus- 
gestreute Spreu  (in  jüngerer  Form  Heckerling)  hin  (s.  o.  S.  167.) 
Soviel  ich  sehe,  hätte  ich  nur  noch  die  Frage  zu  berühren, 
was  die  mehrfach  bezeugte  Verbrennung  des  Baumes  im  Mai- 
oder  Johannisfeuer  bedeuten  soll.  Darüber  habe  ich  mir  die 
folgende  Meinung  gebildet  Da  die  Scheiben  oder  Räder,  welche 
bei  dieser  Gelegenheit  verbrannt  oder  geschwungen  werden 
(Myth.«  586  ff.  Kuhn,  Herabkunft  des  Feuers  S.  48  —  51)  un- 
verkennbar erweisen,  daß  eine  Nachbildung  des  Sonnenfeuers 
gemeint  war,  so  vermjig  ich  in  der  Verbrennung  des  Maibaumes 
nichts  anderes  zu  erblicken,  als  eine  symbolische  Darstellung 
des  Vorganges,  daß  die  Vegetation  durch  das  Sonnenlicht  und 
die  Sounenwärme  des  Sommers  zur  Entfaltung  und  zur  Reife 
gebracht  wird,  also  gleichsam  das  Sonneufeucr  passieren  muß 
und  zwar  stellen  die  Oster-  und  Maifeuer  dieses  Geschehen  pro- 
leptiseh,  das  Johannisfeuer  als  auf  der  Höhe  stehend  dar.  Inso- 
fern der  Sonnenschein  ftlr  das  Gedeihen  der  zu  unserm  Bestehen 
unentbehrlichen  Pflanzenwelt  notwendig  ist,  sucht  der  Mensch 
sich  denselben  und  seinen  Segen  im  Frühjahr  für  dieses  Jahr, 
um  Mittsommer  für  das  nächste  Jahr  durch  nachbildende  Dar- 
stellung zu  sichern.  Wir  kommen  darauf  noch  öfter  zurück. 
Doch  schon  jetzt  darf  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  daß 
der  hinreichend  dargelegte  Glaube  an  die  Sympathie  zwischen 
animalischem  und  vegetabilischem  Wachstum  es  erklärt,  weshalb 
auch  Tiere  und  Mensehen  durch  diese  Feuer  gehen  oder  getrie- 
ben werden,  um  Gesundheit  und  Wachstumsfülle  zu  erlangen. 
Meiner  Meinung  zu  Hilfe  kommt  der  Umstand,   daß  nicht  bloß 


1)  S.  Uhland  Schriften  lU,  417. 


Maibaum.  187 

der  Maibanm  o.  s.  w.  im  Mai-  oder  Johannisfeuer  verbraunt  wird, 
sondern  daß  aaeh  die  Menschen  mit  belaubten  Baomzweigen 
(Nudbaamästen ,  Tannenzweigen)  durch  das  Feuer  springen,  welche 
man  dann  über  der  Türe  des  Viehstalles  befestigt,  oder  in  die 
Aecker  steckt,  um  sie  fruchtbar  zu  machen,  und  daß  Hinein- 
werfong  von  Kräutern  zu  den  stehenden  Bestandteilen  der  Johan- 
nisfeuer gehört  (vgl.  Myth.^  588.  585).  Bezeichnend  ist  auch  die 
0.  S.  180  aus  Perigord  mitgeteilte  Sitte.  Denn  das  Goldstück, 
welches  man  vor  Aufrichtung  des  Maibaums  am  Sonnwendabend 
ach  durch  den  Mund  zieht,  bildet  die  runde  goldene  Sonnen- 
scheibe  ab,  wie  deutlich  aus  dem  Vergleiche  des  schwäbischen 
AbeigUubens  erhellt,  das  Sonneukraut  (Sonnenwende,  Sponsa 
Solls, ^  d.  h.  weißblühende  Wegewarte)  um  die  Mittagszeit  mit 
einem  Goldstück  abzuschneiden.^  Das  Aufpflanzen  des  Mai- 
banmes  am  1.  Mai,  zu  Pfingsten  oder  St.  Johannis  ging  allmäh- 
lich über  in  die  freiere  Sitte,  bei  Kirehweihen,  Schützenfesten 
Qud  andern  Festen ,  welche  übrigens  meistenteils  in  die  genannten 
Jahreszeiten  fallen,  als  Kletterstange  oder  Mittelpunkt  des  Fest- 
reigens den  Baum  zu  errichten.  Im  Frankfurter  Eidbuch  der 
Beamten,  wo  diese  Sitte  1445  als  ein  altes  Herkommen  erscheint, 
wird  der  Preis  ftlr  einen  Maibaum  verschieden  bestimmt,  je  nach- 
dem dieser  ein  aus  dem  Walde  zu  fahrender  oder  ein  tragbarer 
ist;  doch  wird  hinzugefügt,  wenn  der  Maie  zum  Heil  tum  (für  eine 
Prozession)  oder  zu  einer  Kirchweihe  dienen  solle,  so  sei  durch 
die  Forstmeister  ein  geringerer  Preis  zu  fordern.  Bei  Schützen- 
festen und  Tanzfesten  pflegte  man  im  Freien  ncl)cn  dem  Mai- 
baam  eine  Hütte  mit  Laub  auszuschuiUeken ,  welche  unzweifelhaft 
ursprünglich  nichts  «'anderes  als  das  Zelt  des  Pfingstkönigs  oder 
Schützenkönigs  bedeutet  hatte.  ^  Für  Tauzhütten  wurde  (in  Frank- 
fart)  das  Autpflanzeu  eines  solchen  Baumes  untersagt,  undstatt 
dessen  empfohlen,  auf  den  Tanzplatz  ein  für  alle- 
mal eine  Linde   zu  setzen.**    Dies  stimmt  dazu,  daß  in  Mit- 

1)  K.  V.  Mejrcnber^,  Bucli  der  Natur  V,  28.  S.  3J)4.    Pfeiffer. 

2)  E.  Meier .  Schwab.  Safren  S.  23S,  2G4 

3)  Eine  solche  Hnttc  oder  Laube  (arbour)  stand  auch  neben  dem  eng- 
lischen May  pole ;  darin  saß  die  Queen  of  May.  Lady  of  the  May.  Im  buh- 
nmchen  Fruhlingsbrauch  dient  sie  dazu  während  des  Gerichts  den  Maikönig 
^€r  Pfingstkönig  aufzunehmen. 

4)  Kriegk  a.  a.  0.  452. 


188  Kapitel  HL    Baomseele  als  Vegetatioiisdämon: 

teliranken  bei  der  KJrchweih  auf  dem  freien  Platze  des  Dorfes 
entweder  um  die  im  Boden  wurzelnde  Linde,  oder, 
^  falls  diese  fehlt,  um  einen  am  Samstag  vorher  aus  dem 
Walde  geholten  Maibaum  der  feierliche  Blontanz  aufge- 
flihrt,  d.  h.  ein  schwarzer  mit  Blumen  und  Bändern  geschmtlck:- 
ter  Filzhut  nebst  Halstttchem  und  bebänderten  Pretzeln,  die 
am  Baum  hangen,  ausgetanzt  wird.^  Die  Linden  vor  oder 
neben  dem  Dorfeingang,  oder  in  Mitten  des  Doriplatzes,  um 
welche,  sobald  die  Vögel  singen  und  der  Baum  laubt,  das 
Mädchen  „den  Sommer  kiest  (erspäht,  gewahr  wird),  den  Maien 
empfängt,''  indem  sie  an  der  Hand  des  Knaben  zur  Handtrom- 
mel in  jenen  ländlichen  Tänzen  jubelnd  springt,  welche  Nithard 
(t  um  1237)  und  einige  andere  mit  dem  Volke  verkehrende  Min- 
nesänger wol  nach  altem  volkstümlichen  Vorbildern*  so  vielfach 
schildern ,  diese  Dorf  linden  erscheinen  danach  wie  stehend  gewor- 
dene Maibaume.  Unter  ihnen  findet  im  Bergischen,  in  der  Eifel, 
um  Gotha  u.  s.  w.  die  (später  zu  besprechende)  Mädchenver- 
steigerung (Mailehen)  statt  und  auch  die  Beziehung  auf  die  weib- 
liche Reinheit  fehlt  nicht.  Ergiebt  es  sich,  daß  ein  Mädchen  bei 
der  letzten  Kirchweihe  den  Vortanz  um  die  Dorflinde  mithielt, 
ohne  dessen  noch  würdig  zu  sein,  so  wird  die  Linde  „gescheuert" 
d.  h.  der  Rasen  oder  das  Pflaster  um  dieselbe  aufgegraben  und 
neu  gemacht.^  Ebenso  wird  der  Maibaum,  um  welchen  der  Blon- 
tanz geschieht,  in  einem  solchen  Falle  heimlich  umgesägt.  Denn 
mit  Verlust  der  jungfräulichen  Ehre   auch  nur  einer  Teilhaberin 


1)  Panzer,  Beitr.  z.  D.  Uyih.  II,  242 ff.  cf.  oben  S.  170  das  Zeugniß 
des  Caesarius  vom  J.  1225. 

2)  8.  IJhland  Schriften  III.  S.  391.  Vgl.  S.  502  Anin.  152.  Noch  Goethe: 
Und  wenn  icli  bei  der  Linde  das  junge  Völkchen  finde,  sogleich  erreg'  ich 
sie.  Und  im  Faust:  Der  Schäfer  putzte  sich  zum  Tanz ,  schon  um  die  Linde 
war  es  voll,  und  Alles  tanzte  schon  wie  toll!  Juche!  Juche!  Eine  Abbil- 
dung s.  bei  P.  Lacroix,  Moeurs,  usagos  et  coutimies  au  moyen  age.  Paris 
1871,  S.  259  nach  einer  Miniaturo  des  15.  Jahrh.  Auf  einem  freien  Platze 
tan/,en  Frauen  und  Männer,  darunter  ein  Mönch,  in  bunter  Reihe  mit  Krän- 
zen und  Zweigen  geschmückt  um  einen  belaubten,  in  der  Mitte 
stehenden  Baum  den  Ringelreigcn ;  auf  einem  Hügel  spielt  jemand  den 
Dudelsack ;  auf  hochliegenden  Wiesen  ringsumher  weiden  Hirten  ihre  Schafe. 
Im  Hintergrunde  sieht  man  die  Tünne  einer  Stadt. 

8)  Schmitz,  Sitten  und  Bräuche  des  Eifler  Volkes  S.  32.  Monta- 
nus  S.  30. 


Maibanm.  189 

ist  der  LebenBbaam  des  ganzen  Dorfes  selbst  veranehrt  und  der 
ihn  darstellende  Maibanm  darf  nicht  bis  zum  nächsten    Kirch- 
weihabend  stehen  bleiben  ^  wie  sein  ehrlicher  Vorgänger,  der  erst 
nach  vollendeter  Jahresdienstzeit  ausgegraben  und  zu  den  Vätern 
veraammelt  wurde.  ^    Ob  aber  die  Dortlinden  in  der  Tat  nur  ein 
in  verhältniftmäBig  jttngerer  Zeit  entstandener  bleibender  Ersatz 
fftr    die   jährlich    wechselnden  Maibäume  waren,    oder   ob  sie 
orsprUnglich  mit  den  neben  Burgen  und  Dörfern  gepflanzten  Mai- 
bäumen (Lmden,  Eichen,  seltener  Nußbäumen,  Tannen,  Birken, 
BimULomen,  Holunder)  unter  denen  Volksversammlung  oder  Ge- 
rieht  gehalten   wurde,'  zusammen  fielen,    und   diese   mit   den 
VärdtriLd  Skandinaviens  eine  engere  Sippe  bilden,  diese  und  ähn- 
liche  Fragen,    mttssen    monographischer  Forschung    überlassen 
bleiben.* 

Wiewol  ich  mir  die  beherzigenswerte  Mahnung  Dovcs  ver- 
gegenwärtige,  daft  „die  Wissenschaft  wenig  Gewinn  davon  habe, 
wenn  die  bekannten  Tatsachen  nach  geringerer  oder  größe- 
rer Analogie  sofort  jeder  neuen  Entdeckung  angepaßt  werden, 
welche  in  ihrem  noch  unentwickelten  Auftreten  alles  was  bisher 
dunkel  gewesen  aufzuhellen  verspricht ,''  kann  ich  die  Vermutung 
meht  abweisen,  daß  auch  die  Irmensäuleu  mit  dem  Maibanm  ver- 
wandt, daß  sie  die  Idee  eines  Lebensbaumes  der  Volksgesammt- 
heit  auszudrücken  bestimmt  sein  mochten.  Die  breitere  Erör- 
tenmg  dieses  Gegenstandes  bleibt  jedoch  einem  dem  Schlüsse 
dieses  Kapitels  hinzugefügten  Auslauf  vorbehalten,  da  die  Ver- 
folgung der   einmal  betretenen  graden  Straße  uns  noch  weiter 


1)  Bavaria,  Mittclfranken  S.  972. 

2)  Grimm  R.  A.  795  ff.  Kcysler,  Antiqu.  select.  septentr.  1720  p.  584. 
Vgl  besonders  die  im  13.  Jahrh.  (A.  1220.  124b)  bezcu^^n  ostfriesischon 
Dingeichen,  üppstallsbäame ,  Stalcke  (arbores  crectao?)  bei  Anrieh  nnd 
Bramstede.    Keysler  a.  a.  0.  p.  77  —  78. 

3)  Anch  anf  Analo-ien  des  Maibanms  bei  fremden  und  z.  T.  entlegenen 
Völkern  kann  hier  nicht  eingegangen  werden.  Doch  diene  als  Beispiel,  daß 
<lie  jungen  Männer  nnd  Mädchen  des  hundohrigcn  oder  Drachenclans  im 
^den  Volke  der  Miaotsze  auf  dem  Hochplateau  zwischen  den  chinesischen 
Provinzen  Jünnan  nnd  Kwei-Tcheu  im  Frühling  einen  Teufelsstab,  zu 
deutsch  Maibaum  errichten  und  zum  Tone  der  C'astagnetten  herumtanzen. 
Welche  die  Männer  schlagen ,  während  die  mit  hellfarbigen  Bändern  geschmück- 
ten M&(1chen  mit  Fußen  und  Stimme  den  Tart  dazu  geben.  Ausland  1872, 
^>-5.  S.  116. 


1^ 


Kapitel  in.    Baumseele  als  Vcgetationsdamon: 


M»:>»tttti  ^Ibst  begleiten  heißt,   der  außer  den  Frühlings - 
d  Ji:R^Hiimergebräuchen  auch  zur  Erntezeit  eine  bedeutsame 

^  o.  Krntemal.  Auf  dem  letzten  Erntefuder  wird  nämlich 
jua  Miitol-  und  Niederrhein  und  in  Frankreich  ein  grtüier  Baum- 
•wvi^.  tnler  ein  ganzer  großer  Baum,  meist  mit  Aehren  und  bon- 
len  Bäudem ,  zuweilen  auch  mit  andern  guten  Sachen  geschmückt^ 
iM'iiu^^ttlhrt  und  auf  dem  Dach  oder  am  Schornstein  des 
llorrtMihauses  oder  der  Kornscheuer  auf  ein  Jahr  befestigt 

Nur  ganz  vereinzelt  sind  mir  Spuren  dieser  Sitte  im  Osten 
iH'^^'gnet  und  zwar  mehrfach  in  colonisierten  Gegenden,  deren 
douftscbe  ItevOlkerung  nachweislich  oder  wahrscheinlich  im  12. 
inler  13.  Jahrhundert  vom  Kiederrhein  her  eingewandert  ist 
Bekanntlich  ist  die  Hauptmasse  der  Siebenbirger  Sachsen  zwi- 
Hohen  Broos  und  Keps  um  die  Mitte  des  12.  Jahrb.  von  König 
licysa  11.  berufen  worden;  die  ältesten  Urkunden  (z.B.  diejenige 
des  Legsiten  Gregorius  de  S.  Apostolo  im  J.  1189)  nennen  sie 
-Flaudreuses.^  In  der  Gegend  von  Schäßburg  bringen  die  Schnit- 
ter nach  Beendigung  der  Ernte  einen  künstlichen  aus  Aehren 
geflochtenen  Kornbaum  nach  Hause  (Bodendorf)  oder  über- 
reichen solchen  dem  Pfarrer  (Cossten).  Auch  die  Festmahlzeit 
am  Schlüsse  der  Emtearbeiten  heißt  danach  ebenfalls  Korn- 
baum. Nach  Beendigung  des  Emtemahls  wünscht  der  Altknecht 
dem  Warrer:  „Herr  gäf  af  det  Jor  en  gesangden  Kührenbuhm, 
demo  kun  mir  weder."  Herr  gieb  auf  das  Jahr  einen  gesun- 
den Kornbaum,  dann  kommen  wir  wieder  (Deutsch  Pien). 

Die  Insel  Fehmern  soll  zwar  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts hauptsächlich  aus  Ditmarschcu  ihre  jetzigen  Eüiwohncr 
empfangen  haben,  indessen  ist  das  nur  eine  niclit  beglaubigte 
CoHJcctur^  und  es  muß  vielmehr  lür  wahrscheinlich  gehalten  wer- 
den, daß  dieses  noch  im  12.  Jahrb.  reui  slavische  Land,  ehe  es 
an  Dänemark  kam,  von  dem  durch  die  Holstcn  eroberten  Wagrien 
aus   mit  jenen  sogenannten   „niederländischen  Kolonisten"   bald 


1)  S.  £dor,  de  initiis  Saxonum  Transsilvanoram.  Yiennae  1792  p.  IGÜ. 
Archiv  dos  Vereins  f.  Siebenbirg.  Laudesk.  1,  2,  113  ff.  Wattenbach  im 
Archiv  d.  Vereins  f.  Siebenb.  Landesk.  N.  F.  I,  1.  j).  80.  I.  K.  Schuller,  zar 
Frage  über  die  Herkunft  der  Sachsen  in  Sicbenbirgcn.  Hermannstadt  1856 
S.  5.  7.  9. 

2)  G.  Waitz ,  Schleswigholst.  Geschichte  1 ,  345. 


Emtemai.  191 

aas  Westfalen ,  bald  ans  Holland  oder  Friesland  besiedelt  wurde, 
welche  im  12.  13.  Jahrb.  sich  in  den  entvölkerten  Slavenländem 
eine  neue  Heimat  schnfen.^     Im  Wester-  nnd  Norderkirchspiel 
der  Insel  wird  das  letzte  Emtefuder  mit  Baumzweigen  geschmttckt 
und  Maienföder  genannt;  die  Arbeiter  fahren  darauf  nach  dem 
Hofe   nnd  jauchzen;  wonach   die  Fuhre   auch   wol   Juchfoder 
getauft  wird.      Von  jener   Sitte    heißt  das   Emtebier   ebenfalls 
Schöttelmay.*    Bei  Zempelburg  Kr.  Flatow  Rgbz.  Marienwerder 
wird  der  ans  der  letzten  Garbe  verfertigten  Puppe  in  Menschen- 
gestalt, dem  Alten,  ein  Baumzweig,  oder  ein  Baum  der  Art 
in  den  Kopf  gesteckt,   daß  er  daraus  gewachsen  zu  sein  den 
Anschein  hat.    Und  ebenso  pflanzt  man  in  die  Mitte  des  letzten 
Oebnndes,  des  Alten,  zu  Wolfshals  bei  Brombei^  einen  grttnen 
Zweig.    Beide  Orte  sind  deutsche  Kolonien  auf  slavischem  Boden ; 
ich  habe  jedoch  trotz  Schmitt  und  Behaim-Schwartzbach  nichts 
Näheres  über  die  frühere  Heimat  ihrer  jetzigen  Bewohner  fest- 
stellen können.     Auch   in  Schlesien   wird   zuweilen  in  die  mit 
Kunen  geschmückte  letzte  Garbe,  die  „ Muttergarbe ,^'  ein  grü- 
nes Reis   gesteckt  nnd   auf  dem   letzten  Fuder   heimgefahren 
(Rappersdorf  Kr.  Strehlen  Rgbz.  Breslau). 

In  Mitteldeutschland  begegnet  mehriach  die  Sitte  beim  allge- 
meinen Erntefest,  einen  Wettlauf  nach  einem  mit  bunten  Tüchern 
behangenen  Birkenbusch  oder  Fichtenbaum  anzustellen,  den  der 
•Gutsherr  oder  die  Gemeinde  aufs  Feld  gesteckt  hat  (z.  B.  Ober- 
granschwitz  A.  H.  Grimma  Krd.  Leipzig;  Ilsenburg  Grafsch.  Wer- 
nigerode). Um  BHirstenwalde  wird  nach  der  Ernte  eine  Fachte 
aas  der  Haide  geholt,  glatt  geschält,  mitten  im  Dorfe  aufgerich- 
tet und  mit  Tüchern  und  andern  Preisen  behangen,  nach  denen 
geklettert  wird.*  Erst  in  Franken  finde  ich  den  Maibaum  auf 
dem  Erntewagen  selbst  wieder.  Zu  Ochsenfurt  setzt  man  auf  die 
letzte  Fuhre  das  mit  bunten  Tüchern  geschmückte  TannenlÄum- 


1)  Waitz  a.  a.  0.  I,  56.  Um  Scgcberg  ließen  sich  nach  1142  Westfalen, 
tun  Eutin  und  spater  um  Oldenburg  Holländer,  um  Stißel  Priesen  nieder 
(Hehnold  I,  c.  57).  In  Kiel,  das  nicht  lange  vor  1242  entstand,  bezeugt  der 
Str&fiennamo  platea  Flamingorum  die  Fortdauer  der  £in Wanderung  vom  Nie* 
derknd  nach  Holstein  im  13.  Jahrh.  S.  Schleswig  Holst.  Lauenb.  Jahrb.  IX, 
1866  S.  12  ff. 

2)  MüTidl.    Vgl.  Rchlesw.  Holst.  Lauenb.  Jahrb.  IV.  1861.    183,  94. 

3)  Kuhn.  Nordd.  Sag.  398,  106. 


192  Kapitel  III.    Banmseele  als  Yegetationsdämon: 

chen  (Unterfranken).  Bei  Dinkelsbtthl  (Mittelfranken)  ist  es  dage- 
gen die  erste  Fuhre ,  auf  welche  die  bebänderte  und  bekränste 
Fichte  zu  stehen  kommt,  die  an  der  »Scheune  mit  Jauchzen  em- 
pfangen und  feierlich  vom  Wagen  herabgeworfen  wird;  im  Fallen 
sucht  ein  jeder  Schnitter  ein  Band  oder  einen  Kranz  als  segen- 
bringend  zu  erhaschen.  Gleicherweise  wird  auch  zu  Hofdorf  in 
Niederbaiem  die  letzte  Fuhre  Dünger,  die  zu  Acker  fährt,  der 
letzte  Wagen  Getreide,  der  vom  Felde  kommt,  mit  einem  drd- 
fachen  Busche  von  Stauden,  Fichten-  oder  Tannenbänmchen 
geschmückt 

Auf  alemannischem  und  rheinfränkischem  Gebiete  dagegen 
wird  der  Brauch  häufiger.  Im  Bezirk  Tobel  (Kanton  Thurgaa) 
zierte  man  ehedem  das  letzte  Fuder  Getreide  mit  einer  12-15  F. 
hohen,  mit  Bändern,  Blumen  und  Nastüchem  behangenen  Palme, 
die  zu  Hause  in  die  Stube  gebracht  und  dort  zu  einem  Kienz- 
stock  hinausgesteckt  wurde.  Zu  Hofingen  im  Aargau  wird  die 
letzte  Heufuhre  mit  einem  durch  Kränze  und  bunte  Papier- 
streifen ausgezeichneten  Tannenbäumchen,  oder  einem  bloßen 
Baumast  geziert.  Oft  sitzt  ein  verkleideter  Knecht  zuvör- 
derst auf  dem  Fuder  und  schwingt  den  Tannenbaum. 

In  Würtemberg  ninmit  die  Sitte  gemeinhin  eine  andere  Ge- 
stalt au.  Auf  dem  letzten  Acker  der  Winterfrucht  bleibt 
jedesmal  eine  Hand  voll  Aehren  stehen,  die  man  vorher 
bezeichnet  und  umkreiset  hat.  In  diese  Aehren  steckt  man« 
einen  geschmückten  „Maien,"  eine  kleine  Birke  oder  Pappel, 
befestigt  die  Halme  daran  imd  bekränzt  sie.^  Dieses  mit  dem 
Maibaum  zu  einem  Körper  verbundene  Gebund,  oder  den  Maien 
selbst  nennt  man  vielfach  Mockel,  Kuh.  Wir  werden  später 
sehen,  daß  ein  theriomorphischer  Vegetationsdämon  damit  gemeint 
ist,  Ist  der  Maie  „gesteckt,"  so  knien  die  Schnitter  nieder 
und  beten  flinf  Vaterunser  und  den  Glauben.  Das  nach  Beschluß 
der  ganzen  Ernte  folgende  Erntefest  heißt  „Niederfall."  Der  Mai 
bleibt  entweder  stehen  und  die  Vögel  fressen  die  Aehren  aus, 
oder  er  vnrd  zuletzt  herausgenommen  und  auf  dem  letzten  Wagen 
heimgetührt.  Im  0.  A.  Künzelsau  im  Jaxtkreis  hält  ein  Arbeiter 
auf   dem  letzten  Fuder  einen  großen  Tannenbaum,  der  mit 


1)  Remsthal,  Barchholz,  Zimmern,  Gegend  von  Gmünd,  Ulm,  Wester- 
stetten.    Vgl.  Meier,  D.  Sag.  a.  Schwaben  S.  439,  149. 


ErntemaL  198 

kleinen  Kränzen,  farbigen  Bändern  nnd  Taschentttchern 
geschmttckt  ist     Auch  Peitsche  nnd  Hut  des  Fuhrmanns  sind 
bekriü[izt    Im  0.  A.  Waiblingen  (Neckarkr.)  steht  eine  junge  mit 
Bändern  und  seidenen  Tttchern  geputzte  Birke  auf  den  Garben 
der  letzten  Fuhre.    Hier  sind  nicht  allein  der  Fuhrmann,  sondern 
selbst  die  Pferde   und  die  Peitsche  bebändert  und   blumenge- 
ichmflckt  Nach  E.  Meier  geschah  diese  Ausschmückung  des  letzten 
KomwageniB  mit  dem  durch  allerlei  Kleidungsstücke,  Tücher 
und  Bänder  gezierten  Baum  in  Bietigheim  und  andern  Orten  des 
Neckarkreises  bei  Einholung  des  Zehnten.^    Die  Zehnknechte  teil- 
ten diese  Sachen  unter  sich.'    Auch  in  Baden  wird  auf  dem  letzten 
Wagen  ein  Maibaum  eingebracht  (z.  B.  Aohem,  Kr.  Baden). 

In  Hessen  bleibt  der  Maibaum  nur  vereinzelt  Um  Grems- 
hdm  (ProY.  Starkenburg)  ziert  ein  Weidenzweig  mit  Blumen  den 
Fruchtwagen,'  um  Exter  und  Einteln  (Prov.  Kurhessen)  ein  grü- 
ner Sirauchy  an  den  mehrere  Aehret^  vmi  verschiedenen  Frucht- 
arten  gebunden  &ind. 

Das  Gebiet,  auf  welchem  unter  den  Emtesitten  das  Auf- 
stecken des  Maibaumes  der  Art  Yorherschend  wird,  daß  man  es 
&at  ausnahmslos  von  Dorf  zu  Dorf  verfolgen  kann,  beginnt  mit 
den  preußischen  Provinzen  Westfalen  ^  und  Bheinland.  Vereinzelt 
reicht  die  Sitte  von  hier  nördlich  des  Müusterlandes  in  die  firie- 
8iäche  Bevölkerung  des  Satcrlandes  hinein,  wo  man  vor  alten 
Zeiten  beim  Boggenmähen  ein  Stück  des  letzten  Endes  üi  runder 
Form  stehen  ließ,  einen  Maibaum  hiueinsetzte  und  rund  herum 
taozte,  trank,  sang  und  jubelte.^  Auf  niederländischem  Boden 
folgt  der  Brauch  dem  Laufe  des  Rheins  und  der  Maaß ;  ich  kann 
ihn  aus  Gelderland ,  z.  B.  Apeldoom  und  Velu we ,  und  der  Insel 
Walcheren,  aus  Limburg  und  Lüttich  belegen.^  Südlich  davon 
ist  er  wiederum  fast  ansnahmlos  von  Ort  zu  Ort  in  Lothringen 
mid  E^ß,  sodann  in  der  Mehrzahl  der  zu  Frankreich  gehörigen 


1)  Hohenstaufen,  EllwangoD.    Vgl.  Meier,  Deutsche  Sagen  a.  Schwaben. 
S.  440, 152. 

2)  Meier  a.a.O.  441, 154. 

3)  Mytli.»  CV,897. 

4)  Vgl.  auch  Kuhn,  Wcstf.  Sag.  II,  S.  179 ff. 

5)  Scharrel.    S.  Strackerjan,  Abergl.  a.  Oldenburg  II,  S.  78,  362. 
6)Mündl.    Vgl.  Heinsberg -Düringsfeld,  Calendr.  Beige  18G2  11,187. 

GreoBon,  Bulletin  de  la  societe  Liegeoise.   T.  VII.  Liege  18GG.  p.  21 ,  8. 

Uinnhardt.  13 


194  Kapitel  lU.     Baamseele  als  Vegetationsdflinoii; 

Länder  erhalten ,  d.  h.  franz.  Flandern ,  Picardie ,  Normandie,  Isle 
de  France,  Champagne,  Angonmais,  Limonsin,  Lyonnais,  Bonr- 
bonnais,  Bourgogne,  Franche  Comt^,  Orleannais,  Nivemais,  Beny, 
Maine,  Touraine,  Anjou. 

Im  Westen  und  Sttden  der  Bretagne ,  Poitou ,  Gnjenne ,  Lau- 
gned'oc,  Danphin^  und  Provence  ist  der  Gebrauch  merklich  sel- 
tener und  hört  zuletzt  teils  ganz  auf,  teils  geht  er  völlig  in  die 
Aufiateckung  eines  Holz-  oder  Aehrenkreuzes  auf  dem  letzten 
Wagen ,  oder  dem  letzten  Getreideschober  (la  croix  de  la  moisson) 
resp.  auf  dem  Dache  der  Scheune  über,  das  auch  vereinzelt  in 
nördlicheren  Provinzen  z.  B.  Isle  de  France,  Nivemais,  Orl^nnais 
u.  s.  w.  vorkommt,  aber  in  der  Gascogne,  Navarra,  B^am,  D^p, 
du  Tarn,  de  TArdfeche,  D^p.  du  Gard,  D^p.  Haute  Loire,  Pro- 
vence so  zu  sagen  allgemein  vorhersehend  wird  und  in  gleicher 
Geltung  in  Venetien,  Corsika,  Rumänien,  Ungalrn  sich  wieder- 
findet Dagegen  konnte  aus  Savoien  (Annecy)  die  Sitte  verzeich- 
net werden,  auf  dem  letzten  Fruchtwagen  ein  T.annenbänm- 
chen,  dessen  Zweige  mit  Bändern  aller  Farben  geschmückt 
sind,  heimzufahren,  dort  mit  Wein  zu  besprengen  und  auf 
dem  großen  Schober  vor  dem  Hause  auftupflanzen.  Fast  scheint 
es  so,  als  ob  die  Grenzen  des  Gebrauches  so  weit  reichen,  als 
sich  an  Ortsnamen  der  Einfluß  von  Franken  und  Burgunden  aaf 
romanischem  Boden  verfolgen  läßt. 

In  Westfalen  (Rgbz.  Arnsberg)  wird  dieser  grüne  Baum  oder 
Zweig  im  letzten  Korne  Härkelmai,  im  Münsterlande,  Rhein- 
land, Holland,  Belgien,  Picardie  und  französisch  Flandern  Mai, 
Meie,  im  Elsaß  Mai  oder  ßmmai  (Emtemai)  benannt,  in  Frank- 
reich ist  meistens,  da  derselbe  mit  Blumen  und  Aehren  geschmückt 
wird,  der  Ausdruck  bouquet,  bouquet  de  la  moisson  neben 
andern  noch  zu  erwähnenden  Sondernamen  (chien  de  la  moisson^ 
coq  d'Aoüt  u.  s.  w.)  dafür  im  Gebrauche. 

In  dem  umschriebenen  6el)iete  hebt  sich  als  eigenartig  der- 
jenige Landstrich  hervor,  welcher  den  Namen  Härkelmai 
(muudartl.  Hörkelmai,  Hacke hiiai,  Hakelmai,  Heckelmai,  Häkel- 
mai, Harkemal,  Hackemai)  kennt.  Er  umfaßt  die  Kreise  Altena, 
Dortmund,  Hagen,  Hamm,  Iserlohn,  Meschede,  Olpe  und  Soest 
des  Regierungsbezirks  Arnsberg  und  reicht  einerseits  in  das  Mün- 
sterland, andererseits  in  den  Kr.  Lennep  Rgbz.  Düsseldorf  hinein. 
Wenn  alles  Getreide  geschnitten   und   in   Garben  gebunden   auf 


Erntemai.  195 

die  Wagen   geladen   ist,    werden   mit   einer^  großen   Ziehharke 
(Treckharke)  die  zerstreut  liegenden  einzelnen  Halme  zusammen 
gerecht    Dieses  ,, Harkelse''  wird  mit  den  letzten  Garben  zusam- 
men auf  das  letzte  Emtefader  geladen ,  hievon  erhält  der  grüne 
Zweig  oder  Baam,  der  dieses  Fuder  ziert,  die  Benennung  Har- 
Mmai.    Dieser  Name  geht  sodann  auf  den  Act  des  Abmähens 
der  letzten  Frucht,  auf  diese  selbst  (,,den  Hackelmai  mähen'') 
und  anf  das  letzte  Emtefuder  oder  auf  das  letzte  abzumähende 
Fraehtstflck  liber.     Der  Emteschmaus   am   Ende   des   Schnitts, 
oder  an  einem  Sonntage   nach  Beendigung  aller.  Emtearbeiten, 
oder   nach   Beendigung    des   Dreschens  gegen   Fastnacht  heißt 
„den  Harkelmai  verteren,"  „den  Hörkelmai  fim  (feiern)"  oder 
aach  einfach  „Harkelmai,"  die  letzte  Garbe   „Harkelmaigarw," 
das  letzte  Fuder  „Harkelmaiwagen;"  (vgl.  S.  191  das  Fehma- 
rische  Schöttelmei)  und  die  übertragenen  Anwendungen  des  Wor- 
te» werden  so  vorwiegend,  daß  nun  wiederum  der  Busch  oder 
Baom   davon   meistenteils  „Harkelmaisbusk"  oder  „Harkelmai- 
bfim"  benannt  ist.    In  den  Kreisen  Hamm,  Dortmund,  Soest  und 
Iserlohn  gestaltet  sich  die  Harkelmaisitte  folgendermaßen:  Nach- 
dem der  Fruchtschnitt  auf  dem  letzten  Acker  des  zuletzt  geem- 
teten  Getreides  zu  Ende  ist,  oder,  obwol  seltener,  soeben  ehe 
man  an   das  Abmähen  des   Letzten  geht,  graben   die    Mäher 
unter    lautem   Jubel    und   Trinken    den    Harkelmaibom, 
einen  starken  grünen  Ast   oder  Baum  tief  in  das  Stop- 
pelfeld.   Es  ist  das  eine  junge  Buche  (Gegend  von  Herringen, 
L'nna  Kr.   Hamm),   Birke  (Herringen,   Kr.  Hamm;   Werl,   Para- 
diese Kr.  Soest),   zuweilen   auch  Weide  (Werl).    Der  Harkelnmi 
bat  bisweilen  eine  recht  ansehnliche  GrOße ,  im  allgemeinen  pflegt 
er  3—4  Zoll   dick  und   über  der  Erde    15  —  25   Fuß  hoch    zu 
sein.    Mehrere  (4  —  5)  Fuß  tief  wird  er  in  den  Boden  getrieben 
nnd  darin  fest  gekeilt  und   eingepfählt.     Wie  der  Maibaum  im 
Frtihlinge  wird   er  gerne  seiner  untern   Zweige  beraul)t, 
80  daß   die   oberen  eine   schöne   Krone    bilden    (Hilbeck, 
Haren,  Untrup,  Scbmelhausen  Kr.  Hamm;  Paradiese  Kr.  Soest). 
Dieser  WipfeT  wird   mit   einem  Aebrenkranze   aus   dem 
letzten  Getreide  (Herringen,  Hilbeck,  Haren  Kr.  Hamm)  oder 
mit  einzelnen   Aehrcnbtischeln  geziert  (Friedriehshöhe  bei 
Unna);  es  werden   an   mehreren  Stellen  in  der  Mitte  des  Stam- 
Bies  und   oben   hie   und   da   an  den  Zweigen  der  Länge  nach 

13* 


196  Kapitel  in.    Banmseele  als  Vegetationsdämon: 

Halmbttndel;  zusammen  etwa  eine  Masse  wie  von  3  —  4  Garb^ 
befestigt  (Heil  bei  Herringen ^  Unna,  Kr.  Hamm;  Menden  Kr. 
Iserlohn)  oder  der  Hackelmaibnseh  wird  an  der  Spitze  gradeza 
mit  der  geschnittenen  Frucht  durch  flochten  (Drüchelte).  In 
der  Gegend  von  Soest  bindet  jeder  anwesende  Schnitter  and  jede 
Schnitterin  einen  Aehrenkranz  oder  eine  Handvoll  Halme  an  den 
im  Felde  steckenden  Harkelmaibaum  oder  an  eine  denselben  ver- 
tretende Stange ,  so  daß  an  der  Anzahl  dieser  Strohbänder  jeder- 
mann die  Anzahl  der  Mäher  erkennen  kann  (Borgein ,  Soests 
Cörbeke  Kr.  Soest).  Im  Kreise  Dortmund  (z.  B.  Wickede, 
Brackely  Kerßebühren)  und  z.  Tl.  Kr.  Soest  (Paradiese)  wird 
unten  um  den  Fuß  des  oben  und  in  der  Mitte  mit  Aehren- 
büscheln  geschmückten  Harkelmaibaums  eine  volle  Garbe 
d.h.  wol  die  letzte,  Harkelmeigarw^  gebunden,  wodurch 
dieser  dem  schwäbischen  in  die  letzten  unabgeschnittenen  Halme 
gestellten  Maien  sehr  ähnlich  wird.  Die  Garbe  rückt  nach  oben, 
wenn  sie  bei  Unna  Kr.  Hamm  und  zu  Messerscheidt  bei  Hemer 
an  dem  Baum  aufgehängt  wird.  In  diesem  Falle  stellt 
die  Garbe  zuweilen  ein  persönliches  Wesen  vor  und  erhält  den 
Namen  „de  Olle''  (der  Alte).  Allen  diesen  sehr  verschiedenen 
Weisen  der  Zurüstung  des  Baumes  ist  doch  unverkennbar  das 
Bestreben  gemeinsam,  in  ihm  die  Vegetationskraft  des  Feldes  zu 
personifizieren;  die  vollen  Aehren  -«ollen  als  seine  Frucht,  oder 
er  aus  der  Garbe  heräussprießend  d.  i.  als  deren  divai^tig  «r^i^ 
Ttxt]  dargestellt  werden.  Der  Harkelmai1)aum  bleibt  auf  dem 
Felde  stehen,  bis  alle  Garben  gebunden  sind,  resp.  bis  es  ans 
Aufladen  des  letzten  Fuders  geht.  Dann  müssen  die  Mädd^en 
ihn  umwerfen  oder  herausziehen,  dürfen  dabei  aber  nur  ihre 
Hände,  niemals  Spaten  oder  andere  Gerätsehaften  zum  Aus- 
graben gebraueben.  Können  sie  das  nicht,  so  müssen  sie  die 
Knechte  tractieren  (Herringen,  Heil,  Fröndenberg,  Haren,  Hil- 
beck,  Friedrichshöhe,  Unna  u.  s.  w.  Kr.  Hamm;  Bertingloh  bei 
Menden  Kr.  Iserlohn;  Werl,  Schwefe  Kr.  Soest).  Er  prangt 
sodann  im  Vorderteile  oder  inmitten  des  letzten  Wagens  (Här- 
kelmciwagen) ,  der  ringsum  mit  grünem  Buschwerk  besteckt  ist 
(Soest,  Paradiese,  Schwefe,  Borgein  Kr.  Soest;  Friedrichshöhe 
bei  Unna,  Lünem  Kr.  Hamm  u.  s.  w.)  Die  Mägde  setzen 
sich  mit  dem  Erntekranz  zu  dem  Härkelmeiböm  auf  den 
Wagen,  iudeß  der  festlich  geschmückte  Baumeister  vorne  auf 


Erntemai.  197 

dem  ersten  Pferde  reitet  (Haren,  Uentmp,  Schmehausen  Kr. 
Hamm;  Paradiese  Kr.  Soest)  Entweder  schon  aaf  dem  Felde 
wird  betrank  am  den  Busch  oder  Banm  ausgegossen  (Brockhau- 
sen  bei  Deilinghoyen  Kr.  Iserlohn)  oder,  sowie  der  Herkelmei- 
wagen  aof  den  Hof  fährt,  werden  der  grüne  Baum  und  die 
ihn  einbringenden  Erntearbeiter  mit  ganzen  Eimern 
Wasser  begossen  (Büderich  bei  Werl  Kr.  Soest)  „de  hörkel- 
mai  draf  net  drOj  inkommen'^  (Brockhausen).  Selten  bleibt  der 
threngeschmttckte  Baum  auf  dem  Acker  stehen  und  darf,  wenn 
die  letzte  Garbe  (der  Alte)  abgeholt  ist,  von  jedem  Beliebigen 
geholt  werden,  der  ihn  haben  will  (Messerscheidt  bei  Hamm, 
BoTgeln  Kr.  Soest).  Ebenso  selten  wird  er  hmten  am  letzten 
Wagen  angebunden  und  muß  hinten  nachschleifen 
(Werl  Kr.  Soest),  oder  man  läßt  ihn,  mit  einem  Kranze 
geschmtlckt,  dem  Wagen  vorauftrageu  (Brockhausen). 
Dem  Fuder  gehen  5 — 6  Knechte  peitschenknallend  voran.  Naht 
sidi  der  Wagen  dem  Hofe,  so  muß  ihm  der  Bauer  ehrerbietig 
entgegenkonmien  und  den  Schnittern  einen  Trunk  entgegenbringen, 
widrigenfalls  sie  das  Recht  haben,  ihm  die  Kohlköpfe  im  Garten 
abzuschneiden.  Ist  das  Fuder  eingescheuert,  so  wird  der  Harkel- 
maiböm  an  der  Einfahrt  der  Schemve  oder  des  Hauses  festge- 
nagelt und  verblüht  da ,  bis  der  Emtefestschmaus  „der  Harkemai" 
oder  „Bauthahn"  vorüber  ist  Dieser  findet  statt,  sobald  im 
Octo])er  die  erste  fette  Kuh  geschlachtet  wurde  (Heil  bei  Her- 
ringen  Kr.  Hamm).  Der  Ausstattung  des  Baumes  entsprechend 
war  außer  dem  grünen  llarkelmaibusch  auch  wol  noch  ein  Ernte- 
kranz an  das  Scheunentor  genagelt  (DUingsen  Kr.  Iserlohn), 
anderswo  der  aus  Aebren,  Blumen^  und  wildem  Hopfen  verfer- 
tigte Erntekranz  allein  über  der  Haustür  befestigt  und  bis  zur 
Erate  des  nächsten  Jahres  hängen  gelassen  (Hilbeck,  Ostbühren 
Kr.  Hamm).  Manchmal  aber  vertritt  eine  mit  Blumen,  Halmen 
und  grünen  Zweigen  umflochtene  Harke  die  Stelle  entweder  des 
Baumes  oder  des  Kranzes.  Auf  dem  letzten  Fuder  (Herkelmai) 
sieht  man  die  in  Laubwerk  gehüllte,  mit  Aehren  und  Blumen 
geschmückte  oder  oben  mit  einem  grünen  Kranze  versehene 
Harke,  in  der  letzten  durch  Größe  und  besondere  Form  ausge- 
zeichneten Garbe,  dem  „Alten"  oder  „dicken  Jungen,"  oder 
daneben  stecken  (Apricke,  Hemer),  oder  sie  sehmückt  in  Gesell- 
schaft des  Erntekranzes ,  der  später  seineu  Platz  über  der  Niendör 


198  Kapitel  III.    Baumsoele  als  Vegetationsdämon: 

(Niedertttr)  erhält  ^  den  Harkelmeiwagen  (Messerscheid)  oder  end- 
Uch  sie  wird  von  einer  Magd  dem  Herkehneiwagen  yoranfgetra- 
gen.  Es  muß  nun  der  Oberknecht  versuchen  das  „Herkelse'' 
trocken  auf  die  Dgle  (Scheundiele)  zu  bringen  ^  die  Magd  die 
bunte  oder  ,, grüne  Harke''  gleichfalls  trocken  unter  die  Herd- 
kappe (Bausem)y  resp.  auf  den  Herd  selbst  zu  schaffen. 
Die  Haus-  oder  Küchenmagd  ^  auch  wol  die  Bäuerin  selbst ,  ver- 
sucht das  durch  Begießen  zu  hindern^  wird  aber,  wenn  ihr 
dies  nicht  gelingt,  selbst  tüchtig  eingeweicht  (Friedrichshöhe  bei 
Unna ,  Brockhausen  bei  Iserlohn ,  Bertingloh  bei  Menden).  Dringen 
dagegen  die  Emtemägde  gegen  die  Wirtin  mit  der  Harke  bis 
zur  He^rdkappe  vor  und  vermögen  sie  namentlich  ihr  den  grü- 
nen Kranz  überzuwerfen,  so  dürfen  sie  ihr  fmt  der  Harke  dctö 
Haar  kämmen  (Werl  bei  Soest).  «Die  Harke  wird  später  aus- 
wendig an  das  Haus  resp.  über  die  Haustür  gehängt 
(Friedrichshöhe,  Froendenberg  bei  Unna).  Das  Erntefest  (Hat- 
kelmeifest,  den  Hackelmei  verzehren)  folgt  dann  sogleich  zu 
Martini  oder  gegen  das  Frül\)ahr;  von  allem  Letzten  aber,  was 
auf  die  Neige  geht ,  hat  man  die  Bedensart  „  Jetzt  geht's  auf  den 
Hakehnei"  (Werl). 

Noch  ist  zu  bemerken,  daß  der  Harkelmei  in  sehr  vielen 
Fällen  mit  dem  Herbsthahn  oder  Erntehahn  vermischt  oder  ver- 
bunden ist.  Auf  dem  Harkelmeiwagen  wird  nämlich  nicht  sel- 
ten statt  des  Harkelmeibaums  ein  aus  Holz  oder  aus  buntem 
Papier  gefertigter  oder  ein  lebender  Hahn  mitgeitihrt,  der  mei- 
stens in  oder  auf  dem  Erntekranz  befestigt  ist  (Soest,  Bergeln, 
Schwefe  Kr.  Soest;  Schmallenberg  Kr.  Meschede)  oder  auf  dem 
grünen  Hackelmaibusch  seinen  Sitz  hat  (Velmede  Kr. 
Meschede);  ja  dieser  grüne  Zweig  selbst  heißt  Bauhahn  d/L 
Emtehahn  v.  Bau,  Baut  alts.  bewod  Ernte  (Sproekhövel  Kr.  Har 
gen;  Witten  Kr.  Bochum).  Ebenso  wird  das  Hackelmeifest  als 
Bauthahn  oder  Stoppelhahn  bezeichnet,  man  sagt  „es  wird  der 
Baudehahne  verzehrt"  (Herringen  Kr.  Hamm;  Brackel  Kr.  Dort- 
mund) und  vielerorts  fehlt  unter  den  Gerichten  der  Emtemahl- 
zeit  ein  Hahn  nicht  (Lünem,  Unna,  Kerßebühren  Kr.  Hamm; 
Schwefe  Kr.  Soest). 

Auch  ohne  den  Namen  Harkelmai  bleibt  die  Form  der  Sitte 
in  der  nähern  Umgebung  des  beschriebenen  Gebiets  zunächst 
sehr  ähnlich.     Im  Münsterlande  sind  es  bald  Birkenbüsche ,  die 


Erntemai.  ,  199 

man   auf  dem  Fader  heimfährt^  mid  über  der  Niendör  aufsteckt 

(z  R  Heiden   bei  Borken),  bald  setzt  man  auf  das  letzte  Emte- 

fnder  nach  Einheimsmig  aller  Arten  Feldfracht  einen  Nußbaam- 

straach,  der  voll  von  Nüssen  hängt,  oder  irgend  einen 

Baumzweig,  an  den  Nüsse  und  kleine  Bündel  von  jeder 

Getreidesorte  (Boggen,  Weizen,  Hafer,  Gerste,  Erbsen, 

Wicken)   gebunden   sind.     Zuweilen  heißt  dieser  Nußbaum- 

ast  Stoppelhahn  (Gegend  von  Darfeld  und  Nordwalde).    So 

nehmen  auch  im  Bgbz.  Trier  Kr.  Bemkastel  die  Schnitter  einen 

üMigen  Tannenbaum    mit  aufs   Feld,    binden   nach   beendigtem 

Komschnitt  Blumen,  Streifen  farbigen  Papiers  und  Aeh- 

ren  verschiedener  Fruchtarten  daran,  dann  tragen  sie  ihn 

anter  Gesang,  wobei  sie  oft  die  Hähne  nachahmen,  bis  ans 

Herrenhaus.     Die  Nüsse,  die  Symbole  der  Fruchtbarkeit  (s.  o. 

S.  184)  und  das  Anbinden  von  Halmen  aller  Fruchtarten  erhärten 

und  erweitern  unsere  vorherige  Behauptung  dahin ,  daß  der  Har- 

kdmaibaum  die  gesammte  Vegetation  der  angebauten  Feldflur  in 

mer  sinnbildlichen  Gestalt  zusammenfassen  sollte. 

Im  allgemeinen  nimmt  unsere  Sitte  im  Rheinlande  in  Bezug 
aof  mehrere  Stücke  jedoch  eine  etwas  andere  Gestalt  an.  Der 
„Mai,"  „Maistrauß,"  eine  Tanne  oder  ein  dichtbelaubter  arras- 
dicker  Ast  von  Eiche,  Buche,  Birke  oder  Weiije,  zuweilen  auch 
Esche  (Bedburdyk  Kr.  Grevenbroich)  wird  nicht  in  das  Ackerfeld 
eingegraben,  sondern  in  die  letzte  während  der  Weizenemte 
gebundene  und  durch  Größe  wie  Blumenschmuck  ausgezeichnete 
Garbe  gesteckt.  Man  sagt  daher  „den  Maien  binden"  statt  die 
letzte  Garbe  binden.  Sie  findet  auf  der  Spitze  eines  zum  Trock- 
nen aufgesetzten  Haufens  Platz,  um  den  Schnitter  und  Binderin- 
nen jauchzend  herumspringen  und  tanzen  (Nörvenick  Kr.  Düren ; 
Brtil  Kr.  Mühlheim  a.  Eh.).  Dieser  Haufen  wird  mit  besonderer 
Feierlichkeit  jedesmal  zuletzt  in  die  Scheune  gebracht  (Weiden 
Kr.  Köln;  Sechtum  Kr.  Bonn).  Dann  prangt  auf  dem  letzten 
Wagen  ein  ähnlicher,  oder  derselbe  Maistrauß  und  man  sagt: 
„der  mei  wiet  enngefahre."  Häufig  aber  wird  erst  beim  „Maien- 
einl'ahren"  der  Baum  herzugebracht  und  ausgeschmückt.  Clmrac- 
tmstiscfi  für  den  Act  des  Aufsteckens  ist  ein  lautes  Jauehsen 
oder  Jüchen  von  Seiten  der  Erntearbeiter  (vgl.  das  Juchfoder  auf 
Fehmam  S.  191).  Die  Ausrüstung  des  Maien  besteht  meisten- 
teils aus  bunten  Bändern,    Tüchern  und  noch  andern  Zutaten. 


200  Kapitel  m.    Banmseele  als  Vegetations^ämon: 

In  Klinkum  Kr.  Erkelenz  Sgbz.  Aachen,  wird  bei  der  Flachs- 
röste auf  den  letzten  Karren  resp.  in  das  Feld  ein  Mai  gesteckt^ 
der.  mit  farbigen  Bändern,  Ringen,  Nadeln  und" Meinem  Bath' 
werk  behangen  ist.  Auch  der  letzte  Wagen'  der  Winterfiracht 
ist  mit  einem  grünen  Zweige  besetzt ,  an  den  Bänder ,  Tücher 
Schtbrzen,  Fähnchen  von  buntem  Papier  u.  dgl.  (Pesch,  Hnne- 
rath,  Letzerath  u.  s.  w.  Kr.  Erkelenz;  Spenrath,Kr.  Grevenbroich; 
Rödingen  Kr.  Jülich;  Glahn,  Karst  Kr.  Neus;  Oberpleis  Kr.  Sieg; 
Kr.  Mettmann;  Kr.  Gladbach;  Kr.  Grevenbroich;  Berg  Kr.  Dü- 
ren; Maluten  Kr.  Köhi)  oder  Blumen,  Bänder,  Taschen- 
tücher, Tabacksrollen  und  Paquete  (Berkum  Kr.  Bonn), 
zuweilen  auch  Eßwaaren  vom  Conditor  (Erkelenz  Kr.  Erke- 
lenz), mitunter  sogar  Bierkrüge  (Langenberg  Kr.  Mettmann)  befe- 
stigt sind.  Diese  schönen  Sachen  werden  als  Geschenke  den 
Emtearbeitem  zu  Teil,  wenn  sie  den  Hof  erreicht  haben.  Von 
ihnen  erhielt  der  grüne  Zweig  den  Namen  „der  bunte  Maie^ 
(Birgden  Kr.  Geilenkirchen).  Eine  unzweifelhaft  sehr  alte  Form 
der  Sitte  hat  sich  in  Kamp  bei  Meurs  erhalten.  Wird  der  letzte 
weiße  Halm  (so  bezeichnet  man  aUe  reifen  HalmMchte  mit  Ein- 
schluß des  Hafers)  eingebracht ,  so  richtet  man  ein  Bäumchen  in 
der  Weise  zUj  daß  es  einem  Menschen,  resp.  einer  Puppe  sehr 
ähnlich  sieht  y  schmückt  es  mit  Blumen  und  Bändern  und  ftthrt 
es  auf  dem  letzten  Erntewagen  heim  (vgl.  o.  S.  156  u.  o.  S.  158. 
Das  „Maienfuder"  ist  gewöhnlich  sehr  hoch  geladen  und  wird 
mindestens  von  vier  bis  secJis  Pferden ,  oft  von  acht ,  oder  viel- 
mehr  von  sämmtlichen  Pferdefi  gesogen,  welche  die  Wirtschaft 
aufzuweisen  hat  (allgemein  Kreis  Grevenbroich;  Kr.  Jülich;  Wei- 
den Kr.  Köln;  Buir  Kr.  Bergheim;  Sechtum  Kr.  Bonn),  selbst 
dann  wenn  ihrer  zwanzig  Rosse  sein  sollten  (Krähe  Kr.  Jülich). 
Der  Wagen  sowohl,  als  die  Pferde  sind  ebenfalls  mit  Laub  und 
bunten  Bändern  geziert.  Um  den  bunten  Maien  herum  sUzen  auf 
dem  Wagen  die  Mägde,  die  das  Getreide  gebunden  hüben;  eine 
Küchenmagd  (Büm^s)  reitet  das  vorderste  Pferd.  Hinter  dem 
Wagen  geht  der  erste  Schnitter  und  trägt  das  Faß,  in  welchem 
sich  das  sogenannte  Beubier  befand  (Kr.  Düren;  Kr.  Erkelenz; 
Kr.  Grevenbroich;  Sechtum  Kr.  Bonn;  Bergheim  Kr.  Bei^heim; 
Maluten  Kr.  Köln).  Oder  die  Mägde  übernehmen  gänzlich 
das  Fahren,  nachdem  sie  den  Knechten  tüchtig  in  Bier  und 
Brantwein    Bescheid  getan  haben.     Bei  der  Abfahrt  nach  dem 


Erntemai.  SOI 

Felde,  um  die  letzte  Karre  Frucht  zu  holen,  besteigt  ein  Teil 
Ton   ihnen   die   mit  Blumen  und  grünen  Reisern  geschmtlckten 
Pferde.    Sie  ziehen  zu  diesem  Behufe  zur  Hälfte  Mannskleidung 
(Hut  und  blaue  Kittel)  an.     Auf  der  Karre  selbst  befinden  sich 
die  Männer  trinkend  und  singend,  oder  das   übrige  Dienstper- 
sonal beider  (Jeschlechter ,  womöglich  mit  1  —  2  Musikanten.    Der 
Aiheiter,   welcher   das   Getreide  auf  den  Wagen   hinaufreichte, 
trägt  seine  Gabel  hoch  emporgerichtet  und  an  dieser  einen  Krug 
Brantwein    hangend.      Im    Kreise   Saarlouis    wird   bei  Been- 
digung der  Kartoffelernte ,    wenn  man    den   letzten  Sack   vom 
Felde    holt,    ein   Arbeiter    als   Weib  verkleidet,   er  faßt 
einen  mit  bunten  Papierschnitzeln  behangcnen  Tannen- 
baom  mit  der  Hand  und  setzt  sich  auf  eins  der  Pferde;   die 
übrigen  Arbeiter   nehmen   auf  dem  Wagen  Platz   und   krähen 
ang  vollem  Halse.     Auch  im  benachbarten  Kr.  Bemkastel  wird 
der  Baum   in  der   Hand  getragen   und  der   Hahnkrat  nachge- 
ahmt (o.  S.  199).     Spielen  hier  die  Frauen   eine  active  Rolle, 
Wenn  schon  eine  andere  als  in  Westfalen,  so  anderswo  eine  uns 
schon  aus  den  Frühlingsgebräuchen  bekannte  passive.    Fährt  in 
Wankura  Kr.  Geldern    der  Knecht   die  letzte  Karre  Flachs   zur 
Wiese,   auf   der  geröstet  wird,    so    schmückt    er   dieselbe 
mit  einem  grünen  Busch,   aaßerdem   aber   überreicht  er 
auch  jedem    Mädchen    resp.   jeder    Frau   einen   grünen 
Zweig. ^      Seltener  als  in  Westfalen  taucht  die  Erinnerung  an 
den  Emtehahn   auf.     Zwei  Beispiele    aus   dem  Südwesten   des 
ßhemlandes   (Kr.   Bemkastel  und  Saarlouis   Regbz.  Trier)   sind 
soeben  u.    S.  199    namhaft    gemacht,    im   Nordosten    wird   die 
letzte  mit  grünem  Eichenzweig  gezierte  vierfach  dicke   Roggen- 
garbe der   Herrschaft   mit   den  Worten:    „hier   ist  der   Hahn," 
„der  Bauhahn"  ins  Haus  gebracht  (Htinxc   a.  d.   untern   Lippe, 
Brttnen  Kr.  Rees,  Rgbz.  Düsseldorf).     Im  Trierschen  wird  der 
Mai  häufig  nicht  in  die  Konigarben  des  letzten  Fuders  gesteckt, 


1)  Vgl.  in  Hochfilzen  in  Tirol  schmückt  die  Oberdirn  beim  Flachs- 
brecheln  einen  Tannenwipfel  mit  Aepfeln  und  buntfarbigen  Bändern  und 
«teilt  ihn  nahe  der  Brechlstube  auf.  Ihr  Gclieliter  hat  nun  die  Pflicht  ihn 
jenen  zu  rauben ,  was  Dim  jedoch  sehr  erschwert  wird .  da  alle  Breclilerinnen 
«agegen  auf  der  Hut  stehen.  Gelingt  ihm  dennoch  sein  Wagestück  [bemäch- 
tigt er  sich  nach  S.  183  des  Lebensbaumes  seiner  Verehrten]  so  gilt  er  fortan 
als  zuverlässiger  Liebhaber.    Zingerle,  Sitten  Aufl.  2.  175,  1459. 


302  Kapitel  III.    Baumseele  als  VegetationsdämoD : 

sondern  diesem  voranfgetragen  (vgl.  o.  S.  192  Hofingen  im 
Aargau).  Uebrigens  wird  nicht  allein  das  Getreide,  sondern  aach 
beim  Grasschnitt  der  letzte  Heuwagen  mit  dem  grünen  bebän- 
derten Eichenaste  ausgezeichnet  (Brünen  Kr.  Rees).  Der  Ernte- 
wagen mit  dem  Mai  nimmt  absichtlich  den  Weg  durch  das  Dorf, 
wenn  es  sein  kann ,  durch  mehrere  Dörfer  (Pier  Kr.  Dflren ,  Neu- 
kirchen Kr.  Grevenbroich).  Vor  dem  Hoftor  macht  er  halt,  und 
sein  Führer  knallt  so  lange  mit  der  Peitsche,  oder  stellt  sich 
als  müsse  er  stecken  bleiben,  bis  der  Bauer  oder  die  Bänerin 
mit  dem  üblichen  Willkommstrunke  entgegenkommen.  Sodann 
wird  der  Mai  auf  dem  Hofe  aufgepflanzt  und  um  denselben 
getanzt,  gesprungen  und  gesungen  (Dormagen  Kr.  Neuß);  die 
Arbeiter  haschen  nach  den  daran  angehängten  Geschenken. 
(Erkelenz,  Berkum  Kr.  Bonn;  Glehn  Kr.  Neuß.)  Ebenso  laufen 
die  Mägde,  sobald  sie  beim  Flachsrösten  des  Mais  ansichtig  wer- 
den, jauchzend  auf  ihn  zu  und  berauben  ihn  seiner  schOnen 
sieben  Sachen  (Klinkum  Kr.  Erkelenz).  Endlich  wird  der  ent- 
leerte Baumzweig,  „der  bunte  Maie'',  an  der  First  des  Hauses 
(Berkum  Kr.  Bonn)  oder  an  der  Wand  über  dem  Scheunen- 
tor (Bedburdyk  Kr.  Grevenbroich;  Vluge  Kr.  Geldern;  Gohr  Kr. 
Neuß)  befestigt  uiid  wird  dort  bis  zur  nächstjährigen 
Ernte  aufbewahrt  (Birgden  Kr.  Geilenkirchen).  So  wird  auch 
in  Holland  der  grüne  Zweig  des  letzten  Emtefuders  (Mai)  gemein- 
hin an  das  Stallgcbäude  angenagelt. 

Rheinaufwärts  im  Elsaß  und  Lothringen  treffen  wir  die  Haupt- 
formen der  niederrheinischen  Gebräuche  wieder.  Auf  den  letzten 
Erntewagen  wird  allgemein  ein  grüner  ßaumzweig  gesteckt, 
ebenso  bei  der  Beendigung  des  Dreschens  (Zinsweiler)  sowie 
zum  Schluß  der  Weinlese  (in  manchen  Dörfern  z.  B.  um  Schlett- 
stadt  bei  dieser  Gelegenheit  ausschließlich)  und  beim  Einbringen 
des  letzten  Heus  (Zinsweiler).  Es  ist  gröstenteils  eine  Tanne 
oder  Föhre,  zuweilen  (Zabcrn)  eine  Birke.  Dieser  Busch  heißt 
der  ßrenmeic  (Erntemai),  wie  der  Sonntag,  an  welchem  das 
Erntefest  stattfindet,  firnsonntag,  das  Festmahl  firengans.  In 
der  Gegend  von  Metz  wird  bei  der  Heuernte,  Kornernte  und 
Weinlese  ein  „  Herbstmai  ^'  gemacht.  Der  firenmei  (Herbstmei), 
häufig  mit  Blumen  zu  einem  Strauß  verbunden  (Saargemünd, 
Finstingen),  ist  mit  bunten  Bändern  (Obersulz),  außerdem  mit 
Blumen,  Kuchen,  Würsten,  Schinken  (Gegend  v.  StraB- 


Erntenud.  SM 

borg,  Schlettotadty  Mtthlhaiigen)  resp.  mit  Trauben  (Metz)  behangen. 
Sehr  hSofig  wird  noch  das  Bild  eines  Hahnes  oder  andern  Vogels 
hinzugefügt   Bei  Zabem  schmttckt  den  letzten  Wagen  ein  Birken- 
zweig mit  roten  Bändern,  Blumen,  Wttrsten,  Aepfeln 
und  Birnen,   oben  auf*  ein  Adler  von  rotem  Papier;  der  Zweig 
wird  Bchliefilieh  auf  dem  Giebel  der  Scheune  aufgepflanzt. 
Um  Htthlhansen  ist  der  Emmaie  beim  Emteschluß  eine  Tanne 
mit  Wtirsten,  Eiern  und  Bretzehi  behangen,  auf  der  Spitze  sitzt 
em  Hahn  von  Gold-  und  Silberpapier;   bei  der  Weinlese  giebt 
es  auch  einen  Maien  mit  vielen  Trauben  und  bunten  Bändern 
geziert,   aber  ohne  Hahn.    Bei  Schlettstadt  dagegen   trikgt  der 
Mai  (Tanne)  bei  der  Weinlese  einen  goldpapiemen  Adler,   zu- 
weilen auch  eine  Flasche  Botwein.    Um  Metz  wird  ein  leben- 
der Hahn  an  den  EmtestrauB  .(Mai)  gebunden.     Um  Wesser- 
ÜDgen  wird  der  auf  dem  letzten  Wagen  heimgefahrene  Baum- 
xweig  nach  eine^  andern   Tiere  Hase  genannt,  später  an  die 
Scheune  genagelt  und  verbleibt  da  bis   nach  vollbrachter 
Emtemaldzeit     In    manchen  Dörfern    um   Mtthlhausen   ist    der 
„Erenmaie^'  (Tanne  oder  Föhre)  auf  dem  letzten  Fruchtfuder  von 
dem  StrauB  unterschieden.    Es  knien  nämlich  alle  Schnitter  auf 
dem  Felde   nieder   und  beten  5  Vaterunser  und  den  Glauben. 
Dann   schneidet   eine  Jungtrau   die   letzten  Halme,   die  sie  mit 
Unmen  zu  dem  Strauße  verbindet,   der   auf  das   Dach  der 
Scheune  gesteckt  und  dort  bis  zum  nächsten  Jahre 
belassen    wird.      Am    Herbstsonutag    d.  h.   dem    Winzerfest 
verkleidet    sich    ein    Mann    als   Weibsbild    und    heißt    Herbst- 
Bchmudl  und  ein   Weib   als  Mannsbild.     Der  verkleidete  Mann 
sitzt  auf  dem  Wagen,  der  die  letzten  Trauben  einbringt,  vorne 
und  hält  einen  großen  Maibauni  in   der  Hand;  das  Weib 
sitzt   mit    dem  Kücken   gegen   ihn    und   trägt   einen    Korb   mit 
Blumen. 

Betreten  wir  nunmehr  das  romanische  Gebiet,  so  treten  uns 
in  Belgien  und  Frankreich  manche  alte  Bekannte  entgegen. 
Während  jedoch  gewisse  Züge,  die  in  liheinland  oder  Westfalen 
D.8.  w.  breiter  ausgebildet  sind,  hier  nar  vereinzelt  vorkommen, 
sind  andere^  welche  dort  seltener  aufstoßen,  zu  größerer  Entfaltung 
gelangt.  An  die  rheiuländische  Sitte  rührt  z.  B.  der  nonnannischc 
Brauch  in  St.  Martin  de  Gaillard,  Seine  inferieurc.  Die  letzte 
Garbe  (la  gerbe  de  la  maitresse)  wird  von  dem  Gutsherrn  selber 


2Ö4  Kapitel  in.    Baumseele  als  Vegetationsdamon : 

gebonden,  gleich  der  ersten  Garbe  größer  als  alle  andere  gemBßht, 
mit  Blumen  und  Bändern  geschmtlckt  und  auf  den  letzten  Wagen 
gesetzt,  wo  sie  von  der  Bourgeoise  selbst  gehalten  wird.   In  der 
gerbe  de  la  mattresse,  steht  ein  Kreuz  von  grünen  Baumzweigen 
(croix  de  la  moisson)  und  außerdem  ist  auf  den  Wagen  ein  grtlner 
Baumzweig   gepflanzt  (brauche  de   la  moisson).     Der  Bauer 
spannt  vor   diesen  Wagen   alle  seine  Pferde  (6 — 1\ 
die  mit  Bändern  und  Blumen  geschmückt  sind  (vgl.  o.  S.  200). 
Wie  im  Bheinlande   und  Elsaß  ist  das  Bouquet  de  la  moisson 
zuweilen  mit  Eßwaaren  geschmückt     In  Latour  du  Pin  (Is6re 
Departement,  Dauphinö)  wird  auf  den  letzten  Wagen  ein  Lorbeer 
oder    womöglich   Stechpalmenzweig    (boux)    mit   Bändern    und 
Kuchen  behangen  heimgeführt;  er  bleibt  in  der  Scheuer  für  die 
Ratten.    In  der  Bretagne  (Gegend  von  Rennes)  formt  man  beim 
Emtebegmn  einige  Aehren  zu   einem   Strauß  in  Gestalt    eines 
Kreuzes;  dieser  Strauß  wird   über   der  Tür   der  Scheune 
befestigt  und  bleibt  da  das  ganze  Jahr;   beim  Emte- 
schluß  nimmt  man  einen  grünen  Aßt,   der  sidh  in  drei  Zweige 
spaltet,  behängt  ihn  mit  den  schönsten  Aepfdn,  die  man   hat, 
fügt  künstliche  Blumen  hinzu  und  bildet  so  ein  Bouquet,  das  man 
auf  dem  letzten  Fuder  einführt.    Ganz  ähnlich  geschieht  es  in 
der  Gegend  von  Montauban  (Guyenne).   Wenn  die  Ernte  eröfhet 
wird,   schneidet  der  Aelteste   die  ersten  Halme  und  macht  Yon 
Aehren,  Buchsbaum  und  künstlichen  Blumen  einen  Strauß,  dessen 
Stiel  von  Binsen  zusammengehalten  sich  in  drei  Zweige  veiitotelt 
Dieser  Strauß   wird   dem   Gutseigentümer  überbracht,   der  ihm 
unter  dem  Rauchfang  (sous  la  chemin^e)  seine  Stelle  giebt 
Ist  die  Ernte  beendigt,   so  wird  von  allen  Arbeitern   ein   neuer 
Strauß  überreicht,  so  groß,  daß  ein  Stock  als  Stiel  dient    Dieses 
Bouquet  bekommt  seinen  Platz  auf  demjenigen  Schober  (meole 
de  ble),  der  zuletzt  gedroschen  werden  soll.  —  Eine  eigentüm- 
liche Ausschmückung   findet   zuweilen   in   der   Bourgogne  statt 
In  der  Gegend   von  Auxerre  steht  auf  dem  letzten  Wagen  ein 
Eichenzweig,  den  man  mit  Mäusen  und  Maulwürfen,  soviel 
man  deren  bekommen  kann,  beschwert  und  über  der  Pforte  des 
Hoftors  anbringt.    Weit  gewöhnlicher,  als  in  Deutschland  (s.  o. 
S.  200  ff.) ,  begegnet  in  Frankreich  die  Ausrüstung  des  Zweiges  mit 
einer  oder  mehreren  Flaschen  Getränk.    Bei  St.  Quentin  (Picardie) 
ist   der   Mai   auf  dem   letzten  Wagen  ein   an  den  Aesten  mit 


Erntenud.  206 

A eh  reo   mid  Blnmen   geschmückter   und  teilweise  mit  YoUen 
Weinflaschen  beschwerter  Banmsweig.    Im  D^p.  da  Jura  (Franche 
Gomt^)  setrt  man  einen  Ast  vom  Kirschbaom  (cerisier),  geschmückt 
mit  Blmnen  nnd  bunten  Bändern  und  behängt  mit  4  Flaschen 
Wein  auf  das  letzte  Fuder.    Bei  Nancy  macht  man  fUr  die  letzte 
Fohre  einen  Strauß  von  Rosen,  steckt  einen  grünen  Zweig  hinein 
vnd  ftigt  im  Vorderteile  des  Wagens  soviel  Flaschen  Wein  hinzu, 
ab  Arbeiter  da  sind.    Das  Bouquet  wird  bei  der  Heimkunft  aufs 
Daeh  des  Hauses  gepflanzt    Im  Nivemais  knüpft  man  an  einen 
Bnunzweig  (meist  Kche)  farbige  Bänder,   Aehren,  Rosen  und 
andere  Blmnen  und  bindet  eine.  Flasche  Wein  daran.    Die  Tochter 
dea  Hanses  selbst  hebt  diesen  Strauß  (le  bouquet  de  la  poil^e) 
v(HD  Wagen  und  schenkt  ihn  als  Auszeichnung  wem  sie  will,  oder 
das  Bouquet  wird  über  der  Pforte  der  Scheune  aufgehängt    In 
anderen  Communen  derselben  Landschaft  pflanzt  man  in  die  vom 
Pktron  der  Farm  selbst  gefertigte  und  größer  als  4  andere  ge- 
machte letzte  (rarbe  (la  gerbe  k  la  galette)  ein  Kreuz  bestehend 
ans  zwei  armsdicken  noch  belaubten  Eichenästen.    Auf  der  Spitze 
Bod  an  jedem  Arme  des  Kreuzes  ist  eine  Flasche  Wein  befestigt 
Auch  das  vorderste  der  drei  Pferde  vor  dem  letzten  Wagen  trägt 
an  jeder  Seite  des  Kopfes  eine  Flasche  Wein  und  auf  dem  Kopfe 
auch  eine  nebst  einem  Baumzweige.    Höchst  beachtenswert  ist 
die  Sitte  in  La  Palisse  (D6p.  de  rAllier,  Bourbonnais).    An  die  im 
letzten  Getreidefuder   aufgepflanzte   Tanne   hängt  man   mehrere 
Bouieillen  Wein  und  an  die  Spitze  einen  Mann  atis  Brodteig. 
Baum  und  Brodmann  werden  auf  die  Mairie  gebrcuM  und  hier 
Ins  eur  Beendigung   der   Weinlese   bewahrt.     Dann  veranstdliet 
man  das  allgemeine  Fest  des  Emteschlusses ,    wobei  der  Maire 
den  Kerl  gerstückt  und  unter  das  Volk  zum  Essen  verteilt.    Sehr 
häufig  gehört,  wie  in  Westfalen,  die  AnUndwfig  mehrerer  Aehren 
zmn   Schmucke   des  Emtezweiges.    In   einigen   Gemeinden   des 
Bourbonnais  ist^es  ein  ganzer  Rosenstock  (rosier  d'aoüt),  der  mit 
den  Wurzeln  ausgegraben,  mit  Aehren  und  Blumen  ausgeschmückt 
und  dem  Herrn  überbracht  wird,  der  ihn  ein  Jahr  hindurch  auf- 
bewahrt   Im  Orlöannais  (Loiret)  wird  ein  Lorbeer  mit  Aehren, 
Blum^i  und  Bändern  ausgeputzt,   auf  der  letzten  Fuhre  einge- 
fahren und  an  der  Spitze  des  Scheunendaches  angebracht;  oder 
man  macht  die  letzte  Garbe  jeder  Fruchtart  sehr  dick  (la  gerbe 
grosse)  und  steckt  einen  grünen  Lorbeerzweig  hinein,   an  den 


206  Kapitel  III.    Baninseele  als  VegetatioDsd&mon : 

Frachthalme  und  künstliche  Blnmen  der  Art  angebunden  sind, 
daß  sie  mit  ihm  ein  Krenz  bilden.  Vom  letzten  Wagen  herab- 
genommen  kommt  dieser  Stranß  anf  die  Spitze  des  Grarben- 
hanfens  (gerbier)  zu  stehen ^  wo  er  bleibt,  bis  die  Einbringnng 
aller  Frachtarten  geschehen  ist  (Loire  et  Cher,  Romorantin).  Aach 
in  der  Boargogne  (D^p.  de  la  Yonne  and  D6p.  de  TAin)  ist  es  viel- 
fach ein  mit  farbigen  Bändern,  Blnmen  und  Komhalmen  gezierter 
Lorbeerast. 

Auch  in  Frankreich  läßt  sich  vielfach  eine  enge  Zusammen- 
gehörigkeit des  Emtezweiges  mit  dem  Erntehahn  beobachten. 
Um  Glermont  (Auvergne)  tödtet  man  eine  Henne  (oder  Ente)  und 
bindet  sie  an  den  Wipfel  des  Baumastes,  der  das  letzte  Fuder 
ziert.  In  der  Gegend  von  Lyon  bindet  man  einen  Hahn  (oder 
eine  Taube)  an  die  Tanne,  oder  den  Lorbeer  auf  dem  letzten 
Wagen;  zu  Hause  tödtet  man  das  Tier,  der  Baum  wird  vor  der 
Farm  oder  Scheuer  aufgesteckt  und  bleibt  da  das  ganze  Jahr. 
In  der  Commune  Orthez  unweit  Pau  erhält  die  letzte  Garbe  ein 
Kreuz  von  Stroh,  dessen  Spitze  eine  Blumenkrone  ziert.  Der 
Patron  selbst  hebt  sie  auf  den  letzten  Wagen  und  stellt  neben 
sie  einen  mit  Bändern  und  Blumen  behangenen  Eichenzweig. 
Beides  Garbe  und  Zweig  werden  auf  den  Kornboden  gesteckt 
.  und  verbleiben  da,  bis  sie  beim  Ausdrusch  des  letzten  Kornes 
auf  die  Dreschdiele  geholt  werden.  Hier  stellt  man  den  Eichenast 
in  der  Mitte  auf  und  bindet  eine  kalekutische  Henne  daran,  lebend, 
jedoch  so,  daß  ihr  Kopf  nach  unten  hängt.  Ist  alles  abgedroschen^ 
so  tödtet  man  sie  zur  Abendmahlzeit.  In  Isle  de  France  steht 
auf  dem  Fuder,  das  derjenige  Arbeiter  fahren  darf,  der  keinen 
temtewagen  umwarf,  der  geschmti(;kte  Emtezweig  (bouquet  de  la 
moisson)  und  neben  ihm  sitzt  eine  Person ,  die  einen  lebendigen 
Hahn  in  der  Hand  hält,  den  man  beim  Festmahl  verzehrt;  oder 
ein  eben  getödteter  Hahn  hängt  an  einem  Stocke  inmitten  des 
Fuders  (Laon).  Bei  Mezi^res  (Champagne)  trägt  das  letzte  fiiw«- 
fuder  das  Bouquet  aus  einem  Gartenbaum  mit  grünen  Zweigen 
und  Bändern  gebildet,  zu  jeder  Seite  ein  Hahn  und  eine 
Flasche  Wein.  Wer  vom  ganzen  Dorfe  in  der  Gegend  von 
Lttttich  zuerst  mit  der  Ernte  fertig  wird,  bringt  auf  der  Spitze 
des  letzten  Wagens  einen  bebänderten  jungen  Baum  im  Triumpf 
zur  Farm.  Das  nennt  man  „poirter  Tniaie"  (porter  le  mai)  oder 
„fer  Tcoq"  (faire  le  coq). 


Erntemai.  207 

Sehr  hftiifig  wird  das  Bonqnet  de  la  moisson  in 
die  letzte  Oarbe  hinringestecki  (vgl.  o.  S.  199).    Bei  Cher- 
booig  (Nonnandie)  heiBt  dieselbe  ia  gerbe  fleurie,  weil  die  darin 
angepflanzte  Tanne   mit   BSndem  und  Blnmen  geputzt  ist    In 
Cöte  du  Nord  (Bretagne)  wird  ein  Lorbeer  oder  grttner  Eichen-« 
zweig  in  der  letzten  Garbe  (la  ^rbe  de  la  fianc^e)  dem  Patron 
gebracht;   den   Eiehenzweig  verwahrt  man  im  Hanse  bis  znm 
Dreschen  (Die  et  Vilaine).    Im  D^p.  de  la  Yonne  (Bonrgogne)  stecikt 
NaBbaam  oder  Eiche  mit  Blnmen  in  der  grosse  gerbe,  bei  Macon 
(Saone  et  Loire)  Lorbeer  mit  3  —  4  Bändern ;  im  Franche  Comt^ 
in  der  letzten  Garbe  (la  gerbe  de  la  passion)  ein  geweihtes  Holz- 
kreuz  and  daneben  ein  mit  Blumen  l>ewundener  Lorbeerzweig; 
bei  Besan^on  Lorbeer,  Buche  (hStre)  oder  Tanne.    Im  Ganton  de 
TDlot  (D^p.  des  Vosges)  sitzt  der  Bauerwirt  sell)8t  auf  dem  letzten 
Wagen  neben   der  mit  dem  geschmückten  Baumzweige  ansge- 
rttoteten  Garbe;   den  Zweig  stellt  er  auf  die  Tafel  des 
Festmahls  und  besprengt  seine  Leute   und   Kinder 
unter  dieses  ausdrückender  Anrede  mit  Wein.     Im 
Angomnais   wird   die   letzte   Garbe   mit  Lorbeerzweig   auf  den 
Sehober  gestellt;  ebenso  im  Dep.  de  la  Dordogne  in  Guyenne,  wäh- 
rend die  mir  zugänglichen  Zeugen  aus  der  Gironde  einen  bloßen 
BlumenstrauB,  aus  Aveyron  gar  kein  Bouquet  bekundeten. 

Unter  den  Bäumen,  welche  fllr  das  Bouquet  de  la  moisson 
zur  Verwendung  kommen,  nimmt  den  ersten  Platz  der  Lorbeer 
ein,  sodann  Tanne  und  Eiche,  aber  auch  andere  Bäume  kann  ich 
belegen  und  zwar  Rosenbaum  (Champagne,  Bourbonnais),  Kirsche 
<Tranche  Comte),  Nußbaum  (Dep.  de  la  Yonne,  Bourgogne),  Ka- 
stanie (Touraine),  Weide  (Lyonnais),  Buche  (Franche  Comte), 
Pappel  (auf  dem  letzten  Heuwagen  in  Spinal;  auf  1.  Korufuder 
Montpellier  Langued'oc),  Erle  (a.  Heu  wagen  Epinal),  Dom  (a. 
Henwagen,  Epinal),  Buchsbaum  (Guyeune,  Limousin,  Basses 
Alpes,  Provence),  »Stechpalme  (D6p.  de  Tlsere),  Ahorn  (may  de 
la  moisson,  schmucklos  Gegend  v.  Cambray;  Brie  Isle  de  France). 
Wie  vielfach  in  Deutschland  der  Träger  der  letzten  Garbe,  wird 
aach  in  Frankreich  häufig  der  letzt«  Erntewagen  beim  Eintritt 
in  die  Scheune  mit  einem  Wasserguß  überschüttet  (z.  B.  Franche 
Comte).  Auch  englische  Landschatlen  haben  die  Anwendimg  des 
Maibaums  bei  der  Ernte  bewahrt.  Eine  Dame  schilderte  im 
Jahre  182G  in  einer  Zuschritt  an  W.  Hone  (Every  day  book  1866 


206  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetatioiud&moti. 

11;  578)  nach  ihrem  Tagebuch  was  sie  im  September  1824  auf 
einer  Reise  zu  Hawksbury  auf  dem  Cotswold  in  Gloucester  beob- 
achtete :  ;,  As  we  approached  the  isolated  hamlet,  we  were  awiure 
of  a  Maypole^  and  as  we  drew  near,  saw  that  it  was  deco- 
rated  with  flowers  and  ribands  flattering  in  the  evening  breeze. 
Under  it  stood  a  waggon  with  its  füll  complements  of  men,  wo- 
meu;  children,  flowers  and  com,  and  a  handsome  team  of  horses 
tranquilly  enjoying  their  share  of  the  finery  and  revelry  of  the 
scene;  for  scarlet  bows  and  sunflowers  had  been  lavished  on  their 
Winkers  with  no  niggard  band.  On  the  first  horse  sat  a 
dam  sei,  no  doubt  intending  to  represent  Ceres;  she  had  on  of 
course  a  white  dress  and  straw  bonnet;  for  could  Geres  or  any 
other  goddess  appear  in  a  rural  English  festival  in  any  other 
costume?  A  broad  yellow  sash  encompassed  a  waist,  that  evinced 
a  glorious  and  enormous  contempt  for  classical  proportion  and 
modern  foUy  in  its  elaborate  dimensions/^  Das  ist  wieder  ganz 
übereinstimmend  mit  der  rheinländischen  Sitte  (o.  S.  200).  Schließ- 
lich kann  ich  auch  noch  lettischen  Brauch  namhaft  machen.  Ist 
das  letzte  Heufuder  aufgeladen,  so  wird  eine  ,,Maie  mit  Blättern^ 
in  die  Wiese  (zumeist  an  der  Stelle,  wo  der  letzte  Heohaofen 
stand)  gesteckt,  damit  im  nächsten  Jahre  das  Gras  gut  wachse. 
Nach  Beendigung  des  Zeugenverhöres  halten  wir  über  die 
Ergebnisse  desselben  eine  kurze  Rückschau.  Es  kann  den  Tat- 
sachen gegenüber  niemandem  einfallen  zu  zweifeln,  daß  der  Mai- 
bäum  im  FrüMing  und,  der  Erntemai  im  Hochsommer  zusamtnetP- 
gehören,  eine  und  dieselbe  Idee  ausdrücken,  eme  und  dieselbe 
mythische  Gestalt  sind.  Das  beweist  schon  der  Name  „Mai^^  ftir 
den  letztem,  ebensosehr  aber  die  Uebereinstimmung  in  den  an 
beide  geknüpften  Gebräuchen.  Beide  werden  umtanzt;  Eßwaaren, 
Bänder,  Tücher  und  andere  Geschenke  werden  an  beide  gebun- 
den; auch  Weinflaschen,  Rosoliflaschen,  Bierkrüge  u.  dgl.  fehlen 
als  Schmuck  weder  dem  Maibaum  (Jura,  Lechrain  o.  S.  169), 
noch  dem  Erntemai  (Westfalen ,  Frankreich  S.  200.  203.  205).  Der 
Maibaum  war  mit  Guirlauden  spiralförmig  umwunden  (woher  in 
Deutschland  und  England  Bemalung  in  schlangenförmiger  Um- 
windung  rührte);  auf  seinen  Aesteu  hing  ein  Kranz;  nur  der 
Wipfel  blieb  belaubt,  die  untern  Aeste  waren  gekappt;  auch 
der  Hackelmai  ist  im  Kreise  Hamm  unterhalb  der  Krone  der 
Zweige  beraubt  (o.  S.  195)  und  hie  und  da  schmückt  auch  noch 


fiintemai.  S09 

der  Eranz  seine  Aeste  (S.  195.  197).    Die  Gaben  des  Maibanms 
(mit   diesem  Ansdnicke  wollen   wir  fortan   znr  Unterscheidung 
xuc*  iScxi^    den   Frtthlingsbanm ,    gleichviel   ob   er   zu   LAtare, 
Fastnacht,  Maitag  oder  Pfingsten  aufgerichtet  wird,  bezeichnen) 
werden  erklettert,   die  des  Emtemai  gemeinhin  ausgeteilt,  oder 
doroh  Wettlauf  gewonnen ;  das  ist  der  ganze,  teilweise  aus  prak- 
tischen fifickflichten  hervorgegangene  Unterschied.     Auch  dieser 
Unterschied  gleicht  sich  aus,  wenn  wir  zuweilen  auch  nach  dem 
Mtibusch  einen  Wettlauf  angestellt  (S.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  380,  57. 
et  53  —  61),    oder  den   Emtemai   erklettert    sehen.     Die    Aus- 
idimtlcknng  des   Emtemai's    durch   bunte   Bänder    und  an   die 
Zweige  geknüpfte  einzelne  Aehren  oder  Halmbttschel  (S.  193  ff. 
206)  findet   beim   Maibaum   ein   Seitenstück   im    arbor  majalis 
Don  paucis  taeniis  omata  annexis  tribm  frumenii  spicis  zu  Lucca 
(O.S.  171).*    Hiezu    stimmt  auf  das  beste  die  savoyische  Sitte 


1)  Grade  diese  Form  der  Sitte  ist  sehr  altertümlich  und  wolhegrflndet, 
ijuoferD  drei  Aehren  vielfach  die  sonst  besonders  aasgezeichnete  erste,  oder 
letrte  Garbe  der  Ernte  vertreten.    Drei  stehende  Halme  band  die  Frau  von 
Donnersberg  za  Oberigling  (Oberbaiem)  auf  jedem  Felde,  wo  Roggen,  Weizen 
oder  Fesen  geschnitten  werden  sollte,  unter  den  Aehren  zusammen  und  sagte, 
du  gehöre  den  (mythischen)  drei  Jungfrauen  auf  dem  Jungfembüchel ,  oder 
ide  ließ  drei   mit   weißen  Seidenfaden   gebundene  Kornähren  durch  ein  Kind 
aoter  7  Jahren  hinlegen.    Panzer  I,  GO,  ^^,    Drei  Aehren  wirft  man ,   bevor 
die  ernte  Fuhre  vom  Felde  abgeht,  in  fließendes  Wasser  oder  Ofenfeaer;  drei 
Halme  Ifißt  man  hernach  für  den  Oswaldn  auf  dem  Acker  unabgemäht  stehen 
(Niederaltaich  a.  d.  Donau ;  Panzer  II,  213,  385).    Drei  Aehren  oben  in  einen 
Knoten  verschlangen,  zuweilen  mit  Kränzchen  aus  allen  Blumen  zusammen- 
gebunden, ja  sogar  mit  einem  Bröckchen  Brod  oder  einer  Nudel  besteckt, 
bleiben  auch  in  Niederbaiern ,  Mittelfranken  und  Schwaben  für  den  Aswald 
(Panxer  II,  215,  389.  21G,  3^3.  214,  387.  215,  389).    In  Oberrottal  in  Ober- 
baiem   werden   beim    Schneiden   die    letzten    drei  Halme    an    einen   Stock 
geknüpft    und    in    einen   Strauß   Blumen    gesteckt,    dazu    beten   alle   mit- 
sammt  drei   Vaterunser.     Wenn   in   der    Gegend    von    Schlettstadt  ( Elsaß ) 
beim  Heumähen  jemand  unsauber  gearbeitet  hat,  knüpfen  ihm  zum  Spott  die 
andern  Mäher  drei  Grashalme  oben   in  einem  Knoten  zusammen, 
lassen  sie   stehen  und    nennen   das  einen   Zopf.    Wenn   die  Ernte   beginnt, 
ichneidet  der  Bauer  drei  Aehren,   legt  sie  übers  Kreuz  auf  den  Acker  und 
nagelt  sie   nach  Beschluß   der  ganzen   Ernte   an   die  Haustür 
(Oberpfalz.    Panzer  II,  215,  391).     Am   ersten   Tage    der  Weizcnemte   flicht 
in  Karst  Kr.  Neuß  Rgbz.  Düsseldorf  jede  Binderin  drei  Aehren   zusammen 
und  überreicht  sie  dem  Gutsherrn  im  Namen  der  h.  Dreifaltigkeit.    Man  steckt 
drei  Kornähren  über  den  Spiegel,  um  eine  reiche  Ernte  zu  erzielen  (Wetterau, 

M&mihardt.  14 


210  Kapitel  UI.    Baumseele  als  Veg^tationsd&mon : 

aas  der  Gegend  von  St.  Eustache  bei  Annecy^  von  der  ersten 
Handvoll  Getreide,  welche  während  der  Ernte  geschnitten  wird, 
soviele  Halme  mit  den  Aehren  aufzubewahren,  als  man  Felder 
im  nächsten  Jahre  zu  besäen  hat.  Am  ersten  Mai  schneidet  man 
ebensoviele  Holunderschößlinge,  und  zwar  die  jüngsten  Triebe 
des  Baumes,  läßt  sie  am  3.  Mai  kirchlich  weihen,  bindet  an  diese 
Zweige  jene  Fruchthalme  an  und  pflanzt  sie  ins  Saatfeld.  Wie 
die  schwedische  Johannisstange  und  der  russische  Semikbanm 
nach  Art  einer  MenschengestaU  aufgeputzt  wird  (o.  S.  157) ,  der 
Leto  den  Genius  der  Vegetation  in  Form  einer  Puppe  zwischen 
seinen  Zweigen  trägt  (o.  S.  156),  sahen  wir  auch  den  Emtemaien 
(S.  200)  bei  Meurs  zu  einer  Menschenfigur  heranbilden,  im  Bour- 
bonnais  mit  einem  Brodmann  (S.  205),  in  Westfalen  mit  einer 
menschlich  benannten  Garbe  (dem  Alten)  behängen.   Die  Weiber 

Schlesien,  Wattke  Volksabergl.^  §.  660).  Nach  der  Ernte  legt  man  in 
Franken  3  Kornähren  in  die  Erde,  nach  deren  Wachstum  man  den  Ausfall 
der  n&chsten  Ernte  prophezeit.  Panzer  II,  207,  363.  Anch  in  Schweden 
knfipft  man  hei  der  Ernte  drei  Halme  oben  in  einen  Knoten  zu- 
sammen nnd  legt  einen  Stein  darauf  „für  die  Gloso*'  (Hylt^n-CaTaUins, 
Yärend  S.  242.  Mannhardt,  Komdämonen  S.  8,  nach  persönlicher  Anschannng). 
Ein  Gürtel  aus  drei  Halmen  um  den  Leib  gebunden,  schützt  vor  Verwundung 
mit  der  Sichel  und  gegen  Kreuzweh  bei  der  Erntearbeit  (Panzer  U,  214, 
386.  217,  396).  Drei  Halme  nach  Beendigung  des  Komschnittes  um  die 
Sichel  gebunden  bewirken,  daß  im  Winter  die  Schafe  nicht  [d.  h.  wol  vor 
Hunger  nicht]  blöken  (Kreuzwald -Böcler,  der  Esten  Abergl.  Gebr.  S.  142). 
Die  ersten  drei  blühenden  Aehren  durch  den  Mund  gezogen  schützen  vor 
tollen  Hunden  und  Otterbiß,  und  schaffen  im  allgemeinen  körperliches  Wohl- 
sein (Curtze,  Volksüberl.  a.  Waldeck  S.  402.  M.  Spieß,  Abergl.  a.  d.  S&chs. 
Obererzgebirge.  Dresden  1862  No.  3B8.  436.  445).  Der  Bilmesschneider  in  der 
Oberpfalz  schneidet  drei  Aehren  von  der  letzten  Ecke  eines  fremden  Feldes 
und  die  ganze  Ernte  fliegt  in  seine  Scheuer  (Schönwerth  I,  428).  Hiemit 
hängt  wol  zusammen,  daß  die  Letten  in  Kurland  vor  dem  Boggenschnitt  je 
drei  Aehren  rings  um  das  Feld  mit  rotem  Garn  zusammenbinden,  damit 
der  Jods  (der  Schwarao,  der  Teufel)  den  Segen  nicht  nehme  (Grenzhof  in 
Kurland).  Auch  auf  St.  Walpurgis  als  Schützerin  des  Getreide  Wuchses  (wegen 
der  Kalenderzeit  ihres  Tages)  gingen  3  Aehren  als  Attribut  über,  sowie 
weiterhin  auf  Maria,  die  in  Frankreich  als  notre  Dame  de  trois  ^pis  Terehrt 
wird  und  im  Elsaß  und  Plnzgau  ihre  Kirche  gebaut  haben  will,  wo  drei 
Aehren  aus  dem  Boden  aufsprießen  (Panzer  ü,  8 — 10.  Menzel  christl.  Sym* 
bolik  S.  36).  Hier  beruht  die  Beziehung  auf  christlicher  Symbolik ;  Christus 
hieß  der  alten  Kirche  der  Weizen,  der  auf  Marien  Acker  wuchs ;  die  Dreizahl 
der  Aehren  ist  aber  aus  dem  Yolksgcbrauch  herubergenommen.  J.  Grimm, 
R.  A.  128.  205  gehören  wol  nicht  hieher. 


EniteiDftL  Sil 

boUen  bei  den  Russen  den  mit  menscUicben  Kleidern  gesehmttek- 
ten  PfingstbMim  ans  dem  Walde  (S.  157),  bei  den  Wenden  den 
Kronenbanm  ein  (S.  173)^  brachten  in  Wtbrtemberg  nnd  der  Eifel 
zu  Fastnacht  den  schönsten  Baum  ans  dem  Bosch  (S.  174).  Wei- 
ber werfen  in  Westfalen  den  Hörkehnai  mn  (S.  196)  and  fahren 
im  Bheinlande  nnd  Oloncestershire  (S.  200  n.  S.  208)  den  bnnten 
Maien  nach  Hanse;  em  Arbeiter  als  Weib  verkleidet  trägt  im 
Kreise  Saarlonis  den  gepatzten  Tannenbanm  in  der  Hand  (S.  201). 
Die  MaiUmnchen  werden  den  Mädchen  (S.  163  ff.)^  der  Sommer 
(S.  156)  einem  Yomehm  verheirateten  Weibe  vor  die  Türe  ge- 
pflanzt, der  Emtemai  in  Geldern  jeder  Fraa  and  jedem  Mädchen 
flberrdcht  (o.  S.  201).    Alles  dieses   erweist  eine  tief- 
begrttndete  Beziehang  des  Maibanms  zam  weiblichen 
Geschlechte.    Wenn   in   England  der  Maypole  von   20 — 40 
Joch  Ochsen  eingeholt  warde  (o.  S.  17t) ,  spannt  der  rheinlän- 
dische  nnd  normannische  Baaer  alle  seine  Pferde  vor  den  Emte- 
mai (o.  S.  200.  204).    In  Dorfes  Mitte    aaf  dem  Gid>el,  Dach 
oder  über  der  Tür  der  geehrten  Personen  erhält  der  Maibanm 
seinen  Ehrenplatz;  an  der  First,  aaf  dem  Dach,  ttber  der  Tür 
der  Scheaer  oder  des  Herrenhaases  wird  der  Emtemai  angenagelt 
nnd  verbleibt  da  das  ganze  Jahr  hindarch  bis  zar  nächsten  Ernte. 
Die    schwedische  Maistange    and    den    wendischen    Kreazbaam 
schmttckt  ein  Hahn  (S.  160. 174)  ein  Hahn  begegnete  ans  bereits 
in  dem  saterländischen  Braach,  den  Lebensbaam  aaf  die  Braat- 
hemden  za  sticken  (o.  S.  46),  so  wie  aaf  dem  Wipfel  von  Mima- 
meidr  im  Fjölsvinsmäl  o.  S.  56.  183)   aach   der  Emtemai  zeigt 
sieh  so  häufig  in  Gesellschaft  dieses  Vogels,  daß  wir  darin  mehr 
als  einen  bloßen  Zufall  erkennen  müssen. 

Wenn  nach  allen  solchen  Uebereinstimmangen  die  Zasammen- 
gebörigkeit  des  Maibaumes  and  Emtemais  außer  Frage  steht,  so 
ergeben  sich   ihre  Unterschiede   mit  Leichtigkeit   aus  dem  ver- 
schiedenen Gharacter  der  Jahreszeit  y  in  welcher  sie  zar  Verwen- 
dnng  kommen.    Der  aus  dem  ergrünenden  Walde  feierlich  ein- 
geholte Maibaum  stellt  den  (xcnius  der  im  Frtlhling  erwachenden 
Vegetation    überhaupt    dar,    als  solcher  ist  er   u.  a.   mit   Eiern 
behangen y   den  Sinnbildem   des  keimenden,   sich  entwickelnden 
Lebens;    er  hat  gewissermaßen    einen    allgemeinem   Gharacter, 
deshalb  eignet  er  sich  sowohl  zum  Repräsentanten  des  Lebens- 
baums der  ganzen  Dorfschafl,  als  einzelner  Personen,  wie  wir 

14* 


212  Kapitel  III.    Baumseele  als  Vcgetationsdämon : 

oben  aoseinandergesetzt  haben.  Der  Erntemai  vergegenwärtigt 
dagegen  den  Geist  des  Wachstums  zunächst  in  der  ganz 
bestimmten  Beziehung  auf  die  Kulturfrucht.  Daß  wir  in  der  Tat 
ein  begeistetes  persönliche^  Wesen  unter  dem  Maien  verstehen 
sollen,  lehren  nicht  allein  jene  Ausschmückungen  desselben  als 
Menschenfigur  und  mit  einer  Menschenfigur,  sondern  auch  der 
Umstand,  daß  sehr  häufig  der  grüne  Emtezweig  den  Namen  eines 
Tieres  Bauthahn  (Emtehahn),  Hase,  chien  de  la  moisson,  Mockel 
(d.  i.  Kuh  o.  S.  192)  u.  s.  w.  erhält.  Wir  werden  nämlich  später 
durch  die  unzweideutigsten  Beweise  uns  davon  überzeugen  können, 
daß  der  Dämon  der  Vegetation  bald  in  Menschengestalt,  bald  in 
Tiergestalt  gedacht  wurde,  und  daß  der  „Hahn,  Hase,  Hund, 
Kuh'^  H.  s.  w.  genannte  Maizweig  als  Verkörperung  dieses  Wesens 
gedacht  sein  müsse.  Es  entspricht  wieder  genau  dem  o.  S.  4.  69 
geschilderten  Verhältniß,  daß  der  dem  Baum  innewohnende 
Genius  häufig  aus  demselben  heraustretend,  sich  neben  ihn  hin- 
stellend vorgestellt  wird,  wenn  dem  Maibaum  eine  Lady  of  the 
may,  ein  Pfingstnickel,  ein  Johannes  genannter  Mensch  (vgl.  o. 
S.  181),  dem  Emtemai  ein  Herbstschmudl  zur  Seite  tritt,  oder 
wenn  zuweilen  an  den  Baum  der  innewohnende  Komgeist  als 
aus  dem  neuen  Getreide  hergestellter  Brodmann,  oder  leben- 
der Hahn  (Henne)  angehängt  erscheint.  Der  im  Baume  zur 
Erscheinung  kommende  Dämon  sollte  aber  zugleich  als  die  leben- 
gebende Kraft  der  Baugewächse  bezeichnet  werden.  Um  dies 
auszudrücken  wird  der  Erntemai  in  die  auf  dem  Acker  stehen 
gelassenen  letzten  Halme  hineingebunden  (Schwaben),  in  das 
Kornfeld  gepflanzt,  und  unten  am  Stamm  mit  der  letzten  Garbe 
oder  an  den  Zweigen  mit  einzelnen  Aehren  derselben  bewickelt 
(Westfalen,  Hessen,  Frankreich)  endlich  in  das  letzte  Fader 
gesteckt  (vgl.  o.  S.  209).  Der  Sachse  in  Siebenbirgen  hat  poch 
den  Ausdruck  „Kombaum^^  bewahrt,  nur  stellt  er  denselben 
nicht  mehr  durch  einen  belaubten  Ast,  sondern  durch  ein  Aehren- 
geflecht  dar  (S.  190).  Aus  späteren  Erörterungen  wird  mit  Sicher- 
heit hervorgehen,  daß  man  die  Anschauung  hatte,  der  Dämon 
der  Vegetation  ziehe  sich  beim  Schneiden  des  Ackerfeldes  immer 
tiefer  in  dasselbe  zurück  und  komme  schließlich  in  den  letzten 
Halmen,  die  geschnitten  werden,  resp.  der  letzten  Garbe,  die 
gebunden  wird,  zum  Vorschein.  Aus  diesem  Grunde  wird  diese 
Garbe  als  die  wichtigste   der  gauzen  Ernte  betrachtet;  sie  heißt 


Erntemai.  213 

daher  Erntegarbe  Aastgarw,  Anstebnnd  (Rgbz.  Stettin,  Stral- 
snndy  PriegnitZy  Uckennark,  Proy.  Sachsen)  Ayreneeg,  Anrneeg 
(Falster),   £rngarw,   Erntebnnd   (Kr.  Wanzleben   Prov.  Sachsen, 
Gegend  zw.  Selke  und  Wipper);  Bantgarwe,  Baugarw  (Umgegend 
T.  Dortmund).    Sie  gilt   als   der  Stamm  oder  Grundstock,   von 
welchem  die  neue  Aussaat,  der  neue  Komwachstum  des  nächsten 
Jahres  ausgehen  soll,  in  welchem  die  dcvautg  rfTf^rix/;  des  neuen 
Kornes  so  zu  sagen  verborgen  ruht,  und  sie  erhält  daher  auch 
die  Namen  Stamm  (Kr.  Berend  Rgbz.  Danzig),  Grundgarbe, 
Stockgarbe  (Kr.  Simmem,  Kr.  Zell  Rgbz.  Goblenz;  Kr.  St  Wen- 
del ,   Kr.  Bittburg  Rgbz.  Trier).    Im  Kirchspiel  St.  Laurentii  auf 
WesMland-Föhr  (Schleswig)  werden  beim  Einfahren  des  Korns 
2 — 3   Garben  zu  einem  Gebunde  zusammengebunden,    welches 
skaf  (d.  h.  Schof ,   ags.  skeäf,  engl,  sheaf)  genannt  wird.    Von 
dieser  Garbe  erwartet  man  Glück  und  Reichtum  in  der  nächsten 
Ernte.    Dafür  zeugt  ier  Ausdruck  Glttcksgarbe  (Loslau  Kr. 
Rybnik  Rgbz.  Oppeln),  oder  Glttckshämpfeli,  Glttckskorn 
für  die  letzten  Halme,  um  welche  vor  dem  Abscheren  das  ganze 
Geschnitt  niederkniet  und  5  Vaterunser  betet,   worauf  sie  zum 
Kranz  verflochten  zu.  Hause  in   der  Nähe   des  Kruzifixes   auf- 
gehängt werden  (Kanton  Zürich  und  Thui^u).    Weil  die  mensch- 
liche Begehrlichkeit  den   nächstjährigen  Ertrag   in  jedem  Falle 
noch  größer  wünscht,  als  den  diesjährigen,  schilt  sie  die  letzte 
Garbe  Lügengarbe,  Lögengarw  (südwestl.  Mecklenburg),  Heuchel- 
garbe (Kr.  Mayen  und  Kochern  Rgbz.  Coblenz;  Eifel),  indem  sie 
anf  listige  Weise  durch  den  Vorwurf*,  heuer  die  gerechte  Erwar- 
tung getäuscht  zu  haben,   den  Dämon  der  Vegetation  bei  der 
Ehre  fassen  und  zu  noch  größerer  Anstrengung  in  Zukunft  ver- 
anlassen will.    Diesen  Namen  und  Auffassungen  entspricht  tätlich 
die*7ielfach  durch  ganz  Deutschland  und  Skandinavien  bewährte 
Sitte,  die  Kömer  der  letzten  Garbe,  oder  des  Erntekranzes  ge- 
sondert  aufzubewahren   und    unter    das    erste   Saatgetreide    zu 
mischen.    Es  ist  hienach  wol  unverkennbar,  was  der  Erntemai 
in  der  letzten  Garbe  zu  bedeuten  hat.    Er  ist  die  Gewähr 
eines  guten  Gedeihens  der  neuen  Aussaat.     Sehr  deutlich  läßt 
diesen  Gedanken  die  savoyische  Sitte  aus  St.  Eustache  erkennen, 
die  Aehren  des  ersten  Emteschnitts  an  einen   in   das  Saatfeld 
gesetzten  Baumzweig  zu  binden  (o.  S.  210).    Unter  dieser  Vor- 
aussetzung  erklärt  sich   auch  der  vom  Maibaum   aus  England 


214  Kapitel  III.    Baomseele  als  Y egetationsdftmon : 

(o.  S.  171))  vom  Erntemai  aus  dem  Rheinland  und  der  Nonnandie 
belegte  Umstand,  daß  40 — 50  Joch  Ochsen,  resp.  alle  Bosse 
oder  Zugtiere  des  Gutsbesitzers  vorgespannt  werden,  am  den 
Maien  einzuholen,  auf  befriedigende  Weise.  Nach  der  Abeidit 
seiner  Veranstalter  sollte  dieser  Brauch  symbolisch  dtis  Gewicht 
des  Vegetationsgeistes  ausdrücken,  den  alle  verfligbare  Zugkraft 
kaum  von  der  Stelle  bewege;  so  wünscht  und  erwartet  man, 
werde  er  sich  in  der  Schwere  und  Fülle  der  Garben  bei  der 
nächst  folgenden  Ernte  bewähren.  Gradeso  wird  der  hahngestal> 
tige  Komdämon,  derEmtehahn,  auf  einem  leeren  mit  4  Pferden 
bespannten  Leiterwagen  zur  Stätte  des  Hahnköpfen»  gefahren, 
um  seine  Schwere  und  diejenige  der  erwünschten  Zukunfibemte 
KU  bezeichnen.^  Mit  einem  Worte,  die  Sitte  ist  ein  Zauber, 
welchem  sich  ein  zweiter  ganz  ähnlicher  Zauberbrauch  anreiht 
Der  Erntemai  oder  die  letzte  Garbe,  der  Erntekranz,  oder  der 
diese  einbringende  Arbeiter  (Arbeiterin)«  wird  mit  manchem 
Kübel  Wasser  begossen  „de  Hörkelmai  draf  net  dröj  inkom- 
men.'^  Diese  in  Deutschland,  Frankreich,  England  bekannte 
Sitte  erstreckt  sich  über  ein  weites  Gebiet,  auch  wo  kein  Ernte- 
mai bekannt  ist,  und  vielfach  (z.  B.  allgemein  in  Ungarn,  Sieben- 
birgen,  Rumänien,  Masnren  u.  s.  w.)  sind  sich  die  Ausüber  dabei 
noch  ganz  klar  und  bestinmit  der  Absicht  bewußt  und  sprechen 
sie  aus ,  auf  diese  Weise  hinreichenden  Regen  auf  die  Saat  des 
nächsten  Jahres  heraheulocken ;  geschähe  das  nicht,  so  werde  nach 
ihrer  Meinung  die  Fddfrucht  an  Dürre  zu  Grunde  gehen.  *    Bei 


1)  Mannhardt,  Eorndamonen  S.  16. 

2)  Ich  will  statt  vieler  anderen  zwei  schon  gedruckte  Zeugnisse  her- 
setzen. Wer  bei  den  Walachen  der  Magd  begegnet,  welche  das  ans  den 
letzten  Aehren  gefertigte  Kreuz  einträgt,  eilt  herbei  sie  mit  Wasser  zu 
begießen;  an  der  Türe  des  Grundbesitzers  sind  eigens  zwei  Knechte  zu  die- 
sem Behufe  aufgestellt.  Würde  sie  nicht  begossen,  so  müßten  im 
folgenden  Jahre  die  Früchte  an  Dürre  zu  Grunde  gehen.  Schuster, 
Woden.  Hermannstadt  1856  S.  40.  Matthaeus  Praetorius ,  Pfarrer  zu  Nie- 
budzen  bei  Gumbinnen  zeichnete  zwischen  1670—1680  aus  der  Volkssitte 
der  dortigen  Litauer  auf:  Wenn  beim  Säen  die  Arbeitsleute  Abends  barfuß 
mit  ihren  Ochsen,  Pflügen  und  Pflugeisen  nach  Hkiuse  kommen,  passen  ihnen 
die  Wirtin,  die  Magd  und  anderes  Gesinde  mit  einem  Stüppel  Wasser  an 
der  Türe  auf  und  begießen  die  Arbeiter  pfützennass.  Die  Arbeitsleute ,  auch 
nicht  fjEiul^  fassen  ihre  Begießer  ohne  alles  Ansehen  der  Person  an,  werfen 
sie  in  den  Teich,  tauchen  sie  auch  gar  unter  das  Wasser  und  spülen  sie  also 


Erntemai.  215 

üdyarfaely  in  Siebenbirgen  geschieht  dies  so,  daß  eine  vorher 
dasn  bestimmte  Person  (Mann  oder  Mädchen)  einen  Kranz  von 
den  letzten  Aehren  anf  dem  Kopfe,  den  Leib  mit  den  Kom- 
halmen  nmwnnden  trägt  Ins  Dorf  geführt,  wird  sie  bei 
der  Ankunft  über  and  über  mit  Wasser  begossen.  Dnrch 
sie  ist  der  Komdämon  persönlich  dargestellt  An  einzelnen 
andern  Orten  (z.  B.  Eckamp  Kr.  Düsseldorf)  wird  der  Begenzanber 
wieder  in  der  Form  geübte  daB  nach  Beendigung  der  Ernte  die 
Binderin  von  den  Mähern  ins  Wasser,  einen  Teich 
oder  Bach  geworfen  wird;^  freilich  erlosch  hier  die  Erinne- 
ning  an  die  ursprüngliche  Meinung  des  Brauches,  man  giebt  als 
Zweck  an  „den  Bau  (die  Ernte)  abzuwaschen.'^  Noch  andere 
sehon  verfolassende  Gestalten  der  Sitte  sind  die  Begießung  oder 
Besprengung  des  Emtemais  oder  der  letzten  Halme  auf  dem  Felde 
mit  Weihwasser,  Bier  oder  Wein  (vgl.  S.  204. 207).  Auf  die 
nämliche  Absicht  möchte  ich  die  vielfach  belegbare  Sitte  zurück- 
führen, in  die  letzte  Garbe  eine  Flasche  mit  Getränk  ein- 
zubinden, die  beim  Dreschen  zum  Vorschein  kommt,  und  mit 
vielem  Jubel  verzehrt  wird  (Kr.  Labiau  und  Stalupönen  Rgbz. 
Gnmbinnen);  oder  der  Bauer  versteckt  eine  Flasche  Brantwein 
in  diejenige  Ecke  des  Ackerfeldes,  welche  voraussichtlich  zuletzt 
geschnitten  werden  wird  (Quimper  D^p.  Finistere;  Gegend  von 
Dieppe).'  Auch  in  Schweden  legt  man  in  die  erste  Garbe  beim 
Sehneiden  eine  Bouteille  Brantwein,  um  die  Gunst  des  Tomto- 
gabbe zu  gewinnen  (Langtora -Säteri  in  Upland),  oder  man 
bindet  in  die  erste  Garbe  beim  Dreschen  eine  Bier-  oder 
Brantweinflasche  und  einen  harten  Kuchen  (Smäland).  In  Katz- 
dangen bei  Hasenpoth  in  Kurland  vergräbt  man  ins  Flachsfeld 
eine  Flasche  mit  reinem  Wasser,  dann  soll  der  Flachs  rein  von 


rein  ab ,  wiewol  sieb  ancb  die  Wirtin  mit  einer  Gabe  losmacben  kann,  zumal 
wenn  sie  schwanger  ist.  Dies  bedeutet,  daß  Gott  zu  rechter  Zeit 
der  Saat  genug  Wasser  geben  wolle.  Und  bei  der  Ernte  steht  wie- 
derum, wenn  der  Xomschneider  mit  dem  Kranze  aus  den  letzten  Aehren  nach 
Hause  kommt,  die  Wirtin  mit  ihrem  Stüppel  Wasser  da  und  begießt  ihn, 

dabei  wünschend,   wie  vom  Wasser  das  Getreidig  gequollen   und  sich  Yor- 

mehret,   so   quelle   und   mehre    es   sich    in   meiner   Scheune   und  Speicher. 

M.  Praetorius,   Deliciae  Prussicac   oder  Preußische  Schaubühne  ed.  Pierson 

Berlin  1871  p.55— 60. 

1)  Vgl.  aus  Masuren,  Toppen,  Aberglauben  aus  Masuren*  S.  95. 

2)  Vgl.  Strackeijan ,  Aberglaube  und  Sagen  a.  Oldenburg  II,  S.  78,  362. 


216  Kapitel  III.    Banmsecle  als  Vegetationsdämon: 

Unkraut  aufgehen.  Bei  Teresiopol  in  der  Gegend  von  Temes- 
war  in  Oberungarn  stellen  die  serbischen  Schnitter  die  letzte 
Garbe  auf  einen  Stock  und  hängen  eine  Flasche  Was- 
ser daran,  damit  Gott  im  nächsten  Jahre  Regen 
gebe.  In  der  Umgegend  von  Spalatro  in  Dalmatien  wird  bei 
der  Ernte  ein  Kranz  geflochten  und  nebst  einer  Flasche 
voll  Wasser  an  einem  Olivenbaum  aufgehängt  Ist 
die  ganze  Ernte  beendigt,  so  wird  das  Wasser  im  Weingarten 
ausgegossen.  Hier  sieht  man  die  Mittelglieder,  welche  deutlich 
machen,  weshalb  die  Ausschmückung  mit  Flaschen  oder  Krügen 
voll  Flüssigkeit  [auch  hier  sind  Bier  und  W^in  deutlich  jüngere 
Formen  für  Wasser]  ein  aus  der  Idee  desselben  entsprieBendes 
Zubehör  des  Maibaums  sowohl,  als  des  Erntemais  bildet  (o.  S. 
208).  Die  speziellere  Beziehung  des  Erntemais  auf  die  Kultur- 
frucht  zeigt  sich  auch  darin,  daß  ihm  gemeinhin  ein  Verbleib  an 
oder  über  dem  Tor  oder  auf  dem  Giebel  der  Kornscheuer 
angewiesen  wird.  Gradeso  wird  oftmals  auch  da,  wo  der  Em- 
temai  unbekannt  ist,  die  letzte  Korngarbe  auf  das  Dach  der 
Scheune  gebunden  (z.  B.  Heddesdorf  Kr.  Neuwied),  oder  von 
den  Dreschern  an  das  Scheunentor  genagelt  (Kr.  Schäßburg  Sie- 
benbirgen),  ebenso  der  auf  dem  letzten  Fuder  heimgebrachte  mit 
bunten  Bändern  und  Bildern  gezierte  Erntekranz,  allgemein  im 
Odenwalde,  sowie  vielfach  im  übrigen  Hessen -Darmstadt  und 
Kurhessen  an  der  Türe  der  Scheune  mit  Nägeln  oder  Bändern 
befestigt.  Nach  der  vorhin  S.  213  auseinandergesetzten  Bedeu- 
tung der  letzten  Garbe  kann  hiedurch  kein  anderer  Gedanke  aus- 
gedrückt sein,  als  der  Wunsch,  daß  das  Numen  der  Vegetation 
auch  über  der  Weiterfortpflanzung  der  in  der  Scheune  gebor- 
genen Nährfrucht  segnend  wachen  und  walten  möge.  Von  dem 
Boden  dieser  Anschauungen  aus  erklärt  sich  auch  das  ungewöhn- 
liche Hervortreten  der  Framn  in  den  Bräuchen  des  Erntemai. 
Vertritt  derselbe  nämlich  das  lebeugebende  Princip  des  Kom- 
wachstums,  so  muß,  um  diesen  vollständig  darzustellen,  auch 
noch  das  empfangende,  hervorbringende  zur  symbolischen 
Abbildung  gelangen.  Der  im  Acker  grünende  Lebensbaum  stirbt 
mit  der  Ernte  ab,  aber  aufs  neue  soll  er  gepflanzt  werden  in 
der  Erde  Schoß,  und  daraus  Früchte  hen^ortreiben.  Darum 
gehört  er  den  Frauen  zu  eigen ,  darum  dürfen  nur  diese  ihn  aus 
dem  Boden  reißen  und  nach  Hause  fahren,  resp.  im  Frühjahr 


I  Erntemai.  217 

ans  dem  Walde  ins  Dorf  holen  (o.  S.  1 74).  ^     Diese  ihre  Tätig- 
keit schien  den  Alten  eine  Gewähr,  daß  die  ins  Feld  gestreute 
neae  Saat    auch    die   hervorbringende  Muttererde,   den  großen 
Lebensehoß,  günstig  finden  werde.     Hier  sind  also  die  Frauen 
rein  sinnbildliche  Vertreterinnen  einer  allgemeinen  Idee,  weshalb 
ohne  Anstoß   auch  Jungfrauen  an  dem  Brauche  sich  beteiligen. 
Es  ist  aber  nun  klar,  wie  in  Folge  des  schon  mehrfach  von  uns 
bemerkten  Qlaubens  an  Sympathie  zwischen  Menschenwachstum 
und  Pflanzenwachstum  verheiratete  Frauen ,  gleichsam  das  Frucht- 
feld   darstellend,    dazu  kommen   konnten,    von   dem   Maibaum 
(Kreuzbaum)  und  Yärdträd  (vgl.  Mimameidr)  o.  S.  52.  56.  174  als 
den  Repräsentanten  der  Zeugungskraft ,  Kindersegen  resp.  leichte 
Entbindung  zu  erwarten.    Aehnlich  ist  es  ja,  wenn  der  vor  das 
Fenster  des  Mädchens  gesetzte  Maibaum  mit  dem  Lebensbaume 
ihres  geliebten  Burschen  identifiziert  wird  (o.  S.  184).    Ganz  aber 
beschränkt  sich  auch  der  Erntemai  auf  die  engere  Beziehung  zu 
den   Cerealien  nicht.     In    seiner  Ausschmückung   mit  Früchten 
jeder  Gattung,  mit  Nüssen,  den  Sinnbildern  der  Fruchtbarkeit 
und  Zeugung  (o.  S.  184  u.  S.  199),  mit  Kuchen  und  mancherlei 
Speisen  bricht  das  Bewußtsein   durch,  daß  er  zusammenfassend 
die  Vegetationsenergie  des  gesammten  Anbaues,  die  große  Nah- 
ningsspenderin   der   Menschheit   darstelle;    ein   weiteres   Gebiet 
weist  ihm  sein  Gebrauch  bei  der  Weinernte  und  auf  dem  letz- 
ten Heufuder  an;  also   auch  im  Graswuchs  erkannte  man  das 
nämliche  Numen  wirksam,  das  im  Komwuchs  und  Baurawuchs 
waltete  [der  Baum  als  Verkörperung  des  Vegetationsgeistes  im 
letzten  Heufuder   und    der   letzten   Getreidegarbe  entspricht  den 
über  die  letzte  Korngarbe  und  Heubttndel  gebietenden  Holzfräu- 
lein o.  S.  77  flF.].      Und   so   fehlt  die  schon  vielfach,   namentlich 
behn   Maibaum    nachgewiesene    sympathische   Verknüpfung   des 
Pflanzenlebens  mit   dem  auim^chen  Leben  auch  insofern  nicht 
ganz,  als  zuweilen  der  Enitemai  statt  auf  der  Getreidescheune 
auf  oder   an   dem  Stallgebäude,    oder   an   der  Wand 
oder  über  der  Tür,  resp.  auf  dem  Dach,  oder  an  dem 
Schornstein  (zuweilen  unter  der  Heerdkappe)    des  Her- 
renhauses   bis  zur   nächsten  Aussaat,  oder  bis   zur 


1)  An   einzelnen  Orten   treten    doch   männliche   Einholer   hiefür   ein. 
S-  nnten  §.  8. 


218  Kapitel  III.    Banmseele  als  Y egetationsdämon : 

nächsten  Ernte  seinen  Platz  findet  Denn  hier  kann 
nur  die  Meinung  obwalten,  daß  das  Namen  der  Vegetation 
die  Tiere  und  Menschen  frisch  und  gesund  und  bei  zunehmen- 
dem Gedeihen  erhalte.  Es  läuft  ganz  parallel ,  daß  die  Banm- 
seele zum  Hausgeist,  Klabautermann  und  Schutzgeist  der  Familie 
und  des  Hofes  (Yärd,  Värdträd)  wird  (o.  S.  44.  51)  und  daß  die 
Holzleute ,  Fanggen ,  Schrate  und  ihre  ganze  Sippschaft  die  JEtoUe 
von  Penaten  spielen  (o.  S.  153).  Recht  deutlich  als  den  (xeniiia 
des  Wachstums  bewährt  den  Emtemai  die  o.  S.  205  aus  dem  Bour- 
bonnais  mitgeteilte  Sitte ^  den  den  Dämon  darstellenden,  aus  der 
neuen  Frucht  verfertigten,  an  den  Baum  gehängten  Brodmann  za 
zersttlckehi  und  stückweise  zum  Essen  unter  das  Volk  zu  vertei- 
len. Denn  nur  böswilliges  Nichtsehenwollen  könnte  in  diesem 
Brauche  dieselbe  Absicht  verkennen,  welche  beispielsweise  auf 
der  Kingsmillgruppe  der  KaroUneninseln  die  Einwohner  leitet, 
wenn  sie  (die  doch  un  übrigen  keine  Kannibalen  sind)  die  Kör- 
per der  im  Kampf  erschlagenen  berühmten  Krieger  kochen,  zer- 
stückehi  und  zum  Genüsse  unter  sich  verteilen,  in  dem  Wahne, 
daß  auf -diese  Weise  in  einen  jeden  von  der  Tapferkeit  des  g^Sal- 
lenen  Helden  etwas  übergehen  werde.  So  erwartete  man  von 
dem  Genüsse  des  Vegetationsdämons  emen  Zusatz  von  Stärke, 
Kraft  und  Gesundheit.  Endlich  giebt  sich  der  Emtemai  als  ein 
Gegenstand  wahrhaft  religiöser  Beehrung,  als  Verkörperung  eines 
Numen  dadurch  kund ,  daß  die  Schnitter  um  ihn  (wie  das  Gltteks- 
hämpfeli  o.  S.  213)  niederknien  und  ein  Gebet  verrichten  (o.  S. 
192  u.  S.  203)  denn  diese  Sitte  sieht  nicht  wie  ein  christlicher 
Zusatz  zum  alten  Brauche  aus. 

§.  7.  Blehtmai.  Noch  in  verschiedenen  andern  Formen  und 
Anwendungen  tritt  uns  das  bisher  als  Maibaum  und  Emtemai 
betrachtete  Gebilde  in  der  Volkssitte  entgegen.  Es  Hegt  nahe 
hier  zunächst  diejenige  Gestaltung  anzuschließen,  welche  dasselbe 
bei  der  Haushebung  oder  Hausrichte  annimmt.  Ich  wähle  nur 
ein  paar  prägnante  Berichte  aus  dem  deutschen  Norden  und  Süden 
aus ,  um  die  wesentlichen  Züge  des  Brauches  deutlich  zu  machen. 
Wenn  in  der  Rheinprovinz  das  Holzgerüste  eines  neugebauten 
Hauses  fertig  gezimmert  war,  so  wurde  die  Gemeinde  zum  fest- 
lichen „Maienaufsteckcn"  geladen.  Eine  stattliche  Maibuche 
wurde  unter  fröhlichen  Liedern  mit  Blumen,  bunten  Bändern, 
Eier  schnüren  und  anderm  Flitter  geschmückt  und  unter  feier- 


Bichtmai.  219 

lichem  Gepränge  aaf  dem  Gipfel  des  Hauses  als  Zeichen  der 
Vollendung  befestigt    An  der  Spitze  des  Maibanmes  prangte  die 
Krone  y  der  Kinneskrone  ähnlich  ^  von  den  Mädchen  des  Dorfes 
aas  Blnmen  und  buntem  Flitter  gestaltet     Sie  wurde  von  den 
Barschen   mit  Musik  abgeholt  und  die  Mädchen  trugen  sie 
in   festlichem  Zuge.     Der  Zimmermeister  oder  einer  seiner 
redegewandesten  Gesellen  bestieg  das  dazu  auf  der  First  eigens 
verfertigte  Gertist  und  hielt  die  sogenannte  Baupredigt,  wobei  er 
in  herkömmlicher  schwulstreicher  Rede  das  ehrsame  Zimmerhand- 
werk pries,  mit  frommen,  oft  sinnigen  Worten  Gottes  und  aller 
Himmelsmächte   Schutz  filr   das  Gebäude   und   seine    künftigen 
Bewohner  erflehte  und  das  fertige  Gerippe  der  Maurerarbeit  über- 
gab.   In  der  Krone  des  Maibaums   aber  war  ein  fei- 
nes seidenes  Halstuch  befestigt,  auch  wol  ein  Geldstück 
in    die  Ecke  eingebunden,  das  nestelte  der  Prediger  los  als  sei- 
nen herkönmilichen  Lohn.     Die  ganze  Dorfschaft,  ja  die  ganze 
Umgegend  lief  zu  dieser  Baupredigt  zusammen  und  ein  festliches 
Gelage  und  Tanz  schloß  diese  Feier.  ^     Ganz  ähnlich  schildert 
H.   Hartmann   aus  dem   Fürstentum    Osnabrück   den  Hei^ang.' 
Wenn  der  Hausgiebel  aufgerichtet  ist,  folgt  die  feierliche  Umher- 
ftihrung  des  Kranzes ,  die  Befestigung  am  Giebel  und  der  Meister- 
spruch (Sermonie).     Die  Gesellen  haben  nämlich  den  Nach- 
barstOchtern  und  Mägden  einen  hübschen  Tannen- 
baum übergeben  und  diese  ihn  mit  Schnüren  von  bunten  Eiern, 
Bändern    und   Fähnchen    stattlich    ausgeschmückt      Seine 
Hauptzierde   bildet  ein  Kranz,  der   auf  4  kreuzweise  gebun- 
denen und  im  Baume  befestigten  Stäben  ruht.     Wenn  nun  die 
Haushebung  vollendet,  und  dieses  durch  weithin  schallendes  Ket- 
tengerassel von  dem  Boden  des  neuen  Hauses  der  Gesellschaft 
angezeigt  ist,  gehen  die  Gesellen  hin,  fordern  den  Kranz 
von  den  Mädchen  und  einen  mit  dem  Trinkgelde  geftUlten 
Krag  von  dem  Bauherrn.    Nachdem  die  Mädchen  die  Mützen  der 
Zmimergesellen    ebenfalls    mit    grünen    Tannensträußen    (Prull) 
geschmückt  haben,    bewegt   sich    der   festliche   Zug   mit   einem 
Musikcorps  und  dem  von  den  Kranzjungfem  getragenen  Kranze 
voran,     welchem     zunächst    der    Zimmermeister    mit   voller 


1)  Montanus,  die  deutschen  VoUcsfeste.    Bd.  II.   Iserlohn  1858.    S.  98. 

2)  H.  Hartmann,  Bilder  aus  Westfalen.  Osnabrück  1871.   S.85ff. 


220  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdämon 

Flasche  iu  der  Hand  nnd  znletzt  alle  bei  der  Hanshebnng 
beschäftigten  Personen  folgen,  über  die  Straße  des  Dorfes.    Der 
Zimmermeister  teilt  fleißig  den  Umstehenden  von  dem  Inhalt  sei- 
ner Flasche  mit.     Sobald  der  lärmende  Zug  nach   dem  neuen 
Hanse  zurückgekehrt  ist,  %vird  der  Kranz  oben  am  vordem  Gie- 
bel desselben  befestigt  und  der  Meisterknecht  (Altgesell)  steigt 
mit  dem  mit  Geld  und  Bier  geflillten  Kruge  hinan  und  hält  die 
„Sermonie."     Hiemit  vergleiche  man  den  Bericht  von  Rochholz 
aus  dem  Aargau. ^    Bei  dem  Fest  der  „Aufrichte"  des  nengeban- 
ten  Hauses  bringt  man  ein  Tannenbäumchen  voll  Gold- 
papier und  Blumen  herbei  und  trägt  es  jubehid  dreimal 
ums  Haus.     Bereits  steht  der  Zimmermeister  droben  auf  dem 
Firstbalken ,  hält  die  Kranzrede  und  ermahnt  die  Hausfrau ,  ihm 
diesen  Baum  zum  allerschwersten  zu  machen.    Letz- 
teres  ist  nach  Möglichkeit  geschehen.     Die  Kinder  haben  das 
Bänmchen  mit  einem  schwebenden  Blumenreifen  um- 
geben, der  Hausherr  hat  große  und  kleine  Geldstücke  drange- 
hängt,  die  Hausfrau  dazu  em  nagelneues  Hemd  und  bunte 
Tücher,  an  deren  Zipfel  abermals  Trinkgeld  geknüpft  ist  'Nun 
wird  er  am  Seil  aufgezogen,  auf  die  First  gesteckt  und  in 
des  Meisters   Schlußwort  beschworen,    alle  Blitze  und  Stürm 
ferne  y  das  Haus  aber  auf  Khideshind  grünend  und  blühend  » 
erhalten.    Mit  geringen  Abänderungen  (es  trat  z.  B.  mehrfach  d 
alleinige  Krone  an  die  Stelle  des  mit  ihr  geschmückten  Baume 
reicht   die    besprochene    Sitte  durch   ganz  Deutschland;    sie 
z.B.  in  Oldenburg  und  Holstein  ebensowohl,  als  in  Hessen, 
Hennebergischen,  in  Ost-   und  Westpreußen  u.  s.  w.  zu  Har 
Ein  Gedicht  aus  saec.  XVIII  „Augsburgisches  Jahr  einmal"'  r 
uns   eine   eigentümliche  Form    der  Sitte.     Im  Maimonat 
vor   dem  Neubau   ein  das  Dach  desselben  überragender 
aufgepflanzt. 

Sobald  als  nur  ankommt  der  Maien 
Sich  Zimmerleut'  und  Maurer  freuen 
Und  stecken  vor  des  Bauherrn  Haus 
Ein  Tannenbaum,  der  drüber  'naus 
Weit  gehet. 

1)  Deutscher  Glaube  und  Brauch.    Bd.  IL    Berlin  1867.    S.  9 

2)  S.  Spieß,  Volkstümliches  a.  d.  Frank.  Henneberg.   Wien  1 
Mtilhause,  Urreligion.    Cassel  1860.    S.  236. 

3j  Birlinger  in  Bartsch,  Germania  XVH,  S.  87. 


Braotmaie.  231 

Ans  anfieren  bisherigen  Aaseinandersetzimgen   ergiebt  sieb 
FOD  selbst  ihre   Bedeatung,  welebe   auch    der    firomme  Kiebt- 
gprach  des  aargauischen  Zimmermeisters  hinreichend  klar  erken- 
nen läftt      Wie    der    auf   dem   Dac^e    angebrachte    Emtemai, 
stellt  der  Bichtemai  den  Grenius  des  Wachstums  dar,  der   als 
guter  Hausgeist    allezeit    über    der    neuen    Wohnstätte    walten 
soll.    Wie  Maibaum    und   Emtemai   ist    er    darum    mit    Eiern, 
filomen,    Bändern    und   Tüchern    [wovon   Hemd  und   Taschen- 
tficher  nur    durch  praktische  Verwendung  bedingte  Modemisie- 
nu^n  sind]  mit  einem  Kranze  (der  zur  Krone  wurde,  da  er 
uweilen  wie  auch  beim  Maibaum  o.  S.  176  den  Stamm  als  Keif 
Qmschwebte   o.  S.  220)   geziert,   von   den  Frauen  geschmückt 
and  geleitet;  wie  jene  wird  er  vor  der  Aufrichtung  in  feierlicher 
Proz^sion  durch's  Dorf,  um  das  Haus  geführt.    Eigentümlich  ist 
die  Beschwerung  des  Baumes  mit  Geld ;  sie  entspricht  dem  Wun- 
sche, daß  es  den  Bewohnern  des  neuen  Hauses  nie  an  großer 
and  kleiner  Münze  fehlen  möge.    Hiemach  dürfte  auch  der  halb 
mit  Geld,  halb  mit  Bier  geftillte  Krug  daraufhinweisen,  daß  das 
in  so  bedeutungsvoller  Weise  den  Bichtemai  oder  die  Bichtekrone 
begleitende   Getränk  möglicherweise  eine  Sproßform  jenes  frtlher 
(o.  S.  215)  besprochenen  Begeuzaubers  sei,  und  die  Idee  enthalte, 
dem  gedeihlichen  Wachstum  der  hier  ansäsaigen  Familie  solle 
der  himmlische  Bogen,  die  Feuchtigkeit  nicht  fehlen. 

§.  8.  Brautmale.  Als  Lebensbäume,  als  Gegenbilder  der  Braut- 
leute wurden,  wie  wir  o.  S.  46  gewahrten,  auf  dem  Brautwagen  oder 
vor  dem  Hochzeithause  grüne  Bäume  aufgepflanzt.    Nahverwandte 
Ideen  fanden  wir  im  Sommer,  Maibaum  und  Emtemai  verkörpert 
Der  nach  Austragung  des  Todes  eingebrachte  mit  Gold-  und  Silber- 
papier und  bmiten  Bändern  geschmückte,  grüne  Baum,  der  Som- 
mer, wird   in  Böhmen  mehrfach  als  Vorzeichen  glücklicher  Ehe, 
vor   dem   Hause   der    vornehmsten    Neuvermählten    aufgesteckt. 
Zur  Bestätigung  dieser  Nachweisungen  gereicht  es,  daß  wiederum 
der  bei  der  Hochzeit  aufgei)flanzte  Lebensbaum  gradezu  die  beim 
Maibaum    und  Emtemai  hergebrachte  Ausrüstung  annimmt.     In 
Leipzig  überbrachten  die  Jungfrauen  der  Braut  einen  mit  Kinder- 
klappem,  kleinen  Schüsseln  und  bunten  Bändern  gezierten  Baum 
unter  Absingung   eines  Liedes,    welches   das  Lob   der  Neuver- 
inählten    und   einen  Glückwunsch   enthielt  und  mit  den   Worten 
begann : 


282  Kapitel  m.    Banmseele  alg  VegetationsdAmon: 

Wir  bringen  der  Braut  eine  Meye, 
Der  Blümlcin  sind  manoherleje.^ 

Deutlich  vergleicht  sich  der  nachstehende  Brauch  der  mehrfach 
erwähnten  Anbindung  von  Hahn  oder  Oans  an  das  Bonqaet  de 
la  moisson  (o.  S.  206).  Wenn  in  Camac  (Bretagne)  die  junge 
Frau  nach  der  Trauung  ans  der  Kirche  kommt,  überreicht 
man  ihr  einen  ungeheuren  Lorbeerzweig,  an  dessen 
Ende  (extr^mit^)  ein  Vogel  angebunden  ist,  dem  man 
nun  die  Freiheit  giebt.'  Dem  mit  Aehren  geschmückten  Hai- 
baum S.  193  ff.  und  Emtemai  o.  S.  171  entspricht  die  Sitte  der 
Klein  russen  in  Wolhynien.  Wenn  der  von  der  Trauung  heim- 
kehrende Hochzeitzug  dem  Hause  des  Bräutigams  nidit,  so 
schmückt  man  daselbst  einen  Laib  Brod  und  einen  Tannen- 
oder Fichtenast  mit  Waldholunder,  weißen  Blüten 
und  Aehren  von  Korn  und  Hafer.  Der  Bojarin  (Hoch- 
zeitfUhrer)  trägt  die  Tanne  mit  den  darangebundenen  Aehren,  ein 
Starost  das  Brod  und  so  ziehen  beide  ins  Haus  der  Braut.  Beim 
Erscheinen  der  Tanne  muß  die  Braut  schamhaft  ihr 
Gesicht  auf  den  Tisch  legen  und  es  sorgfältig  ver- 
bergen. Der  Bräutigam  geht  dann  dreimal  um  den  Tisch, 
nimmt  ein  Tuch,  richtet  den  Kopf  der  Braut  gewaltsam  auf, 
küßt  sie  und  setzt  sich  wieder  neben  sie.  Der  Bojarin  stellt  die 
Tanne,  der  Starost  das  Brod  auf  die  Mitte  des  Tisches  dem 
Brautpaar  gegenüber.  Die  Brautmutter  beschüttet  ihren  Schwie- 
gersohn mit  Nüssen  (o.  S.  184)  und  Hafer  und  besprengt  ihn  mit 
Weihwasser.  Auch  der  erste  Strauß  Kornähren  gehört  ihm, 
worauf  die  Brautjungfern  allen  Anwesenden  dergleichen  Sträuße 
anstecken.^    Bei  den  Kleinrussen  in  der  Ukraine  wird  am  Tage 


1)  P.  Ch.  Hilscher,  de  ritu  Domioicae  Laetare,  quem  yulgo  appellant 
den  Tod  austreiben.  Lips.  1690.  §.  17.  Der  Liedaufaug  ist  entlehnt  dem 
Gesänge  bei  der  Einbringung  des  Sommers.  Cf.  Büsching,  wöchentl.  Nach- 
richten T,  1816.   S.  183: 

Nnn  haben  wir  den  Tod  hinausgetrieben 
Und  bringen  den  lieben  Sommer  wieder, 
Den  Sommer  und  den  Meyen; 
Der  Blümlein  sind  mancherleyeu.  ^ 

2)  De  Nore,  Coutumes  mythes  et  traditions  193. 

3)  J.  V.  Düringsfeld  und  0.  v.  Heinsberg  -  Düringsfeld ,  Hochzeitsbuch. 
Leipzig  1871.   S.  39. 


Bnatnude.  2S8 

vor  der  Hochzeit  der  Eorowaj   oder  Hochzeitknehen  von  den 
Fraoen  aas  der  Verwandtschaft  des  Bräatigams  in  dessen  Hanse 
nter  Absingong  bestimmter  Lieder  gebacken  nnd  zwar  schicht- 
weise aas  Weizen  -  nnd  Boggenmehl.    Tannenzapfen  [wegen  ihrer 
Wden  Samen  Symbole   der  Fmchtbarkeit]   bilden  seine  äußere 
Seide,  vier  ganze  Eier  (s.  o.  S.  158)  in   der  Schale  nnd  eine 
MllBze  sind  hineinverbacken.     Während  des  Backens  schmückt 
die  Braut  mit  ihren  Brautjungfern  die  vom  Bräutigam  gefUUte 
nnd  in    ein    groBes   Brod    auf  dem   Tisch  hineinge- 
pflanzte „Maie^^  (Fichte  oder  Tanne),  indem  sie  dieselbe  mit 
Gewinden    oder   Sträußen    von    Sinngrttn,    Waldholunder  oder 
gemachten  Blumenkriinzen  behängen,    auch  wol  brennende 
Lichtchen  auf  die  Aeste  kleben.    Eine  gleiche  Maie  wird 
im  Brauthause  verziert     lieber   den  Korowaj  wird   der  Braut- 
sehleier gebreitet      Am  Hochzeittage    selbst  wird  der  Korowaj 
neben  die  Maie  auf  den  Tisch  gesetzt,  sodann  der  erstere  zer- 
schnitten  und  derart   verteilt,   daß  jede  anwesende  Person  ein 
Stock  erhält  und  auch  die  abwesenden  Verwandten  bedacht  wer- 
den.^   Die  Protestanten  im  Gömörer  Komitat  (Ungarn)  richten 
am  Vorabende  der  Hochzeit  vor  dem  Branthause  den  Tttchel- 
baum  auf,  einen  graden  jungen  Stamm,  an  dessen  Spitze  ein 
Tuch  nebst  Bändern  nnd  Bretzeln  befestigt  wird.    Da  die  Hoch- 
zeiten ziemlich  zu  gleicher  Zeit  gefeiert  werden,  so  kann  von 
der  Zahl  der  Tüchelbäume   auf  die  Zahl  der  Bräute  im  Dorfe 
geschlossen  werden.     Sobald  der  beladene  Brautwagen  sich  mit 
der  Braut   in   Bewegung   setzt,   haut   ihr  Kutscher   vorher  den 
Tflchelbaum  nieder  und  nimmt  was  an  der  Spitze  hängt  ftlr  sich, 
dann  erhält  jeder  andere  Kutscher  auch  ein  Tuch.*     Bei  den 
Serben  bringt  die  Frau  des  Kum  (Gevatters)  am  zweiten  Hoch- 
zeittage   einen   Holunderzweig    „das    grüne   Berglein"   genannt, 
woran  Aepfel,  Pflaumen,  Haselnüsse,  Puppen,  Tauben  und  Ket- 
ten aus  vergoldetem  Papier  befestigt  sind.     Der  „grüne  Berg'* 
wird  am  Balken  über  dem  Eßtisch  des  jungen  Paares  aufgehängt, 
am  letzten  Tage  der  Hochzeit  aber  versteigert,  oft  um  200—300 
Dukaten,  die  der  Braut  zufallen.' 


1)  Reinsberg-Düringsfeld,  Hochzeitsbnch  S.  33. 36. 

2)  Reinsberg-Düringsfeld,  Hochzeitsbucb  S.  46. 

3)  Reinsberg  -  Büringsfeld .  Hoohzeitsbucb  S.  85. 


224  Kapitel  III.    Banmseele  als  Yegetationsdamon: 

§.  9.  Christblock  und  Wellinaehtsbaiiui.  Auch  mehrere 
Weihnachtsgebräuche  fügen  sich  in  die  Reihe  von  Sitten  ein^ 
deren  Haaptglied  wir  in  dem  Maibaam  und  Emtemai  kennen 
gelernt  haben;  zugleich  aber  bieten  sie  uns  interessante  Belege 
ilir  den  Zusanmienfluß  Yorchristlicher  und  christlicher  Ideen.  IKe 
erste  dieser  Sitten  findet  sich  noch  am  vollständigsten  auf  slayi- 
scbem  Boden  erhalten;  ans  den  dort  bewahrten  Formen  wird 
auch  die  schon  mehr  abgeschliffene  Gestalt  des  nämlichen  Brau- 
ches bei  Romanen  und  Germanen  verständlich. 

In  Masuren  bricht  der  Gemeindehirt  am  zweiten  Weihnächte- 
feiertage  schöne  grade  Birkenreiser  und  geht  damit  von  Haas 
zu  Haus,  um  seine  Kaiende  einzusanmieln.  Dann  zieht  die  Haus- 
frau bei  Leibe  nicht  mit  der  bloßen  Hand,  sondern  achtungsvoll 
mit  den  von  der  Schürze  umwickelten  Fingern  eine  der 
Ruten  unter  seinem  Arm  hervor,  legt  sie  auf  den  Eßtisch  (ja 
nicht  anders  wohin),  bringt  sie  auf  den  Boden  und  steckt  sie 
endlich  in  das  vorrätig  gedroschene  Getreide,  die  Aeste 
nach  oben  d.  h.  in  der  Stellung  eines  wachsenden  Schößlings^ 
und  läßt  sie  dort  bis  zum  25.  März  (matka  boza  Maria  Verkünd.). 
Dann  wird  die  erste  Furche  mit  dem  Pfluge  gezogen,  weshalb 
die  Jungirau  Maria  matka  otworna  d.  i.  die  öffnende  heißt  An 
diesem  Tage  zieht  die  Bäuerin  die  Rute  heraus,  geht  ohne  zu 
sprechen  und  sich  aufzuhalten  nach  dem  Stalle  und  treibt  damit 
das  Vieh  zum  erstenmale  auf  die  Weide  hinaus,  das  fortan  stäts 
grade  nach  Hause  kommen  und  unterwegs  nicht  stehen  bleiben 
und  brüllen  wird.-  Hiemit  vergleiche  man  die  südslavische  Sitte. 
Bei  den  Serben  und  Kroaten  heißt  der  Christabend  badnji  dan 
oder  badnji  ve(3(er);  an  diesem  Abend  werden  für  jedes  Haus^ 
zwei  bis  drei  junge  Eichen  gefällt,  die  abgeästet  den  Na- 
men badnjaci  (Sing,  badnjak)  llihreu,  und  bei  eintretender  Däm- 
merung ins  Haus  gebracht  und  aufs  Feuer  gelegt  werden.  Das 
Fällen  geschieht  in  einigen  Gegenden  vor  Sonnenaufgang  und 
zwar,  indem  die  Bäume  mit  Getreide  unter  den  Worten  „dobro 
jutro  i  Cestit  ti  badnji  dan,  guten  morgen  Weihnachtstag" 
beschüttet  werden.    In  Risano  und  andern  Orten  von  Niederdal- 


1)  So    steht  die  Wünschelrute    „üfrecht"  Myth.-«  926.     Kuhn,  Herab- 
kuuft  des  Feuers  S.  234. 

2)  W.  Toppen .  Abergl.  a.  Masuren.   Aufl.  2.    S.  %  vgl  6S. 


Chrifiblock  und  WeüuiMbtflbftiiir.  225 

matiai  mnwinden  die  Franen  nnd  Mädchen  die  Eichenstämme 
mh  roter  Seide,  Zwirn  nnd  Golddraht,  schmücken  sie  mit  Lior- 
beerblittem  und  verschiedenen  Blumen.  Während  die  badnjaci 
io8  Haos  getragen  werden ,  werden  anf  beiden  Seiten  der  Türe 
Renen  angezflndet  Ist  der  Hausvater  bei  eintretender  Dämme- 
mg  mit  dem  ersten  Baumstamme  über  die  Schwelle  getreten, 
M>  spricht  er  den  oben  erwähnten  Spruch,  und  wird  dann  von 
dnem  Hansgenossen  mit  Getreide  beschüttet. 

Statt  des  Beschüttens  mit  Getreide  hat  man  an  einigen  Orten 
dttBegieBen  mit  Wein  und  in  Risano  wacht  stäts  jemand 
kenn  Feuer,  um  den  badnjak,  wenn  er  durchbrennen  will,  mit 
dem  Werne  zu  begießen.  Den  ernten  Besuch  am  Weihnachtstage 
kilt  man  für  wichtig,  weswegen  man  hiezu  jemanden  bestimmt. 
Um  rieh  vor  jedem  Unberufenen  zu  schützen,  geht  an  diesem 
Tige  in  der  Regel  niemand  als  ein  solcher  polaznik  m  ein  frem- 
des Haus;  er  erscheint  am  frühen  Morgen,  flihrt  im  Handschuh 
Getreide  mit  sich  und  schüttet  dasselbe  vor  der  Türschwelle  mit 
den  Worten  aus:  Hristos  se  rodi  (Christ  ist  geboren),  worauf 
einer  von  den  Hausgenossen  ihn  ebenfalls  mit  Getreide  beschüt- 
tend erwiedert:  va  istma  rodi  (er  ist  wahrhaftig  geboren).  Da- 
nach begiebt  sich  der  ))olaznik  unter  Beglückwünschungen  zu  den 
badnjaci,  nimmt  die  Feuerschaufel  und  schlägt  damit  auf  den 
brennenden  badnjak,  daß  die  Funken  stark  umherfalleu  und 
spricht  dabei  einen  Wunsch  ttlr  das  Gedeihen  der  Kühe,  Pferde, 
Segen,  Schafe  und  der  ganzen  Wirtschaft,  worauf  er  die  Asche 
anseinanderschürt  und  einige  Mtlnzen  hinein,  oder  auf  den 
badnjäk  wirft.  Denselben  läßt  man  übrigens  nicht  ganz  verbren- 
nen, sondern  nimmt  die  letzten  Enden  vom  Feuer, 
löscht  sie  aus  und  legt  sie  zwischen  dieÄeste  junger 
Obstbäume,  was  deren  Wachstum  befördern  soll.^ 
Die  Albanesen  der  Ri^a  verbringen  die  Nacht  vom  23.  —  24.  De- 
zember wachend  am  Feuer,  welches  die  ganze  Nacht  unterhalten 


1)  Stephan  Vok,  Montene^o  und  die  Montenegriner.  lieiscn  und  Län- 
«ierbeschreibungen  der  altern  und  neuesten  Zeit.  Lf.  XT.  Stuttg.  und  Tü- 
längen  1837.  S.  103  ff.  Gr.  Krek ,  über  die  Wicbtijrkeit  der  slav.  traditio- 
nellen Literatur.  Wien  1869.  H.  24.  lieber  Badnjak  vgl.  auch  Snegireff, 
Volkutftmliche  Festtage  und  abergläubische  (iebriiucbe  der  Russen.  4  Bde., 
Miwkau  1837.   Bd.  II,  S.7ff.  (russ.). 

MtABhardt.  15 


226  Kapitel  lU.    Banmseele  als  Yegetationsdämon: 

wird  und  legt  an  dasselbe  drei  Kirschbaarnzweige,  welche,  nach- 
dem sie  eine  Weile  gebrannt  haben,  zarückgezogen  nnd  aufbe- 
wahrt werden.    Diese  Operation  wird  mit  denselben  Zweigen  am 
1.  Janaar  (8t  Basilins)  und  am  6.  Januar  (Theophania)  wieder- 
holt.   Endlich  werden  diese  Zweige  zugleich  ndt  der  in  den  drei 
Nächten,  in  denen  dieselben  brannten,  gesammelten  Asche  zur 
Fruchtbarmachung  in  den  Weinberg  geworfen.^     Die  sttdfranzö- 
sische  Sitte,  wie  sie  in  Perigord  heimisch  ist,  lajsse  ich  deNore' 
schildern:  La  souche  de  No^l  joue  un  grand  röle  ä  la  föte 
du  solstice  d'hiver.    L'habitant  de  la  campagne  croit  qu'elle  doit 
etre  principalement  de  prunier,  de  cerisier  ou  de  ch^ne,  et  qae 
plus  eile  est  grosse  mieux  eile  vaut.     Si  eile  brüle  bien  c'est 
d'un  bon  augure,  le  ciel  la  b^nit    Les  charbons  et  les  cendrea^ 
qi\^on  recueille  avec  grand  soin,  sont  excellents  pour  gniörir  les 
glandes  engorg^ ;  la  partie  du  tronc  que  le  feu  n'a  pas  consomee 
sert  aux   bouviers   pour  faire  le   töcoin   ou   cale  de  leurs 
charrues,  parce  qu'ils  pretendent  que  cela  fait  mieax 
reussir  leurs    semences;   et  les  femmes   en    conservent 
quelques  morceaux  jusqu'au  jour  des  Eois  pour  la  prosp^rit^  des 
poulets.    Gependant,    si  Ton    s'assied  sur  cette  souche, 
on    devient   sujet  aux  furoncles;   il  faut  allors  passer 
neuf   fois  sous   uue   tige  de  ronce   que  le   hasard  aura 
plantee  par  les  deux  bouts.    In  der  Dauphin^  heißt  dieser  Weih- 
nachtsklotz chalendal,  in  der  Provence  calignaou  (d.  i.  calendeau, 
las  calendalis  von  Weihnachten  prov.  calendas)^,  oder  trefoir,  im 
Dep.  de  TOme  tröfouet.    Nach  Thiers  zieht  die  Familie,  apbald 
sie  sich  am  Weihnachtsabend  vollzählig  in  der  großen  Stube  des 
Hauses   versammelt  hat,   feierlich   hinaus,   um   den  Christblock 
heremzuholen  und  bringt  ihn  in  die  Küche  oder  in  das  Zinuner 
des   Hausherrn.     Bei  diesem  Umzüge  singen   sie  ein  provenza- 
lisches  Liedchen,  dessen  Uebersetzung  lautet: 

Freue  dich  Klotz, 
Morgen  ist  der  Tag  des  Brodes. 
Mag  alles  wol  einkommen, 
Die  Frauen  gebären. 


1)  J.  G.  V.  Halm,  albanes.  Studien.   Wien  1853.    S.  154. 

2)  ])e  Nore,  Coutumes  niythes  et  traditions  des  provinces  de  France 
p.  151  ff. 

3)  Vgl.  Mvtli.2  594. 


Chiiatblock  und  Weihnachtsbaum.  227 

Die  Ziegen  sickeln, 
Die  Schafmütter  lainmeu; 
Viel  Korn  gebe  es  und  Mehl 
und  des  Weins  eine  volle  Kufe. 

Dum  gießt  das  kleinste  nnd  jüngste  Kind  de»  Hauses  über  den 
Christklotz  ein  Glas  mit  Wein  iu  den  hr)ühäten  Namen  aus  und 
man  wirft  denselben  ins  Feuer.     Die  Kohlen  werden  als  Heil- 
mittel das  Jahr  hindureh  aul'bewahrt.'     Um  Marseille  besprengt 
man  den  caligneau^  einen  eichenen  Klotz  mit  Wein  oder  Oel,  in 
der  Dauphine  begießt  man  ihn  mit  Wein.^     Nach  andern  Auf- 
zeichnungen bei  Thiers  wird  der  Trefoir  oder  tison  de  Noöl  in 
den  dreizehn  Nächten  t^iglich  im  Feuer  angekohlt.    Unters  Bett 
gelegt  schützt   er  Haus  und  Hof  das  Jahr  hindurch  vor   dem 
Donner;  seine  Berührung  schützt  die  Menschen  vor  Frostbeu- 
len an  den  FüBen,  die  Tiere  vor  vielen  Krankheiten;  im  Fut- 
ter eingegeben  läßt  er  die  Kühe  kalben,  seine  Kohle  ins  Feld 
geworfen  bewahrt  das  Getreide  vor  Rost.'    Nach  de  Nore 
ist  der  Calignaou  vom  Oliven-   oder  einem   andern  Fruchtbaum 
genommen;  das  jtbigstc  Kind  gießt  drei  Libationen  von  Wein 
dtfttber  aus  mit  den  Worten  „Cochofue  ven,  tout  ben  ven  d.  i. 
le  feu  caßhi  vient,  tout  bien  vient."    Dann  tnigen  der  Ael teste 
der  Familie  und  der  Jüngste,  jeder  an  einem  Ende  anfas- 
send, den   Klotz  zum  Feuer;    das  jüngste  Familienglied  weiht, 
wie  Yorher  den  Christblock,  so  nachher  die  Tafel,  die  mit  Früch- 
ten und  Kuchen   reich   besetzt  ist.     Zu  diesem   Feste  (Calenos 
oder  Calene)  kommen  die  verheirateten  Kinder  und  Vcnvjuidten 
mit  ihrer  Nachkommenschaft  oft  von  weit  her  beim  Familien- 
baapte  zusammen.     Vor  Schlafengehen  wird  der  Klotz  aus  dem 
Feuer   genommen    und    bis   Neujahr    aut1)ewalirt.*      In   Vienne 
beHprengt  der  Hausvater  inmitten  eines  großen,  in  tiefem  Schwei- 
gen versammelten  Zuschauerkreises  den  tison  de  Noiil  mit  Salz 
und  Wasser,  zündet  ihn  während  der  drei  Feste  an  und'bewahrt 
ein  Stückchen ,  um  es  als  Mittel  der  Abwehr  beim  Gewitter  anzu- 


1)  J.  B.  Thiers,  Traite  des  snpcrstitions  bei  Licbrccht,  Gcrvasius  v.  'J'il- 
Wyp'^31.  152.  Chmiol  bei  E.  Cortet,  ftHcs  relifficnscs.  Paris  1«(;7. 
P  M  cf.  TliierB  a.  a.  0.  23H,  2B1. 

2)  Miliin  u.  Chainpolliou-Figeac  bei  Ciriiiiin  Myth.-  51^. 

3)  Thiers  a.a.O.  238.231. 

4)  De  Nore  a.  a.  0.  23  ff. 

16* 


228  Kapitel  TU.    Baomseele  als  Vcgetationsdämoii : 

zünden.^  Zu  Commercy  und  überhaupt  in  Lothringen  legte  man 
einen  Klotz  von  4  Fuß  Länge  in  dieser  ganzen  LUnge  auf  den 
Heerd.  Dann  brannte  man  das  eine  Ende  an,  das  andere  bot 
eine  Art  von  Sitz  dar,  den  die  Kinder  gern  benutzten.  Man 
hinderte  sie  aber  daran  sich  daranf  zu  setzen,  „vireil  sie  sonst  die 
Krätze  bekommen  würden."*  Der  Christblock  ist  auch  in  Ober- 
italien bekannt,  wo  die  Sitte  arder  il  ceppo  heiBt.^  In  Deutsch- 
land wird  schon  1184  von  dem  Pfarrer  zu  Ahlen  im  Mttnsterland 
berichtet  „et  arborem  in  nativitate  domini  ad  festivnm 
ignem  suum  adducendam  esse  dicebat/  Von  der  Unter- 
mosel und  Obermosel  fUhrt  Grimm  die  Weisttlmer  (II,  302.  264) 
von  Riol,  Velle  und  Tavem  als  ältere  Zeugnisse  ftlr  den  Weih- 
nachtsblock an.  Das  Detail  der  Sitte  lernen  wir  im  heutigen 
Brauche  der  Eitel  kennen.  Am  Weihnachtsabend  legte  man  einen 
Holzstamm  an  den  Feuerheerd,  Christbrand  genannt.  ^  Was 
davon  bis  heil.  Dreikönig  nicht  verbrannt,  sopdem  bloß  verkohlt 
war,  davon  wurden  Kohlen  in  den  Kornbahr  gelegt,  damit  die 
Mäuse  das  Korn  nicht  beschädigen  möchten.^  Im  Berleburgischen 
band  man  ehedem  den  Christbrand  in  die  letzte  Garbe,  offen- 
bar um  die  Ernte  des  nächsten  Jahres  ergiebig  zu  machen.^ 
Verwandt  ist  jedenfalls  die  von  Montanus  aus  der  Gegend  der 
Sieg  und  Lahn  geschilderte  westfälische  Sitte  der  Ncuanlage  des 
Grundblockes  am  Feuerheerde.  Ein  schwerer  Klotz  aus  Eichen- 
holz, gewöhnlich  ein  Erdstummel  wird  entweder  im  Feuer- 
heerde eingegraben,  oder  in  einer  dafür  bestimmten  Mauernische 
unterhalb  des  Kesselhakens  angebracht.  Wenn  das  Heerdfeuer 
in  Glut  kommt,  glimmt  dieser  Klotz  mit,  doch  ist  er  so  ange- 
bracht, daß  er  kaum  in  Jahresfrist  völlig  verkohlt.  Sein  Rest  wird 
bei  der  Neuanlage  sorgfältig  herausgenommen,  zu  Staub  gestoßen 
und  während  der  dreizehn  Nächte  zwischen  Weihnachten 
und  h.  Dreikönig  auf  die  Felder  gestreut.  Dies,  so  wähnte 
man,     befördere    die    Fruchtbarkeit    der    Jahresernte.' 

1)  De  Nore  p.  152. 

2)  Lerouze  in  den  Meinoires  de  Tacadeinie  celtiquo  1809  III,  441. 

3)  Liebrecht,  Gcrvasins  v.  Tilbury  S.  GO. 

4)  Kindliiigor,  Mtinstcrsch.  Beitr.  II,  ürk.    34.    Grimm  Myth.a  594. 
r>)  Schmitz.  Sitten  u.  Bräuche  des  Eifler  Volkes  1«56.    S.  4. 

G)  Kuhn.  Westf.  Sag.  II,  187,  523.     Vgl.  ebds.  S.  104-106. 
7)  MontanuH,  die  dcutnchen  Volksfeste  S.  12. 


Christbloek  und  Weihnachtsbaum.  220 

Hieai  stellt  sich,  was  J.  W.  Wolf  als  Brauch  am  Christabend 
(KenmisaYond)  zu  Geerardsbergen  in  Belgien  beibringt,  daß  man 
dtg  Warielende  einer  Tanne  oder  eines  Bachcnbanmes 
m  das  Fener  legt  mid  verbrennen  läßt,  alles  übrige  Licht  im 
Hanse  wird  ausgelöscht  Man  singt  dabei  und  trinkt  Genever 
und  eotfiammty  wenn  der  Baumstumpf  ausgebrannt  ist,  den  Rest 
dttGetrinkes.^  Der  Christbrand  wird  nur  ein  wenig  angebrannt 
und  beim  Gewitter  wieder  ins  Feuer  gelegt,  weil  dann  der  Blitz 
ttidit  einschlagen  soll;  selbst  ein  Splitter  von  ihm  unters  Bett 
gdegt  schtttzt  vor  dem  Hinschlagen  des  Wetters,  seine  Kohle  in 
Wtflser  gegeben  heilt  die  Auszehrung.^  Die  englischen  Zeug- 
niftse  fllr  den  Christmasblock  oder  Yule  clog  bieten  nichts 
besonders  Bemerkenwertes  dar^  sie  lassen  sich  großenteils  mit 
den  Worten  Herricks  umschreiben : 

Kindle  the  Christmas -brand,  and  thcn  ^ 

Till  sanDCset  let  it  burnc, 

Which  quencht,  then  lay  it  up  agen, 

Till  Christuiad  next  rctumc. 

Part  must  bc  Icept  wherewith  to  teend 

The  Chritftmas  log  ncxt  ycaro, 

And  wherc  'tis  safely  kept,  the  fiend 

Can  do  no  inisc'hiefe  there.'* 

Das  schwedische  Julfeuer  (julabrasa  von  brasa  angezündetes 
Scheitholz),  welches  früher  in  einer  Grube  am  Fußboden  mitten 
im  Hause  brannte,  wie  jetzt  noch  auf  dem  Heerde,*  sowie  der 
Blakkis  (Block),  den  die  Letten  noch  im  17.  Jalirli.  am  Weih- 
nai'htsabend  mit  großem  Geschrei  heninizogeii  und  liernach  ver- 
bnumten,  und  ihre  Freude  daran  hatten,  so  daß  sie  danach  den 
Weihnachtsabend  Bluckwakar,  Bloeksabend  nannten,'^  gehören 
ebenfalls  hieher,  ohne  daß  ich  nähere  Enizellieiten  til)er  sie  mit- 
rateilen  vermöchte. 


1)  Wodana  S.  105.  ('f.  Reinübcrg-Dttringsfcld,  Calendr.  Holp'  II,  32(>. 
^lan  berichtige  das  MisvcrständniU  von  Kuhn ,  der  a.  a.  0.  S.  105  den  Kors- 
niisaTond  (CUiristmessonabend)  als  Kinnes  (KirchnieHse)  auffallt. 

2)  Westfalen,  Niederland.  Kuhn  a.a.O.  lo;J,31J>.  Rcinsborg-Dürings- 
feW.  Calendrier  Beige  11,  327. 

3)  S.  Hone,  Every  day-book  1.  IHm  p.  102.  Brand -Ellis,  Populär  anti- 
q^itiesl.  1H53.    S.  467  ff. 

4)  Hylti'n-Cavallius,  Värend  oob  Vinlarne  I,  175. 

5)  P.  Einhorn,  Iteformatio  gcntis  Letticae.   Kiga  1G3G.    Cap.  IV.  p.  11*'.. 


230  Kapitel  III.    Baamseole  als  Vegetationsdämon: 

Die  in  diesem  Paragraphen  zusammengestellten  Sitten  siiid 
so  entschieden  an  das  Weihnachtsfest  geknüpft,  daft  man  ver- 
sucht werden  muß,  dieselben  zunächst  aus  dem  Ideenkreise  des 
Christentums  zu  begrtlnden.  Läßt  sich  aus  diesem  heraus  eine 
ausreichende  Erklärung  finden,  so  wäre  es  unmethodisch  sidi 
nach  einer  andern  umzusehen.  Auf  einen  christlichen  Ursprung 
aber  weisen  scheinbar  ganz  besonders  die  slavischen  Formen  der 
Sitte,  der  masurische  sowol  als  der  sttdslavische  Brauch  bin, 
wonach  der  Qemeindehirt  ein  Reis  bringt,  das  die  Hansfiraa  mit 
heiliger  Scheu  auf  den  Tisch  legt,  dann  bis  Maria  Verkündigung 
in  den  Getreidehaufen  steckt,  oder  wonach  die  Badnjaci  sowie 
der  polaznik  unter  dem  Rufe  „Christ  ist  geboren^'  mit  Getreide 
beschüttet  werden. 

Es  liegt  nahe  in  dieser  Sitte  die  Wirkung  eines  christGchen 
Bilderkreises  zu  erkennen,  der  sich  zu  gutem  Teile  aus  vermeint- 
lichen oder  wirklichen  messianischcn  Sprüchen  des  alten  Testa- 
ments und  aus  einigen  neutestamentlichen  Reden  und  Erzählungen 
gebildet  hat.  Es  war  au  vielen  Orten  Sitte,  daß  der  Dorfhirte 
am  Weihnachtsabend  von  Haus  zu  Haus  zog  und  sein  Hom 
blies,  um  an  die  Hirten  zu  erinnern,  welchen  der  Engel  auf  dem 
Felde  zu  Bctlehem  die  Geburt  des  Weltheilandes  verkündigte.* 
Christus  wurde  in  der  geistlichen  Poesie  des  Mittelalters  als 
die  Gerte  (virga)  aus  der  Wurzel  Isais  oder  als  die  Frucht, 
der  Apfel  auf  der  Gerte  (Maria),  nach  Anleitung  der  BibeP 
bezeichnet.  Mit  anderm  Bilde  hieß  Christus  der  Weizen,  der 
aul'  Marien  Acker  oder  in  der  Garbe  Maria  wuchs,  des  Kor- 
nes und  des  Weines  unscheinbare  Blüte,  das  sättigende  Korn, 
das  Weizenkom,  das  Himmelsbrod.  ^  Außer  dem  Mysterium  des 
Brodes  im  Abendmahl  hatte  dazu  namentlich  eine  Bibelstelle  im 
Ev.  Joh.  12,  23.  24  mitwirken  können,  wo  Jesus  sich  selbst  mit 

1)  S.  W.  Mannhardt,  Weihnachtsblüten  in  Sitte  und  Sage.  Berlin  1864. 
S.  118  ff.  Vgl.  noch  Peter,  Volkstümliches  aus  Oesterreich.  Schlesien  II,  275. 
Rcinsberg-Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen  S.  548.  549.  551.  554.  - 

2)  S.  Jes.  11,  1  Et  egredietur  virga  de  radice  Jesse  et  flos  de  radice 
ejus  ascendet.  Et  requiescet  super  eum  spiritus  Domini  cf.  11,  10.  Rom.  15, 
12.  Cf.  Vcnantius  Fortunatus,  hymnus  de  nativitate  4  (Wackernagel  Kirchen- 
lied 18(>4  B.  I  p.  60) :  Radix  Jesse  floruit  et  virga  fructum  cdidit.  Ein  Lied 
saec.  XV.  (Wackern.  I,  238):  Jessaea  stirps  effloruit,  electa  fructum  praebuit. 

3)  Hagen  Ms.  II,  340".   Reinbot  v.  Dorn,  heil  Georg.  4048.  4084.  o.  s.  w. 
ß.  Kourad  von  Würzburg,  Goldene  Schmiede  ed,  Wilh.  Grimm  XLIX. 


durlitUock  «nd  WeihniMditsUmii.  231 

den  Weiienkonie  Tei^eidity  das  in  die  Erde  fallen  and  ersterben 
■Iwe,  um  viele  Frttehte  zu  bringen.  Die  ohristliche  Poesie  hat 
dieseD  Gedanken  ergriffen  nnd  weiter  ausgeitthrt  ChristOB  ist 
das  Korn,  das  blflhete,  zor  Garbe  heranwachs,  gemäht,  gebunden, 
gewhlagen  (gemartert),  gemahlen  (gekreuzigt),  in  den  Ofen  getan 
(begraben),  nach  dreien  Tagen  heraosgenommen  ward,  and  als 
äpdse  Tanaende  sättigte.  ^  Wie  tief  diese  Idee  sich  in  das  Volk 
ImeiD  gelebt  hat,  so  Üafi  sie  nun  rückwärts  vergleichsweise 
wieder  auf  das  wirkliche  Getreide  (ibertragen  wurde,  ersehe  ich 
ftt  dem  französischem  Brauch  in  der  Franche  Comte  (Ganton 
de  Lare,  Gegend  von  Vesoul),  wo  die  letzte  Garbe  der  Ernte 
k  gerbe  de  la  passUm  genannt  mit  einem  am  Palmsonntage 
geweihten  hölzernen  Kreuz  und  einem  mit  Blumen  gezierten  Lor- 
beerzweig  geschmttckt  nnd  so  aui*  dem  letzten  Wagen  heimgeführt 
wird.  Legende  und  Brauch  des  christlichen  Altertums  sind  pla- 
stischer Verkörperungen  der  angeführten  Vergleiche  Christi  mit 
dem  Weizen  voll.  Wenn  Gregor  von  Tours  erzählt,  daB  Maria 
in  emem  Kloster  in  Jerusalem  in  einer  Nacht  alle  Scheuem  mit 
Weizen  füllte,'  so  ist  das  nur  eine  mißverständliche  Vergröberung 
des  Wanders,  daB  sie  in  der  Weihnacht  den  Weizen,  Christum^ 
gebar.  Das  Wallfahrtbild  der  Maria  zu  Bogen  bei  Straubiug 
(Niederbaiem)  trägt  lange  goldgelbe  Haare  und  läßt  unter  dem 
Herzen  eine  strahlenumgebepe  Oeffhung  des  Leibes  sehen ^  in 
welcher  das  aufrecht  stehende  Jesuskind  die  Vorstellung  des 
gesegneten  Leibes  gewährt;  der  Mantel  tibcr  ist  rot  und  mit 
Weizenähren  durchwirkt*  Dergleichen  Darstellungen  waren 
nicht  ungewöhnlich.  Im  Altertumsmuseum  zu  Breslau  befinden 
sieh  unter  den  Katalognunmiem  4420  und  4431  zwei  Gemälde 
des  15.  Jahrb.  aus  der  Pfarrkirche  zu  Neuniarkt  und  dem  ehe- 
maligen Jakobskloster  zu  Breslau.  No.  4431  zeigt  die  Jahreszahl 
U91;  das  andere  Bild  zeichnet  sich  durch  die  Lieblichkeit  und 
vorzügliche  Malerei  des  Antlitzes  aus.  Auf  beiden  wandelt  Maria, 
eine  noch  kaum  aus  der  Knospe  der  Kindheit  entialtcte  Jungfrau, 
nüt  gesenktem  Blick  und  betend  zusauimengeitigten  Händen,  über 
ein  blumiges  Gefilde ;  ihr  Fuß  berührt  kaum  schwebend  den  Erd- 


1)  Heinr.  v.  Krolewitz,  Vateninser  ed.  Tiisch  2973.  3078. 

2)  De  gloria  martyrum  L.  IX  c.  41.  ]>.  174.  Uuinard. 

3)  Bavaria  I.  Abth.  2,  1000. 


2S2  Kapitel  III.    Baonuieele  ab  Y egetationadamon : 

boden,  nar  ihr  ttberlanges  Gewand ,  das  in  zahllosen  Falten  her- 
abhängt, streift  denselben.  Dasselbe  ist  von  dunkler  Farbe  und 
übersät  mit  Weutenähren,  Ihren  Hals  und  beide  Ettnde  umgiebt 
ein  goldenes  Band  in  Form  von  lodernden  Flammen.  Wer  kitenle 
verkennen  9  daß  hier  das  Geheimniß  der  Empfängniß  durch  den 
heiligen  Geist  ^  in  feiner  und  sinniger  Symbolik  dargestellt  sei 
Das  Muttergottesbild  in  der  steinernen  Kapelle  zu  Kirehenthal  im 
Pinzgau  trägt  3  Aehren  in  der  Hand;  sie  soll  1693  auf  einon 
Platze  erbaut  sein,  den  Maria  selbst  anzeigte,  indem  sie  mitteB 
im  Winter  drei  Kornähren  aus  dem  tiefen  Schnee  her- 
Yorwachsen  ließ,  deren  eine  man  noch  in  der  Schatzkammer 
bewahrt'  Hier  ist,  wie  in  jener  Erzählung  des  Gregor  von 
Tours,  die  symbolisch  ausgedrückte  Geschichte,  daß  Marien - 
Acker  im  Winter  (24.  Dez.)  das  hinmilische  Korn  (Jesus)  herror- 
sprießen  ließ,*  localisiert.  Aehnliche  Legenden,  wonach  ein  Mutter- 
gottesbild mit  Roggen  und  Weizen  umwuchs,  oder  der  Adker 
Weizenähren  höher  als  je  seit  Menschengedenken  ertrug,  in  deren 
Mitte  U.  1.  Frau  einem  armen  Weibe  erschien  und  die  Errichtung 
einer  Kapelle  forderte,  wiederholen  sich  z.  B.  zu  Kaltenbrunn  in 
Tirol  und  Maria  Schnee  in  Kämthen.  ^  Christus  das  Weizenkom, 
dieser  Gedanke  findet  auch  in  dem  in  Schlesien,  Oesterreic)i, 
Schwaben  (vgl.  z.  B.  Meier  S.  250,  278)  u.  s.  w.  verbreiteten 
Glauben  Ausdruck,  daß  in  oder  auf  jedem  Weizen-  oder  Spelt- 
kom  die  Mutter  Gottes  mit  dem  Kinde  wsdimehmbar  sei.  War 
aber  das  Christkind  selbst  die  Himmelsspeise,  der  Weizen,  der 
vom  Himmel  kam,  so  lag  es  dem  praktischen  Bedürfnisse  des 
das  Geistige  versinnlichenden  Volkes  nahe  genug,  auch  den 
irdischen  Menschen-  und  Tierleib,  und  das  irdische  Getreide 
durch  dasselbe  oder  durch  Berührung,  Genuß,  Zumengung  von 
einem   Abbilde   desselben   gesegnet   zu  wähnen.    Wie  Maria  an 

1)  Cf.  Apostelg.  11,  3:  super  quolibet  eoram  flammula  consedit. 

2)  J.  Ealtenbäck,  die  Marien  sagen  in  Oesterreich.  Wien  1845.  p.  261,  122. 

3)  Zu  vergleichen  ist,  daß  nach  deutschem  Volksaberglauben  während 
der  Christmesso  der  Hopfen  fingerlange  Schossen  unter  dem  tiefsten  Schnee 
hervortreiben,  ein  Zweig,  den  man  in  der  St  Andreasnacht  am  Anfange  des 
Advents  in  Wasser  setzt,  in  der  Weihnacht  blühen  soll.  Siehe  den  Zweig 
(virga)  und  die  Blüte  (flos)  aus  der  Wurzel  Josse  (Jos.  11,  1)  aus  dem 
Winterschnec  hervorschießend  (ascendens,  exsurgens  Böm.  15,  12).  cf.  Mann- 
hardt ,  Weihnachtsblüten  S.  169. 

4j  Kaltenbäck  a.  a.  0.  S.  61,  26.  122,  bi. 


Gkrisiblook  und '  Weihnaohtsbanm.  283 

Mtttt  Verkttndigiuig  (25.  März)  das  himmligche  Wdzenkorn  Chri- 
stn  empfing,  soll  die  Erde  sich  an  diesem  Tage  flir  den  Empfang 
des  irdischeii  Kornes  öffiien,  dann  werde  die  Ernte  reichlich 
MD  (s.  o.  S.  224).  In  manchen  Kirchen  des  Inntals  (Tirol)  schüttet 
IUI  am  Chaifreitag  (vgl.  die  gerbe  de  la  passion  o.  S.  231)  ttber 
d»  rar  Verehrong  gestellte  Cruzifix  türkischen  Weizen  und 
ndens  Getreide.  Dieses  Getreide  gehört  dem  Kttster.  Im  Unter- 
iiBrtfaal  legt  man  einige  Hände  davon  in  den  Getreidekasten, 
dadurch  werde  der  ganze  Vorrat  gesegnet  Die  Getreideart,  von 
welcher  das  meiste  aof  dem  (iberschtttteten  Grozifix  liegen  bleibt, 
gedeiht  am  besten.  ^  Zn  Gyperath  in  der  Eifel,  zn  Wahn  Kr.  Mttl- 
bdm  0.  s.  w.  kehrt  man  am  h.  Weihnachtsabend  den  Feoerheerd, 
indem  man  glanbt,  es  regne  in  dieser  Nacht  [wenn  sie  hell  sei] 
Kom  vom  Himmel,  nnd  von  welcher  Fracht  am  meisten  falle, 
die  gedeihe  am  besten.*  Nach  Franz  Wessels  Schildemng  des 
kadiolischen  Gottesdienstes  zn  Stralsund  bis  z.  Jahre  1523  S.  4: 
fittteten  die  Baaerleate  den  Christabend,  bis  sie  die  Sterne  am 
ffimmel  sahen  „so  drögen  sS  garwen  in  de  koppele  efte  sus  en 
de  lacht,  dat  se  de  wint  snS  rlp  efte  sus  de  lucht  beschtnen 
konte,  dat  hStede  men  des  morgens  kindesvöt,  dat  dSlde  men 
des  moigens  allem  [y@he]  fit,  slöch  gne  garwe  2  efte  3  üt  unt 
gaf  den  swlnen  koien  enten  gensen  dat  se  alle  des  kindesvötes 
genSten  scheiden.'' '  Kindsvöt  (Kindsfuß)  hieß  das  Leckerwerk, 
das  man. den  Geschwistern  eines  neugebomen  Kindes  als  von 
diesem  ans  dem  Himmel  mitgebracht  darreichte.  Das  dem  Vieh 
vm  Gedeihen  ausgeteilte  Kom  „Kindsvöt''  gilt  als  vom  Christ- 
kind ans  dem  Himmel  mitgebracht;  war  nach  obigem  mithin  nur 
eine  symbolische  Wiederholung  seiner  selbst.  In  Oesterr.  Schie- 
nen setzt  der  Bauer  von  allen  Feldfrttchten  je  einen  Teller, 
offenbar  mit  Beziehung  auf  den  messianischen  Psalm  131,  11  voll 
auf  den  Tisch  (vgl.  unten  S.  24:>  Anm.  4),  auf  daß  das  Christ- 
sie segne  und  ihm  im  nächsten  Jahr  eine  reichliche  Ernte 


DZingerle,  Sitten  Aufl.  2.  148,  1276  —  1278.  In  manchen  Kirchen 
■^üttete  man  im  16.  Jahrh.  znm  Feste  der  Auffahrt  Oblaten  von  der  Höhe 
^  Gewölbes  herab,  um  das  Uimmelsbrod  anzudeuten.  Bartsch  Germania 
XVI1,83.    Sebast  Franck,  VV^eltbuch  1534  CXXXII  a. 

2)  Schmitz,  Sitten  und  Bräuche  des  Eifler  Volks  I,  4. 

3)  Höfer  in  Bartsch,  Germania  XYIII,  1. 


334  Kapitel  DI.    Bauinseele  als  VegetatioiiBdftmoii: 

verleihe.  ^  In  der  Ohristnacht  erhält  jedes  Stttck  Vieh  ein  Weizen- 
kom. '  Weizen  und  Erbsen  am  Christabend  dem  Vieh  in  die 
Ställe  geworfen  bringen  demselben  Gedeihen;  wenn  man  am 
Weihnachtstag  während  des  Gottesdienstes  Weizen  in  der  Tasche 
trägt  and  dem  Geflügel  vorwirft,  so  wird  es  fett  und  legt  viele 
Eier.  Erinnern  wir  uns ,  daB  Joseph  als  ein  vorbildlicher  Tjrpat 
von  Christo  aufgefaßt  wurde/  so  wird  nun  mit  Beziebang  aaf 
Josephs  zwiefachen  Traum  von  der  Garbe,  vor  der  sidi  die 
andern  Garben  neigten  und  von  Sonne,  Mond  und  Sternen,  die 
vor  ihm  sich  beugten  (1  Mos.  37,  5  — 11)  auch  das  folgende 
Weihnachtslied  sich  erklären,  mit  dem  polnische  Bursche  singend 
von  Haus  zu  Haus  ziehen:  - 

Wolsein  und  Walstand 

Zur  Gebart  des  Heiland! 

Weizen  und  Erbsen  gedeihen  Jietief', 

Und  der  Himmel  fülle 

Schoppen  und  Scheuer. 

Auf  dem  Felde  steliCy 

Garbe  an  Garbe^ 

Schober  an  Schober; 

Und  zwischen  den  Schobern  stehe  der  Herr^ 

Wie  der  Mond  zwischen  dem  Sternenlieer. 

Wagen  an  Wagen  mag  zur  Scheuer  fahren, 

Wie  Bienen  zum  Bienenstocke  sich  schaareii.* 

Ob  mit  dieser  Vorstellung  der  Aberglaube  zusammenhängt,  so 
viele  Sterne  in  der  Christnacht  am  Himmel  sichtbar  sind,  so 
viele  Mandeln  Kom  wird  es  auf  dem  Felde  geben,*  ist  der 
Himmel  wolkenlos,  also  sternenklar,  so  giebt  es  eine  gute  Ernte?* 
Oder  spielt  hier  eine  andere  messianisch  gedeutete  Stelle  des 
alten  Testaments  mit  (1  Mos.  15,  5.  2  Mos.  32,  13.  1  Mos.  22,  18), 
wonach  Abrahams  Same  (der  Gal.  3,  16  auf  Christus  gedeutet 
wird)  einmal   alle  Geschlechter  der  Erden  segnen,   sodann  wie 

1)  Peter,  Volkstümliches  II,*  S.  274. 

2)  Zingerle,  Sitten  Aufl.  2  p.  1%,  151)9. 

3)  Luther  u.  a.  sagte  „In  Josephs  Person  hat  Gott  auf  das  allerfeinste 
Christum  und  sein  ganzes  Reich  leiblich  abgemalet.**  S.  Herzog,  Realencyclop. 
der  Protest.  Theol.  B.  VII,  p.  22. 

4)  C.  Wurzbach,  die  Sprichwörter  der  Polen  Aufl.  2  Wien  1852  p.  148. 

5)  Glienick  bei  Zossen;   Börnicke  im  Havellande;   Beelitz  i.  d.  Zauohe 

U.  8.  W. 

0)  Stulpe  Kr.  Jütcrbogk;  Üborschlesien  u.  s.  w. 


Chriitbloek  und  Weihnaehtsbanm.  Sa5 

die  Sterne  am  Himmel  sein  soll  ?  ^  Beim  Zastandekommen  aller 
dieser  Volksgebitache  mid  Volksanschaanngen  werden  wir  uns 
die  Predigt  und  populäre  Exegese  der  aas  der  Vulgata  schöpfen- 
den Priester  des  Mittelalters  am  stärksten  beteiligt  vorstellen 
mOMen.  Wird  es  aber  nach  den  autgeftlhrten  Analogien  eines 
Beweises  bedürfen,  daft  die  weihnachtliche  Beschttttung  des 
Bidigak  und  der  Menschen  mit  Weizen  unter  dem  Rufe  „Christ 
ist  geboren^  das  Geschenk  des  hinunlischen  Weizens  vergegen- 
idirtigen  sollte?  Und  schlieft  sich  an  diese  Deutung  nicht  ganz 
iQgezwongen  die  weitere  jener  in  Masuren  vom  Hirten  omher- 
getr^;enen,  mit  heiligem  Schauer  empfangenen,  sodann  im  Ge- 
treidehanfen  angesteckten  Birkenrute  auf  die  virga  e  radice  Jesse 
egiediens?  Liefie  sich  nun  nicht  auch  der  Weihnachtsblock,  der 
am  liebsten  ein  Wurzelende  ist,  als  radix  Jesse,  das  Feuer, 
welches  kein  anders  Licht  im  Hause  neben  sich  duldet,  als 
Beziehung  auf  die  himmlische  Klarheit  auffassen,  welche  die 
Hirten  auf  dem  Felde  in  der  h.  Geburtsnacht  umleuchtete,  oder 
aof  das  Licht  aus  der  Höhe,  welches  vom  Christkinde  ausstrahlte. 
Der  Messias  wird  im  alten  Testament,  Christus  im  neuen,  zumal 
im  Johannisevangelium ,  ja  so  oft  das  Licht  der  Heiden,  das 
Ucht  in  der  Finstemiß,  das  wahrhaftige  Licht,  die  Sonne  der 
Gerechtigkeit,  der  Aufgang  aus  der  Höhe  genannt  (Jes.  9,  2. 
Matth.  4,  16.  Jes,  l2,  6.  GO,  1.  Luc,  2,  32.  Ev.  Job.  1,  4-10. 
3, 19.  20.  8,  12.  12,  35.  36.  Luc.  1,  78),  daß  eine  Versinnlichung 
dieses  Bildes  der  Gemeinde  nicht  fernliegen  konnte.*  Daß  dann 
Menschen,  Tiere  und  Getreide  durch  den  Christbloek  und  seine 
leberbleibsel  gesund  gemacht  und  vennehrt  werden  sollen, 
würde  aus  der  abergläubigen  Vorstellung,  daß  der  von  diesem 
Lichte,  welches  nach  Job.  1,  3.  10.  das  Leben  und  die  schöpfe- 

1)  Cf.  den  Hymnus  de  nativitate  domini  saec.  XIV.  bei  Ph.  Wackernagel, 
<ia«  d.  Kirchenlied  I,  164 :  De  seniinc  Abrabae  ex  regali  genere  oritur  de 
«<iere  virgine  Maria.  —  Caspar  Löncr  bei  Wackernagel,  a.  a.  0.  III,  611>: 
Der  sam  ist  anifgegangen  des  vaters  Abralie,  in  den  Got  hat  verheyssen  zu 
»egen  ewigs  wee.  Schwerlich  liegt  hier  eine  j>oetische  Naturanschauung  zu 
firunde,  wie  in  dem  lettischen  lüitsel  für  den  Hhnmel  mit  den  Sternen: 
tewam  kaschaks  rogu  pilns  d.  i.  der  Vater  hat  einen  Pelz,  der  voll  Aehren 
i^-  Oder :  Sils  dckkis  (tirma  willaine)  rogu  pilns  (pilna  baltu  rogu)  d.  i. 
«ine  bUne  Decke  (graue  Wolldecke)  voll  weißer  Aehren  (resp.  Erbsen). 

2)  Cf.  den  Hymnus  des  h.  Anibrosius:  Nox  atra  jam  depellitur  mimdi 
DitoT  renascitur. 


286  Kapitel  in.    Baamseele  als  Vegetationsclftmon: 

rische  Ursache  aller  Dinge  in  der  Welt  war  und  ist,  aassirahlende 
geistliche  Segen  auch  leiblichen  Segen  nach  sich  ziehe  (Luc.  13| 
31)  erklärt  werden  können.  -  Es  wird,  glanbe  ich,  kein  Zweifd 
bleiben  können,  daß  die  angegebenen  Ideen  wirklich  einmal  mit 
dem  Weihnachtsklotze,  resp.  der  Weihnachtsgerte  verbmid^ 
worden  sind.  Bei  alledem  aber  möchte  es  schwer  halten  nach- 
zuweisen, daß  und  weshalb  diese  sinnvolle  Symbolik  grade  die 
hergebrachte  Form  annehmen  mußte,  und  immer  bleiben  ver- 
schiedene Stücke  übrig,  welche  bei  Annahme  eines  ohristliehen 
Ursprungs  schwer  zu  begreifen  sind.  Dagegen  lösen  sich,  wie 
es  scheint,  diese  Schwierigkeiten,  sobald  wir  den  Badnjak,  Chriat- 
block,  Calignaou,  Yule  clog,  die  masurische  Weihnachtsgerte, 
jene  albanesischen  Kirschbaumzweige  u.  s.  w.  flir  Gestalten  erktt- 
ren,  welche  dem  Maibaum  und  Emtemai  parallel  gehen,  mit  dem- 
selben in  einen  Ideenkreis  gehören.  Sehr  richtig  nämlich  scheint 
mir  das  Urteil,  das  schon  Brand  ^  auf  Grund  der  englischen 
6]iluche  aussprach:  „I  am  pretty  confident,  that  the  Yule  clog 
will  be  found  in  its  first  use  to  havis  been  only  a  oounterpart  of 
the  midsummer-fires  made  within  doors  because  of  the  cold 
weather  at  this  winter  solstice,  as  those  in  the  hot  season,  at 
the  Summer  one,  are  kindled  in  the  open  air."  Sahen  wir  früher 
(0.  S.  177 ff.)  daß  im  Feuer  der  Sommersonnenwende  ein  Maibaum 
verbrannt  wurde,  als  Darstellung  der  durch  die  Glut  der  Hoch- 
sommersonne passierenden  Vegetation,  so  war  beim  Wintersolstiz 
dieselbe  Symbolik  wol  angebracht  als  zauberwirksame  Veran- 
schaulichung der  durch  Wiederkehr  der  Sonne  neu  beginnenden 
Belebung  der  Pflanzenwelt.  Waren  demnach  jene  albanesischen 
Kirschbaumzweige,  die  noch  unzerschnittcncn  (wie  die  Maibänme 
mit  Blumen  und  bunten  Fäden  geschmückten)  Eichbäumchen 
(Badnjaci)  in  Dahnatien,  oder  der  dickere  aus  praktischer  Not- 
wendigkeit  zersägte  Baumstamm  in  Frankreich,  Deutschland, 
England  eine  Verkörperung  des  Vegetationsdämons,  so  erläutern 
sich  viele  bisher  undeutbare  Züge.  Wie  der  Richtmai  (o.  S.  218) 
hält  der  Christblock  Blitzschaden  von  dem  Hause  fem,  er  wird 

1)  Man  vgl.  das  flämische  Weihnachtslicd ;  „Hccrderkes  van  bniten 
spoedt  u  op  de  been ,  met  trommelkes  en  met  fluiten  regt  naer  Betlehem,  want 
daer  is  geboren  ten  god  van  al,  die  ons  het  Icven  heeft  gegeven,  in 
den  stal.  Heinsberg  -  Düringsfeld ,  Calendr.  Beige  II,  340. 

2)  Populär  antiquitics  ed  Ellis  I,  471. 


Cfariffblodc  und  Weihnachtsbantn.  337 

als  Andeatongy  daB  dem  Soniieoschein  der  begleitende  Regen 
mcht  fehlen  solle  mit  Wasser  und  Salz,  mit  Oel,  Wein  oder 
ffier  begossen,  wie  der  Emtemai  (o.  S.  214  ff.)  und  der  wendische 
Eienzbanm  (o.  S.  173).  Seine  Bertthrang  verursacht  Furunkel- 
gesehwlire,  Krätze,  und  diese  Uebel  werden  mittelst  Hindurch- 
kriechen durch  die  Wurzeln  eines  Brombeerstrauches 
gebeilt,  Züge  die  wir  hinlänglich  als  Zubehör  der  Vorstellung 
van  einem  dem  Baume  innewohnenden  Dämofi  kennen  gelernt 
hohei^  (o.  S.  20  Z.  1  ff.  32).  DaB  der  Geist  des  Wachstums  die  A  u  s  - 
tehrung  heile,  Menschen  und  Tiere  gebären,  das  Getreide 
wachsen  mache,  ist  eine  schon  in  den  früheren  Abschnitten  reich- 
lieh belegte  Anschauung.  Ich  mache  somit  nur  noch  darauf  auf- 
merksam, daB  der  im  Johannisfeuer  entlohte  Baum  ganz  verbrannt, 
der  Baum  im  Weihnachtsfeuer  dagegen  nur  angekohlt  und  in 
Frochtfeld,  Weinberg,  Obstgarten  ausgetan  wird,  weil  ersteres 
die  yersengende,  Laub  und  Gras  verzehrende  Glut  des  Hoch- 
sommers, dieses  die  mit  Mitwinter  beginnende  langsam  Blätter, 
Bluten  und  Frflchte  hervortreibende  Sonnenkraft  nachbilden  soll. 
Wenn  wirklich  darauf  Gewicht  zu  legen  ist,  daß  der  Christblock 
an  manchen  Orten  em  Wufgelende  sein  mußte,  so  könnte  dies  auf  die 
Vorstellung  hindeuten,  daß  der  Baum  der  Vegetation  im  Herbste 
gleichsam  abgehauen  werde  (vgl.  daß  die  Mädchen  den  Harkel- 
maibaum  umwerfen);  nur  der  Stumpf  mit  dem  noch  inne  woh- 
nenden Dämon  [vgl.  die  Moosweibchen  o.  S.  83],  die  Wurzel  bleibt 
flbrig,  aus  der  er  im  nächsten  Jahre  neu  hervorsprießen  soll. 
Fttr  die  Richtigkeit  dieser  Hypothese  durfte  die  folgende  Fast- 
nachtsitte  aus  Nauders  in  Tirol  sprechen.  Vor  dem  Fastnacht- 
pfinztag  gehen  die  Bursche  in  den  Wald,  suchen  den  größten 
Block  aus  und  richten  ihn  schön  her,  indem  sie  ein  Loch  hinein- 
bohren und  ein  Bäunichen  hineinstecken,  das  sie  mit  Btlscheln, 
Kriinzen  und  farbigen  Bändern  nach  Art  des  Maibaums  verzieren. 
Am  Fastnachtpfinztag  vermummen  sie  sich,  meistens  in  weiße 
Kleider,  und  ziehen  den  Block  auf  einem  Schlitten  unter  großem 
Jabel  un  Dort*  herum.  Alles  freut  sich,  wenn  es  heißt:  „heuer 
ziehen  die  Buben  den  Block/'  Der  Block  wird  einem  ange- 
sehenen Mann  der  Gemeinde  (Landrichter,  Pfarrer,  Kaplan  u.  s.  w.) 
verehrt,  dann  eine  Mahlzeit  gehalten.  ^    Wer   erkennt  nicht  die 

1)  Panzer  II,  24G«  451.    Eine   lehrreiche  Variante  dieses  Brauches  aus 
dem  Oberinnthal  s.  Zingerle,  Sitten«  \U,  1194.    Danach  ist  es  der  größte 


2)^  Kapitel  HI.    Baumseele  als  Vegetationsdänion: 

Vorwiindtscbaft  dieses  Brauches  niit  der  Einholung  des  schönsteu 
Hanmes  durch  die  Weiber  (o.  S.  174)?  Es  ist  doch  wol  die  Eän- 
bringnng  des  aus  dem  verstttmmelten  Vegetationsbaum  hervor- 
9prieBenden  neuen  Wachstumsdänions.  Doch  dies  bleibe  dahfai- 
gestellt.  DaB  der  Emtemai  auf  dem  Giebel  des  Hauses  ak 
Fenat  befestigt  wird;  findet  somit  sein  richtiges  Seitenstttok  in 
der  Eingrabung  des  Christklotzes  als  Grundblock  der  heiligen 
Feuerstelle.  Unsere  Beobachtungen,  falls  sie  richtig  sind,  lassen 
sich  nur  durch  den  unausweichlichen  Schluß  mitemander  verenn- 
gen,  daß  hinsichtlich  des  Weihnachtsblockes  eine  Sdiickt  äUerer 
Volksgehrättche  und  Vorstellungen  eine  Umdeutung  im  Sinne 
gewisser  christlicher  Ideen  erfahren  hat,  welche  es  doch  nicht 
vermochten  alle  früheren  ihnen  widerstrebenden  Ztlge  ganz  aas- 
zutilgen. 

Zu  ganz  demselben  Ergebniß  scheint  uns  die  Betrachtung 
des  Weihnachtsbaums  zu  führen,  obwol  itir  diesen  das  Material 
noch  kaum  in  hinreichender  Vollständigkeit  vorliegt,  um  die 
Frage  spruchreif  zu  machen.  Der  schönste  Schmuck  des  deut- 
schen Christfestes ,  seit  Monaten  vorher  die  Sehnsucht  der  seligen 
Kinderschaar,  der  grüne  Tannenbaum  mit  deii  t^ergoldeten  Aepfdn 
und  Nüssetiy  Zuckerpuppen,  bunten  Papiernetzen  und  den  viden 
brennenden  Lichtern  ist  erst  seit  verhältnißmäBig  kurzer  Zeit  so 
zu  sagen  Nationaleigentum  geworden.  Heutzutage  ein  Abzeichen 
deutscher  Abstammung  und  Gesinnung  begleitet  er  unsere  Volks- 
genossen über  Gebirge  und  Meere  und  zeugt  in  fernen  Weltteilen 
von  deutschem  Gemüt  und  deutscher  Geistestiefe.  Im  Anfange 
des  19.  Jahrhunderts  .war  er  erst  wenigen  Deutschen  bekannt; 
erst  die  gegen  die  nüchterne  Verständigkeit  des  Rationalismus 
reagierende  Vertieiung  des  religiösen  Lebens  nach  den  Freiheits- 
und schötiste  Banm  des  Gemein dewaldcs,  abgeästet,  mit  Blamen, 
Kränzen,  Bändern  geschmückt,  den  die  Bnrsche  paarweise  vorgespannt 
am  Donnerstag  vor  Fastnacht  auf  dem  Schlitten  ins  Dorf  ziehen.  Die  den 
Schlitten  ziehenden  Bursche  tragen  grüne  Hosenträger,  ihnen  geht  der 
älteste  Junggeselle  vorauf;  auf  dem  Baume  läuft  ein  „Herold**  auf 
und  ab^  der  alle  Begegnenden,  vorzüglich  die  Mädchen  in  Keimen  Ter» 
spottet.  Allerlei  Masken  begleiten  den  Zug,  der  sich  unter  beständigem 
Jauchzen  und  Schreien  durch  das  ganze  Dorf  bewegt.  Auf  niedrigen 
Scheunendächern  werden  Pfötschen  (Zwergföhren)  aufge- 
steckt Nach  Vollendung  des  Zuges  versteigert  man  den  Baum,  und  ver- 
zehrt den  Erlös  im  Wirtahause. 


CauMbloek  and  WeihnachtgUum.  S39 

biogea  beförderte  seine  Aasbreitnng ,  welche  derjenigen  der  deat- 
Nhei  Schrifigpracbe  ähnlich  vor  sich  ging,  mit  dem  Wachstnm  der 
viümiea  Idee  gieichlanfend  Fortschritte  machte  und  mit  dem  Wer- 
den des  Beiohes  den  Particolarismas  überwand.  Es  fehlt  noch  an 
UitorBndraDgen  ttber  sein  erstes  Auftreten  und  seine  ältere  Ver- 
hreitang.  In  Schweden  unbekannt,  war  er  doch  bei  den  Insel- 
tehweden  an  der  russischen  Küste  auf  DagO  und  Worms  im 
Aniaiige  unseres  Jahrhunderts  häufiger  als  jetzt  im  Gebrauch;  an 
der  mit  Nüssen  und  Aepfeln  behangenen  Tanne  standen  je  5 
Ueine  Wachslichter  auf  einem  Zweige.  ^  Auch  in  Norwegen  und 
Olnemark  ist  er  in  den  Städten  mindestens  ebenso  lange  ver- 
bnitet^  Das  protestantische  Norddeutschland  hegt  ihn  seit  gerau- 
mer Zeit  in  seinen  Städten  (nach  Oldenburg  soll  er  gegen  das 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  gekonmien  sein),'  aber  dem  nieder- 
deotseh^n  Bauer  in  der  Provinz  PreuAen,  in  Pommern,  Mecklen- 
kug,  Holstein  u.  s.  w.  war  er  noch  in  den  ersten  Jahrzehnten 
nueies  Jahrhunderts  fast  unbekannt  Schleiermacher  in  seiner 
1806  zneiBt  erschienenen  „  Weihnachtfeier  ^  und  Tieck  (Novelle 
Weihnaehtabead)  erwähnen  ihn  noch  nicht  als  Bestandteil  der 
Festieier  in  Berlm.  Aehnlich  verhält  es  sich  wol  in  Mitteldeutsch- 
land, so  im  Sächsischen  Erzgebirge^  und  im  Voigtlande,  der 
Baum  ist  hier  keineswegs  allgemein.^  Qoethes  Freund  Schwerdt- 
geburt  in  Weimar  ^ber  verwandte  den  Weihnachtsbaum  auf  sei- 
aem  bertthmten  Lutherbilde  und  schon  1765  fand  der  junge 
ätndent  Goethe,  als  er  damals  im  elterlichen  Hause  von  Kömers 
Matter,  Minna  Stock,  in  Licipzig  Weihnacht  feierte,  ein  Christ- 
biuQchen  au%estellt  mit  allerlei  Süßigkeiten  behangen,  darunter 
Umm  und  Krippe  mit  zuckemem  Christkind,  Mutter  Maria  und 
Joseph  nebst  Oohs  und  Eselein;  davor  aber  ein  Tischchen  mit 
bnumen  Pl'efferkuchen  tUr  die  Kinder.  (Vgl.  Kunst  und  Leben 
ans  Friedr.  Försters  Nachlaß  1878.)  Dem  entsprechend  beschreibt 
auch  Kttgelgen  (Jugenderinnerungen  1870  S.  79)  die  mit  glitzern- 
dem Rauschgold,  bunten  Papierschuitzeln  und  goldenen  Frttchten 


1)  K.  Baßwurm,  Eibofolko  II,  p.  %.    §.  296. 

2)  Cf.  Andersen,  Märchen. 

3)  Strackerjan  II.  S.  26,  289. 

4)  M.  Spieß,  Abergl.  Sitten  u.  Gebr.   im  sächs.  Erzgebirge.    Dresden 
1002.  p,  43.    i.  50, 

5)  E.  Köhler ,  Volksbrauck  im  VoigÜuude  i:$.  160  ff.  » 


340  Kapitel  III.    Baumseele  als  Vegetationsdämon: 

yersehenen  Weihnachtsbäame  auf  dem  Christmarkt  zu  Dresden  im 
J.  1807,  und  ihren  Kerzenschmuck.  Nach  Danzig  brachten  dm 
Weihnachtsbaum  nach  dem  Jahre  1815  die  preußischen  CMSfisiere 
und  Beamten;  gleichzeitig  gewann  er  im  Mttnsterland  durch  die 
größere  Anzahl  Protestanten,  welche  mit  der  preußischen  Her^ 
Schaft  ins  Land  kamen,  an  Ausbreitung.  In  Wttrtemberg  soll  er 
zwar  nach  E.  Meier  ziemlich  allgemein  sein,  doch  ttbte  noch  vor 
10  Jahren  der  Ttlbinger  Bürger  den  Brauch  nur  spärlich;^  im 
Fränkisch  -  Hennebergischen  sieht  man  selbst  bei  dem  LandTKdk 
hie  und  da  ein  Ghristbäumchen,  an  welchem  ein  paar  Stttckohen 
Suhler  Zucker  (Marzipan),  Aepfel  und  Nüsse  hangen ,  in  den 
Häusern,  aber  es  fehlt  der  lichterschmuok.'  Im  filsaft  eifinrle 
schon  im  17.  Jahrhundert  Dannhauer,  Professor  in  Straßbui]g, 
gegen  den  Tannenbaum  oder  Weihnachtsbaum,  den  man  zu  HamM 
aufrichtet,  mit  Puppen  und  Zucker  behängt  und  hemadi  schilt- 
teln  und  abblümen  läßt.^  Er  erwähnt  der  Lichter  nicht,  welche 
jedoch  die  heutige  Sitte  im  Elsaß  anwendet^  In  der  Schwdi 
hängt  man  nach  Stalder  schon  am  Niklasabend  (5.  Dezbr.)  die 
Qaben  für  die  Kinder  an  ein  mit  Flitteigold  und  kleinen  Wachs- 
lichtchen  verziertes  Bäumchea^  Auch  in  vielen  czechischen 
Familien  in  Böhmen  bildet  der  Baum  (Tanne  oder  Fichte)  mit 
Obst,  Backwerk,  Papierguirlanden  und  Kleidungsstücken  behängen, 
sowie  mit  Lichtem  besteckt,  den  Schmuck  des  mit  glänzend 
weißem  Tischtuch  bedeckten  Ehrentisches  im  Winkel  der  Stabe, 
an  welchem  man  das  Abendessen  einnimmt,  und  der  Hanshen 
mit  dem  Gesinde  kniend  und  stehend  vor  und  nach  dem  Emen 
betet  und  Weihnachtslieder  (Kolendalieder)  singt*  In  Ungan 
pflegen  deutsche  Bürgerfamilien  und  hohe  magyarische  Hftnsei 
etwa  seit  dem  Jahre  1830  den  Christbaum;  ganz  neuerdings  fand 
er  durch  den  Prinzen  Albert  auch  in  England,  unter  hovm 
Philipp  durch  die  Herzogin  Helene  von   Orleans  in  Frankreicb 


1)  E.  Meier,  Schwab.  Sagen  462,205. 

2)  L.    Spieß,    Volktüml.    aas    dem  Fränkisch- Hennebergischen.    Wiei 
1869.  S.  102. 

3)  Catechismos-MUch  V,  649. 

4)  Alsatia  1851.   S.  164  ff.   1852.  p.  146. 

5)  Idiotikon  II,  299. 

6)  Reinsberg-Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen  S.  552  nach  Krol- 
mus  staroctfske  povösti:  V.  Prize  1845 — 1851.   p.  476. 


Chiiitblock  und  Weihnftchtsbaam.  341 

Eingaiig,    das   ihn   ebensowenig,    wie  die  Niederlande ,   Italien^ 
Bami«iim  q.  b.  w.  arsprttnglich  kannte. '      In  manchen  Gegenden 
West&lenBy  wo  die  Cbristbäume  nicht  in  Gebrauch  sind,  setzen 
die  Leute  am  Christabend  Tannenzweige    Yor   ihre    Haustttre;^ 
ebemo    schildert    Finn    Magnussen    im   Jahre    1828   als  unter- 
leheidende   Sitte  der  Schweden   ,,Sueci  yirides    arbores   (pinus 
Td  abietea)  sub  dio  ad  oppida  vel  aedes  erigunt,   at  Dani  Nor- 
fegi  et  Gennani  in  ipsis  aedibus/^ '    Auf  einen  ähnlichen  Brauch 
'inf  Island  deutet  vielleicht  die  Sage  zu  Mödrui'ell  im  Eyjatjördr, 
dai  der  aus  dem  Blute    zweier  unschuldig  Hingerichteten  en^ 
qnosseae  Vogelbeerbaum   (o.  S.  4ü)  früher  in  der  Weihnachts- 
Mcht  mit  Lichtem  auf  allen  Zweigen  besetzt  gefunden  wurde, 
welche  selbst  beim  stärksten  Winde  nicht  erloschen/    In  einigen 
Dörfern  des  Elsafi,  zumal  in   den  französischen  Ortschaften  der 
Vqgesen  hat  sich  die  sehr  verbreitete  Sitte  erhalten,  zu  Neujahr 
den  Brunnen  mit  einem  Mai  zu  schmücken,  der  mit  dem  Weih- 
nditsbaum  die  größte  Aehnlichkeit  hat    Die  jungen  Mädchen, 
wekhe  den  Brunnen  besuchen,   verschaffen  sich  nämlich  einen 
klem^  Tannen'  oder  Shchpalpnenbaum ,   eieren  ihn  mü  Bän^ 
(fem,  Eiersclialeny  Meinen  Figuren^  die  eitlen  Uirtefi  oder  einen 
Mann  vorstellen,  der  seine  Frau  /schlägt,  und  stecken  den  so 
geschrnttckten   Baum,  in    der   Neujahrsnacht   auf  den   Brunnen. 
Wihrend  des  Neujahrstages  besucht  mau  die  Brunnen,   in  deren 
Schmuck  sich  die  Mädchen  zu  überbieten  suchen,  und  sobald  der 
Abend  anbricht,   wird  <der  Schnee   um  den  Brunnen   sorgfältig 
weggekehrt  und  die  jungen  Mädchen  tanzen  singend  einen  lieigen, 
an  dem  sich  die  jungen  Bursche  nur  mit  ihrer  Erlaubniß  betei- 
ligen dürfen.    Die  Lieder,  welche  dabei  gesungen  werden,  sind 
ineisteus    gewöhnliche   Rundtanzlieder  ohne    Beziehung   zu    dem 
Baum,   der   das  Jahr   hindurch   als   schützendes    Symbol  iür 
diejenigen  stehen  bleibt,  die  ihn  errichtet  haben,    in  lüilien  hatte 
I'apgt  Martianus  verboten:  „non  licet  iniquas  observationes  agere 
Calendarum   et  otüs  vacare  nequi'  lauro  aiit  viriditatc  arborum 


1)  Vgl.  O.  Schade .  Klopfan  S.  Gl . 

2)  MoDtanus  I,  11. 

3)  Leiic.  mythol.  77*.K 

4)  Mohr,  Forsög  til  en  Islandsk  Naturhisiorie.    Kjüboiihavii  1786  p.  187. 
Maurer.  Island.  Sagen.    Lpzg.  18iK).    Ö.  178. 

Mkanhardt.  16 


942  Kapitel  UI.     Baumseele  als  Vegetationsdäroon: 

cingere    domos;    omnis    haec   obseiratio   paganomm   esL^^ 
England  wurden  der  Boden  der  Kirche  mit  Lorbeeraweigen  i 
immergrünem    Rosmarin    bestreut,    und    grttne    Zweige    \ 
Orangenbäumen  (Pomeranzen)  an  den  Kirchen  herumgesteckl^ 
bis  Ostern  daran  blieben.^ 

Auch  den  Weihnachtsbaum  wird  man  geneigt  sein,  a 
zunächst  aus  christlichen  Anschauungen  zu  erklären.  I 
24.  Dezember  ist  der  Tag  Adami  und  Erae.  Die  Kirehe  hi 
durch  die  Wahl  dieses  Namens  die  Idee  ausdrücken  wollen ,  < 
Christus  als  der  zweite  Adam  den  Verlust  des  ersten  wieder  < 
bringe.  Denselben  G^anken  drückte  die  Legende  so  ansy  i 
Adam  einen  Apfel  oder  Ableger  des  Baumes  der  Erkenntnis  t 
dem  Paradiese  mit  sich  nahm,  und  empflanzte,  daraus  sproi 
Baum  y  ans  dessen  Holze  das  Kreuz  gemacht  wurde ,  an  dem  i 
Erlöser  hing.  Oder  man  sagte ,  daß  auf  Adams  Grabe  ein  B 
vom  Baume  des  Lebens  wuchs,  von  dem  Christus  die  Fm 
der  Eriösung  brach.  "^  Demnach  wird  das  Kreuz  in  der  aHohr 
liehen  Vorstellung  und  Poesie  als  der  neugepfianzte ,  froc 
tragende ,  himmlisch  nährende  Paradiesesbaum  inmitten  der  eri 
ten  Menschheit  gefaßt.^  In  den  in  Folge  dieses  Gedankengani 
an  die  dramatischen  Weihnachtsspiele  des  Mittelalters  angeseU 
seilen  Paradiesspielen  (seit  d.  12.  Jahrh.  nachweisbar),  in  weM 
man  den  Sündenfall  als  der  durch  Christi  Geburt  beginneM 
Erlösung  vorangehend  veranschaulichte^  wurde  dieser  Paradi 
bäum,  der  zum  Lebensbaum  gewordene  Erkenntnißbaum,  d 
Volke  zuweilen  dargestellt ,  in  Oberufer  bei  Preßbnrg  als  ein  W( 
Schuh  hoher  schöner  Kränewit  (Wachholder),  der  mit  grof 
flatternden  Bändern  geschmückt  und  ganz  mit  Aepfeln  behaof 
ist.^     In   Kunstdarstellungen  wurde   das   Kreuz  als   Baum   < 


1)  Burch.  V.  Worms  X,  15.  myth.»  XXXV. 

2)  Cassel ,  Weihnachten  S.  136. 

3)  Gerrasius    v.   Tilbury    ed.   Liebrecht.   Hannover  1856.  UV.    8. 
Vgl.  p.  125.    K.  Weinhold,  Weihnachtspiele.    1853.    S.  328;    K.  J.  Sehr 
deutsche   Weihnachtsspiele   a.  Ungarn.    Wien  1858.    S.  36.   Anm.  * ;    Pri 
reich,  Symbolik  der  Mythologie  und  Natur.   1859.  S.  178—179;  Piper,  ei 
gel.  Kalender  1863  p.  52  ff.  74.    Mannhardt,  Weihnachtsblftten  8.  170. 

4)  P.  Cassel,  Weihnachten  S.  143. 

5)  Weinhüld  a.  a.  0. 

6)  Schröer  a.  a.  0.  9  — 10.  36. 


Chriftibloek  vnd  Weihnachtsbanm.  diS 

Lebon  mehrfmch   wie  ein  Stamm   mit  Wurzeln,    Blättern   und 
Fritchten  gebildet    Doch  anch  diese  Wendung  nahm  der  Gedanke, 
diA  CShriatiis  selber  als  der  wiedererbrachte  Liebensbaam  geprie- 
sen wurde,  der  einst  im  Paradiese  gestanden.     Der  Baum  des 
Lebens,  sagt  ein  Officium  der  griechischen  Kirche  zur  Vorfeier 
der  Weihnacht,  erblllhte  in  der  Höhle  (dem  Orte  der  Geburt)  Yon 
der  Jnngfiran.    „Denn  es  zeigte  sich  ihr  Leib  als  das  geistliche 
PuadieSy  worin  die  gi)ttliche  Pflanze  geboren  wird,  welche  Leben 
giebl,  wenn   wir  uns  von  ihr  nähren.'^     Hugo  von  St  Victor 
(tll45)   sagt:  Christus   steht  in  der  Mitte  der  Kirche  als  der 
Biam  des  Paradieses.    Und  anderswo  wird  Maria  geschildert  als 
der  hlilheiide  und  nnrergtogliche  Garten,  in  welchem  der  Baum 
des  Lebens  gepflanzt  sei,  der  Allen  ungehindert  die  Frucht  der 
Unsterblichkeit  mitteile.^     Cassel  hat  treffend  gezeigt,  daft  die 
fiel  yerforeitete  Sage  von  Apfelbäumen,   welche  in  der  Weih- 
laditsieit  mitten  im  Schnee  Knospen  treiben,  Bltiten  und  Frttchte 
bringen,  auf  diese  allegorische  Auffassung  Christi  als  Lebensbaum 
ndi  gründe.'    Wir  haben  hier  einen  der  mittelalterlichen  Kirche 
aafierordentiieh  geläufigen  Ideenkreis ,  aus  welchem  der  Ursprung 
des  Weihnachtsbaums  sammt  seinen  Aepfeln  und  seinem  Lichter- 
Mbnuck    als    Darstellung    des    zum  Lebensbaume   gewordenen 
Eik^mtnißbanmes  und  Christi   selbst  als  Baum  des  Lebens  und 
Liebt  der  Welt  sich  höchst  wahrscheinlich  machen  lieBe.^    Die 
Yerrollsttndignng  der  Aepfel  durch  andere  Früchte,  Zuckerbrod 
ind  sonstige  Edwaaren    wäre    aus  einer  Vervollständigung  der 
allegorischen    Beziehungen    durch   Christi   Benennung   als   Brod 
des  Lebens  und  Frucht  der    Lenden  Davids  sehr   begreiflich/ 


1)  S.  im  allgemeinen  über   alle  diese  Yorstellungcn  die  ausführlichen 
Md  gründlichen  Nachweisungen  von  Piper  a.  a.  0.  1 7  —  i*4. 

2)  F.  Cassel,  Weihnachten  S.  140*- 142. 

3)  Vgl.  besonders  Piper  a.  a.  0.  74— 7G. 

4)  Von  wie  fielen  Seiten  die  messianischen  Allegorien  den  Festbrauch 
bereicherten,  beweise  u.  a.  eine  kirchliche  Sitte,  die  zu  Mouthc  (D^p. 
^  Doübs)  geübt  wurde.  An  einem  der  Weihnachtstage  trug  man  in  die 
Kii^  Pasteten,  Schinken,  Kuchen,  Zuckerwerk  und  andere  Eßwaaren  und 
Tom  besten  Wein ,  den  man  hatte.  Man  stellte  diese  sieben  Sachen  in  einem 
besondem  Winkel  der  Kirche  auf  und  nannte  das  Ganze  „de  fructu.'* 
Sobald  man  während  der  Vesper  zu  dem  Verse  „De  fructu  rentris  tui 
poD&m  super  sedem  tuam  Ps.  131,  11  gekommen  war,  machten  sich  alle 
Umgtehenden  mit  Eifer  darüber  her  and  eigneten  sich  die  Leckerbissen  unter 

16* 


j^  Kapitel  m.    Banmseele  als  Vegetationsdämon : 

Zumal    die   Nüsse    gehören  in    den   Kreis   der   weihnaehüiehen 
Symbolik.  ^ 

Gleichwobl  darf  und  muß  die  Frage  erhoben  werden,  ob 
nicht  trotz  alledem  der  Weihnachtsbaum  die  christliche  Umdea- 
tung  einer  älteren  dem  Kreise  der  Naturt'este  angehörigen  Sitte 
war.  Weinhold  hat  schon  mit  Recht  auf  die  Aehnlichkeit  dem- 
selben mit  dem  soblesischen  Sonmier  am  Lätaresonntag  (o.  S.  156) 
hingewiesen.'  In  einigen  andern  Gegenden  (z.  B.  Speier)  ist  der 
,, Sommer^'  wie  der  ^^Weihnachtsbaum''  mit  Bretzefai  und  ähnliehen 
Dingen  behangen.  Viel  augenscheinlicher  noch  ist  die  Ueberein- 
stimmung  mit  dem  bunt  bebänderten,  mit  Eßwaren,  vergoldeten 
Eiern  u.  s.  w.  gezierten  Maibaum,  Johannisbaum  und  Emtemai. 
Auch  bei  diesen  fehlt  der  scheinbar  eigenttlmliche  Schmuck  des 
Weihnachtsbaums,  der  Lichterglanz  nicht  inmier.  Im  Ober- 
erzgebirge tanzt  man  zur  Sommelisonnenwende  um  den  „Johan- 
nisbaum''; das  ist  eine  aus  4  Stäben  bestehende  mit  Kränzen 
und  Blumen  verzierte  Pyramide,  welche  in  der  Stube  oder  auf 
der  Straße  auf  ein  Tischchen  gestellt  wird.  Abends  wird  dieselbe 
mit  Lichtem  besteckt.  Die  Tänzer  sind  dabei  weiß  gekleidet 
und  singen  verschiedene  Liedchen  (Zwickau.)'  In  G^lderland 
pflanzte  man  Maiabends  Bäume  auf,  die  geschmückt  und  mit 
Kerzen  besteckt  wurden.^  Auch  zu  Yenloo  in  Limburg,  wo  die 
Ausschmückung  des  Maibaums  ein  Gegenstand  des  Wetteifers 
und  der  Eifersucht  zwischen  den  Einwohnern  der  verschiedenen 
Stadtviertel  ist,  trägt  am  Maiabend  jedes  junge  Mädchen  eine 
Kerze  herbei.  Bei  einbrechender  Dunkelheit  steckt  man  sie  anf 
den  Baum,  zündet  sie  an  und  tanzt  um  denselben.^  Auch  der 
bei  der  Maifeier  in  Dublin  verbrannte  Maibusch  ist  mit  Lichtem 


heiligen  Gesängen  untermischt  von  Schreien,  oft  auch  Streitreden  und 
Beschimpfungen  zu.  Für  den  Bestand  dieser  Sitte  sorgte  eine  Stifttmg, 
welche  die  Geschwornen  des  Orts  verwalteten.  Revue  de  la  Franche  Comte 
hei  Cortet,  fßtes  religieuses  p.  265. 

1)  Vgl.  das  Melker  Marienhild  (Müllenhoff  u.  Scherer ,  Denkmäler  xxxnc 
S.  115):  Jü  leit  in  erde  Aaron  eine  gerte:  diu  gehar  nüzze,  mandalon  also 
edile.  diu  süezze  hast  du  füre  hräht,  muoter  änc  mannes  rät,  Sancta  Maris. 

2)  Weihnachtspiele  1853.    S.  16. 

3)  M.  Spieß,  Aherglauhen  des  sächsischen  Obererzgehirges  S.  14,  148. 

4)  Geldersche  Volksalmanach  voor  1835.  10—18.  bei  Grimm  Myth.«  738. 

5)  Reinsberg-Dtiringsf«»ld,  Calendrier  Beige  1,285. 


Chrutblock  and  Weihnaohtsbaom.  245 

imetst  (o.  8.  178).  Bei  den  Lttneburger  Wenden  werden  auf 
Hochzeiten  mit  liehtern  besetzte  Maien  dem  Brautpaar  voran- 
getragen  (o.  S.  46),  in  der  Ukraine  vor  das  Brautpaar  auf  den 
Ibek  gesetzt  (o.  S.  223).  Der  uns  schon  von  8.12  bekannte 
Jieab  Laszkowskiy  Revisor  von  Niederlitanen  um  1570,  bezeugte 
roB  dem  Aberglauben  der  Zemaiten  redend:  ,,Kimi8  caerasos 
irds  aücujns  (wie  aus  einer  späteren  Stelle  hervorgeht  ist  Ploteli 
gemeint)  seeondum  laoum  sitae  curat,  in  qnos  placandi  ejus  causa 
gillos  mactatos  injieiunt ,  caereosque  accensos  in  eis  figunt^ 
Sehen  wir  ab  von  dem  Namen  des  Dämons  der  Bäume  oder  des 
Ortes,  Kimis,  der  augenscheinlich  verderbt  ist,  jedenfalls  ist  hier 
TOD  einem  nicht  christlichen  Gebrauche  zu  Ehren  eines  dämoni- 
schen Wesens  die  Rede.  Da  Kimis  nachher  „  (singularis)  deus 
agri  Plotelscii^'  genannt  wird,  ist  vielleicht  an  den  von  Kirsch- 
binmeu  gebildeten  h.  Hain  des  Sehutzgeistes  (vgl.  o.  S.  53.)  der 
Burg  Ploteli  zu  denken,  den  man  zu  gewissen  Zeiten  mit  geschlach- 
leten  Hähnen'  und  angezündeten  Lichtern  ehrte.  Dieser  im 
Haine  oder  Baum  wohnende  Schutzgeist  den  Hauses,  Hofes  und 
Mmer  Bewohner  steht  aber  dem  scbwed.  Värdträd,  deutschen 
Maibaum  so  nahe,  daß  auch  die  Sitte,  Kerzen  auf  diesem  anzu- 
ittnden,  sich  dem  litauischen  Brauche  vergleichen  und  tUr  nicht 
christlich  erklären  läßt'  Femer  ist  z.  B.  der  von  den  kleinen 
Mädchen  im  Kuhländeben  (Kr.  Troppau)  beim  Maiengehen  uniher- 
getragene  Tannenbaum  außer  mit  Eiern  und  bunten  Bändern  auch 
mit  vergoldeten  Nüssen  geziert  Auch  wird  bei  der  Darstellung 
des  bekannten  Wettstreits  zwischen  Sommer  ufid  Winter  (Uhland 
Schriften  HI,  18  ff.)  der  Sommer  in  Baiem  stäts  als  ein  Mann 
mit  grünem  Zweige  in  der  Hand,  in   der  Schweiz  einen  Baum 


1)  S.  J.  Lasicii  de  dies  Samagitarain  libellus  p.  47  ed.  Mannhardt 
Mitau  1868.   p.  11.    Cf.  Haupt,  Zs.  f.  d.  A.  I.  139. 

2)  So  warf  der  Lette  das  frische  und  blutige  Fleisch  geschlachteter 
Tiere,  vorzugsweise  von  Hähnen  in  den  hinter  dem  Hause,  häufig  in  einer 
Beke  des  Gartens  stehenden  Hain  des  inahjas  Kungs  „  des  Herrn  des  Geliöf- 
tet,"  der  Este  in  den  Schutzhain  u.  s.  w. 

3)  Vgl.  auch  das  Verbot  heidnischer  Sitte    in  den  Poenitcntiaricn   an 
^igon  Qaellcn,  auf  Felsen  und  an  heilig  gehaltenen  Bäumen  keine  Lichter 
oder  Fackeln   „pro  veneratione"  anzuzünden,  noch  Brod  oder  andere  Opfer- 
g*ben  niederzulegen,  Regino  II.  (Jap.  5.    N.  43.     Poenitent.  Merseburg.    Vgl 
Frie^berg,  Bulibüoher  Ö.  24.  Ol.  iHi. 


246  Kapitel  UI.    Baumsecle  als  Y egetationadfimon : 

mit  Aepfcln  and  Birnen  in  Flittergold  gebttllten  Ntlssen  und  flat- 
ternden Bändern  in  der  Hand  haltend  dargestellt;^  in  Oestreidi 
trägt  die  schlanke  Gestalt  des  Sommers  ein  weiAes  wallendes 
Kleid  9  von  breitem  Goldgürtel  zusammen  gehalten  und  dinen  mit 
grtlnen  Bändern  geschmückten  Strohhut;  seinen  Stab  krOnt  ein 
Tannenwipfel  mit  künstlichen  Blättern  und  vom  Herbst  her 
bewahrten  Früchten.  Der  Aufzug  findet  um  Frühlingsan&iig 
statt.  ^  Es  ist  aber  dieser  von  einer  ,,Sonmier^'  benannten  Person 
in  der  Hand  getragene  Baum  unverkennbar  nichts  anderes ,  als 
jener  aufgepflanzte  oder  in  Prozession  einhergetragene  Baum,  der 
selbst  Sommer,  Leto  u.  s.  w.  heißt  Von  letzterem  bildet  dann 
wiederum  nur  eine  Spielart  der  nach  kirchlichen  Anschaanngm 
wol  nur  benannte  Adamsbaum,  der  im  Saulgau  (Würtembei^)  am 
Sonntag  nach  Lichtmesse  durch  einen  in  Schafispelz  gehüllten 
Mann,  unter  Voraustritt  eines  Fahnenträgers ,  eines  Pfeiffers,  eines 
Tronmilers  und  eines  Latemenknechts  von  den  Mitgliedern  der 
Feuerlöschmannschai't  umhergetragen  wird.  Es  ist  ein  mäßiges 
Bäumchen,  woran  lauter  Aepfel  und  essige  Dinge  steck- 
ten, die  an  die  zugespitzten  und  abgeschälten  Aestchen  ange- 
spießt sind.  Der  Zug  umschreitet  dreimal  jeden  Brunnen;  vor 
der  Herberge  angelangt  wirft  man  plötzlich  den  Adamsbaum  in 
die  Jugend  hinein,  die  darüber  herfällt  und  sich  darum  schlägt' 
Eine  andere  Spielart  des  Lito  ist  der  Palmenstrauß,  der  in  man- 
chen katholischen  Gegenden  am  Palmensonntage  üblich  ist  (s. 
Heinsberg -Düringsfeld,  Das  festliche  Jahr  S.  94  —  98).  Inder 
Umgebung  von  Basel  besteht  er  aus  einem  Tannenbaum  Ton 
zwölf  oder  mehr  Fuß  Höhe,  der  geschält  und  seiner  Zweige 
beraubt  ist,  so  daß  nur  eine  zierliche  Krone  übrig  bleibt  In  diese 
werden  mit  gespaltenen,  oben  und  unten  mit  Buchsbaum  und 
Sävenbaum  verzierten  Weidenbändem  Steehpalmenzweige  hinein- 
gebunden. Diese  ganze  mit  Palmzweigen  geschmückte  ELrone 
umgeben  aber  schützend  4  aus  den  Hecken  geholte  Haselzweige, 
welche  unterhalb  der  Krone  im  spitzen  Winkel  vom  Stamme  des 
Tannenbaumes  abwärts  stehend  über  dem  Wipfel  nach  innen 
zusammengebogen  und  mit  einem  flatternden ,  buntfarbigen  Seiden- 


1)  Vgl.  Uhland  a.  a.  0.  S.  41.    Vernaleken ,  Alpensagen  S.  359. 

2)  A.  Baningarten,  das  Jahr  und  seine  Tage.    Linz  1860.    S.  25. 

3)  Birliuger,  Volkstüml.  a.  Schwaben  II,  S.  50,  (>5. 


Christblock  und  Weihnachtslmiiiii.  247 

binde  zasammeDgebiiiiden  ündy  nachdem  man  aul'  jede  3  —  4 
der  sdiOastea  rotlMiekigeii  Aepfel  in  gleichmäßigem  Abstaode 
geitoekt  hat  Jedes  Haus  läßt  einen  solchen  Palmstrauß  in  der 
Kinhe  weihen  und  pflanzt  ihn  dann  biB  Ostern  im  Garten  auf. 
Dun  wird  er  feierlich  ins  Haus  getragen ;  und  in  einer  Kammer 
rerwahrt;  bd  Gtewittem  verbrennt  man  Zweige  davon  auf  dem 
Heerde,  die  Haselruten  werden  in  den  Viehställen  antgesteckt 
Genau  lu  diesem  Baseler  Palmstrauß  stimmt  die  im  Saterlande 
gebtänchliche  Wepelröt  oder  Werpelrot.  Früher  bestand  die- 
wlbe  einfaeb  aus  einem  astreichen  Baumzweige  (zumeist  Wach- 
kolder  oder  Stechpahne  ilex  aquifolium)  von  iVt"^  F*  Höhe, 
mit  Bindern  und  Blumen  geschmückt^  dessen  Spitzen  mit  Aepfeln 
md  Kuchen  besteckt  waren.  Im  Amte  Kloppenburg  ist  es  noch 
jetKt  ein  geschälter,  geraspelter,  mit  A^epfeln  und  Nei\)ahrskuchen 
Tersehener,  mit  Flittergold  und  Band  verzierter  Weidenstock. 
Gewöhnlieh  jedoch  erhält  die  Wepelröt  heutzutage  im  Saterlande 
dne  kunstvollere  Gestalt,  indem  die  melirzinkige  Grabel  der  Aeste 
die  regelmäßige  Form  eines  aufrecht  stehenden  Rades  angenom- 
men bat;  dessen  Speichen  über  die  Felge  hervorragen  und  mit 
Aei^eln  und  Kuchen  besteckt  sind,  indeß  die  Nabe  durch  ein 
Herz  ans  vergoldetem  Holze  dargestellt  wird.  Am  Neujahrs- 
abende  schleichen  sich  die  verliebten  Burschen,  welche  freien 
wollen,  zu  den  Häusern  ihrer  Freundinnen  und  suchen  die  Wepel- 
röt heimlich  zur  Türe  hineinzuwerfen,  worauf  sie  durch  einen 
^nich  und  einen  Pistolenschuß  ihre  Gegenwart  ankündigen.  Die 
Haagbewohner  verfolgen  den  eilig  Davonlaufenden.  Wird  er 
erwischt,  so  muß  er  auf  dem  Kesselhaken  reiten  und  Wasser 
niit  Kaminruß  trinken;  dann  wird  er  festlich  bewirtet.  Die 
Besehenkte,  welche  die  Gabe  nicht  zurückweist,  muß  dieselbe 
am  L  Dreikönigstage  auf  die  nämliche  Art  mit  der  „Tfinschär 
oder  Tdnsk6r''  erwiedem,  welche  gegenwärtig  der  Wepelröt  an 
Gestalt  gleich  ist,  ehedem  aber  in  einem  iVa  F.  langen  Kohl- 
Btuiune  bestand,  der  in  einen  Torfsoden  gesteckt  war,  an  der 
Spitze  eine  Papierlateme  und  an  dem  Stamm  mehrere  fußlange 
dünne  Stäbchen  trug,  an  denen  Kuchen  und  Aepfel  u.  s.  w. 
hingen.  Ehedem  diente  die  Wepelr5t  auch  zur  Erforschung  der 
Zukunft.  Der  Hausherr  setzte  sich  in  der  Neujahrsnacht  an  das 
Heerdfeuer,  Gebete  sprechend,  auf  dem  Haupte  das  Zeichen  der 
Freiheit,   den  Hut,  in  der  Hand  die  Rute,  und  schleuderte  die- 


24B  Kapitel  III.    Baumseele  als  Vegetationsdämon : 

I 

selbe,  sobald  er  den  richtigen  Angenblick  gekommen  wähnte, 
über  den  Kopf  nach  dem  Dielenraum,  Wohin  die  Spitze  der 
Wepelrot  zeigte , '  dorther  kam  im  Laufe  des  Jahres  die  Braut 
seines  großjährigen  Sohnes,  oder  dahin  zog  seine  erwachsene 
Tochter  als  Frau.^  Die  ursprüngliche  Form  der  Wepelrot  stimmt 
fast  ganz  genau  mit  der  am  2.  Sonntag  des  März  umhergetrage- 
nen Sommergabel  in  Spcier  (s.  u.  S.  252).  DaB  sie  den  Gelieb- 
ten gebracht  wird ,  ist  eine  Eigenschaft ,  die  sie  mit  dem  Maibanm 
teilt,  die  Art  ihrer  Ucbcrbringung  ist  genau  dieselbe,  welche  nadi 
Beendigung  der  Ernte  bei  der  Ueberbringimg  der  den  Gretreide- 
dämon  darstellenden  Komfigur  von  einem  Nachbar  zum  andern 
beobachtet  wird.  Der  Ueberbringer  stellt  den  aus  der  Pflanze 
heraus  und  neben  sie  hingetretenen  Vegetationsgeist  selber  vor. 
Das  sind  drei  auf  den  nämlichen  Punkt  weisende  Fingerzeige, 
welche  uns  bestimmen  mtlssen,  die  saterländische  Wepelrot  flli 
eine  eigentümliche  Form  der  Darstellung  des  Lebensbaumes  oder 
baumgestaltigen  Vegetatiousdämons ,  fdr  den  bei  Beginn  des  nenen 
Lichtes  in  der  Wintersonnenwende  autlretenden  Doppel^Uigei 
des  Maibaums  zu  erklären ,  der  mit  dem  Maibäum  auch  die  Eigen- 
schafk  teilt,  den  liebenden  Burschen  als  Symbol  ihres  eigene, 
der  begehrten  Jungfrau  entgegengebrachten  Lebensbaumes  zü 
dienen.  Die  ^als  Gegengeschenk  dargebrachte  Torfsode  mit  dem 
grünen  Kohlstamme  bedeutet,  daß  die  Jungfrau  sich  dem  wer- 
benden Geliebten  als  Eigentum  hinzugeben  bereit  sei.  Dem 
Torf  und  Zweig,  oder  grüner  Torf  d.  h.  ein  ausgeschnittenec 
Erd-  oder  Rasenstück  mit  einem  grünen  Aste  darin  war  naol 
altdeutschem  Rechte  das  Symbol,  mittelst  dessen  ein  Grundstück 
aufgelassen  d.  h.  aus  dem  rechtlichen  Besitze  des  seitheriger 
Inhabers  gesetzt  und  dem  neuen  Herrn  zu  Pfand  oder  Eigentun 
übertragen  wurde  (R.  A.  110.  115).  Hier  aber  miag  wol  nocli 
die  tiefere  Beziehung  hinzukommen,  daß  die  Jungfrau  nun  aud 
ihren  Lebensbaum  aus  dem  väterlichen  Boden  gelöst  dem  Brilu- 
tigam  zum  Eigentum  entgegenbringt.  Doch  dem  sei,  wie  ihn 
wolle,  unsere  Schlußfolgerung  aus  den  vorstehenden  AusfÜhmngei 


1)  S.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  406,  142.  Strackerjan  I,  88, 115.  II,  32,  298 
Das  goldene  Horz  inmitten  der  Wepelrot  ist  ein  durch  die  Verwendung  be 
der  Freierei  horvorgenifener  Zierrat.  Kuhn  a.a.O.  518,  J.  W.Wolf,  Beiti 
I,  114  u.  Simrock,  Handb.  Aufl.  2.  S.  570  haben  Unrecht  in  der  moderne] 
Form  des  Wepelrot  ein  Bild  der  Sonne  ssu  suchen. 


Christbloek  und  Weihnaohtsbaiuii.  949 

geht  darsof  hinanSy  daß  der  fruchtbeladene,  lichkrerhdUe  Weih- 
mdUsbaum  nicht  (üUin  äußerlich  gewissen  Fonnen  des  Mai- 
kums,  Johannidfaum  u,  s,  w.  LUo,  enispreche,  sondern  daß  auch 
m  ier  NeujahrS"  oder  WeihnachtzeU  ganz  unmittelbar  das  Auf- 
Men  des  den  Sommer,  d.  h,  deti  Vegetationsdämon  darstellenden 
Bwwies  in  mehreren  Formen  nachgewiesen  werden  kann,  Aach 
jene  wettfiUischey  schwedische  und  italische  Sitte  (o.  8.241),  vor 
kü  Hinseni  die  grünen  Tannenbändiey  oder  Lorbeerzweige  anf- 
Butecken,  die  elsässische  zu  Neujahr  den  Brunnen  mit  einem 
Mai  m  schmücken ,  sehen  nicht  aus  wie  ein  Ausfluß  des 
ehrisdicheii  Ideenkreises  und  sind  von  der  Ausschmückung 
der  englischen  Kirchen  mit  Orangenzweigen  vielleicht  ebenso 
n  toennen,  wie  von  der  Ausschmückung  der  englischen  Häu- 
ser mit  dem  Mistelzweig,  die  möglicherweise  wiederum  mes- 
nanisches  Symbol  waren  ;^  talls  nicht  auch  diese  erst  allmäh- 
Bdi  ans  profoner,  auf  die  Jahreswende  bezüglichen  Anwendung 
in  christlichen  Anschauungen  umgedeutet  und  in  kirchlichen 
Gebrauch  gezogen  sind.  Will  man  nicht  den  Sommer  im  Lätare- 
brauch,  den  Maibaum  und  Emtemai  vom  Paradiesesbaum  oder 
Christbaum  ableiten  (was,  wie  wir  später  sehen  werden,  die 
ffriechische  Eiresione  auf  das  bestimmteste  verbietet),  so  bleibt 
auch  hier  nichts  anderes  übrig,  als  die  Annahme,  daß  parallel 
dem  Mittsommerteste  ein  heidnisches  Mittwintertest  gefeiert  wurde, 
an  welchem  man  in  einzelnen  Orten  oder  Gegenden  den  bäum- 
gettaltigen  Dämon  der  Vegetation  proleptisch  ganz  nach  Art  des 
Maibaums  darstellte;  und  daß  dann  im  Mittelalter  irgendwo  diese 
altere  jetzt  nur  in  seltenen  Resten  noch  erhaltene  Sitte  des  Land- 
volkes aufgenommen ,  im  Sinne  der  christlichen  Weihnachtsmytho- 
logie umgedeutet  und  soweit  es  nötig  war,  umgestaltet  ist.  So 
entstand  unser  Weihnachtsbaum.  Es  ist  kein  Zufall,  daß  dieser 
im  Laufe  unseres  Jahrhunderts  sein  Herrschaftsgebiet  allmählich 
auf  und  über  die  ganze  deutsche  Nation  erweitert  hat.  Ist  der 
frische,   immergrüne  Baum  doch  ein  Symbol,    das,   so  lange  er 

1)  Die  auf  einem  andern  Baume  wachsende,  venneintlich  vom  Himmel 
gefkUene,  von  den  Druiden  zur  Winterszeit  mit  goldener  Sichel  abgeschnit- 
^  Mistel  galt  als  Sinnbild  des  vom  Himmel  stammenden  auf  dem  Kreu- 
wsbolie  Frucht  bringenden  Erlösers.  Scb.  Rouillard,  Parthenie  ou  histoire 
^Ha  tris  auguste-et  trrs  devote  ej^lise  de  Chartres.  Pari«  1G01>  p.  51. 
Ußt  sich  diese  Auffassung  schon  aus  älterer  Zeit  nachweisen  ? 


S50  Kapitel  HI.    Banmseele  ala  Vegetetkniadämon: 

nicht  durch  Ueberiadong  veranstaltet  wird,  niemals  TeraUea  na 
den  Schönheitssinn  beleidigen,  oder  zur  Verwechselung  von  BQ 
und  Sache  Anlaß  geben  kann ,  ein  Symbol  und  trefiendes  Gkiel 
niü  für  das  Leben  der  nach  Licht  (ErkenntniB)  und  Wahihe 
strebenden,  Früchte  der  Liebe  treibenden  reinen  Menschheit^  de 
Gattnngsideales,  das  wir  zu  verwirklichen  streben,  dessen  Bepil 
sentant  uns  Christus  ist  Und  ein  froher  Gedanke  darf  es  m 
sein,  daB  unser  Volk,  indem  es  dieses  Symbol  m  gewisMi 
Sinne  zum  Kennzeichen  seiner  Nationalität  gemacht  hal,  de 
Lebensbaum  der  reinen  Menschheit,  wie  sie  sein  soll,  als  idei 
tisch  erklärte  mit  seinem  eigenen  Leben. 

Nicht  ein  bloßer  Namentausch  ging  hier  vor  sieh,  Mmder 
die  alteinheimische  Natursymbolik  und  die  christliche  Poeai 
trafen  in  mehreren  Punkten  zusammen,  in  der  Idee  des  Lebern 
baums  und  in  der  Zeit  seiner  Darstellung  (Wintersonnenwendi 
Weihnachten).  Diese  gleichen  Elemente  zogen  sich  an,  flösse 
zusammen  und  führten  damit  zugleich  die  Vereinigung  auch  de 
übrigen  widerstrebenden  Glieder  der  beiderseitigen  Ideenkreis 
mit  sich.  Der  Nachweis  eines  derartigen  Herganges,  wie  wir  ih 
hier  am  Ghristblock  und  Ghristbaum  beobachtet  haben,  wird  fl 
unsere  ganzen  weitem  Untersuchungen  fruchtbar  und  von  Wichtig 
keit  werden.  Festigen  wir  deshalb  unsere  Beobachtung  zum  Schlusa 
dieses  Abschnittes  durch  zwei  naheliegende  sichere  Analogien. 

Die  allegorische  Auffassung  des  Kreuzes,  des  Erlösers  un< 
der  Madonna  als  Lebensbaum  ttihrte  dahin,  dieselben  auch  mi 
dem  Maibaum  zu  vergleichen;  dergleichen  Vergleiche  finden  sicl 
häufig  bei  dem  Mystiker  Heinr.  Suso  und  in  holländischen  Volks 
liedem  ^  z.  B. 

Die  meie,  die  is  al  bi  den  wech  gheset 

Op  eenen  berch,  die  staet  also  hoghe, 

Om  dat  een  jeghelyc  soude,  sonder  let, 

Den  soeten  craicen  mei  aenscboawcn  moghen. 

Nu  staen  des  meien  tacken  aitghespreit. 

Ende  bloeyen  scboon  gbelyc  rode  rosen. 

So  wie  syn  senden  bier  bescbreit, 

Onder  desen  boem  sal  hi  hem  verposen. 

Diese  Vorstellung  des  Kreuzes  als  Maibaum  ist  auch  in  den  Volks 
gebrauch  tibergegangen.    Vgl.  o.  S.  173  die  Ausschmückung  de 


1)  Hoffmann  von  Fallersleben ,  Hell.  Volksl.  24.  25. 


Dar  SdÜAg  mit  der  Lebensrote.  S51 

Miihaoimi  mit  den  Marterwerkzeugen  Christi.    Lehrreicher  noch 
■t  die  Umdentmigy  welche  die  Vontellang  vom  wilden  Jftger 
(WodeX  ^^  ™>^  ^  Wintersonnenwende  mit  seinen  Hunden  durch 
üb  Lnft  tihrty  durch  fromme  Geistliche  des  Mittelalters  erfuhr^ 
wddie    damos    den   Engel   Gabriel   machten,    der   mit   seinen 
BmAeB  (Wahrheit y  Gerechtigkeit,    Friedej  und  Erbarmen)  das 
Enhom  (Chiistns)  in  den  Schoft  der  Maria  jagt  ^    Diese  den 
BitiddiiB  der  Erlösung  verbildlichende  Scene,  die  den  Engel  als 
J%er  mit  dem  Hifttiom  zeigt,  war  während  des  14.  und  15. 
Jahrhunderts  häufig  Gegenstand  der  Darstellung  auf  kirchlichen 
Kmistwerken. '     Aus   dieser  Zeit  wird  daher  auch   der  nach- 
stehende Volksglaube  stammen.    In  Staffordhire  nennt  man  die 
wilde  Jagd  „  Gabriel  hounds  ^  und  zu  Lembeck  in  Westfalen  „  de 
eagelske  Jagd^^  d.  L  Jagd  des  Engels.'    Hier  trafen  wieder  die 
Begriffe   Jagd,  Hunde  und  Zeit  der  Jagd   tou   beiden  Seiten 
nsammen  und  bewirkten  die  Verschmelzung  der  Vorstellungen. 

§.  9.    Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.    Die  sttdslavische 

Weihnachtsgerte  und  der  Christblock  sollten,    wie   wir  sahen, 

flowd  das  Getreide  Tcrmehren,  als  das  Wohlsein  der  Menschen 

imd  sämmtlicher    verschiedener   Tiergattungen    befördern.    Wir 

fttten   ne   sammt   dem  Ghristbaum   als    christlich   umgedeutete 

winterliche  Formen  des  Maibaums,  somit  als  Verkörperungen  des 

Vegetationsdämons  auf.    Nahe  Verwandte  begegnen  uns  in  einer 

Beihe  Ton  Sitten,  .welche  man  unter  dem  gemeinsamen  Namen 

„Sddag  mit  der  Lebensrute '^  zusammenfassen  könnte;  Menschen, 

llere.  Pflanzen  werden  zu  verschiedenen  Zeiten  des  Jahres  mit 

einem  grünen  Zweige  (resp.  Stock)  geschlagen  oder  gepeitscht, 

um  gesund   und   klüftig   zu    werden.    In    Böhmen    ist   es   der 

O.S. I55ff.  besprochene  „Sommer,''  der  zu  diesen  Gebräuchen 

verwandt   wird.      In   einigen   Orten   des    K(^nigsgrätzer  Kreises 

Tentecken  die  Mädchen  am  Lätaretage  ihren  Sommer,  der  aus 

Diehrcren    mit    bunten    Bändern    durchflochtenen    Weidengerten 

besteht,  unter  der  Schürze  und  warten  hinter  irgend  einer  Tür, 

1)  8.  Mannhardt,  Weihnachtsblüten  S.  161. 

2)  Piper,  erangl.  Kalender  1859  S.  38  ff.  R.  Bergan,  Altprenß.  Monatschr. 
IV,  723—27.  KraoB  in  Jahrbücher  des  Vereins  der  Altertnmsfrennde  im 
Wieinlinde  XLIX.  1870.  S.  128—134. 

3)  Choicenote«  from  notes  and  queries.  Folklüre  London  1859  S.247. — 
^Qlm,  Westf.  Sagen  II,  13,  33. 


252  Kapitel  IQ.    Baninseele  als  VegetatioBsdämon: 

oder  einem  Torweg  auf  die  jungen  Barsche,  um  sie  unverseheiidB 
damit  zu  schlagen;  anderswo  in  Böhmen  schlagen  -die  Frauen  mit 
dem  Sommer  ihre  Männer,  indem  sie  rufen:  ,,gieb  was,  gieb  was, 
gieb  was!^^  Jeder  Barsche  oder  Mann  trägt  Aepfel  bei  sich,  um 
sich  von  weitem  Schlägen  löszukaufen.  ^  Auch  die  Kiiaben  gehen 
an  diesem  Tage  mit  ihrem  bebänderten  und  eierbehani- 
genen  Bäumchen  umher,  indem  sie  zugleich  Peitschen  fühlen, 
die  aus  Weidenzweigen  mit  jungen  Trieben  (Palmkätn^en) 
geflochten  sind.  Damit  schlagen  sie  die  begegnenden  Mädchen 
und  fordern  von  denselben  unter  eigenen  Benennungen  ein  Geld- 
geschenk.' Dieselbe  Sitte  hat  mit  geringer  Abänderung  am  Mai- 
tag mit  den  Maibäumchen  statt.  In  der  Umgegend  von  Prag 
ziehen  am  ersten  Mai  die  Musikanten  auf  den  Dörfern  hemm. 
Ihnen  folgen  im  Laufe  alle  erwachsenen  jungen  Bursche  mit 
Maienzweigen  in  der  Hand  und  schlagen  einander  damit  gegen- 
seitig unter  den  Worten:  „da  hast  du  Glück!''  Wer  es  ver- 
gißt, den  bittet  der  andere  darum,  indem  er  sagt:  „Gieb  mir 
Glück''  und  er  erwiedert  mit  dem  Schlage:  „da  hast  du's.^*  Auch 
in  andern  Landschaften  begegnet,  wenn  gleich  nur  nooh  in  Ter- 
blaßter  Spur  das  Sehlagen  von  Seiten  der  Sonlmerkinder. 
Am  zweiten  Sonntage  im  Monat  März,  dem  sogenannten  Sommer- 
tag fand  in  Speier  (wie  vieler  orten  am  Main,  Unter-  und  Mittel- 
rhein) ein  Kampf  zwischen  dem  in  Stroh  gehüllten  Winter  und 
dem  bekränzten  Sommer  statt;  am  nämlichen  Tage  zogen  und 
ziehen  noch  die  Kinder  mit  der  Sommergabel  einher,  einer 
fußlangen  Holzrute,  die  sich  oben  gabelförmig  teilt,  geschält  und 
bandförmig  bemalt  ist  [wie  der  Maibaum  o.  S.  177j,  in  Zwi- 
schenräumen sind  aus  abgeschältem  Holze,  wie  bei  den  bekannten 
Fliegenwedeln,  wulstige  Ringe  gebildet.  In  die  Gabel  ist  eine 
Brctzel  von  mürbem  Teige  gesteckt,  auf  die  Gabelspitzen  immer- 
grüne Buchsbaumsträußchen  und  auf  ein  Aestchen  unter  der  Gabel 
ein  Apfel;  einige  von  oben  herabhangende  bunte  Bänder  vollen- 
den die  Ausstattung  der  Sommergabcl.  Die  Knaben  singen  von 
Haus  zu  Haus  gehend  und  Geld,  Obst,  Backobst  einsammelnd: 

1)  Krolmu»,   Starooeske  povesti  11,   19  —  20.     Reinsberg  -  Dftringsfeld, 
Festkalender  a.  Böhmen.    Wien  und  Prag  18<U.  S.  92. 

2)  Panf)rama  des  UniverBums  Prag  1834.   S.  847.    Beingberg-Dtuings- 
feld  a.  a.  0.  93. 

3)  Kroliüus  a.  a.  0.  ü,  249.     Heinsberg -Düringsfeld  208. 


Der  Schlag  mit  der  Lebonsrnte.  253 

Trariro, 

Der  Sommer  der  ist  do. 
Zum  Biere^  znm  Biere! 
Der  Winter  liegt  gefangen. 
und  wer  nicht  dazn  kommt, 
Den  schlagen  wir  mit  Stangen. 

Anderswo  in  derselben  Gegend: 

Trariro,  der  Sommer  ist  do. 
Wir  wollen  hinaas  in  den  Q arten, 
Und  wollen  des  Sommers  warten. 
Wir  wollen  hinter  die  Hecken 
Und  woUen  den  Sommer  wecken. 
Der  Winter  hats  verloren» 
Der  Winter  liegt  gefangen. 

Und  wer  nicht  dazn  kommt  [wer  säumig  im  Hanse  oder 

Bette  weilt?] 
Den  schlagen  wir  mit  Stangen.  ^ 

Wir  werden  dasselbe  Wesen,  wie  den  Maibanm  und  Lito,  den 
haomgestaltigen  Greist  des  Wachstums  erkennen,  auch  wo  wir 
diesen  Znsammenhang  nicht  mehr  so  unmittelbar  vor  Augen  sehen, 
wie  in  den  namhaft  gemachten  Beispielen.  Wir  folgen  bei  Dar- 
Btellong  der  einschlägigen  Sitten  zunächst  dem  Laufe  des  Jahres. 
An  Maria  lAchtmesse  (2.  Februar)  peitschen  die  Knechte  und 
Migde  um  Halle  a.  d.  S.  einander  mit  Kuten  aus  dem  Bette ; 
diese  Ceremonie  heißt  das  Lerchenwecken,  mit  andern  Worten 
also  den  Frühling  herbeiföhren.  ^  In  Westfalen  schrieb  man  f  tt  r 
dag  Gedeihen  des  Flachses  vor,  daß  die  Weiber  am 
Uchtmesstage  im  Freien  (auf  dem  Acker)  tanzten.  Bei  diesem 
Tanze  trugen  sie  Uolundergerten  in  Händen,  mit  denen  sie 
auf  die  Männer  losschlugen,  die  sich  der  Tanzstelle  näherten.  ^ 
In  Niedersachsen  (Mecklenburg,  Holstein,  Hannover,  Schaumburg - 
Lippe)  ist  Fastnacht  der  begünstigte  Tag  ttlr  die  Ausübung  dieser 
Bräuche.  An  diesem  Tage  backt  man  dreieckige  oder  runde 
Fladen,  heiße  Wecken  (hfetweggen,  hetwigen)  genannt,  mit  denen 
sieh  die  Geschlagenen  loskaufen  oder  bedanken  müssen.  Davon 
erhalt  der  ganze  Gebrauch  vielfach  den  Namen  Hetweggen  ütstu- 
pen,  hfetweggenstäupung  (Mecklenburg,  Holstein).    Man  treibt  die 


1)  ßeimann,   D.Volksfeste  S.  3(K    Myth.«  725.     Vgl.  weiter  unten,  daß 
Mch  Tiere  von  den  Todansträgern  mit  Stöcken  geschlagen  werden. 

2)  E.  Sommer  S  147. 

3)  Montanas ,  die  dentaohen  Volksfeste  S.  21. 


254  Kapitel  ni.    Baumseele  als  VegetatianBd&moii : 

Langschläfer  mit  Birkeuruten  ans  den  Betten;  die  Barsche  tni 
dies  den  Mädchen  an;  oder  mau  schlägt  die  Entgegenkommende! 
des  andern  Geschlechts.  In  einigen  Städten  stäupt  man  nur  du 
Finger,  Sodann  beschenkt  man  sich  gegenseitig  mit  den  Fastel 
abendsruten.  Statt  der  grünen,  vom  lebenden  Baume  genom 
menen  Gerten  benutzte  man  dazu  mehrfach  auch  zarte  aai 
Silberdraht  gewundene  Ruten,  an  welche  Wickel 
kinder,  schnäbelnde  Täubchen  und  dergleichen  Spiel 
werk  angebunden  waren.  ^  Im  Hannoverschen,  Hildesheimi 
sehen,  Schaumburgischen  ist  der  Brauch  unter  dem  Namen  fuh 
(ehedem  ftideln,  oder  futteln)  bekannt.  In  Hannover  beginnt  schoi 
einige  Zeit  vor  Fastnacht  das  Hedwigenbacken  aus  Weizenmehl 
und  Korinten  und  die  Lehrjungen  der  Bäcker  und  Böttchei 
besorgen  sich  Zweige  der  immergrünen  stachlichen  Stechpalme 
(Stecheiche,  Hülsenstrauch,  ilex  aquifolium).  Daraus  verfertjgei 
sie  Fu^büsche,  indem  sie  sie  mit  Knittergold  und  bunten  Bänden 
schmücken  und  bebinden.  Hiemit  versehen  erbetteln  sie  an  den 
Häusern  der  Kunden  Trinkgeld,  von  den  Mägden  bunte  Bänder: 
im  Weigerungsfalle  werden  letztere  auf  Hände  und  Arme  wiü 
den  stachlichen  Hülsen  tüchtig,  geschlagen.  Das  nennt  man  „{ii6n.^ 
Am  Fastnachttage  wird  der  Brauch  aUgemeiner  und  spielt  aaoli 
namentlich  auf  den  D()rfem  eine  größere  Bolle,  wo  sich  das 
Jungvolk  wochenlang  vorher  auf  den  muntern  Scherz  freut  *  Im 
Hildesheimischen  wird  statt  der  Stechpalme  mit  einem  bänder- 
geschmückten kleinen  Tannenbäumchen  oder  mit  einem 
Bosmarinstengel  „gefuhet.^'  Die  Kinder  und  Bursche  schla- 
gen die  Frauen  und  Mädchen  damit  an  die  Knöchel  und  rufni 
dabei  „wutte  g^m  gäwen?  (willst  du  gern  geben?)  Am  Tage 
darauf  fuhen  die  Frauen  und  Mädchen.  Die  Geschlagenen  rnttasen 
sich  mit  kleinen  Geschenken  lösen.  ^    In  der  Grafschaft  Schaam- 


1)  J.  P.  Schmidt,  Fastelabendgebrftuche  2.  Aufl.  Rostock  1752  p.  86. 
Jahrbücher  für  Landeskunde  von  Schleswig- Holstein -Lanenburg  Bd.  VI 
Kiel  186B  8.  396,  13.  Kölns  Karneval,  wie  er  war,  ist  und  sein  wird.  8.  la 
14.  In  Holstein  singt  man  beim  Utstupen:  „Stüp  üt,  stüp  üt  mSn  Hede- 
weck —  .tot  Osten  tot  westen,  —  de  fettsten  Äünd  de  besten:  —  Sund  se 
denn  to  kl6n,  —  so  gifft  et  twe  för  en;  —  sünd  se  denn  to  gröt,  —  so  he< 
et  6k  k^B  not/' 

2)  B.Seemann,  Hannoversche  Sitten  und  Gebrauche  in  ihrer  Beziehuig 
zur  Pflanzenwelt  Leipzig  1862.  S.  24. 

3)  K.  Seifart,  Hildesham.    8agen  U.  1860.  S.  139. 


Dar  Sdilag  mit  der  Iiebensrate.  ^55 

kug  txiideii  die  Knechte  dagegen  wieder  aus  Stechpalmen  Hülsen 
oder  FnestrüHche  zusammen,  mit  denen  sie  am  Fastnachtabend 
Mgtr  in  die  Hänser  dringen  und  den  Mädchen  und  Frauen 
die  Waden  so  derbe  peitschen,  dafi  oft  Blut  fließt.  Dabei 
flogen  sie: 

Fofi,  faS  Faftlahmt  (Fastelabend)! 

Wenn  dn  geren  geben  wutt, 

Schast  du  sau  langen  Flasa  hebhen! 

Sie  machen  hiezu  eine  Geberde,  um  anzuzeigen,  wie  hoch  der 
naehs  werden  soll.  Sind  die  Weiber  ttlchtig  gefugt,  so  muß 
firumfewein  und  Wurst  au%etragen  werden.  Am  zweiten  Fast- 
aaffhtitag  haben  auch  die  Mädchen  das  Recht  des  Fuens,  wobei 
die  Männer  nicht  ohne  Uuiige  Hände  davon  kommen;  in  ganz 
fremde  Häuser  wird  eingedrungen,  weder  der  Pfarrer  noch  die 
ßateherrschaft  bleibt  verschont  ^  Elhedem  machte  nicht  einmal 
die  Landesherrschaft  eine  Ausnahme,  alte  Rechnungen  des  Fürstl. 
Gesammtarchivs  zu  Bttckeburg  weisen  noch  die  Trinkgelder  nach, 
not  welehen  der  Fürst  sich  loskaufte.  Lomdau  im  Archiv  f.  Hess. 
Gesch.  U,  278  liefert  folgende  Belege:  1584  am  3.  März  zu  Haus- 
beigen: daselbst  aus  S.  G.  beuelich  den  Megten  im  Neuen  Haus, 
alg  sie  S.  G.  Im  Fastelabent  steupen  wollen,  Vt  Taler; 
1585  am  23.  Februar  (Fastnachtabend  war  der  21.  Febr.)  M.  g. 
Hern  zum  Haus  Berge  bei  (durch)  s.  G.  Jungen  gesandt,  so  die 
Megte  zum  Fudelgelde  bekommen  12  Groschen.  1586  am 
14. Febr.:  daselbst  den  Megten  zu  Amssburg,  so  m.  g.  Here  Ihnen 
znFutelgeld  geben,  1  silbern  Dicker.  Wie  roh  es  Übrigens 
in  der  guten  alten  Zeit  bei  solcher  Gelegenheit  herging,  kann 
der  nachstehende  Bericht  zeigen :  nee  minus  poena  aliqua  arbitra- 
ria  severiori  animadverti  posse  videtnr  in  eos,  qui  uti  in  locis 
sliqailms  praesertim  inferioris  Germaniae  vulgo  ac  plebejis  mos 
est,  tempore  quadragesimali  im  Fachtnacht  mulieres  sibi  obviam 
&ctas  inhonesto  ioco  interdum  denudatis  posterioribus 
virgis  vel  etiam  herba  aliqua  pungente  feriunt,  cum  non 
Botom  foeminis,  quae  saepius  hunc  ioeum  male  ferunt,  haud 
levem  iniuriam  iniligant,  sed  scandalum  etiam  praebeant,  vel 
ipsa  turpi  hac  detectione,  vel  quod  sanctissimas  Christi  piagas 
eo  tempore  ob  peccata  nostra  toleratas  deludere  ac  in  iocnm  con- 

1)  Lynker ,  Hessisclie  Sagen  S.  237. 


3i>6  Kapitel  DI.    Batimseelc  als  Vegetatdonsdamon: 

vertere  ab  aliis  videri  possint  ^  Eine  ältere  noch  rohere  Form 
des  Gebrauchs  läßt  die  längst  vergessene  Orondbedentang  der 
Worte  fn^in  d.  i.  ftiden,  Fadelgeld,  Futtelgeld  erraten ,  welche, 
da  nhd.  fliden  ihden,  ahd.  fuotjan  alere,  in  seiner  niederd*  Form 
föden,  föen  absteht,  schwerlich  anders,  denn  als  Denominativa 
zu  vut,  vud  in  dem  Sinne  von  muliebria  virga  contingere  erklärt 
werden  können.  Die  Stäupung  der  Frauen  wäre  danach  ursprüng- 
lich der  wichtigste  Teil  der  Ceremonie  gewesen.  In  der  Alt- 
mark ziehen  Fastnachtabend  die  Knechte  mit  Musik  von  Hof 
zu  Hof,  und  stäupen  mit  Birkenreisern  fein  nach  der  Ord- 
nung zuerst  die  Hausfrau,  dann  die  Töchter,  zuletzt  die  Mägde; 
die  Hausfrau  giebt  Schnaps,  Eier  und  Mettwurst,  die  Mädchen 
einen  bebänderten  Strauß  von  Buchsbaum  oder  anderm  OrOn  auf 
den  Hut  der  Knechte.  *  Zwischen  Halberstadt  und  Braunsehweig 
peitscht  man  sich  am  Aschermittwoch  gegenseitig  mit  Tannen- 
reisem  und  nennt  das  nach  dem  Tage  „äschern,  Asch  abkehren."* 
Der  Carmelitergeneral  Jo.  Bapt.  Mantuanus  (Spagnoli  f  1518) 
schildert  uns  in  seinem  dem  Ovid  nachgeahmten  Festkalender 
(Fasti)  den  italiänischen  Festgebrauch  seiner  Zeit.  Sein  Bericht 
tiberbietet  noch  die  Notiz  Tilemanns.  Nachdem  er  an  das  römi- 
sche'Luperealienfest  erinnert,  bei  welchem  umlaufende  Jtinglinge 
die  Hände  der  Frauen  mit  Riemen  aus  Bockshäuten  schlugen, 
fährt  er  fort: 

Ista  superstitio,  levis  haec  insania  nostros 

Transiit  in  mores 

Per  fora ,  per  vicos  it  personata  llbido 

Et  censore  carens  snbit  omnia  tecta  volaptas, 

Nee  narüüm  palmas,  sed  membra  recondita  pulsat 

Perque  domos  remanent  foedi  vestigia  capri. 

Bei  den  Letten  in  Kurland  gehen  zu  Fastnacht  die  buddeli,  in 
umgekehrte  Pelze  gehüllte  Personen  herum,  welche  komisehe 
Tänze  auffuhren  und  Groß  und  Klein  mit  langen  Ruten  schla- 
gen, bis  sie  tractiert  werden. 

Der  PcUtnsofmtdg,   oder,   wie  er  in  der  Ukraine  heißt,   der 
Weidensonntag,    gilt  dem  Russen   als  das  Vorfest    von  Ostern. 


1)  Tilemanni  commentatio  histor.  inoralis  von  detn  Recht  der  nackigt^^n 
Haupter,  Brüste,  Bäuche,  Schaani  und  Füße.   Cap.  III.  §.2. 

2)  Kuhn ,  Mark.  Sag.  307. 

3)  Sommer  S.  147. 


Der  Schlag  mit  der  LebenHrute.  257 

An  diesem  Tage  dringen  sich  Taascnde  um  die  Kirche,  um  dort- 
hin in  Proce^on  Weidenzweige  mit  Palmkätzchen  zar  Weihang 
zn  tragen.    Kaum  hat  das  Volk  nach  Beendigung  der  heiligen 
Handlang  die  Kirchtür  hinter  sich,  so  werden  vomehmlieh  von 
den  jungen  Burschen  die  Weidenruten  geschwungen  und  unter 
dem  Rofe:  ,,die  Weide  schlägt,  nicht  ich,  in  einer  Woche  ist 
Ostern!^  unsanft  auf  den  Rücken  der  Zunächststehenden,  mit 
Vorliebe  aber  der  Frauen  und  Mädchen  fallen  gelassen.    Am 
näehsten  Moigen  jagt  das  junge  Volk  bei  der  Rückkehr  aus  der 
Frühmesse  alle  die  Langschläfer,  welche  die  Kirche  versäumt 
haben,  mit  seinen  Ruten  aus  den  Betten,  indem  man  spricht: 

Nicht  ich  schlage,  die  Weide  schlägt; 
In  einer  Woche  der  große  Tag; 
Werde  groß^  wie  die  Weide, 
Und  gesund,  wie  das  Wasser, 
Und  reich,  wie  die  Erde. 

Auch  in  GroBrußland  ist  es  bei  den  niederen  Ständen  üblich 
mit  dem  Ausruf:  „nicht  ich  schlage,  die  Weide  schlägt,^'  dieje- 
ni^,  welche  die  Frühmesse  verschliefen,  zu  schlagen;  während 
in  Botmfiland  die  aus  der  Kirche  kommenden  Andächtigen  ihre 
u  Hanse  gebliebenen  Kinder  und  Dienstboten  mit  den  Palmen- 
zweigen schlagen,  indem  sie  sagen: 

Nicht  ich  schlage, 

Die  Weide  schlägt; 

In  einer  Woche  ist  Ostertag. 

Krankheit  in  den  WeUd ! 

Gesundheit  in  die  Gebeine! 

Diesem  Wunsche  entsprechend  essen  arme  Leute  Mußg  am 
PalmsontUag  die  KiUzehen  der  Weide  zu  Brei  (jekoeht.  Die 
Zweige  selbst  bewahrt  man  das  Jahr  hindurch  mit  vieler  Ehr- 
fiircht  auf*  In  Wtirtemberg  schlagen  die  Knaben  am  Palmsonn- 
tag nach  der  Kirche  mit  den  geweihten  Palmen  auf  einander  ein, 
welche  aus  Buchsbaum,  Seven,  Wachholder,  Tannenzweigen, 
Holunderkreuzen,  Aepfeln,  vergoldeten  Eiern  und  Nüssen  zusam- 
mengesetzt sind  (vgl.  0.  S.  246),  ans  Scheunentor  oder  an  die 


1)  Magazin  f.  Literatur  des  Auslandes  1855.  Mai  15.  N.  58.  Roins- 
Wrg-Dnringsfeld,  Dlustr.  Zeitung  1874.  N.  lGf)5.  Derselbe,  Nationalzeitung 
1874.  N.  187. 

Manah&rdt  17 


258  Kapitel  III.  Baoinseele  als  Vefi^etationsdämoii : 

Stall-  resp.  Haustür  genagelt  werden  nnd  dort  verbleibai, 
bis  sie  von  selbst  heruntertalleu ,  oder  nach  Jabresfrist  ver- 
brannt werden.  In  Ellwaugeu  prügeln  die  städtischen  Jungen 
damit  die  Buben  der  Filialdört'er  und  diese  geben  die  Hiebe  derb 
genug  zurück.  Ebenso  in  Saulgau,  wo  zuerst  nach  den  Aepfeln 
an  den  Palmen  der  Gegner  gestupft  und  geschlagen  wird,  wo 
außerdem  nach  der  Palnisonntagsprozession  sogar  der  Pfarrer  Yor 
dem  Kornhaus  auf  dem  Markte  sich  nieder  legte  und  Yon 
einem  andern  Geistlichen  mit  einer  »Sevenbaumrute  gestri- 
chen wurde.  In  Oberbettringen  klopfen  die  Buben  zuerst 
beharrlich  mit  ihren  PiUmbeseustielen  auf  den  Boden,  dann  den 
andern  mit  den  Besen  an  die  Köpfe.  ^  ,,Auff  diß  kumpt  der 
Palmtag,  da  tragen  die  Christen  den  tempel  voll  großer  btlschel 
Palmbeum  und  angebunden  äst,  die  weihet  man  flir  alles 
vugewitter  an  das  fetir  gelegt.  Vnd  fürett  ein  hültzin  Esel  auff 
einem  wägelin  mit  einem  darauff  gemachten  bild  yhres  Gots  in 
der  statt  herumb,  singen ,  werffen  palmen  fUr  yhn  und  treiben  vil 
abgötterei  mit  disem  yhrem  hültzinen  Gott  Der  Pfarrer  legt 
sich  vor  diesem  bild  nider,  den  schlecht  ein  ander 
Pfaff.  Die  schtiler  singen  und  deuten  mit  fingern  darauff. 
Zwen  Bachanten  legen  sich  auch  mit  seltzamer  Ceremoni  vnd 
gesang  vor  dem  bild  nider,  da  wirfft  jedermann  mit  palmen  zu, 
der  den  ersten  erwisch  treibt  vil  Zauberei  damit."* 

Es  sind  meist  slavischc  oder  ehedem  slavische  und  erst 
durch  Germanisierung  deutsch  gewordene  Landschaften^  in  denen 
sich  unser  Brauch  am  Oster fesife  abspielt,  Westpreußen,  Ost- 
preußen (Masurcn,  Samland,  Litauen),  Neumark,  Uckermark, 
Voigtland,  Schlesien,  Oesterr.  Schlesien ,  Mähren,  Böhmen,  Ober- 
hessen. ^    Im  Voigtlande  heißt  er  „aufhauen"  oder  „aufpeitschen," 


1)  Birlinger,  VollcBtüml.  a.  Schwaben  n,  72  —  75.  N.  86—92. 

2)  Sebast.  Franck,  Weltbach.    1534  f.  CXXXP. 

3)  Wuttke ,  Abergl.  §.  83.  Peter ,  Volkstüml.  a.  Oesterr.  Schlesien  II, 
285.  Vernaleken,  Mythen  u.  Gebr.  in  Oestr.  300  ff.  Krolmus  a.  a.  0.  II,  33. 
Heinsberg  -  Döringsfeid ,  Böhm.  -  Festkai.  163.  Hinz,  die  gute  alte  Sitte  in 
Altpreußen.  Kgbg.  1«G2.  S.  51.  N.  Pr.  Provinzialbl.  B.  VI.  Kgbg.  1848. 
227,  i)4.  Töi>pen,  Abergl.  a.  Masuren,  Aufl.  2.  S.  69.  A.  Englienn.  W.  Lahn, 
der  Volksmund  in  Brandenburg.  Berlin  1868.  S.  232,  13.  231,  9.  Kuhn. 
Nordd.  Sag.  373,  17.  Köhler ,  Volksbrauch  im  Voigtlande.  Lpz.  1867.  S.173. 
Estor,  Oberhess.  Idiotikon  s.  v.  smakustern. 


Der  8«blAg  mit  der  Lobensriite.  259 

in   der  ITeamark    und  Uckermark    ,,  stäupen /'   ,,stiepeii/'  sonst 
ttbenül  „schmacköstem/'  ,,6chmeck6stem/'  ,,schuiag6stem''  (Schle- 
sien) j  yyScfainakustem'^  (Oberhessen).    Die  Czeehen  nennen   das 
SeUagen  mit  der  Ostergerte  vymrskati  auspeitschen ,  bei  Policka 
im  Kreise  Chradim  Smerknst    Schmackoster,  Schmagoster,  Oster- 
schmOck  (Kreis  Saatz)  heißt  dann  in  Ostpreußen,   Schlesien  und 
NordbOhmen  auch  die  Gerte ,  oder  das  Geflecht,  mit  welchem  die 
Sehläge   erteilt   werden.     Die  Czeehen    sagen    dafür   pomlazka. 
Dem  deutschen  Ausdruck   ,, stäupen/'    ,,stiepen^   entspricht   der 
slavisdie    smagac,    peitschen    (verwandt    mit    smacke,    smicke, 
Peitsche),   den  die  Kassuben  bei  Daiizig  für  den  Grebrauch  ver- 
wenden.   Der  polnische  Name  fllr  Schmackosteni  lautet  smigust 
▼on  der  Nebenform  smigac  peitschen ,  stäupen,  prügeln,    üicraus 
ist  das  deutsche  Schmeckostem  (das  mit  dem  Imperativ  schmecke 
zusammengesetzte  Hauptwort  Ostern)  volksetymologische  Umdeu- 
tnug.^    Sonst  ist  im  Kassubisc*hen  für  die  Handlung  gewöhnlich 
dag  Verbnm    dyggowac    gebräuchlich,    das    eigentlich   auf    die 
gegenseitige    Wasserbespritzung    geht,    welche  in   diesen 
Landschaften    vielfach    das    Schmackostem    zu    begleiten  pflegt, 
wogegen  den  Wasserpolacken  in  Oberschlesien  und  noch  sonst 
bei  Polen  umgekehrt  smigurst,    smigust  die  gewaltsame  Taufe 
der  Mägde  am  zweiten  Ostertage  bedeutet.^    In  Masiiren  gilt  es 

1)  Vgl.    Hennig,    Preuß.    Wb.     Kgbg.  ITa'i.    S.  175.     Grimm,  Myth.« 
Ä>7.  Zeitachr.  f.  vgl.  Sprachf.  1,255.   11,52.    Mrongovius,  poln.  Wb.  486. 

2)  Vgl.  Myth.*  557.  Anm.  ♦:  „In  Polen,  Schlesien  werden  am  zweiten 
^^stertage  die  Mädchen,  welche  die  Frühmesse  verschlafen  haben, 
voQ  den  Burschen  gewaltsam  mit  Wasser  begossen  und  mit  Birken- 
roten  geschlagen;  oft  reißt  man  sie  bei  Nacht  aus  den  Betten,  schleppt 
sie  in  einen  Fluß  oder  Röhr  trog,  in  eine  wassergefüllte  Krippe  und  läßt 
sie  das  Bad  aushalten.  Die  Schlesier  nennen  das  Schmackostem."  —  Im 
Komitat  Kolos  Bezirk  Teckendorf  (Siebenbirgcn)  begießt  man  zu  Ostern  die 
Prtoen  und  Mädchen,  damit  der  Hanf  im  Laufe  des  Sommers  gut  wachse. 
In  Ungarn  (namentlich  im  Presburgcr ,  Neutraer  und  Bacser  Comitat)  werden 
<lie  Mädchen  am  Ostermontage  von  den  Burschen  mit  ganzen  Eimern  Wasser 
Jossen,  wo  sie  sich  nur  blicken  lassen  Beim  Adel  ist  diese  Sitte  zum 
Besprengen  aus  Fläschchen  voll  Rosen wasser  verfeinert.  Dafür  rächen  sich 
<Üe  Mädchen  am  Osterdienstag  mit  Fitzelrut^n  an  allem  Mannsvolk,  oft  selbst 
in  den  geistlichen  Herrn.  Diese  Ruten  „  schibäks  "  von  slovak.  schibät  fitzeln 
OBd  sechs-  bis  achtfach  geflochtene  Weidenruten  mit  bunten  Bändern  und 
farbigen  Zeugstreifen  umwunden.  S.  0.  Schade,  Klopfan.  S.  59 fi.  Uebrigens 
^  diese  Sitte  gelbst  von  Geistlichen   geübt  worden.     Das  Concil  zu 'Nantes 

17* 


260  Kapitel  UI.    Banmseele  als  Vegetationsdäroon : 

als  eine  besondere  Aufmerksamkeit,  wenn  ein  junger  Mann  ein 
junges  Mädchen,  oder  umgekehrt  eine  Jungfrau  den  Jüngling 
am  Ostermontag  (resp.  Ostersonntag)  sehmackostert  oder  begießt 
Sehr  häufig  sind  heutzutage  nur  die  Kinder  die  Träger  der  alten 
Sitte,  vielfach  aber  noch  die  erwachsene  Jugend  des  Landvolks^ 
Bursche  und  Jungfrauen ,  wie  junge  Eheleute.  So  Schlagen  sl  B. 
im  Kreise  Chrudim  vom  frühen  Morgen  an  die  Männer  ihre 
Frauen,  die  Bursche  die  Mädchen,  die  Knechte  die  Mägde  nnd 
die  kleinen  Knaben  die  kleinen  Mädchen.  Meistenteils  gehen  die 
Knaben  oder  jungen  Bursche  am  Ostermontag  truppweise  im 
Dorfe  von  Haus  zu  Haus,  oder  einzeln  in  die  Häuser  ihrer 
Bekannten  und  schlagen  jedes  begegnende  Mädchen  oder  Weib, 
treffen  sie  sie  noch  im  Bette,  so  peitschen  sie  sie  buchstäblich 
hinaus  mit  dem  Rufe:  „Schmeck  Ostern  (Darkehmen),  oder: 
Steh  auf,  Ostern  ist  da!"  (Schlesien).  Im  böhmischen  Oberlande 
(Komotau,  Saaz)  begiebt  sich  der  Knabe  im  Festgewand  —  ein 
Tüchlein  an  den  Zipfeln  haltend  —  zu  Paten,  Vettern  und 
etwa  auch  andern  reichen  Leuten,  tritt  vor  die  Zimmertttr  nnd 
ruft:  „rote  Eier  heraus,  oder  ich  peitsche  die  Mädeln  aus!" 
Am  Osterdienstage  rächen  sich  dann  oft,  aber  nicht  immer  in 
gleicher  Weise  die  Mädchen,  nur  daß  sie  meistenteils  nicht  auf 
der  Straße  von  Hof  zu  Hof  umherziehen,  sondern  sich  damit 
begnügen  die  im  eigenen  Hause  befindlichen  Mannsleute  aus  den 
Betten  zu  treiben.  Kinder  schmaekostern  auch  wohl  ohne  Unter- 
schied des  Geschlechts  Eltern  und  Ver>vandte  und  Bekannte  und 
jeden  Begegnenden.  Seltener  findet  das  Schlagen  schon  am 
Ostersonntag  statt  und  zwar  entweder  vor  der  Frühmesse,  oder 
nach  dem  Nachmittagsgottesdienste;  die  Heiligkeit  des  ersten 
Festtages   tat,  so  scheint  es,  gegen  den  weltlichen  Brauch  Ein- 


1431  verbot  als  Unfug:  In  crastino  Paschae  clerici  ecclesiarum  et  alii 
ad  domos  adjacentes  accedunt,  camcras  intrant,  jacentes  in  lectis 
capiunt  et  nudos  ducant  per  vicos  et  plateas  et  ad  ipsas  ecclesias 
non  sine  magno  clamore  et  su]ier  altare  et  alibi  aquam  saper  ipsos 
projiciunt:  ex  qnibus  sequitur  divini  ofiicii  torbatio,  corpomm  laeaio  et 
nierabroram  quandoque  mutilatio.  Insupcr  quideui  alii  tarn  clerici  qaam  laici 
prima  die  Maji  de  mane  ad  domos  aliorum  accedunt  et  capiunt  et  cognnt 
per  captionem  vcstium  et  aliorum  bonorum  et  se  redimere  oportet.  Aehn- 
liches  wurde  im  Concil.  Andegav.  ann.  1448  verboten.  Mercur.  FraD9.  Mai 
1735.   p.  897.    Du  Gange  s.  v.  prisio. 


Der  Schlag  mit  der  Leb^nsrnte.  261 

sprach.    Im  VoigÜandef  wo  die  Knaben  in  der  Frühe  des  ersten 
Ostertages  aafhaaen,  üben  die  Mädchen  erst  am  ersten  Pfingst- 
tage   das   Yei^ltungsrecht.     Vielfach   beschränkt   sich   die 
Sitte  darauf,    die   Frauen    zu   schmackostern.     Zuweilen 
Bcbmackostem   schon   am  Ostermontag  die  beiden   Geschlechter 
sich    gegenseitig.      Ein    altes   Zeugniß    itir  dajs   Schmackostern 
gewährt  schon  um  1160  Joh.  Beleth  in  seinem  Kationale  divino- 
nun   offidprum:    Notandum    quoque  est  in  plerisque  regionibus 
secondo  die   post    pascha   mulieres  maritos   suos  verberare   ac 
yidsrim  yiros  eas  tertia  die :  quod  ob  eam  rem  faciunt ,  ut  osten- 
dant  ae  mntno  debere  corrigere,  ne  tempore  illo  alter  ab  alter- 
utro  thori  debitum  exigat.    Durch  solche  Deutung  suchte  die  Geist- 
lichkeit die  Yolkssitte  christlich  zu  rechtfertigen.    Das  Werkzeug, 
mit  welchem  die  Schläge  erteilt  werden,  ist  oft  noch  ein  mit 
jungen  Blättern  grün  ausgescJdagenes  Birkenreis  (Litauen,  Sam- 
land,  Neumark,  Obererzgebirge).     Haben   die  Birken  im  Freien 
noch  keine  Elnospen,  so  werden  die  Ruten  einige  Tage,  ja  selbst 
wochenlang   vorher  in  warmes  Wasser  gestellt  und,   hilft  auch 
dag  nicht,   die  Abende   vorher  in  die  ans  dem  geheizten   Ofen 
in  den  Schornstein  mündende  Röhre  gehalten.     Gemeinhin  nimmt 
man  statt  der  Birkenreiser  Weidenzweige  mit  Palmkätzchen,  die 
erforderlichenfalls  ebenfalls   durch  Wasser  und  Ofenwärme  her- 
vorgetrieben werden.     Mit  Vorliebe  werden  mehrere  solcher  Bir- 
ken- oder  Weidenzweige   zu  einer  Rute  verbunden,  die  in  Böh- 
men, Mähren,   Schlesien   durch   weitem  Schmuck   eigentümliche 
Fonnen    annimmt^    und    den    Namen   pomlazka,   pomlaska  oder 
pomrhoda  flihrt.    Die  pomlazka  ist  zwar  zuweilen  eine  einzelne 
mit  Bändern  und  Flittem  geschmückte  Gerte,  gewöhnlich  jedoch 
eine  Peitsche,  welche  von  3,  6  oder  9*  (zuweilen  auch  i  oder  8), 
mitonter  bis  gegen  die  Spitze  hin  geschälten  \Veidenruten  zusam- 
men gedreht  und  mit  bunten  Bändern,   so  viel  umwunden  oder 
mit  bunten  Papierschnitzeln   so   dicht  durchflochten   wurde,  daß 
sie  wie   ein  farbiger  und  knospenreicher  Blumenstengel  aussieht, 
in  Nordböhmen  bilden  auch  noch  tv irkliche  Frühlingsblumen  den 
Ausputz.     In  der  Gegend  von  Komotau  und  Saaz  sind  die  Palm- 
zweige mit  Streifen  von  buntem  Seidenzeuge  oder  Kattun  an  der 
Spitze  und  am  Handendö  zusammengebunden  und  von  oben  bis 
unten   mit  ähnlichen   Streifen   verziert.      Statt  der  Weidenruten 
(Mähren)  oder  mit  denselben  zusammen  (Oesterr.  Schlesien)  ver- 


262  Kapitel  lü.    Baamseele  als  Vegetationsdämon: 

wendet  man  auch  wol  Süßholz  oder  SüßhoUswurzdn  ^  in  der 
Weingegend  Böhmens  abgebrochene  Weinrehen  (dann  heiftt 
die  Schmackoster  vinovacka),  oder  man  bedient  sich  sogar  einer 
künstlich  aus  bunten  Lederricfnen  hergestellten  Osterpeitsche  (Mäh- 
ren, Oesterr.  Schlesien).  Das  Hauen  mit  der  Schmackoster  oder 
pomlazka  wählt  sich  vorzugsweise  die  Füße  (OstpreoSen)  und 
Häftde,  resp.  Fingerspitzen  (Elbing)  der  Begegnenden  zum  ZieL 
Geben  die  Knaben  um  Deutschbrod  den  Frauen  nur  leichte 
Schläge,  so  peitschen  sie  um  Mährisch  Trtibau  die  Mädchen  gau 
ernstlich  an  den  Füßen.  Bei  den  Kassuben  ging  es  noch  vor 
30  Jahren  in  der  rohen  Weise  her ,  welche  TUemann  (o.  S.  255) 
beschreibt.  Wie  aber  die  in  Oesterr.  Schlesien  beim  Sohmaok- 
ostem  gesungenen  Lieder  lehren,  erforderte  ehedem  der  voUflübi* 
dige  Brauch,  daß  van  oben  herab  [alle  Glieder^  Kopf,  Bttcken, 
Arme,  Hand,  Beine,  Füße  schmackostert  wurden.  Hier  eins  aas 
Zuckmantel,  aus  dem  dialektischen  Original  in  die  Schriftsprache 
übertragen:  ^  * 

Heut  ist  Ostern; 

Da  geht  man  schmackostern, 

Um  den  Kücken,  um  den  Band, 

Da  kommen  die   Fliegen  rausgerannt. 

Wenn  sie  werden  nicht  weichen, 

Werden  wir  sie  runterstreichen. 

Meine   Schmackoster    ist  süße, 

Da  hau  ich   dich  um  die   Füße. 

Laßt  euch  nicht  lauge  puffen 

Um  ein  Stücklein  Kuchen. 

Ein  anderer  Gesang  aus  Hotzenplotz: 

Jetzt  kommen  wir  zum  lieben  Ostem, 

Laß  das  TöchteHein  ein  wenig  schmackostern. 

Dann,  dann  am  den  Kopf, 

Daß  du  denkst,  es  ist  ein  Elösetopf; 

Dann,  dann  um  den  Bücken, 

Daß  dich  nicht  die  Bürden  drücken; 

Dann,  dann  um  die  Arme, 

Daß  du  dich  lernst  der  Lout  erbarmen; 

Dann,  dunn  um  die  Hand, 

Daß  die  Leute  werden  erkannt; 

Dann,  dann  um  die  Beine, 

DaB  du  immer  bleibst  daheime; 

Dann,  dann  um  die  Füße, 

Daß  du  lernst  die  Alten  grüßen; 


Der  Sehlftg  mit  der  LebeDsrate.  '  ^'  263 

Dum,  daoB  d«benim, 

Die  Fliegen  laufen  dort   hinnm; 

Dann,  dann  dorthinnin, 

Die  Fliegen  laufen  daher  um.  > 

Das    in   diesen  Liedern    erwähnte   Austreiben   der   Fliegen 

bezieht  sich  auf  den  Volksglauben,  daß  die  mit  der  Osterrute 

(xepeitschten  den  Sommer  hindurch  nicht  vom  Ungeziefer  (zumal 

Fliegen y  Flöhen  und  Mttckeu)  zu  leiden  haben  »ollen.'     Sonst 

heißt  es  aach,  wer  sdUage  bringe  Gluck.     Der  Schmackosterte 

wird  nach  dem  Hotzenplotzer  Gesang  das  Jahr  hindurch  keine 

Bfickenschmerzen  empfinden;    im  Erzgebirge  sollen  demjenigen, 

der  am  2.  Ostertage  sich  i>eitschen  läBt,  oder  selbst  peitscht,  im 

nächsten  Jahr  die  Beine   nicht  weh  tun;^  in  Böhmen  empfiehlt 

man  das  Prttgeln  mit  frischen  Weideurutcn  als  Mittel  gegen  die 

fallende  Sucht  (Epilepsie).^     Meistenteils  jedoch  siud  diese  von 

der  Ceremonie  des  Schmackosterns  erwarteten   Wirkungen  ver- 

gessen   und   der  Brauch   wird  nur   noch  des  Spaßes  halber  und 

am  des  Geschenkes  willen  geübt,  mit  dem  die  Geschlagenen  sich 

bedanken,  resp.  von  weitem  Schlägen  loskaufen  müssen.    Dieses 

Geschenk  besteht  der  Hauptsache  nach  aus  rohen  oder  gekochten 

weißen,  oder  bnntgefärbten  (bemalten,  mit  Inschriften  versehenen) 

£u^m;  dazu   kommt  auch  wol  ein  Kuchen  (Fladen),  gelbes  (mit 

Safran  gefärbtes)  Osterhrod;  ältere  Vcnvandte  und  Junggesellen 

geben  auch  wol  etwas  Geld.     Die  Frauen  und  Mädchen  werden 

so  lange  auf  Hände   und  Füße  geschlagen,   bis  sie  mit  ihren 

Eiern  herausrücken.    Bald  ist  das  nur  ein  buntbemaltes  Ei,  so 

im  Bunzlauer  Kreise,  das  giebt  die  Jungfrau  dem  Burschen,  der 

sie  geschlagen  hat  mit  den  Worten : 

Wem  das  Ei  ich  sclieuken  werde, 
Den  lieb  ich  aus  vollem  Herzen; 
Wem  das  Eichen  schenke  ich, 
Den  hab  von  Herzen  lieb  ich. 

Anderswo  (Melnik)  lösen   sich   die  Wirtin   und   die   kleinen 
Mädchen  mit  je  drei,   die  erwachsenen  Mädchen  und  Mägde  mit 


1)  Peter,  Volkstümliches  ans  Oesterr.  Schlesien.  Troppau  1855  I,  87—88. 

2)  Reinsberg-Düringsfeld  'S.  1G7. 

3)  M.  SpieiK  Abergl.  aus  dem  Obererz-;ebirgc  S.  11. 

4)  W.  Grohmann ,  Abergl.  a.  Böhmen  176 ,  1253. 


264  Kapitel  III.    Baumseele  als  Yegetationsdämön: 

je  sieben  bis  vierzehn  Eiern.  Von  dieser  Gegengabe  der  Geprügel- 
ten heißt  der  ganze  Umzug  im  Kreise  Saaz,  um  Komotau  und 
Erzgebirge  das  „Eierlaufen,"  das  „Eierpeitschen."  Die  jungen 
Leute  verschenken  als  Gegengabe  ihre  „Schmtickosterruten" 
(Grüneberg  Schlesien),  oder  sie  finden  sich,  wenn  sie  am  Oster- 
dienstag  von  den  Weibern  gestäupt  werden,  mit  Marzipan  und 
Pfefferkuchen  ab;  endlich  flihren  sie  das  Mädchen,  welches  am 
meisten  Eier  giebt,  den  nächsten  Sonntag  am  fleißigsten  zum 
Tanz  bei  dem  Festmahl,  das  von  den  gesammelten  Eiern  ange- 
stellt wird.  In  der  Uckermark  müssen  die  am  ersten  Ostertage 
gestiepten  Mägde  am  2.  Festtag  den  Knechten  Fische  und  Ear- 
toffeki  im  Wirtshause  auftischen,  die  Knechte  aber  die  Musik 
zum  Tanz  besorgen. 

Daß  auf  den  Maitag  im  wesentlichen  dieselbe  Sitte  geflbt 
wurde,  ist  schon  o.  S.  252  nachgewiesen.  In  Sttdirland  ist  es 
allgemeiner  Brauch  der  Schulbuben  an  diesem  Tage  mit  einem 
Bunde  Nesseln  (bunch  of  nettles)  wie  wild  umherzulaufen  und 
Gesicht  und  Hände  ihrer  Mitschüler  und  so  yieler  anderer 
Personen  damit  zu  schlagen,  als  sie  ungestraft  wagen  zu  kön- 
nen glauben.^  Zu  Eichicht  und  Bergen  im  Voigtlande  werden 
die  Mädchen  zu  Pfingsten  von  den  Burschen  nut  Blumen- 
sträußen gepeitscht.*  Zu  Holzheim  in  Schwaben  und  Neuburg 
gehen  an  den  drei  Sonntagen  vor  Pfingsten  neun  Knaben  mit 
Haselruten  von  Haus  zu  Haus  und  sagen  ein  Sprüchlein.'  Aus 
Frankreich  ist  der  Brauch  zu  Pfingsten  schon  am  Ende  des 
14.  Jahrh.  nachweisbar.* 

Dem  niedersächsischen  Fastnachtsbrauche  und  der  slavischen 
Ostersitte  gegenüber  steht  in  Mittel  -  und  Südwestdeutschland  die 


1)  Hone,  every  day-book  I.   London  1866.    p.  297. 

2)  Köhler,  Volksbrauch  im  Voigtlande  ß.  176. 

3)  Panzer,  Beitr.  II,  85,  129. 

4)  Liter,  remiss.  ann.  1400  bei  Du  Gange  v.  Pentecoste:  Comme  le 
lendemain  de  la  Pentecoustc,  au  quel  jour  Ten  a  acoustum^  d'aler 
gaiger  par  maniere  d'esbatement  ceulx ,  qui  ne  sont  pas  levez  pour  aler  boire 
sur  le  diz  gaiges,  Estenart  acorapaignie  de  la  femme  Jehan  Paon  ala  en 
Tostel  de  Jehan  Duquief  de  la  ville  et  prist  des  gaiges  en  sa  maison  par 
bonne  ainour  et  esbatcment  pour  ce  que  le'dit  Duquief  de  la  ville  n^estoit 
pas  vestu  et  ce  fait  alerent  en  lostel  de  Jehan  Leureux  porteur  des  pardons 
et  y  entrerent  par  l'uys  de  derriere  et  pource   quMl   n'estoit  pas  lev^ 


Der  Sehlag  mit  der  Lebensmte.  366 

weihnadiäiche    Gewohfiheii  des   ^^Frischgrttnstreichens/'  Fitzelns 
oder  Pfeffems.   In  mehreren  Thüringischen  Waldorten  z.  B.  Hohen- 
felden  bei  Weimar  schwärmen  die  Kinder  am  Tage  der  unschul- 
digen Kindlein   (28.  Dez.)   auf  ^ta   Gassen    und  schlagen  die 
VorObeigehenden  mit  Birkenreisem  um  die  Beine,   wofbr  sie 
Aepfel,  Nüsse  y  Pfefferscheiben  und  Schnittchen  bekommen.    In 
Wdda  im  Weimarischen  gehen  sie  mit  Tannenzweigen,  oft  sehr 
groten,  umher  und  schlagen  auf  der  Straße  alle  Begegnenden 
imd  in  den  Häusern  die  Dienstmägde.  ^    Im  Voigtlande  und  am 
ganzen  sächsischen  Erzgebirge  peitschen  die  Bursche  die  Frauen 
und  Jungfrauen  am  zweiten  Weihnachtstag,  wo  möglich  wenn  sie 
noch  im  Bette  liegen,  mit  ausgeschlagenen  Birkenruten,  die 
mit  rotem  Bande  zusanmiengebunden  sind ,  oder  mit  irgend  etwas 
Grfinem  (Rosmarinstengeln  oder  Wachholderruten).    Dazu 
sogen  die  Schlagenden: 

Frische  Grün,  hübsch  und  fein, 
Pfefferkachen  und  Branntwein! 

Im  Orlagan,  wo  die  confirmierten  und  nicht  confirmierten 
Mädchen  am  zweiten,  die  Knaben  und  jungen  Bursche  am  drit- 
ten Weihnachtsfeiertage  ihre  Eltern  und  Paten  mit  grünen  Tan- 
nenreisem,  Dienstboten  ihre  Herrschatten  mit  Rosmarinstengeln 
prfigelten,  lautete  der  Spruch: 

Frisches  Grün!    Langes  Lehen! 

Ihr. sollt  mir'n  blanken  Taler  (Nüsse  n.  s.  w.)  geben.* 

Dann  erhalten  sie  eine  Bewirtung  mit  Stollen,  oder  Pfeffer- 
kuchen und  Branntwein.  Am  dritten  Feiertage  zahlen  die  Frauen 
den  Männern  die  Schläge  zurück.^  In  der  Gegend  von  Hof 
peitschen  oder  „fitzeln"  (d.  h.  mit  Ruten  streichen:  Grimm,  W.  B. 
ni,  1696,  3)  die  Bursche  am  3.  Feiertage  Nachts  12  Uhr,  die 
Mädchen  zu  Neujahr.    In  gleicher  Weise  peitschen  (Böhmen)  die 


prindrent  semblablement  des  gaigcs  en  sa  maison  par  bonne  amoor  et  esba- 
tement;  et  qnant  vins  a  beure  de  disner  le  dit  Estenart  apella  ou  envoya 
qierir  le  dit  Dnqaief  de  la  ville  pour  venir  disner  en  Fostel  du  dit  des 
Xttes  snr  les  diz  gaiges. 

1)  0.  Schade,  Klopfan  S.  57. 

2)  0.  Schade  a.  a.  0. 

3)  Spieß,  Abergl.  d.  säcbs   Erzgeb.   8.9.  11.    Köhler,  Volksbrauch  im 
Voigtlande  S.  174. 


266  Kapitel  III.    Baaniseele  als  Vegetationsdämon: 

Burschen  mit  Büscheln  von  Weidenzweigen,  die  bereits  am 
4.  Dezember  (Barbara)  gebrochen  und  seitdem  künstlich  getrieben 
sind  (Barbarakätzchen)  am  Tage  der  unschuldigen  Kinder 
(28.  Dezbr.)  aus;  an  dem  nämlichen  Tage  übt  den  Brauch  in 
Untersteiermark  die  erwachsene  Jugend.  Im  Goburgischen  pfef- 
fern^ oder  „dengeln"  (d.i.  hämmern  Grimm,  Wb.  11,926) 
Knaben  die  Frauenzimmer  am  ersten  Weihnachtstage,  die  Mäd- 
chen die  Mannspersonen  am  Neujahrstage  mit  einem  grünen 
Sträußchen,  wie  es  grade  zu  haben  ist  (Buehsbaum  u.  dgl.); 
auch  im  Wasser  durch  Zimmerwänne  getriebene  blühende  Flie- 
der-, Kirschbaum-  oder  Lindenäste  dienen  ebensowohl  zn 
Weihnachtsbäumen,  als  zum  R'eflfem.  Mit  Vorliebe  wählt 
man  dazu  2  Rosmarinstengel.  Neuerdings  sind  auch  bebänderte 
Ruten  in  Uebung  gekommen.  Die  Knaben,  welche  Ptefferkuchen, 
Aepfel  und  Nüsse,  heutzutage  auch  wol  als  LfOhn  erbitten,  haben 
dabei,  bestimmte  Sprüclie,  wie  sie  in  Oesterr.  Schlesien  beim 
Schmackostem ,  im  Voigtlande  beim  Frischegrünstreichen  üblich 
sind.    Z.  B. 

1.  Stöhne  (kräana),  stöhne,  stöhne! 

Dn  wirst  mich  heut  noch  lohnen  (lä&na) 
Mit  Pfefferkuchen  und  Brantewein  u.  s.  w. 

2.  Ich  pfcffer'  euch  von  oben  herein  (unten  heran), 
Drei  Batzen  nehm'  ich  ein  (nehm'  ich  an); 
Weniger  nehm'  ich  nicht, 

Mag's  recht  sein  oder  nicht. 

3.  Ich  pfcifer'  Sie  von  unten  'ran. 
In  der  Mitt'  ein  Göckelhahn, 
Obendrauf  die  Krone, 

Sie  werden  mir  gern  noch  lohnen 
Mit  Pfeiferkuchen  darneben; 
Das  Pfeffern  ist  mein  Leben. 


1)  Dieser  Name  rührt  her  von  den  Pfefferkuchen,  Pfefferzelten,  d-  i. 
Gewttrzkuchen ,  Lebkuchen,  welche  als  „Lohn'*  von  den  Geschlagenen  den 
Schlägern  gegeben  wurden.  Schon  eine  Münchener  Virgilhandschrift  ans 
saec.  X  — XI  gewährt  „liba  pfehorceltun.**  Schmeller,  Bair.  W.  B.  I,a06fL 
Vgl.  das  Papistenbuch  saec.  XVI:  Den  nechsten  Tag  darnach  an  der  unschul- 
digen kindlen  tag  gehen  die  jungen  Gesellen  herumb  mit  einer  Ruten,  schla- 
gen die  Junckfrawen  um  den  Lebkuchen  und  diß  neimen  etlich  den  Pfeffer- 
tag.   Pfeiffers  Germania  XVII ,  ÖO  vgl.  UO. 


Der  SobUg  mit  der  Lebensnite.  967 

Ein  Mädchensprnch : 

'      4.  leb  pfeffer*  einen  schönen  Herrn, 

leb  weiß  er  hat  das  Pfeffern  (die  Jungfern)  gern. 

Ich  pfeffer*  ihn  ans  Herzensgrund. 

Gott  erhalt'   den  schönen  Herrn  gesund.* 

Eine  ehemals  im  Plassenburger  Archiv  befindliehe  PoKzeiver- 
ordnimg  der  Herrsehaft  Lauenstein  vom  Jahre  1599  verbietet 
das  Kindlen  oder  Dingelu  das  zu  Weyhuachten  getrieben  wird, 
da  die  großen,  starken  knecht  den  Leuten  in  die  Heusser  laufen, 
die  Mägde  und  Weiber  entblösen  und  mit  Gerten  oder 
Baten  hauen.'  In  Schwaben  gehen  am  unschuldigen  Kindertag 
die  Buben  in  den  Häusern  herum  und  bestreichen  mit  Btttlein 
jeden,  den  sie  treffen,  besonders  aber  die  Weiber.  Dabei  rufen 
sie  in  der  Ellwanger  Gegend  Zelten  räB!  (scharfe  Fladen  d.  i. 
Pfefferkuchen).^  In  Wurmlingen  „pfeffern"  die  Kinder  die  Haus- 
mutter mit  den  Worten: 

Pfeffer,  Nüssen,  Kuehen  raus! 

Oder  ich  laß  den  Mader  (Marder)  ins  Hühnerhans  !^ 

In  Augsburg  verbot  der  Rat  1538  das  „  Lebzeltenstreichen." '^ 
Auch  in  Baiem,  Franken,  Oestreich  kennt  man  am  Tage  der 
wwchuldigen  Kinder,  oder  am  St.  Stephanstage  (27.  Dezbr.)  das 
Pfeffern  mit  Wachholderstauden.  Die  pfeffernden  Jungen  sagen 
im  Schwabachgrunde  (Mittelfranken)  das  Sprüchlein : 

Schmeckts  Pfefferle  gut? 

Ists  gesalzen,  ists  g'schnialzen ,  schincckts  noch  mal  so  gut.« 

In. der  Gegend  von  Tübingen  und  Eßlingen  heißt  dagegen  der 
^'eihnachtsdienstag  Pfeffertag.  Dann  sammeln  die  Knaben,  mit 
Raten  von  „Weckholder"  oder  Tannen  umziehend  Nüsse,  Aepfel, 
Brod  ein,  nur  guten  Bekannten  schlagen  sie  mit  der  Wachholder- 


1)  A.  Schleicher,  Volkstümliches  a.  Sounenberg.  Weimar  1858.  S.91 — 92. 

2)  Spieß,  Archivalische  Nebenstunden  III ,  89.    Haltaus -Scheffer,  Jahr- 
^tbuch  167.    Lichtonfels  unweit  Coburg.    Vgl.  Scliade  a.  a.  0. 

3)  S.  A.  Birlinger,  Wörterbüchlein  zum  Volkstümlichen   in   Schwaben. 
Preibnrg  i.  Breisgau  1862.    S.  75.    Schmeller,  Wb.  III,  125. 

4)  A.  Birlinger,  Volkstümliches  a.  Schwaben  II,  12,  24. 

5)  Birlinger  a.  a.  0.  II ,  453. 

6)  Bavaria,  Mittelfrankcn  S.  957.    Vgl.  auch  noch  Weiteres  bei  Schmel- 
1«  W.  B.  1,  580  8  V.  fitzen,  306  ff.  s.  v.  pfeffern. 


268  Kapitel  III.    Baumsecle  als  Vegetationsd&mon : 

auf  die  Hand,*  wie  denn  überhaupt  in  Schwaben,  der  Ober- 
pfalz, Franken  teils  die  Finger  teils  die  FUBe  gepfeffert  wer- 
den.' In  der  nördlichen  Schweiz  war  es  zu  Hospinians  Zeit 
(t  1626)  Sitte,  daß  die  Eltern  am  Morgen  des  Kindertages  mit 
Ruten  aus  den  Betten  trieben.^  Auch  in  Frankreich  empfingen 
die  Kinder,  welche  sich  in  der  Frühe  jenes  Tages  noch  im  Bette 
antreffen  ließen,  einige  Schläge  auf  ihre  Hinterseite,  wenn  sie  es 
verdienten  auch  wol  noch  etwas  mehr;  in  der  Normandie  aber 
taten  die  Frühaufsteher  unter  den  jungen  Ijcuten  selbst  diese 
Ehre  den  Langschläfern  an,  man  nannte  das  „bailler  les  Inno- 
cents  k  quelqu'nn,^^^  oder  innocenter.  In  Belgien  wurden  alle, 
welche  man  am  Allerkinderentag  im  Bette  überraschen  konnte, 
vorzugstoeise  aber  die  im  Laufe  des  JaJires  verheirateten  jungen 
Eheleute  mit  Ruten  gestrichen.^  In  England  war  die  Sitte  nicht 
unbekannt  „to  whip  up  the  children  upon  Innocents  Day."* 
Endlich  heißt  auch  bei  den  Südslaven  in  Krain  tepeshkati  die 
Rute  geben  am  Tage  der  unschuldigen  Kinder. 

Noch  zweier  eigentümlicher  Formen  des  Brauches  will  ich 
gedenken.  Wenn  im  Schaun^urgischen  das  „erste  Spamn  getan" 
d.  h.  in  detn  Jahre  zuerst  meder  gepflügt  ist,  schleichen  sich  die 
KnecJUe  zu  den  Mägden  wnd  jieUschen  sie,  an  manchen  Orten  das 
ganze  weibliche  Personal  des  Hofes,  ufUer  dem  Buf:  „teuf  (warte) 
ek  tvill  deh  d<i  Fleie  (Flölie)  ütklappen!"  so  lange,  bis  sie  unter 
lautem  Holloh  vom  Hofe  entfliehen,  worauf  denn  die  Knechte 
noch  eine  Zeit  lang  mit  der  Peitsche  hinter  dreinlaufen.'  In  der 
Umgegend  von  Hall  im  nördlichen  Tirol  findet  am  unsinnigen 
oder  schmutzigen  Donnerstage  (dem  Donnerstag  vor  Fastnacht) 
das  HudeUaiifcn  statt.  Ein  mit  buntscheckiger  Kleidung  und 
einer  Larve   verkleideter  (gewöhnlich  reicher   und  angesehener) 


1)  Meier  S.  467,  219.  II,  12,  24. 

2)  0.  Schade,  Klopfan -S.  57. 

3)  Hospinian ,  de  Origine  festorum  Chri«tianoruin.    Genevae  1674  f.  172. 

4)  Dufressus  zu  Clement  Marots  Epigram  135.  Les  Origines  de» 
quelques  contnmes  anciennes.  (!aen.  12"  1B72  p.  141.  Cf.  Brand  pop.  antiqn. 
I,  53(>.  537.   De  Furetiere  Dictionnaire,  u.  Trevoux  Dictionaire  s.  v.  innocenter. 

5)  Schayes,  essai  historiqae  sur  les  nsages  des  Beiges.  Louvain.  1834. 
p.  139. 

H)  Brand ,  pop.  antiqu.  1 ,  53G. 

7)  Lyncker ,  hess.  Sagen.   S.  257,  341 ;  mündl. 


Der  Schlag  mit  der  Jjebensrate.  2^ 

Btoer  springt  von  den  Buben  herausgefordert  aus  dem  Wirts- 
hsnse  hervor ,  um  die  Lenden  eineti  mit  Semmeln  besteckten  Gurt 
und  in  der  Hatid  eine  lange  Peitsche,  an  welcher  "mehr  als  50 
Bretgein  hängen.  Er  wirft  die  Schnur  mit  den  Bretzeln  unter 
die  Buben  ans,  die  sich  sofort  um  die  Bretzeln  balgen,  bei  die- 
ser Gelegenheit  aber  mit  der  Peitsdie  tüchtig  durchgegerbt  wer- 
den. Sodann  durchzieht  der  Hudler  die  Reihen  der  Bauern, 
welche  mch  inzwischen  in  einer  langen  Gasse  gelagert  haben, 
and  sucht  sich  einen  aus,  der  ihm  vorlaufen  soll.  Während 
dieser  sich  dazu  anschickt,  eilt  er  ihm  nach  und  schlägt  ihn 
ufmnterbrochen  so  lange  unter  die  FüßCj  bis  er  ihn  eingeholt 
hat.  Dann  filhrt  er  den  Ereilten  in  die  Schenke,  bewirtet  ihn 
liebreich  mit  einer  Semmel  und  einem  Glase  Wein,  und  beginnt 
TOD  neuem  seinen  Lauf  mit  einem  andern  Bauern.  Dieses  Hudel- 
laofen*  dauert  immer  bis  Sonnenuntergang,  dann  entlarvt  sich 
der  Hudler  und  tUhrt  im  Wirtshaus  den  Tanzreigen  auf.^  I)as 
Hodler-  (oder  Hutler)laufen  hat  den  Zweck,  dem  Flachs  und 
Mais  ein  schönes  Gedeihen  zu  sichern.  Diesem  l^roler  .Fastnachts- 
branch  schließt  sich  der  schwäbische  an ,  in  der  Fas(thingBzeit  einen 
Schalknaben  in  Stroh  einzubinden,  der  mit  einer  Hasel- 
gerte in  der  Hand  als  „Bntzenmaun'^  empfangen  unter  die 
DorQugend  hervortritt,  und  wen  er  erwischt,  Buben  oder  Mäd- 
chen, mit  seiner  Rute   züchtigt.^ 

Doch  nicht  bloß  auf  die  Menschen  erstreckt  sich  die  Sitte 
deg  Auspeitschens,  sondern  auch  Tiere  u^ul  Pflanzen  werden 
f^hlageti.  Die  Albanesen  der  Ri^a  schlagen  Menschen  und 
Vieh  am  Morgen  des  1.  März  mit  einem  Komelkirschzweig,  was 
der  Gesundheit  sehr  zuträglich  sein  soll.^  Die  vom  Tod- 
Fragen  Heimkehrenden  am  Lätaresonntag  sehlagen  begegnen- 
des Vieh  mit  Stäben  im  Glauben,  daß  es  dadurch,  fruchtbar 
werde.*  Im  lettischen  Orte  Samiten  (Kurland)  werden  von  den 
Katen,  mit  denen  man  Fastnachtscherz  getrieben,  einige  Zweige 
verwahrt  und  damit  beim  ersten  Austreiben  die  Kühe  geschla- 


1)  J.   Gebhard ,   Oesterr.   Sagenbuch.    Pest  1862.    S.  471  flf.      Zingerle, 
Sitten«  139,  1211  — 1212. 

2)  Birlinger,  Volkstäml.  a.  Schwaben  II,  23,  50. 

3)  Hahn,  albanes.  Studien  S.  155. 

4)  Myth.»  728. 


270  Kapitel  IIT.    Banmseele  als  Vegetationsdämon: 

gen^  die  dann  im  Sommer  nicht  von  den  Bremsen  leiden  soUen 
(mttndl.).  Bei  Gumbinnen  nimmt  der  Hansherr  am  Ostermorgen 
Palmzweige y  die,  damit  sie  ausschlagen  sollten,  einige  Tage  im 
Schafstall  oder  unter  Schafdtlnger  gelegen  haben,  und  ertettt 
jedem  Stück  Vi^h  (Pferd,  Rind,  Schwein,  Gans,  Huhn)  einige 
Schlüge  damit  auf  den  Bücken ,  dann  tut  er  dasselbe  mit  Frau^ 
Kindern  und  Gesinde  (mündl.).  In  Gilgenburg  (Ostpreuften) 
nimmt  man  dem  Kinde ,  das  schmeckostem  geht ,  fein  ehrfarchts- 
voll  mit  einem  Handtuch  eine  beliebige  Kute  aus  der  Hand, 
bewahrt  sie  auf  und  treibt  damit  da«  Vieh  zum  erstenraale  aus.^ 
In  Lichten  (Oesterr.  Schlesien)  schmeckostert  am  Ostermontag 
auch  der  Hirt  seine  Schafe,  damit  sie  das  ganze  Jahr  gut  folgen.* 
Vieh  mit  der  Osterrute  (pomlaska)  geschlagen  soll  stäts  mnnter 
bleiben.'  Auch  in  Großrußland  steckt  das  Volk  einige  der  am 
Palmsonntag  geweihten  Weidenzweige  in  die  Winkel  der  Schop- 
pen und  Viehställe,  damit  die  Hexen  den  Kühen  nicht  schaden. 
'  Manche  schlagen  auch  ihr  Vieh  leicht  mit  einer  geweihten  Palme 
und  ziemlich  allgemein  ist  es  Sitte  am  St.  Georgstag  (23.  Apr.) 
die  Tiere  mit  den  geweihten  Weidenzweigen  auf  das  Feld  zn 
treiben,  um  sie  vor  Krankheit  und  Unglückslallen  aJU  behüten.* 
Bei  den  Czechen  läßt  die  Hausfrau  am  Palmsonntag  Birken - 
und  Pimpernußzweige  weihen,  um  damit  am  Kuhfest  die  Kühe 
rückwärts  aus  dem  Stalle  zu  treiben.^.  In  Mecklenburg  steckte 
man  Quitzensträuche  (d.  h.  Zweige  des  Quitschenl>6m,  Vogelbeer- 
baum (sorbus  aucuparia)  am  Walpurgisabend  (1.  Mai)  über  der 
Stall türe  auf,  um  die  Hexen  abzuhalten,  und  „strich"  oder 
„quitzte"  damit  am  andern  Morgen  die  Kühe,  damit  sie  reich- 
lich Milch  gäben;  aber  auch  Menschen  (der  Bruder  von  der 
Schwester,  die  Eltern  von  den  Kindeni)  wurden  damit  gequitzt 
und  mußten  dagegen  ein  kleines  Geldgeschenk  geben.  Diese 
Sitte,  schon  1670  nachweisbar,  erlosch  im  Schwerinschen  im 
Laufe  unseres  Jahrhunderts.*     Bei  Iserlohn  (Westfalen)  werden 


1)  Toppen ,  Abergl.  a.  Masureii.    S.  09  vgl.  Wuttke  §.  83. 

2)  Peter,  Volktttinl.  a.  Oesterr.  Schlesien  II.  S.  285. 

3)  Grohniano ,  Abergl.  a.  Böhmen.    S.  137,  1001. 

4)  Reinsberg-Düringsfeld,   Nationalzeitung  1874.   Nr.  187. 

5)  Reinsberg-Düringsfeld,  Festkai.  a.  Böhmen  S.  110. 

6)  Schiller,    zum    Tier-    und    Krauterbuche    des    Mecklenburg.    Volkes. 
Schwerin  1861.  I.    S.  28. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  271 

iioeh  heute  am  ersten  Maita^e  die  Käll>er  ^^gequiekt/'  Mit  einem 
Rats  schneidet  aaf  ehiem  Berge  der  liirte  bei  Sonuenaufgaiig  das- 
jenige VogelbeerMumchen  (qutke)  ab,  auf  wekhes  die  ersten 
Strahlen  der  8oune  fallen ,  versammelt  aui'  dem  Hofe  die  liaus- 
leate  and  Nachlmrn  und  selilägt  mit  drei  Schlägen  die  Stärke 
(JQDge  Kuh,  die  noch  niciht  gekalbt  hat)  auf  dem  DUiigerplatz 
mit  einem  Zweige  des  Vogelbeerbaums  auf  das  Kreuz,  auf 
die  Hflfte  und  auf  das  £uter  unter  Hprilchen,  von  denen  der 
erste  lautet: 

Qnik,  quik,  qaik, 

brenk  miälke  in  den  strik  (Zitze  des  Euters); 

de  sap  es  in  den  biärkcn, 

£n  namen  kritt  de  stiärken. 

qnlk;  quik,  qnik 

brenk  miälke  in  den  strik! 

Der  zweite  den  Schlag  auf  Hüften  und  Euter  begleitende  Spruch 
besagt,  wie  der  Saft  in  die  Buchen ,  das  Laub  in  die  Eichen 
komme,  möge  der  Yogclbeerzweig  der  Kuh  Milch  in  das  Euter 
bringen.  Unter  dem  dritten  Sehlag  auf  das  Euter  erhält  das 
Tier  einen  Namen  (Goldblume  u.  dgl.).  In  Hemer  lautet  der 
Spruch:  „Saft  in  die  Eiche,  Honig  in  die  Buche!  Den  Namen 
sollst  du  geneußen,  Kohlhenne  sollst  du  heißen/' 

Nachdem  dann  die  Hausfrau  ihre  Stärke  besehen  hat,  nimmt 
rie  den  Hirten  mit  ins  Haus  und  beschenkt  ihn  mit  Eiern.  Die 
Gabe  fällt  aus,  je  nachdem  das  Tier  gut  geweidet  worden  ist. 
Mit  den  Schalen  der  t-crzchrien  Ficr,  hunfcn  Bändern  und  Buf- 
^frtiumen  wird  daa  aiifgepIlanzU'  Bäumchn  (Quckris)  verzivrt 
«w/  an  manch.*^n  Orten  über  der  Stalltür  aufgehängt.  In  Schür- 
feld erhält  der  Hirt  einen  Eierkuchen,  in  welchen  so  manches 
Q  geschlagen,  als  Blätter  an  dem  Queckenzweige,  womit  das 
Kalb  geweiht  wurde,  hangen  blieben.^  In  Dalsland  (Schweden) 
treibt  der  Hirt  sein  Vieh  an  einem  dem  Hin'nnelfahrtstag  vorher- 
fehenden  oder  nachfolgenden  Tage  schon  um  Mittag  heim,  nach- 
dem er  die  Homer  der  Tiere  mit  Blumen  bekränzt  hat.  Dtr 
Ikerdc  vorauf  trägt  er  mit   beiden   Händen  einen  ebenfalls  mit 


1)  Fr.  Wöstc,  Volkäiiberlieferungen  in  der  GrafHchaft  Mark.  Iserlohn 
1^.  S.  25.  Wösto  bei  Kuhn,  Herabkunft  des  Feuers  und  (liittertrankes. 
Berlin  1S59.    S.  185.    Woste ,  Zs.  f.  d.  Myth.  II ,  85. 


272  Kapitel  IIT.     Baninseele  als  Vegetationsdämon: 

einem  den  Wipfel  schmückenden  Blumenkranz  vereierten  Yogdr 
beerhaum  (rönn).  Wenn  das  Vieh  auf  dem  Viehhof  seinen  Stand- 
ort eingenommen  hat,  geht  er  durch  die  Giebeltttr  hinaus  und 
pflanzt  den  bekränzten  Raum  auf  dem  Schober  auf,  wo 
derselbe  die  ganze  Weidezeit  hindurch  stehen  bleibt.  Die  Schel- 
lenktthe  erhalten  jetzt  ihre  Schellen,  das  Jungvieh  wird  benannty 
indem  es  unter  Ausrufung  des  ihm  erteilten  Namens  dreimal  mit 
eifier  Hute  des  Vogelbesrbaums  auf  den  Rücken  geschlagen  ioir^J^ 
Von  den  Schweden  ist  der  Brauch  zu  den  Esten  übergegangen.' 
Im  Böhmerwalde  tragen  die  Dorfl)e wohner,  welche  das  Vieh 
beaufsichtigen,  am  1.  Mai,  wann  dasselbe  zum  erstenmal  ausge- 
trieben wird,  geweihte  Ruten  in  der  Hand,  d.  h.  Birkengerten^ 
welche  gegen  das  Ende  mit  einem  Strauß  von  geweihten  Palm- 
zweigen, wilden  Staudenfrüchten  und  Blumen  geschmückt  sind. 
Sie  sollen  eine  wunderbare  Macht  zur  Trennung  des  kämpfenden 
Hornviehs  ausüben.  Ein  Schlag  mit  dieser  Rute  schützt 
ein  Haustier  das  ganze  Jahr  vor  tödtlicher  Verwundung.' 
Auch  bei  den  Ruteneu  findet  das  Kälberquiken  mit  Birkenmten 
und  Haferhalmen  statt.  In  der  Normandie  schlägt  man  die  Ktthe, 
um  sie  milchreich  zu  machen,  dreimal  mit  einer  Haselrute  auf 
die  Seite.*  Eine  Hexe  bekannte  in  Hessen  1596:  „Wenn  sie  auf 
Walburgstag  eines  Nachbarn  Kue  mit  einem  Rüdtlin  in  Teufels 
Namen  geschlagen,  habe  sie  das  ganze  Jar  über  obige  Kue  mel- 
ken  können.  Sol<*hes  Rüdtlin  habe  sie  in  ihrem  Stall  stehen 
gehabt.^  Um  sich  Milch  von  fremden  Kühen  zu  verschaffen, 
bricht  eine  Hexe  zu  Gfrees  in  der  Oberpfalz  Zweige  von  einem 
Elsenbaum  und  versetzt  den  Tieren  damit  drei  Streiche  unter 
gewissen  Zauberworten.*'  Will  eine  Kuh  keine  Milch  geben,  so 
nehme  mau  stillschweigend  und  unberufen  eines  Bettelmanns 
Stock  (einen  Haselstecken)  und  schhige  sie  dreimal  damit.  Hiezn 
stimmt  der  folgende  bairische  Brauch.  Am  Lechrain  streicht 
man  beim  erstmaligen  Austrieb   des  Viehes  der  Kuh   mit  einem 


1)  S.  R.  Dvbock,  Runa  1844  Maiheft  S.  9.  bei  Kuhn,  Herabkiinft  S.  !&'). 
Vgl.  Dybeck,  Runa  1845  p.  G3.  bei  Mannlmrdt,  German.  Myth.  19. 

2)  Vgl.  Mannhardt,  Gerni.  Mythen     S.  20. 

3)  J.  Rank ,  aus  dem  Böhmerwalde  S.  127. 

4)  De  Norc,  Coutnmes,  iiiythes  et  traditions  p.  270. 

5)  Zs.  f.  D.  Myth.  11,72. 

6)  Schönwerth  1 ,  335. 


Der  Schlag  mit  der  Lcbensmte.  273 

Hasebtecken   Aber  den  Rücken  ^  um  andern  Kühen  zu  Gunsten 
der  sehugen   die  Milch  zu  nehmen.    Zweige  der  Palmweide  mit 
ibren  jungen  Mudeln,   Mistel,  Sävling,  Kranewit  und  Stechpal- 
men sind  an  diesen  Haselstecken  angebunden,  der  bis  auf  die 
Handhabe  geschält  ist,   damit  die  Hexen   nicht  zwischen  Busch 
ond  Rinde  (ygl.  o.  S.  12.  25)  schliefen.     Palmsonntag  kirchlich 
geweiht  und  beim  Wetter  teilweise  ins  Heerdfeuer  geworfen,  schützt 
dieser  Pahnbusch    vor  Blitz  ^    (vgl.  o.  S.  247).      In   Niederbaiem, 
Oberp&iz,  Oestreich  werden  die  Kühe  am  Martiniabend  10.  Nov. 
nun  letztenmale   ausgetrieben.      Dann    verfertigt  der  Hirte   die 
sogenannte  Martinigerte  (österr.  Mirtesgard'n).*     In  der  Gegend 
von  Landau  a.  Isar  ist  das  ein  Birkenreis,  dessen  Blätter  und 
Zweige    bis   an   den    Gipfel,   wo   einige   stehen   bleiben, 
abgestreift  sind  (vgl  den  Maibaum  S.  169).    Die  stehen  geblie- 
benen   Zweige  werden  mit  Eichenlaub   und  Wachholderzweigen 
durch  eine  Weidengerte  zu  einem  Busch  gebunden.    In  der  Ober- 
pfalz besteht  die  Mirtesgard'n  aus  Palmzweigen  mit  den  Kätzchen, 
Kranewitspitzen ,   spitzen  Blättern    vom  Segelbaum   und  Eichen- 
buttern.    Diese  Gerten  bewahrt  der  Rinderhirte  in  der  Oberpfalz 
bei  sich ,  läßt  sie  am  h.  Dreikimigstage  kirchlich  weihen  und  sein 
Weib  trägt   sie   am  Walbeniabend  (1.  Mai)  gegen  ein  Geschenk 
in  die  Häuser,   damit  am  folgenden  Tage   damit   das  Vieh  zum 
erstenmale  wieder  ausgetrieben  werde.    In  Baiem  und  Oestreich 
überreicht  der  Hirt  die  Gerten  schon  am  Martiniabend ,  und  zwar 
in  den   einzelnen   Häuseni    ein    bis    zwei  Gerten.     Die  Bauern 
stecken  sie  hinter  den  Kühbarn  (Raufe),  auf  das  Dach  oder 
ober  die  Tür  des  Stalles  (vgl.  o.  S.  IGl.  203)  und  nehmen  sie 
im  Frühling  wieder  herab,  d^imit  die  Dirnen  damit  rar  dem  ersten 
Weidegang  die  Kühe  aus  dem  Stalle  trei^n.     Sie  bedienen  sich 
dabei  altertümlicher  Sprüche ,  welche  die  Fruchtbarkeit  der  Hecrde, 
der  Wiese ,  des  Ackers  für  das  folgende  Jahr  anwünschen ;  z.  B. 
in  Etzendorf  in  Niederbaiem : 

Kommt  der  heilig  St.  Märten  (Mii*te) 
Mit  seiner  Gerten. 


1)  Leoprecliting,  ans  dem  Lechrain  S.  169.  170. 

2)  Die  folgenden  Gebräuche  sind  verzeichnet  Panzer  II,  40  —  42. 
Kr.  45— 48.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV.  27.  Schönwerth,  a.  d.  Oberpfalz 
J|321,  11.    cf.  Mannhardt,    Germ.   Myth.  15    Anm.  3.     Kuhn,    Herabkunft 

S.  188-189. 

Mannhardt  18 


274  Kapitel  III.     Baumseele  als  VegetatioBadämon : 

Soviel  Eranewitbeeren, 
Soviel  Ochsen  and  Stiere. 
Soviel  Zweige,   soviel  Fuder  Heu! 
Steckt  sie  hinter  den  Eühbam, 
«    So  wird  aufs  Jahr  keine  Kuh  verloren, 
Und  steckt  sie  hinter  die  StaUtür, 
Treibt  sie  aufs  Jahr  mit  Freuden  herför. 

In  Niederösterreich: 

In  Gottes  Namen  trett  ich  herein, 
Ein  Unglück  hinaus,  und  Glück  herein! 
Gott  behüt  eure  Rind  und  Schweine, 
Eure  Lämmer  und  Schaaf, 
Euer  Haus  und  Hof. 


Kommt  der  Sanct  Mirt  mit  seiner  Buten; 

Soviel  als  die  Rute  Zweige  hat, 

Soviel  soll   auch  der  Bauer  Vieh  haben. 

Nehmt  ihr  die  Ruten  in  eure  Hand, 

Steckt  ihr's  wol  auf  ober  der  Wand,  * 

Wol  hinter  das  Dach 

Am  Sankt  Gregoriustag  (12.  März,  Tag  des  ersten  Austreibens) 

Treibt  das  arme  Vieh  aus, 

Durch  alle  Engeln  aus. 


Ins  Gehölz  und  auf  die  Heid\ 

Damit  das  Vieh  alle  Tag  find'  sein  Weid, 

Damit  es  mit  Gesund  ißt  und  trinkt. 

Mit  Gesund  zu  Haus  und  Hof  heimkimmt. 

Ist  der  heiige  Petrus  auch  dabei 

Mit  seinem  Himmelsschlüssel; 

Er  sperrt  wol  dem  wilden  Wolf 

Seinen  Schlund  und  seinen  Rüssel  u.  s.  w.^ 

A.  Kuhns  Forschung  verdanken  wir  die  Kenntnifi  einer  offen- 
bar verwandten  Sitte,  welche  im  fernen  Osten,  in  Indien  zu 
Hause  war.  Im  Yajurveda  und  den  dazu  gehörigen  Commen- 
taren  wird  nämlich  die  Geremonie  beschrieben,  welche  angewandt 
wurde,    um    reine    Opfermilch  von   frischmilchenden   Ktthen   zu 


1)  Dieses  Lied  Zs.  f.  D.  Myth.  IV,  27.  vgl.  Panzer  U,  41,  45.  findet 
sich  bereits  in  einer  Fassung  aus  saec.  XV.  Mytb.»  CXXXVII 14.  Myth.*  1189; 
offenbar  ist  es  noch  viel  älter.  Bruchstücke  desselben  in  einer  Fassung  des 
10.  Jahrb.  sind  in  dem  Wiener  Hundesegen  (Müllenhoff  und  Scherer ,  Denkm. 
IV  3.  S.  7.)  erhalten. 


Det  SehUg  mit  der  hobensrut«.  275 

^f&alten.     Der  Opferpriester  schneidet  im  Neumond  einen  nach 
^^slen  oder  Norden  gewachsenen  Zweig  des  Paläga-Pama-  oder 
des  (lamtbaiimes  mit  den  Worten  ,,zur  Kraft  (schneide  ich)  dich'^ 
^U»y  streift  mit  den  Worten  ,,zum  Saft  dich/'  die  Blätter  herun- 
/<er,  ^  daß  nur  eine  recht  hlätterreirhe  Krone  stehen  bleibt  (vgl. 
S.  169.  184).     Hierauf  stellt  er  etwa  6  Ktthc  mit  ihren  Kälbern 
zusammen  y  treibt  letztere  mit  dem  Palä^azweige  unter  feierlichen 
Sprttehen  von  den  Müttern  fort^  damit  sie  dieselben  nicht  mehr 
absaugen   und  jagt  sie  allein  zur  Weide.    Jetzt  berührt  er  auch 
eine  der  Kühe  statt  aller  mit  dem  Zweige,  indem  er  den  Segens- 
wunsch über  sie  ausspricht  ^  sie  mtk^hten  dem  Indra  (Donnergott) 
sein   Teil  an  Opfermilch  mehren,    kälberreich,  krankheits- 
und  seuchelos  keinem  Räuber  oder  Bösen  zur  Beute  werden, 
dauernd  und  zahlreich  bei  ihrem  Herrn  verweilen.     Unter  den 
Worten:  „schlitze  des  Opfernden  Rinder"  (vgl.  o.  S.  80.141)  wird 
hierauf   der  Zweig  an  erhöhter  Stätte  mit  der  Krone  aufrecht 
nach  oben  und  ostwärts  gerichtet  vor  dem  Opferfeuer  oder  vor 
dem  Hausfeuer  aufgepflanzt.    Er  soll  die  Wirkung  haben,  die 
im  Walde  gehenden  Rinder  vor  Dieben  und  wilden   Tieren  zu 
schützen  und   sie  Abends   ohne  Unfall  nach  Hause  kommen  zu 
lassen.    Je  buschiger,  blätterreicher  der  Zweig  oben  ist, 
dcgto  rinderreicher  wird  der  Hausherr;  ist  er  an  der  Spitze 
trocken  (vgl.  o.  S.  166.  184),  so  wird  derselbe  rinderlos.    Nach 
d^Brahmanas  wird  der  Zweig  persönlich  gedacht,  er  gilt  als  die 
Verkörperung  eines  Gottes,  und  hieraus  erklärt  sich,  weshalb  er 
(wie  die  finnischen  Waldjnngfrauen)  seine  Wirkung  zum  Schutze 
des  Viehes  auch  in  die  Feme  hin  übt.    Nach  einer  Mythe  ist  der 
fama  ans  einem  Flügel  der  den  himmlischen  Soma  (Unsterblich- 
l^eitstrank,   das  '  Wolkennaß)  herabtragenden  Gayatri   entstanden 
Qfid  was  vom  Soma  in  das  Parnablatt  eindrang,  soll  in  die  Kühe 
oder  Kälber  übergehen.  ^ 

Wir  erwähnten  bereits,  daß  auch  den  liäwnen  und  FfUmzen 
in  der  Oster-,  Faschings-,  Maien-  und  Weihnachtszeit  die  näm- 
lichen Schläge  zu  Teil  werden,  wie  Menschen  und  Tieren.  Im 
Khöngebirge  peitscht  man  auf  Unschuldigenkindertag  jeden  Er- 
wachsenen  mit  einer  Rute,  um  ihn  dadurch  zu  verbinden  ein 


1)  A.   Kuhn,    Herabkunft    des   Feuers    and  des   Göttertranks,  S.   148. 
180-183. 

18» 


276  Kapitel  III.    Baiiiiiseele  als  VegetationBdämon : 

„Neues  Jahr''  herzugeben ,  und  gleichzeitig  erweist  man  dieselbe 
,  Ehre  den  Bäumen  auf  dem  Felde,  damit  sie  im  folgenden  Jahre 
viele  Frucht  bringen.^  Der  nämliche  Brauch  wird  in  Yielen 
Gegenden  getibt.  In  Kurland  schlägt  man  am  ersten  Weihoachts- 
feiertag  mit  einem  Stock  an  die  Apfelbäume,  dann  giebts  gutes 
Obst  (Autz).  Im  Thurgau  schlug  man  in  gleicher  Absicht  mit 
Stangen  an  die  Nußbäume.  Meistens  jedoch  werden  sämmdiche 
'  Obstbäume  geprUgelt  oder  gepeitscht  (Mecklenburg,  Oldenburg, 
Tirol).    Man  sagt  dabei  in  Rauggen  (Tirol). 

Bäm,  wach  und  trag, 
h^t  itit  der  heilige  Tag.' 

In  England  (Sussex,  Devonshire  u.  s.  w.)  liefen  Knaben  am 
Sylvesterabend  truppweise  durch  die  Obstgärten,  schlössen  um 
die  Apfelbäume  einen  Kreis  und  riefen ,  indem  sie  dieselben  m  i  t 
Stöcken  schlugen: 

Stand  fest  root,  bear  well  top, 

Pray  God  send  us  a  good  howling  crop; 

Every  t¥rig  apples  big, 

Every  bough  apples  enou; 

Hat«  fall,  Caps  fall 

Fall  qaarter  sacks  füll! 

Dann  jauchzen    sie    im  Chorus,  indeß  einer  sie  auf  dem  Kuh- 
hom  begleitete.* 

In  Westflandem  schlug  man  zu  Fastnacht  die  Apfelbäume 
mit  einer  Peitsche  und  sang  während  dessen: 

appclboomtje  wilt  niet  klagen, 
al  kriegt  gy  nu  wat  klagen, 
gy  moct  van  dit  jacr  dragen 
appeltjes  zeer  frisch  en  rood 
van  meer  dan  een  pond  groot, 
op  jeder  tak 
een  moatzak.* 

Ebenso  schlug  mau  in  Wälschtirol  am  letzten  Faschingstage 
hie  und  da  an  die  Bäume  der  Fruchtbarmachung  halber.*    Während 


1)  Jäger,  Briefe  über  die  Rhön  1803.  UI,  G.     Panzer  11,208,364. 

2)  Vgl.  Wattke  §.  068.    Zingerie,  Sitten*  190,  1568.  1569. 

3)  Brand,  pop.  Antiqu.  ed.  Ellis  I,  9. 10. 

4)  Zs.  f.  D.  Myth.  lU ,  Ifrl. 

5)  Schneller,  Märchen  n.  Sagen  a.  Wälschtirol,  Innsbruck  1867.  234,  12. 


Der  SebUg^  mit  der  Lebensmte.  277 

man  im  Lechthal  (Tirol)  am  Charfreitag  frühe  mit  einem  SchlH- 
gel  die  Bimne  schlttgt,  gehen  die  Czechen  an  diesem  Tage  in 
dea  Baomhof  y  fallen  vor  irgend  einem  Baame  auf  die  Knie  und 
sagen:  Ich  bete  o  Baum,  daß  Gott  dich  gut  mache!  und  in  der 
folgenden   Nacht  laufen   sie   rund   um   den  Garten   und   rufen: 
Treibt   Knospen  ihr   Bäume,   oder   ich   werde   euch  mit 
Riten  schlagen!^    In  Westpreußen  streicht  man  die  Obstbäume 
Ostern  mit  Raten.    Als  Anton  Piütorius  1597  zu  Büdingen  ver- 
weilte, zogen  die  Bttiger  in  der  Walpurgisnacht  (1.— 2.  Mai) 
seharenweise   mit  Büchsen   aus,   schössen    ül)er  die  Aecker  und 
sehlagen  gegen  die  Bäume,  um  die  Hexen  zu  veijagen.^    Am 
Feste  Peter  und  Paul  (29.  Juni)  schlagen  die  Jungen  in  Rumä- 
nien mit  Keulen  das  Obst  von  den  Bäumen.^    In  Schwaben  glaubt 
man   den    unfruchtbaren   Nußbaum    zu    reichlichem   £rtrage  im 
nlchsten  Jahre  zwingen  zu  können ,  wenn  man  zur  Zeit  der  Nuß- 
erote  hinaufsteigt ,  so  tut  als  ob  er  ganz  voll  säße ,  und  in  den 
Zweigen  herumschlägt,  daß  das  Laub  davon  fliegt^    In  Nas- 
sau schlägt  man  am  Jacobstage  (25.  Juli)  mit  einem  Stecken  die 
Krantpflanzen  und  ruft:   „Jacob  Dickkopp!     Dann  sollen  die 
Krantköpfe  groü  und  stark  werden.^    Jener  schwäbischen  Sitte, 
M  der  Ernte  den  Nußbaum  zu  prügeln,  tritt  ein  rheinischer  Em- 
tebrauch  an.  die  Seite.    Zu  Ruir  Kr.  Bergheini  Rgbz.  Köln  wird 
die  letzte  Garbe  in  Gestalt  einer  Frau  geformt  und  mit 
Qeidem  ausgeputzt.    Auf  dem  letzten  Erntewagen  zur  Scheune 
gefthrt,  wird  sie  dort  von  den  Schnittern  mit  einem   Stecken 
begrflftt  und   geprügelt,  indem   sie  irgend  welche  lächerliche 
Beschuldigung  ihr  entgegenrufen:   „du  hast  mir  den  Taback  ver- 
steckt," „du  bist  bei  meinem  Kruge  Bier  gewesen,"  oder  „du 
käst  mir  die  Suppe   gegessen.*'     Ohne  Zweifel   beruhen   diese 
scherzhaften   Vorwürfe    auf    Mißverständniß    des   ursprünglichen 

1)  Zingerle  a.  a.  0.  148,  1274.  Orest  Miller,  Opuit  etc.  Petersburg  1869. 
^48.    Ralston,  the  songs  of  the  Russiiin  people.    London  1872  p.  219. 

2)  A.  Pr&toriüs,  Bericht  von  Zauberei  und  Zauberern.  2.  Aufl.  1G13.  114. 

3)  W.  Schmidt,  das  Jahr  und  seine  Tage  bei  den  Rumänen  Sieben- 
kirgens.   Herraanstadt  1866.  S.  18. 

4)  Meier,  Deutsche  Sagen,  Sitten  u.  Gebr.  a.  Schwaben  S.  250,2. 

5)  Im  Waldeckschen  fällt  das  Prfigeln  fort;  man  nimmt  Jacobi  Mittags 
11—12  von  jeder  Kohlpflanze  ein  Blatt  und  spricht:  „Jakob  Dickkopp, 
werd'  so  dick,  wie  mein  Kopp!"  dann  werden  die  Kohlköpfe  recht  dick.  Der 
Jacob 8 tag  ist  also  gewählt  wegen  der  Namensähulichkoit  mit  Kopp  (Kopf). 


if78  Kapitel  IIJ.    Bauniseele  als  YegetatioiiB^änion: 

Sinnes  der  Ceremonie,  die  kaum  etwas  anderes  bezweckte,  als 
Fruchtbarkeit  des  Getreides  im  kommenden  Jahre.  Und  in  der 
Tat,  zur  vollen  Gewißheit  wird  diese  Vermutung  durch  den  Em- 
tebrauch  der  Russen  bei  Smolensk.  Die  in  Gestalt  eines  Weibes 
mit  Kleidern  geschmückte  letzte  Garbe  wird  von  zwei  Mädchen 
auf  den  Herrenhof  getragen,  wo  sie  in  Gegenwart  des  beglttek- 
wtlnschten  Gutsherrn  von  allen  Schnittern  mit  einem  Birkenbesen 
geschienen  wird  in  der  Meinung,  daß  dadurch  die  dem  Gedeihen 
der  Fddfrucht  schädlichen  Tiere  vernichtet  werden. 

Noch  schwieriger,  als  bei  den  Weihnachtsgebräuchen  ersehefait 
es,  in  den  vorstehenden  Sitten  die  Bestandteile  von  einander  tn 
sondern ,  welche  das  Christentum  und  die  christliche  Kirche  einer- 
seits und  andererseits  das  von  diesen  noch  unberührte  Volksleben 
dazu  geliefert  haben.  Weder  der  Breite,  noch  der  Tiefe  nach 
ist  das  vorliegende  Material  schon  ausreichend ,  den  Verlauf  und 
die  Wege  des  Verschmelzungsprozesses  in  seinen  Einzelheiten 
erkennen  zu  lassen,  aber  als  feststehende  Ausgangspunkte ,  von 
denen  aus  die  Assimilation  vor  sich  ging,  sind  einerseits  die 
Palmweihe  am  Sonntage  vor  Ostern  und  andererseits  der  Mai- 
baum wahrnehmbar.  Vergegenwärtigen  wir  uns  zuerst  einmal 
den  gemeinschaftlichen  Inhalt  der  Sitte.  In  der  Zeit,  wenn  die 
Natur  aus  ihrem  Winterschlafe  sich  erhebt  (Fastnacht,  Ostern, 
Maitag)  oder  die  Wiederkehr  des  Lichtes  die  gewisse  Zukunft 
des  Frühlings  ankündigt  (Weihnachten)  —  wir  lassen  es  zunächst 
dahingestellt,  ob  die  Kirchenfeste,  oder  die  Jahreszeit  das  bedeat- 
same  und  bestimmende  Element  waren  — ,  werden  Menschenj 
Haustiere,  Obstbäume  mit  eirmn  oder  mehreren  Baumzweigen 
geschlagen,  welche  durch  frisch  ausgebrodiene  Knospen  oder  grü^- 
nen  Blätterschmuck  der  gleichzeitigen  Pflanzenwelt  v&raus  sind, 
überdies  häufig  durch  bunte  Bänder  oder  Papierstreifen  gleich 
mit  Tänien  behängten  heiligen  Bäumen  als  etwas  Besonderes  hoch 
und  heilig  gehaltenes  gekennzeichnet  werden;  Blumenstengel, 
oder  Nachahmungen  von  Blumenstengeln  aus  dem  dauerhafteren 
Material  von  Lederriemen,  zuweilen  auch  Holzstöcke  ersetzen  in 
einzelnen  Fällen  die  grünen  Gerten.  Die  Tanne  dient  als  immer- 
grüner Baum  zu  gleicher  Symbolik;  die  immergrüne  Stechpalme 
(ilex  aquilblium),  die  wir  o.  S.  207  als  Vertreterin  des  Emtemai 
kennen  lernten ,  desgleichen ;  vorzugsweise  jedoch  wird  die  Weide 
nüt  ihren  ersten  Knospen,  den  Palmkätzchen ,  verwandt.    Noch 


Der  Schlag  mit  der  Lebensnite.  279 

fthlt  man  die  unendliche  Ehrfurcht  der  Alten  vor  dieser  Oerte 
in  der  rigenen  Brost  nachzittem,  wenn  man  erfährt,  wie  bei 
GUgenboig  nicht  mit  bioBer  Hand,  sondern  in  heiliger  Scheu 
nur  mittels  eines  reinen  Tuches  der  Vorgänger  des  Pflanzen- 
waehstoms,  der  Zweig  berührt  wird  (8.  270  vgl.  die  Weibnaehts- 
nte  S.  224);  anderswo  in  Böhmen  blieb  von  diesem  Brauche 
wenigstens  soviel,  dafi  noch  ein  reines  Tuch  neben  ihm  in  der 
Hand  getragen  ist  (o.  S.  260).^  Das  ist  ganz  der  Zartheit  christ- 
lieher  Frömmigkeit  gemäß;  doch  berichtet  auch  Plinius  bist. 
latar.  16,  44,  von  dem  Abschneiden  des  heiligen  Mistelzweiges 
durch  die  Druiden  „candido  id  excipitur  sago/' 

In  Westfalen  wird  die  y,Quike''  (o.  8.  270)  wie  der  Sommer 
(S.  155  ff.)  und  der  Maibaum  (S.  160  ff.)  mit  Bändern  und  Eiern, 
in  Schweden  (o.  S.  272)  wie  letzterer  (o.  8. 176)  mit  einem  Kranze 
angeputzt;    wie    beide   werden    die    Quitsche    in    Mecklenburg 
(S.  270)  nnd  die  Mirtisgardn  in  Baiem  und  Oestreich  (8.  273) 
tber  der  Stalltttr,  die  Quike  in  Westfalen  auf  dem  Dünger- 
kiofen  vor  dem  Stalle  (S.  271),  der  schwedische  rOnn  auf  dem 
Schober  (S.  272)  aufgesteckt      Wie  der  Maibaum  ist  die  Mir- 
teagardn  bis  zur  Krone  der  Zweige  beraubt  (o.  8. 273).    In  Böh- 
men ist  die  Identität,  resp.  Zusammengehörigkeit  des  Sommers 
und  des  Maibaums ,  mit  unserer  Schlagrute  teilweise  noch  unmit- 
telbar erhalten  (S.  251).    Wenn  wir  auf  die  von  derselben  erwar- 
teten Wirkungen  sehen,  werden  wir  nicht  unrecht  tun,  ihre  ver- 
seUedenen  Formen  hinfort  unter  dem  Namen  Lebeusrute  zusam- 
menzufassen.     Der  Name  Quike,   Quitscbe  engl,  quickbeam, 
den  der  hiezu  in  Norddeutscbland  und  Skandinavien  verwandte 
Vogelbeerbaum  und  der  Name  Weckholder ,  ahd.  qufekholter  ags. 
cviebe^,  den  der  in  Sttddcutschland  vielfach  gebrauchte  Wach- 
lM)lder  ftahrt,   bedeuten   Lebensbaum;  quikeu  ist  stark,  kräftig, 
jung  und  frisch  machen  vgl.  nhd.  erquicken,  neues  Leben  ein- 
luiaehen,   goth.  quius,   ahd.  qu(^k,  quik;  mhd.   qu^'k,    k^'c,   lat. 
virns  ans  guigvus.    Es  soll  Lebens-  und  Wachstumskraft  durch 
die  Rute    mitgeteilt,    jedes    dem    entgegenwirkende    feindliche 
Gespenst   vertrieben   werden.^     Wer   mit   ihr   am    Maitag  oder 

1)  So  wird  in  manchen  Gemeinden  das  h.  Abendmahlsbrod  oder  die 
Oblate  nach  der  Ansteilung  bis  zum  gemeinsamen  Genuß  in  einem  reinen 
weifien  Tuche  aufgenommen  und  gehalten. 

2)  Vgl.  Kuhn,  Herabkunft  S.  191. 


280  Kapitel  III.    Baumaeele  als  Vegetationsdämon: 

Ostern  schlägt,  giebt  Glück  (o.  S.  252  u.  S.  263>  Das  SohlageH 
mit  der  Holunderrute  zu  Lichtmessen,  das  Fa^'n^imd  HadeUanfen 
zu  Fastnacht  verleiht  dem  Flachse  (und  ttlrk.  Weizen)  Waohstom 
und  Gedeihen  (o.  8.  253  n.  S.  269).  Soviel  Zweige  die  Martin^erte 
hat,  so  viele  Fuder  Heu  soll  es  geben.  Im  Rhöngebii^  sohlttgi 
man  mit  derselben  Kute,  mit  der  Menschen  gepfeffert  werdeOi 
die  Obstbäume,  um  sie  fruchtbar  zu  machen;  man  erkennt  leicht, 
daß  das  Peitschen  und  Stockprügelu  der  Bäume  und  Erautpflan- 
zen  an  andern  Orten  nur  jüngere  abgeleitete  Formen  derselben 
Sitte  sind.  Die  letzte  Garbe  wird  geprügelt,  um  fürs  nächste 
Jahr  Fruchtbarkeit  des  Korns  zu  erzielen  und  das  das  Wachs- 
tum hindernde  Ungeziefer  zu  vertreiben.  Befördert  somit  die 
Lebensrute  zunächst  vegetabilische  Fruchtbarkeit,  so  verleiht  sie 
gleicherweise  dem  animalischen  Körper  Gesundheit,  Lebenskraft, 
Nachkommenschaft.  Das  Vieh  bleibt  stäts  munter  (S.  270),  Hexen 
(die  Krankheitsgeister)  bleiben  ihm  ferne  (S.  270  u.  S.  273);  es  ist 
vor  tödtlicher  Verwundung  (S.  272)  resp.  vor  wundenbringenden 
Kämpfen  unter  einander  (S.  272)  geschützt.  Die  Schafe  folgen 
dem  Hirten  gut,  der  fUr  sie  die  beste  Nahrung  aussucht  (S.  272). 
Die  Kühe  kalben  und  werden  milchreich  (S.  271).  Es  giebt  soviel 
junges  Vieh,  als  die  Kute  Beeren,  oder  Zweige  hat  Auch  den 
Menschen  wird  Gesundheit  zu  teil  (Älbanesen  S.  269  „Gott  erhalte 
den  Herrn  gesund"  S.  267);  die  Krankheit  weicht  von  ihnen  in 
den  Wald  (vgl.  o.  S.  17),  die  Gesundheit  zieht  in  ihr  Gebein  ein 
0.  S.  257;  sie  bekommen  keinen  Kückenschmerz  (S.  263),  ihnen 
tun  die  Beine  nicht  weh  (S.  263);  heißt  das,  sie  können  in  Ffllle 
der  Lebenskraft  Lasten  tragen  und  laufen  ohne  zu  ermüden? 
Daß  vorzugsweise  Hände  (Fingerspitzen)  und  Füße  (Beine,  Waden) 
geschlagen  werden,  mag  sich  darauf  beziehen,  daß  Hand  und 
Fuß ,  die  zur  Arbeit  unentbehrlichsten  Glieder  des  Menschen  vor- 
zugsweise itir  ihre  Verrichtungen  kräftig  und  tüchtig  gemacht 
werden  sollten.  Vor  dem  Schlag  der  Lebensruten  entweichen 
Mücken,  Fliegen  (S.  262)  und  Flöhe  (S.  268),  d.  h.  die  insekten- 
förmigen  Geister  der  Krankheit  (vgl.  S.  13.  18)  aus  dem  Körper 
des  Menschen.  Mit  dem  ersten  Pflügen  wird  ja  der  Vege- 
tationsdämon wieder  zu  Lande  ins  Feld,  in  den  Acker  einziehend 
gedacht,  ihn  tragen  die  vom  Pfluge  zurückkehrenden  Knechte  in 
ihrer  Peitsche  (ursprünglich  wol  auch  einer  grünausgekeimten 
Gerte)  heim.      Die  Gabe,   welche  dem  Schmackostemden  oder 


Der  SchUg  mit  der  Lebensrate.  281 

Pfefferaden  gereicht  wird,  fassen  die  Geber  meisteDS  als  eine 
Art  Ablösung  auf ,  doch  bleiben  noch  genug  Spuren  davon  ttbrig, 
iai  sie  ursprttnglioh  einen  ganz  andern  Character,  den  des  'Emir 
geltes  oder  Dankes  ittr  die  durch  den  Schlag  mit  der  Lebens- 
rate  empfjEUQgene  Wohltat  trug ; '  sehr  angemessen  werden  darum 
umeDtlich  von  Seiten  der  Frauen  Eier  (die  Symbole  des  neuent^ 
itehenden  Lebens  (o.  S.  158)  als  Gegengabe  gespendet 

Man  fu(!ty  schmackostert,  pfeffert  zwar  jedermann;  beide 
Geschlechter  schlagen  sich  gegenseitig,  kein  Stand  und  Alter  ist 
Mugeschlossen;  vorzugsweise  jedoch  wird  auf  das  Peitschen  der 
erwachsenen  Mädchen  und  Frauen  durch  die  MHnuer  Gewicht 
gelegt  y  und  unverkennbar  knüpfen  sich  auch  die  Ideen  der  Liebe 
and  Zeugung  an  den  Brauch.  Bei  Bunzlau  schenkt  die  Jungfrau 
dem  Schmackostemden  ein  Ei  mit  der  Versicherung  herzinniger 
liebe  (o.  S.263).  An  die  Ruten  sind  Wickelkinder,  schnäbelnde 
Tänbchen  u.  s.  w.  gebunden  (S.  254).  Häufig  werden  Rosmarin- 
nrdge  als  Ruten  verwandt^  Wenn  unsere  Deutung  des  Wortes 
fiidehi,  fuden,  fu^n  (o.  S.  256)  richtig  war,  so  muß  geschlossen 
weiden  y  daB  man  in  Vorzeiten  den  Schoß  der  Ehefrauen  mit  der 
Fastnachtgerte  berührte,  um  ihnen  Kindersegen  zu  sichern,  und 
dai  dieses  Stück  der  Ceremonie  mindestens  örtlich  iUr  das  Haupt- 
stück,  fttr  so  wichtig  angesehen  wurde,  um  allen  andern  Teilen, 
dem  Gepeitschtwerden  der  Männer  und  Mädchen  auf  Rücken, 
Hand,  Füße  seinen  Namen  mitzuteilen. 

Wenden  wir  nunmehr  der  Frage  unsere  Aufmerksamkeit  zu, 
wober  diese  Sitten  ihren  Ursprung  nahmen ,  so  bleibt  unser  Blick 
nvörderst  auf  dem  kirchliehen  Brauche  der  Palmsegnung  haf- 
ten, dem  wir  um  der  Wichtigkeit  der  Sache  willen  eine  etwas 
eingehendere  Betrachtung  widmen  müssen.  Schon  seit  dem 
^.  Jahrhundert  ist  in  der  orientalischen  Kirche  eine  Gedächtniß- 
Wer  des  letzten  Einzuges  Christi  in  Jerusalem  (Math.  21,  1  — 16) 


1)  So  heißen  in  Franken  die  Geschenke  an  Geld,  Spielsachen  und 
^^iEBwawen,  welche  die  mit  Zweigen  von^Wacb holder,  Buchsbaum,  Lorbeer 
^  Kosmarin  geschlagenen  Eltern  den  Kindern  geben,  Fitzellohn,  in 
Jjchwiben  Pfcfferleinclohn.     Haltaus  -  SchelFer ,  Jahrzeitbuch  S.  166. 

2)  Der  Rosmarin  schmückt  in  Hessen  die  Braut  beim  Kirchgange,  in 
<i«r  Mark  das  Brautpaar.  „In  M&gdef lecken  giebt  es  unterschiedliche 
Ö*8«en  ab  die  lange,  die  breite,  di^  enge,  die  rechte,  die  krumme,  die 
ßogmarinstraße"  A.  Gryphius,  Peter  St^ucnz.    Vgl.  o.  S.  185  Anm.  1. 


j(^  Kapitel  III.    Baamseele  als  Vegetationsdämon : 

«Dter  dem  Namen  Ijfttgu  n?)v  ßattov  nachweisbar.  Epiphaoiaf 
Bischof  zu  Salamis  auf  Cypern  (geb.  310  f  403)  sagt  in  mt 
seiner  beiden  Homilien  ntQi  [iauuy  (de  pahnis):^  ^^Hier  sind  wi 
heute,  wir  die  ganze  junge  Mannschaft  {vtolaia)^  wir  sdbstemm 
frucMiragenden  Oelbaum  (i?xda)  gleich,  den  Oeleweig  tragen 
und-  den  Erbarmer  Christus  anrufend.  Wir,  gepflanzt  im  Hans 
des  Herrn  und  in  seinen  Vorhöfen  wie  FrtthlingsblnmeB  anl 
blühend,  feiern  dieses  Fest,  da  wir  sehen,  daß  der  Winter  de 
Gesetzes  vorübergegangen  ist.'^  Der  Redner  hebt  sodann  mehi 
fach  nachdrücklich  hervor,  daß  (Math.  21,  15.  16)  Kinder  e 
waren,  welche  Palmen  schwingend  Hosianna  sangen,  mid  nac 
Anleitung  von  Math.  21,  9  ==^  Ps.  18,  26  bezieht  er  die  Anffoi 
dernng  in  Ps.  118,  27:  „Schmücket  das  Fest  mit  Mayen  bis  a 
die  Homer  des  Altars'^  auf  den  Palmsonntag.  Ob  er  aber  nn 
von  einer  geistlichen  Feier  redet,  oder  bereits  auf  eine  mit  wirfc 
liehen  Baumzweigen  veranstaltete  Prozession  anspielt,  ist  nicli 
deutlich  ersichtlich.  Jedesfalls  setzte  sich  bloße  Verlesong  d€ 
Festevangeliums  allmählich  in  eine  solche  um  und  es  ist  in  hohei 
Grade  wahrscheinlich,  daß,  als  dieses  geschah,  bei  Darstellnn 
der  Hosianna  rufenden  Menge  die  jüdische  Volksitte  der  „Paln 
tragung"  (.iaiorpogla)  zum  Vorbild  genommen  ist,  welche  bcii 
Feste  der  Tempelweihe,  am  Passah  (V),  besonders  aber  am  Laol 
hüttenfest  geübt  ^  und  an  letzterem  am  7.  Tage  (21.  Ti8chri)Qnt( 
dem  Namen  „das  große  Hosannah"  besonders  feierlich  begmi 
gen  wurde.  Das  Laul>hUttcnfest  verschmolz  die  Bedeutung  de 
alten  Erntefestes  im  Herbst  nach  Einsammlung  aller  Frtlohl 
(2  Mos.  23,  16.  3  Mos.  23,  39.  S  Mos.  16,  13)  mit  der  Erinnemn 
an  die  historische  Tatsache  der  Wüstenwauderung  Israels;  es  ii 
deutlich,  daß  diese  letztere  Beziehung  erst  hineingetragen  wordi 
als  die  jcrusalemitische  Priesterschaft  das  gesammte  Volkslebe 
in  ihre  theokratischen  Ordnungen  hineinzog.^     Somit  stammt  ai 


1)  Epiph.  Opp.  ed.  Petav.  Paris.  1622.  T.  II,  251-58.  300 -3a 
Augusti,  Denkwtirdigk.  a.  d.  christl.  Archäologie  1810-  U.  S.  59— 73.  Vg 
besonders  64.  68.  70.  71. 

2)  1  Makk.  13,  51.  2  Makk.  10,  6.  7.  Joseph.  Aotiq.  XIII,  13,  6.  Augi 
sti,  Denkw.  11,47.    Herzog,  Realencycl.  d.  protest.  Theol.  X VIII,  223. 

3)  Vgl.  Pileidercr,  die  Religion,  ihr  Wesen  und  ihre  Geschichte  186! 
U,  297. 


Der  Sehlftg  mit  der  Lebensmte.  2S3 

dem  alten  Erntefeste  das  biblische  Gebot  (3  Mos.  23,  40  ^)  4  ver- 
iddedene  Gewi&chse,    Früchte    Yon   schönen   Bäumen,   Palmen- 
iwejge,  Zweige  von  dichtem  Gebttsch  und  Bachweiden  zu  ver- 
wenden«    Zur  Zeit  des  zweiten  Tempels  wurde  ein  Myrtenzweig, 
m  Weidenzweig  nnd  ein  Palmzweig  (lulabh)  durch  drei  Kinge 
TOD  dllmien  Palmblättem    zu  einem  Bllschel  von   16  Querfinger 
Linge  verbanden,  den  man  die  sieben  Festtage  in  der  Rechten 
tngy  während  die  Linke  eine  Art  Gitronenapfel  (Panidiesapfel, 
idsmsapfel,  Meerapfel)  hielt    Mit  dem  FeststrauA  zog  man  tfig- 
lieh  in  den  Tempel  *  und  umwandelte  den  Altar ,  indem  man  die 
Zweige  dreimal  vorwärts,  dreunal  nach  der  rechten  und  dreimal 
ufih  der  linken  Seite,   dreimal  aufwärts  und  dreimal  abwärts 
KhAtfeelte.     Am  7.  Tage,  dem  groBen  Hosanna,  nahm  man  zu 
den  übrigen  Gewächsen  noch  ein  Bündel  von  4  Bachweidenzwei- 
gen  hinzu,  und  umging  siebenmal  den  Brandopferaltar.    Nach 
dem  Gebet    schlug   man  mit  jenem   aus  4   Bachweiden 
beBtehenden  Bttndel   so   lange    auf  die   Erde,   bis  alles 
Unb  abgefallen   war.     Während   des  ganzen   Festes  wurde 
tif^h  Wasser    voi^p   Brunnen  Siloah  mit  Trankopferwein   ver- 
Bueht  aosgegosson,  man  hatte   die   Tradition,   dq/S  diese  Cere- 
wmie  auf  das  ersehnte  Eintreten   der  Regeneeit  hei  bevorstehen- 
Ar  Aussaat  und  auf  ein  fruchtbares  kommendes  Jahr  bcsüglich 
tn,  wogegen  andere  Kabbinen,  der  historischen  Auslegung  treu, 
dieselbe  als  eine  Erinnerung  an  den  in  der  Wüste  aus  dem  Fel- 
sen geschlagenen   Wasserquell  deuteten.     Nach  Zerstörung  des 
Tempels   blieben   im  wesentlichen   dieselben   Bräuche   bestehen, 
nur  daß  man  mit  den  Lulabhin  statt  des  Altars  den  Platz  um- 
wandelt,* von  wo  aus  die  h.  Schrift  verlesen  wird.     Das  aus- 
geklopfte Weidenbüschel  wird  in   dem  Iteutcl,  der  die   Gcbets- 


1)  Die  Ritoalgcsetze  des  2.  n.  3.  B.  Mose  verdanken  ja  allem  Anscheine 
DÄ<"h  samnit  der  „Grandschrift"  der  ersten  Rächer  des  Pentateuch  der  ange- 
gebenen Periode  ilirc  Entstehung.  Vgl.  Th.  Nöldecke,  alttestamentl.  Litera- 
tur. Lpzg.  1868  S.  27.  Tifestcn,  die  religiösen  politischen  und  socialen 
Ideen  der  asiatischen  Culturvolker  II.  1872.    S.  611. 

2)  Plntarch  Syiup.  IV  6,  2. 

3j  Saalschütz,  das  mosaische  Recht  1853.  S.  420.  Herzog,  Realencl. 
VIII.  218. 221.  Schröder,  Satzungen  u.  Gebr.  des  rabb.  Judentums  1851. 
8. 140.  Bon.  Mayer ,  d.  Judentum  in  s.  Gebeten ,  Gebr.  u.  s.  w.  Regensburg 
1^.  S.  195  ff. 


284  Kapitel  III.     Banmseele  als  Vegetationsdamon : 

riemeu  enthält,  aufbewahrt,  die  Myrthe  in  das  Sabbatbttchdem 
getan,  den  Stiel  des  Paradiesapfels  ließ  man  noch  unlängst  von 
Schwängerten  abbeißen.  Daß  aus  diesen  jtidischen  Bräuchen 
das  Vorbild  für  die  christliche  Palnisonntagsfeier  entlehnt  wurde, 
wird  mir  aus  der  Uebereinstimmung  in  mehreren  Einzelheiten 
w/ihrscheinlich.  Die  Palmsonntagspalmen  bestehen  meistenteils 
gleich  dem  ljaul)h(ittenstrauße  ans  mehreren  Zweigen  eines  und 
desselben  Gewächses,  die  zu  einem  Strauß  oder  Bttndel  vereinigt 
sind;  die  Bachweide  spielt  unter  diesen  Pflanzen  die  Hauptrolle, 
so  daß  häufig  der  Name  Palme  auf  ihre  Frtthlingsgestalt  Über- 
geht; [wie  bei  den  Juden  der  siebente  Tag  als  „der  Weiden- 
tag," wird  in  Rußland  der  Palmsonntag  als  Weidensonntag 
bezeichnet].  Im  russischen  Brauche  erinnert  auch  der  mit  Früch- 
ten behangene  Citronenbaum  an  den  Citronapfel  (Paradiesäpfel) 
des  Laubhttttenfestes.  Wie  der  Jude  mit  den  4  Weidenzweigen 
am  7.  Tage  auf  den  Boden  (resp.  Tür  oder  Fenster)  schlägt) 
klopfen  die  Buben  in  Ellwangen  vor  der  Palmweihe  mit  ihren 
Palmbesen  beharrlich  auf  die  Erde  (vgl.  o.  S.  258).  Und  m  Eng- 
land steckt  man  die  Palmweide  in  die  Ge^ibörse,  wie  in  jüdi- 
schen Haushaltungen  den  Weidenzweig  in  den  Gebetsbentel 
Immerhin  waren  es  nur  gewisse  Aeußerlichkeiten ,  welche  mar 
dem  israelitischen  Kultus  entlehnte,  die  Entwickelung  des  Christ 
liehen  Ritus  nahm,  sobald  dies  geschehen  war,  ihren  eigenei 
Weg.  Die  Palmen  und  Baumzweige  wurden  bei  der  Umwand 
lung  des  Altars  zuerst  nur  dur(»h  Verlesung  des  Evangeliums 
später  durch  eine  besondere  Benedictionsformel  geweiht;  endlicl 
erweiterte  sich  die  Prozession  zu  einer  bildlich  -  dramatischei 
Darstellung,  wobei  der  erste  Priester  das  Allerheiligste  tragen( 
•  auf  einem  Esel  ritt,  oder  ein  Christusbild  auf  einem  hOlzemei 
Esel  dahergezogcn  wurde.  Priester  und  Laien  warfen  Blumei 
und  geweihte  Baumzweige  ihm  zu  Füßen.  Es  verlohnt  sich  einigt 
der  Formen  zu  vergleichen,  welche  dieser  Ritus  in  verschiedenei 
Ländern  angenommen  hat,  und  den  Volksglauben,  der  sich  darai 
knüpft.     In   Konstantinopel  trug  man  Palmzweige  und  Kreuze. 


1^  Vgl.  Vita  St.  Andr.  Sal.  ^Rolland.  T.  VI.  append.  p.  70)  bei  Bint«riin 
Deiikwürdigk.  der  christkatli.  Kirche  V.  1,  176.  ad  tinem  aliquando  vergcba 
dicrum  quadragiiita  jejimium  et  urbis  (/onstantinopolitanac  habitatores  rami 
l)a1inarum   sacrisque   byiunis   Jesuin   Chr.  venerabantur ,    cum   virum   senen 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  285 

Ab  der  Umritt  des  Patriarchen  aaf  dem  Palmesel  aufkam,  hielt 
der  griechische  Kaiser  diesem  bei  der  Prozession  die  Zügel.    In 
Mmkaa    trug    man    im   17.  Jahrh.    aus  der   Himmelfahrtskirchc 
flii«!  mächtig  großeti  Baum  heraus,  der  mit  rtr  seh  irdenen  tViich- 
ten  fmd  Cotifect  belMtigen  ivar,  stellte  ihn  auf  zwei  zusammen- 
geimndeDe   Schlitteu  und    fuhr  ihn   langsam   fort.     Unter   dem 
Biame  standen  tttnf  Knaben   in  weißen  (fewändeni  und  sangen 
fromme  Lieder.    Hinter  dem  Sehlitten  gingen  viele  junge  Leute 
ndt  brennenden  Wachskerzen  und  mächtigen  Laternen,  dann  folg- 
ten   Kirchenfahnen,    Weihrauchfässer,     Heiligenbilder,     Pagen, 
Wfirdentrilger ,  endlich  der  Metropolit  auf  dem  Esel,  das  Evan- 
gelienbnch  tragend,  ihm  zur  Seite  der  Czar,  mit  einer  Hand  den 
ZOgel  des  Tieres,  mit  der  andern  einen  echten  von  Pilgern  aus 
Pa&stina    mitgebrachten    Palmzweig   haltend.     Seit  17(K)  stellte 
Feter  der  Große  die  Beteiligung  des  Monarchen  bei  dem  Umgang 
ab;  der  trotzdem  wenig  von  seiner  Großartigkeit  verlor.    Das 
Volk  strömt  hier  und  in  allen  übrigen  Kirchen  schon  frühmorgens 
mit  seinen  „Palmzweigen''  zusammen  und  läßt  dieselben  weihen, 
bevor  der  Umgang  beginnt.    Es  sind  das  Weiden,  den  Tag  vor- 
ber  eigenhändig  am  Ufer  der  Neglina  gebrochen,  oder  auf  dem 
reiehlich  damit  getUllten  Markte,  der  zur  Erinnerung  an  das 
Hosiannarufen  der  jüdischen  Kinder  auch  hunderterlei 
Kindergeschenke  enthält,  gekauft;  statt  der  natürlichen  Wei- 
denzweige  nimmt  man  auch   künstliche   Orangen-  und  Citro- 
nenzweige,  welche  mit  Blüten  und  Früchten  und  an  der  Spitze 
mit  Cherubim  ans  buntfarbigem  Papier  geziert  sind.    Nach  dem 
Gottesdienst  werden  diese  „Palmen"  über  den  Heiligen- 
bildern in  der  Stube,  oder  ü-ber  der  Haustür  aufgesteckt, 
nicht  minder  im  Kuhstall  und  auf  dem  Acker.    Auch  schlägt 
man  sich  damit  gegenseitig  (vgl.  o.  S.  257).^     Die  erste  Spur  der 
Palmprozession  und  Palmbenediction  begegnet  in  Italien  im  Anti- 
phonarium  Gregors  des  Großen;  die  Prozession  bewegte  sich  nach 
dem  Ijateran.^    Jetzt  segnet  der  Papst  in  der  riixtinischen  Kapelle 

coiupicit  Andreas  in  Sacro  D.  Sopliiao  templo,  cumitantc  turba  innu- 
raerabili,  palmarum  ramos  et  cruces  fulguris  in  modum  corus- 
cante«  tenente. 

1)  Vgl.   Reinsberg-Düringsfeld;  Nationalzoituug   1874.  Nr.   187.   a.  o. 
S.  ^7. 

2}  Upp.  S.  Gregorü  M.  T.  XII.  p.  66.   Nr.  2.     Binterim  a.  a.  0.  174. 


286  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdämon : 

zuerst  zwei  große  Palmen  von  7--  8  F.  Länge,  sodann  kleine 
Palmzweige  von  5 — 6  F.  illr  die  Kardinäle  ein,  sie  sind  kons 
reich  geflochten  aus  Stroh  und  Schilt'blättem  und  an  d 
Spitze  einigen  wirklichen  Palmblättem,  dje  von  auswärts  eing 
sandt  wurden;  ein  kleines  Kreuz  ist  darangehängt  Der  niede 
Klerus  erhält  Olivenzweige  und  die  Menge  Oliven  -  oder  Lorbec 
zweige,  ebenfalls  mit. einem  Kreuz  behängt.  Nach  der  Weihui 
küßt  ein  jeder  der  Kardinäle  die  Hand  des  Papstes  und  seil 
ihm  dargereichte  Palme;  die  Erzbischöfe  nehmen  die  ihrige  n 
einem  Kuß  auf  Hand  und  Fuß  des  h.  Vaters  auf  j  die  ttbrigi 
küssen  dabei  nur  den  Pantoffel.  Äehnlich  geht  es  bei  der  Pab 
weihe  in  den  Landkirchen  zu.  Man  steckt  die  geweihten  Baal 
zweige  ins  Haus,  um  den  Blitz  abzuwenden  und  in  di 
Fruchtfelder,  um  sie  vor  Hagelschlossen  zu  schützen.^ 

Im  12.  Jahrh.  faßte  man,  wie  es  scheint,  in  Frankrtii 
Baumzweige,  Blumen  und  Palmen  in  ein  Bündel  (?)  zosamme 
Bischof  Hildebert  von  Tours  (f  1136)  in  einer  seiner  Predigte 
„Cujus  triumphi  gloriam  hodie  sancta  recolens  ecclesia,  in  sigi 
crucis  et  vexillo  celebrat  solemnem  processionem ,  virenti 
arborum  ramos  ac  flores  cum  palmis  post  vexillu 
sanctae  crucis  in  manibus  gestans'^  etc.'  Heute  verwendet  nu 
in  den  meisten  französischen  Landschaften  Bnchsbaum  an  Stel 
der  Palmzweige.  i)?>  Kinder  schmücken  ihren  BtuJisbauniMUfe 
mit  bunten  Bändern,  Kuchen,  Aepfrln,  welche  am  Pahusonuta 
abend  von  der  Familie  verspeist  werden.  Dann  bringt  ma 
den  grünen  Busch  über  dem  Kopfkissen,  oder  vlvlU 
dem  Kruzifix  des  Familienzimmers  an,  wo  er  a 
Gewitterschutz  bis  zum  nächsten  Jahre  verbleib 
er  müßte  denn  einem  verstorbenen  Familiengliede  in  den  Sai 
mitgegeben  werden.  Dann  soll  —  wie  mau  in  der  Provence  ui 
Nordspanien  glaubt  —  die  Leiche  nicht  verwesen,  ja  mehr£w 
ist  ein  solcher  Zweig  als  grüner  Baum  aus  dem  Grabe  hervo 
gewachsen  und  die  Vögel  haben  in  seiner  Krone  gesungen.    \ 


1)  J.  J.  Blunt,    UrsprUDg   religiöser   Oeremonion   und   Gebräuche  d 
römisch -katholischen   Kirche,   besonders    in    Italien   and   8icilien.     Lpsg. 
Darmstadt  1826.    S.  186.    Opinione  ia52.  Apr.  11.    Zs.  f.  D.  Myth.  III,  5 
Hone  II,  196 

2)  Serm.  4  in  Dominic.  Palmar,  p.  385.    Binterim  a.  a.  0.  175. 


Der  Sehlag  mit  der  Lebennrate.  287 

der  Bretagne  dient  Lorbeer ,  an  der  Provence  Myrte  und  Lorbeer 
n  gleichem  Zwecke.^  —  In  Spanien  trägt  die  Geistlichkeit  bei 
fluem  feierlichen  Umzage  am  Palmsomitage  eine  Anzahl  von 
Zweigen  der  Dattelpalme    zu  einem  Strauß    aufein- 
andergebunden^  welche  noch  ttber  die  Köpfe  der  andächtigen 
Heoge  emporragend  bei  jedem  Schritte  sich  neigen ;  sie  sind  vor 
der  Prozession  vom  minitttriercnden  Priester  feierlich  geweiht  und 
werden  nachher  vom  Klerus   seinen    guten  Freunden    ins  Haus 
geschickt,  um  als  Schutzmittel  gegen  Blitz  aufs  £iseu- . 
geländer  der  Balkone  gebunden  zu  werden.^    In  Belgien 
trag  (zu  Tirlemont)  das  in  der  Pahns<mntag8procession  auf  dem 
Esel  amgefbhrte  Bild  Christi  einen  Paln^weig  in  der  Ilanäf  '^"^ 
Trauben  und  Kuchen  behangen,  welche  die  Kinder  während  des 
Umzugs  berabzureißen   suchten.^     Vor   dem  Beginn   der  Messe 
seguet  der  Priester  die  am  I^^iß  des  Altars  niedergelegten  Baum- 
zweige; die  herzustrümenden  Bauern  lassen  große  Büschel  Buchs- 
bauDD,  die  sie  ,,Palmtakken'^  nennen,  mitweihen,  um  sie  nachher 
in  kleinen  Bflndeln  als  Blitzableiter  unter  das  Hausdach  und  in 
iDe  Räume  des  Wohnhauses,  der  Viehställe    und  Komscheuem 
n  verteilen;  ein  Sträußchen   stecken  sie  in  das  Hutband,  einen 
Zweig  als  Sprengwedel  ins  Weihwasserikß,  um  damit  bei  heran- 
nahendem Sturm  die  Hausräunie,    bei  Todestallen  die  im  Sarge 
Hegende  Leiche  zu  besprengen.    Auch  in  den  Ecken  der  Saat- 
fdder  l)efestigt  man  geweihte  Zweige,  um  sie  vor  Hagelwetter 
^  Verhexung  der  Früchte  zu  schützen  und  reichen  Ernteertrag 
«bewirken;  ins  Viehfutter  gelegt  vernichten  die  geweih- 
ten Buchsbaumzweige    die    Würmer,     welche    dasselbe 
verderben;  flinl*  Blätter  werden  Palmsonntags  ins  Getränk  der 
^fihe  getan,  um  diese  zu  reinigen  (purger).* 

Aus  Deutschland  berichtet  Thom.  Naogeo^gus  i  Kirchniayr),  gel), 
lall  zu  Straubingen ,  in  seinem  Gedicht  über  die  (iebräuche  der 
l^tholischen  Kircke  (Regnuni  papisticum  Bas.  1553.  Ausg.  2.  155l>), 
das  Volk  vor  dem  auf  hölzernem  Esel  in  die  Kirche  gefahrenen 


1)  Cortet ,  Fetes  religieuses.    »S.  117. 

2)  Doblado  bei  Hone  IL  197. 

3)  Reinsberg  -  Düringsfeld ,  Calendrier  Bel^'C  I,  212. 

4)  Reinsberg  -  DüringHfeld  a.  a.  0.  213—215.     Thiers,  Trait^  des  Supor- 
ätttiong  bei  Liebrecht,  Gervasius  v.  Tilbury  S.  227,  94.  229,   126.  239,  244. 


]iHH 


KapiU^I  III.    Baumseele  als  Vegetationsdämon: 


ChriHtuMde  die  geweihten    aus  grünen   Baumzweigen 

KacL weiden   bestehenden   Palmen   aut   den  Weg  streute, 

dieselben  nachher  wetteifernd  auflas    in   dem  Glauben, 

dieselben  große  Kraft  gegen  Stürme  und  Donnersei 

|i«rtrn.     Da*^  ^*'"  Priester  sich   vor  dem  Bilde   zu  Boden 

on^.   ,,««   einem   andern    mit    der   Baumrute   gesehlagen    wi 

h^K'T.  wir  si'hon  o.  S.  258    aus  einem  deutsehen  Vorgängei 

\«/tt^.'n3iss  mitgeteilt*    Jener  Aberglaul^c   dauert  noch  lieui 

»r'^-r  Verbreitung   fort.      Beim   (iewitter   werden    3    am    F 

^.jjyjj^  iTtMveihte  Palmkätzehen  (Weiden),  oder  Zweige  in»  F« 

^5^*f  knMizweise  auf  den  Tisch  gelegt.^     So   lange   der   R 

^'tco^T  Zweige  aufsteigt,    schlägt  der  Blitz  nicht  ein.*    Auel 

•{;i^^|sehauer   verbrennt  man  Palmen.^     Als  Schutzmittel   g 

ja*  i5e\ntter  werden  3  Palmkätzchen  verschluckt.'^     Die    P 

.»^^oht  aus  einem  Bündel  verschiedener  grüner  Zweige  (We 

Hs^Mi,  Pappeln),   die  schon   seit  vier  Wochen  zum  Grünwe 

;tiHl  Blühen  im  Wasser  standen,*'  oder  aus  einem  größeren 

läMgt*rcn  Stiel,   an  welchen  mehrere  Zweige  oder  Bündel  gc 

Jon   sind.     So   um  Basel    aus    einem  Tannenbäumchen   vor 

r2  F.  Höhe,  das  bis  auf  die  Kro^ie  geschält  und  mit  H 

rufen,  Buchsbaum,  Sävenbaum  und  Aepfeln   künstlich  beim 

ist  (0.  S,  246.)     Die  Palmen  in  Nordtirol  sind  ein  Busch  blt 

der  Weiden   an   der  Spitze   einer    sehr  langen   Stmge  heft 

und  mit  Seidenbändern,  oft   auch  Brotzeln  verziert,   währen 

Südtirol  dieser  bunte  Flitter  fehlt  und  nur  Oelzweige  mit  1 

1)    —    —    —    jjopulus   veuit  omiiis 

Arboreos  portans    ramos .  salicesquc  virentes, 
(JuGs  tenipcstatis  contra  coelique  fragorom 
Adjuvat  pastor  inulto  grundiquc  preoatu. 
Mox  querno  sese  coraiii  prosteriüt  asello 
Sacrilicus  longa  quem  virga  pt-rcutit  alter. 

2)  Zingerle,  Sittcu=i  lOi),  i)3i».  llö,  1018.  Sohönwcrth  II,  11»>  fl.  ; 
Sagen  aus  Schwaben,  385,  ;>3.  Leoi>rechting,  Lechrain  170.  Heins 
Dfiringsfeia ,  Fcstkal.  a.  Böhmen  110.  Zs.  f.  D.  Myth.  III,  338.  Stracl 
Sag.  u.  Abergl.  a.  Oldenb.  II,  40,  3Ö8.    W^uttko-«  §  449. 

3)  Strackerjan  L  03,  07. 

4)  Zingcrle  116,  1023.     Landsteiuer,  Roste  des  Hcidengl.  S.  43. 

5)  Zingerle  a.  a.  0.  lOH,  1*40. 
G)  Meier  385.  33. 


^     Der  Sehlai^  mit  der  Lebensrate.  389 

kitiehen  geweiht  and  heramgetragen  werden.^     In  Baieni  und 

Oestreich   bilden  Zweigbttschel   von   Baehweiden,    »Stechpalmen. 

Ktranewit,    Sävenbaom    and  Mistel  die  Krone  des  Palmstabes.^ 

In  Ertingen  sind  die  Palmen  geschälte  Haselruten  mit  gekreuzten 

Bolonderstäbehen,  zwischen  denen  je  ein  vergoldetes  Ei  and  ein 

ipfel  prangt,'  in  Oldeubarg  wird  auf  ein  fingerdickes  von  der  Rinde 

eotblöAtes  Weidenstäl)chen  ein  Büschel  von  Buehsbaum,  Bickbeere 

oder  Tannenzweigen  gebunden.^    Vielfach  besteht  der  Palmbesen 

118  einem  Stiel  mit  sovielen  an  einander  gebundenen  Palmbttn- 

deln,    als   man   Gelasse  in  Haus,  Scheuer  und  Stauung 

kat    Nach  der  kirchlichen  Weihe  werden  diese  Btlndel  ausein- 

loder  genommen  und  in  die  verschiedenen  Räume  verteilt,   in 

Stehe  und  Kammer  vom  Hausvater   selbst   hinter   das  Kruzifix 

gesteckt    Anderswo  wird   „der  Palmen '^  an   die  Stall-  oder 

Haastttre    oder    ans    Scheuertor    genagelt    und    verbleibt 

daselbst,    bis    er  herunterfällt.^     Zuweilen  wird  der  Palmbesen 

Tor  dem  Hause  angestellt  und  bleibt  dort,  bis  es  zum  ersten- 

aale  donnert;  dann  setzt  man  ihn  in  den  Viehstall,  wo  er  seinen 

Plate  behauptet,  bis  ihn  im  nächsten  Frühjahr  ein  neuer  ersetzt 

Dann  wird  er  verbrannt^    Auch  in  Westfalen  pflegt  man  auf 

Stuben  und  Bienenkörben  Zweige  von  am  Palmsonntag  geweihtem 

Bacbbaum    anzubringen.^      Das   Wohnbaus,    und  den   Viehstall 

wll  der  Palmzweig  vor  Blitzschlag  und  vor  dem  Eintritt  feind- 

lieher    dem    Leben    und    der    Gesundheit    schädlicher    Mächte 

bewahren.     Durch  ein  Fenster,   in   dem    ein  Palmzweig  steckt, 

kann  keine  Hexe   (d.  h.  Elbe,   Krankheitsgeist)  hereinkommen.^ 

Derselbe  Gedanke  liegt  dem  Glauben  zu  Grunde,  daß  man  mit 

einem  Palmsonntag  geweihten  Zweige  (vom  Pimpeniußbaum)  den 

Wassermann   bewältigen    (erschlagen)    könne.®      Ein    Vieh,   das 


1)  Zingerle  a.  a.  0.  146,  1263. 

2)  Schmcller  I,  281.    Ansg.  2  I,  387.    Leoprecliting  169.    Baumgarten, 
^  Jahr  und  b.  Tage  21. 

3)ßirlinger,  Volkst  a.  Schwab.  II,  75,  91. 

4)  Strackerjan  U,  40,  308! 

5)  Birlinger  I,  74.  88. 

6)  Birlinger  U,  74.  89. 

7)  Kuhn,  Westf.  Sag.  145,  418. 
B)  Zingerle  109,  938. 

Ö)  Grohmann,  Abergl.  a.  Böhmen  13,  52.  54. 


290  Kapitel  IIT.    Banmseele  als  VegetationadämoB: 

Schräteleszöpfe  (Wichtelzöpfe)  hat,  schlage  man  dreimal  mit  dn 
Palmzweigen ,  dann  flieht  das  Schrätel  in  Gestalt  einer  Katse. 
Als  Dämonenvertreiher  hält  der  am  Palmsonntag  geweihte  Zwei| 
sofort  nach  dem  Gottesdienst  im  Kuhstall  hinter  einem  Balke 
verborgen,  die  Rinderjjest  fem.*  Auch  die  Pest  wurde  ja  al 
persönliches  Wesen,  Viehschelm  u.  s.  w.  gedacht.  In  den  Kdi 
per  hinein  kriechend,  oder  in  Insektcngestalt  ihn  abweiden 
bewirken  die  Krankheitsgeister  Abzehrung,  trockenes  Euter  u.  s.  ¥ 
Hiemach  ist  zu  beurteilen,  daß  man  den  Pferden  und  Rinder 
3  Palmen  zu  fressen  giebt;^  die  Kühe  geben  dann  gute  Mild 
Schon  eine  Handschrift  in  St.  Florian  aus  Saec.  XIV.  (Myth 
XLVn.  10 — 13)  sagt  „So  man  die  palm  haimtrait  von  Kirchei 
so  legent  sy  sew  ee  in  die  chue  chrip,  ee  das  sy  sew  viidc 
das  tach  tragcnt.  so  gent  die  chue  des  iars  gern  haim.  item  di 
pursten  die  man  zu  den  palm  stekcht,  do  pursten  sy  das  viee 
mit,  so  wemt  sie  nicht  lausiff,  item  palm  legent  sy  under  da 
chrawt  hefen,  so  vallent  nicht  fl engen  in  das  chrawt  item  s 
tragent  umb  das  haws,  ee  si  sew  hie  in  tragent,  so  essent  ( 
fiichs  der  huner  nicht.*  (lieber  die  Insekten  als  vermeiniliG 
dämonische  Wesen ,  die  die  Manze  und  den  Tierkörper  abzehre 
oder  ausfressen,  vgl.  o.  S.  13  u.  280.)  Mit  dem  „Palmzwei 
schlägt  man  beim  ersten  Austrieb  die  Kühe  ^  und  in  Tirol  betri 
kein  Hirte  die  Alme  ohne  ihn.  Wenn  die  Kühe  sich  mit  de 
Köpfen  so  enge  verketten,  daß  sie  nur  mit  Mühe  auseinanderzi 
bringen  sind,  löst  ein  geweihter  Palmzweig  den  schlimmen  Zastand 
Wie  dem  Tierleibe  bringt  der  Palmzweig  durch  Entfernung  de 
dem  Wachstum  feindlichen  Geister  dem  menschlichen  Körpc 
Wolsein  und  Gedeihen.     Man  ißt  Palmkätzchen  als  Präservati 


1)  Panzer  II,  189,  320. 

2)  Renisberg-Dür'iDgsfeld  Festkai.  a.  Böhmen  111. 

3)  Banmgarten,  das  Jahr  S.  21 

4)  Vgl.  Flöhe  vertreibt  man  so:  man  wickelt  in  der  Charwoche  ei 
Bündel  geweiliter  Palmzweige  in  ein  Tuch  und  steckt  es  hinter  ein  Mnttei 
gottesbild ;  wenn  dann  Ost«m  die  Glocken  zur  Auferstehung  läntcn ,  schwing 
man  das  Bündel  dreimal  und  ruft:  „fort  mit  allen  Tieren,  die  keine  Knoche; 
haben",  so  sind  die  Flöhe  für  das  ganze  Jahr  vertrieben.  Grohmann,  Aberg 
a.  Böhmen  S6,  618. 

5)  Leoprechting  17(). 

6)  Alpenburg,  Mythen  396. 


Der  SehlAg  mit  der  Lobensrate.  291 

gegen  Fieber y^  Zahnweh  oder  Halsweh.*  Wie  in  Frankreich  der 
Admiwdg  demTodten  in  den  Sarg  mitgegeben  wird,  steckt  man 
ib  in  Böhmen  nnd  Oldenbni^  als  Lebensmte  ant'  das  Grab.' 

Aach  die  dem  Wachstnm  der  Pflanzen  feindlichen  Dämonen 
sollen  durch  die  Palmen  verschencht  werden.  In  Baiem  tut 
Bin  dieselben  sammt  den  am  Charfreitag  gebrannten  Holzstäbchen 
nd  Asche  des  Osterfeners  aufs  Feld ,  nm  dasselbe  gegen  Hagel- 
Khlig  zn  sichem/  in  Oberbaiem  sind  es  Pahnkreuze,  die  neben 
geweihten  £iem  in  jede  Ecke  des  Ackers  gesteckt  werden/ 
Dadarch  vermeint  man  die  Raupen  ^  Komwürmer,  Mäuse  und 
Haulwttrfe  zu  vertreiben.^  Steckt  man  Palmen  in  die  Wintersaat, 
so  wächst  diese  so  hoch,  als  die  Palmen  sind.^  Man  wirft  auch 
nr  einige  Palmblttten  in  die  grüne  Saat,  um  diese  zu  segnen.* 
YieUiach  werden  Ostern,  zuweilen  Maitag  die  Felder  gepalmt.^ 
h  Ostpreufien  steckt  man  in  die  Ecke  des  Misthaufens  Palmen, 
dum  wird  er  sehr  fruchtbar.  ^^ 

In  Schottkind  (Lanark)  hielten  auch  1795  die  Schulknaben 
im  Tage  vor  Palmsonntag  einen  feierlichen  Umzug  mit  einem 
hngen  Weidenbaum ,  woran  Affodill,  Seidelbast  und  Buchsbaum 
befestigt  waren.  ^^  In  England  setzte  man'  am  Palmsonntag 
geweihte  Palmkreuze  über  die  Türen  und  tat  sie  in  die 

1)  Birlinger,  U,  74,  89.    Reinsbcrg-Düringsf.  S.  111. 

2)  Zingerle«  147,  1264.  109,  942.  943. 

3)  Reinsberg  -  DQringsfeld ,  Festkalender  a.  Böhmen  116.  Strackerjan 
t.  a.  0.  Vgl.  daß  nach  der  Legende  der  Baum  des  Lebens  aaf  Adams  Grabe 
viebi    Piper,  evang.  KaL  1863.   S.  52.  60. 

4)  Panzer  IT,  79,  114. 

5)  Panzer  II,  212,  380.  Y'gl.  ebds.  S.  534.  „  In  Bering  ist  der  mitt- 
lere anfrechtstehende  Teil  des  Krenzes  ein  Palmzweig,  welcher  am  Palm- 
WMtage  geweiht  worden  ist.  Dieser  Zweig  wird  oben  gespalten,  nm  einen 
Zvei^  des  Lebensbaumes  nnd  einen  Weidenzweig  mit  den  Efitzcben  (Palm- 
iDoddn)  befestigen  zu  können,  welche  beide  Zweige  die  Arme  des  Krenzes 
büden.  Am  Ostertag  geht  jeder  Bauer  mit  seinen  Dienstleuten  um  jeden 
seiner  Aecker ,  steckt  auf  jedes  Eck  ein  solches  Kreuz  und  Stuck  eines  geweih- 
ten Ostereis,  in  die  Mitte  des  Feldes  ein  ganzes  rotgefärbtes  Ei,  das  Kreuz 
^^^  ein  am  Charfreitag  angebranntes  spitzes  Holzstück.'' 

6)  Grobmann  61.  449.    Wuttke«  §  647. 

7)  Beinsberg -Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen.  110. 

8)  Ebds.  S   111. 

9)  Kuhn»  Westf.  Sag.  II,  145,  418.  155,  437. 

10)  Wuttke«  §  650. 

11)  Brand,  pop.  antiqu.  ed.  Ellis  I,  121. 

19* 


292  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdämon: 

Geldbeutel,  (vgl.  o.  S.  283),  um  den  Teufel  zu  yerjagen. 
Asche  des  geweihten  Buchsbaums  galt  mit  Weihwasser  yennischt 
als  wirksames  Heilmittel  gegen  das  kalte  Fieber  und  sollte  die 
Wttrmer  tödten.* 

Die  ausgehobenen  Belege  sind  in  vollständigstem  Maße  auB- 
reichend,  um  darzutun,  daß   die  wichtigsten  Stttcke  des  an  den 
Schlag   mit    der    „  Lebensrute '^    gehefteten    Volksglaubens    den 
Palmbttseheln   auch   ohnehin  schon  (zukommen,   vomehmlieh  die 
Kraft  Dämonen,  dem  Körper  schädliche  Geister  zu  vertreiben  und 
dadurch  Menschen,  Tieren,  Pflanzen  Wachstum  und  Gedeihen  sa 
sichern.     Wie  der  Maibaum,  Emtemai,  Richtmai  werden  sie  za 
solchem  Behnfe  aufs  Dach  gesetzt,    in  den  Wohnräumen  ange- 
bracht, wie  der  Richtmai   schützen  sie  vor  Blitz  und  Stürmen. 
Ja  sie  sind  ein  Symbol  des  aus  dem  Grabe  wieder  erbltthenden 
Lebens  (S.  286.  287.  291).    Es  erhellt,  daß  der  Schlag  mit  dem 
Palmbüudel  besonders  nachdrücklich  die  Heilswirkungen  übertragen 
und  vermitteln  sollte,  welche  den  vereinigten  Zweigen   an  sich 
beiwohnten.      Um   so   weniger   werden  wir  uns  der  Vermutung 
entziehen    können,   daß    die  Schmackosterrute  (o.  S.  258  ff.)  die 
Kindelrute  (o.  S.  265  ff.),  der  Fußstrauch  (Fastelabendrute)  zu  Ostern, 
Weihnachten,    Fastnacht    durch   Uebertragung    auf  ein    anderes 
Kirchenfest  aus  dem  Palmsonntagsbrauch  entstanden  und  mit  der 
Kirche  und  ihrer  Ausbreitung  gewandert  seien.   Die  Uebertragung 
auf  Ostern  vorwärts  und  auf  Fastnacht  rückwärts  lag  nahe..  Auch 
spricht  ftir  dieselbe  deutlich  der  Umstand,  daß  die  Schmackoster 
gemeinhin     aus    einem    Bündel     von    mehreren   Weidenzweigen 
besteht.    Eben   dasselbe  ist   zuweilen  bei  dem  zu   Weihnachten 
oder  am  Tage  der  unschuldigen  Kinder  gebrauchten  Schlaginstru- 
mente der   Fall.    Auf  den  letztem  Tag » (28.  Dez.)  an  welchem 
die    kirchlichen  Ceremonien    durch   Kinder  nachgeahmt  wurden, 
wollte  man   um   so   eher  die  Darstellung  der  dem  Palmsonntag 
identischen   Festgeschichte    des    1.   Advent    übertragen,    da    die 
Beteiligung  der  Kinder  am  festlichen  Empfange  des  Heilandes  in 
Jerusalem  in  älterer  Zeit  mit  besonderer  Betonung  hervorgehoben 
wurde,  (o.  S.  282.  285.  291.)    Vom  28.  Dez.  aus  ergab  sich  sehr 
einfach  die   Verschiebung  auf  den   3.  Weihnachtstag.     So  nahe 


1)  Dialogue  betwene  two  Neigbours  1554  bei  Brand  a  a.  0.  127.  New- 
ton, Herball  to  the  Bible  p.  207.    Brand  a.  a.  0*  126. 


Der  Sehlftg  mit  der  Lebeosnite.  2d8 

DU  diese  Vermatangen  liegen,  sind  dagegen  doch  die  beiden 
Unstände  in  Erwägung  zu  ziehen ,  daß  einmal  eine  dramatiBche 
Yeranschaiilichung  des  Einzugs  Jesu  in  der  Adventszeit  (so  viel 
ieh  mieh  erinnere)  nicht  bekannt  ist/  dann  daß  meistenteils  nicht 
WeidenbUndel,  sondern  einzelne  grün  ausgeschlagene  Aeste 
inderer  Bäume  zum  Frischegrttnpeitschen ,  Fitzeln  u.  s.  w.  ver- 
windt  werden  y  die  Weiden  somit  erst  durch  Analogie  mit  dem 
Pdmsonntags  -  und  Osterbrauch  von  diesem  her  in  die  schon  fest- 
stehende Weihnachtssitte  vereinzelt  herUbergenommen  sein  könnten. 
Wieder  auf  einen  kirchlichen  Brauch  und  zwar  auf  einen  der 
srnSchst  vom  Osterfest  entlehnt  sein  möchte,  scheint  auch  der 
Dmstand  zu  weisen,  daß  in  Frankreich  saec.  XV.  die  durch  die 
Bsteiischlagang  unzweifelhaft  zu  ergänzende  Sitte,  Leute  irtth- 
moigens  ans  den  Betten  gerissen  mit  Wasser  zu  begießen  (o.  S.  260) 
am  Altar  der  Kirche  und  von  Klerikern  geübt  wurde.  Denn  zu 
Ostern  findet  sich,  auch  außerhalb  des  Gotteshauses  der  nämliche 
Bnneh  (o.  S.  259),  zu  dessen  Erklärung  sich  zunächst  die  aus  der 
Bgenschaft  des  Osterfestes  als  vorzüglichste  Taufzeit  entsprun- 
gene Heiligkeit  des  Osterwassers  darbietet. 

Nahm  die  Sehmackoster  -  Fastnachts  -  Kindelrute  vom  Palm- 
iKueh  ihren  Ausgang,  so  muß  auch  das  Schlagen  aus  dem  Ideen- 
kreise des  letzteren  erklärt  werden.  Die  dem  Heiland  zu  Füßen 
geworfenen,  von  ihm  beschrittencn  Baumzweige,  deren  gleich- 
wirkgame  Stellvertreter  die  vom  Priester  geweihten  Ruten  waren, 
konnten  als  seiner  Kraft,  seines  Wesens  teilhaftig  geworden 
betrachtet  werden. 

So  gut  man  von  Maria  dichtete: 

,,dü  bist  sam  der  ccderbonm, 
den  da  fliuhet  der  wnmi**,* 

mochte  die  das  Geistige  vergr(*)benide  und  in  den  Bann  des  Sinn- 
lichen herabziehende  Phantasie  des  christlichen  Volkes  mithin  die 
Jahnen"  in  materiellerer  Auffassung  als  Dämonenvertilger,  Wurm- 
vertreiber bezeichnen.  Die  schnelle,  schüttelnde  Bewegung  des  jüdi- 
schen Weidenbüschels  am  großen  Hosanna  wäre  der  Ausgangspunkt 
gewesen,  von  welchem  aus  die  christliche  Festsittc  zur  Uebertra- 

1)  DaB  in  Tirol  der  Schimmelreiter  Anklöpflesel  genannt  wird,  Zs.  f.  D. 
Mjth.  III,  337,  darf  doch  schwerlich  dafür  angesehen  werden. 

2)  Melker  Marienlied.  MüllcnhoiT  n.  Scherer,  Denkmäler  deutscher  Poesie 
^d  Prosa  1864  XXXIX  S.  117. 


294  Kapitel  Xu.    Baomseele  als  Vegetathmsdämon: 

gung  der  dem  Zweige  einwohnenden  Kräfte  auf  Menschen,  Tiere, 
Pflanzen  darch  Berührung,  durch  Schläge  mit  demselben  sich 
fortbildete.  Als  Dämonenvertreiber  hätte  derselbe  zugleich  seinen 
Platz  auf  dem  Dache  des  Wohnhauses  oder  Viehstalles  geüindeD, 
um  die  Wetterhexeu  und  Krankheitsgeister  abzuhalten.  Mit  einem 
Worte,  mit  den  Kräften  Jesu,  des  Lebensitirsten  ertlUlt  hätte  der 
Baumzweig,  oder  Zweigbündel  dadurch  alle  jene  Eigenschaften 
der  Lebensrute  überkommen,  welche  wir  o.  S.  278—281  zusammen- 
gestellt haben. 

Enthielten  diese  AusfUiirungen  den  wirklichen  Sachverhalt, 
so  würde  die  Consequenz  erfordern  auch  das  Schlagen  mit  dem 
Sommer-  und  Maibusch  (S.  252.  264)  das  Kälberquieken  (o.  S.  270) 
für  Uebertragungen  der  Palmrate  auf  einen  anderen  Jahrestag  zu 
erklären.  Und  in  der  Tat  weist  die  Gestalt  des  in  B()hmen  zun 
Schlagen  verwandten  Sommers  „  Bündel  von  Weiden ,  mit  bunten 
Bändern  dnrchflochten ,  statt  des  sonst  zu  diesem  Behufe  dienen- 
den Bäumchens  auf  eine  Vermischung  von  Lätare-  und  Palmaram- 
gebräuchen hin ;  und  auch  sonst  ist  eine  derartige  Uebertragnng 
nicht  selten  nachweisbar.  In  Oberschlesien  z.  B.  heißt  der 
„Sommer",  das  am  Lätaresonntag  einhergetragene  geschmückte 
Bäumchen,  durchstehend  „Mai",^  hat  also  von  dem  der  Sache 
nach  nächstverwandten  Brauche  den  Namen  empfangen.  Da  wir 
in  der  Palmsonntagsprozession  sowohl  in  Moskau  o.  S.  285,  als 
in  Frankreich  o.  S.  286  und  Belgien  S.  287  einen ,  wie  der  Mai- 
baum und  Sommer,  mit  bunten  Bändern,  Früchten,  Kuchen  aus- 
gerüsteten Baum  entweder  als  Pahnbusch  verwandt  oder  dem 
Umgange  vorausgefahren,  oder  endlich  in  der  Hand  des  Christus- 
bildes befindlich  sehen,  wobei  wieder  der  erste  Gedanke  auf 
einen  Ausfluß  christlicher  Symbolik  (o.  S.  242  fl^.)  sich  richten  muft,* 
so  werden  wir  sogar  der  Frage  nicht  ausweichen  dürfen ,  ob  nicht 
der  Maibaum,  weit  entfernt  als  Verkörperung  des  Vegetations- 
dämons „Lebensbaum"  zu  sein,  vielmehr  ursprünglich  aus  dem 
Palmsonntagbrauchc  abstammend  der  \Baum  des  Lebens  in  christ- 


1)  S.  0.  S.  181.  Vgl.  „den  Maieu  singen**  am  Maiensonntag  (Lfitare) 
zu  Brieg.  Koch  (Gierth),  Denkwürdigkeiten  der  Herzogin  Dorothea  Sibylla 
S.  42  ff.   In  Oesterr.  Schlesien  „Sommer  oder  Mai**  Peter,  Volkstüml.  11,  280. 

2)  Vgl.  Pipers  Nachweis  über  den  in  Fastenpredigten  der  griech.  Kirche 
gewöhnlichen  Vergleich  des  in  die  Mitte  der  Fasten  aufgenommenen  Erenzes 
mit  dem  Baume  des  Lebens  mitten  im  Paradiese.    Ev.  Kai.  1863.    ö.  72. 


Der  Bchlftg  uiit  der  Lebensnite.  2d5 

fichem  Sinoe  gewesen  und  samiut  Kichtmai  und  Brautmaie  auB 
rein  kirehlichen  Ideen  entsprungen  sei.  Selbst  die  o.  8.  182  nach- 
gewiesene Eigenschaft  dcssell>en  als  mythischer  Dop|>elgiinger 
des  Menschen  wttrde  sich  dieser  Erklärung  lllgcn,  da  (vgl.  o.  S.  2K2 ) 
der  grüne  Frnchtbaum  auch  ein  Bild  des  wahren  (Christen  war. 
Soleher  Annahme  stehen  jedoch  die  gewichtigsten  Tatsachen 
widerspruehsToU  gegenüber.  Der  Maibaum  kann  von  dem  Som- 
mer, dem  Emteuiai,  dem  liichtmai  und  der  Brautmaie  nicht 
getrennt  werden.  Der  „Sommer^^  als  Gegensatz  des  ^/lodes^^ 
imFrfihling  hat  augenscheinlich  reine  Naturbedeutung.  Der 
Ernte  mal  aber  entspricht  in  allen  IStlicken^  Ausrüstung«  mit 
Bändern,  Früchten,  Backwerk  und  ÜefäBen  mit  Flüssigkeit, 
Aifpflanzang  vor  dem  Hause  (oder  Tempel),  Verbleib  an  diesem 
Orte  bis  zur  nächsten  Ernte,  Verbrennung  nach  Jahresfrist  so 
genaa  mit  der  griechischen,  schon  von  Aristophanes  bezeugten 
Eiresione^  daß  man  an  dessen  vorchristlicher  Entstehung  nicht 
iweifeln  darf.^  Die  dem  Maibaum  und  PalmsonntagsstrauB 
gemeuiBamen  Züge  begegnen  ebenfalls  schon  im  italischen  und 
keüemschen  Altertum.  In  Rom  besteckte  man  (zur  Abwehr  von 
Hilwachs  thid  Krankheit  der  Gewächse,  Tiere  und  Menschen) 
bei  den  Palilien  am  21.  April  den  Schafstall  mit  einem  grün 
belaubten  Zweige,  die  Tür  mit  einem  Kranze-,  Weißdornruten 
und  Wegedom  wurden  (am  ersten  Juni)  über  Tür  und  Fenster 
angebracht,  um  alles  Unheil  (noxas)  davon  hin  wegzutreiben  und 
vor  allem  die  gespenstischen,  euleugestaltigen  Strigcn,  Geister 
der  Krankheit  und  Auszehrung,  welche  den  Wiegenkindem  die 
Eingeweide  ansfressen,  fernzuhalten.^  Am  ersten  MUrz  pflanzte 
Dum  jonge  Lorbeerbäume  je  einen  vor  die  Türe  der  Regia,  der 
Curien  und  die  Häuser  der  Flaniincs,  nachdem  man  die  vorjähri- 
gen entfernt  hatte  (laurcac  vctercs  novis  laureis  mutabantur). 
Zugleich  wurde   neues  Feuer   im  Vcstatcmpel  angezündet.^     In 

1)  Da  ich  ober  die  Eircsionc  demnächst  an  einem  anderen  Orte  aus- 
fihrlicher  handeln  werde,  verweise  ich  einstweilen  auf  Botticher.  Baiimkul- 
tw  der  Hellenen  8.39311.  A.  Mommsen  Ileortolojdc  S.  104.  L>71.  275.  Prel- 
ler, Gricch.  Mj-th.   Aufl.  2.   I.  S.  203. 

2)  Ond,  faat.  IV,  737. 

3)  Ovid,  fast.  VI,  129 ff. 

4)  Macrob.  Saturn,  T,  12.     Cf.  Ovid,  fnst.  III,  137  ff.: 

Laurea  flaminibn»,  <(uae  toto  ])erstitit  anno, 
Tollitur:  et  frondes  saut  in  honore  novae. 


2d6  Kapitel  III.    Baumseele  als  VegetatioiisdainoB. 

Hellas  pflanzte  man  Lorbeerreiser  vor  dem  Hause  aiii\  oder  liei 
Lorbeer  und  Wegedorn  (^auroQ)  über  der  Haustiire  aushängen.^ 
Wie  der  Maibaum  das  Dach  der  beliebten  Jungfrau  oder  des 
Hochzeithauses  schmückt,  so  stattete  man  in  Rom  die  Türen  des 
Brauthauses  mit  Lorbeer  aus'  und  die  athenischen  Eapatriden- 
famiiien  steckten  sowol  bei  den  Hochzeiten  als  bei  dem  Feste 
der  Mannbarkeitserklärung  ihrer  Söhne  und  Töchter  mit  Binden 
gezierte  Lorbeerzweige  vor  den  Türen  auf.  Dies  geschah  einer- 
seits zum  Schutz  vor  Gewitter,  denn  wo  Lorbeer  ist,  schittgt  nie 
der  Blitz  ein;^  andererseits  zur  Abwehr  feindlicher  Dfimonen. 
Wo.  sich  Lorbeer  befindet  —  heißt  es  —  stellt  sich  ebensowenig 
die  Epilepsie  ein,  als  der  Blitz  dahin  komme,  wo  er,  oder  ein 
Feigenbaum  stehe;^  er  halte  die  Dämonen  ab  und  zerstreae 
den  Zauber.^  Der  Lustration  wegen,  zur  Abwehr  von  Zauber 
wird  Lorbeer  auf  dem  Heerde  verbrannt,*  nach  Hesiod  O.  e.  D. 
433  ist  er  nicht  dem  Wurmfraß  ausgesetzt  (uxiMUTog).  Das 
Haus  und  seine  Bewohner  aber  gelten  durch  die  Aufhängung  oder 
Einpflanzung  von  Lorbeerzweigen  oder  Lorbeerbäumen  vor  den 
Krankheiten  des  Gemütes,  wie  des  Leibes  bewahrt^  Zar  Hei- 
lung von  Irrsinn  wurden  Lorbeerkränze  um  den  Hals  gelegt 


Janua  nunc  regis  posita  viret  arbore  Fhoebi: 
Ante  tuas  fit  idem,  cnria  prisca,  fores. 

Vesta  qnoque  ut  folio  niteat  velata  recenti, 
Cedit  ab  Iliacis  laurea  cana  focis. 

1)  Diog.  Ladrt.  4,  57:  ^afjivov  t€  xtel  xld^ov  ^d<fvrii  vnkg  d^r^av  ^9-rixi'p, 
Hesych.:  xo)/nv%f^a.  Sntfa'rjv  ?/V  ioTdÜat  ttqo  twv  nvXaiv,   Cf.  Diosoorid.  I,  119. 

2)  Jurenal.  Sat.  6,  80:  Ornentor  postes  et  grandi  janua  lauro.  Schol. 
vel  frondibos  et  ramis  laareis  ad  celebritatem  naptiarom  omato  poates  et 
jannam. 

3)  Non.  morb.  curat,  c.  259  p.  294:  r«  (f^  (fvXdaaovra  «no  xeQavrtov 
ilai.  TavTa,  fr  /u^v  rotg  (fiTuTg  Saffyrj  xal  avxrj.     Cf.  Bötticher  8.363. 

4)  Etym.  M.  xo^vd-äkrij  fi  tiqo  rtov  O-VQuiv  rid^efi^vrj  Jdcpvri  .  ^ßriad't'nop 
yitQ  Ttov  v^ü)v  X(tl  ^vyuT^ocor,  6ä(fvag  TiQOiTCbovv  itfijßfotg  xid  yafioig  ifg 
xb  öfxüov.    Hesych.:  xoQvd^nXCa  ^lufvri  fojsfjLfx^vr],    Cf.  Bötticher  S.  373. 

5)  Boissonad.  Anecd.  Gr.  1,1.  p.  425:  ov^l  yao  Uqk  voaog  rj  daCfAtov 
nuQivoxXei  r^  totto)  h'  iit  ^ritfvr}  fai)v,  MamQ  ov^k  xiQawos  Snov  orx^. 
(iXXct  xul  oxtöaanxri  (faQudxtor  fnT(r,  Geop.  11,  c.  2:  od-fv  xn\  ct/rc/^ai'fTai 
6tt([j,oai ,  x(d  ^v&a  itv  j  <\d(pvri  Uno^iav  ^af/uoveg.     Cf.  Bötticher  S.  360. 

6)  Bötticher  S.  365. 

7)  Bötticher  S.  360. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrute.  397 

Kt  Knden  geBchmflckte  Lorbeerzweige  dienten  als  Sprengwedel, 
mit  denen  sich  der  GottesfÜrchtige  beim  Eintritt  in  den  Tempel 
und  beim  Ausgange  aas  demselben  aus  dem  Weihwasserbeeken 
besprengte  (vgl.  o.  S.  287)  und  von  welchem  er  beim  Herausgehen 
ein  Blatt  zu  sich  nahm  und  möglichst  lange  bei  sich  trug  (vgl. 
0.8.391  die  gegen  Fieber  genossenen  Palmkätzchen),  um  die 
empfangene  Reinheit  dauernder  zu  machen.  Solches  Besprengen 
btfreite  angeblich  von  der  Pest^  Auch  ins  Saatfeld  wurde  ein 
Lorbeerzweig  gesteckt ,  um  das  Getreide  vor  Rost  und  Brand  zu 
behüten.'  Uebrigens  war  der  Lorl>eer  ursprünglich,  wie  der 
Maibanm,  als  beseeltes  Wesen  gedacht  Diese  Tatsache  ist  der 
aehere  Gewinn,  den  die  Mythenanalyse  aus  der  Sage  von  der 
durch  Apoll  veriblgten  und  in  den  Baum  verwandelten  Nymphe 
Dtplnie  ziehen  kann.  Denn  Apollos  Liebschaft  ergab  sich  ein- 
&eh  ans  der  Stellung,  welche  die  Pflanze  in  seinem  Kultus  ein- 
uhm,  und  die  Metamorphose  mit  allen  ihren  näheren  Umständen 
war  nichts  als  ein  Versuch ,  die  im  Glauben  ihren  Platz  behaup- 
tende Baumseele  mit  der  Botanik  in  Einklang  zu  bringen. 

Es  zeigt  sich  also,  daß  die  Mehrzahl  derjenigen  abergläu- 
bischen Sätze  und  Bräuche,  welche  der  Volksglaube  gleicher- 
weise an  den  Maibaum  wie  an  den  Pahnbüschel  heftete,  schon 
Tor  der  Entstehung  des  Christentums  vorhanden  waren.  Wir 
dnrfen  daraus  mit  Sicherheit  schließen,  daß  sie  nicht  erst  aus 
den  Anschauungen  des  letzteren  heraus  entwickelt,  sondern  aus 
ilterer  Tradition  so  zu  sagen  fertig  aufgenommen,  mit  äußerlich 
ähnlichen  Stücken  seines  Kultus  verbunden,  und  in  seinem  Sinne 
nmgedeutet  sind.  Somit  hat  zwar  wahrscheinlich  eine  Ueber- 
tragung  der  Palmrute  vom  Sonntage  Palmarum  auf  andere  christ- 
liche Festtage  stattgefunden,  aber  die  daran  gehefteten  Vorstel- 
lungen und  Bräuche,  welche  den  PalmbUschel  als  Lebensrute 
characterisieren ,  sind  durch  unbewußte  oder  bewußte  Verschmel- 
zung mit  älteren  Bräuchen  hinsichtlich  eines  Baumzweiges  ent- 
standen, der  in  Italien  und  Hellas  im  Lorbeer  (Eiresione  u.  s.  w.) 


1)  Theophrast.  Char.  16.  Clemens  Alex.  Strom.  Vin.  §.  49.  Bötticher  370. 

2)  Plin.  bist  nat.  XVIII.  45 :  Bubigo  qnidem ,  maxima  segetum  pestis, 
lanri  ramis  in  arvo  defixis  transit  in  ea  folia  ex  arvis.  Geopon.  V,  33,  4.: 
<P10\  Sk  jiTTovXriTog,  fav  (freyri;?  fv  r/]  nnoi'Q(c  xX((i!fovg  ßdXrjSf  fi€T€tßa{viiv 
tU  ahoi'i  rriv  ßknßriv  rrjs  ifjvatßfjs.    Bötticher  362. 


2d8  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdämon : 

im  Norden  im  Maibaum  (Sommer)  seinen  Hauptrepräsentaalen 
hat  Das  Hereindriugen  des  abergläubischen,  der  Naturreligioii 
angehörigen  Elements  in  den  Palinsountagsbrauch  war  um  0C 
leichter  möglich,  als  derselbe  in  letzter  Grundlage  ja  auf  emeii 
Emtebrauch  zurückging  (o.  S.  282),  und  somit  von  Hause  am 
unserm  Emtenuii  und  der  griechischen  Eiresione  verwandt  war. 
Wann  und  wo  aber  die  christliche  Sitte  die  superstitiosen  Zutaten 
in  sich  aufnahm,  ob  der  Hauptsache  nach  schon  vor  ihrer  Wan- 
derung in  den  Ocx;ident,  oder  ob  dies  an  verschiedenen  Punkten 
mehrmals  selbständig  und  auf  zwar  ähnliche,  aber  doch  im  ein- 
zelnen abweichende  Weise  und  in  verschiedenem  Maße  geschah, 
darüber  erlaubt  das  bis  jetzt  vorliegende  historische  Material 
noch  keine  Entscheidung. 

Sind  die  übrigen  Bräuche ,  das  Aufstecken  des  Palmbttsehelc 
auf  Haus  und  Viehstall,  und  ins  Saatfeld,  seine  Anwendung  als 
Dämonenvertreiber  gegen  Krankheit,  Ungeziefer  u.  s.  w.  heid- 
nischen Sitten  nachgebildet,  so  wird  die  Vermutung  berechtigl 
sein,  daß  auch  der  Schlag  mit  demselben,  wie  mit  der  Schmack- 
oster-,  Fastelabend-,  Fitzelrute  seine  Entstehung  der  Ueber- 
tragung  einer  vorchristlichen  Begehung  auf  die  kirdilich  gese^ 
nete  Palmrute  und  ihre  Sproßformen  verdanke.  Hiefllr  sprichl 
der  Umstand ,  daß  das  gegenseitige  Schlagen  der  beiden  Geschlech- 
ter, der  Schlag  auf  Fuß  und  Hand,  so  viel  ich  sehe,  aus  christ- 
lichen Ideen  kaum  eine  Erklärung  gestattet,  dagegen  bei  ver- 
gleichender Betrachtung  der  r<)mischen  Luperciilienbräuche  uralte 
Analogien  findet.  Und  in  der  Tat,  wenn  der  itir  Menschen  und 
Tiere  als  mythischer  alter  ego  auf  Häuser  und  Ställe  gepflanzte, 
im  Saatfeld  als  Erntemai  die  Rolle  des  Wachstumsgeistes  ans- 
Itillende,  häufig  (gleich  dem  Palmbusch  zu  Ostern)  am  ersten 
Mai  in  Form  eines  Birkenzweiges,  Holunderbusches,  Vogellieer- 
baumes,  in  den  Acker  gesteckte  Maibaum,  wie  die  Eiresione  and 
der  griechische  I^rbeer,  einer  anderen,  beziehungsweise  älteres 
Schicht  des  Volkslebens  seinem  Ursprünge  nach  angehört ,  als  da« 
Palmarumfest,  so  wird  das  Kälberquieken  (o.  S.  270)  nicht  davon 
getrennt  werden  dürfen ;  und  grade  dieses  findet  sein  Gegenstück 
in  einem  schon  in  den  Vedcn  erwähnten  indischen  Brauche  (o, 
S.  275).  Wir  stoßen  hier  mithin  auf  eine  anscheinend  sichere 
Spur  davon,  daß  das  Schlagen  mit  grünem  Zweige  der  Befruch- 
tung halber  unabhängig  von  christlichen  Ideen  entstanden  ist  und 


Der  8chUg  mit  der  Lebensrate.  299 

geflbt  wurde.  Eine  iweite  solche  Spur  ist  der  aus  Kheinland 
nd  KoMand  naehgi wiesene  Erntebrauek  (o.  S.  277).  In  Rom 
idlng  muiiy  um  die  Strigen  zu  verscheucheu  und  da«  Gedeihen 
des  Kindes  zu  bewirken ,  Tttr  und  Schwelle  der  Kinderstube  drei 
■al  mit  belaubtem  Erdbeerbaunizweige.^  In  diesen  Fällen  kann 
ODDQ^eh  der  doppelte  Gedanke  verkannt  werden  ^  daB  der 
Schlag  mit  dem  grünen  satlreichen  (vom  Vegetatiousdämon  bci^eel- 
tm)  Oewächse  die  Miswachsgeister  vertreibe,  und  zugleich  ande- 
imeits  positiv  mit  8ail  und  Lebenskraft  und  Wachstumsver- 
Bügen  begäbe.    Vgl.  ,. Frisches  Grün,  langes  Leben !^'  o.  S.  265. 

Auf  dieselbe  Vorstellung,  die  Austreibung  der  das  Wachs- 
tum hindernden  Dämonen ,  scheint  mir  eine  Keihe  von  Hochzeit- 
alten surtickzuilihren ,  welche  längst  die  Aufmerksamkeit  der 
Forseber  auf  sich  gezogen  haben,  bisher  aber  anders  gedeutet 
nd.  Am  fleißigsten  hat  Friedberg  in  seinem  trefflichen  Buche 
„Das  Recht  der  £heschlieBung''  das  Material  zusammengestellt, 
fan  ein  Teil  der  folgenden  Beispielsammlung  entnommen  ist 

Um  Bodiug  in  der  Oberpfalz  treibt  der  Ilochzeitlader  vor 
der  Trauung  die  Braut  mit  einem  weißen  abgeschabten 
Birkenrtttlein  unter  beständigem  Schlagen  von  der 
Kirchtttre  bis  in  den  Stuhl,  welchem  gegenüber  der  Bräutigam 
eeioen  Platz  einnimmt^  Bei  den  Katholiken  des  polnischen  Erm- 
landes  pflegt  man  gleich  nach  der  Hochzeit  die  Braut  aus  dem 
Hange  zu  schicken  und  mit  iiclitenen  »St<>cken  nach  den  beiden 
sich  entfernenden  jungen  Ehegatten  zu  schlagen.*  Wir  reihen 
hier  gleich  die  Form  des  Brauches  bei  verschiedenen  lettischen 
Stimmen  an.  Die  Sudauer  im  westlichen  Sanilande  tUhrten  um 
1526  bei  der  Hochzeit  die  Braut  feierlich  zu  Bette  und  seh  lu- 
gen sie.  Bei  den  Litaueni  peitschte  um  IGOO  der  Führer 
des  Brautwagens  die  Braut  in  die  Klete  (das  Schlafgemach). 
Bei  den  liCtten  in  Kurland  wurden  die  jungen  Eheleute  um  1700 
bei  der  Ankunft  in  des  Bräutigams  Hause  sofort  in  die  Klete 
ins  Bett  geworfen ,  und  bei  zwei  Stunden  eingcschlortsen.  Dann 
kamen  die  Verwandten  mit  Stöcken,  öffneten  leise  die  Tür 
nnd  prügelten    den  jungen   Ehemann,  wenn    er  nicht  schnellen 

1)  Ovid.   fast.    VI,  155:    Protinus  arbutca  postes  ter  in   ordine  tangit 
fronde:  ter  arbatea  liinina  fronde  notat. 

2)  Schönworth  1,87. 

3)  TöppcD,  Abergl.  a.  Masuiou.    Auil.  2.   S.  S\), 


300  Kapitel  in.    Baomseele  als  VegetationBdämon: 

Sprunges  entwischte.  Besondere  Prügel  erhielt  er,  sobald  es  sm 
zeigte,  daß  er  sich  bei  seiner  ehelichen  Obliegenheit  lässig  oder 
untüchtig  benommen.^  Sehr  ergötzlich  besehreibt  bekanntlich 
Immermann  im  Münchhausen,  wie  bei  einer  westfälischen  Hoch- 
zeit während  der  Traurede  Männer,  Frauen,  Mädchen  und  Bni^ 
sehen  dicke  Knittel  aus  Sacktüchern  hervorziehen;  kaum  ist  die 
Feierlichkeit  vorbei ,  so  stürzen  sie  in  wildem  Tumult  auf  den 
Bräutigam  zu  und  lassen  ihre  Knittel  auf  seinen  Rücken ,  seinen 
Schultern  und  überhaupt  aller  Orten,  wo  Platz  ist,  tanzen.  Der 
Brauch  existiert  noch  in  der  Soester  Börde,  wo  man  irrtttmlieh 
als  Grund  angiebt,  der  Bräutigam  solle  flUilen,  wie  Schläge 
schmecken  und  seine  Frau  damit  verschonen.^  Im  Saterlande 
schlugen  die  Jünglinge  den  jungen  Ehemann,  wenn  er  aus  der 
Kirche  kam,  mit  Hüten  und  Schnupftüchern,  weil  er  ein  Abtrün- 
niger sei.*  Gegen  diesen  Brauch  erließ  der  Erzbisohof  von  Köln 
1607,  andere  Kirchenftlrsten  und  Concile  schon  früher  Verord- 
nungen.^ Schon  im  15.  Jahrhundert  tritt  er  uns  im  Schwanke 
von  Mayr  Betzen  Hochzeit  106  — 113  in  einer  offenbar  verderb- 
ten und  abgeschliffenen  Form  entgegen: 

Für  die  kirchcn  man  in  (den  Bräutigam)  fort, 

Manig  ackerknab  da  nach  im  türt. 

Seit  still!  sprach  der  mesner. 

Die  törpel  namen  Betzen  her, 

Sy  erwüsten  in  bi  dem  har 

Und  rauften  in  zwar 

So  grimmeclich  vnd  hart, 

Das  er  ser  schreyen  wart, 

Als  dann  ist  der  pawren  sit. 

Von  der  Kirchen  hiemit 

Giengen  si  wider  hain.^ 

Im  Hannoverschen  schlug  man  sicli  nach  der  Copulation  mit 
Fäusten.®    Gradeso  geschah  es  nach  Rabelais  in  Frankreich:  Lcs 

1)  Leimcr,  der  prouß.  Litauer.  Danzig  1744.  p.  41.  Von  Brand,  Rei- 
sen durch  die  Mark  u.  s.  w.    Wesel  1702.  p.  78. 

2)  Kuhn,  Westföl.  Sag.  11,42,  112. 

3)  Globus  XXn,  1872.    S.  199. 

4)  Of.  Köln  1536  bei  Harzheim,  Concil.  Germ.  VI,  289. 

5)  Klara  Hätzlcrin,  Liederbuch  ed.  Haltaus  260-61.  Noch  andere 
Beispiele  sind  bei  Weinhold,  die  deutschen  Frauen  S.  202  und  bei  Friedberg, 
das  Recht  der  Eheschließung  Li)Zg.  1865  S.  86.  96.  angeführt. 

6)  Hoyasche  Kirchenordnung  v.  1577  bei  Richter  evang.  Kirchenordn. 
Weimar  1846  U ,  357. 


4      • 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrnte.  801 

piiollefl  dictes  et  la  marine  baisee  au  sou  du  taliour  vous  tons 
UDerex  rang  4  Taultre  da  soabvenir  des  nopces:  ce  sont  petitz 
ooipi  de  poing.  Tels  coaps  seront  donnez  cn  riant  selon  la 
eoBtome  obeerv^e  en  toates  fian^ailles.^  In  der  Gegend  von 
dartres  schlagen  die  Nfichststchendeu  die  jungen  Eheleute  wäh- 
rend Erbebang  der  Monstranz  dreimal  mit  einem  Messerstiel  zwi- 
Kkra  die  Achseln y  damit  sie  nicht  eifersüchtig  würden.*  Nach 
diem  von  Waekemagel  mitgeteilten  Trauformular  aus  saec  XV. 
nU  der  Priester  selbst  dem  Bräutigam  einen  Schlag  auf  die 
Sdiulter  geben.  ,yEt  sie  percate  eum  supra  scapulas.''^  Bei  Olaus 
MagDUS  L.  XIV.  c.  9  wird  von  den  schwedischen  Hochzeiten 
enrihnt,  daft  sich  die  Jungen  gegenseitig  prügeln  ^^dorso  tenus 
pigDO  se  astantes  impetant,  ut  actum  corroborent.^^ 

Offenbar  ist  von  den  vorstehenden  Bräuchen  der  russische 
ndit  zu  trennen  y  obgleich  derselbe  noch  scheinbarer  als  diese 
warn  auch  ebenso  miftverständlich  durch  ein  den  heutigen  Ver- 
Utnissen  entnommenes  Motiv  gedeutet  wurde.  Am  ersten  -Tage 
laeh  der  Trauung  steckte  der  Mann  in  einen  seiner  Stiefel  eine 
Fätsche.  Die  junge  Frau,  welcher  die  Verpflichtung  oblag  ihm 
die  Stiefel  auszuziehen ,  konnte  wählen ,  mit  welchem  sie  begin- 
nen wollte.  Erwischte  sie  den  mit  dem  Straiinstrument  zuerst, 
M>  yersetzte  ihr  der  Mann  einen  Schlag  über  den  Rücken.  Die- 
ses schlagende  Beispiel  sollte  ihr  beweisen,  daß  der  Gemahl  voll- 
^dige  Gewalt  über  sie  besitze.  In  andern  Gegenden  heißt  der 
Vater,  der  eine  Tochter  vermählt,  am  Morgen  vor  der  Hochzeit 
dieselbe  ein  Bündel  Ruten  hereintragen,  und  versetzt  ihr  damit 
änige  leichte  Hiebe ,  indem  er  bemerkt ,  daß  er  sein  ZUchtigungs- 
recht  von  nun  an  ihren  zukünftigen  Mann  abtrete.^  Doch  es 
Udbe  dahingestellt,  ob  hier  wirklich  eine  Symbolik  der  väter- 
lichen Rechte  der  Ausgangspunkt  oder  nur  eine  Ursache  der 
Umdeutang  des  Brauches  war.  Um  so  unzweideutiger  ist  die 
Uebereinstimmung,  welche  ein  asiatischer  Brauch  mit  dem  deut- 


1)  Pantagruel  IV.  A.  2.  Cf.  die  Synoden  von  Wladislaw  1568  und 
^««o^oii  1669,  bei  Thiers,  Superstitions  anciennes  et  modernes.  Amsterd. 
1736  IV,  460.  464. 

2)  Memoires  de  Tacad.  celt.IV,  242,  Myth.»  CXVIII,  19. 

3)  Haupt,  Zs.  f.  D.  Alt.  U,555. 

^)  Heiraten  und  Hochzeiten  aller  Vdlker  der  Erde.   Lpzg.  sa.  S.  34 — 35. 


Kapikl  in.    Bauniscclc  als  Vcgetaidon&dämon: 

jrben  lei^  Bei  den  Koriaks  auf  Kamschatka  wird  der  Bräa* 
o^:aHi«  wenn  er  seine  Braut  empfängt,  von  seinen  zukünftigen 
W^nmiidteu  nnd  Naehbam  mit  Stöcken  geschlagen.  Uebersteht 
er  die«  mannhaft,  so  erweist  er  sich  als  fähig  „die  Htthen  des 
Lehens  EU  ertragen/'  und  wird  ohne  weitere  Umstände  in  das 
Oemaoh  seiner  Verlobten  geführt.^  Auch  m  Abyssinien  hat  der 
BriQtigam  von  Seiten  der  Verwandten  seiner  Braut  eine  Prllfinig 
sn  bestehen.  Sie  peitschen  ihn  aus,  um  zu  sehen,  ob  er  Mnt 
luit  Zuweilen  fällt  die  Strafe  tibertrieben  hart  aus,  denn  man 
volhioht  sie  kräftigst  mit  der  Kurbatsch  oder  Peitsche  von  Nil- 
pfortlhaut.  Will  der  Liebende  für  einen  Mann  gelten,  so  muB  er 
die  Züchtigung  mit  freudigen  Mienen  hinnehmen  und  in  diesem 
Falle  wird  er  vom  Schwärme  der  Weiber  bewundert  und  mit 
einem  schrillen  Geschrei  belohnt.  ^  Daß  nach  diesem  Zeugenver- 
hOr  die  von  W,  Wackcmagel  und  Friedberg  vertretene  Ansicht 
festgehalten  werden  müsse,  die  den  jungen  Eheleuten  erteilten 
Schläge  seien  lediglich  ein  symbolisches  Hilfsmittel  gewesen,  mn 
dem  Gedächtnisse  an  ihren  Treuschwur  nachzuhelfen,  wage  ich 
mit  ziemlicher  Sicherheit  zu  verneinen.  Sollen  wir  diese  juiv 
dische  Absicht  auch  den  Koriaken  und  Abyssiniem  dabei  zusehrei- 
ben? Viel  zusagender  ist  dem  Standpunkte  der  Naturvölker 
der  Wunsch,  aus  den  jungen  Eheleuten,  die  die  Befruchtung  und 
Geburt  zurückhaltenden  Dämonen  auszutreiben  und  die  Ent- 
fernung des  die  Entbindung  hindernden  bösen  Geistes  wird  anch 
die  Absicht  in  dem  folgenden  neugriechischen  Brauche  sein. 
Denn  nicht  nur  bei  der  Hochzeit  machen  die  Eheleute  mit  Schlä- 
gen Bekanntschaft  In  Griechenland  kommt  der  Ehemann  seiner 
in  Kindesnöten  kreißenden  Ehehälfte  zu  Hilfe,  indem  er  ihr  mit 
den  Quasten  seines  Gürtels  auf  die  Schulter  schlägt  und  sagt: 
Ich  habe  dich  beladen  und  Gott  soll  dich  wieder  entladen  {e.yii 
a  ffpoQTioaa,  Y,i  o  i>L()g  oi  ^tifoQzioorjl)  Dann  wird  sie  leicht 
gebären.* 

Bei   verschiedenen,    ganz   fernen  Naturvölkern   wiederholen 
sich  noch  andere  Begehungen,   welche  in   entschiedener   Ideen- 


1)  A.  S.    Bickiiiore,   thc   Ainos   or  hairy   men,     American  Journal  af 
science,  May  1868  p.  12  bei  M   Müller  Essays.    Lpzg.  1869  II,  p.331. 

2)  Baker,  Nilziiflüsse  in  Abyssinien  I,  117. 

3)  Bybilakis,  neugriechisches  Leben  S.  4. 


Aualaaf  Über  die  Innent&ule.  806 

Temandtsehaft  za  den  erläuterten  Bräuehen  stehen.  In  Neu« 
olifiMniien  wird  das  Mädchen  beim  Eintritt  der  Pubertät  in 
die  Erde  gegraben  und  diese  mit  Ruten  geschlagen/  offenbar, 
m  das  junge  Weib  durch  Veijagung  der  Unfruchtbarkeitsdämo- 
M  der  großen  Gebärerin  Erde  gleich  zur  ErtUlung  der  Mutter- 
pffifhten  tauglich  zu  machen.  Ganz  ähnlich  dem  Schaumburgi- 
fthen  Flöhauaklappen  (o.  S.  268)  wird  von  den  Salivas  (Sttd- 
imerika)  erwähnt,  daß  sie  vor  Beginn  der  Feldarbeit  die  jungen 
Leute  auszupeitschen  pflegten,  um  ihnen,  wie  sie  sagten,  die 
Faulheit  auszutreiben.*  Bei  den  Mandurucas  (Brasilien)  und  Aro- 
waken (Britisch  Guyana)  sollen  beim  Tanz  zu  Ehren  eines  Todten 
die  Waden  blutig  gepeitscht  werden.'  Dies  geschieht,  um  die 
Seele  des  Todten  zu  verscheuchen.  Dieser  Tanz  gesellt  sich  zu 
dm  indianischen  Brauche,  der  von  der  Bestattung  des  Gatten 
liehnkehrenden  Wittwe  mit  einer  Hand  voll  grüner  Zweige  wie 
mit  emer  Fliegenklatsche  um  den  Kopf  zu  fächeln ,  um  den  Geist 
des  Verstorbenen  von  ihr  zu  treiben,  damit  sie  wieder  Freiheit 
habe  zu  heiraten.^  In  Mexico  wurde  am  Feste  der  (röttin  des 
Oreisenalters,  d.  h.  der  Göttin,  welche  den  Menschen  Gesundheit 
und  langes  Leben  verlieh,  Ilmateuctli,  eine  Weibsperson,  die  die 
6Wm  darstellte,  geopfert.  Sodann  liefen  die  Priester  durch  die 
Qi^mn  und  schlugen  die  ihnen  begegnenden  Personen  weiblichen 
Oeschlechtes  mit  Heubündehi.^ 

Aus  diesen  Parallelen  wird  der  Sinn  des  alten  Brauches 
mit  welchem  vermutlich  christlicher  Ritus  zur  Palmsonntags-, 
Schmackoster-,  Kindeltagssitte  in  eins  verschmolz,  deutlich  her- 
Yoigehen.  Es  war  die  Baumseele,  der  Wachstumgeist,  der  durch 
sddagende  Berührung  mit  dem  grünen,  saftigen  Zweige  mitgeteilt 
die  Gespenster  des  Mißwachses  und  der  Krankheit  vertrieb  und 
Gedeihen  und  Fruchtbarkeit  hervorrief. 

§.  10.  Auslauf  Aber  die  IrmensSule.  Es  handelt  sich  um 
die  Frage,  ob  auch  die  Irmensäulen,  welche  viele  Forscher  mit 
^ggdrasill  zusammenstellen,  in  den  Kreis  der  im  Kapitel  I.  und 


1)  Waitz,  Anthropologie  der  Naturvölker  lY,  243  nach  Schoolcraft. 

2)  Waitz  a.  a.  0.  UI ,  394  nach  Alcedo. 

3)  Waitz  UI ,  393. 

4)  Tylor,  die  Anfänge  der  Cultur.   Lpz.  1873  I,  p.  447. 
^)  Müller,  Geschichte  der  amerik.  ürreligioncn  S.  572. 


Anslauf  über  die  Irniensftale.  906 

wenn  wir  uns  darunter  nach  Art  unserer  Maibäume  j  der  Questen- 
beiger  Eiche ,  des  wendischen  Kreuz-  und  Kronenbaumes,  der 
fl^;ii8chen  Maypoles  einen  etwa  bis  hinauf  zur  Krone  j  oder  ganz 
und  gar  der  Zweige  beraubten ,  nur  zu  festlichen  Zeiten  mit  Laub 
geidunfickten  Baum  vorzustellen  hätten ,  der  als  Lebens-  und 
Schicksalsbaum  der  größeren  Gemeinschaft  des  Stam- 
mes oder  Volkes  betrachtet  wurde  im  Unterschiede  von  den 
enteprechenden  Lebensbäumen  der  Einzelnen  und  der  Gemeinde? 
Siole  konnte  ein  solcher  Baumstamm  wol  genannt  werden,  zumal 
wenn  er  wie  der  Maibaum  im  Innthal  (Oberöstreich)  die  Höhe 
TM  40  F.  erreichte,  oder  wie  der  20  —  25  F.  hohe  Kreuzbaum  der 
Eibwenden  einen  Hahn  gleichsam  als  Statue  auf  der  Spitze  trug. 
Noch  passender  ließen  sich  die  Londoner  Maibäunie  von  St  An- 
drews Undershaft  und  auf  dem  Strande  vergleichen.^    Aus  dem 


Ungut  Irmliigül  appellantes,  qnod  latine  dicitiir  universalis  oolamna.  Seibertz, 
Indes-  mid  Bechtsgeschichte  des  Herzogtums  Westfalen.  Arnsberg  1861  I. 
S.  185  legt  iieh  Rudolfs  Worte  so  zu  recht ,  daß  er  damit  einen  Baumstamm 
baeidmen  woUte,  der  mit  seinen  kräftigen  Zweigen  eine  ähnliche  Idee  wie 
4er  bimmeltragende  Atlas  auszudrücken  bestimmt  war.  Vgl.  J.  Grimms  Aeuße- 
rong  Myth.*  107:  ,,  Unter  truncus  ligni  dachte  sich  Raodolf  wahrscheinlicher 
dnen  auserlesenen,  heiliggehaltenen  Baumstamm,  als  eine  von  Menschen- 
lund  gezimmerte  Säule/'  »iDer  westtalischen  Irmensäalo  liegt  die  Vorstel- 
lig ?on  der  hessischen  Donnereiche  sicher  ganz  nahe/*  Und  ebenders. 
Mfth.<  64:  „von  dem  heiligen  Baome  der  altsächsischen  Irmensul  wird  das 
•white  Cap.  handeln."  Beide .  Grimm  und  Seibertz ,  scheinen  einen  leben- 
den, an  Ort  und  Stelle  gewachsenen  Baum  im  Sinne  zu  haben.  Wenngleich 
dieser  metonymische  Gebranch  für  truncus  zuweilen  vorkommt ,  zeigt  doch  dio 
Verbindung  truncum  erectum,  daß  hier  nur  von  einem  künstlich  uufgerich- 
^^,  mithin  am  Fuß  verstümmelten,  über  der  Wurzel  abgehauenen  Baume, 
^m  mastbaumartigen ,  hölzernen  Schaft  die  Rede  sein  könne. 

1)  Von  der  St.  Andreaskirche  an  der  Nordwestecke  von  Aldgate  wurde 
v^hrend  des  15.  Jahrb.  alljährlich  ein  Maibaum  aufgerichtet,  der  die 
^pitie  des  Kirchturms  überragte.  Nach  ihm  hieß  die  Kirche 
^t  Andrews  Undershaft,  und  eine  Allee,  an  deren  einer  Häuserreihe 
9  unter  den  Vordächern  auf  großen  eisernen  Haken  den  größten  Teil  des 
Jahres  aufbewahrt  wurde,  Shaftalley.  Seit  einem  Aufstande  im  J.  1517 
vvrde  er  nicht  mehr  aufgerichtet  und  1552  ganz  zerstört  (Stow  bei  Hone, 
E»«ry  daybook  I,  278).  Die  Puritaner  eröffneten  einen  Feldzug  gegen  alle 
Maibiiune  und  setzten  1644  ein  Verbot  derselben  durch  Parlamcntsbeschluß 
^^.  Schon  1634  wird  der  Untergang  des  Maibaums  auf  dem  Strande 
fl^e  der  Katharinenstraße)  beklagt ,  der  so  hoch  war  wie  der  Turm  von 
^^enweU  und  schöner,  als  irgend  eine  Stadt,  Gemeinde  oder  Straße  im 

Ma&Bhardt.  20 


306   .  Kapitel  m.    Baumseele  als  Ven^tioiiBdamoii: 

nämlichen  Gedanken  wie  die  Mai-  nnd  Jöhannisbäume  hervor- 
gegangen konnte  der  den  Stanunesbanm  darstellende  Baamstamm 
entsprechend  der  Größe  der  in  ihm  zar  Erscheinong  gebrachten 
Idee  nnd  in  Folge  der  dadurch  gebotenen  reicheren  An»- 
schmttckung  bedentende  Umwandlungen  in  Form  und  Maien, 
möglicherweise  selbst  im  Material  erlitten  haben;  es  konnte  «ob 
der  einfachen  Logik  der  Verhältnisse  schon  damals  gesehdien 
sein,  was  sich  später  an  unseren  Pfingst-  nnd  Mail^Unnen  nd- 
fach  wiederholte.  Die  kolossale  Dimension  nötigte  den  Baum 
slllndig  zu  machen  nnd  auf  die  lebende  Blätterkrone  zu  Terridi* 
ten;  die  Säulenform  stellte  sich  von  selbst  ein  nnd  in  der  Fülle 
ethischer  und  politischer  Ideen,  welche  sich  an  den  Stamm  knflp^ 
ten,  ward  das  einfache  poetische  Bild  unkenntlich,  das  ursprüng- 
lich zu  Grunde  lag.^  Ein  treffendes  Zeugniß  für  die  Umwandloog 
in  Säulenform  gewähren  uns  die  bei  Panzer  I,  237,  262.  11,  82, 
125  verzeichneten  Bräuche  des  Boschenstechens  in  Niederbaiem. 
Hier  tritt  der  Maibaum  auf  in  Gestalt  einer  sechs  Fuß  hohen 
eichenen  Säule ,  die  in  den  Boden  gepflanzt  allezeit  stehen  bldbt 
Um  ihren  oberen  Teil  ist  ein  hölzernes  Faß  mit  Reifen  hemm- 
gelegt  und  mit  Steinen  gefüllt.  Ganz  oben  an  der  Saide  ist  efai 
Loch,  in  welches  alljährlich  am  Pfingstmontag  ein  Fichtenbänm- 


Laode  einen  hatte  „All  the  parish  did  in  one  combine  to  monnt  the  road 
of  peace  —  and  all  the  Insty  yonkers  i  a  rout  with  merry  lasses  danned 
the  rod  abonf  Als  die  Restauration  unter  Karl  II.  auch  die  Maibäom« 
wieder, einführte,  wurde  auf  Kosten  des  Kirchspiels  i.  J.  1661  auch  der  „may- 
pole  in  the  Strand*'  auf  dem  alten  Platze,  aber  größer  und  praehtFoUer 
wieder  errichtet.  Er  war  134  Fuß  hoch,  wurde  mit  Musikbegleitong  unter 
Voraustragung  eines  wehenden  Banners  in  2  Stücken  an  Ort  luid  Stelle 
geführt  und  da  die  Landzimmerleute  damit  nicht  fertig  wurden,  von  12  See- 
leuten mit  allem  Werkzeug  in  die  Höhe  gebracht,  zusammengefügt  und  mit 
Eisenbändem  und  6  Ankern  verfestigt.  Auf  der  Spitze  war  ein  parpimee 
Banner  mit  dem  Wappen  des  Königs  angebracht  Zuerst  hielten  Morria- 
tänzer,  dann  die  Menge  den  Tanz  um  den  Baum.  Dieser  blieb  über  öa 
halbes  Jahrhundert  auf  demselben  Platze  stehen  und  wurde  bei  allen  fest- 
lichen Gelegenheiten  mit  Fahnen ,  Flaggen ,  Guirlandon  und  Blumen  gesehmftdEt» 
bis  er  i.  J.  1717  dem  großen  Astronomen  Newton  geschenkt  wurde,  um  su 
Wanstead  in  Essex  als  Stütze  für  das  damals  größte  Telescop  der  Welt  in 
dienen.    Hone  a.a.  0.  I,  279  —  280.  II,  330. 

1)  Wie  nahe  uns  heute  noch  immer  die  Reproduction  des  n&mliehmi 
poetischen  Bildes  liegt,  zeigen  unsere  neueren  Dichter  zur  Genüge.  Vgl. 
z.B.  „Wachse  du  deutsches  Reich,  grüne  der  Eiche  gleieh.    (Geib^) 


AniUiif  über  die  Inuentäale.  307 

eben  mit  Tttchem ,  Spielzeug  u.  s.  w.  behangen  eingepflanzt  wird. 
Nieh  dnem  Umritt  um  den  Landbezirk  wird  dieser  Maibuseh 
TW  den  Reitern  herabgestoehen ,  das  dem  ganzen  Bezirke  Segen 
mleihende  Heiltnm  auf  diese  Weise  angeeignet.     Wäre  unsere 
Enrigong  richtig  y  so  wäre  zwischen  dem  schwedischen  und  däni- 
Kken  Sdintsbaam  des  Hauses  und  der  Familie,  dem  skandina- 
risck- deutschen  y  englischen  und  französischen  Baume  der  Dorf- 
idiaft  and  Stadtgemeinde ,  und  dem  altnorwegischen  Weltbaum 
lag  einsige  noch  fehlende  Mittelglied,  der  Lebensbaum  des  Vol- 
kes oder  Stammes  in  der  Irmensul  aufgewiesen.^    Wie  anlockend 
diese  Vermutung  immer  sein  möge,  die  Armut  unserer  Quellen 
Iber  die  Innensäulen  reicht  zwar  aus,  um  dieselbe  in  manchen 
wesentlichen  Stücken  zu  unterstützen,  nicht  jedoch  um  eine  ent- 
edieidende  Besttltigung    zu  gewähren.     Das  wichtigste  Zeugniß 
bleibt  der  offiziöse  Bericht  der  annales  Laurissenses  über  den 
Feldzag  Karls   des  Großen   gegen  die  Sachsen  im  Jahre  772, 
ixA  habe  die  Eresburg  eingenommen,  sei  von  da  ans  bis  zur 
Enaeosäule  gelangt  (ad  Ermensül  usque  pervenit)  habe  das  Heilig- 
tum (fimum)  zerstört,  das  Gold  und  Silber,  welches  sich   dort 
Torfand,  weggenommen  und  drei  Tage  am  Orte  verweilt,  um  die 
Zerstörung  vollständig  zu  machen.     Alle  übrigen  Annalen  sind 
ibgekitete  Quellen.    Aus  jenem  authentischen  Berichte  al)er  geht 
Folgendes   hervor.     Eine  geraume   Strecke  von  der  Eresburg' 
entfernt  lag  der  heilige  Bezirk  (fanuni,*  wlh,  harug),  der  nach 

1)  Noch  an  den  ans  dem  Maibanm  entstandenen  Freiheitsbänmen  des 
repnblikuiüclien  Frankreich  sieht  man,  wie  tief  die  Anlage  zn  politischen 
Ideen  in  der  Grundidee  steckte. 

2)  Eresborg  oder  mons  Martis ,  er^t  seit  saec.  XIV.  Stadtbergen  a.  d. 
IKcmel  genannt.  S.  die  urkundlichen  Belege  bei  Seibertz  a.  a.  0.  I,  183. 
Kbendcn.  ürknndenbuch  I,  N.  1.  2.  3.  4.  51.  70  -  105  u.  s.  w.  Für  den  Stand- 
^  der  Innens&ule  in  der  Gegend  des  Bnllerboms  bei  Lippspringc  sind  die 
»«n  Ffirstenberg  (Monumenta  Paderborn.  241)  aufgebrachten  Beweise  aner- 
lanntemiaSen  durchschlagend.  Sie  stand  also  in  Engem,  in  der  Mitte  des 
Stchsenlandes.    S.  Zeuss ,  die  Deutschen  und  ihre  Nachbarstämme  S.  390. 

3)  So  bezeichnet  der  Sprachgebrauch  jener  Zeit  die  Eultusstattcn  der 
^^^diseii«  In  der  785  erlassenen  Capitulatio  de  partibus  Saxoniae  (Pertz 
^.48)  werden  der  Verleihung  des  Asylrechts  an  die  christlichen  Kirchen 
die  Worte  vorangeschickt:  Placuit  omnibus,  ut  ecclesiae  Christi  quo  modo 
(l-:  qnte  modo)  construantur  in  Saxonia  et  Deo  sacratae  sunt  non  minorem 
^^^^eant  honorem  sed  majorem  et  excellentioreni ,  quam  vana  (1.  fana)  habuis- 
s«»t  idolorum.    Cf.  Abel  a.  a.  0.  402 

20* 


:g^  Kapitel  III.    Baiimseele  als  Vegetationsdämon : 

icr  InueusUule  als  seinem  wichtigsten  Heiltam  benannt  war, 
(jt6ri^ns  aber  Anlagen  von  ziemlich  bedeutendem  Umfange  om- 
üi)t  haben  maß,  worunter  auch  Gebäude  und  möglicherweise  die 
Kultusstätten  mehrerer  Götter  sich  befanden,  da  das  Heer  drei 
Tage  zu  deren  Zerstörung  brauchte.  Daß  Karl  dieses  Heiligtum 
zum  Zielpunkte  seines  ersten  planmäßigen  Eroberungszages  nach 
Sachsen  wählte  und  eine  so  lange  Zeit  darauf  verwandte,  um  es 
vom  Erdboden  zu  vertilgen ,  zeigt ,  daß  er  ihm  eine  hervorragende 
politische  Bedeutung  beimaß,  macht  wahrscheinlich,  daß  es  ein 
Nationalheiligtum  in  besonderem  Sinne  war.  Hiezu  stimmt 
sowol  die  Größe  des  heiligen  Schatzes ,  als  der  Name  des  Heilig- 
tums „Säule  der  Gesammtheit,  Säule  flir  Alle/^  Hier  hört  nun 
zwar  das  Tatsächliche  auf,  aber  es  liegt  die  Hypothese  sehr 
nahe,  daß  diese  Irminsul  der  nationale  Mittelpunkt  des  Engem- 
stammes,  das  Symbol  der  Stammesgemeinschaft  aller  Eingemgaae 
gewesen  sei.^ 


1)  Yilmar  a.  a.  0.  meint  des  ganzen  großen  Sachsenstammes.  Nun  ict 
freilich  dies  gewiR,  daß  wol  schon  im  Heidentum  sich  die  Sachsen  aU 
nationale  Gemeinschaft  gefühlt  haben.  Denn  zwar  verschärft  and  gereift 
unter  der  Herrschaft  der  Karolinger,  im  Gegensatz  za  ihr,  kann  die  Idee  sein, 
welche  im  10.  Jahrhundert  bei  dem  Mönche  Widukind  die  herrschende  ist 
dem  sich  die  gens  Saxonica,  der  populus  Saxonicns  als  die  oberste  Einheit 
darstellen,  in  der  (abgesehen  von  der  christlichen  Kirche)  sich  alle  Verschie- 
denheiten und  Gegensätze  des  Blutes  und  der  Stellung,  der  Volksstamme, 
Stände  und  Individuen  aufheben  und  zu  einem  lebensvollen  Organismus  an 
einander  schließen,  (S.  R.  Köpke,  Widukind  v.  Corvey.  Berlin  1867.  S.  78ff.), 
aber  entstanden  sein  muß  diese  Idee  bereits  in  der  Zeit  der  volklichen  Selb- 
ständigkeit, üeber  das  Bewußtsein  gleicher  Stammeigentümlichkeit  und 
gleicher  Lebensinteressen  hinaus  gedieh  jedoch  vor  der  Einrichtong  eines 
sächsischen  Herzogtums  das  Gemeingefühl  kaum;  mindestens  eine  geschlos- 
sene politische  Einheit  bildete  der  Sachsenstamm  nicht;  nicht  einmal  die 
größeren  Abteilungen  (Westfalen,  Engern,  Ostfalen,  Nordleute)  schlössen 
sich  zu  einer  solchen  zusammen;  nur  im  Kriege  und  auch  da  nicht  regel- 
mäßig einten  sich  die  verschiedenen  Gaue  der  einzelnen  Abteilungen  zu 
gemeinschaftlichem  Angriff,  oder  Widerstand  unter  einem  Führer.  (8. 
Waitz,  D.  Vcrfassungsgesch.  Ausg.  1.  in,  112  ff.)  Aus  diesem  Grunde  wird 
die  im  10.  Jahrh.  (Hucbaldi  vita  Lebuini)  auftauchende  Nachricht  von  einer 
jährlichen  Landcsversammlung  Gesammtsachsens  zu  Marklo  mit  gutem  Recht 
für  aprokryph  oder  ungenau  gehalten  (Waitz  a.  a.  0.  III,  114.  Nr.  3.  Schaa- 
mann,  Gesch.  des  Niedersächs.  Volks.  S.  73.)  Hienach  möge  man  beurtei- 
len^ ob  es  wahrscheinlich  sei^  daß  die  Irmensul  eine  weitere  Gemeinschaft, 
als  die  der  Stammabteilung  verbeten  habe. 


Avilanf  Ober  die  IrmenBänle.  809 

Das  ist  Alles,  was  wir  über  die  vcm  Karl  dem  GroAen  zer- 
itöik  Säule  mit  Sicherheit  wissen.     Widukind  von  Korvey,  der 
Muimtlieh  um  967  die  Vorzeit  seines  Stammes  nach  dem  soeben 
rerkfingenden  Heldenepos  (8.  Wattenbach  a.  a.  0.  1 68.     Köpke, 
Widukind  S.  3)  schilderte ,  berichtet  noch  von  einer  andern  Irmen- 
oly  welche  die  Sachsen  im  Jahre  532  nach  der  Eroberang  von 
Sdieidangen  a.  Unstmt  vor  dem  östlichen  Stadttor  als  göttlich 
geehrtes  Siegesmal    (ara  victoriae)  errichtet  hätten.^     Ist  diese 
Tatsache  anch  anhistorisch, ^    so  dürfen   wir  aus   der  Dichtung 
doch  abnehmen,  daft  die  Irmensäulen  eine  nicht  auf  einen  Ort 
beaehrftnkte ,  gelegentlich  auf  Höhepunkten  des  nationalen  Lebens 
nr  Anwendung  gebrachte  Institution  waren.     In  diesen  beiden 
Ustorischen  Zeugnissen  der  annales  Laurissenses  und  Widukinds 
ist  nichts  enthalten  was  unserer  Hypothese  von  der  Irmensäule 
ds  Lebensbaum -der  Volksgesammtheit  widerspräche.    DaB  der 
„Stimmesbanm^  inmitten  eines  sonst  schon  mit  Heiligtümern 
geschmückten  Ortes  aufgepflanzt  wurde,  oder  daß  um  ihn  her 
andere  Heih'gtümer  entstanden,  wie  am  Bullerbom  wäre  natür- 
KcL    Und  daB  an  einem  eroberten  Platze  als  Siegeszeichen  der 
Lebensbaum   des    siegreichen   Volkes  (sigcfolc)   aufgerichtet  seiy 
wSie  nicht  unwahrscheinlich.     Der  Deutung   auf  eine  einfache 
Trophäe  als  Entlehnung  von  den  Dcnksäulcn  der  Römer  wider- 
spricht der  Name  Irmin-sül.     Doch   bei  allem  dem  bleibt  immer 
die  Möglichkeit  tllr  diese  oder  jene  andere  Erklärung  der  Irmen- 
ral  offen,   so   lange  nicht   die  Form  und  der  Baustoff  derselben 
nng  authentisch  und  genauer  bekannt  ist.     Die  epische  Ueber- 


1)  Pertz  Scr.  III,  423.  vgl.  Grimm  Myth.«  100.  Man  wird  sich  Widu- 
Woda  Vorlage  etwa  so  vorstellen  müssen :  jSigebokan  «ettun  cndi  wihdnn, 
'nninaül  fora  ostardonin.  Was  Widukind  noch  sonst  hinzufügt  ist  ein  Aus- 
flsfi  seiner  „übel  angewandten  Schulgelehrsamkeit.''  Er  entnimmt  nämlich 
M»  dem  Worte  Irmensul,  das  er  vermöge  falscher  Etymologie  in  einen  Eigen- 
umen  and  ein  Appellativum  zerlegt ,  und  der  Lage  vor  dem  Ostertor  einen 
dnüachen  Vergleich  1)  des  Namens  Irmin  mit  Hermes ,  den  er  wegen  des 
..Siegesdenkmab"  für  Mars  hält,  2)  der  Säule  mit  Herkules,  dem  die  Säu- 
1«B  heilig  sind ,  3)  der  Lage  mit  dem  Sonncngotte  Apollo.  Von  einem  Gottc, 
dem  die  Irmensul  geweiht  war  und  von  deren  Aussehen  stand  augenschein- 
lich in  seiner  Quelle ,  dem  Heldenliedo,  nichts.  Vgl.  a.  S.  Abel  a.  a.  0. 105-106. 
I>*gegen  bleibt  Müllenhoffs  in  verschiedenen  Stücken  abweichende  Auffassung 
il  Schmidt,  allg.  Zs.  f.  Geschichte  VllI,  3  p.  2Ui)  ff.)  ernstlich  zu  erwägen. 

2)  8.  GI06I,  in  den  Forschungen  z.  D.  Geschichte  IV,  189. 


310  Kapitel  III.    Baumseele  als  VegetatioDsdamon : 

lieferang  bei  Widukind  und  der  historische  Bericht  in  den  Anna- 
len  gewähren  darüber  gar  nichts;  die  Aassage  des  späteren 
Rudolf  von  Fulda  aber ,  welche  scheinbar  uns  zu  Gunsten  spricht, 
erweist  sich  zwar  nicht  als  unglaubhaft/  aber  doch  als  zu 
unsicher,  um  darauf  als  einem  festen  Fundamente  zu  bauen. 
Hiemit  sei  der  Betrachtung  eines  Gegenstandes  genug  getan,  den 
ein  wissenschaftlicher  Brauch  seit  Jahrhunderten  einen  breiteren 
Platz  in  der  Behandlung  unserer  Altertümer  gesichert  hat 


1)  So  yiel  ich  weiß,  ist  Badolfs  Zengniß  noch  niemals  einer  eingehen- 
deren Würdigong  unterzogen  worden.  Woher  entnahm  derselbe  70  Jahn 
nach  dem  Erlöschen  des  sächsischen  Heidentums  seine  Angabe?  Aoffiülai 
muß,  daß  er  den  Worten  ,,trancam  —  sub  diyo  colebant"  hinzufügt  „patrii 
enm  lingna  Irminsül  appellantes,  quod  latine  dicitur  colnmna  univeraalu 
quasi  sustinens  omnia.  Sollen  die  letzten  beiden  Worte  eine  üeberseiziuii 
von  irmin  (orania)  sül  (sustinens)  sein,  denkt  sich  also  Rudolf  unter  eiiiei 
Säule  einen  Gebälk  tragenden  Pfeiler,  so  begreift  man  nicht,  wie  deraeDM 
Mann  auf  den  Einfall  kam ,  die  Irminsul  zu  einem  unter  freiem  Himmel  da- 
gegrabenen  Baumstamm  zu  machen.  Hatte  er  mithin  eine  wirkliche  üeber< 
lieferung,*  die  er  nicht  ganz  verstand?  Da  das  Andenken  an  die  Irmenain- 
len  im  Liede  fortlebte ,  konnte  er  eben  dort ,  wo  er  die  sächsische  Stamm- 
sage hernahm  (vgl.  Wattenbach  a.  a.  0.  ISO),  auch  davon  etwas  er&hrei 
haben.  Eine  einfache  Ueberlegung  führt  auf  eine  andere  Fährte.  Die  Irmea- 
sänle  ist  der  einzige  Gegenstand  altsächsischen  Kyltus,  von  detti  die  Arna- 
len  etwas  wissen ,  ganz  natürlich  weil  das  Ereigniß  des  Jahres  772  die  Eimd< 
davon  im  Frankenreiche  verbreiten  mußte.  Ist  nun  aber  nicht  bedenklich 
daß  Rudolf  (abgesehen  von  dem  aus  der  Germania  entnommenen  Stoffe)  toi 
dem  unzweifelhaft  reichen  and  mannigfaltigen  Götterdienst  der  Altsachsec 
(cf.  die  abrenuntiatio) ,  nichts  zu  nennen  weiß  als  Baum-  und  Quellendieiw 
und  wieder  die  Irmcnsul?  Liegt  da  nicht  der  Schluß  nahe,  daß  er  eben- 
falls einem  Bericht  über  die  Geschichte  des  Feldzugs  von  772.  oder  den  Anna 
len  selbst  seine  Kunde  verdanke?  In  ersterem  Falle  müßte  er  etwa  gelegen! 
lieh  in  seiner  Jugend  irgendwo ,  oder  später  am  kaiserlichen  Hofe  mit  einen 
der  wenigen  bejahrten  Augenzeugen,  oder  einem  Nachkommen  von  Augen 
zeugen  zusammengetrolTen  sein  und  aus  deren  Munde  eine  Erzählung  jene 
Ereignisses  vomomnien  haben.  Unmöglich  war  das  nicht,  aber  fast  ein  si 
großer  Zufall,  um  wahrscheinlich  gefunden  zu  werden.  Dennoch  sehe  id 
keinen  andern  Ausweg,  als  diesen  Fall  anzunehmen.  Denn  noch  nnWahr 
scheinlicher  ist  es,  daß  außerhalb  der  uns  bekannten  Annalen  eine  verein 
zelte  schriftliche  Notiz  darüber  aufgezeichnet  war,  die  Rudolf  zu  Hindei 
kam,  oder  daß  er  den  kurzen  Bericht  der  Annales  Fuldenses  oder  der  Lau 
rissenses  min.  (fanum  et  lucum  eorum  famosum  Irminsul  subvertit)  durcl 
Conjectur  interpretierte. 


Kapitel  IV. 

Anthropomorphische  Baum-  und  Waldgeister  als 

Yegetationsdämonen. 


§1.    Persönlich  dargestellte  Baum-    und  Waidgeister 
ili  Ycgetatlons-DiiiK^neii.    Den  Uebergang  der  Baumseele  in 
(kn  allgemeinen  Begriff  des  Vegetationsgeistes  haben  wir  in  den 
iDDerhalb  des  vorigen  Kapitels  besprochenen  Gebräaehen  beob- 
^AUL    Wir  gewahrten  dabei  mehrere  Beispiele ,  in  denen  das 
dem  Gewächse  innewohnende  dämonische  Wesen  noch  besonders 
durch  eine  menschliche  Persönlichkeit  dargestellt  wurde,   welche 
neben  dem  in  Prozession  umhergetragenen ,   oder  feierlich  aufge- 
pflanzten Baume  auftritt  (z.  B.  Pfingstbutz  und  Johannes  neben 
dem  Maibaum,  Herbstschmudl  neben  dem  Emtemai  o.   S.  162. 
170.  203.  212)  und  ließe  es  sieh  vielleicht  vermuten,  daß  der  die 
Wepeböt    werfende   Bursche    (o.   S.    247)    sowie    die    mit    der 
Selimackostermte  Schlagenden  und  Geschlagenen  ebenfalls  Reprä- 
sentanten von  Vegetationsdämonen  seien,  eine  Art  dramatisieren- 
der Darstellung,  welche  z.  B.  den  die   heiligen  Dreikönige  der 
geistlichen   Legende    nachbildenden   Stemsingern  zu  vergleichen 
wäre.    Daneben  wurden  wir  andere  Fälle  gewahr,  in  denen  der 
dem  Maibaum  innewohnende  Dämon  durch  eine  demselben  ange- 
langte Puppe  veranschaulicht    wurde.     Wir  werden  diese  Bei- 
spiele einer  zwiefachen  Verbildlichung  des  Vegetationsgeistes  durch 
Bamn  und  Mensch  (resp.  Baum  und  Menschenfigur)  mit  einigen 
weitern    von   besondemi  Interesse  vermehren,    um  sodann  eine 
Beihe  solcher  Fälle  zu  verfolgen ,  in  denen  der  Baum  hinwegfällt 
^d  der  Genius  des  Wachsturas  nur  durch  eine  menschliche  Per- 
sönlichkeit zur  Darstellung  kommt,  deren  Gestalt  und  Auffassung 
teils  den  Waldgeistern  sich  anschließt,  teils  in  eine  Personifica- 
tion  der  Jahreszeit  übergeht.    Ruhte  mithin  bei  den  dem  vorigen 


312  Kapitel  lY.    Baumgeistcr  als  Vegetationsdätnonen : 

Hauptstttck  einverleibten  Gebräuchen  unserem  ersten  Kapitel  ent- 
sprechend der  Nachdruck  auf  dem  Nachweise ,  daß  in  dem  Baume 
oder  Baumzweig  ein  dämonisches  Wesen  verkörpert  gedacht 
werde,  so  haben  es  die  nachstehenden  Blätter  analog  dem  zwei- 
ten Kapitel  mit  der  anthropomorphisehen  Personwerdong  des 
Dämons  der  Pflanzenwelt,  insofern  sie  in  Gebräuchen  hervortritt, 
zu  tun. 

§  2.  Doppelt«  Darstellung  des  Vegetatfonsdftmons  durch 
Baum  und  Mensehen.    Die  den  Mai  bäum  in  Prozession  um- 
hertragenden Knaben  in  Zabern  führen  einen  in  Stroh  gehüllten 
Kameraden  mit  sich,  den  Pfingstnickel ;  in  Buchsweiler  dagegen 
wurde   ein  mit  Laub  und  Blumen  voti  Kopf  bis  zu  den  Füßen 
bedeckter  Knabe  umhergelllhrt,  der  Pfingklötzel  genannt^   noch 
anderswo  in  Elsaß  der  Pfingstquack^  in  Thann  das  Maien- 
röslein  (Mairesele)  ein  Mädchen  in  weißem  Kleide,  das  eineiL 
mit  Blumenkränzen   und  Bändern   verzierten   Maienbaum    trägt. 
Seine  Begleiter  singen ,  indem  sie  an  den  Ttlren  Gaben  sanuneln^. 
ein  Lied,  dessen  Anfang  lautet: 

Maienröslein  kebr  dich  dreimal  eram, 
Laß  dich  beschaaen  'rum  und  'mm! 
Maienröslein,  komm  in  grünen  Wald  hinein, 
Wir  alle  wollen  lustig  sein. 
So  fahren  wir  vom  Maien  in  die  Bösen. 

Im  Verlaufe  des  Liedes,  sagt  Uhland,  wird  den  Leuten,  di 
nicht  Eier,  Wein,  Oel,  Brod  spenden  wollen,  angewünscht, 
der  Marder  die  Hühner  nehme,  der  Stock  keine  Trauben,  d 
Baum   keine  Nüsse,    der  Acker  keine   Frucht  mehr  gebe: 
Erträgniß  des  Jahres  hängt  von  dem  kleinen  Frtthlingsopfer 
Hiezu  will  ich  zunächst  einen  fränkischen  Brauch,  sodann  zw 
Zeugnisse  aus   dem  lettischen  und  slavischen  Osten  stellen, 
bairischen  Frankenlande  tanzt  am  Walburgistag  (2  Mai)  um  d 
vor  dem  Wirtshause  aufgepflanzten  Walberbaum  ein  vom  Scher 
bis  zur  Zehe  in  Stroh    gewickelter  Mann,    efcm  die  Aehreti 
Form  einer  Krone  über  dem  Kopfe  zusammengehundai  sind, 
Walber.    Früher  wurde  diese  Figur  in  den  kleinen  Städten  d_ 
ser  Gegend    in    feierlichem  Zuge   durch    die   mit  Birkenreis^ 


1)  A.  Stöber,  Alsatia  1851  p.  147. 

2)  Aug.  Stöber,  Elsäss.  Vülksbnchlein ,  Straßburg  1842.     S.  56.    Als«- 
1851  S.  140.     ühland  in  Pfeiffers  Germania  V,  275.    Ders.  Sehr.  IH,  30. 


Doppelte  Durelell.  d.  Vegetetionsdftmons  dnreb  Baum  u.  Menschen.    313 

geeehmttekteii  StraBen  gefUhrt  Alle  Gewerkslente  mit  dem  Emblemen 
ihres  Handwerks  begleiteten  ihn.^    In   ross.  Litauen  stellte  man 
ehedem  am  1.  Maitag  einen  grtlnaasgeschlagenen  bunt  hebänder- 
toi  Baam  anf  einer  Wiese  vor  dem  Dorfe  auf.    Dann  wählte 
die  DorQngend    ans    ihrer  Mitte  das   schönste    Mädchen, 
setzte  ihr   einen  Kranz  auf  den  Kopf,   umwand  ihre 
|l.       Gestalt   mit    Birkenzweigen  und  tllhrtc  sie    so   auf  den 
Spielplatz  neben  dem  Maibaum,  wo  der  yergnUgte  Haufe  Tänze 
and  Gesänge   begann,    welche   von   dem  fortwährenden  Ausruf 
0  Naja!   O  Maja!    unterbrochen    werden.*     Das  am  Tage  des 
fc.  Georg  (24.  April)  begangene  Frühliugsfest  der  Slovenen  in 
^Übnthen   und  Krain    wird   folgendermaßen    geschildert     Nach 
•Beendigung    des    Nachmittagsgottesdienstes    strömt    die   freudig 
f^^wegte  Jugend  durcheinander  dem  Orte  zu,  wo  der  am  Vor- 
^-l)end  geteilte  und  entrindete  Baum  (Pappel  oder  Tanue)  liegt, 
^^^d  schmückt   ihn   unter  Gesängen    mit  Blumen   und  Kränzen, 
of  die  am  Baume  angebrachten   Querhölzer  werden  von  den 
lädchen  verschiedenartige  Tücher  aus  Seiden-  und  Baumwollen- 
^ff  gebunden.     Drei  Bauerbursche    tragen    den   großen  Baum 
er  Art,  daß  zwei  zu  beiden  Seiten  des  Hauptträgers  mit  Unter- 
^litzungsstangen   das  Gleichgewicht  erhalten.     Langsam    bewegt 
Ich  der  Zug,  voran  Pfeiffer  und  Hornbläser,   deren  Instrumente 
omeist  aus  Kirschbaumrinde  gemacht  sind ,  mit  wilder  Musik  die 
n  Melodien  der  Mädchen  begleitend,  indeß  die  zuschauende 
ngeud  begeisterte  Jubelrufe  ert<'>nen  läßt.    Die  Hauptperson  ün 
iuge  ist  der  grüne  Georg  (zelenc  Juri),  ein  Bursche  von 
opf  bis  zu  Fuß   in  grüne  Birkenzweige   eingehüllt 
--^af  dem  Festplatze   wird   der  Maibaura   an  eines  der  höchsten 
^%äaser  angelehnt,    und  nachdem  Musikanten,   Sängerinneu  und 
^^paßmacher  ihr  Bestes  geleistet  haben ,  lösen  die  Jin  den  Fenstern 
^Änarrenden  Mädchen  Tücher  und  Kränze,  zerbrechen  die  bunten 
[uerhölzer  und  ein  Blumenregen  auf  die  jubehide  Menge  beschließt 
Fest    Während  des  allgemeinen  Jubels  wird  der  grüne  Georg 
i  h.  eine  ihn  darstellende  Puppe)  ins  Wasser  geworfen. 
ÜCisondere   Anerkennung  findet    ein  Bursche,   welcher    die  Yer- 
"^^vechselung    so    flink    zu    bewerkstelligen    weiß,    daß   sie  nicht 


1)  Bavaria  HI.  1,  357. 

'^)  Tereachtttchenko ,  Buit  Kudkugo  naroda.    Petersbarg  18i8.   VI.  212. 


314  Kapitel  lY.    Baurogeister  als  VegetationsdSmoiMn: 

bemerkt  wird.  In  manchen  Gegenden  badet  man  aber  den 
lebenden  grtlnen  Georg  selbst  in  einem  Flusse  oder  Teiche 
und  zwar  in  der  ausgesprochenen  Absicht ,  damit  er  durch  Begcn- 
güsse  während  des  Sommes  Felder  und  Fluren  grünen  lasse. 

An  einigen  Orten  treibt  man  auch  das  Vieh  bekiiUust  ans 
dem  Stalle  und  singt: 

Zelenigo  Jnrja  vödimo,  den  grünen  Georg  fahren  wir, 

Zeleniga  Jnrje  spramano,  den  grünen  Georg  begleiten  wir, 

naj  naöe  icde  pasel  bo,  die  Heerden  er  ans  weide  wohl.  - 

Ce  ne  ga  w'  vodo  sünemo.  Wenn  nicht,  er  in  das  Wasser  solL' 

Diesen  beiden  slavischen  Bräuchen  reihen  wir  noch  einen 
französischen;  einen  elsässischen  und  einen  englischen  an.  Bei 
Brie  (Isle  de  France)  wird  am  Maitag  ein  Maibaum  d.  h.  ein  mit 
einer  Blumenkrone  am  Wipfel  geschmückter,  weiter  unten  mit 
Laub  und  kleinen  Zweigen  umwundener,  unten  mit  großen  grünen 
Aesten  umsteckter  Baumstamm  in  der  Mitte  des  Dorfes  aufge- 
pflanzt und  die  Mädchen  tanzen  umher.  Zugleich  aber  wird  ein 
in  Laub  gehüllter  Bursch,  le  pere  May  umhergeftthrL 
In  Mels  (Elsaß)  veranstaltet  man  bei  Beendigung  der  Weinlese 
ein  Erntefest,  den  „Herbst  sonn  tag",  bei  welchem  sich  ein 
Mann  als  Weibsbild,  ein  Weib  als  Mann  verkleidet 
Der  verkleidete  Mann  sitzt  vorne  im  Wagen,  der  die  letzten 
Trauben  nach  Hause  führt;  er  heißt  Herbstschmudl  und  hält 
einen  großen  Maibaum  in  der  Hand,  das  Weib  sitzt  mit 
dem  Rücken  gegen  ihn  und  trägt  einen  Korb  Blumen.  Bei 
Mühlhausen  im  Elsaß  trägt  das  augebliche  Weib  eine  möglichst 
kostbare  altmodische  Bauertracht  (Weiberrock  mit  goldenen 
Schaumünzen  behangen),  der  Mann  ein  mit  Ruß  geschwärztes 
Gesicht.  Sie  herzen,  küssen  und  drücken  einander  und  machen 
allerlei  Unsinn.  In  manchen  Orten  (z.  ß.  um  Schlettstadt)  sitzt 
auf  der  letzten  Karre  mit  Trauben  neben  den  schmucklosen  Maien 
nur  ein  ganz  russiger  Herbstschmudl,  der  alle  Begegnenden  mit 
seinen  russigen  Händen  schwarz  zu  machen  sucht.  Den  Wagen 
umgeben  die  übrigen  Arbeiter,  welche  im  Weinberge  sich  in 
altfränkischer  Tracht,  die  Weiber  als  Männer  die  Männer 
als  Weiber  ausgeputzt   haben.     Erwähnt  sei   endlich  der 


1)  Ausland  1872.  S.  471. 


Doppelt«  Dtntall.  d.  VegetatioDsdiinont  durch  Baum  o.  Menschen.    315 

eog^iMiie  Bnuieh  eine  ^^May  Lady,  Lady  of  the  May, 
Qneen  of  the  May  d.  h.  entweder  eine  sobenannte  lebende 
Person  in  eine  Lanbe  neben  den  Maibaum  zu  setzen,  oder  eine 
Poppe  dieses  Namens  an  denselben  zu  hängen.  Browne  in 
umsk  „Britania  pastorals  1625.  U^  122  beschreibt  das  Maifest 
UgendermaBen: 

As  J.  have  seene  the  Lad  j  of  the  May 

Set  in  an  arbow  (on  a  holy-day) 

Bnilt  bj  the  Mai-pole«  wherc  the  jocand  swaines 

Dance  with  the  maidens  to  the  bagpipes  straüies. 

In  Gentlemans  magazine  Octob.  1793  p.  188  wird  von 
Dr.  Geddes  erzählt ,  er  sei  ein  großer  Liebhaber  unschuldiger 
Festlichkeiten  gewesen,  „He  was  seen  in  the  summer  of  that 
fear  mounted  on  the  poles  behind  the  Queen  of  May 
ü  Marsden  Fair  in  Oxfordshire/'  ^  In  einigen  abgelegenen 
Orten  tragen  die  Kinder  noch  jetzt  eine  ganz  in  grfinbelaubte 
Btiomzweige  gehttilte  Puppe  und  mehrere  kleine  mit 
Kiiozen  geschmückte  Nachbildungen  des  größeren  May  poles 
einher  und  bitten  die  Vorübergehenden  um  einen  halipenny.' 

Die  angezogenen  Bräuche  reichen  aus,  um  die  Gewißheit 
u  begründen,  daß  in  den  Frühlings-  (resp.  Ernte-)  aufztigen 
der  Dämon  der  Vegetation  häutig  außer  dem  Maibaum  durch 
einen  in  junges  grünes  Laub  oder  Blumen  gehüllten  Bur- 
schen, oder  ein  ebenso  geschmücktes  Mädchen  dargestellt  wird. 
&  ist  derselbe  Genius,  der  den  Baum  beseelt  und  in  der  nie- 
den  Pflanze  wirksam  ist,  und  den  wir  schon  des  genauem  in 
dem  Abschnitte  über  den  Maibaum  und  Emtemai  kennen  lernten. 
&  ist  ganz  folgerichtig,  daß  er  auch  in  der  ersten  Blume  des 
Frühlings  sein  Dasein  offenbarend  gedacht  und  durch  ein  das 
Mairöslein  repräsentierendes  Mägdlein,  nicht  minder  aber  in 
Gestalt  des  Walber  (o.  S.  313)  als  Bringer  der  Getreideernte 
veranschaulicht  wird.  Der  Umzug  dieser  Nachhildumj  ffes  gött^ 
liehen  Wesens  brachte  vermeintlich  die  mimlichen  Wirkungen  ftlr 
das  Gedeihen  des  Federviehes,  der  Obstbäume,  der 
^ckerfruchi  hervor,   als   die  Gegenwart  der    Gottheit  sdbst     Mit 

1)  Brand,  pop.  Antiqu.  I.   S.  2*21.  258. 

2)  B.  Chambers,  The  book  of  Days  1864  I,  573,  wo  auch  eine  Abbil- 
^Qng  des  Brauches  gegeben  ist. 


316  Kapitel  IV.    BaningeiBter  als  Vegetationsdämonen: 

andern  Worten,  nicht  als  ein  Abbild ,  gondern  als  eine  wirkUche 
Stellvertreterin  des  Vegetationsnumens  galt  die  Maske;  deshalb 
wünscht  die  mit  dem  Maienröslein  und  dem  Maibaum  umziehende 
Gompagnie  denjenigen  Häusern ,  welche  die  Gabe  von  Eiern  imd 
Schinken  u.  s.  w.  verweigern,  daß  ilir  sie  die  Segnungen  der 
dem  einhergeftthrten  Dämou  innewohnenden  Kräfte  nicht  wirksam 
werden  mögen.  Wir  werden  scJdiefien  dürfen,  daß  überall  jene 
Bittgänge  mit  dem  Maibaum  (Maizweig)  von  Tür  zu  Tür  (o.  S.  162), 
„deti  Mai,  den  Sommer  bringen",  auch  toetm  der  Dämon  melU 
noch  besonders  durch  einen  Menschen  verbildlicht  mrdj  ursprüng- 
lich eine  ernst  getneitite,  so  zusageti  sakramentale  Handlung 
waren;  man  glaubte  ja  wirklich  in  dem  Zweige  unsichtbar  die 
Gottheit  des  Wachstums  gegenwärtig;  die  durch  die  Prozession 
jedem  Hause  zur  Heilspendung  nahe  gebracht  wurde.  Benamit 
ist  auch  der  menschlich  dargestellte  Vegetationsdämon  sehr  häufig 
analog  den  Bezeichnungen  „Sommer,  Mai,  Harkelmai '^  für  den 
Maibaum  und  Emtebaum  als  Maja,  Pere  May,  May-Lady,  Queen 
of  the  may,  er  verschmilzt  mithin  mit  einer  Personification  der- 
jenigen Jahreszeit,  in  welcher  er  seine  augenfälligste  Wirksam- 
keit übt.  Noch  deutlicher  ist  dieser  Vorgang  bei  dem  fränkische 
Walber  (o.  S.  313)  zu  beobachten.  So  enthält  auch  der  Name 
„grüne  Georg"  eine  Personification  desjenigen  Tages,  der  den 
Ostslaven  als  Tag  des  Frühlingsanfangs  gilt,^  indeß  der  Begriff 
unverkennbar  der  weit  ältere  des  Wachstumsgeistes  ist  Im 
Emtegebrauch  des  elsässischen  Herbstschmudl  sehen  wir  statt 
des  einen  weiblichen  oder  männlichen  Dämons  ein  Paar,  Mann 
und  Weib,  auftreten  und  es  wird  sich  weiterhin  ausweisen,  daB 
auch  diese  Variation  Grund  und  Verbreitung  hat. 

§  3.  Laubeinkleidnng.  Umgang  zu  Fuß.  Diese  Beob- 
achtungen an  die  Spitze  unserer  Erörterungen  in  diesem  Kapitel 
gesetzt  müssen  sich  als  entschieden  hinreichend  erzeigen,  um  die 
Reihenfolge  der  im  Nachfolgenden  zur  Besprechung  kommenden 


1)  Die  russiscbeD  Bauern  in  vielen  Gegenden  beginnen  am  St  Georgstage 
die  Landarbeit.  Der  b.  Juri  (Georg) ,  sagt  man ,  öffne  die  Erde,  fahre  den 
Tau  berab.  Ein  serbisches  Land  sagt,  daß  bei  Teilung  der  Erde  St  Georg 
Früblingsijlunien  bekam.  Nach  bulgarischen  Gedichten  umgeht  Georg  die 
Ackerplätze  und  siebt,  ob  das  Getreide  gut  wachse  u.  s.  w.  Afanasieff  I, 
705.    Vgl.  0.  S.  313  u.  S   317. 


LMibeinklaidniif:.     VmgKag  zu  FvR.  817 

■Ttbologiflchen  Figuren  als  eine  einheitliche  sofort  and  zweifellos 
erkennen  zu  lassen. 

ZanSchst  ist  wohl  soviel  klar,  daft  der  in  grüne  Zweige  ^ 
gefaflllte  Mensch  am  Frtthlingsfeste  auch  dann  den  im  Maibaum 
Terköiperten  Dämon  darstellt ,  wenn  dieser  nicht  besonders  durch 
du  einseines  individuell  hervorgehobenes  Bauniexemplar,  sondern 
duch  eine  Menge  in  Prozession  eingebrachter  grüner  Aeste,  oder 
ueh  gar  nicht  vertreten  ist  Zum  Erweise  hebe  ich  voriäufig  die 
folgenden 'Bräuche  hervor.  Nach  Henr.  Lubbart,  Pastor  zu  Boh- 
leadorf  bei  Lübeck  (f  1703)  wurden  im  März  von  den  Kindern 
lange,  mit  grünem  Laub  bewundene  Stecken  von  Haus 
10  Haus  getragen,  während  die  Knechte  mit  einem  Dudel- 
taek  umherziehend  einen  mit  sich  führten,  der  mit  einem 
ymm  Weiberrock  behangen  war.  ^  Diese  in  grünes  Zeug  geklei- 
dete Weibermaske  neben  den  Maienstecken  steht  der  litauischen 
Hiie  neben  dem  Maibaum  gleich.  Wie  in  Kämthen  wird  in  ver- 
iddedenen  Gegenden  Rußlands  zum  Georgstage  ein  schöner 
jiiger  Mann  ausgesucht  und  ganz  und  gar  in  Grün  geklei- 
det Man  legt  ihm  einen  großen ,  runden  mit  Blumen  geschmück- 
ten Kachen  auf  den  Kopf.  Er  trägt,  in  der  Hand  eine  Fackel 
schwingend,  diesen  Kuchen  ins  Feld  und  die  ihm  nachfolgenden 
Midchen  singen  zu  Ehren  St.  Georg's  hergebrachte  Gesänge. 
So  umwandeln  sie  dreimal  in  der  Runde  die  besäten  Fluren. 
Dann  bilden  sie  einen  Kreis  und  legen  inmitten  desselben  den 
Kichen  in  eine  Vertiefung  der  Erde.  Jetzt  wird  ein  Feuer  ange- 
niacht,  ein  Schmaus  bereitet  und  bei  diesem  der  wieder  aufge- 
nommene Kuchen  verteilt,  und  verzehrt,  so  daß  jeder  ein  Stück 
erhält'  Dieser  russische  Jüngling  ist  doch  offenbar  identisch 
nrit  dem  grünen  Georg  der  Slovenen;  der  bekränzte  Kuchen,  den 
er  anf  dem  Kopfe  ins  Ackerleld  trägt  und  dort  niederlegt,  ist 
eins  mit  dem  Brode,  das  man  in  Deutschland  beim  Beginn  der 
Ackerarl)eit  unter  den  Pflug  legt,  oder  bei  der  Ernte  in  die  letzte 
Garbe  bindet  (o.  S.  158)  sowie  mit  den  Semmeln,  welche  der 
Hndler  an  seinem  Leibe  trägt  (o.  S.  269)  ein  Symbol  der  Nah- 
"^ftlle  der  künftigen  Ernte,  an  der  jeder  sein  Teil  haben 
^   Die  Fackel  werden  wir  später  noch  verstehen  lernen.    Der 


1)  FastDachtsteafel  p.  6.    Myth.<  7dO. 

2)  Afmdeff  I,  706. 


318  Kapitel  IV.    Baningeister  als  VegetationsdimoneD: 

Prozession  des  pfere  May  in  Brie  (o.  S.  314)  entspricht  es,  dat 
im  Dep.  de  TAin  (Bourgogne)  am  ersten  Mai  8  — 10  ELnaben  ra 
einer  Gompagnie  zusammentreten ,  einen  ihrer  Genossen  in  Lanb 
kleiden  und  von  Haas  zu  Haus  gehend  Gaben  einsammeln.  Der 
ümhergeftlhrte  heißt  le  fouiU^  (==  le  feuillö?).  Hier  fehlt  der 
Maibaum  aber  die  im  tlbrigen  völlige  Uebereinstimmung  mit  dem 
Umgang  des  elsässischen  Pfingstniekel ,  PiSngstklötzel  bewEhit 
diesen  Umzug  als  denjenigen  des  Vegetationsgeistes. 

Dem  Mairöslein  im  Elsaß  entspricht  in  niederdeutschen  Land- 
schaften die  „  Pßngsiblume/'  In  Flandern  sang  im  17.  Jahrh. 
zu  Pfingsten  ein  ganz  junges  weiß  gekleidetes  Mädchen  mit. 
Blumen  und  Bändern  geschmückt  „die  Pinxterbloeme",  die  StraBe 
hin  geistliche  Lieder  und  sammelte  Almosen.  ^  In  Holland  soll 
nach  Grimm  noch  in  neuerer  Zeit  zur  Pfingstzeit  von  armen 
Weibern  die  Pinxterbloem,  ein  kleines  blumengeschmücktes 
Mädchen,  auf  einem  Wagen  sitzend  nmgefilhrt  worden  sein, 
uro  Geld  zu  erbetteln;'  in  Nordbrabant  umtanzt  man  dann  eine 
mit  der  Pfingstblume  (pinxterbloem,  uiversbloem  d.  i.  Iris  psend- 
acorus  nach  Buddingh,  oder  wahrscheinlicher  noch  Gonyallaria 
bifolia,  die  in  Oldenburg  Pinxterblome  heißt'),  gekränzte  Jung- 
frau und  singt  ein  Lied,  dessen  Anfang  lautet: 

Pinxterblom  Pfingstblume 

Eeer  oti  reis  oni         Kehrt  euch  einmal  nm> 

Ganz  ähnlich  ist  der  Zuruf  ans  Mairesele  „dreh  dich  dreimal 
um!"^     In  der  Grafschaft  Teklenburg  (Westphalen)  ziehen  die 


1)  Willems,  oude  vlaenischc  Liederen.  Inlcid.  VIII. 

2)  Myth;^  748. 

3)  Strackerjan,  Abcrgl.  u.  Saite,  a.  Oldenburg  LI,  52,  319. 

4)  Dr.  Hermans  Aardb.  381.  Buddiiigh.  Verhandoling  over  het  West- 
land.   Leyden  1844  p.  210  —  211.  351. 

5)  Zu  vergleichen  steht  auch  die  folgende  an  den  Maibaum  geknüpfte 
Sitte.  In  Elgersburg  bei  Ilmenau  ward  am  ersten  Pfingsttage  eine  bis  zur 
Krone  abgeschälte  Tanne,  an  der  ein  Kranz  aufgehängt  ist,  in  feierlicher 
Prozession  eingeholt,  aufgerichtet  und  von  den  Kindern  am  zweiten  Pfingst- 
tage umtanzt.  Dabei  bilden  sie  einen  großen  Kreis  um  den  Baum.  Zwei 
aber  von  ihnen  drehen  sich,  mit  einer  Hand  den  Baum  erfassend  um  den- 
selben bald  rechts,  bald  links,  bis  eines  das  andere  wegstolit.  Dieses  treibt 
wieder  eins  ans  dem  Kreise  zum  Baume  und  der  Vorgang  wiederholt  sich. 
Dabei  singen  sie:  Der  Summer,  der  Summer  ist  ane  schene  Zait,  Dos  mer 
sullen   lustig  sain   alle  junge   Lait.     Sehen's  all  af  mich  and  tnen's    all  af 


Lüb6iiiUeidiing.    ümg^ang  m  FaB.  819 

Kinder  am  Pfingsteachmittage  einher ,  indem  sie  mit  Knitteln 
bewaffiiet  einen  Knaben ,  der  ganz  mit  grtliien  Reisern  und  Pfrie- 
menkrant  (Ginster)  bedeckt  ist,  und  eine  Blumenkrone  auf 
den  Kopfe  tr9gt  vor  sich  her  treiben.  Man  hat  dazu  offen- 
bir denjenigra  aasersehen,  der  moi^ns  zuletzt  aus  dem  Bette 
kam.    Denn  die  Verfolger  singen: 

I^Dgsterblome 

fUe  sAge  (Saa)! 

haratii  6r  appestann 

harr  et  di  ken  leid  edannl* 

Gleicherweise  nennt  man  zu  Wittround  in  Ostfriesland  das 

'Qletzt  an^estandene  Mädchen  Pingsterbloeme.'     Man  erinnere 

Aich,  daS  mit  der  Schmackoster  -  und  sonstigen  Lebensmte  die 

-[.««uigBehULfer  aus  dem  Bette  getrieben  wurden  (o.  8. 257  ff.)  und  dafi 

di€8e  Sitte  anch  die  Lerchen,   also  den  Frtlhling  wecken   hiei 

Co-  S.  253).     Lag  diesem  Zuge  vielleicht  ursprünglich  die  Beden- 

^a.ng  einer  Darstellung   der  Ueberlieferuug    der  Triebkraft  des 

a^lteo  Jahres  an  die  aus  dem  Winterschlafe  geweckten  Vegcta- 

^ttcmdämonen  des  neuen  Jahres  zu  Grunde?    Dann  dürfte  auch 

^ier  die  Pfingstblume  den  zuletzt  erwachten,  jüngsten  Pflan- 

zcogeist  des  Frtthlings  yeranschaulichen.     Der  Identifizierung  des 

^^Mbstomsgenius  mit  einer  Blume  entspricht  es,  wenn  der  ihn 

i^riUientierende  Mensch    nach    einem   Baume   benannt  ist.     Im 

^Temement  Woronesch  hielt  man  am  Trinitatissonntagc  einen 

Umgang  mit  einem  MÄdchen,  welches  „Vappel*'  genannt  wurde 

ond  hellglänzende  Blumen  in  ihren  Haaren  trug.^ 

Erscheint  hier  der  Dämon  in  einer  (alle  übrigen  mit  vertre- 
ten) Pflanze  verkörpert,  so  lassen  andere  Formen  desselben 
(vebranehes  deutlicher  den  Gedanken  an  das  gesammte  Pflanzen- 
pön  hervortreten.  Unter  diesen  Bräuchen  kann  man  zwei  Haupt- 
lonnen  unterscheiden;  nach  der  einen  wird  die  in  Laub  einge- 
Ueidete  Person  zu  Fuße  ins  Dorf  geführt,  nach  der  andeni  in 
^m  berittenen  Zuge  aus  dem  Walde  geholt. 

^H _  Dreh  dich  mal    ftm   nnd  noch  emal   um   und   wieder 

°»»l  rtirom.    Kuhn,  Mark.  Sag.  325.    Cf.  auch  o.  8.  Iftl. 

l)Kuhn,  WestfaL  Sag.   11,160,450.     Firmenich,  Germ.  Völkerstim- 
nwn  1,369. 

2)  Kühn,  Nordd.  Sag.  388,  72. 

3)  Balaton  S.  234. 


320  Kapitel  lY.    Baumgeister  als  VegetationsdATnonen : 

In  der  Kuhla  ziehen  die  Kinder,  sobald  die  Bänme  anfangen 
grün  zu  werden,  in  den  wiederbelaubten  Wald,  wählen  eines 
aus  ihrer  Mitte  zum  Laubmännchen,  dieses  binden  sie  Yom 
Kopf  zum  Fuße  in  grüne  Baumzweige,  so  daß  nur  seine  Schuhe 
sichtbar  bleiben.  Wo  die  Augen  sind,  hat  man  kleine  Oeffiinngen 
gelassen  und  über  dem  Kopfe  sind  die  Zweige  zu  einer  Art  E^rone 
geformt.  Bunte  Bänder,  wollene  und  seidene  Tücher, 
die  von  den  Mädchen  zu  diesem  Zwecke  hergeliehen 
sind,  hängen  zu  allen  Seiten  des  Laubmännchens  herab, ^ 
welches  seine  Gespielen  tanzend  und  singend  durchs  Dorf  führen. 
Ebenso  geschah  es*^in  dem  benachbarten  Ettenhausen  bei  Mark- 
suhl und  in  Allendorf  bei  Salzungen  (Meininger  Oberland).  Die 
Begleiter  des  Laubmäunchens  begehrten  und  erhielten  bei  ihrem 
Umzüge  von  Haus  zu  Haus  Victualien  (Eier,  Spqck^  Wttrtle, 
Kuchen).  Zuletzt  besprengten  sie  den  Laubmann  mit 
Wasser  und  hielten  von  den  gesammelten  Gaben  einen  gemein- 
schaftlichen Schmauß.^ 

In  der  Gegend  von  Usingen  (Nassau)  ist  „Lanbpnppe^ 
der  Name  des  eingehüllten  Knaben.^  In  Niederbaiem  hieB  das 
Laubmännchen  Pfingstl.  Er  ti*ug  eine  sehr  hohe,  spitzig  ans- 
laufende,  auf  den  Schultern  ruhende  Kappe  aus  Wasserblumen 
(oaltha  palustris?)  und  ihren  langen  Stengeln  gemacht,  ihre  Spitze 
zierte  ein  Kranz  von  Pfingstrosen.  Nur  zwei  Oefinungen  für  die 
Augen  waren  gelassen,  über  denen  zwei  Kränze  von  Wicken - 
und  Feldblumen  angebracht  waren.  Aus  Wasserpflanzen  bestan- 
den auch  die  Aermel  der  Kleider.  Was  Kappe  und  Aermel  nicht 
deckten,  wurde  mit  Erlen-  und  Haselnußlaub  bekleidet.  So  war 
der  Pfingstl  ganz  in  Laub  und  Blumen  eingehüllt.  ,Zu  beiden 
Seiten  gingen  die  Weiser,  welche  dem  Pfingstl  die  ausgestreck- 
ten Arme  trugen.  Sie  und  alle  Knaben,  welche  den  Pfingstl 
von  Haus  zu  Hause  begleiteten,  trugen  entblößte  Schwer- 
ter, nur  die  Träger  der  eingesammelten  Geschenke  nicht  Die 
Leute  erwarteten  den  Pfingstl  im  Verborgenen  und  ttberschttt- 


1)  Also  genau  so  wie  beim  Maibaum  geschieht. 

2)  Reimann,  D.  Volksfeste  S.  159—00.    A.  Witsche!,  Sitten  u. Gebräuche 
a.  d.  Umgegend  v.  P^isenach  18GG.   S.  13. 

3)  Kehrein,  Volkssjirache  und  Volkssitte  im  Herzogt.  Nassau.     Volks- 
sitte S.  15G,  3. 


liMibdiiklaicIiiiig.    TJmgtmg  m  Fafi.  831 

teten  ihn  mit  Wasser,  soviel  sie  konnten.  Alle 
JBbelten  nnd  frenten  sich,  wenn  der  Pfingstl  tüch- 
tig begossen  wurde.  Während  des  BeschUttens 
gingen  einige  Knaben  in  das  Haus  und  erhielten  eine 
(fftbe.  War  so  der  Zug  durch  das  ganze  Dorf  gewandert,  so 
wurde  der  PfingsÜ  in  den  Bach  hineingeführt,  wo  er  bis 
nur  lütte  des  Leibes  im  Wasser  stand.  Dann  ging  einer  der 
Vdaer  auf  den  Steg  und  haute  dem  Pfingstl  den  Kopf 
ib.  Den  Schluß  bildete  ein  iröhliches  Mahl,  wobei  die  gesam- 
iselten  Gaben  verzehrt  wurden.^  In  Schwaben  vermummen 
&  Viehhirten  oder  sonstige  Bursche  vieli'ach  einen  ihrer  Kame- 
nim  in  blühende  Pfriemen  (ein  Strauch  mit  gelben  scjio- 
teBtftigen  Blumen),  überziehen  sein  Qesicht  mit  Baum- 
rinde, setzen  ihm  eine  grüne  spitze  Laubmütze  auf  den  Kopf, 
und  behüngen  ihn  von  vorne  und  hinten  mit  Kuhschellen 
Bnd  Kuhglocken.  In  manchen  Gegenden  besteht  die  Ver- 
munmang  ans  Tannenreisem.  Der  Vermummte  heißt  Pfingst- 
Iflmmel,  oder  Pfingstbutz.  Er  wird  Gaben  heischend  durchs 
Dorf  geftthrt,  zuletzt  wol  auch  unter  Stroh  und  Mist 
vergraben.* 

Im  Erzgebirge  wird  der  am  ersten  Pfingsttag  zuletzt  aus- 
treibende Hirte  verlacht  und  Pfingstl ümniel  gescholten,  so 
ineb  in  jedem  Haus  der  zuletzt  im  Bette  Angetrof- 
fene. In  mehreren  Thüringischen  Orten  wird  schon  am  ersten 
Phgsttage  der  ELnecht ,  der  sein  Vieh  am  spätesten  auf  die  Weide 
treibt,  in  Tannen-  und  Birkenzweige  gehüllt  und  unter 
dem  lauten  Geschrei:  „Pfingstschläfer!  Pfingstsehläfer!'' 
darcb  das  Dorf  gepeitscht.^  Dieses  Peitschen  des  Lang- 
Mhlftfers  erinnert  an  das  aus  dem  Bette  Peitschen  mit  der  Schmack- 
OBterrute. 

Abweichend  ist  die  Ausrüstung  des  Pfingstlümmels  im 
Angbachischen.  Da  verkleiden  die  Buben  einen  aus  ihrer  Mitte 
nüt  alten  zerrissenen  Kleidern,  schwärzen  ihm  das  Gesicht 
luit  Kuß,  umflechten  ihn  mit  Strohbändern  und  fahren  ihn  mit 
Eile  und  großem  Lärm  auf  einem  von  2  Pfluggestellen  zusam- 

1)  Panzer  1,235,261. 
5«)  E.  Meier  S.4fÖ,94.  95. 
5)  Myth.*  74G. 

"»ttöbtrdt  21 


322  Kapitel  TV.    Banm^ister  als  VegetatfoDBd&monen: 

mengesetzten  Wagen  von  Haus  zu  Haas,*  Die  Sehwärzang  des 
Gesichts  trafen  wir  schon  beim  Herbstschmndl  an,  wir  werden 
ihr  in  den  Emtegebränchen  bei  Darstellung  der  Komdämoneii 
vielfach  wiederbegegnen.  Sie  ist  mithin  keineswegs  bedeatinigB- 
los  und  zwar  scheint  sie  mir  in  roher  Weise  ausdrucken  zu  wA- 
len,  daß  der  dargestellte  Dämon  ein  nicht  sichtbares,  fUr  menseh- 
liche  Augen  dunkles  unheimliches  Wesen,  ein  Schatten,  ein 
Gespenst  sei.'  Mit  dieser  Art  Darstellung  mag  es  yielleicht 
zusammenhangen,  daß  in  London  die  Kaminfeger  am  ersten  Hai 
sich  gleichsam  sämmtlich  als  Vertreter  dieser  unsichtbaren  Vege- 
tationsdämonen  constituieren ,  und  in  Gompagnien  geteilt 
unter  närrischen  Verkleidungen  von  Goldpapier  u.  s.  w.  die  StraAen 
durchziehen,  indem  sie  zum  Tacte  ihrer  Schaufeln  und  Bflrsteii 
tanzen.  Größere  Gompagnien  haben  einen  Fiedler  bei  sich  und 
einen  Hans  in  Grttn  (Jack  in  the  green),  d.h.  einen 
Burschen,  der  in  einer  zuckerhutförmigen  Piframide 
von  Reiserwerk  steckt,  welche  mitBlumen  und  grtt- 
nem  Laube  (oft  Stechpalmen  undEpheu)  bedeckt  ist, 
und  oben  in  eine  Krane  von  Blumen  und  Bändern  aus- 
läuft, welche  von  einem  Fähnchen  überragt  wird.  Dieses  Gtestell 
über  den  Kopf  gestülpt,  tanzt  er  seinen  Grcfährten  zum  großen 
Vergnügen  der  Zuschauer  vor.  Zuweilen  gesellen  sich  auch  noch 
ein  Lord  und  eine  Lady  of  the  may  hinzu.  Von  diesen  später.' 
Doch  auch  andere  Leute  aus  dem  andern  Volk  putzten  „Jacks 
o  the  green''  aus,  welche  in  den  Vorstädten  Londons  tanzten, 
und  auch  die  benachbarten  Orte  und  kleinen  Städte  besuchten. 
Sie  trugen  oft  nur  die  stattliche  Livree  eines  Lordmayorsdieners, 
dabei  aber  einen  mit  Bändern  und  Blumen  geschmückten  Hut 
und  einen  in  Blumen  gehüllten  Stab,  deutlich  eine  Abschwächnng 
der-  Laubeinhtillung.* 

1)  Panzer  11,90,  138.    Geschwärztes  Gesicht  auch  o.  S.  162.  314. 

2)  Vgl.  die  Darstellung  des  Todes  als  langer  schwarzer  Mohr. 
G.  Schuller,  Volkstüml.  Glauhe  und  Brauch  bei  Tod  und  Begrfibniß  in  Sie- 
benbürgen I,  S.  5.  Busswurm,  Eibofolke  II,  §395,5:  Schwarz  wird  auch 
der  Teufel  gedacht  als  nächtiges  Wesen.    Myth.>  945. 

3)  S.  Strutt ,  the  sports  and  pastimes  of  the  people  of  England.  Lon- 
don 1841.  p.  358,  XX.  Hone,  Every  Daybook  1866.  1,  292  ff.  Daselbst 
befindet  sich  eine  Abbildung  des  Aufzuges  aus  dem  Jahre  1825.  Bhuid, 
populär,  antiqu.  ed.  Ellis  1,231 —232. 

4)  Hone,  Every  Daybook  11,289. 


Lanbeinkleidiiiig.    Umgang  zu  Fuß.  828 

Auch  in  einigen  (fegenden  Frankreichs  z.  B.  (Moni  de  Mar- 
OD  Mp.  des  LfUides)  wird  ein  Reisergestell  mit  Laub  bekleidet, 
eb  Borsehe    hineingesteckt   und   durchs   Dorf  geführt  (mtindl.) 
Im  Friekdud  (Aargan)  bezeichnet  man  ein  ganz  ähnliches  Korb- 
gefledit   mit   dem  Ausdruck  Pfeisthntte  (Pfingstkorb).     Auf 
dneni  lange  yorher,  sobald  die  Bäume  ergrttnen,  ansersehenen 
Platze,  wird  es  im  Walde  in  aller  Heimlickkeit  verfertigt,  damit 
ttdere  mit    gleichem   Vorhaben   den   Veranstaltern   nicht  etwa 
nroriLommen.    Lange  Laubzweige  sind  pyramidal  um  zwei  Bei- 
ün  zusammengeflochten ,  die  in  Mannshöhe  parallel  ttber  einan- 
der gestellt  sind  und  von  der  Spitze  herab  muß  ein  großer  Blu- 
neutraflA  nicken.      Dem    hineingeschlüpften    Knaben   sitzt  der 
Obtfreif  auf  der   Schulter  auf  und«  erleichtert  die  Tracht;  der 
oiere  hilft  die  Waden  decken ;  wo  das  Gesicht  zu  stehen  kommt, 
meht  der  Träger  sich  etwas  Luft  zum  Atmen  und  Durchblicken ; 
die  ganze  Gestalt   erscheint  wie  ein  wandelnder,   rauschender 
Bueh.     Während    des  Bosenkranzgebetes  am   Abend   um  fünf 
endieint  diese  Pfingsthtttte  plötzlich  im  Dorfe.     -Drei  Knaben 
Bmdderai  vorauf  und  blasen  auf  dem  aus  Weidenrinde  geschnit- 
teien  Pfingsthom.    Von  Pfarrer  und  Wirt  erhält  der  Umzug  ein 
61u  Wein.     Darum  ist  es  aber  den  Veranstaltern  weniger  zu 
tos,  als  um  das  Becht,  ihre  Pfingsthutte  zum  Schluß  auf 
den   Hauptbrunnen    des    Dorfes    zu    pflanzen   und  hier 
behaupten  zu  können.    Denn  gleich  sind  dann  auch  die 
Buben  des  obern  oder  untern  Dorfes  bei  der  Hand,  um 
dieHtttte  hier  abzunehmen,  zu  erobern  und  im  Triumphe 
tif  dem   Brunnenstocke    ihres   eigenen   Dorfteiles  auf- 
iQpflanzen.   Daß  es  dabei  schließlich  zum  Handgemenge 
kommt,  bedarf  keiner  Versicherung.     Dieser  Brauch,  der 
bnBadischen  das  Pfingsthüttel  heißt, ^  berührt  sich  auf  das  nächste 
nut  dem  o.  S.  241  beigebrachten  Brauch  der  Elsässer,  zu  Neujahr 
einea  Maibaum  auf  den  Brunnenrand  zu  pflanzen,  und  lehrt  wieder 
die  mythologische  Identität  des  Baumes  und  des  laubeingehttllten 
VeoBchen.    In  Hessen  wurde  derjenige  Hirt,  welcher  zuletzt  auf 
der  Pfingstweide  tokam ,  an  Armen  und  Beinen  gefaßt  und  mit 
der  Kehrseite  gegen  einen   Baum  gerannt.     Hierauf  spielte 
^^^  allerlei  heitere  Spiele,  z.B.  bewand  man  in  Kauschen- 


1)  Rochholz,  Alcmannischüs  Kinderlicd  507—8,  102. 

21* 


324  Eapitel  IV.    Bauingfeiater  als  VegetationadAmonen: 

berg  einen  Mann  vom  Kopf  bis  zu  Füßen  ganz  dicht  mit 
gelben  Wiesenblumen.^  Zu  Laufenfelden  b.  Langenschwal- 
bach  in  Nassau  wird  am  2.  Pfingsttag  der  Schnak  gemacht 
Die  Buben  des  Ortes  bewickeln  in  einer  Scheune  einen  dazu  an»- 
ersehenen  Kameraden  an  Händen ,  Füßen  und  am  ganzen  Körper 
mit  Farrenkraut  (Schnakenkraut).  Auf  den  Kopf^wird  ein  Kreuz 
gebunden,  das  mit  Herrgottsschückelchen  (Schotenklee ,  lotns 
comiculatus)  geziert  ist.  An  das  rechte  Bein  wird  eine 
Schelle  gebunden^  in  die  rechte  Hand  bekommt  er  einen 
dicken  ELnotenstock.  Nach  beendigter  Nachmittagskirehe  wird 
der  Schnak  zur  Schau  im  Ort  herumgetrieben.  Seine  Begleiter, 
deren  jeder  von  einem  Mädchen  einen  Schnakenstrauft  erhMltf 
teils  mit  langen  Ruten,  teils  mit  Säbehi,  Geldbüchsen  n.  s.  w. 
versehen,  laufen  von  Haus  zu  Haus  und  sammeln  Eier,  Elreozer, 
Speck  u.  s.  w.^  Am  Drömling  (Altmark)  wird  am  2.  Pfingsttag 
von  den  Hirtenjungen  einer  der  Art  verkleidet,  daß  man  ihm 
zwei  Weiberröckc  anzieht,  deren  einer  über  den  Kopf  genom- 
men und  zu|^ebunden  wird.  Dann  hüllt  man  ihn  in  Maien  ein, 
hängt  ihm  Blumenkränze  um  Hals  und  Arme  und  setzt  ihm  eine 
Blumenkrone  auf  den  Kopf.  Er  heißt  „der  fttstge  MaL^ 
Die  mit  ihm  umziehenden  Knaben  singen  vor  den  Häusern: 

Gdden  Dag,  goden  Dag! 
Wat  gebet  jüch  (ihr)  den  Fiistge  Mai? 
Gebet  jüch  tisch  (ans)  Schock  Eier  nist, 
So  wören  (gewährleisten?  schützen?)  wi  Wischen  (Wiesen) 

und  Koren  (Korn)  nist* 

Bei  Oebesfelde  (Kr.  Gardelegeu)  lautet  der  Spruch  beim 
Umzüge  des  Ftistje  Maier: 

gäwen  se  ans  de  eier  nich, 

so  legen  de  höner  npt  jär  ök  nich. 

so  weren  wi  wischen  an  koren  6k  nich. 

Dem  Ftistge  Maien  stehen  (zuweilen)  ein  König  und  mehrere 
Beamte  zur  Seite,  ein  Führer  (Leier),  ein  Korbträger  (zur  An- 
nahme der  Eier),  ein  Tabelträger  (flir  den  Speck),  ein  Hunde- 
Schläger    und   Katzenschläger,    um    Hunde    und    Katzen    abzu- 


1)  Mülhause ,  Urreligion  S.  21G. 

2)  Kehrein,  Volkssitte  S.  157,4. 

3)  Kahn,  Mark.  Sag.  321  ff. 


Laalmiiihlklliiiig.    Der  Umgang  zn  FqB.  385 

wdireo.*  Um  Ftlratenwalde  heüt  der  von  den  Ochsoiynngen  am 
iwdten  Pfiogsttage  amhergefllhrte  Knabe,  der  in  Maibnsch 
gehlllty  eine  Blamenkrone  auf  dem  Kopfe  und  in  jeder 
Hftnd  eine  Glocke  trägt,  Kadernest  oder  Kandemest  In 
dem  Bettelliede  heiBt  es : 

Küdernest,  küdeinest 
hippel  nf  de  Straße, 
hat  in^ii  jelen  strök  gel^jen, 
ia  janz  jrün  und  jel  jewordefi.* 

In  der  Gegend  von  Ertingen  (Wttrtemberg)  läßt  man  am 
Vonnittage  des  Johannistages  den  Latzmann  im  Dorfe 
Mhen.  Dieser  Liatzmann  (der  faale  Mann  von  ahd.  laz  träge,' 
weil  wthneheinlich  ehedem  deijenige  den  Latzman  spielen  mnßte, 
der  ndetzt  aas  dem  Bette  gekommen  war)  ist  ein  Knabe,  der 
nnnelitlMir  aus  einem  aus  Stangen  und  Latten  zusammengenagel- 
ten Gestell,  welches  völlig  mit  Tannenreisern  verkleidet  ist, 
henoDgeht  Er  hat  eine  Glocke  bei  sich  drin  und  schellt, 
nlUirend  er  geht  Sein  Gefolge  besteht  aus  einer  ganzen  Anzahl 
eharacteristisch  herausgeputzter  Personen,  einem  Läufer  mit  rot- 
beUoderter  Peitsche,  einem  Oberst  mit  Ofliziershut  und  Säbel, 
dam  kommen  der  Trabant,  der  Hanswurstl,  der  Metzgerbursch, 
der  Schmakhaf,  der  Mehlsack,  der  perkrätt,  der  Engel,  der 
Teufel,  die  Hexe,  das  Bäuerlein,  das  Bttntelein  und  zuletzt  der 
Doctor.  Jede  dieser  Personen  sagt  vor  den  einzelnen  Häusern 
^en  Spruch  her.  In  Sauggart  geht  der  Latzmann  schon  am 
zweiten  Ptingsttag  mit  seinem  Gefolge  umher.  Hier  ist  es  aber 
ein  vom  Kopf  bis  zu  den  FUßen  in  Stroh  gehüllter  Bursche ,  den 
Sehnlbuben  mit  Strohseilen  hüben  und  drüben  ftthren.^ 

Wir  machen  eine  kurze  Rast,  um  schon  jetzt  wieder  aus 
den  mitgeteilten  Traditionen  die  bedeutsamen  Züge  hervorzuheben 
iindj  soweit  es  bis  dahin  schon  geschehen  kann,  zu  erläutern. 
Die  Figur,  welche  unter  dem  Namen  grüner  Georg,  le  fouillö, 
Lanbmännchen ,    Laubpuppe,  Pfingstl,  Pfingstnickel ,  Pfingstlüm- 


1)  Knhn ,  Nordd.  Sag.  382 ,  i]3. 

2)  Kühn  a.  a.  0.  rWT) ,  67. 

<J)  Birlinger ,  Wörterbüchlcin  zum  Volkstttinlichen  buh  Schwaben.    Frei- 
^^g  i.  Br.  1862.    S.  57. 

^)  BirHnger,  Volkstüml.  a.  Schwaben  II.    S.  lU,  144  ff.  120.  145. 


326  Kapitel  17.    Bamngeister  als  Vegetationsdimoneo: 

mel,  Pfingstbntz,  Küdernedt,  Schnak;  Latzmann  n.  8.  w.  zn 
St  (xeorg,  Maitag,  Pfingsten  oder  St  Johannis  von  Hans  m 
Hans  gefUhrt  wird,  ist  entweder  in  ein  mit  Laub  und  Blumen 
umwickeltes  ReisergesteU  (Jack  in  green,  PfingsthttttC;  Latzmann) 
versteckt,  oder  unmittelbar  in  Baumzweige,  Wald*  und  Wiesen- 
blumen gebullt  Sein  Gesiebt  deckt  zuweilen  (PfingstlUmmel  in 
Schwaben)  eine  Maske  aus  Baumrinden.  Er  soll  also  den 
im  Baume  hausenden  Geist  darstellen ;  denselben  Gedanken  drttckt 
die  hessische  Ceremodie  aus,  den  letzten,  der  auf  der  Pfingst- 
weide  ankam,  mit  der  Kehrseite  gegen  einen  Baum  zu  rennen; 
er  wird  als  mit  dem  Baumgeiste  identisch  bezeichnet  Diese 
Identität  drückt  auch  noch  ein  anderer  Umstand  aus.  In  Wahr- 
stedt  bei  Oebisfelde  wird  zu  Pfingsten  gelost,  wer  Fttstge  Maier 
(o.  S.  324)  sein  soU.  Das  den  Füstge  Maier  anzeigende  Loos  ist 
dadurch  besonders  kenntlich,  daß  derStab  gesehklt 
und  die  Rinde  nachher  in  Schlangenlinien  darum 
gewickelt  ist,^  gradeso,  wie  derMaibaum  in  Ringeln 
geschält  ist'  Oft  bilden  nur  Feldblumen  (Pfriemkraut),  Kraut 
(Farrenkraut)  oder  Stroh  die  Umhüllung;  danach  heiftt  der 
Pfingstl  im  Nassauischen  Schnak,  in  der  Altmark  zuweilen 
der  bunte  Junge.^  Diese  Verkleidung  und  die  noch  häufigere 
Mischung  von  Laub  und  Blumen  erweisen  deutlich,  daß  nicht 
allein  der  in  den  Bäumen,  sondern  auch  der  in  Wald  und  Feld- 
kräutem  lebendige  Genius  gemeint  sei.  Einen  Versuch,  die 
geisterhafte  Natur  dieses  Wesens  anzudeuten,  fanden  wir  in  der 
Schwärzung  mit  Ruß,  welche  einige  Beispiele  aufweisen  (o.  S.  322) 
Pfingstlümmel,  Kudemest,  Schnak  und  Latzmann  sind  sämmtlich 
mit  einer  oder  mehreren  Glocken  oder  Schellen  ausgerüstet, 
welche  ans  Bein  gebunden,  in  der  Hand  getragen,  um  den  gan- 
zen Körper  gehängt  werden.  Ich  halte  dazu,  daß  in  den 
Weihnachtsgebräuchen  der  bescheerende  heil.  Christ  durch  ein 
geheimnißvolles  Geklingel  mit  feinem  Glöckchen  seine  Ankunft 
verrät  und  daher  Klinggeest   (der  klingende  Geist)  benannt 


1)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  383,63. 

2)  Vgl.  0.  S.  169.  172.  177  und  vielfach  sonst.  Z.B.  in  Belgien,  „tont 
antour  de  Tarbre  nne  longue  raie,  qui  de  loin  ressemble  a  un  bean  et  large 
ruban"  Coremans,  l'annee  Belgique  p.  137. 

3)  Kuhn,  mark.  Sagen  S.  317. 


Lubeüikleidaiig.    Regenmädcken.  327 

wilde.  ^  und  daft  St  Niklas,  Knecht  Rupreoht,  Pelzmärte  u.  s.  w. 
mit  ScheUen  behängen  antlreten. '  Wir  werden  später  auch  in 
dieser  bald  Klaa,  bald  Kaprecht ,  oder  Märten  benannten  Figur 
doe  besondere  Form  des  Vegetationsdämons  kennen  lernen.  Auch 
im  deutschen  und*  engliachen  Fastnachtbrauch  trägt  der  den 
Umgestaltigen  Dämon  des  Getreides  darstellende  Mensch  eine 
Gloeke  auf  dem  Kücken.  Ich  schließe  daher ^  daft  Glocke  oder 
Sehelk  nir  onprtinglichen  Darstellung  des  Wachstumsgeistes 
griiOrten  und  eine  notwendige  Seite  seines  Wesens  andeuten 
sollten.  Znr  Erklärung  kommt  mir  die  feine  Beobachtung  Edw. 
I^bm  in  den  Sinn,  daß  Naturvölker  den  Abgeschiedenen  oder 
Geipenslemy  Summen ,  Schwirren,  Pfeifen,  Quiken  oder  Zirpen 
gkidisam  den  Geist  emer  Stimme  als  Sprache  zuschreiben  ^  und 
ebendahin  schlägt  ein,  daß  die  Erscheinung  der  Gespenster  sich 
00  hftufig  durch  Kettengerassel  ankündigt  Sollte  nicht  die  Glocke 
die  gdsterhafle  Stimme  des  Vegetationsdämons  auszudrücken 
bestimmt  gewesen  sein  ?  Die  Umfahrt  des  Pfingstlümmels  auf  2 
Pfliggestellen  und  die  Drohung  mit  der  Unfruchtbarkeit  der  Hüh- 
Ber,  der  Wiesen  und  des  Komackcrs  über  die  Verächter  des 
Kndemestes  bewährt,  daft  man  von  dem  Umgange  ganz  ernstlich 
eine  segnende  Einwirkung  auf  Haustiere,  Heuertrag  und 
Ackerfrucht  erwartete  (vgl.  S.  312). 

§.4.  LaabumUeldung.  RegenmXdelien.  Eine  besondere 
Betrachtung  verdient  die  Wasserbegießung  oder  die  Eintauchung 
in  Bach  oder  Teich ,  welcher  wir  das  Laubmännchen ,  den  Pfingstl 


1)  8.  Handelmann ,  Weihnachten  in  Schleswig- Holstein  S.  19.  Schütze, 
Idiotikon  I,  10.  II,  17.  In  Hamburg  hing  ein  großer  Junge  ein  Bettlaken 
^  ud  strich  die  Treppen  auf  und  nieder  mit  feinen  Glöckohen  und  Schel- 
^  klingebd.  —  Nicht  hiehcr  zu  ziehen  ist  der  Schellenmoritz  des  Lette- 
^twr  Pfingstumgangs ,  denn  dieser*  heißt  nach  dem  h.  Mauritius,  dessen 
1*11  verfertigtes  Steinhild  in  der  Moritzkirche  zu  Halle  nach  der  Sitte  jener 
Zeit  am  Gürtel  mit  Schellen  und  Kettchen  behangen  steht. 

2)  Vgl.  den  Beim  aus  Friedrichstadt  a.  Eider:  St.  Niklasäwen,  denn  geit 
winabäben,  denn  klingelt  de  klokkcn.  denn  danzen  de  poppen  u.  s.  w. 

Im  Danziger  Werder:  Heiige  Krist  du  g6de  mann,  treck  din  besten  tab- 
'^rtan,  komm  veer  onse  deer,  klinger  ons  wat  veer.  —  Im  Bemsthal  in 
Wöitemberg  hält  in  der  Adventszeit,  sonst  in  Schwaben  am  Weihnachtsabend 
der  Pelzmärte  seinen  Umzug;  er  trägt  eine  alte  Schelle  (und  einen  Koch- 
ten) Meier,  Sagen  S.  460,  196.  465,  214. 

3)  Urgeschichte  der  Menschheit  I,  446. 


328  Kapitel  IV.    Baomgeister  als  Vegetationsdamonen: 

unterworfen  sahen.  Denn  dies  stimmt  genan  daza,  daft  jener 
mit  weiblichen  Grewändem  bekleidete  Baum -bei  den  Bossen  (o. 
S.  157)  am  Trinitatisfeste;  im  Yoigtlande  zu  St.  Johamüs  der 
Maibaum  und  der  Johannes  (o.  S.  170),  in  Kämthen  am  Maitag 
der  grüne  Georg  (o.  S.  313)  ins  Wasser  geworfen,  in  der 
Grafschaft  Mark  die  mit  dem  Mai  umgehende  Compagnie  der 
Pfingstknechte  oder  Maienknechte  mit  Wasser  besprengt  (o.  S.  162), 
in  Polen,  Schlesien  und  Siebenbirgen  das  Mädchen,  welches  zu 
Ostern  die  FrUhmette  verschlafen  hat  [d.  h.  zuletzt  erwacht  ist, 
wie  der  l^gstlttmmel,  Pfingstschläfer  u.  s.  w.  o.  S.  321]  gewalt- 
sam gebadet,  resp.,  damit  der  Hanf  gut  wachse,  benetzt, 
bei  der  Ernte  der  Träger  des  Emtemais,  resp.  dieser  selbst  oder 
die  letzte  Garbe  begossen  wird  (o.  S.  214).  Wir  wissen  bereits, 
daß  diese  Geremonie  ein  Regenzauber  war,  wofUr  sttdeuropäische 
Bräuche,  die  schon  J.  Grimm  teilweise  angezogen  hat  (myth.* 
561)  den  vollständigen  Beweis  liefern.  Wir  vermögen  von  dem 
gewonnenen  Standpunkte  aus  etwas  tiefer  in  ihre  Bedeutung  ein- 
zudringen. Nach  Dr.  Theod.  Kind  in  seiner  Sammlung  neugrie- 
chischer Volkslieder.  Lpz.  1833  S.  13  wählen  die  Kinder  auf 
Dörfern  und  in  kleinen  Städten  in  Griechenland,  wenn  ttber 
vierzehn  bis  zwanzig  Tage  anhaltende  Dttrre  und  Trockenheit 
herrschte,  unter  sich  eines,  am  liebsten  ein  Waisenkind,  weil 
Gott  die  Bitten  der  Armen  und  Waisen  besonders  erhöre.  Dieses 
Kind  wird  mit  Kräutern  und  Blumen  des  Feldes  vom  Kopfe  bis 
zu  den  Füßen  geschmückt  und  verhüllt,  nachdem  es  vorher  bis 
auf  die  bloße  Haut  entkleidet  worden  ist;  man  nennt  es  JTvQTirj- 
Qovnt.  Die  andern  Kinder  ziehen  mit  ihm  von  Haus  zu  Haus 
und  singen  das  nachfolgende  Lied.  Jeder  Hausherr  und  jede 
Hausfrau  müssen  der  rivq/rrj^ovvu  einen  Para  (V2  Pfenning)  geben, 
und   ein  Fäßchen  Wasser  über  ihr  Haupt  ausgießen.    Das  Lied 

• 

lautet : 

PyrpiruDa  geht  umher, 
Betet,  fleht  zu  Gott  dem  Herrn; 
Einen  Regen  gieb'  uns,  Gott, 
Einen  Regen,  fruchtbar  sanft, 
Dali  da  keimen,  daß  da  blühen 
Und  auf  daß  die  Welt  bereichern 
Des  Getreides  grüne  Saaten 
Und  der  Baumwoir  teure  Pflanzen, 
Und  die  frischen  duftgen  Kräuter! 


Lanbeinkleidang.    RegcDmadchen.  SS9 

WMser  PffttseD ,  Pf&tzen  hoch, 
Und  ein  Haafen ,  Haufen  Fracht ! 
Bring*  ein  Malter  jede  Aehr*; 
Jeder  Weinstock  eine  Last, 
Tranben  eine  Wanne  yoll!^ 

Die  Romanen  in  der  Gegend  von  Mediasch  (Siebenbürgen) 
neben  bei  Segenmangel  einem  kloinen  unter  zehn  Jahren  stehen- 
den Mädchen  ein  aus  Kräutern  und  Blumen  zusammengesetztes 
Hemde  an  und  alle  Altersgenossen  folgen  der  kleinen  vermum- 
ten,  Papaluga  genannten  Person,  tanzend  und  singend: 

Pa|ialaga  steig  in  den  Himmel, 
Oeifhe  seine  Türen, 
Sende  von  oben  Regen  herab. 
Daß  gnt  wachse  der  Koggen. 

Dem  Zuge  wird,  wohin  er  kommt,  von  den  Weibern  kaltes 
Wasser  über  die  Köpfe  (fegossen.^  Die  Bulgaren  kleiden  bei 
Dflrre  ein  Mädchen  in  Nußbaumzweige ,  Blumen ,  Bohnen  - ,  Kar- 
toffel- und  Zwiebelkraut  und  geben  ihr  in  die  Hände  einen  Blu- 
menstrauB.  Sie  nennen  sie  Djuldjul  oder  Peperuga;  mit  letz- 
terem Worte  bezeichnen  sie  nicht  allein  das  Mädchen,  sondern 
aoch  den  ihr  angeblich  inne  wohnenden  Geist,  ähnlieh  wie  serb. 
vieJtiza  zugleich  die  Hexe  und  ihre  in  Gestalt  des  Schmetter- 
lings zuweilen  den  Kr)rper  verlassende  Seele  l)ezeichnet.  Die 
Peperuga  geht  in  Begleitung  eines  großen  Gefolges  zu  den  Häu- 
sern umher;  der  Hauswirt  empfängt  sie  mit  einem  Kessel  voll 
Wasser,  auf  dessen  Oberfläche  hineingeworfene  Blu- 
nien  schwimmen,  und  begießt  den  erwünschten  Gast  damit 
beim  Gesänge  folgenden  Liedes: 

Es  flog  die  Peporuga; 

Gicb  Gott  Regen, 

DaU  gedeihen  möge  das  Koni .  die  Hirse ,  der  Weizen. 

(Var.  Flachs  bis  zum  Gürtel).»     In  Dalmatien  tritt  an  die  Stelle 
de«  Mädchens    ein  junger  unverheirateter  Mann,    der  im  Laub- 


1)  Cf.  auch  Firinenich  '/\H'/ui,hti  lUomaxu.  Tbl.  II,  S.  U')3  und  örimm 
Mytli.«  561. 

*^^  W.  Schmidt,  das  Jahr  und  seine  Tage  in  Meinung  und  Brauch  der 
Aminen  Siebenbirgens.  Hermannstadt  18G6.  8.  17.  Anton,  Versuch  über 
^«  SUTen  L  73. 

3)  Afanasieflf,  poet.  Naturanschauungen  II ,  »S.  17G. 


830  Kapitel  IV.    Banmgeister  als  Vegetationadäinoneii : 

schmuck  tanzt,  er  heißt  Pripats  und  seine  Gefährten  Prpo- 
rushe.  Potebiiia  und  Afanasieff  erkennen  wol  mit  Recht  in  den 
Namen  stldsl.  Prporuäa,  pri)rruga;  bulg.  peperuga,  preperoga, 
griech.  /riQjn^Qoha,  wal.  papaluga  durch  den  Uebergang  von  r 
zu  l  vermittelte  Varianten  einer  und  derselben  reduplizierten 
Form,  ob  aber  in  russ.  priskat  spritzen,  czech.  prSeti  regnen  das 
Etymon  stecke/  mögen  die  Slavisten  entscheiden.  Dem  balga- 
rischen Djuldjul  entspricht  der  serbische  Name  Dodola  flir  das 
nackt  ausgezogene,  vom  Scheitel  bis  zur  Zehe,  sogar  im 
Gesichte  mit  Gras,  Kräutern,  Blumen  verhüllte  Mädchen, 
das  inmitten  eines  Reigens  von  anderen  Jungfrauen  stehend  vor 
jedem  Hause  in  einem  fort  sich  umdreht  und  tanzt,  indeft  der 
Ring  eines  der  sogenannten  Dodolalieder  singt  und  die  Hausfran 
eine  Mulde  Wasser  über  es  ausschüttet.  Jeder  Zeile  des 
Liedes  wird  der  Ausruf:  „Oj  dodo!  oj  dodo!"  eingeschaltet 
Zu  dem  von  Grimm  Myth.*  561  angeführten  Uede  fttge  ich  hier 
ein  zweites: 

Wir  gehen  durch  das  Dorf, 

Die  Wolken  gehen  am  Himmel; 

Wir  gehen  schneller, 

Schneller  gehen  die  Wolken; 

Sie  haben  uns  überholt 

Und  das  Korn  benetzt  und  den  Weinstock. 

oder  Wir  gehen  durch  das  Dorf, 

Die  Wolken  gehen  am  Himmel; 
Aus  den  Wolken  fiel   ein  Bing, 
Ihn  ergriff  die  Chorführcrin. 

Bei  Burkhard  von  Worms  (f  1024)  findet  sich  bei  zwanzig 
Tagen  Kirchenbuße  mit  Wasser  und  Brod  ein  verwandter  Regen- 
zauber verboten,  der,  we  es  scheint,  im  Anfange  des  11.  Jahrh. 
aus  lebendiger  Erfahrung  in  Hessen  oder  am  Rhein  geschöpft 
ist.^  Bei  großer  Trockenheit  entkleideten  Jungfrauen  ein  kleines 
Mädchen,  llihrtcn  sie  nackt,  wie  sie  war,  vor  das  Dorf  zu  einer 
Stelle,  wo  Bilsenkraut  (ijelisa)  wuchs,  und  hießen  sie  mit  dem 
kleinen  Finger  der  rechten  Hand  dasselbe  sammt  der  Wurzel 
ausreißen,  sodann  an  den  kleinen  Zeh  ihres  rechten  Fußes  bin- 


1)  Afanasieff  a.  a,  0.  177. 

2)  S.  Friedberg,   aus  deutschen  Bußbüchem.     Halle  1868.    S.  81.  101. 
Grimm  M^-th.«  5G0. 


LMibdnkleidiiDg.    Regenmadehen.  3S1 

den,  80  daft  es  hinter  ihr  nachschleppte.     Jede  Jungfrau  hatte 
eine  Rute  in  Händen.    Sie  tUhrten  das  Kegenmädchen  in  den 
nichsten  FluB  hinein,  besprengten  sie  vermöge  der  Ruten 
mit  der  Flut  desselben  und  sangen  Beschwörungen  (incan- 
tatkmes),  um  Regen  zu  erlangen.     Endlich  tUhrten  sie  jene  nach 
Art   des  Krebses   rückwärts  schreitend  vom  Flusse  zum  Dorfe 
xmtlck.*      Eine   Ueberschau    der  zusammengestellten    slavischen 
Blanche,  im  Vei^leich  mit  den   deutschen  vom  Piingstl  u.  s.  w. 
begründet    die   Ueberzengung ,    daß    die   Pyrpiruna,   (Papaluga, 
Pepemga,  Dodola)  eine  Darstellung  des  als  weiblich  vorgestell- 
ten Vegetationsgeninsy  eine  möglichst  coucret  gedachte  Personi- 
fieation  des  Pflanzenwuchses  selbst  sein  sollte ,  auf  die  man  durch 
die  Wasserbegießung  oder  Wassereintauchung  den  Regen  herab- 
lo^en  woUte.    Als  derartige  Darstellung  eines  Geistes  characte- 
ririert  sie  auch  die  Anrufung  des  rumänischen  und  bulgarischen 
liedes,  daß  Papaluga  in  den  Himmel  steigen  möge,  seine  Hor- 
ten zaOffiien,  Peperuga  fliege.    Daß  die  Darstellerin  jeder  Klei- 
dnng  gich  entäußert,  bevor  an  ihren  Leib  sich  eng  und  dicht  die 
Laobbttlle  anschließt,   sollte  ausdrücken,  daß  letztere  nicht  nur 
ein  vertauschbares  Gewand,   sondern  ein  Zubehr>r  ihres  Wesens, 
gleichsam  ihre  Haat  aasmache;  so  nur  mochte  die  Maske  geeig- 
net erscheinen  die  im  Innern  der  Pflanzenwelt  wirks'ame  Seele 
M  vergegenwärtigen.       Fein    ist    der    Zug    des     bulgarischen 
Braoches,  in  das  zum  Begießen  gebrauchte  Wasser  Blumen  zu 
nuschen,  denn  solche  sollen  ja  der  Erfolg  des  durch  die  G^re- 
monie  herbeizuzaubemden  Regens  sein.    In  Rußland,  im  Gouver- 
nement Kursk  ergreifen  bei  langer  Dtlrrc  die  Weiber  einen  Vor- 
übeiigehenden  und  werfen  ihn  in  den  Fluß,   oder  begießen  ihn 
von  Kopf  bis  zu  Füßen,*  und  in  Tirol  (Burgeis)  werden  in  glei- 
efcer  Weise    am   ersten  Mai  Mädchen ,  die  sich  auf  dem  Wege 
wißcn,  von   den  Burschen  eingefangen  und  begossen   oder  ins 
Wasser  gestellt.*    Wir  werden  später  aus  unwiderleglichen  Bewei- 
sen ersehen ,  daß  am  Emtefelde ,  dem  Orte  des  Maifestes  u.  s.  w. 

1)  Burchard.  Worm.  Cannon.  LXIX.  Col.  1548  S.  201»»  Grimm  myth.« 
^  Bibl.  patr.  ed.  Migne  CXIu   Paris  18o3.  p.  974. 

*^)  AfaDasieff  II,  174.  In  einigen  Dörfern  hielt  man  es  nach  den  Gebe- 
^  gegen  die  Dürre  für  nötig ,  den  Popen  auszubaden. 

3)  Zingerle,   Tiroler  Sitten:   Aufl.  2.    ö.  154,  1309.     Zs.  f.  D.   Myth. 

n,360. 


332  Kapitel  IV.    Baamgeister  als  VegctatioDadamonen: 

vorübergehende  unbekannte  Fremde  für  Erscheinungen  de»  Vege- 
tationsdUmon8  angesehen  und  als  solche  behandelt  wurden.  Ver- 
blaßter ist  die  Sitte  dort,  wo  der  erste  aus  dem  Felde  zarflok- 
kehrende  Pflug  sammt  dem  Zugvieh  und  dem  Ackersmann  Yon 
den  Frauen  und  Mädchen,  die  dies  als  ein  Recht  in  Ansprach 
nehmen,  mit  einem  tüchtigen  WasserguB  durchnäßt  wird.^  Wie 
Schmackostem  und  Wasserguß  (o,  S.  259)  gehört  dieses  BegieBra 
des  Pfluges  und  das  hessische  Auspeitschen  der  Mädchen  (FlOh- 
ausklopfen  o.  S.  268)  zusammen.  Ebenso  wird  aber  von  Aen 
Weibern  der  Hirte,  der  zum  erstenmale  im  Frühjahr  auf  die 
Weide  treibt,  von  den  Männern  die  Magd,  welche  zum  ersten- 
male im  Garten  gegraben,  oder  die  erste  Last  Gras  nach  Hauae 
getragen  hat,  besprengt ^  begossen,  oder  in  einen  Bach  geführt 
und  gebadet  Alles  dieses  geschieht,  damit  das  Kraut  im  Garten, 
das  Gras  auf  der  Weide ,  das  Korn  aui*  dem  Acker  gut  wachse 
und  gedeihe,  im  Sommer  kein  Ungeziefer  (Mücken,  Flöhe  n. dgl.) 
die  Begossenen  plage ,  d.  h.  nach  unserer  o.  S.  280  gegebenen 
Erklärung  die  Krankheitsgeister  von  ihnen  weichen.  In  West- 
falen (Wittgenstehi) ,  beschütteten  noch  vor  50  Jahren  Knechte 
und  Mägde  am  Fastnachttage,  ja  sogar  die  Schulkinder  sich 
gegenseitig  eimerweise  mit  Wasser;*  in  Schlesien  schleppte  man 
dann  die  Mädchen  Nachts  aus  dem  Bette  an  den  Brunnen. 
Ich  erwälme  diese  in  Deutschland  weit  verbreiteten  Gebräuehe 
nur,  ohne  hier  ihre  Verbreitung  und  ihre  mannigfachen  Spiel- 
arten im  einzelnen  darzulegen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ver- 
knüpfen sie  die  Erinnerung  an  den  persönlichen  Vegetations- 
dämou  mit  derjenigen  Person ,  welche  durch  ihre  Arbeit  im  Früh- 
jahr zuerst  mit  der  Vegetation  in  Acker  und  Wiese  in  Berührung 
kommt,  den  Geist  derselben  gleichsam  an  sich  genommen  hat' 
Die  zuletzt  erwähnte  wcsttalische  und  schlesischc  Form  des 
Brauches   erklärt  sich,  wie  das  Schmackostem,  aus  dem  sym- 

1)  In  ganz  Hessen  (Mülhause  S.  130);  in  Westfalen  (Kuhn,  W.  Sa^. 
JI,  153,  428);  Ilennebcrg  (Zs.  f.  I).  A.  III,  361,  i)). 

2)  Kahn.  Wcstf.  Sag.  II,  129,389. 

3)  Grade  so  wird  bei  der  Ernte  der  mit  dein  Schneiden  der 
letzten  Halme  oder  mit  dem  Binden  der  letzten  Garbe  beschäf- 
tigte Arbeiter  (resp.  Arbeiterin)  mit  dem  im  Korne  haasonden 
Vegetationsdämon  identifiziert  nnd  deshalb,  wie  dieser  der 
die)  Alte,  Wolf,  Hahn  u.  s.  w.  genannt. 


Lubeiiikleiclniig.     I>er  wilde  Mann.  838 

pathiaehen  Parallelismas  des  Menschen  -  und  Pflanzenlebens.   Das 
Alter  dieser  Sitten  erweist  n.  a.  schon  die  aus  Burkhard  ausge- 
hobene Stelle;  auch  in  einem  Erfurter  Zuchtbriefe  v.  Jahre  1351 
findet   sieh    die    folgende   Bestimmung:    Das    nieniant    den 
andern  in  das  waszer  trage.    Unser  hem  verbieten  auch; 
das  niemant  zu  Ostern,  zu  Pfingsten,  noch  zu  einer 
andern  zeit  den  andern  in  das  waszer  tragen  oder 
werffen  soll,  als  dicke  sol  er  X  Schillinge  geben,  vermag  er 
des  geides  nicht,  so  sal  er  seyn  buess  leyden  in  dem  stocke.^^^ 
Daß  die  Aufpflanznng  des  Maibaums,  oder  der  Pfingsthtitte  (o. 
S.  323)  auf  dem  Brunnenrande  nur  eine  abgeschwächte  Fonn  der 
WiMerbegießung  ist,  wird  jedem  I^ser  klar  sein. 

§.5.  Laubelnkleldang.     Der  wilde  Mann.     Doch  genug 
der  Abschweifung,  zu  der  uns  die  Betrachtung  einer  einzelnen 
traditionellen  Handlung  in  dem  Umgange  des  I^ubmanns  oder 
Pfngstlflmmels   am    Maitag    oder  Pfingsttag    Veranlassung  gab. 
Wir  nehmen  jetzt  den  durch  die  Kegengebräuchc  unterbrochenen 
Faden  wieder   auf.      Dem   aufmerksamen   Beobachter  kann   es 
idiweilich  entgangen  sein,  wie  sehr  der  durch  Jjaubeinkleidung 
daigestellte  Vegetationsdämon    des  Volksbrauchs  den  in  einem 
frflberen  Abschnitt    behandelten  Gestalten   der   Volkssage,    den 
Voodeuten  und  dem  wilden  Manne  (Nörgleiu  u.  s.  w.)  entspreche, 
der  im  Frtthlinge  oder  Herbste  erscheinen  und  den  Bauern  die 
Zeit  der  Aussaat  verkündigen  soll  o.  S.  111.    Noch  schlagender 
tritt  diese   Uebereinstimmung   in  einer  bestimmten  Spielart  der 
behandelten  Qebräuche   hervor,   in   denen   auch   der  Name  des 
Pfingstl  u.  s.  w.  mit  demjenigen   des  wilden  Mannes  vertauscht  , 
Hl    Im  Etschlande,   Ulten    und  Vintschgau   wurde  im  vorigen 
Jahrhundert  noch  allgemein  an  jedem  Donnerstage  vor  Fastnacht 
^<m  den    Schulkindern    das    Wildemannspiel    aufgeführt' 
Zingerle  hat  nach  der  Erzählung  einer  alten  Magd  den  Hergang 
dieses  Spieles  zu  Marling  bei  Meran  verzeichnet     Festlich  geklei- 
det und  mit  weißen  Schtlrzen  angetan  gingen  die  Hchulmädchen 
in  den  Wald  gegen  St  Felix,  wo  eine  Höhle  war,  und  suchten 
^h  dem  wilden  Mann,  bis  sie  ihn  fanden.    Es  war  ein  Bursche, 


^)  Mittheil,  des  thürlDg.  -  gächs.  Altcrtnmsvereins  VII ,  H.  2, 125. 
2)Ziüf^erle,  Sitten,    Brauchu  u.  Meinangen.     Auti.  2.     Innsbruck  1871. 


334  Kajdtel  lY.     Banmgeister  als  Vegetationsdamoneii : 

dessen  Kleid  nur  ans  Banmbart  nnd  Haaren  bestand; 
sein  Gesicht  schien  mit  Bart  und  Moos  so  Überwachsen ,  da0 
man  nur  die  Augen  sah.  Als  Schmuck  führte  er  Ketten  von 
Schneckenschalen,  die  laut  rasselten,  wenn  er  aufsprang,  oder 
sich  sonst  bewegte  (vgl.  o.  S.  326).  In  seiner  Rechten  ftthrte 
er  einen  jungen  Baum  statt  eines  Stockes  (o.  S.  97). 
Der  wilde  Mann  hatte  immer  zwei  Junge  bei  sich,  die  ebenso 
wie  ihr  Vater  gekleidet  waren,  und  aus  der  HlJhle  herausgeholt 
werden  mußten.  Sic  waren  gar  munter  und  sahen  wie  Aeffchen 
aus.  Wenn  man  aller  drei  habhaft  war,  wurden  sie  von  den 
singenden  MHdchen  mit  roten  Scidenbändem  gebunden  und  ins 
Dorf  geitihrt,  wo  der  wilde  Mann  allerlei  Spaße  machte.  SchlieÄ- 
lich  wurden  sämmtliche  Kinder  und  die  drei  Wilden  mit  Wein, 
Brod,  Käse  und  Obst  bewirtet.     In  Folge  der  rationalistisch 

Richtung  wurde   dieses  Spiel  unter  Kaiser  Joseph  abgestellt;  V     ^n 

einzelnen  Gegenden  ist  es  später  erneut,  aber  in  modemisiert^^^f 
Fassung.     Ein   ergötzliches   Beispiel  einer  solchen  allegoriscfak« 
Umdeutung  bietet  ein  von  Zingerle  aufgefundener  Text  der 
fbhrung  des  Wildemannspiels  zu  Burgeis  im  Yintschgan  ans  A^^sm 
Jahre  1829.^    Erkennen  wir  im  Wildemannspiel  mit  Recht  ^-Siie 
Darstellung   des   Frühlingseinzuges,    so    würde   damit   nicht        -im 
Widerspruche   stehen,   daß  zur  nämlichen  Jahreszeit,    d.h. 
Fastnacht  tage /ZU  Nürnberg  in  dem  das  Frühlingsfest  fei 
den   Aufzüge   der   Metzger,   dem    sogenannten   Schönbartlaufb 
unter  andern  Mummereien  auch  ein  wilder  Mann  und  e 
wildes  Weib   auftraten.*     Zwar  in   der  ältesten  Zeit   V( 
1350 — 14G4*  wird   noch   kein  wilder  Mann  erwähnt.     Dagcg^^^^ 
kommen    der   wilde  Mann    und   die    wilde  Frau  in   den  Jahw^^^^ 
1521 ,  1524  und  beim  letzten  Schönbart  1539  vor.     „Bei  diceen::^^*^ 
Schönbartlaufen  (1539)  fanden  sich  auch  schöne  und  wolgezicrt^^^*^ 
Holzmannlein  und  Holzfräulein,  deren  Führer  war  AlberT"^^ 
Scheurl."      Bei    dem    wilden    Manne    liest   man    in    deiC^ 
Schönbartbüchem  folgende  Reimen: 


1)  Zingerle  in  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  u.  Sittenk.  III,  200 ff. 

2)  S.  Müllcnhoff  über  den  Schwerttanz  S.  11.  3G. 

3)  Vgl.   Kleine  Geschichte    des  Nürnberger  Scbönbartlanfcns.      Altdorf^" 
1761.    S.  10.   Panzer,  Beitr.  U,  248. 

4)  Vgl.  Maxim.  Mayer,  Nürnberg.  Schembartbncb.    Erstes  Heft,  Nüm — ^ 
borg  1803. 


Lrabeinkleidniig.    Der  wilde  Mann.  S35 

In  eines  wilden  Mannes  Gstalt  ich 
Bei  dem  Schönbart  ließ  finden  mich. 

Bei  dem  wilden  Weibe: 

Die  weil  mein  Mann  sich  macht  anf.d*  Straßen 
Will  ich  ihm  folgen  gleichermaßen.  > 

Gehörten   hiernach   die   beiden   Figuren   wol   nicht  nrsprttnglicb 
ond  notwendig  zum  Nürnberger  Fastnachtaufznge  ^  so  mögen  sie 
«u  dem  Fagtoachtbranebe  eines  anders  Ortes  hergeholt  und  dem 
Tune  der  Metzger  nachträglieh  einverleibt  sein.    So  tanzt  z.  B. 
m  eisten  FastDachtsonntag  (Invocavit)  in  Basel  bei  dem  soge- 
oaimten  Moigenstreieh  neben  andern  Masken  ein  wilder  Mann 
ioit  einem   entwurzelten    Baume   in   der  Hand,  und   Laub   um 
Üanpt  und  Lenden  gewunden.     Zu  B^ziers  in  Langued'oc  fand 
^or  1793  'al^ährlich    am   Himmelfahrtstage   die   promenade   du 
^Inmeaa  statt     Ein  künstliches  Kameel,  das  ein  in  der  Maske 
steckender  Mann  bewegte,  wurde  durch  die  Stadt  getUhrt    Die 
^^tidtisdien  Behörden  und  die  Zünfte  schritten  dem  Zuge  vorauf, 
^em  Kameele  folgte   ein   mit  grünen  Büschen  zu  einer  Laube 
^gestalteter  Wagen,  den  mit  blauen  Bändern  geschmückte  Manier 
^ogeo«     Eine  Anzahl  wilder  Männer,   d.  h.  in   Blumen  und 
^rflne  Baumzweige  gehüllte  Personen  schlössen  die  Pro- 
aession,  die  nach  Beendigung  des  Umzuges  durch  die  Stadt  vor 
der  Kathedrale  vom  Domkapitel  empfangen  an  der  Kapelle  der 
l)laaen   Büßer   mit  einer  Brodspende   an   die    Armen    endigte.^ 
Näher  zu  der  Tiroler  Sitte  stellt  sich  der  P  fingst  brauch  tliürin- 
giflcher  Orte.     Mit  mannichfachen  Abweichungen,  sagt  Sommer, 
erscheint  zn  Pfingsten  das  Spiel:  „den  wilden  Mann  aus  dem 
Hasche  jagen,^^   oder,   den  wilden  Mann  aus  dem  Holze 
blen..    Die  gewöhnlichste  Form  ist  folgende:  Ein  Bursche  wird 
inLanb  nnd  Moos  gehüllt  und  heißt:  „der  wilde  Mann/'    „Er 
Versteckt  sich  im  Walde.''    Die  übrigen  Burschen  des  Dorfes 
üehen  ans  ihn  zu  suchen,  finden  ihn,  fähren  ihn  als  Gefangenen 
SQ8  dem  Walde  und  schießen  draußen  mit  blindgeladenen  Geweh- 
ren nach   ihm.     Er   fällt   wie   todt   zu  Boden,   wird    aber 
wieder  ins  Leben  gebracht.    Dann  jubeln  die  andern,  setzen 

1)  Kftrnberg.  Schönbart- Buch  and  Gesellen -Stechen.    Aus  einem  alten 
^wnwript  zum  Druck  befördert  1764.    S.  47. 

2)  S.  die  Beschreibung  von  M.  Pluraptre  in  Hon  es  Every  Daybook  U, 
^^-  Vgl.  De  Nore,  eoutumes,  mythes  et  traditions  p.  74. 


f 


336  Kapitel  IV.    Banmgeister  als  VeffetatioiiBd&moiieii: 

ihn  auf  den  Wagen ,  binden  ihn  fest  und  nun  fahren  sie  ins  Dorf 
und  erzählen  der  yersammelten  Gemeinde,  wie  sie  den  wilden 
Mann  gefangen  haben  und  vor  jedem  Hanse  erhalten  sie  ein 
Geschenk.  Offenbar  .eine  jüngere  Form  dieser  Sitte  ist  diejenige, 
wonach  der  wilde  Mann  nicht  in  Laub  und  Moos  gekleidet,  son- 
dern mit  Farben  bunt  bemalt  wird.  An  einigen  Orten  heiSt 
das  Spiel:  ,,den  Teufel  aus  dem  Busch  holen.^  Dann  ist  der 
Gesuchte  von  oben  bis  unten  mit  Ruß  geschwärzt  [der 
Name  Teufel  entstand  nur  aus  dem  rußigen  Aussehen  des  wil- 
den Mannes.  Vgl.  o.  S.  322.]  Zuweilen  erscheint  er  in  einer 
beliebigen  Bekleidung  und  dann  verkleiden  sich  auch  die ,  welche 
ausziehen  ihn  zu  suchen.^  Ans  dem  Erzgebirge  schildert  Christiim 
Lehmann y  Pastor  zu  Scheibenberg,  Kr.  Dir.  Zwickau  (1638 — 88) 
die  Sitte,  wie  sie  im  Anfange  des  siebenzehnten  Jahrhunderts 
bestand.  ,,In  unserm  Gebirge  trägt  man  sich  mit  einer  alten 
Tradition,  daß  wilde  Waldleute  bißweilen  an  die  Waldhänser 
und  zu  den  Weibern  in  Waldräumen  kommen.  Solcher  wilden 
gebirgischen  Satjren  erinnerten  sich  von  Alters  die  Einwohner 
und  Beigleute  bei  irem  Quass  und  Fastnachtspiel,  bei  welchem 
sie  jährlich  2  wilde  Männer  verkleidet,  den  einen  in  Reisig  in 
Moos,  den  andern  in  Stro,  solche  auf  den  Gassen  nrngefüret, 
endlich  aber  auf  dem  Markt  herumgejagt  und  niedergeschossen 
und  gestochen,  welche  dann  mit  herumtanmeln  und  seltsame 
Geberden  Gelächter  machten  und  mit  angeftlllten  Blntblasen 
unter  die  Leute  sprützten,  ehe  sie  gar  niederfielen.  Da  fas- 
seten  sie  die  Jäger  als  tot  auf  Bretter  und  tragen  sie 
ins  Wirtshaus.  Die  Bergleut  gingen  dameben  her,  bliesen  eines 
durch  ire  Pechpfeifen  und  Grubenleden  auf,  als  hätten  sie  statt- 
lich Wildpret  gefangen.  Dergleichen  Aufzüge  hielt  man  vor  dem 
30jahrigen  Kriege,  aber  nun  sind  sie  abgekommen.'^'  Gans 
ähnlich  ist  heute  noch  der  Brauch  in  der  Gegend  von  Schluckt 
nau  (Kr.  Leitnieritz  in  Böhmen).  Hier  verfolgte  die  Volksmenge 
zu  Fastnacht  einen  Mann ,  der  so  vermummt  ist,  daß  er  das  Aus- 
sehen eines  Wilden  erhält,  durch  mehrere  Straßen,  bis  ein  vor- 


1)  8omiiicr,    Sagen,  Märchen   und  Gebräuche  aus  Sachsen  und  Thü- 
ringen S.  154. 

2)  Historischer   Schauplatz   der  uatiirlichen  Merkwürdigkeiten   in   dem 
meißnischen  ober  Erzgebirge.   3.  Auli.   Leipzig  lGi)9.  40.   S.  757. 


Lwtbdnkleidnng.    Der  wilde  Miuui.  337 

geiögener  Strick  ihn   aufhält.     Er  wird   gefangen;   der  Scharf- 
riebter  durchbohrt  die  blntgefüllte  Blase,  welche  der 
Wilde  am   den  Leib  gebunden  hat,   mit  seinem  Schwert, 
and  der  Wilde  stirbt,  indem  ein  Strom  von  Blnt  die  Erde  rietet. 
KuB  wird   er  auf  einen  Schlitten   (oder  Bahre)  gelegt  und  fort- 
getragen.    Am  n&chsten  Tage  wird  eine  ihm  (dem  Wilden)^  ähn- 
fidie Starohpuppe  unter  zahlreicher  Begleitung  zu  einem 
Teiche    getragen    und    ertränkt      Man    nennt  das   den 
Fiiching  begraben.^     Im  Harz  tritt  alljährlich  am  Freischießen, 
das  man    am   Johannis    hält,    ein    wilder  Mann   mit 
'  einer  Tanne  in  der  Hand  und  ganz  in  Moos  gekleidet  auf.* 
h  Westmannland  in  Schweden  spielen   die  jungen  Bursche  an 
Sonnttgsabenden  Olaf  im  Versteck  (Ole  i  skrymta).     Einer  von 
ümeB  kehrt  sein  rauhes  Wollenwamms  um,  einige  laubreiche 
Btgchel  Adlerfarnkraut  (nägra  yfvige  ormbunkar,  d.  i.  pteris 
•qoQina)  werden   auf  seine  Mtttze   gesetzt,^  ein  gewaltiger 
Stab  wird   in   seine  Hand  gegeben.     Im  übrigen  so  schrecklich 
ab  mDglich  ausstaffiert  wird  er  unter  überlautem  Gelächter  der 
fleKÜBchaft  in  ein   dichtes  Gebüsch    geleitet,   wo  er  auf 
einem  Steine  Platz   nimmt.     Nach  gewissen  Rufen  und  Ge- 
lingeii  kommt  er  sodann  mit  furchtbarer  Miene  aus  seinem  Ver- 
iteeke  in  den  Wald  heraus  und  sucht  einen  von  der  GeseUschaft 
a&ngen.    Wen  er  zuerst  mit  seinem  Stabe  berührt,  muß,  wie 
er  gekleidet,  und  unter  großen  Freudenbezeugungen  ins  Gebüsch 
gefllhrt  seine  Stelle  einnehmen.^ 

Der  Znsammenhang  dieser  Wildemannspiele  im  Frühling  mit 
^  Bräuchen  des  Pfingstlttmmels ,  Laubmanns  u.  s.  w.  steht  außer 
frage;  steUen  die  meisten  die  FrUhliiigsciiiholung  des  wilden 
Kannes  als  Vegetationsdämons  dar,  so  macht  das  zuletzt 
erwihnte  schwedische  den  Eindruck,  als  ob  es  die  Redensart: 
wderWald  hält"  (skoje  halder)  o.  S.  130  vcrkörpeni  solle.  Das 
Dwr  big  heute  zustehende  Material  reicht  nicht  aus ,  um  die  Frage 

1)  Krolmns,  Staro^^ke  povesty  1,410.  Beinsberg- Dfiringßfeldf  Böhm. 
Festkalender  S.  61. 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  188,  211. 

3)  Diese  Pflanze  soll  dem  Volksglauben  nach  nnr  in  der  Mittsom- 
'"'«rnacht  blähen,  Glück  verleihen  und  unsichtbar  machen.  S.  Hylten- 
C»Ttlliu8,  VSrend  och  Virdame  II,  Anh.  XXI.     Of.  den  Schnak  o.  S.  324. 

*)  Dybeck,  Runa  1842.   S.  20.  ' 
"»»ahardt  22 


d88  Kapitel  IV.    Banmgeister  als  Vegatatioiiadimoiieii: 

ZU  lösen y  die  ich  fttr's  erste  nur  anfwerfen  kann,  in  welehen 
Verhältniß  zu  diesen  Darstellangen  des  wilden  Mannes  dniet 
laubbekleidete  Bursche  andere  Repräsentationen  desselben  ab 
durchweg  behaarter  Waldschrat  (Pilosus)  o.  S.  114  stehen.  Eii 
Beispiel  dieser  Art  Darstellungen  gewährt  ein  unter  dem  Namei 
ballet  des  ardents  bekanntes  Ereigniß  der  franzttoisdien  Gesehidifte 
König  Karl  VI.  gab  am  29.  Jan.  1393  im  Hotel  royal  de  Sain 
Paul  ein  Fest  zu  Ehren  der  zweiten  Heirat  einer  Hofdame  dei 
Königin  Isabella  von  Baiem.  Ein  normannischer  Edelmann  kan 
deshalb  auf  den  Gedanken  eines  Charivari.  Der  König  und  4 
Herren  vom  Hofe  führten  einen  Tanz  als  wilde  Männer  .aaf 
vom  Kopf  bis  zu  Fuß  in  eng  anschließende  Leinwand  ein 
genäht,  auf  welche  mittelst  Harzpech  Werg  in  Form  von  lot 
tigen  Haaren  aufgelegt  war.  Der  Herzog  von  Orieans  kam  einen 
dieser  Gavaliere  mit  einer  Fackel  zu  nahe,  derselbe  fing  Feoe: 
und  alle  verbrannten  mit  Ausnahme  des  Königs,  über  den  sräu 
Tante,  die  Herzogin  von  Berry,  ihn  erkennend,  schnell  ihn 
Bobe  warf.^  Sollten  diese  Schaustellungen  einer  ronumisohei 
Form  des  fraglichen  Frflhlingsbrauches  ihren  Ursprung  verdaa 
ken?  Wenigstens  gab  es  auch  in  Spanien  neben  den  Darstel 
lungen  der  Maifrau  (Maja  s.  unten)  auch  solche  des  wilden  Man- 
nes orco  (o.  S.  110).  So  wird  in  einer  Bußordnung  der  spani 
sehen  Kirche,  dem  wahrscheinlich  im  8.  Jahrh.  verfaßten  zon 
Teil  aus  fränkischen  Quellen  excerpierten  Poenitentiale  Vigila 
num  cap.  84  verboten:  Qui  in  saltatione  femineum  habiton 
gestiunt  et  monstruose  sc  fingnnt  et  majas  et  orcum  et  pelan 
et  bis   similia  exercent  I   ann.  poen.^    Es  scheinen  bereits  in 


1)  Froissart  lY,  52.  Paris  1574  IV  157  ff.  nennt  als  Tag  dea  EreigBi» 
ses  mardi  devant  la  chandelenr  1393.  Nach  ihm  ließ  Karl  anfertigen  „su 
cottes  de  teile  couuertes  de  delie  lin  en  forme  et  couleor  de  oheveux."  „  TL 
farent  vestns  de  ces  cottes ,  qai  estoient  faites  a  leur  point  et  ils  fürent  deduu 
consus  et  ils  se  monstroient  estrc  hommes  sannages,  ils  estoient  ton 
chargez  de  poil  dcpnis  le  chef  jusqaes  a  la  plante  dn  pi^.  Eine  Abbilduni 
des  Tanzes  nach  einer  Miniatur  in  einer  Handschrift  des  FroiBsart  an 
saec.  XV.  s.  bei  P.  Lacroix ,  moeurs  nsages  et  costames  du  moyen  age.  Pari 
1871  p.  263.    Fig.  185. 

2)  Waschersieben ,  Bnßordn.  der  abendl.  Kirche.  Halle  1851.  S.  533 
Of.  p.  71.  lieber  die  Maja  wird  später  noch  die  Rede  sein;  pelo  bedeate 
im  Spanischen  einen  reichgekleidet«n  Knaben,  der  auf  den  Scbnltem  eine 
Mannes  am  Frohnleichnamfeste  dahergetragen  wird. 


LubeiBkleidung.    Ber  wilde  Mann.  339 

14.  Jahrhundert^  vielleicht  noch  früher,  diese  Darstellungen  ans 
dem  Volke  in  den  Festbraneh  der  Ffirstenhöfe  übergegangen  und 
hier  vielfaeh  verändert  als  sinnbildliche  Vergegenwärtigungen  der 
rohen,  ungezügelten  Naturkraft  und  Sinnlichkeit  aufgefaßt  zu  sein.. 
In  dieser  Auffassung  zeigen  uns  den  ^wilden  Mann  mehrere  Kunst- 
werke des  14.  Jahrb.,  von  denen  ich  das  Kuppelgemälde  eines 
abendländischen  Künstlers  in  der  Gerichtsballe  der  Alhambra  und 
eiBen  in  braunem  Holze  geschnitzten  Dolcbgriff  des  historischen 
Msseoms  zu  Dresden  erwähnen  wilL^    Im  Laufe  des  fünfzehnten 
Jakrinmderts  ging  dann  diese  Verbildlichung  des  wilden  Mannes 
in  den  Gebraucb    der  Heraldik    als   Wappenhalter   über,    ver- 
wtlieh  als  Darstellung  der  durch  Oeist  und  Herrscherwillen  des 
Meuchen  gebändigten  und  unterworfenen  rohen  Natur  und  der 
von  ihr  ans  entstehenden  Hindemisse  des  Licbens.    Ein  Beispiel 


1)  Das  Gemälde    zeigt   eine   gras-   a.    blumenreiche  mit  Bäumen  und 

^h  belebte  Flnr,  in  deren  Mitte  sich  ein  Schloß  mit  Türmen  und  Zinnen 

«Mit   Ans  dem  ObergeschoK  schanen  eine  Dame  und  ihre  Zofe.    Zur  Bech- 

ta  des  Schlosses  (vom  Beschauer)   sieht   man   ein  Turnier  zwischen  einem 

clirictliehen  Ritter  und  einem  Mauren.    Letzterer  durchbohrt  seinen  Gegner. 

Zv  Linken  ist  eine  reichgekloidete  christliche  Frau  dargestellt ,  welche  einen 

nbenden  Löwen  an  der  Kett«  hält.    Ein   wilder  Mann  mit  Ausnahme 

von  Händen    und  Ffißen    yöllig  behaart,    mit  fliegendem  Haar. 

higem  zweiteiligen  Bart ,  bekleidet  mit  einer  von  den  Hüften  bis  etwas  über 

^  Inie  reichenden  faltigen  weißen  Hose ,  faßt  mit  seinen  Händen  die  bei- 

^^  Arme  der  Dame,  während  er  selbst  von  einem  christlichen  Ritter  durch 

^^^um  Lanze  in  die  Brust  getroffen  wird.     Unter  den  zur  Rechten  turnieren- 

^  Rittern   wird  ein  Eber  von  Hunden  gehetzt.     Gänzlich  älmlich  ist  die 

*Witellung  auf  dem  wenig  älteren  (1340  — 1350?)  Dolche,  von  dem  sich  bei 

^-  Klemm  Werkzeuge  und  Waffen.     Lpzg.  1854.    S.  174  und  F.  A.  Frenzel, 

''fthrer  durch   das  historische  Museum  zu  Dresden.   Lpz.  1850.   8.  98  Abbil- 

QQDgen  finden.    Auf  der  einen  Seite  sitzt  unter  einer  gothischcn  torförmigen 

■"^t Türmen  gekrönten  Architectur  eine  geflügelte  weibliche  Figur,  einen  Hund 

^*i>ter  dem  Arme  auf  zwei  zottig  behaarten   männlichen  Gestalten , 

^ovon  man  nur  Kopf  und  Brust  mit  vorgestreckten  Händen  zu  beiden  Seiten 

^nierkt     Auf  der   entgegengesetzten  Seite   sind  ein  Weib  und   der  ganz 

behaarte   wilde  Mann   zu   sehen,    letzterer   mit   einem  Ringe    um  den 

Hall  imd  zusammengelegten ,  mit  einer  Kette  gefesselten  Händen.    Das  Weib 

bat  mit  der  Rechten  den  Ring,   mit  der  Linken  das  Ende  der  Kette  ergrif- 

^^'   üeber  beiden  ein  ruhender  Hirsch  und  darüber  der  wilde  Mann,  sitzend, 

^t  der  Linken   eine  Kette    haltend ,    daran  ein  Affe  gefesselt  ist ,   der  sich 

hn  Syiiegel  sieht    Offenbar  doch  sollte  hier  die  Macht  des  Weibes,  der  Sieg 

^^  Weiblichkeit ,  der  Liebe  über  die  rohe  Kraft  dargestellt  werden. 

22* 


340  Kapitel  IV.    Baiungeister  als  Vegetationsäftmonen: 

gewährt  ein  in  Silber  getriebener  Pokal  ans  den  Jahren  1450 — 
1600.^  Auf  deutschen  Münzen  und  Wappenbildem  wird  im 
16.  Jahrhundert  der  wilde  Mann  nackt  oder  behaart  mit  Schilf- 
oder  Lanbkrone  auf  dem  Kopf  und  Laubumhttllung  um  die  Len- 
den,  in  der  Hand  einen  entwurzelten  Baumstamm  tragend  abge- 
bildet. Ich  nenne  beispielsweise  die  braunschweigisch-lttnebnr- 
gischen  Wildemannsmttnzen  (Thaler,  vergoldete  Kupfermtlnzen, 
Dukaten y  Gulden),*  sowie  ein  Wappenschild  der  Familie  Hob- 
hausen. ^  Auch  auf  den  großem  Volksfesten  deutscher  und  eng- 
lischer Städte ,  bei  besondem  fürstlichen  Hoffesten ,  Vermählnngen 
Feuerwerken  u.  dgl.  spielten  im  16.  und  17.  Jahrhundert  der 
wilde  Mann  und  die  wilde  Frau  in  dem  beschriebenen  AnÜEOge 
eine  Rolle  ^  in  England  heißt  er  Wildman,  Woodhouse  (Wald- 
haus), oder  green  man,  er  wurde  entweder  mit  Moos  bedeckt, 
oder  in  bäuerlichem  Anzug  mit  einem  einfachen  Laub-  oder 
Schilfkranze  um  den  Kopf,  oder  in  einer  aus  zottigen  Tierfellen 
bestehenden,  den  ganzen  Körper  mit  Ausnahme  der  freibleiben- 
den Hände  und  Füße  bedeckenden  Kleidung  mit  grüner  Laabom- 


1)  J.  V.  Hefner -Alteneck,  Geräthe  des  christl.  Mittelalters.  Bd.  HI. 
Taf.  50.  Der  Pokal  ruht  auf  drei  wilden  Männern,  welche  auf  dem 
rechten  Beine  kniend  in  der  Linken  ein  Wappenschild  halten.  Ihr  Körper 
ist  durchaus  behaart,  vergoldet,  nur  Hände  und  Kopf  sind  von  reinem  Silber. 
Schon  der  Kupferstecher  Martin  Schongauer  (1420?  — 1488)  verwandte  den 
wilden  Mann  als  Wappcnhalter.  Vgl.  Bartsch,  Peintres  gravenrs.  Schon- 
gauer N.  103.  104.  105. 

2)  Z.  B.  Thaler  Heinrichs  IV.  v.  Wolfenbtittel  1554.  Der  wüde  Mann 
mit  unbedeckten  pudendis ,  in  der  rechten  Hand  einen  Baum ,  in  der  Linken 
eine  Bergstufe  haltend.  —  Goldgulden  Heinrichs  IV.  1558.  Wilder  Mann 
mit  Baum  in  der  Rechten.  Der  Thaler  desselben  Fürsten  v.  1541  wird  nur 
als  Brustbild  eines  wilden  Mannes  mit  bloßen  Pudendis  beschrieben.  Vgl. 
J.  T.  Köhler,  voUständ.  Ducatenkabinet  II  1760.  S.  550.  Nr.  1755.  Madfti, 
Thalerkabinet.  B.  III  Königsberg  1767.  S.  242— 44.  Dritte  Fortaetnmg  1774. 
S.  205.  Nr.  6549. 

3)  Dasselbe  stellt  als  Schild  Halter  einen  nackten  wilden  Mann  dar  mit 
langem  auf  die  Hüften  hinabhangendem  Bart,  Lenden  und  Haupt  mit  Blät- 
tern und  Zweigen  umkränzt,  als  Stab  einen  entwurzelten  Baum  tragend. 
Jost  Amanns  (Ammons)  Wappenbuch  1579.  Cf.  C.  Ritter  von  Mayer,  heral- 
disches A.  B.C. -Buch.  München  1857.  Taf.  LIV.  1.,  Vgl.  Jost  Ammons 
Kunstbüchlein.  Frankf.  1599.  Zur  Rechten  eines  leeren  Wappenschildes  steht 
ein  wildes  Weib  eine  Frucht  tragend,  zur  Linken  der  wilde  Mann,  jeder  von 
ihnen  hält  einen  entwurzelten  grünen  Baumstamm. 


Maikteig,  PflDgttkönig ,  Maik&nigin.  841 

kiftnzang  von  Haopt  und  Lenden  dargestellt ,  oder  er  war  ganz 
und  gar  in  Eichenbltttter  oder  Ephen  gehüllt    In  der  Hand  trag 
er  einen  noch   grtfnen  Baumstamm.     In  den   Zwölften    (twelfe 
nights)  1515  führte  man  vor  König  Heinrich  VIH.  in  der  Halle 
YOB  Greenwich  ein  Pageant  aof.    Ein  goldenes  Zelt  ward  herein- 
gebracht ^  Yor  dem  reich  armierte  Ritter  standen.    Sodainlay  came 
oot  of  a  place  lyke  a  wood  8  wyldemen,   all  apparayled 
in  grene   mosse   made   with  sleved   sylke  with  nggly 
weapons  and  terrible  yisages  and  there  foughte  with  tfae  knyghtes 
8  to  8  and    after  /long  fighting  the  armed  knightes  drane  the 
vyide  men   ont   of  their  places  and  followed  the  chace  ont  of 
tie  hall;   and  when   they  were  departed,  the  tent  opened  and 
ttere  oame  ont  6  lordes  and  6  ladyes   rychely  apparayled  and 
dasDoed  a  great  tyme.^     Im  Jahre   1575  wurde  Königin  Elisa- 
beth m  Kenilworth  mit  yerschiedenen  Schaustellungen  empfangen. 
Unter  anderem  kam  der  Dichter  Thomas  Gascoyne,  als  sie  am 
10.  Juli  Abends  9  Uhr  von  der  Jagd  heimkehrte ,  plötzlich  aus 
tei  Wakle  ganz  in  Epheu  gehüllt  ^    ein  mit  den  Wurzeln  aus- 
{erigsenes    Eichenbäumchen    vor    sich   hertragend,    und   sprach 
önge  selbst  erfundene  Verse  zu  ihrem  Lobe.    Abbildungen  des 
wilden  Mannes  nach  altem  Kupferstichen  liefert  Strutt'    Es  ver- 
dient näher  untersucht  zu  werden,   ob  die  höfiscjfen  und  städti- 
sehen    Darstellungen     des    wilden    Mannes    in    den    englischen 
pigeants  und  firewarks  und  in  den  deutsehen  Schaustellungen 
sieh  unabhängig  von  jenen  französisch -spanischen  Darstellungen 
MW  dem  Frtthlingsbrauche  der  Dörfer  cnt^vickelt  haben,  in  wel- 
chem historischen  Verhältniß  sie  selbst  zu  einander  stehen,  und 
wann  zuerst,  wie  und  auf  welchem  Wege  jene  Figuren  in  den 
Apparat  der   bildenden  Kunst   übergegangen    sind.     Wir  dürfen 
Wer  diese  Probleme    nur   andqutcn,    ohne    ihre  Lösung  zu  ver- 
snehen,  die  doch  dazu  erforderlich  sein  wird,  um  den  von  uns 
hehandelten   mythologischen  Volksbrauch    nach   allen  Seiten   hin 
^  ahzngrenzen  und  die  gewonnene  Bedeutung  zu  sichern. 

§6.  lalkOnig,  PflngstkOnIg,  MalkSnlgin.    Statt  des  Na- 
ineoB  Laabmann ,  Pfingstlümmel  u.  s.  w.   begegnet  mehrfach  der 

1)  Thom.  Halls  Chronicle  (cd.  princ.  1Mb).     London  1809  p.  580. 
^  S.  Strutt ,   the  sports  ad  pastimes  of  the  people  of  England.    Lon- 
don 1841  p.  377  — 78.  cf.  375.  253.  XLI. 


342  Kapitel  IV.    Baamgeistor  als  Vegetationsdlmonen : 

Name  Maikönig ,  Pfingstkönig  und  an  Stelle  des  pire  May  tritt 
in  Frankreich  ebenso  nicht  selten  eine  reine  de  may,  reine  de 
printemps,  in  England  eine  Maylady,  Queen  of  May^  in  Böhmen 
eine  Kralovna  (Königin)  ein.  Diese  Benennungen  setzen  die 
Anschauung  voraus,  daß  der  in  der  Vegetation  verkörperte 
Dämon  ein  Herrscher  sei,  dessen  schöpferische  Gewalt  über 
Höhen  und  Tal,  über  weite  Lande  sich  erstredie.  „König  Mai, 
König  Lenz'^  sind  übrigens  so  naheliegende  Personificationen,  daS 
die  Dichter  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit  sie  hundertmal  wie^ 
derholt  oder  neugeschaffen  haben.  Es  ist  nicht  bedentungsloSy 
daß  der  englische  Jack  in  the  green  (o.  S.  322)  auf  dem  Kopfe 
eine  Blumenkrone,  der  Walber  (o.  S.  312)  eine  Aehrenkrone  trägt. 
Die  Herrschematur  des  Dämons  sollte  angedeutet  werden.  In 
Kl.  Scheppenstedty  Cremlingen  und  andern  Braunschweigiaohen 
Orten  wurde  ein  ganz  in  Maibttsche  eingehüllter  MaUcömg 
gemacht,  zu  Molmerswende  am  Harz  ein  Pfingstkönig.  In  der 
goldenen  Aue  ist  es  wieder  ein  Maikönig.  Man  baut  ein  Hols- 
gestell  von  Mannesgröße ,  umwickelt  es  mit  Birkenzweigen  und 
setzt  der  so  gebildeten  Figur  (wie  dem  Jack  in  the  green)  eine 
Krone  von  Birken  und  Blumen  auf,  in  welcher  zugleich  eine 
Klingel  (o.  S.  324  ff.)  befestigt  wird.  Im  nahen  Gehölz  wird 
dann  jemand  hineingesteckt  und  nun  versteckt  man  ihn  im 
Busch.  Die  Uebrigen  ziehen  hinaus  und  suchen  ihn.  Mit  dem 
Gefundenen  geht  es  ins  Dorf  zum  Amtmann ,  Prediger  und  ande- 
ren Würdenträgern.  Sie  müssen  raten ,  wer  drin  sei.  Raten  sie 
falsch,  so  schüttelt  der  König  seine  Klingel  und  man  zieht  wei- 
ter ;  sie  aber  müssen  tür's  Nichtraten  einen  Eimer  Bier  als  Strafe 
geben.  Bei  Apolda  wird  der  Maiköuig  in  Stroh  statt  in  Laub 
eingekleidet  (vgl.  den  Walber  o.  S.  312).^  Auch  in  Oestreich 
wählen  die  Dortjuugen  einen  Pfingstkönig,  kleiden  ihn  mit  grü- 
nen Zweigen ,  schwärzen  ihm  das  Angesicht  (o.  S.  322)  und  wer- 
fen ihn  in  den  Bach.^  Im  Kreise  Budweis  stecken  sich  die  Bur- 
sche am  Pfingstmontag  in  Anzüge  aus  Fichtenrinde  und  setzen 
Mützen  auf,  welche  gleichfalls  aus  Kinde  gemacht  und  mit 
Büschen  von  Knabenkraut  und  andern  Wiesenblumen  versehen 
sind.     Einer   wird   als  König  gekleidet  auf  einer  Art  Schlitten 


1)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  383  —  84,64.  65. 

2)  Denis ,  Lesefrüchtc  1 ,  130.  My th.«  562. 


MMJftnig,  PfingBtkönig,  MaikÖDigin.  343 

mm  Dor^latz   gefahren   und  unterwegs  mit  lautem  Hailoh  in 
einen   Wasserpfuhl   geworfen.      Sein  Gefolge   besteht  ans 
Pfeiffern  mit  Flöten  ans  Weidenrinde  ^  von  denen  einige  Larren 
tragen y  andere  nur  das  Gesicht  geschwärzt  haben.   Auf  dem 
Doi^liUz  sdilieAen  sie  feierlich  um  den  König  einen  Kreis  und 
dn  Ansmfer  springt  auf  einen  Stein  und  ruft  über  jedes  Haus 
rimge    Spott-   oder  Lobverse    aus.     Wird  die   Gesellschaft 
licht  mit  Prügeln  davon  gejagt ,    oder  hat  der  König  noch  kein 
Bid  empfangen,   so  wird  dann  ein   Strohmann  ins   Wasser 
geworfen.     Nach  Ablegung  der  Kiudenhttlle   ziehen   dann  die 
jsDgen  Leute  mit  Musik   und   einem   Maibäumchen,   das  in 
einem  hölzernen  Teller  steckt ,  durchs  Dorf  und  sammeln  Gaben 
ein.^    In  Semic  wird  der  König  geköpß.     Ein  ziemlich  starker 
Tnpp  junger  Leute  bewaffnet  sich  mit  einem  Holzsäbel ,   einem 
Gürtel  aus   Baumrinde   und   einer   Trompete   aus  Weidenrinde. 
Dtt  König  trägt  einen  mit  Blumen  verzierten  Ornat  aus  Baum- 
rinde, eine  mit  Blumen   und  Zweigen  ausgeschmückte  Rinden- 
krooe  auf  dem  Haupt,   die  FUße  mit  Farrenkraut  umwunden, 
eine  Papierlarve   vor  dem   Gesicht   und   statt   des  Zepters  eine 
Ifoige  Hagedomrutc  in  der  Hatul.    Einer  von  den  Burschen  ftihrt 
Um  an  einem  Seil,   das  ihm  an  den  Fuß  gebunden  ist,   durch 
dag  Dorf,  indeß  die  andern  herumspriugen ,  trompeten  und  pfeifen. 
In  jedem  Gehöft  wird  der  König  in  der  Stube  im  Kreise  umlier- 
gqagt  und    unter  Lärmen  schlägt  ihm  einer  mit  dem  Säbel  auf 
den  Ornat,   so   daß   es  schallt.     Dann  fordert  man  Geschenke.^ 
Anderswo  in  der  Mark,  Thüringen,   Böhmen,   Baiem,   Ungarn 
wird  der  Pfingstkönig,  Graskönig  oder  Lattichkönig  beritten  dar- 
gestellt    Davon  soll  im  nächsten  Abschnitte  die  Rede  sem.    In 
Frankreich  (Dauphin^,  D^p.  de  Vls^re)  feiern  die  Kinder  in  den 
ersten  Tagen  des  Mai  ein  Fest  (maie)  wobei  sie  einen  unter  sich 
aufputzen  und  König  (roi)  nennen.^    Dem  Maikönig  oder  Pfingst- 
kijnig  entspricht  *  eine   Königin.     Sie    wird  gemeinhin  von  den 
Mädchen  dargestellt  und  zum  Gegenstände  einer  besondem  Pro- 
ttssion  gemacht.     In   Deutsch  -  Ungarn  halten  die   Bursche  am 


1)  Das  Panorama  des  Universums.    Prag  1834  —  48.  V,  309.   Roinsberg  - 
Döringgfeld,  böhm.  Festkalender  S.  2G1. 

2)  Beinsberg -Düringsfeld  a.  a.  0.  263. 

3)  Champollion ,  recherchos  sor  le  Patois  p.  183. 


344  Kapitel  IV.    Banrogeister  als  Vegetationsd&monen: 

roten  Pfingsttag  eiuen  Wettritt.  Der  Sieger  wird  Pfingstkönig. 
Die  Mädchen  dagegen  wählen  für  sich  besonders  die  schöiiBte 
Maid  zur  Pfingstkönigin,  schlingen  einen  großartig  auf- 
getürmten Kranz  um  ihre  Stirne  und  tragen  sie  singend 
dnrch  die  StraBen  des  Dorfes.  Vor  jedem  Hanse  halten 
sie  stille,  schließen  einen  Kreis  um  sie,  singen  althergebrachte 
Volkslieder  von  großer  Schönheit  und  nehmen  Gaben  in  Empfang.^ 
In  der  Gegend  von  Libchowic  a.  d.  Eger  in  Böhmen  führen  am 
tUnften  Fastensonntag  die  Mädchen  in  weißen  Kleidern ,  mit  roten 
Bändern  und  vergoldeten  Sternchen  im  Haare  und  mit  den  ersten 
FrühiingsUunien  (Veilchen)  wnd  Maßlkhen  geschmücM  eine  soge- 
nannte Königin  (Krälovna),  di^  mit  Blumen  bekränzt  isty  im  Dorf 
umher.  Während  des  Umzuges,  der  sehr  feierlich  vor  sich 
geht,  darf  keines  der  Mädchen  stille  stehen,  sondern 
alle  müssen  sich  fortwährend  singend  drehen  (vgl.  das 
Mairöslein  o.  S.  312.  u.  S.  318,  das  Regenmädchen  o.  S.  330  und 
die  Johannisfeier  o.  S.  181).  Die  Königin  verkündet  in  jedem 
Hause  die  Ankunft  des  Frühlings  und  wünscht  den  Bewohnern 
Glück  und  Segen,  wofür  sie  dann  einige  Geschenke  erhält'  Ans 
den  Niederlanden  bringt  Grimm  myth.^  1225  schon  ein  altes 
Zeugniß  tlir  die  Pfingstkönigin.  Der  Cisterziensermönch  Aegidins 
im  13.  Jahrb.,  der  eine  Geschichte  der  Lütticher  Bischöfe  ver- 
faßte, erzählt  von  einem  Ereigniß  unter  Bischof  Albero  (t  1155): 
„sae^rdotes  ceteraeque  ecclesiasticae  personae  cum  nniverso 
populo  in  solemnitatibus  paschae  et  pcntccostes  aliquam 
ex  sacerdotum  concubiuis  puri)uratam  ac  diademate  renitentem 
in  eminentiori  solio  constitutam  et  cortiiüs  velatam  reginam  crea- 
baut  et  coram  ea  assistentes  in  choreis  tympanis  et  aliis  musica- 
libus  instrumentis  tota  die  psallebant .  et  quasi  idolatrae  effecti 
ipsam  tanquum  idolum  colehant^'  Chapeaville  U,  98.  Diese 
Sitte  nähert  sich  der  alsbald  darzulegenden  provenzalischen  Weise. 
In  Frankreich  ist  die  Maikäniijin  fast  im  ganzen  Süden  bekannt 
Am  ersten  Mai  wird  in  der  Cöte  d'or  (Bourgogne)  Reine  de  prin- 
tenipSy  in  Weiß  gekleidet,  mit  einer  Bluraenkrone  auf  dem  Kopfe 
in   einem  Wagen    dem  Zuge  vorangefahren,    welcher  in  Pro- 


1)  Gebhard,  Oesterr.  Sagenbuch.    Pest  1862.    S.488. 

2)  Hanus ,  Bäjeslovny  Kalendar  slovansky.  V.  Praze  1860.  S.  98.  Reins- 
berg-Düriugsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen  S.  93. 


MaiköDig,  PfingstkOnig ,  Maikönigin.  845 

leasioii  folgt  (mflndl.).     Im  Departement  du  Jura  heiBt  das  von 
den  Hirten  omhei^ftlhrte  ganz  in  Blumen  nnd  Bänder  gehflllte 
Mldohen  la  Beüe'de  mai,  la  Beine  de  Mai.^     Im  Jahre   1466 
ttbenmhm   der  Prior  von  Saint  -  Claude   (D^p.  du  Jura)   in  den 
damals  aufgestellten  Klosterregeln  auf  seine  Präbende  die  jähr- 
fidie  Auszahlnng  von  Gaben  an  die  Königin  (Reine)  und   die 
kleinen   Mädchen  anter   neun   Jahren,   welche   ihre 
Begleitung  bildeten.    Dieselben  sollten  aber  niemals  in  den 
Sehlaiml  oder  das  Kapitel  kommen  dürfen ,    nnd  der  ehrwür- 
dige Vater  sollte  ihnen  geben ,  so  viel  ihm  beliebe ,  sans  y  estre 
teoi  nnDement  fenr  [d.  i.  si  non]  que  par  bonne  coustnme  et  de 
grSeei'^'    Zn  Lons  -  le  -  Saunier  und  Saint  Amour  im  Jnra  wurde 
dieSdiönste   mit. Blumen  geschmückt  und    von  den  jungen 
Leaten  auf  ihren  Armen  von  Haus  zu  Haus  getragen 
(t^  0.  die  nngar.    Pfingstkönigin  S.  344),  wo   man    Eier   nnd 
udere  EBwaaren   einsammelte,   indeß   die  Hirten   auf  Weiden- 
ftM^  spielten.'     Herr    Ballcydier^   erzählt,   daß  er  dicht  vor 
StPeray  (D6p.  de  TArd^che,  Languedoc)  auf  dem  Wege  nach 
ValeDce  ein  jnnges  Mädchen  auf  einem  erhöhten  mit  Onirlanden 
geflehmflekten  Sitze  gewahrte.     Sie  trug  einen  Kranz  von  weißen 
Rosen,  einen  Zepter  von  Blumen  und  war  umgeben  von  Gefähr- 
Hnnen,  welche  den  Hof  dieser  ländlichen  Königin,  oder  wie  man 
«igte,  der   „Ma'fa,*'    der  Maischöuen   bildeten.     Ehedem   mußte 
jeder  Vorübergehende   der  MaYa  einen  Kuß  geben,    bis 
noQ  auf  den  guten  Einfall  kam  sich  durch  ein  kleines  Geldstück 
von  diesem  erzwungenen  Tribut  los  zu  kaufen ;  jetzt  ist  nur  das 
Geldgeschenk  übrig  geblieben.    So  lautete  die  Auskunft,  welche 
Herr  ^lleydier   auf  sein  Befragen   von    diesen  Dingen   erhielt. 
Monnier  glaubt  wohl  mit  Recht,   daß   die  Vorübergehenden  den 
KuÄ  Yon  der  Maikönigin,   dem  schönsten  und  blühendsten  Mäd- 
chen der   Ortschaft    schwerlich    als    eine   aufgezwungene    Last 
Iwtrachtet,  noch   denselben   durch  eine  Geldgal)e  abgelöst  haben 
würden;  vielmehr  daß  diese  Sitte  den  Hochzeitfesten  nachgebil- 
det sei,  bei  welchen  die  Braut  alle  diejenigen  küsse,  welche  ihr 


^  Monnier,  Traditions  popnlaires  p.  285. 

2)  Monnier  a.  a.  0.  2'.H. 

3)  Corelt,  Fctes  religienses  etc.  S.  161. 

*)  Guide  des  voyageurs  sur  les  rives  du  Khöne  bei  Monnier  S.  296. 


346  Kapitel  IV.     Baamgeister  als  Vegetatioiisd&monen: 

ein  Geldstück  zur  Aussteuer  darbringen.  Der  KuA  der  IMne 
de  Mai  sei  eine  Dankbezeugnng  für  die  ihr  dargebrachte  6abe^ 
welche  nicht  erst  bei  Aufhören  desselben  eingeführt  wurde^ 
gewesen.  In  Nimes  führen  am  ersten  Maltag  die  Kinder  ein 
junges  Mädchen  umher,  das  sie  la  Reine  Maia  nennen.  Man 
setzt  sie  an  einem  Kreuzwege  in  eine  Art  blumengeschmttckter 
Nische  und  ihre  Begleiter  bitten  die  Vorübergehenden  um  eine 
Gabe  zum  Brautschatz  (dot)  fUr  sie.^  In  der  ganzen  Prorenoe 
sieht  man  diese  Majas  auf  blumengeschmückten  Estraden  oder 
auf  Bittgängen  durch  den  Ort.^  Neuerdings  sind  an  die  Stdle 
der  lebenden  Personen  vielfach  kleine  mit  weißen  Rosen  bekrämte 
Madonnenbilder  getreten,  welche  die  Kinder  in  den  Straften  anf 
weißgedeckten  Tischchen  aufstellen ,  indem  sie  die  Vorübergehen- 
den anbetteln:  ,,un  sous  pour  ma  vierge!''  Man  sieht  sehr  viele 
solcher  Schaustellungen  in  einem  und  demselben  Orte.  Aus  Spa- 
nien haben  wir  schon  oben  S.  338  ein  Zeugniß  des  8.  Jahrh.  ftr 
die  Maikönigin  (Maja)  beigebracht.  Es  ist  zu  bemerken,  daß 
von  dem  überladenen  Aufputz  dieser  Majas  im  Spanischen  die 
Phrase  Maja  (resp.  majo)  übrig  geblieben  ist,  womit  junge  Lente 
auf  dem  Laude  bezeichnet  werden ,  welche  durch  eine  affectierte 
und  übertriebene  Eleganz  der  Kleidung  und  eine  gewisse  Frech* 
heit  und  Rücksichtslosigkeit  des  Betragens  sich  auszeichnen  und 
den  Ton  bei  allen  Festlichkeiten  angeben.  Nach  Audley^  klei- 
deten auch  die  englischen  Kinder  zu  Cambridge  eine  Puppe  in 
grotesker  Manier  aus,  nannten  sie  May -Lady,  setzten  sie  auf 
einen  Tisch ,  auf  dem  Wein  u.  dgl.  stand ,  und  sprachen  die 
Vorübergehenden  um  eine  Gabe  mit  den  Worten  an:  „Pray 
remember  the  poor  May- Lady !^'  an.  Aus  andern  englischen 
Gegenden  berichtet  Douce,  daß  die  Lady  of  the  May  zuweilen 
auf  den  Schultern  der  Männer  in  Prozession  dahergetragen 
wurde,  und  Stephen  Batman  sagt,  daß  der  Papst  in  derselben 
Weise  auf  dem  Rücken  von  4  Diakonen  umhergeführt  werde, 
wie  die  Eierkäseköuiginnen  (Whytepot  queenes)  in  den  Maispie- 
len der  englischen  Hebriden.    Ohne  Zweifel,   fügt  er  hinzu,   sei 


1)  Miliin,  sur  Ic  midi  de  la  France  bei  Monnier  p.  297. 

2)  De  Nore,  coutuines  S.  17. 

3)  Companion  to  the  Almanack  1802  p.  21  bei  Brand,  pop.  antiqu.  ed. 
EUis  1,221. 


Dm  Maienreiten.  iil 

&,  ,, Queen  of  May^^  eine  Darstellung  der  Flora.'  Von  der 
Mayqiieen  ist  bereits  o.  S.  31 5  die  Eede  gewesen.  Auf  der  Insel  Man 
kinpfie  eane  Queen  of  May  mit  einer  Queen  of  winter  und  nahm 
ae  gefangen.'  Weiter  unten  werden  wir  auf  den  MaikOnig  und 
die  Maikönigin  zurückzukommen  durch  eine  Reihe  von  Gebräu- 
ehen  Gelegenheit  finden ,  in  welchen  beide  als  Gatten  vereint  mit 
einander  auftreten.  In  Ungarn,  im  Jura,  in  England  sahen  wir 
die  Maikönigm  beim  feierlichen  Umgange  getragen.  Dieser  Um- 
stand ist  somit  weder  zufällig  noch  bedeutungslos.  Batmans 
Yei^idi  desselben  mit  dem  Umzüge  des  Plastes  hat  insofern 
fftoBL  Gmndy  als  in  beiden.  Fällen  das  nämliche  Motiv  der  Ehr- 
iudit  der  Ceremonie  den  Ursprung  gab.  So  trägt  man  seit 
gruem  Altertum  Götterbilder  und  Gegenstände  von  religiöser 
HdKgkeit;  nur  entfernter  darf  an  die  Schilderhebung  deutscher 
Kteige  (£.  A.  234  ff.)  erinnert  werden. 

§  7.  Dms  Maienreiten.  Einen  großartigeren  Character  nimmt 
die  Einholung  des  Laubmanns  an,  wo  er  selbst  und  sein  Gefolge 
boritten  sind;  das  Geleite  wird  häufig  sehr  groß;  mehrere  typi- 
^  Figuren  treten  auf,  eine  Art  dramatischer  Kede  und  Wech- 
Mbede,  Fahnen-  und  Waffeuschmuck  machen  dieses  Schauspiel 
in  seinen  entwickelteren  Formen  farbenreich;  im  wesentlichen 
weicht  es  nicht  von  der  Grundlage  ab,  welche  aus  dem  Umgange 
des  Laubmännchens  zu  Fuß  uns  bereits  bekannt  ist.  In  den  mei- 
sten Fälleu  aber  hat  sich  die  Gabe ,  welche  in  Empfang  genom- 
■nen  wird  und  ihr  Maß  zu  einem  festen  Gewohnheitsrecht  aus- 
gebildet,  welches  unter  dem  Namen  Pfingstrecht  durch  die 
Berittenen  als  Schuldigkeit  in  Anspruch  genommen  wird.  Sehr 
einiach  war  noch  der  Umritt  des  Graskönigs  zu  Großvargula  bei 
Ungensalza  am  dritten  Pfingsti'eiertage ,  wie  er  uns  aus  dem 
vorigen  Jahrhundert  geschildert  wird.  Derselbe  steckte  in  der 
uiB  schon  bekannten  Pyramide  aus  Pappelzweigen ,  deren  Spitze 
äne  aus  Zweigen  und  Blumen  geschickt  geflochtene  Kaiserkrone 
nrit  einem  Fähnlein  schmückte  (vgl.  o.  S.  342 j.  Der  Graskönig 
ward  aaf  ein  lediges  Pferd  gesetzt  und  die  Pyramide  über  ihn 
gegtülpt,  deren  untere  Endzweige  bis  auf  die  Erde  hinabreichten, 
ftir  sein  Gesicht   blieb   eine  Oeffnung.     Die  anderen  berit- 

1)  Brand  I,  258. 

2)  Waldron ,  Description  of  the  Isle  of  Man.  Works  p.  154.  Brand  1, 267. 


di8  Kapitel  IV.     Baumgeister  als  VegetaidonsdAmonen : 

tenen  Bursche  nahmen  ihn  in  ihre  Mitte;  zwei  der  Ange- 
sehensten in  stattlichem  Anzüge  mit  weißen  Stäben 
flihrten  den  Zug.  Dann  folgten  die  Musiker.  Nachdem  die  An- 
führer gefragt  hatten ,  ob  es  ihnen  erlaubt  sei^  nach  alter  Sitte 
den  Graskönig  aufzuführen,  ging  der  Zug  vor  das  AmtshanSy 
die  Pfarrwohnung  y  das  Lutt^rodische  Gut  zu  den  Ober -Gemeinde - 
Heimbtirgen,  endlich  zu  den  beiden  Kämmerern.  Dort  erhielten 
sie  jedesmal  sämmtlich  einen  Trunk  Bier;  die  vier  letzten  maßten 
jeder  einen  Kuchen  geben.  Unter  den  sieben  Linden  des  nahen 
Sommerberges  wird  dann  der  Graskönig  seiner  Httlle  entkleidet, 
die  Krone  dem  Amtmann  überreicht;  die  Bttsche  steckte  man 
gerne  auf  den  Leinacker ^  um  langen  Flachs  dadurch  zu  bekommend 
Die  männliche  Jugend  von  Deuna  reitet  am  zweiten  Pfingsttage 
im  Festgewande  auf  geschmückten  Rossen  im  schnellsten  Trabe 
vor  den  nahen  Wald.  Hier  findet  sie  einen  armen  Knaben, 
den  der  Flurdiener  vorher  so  mit  Zweigen  von  Birken, 
Saalweiden  und  andern  Bäumen  bedeckt  hat,  daß  ihn 
niemand  mehr  erkennen  kann.  Mit  diesem  kehrt  der  Zog 
ins  Dorf  zurück,  indem  der  Verhüllte  zwischen  zwei  andern  rei- 
tet,  die  ihn,  wenn  es  nötig  ist,  halten;  man  sagt:  y,der  Schoß- 
meier  wird  eingeführt  Man  reitet  zuerst  auf  die  beiden  adeligen 
Güter,  deren  Besitzer  den  Schoßraeier  erraten  und  jeder  dem 
Festzuge  zwei  Eimer  Bier  geben  muß ;  sodann  vor  das  Wirtshaus, 
wo  der  Ortsvorstand  den  Zug  erwartet.  Sobald  dieser,  dem  eine 
Tonne  Bier  beizusteuern  obliegt,  den  Schoßmeier  erraten  hat, 
wird  derselbe  entkleidet,  seine  HiUle  in  ihre  einzelnen  Zweige 
aufgelöst  und  diese  an  alle  Gegenwärtigen,  Fremde  und  Eit^ 
heimische,  besonders  aber  an  junge  Mädchen  verteüf ,  welche  sie 
an  ihre  Fenster  stecken.^  In  der  Voigtei  Dorla  bei  Mttlhansen 
wird  der  hoch  zu  Roß  in  stattlichem  Laub-  und  Blumenkleide 
eingeftihrte  Schoßmeier  nach  dem  Umzüge  in^s  Wasser  gestürz^^ 
Zu  Hinterweidental  in   der  Pfalz,    wo  der  Pfingstqtiack  ganz  in 


1)  Guädigst   privilegirtc   thüring.  Vaterlandskunde    IHOl  — 1802.     Bei- 
mann ,  D.  Volksfeste  S.  157  —  59. 

2)  Waldmann,  Eichsfeldsche  Gebräuche  und  Sagen,  lleiligenstadt  1864. 
b.  8,  o, 

3)  A.  Witzschel ,  Sitten  und  Gebräuche  aus  der  Umgegend  von  Eisenach 
1866  S.  13,53. 


Du  Maienreiten.  849 

bitiges  Gk>ldpapier  eiDgehttllt  im  Galopp  zwischen  4  Reitern  mit 
gesehwärzten  Gesichtern^  hohen  spitzigen  Kappen^ond  hölzer- 
lem  Schwertern,  reitet^  .indeß  die  Pferde  mit  BrttmelbeerblUten 
goiert  sind,  laatet  der  vor  jedem  Hanse  angebrachte  Spruch: 

Da  kommen  die  armen  Pfingstknecht ! 
Sie   hätten  gern  das  Pfingstrecht; 
Ein  Stftekel  Speck,  oder  drei  Eier, 
Oder  ein  H&ndel  voll  Mehl, 
Daß  es  ein'  Simra  Knöpf  giebt. 

Sind  die  Gaben  eingesanunelt ,  so  reiten  sie  auf  einen  freien 
Phti  und  bilden  um  den  PAngstqnack  einen  Kreis.  Dieser  sieht 
n  entkommen.  Wird  er  erreicht ,  so  reißt  man  ihm  sein  schö- 
Ml  Qtwand  vom  Leib  und  jeder  sucht  ein  Stück  m  erhaschend 
Aoflgebildeter  und  zu  einem  förmlichen  Spiele  geworden  ist  der 
PIngstritt  m  Schwaben.  Die  Wurmlinger  Sitte  möge  als  Beispiel 
dieoeiL  Zwanzig  ledige  Bursche  oder  mehr  kleiden  sich  in  feine 
weilte  Hemden  und  weiße  Beinkleider  mit  schönen  Hosenträgem. 
Kt  roten  Schärpen  und  Säbeln  reiten  sie  auf  buntbebänderten 
Pferden  unter  Anführung  zweier  Trompeter  in  den  Wald  und 
Mea  den  Pfingstbutz  von  Kopf  bis  Füßen  in  belaubte  Eichen- 
iweige,  jedoch  jedes  Bein  besonders,  so  daß  er  sich 
fturg  Pferd  setzen  kann.  Man  macht  ihm  einen  langen 
bbsilichen  Hals  und  steckt  einen  Kopf  mit  einer  Maske  drauf. 
Abs  den  Worten ,  die  er  nachher  zu  sagen  hat,  geht  hervor,  daß 
ffingsUnUe  derjenige  sein  mußte,  welcher  beim  Ausreiten  der 
("Hedetzte  war.  Außerdem  schneiden  die  Buben  einen  etwa  zehn 
FuB  langen  Buchen  -  oder  Espenstamm  als  „Maien/'  schmttcken 
iiui  mit  gemeinsam  gekauften  bunten  Maitttchem  und  seidenen 
Kbidem  und  ttbergeben  ihn  einem  besondem  „Maienführer.^' 
Jetzt  reiten  sie  ins  Dorf,  ein  Platzmeister  voran ;  im  Zuge  befin- 
det sich  noch  ein  Korporal  mit  einem  Stock;  ein  Mohrenkönig 
^ü  russigem  Gesicht,  goldpapiemer  Krone,  weißem  Ueberhemde 
nnd  goldener   Schäq)e,    der   weiße   Mann   mit   weißem  Haar, 


1)  Panzt^r  1,238,264.  Gradeso  laatet  der  Sprach  beim  Umzüge  des 
^^^Isisser  Piingst<|aack :  ,,Da  kommen  die  Maienknecht;  sie  haben  gern 
ihr  Pfingstrecht.  Drei  Eier  and  ein  Stück  Speck  von  der  der  mohre 
S«it  erweck,  ein  halb  Maß  Wein  in  den  Kübel  hinein,  da  wolFn  die  Main- 
knecht xufrieden  sein." 


350  Kapitel  IV.    BaumgeiHter  als  Vegetationsdämonen: 

weißer  Kappe,  weißem  Ueberhemd  und  roter  Schärpe ,  der  Koeh 
mit  dem  Kochlöffel,  der  Kellermeister  mit  zwei  Kannen  voll 
Bier  und  Wein,  der  Doctor  Eisenbart,  endlich  der  Hen- 
ker. Auf  einem  freien  Platze-  machen  sie  halt  und  ein  jeder 
hält  eine  gereimte  Anrede.  Zuletzt  erklärt  der  Henker,  d^n 
Pfingstbntz  sei  das  Todesurteil  gesprochen  und  haut  ihm 
den  falschen  Kopf  ab.  Dann  beginnt  ein  Wettrüt  nach  dem 
einige  Büchsensclälsse  vom  Sammelplätze  aufgepflanzten  Maien; 
wer  ihn  im  Vorbeijagen  ams  dem  Boden  ziehen  kann,  hat  ihn 
sammt  allen  Bändern  gewonnen.  So  wird  dieser  Pfingst- 
ritt  gewöhnlich  alle  zwei,  drei  Jahre  in  Warmlingen 
aufgeführt^  Aehnlich  geht  es  vielfach  in  Schwaben  zu.  Za 
Friedingen  a.  d.  Donau  besteht  die  zwöli*  oder  mehr  Reiter  starke 
Gesellschaft  aus  dem  in  Tannenrinde  und  Laub  gehüllten  Pfingat- 
butz,  dem  Platzmeister,  Oberst,  Rittmeister,  Fähndrich  mit  der 
Fahne,  Maienführer  mit  dem  Maien  u.  s.  w.  Vor  dem 
Pfarrhause  antwortet  auf  die  Frage  des  zur  Räumung  des  Plalaes 
vorausgeeilten  Platzmeisters:  „woher  treibt  euch  der  Wind^  dafi 
eure  Schuh  und  Strümpfe  so  staubig  sind?'^  der  Rittmeister:  „ab 
alle  Wiesen  und  AeckerJ^  Maienfbhrer  und  Oberst  schwenken  den 
Degen  und  versprechen  tapfer  mit  dem  Türken  fechten  zu  wol- 
len. Dann  reiten  alle  dreimal  um  den  Dorfbrunnen 
und  baden  den  Pfingstbutz  darin,  worauf  sie  mit  ihm 
zum  Betteln  ausreiten,  zuerst  vor  das  Pfarrhaus.  Einer  Bagt 
einen  Spruch  her,  wonach  sie  hier  den  armen  Mann 
bringen,  der  sieben  Jahre  im  Walde  gelebt  hat,  von 
allen  Doctors  und  Balbierers  beschaut  ist,  sie  rieten  ihn  zn  baden 
lieber  in  Wein,  als  in  Wasser.*  Birlinger  (Volkst  a.  Schw.  H, 
S.  122  — 160  Nr.  148  — 154)  teilt  eine  ganze  Reihe  solcher  SjMel- 
weisen  und  Spieltexte  aus  Schwaben  mit,  wir  wollen  uns  begnü- 
gen einige  characteristische  Züge  daraus  hervorzuheben.  Der 
berittene  Eingebrachte  heißt  Pfingstlümmel ,  Pfingsthagen ,  Pfingst- 
butz, oder  Hatzeler  (vgl.  Hatzer,  Hezer  vermummte  Gestalt).  Er 
ist  in  Blumen^  grünes  Reisig  oder  auch  bloß  ins  Stroh  ein- 
gebunden ,  so  daß  er  unkenntlich  wird  und  ganz  dick  aussieht 
Er  reitet  zwischen  zwei  Mitkameraden,   z.  B.  zwischen  2  Maien- 


1)  Meier,  Schw.  Sag.  409,  101  ff. 

2)  Meier  a.  a.  0.  404 ,  98. 


Du  MaienreHen. .  851 

flOutrn  oder  zwei  Trabanten  n.  s.  w.  ^  die  ihn  häniig  wie  einen 
Gefimgenen  an  einem  Seile  halten.  Hieniit  stimmt  die  Auf- 
üuBimg  des  Pfingstlfinunels  als  armer  oder  alter  Mann  j  die  noch 
mebrbch  s.  B.  zu  Fnlgenstadt,  zn  Zinunem  und  Bettringen  (Bir- 
ÜDger  S.  129.  138.  155)  wiederkehrt  Zu  Hohenstadt  ist  nicht 
der  Pfingsflttmmely  sondern  der  Maienflihrer  in  Lanb  gekleidet, 
in  Zimmeni  bei  Bottweil  der  grüne  Pfingsthagen ,  der  ungeratene 
Sohn  des  Mohrenkönigs.  Mitunter  (Fulgenstadt ,  Nusplingen) 
giebt  sich  der  Pfingstbutz  oder  Hatzeler  durch  seine  Reden  als 
eise  Person  mit  fuchsrotem  Haar  und  als  derjenige  zu  erken- 
MB,  welcher  der  allerletzte  bei  .dem  Wettritt  geworden, 
der  Ober  die  Verteilung  der  Rollen  im  Aufzuge  entschieden  hat. 
b  Hohenstadt  ist  der  Pfingstlümmel  jedesmal  der  Zweitstärkste 
in  Wettringen,  das  zu  gleichem  Zwecke  angestellt  wurde;  aber 
uier  ihm,  dem  laubbekleideten  Maienflihrer  u.  s.  w.  nimmt  u.  a. 
«Mh  derjenige  am  Zuge  Teil,  der  bei  dem  Weidetreiben  des 
Viehs  in  der  Frtthe  des  Pfingstsonntags  der  Letzte  war.  Die- 
len wird  ein  Dornenbttschel  auf  den  Rttcken  gebun- 
dei.  Wenn  nach  dem  Schluß  des  Gottesdienstes  der  Wetter- 
ftgen  geläutet  wurde,  kam  der  Pfingstritt  in  den  Flecken  hinein, 
laritt  dreimal  die  Htlle  vor  der  Kirche  (die  zistemenar- 
tige  Regenwassergrube);  man  nahm  jenem  das  Domenbttschlein 
vom  Rttcken  und  warf  es  ins  Wasser;  dagegen  wird  zu 
Nusplingen  und  Bettringen  wiederum  der  Pfingstbutz  selbst  ins 
fftsser  geworfen.  Dem  weißen  Mann  in  Wunnlingen  (o. 
S.349)  entspricht  in  Nusplingen  der  schneeweiß  Gemuhlj  der  von 
Kopf  bis  zu  Fttften  weiß  gekleidet  ist.  Die  Pfingstbuben  oder 
Pfiogstreiter  insgemein  sind  in  ihre  Festkleider  gehüllt,  darttber 
tngen  sie  ein  weißes  Hemd,  das  mit  roten  Bändern  und  Maschen 
geaert  ist,  und  um  die  Lenden  einen  Gürtel;  ihr  Kopf  ist  zu 
Bettringen  mit  einem  Kranz  von  gelben  Butterblumen  (caltha 
ptlmtris)  fast  ganz  bedeckt.  Auch  die  Köpfe  der  wohlgenährten 
Boeee  sind  mit  diesen  gell)en  Blumen  verziert.  Zuweilen  aber 
(Fnlgenstadt)  trägt  nur  der  erste  Reiter  diesen  Blumenschmuck. 
Die  Zahl  der  stehenden  Figuren  des  Pfingstritts,  zu  denen  jedes- 
Dwl  ein  oder  zwei  MaienfiHirer  mit  ihrem  verzierten  Maien 
(Birke,  Buche  oder  Tanne)  gehören,  wächst  zuweilen  ansehnlich 
^.  In  Zimmern  bei  Rottweil  besteht  der  Pfingstritt  aus  dem 
Mohrenkünig  und  seinem  Sohn  dem  Pfingsthagen,  zweien 


352  Kapitel  IV.     Bamngeister  als  VegetatioiiBdäinoneii: 

Maienführern  zu  dessen  Seiten,  Goliath  and  König  David, 
Vorreiter,  Hauptmann,  Offizier,  dem  ersten  and  zweiten  Basa- 
ren, dem  Obeijäger  und  Unterjüger,  dem  armen  Baaer  and 
dem  Koch.  In  Nusplingen  treten  auf  der  Platzmeister,  der 
Quartiermeister,  Franziskus  römischer  Kaiser,  Ludwig  XVL 
König  yon  Frankreich,  der  türkische  Kaiser  oder  Sultan,  die 
rassische  Kaiserin,  ihr  General,  der  Maienf  tth  rer, 'der 
Fähndrich,  der  Pfingstbutz,  der  schneeweiBe  Gemahl, 
der  Koch. 

Aus  Oberbaiem,  wo  der  Pfingstling,  wie  wir  sogleich  sehen 
werden,  Wasservogel  heißt,  wird  uns  vom  Jahr  1840  eine  noch 
viel  buntere  Zusammensetzung  der  Pfingstprozession  zu  Sauerlaeh 
geschildert.  Im  berittenen  Zuge  befanden  sich  folgende  Personen 
resp.  Gruppep:  1.  der  Nachtwächter,  2.  Feldmesser,  3.  Trom- 
peter, 4.  Trommelschläger,  5.  Fähndrich,  6.  vierzig  Mann 
Iteiterei,  T.berußter  Kaminfeger,  S.Hanswurst,  B.Schlei- 
fer, 10.  Doctor,  11.  Hansgrobian,  12.  Krttgelmann,  13.  der 
Vater  der  Hochzeiterin,  14.  die  Hauptperson,  der-  im  belaub- 
ten Keisergestell  steckende  Wasservogel  zu  Pferd, 
15.  der  Landrichter,  16.  Bauer,  17.  Stadtherr  und  BanermAd- 
chen,  18.  der  Klausner,  19.  ein  Weibsbild  mit  Kindern,  20.  ein 
Tiroler,  21.  Bacchus  auf  einem  Faß  sitzend,  22.  der  Pfarrer, 
23.  der  schwarze  Teufel,  auf  welchen  öfter  geschos- 
sen wurde,  24.  der  bairische  Hiesel,  25.  Hansel  und  6re- 
tele  von  Stroh  auf  einem  Schleifrad,  26.  der  Kttchen- 
wagen  mit  zerbrochenen  Hausgeräten,  27.  die  Hexe  auf  einer 
Eggenschleife  mit  einer  Flachsschwinge,  28.  Martin  Luther  and 
Kätchen,  29.  ein  Schäfer  mit  seinem  Hund,  30.  Hochzeit* 
leutc  mit  Braut  und  Bräutigam,  31.  Jäger,  32.  Roßdieb, 
33.  Gensdarmen.  Jede  dieser  Masken  sagt  einige  ihrem  Gharacter 
entsprechende  Verse  her.  In  der  bair.  Provinz  Schwaben  and 
Neuburg,  in  Niederbaiern ,  Oberbaiem  ist  der  Brauch  im  allge- 
meinen noch  einfacher,  häufig  nur  von  7  oder  9  Knaben  oder 
erwachsenen  Burschen  geübt,  oder  wenn  von  mehreren,  ohne 
die  vielfachen,  in  bunten  Mummenschanz  auslaufenden  Aeni- 
ter.  Der  feierlich  Eingebrachte  heißt  Ptingstlümmel,  Pfingst- 
hansl,  Pfingstling  oder  Pfingstl,  gemeinhin  aber  Wasservogel, 
weil  er  fast  durchgehend  vor  jedem  Hanse,  von  der  Schwelle 
der  Haustür  aus  oder  vom  oberen  Stock  herab  mit  Kübeln  Was- 


Dm  Maienreiten.  858 

ler  besehttttet  wird;   der  yoransreitende  Bube  fordert  dazu  mit 
den  Worten  auf: 

Pfingstl  he!  Pfingstl  he!  der  PAngstl  is  da; 

Nehmtfi  en  Krftgl  voll  Wasser  and  schfitt's  'n  brav  a! 

oder  man  wirft  ihn  von  der  Brücke  hinab  in  den  Bach 
oder  Flaßy  taacbt  ihn  dreimal  in  den  Brunnentrog,  oder 
liBt  ihn  in  den  Bach  hineinreiten,  zieht  ihn  dort  vom  Pterde 
Bsd  steckt  ihn  ins  Wasser.  Woher  die  Bezeichnung  als  Vogel 
illlurty  wird  bei  einer  anderen  Gelegenheit  zu  erörtern  sein.  Zur 
Unbeinkleidong  des  Wasservogels  dienen  je  nach  Gutdünken 
Kike,  Eiche,  Linde,  Wasservogelblumen,  Schilf,  oft  nur  Stroh; 
nf  seinem  Kopf  trUgt  er  oft  eine  Blumenkrone;  mitunter  besteht 
^ne  ganze  Ausrüstung  aus  einem  um  den  Hals  geworfenen 
Kranz  von  Lauh  und  Blumen  (Abensberg  Niederbaiem).  Zu- 
wdlen  wird  beim  Pfingstreiten  oder  Wasservogelreiten  (man  sagt: 
ntir  reiten  den  Wasservogel'O  kein  lebender  Mensch  eingeftihrt, 
Modem  eine  Puppe  mit  einem  vom  Schreiner  geschnitzten  und 
li^nalten,  mit  dreieckigem  Hute  bedeckten  Kopf,  ausgezacktem 
Papierkoller  nm  den  Hals,  Bekleidung  von  Schmalzblumen  und 
Wisservogelblumen  um  Arme  und  Leib;  dreifachem  Gürtel 
aQ8  ausgeblasenen  Eiern  (o.  S.  158)  um  die  Lenden  (Holz- 
keim  in  Schwaben).  Wasservogel  wird ,  wer  am  Pfingsttag  beim 
Weidetreiben  oder  beim  Wettrennen  der  Letzte  war. 

Der  Umritt,  der  nach  einem  Liede  zu  Holzheim  in  Schwa- 
ben ehedem  auch  rund  um  das  Kornfeld  („wir  reiten  um  das 
Kornfeld"  Panzer  H,  86)  gegangen  sein  muß,  läuft  stäts  in  eine 
CoHecte  von  Eiern,  Sehmalz,  Butter,  Geld  aus,  wovon  eine 
gemeinsame  Abendmahlzeit  mit  Musik  und  Tanz  im  Wirtshause 
bestritten  wird.^  Während  in  Baiem  sich  das  Hauptinteresse  um 
die  Wassertauche  des  Pfingstlings  dreht,  tritt  in  Böhmen  das 
Köpfen  desselben  entschieden  in  den  Vordergrund.  Der  präch- 
tig herausgeputzte  König  wie  seine  Söldner  ganz  oder  teilweise 
in  Baumrinde  gekleidet,  mit  Blumen  und  Bändeni  geschmückt 
nnd  mit  Säbeln  ausgerüstet ,  sitzen  auf  Pferden ,  die  gleichfalls 
n^it  grünen  Zweigen  und  Blumen  verziert  sind.  Sie  umreiten 
dreimal  im  Kreise  eine  Lauhhütf^^  aus  grünen  Maien,  in  der  der 

1)  Panzer   I,  234,  259.  235,  200.     TT,  8;^,  120.  i)0.  136.     Srhmeller, 
bair.  Wörterbuch.   Aufl.  2.    S.  4'S^ 

Jitnahtrdt.  23 


354  Kapitel  lY.    Baumgeister  als  Vegetationsdamonen: 

König  Platz  nimmt  [vgl.  die  Laube,  arbour,  mit  derMayqueen  in 
England  o.  S.  315].  Nim  werden  die  Hausfrauen,  Hauswirk 
und  Mädchen  hn  Dorfe  in  Vtraen  kritisiert ,  während  dessen 
aber  steckt  man  einen  mitgebrachten  Frosch  in  ein€ 
Kneipe  und  zwackt  und  sticht  ihn,  bis  er  quakt.  Aas 
der  Art  seines  Geschreis  pflegen  die  Leute  zu  weissa- 
gen. Der  König  spricht  das  Todesurteil  über  ihn  aus, 
worauf  der  Henker  dem  Frosch  den  Kopf  abschlägt, 
und  den  zappelnden  blutigen  Körper  sammt  der  Kneipe 
unter  die  Umstehenden  wirft  Zuletzt  wird  der  König 
aus  der  Hütte  gejagt  und  von  den  Söldnern  verfolgt* 
Gelingt  es  nicht,  den  mit  einigen  Schritten  Vorsprung  in  Carri^re 
Davonreitenden  einzuholen,  so  behält  er  noch  ein  JaJir  seine  Würde 
und  die  Bursche  müssen  am  Abend  im  Wirtshause  seine  Zeche 
bezahlen,  wird  er  aber  gefangen,  so  peitscht  man  ihn  entweder 
mit  Haselruten  oder  schlägt  ihn  mit  hölzernen  Säbeln./  Er  muft 
niederknien  und  der  Scharfrichter,  dem  auf  die  Frage:  „Soll  ich 
diesen  König  köpfen?"  die  Antwort  „köpfen"  zu  Teil  geworden 
ist,  schlägt  ihm  mit  geschwungenem  Schwert  die  Krone  vom 
Kopf,  worauf  er  unter  großem  Geschrei  der  Umstehenden  sa 
ßoden  fallt,  auf  eine  Tragbahre  gelegt  und  ins  nächste  Gehöft 
getragen  wird.'*  Anderswo  werden  dem  vom  Richter  verurteilten 
König  drei  bis  vier  Hüte  übereinander  auf  den  Kopf  gesetzt  und 
die  Hhirichtung  wird  dargestellt,  indem  man  die  Hüte  heninter- 
liaut.  Dem  beschriebenen  Character  des  böhmischen  Königs- 
spieles gemäß  treten  die  einzelnen  Mitglieder  gemeinhin  in  tblgen- 
den  Characterrollen  auf.  Der  Fähndrich  mit  geschmücktem  Maien 
eröffnet  den  Zug,  dann  folgen  Trompeter  und  Pfeiffer,  nach  ihnen 
der  König,  der  Kn6z,^  der  Richter,  der  Henker  sammt  seinem 
Henkersknecht,  der  BUttel,  zuletzt  die  Soldaten  oder  Söldner. 
Der  König  trägt  häufig  ein  Bäum  eben  als  Zepter  und  in 
der  Linken  einen  Spieß,  an  dessen  Spitze  ein  Laub- 
frosch angebunden  ist.  Der  Verfolgung  und  dem  Köpfen 
des  Königs  pflegt  ein  L'mgang  oder  Umritt  durch  das  Dorf,  das 


1)  Krolnuis  T.  111,  p.  13S    -40.    ReinsberK-Dtiringsfeld  S.  262. 

2)  Kralinus  111,  92      122.      Heinsberg  -  Diiringsfeld ,   Böhmischer  Feat- 
kaleiuler  8.201—0:'). 

3)  «1.  i.  Priester. 


Der  Mairitt,  £rl&aierung.  355 

Gerieht  ttber  die  Dorfleate  anter  dem  Maibaum,  oder  in  der 
Miihfltte,  sowie  das  Köpfen  der  Frösche  (wobei  oft  mehrere 
(Beter  vorher  an  den  Maibänmen  aufgehängten  Tiere 
n^r  das  Volk  geworfen  werden)  fast  jedeHmal  vorauszugehen. 
Den  König  begleitete  zum  Dorfgerieht  zuweilen  eine  Königin.^ 

§8.  Der  Mairitt,  Erlinterung.  Doch  hier  halten  wir  wie- 
der einmal  ein.  Statt  noch  weiter  das  Füllhorn  der  Ueberliefe- 
nog  vor  dem  Leser  auszuschfltten ,  machen  wir  den  Versuch^ 
di8  Verständniß  zu  tbrdem ,  indem  wir  die  in  den  einzelnen 
Traditionen  zerstreuten  Züge  nach  einheitlichen  Gesichtspunkten 
umnielny  ordnen  und  l>eleuchten.  Wir  verfahren  dabei  der  Art, 
daA  wir  zunächst  einige  sämmtlichen  Formen  der  Laubeinklei- 
doBg  gemeinsame  Stücke  mit  Hilfe  des  vermehrten  Materiales 
bener  ins  Licht  stellen  j  sodann  den  Eigentümlichkeiten  des  Mai- 
Ritens  unsere  Aufmerksamkeit  zuwenden.  Zunächst  ist  es  klar^ 
diB  im  wesentlichen  ein  Unterschied  zwischen  dem  zu  FuBe  ein- 
gebrachten und  dem  zu  Rosse  eingeftihrten  Piingstlümmel  nicht 
besteht  Die  Einhüllung  in  Baumrinde,  Laub,  Blumen  oder  Kom- 
itroh  (o.  S.  353)  ebenso  wie  der  Name  Graskönig  (o.  S.  347) 
eharacterisiert  ihn  als  den  im  Wachstum  der  Bäume,  Blumen,  Grä- 
ser und  Kulturpflanzen  waltenden  Vegetationsdämon  und  stellt 
ibn  der  serbischen  Dodola  und  ihrer  Sippe  zur  Seite,  gleich  der 
er,  um  Regen  über  die  l^anzenwelt  herabzulocken,  mit  Wasser 
begossen,  oder  in  Teich,  Bach,  Brunnen  gebadet  wird.  Dieses 
Bad  nimmt  zuweilen  einen  sogar  gewaltsamen  Character  an 
(»Sturz  von  der  Brücke).  So  notwendig  erscheint  der  Kegcnzauber 
dem  Emritte  des  Pfingstlings  zugehörig,  daß  dieser  davon  in 
Baiem  fast  allgemein  Wasscrvogcl  zubenannt  ist.  Ganz  die 
niniliche  Bedeutung  hat  das  Kneipen  oder  Köpfen  des  Frosches 
(O.S. 354),  denn  da  die  Laubfrösche  schreien,  wenn  Regen  bevor- 
steht, so  sagt  der  Volksglaube,  wenn  man  einen  Frosch  tödte, 
gebe  es  Regen.* 


1)  Vgl.  Rcinsberg-Dftringsfeld  a.  a.  0.  231  —  34.  2r)3  — 71. 

2}  Kuhn,  Weatfäl.  Sag.  II,  SO,  24-L  —  Der  gleiche  Aberglaube  herrscht 
allgeQiein  bei  den  Walachen.  W.  Schmidt,  da8  Jahr  und  seine  Tage  in 
Heinung  und  Brauch  der  Ronifinon  Siebenbirgens ,  Hcrnuinnstadt  18GG  S.  17. 
Nun  erklären  sich  auch  die  folgenden  Uoberlieferungen  als  Uebcrbleibsel  vol- 
lerer. Wer  von  den  Hüterbuben  in  Oestreich  am  Öt.  Johannistag  morgens 
zu  früh  mit  der  Peitsche  knallt,    wird  durch   den  Morgentau  gezogen  und 

23* 


356  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetationsdämonen: 

Durch  eine  ganze  Reihe  Übereinstimmender  Züge  wird  die 
vorgetragene  Ansicht  über  den  Pfingstlttmmel  bestätigt.  Der  Gür- 
tel der  ihn  darstellenden  Puppe  besteht  ans  Eiern ,  den  Symbolen 
des  Lebens  (o.  S.  :J5:}).  Der  sogenannte  Maienführer  resp. 
Fähndrich  trägt  ihm  den  Maibaum  voraus  (o.  S.  350ff.)  oder  er 
selbst  trägt  den  Maibaum  in  der  Hand  (o.  »S.  354).    Es  ist  also 


heißt  das  Jahr  Tauwäscher;  wer  verschläft  uud    zaletzt   austreibt, 
ist   ,,Frosch8chiiider/'    Baumgarten,   das  Jahr   und   seine  Tage,   Liiiz.2 

1860  S.  27.    Auch  zu  Elsdorf  bei  Teupitz  heiHt  es ,   wessen  Kuh  am-  Pfing . 

sten   zuletzt  hinausgetrieben  wird,    der  müsse  Padden   schinden.    Knlm.  ^ 
Nordd.  Sag.  389,  74.     Uebrigens  erscheint  es  nicht  überflüssig  zu  S.  314. 327  ft.  :M 
nachzutragen ,  dalt  ähnlicher  Kegenzauber  sich  bei  verschiedenen  wilden  Ydl-  .^ 
kern  wiederfindet     Die  Mexikaner  riefen   im  6.  Monat  den  Tlaloc,  den  Got:^« 
des  Regens,   und  Gewitters  an,   dem   sie  als  dem  duftgepalbten ,   blamenbc^to^ 
kränzten   Könige   des  Paradieses   bei   Dürre    klagten,   daß   die   Götter  d^^ 
Begeus   sich    entfernt   und  die  Götter  des  Ueberflusses  mit  sich  fortgef&hr, 
hätten.     Sie  stellten  ihm  den  trockenen  Mund  und  die  verdorrte  Pflanze 
holten   Schilf  aus   dem  See,  um  damit  die  Tempel  zu  decken  und  t%de^' 
fuhrest  ftie  auf  den   See  zu  einem    Waaserwirbel  und  opferten  dort  eif 
Knaben  und  ein  Mädehen,    J.  G.  Müller,    Amerik.  ünrelig.  501.  —   Wert 
die  Saat  aufging,  versenkte  man  einen  Knaben  und  ein  Mädchen  aus  ede- 
Geschleckte  dem   Tlaloc  zu  Ehren  ins   Wasser.    Torqueniada,  libros  ritoa' 
y  mouarquia  Indiana.     Madrid  1723.  VII, 21.    Waitz,  Anthropologie  IV,  1£  .Kl 
In  Südcaroliiia   wurde   bei   Gelegenheit  eines  Festes  ein  hölzernes  Bild 
Ackei'  (luftfestellt  und  verehrt ,  darauf  aber  nw  Wasser  geworfen,  angeblS^^C 
um  den  Gott ,  von  dem  man  das  Gedeihen  der  Feldfrüchte  erwartete ,  zu  ^ 
übrigen  Wassergöttern  zurückkehren  zu  lassen.     Herrera,  Descripcion  de         ^ 
Indias  occideutales.    Madr.    1730,11,10,6.     Waitz, ^  Anthropologie  III,  :s=^      ; 
Im    nördlichen  Africa   z.  B.  im  Gebiet  von  Coustantine  in  Algier  besteht        ^^ 
Gewohnheit,  dal!  jedes  Jahr  bei  Jangandauernder  Trockenheit  die  Museli 
ner  einen    oder   mehrere   arme  Marabuts   halb  freiwillig  halb  gezwnngei 
Fluß  untertauchen,  worauf  sofort  Kegen  erfolgen  soll.    J.  Grimm,  Kl.  S^^^cl 
Il,44i*.     In  Joruba  (Wests frica)  wird  bei  anhaltender  Dürre  ein  Sklave  m^      fis 
lieh  bekränzt,    zum  Flusse  ye führt  und,  um  die   Wassercföttin  zu  rersok  — -«•« 
in    ihr  Element  geworfen,    wo   ihn   rasch  die  Krokodile  verzehren.     Bas         im, 
geogr.  u.  ethnogr.  Bilder,   Jena  1873,  S.  183.     Wenn  der  Khonde  die  W^ien- 
srhenojjfer  martert,  die  der  ErdgiHtin  dargebracht  werden,  so  freut  er    ^sicÄ, 
sie  reicfüich    Trähnen   vergießen  zu   sehen,   denn   das  ist  ein  Zeichen,        daß 
häufige  HegenscJiauer  auf  sein  Laml  niederfallen  werden.    Macpherson  H~ »dii 
p.  130.  3G3.     Tylor  II ,  272.     Der  südeuropäische  Landmann  taucht  eine  ÜiM- 
säule  der  Jungfrau   oder  St    Petrus  ins  Wasser,   um  Regen  zu  erzielen.       E« 
geht  daraus  hervor,   dal!   die  Laubeinkleidung   nicht  notwendig  zum  Rö^«»- 
Zauber  gehört. 


Der  Mairitt,   Erl&uteruDg.  «^7 

hier  dasBelhe  Verhältniß  eingetreten ,  wie  beim  grünen  Georg  und 
ttioer  Sippe  (o.  S.  312  ff.);  der  Maibauni  nnd  der  in  Laub  geklei- 
dete Mensch  bilden  die  doppelte  Darstellung  eines  und  desselben 
Gedankens.    Wie  der  Maibaam  wird  der  riingstlUmmel  Frühjahrs 
im  Walde  gefunden  (o.  Ö.  348).    Wie  der  Maibaum  auf  das  Dach 
des  Herrenhauses  oder  der  Scheune  gepflanzt  wird,  findet  auch 
d«  Laub  -   und  Reisergestell   des  Wasscrvogels ,  wie  wir  sehen 
werden,  auf  dem  Giebel  des  Stadels  der  l'fingstbraut  Platz  und 
Ueibt  dort   das  ganze  Jahr  bis  zum  nächsten  Pfingsten.^    Oder 
wo  der  ans  Stroh  gemachte  Wasser\'ogel ,  resp.  der  als  solcher 
i^rmammte  Bursche  (dem  Namen  entsprechend)  mit  einem  großen 
i<HzemeD  Schnabel  ausgerüstet  wird  [eine  theriomorphische  Form 
<teg  Vegetationsdämons,  über  die  wir  später  des  weiteren  ver- 
i^ndeln  werden],  nagelt  man  den  Schnabel,  nachdem  der  Vogel 
in«   Wasser   geworfen  wurde,   auf  den  Scheunenfirst  als  Amulet 
Siegen  Blitz  nnd  Feuer,  gradeso  wie  den  Emtemai  und  Kichtmai 
(o.   S.  216.  220).*      Die   Pfingstreiter    ritten    „rund   um   das 
Kornfeld"  (o.  S.  353)und  „ab  alle  Aecker"  (o.S.350);  man 
erwartete  Segen  tlir  die  Saat  von  ihrem  Umritt.    Die  grüne  Hülle 
des  Graskönigs   zu  Großvargula  wird  in   ihre   einzelnen  Zweige 
^ii%elöst    an    die   Dorfgenossen   verteilt   und   in   die    Leimicker 
gesteckt  y  um  hohen  Flachs  zu  bek^nwwn  (o.  S.  348);  diejenige  des 
2SchoBmeiers  wird   ebenso   verteilt  und  von  den  jungen  Mädchen 
an    ihre  Fenster  gesteckt,  (o.  S.  348).     Dem  Pfingstquack  in  der 
Pfalz    reißt  man  sein  schönes  goldpapierencs  Gewand  vom  Leibe 
und  Jeder  sucht  ein  Stück  davon  zu  erhaschen  (o.  S.  340). 

Ein  verbreiteter  und  jedenfalls  uralter  Gebrauch  muß  in  der 
Hinrichtung  des  Pfingstbutz  erkannt  werden.    Die  wilden  Männer 
im  Erzgebirge  wurden  scheinbar  niedergestoßen  und  gestochen; 
man   spritzte  mit   blutgefitllten  Schweinsblasen    unter  die  Leute 
(o.  S.  336).     Ebenso  wird  in  Thüringen  der  wilde  Mann  erschos- 
sen, so   daß  er  wie  todt  zu  Boden  tallt  (o.  8.335).     In  Böhmen 
dagegen  geschieht  die  Köpfung  allgemein,  indem  man  schallend 
mit  dem  Schwert  auf  die  Laubhüllc  schlägt,  oder  den  falschen 
lleiserkopf,  die  Königskrone  oder  einen  von  mehreren  über  ein- 
ander gesetzten  Hüten  herunterhaut  (o.  S.  354).    In  Niederbaiem 


1)  Panier  II ,  87,  129. 

2)  Bavaria  1,  375  flf.  1003. 


358  Kapitel  IV.    Banmgeister  als  Yegetationsd&monen : 

finden  wir  Kegenzauber  und  Tödtung  verbanden,  insofern  der 
Pfingstl  ins  Wasser  geführt  und  dort  geköpft  wird,  während  bei 
Leitmeritz  der  Tödtungsact  mit  obligatem  Durchstechen  einer  dem 
Wilden  unter  das  Wamms  gebundenen  Blutblase  vorangeht  and 
das  Ertränken  einer  ähnlichen  Strohpuppe  im  Teiche  nachfolgt 
In  Thüringen  bringt  ein  als  Arzt  verkleideter  Barsche  den 
getödteteu  Wilden  wieder  ins  Leben  (o.  8.  335)  und  dieser  näm- 
liche Zug  scheint  in  den  bairischen  und  schwäbischen  Spielfor- 
men vorhanden  gewesen  zu  sein,  da  ohne  Zweifel  dar^s  das 
Auftreten  des  Wunderdoctors  Eisenbart  (o.  S.  350)  oder  schlecht- 
hin des  Doctors  (o.  S.  352)  zu  erklären  sein  dürfte.  Offenbar 
eine  sehr  befremdliche  Erscheinung  ist  der  Umstand,  daft  der 
Repräsentant  des  Wachstums  und  des  Lebens  in  mimischer  Naeh- 
ahmung  getödtet  wird.  Wie  kam  man  auf  diesen  Gredanken, 
welches  Motiv  liegt  ihm  zu  Grunde?  Man  müBte  doch  eher 
erwarten,  das  der  Winter  im  Bilde  vernichtet  würde,  aber  die- 
sen kann  der  in  Grün  und  Blumen  Gekleidete ,  feierlich  aas  dem 
Walde  Geholte  doch  keineswegs  vertreten?  Fttr  die  Erklärong 
des  Kätsels  scheinen  mir  zwei  Möglichkeiten  sich  darzabieteo, 
die  vielleicht  vereinigt  das  Richtige  ergeben. 

a.  Falls  der  in  der  heutigen  Tradition  sehr  verdunkelte  Ad 
der  Wiederbelebung  ursprünglich  einen  unerläßlichen  und  not- 
wendigen Bestandteil  des  Brauches  ausmachte,  wäre  es  denkbar 
daß  die  Hinrichtungsscene  den  Tod  des  Vegetationsdämons  durcH 
den  Winter  versinnbildlichen  sollte  und  daß  die  Darstellung  dies 
ses  der  Zeit  nach  um  7  Monate  zurückliegenden  Vorgangs  in  der 
Frühliugsgebrauch  hineingeschoben  sei,  und  das  Erwachen  des 
Natur  aus  dem  Tode,  die  Wiederbelebung  sichtlich  machen 
zu  können.  Denn  wie  wollte  man  das  Auferstehen  anders  vea 
bildlichen,  als  durch  vorgängige  Darstellung  des  Todes?  Di 
Pflanzenwelt,  welche  der  wilde  Mann  repräsentiert,  ist  ja  df 
nämliche,  wie  die  abgestorbene  des  vorigen  Jahres  und  doc 
wieder  eine  neue.  Diesen  Gedanken  sehen  wir  anders  auch  m 
ausgedrückt,  daß  der  so  feierlich  eingeholte  laubbekleide « 
Pfingstl  ein  alter  armer  Mann  genannt  wird,  der  siebs 
Jahre  im  Wald  gelebt  habe,  d.  h.  der  Vegetationsgenias  d-. 
vergangenen  Jahres  ist  während  der  sieben  Monate  des  Wint€E 
verarmt,  seiner  Schätze  beraubt  gewesen,  alt  und  schwach  gewc: 
den  (o.  S.  350).     Folgerechterweise  sollte  nun  eine  Verjüngung 


Der  Mairitt,  Erlftutomng.  359 

seene  folgen ,  diese  scheint  meistenteils  verloren  gegangen;  doch 
Tielleieht  scheint  es  nar  so.  Man  beachte  die  folgenden  Bräuche. 
Ib  Reidebnrg  bei  Halle  a.  S.  hauen  die  Pfingstbursche  frtthmor- 

*  gens  im  Walde  die  Pfingstmaie  und  itihren  sie  unter  Musikbeglei- 
tODg  auf  einem  besonderen  Wagen  ins  Dorf.    Nachmittags  findet 
dB  Fest  statt,  zu  welchem  die  Bewohner  der  Nachbardörfer  feier- 
M  emgeladen  wurden.    Die  Maie  mit  einem  Preise,  Tuch  oder 
Westenieng  geschmückt  wird  autgepflanzt.    Ein  Strohmann  wird 
«if  eine  Karre  gelegt  und  eine  Grube  von  der  Länge  eines  Men- 
seken  gegraben.    Einer  von  ^en  Pfingstburschen  nach  dem  andern 
sieht  mit  verbundeneu  Augen   den  Strohmann  in  die  Grube  zu 
hrren.     Wem  es  gelingt,  die  letztere  zu  treffen,  erhält  den  an 
die  Maie  gebundenen  Preis.    Der  Strohmann  bleibt  in  der  Grube, 
das  Grab  wird  zugeschüttet;  man  Uxnzt  um  den  Maibaum.    Das 
Spiel   nennt   man:    „deti   alt^h  Mann  ins  Loch  karren,*'^     So 
^rd  nan  auch  in  Wttrtemberg  der  Fastnachtsbär,   eine  therio- 
^rphische  Figur  des  Vegetationsdämons,   in  Böhmen  der  uns 
^hon   bekannte  wilde  Mann   zu   Fastnacht  im   Strohbilde   erst 
feierlich   geköpft,   so    daß   das  Blut   aus  der  verborgenen  Blut- 
^^rst,  Spritze  oder  Schweinsblase  hervorspritzt  (o.  S.  336),  sodann 
t>egTaben ,  und  wir  werden  in  einem  der  nachfolgenden  Abschnitte 
diesen  Begräbnißbrauch  durch  die  Fastnachts-,  Lätare-  und  Mitt- 
Sommersitte  zu   verfolgen  Anlaß  haben.     So  schwierig  die  Beur- 
teilang  dieser  Sitten  auch  ist,   so  erlauben  die  Umstände  kaum 
einen   andern  Schluß,   als  daß  dieselben  das  Begräbniß  des  aus- 
gelebten Vegetationsdämons  des   alten  Jahres   darstellen  sollten, 
der  in  den  Boden  verscharrt,  unter  Mist  begraben  wird,  um  neu- 
geboren  aufzuerstehen.     Ist  das  richtig,   so  stellt  der  Maibaum 
im  Reideburger   Brauch   den   auferstandenen   Vegetationsdänion, 
der   in's  Loch   gekarrte   alte  Mann  den   dahingeschiedenen   des 
alten  Jahres   dar.      Wir  werden  später  sehen,   daß  auch  in  den 
clen  nordeuropäischen   durchaus  verwandten  asiatischen  Gebräu- 
ehen des  Attis-  und  Adonisknltus  die  Darstellung  des  Todes  und 

•  der  Wiederbelebung  des  Vegetationswesens  dicht  an  einanderge- 
rttckt  in  einem  Feste  verbunden  sind.  Wie  also,  wenn  wir  es 
inunseren  Mai-,  (Pfingst-)gebräuchen  nur  mit  verderbten  und  in 


1)  Sommer,  Sagen,  Märchen  u.  Oebr.  a.  Sachsen  u.  Thüringen.    Halle 
8. 152. 


1^.  8. 152. 


360  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetatiousdämonen: 

Verwirrung    gerateneu    Bruchstttcken    eines    ursprünglich    yoU- 
ständigeren  Brauches  zu  tun  hatten,  dessen  Zusammenhang  etwa- 
der  folgende  war  ?    Auszug  nach  dem  Walde ,  Tödtung  (Köpfang) 
des   Pfingstl   daselbst    (Begräbniß),    Wiederbelebung ,    feierliche 
Heimtlihrung  ins  Dorf,  Wassertauche. 

b.  Zwei  Umstände  freilich  bereiten  dieser  Annahme  Schwie- 
rigkeit. Es  ist  schwer  ersichtlich ,  wie  der  Tödtungsact  von  dem 
Anfange  des  Spieles  an  das  Ende  geriet,  wenn  man  nicht  etwa 
annehmen  will,  daß  dies  ans  Mißverstand  geschah,  oder  daB  er 
proleptisch  schon  das  spätere  Ende  Tier  Vegetation  im  Hochsom- 
mer und  Herbste  bezeichnen  soll.  Sodann  ist  die  Darstellung  der 
Hinrichtung  eine  so  drastische,  daß  man  durch  die  vielfache 
Analogie  der  Abschwächung  alter  Gebräuche  sich  zu  der  Ver- 
mutung veranlaßt  finden  kann,  die  gewaltsame  TOdtung  des  in 
Grün  gehüllten  Menschen  sei  in  einer  feraab  liegenden  barba- 
rischen Urzeit,  deren  Nichtachtung  des  Menschenlebens  uns  u.a. 
die  Strafe  flir  Baumscbälen  (o.  S.  26  ff.)  zeigte,  nicht  nur  schein- 
bar, sondern  der  Regel  nach  >virklich  geübt  worden.  Die  M({g- 
lichkeit  einer  derartigen  Annahme  entnehme  ich  verschiedenen 
bei  Saat-  und  Erntefesten  in  Anwendung  gewesenen  oder  noch 
befindlichen  Bräuchen  wilder  oder  halbbarbarischer  Völker.  Bei 
den  Mexicanem  wurde  im  Sommer  zu  Ehren  der  Göttin  des 
Welschkorns  und  des  Ackerbaues  Centeotl  ein  Fest  gefeiert,  wo- 
bei sie  nach  der  weichen  Maisähre  Xilotl  den  Beinamen  Xilone 
führte.  Am  letzten  Tage  des  Festes  tanzte  ein  Weib,  das  die 
Göttin  darstellte,  und  dieses  wurde  nachher  geopfert.^  Teteio- 
nan ,  die  Göttermutter  und  Mutter  des  Hauptgottes  und  Herrn  der 
Pflanzenwelt  Huitzilopochtli ,  eine  der  Centeotl  nahverwandte 
Gestalt,  hatte  in  Mexico  ebenfalls  ein  besonderes  Fest,  bei  wel- 
chem eine  weibliche  Person  als  die  Göttin  gekleidet  und  geopfert 
wurde,  indem  man  ihr  auf  den  Schultern  eines  andern  Weibes 
den  Kopf  abschnitt  und  die  Haut  abzog,  in  welche  man  einen 
Jtlngling  hüllte,  der  so  in  zahlreicher  Begleitung  zum  Tempel 
des  Huitzilopochtli  zog.^  Im  Mai  d.  h.  im  Beginn  der  Regen- 
zeit, wenn  plötzlich  alles  grün  wird,  feierte  man  in  Mexico  das 
Jahresfest  des  Huitzilopochtli  selber ,  das  Fest  der  wiederbelebten 


1)  Müller,  Gesch.  der  amerik.  Urreligionen  S. 493. 

2)  Müller  a.  a.  0.  494.  599.   Vgl.  598. 


Der  Mairitt,  Erlftatemng.  361 

Nator,  dann  verfertigte  man  ein  Bild  des  Gottes  ans  einer 
eibaren  Pflanze  und  aus  Honig  in  der  Größe  seines  höl- 
zeneB  Tempelbildes.  Jünglinge  sangen  des  Gottes  Taten  and 
Imlige  Gebetslieder  am  Regen  and  Fruchtbarkeit.  Dann  folgten 
Wadtelopfer^  Bäaeherungen  and  der  bedeutsame  Tanz  der  hei- 
ligen Jongfnuien  und  der  Priester.  Die  Jungfrauen  hießen  an 
diesem  Tage  Schwestern  Huitzilöpochtli's  ^  sie  trugen  auf  dem 
Hupte  Kränze  von  dürren  Maisblättern,  in  den  Händen 
gapillene  Rohre  nnd  stellten  so  die  dem  Mai  vorangegangene 
dlrre  Zeit  dar.  Ihnen  gegenüber  versinnbildlichte  sich  die  neu 
belebte  Natur  in  den  Priestern,  deren  jeder  einen  Stab  trug,  auf 
dem  eine  Blume  von  Federn  steckte  nnd  deren  Lippen  mit  Honig 
beatriehen  waren  y  wie  der  Kolibri  (die  Tiergestalt  und  das  Sym- 
bol Hoitalöpocbtlis)  um  diese  Zeit  aus  den  Blumen  seine  Nahrung 
seht  und  seine  Jungen  an  seiner  mit  Honi^satl  bedeckten  Zunge 
sugen  l&Bt  Zwischen  den  Priestern  befand  sich  ein  seit  Jahres- 
frist zum  Opfer  bestimmter  Gefangener,  „weiser  Herr  des 
Himmels^  genannt,  der  den  Gott  selbst  darstellte  und  die 
Freiheit  hatte,  die  Stunde  der  Opferung  selbst  zu  bestimmen; 
er  starb  nicht  wie  die  übrigen  Kriegsgefangenen  auf  dem  Opfer- 
stein, sondern  auf  den  Schultern  der  Priester.^  Zur  Zeit  der 
Wintersonnenwende,  wenn  in  Mexico  Schnee  die  Gebirge  deokt, 
die  Pflanzen  keine  Nahrung  mehr  finden,  viele  Bäume  ihr  Laub 
variieren,  verfertigten  die  Priester  ein  großes  Bild  HuitzilöpoM' 
l*s  von  allerlei  Sanieti,  die  mit  dem  Blute  geopferter  Kinder 
zusammengebacken  waren.  Ein  Priester  des  Quetzalcoatl,  des 
Gottes  der  Fruchtbarkeit,  wie  sie  durch  den  woltätigen  Einfluß 
der  Luft  zu  Tage  tritt  (Müller  a.  a.  0.  583)  durchschoß  mit  einem 
Pfeile  dieses  aus  Feldfrüchten  verfertigte  Idol  und  schnitt  ihm, 
wie  den  Menschenopfern,  das  Herz  aus,  das  der  König,  der 
Stellvertreter  Gottes  auf  Erden,  zu  essen  erhielt;  den  Leib  aber 
verteilten  sie  für  die  Quartiere  der  Stadt  so,  daß  jeder  Mann 
ein  Stückchen  erhielt,  das  hieß  man  Teocualo,  der  Gott,  den 
Dwm  iBt*     Nach  Torquemada   u.  a.   wurde   zu  derselben   Zeit 

1)  Prescott,  Eroberung  v.  Mexico  1, 601.  Clavigcro  1, 417  ff.  Bemal.  Diaz. 
Entdeckung  von  Neuspanien  übers,  v.  Rehfueß  II ,  275.    Müller  a.  a.  0.  Cm  ff. 

2)  Clavigero  1 ,  428.  343.  354.  421  ff.  Humboldt  Mouuni ,  13-1.  Tor- 
qnemada  Ind.  Monarchie  VI,  38.  Müller  a.  a.  0.  605.  Waitz,  Anthropolo- 
gie lY,  159. 


362  Kapitel  lY.     Baamgeister  als  Vegetationsdämonen : 

(Ende  December)  dem  TIaloc  (Gott  der  Feuchtigkeit  und  der 
Gewässer)  oder  den  Tlalocs  ein  gleiches  Opfer  im  Tempel  dar- 
gebracht oder  man  vertertigte  in  den  Häusern  Idole  aus  Samen^ 
mit  denen  man  wie  mit  den  Menschenopfern  yeifuhr,  während 
im  Tempel  wieder  einige  wirkliche  Menschen  geopfert  worden.' 
Am  10.  Mai,  am  Ende  der  dürren  Zeit  und  eben  vor  Anfang  der 
Regenmonate  nahm  der  in  der  Kleidung  und  mit  den  Attributen 
des  höchsten  Gottes  Tetzcatlipoca  auftretende ,  mit  seinem  Namen 
benannte  Oberpriester  Staub  von  der  Erde  und  verschluckte  ihn, 
am  19.  Mai  trugen  dann  in  den  Gott  verkleidete  Priester  das 
Bild  Tetzcatlipocas  auf  einem  aus  gedörrten  Maisstengeln  yer- 
fertigten  Sessel  daher,  der  für  ein  Sinnbild  der  Dürre  erklärt 
wurde.  Die  Tempel -Jünglinge  und  -Jungtrauen  und  viele  Vor- 
nehme trugen  ebenfalls  solche  Stengel  um  d^n  Hals  und  in  den 
Händen.  Neben  dem  Bilde  des  Gottes  schritt  ein  seit  Jahres- 
frist mit  tiefster  Devotion  und  Verehrung  tlir  die  Rolle  des  Tetz- 
catlipoca vorbereiteter  und  unterrichteter  schöner  Sclave;  dem 
man  20  Tage  vor  seinem  Tode  4  junge  Mädchen  zur  Gesell- 
schaft gegeben  und  seit  5  Tagen  prächtige  Mahlzeiten  ausgerieh- 
tet  hatte.  Man  opferte  ihn,  bot  sein  Herz  dem  Götzenbilde, 
dann  der  Sonne  dar,  sein  Leib  wurde  von  Vornehmen  und  Prie- 
stern verspeist.^  Diesen  mexicanischen  Cultgebräuchen  stehen 
noch  einfachere  Formen  bei  wilden  Indianerstämmen  und  barba- 
rischen Völkern  Indiens  und  Africas  zur  Seite.  Die  Panis  auf 
der  Westseite  des  Missisippi  pflegten  dem  von  ihnen  besonders 
verehrten  großen  Sterne,  der  Venus,  alljährlich  im  Frtthlinge 
(zuletzt  1837  oder  38)  ein  Opfer  zur  Erlangung  einer  guten 
Ernte  zu  bringen.  Der  Gefangene,  den  man  dazu  ausersehen 
hatte  (es  war  in  den  letzten  und  bekanntesten  Fällen  ein  Sioux- 
mädchen),  wurde  wol  genährt  und  gepflegt,  über49ein  Schicksal 
aber  in  Unwissenheit  gelassen.  Man  band  das  Opfcp  auf  einen 
Scheiterhaufen  und  durchschoß  es  mit  Pfeilen ,  doch  ehe  es  starb, 
schnitt  man  Stücke  Fleisch  von  ihm  ab  und  ließ 
das  Blut,  welches  man  herauspreßte,  auf  die  junge 
Saat  fallen.^     Die  Khonds  in  Indien   brachten  der  Erdgöttin 

1)  Müller  a.  a.  0.  502.    Waitz  IV.  IGl. 

2)  Müller  a.  a.  0.  S.  617.    Waitz  IV,  159. 

8)  De  Smet,  Missions  de  TOregon  et  voy.  aux  montagnes  rocheuscs  1845, 
Üandl848.   J.  Irving,  Indian  Sketches,  London  1835,  U,  136.    Waitz  111,207. 


Der  Mftiritt,  Erl&atenmg.  363 

Tari  Pennn  unter  T&nzen  y  trunkenen  Orgien  nnd  einem  Mygte- 
rienspiel ,  das  in  dramatisehem  Dialog  den  Zweck  des  Ritus  dar- 
legte, ein  Menschenopfer  dar,  dessen  vom  Schmerz  ausge- 
preßte Trähnen  die  Kegenschauer  bedeuteten,  welche 
ihr  Land  befruchten  sollten.  Dann  rissen  sie  denOpfer- 
leltven  in  Stücke  und  streuten  dieselben  ttber  die  Fel- 
der, die  sie  befruchtet  haben  wollten.^  In  Lagos  (Africa) 
warde  alljährlich  ein  Mädchen  gepfählt,  um  ein  fruchtbares  Jahr 
n  erzielen  J  So  gewiB  als  jede  Vermutung  historischer  Ver- 
windtschaft  zwischen  diesen  Bräuchen  ttberseeischer  Völker  und 
denen  des  europäischen  Landvolks  ausgeschlossen  ist,  bieten 
dieflelben  brauchbare  Fingerzeige,  um  den  unter  verschiedenen 
ffimmelsstrichen  sich  wiederholenden  Gedankengang  solcher  Natur- 
nenscbeny  wie  auch  unsere  Vorfahren  unzweifelhaft  ehedem  waren, 
Terstehen  zu  lernen.  Aus  verschiedenen  Analogien  ist  als  der 
djesen  Sitten  zu  Grunde  liegende  Gedanke  die  Vorstellung  zu 
entoehmen,  daß  der  Geist  des  geopferten  Sclaven  vermöge  des 
Bhtes  oder  Fleischpartikels  auf  den  Acker  übergehe  und  darin 
ab  Fruchtbarkeit  erzeugender  Dämon  wirke.  Einen  ganz  ähn- 
lichen Grund  muß  die  Opferung  der  als  Centeotl,  Teteionan  und 
ab  Huitzilöpochtli  in  seiner  Frühlingsgestalt  gekleideten  und  nach 
diesen  Götteni  benannten  Sclaven  gehabt  haben,  welche,  (wie 
unsere  laubeingekleideten  Bursche,  neben  dem  Maibaum)  neben 
den  aus  grünen  Pflanzen  oder  Samen  gefertigten  Götterbildern 
ab  Doppelgänger  hergehn ;  das  Blut  und  Fleisch  derselben  sollte 
die  Kraft  und  den  Segen  der  Fruchtbarkeitsgottheiten  auf  die 
GenieBenden  tibertragen.  In  einigen  dieser  Gebräuche,  welche 
kaum  scharf  von  den  andern  unterschieden  sind,  hat  es  den  An- 
«hein,  als  ob  der  Tod  des  Gottes  nebenbei  die  Darstellung  eines 
Natonrorganges  sein  solle ;  die  Durchschießung  des  Bildes  Huitzi- 
löpochtlis  zur  Zeit  der  Wintersonnenwende  und  die  Hinrichtung 
des  den  Tetzcatlipoca  darstellenden  Sclaven  zur  Zeit  der  Dürre 
Anfangs  Mai,  werden  von  Müller  nicht  ohne  Wahrscheinlichkeit 
*o%efaßt    als   Vergegenwärtigungeu    des    ersehnten    und  bevor- 


1)  Macpherson ,  India  cap.  VI.    Tylor,   Anföngc  der  Cultur  I,  117.  II, 
2<2.  Vgl.  Bastian  in  Zb.  f.  Völkcrpsych.  V,  313. 

2)  J.  Adams,  Sketches  takcn  during  ten  voyages  to  Africa  (1786—  1800) 
London  s.  a.  p.  25.    Waitz  a.  a.  0.  II ,  197. 


364  Kapitel  IV.    Baamgeister  als  Vegetationsdämonen : 

stehenden  Dahingcheidens  dieser  Götter  in  ihrer  schädliche] 
Natarform,  die  ja  sofort  in  anderer  Gestalt  als  segnende  Jahres 
mächte  wieder  erscheinen  werden.  Trotzdem  aber  versehen  Bio 
und  Fleisch  dieser  dahinsterbenden  Götter  oder  ihrer  Abbilde 
die  nämliche  Function,  die  wir  dem  Gottesleibe  in  den  vorher 
gehenden  Beispielen  beigelegt  sahen.  Ich  bilde  mir  eioi  daJ 
diese  Analogien  die  Frage  nach  der  Bedeutung  des  Köpfeni 
unserer  Laubmänner,  wenn  auch  noch  nicht  zu  lösen ,  so  docl 
auf  einen  zur  endlichen  Lösung  hinfahrenden  Weg  zu  weisei 
wol  geeignet  sind.  Jedenfalls  ist  die  Möglichkeit  einer  Erkläranf 
des  rätselhaften  Tödtungsprocesses  der  in  den  Mai-  und  Pfingst 
brauchen  laubuinhüUten  Personen  ohne  Widerspruch  mit  ihrei 
anderweitig  feststehenden  Bedeutung  als  Repräsentanten  der  Vege 
tationsdämonen  erwiesen.  Nicht  mehr  beispiellos  dtlrfte  die  An 
nähme  genannt  werden ,  daß  man  in  grauer  Vorzeit  die  mit  Laut 
bedeckten  feierlich  aus  dem  Walde  geholten  Abbilder  des  Wach» 
tumsgeistes  oder  des  Frühlings  einst  zu  guterletzt  tödtete ,  nn 
die  mit  ihrem  Blute  besprengten  Aecker  und  Personen  in  gestei 
gertem  Grade  ihres  Lebens,  ihrer  göttlichen  Kraft  teilhaftig  a 
machen.  Und  noch  eine  Möglichkeit  scheint  mir  aus  den  bei 
gebrachten  Analogien  hervorzugehen.  Für  gewisse  Fälle  dürft« 
eine  Vereinigung  beider  in  a  und  b  aufgestellter  Erklärungsyer 
suche  das  Rechte  treffen,  insofern  es  auch  Gebräuche  giebt 
welche,  wie  es  scheint,  zunächst  den  Tod  der  winterlichei 
Gestalt  des  Vegetationsdämous  darstellen  i^ollen,  die  Darstellunj 
in  ihren  Aeußerlichkeiten  aber  ganz  der  Analogie  des  Brauchei 
folgen  lassen,  welcher  nichts  weiteres  als  die  Mitteilung  dei 
Lebenssaftes  und  der  Lebenskraft  des  Numen  bezweckte.  Da  ei 
uns  einstweilen  noch  unmöglich  ist,  die  im  Vorstehenden  ans 
gesprochenen  Vermutungen  durch  kritische  Vergleichung  zu  ent 
schiedenem  Beweise  zu  bringen,  begnügen  wir  uns  damit ,  die 
selben  als  eine  eingehenderer  späterer  Prüfung  und  Erörteronj 
bedürftige  Hypothese  mitgeteilt  zu  haben,  und  wenden  uiis  zui 
Besprechung  weiterer  Züge  in  der  Einholung  des  Pfingstlttmmeli 
und  seiner  Sippschaft  zurück. 

In  mehreren  Spielarten  wird  der  rohere  Brauch  der  Köpfanj 
des  Ptingstlttmmels  oder  Pfingstkönigs  durch  das  Eintreten  einei 
oder  melirerer  neUcr  Gestalten  ersetzt,  welche  nur  durch  ihrer 
Namen   an  eine  derartige   Handlung  erinnern;    so  in   Zimmen 


Der  Mairitt,  Erläutenmg.  365 

darch  Goliath  nud  David  (o.  8.  352);  in  Nnsplingen  durch  König 
Lodwig  XVI.  von  Prankreicli  (o.  S.  35i>).  Wie  hier  der  eine  Vege- 
titioiLgdluion  in  die  Gestalten  des  Pfingstl  und  des  enthaup- 
teten Franzosenkönigs  gespalten  ist,  so  in  Nnsplingen  in  die 
des  Pfingstbntz  nnd  des  nach  S.  322  uns  woblverständlichen 
beroBten  Mohrenkönigs;  in  Zimineni  ist  der  Ffingsthagen  der 
angeratene  Sohn  des  Mohrenkönigs  und  daneben  tritt  als  dritte 
YerkOrpernng  desselben  Gedankens  Goliath  auf  (o.  H.  351 ).  In 
Stuerlach  in  Oberbaiem  erscheinen  außer  dein  Wasservogel  ein 
nüHger  Kaminfeger  und  ein  schwarzer  Teufel  (o.  S.  3r>2);  im 
Hinterweidentnl  in  der  Pfalz  wird  der  Pfingstquack  zwischen 
4  Reitern  mit  geschwärzten  Gesichtern  dahergettihrt.  Im  Kreise 
Badweis  tragen  die  I^feifTer  im  Gefolge  <ies  Pfingstkönigs  ein 
geschwärztes  Antlitz  (349.  342).  Zu  Nu8])lingen  ist  der  Mohren- 
kOnig  zn  einem  türkischen  Kaiser  oder  Sultan  geworden  (o.  8.  352). 
Hier  Oberall  wird  dur<*h  diese  Gestalten  die  Unsichtbarkeit^  die 
geisterhafte  Natur  des  Vegetations(}äm<ms  angedeutet,  die  im 
bairisehen  Branche  ungeschickt  genug  auch  so  dargestellt  wird, 
dȧ  dem  Wasservogel  die  Augen  verbunden  werden  mit  naiver 
Umkehrung  des  Sachverhalts;  statt  zu  machen,  daß  er  von  den 
andern  nicht  gesehen  werde ,  bewirkt  man ,  daß  er  sie  nicht  sehen 
kanu.*  Was  der  weiße  Mann  in  Wurmlingen,  der  schnee- 
weiBe  Gemahl  in  Nnsplingen  bedeute,  wage  ich  nicht  zu  sagen; 
die  in  einem  folgenden  Abschnitt  von  der  Maibraut  aufgeitihrten 
Tatsachen  leiten  darauf  hin,  auch  in  ihm  eine  Gestalt  des  Vege- 
tationsgeistes  im  Lenze  zu  erkennen ,  unwillkürlich  lenkt  sich  der 
Gedanke  auf  den  weißen  Bllltcnschnee  {o.  S.  351). 

Der  böhmische  Maikönig,  der  clnr  langr  Hagrdornrute  in 
i^  Hand  trägt,  wird  im  Kreise  umhergejagt  (o.  S.  343)  oder, 
Wb  er  beim  Wettritt  eingeholt  wird,  mit  Haselruten  gepeitscJtt 
(o.S.  354).  Im  Wurmlinger  Pfingstritt  ist  nur  etwas  verblaßt 
derselbe  Zug  erhalten.  Der  mit  Huß  geschwärzte  Mohrenkönig 
^ini  vom  Korporal  mit  rinem  Stock  (jesvltlageu.  Der  Korporal 
^irft  dem  Könige  vor,  daß  er  zu  lange  im  Bette  gelegen  habe 
önd  zu  spät  aufgestanden  sei,  droht  ihn  im  Wasser  zu  ertränken 
ttnd  »agt  schließlich:  „Den  Stock  führ*  ich  allzeit  mit  mir,  kann 
^iflH  'naufschlagen  dir."    Der  Kr>nig,    der  Land  und  Leute   ver- 

1)  Panzer  U,89,  134. 


366  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetationsd&monen : 

loren  hat  und  lieber  im  Bette ,  als  auf  dem  Felde  schläft,  di 
wegen  der  kalten  Herbst-  und  Wintermonate  es  auf  dem  Feld 
nicht  gut  wohnen  sei,  bittet  vergeblich:  ,, Korporal ,  laß  niiel 
unkeit^'  (ungeschlagen).'  Im  Erzgebirge  wird  der  Pfingsiltimiiie 
durchs  Dorf  gepeitscht  (o.  S.  321),  die  Begleiter  des  Sehnal 
tragen  lange  Ruten  (o.  S.  324).  Nicht  minder  wird  zu  Zimmen 
im  Remstale  der  Pfingstlümmel  mit  ,, Prügeln ^^  bedroht'  Aucl 
in  der  Grafschaft  Teklenburg  wird  der  die  Pinxterblome  darstel 
lende  Bursche  mit  Stecken  einhergetrieben  (o.  S.  319)  und  nich 
minder  tragen  die  Jungfrauen  im  Gefolge  des  RegenmädcheiiJ 
bei  Burkhard  von  Worms  jede  eine  Rute  in  der  Hand.  Dies« 
Züge  müssen,  da  auch  der  Vorwurf  des  Zuletztaufstehens  gegei 
den  Pfingstlümmel  mit  dem  gleichen  Vorwurf  gegen  die  Schmack 
osterten  hinzukommt  (o.  S.  253.  257.  259  u.  s.  w.)  auf  die  Lebens 
rute  gedeutet  worden.  Sie  verstärken  die  o.  S.  319  ausgespro 
ebene  Vermutung,  daß  die  mit  dieser  Rute  Schlagenden  um 
Geschlagenen  mythische  Wesen,  Vegetationsdämonen  (Baam- 
Kom-,  Pflanzengeister)  nachahmen  sollen.  Die  mehrfach  hervor 
tretende  Laubeinhüllung,  oder  Rindeubekleidung  auch  der  Beglei 
ter  des  Pfingstkönigs  (o.  S.  343)  läßt  ebenso  wie  die  Ceremonv 
des  Wettritts,  die  Rede  vom  Zuletztaufstehen  (o.  S.  351)  erken 
nen,  daß  von  einer  Mehrheit,  einer  ganzen  Schaar  von  Vage 
tationsdämonen  die  Rede  war,  unter  denen  der  Maikönig  nu: 
als  der  vorzüglichste  hervorragt  und  daß  die  ihn  festlich  aus  den 
Walde  einholenden  Menschen  von  diesem  Gefolge  zu  trennen  seil 
werden. 

Im  allgemeinen  ist  der  Pfiugstritt  nichts  anderes,  als  ein< 
feierlichere  Weise  der  Einholung  des  Laubmanns  oder  Maiköuigs 
Dem  Könige  gebührt  reisiges  und  wehrhaftes  Gefolge  und  di< 
Ehre  des  Empfangs  durch  waffenfrohe  und  berittene  Mannschatt 
daher  die  vielen  Namen  kriegerischer  Aemter  im  Aufzuge ,  nebei 
denen  doch  noch  im  Koch ,  Kellermeister ,  Krügelmann  (o.  8.  350 
und  ähnlichen  Gestalten  die  Erinnerung  an  die  zur  Annahmi 
der  Victualien  ausgerüsteten  Beamten  des  Umgangs  (Eierkrätl 
Schnmlzhaf  (o.  S.  325)  fortdauert.  Daß  der  MaieniÜhrer,  Fähudriel 
oder  Oberst  auf  den   Säbel   an  der  Seite  pochend  sich   rühmte 


1)  Meier  S.  412. 

2)  Meier  408 ,  100. 


Der  Mairitt,  Erl&ateniDg.  367 

mit  den  TOrken  müsse  er  streiten ,  ist  wol  nur  soldatische  Prah- 
lerei und  keinesweges  Rest  der  Darstellung  eines  Kampfes  mit 
deo  HSchten  des  Winters ,  der  allerdings  in  vereinzelten  Formen 
Terwindter  Gebräuche  in  das  Spiel  mit   hineingezogen  ist     In 
nehreren    Spielformen    sehen   wir    den  Ptingstkr»nig   und   seine 
Hypostasen  (Mohrenkönig,  Teufel,  Kaminfeger,  schneeweiß  Gemahl, 
Goliith  o.  s.  w.)  summt  dem  notwendigen  Gefolge  reisiger  Tra- 
hiaten  und  KUehenbeamten   durch   fremde   Gestalten    vermehrt, 
wekhe  entweder  aus  anderen  FrUhlingsaufzUgen  verwandter  Bedeu- 
toog  hüiflbergenommen   sind  (wie   Hansel   und  Gretel   auf  dem 
SeUeifrade ,  Hochzeitlcute  mit  Braut  und  Bräutigam )  oder  welche 
fb  den  Gedanken  des  Festes  ganz  bedeutungslos  nur  die  Ten- 
denz verraten,  die  bunte  Fülle  der  Masken  durch  einige  auffal- 
lende Figuren   zu   vergrößern  (sg.  »Stadtherr  und  Bauermädchen, 
der  bairische  Hirsel,  Bacchus,  Hexe,  Martin  Luther  und  Kätcheu, 
^bifer  und  Hund,  Koßdieb  u.  s.  w.).     Der  Sinn  der  Feier  wird 
überhaupt  nicht  mehr  verstanden.     Dies  lehren  aufs  deutlichste 
^i«  sinnlosen  oder  mindestens  großenteils  jedes  Bezuges  auf  die 
'^^eutnng  der  Prozession  entbehrenden ,  nur  aus  dem  ihnen  zuge- 
^^-Iricbeneu   Character   hervorgehenden  Reden,   welche   den  ein- 
^^locn   Personen   der   Handlung    in    den    Mund   gelegt    werden. 
Iine   die  innere  Einheit  einer  dramatischen  Action  ist  hier  doch 
n  Ansatz   zu  einer  dramatischen  Schaustellung  gemacht,  deren 
^^^iguren  von  der  starren  Naturgebundenheit  sich  loslösen  und  der 
xeiheit  eines  menschlichen  Cbaracters  entgegeustrcben.     Wo  der 
nfzQg  ganz  vollständig  ist,    reitet  ein  Platzmeister  voraus,    der 
<Ll.«n  Ort   der  Darstellung  für  die  Begehung  derselben  freimacht 
i^mid  von  dem  Zudrange  des  Publicums  säubert.     Einer  oder  meh- 
«"%2re  bebänderte   Maibäume   werden   dem    Zuge    vorausgetragen; 
d  er  Pfingstl,    Pfingstlümmel    reitet    oder   geht    in   der 
iVlittc  zweier  Begleiter,*   deren  Fürsorge  für  ihn  nötig  war. 


1)  Der  Pfinji^tl   in  Nioderbaiorn   geht    zwischen    den    zwei   Weisern  o. 

5^-  '^JM    Panzer  I,  23r».     Der  Wasservof^el  in  Auj^sburg  wird  von  zwei  andern 

l^naben  in   der  Stadt  horunigeflihrt.     Meier  i^Ü),  H>4.     Die  primitivste  Art 

^«»  Pfingstreitens  ist  dem  entsprechend  die .  daß  der  Ptingstlünimel  nur  von 

-  Keitern  im  Dorfe  ninher^eführt  wird.     »Su  im  Kemstale.     Meier  408,  lÜO; 

Center  in  Markt  -  Biberbach  in  Schwaben.     Panzer  II,  HÜ,  135.    Diese  Beglei- 

^H  bleibt  in  der  Regel  auch  dort,    wu  das  (lefolge  des  Ptingstbutzen  sich 

^^^rgröllert.    So   hat   der  Pfingstlümmel  zu  Hohenstadt  2  Trabanten   rechts 


368  Kapitel  IV.    Banmgeister  als  Vegetationsdämonen: 

da  er  in  seiner  Laubliöhle  nichts  oder  wenig  sehen  konnte.  De 
Pfingstritt  in  den  beschriebenen  deutschen  Formen  ist  znnächi 
verwandt  mit  der  o.  8.  162  Anm.  3  angeflihrten  französische 
Sitte,  wonach  am  1.  Mai  1414  der  Bastard  von  Bourbon  Im 
200  Rittern  und  einem  stattlichen  Gefolge  von  Fußvolk  nach  voi 
heriger  Ansage  den  Bürgern  von  Compiegne  den  Mai  brachte;  i 
festlichen  (nicht  zum  ernsten  Kampfe  bestimmten)  Harnische 
(bamais  de  fete)  zogen  sie  vor  das  Tor  der  Stadt,  indem  si 
einen  großen  grünen  Zweig  mit  sich  führten  ,,pour  les  esmayer. 
Hier  wird  also  statt  des  Pfingstbutzes  und  des  Maibaums  de 
letztere  allein  beritten  eingebracht;  die  Empfängerin  ist  eine  Stac 
nnd  die  geleitenden  Reisigen  stellen  ein  kriegerisch  geschmflcktc 
Ehrengefolge  dar.  Da  sehen  wir  den  bäurischen  Aufzug  de 
vorigen  Beispiele  ins  Ritterliche  übersetzt.  Auch  in  Elnglaii 
gingen  die  Mairitte  und  zwar,  schließlich  in  ein  Schützenfest  an- 
laufend j  ins  Hof  leben  über.  König  Heinrich  VHI.  übte  den  Braue 
fast  jährlich.  So  1511:  The  first  of  maye  the  kiuge  accoi 
paignied  with  many  lusty  Batc*helers  on  greate  and  well  doia 
horses  rode  to  the  ivodde  to  fetch  May,  where  a  man  might  ha. 
seen  many  a  horse  raysed  on  highe  with  galope,  turne  a^ 
stoppe ,  meruaylous  to  behold :  where  he  and  3  other  .  . .  whB 
were  chalengers  with  the  kyng  shyfted  them  selfes  into  cotes 
gr(*^ne  satyn,  garded  with  crymosyn  veluet.  1510:  On  mayd^ 
than  next  folowyng  in  the  2  yere  of  bis  reygiie  hys  grace  bey 


yonge  and  willyng  not  to  be  idell,  rose  in  the  momynge  v^ 
early  to  fetche  May  or  grene  bows,  hym  seife  freshe  and  rych^ 
appareyled  and  clothed  all  hls  knyghtes  Squyers  and  GentlemcKr 
whyte  satyn  and  all  hys  garde  and  yomen  of  the  croune^ 
white  sarcenet :  and  so  went  every  man  with  hi^  bove  and  arra 
shotyng  to  the  wood  and  to  repaired  to  the  court  etJery  ir-a 
with  a  grene  haugh  in  his  cappe  and  at  bis  retumyng  m^ 
hearynge  of  bis  gooyng  a  Maiyng  were  desirous  to  se  Ij 
shote,  for  at  that  tyme  his  grace  shotte  as  strong  as  any 
bis  garde.  ^ 


und  links  Birlinger  II,  123,  148.    Zu  Fulgenstadt  wird  der  Hatzeler  in  BÄa 
zweier  Mitkameraden,  die  ihn  an  einem  Seile  halten,   durchs  Dorf  geri 
Birlinger  a.  a.  O.  136,  150. 

1)  HaUs  Chronicle  (1548)  London  180«  p.  520.  515. 


Der  Maigraf.  369 

§  9.  Der  Maigraf.    Eine  besondere  Spielart  des  Pfingstritts 
bildete    der   mailiche    Festbrauch    mittelalterlicher  Schutzgilden, 
(reicher  in  den  hanseatischen  SUUiten  Kiederdeutschlands ,  sowie 
in  mehreren  dänischen  und  schwedischen  Orten  yorztiglicli  wäh- 
i^od  des  15.  nnd  IG.  Jahrhunderts  in  Blüte  war^   sodann  verfiel 
Hnd  im  17.  an  einigen  Orten  erst  im  18.  Jahrhundert  sein  Ende 
^»reichte.    Sein  hervorstechendstes  Merkmal  war  der  Name  Mai- 
S^y  Maigrave  iUr  den  Piingstl.     Am   ersten   Maitag,  oder  zu 
-Adligsten  ritten  die  Brüder  der  Gilde  in  blankem  Waffenschmuck 
<%it  dem  Maigrafen  des   alten   Jahres   vor  die  Stadt  hinaus  ins 
»e  Feld ;  hier  wurde  der  neue  Maigraf  gekoren ;  man  hing  ihm 
inen  natürlichen   oder  künstlichen  Kranz  um  den  Hals.    Dann 
lielt  er  seinen  feierlichen  Einzug  in  die  Stadt,  wo  der  alte  Mai- 
if  auf  der  Gildestube  einen  großartigen  Festschmauß  auszurich- 
pflegte.     Im  Laufe  der  nsichsten  Wochen  folgte  bisweilen  ein 
^K^ehrmaliger  Ausritt  des  neuen   Maigrafen  und  kleinere  Trink- 
Mit  dem  Maigrafenfest  waren  öfters  Schützenfeste,  Vogel- 
(Papageienschießen)   verbunden.     Dies   der  allgemeine 
^^haracter  des  Festbrauchs,  dessen  Einzelheiten  wir  einer  Abhand- 
lung entnehmen  dürien,  welche  jüngeren  Fachgenossen  als  ein 
wecht    vielfacher    Nachfolge    würdiges  Muster    monographischer 
33ehandlnng   empfohlen    zu    werden   verdient.      Nachdem   zuerst 
«Jacob  Grimm  ^  mehrfache   Zeugnisse  iUr  den  Maigrafen   zusam- 
:inengele8en ,   sodann  Barthold  ^  und  Uhland  ^  denselben   bespro- 
<ihen   hatten,    hat  Eduard  Pabst  ihm   eine  eigene  Schrift:   „die 
Tolksfeste   des  Maigrafen"  Berlin  1865.  gr.  4.   89  S.  gewidmet, 
"Welche  eine  sehr  reiclihaltige  und  sorgfältige  Sammlung  und  kri- 
tische ErcJrterung  der  Originalnachrichten  über  diesen  Gegenstand 
enthält     Die   älteste  Erwähnung  bezöge  sich  auf  die  Metropole 
4ler  Hansastädte,    wenn    die  Angabc  Huitieldts  (f  1608)  histo- 
liwhe  Glaubwürdigkeit  hätte,  daß   die  Lübecker  im  Jahre  1226 
«lag  Joch   der  Dänen   am  St.  Walpurgistjig  abgeschüttelt   hätten, 
indem  sie   den   dänischen  Voigt   unter  dem  Vorgeben,   ihn   zum 


1)  Mj-thJ  U^.  Myth.«  7;jr)-.38. 

-)  Deutsches  Bfirgortuin   in  Poiuniern   in  l^mnors   liistor.  Tasclienbucli 

X-  \mi   H.  06  ir.     Ders.  GoHchichtc  der  (loutscluMi   Stiiilto  III.    Lyz^.    IST»!. 

^.  31  ff. 

3)  Pfi'illers  üennania  V,  S.  27«;  -H:1     Scliriftcn  III,  18GG  S.  31—35. 

^«nohardt  24 


370  Kapitel  lY.    ßanmgeister  als  Vegetationsdämonen: 

Maigrafeu  wählen  zu  wollen  vor  die  Stadt  auf  das  freie  Feld 
lockten,  indeß  die  Bürger  8eine  Zwingburg  einnahmen  und  bra- 
chen. Diese  Erzählung  beruht  aber  nur  auf  einer  unverbttrgten 
Sage ,  und  mau  wird  kaum  umhin  können ,  Pabst  Recht  zu  geben, 
wenn  er  als  wahrscheinlich  annimmt,  daß  hier  ein  mythisches 
Factum,  die  Niederreißung  der  Burg  des  Winters  am  Maitage,  mit 
einer  geschichtlichen  Erinnerung  sich  verbunden  habe.  Nur  90 
viel  wird  auch  dieser  Sage  zu  entnehmen  sein,  daß  in  Lübeck 
im  16.  Jahrhundert  das  Maigrafenfest  nicht  unbekannt  war.  In 
Wismar  wird  dasselbe  zuerst  um  14(X)  in  den  Gesetzen  der 
Papagciencompagnie ,  einer  seit  Mitte  des  14.  Jahrhunderts 
bestehenden  reich  begüterten  Gilde  der  Brauer  und  Kanfleate 
als  eines  ihrer  Feste  erwähnt;  in  Greifswald  1528,  in  Strahsand 
1474.  Dort  (in  Greifswald)  erscheint  der  Mairitt  als  Sache  des 
^  Rates,  hier  als  Festlichkeit  der  auf  König  Arendshoif  (Artushof) 
sich  versammelnden  Gilden.  In  Danzig  beginnen  die  Nachrich- 
ten über  das  Fest,  das  von  der  St  Georgenbrüderschaft,  die  am 
Abk<(mmlingen  ritterbürtiger  Geschlechter,  sowie  dem  Schoppen - 
und  KatscoUegium  bestand,  und  die  eine  vornehmere  Hauptab- 
teilung der  auf  dem  Artushofe  tagenden  Brüderschaft  bildete, 
am  Pfingstmontage  oder  Dienstage  in  Verbindung  mit  dem  V(^l- 
schießen  begangen  wurde,  erst  148G,  in  Heiligenbeil  1543.*  In 
liiga  wird  des  Maigrafen  zuerst  in  gewissen  aus  Anfang  saec.  XV. 
herrührenden  Bestimmungen  in  der  Schra  der  Kumpanie  der 
Kaufleute  gedacht,  welche  sich  später  große  Gilde  nannte  und 
mit  den  Schwarzen -Häuptern  zusannnen  im  Ki'mig  Artnshofe 
zusammen  kam.  Sic  hielt  zu  gleicher  Zeit  Tuit  dem  Maigraien- 
fest  ein  Schützenfest  und  Schützentrünke.  In  lieval  tritt  der 
Maigraf  schon  etwas  früher,  Ende  saec.  XIV.,  in  Verbindung  mit 
einem  Papageienschießen  auf;  1408  ist  das  erste  bestimmt  nenn- 
bare Jahr.  Auch  hier  war  die  Groß-  oder  Kaufmannsgilde, 
welche   auch   Kindergilde    hieß,    die   Veranstalterin    des   Festes. 

1)  Herzog  Albrecht  von  Preußen  sagt  1548  in  der  AnoWinung  für  die 
Stadt  Heiligenbeil.  F.  I).  befmd«;n,  daß  man  jährlich  einen  Gebrauch  iii 
Einhohing  des  Meygrebons  hat  und  denen ,  die  nieht  genug  dazu  haben ,  den- 
noch zum  selbigen  zwingen  thut;  derwogiMi  ist  P.  Durchlaucht  Befehl,  daß 
man  hinfort  zu  deniselbigen  liraucli  niemand  zwinge.  Weil  aber  dieft  Jahr 
einer  um  eine  Tonne  l?ier  gebüßt  seyn  soll,  soll  man  ihm  diese  wieder 
erstatten.     liatsbuoh  115. 


Der  Malgrat  871 

Id  Hildesheim  y  woher  uns  eine  ausführliche  Beschreibung  aus 
im  18.  Jahrhundert  zusteht  ^  welche  Nachrichten  des  16.  Jahr- 
hooderts  willkommen  ergänzt ,  war  E.  E.  Kat  der  Stadt  der  Fest- 
geber. Auch  zu  Bremen  wird  1547  auf  Befehl  des  Rates  der 
Kämmerer  Thiele  von  Cleve  am  Pfingsttag  den  29.  Mai  zum 
Maigrafen  gewählt,  der  dann  mit  einem  stattlichen  Gefolge  von 
Bdterii  in  die  Stadt  geführt,  das  Gastgebot  hielt  Zu  Aalborg 
war  es  die  aus  dänischen  und  deutschen  Kaufieuten  (mit  Aus- 
sdilnB  der  Handwerker)  bestehende,  1441  gestiftete  Papagoien- 
gilde  (oder  Gudlegemslaug) ,  welche  am  Walpurgistage  im  Holze 
die  Maigrevenwahl  vornahm ,  sodann  den  Papagei  von  dpr  errich- 
ten Stange  abschoß  und  mit  ihrem  Papageienkönig  und  Mai- 
greren  zur  Stadt  zog.^  In  Malmö  und  Lund  feiern  die  Kanuts- 
gflden*  (A.  1549.  1586)  am  Walborgstag  den  Einritt  des  Mai- 
gnfen;  in  letzterer  Stadt  giebt  es  auch  ein  Papageienschießen. 
In  IHbiemark  finden  wir  endlich  den  Einritt  des  Maigreve  mit 
diranffblgendem  Gelage  (Gilde)  als  Maitagsbclustigung  der  DOrt- 
ler  wieder.  Die  ausführlichsten  Nachrichten  über  den  Festbrauch 
besitien  wir  aus  Reval,  Riga,  Danzig  und  Hildesheim.  In  Reval 
wurde  der  Maigraf  (1473)  wol  am  Walburgistag  auf  freiem  Felde 
FOD  dem  bisherigen  oder  alten  Maigrafen,  dem  Aeltermann  der 
Gilde,  seinen  Beisitzern  und  den  dazu  eigens  eingeladenen  Bttr- 
genneister  und  Katmaijnen  gekoren.  Er  mußte  bemittelt  sein, 
Qm  die  ^stspielige  Pflicht,  reiche  Pracht  zu  entfalten  und  bei 
eigenem  Ruhm  für  Anderer  Lust  und  Genuß  zu  sorgen,  Über- 
nehmen zu  können.  Am  nämlichen  Tage  scheint  man  mit  ihm 
feierlich  in  die  Stadt  eingeritten  zu  sein,  derselben  den  Mai 
gebracht  zu  haben.  Der  neue  Maigraf  hielt  l^tingstmontag  und 
-Dienstag  noch  einen  Ausritt.  Am  Frohnleichnamstage  nahm  er 
unter  Vortritt  zweier  Wjichskerzenträger  an  hervorragendem  Platze 
zwischen  den  vornehmsten  Korporationen  der  Stadt,  dem  Sacra- 
mente  voranschreitend ,  an  der  Prozession  Teil.  Sein  AnU  behielt 
er  an  Jahr  lang.  Am  Abend  der  Wahl  des  Maigrafen  fand  ein 
kofitbares  Bankett  auf  der  Gildestube  statt;  es  ist  nicht  festzu- 
stellen, ob  der  Abtretende,  oder  Neueintretende  es  auszurichten 
verpflichtet  war.     Auch  die  Rigenser  ktiren  ihren  Maigrafen  auf 


1)  Wilda,  das  GildenweRen  im  Mittelalter,  Berlin  1831.  S.  285. 
Ü)  Uelier  diese  s.  Wilda  a.  a.  O.  100  S. 

24* 


372  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vogctationsdämonen: 

freiem  Felde  aus  den  Gildebrüdern  ^  die  mit  ansgeritten  sind;  er 
wählt  sofort  seine  Amtsleute  (d.  h.  den  Marsehall  und  den  Bei- 
reiter), weil  diese  sehen  bei  dem  feierlichen  Einritt  zu  fiingieren 
haben;  die  Sehaflfer  ernennt  er  erst  in  der  Gildestnbe  mit  Bewil- 
ligung des  Aeltermanns  und  seiner  Weisesten.  Am  Maitag  ist 
sein  höchster  Ehrentag ;  dann  giebt  der  alte  Maigraf  seine  ^,  rechte 
Kost;"  der  neue  darf  noch  mehrere  Ausritte  halten  bis  zur  Woche 
nach  Pfingsten.  In  Danzig  war  die  Kavalkade  des  Mairittes  im 
Anfange  des  16.  Jahrhunderts  zu  besonderer  Pracht  gediehen. 
Nicht  allein  die  Junker  der  St.  Georgenbrüderschaft,  zu  der  wol 
fast  sämmtliche  Mitglieder  des  Rates  gehört  haben  werden ,  ritten 
am  Pfingstmontag  mit  kostbar  ausgerüsteter  Kavalkade  ins  Feld, 
um  daselbst  einen  Obersten,  den  sie  Maigrafen  nannten,  zu  wäh- 
len und  ihm  einen  Kranz  von  Mai  um  den  Leib  zu  hängen, 
sondern  1515  hatte  E.  E.  Rat,  auf  daß  die  Hämische,  Spiefte 
und  Wehren  rein  und  bei  der  Hand  gehalten  werden,  befohlen, 
daß  sich  die  waffenfähige  Bürgerschaft  mit  in  den  Mai  rüsten  sollte, 
ein  jeder  nach  seiner  Gelegenheit  zu  Fuße  und  zu  Rosse.  Im 
Jahre  1552  wurde  der  Maigrefe  eingeholt  mit  234  Pferden  in 
vollem  Hämisch  und  Rüstung,  460  Fußgängern  mit  langen  Spieden 
und  Harnischen,  480  andern  die  mit  Hellebarden  und  Schlacht- 
Schwertern  bewaffnet  waren.  Die  Uebrigen  tragen  Feuergewehre 
(Röhre).  Im  Ganzen  waren  es  1344  in  4  Fähnlein  mit  Pfeiffen 
und  Trommeln.  Hatten  die  Junker  sodann  aus  ihrer«  Mitte  den 
Maigrafen  gekoren,  und  waren  sie  mit  ihm  feierlich  eingeritten, 
so  speisten  sie  mit  ihm  auf  ihrem  besonderen  Versammlungshause 
(am  jetzigen  Langgasser  Tore) ;  Nachmittags  fand  in  ihrem  Som- 
merschießgarten am  Hagelsberge  das  Vogelschießen  mit  Arm- 
brüsten, am  Abende  das  große  Ranket  und  Tanz  mit  Jungfern 
und  Frauen  im  Artushofe  statt.  In  Stralsund  war  es  Sitte,  daB 
der  Maigraf,  wenn  er  bei  einem  Mairciten  abschied,  seinen 
Kranz  dem  erwählten  Nachfolger  überreichte,  der  nachher  des- 
selben Jahres  auch  in  den  Mai  ritt  und  sein  Gelage  auf  dem 
Artushofe  gab,  aber  beim  nächsten  Mairitt  des  folgenden  Jahres 
den  Kranz  ttir  den  Nachfolger  wieder  hinausbraehte.  Als  1564 
das  Maigrafenfest  nach  einer  längeren  Unterbrechung,  die  durch 
die  großen  Unkosten  des  anszurichtendeu  Schmauses  herbeige- 
ttihrt  war  (Herr  Johann  Hofmeister  hatte  200  Fl.  aufgewandt), 
wieder  erneuert  wurde,   brachte  statt  des  inzwischen  gealterten 


Der  Maigraf.  373 

ktiten  Maigrafen   ein    Ratsherr   den    Kranz   hinaus.     Im  Zöge 
befiuulen  sieh  ein  Bürgcmieister,  4  Ratnianne  und  ungefähr  200 
Mum  mit  Harnisch  gerüstet  zu  Pi'erde ;  nach  einer  andern  Nach- 
rickt  wären  es  100   ziemlich  gerUstete  Pferde  gewesen.    Wahr- 
sdidididi  gehörten  diese  den   eigenth'chen  Festgebem,  Mitglie- 
den  des  Artnshofes  an.    Es  wird  ausdrücklich  erwähnt,  daß  sie 
dtt  Fest  erneuerten ,  um  die  Rüstungen  imd  Wehren  zu  mustern. 
In  Greifswalde  scheint  der  Brauch  darauf  hinaus  gegangen  zu 
sein,  da0  der  Maigraf  bei  seinem   Fesfgelage   den  Kranz   dem 
jttngsten    Ratsherrn    aufsetzte    und    diesen    dadurch    zum 
Niehfolger  weihte.     Derselbe    ritt  dann   am  Maitag   des  näch- 
sten Jahres  in  dem  Mai  aufs  Feld   und  wieder  zurück,  wobei 
üun  ein  Knabe  aus  Yomehmer  Familie  als  Schildjunge  den  Kranz 
Torfllhrte ,  den  er  wiederum  bei  seinem  Gelage  dem  nun  jüi^ten 
CoUegen  übergab.    Der  Kranz  mag  demnach  wol  ein  künstlicher 
gewesen  sein.  —  Wenn  in  Wismar  in  der  Pfingstwoche  vor  dem 
Lübiflehen  Tore    der  Vogel  abgeschossen  werden  sollte,   setzte 
sieh  die  Papageiengesellschaft  in  folgender  Ordnung  nach  dem 
Sehieftplatze  in  Bewegung.      Voran  zwei  Bürgermcisterdie- 
ner,  die  zwischen  sich  einen  aufs  beste  geschmückten 
Knaben  auf  einem  Pferde  führten,  sodann  der  alte  Schützen- 
könig in  Begleitung  der  Bürgermeister  an  der  Spitze  des  ganzen 
Bat»,  drittens  der  (alte)  Maigraf  zwischen  zwei  Schaffern 
der  Papageiengesellschaft,  zum  Schluß  die  gesammten  Glie- 
der der  Gesellschaft.     Bei  dem  Bankett  nach  beendigtem  Schießen 
hielten  der  alte  und  der  neue  Schützenkönig,   drei  verheiratete 
nnd  ?ier  unverheiratete  Bürger  sammt  ebenso  vielen  Frauen  und 
Jungfrauen  den  ersten,  der  Maigraf  mit  seinem  Zuge  ordneten 
den  zweiten  Tanz.     Einige  Tage  später  gab  der  neue  Schützen- 
könig sein  Gelage.    In  einer  früheren  Stunde  dieses  Tages  wurde 
wlenniter  der  neue  Maigraf  gewählt,  der  darauf  wol  seinen  Ein- 
ritt hielt     In  Hildesheim  wurde  ein  vom  Riedemeisteramte  prä- 
sentierter und   vom  Magistrat  erwählter  junger  Bürger  zum  Mai- 
grafen  des  Jahres  bestellt.    Am  Tage  vor  Pfingsten  erlblgte  sein 
Ausritt    Morgens  um   sechs  Uhr  marschierten   24  Stadtsoldaten 
Jnit  2  Unteroffizieren  nach  Uppen  und  begleiteten  von  dort  einen 
^bereitstehenden  vierspännigen  Maiwagen  in  den  Wald.    Daselbst 
«6,  nach  Anweisung  der  Holzgeschworenen  durch  die  Uolzcrben 
von  sieben  Dörfern  gehauen ,  der  grüne  Mai ,  den  die  Stadt  zum 


374  Kapitel  IV.    Bauuigeister  als  Vegetationsdämonen : 

PfingstBchmuck  brauchte;  was  gehauen  war,  mußte  aufgeladei 
werden.  Die  Holzen  begleiteten  den  beladenen  Wagen  bis  Up 
pen.  Hierhin  setzte  sich  etwas  später  als  jenes  Commando  dei 
Stadtsoldaten  der  aus  seinem  Hause  von  den  Kiedemeistem  aiMi 
Gefolge  abgeholte  von  seiner  Freundschai't  begleitete  Maigraf  ii 
Bewegung,  der  an  Pracht  und  Kostbarkeit  das  möglichste  za 
leisten  suchte.  Voraus  ritten  der  Stallmeister  und  der  Baaver- 
Walter  nebst  Dienern,  sodann  der  Maigraf  zwischen  den 
beiden  Riedemeistern,  endlich  zwei  Abteilungen  der  bewaff- 
neten und  berittenen  Bürgerschaft  unter  Vorritt  von  Trompetern 
drei  Mann  hoch.  An  der  Hauptwache  und  dem  Ostertore  prir 
sentierte  eine  Ehrenwache  von  Stadtsoldaten  das  Gewehr.  Ino 
Passe  zu  Uppen  begegnete  man  dem  aus  dem  Walde  heraofr 
kommenden  Maiwagen,  den  man  im  Kreise  umschloß,  woraoi 
der  Bauverwalter  im  Namen  E.  E.  Rates  von  Hildesheim  di< 
Holzerben  begrüßte,  von  ihnen  den  Mai  kränz  empfing  and  den 
Riedemeister  präsentierte.  Dieser  übergab  den  Kranz  im  Namei 
des  Bürgermeisters  und  Magistrats  nach  feierlicher  Anrede  den 
Maigrafen;  der  Stallmeister  hing  ihm  denselben  schräge 
über  die  Brust.  Hierauf  wurde  vom  Maigrafen  in  vorher  auf 
geschlagenen  Zelten  den  Holzerben,  den  begleitenden  Freonden 
Bürgern,  Fuhrleuten  und  Stadtsoldaten  eine  CoUation  von  Essei 
und  Trinken  dargeboten,  bei  der  es  ziemlich  unmäßig  zuging 
den  Holzen  mußten  Krebse  vorgesetzt  werden;  zu  den  Gesund 
heiten  während  der  Tafel  gab  das  Militair  Salven  ab.  Um  4Vj 
Uhr  bliesen  die  Trompeter  zum  Aufbruch;  der  Maigraf  mit  sei 
ncm  Kranze  hielt  seinen  feierlichen  Einzug  in  die  Stadt,  aU< 
Wachen  salutierten,  die  Kanonen  wurden  gelöst.  Man  ritt  flbei 
den  Markt  und  (um  den)  Brunnen  der  Neustadt,  sodann  übei 
den  Markt  der  Altstadt  und  (um)  den  Pipenbrunnen,  vor  dk 
Tür  des  regierenden  Bürgermeisters  und  zuletzt  zum  Hanse  de« 
Maigrafen.  Inzwischen  ist  auch  das  Maifnder^  von  einigen  Rats* 
herren  und  einer  Compagnie  Soldaten  empfangen  und  mit  Flin- 
tensalven  begrüßt,  zur  Stadt  gekommen  und  sein  Inhalt  an  dei 
Maigrafen ,  die  Herren  und  Verwandten  des  Rats ,  an  die  Kirehei 
und  Klöster  verteilt.  Am  Dienstag  nach  Pfingsten  führte  der  Magi- 
strat den  Maigrafen  unter  Trompeten  und  Paukenschlag  nael 
dem  Ratsweinkeller  und  bewirtete  ihn  da  Namens  der  Stadt 
Der  Aufwand,  den  der  Maigraf  machen  mußte,  war  bedeutend. 


I>6r  Maigraf.  375 

im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  betrug  er  jedesmal  zwischen 
700—800  Taler.    Schon  1627  erließ  der  Kait  dagegen  ein  Luxus- 
gesetiy  sodann  wnrde  des  Kostenpunktes  wegen  der  Brauch  nur 
alle  7  Jahre y  später  nur  alle  14  Jahre  geübt;  1782  ist  er  defini- 
fir  abgeschafifi     Diese  Beispiele  genügen.     Nur  des  ländlichen 
Maigrafen  in  Dänemark  will  ich  noch  etwas  eingehender  geden- 
ken.   Zwei  Schaffer  ritten  am  Walburgestage  ihm  voran,  um 
den  Zog  anzumelden.    Zwei  alte  Männer  folgten ,  deren  jeder  eine 
hohe  mit  Bändern,  Kränzen  und  seidenen  Tüchern  geschmückte 
Stange  [Maibaum]  in  der  Hand  trug.    Nach  ihnen  kam  der  Mai- 
graf zwischen  seinen  zwei  Gesellen;  endlich  der  ganze  Zug 
paarweise  in  blauen  Röcken,  weiße  Handtücher  von  der  Schulter 
herabhängend..  Der  Maigraf  trug  zwei  Kränze,  einen  über 
jeder  Schulter,  jeder  der  Uebrigen  einen   Kranz.    Auf  jeder 
Feldmark  legten  sie  einen  Kranz  auf  die  Hecktür,  jeden   Hof 
amritten  sie  nach  erbetener  Erlaubniß  dreimal  und ,  wenn  sie  bei 
den  Fenstern  vorbei  kamen,  grüßten  sie.    Dann  stiegen  sie  von 
den  Pferden,  sangen  ein  Lied,  in  dem   sie  erklärten,  den  Mai 
ins  Dorf  und  ins  Haus  zu  bringen,  tanzten  eine  Weile,  stiegen 
wieder  zu  Rosse  und  ritten  weiter.     Zur  richtigen   Beurteilung 
des  Maigrafen  seien  noch  die  Holzfahrt  der  Kölner  und  der  Wal- 
peraug  der  Erfurter  erwähnt,  -zwei  den  vorstehenden  Bräuchen 
der  Sache  nach  eng  verwandte  Feste  ^  bei  denen  aber  der  Name 
Maigraf  nicht  vorkommt     In  Köln  feierte  man'  den  Donnerstag 
Dach  Pfingsten  als  Hölzgestag.     Nachdem  schon  Tags  zuvor  ein 
groBes  Vogelschießen  gehalten  war,  wählten  sich  die  Bürger  jetzt 
nr  „Holzfahrt''  einen  Anführer,  den  sie  Rittmeister  nannten, 
der  sie  nach  dem  Ostendorfer  Busch  führte,  wo  man  ihm  einen 
Kranz  aufsetzte,  der  Sage  nach  zur  Erinnerung  an  einen  Sieg, 
den  einst  ein  römischer  Statthalter  Marsilius  durch  die  Hölzges- 
iahrt  über  die  Feinde  errungen.    Feierlich  kehrte  der  Rittmeister 
nüt  seinem  Kranze  zur  Stadt  zurück  und  beschloß  den  Tag  mit 
einer  Gasterei  in  seinem  Hause,  zu  welcher  die  Vornehmsten  der 
Stadt  geladen  waren,   indeß   die   übrigen  Bürger  und  selbst  die 
Kl^ter    bei    sich    die    Holzfahrt    mit    Schmausereien    feierten. 
Der  Kranz   wurde   beim  Stadtbanner  in  einem  eigenen 
Schreine   aufbewahrt,  man  zeigte  ihn  der  Bürgerschaft, 
80  oft  bei  drohender  Gefahr  oder  feierlichen  Gelegen- 
heiten, oder  nach  dem  Aussterben  des  halben  Banner- 


376  Kapitel  IV.    Baumgoister  als  Vegetationsdämonen: 

rats  das  Stadtbanner  aiisgesteckt  wurde,  oni  »ie  gleich- 
sam an  jenen  Sieg  des  Marsilius  zu  mahnen.  L.  Ennen  giaabt^ 
unzweifelhaft  mit  Kecht,  schon  in  dem  gleichzeitigen  Berichte 
des  Stadtschreibers  Gottfr.  Hagen  über  eine  Begebenheit  des 
Jahres  1257  eine  Erwähnung  der  Ilolzfahrt,  d.h.  des  Hölzges- 
festes  nachweisen  zu  können.  Jedesfalls  wird  dasselbe  in  den 
Stadtreehnungen  des  14.  Jahrhunderts  bei  Gelegenheit  der  dem 
Kate  daraus  erwachsenden  Kosten  (40  Mark,  4  Schilling  u.8.  w.) 
erwähnt.*  Der  Erfurter  Walperzug,  der  urkundlich  seit  dem 
Jahre  1310  nachweislich  ist  und  bis  in  die  erste  Uälile  des 
18.  Jahrhunderts  in  Uebung  blieb,  bestand  darin,  daB  am  Wal- 
burgstage die  Bürger  zu  Pferd  und  Fuß  nach  einem  dem  Kor- 
llirsten  von  Mainz  gehörigen  Gehölz,  der  Wageweide  auf  der 
Steigerhöhe  zogen ,  wo  sie  an  diesem  Tage  4  Eichen  fällen 
durften.  Fahnenträger,  Spielleute  und  aus  jedem  der  4  Stadt- 
viertel je  ein  Walperherr  einen  bekränzten  Stab  tragend,  gingen 
im  Zuge.  Ein  großer  Teil  der  Bevölkerung  folgte,  lagerte  sich 
gruppenweise  in  Zelten  unter  den  Bäumen  des  Steigerwaldes, 
jubelte  und  zechte  und  erst  abends  kehrte  der  Zug,  grttne 
Maien,  die  mau  im  Walde  geschnitten,  in  den  Händen 
unter  Absingung  eines  bezüglichen  Liedes  zur  Stadt  zurück.  In 
seiner  Mitte  führte  man  zwei  Knaben  mit  Goldketten 
und  anderem  Geschmeide  ausgeschmückt  zu  Rosse  in 
die  Stadt  ein.  Man-  erzählte  sich,  der  Walpcrzug  sei  die  Erin- 
nerung an  die  dereinst  am  1.  Mai  1289  geschehene  Eroberung 
und  Zerstörung  des  auf  der  Wageweidc  belegenen  Raubschlosses 
Dienstburg,  dessen  Burgl'rau  durch  einen  Fußfall  vom  Kaiser 
Rudolf  die  Lebeusrettung  wenigstens  ihrer  beiden  jungen  Sühne 
erbeten  habe. 

Auf  Grund  dieser  um  ein  weniges  vermehrten  Auszüge  aas 
Pabst's  fleißiger  Arbeit  glauben  wir  folgende  Sätze  dem  Leser  ein- 
leuchtend machen  zu  können.  1.  Der  Maigrafenritt  ist  eine  Ab- 
zweigung der  allgemein  deutscheu  Sitte  des  Mairitts  oder  Pfingst- 
ritts.  Der  Maigraf  entspricht  dem  Laubkönig,  Gra^könig,  Pfingsil 
u.  8.  w.;  seine  Darstellung  durch  einfaches  Ucbcrwert'en  eines 
Kranzes  statt  der  vollständigen  Laubumhüllung  entspricht  genan 


1)  L.  Ennen,  Geschicht<;  der  Stadt  Köln.    Köln  und  Neuß  1865,  Bd.  II, 
128.  538. 


Der  Maigraf.  377 

der  Weise  y  wie  in  Abensberg  in  Niederbaiern  der  WasHervogei 
dugesteilt  wird  (o.  S.  353).  Wie  der  PfingsÜ  zwischen  zwei 
Begieitera  £0  reiten  pflegt  (o.  8. 367),  so  der  Maigraf  in  liildes- 
kttn  zwischen  zwei  Uiedeineistem ,  der  dänische  zwischen  zwei 
Gesellen  y  der  Wismarische  zwischen  zwei  Schaifem  und  der 
DtBxiger  zwischen  zweien  der  vornehmsten  Männer.  In  Däne- 
mrk  wird  ihm,  wie  dem  schwäbischen  and  b(^hmischen  Pfingst- 
hitK  and  Pfingstkönig  (o.  S.  356)  noch  der  geschmückte  Maibaum 
vonmgetragen.  Wie  der  l)öhmische  Maikünig  (»ehält  er  ein  Jahr 
hiodareh  seine  Wttrde.  Der  stattliche  Einritt  mit  bewaffnetem 
Gefolge  gleicht  hier  noch  mehr,  als  in  dem  bäuerlichen  Maibrauch, 
dem  Gepränge  eines  einziehenden  Fürsten.  Bei  dem  Hildeshei- 
ner  Maigrafenritt  hat  sich  auch  noch  eine  Spur  der  Wasser- 
Unclie  in  dem  Ritt  ,,ttber  den  Brunnen^'  sowol  der  Altstadt^ 
ab  der  Neustadt  erhalten.  Die  Erinnerung  an  die  mythische 
Bedeutung  des  Aufzuges  halten  die  technischen  Benennungen  des- 
selben noch  lange  aufrecht:  In  dat  meien  rlden,  ummc  dat  meien 
riden  (Stralsund) ^  in  den  Mai  reiten,  in  das  Feld  reiten,  sich  in 
den  Mai  rüsten  (Danzig),  at  fore  sommer  i  by,  at  ride  sommer 
i  by,  den  Mai  ins  Dorf,  in  die  Stadt  einitihren ,  reiten  (Däne- 
mark, Riga  n.  s.  w.).  2.  Ebensowenig  als  die  Gnindlayen  des 
Maigral'enfestes  lassen  sich,  so  viel  auch  noch  dunkel  bleibt,  die 
Huptamrisse  der  weiteren  Entwickelung  desselben  verkennen. 
Der  PlSugstritt  in  der  Form,  daß  der  Dämon  der  lenzemeuten 
Vegetation  durch  einen  Mann  mit  übergeworfenem  Kranze  dar- 
gestellt wird,  wurde  von  den  Landbesitzern,  die  sich  als  Bürger 
in  niederdeutschen  Städten  niederließen ,  dorthin  mitgebracht  und 
«b  Brauch  der  Bürgerschaft,  wie  sonst  der  Dorfschaft  geübt. 
Der  Pfingstl  hieß  noch  nicht  Maigraf,  sondern  irgendwie  anders 
(Oberst,  Rittmeister,  Maikönig,  Walburgshcrr,  Maiherr  u.  s.w.). 
Ein  Bild  dieser  Entwickelungsstufe  des  Brauches  stellt  uns  noch, 
wenigstens  nach  einer  Seite  hin  ein  in  mehr  als  einer  Rücksicht 
merkwürdiges  Zeugniß  aus  Lüttichs  Umgegend  vor  Augen.     Albe- 

• 

'WU8  trium  fontium  II,  513  schildert  einen  Festzug,  der  sich  in 
«•«n  Pfingsttagen  1224  durch  die  Straße  von  Iluy  bei  Lüttich 
•Wegte:  Universitas  Hoycnsium  tum  senes  quam  juvenes  mascu- 
»ini  8CXU8  antiquos  ludos  vestibus  mulierum  induti  barbis 
f^w  redueunt  ad  niemoriam :  hfibvbani  ailm  praecdlvntcs  perso- 
^^  sccundufu  diversiüitcs  locoriim  Impcratorem  vUklicet,  licyem, 


^1^  Kapitel  IV.    Baunigeister  aU  Vegetationsdamoiieii: 

thHTm,,  a>mitefn  et  abhatcm,  Qaidam  eamm  ^rani  arfnati  lorieL 
ti  tjutttii  fulgcfUibus y  gladiosque  niulos  poriantes  in  manibus  sui 
{K'Uitiees  habebant  pellicea  grisea  et  vulpina  deforis  pilos  habentis 
et  oiiines  alii  prout  poterant  ad  modum  malierum  erant  adomati 
qni  qQolibet  die  fest!  pentecoBtes  imllo  domi  remanente  ibant  pro 
i'essionaliter  bini  et  bini  per  vicos  et  plateas  eantando.^  In  die 
seni  Pfingstauizug  gab  es  yersckiedene  Bestandteile,  z.  B.  Tier 
niasken ,  Darstellung  von  Weibern  u.  dgi. ,  neben  dem  Unutug 
oder  Einzüge  der  Bewaffneten  mit  ibrem  Oberhaupt.  Da88elb< 
itihrto  damals  in  den  yerschiedenen  niederländisehen  Gregendei 
noeh  verschiedene  Namen:  Kaiser,  König,  Herzog,  Graf  ode 
Abt;  wahrschehilTch  ])arallel  mit  der  Wttrde  des  Landesheim  i 
jedem  der  vielgeteilten  Gebiete  (Herzogtum  Limburg,  Abtei  Stabl« 
Grafschaft  Namttr  u.  s.  w.).  Ein  späteres  Beispiel  der  näniliche 
Vorstufe  des  Maigrafenbrauches  gewährt  die  Sitte  in  Köln,  ebeiifi 
die  Erfurter,  wo  die  4  Walperherren  nur  eine  VerviellUltigiu: 
des  einen  Maihcrm  sind  und  ein  jedes  Stadtviertel  den  sein^ 
ttir  sich  haben  wollte.  Hieraus,  wie  aus  der  Aufbewahmng  A. 
Kranzes  neben  dem  Stadtbanner  zu  Köln  geht  hervor,  daft  im.. 
den  Einritt  des  Maiherrn  gradcso  wie  anderswo  die  Anfriehtm. 
des  Maibaums  als  Ileiltum  ttir  die  ganze  Commune  erae 
In  irgend  einer  niederdeutschen  Stadt  vertauschte  man  im 
des  14.  (spätestens  im  Anfange  des  15.)  Jahrhunderts  den  Nana 
Maiherr,  oder  wie  er  sonst  lautete,  mit  Maigrefe  (nach  Anal(^£ 
anderer  Amtsnamen,  Holtgrcfc,  Deichgrefe.  Cf.  Grefe,  Grebe  « 
Bezeichnung  der  sächsischen  Dortbbrigkeit  und  das  grävo  prc 
ses  ahd.  Glossen).  Es  muß  dies  eine  Stadt  gewesen  sein^ 
welcher  die  reichsten  oder  vonichmsten,  beziehungsweise  c 
Altl)tirgcr  zu  gegenseitigem  Schutz,  gemeinsamen  geselligen  Z 
sammcnktinften  und  gottesdienstlichen  Begehungen  den  Hani 
wcrkem  sowie  anderen  Neubürgern  gegenüber  in  einer  brttd« 
liehen  Genossenschaft,  Gilde,  große  Gilde  (summum,  majus  ccz 
vivium,  major  gylda*)  vereinigt  waren.  Diese  ttihlte  sich  - 
die  eigentliche  Bürgerschaft  und  stellte  darum  den  Einritt  c3 
Maigrafen  zum  Besten  der  Stadt  und,  was  nahezu  dann  zus 
menfiel,   ihrer  eigenen  Corporation  alljährlich   dar.^    Von  jcn- 

1)  Cf.  Licbreclit  in  Pfeiffers  Germania  XVI,  227. 

2)  Wilda  a.a.O.  IX  170. 

3)  Cf. Wilda  a.  a.  0.  77  ff. 


Der  Maigraf.  379 

m  Ulbeluulnten  EntstehungBorte  aus  (Lübeck  V)  hat  sich  die  Sitte 
dffi  MaigrafeDiestes  sodann  in  der  dort  angenommenen  Fonn  und 
iwar  als  Uebung  der  ersten  Gilde  mit  unwesentlichen  Modifica- 
tknen  zu  andern  niederdeutschen  Städten  fortgepflanzt,  in  denen 
bereits  ähnliche  Gilden  bestanden,  oder  neue  gestiftet  wurden. 
Vont^ch  seheint  es  der  hanseatische  Großhändler  gewesen  zu 
sein,  dorch  den  der  Brauch   bis  in  die  deutschen  Kolonien  an 
der  baltischen  Sttd-  und  Ostkttste  und  nach  Skandinavien  ver- 
Ineitet  ist     Ein  schlagendes  Beispiel  des  Hergangs  liesitzen  wir 
ao  dem  Maigrafenfest  der  o.  S.  371  erwähnten  Papageien-  oder 
IVohnleichnamsgilde  zu  Aalborg.    Dieselbe  ist  1441  als  gemein- 
sames Conyivium  deutscher  und  dänischer  Kaufleute  mit  Zulas- 
sung der  hohen  Geistlichkeit  und  adeliger  Herren ,  aber  mit  Aus-* 
adduft  der  Handwerker  gegründet  worden.^     Die  Kanutsgilden 
la  Malmö  und  Lund  sind  echt  dänische  Schöpfungen,'  sie  haben 
ihren  Maigrafen  unzweifelhaft  von  den  hanseatischen  Factoreien 
in  ihrer  nächsten  Nähe  überkommen.    Die  St.  Georgsbrttderschaft 
in  Danzig  und  ihr  Gildehaus,   der  Artushof  führen  zwar,   wie 
Th.  Hirsch  nachgewiesen  hat,^  gleich  allen  gleichnamigen  Insti- 
tuten in  PreuBen   auf  englische  Anregung  in  saec.  XIV.  zurück, 
aber  doch  nur  die  dem  Vorbilde  der  Artusromane  entlehnte  Form 
einer  ihrer  jährlichen  rittermäßigen  Vergnügungen  und  den  Namen, 
▼ielleicht  auch  die  Gestalt  der  gebauten,  nun  zugleich  als  Gilde- 
Btube  gebrauchten  Halle;  die  sonstige  Einrichtung  der  Korporation 
entsprach  durchaus  den  längst  in  den  deutsehen  Städten  bestehen- 
den Ssphutz-  und  Kaufmanugilden,  von   denen  mithin  auch   das 
Maigrafenfest  mit  herübergenommen  ist.     Aehnlich  wird  es  sich 
in  Biga,   Reval  und  Stralsund  ^  verhalten  liaben.    Da  das  Vogel- 
sehiefien  in  den  meisten  Fällen  mit  dem  Maigrafenausritt  verbun- 
den war,  scheint  dasselbe  zu  dem  ursprünglichen  Bestände  die- 
ses städtischen  Festes  gehört  zu  haben.    Die  Bedeutung  dessel- 
ben können   wir  jedoch   erst   an  einer   späteren  Stelle  unserer 
Untersuchungen  klar  legen.    Rätselhaft  ist  im  Brauche  von  Wismar 


1)  WUda  a.  a.  0.  284  ff. 

2)  Wilda  a.  a.  0.  1^2.  100  —  101. 

3)  In  dem  vortrefflichen  Aufsatze  über  den  Ursprung  der  Preuß.  Artus- 
^ofe.  Fo«,  Zeitschr.  f.  PreuH.  acschichte  und  Landeskunde  I,  1864.   S.  23. 

i)  Doch  Tgl.  Hirsch  a.  a.  0.  8.  31.  Anm.  25. 


380  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetationsd&monen : 

der  wolgeschmUckte  Knabe,  welcher  von  zwei  Bttrgermeisterdie- 
nem  geltihrt  dem  Maigraien  voranreitet  Er  erinnert  an  die  bei- 
den mit  Goldketten  und  Geschmeiden  behangenen  Knaben  im 
Walperzuge  zu  Erfurt,  80>vie  vielleicht  an  den  Hchildjungen ,  der 
in  Greifs walde  dem  Bürgermeister  den  Kranz  vorauftrug.  Hatte 
auch  dieser  Knabe  symbolische  Bedeutung?  Personifizierte  er 
etwa  in  Gestalt  eines  Kindes  die  Anfange  der  Vegetation ,  den 
ersten  Frühling  (wir  werden  später  die  mythische  Gestalt  eine» 
Vegetationskindes  des  breiteren  kennen  lernen)  während  'der 
Maigraf  den  vorangeschrittenen  Lenz,  den  Sommeranfang  mit 
seiner  WachstumBfÜlle  darstellte?  Doch  warum  findet  sich  dann 
anderswo  beim  Maigrafenfest  keine  Spur  von  jenem  Knaben 
mehr  vor?  Man  müßte  annehmen,  daß  ursprünglich  auch  der 
städtische  Maigrafcnbrauch  noch  voller  und  reichhaltiger  war, 
als  er  uns  später  geschildert  wird.  So  würde  es  sich  erklären, 
daß  dänische  Landgemeinden ,  nachdem  sie  von  den  Städtern  den 
Maigrafen  entlehnten,  diesem  noch  ganz  so  wie  der  Baier  nnd 
Schwabe  den  Maibaum  vorauftrugen ,  während  dieser  Zug  in  den 
Festberichten  aus  den  deutschen  Städten  selbst  nicht  mehr  erwähnt 
wird,  weil  sie  als  Bauern  die  ursprüngliche  Form  des  überkom- 
menen Brauches  conservativcr  bewahrten,  als  jede  dem  l)eweg- 
teren  Flusse  politischen  Lebens  ausgesetzte  Bürgergemeindc. 
Oder  wäre  der  dänische  einheimische  Maibrauch  dem  süddeut- 
schen Pfingstritt  so  wunderbar  ähnlich  gewesen  und  hätte  hier 
nur  eine  Entlehnung  des  fremden  Namens  Maigrefve  von  den 
Städten  her  stattgeiiniden?  Wir  wagen  darüber  noch  nicht  zu 
entscheiden,  denn  für  die  letzte  Ansicht  spricht  die  eigentüm- 
liche nirgend  in  den  niederdeutschen  Städten  nachweisbare  Sitte, 
welche  mit  dem  Maigrefveritt  der  dänischen  Bauern  verbunden  war, 
daß  zugleich  die  Mädchen  den  Sommer  ins  Dorf  liefen  (lob  Som- 
mer i  Bye)  mit  grünen  und  weißen  Kleidcni  angetan  und  Kränze 
um  Ko])f  und  Schultern.  An  dem  Orte,  wo  das  Gelage  statt- 
linden sollte,  versammelten  sie  sich;  dann  gingen  sie  aufs  Feld 
hinaus  und  der  Schaffer  probierte  an  jeder  einen  gewissen  Kranz. 
Traf  er  endlieh  eine,  der  er  paßte,  so  war  diese  Maiinde. 
Mit  ihr  liefen  sie  ins  Dorf  und  zu  den  einzelnen  Häusern.  Vor 
den  Höfen,  wo  man  sie  empfangen  wollte,  war  eine  bekränzte 
Stange  aufgerichtet.  Oder  der  Maigrefve  warf,  wenn  sie  vom 
Zuge  heimkamen,  einen  Kranz  über  dasjenige  Mädchen,   das  er 


Der  Maigrraf.  381 

'    zur  Maiin  de  erwählen  wollte.    Jetzt  l)egann  ein  Wechselgesang 
der  Borsehe  nnd  Jungfrauen ,  in  denen  die  AuRrufe  wiederkeh- 
ren: Mue  J  ere  velkomne!  Mai  ihr  seid  willkommen!  und:  Glsede 
jer  Gud   saa  den    soede   sommer!     Letze   euch   Gott   auch  so 
den  sfiften  Sommer.    Vielleicht  sind  beide  Mriglichkeiten  in  einer 
(bitten  zu  vereinigen,    wonach  ein  nationaldänischer  Maibrauch 
bestand y   der  nicht   allein  im  Namen,   sondern   auch  im   Ritus 
dorch   die    damals  noch  vollständigere  Maigrafenceremonie  der 
Stidte  einige  Abänderung  eriuhr.    3.  Ursprünglich  war  der  Brauch 
«och  in  den  Städten  noch  durchsichtig  und  sinnvoll,  man  ahnte 
«eise  Bedeutung,  hatte  eine  Erinnerung  daran,  daß  er  eine  heil- 
kräitige   Wirkung    fUr    die  Gemeinde    haben  solle.     Die  ganze 
dmos  entspringende  Herzlichkeit  lebte  noch  spät  in  dem  länd- 
Hdien  Maigrafenbrauch  in  Dänemark  fort  und  sprach  sich  in  den 
dibei  gesungenen  Liedern  aus;  ebenso  in  Reval  in  der  offiziellen 
Teilnahme    des  Maigrafen    an    der  gottesdienstlichen  Feier  des 
Frohnleichnamstages.     Es  war  darum  eine  hohe  Ehre,   Maigraf 
n  sdn  nnd  der  Patrizier,  dem  sie  zu  Teil  wurde,  setzte  seinen 
Stolz  darin  y   diese  Rolle  würdig  ja  glanzvoll   zu  repräsentieren. 
Mit  der  Zeit   aber  entschwand    das   GetUhl  für  die  eigentliche 
Bedentung  des  Aufzugs,  derselbe  wurde  zu  einer  bloßen  schwel- 
gerischen Lustbarkeit;    Luxusgesetze  suchten  den   Aufwand   bei 
den  Mahlzeiten  und  den  Pomp  der  Kleider  zu  beschränken,  den 
nur  die  Reichsten  und  Voniehmsten   auf  sich  nehmen   konnten; 
man  ließ  der  Kosten  wegen  zwischen  den  einzelnen  Begehungen 
des  Festes   oft   mehrere  Jahre  ausfallen,   bis   endlich   das  Mai- 
SnfeDamt,  nachdem  es  lange  Zeit  eine  gern  Ubemonunene  Leitur- 
gie  gewesen  war,  vollends  zu   einer  Last  wurde.     Schon  1474 
entfloh  in  Stralsund  der  Kosten  wegen  der  Junker  Krassow,  der 
in  den  Mai  reiten  sollte,   nach  Rostock  und  der  Rat  mußte  ihm 
hei  Strafe  gebieten ,  sieb  einzustellen.     Um  inzwischen  der  unver- 
sÄndlich  gewordenen  Feier  einen  ostensiblen   Zweck  zu  geben, 
^rde  im   16.  Jahrhundert,  der  Ausritt  der  voniehmsten  Bürger 
in  Harnisch  und  blanker   Wehre   als  gute  Gelegenheit  benutzt, 
^  Musterung  über  den  Zustand   der  Waffen  der  nach  Befehl 
des  Rates   dem  Zuge  sich   anschließenden  Bürgerschaft  anzustel- 
'cn.   So  in  Danzig  1515,   wie    1564  in  Stralsund.     In  letzterem 
Orte  wird  als  Gnnid,  warum  man  das  Maireiten  iu  voller  Rüstung 
^»cderinn  anrichtete,  angegeben,  daß  das  Jahr  zuvor  1563  als 


382  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetationsdämoncii: 

Herzog  Erich  von  Braunschweig  durch  Pommern  zog,  die  Bür-  ■ 
gerschaft  aufgehoten  sei,  um  zu  sehen,  was  an  Rttstangen  nnd 
Wehren  in  der  Stadt  sei;  sie  sei  aber  nicht,  wie  es  gewttnschet, 
gertistet  gewesen,  etzliche  haben  ihre  Harnische  damals,  welche 
viel  Jahre  unter  den  Betten  gelegen,  aufgesucht  Endlich  ging 
das  Maigrafenfest  ganz  ein,  oder  wurde  mit  Abschaffung  des 
Ausrittes  zu  einem  bloBen  Schmause  der  ratsherrlichen  Familien 
(Greifswald  1560)  oder  endlich  zu  einem  Feste*  der  Schuljugend 
(in  Pasewalk  schon  vor  1563).  In  Westfalen,  Holstein  u.  b.  w. 
ist  außerdem  mehrfach  der  Name  des  städtischen  Maigrafen  auf 
ländliche  Maifeste  übertragen,  welche  nur  in  weiterer  Verwandt- 
schaft mit  diesem  Brauche  stehen. 

§  10.  Pflngst-Wettlauf  und  -Wettrltt.  Nicht  außer  Acht 
lassen  dürfen  wir  noch  einen  Zug,  einen  Wettlauf  zu  Fuß  oder 
einen  Wettritt,  der  den  Frtihlingsgebräuchen  und  zwar  vorzogs- 
weise  den  auf  Pfingsten  geübten  wesentlich  zu  sein  scheint  Der 
Wettlauf  findet  in  der  Mark  und  Provinz  Sachsen  zumeist  in  den 
Pfingsttagen  auf  der  zu  Ostern  oder  längsten  abgesteckten  Pfingst- 
weide  nach  einem  Maienbusche  statt  Zu  Groß-Wiebelitz  bei 
Salzwedel  wird  der  im  Wcttlaufe  nach  dem  im  Felde  aufgesteck- 
ten Busche  siegende  Junge  König  und  erhält  einen  Blumen- 
kranz um  den  Hals  (wie  der  Maigraf)  und  einen  Maien- 
busch in  die  Hand,  mit  dem  er  nachher  beim  Umzüge  den 
Tau  wegfegt,  daher  ist  er  DauschUiper  zubenannt  Der  Letzte 
heißt  Pfingstkäm  (wie  in  andern  Orten  der  in  Laub  gehüllte 
Pfingstltimrael  o.  S.  321)  und  muß  das  mit  Blumen  geschmückte 
Rick  tragen,  an  das  Speck  und  Würste  gehängt  werden.^  Auch 
in  manchen  üörfem  südlich  von  Lehnin  findet  zu  Pfingsten  ein 
Wettlauf  nach  einem  im  Felde  eingegrabenen  Maibuseh  statt, 
während  in  andeni  Döriem  der  mit  Geschenken  behangene  Mai- 
baum erklettert  wird.^  Zu  Brunau"  in  der  Altmark  heißt  der 
Pfingstwettlauf  auf  der  Pfingstweide  das  Molitzlaufen.  Der  Letzte 
wird  nämlich  Molitz  genannt,  nmß  sich  ein  Strohband  ums  Kniee 
binden  und  hinken,  weil  er  sich  angeblich  ins  Knie  gehauen 
habe.^    Hiemit  stimmt  der  Brauch  im  Kalbeschen  Werder  ttberein, 


1)  Kulm.  Norda.  Sag.  3R(),  57. 

2)  Kuhn.  Nordd.  Sag.  387.  Hl 
:i)  Kuhn  a  a.  O.  :i80.  t}{\. 


Pfingst-Wettlauf  und  -Wettritt  a83 

WO  Behon  am  Charfreitag  oder  ersten  Ostertag  die  Juugen  den 
Wettiaof  nach  einer  anf  einem  Uttgel  in  der  Nähe  der  so  eben 
abgesteckten Pfingstweide  aufgepflanzten^  mit  Knochen  behänge- 
Ben,  mit  einem  Pferdeschädel  gekrönten  Tanne  anstellen.  Hier 
wird  der  Sieger  ebenfalls  König ,  der  Letzte  stellt  sich,  als  sei 
ihm  em  Bein  gebrochen,  und  heißt  der  lahme  Zimmermann.^  In 
Halberstadt  läuft  am  dritten  Pfingsttag  die  männliche  Jugend  auf 
dem  Anger  nm  die  Wette  nach  einem  mit  seidenen  Tüchern 
gescbmflckten  Maibaum,  darauf  die  weibliche  nach  einem  Mai- 
bueh,  neben^  dem  ein  Lamm  steht.  Der  letzte  Bursche  i>ekommt 
den  Namen  Lambom  oder  Lämbo,  das  letzte  Mädchen  erhält 
einenKIotz  (vgl.  o.  S.  173  fif.  237)  und  heißt  Klotz-Marine.  Beide 
aammt  dem  Klotz  werden  schließlich  auf  eine  Tragbahre  gesetzt 
and  miter  Spott  und  Gelächter  zur  Stadt  gebracht^  Der  Wett- 
lauf  geht  häufig  in  einen  Wettritt  über,  oder  beide  Formen 
encheinen  neben  einander.  So  wurde  zu  Bissingen  in  Schwaben 
auf  dem  sogenannten  oberen  Kennwasen  bis  Anfang  dieses  Jahr- 
handerts  jährlich  am  Pfingstmontag  ein  Wettrennen,  Wettlauf 
gehalten»'  In  Stapel  (Altmark)  fand  zu  Pfingsten  zuerst  ein 
Wetdanf  zn  Fuß  statt,  der  Sieger  wurde  König,  der  Letzte 
trog  die  Teerlappen  zum  Schmieren  der  Peitschen.  Dann  folgte 
ein  Wettrennen  zu  Pferde ,  wobei  der  Läuferkonig  den  Ehren- 
platz als  Erster  in  der  lieihe  inue  hatte.  ^  Eine  Uebergangsform 
ist  das  Karrenrennen  i>ei  Wangen  im  AUgäu ,  wo  die  Bursche  ihre 
(veliebten  zu  Pfingsten  im  Wettlauf  auf  Karren  nach  einem  mit 
Bändern,  Nastttehern  und  andern  PreisstUcken  behangenen  Mai- 
baume schieben.^ 

Das  Wettrennen  tritt  viel  häufiger  auf,  es  verhält  sich  zum 
Wettläuf  wie  die  berittene  Einholung  des  Pfingstl  zu  der  zu  Fuße 
geschehenen.  Zu  Wallenhausen  in  Schwaben  hat  man  ehedem 
am  Pfingstmontag  das  DornbUschele  ausgeritten.  Drei  Buben 
ritten  nach  einem  Ziel.  Die  ersten  J^ciden  erhielten  Preise,  dem 
Dritten  aber  wurde  ein    Dornbüschelc    auf  den    Rücken 


1)  Kuhn,  mark.  Sag.  324. 

'^)  Kühn ,  Nordd.  Sag.  380 ,  i)^. 

3)mrliiiger  II,  U]i),\iA. 

4)  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  371) ,  55 

•'')Z8.  f.  I).  Myth.  1,443,  4. 


3^  Kapitel  IV.    Baumgoister  als  Vegetationsdämonen : 

gebunden^  cf.  o.  S.  351.  In  Westfalen  wurde  die  von  den  Pfei 
dejungen  zu  Ostern  ausgesteckte  Pfingstweide  am  ersten  Pfings' 
tage  genieinsehaftlich  eingeweilit,  indem  alle  Jungen  Nachl 
12  Uhr  zu  Pferde  saßen  und  dorthin  ritten.  Wer  zuerst 
wurde  DäwestrUeh  (Taustrauch)  genannt,  oben  auf  einer  ^m 
Berge  auf  einen  Strauch  gesetzt  und  unter  allgemeine ^^ae^ 
Freudengcsehrei  bis  unten  ins  Tal  durch  den  Tau  gezoge^^aen* 
Alle  seine  Pferde  erhielten  Kränze  von  Maien.  Wer  znlet9*.^EjBbll 
ankam,  hieß  Pßngstnwcke  und  seine  Pferde  bekamen  Kränze  v^^zjm-m 
Blumen,*  Wie  hier  in  der  Ausschmückung  des  zuerst  und  dE^  de 
zuletzt  Angekommenen    ein  Unterschied    gemacht  wird,    so  i 

einigen  Gegenden   in   der  Nähe  von  Salzwedel,  wo  der  Sie^^^aeg« 
im  Wettrennen   auf  dem  Pfingstheij    mit  Maien,   rotem   Fed»JE>^e 
busch  und  h(")lzemem  Säbel  geschmückt  und  mit  drei  Vorreit^ii^^  jtei 
zum  Einritt  in   das  Dorf  beehrt,   sein  Pferd  durch  einen  Dr^-^ZDri 
splant'^   von   Maibusch    mit  Knittergold    auf   dem    Ko|y  <~Dpi 
ausgezeichnet  wird;  während  man  den  Letzten  „smuk  mäF^^S^^^ 
d.  h.  in  Blumen  hüllt  und  daher  den  schmucken  Jungen  neK-^Esenon 
Im  Hause  des  Schmucken   wird  getanzt.     Vergleiche  auch  m^^^-^Q^ 
daß  in   anderen  Dörl'em  der  Altmark   der  Junge,   dessen  PÄ  ^%nl 
Pfingsten  zuerst  zur  Weide  kommt  zum  Tausrhleppery  der  znM^    /^^ 
hinaust reibende    zum    bunten   Junffni   eniannt    wird.      I-ietzt^dz:^;^^ 
wird  von  Kopi'  I)i8  Füßen   mit  Feldblumen  behangen  und  Mit=;(W 
im  Dorfe  von  Hof  zu  Hof  geführt.*     Bis  tief  nach  Sachsen        und 


1)  Panzer  1I,200,;U5. 

2)  Kuhn,  Wcstf.  Sa«j:.  104,401. 

3)  Dieser  Droisplant  kelirt   auch  noch  in   den    niärkiRchcn  Dorfermi  am 
Bcnzendorf   wieder.      Wenn    die   Ilo.£,'^enblnnie,    Mohn    nnd    Riido   in    Uifite 
stehen,  wird  ein  Pferd  mit  buntbebändert4.*n  Kränzen  ^eschmfickt.  auf  n^inem 
Kopf  eiv   mit  (hn  schönsten  Blumen  reichumwwndener  dreiapalti^fer   *St^*ck 
augebracht.     Kin   mit  Blumenguirlandeu    behangener  Pfordejunge,   auf     ^c\\\ 
Kopf  eine  aus  Jlinsen   (jejlochtene  Mütze  (s.  o.  S.  321)   reitet  auf  dioftem    K<>^» 
von   der   Ptinjj^stweidc  ins  Dorf  ein   und  dreimal   um  die  Kirche,   darf    xi-^^*^ 
dabei  nicht  lachen,   obwol    man   alles  mögliche  vornimmt,   um  ihn  da^vi       2U 
verleiten.     Kuhn.  mark.  ^ag.  327.     Er  stellt  den  (diesmal  ohne  Gefolge)    ••"*"" 
reitenden    Vegetationsgeist  dar.     (leister  lachen   nicM.     (S.  W.  Müller    1*^^^ 
ders.  Sag.  S.  :iSO.     Mannhardt,  (ierm.  Mythenf.  8.308.309.314).    Der  i>^"*''" 
splaut  \n\\[\  wol  auf  U<0)erli<'ferung  beruhen,  da  auch  der  Krntemai  in  Fr»- **^'" 
reich  mehrfach  die  Gestalt  eines  in  drei  Aeste  gespalt(Mien  Zweiges  anni"^  "  ' 
S.  0.  S.  201. 

4)  Kuhn.  Mark.  Sag.  S.  317. 


Pflügst- WettUmf  und  -Wettritt.  386 

lifliii^n  hinein  ttbt  man  den  Wettritt  Ein  Beispiel  gewähre 
iäidorf  bei  Schafttädt,  wo  man  eine  Tanne  oder  Birke  aus 
iB  Walde  holt  und  im  Dorfe  als  Maibanm  aufpflanzt,  sodann 

Felde  einen  Maienbusch  aufsteckt  und  nach  diesem  reitet, 
f  Sieger  wird  als  Maikönig  ins  Dort*  zurttckgeflihrt. '  In  der 
omark  ist  das  Ziel  des  Wettrennens  zuweilen  kein  Maibusch, 
dem  ein  in  gewisser  Entfernung  aufgestellter  Stuhl;  wer  die- 

saerst  erreicht  und  sich  auf  ihn  setzt,  wird  in  Laub  ein- 
kleidet als  König  ins  Dort*  gebracht*  Zu  Weißingen  in 
iwaben  halten  sieben  Bauerbursche  Pfingstmontag  ein  Wett- 
iien  zu  Pferde.  Der  Erste  am  Ziel  erholt  einen  reich  mit 
ndern  geeierten  Baum,  den  die  Mädchen  schmücken,  der 
site  ein  Schwert,  der  Dritte  emen  Geldbeutel,  der  Vierte  einen 
rkorb,  der  Fünfte  einen  Schmalzhafen,  der  Sechste  ist  der 
iBBervogel.^      Aehnlich    in   Dinkclscherben    Kr.   Schwaben, 

der  Erste  als  Preis  ein  Sacktuch  u.  s.  w.  erhält,  der  Letzte 

Wasservogel  in  Laub  eingebunden  und  ins  Wasser 
werfen  wird.^  In  einzelnen  schwäbischen  Gegenden  findet 
'  Wettritt  nach  dem  mit  Bändern  gezierten  Maien  schon  am 
tennontag  statt  ^  Bei  deun  alle  drei  Jahre  begangenen  langst- 
;  zn  Wurmlingen  wird  zuerst  dem  in  Eichenzweige  gekleideten 
ngstl  der  Kopf  abgehauen,  darauf  der  etwa  10  Fuß  hohe  mit 
Qten  Nastflchem  und  seidenen  Bändern  geschmückte  Maie,  den 
1  dahin  der  Maienflihrer  trug,  drei  bis  vier  Büchsenschüsse 
m  Sammelplatze  dicht  an  der  Straße  nur  leicht  in  die  Erde 
Bteckt  Dann  stellen  sich  alle  Pfingstreiter  in  eine  Linie  und 
^n  auf  das  Commando  „  Marsch !''  in  gestrecktem  Galopp  davon, 
er  den  Maien  zuerst  erreicht  und  aus  dem  Boden  hebt,  hat 
Q  sammt  seinem  Schmucke  gewonnen.^    In  Semic,  Kr.  Pilsen 

Böhmen  dagegen  ist  die  etwas  ältere  Form  des  Brauches 
:halten,  wonach  der  in  Baumrinde,  Baumzweige,  Blumen  und 
arrenkraut  gehüllte  Pfingstkönig  nach  geschehenem  Umritt  und 
t^haltenem  Gericht  unter  dem  Maibaum  von  den  in  zwei  Reiben 


1)  Kühn ,  Mark.  Sag.  S.  325. 

2)  Kuhn,  Westföl.  Sag.  164,  4G0. 

3)  Panzer  11,87,  132. 

4)  Panzer  a.  a.  0.  87,  131. 

^  E.  Meier,  Schwab.  Sag.  31M,  tJt). 

6)  Meier  a.  a.  0.  41«,  101 .     Vgl.  o.  S.  341)  -  r)0. 

Mtnnhardt.  25 


386  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetatioiiad&moneii: 

anfgestellten  berittenen  Burschen  in  Carriere  verfolgt  wird.  Glelingl 
seine  Einholung  nicht,  so  bleibt  er  noch  ein  Jahr  König ,  ein- 
geholt wird  er  geköpft.^  Diese  Sitte  aus  obigem  Znsammen 
hange  herauszulösen  und  als  proleptische  Darstellung  einer  Ver 
folgung  des  im  Herbste  wieder  entfliehenden  flir  den  Winte 
sterbenden  Vegetationsdämons  zu  erklären,  könnten  die  o.  S.  360  fl 
beigebrachten  Erwägungen  anraten,  zu  dem  die  Analogie  de 
nachstehenden  Silvesterabendbrauchs  in  Mank  (Niederöstreidij 
Da  wird  der  Tölpelhafteste  aus  dem  Hausgesinde  als  Silvester- 
könig  mit  einem  ätrohkranze  gekrönt  und  ihm  ein  Strohbflscbel 
in  die  Hand  gegeben.  Die  übrigen  jagefrh  ihn  dann  mit  einer 
aus  Stroh  geflochtenen  Peitsche  durch  Tür  und  Tor,  Er  maß  so 
lange  vor  der  Tür  stehen,  bis  sich  die  jüngste  Dirne  seiner 
annimmt  und  ihn  hereinführt.  Diese  Dirne  ist  nun  das  Haupt 
des  Gesindes  iür  das  kommende  Jahr  und  den  ganzen  Abend 
werden  ihr  Glückwünsche  dargebracht.  (Vemaleken,  Mythen  und 
Bräuche  S.  291,  14.)  Hier  scheint  die  Hinausjagung  des  Sil- 
vesterkönigs doch  die  winterliche  Entfernung  des  sommeiüdieii 
Vegetationsdämons  zu  bedeuten,  bis  er  zur  Vermählung  mit  dem 
jüngsten  Mädchen  (der  Lenzbraut,  s.  unten  Cap.  V)  wiederkehrt 
Die  Ceremonie  des  Hinauspeitschens  selbst  mag  jedoch  äUtereo 
und  anderen  Ursprung  und  Sinn  haben ,  beziehungsweise  mit  dei 
Lebensrute  zusammenhangen  (s.  o.  S.  365  ff.).  An  eine  noch  frühere 
Stelle  d.  h.  ganz  in  den  Anfang  des  Pfingstspiels  verweist  des 
Wettritt  die  Sitte  zu  Fulgenstadt  (in  Würtemberg).  Hier  werden 
nämlich,  ähnlich  wie  in  Weißingen  o.  S.  385,  durch  denselben 
schon  8  Tage  vorher  die  Rollen  ausgelost,  welche  die  einzelnen 
Buben  bei  dem  feierlichen  Einritt  des  in  frisches  Laub  gehüllten 
Hatzelers  (o.  S.  350)  zu  spielen  haben.*  Auf  Gülzow  und  andern 
Rittergütern  in  Lauenburg  wird  um  Pfingsten  herum  alljährlicli 
ein  Knechtereiten  veransttiltet.  Die  Reiter  sind  mit  Sträußen ,  die 
Pferde  mit  Bändern  geschmückt.  Der  Sieger  heißt  König  und 
erhält  eine  fingierte  Braut  (cf.  unten  Cap.  V)  als  Königin  an  seine 
Seite.  ^      In    Chätillon  (Dep.    de   deux    Sevres)^    begegnet    um 

1)  Reinsberg-Düringsfeld,  böhmischer  Festkalender  S.  2G4.  255. 

2)  Birlinger  II.  136,  150. 

3)  Jahrbücher  für  liandesknndo  von   Schleswig  -  Holstein.     Lauenborg- 
Kiel  18G1.    S."  181 ,  92. 

4)  De  Nore,  Continnes,  mythes  et  traditions  p.  145. 


.Pfingstwettritt,  das  Kranzstechen ,  BuschBtechen.  387 

8.  w.  0.  der  Mairitt  gleichfalls.  Am  letzten  Sonnabend  im 
April  findet  ein  Hanmieltanz  mit  der  zuletzt  yerheirateten  Ehe- 
frUy  am  Sonntage  ein  Wett reiten  mit  dem  zuletzt  verheirateten 
Hieiiuum,  am  30.  April  endlieh  die  Aufrichtung  des  Maibau- 
Mes  statt. 

§11.  Pflngstwettrltt,  das  Kranzsteehen ,  Buschstechen. 
Der  mit  Bändern  und  Tüchern  geschmttckte  Maibaum,  welcher 
w  vielfach  das  Ziel  des  Wettritts  ausmacht,  ist  im  l^')hmerwalde 
n  einer  Fahne  geworden,  an  deren  Stange  die  Preise  itlr  die 
Seger  (Westenzeug,  Halstuch,  HosentrUger)  hangen.^  Zu  Blumen- 
bg^  bei  Vierraden  bildet  ein  Senimelweck  auf  eine  Stange 
ge$tedä  das  Mal  beun  Kantenreiten  am  ersten  l^ngsttag.^  Noch 
»derswo  ^  z.  B.  Schiettau  bei  Halle ,  Edersleben  bei  Sangerhau- 
len  steckt  statt  dessen  ein  Hut  auf  der  Spitze  der  Stange.^ 
Mehrfach  yer^tt  den  Baum  ein  Kranz  auf  der  Siattge.^  So  im 
Hin.  Aus  den  Dörfern,  wo  noch  das  Pfingstreiten  herrscht, 
kommen  die  „Pfingstknechte^^  auf  die  benachbarten  Dörfer  und 
Sttdtehen,  um  Gaben  einzusammeln.  Dann  folgt  zu  Hause  auf 
dem  Dorfanger  das  Reiten  selber.  Die  Pferde  haben  Quasten 
(Imnte  Bänder)  an  Köpfen  und  Schwänzen ,  die  Knechte  an 
Mlben  und  Schultern.  Dem  l^erde,  welches  das  Mal  zuerst 
erreicht,  wird  der  daselbst  aufgehängte  Kranz  um  den 


1)  S.  die  lebendige  und  ausführliche  Beschreibung  dieses  Pßngstrcnncns 
WJ.  Rank,  Aus  dem  Böhmerwaldo,  Lpzg.  1813,  S.  81  — «G. 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  aSl,  GG. 

3)  Kuhn  a.a.  0.  381,61. 

4)  Vgl.    Im  Saterlande  bestand  der  zu  Pfingsten  aufgerichtete  Maibauni, 
^  König  und  Königin  dreimal  umtanzten ,  aus  einer  hohen  Stange ,  an  der 
<to  dne  grüne  Birke  befestigt  war,  unter  dieser  hing  an  einer  Querstange 
M  doem    Arm    ein    Kranz,    au    dem    andern    ein    hölzerner    Schinken. 
Stnclterjan,  Abergl.  u.  Sag.  a.  Oldenburg,  II,  52,311).     Zu  Elgersburg  bei 
Dnienau  besteht  die  am  ersten  Pfiugsttage  feierlich  eingeholte  und  umtanzte 
Tanne  aus  einem  hohen  abgeschälten  Baume,   dem    man  nur   unter   der 
Spitze  einen  kleinen  Nadelbusch  stehen  läßt;   darunter  aber 
Gefestigt  man   einen  großen  Blumenkranz.     Kuhn,  Mark.  Sag.  325. 
Genau  so  mit  nur  einem   großen  Kranze    unter  dem  Wipfel  ist  der  franzö- 
sische Maibaum  in  den  Marietteschen  Bildern  (Hone,  every  Daybook  11,  21)7) 
gestellt,   englische  Maypolos   bestehen   zuweilen    einzig  ans  einer  Stange, 
^  der  mehrere  Kränze  hangen.     (S.  Beschreibung  und  Abbildung  bei  Herne 
*'*-0. 11,288).     Den   deutschen  Maibäumen    fehlen    Kränze   als  Teile  ihrer 
AusÄcbmuckung  fast  niemals.     Vgl.  o.  S.  17G-177. 

25* 


388  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetationsdamonen : 

Hals  gehängt.  (Lassfelde.  Wülferstadt  bei  Gr.  Oschereleben.*) 
In  der  Nähe  von  Salzwedel,  Perleberg,  Havelberg  findet  ein 
zweimaliges  Wettrennen  zu  Pferde  nach  dem  an  der  Stange  auf- 
gehängten und  reich  bebänderten  Kranze  statt  Wer  beidemale 
den  Kranz  herunterreißt  wird  als  König  begrüßt  und  gekrönt; 
er  erhält  als  Preis  ein  von  den  Mägden  gekauftes  Tuch.  Jubelnd 
wird  er  ins  Dort*  zurückgeiührt  und  hier  wird  geschmaust  und 
getanzt.-  Im  Wendlande  zwischen  Salzwedel  und  Gartow  wird 
um  Johannis  nach  dem  Kranze  geritten;  der  beim  dritten  Wett- 
reiten Siegende  wird  König,  der  nächste  nach  ihm  sein  Bedien- 
ter, der  dritte  heißt  der  Pracher.^  In  Wunderthausen  in  West- 
falen wird  dreimal  gerannt,  und  das  Tuch  ist  gleich  am  Kranate, 
wie  sonst  am  Maibaum  befestigt.*  Diese  Sitte  geht  wiederum  in 
die  neue  Form  über,  im  Reiten  den  Kranz  lierabzustechen  und 
so  die  Königswürde  zu  verdienen.^  Beim  Kranzstechen  am  Nach- 
mittage des  ersten  Pfingsttages  muß  der  Sieger  mit  allen  Mäd- 
chen, die  zu  dem  als  Preis  ausgesetzten  seidenen  Tuche  etwas 
gegeben  haben,  tanzen;  am  zweiten  Pfingsttag  zieht  man  dann 
umher  und  sammelt  Gaben  ein.^  Aus  dem  Kranzstechen  aber 
erwuchs  in  Schleswig- Holstein  das  Kingreiten,  welches  in  Hol- 
stein zu  Pfingsten,  in  Nordschleswig  zur  Fastenzeit  derart  geübt 
wird,  daß  die  auf  blumengeschmtickten  Pferden  selbst  bekränzt 
Reitenden  nach  einem  Ringe  stechen,  der  von  einem  zwischen 
zwei  Piählen  ausgespannten  Seile  herabhängt.  Der  Sieger  wird 
König  und  wählt  sich  seine  Königin.  Umzug  und  Gabensamm- 
lung im  Dorf,  Tanz  und  Gelage  beschließen  das  Fest'  Wie 
hier  der  Ring,  ist  sonst  mehrfach  der  den  Maibäum  vertretende 
Kranz  aufgehängt.  So  spannt  man  zu  Vechta  auf  Pfingsten  an 
vielen  Stellen  durch  die  ganze  Stadt  Kränze  über  die  Straße; 
in  der   Mitte   des  Kranzes    hängt  eine  bebänderte  Blumenkrone 


1)  J.  Pröhle  iu  Zs.  f.  d.  Myth.  I,  80,  3.     Pröhle,  HarzLiMor  S.  66. 

2)  Kuhn ,  Mark.  Sag.  S.  325. 

3)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  390,81.    Pracher  =  Bettler. 

4)  Kuhn ,  Westfäl.  Sag.  IT ,  166 ,  464. 

5)  Hasum    bei  Osnabrück.     Kuhn,  Nordd.  Sag.  400,117.     Seeburg  bei 
Göttingen.    Kuhn,  Westfäl.  Sag.  1(;3,  458. 

6)  Kulm  a.a.O.  163,  459. 

7)  S.   H.    Handelmann ,    Volks  -    und     Kinderspiele    der    Horzogtünic« 
Schleswig- Holstein -Lauenbnrg.    Kiel  1862,  S.  2— 4. 


Wettaustrieb  der  Weidetiere  389 

ODter  der  getanzt  wird.^  Dem  Herabstechen  des  Kranzes  geht 
in  Mederbaiem  als  offenbar  gleich  bedeutend  noch  eine  andere 
Fonn  des  Brauches,  das  Boschenstechen  oder  der  Was- 
servogel  zur  Seite.  Zu  Baumgarten  umreiten  am  Pfingst- 
montage Mittags  12  Uhr  mehrere  Reiter  unter  Anführung 
des  Patrimonialgerichtsdieners  die  eine  Hälfte  des  Bezir- 
keSy  im  nächsten  Jahr  die  andere  Hälfte.  (Diese  Tei- 
long  geschah  wegen  der  zu  großen  Ausdehnung  des  Bezirks.) 
Während  des  Umritts  befestigen  die  Schloßkttfner  auf 
einer  Säule  ein  Faß,  das  ganz  mit  Reifen  belegt  ist, 
nnd  auf  die  Säule,  einen  Fichtenbusch,  an  welchem 
Gewinnste  z.  B.  Halstücher,  Spielzeug  i\ir  Kinder  u.  dgl.  ange- 
biogt  smd.  Bei  der  Rückkehr  hat  jeder  Reiter  eine  Stange  mit 
einem  schneidenden  Eisen  und  sucht  damit,  in  schnellem  Trabe 
Torttberjagend,  zuvor  einen  Reifen  vom  Faß,  dann  „den  Boschen'' 
aboiBtechen.  Derjenige,  bei  welchem  der  „Boschen^^  fäilt^ 
eihUt  die  Gewinnste.'  Zu  Baumbach  war  die  6  Fuß  hohe  eichene 
Siole  in  den  Boden  gepflanzt  und  blieb  immer  stehen.  Oben 
in  der  Säule  steckte  in  einem  Loche  da«  Stämmchen  eines  Fich- 
teDboschens,  um  das  Oberende  der  Säule  war  ein  kleines  hölzer- 
nes Faß  mit  hölzernen  Reifen  herumgelegt  und  mit  Steinen  aus- 
gefüllt Bei  klingendem  Spiel  und  zahlreicher  Versanmilung 
SQehten  die  Bursche  Pflngstmontag  im  schnellen  Laufe  der  Pferde 
die  Reifen  des  Fasses  zu  durchstoßen ,  so  daß  die  Steine  herab- 
fieIeD,  dann  den  Fiehtenbosch  herabzustechen,  der  au  der  Spitze 
des  Reiterznges  dreimal  um  den  Schloßhof  geflihrt  wurde.  ^ 
,  §  12.  Wettaastrieb  der  Weidetiere.  An  Stelle  des  Wett- 
litts  tritt  mehrfach  eine  andere  Form  der  Wette  dort,  wo  am 
Hngsttage  das  Vieh  zum  erstenmal  im  Jahr  auf  die  Brachweidc 
getrieben  wird.  Die  Bauenuägde  oder  Bauerbursche  beeilen  sich 
wetteifernd  nämlich  ihre  Kühe  (Schafe,  Gänse)  so  früh  als  mög- 
lich auf  die  Weide  oder  dem  Hirten  zuzutreiben.  Niemand  will 
fer  Letzte  sein.  Wenn  dann  Abends  die  Tiere  heimkehren ,  so 
Wndet  der  Hirt  dem  zuerst  ausgetriebenen  einen  Kranz  oder 
^h  um  den  Hals  oder  an   den  Sehweif  und  giebt  ihm  einen 

1)  Strackerjan ,   Sag.    u.   Abergl.    a.  Oldcnb.    U,  48,318.     Cf.  Kuhn, 
Kordi  Sag.  391 ,  82. 

2)  Panzer  1,237,202. 

3)  Panzer  H ,  82,  125.    Vgl.  o.  S.  3U6. 


390  Kapitel  IV.    Baumgeister  alä  YegetatiousdämoiieD: 

bezüglichen  Namen.  Vielfach  heißt  die  erstausgetriebenc 
Kuh  Dauföjvr  oder  Dauschlöpper  und  erhält  einen  MaibnBch, 
die  „Dausleipe,"  an  den  Schwanz,  während  die  zu  letzt 
ausgetriebene  Kuh,  die  bunte  Kuh  genannt,  einen  Kranz 
an  den  Hörnern  trägt,  oder  mit  Tamhenrcisem  aUerJiand  Grün 
wid  Feldblumen  aufgeputzt  tmrd.  7aVl  Sprakenhahl  bei  Wittingen 
im  Hannoverschen  heißt  dagegen  die  letzte  Kuh  Dauschlöpper 
und  die  erste  Pingstkärel;  ebenso  erhielt  in  Havelberg  die  letzte 
Kuh  die  Dausleipe,  die  erste  eine  Blumenkrone.  In  Westfalen 
wird  die  zuletzt  auf  dem  Plan  erscheinende  Kuh  Pingstkan,  der 
letzte  Ochse,  wenns  ein  solcher  ist,  Pingstoss  genannt  und  unter 
großem  Jubel  mit  Blumen  und  Laub  geschmückt  (gekrönet); 
daher  heißt  es  von  einem  geschmacklos  mit  Blumen  in  den 
Haaren  geschmückten  Mädchen  „se  is  gekrönet  as  en  pingstosse'^ 
und  von  überladenem  Putz  überhaupt  sagt  man:  Geputzt  wie  ein 
Pfingstochse.  In  den  Wendendörfem  bei  Salzwedel  (namentlich 
Seeben)  wird  auf  die  bunte,  d.  h.  die  zuletzt  ausgetriebene  Kuh 
eine  reich  mit  Feldblumen  geschmückte  menschengestaltige  Puppe 
aus  Tannenzweigen,  IIcu  und  Stroh  in  aufrecht  sitzender  Stel- 
lung gebunden.  Das  Tier  wird  so  lange  im  Dorfe  von  Hans  zu 
Haus  getrieben,  bis  die  Puppe  herabfallt,  oder  in  Stücke  geht* 
Die  Dausleipe  erläutert  ein  czechischer  Brauch.  Die  Czeehen 
nämlich  schmücken  eine  von  ihren  Kühen  mit  griinen  Zweigen, 
bedecken  sie  mit  einer  reinen  Decke  und  fähren  sie  so  auft 
Feld  an  einen  Kreuzweg.  Dort  nehmen  sie  nach  Gebet  die  Decke 
ab,  fangen  darin  den  Tau  des  Wiesengrases  und  der  Getreide- 
saaten auf  imd  legen  die  Decke  wiederum  auf  die  Kuh,  die  nui^ 
zu  Hause  geflihrt  und  der  Decke  abermals  entkleidet  wird.  Man 
hängt  die  letztere  an  einem  Türpfosten  auf,  giebt  ihr  die  Gestalt 
eines  Kuheuters  mit  4  Zitzen  und  windet  sodann  den  Tau  in 
ein  Gefäß  aus.  Von  dem  auf  diese  Weise  erlangten  Tau  mischen 
sie  Einiges  in  das  Getränk  der  Kühe,  wodurch  diese  gesund 
und  milchreich  werden  sollen;  mit  einem  andern  Teile  waschen 
sich  die  Mädchen,  um  gesund  und  schön  zu  bleiben.^  In  West- 
falen hieß  aber,    wie  wir  sahen  (o.  S.  384)  der  zuletzt  ankom- 


1)  Kuhn,   Nordd.  Sag.  S.  B88,  72.     Kuhn,  Mark.   Sag.  315  ff.     Kuhn, 
Westfäl.  Sag.  löi),  U\).  161 ,  451  — 52. 

2)  Afanasicflf  11,  4if2. 


Wettlanf  and  Wettritt,  Erl&uterungen.  391 

Hmide  PferdejoDge  zuweilen  lyingstmockey  Peugestmocke  (Pfingst- 
kih;  mocke»Kuh|  die  BriÜlerin,  vgl.  mugire);  im  Bttden  des 
Bothaargebirges  die  zuletzt  austreibende  Magd  Pfingstmucker.^ 
Aieh  das  zuerst  auf  der  Weide  eintreffende  Pferd  bekommt  die 
Dansleipe^  das  letzte  wird  in  Grün  gelitUlt  und  das  bunte 
Pferd  genannt  (Mark  Br.)'  Anderswo  in  Westfalen  schilt 
man  den  beim  Austreiben  des  Viehs  zuletzt  Kommenden  (Bur- 
fleiwn  oder  Magd),  oder  das  zuletzt  zum  Melken  auf  die  Weide 
kommende  Mädchen  Fuchs,  Pingstfoss.    Man  singt  wol: 

PinkestfosB,  du  Sulenkopp, 
staiflt  um  Diegen  6aer  op, 
waerst  en  bietkcn  acr  upstän, 
waersto  keinen  pinkstfoss  warn. 

and  hat  die  Redensart  y,he  lachet  as'n  Pingstfoss,'^  „he  Ificrt 
ag'n  Pingstfoss/'^  In  Silberg  a.  d.  Verse  hieß  der  zuerst  aus- 
treibende Biiie  Nachtrawe  y  der  Zweite  Datiefislkpery  u.  s.  w.,  der 
Letzte  Pinkestfass,  Der  Pinkestfoss  wurde ,  iccnn  nian  ihn  erm- 
sden  konnte,  in  einen  Teidi  gesteckte  Im  Oldenburgischen  heißt 
fingsifosSy  wer  am  Pfingstmorgen  der  Letzte  im  Bette  ist.^  Zu 
Theden  a.  d.  Lenne  wird  derjenige,  welcher  Pfingsten  seine 
Kflhe  zuletzt  austreibt  Pßngsthammel  gescholten.^  Zu  Mcrgers- 
kcim  in  Schwaben  wirft  der  Hirt  der  zuletzt  ausgetriebenen  Kuh 
dnen  bereit  gehaltenen  Kranz  aus  Feldblumen  über  den  Ilals 
und  nennt  sie  Waidhammel.  Ebenso  geschieht  es  beim  Austrei- 
ben der  Gänse.  Die  letzte  Gans  heißt  der  Pßngstlümmcl  und 
^t  einen  Feldblumenkranz  um  den  Hals.^ 

§13.  Wettlauf  uiid  Wettritt,  Erläuterungen.  Sobald 
wir  ins  Auge  fassen ,  daß  in  einigen  dieser  Ueberlieferungen  die 
richtige  Beihenfolge  der  Begehungen  verschoben  sein  muß,  fällt 
^  nicht  schwer ,  ihren  Sinn  und  die  ihnen  zukommende  Stellung 
ün  Ganzen    der    Maitags-    (Pfingst-) gebrauche     warzunehmen. 

1)  Kahn,  Westfäl.  Sag.  U,  Üb ,  461.  163,  457. 

2)  Kuhn ,  Mark.  Sag.  316. 

3)  Kuhn,  Westfäl.  Sagen  U,  160,  449.  161,  153.  162,  454.  v.  d.  Ha- 
gena  Germania  IX,  289. 

4)  Kuhn  a.a.O.  162,  455. 

5)  StrackcTJan,  Ahergl.  u.  Sagen  a.  Oldenburg  11,47,316. 

6)  Kuhn,  Westf.  Sag.  II.  163,  457. 
<)  Panzer  ü,  181,303. 


392  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetatioiiadftmoiieii: 

Denn  augenscheinlich  sind  Wettritt  und  Wettlanl'  Unr  durch  grSic 
ren  oder  geringeren  Aufwand  unterschiedene  Formen  derselbe 
Geremonie;  diese  selbst  aber  stimmt  zusammen  sowol  mit  dei 
Zuge,  daß  zu  Ostern  der  Langschläfer  mit  grünen  Katen  an 
dem  Bette  getrieben ,  als  daß  anderswo  der  zuletzt  ans  dem  Bett 
Aufgestandene  zur  Mngsterblume ,  zum  Pfingstltünmel,  PfingBi 
und  zu  anderen  Darstellern  des  Vegetationsdämons  verwand 
werden.  Vgl.  o.  S.  257  ff.  319  ff.  351.  353.  Wir  suchten  scha 
früher  darin  eine  Verbildlichung  des  jüngsten,  zuletzt  erwachte 
Pflanzengeistes  im  Frühling.  Der  Wettlauf  nun  scheint  den  wetl 
eifernden  Einzug  der  Pflanzengenien  in  Wald  und  Feld  nachzii 
bilden  und  es  ist  davon  vielleicht  ihre  feierliche  Einholung  in 
Dorf,  rcsp.  die  Stadt  durch  die  Menschen  als  zweiter  Act  de 
Dramas  zu  trennen.  Weil  die  Personen  dieses  Wettlaufe  Pflai 
zengeister  darstellen,  ist  ihr  Ziel  der  Maibusch  oder  Maibann 
er  ist  per  Synekdochen  der  Vertreter  der  Baumwelt,  in  welch 
die  vom  Winterschlaf  erwachenden  Vegetationsgenien  jetzt  wiedc 
ihren  Einzug  halten.  Die  ideelle  Identität  der  Wettläufer  (Wet 
reiter)  und  der  Gewächse  ist  nicht  minder  dadurch  ansgedrflck 
daß  der  zuerst  Ankommende  auf  einen  Strauch  gesetzt  und  dure 
den  Tau  gesogen,  oder  daß  dem  zuletzt  Angelangten  ein  Base 
des  Dornstrauchs  auf  den  Rücken  gebunden  wird;  daß  der  Sü 
ger  oder  der  Letzte  die  Würde  des  Maikönigs,  Pfingstittmmel 
davonträgt  und  in  grünes  Laub  gehüllt  oder  am  Halse  mit  einei 
Blumenkranze  geschmückt  daherprangt.  Der  Ritt  nach  dem  au 
gesteckten  Hiäe  (cf.  R.  A.  148  ff.)  oder  aufgestellten  Königsskü 
(R.  A.  1«7.  242.  253)  bedeuten  auch  nur  die  rechtliche  Besit 
nähme  des  Maikönigtums.  Erstes  Geschäft  eines  Königs  war  e 
sein  Land  zu  umreiten,  oder  durch  das  Land  zu  reiten,  sich  de 
Untertanen  zu  zeigen  und  ihnen  Recht  und  Frieden  zu  bestätige] 
(R.  A.  237  —  38.)  Vgl.  J.  Grimm,  Grenzaltertümer  132  (kl.  Seh 
11,  61):  „Ein  solcher  Bcgang  konnte  gefordert  werden,  wenn  ei 
Grundstück  aus  einer  in  die  andere  Hand  übertragen  wurde;  d< 
Neuerwerbende  ergriff  eben  dadurch  leiblichen  Besitz,  da£  i 
sich  zu  dem  Grund  und  Boden  hinbegab,  auf  einem  dreibeinige 
JStuhl  in  der  Mitte  desselben  niederließ,  dann  aber  anch  all 
Enden  und  Wenden  in  Augenschein  nahm.  So  hatte  selbst  d« 
neue  König  heim  Antritt  der  Herrschaft  sein  Reich  nach  bestunn 
ten  Wegen   zu   durchziehen   und   von   allen  Marken   feierliche 


WettUiif  und  Wettritt,  Erlänterangen.  898 

Beriti  za  nehmen/'  Dem  entsprechend  ist  anch  im  Pfingstspiel 
vq)rttiiglich  der  Wettritt  nach  Hut  oder  Stuhl  dem  feierlichen 
Einritt  in  das  Dorf  oder  um  die  Grenzen  seiner  Gremarkung  vor- 
«ugq;angen.  Wenn  zn-  Blomenhagen  eine  auf  die  Statige 
gespiette  Semmd  das  Mal  des  Wettritts  ist^  so  will  man  andeu- 
ten, daB  die  Kornernte  das  Ziel  der  Bewegung  der  Vegetation 
sei  Vgl.  den  Brodmann  am  Emtemai  in  La  Palisse,  (o.  S.  205. 
S13)  das  Brody  über  welches  der  erste  Pflug  ins  Land  geht 
(o.  S.  158)  oder  welches  in  die  letzte  Garbe  eingebunden  wird 
(o.  S.  158) ,  den  vom  grünen  Georg  aufs  Feld  getragenen  Kuchen 
0.  S.  317,  das  in  England  am  Dreikönigsabend  dem  Ochsen  auf 
die  Homer  gespießte  Gebäck,  s.  unten  Cap.  VI,  §  10  und  den 
Knehenritt  zu  Sindolfingen.  ^  Bestätigt  wird  unsere  Ansicht  auch 
durch  den  Umstand,  daß  der  erste  und  letzte  Ankömmling  im 
Wettritt  durch  grünen  Maibusch  und  bunte  Blumen  unterschieden 
werden.  Denn  offenbar  stellt  ersterer  das  frühere  Stadium  des 
EigrIlnenSi  letzterer  die  spätere  Periode  der  bunten  BlUteniHlle 
in  der  Natur  dar.  An  dem  Maibaum,  wenn  er  unterhalb  der 
Krone  mit  einem  Blumenkranze  geschmückt  wird,  sind  beide 
Momente,  so  scheint  es,  in  eins  gezogen  und  zugleich  zur  Dar- 
BteUung  gebracht  Wo  dagegen  beim  Wettlauf  oder  Wettritt  die 
Rollen  derartig  verteilt  werden ,  daß  der  Erste  den  Maibaum  (oder 
abgekürzt  auch  nur  einzelne  der  ehedem  daran  gehängten  Preise) 
«mpftugt,  der  Letzte  (als  Wasservogel  u.  s.  w.)  in  Laub  gehüllt 
wird,  erscheint  keine  Unterscheidung  zwischen  zu  verschiedener 


ij  Berittene  Burschen,  Musik  an  der  Spitze,  fährten  jährlich  am 
Pfingstdienstag  (früher  Pfingstmontag)  4  große  bunt  bebänderte  Kuchen, 
vdehe  gewisse  Mühlen  zu  liefern  verpflichtet  waren ,  auf  Stangen  durch  den 
M;  rie  umzogen  dreimal  den  großen  Klosterbrunnen  und  endigten  mit 
Gutmahl  und  Tanz  auf  dem  Rathause.  Meier,  421,  105.  In  Bußland  ver- 
^^  sich  der  Hausherr  zu  Weihnachten  hinter  einem  Kuchen  und  erwartet, 
WCDD  er  nicht  gesehen  wird,  ein  fruchtbares  Jahr.  AfanasiefF,  Poet.  Natur- 
>B8ch.  d.  Russ.  111,745.  Das  ist  noch  ganz  das  Orakel,  welches  nach  Saxo 
OD  12.  Jahrh.  der  Priester  des  Swantowit  auf  Arkona  übte:  „Placenta  quo- 
qne  malso  confecta  rotundae  formae ,  granditatis  vero  tantae ,  ut  pacne  homi- 
^  Btftturam  aequaret ,  sacrificio  admovebatur.  Quam  sacerdos  sibi  ac  populo 
Bediam  interponens,  an  a  Rugianis  cerneretur,  porcontari  solebat.  Quibus 
iUum  a  se  videri  respondentibus,  ne  post  annuni  ab  hisdem  cerni  posset 
<)ptabat.  Quo  precationis  modo  non  snum  aut  fatum,  sed  futura  messis 
in^fflenta  aptabat.    Saxo  gram.  III ,  404.  Klotz. 


394  Kapitel  IV.    Bauiiigeister  als  Vegetaiioasd&inoDeii: 

Jahreszeit  auftretenden  Vegetationsgeistem  gemacht ,  sondern  ein 
und  derselbe  Begriff  auf  doppelte  Weise  durch  Baum  and  Mensch 
dargestellt.  Das  Wettrennen  nimmt  mehrfach  den  Anschein  einer 
Verfolgung  des  Plingstkönigs  u.  s.  w.  an. 

Der  mit  Gefolge  einziehende  Maikönig  ist  meistens  beritten 
und  mit  kriegerischem  Schmucke  angetan  gedacht    Er  wird  bei 
dem  Wettritt  nach  den  Insignien  seiner  Würde  oder  seines  Wesens 
(dem  Maibusch,  Boschen,  Kranz)  diese  mit  dem  Speer  berührt 
und  so  die  Erreichung  des  Zieles  bezeichnet  haben.    Das  kann 
bei  Verdunkelung  des  ursprünglichen  Sinnes  leicht  zum  Wurfe 
mit  dem  Speere  nach  Baum^  Kranz,  King  u.  s.  w.  geworden  sein. 
Diese  Bemerkung  läßt  mich  ein  bereits  älteres  2^ugniß  ftir  unsere 
Sitte  in  einer  Nachricht  in  der  saec.  IX.  geschriebenen ,  wie  man 
annimmt  auf  älteren  der  'Hauptsache  nach  glaubwürdigen  Quellen 
beruhenden  Vita  St.  Barbati  erkennen.    Zur  Zeit  König  Grimoalds 
(662  —  671)  predigte  in  Benevent  der  Priester  Barbatus  gegen 
die  Ueberreste  des  Heidentums   in  der  Sitte  der  Langobarden. 
U.  a.  verehrten  sie  einen  Baum,  der  nicht  weit  von  den  Mauern 
von  Benevent   stand,   als  heilig;   sie  hingen   ein  Fell  daran  aui^ 
ritten  alle  isusammen  um  die  Wette  y  so  daß  die  Pferde  von  den 
Sporen  bluteten,  hinweg,  warfen  mitten  im  Laufe  mit  den  Spee- 
ren rückwärts    nach  dem  Fell  und  erhielten  dann  jeder  ein^ 
Teil  davon  zum  Verzehren.     Dieser  Ort  hieß   noch  im  9.  Jahr- 
hunderi  Votum. ^     Auf  das  am  Baume  hängende  Fell,    welches 
hier  das  Ziel   des  Wettritts  bildete,   wirft  ein  litauischer  Brauch 
Licht,  den  Wilhelm  Martini,  Pfarrer  zu  Werden  im  Amte  Memel    j 
um  1 645  in  dem  Dörfchen  Matertiick   a.  d.  Szuhze   beobachtete.  - 
Daselbst  war  zm  Anfang  des  Einsäens  der  Wmtersaaten  von  denMi 
Bauern   eine  Ziege    geschlachtet,    das  Fleisch  mit  vielen  aber — - 
gläubischen  Cercmonicn   und   begleitendem  Trinkgelage  verzehrt^-^i^ 
das  Fell  aber  auf  einer  sehr   hohen  Stunge  aufgerichtet,   in  deK< 
Nähe   einer   alten  Eiclie    und   eines  5  Schritt   davon  liegendenc^ 
großen  Steines.    Dort  blieb  das  Fell  bis  zur  Ernte ;  sodann  wurd»^ 
über  demselben  ein  großer  Busch  von  allerlei  Getreide  und  Krau^^ 
angebracht  und  das   DoH'  strömte  zusammen.     Ein  alter  ManiLJc: 
faßte  eine   Schale  (Kaußel)  mit  Bier  und  dankte  Gott,   daß 
ihnen  Essen,  Trinken,  Nahrung  und  Aufenthalt  gegeben,  wora 


1)  Ö.  O.  Abel,  Paulus  Diakonus.    Berlin  184*J.   8.248. 


WettUnf  und  Wettritt,  firlänterongen.  3d5 

di8  junge  Volk  um  die  Stange  nnd  Eiche  tanzte.     Sobald  der 

Beigen  geendigt,  betete   der  alte  Mann  wieder ,  trank  das  Bier 

IUI  und  rtthrte  die  Stange  an.    Alle  spramjen  herzu,  hoben  die 

Skmge  aus  und  jeder  griff'  nach  detn  Busdie.     Von  dem  Kraut 

ood  den  Aehren  auf  der  Spits^  der  Stange  erhielt  jeder  durch 

den  Alten  ein  spärliches  Teil,  das  Fell  der  IjCtztere  ftir  seine 

Mfibe.    Eän  mehrtägiges  Trinkgelage  folgte.^     Diese  mit  Kraut 

und  (frischen)  Aehren  geschmückte  Stange  entspricht  dem  Emte- 

mai,  ihre  Aushebung  dem  Ausheben  dessell>en  durch  die  Weiber 

(o.  8. 196).    Später  zu  veröffentlichende  Untersuchungen  werden 

durch  unabweisliehe   Analogien  unzweifelhaft  erweisen,  daß  das 

M  der  Aussaat  am  Baume  aufgehängte  Fell  ebenso  wie  jene  im 

Kilbisehen  Werder  zu  Ostern    mit  Knochen  und  Pterdeschädel 

gesehmttekte  Tanne  (o.  S.  383)  eine  Verbildlichung  des  therioinor- 

^kck  gedockten   Vegetationsdämotis   sein   sollen,   der    aus   den 

Resten,  den  abgehauenen  Gliedern  seines  bei  der  letzten  Ernte 

getOdteten  Vorgängers   im  Acker   zu    neuem   Leben    aufersteht 

Stellte  aber  das  in  Litauen  von   der  Aussaat  bis  zur  Ernte  am 

Bume  hangende  Tierfell  den  tiergestaltigen  Wachstumsgeist  dar, 

80  kann   das  auch  bei  jenem  langobardischen  Brauche  der  Fall 

gewesen  sein  und  auf  diese  Weise  stellt  sich  die  von  Barbatus 

beobachtete  Sitte  nicht  nur  als  äuBeriich  ähnlich,  sondern  auch 

^  innerlich  im  wesentlichen  gleichbedeutend  zu  unsenn  Kranz- 

weiten. 

Erst  die  Betrachtung  der  in  den  Emtegebräuchen  hervortre- 
•^en  Komdämonen  wird  dem  Leser  die  tiergestaltigen  Vege- 
^onsgenien  in  ihrer  Art  und  Weise  völlig  klar  machen.  Wir 
'Gössen  jedoch  schon  hier  darauf  hinweisen ,  wie  die  Namen  und 
^*6«talten  der  Pingstmocke  (Pfingstkuh)  oder  bunten  Kuh,*  des 
punten  Pferdes,  des  Pfingsthammels  und  Pfingstfuchscs  schon  hier 
^^Ji  Bereiche  der  Frühlingsgebräuche  den  Glauben  an  solche  in 
^er  Pflanzenwelt  waltende  Tierdämonen  zu  bezeugen  scheinen, 
^e  statt  der  menschlich  gedachten  Vegetationsgeister  noch  hie 


1)  S.  Math.  Prätorius,  Deliciae  Pnissicae  oder  Preuß.  Schaubühne,  Buch 
IV,  §12.  Vgl.  einstweilen  Piersons  Ausgabe  der  Deliciae  Fr.,  Berlin  1871. 
>i.  23-24. 

2)  Merkwürdig  ist  die  in  Pomnierellen  gebräuchliche  Redensart:  uWeiß 
^^ii  und  die  bunte  Kuh,'*  um  etwas  völlig  RätseUiaftes  zu  bezeichnen. 


396  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  VegetatioiiBdimoiieii: 

and  da  im  Volksgebraach  hervortreten  und  von  denen  dann  1 
menschliche  Personen  bald  Tiere  als  Bepräsentanten  gelten. 
fehlt  durchaus  nicht  an  Spuren.,  welche  den  FrUhlingseinsng 
ser  Dämonen  auch  in  sonstigen  Sitten  aufweisen.    Dazu  rec 
ich  den  Umzug  d6s  Pip-oss  zu  Ostern  in  Oldenburg,  die  ] 
Zessionen  der  Metzger  mit  dem  geschmückten  Fastnachtsod 
(boeuf  gras,    boeuf  violet)  u.  s.  w.,    das  Auftreten  des   Sei 
mels  (chevalet,  hobbyhorse)  zu  Fastnacht  und  Maitag ,  wie 
Ernte;   den  angeblichen   Umzug   des   Fuchses   beim   Osterfe 
das   Umtragen    eines    Fuchses    im    Frühling  u.  s.  w.      Hiei 
auch    gehört  jeuer  Lauf  nach   dem  Lanmi   oder  Hammel 
die  Hammeltänze  in  verschiedener  Form  sowie  manches  and 
Wir  werden    diese  Sitten   bei   der    allgemeinen  sowie  bei 
speziellen  Erörterung   der   th<^iomorphischen  Eomdämonen 
besprechen. 

§  14.  Wettlauf  nach  der  letzten  «Garbe.    Eine  Schwic 
keit  in  Betreff  meiner  Deutung  sehe  ich  in  dem  Umstände 
erheben ,  daß  auch  bei  der  Ernte  ein  Wettlauf  nach  der  leti 
Garbe  angestellt  wurde,  die  als  der  Sitz  des  Getreidedän 
galt.    Um  Chambery  heißt  sie  la  gerbe  du  jeune  boent*  and 
Schnitter  laufen   danach  um  die  Wette.     In  Pommern  wird 
der  Alte  genannt  und  erhält  die  Gestalt  eines  Mannes.    In  e 
gewissen  Gegend   dieser  Provinz   stellen  die   Mädchen  i 
dem  Alten  einen  Wettlauf  an;  die  Siegerin  wird  die  erste  1 
zerin  am  Abend  des  Erntefestes.^    Zu  Ober-Grauschwit^,  Ai 
hauptmannsch.    Grinmia    (Kgr.   Sachsen)   findet   am  allgemei 
Erntefest  ein  Wettlauf  nach  einem  mit  Tüchern  behangenen 
kenbusch  statt.      Zu  Besdau    bei  Luckau   stellen  am  Ernte 
Knechte  und  Mägde  einen.  Wettlauf  nach  dem  zu  dieser  F 
gebackenen  großen  Stollen  an  (vgl.  o.  S.  393).*    Zu  Bergkirc 
bei  Minden  hält   man  zur  Ernte  das  Kranzstechen   oder  Kr 
reiten  (o.  S.  387).^    Wenn  der  Wettlauf  nach  dem  Maibusch 
Frühlingseinzug    der  Vegetationsgeister  in  die  Pflanze   darst 
was  soll  dann  der  Wcttlauf  nach  der  letzten  Garbe  im  Herh 
Man   sollte  docli  erwarten,   daß  jetzt  der  Abzug,   der  Davon 


1)  Kuhn ,  Mark.  Sag.  342. 

2)  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  399 ,  WJ. 

3)  Kuhn  a.  a.  0.  400,  117. 


EBchproxession ,  Flnrnroritt.  397 

derWachstomsdämonen  verBinnbildlicht  werden  müßte?  Da  al>er 
die  letzte  Oarbe  dag  Ziel  bildet ,  war  unsere  Deutung  des  Früh- 
fiogswettrenneiis  anrichtig  ?  Oder  unterliegt  dem  Herbstrennen 
eine  tob  diesem  verschiedene  Bedeutung?  etwa  der  Wettlanf 
von  Menschen  am  das  entweichende  Getreidewesen  zu  fassen,  zu 
htfehen  und  für  den  Winter  bei  sich  zu  bergen  ?  Oder  sind  die 
Heibetrennen  nach  bloßer  Analogie  zu  den  Frühlingswettritten 
eoMmden  and  geformt?  Oder  endlich  war  der  Wettlauf  zur 
ktiten  Garbe  vielleicht  ursprünglich  eine  rohe  Darstellung  des 
Entf^chens  des  in  der  letzten  Garbe  verborgenen  Dämons  und 
aeines  Grefolges;  sodann  übergegangen  in  die  Auffassung  als  ein 
Wettlaaf  von  Menschen,  um  den  fliehenden  Genius  zu  halten; 
eodlich  mehrfUllig  gemodelt  und  nngeformt  nach  Analogie  des 
lebendiger  aasgebildeten  Frühlingslaufes?  Es  will  mich  die  letz- 
tere Erklärang  die  wahrscheinlichste  bedünken. 

§  15.  Eschprozesslon ,  Flurumritt.     Wie  die  Sache  sich 
Uteh  verhalte,    wir  haben  noch  schließlich  als  einen  mit  dem 
Wettlauf  oder  Wettritt  zusammenhangenden  aber  davon  deutlich 
lEterschiedenen  Umgang  oder  Umritt,  den  Umzug  um  die  Gren- 
len  des  Saatfeldes   resp.   der   Gemarkung  zu  betrachten.    Wir 
sahen,  daß  in  Niederbaiem  am  Pfingstmontage  die  Grenze  des 
Gerichtsbezirkes  umritten,  sodann  der  Busch  (Boscheu)  im  Wett- 
ritt gestochen  wurde  (o.  S.  389).     Vermutlich  war  einstmals  die 
Ordnung  der  Ceremonie  umgekehrt;  man  ritt  um  die  Wette  und 
unritt  nun  erst  mit  dem  Busch  die  Gemarkung.^    Für  sich  allein 
tritt  die   Sitte    solches   Grenzbeganges    oder   Grenzumrittes   zu 
Ostem,  Himmelfahrt,  Pfingsten,  Maitag  in  verschiedenen  Gegen- 
den hervor.     Im   Erzherzogt.    Oestreich    reiten   die   Söhne   und 
Knechte  des  Hauses  Ostern  vor  Sonnenaufgang  im  schnellsten 
Unfe^m  die  Felder;  oft  fanden  sich  30-40  Bursche  ein,  und 
wo  drei  Pfarren  zusammengränzten ,    ließ  man  die  Pferde  die 
jiinge  Saat  abgrasen.    Es  schützte  sie  gegen  den  Kost.    Im  Inn- 
vierter  ritten  schon  in  der  Nacht  vorher   12  Bursche  aus  Raab 
der  Bauernschaft  nach  Maria  Bründl.     Hier  ließen  sie  ihre 


1)  Man  vgl.  nur ,  daß  in  Baiem  die  von  den  Knaben  bei  den  Prozes- 
s^onen  getragenen  Palnistangen,  lange  Tannenstangen  mit  kleinen  Fähn- 
•^iien  in  die  Getreidefelder,  in  Franken  sogar  von  den  Evangelischen  die 
^irkenzweige  der  Frobnleichnanisprozession  in  die  Flacbsäcker  gesteckt 
»werden.    Bavaria  III ,  342. 


Kapitel  IV.    Banmgeister  als  Vegetationsdäinondn : 

llienlo  znr  Kirche  hineinsehen ,  trabten  um  die  Kornfelder  her 
«nd  stHinnn  heim.^  Im  Wagstädter  Bezirk  (Oestr.  Schlesit 
winl  in  den  einzelnen  Höfen  das  schönste  Handpferd  (das  Pfe 
ik^  nrhts  eingespamit  war),  am  Osteriage  mit  Bändern  u 
JCniMi^^H  geschmückt.  Nach  dem  Naehmittagsgottesdienst  verl 
mMi  die  Bursche  auf  ihren  geschmückten  Pferden  das  Dorf  n 
itMt4)in  an  der  Grenze  so  lange  hin,  bis  sie  zu  dem  6eh(] 
oines  Bauers  vom  benachbarten  Dorfe  kommen.  Dort  läHt  m 
Hie  ein  und  sie  reiten  dreimal  im  Hofe  herum  unter  dem  Absiiif 
heiliger  Lieder,  die  gewöhnlich  mit  dem  klösterlichen  Alleli 
lieschlossen  werden.  Der  Hansvater  bewirtet  sie  mit  einem  : 
sehen  Trunk  Bieres  oder  Weines.*  In  Thüringen  ist  es  noch 
verschiedenen  Orten  um  Eisenach  Sitte,  daß  die  Bauern  and  11 
Knechte  in  der  Osternacht  die  Pferde  ins  Wasser  reiten  u 
dann  in  ein  Saatfeld ,  damit  dieselben  etwas  von  der  jungen  Si 
fressen.  Um  Marksuhl  reitet  man  die  Pferde  ebenfalls  ins  Ost« 
wasser  und  dann  in  die  grüne  Saat,  damit  dieselbe  b( 
ser  gedeihe.*  In  Keichenbach  zogen  ehedem  „Saatreiter**  \ 
Ostermorgen  mit  Gesang  und  Musik  um  die  Felder  der  Sta 
jetzt  giebt  es  nur  „Saatgänger,"  welche  das  feierliche  „Fi 
dich,  Maria  Himmelskönigin"  in  aller.  Frühe  anstimmen.^ 
den  böhmischen  Dörfern  an  der  sächsischen  Grenze  versamm« 
sich,  sobald  mit  Sonnenaufgang  die  Glocken  zu  läuten  anfange 
die  „Usterrciter"  (Osterreiter)  auf  dem  Anger  vor  der  Kirc 
und  ziehen,  voran  ein  Fahnenträger  unter  Glockengeläut,  i 
Osterlied  singend,  dreimal  um  die  Kirche,  sodann  von  Haus 
Haus  vor  jedem  singend  und  in  einer  Büchse  Gaben  Itlr  i 
Kirche  sammelnd.^  In  den  katholischen  Gemeinden  Schwabe 
fand  ehedem  am  Himmelfahrtstage  die  Eschprosesmon ,  der  i&« 
gang  (v.  esch  goth.  atisks)oderF/wr^aw//  zur  Segnung  der  Saatfeld 
statt.  Ehedem  umzog  man  die  gesammle  Gemarkung ;  jetzt  gc 
man  mitten  hindurch,  so  daß  man  alle  Grenzen  übersehen  kai 


1)  Baumgarten,  das  Jahr  und  seine  Tage,   S.  22. 

2)  Peter,  Yolkstüml.  a.  Oestr.  Schlesien  II,  S.  285. 

3)  At  Witzschel,    Sitten  u.   Gebräuche    a.  d.   Umgegend  von  Kisena* 
S.  13,  51. 

4)  Heinsberg -Oüringsfeld,  Böhm.  Festkalender.    S.  140. 

5)  Ebd.  S.  139. 


Eschprozession,  Flarninritt.  d9d 

Ad  4  SteÜen  wird  halt  gemacht,   ein  Stück  aus  den  Evangelien 
gdesen,   der  Wettersegen   gesprochen  und  ein  Craciiix  amher- 
{jetngen.    Außerdem  wurde  an  diesem  Tage  das  ganze  Haus, 
Nenichen  und  Tiere,  geweiht  und  mit  heiligem  Wasser  hesprefigt.^ 
Von  der  Benedictinerabtei  Weingarten  bei  Altdorf  ans  wird  am 
Hnnmelfahrtstage  der  berühmte  ßlutritt  gehalten,   bei  welchem 
io  feierlicher  Prozession  der  eingefaßte  Tropfen  vom  heiligen  Blut 
Ckrmti  vom  weißgekleideten   und  auf  einem  Schimmel  sitzenden 
Cartos  durch  die  Felder  getragen  und  das  Koni  gesegnet  wird, 
damit  kein  Wetter  ihm  schade.     Seit  alter  Zeit  geht  der  Zug 
durch  die  Scheuer  eines  Bauers  bei  Weingarten.     Die  meisten 
Teünehmer  sind  zu  Pferde  mit  Fahnen,  Musik  u.  s.  w.;  auch  den 
Pferden  bringt  der  Umzug  Gedeihen.^     Eine  der  großartigsten 
Prozessionen    dieser  Art    geht  alljährlich  auf  Himmelfahrt  vom 
Choriiernistift  Beromünster  im  Kanton  Luzem  schon  um  f&nf  Uhr 
BCHgens  ans,  nachdem  an  5  Altären  der  Stiftskirche  Messe  gele- 
aen  ist     Dreißig  Dragonern    und  Trompetern  folgt  der  Stifts- 
weibel  im  Scharlächmantel,  der  sein  Boß  mitbedeckt,  an  einem 
Fahnenstabe  den  h.  Michael  tragend,    von   allen  Unterbeamten 
des  Stiftes  zu  Pferde  begleitet;  dann  Fahnenträger,  Kreuzträger, 
Latementräger;  nach  ihnen  die  Chorherm  und  Kapläne  mit  bren- 
aeoden  Wachskerzen,   der  Abt  mit  der  Monstranz,   alle  beritten, 
ndetzt  Ratsglieder,    Beamte  und  Bürger  und   Bauern  des  Orts 
dkI  der   Umgegend;    dem  Keiterzuge  strömt  die  noch  größere 
^aar  der  übrigen  Wallfahrer  zu  Fuß  nach.     Im  Jahre   1797 
ketrug  die  Zahl  der  Reiter  200,  die  der  Fußgänger  4000;   im 
J«hrc  1815  stieg  die  Zahl   der  ersteren  auf  302,   die  der  letz- 
teren ani'  8460.    Die  Prozession  durchzieht  das  ganze  dem  Mün- 
^r    gehörige    Gebiet   in    einem    siebenstUndigen  Marsche   zum 
Schutze  gegen  Viehseuchen,  Mißwachs  und  Verhagelung 
der  Felder.    Am  Hofe  Hasenhausen  ist  der  Bauer  verpflichtet^ 
dem  Aht^i  eifien  schänen  Blumenkranjs  zu  überreiclu^n.      Dieser 
windet  ihn  um  die  Monstranz.     Im  Hofe  Maihausen  überreicht 
der  Hofbauer  jedem  Reiter  eine  Aukenschnitte  (Butterbrod).    Die- 
ser stößt  sie  dem  Brauche  gemäß  seinem  Rosse  ins  Maul.    Unter- 
Ueße  der  Bauer  diese  Bewirtung,   so   würde   sein  Vieh  sterben. 


1)  Meier  S.  4(K) ,  ^^. 
'£)  Meier  S.  *6W ,  84. 


400  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetationsdämoneii: 

sein  Getreide  verhageln.     Auf  zweien  findet  Feldpredigt  statt.  ^ 
Im  DUrkheimer  Landgericht  in  Schwaben  ist  das  ,,Oescht-reiden^ 
(s.  0.  S.  398)   am  Pfingstmontag  gebräuchlich,  auf  welchen  Tag 
auch  sonst  meistenteils  der  Eschgang  verlegt  wurde.    Der  Pfieur- 
rer  zu  Pferd  mit  der  Krenzpartikel  und  hinter  ihm  alle  jungen 
Leute  gleichfalls  zu  Roß  umreiten  die  ganze  Dorfflur ,  begleitet 
von  zahlreichen  Fußgängern.     An  den  4  Ecken  wird  das  Evan- 
gelium gelesen  und  das  Wetter  gesegnet.^    Zu  KOtzting  im  Baier- 
walde  nimmt  der  Pfingstritt  die  folgende  Gestalt  an;  am  Pfingst- 
montage fllhren  berittene  Männer  und  Bursche  unter  Anftthnuig 
des  Geistlichen  mit  dem  Allerheiligsten  eine  Wallfahrt  nach  dem 
im  Walde    gelegenen  Kirchlein  St.  Nikolaus  in  Stembtthl  aus. 
Unterwegs   empfängt  auf  einer  freien  Wiese  ein  tugendreicher 
Kötztinger  Bürgerssohn  aus  der  Hand  des  Geistlichen  ein  aus 
Mieder,  rotem  Band  und  SUberdraM  geflochtenes  Kränzchen  um 
den  Unken  Ärm.^     In   östr.  Schlesien  reiten  am  Pfingsmontage 
der  Dorfrichter  und  andere  aus  der  Gemeinde  auf  schönen  Pfer- 
den ins  Feld  und  umreiten  langsam  und  mit  Andacht  ihre  Aecker, 
singen  und    beten.      Sie   hoffen  dadurch   Gottes  Segen  für  ihre 
jungen  Sauten  zu  erflehen  und  Wetterschaden  abzuhalten.     Wer 
das  schönste  Pferd  bei  dieser  Feierlichkeit  hat,  wird  als  König 
anerkannt.     Nachmittags    läßt    der  König  ein  schwarzes  Schaf*: 
braten ,  von  dem  jeder  andere  morgens  vor  Sonnenau%ang  einen  -m 
Knochen  in  seine  Saaten  steckt.*'    Schon  vor  300  Jahren  wurde^^ 
in    Franken    der    Pfingstritt    in    ganz    ähnlicher   Weise    gettbt.^ 
S.   Sebast.   Franck,   Weltbuch   1534  f.   CXXXI.     „Auff  dift  fesÄ^-i 
(Ostern)  kompt  die  creütz  woch,  da  gehet  die  gantz  statt  mxfM 
dem  creütz  wallen  auß  der  statt,  ettwan  in  ein  dorff  zu  eynenM3 
heyligen,  das  er  das  treyd  wöll  bewaren  vnd  wolfeyle  zeit  vmF^ 
got  erwerben.     Das  geschieht  drei   tag  an  eynander,   da  isse^^ 
man   eyer   vnd  was   man   guts    hat   im  grtlnen   graß   auff  denr^ 
kirchoff   vnd    ermeyen    sich  die   leüt  wol.   —   (fronlichnamst 
Auff  diß  fest  (Pfingsten)  kompt  vusers  herrn  fronlichnamstag, 


1)  Rochholz,  Natunnythen ,  S.  17— 2(). 

2)  Panzer  II,  90,  137. 

3)  Das  Königreich  Baiern   in    seinen   Schönheiten  III,  7.     Schöppn« 
Sagenbuch  der  Bair.  Lande  I,  91  N.  91. 

4)  Vcnialeken,  Mythen  :30G,  28. 


liegt  num   ilaa  Sacrament  mit   einer  pfaffen  procession,   vnder 
m&ok  köstlichen   verdeckten    hynimel,    den  vier    mit   kemtzen 
geziert  tragent,  in  einer  monstantzen  heramb.  —  An  diesem  tag 
folgt  man   auch   an  vil   orten  vmb  den  fluor,  dz  ist,   vmb  das 
kon  mit  vil  kertzen  sbmgen,    der  Pfaflf  reyt  auch  mit,  tmgt 
TDflern  hergott  leiphaiftig  am  hals  in  einem  scckel,  an  l)estimpten 
orten  sitzt  er  ab ,  singt  ein  Evangelium  über  das  kom ,  vnd  singt 
deren  vier  an  vier  orten ,  biß  er  vmb  den  fluor  reyt.    Die  jnnck- 
frtwen   gehn   schön  geschumckt  in  einer  Procession  auch  mit, 
nngen  vnd  lassen  jnen  wol  sein,  vnd  geschieht  vil  hoffart,  mut- 
will vnd    bttberey  von   rennen,   schwetzen,  singen,   sehen   vnd 
gesehen  wollen  sein.''    Im  15.  Jahrhundert  hielten  die  wendischen 
Bewohner  auf  der  Gabelhaide  a.  d.  Sude  in  Mecklenburg  noch 
alljährlich   im  Sommer,  im  Mai   einen  festlichen  Umzug  um  ihre 
Sattfelder;  vorauf  der  Spielmann,   der  eine  mit  Hundsfcll  bezo- 
geoe  Pauke  ftthrte,  gleich  hinter  ihm  der  Vortänzer,  dann  alle 
übrigen.     Sie  liefen  und  tanzten  mit  lautem  Gesänge  an 
den  Hafen   hin  und  her  und  meinten  dadurch  die  grti- 
nende  Saat  vor  Schaden   durch  Regen  und  Gewitter  zu 
schützen.^    Ein  günstiges  Geschick  hat  uns  ein  älteres  ZeugniB 
aoa  jener  Zeit  bewahrt,  als  die  deutsche  Kirche  begann,  den 
aus    dem  Heidentum   ttbrig    gebliebenen   Flurbegang  sich  selbst 
^zueignen  und  ttir  ihre  Zwecke  umzuformen.    Es  ist  dies  eine 
<iiii  940  erlassene  Verordnung  der  Aebtissin  Marcsuith  im  Kloster 
^hildesche  t>ei  Bielefeld,  durch  welche,  unzweifelhaft  nach  dem 
^oigange    anderer   Kirchen,    die   vermutlich    in    der    nämlichen 
"Jahreszeit  geübte  profane  Sitte  fortan  in  eine  geistliche  Begehung 
Verändert  wurde:  Statuimus,   ut  annuatim   secuuda  feria  pente- 
<^ostes  patronum  ecclesiae  in   parochiis   nostris  longo  am- 
^itu  circumferentes  et  domos  vestros  lustrautes  et  pro  genti- 
Udo  atvUßarvali  in  lacrymis  et  varia  devotione  vos   ipsos   mac- 
tetis  et  ad  refectionem  pauperum  eleemosynam   com p or- 
te tis  et  in  hac  curti  penioctaiites  super  reiiquias  vigiliis  et  can- 
tiboä  solennisetis ;   ut  praedieto  mane  determiuatum  a  vobis  an^- 
\ntam  pia   lustratione    eoniplentes   ad   monasterium  cum    houore 


1)  Nicolai  Marescalci  Chronicon  I,  14.  Nicolai  Marescdlci  annalcs  1, 1). 
Vi*"  Whlen  Berichte  desselben  Vorfasscrs  ergänzen  sich.  S.  Gliesebrecht, 
wendische  GeHchichten,  Berlin  lö43,  1,83.  cf.  Kuhn,  Mark.  Sag.  335. 

XannhardL  26 


402  Kapitel  IV.    Baumg^igter  als  Ve^tationBd&monen: 

debito  reportetiB:  Confido  autem  de  patroni  hujos  misericord 
quod  sie  ab  eo  gyrade  terrae  semina  uberius  praveniant  et  vari 
aeris  indetnentiae  cessent.^ 

§  16.  Steflfansritt.  Außer  Ostern,  Himmelfahrt  und  Pfii 
stell  f  findet  der  Umritt  noch  zu  andern  Zeiten  z.  B.  in  der  Wei 
nachtszeit  statt,  die  wir  ja  bereits  als  ideellen  Anfang  des  Frl 
lings,  des  neuen  Jahres  kennen.  Im  Erzherzogtum  Oestrei 
fand  der  „Pfarritt,"  d.  h.  das  Umreiten  der  Ptarrmarkung  v 
Seiten  der  Bauern  unter  Anfuhrung  eines  Priesters,  wobei  nd 
an  den  Feldkapellen  Stationen  machte,  und  oft  mit  Einrechna 
mehrerer  Raststunden  zur  Einnahme  von  Erfrischungen,  den  gf 
zen  Tag  zubrachte,  bis  in  die  2jeiteu  der  Kaiserin  Maria  Tl 
resia  alljährlich  statt,  im  Traunyiertel  bald  nach  Ostern  i 
Beginn  des  Frühjahrs  ^  in  und  um  Kremsmünster  auf  Pankrati 
(12.  Mai),  jenseits  der  Traun  am  Stephanstage  (26.  December 
Anderswo  ist  nun  aber  dieser  Ausritt  um  die  Gemarkung  f 
St.  Stephan  von  der  Kirche  aufgegeben  und  daher  yerblaBt 
einer  Begehung  geworden,  welche  das  Gedeihen  der  Roe 
sichern  soll.  Zu  Backnang  in  Schwaben  reitet  man  am  26.  I 
cember  die  Pferde  aus  und  zwar  so  schnell  als  möglich,  um  i 
dadurch  vor  Hexen  zu  schützen,^  ebenso  erhalten  dann  im  Hohe 
lohischen  sämmtliche  Knechte  von  ihren  Herren  Erlaubnis  n 
Ritt  und  ziehen  truppweise  in  die  benachbarten  Ortschaften,  y 
wacker  gezecht  wird.*  In  mehreren  schwedischen  Provini 
halten  Gesellschaften  von  Bauerbnrschen  am  St  Stephansta 
einen  Umritt  von  Dorf  zu  Dorf  und  Haus  zu  Haus,  ein  gew 
ses  Volkslied  (Staffansvisa)  singend,  woher  sie  Steffansm 
(Stephansleute)  heißen.  Zugleich  erneut  man  an  diesem  Ta 
die  Streu  der  Pferde,  giebt  ihnen  besseres  Futter  und  rek 
ihnen  Tränke,  die  sie  vor  Unglück  bewahren  sollen.  Die  Kt 
logische  Sage  hat  sich  dieses  Brauches  bemächtigt  und  dara 
die  Geschichte  eines  einheimischen  Heiligen  geformt,  der  v 
Heiden  auf  der  Grenze  von  Gestrikland  und  Helsingland 
düsteren  Walde  erschlagen  sein   und  in   Norrala  begraben  sc 


1)  Vita  Marcsvidis  bei  Eccard  1,437.    Myth.^  1202.  cf.  Pfannenschra 
Das  Weihwasser  S.  113. 

2)  Baumgarten,  d.  Jahr  u.  s.  Tage,  S.  25. 

3)  Meier  4GG,  21G. 

4)  Birlinger  II,  12,23. 


Steffansritt.  40B 

floU.    Er  war  sein  I^btage  eiiv  Stallknecht  (»talledräng)  der  all- 
moigenlich  schon  Yor  Sonnenaufgang  bei  Stemenlicht  seine  5  Rosse, 
zwei  rote,   zwei  weiße,  einen  Apfelschinmiel  besorgte,  Uoldzaum 
umI  Ooldsattel    auflegte    und   zur  Quelle  ritt.     Diese  liegende 
wird  in  der  Staffansvisa  mit  dem  wiederholten  Refrain  „holt  dig 
vil  folau  min''   erzählt;  Varianten  lassen  St.  Steffan  um  Sonnen- 
ao^ang  ausreiten  und  mit  dem  Lianfe  der  Sonne  Schwedens  ver- 
lehiedene  Provinzen  durchmessen.^   In  der  Umgegend  von  Krempe 
(Holstein)  begeben  sich  die  jungen  Bursche  in  der  Steffansnacht 
Inofenweise  in  die  Häuser  der  Hausleute,  um  deren  Pferde  zu 
potien,  dann  besteigen  sie  dieselben,  reiten  auf  der  Haus- 
flor  umher,  machen  auch  sonst  so  viel  Lärm  als  möglich  und 
lassen  sieh  bewirten.    Darum  heißt  dieser  Tag  auch  der  Peerd^- 
dtffm.^     Im  Dorie  WallsbUU    an    der   sogenannten   friesischen 
Lindstraße  von  Flensburg  nach  Leck  und  Tondem  hielten  die 
Bauerbursche  früh  am  Margen  des  Skffanstages  ein  Wettrennen 
Tom  Dorf  bis  zu  einem  kleinen,  jetzt  niedergerissenen  Krug  im 
nördlichen  Teile  des  Kirchspiels,  wer  zuerst  ankam  erhielt  den 
Qirennainen  Steffen  und  wurde  im  Wirtshaus  bewirtet.    Im  Dorfe 
Viöl  bei  Bredstadt  dagegen  erhielt  dasjenige  Kind,  welches  am 
i^6.  Deceniber  zuletzt  aufstand,    den  Namen  Steffen  und  mußte 
zum  Nachbarn    auf  einer   Heugabel    reiten,    erhielt   dort   zwar 
Uckerbissen,  wurde  dann  aber  mit  den  Worten  zur  TUr  hinaus- 
gejagt:   fydu  bist  ein  fuider    Hund  und  sollst  das  ganze  Jahr 
der   Faulste    sein,    du    Langschläfer/'^      In    andern    deutschen 
Gegenden  heißt  St.  Steffanstag  „der  große   Pferdetag;"  man 
bringt  an  ihm  den  Rossen  geweihtes  Futter,  tummelt  sie  sodann 
****  schnellsten  Laufe  auf  den  Feldern  umher,   bis  sie  über  und 
ttber  schwitzen,  dann  reitet  man  zur  Schmiede  und  läßt  sie  zur  Ader, 
<iamit  sie  das  Jahr  über  gesund  bleiben;  das  Hlnt  aber  bewahrt 
man  als  bewährtes  Heilmittel  gegen  verschiedene  Krankheiten  auf.* 

1)  Geijer  och  Afzelhis,  Svenska  folkvisor  T.  III.  »Stockholm  1816, 
p.  206  —  17.  Finn.  MagnusHcn,  lex  Mythol.  7H1.  Cf.  Lloyd,  ^vcnska  allmo- 
gena  plä^eder,  öfvers.  af  Swederus.    Stockholm  1871.    S.  KW  ff. 

2)  Schütze,  Schleswigholst.  Idioticoii  III,  20(). 

3)  Daselbst.    Slesvij^sko  Provindsialeftcrrctninger  IV,  3G8.  cf.  S.  44.  Han- 
Achnann,  Weihnachten  in  Schloswigholstein.      S.  '1-1. 

4)  HaltanB- Scheffer,  .lalirzoitbiich.  Erlangen  17l»7.  S.  1G4.  Th.  Nao- 
«^«rgus,  Kognum  papistirmn  (Hasileuo)  1558  p.  182.  Wolf,  Heitr.  I.  23U,  85G. 
l'Mtter  11,283,  32. 

20* 


/ 

404  Kapitel  IV.     Baunigeister  als  Vcgetationsdimoneh : 

Ebenso  in  England^  und  Estland.^  Die  Finnen  endlich  werfe 
am  St  Steffanstag  eine  Münze  oder  ein  Geldstück  in  den  -Trc 
der  Pferde,  und  St.  Steffan  wird  von  ihnen  unter  dem  Name 
Matka-Teppo  (Keise  -  Steffan)  als  Gott  des  Weges  (tie-jmnaL 
und  Beschützer  der  Reise  angerufen.^  Cf.  noch  St  Stephani 
in  der  Zanbertbrmel  tllr  kranke  llosse,  Myth.^  1184.  So  i 
St  Steffan  zu  einem  Beschützer  der  Pferde  geworden,  nur  de 
halb,  weil  man  auf  den  nach  ihm  benannten  Kalendertag  de 
Ausritt  der  Pferde  verlegte,  von  dem  an  einzelnen  Orten  (< 
S.  403)  eine  entschiedene  V.erwandtschaft  mit  dem  Pfingstwet 
ritt  noch  durchbricht.^  Trotzdem  hier  und  in  einigen  zan&ch) 
verwandten  Begehungen  der  Umritt  um  das  Saatfeld  und  di 
Gemarkung  nicht  mehr  oder  nur  selten  und  undeutlich  erwthi 
wird,  meine  ich  diese  Bräuche  von  den  vorherstehenden  niel 
trennen  und  deshalb  auch  nicht  mit  Gassei  °  auf  die  altehristücl] 
Auffassung  des  Protomartyr  Stephanus  als  „invictus  signifer  oo< 
lestis  militiae'^  und  daher  als  berittener  Held  zurückftlhren  i 
sollen.  Dagegen  meine  ich  die  Sitte,  in  der  St  Steffans-  od( 
Weihnachtsnacht  den  Hafer  behufs  einer  gesegneten  Hafereml 
durch  eine  solenne  Messe  zu  weihen,^  resp.  einen  Karren  m 


1)  Brand,  pop.  antiqu.  ed.  Ellis  I,  532.  Hone,  Every  Daybook  18© 
I,  822. 

2)  Böcler-Krcutzwald ,  Der  Ehsten  abergläubische  Gebräuche  S.  95. 

3)  Brand  a.  a.  0.  Castren  finnische  Mythologie,  übers,  v.  Schiefiu 
S.  118.  328. 

4)  Im  Eichsfelde  werden  am  Sonntage  nach  einem  Marienfeste,  in  d< 
Oberpfalz  an  St.  Sebastian  (20.  Jan.),  in  Baiern  an  Georgi  (24.  Apr.),  a 
St.  Leonhardstage  (G.  Nov.)  die  Pferde  vor  dem  Hochamte  dreimal  nm  eii 
Kirche  geritten,  damit  sie  gesund  bleiben,  und  die  Kranken  genesen.  D 
Kirchen,  um  welche  der  Umritt  gehalten  wird,  liegen  zumeist  außerhalb  d« 
Dorfes  vereinzelt  auf  einer  Wiese  oder  schließen  durch  eine  Bingmaaer  eiiu 
grünen  Rasenplatz  ein.  Auch  am  Tage  der  Kirchweih  geschieht  der  Umri 
(Wuttke*  §  711.  Bavaria  I,  384.  1001).  Am  Tage  des"b.  Wendelin  (20.  Oct 
dessen  Schutz  vornehmlich  die  Pferde  geuieUen,  treibt  man  an  der  Laute 
ach  das  Vieh  der  ganzen  Gemarkung  auf  einem  Wiesenplane  znsammeu  m 
läßt  es  vom  Pfarrer  aussegncn ;  auch  bleibt  es  diesen  Tag  vom  Spanndiensl 
befreit,  wälirend  im  Kegenthaie  dieser  Tag  durch  einen  Flurnnigang  nntt 
Anführung  des  Pfarrers  und  Umtragen  des  Kreuzes  gefeiert  wird.  Bavi 
ria  11,311. 

5)  P.  Casscl ,  Weihnachten ,  S.  217. 

G)  Knauth,   Hist.  veter.  Cell.  P.   VIll.  p.  44G  bei  Haltans  a.  a.  0.  164 


Steffansritt.  405 

Hiekflel   oder   ein  Gefäß  mit  Hafer  oder  Gerste  ins  Freie  zu 
sehen  und  den  Tan  der  heiligen  Nacht  daraaf  fallen  zu  lassen 
difflit  Pferde  und  Menschen  gesund  bleiben,^  nach  Cassels  Vor- 
pDge  fbr  ehristliehen  Ursprungs  ansehen  und  ans  der  Yersiifn- 
Mug  des  messianisch  gedeuteten  Spruches  ,, Tauet  ihr  Himmel'^ 
Jesaia,  46,  4.  ableiten  zu  mttssen.*    Wie  wir  sehen,  ist  die  Um- 
waodliuig  des  älteren  profanen  Brauches  nicht  ttberall  auf  gleiche 
Wene  erfolgt ,  bald  mehr,    bald  weniger  in  kirchlichem  Sinne 
gdoDgen,    bald   auf  Ostern,    bald  auf  Himmelfahrt,  bald   auf 
Pliigsten,    bald  auf  Weihnachten  verlegt.     Wie  die  heidnische 
Pnnession  gestaltet  war,    wird  sich  im  einzelnen  schwer  aus- 
Biehen  lassen.    Eceard  und  Grimm  erinnern  mit  Recht  an  das 
„amulacmm  quod  per  campos  portant,''  das  die  Synode  zu  Lesti- 
BM  im  Jahre  743  zugleich  mit  den  „simulacris  de  pannis  factis'^ 
Teibot     Man  wird  an  eine  aus  Stroh  oder  Aehren  gefertigte^ 
Tidleicht  mit  grtlnen  Zweigen  umhüllte  Puppe  denken  müssen, 
welche  nm  die  Felder  mitgeftlhrt  wurde.      Nach   der  Aebtissin 
Xarksvid  hat  es  den  Anschein,  als  sei  auch  ein  Tier  mitgetUhrt 
md  nachher  geschlachtet  worden;  auf  diese  Frage  kommen  wir 
bei  späterer  Gelegenheit  wieder  zurück.    Bei  dem  Umzüge  wur- 
dm,  wie  es  scheint,   in  den  Dörfern  auch  die  einzelnen  Häuser 
berührt    und   bei  ihnen  Gaben  eingesammelt,  welche  Marksvid 
in  Almosen  fUr  die  Armen  verwandelt  haben  wollte.    Entweder 
non  verstand  Marksvid    diese  Begehung   der  Häuser  mit  dem 
Anidnick  lastrare ,  oder  sie  wollte  damit  vorschreiben ,  wie  Pfan- 
nenschmid  will,  und  der  Brauch  bei  der  schwäbischen  Eschpro- 
Zession  als  möglich  erscheinen  läßt,  dieselben  mit  Weihwasser 
ai  besprengen.    War  das  der  Fall,  so  konnte  solche  Vorschrift 
bestimmt  sein ,  die  Wasserbeschüttung  (Kegenzauber)  zu  ersetzen, 
welche  in  den  einzelnen  Häusern  oder  Höfen  dem  Pfingstl  zu 
td  wurde.      An   den    ehemaligen    profanen  Piingstritt  erinnern 
tnch  sonst  noch  einzelne  als  Rudimente  stehen  gebliebene  Züge. 
Der  Blumenkranz,  welcher  im   Luzemischen   dem  Abte  von 
Beromttnster  überreicht  (o.  S.  399),   im  Baierwalde  dem  tugend- 
haftesten Jüngling  um  den  Arm  gehäugt  wird  (o.  S.  400),  ver- 


1)  Kuhn,  Westfäl.  Sa^.  II,  101,  313.    Nordd.  Sag.  404,  131.     Gerva- 
8W8  V.  Tilbnry  ed.  Liebrecht  p.  2. 

2)  P.  Cassel,  Weihnachten,  S.  247  —  50. 


06  Kapitel  IV.     Haumgeister  als  Vegctationttdäiiiouen: 

gleicht  sich  dem  Kranze,  den  der  Maigraf  bei  seinem  Ein- 
ritte trägt  (o.  8.  :i7G)  und  weicher  sich  zor  vollen  Lanbnin- 
kleidang  grade  so  vechält,  wie  jener  Wettritt  nach  dem  Kranze 
zum  Wettritte  nach  dem  Maihaum  (o.  8.  387).  Andererseits  ist 
auch  hier  festzustellen,  daß  die  Kirche  vermutlich '  ihrerseits 
bereits  eine  Fluq)rozcssiou  dem  dentschheidnischen  Brauche  ent- 
gegenbrachte. Wenigstens  iHßt  sich  bereits  aus  dem  dritten  Jahr- 
hundert als  eine  altertümliche  christliche  8itte  in  Mesopotamien 
ein  jährlicher  Gang  der  Bevölkerung  aufs  Feld  nachweisen,  am 
daselbst  unter  Fasten  und  Wachen  von  Gott  reichlichen  Segen 
fllr  die  Feldfrttchto  zu  erbitten.^ 

Ueberschlage  ich  alle  erläuterten  Ucberlieferungen ,  so  triU 
mir  das  Bild  eines  vollständigen  liraiiches  vor  das  innere  Auge, 
von  welchem  die  hls  Jwute  erhaltenen  Sitten  nur  die  eersjtrengttn 
und  isolierten  IJeherreste  sind.  Die  CertmMnie  begann  1,  mit 
dem  Wettlauf  oder  Wettstreit  zum  Maibusch,  2,  sie  setzte  sieh 
fort  in  dem  feierlichen  Einzug  mit  dem  Maibusch  (resp.  Mai^  — .5 
bäum)  und  Pfingstkönig  in  das  Dorf,  S,  in  dem  Umzug  von  -mmi 
Haus  zu  Hause,  4.  und  schloß  mit  der  Prozession  um  die  Gren — .^^ 
zen  der  AecJcer  und  der  ganzen  Gemarkung. 

§  17.    Hinan stragung    des    Yegetatlonsgelstes.     Stellteirr. 
unsere  früheren  Untersuchungen  uns  die  Einholung  des  Frühlings- 
gcistes   aus  dem  Walde  in  Gestalt  des  wilden  Mannes,   Pfingstif^^ 
Maigrafen  u.  s.  w.  vor  Augen ,  so  lehrt  der  nachstehende  in  Gabc#^ 
lingen  (Schwaben)  geübte  Brauch ,  daß  man  den  nämlichen  Gedairr:«: 
ken,   die   Erscheinung  des   Vegetationsdämons  auch  auf  andenke 
Weise,    d.  h.  durch    Hinein  tragung   einer  Puppe  in  den    WfAm^ 
ausgedrückt  hat.     Zur  Fristen  nämlich   macht  man   euien  Mac^or 
aus  Lum])en  und  trägt  ihn  ins  Feld  hinaus.     Hierauf  verbind 
man  einem   Burschen   die  Augen,    der  nun   auf  den 
losgeht,  ihn  erfaßt  und  in  den  Waid  hineinträgt.     Findet  er 
Puppe  nicht,  so  wird  auf  diese  ein  Hund  losgelassen,  wovon 
Hetzmann   heißt.      Der  Hund   bellt  die   Figur  an   und   zeij 
dem  Burschen   den   rechten  AVeg.     Am   anderen  Tage   wird 
Hetzmann   wieder   aus   dem  AValde  geholt.^    Das  Verbinden 
Augen  drückt  die  Un^^ichtbarkcit  des  dargestellten  Dämons 


1)  Pipt-T,  Evang.  Kai.  IHf)!.    S.  «)2. 

2)  Panzer  II,  Sl ,  123. 


Hinaantragong  des  Yegotationsgeistes.  407 

(et  0.  S.  365) y  von  dem  vorausgesetzt  wird,  daß  der  Uund  ihn 
waniimmt;  denn  Hunde  gelten  als  geistersichtig.' 

Diesem  dentschen   Brauche  entspricht  genau  ein  estnischer 
TOD  welchem    der  Chronist  Thomas  Hiärn    (f  1500)  die  erste 
Kimde  giebt*    Sie  haben  in  Estland ,  sagt  er,  noch  diesen  al>er- 
gltabischen  (Gebrauch ,  daß  sie  alle  neue  Jahr  einen  Götzen  van 
Sirok  in  Gestalt  eines  Mannes  machen,  den  sie  3Ietziko  [Mets-ik 
Waidmann  von  mets  WaldJ  nennen.     Sie  eignen  ihifl  die  Kraft 
n,  daß  er  ihr  Vieh  vor  den  wilden  Tieren  bewahren  und  ihre 
Grenze  hüten  solle.     Diesen  begleiten  sie  alle  ans  dem  Dorf  und 
tttien  ihn  auf  die  Grenzen  auf  den  nächsten  Baum,    Kreutzwald 
Ittt  auf  dem  Festlande  diese  Festlichkeit  nur  noch  durch  Hören- 
sagen kennen  gelernt.    Sie  fand  indessen  am  Ende  des  vorigen 
«Jahrhunderts   noch   häufig    statt    und  hieß  metsa  oder  metsika 
pide  (Wald-  oder  Waldmannfest).     Am  Mariäverkündigungstage 
^rde  eine  große  Strohpuppe  angefertigt,  welche  bald  nictsa  isa 
(Waldvater) y    em   andermal    mctsa    ema   (Waldmutter)   benannt 
Qiid  demgemäß  männlich  oder  weiblich   bekleidet  wurde.    Man 
bewahrte   sie   auf  dem    Boden   des  Viehstalles  auf  bis  zu  dem 
Tage  der  feierlichen  Prozession  in  den  Wald.     Dann  steckte  man 
^ie  auf  eine  lafigc  Stamje,   trug  sie  erst  im  Dorfe  herum  und 
brachte  sie  dann  in  den  Wald,  wo  der  Metsik  (Mctsaisa,   Met- 
saema)  auf  einen  Baum  gesetzt  wurde.     Dann  folgte  ein  Bae^ha- 
xijd,  bei  welchem y  wie  es  seheint,  die  skandalösesten  und  unzUch- 
tigsten  Gebräuche  vorkamen,  auf  die  kein  Erzähler  sich  weiter 
einlassen  wollte.     Im  Fennerschen  Walde  wollte  man  noch  vor 
^vvenigen  Jahren  solche  Puppen  gefunden  haben.  ^    Auf  der  Insel 
Oesel    ist    noch    bis    heute   der  Metsik  und   das   im   Frühjahr 
gefeierte  Metsikfest  (Mctsiko   piddo)  wolbekanut,  zumal  in  den 
Dörfern    des    Kirchspiels   Karmel.      Der  Metsik  gilt  (jetzt)   tür 
einen  bösen  Geist,  der  über  die  Herden  und  über  das  Gedeihen 
cles  Viehs  sowie  der  Aecker  zu  gebieten  hat.    In  jedem  Früh- 


1)  Wuttke ,  D.  Volksabergl.   Aufl.  L\  §  2G8.  Myth.»  Abergl.  1111.   Myth.« 
632.    Eine  fast  wunderbare  UeboreiDstinnnung  ist  es,  daß  dicFauui,  welche 
genau  unsom  Waldgeistem  entsprechen,  von   dem  Hunden   gesehen   werden, 
'wShrend  sie  den  Menschen  un8ichtbar  bleiben.    Plin.  bist.  nat.  VIII.  40,  62. 

2)  Monuin.  Livon.  antiqn.  I,  30. 

3)  J.   W.    Böclor,    der   Khsten    abergl.   Gebräuche   beleuchtet  von    Fr. 
R.  Kreutzwald,  St.  Petersburg  lö51,  S.  12.   öl. 


408  Kapitel  IV.    Bauiugeiäter  als  Vegetationsdämonen: 

jähr  bestimmt  der  Aelteste  des  Dorfes  einen  Tag,  an  welchem 
sieh  alle  Einwohner  desselben  versammeln.  Dann  macht  man 
ein  Bild  des  Metsik,  indem  man  Kleider  voll  Stroh  stopft;  der 
Aelteste  hebt  die  Gestalt  aaf  und  trägt  sie  in  Begleitung  der 
ganzen  Versammlung  auf  die  Dorfweide,  wo  er  sie  auf  einen 
hohen  Baum  set-zi,  der  mm  einige  male  lärmend  umtangt  wird. 
In  anderen  Dörfern  wird  der  Metsik  aus  Korngarben  verfertigt 
und  an  irgend  einer  abgelegenen  Stelle,  an  einem  Zannstecken, 
am  liebsten  auf  einem  hohen  Baum  im  Walde  aufgestellt  Man 
macht  vor  ihm  allerlei  Faxen  und  Figuren  (der  Berichterstatter 
versteht  unter  diesem  Ausdruck  unzttchtige  und  unanständige 
Geberden  und  Bewegungen),  damit  er  das  Getreide,  das 
Vieh  und  alles  andere  beschützen  solle.  Fast  an  jedem 
Tage  des  Jahres  wird  er  durch  Opfer  gebeten,  das  Vieh  doch 
zu  schützen.  Da  er  die  Gebete  selbstverständlich  nicht  immer 
erhört,  gilt  er  Itir  böse  oder  schlecht  —  und  deshalb  heiBt  der 
Zuruf:  „Sinna  Metsik!  d.  i.  Du  Metsik''  soviel  als:  Du  Hallnnke! 
Das  Bild  des  Metsik  ver))leibt  das  Jahr  über  am  betreffenden  Orte 
und  wird  im  nächsten  Jahre  erneut.^  Daß  der  Waldmann  die 
Tiere  beschützt,  kann  ans  zwei  sehr  verschiedenen  Anlässen  ent- 
springen; entweder  übt  er  diese  Function,  weil  der  Wald  ur- 
sprünglich die  Weidestätte  war  (cf.  den  finnischen  Tapio,  Met- 
sän  ukko  Waldgreis,  seine  Gemahlin  Mielikki  metsän  emftntil 
Waldeswirtin  und  ihr  ganzes  Gefolge  o.  S.  30  sowie  die  russi- 
schen Ljeschie  o.  S.  141  und  den  Tierkerl  o.  S.  117),  oder  er 
sorgt  ttir  das  Gedeihen  der  Herde  aus  demselben  Grunde,  wie 
ttir  das  Gedeihen  des  Getreides;  als  Vegetationsdämon  über- 
haupt und  als  solcher  vergleicht  er  sich  dann  ziemlich  genau  den 
deutschen  Holzfräulein  (o.  S.  76).  Daß  er  zugleich  die  Grenzen 
schützt  ist  ein  Anzeichen  der  Ausdehnung  seiner  Wirksamkeit 
auf  die  Menschen  und  ihr  Gemeinwesen.  Die  Puppe  auf  dem 
Baume  gleicht  sieh  der  bekleideten  Birke  am  Semikfeste  (S.  157), 
dem  mit  einer  Puppe  geschmückten  Maibaum  oder  Sommer 
(S.  156),  dem  am  Ernteniai  hangenden  Brodkerl  im  La  Palisse 
(0.  S.  210),  der  in  der  Fastenzeit  auf  dem  Baume  verbrannten 
Figur.      Jene  Geberden   und  Bewegungen,    deren   Beschreibung 

1)  Verhandlungen  der  estnischen  Gesellschaft  zu  Dorpat,  Bd.  VII,  H.  2, 
ö.  10—11. 


HiBmwtragaiig  des  VegutatioiusgeiBteK.  409 

da8  Scliamgefllhl  der  Beriehteretatter  uns  vorenthlilt,  dienten 
ugemcheinlich  dazu,  den  Metsik  als  Diimon  der  vegetativen 
wie  tierischen  Fruchtbarkeit  zu  kennzeichnen  und  sich  seine 
Segenswirkung  zu  sichern. 

Mit  dem  estnischen  Brauche  stimmt  ein  französischer  voll- 
konmen  flberein.    In  der  Beance  (Orl6annais)  wird  am  24.  oder 
25.  April  ein  Strohmann  gemacht,   den  bezeichnet  man  als  den 
RejrrSsentanten  des  ,,  gravid  mondanV*    Man  sagt ,  der  alte  Mon- 
diid  sei   inzwischen    verstorben,   man  müsse  ihm  eine  Statue 
NlieD.    Nachdem  sie  ku  diesem  Behnfe  die  Strohpuppe  verfer- 
tigt haben,  tragen  sie  sie  in  feierlicher  Prozrssion  im  Dorfe  um- 
kr  und  setzen  sie  endlich  auf  den  ältesten  Apfelbaum.    Da  bleibt 
ne  Mg  zur  Apfelemtc.    Jetzt  holt  man  den  Strohmann  herunter, 
Terbrennt   ihn  und  streut  die  Asche  ins  Wasser,   oder 
wirft  ihn  selbst  ins  Wasser.    Auf  diejenige  Person  aber^ 
welche  die   erste   Frucht   vom   Apfelbaum   nimmt,   geht 
der  Name  le  grand  mondard  über.    Wir  werden  bei  späterer 
Gelegenheit  an   sehr  zahlreichen  Beispielen  kennen  lernen,  wie 
wf  den  Arbeiter,  welcher  \m  der  Ernte  die  letzten  Halme  eines 
Ackers  schneidet  oder  bindet,  der  Name  des  vermeintlich  darin 
weilenden    Korndämons    tibertragen    wird.     Analog  muß   „le 
gnmd  mondard''   auch   den    im  Wüchse   der  Aepfcl  waltenden, 
resp.    den     aUgemein    wirksamen    Vegetationsgeist    bezeichnen, 
womit  die  Verhrennmuj  oder  Wassertauche  der  Puppe   als  Son- 
nen- und  Regenzauber  fllr  die  njichstjährige  Vegetation  tlberein- 
kommt     Mondard   scheint   mit  der   Ableitungssylbe  -ard   (dem 
deatBchen  -  hart) ,  welche  an  Apellativa  und  Verba  gehängt  wird, ' 
TOD  monder ,  schälen ,  enthülsen ,  aushülsen  gebildet.    (Man  sagt 
fflonder  f^x  nettoyer  de  l'orge,  des  amandes,  en  6ter  la  pellicule 
TgL  mit.    mundilia,    ital.  mondiglie,    Abfälle,   Schnitzel,    Spreu, 
Abgänge  beim  Sieben.    Darf  man  das  Wort  „der  Aushtllsekerl" 
in  dem  Sinne  verstehen,  daß  danmter  der  beim  Auskernen  der 
Aepfel  zum  Vorschein  kommende  in  den  Kernen  sein  Leben  und 
Wesen  habende  Geist  gemeint  sei?     Das  würde  später  reichlich 
anzufahrenden   sachlichen  Analogien  (der  Aumsau  d.  i.  Spreusau, 
dem  Kimbaby  u.  s.  w.)  treflfend  entsprechen.     An  eine  Ableitung 
von   monde   (der  große  Weltkerl V)    ist  doch   nicht  zu  denken? 

1)  Diez,  Gram.  d.  Rom.  Sprachen,  Bonn  1871,  11,380. 


^10  Kapitel  IV.    Bauiugcister  ab  YegetatioiiAd&moneii : 

Doch  dies  bleibe  dahingestellt  Deutlieh  erseheint ,  daft  dii 
Dämon  im  Winter  ftir  gestorben  galt,  daß  die  erneute  Anfr 
tung  seines  Bildes  vom  Frühling  bis  zum  Herbste  sein  Wiei 
aufleben,  seinen  Wiedereinzug  in  die  Natur  und  sein  aoini] 
langes  Verweilen  darin  darstellen  spll.  Hier  haben  wir  < 
Form  des  Frtthliugsbraucbs,  welche  (so  dünkt  mich)  die  in  { 
gegebenen  Erörterungen  über  das  sogenannte  Todaustragen 
den  Lätaregebräuchen  augenfällig  bestätigt.  In  der  Zeh 
Feier,  in  Bezug  aut'  die  Prozession  im  Dorfe  und  hinaichl 
der  Aussetzung  auf  dem  Baume  berührt  sich  der  Mondard 
dem  Metsik. 

Letzterem  soll  auch  noch  eine  deutsche  Sitte  verglic 
werden,  welche  eigentlich  schon  in  den  Kreis  der  in  einem  i 
teren  Buche  zu  behandehidcn  Vorstellungen  von  den  Komdi 
nen  gehört,  zu  diesen  eine  Brücke  bildet.  Um  EUsenach 
Harksuhl  wird  aus  der  letzten  Garbe  der  Ernte  eine  Puppe  i 
fertigt,  welche  Waldmann  oder  Feldmann  genannt  wird. 
Unterellen  bei  Eisenach  läßt  man  den  Waldmann  als  Wäd 
des  Konies  draußen  auf  dem  Felde  bis  zur  Einfahrt  des  leti 
Fuders;  dann  wird  er  mit  einem  frischen  Kranze  geschmt 
und  auf  dem  Komwagen  vom  Vorschuitter  gehalten,  wälir 
der  Wagen,  begleitet  von  den  Schnittern,  die  Lieder  sili 
Inhalts  singen ,  langsam  zum  Dori'e  und  auf  den  Hof  des  Besit: 
einfährt.^  Es  ist  unverkennbar,  daß  der  Geist  der  im  Wi 
waltenden  Vegetation  in  diesem  Gebrauche  auch  als  Hervorbriu 
des  Korn  Segens  aufgefaßt  erscheint,  grade  so  wie  der  Metsik 
wie  die  Holzfräulein. 

§  18.  Hinaustragung  und  Eingrabung  des  Vegetaüc 
gcist^s,  Todaustragen.  Die  Hinaustragung  des  Hetsuni 
Metsik,  Mondard  aufs  Feld,  gewährt  uns  den  Anlaß  und 
Möglichkeit,  mit  Nutzen  die  o.  S.  359  ausgesetzte  Untersuch 
der  Sitte,  den  alten  Mann  ins  Loch  zu  karren,  vrieder  an 
nehmen.  In  der  Nähe  von  Tübingen  wird  zu  Fastnacht 
Fastnachtbär,  ein  aus  Stroh  gemachter  mit  einem  Paar  a 
Hosen  bekleideter  Mann,  in  dessen  Hals  eine  frische  Blutwi 
oder  mit  Blut  getUllte  Spritze  steckt,  nach  einer  förmlichen  ^ 


1)  CS.  Witzschel ,  Sitten  und  Gebräuche  aus  der  Umgegend  von  Eiae 
1866,  S.  16. 


Umuftragmig  o.  EiDgrabimg  d.  VegeUtioiisgciHtei,  Todalutragen.    411 

niteiliuig  geköpft  und  begraben.     Er  wird  in  einen  ISarg  gelegt 

und  am  Aschermittwoch  nach  der  Kirche  beerdigt,   gewöhnlich 

IB  Orte  selbst     Das  nennt  man  die  Fastnacht  vergraben.  ^    Zu- 

wtttoi  wird  die  Puppe  unter  Stroh  und  Mist  eingegraben  oder 

INI  Wasser  gestürzt.     Statt   des  Itutzcn    trug  man  auch  einen 

ktaidigen   Menschen    auf   einer   Bahre    oder  sonst   von  Stroh 

bedeckt  omher  und  stellte  sich  so,  (d^  wolle  ttian  ihn  begraben; 

oder  man  machte  den  Fastnac^htsnarren  trunken  und  begrub  ihn 

Biit  großem  Jammergeschrei   unter  Stroh   oder  warf  ihn  utUer 

Jimemiusik  ins   Wasser.      Das   hieß   die   Fastnacht   begraben. 

h  Wormlingen  tanzt  ein   in  Stroh  gchtillter  Bursche  an  einem 

^e    durchs    Dorf  gefllhrt    am    Fastnachtstage   als   Bär;    am 

iwhennittwoch    wird    ein    falscher  Strohmann    in    einen    Tn)g 

gelegt^  aufs  Feld  hinausgefahren  und  bcgra1>en. '    Sehr  austUhrlich 

beschreibt  Leoprechting  das  Begral)en  der  Fastnacht  in  I^chrain. 

Ein  Mann  in  schwarzer  weiblicher  Tracht  wird  auf  einer  Keiß- 

tnge  von  vier  Männern  einhergettihrt,   von  als  Klageweibern 

verkleideten  Männern  bejammert,  vor  dem  größten  Dung- 

kanfen  des  Dorfes  heruntergeworien,  mit  Wasser  begossen, 

in  die  Mistgrube  eingegraben  und  mit  Stroh  bedeckt.^    Wie  hier 

ein  lebender  Mensch,   wird   in   Marsberg  (Westfalen)  die  Fast- 

meht  als  Strohpuppe  auf  der  DUugerstätte,^   in  der  Eifel  die 

fimies,   ein  Strohmann  nebst  Flasche  und  Glas,  in  einer  Grube 

vor  dem  Dorfe  eingescharrt,*  wogegen  in  Balwe  (Westfalen)  die 

betreffende,  die  Fastnacht  darstellende  Strohpuppe  in  den  Fluß, 

Äe  Hmne  geivor/hn  wird.^     Eine  andere  Form  ist  es,  wenn  zu 

Fastnacht  oder  bei  der  Kirmes  statt  der  Strohpuppe  ein   Koß- 

ftAädel,'   eine  noch  andere  aber  jüngere  abgeleitete,   wenn  eine 

Geige,®  ein  Glas  mit^chnaps^  oder  dergleichen  vergraben  wird. 

Zu  Vailyngen   an  der  Enz  wurde  ehedem  am  Schluß  des  Maien- 


1)  E.  Meier.  Sagen,  Sitten  u.  Gebräuche  a.  Schwaben,  S.  371,  1. 

2)  Meier  S.  373. 

3)  Leoprechting ,  Aus  dem  Lechrain  S.  1G2  tf. 

4)  Kuhn,  Weatföl.  Sag.  II,  131,  3114. 

5)  Schmitz.  Sitten  u.  Bräuche  des  Kifler  Volkes,  I.  \l^). 

6)  Kuhn.  Wcstföl.  Sag.  130,  303. 

7)  Montanus ,  Volksfeste  59.  OO. 

fi)  Reinsberg  -  Düringsfeld ,  Böhm.  Festkalender  S.  G3. 
9)Pröhle,  Harzbilder,  54. 


412  Kapitel  IV.    Bauingeister  als  Vegetationsdimonen: 

tages,  auch'  der  Maie  vergraben  ^  wobei  die  Burschet^  Mädthev^ 
Jdeider,  die  Mädclwth  Manmkleider  anhattefi,  *  Ganz  auBerordent- 
lieh  ähnlich,  ja  im  wesentlichen  hlemit  identisch  sind  die 
Gebräuche  des  sogenannten  Todaustragens  am  Lätaresonntag. 
In  Nürnberg  trugen  festlich  geschmückte  Mädchen  eine  Puppe  in 
einem  oflfenen  kleinen  Sarge,  yon  welchem  ein  weißes  Leichen- 
tuch herabhing,  oder  einen  grünen  Buchenzweig  mit  in  die  HShe 
geriehtete^n  Süd,  woran  ein  Apfel  statt  des  Kopfes  befestigt  war, 
in  einer  Schachtd  und  sangen  dabei:  „Wir  tragen  den  Tod  iii8 
Wasser,  wol  ist  das!",  oder:  „Wir  tragen  den  Tod  ins  Wasser, 
wir  tragen  ihn  nein  ntui  wieder  raws."*  Das  Gemeinsame  der 
in  Franken,  Tliüringen,  Meißen,  dem  Vogtland,  Schlesien,  der 
I^usitz  weitverbreiteten  Formen  desselben  Brauches  ist  es, 
daß  eine  mit  dem  Namen  Tod  bezeichnete  weibliche  oder  minn- 
liehe  Figur  aus  Stroh  oder  Holz  von  jungen  Leuten  des  anderen- 
Geschlechts  herumgetragen  ins  Walser,  in  einen  Tümpd  gewor- 
fen  oder  verbrannt  wurde.  Nach  dem  Austragen  des  Todes  wiitl 
vielfach  sofort  der  Sommer  in  Gestalt  eines  grünen  Maibaames 
oder  eines  Haumcs  mit  daran  gehängter  Puppe  eingebracht.  leb 
erinnere  nur  an  die  schon  o.  S.  155  angezogene  Lausitzer  Sittes 
wonach  die  Frauen,  die  dabei  keine  Männer  dulden,  mi  . 
Trauerschleiern  behängt  umziehen,  eine  Strohpuppe  mS 
einem  weißen  Hemde  bekleiden,  mit  einer  Sense  und  einem 
Besen  in  der  linken  und  rechten  Hand  ausrtlsten,  vo^ 
steiyiwcrfenden  Buhen  verfolgt,  bis  zur  Grenze  tragen  und  dor^ 
zerreißen  y  worauf  sie  jenes  nämliohc  Hemde  an  einen  schönes 
Waldbaum  hängen,  diesen  abhauen  und  heimtragen.  In  d» 
Oberlausitz  wird  der  Tod,  eine  Figur  aus  Stroh   und  Haderr- 


1)  E.  Meier,  Schwab.  Sag.  398,  80.  So  tragen  die  Mägde,  welche  d^J 
rheinischen  Ernteinai  einführen ,  Männerkleidcr  (o.  S.  201) ,  bei  der  Wei  -■ 
lose  im  Elsad  sind  die  Männer  zoweilen  als  Weiber,  die  Weiber  als  M£^ 
ncr  angezoj^en;  von  den  beiden  Herbstschmudl  ist  der  eine  ein  als  W^ 
vorkleideter  Mann,  der  andere  ein  als  Mann  maskiertes  Weib  (o.  S.  203. 31— 
In  Ost  -  Lancashire  ziehen  die  jungen  Bursche  in  der  Woche  vor  Ostern  tfa 
dem  Lande  umher,  wobei  die  einen  Instrumente  spielen,  die  andern  tai 
Cfelegentlich  schlielien  sich  auch  junge  Frauenzimmer  an,  die  dann  Ms 
nerklcidung  tragen,  während  die  Bursche  sich  als  Weiber  kleid« 
Liebrecht  in  Pfeiffers  Germania  XVI ,  228. 

2)  Myth.2  727. 


Hinaottrigiing  Q.  Eingrabatig  d.  Vogetationsgeistes ,  TodaUKtragen.    413 

mit  dem  Hemde  des  letzten  Todteii  und   dein   Schleier  der 
letiten  Braut  im  Dorfe  angetan  von  der  stärksten  Dirne  auf 
einer  Stange  einhergetragen ,   sodann  mit  Stehven  und  Stecken 
hewfrfen  und  zuletzt  in   einem   Wasser   vor  dem  Dorfe  ersäuft, 
worauf  alle   Teilhaber  des  Zuges   ein  grünes  Zweiglein  brechen 
vod  heimbringen.^    Ganz  ähnlich  wird  in  Böhmen  und  Mähren 
Quoittelbar  nach  einander  der  Tod  aus  dem  Dorf  getnigen,  der 
Sommer  ins   Dorf  getragen ,   wobei   die   den   Tpd  darstellende 
Plq)pe,  die  ebenfalls  vielfach  mit  einer  Sichel  in  der  Hand  aus- 
gerüstet ist,   zuerst  zerschlagen  oder  zerrissen,    resp.  im  Walde 
dreimal    an    eine    Eiche    geschlagen    und    so  entzweigemacht, 
sodann  von  einer  Brücke  oder  einem  Felsen  in  die  Tiefe  eines 
Vagsers  hinuntergestürzt,    häufig   aber   herausgezogen,  heimge- 
tagen  und  schüeBlich  verbrannt  wird.    An  vielen  andern  Orten 
^r  tritt   das  feierliche  Begräbniß  des  Todes  in  einem  Garten, 
4tf  einer  Wiese,  auf  dem  Acker  oder  hinter  einer  Scheuer  dalllr 
«iL*     Die  Puppe  heißt  statt  Smrt  Tod,   auch  wol  Marena,   bei 
^eren   Slaven    Mamurienda,    Muriena,    „Wir    wollen   Mamu- 
^enda   aastragen;  wir   haben  Muriena  aus   dem  Dorf  und  den 
JQtigen   Mai    ins   Dori'    getragen/^      Doch    auch    in   Podlachien 
Ertränkt  man  am   Todtensonntag  den  Smierc  (Tod),   ein   aus 
^anf  oder  HeUm  geflochtenes  Menschenbild  nach  feierlichem  Um- 
züge durch  die  Stadt  in  einem   nahen  Sumpf  oder  Weiher. 
Hin   älteres  Zeugniß  fUr   diese  Bräuche  gewährt   im    15.  Jahr- 
liaiidert  der  Krakauer  Domherr  Jobann  Dlugosz,  der  in  seiner 
Biatoria  Poloniae  1.  II,  p.  94,  Francof.  1711  berichtet,  der  erste 
^christliche  Herrscher  Polens  Miesco  habe  allen  Gemeinden  und 
XKSrfem   befohlen,  an  einem   und  dem  nämlichen  Tage  d.  h.  am 
"«.   März   sämmtliche    Götzenbilder    zu    vernichten,    d.h.   zu   zer- 
l^rechen,  in  Sümpfe,  Seen  oder  Teiche  zu  versenken  (in  paludes 
laeus    et    stagna    demergere)   und  mit   Steinen   zu    überschütten 
(saxis  obruere).     Zur   Erinnerung   werde    dieser   Vorgang   noch 
Wute  .alljährlich    in    vielen    polnischen    Ortschaften    wiederholt. 
Quae    quidam   ....  idolorum  confractio  et  immersio  tunc  facta 
apud  nonnnllas  Polouorum  villas  simulacra  Dziewannae   et  Mar- 
lumae  in  longo  ligno  extollentibus   et  in  paludes  in  Do- 
li Myth.«  731  —  32. 
2)  Rein8bcrg-T)ftrinj,'8feld,  Böhm.  Pestkai.  87  ff. 


4t4  Kapitel  IV.     Baumgeister  als  Vegetationsdftmoneii: 

iniiiioa  Quadragesimae  Laetare  projicientibns  et  demer 
^eutibus  repraesentatur  (et)  renovatur  in  hunc  diem.  Derselb 
Sc*hrift8teller  sagt  einige  Seiten  vorher  bei  Aufzählung  der  heid 
nischen  Gottheiten  des  alten  Polens:  Ceres  autem  mater  et  De 
frugum^  quarnni  satis  regio  indigebat,  Marzana  vocata  apud  eo 
in  praecipuo  eultn  et  veneratione  habita  luit.  Da  des  Dingos 
polnische  Gottheiten  sammt  jenem  Gebote  Mieseos  offenbar  nicht 
anderes  sind  als  Rückschlüsse  aus  der  lebenden  Volkssitte ,  » 
muß  er  die  Gleichstellung  der  Marzana  mit  Ceres  aus  irgend 
einem  dem  Lätarebrauch  anhaftenden  Umstände  gefolgert  haben 
sei  es,  daß  auch  die  polnischen  Strohpuppen  eine  Sichel  io  de 
Hand  hielten ,  oder  aus  unausgedroschenen  Getreidehalmen  bestaii 
den  und  somit  diesell)e  Gestalt  hatten,  wie  die  Emtepuppen. 

§  19.  Hinaustragung  und  Etngrabung  des  Tei^etatlonf 
dSmons.  Doch  nicht  allein  Fastnacht  und  Lätare  (TodtensoBii 
tag).  Tage  des  Frühlingsanfangs,  geben  Gelegenheit  zu  dieae 
Gebräuchen,  in  Kußland  finden  wir  dieselben  auch  an  St  Petei 
d.  i.  29.  Juni,  also  an  Mittsommer  oder  Frtthlingsende  geknflpf 
An  diesem  oder  dem  folgenden  Tage  gehen  nämlich  Volksam 
Züge  im  Schwange,  welche  den  Namen  Begräbniß  der  Kostrom 
oder  des  Jarilo  tragen.  Nach  Sacharoff  hatte  das  Begräbniß  de 
Kostroma  in  den  Gouvernements  Simbirsk  und  Pensa  folgende 
Hergang.  Nachdem  am  28.  Juni  abends  ein  Scheiterhitofie 
gebrannt  hatte,  und  am  Morgen  des  29.  das  Spiel  der  aufgehei 
den  Sonne  beobachtet  war,  wählten  die  Jungfrauen  eine  aus  ihr» 
Mitte,  welche  die  Kostroma  darzustellen  verpflichtet  sein  soUfl 
Ihre  Gespielinnen  traten  unter  tiefen  Verbeugungen  an  sie  herm 
legten  sie  auf  ein  Brett  und  trugen  sie  zum  Flusse.  Dort  beg» 
nen  sie  sie  zu  haden ,  wobei  die  älteste  Teilnehmerin  eine  Liscfar . 
( Korb)  von  Lindenbast  machte  und  darauf  wie  auf  eine  Tromna 
schlug.  Ins  Dorf  zurückgekehrt,  beendigten  sie  den  Tag  ca 
Umzügen,  Spiel  und  Tanz.  Im  Kreise  Muroui  wird  statt  d^- 
sen  eine  Strohpuppe ,  die  mit  tveiblichen  Gewändern  und  B^ 
men  I/eMeidet  ist,  in  einen  Trog  gelegt  und  unter  Gesängen 
das  Ufer  eines  Sees  oder  Flusses  getragen.  Hier  teilt  sich 
am  Ufer  harrende  Menge  in  zwei  Parteien ,  deren  eine  die  Pn^ 
beschützt,  während  die  andere  sie  zu  erobeni  bemüht  ist.  Zul^ 
siegen  die  Angreifer,  berauben  die  Figur  des  Schmucks  und  ^ 
Kleider,    zerreißen  sie,    treten   das  Stroh,   woraus   sie  geniad 


HinAiutimgiiDg  und  Eingrabnng  des  Yogetationsd&inoxiB.  415 

Wir,  mit  FttSen  and  werfen  es  in  den  Strom  j  iudeß  die  Vertei- 
diger das  Gesicht  mit  den  Händen  bedecken  und  sieh  anstellen, 
ab  ob  sie  den  Tod  der  Kostroma  bejammern.  Afanasieflf  ver- 
mutet, daB  die  Puppe  ursprünglich  nicht  aus  Stroh  sondern  ans 
Feldkriatem  verfertigt  war,  indem  er  annimmt,  daß  kostra, 
koitrier,  kostiera,  fiute,  Strauch,  Unkraut  im  Korn  das  Etymon 
TOI  Kostroma  sei.  Nach  TercschtscJienko  heißt  im  Gouv.  Sara- 
tDv  kostroma  ein  Bund  Stroh,  das  zu  Neujahr  verbrannt  wird; 
dag  mußte  schon  eine  abgeleitete  Form  der  Sitte  sein.  In  Klein- 
nlland  war  die  am  Montag  nach  dem  Peterstage  begrabene 
Stiolipappe  kostrub  genannt.    Man  singt: 

Es  starb,  es  starb,  es  starb  kostnibonko, 
Der  graae,  Hebliche,  blane.^ 

hl  Ooavemement  Saratow  wird  am  30.  Juni  eine  Strohpuppe 
mit  Sarafan  and  Kokoschka  bekleidet  im  Dorf  umhergetragen 
and  hernach  dieser  Kleidungsstücke  beraubt  ins  Wasser  gewor- 
fen. Das  nennt  man  provod  VjeSnji,  Zug  des  Frtihlings,  dem 
entsprechend  ist  in  andern  Gegenden  das  Begräbniß  des  Jarilo. 

Jarilo  von  jar  Frühling  ist  eine  in  Kußland  weit  verbreitete 

hrsonification   des  Lenzes  oder  der  Wachstumskraft;  im  Lenze. 

h  Weißmßland  versammeln  sich  die  Mädchen  Ende  April  ange- 

«fchts  der  jungen  Saaten  und  wählen  aus  ihrer  Zahl  eine,  welche 

i^  Jarilo   darstellen  soll,  so  wie  sie  sich  ihn  vorstellen.     Sie 

beiden  sie   aus  wie  einen  Mann  mit  weißem  Mantel,  der  auf 

dem  Kopfe  einen  Kranz  von  Frühlingsblumen  trägt,  in  der  Linken 

^ne  Handvoll   geschnittener   Aehren   hält;   unbeschuht   sind  die 

Ptlße.     Sie    setzen   den   Jarilo  auf  ein    weißes  Roß  und  führen 

^hn,   ist    das  Wetter  warm  und  hell,   hinaus  ins  freie  Feld  auf 

<Ue    besäten    Fluren.      Hier   umschlingt   ihn    in    (Jegenwart   der 

Greise   ein  Reigen  der  bekränzten   Gespielinnen,   die  zu   Ehren 

des  Jarilo  ein  Lied  singen,  wie  er  umherziehe,  das  Getreide  auf 

den    Fluren  wachsen   lasse   und    den  Menschen  gutes   Gedeihen 

gebe.      „Wo    er   geht  mit  bloßen  Füßen,   heißt  es,    da  ist  das 

Kom  schockweise,  und  wo  er  hinblickt,  da  erblühen  die  Halme."* 

In  Woronesch    kam  am    29.  Juni   eine  Menge  Volks    auf  dem 

^tadtmarkt  zusammen  und  bestimmte,   wer  von  den  Anwesenden 


1)  Afanasieff,  Poetische  Naturanschauungen  der  Küssen  ^  111,724  —  20. 

2)  Afanasicif,  a.  a.  O.  I,  441 


416  Kapitel  IV.     ßaumgeistor  als  Vegotationsd&monen: 

der  Darsteller  des  Jarilo  sein  solle.  Diesem  zogen  sie  ein< 
bunte  blumige  Kleidung  an,  die  außerdem  mit  Blumen  um 
Bändern  geschmücM  und  mit  kleinen  Glöckchen  behängt  wa$ 
setzten  ihm  einen  bemalten  Kaipak  von  Papier  mit  einer  Hahnen 
feder  darauf  auf  den  Kopf  und  gaben  ihm  in  die  Hand  eil 
8t<)ckGhen  mit  einem  Klopfer  versehen.  So  zog  er  singend 
tanzend  und  verschiedene  komische  Bewegungen  ausftlhrend  ante 
Trommelbegleitung  umher,  von  einer  großen  Volksmenge  beglei 
tet,  die  nach  verschiedeneu  Tänzen  und  Spielen  sich  in  zwc 
Parteien  teilte  und  das  Fest  mit  einer  Art  Faustkampf  endigte 
An  anderen  Orten  nun  wird  am  29.  oder  80.  Juni  das  BegiiUb 
niß  des  Jarilo  aufgetUhrt.  Im  Kostromskischen  Kreise  übergal 
man  einem  alten  Manne  einen  kleinen  Sarg,  der  eine  dei 
Jarilo  darstellende  Puppe  mit  einem  Ungeheuern  Priaj 
enthielt.  Der  Greis  trug  denselben  vor  die  Stadt,  ihm  tblgtei 
die  Weiber,  Klagelieder  singend  und  durch  ihre  Geberde 
Schmerz  und  Verzweiflung  ausdrttekend,  bis  zum  Grabe  ac 
freiem  Felde,  wo  hinein  man  unter  Weinen  und  Wehgescbri 
die  Gestalt  versenkte.  Darauf  begannen  sofort  Tänze,  welch 
an  die  altslavische  Sitte  der  Kampfspicle  (trisna)  beim  BegiUbnj 
erinnern  konnten.  In  Kleinrußland  wurde  die  Jarilo  benannj 
Puppe,  die  mit  allen  dem  Manne  zukommenden  Attributen  air 
gerüstet  war,  auch  in  einen  Sarg  gelegt  und  nach  Sounennnta 
gang  auf  die  Straße  getragen.  Betrunkene  Weiber  umringte 
den  Sarg  und  wiederholten  traurig:  „Er  ist  gestorben!  .Er 
gestorben!"  Die  Männer  erhoben  und  schüttelten  d5 
Puppe,  als  wenn  sie  sich  bemühten,  den  Todten  S 
Leben  zurückzurufen  und  sagten  nachher:  „He!  He! 
Weiber,  heult  nicht.  Ich  kenne,  was  noch  süßer  ist,  als  HonS 
Doch  die  Weiher  fuhren  fort  zu  jammern  und  zu  singen,  ^ 
bei  Begräbnissen  üblich  ist:  „Wessen  war  er  schuldig V  Er  im^ 
so  gut.  Er  wird  nicht  mehr  aufstehen.  0  wie  sollen  wir  a 
von  dir  trennen V  Was  ist  das  Leben,  wenn  du  nicht  mehr 
bist!  Erhebe  dich,  wenn  auch  nur  auf  ein  Stündchen;  alier  ( 
steht  nicht  auf,  er  steht  nicht  auf!"  Endlich  verscharren  Ä 
Jarilo  in  einer  Grube.* 


1)  Sacharoff  II.  42,  i)l  — i>3.     Tereschtscheiiko  V,  100  — 104.    Afanasielf 
]II,72G  — 27. 


Hintnrtniginig  il  Begr&bniß  d.  Vegetationadämons,  Erlänterungen.    417 

§20.   Hlnaustragnng  und  Begr&bniß  des  Tegetatlons- 
iinoos,  Erlin temngen.     Uebrigens   besteht  eine  aaflfallende 
Aehnliehkeit  zwischen  den  Sitten:  den  alten  Mann  ins  Loch  zn 
b{reD|  die  Fastnacht   zu  köpfen,   zu  begraben  oder  zn  ertiibi- 
ken,  den  Tod   zn   beerdigen   oder  zu  ersäufen  und  den  Jariio 
r^-  die  Kostroma  zu   bestatten   oder   ins  Wasser  zu  werfen. 
UnterBQchen  wir  genauer,    ob  die   Uebereinstimmung  mehr  als 
Sehein  ist    Das  Begräbniß  des  Jariio  ist  an  und  fUr  sich  klar 
und  Ycrstiüidlich.    Eine  ganz  ähnliche  Gestalt  wie  der  P6re  May, 
£oi  de  May,  Lord  of  the  May,  die  Maja,  stellt  er  zwar  den  Lenz, 
äe  Jahreszeit  dar,  aber  nicht  abstract  als  solche,  sondern  als 
<&  bewegende   Ursache    und   Grundkraft   des   Pflanzenwuches; 
des  bezeugt   sein    blumiges   Gewand,   das   wol   auf  ehemalige 
laobumhttllung  zurückweist,  dies  die  Ausrüstung  seines  Bildes 
mit  dem  Priap,  dies  das  zu  seinen  Ehren  gesungene  Lied.    Es 
ist  schwerlich  Zufall,   daß  seine  Kleidung  mit  Glöckchen  besetzt 
18t,  wie   diejenige  des  Pfingstiilmmels  (o.  8.  326).     Im  Beginn 
der  Hundstage,  zu  Mittsommer,  wenn  die  Aehren  gelb  werden, 
ist  der  zeagungskräftige  Frühling  dahin;   trauernd   wird  er  zu 
Grabe  geleitet     In  dem  Woronescher   Brauch  dagegen   scheint 
er  als   noch    bis   in   den  Hochsommer   hinein  in  der  Rolle  des 
Vegetationsdämons    fortdauernd    wirksam    gefeiert    zu    werden. 
Sollte  der  Tod  und  die  Bestattung  des  Kostrubonko,  der  Kostroma 
eine  andere  Auflfassung  fordern?     Schwerlieh,  außer,   daß  hier 
iweh    entschiedener    die    Bedeutung   des  Vegetationsgeistes   die 
^rhand   hat.     Schwer  aber  zu   begreifen   dürfte  es  sein,   wie 
iBao  dazu  kam,  das  Dahinscheiden   derselben   durch  EHränken 
^anostellen.     Dasselbe  hätte  nur  Sinn  als  Ausdruck  der  Erre- 
long  und  des  Zornes  über  allzulauge  Dauer  des  Frühlings,  oder 
^  Darstellung  der  Tatsache  seines  gewaltsam  durch  das  feuchte 
Qement   herbeigeführten  Endes.     Da  aber  beides  nicht  zutrifll, 
tt  müßten  denn  die  Regengüsse  des  Herbstes  gemeint  sein ,  wei- 
fte Frühling  und  Sommer  vom  Wachstum  des  nächsten  Jahres 
scheiden,    so    stehe   ich  nicht   au  als   meine  Vermutung  auszu- 
sprechen,   daß    die   Wassertauche    auch  hier  denselben  Sinn 
Iwibe,    wie    in   so   vielen    anderen   auf  die  Vegetationsdämonen 
l^eiliglichen    Gebräuchen,   daß   sie    ein  Abbild    des  Regens   sein 
«olle  und   entweder   den    bevorstehenden   Tod   der  Pflanzenwelt 
dttrch  die  Gewässer  der  Ilcrbstregen  darstellen,  oder  im  voraus 

Mannhardt  27 


418  Kapitel  IV.     Baumgeister  als  Vegetatioiisdamoneii: 

(wie  in  den  Erntegebräuchen  o.  S.  214,  vgl.  S.  314  o.)  die  atmo- 
sphärische Feuchtigkeit  für  die  Vegetation  des  nächsten  Jahres 
sichern  sollte.    Bei  aller  augenscheinlichen  Verwandtschaft  scheint 
obenhin  angesehen   der  Lätaregebrauch  ganz    das  Gegenteil  za 
diesen  Mittsommersitten  ausdrücken  zu  sollen;  nicht  das  LeSen 
sondern  der  Tod  wird  begraben ,  dessen  populäre  Personification 
als  Schnitter  mit  Sense ,  Sichel ,  oder  Hippe  ^  zur  Ausrüstung  der  * 
Strohpuppe  mit  solchen  Emtewerkzeugen  Anlaß  gegeben  haben« 
kann.     Aus  dem  Gegensatze    des  nach  Austragung  des  Todeos 
eingebrachten  „Sommers'^  ergiebt  sich  jedoch,  daß  ursprünglidr: 
nicht  sowol  die  das  tierische  Leben  abschneidende  Naturgewalfetf 
als  vielmehr  der  Winter  im  Lätaregebrauch  unter  dem  NameiK 
des  Todes  gemeint  war;  wahrscheinlich  dürfen  wir  noch  eine^j 
Schritt  weiter  gehen.    Wenn  der  eingebrachte  durch  eihen  grüner^ 
Baum  dargestellte  Sommer  nicht  sowol  eigentlich  die  Jahren 
zeit,  als  den  sommerlichen  Vegetationsgeist,  oder  die  sommer« 
liehe  Vegetationskraft  bedeutet,-  *so    wird  auch  sein  Gegensatz 
der  Tod  oder  der  Winter  den  Vegetationsdämon  in  seiner  winte^ 
liehen  Gestalt  nicht  als  tödtend,   sondern  als  todt  oder  getOdUd 
darstellen.    Tod  also  wäre  hier  nach  unserer  Ansicht  passiv  ^ 
verstehen    als   das  ertödtete  vegetative  Leben  im  Winter;  ni&^ 
die  lebenraubende  Naturmacht,   nicht  die  winterliche  Jahresz»^^ 
sollte  durch  Vergraben  vernichtet  werden,  sondern  der  erstorbe^^ 
Vegetationsdämon  wird  in  die  Erde  eingescharrt,  um  im  F; 
linge  aus  dem  Boden  wiedererweckt  und  neu  belebt  empo 
steigen.    Wäre  diese  Anschauung  richtig,  so  würde  die  äoB* 
liehe  Uebereinstimmung  des  Sommer-  und  des  Frühlingsbrauci 
sich  nun  auch  als  eine  innerliche,  auf  gleicher  Bedeutung  beruhei 
erwiesen  haben;  das  Begräbniß  des  Jarilo,   das  Vergraben 
die  Wassereinsenkung  der  Kostroma  hätten   danach  im  we 
liehen   den   nämlichen  Sinn,    wie  die  Grablegung  und  W 
tauche  des  Todes;  nur  daß  die  Darstellung  desselben  Vorga..^ 
das   einemal  au  den  Anfang  der  bösen,    Leben  und  Wachs«^'*^ 
tödtenden  2ieit  verlegt,   das  anderemal  an  das  Ende  dersek^  Tk 
gerückt  und  mit  der  Feier  der  Auierstehung  des  Pflanzenwuckisisa 


1)  Vgl.    G.   Schuller,    Volkstüml.    Glaube    und    Brauch   bei   Tod     and 
BeKTäbni»,   Kronstadt   18G3,    S.  4.  10     Vgl.  das  Kirchenlied:    „Es  ist  e« 
Schnitter,  der  heilJt  Tod." 


ffiiUHutr»|fiiiig  n.  Begr&bniß  d.  Vegetationsdämons,  Erl&ateningen.    419 

Terbimden  ist.     Die  Wassertauche  als  Regenzauber  tUr  die  künf- 
tige Vegetation  dem  Vertreter  der  dahingeschiedenen  des   alten 
Jihres  gewidmet,  ist  uns  ja  bereits  aus   den  Emtegebräuehen 
behimt,  wo  die  letzte  Garbe  der  alten  Ernte  gradeso  wie  der 
Haibanm  begossen,   das  in  die  letzte  Garbe  eingebundene,  den 
£omdämon   darstellende  Mädchen   resp.  die  Binderin  gleich  dem 
ifl  Laub   gehüllten   grünen  Georg,   Pfingstbutz  u.  s.  w  in   einen 
Ach  gefilhrt  wird  (o.  S.  21 4j,   damit  die  nächstfolgende  Pflan- 
xengeneration  gute  Früchte  hervorbringe.    Ist  es  irgendwie  wahr- 
«deinlich,  daß  die  Wassereintauchung  bei  der  den  Tod  darstel- 
lenden Puppe   etwas   ganz  Entgegengesetztes  bedeute,   als   bei 
dem  80  htofig  gleich  nachher  eingeholten  Maien,  daß  sie  in  dem 
einen  Falle  ein  Symbol   des  Absehens,   der  gewünschten   Ver- 
nichtung, im  andern  ein  Anzeichen  des  Wunsches,  ja  ein  Zauber- 
mittel   sein  sollte?     Wer   die   hier  aufgestellte   Erklärung  nicht 
zulässig   finden   wollte,   müßte   mithin   vorher   nachweisen,    daB 
nch  die  Wassertauche  des  Maibaums  u.  s.  w.  keinen  Bezug  auf 
£e    atmosphärische    Feuchtigkeit    habe.      Geben    wir   dagegen 
uuerer  Hypothese  Raum,   so   gewinnt  auch  der  mehrfach  und 
entschieden  bedeutsame  Zug  der  Steinigung  ein  anderes  Ansehn, 
ik  auf  den  ersten  Augenschein.    In  einer  späteren  Untersuchung 
wild  der  Verfasser  den  Nachweis  eines  uralten  Brauches  bei  der 
Ernte  resp.  im  Frühjahr  Itihren,  daß  Bäume  undl^anzen,  sowie 
<fie  Abbilder   der    Vegetationsdämonen    mit    Steinen    belegt   oder 
htH)rfen   wurden,  um  die  Schwere  der  erhofften  FruchtfiÜle  der 
^öeA^^^n  Ernte  auszudrücken.     So  kann  auch  hier  die  Steinigung 
^  sogenannten  Todes   ein  dem  Regenzauber  ähnliches  Zauber- 
^ttel  gewesen  sein.      Unter  solchen  Gesichtspunkten   erscheint 
^dlich  auch  das  zuweilen  an  die  Stelle  des  Begrabens  oder  Was- 
•^reintauchens    tretende    Verbrennen    des   Todes   dem   Verbren- 
"^11    des    Maibaums    im   Oster-,    Mai-    oder    Johannisfeuer   (o. 
S-  177  fiF.)  parallel.      Noch    andere   Umstände  gereichen   unserer 
Hypothese    zur  Unterstützung.     Wenn    in   jener    Lausitzer  Sitte 
da«  Hemde  der  den  Tod  darstellenden  Strohpuppe  dem  Wald- 
Wom  übergeworfen  wird  (o.  S.  156),  so  soll  dieser  doch  wol  als 
Nachfolger,   als  dasselbe  Wesen  in  verjüngter  Gestalt  bezeichnet 
werden.     Der  Nürnberger  Brauch  stellt   den  Tod,  wie   den  Mai 
i     iSommer),  durch  einen  grünen  Zweig  mit  einem  Apfel  dar.    Wenn 
E     *^Podlachieu  das  den  Tod  darstellende  Menschenbild  noch  aus 


420  Kapitel  IV.    BaumgeiBter  als  Vegetationsdämonen: 

Kornhalmen  geflochten  wird,  während  es  sonst  meistenteils  ans 
leerem  Stroh   gefertigt  ist,   giebt   es    andererseits  verschiedene        ^ 

Spuren,   daß   die  im  Hochsommer  gereifte    abgestorbene  Vege-     

tation  der  Kulturfriichte ,  welche  gewöhnlich  unter  der  Gestalt  .o^j 
eines  alten  Mannes  oder  einer  alten  Frau  {der  Alte,  die  AUe;^  ,. 
so  heißt  die  aus  der  letzten  Garbe  gefertigte  Menschenge8talt]|^[~;;#>t) 
personifiziert  wird,  zuweilen  als  die  Todtc  oder  als  der  Tod  auf—^l^j. 
gefaßt  wurde.  So  heißt  zu  Schwarzwaldan  (Kr.  Troppan)  di^.£Je 
letzte  Garbe  geradezu  die  „Todte^'  mortua.  Jeder  Bauer 
gräbt  die  seiuige  auf  dem  Acker  in  den  Boden.  Nach  etw£ 
2  Wochen  gehen  sie  an  einem  verabredeten  Tage  aufs  Feld  an» 
sehen  nach,  ob  die  eingegrabenen  Garben  grün  ausgekeimt  sin 
Ist  dies  der  Fall,  so  ist  dies  ein  gutes  Zeichen  für  die  Ernte  d 
nächsten  Jahres.     Diejenige  „Todte/^  welche   <im  meisten  grttd^nin 

ausgewachsen  ist,   wird  wieder  ausgegraben  und  ein  Hahn  [d.     i. 

ein  Abbild  des  hahngestaltigen  Vegetationsdämons  ^]  in  sie  hi  ^iii 
eingebunden;  je  mehr  dieser  schreit,  desto  ergiebiger  und  fmdbi^Bit- 
barer  wird  das  nächste  Jahr  sein.  Es  wird  späterhin  aus  vi^^el- 
tachen  Beispielen  erhellen,  daß  man  die  Kinder  vor  den  ^  im 
Korne  hausenden  Vegetationsdämonen  zu  warnen  pflegt.  ET  Im 
Kreise  Hradisch   in  Mähren  warnt  mau  die  Kinder  ins  Korn  zu 

gehen,  denn  da  sitze  der  zahnlose  Tod  (bezzubi  Smrt)  mit  eiiiHZDner 
Sense  drin ,  oder  der  bezhlavy  mu§ ,  Mann  ohne  Kopf.  Im  Kref-  ^ise 
Gomör  in  Oberungam  heißt  es  der  Tod  (Smrt)  sitze  im  Koo^  me 
und    fresse   die  Kinder;    auch  im  Komitat  Grau   sagt   man,  im 

wallenden  Kornfeld  reite  der  Tod  auf  einem  Pferde  und  bespri^E^itie 
die  vorwitzig  sich  hineinwagenden  Kinder  mit  Feuer.  Die  Sa^^Bcb- 
sen  in  Siebenbürgen  spielen   während  der  Wälschkomemte  ein 

Kinderspiel,    schämpelän   d!d,   d.  i.   schampelnder  Tod  genai^^mit 
Einer  der  Mitspielenden,   der  Tod,   ivird  ganz  mit  Maisblät^^^em 
bedeckt,    die  Andern   stellen   sich    im  Kreise   herum   und  ml    m'en: 
„schämpelän   did   stand  äf,  es   bot  int  (eins)  geschlfm",   er  ^^ant- 
wortet: ach  lot  mich  noch  et  w^'nig  schlöfen.     Anrede  und  ^^^t- 
wort  wiederholen   sieh  je  um  eine  Stunde   vorrückend,   bis        e« 
heißt:  „es  bot  zwiilf  geschlön!"     Da  springt  der  Verhüllte       «of 
und  wen  er  erhaschen  kann,  muß  an  seine  Stelle  treten.*    Ti^W 

1)  S.  Mannhardt,  Konidämonen  S.  13  ff. 

'2)  G.  Sclmller,  Vulkst.  GlauLeo  ii.  Brauch  I,  Kronstadt  18G3,  S.  11.  MöiII<?'. 
Siebenbirg.  Sag.  3«^».  Haltricli,  Archiv  f.  Siebenbirg.  Landeskunde  N.  P.  III.  ^^^ 


Hinustragnng  n.  Begiftbniß  des  Vegetationsdämons,  Erläuterungen.    421 

es  hiernach  kaum  zweifelhaft,   daB  der  Yegetationsdämon  in  der 
&ifc  der  Fruehtreife,   der  Ernte  nicht  selten  als  alter  abgelebter 
ßfeis,  als  Todter  oder  der  Tod  aufgefaßt  wurde,   so  mag  die 
^oarflstung    der  Lätarepuppe  mit   Sichel   oder  Sense    nunmehr 
^'elleicht  mit  besserem  Rechte  darauf  bezogen  werden,   daß  die- 
selbe grade  so  aussah  und  eben  dasselbe  bedeuten  sollte,   als 
^  aus  der  letzten  Garbe  bei  der  Ernte  gefertigte  Figur.    Auch 
^Bese    erhält  zuweilen   eine    Sichel   in   die  Hand.     Ein  weiteres 
Beweisstück  für  unsere  Auffassung  liefert  die  Köpfung  und  Bestat- 
^JUig^oder  Verbrennung  des  Fastnachtsbären  (o.  S.  410),  da  die- 
^r  unzweifelhaft  mit  dem  Erbsenbär,   Roggenbär,  einer  therio- 
iQorphischen  Form  des  Yegetationsdämons  identisch  ist.    Endlich 
stiinmt    auch  der  Zug,    daß    die  am  Todtensonntag  verfertigte 
Poppe,  ist  sie  männlich,  von  Weibern,  ist  sie  weiblich,  von  Män- 
iiem  getragen  und  ins  Wasser  geworfen  werden  muß  (o.  S.  412) 
zo   einem  Wesen   der  Fruchtbarkeit.     Daß  das  Ertränken  oder 
Vexipraben  der  Fastnacht   nur  eine   verhältnißmäßig  junge  Um- 
deatang  des  nämlichen  Frühlingsbrauches  sei,   lehrt  die  einfache 
Vergleichang.     Ene  Personification  des  Festes  ist  an  die  Stelle 
des    namenlosen  Wesens   getreten,    das   im   Lätaregebrauch   als 
Tod    bezeichnet  wird.     Daß  hier  die  Puppe,   resp.  ein  lebender 
Mensch   wie   zuweilen  der  geköpfte  Pfingstbutz  (o.  S.  321)  unter 
M^ist  und  Stroh  begraben   wird  (o.  S.  411),   würde  ganz  unver- 
ständlich  sein,   wenn   es  sich   wirklich  um   eine  Bestattung  des 
dahingeschiedenen  Festes  handelte,  da  doch  wahrlich  kein  Grund 
dazu  da  war,   demselben  hinterher  einen  Fußtritt  zu  geben,  ihm 
Verachtung   zu  bezeugen.     Ganz   anders    stellt  sich   die    Sache, 
wenn   von  dem  winterlichen  oder  verstorbenen  und  zum  Wieder- 
aufleben in  den  Schoß  der  Erde  zu  senkenden  Vegetationsdämon 
die  Rede  war,  da  der  Dünger  die  Triebkraft  der  Pflanzen  erhöht. 


Kapitel  V. 

Vegetationsgeister :   Maibrautschaft. 

§  1.    Das  MalkOnlgspaar.    Unsere  bisherigen  Untersuchi^^^"^' 
gen  zeigten  uns  den  Dämon  der  Vegetation  bald  in  männliche  -^  ' 
bald  in  weiblicher  Gestalt  verkörpert.    An  einem  und  demselb^-^-^^ 
Orte  wurden  zuweilen  beide,  die   eine  von  den  Mädchen,  d»-^-*^^' 
andere    von    den   Burschen   zu  gleicher   Zeit   dargestellt,    ab^^CTÄ^^ 
getrennt  umhergettlhrt.    Ein  noch  unerwähntes  Beispiel  aas  Os'-^^^" 
Kent    gewährt    der   Fastnachtsbrauch,    daß    die   Mädchen    vc^"^^^ 
18  —  5  Jahren    ein    den   Burschen   gestohlenes   Mannsbild,  d^-^^den 
HoUf/'boy,  Stechpalmeuknaben ,  die  jungen  Leute  eine  den  MäJ^-^d- 
chen    entwendete   Frauenfigur    Jvy-girl,   Epheumädchen ,   untÄ^-Äiitei 
lautem  Geschrei  umherftihrten  und  verbrannten  (über  das  V^^N/er 
brennen  s.  o.  S.  177  flf.,  419).^    Doch  lernten  wir  bereits  einif  M=3igc 
Darstellungen  kennen,    in   denen  Maikönig  und  Maikönigin  s         ab 
ein  Ehepaar  verbunden  auftreten.     So  beim  Königsspiel  in  Bt^  ^Böh- 
men (vgl.  0.  S.  355).     In  Wfeskow  bei  Königsgrätz  z.  B.  gefaczC^hen 
König  und  Königin   in  ihrem  besten  Sonntagsstaat  unter  ein».^=HDem 
Baldachin,  die  Königin  hat  einen  Kranz  auf  dem   Kopfe;    c^       das 
jtlngste  Mädchen  trägt  ihr  zwei  Kränze  auf  einem  Teller  na.^^ach. 
Das  nächste  Gefolge  besteht  aus  Burschen  und  Mädchen,  wel^-ÄTJche 
wie  Braiitführf^r  und  Brautjungfern  gekleidet   sind.     Von  HsI^Baiw 
zu  Haus  werden  Gaben  eingesammelt  und  die  Kinder  mitgenc^ -kom- 
men.    Dann  folgt  das   Gericht  über  die  Dorfgenossen   und  die 
Verurteilung  des  Königes   zur  Enthauptung.     Doch  stellt  der          a& 
Ausnifer  und  Henker  fungierende  Bursche  in  Aussicht,   daß          die 
Königin  ihren  Gemahl  loskaufen  könne  und  nennt  eine  fabelh      -afle 
Summe.     Sie  zögert ;   nachdem   aber  der   blanke  Säbel   drei-  ^ma/ 


1)  Gentleman 's  Magazine  1779.    Brand,  pop.  antiquities  I,  68. 


,  ' 


Dm  Ifaikönigspaar.  423 

'^^  den  Nacken  des  Königs  geschwungen  ist,  legt  sie  ein  anstän- 
^^&s  Lösegeld  (oft  bis  neun  Zwanziger)  auf  den  Teller,  ninunt 
^iu^n  Kranz  vom  Kopf  und  setzt  ihn  unter  allgemeinem  Jubel 
^ber  seine  Erhaltung  und  unter  Lobpreisungen  ihrer  Güte  dem 
I^osgekanften  auf.     Doch  wird  ihm  dieser  Kranz  wieder  abge- 
nommen und  beiden  werden  die  Blumenkrouen  aufgesetzt ,  welche 
^^^«  junge  Mädchen  nachtrug.^    Hiemit  vergleiche  man  den  Brauch 
^  der  Gemeinde  Wehden ,  Kr.  Lübbeke  (Osnabrück).    Hier  wurde 
^ti  Pfingsten  das  schönste  und  beliebteste  Mädchen  von  12  — 14 
^^ren     erkoren,     ergriffen    und    festlich    geschmückt;    ebenso 
bemächtigte    man   sich  des  beliebtesten  Knaben  aus  demselben 
I^bensalfter,  zierte  sein  Haupt  mit  einer  hohen  aus  buuten  Bän- 
dern und  Goldpapier  gefertigten  Krone  und  itihrte  beide  jubelnd 
Ün  Dorf  umher.    Dieser  Umzug  hieß  Gummanie  (d.  i.  Cumpanie, 
CSompagnie).'     Auch    in  Frankreich    er>vählt  man  z.  B.  in  der 
Qegend  von  Grenoble  am  1.  Mai  einen  König  und  eine  Königin 
(toi    et    reine)   und   setzt  sie   wie   sonst  die  Königin   allein  (o. 
S.  346  ff.)  auf  einem  Trone  den  Blicken  der  Vorübergehenden 
Uta.'     in  den  englischen  Frühlingsgebräucheu  begegnet  uns  gleich- 
falls dieses  Ehepaar  in  mehrfachen  Formen  wieder.    Dahin  gehört 
miKweifelhaft  schon  das  Verbot  der  Synode  zu  Worcester  a.  d.  J. 
J.  240  y  can.  38 :  Ne  intersint  ludis  inhonestis  nee  sustineant  ludos 
fieri  de  rege  et  regina,  nee  arietes  levari  nee  palestras  publicas.^ 
Aim  Rechnungen  der  Kirchenvorsteher  zu  Kingston  upon  Thames 
^v^cm  Jahre  1504  geht  freilieh  her\'or,   daß  man  das  Kilnigsspiel 
cinmalfl   auch  um   die   Mitsommerzeit  zum  besten  der   Kirchen- 
Ic^asse  aufführte,^  aber  das  war  wol  nur  eine  locale  Verschiebung 
des  Zeitpunktes  der  Aufführung.     In  den  Maispielen  stellte  man 
Csaec.  XVI.)   dem  Robin    Hood    als    seine    Geliebte    eine   Maid 
Marian   zur  Seite,  bräutlich  gekleidet  oder  königlich  geschmückt 
und  eine  rote  Nelke ,  die  Frühlingsbotin   in  der  Hand,     Wie   er 


1)  Reinsberg-Mringsfeld,  Böhmischer  Festkalender  S.  265  —  67. 

2)  Müller,  Zs.  f.  Kulturgesch.  1872  I,  S.  452. 

3^  Champollion-Figeac  beiMonnier,  Traditions  populaires  comp.  p.  304. 

4)  Brand,  i>op.  antiqu.  ed.  Ellis  I,  260. 

5)  „Mem.  That  the  27  day  of  Joun  a°  21  kynk  H.  7,  that  we  Adam 
BikbouB  and  Harry  Nycol,  hath  mado  account  for   the   kenggam,  that 
**nie  tym  don  Wylm  kempe,  kenge   and  Joan  Whytebrede,  quen,  and  all 
wrtB  deducted  ...  iJ  4  ah.  5  d.  o.'*    Brand ,  pop.  ant.  1 ,  260. 


424  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrautechaft 

King  of  May^  wurde  sie  queen  of  May  genannt  Daran 
geht  mindestens  so  viel  hervor,  daß  in  den  Maygames  ein  kin 
of  may  neben  einer  queen  of  may  aufgetreten  war,  den  man  m 
dem  Robin  Hood  und  seiner  Geliebten  identifizierte.  Die  Maj 
queen  allein  haben  wir  schon  oben  S.  346  flf.  kennen  gelernt 

§  2.  Maiherr  und  MailVau.  Anderswo  nannte  man  ds 
Paar  Lord  and  Lady  of  the  fnay.  Vom  30.  Mai  1557  wird  ein€ 
Maigame  in  Fenchurchstreet  Erwähnung  getan  mit  einem  Am 
ritt  der  neun  Helden  („with  the  nine  worthies,  who  rode")  einei 
Morristanz  und  Lord  and  Lady  of  the  May  appearing  to  mak 
up  the  show.*  In  einem  Artikel  der  Literary  -  Gazette  (Ma; 
1847)  gab  Mr.  L.  Jewitt  als  Augenzeuge  eine  liebliche  Schildenini 
der  Sitte,  wie  sie  damals  noch  zu  Headington,  zwei  Meilen  va 
Oxford,  geübt  wurde.  Zwei  kleine  Mädchen  im  Sonntagsstaa 
ganz  in  Weiß  gekleidet,  mit  langer  Schärpe  und  bunt  bebänder 
eine  geschmackvoll  mit  Blumen  verzierte  Kopfbedeckung  ai 
dem  Haupt,  tragen  auf  einer  langen  Stange  eine  große,  ac 
Tonnenreifen  verfertigte,  mit  Immergrün  und  Blumen  Uberzoger 
Krone,  deren  Spitze  wieder  von  einer  kleineren  Krone  odt 
einem  prächtigen  Blumenstrauß  überragt  wird.  Solch  eine  Krön 
heißt  garland  (Guirlande).  Zwei  andere  Kinder  folgen,  e; 
Knabe  und  ein  Mädchen,  der  Lord  und  die  Lady,  miteinand» 
durch  ein  weißes  Taschentuch  verbunden,  von  dem  jedes  ein* 
Zipfel  hält.  Sic  sind  so  freundlich  als  möglich  mit  Bänden 
Schärpen,  Bosctten  und  Blumen  herausgeputzt,  und  die  La» 
trägt  eine  möglichst  große  Geldtasche.  Von  Haus  zu  Ebb 
gehend  singen  sie  nach  einer  sehr  einfachen  Melodie: 

Gcntlcinen  and  Ladies, 
We  wish  you  happy  may! 
We  coino  to  show  you  a  garland 
Bccause  it  is  May-day. 

Eine  der  Trägerinnen  der  Krone  fragt:  Please  to  haudsel  itf 
Lords  and  Ladys  purseV  Gicbt  einer  eine  Münze,  so  zieht  ^ 
Lord  den  Hut,  ergreift  mit  der  Rechten  eine  Hand  der  La^ 
umschlingt   mit   dem   linken  Arm    ihre   Hüfte   und 


1)  Dalryniple  a.  1576  bei  Brand  I,  261. 

2)  Strype    eccles.    Mem.    Vol.  Ill ,    cap.  41»   p.  377.      Strutt   a.  a  ^ 
353,  XVI. 


Maiherr  und  Maifraa.  425 

Bie,  die  Münze  wandert  in  die  Geldtasche ,   und  die  Prozession 
zieht  weiter,  nm  vor  dem  nächsten  Hause  die  nämliche  Ceremo- 
m'e  zu  wiederholen.    Im  Dorfc  gab  es  ein  Dutzend  solcher  Guir- 
baden  mit  ihren  Lords  und  Ladies ,  die  dem  Orte  ein  lustiges  und 
belebtes  Ansehen  verliehen.^     Aus  dem  Berichte  eines  Augen- 
zeugen über  das  Maifest   der   Londoner  Kaminfeger   im  Jahre 
1B25  entnehmen  wir,  daß  damals  nach  alter  Sitte  dem  in  der 
I-«a]ibp7ramide    daherschreitenden   Jack    in  the   green  ein  Lord 
^^nd  eine  Lady  vortanzten.    Der  Lord,  sagt  der  Berichterstatter, 
^^Bv^ar  jedesmal  der  größte  Mann  in  der  GesellschafL    Er  trug  eine 
Kleidung,  weiche  zwischen  einer  Hofuniform  und  Gallalivree  die 
^tte  hielt,  auf  der  Brust  einen   ungeheuren  Blumenstrauß,  in 
4er  rechten  Hand    einen  großen  Stock  mit  blinkendem  Metali- 
knopf, in  der  Linken   ein  weißes  Taschentuch,  an  einem  Zipfel 
^&ßt     Die   Lady   wurde    mitunter  von    einer   drallen   Dirne, 
gewöhnlich  von  einem  Burschen  in  Weiberkleidung  gespielt;  ihr 
-Anzug  entsprach  dem  des  Lord,   sie  hielt  in  einer  Hand  einen 
bpfemen  Kochlöffel ,  in  der  andern  gleich  dem  Lord  ein  Taschen- 
tuch.    So   otlt  der  Zug  stille  stand,   ent>vickelten  beide  alle  ihre 
Anmut  in  einem  Mennet   de  la  cour  oder  einem  anderen  gehal- 
tenen Tanze,   bald  aber  ging  derselbe  in  einen  lebhatteren  und 
komischeren  über,  wobei  sie  sich  drehend  und  wendend  einander 
zuwinkten  und  lockten ,  indeß  Jack  in  the  Green  sich  fortwährend 
^wischen    ihnen    im  Tanze  umdrehte  und  die  übrigen  berußten 
Mitglieder    der  Compagnie    mit   Kellen    und   Besen   klapperten, 
^ach   beendigtem  Tanz  verbeugten  sich  Lord  und  Lady  gegen- 
einander.    Der  Lord  zog  seinen  Hut  und  wendete  sich  mit  ein- 
•irtnglichen  Blicken  und  höflichen  Bücklingen  zu  den  Zuschauem 
^>i  den  Fenstern  und  auf  der  Straße.    Zu  gleicher  Zeit  streckte 
^ie  Lady  ihren   Löffel  aus  und  die   andern  hielten  ihre  Kellen 
^in,  uro  auch  die  kleinsten  Gaben  dankend  zu  empfangen.*    Es 
*^t  interessant  zu  beobachten,   wie   19  Jahre  später  laut  einem 
'A.xtikel  der  Times  v.  2.  Mai  1844  der  moderne  Geschmack  diese 
l-«ii8tbarkeit  der  Kaminfeger  fast  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt 
*^atte.     An  Stelle  des  Lord  und  der  Lady  wurden  eine  Ballet- 


1)  S.  Brand  a.  a.  0.  1 ,  233  —  34. 

2)  Hone,   Every  day  book  1,292  ff.     Vpl.  Reinsberg-Dttringsfeld,  das 
festUche  Jahr.    S.  134. 


426  Kapitel  V.    Vegetatiousgeister:  MaibraatsehafL 

tänzerin ,  Marmsell  Molliowski  genannt ,  und  ihr  Impressario  Jem 
Grow  Yorgeftlhrt,  statt  der  Menuet  ein  Polka  getanzt^  Ein 
Berichterstatter  aus  Hitchin  (Herefordshire)  besehreibt  in  einem 
vom  1.  May  1823  datierten  Briefe  an  Mr.  Hone  eine  Gmppe  yon 
Mayers ;  welche  an  diesem  Tage,  nachdem  sie  den  Mädchen  und 
Dienstboten  Maibüsche  die  Türe  geheftet,  frohlockend  dorch  die 
Stadt  zogen.  Zuerst  kamen  die  toUe  Moll  und  ihr  Mann  (Mad 
Moll  and  her  husband),  d.  h.  2  Männer  mit  geselitoärzien  Gesid^ 
tem;  der  eine  von  diesen  hatte  einen  künstlichen  Buckel  und 
trug  einen  Birkenbesen  in  der  Hand;  der  andere,  ganz  in  zer- 
lumpte Frauenkleidung  gehtUIt,  eine  Strohmütze  und  einen  Koch- 
löffel. Hinter  diesem  Paare  kam  ein  zweites  Paar,  ,,der  Lord 
und  die  Lady.'^  Der  Lord  war  phantastisch  mit  bunten  seide- 
nen Taschentüchern  und  Bändern  herausgeputzt  und  trug  ein 
Schwert;  die  Lady,  ein  als  feine  Dame  in  weißen  Mosaelin 
gekleideter,  über  und  über  mit  buntem  Bandwerk  bedeckter 
Bursche.  Ein  Gefolge  von  6  —  7  anderen  ähnlich  ausgeschmttdL- 
ten  Paaren  schloß  sich  an,  nur  iUhrten  die  Männer  keine  Schwer- 
ter. Derartiger  Compagnien  durchziehen  mehrere  wetteifernd 
die  Straßen.  Hat  eine  derselben  vor  einem  Hause  eine  reich- 
liche Gabe  erhalten,  so  giebt  es  davor  Musik  und  Tanz,  wobei 
das  Publicum  sich  vorzüglich  an  den  possierlichen  Geberden  und 
Mienen  von  Mad  Molls  Mann  zu  ergötzen  pflegt.*  Aus  Cheps- 
towcastle  an  der  Mündung  der  Wye  in  den  Bristolcanal  (Mon- 
raouth)  empfing  Hone  die  folgende  Beschreibung  des  Maifestes: 
Die  Milchmägde  hielten  einen  Umzug,  wobei  sie  im  Reigen 
singend  einen  alten  Mann  umtanzten,  dessen  graue  spärliche 
Haare  ein  Kranz  von  Feldblumen  schmückte;  in  seinei 
rechten  Hand  trug  er  einen  blühenden  Weißdorn  (hawthora) 
in  der  Linken  einen  mit  Primeln  (Schlüsselblumen)  und  blanen 
Glockenblumen  umwundenen  Stab.  Ueber  der  Schulter  hing  ihm 
ein  Kuhhom,  auf  dem  er  vor  jedem  Hause  blies.  Der  Beigen 
bestand  aus  30 — 40  jungen  Burschen  und  Mädchen,  welche 
Arme,  Kopf  und  Hals  mit  Büscheln  von  Maiglöckchen  und  wil- 
den Rosen  geziert  hatten.  Dahinter  kam  eine  Dame  mit  apfel- 
roten Wangen,  mit  einer  Brille  und  mit  niedrigem,  breitkrämpigem 


1)  Brand  ed.  Ellis  I,  231  —  32. 

2)  Hone  a.  a.  O.1 ,  283. 


Haiherr  and  Maifran.  427 

Hot,  kurzem  Bock,  wollener  Schärpe ,  blaaen  Strümpfen,  hohen 
Sdrahen.     In  der  einen  Hand  trug  sie  einen  blankgescheaerten 
Kipferkessel  roll  Sahne ,  in  der  andern  einen  Korb  mit  Wald- 
erdbeeren nnd  jedem  y  der  mit  einer  Tasse  oder  Schale  zu  ihr 
kiffl,  gab  sie  aaf  eine  artige  Weise  von  ihrer  Sahne  nnd  Frtlch- 
ten.    Sie  war  Tante  Cornelia  (aunt  Nelly),  nnd  ihr  ,,Zweig- 
triger^  (bongbearer) ,  Onkd  Ämbrosius  (Uncle  Ambrose)  geheißen. 
Deo  SchlaA  des  Zages  bildeten  sechs  mit  Blnmen  verzierte  Ziegen, 
wekhe  Gerätschaften    znm   Melken    nnd    Bntterroachen   tragen, 
sowie  der  Hilchpächter  mit  einem   Stiere,   der  gleichfalls  mit 
Produkten  von  Feld  nnd  Wiese  heransgepatzt  war.^    Mit  dieser 
oigiisehen  Sitte    stimmt  eine  deutsche  aus  Schoraa  bei  Zerbst 
nahe  flberein.     Hier  wird  das  Pfingstgelage  durch  Aufrichtung 
ooes  Maibaums  gefeiert,   nachher    ist  Musik  und  Tanz,  wobei 
aDjIhrlich   neue  Platzmeister  gewählt  werden;    die  vorjährigen 
wilden  .flir    sich  allein.     Vor   dem   Tanz   erscheint   gewöhnlich 
ein  Paar  aus  der  a7/et»  Zeit,  ein  alter  Mann  und  eine  alte  Frau 
(iQweilen  zwei  i^aare),  die  meistens  Larven  vor  dem  Gesichte 
ludien;  die  Alte  wird  dabei  immer  durch  einen  Mann  dargestellt^ 
Nicht  minder   aber    gehört  hierher  eine  IMroler  Faschingssitte. 
Am  Fastnachtsdienstag  gehen  zwei  Bursche  um ,  von  denen  der 
eine  ein  zerlumptes  altes  Weih  darstellt     Der  andere  trägt  einen 
^fohhockerj  der  durch   ein   darüber  geworfenes  Hemd  verhüllt 
^j  und  hat  eine  hohe  Mütze  auf  dem  Kopfe.    Dieser  heißt  der 
-4/fe  (Wetscho),  jene  die  Alte  (Wetscha).     Die  Alte  hat  einen 
Becher  und  eine  Schweinsblase,  der  Alte  trägt  eine  Stange 
fTgL  0.  S.  365).    Beide  sind  voll  Ruß  und  suchen  andere,  beson- 
^«rs  Mädchen  zu  berußen.     Sie  gehen  vor  die  Häuser,  kehren 
dort,   säeti  Sägemehl    für  Rüben    und    schreien    dabei.      Daftir 
^kommen  sie  in  jedem  Hause  Eier,  aus  deren  Erlöse  sie  eine 
Messe  lesen  lassen.^     Nach  Gabr.  Ruesch   wird  in  der  Schweiz 
«Ä  Hirtenlande  das  Blockfest  (s.  o.  S.  174.  237  flf.,  vgl.  30«)  am 
Donatustage  (17.  Februar)  der  Art  gefeiert,  daß  ein  mit  Tannen- 
wisern,   Waldblumen    und    hänfenen    Guirlanden    geschmückter 


1)  Hone   a.  a.  0.   II,   781  —  82.      Vgl.    Reinsberg  -  Dnringsfeld ,  festl. 
Jahr  132. 

2)  Kühn,  Nordd.  Sag.  386,  70. 

3)  Zingerle  Sitten,  Autl.  2.  137,  1205. 


428  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:   Maibrantsohaft 

Baamstamm  im  Triumfe  durch  das  Dorf  gezogen  wird.  E\ 
Mann  und  ein  Weib  in  alter  Schweizertra4M  mit  Glocken  ( 
S.  326)  beftan^e/i  *  schreiten  der  Prozession  voraus.^  Der  al 
Onkel  Ambrosins  im  Schmucke  der  Frühlingsblumen  kann  kau 
etwas  anderes  bedeuten^  als  den  neuveijüngten  Alten  der  Veg 
tation  (s.  o.  S.  359),  den  der  Alte  in  Schorau  und  Tirol  mit  ihn 
Ehehälften  noch  unverjttngt  vorfllhren.  Und  die  nämliche  Vo 
Stellung  des  winterlichen  Vegetationsgeistes  als  des  wieder  soi 
merlich  gewordenen  durch  zwei  Paare  ausgedrückt  wird  mi 
vielleicht  in  der  tollen  Moll  und  ihrem  berußten  buckligen  te 
lumpten  Gatten  neben  der  schmucken  Lady  mit  ihrem  Lei 
annehmen  dürfen,  falls  nicht  hier  euie  einfache  Verdoppelu 
vorliegt  wie  in  dem  Mohrenkönig  neben  dem  Piingstl  (o.  S.  36£ 
wobei  dann  die  Lumpen,  Buckel  und  possierliche  Gebärden  ni 
in  Anknüpfung  an  das  rußige  Aussehen  aus  dem  Bedfirfiiia 
eines  komischen  Gegengewichtes  gegen  den  Ernst  des  Aufzog« 
hervorgegangen,  somit  lediglich  dem  Volkshnmor  entsproe» 
wären.  Es  dari*  aber  zur  Unterstützung  der  ersten  Annabn 
angetUhrt  werden,  daß  nach  Wilhelm  Müllers  lesenswerten  Nac 
Weisungen  in  vielen  deutschen  Volkssagen  von  mythischem  Gehal 
die  aus  Verbannung  in  ein  fernes  Land,  d.  h.  das  Todtenrei« 
oder  den  Winter  zurückkehrenden  (sommerlichen)  Helden 
schlechtem  zerlumptem  Aufzuge,  an  Körper  und  Kleidung  v€ 
wandelt,  jedenfalls  unkenntlich,  oder  von  Schmutz  starrend ,  a 
Bettler  oder  Pilger  heimkommen.*  Wie  die  geschwärzten  G^sic 
ter  einzelner  Mitglieder  der  Prozession,  sowie  des  Tiroler  Alte 
dem  rußigen  Jack  in  green,  dem  Mohrenkönig  des  Pfingatrit 
U.S.W,  entsprechen,  so  begegnet  der  von  der  Lady,  Mad  Mc 
oder  Tante  Nelly  gettihrte  Kochlöffel  resp.  Kessel  in  den  den 
sehen  Maiumgängen  in  der  Hand  des  Kochs  oder  Schmalzha 
wieder;  dieses  Instrument  stammt  aus  einer  Periode,  in  welch 
es  den  Umgängem  noch  wesentlich  darum  zu  tun  war,  die  Steaei 
in  Form  von  Naturalien  einzusammeln,  welche  gemeinsam  ve 
zehrt  wurden.  Ursprünglich  war  dieser  zum  gemeinsame 
Wirtshausvergnügen  herabgesunkene  Schmaus  ein  gemeinschai 
liches  Mahl  von  religiöser  Bedeutung ,  eine  Einigung  (Conmmnic 


1)  Vernaleken,  Alpcnsagcn  S.  353,  22. 

2)  Niedersächs.  Sagen,  S.  395 flf.    Vgl.  namentlich  S.  398.  405. 


Maipaare;  Hansl  und  Gretl.  429 

odet  nach  altgermanischem  Begriff  eine   CHlde  gewesen.     Die 

^faqiady  wird  übrigens  zaweilen  nicht  durch  eine  lebende  Per- 

Wxi;   sondern    durch    eine   Puppe  dargestellt.     So  besteht  bei 

^^iigsthorpe  in  Northamptonshire  die  oben  bei  Headington  beschrie- 

f^&Tit  Guirlande,  welche  am  Maimorgen  durch  die  Mädchen  auf 

^ix3er  etwa  5'  hohen  Stange  von  Haus  zu  Haus  getragen  wird, 

^c^8  zwei  über  einander  gekreuzten  Tonuenreifen ,  zwischen  deren 

^      Abteilungen  je  eine  große  hübsch  gekleidete  weibliche  Puppe 

^^^:^bracht  ist^    Wie  hier  die  MaifVau  allein,  finden  wir  in  bairi 

*^*5]ien   Bräuchen    das  Maipaar    nur   in    primitiverer  Weise    der 

'^^-^wfllhrüng  dargestellt 

§  3.   Matpaare;  Hansl  und  <lretl.    Hans  und  Gretel  sind 
estopfte    Figuren,    welche    an    den    entgegengesetzten 
nden  eines  umlaufenden  Rades  befestigt  sich  wie  zum 
anze   die   Hände   reichen.     Sie  werden  am  Pfingstmontag 
iter  allerlei  Sprüchen    von  Trüppchen   reitender  Bauerbursche 
^nungeführt ,  um  die  ,,SamtrUgI'^  genannte  CoUecte  von  Butter, 
,  Eiern  und  Geld  eiuzusanmieln ,  deren  Ertrag  dann  im 
irtshanse   verzehrt  wird.      So    produzierten  sie  sich  ehemals 
in  der  Stadt  München.     Uns  begegneten  Hansel  und  Gretel 
^n  Stroh  auf  dem  Schleifrade  bereits  oben  S.  352  in  dem  Gefolge 
es  Wasservogels.      Auch    auf    dem   Maibaum    sieht   man 
äufig   den   Hansl   mit   der   Gretl   auf  einem    Windrad- 
^  hen   tanzend   figurieren.     Zuweilen   saß  nur  die  eine  Puppe 
_^retl)   auf  dem  Rade;   sie   umr(k   hinterher    in    den  Brunnen 
^^rztf    die  männliche  Figur  hieß  dann   Wassermann,   wurde 
inter  dem  Schleifrade  hergetragen  und  schließlich  dem  Bauer, 
er  im  Jahre  etwas   verschuldet  hat,  auf  die  Haustenne  gewor- 
,  wozu  stinunt,  daß  in  Miesbach  derjenige  Arbeiter,   welcher 
en  letzten  Drischelschlag  beim  Komdreschen  gefllhrt  hat,   zum 
-^-^reschermahl  einen  großen   mit  der  bräutlichen  Pflanze  Ros- 
(o.  S.  281)  bekränzten  Kuchen   erhält,   auf  dem  Hans 
öd  Gretel,  zwei   buntgekleidete   Puppen,  stehen.     Mit- 
^nter    aber    wurden   Hansl   und  Gretl    auch  als  Haupti)ersonen 
^^8  Pfingstritts    durch    lebende    Menschen   gegeben   und   Hansl 
**^te  vor  jedem   Hause    einen    Spruch   her,    in    dem    es    u.  a. 
Weß,   sie    seien   aus   dem    rechten   Paradies,    wo   viel   Weizen, 


l^  Hone,  Every-da3   book  11,30«. 


4dO  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

Korn,  Haber  and  Gerste  wachse.^  Ganz  Uhniich  war  in  Zürich 
neben  anderen  Aufillhrangen  am  Hirsmontag  (dem  ersten 
in  der  Fasten),  an  welchem  abends  Feuer  angezündet  wurden^ 
der  Umzug  des  aus  Stroh  und  Federn  gefertigten  Chridigladf%S^ 
und  seines  Weibes  Else  auf  detn  Schleifrad;  auch  diese  beider^^^ 
Puppen  sollen  ins  Wasser  wnd  zwar  in  den  See  geivorfen  fi?e)r--^-c3 
den  sein.^  Wie  Hansl  und  Gretl  im  Maibranch  wird  beim  Emte^^^^j 
fest  ein  den  Dämon  des  Getreidewachstums  darstellender  Hahufj 
nicht  selten  auf  ein  in  Umdrehung  versetztes  Rad  gebunden.. 
Unverkennbar  liegt  in  diesem  Zuge  eine  Symbolik  des  rollender 
Jahres  (jares  umbihring  Myth.*  716),  das  bei  regelmäßiger  ü 
drehung  das  Maipaar  wieder  Hit  Stelle  bringt.  TS»  ist  bemerkend 
wert,  wie  auch  hier  der  Regenzauber  (vgl.  o.  S.  214  ff.,  327 
S.  355)  in  Form  der  Wassertauche  nicht  ferne  blieb.  Im  Dorft^sc 
Bubenö  bei  Prag  beging  man  früher  am  5.  Mai  (St  Godeharc^rs^ 
das  Kirchweihfest.  Die  Andächtigen  wallfahrteten  schon  in 
Frühe  zu  dem  Brunnen  Sw^tiöka  unterhalb  der  Höhe,  worar. 
die  St.  Godehardskirche  liegt  und  wuschen  sich  darin ,  nach  de: 
Hochamt  zogen  sie  mit  einer  schön  geschmückten  Maie  : 
den  Baumgarten,  um  dort  den  Rest  des  Tages  vergnüglich  znz* 
bringen.  An  der  Maie,  die  unweit  des  Brunnens  im  Boden  d 
Wiese  befestigt  wurde,  hhig  ein  mit  buntfarbigen  Bändern  um 
grüfien  2!weigen  verzierter  weißer  Stroksack,  auf  welchem 
ausgestopfte  Hguren ,  einen  jungen  Mann  und  ein  junges 
chen  vorstellend y  aufgenälit  waren.  Man  tanzte  und  spielte 
die  Maie.  Später  soll  diese  Lustbarkeit  auf  den  Dienstag  n 
Ostern  verlegt  sein  und  das  sogenannte  Strohsackfest  veranls  J 
haben.  In  Redeis  Sehenswürdigem,  Prag  1728,  S.  311  wird  J 
der  Tat  gesagt,  daß  am  dritten  Ostertag  viele  tausend  Mensctfl 
zu  Wagen,  Pferde  und  Fuß  nach  dem  Park  von  Bubenö  {AM 
heutigen  Baumgarten)  hinausgehen,  weil  sodann  die  Kirchme^ 
dieses  Dört'chens  und  Mayerhofls  ist.  Spuren  in  chronikaliscr 
Nachrichten  scheinen  zu  ergeben,   daß  ehedem,   schon  1501  w 


1)  Scbmeller,  Bair.  Wörterb.    2.  AuH.  I,  Sp.  43«.  1018.    Panzer  1, 
25iK  11,81,  12^1.222,  415. 

2)  Vernalokcii,    Alpeiinagen,   S.  3r)<>,  25.      Rnn^e,   Quellkultus   in 
Schweiz ,  S.  27.    Aniii.  0. 

3)  (-f.  ManTih«ardt,  Konulänionen  S.  IK. 


Maibraüt,  PfiDgstbraut.  4SI 

^Häi  1634  y  der  Baumgarten  am  Ostennontag  das  Loeal  eines 

Volksfestes  war,  an  dem  verschiedene  Gewerke  teilnamen.    Bei 

^<^ii8chengedenken  waren  die  Prager  Schneider  die  Hanptacteurs 

de«  Festes  am  Osterdienstag.    Die  jungen  Schneidermeister  zer- 

^olmitten  einen  Strohsack  von  weißer  Leinwand,    die  Gesellen 

i&<^  Lehrbnrschen  nähten  ihn  sauber,  verzierten  ihn  mit  Band- 

^oUeifen  roter,  grüner,  blauer  und  gelber  Farbe,  brachten  die 

'en  des  Jünglings  und  des  Mädchens  darauf  an  und  hingen 

am  Haibaume  auf,  dessen  Krone  mit  den  ersten  Frühlings- 

l>l.imien,  in  Elrmangelung  dessen  mit  einem  Strauß  von  Zweigen 

bereits  ansgeschlagener  Bäume,  so  wie  mit  Bändern  geschmückt 

ar.    Unter  großem  Zudrange  von  Menschen  zog  man  mit  der 

ie  nach  dem  vorhin  beschriebenen  Platze  in  der  Nähe  des 

C^nells  Swöti^ka  (des  heiligen  Quells?)  und  tanzte  um  sie  herum 

der  Wiese,  unter  den  Bäumen,  aß,  trank,  würielte,  spielte 

zum  späten  Abend.     Vor  den  Wirtshäusern,  an  den  Ueber- 

,  auf  Buden,  Barken  u.  s.  w.  fast  überall  sah  man  an  die- 

Tage  eine  Wiederholung  des  Strohsacks  mit  seinen  Figuren 

Bäumen,  Stangen,  Erkern  u.  s.  w.  prangen.^    Man  sieht,  wie 

ehrsame  Schneidei^ewerk  sich  einen  allgemeineren  Brauch 

.«irecht  gemacht  hat,  um  ftlr  seine  Gilde  sich  den  Segen  dessel- 

besonders  anzueignen. 

§  4.    Haibraut,  Pfingstbraut.     Das   paarweise   Auftreten 
.er  Wachstumsgeister   hätte   keinen   Sinn,    wenn   es   nicht  die 
.Annahme  verkörpern  sollte,    daß   die  jugendliche  Geburtenflille 
des  Frühlings  gleich  menschlichem  Kindersegen  der  Verbindung 
ZTweier  Geschlechter  entsprieße.     Lebhafter  als  durch  die  bloße 
^Nebeneinanderstellung  eines  Mannes  und  einer  Frau  spricht  sich 
dieser  Gedanke  in   der  Annahme  oder  Darstellung  eines  Liebes- 
1>imdes  oder  bräutlichen  Verhältnisses,   oder  einer  Vermählungs- 
feier der  Beiden  aus.     So  verldeiden   sich  in  Volkstädt,  Thon- 
dorf  und  manchen  anderen  sächsischen  Dörtern  am  zweiten  Pfingst- 
.  ieiertage  ein  Bursch  und  ein  Mädchen  und  verstecken  sich  außer- 

I  JuiSh  des  Darfes  im  Gebüsche  oder  hohen  Grase.  Dann  zieht  das 
B  ^anze  Dorf  mit  Musikanten  aus,  „das  Bräutpaar  zu  suchen.^* 
\        Wenn  es  gefunden  ist,  wird  es  von  der  Gemeinde  umringt,   die 

I  1)  Krolmus,  Starodeske  proycsti,  Prag  1^5  —  51.  II,  89 --93.    Relns- 

I         W-Döringafeld,  Festkalender  a.  Böhmen  174.  225. 


432  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

Musikanten  spielen  auf,  und  so  erfolgt  der  jubelnde  Einzug  ins 
Dorf,  wo   abends  ein  Tanz  stattfindet.    Nur  zuweilen  heifit  das 
Brautpaar  Prinz  und  Prinzessin.^    In  einigen  Holsteinischen  Dör- 
fern  feierte    man    noch   1802  ein  Volksfest  MaigrOn  (Maigrttn) 
geheißen,  wobei  ein  Paiir  unverehelichte  Leute  in  bestem  Hoch- 
zeitsschmucke Braut  und  Bräutigam  vorstellten.      Man  nannte 
den  Bräutigam  Maigrewe  (Maigraf).     Mit  Laub  und  Maigrttn 
bekränzt  begleitete  man  Beide  unter  Musik  in  ein  Wirts-  oder 
anderes  Haus,  wo  gezecht  und  getanzt  wurde. ^    Zwischen  Ripen 
und  Tondem  ist  es  noch  jetzt  gebräuchlich,  daß  am  Nachmittage 
des   ersten  oder  zweiten  Pfingsttages  die  Kinder  zusammenkom- 
men und  aus  ihrer  Mitte   ein  Brautpaar  wählen.    Die  Pfingst- 
braut  (Pindsebrud)  wird  mit  Bändern  und  Blumen  und  was  man 
sonst  herbeischaffen  kann,   ausgeschmückt,   ebenso  die  Braut- 
ftthrerin.    Hintenan  geht  einer  mit  dem  Korbe,  um  Gaben  ein- 
zusammeln.    Ist  genug  eingekommen,    so  geht  man  nach  dem 
sogenannten  Hochzeithause,  wo  es  Speckpfannekuchen,  Kaffee, 
Kuchen  und  Met  giebt  und  dann  lustig  getanzt  wird.'    Aehnlicb 
war  es  in  Schweden.     Im  südlichen  Halland  ftlhrten  noch  vor 
wenigen  Jahren  Jünglinge  und  Jungfrauen,  wie  heutzutage  noch 
die  Kinder,    zu  Pfingsten  einen  vollständigen  Hochzeitszug  auf 
mit  Brautführern  (Brudriddare),  Spielmann  u.  s.  w.     Eine  Jung- 
frau, Pßngstbraut  genannt,   als  Braut  mit  der  kostbaren  Braut'- 
kröne  geschmückt,  nahm  die  Gaben  in  Empfang,  welche  auf  den 
Herrenhöfen  und  in   den  Döriem  gegeben  wurden,  die  der  Zog 
besuchte,    und    davon    Richtete  man  ein  Festmahl   (Gille)  aus.^ 
in  Oestergötland  hieß  die  Pingstbrud  Blumenbraut,  Blofnsterhrud 
Mau  hatte  aber  den  Aberglauben,  wer  die  Blomsterbrud  gespi^^ 
habe,  werde  nie  eine  wirkliche  Brautkrone  tragen.^    Etwa 
die  erstere  Begehung  einst  tllr  zu  heilig  galt,  um  durch  menscj^Tl 
liehe  Wiederholung  profaniert  werden  zu  dtlri'en,  oder  weil 


1)  E.  Sommer,  Sagen  aus  Sachsen  und  Thüringen,  S.  151  —  52. 

2)  Schütze .  Schleswigholst.   Idiotikon  III.  Hamburg  1802  S.  72. 
Pabst,  die  Feste  des  Maigrafen.    S.  37.  §  41. 

3)  Grundtvig,  Gamle  Danske  Minder  i  Folkemundc,  III,  1G9.    Of.  J~ 
bücher  f.  Schleswigholst.  Landeskunde.    Bd.  IV.    Kiel  1861.    S.  181. 

4)  P.  Möller,  Ordbog  öfver  Hallandska  landskapsmälet     Lund.  IST: 
V.  Pingstbrud. 

5)  Törner,  Lect4)r  in  Linkjöping  (t  \i\)0)  has.     Sämling  af  Vidske 


Maibrant,  Pfingstbrant.  403 

Pfingstbraut  einem  unsichtbaren  Wesen  wirklich  angetraut  galt? 
In  diesem  Falle  würde  man  vermuten  müssen ,  daß  dem  Umzüge 
ein    sichtbarer   Bräutigam    fehlte.     Im  Erzherzogtum    Oestreieh 
aber    fand    dieser  Brauch   bereits   am   Faschingssonntage  statt. 
Junge  Barsche,  meist  ohne  Larven,  aber  abenteuerlich  gekleidet, 
stellten  eine  ganze  Hochzeit  vor.  Braut  uml  Bräutigam,  Braut- 
fSkrer  und  Kranjsßingfer,    den  Procurator,    der  bei  Hochzeiten 
aUes  der  Sitte  und  dem  Herkommen  gemäß  anzuordnen  hat,  die 
Gftste,  Musikanten  u.  s.  w.,  nachdem  sie  schon  vorher  das  Haus- 
geräte der  Braut,  aus  lauter  schlechtem  Gerumpel  bestehend,  in 
das  Haus  des  Bräutigams  gebracht  und  die  Braut  feierlich  abge- 
holt hatten.^    In  Zürich  hielten  die  Metzger  ehedem  jährlich  am 
Aisehermittwoch  einen  Umzug,   angeblich  zum  Andenken  an  die 
Moidnacht  von  1330,  in  der  sie  sich  durch  Tapferkeit  ausge- 
zeichnet hatten.    Dabei  wurde  ein  in  eine  Bärenhaut  einge- 
kleideter Mensch  an  einer  Kette  umhergeführt  und  die 
vordere  Hälfte  eines  künstlichen  Löwen  mit  klingendem  Spiele 
dahergetragen.     Statt  des  Löwen  hat  man  ehedem  unzweifelhaft 
cmmal  einen  Wolf  gehabt,  da  die  Figur  noch  immer  Isegrim 
oder  Eisen^rind  hieß.    Zu  beiden  Seiten  des  Eisengrind  gingen 
^ei  Knechte  mit  großen  Schlachtbeilen.    Geharnischte  mit  Spießen 
^e  Stadtfahne  (resp.  Zunftfahnc)  umgebend  begannen  und  schlös- 
sen den  Zug.    Die  Hauptfiguren  aber  waren  im  16.  Jahrhundert 
^h  Bullinger  (Chronic.  Tigur  1.  ö.   cap.  2)  eine  Braut  und  ein 
Bräutigam:  „Sie  tragen  wohl  der  Stadt  Fähnli   um  den  Leueu- 
^opf  zwischen  den  Schlachtbiclen  herum ,  nennend  aber  den  stri- 
teuden  Leuen  den  Isengrind,  und  muß  denselben  tragen,  der  des 
i^-lres  im  viehkauf  den  hosten  kauf  gethan  hat,  denn  mengklich 
^^t,  anders   meint,  denn   er  trage   darum   den   Isengrind   herum. 
*^^zii  hat  mau    erst   gethan   ein  unfläthig   spiel,    ein  brut    und 
^^^  brütigam,  um    welche    (dies   vollauft  narren    und    butzen 
l">  üren  u.  s.  w.)  mit   schellen,  trUnklen  (Kubglocken)   Kuh- 
*^iiwäntzen   und   allerlei  wusts.      Es   wird  auch   somlicher 
^-*^2ug  anders  nüt  genennt,   denn  der  Metzger   hruf:  und  wirft 
^*€Zn    endlich   den    hiitigam    mit    der   brut   in    den   brunnenJ^^ 


1)  BauTDgarten ,  das  Jahr  iiDd  seine  Tage.    Linz  1860.    S.  18. 

2)  Vernaleken ,    Alpensagen     S.  StA  ff.      Runge ,    Quellcultus    in    der 
^hweiz.  8.  2G. 


434  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft 

Früher   scheint    (wie    Kunge   mit  Recht  bemerkt)    bei    dieseim. 
Ztlrcher  Fastnachtaufzuge  auch  Laubeinkleidung  stattgefunden  zi^ 
haben,  da  ein  Verbot  aus  Waldmanns  Zeit  besagt:  Alles  Batzen  — 
(Böggen-) werk   auf  den   drei  Fastnachten  in  bloßen  Hemden)^ 
Epheu,   Laub   u.  s.  w.    ist    bei   zwei  Mark  Silbers  verboten^  ^ 
Ganz    besonders  lehrreich  dürfte  der  nachstehende  Brauch 
der  Umgegend  von  Brian^on  im  D^p.  Hautes  Alpes  (Dauphin 
sein.    Am  ersten  Mai  hfillen  die  jongei  Leote  eiien  Birschei,  deuei  Brut 
Liebste  ihi  ferlassen,  beziehingsweise  einen  andern  geheiratet  hat,  ii  grliei  Laih 
Er  legt  sich  anf  die  Erde  und  schläft  scheinbar.    Dann  koniit  ein  Midehei,  iu 
gerne  hat  und  bereit  wäre  ihn  zu  heiraten,  weclit  ihn,  hebt  ihn  aif,  reicht  \km 
Arm  nnd  eine  Fahne.    So  zieht  man  zum  Wirtshause ,  wo  dieses  Pi 
den   ersten  Tanz  hat.     Sie  müssen  sich  aber  im  nächsten 
heiraten,  sonst  gelten  sie  als  Hagestolz    und  alte  Jungfer 
ausgeschieden  aus  dem  Kreise  der  Jugend.    Der  Bursche  heil 
„le  fiance  du  mois  de  May/^     Im  Wirtshause  legt  er  die 
ab.      Daraus  sammelt  am  Abend  seine  Tänzerin  einen 
den  sie  mit  Blumen  durchwindet  und  am  anderen  Tage  vor 
Brust  trägt,  wenn  ihr  Tänzer  sie  wieder  zum  Wirtshause  ge" 
tet.*    Ganz  genau  hiezu  stimmt  der  russische  Brauch  am 
feste  (Donnerstag  vor  Pfingsten,   Semik  s.  o.  S.  157)  im 
Nerechta.    Dort  ziehen  die  Mädchen  hinaus  in  einen  Birkenws^d, 
umwinden  eine  schöne  Hängebirke  mit  einem  Gürtel  oder 
verflechten   ihre   unteren  Zweige  zu  einem  Kranze  und   kü^ 
sich  durch  denselben  hindurch  paarweise  gegenseitig,'  indem 
sich  so  zu  Gevattern  ernennen  und  reden: 

Seid  gesund  Gevatter  und  Gevatterin, 
Die  ihr  die  Birke  geflochten  habt. 

Dann    verzehren   sie  unter  dem  Baume  Pflinzen   und  Krinj 

Nun  tritt  eines  der  Mädchen  in  den  Kreis  stellt  einei  betronkeiei  ^^^^ 

Tor,  wirft  sich  auf  den  Boden,  wälzt  steh  im  CIrase,  nUlt  endlich  iir  Erde  ind      ^'^ 

1)  Füßli,  Waldmann  S.  89. 

2)  Mündlich  von  einem  Kriegsgefangenen. 

3)  Hiezu  halte  man ,  daß  beim  Johannisfeuer  im  Egerlande  sich  Bur«^^^ 
und  Mädchen  durch  die  vom   verbrannten  Baum  hcrabgeholten  Er&nze 
schauen  (u.  S.  466). 

1)  Vgl.  damit,  daß  bei  den  Rumänen  Siebenbirgens  im  ersten  FruhJ 
am  Theodorstage  die  Knaben  und  Mädchen  unter  sich  Freundschaft  sohlie  ^ 
indem  sie  die   zu  diesem  Zwecke  eigens  gebackenen  Kuchen,   dieses  al 
meine  Symbol  des  Gedeihens  und  dör  Fruchtbarkeit  an  einen  Baum  häi» 


Maibrant,  Pfingstbrant.  435 

hhfo  lie  feit  di.  Im  in  SeHaffoto  fM  fin  Mkm  IIMei  ii  ier  Mk 
II  km,  erweckt  ihi,  kißt  ihi  ■■<  4er  guu  Reigei  Terlißt  iei  PliU 
deht  mit  andeni  Liedern  in  den  Wald,  um  die  Kränze  zu 
Uy  welche  entweder  noch  am  Abend  oder  am  Pfingsttag 
'asser  geworfen  werden  und  die  Zukunft  verkünden  sollen, 
ganzen  Mimos  begleitet  ein  erklärender  Gesang,^  der  nattlr- 
on  der  eigentlichen  Bedeutung  der  Ceremonie  keine  Ahnung 

hat  Man  erkennt  noch  deutlich,  daß  dieser  Brauch 
iDglich  von  Darstellern  verschiedener  Geschlechter  getlbt 
\j  ehe  ein  Mädchen  auch  die  Rolle  des  Mannes  überkam 
»he  die  Gevatterschaft  nur  noch  unter  Jungfrauen  geschlos- 
mrde.  Drei  Actionen  müssen  unterschieden  werden,  das 
n  mehrerer  Paare  durch  den  Kranz,  das  Wälzen  im  Grase, 
Schlaf  und  das  Aufwecken  durch  ein  Weib.  Die  Trun- 
it    des    Schläfers  ist   nichts    als   eine    rohe    mißverständ- 

Motivierung  des  Einschlafens.  Spätere  Untersuchungen 
n  wahrscheinlich  machen ,  daß  ursprünglich  die  Reihenfolge 
egehungen  vielleicht  umgekehrt  war,  als  jetzt;  Schlaf  und 
ickung.  Wälzen  im  Grase,  Bruder-  und  Schwesterkuß  der 
are.    Wie  in  jener  Sitte  von  BrianQon  von   einem  verlas- 

Bräutigum  die  Rede  ist,  so  in  der  folgenden  von  einer 
ssenen  Braut.  Die  Slovenen  in  Oberkrain  fahren  zu 
icht  eine  Strohpuppe  (den   Fasching,   pust)  jauchzend  im 

umher  und  werfen  sie  dann  ins  Wasser  oder  verbrennen 
vobei  aus  der  hr)heren  oder  niederen  Feuersäule  auf  die 
)igkeit  der  nächsten  Ernte  geschlossen  wird.  Den  lärmen- 
^ug  beschließt  eine  weibliche  Maske,  die  an  einem 
ke  ein  großes  Brett  (deno.  S.  237  erörterten  Block?)  nach 
ieht,  heult  und  schreit,  sie  sei  eine  verlassene  Braut.    Vor 

Hause,  in   welchem  eine   sitzengebliebene  Schöne  wohnt, 

der  Zug  halt  und  läßt  es  an  derben  Witzen  nicht  fehlen.* 

nicht  diese  Sitte  auf  christlicher  Symbolik  beruht,  eine 
,  die  wir  weiter  unten  eriJrtem  werden,  und  dann  der 
lauung  zum  Ausdrucke   dient,   daß  die  Kirche  in  der  Pas- 


lachdem   sie  denselben  unter  Gesang  mehrmals  umkreist  und  umtanzt, 
tlseitig  tauschen  und  verspeisen.    W.  Schmidt,  das  Jahr  u.s.  Tage.  S.  (5. 
.)  Heinsberg -Düringsf cid,    Illustr.- Zeitung    1873    Nr.   1561.     S.  414. 
Variante  ans  Weißrußland  s.  hinten  im  Nachtrag. 
l)  Ausland  1872.   S.  469. 

28» 


436  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  Mnibrantschaft. 

siouszeit  eine  vofm  Bräutigam  verlassene  Braut  sei,  wenn  ^ 
erlaubt  ist  Natursymbolik  in  der  Begehung  zu  vermuten ,  « 
werden  wir  die  Vorstellung  voraussetzen  *  dtlrfen,  daß  die  ki^ 
dahin y  d.  h.  während  des  Winters,  verlassene  Braut  jetzt  eii^« 
neuen  Bräutigam  finden  werde.  Gleicherweise  werden  wir  au^ 
wo  uns  sonst  in  den  Frühlingsgebräuchen  die  Braut  allein 
net,  dieselbe  zu  einem  Paare  ergänzen  und  den  Glauben 
muten  dürfen,  daB  nunmehr  die  entflohene  Braut  wiederkeksL 
oder  daß  der  verlassene  Bräutigam  eine  neue  Geliebte,  die  ^4 
lassene  Braut*  einen  andern  Bräutigam  erhalten  werde.  ^^ 
wollen  die  betreffenden  Gebräuche  in  der  Ordnung  der  Kalend« 
tage,  an  welche  sie  geknüpft  sind,  hier  aufführen,  unbeschaM 
einer  Sonderung  verschiedener  Fälle,  welche  künftig  unter  IbLsa 
noch  vorzunehmen  sein  dürfte.  Aof  itn  lebridei  nehaen  wm  LiehtM^t 
(2.  Febr.)  die  Haufrai  ond  die  Dieistboten  in  jeder  FaiiiUe  eine  lafergarl»  1 
fitiei  sie  Bit  den  Heiden  eines  Weibes  xn  einer  Fmnengestilt  herans,  stellt^B 
in  einen  großen  lorb,  lehnen  einen  hSlxernen  InBttel  daran  nnd  neuen  du  du  1 
der  Brant:  „Brides  bed/^  worauf  die  Hansfran  nnd  die  Dienstboten  dreinul 
Bride  is  eome,  bride  is  welcome!  Die  Brant  ist  gekommen,  will 
men  sei  die  Brant!  Dies  tun  sie  eben  ?or  in  Bette  gehen,  nnd  weu  sie 
anfstehen ,  sehen  sie  nach  der  Asche  in  der  Erwartung,  darin  einen  Eindrnek  toi 
InBttel  der  Brant  in  finden,  (ieschieht  dies,  so  erachten  sie  es  fir  eine 
einer  gnten  Ernte  nnd  eines  gfinstigen  Jahres,    du  degenteil  halten  sie 


schlechtes  Zeichen.^  „Kommt^'  die  Braut  in  den  ersten  FrühlB-D 
tagen,  so  ist  sie  zur  Winterszeit  nicht  dagewesen.  Ihr  Kn-"Äi 
erinnert  an  die  0.  S.  251  ff.  erläuterte  Lebensrute.  Der  Metzgerh^ß 
in  Zürich  entsprach  der  Fastnachtsumzug  der  Fleischer  in  Müm::*^ 
nach  Schilderung  einer  Chronik  des  16.  Jahrh.  Die  Fleiar^sfe 
ritten  und  gingen  am  Fastnachtdienstag  abends  durch  die  g'^uis 
Stadt  in  alle  Fieischerhäuser.  Hinter  den  Stadtspielleuten  ri^ 
zwei  Gildemeister  dem  Zuge  voraus,  deren  jeder  eine  F^hJ 
führte.  Alle  Fleischersöhne,  so  echt  und  recht  geboren  wäre 
folgten  paarweise  nach.  Die  so  groß  waren,  daß  sie  sich  aJJ^ 
auf  den  Pferden  helfen  konnten,  ritten  allein;  die  kleine^' 
wurden  von  daneben  gehenden  Männern  festgehalten ;  die  klei**' 
Wiegenkinder  hatten  andere  vor  sich  auf  dem  Sattel  und  wB-^ 
alle  schön  mit  Gold  und  Silber  gezieret.  Auf  sie  folgten  ^ 
zwei  anderen  Gildemeister  mit  der  Braut  zu  Fuße;  hinter  die* 

1)  Martin,   Description    on  the  Western  Islands   1716  p.  119. 
ed.  Ellkj  1,51. 


Maibrant,  Pfingstbrant.  437 

imUiche  übrige  Fleischer  Paar  bei  Paar  nach  ihrem 
16  Braut,  welche  sie  also  umführten,  war  keine 
16  Braut,  sondern  die  älteste  noch  unverhei- 
?ochter  in  der  Zunft.  Die  Zunft  verehrte  ihr  auch 
,  wenn  sie  so  mit  umging.  Den  Beschluß  des  Zuges 
die  Knechte  und  Jungen,  zwischen  ihnen  Fackelträger, 
dscber  und  jeder  Knecht  trug  einen  voh  Zeug  (Schnupf- 
'  anderem  Stoffe)  gemachten  Kranz  in  der  Hand.  Kamen 
jines  Fleischers  Haus,  so  öffnete  man  die  Türen  weit, 
inden  blieben  draußen  auf  ihren  Pferden  sitzen,  die 
ister  aber  gingen  mit  der  Braut  in  einer  Reihe 
[aus,  und  hinter  ihnen,  einer  in  des  andern  Kranz  fas- 
j  übrigen  Fleischer  und  Knechte.  Wenn  es  an  die 
kam,  zogen  diese  den  Schwengel,  daß  der  eine  hier, 
re  dort  lag,  wobei  es  viel  zu  lachen  gab.  In  jedem 
ib  es  Bewirtung  mit  Wein  und  Bier.  Zuletzt  zogen  sie 
af  den  Markt,  die  Fußgänger  umwandelten  die  Kränze 
mit  der  Braut  dreimal  die  Schäme  (Fleischbank, 
I  und  sangen  ein  Lied,  das  niemand  verstand  und  das 
niemand  lehrten ,  als  der  zu  ihnen  gehörte.  *  In  Deutsch- 
lihren  die  Bursche  am  Aschermittwoche  eine  Aschen- 
n  Tür  zu  TUre.^  In  den  Dörfern  am  Südrande  des 
\  (Pr.  Altmark)  fllhreu  die  Mädchen,  während  die  Jungen 
in  Ijftub  gehüllten  und  einer  Blumenkrone  geschmückten 
ai  umgehen ,  die  Maibraut  von  Haus  zu  Hause ,  welche 
Braut  mit  Bändern  geschmückt  ist  und  namentlich  das 
8  zur  Erde  herunterhangende  Brautband  trägt.  Auf 
e  hat  sie  einen  großen  Blumenstrauß.     Sie  singt: 

Maibnit,   Maibrüt! 

Wat  gt'bet  ju  de  kleine  Maibrüt V 

Gebet  ju  wat,  so  het  se  wat, 

So  het  se't  ganze  Jär  wat. 

Gebet  jii  nist,  so  het  se  nist, 

So  het  se't  ganze  Jar  nist.  u.  s.  w. 

Q  D(*>rfeni  des  Drümlings  (z.  H.  Neu-Ferchau  und 
),  wo  der  laubeiiigehtillte  Junge  Pingstkääm  hejßt, 
;  mit  der  Maibraut  umgehenden  Mädchen: 

iblatt  zu  Nr.  1.  der  Rheinischen  Trovinzialbl.  Köln  ia3S.  S.  3-4. 
insberg-Düringsteld,  IJuhni.  Festkalenders.  50. 


438  Kapitel  V.    Yegetationsgeister :  Maibrantschaft. 

Halln  tu  tut!    Un  dat  is  gutl 

Dat  is  unse  Maibrüt 

Gäwen  sc  wat,  hct  se  wat^ 

So  het  se^t  ganze  Jär  wat  u.  s.  w.  ^ 

Auch  iu  den  Dörfern  um  Braunschweig  erscheint  za^ 
eine  mit  Blumen  bekränzte  Maihraut*    In  der  Grafschaft 
(Westfalen)  flihrgi  zwei  Mädchen  ein   blnmeubekränztes  c 
„de    Pingstbrüt,''    Eier    heischend    von    Tür    zu    Türe,    i 
sie  singen: 

Rüt!   Rüt! 

Da  kuem  wi  met  der  Brut. 

De  ßrüt,  da  es  van  Niggeruo'e  (Nenrode), 

Drüm  mach  sc  gärne  Aierduo'er  (Eidotter); 

Aierduo'cr  int  Molkenfatt, 

Da  wärt  Brümer  (Bräutigam)  un  Brut  van  satt.' 

In  andern  westfälischen  Gegenden  wird  Pingstbrut 
Hngsfjuffer  (Pfingstjungfer)  dasjenige  Mädchen  genannt,  w< 
beim  Austreiben  des  Viehes  zuletzt  auf  dem  Felde  ank 
Sie  wird  unter  großem  Jubel  „gekrönt,"  d.  h.  mit  Laub  un< 
men  geschmückt;  an  einigen  Orten  freilich  erhält  sie  nichi 
men ,  sondern  einen  Strohkranz  oder  Nessclkranz  als  Putz. 
Umherftlhren  durchs  Dorf  singt  man: 

Pingstbrüt,  füle  Hut! 

Wörst  du'n  bitkcn  fröcr  upstan, 

Wör't  di'n  bitkcn  beatcr  gän. 

Zuweilen  endlich  ist  das  zuerst  erscheinende  Mädchen  Pi 
braut  und  Königin  des  Festes.*  Auch  in  der  Oldenburger  ä! 
heißt  die  Magd,  welche  zuletzt  zum  Melken  kommt,  die  Py 
braut J  Die  Langschläferin  grüßt  uns  sofort  als  alte  Bek 
ihr  Antlitz  verleugnet  die  Familienähnlichkeit  mit  den  schi 
osterten  oder  gepfefferten  Burschen  und  Mägdlein,  (o.  S. 
268),  der  Pfingstblume  (o.  S.  318),  dem  Pfingsthagen  (o.  S. 
nicht.  Zu  Holzheim  in  Schwaben  wird  vor  dem  Festmahl 
Maifestes  der  Wasservogel  (o.  S.  352)  ausgepascht.    Der  G 


1)  Kubn,  Mark.  Sagen  S.  319—322. 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  384,  64. 

3)  Fr.  Woeste .  Volksüberl.  a.  d.  Grafschaft  Mark  26 ,  5. 

4)  Kuhn,  Wcstfäl.  Sagen  IL  IGO,  449.  161,  451, 

5)  Strackerjan,  Abergl.  u.  Sagen  a.  Oldenburg,  1867.    11,47,31 


t 


Maibrant,  Pfingstbrant.  439 

neode  inhrt  seine  Tochter  oder  Schwester  zum  Mahle.    Dadurch 
wird  sie  die  Pßngsthraut  und  erhält  einen  Ehrenplatz  am  Tische, 
90  wie  den  mit  Eiern  behangencn  Schntlrriemen  (Leibgttrtel)  des 
Wassenrogels.     Letzterer  wird   nach  Abnehmung  dieses  Gttrtels 
tnf  das  Dach  der  Pfingstbraut  gesetzt,  wo  er  das  ganze  Jahr 
bis  znr  nächsten  Pfingsten  bleibt.^    Nicht  weniger  als  in  Deutsch- 
land ist  die  Maibraut  in  Frankreich  gefeiert.    In  der  Umgegend 
von  Grenoble   feiert   man    ,Ja  fete  du  preniier  niai  et  de  son 
epousee,"  indem   ein  König  und  Königin  auf  einem  Trone  sich 
den  Blicken   der  Vorübergehenden   darstellen.*      Wir   sahen  o. 
S.  346,  wie   in   Süd -Frankreich    z.  B.   Nimes   für   die   „Reine 
Maia'*   oder   ,, Belle    de    Mai"   ein    Hochzeitsgeschenk   erbeten 
wurde.    An  den  Ufern  der  Seille  sangen  die  Hirten ,  am  Maitage 
^in  blumengeschmücktes  Mädchen  umttihrend: 

Etrciinez  notre  ipousee\ 

Voici  le  iiiois, 

Le  juli  inois  de  mai. 

Etreniiez  notre  epuasee 

En  belle  etrenne! 

Voici  le  mois. 

Le  joli  mois  de  mai. 

Qu'on  vous  amene.*^ 

In  der  Bremse  heißt  die  Gefeierte  „/a  Mnr'u'e.''  Ein  Baum- 
^fUger  (dendrophore)  mit  grünem  Maibaume  geht  ihr  voraus,  dann 
^^'gt  sie,  von  einem  galanten  Burschen  geführt  und  bedeckt  mit 
ölomen,  Bändern,  Schmucksachen;  nach  ihr  das  übrige  Land- 
volk, ein  Lied  in  Patois  singend,  aus  dessen  franzcwischer  Ueber- 
**^teung  wir  einige  Strophen  hersetzen  wollen: 

Voici  venu  le  joli  niois 
I/alouette  plante  le  mai. 
Voici  venu  le  joli  mois; 
Ti'alouette  le  plante; 
Le  coq  prend  sa  vok^e, 
Et  la  volaille  chante. 

Voici  venu  le  joli  mois, 
La  cle  de  ma  mie  j  ai. 

1)  Panzer  H,  87,  129. 

2)  E.  Tort/'t,  fotes  rclipeuses.    Paris  1867.    p.  IGl. 

3)  Monnier  et  Vingtrinier,  Traditions  populaires  comparees.  283, 


\ 


440  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibraatschaft. 

Voici  venu  le  joli  mois, 
J'ai  la  clc  de  ma  inie; 
La  cle  de  ma  mie  j'ai, 
Pendue  ä  ma  ceinture. 

Voici  venu  le  joli  mois; 
Notro  maitre,  le  bonsoir! 
Voici  venu  le  joli  mois ; 
Bonsoir  donc,  notre  maitre, 
Vous  plairait-il  de  vous  lever 
Pour  nous  donner  a  boir? 

Voici  venu  le  joli  mois, 
La  Mariee  tCa  pas  soif. 
Voici  venu  le  joli  mois, 
Jju  Mariee  est  saole; 
Non,  la  mariee  n'a  pas  soif, 
Elle  a  bu  ä  la  fiole.* 

Die  epousee  de  mai  ist  sprichwörtlich  geworden.  Wenn  eine 
Frau  oder  Jungfrau  sich  überladen  herausgeputzt,  mit  Schmuck 
oder  Blumen  behangen  hat,  sagt  man  spöttisch:  ,,Elle  est  belle 
camme  V epousee  du  mois  de  mai^^  oder  man  nennt  sie:- „la  Belle 
de  mai,  la  Reine  de  mai.^  Nicht  allein  in  Südwesten,  auch 
sttdöstlich  greift  der  Brauch ,  die  Frühlingsbraut  umzuttihren ,  weit 
über  die  deutschen  Grenzen  hinaus.  Bei  den  Albanesen  ziehen 
am  Lazarustage  (dem  letzten  Tage  der  Osterfasten)  Knaben  ver- 
kleidet und  mit  Schellen  behängen  von  Dorf  zu  Dorf.  Jeder 
Trupp  besteht  in  der  Regel  aus  sechs  Köpfen,  einer  trägt  einen 
Korb  zum  Einsammeln,  ein  anderer  trompetet  auf  einem  Destil- 
lierhelm,  und  ein  dritter  ist  als  Braut  verkleidet.^ 

§  5.  Huren,  Feien.  Eine  eigentümliche  Abart,  der  vor- 
stehenden Bräuche  fand  sich  noch  im  vierten  Jahrzehnt  unseres 
Jahrhunderts  im  Marktflecken  Großen  -  Gottern ,  Kr.  Langensalza, 
Rgbz.  Erfurt.  Dieser  Ort  steht  unter  einer  einheitlichen  und 
gemeinsamen  Schulzenverwaltung,  umfaßt  aber  zwei  evangelische 
Kirchspiele  mit  besonderen  Gotteshäusern,  Schulen  und  Pfarrern. 
Am  ersten  Pfingstfeiertage  hüllen  einerseits  die  erwachsenen 
Bursche,  andererseits  die  Knaben  jedes  Kirchspiels  tiir  sich,  oinen 
der  Ihrigen    in   Lindeulaub   als  Schoßmeicr    (o.  S.  348)  ein  und 


1)  Monnier  a.  a.  0.  283—81. 

2)  Monnier  a.  a.  0.  285. 

3)  Hahn ,  Albanes.  Stadien  S.  156. 


Haren,  Feien.  441 

setzen  ihm  womöglich  einen  Blamenstrauß  als  Krone  auf,  so  daß 
im  Ganzen  4  SchoBmeier  vorhanden   sind.     Zwei  Fahnenträger, 
zwei   Platzmeister  mit  Pritschen,    ein  Musikcorps  voran  durch- 
ziehen  die  Bursche   beider  Kirchspiele   mit   ihren   Schoßmeiem 
über  Mittag  auf  den  besten  und  schönsten  Werden  gesondert  die 
beiden  Pfarreien;  ebenso  die  Knaben,   die  größeren  auf  Gäulen 
geringerer  Qualität,  die  jüngeren  auf  buntbemalten  Steckenpfer- 
den.   Begegnen  die  Bursche  beider  Kirchspiele  oder  die  Schul- 
knaben einander,    so   kommt  es  zu  einer  Prügelei,    bei  der  es 
darauf  abgesehen  ist,  der  andern  Partei  die  Fahne  zu   rauben, 
und  wobei  namentlich  der  mit  einem  tüchtigen  Stecken  (vgl. 
0.  S.  434.  343)  bewaffnete   Schoßmeier  seine  Pflicht  zu  tun 
hat     Die    Besiegten   müssen   ihre    Fahne   durch   eine   Geldein- 
zahlung  in  die  Festkasse  einlösen.     Nach  dem  Umzüge  werden 
4  Tanzplätze  und   Lauben  (vgl.  o.  S.  187)  für  die   Musikanten 
hergerichtet     Dort  findet  am  2.  Feiertage  in   den  besten  Klei- 
dern der  Tanz   statt.     Am  Pfingstdicnst{jgc   wiederholt  sich  der 
Umzug,  jedoch  nur  je  in  dem  eigenen  Kirchspiele.     Dabei  spie- 
len dieselben  Personen,  welche  Schoßmeier  waren,  die  Haupt- 
rolle, aber  sie  tragen  nicht   mehr  d<is  LaKhgfwand,  sondei-n  zcr- 
rissetie   Weiberkleider,    Gesichtslarven ,    Körbe    und   Koher,    und 
»wn  nennt  sie  Huren.     Etwas  zudringlich  sammeln  sie  zwei  Tage 
Undureh   Eier,    Schinken,    Würste    und    eigens    für   das    Fest 
gebackene  Kuchen  ein,  welche  bei  den  bis  zum  Mittwoch  Abend 
dauernden  Tanzgelagen  verzehrt  werden.     Dann   ruht  die  Feier 
<lreiTage,   bis  sie   am  Trinitatissonntage  abends  mit  einer  Pro- 
w^on  der   vier  Gelagstruppen    l)eiderlei   Geschlechtes   auf  die 
Mder  mit  heiterer  Musikbegleitung  endigt,  wo  jeder   Fahnen- 
^er  in  ein  grünes   RoggenstUek   hineingeht   und   seine   Fahne 
horizontal    über  dasselbe    schwenkt;    indeß    alle    übrigen    einen 
f-lioral  „Nun  danket  alle  Gott"  oder  ein  äiinliches  Lied  singen. 
Wese  Roggenstücke   hält   der  Volksglaube   fUr  besonders  geseg- 
^^^^   Auch  in   der  Altmark  ziehen  mehrfach  am  dritten  Pfingst- 
leiertage  die  Tänzer  und  Tänzerinnen  von  Hof  zu  Hofe,  darun- 


1)  Mündl.  Zu  dem  letzten  Acte  des  Festes  vgl.  den  Saatgang  der 
*%-  und  Ackerleute  nach  den  Niederhöfeu  zu  Langensalza  am  Nachmit- 
^^-  des  Trinitatissonntages.  A.  Witzschel  Sitten  u.  Gebräuche  aus  der 
^'mgegend  v.  Eisenach.    Kisenach  18G(>    S.  i:3,  b\. 


442  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

ter  befinden  sich  mehrere  junge  Bursche  in  Vermum- 
mung mit  Weiberkleidern,  und  einer  trägt  einen  geMlten 
Bierkrng,  den  er  jedem  Hofwirte  und,  seiner  Frau  reicht,  dann 
wird  einige  Minuten  auf  der  Tenne  getanzt,  indeß  die  Wirtin 
mit  ihren  Gaben  herausrückt*  Man  erinnere  sich  des  o.  S.  377 
erwähnten  Lütticher  Pfingstumgangs  vom  Jahre  1224,  bei  wel- 
chem „omues  alii,  prout  poterant,  ad  modum  mulierum  erant 
adomati^'  und  „tam  senes  quam  juvenes  masculini  sexus  antiqaos 
ludos  vestibus  mulierum  induti  barbis  rasis  redncunt  ad  memo- 
riam/'  Nach  Lubbert  wurde  bei  Lübeck  schon  am  Sonntage 
Quinquagesimä  ein  mit  einem  grünen  Weiberrocke  behange- 
ner  Knecht   umliergeflihrt  (o.  S.  317).     In  der  Grafschaft  Bup- 

pin  (Altmark)   wiederum  gehen  in  der  Woche  vor  Weihnachten 

mit  dem  Schinimelreiter  und  Ghristmann  auch  die  Feien  um, 
Weiber  gekleidete  Bursche  mit  geschivärzten  Gesichtern,*  die  sii 
allerband  Neckereien  und  Zudringlichkeiten  erlauben,  und  ei 
diese  Feien  (auch  wol  einfach  Maschkers,  Vermummte,  genannt^A 
zuweilen  in  der  Dreizahl)  stellen  sich  auch  l>ei  Hochzeiten  ein^ns 
während  der  Zug  sich  nach  der  Kirche  bewegt  und  suchen  denjCD 
selben  durch  Possen  zu  stören  und  zum  Lachen  zu  bringen,  ^ 
oder  sie  treten  am  Abend  in  Begleitung  des  Erbsenbärs  auf  un^  ^ 
tanzen  mit  der  Braut* 

Obgleich  in   den  letzten  Beispielen  statt  der  einen  Maibrai 
mehrere  Fraueugestalten  auftreten ,  und  auch  der  Bräutigam  fehl' 
wird  es   schwerlich  zu   bezweifeln  sein,   daß  diese  Bräuche  ni 
mit  etwas  verschiedener  Wendung  denselben  Gedanken  enthall 
wie  diejenigen,   in  denen  ein  Brautpaar  dargestellt  wird.    Dei 
diese  Mai-  und  Fastnachtsgebräuche   sind  ja  unwillkürliche  Ve     -=i 
anschaulichungen  des  Gedankens,   daß  die  Natur  im  Begriffe  s 
eine    neue    Generation    hervorzubringen.      Dieser    Gedanke 
mythisch    ausgedrückt  durch  die   Vereinigung  eines   männlicbi 
und  eines   weiblieben  dämonischen  Wesens,   in  deren  Verhall 
wiederum   die   Stimmung  sich  abspiegelt,   welche   im  Frühja 
jede  noch  unverdorbene  Menschenseele  ergreift,  die  zarte 


1)  Kuhn.  Mark.  Sagen  S.  327. 

2)  Kuhn.  Mark.  Sag.  346.     Kuhn,  Nordd.  Sag.  402,  125. 

3)  Kuhn.  Mark.  Sag.  3G2. 

4)  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  433,  280. 


Bedeataug  den  Maibraatpaan.  448 

sacht y  das  sttfte  Verlangen,  der  goldene  und  reine  Traum  von 
GtOek  und  Liebe,  denen  das  Herz  sich  öflfhet,  wenn  im  Februar 
der  Saft  in  die  Bäume  steigt  und  im  Mai  die  Knospen  springen. 
Wo  aber  der  grüne   Vegetationsgeist  (der  Schoßmeier)  in   die 
Hure  sich  wandelt,  liegt  der  nämliche  Grundgedanke  der  Pro- 
creation  vor,  nur  ist  die  unermeBliche  WerdetUlle  des  vorgeschrit- 
tenen  Frühlings  und  Sommers  in  den  Vordergrund  gestellt  und 
dnreh  ein  Uebermaß  der  Zeugungen  symbolisch  angedeutet.    Daß 
wk  die  Feien  nur   VervieltUltigungen  dieser  Figur  sind,  die 
in  jener  Lübecker  Sitte  noch  einfach  autlritt,  erweist  sowohl  ihr 
Käme,  der  auf  den  Begriff  des  Zauberkräftigen,  Wunderwirken- 
den ausgeht,^  als  ihr  Auftreten  in  Begleitung  des  Sehimmelrei- 
ten  and  des  £rbsenbärs  (wie  wir  später  sehen  werden,  zweier 
I^egetationsdämonen)   und  auf  Hochzeiten ,   wo  sie  doch  offenbar 
die  Fruchtbarkeit  des  neugeschlossenen  Ehebundes  bewirken  soll- 
ten.  Zur  Zeit  der  Wintersonnenwende  erscheinen  sie,  weil  dann 
der  Frühling  vorspukt  (vgl.  o.  S.  236).     Jener  LUtticher  Umgang 
erweist,  daß  ihre  Vervielfältigung  local  schon  im  13.  Jahrhundert 
eingetreten  war. 

§  6.  Bedeutniig  des  Malbrantpaarn.  Mit  vollem  Rechte 
'»Ird  an  uns  die  Frage  gerichtet  werden,  ob  die  Bedeutung  des 
liraatpaares   nicht  noch  näher  zu  bestimmen  sein  m('>chte,  als  es 


1)  In  diesem  Sinne  mag  das  rouicinische .  ans  fata  entstandene  Wort 
^on  städtischen  Pfingstgebräuchen ,  weiche  Sceneii  der  Artusromane  nach- 
bildeten, entleiint,  und  auf  die  ländliche  Festfeier  übertragen  sein.  Vgl. 
Stiller- Zamke  nihd.  Wb.  s.  v.  Feie.  So  erzählt  bekanntlich  die  Magde- 
burger Schoppenchronik  zum  Jahre  1285 ,  daU  zu  den  Ptingstspielen  dieses 
Jahres  der  gelehrte  Konstabtd  Hrun  von  Sconebeke  auf  Bitte  seiner  Collcgen 
»Hj  Stadtregini ente  ein  Festspiel  dichtete,  dessen  8tolV  der  mit  der  Artussage 
^'^Anndenen  Gralssage  entlehnt  war.  Die  Hauptsaclie  dabei  war  ein  Lanzen- 
'^nnen,  wobei  eine  fahrende  Schöne,  Frau  Feie  genannt,  als  Siegespreis 
Ätisgesetzt  war  (sc  hedden  eyne  schone  vrowen .  de  het  vrow  Feye ,  de  scholdc 
^«n  ghewen  den,  de  se  vorwerwen  künde  mit  tuchten  und  manheyt).  liin 
^ter  Kaufmann  aus  (ioslar  gewann  sie,  der  sie  mit  sich  nahm,  aber  mit 
^*^ör  gnten  Mitgift  ausgestattet  einem  ehrlichen  Manne  zur  Ehe  gab ,  so  daß 
^^  zuchtlose  Weib  ihr  wildes  Leben  nicht  mehr  übte.  Magdeburg.  Schöp- 
penchronik  ed.  Janike  K  11.  (Chronik  der.  d.  Städte  VII.  168  —  161).  cf. 
1^1».  Hirsch   über  die  Artushöfe  S.  23.  :U.)     Janikes  Vermutung,    Feye    sei 

"i«  Abkürzung  des  Namens  Sophia,  (niederd    Fike,  fries.  Vye)  dünkt  mich 

Wenig  wahrscheinlich. 


\ 


I 

j 


444  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

bis  dahin  von  uns  geschehen  ist.     Wer  ist  die  Braut  and  wer 
ist  der  Bräutigam?     Der  in  Laub  gehtlllte  Fianc^  da  mois  de 
may   in  der  Dauphine,   welcher  nach  Verlust  der  Braut  schläft, 
und  von  einer  neuen  wieder  erweckt  wird,  ist  doch  deutlich  der 
im  Winter  schlummernde  Geist  der  Pflanzenwelt,  und  wenn  man 
die  Geliebte   mit  einer  bestimmten   Naturerscheinung  zu   identi- 
fizieren genötigt  wäre,   würde  man  am  ehesten  au  den  Sonnen- 
schein, oder  die  kSouuc  denken,  die  in  der  zweiten  Jahreshälfte 
so  zu  sagen  davongeht  und  die  in  der  ersten  Hälfte  des  folgen- 
den Jahres  gleichsam  als  eine  andere  wiederkehrt  und  das  Grön 
von  neuem  wachruft;   oder  an  die  Erde,  welche  im  Winter,  un- 
fruchtbar geworden,  sich  dem   Genius  des  Wachstums  entzieh 
im  Frühjahr   aufs  neue  ttir  ihn  bräutlieh  sich  schmückt.     Seh 
leicht  ließe  sich  die  Anschauung  umkehren,   so  daß  Sonne  odi 
Erde  als   die    vom  Wachstumsgeist   verlassenen  erscheinen, 
ja  das  anthropomori)hi8che  Bild  von  der  Untreue  oder  dem  To^3e 
des  (Tratten    oder  Verlobten   nur   die    Unterbrechung   oder  A^^f- 
hebung    der  zeugenden   und   gebärenden  Naturgewalt  darstel^^o 
soll.     Mau  vergleiche  nur,  wie  HiUderlin  I,  S.  99  sich  ausdrücl^t: 
„Mutter  Erde,   rief  ich,   du  bist  zur  Wittwe  geworden,  dürt"tig 
und  kinderlos  lebst  du  in  langsamer  Zeit."     Doch  ich  meine,  d^Ä 
von   einer   rohen   Identifizierung  der  Maibraut  mit  einer  solcben 
bestinnuten  NaturiTscheinung  überliaupt  abzusehen  sei,   daß  viel- 
mehr das  Verhältniß  der  Brautschaft,  Ehe,   Vermähluug, 
den  Kern  des  mythischen  Gedankens  ausmacht,   der  au  und  f^ 
sich  unbestimmt,  verschiedener  Anknüpfung  und  Wendung  fäbig 
war,    wie   denn   z.  B.    der  Dichter  Logau    denselben  Gedank<?^ 
anschlägt,   wenn   er  in  seinem  bekannten   Epigramme   vom  i**^ 
sagt:  Dieser  Monat  ist  ein  Kuß,  den  der  Himmel  giebt  der  Erde,      g 
daß  sie  jetzo  seine  Braut,  künftig  aber  Mutter  werde.     Und  Cr^*" 
bei:  Der  Himmel  selbst  ist   tief  herabgesunken,   daß   liebend    *^ 
der  Erde  sich  vermähle.     Zwei  uns  wolbekauute  Züge,  das  LaUg- 
schläfertum ,  d.  h.  Aufstehen  aus  langem  Schlafe  und  der  Kcg^^; 
Zauber    sind    übrigens    untrügliche    Merkmale,    daß    es   sich    *^^^ 
unserem  Paare  um  Vegetatiousdämonen  handelt.     Die  Entferüi^-^^6 
des  Gatten  oder  Bräutigams  von   der  mit  einem  andern  bulil^^' 
den,  verlobten  oder  vermählten  Gattin  oder  Braut,  sein  vermei*^" 
licher  Tod,    sein  Verweilen  in   entlegener  Feme   (die  sich  du»*^ 
verschiedene  symbolische  Züge  als  das  Todtenreich  characteriBi^^ 


Bedentang  dc8  Maibraotpaars.  445 

und    seine    wunderbare  Rückkehr   und  Wiederverniählung  nach 
geranmer  Zeit  (meist  nach  7  Jahren)  sind  ebenfalls  ein  der  ger- 
manischen Mythe  nnd  Sage  ganz  geläufiges  Bild,  um  den  Wech- 
sel der  Jahreszeiten   zu   bezeichnen.^     In  gleichem  Sinne  kennt 
die  Mythe  den  umgekehrten  Zug  der  Untreue  des  den  winter- 
Bßhen  Mächten  verfallenden  Bräutigams  gegen  die  erste  Verlobte 
(Sigafrit).    Dem  nordischen  Mythus  von  der  trähnenschönen  Göt- 
tiö  Freyja,   die  von  ihrem  Gemahle  Odr  verlassen  suchend  ihm 
ittchzog  von  Land  zu  Lande,*  steht  auf  deutscher  Seite  wie  es 
scheiot  gegenüber  die  (o.  S.  122  flf  erörterte)  Sage  vom  wilden 
Jäger  (Gronjette  u.  s.  w.),  der  sieben  Jahre  seiner  vor  ihm  fliehen- 
den  Geliebten  nachjagt,    bis    er   sie   erlegt  und  quer  über  sein 
fioS  geworfen  davon  führt.     Daß  eine  Ueberliefcrung  die  Gejagte 
St  Walpurgis   nennt   und    die   Jagd   in   den   Frühlingszwölften 
^•  —  12.  Mai  vor  sich  gehen  läßt  (o.  S.  121),  macht  es  ziemlich 
&ewiÄ,   daß   letztere    nach    alter  Vorstellung   überhaupt  im  Mai 
^iidigte  (mithin,  wenn  man  7  Jahre  für  den  mythischen  Ausdruck 
'^on  Monaten  gelten  läßt)   von  Anfang  October  bis  Anfangs   Mai 
^^oemd  gedacht  wurde.     Darf  diese  Jagd  auf  die  Frau  mit  den 
&»oßen  Brüsten,  in   welcher  wir  das  Blättergrün,   die  Pflanzen- 
öle erkennen   wollten  (o.  S.  124)  mit  Kuhn   als  eine  rohe  und 
^^hr  altertümliche  Form   des  Brautraubes   aufgefaßt  werden,   so 
findet  die  Vermählung  des  Paares  im  Mai   statt   und  wir  haben 
^^i  jener  Wodanssage  ein  Analogon   zu  den  Gebräuchen  von  der 
^aibraut.     Die  Uebercinstlnmmng  ist  um  so  augenfälliger,  wenn 
'lian  sich  vergegenwiirtigt,   daß   Verbannung,    Flucht,   Tod   und 
^hlaf  der  Götter    nur  verschiedene   Wandelungen   des  Mythus 
l^im  Ausdrucke  eines  und  des  nämlichen  Gedankens  sind.     Wir 
"Verden  nach  allem  diesem   über  den  Gedankeninhalt  der  nach- 
stehenden  Tiroler   Sitte    nicht    mehr  im   Dunkeln  sein    können. 
-A^Oi  unsinnigen  Pfinztag,   d.  h.   Faschingsdienstag  verfertigt  man 
*^  Stroh  und  alten  lumpigen  Kleidern  einen  großen  Mann,    den 
•^erthansel ,    und    trägt   ihn   auf  einer  eigens   dazu    bereiteten 
*i'agbahre  herum.     Auf  den  Plätzen  und  bei  verschiedenen  Häu- 
^ni  halten  die  Träger  an  und  fragen  den  Strohmann  um  Neuig- 


^^     1)  Ich   verweise    nur   auf   W.   Müllers    Erörterung,   Niedersächs.    Sag. 
"^^^^407,  der  sich  Vieles  anreihen  ließe. 

2)  Gylfaginning  c.  35.  Sn.  E.  Arn.  1 ,  114. 


446  Kapitel  V.    Vegetation sgeiater:  MaibrantBcbaft. 

keiten,  worauf'  ein  Barsche,  im  Namen  der  Pappe  antworte 
alle  anstößigen  Tagesgeschichten  kandmacht  SchKeJlich  w 
der  Egerthansel  einer  alten ,  aber  den^ch  heiratslustigen  Ju 
frau  als  Bräutigam  beschert  und  über  ihrer  Haustüre  aufgehäti 
Ein  gemeinsamer  Tanz  im  Wirtshause  beschließt  den  Tag.^  ] 
Egert,  Egärty  Egerten  ist  eine  ehemals  gepflügte,  Acker  gev 
sene  Feldfläche,  welche  in  Folge  des  Wirtschaftssystems  ob 
deutscher  Gebirgslandschaften  (der  sogenannten  Egartenwirtscht 
später  ftlr  eine  Zeit  lang  zu  Graswuchs,  Holz  oder  gar  keine 
Anbau  Ode  liegen  geblieben  ist.^  Der  Egarthansel  darf  mith 
verstanden  werden  als  der  Dämon,  der  ehedem  in  dem  Leb 
des  Saatfeldes  tätig ,  nun  seit  geraumer  Zeit  in  der  unfruchtbar 
Wildniß  oder  Oede  weilte,  sein  zerlumptes  Aussehen  stellt  il 
dem  Onkel  Ambrosius  und  anderen  Vegetationsalten  (o.  S.  4S 
zur  Seite.  Dürfen  wir  dieses  Verweilen  in  der  Wildniß  als  s 
nen  winterlichen  Zustand  auffassen,  so  ist  die  Symbolik  U 
weshalb  er,  nun  zurückkehrend,  einer  Braut  zu  teil  wird,  wek 
lange  sehnsüchtig  gewartet  hat  und  über  dem  Warten  alt  wni 
(ygl.  die  verlassene  Braut  jenes  kämtischen  Fastnachtsaufzuf 
0.  S.  435),  aber  noch  immer  mit  ungetrübter  Hoffnung  der  V< 
mählung  entgegenträumt.  Im  übrigen  hat  die  Sitte,  den  Ege 
hansei  der  heiratslustigen  Alten  auf  den  Stadel  zu  setzen,  ü 
nächste  Verwandtschaft  in  jenem  bairischen  Brauche,  der  Pfing 
braut  den  Wasservogel  aufs  Dach  zu  pflanzen  o.  S.  439. 

Ergiebt  sich  nach  allem  diesem  für  jenen  Brauch  in  Kämt« 
auf  Fastnacht  eine  verlassene  Braut  darzustellen,  die  Möglichk 
einer  bloßen  Variation  anderer  Frühliugsgebräuche ,  so  schwft( 
sich  damit  die  sonst  große  Wahrscheinlichkeit  ftlr  eine  chri 
liehe  Deutung  desselben  ab,  auf  welche  eine  Aeußerung  Belel 
zu  ftihreu  scheint.  „Septuagesima  incipit  a  moerore  et  finit 
cum  gaudio,  sicut  psalmi  poenitentiales  utvocant.  Septuagesii 
vero  sonat  sexies  decem  et  significat  tempus  viduitat 
ecclesiae  ac  moerorem  ejus  propter  absentiam  spon; 
Licet  enim  Christus  sit  nobis  praesens  secundum  divinitatem  jm 
illud:  Vobiscum  sum  usque  ad  consummationem  seculi,  taot 
secundum,   quod  est  homo,   in  coelo  est  et  sedet  ad  dexterc 

1)  Zingerle,  Sitten.    Aufl.  2.    135,1195. 
2^  Scbmeller,  Bair.  Wb.    Aufl.  2.    d45. 


I  Nachahmungen  des  Maibrautpaares.  447 

jMitriB,  id  est,   patri  est  co^qualis/'^    Diese  Auffassung  beruht 
ttf  dem  Ausspraeh  Christi  Lue.  5,  35:  Es  werden  Tage  kommen, 
dk  der  Bräutigam  wird  von  ihnen  genommen  werden,  alsdann 
leiden  sie  fasten  in  denselben  Tagen.    Schon  TertuUian  schrieb 
(LA.  CQiitr.  Psychicos  cap.  2) :  Gerte  in  Evangelio  illos  dies  jeju- 
ins  determinatos  putant,  in  quibus  ablatus  est  sponsus.    Der- 
Mite  a.  a.  O.  cap.  13 :  Ecce  convenio  vos  et  praeter  pascha  jeju- 
iajotes  citra   illos   dies,   quibus   ablatus   est  sponsus.     Es  liegt 
huchaus  nahe,  aus  diesem  Gedankenkreise  heraus  die  Kärntner 
'Vistnacbtbraut  (o.  S.  435),  vielleicht  auch  die  Aschenbraut  (S.  437), 
Is  Darstellung  der  in  der  Passionszeit  verlassenen  Braut  Christi, 
er  Kirche,  zu  deuten;    die  Pfingstbraut,  Maibraut,  L'^pous^e 
u  mois  de  May;  die  den  in  Laub  gehüllten  verlassenen  Bräu- 
S'Bm  aus  dem  Schlaf  erweckende  Jungfrau  (o.  S.  431),  die  in 
l-<e8talt  einer  aus  Hai'erähren  geformten  Figur  auftretende,   froh 
rillkommen  geheißene  Lichtmeßbraut  (o.  S.  436)  sind  jedoch  un- 
kr«etig  bildlicher  Naturansehauung  entsprungen,  und  es  wäre  wie- 
ein fast  wunderbar  zu  nennendes  Zusammentreffen  ganz  hetero- 
christlicher und  außerchristlicher  Ideen  in  der  gleichen  Form 
tnes  zu  gleicher  Jahreszeit  geübten  Brauches,  wenn  wir  die  obigen 
^astenbräuche  von  den  Darstellungen  des  Maipaars  trennen  und 
^r  Kirche  als  Erzeugnisse  ihrer  Gedankenarbeit  zuweisen  müßten. 
•§  7.    Nachahmungen   des  Maibrautpaares.     Auch  dem 
Maipaare    (wir   bezeichnen   mit   diesem   Ausdrucke   der   Kürze 
wegen    die  beiden  dämonischen  Wesen,    deren  Vereinigung  im 
Frühjahr,  resp.  Sommer,  sei  es  zu  Fastnacht,  zu  Walpurgis  oder 
gir  zu  Johannis  gefeiert  wird)  entbricht  eine  Eigenschaft  nicht, 
welche  wir  mit  fast  allen  übrigen  Gestalten  des  Wachstumsgeistes 
(ßmnseele,  Waldgeistem,  Maibaum,  Emtemai,  Lebensrute  u.  s.  w.) 
Terbonden  fanden;   ich  meine  jene   Fähigkeit  und  Tendenz   als 
Vorbild  des  Menschen  zu  dienen,  der  sich  selbst  mit  ihnen,  sein 
individuelles  Geschick   mit  demjenigen  der  Natur    identifizierte 
^  dadurch  ihrer  Kraft,  Gesundheit  und  Fülle  teilhaftig  zu  wer- 
^  gläubig   erwartete.      Aus    diesen   Egenschaften   fließt   eine 
^ihe  von  Handlungen,  denen  zufolge  sich  die  gesammte  mann- 
Bebe  Bevölkerung  in  erwachsenem  Alter,  resp.  die  unverheiratete 


1)  J.  Belethi  Rationale  diviiioram  officiorum  cap.  77  (ona  cum  Durando 
^  Com.  Lauriman.    Lugd.  1605.  p.  525). 


448  Kapitel  Y.  .  Vegetationsgeistcr:  Maibraatiiehaft. 

Jagend  das  Grebahren  des  Maipaares  aneignete  und  durch  Wa 
einer  Maibraut  (Fastnacbtsbraut)  dasselbe  darstellend  nachbilde! 
Wir  beginnen  unsere  Nachweise  mit  einer  französischen  SitI 
welche  an  die  oben  (S.  122)  erwähnte  Sage  vom  wilden  JSgi 
erinnert.  Zu  Mont^limart  Dep.  de  Drome  in  der  Dauphin^  wi 
es  nämlich  Brauch,  daß  die  Ackerbürger  (labonreurs)  mit  de 
Amtleuten  (bayles)  am  30.  April  jedes  Jahres  auf  einem  dayc 
Mai  oder  des  Bouviers  (Rinderhirten)  benannten  Platze  de 
Maihaum  pflanzten.  Am  1.  Mai  bestiegen  sodann  die  Acke 
bürger  und  ihre  Amtleute  (syndics)  prachtvoll  aufgeschirrte  ur 
mit  Bändern  geschmückte  Mäuter,  ein  jeder  nahm  ein  Bauerwei 
oder  eine  Bauertochter  hinter  sich  aufs  Tier  (en  Croupe)  und  i 
ritten  sie  mit  Musik  auf  den  Dörfern  der  Umgegend  von  ET 
zu  Hofe,  teilten  geweihtes  Brod  aus,  sangen  und  ließen  d 
Bauermädel  tanzen,  wofür  sie  überall  eine  Bewirtung  empfinge 
In  den  Pfingsttagen  fand  endlich  ein  früher  dreitägiges,  in  d« 
Revolutionsepoche  abgestelltes,  seit  seiner  Erneuerung  im  Jah: 
1818  auf  einen  Tag  beschränktes  Ackerbaufest  statt,  bei  welche 
die  jungen  Leute  einen  Aehrenstrauß  im  Knopfloche  trugen  ai 
einen  König  wählten,  der  ein  mit  Aehren  gekröntes  SJept 
führte.^  In  der  englischen  Bearbeitung  des  Romans  von  Artha 
Tod  ist  die  nämliche  Sitte  beschrieben ,  ob  schon  das  französiscl 
Original  sie  kennt,  habe  ich  nicht  feststellen  können.  Im  lustig« 
Monat  Mai,  heißt  es,  rief  Königin  Genever  die  Ritter  d^ 
Tafelrunde  und  gab  ihnen  einen  Wink,  sie  werde  früh  a. 
Morgen  den  Mairitt  in  die  Wälder  und  Felder  bei  Westminst; 
halten  (ride  on  maying).  Alle  Ritter  waren  dabei  in  Grä 
gekleidet,  wol  beritten,  und  jeder  hatte  eine  Lady  hinter  Rie. 
ein  Schildknappe,  zwei  Trabanten  folgten.*  Daß  es  sich  t 
diesen  Sitten  in  der  Tat  um  die  Nachbildung  einer  Hochz^ 
handelt,  geht  aus  der  Hochzeitsitte  im  Vogelsbergischen  (Hess^ 
hervor.  Am  Morgen  des  Hochzeittages  begiebt  sich  der  Bräu, 
gam  mit  berittenem  Gefolge  zur  Braut.  Hier  finden  die  Reit: 
eine  gleiche  Anzahl  junger  Mädchen,  deren  jedes  einen  Knu' 
aus  Kunstblumen,  Gold-  und  Silberflittem  auf  dem  Kopfe  träc 


1)  M.  de  Croix ,  Statistique  du  D6p.  de  Drome  bei  Monnier  p.  303. 

2)  Mürte  Arthur,   translated  from  the  Prench  by  Sir  Thomas  Mallo  i 
knight,  and  first  prmted  by  Caxton  A.  D.  1481  bei  Strutt  a.  a.  0.  357. 


Mailehen,  YaleDtine.  449 

Nich  dem  Frühstück  wird  der  Rückzug  angetreten.  Voran  ziehen 
die  Spielleute ,  hinter  ihnen  die  Brautwerber  in  schwarzen  Män- 
teln mit  dem  Bräutigam  in  ihrer  Mitte.  Dann  folgt  einer  der 
finrntfUhrer,  hinter  welchem  die  Braut  sitzt,  und  nun  der  Beihe 
ueh  die  übrigen  Reiter,  jeder  ein  geschmücktes  und  bekränztes 
lidehen  auf  seinem  Pferde  haltend.  Kaum  ist  der  Zug  auf 
einer  Ebene  angekommen,  so  verstummt  die  Musik,  die  Mädchen 
buchen  schnell  vom  Pferde  und  es  beginnt  ein  vollständiges 
Wettrennen  nach  einem  Ziele,  an  das  ein  seidenes  Halstuch,  ein 
ftuur  Handschuhe  und  ein  Band  als  Preise  befestigt  sind.  Wer 
»e  gewinnt,  schmückt  sein  l*ferd  damit  (Brautlauf). 

hn  Drömling  ziehen   die  Hirtenjungen   am  weißen  Sonntage 
(Jndica,  14  Tage  vor  Ostern)  hinaus  auf  die  Weide  und  stecken 
«inen  Platz  ab,  auf  welchen   bis  zum  Pfingstfeste  niemand  sein 
Vieh  treiben  darf.     Ist  dies  geschehen ,   so   nennen  die  Meineren 
<fe»  größeren  ihre  Braut  und   keiner  darf  den  Namen  verraten. 
Daranf  ziehn  sie  ins  Dorf  und  sammeln  Gaben  ein,  welche  auf 
ier  Weide  verzehrt  werden.    Zu  Pfingsten  wird  die  abgesteckte 
Weide  frei  und  jeder  darf  auch  die  ihm  bezeichnete  Braut  nen- 
nen.*   In  Kindleben   bei  Gotha  findet  am  Himmelfahrtstage  eine 
Art  Brautmarkt  statt,   indem   sich   dort  alljährlich   die   Bursche 
w»d  Mädchen  der  Umgegend  zur  Brautschau  stellen.     Die  Bursche 
kommen  in  ihrem  höchsten  Staate   und   mit  vollem  Beutel,   um 
^len  Naumburger  Wein  reichlich   fließen   zu  lassen ,  die  Mädchen 
^t  dreifacher  Garderobe,   da   sie   sich   dreimal  umkleiden  mtts- 
^D.    In  Kindlebcn  entspinnen  sich  die  meisten  ehelichen  Verbin- 
^'ingen,   welche  die  Statistik  unter  den  Hauern  jener  Umgegend 
^'crzeiehnet  und  manche  heiße  Debatte  über  Land  und  Geld  fand 
^ört  statt.     Der  Tanz   unter   der  alten  Kindleber  Linde,  so  wie 
^c  gemeinsame  Heimfart  sind  entschiedenere  Wahr/.eichen  ihres 
^öndes,   als  der  erste  r>flfentliche  Ausgang  eines   Brautpaars  in 
^^f  Stadt.     Eine    ähnliche   Bedeutung   mag   der  Tanz    auf  der 
'^iese   über    der    Ncbelhöhle   in    der   schwäbiscben   Alb   gehabt 
*^^ben,    zu    dem    an    jedem    Pfingstmontiige    die  jungen    Leute 
^^r  weiteren  Umgegend  zusammen  strömen. 

§8.    Mallohoii,  Valentine.     In  Hessen,   Westfalen,   Rhein- 
^^nd  werden    am  Maitiige  die  Mädchen  versteigert  oder  zu  Mai- 

1)  Kuhn.  Mark.  Öajr.  :V21. 

*<»anhardt.  29 


450  Kapitel  Y.    Yegetationsgcister:  Maibrautschaft. 

leben  ausgegeben.     In   der  Sebwahngegend    ziehen  die  hcirats- 
fäbigen   Bursebe,    im   Ziegenbainiseben   nur   diejenigen,  welch^^ 
durcb  einen   besonderen  Act  in  die  junge  Mannscbaft  aufgenoiik^^ 
men  sind,  wäbrend  der  Walpurgisnacht  singend,  mit  Peitscli^-^ 
knallend  auf  eine  Anböbe  vor  dem  Dorfe,  wo  sie  früher  bei  dv^ 
ser  Gelegenheit  ein  Feuer  anzuzünden  pflegten  (wie  in  den  -KV-. 
sen  Kirchhain  und  Ziegenhain  noch  jetzt  geschieht).    Einer  st^^^nit 
sich  auf  einen  Stein  und  ruft: 

Hier  steh'  ich  auf  der  Höhen 

Und  rnfe  aus  das  Lehen, 

Das  Lehn,  das  Lehn, 

Das  erste  (zweite  u.  s.  w.)  Lehn, 

Daß  es  die  Herren  recht  verstehn! 

Wem  soll  das  sein? 

Dann  antwortet  die  Versammlung,  indem  sie  den  Namen  eirÄies 
Burschen  und  eines  Mädchens  nennt,  mit  dem  Znsatze: 

In  diesem  Jahre  noch  zur  Ehe. 

Dann  beginnt  aufs  neue  Gesang  und  Peitscbengeknall ,  bis        ^ic 
Reihe   der  Heiratsfähigen   durchgegangen  ist.     Dies  nennt    DCian 
das  Mailehen.      Aus    demselben  entspringt  für  beide  Teile       ^^^ 
Verpflichtung,   das  ganze  Jahr  mit  keinem  oder  keiner  driti*^^ 
zu  tanzen.     Das  Mädchen  befestigt  seinem  Burschen  einen  30^^' 
nannten   Lehnstrauß  an  den  Hut.     Im  Kirchhainer  und   ZiegT^^'^' 
hainer  Kreise    wird    angesichts    des    lodernden  Maifeu^^''® 
„das  Mailehm^'  zwar  auch  der  Art  ausgerufen,  daß  der  i^"*^ 
rufer  ein  Mädchen  und  einen  Jüngling  (und  zwar  einen  solel*^^"? 
den   sie  schon   zum  Liebsten   hat,   oder  mit  dem  man  sie  g^^^ 
beglücken  möchte)  nennt,  aber  jeder  darf  auf  das  Lehen,   d—  "• 
auf  das  ausgerufene  Mädchen  bieten.     Es  wird  nun  geboten  t»  ^^ 
der   Liebhaber    darf  sich   nicht   lumpen   lassen,    um  die  S«'^^"® 
davonzutragen.     Das   erlöste  Geld  wird  im  Wirtshause  verzefc^^ 
Mißfällt  ein  Mädchen,  so   schweigen  alle,   oder  man  bietet  e^*-°^ 
geringfügige  lächerliche  Sache.      Am   nächsten   Sonntage   fin<^^-^^ 
die  mit  einem  Liebsten   beglückten  Mädchen  einen   Strauß  oc:^^^ 
Maibusch   auf  ihrem  Kirchensitze,  die  Verschmähten  einen  D"^^*"' 
neu-  oder  vertrockneten  Zweig  (vgl.  o.  S.  165.  184).     Dem  M«'^"' 
eben  steht  es  frei,  seinen  Käufer  beim  ersten  Tanze  durch  ei^^*^" 
verneinenden  Knix   abzulehnen   (ist  wol  eine  moderne  Mildert^  ^^ 
der  alten  Sitte)  oder  ihn  durch  Anheftung  der  Blumen  an  se:  ^•^^ 


Mailehen,  Valentine.  451 

iffltze  als  Liebsten  anznerkennen.^     Au   der  Eifel  and  Ahr  nnd 
M  Jlllicher  Lande   versammeln    sieh    sehon  am  Vorabende  des 
MmtägB  alle  Barsehe ,  welche  eine  Gilde  mit  gewählten  Schult- 
ÄeiBen,  Schöffen  nnd   Schreibern  bilden,  unter  der  Linde   oder 
vor  der  Kirchttire;  der  Schultheiß  oder  ein   Schöffe  bietet  die 
Mädchen  des  Dorfes  unter  Anpreisung  ihrer  Vorzüge  einzeln  aus 
önd  ttbei^ebt    jede    feierlich    dem    Meistbietenden,    zuerst  die 
Schönste,   die  zumeist  der  Reichste  davonträgt,  wo  nicht  beson- 
dere Herzensneigung  zu  größeren  Geldopfern  anspornt.    In  abstei- 
gender Linie  geht  er  alle  Mädchen  durch;  diejenigen,  aufweiche 
kein  Angebot  erfolgte,  bilden  den  Bündel  und  Rummel  und  wer- 
den zusammen  in  Bausch  und  Bogen  einem  Burschen  angesteigert. 
Der  Schultheiß  hat   beim  Ansteigem  die  Vorhand  und  ftlhrt  mit 
»einer  Ersteigerten  immer  den  Tanz  an.    Die  Ersteigerten  heißen 
^^oifrauefi   oder   Maüienen.     Der    Ansteigerer   hat   das  Recht, 
^^"Uhrend  des  ganzen  Frühlings  und  Sommers  mit  seiner  Maifrau 
ausschließlich  zu  tanzen  und  als  ihr  Bevorzugter  zu  gelten.    Er 
l>eeilt  sich  sofort  nach   der  Versteigerung  ihr  einen    schönen 
Maien   auf  den  Giebel   zu   setzen   und   sie  schmückt  seinen 
Hut  mit  Blumen.    Von  dem  erworbenen  Gelde  werden  die  Musi- 
kanten bezahlt  und  der  Ueberschuß  verbraucht,  um  die  Maifrauen 
niit  Wein  und  Speisen  zu  bewirten.     In  der  Wetterau  überreicht 
das  zu   Lehn    angenommene    Mädchen   seinem    Ersteigerer   den 
„Keim"    einen   Rosmarinstrauß.       In    anderen    Dörfern    der 
Eifel  (z.  B.  Uelmen)  werden  die  Mädchen  4  —  5  Wochen  vor  der 
Kirmes  versteigert,  sie  werden  von   da   an   bis  zur  Kirmes  des 
Meistbietenden  Tänzerinnen.*    In  St.  Goar  fand  die  Versteigerung 


1)  Lyncker,  Hessische  Sagen  235,  317  nach  Landau  Zeitschr.  f.  hcss. 
Gesch.  II,272fi.  Miilhause,  ürreligion  S.  177.  Nach  Soldan  (Geschichte  der 
Heienprocesse  S.  248)  begeben  sich  die  jungen  Bursche  in  der  ersten  Mai- 
nacht vor  das  Haus  ihrer  Geliebten,  schießen,  knallen  mit  den  Peitsclien 
^nd  rufen : 

Ich  rnfc  mir  N  N  zum  Lehen  aus; 
Ein  Lehen  ist  ein  Lelien ; 
Wers  nicht  will ,  läOt  es  gehen. 

2)  Schmitz,  Sitten  und  Bräuche  des  Eifler  Volkes  I,  32.48.  Kinkel 
^»«  Ahr  S.  116  ff.  E.  Weyden,  das  Ahrthal.  S.  21.5.  Dieffenbach,  ürge- 
•^^ichtc  der  Wetterau.     In  Brohl,  Meckeudorf  und  anderen  Dörfern  der  Eifel 

29* 


452  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:   Maibrautschaft., 

der  Mailehen  sogar  auf  dem  Ratbause  statt  und  das  erlöste  Geld  fi 
in  die  Stadtkasse.*  Aus  dem  Herzogtum  Berg  schildert  der  Pseud 
nyme  Montanus  den  Hergang  ganz  ähnlich  mit  geringen  Modificati 
nen.  Statt  der  Schultheißen,  SchöflFen  und  Schreiber  genannt« 
Beamten  wählen  die  am  Maiabende  unter  der  Linde  versammelt« 
Bursche  sich  einen  Maikönig  und  zwei  Maigrafen,  die  diesem  a 
Richter  zur  Seite  stehen.  Sie  heben  den  Maigesang  an,  den  d 
Mädchen  fem  her  vom  Dorfe  erwiedem.  Dann  wird  die  Lisi 
der  unverheirateten  und  heiratsfähigen  Jünglinge  und  Jongfiraac 
neu  aufgestellt  und  der  Maikönig  wählt  sich  eine  Maikönigii 
Jetzt  ruft  der  eine  Maigraf  nach  der  Reihe  die  Namen  jed< 
Jtlnglings  auf,  die  Versammlung  fragt:  Wer  soll  seine  Liebsl 
sein?  und  der  zweite  Maigraf  nennt  den  Namen  der  Jungfrai 
die  ihm  zugeteilt  wird.  Burschen  und  Mädchen  unlauteren  Rufe 
gingen  dieser  Ehre  verlustig;  beliebten  Jungfrauen  wurde  di 
Aui^flanzung  des  ehrenden  Maibaums  vor  ihre  Tür  zuerkami 
Am  Maitage  selbst  brachte  jeder  dem  bei  der  Maisprache  Ihi 
zuerteilten  Mädchen  Spruch  und  Gruß  und  empfing  Dank  an 
einen  Maiblumenstrauß,  dann  brachten  alle  singend  der  mit  Bh 
men  gekrönten  Maiköuigin  ihre  Huldigung  dar.  Nachmittag 
begann  der  Maireigen  unter  der  Linde,  zu  dem  jeder  Jünglin 
an  der  Hand  des  ihm  zuerteilten  Maimädchens  trat.  I'>  behie 
es  bis  zum  andern  Maiabend  und  hatte  es  zu  Karmes  und  Johai 
nisreigen,  zum  Vogelschießteste  und  zum  Schwingtage  zu  tUhrei 
abzuholen  und  heimzugeleiten.  Maikönig  und  Maikönigi 
hatten  überall  den  Vorsitz,  die  Maigrafen  hielten  die  Ordnun 
aufrecht  und  schlichteten  mit  dem  Könige  alle  Zwiste  in  Lieber 
handeln.*  Südlicher  finden  wir  die  Spuren  des  Mailehens 
Frankfurt  am  Main  wieder,  wo  im  Anfange  des  vorigen  Jak 
hunderts  Kinder  in  einem  grünen  Wägelchen  von  Haus  : 
Hause  fuhren  und  die  Verse  sangen: 

Heute  zum  Lehen, 

Morgen  zur  Ehe, 

Uebers  Jahr  zu  einem  Paar. 

muß  die  Maifrau  mit  ihrem  Ansteigerer  nicht  allein  ausschließlich  tan^s 
sondern  sie  diirt'  sich  auch  mit  keinem  andern  unterhalten,  bis  man  Bl^ 
an  d^n  dicken  Bohnen  im  yreim  sieht. 

1)  Kri«>^'k,  deutsclies  lUirjrertum  i.  Mittelalter.  Frankf  a.  M.  1868.  S.  ^ 
2}  Montanus,  die  deutschen  Volksfeste  I,  1854.   ö.  2^  ff. 


Mailelien,  Valentine.  453 

Der  Berichteretatter  ist  der  AfiKieht,   e»  seien  das  dieselben 
Worte,  mit  denen  vor  1232  ehe  von  Heinrich  VII.  das  Ehezwangs- 
recht  aufgehoben  sei,   ein  Herold  zuweilen  einer  Btirgerstochter 
«ogektLadigt  habe,  daß   der  Kaiser  sie  der  Hofleute   einem  zur 
Ehe  verleihe.*     Um  Kirchheimbolanden ,   Stetten   u.  s.  w.  in  der 
t     Kbeiopfalz  werden  wiederum   heute  noch  in  der  ersten  Mainacht 
die  heiratsfähigen  Mädchen  in  r»flFentlichcr  Versammlung  zur  Ver- 
^igerong    einzeln    ausgeboten   und  dem   Höchstbietenden  zuge- 
schlagen.    Der  ErUis    ist   kein   unbedeutender.^     Dagegen  fand 
»n   der  Mosel    die  Verteilung   der   mannbaren  Mädchen   an  die 
Ortsbarschen,   das  Mailehen,   schon   am   ersten   Sonntage   in  der 
Pasten   (Invocuvit)  statt  und   hieß   daselbst   der   Vfdentinsfag,  es 
'nirde  1799   polizeilich  verboten.^     Hierüber  äußert  sich  Zuccal- 
maglio*  folgendermaßen:   „Von  den  witzigsten  Burschen  werden 
am  Rhein  und  weit  nach  Lothringen  hinein  alljährlich  am  ersten 
Sonntag  in   den  Fasten   die    ,, Liehehen;'  ,,Vielliehehen ^'^    Valen- 
tincJ^en"  ausgerufen,  deren  Namen  an  der  Sprachstelle  jedesmal 
eingeschaltet  wird.     Steht   einem   jungen   Manne    die    zuerteilte 
JuDgfran   an,^so   geht   er    am  SonntJig    zu  ihr,   die  Bretzel  zu 
brechen,    ihr   auch   wol    ein    kleines  Geschenk  zu  machen;    wo 
nicht,  so   wird  am   zweitfolgenden  Sonntag  sein  Name  von  den 
Ausrufen!  auf  einem  Zettel  feierlich   verbrannt.     Daß  aus  dieser 
mutwilligen   Verlobung   manche   ernste   folgt,    läßt  sich  denken.'' 
Das  Beispiel  eines  betreffenden  Ausrufes  lautet: 

Ich  weilJ  iott!     Was  weißte  denn? 

Der  Peter3  Olof  en  det  Dulfes  Drückclien  det  sind  zwihi), 

Mar  machen  e  Paar  doriis  recht  schiin 

Zo  Ostern  geft  et  ein  Bhimenstrnl?, 

Un  Ufer  et  Jör  die  We^en  et  Hiia!** 

^'^ch  die  Knechte  zu  Dobischwald  in  Oesterr.  Schlesien  nehmen 
^^■hon  am  ersten  Fastensonntage  das  Mädchenvcrschreihen  vor, 
''^düni  ein  aus  ihrer  Mitte  gewählter  Fürsprech  jedem  nach 
^*aßgabe  seines  Angebots  ein  schönes  oder  minder  schönes  Mäd- 

1)  Ang.  F.  V.  Lcrr.ner,  Chronik  der  Stadt  Frankfurt  170().  I.  fiO.    Grimm, 
^*  A.  438.  Aum.  vgl.  43t5  — 38. 

2)  Bavaria  IV,  2,3f;4. 

3)  Hocker,  das  Moselthal.   S.  24  bei  Kochholz  drei  (»augöttinnen  S.  41. 

4)  Znccalmaglio  (Krctschmer»,  Deutsche  Volkslieder  mit  ihren  Original- 
^^is^n.    T.  II.     Berl.  1840.     S.  502. 

5)  Ebds.  Nr.  277.    S.  r>01. 


454  Kapitel  Y.    Vegetationsgeistcr:  Maibrautschaft. 

chen  als  ausschließliche  Tänzerin  zuschreibt^     Kriegk  erwähnt^ 
daß  es  auch  deutsche  Orte  habe,  an  denen  die  Versteigemng 
am  Ostermontage   statt  hatte.  ^     In  den  meisten  der  aufgeführten 
Fälle  ist  durch  die  Gesetze  der  Gilde  streng  t\lr  Ordnung  gesorgt^ 
und  jeder  Verstoß  gegen  die  Sittlichkeit  wird  mit  Geldbuße  oder 
Ausstoßung  aus  dem  Vereine  der  Burschen  (der  Burschenschaft 
oder  Knabenschaft)  bestraft.      Das  Mailehen  führt  oft  zu  wirk- 
licher Brautschaft.     Und  in  Ilolland  ist,  wie  es  scheint,  dieses 
Spiel  der  Liebe  auf  die  ernste  Freischaft  übergegangen,  indem 
die  Bewerber  eines  vielbegehrten  Mädchens  unter  sich  das  Recht  ^ 
versteigern    und   bis    50  Fl.    bezahlen,    dasselbe   zwei   bis  drei^ 
Monate  ausschließlich  bei   ihren  Eltern  besuchen  und  zum  Tanz^ 
filhren  zu  dlirfen.    Gelingt  dem  (Glücklichen  während  dieser  Zei 
seine  Liebeswerbung  nicht,   so  tritt  ein  anderer  ein,  bis  sie  enc 
lieh  an  den  Rechten  Herz  und  Hand  vergeben  hat.^    Doch  am 
ohne  Ersteigerung  gewann  man  im  Mittelalter  ein  Weib  als  Mi 
frau,  der  man  während  einer  gewissen  Zeit  seine  Ritterdiei 
weihen  durfte ;  der  Scherz  des  Mailehens  wurde  in  der  vomehi 
Welt  auf  zeitweilige  gesellige  Vereinigungen  tibertragen.    Alö 
Frühlinge  des  Jahres  1474  Hans  von  Waldheim  zu  Oberbau 
im  Aargau,  dem  bertthmtcsten  Badeorte  seiner  Zeit  weilte, 
da  viel  Adel  aus   der  Schweiz,    dem   Breisgau  und  Schwai 
und  Hans   von   Ems,    sein   guter  Freund,   gab    ihm   artig  s< 
Frau  zu  einer  MaienbuJde.^     Eine   ganz  altertümliche  Form 

1)  A.  Peter,  Volkstüml.  a.  Ocsterr.  Schlesien  11,280. 

2)  A.  a.  0.   120.     Vgl.  über  die  Mailehcn  nocli  Giebel  und  Kauf  in  an  v 
Falke   u.  Müller  Zeitschr.  für  die  Kulturgeschichte  18.57.    S.  95— 105. 
nig,  Geschichte  der  Burgen,  Rittergüter,  Abteien  in  den  Kheinlanden. 
1837.41.4.    S.  8ff.    Pfeiffer,  Germania  I,G5. 

3)  Wolf  Wodana  11,203. 
•1)  Hans  von  Waldheim,  Keise,  Msc.  in  Wolfenbüttel.    S.  Ebert,  U<5 

lieferungen  zur  Geschichte  der  Litteratur  und  Kunst  1825.     Vgl.  daher  & 
in    geistlichen    Liedern    den    übertragenen    Ausdnick    ,,badenbule."     ,, 
hudcnbnle  sie  •    Die   allerschönsl  Marie."     Wackernagel ,   1).  Kirohenl. 
Uhland,  Schriften  IIl,  470.     Zuweilen   ist  von  einer  im  Mai  auf  Zeit, 
die  Sommermonate  geschlossenen  Kuapi>en-,  Pfaffen-  oder  Mcienchc  die 
(Agricola  Sprichwörter  Bl.  129).    Darauf  spielt  schon  saec.  XIII.  Nithanl^ 

des  wil  ich  disen  sumer  lanc 
sin  släfgeselle  sin 

Ms.  111 ,  217  «^  3.    Uhland  a.  a.  0.  390.  470. 


Mailehen,  Valentine.  455 

Sitte  hat  sich  za  Nalbach  im  Kreise  Saarloois  erhalten,  wo  jeder 
BaoerbnrBche  am  Kirchweihieste  Nachmittags  nach  der  Vesper 
(oft  sogar  noch  in  der  Kirche)  dasjenige  Mädchen  raubt ,   das  er 
an.  diesem  Abende  und  das  ganze  Jahr  zum  Tanze  itihren  will.^ 
Zu  einer  breiteren  eigentümlichen  Entvvickeluug  ist  in  Wälsch- 
tirol,  Frankreich  und  England   jene   Wahl   des  Lenzhuhle^t  am 
[        letzten  Februar,  am   ersten  Fastensonntage  oder   am  Valentins- 
tage (14.  Februar)  gediehen;  den  Uebergaug  bildet  die  Form  der 
Sitte  am  Leutschfelder  Berg   an   der   Kyll  (Eitel),    wo    die    im 
Herbst   bei   der   Kirmes   versteigerten   Mädchen   (o.  ö.  451), 
nur  sie.,    am   ersten   Fastensonntagc ,   während  ihre  Lehnsherrn 
das  große  Feuerrad  vom  Berge  rollen,   sich  im  Schulhause 
versammeln,  um  den   Herabkommenden  Backwerk  darzubieten.* 
In  Wälschtirol  zünden  die  Bursche  am  Abend  des  letzten  Februar 
auf  Hügeln   oder  Bergvorsprüngen  die  sogenannten  Märzfeuer  an 
und  rufen  dabei   singend  Heiraten  aus.     Ein  solcher  Keimspruch 
l>ei  Pergine  lautet: 

Eutra  ^larzo  e  buoDoni  »ia, 

1  cani  air  erba  e  Toni  air  ombria, 

La  pecorella 

Giü  per  la  vallicella: 

In  qoesto  Marzo  chi  e  la  piii  bclla 

Tra  le  pntte  da  luaritarV 

La  piu  bella  e  N.  N. 

A  clii  la  vu<^liaiiio  dar? 

A  chi  iiou  la  vogliamo  dar? 

Diamola  a  N.  N.,  che  l'«*  un  bei  i»ar! 

Zu  jeder  einzelnen  Ausrufung  werden  dann  Flintenschüsse 
»V>gefeuert  und  mit  Schellen,  Hörnern  u.  s.  w.  Lärm  gemacht.^ 
Auf  dem  Berge  Sardagna  bei  Tricnt  versammeln  sich  die  jungen 
Bursche  am  Abend  des  1.  März  und  rufen  zum  Scherz  gewählte 
ßräute  mit  Jubelgeschrci  aus.^  Der  Sonntag  Invocavit  heißt 
^kaiintlich  in  Frankreich  le  dimanche  des  brandons,  Fackel- 
sonntags  weil  man  dann  große  Feuer  anfachte  und  mit  daran 
^Qtetindeten  Strohbündeln  und  Tannenreisern  durch  die  Obstgärten 

1)  Zh.  f.  D.  Myth.  I,Hi),3. 
.    2)  Schmitz  a.  a.  0.  25. 

3)  Schneller ,  Märchen  und  Sa^^en  aus  Wälychtirol  S.  235. 

4)  Y-  Pallhausen ,  Bojoariae  Tojjographia  Romano  -  Celtica.  1.  München 
^^lO,  S.  68. 


456  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  Maibrautschaft. 

und  Saaten  lief.  Diese  Feuer  und  Fackelzüge  werden  uns  nocl 
später  beschäftigen,  hier  haben  wir  nur  ihre  dem  italiänischei 
Märzfeuer  entsprechende  Beziehung  auf  Liebe  und  Heirat  n 
erwähnen.  In  Verges  auf  der  Lheute,  einer  Nebenkette  des 
Jura  in  Franche  Comte  erklimmt  man  die  Spitze  des  Gebirges 
baut  dort  um  drei  Bäume  je  ein  Strohnest  und  setzt  es  in  Flam 
men.  Zu  den  Aesten  der  allmählich  auch  in  BranC 
geratenen  Bäume  (cf.  o.  S.  177  ff.)  springen  die  Umstehendei 
in  die  Höhe,  um  daran  trockene  Lindenzweige  anzuzünden 
Diese  hoch  in  der  Luft  schwingend,  steigt  man  in  Prozessioi 
herab,  fordert  Haus  bei  Haus  geröstete  Erbsen  und  zwingt  du 
im  letzten  Jahre  Nenverheirateten  j  einen  Tanz  anzustellen.^  Ii 
ganz  Westfrankreich  waren  diese  Feuer  Sitte,  und  man  sagte 
wer  durch  die  Flamme  springe,  ohne  die  brennenden  Holzseheitc 
zu  berühren,  werde  sich  im  nächsten  Jahre  verh<iiraien,^  In  den 
nr>rdlichen  Teile  der  Vogesen  (Gegend  von  Saarburg,  Heming 
u.  s.  w.)  findet  am  Anfange  der  Fastenzeit  das  Scheihetüreibef^ 
(schibe  -  tribe)  statt.  Abends  neun  Uhr  wird  auf  einer  der  Schi 
beberg  (la  röche  des  Chibes)  benannten  Felskuppe,  der  höchstei 
der  Gegend ,  von  den  Burscheu  ein  Feuer  aus  Brombeergesträuel: 
und  Haidekraut  angezündet,  indeß  die  mannbaren  Mädchen  neu- 
gierig  in  den  Büschen  sich  verstecken.  Plötzlich  tritt  der  Dorf 
hirte  auf,  eine  künstliche  Hocklarve  auf  dem  Haupte  (?),  eine» 
langen  spitzen  Bart  unter  dem  Kinne,  ein  wollenes  Fließ  übei 
die  Schulter  geworfen  und  proklamiert,  je  den  Namen  eines 
Bursehen  und  einer  Junglrau  mit  der  Stimme  eines  Stiers  in  die 
Nacht  hinausbrülleud,  die  sämmtlicheu  heimlichen  Liebschaften 
und  künftigen  Ehebündnissc  der  (remrinde,  im  nämlichen  Augen- 
blicke aber  werden  runde,  in  Flammen  gesetzte  Holzscheiben  mit 
Hilfe  eines  Stockes  in  die  Luft  geschleudert.^  In  den  südlichen 
Vogesen,  zumal  in  der  Gegend  von  Epiual,  errichtete  man  ac 
mehreren  Stellen  der  SUidt  und  an  den  Ufern  der  Mosel  Holz- 
stöße in   pyramidaler  Form,    zu   welchen  die  jungen  I^ute,   die 


1)  Monnier  a.  a.  0.  191. 

2)  Monnier  a.  a.  0.  203.     In  der  Bretagne  glaubte  man ,  daß  ein  junges 
Mädchen  im  Laufe  des  Jahres  jieirate,  wenn  sie  um  neun  JohanDls 
feuer  liintor  einander  getanzt  habe.     Magazin  pittoresque  II,  71. 

3)  Erckmanu-Chatrian,  Histoire  d'un  sous-maitrc  Paris  1,S71.  p.  1»8— 1041 


Mailehen,  Valentine.  457 

das  Fest  veranstalteten,  schon  einige  Tage  vorher  die  Scheite 
»uammgebettelt   hatten.      Zur   veral)redeten    Stunde    legte    man 
Fener  an  jeden  Holzstoß ,  der  nun  Hyniens  Altar  wurde,  und  die 
Unwtehcnden  riefen:  Qui  dotie?  Qui  donc?    Je  done!  Je  done!  — 
Qüimarie?    Qui  marie?     Je  marle!    Je  ttKirie!    Moyhsieur  N.  N, 
fltw  Madenmselle  N,  N,     Und  sie  nannten  die  Namen  von  zwei 
Personen,  jungen   oder  alten,    schönen  oder  häßlichen,    reichen 
oder  armen,    die  sie  auf  ihre  Weise  vereinigen  wollten.    Die  oft 
wider  WiUen    in    dieser    Art    verbundenen    Paare     sahen    sich 
genötigt,   einander    den  Ami    zu    bieten   und  mehrere  male   die 
Bünde  am  den  Holzstoß  zu  machen  inmitten  der  lärmenden  ßei- 
fallsrufe,    des   Gelächters    und  der   neckenden   Seherzreden   der 
Menge.    Sobald   die  Feuer  niedergel)rannt  waren,   breitete  man 
rieh  in  den  Straßen   der  Stadt  aus  und  begaim   unter  den  Fen- 
stern, vor  denen  man  stille   stand,   die  Namen  der  Brautpaare 
^fiances),   welche  man  Frchenofs  und  Fcchrnottei^  oder    Valentins 
'Uid  Valentines   nannte,   zu   proklamieren.     Der  Fechenot  mußte 
*€iner  Fechenottte   eine  Putzsache,  die  Fechenotte  ihrem  Feche- 
^ot  ein   buntes  Huttiand   schenken.     Den  Sonntag   darauf  flihrte 
^^r  Bräutigam    (Föchenot    oder   Valentin)   die  Braut   im  besten 
^^te  und  mit  den  gegenseitigen  Brautgeschenken  angetjin  zum 
*^ferlichen  Tanze  auf  dem  Danserosse   cKler  Danseresse   genann- 
^^n  Felsen  im  Walde   von  St.  Antoine.     Dies  durfte  jedoch  nur 
S^^ehehen ,  wenn  jener  Gabenaustausch  wirklich  vor  sicli  gegjuigen 
^^^r,    der    als  Loskauf  (rachat)  vom   Scheiterhaufen   bezeichnet 
^'Tirde.     Denn  anderesfalles  zog  man  bei  der  Heimkehr  aus  dem 
^^alde   vor  die  Häuser  dos  Valentin  und  der  Valentine  und  zUn- 
^^te  kleine  Feuer  an,   in  denen  man  ibr  Hiklniß  ver})rcnnen  ließ 
^^ter  den  Ausrufen:  Qui  brüleV   (^ui  brule?    Je  bnile!    Jebrüle! 
^'r.  NN.   et   MUe  NN.     Wegen  des  Mißbrauchs,   der   mit  dieser 
^itt€  getrieben  wurde,   hat  die  Municipalbehiirde  sich  veranlaßt 
&^tunden,   sie   zu  verbieten.^     Dieser  Brauch,   allen  jungen  Leu- 
^^n    die  künftigen  Gatten   oder  Gattinnen   zuzuweisen,  ist  schon 
älter.     Die    Synode    zu   l'oul    (15.  April   lü('>:i)    ver»)ot   ihn    mit 


1)  Ch.  Charton,    les   Vosges  ]»ittorosques   bei    Cortot  fetes  religieuses. 
?ari8l8()7,   p.   101.      Statt    des    Biinanchc    dos    Branduns  (Invooavit)   hatte 
Äie  beschriebene  8itt<)   in  einigen  Conmuinen   um  Epinal  am  ersten  Sonntage 
«tt  Mmzc  statt.     Wulf ,  Beiträge  l ,  70. 


458  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister :  MaibrautBchaft. 

folgenden  Ausdrücken,   woraus  wir  sehen ,  daß  er  auch  noch  an 

anderen   Sonntagen    der   Fastenzeit   geübt   wurde:    Encore  qne 

chacun  SQait  ass^s  que  le  Careme  est  un  tems  d'abstinence,  non^ 

seulement  de  viandes,  mais  de  jeux  et  de  railleries  et  que  poiir- 

cela  meme  les  noces  y  sont  defendues,  Nous  Sharons  nöanmoins^ 

qu'en  plusieurs  lieux  de  uotre  Diocese  es  jours  de  Dimanche  d^ 

ce  Saint  tems,  comme  aux  grands   et  petits  Brandons  et  autre^ 

Dinianches  il  se  fait  des  assemblees  de  gargons  et  filles  pon... 

danser  ou  avec  des  vioions,   ou  avec  des  chansons  inim( 

et  quelquefois  des  honnetes.    Et  de  plus  foifU  des  jeux  dits 

nottes,  esquels  ils  designent  ä  Iiauts  cris  des  cpot4X  et  epoiASes 

tous    les   flls   et   fdles   du    village,^     Vgl.  ferner  Valentin:  futi:::z 

epoux,  celui  qu'on  signifiait  ä  une  fille,  le  jour  des  Brandons 

qui   des  (lu'elle   eüiit  promise  se  nonimait  Valentine  (RoquefiK 

Gloss.  in   voee).^     Mag  übrigens   in  Frankreich  der  Brauch  te^oi 

ersten  Fastensountage,  resp.   beim  Scheibentreiben  dieses  Tag««K 

Lenzbuhlen   zu   erwählen,    schon  früher   bestanden   haben,  d^ 

Name  Valentinen  erklärt  sich  erst  durch  eine  Uebertragung  a^« 

dem  englischen  Brauche.     In  England  nämlich  war  es  Sitte^ 

jeder   sich    am    14.  Februar,    St.  Valentiustage  (von   dem 

glaubte,   daß  an  ihm  die  Vögel  sich  paaren)  oder  am  Voraben 

dieses  Tages  durch  das  I^os  auf  ein  Jahr  lang  eine  Dame  zi 

Gegenstande   seiner  Aufmerksamkeiten  wählte,  die  er  mit  Krä 

zen  schmückte,  mit  Blumen  beschenkte  imd  die  seine   Vcdenti: 

wie  er  ihr   Valentin  hieß.^     Bei  Shakespeare  spielt  Ophelia 

diese   Sitte   an   „to    be  your  Valentine"*     Buchanan  (PoeuM 

Lugd.  Bat.  1628  p.  372)  sagt  darüber: 

Festa  Valentine  rodiit  Lux  — 

Quisquo  sibi  sociam  jaiu  legit  ules  uvem. 

Iiide  sibi  Dominum  per  sortes  qitaerere  in  annutn 

Maiisit  ab  antiquis  mos  ropetitus  avis. 

Quisquc  le<rit  Domiiiam,  quam  casto  observet  amore 

Quam    nitidiH   sertis,   obscquioque  colat, 

Mitterc   cui   possit  blaudi  munuscula   veris  etc. 

1 )  Thiers ,  Traitc  des  superstitioiis  Paris  IGUT  bei  Liebrecht ,  Gerv  s^msius 
V.  Tilbury  2r)8,  4(>S. 

2)  Vgl.  auch  Menage,  Dictionaire  etymologiquc.     S.  v.  Valentine. 

i))  Unter  uns  ist  diese  Sitt<3   neuerdings  durch  G.   Freytags  Lust:r<i»iei 
,,dic  Valentine**  allgemeiner  bekannt  geworden. 
4)  Hamlet,  A.  4.  Sc.  5. 


Maileheu,  Valentine.  459 

Schon  zwei   Jahrhunderte   früher  war   dieser   Brauch   am    eng- 

liwhen  Hofe  üblich,   und  wir  besitzen  noch  viele  am  Valentius- 

tige  verfaßte  Rondeaus  und  Balladen  des  Herzog  Karl  von  Or- 

km,  der  vom  Jahre   1415  —  144u   als  Gefangener  in  England 

irdlte,  worin  er  der  Sitte  als    einer  I^andessitte  Erwähnung  tat 

(e'est  la  coutume   de  pie  ^'a).     In   einem   derselben   beklagt  er 

un  Valentinsmorgen  von  den  Vögeln  geweckt,  deren  jeder  heute 

einen  Gatten  suche,  seine  Lage,  die   durch  den  Verlust  seiner 

Geaiahlin  noch  trostloser  geworden  ist  „chascun  de  vous  (oyeaulx) 

*  per  (d.  i.  pair)  qui  lui  agr^e,  et  point  n*en  ay;  car  mort,  qui 

tti'a  trahy  a  prins  mon  per ; "  alle  haben  sich  Valentinen  gewählt 

(Saint  Valentin  choisissent  eeste  annee  ceulx  et  celles  de  l'amou- 

reu  party),  er  allein  hält  sieh   trostlos  fern   auf  dem  freude- 

leeren  Lager.    Ein  andermal  kann  er  am  Valentinstage,  wo  man 

sich  eine  Genossin  wählen  muß,  (qu'il  me  convient  choisir  uu  per) 

dem  Gedanken  an  seine  süße  Beute  nicht  entfliehen  (Je  n'y  puis 

^«chapper  pensce   prens  pour  mon  butin).     Sie  hat  ihn  morgens 

S^weckt,  indem  sie  an  seine  Türe  klopfte;  will  sie  aber  zu  sehr 

sein  Herz  bestürmen,   so   wird  es  zwischen  ihnen  harte  Kämpfe 

Seben.    Ja,   wenn  er  Hoflnung   auf  Befreiung  schöpfen  kihmte, 

cLum  würde  er  aus  ganz  anderem  Tone  reden  (je  parhisse  d'autre 

Latin  dans   ce  jour   de  Valentin).      Auch   der  französische   Hof 

scheint  diese  Sitte   damals  entweder   überhaupt  geübt  zu  haben, 

oder  Karl  hatte  sie  speciell  in  seiner  Umgebung  eingeführt.     Eine 

»cmer  Rondeaux  zeigt  uns   die   Frau   von  ^Vngouldme  als  seine 

Valentme. 

A  ce  jour  de  saiiit  Valentin 
Puis  qu'estes   luun   per   ceste  unnue, 
De  bien  heureuse  destint-e 
Pussiüiis-nous  purtir  le  butin  etc. 

1«  mehreren  Gedichten  nennt  der  Herzog  seine  Dame  geradezu  seine 
Valentine.  Aus  anderen  Cliansons  geht  hervor,  daß  wenn  der  Va- 
lentiüstat^  auf  Aschennittwoch  einfiel,  die  Wahl  der  „pairs"  erst 
aiu Nachmittage  vorgenonnnen  wurde;  während  die  Morgenstunden 
der  kirchlichen  Erbauung  gewidmet  blieben.  ^  Ziemlich  gleichzeitig 
^»t  den  Poesien  des  Uerzogs   von  Orleans   findet  sich  die  Sitte 


1)  S.  Goujet,  Bibliütbequo  Franroisc  ou  bistoire  de  la  litterature  Fran- 
V^««T.IX.  1745  i>.  200-72. 


400  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:   Maibraatschaft 

der  Valentinswahlen  in  einem  Briefe  vom  Febraar  1446*  sow 
als  auch  in  einem  Gedichte  des  Mönches  John  Lydgate  (f  14 
zu  Ehren  der  Königin  Katharina,  Gemahlin  Heinrichs  V.  (1413 
22)  erwähnt;  der  letztgenannte  Dichter  bezeichnet  sie  in  sein 
Verzeichnisse  poetischer  Devisen  als  ,,chusing  Loves 
St.  Valentines  day.""  Ja  schon  bei  Gower  (f  1402)  find 
wir  ein  französisches  Valentinsgedichtchen,  worin  er  seiner  H 
rin  sagt,  daß  er  bei  Erwählung  ihrer  dem  Beispiele  der  Vöj 
gefolgt  sei.^  Madame  Royal,  die  Tochter  Heinrichs  IV.  bai 
bei  Turin  ein  Schloß  Valentine.  Beim  ersten  Feste  das  sie  d 
gab,  veranstaltete  sie,  daß  die  Damen  ihre  Liebhaber  auf  < 
Jahr  durchs  Loos  wählten;  nur  für  sich  selbst  nahm  sie  fr 
Wahl  in  Anspruch.  Auf  jedem  Balle  während  des  Jahres  e 
pfing  jede  Dame  von  ihrem  Ritter  einen  Blumenstrauß,  währe 
sie  bei  jedem  Turnier  für  den  Schmuck  seines  Rosses  sorgte.^ 
Die  Art  und  Weise  zu  seiner  Valentine  zu  kommen,  y 
verschieden.  Diejenige  unverwandte  unverheiratete  Person  an< 
ren  Geschlechtes,  aus  einem  anderen  Hause,  welche  der  Zul 
am  Morgen  des  Valentinstages  zuerst  entgegenflihrte,  galt  dafll 
Gai  schildert,  wie  zwei  Milchmädchen  an  diesem  Tage,  da  ( 
Vögel  mit  frohem  Wechselgcsang  ihre  Liebchen  finden,  sich  i 
Tag  und  Tau  in  den  Feldern  begegnen  und  neugierig  darauf; 
sind,  des  ersten  Burschen  ansichtig  zu  werden,  der  wird  il 
treue  Liebe  sein.  IJcbrigcns  sollen  sich  auch  junge  Männer 
genug  schon  in  frühester  Morgenstunde  in  der  Nähe  des  Haui 
oder  der  Straße  aufstellen,  wo  ihre  Geliebten  vorbeikomn 
müssen,  und  letztere  gehen  gern  eine  halbe  Stunde  um, 
einem  Nichtcrsebnten  aus  dem  Wege  zu  gehen,  oder  sie  sits 
mit  zugemachten  Augen  den  halben  Tag  am  Fenster,  bis  sie  < 

1)  Fenn,  Pastun  Letters  II,  211. 

2)  Chaucer,  Works  ed.  Sjjcght.     London  1G02.    fol.  37(). 

3)  Warton,  history  of  English  poetry  add.  to  VoL  II.  p.  31.    Aufl.  1. 

4)  Douce,  Illustrations  of  Shakespeare  11,252. 

r^)  In  der  Gegend  von  Hüll  gilt  der  Gebrauch  noch.  Choii^-m 
from  notes  and  querics.  Folklore.  London  1859.  p.  1G5.  Ebenso  in  Bucki 
hanishiro.  Henderson,  notes  on  tlie  Folkslorc  of  thc  nortlicrn  countie^ 
England.     London  18()(>  p.  73.     Die  Anrede  lautete  hier: 

Good  niorning  to  you  Valentine, 

First  'tis  yours  and  then  'tis  mine, 

111  Ihank  you  for  a  Valentine. 


Mailehen.  Valentine.  461 

HuDme  des  Ersehnten  hr>ren.  Eine  andere  Weise  war,  die  Va- 
iadneii  durchs  Loos  bestimmen  zu  lassen.  Nach  Misson  versam- 
melte sich  schon  am  Vorabende  die  gleiche  Anzahl  von  Jung- 
ten, yne  von  jungen  Mädchen.  Jedes  schrieb  seinen  wahren 
ler  erdichteten  Namen  auf  einen  besonderen  Zettel,  rollte  die- 
n  xosammen  und  wart*  ihn  in  eine  Büchse ,  worauf  jeder  junge 
um  ans  der  Büchse  der  Mädchen ,  jede  Jungfrau  aus  derjenigen 
r  Barschen  ein  Loos  itir  sich  herauszog.  Wen  man  zog, 
DDte  man  seinen  Valentin  oder  seine  Valentine.  Beide 
iren  verpflichtet,  sich  gegenseitig  zu  beschenken,  sie  trugen 
t  Zettel  Tage  lang  auf  der  Brust,  oder  dem  Arme  und  gaben 
"en  Valentinen  Gastmähler  und  Bälle.  Doch  hielten  die  Män- 
r  mehr  an  denen,   die   ihnen  zufielen,  als  «in  denen,   denen 

zugefallen  waren.  ^  Aus  dem  Scherze  entwickelte  sich  häufig 
ic  wirkliche  Liebe.  Ja  die  Vereinigung  als  Valentinen  galt 
radezu  als  eine  günstige  Vorbedeutung  für  die  künftige  eheliche 
rbindung.  Aus  Mr.  Pepys  Tagebuche  vom  Jahre  1667  1er- 
I  wir,  daß  damals  lo(?al  am  Valentinsmorgen  die  Neuvertnäh- 

durch  Musik  geweckt  wurden  und  daß  die  Wahl  der  Valen- 
m  bereits  sehr  entstellte  Formen  angenommen  hatte.  Mit  dem 
men  wurde  zugleich  ein  Motto  z.  B.  „most  curteous  and  most 
r"  aus  dem  Glückstopfe  gezogen ;  sodann  wählten  auch  Kinder 
raehsene  und  sogar  verheiratete  Personen  anderes  Geschlechts 
Valentinen  und  brachten  ilmen  dann  wohl  ehrfurchtsvoll  ihren 
men  auf  blau  Papier  mit  goldenen  Lettern  geschrieben,  wäh- 
iid  sie  ein  ansehnliches  Geldgeschenk  empfingen.  So  entwickelte 
jh  allmählich  die  in  den  Städten  Englands  herrschende  Gewohn- 
iit,  einander  am  Valentinstage  anonyme  Liebesbriefe,  launige 
iebeskarten  in  artistischer  Ausführung  verschiedenartigsten 
enres  zuzusenden,  denen  jedoch  selten  ein  von  einem  Pfeile 
irchbortes  Doppelherz  mit  der  Inschrift  fehlt: 

Ich  bin  dein,  wenn  du  bist  mein. 
Bin  dein  lieber  Valentcin. 

ril  be  youra,  if  you'll  be  mine, 
1  am  your  pleasing  Valentine. 

Mehrere  Hunderttausende  Liebcserklärmigcn  dieser  Art,  auf 
welche  nunmehr  der  Name  Valentine  übergegangen  ist,   werden 

1)  In  Schottland  herrscht  diese  Befragung   des   Looses   am   Valentins- 
»Wnde  noch.     Henderson  a.  a.  O. 


462  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maihrautschaft 

in  London  jHlirlich  am  14.  Februar  durch  die  Post  aosgetragen^  i 
Mit  den  Engländern  ist  diese  Sitte  auch  nach  America  gewai^^ 
dert,  wohin  die  lateinische  Race  fUr  sich  ebenfalls  Sproßfonn^n 
des  nämlichen  Gebrauches  gebracht  hat.     Dahin  rechne  ich,  da0 
jede  junge  Dame  in  Venezuela  ihren  Compadre  (Fremid,  Ehe- 
herm)  hat,  der  jedes  Neujahr  von  neuem  ihr  durch  das  Lo« 
zufällt,  und  das  Recht  hat,  sie  in  ihrem  Hause  zu  besuchen  und  mi 
ihr  zu  plaudern.^     In  Deutschland  finden  wir  dieses  dem  Mythu 
entspringende  Verhältniß  wiederum  auf  die  Ehe  übertragen,  wem 
14  Tage  vor  Neujahr  am   Tage  St.  Johannis  des  Apostels  die 
sämmtlichen  Männer  zu  Obemdort*  am  Neckar  mit  ihren  Weibcn 
ins  Wirtshaus  gehen,  wo  die  Frau  ihren  Gatten  fragt:  „Wit  dn 
deine  Alte  au  wieder  uflF  a  Jär  dingen?"    „Ja  wills  wieder  pro- 
biere  mit   meiner   Alten."     Alle   sind  lustig,   wie  junge  Leute, 
singen    und   trinken    bis  Mittemacht.     Die  Frau   bezahlt    Man 
nennt   dieses    Fest   „d/c  Weiberdingete.*' ^     Auch   der   bekannte 
Brauch   gehJ^rt  hieher,   am  Neujahrsabend  mit  einer  Dame  den 
Doppelkem  einer  Mandel  zu  teilen  und  sie  dadurch  zum  „Vid- 
lichchen"  zu  erklären;  wer  von   beiden  den  andern  bei  nächster 
Zusammenkunft   zuerst  mit  dem  Namen  „Vielliebchen"  grüßt, 
hat   von  ihm  ein   Geschenk   zu   erwarten.     Schärfer  kann  sich 
der  Nationalcharacter  kaum  aussprechen  als  in  der  Sitte ,  welche 
Romanen   und  Gennanen   aus  der  gleichen  Grundlage  eines  nnd 
desselben  mythologischen  Brauches  gemacht  haben;  hier  neben 
spießbürgerlicher  Ehrbarkeit    der    unschuldige   Humor,   der  den 
Ernst  des   reinsten  und  heiligsten  Bandes  würzt;  dort  die  Frivo- 
lität, welche  mit  demselben  spielend  die  Fesseln  in  gefährlichem 
Grade  erweitert. 

§  9.  Das  Maipaar  und  die  Sonnwendfeuer.  Wichtiger 
itir  unsere  Untersuchungen  erscheint  der  Umstand,  daß  sowohl 
das  Mailehen,'*  als  die  Ernennung  der  Brautpaare  am  ersten 

1)  S.  Brand  pop.  Antiqu.  I-,  53-62.     Hone,  every  Dayhook  1, 108— U**' 
C(.  Reinsbcrg-BüriTigsfeld,  Jas  festl.  Jahr,  S.  34.    Nach  dem  Berichte  des  I-*^**' 
doner  PoKtamtes  vom  J.  1847  wurden  daselbst  in  jenem  Jahre  am  ValentinsW?® 
4i^,000  Briefe,  d.  h.  2()0  bis  300.000  melir  als  an  anderen  Tagen  ausgetrAiT^^» 
abgesehen   von  vielen  bezüglichen   Inseraten   der  145,000  Zeitungsnumui^'^' 

2)  Appun,  Unter  den  Tropen.    Jena  1871.   1,544. 

3)  Birlinger,  Volksiiberliefeningen  a.  Schwaben  11,113.142. 

4)  O.  S.  450 ,  auch  in  Dänemark  Myth.«  736. 


Das  Maipaar  und  die  Sannw»>ndfencr.  463 

^Mtensonntagc,  dem  Dimanchc  des  brandons,  mit  VrWhWugHfciiern 
erbnnden  sind,  und  daß  die  Teilhaber  der  Letzteren  zuweilen 
ie  im  letzten  Jahre  Neuverheirateten  zwingen ,  einen  Tanz  anzu- 
dkn.  Hierzu  stimmt  einmal,  daß  in  manchen  Communen  der 
tetagne  ein  Mädchen,  welches  den  lebhaften  Wunsch  hat  sich 
1  Teriieiraten,  um  das  Johannisfeuer  tanzt, ^  sodann  daß  in  Ober- 
ittfeld  und  anderen  Orten  in  der  Eifel  am  ersten  Fastensonntage 
r  tuletzt  verheiratete  EJtemann  die  große  Kadscheibe  stellen  und 
iliiden  mnd,  welche  dann  vom  Berge  ins  Tal  und  in  den 
oft  gerollt  wird.  Zu  dieser  Ceremonie  sammeln  die  Schulkna- 
D  das  Stroh,  die  Schulmädchen  aber  Erbsen,  welche 
B  mit  den  Schulknaben  verzehren*  (vgl.  o.  S.  455).  In 
dem  Dörfern  derselben  Gegend  versammelt  sich  am  nämlichen 
ge  die  männliche  und  weibliche  Jugend  von  13  — 18  Jahren 
Hause  des  zuletzt  verheirateten  Ehepaars.  Die  Mädchen  bringen 
hin  den  von  Haus  zu  Hause  erbettelten  Vorrat  von  Speck, 
tter,  Eliem,  Milch  und  Mehl  und  machen  sich  daran.  Pfann- 
chen zu  backen.  Die  Burschen  aber  ziehen  mit  dem  betreffen- 
(1  jüngsten  Ehemanne  auf  eine  Anhöhe,  umwickeln  einen  Baum 
Form  eines  Kreuzes  mit  Reisig  und  Stroh  (vgl.  o.  S.  177  flf.) 
i  zflnden  ihn  beim  Läuten  der  Abendglocke  unter  lautem 
bete  und  entblößten  Hauptes  mit  Fackeln  an.  Dann  rufen  sie : 
fie  Burg  brennt!"  sodann  umwandeln  und  nmtanzen  sie  diese 
mmende  „Burg"  oder  „Hütte,"  deren  Spitze  häufig  noch  ein  vor- 
rim  Dorfe  umhergetragener  Strohmann  krönt,  und  deren  Rauch, 
mn  er  zur  Komflur  zieht,  eine  reichliche  Ernte  andeutet, 
i  Hause  verzehren  die  Jünglinge  mit  dem  jungen  Ehemanne,  die 
ingfrauen  mit  der  jungen  Frau  an  besonderen  Tischen  das  Fest- 
äU.*  Zu  Kobem  in  der  Eifel  muß  die  jüngste  Ehefrau  über 
üd  durch  das  Feuer  springen,  welches  zur  Verbrennung  des 
om  Tode  verurteilten  Strohmanns  am  Fastnachtsdienstage  ent- 
oht  wird  (vgl.  o.  S.  179).*  Diese  Bräuche  lassen  mit  einmal 
^en  Umstand   bedeutsam  erscheinen ,    der  bei  dem  Mittsommer- 


1)  De  Nore,  Mythos,  rontuines  etc.  ]).  1H8. 

2)Zs.  f  T).  Mytb.  I.  im,  7.     Schmitz,    Sitten   und  Bräuche  des  Eifler 
Volke»  8. 24  -  2.5. 

3)  Schmitz  a.  a.  0.  S.  21  —24. 
*)  Schmitz  a.  a.  O.  Ö.  20. 


464  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  MaibnuitschAft. 

feuer  sich  in   verschiedenen   Formen   wiederholt     In 

Orten  Sttdfrankreichs  muß  das  jüngste  Ehepaar  der  Gemeii 

Johannisfeuer  anzünden,  in  Puy  de  Dome,  wo  zugleich  dm 

Geschenken  auf  der  mit  Kränzen,  Uhren,  Weinflaschen  gesch 

ten  Tanne   geklettert  wird ,  eine  seit  kurzem  verheiratet 

Frau,  welche  man  in  feierlichem  Zuge  einholt     Nicht  n 

läßt  man  in  Nivemais  eine  seit  einigen  Monaten  vermahUe 

mehrere  Male  um  das  Johannisfeuer  gehen  und  dann  ein 

hineinspringen.     Zu  Jumieges   in  der  Normandie  legen  da, 

ein  junger  M-ensch  und  ein  junges  Mädchen  mit  Bli 

bekränzt    zu   Mittsommer    das    Feuer    an    den   HolzstoB 

Deutschland  wurde  vielfach  paartveise  über  das  Feuer  gespn 

Im  Erzherzogthum  Oesterreich  geschieht  das  vielfach  noch. 

in    erbettelte    alte  Kleider   gesteckte  Strohpuppen,    Hansl 

Gretl  (cf.  o.  S.  429)  werden  an  der  Spitze  einer  langen ,  bi 

Grunde  eingestrohten  Stange  befestigt,    Gretl  zu    oberst, 

ihr  Hansel.    Die  Stange  wird  in  die  Mitte  eines  hohen  Sei 

haufens  gesteckt  und  angezündet    Sind  die  beiden  Pappen 

dem  Jauchzen  aller  Umstehenden  sammt  der  Stange  verb; 

so  springen   die  Bursche   und  die  Mädchen  paarweise  durc 

Flammen.^    In  Ober-  und  Nieder  -  Baiem ,   der  Oberpfalz, 

Schwaben  und  Unterschwaben  besteht  die  Sitte  ebenfalls  i 

Je  ein  Jüngling  und  eine  Jungfrau,   am  liebsten  erklärte  L 

paare,  umtanzen  Arm  in  Arm  oder  Hand  in  Hand  den  Ho 

des  Sommersonnwendfeuers  und  springen  dann  (oder,  wie 

in  Schwaben    sagt,   jucken)    mit    einander  durch   die    Fla 

damit  der  Hanf  oder  Flachs  recht  hoch   wachse,  oder  an 

Jahr  hindurch  von  ansteckenden  Krankheiten  verschont  zu 

ben.     So  jucken  oft  40  —  50  Paare  hintereinander  hinüber 

wenn   die  Reihe  zu  Ende  ist,  fängt  der  Sprang  von  vom 

bis    die   letzte  Kohle  erloschen   ist.     Am  Lech  singt  die  ji 

weise  (Bub  und  Dirne)  nach  vollendetem  Reigen  um  den  l 

nenden  Baum  durch  das  Simetsfeuer  springende  Jugend 

term    Kopf  und  obcrm  Kopf  tu  i   mein  Hütl   schwingen;  '. 

wenn    d'   mi   gern    hast,   durchs   Fuir   must   mit   mi  spriii 

1 )  Banmgartcn ,  das  Jahr  und  seine  Tage.    Linz  1860.    S.  27. 

2)  Panzer  I,  215,  241.     Meier,  Schwab.   Sag.  423, 107.  106.  42£ 
Birlinger  II,  97,  128.  104,  129.  105,  ISO.  107,  131 

3)  Leo j> rech ting,  Aus  dem  Lechrain  S.  182 fF. 


Das  Maipaar  und  die  Sonnwendfencr.  465 

Statt  des  Hindu rchspriDgens  der  Liebespaare  durch  das  Feuer 
begegnet  auch  die  andere  Form,  daß  der  Bursche  am  Faekel- 
abende  oder  am  Funkensonntage  (ersten  Sonntage  in  der  Fasten) 
ffir  sieh  and  sein  Mädchen  die  im  Fastnaehtt'euer  angezün- 
dete Seheibe  vom  Schleudcrstocke  hoch  im  Bogen  in  die  Luft 
wirft.  So  noch  in  der  Gememde  Matt,  Kanton  Glarus.  Der 
junge  Mann  ruft  dabei : 

Schibe,  Schibe 

üeberribe ! 

Die  soll  mi  und  N.  N.  blibe. 

Dieser  Brauch  ist  deutlich  nur  eine  wenig  veränderte  Form  jenes 
französischen  (o.  S.  456),  beim  Kcheibentreibeu  die  Namen  der 
Brautpaare  auszurufen,  hier  übernimmt  der  Liebhaljner  nur  selbst 
die  Verkündigung.  Gewöhnlich  ist  die  Sitte  aber  dahin  abge- 
Bchwächty  daß  der  Liebhaber  die  Scheibe  seinem  Schatze ,  oder 
'andern  geliebten  und  geehrten  Personen  (den  Eltern,  Geschwi- 
Btem,  der  h.  Dreifaltigkeit)  widmet: 

0  da  mei  liebe  Scheiben, 
Wo  will  i  di  heit  hintreibeu  ? 

1  waes  schon  wem  i  inaeu! 
Der  (Walburg)  ganz  allaen! 

Oder: 

Schibi,  Schibo! 

Wem  soll  d  Schibe  goV 

Beim  Fortschleudern  der  Scheibe  wird  dann  der  Name  der 
Geliebten  genannt.     Oder: 

Schcib  aus,  Scheib  ein, 

Das  soll  der  N.  N.  zeni  Lädle  'nein. 

Oder: 

Scheible  auf,  Scheible  ab 

Gat  über  alle  Aecker  und  Wiese  na. 

Der  N.  N.  eine  tausend  gucte  Nacht.* 

Da  die  Scheiben  so  geformt  sind,  daß  sie  deutlich  die  Sonne 
darstellen  sollen,  mithin  ihr  Werfen  in  hohem  Bogen  zu  Früh- 
^gsanfaug    das   Aufsteigen    der  Sommersonne   versinnbildlichen 


1)  S.  Vcrnaleken,  Alpensagen  307.33.  Panzer,  Beitr.  1,  S.  210-212 
Ko.  231- 234.  Meier,  Schw.  Sag.  380  —  383  No.  21— 27.  Zingerle,  Tiroler 
Sitten  HO,  1225.    Birlinger  II ,  59  ff. 

^«nnhardL  30 


466  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

mußy  bedeutet  die  Darbringung  an   das  geliebte  Mädchen ,  i 

man  ihr  den  vollen  Sonnenschein  des  Glückes  ins  Haus  wUnae 

jene  ältere  Form  der  Sitte  sagt  aus ,  daß  der  Freier  oder  Y' 

ehrer  sich  und  sein  Schätzchen  unter  die  Gunst  der  Gedeih 

spendenden  Sonne  stellt,^  d.  h.  er  macht  sich  und  sie  zu  Nax 

ahmem  des  dämonischen  Maibrautpaars,  welches  von  der  grol 

Wärmespenderin    unmittelbar    die   Lebenskraft    empfängt     2 

Belohnung  für  das  Scheibentreiben  und  als  Zeichen  der  Geg( 

liebe   erhält  der  Bursch  von  seinem  Liebchen  ein  kranzßrm 

Gebäck y   den  sogenannten  Funkenring.     Dieser  Ring  (der,  i 

dem   runden   Fladen   zu  Fastnacht   vergleichbar,  vielleicht  < 

järhring,  järes  umbihring,  umhihwurft,  orbis  anni  Myth.*  716  i 

sinnbildlicht)  erinnert  an  die  Sitte  im  E^erlande,  wo  das  Joh 

nisfeuer  in  nachstehender  Weise  begangen  wird.    Wenn  der  l 

mengeschmttckte  Johannisbaum  niedergebrannt  ist,  von  dem 

Bursche  die  durch  ihre  Schätzchen  aufgehängten  Kränze  ^hn 

des  Brennens  herabgeholt  haben,  stellen  sich  die  Jtlnglinge  ih 

Mädchen  gegenüber  um  das  Feuer,  und  beide  schauen  sich  e 

ander  durch  Kränze  und  durch  das  Feuer  an,   um  zu  erfahi 

ob  sie  sich  treu  sein   und  sich  heiraten  werden.    Dann  wer 

sie  sich  nacheinander  drei  mal  die  Kränze  durch  oder  über  < 

lodernde  Feuer  zu,  und  der  Bursche  muß,  wenn  er  nicht  eü 

argen  Verstoß  begehen  will,  den  Kranz  fangen,   den   das  Mi 

chen   ihm  zuwirft.*     Bei  Bilcz  in   der  Gegend  von  Sandomir 

Polen  singt  man  das  Johannisfeuer  umtanzend  ein  Lied,  in  ^ 

chem    St.  Johann   selbst   aufgefordert  wird,   sich  ein   Weib 

suchen : 

0  Johann,  Johann,  grüner  Johann! 
(0  Janie,  Janie  —  Janie  zielony! 
Es  fallen  die  Blätter  nach  allen  Seiten 
Und  dn  Johann  Enechtchen 


1)  Vgl.  das  Volkslied  (ühland  Nr.  31): 

Schein'  uns  du  liebe  Sonne, 
Gieb  uns  lautem  Schein; 
Schein'  uns  zwei  Lieb'  zusammen, 
Ei  die  gern  bei  einander  wollen  sein. 

Cf.  W.  Menzel  in  Pfeiflfers  Germania  I,  64. 

2)  Reinsberg  -  Düringsfeld ,    Pestkalender  a.  Böhmen  S.  308.     Vgl. 
Küssen  durch  den  Kranz  im  russischen  Semikbrauch  o.  S.  435. 


Das  Maipaar  und  die  Sonnwendfeaer.  467 

Suche  dir  eine  Frau! 

(sakay  se  zony) 

Wo  bei  dem  Henker,  soll  ich  sie  suchen? 

Ich*  werde  zn  Stephans  gehen 

Ans  Fenster  klopfen. 

Klopf  klopf  ans  Fenster. 

Komm  herans  liebes  Mariechen, 

Qtjxz  alleine. 

Mariechen  kam  nicht,  sie  sandte  die  Schwester. 

Schwester^  liebe  Schwester, 

Stehe  f&r  mich  scharf, 

So,  als  w&re  ich  es  selber. 

Dann  aber  wendet  sich  das  Lied  so,  daß  in  der  Aufforderung, 
ein  Weib  zu  suchen ,  ein  Bursche  z.  B.  aus  der  Familie  Tomaly 
(Tomalöwparobecku)  untergeschoben  wird;  er  kloptt  bei  Kohls 
(de  Kapusty)  ans  Fenster,  Magdusch  macht  ihm  auf  und  reicht 
ihm  das  Händchen :  „  Grüß  dich  Gott ,  mein  Albertchen ,  ich  werde 
dich  wollen."  Und  in  dieser  Weise  werden  dann  nacheinander 
die  Namen  aller  jungen  Männer  und  Mädchen  aus  dem  Dorfe 
zasanunengebracht    Oder  das  Lied  lautet: 

Wulst  du  heiraten,  weißer  Johannes, 

So  wül  ich  dir  ein  Weib  zufreien. 

DsL  ist  bei  den  Sowini 

Das  hübsche  Mariechen, 

Hat  ein  Kränzlein  von  Rosen, 

Nicht  wenige,  nicht  viele. 

Ach  weißer  Johannes. 

Willst  du  heiraten  weißer  Johannes, 

Ich  will  dir  ein  Weib  freien. 

Da  ist  ja  bei  Kästers 

Das  niedliche  Eischen, 

Hat  ein  Kränzlein  von  Pfingstrosen. 

Bei  ihr  trinken  die  Beitersleate. 

Ach  weißer  Johannes! 

Und  80  fort,  hintereinander  werden  auf  diese  Weise  alle  Mäd- 
chen des  Dorfes  durchgehechelt.  *  Eine  merkwürdige  Aufhellung 
erhalten  diese  Lieder  durch  einige  z.  T.  ungedruckte  lettische 
Johaimisliedchen,  deren  Mitteilung  und  Uebersetzung  ich  meinem 
freund  A.  Bielenstein  danke. 

1.  Johannes  schrie,  Johannes  rief: 

Dem  Johannes  war  das  Weib  verlöret^  gegangen. 


1)  Oskar  Kolberg,  Lud.  Ser.  I.    Warszawa  1H65.  p.  107,  108,  119  ff. 

30* 


468  Kapitel  V.    Yegetationsgeister:  Maibraatschaft 

Schroie  nicht  Jobannes,  rufe  nicht  Johannes! 
Wir  werden  das  Weibchen  finden, 
Wir  werden  das  Weibchen  ünden. 
Unter  den  Farrenkrautbüschen. 

2.  Wer  glänzte,  wer  iliminerte 
Im  Farnkrautgebüsche  V 
Das  silbergeschmückte 
Weib  des  Johannes. 

Büttner  2275  gewährt  die  Variante: 

Das  Weib  des  Johannes  pflückt  Kräuter, 
Die  Brust  voll  silberner  Spangen. 

3.  Das  Weib  des  Johannes 

Hat  eine  große  Brehze  (Brustspange), 

Sie  (die  Brehze)  geht  verloren 

Am  Johann isabend. 

Die   Sonne  geht  unter  beim   Suchen, 

Die  Sonne  geht  auf  beim   Finden.  (Büttner  2274.) 

4.  Wer  hat  den  Pfad 

Mit  Silber  (silbernen  Tautropfen?  sudrabeem  Plur.)  begossen? 
Die  Geliebte  (das  Eheweib?  lihgawa)  des  Johannes 
Wassertragend. 

In  den  lettischen  Johannisliedem  findet  sich  nicht  die  gering 
Spur  von  Johamiisfeuem,  so  daß  es  fraglich  bleiben  muß,  ob  Ä 
selben  in  Kurland  altheimisch,  oder  von  den  Deutschen  enÜel 
sind,  unzweifelhaft  aber  gehört  die  im  polnischen  Johannisli^ 
und  Johannisbrauch  ausgesprochene  Anschauung  in  eine  Rer: 
mit  der  Idee  von  dem  in  der  Johamiisnacht  verschwundec: 
Eheweibe  des  Johannes.  Danach  ist  dem  (mit  dem  Kalend^ 
namen  des  23.  Juni  bezeichneten)  mythischen  Wesen  zu  IVIittsotf 
mer  das  Weib,  die  Maifrau  gestorben;  die  silberne  Span^ 
welche  sie  trägt  und  die,  gleich  ihr,  in  der  Nacht  der  Sonn« 
wende  verschwindet,  mag  die  Sonne  sein.  Diese  Art  Symbolik 
grade  dem  lettischen  Volksliede  geläufig.  Hier  ist  aber  geö 
jenes  Wesen  (die  Sonne?),  das  wir  S.  431,  vgl.  S.  444  den 
Laub  gehüllten  Schläfer  im  Frühjahr  erwecken  sahen.  Für  ^ 
andere  Jahreshälfte  sucht  Johannes  ein  anderes  Weib,  er  fin^ 
seine  alte,  aber  verwandelt;  oder  eine  neue  (die  winterliehe  GSr 
tin)  zu  neuer  Vermählung.  Von  solcher  mythischen  Hochzeit 
der  polnische  Johannisfeuerbrauch  das  launige  Abbild.  *    In  ei:* 


1)  Vgl.  hinten  den  Nachtrag. 


Dm  Mupaar  und  die  Sonnwendfeuer.  469 

weit  derberen  uralten  Symbolik  wird  l)ei  den  Esten  auf  der  abge- 
legeoen  Insel  Moon  das  „Beüager"  der  Johannispaare  begangen. 
im  23.  Juni  oder  am  1.  Juli  (Vorabend  des  Heu-Marienfeiges) 
werden  dort  große  Feuer  angeztindet ,  deren  Mittelpunkt  wol  auch 
wie  aof  ,der  benachbarten  Insel  Dagdö  und  im  Kirchspiel  Karmel 
auf  Oesel  ein  großer  Baum  bildet  (vgl.  o.  S.  179  —  80).    An  die- 
sem heiligen  Abende  „muß  der  Mooner  eine  Beischläferin  haben." 
^Tährend  nun  die  Weiber  und  Mädchen  den  ßundtanz  um  das 
Jobaniusfeaer   (resp.  Heumarienfeuer    oder  Ledotulli)  ausfuhren, 
gehen  die  jungen  Kerle   um   den  Kreis  herum,  beobachten  die 
Äßdchen,    entfernen  sich  dann  in  den  Wald  und  geben  einem 
Inpp  kleinerer  Jungen   den  Auftrag,  ihnen  die  Auserkorene  zu 
Idolen.    Einer  derselben  ruft  das  bezeichnete  Mädchen  unter  irgend 
Einern  Vorwande   aus  dem  Ringe  der  Tänzerinnen  heraus.     Die 
tSbrigeu  Jungen,  etwa  zehn  an  der  Zahl,  umringen  die  Jungfrau 
^ffld  schleppen  sie  mit  Grewalt,  der  eine  vorne  am  Gurt  ziehend^ 
^  andern  hinten  stoßend  über  Stock   und  Stein,    über   Zäune 
^d  Gräben,  bis  der  Zug  nach  mehrmaligem  Fallen  und  wieder- 
holtem Ringen  bei  dem  Harrenden   angelangt  ist.     Dieser  wiri't 
«ie  nieder,   legt  sich  neben   sie   und  schlägt  ein  Bein    über  das 
HMchen  (diese  Ceremonie   muß  er  durchaus  beobachten,  wenn 
ilm  das  Mädchen  nicht  tHr  einen  Stümper  halten  soll).     Ohne  sie 
'Weiter  zu  berühren,   liegt  er   bis  zum  Morgen  neben   ihr.     Die 
iädchen    aber,    denen   solches   widerfährt,   freuen    sich    dessen 
iJielit  wenig,  selbst  wenn  man   ihnen   auf  dem   Transporte   das 
Hemde  zerrissen  hat  (die  Moonschen  Weiber  und  Mädchen  gehen 
i^mlich  im  bloßen  Hemde,  nur  wenn  sie  zur  Taufe  und  Hochzeit 
S^hen ,  ziehen  sie  einen  Rock  an).     Die  nicht  gewühlten  Mädchen 
können  ihren  Neid  und  Mißmut  kaum  bezwingen  und  die  Mütter 
der  Bevorzugten  erzählen    mit  Wonne   den   Ruhm   und   die  Vor- 
zöge ihrer  Töchter.^     Es   gab   noch   rohere  Formen  dieser  auf 
Ehe,  Liebe,  Befruchtung  bezüglichen  Frühlingsgebräuchc.    Kemble 
(Sachsen  m  England   übers,  v.  Brandes  1,  295)  erzählt,   daH  zu 
Inverchetin    in    der   Osterwoche    ein    Priester   die    kleinen 
Mädchen  (puellulas)  der  Gemeine   nötigte,  einen  Reigen  aufzu- 
führen, dem   man    auf  einer  Stange  ein  Priapusbild  (membra 


l)  Verhandlungen   der   estiiiHchcn  CJcsellschaft  VII.      Dorpat  1872.    2. 
P-  t>4-G5  vgl.  G3. 


470  Kapitel  Y.    Yegetationsgeister:  MaibrantBohaft. 

humana  virtnti  seminariae  servientia  saper  asserem  artificüita 
voraoftrag.  Da  eben  derselbe  aus  Laodania  ein  ZeugnÜ  toi 
Jahre  1268  beibringt,  wonach  ibeim  Notfeuer  ein  simnlaenu 
Priapi  aufgestellt  und  mit  den  in  Weihwasser  getaachten  Test! 
kein  eines  Hundes  das  an  der  Lungenseuche  erkrankte  Viel 
besprengt  wurde,  so  ist  es  bei  der  Verwandtschafl  der  Ostei 
feuer  und  der  Notfeuer  nicht  unmöglich ,  wenngleich  nicht  not 
wendig,  daß  ersterer  Brauch  früher  auch  beim  Osterfeste  yo 
sich  ging.  Cf.  Kuhn,  Westfäl.  Sag.  11.  138,  406.  Ueberraschen 
ist  es  der  Braut  in  Verbindung  mit  dem  Johannisfeuer  bereit 
vor  dem  12.  Jahrhundert  auf  dem  Boden  des  griechischen  Raisei 
tums  zu  begegnen.  Theodor  Balsamon,  Diaconus  und  Nomc 
phylax  in  Byzanz ,  Ausgangs  saec.  XII.  erzählt  nämlich  in  seinen 
Commentar  zu  Canon  65  des  TruUanischen  Goncils:  ^  6i  xü 
nvQxauov  daifiovtwdrjg  relerri  nat  at  y.Xr]d6veg  iyivovro  fii^Qi  %^ 
eqrrjf.iEqlag  rov  ayicoTatov  TtctTQiciQX^^  Mix»'^^  tov  yeyovihog  vTtd 
Tov  Tiov  (piJioaofpiüv  eig  Tourrjv  Tfiog  xrpf  rcDv  nnXiiov  ßaatkevot 
oav  ovTwg.  xorra  T^r  eoneqav  TTjg  y,y,  rov  lovviov  (.irjvog  rjS'Qoitoya 
h  Talg  ^fAiac  xat  tv  tiaiv  oVyioig  äpSgeg  /.at  yvvalxeg  xal  nqttk 
Toxoxov  Y.oqaOiov  wincpixcog  satoliCov.  fiera  yovv  m 
avf,i7toaiaaav  xal  ftaxxtxioTeQov  oQxrjaaad-at  xal  yoqüaai  xal  alc 
Id^ai  i'ßalov  ev  ayyeUi)  (Tvavotifi)  x^^'^^?  ^oLXatxiov  vdioq  xal  eic 
Tiva  €KdaT(if  zovTCJv  dvrj'AovTat '  xal  üarceq  trjg  naidog  exsivm 
laßovarjg  iaxiv  ex  tov  aaxavä  7CQ0fiTjvv€iv  Ta  iqtaviofjiBva ,  avt 
fiiv  Tteql  TOV  de  Tivog  dyad-ov  fj  xai  d/torgoTtaiov  aveßoMv  eqc- 
TrjiiiaT ixcig '  ro  de  xogdaiov  and  rwv  ev  r^  dyyeluj  e/ußkfjd-ivxc 
elöiov  To  Tiaqaxvxov  eSayayofv^  v/cedeixvvev,  h  xai  ka/nßay(a¥ 
dv6rp:og  xovxov  öeajioxrjg  eTrlrjQoq^oQelxo  xdxcc  xd  irr  avrqt  avi^ 
Xd-rjvat  jtielkovxa,  evxvyij  xe  xat  dvaxi^fj'  x^  enavQtov  de  /uc" 
xtfiTTaviov  xat  x^Q^^  ^^^  ^'i^  xoQaaiq)  elg  xovg  alyiaij)vg  ana^' 
f.i€voi  xat  vdiog  d-aXdxxiov  dcp&onog  dvaXajußavofievoi  xdg  xccxm 
xiiov  axrtiov  e^^aivov,  xat  ov  jtiovov  xavxa  exekovvxo  naqd  xc 
evai^excoxeQiov y  dlld  xat  dt  olr]g  xrjg  vvxxog  dno  xoqxc 
(1.  x^Q'^^^)  Ttvqxa^Cdg  dvd/txovxeg  iTtrjdcov  viregdvoi  carxä. 
xat  ixkrjöovi^ovxo  rjxoc  ef.iayr€vovxo  neqt  euxvxiag  xjat  dvcxvxim 
xat  dkXiov  xiriov  dai^uovKoöcüg  .  xdg  de  ev&ev  x(f7iel&ev  Bladöor 
avxcüv  xat  x6  dcojiidxiov  ev  lo  exelelzo  rj  xlrfiiov  avv  xalg  Trage 
xetfiei'oig  ivraiOQ^iQ  x^icr/Cota/  nejtXoig  xat  arjQtxoig  xaxexoGfitr 
elg    xi/nfjv    xat     v7iodoxfjv     lug    eoixe    xov    oixeuoaafievov   avxo^ 


Der  Brautball.  471 

mwfS'  S  (J17  Ttavta  6  ^i]d'ug  ayiunaiog  TTazQidQxr^g  fteva  Tidarjg 
imfulBiag  TUxraQytjd'rjvat  e/civQeipev .  o  xai  ytyovt ,  xa<  vhv  eido- 
noinog  ^eov  Ta  xoiavra  (Hoaivyri  tgya  .ntvtÜAog  r^7iQuxrtjac(v.^ 
Liogst  hatten  eingewanderte  Slaven  und  andere  Fremdlinge  das 
Volksleben  im  byzantinischen  Keiche  beeinflußt;  vielleicht  ist  auf 
diese  Weise  die  überraschende  Aehnlichkcit  mit  den  nordeuro- 
plischen  Bräuchen  zu  erklären. 

§10.    Der  Brautball.     Die  Verbindung  des  Scheiben- 
flchlagens  am  ersten  Fastensonntage  mit  der  Proclamation  der 
Liebespaare  oder  mit  dem  neuvermählten  Ehepaare  scheint 
einen  nahen  Verwandten  in  dem  zu  Ostern  geübten  märkischen 
Brauche  des  Brautbcdls  zu  haben,     in  Tangemiünde  werden  die 
im  verflossenen  Jahre  verheirateten  Frauen  am  dritten  Ostertage 
um  den  Brautball  gebeten,  der  nachher  von  den  Knechten  und 
Hägden  in   den  Tannen  zerschlagen   wird.    Aehnlich  bei  Wer- 
ben.   Bei  Salzwedel  zieht  das   gesammte  junge  Volk  am  Oster- 
tage   oder   Sonntage  Judica   auf  den  Hof  des   neuen  Ehepaars 
und  singt: 

Hie  sind  wi  Junfem  alle, 

Wi  singen  en  Brütballc. 

Will  uns  de  Brut  den  Ball  nich  gewen. 

So  wiirn  wi  är  den  Mann  ok  nenien. 

Eier  Mann,  Eier  ja; 

N.  N.  mit  sine  junge  Brut 

Schmit  uns  den  Brütball  heriit. 

So  grot  as  cn  Zipoll  (Zwiebel). 

Dun  soll'n  ji  woll  beholFn. 

Die  junge  Frau  wirtl  dann  einen  Ball  über  das  Dach  des 
Torwegs,  der  junge  Mann  zahlt  einen  (xulden  (Thaler),  die 
Gesellschaft  geht  mit  dem  Segenswunsche  ab,  das  Glück  möge 
jahraus  jahrein  währen,  das  Unglück  zum  Giebel  heraus  fahren; 
der  Ball  wird  am  Ostertage  so  lange  beim  Ballspiel  geschlagen, 
^is  er  zertrümmert  ist.^  In  Camem  bei  Sandow  an  der  Elbe 
ziehen  am  Sonntage  Judica  ( 14  Tage  vor  Ostern)  die  Mädchen 
#tlr  sich,  und  die  Bursche  für  sich  vor  das  Haus  der  seit 
Jahresfrist   Neuvermählten,    jene    mahnen    sich  eine  große 


1)  Balsanii   Coninientar.   in  Canoncs  Concilii  so\t.  in   Trullo.     Can.  G5. 
^eregii  Synodicon  Hive  Pandcctae  Canonum,    Oxon.  1G72.    T.  I.  f.  2.'M  — 35. 

2)  Kuhn.  Mark.  sSag.  313  ff. 


472  '        Kapitel  Y.    Yegetatdonsgeister:  MaibraatBchaft. 

Holzkngel  (die  Kliese),  diese  den  BrautbaU  (einen  großen  Ball 
von  Leder).  Mit  der  Kliese  wird  Ball  aus  dem  Loche  gespielt^ 
der  ßraatball  wird  so  lange  hin  und  wieder  geschlagen,  bis  er 
entzwei  ist.    In  dem  Gesänge  heißt  es: 

Chrüfüöf!    Grünlöf!    Pris  ober  alle 

Düssen  Sommer,  düssen  Sommer 

Lewen  de  Mäkens  noch  alle. 

Wi  manen  uns  den  ßrüdcball!  (de  Kliese) 

ünn  wenn  so  uns  den  Ball  (de  Kliese)  nich  gcwen, 

Denn  will'n  wi  ihr  den  Mann  (em  de  Liese)  wegnehmen. 

Denn  wilFn  wi'n  ihr  verschenken, 

Si  soll  da  wol  dran  denken. 

ün  is  der  Ball  von  Asche 

So  wiirn  wi  uns  wol  waschen; 

Un  is  der  Ball  von  Golde 

Denn  wilFn  wi'n  wol  beholden.* 

1 

In  Arendsee  in  der  Altmark  singen  die  Kinder  und  Lehrbnrschc 
am  Osteniachmittage  unmittelbar  nach  dem  Schlüsse  des  Gottes«  - 
dienstes  vor  den  Fensteni  der  seit  den  vorigen  Ostern  verhe  ^ 
rateten  Eheleute: 

Hier  stchn  wir  Knäbloin  alle 

Und  singen  uns  den  Balle, 

Und  wiln  se  uns  den  Ball  nich  jeben. 

Denn   willn    wi  ä  den  Mann   wegneem; 

Tünpfil  will  wi  ä   wcrrä  jeben. 

Gran  L6f\  (/rön  Löf! 

Jun<cfa  schrnit  se  den  Ball  herüt. 

Darauf  werden  mehrere  (10.  30)  lederne  Kinderbälle  und  des3^ 
große  mit  Sägespänen  gefüllte  Brcmtujamsball  herausgeworfen- 
auf  den  die  Lehrburschen  Anspruch  machen.  Einen  hübschere 
BrauthaU  mit  Troddeln  schenkt  die  Braut  an  ihre  unverheiratete 
Jugendgespielinnen.  Nachher  werden  im  Tamumcalde  in  Gege 
wart  fast  der  ganzen  Stadt  die  Bälle  verspielt,  d.  h.  im  Boge^^ 
einander  zugeworfen,  bis  der  Ball  platzt.  Jetzt  packt  jede^J 
mit  einem  Finger  ins  Loch  und  sucM  einen  Fetzen  des.  Ledern^ 
zu  erhalten,  den  et' als  Andenken  aufbeivaliH,^  In  Hausen, 
städt,  Westhausen,  Stottemheim  (Sachsen  -  Weimar)  teilen 
jungest  Eheleute  am  ersten  Osterfeiertage  „Ballen"  aus,  welc 


1)  Kuhn,  Nord.l.  Sajr.  872,  1(). 

2)  Englien  und  Lahn,  der  Volksmund  18G8  I.  230,  G. 


Der  BrautbaU.  473 

dieMSdehen  Bich  schon  Palmarum  bestellen   „hübsch  rnnd,  hübsch 
brat,  httbsch   stachelig  und  eine  lange  Schleife  dran."     Die  von 
der  Neuvermählten    an   die  Mädchen   ausgegebenen  Bälle   sind 
flfadich   Nadelkissen,   mit   Stecknadeln    besteckt   (man  vgl.  das 
ackige  Sonnenbild),  woneben  neuerdings  auch  Stecknadelbrief- 
ßfcen  verabfolgt  werden;   den  Knaben  wirft  der  junge  Ehemann 
gi^Be  und  kleine  Lederbälle  aus  dem  Fenster,  wonach  sie  laufen, 
so  wie  Hände  voll  „Killercher"   und  „Stenner"  (Schußkugeln). 
'd  Klein- Mähen  bei  Erfurt  werden  die  Schiißki^geln  vorher  heiß 
ff^fnadU,  so  daß  sich  die  Knaben  beim  Anfassen  die  Hände  ver- 
^f^ennen.      In   Ellichsleben    (Schwarzburg  Rudolstadt)    beschenkt 
•W  das  Ehepaar,  welches  im   ersten  Jahre  kinderlos  geblieben 
8t,  die  Mädchen  des   Ortes  mit  Stecknadelbriefen  und   einem 
rroßen   Fangball,   der  ganz  und  gar  derart  mit  Nadeln 
respickt  ist,  daß  die  Spitzen  nach  außen  stehen.     Dieser 
*all   wird    auf  der  Wiese   emporgeschleudcrt  und   gehört  dem, 
'er  ihn   auffängt.     Der  Gewinner  hängt  seine  mit  blutiger  Hand 
f haschte  Beute   als  Ehrenzeichen   im  Zimmer   auf  ^     Im   Kirch- 
piele  Vieux-Pont,   Dep.   de  TOme  in   der  Normandie  muß  der 
or    dem    Dimauche    des    Brandons    (Invocavit)    zuletzt 
Erheiratete  junge   Ehemann   einen   Ball    (pelote)  oder  eine 
^Ugel,  worin  er  Geld  gesteckt  bat,  vom  Fuße   des   Kreuzes 
Us  so  hoch    als   möglich    über   die  Kirch/'  od/r  den  Kircfdurfu 
werfen.     Auf  der  andern  Seite  fängt  einer  von  den  jungen  Leuten 
er  Gemeine  den  Ball  auf,  darf  denselben  jedoch  erst  dann  sein 
igen  nennen,  wenn  er  damit  uneingeholt  durch  drei  Kirchspiele 
"elaufen   ist.     Wird   er   vorher  von  einem  Mitbewerber  erhascht, 
o    fahrt   man   ihn  zur  Kirche  zurück  und  nun  wirft  er  den  Ball 
einerseits.      So   geht   das   fort,    bis   derselbe  einen  Eigentümer 
^funden  hat.*     In  andern  Orten  der  Normandie  wirft  die  Braut 
iinen  Ball  über   die  Kirche,   den  die  Junggesellen  und  verhei- 
rateten Männer  zu  fangen  suchen ;  nachher  tanzt  man  miteinander.^ 
In   Großbritannien  knüpft   sich   die  Sitte   des  Ballspiels  an  Hoch- 
zeiten, Lichtmesse,   Fastnacht,  Ostern,   Weihnachten;  auch  hier 


1)  F.  Schmidt,    Sitten    und   Gobränche    bei   Hochzeiten  in   Thüringen. 
Veimar  18(>3.    S.  4«  ff. 

^)  De  Nore,  ctnitumea  p.  214. 

'^)  Brand  pop.  ant.  qu.  ed.  Ellis  II,  1.%. 


^7i  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibraatschaft 

spielen  Brautleute  oder  Neuverheiratete  die  erste  ;fioll 
offenbar  ist  es  jüngerer  Brauch,  daß  die  Schaljagend  daftlr  ei 
tritt.  Bei  den  Kohlenarbeitem  in  Nordengland  wird  der  na 
der  Trauung  aus  der  Kirche  tretende  Bräutigam  um  Geld 
einem  Fußball  (football)  gebeten  und  er  darf  sich  nicht  weigen 
Der  Fußball  ist  ein  mehr  als  kopfgroßer  Lederball ,  mit  Li 
gefüllt,  der  mit  dem  Fuße  fortgetrieben  wird.*  Eine  neue  Bra 
mußte  ihren  Jugendgespielinnen  ,, Ballgeld''  (Ballmoney)  gebei 
In  Schottland  fand  am  Lichtmeßtage  zwischen  den  yerheirat 
tcn  Männern  und  den  unverheirateten,  oder  zwischen  äw 
Kirchspielen  ein  Wettkampf  mit  dem  Fußball  statt,  der  vo 
Ostende  der  Stadt  bis  zum  Westemle  (wie  die  Sonne  geht)  getri 
ben  wurde.  Der  „Lichtmeßball  (Caudlemas  Ba')"  brachte  d 
ganze  Bürgerschaft  in  Aufregung.  In  Jedburgh  verpflanzten  v 
nicht  allzulanger  Zeit  die  streitenden  Parteien  nach  zweistündige 
Kampf  in  den  Straßen  denselben  in  das  Flußbett  des  Jed  ni 
fochten  ihn  mit  gegenseitigem  Bespritzen  zum  großen  ErgOt» 
der  von  der  Brücke  zuschauenden  Menge  aus.*  Im  Kirchspi 
Inverness  (Mid  Lothian)  fand  jährlich  am  Fastnachtdienstag  e 
Wettkampf  mit  dem  Fußball  zwischen  den  verheiratete 
und  unverheirateten  Frauen  statt,  wobei  die  Verhi 
rateten  regelmäßig  siegten.^  In  der  Pfarrei  Scone  (Perth)  hal 
der  Kampf  zwischen  den  verheirateten  Männern  und  d 
Junggesellen  statt.  Er  nahm  vom  Kreuz  (cross  of  Scoc 
seinen  Ausgang  und  währte  von  zwei  Uhr  bis  Sonnenu 
t  e  r  g  a  n  g.  Wer  einmal  den  Ball  in  die  Hand  bekam ,  lief  dar 
fort,  bis  einer  der  Gegenpartei  ihn  einholte;  konnte  er  sich  da 
losmachen,  so  lief  er  weiter;  wo  nicht,  wart*  er  den  Ball  ^ 
sich,  es  sei  denn  daß  die  Gegner  ihm  denselben  entwunden  h- 
ten;  doch  niemand  durfte  ihn  mit  dem  Fuße  weiter  stoß- 
Die  Aufgabe  für  die  Verheirateten  bestand  darin,  den  Ball 
„hängen"  (hang),   d.  h.  dreimal  in  ein  kleines  Loch  im  Moor 


1)  Brand  11,156. 

2)  Brand  11.417.     Strntt,  sports  and  pastimes  1811.  p.  1(X>. 

8)  Coles,    Dictionary    bei   Brand    II,  15G.      (^f.    Chambers    EdinbiL 
Journ.  March  12.  1842  bei  -Kuhn,  Nordd.  Sasf.  S.  511. 

4)  Chambers,  thc  Book  of  Days  18f;4.  1,214. 

5)  Frederick  Morton  Eden,    Statistical  account  of  Scotland  bei  R 
1,  130. 


Der  Brautball.  475 

treiben,  der  nach  einer  Seite  hin  die  Grenze  bildete;  die.Auf- 
gibe  der  Junggesellen  war  ihn  za  ertränken,    d.  h.  dreimal  in 
etile  tiefe  Stelle  des  Baches  zu  stoßen,  der  den  Kampfplatz  auf 
te  andern  Seite  begrenzte.    Gewann  keine  Partei ,  so  ward  der 
iW  hei  SonnenuiUergattg  in  sivei  ganz  gleiche  Teile  zerscJinitten.^ 
h  manchen  Gegenden   ist  der  Gegensatz  zwischen  Verheirateten 
«dhI  Unverheirateten  verwischt  oder  geschwunden;  in   einzelnen 
Allen  vielleicht  nur  von  den  Berichterstattern  außer  Acht  gelas- 
sen.    In   Bniy  (St.  Edmunds  (Sulfolk)  schlagen  auf  Fastnacht 
i2  alte  Frauen  Ball  (trap  and  ball)  bis  Sonnenuntergang.*    Noch 
im   Jahre    1815    bestand   in    Teddington,   Twickenham,    Bushy, 
Bamptonwick  und  andern  kleinen  Städten  in  Hamptoushire  nahe 
liondon  am  Fastnachtdienstag  die  Sitte,  alle  Kauf  luden  zu  schlie- 
ßen und  alle  Fenster  mit  lüden,    oder  darllbergenagclten  litten 
211    versichern.      Dann  wurde  von   verschiedenen  Gesellschaften 
je  ein  Fußball  (football)  von  Tür  zu  Tür  durch  die  Straßen  getra- 
gen und  Münze  dafür  erbettelt.     Um  Mittag  begann  ein  vierstün- 
diges Ballspiel  auf  den  Straßen,   wobei  jeder,  der  es  vermochte, 
den  Ball  nut  dem  Fuße  weitertrieb.     Viele  angeschene  Personen 
Wohnten  dem  Schauspiel  bei.'    Nach  Alnwickcastle  in  Northumber- 
land  kamen  jährlich  am  Fastnachtdonnerstag  um  2  IJlir  die  Stadt- 
pfeifFer   und   spielten    auf,   dann   wurde   der  ^Mcngc   ein   Fußball 
Über   den  Burgwall  zugewortbn.     Brand  sah  dies  am  (>.  Febr. 
1788.*     So  wird  der  Brautball  über  das  Dach  des  Torwegs  oder 
der  Kirche   geworfen.     Schon  Fitzstephen,  ein  Schriftsteller  des 
13.  Jahrh.  berichtet,   daß  die  Schuljugend   von  London  zu  Fast- 
nacht unmittelbar  nach   dem   Mittagsessen   auf  die   Felder  ging 
und  das  berühmte  Ballspiel  trieb,  jede  Partei  hatte  ihren  beson- 
deren Ball.*    Und   noch   6  Jahrhundertc   später  nannte  der  Pre- 
diger Kirkmichael    in   Perthshire    den   Football   als   gewiUmliche 
Fastnachtbelustigung  der  Schulknaben.*'     Wol  aus  der  Feder  des 
ehemaligen   Stadtherolds  Handel   Holme    stammt    die   Nachricht, 
daß  ehemals   bei   einem   auf  dem  Kodee   (oder  Uoodeye,   einer 


1)  Morton  Eden  a.  a.  O.     Cf.  cnianibers  a.  a.  0.  1,  288. 

2)  Hone  I,  215.     Uober  den  trapLall  s.  Strutt  S.  lo7. 

3)  Hone  1 ,  123. 

4)  Brand  1 ,  92. 

5)  Strutt  92.     Brand  1 ,  70. 

6)  John  Sinclaire,  Statistical  account  ot'Scotland  179;')  XV,  52 1.  ßraudl,  70, 


476  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantscbaft 

Wiese  zwischen  der  Kathedrale  von  ehester  und  dem  Deeflusse^ 
stehenden  Kreuze  sich  am  Fastnachtdienstage  der  Mayor  samm 
dem  ganzen  Rat  und  alle  20  Gilden  der  Stadt  mit  ihren  Vor 
ständen  prachtvoll  geschmückt  einfanden,  um  von  da  big  zu 
Rathause  Fußball  zu  spielen.  Der  Mayor  mit  Amtsstab ,  Schwe 
und  Schirmhaube  (cap  of  Maintenance)  stand  vor  dem  Kreuz 
dann  nahte  die  Zunft  der  Schuhmacher  und  überreichte  ihm 
unvordenklichem  Brauche  einen  Lederball  von  drei  "^i  hlHiiiM 
vier  Pencc  Wert;  woraaf  die  Sattler  hoch  zu  Roß,  in  ihrer-« 
besten  Staat  herankamen  und  blumennmwundene  HolzbälE'  . 
auf  die  Spitze  ihrer  Speere  gesteckt,  (vgl.  o.  S.  134)  dajiB 
brachten.  Endlich  waren  alle  diejenigen  Bürger,  welche  ds  J 
erste  Jahr  ihrer  Ehe  noch  nicht  beendigt  hatten ,  verpflichtet,  ein^^ 
Ball  von  Sammt  und  Seide  zu  liefern.  Alle  diese  Gesche 
wurden  dem  Mayor  oder  in  seiner  Gegenwart  der  Gilde  der  Tu 
hUndler,  als  der  voniehmsten  übergeben.  Da  das  Ballspiel  ö 
zu  Streitigkeiten  führte,  suchte  man  es  unter  Heinrich  VIII.  a 
schaffen.  Ein  Verbot  der  Darbringung  im  Jahre  1533  bli 
fruchtlos;  da  verwandelte  man  1540  die  Bälle  in  Preise  fftr 
Wettrennen  auf  dem  Rodchcc,  das  nun  —  so  scheint  es  — 
die  Stelle  des  Fußballspiels  trat,  und  ttlr  das  Bogenschießen 
Ostermontag,  die  Schuhmacher  gaben  fortan  den  Tuchhändl 
in  Gegenwart  des  Mayor  eine  silberne  Lanze,  die  Sattler  e 
silberne  Glocke,  die  Neu  verheirateten  einen  silbernen  Pfe^ 
Auch  zu  Ostern  war  bei  Corporationen  das  Ballspiel  übli 
Kliedcm  begaben  sich  Jahr  um  Jahr  zu  Ostern  und  Pfingst 
der  Mayor,  die  Aldermen  und  der  SheriflF  von  Newcastle, 
den  Bürgerinnen  erwartet,  in  voller  Amtstracht  auf  den  Fo 
cme  Art  Malliebahn,  um  dem  Ballspiel  zuzuschauen  oder  da 
teilzunehmen.  2  Eine  erst  in  den  letzten  Jahrhunderten  au 
kommene  Abart  des  Brauches  ist  es,  daß  junge  Leute  beider*^®' 
(Jesehlechts  auf  Ostern  um  einen  Rainfanikuchen  (tansvca 
Stuhlball  (stoolball)  oder  Randball   spielten.'*     Dagegen  spielt: 

1)  Kings  Valc  Eoyal  of  England  p.  197.    Brand  I,  92.     Strntt  101. 
Chambers  1,428  flf. 

2)  Brockett,    a   glossary    of   North  -  county    words    s.   v.    Keppy-bi 
Hone  I.2ir>.     Kuhn,  Nordd.  Sag.  511. 

3)  Bourne  ,  antiquities  of  the  commun  people  cap.  24.     Strutt  94.    üe 
iiitoolball  8.  Strutt  *,)?.    Der  Kuchen  aus  Uaiiifarrenkraut,  ein  beliebtes  Ost" 


T 


Der  Brautball.  477 

ttbo  im  fiühen  Mittelalter  die  GeiBtlichen  sogar  in  den  Kirchen 

fiilL    Job.  Beleth,^  spricht  um  1165  in  seiner  „Divinorum.officio- 

nm  ac  eommdem  rationam  explicatio/'  wobei  er  vorzugsweise 

fiebräache  der  Kirche  von  Poitiers  im  Äuge  hatte ,   im  Anschluß 

^  das  Ostertest  cap.  120    ,,de    quadam  libertate   Decembris^': 

jifiestat,  ut  de  eo  nunc;  agamus,  quod  ultimo  loco  in  partitione 

fiSperiori  propositum  fuit,  nimirum  de  quadam  libertate  Decembris, 

qiiae  hoc   tempore    in    quibusdaui  locis  observatur.     Sunt  enim 

nonnullae  ecclesiae,  in  quibus  usitatum  est,  ut  vel  etiam  Episcopi 

et  Archiepiscopi  in  coenobiis  cum  suis  ludant  subditis,  ita  ut 

etiam  sese'ad  lusum  pilae  demittaut.    Atque  haec  quidem 

Ubertas   ideo   dicta  est   Decembrica,   quod   olim   apud   Ethnicos 

moris  faerit,  ut  mense  loco*  servi  et  imcillae   et  pastores  velut 

qaadam   libertate    donarentnr,  fierentque    cum   domiuis  suis  pari 

conditione,    communia  festa  agentes  post  coUectionem  messium. 

Qiiamquam  vero  magnae  ecclesiae ,  ut  est  Remensis ,  haue  ludendi 

Gonsnetadinem  observant,    videtur   tamen    laudabilius   esse,  non 

ludere.'    Noch  Durand  (Canonicus  zu  Narbonne,  dann   Bischof 

von  Mende)  drttckt  sich  darüber  in  seinem  1286  veriaßteu  Katio- 


gcricbt,  sollte  angeblicli  zur  Erinnemiig  an  die  beim  Passabfest  gebotenen 
bitteren  Krilnter  gereicben.  Brand  I,  17G  ff.  Chambers  1.  429.  Auf  die 
oben  im  Text  erwähnten  Oaterbelustigungen  spielt  ein  Gedicht  von  1G79  an  : 

At  stoolball,  Lncia,  let  ns  play 

For  sugar,  cakes  er  wino. 

Cr  for  a  tansy  let  us  pay, 

The  loss  be  thine  or  niine. 

If  tbou,  my  dear,  a  wiuner  be 

At  tmndling  of  the  ball, 

The  wager  thon  shall  have,  and  me 

And  my  misfortunes  all. 

V'on  demselben  Gegenstande  sprechen  die  folgenden  Verse  auf  Ostern  in 
>•  I*oor  Robin's  Almanack  for  1677  " : 

Joun^  men  and  maids 
Now  verv  brisk 
At  barley- break  and 
Stoolball  frisk. 

Hoae  1, 215.    Chambers  a.  a.  0. 

1)  Uebcr  Beleih  vgl.  Piper,  Monumentale  Theologie  S.  (520  §  142. 

2)  Rationale  divinorum  officiorum  a  G.  Durando  concinnatum;  adjectum 
^^t  aliud  Rationale  ab  J.  Beletho  conscriptum.    Lugdini  1605.   T.  II,  54G. 


478  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

nale  divinorum  officiornm  L.  VI,  cap.  86  „de  sancto  die  Paschae^§ 
nach  Beleths  Vorgang  folgendermaßen  aas :  In  quibnsdam  quoqii^.^ 
locis  hac  die  in  aleis,  in  natali  Praelati  cnm  suis  clerids  Influn  ^ 
in  claustris,  vel  in  domibus  episcopalibns:  itantdescei 
dant  ad  ludum  pilae,  vel  etiam  ad  choreas  et  cantos 
Yocatnr  libertas  decembrica:  quia  antiquitns  consaetndo  foit 
gentiles,  qnod  hoc  mense  send  pastores  et  ancillae  quadi^^ 
libertate  fruerentar  et  cum  dominis  suis  dominarentar  et  cmn 
facerent  festa  et  convivia  post  coUectas  messes:  landabilias  tarn» 
est  a  talibus  abstinere.  Während  hier  die  Uebung  des  Ballspi^^^i 
noch  auf  das  Kloster  oder  den  bischöflichen  Hof  sich  beschrftn^^  ] 
wurde  es  später  in  England  sogar  in  die  Kirche  hineingezogagg 
und  als  ein  Appendix  mit  dem  Gottesdienst  verbunden.  „A  h^^ 
not  of  size  to  be  grasped  by  one  band  only,  being  giyen-i^«>i 
at  Easter  the  Dean  and  bis  representatives  began  an  antipho—  ni 
suited  to  Easterday;  then  taking  the  ball  in  bis  left  band  h 
commenced  a  dance  to  the  tune  of  the  antiphone,  the  otL 
dancing  round  band  in  band.  At  intervals,  the  ball  was  b 
died^  as  passed  to  each  of  the  choristers.  The  organ  plaj^ec 
according  to  the  dance  and  sport.  The  dancing  and  antiphf3ii( 
being  concluded,  the  choir  went  to  take  refreshment.  It  u*  ^m 
the  privilege  of  the  lord  or  bis  locum  tenens,  to  throw  the  b^BÜl; 
even  the  archbishop  did  A."*  —  Im  Schottischen  Hochla^uid 
gehört  der  Ballwettkampf  (luchd-vouil)  endlich  auch  zu  ÄTÜen 
Weihnachtsvergnügungen.  ^ 

Der  Brautball  muß  in  irgend  welcher  näheren  Bezieh^KU){ 
zum  grünen  Laube,  zur  jungen  Vegetation  gestanden  ha^""le« 
(vgl.  das  Zerschlagen  im  grUnen  Tannenwalde),  er  scheint  ^=fe« 
jungen  Ehepaare  wesentlich  gewesen  zu  sein.  Ich  stelle  mir  di' 
Situation  so  vor,  daß  dieses  auf  ein  Jahr  lang  in  Ni^^ti 
nießung  des  BrautbaUs  gedacht  sei,  und  daß  die  Mädchen  ^ 
zurückfordern,    weil   mit  dem    Jahresschluß   seine  Function  ™ 

dieses  Paar  erlischt,   ein  anderer  ttir  ein  anderes  Paar  an         ^ 


1)  Bandy  heißt  den  BaU  mit  einem  Stecken  weitertreiben  (Strutt  10.^ — ^  ^v 
das  Auswerfen  mit  der  Hand  war  allein  dem  Lord  (Bischof  u.  s.  w.)  ^^^' 
behalten. 

2)  Fosbroke's  Brit.  Monach  bei  Hone  I,  215.    Cf.  ChamberB  1,42 

3)  Granty  populär  superstitions  of  the  Highlands  bei  Hone  1,817. 


Der  Brantball.  479 

kommen  soll.    Die  Sache  wäre  klar^  wenn  man  den  Braut- 
hdl  ab   Symbol  des   Sonnenballs    (jener   feurigen    Scheibe,  an 
iielche  der  „Ball  von  Asche,  von  Golde"  (o.  S.  472j,  das  GlUhend- 
iHiehen  der  Schußkugeki  in  Klein  -  M<Usen ,  die  Gestalt  des  den 
Udchen  gegebenen  Zackenballs  in  Elliehsleben  u.  s.  w.  (o.  S.  473), 
4»  vielleicht  nicht  bloß  zufällig  erinnert)  und  die  Braut-  und 
Jagen  Ehepaare  auf  ein  Jahr  lang  als  Gegenbilder  des  Lenz- 
hin^MUurs  auffassen  dürfte.    Datlir  spricht,   daß  es  die  bis  zum 
Dinanche  des   Brandons  Verheirateten   (o.  S.  473)   sein   sollen. 
Und  die  Bedrohung   der  jungen  Frau  in  Arendsee,  scheint  sie 
mdit  sagen   zu  sollen:  Deinen  wie  ein  grüner  Baum  blühenden 
Qatten  wollen   wir   dir  nehmen  und  einen  dürren  Stock  dafllr 
geben?     Die  Ekitscheidung  über   diese  Frage  wird  wol  davon 
sUiangen  müssen,  wie  man  die  in  Norddeutschland  und  England 
Terbreitete   Sitte,   zu  Fastnacht,   Ostern,   Weihnachten  Ball   zu 
Khlagen,  zu   erklären  hat     In  Landsbei^  a.  d.   Warthe  spielt 
BiD  am  dritten  Ostertage  auf  einer  Wiese  Ball,  den  Beschluß 
aaeht  ein  Tanz,   das   heißt:   den  Osterball  feiern.     In  Kiez  bei 
K^nick  geschieht  das  noch  am   ersten   Festtage  vor  Son- 
i^enaufgang,  an  anderen   Orten  zu  anderen  Tageszeiten,   nicht 
^en  noch  Schneegestöber  hält  davon  ab.     Die  englischen  For- 
i&en  des  Brauches  lehren,   daß  auch  bei  diesen  Begehungen  der 
Gegensatz   der  Neuvermählten    und   der  Unverheirateten 
die  erste  Rolle  spielte,   daß  sie  Abschwächungen  der  Sitte,   mit 
dem  Brautball  zu  spielen  waren,  und  mit  der  Entwickelung  des 
Ballspiels  in  der   Gesellschaft   auch   vielfache  Modernisierungen 
erKtten.     Simrock  fragt  (Handb.  d.  Myth.^  578):  „Stand  dies  Ball- 
spiel in  Bezug  auf  die   drei  Freudensprünge,   welche  die  Sonne 
«U   Ostern   tun    soll?"     Dafür   könnte   sprechen,   daß   die   Sitte 
«uweilen  noch  vor  Sonnenaufgang  oder  bis  Sonnenunter- 
ga.ng  0.  S.  474  geübt  wird  oder  gleich  der  Sonne  die  Richtung 
von  Ost  nach  West  nimmt  (o.  S.  474);  das  Hinüberwerfen   des 
Baus  über  das  Dach   des  Torwegs   oder  die  Kirche  gleicht  sich 
dem  Scheibenwerfen.   Die  Bedeutsamkeit  des  Brauches  der  Oster- 
bSLlle  erweist  der  Umstand,  daß  die  Politik  der  Kirche  es  tür  nötig 
hielt,  denselben  zu  weihen  oder  gar  zu  christianisieren,  indem 
»ie  ohne  Zweifel  durch  gottesdienstliche  Verwendung  denselben 
EU    einem  Sinnbild  Christi   selbst,  der  aufsteigenden  Ostersonne, 
umdeuteu  zu  können  hoffte.    Nicht  am  wenigsten  kommt  zu  guter- 


480  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibraatschaft. 

letzt  unserer  Deutung  zu  gute,  daß  in  Oldenburg  der  Osterlui 
in  offenbarem  Zusammenhange  mit  dem  Osterfeuer  zu  stehi 
scheint.  Das  Ballspiel  wird  an  den  Nachmittagen  beider  Fea 
tage  von  Kindern  und  Envachsenen  getrieben.  In  Ganderkeab 
begaben  sich  die  Erwachsenen  vom  BaMspid  zum  Osterfeuer  n 
darauf  ins  Wirtshaus  und  spielten  Klampsack,  wozu  aoeh 
jungen  Mädchen  zugezogen  wurden.^  Das  Klumpsackspiel 
in  Westfalen  auf  dem  Platze  des  Osterfeuers  vorgenommen  ( 
Westf.  Sag.  11,  136,  405*')  und  zwar  vor  Änztlndung  desseltz 
Ebenso  mag  auch  Ballspiel  zum  Osterfeuer  gehört  haben.  0  - 
wäre  trotz  alledem  die  ganze  Sitte  des  Brautballs  zu  Ostern  kin 
liehen  Ursprungs ,  christlicher  Symbolik  entsprossen  ?  Und  hb- 
es  damit  zusammen,  daß  mehrfach  der  Ball  über  die  Kir^ 
geworfen  wird  (o.  S.  473)  oder  das  Ballspiel  vom  Kreuz 
seinen  Ausgang  nimmt  (o.  S.  474)V 

§  11.  Brautlager  auf  dem  Ackerfelde.  Der  Mooner  g— 
bolische  Vermählungsbrauch  (o.  S.  469)  rührt  wieder  an  m^ 
eigentümliche  Reihe  von  Sitten,  deren  characteristisches  K 
zeichen  dies  ist,  dciß  Mann  und  Weib  verbundeti  sich  auf 
Acker  wälzen.  In  England  hatte  der  Brauch  am  Maitag  s  ^ 
In  einem  Gedichte  „May-Day"  sagt  R.  Fletcher  im  J.  1656; 

The  game  at  best,  the  girls  May  roulil  must  bce, 
Where  Croyden  and  Mopsa,  he  and  shee, 
Each   happy  pair  makc  one  hcrmaphrodite, 
And  tumbling,  bonnce  together,  black  and  white.* 

Zu  Ostern  und  zu  Pfingsten  pflegten  junge  Paare  sich  vom  6r"^ 
wichhtigel  herabzurollen. ^  In  der  Ukraine  zieht  am  St.  Ge<,  . 
tage  (23.  Apr.  a.  St.)  nach  beendigtem  Gottesdienst  der  Geist 
in  vollem  Ornat  mit  seinen  Kirchendienern  und  der  gar 
Gemeinde  auf  die  ausgesäten  und  bereits  grünenden  Felder 
Dorfes,  um  sie  nach  griechischem  Ritus  einzusegnen.  Den  _ 
zen  folgenden  Nachmittag  bis  in  die  sinkende  Nacht  bringt  dm 
der  Bauer  auf  den  Feldern  zu.  Man  geht  von  einem  Felde 
andern,    begrüßt    die    Nachbarn   und    ißt   besonders    tlir   dL 

1)  Strackerjan,  Abergl.  u.  Sag.  a.  Oldenburg  11,40,315. 

2)  Translations  and  Poems,   1656.  p.  210   bei  Brand,  pop.  antiq 
EUis  1 ,  181. 

3)  Brand  a.  a.  0.  „  the  roUing  of  young  conples  down  Greewichhi 
Easter  and  Whitsnntide." 


Brantlager  auf  dem  Ackerfcldc.  481 

zubereitete  kalte  Speisen  unter  dem  gehörigen  Zusatz 
finumtwein.  Die  alten  Leute  mit  den  Kindern  bleiben  in 
NUie  der  Feldwege;  die  erwaclisene  Jugend  aber  entfernt 
Aber  die  Felder,  bis  sie  den  Alten  in  einer  Vertiefung  aus 
Gesichte  verschwinden.  Hier  stecken  sie  eine  Stange  mit 
1  angebundenen  Tuche,  oder  einer  Flagge  auf,  angeblich 
ien  Platz  zu  bezeichnen,  auf  dem  sie  sich  vergnügen  und 
Zeichen,  daß  hier  die  Alten  nichts  zu  suchen  haben.    Alk 

sich  auf  die  Felder,  iind  icer  eine  Frau  hat,  walzt  sieh  einige 

mit  ihr  auf  deni  Saatacter  um.  Wie  man  denken  kann, 
1  diesem  Beispiele  auch  die  jungen  Leute  auf  ihrem  abseits 
enen  Turnplätze,  „So  oft  ich  fragte  —  schreibt  mein  Bericht- 
tter,  Hofrat  Hochhuth  in  Pilomnik  bei  Kiew  — ,  weshalb 
ttif  diese  Weise  auf  den  Feldern  sich  wälzten,  erhielt  ich 
Antwort,  daß  das  .von  jeher  so  gewesen  sei;  der  heilige 
g  habe  sich  auch  auf  den  Aeckem  gewälzt,  und  ich  würde 
i  sehen,  welcher  Getreidesegen  danach  zum  Vorsehein  kam- 
werde.  Dieses  Wälzen  auf  den  Feldern  ist  besonders  in 
Bachen  Steppen  der  Ukraine  üblich ,  die  aus  sehr  fruchtbarer 
'arzerde  bestehen;  auf  dem  Sand-  und  Lehmboden  des 
Ideten  Hügellandes  von  Wolhynien  und  in  Podolien  am  Dnie- 
ist  es  mir  nicht  vorgekommen."  —  Den  vorstehenden  Früh- 
^ebräuchen  stehen  ganz  ähnliche  EmtcbrUuche  gegenüber. 
elbra  (gold.  Aue,  Kr.  Sangerhausen)  werden  die  Schnitter 
Schnitterinnen,  welche  das  erste  Jahr  mit  auf  Arbeit  gehen, 
:ht  gegen  Gesicht  zusammengebunden  und  unter  fröhlichem 
ßhter  der  anderen  einen  Hügel  hin<ii)gerollt.  In  Scharrel 
Irland)  sammelten  sich  früher  während  des  Roggenmähens 
endlich  Schnitter  und  Schnitterinnen  nach  getaner  Arbeit  auf 
Grünenwege  und  dem  Langhorstesch  zu  Trunk  und  Feier, 
n  umfaßten   die  Mädchen    die    Beine   der   Schnitter 

die  Schnitter  die  Beine  der  Mädchen,  und  so  anein- 
er  geklammert   rollte   und  wälzte   man    sich  herum 

nannte  das  walen.^  In  Hessen  (Gegend  von  Rinteln) 
den  Arbeitsleute,  welche  zum  ersteumale  ein  Emtefeld  besu- 
i,  besonders  die  Männer,  welche  zum  ersteumale  auf  einem 
e  beim  Roggenmäheu   beschäftigt  sind,  auf  Frauenspersonen 


1)  Strackerjan ,  Abergl.  a.  Oldenburg  II,78,3G1. 

^»nhftrdt.  31 


482  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  Maibraatschaft. 

gelegt  nnd  ihnen  nach  dem  Takte  des  Liedes  ^^Ala  Jacob  n^^^^^ 
der  MtLhle  will  fahren '^  das  Hinterteil  so  lange  mit  einem 
Streicher  bearbeitet  0, gebritzt'')  bis  sie  angeloben,  etwas  zr 
besten  zu  geben,  was  sie  je  nach  Beschaffenheit  ihrer  Unterli^^^^ 
kürzere  oder  längere  Zeit  anstehen  lassen. 

Der  Emtebraach  stellt  sich  als  einfache  Wiederholung  &:^  d 
EVtthlingsbrauches  dar;  wie  dieser  hat  er  den  Zweck,  das  Kocz^Ia 
auf  den  Aeckem  reichlich  wachsen  zu  machen;  auf  Creor^'nK  ij 
Ostern ,  Pfingsten ,  Maitag  geübt  erstreckt  die  Sitte  ihre  Wirka^B:.HU 
vermeintlich  auf  die  diesjährige  Ernte,  nach  dem  Getreideschnc^cju 
auf  die  Fruchtbarkeit  des  folgenden  Jahres.  In  Greenwich  rc^-oli 
ten  die  Paare  zu  Ostern,  in  Sangerhausen  nach  der  Ernte  yc^  oh 
Httgel  herunter. 

Zwei    ganz   verschiedene    Bestandteile   lassen  sich   in  dEadeü 
vorstehenden  Bräuchen    unschwer  von  einander  scheiden.     I         hs 
Wälzen  auf  dem  Acker  wird  auch  von  Einzelneu  geübt,  ist  aji^also 
zu  sondern  von  dem  Auftreten  eines  Paares  (Mann  und  We=r-ii). 
In   Helsingland   und    Jemtland   pflegt    der  schwedische    BaiK^er, 
wenn  er  es  im  Frühjahr  zum  erstenmale  donnern  hört,  sich 
die  Erde  zu  werfen  mit  dem  Ausruf: 


d.  i. 


Vi  ska  rulla. 

Sa  at  det  blir  körn  i  hvar  gmbba. 

Wir  werden  rollen , 

So  daß  Korn  entsteht  in  jeder  Pflugfurche  (Vertiefung  im  Acker). 


Wer  diesen  Brauch  übt,  wird  im  Herbst  eine  reiche  Ernte  erh 
ten,   wer  ihn  aber  versäumt,  zur  Strafe  von  KUckenschmens 
geplagt  werden.^     Auch  in  Oberöstreich  warf  man  sich  ehed^^ 
beim  ersten  Gewitter  auf  die  Erde  und  wälzte  sich  auf  dem  Bodc^^ 
in  der  Meinung  ein  gutes  Getreidejahr  zu  erwirken.    Die  Bulgare* 
und  Serben   tun  dasselbe,   damit  ihnen  im  Laufe  des  Jahres  ^* 
Knochen  in  den   am  Boden  geriebenen  Schultern  nicht  weh  tuu 
In  der  Oberpfalz,  Baieni,  Böhmen  hoflft  man   nicht  minder  da 
Jahr  hindurch  von  Kreuzsehmerzen  befreit  zu   sein,  wenn  ma 
beim  ersten  Donner  im  Frühling  sich  dreimal  rtLckwärts  nie 
derwirft,    und   den   Rücken    auf  dem   Boden   wälzt  ur 


1)  Hylten-Cavamus,  Värend  och  Virdame  II.  TiR  X. 


Brantlager  auf  dem  Ackerfelde. 


483 


1  bt^  Gradeso  aber  glanbt  der  Este,  wenn  er  vor  dem  Georgs- 
em Gewitter  znm  erstenmalo  hört  und  dreimal  einen  Bnrzel- 
t^^nm  schlägt,  in  der  gebtickten  Stellang  beim  Komschneiden 
^^Älrend  der  Ernte  weder  zu  ermüden,  noch  Rückenschmerz  zu 
empfinden.*  In  manchen  Orten  Böhmens ,  Niederöstreichs  u.  s.  w. 
Silt  solches  vom  ersten  Donner  während  der  Erntezeit,*  und  in 
verschiedenen  Gegenden  Rußlands  wälzen  sich  die  Schnitter  nach 
Beendigung  der  Arbeit  auf  dem  Rasen,  indem  sie  sprechen: 
yy Stoppelfeld,  Stoppelfeld!  gieb  mir  meine  Kraft  zurück;  indem 
icli  dich  geschnitten  habe,  ist  die  Kraft  verloren  gegangen."* 
Lietztere  Aeußerung  stimmt  damit  übercin,  daß  in  Deutschland, 
Frankreich  u.  s.  w.  von  einem  während  der  Ernte  ermüdenden, 
Rückenschmerz  empfindenden  Arbeiter  der  Glaube  geht,  der  im 
Ackerfeld  weilende,  anthropomorphische  oder  theriomorphische 
KoTudämon  habe  ihn  berührt  (der  Bulle,  der  Austbock  hat  ihn 
ffestofien;  der  Roggenwolf  hat  ihn  untergekriegt;  il  a  vue  la 
cliienne  blanche  u.  s.  w.). 

An  die  Stelle  des  Donners  treten  zuweilen  die  den  Beginn 
les  Frühlings  anzeigenden  Vögel.  Beim  ersten  Kukuksruf  wälzt 
sicli  der  Meininger,  hessische,  westfälische  Bauer  ein  paarmal 
Ulf"  der  Erde,  um  das  Jahr  hindurch  frei  von  Rückenschmerzen 
tu.  bleiben.*  Gradeso  warf  sich  im  alten  Griechenland  rücklings 
iL'jTritoc)  nieder  und  wälzte  sich  auf  dem  Boden  wer  zum  ersten- 
iaa.le  im  Frühling  eines  Weihen  (/zr/roc)  ansichtig  ward.^ 

Andere  Formen  des  Brauches  besagen,  daß  man  auf  der 
Ss&sit  sich  wälzen  solle,  um  sie  ergiebig  zu  machen.  Die 
Z-w^iebehi  wachsen  groß,  wenn  man  sich  in  der  Johannisnacht 
auf  den  Beeten  wälzt.'     Damit  er  hoch  wachse,   umtanzten  die 


1)  Panzer   II,  303.     Schönwerth  II,  125.     Grohraann,  Abergl.  a.  Böh- 
^«Ä  39, 238.    Wuttke«  §  535. 

2)  Bocler-Kreutzwald,  der  Ehsten  abergl.  Gebr.  S.  84. 

3)  Grohmann,  Abergl.  a.  Böhmen  40,  242.    Zs.  f.  1).  A.  XII,  400. 

4)  TereschtBchenko  IV,  134. 

5)  Zs.  f.  D.  A.  m,  362,  13.  XII, 400.    Zs.  f.  D.  Myth.  IV,  447.    Knhn, 
^estßl.  Sag.  n,  74,221. 

^)  Aristophan.  av,  498  ff.  c.  schol.:  ,"FM()og  uoyouirov  fxnrog  ifafvitai 
^'^  ^v 'Eklada  .  iff  w  ti^o^fvoi  xivI/Woit«*."  „o/  yiiQ  IxTiroi  in  naXttibv 
*'*?  ♦iiJMttii'oy .  ot  nh'rriTfg   ovv   (tnaklay^iTt-g  vor  ;(fcuMrog  fxvXivdom^TO  »ttX 

7)  ClwmnitieT  Rockenphil.  1709  No.  124. 

31* 


484  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  Maibrantscbaft 

Mädchen  im  Saalfeldischen  nachts  den  Flachs,  zogen  sich  nac 
aus  und  wälzten  sich  darin,  ^  Die  Rhönleute  wälzten  sich  in  c 
Ghristnacht  auf  ungedroschenem  Erbsenstroh,  und  mengten  m 
ausgefallenen  Erbsen  unter  die  Aussaat,  um  ihr  Gredeihen  a 
Wachstum  zu  sichern..^  Aehnliche  Absichten  werden  zu  GruK 
liegen ,  '  wenn  bei  Nördlingen  im  Ries  (Kr.  Schwaben ,  Baie 
derjenige,  welcher  den  letzten  Drischelschlag  machte,  [als  V 
treter  oder  Darsteller  des  dem  Korne  innewohnenden  Dämo 
in  Stroh  eingebunden  und  auf  der  Tenne  herumgerollt  wi 
In  dem  o.  S.  434  beigebrachten  Frtihlingsbrauch  aus  dem  Kre 
Nerechta  wirft  sich  die  Darstellerin  des  Vegetationsgeistes  ai 
auf  den  Boden  und  tcälst  sich  darauf.  Diese  Handlung  ist  de 
lieh  unterschieden  von  der  Darstellung  des  Winterschlafes 
nämlichen  Brauche.  Hier  haben  wir  den  vollen  Beweis,  daß  < 
Wälzende  den  Wachsturasdämon  repräsentierte. 

Unleugbar  enthält  die  eine  Hälfte  der  vorstehenden  Gebräa^ 
die  Absicht,  dem  Acker  eine  erhöhte  Triebkraft,  der  Saa*  grö 
res  Wachstumsvermögen  mitzuteilen.  Eine  solche  wird  d 
Volksglauben  nach  durch  das  Gewitter  hervorgebracht,  das 
Pflanzen  gedeihen,  reichlich  und  üppig  hervorsprießen  ma< 
Daher  heißt  z.  B.  in  Schweden  das  Wetterleuchten  Kombi 
Komblick;  in  Norwegen  Kommode,  Kommoe,  das  Gewitter  ^ 
Blitz  und  Donner  in  Schweden  teils  Kommode,^  teils  Komboi 
(der  Kombauer).^    Im  Augenblicke  des  ersten  Frühlingsgewitt 


1)  Journal  von  und  für  Deutschland  1790.    M}-th.>  LXXXVm,  519- 

2)  Myth.»  CLm,  990. 

3)  In  Smuland  sagt  man  sogar,  wenn  ein  rotbärtiger  Bettler 
den  Hof  kommt,  „sieh  da  kommt  der  Kommode."     „Ich  glaubte  es  sei 
Kommode  (Thor)  selbst."    Hylten-Cavallius,  Värend  I,  S.  231. 

4)  Korabonden  gär  =  det  äskar  (Der  Korabauer  geht  =  es  gewitrfc- 
Ein  Rätsel  aus  Oestergötland  fragt:  hvad  ropar  högare  an  tranan?  C" 
ruft  in  größerer  Höhe,  als  der  Kranich?)  Kornbon  (askan)  ropar  hbgar^ 
tranan.  (Der  Kombonde  (Donner)  ruft  in  größerer  Höhe,  als  der  Erat» 
Dybeck.  Runa  1849  p.  48  No.  17.  Ein  Troll,  der  den  Donner  hört,  f^ 
eine  Frau,  was  das  sei,  sie  antwortet:  Det  är  bo'n,  kör  kora  öfver  l^- 
(Das  ist  der  Bauer ,  er  fährt  Korn  über  die  Brücke.)  Cf.  Zs.  f.  D.  M>'th. 
30, 12:  Der  Donner  entsteht  dadurch,  daß  der  Herrgott  Getreide  in  den  Ge^ 
dekasten  schüttet  (Kärnthen).  Thor  serena  et  fruges  guberaat  (Adam  Bf  < 
Vgl.  aucli  die  Gebete  an  den  finnischen  Donnergott  ükko.  Castr^n  ^ 
Hyth.  S.  37.  46  ß;  und  das  von  Gutslefif  im  J.  1644  mitgeteilte  an  den 


Braatlager  auf  dem  Ackerfelde.  485 

« 

>ti£  diese  Einwirkang  anf  den  Kornwachstum  als  am  stärksten 
^d  wirksamsten  gedacht  sein ;  und  ebenso  maß  der  Moment  des 
"Hto  Erscheinens  und  des  ersten  Rufes  der  Frühlingsboten 
Ulok  und  Weihe  als  die  Wachstumskraft  des  Lenzes  in  inten- 
^cr  Weise  yermittelnd  gedacht  sein.  In  dem  einen  oder  andern 
aUIe  schießt  grade  dann  gleichsam  die  Jirt^/zc  caSt^rr^rj  (o. 
196)  in  das  Erdreich  ein.  Wenn  aber  dem  Boden  oder  den 
lanzen  eines  bestimmten  Ortes  diese  Mitteilung  vermeintlich 
K^ht  unmittelbar,  sondern  erst  durch  das  Medium  einer  auf  dem 
>den  sich  reibenden,  an  ihn  gleichsam  die  aufgenommenen  Kräfte 
^ter  abgebenden  Person  zu  teil  ward,  so  liegt  hier  deutlich 
ae  mythische  Personifizierung  vor.  Der  auf  der  Erde  sich  wäl- 
nde  Mensch   vertritt  ein  mythisches  Wesen,    welches  die  im 


3<hen  Picker  „  Lieber  Donner ,  wir  opfern  dir  einen  Ochsen ,  der  zwei  Hör- 
r  und  vier  Klanen  hat,  und  wollen  dich  bitten  um  unser  Pflügen  und 
en,  daß  unser  Stroh  kupferrot,  unser  Getreide  goldgelb  werde.  Stoß 
derswohin  alle  dicken  schwarzen  Wolken  über  große  Sümpfe,  hohe  Wälder 
<1  breite  Wüsten.  Uns  Pflügem  und  Säem  gieb  aber  fruchtbare  Zeit  und 
Ren  Regen.  Heiliger  Donner,  bewahre  unsem  Acker,  daß  er  trage  Stroh 
"kerwärts,  Aehren  überwärts  und  gut  Korn  innenwärts."  Bosenplänter, 
?itr.  V,  157.  Myth.*  161.  Nach  Michael  Agricolas  Vorrede  zum  Davidin 
sltari  1551  wurde  in  Kardien,  „wenn  die  P^ühlingssaat  gesät  wurde, 
tios  Schale  getrunken  und  Ukkos  Korb  gesucht,  so  die  Magd  und  die  Frau 
nrascht  und  viele  Schandtaten  begangen,  die  man  sowol  hören  als  sehen 
Bnte.'*  Oastren,  finn.  Myth.  317.  Diesem  finnischen  Feste  entspricht  — 
e  ich  bereits  anderswo  ausgeführt  habe  (cf.  Lasicii  de  diis  Samagitarum 
>eIlTis  ed.  Mannhardt  43  ff.)  —  ein  estnisches  Fest,  wobei  um  die  Tag-  und 
^cktgleiche  im  Frühling  (des  Donnergotts)  Ukkos  Pandel,  ein  mit  Opfer- 
i-l>en  gefülltes  Rindenkästcheu ,  umgeben  von  Speisen  und  Getränken  aller 
c^  auf  den  Tisch  der  Klete  gesetzt  wurde,  worauf  der  Hausvater  auch  noch 
öe  mit  Körnern  jeder  Getreideart  gefüllte  Borkenschalc  hinzutat.  Unfrücht- 
^TC  Weiber  mußt^jn  sich,  naclits  beim  Ukkowak  eingesperrt,  daselbst  einer 
-leimen  Ceremouie  unterwerfen.  Nachdem  der  Hausherr  frühmorgens 
i^htem  die  Grenzen  seines  Ackers  umwandelt,  begann  ein  Bacchanal,  bei 
^chem  namentlich  die  Weiber  viel  trinken  mußten.  Drei  Tage  nach  dem 
^^  wurde  die  Schale  mit  den  Körnern  aus  der  ükkopaudel  herausgenom- 
^^sn,  jede  Getreideart  wieder  ausgesondert  und  in  den  Saatkaaten  getan, 
'^bandlungen  der  estn.  Gesellsch.  z.  Dorpat  11,3.  1850.  S.  46ff.  Offenbar 
«0  sollte  der  Gott  des  Frühlingsgowitters  das  auszustreuende  Saatgetreide 
'"Sichtbar  macheu;  gradeso  wie  die  Inselschweden  bei  der  Aussaat  in  das 
^^bnit,  woraus  sie  säen ,  einen  Donnerkeil  ('liisavigg)  legen.  Russwurm  Eibo- 
^olke  U,  §  37y. 


486  Kapitel  Y.    Yegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

Angenblicke  des  ersten  Gewitters  oder  Yogelangangs  (resp. 
Gebart  Christi  o.  S.  434)  aufs  höchste  erregte  Waehstomskraft 
den  Acker  oder  die  Aussaat  (Korn,    Flachs,  Zwiebeln, 
u.  8.  w.)  ausströmt. 

Anders  liegt  auf  den  ersten  Anschein  die  Sache,  wenn 
Mensch  sich  auf  der  Erde  wälzt,  um  von  Kreuzschmerzen  währ^ 
der  Ernte  befreit  zu  werden,  oder  zu  bleiben;  oder  wenn  er( 
in  Böhmen  noch  im  vorigen  Jahrhundert  geschah)  sich,  sob 
es  donnert,  auf  die  Erde  wirft  und  sie  kttßt;^  denn  hier  sch^l 
er  der  Empfangende ,  der  die  in  den  Acker  tibergegangene  K 
des  Gewitters,  resp.  des  einziehenden  Frühlings  an  sich 
Wenn  aber  nach  schwedischem  Glauben  die  Beobachtung 
Wälzens  auf  dem  Saatfeld  eine  reiche  Getreideernte,  die  Nic^l 
beobachtung  dagegen  Rückenschmerzen  bei  der  Emtearbeit  z 
Folge  hat,  so  ksxm  schwerlich  der  Wälzende  das  einemal  ^ 
mythisches  Wesen  vertreten,  das  anderemal  in  der  Bolle 
ganz  gewöhnlichen  Sterblichen  handeln;  vielmehr  steht  zu 
muten,  daß  beidemal^  entweder  Repräsentanten  mythischer 
sonificationen ,  oder  einfache  Menschen  gemeint  waren.  Wir 
den  zunächst  prtlfen  müssen,  ob  und  wie  diese  Vermutung  n 
unserem  vorherigen  Ergebnisse  im  Einklänge  steht,  daß  die  auf  dL^ 
Saatfeldern ,  den  Zwiebelbeeten ,  dem  Flachs  und  Erbsenstroh  öi^ 
Wälzenden  Vertreter,  resp.  Darsteller  von  (Vegetations)-DämoM^^ 
seien,  welche  den  Früchten  und  Pflanzen  Wachstumskraft  mitteile 
Befinden  sich  die  des  Rückenwehs  halber  sich  Wälzenden 
scheinbaren  Gegenteils  im  gleichen  Falle?  Die  mitgeteilten 
spiele  ergeben,  daß  es  sich  dabei  um  diejenigen  Kreuzschmer^ 
handelt ,  welche  Ermüdung  bei  der  Emtearbeit  erzeugte ;  sie  v*^  ^ 
den  aufgefaßt  als  ein  durch  Zusammenstoß  mit  dem  Getreidedäs:^^ 
veränlaßter  Kraftverlust.     Nun  ist  es  nach  anderer  Wendung    ^ 


1)  Grohmann ,  Abergl.  a.  Böhmen  40,  243. 

2)  Cf.  Wenn  es  im  Frühjahr  zum  erstcnmale  donnert»   soll  man  e 
Schweres  (einen  Stein  n.  dgl.)  heben  und  einige  Schritte  weit  tragen^ 
erlangt   man   ungewöhnliche  Stärke,   kommt   das  Jahr  hindurch   nicht 
Kräften  und  bewahrt  sich  bei  schwerer   Arbeit  vor  Leibesschaden.     Gr 
mann ,  Abergl.  a.  Böhmen  S.  39  if.  No.  237.  240.  241.     Große  Starke  erl 
auch   wer  einen  Donnerkeil   oder  den  Splitter  eines   vom -Blitz   getroff« 
Baumes  bei  sich  trägt.     Grohmann  a.  a,  0.  40,  239.    Thorr  hat  einen 
gürtel  (Megingjardr),  der  12  Männer  Stärke  verleiht. 


Bnnüager  auf  dem  Aokerfelde.  487 

^onteDoDg  der  Gretreidegenins,  der  den  ährenschweren  Halmen  ein- 
^rcdmende  Greist  selber ,  der  durch  den  Komschnitt  einen  Abbrach 
^iae  SchwSchnng  erleidet   Berücksichtigen  wir  jetzt  einerseits  j  dafi 
^lerjenige,  welcher  bei  der  Ernte  den  letzten  Sensenhieb,  oder 
H^iischelschlag  macht,  hänfig  den  Komdämon  vertritt  und  dar- 
stellt und  nun  für  ein  Jahr  den  Namen  Roggenwolf,  Hahn,  Hafer- 
boek  n.  s.  w.  erhält,^  andererseits  daß  der  den  Baamgeist  durch 
Schädigung  der  Pflanze  beeinträchtigende  Frevler  sofort  stellver- 
^r^etend  an  seinem  eigenen  Leibe  die  gleiche  Schädigung  erlei- 
de (o.  S.  36  ff.  104  ff.),  so  flihrt  uns  die  Analogie  auf  die  An- 
iftchanung,  daß  der  Schnitter  zur  Strafe  und  in  dem  Maße  kraft- 
los gedacht  würde,  als  er  durch  seine  Arbeit  den  Komdämon 
^«maeht  hatte.    Selbstverständlich  konnte  er  dann  auch  nur  auf 
dieselbe  Weise ,  wie  dieser ,  seinen  Verlust  ersetzen ,  d.  h.  durch 
erflhrung  mit  der  Erde,  aus  welcher  die  neue  Pflanze  her- 
oreprießen  soll.    Ganz  parallel  stehen  noch  zwei  andere  Weisen, 
«i  der  Erntearbeit  empfangene  Rückenschmerzen  zu  bessern, 
cxier  SU  verhindern.    Man  tanzt  um  das  Johannisfeuer  und  springt 
lundnrch'  (Baiem),  oder  man  bindet  um  den  Leib  einen  Gürtel 
^v^cn  drei  Hahnen  (Niederbaiem) ,  oder  legt  sich  auf  den  Rücken 
je  eine  Aehre  aus  der  ersten,  zweiten  und  dritten  im  Beginn  der 
Ernte  abgeschnittenen  Handvoll  Frucht  (Oberpfalz  cf.  o.  S.  210). 
In  diesen  ersten  Aehren  des  Schnitts  lebt  noch  die  volle  Kraft 
des  ungeschwächten   Getreidedämons.     Der   Sprung   durch  das 
Jchannisfeuer  (vgl.  o.  S.  177  ff.)  ist  von  uns  (o.  S.  186)  als  Nach- 
bildung des  Durchgangs  der  Vegetationsdämonen  durch  die  Som- 
merhitze erklärt  worden;  derselbe  geschieht  meistens  paarweise, 
uidem   Jünglinge    und   Mädchen   dem   mythischen   Maibrautpaar 
'^«cheiferten.    Diese  Analogien  bekräftigen,  wie  ich  glaube,  den 
Schluß,  auch  der  zur  Beseitigung  von  Rückenweh  auf  dem  Boden 
®*ch  wälzende  Abergläubige  handelt  als  Stellvertreter  oder  Jleprär 
Scntant  eines  Komgeistes. 

Werden  wir  nunmehr  noch  diejenige  Form  des  Frühlings - 
^i^d  Emtebrauchs,  in  welcher  ein  Paar  auf  dem  Acker  gerollt 
^^ttl,  mißverstehen  können V  Seine  Vereinigung  stellt  symbolisch 
^c  Vermählung   des    Maibrautpaars  dar,    welche  in  dem 


1)  8.  Mannhardt,  Komdämonen  S.  3.    Koggen wolf^  S.  34. 

2)  Cf.  Wattke»  §  93. 


488  Espitol  V.    Vegetationsgeister:  Mubraatschtft. 

Augenblicke  vor  sich  geht,  wenn  das  erste  Frtthlingsgewitter 
yenneintlich  die  Erde  befrachtet,  oder  der  erste  Frtthlingsyogel 
den  Sommer  mit  sich  bringt.  Dieses  feierliche  und  segensreiche 
Brautlager  einem  besonderen  Saatfelde  recht  wirksam  zu  macheoi 
wälzen  und  reiben  sich  die  irdischen  Stellvertreter  des  mythischen 
Paares  auf  der  Erde,  der  dadurch  die  Kräfte  der  göttlichen 
Vermählung  zuströmen. 

§  12.  NenyermShlt«  als  Abbilder  des  Haipaars.  Spielt 
in  den  Fastnacht-,  Oster-,  Mittsonmiergebräuchen  das  zuletzt  ver- 
heiratete Eliepaar^  oder  eine  jüngst  vermählte  Ehefrau^  zumeist 
beim  Feuer  eine  KoUe,^  so  auf  andere  Weise  in  schwäbischen 
Fastnachtsittcu  die  jüngstai  Bürger,  d.  h.  diejenigen  Männer, 
welche  zuletzt  Hochzeit  hielten j  oder  sämmtliche  im  Laufe  des 
letzten  Jahres  neuverheirateten  Männer,  Man  bezeichnet  dieselben 
als  jyBräuÜinge'*^  und  nötigt  sie,  in  den  Brunnen  zu  springen. 
Zu  Munderkingen  sprang  der  Lctztvermählte  am  Aschermittwoche 
dreimal  in  den  zuvor  gut  umgerührten  10  — 12  Schuh  tiefen 
Marktbruunen  und  brachte  dort  ein  Vivat  aus.'  In  Scheer  and 
Sigmaringeu  werden  alle  im  letzten  Jahre  verheirateten  Männer 
nacheinander  am  Fastnachtmontage  nach  der  Kirche  im  Rohr^ 
bnmnen  gebadet  y  zu  Fulgcnstadt  geschah  das  vor  etwa  50  Jah- 
ren am  Fastuaehtsonutage  im  augestauten  Wasser  des  Dorfbachs, 
zu  Uigeudorf  geschieht  es  noch  am  Fastuaehtdienstage  im  Brunnen- 
troge des  Pfarrbofs.  Zu  Scheer  und  Sigmaringen  halten  bei  diese? 
Gelegenheit  die  ledigen  Gesellen  zu  allen  Bräutlingen  einen  Um 
zug,  voran  den  Fastnaehtsnarrcu  mit  RollengeschcU  und  mäehtigf 
Peitsche,  der  Kinder  und  Jmiglraueu  russig  macht,  wenn  er  s 
erwischt,  sodann  2  —  4  Läufer  ebenfalls  mit  Peitschen,  endli 


1)  Andere  Verpflichtungen  liegen  den  Neuvermählten  z.  B.  in  Thürii 
oh,   wo  sie  einige  Wochen   nach  der  Hoclizeit  entweder  einen  Hahnensc 
veranstalten  müssen,   oder  am   ersten  Palmsonntage  die   ledige  Jugend 
die  Schulkinder  mit  Bretzeln  heschenken  (Hieben  bei  Gotha);  Brotzeln  ^ 
ja  auch  Geschenke  bei  Gelegenheit  des  iScheibentreibens  s.  o.  S.  466. 
das  junge  Ehepaar  hat  im  Laufe  des  ersten  Jahres  der  Jugend  einen 
bäum  mit  darangehängten  Halstüchern  und  Westenstückchen  u.  s.  w.  i 
rüsten,  der  zum  IJursohen-^ oder  Mädchentanz  am  Johannistage  oder  P 
tage  aus   ilirem  Hause  unter  Musik  abgeholt  wird.    F.  Schmidt,  Sitt« 
Gebräuche  bei  Hochzeiten  in  Thüringen  S.  47  —  48. 

2)  Meier  377 ,  15. 


NenTerm&lilte  als  Abbilder  des  Ifaipaars.  489 

die  Hiisikbande,  in  der  einer  einen  dicken,  mit  Bändern 

Terziertea  Prttgel  trägt.    In  jedes  Bräatlingshaos  geht  der  Zag 

hmelDy  die  Musik  spielt  auf  and  die  jungen  Eheleute  tanzen 

danaeh,  indeß  ihnen  der  Narr  das  Fleisch  aus  dem  Hafen,  einen 

Braten  vom  Kamine   herab  stiehlt.    Zuletzt  wird  der  Bräutling 

gefragt,  ob  er  Wein  oder  Wasser  wolle.     Antwortet  er  Wein, 

80  muß  er  ein  Stück  Geld  geben,  um  die  Gesellschaft  im  Gast- 

banse  zu  bewirten,    antwortet  er  Wasser,  so  wird  er  gebadet. 

Er  muß  auf  den  Prttgel  sitzen  und  wird  so  durchs  ganze 

Städtchen    bis   zum   Rohrbrunnen  getragen,   um   diesen 

hernmgeftthrt  und  hineingeworfen.     So  geschieht  es  vom 

Aeltesten  angefangen   der  Reihe  nach  bei  allen  seit  Jahresfrist 

Nenrerheirateten.    In  einigen  Orten  bei  Scheer  findet  der  Brauch 

jedoeh  schon  am  Ende  des  Kalenderjahres  statt.    Aehnlich  geht 

es  in  den  andern  vorhin  genannten  Gegenden  her.    Zu  Fulgen- 

stsdt  ist  der  mit  Musik  vom  Hause  abgeholte,  im  Dorfbache 

gebadete  Bräutling  häufig  maskiert ;  zu  Nigendorf  verstecken  sich 

die  betreffenden  jungen  Ehemänner,   zuweilen   sogar  in  einem 

benachbarten   Dorfe    und   werden   von   den   als   Teufel,   Hexen 

Hg.  w.    verkleideten    ledigen    Burschen    gesucht,    bei    welcher 

Gelegenheit  diese  in  den  Häusern  an  Eßwaaren  mitlaufen  lassen, 

was  ihnen  unter  die  Häiidc  kommt.    Die  aufgefundenen ,  jubelnd 

l»üngefllhrten  Bräutliuge  wurden  einzeln  au  den  Brunnentrog  ins 

ffarrhaus  gelTtthrt  und  mußten  sich  dort  entweder  loskaul'eu  oder 

Emtauchung  gefallen  lassen.     In  Sigmariugen  war  die  Sitte 

verändert,   daß  jeder  Neuvermählte   des  verflossenen 

J^Tt%  von  den  Bräutlem ,  d.  h.  ledigen  unbescholtenen  BUrgcrs- 

^'^en  der  Stadtgemeine  beim  Klange  eigentümlicher  Musik  und 

''Eiligen    Sprüngen    vermummter   Gestalten    auf  einer 

^^^'attelten    Stange    mehrere    male    um   den  Marktbrun- 

^^Tx  getragen  wurde,  worauf  man  ilmi  im  Angesichte  des  Mut- 

. 'Sottesbildes  die  rechte  Fußspitze  wusch  und  ihn  crmahnte, 

1^    rechter  ehrenfester  Mann  und  Bürger  zu  sein.^     Doch  nicht 

*leii».  in  Süddeutschland  hat  sich  die  Sitte  erhalten.    Im  Olden- 


l^^^lgischen    brachten     die    Junggesellen    am    Fastnachtdienstage 

^^^tntliche  Verheiratete,  namentlich  die  im  Laufe  des  Jahres  Neu- 

^^"Hiählten  zusammen,  die  dann  in  die  Zunft  der  Ehemänner  auf- 


1)  S.  Birlinger,  Volkstüml.  a.  ^Schwaben.    11,  45— 50,  No.60— 64. 


^ 


490  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  MaibiantNhaft. 

genommen  wurden  und  bewirten  mußten.  Wer  nicht  gntwil 
kam,  wurde  auf  einer  Leiter  zum  Wirtshause  getragen.  In  Schi 
rei  (Sateriand)  stellte  man  bei  dieser  Gelegenheit  den  JunggeK 
len,  welche  die  Zahl  der  Lebensjahre  der  Dreißig  fiberschritte 
ohne  vermählt  zu  sein,  eine  bestimmte  Frist,  bis  zu  welcher  i 
eine  Lebensgefährtin  wählen  mußten.  Verlief  dieselbe  ohne  I 
gebniß,  so  wurde  ihr  Name  in  ein  großes  Buch  mit  Pergamei 
Umschlag  geschrieben.  Im  friesischen  Barßel  ermahnte  eben& 
bei  dieser  Gelegenheit  einer  der  ältesten  Ehemänner  die  Neulio 
ihren  Weibern  treu  zu  sein  und  mit  keiner  andern  sich  ab: 
geben.  ^  In  den  Dörfern  bei  Brake.  (Oldenburg)  werden  in  < 
Pfingstnacht  die  jungen  neuvermählten  Ehemänner,  <m 
die  erst  zu  Mai  angezogenen  Hausväter  von  herumziehenden  L 
ten  y,gehögt^^  d.  h.  auf  den  Annen  oder  einem  Stuhle  in  die  A 
gehoben  (cf.  o.  S.  347),  fUr  welche  Ehrenbezeugung  sie  sich  du: 
Bewirtung  mit  Getränk  erkenntlich  zeigen  müssen.'  In  Pol 
(D^p.  Deux-Sevres)  hatte  am  Freitage  vor  dem  letzten  Sonnta 
zu  Ghätillon  am  letzten  Freitage  des  Aprilmonats  der  Brai 
statt,  den  Hammel  zu  schlagen  (fesser  le  mouton).  Die  Jft 
linge  (bacheliers)  aus  beiden  Kirchspielen  des  Ortes,  fesÜ 
geschmückt  mit  Degen  und  Federbusch  begaben  sich,  Ma 
an  der  Spitze,  zu  allen  im  letzten  Jahre  verheiratet 
Frauen,  überreichten  ihnen  einen  Blumenstrauß  und  luden 
zum  Tanze  ein.  Am  Sonnabend  Abende  führte  man  ein 
Hammel  zu  einer  mit  weißem  Tischtuche  gedeckte 
mit  Brot  und  Wein  besetzten  Tonne  und  bot  ihm  dies 
Speise  an.  Nachdem  er  gefressen  und  getrunken,  trieb  ihn 
zuletzt  verheiratete  Frau  mit  einer  Rute  dreimal  um  die  Ton 
worauf  ihn  jeder  Junggeselle  auf  seinen  Rücken  hob  und  di 
mal  um  seineu  Kopf  schwang.  Der  Abend  verging  mit  Tanz 
Am  Sonntage  nach  der  Messe  ergriffen  sodann  die  Junggeaell 
an  den  Kirchtüren  der  beiden  Pfarrkirchen  die  beiden  zne 
hinausgehenden  Bäuerinnen  und  tanzten  mit  ihnen  den  Hirt( 
tanz.  Sodann  setzten  sie  sich  in  Weiß  gekleidet  zu  Pferde  u\ 
die  beiden  zuletzt  verheiratetrji  Ehemänner  mußten  sie  in  ihre 
Hochzeitsstaat  zu  Pferde   begleiten.     So  ritt  man  mehrere  ma 


1)  Strackerjan,  Abergl.  u.  Sag.  a.  Oldenburg  II,  38»  305. 

2)  Ders.  ebds.  47,  316. 


KevTennähltd  als  Abbilder  des  Maipaan.  491 

nnd  am  den  Ort,  endlich  stieg  man  auf  einer  benachbarten  Wiese 
ab,  om  zu  tanzen;   wieder  im  Sattel,  hielt  man  einen  Tmnk, 
viif  das  Glas  zur  Erde  and  jagte  mit  verhätigtem  Zügel  zar 
Stadt  bis  Yor  das  Schloß.     Die  beiden  zaerst  Angekonmienen 
'nirien  als  Könige  (für  jedes  Kirchspiel  einer),  von  ihren  Lieb- 
chen gekrönt     Den  Rest  des  Abends  sowie  des  Monats  ftillten 
•Besache  und  Tänze  aus,  bis  am  letzten  April  der  Maibai4m  in 
den  beiden  Kirchspielen  gepflanzt  und  grüne  Zweige  und  Blumen- 
ketten Yor   den  Häusern  angebracht  wurden.^     Hier  sind  der 
Hsmmeltanz  der  neuvermählten  Weiber  (anstatt  des  Hammels  ist 
Ursprünglich  ein  Widder  zu  denken  und  symbolische  Beziehung 
Änf  die  Fruchtbarkeit    der  Ehe  unabweisbar)  und  der  Wettritt 
[v^  0.  S.  387]  der  neuvermählten  Männer  deutlich  ein  Vorfest 
des  Maibanmpflanzens.    Zwei  Bäuerinnen  wurden  zum  Tanze  auf- 
S^fordert,  zwei  Könige  wurden  gewählt,  weil  zwei  Kirchspiele, 
da^  der  Stadtpfarre    und  die  Pfarre  der  Vorstadt  Saint -Jouin 
zusammen   das  Fest  feierten.     Bei  dem  auf  Samstag  fallenden 
Teile  der  Feier  waren  sie  also  nur  einfach  durch  die  letzte  Neu- 
■^eimählte  vertreten,   bei  derjenigen  am  Sonntage  doppelt.     In 
dem  Flecken  Greven  in  Westfalen  hinwiederum  herrscht  während 
de»  Karnevals  die  Gewohnheit,  daß  alle  vier  Jahre  die  inner- 
l^alb  dieser  Zeit  getrauten  Ehepaare  ohne  Unterschied  der  Person 
in  einen  zu  diesem  Zwecke  auf  dem  Markte  aufgestellten  unge- 
beoren  Kübel  kalten  Wassers  springen  und  sich  durchbaden  las- 
sen müssen.*    Es  ist  deutlich,  daß  hier  (wie  häufig)  die  ursprüng- 
lich jährlich  geübte  Sitte ,  um  ihr  den  Reiz  der  Neuheit  und  damit 
das  Interesse  zu  erhalten,    in  ein  erst  nach  bestimmtem  mehr 
jährigem  Zeiträume    wiederkehrendes  Fest    verwandelt  ist  (vgl. 
o.  S.  175).     Wie  die  Feien  auch  auf  Hochzeiten  auftreten,  das 
Mailehen  in   die  ernste  Freierwerbung  Eingang  fand  (o.  ö.  454), 
ging  das  Bräutlingsbaden  auch  auf  Vermälilungsfeste  über.    Zu 
Blochingen  a.  d.  Donau  führten   noch   bis  zum  Jahre    1810  die 
ledigen  Bursche   in  der  Frülie  seines  Hochzeittages  jeden  Bräu- 
^am  zum   Dorfbrunnen,  wo  sie  ihn,  wenn  er  sich  nicht  los- 
^ttfte,  untertauchten.    Alle  hiel)ci  beteiligten  Bursche  erschienen 
Nachmittags   auf  der  Hochzeit  und  schenkten   et\va«.^     Es  darl' 

1)  De  Nore ,  Mythos ,  coutuincs  etc.  p.  145  iF. 

2)  Morgeublatt  für  gebiUlcte  Leser  183H  No.  307. 

3)  BiiÜDger  a.  a.  0.  40,  Gl. 


492  Kapitel  V.     Vegetationsgeister:  Maibrantsohftfi 

schließlich  auch  daran  erinnert  werden,  daß  in  Belgien  die  c 
Wasserbade  parallel  gehende  Aufpeitschung  mit  der  Lebensi 
vorzugsweise  an  den  im  Laufe  des  Jahres  neuvermähl 
Eheleuten  geübt  wird  (o.  S.  286). 

§  13.  Ergebnisse.  Der  Zusammenbang  des  Mailehens 
der  im  ersten  Teile  dieses  Abschnitts  behandelten  Maibraatsc! 
steht  wol  außer  Frage;  von  der  Maibelelmung,  die  nicht  se 
von  Maifeuem  begleitet  ist,  wird  das  Ausrufen  der  Liebespi 
(Valentinen)  am  Fastenfeuer  und  von  diesem  der  erörterte  n 
nigfache  Brauch  hinsichtlich  neuverheirateter  Ehepaare  oder  ] 
besleute  beim  Sonnwendi'euer  und  außer  diesem  nicht  getn 
werden  dürfen,  so  daß  eine  einzige,  in  ihren  einzelnen  Q 
dem  sich  ergänzende  und  stützende  Reihe  von  Begehungen  ' 
liegt.  Dieselbe  ist  zwar  vielfach  mit  christlichen  Festtagen  zos 
mengewachsen,  findet  aber,  so  weit  meine  Kenntniß  reicht,  kei 
Anknüpftmgspunkt  in  den  durch  dieselben  ausgedrückten  reli 
sen  Ideen  des  Christentums;  die  Vorstellung  von  der  Witt? 
Schaft  der  Kirche  während  der  Fastenzeit  (o.  S.  446)  widerspr 
ihr  sogar.  Wir  werden  mithin  bis  auf  weiteres  berechtigt  s 
an  der  natursymbolischen  Deutung  dieser  Bräuche  festzahal 
und  nur  darum  wird  die  Untersuchung  sich  zu  bewegen  hal 
ob  sie  als  unmittelbare  und  selbstständige  Wurzeltriebe  ans 
Metapher  der  Liebe,  Werbung,  Vermählung  fttr  das  neue  Le 
in  der  Natur  und  der  Meuseheubrust,  das  der  Frühling  her 
ruft,  emporschössen,  oder  ob  sie  als  Blüten  auf  dem  Zw< 
jener  mythischen  Illusion  gewachsen  sind,  welche  die  Lenzmoi 
mit  dem  Glauben  an  ein  in  Wahrheit  personhafles,  dämonisc 
Brautpaar  oder  junges  Ehepaar  eriüllte.  Alle  Anzeichen  sprec 
für  die  letztere  Annahme,  da  manche  Züge  auch  mit  den  in  B 
stehenden  Sitten  unabtrennbar  verbunden  sind,  welche  aus  Jei 
rein  psychologischen  Motive  keineswegs  abgeleitet  werden  1 
nen,  sich  aber  von  Vcgetatiousgeistcni  mit  Leichtigkeit  erklS 
(Wassertiiuche ,  Verbrennung);  und  in  der  Tat,  täuscht  n 
alles,  so  sind  das  Mailehen,  die  Bündnisse  der  Valentine 
Valentinen,  der  gemeinsame  Sprung  durchs  Fastnachts-  c 
Joliannisfcuer,  Scheibenwerf'en  und  Brautball  zu  Ostern, 
Bräutlingsbaden  ursprüngliclie  Nachahmungen ,  vervieltaltigei 
den  Parallelismus  des  Mcnschcnwachstums  mit  dem  Pflana 
Wachstum  bezeugende  Darstellungen  der  Situationen  des  geis 


Ergebnisse.  493 

haften  Lenzpaares  gewesen.  Es  ist  größtenteils  noch  ein  Rest- 
chen der  Nabelschnur  vorhanden ,  welche  die  abgeleiteten  Sitten 
mit  dieser  Grundvorstellung  verbunden  hat.  So  z.  B.  ^vird  durch 
den  Hinweis  auf  das  im  Jahreslaufe  seine  Wirksamkeit  entfal- 
tende und  erschöpfende  dämonische  Brautpaar  die  Verbindung 
nf  ein  Jahr  oder  itir  den  Sommer  beim  Mailehen,  bei  den  eng- 
lisehen  Valentinen,  dem  Gompadre  und  seiner  Dame  in  Vene- 
aela  ond  den  schwäbischen  Ehegatten  verständlich ,  welcher  die 
Teünahme  der  im  Laufe  des  letztvergangenen  Jahres  verheirate- 
ten Ehepaare  bei  den  Feuern ,  zugleich  aber  auch  die  Wahl  des 
Kaikonigs  und  Maigrafen  ( cf.  o.  S.  369  ff.)  auf  ein  Jahr  von  Mai- 
^g  bis  Maitag  oder  von  Pfingsten  bis  Pfingsten  entspricht.  Im 
pohischen  Brauche  (o.  S.  468)  ist  es  noch  ausdrücklich  der  grfine 
oder  weiße  Johannes  d.  h.  der  nach  dem  Mittsommertage  benannte 
■öämon  der  sommerlichen  Vegetation,  die  schon  zur  Weiße  des 
Emtefeldes  hinneigt,  der  ein  Weib  sacht,  sich  verheiraten  will;  die 
iKi^ischlichen  Liebespaare  sind  anscheinend  seine  glücklicheren 
Nachahmer.  Wie  unmerklich  rinnt  hier  in  anmutigem  Spiele  der 
Mythus  in  rein  menschliche  Verhältnisse  herüber.  Eine  andere 
Bpnr  des  Zusanmienhangs  mit  dem  Naturmythus  gewährt,  daß 
in  Westfalen  beim  Lehnausrufen  an  der  Spitze  der  Maipaare  ein 
Vaikönig  und  eine  Maikönigin  ,stehn,  und  daß  der  Maibursche 
seiner  Maifrau  einen  Maibaum  setzt.  Das  zweite  Kapitel  lehrte 
Tins  in  letzterem  ein  Abbild,  ein  zweites  Ich  des  Mädchens- ken- 
nen; die  Nachweise  dieses  Kapitels  ergänzen  diese  Vorstellung 
dahin,  daß  das  Mädchen  selbst  als  Vertreterin  des  den  Baum 
belebenden  Vegetationsgeistes,  als  Mainymphe  gedacht  wird,  und 
Bomit  der  Queen  of  May  (o.  S.  315.  346),  Maride  de  May  (o. 
S.439),  der  litauischen  Maja  (o.  S.  313)  u.  s.  w.  gleichsteht,  die 
neben  dem  Maibaum  hergehen,  oder  denen  man  einen  Maibaum 
f  vorträgt.  Wenn  nun  zuweilen  der  den  Maibaum  belebende  Vege- 
tationsgeist durch  ein  Liebes-  oder  Ehepaar  dargestellt  wird, 
^^nn  andrerseits  es  gewiß  ist,  daß  die  Verbrennung  des  Mai- 
"'Wuns  ein  altes,  und,  wie  es  scheint,  notwendiges  Stück  der 
'ffthlings-  und  Mittsommerfeuer  ausmachte  (o.  S.  177),  wofür  als 
SJeichbedeutend  zuweilen  die  Verbrennung  der  beiden  das  dämo- 
'"^che  Maipaar  darstellenden  Strohpuppen  Hansl  und  Gredl  (o. 
^^•429)  eintritt  (o.  S.  464),  so  läßt  sich  leicht  einsehen,  daß  das 
"^heibentreiben  flir  ein  Liebespaar,  der  paarweise  Sprung  durch 


494  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

ein   Fastnacht-  oder  Johannisfeuer    neben    dem    verbrennenden 
Baume,  oder  (wo  dieser  fehlt)  für  sich  allein  die  Verbrennung 
der  Vegetationsdämonen  oder,  wie  wir  oben  S.  186  deuteten,  dco 
Durchgang  derselben  durch  den  Sonnenbrand  des  Sommers  sinn- 
bildlich darstellen  sollten.     In  der  Gegend  von  l^pinal  wird  das 
Liebespaar,  wenn  es  sieh  nicht  loskauft,  ja  wirklich  in  efSgie 
verbrannt.    Die  Anzündung  des  Scheiterhaufeths  oder  der  Scheibe 
durch  ein  junges  Ehepaar  (resp.  eine  jung  verheiratete  Frau  oder 
den  jtlngsten  Ehemann)  ist  dann  deutlich  nur  Abschwächung  des 
Durchgangs  derselben  durch  die  Flammen,  doch  erhielt  sich  dabei 
noch  die  ältere  Form,    daß  nur  ein  Paar  statt  mehrerer   oder 
vieler  auftritt;  zugleich  aber  erhellt,  daß  auch  das  Durchspringen 
von  Männern  oder  Frauen^ allein,  oder  das  Hindurchtreiben  von 
Vieh  durch  diese  Feuer  zum  Zwecke  der  Fruchtbarmachung  der 
Aecker  oder  zur  Vertreibung  resp.  Femhaltung  von  Krankheiten 
den  nämlichen  Sinn  haben  muß.     Daß  dem   in  der  Tat  so  sei, 
wird  der  Verfolg  unserer  Untersuchung  lehren.    Dieser  Gebrauch 
geht  genau  parallel  dem  Schlagen  von  Menschen  und  Tieren  mifc^ 
der  Lebensrute  (Schmackostem),  welches  in  so  naher  BeziehuDi 
zur  Pfingstbraut  steht.     Hier  wie  dort  scheint  das  Gebahren  de 
Vegetationsdämonen  von  vielen  Menschen  im  Interesse  ihres  Wo 
befindens  zum  Vorbilde  genommen;   auch  beim  Bräutlingsbadefe :^ 
geschieht  an   allen    jungen    Ehemännern    dieselbe    Wassertanf^ 
welche  (als  Regenzauber)  in  Zürich  zum  Hirsmontage,  an  de 
Chrideglade   und   seiner  Else  (o.  S.  430),   zum   Aschermittwocti.e 
an  der  Braut  und  dem  Bräutigam  (o.  S.  433),  in  Baieni  zu  M«»ri- 
tag  oder  Pfingsten  an  dem  Ilansl  und  der  Gredl  (o.  K.  429)  sow^c 
in   verschiedenen  (hegenden  au  dem  Wasservogel,  Pfingsthag^^: 
Laubmännchen  u.  s.  w.  geübt  wurde. 

Kam  es  diesen  Auseinandersetzungen  zufolge  wesentH^^ 
darauf  an,  in  derselben  Zeit,  in  welcher  jenes  göttliche  Lieb^^' 
paar  seinen  Bund  schließt,  in  Nachahnmng  dessen  menschli^?^ 
Paare  zu  vereinigen,  so  blieb  eine  mehrfache  Weise  mögli^^^^ 
solche  Vereinigung  zu  bewerkstelligen;  für  die  würdigste 
eine  Götterbestimmung,  ein  Schicksalsspruch  gegolten 
Das  Loos,  der  Ausruf  des  orakelnden,  im  geheimnisvollen  W»l 
verkehrenden,    kräuter-    und    zauberkundigen    Dorfhirten,* 

1)  Vgl.  zu  der    o.  S.  46f)  aus   der  Gegend  von   Saarburg  mitget^il^^ 
Sitte  diejenige   aus  der  Insel  Mau,  wo  am  letzten  Tage  der  Zwölften 


Ergebnisse.  495 

durch   höhere  Eingebmig  geeinigte  Stimme  der  Um- 
stehenden,  die  zufällige  erste  Begegnung  in  der  Frühe  des  Mor- 
gens (Angang)  sind  verschiedene  Formen  solcher  Vorherbestim- 
uumg;  ich  yennute,  daß  auch  der  Raub  (o.  S.  454) ,  die  älteste 
Weise   der  Brautwerbung,    ursprünglich    an  der  zufällig  zuerst 
Begeg;nenden  geübt  sein  wird.    Die  Mädchenversteigerung  ergiebt 
odi  somit  aus  inneren  Gründen  als  eine  abgeleitete  verhältniß- 
ndUKg  junge  und  locale  Gestaltung  der  anderswo  in  älteren  E^t- 
irieklongsstadien  bewahrten  Sitte.    Es  ist  verständlich  und  natür- 
leh,  daß  ebensowohl  auf  den  ersten  Fastensonntag,  als  auf  den 
14.  Februar  oder  den  ersten  Maitag  als  Vertreter  des  Frühlings 
^  Sitte  fixiert  werden  konnte.    Der  14.  Februar  wurde  gewählt, 
^il  die  Volksbeobachtung  auf  denselben  (ich  weiß  nicht,  aus 
'^eldiem  Grunde)  auch  die  Paarung  der  Vögel  ansetzte,  so  daß 
^  eine   passende  Annahme    schien,  auf  ihn  die  Hochzeit  der 
ff^ßen  Naturwesen  zu  verlegen.    Der  Kalendeniame  dieses  Tages, 
^^  Talentin,  ist  dann  zunächst  auf  das  mythische  Lenzbrauti)aar 
"'^^itragen,  wie  sonst  der  Monatsname  Mai,  Maja,  auf  den  Vege- 
***ion8dämon,    und   von  diesem   auf  die  dasselbe  nachbildenden 
"^Äre.i     In  Lothringen  muß  in  ähnlicher  Weise  der  Brauch,  sef 
^     aus  eigener  Uebcrlieferung  oder  in   Na(»hahmung  englischer 
^*^t^  am  14.  Februar  geübt  sein ,  ehe  er  mit  dem  gleichbedeuten- 
den anderer  Orte  am  dhnanche  des  brandons  verschmolzen  wurde, 
^emi  man  die  Wiederkehr  des  Frühlings  von   der  Wiederkehr 
des  Lichtes  an  rechnete,  so  war  man  berechtigt,  schon  zu  Wcih- 
nac-bten    oder  Neujahr   die   Wiederkehr   des  Lenzl)rautj)aars  zu 
feiern.    Es   steht  sich  mythologisch  gleich,  ob  man  das  Verhält- 
'äß    des   Lenzpaares    als  Brautschaft    oder    als   vollzogene    Ehe 
bezeichnen  wollte,  tlür  den  vorgcscTirittcncren  Sommer,   der  der 
Fruebtreife    zuneigt,    war   die    Bezeichnung   als   jungvermähltes 


'^ledler,  welcher  während  dieser  Festzeit  aufgespielt  hat,  seinen  Kopf  in 
t^Oes  Mädchens  Schoos  le^^o  und  der  Reihe  nach  von  einer  <lrittcn  Person 
J^  alle  unverheiratete  Frauensleute  befragt,  von  jeder  aussagte,  wen  sie 
^^'^ten  werde.  Dieser  Au8sj>nich  galt  als  ein  untrügliches  Orakel.  Waldron, 
^^^^ription  of  the  Isle  of  Man.    Works  p.  155.    Brand,  pop.  Antiqu.  1,32. 

1)  Die  Legende  des  h.  Valentin  bietet  keinen  Ausgangspunkt  oder  An- 
^**  zur  Erklärung  des  Brauches.    Simrocks  leichtfertige  Deutung  auf  den  nor- 

*^^en  Gott  Vali  (Handb.S  312  — ai3),  der  Rochliolz  (Gaugöttinnen)  beitritt, 

^**<lieiit  kaum  Erwähnung. 


496  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrautscbaft. 

Paar  am  passendsten.  Wir  sehen  deshalb  als  personifid 
Gegenhilder  der  die  Sommerhitze  passierenden  Pflanzenwelt  ^ 
zugsweise  junge  Eheleute  durchs  Mittsommerfener  springen.  D 
insofern  das  Eand,  der  Emtesegen,  noch  in  der  Zukunft  zu  enr 
ten  ist,  war  es  immer  nicht  widersinnig,  im  Abbilde  die  dän 
nische  Brautschaft  oder  Vermählung  (vgl.  den  estnischen  Brau 
0.  S.  469)  zu  begehen.  Schließlich  gewahren  wir  an  mehrer 
Beispielen,  wie  nach  und  nach  auch  die  festen  und  sittlich 
Verhältnisse  ernsthafter  Brautwerbung  und  Ehe  zwischen  d 
Menschen  durchstehend  als  Abbilder  der  großen  Naturvoigäo 
aufgefaßt  werden.  Die  holländischen  Bursche  versteigern  unl 
sich  das  Hecht,  die  erstrebte  Braut  zu  besuchen;  der  schi/^übisc 
Bräutigam  wird  am  Hochzeittage  gewaltsam  gebadet,  alle  jung 
Ehemänner  unterliegen  der  nämlichen  Begehung;  und  die  scIm 
bischen  Ehegatten  dingen  sich  wenigstens  scherzweise  alle  Jali 
wieder. 


Kapitel  fl. 

Vegetationsgeister:    Sonnenzauber. 

§  1.  Terbrenmiiig  In  den  Faschings-  und  LBtarege- 
Mnehen.  Wie  darch  den  Nachweis  des  Maibrautpaars  die  im 
i  Kapitel  enthaltenen  Ansflihrungen  nach  einer  Seite  hin  erwei- 
tert wurden,  sind  die  nachstehenden  Blätter  bestimmt,  dieselben 
noch  nach  einer  anderen  Richtung  zu  ergänzen,  indem  wir  die 
FiUhlings-  und  Mittsommerfeuer  einer  nähern  Betrachtung  unter- 
ziehen und  dieselben  des  näheren  als  Darstellungen  der  die  Vege- 
tation zeitigenden  Sommerwärme  nachweisen.  Die  Untersuchungen 
äoes  früheren  Abschnittes  o.  S.  417  ff.  nötigten  uns  nämlich  die 
Ueberzeugung  auf,  daß  in  den  Frühlingsgebräuchen  des  Todaus- 
fragens, Fastnachtvergrabens  u.  s.  w.  ein  allerdings  weitverzweig- 
te und  unzweifelhaft  altes ,  aber  dennoch  unleugbar  vorhandenes 
Mißverständnis  des  ursprünglichen  Sinnes  zu  einer  Umdeutung 
iesselben  geftlhrt  hat.  Die  Eingrabung  des  „Todten,"  d.  h.  des 
5ir  Wiederauferstehung  bestimmten  vegetativen  Lebens  ist  in  ein 
Hinwegschaffen,  Verscharren  des  Todes  oder  des  Winters  ver- 
federt. Den  Beweis  für  unsere  Hypothese  fanden  wir  unter- 
stützt durch  den  Umstand,  daß  die  den  sogenannten  Tod  (oder 
den  Pastnachtkerl)  darstellende  Figur  statt  des  Begräbnisses,  oder 
>^rdem  noch,  ins  Wasser  geworfelt  wird  (Regenzauber)  oder 
'**^  Verbrennung  ]co7nmt  ,^  zuweilen  allen  dreien  Oeremonien  unter- 
^^  Diese  Verbrennung  (in  der  wir  eine  symbolische  Darstel- 
'^  des  Durchganges  der  Vegetation  durch  das  Sonnenfeuer 
^'kennen  wollten)  wird  die  Aufgabe  der  nächsten  Erörterungen 
^Men.  Es  wird  sich  zeigen,  daß  die  Verbrennung  einer 
Menschlichen   Gestalt,  meistenteils  aus  Stroh  oder  zusam- 


1)  Myth.«  728.  730.     Das  Verbrennen   des  Todes  im  Eichsfelde  belegt 
Ä^  mebreren  OrU-n  Weidmann  ,  Eichsfeld.  Gebräuche  und  Sagen.  1864.  S.  14. 

V^nnhardt.  32 


498  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister :  Sonnenzanber. 

• 

mengeflochtenen  Reisern,  sowohl  mit  dem  Todaastragen  t 
den,  als  iUr  sich  allein  einen  wesentlichen  Bestandteil  der 
(Fastnaehts-)  und  Mittsommerfeaer  bildete,  daß  als  andere 
wesentliche  Bestandteile  dieser  Feuer  die  folgenden  Stüc 
betrachten  sind:  1)  das  Scheibenschlagen  oder  Rac 
zen,  2)  die  Aufrichtung  und  Verbrennung  eines 
mes,  in  dessen  Wipfel  die  Menschengestalt  zu  sitzen  p 
den  Baum  ersetzt  häufig  eine  einfache  Stange,  3)  ein  Fa 
lauf,  beziehungsweise  die  Anztlndung  des  Scheiterhaufens 
Fackeln ,  oder  der  Fackeln  am  Scheiterhaufen ,  4)  der  Glai 
die  Befruchtung  der  Felder  und  Obstgärten,  5 
Hindurchspringen  und  Hindurchtreiben  von  Menschei 
Tieren  behufs  der  Gesundheit,  abgesehen  von  versc 
nen  andern  auf  den  Modus  der  Anzündung  dieser  Feuer 
liehen  Erfordernissen,^  6)  ein  Scheinkampf  auf  den  £ 
f eidern,  endlich  7)  als  Schauplatz  der  Feier  hohe  I 
gipfel,  Anhöhen  oder  Kornfelder.  Zu  5  gehört,  w 
bereits  gezeigt  haben,  die  Erwählung  der  Maibrautpaare. 

Zunächst  weisen  wir  noch  einige  Beispiele  nach,  in 
die  sogenannte  Todaustragung  mit  der  Verbrennung  endig 
Spachendorf  (Oesterr.  Schlesien)  wird  ein  mit  Schafi 
und  Pudelmütze  bekleideter  Strohkerl  am  Morgc 
Rupertstages  auf  einer  Stange  befestigt,  aufs 
getragen  und  in  eine  weite  Grube  gestürzt,  dau 
kleidet  und  in  ein  Feuer  geworfen.  Von  den  brenn 
Lumpen  hascht  jeder  ein  Stück,  bindet  es  an  den  Asi 
großen  Obstbaumes,  oder  gräbt  es  im  Acker 
damit  Bäume  und  Saaten  besser  gedeihen.^  I 
Umgegend  von  Chrudim  wird  der  Tod  erst  ins  Wasser  g 
fen,  dann  verbrannt.^  Am  ersten  Montage  nach  FrUhlin 
undnachtgleiche ,  sammeln  die  Buben  in  Zürich ,  indeß  die 
chen  (Mareielis)  einen  Maibaum  umtragen,  für  ihren  Sl 
mann  oder  Böken  Gaben  ein,  den  sie  auf  einem  Wi 
chen  durch  die  Straßen  führen,  heniach  Schlag  6  Uhr  a 
beim  Klange   der    Vespcrglocke    auf   einer   hohen   St 


1)  Vgl.  Kuhn,  die  Herabkunft  des  Feuers  a.  m.  0. 

2)  Vernaleken,  Oesterr.  Myth.  294,  19. 

3)  Ebd».  295,  20. 


Verbrennniig  in  den  Faschings-  und  Lätaregebräachen.  499 

^^rb rennen.  Dieses  Fest  heißt  das  Sechseläuten;  die  Ver- 
brennimg  geschieht  an  yerschiedeuen  Stellen  der  Stadt.  ^  Am 
letzten  Fastnachtstage  verbrennt  man  zu  Kichterschwyl  am 
Züricher  See  einen  Strohmann,  der  vorher  auf  eine  Bahre  gelegt 
Und  von  einem  Zuge  Vermummter  auf  eine  Wiese  getragen  wird, 
man  ihn  an  eine  hohe  Stange  befestigt  und  dann  mit  Fackeln 
iiündet  Darauf  wird  seine  Asche  „verlochet."*  Zu  Cobem 
der  Eifel  wird  am  Fastnachtdienstage  ein  völlig  bekleideter 
S^trohmann,  dem  man  sämmtliche  Diebstähle  der  Umgegend  zur 
Last  legt,  vom  Fastnachtgericht  verurteilt  und  auf  einem  Schei- 
terhaufen verbrannt,  Ül)er  den  die  jüngste  Ehefrau  springt.'  Im 
Oldenburgischen  machte  man  sich  am  Fastnachtdienstage  8  — 12 
Fuß  lange  Strohbündel  (Beken)  von  4—6  Zoll  Durchmesser,  um- 
'^rickelte  sie  straff  mit  Bändern ,  zündete  sie  bei  Dunkelwerden  an, 
und  schwärmte  damit,  tolle  Lieder  singend,  auf  den'  Aeckem 
nuiher;  zu  guter  letzt  band  man  einen  Strohkerl  und  verbrannte 
ilxik;  oder  setzte  ihn  einer  beliebigen  Person  auf  den 
F'irst  des  Hauses.^  Zu  Kaldcnkirchen  Kr.  Kempen  Rgbz. 
Dliggeldorf  war  der  zu  Fastnacht  verbrannte  „Mann"  aus  einer 
^i3aasgedroschenen  Korngarbe  gefertigt.  Zu  Dhorn  Kr,  Düren, 
Rgbz.  Aachen  brachte  man  am  Aschermittwoche  den  Erbsenbär 
oder  Lücketcics ,  einen  in  Erbsenstroh  gehüllten  Mann  auf  einen 
l>estimniten  Platz,  zog  ihn  dort  heimlich  aus  seiner  Hülle  heraus 
^ttid  verbrannte  diese,  so  daß  die  Kinder  meinten,  der 
-M  ann  brenne.  Zu  Pier  Kr.  Düren  gingen  zwei  in  Erbsenstroh 
&^hülltc  Personen ,  der  Erbsenbjir  und  der  Ltickcteies  je  an  Seilen 
^^xgeführt  hintereinander  her,  beide  wurden  auf  obige  Weise  ver- 
l>  rannt. 

In  Wälschtirol  (Vallarsa)  verbrennt  man  den  Fasching ,  indem 
i3aan  auf  einem  Haufen  von  Holz  und  Stroh  (il  camevale  genannt) 
eine  Stange  mit  einem  Qucrholze  errichtet,  an  dessen  Ende  Stroh- 
l>tl8chei  hangen,    und  dann   anzündet,   aulJerdem   wird  ein  klei- 
nerer Seheiterhaufe  „la  spia,"  der  Spion,  in  Brand  gesteckt.     Im 
Val  di  Ledro  dagegen  ist  es  Sitte ,   am  letzten  Faschingstage  die 


1)  Vemaleken,  Alpensagcn  3<k^  29. 

2)  Ebds.  364,31. 
3}  Schmitz  1 ,  20. 

4)  Strackerjan,  Abergl.  u.  Sag.  a.  Oldenb.  11,39,  306. 

32* 


500  Kapitel  VI.    Yegctationsgeister :  Sonnenzanber. 

Alte  ZU  verbrennen  „brusar  la  veccia,"  eine  aus  Stroh  und  Rei 
zusammengestopfte  Figur. ^  In  der  Lombardei,  Venetien  undl 
mont  geschieht  das  zu  Mittfasten.*  Da  an  demselben  Tage 
Oberitalien  und  Spanien  vielfach  eine  Puppe  mitten  entzwei  ges 
wird,  welche  bald  Quaresima  (Fasten),  bald  la  veccia,  la  vi 
(Alte)  heißt,  wird  deutlich,  daß  man  jetzt  auch  die  verbran 
Gestalt  als  Personification  des  Faschings  versteht,  während 
Name  der  Alten  auf  jene  ältere  Vorstellung  hinweist,  die  n; 
S.  359  zu  beurteilen  ist. 

§  2.  Feuer  am  Fonkensonntage.  Jene  Feuer  am  Pj 
nachtdienstage  haben  doch  schwerlich  einen  andern  Urspru 
noch  enthalten  sie  einen  andern  Gedanken ,  als  die  Scheiterhaui 
welche  anderswo  am  Sonntage  nachher  entzündet  werden,  • 
außer  den  kirchlichen  Namen  Quadragesimä  und  Invocavit  n< 
die  volkstümlichen  „große  Fastnacht,  Herrenfastnacht,  Allerman 
fastnacht,  der  weiße  Sonntag,  Funkentag,  Kässonntag,  Htttt 
Sonntag,  Schofsonntag,^'  franz.  „fgte,  dimanche  des  brande 
behourdiz"  fUhrt.  An  diesem  Tage  zog  man  auf  der  Rhön  i 
in  den  angrenzenden  Gegenden  bis  zum  Vogelsberge  hin,  wo 
nach  der  herkömmlichen  Speise  Backobst-,  Hutzelsonntag  he 
durch  die  Fruchtfelder  auf  eine  Anhöhe  oder  einen  Berg,  z 
dete  hier  Holzfackeln,  geteerte  Besen,  mit  Stroh  umwick( 
Stangen  an  und  lief  damit  durch  die  Saatfelder,  rollte  auch 
brennstoffumflochtenes  Rad  die  Anhöhe  hinab,  das  Hoalrad  (Hag 
rad,  verderbt  Hollerad)*  hieß,  weil  es  die  Aecker  vor  Ha 
bewahren  sollte.  Zuletzt  warf  man  die  Fackeln  (Blüs,  Blas« 
nachdem  man  wie  tobend  mit  ihnen  umhergetanzt,  auf  einen  H; 
fen  zusammen,  den  die  Menge  umstand,  Gesangbuchslieder  o( 
Volkslieder  singend.  Man  tat  dies  der  h.  Jungfrau  zu  Ehr 
damit  sie  das  Jahr  hindurch  die  Feldfrtichte  bewahre  und  segi 
oder  man  meinte,  mit  den  brennenden  Strohwischen  und  Fackt 
durch  die  Flur  laufend,  den  „bösen  Sämann  zu  vertre 


1)  Schneller  Chr. ,  Märchen  u.  Sag.  a.  Wälschtirol.    S.  233 .  9.  2S4 

2)  Gabriele  Rosa ,  Dialette ,  costumi  e  tradizione  delle  provincie  di 
gamo  e  di  Brescia.    2.  Aufl.    Bergamo  1858.    S.  178.    Jahrb.  für  rornft-i 
engl.  Liter.  V,  376.    Opinione  11.  Apr.  1852.    Zs.  f.  d.  Myth.  DI,  51. 

3)  Auch  die  Myth.*  594  erwähnte  Benennung  im  Bbeingau  „  Hallf^ 
ist  durch  Assimilatioii  aus  Haglfeuer  entstanden. 


Feuer  am  Fonkensonntat^e.  501 

ben,^^  „den   Hutzelmann    zu    verbrennen/'*     An  dem 
oimlichen  Tage  hieben  die  Metzger  und  Weber  von  Konz  die  auf 
dem  Harxberge   aufgepflanzte   Eiche   und  rollten   das   bren- 
nende Rad  ins  Tal  der  Mosel.     In  der  Eifel  fand  dann  ent- 
weder das  Badscheiben ,  d.  i.  die  Anzttndung  und  HerabroUung 
eineg  Rades  oder  das  Burgbrennen  statt,  wobei  alle  Teilnehmer 
mit  angezündeten   Fackeln  den   mit  einem  Strohmanne 
besetzten  oder  durch  ein  Querholz  zu  einem  (ein  rohes  Manns- 
irild  darstellenden)  Kreuze  umgeschaffenen  hohen  und  schlan- 
gen Buchenstamm  (die  Burg)  unter  lautem  Gebete  in  weitem 
Kreise  umwandelten,  zuletzt  sich  plötzlich  umwendend  mit  dem 
Ckschrei:  ,,die  Burg  brennt '^  auf  denselben  zustürzten  und  ihn 
in  Flammen  setzten.     So  weit  das  Feuer  leuchtete,  der  Rauch 
zog,  sollte  die  Kornflur  fruchtbar  werden.^    Um  Echtemach 
beifit  die  nämliche  Ceremonie  „die  Hexe  verbrennen."*    In  Vor- 
ulberg  umwickelt  man   an   diesem  Sonntage  den  Funka,   eine 
schlanke  junge   Tanne   bis  fast   zum  Wipfel  mit  Stroh  und 
setzt  die  Hexe,  eine  aus  alten  Kleidungsstücken  gefertigte,  mit 
Schießpulver  gefllUte  Menschengestalt  in  denselben,  häuft  Holz- 
acheiter umher  und  zttndets  bei  einbrechender  Nacht  an,  indem 
Knaben  und  Mädchen,  brennende  Fackeln  schwingend, 
ringsum  laufen  und  dabei  folgenden  Reim  singen: 

Flack  üs!  flack  üs! 

Ueber  alle  Spitz  und  Berg  üs! 

Schmalz  in  der  Pfanna, 

Korn    in  der  Wanna, 

Pflueg  in   der  Erda; 

Gott   alls  grota  (geraten)  lot 

ZwüBchat  alla  Stega  nnd  Wega. 

tHeser  Brauch  heißt  Funkenbrennen  und  Fackelschwingen.* 
^^  Tirol  werden  an  demselben  Tage  mit  geringer  Veränderung 
^ie  nämlichen  Worte  gesprochen,  indem  man  den  Namen  der 
Creliebten   ausrufend   die   Scheiben   schlägt.*     In  Schwaben 

1)  Witzschcl,  Sitten  u.  Gebr.  aus  d.  Umgegend  von  P^isenach  S.  11.  39. 
MölLause.  Urreligion  S.  112.    Panzer  11,207,3^^1. 

2)  So  an  der  Hard  im  ehemals  Fuldaisehen.     Schmeller  W.  B.«  1196. 

3)  S.  0.  S.  463. 

4)  Zs.  f.  D.  Myth.  I,  89.¥ 

5)  Vonbun,  Beitr.  z   D.  Mvth.  20. 

6)  Zingerle,  Sitten«  140,  1224.  1225.    Zs.  f.  D.  Myth.  1,286. 


502  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzauber. 

beginnt  man ,  sobald  der  Funke  j  d.  h.  der  am  die  Hexe  (das  \ 
einer  Stange  aufgerichtete  mit  Kleidern  und  Hut  geputzte  Stn 
weib)  aufgeschichtete  Stroh-  und  Holzhaufe  angesteckt  ist,  u 
so  lange  bis  dieselbe  heruntergebrannt  ist,  Scheiben  ftir  < 
Geliebte  u.  s.  w.  zu  schlagen  und  (oder)  rotbrennende  Kie 
fackeln  schwingend  durchs  Feuer  zu  „jucken '^  (springe 
während  in  anderen  schwäbischen  Orten  alle  Welt  mit  bre 
n enden  Fackeln,  d.  h.  Stangen  mit  oben  daran  befestigl 
Strohbtlscheln  auf  die  Berge  zieht.  Die  Brafidreste  der  Strohfii 
und  der  Scheiben  trägt  man  nach  Hause  und  steckt  sie  in  d 
selben  Nacht  in  den  Flachsa^her^  tvodurch  das  Ungeziefer  v 
scheucht  wird.]  Zu  Ertingen  findet  das  Verbrennen  der  dui 
eine  Puppe  oder  durch  ein  einfaches  Reisbttschel  oder  Bogg< 
schaub  dargestellten  Hexe  in  dem  mit  einer  aufsteigenden  Luj 
entztlndeten  St.  Johannes-  oder  Senkafeuer  statt,  indeß  die  Bul 
und  Mädchen  in  ganzen  Beihen  durch  die  Flammen  spring 
damit  der  Flachs  drei  Ellen  lang  werde.  So  weit  ( 
Helle  der  Flamme  und  der  Bauch  hinreichen,  hat  das  Ja 
lang  keine  Hexe  Gewalt  über  Frucht  und  Vieh,  b( 
des  wächst  und  gedeiht.*  In  einigen  böhmischen  Ort 
z.  B.  Wall  findet  das  Hexenbrennen ,  die  Verbrennung  einer  we 
liehen  Figur  „zur  Vertreibung  der  die  Saatfelder  scb 
d  igen  den  Zauberinnen"  im  Mai  statt.^  Woher  der  Wi 
weht,  so  lange  die  Hexe  brennt,  daher  weht  er  das  ganze  Jal 
in  der  Biehtung,  wohin  die  Hexe  lallt,  nehmen  die  Gewitter  ( 
Jahr  hindurch  ibre  Kichtung,  ohne  zu  schlagen;  wenn  der  Ment 
am  Funkensonntage  keine  Funken  macht,  so  macht  sie  der  He 
gott  durch  ein  Wetter.*  Die  Anztindung  des  Feuers  auf  Ko 
feldem  und  das  Umherlaufen  mit  Fackeln ,  wovon  dieser  SonnI 
in  Frankreich  den  Namen  dimanche  des  brandons  hat,  werd 
wir  weiterhin  noch  besonders  in  Erwägung  ziehen. 

§  3.    Osterfeuer.    Die  Osterl'euer  stehen  zumeist  im  Diew 
der  katholischen  Kirche.    Die  Vigilie  am  Charsamstage  vor  d« 


1)  Meier  S.  380,  21.  283,  27.    Birlinger  II,  59,  76.   67,  77.     Bav 
U,2,S39. 

2)  Birlmger  II ,  105.  iT 

3)  Vernaleken,  Mythen  30G,29. 

4)  Zs.  f.  D.  Myth.  1,  90.    Birlinger  U,  67,  77.    Meier  382,  24. 


Osterfeaer.  503 

Osterfeste  war  in  der   alten  Kirche  besonders  feierlicli.     Dann 
£uid  nach   vorheriger  Weihung  des  Taufwiissers  die  Tante  der 
Catechnmenen  statt.     In  das   Taufwasser  wurde  die  nach  Aus- 
Mong  sämmtlicher  übriger  Kerzen  und  Lampen  am  Grttndon- 
Kntage  einzig  and  allein  brennend  erhaltene,    riesige,   mit  den 
Aeiligen  Krenzesnägeln  gesehmttckte  Osterkerze  (zuweilen  waren 
^  deren  drei)  dreimal  hineingesenkt,  sodann  wurde  sie  neu  ange- 
sllndet  and  mit  ihr  dsis  Feuer  sämmtlicher  Lichter  mid  Lampen 
erneat     Zu   Bonitacius  Zeit    war  in  deutschen  Kirchsprengeln 
bereits  der  damals  in  Rom  noch  unbekannte  Ritus  ^  aufgekommen, 
das  neue  heilige  Feuer  durch  Schlagen  aus  einem  Steine  oder 
durch  ein   Brennglas    von    Kristall    hervorzurufen,    feierlich    zu 
"leihen  und  daran  die  Osterkerze  anzuzünden;  später  unter  Leo  V. 
(Ö47— 855)   hatte   dieser  Brauch    bereits  allgemeinere  Geltung, 
v^cn  dem   neuen  Feuer  wurde  ans  Volk  ausgeteilt.*    Nach  und 
nach  hat  die  Geremonie  m  vielen  deutschen  Diöcesen  folgende 
Cjrestalt  angenommen.     Am  Charsamstage  wird  im  Kirchturme,' 
auf  dem  Kirchhofe,  oder  auf  einem  anderen  Platze  unweit  der 
Kirche  Brennholz  (oft  aus  jedem  Hause  eines  oder  mehrere  Schei- 
ter) zusammengetragen,    dieser   Holzstoß    mit  aus    dem   Steine 
K^esehlagenem  Feuer  angezündet  und  in  demselben  alles  heilige, 
im  Laufe  des  Jahres  tibergebene   Ocl  (Chrisam)  und   Salz   ver- 
brannt.    Ist  nun   vom  Priester  das  Feuer  geweiht  und  das  von 
^^  .Gläubigen   in  Flaschen   mitgebrachte  Wasser   gesegnet,    so 
Verden  einige  glühende  Kohlen  ins  Weihrauchfaß  gelegt,  lichter- 
loh angeblasen  und  hieraus  mittelst  einer  großen  Wachskerze  das 
^cue  Licht  gewonnen,  mit  dem  jetzt  die  ewige  Lampe  und  alle 
Lichter  der  Kirche  wieder  entzündet  werden.    Dann  strömt  das 
'  olk  hinzu,  es  wird  ihm  von  dem  ueugeweihtcn  Weihwasser  aus- 
geteilt, es  kohlt  an  dem  geweihten  Feuer  2 — 3  Fuß  lange  Ptähle 
oder  Scheiter  an  (von  Eiche,   Nußbaum,   Buche),   und  trägt  sie 


1)  S.  den  Briet'  des   Papstes  Zacharias  v.  4.  Nov.  751.     ßouifacii  epi- 
BtolaeSO.  (Wärdtwein  87)  Jatfc,  Biblioth.  Ker.  Genn.  111,223. 

2)  Vgl.  Herzog,  Realcncyclopädie  der  protestantischen  Theologie  XI. 
^Totba  1S59.  S.  16.-)  — 4.  h.  v.  Pascha.  Binterim,  Denkwürdigkeiten  der 
christkath,  Kirche.  Bd.  V.  Tl.  I.  S.  214  Maft<?ne,  de  antiquit.  discipl. 
•^P«  -4,  S  409.  Gnil.  Durandus,  Rationale  divinor.  officioruni.  VI,  80,  81. 
<^-  J-  W  Wolf,  Beiträge  11.389. 

3)  So  in  Vcchta-Ötrackerjan  II,  42,  311. 


ÖOi  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister :  Sonnenzanber. 

sammt  den  vom  Holzstoße  übrigbleibenden  Kohlen  mit  sich  da 
Hause,  wo  ein  Teil  der  Pfähle  und  Kohlen  in  einem  nenang 
zündeten  Feuer  verbrannt  wird  unter  der  Bitte,  Gk>tt  wolle  i 
Hofstatt  vor  Feuerschaden,  Blitz  oder  Hagel  bewahren,  i 
erhält  jedes  Hans  ,,  neues  Feuer/^  Ein  anderer  Teil  wird  d 
Jahr  hindurch  aufbewahrt  und  bei  schwerem  Gewitter  auf  d 
Herdfeuer  gelegt,  damit  der  Donnerkeil  nicht  ins  Haus  falle,  od 
unter  das  Dach  gesteckt,  um  als  Präservativ  gegen  Wetter  : 
dienen.  Ein  dritter  Teil  (Kohlen,  angebranntes  Holz,  Ascli 
wird  (am  Kreuzerfindungstage  oder  auf  Georgitag,  oder  aoni 
auf  die  Äecker,  Gärten  und  Wiesen  gebracht  mit  denn  Otbe 
Gott  woUe  diese  vor  Mißwaehs  und  Hagel  behüten.^  Sole 
Äecker,  Krautgärte^i  und  Wiesen  gedeihen  hesser  als  andere  ^  he 
Ungeziefer y  keine  Maus,  kein  Käfer  frißt  die  Kömer  aus,  a 
Pflanzen  ab,  keine  Schlössen  schlagen  die  Saat  nieder^  keine  He 
schadet  j  und  die  Äehren  stehen  dicht  und  voü*  Angekohl 
Scheiter  dieses  Osterfeuers  bringt  man  am  Pfluge  an  (Eichsfeh 
Asche  davon  mischt  man  sammt  der  Asche  von  geweihten  Palm 
bei  der  Aussaat  unter  den  Samen,  damit  der  Weizen  nicht  bn 
dig  werde  (Franken).^  In  den  Stall  oder  unter  die  Stalltd 
gelegt  schützen  diese  Brände  das  Vieh  vor  Schaden,  die  HU 
vor  Zaubert  Nicht  minder  hilft  die  Asche  des  Osteri'euers  l 
Viehkrankheiten  (Altmark).  In  diesem  kirchlich  gebotenen  OsU 
feuer  wird  zuweilen  eine  hölzerne  Figur  verbrannt,  die  d 
Namen  des  Verräters  Judas  trägt;  daher  heißt  die  Ceremonie  d 


1)  S.  Mainzer  Agende  vom  Jahre  1599;  Kitas  von  Passan  bei  Wa 
mann,  Eichsfeldische  Gebr.  u.  Sagen  S.  5,  von  Hildesheim  Myth.*  583.  D 
kelscherben  in  Schwaben.  Panzer  11,241,  447.  Bühl,  Wnrmlingen.  Me 
391  f  62.  Hessen ,  Mülhause  Urreligion  S.  149.  Auch  in  Picmont  zündet  n 
am  Charsamstage  Brände  am  Feuer  des  Weihrauchfasses  an  und  trägt  d 
ses  geweihte  Feuer  sammt  dem  geweihten  Wasser  eiligen  Laufes  zum  Hau 
Zs.  f.  D.  Myth.  m,51. 

2)  Zingerle,  Sitten»  S.  149,  1287—89  (Kärnthen,  Tirol).  Grohmai 
Abergl.  a.  Böhmen  62,  421.  Beinsberg -Düringsfeld,  Festkalender  a.  Bi 
men  331  (Böhmen)  Wuttke «  §  81.   S.  69. 

3)  WuUke«  §  116.  S.  91.  §  652.  S.  393.  Vgl.  am  Aschermittwoche  wi 
die  in  der  Kirche  geweihte  Asche  auf  die  Felder  gestreut.  Das  ist  für  die  8i 
besser,  als  3  Tage  Regen  und  3  Tage  Sonnenschein  (Baiem).    Wuttke  a.a. 

4)  Reinsberg-Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen  S.  134.  Zingeri 
Sitten»  149,  1286. 


Osterfener.  505 

Jodaflyerbrennen,  das  Judasfeaer  (Oberbaiern).^   Der  Name 
Uieb,  BQch  wo  die  Figur  längst  abgeschafft  ist  (Leehrain,  Tirol)^ 
ZoweilcA  wird  statt  des  kirchlichen  ein  profanes  Feuer  nicht 
i«  der  Kirche,  sondern  auf  dem  Acker  oder  auf  einer  Anhöhe 
AQlerlialb  des  Dorfes  angefacht,  es  dient  nicht  zur  Entzündung 
db«  neuen  Kirchenlichtes,    sondern  wird  an  diesem  entflammt. 
Ok  Männer  und  Buben  tragen  oder  trugen  am  Charsanu^tag  Nach- 
mittag Holzscheiter  auf  dem  nächsten  Getreidefelde  oder  auf  einem 
-Bdggipfel  zusammen,  und  befestigten  in  deren  Mitte  ein  mit  Stroh 
Umwickeltes  Kreuz,  das  einem  Manne  mit  ausgestreckten  Armen 
iti()giichst  ähnlich  gemacht   wurde.    Dieser  Strohmann  hieß  der 
«Judas,  oder  der  Ostermaun.    Nach  Beendigung  des  Auferstehungs- 
Sottesdienstes  zündeten   die  Burschen  die  Lichter  ihrer  Laternen 
dem  neugeweihten  Kirchenlichte  der  Osterkerzen  an  und  rann- 
zu  ihrem  Holzstoße.     Der  zuerst  Angelangte  entzündete  mit 
Beinern  Lichte  den  Strohmann  und  den  Scheiterliaufen ;  Frauen 
and  Mädchen   duri'ten  nur  von  ferne  zusehen.    Beim  Verbrennen 
des  Strohmanns  entstand  immer  großer  Jubel,  als  würde  der  Ver- 
nlter  des  Heilands  in  Person  bestraft.    Die  Asche  wurde  gesam- 
"nelt  und  bei  Sonnenaufgang  in  rinnendes  Wasser  geworfen,  oder 
Mtt  Ostermontage  zugleich  mit  der  Einj)flanzung  am  Charfreitage 
•^gebrannter  Palmzweige  auf  die    Felder   gestreut,    um  die 
^*at  vor  Hagel  zu  schützen.^    Auch  in  Kiiln  wurde  von  den 
*^iiidem  ein  oft  angekleideter  Strohmann,  der  Judas,  verbraimt.* 
^  Mttnsterlande  werden  die  Osterfeuer  jedesmal  auf  bestimmten 
''öhen,  die  davon  Osler-  oder  Paskebcrge^  heißen,  angezündet. 

1)  Bavaria  1,1,371. 

2)  Leoprcchting  S.  172.  Zinj^crlo,  Sitten-  U\),  12S().  Vgl.  Laut  Her- 
*^K  Maximilians  von  Baiem  Lamlgt^jot  wider  di«  Aberj^lanhcii.  München 
f^ll  wurde  in  den  Landkirchen  am  Himmelt'ahrtsta^^e  ein  an<;ekleidetes  und 
*n  Brand  gestecktes  Bildniß  des  Teufels  von  d«T  Höhe  herabgewor- 
^^n,  um  welches  das  gemeine  Volk  sich  riM,  um  den  Fetzen  im  Felde 
^^f zustecken,  damit  der  Schauer  nicht  in  dasselbe  schlagen 
■<>lle.    Panzer  11,281,  2S. 

3j  Althenneberg  vOberbaiern) ,  Panzer  I,  212,  236.  Freising  (Ober- 
oaiem),  Abensberg  (Niederbaiern),  Aufkirchen  (Schwaben  luid  Neuburg). 
^anaer  11,78,114.  TlMl.'). 

4)  Wolf,  Beitr.  1 ,  74. 

5)  Man  darf  mithin  bei  diesen  Ortsnamen  nicht  an  die  angebliche,  wahr- 
«*cheinlich  von  Beda  erfundene  Göttin  Ostara  denken.  Cf.  Mannhardt,  Göt- 
te^elt  1,  314. 


506  Ka])itel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzauber. 

Die  gauze  Gemeinde  ist  versammelt,  die  verheirateten  Haiisvä 
sebiießen  um  den  Holzstoß   einen  King,  den   die  Jünglinge  Q 
Jungfrauen  in  weitem  Bogen,  Osterpsalmen  singend,  umkr 
sen ,  bis  mit  dem  Zusammenstiin&eu  des  Feuers  itir  sie  der  Aag< 
bück   naht,   dasselbe   zu   durchspringen.     Die  Feier   endigt  i 
einem    dreimaligen    Umzüge    um    die    Kirche   unter    A 
singung  geistlicher  Lieder,   und  mit  dem  Umlaufe  der  Ki 
ben,   wdclic  brcnnemle   Strohbändel   über  die  Kornfelder  trtJUfi 
um   dadurch  Fruchtbarkeit  für  dmelben  zu   enmrken.^     Nie 
minder   werden   im   Hildesheimischen   bei   dem  von   der  ganz 
Gemeine  umringten  Osterfeuer  Choräle  gesungen.*    Im  Paderbi 
nischen  (Warburg)  singt  das  Volk,  den  flammenden  Holzstoft  i 
Kreise   umringend,  ein  Auferstehungslied,  dann  steckt  jed 
Bnrsch  daran  seine  Stroh  fackel,  eine  lange  mit  Pech  beschmier 
und  Stroh   umwickelte  IStange  an.     Beim  Herunterkommen  vc 
Berge  wird  die  Gesellschaft  mit  Gesang  und  Fähnlein  abgeholl 
Hier  und   in   einigen  andern   Orten,  an  denen  man  mit  weiB« 
Stäben   feierlich   auf  den  Berg  zog,    sich   wechselseitig  bei  d( 
Händen  fassend  Osterlicder  sang,  und  beim  Halleluja  die  Stäl 
zusammenschlug,^  stand  der  Brauch  noch  zur  Hälfte  zur  Kirche 
Beziehung,    er  ist  gleichsam   Fortsetzung  der  kirchlichen  Fei 
Diese  Beziehung  fehlt  in  den  meisten  Fällcu ,  in  denen  wir  so 
dem  Osterfeuer  in  Nicderdeutsehland  begegnen.     So  bei  dem 
hohen  Plätzen  angerichteten  holländischen  Paaschvuur  durch 
gesprungen  wurde.'^    In  Oldenburg  hat  jede  Straße  ihr  eig< 
Osterfeuer,    in  Delmenhorst  gab   es  für  die  ganze  Stadt  ein 
ziges   gemeinsames,    dessen  Mittelpunkt   zwei  mit  je  zwölf  ' 
tonnen  besetzte  Bäume  bildeten,  welcbe  von  Knaben  mit  S 
wiepen,   d.  h.   lo  -15   Fuß   langen   von  etwa   5  t^iß  au' 
mit  Stroh  umwickelten  Bohnenstangen  angezündet  werden, 
dem  sie  die  zuerst  brennend  im  jubelnden  Laufe  längere  Z 
den  Scheiterhaufen  herumgetragen  haben. ^     Im  Schaumbur 

1)  StratkLTJau  ll,13,:n3. 

2)  Sdfart.  Ilildesb.  Sag.  11,  14a 

3)  Kuhn,  Wostf.  Sa^.  H,  13G,  lUf)»» 
•n  Myth.-  r)S2. 

f))  Buddinj^h .    Verliandeling    over    het    Westlaud    S.  140. 
Beitr.  I,  7;'). 

G)  Strackerjan  II,  13,  313. 


Otterfeaer.  507 

lieht  man  meilenweit  von  den  Bergen  die  Osterfener  leuchten, 
dfiren  Gentium  ein  Teertaß  auf  einer  strohamwandenen  Tanne 
«t^    Einen  schönen  Anblick  gewähren  auch  die  Ostert'euer  des 
Harzes,  deren  man  oft  bis  15  von  einem  Punkte  leuchten  sieht; 
£e  Art  der  Herrichtung  wechselt,   doch   ist  meistens  das  Reisig 
vm  einen  dazu  aufgerichteten  Baum  aufgeschichtet.    Nicht  selten 
werden  brennende  Teertonnen  von  den  Höhen  ins  Tal  gerollt 
ÜD  Halberstädtischen    zttndet   man  die  Teertonnen  am  liebsten 
mitalten  Besen  an.    In  Osterode  sucht  jeder  einen  tüchtigen 
Brand  zu  erhaschen  und  springt  damit  herum;  je  besser  diese 
Fackel  brennt,   desto  mehr  Glück  wird  ihm  selbst,   desto  mehr 
Segen  dem  Lande   zu  Teil.     In  Grund   finden   dann   Fackel- 
'ftafe  statt,  wobei  man  schließlich  um  den  Ort  herumzieht.^    In 
Dassel  im  Hildesheimischen  ist  die  Weise  diese,  daß  eine  auf 
filier  Stange   befestigte,  mit  Stroh   und  Teer  gettlUte  Tonne  in 
fiirsnd  gesetzt  und  von  kräftigen  Burschen  eilenden  Laufes  den 
^erg  hinuntergetragen,   ist  der  Stiel  durchgebrannt,  vollends  ins 
1*al  hinabgerollt  wird.    Ist  sie  unten  angelangt,  so  entzündet 
ttum  daran  Packe  In.  von  trockenen  Birkenästen,   die  so  lange 
tlher  die  Köpfe   geschwenkt  werden,   bis  sie   veririschen.*    Um 
iHderstadt   lohte   am   Ostcrsamstag  jenes   kirchliche  Feuer,    am 
Ostersonntage    dieses    weltliche.*     Auch  in  Hildesheini  war  dies 
der  Fall;  daselbst  wälzte  man  bei  letzterem  mit  Stroh  umwickelte 
breimende   Räder   und   brennende   Teertonnen    von    den    Bergen 
herab.*    In  der  Altmark,  im  Dröniling  und  Lünehurgisclieu  bren- 
nen auf  Anhöhen   am   ersten  oder  zweiten  üstertage  an  Stangen 
Gefestigte   Teertonnen    oder   Bienenkörbe.      Die   Asche    sammelt 
man  als  heilsam  für  Viehkrankheiten.     So  weit   das    Feuer 
leuchtet,  gedeiht   im  folgenden  Jahre  das  Korn  und 
keine  Feuersbrunst  entsteht.^    In  Mittonwald  und  Oberau 
in  Obcrbaiern  wurden  von  steilem  Hügel  Scheiben  oder  hölzerne 

1)  Myth.*  582. 

2j  Zs.  f.  D.  Myth.  I.  79.  Kuhn,  Norda.  Sagen  373.  VJ.  Auch  Pröhlo, 
^*^tUder  S.  r>8  berichtet  über  Osterfeuer  im  Harz,  bei  denen  man  mit 
Bränden  nnjherlänft. 

3'  Kuhn,  Westfäl.  Sag.  II,  134,  404. 
f^  Xs.  f.  I).  Myth.  II,  107. 
^^  Seifart,  Hildesheini.  Sag.  llJö,  i». 
^)  Kuhn,  Mark.  Sag.  5l2. 


508  Kapiiel  IV.    V egetationsgeister :  Sonnenzanber. 

Bolzen  beim  Osterfeuer  zu  Ehren  der  Mädchen  brennend  in 
Luft  geschlendert,  oder  ein  strohumhlültes  flammendes  Wagi 
rad  den  Berg  hinuntergerollt ^  .In  einigen  schwäbischen  Ol 
wurde  das  Osterfeuer  durch  bloßes  Reiben  cntztlndet.' 
Bräunrode  am  Harz  verbrannte  man  in  demselben  Eichhöme 
(auf  dieselbe  Sitte  deutet  ein  Kölner  Spruch);*  in  Westfalen  ^ 
leicht  ehedem  Füchse  (s.  u.  S.  515),  in  der  Altmark  Knoeb 
in  der  Harzgegend  wahrscheinlich  einstmals  ein  Bockshorn.  D 
von  diesen  Dingen  später  ausführlich. 

§  4.  Malfeuer,  Johannisfeuer.  Bei  dem  am  ersten  ^ 
in  den  schottischen  Hochlanden  angezündeten  Bealtine,  Bai 
(v.  gäl.  bal  globe,  tine  fire)  wird  ein  Kuchen  durch  LoBung 
teilt,  in  den  einig  Kohle  verbacken  ist.  Wer  verbundenen  An 
aus  der  Mütze  das  Stück  mit  der  Kohle  herausgreift,  muß  d 
nml  durch  das  Feuer  laufen  (is  compcUed  to  leap  three  ti 
over  the  flames).  Die  Ceremonie  hatte  den  Zweck,  das  J 
frucJUbar  zu  macJien  (in  rendering  the  year  productive  of 
sustenance  of  men  and  beast).^  Vom  deutschen  Maifeuer, 
mit  dem  Mailehen  verbunden  ist,  war  S.  450  die  Rede.  A 
das  dänische  Maifeuer  ((ladelld),  das  Mundelstrup  (SpeciJ 
gentilismi  etianmum  superstitis  Hafn.  1684  fol.  C.  2)  in  der  a 
Myth.*  736  ausgehobenen  Stelle  schildert,  ist  mit  der  Erwähl 
von  Maibräuten   verbunden.     Jeder   Teilnehmer  zündet  e 


1)  Panzer  1 ,  211 ,  233.  212 ,  234. 

2)  Birlinger  11.82,106. 

3)  Rosenkranz,  N.  Zeitschr.  f.  Gesch.  der  ^enn.  Völker  1.2,  s.  M; 
r)82.     Firmenich,  Völkernt.  I,  426.  458.     Wolf,  Bcitr.  I,  /4. 

4)  Kuhn,  Mark.  Sag.  312. 

5)  Sinclair,  Statistical  account  of  Scotland  1794.  XI,  r.20.  Cf.  Bi 
popul.  antiquit.  cd.  Ellis  1 .  224  Myth.«  ö79.  Vielleicht  ist  man  bercchtijf 
bearltine  aus  dem  Namen  des  in  Gallien,  Norditalien.  Norica  heimischen 
tischen  Sonnenjjottes  Belenus  oder  Belinus  (Martin,  Religion  des  Gaaloifl 
p.  378  ff.  31.  H.  d'Arbois  de  Jubainville,  Revue  archeolog.  Mars  1873  p.  1 
201),  zu  deuten,  der  aus  Balanos  „ardent  resplendissant**  entstanden  in  cai 
sehen  und  cornischen  Denkmälern  Bele,  Bili  gelautet  zu  haben  scheint. 
Revue  celtique  T.  I,  p.  338.  Zeuss.  Gramm,  celt.'^  p.  8G.  815—16.)  In 
den  Fällen ,  ob  Gäl.  bal.  ^globe)  oder  Beli  das  Etymon  sei,  werden  wir 
ncnfeuer  übei*setzeu  müssen ,  da  auch  ersteres  auf  den  Sonnenball  zu  g 
scheint;  falls  nicht  ein  Gebrauch,  dem  deutschen  Scheibenwerfen  analog 
Feuer  den  Namen  gab. 


Maifener,  Johannisfener.  509 

lioge  Stange   (contnm)  an   dem  großen   Strohfeuer    an 

flfid  schwingt  sie  in  die  Höhe;  wer  die  seinige  am  höchsten 

ttlnringt,  ist  Anfiihrer,  erhält  den  Namen  Gadebasse  und  wählt 

Aii  aeine  Gadinde ,  worauf  jeder  andere  sieh  auch  ein  Mädchen 

(Gidelam)  zur  sonntäglichen  Tanzgenossin  um  den  mit  Blumen 

md  Schmucksachen  behängten  Maibaum   während  des  Sommers 

bis  zum  Heuschnitt  erkiest.     In  Schweden  leuchten  am  Abend 

des  ersten  Mai  vielfach  von  allen  Bergen  und  Hügeln  die  Wal- 

pmgisfeuer  ( Walborgsmesseldar) ,  um  welche  die  Jugend  einen 

oAiweifachen,  dreifachen  Ring  zu  fröhlichem  Reigentanze  schließt. 

Silagen  Flamme  und  Rauch  nach  Norden,   so   erwartet 

man  einen  kalten,  ziehen  sie  nach  Süden,  einen  warmen 

Frühling.    Nicht  selten  glaubt  die  Phantasie  der  Versammelten 

plötzlich  einen  Spuk   in   Gestalt   eines   alten  Zauberwei- 

bes  n.  dgl.  leibhaftig   mitten  im  Feuer  vor  sich  zu  sehen.^ 

Wir  kommen  jetzt  zu  dem  Johannisfener  am  23.  Juni.    Schon 

«n  Uterer  mittelalterlicher  Schriftsteller  f  hebt  an  demselben  drei 

Sticke,  das  Feuer  selbst,  den  Umlauf  mit  Fackeln,  die  ümwäl- 

nng  des  Rades  hervor.    Dicamus  de  tripudiis  quae  in  vigilia  B. 

lohannis  fieri  solent  tria  genera.     In  vigilia  enim  beati  Johannis 

collig;ant  pueri  in  quibusdam  regionibus  o,^sa  et  quaedam  imnmnda 

et  id ,  simul  cremant,  et  cxinde  producitur  fumus  in  a(?re.    Faciunt 

Äiw  hrandas  et  circuunt  arva  cum  brandis.     Tertium  de  rota, 

9^m  faciufU  voivi:  quod  cum  immunda  cremant,  hoc  habent  ex 

gWitUibus.     Der  Verfasser   ftigt  hinzu,    der  Rauch  vertreibe  die 

schädlichen  Drachen,  welche  tödliche  Krankheit  erzeugten,  ferner: 

»»*trfa  involviiur  ad   significandum ,   quod   sol    tunc    ascendif  ad 

ciiiora  sui  circuli  et  stathn  regredltur.''     Mit  dieser  Aeußerung 

BÖnimen    die    Auslassungen    von  Johann   Beleth    um    11G2   und 

Vilh.  Durantis  um  1296,   sowohl  hinsichtlich  der  Feuer  als  der 

Wickeln  genau  überein.*    Mit  einer  Fackel  zündete  die  schöne 

8tt8aima  Neithart    1497    in   Kaiser  Maximilians  Gegenwart   das 

Jobannisfeuer  zu  Augsburg  an.*      Es   bedarl'  weniger  Beispiele, 

^)  Lloyd,  Svenska  Allmogens  Plägsedcr  öfvers.  af  Swederus.     S.  125. 
2)  Im  Mannsc.   der  Harlej     Bibl.  British.  Mus.  2345  Art.  100  ausgezo- 
^''on  Kemble,   Sachsen  in  England  tibers.  v   Brandes  I,  21»6  (vgl.  Kuhn, 
^«abknnft  S.  51)  und  Brand  pop.  antiqu.  1 ,  298. 
^)  Vgl.  M>'th.''  587  mit  Wolf  Beitr.  11,887. 
0  Hyth.«  586. 


510  Kapitel  VI.     Vegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

um  zu  zeigen ,  daß  auch  sonst  die  wesentlichen  Bestandteile  de 
bisher  genannten  Feuer  beim  Sonnwendfeuer  (Himmelsfeuer,  Zfln 
delfeuer,  Senkenfeuer,  oder  wie  sonst  das  Johannisfeuer  heÜc 
wiederkehren.  In  Schwaben  springen  dabei  Buben  und  Mädchei 
durch  die  Glut,  man  läßt  brennende  Strohräder  die  Berge  himi 
man  betet,  daß  der  Werg  (Hanf)  gedeihe.^  Im  Lechrain  wir 
neben  dem  Sonnwendfeuer  ein  bis  dreißig  Schuh  hoher  strohuin 
wundener  Balken  mit  hohem  Querholze  aufgerichtet,  den  di 
Buben  mit  zwanzig  Fuß  hohen  Staugen,  an  deren  Spitzen  bren 
nende  Besen  stecken,  anzünden;  um  den  flammenden  Bau 
tanzt  man,  bis  endlich  der  Ring  an  einer  Stelle  zerreißt,  mi 
der  paarweise  Sprung  durchs  Feuer  beginnt.  Die  ungesengte 
Springer  bleiben  fieberfrei;  so  hoch  sie  springen,  wächfi 
der  Flachs;  ein  angebranntes  Scheit  in  die  Flachssai 
gesetzt,  befördert  deren  Gedeihen.^  In  Oesterr.  Schlesie 
dagegen  zünden  die  Bursche  umgekehrt  ihre  mit  Pech  getrilnkte 
das  Jahr  hindurch  mit  Sorgfalt  gesammelten  Besen  im  Joha~ 
nisfeuer  an  und  werfen  sie  unter  wildem  Tanze  in  die  Höhe 
Heinsbergs  ausführliche  Zusammenstellungen  über  das  br)hmi8cl 
Mittsommerfeuer  zeigen  uns  ebenfalls  den  inmitten  des  Holzstoß- 
flammenden Johannisbaum  (vgl.  o.  S.  179),  harztiberzogei 
^Wagenräder  den  Berg  hinabrollcnd ,  brennende  Besen  in  J 
Luft  geschleudert,  oder  hochgeschwungen  in  stürmischer 
lärmendem  Laufe  schaarcnwcise  auf  dem  Berge  hin  un 
her  und  herab  zu  Tal  getragen,  so  wie  den  Sprung  d. 
Burschen  mit  seinem  Mädchen  über  die  Glut,  endlich  das  Hi:: 
durchtreiben  der  Kühe  durch  das  Feuer.  Die  Stümpfe  d- 
Besen  steckt  man  in  die  Krautgärten,  um  sie  vor  Mück« 
und  Kaupen  zu  bewahren,  die  Brände  und  Kohlen  des  Feue 
in  die  besäten  Felder,  Wiesen  und  Gärten,  unter  d 
Dach  oder  die  Türschwelle,  um  Haus  und  Hof  vor  Unwetter  ' 
schützen.  Von  allen  Bergen  sieht  man  weithin  die  Johannisfeo. 
leuchten.*     Auf  dem  Stromberge  an  der  Mosel  unweit  Sierk 


1)  Birlinger  II,  9G,  128  ff.  103,  129  ff.    Meier  423, 107  ff.  424.  109. 1 

2)  Leoprcchting  S.  182 — 83.  Cf.  die  Sanimlg.  von  Beweisstellen  " 
die  Einwirkung  der  Johannisfeuer  auf  das  Gedeihen  des  Flachses.  Panff 
11,549  —  50. 

3)  Peter,  Volkst.  a.  Oesterr.  Schlesien  11,287. 

4)  Reinsberg-Düringsfeld,  böhmischer  Festkalender.     S.  306 — 311. 


Maifeuer,  Johannisfeaer.  511 

Diedenhofen    in   Lothringen    hatte    im   Jahre  1><23   das   Johan- 
nirfener  der  Banergenieinde  Konz  in  folgender  Weise  statt.     Die 
Änoer  waren  auf  dem  Stromberge,  die  Weiber  und  Mildehen 
Mfianbacher  Brunnen  versammelt    Ein  strohbewundenes  Rad 
AQd  eine  Menge  Strohfackeln  lag  bereit.    Auf  ein  Zeichen  des 
Maire  Ton  Sierk  zündete  einer  mit   der   Fackel   das  Rad  an, 
da^  schnell  in  ßewegimg  gesetzt  wurde;   Jubelgeschrei,  allge- 
lUeines  Fackelschwingen   durch  die  Luft.    Gelangt  das  Rad 
Vom  größeren  Teile  der  Männer  gefolgt  brennend  bergab  in  die 
ÄIcsel,     so    weissagt    man    eine    reichliche    Weinernte.* 
£beiiso  in  Frankreich.    In  Poitou  zündet  man   ein  mit  Stroh 
Umwickeltes  Rad  an,  und  läuft  damit  durchs  Feld,  damit 
d  asselbe  fruchtbar  werde.    In  Brest  schwingt  man  Pechfackelu, 
Und  oft  werfen  Hundertc  ihre  Fackeln  zugleich  gen  Him- 
meL     Im  Departement  de  la  Vicnne  läBt  man  einen  Strauß  von 
W'ollkraut  (Verbascum)  und  einen  Nußbaumzweig  durchs  Feuer 
strachen,  die  man   anderen  Tags  vor  Sonnenaufgang  über  der 
ätalltllr  befestigt.*    Statt  des  Kollcns  der  Räder  werden  an  ande- 
Ten  Orten  Scheiben  geschlagen.^     In  Edersleben  bei  Sjinger- 
hausen  wird  das  Rad  durch  eine  Teertonnc  ersetzt,  welche  auf 
einer  hohen  Stange  befestigt  ist,  durch  die  eine  bis  zur  Erde  rei- 
chende Kette  gezogen  wird.     Ist  das  Ganze  in  Brand,  so  schwingt 
man  die  Tonne  unter  großem  Jubel  rund  um  die  Stange.^    Den 
nämlichen  Charmiter   trägt  die  Sitte  in  England.     Wir  beschrän- 
ken uns  auf  folgende  Angaben:  Ein  Geistlicher  berichtet  hn  Gent- 
lemens  Magiizine  Febr.  17l»5  p.  121,  daß  er   1782  auf  der  Insel 
Sky  das  «im  21.  Juni  angezündete  Mittsonunerfeucr  beobachtete: 
»thepeople  danced  round   the  fires  and  at  the  close  went 
throu^h  these   fires  and  made  thei  r  sons  and  daiighters 
^ogether  with  thcir  cattle  pass  through  tlie  fire,  and  the 
^hole  was  conducted  with   religioiis  solenmity."     Borlasc  (Anti- 
<Hutleg  of.  Coniwall  p.  130)  ])esciircibt  das  Goluan  genannte  Mitt- 
ßomraerfeiier  am  St.  Johannisabeiid  oder   St.  Peter  in   Coniwall 
n^  these  fires  the  ('omish  attend  with  lighted  torehes,  tarr'd 


^)  ^femoires  des  antiqoaircs  de  France.   V,  383 — 386. 

^^  ^Volt,  Beitr.  II,3J»2ff. 

^^  ^ini^erle,  Sitten-^  If/J,  13r>4. 

^)  *^nhn,  Nordd.  Sag.  390,  79. 


512  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

aDd  pitch'd  at  the  end  and  make  their  preambulations  lonii 
their  fires  and  go  from  village  to  village  canying  their  torohe 
before  them."  Nach  Moresin  (Papatus  p.  56.  Faces  ad  festom  dh 
Petri  (29.  Juni)  noctu  Seoti  in  montibus  et  altioribns  IocIb  discoi 
rentes  accendere  soliti  snnt.  Brand  beschreibt  die  northombei 
landische  Sitte  desselben  Tages.  Te  inhabitants  cärried  Bcm 
kiud  of  firebrand  about  the  fields  of  their  respective  vilh 
ges.  They  made  encroachments  on  these  occasions  npon  the  bc 
fires  of  the  neighbouring  towns,  of  which  they  took  away  son: 
of  the  ashes  by  force;  this  they  called  carrying  of  the  fl- 
wer  of  the  wake."^  Aus  Schweden  gentige  des  Olaus  Magn" 
Aussage:  Omnis  enim  generis  sexusque  homines  turmatim 
publicum  concurrunt  exstructisque  luculentis  ignibus  atqL 
accensis  facibus  choreis  tripudiisque  sc  exercent*  In  BuBIil': 
kehren  die  nämlichen  Bräuche  wieder.  In  Kleinrußland  tre: 
man  am  St.  Johannisabende  einen  Pfahl  (Baum)  in  die  Erde,  n: 
hüllt  ihn  mit  Stroh  und  setzt  ihn  in  Flammen.  Sobald  er  brenJ 
werfen  die  Bäuerinnen  ßirkenzweige  durchs  Feuer  mit  A 
Worten:  „Werde  mein  Flachs  so  hoch  als  dieser  Zwei^ 
Blumenbekränzt  j  mit  heiligem  Kraute  umgürtet  zünden  Jttngliix 
und  Mädchen  am  24.  Juni  ein  Feuer  an,  das  Kupalo  hei 
springen  selbst  darüber  und  treiben  die  Heerde  hijndur© 
um  ihr  Vieh  vor  den  Waldgeistern  (Ljeschje)  zu  schützen.' 
Serbien  binden  die  Hirten  am  23.  Juni  Fackeln  aus  Birken 
rinde,  umschrciten  damit  Schafhürden  und  Ochsenzäune,  steig 
dann  auf  die  Berge  und  lassen  sie  verbrennen.*  Doch  kehs 
wir  zunächst  zum  deutschen  Mittsommerfeuer  zurück.  Auch  ^ 
Verhrimniuig    menscMich    gestalteter   Figuren    war    dabei    ni* 


1)  Wilde  (Irish  superstitions  p.  48  fF.  bei  Nilsson ,  Ureinwohner 
Skandinavischen  Nordens.  Hamburg  18G6.  S.  24)  beschreibt  das  irische  Ä 
souunerfeuer ,  das  ältere  Leute  unter  leisen  Gebeten  umwandelten.  Wer  ^ 
längere  Reise  unternehmen ,  wer  heiraten  oder  ein  Wagstück  nnt^meb^ 
wollte,  lief  dreimal  hin  und  zurück  durch  das  Feuer,  um  Glück  bei  sei^ 
Unternehmen  zu  haben,  schwangere  Fraueu  gingen  hindurch,  um  eine  gl 
liehe  Niederkunft  zu  erlangen,  selbst  Kinder  sah  man  über 
glühenden  Kohlen   tragen. 

2)  Weitere  Berichte  in  Dybecks  Runa  1844.    S.  22. 

3)  Ralston  S.  240.    Myth,«  591 

4)  Vuk  8.  V.  Ivan  dan. 


Maifeuer,  Juhanniftfeaer.  513 

9^.    In  Oesterreick  (Marienkirehen  im  luuvicrtel)  wird  beim 
Johaonisfener    hoch   auf  einer   Stange,   die   an   die   Stelle   des 
Aelaobten  Baunes  trat,  das  anderswo  auf  dem  Muibaume  pran- 
gende Puppenpaar  Gretel   und  Hansel  (o.  S.  42U.  •ki\-k)  in  Flaiu- 
flicn  gesetzt.    Zu  Ertingeu  in  Sehwaben  wird  daim  die  Hexe  ver- 
brumt  (o.  S.  179).    In  Grätz  vertertigten  die  gemeinen  Bewohner 
am  23.  Juni  einen  Popanz,  der  Taterniann  genannt,  schleppten 
ihn  nach  der  Leinwandbleiehe  an  der  Mur  und  bewarfen  ihn 
mit   brennenden  Besen    so    lange,    bis   er  brannte.^     Im 
ITnterinntal  verbrennt  man  im  Johunnisfeuer  einen  I^ottcr  (Kerl 
AUS  Stroh  und  Lumpen),  nachdem  mau  ihn  auf  einem  Karren  im 
JDorfe  umhergettihrt  hat    Einige  haben  das  Wort  Lotter  in  Mar- 
tin Luther  umgedeutet,    woher  denn    in  Ambras   zwei  Figuren, 
Luther  nud  sein  Katherl,  auf  den  Holzstoß  kommen.^     In  franz. 
Flandern  verbrannte  mau  vor  der  Revolution  von  1 789  in  jeder 
Gemeinde  im  Johanuisfeuer  eine  männliche  Strohpuppe ,  auf  Petri 
(29.  Juni)  eine  weibliche  Puppe.     In  Cambrai  (Cameryk)  hängen 
die  Kinder  mit  Goldpapier  verzierte  Puppen  ins  Feuer,  dasselbe 
aoU  in  Valenciennes  der  Fall  sein.^     Zu  Kottenburg  wurde  bis 
zum  Jahre    1808   ein  Stotzcn   in  den  Boden    getrieben   und   mit 
umwickeltem  Stroh  zu  einer  menschlichen  Gestalt  geformt,  welche 
uugestreckte  Arme  und  einen  vom  Hafner  aus  Tohn  gefertigten 
Kopf  mit  feinem  und  zierlichem   Gesichte   hatte.     Diese  Figur, 
die  man  Engelmann  naimte,  umkleidvtc  man  von  ahm  his  unfan 
«wY  Bluniefh,  so   duß  der  ganze  Kerl  damit  bedeckt  war.^    Dann 
schichteten  die  Knaben  Holz  umher,  und  jeder  faßte  einen  Degen. 
Sobald  der  Holzstoß  angezündet  wurde ,  und  die  Pui)pe  auf k)derte, 
hieben  alle  zu  gleicher  Zeit  mit  dem  Degen  ein  und  zerfetz- 


1)  Vemaleken ,  Alpensugen  S.  372 ,  43. 

2)  Zingerle*  109,  13r>3.  1355. 

3)  Mad.  Clement  nee  Hemery,  histoire  des  fOtcs  et  des  nsages  du  Depart 
*«  Nord  p!  363 ff.    Wolf,  Bcitr    ll,3i»2. 

i)  Vgl.  die  Beschreibung  des  Jubannisfeuers  bei  Bunneval  (Meinoires 
^  l'tcad.  celtique  iV,  428).  La  veille  de  Öt.  Jean  un  feu  de  joic  est  allume 
^3  Qn  carrefuur.  Au  milieu  du  feu  on  place  uno  longue  perche, 
^ui  le  dominc  et  qui  est  garnie  de  feuillages  et  de  flcurs.  Le 
^Tg^  86  rend  en  grande  pompe  au  lieu  de  la  cercnionio,  allume  le  feu, 
^tonne  quelques  chants  et  se  retire;  ensuite  les  assistaus  s'eu  eiupareut, 
>*ateDt  par  dessus  et  empurtent  chez  eux  quelques  tisuns, 
9Q  U6  placeut  sur  le  ciel  de  leur  lit  couinie  un  preservatif  contre  la  foadro. 
^•Änhardt.  33 


514  Kapitel  VI.    Vegetotioiisgelster:  Sonnenzanber. 

ten  die  letztere;  ursprünglich  hatte  dies  offenbar  den  Zw< 
Stücke  der  Puppe  sich  anzueignen  vgl.  o.  S.  348.  349.  War 
abgebrannt  und  zerhauen,  so  begannen  die  Sprünge  über 
brennenden  Scheiter.  Das  hieß  ^^den  Engelmann  köpfe: 
In  einigen  Gegenden  Kußlands  macht  man  am  Johannisabe 
eine  f^igur  Kupalo  genannt  und  verbrennt  sie^  oder  wirfl  sie 
Weisser,  Zuweilen  fällt  man  einen  Baum,  bedeckt  ihn  niit  b 
tefi  Bändern,  und  pflanzt  ihn  an  einem  dazu  auserlesenen  PL 
auf.  In  die  Mähe  dieses  Baumes ;  welcher  den  Namen  Mai 
(vgl.  0.  S.  413)  erhält,  setzt  mau  die  Strohfigur ,  der  man 
Größe  eines  Knaben  oder  eines  Mannes,  aber  den  Anzug  ei 
Weibes  mit  Halsband  und  Krone  von  Blumen  zuteilt;  ne 
diese  eine  Tat'el,  auf  welcher  Getränke  und  Speisen  stehen.  D 
wird  ein  Feuer  angezündet,  über  das  die  Bursche  und  Mädc 
paarweise  springen,  die  Strohfigur  zwischen  s 
tragend.  Tags  darauf  berauben  sie  Baum  und  Puppe  il 
Schmuckes  und  werfen  beide  in  ein  fließendes  Wass« 
Statt  der  Strohpuppe  tritt  bisweilen  eine  aus  Weiden  (i 
Baumzweigen)  geflochtene  MenscheftgestaU  ein.  Eine  solche 
mannequin  d'osier)  verbrannten  die  Einwohner  der  rue  aux  C 
zu  Paris  noch  im  vorigen  Jahrhundert  bis  1743  alljährlich 
3.  Juli.  Die  Figur,  le  göant  de  la  rue  aux  Ours  genannt,  h 
etwa  G  Metres  Höhe;  sie  wurde  zuvor  einige  Tage  feierlich  di 
ganz  Paris  getragen.  Augeblich  geschah  das  zur  Erinnerung 
die  Verbrennung  eines  gottesschäuderischen  Soldaten,  die 
Jahre  1418  an  diesem  Mouatstage  stattgehabt  haben  sollte;  na 
lieh  eine  ätiologische  Fabel  zur  Erklänmg  der  lokalen  Abweich 
des  Kirchspiels  aux  Ours  von  der  allgemeinen  Sitte,  das  & 
sommerfcuer  am  23.  oder  24.  Juni  anzuzünden.'  In  Brie  ( 
de  France)  verbrennt  man  „un  mannequin  d^osier"  am  23.  J 

1)  Birlinger  11,100,  K8. 

2)  Kaiston  241. 

3)  De  Köre  Mythes  p.  354.  Eine  andere  Beschreibung  des  Feste 
Magazin  pittoresque  Paris  1834  p.  2G2.  Liebrecht,  Gervasius  v.  Till 
p.  212.  Uienach  bildeten  die  Bürger  der  rue  aux  Ours  für  diese  Feier 
Genossenschaft  „Societe  des  bourgeois  de  la  rue  aujc  Ours;**  sie  wftli 
sich  dazu  einen  König.  Der  Weide^kerl  war  mit  den  Gewändern  e 
Soldaten  bekleidet.  Der  König  zündete  mit  einer  Fackel  den  Hob 
an.  Das  Volk  riß  sich  um  die  Ueberbleibsel  der  Figur.  Diea 
hieß  zuletzt  „le  Suisse  de  la  rue  aux  Ours.*' 


Tiere  im  Sonnwendfeuer  verbrannt  515 

§  5.  Tiere  Im  Sonnwendfener  yerbrannt.    Wie  im  Oster- 
feoer  füchhömchen ,  so  werden  aach  im  Johamiisfeaer  zuweilen 
Kere,  sogar  lebend,  oder  Teile  von  Tieren  yerbrannt    So  hingen 
IQ  Paris  auf  dem  Greveplatze  an   dem   Mastbaume  (einer  Ab- 
schwädiiuig  des  Maibaams) ,  der  den  Mittelpunkt  des  oft  von  den 
Königen  angezündeten  Johannisfeuers  ausmachte^  in  einem  Korbe, 
Käfige  oder  Sacke  Katzen  (bis  zu  zwei  Dutzenden)  und  zuwei- 
len Füchse,  deren   in  der  Todesangst  ausgestoßenes  Geschrei 
die  Umstehenden   belustigte.     In  den  Vogcsen  brannte  man  die 
Katien  beim  Fastnachti'eucr  auf  Holzpfählen  todt,  in  Metz  zün- 
dete man  jährlich  auf  der  Esplanadc  das  Johannisfeuer  an,  wobei 
6  Katzen   auf  dem  Holzstöße   mit   verbraimt  wurden.     Im  Elsaß 
wiri  man  sie  ins  Osterfeuer.     Dagegen  soll  in  Rußland  zuweilen 
ein  weißer    Hahn    im  Kupalofeuer   verbrannt   worden  sein.^ 
In  Meißen  oder  Thüringen  warf  man,  um  das  Johamiisfeuer  tan- 
zend ein  Pferdehaupt  in  die  Flammen.^     Der  Name  Bockhom, 
welchen  die  Osterfeuer  ehedem  allgemein  im  Harze  führten ,  muß 
daher  entstanden  sein,  daß  man   ein  Bockhom   ins  Feuer  warf, 
wie  sonst  Knochen,    was   schon    um  1162  Job.  Beleth   bezeugt: 
Solent  porro  hoc   tempore  (in  festo  St.  Johaunis)  ex  veteri  con- 
uetadine   mortuorum    animalium    ossa    e^omburi.^     Einen 
sehr  interessanten  Belag  gewährt  der  Bericht  eines  Augenzeugen 
ttber  eine  derartige  Begehung  aus  neuester  Zeit.    Zu  Luchon  in 
den  Pyrenäen   ist   es  Sitte,    am  St.   Joliannisabende   eine   aus 
•tarken  Weidenzweigen   verfertigte  ungefähr  sech- 
zig Fuß  hohe  Säule  im  Mittelpunkte  der  bedeutendsten  Vor- 
stadt zu  errichten    und   mit   grünem  Laube   vom  Fuß  bis 
^^T  Spitze  zu  durchflechten,  indeß  man  unten  die  reizend- 
sten Blumengruppen    anbringt,  um    der  Scene   gleichsam   einen 
*iunutigen  Hintergrund    zu   verleihen.     Nachdem    die  Säule  mit 
brennenden    Stoffen    ausgeiUllt   ist,    setzt    sich   zu   feststehender 
Stunde  (abends  8  Uhr)  eine  große  Prozession  in  Bewegung.     Der 
Klerus  an  der  Spitze,  sodann  Bursche  und  Mädchen  in  Sonntags- 
Ueidem.    Man  singt  geistliche  Hymnen  mid  nimmt  rings  um  die 


1)  Mytk«  591. 

2)  G.    Strigenitius    (f   1G()^)    bei   Eccard,    Francia  orientalis    I,  425. 
'^yth.«  oBT). 

3)Cf.  Wolf,  II,  387. 

33* 


516  Kapitel  VI.    Vegclationsgeistcr:  Sonnenzauber. 

Säule  Aufstellung.  Mittlerweile  leuchten  auf  den  benachbar 
Hügeln  die  Johannisfeuer  auf  ^  ein  wundervoller  Anblick.  Di 
wirft  man  Schlangen,  8o  viele  als  man  sammeln  konnte, 
die  Säule,  und  fünfzig  Männer  und  Knaben  ztlnden  dieselbe, 
mit  Fackeln  wie  wahnsinnig  ringsumtanzend.  Die  Schlaof 
winden  sich,  um  den  Flammen  zu  entgehen,  bis  zur  Spitze  h 
auf,  wo  sie  vergeblich  zur  Seite  auszubiegen  suchen,  bis  : 
schließlich  zu  Boden  fallen.  Ihre  ängstlichen  Windungen  werd 
von  den  Umstehenden  mit  lautem  Jubel  begrüßt.^  Wie  hier  w; 
auch  sonst,  namentlich  in  Frankreich,  mehrfach  das  Johani 
feuer  unter  Assistenz  der  Geistlichkeit  angezündet,  gleichsam 
religiöser  Akt  gefeiert. 

Abarten  der  Fastnacht-,  Oster-  und  Johannisfeuer  sind  < 
Weihnachtsklütze  (cf  o.  S.  1^24  ff),  Michaelis-  und  Martinsfeuer,  i 
die  hier  nicht  näher  eingegangen  werden  soll.*  Sie  haben  manc 
Züge  mit  den  besprochenen  Feuern  gemein ;  dem  am  Niederrb 
verbreiteten  Martinsfeuer  ist  es  eigentümlich,  daß  darin  ein  Ko 
verbrannt  wird,  der  urspiiinglich  wol  überall,  wie  noch  jetzt 
Dordrecht,  allerlei  Obst  enthielt,  das  im  Brennen  herausgescb 
telt  und  autgegriffen  wurde. 

§  G.  Frflhllngs-  und  Soimwendfener.  EriSuterong« 
Die  Uebereinstimmung  aller  wesentlichen  Züge  bei  allen  jen 
drei  Feuern  ist  geeignet,  die  Ucberzeugung  zu  begründen,  d 
dieselben  ziemlich  getreu  und  unverfälscht  erhaltene  Nachkomm 
eines  älteren  Ritus  seien.  Die  enge  Verbindung  mit  kirchliefa 
Ceremonien  legt  die  Frage  zu  ernstlicher  Erwägung  nahe, 
derselbe  nicht  etwa  von  einer  Vergröberung  christlicher  Syml 
lik,  also  entweder  der  kirchlichen  Anztlndung  des  neuen  Fem 
zu  Ostern  oder  einer  symbolischen  Darstellung  des  Scliriflgedi 
kens  in  Math.  11,  11.  Ev.  Job.  1,7  —  9.  5,  35.  3,  30  ihren  Ai 
gang  genommen  haben  könne.  Die  ausgedehnte  Anwendung  sii 
bildlicher  Darstellungen  in  der  Kirche  des  Mittelalters  und  dan 
entstandener  Aberglaube  sind  mehrfach  von  uns  besprochen  o: 
nachgewiesen,  oder  in  Erwägung  gezogen  worden  (s.  o.  S.  230 
242  ff.  281  ff.  446).     Wie  die   Heiligkeit  des  Taufwassers  scb 

1)  Athenäum,  Saturday.  July  24.  1869.  p.  115.  Der  Verfasser,  wc 
Badegast  in  Luchon,  beobachtete  den  Brauch  am  23.  Juni  1868. 

2)  Schmitz,  Sitten  und  Bräuche  I,  43  —  45.  Wolf,  Beitr.  1,41—4 
Zs.  f.  D.  Myth.  1 ,  88. 


Frfthlings  -  Sonnweiidfener.     Erläuteraiigen.  jl7 

Mb  znm  Glaoben    an   magische   Wirkungen    desselben   Anlass 
gAf^  konnte  das  nämliche  mit  dem   heiligen  Holze  des  kirch- 
&4en  Osterfeners  geschehen    sein.      Wir   haben  jedoch   —  so 
sefaeiDt  es  —  hinreichende  Anzeichen  daillr,  daß  die  Kirche  sich 
in  diesem  Falle  eines  vor  der  Zeit  ihrer  Ausbreitung  in  fast  ganz 
Europa  bestehenden  Brauches,  nachdem  sie  denselben  Jahrhun- 
derte yei^bliefa  bekämpft  hatte, ^  bemächtigt,  und  denselben  an 
«ich  zu  knüpfen  versucht  hat,  indem  sie  ihn  christlich  umdeutete, 
teils  (wie  beim  Osterfeuer)  durch  Hinübemahme  einzelner  Ztlge 
davon  in  eine  kirchliche  Ceremonie  unschädlich  machte ,  teils  aus 
letzterer  Stücke  in  die  trotzdem  fortbestehende  weltliche  Uebung 
ttbertmg.     So  sind  unsere  Frühlings-  und  Sommerfeuer  unzwei- 
felhaft Erzeugnisse  einer  mannichfachen   Wechselwirkung  kirch- 
licher Politik  und  des  zähen  Beharrungsvermögens  altheidnischer 
Gewohnheiten.    Noch  entgeht  uns  das  Material,   um  dieses  Ver- 
flchmelzungsprodukt  genau  in  seine  einzelnen  Bestand^He  zu  zer- 
legen, und  seine  Genesis  historisch  zu  veriblgcn,  aber  schon  hier 
darf  die  Vergleichung  des  römischen  Palilienfeuers,  und  der  phö- 

1)  Schon  zu  Chrysostomus  Zeit  schöpfte  man  in  der  Nacht  Yor  Epipha- 

^iU  (Christi  Tanftag)  Wasser  in  Krüge  und  bewahrte  es  als  ein  Jahr  lang 

^hbleihend  auf.    Um  451  bezeugt  FuHo.   Erzbischof  von  Antiochien,   daß 

^  Volk   haufenweis  herbeiströme ,    um    von   dem   in   der  Epiphaniasvigilie 

^ösecrierten  Taufwasser  zu  schöpfen   und  es  zur  Vertreibung  giftiger  Tiero 

^  böser  Krankheiten   und  zur  Bcspr engung   der    Aecker   mit  nach 

^^  zu  nehmen.    Gregor  von  Tours  f  595  berichtet ,  daß  von  dem  geweih- 

^  Taufwasser  jeder  ein  volles  Faß  mit  sich  nehme ,   zum  Schutz  des  Hau- 

'^  und    um    Aecker    und    Weinberge    segnend    zu    besprengen. 

'^ffL   die  Belege    bei    Pfannenschmidt ,     Das  Weihwasser.     Hannover   1869. 

p.  131  — 133.)      Der  Glaube   und   die  Sitte    bestellt   in  Franken  und  Baiem 

^ocb  bis   heute   fort.     Wuttke «  §  192.     Ebenso   in  Tirol.    Zingerle ,   Sitten « 

^^,  1138.     Damit   hängt  doch  offenbar  zusammen,    daß  die  Albanesen  am 

^.Januar  ihre  Weinberge  mit  Wasser   besprengen,  an  den  4Ecken 

Wes  Stückes  4  Weinstöcke  mit  einem  Strohbande  zusammenbinden,  darun- 

^®T  ein  Stück  zu  dem  Ende  eigeuds  verfertigten  Brodkuchens 

**gen  und  Wein   darauf  schütten.     Hahn,   alban.   Studien  S.  155.      So  geht 

wßi  uns  der  erste  Pflug   über  ein  Stück  Brod,  in   die  letzte  Garbe  wird  ein 

Osterei  und  ein  Stück  Brod  eingebunden  fs.  o.  S.  158\    Wie  weit  jener  alba- 

uesiache  Brauch  von  nicht  christlicher  Sitte  durchsetzt,  oder  ob  der  genannte 

deutsche  Saat-   und    Erntegebrauch   kirchlichen  Ursprungs   sei,  kann   hier 

nicht  ausgemacht  werden.    Jan.  (5   feierte   man   die  Hochzeit  zu  Kana,  da 

Wasser  zu  Wein  wurde. 

2)M)-th.«  592.    Kuhn,  Herabkunft    S.  51  Anm.  *. 


518  Eapitol  VI.    Vef^etationsgeister:  Sonnenzanber. 

nikischen  Baal  (Molochs)  feaer,  über  welche  gleichfallB  gesprnn 
wurde,  die  symbolische  Beziehung  der  Räder  und  aasgezad 
Scheiben  auf  den  Naturlauf  der  Sonne,  die  Verbrennimg 
0.  S.  177  ff.  als  Maibaum  nachgewiesenen  Baumes,  die  o.  S.  46 
n.  508  dargelegte  Beziehung  zum  Frühlingsbrautpaar,  alles  di< 
darf  zur  Bestätigung  einer  heidnischen  Grundlage  unserer  F 
nachtfener,  Osterfeuer  und  Johannisfeuer  geltend  gemi 
werden,  selbst  wenn  wir  nicht  auf  die  Verwandtschaft  mit  < 
unzweifelhaft  heidnischen  Notfeuer  zuiUckgreifen. 

§  7.  Notfener.  Letzteres  war  ein  nach  Auslöschung  i 
übrigen  Feuer  im  Dorfe  nach  urältester  Weise  der  FeuerberdI 
durch  Reibung  zweier  Hölzer,  Umdrehung  eines  Stabes  in  e 
runden  Scheibe  oder  der  Nabe  eines  Rades  u.  s.  w.  erzeo 
neues  Feuer,  durch  welches  man  bei  Viehseuchen  die  T 
trieb,  ^  zu  Pestzeiten  selbst  hindurchging.^  Schon  Grimm  den 
das  Rad  f Mb  Bild  der  Sonne,  von  welcher  Licht,  Feuer 
Gesundheit  ausgehe.  Bekanntlich  gebot  unter  Karlmann  eine 
Jahre  742  unter  dem  Vorsitze  des  Bonifacins  als  Erzbischoft 
Mainz  abgehaltene  Synode,  an  der  die  Bischöfe  von  Köln,  W 
bürg,  Eichstedt,  Straßburg  teilnahmen,  den  Bischöfen  und  Gr 
alle  heidnischen  Gebräuche  (paganias)  sorgsam  zu  verhind 
als  da  seien  Todtenopfer,  Tieropfer  nach  heidnischem  Ritus 
Heiligen  dargebracht  „sive  illos  sacrilegos  ignes,  quos  nie* 
vocant,  sive  omnes  quaecunque  sunt  paganorum  observatioi 
Die  Synode  zu  Listines  in  den  Niederlanden  ein  Jahr  sp 
handelte  in  dem  vielgenannten  Indiculus  superstitionum  et  p: 


1)  Myth.2  .570  —  577.     Krankes   Vieh    durch   den   Rauch   getriebe 
Indien,  s.  Zs.  f.  \g\,  Sprachf.  XV,  228. 

2)  Wolf,  Beitr.  II,  379.  Zu  diesen  Nott'euem  wird  man  hienach 
solche  Formen  zu  rechnen  hahen ,  in  denen  auf  einfachere  Weise  als  c 
Beibung  bei  allgemeiner  Sterblichkeit  der  Scheiterhaufen  entloht  wird 
Marseille  starben  im  September  1865  viele  Personen  an  der  Cholera.  In  1 
dessen  zündete  man  ungeheure  Feuer  an ,  deren  Tausende  und  Tansen« 
den  600  Straßen  und  Gassen  brannten.  Jede  Straße  hatte  deren  minde 
drei,  eine  sogar  57.  Vor  der  Praefectur  errichtete  die  Feuerwehr  den  rie 
Holzstoß.  Um  die  Feuer  tanzten,  wie  auch  in  Toulon.  junge  Mädchen 
junge  Burschen.  An  mehreren  Stellen  verbrannte  man  eine  Puppe  mit 
schwarzem  Gesichte,  man  meinte,  das  sei  ein  Bild  der  Cholera.  So  b< 
teten  damals  die  Zeitungen.  Cf.  Härtung,  Religion  und  Mythologie 
Griechen     Bd.  IL   Vorw. 


Nütfeucr.  51f» 

nitmm  „de  siniplacris  de    panniB    facti»,    de  simalacro 
(|Bod  per   cnmpo»  portaiit,  de  igne   fricato   de  ligno 
/d  est  Nodfyr."*     Kuhn   hat  bereits^  die  ursprüngliche  Iden- 
fittt  des  Notfeuers  mit  dem  Johannisfeucr  wahrscheinlich  gemacht, 
indem  er  darauf  hinwies,  dnss  bei  beiden  Räder  resp.  Scheiben 
gerollt  oder  gedreht  werden  als  mutmaßliche  Uarstellungen  der 
SoDDe   and    daB   nach    einer    in    Obermediingen    in    Schwaben 
(Panzer  11,  240)  erhaltenen    Spur    das   Sonnwendfeuer   ehedem 
ebenfalls  durch  Reibung,  d.  h.  durch  Umdrehung  eines  Rades 
im  einen  Pfahl  entztlndet  wurde ,  hiezu  aber  stellt  sich,  daß  die 
Maoipulatiou   des  Scheibentreibens   gleicherweise   wol   nur 
ein  abgekürzter  Rest  jener  ältesten  Weise  der  Feuerbereitung  ist, 
die  ans  der  bohrenden  Drehung  eines  Stockes  in  einer  Scheibe 
bestand.     Es    ward   nämlich    noch    vor   kurzem    „die   Scheibe, 
welche  im  Mittelpunkte  zum  Einstecken  eines  Stockes  durchbohrt 
war,  im  Sonnwendfeuer  angezündet  (statt  so  lange  darauf  gedreht, 
bis  sie  brannte),  sodann   schwang  der  liursche  die  Scheibe  auf 
dem  Stocke,  drehte  sie  auf  dem  Brette  mit  stjirkem  Schwünge, 
daB  sie  sieh  vom  Stocke   trennte,   hoch  in  die  Luft  sprang  und 
gitthend  sich  drehte,   so  daß  man   sie  in  weiter  Feme  sah."' 
Der  Zweck  beider  Feuer  >var  im  (4 runde  nicht  verschieden,  oft 
gehen  sie  in   einander   über.     Durchs  Johnnnisfeuer  treibt  man 
inRaßland,  Serbien,  Lithauen,  Preußen,  Br»hmen,  P.ngland  auch 
das  Vieh,  um  es  vor  Seuche,  Zauberei  und  Milchbenehmung  zu 
bewahren.*    Das  Noticuer  andrerseits  wurde   ebenfalls  zuweilen 
D^ch  fittr  Pflanzen  günstig  angesehen  ( in  Schweden  räucherte  tnan 
^it  Fischnetze  und  Obstbäume,  um  sie  ertragreich  zu  machen), 
zuweilen    als  Vorkehrmittel   gegen   künftige   Krankheit  für  Men- 
schen und  Tiere  zu  fester  Zeit  und  zwar  am  St.  Johannisabende 
angezündet    und    mit    allem    Zubehör    ausgestattet,     den     wir 
beim  Johannisfeucr    beol)achteten.     In    Mecklenburg    „warmede 
Daen  sik  bi  S.  Johannis  lod  und  nodfllre,  .  .  .  löp   und  rönde 
iurch  dat    für,    dref   dat   vehe   dardorch   un    is   tusent 


1)  Pertz,  Mon.  Genn.  I,  17.  20. 
2^  Herabkunft,  S.  fKl. 

3)  Panzer  T,  210.  231. 

4)  Ralst<»ii  240.  Mytli.-  -m.  DobrowslJ  bei  ricinsberg-Düringsfeld.  Fest- 
kalender a.  Böhmen,  S.  307.  Anni.  1.    Brand,  pop.  antiqu.  1,  304. 


520  Kai)it«l  VI.    Vegetationsgeister:  Soniienzanber. 

fl-oudeD  vul  gewesen/'  ^  In  Masuren  löschte  man  am  Johaimii 
ahende  alles  Feuer,  rammte  einen  eichenen  Pfahl  ein,  legte  ei 
Rad  daranf  nnd  drehte  es,  bis  es  zUndete.  Jeder  nahm  eine 
Brand  xmd  steckte  damit  zn  Hanse  sein  Heerdfener  wieder  an 
Lindenbrog  im  Glossar  za  den  Capitularien:  Rnsticaoi  homim 
in  nmltis  Germaniae  locis  et  festo  qnidem  Johannis  Ba| 
tistae  die  palnm  sepi  extrahunt,  extracto  funem  circnmligac 
illumque  hac  illuc  ducnnt,  donec  ignem  concipiat;  quem  Btipn 
lignisque  aridioribus  carate  fovent  ac  cineres  collect« 
supra  olera  spargnnt  hoc  remedio  erucas  abigi  posi 
inani  superstitione  credentes.  Enm  ergo  ignem  Nodfenr  et  Na 
fyr  quasi  necessarium  ignem  vocant.^  Aus  dem  Munde  ein 
alten  Luzemer  Bauers  hat  Kochholz  verzeichnet,  wie  in  sein 
Jugend  das  Notfeuer  oder  „Ankenmilchbohren^'  begangen  wuim 
In  den  Türpfosten  eines  Hauses,  da«  in  einem  engen  Tale  ]m 
wurde  am  Johannisaben  de  oder  an  einem  andern  Tage  c 
Sonnenwende  durch  Umdrehung  eines  hineingesteckten  StaK 
Feuer  entfacht,  damit  eine  lange  in  doppelter  Reihe  zu  beid 
Seiten  der  schmalen  Talgasse  liegender  Haufen  von  Bohnenstn« 
Flachsagen  nnd  zerrissenen  Körben  in  Brand  gesteckt  }M 
trug  dem  Bache  in  Körben  und  auf  Brettern  Feuerbrände  z"i 
trieb  alles  Vieh  zwischen  den  beiden  Feuern  hi. 
durch,  Bursche  undMädchen  sprangen  vereint  dur 
dieFlammen.  Die  Knaben  zündeten  in  enthusiastischer  wilc 
Lustigkeit  Kienfackeln  an  der  durch  Reibung  neugewonnen: 
Flamme  an  und  rannten  in  langer  Feuerzeile  auf  S 
Almen d,  um  diese  zu  durchräucheni.  Das  war  die  „We= 
räuke,"  die  Durchräucherung  der  Viehweide,  damit  vertri 
man  alle  die  Frucht  und  das  Vieh  schädigend* 
Feldgespenster  und  Hexen.  Waren  auf  einem  Teile  d 
Hütung  die   abgebrannten   Fackeln  aul'  einen   Haufen  geworfe 


1)  N.  Gryse,  Sjicgcl  des  Pawess  doms  Rostock.  15D3.  p.  LH 
Myth.s  579. 

2)  Pisanski,  N.  Pr.  Provincialbl   VT,  148,  109. 

3)  Myth  -^  570. 

4)  So  ließen  in  Epinal  die  Rinder  am  ersten  Sonntag  im  Märze  a 
dem  Bache  Brettchen  schwimmen,  die  mit  kleinen  Lichtem  besetzt  sin 
indeß  die  Erwachsenen  beim  großen  Freudenfeuer  die  Paare  der  Valentii 
und  Valentines  wählen.    Vgl.  Wolf,  Beitr.  I,  76. 


Schhlfolgenmgctn  ftb.  d.  Bedeut.  <].  Frdhlings-  o.  Mittsommerfenen.    521 

>o  gtrente  man  aof  dem  Rückwege  die  AHche  in  die 
Saitfelder  nnd  machte  sie  frnchtbar.  ^  Auch  im  Appenzeller 
Uade  kam  die  Asche  des  Nott'eaers  anf  die  Äcker  gegen  Un- 
^'efer.  Da  nun  auch  bei  den  profanen  Osterteuem  einzeln 
^ufliidnng  doreh  Reibung  vorkommt  (o.  K.  5()H),  so  wird  man 
Grimm  beistimmen,  daß  das  alte  Notfeaer  (d.  h.  erriebenes 
Pmer  von  hnindan,  hniotan),  ehe  seine  Anwendung  auf  Vieh- 
knnkbeiten  eingeschränkt  wurde,  einen  ausgedehnteren  Begriff 
hatte,  mit  dem  Zusätze,  daß  andrerseits  an  den  Frühlings-  und 
MittBommerfenem  eine  Einbuße  der  Feuerentzündung  durch  Reiben 
wqgeDommen  werden  muß. 

§  8.  Schlnßfolgerongen  Aber  die  Redeotong  des  Frflh- 
liig»-  und  Mfttsommerfeners.    Ist  dies  richtig,   so  waren  die 
Slotfener  einerseits,  die  Frühlings-,  Oster-  und  Johannisfeuer  andrer- 
seits nur  Differenzierungen  eines  älteren  Feuers,    welches  im 
F^jahre  und  Mittsommer,  und  außer  der  Zeit  bei  außerordent- 
licher Sterblichkeit  angezündet  wurde,  es  wurde  durch  Drehung 
eines   die    Sonne    darstellenden    Rades*    (oder    einer    Scheibe) 
enengt  Rad  oder  Scheibe  wurden  bei  den  an  bestimmte  Jahres- 
zeit gebundenen  Feuern  im  Frühjahre  im  Bogen   hoch  durch  die 
LbH  geworten,  um  Mittsommer  vom  Berge  herabgerollt.    [Daher 
'begegnen  wir  jetzt  bei  den  Frühlingsfeuem  ötlter  dem  Scheiben- 
^iben,   bei  den  Mittsommerfeuem  gewöhnlich  dem  Rade.]    Des 
-^cuers  Mitte  bildete  ein  Baum,  Pflanzen  wurden  hindurchgezogen, 
^fe    Tiere    hindurchgetrieben,     Menschen     sprangen     hindurch. 
*^e  Flamme  übte  vermeintlich  Einfluss   auf  Wachstum    und 
Gesundheit   der  Gewächse,    des   Viehes,    der   Men- 
schenkinder; sie  tat  dies  activ  vermöge  einer  ihr  innewoh- 
nenden   zeugenden    Kraft,    die    sieh    in    der    Beziehung    des 
''rühlingsbr autpaar 8  (o.  S.  450.  462.  508)  zu  diesen  Feuern 
*^8spricht;   wie   denn    1268    zu   Fentonc   in   England   bei  einer 
liUngenseuche   zugleich  mit  Anzündung   des  Notfeuers  ein  Priap 
Vor  der  Tür   des  Viehhofs   aufgesteckt,   mit  den  in  Weihwasser 
getauchten  Testikeln   eines  Hundes  die  Herde  besprengt  wurde.  ^ 

1)  Bochholz ,  Deutscher  Glaube  und  Brauch.  IT,  145  if.    , 

2)  Auf  der  Insel  Mull  wird  das  Rad  bei  Erzeugung  des  Notfeuers  dem 
lÄufe  der  Sonue  entsprechend  ,,tunied  from  east  to  weat." 

3)  Chronik   von  Lanercost  bei  Kemble ,   Sachsen   in  England.  I,  2W  ff. 
"J^tthn,  Herabkunft.   S.  45. 


522  Kapitel  VL    Vegetationsgeister :  Sonnenzanber. 

Mithin  sind  alle  die  Aassagen,  daß  die  Feuer  Insectenfn 
Verbexung,  Schädigung  durch  Drachen  und  dgl.  abwenden,  es 
weder  nur  abgeleitete  jtbigero  Formen  oder  zwar  gleich  il 
aber  andere  Seiten  hervorhebende  andere  Wendungen  des  eige' 
liehen  Gedankens.  Durch  die  positive  Mitteilung  der  Wachatii 
kraft  werden  zugleich  die  Dämonen  des  Mißwachses,  der  Knur 
heit  vertrieben  oder  vernichtet  Vgl.  o.  S.  280.  Hier  zeigt  gl 
uns  genau  derselbe  Parallelismus  der  Menschen,  Tiere  und  Pfli 
zen,  den  wir  bei  der  Lebensrute,  beim  Maibaum,  Erntemai  u.fli. 
beobachteten,  d.  h.  die  bei  der  Pflanzenwelt  offenbare  woltät 
Einwirkung  des  Sonnenlichtes  auf  Leben  und  Gesundheit, 
sjrmbolisch  auch  auf  die  hiiheren  Wesen  übertragen.  Mit  W 
Kuhn  u.  a.  anzunehmen ,  daß  die  Osterteuer  einer  Göttin  Osta 
die  Frühlingsfeuer  Donar,  die  Notfeuer  und  Johannisfeuer  1 
heilig  gewesen  seien,  liegt  keine  Veranlassimg  vor.  * 

In  jedem  der  besprochenen  Feuer  wird  zuweilen  noch  e 
Menschengestalt  verbrannt,  offenbar  nach  alter  Ueberlie 
rung;  auch  der  Judas  der  Osterfeuer  wird  als  ein  kirchlicl 
Gegenstück  einer  dadurch  zu  verbannenden  Volkssitte  zu  dent 
sein.  Der  Name  Ostermann  (o.  S.  505)  ist  einfach  der  Zeit  i 
Festfeier  entlehnt,  wie  Maikönig,  Mai,  Maja  u.  s.  w.,  ebenso  • 
Benennung  als  Fasching  (o.  S.  499),  wol  auch  Kupalo  (S.  51 
Sobald  man  die  eigentliche  symbolische  Bedeutung  des  Hergai 
nicht  mehr  verstand,  und  die  aetive  Prokreation  in  Abwehr 
das  Wachstum  hindernden,  schädlichen  Einflüsse  (Lustration)  i 
deutete,  war  es  natürlich,  die  Verbrennung  als  Vernichtung  ^ 
zufassen,  2  und  deshalb  die  verbrannte  Figur  auf  ein  den  Mensct 
Tieren  und  l^anzcn  feindliches  Wesen  (Tod  resp.  Winter,  H^ 
Pest,  Cholera)  zu  deuten.  Doch  weisen,  wie  es  scheint,  einze 
Spuren  noch  auf  die  ältere  Vorstellung,  so  die  Verbrenn** 
des  Erbsenbärs,    der  Vegetatiousdämon  ist  (o.  S.  499),   des 


1)  Ein  dem  nordischen  Freyr  entsprechender  deutöcher  Pro  ist  vm 
wiesen,  ihn  aus  jenem  Priaj)  des  Notfeuers  zu  schließen,  wäre  leiehtsir 
und  die  Göttin  Ostara  ist,  wie  sclion  o.  S.  505  erwähnt  wurde,  schwer 
etwas  anderes  als  eine  etymologische  Conjectur  Bedas. 

2)  Der  unumstölJliclio  Beweis,   da!J  diese   Verbrennung    wirklich  d 
Vernichtung  bedeutete,  sondern  nur  eine  unbeholfene  Verbildlichung  des  h 
durchiiussierens  durch  die  Sommerhitze  war,  crgiobt  sich  wie  mir  scheint 
den  Gebräuchen  des  PHugziehcns  am  Ende  dieses  Abschnitts. 


SeUulfolgeroDgen  üb.  d.  Hcdent  d.  Frfihlings-  a.  Mittsommerfeners.    523 

onaiugedroBcheneTn  Korne  gefertigten  Mannes  (o.  S.  499),  des 
gtnz  in  Blnnien  gehüllten,  also  ein  sommerliches  Wesen 
danteilenden  Engelmannes  (8.  514),  des  auf  dem  Baume  befestig- 
ten Strohmanns,   des   neben   dem  Baume  vor  eine   reiche  Tafel 
gesetzten  Knpalo   (o.  S.  514).     Der   in  Paris   verbrannte,    aus 
Briiem  gefertigte  g^ant  de  la  rue  aux  Onrs  (o.  S.  518)  erinnert 
an  die  Reisergestelle  unserer  Laubmänner,  Pfingstlümmel  u.  s.  w., 
denen  sich  das  mit  grünen  Blättern  bedeckte  Reisergestell  jenes 
Johannisbrauches   aus   Luchon    (o.  8.  515)   noch   mehr  nähert.^ 
Wir  wagen  aus  dem  allen  den  Schluß  zu  ziehen,  daß  man  einst 
die  Pappe   im  Frühlings-   resp.  Mittsommerfeuer   als  Vergegen- 


1)  Zanächst  entspricht  diese    im  Mittsomincrfcaer    verbrannte  18  Fuß 
kohe  Pnppe  ans  Flcchtwerk  in  Isle  de  France  augonscheinlicli  den  zn  Fast- 
lucbt  oder  an  einem  andern  Tage  des  Carnevals  in  Prozession  einhergcf&krten 
ttenormeg  mannesquins  d*osier'*    iu  Belgien   nnd   franzosisch  Flandern,   die 
lUter  der  Bezeichnung  reusjes,  goants  fast  in  jeder  Gemeinde  hergebracht 
Und.    Sie  ffihren  sehr  verschiedene  Sondernanien,  z.  B.  de  Rens  (Antwerpen), 
Ifcvroaw  van  Amazouie  (Courtrai),  Goliath  (Ath),  Ommcgan  (Brüssel),  Lange 
Ihn  (HaBselt).    Mme  Clement   fetos   historiqaes  II,   250—52.    De  Consse- 
■•tre  chants  pop.  p.  141.  Reinsberg-Dtiringsfeld,  Calendrier  Beige  1, 123—26. 
1»  Dünkirchen  war  der  Riese  40 — 50  Fuß  hoch  aus  Korbgeflecht  und  Scgel- 
^h  hergestellt,    mehrere  Menschen    befanden    sich   in  seinem   Innern   und 
***wegten  ihn  von  der  Stelle.     Zu  Douai  hat  der  Umzug  an  dem  dem  7.  Juli 
*^ächöt   liegenden    Sonntage    statt      Eine    Figur   von   24  —  30'    Höhe   aus 
'»eidengeflecht  (mannequin  d'osier)  „Ic  gaiant"   g»»nannt,  durch  eine  An- 
*hl  darin  eingeschlossener  Menschen  (renfermes  dans  la  machine)  mit  Hilfe 
^Oü  Wellen  nnd  Stricken   in  Bewegung  gesetzt,  bewegt  sicli  langsam  durch 
^c  Straßen.     Ihr  Kopf  aus  Holz  soll  von  Rubens  geschnitzt  und  gemalt  sein ; 
^«  trägt   die    ritterliche  Bewaffnung,   Lanze,    Schwert,   Helm   und   Schild. 
'hinter  dem  Riesen  (le  colosse  gaiant)   gehen  sein  Weib  mit^  einer  Taille  von 
^8' Umfang  und  seine  15'  hohen  Kinder  Jacot,  Filliou  und  Binbin,  Weiden- 
"^ren  nach   demselben  Prinzipe  construiert.     De  Nore,  coutumes  mythes  et 
^f^ditions  p.  323.     Eine   eigentümliche   Form   dieses   Umzuges   war    wol   die 
Prozession  der  Schmiedstubenzunft  in  Zürich  am  Hirsmontage    Montage  nach 
^Äcbcrraittwoch).    Mit  Wehr  und  Waffen  angetan  und  mit  klingendem  Spiele 
'TUgcn  sie  einen  Korb  herum,  in  dem  die  Figur  eines  Mannes  steckte 
^d  warfen    denselben    schließlich    in   den   Brunnen   des   Zunft- 
Waes  (Vernaleken,  Alpensagen,  Wien  1858    S.  3(^4,  30.)    Hier  vertritt  der 
Korb  das  Reisergestell,    die  Hinabwerfung   ins  Wasser   ist  deutlich  Regen- 
xauber,  die  Figur  wird  ehc<lem  aus  dem  Brunnen  herausgezogen  und  schließ- 
lich verbrannt  sein,  wie  kam  sonst  die  Zunft  der  Feuerarbeiter  dazu, 
weh  diese  uralte  Sitte   anzueignen?    Hirsmontag  ist  der  Tag  nach  Funken- 
wnntag.    Vgl.  o.  S.  500  ff. 


r)24  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzanber.   ' 

wärtigang  des  das  Sonnenfener  passiereudcn  Vegetation8dIiii.i 
zu*  verbrennen  pflegte.  Wenn  nun  (nach  S.  177  ff.)  der  v^ 
brannte  Banm  dem  Maibaume  gleichsteht ,  wenn  gerade  so  n 
hier  der  im  Maibaumc  lebendige  Genius  nicht  allein  durch  eu 
an  demselben  angebrachte  Figur  (o.  S.  210),  sondern  andersw 
auch  durch  einen  neben  ihm  hergehenden  ganz  in  Laub  gehüllta 
oder  in  einem  Reiscrgestcll  steckenden  Menschen  (o.  S.  312  ff. 
dargestellt  wird,  wenn  (nach  S.  180)  der  im  Sonnwendfeuer  ?cr 
brannte  Maibaum  durch  einen  den  holzeinsammelnden  Enabei 
voranfgetragenen  geputzten  Baum  ersetzt  wird,^  wenn  endfid 
dem  entsprechend  die  Anzündung  des  Johannisfeuers  durch  d» 
jüngstverheiratetc  Ehefrau  sich  als  Abschwächung  ihres  Sprunge 
durch  die  Glut  ergab  (o.  S.  494),  so  wird  der  nachstehend 
österreichisch -bairische  Brauch  als  eine  abgeleitete  ode 
jüngere  Form  fttr  die  Verbrennung  des  Laubmeier 
oder  Pfingstl,  jenen  in  grüne  Zweige  gebundenen 
oder  in  ein  grünbekleidetes  Reisergestell  gesteck 
ten  Vertreter  des  Wachstumsgeistes  verständlich.  Z 
Wolfeck  im  Erzherzogtum  Oestreich  geht  am  Sonnwendtage  ei 
ganz  in  grüne  Tannenreiser  gehüllter,  etwa  zwöl 
jähriger  Knabe  unter  zahlreicher  lärmender  Begleitung  von  Hai 
zu  Hause  und  sammelt  die  Scheiter  zum  Feuer  mit  den  Worten 

Waldbäumo  will  ich, 

Trink  'ne  saure  Milich, 

Bier  und  Wein, 

Da  kann  der  Wald  mann  schön  brav  lustig  sein.* 

Auch  auf  den  Höhen  des  Jura  in  Mittelfranken  führen  d 
Holzcinsammler  vor  Anzündung  des  Sibetsfeuers  ein< 
ihrer  Kameraden  vom  Kopf  bis  zur  Sohle  in  Fichte 
zweige  vermummt  an  einem  Stricke  durch  das  ganze  Dor 
In  Moosheim  (Würtcmberg)  wurde  am  zweiten  Sonntage  n^ 
Johannis  das  Sante  Hans  Segensfeuer  von  einem  aus  d< 
Walde  herkommenden,  in  Laub  und  Reisig  gehüllt 
Burschen  (der  den  später  zu  erklärenden  Namen  Moost 
führte)  ausgelöscht,  indem  er  mit  seinen  Füßen  es  z< 

1)  So  in  Anspach,  Hallstadt  in  Oberfranken  u.  s.  w.  Panzer  I,  217.  > 

2)  Baumgart^jn,  das  Jahr  und  seine  Tage.    Linz  1860.     S.  27. 

3)  Bavaria,  Mittelfranken.    S.  956. 


Ein  altgallisches  Jahrcsfeuer.  525 

at^  Dieses  Austreten  des  Feuers  ist  ein  deatlieher  Ueberrest 
leoudigen  Hindarchgehens  dureh  oder  über  die  Kohlen. 

§  9.  Ein  altgallisehcä  Jahresfeuer.  Da  bei  verschiede- 
en  asiatischen  und  europäischen  Völkern  (Phüniker,  Altpreußeu, 
itaaer  u.  s.  w.)  Menschenopfer  durch  Feuertod  nachweisbar  sind, 
Dd  da  wir  lebende  Tiere  im  Johannisfeuer  bis  in  neurere  Zeit 
3rbninnt  sehen  (o.  S.  515  ff.),  ist  die  Frage  nicht  müßig,  ob  es 
De  Zeit  gegeben  habe,  in  welcher  der  in  Laub  gehüllte  oder 

einem  Reisergestelle  wandelnde  Mann  selbst,  nicht  bloß  seine 
sÄochtene  Hülle  verbrannt  wurde.  J.  Grimm  Myth.*  579  urteilte 
»er  das  schottische  Maiieuer  (o.  S.  508),  daß  der  gezwungene 
eimalige  Hindurchlauf  des  dazu  durclis  Loos  Erwählten  durch 
e  Flammen  deutlich  auf  ein  Opfer  hinweise,  welches  eine 
sttmte  Gottheit  gnädig  stimmen  sollte,  an  dessen  SteHe  seien 
äter  Tieropfer  getreten  und  endlich  nur  ein  Springen  über  das 
uer  bei  Menschen  und  Tieren  übrig  geblieben.  Es  scheint 
r,  als  ließe  sich  ein  altes  Zeugniß  aufbringen,  welches  die  Ver- 
iimung  einer  dem  Pfingstl  ähnlichen  Puppe  sammt  mensch- 
hem  Inhalte  mindestens  sehr  wahrscheinlich  zu  machen  geeignet 
.  Dieses  Zeugniß  entnehme  ich  einem  fast  zweitausend  Jahre 
en  Berichte  über  eine  Feier  der  nämlichen  Gegend,  aus  welcher 

S.  516)  die  Verbrennung  der  laubumwundenen  Säule 
n   Flechtwerk    mit   Schlangenftülung    nachgewiesen   wurde. 

ist  uns  nicht  mehr  unmittelbar,  sondern  in  dreien  von  ein- 
der  abweichenden  Auszügen  bei  Caesar,  Diodor  und  Strabo 
lalten  und  gehört  ursprünglich  unzweifelhaft  den  Historien  des 
sidonius  an,  des  bekannten  rhodischen  Philosophen,  der  im 
hre  104  V.  Chr.   von  Massilia  aus  den   den  Römern  seit  etwa 

Jahren  unterworfenen  südlichen  Teil  von  Gallien  als  wissen- 
liatUicher  Forschungsreisender  besucht  und  ein  nicht  unbedeu- 
ades  Material  naturwissenschaftlicher  Beobachtungen  geschicht- 
:her  und  sittengeschichtlicher  Erkundigungen  gesammelt  hatte, 
sine  Schrift  liegt  als  Hauptquelle  der  Schilderung  von  Gallien 
►wol  bei  Strabo  (in  dem  19  n.  Chr.  geschriebenen  vierten  Buche 
ir  Erdbeschreibung)  als  bei  Diodor  (in  dessen  etwas  früherer 
irischer  Bibliothek  Buch  V)  zu  Grunde.*  Wir  stellen  zunächst 

1)  Birlinger  II,  121,  146. 

2)  Cf.  Grosskurd  Strabos  Erdbeschreibung.  Berl.  1831.  L  p.  XVIII,  XLI. 
'^1  Pofddonii  Rhodii  reliqoiae  doctrinae  Lugd.  Bat.  1810.  p.  Iö3. 


526 


Kapitel  VI.     Vegetationsgeister :  Sonnenzauber. 


den  Wortlaut  der  Angaben  Caesars,  Strabos  und  Diodors  zur 
Vergleichung  neben  einander,  um  sodann  den  Versueh  zu  macben, 
unter  Feststellung  ihres  literarischen  Verhältnisses  den  durch  sie 
bezeugten  äaehverhalt  herauszuschälen. 


Caes.  B.  G.  VI.  16. 

Nachdem  Caesar  von 
den  mit  Hinzuziehung 
der  Druiden  durch  Privat- 
leute dargebrachten  Men- 
schenopfgrn  bei  Krankheit 
oder  Lebensgefahr  gespro- 
chen, fahrt  er  fort:  Pjabli- 
cequo  habent  instituta 
sacrificia.  Alii  immani 
magnitudine  simu- 
lacra  habent,  quorum 
contcxta  viminibus 
membra  vivis  homini- 
bus  complcnt,  quibus 
Buccensis  circumventi 
flamma  exanimantur 
h  0  m  i  n  e  s.  S it ppl icia 
eorum,  qui  in  furto  aut 
latrocinio  aut  aliqua 
noxa  sunt  comprehensi. 
gratiora  dm  immortali- 
bus  esse  arbitrunturj  sed 
cum  eitis  generis  copia 
deficit,  etiam  ad  innucen- 
tium  supplicia  descendunt. 


Strabo  IV.   C.    198. 

**Ed-vov  Sk  ovx  äv€v 
/Jqvi  ^(üV.      xal    ttXXa    Si 

Ttti.  ;r«l  yccQ  xaTeTo^svov 
Tivag  xal  clvtaTuvQOvv 
Iv  ToTg  Ugoig  xal  xaza- 
ax€vdaavTig  xokoaaov 
XOQTov  xaC  ^vliov  ifi- 
ßaXovjfs  ffs  TovTov  ßoaxrj- 
f^ara  xal  ^rjQia  navrola 
xal   avi^QWTtovg    takoxav- 

TOVV. 

Str.  C.  197. 
(Meineke  270.) 

ras  Sk  (fovixäg  SC' 
xag  judliata  rovzot'g  (jQv'i- 
Jatg)  (TnTiTQUTijo  Sixu^HV, 
orav  6k  (fooa  xovrtav  J, 
(fOQav  xal  trjg  )^toQag  vo- 


Diod.  V.  32  (415  Dindnf). 

jixolov&tiK  ^k  r$  xan 
avTüvg  dyQtoTfiTi  xal  nr 
rag  O^valag  ixrdnmg  cccv 
ßovai.  Tovg  yuQ  xaxovm 
yovg  xaric  ntyraini^m 
(fvld^ttVTig  avaaxoXoi^ 
Covoi  ToTg  &eotg.  aas 
uer*  ttlXwv  nokk^y  oiric 
Xoiv  xa&ay(iovat  nvqm 
n afA fx^yi^ng  xtttm 
axevdCovTfg.  jf^w»" 
Jk  xal  toTg  atx,u»ktürmg  m 
hQ((oig  nQog  rag  rmw  ^tm 
Ttfidg,  Tivkg  dh  avtwf  ae 
r«  xara  nokiuov  kriq,&ita 
C(^a  /ufT«  TtSv  dv^^tinm 
(CTToxTeh'Ovatv  ?  xara  »«• 
ovaiv,  TJ  riaiv  äkkaig  it 
jbiOQ  (ai  g  d(f€t  %'iCo  vai . 


Wir  dürfen  voraussetzen,  daß  Caesar,  wenn  er  einem  älteren 
Berichte  auch  den  Grundriß  seiner  allgemeinen  Schilderung  von 
Gallien  B.  G.  VI.  13  —  20  entnahm,  bei  der  Fülle  des  ihm  zu 
Gebote  stehenden  Materiales  keine  Einzelheiten  daraus  entliehen 
haben  wird,  welche  er  nicht  entweder  aus  eigener  Eriahrung 
verbürgen,  oder  nach  besserem  Wissen  stillschweigend  berichtigen 
konnte.  Wahrscheinlich  also  ist  seiner  Angabe  Glauben  beizu- 
messen, daß  auch  noch  zu  seiner  Zeit  (habent,  com- 
plent)  aus  Zweigen  geflochtene  menschenähnliche 
Figuren  mit  Gliedern  von  übermenschlicher  Größe 
dazu  dienten,  Menschen  aufzunehmen,  welche  nach  An- 


Ein  altgallischetf  Jahresfeuer.  537 

ifindaDg  des  Flechtwerks  von  unten  her,  d.  h.  vermöge  emes 
dtnim  aolgeschichteten    Hcheiterhaufens    durch    Bauch    and 
flitze  umkamen.    Es  ist  klar,  daß  diese  riesigen  Gebilde  mit 
jsier  am  Johannistage  in  Luchon   verbrannten  Säule,    mit  dem 
iB  Pariser  Sonnwendteuer  entflammten  „mannequin  d'osier'*  von 
<faei&cher  Menschengröße, ^  sodann  aber  mit  den  Gestellen  Aehn- 
Ikiikeit  haben,  in  welchen  unsere  Laubmäuner  (o.  S.  322.  323. 
Üb)  einherschreiteu ,   z.  B.    der  Latzmann    am  Johannistage   in 
eoem   etwa    12    Fuß    hohen    pyramidalen    oder   kegelt^^rmigen 
Lattengestelle,  umherwandelt,  das  ganz  mit  grünen  Tannenreisem" 
iie^eidet  ist.     Doch  erhellt  nicht  (denn  der  Wortlaut  des  latei- 
oischeD  Textes  erlaubt  beide  Autfassungen),  ob  jede  solche  Figur 
Ton  nur   einem   Menschen    ausgefüllt   wurde,    wie   bei    unserm 
Pfingsd,  oder  ob  Caesar  sagen  wollte,  daß  das  Keisergestell  jedes- 
nal  mehrere  Menschen ,  etwa  in  jedem  Gliede  einen ,  aufnehmen 
iuiBte.    Mit  dieser  Nachricht  Caesars  stehen  die  parallelen  An- 
(tben  Strabos   und   Diodors  ebensosehr   teilweise  wirklich  oder 
tebeiDbar  im  Widerspruch,   als  sie  unzweifelhaft  dieselbe  Sache 
kteichnen  sollen  und  aul'  dieselbe  Grundlage  zurückgehen.    Für 
*  l^tKteres  spricht  außer  der  allgemeinen  Aehnlichkeit  des  im  näm- 
^en   Zusammenhange    erwähnten    Gegenstandes    der    überein- 
stimmende Ausdruck  i m m  an  i  maguitudiue  simulacra,  x  o  /  o  a  o  n  s:, 
''*"^i;    7caii/teyt  &ei  ^;   in    letztere    sehr    allgemein    gehaltene 
^*Ärase  verflüchtigt  Diodor  die  concretere  und  ausführlichere  Dar- 
^*^llung   der   verbraimten  ßiesenpuppe  und   ihrer   Umgebung  in 
l^^er  Vorlage,  von  deren  Wortlaut  bei  ihm  und  Strabo  noch  da« 
^fbum    y,acmi/.LvaC^tn'    (Str.  '/j(i;ußy.£viiacci'itg ,    Diod.  zataaxtta- 
'*^iag)  stehen  geblieben  ist.    Daß  aber  Caesar  den  Figuren  aus- 
^^cklich  aus  Baumreisern  geflochtene  Glieder  beilegt, 
*^^lit  von  Strabo  ab,  der  den  Riesenkerl  aus  llolz  und  Gras, 
'    1l  doch  wol  aus  einem  Gestelle  von  Latten  oder- Baumzweigen 


1}  Schon  Liebrecht,  Gervasius  von  Tilbury  p.  213  steUt  den  geant  de 
rue  aox  Ours   mit  Caesars   ,,simulacra  viminibus   contexta"   zusammen. 
Bezng  anf  die  Zeit  der  letzteren  Begeliung  bemerkt  er:  „dali  jenes  von 
erwähnte  Opfer  zu  bestimmten  Zeiten  veranstaltet  wurde,  lassen 
von  ihm    hinzugefüj^ten  W^orte    vermuten    „„supplicia  —  descendunt."*' 
V'o  man  auch  Unschuldige  dem  Tode  preisgab  und  zwar  nur  dann,  wenn  es 
todeswürdigen  Verbrechern  zur  Darbringung  des  Opfers  fehlte,   da  maltte 
ein  feststehendes,  regelmäiÜg  wiederkehrendes  sein/' 


r^  Kapitel  VI.    Vegetatiousgeister :  Sunnenzaaber. 

mit  einer  Bekleidung  von  grünen  Kräutern  und  Wiesenblu] 
bestehen  läßt  Strabo  kann  nicht  durch  Caesar  auf  seine  Anga 
gekommen  sein.  Entweder  also  vereinigte  die  ihnen  beiden 
Grunde  liegende  Quelle  die  Merkmale  der  Riesenpuppe,  d 
(menschenähnlichen)  Glieder,  des  Geflochtenseins,  de 
üeberkleidung  mit  Pflanzen,  oder  wir  werden  annehme 
dürfen,  daß  Caesar  hier  nach  den  Ergebnissen  seiner  Erfahnn 
den  Ausdruck  des  Originals  verändert  und  uns  dadurch  ei 
zweites  Zeugniß  für  den  nämlichen  Brauch  aufbewahrt  hat  W\ 
begreifen,  wie  wol  es  möglich  war,  daß  nach  Zeit  und  Ort  vei 
schieden  die  kolossale  Meuscheufigur  bald  aus  Weiden,  bald  lo 
festeren  Latten  zusammengefügt  sein  konnte. 

Caesar  meldet  nur  die  Verbrennung  von  Menschen;  Strab 
sagt,  man  habe  einige  Meuschcn  erschossen  und  (andere?)  u 
Pfähle  gespießt,  (noch  andere?)  in  dem  von  Gras  umkleidete 
Holzriesen  verbrannt  Das  letztere  Schicksal  teilten  Weidevie 
(Schafe,  Ziegen,  Schweine  und  dgl.)  und  andere  Tiere  (Hflhse: 
Gänse,  Katzen?),  indem  man  sie  in  den  Koloß  hineinwarf.  Dh 
dor  hingegen  sagt  ans,  daß  man  die  t)ir  ein  gewisses,  alle  5  Jahi 
veranstaltes  Opfer  bestimmten  Menschen  (zuerst?  teils?)  pftU' 
und  (sodann?  teils?)  in  Gemeinschaft  mit  vielen  andern  Ers 
lingeu  verbrenne  {y.aiyuyiZoioi).  Unter  d/caQ/ai  (ein  charact« 
ristischer  Ausdruck,  der  wol  aus  dem  Originale  übrig  ist)  müsse 
hier  unzweifelhaft  den  Druiden  übergebene  und  flir  diesen  heilige 
Zweck  aufbewahrte  Erstlinge  der  Herde  und  des  Federviel 
verstanden  werden,  die  ßnoAn^^iaca  und  .favcnHu  Di^qIu  des  Stral> 
Ihr  Schicksal  war  nicht  durchgehend  bei  lebendigem  Leibe  s 
Asche  verbrannt  zu  werden.  Denn  Diodor  selbst  Itihrt  im  A.^ 
Schlüsse  an  obige  Notiz  den  Gedanken  aus:.  Für  gewöhnÜ^ 
verwendet  man  Verbrecher  und  Erstlinge  (der  Tiere)  zu  (dieflC 
Opfern;  unter  Umständen  aber  (statt  dessen)  Kriegsgefang^- 
und  zuweilen  auch  im  Kriege  erbeutete  Tiere,  welche  sie  zuglei 
mit  den  Menschen  tödten  oder  verbrennen,  oder  auf  irgend  ei 
andere  grausame  Art  aus  der  Welt  schaffen.  Da  diese  BeH 
tiere  offenbar  Stellvertreter  jener  anderen  a //«(>/«/  waren, ^   J 


1)  Dies  bestätigt  auch  Caesars   selbstständige  oder   etwas  verftnd^ 
Notiz,  B.  G.  VI,  17.     Huic  (Marti)  cam   proelio  dimicare  constituerant, 
qnae  hello  ceperunt,  deuovent;  quae  superaverint  animalia  capta  imiDol^ 


Ein  altgallisches  Jalircsfcaer.  629 

sich  aach  diese  letzteren  nicht  immer  oder  nicht  sämmtlich 
ib  verbrannt,  noch  weniger  als  sammt  und  sonders  in  das  Riesen- 
Ud  geworfen  zu  denken;  der  Originalbericht  mußte  dies  aus- 
pdrildLt  haben;  ihrer  war  darin  somit  schon  früher  und  nicht 
Bao  enger  Beziehung  zu  dem  Kolosse  wie  bei  Strabo  gedacht. 
)a  flieh  Caesars  Schweigen  Ut>er  Tieropfer  hinzugesellt,  liegt  die 
fermotong  nicht  ferne,  daß  die  Originalaufzeichnung,  welche 
wrol  von  Strabo  als  von  Diodor  stark  ins  Kurze  gezogen  wird, 
wir  der  Tiere  und  ihrer  Verbrennung  gedacht  ha])e,  aber  nicht 
b  einer  Fttllnng  des  menschenähnlichen  Lattengehäuses,  sondern 
keines  notwendigen  Stückes  der  ganzen  Darbringung;  daß  aber 
krabo  irrtümlich  herauslas,  sie  seien  nicht  allein  überhaupt 
otverbrannt,  nicht  allein  auf  den  Seheiterhaufen  geworfen,  son- 
kn  auch  in  die  Bildsäule  hineingeschleudert  worden. 

Diodors  Erwähnung  der  /.crAovQyoi  zeigt  den  engen  Zusam- 
iienhang,  in  welchem  in  der  Urschrift  der  Caesarische  Satz 
ifloppUcia  —  descendunt"  mit  dem  Inhalte  der  vorhergehenden 
'Triode  stand.  Sein  Ende  ,^ad  innocentium  supplicia  descendunt '' 
iitflpricht  den  Worten:  xQiJvtaL  de  xal  roig  alxftahiraig  bei 
Sodor,  der  den  in  der  Urschrift  ausgedrückten  Gegensatz 
^orch  abschwächt,  daß  er  die  zum  Tode  verurteilten  Verbrecher 
er  unerwähnt  läßt,  weil  er  sie  schon  früher  genannt  hat.  Wie 
tesar  die  Kriegsgefangenen  in  unschuldige  Menschen  überhaupt 
tallgemeinert ,  hat  er  auch  den  Satz  „supplicia  gratiora  diis 
tnortalibus  esse  arbitrantur"  an  Stelle  einer  in  seiner  Quelle 
thaltenen  bestimmteren  Angabe  geschrieben,  die  ich  mit  Sicher- 
it  in  der  von  Strabo  wenige  Zeilen  weiter  nach  oben  in  einen 
dem  Zusammenhang,  in  die  Aufzählung  der  Functionen  des 
nüdenstandes  geschobenen  Bemerkung  erkennen  zu  dürien  meine, 
a  Druiden  liege  auch  das  Gericht  über  die  Blutschulden  \  ob, 
snn  es  von  diesen  eine  Fülle  ((poga  =  große  Menge  cf.  (poQcc 
fodoTiüv  y.al  dioQoön/Mv  Dem.  18,  61)  gebe,  so  glauben  sie, 
Folge  auch  des  Landes  Fülle  (q^oga  Fruchtertrag,  Gegensatz  zu 
poqia).     Im  Contexte   des   Strabo   erscheinen  diese  Worte  un- 


liquas  res  in  unum  locuin  confemnt.  Offenbar  wurden  nicht  alle  im 
&mpfe  erbeuteten  lebenden  Wesen  als  Siegesopfer  dargebracht,  sondern  nur 
^^ti(  davon.  Es  steht  nichts  im  Wege,  dafi  ein  weiterer  Teil  dieser 
'»«(Mfa^  noch  bei  anderen  gottesdienstlichen  Begehungen  als  den  Sieges- 
^««^  Verwendung  fand. 


530 


Kapitel  VI.    Vegctationsgeister:  Sonoenzaaber. 


gereimt,  an  den  Blntscholden  als  solchen  konnten  die  G5t 
nicht  Gefallen  finden.  Meinecke  wollte  vor  dem  ersten  tpa 
dajB  übrigens  durch  das  zweite  g)OQd  veranlaßt  und  ganz  < 
gezierten  Schreibweise  des  Posidonius  gemäß  ist,  eine  Ltt^ 
annehmen.^  In  Wirklichkeit  sind  aber  von  Strabo  nur  zi 
ursprttngUch  nicht  zusammengehörige  Notizen  sehr  ongeschi 
mit  einander  verbunden.  Die  erstere  von  beiden,  nämlich  * 
de  q>ovixag  dixag  fiahata  Tovroig  iTteriroa/rTO  dixd^uy^^  t 
spricht  Caesar  VI,  13:  „nam  fere  de  omnibus  oontrover 
publicis  privatisque  constituunt,  si  qnod  est  admissum  facinoft . 
caedes  facta,  si  de  haereditate,  de  finibus  controversia  est,  iid 
decemunt,  praemia  poenasque  constituunt^'  etc.  Habe  nun  je 
diese  Angabe  aus  Caesar,  oder  fand  sich  dieselbe  schon 
Posidonius,  jedenfalls  stand  sie  nicht  in  unmittelbarem  Zusamm 
hange  mit  dem;  folgenden  Satze,  den  Strabo,  der  die  einzel 
Excerpte  aus  seiner  Vorlage  nach  neuen  Gesichtspunkten  fc 
durcheinandermischt,  ^  ganz  anderswoher,  notwendig  aber 
einem  Stücke  entlehnt  haben  muß,  in  welchem  von  Verbrecb 


1)  Vindiciae  Strabon.  p.  44. 

2)  Soviel  ergiebt   sofort  die  Analyse  des  Kap.  IV,  4,  4 — 5  bei  Sfc 
im  Vergleich  mit  Diodor.     Bezeichnen  wir   bei   letzterem  in  Cap.  V,  31 
Reihenfolge  der  einzelnen  Sätze  mit  ic-if  bei  Strabo  durch  beide  Oapitel 
a-n,  80  entspricht: 


Strabo  IV,  4,  4.  C.  197. 

=   Diod.  V.  = 

=    Caes.  B.  * 

a)  Drei  geehrte  Stände,  Barden,  Weis- 

c. 31  (ß) 

13 

sager  (vates),  Druiden. 

cf.  Am 
Marc.  L 

b)  Druiden,    Philosophen    und    Natur- 

31  (/») 

1 

kundige. 

AmmiA 
a. 

c)  Sie  haben  selbst  Kriege  geschlichtet. 

31  (*) 

• 

d)  Blutschulden    zu    richten    war    ihnen 

übertragen. 

e)  War  von  Verbrechern  Fülle     so  gab 

cf . 

es   reichen  Pruclitertrag. 

f)   Unsterblichkeit      der     Seelen      und 

Am 

Eschatologie. 

cf 

EiB  altgallischcs  Jahresfeaer. 


531 


&  Bede  war.  Da  dies  nur  noch  an  einer  zweiten  SteUe  der 
M  iti,  ergiebt  sieh  folgerichtig  fUr  die  fragliche  Angabe  folgen- 
der Platz  im  Gredankengange  des  Originals.  Für  das  große  zu 
gewissen  Zeiten  zu  veranstaltende  Opferfest  spart  man 
die  nun  Tode  verurteilten  Verbrecher  auf.  Wenn  von  solchen 
Verbrechern  eine  große  Zahl  da  ist,  so  glaubt  man 
(fOfULflcai  Str.y  arbitrantur  Caes.),  daß  auch  dos  Landes 
Ertrag  groß  sein  werde.  (Nicht  sowol  von  der  Zahl  der 
Criminalflille,  als  der  Menge  der  Opfer  hängt  hiemach  die  Menge 
derFrttchte  ab.)  Wenn  aber  keine  Fülle  vorhanden  ist, 
greift  man  zu  Kriegsgefangenen.  Es  ist  leicht  einzusehen, 
wie  genau  sich  Caesar  („cum  eins  gencris  copia  deficit'')  an  das 
to  gleichlautende  (poga  des  Tosidonius  anschließt  Auch  das 
geht  wol  aus  Diodor  hervor,  daß  der  ursprüngliche  Bericht- 
erstatter, des  Posidonius  römischer  Gasttreund  oder  er  selbst  die 
besehriebene  Kultushandlung  auf  emem  großen  von  5  zu  5  Jahren 
wiederholten  Opferfeste  sah. 

Waren  unsere  Iteobachtungen  und  Schlüsse  zutreffend,  so 
werden  wir  als  ausgemacht  bezeichnen  dürt'en,  daß  bei  dieser 
Gelegenheit  aus  Weiden  geflochtene  Menschenbilder 
von  mehr  als  Lebensgröße,  in  denen  lebende  Men- 
schen steckten,  verbraunt  wurden,  daß  zugleich  andere 
Menschen  und  außerdem  Tiere  gepfählt,  erschossen  und  vielleicht 


Strabo  IV,  4,  5.  C.  li»7. 


=    Diüd.  V.   =    Caes.  B   G.  VI. 


K)Character     der     Gallier    Prahlsucht 

31  (.) 

und  Putzliebe. 

•'l  Goldene  Hals-   und  Armbänder. 

27 

>  Bnntgeförbte  Kleider. 

30 

k)  Köpfe  der  erschlagenen  Feind«*. 

2i) 

*)  Weissagung  bei  Opfern. 

31  (;) 

^)  Sie  opfern  niemals  ohne  Druiden. 

31  W 

cf.  Oaes.  16. 

^)  MeuBchenopfer. 

32 

Ana  dieser  Zusammenstellung  geht  mit  Sicherheit  hervor,  daß  Str.: 
^ '^  e  den  alten  Zusammenhang  h  1'  unterbrochen,  mit  Wahrscheinlichkeit, 
^ß  Str.  e  mit  c  nach  m.  mithin  unmittelbar  in  die  Nähe  von  n  hingehört 
habe. 

34* 


532  Kapitel  VI.    Ve^^etatioiisgeister:  Sonnenzanber. 

auch  auf  demselben  Scheiterhaufen  mit  verbrannt  sind.  V^ 
der  Zahl  dieser  Opfer  hing  vermeintlich  die  FrucT 
barkeit  des  Landes  (wol  in  dem  folgenden  vierjährigen 
räume)  ab. 

Unentschieden  muß  es  bleiben,  ob  einer  oder  mehrere 
sehen,  vielleicht  gar  Tiere  in  dem  Reisergestelle  stedL-C 
Caesars  Ausdruck  „deren  Glieder  sie  ausfüllen'^  (e<3 
plent),  würde  eher  auf  die  Weise  unserer  Laubmänner  ml 
lassen,  so  daß  ein  einzelner  Mensch  mit  seinen  Gliedern  in  d( 
entsprechenden  Gliedern  der  Figur  darinsteckte /)  wenn  iiiet 
die  „copia^^  im  folgenden  Satze  wieder  auf  eine  gleichzei% 
Vielheit  von  Menschenopfern  hinwiese.  Aber  Caesar  könnte  darin 
bei  flüchtigem  Auszüge  aus  Posidonius  die  Gepfählten  und  Er- 
schossenen  mit  einbegriffen  haben,  welche  nach  Strabo  aufterhalb 
des  Weidenmannes  mitverbrannt  wurden. 

Mag  nun  diese  Sache  sich  verhalten  haben  wie  sie  wolk^ 
so  scheint  mir  die  von  Posidonius  geschilderte  Sitte  im  ZnauBr 
menhange  mit  unseren  Oster-  oder  Johannisfeuem  zu  steh^; 
mit  anderen  Worten  die  Feuerweihe  des  Vegetatiousdämons  oder 
der  Vegetationsdämonen  bezeichnet  zu  haben.  Falls  die  init 
grünem  Kraute  umhüllte  zur  Vermehrung  des  Feldertrags  (ffH!^ 
X(o()C(g)  verbrannte,  sicher  nicht  bedeutungslose  Kiesengestalt  »oä 
Baumzweigen  nur  einen  Menschen  enthielt,  wird  derselbe  dieitoi 
d.  h.  dem  Baumwucbse,  den  Kräutern  innewohnende  Seele  «u 
bezeichnen  bestimmt  gewesen  sein ;  falls  sie  abef  wirklich  mehrere 
Menschen  barg,  wrd  sie  dennoch  nur  ein  Wesen  dargestfiß 
haben.  Die  Mehrheit  oder  Vielheit  der  Insassen  kann  dabei  ^ 
verschiedene  Weise  erklärt  werden.  Entweder  sollten  dieseW^ 
durch    Vervielfältigung   (Multiplication)    der   Menschenseele    V'« 


1)  Es  ist  schwierig,  von  der  technischen  Herstellung  des  Gestelles  ^ 
Vorstellung  zu  gewinnen,  wenn  dasselbe  etwa  eine  Figur  mit  ausgestrecJ^ 
Armen  und  gespreizten  Beinen  gebildet  hätte,  die  zur  Aufnahme  mehr^ 
Menschen  bestimmt  waren.  Wie  hätten  die  Glieder  ohne  Stütze  die  X^ 
ertragen?  Lag  der  Mensch  horizontal  darin?  Oder  waren  die  Arme  0* 
so  groß,  daß  mehrere  Menschen  darin  sitzen  konnten?  Wie  riesig,  der 
ria  in  München  ähnlich,  hätte  dann  der  Koloß  sein  müssen?  Und 
dann  noch  aus  KorbgeÜccht  möglich?  Verzichtete  man  freilich  auf  ^ 
gestaltete  Beine,  nahm  man  Stützen  zu  Hilfe,  so  konnten  immerhin  i^^ 
Art  jener  niederländischen  Riesenbilder  in  Füßen  oder  Rumpf  mehrere  "if-* 
sehen  verborgen  sein. 


Ein  altgallisches  Jahresfener.  538 

reise  die  Macht,  Stärke  nnd  Ucherlegenheit  der  Seele  des 
aiuärttcken,  oder  sie  gründen  sich  auf  die  Anschauung 
3r  Mehrheit  in  einem  Leibe  wohnender  Seelen  (o.  S.  25). 
ön  Fällen  würden  selbst  die  nach  Strabo  in  den  Koloß 
worfenen  Tiere  hinzupassen.  Die  Frage,  ob  die  außer- 
B  Itiesenkerls  verbrannten  Menscten  und  Tiere  etwa  die 
5  oder  ähnliche  symbolische  Bedeutung  hatten,  werden 
späteren  Verlaufe  unserer  Untersuchungen  mit  mehr  Erfolg 
enblicklich  verhandeln  können.  Bemerkt  darf  jedoch 
daß  die  Gepfählten,  welche  Strabo  und  Diodor  erwähnen, 
Puppen  auf  den  im  Frühlingsfeuer  verbrannten  Bäumen 
7  ff.)  erinnern,  und  daß  die  Katzen,  Füchse,  Hühner  u.s.w., 
¥rir  im  Johannisfeuer  u.  s.  w.  verbrannt  sehen,  sich 
Q  als  Repi^töentanten  von  Komdämonen  erweisen  werden. 
l  der  nämliche  Gedanke  durch  die  in  der  Riesenfignr 
ilossenen  und  durch  die  nebenher  Gepfählten  doppelt 
3hrfach  dargestellt  wäre,  dieser  Pleonasmus  dürfte  uns 
under  nehmen,  da  die  Frühlings-  und  Emtegebräuche 
'ach  die  Erfahrung  bestätigen,  daß  von  verschiedenen 
er  verschiedene  Formen  eines  und  des  nämlichen  Brauches 
•  Begehung  zusammenflössen  und  zwar  um  so  gewisser, 
die  letztere  eine  besonders  feierliche  und  prächtige  wird, 
r  aber  hier  der  Fall,  denn  augenscheinlich  nur  wegen 
ztlglich  reichen  und  kostspieligen  Ausstattimg  des  viel- 
'on  einer  ganzen  Eidgenossenschafl  mehrerer  Stämme 
m  Festes  war  die  Feier  aus  einer  jährlichen  zu  einer 
rischen  geworden.  Analogien  bieten  die  bisher  erläuter- 
uche  in  Fülle.  Der  ursprüngliche  Ausritt  des  Maigrafen 
Hildesheim  später  nur  jedes  siebente  Jahr  statt  (oben 
;  der  Pfingstritt  in  Wumilingen  alle  2 — 3  Jahre 
0),^  die  Questenberger  Eiche  (Maibaum)  wird  alle  7  Jahre 
htet  (o.  S.  175).*  Um  Königinhof  wird  der  anderswo  jähr- 
m  Erntefest,  zu  Fastnacht  oder  zur  Kirch  weihe  geübte 
ehlag"  mit  besonderem  Glänze,  aber  nur  alle  5  Jahre 
n,*    das    zu    einer    von   Tausenden   fremder  Zuschauer 


?ap8t,  Fest  des  Maigrafen.    S.  43.    Meier  419,  101. 
Eleimaun,  D.  Volksfeste.    S.  250. 
iTernaleken,  Mvthen  und  Branche,  305. 


534  Kapitel  VI.    Ve^tationsgeiBter :  Sonnenzanber. 

besuchten  SchausteUnng  herangewachsene,  sehr  yerschiedene 
und  sonstige  Frühlingsgebräuche  in  sich  vereinigende  Pflngfe 
zu  Holl  jedes  siebente  Jahr  veranstaltet.  Zu  Greven  mtlBsen  d 
jungen  Ehepaare  zu  Fastnacht  alle  vier  Jahre  in  den  Wasse 
kttbel  springen  (o.  S.  491).  Man  braucht  nicht  auf  das  nalm 
liegende  Beispiel  des  Oberammergauer  Passionsspiels  zurflcks 
greifen,  oder  auf  die  böotischen  Daedalen,  welche  alle  7  Jalm 
gefeiert  wurden,  obwohl  sie  die  jährliche  Brautschaft  des  Ze-i 
mit  der  Hera  versinnbildlichten,  um  gewiß  zu  werden,  daft  ^ 
ganz  analoger,  in  der  Natur  der  Dinge  liegender  Vorgaj 
auch  schon  vor  Posidonius'  Zeit  in  Gallien  stattgefunden  hat^ 
konnte. 

Der  Kulturzustand  Galliens  zur  Zeit  des  Posidonius  y^^ 
eine  Mischung  roher  Barbarei  und  nicht  unbedeutender  Ans&'i 
der  Bildung  auf  Unmöglich  konnte  in  diesem  2jeitalter  hes 
nender  Aufklärung  das  beschriebene  Menschenopfer  entstand 
sein,  vielmehr  ragt  es  seihst  als  ein  wahrscheinlich  schon  dama 
nicht  mehr  recht  verständlicher  Rest  einer  noch  älteren  W^ 
anschauung  der  Gallier  in  die  Periode  des  Marius  hinein. 

Aus   dem    Dämmerscheinc,   in   den   fUr   unsere  Augen      ^ 
Einzelheiten  dieses  keltischen  Ritus   gehüllt  bleiben,    führe 
meine  Leser   zurück    in    den    hellen    Tag    noch    lebender    o^ 
unlängst  ausgestorbener   Bräuche.     Unsere  Frühlings-   und  MT 
Hommerteuer  bieten  der  Betrachtung  so  manche  fruchtbare  Ein» 
heiten  dar,  daß  eine  eingehende  monographische  Behandlung  »• 
erwünscht  wäre.    Wir  müssen  Vieles  bei  Seite  lassen,  z.  B. 
eingehende  Erörterung  der  in  die  Flammen  geworfenen  Kran 
sowie  das  dem  Johanuisfeuer  häufig  zugesellte,  oft  auch  tHr  ' 
auftretende  Johannisbad  in  Bach,  Strom  oder  Meer  (Myth.*  55 
Wolf,  Bcitr.  11,  392.  394),  das  wir  gleich  dem  Begießen  zu  Of 
(o.  S.  259)   als  Regenzauber   auffassen  würden,    wenn   nicht 
weite   bis   nach  Afrika   hinreichende  Verbreitung  dieser  Sit 
sehr  früher  Zeit  zu  vorsichtigem  Urteil  mahnte. 

§  10.     Fackollauf   Ober    die   Kornfelder.      Nur    ' 
Ergänzungen  zu  den  bereits  behandelten  Eigenschaften  der 
und  Sonnwendfeuer   sollen   an   dierer   Stelle    Platz    finden 
unseren  Zusammenstellungen  geht  mit  unwiderleglicher  Sic^ 
her\'or,   daß   ein  Fackelzug  zu   den  wesentlichen  Bestar 
aller   Arten    unserer   Jahresfeuer    gehörte.     Entweder   zo 


Faekellaaf  über  die  Kornfelder.  535 

schon  mit  flammendeu  Fackeln  anf  die  Anhöhe,  wo  das  groBe 
FitUdings-  oder  Sonnwendteaer  entloht  wurde,  oder  man  zündete 
sie  erst  oben  in  demselben  an,  tanzte  tobend  und  mit  exsta- 
tischen  Sprüngen  rings  umher  und  lief  dann  talwärts 
durch  die  Gesammtheit  der  zum  Anbau  dienenden  Fel- 
der (den  Ekich,  Oeseh,  goth.  atisks,  ahd.  ezzisc,  bei  Notker  „der 
heilego  ezesg^'  Gram.  II,  373).  Vicliach  wurde  nicht  mehr  auf 
Berggipfeln,  sondern  auf  den  Äckern  selbst  das  Feuer  entloht; 
oder  die  ganze  Begehung  schrumpfte  auf  den  Umlauf  mit  den 
Bränden  durch  die  Saatfelder  zusammen.  Vorzugsweise  trat  dies 
bei  den  Feuern  am  Sonntage  nach  Fasten  ein.  Auf  diese  Weise 
erlangten  losgerissene  Stücke  des  alten  Brauches  eine  individuelle 
Selbstständigkeit:  oft  vielleicht  nicht  anders  als  scheinbar,  inso- 
fern nur  die  Berichte  der  übrigen  Bestandteile  der  Sitte 
geschweigen.  Es  frommt,  diese  Verhältnisse  nach  Anleitung  der 
nachstehenden  Tatsachen  klar  zu  durchschauen. 

Um  Rottweil  wurde  am  weißen  Sonntage  (Invocavit)  im 
Winterösch  ein  Feuer  angezündet,  um  der  Saat  Gedeihen  zu 
erflehen  und  unter  lautem  Abbeten  des  Kosenkranzes  umher- 
gelaufen; nachher  zündete  man  Stangen  mit  Strohzöpfen  an, 
schwang  sie  und  sprang  über  das  Feuer.  Dann  erbettelten  die 
Baben  von  Haus  zu  Hause  Victualien.  *  In  Wurmlingen  dagegen 
w>gen  die  Knaben  mit  schon  brennenden  Fackeln  (aus  Stroh 
inwendig  Späne  oder  aus  Holz  von  ungeheurer  Länge  und  mit 
Harz  bestrichen)  bei  einbrechender  Nacht  auf  den  angeblümten 
Oesch  hinaus,  um  die  eben  aufkeimende  Saat  den  Sommer 
hindurch  voV  Blitz  und  Hagel  zu  schützen.^  Noch  in  vie- 
*®D  anderen  schwäbischen  Orten  ist  diese  Faekelprozession  auf 
^^n  Kornösch,  das  mit  lautem  Jubelgeschrei  bewerkstelligte 
-^üf-  und  Abziehen  im  Fruchtfelde,  wo  häufig  so  eben 
^^Bt  der  Schnee  zu  schmelzen  beginnt,  und  schließlich  die 
Einforderung  einer  Steuer  von  Speck  und  Eiern  dafür  üblich 
^d  führt  den  Namen  der  Fackclgang,  das  Saatleuchten 
^der  Samen  zun  den  („der  Same  wird  gezündet")-  In  benach- 
'*^rten  Orten  tritt  daitlr  ein  Fackelgang  auf  die  an  die  Dörfer 
Si^enzenden  Höhen  ein.    Jene  Namen   sagen  deutlich  Zweck  und 

1)  ßirlinger  II,  1U9,  134. 

2)  Birlinger  U,  108,  133. 


536  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzauber. 

Meinung  der  Ceremonie  aus,  die  jedesfalls  nieht,  wie  das  sehwi^^ 
bische  Volk  glaubt ,  aus  einer  Nachahmung  der  Gefimgennilim^ 
Jesu  auf  dem  Oelberge  entstand.  Wir  werden  kaum  irre  geh< 
wenn  wir  annehmen^  daß  die  wild  geschwungenen ,  mehrÜMf 
durch  die  Luft  geworfenen  Fackeln  die  Blitze  darsteUi 
sollten,  von  denen  man  meinte,  daß  sie  in  segenbringender  Foi 
auftretend  der  Pflanzenwelt  den  Lebeusfunken  mitteilen,  währei 
ihre  verderbenbringende  Form  im  Unwetter  die  Saaten  yemi( 
tönd  niederfährt.  Wie  der  Donnerkeil  auf  dem  Heerde  den  BUI 
vom  Hause  abhalten  soll  (similia  similibus),  gelten  daher 
die  den  Blitz  sinnbildlich  darstellenden  angekohlten  Scheite 
Fackelstümpfe  ins  Feld  oder  unter  das  Dach  gesteckt  als  Am^B 
lette  gegen  vernichtenden  Wetterschlag  und  Hagelschlossen.  1^ 
Frankreich  war  der  Sonntag  Invocavit  von  seinem  Fackelnmzu^H 
le  jour  des  brandons  schon  a.  1222  dominica  brandonui^H 
oder  kurzweg  brandones  benannt,  wie  sich  dafUr  1254  in  Lothring^E 
der  Name  burae,  1251  dies  focorum  belegen  läßt'  Im  Jui^ 
laufen  die  Kinder  bei  anbrechender  Nacht  mit  Strohfacke!^B 
ttber  Berge  und  Felder,  indem  sie  rufen:  „plus  de  fruits  qi 
de  feuilles.'^  In  Loire  et  Cher  glauben  die  Bauern  die  Fei 
mause,  in  anderen  Gegenden  die  Maulwürfe,  das  Unkraut  ui 
den  Mehltau  fernzuhalten,  indem  sie  mit  brennenden  Facke 
über  die  eingesäten  Felder  laufen;  in  der  Champagne  tun  i\ 
wieder  die  Knaben,  aber  die  Alten  machen  von  dieser  Ceremoi 
ihre  Beruhigung  über  den  Ausfall  der  Obst-  und  Kornernte 
bängig.  In  Yalenciennes  rannten  die  Buben  mit  Pechfackel 
„bouhours^'  genannt,  durch  die  Straßen  und  sangen: 

Bour  peunies  poires  (d.  i.  beurrc,  pommes) 
Des  ceriscs  noires!  u.  s.  w.« 

Daß  auch  in  Frankreich  diese  Fackelumgänge  nur  Ablösungen 
des  vollständigeren  Brauches  waren,  geht  nicht  allein  aus  älterei 
Zeugnissen,  noch  aus  noch  heute  erhaltenen  vollständigere! 
Begehungen,  welche  an  diesem  Tage  das  Fackelschwingen 


1)  Birlinger  U,  65,  76.  71,  83.  72,  85. 

2)  Du  Gange  ed.  Henschel  s.  v.  v. 

3)  Mad.  Clement,  histoire  des  fetes  du  Dep.  du  Nord.  Paris  1834 — 
p.  350  ff.  Wolf,  Beitr.  1,  76.  Thiers,  Traite  des  Superstitions.  Paris  1697.— 
bei  Liebrecht,   Gcrvasius  von  Tilbury  220,  118. 


Fackellaaf  ober  die  Kornfelder.  587 

das  Scheibenwerfen  und  jene  Proklamierung  der 
Liebespaare  (Valentins  und  Valentinen)  mit  einem  großen 
Freadenfeuer  vereinigen  (s.  o.  S.  456)/  sondern  auch  aus 
den  Reimen  hervor,  die  anderswo  z.  B.  bei  Chartres  bei  der 
ITintragimg  der  Strohfackeln  durch  die  Saatfelder  gesungen  wer- 
den,' Verse,  welche  deutlich  auf  die  dem  Valentinbrauche  zu 
Grunde  liegende  Vorstellung  der  Lenzbuhlschaft  hinweisen. 

Diesen  Fastnachtsgebräuchen  stellen  sich  Begehungen  der 
Weihnachtszeit  zur  Seite.  In  einigen  Communen  der  Normandie 
laofen  die  jungen  Bauern  am  h.  Dreikönigsabende  mit  Stroh- 
fackehi  durch  die  Felder  und  rings  um  die  Hofstätten.  Im  D^p. 
de  rOme,  wo  der  Brauch  coulines^  heißt,  durchläuft  man  vor- 
zugsweise die'  mit  Bim-  und  Apfelbäumen  bepflanzten  Gründe, 
umkreist  jeden  Baum,  brennt  ihm  mit  der  Fackel  das  Moos  ab 
und  ruft: 


1)  8.  da  Gange   s.  v.  v.    BraDdones,   burae.     Lit.  remiss.   ann.  1395: 

OoiiuQe  il  soit  de  coostnme  en  la  ville  de  Jaugcs  et  an  pais  d'environ  de 

^^€  cbacnn  an  le  jonr  des  brandons  apres  sonpper  fem  ausqnelz  les  bonnes 

Ifens  ont  aoeoustamo  d*eulz  asseinbler,  dancier  et  les  jeunes  valles  et  enfans 

*  sauter  par-dessus  iceulx  feux ,  quant  il  sont  appetissiez.   Ann.  1414 :  Comme 

"  ©st  acconstnme  cbascnn   an   lo  Diniancbc   des  Brandons  faire  esbatements 

*^    dances  environ   le  soir  et  avoir  des  faloz  a  bouchons  de  feurre  boutez  en 

°^     baston    et    mettre    le    feu    deden   en   les   appellant  les    brandons.     Zu 

^brechies  in  franz.  Flandern   ist  der  Packellauf  durcli  die  Felder  mit  einem 

^oßen  Feuer  von  Stroh   verbunden    „nomme   el  feu  reu  ou  feux  heureux, 

^®*ge  auquel  les  parent«  eux  memes  att%ichent  des  idees  de  prosperite. 

^^ch    in  französischen  Gegenden  steckte  man  Brände  vom  großen  Freuden- 

feUer   des  jour  des  brandons  in  die  Gärten,  um  ihr  Gedeiben  zu  fordern  und 

^oße  Zwiebeln  zu  erzielen.    Tbiers  a.  a.  0.  231,  149. 

•  2)  Brandons  brulez 

Pour  les  fiUes  a  marier. 

^lemoires  de  Tacademie  celtique  IV,  242.    Anderswo: 

Brandeions  brulez 

Par  ces  vignes,  par  ces  bles! 

Brandeions  brulez 

Pour  ces  filles  ä  marier! 

Barauf  schreit  man:  Mais  les  vieilles  n'en   auront  pas.  Memoires  des 
antiqiiaijes  I,  237. 

3)  Von  couler,  fließen,  herablaufen,  herunterrollen,  kullern.    Man  rollte 
^bei   ^q1  aucb  flammende  Räder  von   den  Anhöben  und   daher  der  Name, 
®'  jetzt  den  „brandons"  zukommt. 


538  Kapitel  VI.     Vegotationsgeister:   Sonnenzaaber. 

Taupes  et  mnlots,   sortez  de   mon  enclos, 

Ou  je  V0U8  brülerai  la  barbc  et  les  os. 

Bon  jour,  les  rois,  jusqu'  a  douze  mois. 

Douzc  mois  passes,  rois  revenez. 

Charge  pommier,  Charge  poirier! 

A  chaque  potite  branchette, 

Tout  plein  ma  grande  poachette. 

Sind  die  meisten  Fackeln  (coulines)  niedergebrannt,  so  vereinigt 
man  die  übrigen  zu    einem   gemeinsamen  stürmischen 
Laufe  fouee*  oder  bourguel^e,  den  ein  paar  Pater  noster,  die 
Wiederholung    jenes    Sanges    und    der   Ruf  „Adieu,    les   roi«! 
beschließen.*     Am  Abende  des  nämlichen  Tages  (on  the  eve     of 
twelfth-day)  versammelt  in  Gloucestershire  an  der  Grenze   von 
Worcestershire,   ebenso    in   Herefordshire    jeder    Farmer    8ci.«c 
Dienstleute   und  Freunde   auf  einem   mit  Winterweizen   besäfc^i^ 
Felde,    auf  dem   die   grüne    Saat   zu   sprossen   beginnt    (wh^^e 
wheate  is  growing).    Dort  zünden  sie  auf  der  höchsten  Stelle  ci.  e« 
Ackers  zwölf  kleine  Feuer  und  ein  großes  an,  welches  alle,  ciw 
Gutsherr  an  der  Spitze,   im  Kreise  umringen,   nach  Herzensl«^»* 
Apfelwein  trinkend  und  in  lautes  gemeinsames  Jubelgeschrei  W-  "*^ 
Hailohrufe  ausbrechend,  die  oft  von  50  —  60  Feuern   her  da«r"cli 
die  Arbeiter   der   benachbarten  Dörfer  und   Felder   beantwor^^^ 
werden.    Nach  Hause  zurückgekehrt,  trinkt  man  allen  l^lugo^-^"^' 
sen  im  Stalle  zu ,  und  spießt  dem  Hauptochsen  einen  durchlöel»^  ^'' 
ten   Kuchen    feierlich    auf  das    Hörn.      Diese  Begehung   hc^  ^^^ 
wassailing,  d.  h.  das  Gut -Heil  wünschen;^  der  dem  Ochsen   ^^'^^' 
gesetzte   Kuchen  bezeichnet  sichtlich  die   Fruchtbarkeit  des 
ihm   bestellten  oder  zu    bestellenden  •  Ackers.     Man  vgl.  nur 
bereits  oben   S.  813   beigebrachte  russische  Sitte  des  St  Geo 
tages,  wonach  ein  ganz  in  Grün  gekleideter  Jüngli  ^^'^^ 
die  Fackel  schwingend  auf  dem  Kopfe  einen  rund 


on 
ie 


n, 


1)  „füuee  eine  Art  zu  jagen  des  Nachts  bei  hellem  Feuer  längst  *^ 
Gehege.'*  .| 

2)  De  Nore  p.  253.     Cf.  Mercure   Frany.   ann.    1740   Febr.  p.  2G6   A 1^^ 
p.  660  bei  Du  Cange  s.  o.  flambard. 

8)  Brand    ed.    Ellis  1 ,  30.  33.      Meistenteils    bestand    das    „Watsai^ 
,,Wa}?sailing"  nur  darin,   dali  man  den  Obstbäumen    im  Garten   zutrank    ^ 
der  Aufforderung,  viele  Früchte  zu  bringen.     (Brand  a.  a.  0.  I,  29  ff.)  zu^^^ 
len  aber    war    damit  auch  der  Schlag   mit  der    Lebensrute  verbun^^^^^^ 
(0.  S.  276). 


Fackellanf  fiber  dio  Kornfelder.  589 

nengeschmtlckten   Kuchen    auf    die   besäte  Flur 

;ty    wo    man   den   Kuchen    in  die   Erde   legt,   ein 

ies   Feuer   anzündet  und   umhertanzt.     Jetzt  wird  uns 

auch    die   Bedeutung   der  runden,    durchlöcherten  Kuchen 

kenringe)  klar,  welche  in  Schwaben  am  Invocavit^onntage 

)  Mädchen  ihrem  Liebhaber,  resp.  Scheibenschläger  zu  geben 

Uen  ist    Wenn  jener  mssische  Georgstagsgebrauch  und  die 

sehe  Epiphaniassitte   nicht   christlichen  Ursprungs  sind,   so 

len  die  nachstehenden  kirchlichen  Sitten  um  so  entschiedener 

)riesterlichc  Umänderungen  älterer  Volksgebräuche  betrachtet 

len.     In  Ca^'n   liefen   die  Kinder  am  Weihnachtsabende  mit 

irbränden  und  bunten  Laternen  durch  die  Straßen  und  riefen: 

u  No^'l,   Nofe'l  s'en   va.   —    „Flambard   (fax   taeda)  vocant 

enses  lignum  fnmo  cortice  avulso  ezsiccatum  atque  ad  medium 

e  fissum,  quod  in  vigilia  Natalis  Domini  clerus  populnsque 

ront    circa    forum    tectum   eiusdem   civitatis,    supplicantium 

le   quamvis  festinanter  procedentcs  ad  ecclesiam,  ante  cüius 

im  projiciuntur  hujusmodi  faces,  ubi  absnmuntur  clero  decan- 

I  hymnum  „veni  redemptor  gentium '^  et  populo  clamante: 
»1 

• 

Italiänischc  Sitte  war  es,  die  Lenzpaare  beim  Märzfeuer 
>.  455),  in  der  Nacht  zum  1.  März  auszurufen.  Auch  in  fran- 
chen  Orten  geschah  es  bisweilen  am  ersten  Somitage  im 
..  Dem  entspricht,  daß  nach  Thicrs  in  manchen  (fegenden 
kreichs,  nach  Polydorus  Virgilius  auch  in  Urabrien  die  Kin- 
am  1.  Mära  mit  Bränden  durch  die  Felder  rennen  der 
r  u  c  h  t  u  u  g  h  a  l  b  e  r.  2  In  Wälsch  -  Tirol  (Luserna)  zündet  man 
letzten  Sonntage  im  März  Reisig  und  Strohblischel  auf  hoßen 
gen  an,  während  die  Kinder  mit  Schellen  und 
cken  läuten  und  schreien  zum  Jubel,   daß  der  Winter 


1)  Du  ('äuge  s.  v.  Noel.  Ganz  abgeschlilfen ,  wo  nicht  ganz  nnab- 
g  vom  praktischen  Bedürfnisse  geschaffen  ist  der  schwedische  Brnacfa» 
riesigen^  bis  12'  langen  Fackeln  (Jnla-tannar  von  tända  anzün- 
j^enannt)  am  Weihnachtsabende  zur  Kirche  zu  ziehen  und  dieselben  vor 
örchtüre  auf  einen  Scheiterhaufen  zusammenzuwerfen.  Hylten  -  Caval- 
Värend  I,  160.  2%.  Ödman,  Hägkomster  frän  Hembygden.  üpsala 
p.  25  bei  Liebrecht  Gervasius  p.  r>8. 

2)  Thiers  a.  a.  0.  233 ,  159.    Polydor  Vergilius  de  inventione  reram  V,  2. 


540  Kapitel  VI.     Vegetationsgeister:  Sonnenzaaber. 

vorüber  ist.  Mail  heißt  diese  Flammen  Märzenfeuer.*  E^ie 
Knaben  der  VII.  Communi  zünden  «am  letzten  Februar  o<i  ^r 
1.  März  auf  einer  Anhöhe  Haufen  von  Holz  und  Stroh  s^n, 
springen  mit  Schellen  in  der  Hand  umher  und  ni±'^^3n 
durch  die  Gassen  ziehend:  Merzo,  Merzo,  du  pist  da,  sehelVa, 
schella  küme,  de  kapütsen  saint  garivet.^ 

§11.  Komaufif ecken ,  Perehtelspr I  n  gen ,  Fasehingsm  'mmk- 
IBnfe.    Hier  sehen  wir  emen  neuen  Zug  in  den  Brauch  ein^i^sr«- 
ten,   bei   dem   Umzüge   über   die  Felder  wird  mit   Glock.  ^^n 
geläutet.     Mit  dem  Feuer-  oder  Fackellaufe  verbunden  t;i:— itt 
dieser  Zug  noch  an  mehreren  Orten  auf,    an  anderen  nimmt       <st 
selbstständig  die  Stelle  des  Fackellaufes  ein.    Zu  Ulten  rollt  na  ^nn 
in  den  letzten  Faschingstagen  l)rennende  Reisig-  oder  StrohbtiKa- 
del  über  die  Saatfelder  hinab  und  nennt  dies  das  KomaufwecJMr:^^' 
In  Proveis  zünden  die  älteren  Buben  am  Kässonntage  (Invocav — ^t) 
auf  Wiesen  und  Aeckem  große  Feuer  an  und  schießen  mit  Böc^  ^ 
sen  und  Pistolen,  indeß  die  kleineren  mit  Schellen  und  Glock^^'^ 
„das  Korn  aufwecken/'  indem   sie  klingelnd  und  schreiend  w^^^ 
rasend   durch  die  Felder  laufen.    Im  Unterinntal  „läuten"  d^^  ^ 
Buben  am  24.  April  „das    Gras   aus,"  d.h.  sie  läuten,  damr'^ 
das  Gras  herauskomme ,  indem  sie  paarweise  geordnet  mit  Schel- 
len,  Kuh-  und   Dachglocken  unter  schallendem  Geläute  auf  di< 
Dorffluren  ziehen;  rückkehrend  erhalten  sie  bei  manchem  Hause,       ^ 
dessen  Felder  vom  Zuge  berührt  wurden,  Brod,    Butter,   Käse 
oder  Geld.    Mehrere  Masken,  der  starke  Melker,  der  berußte 
Wurzengräber,    der   Iludler   (vgl.  o.  S.  269)   sind  im  Zuge.     In 
einigen  Orten  des  Pinzgaus  und   Unterinntals  hat  das  „Gras- 
ausläuten"  am  ersten  Mai  statt.     Im  Vinstgau  behängen  sich 
die  Knaben   schon  zu  Petri  Stuhlfeier  (22.  Februar)  mit  großen 
Schellen  und  Kuhglocken  und  läuten  nach  lärmendem  Um- 
laufe  durchs  Dorf  vor   allen  Häusern.     Dies  heißt  „rfeu  Lnngas 
(Le)iz)  wccken,^^^     Zu   Castasegna  im  Bergell  an  der   lombardi- 
schen Grenze  ist  es  regelrecht  wieder  der   erste   März,    der 

1)  Zingerle,  Sitten«  143,1243. 

2)  Schmeller,  W.  B.«  732. 

3)  Zingerle,  Sitten =^  137,1202.  141,1227.  144,1233.  154,1310.  133. 
1183.  Zs.  f.  D.  Myth.  I,  287.  H.  3G0,  6.  III,  339.  Alpenburg,  Mythen 
S.  351  „Das  Frühlingswecken.'*  Vgl.  L.  v.  Hönnann,  der  heber  gat  in  litun. 
Innsbruck  1873.    S.  47,  131  —  134;  S.  44,  121. 


Eornanfwecken ,   Perchtelspringen ,   FaschingsnmläQ/e.  641 

der  Märzfeuer  und  des  Fackellaufes ,  sowie  des  römisehen 

Jahresanfanges   (vgl.  o.  S.  155.  593) ,   an    dem  alle  Knaben  mit 

papiemen  Offiziershttten  geschmückt  in  militärischer  Ordnung  das 

r>orf  unter   AntUhrung  eines    Hornbläsers   und   eines   Trommel- 

sehlägers    mehrmals   hinauf-    und   hinunterschreiten,    indem   sie 

sämmtlich  mit  Kuhsehellen  läuten.    Als  den  Zweck  ihres  Umzugs 

S^bcn   sie    an:    ,yWir   machen y    daß  das    Gras  wächst.^'     Dafllr 

erheben  sie  Nachmittags   von  den   Haushaltimgen  den   üblichen 

Tribut  von  Wein,   Brod,   Kastanien,.  Aepfeln  u.  s.  w.*    Noch  in 

msuichen  anderen  Orten  Graubündcns  zieht  die  Jugend  mit  großen 

und  kleinen  Kuhglocken   behängt  am  1.  März  durch  die  l>enach- 

borten  Dorfschaften    und   singt  vor  jedem  Hause,   wo  man  frei- 

gebigeBewohner  erwartet: 

Calonda  Mars,  Calond'  Avril: 
Laschai  las  vaccas  or  d'nvil.^ 

Es  ist  lehrreich ,  noch  weitere  Formen  dieses  Frühlingsbrau- 
clies  zu  verfolgen. 

Am  unsinnigen  Pfinztag  (Donnerstag  vor  Fastnacht)  laufen 
um  Hall,  Insbruck,  Götzens,  Ambras  die  Hexen  und  Hutler,  d.  h. 
^ntgekleidete  mit  Besen  und  Peitschen  versehene  Jungen,  wel- 
che das  Fastnachtsrößlein ,  ein  künstliches  Roß  und  seinen  Reiter 
begleiten,  knallen  und  kehren  die  Zuschauer  mit  kotigen  Besen 
»b.  Ihr  Umzug  gilt  als  unerläßlich,  damit  der  Flachs 
^nd  Mais  gedeihe;  jemehr  Hutler  gehen,  desto  bes- 
ser schlägt  die  Ernte  aus.^ 

In  vielen  Dörfern  des  Vinstgaues  laufen  am  unsinnigen  Don- 
nerstage und  Fastnachtsdienstage  die  Schemen  herum;  Bursche, 
^*^  Gesichter  mit  Ruß  geschwärzt  oder  mit  schwarzem 
^^^che   vermummt,  welche  Hemden   als  Röcke   und  Riemen 
^^^^  je  einer  großen  Kuhschelle  als  Schärpen  tragen  und 
^^  Begegnenden  mit  Kohlenstaub  anschwärzen.    In  ihrem  Zuge 
^blt  niemals  ein  als  Weib  verkleideter  Bursch  ,,die  Maie   oder 
^tthele-Maia,"  der  Wasser  in  einem  Kübel  trägt  und  die  Um- 

^  1)  G.    Leonhardi,    Rhätische    Sitten   und   Gebräuche.    St.  Gallen  1B44. 

^-    4.  5. 

2)  Rochhülz,  Alem.  Kinderlied  505,  100: 

„Der  erste  März  und  dann  April, 

hinaus  was  aus  dem  Stalle  will.'' 

8)  Zingerle,  Sitten*  135, 11%.  139,  1211  —  12. 


542  Kapitel  VI.    Vcgetationsgeister :  Sonnenzanber. 

stehenden  bespritzt  j  oder  sogar  in  die  Brunnentröge  springt  ni 
Wasser  nach  allen  Seiten  wirft.*    (Regenzauber.) 

Bei  Lienz  fand  am  letzten  Faschingsabende  das  Perchtei 
laufen  statt  y  eine  Art  Maskenzug ,  die  Vermummten  hieSen  Perd 
ten ;  man  unterschied  sie  in  schöne  und  schieche  (häßliche).  AI 
trugen  auf  dem  Kopfe  eine  große  Schellenspitzhaabe  m 
Rollen  und  Glöckchen  rings  umhängen,  vor  de 
Gesichte  Larven  und  in  der  Hand  Stöcke,  die  der  schöm 
waren  mit  bunten  Bändern  geziert,  die  der  häßlichen  endij 
ten  in  einen  Teufelskopf  Sie  sprangen  und  stürmten  in  wildi 
Lust  tobend  und  rasend  über  die  Gassen  und  in  die  Häose 
Gab  es  kein  gutes  Erntejahr,  so  schrieb  man  die  Mü 
ernte  dem  unterlassenen  Perchtenspringen  zu.^  In  Mi 
tersill  bilden  acht  bis  zehn  rüstige  Bursche  eine  Gesellschaf 
zwei  von  ihnen  stellen  häßliche,  mit  Besen  bewaffnete  Geselle 
vor,  die  Berchten.  Ihnen  folgt  ein  buntes  Gesindel  von  Han 
Würsten  u.  s.  w.,  dann  die  Tänzer  mit  festauliegenden ,  buntb 
bänderten  Kleidern,  auf  dem  Haupte  eine  Krone  von  Hahne: 
federn ,  von  wo  unzählige  lichtfarbenc  Bänder  auf  Schultern  ni 
Rücken  herabflattcm.  Eine  Larve  verdeckt  ihr  Gesicht,  a 
Ende  des  Rückens  haben  sie  eine  Alpenglocke  angehäng 
die  den  Fußschlag  der  tanzenden  Gruppe  accompagniert.  i: 
ziehen  sie  von  Pfarre  zu  Pfarre  und  begrüßen  die  besseren  Häi 
ser,  wo  ihnen  der  Tanz  mit  Brod  und  Branntwein  gelohnt  wird 
Der  Name  Perchteln  ist  eine  Uebertragung  aus  dem  Epiphania 
gebrauche.  Denn  an  den  „Perchtenabend,"  die  h.  Dreikönig 
nacht  (Jan.  5.)  knüpfte  sich  die  besprochene  Sitte  ebenfaUs  no 
daher  hatten  die  Festteilnehmer  den  Namen  Perchteln  oder  Percl 
ten  erhalten;^  von  da  aus  erscheint  Spiel  und  Name  auf  d 
ganze  Zeit  der  Zwölften,  ja  auf  die  Adventszeit  rückwärts  au; 
gedehnt.  In  den  Rauchnächten  (den  drei  Donnerstagen  vor  Weil 
nachten),  ziehen  im  Pinzgau  100—300  Bursche,  die  Perchtei 
in  seltsamster  Yermummung  mit  Kuhglocken  und  knallei 


1)  Zingerle  a.  a.  0.  136, 1198.  1200. 

2)  Zingerle  a.  a.  0.  138  —  39,  1209—10.     B.  Weber,  Tirol,  IJ,  174. 

3)  B.  Weber  bei   Runge,    der  BerchtoUlstag   in   der  Schweiz.    Züri< 
1857.    S.  17.    Vernaleken .  Alpensagen  S.  350.  20. 

4)  Belege  ans  Dux  and  Kössen  bei  Zingerle  a.  a.  0.  128,  1148.  1150. 


Eonutufwerfen ,  Perchtelspringon ,   FaschingsmnUlnfe.  543 

den  Peitschen  bewaffnet   umher;   im  Gasteiner  Tal  geht  der 
^Qg,  den  lustige  Burschen  bis  dreihundert  anführen,  httpfend  und 
jpringend  von  Ort  zu  Ort,   von  Haus   zu  Haus.^     Solche  Sitte 
des  Perchtenspringens  oder  Pcrchtenlaufens  ist  über  die 
ganzen  deutschen  Alpen  verbreitet.    In  Kalw  und  Betzingen  bei 
Tübingen  kennt  man  die  Sache  ohne  den  Namen.    Am  h.  Weih- 
nachtsabend  laufen  die  Knaben,   lange   Stecken  in  der  Hand 
mit  Riemen  voll   Kuhschellen    behängt   von   früh  bis   spät 
durch  den  Ort  und  lärmen  und  läuten.    Vor  dem  Hause  des  Pfar- 
ren werden  sie  mit  Aepfeln  beschenkt.^    In  Donaueschingen  und 
um  Tuttlingen  läuft   am   schmutzigen  Donnerstage  und  den  Fa- 
scliingstagen  der  Hanseli  in  den  Straßen  herum.    Er  trägt  einen 
Fuchsschwanz  im  Nacken,  große  Sträuße  von  Papier  und  Flit- 
tergold am  Kopfe;  sein  Gesicht  deckt  eine  schön  lackierte  höl- 
zerne Larve;   auf  Rücken,  Bauch  und  Beinen  sieht  man  allerlei 
gemalte  Figuren,  über  der  Brust  kreuzen  sich  zwei  mit  Schellen 
besetzte  Lederriemen,    die    einen    ohrzerreißendeu  Lärm  geben, 
zunal  wenn  mehrere   Hanselis   zusammenkommen.      In   Donau- 
eaohingen   wirft  der  Hansel  Aepfel  und  Birnen  unter  die  Kinder 
^Ufi.'    In  Baiem  (Lcchrain)  heißt  der  Donnerstag  vor  Fastnacht 
der  gumpige  Donnerstag  (von  gunipeu,  lustige  Sprünge  machen), 
östnn    besuchen   die  Buben   des    einen  Dorfes  das   andere,    alle 
Verkleidet  und  im  Gesichte  durch  Bemalung  mit  Ruß  und  Mehl 
unkenntlich  gemacht.    Li  Bettlaken  gehüllt,  den  Schellenkranz 
d.er  Rosse  um  den  Leib,  das  Haupt  mit  Hahnenfedern  geziert, 
d^Ä  sind  die  gewöhnlichen  Masken,  deren  Anführer  der  Schel- 
l^rwrührer    heißt.*      Nach    der   Mitteilung    des   Herrn   Professor 
K.,  Säve   in  Upsala    banden   auch    in  Dalamc  die  Kinder  Früh- 
jcklirs  alle  erreichbaren  Kuh-   und  Ziegenschellen  zusammen  und 
rfefen:  „längt- lain!  längt -lain!"  (langer  Flachs!) 

Durch  ganz  Deutschland  und  Skandinavien  war  der  Umlauf 
Vermummter  zu  Weihnachten  oder  Neujahr  oder  za  Fastnacht 
gelrUuchlich  und  überall  trug  er  wesentlich  denselben  Gharacter. 


1)  Myth.«  256. 

2)  Meier  464 ,  212.     \^\.  den  Aufzug  der  Frau  Perchtel   im   Salzbur- 
^®«h€n  und  im  MöUtal  in  Kärnten.    Weinhold,  Weihnachtsspiele  S.  20. 

3)  Reinsberg-Düringsfeld,  das  festliche  Jahr.    S.  38. 

4)  Leoprechting ,  Aus  dem  Lcchrain  160,  26. 


544  Kapitel  VI.    Yegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

Ans  Geilers  von  Kaisersberg  Schilderung  der  Fastnachtiiarp 
oder  Butznarren  geht  hervor,  daß  im  Elsaß  die  Teihiehmer  i 
demselben  ,, vermummt  und  rerbutzt  waren,  Schellen  tragen,  si 
das  Gesicht  schwarz  bebrämt,  berußt  oder  besudelt  hatten ,  A 
unsinnig  geberdeten,  als  sei  der  Teufel  in  sie  gefahren,  t* 
einem  Hanse  zum  andern  liefen  und  in  die  Stuben,  selbst  in  i 
Schlafzinuner  drangen,  um,  wie  sie  sagten,  das  Küchlein  (i 
Fastnachtsbretzel)  zu  holen/'  Sebast.  Franck,  Weltbach  16: 
f.  L^  schildert  die  Fastnacht  der  Frauken:  „Etlich  machen  si 
als  die  teafel,  etlich  lauffend  nackend  on  alle  schäm  gar  ei 
plößt  durch  die  statt.  Etlich  das  sy  kein  schäm  habend  V( 
butzen  sy  sich  in  laruen  vnnd  schönpart,  das  man  sy  nit  ken 
nit  seer  vngleich  den  heydnischen  Luperealischen  festen.  Fem 
f.  CXXXI*  von  der  Faßnacht  der  römischen  Christen  flberhaa} 
An  diesem  fest  pflegt  man  vil  kurtzweil,  spectackel,  spil  zu  h 
ten  mit  stechen,  thurni^ren,  tantzen,  rockenfahrt,  faßnad 
spil.  Da  verkleiden  sich  die  lettt,  lauffen  wie  narren  vnd  vns 
nigen  in  der  statt  vmb,  mit  mancherley  abentheur  vnd  fantas 
Was  sy  erdencken  mögen,  wer  ettwas  närrisch  erdenckt  der 
meyster.  Da  sihet  man  in  seltzamer  rilstung  seltzame  mumn 
rei,  die  frawen  in  mannskleydern,  vnd  die  mann  in  wei 

lieber  waat. —  Die  herren  haben  yhr  faßnacht  an  ein« 

Sontag,  darnach  auff  den  afftermontag  die  Leyen.  In  somi 
man  fahet  daran  an  allen  mötwill  vnd  kurtzweil.  Etlich  laufl 
on  alle  schäm  allerding  nackend  umm.  Etlich  kriechen  a 
allen  vieren  wie  die  thier,  etlich  brütlen  narren  auß,  etlich  sei 
mtinch,  künig  etc.  auflf  diß  fest,  des  wol  lachens  werdt  ist  I 
lieh  gehen  auff  hohen  steltzen  mit  flügeln  vnd  langen  schnäb 
seind  storcken.      Etlich  Bereu,  etlich  wild  Holtzleut,    etü 

Teufel ."     Sebastian  Franck  schöpft  aus  Bo^-mus  An 

nus  (mores,  leges  et  ritus  omnium  gentium  L.  DI):  Qui  se  lu 
cro  illi  committunt,  facies  larvis  obducunt,  sexum  et  aetat 
mentientes  viri  mulierum  vestimenta,  mulieres  virorum  indui 
Quidam  satyros  aut  malos  daemones  potius  repraesentare  volen 
minis  se  aut  atramento  tingunt  habituque  nefando  detorpa 
alii  nudi  discurrentes  Lupercos  aguut  ....  per  urbem  vagan 
obvios  ....  saccis  cinere  refertis  percutiunt.^    Thomas  Naoge 


1)  Jo.  Bo(!mas  Aubanus.  Mores,  Lugdnni  1576  p.  277. 


Komanfweckeii ,  PerchtelspriDgcn ,  Faschingsumlänfe.  545 

Sos^flihrt  diese  Schildenmg  weiter  aus.    Man  stellte  Schein- 
Hmpfe  an  (sunt  qni   concnrrant  infestis  eminns  hastis, 
*nt  pngnam  armati^coeptent),  das  Publicum  nahm  Partei  fllr 
<fie  eine  oder  die  andere  Seite  und  lohnte  die  Sieger  mit  einer 
S^ewissen  Quantität  Wein.      Andere  liefen  in  Tenfelsgestalt  mit 
jesehwärztem  Gesicht  durch  die  Stadt.    (Ast  alii  hojribiles  vul- 
tua  torramqne  fignram  Daemonis  induti  tota  spaciantur  in  urbe, 
Ätque  occurrentes   terrent,   puerosque  sequuntur  u.  s.  w.*)     In 
größeren  Städten^  in  Nürnberg,  wo   die  Umlaufenden   Schemen, 
Schembarte,  Schftnbarte  genannt  waren,*  und  in  Köln,*  waren 
die  Umzüge   schon  früh  .mit  aller  Art  Pomp  und  fremdartigem 
Beiwerk  beladen  worden,  gewisse  Grundztige  blieben  aber  durch- 
stellend und  fast  überall   wiederkehrend.    Dazu  gehörte    1)  ein 
Migeberdiger   Lauf    durch    die    Straßen,    sodann     2)  Vermum- 
Daung  oder  Schwärzung    der  Gesichter  (hieraus  ist  sichtlich 
CTBt  die   Teufelslarve    entstanden   und  abgeleitet),  3)  die  Aus- 
rüstung mit  Schellen,  4)  der  Kleidcrtausch  zwischen  den  Geschlech- 
tern, 5)  die  Einkehr  in  die  Häuser,  um  Victualien,  zumal  „das 
Küchlein,"  d.h.    die  sogenannten   Fastnachtbretzeln,    d.h. 
ringförmige,    oder  Fastnacht f laden,    d.h.    runde   scheiben- 
termige  Fasttagsgebäeke  abzuholen,*  welche  den  o.  S.  406  bespro- 
<^lienen   Funkenringen    entsprechen    und    somit    an   eine  einstige 
Verbindung  des  Umlaufs  mit   dem  Frtthlingsfeuer  erinneni.     Da 
^elfach  (z.  B.   im  Harz)   Bretzeln   den  Entgelt  der  Mädchen  an 
die  Burschen  für    das   Stäupen    mit    Birkenzweigen    ausmachen, 
erteilt  auch  hier  wieder  die  nahe  Verwandtscliaft  der  Fastnachts- 
Daüniinerei  mit  dem  Umzüge  behufs  des  Schlags  mit  der  Lebens - 
'^te.     Das  Abholen  der  Bretzel  weist  zugleich   auf  jene  ältere 
Q^ßtalt  des  Umzugs   zurück,    wonach  man   einst  als  Tribut  ttir 

1)  Regnum  PapiBticum  L.  IV.  Basileae  1559.   p.  140  iF. 

2)  Vgl.  die  Markgräfl.  Brandenburgisch  -  Culmbachische  Polizeiordnung 
^*^o  1622,  worin  auch  das  „  scliändliche  Mummen  oder  Kastnachtkleiden " 
streng  verboten  wird:  „da  die  Fniwen  in  Manns-,  und  der  Mann  in  Frawenklei- 
^^'^,  auch  wol  des  bösen  Feinds  Gestalt,  oder  sonst  abschcwlich  und  grew- 
^^"  sich  verstellen  und  verkleiden." 

3)  Panzer  11,246—50. 

4)  Journal  von  und  für  Deutschland  1785.    S.  452. 

i    .       ^)  VffJ-   ä^ch   die   Gerichtsordnung    des   Klosters  Adelsberg  v.  J.  1502 
j^^  ^esold,  Docum.  rediv.  Monaat.  Wirtemberg.  p.  m    70.     Haltaus  -  Scheffer, 
*^>^€itbiich.    Erlangen  1797.    p.  203. 

^^nnkmrdt.  35 


546  Kapitel  VI.    VegctatioDsgeister:  Sonnenzaaber. 

eine  durch  denselben  volUtihrte  segensreiche  Leistung  von 
Hausstande  als  Steuer  den  Kuchen  erhob.  Wir  müssen  es 
versagen,  auf  die  niederdeutsche  und  skandinavische  Form 
Gamevals  (Schodüwellöp ,  Fastclaunslöben)  näher  einzugehesn. 
Ich  will  nur  darauf  aufmerksam  macheu,  daß  wir  fast  alle  jer^e 
Züge,  das  Schwärzen  des  Gesichtes  (o.  S.  322.  336.  365«J|^ 
den  Kleiaertausch  der  Geschlechter  (o.  S.  412),  dS.  e 
Schellen  1  (o.  S.  325.  327.  334.  416.  440)  schon  bei  den  Repr»- 
sentanten  des  Vegetationsdämons  (Herbstschmudl ,  FfingsÜttmm^I, 
Maikönig,  Schnak,  Kudemest,  wilde  Mann,  Hans  Trai>p, 
St  Niclas,  Jarilo),  dem  Frühlingsbrautpaar  antrafen.  SchelL^n 
trugen  auch  die  Nürnberger  Schönbartläufer  an  Hals,  Gürtel  ossd 
Kinn,  nicht  minder  an  den  Knien  die  Schwerttänzer  in  Hessen, 
Ditmarschen,  Schlesien  und  Schweden;^  die  englischen  Morris 
dancers,  die  zu  Ostern,  am  Maitage,  zu  Himmelfahrt,  Pfingsi^ieii 
und  auf  Hochzeiten  auftraten,  zu  deren  ältestem  Personale  die 
Lady  of  the  May,  May  queen,  der  Narr,  der  Pfeifer,  mehrere 
Tänzer^  und  wol  auch  das  dem  (o.  S.  541)  erwähnten  Fastnack'fc»- 
rößlein  entsprechende  Hobbyhorse  gehörten,  hatten  sowohl  nai* 
Ruß  geschwärzte  Gesichter,^  als  Schellen  an  den  Beinen.    AJ^l^ 

1)  Vgl.  Weinhold,  Weihnachtspiele  S.  22. 

2)  MüUenhoff ,  Schwerttanz  S.  16.  21.  13. 15. 

3)  Diesen  Bestand  weist  n.  a.  das  zwischen  1460  — 1470  verferti^^^ 
Bild  des  Israel  von  Mecheln  (Douce  lUastrations  of  Shakespeare  U ,  446)  »."Cft^' 
Später  hieß  die  Lady:  ,,Maid  Marfan."  Ein  unter  Jacob  I.  von  Vinkenbo <^*'* 
verfertigtes  Gemälde  zeigt  7  Figuren,  Narr,  Hobby -horse,  Maid 
und  3  Tänzer  (Douce  a.  a.  0.  470).  Der  Name  Maid  Marfan  ist  augensche 
lieh  aus  einem  französischen  Pfingstspielc  herübergenommen,  le  jea  du  b 
ger  et  de  la  bergere ,  das  zur  Zeit  des  lebhaften  Verkehrs  während  der  e 
lisch  französischen  Krfege  saec.  XIV — XV  in  Frankreich  sehr  beliebt 
und  in  welchem  Robin  uiüd  Maid  Marfan  die  Hauptcharaktere  waren, 
du  Gange  s.  v.  Bobinetus.  Liter,  remiss.  a.  1392:  Jehan  le  Begne  et  ci 
ou  six  autres  escolicrs ,  ses  compagnons  s'en  alerent  jouer  par  la  ville  d' 
giers,  Robin  et  Marion,  ainsi  qu'il  accoustum4  de  faire  chascun  an  1- 
foiriez  de  Penthecouste  en  la  ditto  ville  d'Angiers  par  les  gens  du  pa>'^  *^ 
tant  par  les  escoliers  et  filz  de  bourgois  comme  autres.  Daher  denn  die  U 
taufe  des  an  Seite  der  Mylady  auftretenden  Lord  of  the  May  in  Robin  od 
Robin  Hood.  Cf.  Douce  a.  a.  0.  451.  Man  sieht  den  Ungrund  der  bei  deit 
sehen  Mythologen  so  beliebten  Identifizierung  von  Robin  Hood  und  Woda^ 
Als  weitere  Personen  der  Morrfstänze  kamen  noch  hinzu  Little  John, 
Tuck,  endlich  noch  zuweilen  ein  Drache  und  St.  Georg. 

4)  Junius  (Du  Jon)  has  informed  us  (Etymologicum  Anglicanom) 
the  morris  dancers  usually  blackcned  their  faces  witb  soot,  that  they 


Komanfireckeii ,  Pcrchtelspringon ,  Faschingsnmläiife.  547 

diese  Spiele  sind   im  wesentlichen  mimische  Frühlingsgebräuche 

7on  rerwandtem,  mythischem  Inhalte.     Gehört  zur  Ausrüstung 

ihrer  Figuren  die  Schelle  seit  alter  Zeit  und  so  zu  sagen  begrifFs- 

ocüiügy  oder  ist  sie  erst  im  14.  oder  15.  Jahrhundert,  als  diese 

Tracht  in  Deutschland  flir  den  Adel  und  die  vornehmen  Bürger, 

in  Frankreich  und  England  auch  für  die  Narren  allgemein  wurde,  ^ 

in   jene  Darstellungen  hineingetragen  worden?    Ist  letzteres  der 

Fall,  und  daßir  spricht  beim  ersten  Anschein  die  Uebereinstim- 

mang   des  Aufputzes    mit    dem   im   Ausgange   des   Mittelalters 

gebräuchlichen,  so  gehören  die  Schellen  weder  beim  Komauf- 

w^ecken,   Grasausläuten,   noch   beim  Perchtelspringen  (o.  S.  542) 

nun  wesentlichen  Bestände  des  Brauches,  und  das  laute  unsin- 

^ige  Geschrei  beim  Umlauf  durch  die  Felder  dürfte  der 

W'eckruf  gewesen  sein,  durch  den  man  vordem  die  schlafende 

Vegetation    wieder   ins  Leben   zu  bringen   resp.   die  Geister  des 

^odes  und  Mißwachses  zu  bannen  vermeinte.    Die  Hutler  o.  S.  541 

»bedienen  sich  ja  zu  gleichem  Zwecke  nur  des  Peitschengeknalles. 

W^er  Auffassung  stellen    sich  doch  nicht  unwichtige  Bedenken 

^Ätgegen.    Ließe  es  sich  auch  als  abgeleitete,  durch  Umdeutung 

^'^tstandene  Form  begreifen,  daß  zuweilen  (vgl.  z.  B.  den  Kuder- 

|*«st  0.  S.  325,  die  Knaben  der  VIL  communi  o.  S.  540)  die  Glocke 

'^  der  Hand  statt  an  der  Kleidung  getragen  wird,  so  scheint  es 

^^ch  ohne  die  Annahme  eines  schon  älteren  Vorhandenseins  der 

^^helle   in  diesen   mythischen  Darstellungen    schwer   erklärlich, 

^^^    dieselbe  nicht  allein  in  die  Krone  des  Maikönigs  (o.  S.  342) 

^^d  das  Laubgestell  des  Latzmanns  (o.  S.  325),  sondern  auch  an 

^^  Kleidung  des  russischen  Jarilo  (S.  416)  und  auf  den  Rücken 

^^8  die  Getreidehenne  am  Shrove  -  Tuesday  darstellenden  Spielers 

^  England  (S.  327)  geriet.    Da  diese  Schaustellungen  schwerlich 

'^om  Perchtelspringen  zu  trennen  sind,  erscheint  mir  die  zunächst 

^^<5h    darbietende    einfache    Erklärung,    wie    der    Klang    der 

S^Weihten    Kirchenglocke    vermeintlich    die  Wetterdä- 


^^^  better  pass  for  Morris.    Douce  a.  a.  0.  434.    Sollte  nicht  der  Name  Mor- 

^^8  dancers,  Morris  dances  (in  den  ältesten  Erwähnungen  in  den  Churchwar- 

deiu   Books   of  Kinston   up  Thames   unter  Heinrich  VII.   Mores   dawnsars, 

^ores  garments)  einfach  daher  rühren ,  daß  man  die  im  Gesichte  gcschwärz- 

^^  Tänzer  als  Mohren  auslegte? 

1)  S.  J.  Falke,  die  deutsche  Trachten-  und  Modenwelt.    Lpzg.  1858. 
■^l.  1,  149.  236—245, 


548  Kapitel  YL    YegctatioDsgeister:  Sonnenzaaber. 

monen  vertreibt/  solle  das  Glockengeläute  auf  den  AI 
men  die  dem  Wiesenwuchs  feindlichen  Geister  vernich 
ten,  nicht  ausreichend.  Die  Glocken  und  Schellen  der  Pereb 
teln  u.  s.  w.  sind  ja  auch  weder  ELirchenglocken ,  noch  geweihi 
Die  Redensart  ^^das  Korn  anfwecken,  den  Langas  wecken/^  aeti 
Personification  des  vegetativen  Lebens  voraus.  Durch  den  Hnd 
1er  (o.  S.  268.  541)  vermitteln  sich  der  Umlauf  zum  Komaai 
wecken  und  jener  Umlauf  mit  der  Lebensrute  zum  Aufwecke] 
der  Langschläfer,  auch  die  Perchteln  tragen  noch  lange  Stöcke 
Die  mit  Ruß  geschwärzten  Gestalten  sehen  dem  Mohrenkönige 
Kaminfeger  oder  schwarzen  Teufel  der  Pfingstlümmelspiel« 
(o.  S.  322.  349.  352.  365.  367)  u.  s.  w.  ähnlich.  Da  schon  dei 
Römern  die  Schelle  (tintinnabulum)  selbst  in  der  Verwendung  al 
Kuhglocke  bekannt  war ,  nach  einer  gfltigen  Mitteilung  des  Hern 
Geheimrat  Schaaffhausen  in  Bonn  eine  solche  kürzlich  auch  ii 
einem  fränkischen  Grabe  zum  Vorschein  kam ,  kann  die  Verwen 
düng  desselben  in  unseren  Gebräuchen,  keinen  unbedingte] 
Beweis  ftlr  die  späte  Entstehung  der  letzteren  abgeben.  Au 
allen  diesen  Gründen  möchte  ich  es  flir  wahrscheinlich  haltei 
daß  die  Ausrüstung  der  Perchteln  schon  seit  alter  Zeit  die  Schell 
oder  das  Glöckchen  enthielt  (cf.  o.  S.  325.  327),  im  15.  Jahr! 
aber  der  herrschenden  Mode  annähernder  gemacht,  und  da 
zugleich  die  ältere  Auffassung  des  Umlaufs  als  in  eine  Vertrei 
bung  der  Hexen  und  Feldgespenster  durch  Glockenschal 
umgedeutet  wurde.  Ursprünglich  wird  —  wie  oben  vemmtet  - 
der  laute  Ruf,  Peitschengeknall  u.  dgl.  die  Glocken  ersetzt  habei 
Wenn  der  Vergleich  der  Schemen,  Perchteln,  Fastnaehtbutze 
mit  dem  Pfingstbutz,  Kudemest,  Latzmann  u.  s.  w.  stichhaltig  sei 
sollte ,  müßte  angenommen  werden,  daß  auch  sie  nach  der  Absiel 
der  ursprünglichen  Veranstalter  ihres  Umlaufs  Vegetationsdämone 
repräsentierten,  die  durch  ihr  bloßes  Erscheinen  und  Rufen  di 
das  Wachstum  hindernden  Mächte  vertrieben,  die  noch  schlummen 
den  Geister  der  Gräser  und  Halme  zu  neuem  Leben  erweckten. 

§  12.    Selieiiikampf   beim   Mlttsommerfener.     Mit    dei 

Frühliugsfeuer  und  vielleicht  urspiünglich  auch  dem  Mittsommei 

1)  Vergleiche,  daß  im  HiUlesheimischen  auf  Himmelfahrt  die  Mädche 
mit  allen  Glocken  vom  Turme  läuten^  um  gute  Flachsernte  zu  bekommei 
Seifart  U.   S.  140. 


Scheinkampf  beim  Mittsommerfener.  549 

feaer  war  aoBer  dem  Umlaufe  zum  Kornwecken  noch  ein  anderer 
Bramch  yerbonden,  der  auf  die  Fruchtbarkeit  des  Feldes  Bezug 
liatte.   Der  Sonntag  Inyocavit  flihrte  neben  dem  Namen  dimanche 
des  brandons  auch  die  Benennung  behourdis^  von  behourd  mit- 
tellat  behordinm,   mhd.   buhurt  Kampfspiel,   wobei  zwei  ganze 
Scharen   auf  einander  eindrangen  und  mit  Schwert,   Schild  und 
Speer,   oder  da   es    ein  bloßes  Schauspiel    zur  Kurzweil   galt, 
mit  Keulen  oder  Stäben  (l)ouhours,   mittellat.  bordae)*  gegenein- 
ander fochten.    Solche  Scheinkämpfe  mit  Knütteln  und  Stöcken 
pflegten  die  Bauern   und  Städter  in  den  beiden  ersten  Fasten- 
Sonntagen  zu  liefern.'     Liter,  remiss.  ann.  1424   ap.  Du  Gange 
r.    brandones:  ,,Comme  le  jour  des  brandons  iceulx  compaignons 
tenant  bouhours    en  leurs   mains    desquelz  ils    esbatoient    Tun 
oontre  Tautre."    Lucien  de  Rosny  schildert  in  seiner  Chronik  den 
Einziig  Louis  XI.  in  Lille:  „I^e  18.  Fevrier  1463  le  roy  Loys  se 
pÄitist  de  Toumay  et  s'en  alla  a  Lille  -  les  -  Flandres ,  lequel  jour 
®^toit  le  quatriesme  de  caresme,   nnit  de  bchourdich,    que  lors 
^^  a  accoustume  en  la  dicte  ville  de  joustcr."    Daß  dieses  Spiel 
'^eben  dem  FackcUaufc  herging,  geht  aus  folgender  Angabe  her- 
J^T.       Liter,    remiss.    1393    Du  (^ange  v.  brandones:   Conime  le 
join*    j^g    brandons    plusieurs   jeunes  gens   bouhourdaient  Ics 
^''^B    eontre  les  autres,   Jehanniu  de  Douligicr  prist  unc  oupille 


1)  Liter,  remiss.  ann.  1393:  „TiC  preniier  Dimanche  de  ijuaresmc  appelle 
^**    l^xandons  ou  behourdiz.'*     Dq  Cange,  s.  v.  brandons. 

2)  Daher  heiUt   der    Sonntag  Invocavit    schon   ann.    1219  bordao.     Du 

3)  Vgl.  Sebast.  Brand,  Narienschiff,  Kap.  110''v.  76 if.  S.  112  Zarncke, 
^^  der  Fastnacht:  „so  ladt  man  dann  zu  dantz  vn<l  stechen,  Do  miisz  man 
*^^t;    die  gper  brechen  Vnd  bringen  narren  recht  zii  samen.     Buren  hantwerck 

^^"t  sich  nit  schämen  Vnd  nemen  sich  ouch  stechens  an ,  Der  mancher  doch 

*^    ryten  kan.     Hiezu  s.  Zarnckes  Oomiiientar:  .,Im  IG.  .lahr,  war  Turnieren 

^^^ohens)  eine  gewöhnliche  P'astnachtlustbarkeit  in  den  Städten  <  >berdeut^ch- 

^'^^is,   namentlich  der  vornehmen  (ieschlechter,   doch    auch   dvr  geringeren 

*^^rger  und  selbst  der  Bauern;   ein   solches  Turnier  boschreibt  uns  ausführ- 

^^^h    K.  Wittenweilers  Ring  U'^  13  ff.  [geschr.  vor  1153],  auch  der  nd.  Ueber- 

^^tas^r  kennt  diese  Sitte:   „Man   richtet  denno   oek  an  stekespyl.    E>n  büth 

^^n   anderen  to  steken  uth.     Dat  dvinket  den  narren  wesen  gud.    Amptgesel- 

^^^    vnd  andere  kumpanen  Brinckt  meii  toliopo  up  de   baneu.     Fallet  sik  lam 

^Hd.  kvmpt  yn  noet  Moet  denno   ynt  older  bidden  broet.     Eyn  yslick  desser 

g^ckheit  lacht  De  düuel  hefft  dessen  narren  bedacht.**     Hiezu  füge  man  das 

^*    ^.  544  ausgehobene  Zeugniß  aus  Seb.  Franck. 


550  Kapitel  VI.    Yegetationsgeistcr :  Sonnenzanber. 

(titrohfackel)  allnmöe  de  feu,  comme  plnsieurs  autres  gern  c 
eul'ants  avoient.  Wir  sahen  (o.  S.  536) ,  daß  in  Valenciemies  de 
Name  bouhours  sogar  auf  die  Strohfackein  übergegangen  19 
Aus  Zürich  berichtet  Vemaleken  (Alpensagen  S.  356):  ^^AmlOif 
montage  (dem  ersten  nach  Aschermittwoch ,  Tag  nach  Invocayü 
kam  die  Jugend  der  benachbarten  Gemeinden  in  yerschiede 
nen  Zügen  mit  Gewehr  und  Waffen  in  die  Stadt  Zttrio! 
und  marschierte  darin  herum.  Diejenigen  von  Wiediko; 
brachten  neben  allerhand  Böken  den  Ghridigladi  (s.  o.  S.  43tf 
Abends  waren  Feuer  (Funken)  angezündet  Der  Hire 
montag  war  ehedem  kriegerischen  Spielen  and  Jagd 
Übungen  gewidmet.^'  Die  Verbindung  der  bouhours  mit  dei 
Fackelschwingen  läßt  darauf  schließen,  daß  diese  Scheinkämpf 
auch  eine  symbolische  Beziehung  zur  Beförderung  des  Fracht 
Wuchses  hatten.  Losgelöst  von  dem  Feuer  treten  uns  dieselbe 
auch  in  anderen  Gegenden  zur  Fastnachtszeit,  am  Maitage  an« 
zu  Johanni  entgegen.  Im  Freienamte  ziehen  am  Hirsmontag 
(dem  Tage  nach  Invocavit)  zwei  ganze  Gemeinden  gegen  einai 
der  zu  Felde,  nachdem  die  eine  der  andern  eine  Kriegserkläran 
zugesandt,  etwa  mit  dem  Vorgeben,  dieselbe  habe  ihr  eine 
Geishirten  geraubt  und  sie  wolle  ihn  nun  rächen,  oder  zurück 
erobern.*  Im  Entlibuch  (Luzem),  sagt  Rochholz,*  wurde  ai 
Hirsmontage  der  Hirsmontagsschwung  abgehalten,  den  der  Pfai 
rer  Stalder  von  Escholzmatt  (Fragmente  über  das  Entlibuch)  s 
ausführlich  beschrieben  hat.  Es  war  ein  Scheingefecht,  da 
nachdrucksam  und  unter  großem  Pompe  teils  um  Fastnacht,  teil 
um  Mai  und  Ostern,  auch  um  Pfingsten  zwischen  verschiedene 
Talschaften  und  Ortschaften  militärisch  begangen  wurde.  Ei 
solches  Gefecht  pflegten  auch  die  Luzemer  Nachbarorte  Knutwi 
und  Bür^n  sich  alljährlich  zu  liefern.  Die  Kriegsanktlndigunj 
geschah  in  Knüttelversen;  ein  großer  Schmaus  vereinte  beid 
Parteien  nach  langen  und  listig  durchgeflihrten  Manövern.  Ii 
Emmental  (Kanton  Bern)  hielten  die  Dörfer  Wymngen  und  AflFol 
tem  bei  Burgdorf  zur  Maienzeit  einen  „Schimpfkrieg ''"ab;  di 
ganze  Mannschaft  zog  zu  Fuß  und  Roß  imter  ihren  Ortsfahnei 
aufs  Oberfeld  und  seharmutzierten  da  miteinander.    Darauf  zogei 


1)  Rochholz,  Alpensagen  11,  197.    Ders.  Alem.  Kinderl.  485. 

2)  Alom.  Kinderl.  484. 


Scheink&nipfe  beim  Mittsouimerfener.  551 

sie  Paar  um  Paar,  je  ein  Affoltrer  uud  ein  Wjminger  zusammen 

ins  Dort*  zardck,  wurden   vom  Ammann  mit  einer  Bewillkomm- 

niiDggrede    empfangen  und   kostenfrei  bewirtet.     Dann  geschah 

dasselbe  acht  Tage  darauf  zu*  AfFoltem.^    In  Brabant  und  Lim- 

bug  teilen  sich  am  Nachmittage  des  Frohnleichnamsfestes  resp. 

der  Kirmeft  die  Schützen  in  zwei  Heerhaufen ,  die  sich  bekämpfen 

and  von   denen  die  eine  Partei  das  Dorf  besetzt  und  verteidigt, 

die  andere  belagert  und  erstürmt.*    Viel  altertümlicher  hatte  sich 

der  Brauch  in  GraubUnden   bis   ins    16.   Jahrh.    erhalten.     Ich 

gebe  nachstehend  wörtlich  den  Bericht  von  Tschudi  aus  dessen 

^yOrundtiiche  vnd  warhaffte  beschreibung  der  vralten  Alpischen 

fihetde"  etc.    Basel  1538.    Bl.  28  vw. 

Von  den  Stopffem. 

In  obgedachter  Riuier  der  Etuatiem ,  zu  ylantz  Lugnitz  vnd 

'^    der  Grob  ist  der  sitt  von  haydnischen  zyten  harkonmien,  das 

^y    zA   ettlichen  iaren  gemein  versamlungen  hond,  verbutzend 

®^^li,'  legend  harnasch  vnd  gwör  an  vnnd  nimpt  yeder 

®*>^   starken  grossen  stecken  oder  knüttel,  ziehend  also  in 

^**^or  harscht  *  mit  einandem  von  eim  dorflfzum  andern,  thuüond 

*^  ^  oh  Sprung  und  seltzam  abenthür,  als  sy  by  warheyt  veriehend, 

^^-s  sy  söUich  sprüng,  nach  hinthtiung  jrer  hämisch  und  endung 

•J^^^  fümemens  sollicher  höhe  un  wyte  uiendert  gcthün  mögend. 

louffend    starcks    anlouffs    in    einandren,    stossend 

^^  d   putschend   mit  krefften,   ye  einer   an   den   andern, 

^^^  es  erhilt,   sy   stopffend*  lut  mit  jren  grossen  stecken 

_^l,  29  VW.)  dafienthar   werdend   sy  daselbß   zfiland  die  stopflFer 

Hempt,  sy  thunds  das  jne  jr  körn  dester  ha^z  geraten  sol,  hal- 

also  disen  aberglouben.®    Joh.  Stumpf,   Pfarrer  zu  Bubikon 

^^i  Zürich,   der  1548  seine  Schweizer  Chronik  herausgab,  giebt 

1)  Nach  der  1653  verfaßten  Chronik  des  Bauers  Jost  von  Brächershau- 
^^H  über  den  Bauernkrieg.  Schubler,  Sitten  und  Taten  der  Eidgenossen  III, 
^H7  bei  Rochholz  a.  a.  0.  4«3. 

2)  Zs.  f.  D.  Myth.  1,  ITG. 

3)  Vermummen  sich  als  Masken. 

4)  barst  =  Heer,  Heerhaufe.    Weigand ,  I).  WB.  I,  481.    Grimm  WB. 
lAr,  2,  498. 

5)  stopfen  =  stechen.    Weigand  WB.  II ,  836.  unter  stupf. 

6)  Aus  Tschudi  entnahm  diesen  Brauch  Sebastian  Münster  (Kosmogra- 
l>hei  IIL  cap.  235),  aus  diesem  Kirchhoff  (Wendunmuth  Frankf.  a.  M.  1602. 
XV,  285,  235. 


552  Kapitel  VI.    Vegctationsgeister :  Sonnenzauber. 

dcD  Bericht  Tschndis  mit  einigen  Zasätzen  wieder ,  aus  denei 
lienoijgeht,  daß  der  Umlauf  mid  das  Gefecht  der  Stopfer  mei 
stens  zur  Zeit  der  Sonnenwende  statt  hatte,  zu  seiner  Zeit  abe: 
schon  obsolet  geworden  war  und  in  keiner  Achtung  mehr  stand. 
Was  die  französischen  Zeugnisse  vermuten  ließen,  findet  hie 
seine  völlige  Bestätigung;  das  Kampfspiel  hat  nicht  mindei 
;Us  der  Fackellauf  eine  vermeintliche  Einwirkung  auf  dai 
Gedeihen  der  Saaten.  Wo  wir  sonst  noch  dem  Brauche  zu: 
uUmlichen  Jahreszeit  begegnen,  ist  diese  Beziehung  schon  abge 
streift.  Im  Birresbom  und  andern  Orten  der  Eifel  zog  di< 
Jugend  des  Dorfes  am  Nachmittage  des  Johannistages  in  zwe 
Abteilungen  geschaart  und  an  zweien  Ufern  eines  Baches  ode 
Grabens  aufgestellt  gegen  einander  los,  schlug  sich  mit  Hasel 
ruten,  suchte  sich  gegenseitig  die  Gerten  zu  entwinden  und  dii 
Gegner  in  die  Flucht  zu  schlagen.  Das  hieß  „den  Ewischtei 
schlagen."^  Im  Dorfe  Belling  bei  Pasewalk  ziehen  die  Bauen 
am  Sonntage  vor  Johannis  in  zwei  Abteilungen,  die  Herren  zi 
Fuß,  die  Knechte  zu  Pferde  morgens  früh  aus  dem  Dorfe  auf 
Feld  und  kämpfen  mit  einander,  wobei  die  Knechte  meistenteil 
gewinnen.  Nachher  ist  Scheibenschießen;  der  beste  Schütz 
wird  König  und  geschmückt  ins  Dorf  geführt.^  Außer  Stand 
eine  durchschlagende  Meinung  zu  begründen,  sehe  ich  davon  al 
auch  nur  eine  Vermutung  Über  die  Bedeutung  des  „Schimpfspiels' 
vorzutragen.^ 


1)  Vonbun,  Boitr.  z.  I).  Myth.  Chur  1862.  S.  21.  Auch  Ulrich  (^am 
pell  erwähnt  dieses  V\>lk8brauche8.  S.  11  und  bemerkt:  „Mit  diesem  Gebrauch 
hing  früher  der  Glaube  zusanmien,  daß  dessen  Ausübung  ein  frucht 
bares  Jahr  bringe.'' 

2)  Schmitz,  Sitt4?n  und  Bräuche.     Trier  1856.    S.  43. 
a)  Kuhn,  Mark.  Sag.  381. 

4)  DalJ  dieses  in  der  Tat  ein  feststehender  Typus  war,  dafür  spreche 
merkwürdige  asiatische  Analogien.  In  Ne]>al  liefern  sich  die  jungen  Ijcnt 
in  der  nördliclien  und  südlichen  Vorstadt  Kathmandus  Gefechte,  um  daran 
VorauHAetZHtujen  für  die  Fmchtharlceit  des  kommenden  Jnhrefi  zu  zietie} 
A.  Bastian.  Wanderungen  in  Kambodja.  Ausland  1865.  p.  1160.  ,,Da 
dritte  Hauptfeat,  welches  in  Maleyala  gefeiert  wird,  hcillt  Onain  und  fall 
jedesmal  auf  den  Neumond  im  September.  Dann  hört  es  auf  zu  regnei 
pie  Natur  verjüngt  sich,  die  Blumen  sprießen  von  neuem  hervor,  die  Bäum 

aus;  es  ist  die  .Jahreszeit,  die  wir  in  Europa  Früh 
Das  Fest  scheint  in  der  Absicht  eingesetzt,   ein  gesegnett 


^^^^uMUftgen  wieder 
^^^^^^Hk  B  e  n  n  e  n. 


Das  Pflagamzieheii.  558 

§  13.    Das  Pflagnmzieheiu     Unsere  Deutung  der  Früh- 
tings-  und  Mittsommerfeuer  als  Nachbildungen  des  Sonnenfeuers, 
der  Sommerhitze  und  der  Fackeln  als  Darstellungen  der  Gewitter, 
Welche  zum  Gedeihen  der  Vegetation  notwendig^  sind ,  empfängt 
Bestätigung   durch   den  englischen   und    deutschen   Brauch   des 
Pflogumziehens.     Sebastian   Franck  im   Weltbuche    1534   f.  51* 
teilt  mit  ,,  an  dem  Rhein,  Frankenland  und  etlichen  anderen  orten 
^^en  die  jungen  gesellen  all  dantzjunckfrauwen  vnd  setzen  sy 
bi  ein  pfläg  und  ziehen  yhren  spilman,  der  auf  dem  pfl&g  sitzt 
^nd  pfeift,  in  das  wasser;   an  andern  orten  ziehen  sy  ein 
fearinen    pflüg    mit    einem    meifterlichen     darauff 
gemachten    feur    angezündet,    bis    er   zfl    trttmmern 
f  e  1 1."    In  Klein-Ludosch  in  Siebenbürgen  im  Unteralbenser  Komi* 
^^    hat  man  bei   anhaltender   Dürre    den   Brauch,   daß   einige 
Mädchen  sich  gänzlich  entkleiden  und  angeftlhrt  von  einer  eben- 
falls nackten  älteren  Frau  eine  Egge  stehlen.    Diese  tragen  sie 
^^  einen  Bach  aufs  Feld.    Dann  setzen  sie  sich  auf  die  Egge 
^*^d   unterhalten   während   einer  Stunde   auf  allen   4 
^cken    derselben    ein    kleines    Flämmchen.      Hierauf 
l^Bsen   sie  die  Egge  im  Wasser  liegen   und  gehen  nach  Hause. 
-^ti8  England  erwähnt  Brand  I,  506  „In  a  eompendions  treetise 
^valogue  of  Dives  and  pauper  1493  among  superstitions  censured 
^'  t  the    beginuiug    of  the   year  we    find  the   following: 

*Ki  fruchtbares  Jahr  zu  erßelieti.     Es  dauert  acht  Tage,  während  welcher 

^  e  Inder  ihre  Häuser  mit  Blumen  schmücken  und  mit  dem  Dünger  der  Kuh, 

Xeses    heiligen  Tieres  der  Lakshmi,    d.i.  der  indischen  Ceres,   hestreichen. 

Dch  legen  sie  bei  der  Gelegenheit  neue  Kleider  an,  werfen  alle  alten  Töpfe 

eg  und    ersetzen   sie   durch    neue.     Die  Mannspersonen,    besonders  junge 

€,   formieren   zwei  Heere   und   schießen  mit  Ff  eilen  auf  einander,   die 

war  abgestumpft,  aber  sehr  stark  sind  und  mit  großer  Gewalt  abgeschnellt 

erden ,   so  daß   es  auf  beiden  Seiten  eine  ganze  Anzahl  Verwundeter  giebt. 

u  Ehren  des  Vishnu  pflegen  sie  bei  dieser  Gelegenheit  ein  grojks  Rad,  das 

ymbol   des  Gottes    [Vishnu   war  ursprünglich  Sonnengott]   aus  Blumen  zu 

erfertigen  und  in  den  Vorhöfen  ihrer  Häuser  aufzustellen.  Sie  geben  dadurch 

nf  sinnreiche  Art  zu  verstehen,   daS  die  Sonne   nunmehr  nach  Verlauf  der 

egenzeit  wieder  im  Annähern   begrifi^en   sei  und  ihre  Herrschaft  gleichsam 

on  neuem  antrete.'*    Fra  Paolino  da  San  Bartolonieo,  Reise  nach  Ostindien 

^rsg.  V.  R.  Forster.     Berlin  1798.     S.  362.     Hier  begegnen   wir  sogar   dem 

uch   beim    Sonnwendfeuer    gebräuchlichen    Sonnenrade,  wieder,      üeber   die 

^merkwürdige  Parallele  im  homerischen  Hymnus  an  Demeter  v.  266  werde  ich 

demnächst  an  anderem  Orte  ausführlicher  verhandeln. 


bbi  Kapitel  VI.    YegetatioDsgeister:  Sonnenzaaber. 

ledingh  of  the  ploughe  aboute  the  fire  as  for  go« 
beginning  of  the  yerc,  tbat  they  gcbulde  fare  the  better  all  i 
yere  foUowyng."  Diese  Verbreunung  des  Pfluges,  der  Egge  od 
Umftlhrang  um  ein  Feuer,  welcher  der  Brauch  verglichen  werd 
muß,  angekohlte  Scheiter  des  Osterfeuers  am  Pfluge  anzubringei 
steht  deutlich  dem  Hindurchgehen,  dem  Sprunge  durch  und  de 
Tanze  um  die  Frühlings  -  und  Mittsommerfeuer  gleich ,  ist  so 
sagen  ein  Wärmezauber,  um  durch  den  Pflug,  die  Egge  der  Sa 
den  zu  ihrem  Gedeihen  erforderlichen  Sonnenschein  u.  s.  w. 
sichern;  ihr  steht  der  Regenzauber  zur  Seite,  den  Pflng  i 
Wasser  zu  ziehen  (vgl.  o.  S.  332.  214  flf.  259.  327  flf.  356).  Bei 
Sitten  sind  offenbar  zumal  im  Beginne  des  Jahres  je  nach  n 
meintlichem  Erfordemiß  abwechselnd  geübt  worden;  zuweil 
gemeinsam  wie  in  obigem  Siebenbirger  Beispiel,  wo  die  klein 
Feuer  auf  den  Ecken  ein  Uebermaß  des  erbetenen  Regens  r 
hüten,  abwechselnd  Regen  und  Sonnenschein  hervorzaub« 
sollen ;  der  Feuerzauber  kam  früher  in  Abgang ;  der  Regenzanl 
und  noch  andere  Formen  des  Pflugziehens  dauerten  vielfach 
in  neuere  Zieit  fort  Naogeorgus  (in  seiner  1553  zuerst  ersdi 
neuen  Satyre  Regnum  papisticum  B.  IV)  schildert  die  Sache  j 
ausflihrlichsten.  Am  Aschermittwoche  rissen,  die  Burschen  ci 
Mägde  aus  den  Häusern  und  spannten  sie  vor  ein 
Pflug,  einer  trieb  und  lenkte  sie  mit  der  Peitsche.  In  der  Hi 
des  Pfluges  saß  ein  Spielmann,  sang  und  spielte.  Ein  Säma 
folgte,  der  hinterher  Sand  oder  Asche  mit  lächerlichen  Geberc 
ausstreute.  So  zog  mau  von  Markt  zu  Markt,  von  Straße 
Straße,  endlich  flihrte  der  Lenker  (rector)  die  Mägde  u 
den  Pflug  in  einen  Bach  und  rief  sie,  naßgeworden,  zu  M: 
und  Tänzen.  2  Dasselbe  geschah  (um  1592)  zu  Hof  auf  Fa 
nacht;  die  Mägde  konnten  sich  jedoch  mit  Geld  lösen  und  hin 
dem  Pfluge  säte  man  Heckerling  und  Sägespäne.^  Auch 
Leipzig  geschah  der  Umzug  am  Fastuaehtdienstage;  verlar 
(personati)  Junggesellen  zwangen  die  untenvegs  aufgegriffet 
Jungfrauen  in   das  Joch  eines  Pfluges  zur  Strafe,  daß  sie  nc 


1)  Wuttke^  §  81.    Vgl.  0.  S.  504. 

2)  Thoni.  Naogqorgus,  Regnum  Papisticum  (Basileao)  1559.  p.  144. 

3)  Enoch  Wiedemaun,  Chronik  von  Hof.   Sachs..  Provinzialbl.  VIII.  9 
Myth.«  243. 


^ 


Dm  PflügimizieheiL  555 

flicht  geheiratet  hatten.    Als  im  Jahre  1499  einer  der  Barschen 
ein  beherztes  Mädchen  mit  Gewalt  für  den  Pfluggang  pressen 
Trollte,  erstach  sie  ihn  und  entschuldigte  sich  auf  frischer  Tat 
nun  Richter  geführt,    sie   habe    keinen  Menschen,   sondern  ein 
Gespenst  (spectrum)  getroffen.^    Auch   Hans  Sachs   erzählt,   er 
iuübe  am  Aschermittwoch  bei  Kegensburg  sechs  schöne  Uausmaide 
an  einem  Pfluge  daherziehn    sehen,    ein  Barsche   trieb  sie  mit 
der  Geißel,  ein  anderer  hielt  zu   hinterst  den  Pflug;  und  eins 
rheils  Gesellen  trieb  noch  mehr  Hausmägde  herzu.    Es  waren 
dieHausmaide,  die  überblieben  waren  und  bisFast- 
nacht  keine  Männer  genommen.'    Bei  der  Ausübung  des 
Brauches  in  Neustadt  a/Saale  entstand  im  Jahre  1578  Unfug  und 
einer  wurde   todtgestochen.    Deshalb   stellte  man  die  Sitte  ab. 
In  Uhn   war  schon   1530  verboten,   sich  in  der  Adventszeit  zu 
v'erbutzen  und  Pflug  und  Schiff  herumzufahren.^    In  ein- 
zelnen Gegenden  tritt  die  Egge  an  die  Stelle  des  Pfluges.    So 
erzählt  ebenfalls  im  16.  Jahrhundert  die  Chronik  von  Zimmern 
(p*  1281  ed.  Barak  H,  117):  „also  uf  die  estrichen  mittewochen 
(Aschermittwoch),  wie  der  prauch  einest  zu  Scher  (Dorf  in  Ober- 
•chwaben),  das  die  mediin  vnd  megt  auch  die  jungen 
S^sellen  die  eggen  durch  die  Tonaw  ziehen,  do  (hat) 
S^ave  Endres  angericht,  das  dieselbigen  den  jungen  herren,  herr 
Wilhelmen  Wemhem  ufgefangen   haben,    der   hat   inen   mueßen 
die  eggen  helfen   durch  die  Tonaw  ziehen."    Vgl.  den 
^hwank    „die  Egen"  (Keller,  Fastnachtsp.  I.  no.  30.  S.  246  ff. 
"^^sschreier :  „got  grüß  den  wirt  und  die  wirtin.     (Es  kumt  ein 
^^ir  mit  sim  gesint  und  der  wirtin).    Was  heur  von  meiden  ist 
^feerblieben  und  verlegen   Die   sein  gespant  in  den   pflüg 
I^Jid  in  die  egen.    Das  sie  darinnen  ziehen  mußen,    Und  dar- 
*^^en  öffentlich  pueßen,    Das  sie  sein  kumen  zu  iren  tagen,    Fut 
^^  tutten  vergebens  tragen."    Im  Stanzcrtale  in  Tirol  wurde  aber 
'locli  vor  nicht  langer  Zeit   am  Ostermontag  oder  Osterdienstag 
^  Pflug  unter  Jauchzen  und  Lärmen  feierlich  umgeflihrt.*    Im 

1)  Pfeiffer,  Chronic.  Lips.  II.  §  53.   Haltaus -Scheffer,  Jahrzeitbuch  202. 
^ytl.*  243. 

2)  Schwank  „Die  Hausmaide  im  Pflug."  Hans  Sachs  ed.  A.  Keller.  V,  179. 

3)  Ratsprotocoll  vom  Niclasabend  1530  (Jäger,  Schwab.  Städtewesen  des 
^A.  I,  525.    Myth.2  242. 

4)  Zingerle ,  SittA.  *    S.  150,  1297.    Im  Zillcrthal  ebenso  am  Äscher- 
^ttwocL    Hörmann,  der  heber  gät  in  ütun.    S.  44,  119. 


566  Kapitel  VI.    VegetationsgeiBter:  Sonnenzauber. 

Ansbachischen  wird  zu  Pfingsten  der  geschwärzte  Pfing 
lümmel  auf  einem  aus  zwei  Pfaggestellen  zusammengeseta 
Wagen  von  Burschen,  die  mit  Rollen,  Schellen^  Klingeln  behl 
sind,  umhergefahren  ^  und  zu  Münnerstadt  i.  d.  Rhön  tragen 
sogenannten  Pfingstbuben  schon  im  März  einen  kleinen  Pflug 
einem  Brette  von  Haus  zu  Haus;  in  Bischofsheim  Yor  der  I 
bereits  am  22.  Februar  (Petri  Stuhlfeier,  Anfang  des  fli 
üblichen  Gemeindejahres).    Die  einen  bitten: 

Da  kommen  die  armen  Pfingstbuben, 

Mit  Pflug  und  Schar 

Und  wollen  hinaus  in  den  Acker  fahr". 

Die  andern: 

Steuer,  Steuer  Pflug! 
Hat  weder  Sech  noch  Schar, 
Wir  woir  no  lass  beschlag', 
Und  bald  'naus  'n  Acker  fahr'.* 

Nur  von  einem  deutschen  Orte  weiß  ich  nachzuweisen, 
an  ihm  die  Bespannung  des  Pfluges  mit  Jungfrauen  bis  h 
fortdauert.  Zu  Hollstadt  bei  Neustadt  in  Unterfranken  findet 
7  Jahre  im  Februar  das  Pflugfest  statt,  bei  welchem  u 
anderen  Aufzügen  ein  Pflug  von  sechs  ausgesucht  schönen  1 
chen  in  ländlicher  Festtracht  dahergezogen  wird,  von  Bauern 
Geräten,  Säeleuten,  Schnittern,  Dreschern,  Heumachern,  Winj 
u.  8.  w.  in  Bauerkleidung  begleitet ;  dem  Pfluge  l'olgt  eine  Rtii 
schleife,  mit  welcher  man  die  Rüben  in  den  Acker  drückt,  e 
falls  mit  vier  Mädchen  bespannt.  *  In  Kärnten  ist  im  Fasel 
der  Brauch  des  ploh  ulcöiti  (den  l^ug  wiederherstellen)  i 
jetzt  fast  allgemein;  in  den  Vorstädten  von  Laibach  hat  er 
am  Aschermittwoch  Nachmittag  statt.  Dabei  wird  mit  eiu 
Pfluge  der  Schnee  umgeackert;  hinter  den  Arbei 
schreitet  der  herrschaftliche  Amtmann,  der  sie  mit  unerbitüi 
Kohheit  schlägt.  Die  Burschen  fahren  jubelnd  mit  dem  Pf  1 
um  die  Ackergrenzen,  während  der  Faschingsnarr  in 
Küchen  geiziger  Hausmütterchen  sehleicht  und  mit  der  Ofeng 
Würste  und  Rauchfleisch  wegstipitzt.*    Ein  französisches  Zeu{ 


1)  Panzer  II,  90,  138.    Cf.  Liebrecht  i.  d.  Germania.  V,  51- 

2)  Panzer  I.  239,  2«;').     Leipz.  Illustrierte  Zeitung  1873.  no.  1547. 

3)  Illustrierte  Zeitung  1873.   no.  1547.  • 

4)  Ausland  1872.    S.  469. 


Das  Pflagumziehen.  557 

wonach  za  Sceaax  bei  Paris  Barsche  in  Weiberkleidang  auf 
Ftttnacht  einen  Pflug  ziehen,  ist  mir  nur  aus  einer  gelegent- 
liciien  Mitteilung  von  Liebrecht  bekannt.  ^    In  England  ftahrt  der 
Montag  nach  Epiphanias  sogar  allgemein  den  Namen  Plough- 
monday  nach  dem  feierlichen  Umzüge  mit  dem  Narrenpfluge 
(fool-ploughy  auch  fond-plough,  stot-plough,  white-plough  genannt), 
der  vorzugsweise   in  Nordengland   im  Gebrauche  war   und   ist 
Aogeblich    begann    dann    das    Pflügen   und    andere    Feldarbeit 
DreiBig  bis  vierzig  Bursche  in  Hemdsärmeln,  das  weiße  Hemd 
Aber  die  Weste  geworfen  und  an  den  Schultern  und  Ärmeln 
mit  breiten,  hellfarbigen  Bandschleifen  verziert,  auf  dem  Kopfe 
mit  Bändern  geschmückte  Hüte,  ziehen  an  langen  Stricken  den 
ebenfalls   mit  Bändern    behängten   l^ug.     Sie    werden   deshalb 
zuweilen  als  plough-bullocks  (Pflugochsen,  eigentlich  Bullen) 
bezeichnet.     Gewöhnlich  begleitet  sie  ein   altes  Weib,   oder  ein 
»Is  solches  verkleideter  Bursch,  Old  Hessy  (alte  Liese)  gerufen, 
nut  ungeheurer  Nase,   langem   Kinn,   hoher   zuckerhutähnlicher 
Kfltze  und  drolligem  Aufputze.    Oft  folgt  auch  ein  Narr  (fool) 
dem  Zuge.     Er  ist  über  und  über  mit  Bändern  bedeckt,  ganz 
I     ^öd   gar    in  Pelle   gekleidet    und    trägt    einen    lang 
herabhängenden    Schwanz;    in    der   Hand    Itihrt   er    eine 
Wüchse,  um  bei  den  Zuschauem  der  Tänze,  welche  die  Burschen 
^JiflRihren,  Geld  einzusammeln.     Das  Buch  „Costume  ofYorkshire 
^Öl4  bringt  auf  pl.  XI  eine  Abbildung  des  foolplough,  als  dessen 
ff^uptcharactere  treten  uns  entgegen :   1)  die  Pflugzieher,    2)  der 
^ugtreiber,    der    als    Peitsche    einen    Stocjc    uiit    aufgeblasener 
S^^'hweinsblasc  ftilirt,   :0  der  Fiedler,   4)  ein  Bursche  in  Weiber- 
^^■'^ht,    endlich    5)  der   Befehlshaber  des   Ganzen,    Redner    und 
*^Dzer  in  einer  Person,    „Captain  Caufstail,"  so  genannt  nach 
^^lu  Kalbsschwanze,   den  er  trägt     Wo  die  Bursche   keine 
^^ben  erhalten,   pflügen  sie  den  Düngerhaufen,    oder  sie  ziehen 
^en    l^ug   über    den    P^strich    und    reißen    den  Boden    vor   dem 
*^^rrenhause   auf  in   Furchen.     Brand   lUhrt   eine    reiche  Anzahl 
^^  Belegen   Itir  das  Alter  und   die  Verbreitung  der  Sitte  aus 
*^ex,  Westminster,  Norfolk,  Lincolnshire,  Yorkshire,  Northumber- 
^^d  saec.  15  —  18  auf     Die   christliche  Priesterschaft  hatte  sich 
^^ch  dieses  Brauchs  lienüichtigt,  von  dem  Ertrage  der  Einsamm- 

1)  Gervasios.    S.  187.    Anm.  57. 


568  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzaaber. 

lang  floß  ein  Teil  in  die  Kirchenkasse.  Oft  sind  es  Brttdc 
Schäften,  welche  den  Umzng  zum  Besten  der  Kirche  halten. 
Norfolk  war  laut  Blomefield  (Hist.  of  Norf.  IV,  287)  ehedem  d 
ganze  Einnahme  zur  Unterhaltnng  einer  danach  Plow  light  (Pfla 
licht)  zubenannten  Kerze  bestimmt,  dergleichen  die  jungen  m 
alten  Ehepaare  der  Gemeinde  in  manchen  Kirchen  vor  den  h 
ligen  Bildern  unterhielten.  Häufig  führen  die  Bursche,  weld 
den  Pflug  schleppen,  einen  Schwerttanz  auf;  da  dieser  jedoch 
England  auch  abgesondert  und  zwar  zu  anderen  Zeiten,  auf  de 
Festlande  aber  niemals  mit  dem  Pflugziehen  verbunden  vorkomn 
so  ist  es  wahrscheinlich,  daß  beide  Sitten  erst  in  neuerer  Z( 
mit  einander  verbunden  wurden.  ^  In  Dänemark  veranstalteti 
noch  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  die  jungen  Leo 
beiderlei  Geschlechts  auf  Alsen  am  Neujahrstage  eine  Güc 
wozu  sie  das  Geld  durch  den  Pfluggang  zusammenbracht! 
Junge  Bursche  zogen  einen  Pflug,  den  ein  „Prediger"  (Pr«: 
und  ein  „Küster"  (Degn),  sowie  ein  „Musikant"  begleiteten,  r 
Haus  zu  Hause  und  sangen: 

1)  I  lukke  op  jer  Stuedör 
Lad  Nyaar  ind  til  jer  gaa. 
Velkommen  Nyaar  og  velkommcn  her! 

Vi  ere  velkomne  i  Herrens  Aar  og  velkomnc  her. 

2)  Med  Gläde  og  med  Gammen, 
Med  Helbred  allesammen.    n.  s.  w. 

3)  Med  Plommer  og  med  Pärer 

Som   Sommercn  frembärer.    u.  s.  w. 

4)  Med  lange  Bug  paa  Jolde 

Og  favre  Foler  i  Stolde.    u.  s.  w. 

5)  Med  Fisk  udi  vor  Fänge 
Og  smukke  Piger  i  Senge. 

6)  Saa  Yuggen  den  kan  gange 
Med  deilige  Böm  og  mauge. 

7)  Nu  har  den  Vise  en  Ende 
Alt  Ond  Gud  fra  os  vende! 

Hierauf  hielt  der  Prediger  eine  tolle  Rede,  der  Musika: 
spielte  auf,  man  tanzte  mit  den  Mädchen  des  Hauses,  nahm  d 
Gaben  in  Empfang,   sang  ein  Danklied,  lud  zur  Gilde  em  nii 


1)  S.  Hone,  Every  Daybook  I.  London  lß66.  p.  36.    Brand,  pop.  antiqi 
ed.  EUis  I,  IS^  p.  505-519.  Müllenhoff,  Schwerttanz.  Berl.  1871.  p.  24-37 


Das  Pflagamzieheii.  559 

^  weiter.  ^    Die  Kirche ,  das  sieht  man ,  hat  es  sich  angelegen 

^in  lassen,   aaeh   diesen   profanen  Brauch   des  Pflngziehens  an 

rieh  and  ihre  Institutionen   zu   knüpfen.    Hier  fällt  der  Ertrag 

der  Einsammlung  dem   Gotteshause   zu,    dort  wird   davon  eine 

^weihte  Kerze   unterhalten,   an   manchen  Orten   mag  versucht 

^in,  den  Lenker  des  Pflugs  durch  einen  Geistlichen  und  seinen 

Küster  zu  ersetzen,  daher  der  dänische  Name  Prägst.    Von  einer 

andern  Zeit  des  Frühlings  wurde  die  Begehung  auf  Fastnacht 

ftbcrtragen  und  die  Aussaat  von  wirklichem  Getreide  dem  Brauche 

ie«  Aschermittwochs  entsprechend  in   das  Ausstreuen  von 

A.  sehe  und  Sand  (oder  Heckerling)  verwandelt    Vordem  aber 

^v-ÄT  der  Pfluggang  eine  von  der  Kirche  unabhängige,  ganz  emst- 

li&fi  gemeinte   symbolische  Handlung,   welche  beim  Beginn   des 

Irenen  Jahres   der  Ackerarbeit  in  demselben  den  besten  Erfolg 

»ichem  sollte.    Paß  in  Ulm  und  anderen  Orten  der  Umzug  mit 

Scliffen  (oder  SchiflFschlitten)  daneben  herging,  läuft  ganz  parallel, 

^^   war  das  Bittfest  um  günstige  Schiffahrt,   bevor  das  Wasser 

^cder  aufging.*    In  Dänemark  fand  der  Umzug  mit  dem  Pfluge 

^^^^  Keujahrstage  (1.  Jan.)  statt,  in  England   am  Montage  nach 

Epiphanias  (vgl.  o.  S.  538),  dem  sogenannten  großen  Neujahr  oder 

^^risten  Tage  (oder  at  the  beginning  of  the  year  (o.  S.  557),  in 

pischofsheim  am    22.  Febr.,  dem   ersten   Tage   des   alten  Civil- 

jalires  (gegenüber  dem  Kirchenjahre  und  legalen  Jahre).   Da  nun 

*^ch   der  (erste)  März  und  Ostern,  die   im  Mittelalter  ebenfalls 

^s   Jahresanfänge  vorkommen,  als  Tage  des  Pfluggangs  genannt 

^^^rden,   so  könnten  sie  auch  in   letzterer  Beziehung  den  Jahr- 


1)  Sv.  Qmndtvig,  Gamlo  Danske  minder  i  Folkeniunde  III.    Kjöbenh. 
l^Bei.  p.  166—168.    1)  Schließt  auf  eure  Stubentür,  daß  das  Neujahr  zu  euch 
"^reingehn.    Willkommen  Neujahr   und   willkommen   hier!    Wir  sind  will- 
kommen im  Jahre    des  Herrn   und   willkommen   hier.     2)  Mit  Freude  und 
Jubel,  mit  Gesundheit  allezusammen.    3)  Mit  Pflaumen  und  Birnen,  wie  sie 
^er  Sommer  hervorbringt.    4)  Mit  langem  Roggen  auf  dem  Kornboden  und 
schönen  Füllen  im  Stall.    5)  Mit  Fischen   in   unseren  Netzen    und  schönen 
^'^chen  im  Bett.   6)  So  daß  die  Wiege  gehen  kann  mit  hübschen  und  vielen 
^iödem.    7)  Nun  hat  das  Lied  ein  Ende,  Gott  wende  alles  Böse  von  uns. 

2)  Es  wäre  möglich^  daB  Tacitus  (Germ.)  einen  derartigen  Umzug  aU 
*^e8t  ^er  Isis  interpretierte ;  an  eine  deutsche  Göttin  (Myth*  236  ff.)  ist 
^*hei  nicht  zu  denken;  Frau  Eisen,  das  gemeinsame  Machwerk  des  Klee- 
_*Ätt8  Pseudoberosus  (Annius  von  Viterbo),  Aventin  und  Simrock  möge  end- 

^^  fÖT  immer  in  ihr  schattenhaftes  Nichts  zurücksinken. 


560  Kapitel  VI.    Yegetationsgeister:  Sonnenzauber. 

beginn  bezeichnen  sollen;   wo  nicht ^  sind  sie  als  Vertreter  des 
Frühlingsanfangs  aufzufassen.    Der  Zug  bewegte  sich  wol    ._ 

ursprünglich   überall,    wie    in    Kärnten,    zuerst    um 

die  Ackergrenzen,  und  man  erwartete  davon  woltätige  Wir 
kung  hinsichtlich  der  Saatfelder,  danach  erst  wird  der  Umgan, 
im  Dorfe  zur  Einsammlung  der  Steuer  ftir  die  segensreich 
Begehung,  und  zugleich  zur  Lustration  von  Menschen  und  Tiere 
begonnen  haben.  Wir  sahen,  daß  gewisse  symbolische  Ae 
(Wasserguß,  Feuerweihe)  bei  dieser  feierlichen  Vorpflttgun 

erforderlich  waren;  ein  solcher  sinnbildlicher  Zug  war  onzweifel ^ 

hafti  auch  die  Bespannung  des  Pfluges  mit  unverhei 
ratet  gebliebenen  Jungfrauen.  Entsprechend  jenem  Udi^h 
hauen  des  Emtemai  (o.  S.  196),  der  Einholung  des  Frtthlingc^B 
baumes  (o.  S.  211)  durch  die  Weiber,  muß  dadurch  das  empfancs 
gende  und  gebärende  Element  der  vor  der  Saatbestellung  noc^^] 
jungfräulichen  Erde  angedeutet  sein.^  Daß  aber  in  der  Tat  dii 
ser  Zug  der  solennen,  feierlichen,  Zauberwirkung  suchenden  Weit 
uralter,  wirklicher  Ackerbestellung  angehört,  erweist  der  W 
mische   Aberglaube.     Nach   Krolmus   Staroöeske   pov^sti  II,  ^  9, 

1)  Der  Vergleich  des  Weibes  mit  einem  Fmchtfelde  ist  ein  alter  m^^Md 
weitverbreiteter.    In  Indien   sagte  man  bei  der  Ankunft  des  Brautzuges     -Sm 
Hause   des  Bräutigams:    „Als   Frucht feld   kam    hierher   das   Weib,      ^Jß 
beseeltes.    Säet  in  sie,  Männer,  euren  Samen."    Atharvaved.  XIV.  §  2,  0.    :i4, 
Weber,  Ind.  Stud.  V,  205.  Im  Koran  (Sure  2,  übers,  von  Boysen.  Halle  IT  ^4. 
S.  36)  heißt  es:  „Eure  Weiber  sind  eure  Aecker,   geht  zu  eurem  Acker  ^-»io, 
wie  ihr  wollt."     Den  Griechen   war  Pflügen  ein  ganz  gewöhnlicher  Tro  j)ob 
für  zeugen.    Lucrez  braucht  v^mer  und  sulcus  für  die  männlichen  ond  w  ^ib- 
lichen  Unterscheidungsteile.    Umgekehrt  kann  daher  auch  das  Weib  die      ^en 
Samen   aufnehmende  Natur   oder  Erde  bezeichnen.    Zu  vergleichen  stehti     ein 
indianischer  Brauch,  den  Schoolcraft,  Researches  respecting  the  redmanl*-^' 
p.  70;  Oneota  p.  83  mitteilt,  ohne  einen  bestimmten  Stamm  zu  nennen.        ü™ 
sich  eine  reiche  und  gesegnete  Ernte  zu  verschaifen  und  ihr  kleines  Fel^    ^®' 
Würmern,  lusecten,   Eichhörnchen  und  die  Frucht  vor  Mehltau  zu  8icto.«rn, 
geht  die  Hausfrau   bei  Nacht  und  bedecktem  Iliinmel   völlig    entkleidet    *^ 
den  Acker   und  umwandelt  ihn ,    ihre  Machecota  (Hauptbedeckung)  mit   J^^ 
einen  Hand  hinter  sich  herziehend.    Man  setzte  voraus,  daß  das  schä^^'^* 
Gewürm  nicht  über  die   bezeichnete  Linie  kriechen  könne     Es  ist  bek^*"^ 
wie  Longfellow  diese  Mitteilung  Schoolcrafts  in  seinem  HiawathaXIII,  ül^^"' 
von  H.  Schultz,   Berl.  1^59.  p.  100  cf.  174  verwertet  hat.    Genauso    i"»'"^ 
z.  B.  in  Masuren  um  ein  Feld,  auf  welches  Erbsen  gesät  werden,  ein  u***^ 
kleidetes  Frauenzimmer  gehen,  oder  sein  Hemde  getragen  werden,  um  31^"  " 
tau  zu  verhüten.    Toppen  <  93. 


Das  Pflngfoinziehcn.  561 

Orohmaim,  Abergl.  143,  1058  war  es  in  Rosin  Gebrauch,  daß  die 

I^Bte  bei  der  ersten  Aussaat  zur  Nachtzeit  in  großem  Zuge 

ein  nacktes  Mädchen  und  einen   schwarzen  Kater   dicht 

vor  einem   Pfluge   her   aufs   Feld   führten,   wo   der  Kater 

lebendig  vergraben  wurde.  Krolmus  selbst  sah  vor  etwa  40  Jahren 

Bö  Kfeseyn  drei  Weiber,   wie  sie  Gott  erschaffen,  zur  Nachtzeit 

eineii  Pflug,   eine  Schar  und   einen  Wagen  hinter  sich  auf  den 

Acker  hinausziehen  (a.  a.  0.  II,  39;  Grohmann,  S.  144).    An  diese 

Sitte  enthalten  auch  noch  deutsche  Sprichwörter  deutliche  Erinne- 

ning:  „tji,  sait  Aage,  spSnt  sin  wtif  f6'6r  a  plugh."    Zieh,  sagt 

Age,  da   spannt   er  seine  Frau  vor  den  Pflug,  (friesisch). 

yy  So  möt't  kämen ,  säd  de  Bür  un  spennt  s!n  Frfl  vor  de  figg."  ^ 

Sollte  noch  ein  Zweifel  walten  können  über  den  Zusammenhang 

Jones  Neujahrs-  resp.  Fastnachtgebrauchs,   die  Mägde   vor  den 

t^ug  zu  spannen,  mit  der  soeben  vorgetragenen  Beackerungs- 

Methode,   so  mußten  ihn  die  nachstehenden  Sitten  aus  Rußland 

hieben,   welche   die    solenne,   zauberwirksame  Weise   der  Feld- 

^»tellung  auf   einen   Zauber    zum   Schutze   gegen    epidemische 

Flinkheiten  angewandt  zeigen,  und  von  denen   die  eine  jenem 

Neujahrs- (Fastnachts-)  brauche,  die  andere  dem  Rosiner  Saat- 

K^brauche  näher   tritt.    Noch  im  Jahre  1871  suchten  die  Land- 

l^ute  im  Dorfe  Dawydkowo   bei  Moskau  beim  Herannahen  der 

^liolera  die  Krankheit  gleichsam  zu  consignieren.    Zwölf  Jung- 

^^anen    spannten    sich    um  Mitternacht  an   einen   Pflug 

^nd   zogen    ihn  rund   um  das  Weichbild  des  Dorfes.    In 

^^sen  Zauberkreis  sollte  die  Cholera  nicht  mehr  eintreten  können. 

-Einige  Tage  darauf  entschloß   sich   die  Geistlichkeit  des  Ortes 

^it  allen  heiligen  Geräten  eine  Prozession  um  die  ausgezogenen 

I^flugscharftirchen   zu  machen,   um   dem  Zauberkreise  auch  noch 

Öire  ganz  christliche  Weihe  zu  geben.  Die  Mordwinen  im  Gouver- 

lieinent  Simbirsk  umziehen,  sobald  in  den  umliegenden  Orten  sich 

eine  Viehseuche  zeigt.   Nachts   ihr  Dort'  mit  einer  Furche.    Der 

Ortsvorstand  ladet  behufs  dessen  ehrbare  Greise  und  unchuldige 

Jttnglinge   und  Mädchen  zu  sich  ein.    Einer  der  Greise  schreitet 

^t  dem  Heiligen])ilde   voran  und  hinter  ihm   ziehen  Jünglinge 

den  Hakenpflug,  den  eine  keusche  Jungfrau  lenkt.   Ohne  Geräusch 


1)  Mechlcnburg  bei  Haupt  Zs.  f.  D.  A.  VIII.  371.  336.    E.  Höfer,  Wie 
^^  Volk  spricht.    Aufl.  4.     Stuttg.  1862.    no.  19.  174. 

^*anh»rdt  36 


062  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

and  Rede,  in  lautloser  Stille  amfiirchen  sie  die  Ortschaft  Bi 
weilen  tragen  die  Ackerer,  gleichsam  als  Opfer,  ein  sehwam 
Kätzchen  im  Kober  mit  sich.  Aas  anderen  russischen  Lan 
Schäften  teilen  Orest  Miller  und  Tereschtschenko  andere  Eimc 
heiten  ttber  den  Brauch  des  Pflugziehens  (Opaktiovanie)  m 
Bei  einer  Homseuche  des  Viehs  versammeln  sich  die  Weiber  i 
bloßen  weißen  Hemde,  mit  Besen  und  Schaufeln  oder  mit  Senw 
und  Sicheln  bewaffnet  Die  älteste  unter  ihnen  wird  t< 
einen  Pflug  gespannt,  und  muß  ihn  dreimal  nind  um  d^ 
Dorf  ziehen;  die  übrigen  folgen  unter  Absingung  gewisser  fl 
diese  Gelegenheit  traditioneller  Lieder  (vgl.  o.  S.  15).*  Nai 
Tereschtschenko  schreitet  eine  Jungfrau  mit  dem  Bilde  des  he 
ligen  Blasius  (Vlas)  voran,  hinterher  die  Dorfweiber  mit  Besc 
und  Strohbttndeln ,  andere  auf  Besenstielen  reitend  und  Bra 
pfannen  schlagend,  lärmend  und  tanzend;  den  Schluß  machi 
einige  alte  Frauen,  welche  angezündete  Kienspäne  in  den  Häiidi 
halten  und  im  Kreise  die  vor  den  Pflug  gespannte  Greisin,  sow 
eine  Wittwe  umschließen,  die  mit  nichts  anderem,  a 
einem  Pferdekummet  am  Halse  bekleidet  ist  V 
jedem  Hofe  macht  die  Prozession  halt  und  flihrt  hier  mit  Topf« 
und  Pfannen  eine  Katzenmusik  auf,  indem  man  ausruft:  „da  i 
der  Kuhtod!  Da  geht  er!^^  Läuft  zufällig  ein  Hund  oder  eb 
Katze  vorbei,  so  wird  das  Tier  als  der  leibhaftige  Kuhtod  (d. 
Krankbeitsgeist)  ergriffen  und  getödtet  Dieser  Brauch  gilt  m 
vorzügliche  Vorkehrung  gegen  die  Viehseuche.  Ein  ander 
wird  als  wirksam  gegen  verschiedene  epidemische  Krankheiti 
betrachtet  Die  Weiber  schleppen  um  Mittag  auf  jedem  Enc 
des  Dorfes  einen  Haufen  von  Wirtschatitsabgängen  auf  und  stecke 
beide  um  Mittemacht  in  Brand.  Zum  einen  Feuer  ziehen  d: 
jungen  Mädchen  in  weißen  Hemden  und  mit  lose  fliegende 
Haaren  einen  Pflug;  eine  trägt  ein  Heiligenbild  hintenan.  Zc 
zweiten  Brandstelle  am  entgegengesetzten  Ende  der  Dorfstrafl 
tragen  die  alten  Frauen  schwarz  gekleidet  einen  schwarzen  Hah 
und  ftlhren  ihn  dreimal  herum.  Dann  ergreift  eine  Alte  de 
Hahn  und  läuft  damit  zum  Feuer  der  Mädchen  am  anderen  Don 
ende,  indeß  der  ganze  Haufe  das  Geschrei  laut  werden  läßl 
„Stirb,  verschwinde  schwarze  Seuche!"    Dort  angekommen  wir 


1)  Orest  Miller,  Opnit  I,  10. 


Das  Pfingomziehcn.  563 

sie  das  Tier  in  die  Flammen.  Die  Weiber  ziehen  jetzt  den 
Pflug  dreimal  rund  um  die  Dorfgrenze.  ^  Die  Ackerfurcbe  ist 
li eilig,  ihre  Ueberschreitung  rächt  sich  durch  Tod  oder  Krank- 
heit. Deshalb  limitierte  man  in  Rom  die  nengegrttndete  Stadt 
mit  dem  Pfluge  (primigenius  sulcus),  nur  die  Stelle  der  Tore 
fireilassend;  jedes  böse  verderbliche  Wesen  vermeinte  man  auf 
diese  Weise  von  dem  umschlossenen  Bezirke  fernhalten  zu  kön- 
nen '  und  aus  gleichem  Grunde  geschah  die  Umfurchung  des 
Ortes  bei  Seuchen,  die  geheiligte  Linie  wehrte  den  Krankheits- 
S^ist  (die  Pestfrau ,  den  Viehtod  u.  s.  w.)  ab.  Das  Verbot  der 
Synode  zu  Lestines  a.  743  (Indicul.  paganiar.  XXIII)  „de  sulcis 
eirca  villas"  weist  auch  diese  Sitte  dem  deutschen  Heidentum 
zu,  wenn  nicht  gar  die  Umturchung  des  Dorfes  mit  jenem  Frtth- 
lingspfluge  gemeint  ist  Das  Ziehen  der  Furche  aber  geschah 
^  Jedem  Falle  unzweifelhaft  ganz  nach  dem  fUr  das  Ackerungs- 
"^orfest  hergebrachten  religiösen  Ritus,  wobei  es  gleichgUtig 
®<5lieint,  ob  die  Jungfrauen  (resp.  die  Jungfrau  oder  das  Weib) 
^ein  Pfluge  vorangehen,  ihn  ziehen  oder  nachfolgen.  Auch  die 
-^essy  des  englischen  Brauchs  werden  wir  jetzt  als  das  der 
^^remonie  unerläßliche  Weib  verstehen  lernen;  ist  ihr  greisen- 
^^Äftes,  zerlumptes  Wesen  von  Bedeutung,  so  muß  an  eine  Modi- 
*^^«ition  in  der  englischen  Auffassung  gedacht  werden,  wonach 
^^f  die  zur  ersten  Pflugzeit  um  Neujahr  (Epiphanias)  noch  winter- 
^Cihe  Gestalt  der  Erde  angespielt  werden  sollte  (vgl.  o.  S.  444). 
"'^er  in  Felle  gehüllte,  geschwänzte  Narr  oder  Pflug- 
-^Hhrer  des  englischen  Brauchs  stimmt  zu  der  Katze,  welche  in 
"^^hmen  mit  aufs  Feld  genommen  wird.  Eine  an  anderer  Stelle 
^^  gebende  Darlegung  wird  über  die  Meinung  auch  dieses 
-Brauches  willkommene  Aufklärung  bringen.  Das  Tier  oder  der 
^in  Tier  darstellende  Mensch  repräsentieren  den  theriomorphi- 
^chen  Vegetationsgeist,  der  nach  Winters  Frist  wieder  befruch- 
't^nd  in  den  Acker  geht.  Ob  der  im  Simbirkischen  aufs  Feld 
Xmtgenommene  Kater  (o.S.  561)  denselben  Sinn  hat,  oder  den  zu 
"Vertilgenden  Krankheitsgeist  (o.  S.  5G2)  darstellen  soll,  lasse  ich 
^nausgemacht.  Der  auf  dem  Pfluge  sitzende  Pfingstlttmmel  und 
^er  ebenso  platzierte  Spielmann,  der  ins  Wasser  gefahren 


1)  Tereschtschcnko  VI,  41.    Cf.  Ralston,  Song»  3%  ff. 

2)  Cf.  Schwegler,  röm.  üesch.  I,  389.  43«.  446  ff. 

36* 


564  Kapitel  VI.    Vogetationsgeister:  SonneBzanbor. 

wird,  dagegen  sehen  ans  wie  Darstellnngen  des  anthroponu 
phischen  Vegetationsgeistes,  der  im  Branche  anftritt,  wo  jei 
fortfällt. 

In  England  führte  man  zu  Neujahr  den  Pflug  ums  Fen* 
,,that  they  should  fare  the  better  all  the  year  folloi 
ing;''  also  nicht  bloß  das  Getreide  soll  gedeihen,  alle  mensc 
liehen  Angelegenheiten  sollen  guten  Fortgang  haben.  D 
dänische  Lied  beim  Pfluggange  nennt  als  die  Gabe,  welche  ( 
Prozession  mit  sich  bringt,  Gesundheit  des  Leibes,  Gedeihen  d 
Obstes  und  Getreides,  des  Viehes,  des  Fischfangs,  und  viele  n 
schöne  Kinder  in  der  Wiege.  Der  deutsche  Umgang  zu  Fa 
nacht,  Pfingsten  u.  s.  w.,  der  den  Acker  nicht  mehr  berührt,  se 
eine  gleiche  Verallgemeinerung  der  Idee  der  Fruchtbarkeit  v< 
aus.  Wir  sehen  also  auch  in  diesem  Falle  den  schon  vielfa 
von  uns  nachgewiesenen,  zur  vollen  Identifizierung  hinstrebend 
Parallelismus  des  Pflanzenlebens  mit  dem  animalischen  bestäti 
Ist  dieses  aber  der  Fall,  war  die  Verbrennung  eines  Pflog 
oder  Umwandlung  eines  Feuers  mit  dem  Pfluge  nur  eine  Ma 
fication  des  FrtthUngs-  (Fastnachts-,  Oster-)  feuers,  so  mögen  au 
Menschen  durch  ein  solches  Feuer,  in  dem  Pflugscharen  gltthe 
gemacht  waren,  gelaufen  oder  gesprungen  sein  in  der  Meinui 
dadurch  für  sich  und  alle  die  Ihrigen  Gesundheit  und  alle  je 
Güter  der  Fülle  und  des  Wachstums  zu  erwerben.  Die  Erfa 
rung  mannigfacher  Verletzung  bei  diesem  Sprunge  kann  d 
Glauben  begründet  haben,  daß  nur  der  Rechtschaffene  unverle 
die  Flammen  durchschreite  und  der  Heiltümer  teilhaftig  wen 
der  Frevler  zu  seinem  Schaden  das  Gegenteil  erfahre.  Und 
hätten  wir  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  die  heidnisc 
Vorstellung  und  Sitte  autgefunden,  an  welche  die  christlic 
Priesterschaft  anknüpfte,  als  sie  zu  einer  Art  des  Ordals,  zu 
Gottesgericht  für  solche,  die  sich  von  einem  Verdachte  zu  reinig 
hatten,  das  Ueberschreiten  von  neun,  im  Feu( 
geglühten,  in  bestimmter  Entfernung  von  einander  ausgelegt 
Pflugscharen  mit  bloßen  Füßen  (R.  A.  914)  machte.^ 

Das  Ordale  der  glühenden  Pflugscharen  hat  uns  wieder  : 
dem  Hauptgegenstande   der  Besprechung   in   dem  vorliegend 


1)  Doch  wie  verhält  sich  dazu  der  Wurf  mit  glühender  Pflugschar 
Ermitteluug  gesetzlicher  Weite?    G.  D.  S.  S.  58  ff. 


Feuerdarchgang.    Hoobzcitbraucb.  565 

Absdudüdj  den  Frtihliügs-  und  Mittsommerfeuern  zurückgeführt 
IVenn  es  hislier  eiica  noch  wvbeiviesen  scheinen  konnte^  daß  die 
Verbrennung,  also   Vernichtung  des  Bautnes,  der  Puppen  u.  s,  w, 
sinnbildliche  Darstellung  des  IlindurcJigangs  der   Vegetation, 
Vegetalionsdäfnons  durch  die  Sonnctiwärme  des  Sommers  war, 
hebt   die    Verbrennung   des    Pfluges,    ,,bi^s   er   zu   Trümmern 
'   (o.  S.  553)  jeden  Zweifel ,   daß   in  der  Tat  der  erwälinle 
G-^datike  in  dieser  rohen  Weise  verbildlicht  ist,  daß  der  Umstand 
Vernichtuftg  des   Symbols  hinsichtlich  seiner  Deutung   nicht 
.Anschlag  gebracht  werden  darf. 


§  14.    Feuerdurebgang.    Hocbzettbrauch.    Wir  schließen 

zwei  Bemerkungen.     Die  eine  davon  ist  ein  neuer  Nachweis 

Parallelismus    der  Vegetationsdämonen    und    der  Menschen- 

It    Denn   nur   durch  Vermittlung   der  Vorstellung  von    dem 

jbrautpaare    (o.  S.  431  flF.  450.  462)    erklärt    sich,    wie    mir 

soliemt,    die   Uebertragung  der  Bräuche  des  Mittsommer-   oder 

Frtlhlingsfeuers  auf  die  Hochzeit.    In  der  Gegend  von  Jüterbogk 

und  den  benachbarten  Gegenden  der  Mark  Brandenburg  war  es 

noch  im  vorigen  Jahrhundert  Sitte,  nach  der  Hochzeitsfeier  ein 

altes    Wagenrad    vor    dem    Hause    oder    auf   einem 

Htlgel    zu   verbrennen   und   die   Hochzeitgesellschaft   einen 

festlichen  Tanz  um  dasselbe  machen  zu  lassen.  *    Bei  den  Klein- 

ssen    muß   die   Braut  auf  der  Fahrt   nach  der  neuen  Heimat 

itten    durch   ein   kleines   Feuer  fahren,   das  vor  dem 

"^ore   angezündet  wird.    Zieht  der  Hochzeitszug  abends  aus  der 

-■^J'che,    so  wird  vor  jedem  Dorfe  ein  Strohfeuer  entloht,  bei 

^^^Ichem  man  so  lange  anhält,  bis  die  Freiwerberinnen  aus  dem 

^'^ten    Schlitten    daran    kleine   Kuchen   gebacken    haben.    Auch 

^er    Bräutigam .  bei  den  Protestanten   im   Gömörer  Comitat  läßt, 

^^nti  er  die  Braut  zur  Trauung  abholt,  den  Wagen  niehreremale 

b^^lten,  wirft  Stroh   hinab,   entzündet  ein  Feuer  davor  und  leert 
^^^     diesem   mehrere   Gläser  Branntwein.     In   Podlachien   gehört 
^      den    Gerichten    des    Hochzeitmahles    ein   Hahn.     Diesen    hat 
^^n,   ehe    man   ihn  tödtet  und  brät,    zuvor  an  eine  Leiter  fest- 
gebunden,  und   über  einen  brennenden  Scheiterhaufen 


1)  Kuhn,  Mark.  Sag.     S.  362. 


>,>  '\j{*.  VI.  Vegetationsgeister :  Sonnenzaaber.  Verbrennang  d.  Maibaams. 

iiu  qtttil  her  laufen  lassen,   den  man  zu  diesem  Zwecke 
jtf  <ttBer  Hohe  errichtet  hat.  ^ 

$  15.    Yerbreimnug  des  Hafbanms.    Die  andere  Bemer 
UH^  berrifit  die  Verbrennung  des  Maibaums,  nachdem  er  ei 
Pf/^r  lang  (oder  wenigstens  längere  Zeft  hindurch)  seine  Stell 
MMoptet.     Ich  finde   eine   solche   mehrfach   in   gewissermaße 
meriicher  Weise  geschildert.    Im  Prager  Kreise  brechen  sich  di 
jungen  Leute  Zweige  des  gemeinschaftlichen  Maibaums   ab  un 
«leeken  sie  in  der  Stube  hinter  den  Heiligenbildern  fest,  wo  si 
bis  zur  nächsten  Maitagsfeier  aufgehoben  und  dann  auf  de 
Herde  verbrannt  werden.^    Aus  Belgien  berichtet  Schay 
,^i  la  fin  du  mois  de  Mai  on  se  rend  la  musique  en  tSte 
chaque  endroit,   oü   se  trouve  un  mai,    qui  alors  est  cassö 
brfil^.^  In  Würtemberg  verbleiben  ebenfalls  die  auf*  Palmsonn 
an  der  Stall-  resp.  HaustUre  aufgehängten,  mit  Buchsbaum,  T 
uenzweigen,  Eiern,   Aepfeln   und  Ntlssen   geschmückten  Bttscl 
daselbst,  bis  sie  herunteri'allen  oder  nach  Jahresfrist  ve 
brannt  werden  (o.  S.  289). 

Es  scheint  aus  dieser  Uebereinstimmung  hervorzugehen, 
wir  werden  es  später  noch  bestätigt  finden,  daß  die  Verbrenn 
des  alten  Maibaums  ein  traditioneller  Zug  war.    Lag  demsel 
eine  tiefere  Bedeutung  zu  Grunde,  so  mag  es  analog  dem  Wass 


begießen  der  letzten  Garbe  des  alten  Jahres  als  Regenzaub  ^r"^J 
ein  Sonnenzauber  gewesen  sein,  um  der  neuen  Vegetation  LicJÄ^* 
und  Wärtne  in  erwünschtem  Maße  zu  sichern. 


1)  Reinsberg-Düringsfeld,  Hochzeitsbucli.     S.  39.  27.  54.  46.  41. 

2)  Krolmus  II,  257,  22.    Rcinsbcr^  -  Däringsfeld ,  böhm.  Festkälende 
S.  217. 

3)  Schayes  A.  G.  B..  Essai  historique.    Louvain  1834.    p.  209. 


Kapitel  HL 

Vegetationsdämonen :  Nerthus. 

§  1.  Tacitus  Aber  die  Nerthnsamfahrt.  Obwohl  die  bis- 
^T  erörterten  Frühliiigsgebräucbe  das  Ansehen  eines  weit  älte- 
Ursprungs  tragen,  reichen  die  meisten  Zeugnisse  fttr  diesel- 
»n  nicht  über  den  Anfang  dieses  Jahrtausends  zurück;  nur  eine 
'^^^rtvolie  Angabe  des  Posidonius  schien  uns  das  Vorhandensein 
^^^^screr  Frtthlingsfeuer  in  Gallien  bereits  im  2.  Jahrhundert  der 
'V-orchristlichen  Aera  zu  bekunden.  Diese  Beobachtung  muß  an 
^^«üirscheinlichkeit  gewinnen,  wenn  es  gelingen  sollte,  in  des 
1^a43itus  Aulzeichnungen  über  Deutschland  (Germania  c.  40)  eine 
Spur  dieser  Classe  von  Gebräuchen  nachzuweisen.  Die 
ichtigkeit  dieses  Stückes  flir  die  vaterländische  Altertumskunde 
zur  Entschuldigung  dienen,  wenn  wir  demselben  eine  alle 
;lichkeiten  erwägende  breitere  Behandlung  widmen.  „Reu- 
A  deinde  et  Aviones  et  Anglii  et  Variui  et  Eudoses  et  Suar- 
is  et  Nuitones  fluminibus  aut  silvis  muuiuntur.  Nee  quidquam 
not:abile  in  singulis,  nisi  quod  in  commune  Nerthum,  id  est  Ter- 
^fa-ua  matrem,  coluut  eamque  interveuire  rebus  hominum,  invehi 
populig  arbitrantur.  Est  in  insula  Oceani  castum  nemus  dica- 
^^mque  in  eo  vehiculum,  veste  contectum,  attiugere  uni  sacer- 
^oti  concessum.  is  adesse  penetrali  deam  intellegit  vectam- 
^p^  bubus  feminis  multa  cum  veneratione  prosequitur.  laeti  tunc 
^^s,  festa  loca,  quaecunque  adventu  hospitioque  dignatur. 
^^^  bella  ineunt,  non  arma  sumunt,  clausum  omne  ferrum;  pax 
^^  ^nies  tunc  tantum  amata,  tunc  tantum  nota,  donec  idem  sacer- 
^^  satiatam  conversatione  mortalium  deam  templo  reddat.  mox 
^Ixiculum  et  vestes  et,  si  credere  velis,  numen  ipsum 
^üreto  lacu  abluitur.  servi  ministrant,  quos  statim  lacus 
^^rit.  arcanus  hinc  terror  sanctaque  ignorantia,  quid  sit  illud 


568  Kapitel  VII.    Vcgetationsdämonen:  Nerthos. 

qaod  taDtum  peritari  videut/^     An  Ausführlichkeit  und  Anschai 
lichkeit  kommt  keine  einzige  Sittenschilderong  in  der 
der  vorstehenden  gleich;    sie   verrät  sich  als  die  Beobacht 
eines  Römers,  der  auf  einer  Reise  den  ihm  auffälligen 
gebrauch   erlebte   und   weiter   erkundete.      Das  Interesse 
setzt  höhere  Bildung  voraus;  die  militärische  Position ,  die  etwaij 
Verteidigungsfähigkeit  des  Landes  hatte  einen  Gegenstand  sein..  -^38 
Studiums  gebildet;   er  war  vertraut  mit  dem  Leben  resp.  d^^ss 
geistlichen  Schaustellungen  in  der  kaiserlichen  ITi  iihiili  iiipliidi^  1  i 
Zwar  scheint  dieser  Augenzeuge  nicht  Tacitus  selbst  gewesen    ^eh 
sein,    der,    wemi   er    überhaupt  aus   persönlicher   BeobachtujiiKi^ 
schöpfte,  allen  Anzeichen  nach  seine  Wamehmungen  am  Nied^^x*- 
rhein  gemacht  hat/  jedesfalls  aber  ein  ihm  an  Gesinnung 
Lebenstellung  nahestehender  Mann. 

§  2.   Der  Sekanplatz  des  Festes.     Ueber  den  Wohne»: 
der  7  Stämme,  welche  den  Nerthusdienst  begangen  haben  soll« 
läftt  sich  nur  soviel  mit  einiger  Gewißheit  sagen,  daß'  er  nördli.<^li 
vom  Bardengau  (im  Ltlneburgischeu)  anzusetzen  ist  und  wol  eiim^s 
großen  Teil    des  heutigen  Schleswig -Holstein  (also  ein  Gel^i^ 
von  mindestens   100  —  200  Geviertmeilen)  in   sich  begriff! 
Angeln  müssen  im  östlichen  Schleswig,  die  Varinen  ihnen 
Seite  gedacht  werden,  die  Avionen  (goth.  Aujans,  ahd.  Ouwc:^*^ 
agL  Eävan  Inselbewohner  V)   auf  den  Inseln  an  Schleswigs  Oj 
oder  Westküste.^    An  letzterer  (im  friesischen  Wattenmeer) ,  oÄ- 
vielleicht  eher  noch  —  wie  Müllenhoff  will   —  am  meerbus^ 
artigen    Unterlauf  des   einst   noch   breiteren  Eibflusses   werd 
wir   auch   die  Insel  zu  suchen  haben,   von  wo  aus  die  heili, 
Prozession    ihren  Ausgang    nahm.      Der   Besucher  mochte 
einem  jener  damals  noch  vereinzelten  römischen  Schiffe  gekoi 
men  sein,  deren  ein  Jahrhundert  später  häufig  gewordenen  V( 
kehr  in  diesen  Gegenden  die  schleswigschen  Moorfunde  zu  beze 
gen  scheinen. 

§  3.    Glaubwürdigkeit    der  Nachricht.      Tacitus  pflci^  -^  *j 
seine  Gewährsmänner  sorgfältig  zu  wählen;  die  Glaubwtii  ''  '  ^ 

der  berichteten  Tatsachen  darf  daher  nicht  bezweifelt  werdei 


1)  Cf.-G.  Freytag,  Bilder  aus  d.  d.  Vergangenheit,  B.  I.  1867.  S.  32 
2}  S.  Mtillenhoft',  Nordalbing.  Studien  I,  117  ff.    Griinm,  G.  D.  S.  4r 
Cf.  C.  Taciti  Gcruiania  ed.  Schweizer- Sidler.   Halle  1871.   S.  72  ff. 


ff. 


Glaubwürdigkeit  der  Nachriebt.  569 

dabei  ist  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen;  daß  er  die 
A^ixssage  des  Berichterstatters  mißverstand  und  weder  Vollstän- 
digkeit selbst  der  wesentlichen  Züge,  noch  eine  zutreffende  Wie- 
<lex^gabe  des  inneren  Zusammenhanges  und  der  Motive  der  ange- 
sobanten  Handlungen  steht  zu  erwarten,  vielmehr  werden  grade 
die  Angaben  über  diese  mit  größerer  Wahrscheinlichkeit  den 
Schlußfolgerungen  des  Tacitus  selbst  oder  seines  Berichter- 
staiters  ihren  Ursprung  verdanken.  Grade  die  Germania  zeigt 
ÄO  mehreren  Stellen,  daß  Tacitus  die  Beweggründe,  die  psycho- 
lo^Bchen  Anlässe  der  deutschen  Sitten  zu  ideal,  zu  philosophisch 
auffaßte.  Vgl.  z.  B.  was  er  Cap.  IX  über  den  noch  bildlosen 
Oottesdienst  der  Germanen  äußert.  Je  deutlicher  hier  irgendwo 
der  Stempel  taciteischen  Geistes  sich  bemerkbar  macht,  um  so 
g'ewisser  sind  wir  l>erechtigt,  unbekümmert  um  die  Auslegung 
des  Autors  die  tatsächlichen  Züge  herauszuheben,  und  nur  diese 
^mserer  eigenen  Deutung  zu  Grunde  zu  legen.  In  hohem  Grade 
aber  prägt  sich  grade  in  der  taciteischen  Schilderung  des  Nerthus- 
dienstes  der  eigenartige  Character  des  Schriftstellers  ab,  jene 
Hoheit  unä  Würde,  die  Plinius  ihm  nachrühmt,  das  Bestreben, 
auf  das  innerste  Wesen,  in  den  psychologischen  Grund  der 
Erscheinungen  einzudringen,  bei  der  Darstellung  in  gedrängter 
®entenziöser  Kürze  allein  das  Bezeichnende  und  seiner  Ansicht 
'^ach  Wichtigste  herauszuheben.  Wenn  dabei  seine  Subjectivität 
^iuen  weiten  Spielraum  fand,  so  mag  es  leicht  geschehen  sein, 
da.ß  er  unwillkürlich  seinen  objectiven  StoflF  durch  Umdeutung 
Veränderte.     „Nee  quidquam  notabile  in  singulis  nisi  quod  in 

Commune   Nerthum colunt,"  heißt  das,   „sie   haben  ein 

gemeinsames  Heiligtum  oder  Fest  einer  Gottheit  Nerthus"  oder 
»  Von  jedem  einzelnen  Volksstamnie  wüßte  ich  nichts  Besonderes 
C proprium)  zu  sagen,  aber  alle  diese  Volkstämmc  haben  eine 
»einsame ,  von  andern  Vrilkerschaften  sie  unterscheidende 
:entümlickheit,  die  NerthusverehrungV"  Im  ersteren  Falle  wäre 
Kult  nur  an  einem  einzigen  Orte  oder  von  einem  Orte  aus- 
Setibt,  in  letzterem  krmnte  er  an  vielen  Stellen  zugleich,  nur  auf 
Sleiche  oder  ähnliche  Weise  vollzogen  sein.  Des  Tacitus  ganze 
^Darstellung  läßt  uns  darüber  nicht  im  Unklaren,  daß  er  selbst 
seinen  Ausdruck  in  ersterem  Sinne  verstanden  wissen  wollte. 
^^ir  werden  jedoch  am  Ende  unserer  Erörterungen  die  Frage  zu 
^J'^agen  haben,  ol)  nicht  etwa  die  überlieferten  Tatsachen  den 


570  Kapitel  VII.    Vegetationsdamonen:  NerthoB. 

SchlnB    herausfordern^    daß    sein   Gewährsmann    eme    ähnlich 
Wendung  in  anderer  Meinung  gebraucht  hat     Zei^edem 
zunächst  den  sachlichen  Inhalt  der  taciteischen  Schilderung. 
§  4.  Der  Name  Nerthus.  Den  sieben  vorher  genannten 
men  gemeinsam  war  eine  gottesdienstliche  Begehung^  in  Bezug 
welche  der  römische  Berichterstatter  den  einheimischen  Nam< 
Nerthus  vernahm.    Diese  Lesart,  welche  Uhland^  zu 
der  wegen   des   folgenden  Terra  mater  vorgezogenen  Variai^^ 
Herthum  bekämpft,^  hat  die  größere  Beglaubigung  für  siek:^.  ^ 
Von  ihr  müssen  wir  ausgehen,  wenn  gleich  das  ungewöhnlii^' 
h  nach  t   Anstoß   und  Bedenken   zu  erregen  geeignet  ist 
ganzen  Gebiete  des  germanischen  Sprachschatzes  bietet  sich 
andere   Analogie,    als   der  Name    einer   altnordischen   Gottb^it 
Njördr,  der  in  gothischer  Sprache  ausgedrückt  Nairthus  (Nerthn.»^, 
in  althochdeutscher  Zunge   Nirdu   gelautet  haben   würde.     A^iifii 
dieser  schönen  Entdeckung  J.  Grimms  aber  sofort  auf  eine  dc^m 
Njördr    entsprechende   deutsche   Göttin  Nerthus  zu    schlieften, 
wäre  verfrüht,  da  wir  nicht  allein  die  Möglichkeit  ein^r  Verde rb- 
niß  der  Ueberlieferung  des  Namens  Nerthus  von  Tacitus  bis  Änf 
Enochs  Msc.  uns  gegenwärtig  halten,   sondern  auch  dies  berück- 
sichtigen  müssen,   daß   der  Ausdruck  Nerthus  nicht  notwendig 
eine  Gottheit  bezeichnen  mußte,  >ielmehr  möglicherweise  nur  die 
Bezeichnung   der   Ceremonie,    oder   eines   wesentlichen   Stück©® 
darin  war,  falls  die  „interpretatio  Romana:  Terra  mater,"  wi® 
wir  sehen  werden,  auf  die  Aehnlichkeit  der  Bräuche  sich  stützt© - 
Selbst  wenn  eine  Gottheit  und  sogar  eine  dem  nordischen  Njördr 
verwandte  gemeint  war,  muß  nicht  unbedingt  an  eine  weibliel^^ 
gedacht  werden ;  die  augenfälligen  Aeußerlichkeiten  des  bildlo^^"*^ 
Cultus  konnten   die  Verglcichung  mit   der  Terra  mater  hen'< 
rulen,  auch   wenn  dem  Worte  Nerthus   in  der  Sprache  der  E: 


1)  SagenforschuDgen  IL   Odhin.  Schriften  VI,  187. 

2)  Als  durch  fehlerhafte  Wiederholung  des  ne  von  commune  aus 
Lesart  „in  commune  nehertum"  entstanden. 

3)  Cf.   Gernmnia  antiqua.     Comelii  Taciti  lihellum  ed.   MüUenhof^ 
S.  37.    Holtzmanns  Einfall  (Germ.  Altertümer  Lpzg.  1873 ,  S.  69.  254  die 
in   comnmne    entstandenen    Verderbnisse    der    Stuttgarter   Codices   inami 
mammc    für  Herstellung    einer  Lesart  Ammun  Ertham   zu   verwerten, 
abgesehen  von  der  Handschriftenfrage  durch  die  Notwendigkeit  des  Geg 
satases  von  in  commune  zu  singuUs. 


Bedentong  der  Interpretatio  Terra  mater.  571 

gnelwreiieii  männliches  Geschlecht  zukam.    Njörär  durch  Umlaut 
ex^tstanden  aus  njar-du-r  (Brechung  von  nir-du-r)  würde  emem 
jpoth.  Nair-pu-s  (Brechung  von  Nir-Im-s)  entsprechen.    Dieses 
w^lSre  gebildet   wie   die  Masculma  dau-pu-s  (Tod;  Zustand  des 
SJLnschwindens  von  divan  stumpf  sein,  todt  sein)  lei-pu-s  Wein^ 
PT-tterigkeit  (von  Wurzel  1!  flüssig  sein),  vahs-tu-s  Wuchs  (von 
F^a^lisjan  wachsen)  lus-tu-s  Lust  (Wz.  lash,  begehren),  drauhti- 
iMflfe.«gn8,  skalkinassus   u.  s.  w.  (aus    drauhtinat-tu-s,   skalkinat- 
-b)  Kriegsdienst,   Dienst  (von  drauhtinöu,   skalkiuön  dienen); 
latem.  Masc.  motus,  exitus,  fluctus,  saltus,  die  griech.  FenL 
»j^nv,  datTvg,  idrjivg,  lauter  Abstracte  mit  dem  primären  Suffix 
von  Verbis  abgeleitet.    Nur  hlif  -  tu  -  s  Dieb  von  hlifan  stehlen 
S^^wShrt  das  Beispiel  eines  Nomen  agentis.    Nerthus  würde  nach 
.^en  Analogien  auf  einen  Stamm   niran,  goth.  nairan  zurück- 
shen,  der  den  germanischen   Sprachen  verloren  ist  und  über- 
V^.^uipt  als  Verbum  nicht  mehr  vorzukommen  scheint,   unzweifel- 
aber  aus  Skr.  nara  Mann,  Mensch,  griech.  dvi^Q,  umbrisch 
Mann,  osk.  neres  viri  strenui,   sabin,   nerio^  enes  Mannheit| 
Tapferkeit,  Kraft,  wälsch  ner-th,  Kraft,  Macht,  Hilfe,  ner -thus 
^Kräftig  mächtig,  gälisch  7iear-t  Gewalt,  iiear-tor  kräftig  mit  der 
ßcdeutung  kräftig  sein,  sich  als  Mann  beweisen,   wird  erschlos- 
sen werden  dürfen.     Nerthus  resp.  Njördr  könnten  mithin  Mann- 
J^cit,  Erweisung  der  Mamieskraft,  oder  den  als  Manu  sich  Erwei- 
senden bezeichnen.^ 

§  5.    Bedeutung  der  Interpretatio  Terra  mater.    Id  est 

^erram  matrem,  das  ist  die  Interpretatio  Romana  (Germ.  43)  des 

^*^     den    nächsten  Sätzen    beschriebenen  Gebrauches;    und   zwar 

*^^tte  Tacitus  oder  sein  Gewährsmann  dabei  nicht  sowol  die  von 

^^i"    nationalen    Priesterschaft    bei    feierlichen    Gelöbnissen    als 

"^  ^rra   mater  gewöhnlich  mit   den  Manen  angerufene  Tellus,* 


1)  H.  Leo  in  Haupt  Zs.  f.  D.  Altert.  III ,  226 ,  10.     Simrock ,   Handb. 
D.   Myth.a  179.     Ch.  W.  Glück,    die   kelt.  Namen  bei   Cäsar    München 

Corssen,    Zs.    f.    vgl.    Sprachf.  V,  116  ff.     Cf.   Curtius,    Grundzüge. 
.  1868.    S.  275  Nr.  422.    Fick,  Indogenn.  WB.  1868.   S.  J03. 

2)  Diis  nianibus  inatrique  Terrae.  Livius  8,  6.  cf.  8.  9.  10,  28.  Quura 
^118  Tulgus  (beim  Tode  Galliens)  pari  clamore  Terram  matrem  Deosque 
TOS  precaretur.  Aur.  Vict.  Caes.  38.  Von  Brutus:  Ille  tacens  pronus 
tri   dedit  oscula  Terrae.    Ovid   Fast.  II,  719.     Cf.  Preller,    Rom. 

Aufl.*  402.    Uhland,  Schriften  VI,  187. 


572  Kapitel  YII.    Yegetationsil&moneD :  Nerthos. 

als  vielmehr  abweichend  von  dem  sacraleu  und  sonstigen  Sprach- 
gebrauch die  phrygische  magna  mater,  mater  defim  im  Sinoe, 
welche  von  den   römischen  Gelehrten  als  Göttin  des  &drandes 
autgefaßt  werde. ^     Denn  die  Gebräuche,  welche  die  jährlichen 
Feste  der  letzteren  in  Rom  den  Bewohnern  der  Hauptstadt  auir 
Schau   stellten,    waren  in  so  vielen  Stücken  dem  Nerthusknlte 
gleich,  daß  sofort  einleuchten  muß,  woher  der  Beobachter  za 
seinem  Vergleiche  kam.    Vorzüglich  kommt  hierbei  das  Märzfest 
in  Betracht,  wie  es  seit  Kaiser  Claudius  begangen  wurde.    Es 
begann  mit  dem   22.  März,   der  im  römischen  Festkalender  mit 
dem  Namen  arbor  intrat  bezeichnet  war.    Im  Pinienhain  der 
Cybele   wurde    dann   ein    schöner   Baum   auserkoren,    seil 

Stamm  mit  wollenen  Binden  bewickelt,  seine  Aeste  mit  Kramm 

Stab,  Tympana,  Flöten,  Klappenblechen  (den  Symbolen  des  KdL__  . 
tus)   behangen,   außerdem    reichlich   mit  frischen  Veilchen,  de 
Erstlingen  des  Frühlings,  geschmückt  und  umkränzt,  und  dazwL 
sehen    die    Figur    eines    Jünglings,    des    entmannten  im. 
gestorbenen,  sodann  in  die  Fichte  verwandelten  Attis,   des  liel 
lings  der  Cybele  aufgehangen.    Dieser  Baum  wurde  abgehane  jb 
und  feierlich  (solemniter)  in  das  Allerheiligste  (adyton ,  sacrarioncM) 
der  großen  Mutter  getragen.^     Es  folgte  eine  Zeit  des  FasteÄe^ 


1)  Nani  et  ipsc  Varro  quasi  de  ipsa  turba  verecundatus  unaiu  dcÄni 
Tult  esse  Tellurem  Eamdeiii,  inquit,  dicuat  Matrem  magnam,  qaoo 
tynipanuni  habeat,  sigiiificari  esse  orbem  terrae:  quod  turris  in  capi"^' 
op])ida;  quod  sedes  flugantur  circa  eani,  cum  omnia  moveantur,  ipsam  noi» 
moveri.  Augnstin.  civ.  Dei  VII,  24.  Opp.  Bassan.  1797  Sp.  23(5.  Cf.  »^ 
VI ,  8.  Sp.  203.  Si  autem  interpretationis  hujus .  quando  agitnr  de  s»cT^ 
Matris  deüm,  caput  est  certe,  quod  Mater  deüin  terra  est.  —  Lucreti*** 
n.  r.  11,657:  Concedumus  et  hie  terrarum  dicat  et  orbem  esse  De  '^^ 
matrem. 

2)  Arnobius  5,  16.  21.    Quid  sibi  vult  illa  piiius.   quam  semper  s^^^* 
diebus  in  Deüin    matris    intromittitis   sanctuario.  nonne  illius  similitud»      ^ 
arboris,    si  quae  sibi  furens  manus  et  iiifaolix  adolescentulus  intulit  et  g<^ 
trix  diviim  in  solatium  sui  vulneris  consecravit?    Quid  lanarum  vellc^  ^^\ 
quibus    arboris    colligatis    et   circumvolvitis    stipitem?     Q  "•-*    , 
compti    violaceis   coronis   et   redimiti   arboris  ramuli?    Jul.  Firmicat^         . 
error.  3,  p.  3.  B.  profan,  rel.     In  sacris  Phr3'giis,  quae  matris  Deum  dic»^^-       ' 
per  annos  singulos  arbor  pinea  colitur .  et  in  media  arbore  simnlacr     '^^ -,. 
juvenis  subligatur.    Jo  Lyd.  de  mens.  IV, 41:   .luu  thxrtutus  Ktuar ^^ 
A.imXiiav   (ad.  XI  K.   Apr.  =  22.    März)   ^M^qv   nl%v%  nana   riay  S(Vi 


Bedeutnn^  der  Interpretatio  Terra  mater.  573 

der  Trauer,  bitterer  und  exstatisoher  Klage  während  mehrerer 
Tage,  welche  Macrobius  unter  dem  Namen  yccrd.iafjig  zusammen- 
taÄt    Auf  die  Trauer  folgte  am   25.  März  (Hilaria)  die  Freude 
^  der  Jubel ,  Attis  wurde  als  wieder  aufgelebt  und  der  Göttin 
^edei^geben  gefeiert,  nun  da  der  Tag  merkbar  den  Sieg  Itber 
die  Nacht  gewann.*     Nach    einem  Ruhetag   (requietio)  fand  am 
27.  März  ein  feierlicher  Umzug  statt;  das  Bild  der  Göttermutter 
wnrde  auf  einem    von  Rindern    gezogenen  Wagen  durch 
die  Stadt   gefahren    (ein   schwarzer   eckiger  Stein   bildete  in 
Silber  gefaßt  das  Gesicht  des  Idols),  umdrängt  und  umwogt  von 
«Der  unabsehbaren  vielfach  maskierten  Menge  aus  allen  Ständen, 
belebe  sich  jegliche  Art  von  Spaß  erlaubte.    Das  Ziel  des  Um- 
zugs war  die   Mündung   des    Flusses   Almo    in    die  Tiber 
dicht  vor   der  Porta  Capena  (Porta  di  San  Sebastiano)  dort 
^urde  das  Bild  der  Göttin  sammt  dem  Wagen  gebadet,* 
^oher   der  Tag   dies    lavationis   hieß.     Auf  Zeugung  bezügliche 
Lieder  wurden  bei  dem  Umzüge  gesungen^  und  wenn  es  mehr 
*ls   wahrscheinlich   ist,    daß  auch  in   dem  seit  Claudius  vervoll- 
ständigten Kultus  die  älteren  Bräuche  noch  fortdauerten,  so  hat 
^an  bei  der  Rückkehr  in  die  Stadt  Wagen  und  Zugtiere  mit 
^en  jungen  Blumen  des  Frühlings  bestreut,*  während  ein 


'föfion'  ((f^ofTo  h'  tut  rittlnrlc;,    Cf.  Bottichcr,  Banmkultus   S.  142.     Prellcr, 
Kern.  Myth.  Aufl.  1.   p.  737. 

1)  Jol.  de  Dniatr.  V,  p.  168:  r^^vfnfhttt  yno  ff  rem  ro  ffonv  fT/rJoor  x«^' 
'""  'if^t'ijftr  i'j  rjhoi  Li)  to  uxqov  irg  latjiniQiyf)s;  cci/'.Oo,-  t^t/tnu.  Macr.  S.  1, 
^1»   10  quo  primum  tempore  sol  diem  longiorem  nocte  protcndit.       . 

2)  Ammian.  Marcel.  XXIII ,  3  p.  259  Lindenbrog :  ante  diem  scxtum  kal., 
^'lo  Eomae  matri  deorum  pompac  celebrantur  annales.  et  carpentum, 
^Uo  vehitur  simulacrum   Almonis  undis   ablui  perhibetur. 

3)  Augustin  Civ.  Dei  II,  4:  Ludis  turpissimis  qui  diis  dcabusque  cxhi- 
*>^V>antur  obtestabamur.  Caelesti  virgini  et  Berecyntbiae  matri  omnium,  ante 
^^j^s  lecticam  die  solemni  lavationis  ejus  talia  per  publicum  cantitabantur 
^  uequissirais  scenicis,  qualia  non  dico  matrem  deonim,  sed  matrem  qua- 
limncunque  senatorum  vel  quorumlibet  bonestorum  virorum  immo  vero  qua- 
**Ä  nee  matrem  ipsorum  scenicorum  deceret  audire. 

4)  Ovid  Fast.  IV,  336  if.:  Est  locus,  in  Tiberin  qua  lubricus  influit 
-^lino,  et  nomen  magno  perdit  ab  amne  minor.  Illic  purpurea  canus  cum 
^^ate  sacerdos  Almonis  dominam  sacraque  lavit  aquis  .  . . .  Ipsa 
l*>ea)  gedens  plaustro  porta  est  invecta  Capena,  Sparguntur  junctae 

*^re  Irecente   boves.     Cf.  die  Schilderung  des  Lucrez  vom  Umzug  der 


574  Kapitel  YII.    Vegetationsdämonen :  Kerthns. 

Priester  nnd  eine  Priesterin  phrygischer  Abkunft  anter  FlMi 
spiel  und  Pankenschlag  und  Absingung  heiliger  Lieder  von  c 
Mutter  (fup'QfJfa  ftth])  Stadtviertel  bei  Stadtviertel  eiD 
Umgang  (cr^'f^/io^)  hielten  und  Haus  bei  Haus  Gaben  (sti' 
einsammelten,  man  nannte  das  rij  injvQi  ayeigeiv,^  In  R 
war  einzig  und  allein  diese  Colleete  von  Seiten  religi(( 
Körperschaften  erlaubt^  Die  Umfahrt  der  großen  Mut 
auf  dem  rinderbespannten  Wagen  und  ihr  Bad  sam 
dem  Fahrzeug  sind  so  augenscheinliche  Aehnlichkeiten  mitd 
von  Tacitus  geschilderten  deutschen  Brauch,  daß  offenbar 
ihretwillen  die  Bezeichnung  des  letzteren  als  Kultus  der  Tei 
mater  statt  hatte.  Unmöglich  bleibt  es  nicht,  daß  auch  nc 
andere  Züge  des  deutschen  Gottesdienstes  geartet  waren,  ein 
mit  dem  Cybelekult  der  römischen  Hauptstadt  bekannten  Mai 
in  dieser  Gleichsetzung  zu  bestärken.  Für  uns  aber  tritt ,  da  cb 
Urteil  des  Römers  auf  dem  Vergleiche  von  Aeußerlichkdlc 
beruhte,  die  Berechtigung  sowol  als  Verpflichtung  ein,  lediglk 
den  tatsächlichen  Inhalt  der  taciteischen  Schilderung  zu  Bai 
zu  ziehen. 

§  6.  Tatsächlicher  Inhalt  des  taciteischen  Beriehte 
1)  Fällt  mit  der  Conjectur  des  taciteischen  Gewährsmannes  jedi 
Beweis  für  die  Geltung  der  Nerthus  als  Erdmutter,  ja  als  eii 
weibliche  Gottheit  überhaupt  hinweg,  so  bleibt  —  wie  es  scheint  - 
als  tatsächliche  Grundlage  des  Berichtes  der  Glaube  übrig,  di 
ein  Numen,  sei  dies  nun  weiblich  oder  männlich  gedacht  i 
gewissen  Zeiten ,  um  auf  die  menschlichen  Angelegenheiten  A 
Einfluß  zu  üben,  sich  einfinde  (intervenire  rebus  hominum)  lU 
auf  einem  Wagen  zu  den  Völkern  komme  (mvehi  populis).  I 
Annahme  liegt  am  nächsten,  daß  die  Erscheinung  der  Gk)ttb 
zu  bestimmten  mit  Regelmäßigkeit  wiederkehrenden  Zeiten  öi 
hatte,  darauf  bezieht  sich  der  erste  Satz,  der  zweite  spricht  ^ 
einer  Prozession,  welche  nach  dem  Wamehmen  der  Erscheini 
des  Numen  begann. 


mater  Idaca  durch  die  Erde  11 ,  539:  acre  atque  argento  stemunt  iter  o' 
viaram,  largiüca  stipe  ditantes,  Dingantqae  rosarum  floribus,  ambnu' 
matrem  comitnmqne  catervam. 

1)  Orid  Fast.  IV,  350.    Preller  Röin.  Myth.»  S.  45011. 

2)  Cicero  de  leg.  U.  Praetor  Ideae  matris  famulos  eosqne  jiistis  ditf 
ne  quiB  stipem  cogito. 


Die  Tatsachen  des  Berichtes.  575 

2)  Der  Ansgangspunkt  der  Prozession  war  ein  heiliger  Wald, 
oder  vielmehr  ein  solcher,  welcher  in  stiller  Abgelegenheit  durch 
den  Besuch  der  Menge  nicht  entweiht  war  (castum  nemus).  Es 
wird  der  Wahrheit  nicht  fem  liegen,  wenn  wir  vennuten,  daB 
lun  dieses  Umstandes  willen  einem  Waide  auf  der  Insei  der 
Vorzug  vor  einem  solchen  auf  dem  Festlande  gegel)en  wurde.  ^ 

War  dies  der  Fall,  so  wird  am  ehesten  an  ein  der  Küste  nahe 
liegendes  oder  im  Strome  l)eiegcnes  kleineres  unbewohntes  Eiland 

zu  denken  .und  schon  deswegen  eine  größere  Insei,  wie  Kügen, 

Femam  u.  s.  w.  außer  Acht  zu  lassen  sein. 

3)  Der  Umzug  begann,  sobald  der  Priester  an  gewissen 
Zeichen  wamahm  (inteilegit),  daß  die  Gottheit  in  ihrem  Heilig- 
turne  (penetrale)  zugegen,  daß  ihre  Erscheinung  eingetreten  sei. 
Tacitus  will,  wie  es  scheint,  den  Ausdruck  penetrale  auf  den 
verhüllten  Wagen  bezogen  wissen,  während  es  viel  natürlicher 
wäre,  an  das  Ailerheiligste  des  Waldes,  das  castum  nemus  zu 
denken.  War  das  Numeii  in  diesem  nicht  zu  allen  Zeiten  gegen- 
wärtig, so  erfüllte  es  unzweifelhaft,  sobald  es  erschien,  auch  den 
Wagen.  Wie  leicht  konnte  Tacitus  hier  den  Worten  seines 
Berichterstatters  durch  leise  Verschiedenheit  der  Auflassung  eine 
Müdere  Wendung  geben,  wie  leicht  dieser  selbst,  (der  doch 
schwerlich  mit  im  Walde  gewesen  ist)  seinen  Gewährsmann  miß- 
verstehen. Und  auch  dies  werden  wir  nicht  mit  Notwendigkeit 
dem  taciteischen  Bericht  als  tatsächlich  zu  entnehmen  haben, 
dafi  das  dicatum  vehiculum  schon  vorher  dort  l)ereit  gestanden 
habe,  gleichsam  das  Nahen  der  Gottheit  erwartend,  sondern 
^8  war  da  in  dem  Zeitpunkte,  wann  die  Prozession  beginnen 
«ollte. 

4)  Auf  einem  mit  Kleideni  (oder  Tüchern  V)  verhüllten  Wagen 
Wurde  das  Numen  zum  Festorte  gefahren.  Wie  der  Wagen  über 
da«  Meer  auf  das  Festland  zu  den  „populis"  gehängte,  sagt 
Tacitus  nicht.  Diese  Breviloquenz  kann  ein  Fingerzeig  sein, 
daß  seine  Schilderung  auch  andere  wesentliche  Züge  ver- 
schweigt. Zugleich  aber  dürfte  die  Nichterwähnung  des 
Kliffes  eine  iudirecte  Bestätigung  der  Annahme  enthalten,  daß 


1)  Sehr  in  die  Irre  geht  Uhland ,  wenn  er  in  seiner  Schwab.  Sagen- 
*^^de  (Schriften  VIII,  44-53)  zu  erweisen  sucht,  der  Inselhain  der  „Erd- 
"'^^tter"  sei  eine  Erinnerung  an  die  überseeische  Urheimat  der  Germanen. 


576  Kapitel  VIT.    Vegetationsdämonen:  Nerthns. 

die  Seefahrt  keine  weite ,  die  fragliche  Insel  nur  ein  Eiland      -g^ 
der  Nähe  des  Landes  war  (o.  S.  586). 

5)  Der  Wagen  war  von  Ktlhen  (bubus  feminis)  getogen  vt^tm  ^ 
mit  Gewandung  bedeckt  (veste  contectum).  Er  enthl^^It 
offenbar  kein  Götterbild,  aber  wahrscheinlich  irgend  ein  Symfc^ol 
der  Gottheit.  Rinder  waren  die  ältesten  Zugtiere ;  im  Gottesdiei 
und  im  Hof  brauch,  den  treuesten  imd  beständigsten  Bewahre 
vergangener  Culturzustände  und  Formen ,  dauerten  sie  auch 
noch  fort,  als  sie  längst  vom  feurigeren  Rosse  auf  allen  höhei 
Lebensgebieten  ersetzt  waren.  Noch  die  merovingischen  KOai^^ 
fuhren  mit  Rindergespann;  bei  Todtenbestattungen,  die  an  d^r 
Heiligkeit  religiöser  Acte  teilnahmen,  wurde  der  Leichnam  naoli 
Ausweis  fränkischer  Heiligenlegenden  mit  Kühen  oder  Ochsen 
zu  Grabe  geftlhrt;^  in  Anhaltischen  Orten  unweit  Zerbst  läßt 
man  noch  heute  jeden  Todten  auf  einem  mit  Ochsen  bespannten 
Wagen  zuvor  in  einen  Teich  fahren.^  Bei  der  FeldbesteUnn^: 
und  im  Gebrauch  des  kleinen  Ackerbürgers  dauert  das  Rinder* 
gespann  dagegen  vielfach  noch  fort  Da  zu  Tacitus  Zeit  (Germ.  lO) 
bei  anderen  deutschen  Stämmen  bereits  heilige  Rosse  an  den 
Wagen  geschirrt,  zu  gottesdienstlichen  Zwecken  dienten,  wird 
man  zweifelhaft  sein,  ob  das  Kuhgespann  der  Nerthus  eine  in 
diesem  Kultus  bewahrte  archaistische  Reminiscenz  war,  oder  ob 
ihm  eine  besondere  Absicht  zu  Grunde  lag.  In  diesem  Fall^ 
könnten  die  Rinder  auf  eine  Beziehung  der  Prozession  zum  Acker- 
bau, ihr  weibliches  Geschlecht  auf  die  Idee  der  Befruchtung  hi»- 
weisen.  Wie  man  sich  das  vehiculum  veste  contectum  ^^ 
denken  habe,  scheint  eine  bereits  von  Grimm  angezogene,  ab«'-* 
nicht  ausgenutzte  Analogie  deutlich  genug  anzuzeigen, 
heilige  Martin  von  Tours  begegnete  einst  einem  Leichenzuge, 
erftr  einen  heidnischen  Umgang  hielt:  „Accidit  autem  in  sequi 
tempore,  dum  iter  ageret,  ut  gentilis  cujusdam  corpus,  quod  *^ 
sepulcrum  cum  superstitioso  funere  deferebatur,  obvium  habe 
Gonspicatnsque  eminus  venientem  turbam  quidam  id  esset  igna: 
pauUulum  stetit.  Nam  cum  fere  quingentorum  passuum  inÄ^^^ 
Valium  esset,  ut  diflicile  fuerit  dignoscere  quid  videret,  tanr^ 


1)  S.  Mannhardt,  Germ.  Mythens.  51  —  52.  - 

2)  H.  Pröhle,  Magdeburger  Correspondent  1850.   Qnart.  2.    H.  Vr^"^  ^ 
Harzsagen  1854.  p.  XXXI. 


Die  Tataachen  des  Borichtes.  577 

qiiia  rusticain  manam  cerneret  et  agente  vento  linteamina 
eorpori  snpcrjecta  volitarent  profanos  sacrificiorom  ritus 
credidit:   quia  esset  haec  GaUorum  rustwis  consuefudo  simu- 
daemonum  candido  tecta  vdamine  misera  per  agros  suos 
cireumferre  dementia}^  ^  Ganz  so  wird  noch  jetzt  z.  B.  in  Beken- 
dorf  im  Halberstädtsehen  und   zu  Hornhansen   der  Sarg  jeder 
Wöchnerin  nnter  einem  weißen  Laken  auf  den  Friedhof  getragen 
und    ins  Grab  gesenkt,*  im  Jeverland   spreitet  man   ttber  das 
Bcliwarze  Leichentuch  ein  weißes.'    Nach  Ausweis  der  Abbildung 
de»  Bades  Homhausen  in  Merians  Theatrum  Europaeum  V,  1651. 
p.  1080  wurde  dort  im   17.  Jahrhundert  wol  jede  Leiche  „mit 
öinem  weißen  Tuche  bedecket"  getragen.  Jener  religiöse  Umzug, 
den   St  Martin  nahe  bei  Tours  in  dem  harmlosen  Leichenzuge 
*n  erkennen  vermeinte,   wird  wahrscheinlich  kein  anderer  sein, 
äI»  derjenige ,  den  Gregor  von  Tours  (De  gloria  confessor  c.  55. 
Opp.  pior.  Paris  1640.  P.  I,  478)  aus  der  Umgegend  von  Autun 
schildert:    „ferunt  etiam  in   hac  urbe   simulachrum  fuisse 
Berecynthiae,    sicut    sancti    martyris   Symphoriani    declarat 
J^toria.    Hanc  cum  in  carpento  pro  salvatione  agrorum 
^t  vinearum  suarum  misero  gentilitatis  more  defer- 
''ent,  adfuit  supradictus  Simplicius  episcopus  haud  procul  aspi- 
^ens  cantantes  atque  psallentcs  ante  hoc  simulacrum."  Er  macht 
das  Zeichen   des   Kreuzes   und   die    Zugochsen   bleiben    stehen 
(boves  telluri  sunt  stabiliti).    Sei  jedoch   die  Sache,    wie  sie 
^olle;  gab  es  wirklich  in  Autun  ein  Heiligtum  und  Bild  der  aus 
der  Fremde  gekommenen  Cybele  (Berecynthia),  oder  wurde  der 
Umzug  einer  gallischen  Gottheit  durch   die  Aecker  mit  der  Pro- 
zession der  Göttemmtter  verglichen  (cf.  Myth.*  234*),  der  dann 
'^t  jener  heidnischen  Begehung  aus  der  Gegend  von  Tours  ver- 
wandt sein  konnte,   in  jedem  Falle  steht  soviel  fest,  daß  es  in 
*^allien  zu  heidnischer  Zeit  Sitte  war,  Götterbilder,  sowie  es  mit 
'-^ichnamen  gehalten  wurde,  und  in  Deutschland  zum  Teil  heute 
lioch  gehalten  wird,  mit  einem  Tuche  überdeckt  auf  den  Aeckem 
^überzutragen.    Dies  geschah   in   dem   einen  wie  dem  andern 


1)  Sulpitii  Scveri  Vita  St.  Martini  cap.  IX.  Surius,  de  prob.  Sctra.  bist. 
^-  Vi.   Col.  Agripp.  1575.  p.  252. 

2)  H.  A.  Pröhle,  kirchliche  Sitten.  Berlin  1858.  S.  201.    Ders.,  Chronik 
^^^   Homhausen  1850.   S.  143. 

3)  Strackerjan,  Abergl.  u.  Sagen  II,  131,  460. 

**»nnhardt.  37 


578  Kapitel  YII.    Vegetatiousdamonen :  NerthuB. 

Falle  aas  Ehrftiroht,  am  den  geheiligten  Gegenstand  nicht  ei 
geheim  za  halten,  wol  aber  lieblosen  Blicken  za  entziehen. 
Uebereinstimmang  der  Kaltiirzastände  im  alten  Germanien  iL 
Gallien  war  bei  manchem  bedeatenden  Unterschiede  groB  gen 
am  es  wahrscheinlich  zu  machen,  daß  auch  der  Nerthnswas^ 
einfach  aus  einem  Gefährte  bestand,  das  mit  einem  Tnche  ( 
mehreren  Decken)   oder  mit  Kleidern   (veste  contectum,   Y( 
abluntur)  bespreitet  war.    Dieser  Auffassung  entspricht  auch 
Sprachgebrauch  von  vestis,  das  außer  der  Garderobe  den  Tepp^i^^ji 
bedeutet,  womit  man  die  Polster  belegte.    Eine  andere  Mügiäc^li. 
keit  freilich  erhellt  aus  einer  gleichfalls  von  Grimm  bereits  l>^i- 
gebrachteu  Begebenheit  unter  GU)then.  Sozomenos  bist  eccL  L  1/^. 
c.  37  schildert  nämlich  die  von  Athanarich  (zwischen  den  Jahr^ui 
370 — 372)    angestellte   Christenverfolgung:   Xeyetai  yovv   äg    -ari 
^oavov  f.fp^  aQf.iaf.ia^qg  eaxiog,  oi  ye  tovto  nouilv  vtvo  ^'9'Wk- 
vaQixov  TtQoaerdx'd^jOccVy  xad'^  eTidaTtjv  axtjvijv  TteQtdyovr^ ^ 
Twv    XQHJTiaviCeiv    '^arayyellofdevwv ,    iyJXevov    tovto    fiQoaxwBTt 
xai  Sveiv.     tmv   de   7T€QiaiTOVf.iev(ov ,   avv   avröig  dvd-Qt'noig  tai 
axrpfdg  ivemfiTtQiav.    Es  fragt  sich,  ob  das  Gebahren  des  Eönii^ 
eine  ausnahmsweise  Maßregel  oder  der  Volkssitte  nach  gebildet 
war.    Hatten  die  Gothen  den  Brauch,   zu  gewissen  Zeiten  mit 
dem  Götterbilde  von  Haus  zu  Haus,  von  Zelt  zu  Zelt  zu  ziehen 
und  Opfergaben  in  Empfang  zu  nehmen^   nach  Art  unserer  Um- 
gänge mit  dem  Maibaum ,  Pflingstl ,  Regenmädchen  u.  s.  w.,  ß<> 
gab  es  freilich  kein  besseres  Mittel,  die  Treue  des  Volkes  gegen 
den  altvaterischen  Glauben  zu  erkunden,  als  wenn  solcher  Umzug 
jetzt  zu  außergewöhnlicher  Zeit  befohlen  wurde.     Das  G^tterbiW 
soll   aber  np'  aQuajtid^rjg  gestanden  haben.    'y^QudjuaSa  war  ©^ 
persischer,  bedeckter  Rcisewagen,  eine  Art  Rutsche  (^r/iyv^  zr>t^-*i* 
vr€(f'Q(r/fuvt^)  mit  Vorhängen,  die  man  auf-  und  zuziehen  koni*^ 
sodann  ein  Lastwagen.    Demnach  scheint  Sozomenos  sagen     ^^ 
wollen,  daß  das   Götterbild  unter  einem  Zelte,   oder  BaldacÄ^^^ 
von    einem   (aus  Zeug   gefertigten)  Dache    überspannt   auf  A^ 
Wagen  gestanden  habe.     Wsis  im  4.  Jahrhundert  gothische  S'^* 


war,  konnte  im  ersten  suevischer  gemäß  sein.     Dazu  würde 


taciteische  Autfassung  des  „penetrale^^  besser  sich  fUgen,  a. 
der  Ausdruck  „veste  contectum"  entspricht  mehr  der  vor^^ 
namhaft  gemachten   Form   des  Brauches.     Und  in  der  Tat 
bedeckte  Wagen  mit  Gardinen  war  zweckmäßig,  wo  es  galt^ 


Die  Tatiachen  des  Berichtes.  579 

anfrechtstehende   oder   sitzende   Holzbild    bald   den  Augen   der 

Olänbigen  darzustellen,  bald  profanen  Blicken  zu  verhüllen.    Es 

batte  aber  keinen  Sinn  bei  bildlosem  Kultus.    Denn  der  Nerthus- 

ipragen  enthielt  noch  kein  Götterbild;  wenigstens  wußte  Tacitns 

nifshts  davon.    Anderes  Falles  hätte  dieser  ja  unmöglich  in  der 

allgemeinen  Schilderung  Germanicns   (c.  9)  versichern   können: 

Ceterum  nee  cohibere  parietibus  deos,  neque  in  ullam  human i 

oris  speciem  assimulare  ex  magnitudine  coelestium  arbi- 

trantur:    lucos    ac    nemora    consecrant;    deorumque    nominibus 

appeUant  secretum  illud  quod  sola  revcrentia  vident.    Auch  die 

Worte  „et,   si  credere  velis,  numen  ipsum  abluitur"   bewähren, 

dafi  Tacitus  den  Nerthusumgang  ohne  Götterstatue   sich  denkt. 

Nun  ist  es   doch  andererseits  wol   wahrscheinlich,  wenn  gleich 

lucht  unbedingt  notwendig,  daß  tatsächlich  die  Decken  des  Wagens 

uigend  einen  greifbaren  (Jegenstand   verhüllten,  daß  irgend  ein 

solcher   gewaschen  wurde,    woran   als    einem  Symbole   flir  die 

ClUUibigen   anschaubar   die   Anwesenheit   der   Gottheit  geknüpft 

erschien. 

6)  Der   Priester    beobachtet   und   bemerkt    die    Anzeichen, 
^ann  das  Numen  zum  Heiligtum   kommt.    Von   derartigen   und 
anderen  Beobachtungen   der  Göttemähe  im  heiligen  Walde  (aus 
Vogelflug,  Rosscwiehem  u.  s.  w.  Germ.  10)  zeugen  die  ahd.  Glos- 
^n   zur  Verdeutschung  des  lat.  haruspex  parawari  und  harugari 
(tMutisca  I.  511^   150'.  Myth.*  78),   zwei  Worte,    die   von   den 
Benennungen   heiliger  Haine  und  Bäume   paro,   ags.  bearo  und 
i^aruc  ags.  hearg  (Myth.*  59)  abgeleitet  sind.     Die  Angabe,  einzig 
^nd  allein  der  Priester  habe  den  Wagen  berühren  dürfen,  erweist 
^ich  als  ungenau,  da  nachher  bei  der  Wassertauche  des  Gefähr- 
tes   und    der  Decken    ministrierende    Knechte    erwähnt   werden. 
^^is  mag  statt  des  Wagens  das  Symbol  gemeint  sein,  welches  die 
trecke  barg,  oder  die  Erlaubniß  der  Berührung  ist  stillschweigend 
^uch  auf  die   GehiUen  des  Priesters  ausgedehnt  zu  denken.     In 
Oedem  Falle  zeigt  die  Hervorhebung  dieser  exclusiven  Berechtigung, 
^aß  auch  noch  andere    Leute  dabei  Avaren,    welchen    das  Fahr- 
zeug zu   berühren   nicht  gestattet  war.     Lag  der  Nerthushain  zu 
gewöhnlicher   Zeit   auch    einsam,    vom   Verkehr    der   Menschen 
'tmentweiht ,    nichts   hindert,    daß    bei  Beginn   der  Ausfahrt  den 
lieiligen  Wagen  eine  feiernde  Menge  umdrängte.    Nach  Anschir- 
Tong    der  Kühe    begleitet   der  Priester  den  Wagen  nut  groAer 


580  Kapitel  YII.    Vegetationsdämonen :  Nerthns. 

Ehrturcht.    Wir  werden  uns  den  Vorgang  zn  denken  haben  ^v^me 
in  der  Sage  von  Gunnar  Helming  (s.  u.),  wo  das  Götterbild 
and  das   fllr   seine  Frau  geltende  Weib  auf  dem  Wagen  PL 
haben ;   der  vornehmste  Diener  aber  vorauf  oder  daneben  g^bt 
und  das  Boß  lenkt  (enn  Gunnarr  var  til  a^tlat^r  at  fylgja  vagrcu- 
num  ok   lei^a  eykinn),   ein   größeres  Gefolge   von  Dienstleu^t^j^n 
sehritt  vorher  (ok  skyldo  pau  Freyr  ok  kona  hans  si^a  i  vag^u, 
en  pionusto  menn  peirra  skyldo  gdnga  fyrir).   Das  heilige  Gefä.b  wi 
war  nur  fUr  das  Numen  und  die  dasselbe  darstellende  Bllds&uJIe 
und  Person   bestimmt;   als   der  Rosselenker    sich   mit   auf  d^n 
Wagen  setzt,  wird  der  im  Freyrbilde  steckende  Teufel  ungeberdl^ 

(Fommanna  Sog.  U,  74).  Ein  augenscheinliches  Analogon  bietet    

wie  schon  MüUenhoflF  bemerkte  —  der  Germ.  10  als  allgei 


germanisch    geschilderte    Hergang.      Proprium    gentis    equonun 
quoque  praesagia  ac  monitus   experiri.  publice   aluntnr  iisdeni 
nemoribus  ac  lucis,  candidi  et  nuUo  mortali  opere  eontacfx: 
qnos  pressos  curru  sacerdos  ac  rex  vel  princeps  civitatis 
comitantur  hinuitusque  ac  fremitus  observant  nee  ulli  auspi- 
cio   maior  fides,   non   solum  apud  plebem,  sed  apud  procerei^ 
apud  sacerdotes:    se    enim   ministros   deorum,    illos  conscios 
putant.    Die  Annahme   könnte  naheliegen,   daß  man  die  Ross^ 
gehen  ließ,  wohin  sie  wollten,  daß  die  Beobachtung  der  von  ihneii 
eingeschlagenen  Richtung  für  die  Weißagung  mitbestimmend  wax, 
daß  aus  diesem  Grunde  Priester  und  Fürst  nur  nebenherginge**? 
ohne   den    Wagen   zu   lenken,   und   man   könnte   ein   ähnlicb^^ 
Gewährenlassen  für  die  Kühe  des  Nerthuswagens  vermuten,    ^^ 
daß  die  Wahl  des  Zielpunktes  vom  Zufall,  von  der  jedesmalige^ 
Götterbestimmung   abhing.     Doch    Tacitus   nennt  in   dem   e 
Falle  ausdrücklich  nur  das  Wiehern   und  Schnauben   der 
als   Gegenstand    der   priesterlichen   Beobachtung,    und   in 
anderen  Falle  widerspräche  ein  dem  Zufall  überlassenes  Eintreflf^'^^ 
des  Nerthuswagens  anderen  später  zu  erörternden  Tatsachen. 

7)  Wohin   der   Wagen   gelangt ,    da   wird   die  Gottheit   -^^^^^ 


lieber  Gast   empfangen   (loca  quaecunque   adventu    hospiti 

que  dignatur).    Der  Ort  schmückt  sich  zum  Feste,  das  mehre     ^^^ 

Tage  dauert.    Inzwischen  ruht  jede  Fehde. 

8)  Wie  viele  Wohnsitze  der  Umzug  berührte,  auf  wie  '  ^ 

Zeit  er  sich  .ausdehnte,   sagt  Tacitus  nicht.    Schließlich  bad 
der  Priester  mit  seinen  Gesellen  den  Wagen,  die  Decken 


Die  Nerthnsamfahrt  den  Frühlingsgebränchen  yerwandt.  581 

'wol  auch  das  Symbol  der  Gottheit  in  einem  einsamen  von  den 
^Wohnangen  abgelegenen ,  durch  den  Gebrauch  des  täglichen 
Lebens  anentweihten  Landsee ,  der  darum  sehr  wol  jedermann 
bekannt  sein  konnte.  Es  ist  nicht  nötig  und  folgt  nicht  aus 
TacitoSy  daß  derselbe  auf  der  Insel  oder  in  jenem  heiligen  Haine 
Isig,  von  dem  die  Prozession  ausging.  Denn  die  Worte:  ,,donec 
idem  sacerdos  satiatam  mortalium  deam  templo  reddat^^  enthalten 
unzweifelhaft  eine  subjective  Deutung  des  Tacitus,  der  deswegen, 
'^eil  er  voraussetzte ,  daß  das  heilige  Fahrzeug,  das  Nahen  der 
Gt>ttheit  erwartend,  im  Inselhaine  bereit  zu  stehen  pflege,  das- 
selbe auch  wieder  dahin  zurückkehren  lassen  mußte. 

9)  Die  bei  Anschirruug  der  Kühe  und  der  Wäsche  des 
Wagens  wie  der  Decken  hilfreichen  Knechte  wurden  ebenfalls 
tta  Wasser  geworfen.  Dieser  Tatsache  ttigt  der  Autor  als  seine 
Udividuelle  Auslegung  hinzu,  es  sei  geschehen,  weil,  wer  das 
Numen  geschaut  habe  (mit,  Ausnahme  des  Priesters),  sterben 
^tlsse.  Obgleich  er  sich  das  Numen  körperlos  also  unsichtbar 
denkt,  braucht  er  metonymisch  den  Ausdruck  vident,  da  ja 
^e  Wohnung  desselben,  das  Innere  des  Wagens  den  Sklaven  zu 
Gesicht  kam. 

§  7.    Die    Nerthusumfalirt    den    FrfilüIugsgebrSuchen 

^^rwandt.     Der  Nachweis,  daß  der  tatsächliche  Inhalt  des  taci- 

^ischen  Berichtes  mit  noch  heute  lebenden  und  weitverbreiteten 

^'tUhlingsbräuchen ,  wo  nicht  sich  decke,  so  doch  nahe  verwandt 

^^i,  würde  nicht  allein  jenem  Beglaubigung  und  Anschaulichkeit, 

^esen  ein  zweitausendjähriges  Alter  sichern,   sondern  auch   den 

-^erthuscultus  aus  der  Vereinzelung  herausheben   und  als  beson- 

^^re    Form    einer   allgemeinen   Erscheinung   bewähren.     Unsere 

*^isherigen   Untersuchungen    bieten   aber   hinreichendes  Material, 

^^  darzutun,  daß  jene  Umzüge,  in  denen  wir  als  Gedankeninhalt 

^^ie  Einbringung  des  Vegetationsdämons  im  Lenze  (in  der  Gestalt 

^^8  Sommers  [Ljeto],  Maibaums  o.  S.  15G  flf.  100  flf.,  Pfiugstlümmels 

^^,  S.  316  ff.  oder  ersten  Pfluges  o.  S.  332.  553  ff.)  nachwiesen,  die 

Entschiedensten  Analogien  zum  Nerthuskultus  darbieten  und  daß 

^ie  nämliche  Anschauung  als  realer  Kern  desselben  vorausgesetzt, 

^lle  wesentlichen  Züge  darin  hinreichend  erklärt,  nur  daß  natür- 

i  ich  keine  der  heutigen  Formen  des  Gebrauches  der  ältesten  genau 

gleichkommt;  am  nächsten  steht  derselben  in  \ielen  Stücken  noch 

<Iie   0.  S.  157  ff.    beschriebene   russische   Semiksitte.     Der  Aus- 


582  Kapitel  VII.    Vegotationsdäuionen:  Nerthns. 

gangspankt  der  Einbringung   des  Dämons  ist  der  Wald.    S. 
S.  157.  161  ff.  173.  320.  333.  318.  349.  431).     Gradeso   begiiBJCK.t 
die  Nerthnsprozession  im  Walde.     Zwar  dieser  Aa8gaiig8piu&]s.t 
mag  nichts  Besonderes  zu  haben  scheinen,   da  zu  Tacitns  Z^ü 
die  Gottesverehnmg  der  Germanen  überhaupt  in  heiligen  Hekl.- 
nen  stattfand  (Myth.  ^  61);  der  Ausdruck  des  Tacitos  castu 
nemus  sagt  aber  eher  aus,   daß  der  Inselhain  zu  gewöhnlich 
Zeiten  unbetreten,  also  auch  nicht  der  Schauplatz  eines  ständig^exi 
Opferdienstes  war,   und  wenn  berichtet  wird,   daß  der  Pries^^j 
daselbst  die  Anwesenheit  der  mithin  nicht  immer  gegenwärti^^xi 
Gottheit  an  gewissen  Zeichen  bemerkt,   so  wird  wahrscheinlioli, 
daß   hier    der   Wald    nicht    bloß    als   Wohnstätte   4er   Gottfaieit 
gemeint  war,  sondern  in  einem  inneren  Verhältniß  zur  Ersehe >- 
nung  der  Gottheit  stand.    In  ihm  konnte  jedermann,  wenn 
Bäume  sich  belaubten,  die  erneute  Gegenwart  des  Frühlings, 
Wachstumsgeistes,   der  Gottheit  des   verjüngten  Jahres  spttreim  ; 
ihr  Nahen,  ihre  erste  Ankunft  mochte  ein  schärferer  Beobadite' 
(der  harugari?)   etwa  an   dem  Ergrünen  gewisser  Bäume  ode^ 
Zweige,    an    dem   Erblühen    der   ersten   Waldblume  (Veilchen^ 
Primel),   oder  dem  Erscheinen  des  ersten  Käfers  (Myth.  *  66 T'^ 
sichtlich  warnehmen  (intelligere). *    Zu  den  frühesten  Anzeichei^ 
der  Vegetation  in  unsem  Wäldern  gehört  die  Blüte  von  Daphn^^ 
mezereum,  Zeidelbast,  altn.  T5'vi(lr,  ahd.  Zigelinta,  Zilant  (Mjrth-* 
1144).    Sollte  in  diesen  Namen  eine  Beziehung  auf  Zio  als  Frttb-^ 
lingshimmel  durchschlagen  und  damit  die  Pflanze  als  Frühlingö- 
verkünderin    gekennzeichnet    seinV    Die   Aufgabe    des   haruga.^^ 
kann  möglicherweise  darin  gelegen  haben,   das  erste  sichtbaX'^ 
Anzeichen  des  in   den  verschiedenen  Jahren  früher  oder  spä,!^* 
wiedererscheinenden  Lenzes    zu    erspähen.     Hierin  glaubte 
das  Wachstumsnumen  gegenwärtig.     Der  Priester  mag  dann 
Baum,  vielleicht  nur  einen  Zweig,    abgehauen,   oder  die  Blnuß*-^ 
abgepflückt   auf  den  Wagen   gelegt  und  mit  Ehri'urcht   bedec? 
haben.    Sind  wir  nicht  genötigt  die  Zeit  der  Abfahrt  auf  den  if^ 
ment  der  ersten  Beobachtung  des  göttlichen  Naheseins  anzusetzc:^ 
so  kann    auch   ein   schon  völlig  belaubter,    nach  gewissen  d^^ 
Priester  bekannten   Merkmalen   ausgesuchter  Baum   oder 


t 


1)  Man   vergl.    o.  S.  111   die  Sage    von   dem  Erscheinen   des 
Mannes,  der  den  Bauern  die  Zeit  der  Aussaat  verkündigt. 


Die  Nerthnsumfahrt  den  Frühliugägebr&uchen  yerwandt.  583 

len  WaehstmuBgeist  vertreten  haben.  In  diesem  Falle  war  es 
m^lichy  daß  die  Feier  in  jedem  Jahre  regelmäßig  an  einem 
restslehenden  Tage  stattfand;  anderesfalls  war  sie  wechselnd  und 
vnirde  vom  Priester  angesagt  Ersteres  hat  die  größere  Wahr- 
Boheinlichkeit  für  sich.  Dem  großen  Wagen  muß  in  diesen 
Bräuchen  nicht  notwendig  eine  große  Last  entsprechen.  Man 
vgL  S.  214,  wonach  im  Emtebrauch  ein  winziger,  den  Vege- 
tationsdämon  darstellender  Hahn  den  vierspännigen  Leiterwagen 
einnimmt  Möglicherweise  enthielt  auch  der  Wagen  unter  der 
Decke  wirklich  gar  nichts,  wie  jener  erste  Pflug,  jene  erste  Egge 
(o.  S.  332.  561);  dann  aber,  sollte  man  denken,  müßte  er  wenigstens 
iB  einem  bestimmten  Bezüge  zur  Vegetation  und  zwar  zu  den 
Nutzpflanzen  der  Menschen  gestanden  haben,  also  nach  Gestalt^ 
erkennbar  etwa  ein  Erntewagen  gewesen  sein.  Vielleicht 
jedoch  war  auch  das  nicht  einmal  nötig.  Man  beachte  nur,  daß 
bei  Köpenik  die  Fischer  ohne  MitfUhrung  irgend  eines  sichtbaren 
Beiltums  umgehen  und  sagen  „wir  sind  das  neue  Wetterkind,^' 
mithin  bildeten  sich  die  Gründer  dieser  Ceremonie  ein  .oder 
fingierten,  unsichtbar  den  Frühlingsdämon  in  ihrer  Prozession 
^t  sich  zu  tlihren.  Uebrigens  waren  Baum,  Zweig,  Blume, 
K,^er  nicht  bloße  Symbole,  sondern  galten  als  Verkörperungen 
eitles  Numen,  der  dcvauii;  av^rju/jj.  Die  Einbringung  des 
V'^etatiousdämons  zu  Wagen  läßt  sich  nacliweisen  vom  Mai- 
'^Hum,  o.  S.  168.  173,  von  der  Pinxterbloem ,  o.  S.  318,  von  der 
^t^ine  de  printemps,  o.  S.  344.  Wir  sahen  oben  S.  174.  182.  183. 
ias  Gefährt,  auf  welchem  der  Maibaum  (Kreuzbaum)  bei  den 
L^llneburgischen  Wenden  feierlich  ins  Dort'  geführt  wurde,  mit 
len  Röcken  sämmtlicher  Hausväter  bedeckt,  und  erinner- 
en schon  da  an  da^j  vehiculuni  veste  contectum  der  Nerthus. 
iVie  dieses  von  Kühen,  wurde  der  wendische  Kreuzbaum  von 
Einern  Paare,  der  englische  Maypole  von  20~4o  Jochen  Ochsen 
gezogen  (o.  8.  171.  J74.  211).  Man  wird  entgegenhalten,  daß 
iier  Maibaum  dieser  Erörterung  lern  bleiben  müsse,  da  Tacitus 
Von  einem  Baume  nichts  sage,  und  sicherlich  hat  er  selbst  von 
feinem  solchen  nichts  gewußt,  vielleicht  aber  sein  Gewährsmann. 
Der  mit  Kränzen,  Blumen,  Bändern,  Eiern,  Backwerk  und  allen 
möglichen  guten  Sachen  behangenc  „Sommer"  (o.  S.  154)  oder 
„Maibauni"  (o.  S.  IGG  ff.)  Birke,  Tanne  oder  Fichte  hat 
auffallende  Aehnlichkeit    mit   der   von    den  Dendrophoren   aas 


584  Kapitel  YIL    Yegetationsdfimoiien:  NerthuB. 

dem  Haine  der  Cybele  in  deren  Allerheiligstes  getragenen, 
Flöten,  Cymbeln,  Tänien  und  Veilchen  behangenen  Pinie,   <ü.6 
anf  tUnf  Tage   im  Sacrarium   den  Blicken  des   großen  Häufte  ^eks 
verschwand.    So  wird  jener  russische  Semikbanm  (o.  S.  l&T) 
nach   der   Einbringung  aus   dem  Walde   drei   Tage   lang      ms 
einem  Hause  des  Dorfes  aufgestellt.  Der  Maibanm  (im  weiteren 
Sinne)  wird  entweder  zu  Wagen  eingefahren,  als  Lebensb&ixra 
der  Gemeinde  inmitten  der  Ortschaft  aufgepflanzt  und  amtax&z^ 
oder  als  Sommer,   Maibaum   (im  engeren  Sinne)   Jobannisbsuiiii 
u.  s.  w.  der  Prozession  vorhergetragen  oder  nachgeitlhrt,  weloh« 
gabenheischeud  von  Haus  zu  Haus  geht,  und  den  Dämon    der 
Vegetation   noch   in    anderer  Gestalt   (laubumkleideter  Menscli, 
Käfer  u.  s.  w.)  mit  sich   fUhrt.    Statt   der  geschmückten ,  bunt- 
behangenen  Bäume  oder  außer  dem  im  Dorfe  aufgepflanzten  Mai- 
baum treten  oft  andere  grüne  Zweige  ein.  Cf.  in  Schleswig  noc^l 
zwischen  1630—40  „Ein  sonderbarer  Aufzug  der  Schleswigscb^s 
Spinnradsamazonen    einen    cantharidem    oder   Maykäfer   mm  i 
grünen  Zweigen   einzuholen."    Myth. *  657.     Wie   wenn  Dm* 
Baum  oder  (resp.  und)  Zweige  in  der  einen   oder  der  ander* 
Weise   auch    einen  Bestandteil    der  Nerthusprozession   gebild^'^ 
haben    und   dadurch    der    Beobachter    in    seiner    zuveir  - 
sichtlichen  Behauptung  bestärkt  wurde,  dieselbe  sei  Verm- 
ehrung der  Terra  mater?    In  seinem  Berichte  konnte  er  diesemd 
Umstand    als    selbstverständliches    Zubehör    des    Cybeledienste^  ^ 
oder  als  seiner  Meinung  nach  weniger  characteristisch  oder  be- 
deutsam leicht  unerwähnt  oder  mehr  zurücktreten  lassen,  so  da.-Ä3 
Tacitus  darauf  nicht  achtete.    Vielleicht  auch  hatte  der  Ursprung?' 
liehe    Beobachter    zuerst   den    verhüllten   Wagen   gesehen 
dessen  Decken,   ihm  unbewußt,   den  Maibaum  bargen,    und 
nachher  wieder  den  autgerichteten  Baum,  den  er  als  Hauptstli<^  *• 
der  Feier  nicht  erkannte.    Liegt  nach  imserer  Ansicht  somit  cJ-^^ 
Möglichkeit  (mehr  behaupten  Avir  nicht)  vor,  daß  in  derinfJ^^** 
pretatio  Romana  Terra  mater  ein  Zcugniß  flir  den  Maibanm   ^ä- *® 
Bestandteil  der  Nerthusprozession  implicite  enthalten  sein  kön  ^^  *' 
so  gewährt  nun  namentlich  der  russische  Semikbrauch  (o.  S.  lö^      ^ 
die  willkommenste  Dlustration  der  Worte  „laeti  dies,  festa  Ic^ 
quaecunque  adventu  hospitioque  dignatur."    Wird  doch  t 
der  bekleidete  Baum  geradezu  mit  dem  Namen  „Gast"  an| 
redet  und  als  solcher  empfangen.    Mau  vergl  die  Tänze  um 


Die  Nertinuumfohrt  den  Frahlingsgebränohen  yenrandt.  585 

itoehen  aas  dem  Walde  gebrachten  Maibanm.  Auch  bei  den 
stigen  Formen  des  Brauches  trifit  die  taciteische  Schildenmg 

Jnbelgeschrei,  von  Gesang  begleiteter  Reigentanz,  Festmahl- 
en, die  noch  vielfach  den  Namen  Gilden  ftlhren,  bezeichnen 

ein  gemeinsames  Zubehör  aller  Variationen  desselben  die 
bmft  des  den  Wachstumsgeist  im  Frühling  einbringenden  Zuges. 

stellen  zwei  wesentliche  Bestandteile  der  altdeutschen  reli- 
sen  Festfeier  dar,  den  leih,  goth.  laiks,  ags.  läc,^  den  Tanz 
l  das  geld,'  ahd.  k€lt  (tributum,  sacrificium)  die  heilige  Mahl- 
;,  zu  welcher  unter  Herumfllhrung  des  Heiltums  von  Haus  zu 
D»  die  Naturalien  gesammelt  werden.  Von  solchem  Umgang, 
OS  bei  Haus,  der  unsem  Frtlhlingsgebräuchen  eigen  ist  (oben 
162.  264.  312,  318.  320  ff.  328.  345.  348.  366.  369.  432.  546. 
r  ff.)  gewährte  anscheinend  Sozomenos  (o.  S.  578)  von  den  Gothen 
'  ein  altes,  beinahe  bis  an  Tacitus  Zeit  hinaufreichendes  Zeug- 
.  Die  Prozession  der  mater  magna  zeichnete  gleichfalls  eine 
che  Hauscollecte  aus  (o.  S.  574).  Hier  kann  derselbe  Fall 
schlagen,  wie  hinsichtlich  des  Maibaums;  die  Einsammlung 
r  Steuer  auf  den  einzelnen  Häusern  oder  Höfen  mag  dazu 
getragen  haben,  den  Nerthusumgang  mit  dem  Cybelekult  zu 
ntifizieren.  Der  Nerthuswagen  wurde  nach  Beendigung 
r  Festzeit  ins  Wasser  gezogen  sammt  den  darüber 
ipreiteten  Decken  und  vielleicht  dem  unter  ihnen  verborgenen 
nbol,  geradeso  wie  das  Regenmädchen  (S.  331)  und  nach 
mdigung  der  Festfeier  der  Tod  S.  412  ff.  417,  Kostroma 
414  ff.,  der  Maibaum  S.  162.  215,  der  grüne  Georg  S.  313, 

Pfingstlümmel  8.  320.  351,  der  erste  Pflug  und  die  erste 
ge  S.  332.  553  ff.  (also  das  GefäJirt)  mit  Wasser  begossen,  oder 
Bach,  Strom,  Teich  oder  See  gestürzt  werden,  um  auf  die 
!;etation  erwünschten  Regen  berabzulocken.  Besonders  beleh- 
i  ist  auch  hier  wieder  der  sehr  altertümliche  russische  Semik- 
ach.  Nachdem  der  Maibaum  drei  Tage  als  Gast 
eiert  ist,  wird  er  vors  Dorf  getragen  und  in  den 
•om  (Bach)  geworfen.  Statt  des  Baumes  tritt  ein  Mensch 
r  grüne  Georg,  wie  im  Enitebraueh  die  letzte  Binderin)  ein 
S.  313.  215),  oder  man  zieht  Baum  und  Mensch  ins  Wasßcr 


1)  Myth.*  35.    Müllenhoff ,   de   poesi  chorica  p.  4.    H.  Leo  in  Zs.  f.  d. 
±.  m,  20  —  23.  2)  Myth.-^  34. 


^^  Kapitel  VII.    Vegetatiunsd&monen :  Nerthua. 

(0.  S.  170).    Beim  Pflugumziehen  sahen  wir  dasAck 
gerät  (den  Wagen)  selbst  sammt  den  davorgespai 
ten  Mägden  ins  Wasser  getrieben  (o.  S.  554),  bei 
Bchiedenen  lebenden  Naturvölkern  lernten  wir  als  eine  Form 
Regenzaubers  die  Ertränkung  von  Mensehen,  vorzugsweise  Skia' 
kennen  (o.  S.  356).    Wenn  nun  die  Umfahrt  des  Nerthu8wag-< 
den  FrUhlirigseinzug  und  Empfang   des  Vegetationsgeistes 
stellte,  das  Bad  des  Wagens  and  seines  Namen  ein  Regenzais. 
war,  so  erhellt  leicht,  daß  das  Hineinwerfen  der  Diener  in 
See  einen  Teil  dieser  Geremonie  selbst  ausmachte  und  —  gleich- 
viel ob  man  sie  dabei  den  Tod  finden  ließ,  oder  wieder  hersas- 
zog  —   die  Wirkung   der   Benetzung   des   Wagens  und    seines 
Inhaltes  verstärken  sollte.    Haben  wir  somit  fUr  5  wesentliche 
Stücke,  a)  den  Ausgangspunkt  der  Nerthusfahrt  aus  dem  Wald^ 

b)  die  Wamehmung  des  Numens  durch  den  Priester  (harugarm3) 

c)  die  Bedeckung  des  Wagens  mit  Decken  oder  Kleidern  wm^ 
die  Bespannung  mit  Kühen,  d)  den  festlichen  Empfang  des  Wagei^* 
and  seines  Inhaltes  als  willkommener  Gäste  und  festliche  Ze^^ 
während  ihres  Weilens,   e)  die  Wassertauche  nach  Beendigon^^ 
der  Festzeit  entschiedene  und  treflfende  Analogien  bei  den  Cerer--'  '^ 
monien  gefunden,  welche  den  Empfang  des  Vegetationsdämon^^ 
betrelBFen,   der    nahezu   in    den  BcgriflF   des  Frühlings   übergeht 
(cf.  Sommer,  pere  May,  Maikönig,  Maja,  reine  de  printemps),  so^^-^ 
scheiut   auch  als    sechstes   und   letztes    der  Name  Nerthus   aas 
gleichem  Zusammenhange  erklärbar.   Falls  er  nämlich  die  Mann- 
heit   oder  den    als   Mann    sich    Beweisenden    bezeichne 
sollte  (o.  S.  571),  würde  dies  für  den  im  Frülüing  wiederkehren-      ^' 
den  Lenzgatten  oder  Lenzbräutigam  (o.  Ö.  436)  resp.  das 
Fest  seiner  Erscheinung  ein  nicht  unpassender  Name   sein.    Es         ^ 
darf  als  Analogie  genannt  werden,   daß  dem  in  Wald  und  Feld 
heimischen  altitalischen  Gotte  Mars,  Marspiter,  dessen  Name 

ja  den  Schinmiemden,  Glänzenden  (ein  passender  Name  des 
Frühlingsgottes)  bezeichnet,^  eine  Göttin  Nerio,  Nerienes,  Mann- 
heit  zur  Seite  stand,  die  von. den  Weibern  um  glückliche  Ehe 


1)  Corscn,  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  II,  1—35.  Preller.  Rom.  Myth.*  295  ff. 
Röscher,  Apollon  und  Mars.  8.  18.  Dagegen  Graßmann,  Zs.  f.  vgl.  Sprachf. 
XVI,  161  ff.  Die  Form  Maspiter  ließ  Proller  an  Verwandtschaft  mit  mas 
Mann  denken,  s.  darüber  Röscher,  S.  19. 


W.  Mililer,  MüUeiihofiE;  Simrock  über  Nerthiu.  587 

^^i'SeinfeD  wurde/  mithin  doch  wol  ursprünglich  eine  Personifica- 
ion  der  Zengungskratik  des  Frühlings  gewesen  ist. 

§  8.    W.  MfUler,  MUlenhoff,  Simrock   Aber  Nerthus. 

^r  von  ans  yersuchten  Erklärung  sind,  wie  ich  sehe,  W.  Mtlller, 
^-  JMtUlenhoff  und  Simrock  bereits  nahe  gehommen,  ohne  jedoch 
Kiese  Deutung  in  die  Einzelheiten  zu  vertblgen  und  auf  die 
E^ritik  des  Taciteischen  Berichtes  von  Einfluß  werden  zu  lassen.^ 
tfUler  sagt  in  seinem  System  der  altd.  Religion  S.  133:  ,,Wie 
wlion  nach  Tacitus  die  Nerthus  auf  einem  Wagen  durch  die 
Ghmen  im  Festzuge  gcftlhrt  wurde,  finden  wir  noch  in  christ- 
liehen Zeiten  besonders  im  Frühjahr  Gebräuche,  deren 
Elaapthandlung  auf  einem  Umzüge  beruht  Der  Festzug 
geschieht  entweder  durch  ein  Dorf  oder  eine  Stadt  oder  mehrere 
Ortschaften,  oder  um  die  Aecker  der  Gemeinde,  oder  um  die 
Mark.  Bei  solchen  Zügen  wird  häufig  ein  Symbol  herumgeillhrt, 
entweder  ein  Tier,  welches  in  Beziehung  zu  irgend  einem  gött- 
lichen Wesen  stand,  oder  irgend  ein  Gerät'^  Und  dann  ftihrt  er 
die  Umzüge  mit  Schiflf  und  Pflug  an,  die  er  auf  eme  Göttin 
(bezieht,  welche  der  Fruchtbarkeit  der  Erde  und  den  Ehen  vor- 
stand. Müllenhoff  setzt  in  seiner  schönen  Abhandlung  de  poesi 
^horica,  KU.  1847.  p.  8  auseinander:  Vehiculum  veste  contectum 
'^Ubusque  feminis  vectum  multa  cum  veneratione  ubi  de  am 
^desse  penetrali  intellexit  i.  e.  verno  tempore  sacer- 
ios,  cui  uni  et  attingere  concessum,  prosequebatur  eo  modo  quo 
*Hc5erdo8  et  princeps  sacrum  currum  equis  candidis  vectum.  [Dar- 
^l>er  vgl.  0.  S.  580].  Femer  nimmt  er  an,  die  Nerthus  sei  eine 
l^^utsche  Freyja  und  der  Kultus  sei  am  Niederrhein  in  dem 
^yth.  *  237  ff.  beschriebenen  Umzüge  mit  einem  auf  Rädern 
ebbenden  Schiffe,  in  Oberdeutschland  in  dem  Pflugumziehen 
-ehalten,  einer  Prozession,  die  gleich  der  Nerthusfahrt  mit  Wasser- 
buche endigte  (veterem  actionem,  quam  lustratione  aqua  aut  igne 
^^cta  similiter  ac  Tacitus  de  Nerthus  vehiculo  narrat  quondam 
^nitam  esse  conjicio).  Aus  der  Analogie  dieser  Umzüge  mit  Schiff 
^Xnd  Pflug   zieht   auch  Müllenhoff  folgenden   Schluß:    Uis  fretis 


1)  Ebel,   Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  I,  307.    Corsen  a.  a.  0.  33.    Graßinann 
8^.  a.  0.  177.     Preller  a.  a.  0.  :j()2. 

2)  Von  K.  Müllenhoff  ist  eine  derartige  Untersuchnng  unzweifelhaft  im 
zweiten  Bande  seiner  Altertumskunde  zu  erwarten. 


588  Kapitel  YIL    Vegetationsdämouen :  Nerthiu. 

testimoniis  non  dubito,  qnin  antiquo  tempore  ad  talem  pomi>! 
deducendam  non  solnm  doce  sacerdote  vel  principe  quomm 
citns  meminit,   sed   qnum  qnaecunqne  adventn  hospitioqne 
vel  dens   dignaretnr,   loca  festa  laetosque  tnnc  ibi  dies 
memoretnr,    ubiqne   etiam    choris  juvenum    virginnrnq  ^ne 
electis  et  arte  doctis  opus  fnerit;  qoibas  non  injuria  posfc^xio 
certe  tempore  masicomm  tnrbam  addas.    Ubi  enim  ad  vicos  v^s- 
tmn  est,  chori  ordine  composito  circumfasa  vociferaxi  Ce 
et  jubilante  multitudine,  prodenntes  deum  yei  deam  advec- 
tam  cantibus  salutarunt  sacrnmqne  vehiculum  pars  praecedentes, 
pars  et  sabsequentes   ant  utrimqne  stipantes  intns   dedaxemrKt 
Qaae  deinde  acta  sint,  hoc  loco  exponere  nostmm  non  est,  se^^ 
tantnm  id  monendum,  ut  vehiculum  eodem  modo  quo  in  yien 
duxerint,  etiam  ad  proximum  prosecuti  sint/'    K.  Simrock  eni 
lieh  (Handb.  d.  D.  Myth.*  556)  schreibt:  Schon  der  Einzug  d^^ 
Nerthus,  wie  ihn  Tacitus  beschreibt ,  war  eine  Schaustellung  aE^ 
deren  symbolischen  Sinn  wir  die  erwachte  Natur,  die  im  Frfll^' 
ling  aus  der  Gewalt  der  Riesen  befreite  Erdmutter  kennen.  Da-^ 
Volk  zog  ihrem  Wagen,   wie  bei  dem  späteren  Sommer  — 
empfang,  der  davon  übrig  ist,  festlich  entgegen."  Ge8tttt&* 
auf  die  S.  571  flfl  erörterten  Tatsachen  glauben  wir  unsererseits  di^ 
von  Simrock  mehrfach   (S.  17.  177.  341)  wiederholte  Identifizier 
rung  der  Nerthus  mit  der  alluährenden  Mutter  Erde,  der  altnord^ 
Jörd  u.  s.  w.  ablehnen ,  aus  anderen  Gründen  aber  den  heutigecB- 
Frühlingsbrauch  nicht  als  Ueberbleibscl  des  Nerthusfestes,  sondercm 
als  Ausläufer  oder  Sproßform  eines  früheren  auch  diesem  Fest^ 
zu  Grunde  liegenden  lYpus  ansehen  zu  müssen. 

§  9.  Nerthus,  NJÖrdr  und  Freyr.    Die  Gleichstellung  de  »• 
(nach  Tacitus  Worten  vorausgesetzten)  Nerthus  mit  Freyja  stttte* 
sich  auf  nachstehende  Gründe.    Nerthus  ist  sprachlich  das  nomr- 
dische  Njörflr,  des  Njördr  Kinder  waren  Freyr  und  Freyja.    &*^ 
Njörds  Tagen,  sagt  die  den  Gott  vermenschlichende  Ynglingasag^*» 
war  allguter  Friede  und  so  große  Fruchtbarkeit  all*^^ 
Art,  daß  die  Schweden  glaubten,   er  walte  über  der  Fruchtb^»**' 
keit  des   Jahres   und   dem   Viehreichtum   der  Menschen.     Ai>-*^ 
Freyr  galt  und  wurde  angenifen  als  Geber  von  Frieden   u^^J^ 
Fruchtbarkeit   und  erhielt  datlir  jährliche  Gaben.     Noch  cl-^® 
euhemeristische  Sagenvenvässerung  Snorris,  die  ihn  zum  mentj^^     . 
liehen  Könige  macht,  weiß,   daß   zu  seinen  Tagen  der  Frodl*^' 


Nerthos,  Njördr  und  Freyr.  589 

^eden  Aber  alle  Lande  herschte  und  fraehtbare  Jahre  waren, 
sowie,  dafi   sein  Leichnam  unverbrannt  blieb   in  dem  Glauben, 
daß  Friede  und  gute  Zeit  bleiben  werde,  so  lange  er  in  Schwe- 
den sei.^    Vielleicht   hatte  auch  der  zwanzigtägige  Landfriede, 
den  man  zur  Julzeit  ansagte  (Jolai'rid)  auf  ihn  Bezug.    Gemahnt 
dies  an  den  Frieden,  der  während  des  Nerthusumzuges  statt- 
gehabt haben   soll,  (obschon  religiöse  Ehrinrcht  bei  den  Festen 
sehr  verschiedener   Gottheiten  eine   Unterbrechung   der  Fehden 
herbeiführen  konnte),  so  kam  noch  hinzu,  daß  eine  freilich  späte 
Quelle  die  abenteuerliche  Erzählung  von  Gunnar  Ilelming  in  der 
gröfteren  Olaf  Tryggvasonssaga  K.  173  (Fornmannasög  II,  73-78) 
niit  dem  Freysbilde  eine  der  Nerthusprozession  ähnliche  Umfahrt 
veranstalten  läßt.    Die  Geschichte  beruht  indeß  auf  einer  älteren, 
unabhängigen   Aufzeichnung,    offenbar    schwedischen   Ursprungs, 
welche   nur   ganz   lose    und   ungeschickt   mit   dem   Leben   Olaf 
l^^^^^ons  verbunden  und  zu  diesem  in  Beziehung  gesetzt  ist. 
E^  ist  darum  wol  möglich,  daß  in  ihr  einige  echte  Erinnerungen 
an  Zustände  der  heidnischen  Zeit  erhalten  sind.    Schauplatz  der 
Begebenheit  ist  der  östliche  Teil  von  Upland   oder  Södermann- 
land.    Hier  lag  ein  Freystempel  (hofstadr)  mit  vielen  liegenden 
Grrtinden.     Das  Volk  glaubte  Freys  Bildsäule  (likneski)  lebe  und 
hatte  ihm  ein  junges  und  schönes  Weib,  das  seine  Frau  (Freys 
kona)  genannt  wurde,  zur  Dienerin  gegeben.    Sie  lebte  angeblich 
in  wirklicher  Ehegemeinschaft  mit  dem  Gotte  (ok  «tladu,  at  bann 
—  Freyr  —  mundi  purfa  at  eiga  hjüskaparfar  vid  kono  sina)  und 
verwaltete  in  seinem  Namen  den  Tempel  und  dessen  Besitzungen 
(skyldi  hün  mest   rada  med  Frey  fyrir  hofstadnum  ok  öllu  pvi 
®^  |>ar  lä  til).    Im  Winter   fuhr  die  Priesterin  mit   der   lebens- 
ffJ'often,  bekleideten  Bildsäule  Freys  zu  mehreren  entlegenen  Orten 
J^Useits  der  Berge  auf  heilige  Gastgebote,  Gilden  (veizlur),   um 
^©n   Menschen  daselbst  „Jahrbuße,"  Aussicht  auf  Fruchtbarkeit 
*^   schaffen  {\)&  er  bann  —  Freyr  —  skal  gera  mönnum  4rb6t). 
^^Uien  sie  zu  dem  Orte,   wo   ihnen  die  Gilde  bereitet  war,   so 
^^^i*den  blutige  und  unblutige  Opfer  (blot  ok  fomir)  dargebracht. 
^****  Gastbesuch  des  Gottes  und   seiner  Frau  hatte  vermeintlich 


^^    Wirkung,  daß  die  Witterung  mild  wurde  und  Hoffnung  auf 


1)  Siehe  die  Belaf^sstellon   vollständij^if  bei  Uhland,   Schriften  VI,  155, 


10 


Kapitel  VII.    Ve^etationsdämonen:  Nerthus. 


jne  gate  Ernte  sich  zeigte  (var  ok  vettrAtta  bIfS  ok  allir  Intir 
iy§L  drva)nir,  at  engi  madr  mnndi  slikt).  Als  einst  die  „Fran 
des  Freyr''  schwanger  wurde  (I)ikkjast  menn  finna,  at  kona 
Freys  er  med  bami),  hielten  die  Schweden  das  flir  ein  sehr  gntes 
Zeichen.  Ob  man  jedesmal  nach  dem  Tempel  znrflckkehrte,  oder 
von  einer  Gilde  zur  andern  fuhr,  ist  nicht  ersichtlich.  In  jedem 
Falle  hat  die  Ausfahrt  des  Freysbildes  zum  Gastbesnch  anffal- 
lende  Aehnlichkeit  mit  der  Fahrt  des  Nerthnswagens.  Da  nun 
Freyr  vermutlich  eben  deshalb  Friedensgott  genannt  war,  weil 
vorzugsweise  bei  seinem  Feste  Landfrieden  eintrat,  und  da  auch 
die  dänische  Sage  von  der  drei  Jahre  im  Lande  umhergetahrenen 
Leiche  Frodhis  ebenfalls  die  S})nr  einer  Umfahrt  des  Freyr  na 
enthalten  scheint,^  werden  wir  J.  Grimms  allgemein  gut  geheile* 
ner  Annahme  eines  Znsanmicnhanges  des  Nerthuskultns  mit 
demjenigen  des  Njördr  und  seiner  Familie  auch  unsererseits 
Wahrscheinlichkeit  zuzugestehen  nicht  entbrechen. 

Die  Yermittelung  dieser  Hypothese  mit  den  yorgetragenei^^ 
Ergebnissen  unserer  Forschung  würde  in  dem  Umstände  zu  sncher^ 
sein,  daß  der  Vegetationsgenius,  dessen  Einholung  im  Frühlings 
die  taciteische  Schilderung  beschreibt,  bei  dem  nordgermanischeKa 
Volke  der  Sviar  im  Laufe  weiterer  Anthropomorphose  zu  freiere  ä" 
Gharacterentwicklnng   gelangte,    und    in    die   Gestalten   Nj^^rdc^^ 
Freyr  und  Freyja  sieh  spaltete.    Es  ist  schon  oft  bemerkt  wor- 
den,   daß   der  Vater   NjiJrdr  nur  als   eine  Wiederholung,  cini 
andere  Form  des  Freyr  erscheint,  der  vermittelst  der  Freyja  seil 
Wesen  in  eine  mämiliche  und  eine  weibliche  Seite  auseinander 
legt,    lieber  diese  Gottheiten  hat  am  gründlichsten   und  zutref — ' ' 
fendsten   meines  Erachtens  llhland  gehandelt,   der  Schriften  Vl,i^   ^' 
150  ff.  nachweist,   daß   in  den  Vanen  die  milden  und  woltätigeurf^^^ 
Stimmungen    der   Luit    und    des   Wetters    [)ersr»nlieh    geworden 
seien;  darum  gel)icten  sie  über  Hegen,  Sonnenschein  und  Wind, 
und  der  Beginn  wie  die  Ausbeute  der  SehiiVahrt  und  des  Fisch-  -^  ^ 
fanges,   der  Segen   des  Feldbaues   und   der  Weiden   hängt  von   ^^ 
ihnen  ab,  sie  sind  die  Hringer  und  Geber  des  Iteichtums.    Von   ^^ 
Thorr  und  Odliinn,  die  gleichi'alls  im  Luftgebiet  walten,  scheidet 
sie  die  Weichheit   ihres  Wesens,   ihre  Mythen  ergeben    sie  als 


irj? 


u 


%  ^ 


1)  Sjixo  (Jram.,    liist.   Dan.  III    (I.  2M  V.  K.  MiUlerV     Vgl.   Petersen,^  ^ 
Nordisk  Mythologie.    S.  ;j:)8.    Ct.  Ztsohr.  f.  I).  A.  lU,  43ff. 


7/. 


Nertbns ,  Njdrdr  and  Frejr.  591 

vorzugsweise   im  Frflhlinge  tätig.    (Vgl.  Gerdhr,  Beli  u.  s.  w.) 
Wenn  Njördr  in  Noatdn  (Schiffsstätte)  wolint  nnd  nur  bei  See- 
fahrt and  Fischfang  angerufen  wird^  so  ist  er  (wie  Uhland  mit 
Hedit  bemerkt)  darum  kein  Meergott ,  sondern  er  giebt  guten 
Wind  für  die  Schiffahrt  und  das  rechte  Wetter  für  die  FischereL 
Der  kräftige  warme  Hauch  des  Frühlings  läßt  die  erstarrte 
See  offen  gehen;  an  der  Befreiung  des  Meeres,  der  Ströme  und 
Bäche  von  E^ses- Banden   wird  zuerst  und  am  itihlbarsten  der 
Eintritt  der  neuen,  die  wintertodte  Welt  wiederbelebenden  Macht 
^ajrgenonmien.     Wir  werden  daher,  meine  ich,  Uhlands  schöne 
^^chweise  dahin  ergänzen  können,  daß   Freyr  und  Freyja  die 
^^t^tationsgenien   darstellten,   welche   im  Lenze   eintreten,   das 
^^ohstum  von  Pflanzen  und  Tieren  bewirken,  und  zu  diesem 
ft^lufe  in  Wind,  Regen,    Sonnenschein  ihre  Gegenwart  spüren 
I^^sen.   Ich  erinnere  daran,  daß  nach  S.  42.  149  die  Baumgeister 
^^«h  S.  119  die  Dames  vertes  auch  im  Winde  umfahren,  und 
*^^i    anderer    Gelegenheit    werden     wir    reichlichen    Beispielen 
l^^gegnen,  welche  den  Glauben  an  die  Komdämonen,  d.  h.  die 
^^   Getreidekom   waltenden   Geister  mit  der  VorsteUung  verbin- 
det, daß  dieselben  im  Windeswehen  sich   vernehmbar   machen. 
Als  Gott  der  zeugenden  und  belebenden  Naturkraft  im  Frühling 
tat  Freyr  in  Upsala  den  Beinamen  Friggi  d.  h.  goth.  Frija,  i.  e. 
^mator,   osculator  erhalten.     „Fricco,  pacem  voluptatemque  lar- 
^ens  mortalibus,  cujus  ctiam  simulacrum  fingnnt  ingenti  priapo. 
Si  nuptiae   celebrandae  sunt,  immolant  Fricconi."    Jene  Umfahrt 
Ües  Freybildes   mit  einer  sein  Weib   genannten  Priesterin   stellt 
Bich   so  treffend   zu  dem  in  französischen,  deutschen,  englischen 
Und    skandinavischen   Gegenden    erhaltenen    Umgang   des  Mai- 
l>rautpaars  (o.  S.  431  ff.).     Während  Thorr  und  Odhinn  Namen 
tragen,  welche  ein  bestimmtes  Phänomen  als  die  Natnrgrundlage 
ibres   allmählich  mit  reichem  geistigen   Inhalt   eritillten  Wesens 
Erkennen  lassen,  sagt  der  Name  Freyr,   schwed.   Frö  entweder 
fieu  Herrn  oder  den  Eri'reuendcn,   vielleicht  Beides  in  einem  aus 
CMyth.*  190  ff.)  und  giebt  sich  damit  als  die  Bezeichnung  ftlr  ein 
unbestimmtes  Etwas,  als  den   Gesammteindruck  ftlr  eine  mehr 
^fühlte,    als    in    deutlicher   Begrenzung  angeschaute   die   Welt 
durchdringende    Macht;    veraldar    god    heißt    er     Ynglingas. 
cap.  13.     Treffend  vergleicht   sich,   daß  den  Semiten   die  Worte 
Baal,  Adoni  (Herr,  mein  Herr)  ebenfalls  zu  Namen  göttlicher 


592 


Kapitel  Vn.    Vogctationsdäinonen:  Nerthus. 


Wesen  ftlr  nahezn  denselben  Begriff  geworden  sind,  den  wir  als 
Qmndbedentung  von  Freyr  voraussetzen.     War  Freyr  die  zeu- 
gende Natnrmacht  in  der  Sonimerhälfte  des  Jahres  ^  deren  Weben 
man  in  Sonnenstrahl   und  Windeswehen  und  in   dem  Erbittben 
und  der  Vermehrung  von  Pflanzen,  Tieren,  Menschen  wamabm, 
so  fligt  sich  wol  als  sein  Urheber  die  Mannheit,  njürdr  (virtus, 
yirilitas,  s.  o.  S.  571).     Das  Wort  muß  seit  der  Trennung  der 
Nord-  und  Südgermanen  von  einander  mit  der  Vorstellung  von 
dem  Vegetationsgeiste    verbunden    geblieben    und  schließlich  zu 
einer  Hypostase  des  Freyr  selbst  geworden  sein,  gradeso  wie 
Nerio  (die  Mannheit)  Gattin  des  Mars  heißt  (o.  8.  586).    Sollte 
jemand  flir  so  entlegene  Zeiten  und  Entwicklungsstufen  unseres 
Volkes  die  Verwendung  abstracter  Namen  und  Begriffe  unwar- 
scheinlich  finden,    so   dart'  er  vergleichsweise  auf  den   Rigv^ 
verwiesen  werden ,  wo  in  einer  frühen ,  mindestens  mit  dem  taci- 
teischen  Zeitalter  in  Deutschland  vergleichbaren  Periode  der  Osta-  -- 
rier,  Aditi  (die  Unendlichkeit.  Ewigkeit)  als  die  Mutter  der  Göt — 
ter  Aryaman,  Varuna,  Mitra,  Bhaga  u.  s.  w.  genannt,  hinwiedemn^ 
bald  als  Aditis  Sohn,  bald  als  ihr  Vater  Daksha  masc.  (Kraft^ 
aufgeftlhrt  wird,  wie   denn  die  Göttin  häufig  Dakshapitarae» 
d.  i.  den  Daksha  (die  Kraft)  zum  Vater  habend  heißen.    Im  Ved^ 
sehwankt   letzterer  Ausdruck  noch  zwischen  appellativer  meta- 
phorischer Bedeutung  und  Personification ,  in  der  späteren  indi — 
sehen  Mythologie   ist  Daksha   ein   virtlig  anthropomoq)her   6oi 
geworden.*     Der    durch  kein  Zeugniß  belegte   deutsche    GlM 
tername  Pro,  den  Grimm  ans  Freyr  und  der  ulfileischen  Ue1)er 
Setzung  des  biblischen  AVQiog  erschloß,  wird  durch  diesen  Nach 
weis  der  Wurzeln  des  suionischcn  Gottes  Frö  (Freyr)  und  seine 
Familie  nicht  zugleich  dargetan. 

§  10.  Die  Umfahrt.  Zum  Schlüsse  kehrt  unsere  EW^rtc- 
rung  auf  die  Frage  zurück:  wie  haben  wir  uns  die  Gemeinsam- 
keit der  Nerthusverchrung  bei  den  7  V(»lkerschat1ten  zu  denken? 
Zog  der  eine  Wagen  durch  alle  7  Gaue?    Wiederholte  sich  in 


in 


1)  Vjfl.  J.  Muir ,  Original  Sanskrit.  Texts.  Vol.  V.  London  1872  S.  48. 
{>S.  E.  Wollheim,  indische  Mythologie,  Beri.  1850,  S.  89.  Aehnliche  Meta- 
phern sind  die  Epitheta:  Enkel  der  großen  Stärke  (napäta  savaso  mahah) 
Söhne  der  Unsterblichkeit  (sunnavah  amritasya)  für  die  Götter;  Sohn  der 
Kraft  (sahftsub  sunu)  von  Agni,  Sohn  der  Macht  (savasah  patra),  Sohn  der 
Wahrheit  (sunuiTi  satyasya)  von  Indra.    Muir  a.  a.  0.  52. 


4 


Die  Umfahrt.  5d3 

^Wb  ein  gleichartiger  Aufzug?    Oder  hat  eine  dritte  Möglich- 
keit die  Wahrscheiuliehkeit  flir  sieh?    Man  ist  Über  diese  Frage 
leieht   hinweggeeilt,   so   lange  mau  sich  keine  bestimmtere  Vor- 
^Uang  von  dem  bei  Tacitus  geschilderten  ßrauche  zu  machen 
Wagte,  sondern  begnügte  sich  mit  der  von  Grimm  Myth.'  237  — 42 
das  Rudolfs  Chronik  von  8t.  Trond  beigebrachten  Analogie  des 
«Scliiffsumzuges   (a.  1133)    ohne   sich    doch   Über  das  Wesen  des 
'etatcreu  hinreichend   klar  geworden  zu  sein.     Offenbar  war  der- 
selbe  die  Auffrischung   eines  in   seiner   Hebung  für  einige  Zeit 
miterbrocheu  gewesenen  alten  Herkommens  (cf.  ähnliche  Vorgänge 
'^^im  Maigrafen  o.  8.  372.  381);  nur  so  erklärt  es  sich,  daß  die 
^Irrigkeiten  (potestates,  judices,  die  Grafen  von  Duras  und  der 
ostervoigt  von  St  Trond)  gegen  den  Willen  der  Geistlichkeit 
.«  Fest  erlaubten,  ja  begünstigten  und  die  Weber  zwingen  ließen. 
''^^ÄBcs  Ilerkonmien  war  die   ümfUhrung  eines  Schiffes   vor  dem 
^Vifange  oder  zur  Zeit  des  Beginnes  der  Schifffahrt  ui  einem  ähn- 
*i<ihen  Sinne,  wie  die  Umfahrt  des  Pfluges  (o.  S.  553  ff.),  eine  Art 
^^ulier  ilir  ein  glückliches  Aufgehen  des  Eises  und  guten  Betrieb 
^^r  Navigation  auf  Meer  und  Strom,    Oder  war  mit  dem  Schiffe 
^^r  Glaube    verbunden,   daß   es  die  bösen  Geister  des  Winters 
^^itnehme   und  aufs    unfruchtbare  Meer  hinaus  trage?    Man  ver- 
Cs^leiche    nur   die    folgende  Sitte   der  Malaien   im  hinterindischen 
A^rchipelagus,   welche  A.  Bastian,  der  Mensch  in  der  Geschichte 
il,  91    mitteilt.     „Beim  Beginn   jeder  trockenen  Jahreszeit  wird 
^in  Schiffsmodell  in  den  Dr)rfern   der  Nicobaren  herumgetragen. 
l->ie  Bewohner  der  Hütten  jagen  die  Ivis  oder  bösen  Geister  *  aus 
denselben  heraus  und  treiben  sie  au  Bord  des  Schiffes,  das  dann 
ins  Meer  gesetzt  und  den  Winden   preisgegeben   wird,  wie  auf 
Qen  Maldivien."     Ebds.  S.  1)3 :    Aehulich  den  Maldiviern  bringen 
'lie  Bjajas  auf  Bomeo  jährlich  ihr  Opfer  dem  Gotte  des  Hebels, 
indem    sie   eine  kleine  Barke,   beladen  mit  den  Sünden  und  Un- 

1)  rf.  „Die  Vorstellungen  dftr  Nicobaren  von  dem,  was  nicht  im  unmit- 
telbaren Bereiche  ihrer  Vorstellungen  liegt,  beschränken  sich  nach  der  Mit- 
teilung eines  Missionars  nur  auf  die  Furcht  vor  Wesen,  doren  P"inllur»  sie 
ungewöhnliche  Unglücksfälle  zuschreiben.  Diese  Wesen  (Ivi),  die  von  den 
Aerzten  beschworen,  oder  vertrieben  werden  können,  haben  ihren  Aufent- 
halt in  dem  Dickieht  der  Wälder  und  von  Kinigen  werden  sie  auch 
als  die  Erhalter  der  Natur  bezeichnet,  die  «lie  PHanzen  zum  Wachsen  bringen 
können/'     Bastian  a.a.O.  11^1. 

Mannbardt.  38 


594  Kapitel  VII.    Vegetationsdämonen:  Nerthuß. 

glücksfällcn  der  Nation,  vom  Stapel  lassen ,  welche  dann  auf  das 
arme  Schiffsvolk  fallen  werden,  das  so  unglücklich  ist,  die- 
ser geopferten  Barke  zu  begegnen.  Auf  einen  einzehien  Ort 
beschiünkt,  finden  wir  den  Umzug  des  wol  mit  Masken  in  Fast- 
nachtstracht besetzten  Schiffes  mit  dem  des  Pfluges  gepaart  schon 
zur  Adventszeit  an  der  Donau  in  Ulm  (Myth.*  242).  Heutzutage 
hält  man  eben  daselbst  noch  zuweilen  auf  Fastnacht  Umzug  mit 
einem  Schiffe.  Es  wird  auf  einen  Schlitten  gestellt,  wenn  man 
noch  Schnee  hat  und  dann  fahren  die  Leute  darin  unter  Musik 
und  Jubel  in  der  Stadt  herum.  ^  Im  Oldenburgischen  setzt  man 
zuweilen  während  der  Pfingstnacht  kleine  Schiffe  auf  einen  Wagen, 
mit  dem  man  am  folgenden  Morgen  durch  die  Straßen  des  Ortes 
fährt.'  In  früherer  Zeit  wird  mau  sich  hier  überall  nicht  mit 
der  Umfahrt  des  Schiffes  durch  die  Stadt  begnügt,  sondern  das- 
selbe schließlich  in  den  benachbarten  Fluß,  Strom  oder  Meeres- 
hafen  geführt,  dem  Wasser  übergeben  haben.  In  ganz  Flandern 
und  manchen  französischen  Gegenden  ist  es  gleichfalls  Sitte,  za 
Fastnacht  (und  auf  den  daher  abgeleiteten  Kirchweihen)  ein'aur 
Räder  oder  Schlitten  gesetztes  Schiff  mit  Musikan^n  und 
Gameyalsmasken  geftillt  neben  anderen  grotesken  Gestalten  (jenem 
Kiesen  o.  S.  523),  Drachen,  Glücksrädern,  wol  modernisierten 
Darstellungen  des  Jahresringes ,  (cf.  die  Räder  der  Frühlingsfeaer) 
von  Pferden  im  Garneyalszuge  durch  die  Stadt  ziehen 
zu  lassen.  (Hervorzuheben  ist  dabei  der  Ommegang  in  Brüs- 
sel.)^ Dieser  auf  einen  einzelnen  Ort  beschränkte,  einst  ernst 
religiöse,  dann  zum  Scherz  herabgesunkene  Umgang  erscheint 
nun  im  Flußgebiet  der  Maaß  und  Scheide  durch  besondere  Um- 
stände (als  die  wir  die  durch  frühe  und  glänzende  Entwickelung 
des  Handels  und  der  Industrie,  zumal  der  Weberei,  erhöhte 
Bedeutsamkeit  der  Schifilahrt  leicht  erkennen)  auf  ein  größeres 
Gebiet  ausgedehnt.  Bei  Aachen  ward  im  Walde  selbst  im  ersten 
Frühjahr,  als  die  Tage  noch  ganz  kurz  waren  (fugitiva  adhue 
luce  diei),  von  einem  Bauer  und  seinen  Gesellen  ein  Schiff  auf 


1)  Meier,  374,  G.  In  den  bairischen  Donaugegenden  zieht  man  Fast- 
nachts  Kähne  auf  Rollen  durch  die  Ortschaften,  die  Mäste  mit  Eßwaaren 
behängt,  im  Mastkorb  Feuer.    Rochholz,  Aleni.  Kinderl.  228. 

2)  Strackerjan  II ,  S.  47,  31G. 

3)  Vgl.  auch  noch  Dunlop,  Prosaromano  übers,  v.  Liebrecht,  Vorr.  XI. 
(Jerniania  V,  50. 


Die  Umfahrt  585 

BSdern  erlMuit    Qeschah  die  Erbauung  im  Walde ,  statt  ani  der 
l>equeiiieren  Werft  iu  der  Stadt,  sobald  dort  die  ersten  Pflanzen- 
triebe (Baumknospen)  erspäht  wurden,   und  glaubte  man  so  den 
FiHblingsgenius    (Boi   de   printemps)    unsichtbar   im   Schiffe   zu 
haben,  der  ja  auch  das  Eis  des  Meeres  UVst,  milde  Fahrwmde 
[       ^*tbringt?    Oder  war  sie  ein  archaistisches  Ueberbleibsel  jener 
Vneitj  als  die  Schiffe  noch  aus  je  einem  einzigen  vieUeicht  durch 
J^eaer  ausgehöhlten  Baumstamme  (zumeist  Eschen)  bestanden?^ 
^tzteres  werden  wir  flir  den  Fall  wahrscheinlicher  finden,  daß 
an  Analogon  zu  der  nicobarischen  Sitte  vorliegt    Die  Lein  •  und 
^ollenweber  wurden  gezwungen,  das  Schiff  an  Stricken  nach 
'^^chen  und  weiter  nach  Mastricht  zu  ziehen.    Wo  man  hinkam, 
I^Bten  die  Weber  des  Ortes  die  Ziehenden  ab ;  kamen  sie  zu  spät, 
so    verfielen  sie  der  Strafe  (proscriptionis  sententiam  accipiunt). 
"^^•g  und  Nacht  mußten  sie  im  vollen  Waffenschmuck  Ehrenwache 
d^Jbei  halten,  [so  wird  beim  Maibaum  gewacht  o.  S.  168];  nur 
sie  dürfen  das  Schiff  berühren,  wer  außerdem  anfaßt,  muß 
^in  Pfand  von  seinem  Halse  geben  (pignus  de  coUo  ereptum), 
<Hler  sich  durch  beliebige  Gabe  auslösen.    In  diesen  Zügen  offen- 
l^art   sich  ein  sicheres  Anzeichen  von  dem  Alter  der  Sitte.    Wie 
die  Schmackosterrute  nicht  mit  bloßer  Hand  berührt  werden  darf 
(o.  S.  270),  darf  den  Nerthuswagen  und  ebenso  dieses  Schiff  niemand 
aoß  dem  Volke,  nur  der  berechtigte  Priester,  oder  die  Schaar  der 
darch  das  Herkommen  dazu  bestellten  Führer  und  Wächter  berüh- 
ren, weil  ein  Numen  einwohnt    Wer  ein  göttliches  geisterhaftes 
Wesen   berührt,    stirbt    nach   der    Anschauung    des   Al- 
tertums, oder  kann  nur  durch  Haupt-  und  Ilalslösung  sich  ret- 
ten.   Dieses  der  zu  Grunde  liegende  Gedanke.    Warum  aber  hat- 
ten grade  die  Weber  mit  dem  Aufzuge  zu  tun,  deren  Gewerbe 
^ii^t  seit  Berufung  der  Regensburger  Weber  durch  Gral'  Balduin 
van  Flandern   im  J.  959  in   diesen  Gegenden   ausgebreitet*  und 
deren  Vereinigung  in  Zünfte  wenn  überhaupt  schon,  so  erst  wenige 
Jahre  vor  1133  erfolgt  warV^    Vermutlich  hatten  sie,  auch  ohne 

1)  W.  Wackernagcl  in  Haupt,   Zs.   f.  d.  A.  IX,  573.     Kl.   Schriften  I, 
*^ 85.    Solche  aus  hohlen  Baumstämmen  gefertigte  Schiffe  halten  30  —  40 

2)  Rehlen ,  Geschichte  der  Gewerbe.    Lpzg.  1866.    S.  98.     v.  Kampen, 
^««chichte  der  Niederlande  I,  Uil 

3)  Wilda  y  Gildenwesen  des  Mittelalters.    8.  313. 

38* 


590  Kapitel  VII.     Vegetationsdänionen :  Nertlius. 

rechtlich  anerkannte  ständige  Vereine  zn  bilden ,  im  zehnten  oder 
elften  Jahrhundert  als  eine  Ehre  tUr  ihren  Stand  das  Amt  de« 
Vorspanns  und  der  Ehrenwache  in  dem  alten  Branche  zu  erlangen 
gesucht,   sei  es,  weil  ftlr  die  Zeugmanufactur  der  gute  Verlauf 
der   Schiffiah rt   eine  Lebensfrage  war,   da  sie    ihr   Rohmaterial 
überwiegend  aus  England  bezog  und,  da  ihre  Producte  damals 
die  vorzuglichsten  überseeischen  Ausfuhrartikel  der  Niederlande 
bildeten,  oder  sei  es,   weil  die  metaphorische  Benennung  eine« 
Arbeitsgerätes,  des  WeberschifTelin  ^  (radius,  navicula)  eine  Ideen- 
association  des  WclMjrhandwerks  mit  der  Schifffahrt  begründete. 
In  etwas  späteren  Zeiten  sehen  wir  vielfach  die  Zünfte  and  Cor- 
porationen  bemüht,   die  Bräuche  der  alten  Jahresfeste  sich  anzu- 
eignen und  zu  eigentümlichen  Festen  ihrer  Innung  zu  verengen, 
indem  sie  am  liebsten  solche  Formen  wählten,  welche  durch  irgend __ 
eine   oft   untergeordnete   Aeußerlichkcit   auf  ihre   Gewohnheitei^ 
bezogen  werden  konnten.     Vgl.  z.  B.  die  Prozession  der  Zürichec — 
Schmiedestubenzunft   am   Hirsmontag   (o.  S.  623)   und   den  Mai — 
bäum  der  Prager  Schneider  o.  S.  431.)    Möglicherweise  hatte  di^^ 
Beteiligung  der  Weber  an  dem  Umzüge  doch  einen  andern  GrunA  - 
In  Trier  fanden  wir  Weber  und  Metzger  (wol  als  die  angesehen — 
sten  Züntle)  die  Aufrichtung  und  Verl)rennung  der  Frühlingseich^? 
am    Sonntage    Inyocavit    als    bewaffnete   Ehrenwache    schirme»-^ 
(o.  S.  501,  vgl.  Kulms  Herabkuntt  S.  96),  wie  an  mehreren  Orte»  "* 
die  Metzger  allein  mit  der  Lenzbraut  umziehen.     Als  im  zwölf  — 
ten   Jahrhundert   der  Reichtum    und  Stolz   der   uiederläudiscbei 
Weber    durch    das  Aufblühen    der  Industrie    und   vielleicht   dei 
neuen   corporativen  Zusammenschluß   bedeutend  wuchs,  mocbtei 
sie   es  nunmehr  unter  ihrer  Würde  halten,   gleich  Knechten  dar 
Schiff  zu  ziehen  und  deshalb  den  Brauch  abstellen ,  bis  das  nacl 
dem    gewohnten   Schauspiel   begierige    Volk   einmal   wieder  si 
zwang  denselben   aufzunehmen.     Die  Prozession  mit  dem  Scbif 
ging  von  Aachen  nach  Mastricht  (4  Meilen),  von  Mastricht  nae^nrh 
Tongern  (2V2  M.),  Looz  (2  M.)/St.   Trond  (l'/^  M.),  St  Lei=?H 

(iVg  M.);  die  genommene  Richtung  läßt  schließen,  daß  man  bea b- 

sichtigte,  das  Fahrzeug  direct  über  Löwen  und  Antwerpen  ^t:_ji8 
zur  Westcrschelde  zu  führen  und  hier  fausto  omine  dem  Meez^re 
zu   übergel)en;  mit  lilicksicht  auf  dieses  Ziel  [oder  weil  man  <J/e 

1)  Zarucke -Müller,  nilid.  \V.  B.  s.  v. 


Die  Umfahrt.  597 

anBzatrdbenden  bösen  Geister  darin  wähnte] ,  mag  es  ttir  unglück- 
lich und  schimpflich  gegolten  haben,  das  Schiff  irgenwo  zu  behal- 
ten (maligni  spiritus  disseminaverunt  in  popnlo,  qnod  locus  ille 
et  inhabitantes  probroso  nomine  amplius  notarentur,  apud  quos 
TCQumsisse  inveniretur).     Bei  Leau  war  etwa  grade  die  Hälfte 
de«  znrttckzolegenden  Weges  erreicht;  verweilte  das  Schiff  auf 
Mcr  Station   so  lange,   wie   in   St.  Trond  (12  —  14  Tage),   so 
lifttte  es   bis  dahin  etwa  2  Monate  gebraucht  und  konnte,   falls 
^>  wie  in  Ulm,  im  Beginne  der  Adventszeit  die  Reise  l>egann, 
Ende  März ,  falls  1  —  2  Monate  später  *  im  Mai  das  Meer  errei- 
<^heii.     Dieser  Zeitraum  erscheint   bereits   durch   mißbräuchliche 
'Ausdehnung  bei  Vergessenheit  der  eigentlichen  Absicht  des  Brau- 
nes zu  lang  gedehnt    Auf  den  einzelnen  Stationen  wurde  das 
^hiff   ähnlich    dem    trojanischen   Pferde,    sagt    der   geistliche 
^richterstatter,  von  den  Bürgern  festlich  in  die  Stadt  eingeholt, 
^labendlich  bildete  es  (wie  der  Maibaum)  den  Mittelpunkt  eines 
Reigentanzes,    an   dem  beide  Geschlechter,  sogar  die  Matronen 
trotz  der  halbwinterlichen  Frtthjahrszeit  in  bereits  sommerlicher 
Kleidung  Teil  nahmen  und  wenn  der  Reigen  sich  löste,   ertönte 
wie  unsinniges  Gejuchze  und  Jubelgeschrei  (vgl.  o.  S.  191).    Musik 
luid  weltliche,  der  Geistlichkeit  anstößige  Gesänge  fehlten  nicht 
Ks  scheint,   daß  während  des  Tanzes  auf  dem  Fahrzeuge  Mann- 
schaft sich  befand ,  welche  mit  Gommando  (celeusma)  und  Ruder- 
Schlag   die  Bewegung   eines  Schiffes    nachahmte.    Die  Geistlich- 
keit war  diesem  Treiben  entgegen ,  es  fehlte  demselben  also  jede 
kirchliche  Beziehung.     War  es  trotzdem  nicht  unmr>glich,    so  ist 
eB    doch  unwahrscheinlich,   daß    der  Umzug  seit  dem  10.  Jahr- 
bundert  entstand,   aber  erweitert,   ausgedehnt  hat  er  sich  wahr- 
Bf^heinlich  während  dieser  Zeit  unter  dem  Einfluß  des  wachsen- 


1)  In  Nordfriesland    war  Petri  Stuhlfeier,   22.  Februar,  ein  Frühlings- 

^^st;   dann   tan7,te   man    mit   seinen  Frauen   und   Bräuten   um  grofic   Feuer 

^^iiltcn),   wobei   jeder  Tänzer    in    der   Hand    einen   brennenden    Strohwisch 

^«hwang  (also   nach  S,  4D8  Sonnonzauber  bei  Frühlingsanfang):  dann  ver- 

^  ießen   die  Schiffer  das  Land  und  begaben  sich  wieder  zur  See.    Mül- 

l^nhoff.   Schleswigholst.  Sag.    S.    1G7.    CCXXVIII.      Auch  nach    deutschen, 

^\änischen,  czechisclien .  französischen  S[»ricliwörtem  hebt  St.  Peter  (22.  Februar) 

das  Frühjahr  an,    geht  der  Winter  fort,   dann    sucht  der  Storch   sein  Nest, 

Itommt  von*  den   Schwalben  der  Rest.     Reinsberg-Düringsfeld,  das  Wetter 

Im  Sprichwort.   S.  17.  19.  93. 


598  Kapitel  VII.    Vegetationsdäroonen:  Nerthns. 

den  Seeverkehrs  und  Exports  der  Niederlande  nnd  unter  der 
Teilnahme  der  Weber.  In  wie  weit  dart*  die  Analogie  dieses 
Frtihlingsaafzuges  zum  Verständniß  der  Nerthnsfahrt  verwertet 
werden?  Traf  unsere  Deutung  der  letzteren  zu,  so  gehören  beide 
Geremonien  der  nämlichen  Kategorie  von  Gebräuchen  an.  Unter 
Begünstigung  besonderer  Verhältnisse  dürien  wir  uns  die  Um- 
ftthrung  eines  den  Frühling,  resp.  den  im  Frühjahr  wieder  wirk- 
samen Vegetationsgeist  bedeutenden  Symbols  zu  Wagen ,  die  wir 
heute  auf  einen  einzelnen  Ort  (Dorf,  Städtchen)  beschränkt, 
höchstens  auf  einige  wenige  Dörfer  (s.  o.  S.  168)  erstreckt  gewah- 
ren, zu  größerem  Umfange,  oder  größerer  Bedeutung  gelangt 
vorstellen,  und  zwar  müssen  Ursachen ,  welche  heute  dergleichen 
zu  Wege  bringen,  schon  in  alter  heidnischer  Zeit  ähnliche  Wir- 
kungen erzeugt  haben.  Von  den  vielen  loealen  Resten  des  mit- 
telalterlichen Schauspiels  hat  das  Oberammergauer  Passionsspiel 
allein  sich  neuerdings  zu  einer  von  vielen  Tausenden,  zum  TeiL 


aus  weiter  Ferne  besuchten  geistlichen  Schaustellung  entwickelt; 
das  Pflugfest  zu  Hollstadt  (o.  S.  556),  ist  nur  alle  7  Jahn 
mit  einer  reicheren  Ausstattung  gefeiert  in  anseri 
Jahrhundert  zum  Wallfahrtziel  eines  ganzen  großen  6aui 
geworden,  während  die  entsprechenden  jährlichen  Feiern  and( 
rer  Orte  über  ihr  Dorf  hinaus  unbeachtet  bleiben.  Im  Altertum« 
ward  durch  ein  eigentümliches  Zusammentreffen  historischer  at 
politischen  und  geographischen  Verhältnissen  hervorgegangene] 
Constellationen  die  ursprünglich  gemeingriechische  von  den  Dör- 
fern in  ihrem  Kreise  geübte  Saat-  und  Erntefeier  in  Eleusis  zu 
dem  so  individuell  ausgestatteten,  jährlich  von  vielen  Tausenden 
aus  allen  Stämmen  begangenen  Mysterienkultus.  Auch  die 
Gebräuche  des  delischen  Apollodienstes  erklären  sich  zum  Teile 
als  eine  unzweifelhaft  durch  politische  Begebenheiten  begründete 
Erweiterung  des  Erntefestes,  indem  mehrere  Stämme  des  näch- 
sten Festlandes,  wie  sonst  Gehöft,  Weiler  oder  Städtchen  die 
Erstlinge  der  Frucht  dem  in  stiller  züchtiger  Unberührtheit  auf 
einer  Insel  liegenden  Heiligtum  des  Sonnengottes  übersandten. 
Ein  Stamm  wird  damit  begonnen  haben,  dem  die  andern  sich 
allmählich  anschlössen.  So  wird  der  Wald  auf  der  Nerthusinsel  '  '^ 
zuerst  von  den  nächsten  Anwohnern  auf  dem  Festlande  zur  Ein-  ^ ' 
holung  des  Frühlingssymboles  benutzt  sein;  der  Kuf  besonderer 
Heiligkeit    und   segensvoller   Wirkung,    welcher   dem  ans  dem 


'*i 


^ 


Die  Umfahrt  599 

nnbertthrten  Haine  der  Insel  stammenden  Heiltun  beiwohnte, 
▼erscliafiFte  dem  Umzug  Berühmtheit  und  mit  der  Zeit  Beteiligung 
des  ganzen  angrenzenden  Gaus;  eine  Art  politiseher  Verbindung, 
VI  ^eeleher  späterhin  die  7  Stämme  gelangten,  hat  dann  in  den 
Bundesgliedem  den  Wunseh  rege  gemacht,  an  der  Segnung  auch 
i^^Yerseits  Teil  zu  nehmen.  Wir  haben  ja  gesehen,  wie  in  ein- 
*^liien  Formen  des  Brauches  das  Abbild  des  Vegetationsgeistes 
^^  Tendenz  hat ,  sieh  zur  Idee  eines  Schutzgeistes  der  Gemeinde, 
^Staates  zu  erweitem  (o.  S.  166  ff.  303  ff.);  dem  zunächst- 
^ohnenden  Stamme  aber  dürfte  der  hieratische  Beiname  Reudigni 
^  h.  wol  got  Riudiggai,  d.  i.  die  Ehrwürdigen,  aefivoi  als  den 
^titem  des  heiligen  Inselhaines  oder  als  denjenigen,  bei  welchen 
^e  Festfeier  statt  hatte, ^  zugeflossen  sein.  So  wäre  erUäriicky 
^oß  ausnahmsweise  von  dem  Strome  kistarischen  Ld^ens  erfaßt 
^ohan  SU  des  Tadtus  Zeit  den  Ktdtus  eines  Bundes  von  sieben 
Gauen  ausmachen  kofinte .  was  im  übrigen  Deutschland  Begehwig 
•»•»r  eines  Dorfes,  oder  weniger  Ortschaften  geblieben  ist 

Unsere  Untersuchung  kehrt  zu  der  bereits  S.  000  berührten 
Frage  zurück ,  wie  die  Angabe  zu  verstehen  sei ,  dafi  die  7  Stämme 
gemeinschatllich  (in  commune)  die  Nerthus  verehrten.    War  der 
Inselhain  ihr  unter  einer  Bundesverwaltung  stehender  Gesammt- 
besitz  und  brachte  der  Priester  dort  im  Namen  des  Bundes  und 
in  Gegenwart  von  Gesandten  der  einzelnen  Stämme  zu  bestimm- 
ten  Zeiten,  oder  ftir  Private  aus  allen  Gauen,   so  oft  sie  etwa 
wollten,  Opfer?    Das  ist  unwahrscheinlich,  weil  Tacitus'  Schil- 
derung (zumal  der  Ausdruck  castum  nemus)  einen  ständigen,  das 
ganze    Jahr    hindurch    geübten   Opferdienst  im   Inselhaine   aus- 
schlieBt,   und  bei  dem  Feste  nur  den  Ausgang  der  Prozession 
ans  demselben  geschehen  läßt  (o.  8.  575).    Offenbar  also  bezieht 
sieh  die  Behauptung  eines  gemeinsamen  Kultus  auf  die  Festfeier, 
die  dann  am  ehesten  als  solcher  erscheinen  konnte,  wenn  zu  ihr 
an  einem  und  demselben  Orte  Teilnehmer  aus  dien  den  genann- 
ten Stämmen  sich  einfanden.    Dies  setzt  einen  vorher  feststehen- 
den Zeitpunkt  des  Festes  voraus,    der  nicht  minder  durch  den 
unter  den  7  Stämmen  geltenden  allgemeinen  LandMeden  erfor- 
dert wird,  da  ein  solcher,  wenn  er  nicht  eine  periodisch  wieder- 
kehrende bestimmte   Stelle   im  Jahreslauf  hatte,   viele  Wochen 


1)  Grimm,  Gesob.  D.  Spr.  716  ff. 


BOO  Kapitel  VII.     VegetationsdäiDoiieii :  Ncrthns. 

vor  dem  Beginn  des  FcBtcs  hätte  angesagt  werden  mtlssen.  Ohne 
ein  zwingendes  praktisches  Interesse  verstanden  sich  die  kriege- 
rischen Stämme  schwerlich  dazn ,  unbedingt  jeder  Fehde  zu  ent- 
sagen; ein  solches  war  das  BcdUriniß  mit  sicherem  Geleit  zum 
Festorte  reisen  zu  können,  der  hei  starkem  Besuch  von  entlege- 
neren Landstrichen  her  sich  von  selbst  zum  Markt,  zur  üfe-ssc 
gestaltete.  Berücksichtigen  wir  diese  Bemerkungen,  so  ergänzt 
sich  uns  das  mutmaßliche  Bild  des  Nerthnskultus  etwa  in  folgen- 
der Weise.  Der  an  einem  bestimmten  Tage  des  Prflhlings 
(1.  Mai?)  geübte  Brauch,  aus  einem  Walde  auf  nahegelegener 
Insel  den  Vegetationsdämon  einzuholen,  hatte,  zu  einem  besonders 
großartigen  und  vielbesuchten  Aufzuge  geworden,  vielleicht 
begünstigt  durch  die  Lage  des  Ortes ,  einen  sehr  lebhatlen ,  fried- 
lichem Austausch  dienenden  Marktverkehr  hervorgerufen,  an  den 
sich  leicht  eine  politische  Beratung  von  Abgeordneten  des  Bun- 
des —  wenn  ein  solcher  bestand  —  anschliefton  mochte.  Dem  j 
römischen  Kcisenden,  der  in  diesen  Festverkehr  hineingeriet,  ^ 
vielleicht  des  Marktes  wegen  denselben  aufsuchte,  konnte  die^?^ 
Feier  kaum  anders  erseheinen,  als  Tacitus  sie  geschildert  hat 

Nur  ein  Umstand  macht  Bedenken  und  könnte  einen  gewich 

tigen  Einwand  gegen  unsere  Deutung  begründen,  wenn  die  Auf- 
fassung des  Tacitus  genau  den  Tatsachen  entspräche.  Es  isi 
dies  die  Angabe,  daß  der  Nerthuswagen  zu  den  Völkern  gefahren. 
komme  (populis  invehi),  und  daß  mehrere  Orte  des  Eintreffens 
und  des  Gastbesuches  der  Gottheit  gewürdigt  wurden  (quaecun- 
que  loca  adventu  hospitioque  dignatur).  Man  hat  bisher  diese 
Stellen  so  ausgelegt,  daß  der  Ncrthuswagen  durch  die  Gane 
aller  7  Stämme  geführt  wurde.  In  diesem  Falle  mußte  er  min- 
destens als  Hauptstationen  die  7  Vororte  der  verbündeten  Can- 
tone  besuchen  und  darin  verweilen.  Rechnen  wir  aut*  jeden  die- 
ser Orte  eine  Woche  des  Verweilens  und  unterweges  keinen 
Aufenthalt,  so  koimte  bei  4()  Reisetagen  von  je  4 — 5  Meilen 
auf  den  noch  ungebahnten  Wegen  jener  Zeit  möglicherweise  in 
einem  Vierteljahre  der  Umzug  vollbracht  sein.  Er  hätte  also 
etwa  die  Jahreszeit  in  Anspruch  genommen ,  welche  bei  uns  dem 
Zeitraum  von  Fastnacht  bis  Pfingsten  entspricht,  oder  er  würde,  -- 
falls  man  den  Endpunkt  bis  Mittsommer  herausrücken  will,  die 
Monate  von  Mitte  März  l)is  Mitte  Juni  erfordert  haben.  In  bei- 
den Fällen  wäre  jedes  Zeichen,  an  dem  man  im  Anfange  diese 


\ 


Die  Umfahrt  601 

Periode  die  Ankunft  des  Vegetation8dänion8  im  Walde  erkennen 
konnte  ^  weit   überholt  durcli  die  inzwischen  voll  entwickelte ,  ja 
bis    zum  Wiederabwclken  reif  gewordene   Pflanzenwelt.     Wozu 
dann  noch  ein  Umzug  von  Gau  zu  Gau  mit  einem  Symbol,  das 
dock  nur  in  den  ersten  Wochen   des  FrühKngs  Interesse  hatte, 
^^  daran  die  Wiederkehr  der  guten  Geister  des  lenzes  sichtbar 
^zuschauen?    Was  (Blume,  jung  ergrttnter  oder  in  Rlattknospen 
Wagebrochener  Zweig  oder  dgl.)  konnte  in  dem  Wagen  als  sicht- 
^Ter  Vertreter  des  Wachstumsgeistes  enthdten  sein,  ohne   im 
I'^ufe  einer   so  langen  Zeit   abzusterben  und  zu  welken?     An 
^^Kn  Nadeigehölz  brechen  die  frischen  Triebe  erst  im  Ausgang 
^Hi  oder  Anfangs  Juni    hervor,   mithin  war  auch  wol  Fichte, 
'^Öhre  und  Tanne  nicht  verwendbar,  falls  die  Umfahrt  wirklich 
^in  Vierteljahr  dauerte,  alle  7  Gaue  berührte.    Wird  durch  diese 
unehlichen  Schwierigkeiten   unsere  Hypothese,   daß  der  Umzug 
^^8  Nerthnswagens  eine  besondere  archaistische  Form  der  Ein- 
^tingung  des  Vegetationsdämons  im  Frtthünge  war,  umgestoßen V 
Wir  glauben   diese  Frage  wegen  der  S.  581  ff.  dargelegten  Ueber- 
^instimmnngen  mit  nein  beantworten  zu  sollen.    Vielmehr  scheint 
^8,  als  ob  die  einfache  Erwägung  der  praktiscben  Möglichkeit 
den  Bericht    des   Tacitus   als   nicht  völlig  den   Tatsachen   ent- 
sprechend erweise.     Als  gemeinsamer  Kultus  hatte  die  Um- 
fahrt keinen  Sinn,  wenn  nicht  allen  Stämmen  Gelegenheit  gege- 
ben wurde  den  heiligen  Wagen  bei  sich  zu  sehen;  die  Dauer  der 
Heise  würde  sich  vermutlich  in  Wirklichkeit  länger ,  leicht  bis  zu 
Einern   halben  Jahre  ausgedehnt  haben.     Und  eine  so  lange  Zeit 
^väre  (jährlich?)  Landfriede  geboten  und  gehalten?    Und  wo  fände 
Hich  ein  zweites  Beispiel  einer  so  langen  und  so  weiten  Herum- 
ttlhrung  eines  Göttersymbols?    Die  viel  kürzere  des  Schiffes  von 
Oomelimünster  (o.  S.  596)  ist  aus  der  Richtung  nach  dem  Meere 
erklärlich,    die   Freysumfahrt   (o.  S.  589)  beschränkte  sich  ver- 
^nutlich   auf  die  Nähe  des  Tempels  und  ])e8taud  nicht  in  einer 
Ununterbrochenen   Reise  von  Ort  zu  Ort;   der  Empfang  des  Nu- 
Tuens  mit  Tanz  und  Festmahl  und  der  Glaube ,  durch  seine  Gegen- 
wart sich  der  Fruchtl)arkeit  des  Landes   versichern   zu  können, 
bildete  vermutlich  seine  Ilauptübereinstimmung  mit  dem  Nerthus- 
umzug  und  der  Einbringung  des  Maibaunis.     Unter  diesen  Um- 
ständen muß  ernstlich  erwogen  werden,  ob  nicht  die  Schwierig- 
keit durch  die  Annahme  zu  lösen  sei,  daß  jenes  „in  commune 


Sehlußwort. 

Baumgeist   und  Korndämon. 

Die  Hauptergebnisse  unserer  Betraehtangen  lassen  sieh  in 
^«  folgenden  Sätze  zusammenfassen.  Als  Ueberlebsel  der  pri- 
mitivsten Entwickelungszustände  des  menschlichen  Geistes  hat 
^if5h  bis  in  weit  fortgeschrittenere  2feiten  unter  verschiedenen  For- 
cen die  Vorstellung  von  Gleichartigkeit  des  Menschen  und  des 
Raumes  gerettet.  Die  Ueberzeugung ,  „der  Baum  hat  eine  Seele, 
^e  ein  Mensch,"  und  der  Wunsch  zu  wachsen  und  zu  blühen, 
^e  ein  Baum ,  sind  auch  bei  den  deutschen  und  ihren  slavischen 
Und  romanischen  Nachbarn  die  Eltern  eines  weitverzweigten 
Glaubens  und  mannigfacher  Gebräuche  gewesen.  Die  Baumseele 
tcebt  in  dem  Baume  als  in  ihrem  Leibe,  den  sie  nicht  verlasset^ 
kann,  und  empfängt  so  Opfer  und  Verehrung;  eine  rationalisti- 
sche Abart  dieser  Vorstellung  ist  die  Annahme,  daß  die  Seele 
eines  verstorbenen  Menschen  im  Baume  eingekörpert  sei.  Der 
Banmleib  ist  dabei  vielfach  dem  menschlichen  ähnlich  gedacht, 
verwundet  blutet  er  (S.  34  flf.  41  ff.).  So  entsteht  ein  der  Phan- 
tasie stätig  vorschwebender  Parallelismus  des  Menschenkörpers, 
seines  Wuchses   und  seiner  Zustände   mit  denen  des  Baumes.^ 


1)  Derselbe  spricht  sich  u.  a.  in  der  Sitte  aas ,  Menschen  mit  ihren 
Gedärmen  um  einen  Banni  zu  wickeln  o.  S.  26  ff.  Dieser  grausame  Brauch, 
der  im  12.  und  13.  Jahrhundert  in  Ländern ,  welche  vorzugsweise  dem  Baura- 
kultus  ergeben  waren,  noch  in  wirklicher  Ausübung  als  religiöse  Begehung 
stand ,  bezog  sich  ursprünglich  nur  auf  Baumschäler  und  enthielt  den  Gedan- 
ken, den  geschädigten  Baumgeist  durch  Ersatz  zu  sühnen.  Er  ragte  offen- 
bar auch  in  das  Leben  der  Slaven ,  Letten  und  Finnen  jener  Zeit  nur  noch 
als  dunkler  Rest  einer  längst  entschwundenen,  noch  barbarischeren  Vorzeit 
hinein,  stimmt  aber  völlig  zu  dem,  was  E.  Tylor,  Ausland  1874.  16.  Febr. 
S.  192  über  die  Rechtsanschauung  wilder  Völker  bemerkt.     „Wie  man  von 


604  SchluHwort. 

Die  den  Banin  als  Schmarotzer  anfrcBScnden  Insekten  gelten 
zugleich  als  die  Krankheitsursachen  im  tierischen  I^ibe  (S.  12  ff). 
Zuiceihn  jedoch  tritt  der  Baunigeist  aus  der  I^lanze  heraus  ufid 
lieben  sie  hin,  so  daß  er  zeitweilig  m  Menschengestalt  den  Pflan- 
zenkörper verläßt  und  sich  in  Freiheit  außer  ihm  bewegt,  rrfwr 
mit  seinem  Lehen  an  das  Leben  des  Baumes  gebunden  bleibt 
(0.  S.  68.  69).  Ln  Rauschen  de^  Windes  macht  er  sein  Dasein 
bemerkbar  (S.  A2.  43).  Die  Sede  des  Einzelbaumes  erweitert  sich 
sodunn  zum  Dämon  eines  ganzen  Waldes  und  stellt  sich  so  dar 
als  ein  WaMgeist,  oder  eine  Schaar  von  Waldgeistern,  bald 
männlichen,  bald  weiblichen  Geschlechtes,  die  mit  den  Bäumen 
zugleich  entstehen  und  vergehen  (S.  75.  89).  Ott  tragen  sie, 
ganz  in  Moos  gehüllt,  noch  deutliche  Abzeichen  ihrer  Natur  ab 
Personifikationen  der  Bäume  an  sich;  dieselbe  bricht  auch  i 
ihren  Namen  (Hochrinde ,  Kohrinde  u.  s.  w.)  und  in  manchen  ande 
ren  Zügen  ihres  Wesens  durch  (S.  7r>,  147).     So  versichern  di 

Weißrussen,   daß  ihr  Wuch^  des  Wiüdgeistes  von  der  Höhe  der 

jenigen  Bäume  abMngig  sei,    in  deren  Näiie  er  geht  und  steht,        ' 
oft  ist  dieser  Zusammenhang  mehr  verwischt     Sie  zeigen  sich-     , 
außerhalb   der  Bäume   lebend,   in  MaiscJwngestalt  oder  Tierg^^ — 
statt   (S.  146),   fahren    in    Wirbelwind    und   Stunn   dalier,  di   i*** 
Dames    veries    gehen    im    Winde   über    das    wogeiulc  Kornfdr'^ 
(S.  149  ff.).    Hieher  gehört,  daß  sie  zuweilen  im  Tanze  Kinder  zr^^^ 
Tode  kitzeln  o.  S.  87.  139  vgl.  89.     Als  Repräsentanten  des  Col 
lectivbegriffs  Wald  machen  sie  den  weiteren  Fortschritt  zu  Gel 
Stern  der  gesammten   Vegetation  o.  S.  77  ff.  148.     Wol  als  solch 
tragen   die  weiblichen  Waldgeister   zum  Anzeichen  ewig  wieder —  "' 
holter  Geburtenltllle   große   herabhängende   Brüste   (S.  147),   alae=^-* 
solche  verjagen  sie  die  schädlichen  Krankheitsgeister  und  we 
zu  Heildämonen ,  welche  pestvertreibende  Kräuter  wissen  (S.  81.^ 
106.  153). 


den  Wilden  der  brasilianiscben  Wälder  hört,   daß  der    Bluträchcr  demÄ^^ 
Mörder   genau    dieselben    Wunden    baut,    oder    stiebt,    welcLc^^J*    ^^ 
dieser   dem    Ermordeten   heimgebracht    hat,    so  ist  das  römische  lex: 


talionis,  das  jüdische  Auge  um  Auge,  Zahn  um  Zahn,  Brennen  um  Brennen.«-  ^'^^ 


Wunde  um  Wunde  noch  lieuto  Gesetz  in  Abyssinien.**  Vgl.  hiezu,  daß  der*^  "^^^ 
Baumsoliädiger  sich  genau  die  Wunde  beibringt,  die  er  dem  Baume  schli»"  ^'"*  "^ 
o.  S.  36  ff. 

1)  Afanasieff ,  poetische  Naturanschauungcu  II ,  330.    VgL  o.  S.  138. 


Baomgeist  und  Kornd&mon.  605 

Dem  01au1>en  von  der  zum  Oenius  des  Wachstums  erweiter- 
ten Baomseele    nnd    der  magischen   Wechselwirkung   zwischen 
'^'«lam  und  Mensehen  scheint  im  Volksbrauch  die  »Sitte  des  Mai- 
i^caums  zu  entsprechen,   der  als  FrUblingsmai ,   Emtemui,   Rieht- 
■^^ai  und  Brautmai  vor  die  Tür  (ftler  auf  das  Dach  des  HauspR 
9^ipflanet  wird,   und  zugleich  die  ^iVfr-ti/c  uvir^viAri  nnd   wie  der 
^^ärdträd    einen   mythischen    Doppelgänger   einzelner   Menschen, 
^>€ier  ganzer  Gemeinden  darstellt.    Die  völlige  Uebereinstimnmng 
CS  Emt^mais  mit  der   griechischen  Eiresione   spricht   fllr  den 
crchristlichen  Ursprung  dieser  Sitten ,  während  die  8.  243  erör- 
't^rten   christlichen  Vorstellungen   und    die  Bräuche    des  Adams- 
l>anmes  S.  246,  des  Paradiesesbaumcs  im  Oberuferer  Weihnacht- 
Spiele  S.  *J42  und  in  der  Moskauer  Osterprozession   S.  285,  des 
tVnchtl)ehangenen  Palmzweiges  in  Frankreich  und  Belgien  S.  280. 
t287   ernstlich  die  Frage  nahelegen,  ob  nicht  dennoch  unser  Mai- 
lianm  eine  den  Lebensbaum  Christus  inmitten  der  Gemeinde  dar- 
Btellende  kirchliche  Sitte,  ein  ganz  neuer  Ansatz  aus  rein  christ- 
lichem  Ideenkreise  heraus  gewesen  sei.     Derselbe  Zweifel  regt 
sich  hinsichtlich  des  Weihnachtblocks  und  Weihnachtbaums  und 
derjenigen  Bräuche,  welche  wir  unter  dem  Namen  „Schlag  mit 
der  Lebensrute  ^^  zusammengefaßt  haben.     Doch  scheint  auch  fUr 
sie  eine  außerchristliche  Grundlage  nachweisbar.     Für  die  Auf- 
fassung des  Maibaums  als   beseeltes  Wesen  spricht 
die   mehrfach  an   ihm    beobachtete    Bekleidung   mit 
dem  Anzüge  eines  Menschen,  die  ihn  als  Person  characte- 
risieren  sollte.    Danchen  wird  der  Baumgeist  oder  Vege- 
tationsdämon  durch  eine  menschlich  gestaltete,  an 
den   Baum  gehängte  Puppe,   also  doppelt  dargestellt. 
S.  210.      Statt  der  Puppen  aus  Brod,    Koni  oder  Laubgefleeht 
tritt  auch  ein  ganz  in  Laub   oder  Baumsweige  ge/iiUlter  Mensch 
neben  deni  Matbaum  auf  und  wird  (zuweilen  sammt  dem  Baume, 
zuweilen   allein)  ins    Wasser  geworfen,   dnmit  reirhlieher   Reyen 
die  Pflanzenicclt  erquieke  S.  313  —  314.     Dieser  mit  grünen  Zwei- 
gen   umhüllte   Bursche    (oder   Mädchen)    repräsentiert   also   den 
Wachstümsdämon,    und    das   ist   auch  dann  der  Fall,   wenn  der 
Maibaum    fortfällt   und    der   Laubmann    allein   von   Nachbar   zu 
Nachbar  durchs  Dorf  gcflihrt  wird,   um  durch  seine  Gegenwart 
die  Wacbstumskräfte   auf  Haus  und  Hof  zu  übertragen   S.  316. 
Der   zumeist   nach  der  Jahreszeit  oder  dem  Kalendertage  oder 


606  Schlußwort 

nach  der  Bekleidung  Pere  May^  Fflstge  Mai,  Grflner  Geo^, 
Pfingstl,  Pfingsbutz,  Kudemest,  Schnak  u.  s.  w.  benaante  Laab- 
mann  (Mädchen),  der  im  Frühling  bald  zu  Fuß,  bald  zu  Bot 
seinen  Einzug  ins  Dorf  hält,  ist  mehrfach  durch  Bekleidung  des 
Halses  und  Gesichts  mit  Baumrinde  o.  S.  321.  326.  342.  343. 
353,  einmal  durch  den  Namen  „Pappel''  o.  S.  319  als  Baum- 
geist,  ein  andermal  durch  die  Bezeichnung  „der  wilde  Mann'' 
als  Waldgeist  characterisiert,  ebenso  oft  bildet  ein  mit  Ruß 
geschwärztes  AntliUs  (S.  1G2.  314.  321.  323.  336.  342.  343.  349^ 
352.   365.   367.  426  —  28.  442.   541.  545)  und  eine  an  seincnc     i 

Körper    angebrachte  KuhscheUe  (Pferdeglocke  u.  s.  w.)  (S.  324 

325.  326.  327.  342.  416.  440.  539  if.  546),  ein  Zubehör  seine] 
Darstellung.  Zu  verstehen  ist  er  als  der  im  Lenz  als  Herrsche] 
(Maikönig,  Pfingstkönig,  Reine  de  printenips,  Queen  of  May^ 
wiederkehrende  Genius  der  Vegetation  überhaupt,  worauf  u. 

die  Namen  Crraskönig,  Lattidikönig,  die  Umhüllung  mit  Farren - 

kraut  (S.  324.  337),  Pfriemenkraut  und  anderen  WiesenblnmeviD 
statt  der  Laubhülle,  sowie  die  Wassertauche  hindeuten,  weichte 
durch  das  Köpfen  des  Frosches  (S.  354.  356)  als  Regt 
eauber  bewährt  wird.  Die  grüne  HuUe  des  Graskönig 
Schoßmeiers  u.  s.  w  reijt  fnan  ihm  vmn  Leibe  j  um  die  Teile 
Amulette  in  Aecker  und  Fenster  zu  stecken  (S.  357).  Auch 
der  Dämon  als  Maikönig  in  der  Rolle  des  festlich  einziehender» 
Fürsten  beritten  U]id  mit  großem  Gefolge  auftritt,  oder  sich  itM 
mehrere  Personen  spaltet,  sehen  wir  häufig  wieder  den  Mai  — 
bäum  als  seinen  Doppelgänger  nebenhertragec^ 
S.  343.  349.  Wer  den  Maikönig,  Pfingstkönig,  Maigrafen  spielt---^ 
behält  diese  Würde  und  diesen  Namen  ein  Jahr  lang  S.  354^ 
371,  grade  so  wie  der  Emtemai  ein  Jahr  lang  auf  dem  Hausc^n:^ 
bleibt  8.  202.  204.  217.  Zuweilen  schwächt  sich  die  Laubhttll< 
des  Pfingstl  in  einen  bloßen  Kranz  oder  eine  Blumenkrone  ab^ 
(Vgl.  den  Wasservogel  in  Abensberg  S.  353,  den  Maigrafen,  deir*''^^  "^ 
Ole  i  skrymUi  8.  337,  den  Jack  o  the  green  in  Londons  Vor- 
städten S.  322,  die  Keine  de  May,  Queen  of  May  S.  343.  344: 
vgl.  mit  313.  315.  Jarilo  S.  415,  so  daß  die  Gestalt  zuweilen^r^  ^^ 
auf  den  ersten  Blick  nichts  anderes  als  eine  Personification^^^  ^ 
der  Jahreszeit  scheint,  oder  in  der  Tat  in  eine  solche  hinflber- 
rinnt.  Zuweilen  ergänzt  sich  der  eine  mäimliche,  oder  weib — 
liehe  Dämon   zu  einem  Paare  (Maipaar,   Maibiuutpaar),   das  ii 


Baningeister  und  Kornd&mon.  607 

Winter  entfernt ^  oder  schlafend  gedacht  war,  and  dessen  Wieder- 
kehr, Erwachen   oder  Hochzeit  mit  dem  Erwachen  der  Natnr 
zasammenfiel.    Wie  aus  dem  Züge ,  daß  der  Läubmann  (Pfingstl) 
sehr  häufig  durch  den  zuletzt  oder  zuerst  Erwachten  (o.  S.  319. 
3&3)  den  Pfingstschläfer  (S.  321)  dargestellt  wird,  die  Anschauung 
hervorblickt,   daß   der  Wachstuinsgeist   im  Winter  schlummere, 
^v^irde  am  1.  Mai  ein  in  Laub  gehüllter  Schläfer  im  sttd- 
ir suizösischen ,  durch  eine  russische  Analogie  als  alt  und  volks- 
tttmlich  bewährten  Brauch  von  einem  Mädchen,  das  seine 
ßraut  sein    will,    erweckt    (S.  434.  435).     In   feierlichem 
Zuge  wird  „das  Brautpaar ''  aus  dem  Walde  gehoU,  oder  zum 
Rochzeithause   geleitet;    oft    ftihrt   man    auch    die  Braut   (Mai* 
^rant,  Pfingstbraut ,  Blumenbraut)  mit  der  kostbaren  Brantkrone 
geschmückt  daher  S.  431  if.     Unzweifelhaft  hiezn  in  Beziehung 
^teht   es,   daß   am  Maitag,   Sonntag  nach  Fasten,    1.  März   die 
^ämmtlichen  Liebschaften  des  Dorfes  offenbar  gemacht,  die  Mäd- 
chen den  Burschen  als  Mailehen,  Maifrauen,  Vielliebchen,  Valen- 
tinen n.  s.  w.  auf  ein  Jahr  oder  ftlr  den  Sommer  zu  Tänzerin- 
nen   ausgeteilt    oder    angesteigert  werden.      Die  Versteigerung 
geschieht  oft  in  Gegenwart  des  Maibaums,  während  wie- 
clenun  im  Värends  härad  in  Ömäland   (Schweden)  jedes  wirk- 
liche Brautpaar  auf  dem  Zuge  zur  Trauung  mit  seinem  Gefolge 
dreimal    den    vor    dem   Wohnhause    aufgepflanzten 
Maibaum  (Majstäng)  umreitet.^    In  Hessen  S.  450,  Lothrin- 
gen S.  456,  Dänemark  S.  508,  Wälschtirol  S.  455,  Polen  S.  467 
Cef.  die  Eifel  S.  455  und  Estland  (S.  469)  ist  die  Sitte  des  Brautr 
paarausrufs  mit  einem  Sonnwendfeuer  verbunden.     Hiezn  stimmt 
^ine  Reihe  anderer  Gebräuche  (S.  462  ff.),  aus  denen  hervorgeht, 
claB  einstmals  die  im  Laufe  des  letzten  Jahres  neuver- 
inählten    Ehepaare   oder   Brautpaare   durch   das   Feuer 
Sprangen,  oder  die  als  Nachbildung  der  Sonne  dienenden  Räder 
^der  Scheiben  warfen.    (Verwandt  erschien  die  Sitte  auf  Ostern 
<len  Neuvermählten    den  Brautball  abzufordern.)    In   dem    näm- 
^chen  Feuer   wurde  auch  der  Doppelgänger  des  Vegetationsdä- 
:i[nonen,   der  Maibaum  verbrannt  S.  177  ff.     Da  diese  Verbren- 
nung unmöglich   die  Vernichtung  der  Vegetation  selbst  bedeuten 
leann,    muß    ihre   Reinigung  von    allen    sie   schädigenden,  das 

1)  Lloyd,  Svenska  allmogens  Plägseder  öfvers.  af  Swederas  p.  18. 


•Ij 


(X)8  Schlußwort 

Wachstnm  hindernden  Einflüssen ,  der  Tod  aller  jener  die  Pflanzen 
auf   Aeckem^   Wiesen,    Obstgärten  anfressenden ,   zerstörenden, 
hindernden    Insekten    und   Mißwachsgeister    (Zauberer,    Hexeu, 
Feldgespenster  8.  500.  501.  502.  505.  520,  Ungeziefer,  Kaupen, 
Mücken,    Käfer,    Mäuse  8.  502.  504.   510.  520)    gemeint    sein. 
Wenn  dieselben  Feuer  auch  von  Menschen  und  Tieren  di 
Pest  und  andere  Krankheitsgeister  fem  halten ,  Gesundheit  bewir 
ken  sollen,  so  ist  dieser  Parallelismus  daraus  zu  erklären,  d 
man  die  Krankheitsstoffe  oder  Krankheitsursachen  der  Epidemie 
u.  s.  w.  fUr  Wesen  hielt,  welche  den  Mißwaehs  herbeitUhrende 
Banmschmarotzem    gleichartig,    wo    nicht    gleichgestaltig   seie    ^si 
(vgl.  S.  13  ff'.).     Andererseits  hat  diese  Enttemung  der  WackE=j^9- 
tumsfeinde   zur  notwendigen  Kehrseite  die  positive   ßei^(rdemi»  ^^ 
der  Uesundheit  und  des  vegetativen  Gedeihens,  der  Zengnng-^s^- 
kraft ^  schon  der  Maibaum  ttir  sich  bewirkt  ja  vermeintlich  actS  t 
(jesundheit   und  Lebensftilie  sowol  der  Menschen  und  Tiere,  a-Is 
der  Kulturfrüchte ,  und  grade  diese  active  Wirksamkeit  wird  auoA 
hinsichtlich   des  Feuers   mehrfach  durch  drastische  Syniliole  her- 
vorgehoben S.  521.    Die  fraglichen  Feuer,  ja  der  von  ihnen  aus-     Jn: 
gehende  FackQÜauf  über  die  Kornfelder   könnten   hienach   rein 
als  Lustration,  als  Feuerreinigung  aufgefaßt  werden,  wie  sie  l^i      1^^ 
vielen  wilden  Völkern  vorkommt,  welciie  mit  Feuerbriinden  büj**      |^ 
Geister  verscheuchen,  mit  Feuer  die  Wöchnerin,   das  Kind,  di* 
vom    ßegräbnisse    zurttckkclircnden     Hinterbliebenen     von    A^  ^ 
Befleckung  und  den  iinion  anhai'tendcn  bösen  Mächten  zu  l)efreicr  ^ 
suchen.     (Tyior,   Anfänge  der  Cultur  II,  11)5.  433  fl'.)     Doch  di  ^ 
Zeit  der  Feuer,  die  als  Darstellungen  der  Sonne  aufzufassende^ 
Räder  und  Scheiben,  welche  dabei  gerollt  oder  geworfen  we 
den,  der  Sprung   der  Liebespaare   oder  Neuvermählten  (Kepn 
sentanten    des  MHibrauti)aars)    durch    die  Flamme,   endlich   dar^^ 
Parallelismus  einer  als  Kegenzauber  aufzufassenden  Wassertauch 
der   jungen    Eheleute,    sowie    auch    die    gleichzeitige   Verbrenr 
nung  und  Benetzung  des  Fastnachtpfluges  (S.  553),  machen  e  - 
im    hi>cksten   (rraxic  wahrscheinlich ,    daß   in   diesen  Fällen   da- 
Reinigungsfeuer  als  Abbild  und  Vertreter  des  Sonnenfeuers  ode 
als  an  diesem  entzündet,  von  ihm  abstammend  angesehen  wurd&^ -*^^  ' 
Schwerlich  wird  die  Wassertauche  des  Pfluges,  der  jungen  Ebf^^  ^^ 
leute  ein  Regenzauber,   ihre   Feuerweihe    daneben   eine  einfach 
Lustratiou  gewesen  sein.     Mithin   haben  wir    -  so  scheint  es  - 


BanmgeiBt  und  Eorndämon.  609 

68  hier  mit  einer  Nachbildung  des  Durchgangs  der  Vegetation 
durch  die  Sommerwärme  im  Sinne  und  mit  Wirkung  einer  Lustra- 
tion  zu  tnn.^     Ein  altgallisches  Festfeuer ,  das  Posidonius  beob- 
achtete,  und  die  von  Tacitus  geschilderte  Nerthusverehrung  gewäh- 
ren Zeugnisse  flir  das  vorchristliche  Alter  der  in  diesem  Bande 
^oi^etragenen  Sitten,   während  die  S.  517  Anm.  1  zusammenge- 
«teiUten  Bräuche  abermals  (vgl.  224  fr.  251.  281  ff.   406.  446.  480. 
^05)  ein  auffallendes  Zusammentreffen  christlicher  Symbolik  mit 
4^B  Gebilden  des  Naturkultus  bekunden. 

Sind   somit  manche  ungelöste   Fragen   im  Einzelnen    übrig 
S^ blieben,  muß  es  insonderheit  mehrfach  der  Zukunft  überlassen 
t>leiben,  die  Grenzlinie  zwischen  christlicher  Symbolik  und  welt-i 
liebem  Brauche  zu  ziehen,  im  Ganzen  und  Großen  bewährt 
»ich  unsere  Deutung  der  in  diesem  Buche  behandelten 
Sagen  und  Sitten  durch  ein  genau  zutreffendes  Seiten- 
Stück.    Wie  ich  an   einem  anderen   Orte*  schon  nachgewiesen 
liabe,   dachte  man  sich  gleich  den   Bäumen  auch   das  Getreide 
Von   einem  Geiste  beseelt.     Der  Glaube  von  den  Komdämonen 
'    entspricht  nun  in  fast  allen  einzelnen  Stücken  genau  den  vorhin 
ausgehobenen    Vorstellungen    und    Gebräuchen    hinsichtlich    des 
Baumgeistes.      Der   Dämon,    welcher    bald   in   Menschengestalt 
(Mann,    Frau,    Kind),    bald    in  Ticrgestalt  (Wolf,    Hund,   Bock, 
Rind,  Schwein,  Hahn  u.  s.  w.)  gedacht  wird,  erfüllt  zunächst  mit 
Seinein  Lehm  die  einzelne  Aehre,  er  ist  der  Lehensgeist,  die  Seele 
des   fruehftragenden   Getreidehalms,     Daher  spricht  man  im  Für- 
stentum  Ratzeburg  vom  Arnkind  (Aehrenkind) ,  in  England  vom 
Kirnbaby  (Kemkind),  d.h.  einem  göttlichen  Kinde,  welches  in 
der  Aehre,  im  Weizenkom   driiisitze,  in  Oestreich  „hat"   der- 
jenige, der  das  letzte  Getreide  drischt,  „die  Aumsau"  (aum  = 
Spreu);  in  Lothringen  heißt  der  auf  dem  letzten  Erntefuder  auf- 
gesteckte grüne  Busch  nach  dem  Korndämon  chien  de  la  moisson, 
oder  chien  peau  de  balle  (Hund  Schlaubenfell).    Diese  dämo- 
nischen Wesen  werden  also  in  der  Komhülse  immanent  gedacht. 


1)  In  Poitou  (I)eux  Scvres)  zündet  man  das  Johann isfeuer  an,  um  dem 
Heiligen  zu  danken **,, de  sen  graces  d'avoir  protzige  les  famillcs  en  leur 
preservant  lenrs  prairics  contre  les  incidents  do  la  söche- 
resse"  etc. 

2)  Roggenwolf  und  Roggenlnind.  Danzig  18G5.  Aufl.a  18G6.  Die 
Korndämonen.    Berl.  1867. 

Mannhardt.  39 


610  SchluBwort. 

Doch  tritt  der  Korngeist  auch  aus  der  Pflanze  heraus  und  neben 
sie;  beim  Ausdrusch    denkt  man  ihn   dann  in  Tiergestalt  oder 
Menschengestalt  zum  Vorschein  kommend.    Meistenteils  erweiiert 
sich  sein  Weseti  zu  einetn  CoUectivgenius ,  zum  Dämon  der  Vege- 
tation des  gesamnUen  Ackerfeldes,    das  er  mit   seinem   Namen 
erftUlt,   in  dem  er  seine  Wohnung  hat.     In  den  letzten  Aehren 
des  Feldes  wird  er  ergriffen;  in  sie  zog  er  sich  vor  den  Schnit — 
tem  zurück;   er   ist  jedoch   mit  seinem  Leben  noch  so  sehr 
das  Leben   der  Halme   gebunden,   daß  er  nun  mit  der  letzte: 
Garbe  in  die  Scheune  wandert,  oder  zugleich  mit  dem  Abmähe 
der  letzten  Halme  als  get<)dtet  betrachtet  wird.^    Nach  russischi 
Volksglauben  in   den   Gouvernements  Kiew  und  Tschemi  — 
goff  sind  analog  den   Vorstellufigen  von  der  Größe  des   WaUC' 
geistes  die  Poletmki  (Feldgeister)    der  Hohe  des  Kornes  gleich 
nach  der  Ernte  machen  sie  sich  aber  so  klein  wie  die  Stqppdn^    ^ 
Wo  aber  die  Sitte  herrscht,   nach  Beendigung  des  Komschnitfc=« 
oder  des  Dreschens  auf  dem  eigenen  Besitztum  eine  den  Kohm- 
dämon   darstellende  Getreidepuppe  dem  nächsten  Nachbar,  de^r 
noch  nicht  fertig  wurde ,  zu  ttberbringen ,  liegt  unverkennbar  die 
Anschauung  zu  Grunde,  daß  der  Dämon  der  Crenias  des  Karm^ 
Wachstums    in    der    gesanirnten    Landschaft    sei,    mithin    nach 
Beendigung    der    Ernte    auf    den   eigenen  Aeckem   doch  noeb 
im    unabgeemteten    Korne    des    Nachbars    weiterlebe.      Wenn 
nun  in  denselben  Funktionen  wie  der  „Kommann"  ein  Grum- 
metkerl,    statt    der    Konimutter,     Fiachsmutter    ein     Arftenwtf^ 
Heumtttterli  u.  s.   w.,   statt    des  chien  de  la  moisson,   Weizen^^ 
beller,  Schotenmops,  Dreschhund  auch  ein  Heupudel  auftritt  u.  s.  w.  ^^ 
wenn  die  aus  der  letzten  Garbe  gebildete  Figur  Waldmann  heiß 
(o.  S.  410),  so  gewahren  wir  deutlich  die  Seele  des  Komhalms  i 
den  Dämofi  der  gesammten  Kulturfrucht  ja  der  Vegetation  Ober 
haupt  übergehen.^     Er   ist  denn  auch   ebenso  gut  wie  der  vo: 
Baumgeist  ausgehende  Vegetationsgeist    als  Herrscher  gedacht;^ 


1)  Eorndämencn  S.  5.  15. 

2)  Gouvernenientszeitung  von  Kiew  1845,  16.      Gouvernementszeitan^  ^Jf  ^ 
von  Tschernigoff  1844,  50  bei  Afanusicff,  Poetische  Natnranschaanngen  dor^ 
Russen  II,  S.  329.     Hienach  ist  o.  S.  138  Z.  2  v.  n.  zu  berichtigen  „wclchc^=^ 
Polewiki  (Feldgeister)  heißen." 

3)  Vgl.  Konulänionon  S.  4. 


Baningeist  nnd  KorDdftmoii.  611 

dem  Maikönig,  GraskOnig,  Lattichkönig,  der  Qneen  of  the  May, 
reine  de  printemps  in  den  Frühlingsgebräuchen  entsprechen  als 
N^amen  des  in  der  letzten  Garbe  waltenden  Dämons  im  Ernte- 
brauich  ein  König,  Kong,  Haferkönig ,   Haferkönigin,  Aehrcnkö- 
^iffin,  Harvesfqueen  u.  s.  w.^     Wie  der  Baumgeist  im  Kauschen 
des  Windes  seine  (Gegenwart  bemerkbar  macht ,  sieht  die  Phan- 
tasie des  Volkes,  trenn  der  Wind  im  Getreide   Wellen  schlägt, 
noht  allein  die  Dames  vertes  über  das  Korn  wandeln,  auch  „die 
^ornmntter    geht   über    das   Getreide."     „Da   laufen  die 
W^Ölfe,"  „die  wilden  Schweine  sind  im  Korn''  u.  s.  w.    Die  Korn- 
^tMiter  fahrt   im  Wirbelwinde.     Wie    die   Wildtrauen,  Lieschje 
^-  8.  w.  Kinder  zu  Tode  kitzeln ,  redet  man  von  den  im  Korne 
Tausenden  Kidddhunden,*    Wie  die  wilden  Weiber  hat  die  Kom- 
^Jaotter  lange  über  die  Achseln  geschlagene  Brüste.^    Jene  Redens- 
arten „die  Wölfe  jagen  sich  im  Korn,"  „die  Komweiber  laufen 
durchs  Korn  u.  s.  w.  lehren  zugleich ,  daß  den  Waldgeistem  ent- 
^rechend  auch   bisweilen   eine  Vielheit   von    Komgeistem   das 
Ackerfeld  erftUlend  gedacht  wurde. 

Wie  im  Frühlingsbrauche   der  Dämon  der  Vegetation  durch 
den  Maibaum,  oder  durch  einen  in  Laub  und  Baumrinde  gehüll- 
ten Menschen,  oder  durch  Baum  und  Menschen  zugleich  darge- 
stellt wird,   genau  so  im  Emtebrauehe  der  Komgeist.    Ihn  ver- 
gegenwärtigt  man   durch  die   mit   bunten  Bändern   und  Blumen 
geschmückten,  oder  zu  einer  Tier-  oder  Menschengestalt  aufge- 
putzte letzte  Garbe,  die  dann  auch  den  Namen  „der  Alte,"  „die 
K^ommutter,"  „Roggenwolf,"  „Roggensau,"  „Hafergeiß"  u.  s.  w. 
empfängt.     Oft  wird  der  Gutsherr  oder  der  Schnitter  (resp,  die 
Binderin)  der  letzten  Halme ,  (dem  in  Grün  gehüllten  Pfingstbutz 
Entsprechend)  in  die  letzte  Garbe  hineingehunden  und  an  ihm  die 
^iVdSsertuuche ,  der  Regenzauber  vorgenommen   (vgl.   o.  S.  215). 
^^ie  man   dem  Graskönig  die  grünen  Zweige  vom   Leibe  reißt, 
jpflüMe  man  dem  Haferhräutigam  die  Haferhalme  ab^  unzweifel- 
liaft  auch,   damit   sie   als  Amulet  dienen   sollten.     Gewöhnlich 
jedoch  zerfällt  die  Darstellung  des  einen  Getreidedämons  in  zwei 


1)  Vgl.  Korndäraonen  S.  27. 

2)  S.  R<>ggenwolf  und  Roggenlmnd -*  S.  14. 

3)  Korodäinonen  S.  20. 

4)  S.  Komdämonen  S.  30. 


612  Schlußwort. 

Gestalten f  die  znr  Pappe  aufgeputzte  letzte  Garbe  und  einen 
Menschen  (Schnitter  oder  Drescher,  resp.  Binderin).  Diese  Per 
son  heißt  wie  die  letzte  Garbe  „der  Alte,"  „Wolf,"  „Bock, 
„Hahn"  u.  s.w.,  und  behält  diesen  Namen  ein  ganzes  Jahr  Infi 
bis  zur  näcJisten  Ertite,  Sie  muß  die  ihr  gleichnamige  Stroh 
figur  (z.  B.  die  Roggensau)  zum  nächsten  Nachbar  tragen  an 
diesem  in  die  Scheune  oder  auf  die  Tennen  werfen.    Wird 


"i  . 


Ueberbringer  erwischt,  so  behandelt  man  ihn  als  den  gefangene^    -q 
Dämon,   man  schwärzt  ihm  das  Gesicht  mit  Ruß,   lockt  ihn  wK.  e 
die   Schweine,    sperrt   ihn  in  den  Stall  u.  s.  w.     Sehr  dentlii^tli 
erhellt  die  zwiefache  Darstellung  desselben  Begriffes  aas  einigeln 
französischen  Gebräuchen,  in  welchen  der  Gnmdeigentttmer  od^^r       /-tz? 
dessen  Frau  die  Kolle  des  Dämons  spielen.    Beim  Dreschen  wir-</ 
in  St.  Brieuc  (Cotcs  du  Nord)  die  letzte  Garbe  auf  einen  dicken 
Stock  gespießt,  dessen  Enden   2  Männer  auf  ihre  Schalter  neii- 
men;  dann  setzt  sich  der  Proprietaire  rücklings  neben  die  Garbe 
und  wird   so   zweimal   auf  der  Tenne  herumgetragen.     In  der      f^j^^'^ 
Commune  Salignd  Canton    de  Poiret  (Vendöe)  bindet  man  die        ^^  * 
Bourgeoise  nebst   der   letzten  Garbe  in  ein  Bettlaken  ein,  legt 
l)eide   auf  eine    Tragbahre,  trägt   sie    bis    zur  Dreschmaschise 
und  schiebt  sie  darunter.     Dann  zieht  man  die  Frau  heraus  luil 
drischt  nun  zwar  die  Garbe  allein,   aber  prellt  die  Wirtin,  dt 
wirft  sie  im  Bettlaken  in  die  Höhe  (Nachahmung  des  Worfeliwl 
Es   ist   diese   Verdoppelung   eben   nur  eine  unbehilfliche  Weise 
des  Ausdrucks   fllr    den   Gedanken,    daß   die   letzte   Garbe  eiß 
beseeltes,  vernunftbegabtes  Wesen  sei.    Besser  gelungen  ist  diese 
Darstellung  schon   zu  Plaintcl  (Cote  du  Nord),  wo  die  Dreschet 
den  Eigentümer   einladen,   sich  auf  die  letzte  Garbe  zu  setzet»^ 
und  dann   im  Triumphe  herumtragen,   oder  in  vielen  deutsche**^ 
Gegenden,   wo  man  die  aus  der  letzten  Garbe  verfertigte  Fig«^^ 
dem   letzten    Schnitter    oder  Drescher  auf  den   Rückefi   bitutr""^' 
Vgl.  S.  383.  384  den  auf  den  Strauch  gesetzten  oder  mit  de'      ^ 
Strauch  auf  dem   Rücken   bebundenen  Frühlingsdämor'     ^. 
In  diesen  Fällen   ist   durch   die  Verbindung   des  Menschen   ni^^"*^ 
Garbe  oder  Strauch  die  Zusammengehörigkeit  beider  als  Bezeic^"  ^ 
nungen  des   Pfianzenleibes  und  der   ihm  innewohnenden  anthn^ 
popathischen   Seele  angedeutet.     Wie  der  Pfingstbntz  gabensaL 
melnd  von  Haus  zu  Haus  gettlhrt  wird,  halten  in  Stroh  gcMdk^^^[* 
Personen,   Darsfclbmgm  vom  Koryidänion  (Erbsenbär,  Hirfergei    ^^  ' 


t 


Bauiiigcist  und  Korndämon.  618 

f^oinkater  ii.  s.  w)    heim  Erntefest,  aber  auch  eu   Weihna<Men, 
^tsmsinadU  u.  s.  w.  Umzog.    Aach  zu  Maitag  (s.  Walber  o.  S.  312 
ÄÄr  u.  8.  w.) ,   und   wenn  der  erste  Pflug  ins  Feld  geht,   wird 
2Ci.^^eilen  mit  einem  in  Korn  gebundenen  Manne  Umgang  gehal- 
teen.    Eg   sind   die   nach   winterlicher  Abwesenheit  im  Frühjahr 
wieder    Emzug    haltenden    Wesen    der    Vegetation.      Wie    der 
F^fingstbutz    mit  einer  oder  mehreren   Glocken   ausgerüstet  ist^ 
w^mirde    in    England    am    Fastnachtdienstag    die    Getreidehenne 
^^^.rch   einen   Barschen  dargestellt,    dem  eine  Henne   auf  den 
R.  ^eken    gebunden   (s.  o.  S.  327)    und    mehrere  Pferdeglocken 
^^-mgsum  angehängt  waren.    Wie  der  Maibaum  und  Emtemai  mit 
s^Uen  Pferden  des  Bauers  zur  Stelle  gefahren  werden  (o.  S.  171. 
^OO.  204),  wird  in  Schlesien  zur  Erntezeit  der  Getreidehahn  auf 
^neni  vier-   oder   sedisspännigen   Emiewagen  nach  dem  Feldg 
gefahren,    wo    er  in  Nachbildung  des  Getreideschnitts  mit  der 
oense   geköpft   werden   soll.^     Das  Ganze   ist   ein   Zauber  zur 
Erlangung  einer  schweren  Ernte   vgl.  S.  211.  214.     Wie  sich 
endlich  der  Laubmann,   Pfiugstbutz,  Maikönig  zu  einem  Maipaar 
ergänzt,  tritt  z.  B.  in  Thüringen  und  Oberdeutschland ,  mehrfach 
statt  des  einen  Korndämons  ein  Brautpaar^  auf    Der  Erntezug 
erhält  den  Character  eines  vollständigen  Hochzeitzuges,  die  letzte 
Garbe  heißt  Braut,  oder  la  gerbende  la  jeuue  financee  (Cote  du 
Nord),  mit  Gewändern  einer  Braut  bekleidet,  wird  sie  mit  dem 
ältesten  Knecht  des  Hauses  iormlieh  verheiratet  u.  s.  w.  (Mayenn«), 
Vgl.    auch   S.  43G.      Vereinzelt    findet    sich    auch   der    Wettlauf 
(o.  S.  391  ff.  und  396  flF.)   so  wie  die  Feiierweihe  auf  der  Seite 
der  Erntegebräuchc   wieder.     In  einigen  Orten   der  Gegend  von 
Grenoble   erhält    die   letzte  Garbe  einen  Namen  in  Patois,    der 
Bich  durch    franz.  esquillot    (Splitter  eines  zerbrochenen  Beines) 
wiedergeben    läßt,   und  wird   dann  verbrannt.     Vor  dem  Aus- 
drusch   der   letzten    Garbe   wird    im  Itgbz.  Aachen   der  jüngste 
Knecht  mit  einem  Gcbunde  zum  Hausherrn  geschickt  und  fragt 
ihn,   ob    er  dasselbe    verbrennen   oder  ersäufen  soll.    Der  Herr 
antwortet  ihm    mit   einem  Eimer  Wasser,   das  er  ihm  über 
den  Kopf  gießt  (Regenzauber)   und  geht  dann  unmittelbar  mit 
der  Schnapsflascbe   zur  Scheune.     In   Ktickhoweu   Kr.  Erkelenz 


1)  Vgl.  Korndänioncu  S.  16. 

2)  Vgl    Komdämonen  S.  30. 


614  Schlußwort 

BgbK.  Aachen  bringen  bei  der  FlacbBernte  die  Arbeiter,  welche  t 
snerst  fertig  sind,  den  andern  eine  Fackel,  d.  h.  sie  zünden  eine  4 
Stroh  nmwnndene  Stange  an  and  pflanzen  dieselbe  nnter  Geschrei  J 
vor  den  Augen  der  andern  auf.  Gradeso  yerbrennt  man  in^ 
Orthdz  (Basses  Pyren^es)  eine  Garbe  (la  gerbe  de  St  Jean),  antt 
einen  hoben  Stock  gesteckt,  im  Jobannisfeuer.  Im  Hostaners 
Bezirk  Kr.  Pilsen  in  Böhmen  verbrennen  die  Bauern  nach  Been — 
digung  der  ganzen  Ernte  allesammt  das  Stroh  der  letzten  Garbeir:] 
in  einem  gemeinsamen  Scheiterhaufen  auf  einem  Berg- 
gipfel. Bei  Knin  im  Königreich  Dalmatien  wird  nach  der  £mt^ 
das  Feld  mit  Weihwasser  besprengt  und  die  letzte  Garb^ 
(Dowrszag),  die  größer  als  die  übrigen  gemacht  ist,  in  einei^ 
Feuer  von  Wachholderstrauch,  das  die  Unverheirateten  uo^. 
tanzen,  verbrannt  Atis  allen  diesen  bis  ins  Kleinste  gehende^-^^ 
Uebereinstimmungen  dürfen  mr  mit  Sicherheit  die  Identität 
Baumgeister  und  Komgeister  folgern;  sie  sind  besondere 
festationen  der  Vorstellung  „Vegetatiomdämon" 


Nachtrag. 

S.  12.  Den  schwedischen  Berichten  schließt  sich  der  nach- 
^hende  aus  Saetersdal  in  Norwegen  an.  In  früheren  Zeiten 
^B  man  Milch  über  gewisse  Bäume.  Das  geschah  am  Sonn- 
)eiid  und  war  ttir  den  Baumgeist  (Vaetten)  bestimmt.  Am 
Weihnachtsabend  (lille  lulaften  23.  Dez.)  goß  man  Bier  bei  dem- 
ilben  Baume  aus.  Das  sollte  auch  der  Baumgeist  erhalten.  Man 
t  dies,  um  Glück  bei  der  bevorstehenden  Ernte  zu 
iben  (dette  blev  gjort,  for  at  man  skulde  faa  Lykke  af  det 
m  var  indhöstet). 

S.  133.  Die  anscheinend  boshafte  Tat  des  Köhlers,  der  der 
aldfrau  einen  Feuerbrand  unter  die  Kleider  steckt,  gewinnt 
i  ganz  anderes  Ansehen,  sobald  man  das  wahre  Motiv  in  der 
«icht  erkennt,  durch  Feuer  den  Spuk  zu  vertreiben.  In.  ßuß- 
id  sagt  man,  der  Waldgeist  fürchte  den  Feuerbrand  (Russ. 
igeblatt  1859,  37.  AfanasieflF  II,  329)  und  viele  wilde  Völker 
ben  den  Glauben  durch  Feuerbrändc  oder  Fackeln  die  bösen 
iister  zu  vertreiben  (Tylor,  Anfänge  der  Cultur  II ,  195). 

S.  132.  141.  Der  Waldgeist  Herrscher  der  Waldtiere.  Höchst 
irkwürdig  sind  die  Parallelen,  welche  neuerdings  von  Dr.  G. 
.  Leituer,  Results  of  a  Tour  in  Dardistan.  Labore.  London 
73)  in  Dardistan  zwischen  Hindukusch  und  Kaghan  gesam- 
3lte  Sagen  darbieten.  Ein  berühmter  Jäger,  Kiba  Lori,  hatte 
le  Fee  zur  Geliebten,  die  ihm  verbot  während  der  sieben 
mdstage  auszugehen.  Sie  müsse  ihn  verlassen  und  er  dürfe 
r  nicht  folgen,  sonst  müsse  er  sterben.  Der  liebende  Jäger 
)nnte  ihre  Abwesenheit  jedoch  nicht  ertragen,  sondern  zog  mit 
inem  Gewehr  aus  sie  zu  suchen.  Er  überstieg  einen  Berg  und 
nd  eine  Ebene  mit  einer  großen  Menge  Wild.  Seine  geliebte 
ee  saß  mitten  dazwischen  und  melkte  grade  eine  Hirschkuh  in 


0U>  Nachtrag. 

ein  silbernes  Gefäß.    Ersebreckt  durcb  das  Geräusch,  das  Kib: 

Lori  verursachte,  warf  sie  das  Gefäß  um  und  schlug  ihren  Lieb — ..^_ 

haber  ins  Gesiebt;  gleich  darauf  aber  rief  sie,  von  Vcrzweiflunj 

crgriflFen:  „Nun   mußt  du  in  vier  Tilgen  sterben.    Doch 

noch  eines  von  diesen  Tieren,  damit  die  Leute  nicht  sagen,  di 

seist  mit  leeren  Händen  zurückgekommen/'    Der  arme  Mann 

dies,  kehrte  gebrochenen  Herzens  heim  und  starb  in  4  Tagei 

Globus  XXIV.  Nr.  21.  S.  327. 

S.  142.    Auch  die  Verwandlung  der  Kohle   in  Gol 
hat  nach  Leitner  a.  a.  0.  in  Dardistan  ein  indisches  Seit^nstücl 
Ein  Mann  Namens  Ithuko ,  der  an  der  Straße  von  Gilgil  nacr*  li 
Nagyr   wohnte,  hatte    einen  Sohn,  der  beim  Wasserholen   vc^x 
einem   Jatsch    gefangen   wnrde.      Der   Jatsch   zog   die  Spring^- 
wurzel   (Phuru)  aus  dem  Boden,   öflftiete  damit  eine  Felsspal^« 
und   brachte   den  Knaben   in    einen  großen  Palast,   in   welche fw 
Kobolde  eine  Hochzeit  feierten.     Die  Brautmutter  sang:  „Kom 
wird  verteilt,  Fleisch  wird  verteilt,  Wein  wird  verteilt."    Beim 
Abschied  gab  der  Dämon   dem  Knaben   einen   Sack  Kohle  un<l       t^ 
brachte  ihn  durch  die  mit  der  Springwurzel  gemachte  Oeffhuitg      |'rf 
auf  die  nach  seinem  Dorfe  führende  Straße.     Der  Knabe  schüttet« 
hier   den  Sack  aus,   nur   ein   kleines   Stückchen   Kohl« 
blieb  darin,  das  sich  bei  der  Berührung  in  Gold  ver  - 
wandelte.     Globus  a.  a.  0. 

S.  231.    Herrn  Professor  Fl.  Romer  in  Buda-Pesth  verdank.^ 
ich  die  Mitteilung  eines  neuen  Beleges  fUr  die  Darstellung  d^^ 
Verkündigung   durch   die    S.  231 — 232    besprochene   Symbohl 
In  Tököl,  einem  Dorfe  auf  der  großen  Donauinsel  Csepel  (TscJ 
pel),  das  ein  Krongut  der  regierenden  Familie  ist,  fand  er  eii 
Meßkleid  mit  gewobenem  Kreuze  und  der  Jahreszahl  1444  Ih( 
sus  und  Maria;  femer  einen  Vespermantel,  dessen  Spie       '^' 
gel  die   Verkündigung  Mariens  in   einer  prachtvol       -^' 
len    Stickerei    enthält,    welche,   da   das    Kleid    auf  einen"^"^ , 
Krongute  gefunden  wurde,  und  das  bekannte  Monogramm  KsA-^-^ 
ser  Friedrichs   des  Dritten    an    sich   trägt,   von    einer  Hofdamen  ^^ 


herrühren    könnte.      Der  Mantel    selbst   (jetzt   fast   ganz   abge-^^^^^ 
schlissen ,    einst  —   wie  man  an  Fleckchen  unter  den  Bordüreir*    ^ 
noch  recht  wol  erkennen  kann  —  dunkelblauer  geschorener  Sam— 
met)  ist  in  erhabener  Stickerei  mit  goldenen,  jetzt  fasP" 
silbern  erscheinenden,  symmetrisch  zerstreuten  Aehre 


Nachtrag.  617 

besetzt     Professor  Römer   möchte   die  Aehren  etwa   auf  das 

Brod  des  h.  Abendmahles  deuten. 

S.  435.    In  Weißrußland  ist   der  Brauch    etwas   verändert. 

An    einem  Komfelde  der  Herrschaft  oder  eines  Dorfbewohners 

setzt   sich  das  älteste  Weib  der  Versammlung  auf  die  Erde  mit 
einem  an  einen  Strick  angebundenen  Bündel  Nesseln,  und  stellt 
sich  dann,  als  ob  sie  spinne  und  in  Schlaf  falle.    Die  Mäd- 
chen tanzen  Hand  in  Hand  unter  Gesang  um  sie  herum.  ,  Plötzlich 
springt  das  alte  Weib  in  die  Höhe,  so  hoch  sie  kann,  macht  allerlei 
Possen  und  Geberden  und  schlägt  die  Mädchen  mit  dem 
Nesselbündel  auf  die  Hände.    Grohmann,  Abergl.  a.  Böh- 
nieu  S.  10   nach   Schafarik   o  ßusalkich.     Hier   tritt   statt   des 
sehlafenden  männlichen  Vegetationsgeistes  die  im  Winter  schlum- 
niemde  Mutter  ein.    (Vgl.  Mannhardt,  German.  Myth.  492  —  518.) 
Unverkennbar  ist  im  zweiten  Teile  des  Brauchs  der  Schlag  mit 
der  Lebensrute.    Vgl.  S.  264. 

S.  466.    Inzwischen  hat  A.  Bielenstein  das  lettische  Johannis- 
fest   zum  Gegenstande    einer    eingehenden   und  ausgezeichneten 
Untersuchung  gemacht,    die   in   der  Baltischen    Monatschrift  N. 
J^.  1874   H.  1  —  2   veröffentlicht  ist.     Hieraus  geTit  hervor,    daß 
auffallend  genug  unter  Hunderten  von  Johannisliedchen  nur  drei 
das  Feuer  erwähnen,  das  im  Gebrauche  doch  höchst  wahrschem- 
üch  vorhanden  war.    Manche  Lieder  spielen  darauf  an,  daß  das 
JMädchen    in    der    Johannisnacht    sich   verlobt,    ein  Roß,    einen 
Sattel   und  des  Bosses  Reiter  in   dieser  Nacht  bekommt.    Auch 
die    Sitte    wird   bezeugt,    am    Johannistage   oder  Petritage   auf 
Braut-    oder    Bräutigamsschau     auszugehen.       In    einem    Liede 
preist  das  Mädchen   die  Rinder  und  Rößchen  des  Johannes,  des 
Kelchen   und  möchte  gern  groß  sein,  um  des  Johannes  Frau  zu 
werden.    Bielenstein  fnigt  deshalb,  ob  die  Lieder  vom  Suchen 
des  Johannis  nach  der  verlorenen  Frau  nicht  etwa  eine  Beziehung 
auf    menschliche    Liebesverhältnisse    und   menschliches    Heiraten 
haben ,  indem  Johannes  eollectivisch  die  das  Fest  feiernden  Män- 
ner,  seine   Geliebte    die    das   Fest   feiernden  Mädchen   bedeute. 
Hätte  Bielenstein  Recht,  so  wäre  da  das  nur  wenig  verdunkelte 
fcJeitenstück  zu  den  Kapitel  V  §  8  dargelegten  Bräuchen. 


Druckfehler. 


S.    62  Z.  19  V.  0.  lies  älfgust  mid  elfbl&st  für  älfgast  und  elfbUsi 


66    - 

5 

-   IL 

- 

Parallolismus  f.  Parellelismus. 

94   - 

13 

-   0. 

- 

FeDgg  f.  Pangg. 

128  - 

3 

-  U. 

- 

Hallandske  f.  Ualländske. 

138   - 

10 

-  0. 

- 

viele  Arbeit  f.  vile  rbeit. 

151   . 

14 

-  0. 

- 

Hohlefels  f.  Uohenfels. 

193  . 

10 

-  0. 

- 

Zehntknecht  f.  Zehnknecht. 

237   - 

17 

-  0, 

- 

Mittwinter  f.  Mitwinter. 

287   - 

7 

-  n. 

- 

Kirche  f.  Kircke. 

295  - 

15 

-  0. 

tilg( 

3  mit. 

325  - 

15 

-  0. 

lies 

unsichtbar  in  f.  unsichtbar  aus. 

345   - 

2 

-  U.' 

•  - 

Cortet  f.  Corelt. 

367   - 

15 

-   0. 

- 

Hiesel  f.  Hirsel. 

368  - 

1 

-   0. 

- 

Laubhülle  f.  Laubhöhle. 

377   - 

19 

-  0. 

- 

foere  f  fore. 

406   - 

16 

-   0. 

- 

Wettausritt  f.  Wettstreit. 

445   - 

11 

-   0. 

- 

Grönjette  f.  Gronjette. 

472   - 

26 

-   0. 

- 

GrÖn  Löf  f.  Gron  Lot*. 

491   - 

10 

-  u. 

- 

Freiwerbung  f.  Freierwerbung. 

492   . 

4 

-   0. 

- 

2(J8.  f.  286. 

523   - 

16 

-   0. 

- 

mannequins  f.  mannesquins. 

526   - 

7 

-    0. 

- 

nvH^qfonoii^vaKav  f.  avd-qtonto&vaiiov 

556   - 

21 

-   0. 

- 

xaraxafovatv  f,  xaia  xaiovaiv. 

526   - 

13 

-  u. 

- 

uleciti  f.  ulcciti. 

592   - 

20 

-   0. 

• 

Götter  f.  Göttin. 

Register. 


A. 

te  244. 
230. 

^me  235 
Tomünster  399. 
tt  £u  Monteltmart  448. 
Eva  (24.  Dez.)  242. 
283. 

^  246.  605. 
b  242.  291. 
/  539. 

kraut  337. 

.  293.  512.  555.  594. 
ren.  Drei  172.  209.  234., 
imai  195.  196.  199.  205., 
{rautmaie  222.,  am  Mai- 
.,  am  Holunder  im  Saat- 
213.,  bleiben  auf  dem 
len  209.  210. ,  in  die  Erde 
0.  Attribut  der  Walpur- 
Steme  235.,  bei  Augen- 
17. 


linae  113. 


»  7. 
cuccagna  169. 

39. 


Alßd  62. 

Älfloddern  19. 

Ähndn  Familie  51. 

Älpenburg,  D.  J.  N. ,  Ritter  ?on,  101. 

Andreasnacht  232. 

Angane  116. 

Alte  der  196.  197. 

cUter   Mann  358.      Den   alten    Mann 

ins  Loch  karren  359.  410. 
Amandus,  der  heilige  71. 
Ankenmilch  bohren  520. 
Atiklöpßesel  293. 
Annius  Ton  Yiterbo  559. 
Anthropogonie  8. 
AiUhropophagie  218. 
Apfelbaum,  Apfel   50.  61.    HO.  166. 

las.  204.   205.   230.  242.  243.  246. 

247.  257.  265.  266.  276.  289.  409. 

412.  419.  536.  ^7.  538. 
Apollo  66.  296. 
Arndt,  E.  M.  131. 
Arnkiel,  Tr..  10. 
Artushof  370.  372.  379. 
Artussage  117. 
Arve  39. 

Äsen  und  Alfen  66. 
Asche  226.  291.   292.   504.   507.  512. 

520.  521.,  Asch  abkehren  256. 
Aschermittwoch  11.  256.  411.  433.  437. 

555.  559. 
Aschenh^aut  437.  447. 
Askafroa  11.  12. 
Askr  7  ff. 


620 


Register. 


Äsphodelos  (AffodiU)  37.  291. 

Äst,  dürrer  50. 

Asüoch  62. 

Alhanarich,  Gothenkönig  578. 

AUys  572  ff. 

Auerhahn  131.  132. 

Aufliockcfi  111. 

Aufwecken  des  Pfingstschläfcrs  434. 

Augen  yerbinden ,  Darstellung  der  Un- 

sichtbarkeit  365.,  Kranke  geheilt  17. 
Aummu  409. 

AwU  Nelly  und  Uncle  Ambrose  427. 
Aussaat  158.  214.  226.  394.  395.  485. 

554.  560.  561. 
Austbock  483. 
Austgarw  213. 
Auswuchs,  Geschwulst,  Geschwür 20. 

67.  226.  227. 
Avesta  8. 
Axt  36.  65.  85.  133.  135. 

B. 

Baal  518.  591. 

Badebuhle  454. 

Badnjak  224.  225.  236. 

Bär  141. 

Baldrian  (Valeriana  officinalis)  62.  81. 

Ball  472.  476.  479. 

Ballnwney  474. 

Ballspiel  471  if.  477. 

Ballet  des  ardents  338. 

Balsamon,  Theod.,  470. 

Bannen  der  Geister.  42  fF. 

Bänder  und  Tücher  am  Maibaum 
u.  s.  w.  182. 

Barbara  (4.  Dez.)  266. 

Jiarbatiis,  der  heilipfe,  394. 

Barthold  3(19. 

Bastard  von  Bourbon  162.  368. 

Bastian,  A.,  1. 

Bates  145. 

Baum  und  Mensch  verglichen  6.,  als 
Person  behandelt  9  ff.,  redet  10.  35., 
weint  35.  40.,  blutet  34  ff.  41  ff. 
603.  -  Baumseele  5. 11. 25. 603.  — 
Wohnung  einer  armen  Seele  35.  41. 
69.  8^.    Aus  Leichnam  hervorsprie- 


ßend  65.  Körper  des  i 
33.  Baum  ParaHelism 
sehen  63.  69.  75.  89. 
einzelner  Menschen  unc 
183.  184.,  von  Braai 
221.,  von  Reisende  46 
milie,  des  Hauses  51. 
des  Dorfes  182.  183. 1« 
des  Volkes  189.  304 
Menschheit  250.,  der  Yl 
in  der  Geburtsstunde  ge 
Wohnsitz  des  Tomtegu' 
fen,  Unterirdischen  u. 
Entsendet  Krankheitsge 
sie  zurück  12  ff.  25. 
kriecht  auf  den  Baum  ! 
det  Menschen  und  Ti 
65.,  darf  nicht  gehanei 
35.  51.  60.  61.  71.  Voi 
Alter  gefälltes  Holz  da 
geführt  werden  35.  51. 
len  und  Strafe  dafür 
32.  75.  360.  603.,  de 
Verzeihung  bitten  10.  i 
Baum  bei  Nauders  35  : 
tin  57.,  zu  Upsala  57. 
und  Zeugstücken  bei 
mit  menschlichen  Gewä 
det  156.  157.  158.  2( 
Fell  behangen  394. 
zen  48.  50.  Im  Baum  E 
Mäuse  24.,  Krankheit 
pflöcken.  Baum  pfropf 
gen ,  ])eit3chen  295  ff. ; 
Baum  rennen  323.  326. 
Blitz  getroffen  486. 
des  wilden  Mannes  9 
Vgl.  Maibaum,  Emtei 
uisabend ,  Weihnachtsl 
nachtsbaum ,  Värdträd, 
Bautnhart  (liehen  barbat 
Bainnmunn  (trcmadr)  73 
Baumrinde.  Arme  Seele 
det  41.  Kobold  hat 
Br.  r>4.  Jungfrau  unt( 
38.  Br.Kleidung  der  '. 
Kleidung  des  Laubmai 


Bc^gfister. 


e2i 


lümmels,    Maikönigs  n.  s.  w.  320. 

326.     342.  343.  350.  353.  355.  385. 

6^.,    Geister  sitzen  unter  der  Rinde 

12.   ^5.    Hexen  schlüpfen  unter  die 

^  ^5.     Erankheit^geist  unter  die 

^  verkeilt  IX.  22  ff.    Rinde  abschä- 

^^^  a.  Baum  seh&len.    Vom  Maibaum 

^-^eachält  156.   Namen  eingesclmit- 

^^  163. 165.    Korb  und  Schale  aus 

^^.  485.    Wiege  von  Br.  76.  142. 

^^^*thahn  197.  198.  201.  212. 

^^trik  116. 

^^Üager  der  Johannispaare  469. 

^«»H  264. 

^«fcm«  508  Anm.  5. 
-^«Öf  de  May  345. 
^eHe  Vivane  99. 
'^^chil  67. 
-^erecynthia  577. 
-tBerguhu  127. 
-^esen  167.  507.  510.  513. 
-Hetzen  Hochzeit  300. 
-^eubier  200. 
^iak  ludzie  18. 

JBibernell  (Bimelle)  81.  97. 

Bickbeere  (Blaubeere)  289. 

JBienenkdrb  289. 

Bier  60.  63.  173.  200.  215. 

Mmesschneider  210. 

Mümon  112. 

Binse  384. 

Birke  8.   34.  68.  141.  157.  158.  159. 

161.   165.    167.  169.  173.  189.  191. 

192.   195.  202.  203.  254.  256.  259. 

261.   265.  270.  271.  272.  298.  313. 

321.  348.  353.  396.  397.  434.  512. 
545.  589. 

imbaum  14.  50.  53.  146.  536.  537. 
538. 

litz  und  Donner.  Bäume  vom  Blitz 
getroffen  486.  Schutz  dagegen  die 
Richtmaic  220.,  der  Cliristblock  227. 
229.234.,  Palmbüschel,  Palrazweig 
258.  273.  286.  287.  288.,  Schnabel 
des  Wasservogels  557 ,  Flurbegang 
401. 


Blockfest  174.  237  ff.  427   vgl.  306. 

Blockziehen  237. 

Blomsterbrud  432. 

Blümware  39. 

Blontanz  188. 

Blukkis  229. 

Blumen  im  Wasser  ^=^  Regenzauber 
329.  331.  Blumenstengel  278.  mit 
Blumenstrauß  peitschen  264.  Blu- 
mcnumhüllung  des  wilden  Mannes 
335.,  des  Pfingstochsen  390.,  des 
Engelmanu  513.,  des  schmucken 
Jungen  384.  Blumenumhülltes  Rad 
553.  Blume  Doppelgängerin  des 
Kindes  50. 

Blut.  Bäume  bluten  34  ff  38.  40.  41. 
42.  Blumen  und  Baume  aus  dem 
Blute  d.  i.  Lebenssaft  Gemordeter 
39.  40.  Blut  und  Fleisch  des  Opfers 
auf  das  Saatfeld  streuen  362.  363. 
364.  Blut  in  den  Baum  versenkt 
21.  Götzenbild  aus  Blut  und  Sa- 
men 361. 

BlutriU  zu  Weingarten  399. 

Bock  geschlachtet  und  wiederbelebt 
116.  Bockgestalt  des  Ljeschi  138. 
Bockshorn  ^  Osterfeuer  508.  515. 
Bockheiligung  der  Sudauer  63.  69. 

Boeuf  gras  396. 

Börtier,  W.  74. 

BonifaciuSy  Apostel  der  Deutschen 
503. 

BoschenstecJien  306.  389. 

Botanik  297. 

Boträ  59  ff. 

Bouhours  536.  549.  550. 

Bouquet  de  la  moisson  204  ff.  207. 

Brandons  455.  457. 

Branntwetnflasche  215.  411. 

Brand  im  Getreide  297. 

Braut  222.  223.  248. ,  verlassene  435. 
446.,  die  Braut  nennen  449.  Vgl. 
Maibraut  f  Aschenbraut,  Brides  bed. 
Blomsterbrud,  Mailehen,  Pfingst- 
braut,  Brautball. 

Brautball  471  ff.  492. 

Brautlager  aaf  dem  Ackerfeld  480  ff. 


«83 


Register. 


Brautmaie  46.  221  fL  295.  607. 

BratUmarkt  zu  Eindleben  449. 

BratUpaar  im  Walde  snchen  431., 
ernennen  450.  462.  465.  537. 

Brautraub  445.  455.  495. 

Brautschleier  223.  413. 

Brauhcagen  488. 

BräuUing  488  ff. 

Breithut  41. 

Bretgel  s.  Brod. 

Brides  bed  436. 

Brod,  Knchen,  Bretzel.  —  Symbol 
der  Fruchtbarkeit  158.  393..  im 
Weihnachtsbrauch  393  Anm.  1.  im 
Kultus  des  Swantewit  393  Anm.  1. 
Kuchen  unter  den  Pflug,  auf  den 
Acker  gelegt  158.  317.  539.,  dem 
Pflugochsen  aufs  Hom  gespießt  538., 
unter  den  Weinstock  gelegt  517., 
beim  Dreschermahl  429.,  in  die  erste 
oder  letzte  Garbe,  oder  Handvoll 
Aehren  gesteckt  158.  209.  215. 317., 
an  den  Maibaum,  Erntemai,  Som- 
mer gebunden  157.  171.  200.  204. 
205.  217.  387.  393.,  an  die  letzten 
drei  Aehren  209.,  an  den  Palm- 
zweig 286.,  an  die  Wepelrot  247. 
Brautkuchen  223.,  darin  die  Braut- 
maie 223.,  an  der  Brautmaie  223., 
neben  der  Brautniaie  ein  hergetragen 
222.,  bei  Hochzeiten  vom  Wagen 
geworfen  184.,  beim  Hochzeitfeuer 
gebacken  565 ,  am  Gurt  des  Had- 
ler8  269.317.  Tansycake  476.  Past- 
nachtfladen 545.  Funkenring  539. 
Bretzel  157.  223.  288.  269.  545.  546. 
Hetweggen  253.  Pfefferkuchen  264  ff. 
Osterbrod  263.  Kuchen  als  Pfingst- 
recht  gefordert  348.  Brodroann  am 
Emtemai  205.  210.  212.  218.  Wett- 
lauf nach  dem  Stollen  396.  Kuchen- 
ritt zu  Sindolfingen  893.  Brod  dem 
Baume  gebracht  20.  21.  157.,  für 
die  Hollen  in  den  Wachholderbusch 
gelegt  65.,  für  Puschkait  unter 
den  Baum  gelogt  63.,  mit  Brod  und 
Salz    dem    Ljeschi    geopfert    141. 


Opfergabe  an  Quellen »  Bim 
Wald  Weibchen ,      Hollen , 
Selige    backen  Brod  (Kudi 
80.    103..     stehlen    Brod 
107.     Christus    Himmelslm 
Ostern  vom  Kirchengewölbc 
gelassen  233.    Kuchen  zar 
gebraucht  508.   Yon  frisdiei 
essen  180.     Brod  unter  da 
tragen  185.    Brod  pipen  75 
spende  an  die  Armen  335. 

Brombeere  226. 

Brosamen  in  den  Ofen  werfen 

Brunnen  s.  Wassertauche  24 
259.  323.  332.  350.  874.  8^ 
488  ff.  542.  -  trog  mit  W 
füllt  97.  98.    Br.  Siloah  2» 

Brust  große  88.  108.  117.  ü 
137.  138.  147. 445.  611.,  bin 
146.  8.  a.  Slatte  Langpatte. 

Buche  56.  67.  76.  125.  165.  H 
199.  207.  229.  271.  349.  4 
503. 

Buchsbaum  46.  164.  256.  20 
286.  287.  288.  291.  566. 

Buckel  8.  Auswuchs. 

Buddelt  256. 

Bugge,  S.,  55. 

Burgbremieti  463. 

Burkhard  v    Worms  330. 

Bürste  290. 

Buschjung/er  86. 

BusdimänncJicn  92. 

C. 

Caesar y  J. ,  525  ff. 
^amibaum  275. 
Calignaou  226.  236. 
Captain  Caufstail  557. 
Carlblom^  Pastor  53. 
Cassel,  P.,  404.  405. 
Caypora  145. 
Cederbaum  293. 
Ceyiteotl  360.  363. 
Chahndal  226. 
Charfreitng  233.  277.  290. 
Charsamatag  .502. 


«1. 

0.  494.  536.  böO. 

it   der  Lenden   Davidi 
■uns    Same    234.    SSTi. 
330.   232.      Apfel  230. 
1244.    Weizenkarn  231. 
6.    WeUen  230  ff.    Mi- 
^aradiesbaoin ,    L«benB- 
294.    295.   605.     Brod 
143.    SoDoe,  Liebt  235. 
79.    Einhorn  251. 
hre,  grfine  PrnchtbaQm 
282.  294. 
1  ff.  226  ff  250. 
Weihnachtsbanm , 
äHChe   (?)  210.   224  ff. 
:  243-  251.  273.  281  ff 
»ff  406. 406. 446. 477  ff 
S.  517.  539.  609.  6115- 

reneznela  462. 

)  za  Nantes  71.,  Ronen 

«   518. ,    Tnillaniachea 


Di^tstahJ  von  Enft,  Nshning  68-, 
Korn  69.,  Saat  13a,  Brod  75.  92., 
Ifilch  92.  112.,  Eindern  108.  dnrch 
geiatarhafta  WeHn.,  dea  HMbatuu 
166. 


•  107. 


I  (Invo 
45Öff.  457.  500   503.  636  ff. 
Diodor  525  ff 
Dintei  15  40.  69. 
Djutdjul  329. 


Dio 


:.ny  * 


413.  414. 

Doetor  (Eisenbart)  325.  3&0.  352.  3S8. 

Dodola  330. 

]>.,hhg'iif  zu  Dreaden  389. 

Donaiuttag  (17.  Febr.)  427. 

Donner  85.  l.Sl .  verfultrt  den  Banm- 
elf  68.,  aio  .^kiigsnufvii  137.  138., 
die  Trolle  1*  Jir.  Wil.il'rauei]  109., 
Erster  im  Jahre  482.  486.,  in  dar 
EmteMit  483.  486.  t.  BUts. 

Dmnerkeil  62.  485.  486.  504.  536. 

Donneraag  131.,  D -.abend  59.  60.  D. 
nach  Faatnai^t  178. ,  D.  Tor  Paat- 
iiai'lit  .'ttt..  nach  Pfingsten  157. 

Ilorffifdlei   X-Xi-  Aom. 

Dorf  linde  53. 

Dorn  165.  167.  207.  Dombuach  450.. 
auf  den  Backen  binden  351.,  aus- 
reiten  383. 

Dowruag  614. 

Drache  65.  69.  509. 

Drei  Aehren  171.  20»  ff.  232.  Drd 
Donneratage  131.  Drei  SvngbKom 
209.  Drei  Krenze  78.  83.  106. 
Drei  Zweige  192.  204.  226.  Drei- 
faclier  Gflrtel  »on  Eiern  353,  Vgl. 
DieiBplant. 

DrcifHU.ijkeit,  h.,  154.   209.  465. 

DreifalliißfUfSioitnta/i  158-  168, 

ilrcikönignahend  lÖO-  247.  273.  637. 
53a  542. 

Dreiajflant  384. 

Dresdten  202.  206.  215.  484. 

DretiAhund  610, 


634 


Register. 


Dachinnen  1S2, 

Dünger.  Letzte  Fnhrc  192.  Ddnger- 
st&tte  271.  411.  421. 

Durchkriechen  durch  gcspalteuen 
BsniDf  Stein  83..  nntcr  einem  Ka- 
meel  32. 

dvrufiig  ttv^fiTtxri  19G.  208.  213.  4«5. 
583.  605. 

Dziewana  413. 

£. 

Kddgar  von  England  70. 

Ebertimrz  97. 

EgeHhansd  445.  446. 

Egge  83.  553  if . 

EheleuU  neuvermählte  268.  299.  456. 
461.  463.  464.  471  ff.  479.  488  ft 
492.  493.  494.  607. 

Ei,    Eier    schmücken    den    Ifaibaum 
156.  157.   160.   165.   169.  177.  181. 
241.  245.  271.,  Emtemai203.,  Richt- 
mai  218.   Eier  ganze  im  Brautkuchen 
223.,  auf  dem  Felde  gegessen  158., 
in  den  Acker  gesteckt  291. ,   in  die ! 
letzte  Garbe  gebunden  158.,  cingc- i 
sammelt,  collectiert  fiir  das  Schmack-  | 
OBtem.  Feien  u.  s.  w.  181.  256.  260.  i 
263.   264.  281.  353.  385.  427.  429., 
Gürti»!  des  Wasservogels  a53.,  Eier- 
lauf 264. 

Eiche  9.  17.  36.  39.  41.  44.  r)3.  67. 
76.  157.  158.  164.  171.  174.  175. 
178.  189.  li>9.  201.  202.  205.  200. 
207.  224.  228.  23<>.  271.  273.  306. 
349.  353.  385.  500.  503.  59(5. 

EichenhlaU  44. 

Eichhörnchen  508. 

Einsegnung  mit  Bier  173. 

Eiresione  249.  295.  297.  298.  605. 

Eisen  Frau  559. 

Eisennch ,  Sommergewinn  daselbst 
156. 

Eiseng  rind  433. 

Elhe  Elfen  14.  17.  62.  63.  65.  iyiy.  67. 
125.  289. 

Elenntier  131. 

Elexisis  598. 

Elfarrow  66. 


Elfäxing  62. 

Elfhläst  62.  66. 

Elfholt  66. 

Elfdans  62. 

Elfenring  62. 

Elfgräs  62. 

Elhorn  s.  Holunder. 

Elisabeth,  Eönigin  von  England 

ElUfru  11. 

ElUpige  122.  125. 

ElUr  61. 

Eis  126. 

Else,  rauhe  108.  113. 

Elsenbawn  272.  288. 

Embla  1.  8 

Engelmann  513. 

Engmtie  73.  99.  115. 

enmajöler  163. 

Epheu  322.  422.  434. 

^^pousie  du  Mai  439.  447. 

Erbse  234.  463.  484.  560. 

Erbsenbär  421.  442.  443.  499.  ÜVl 

Erdbeerbaum  299. 

Erde  152.  216.  233.  444.  560.  Mr 
ter  Erde  303.  571  fEl  ErdgöttiD  dtf 
Khonds  356.  362.  BerühmnK  «t 
der  Erde  487.,  die  Erde  kfliMi 
486.  487..  sieh  auf  der  Erd*  wÖ" 
zen  482  ff.     Erdstummel  228. 

Erengans  202. 

Erenmaie  202.  203. 

Eresbnrg  307. 

Erle  167.  207. 

£mgarw  213. 

Ernte   77.    78.    79.    153.     158. 
190  ff.  215.  266.  223.  259.  332. 
394.  396.   463.   481.  496.  487. 
541.  551.  560.  r)85.  598.  609  ff. 

Erntemai  190  fL  237.  295.  298. 
357.   395.   560.  605  ff     Hörke 
(Hackelmai)  195  ff.  als  Mensch 
gekleidet    200.    210.    mit   Aej 

204.  205.,   mit  Backwerk  200., 
Eiern    203.,     mit    Bierkrügen 
208.,    mit   Weinflaschen   200. 

205.  206.  208.  215.,   mit  Klei« 
und  Tuchern  u.  dgl.    191.  192. 


•N 


3ij5 


Vk^ 


Begiaier. 


as5 


mit  Aehren  193.  195.  196. 
)5.  212.,  mit  letzter  Garbe 
oit  Mäasen  und  Maulwürfen 
it  einer  Puppe  2()5.  210.  408., 
'änzen  195.  197.  behängen, 
teren  Zweige  beraubt  195., 
iTagen  voraufgetragen  197. 
(chleift  hinter  dem  Wagen 
^7.,  in  Verbindung  mit  Hahn 
I  198.  203.  206.  211.,  hat 
aen  192.  203.  212.,  heißt 
198.  199.,  Mockel  192.  von 
ferden  gezogen  200. 204. 214., 
jr  eingegraben  195.,  von  den 
D  herausgezogen  196.,  von 
Q  eingefahren  200.  208.  211., 

letzte  Garbe  gesteckt  191. 
9.  207.  212. ,  auf  oder  unter 
uehfang  190.  198.  204.,  auf 
;h  der  Kornscheuer  gesteckt 
3.  204.  205.  217. ,  über  die 

Komscheuer  197.  198.  202. 
uf  das  lUch  190. ,  des  Her- 
es  190.  202.  217  238.,  über 

des  Herrenhauses  197.  217. 
zt,  auf  die  Tafel  gestellt 
.  223.,  im  Hofe  202.,  auf 
hober  aufgepflanzt  195.  204. 
1.,   zum  Kreuzstock  hinaus- 

192.,  mit  Wasser  begossen 
^.  214.,  mit  Wein  besprengt 
klettert  191.  208.  Tanz  um 
itemai  193.  Wettlauf  nach 
atemai  191.  209.  396. 

m  583.  G13. 

t  66. 

ich.  535. 

9sion  397  ff. 

LI.  41.  56.  199. 

^.  368. 

^. 

am    Weihnachtsbaum    24^. 
d. 

147. 

schlagen  552. 

rdt. 


F. 

Faelcel  71.  179.  317.  455  ff.  498  ff. 
509.  614. 

Fackellauf  463.  498.  500.  501.  502. 
506.  509.  510.  511.  512.  515  520. 
534  ff.  549. 

FackeUonntag  455.  556. 

Fairy  80. 

Familienbaum  51.  53. 

Famigen  89  ff. 

FänJcen  73.  95.  98.  106. 

Farrenkra^d  324.  343.  385. 

Fasolt  105.  106.  148. 

Fastnacht  174.  253.  254.  2.55.  256. 
269.  276.  278.  280.  292.  332.  334. 
336.  359.  410  ff.  427.  445.  457.  463. 
473.  488  ff.  492.  555.  556.  594.  613., 
die  Fastnacht  vergraben  411. 

Fastnachtdonnerstag  237. 

Fastnachtfeuer  180   500  ff. 

Fastnachtnarr  411. 

Fastnachtfionntag  s.  Invocavit. 

Fastnachttumier  549. 

Fasttmchtumlauf  544  ff. 

FauUieit  austreiben  303. 

Faunns  73.  115.  407. 

FSchenot  (Fa.ssenot)  457.  458. 

Feien  442.  443.     Frau  Feie  443. 

Feigenbaum  296. 

Feldgespenst  520. 

Feldmann  410. 

Fell  am  Baume  394. 

Fenggen  TS.  89  ff.  98.  103.  106. 

Fetischbaum  182. 

Feii€r  vertreibt  Dämonen  133.  520. 
615.,  dämonisches  Ungeziefer  502. 
504.  510.  520  ,  auf  dem  Saatfelde 
317.  498  ff.  Feuerbrand  auf  Obst- 
bäume gelegt  225.  498.,  in  die  letzte 
Garbe  gesteckt  228.  Feuer  bewirkt 
Fruchtbarkeit  des  Feldes  225  ff. 
463.  498  500.  501.  .*)02.  504.  506. 
507.  508.  509.  510.  512.  519.  521. 
530.  531.  535  ff.  Feuer,  neues  im 
Vcstatempcl  295.,  zu  Ostern  503., 
bei  Viehseuchen  518.  Bestandteil«* 
des  Jahresfeuers  498.    S.  Johannis- 

40 


626 


Register. 


abend,  Ostern,  Martini,  Funken- 
sonntag, Eapalo.  —  Verbrennung 
der  Vegetationsdäinonen  493.,  des 
liaibauros  177.  419.  5G6..  des  Todes 
156.  419.  497. ,  des  Pfiiigstl  524., 
einer  menschlich  geHtalteten  Puppe 
409.  497.  498.  499.  501.  502.  505. 
507.  512.  513.,  des  Fasching  41^9  flf.. 
des  PalmbDschels  2.'>8.  289.  566., 
des  Fastnachtbären  421.,  der  letz- 
ten Garbe  613  ff.,  den  Pfluges 
553.,  von  Tieren  515.,  Knochen  515., 
eines  obstgcfüUten  Korbes  516. 
Durch  Reiben  entzündet  508.  518. 
Feuer  mit  Erwälilung  von  Braut- 
paaren 450.  455.  456.  457.  469.  508., 
Lauf  oder  Spnmg  über  oder  durch 
das  Feuer  463.  464  If.  487.  498. 
506.  507.  508.  510.  511.  514.  520., 
entsteht ,  wenn  der  Hausgeist  sich 
entfernt  44.  (K)..  verhütet  durch 
Schnabel  des  Piingstbutzes  357. 
Holunder  soll  nicht  verbrannt  wer* 
den  64. 

Feuerheerd  223.  228. 

Firdosi  7. 
Firetcarkx  341. 
Fischnetz  519. 
Fitzellohn  281. 
/itzeln  265. 

Flavhs  18.  77.  8;J.  107.  201.215.253. 
255.  269.  280.  :M8.  357.  397.  464. 
502.  r)lO.  512.  541.  543.  614. 

Flacfismutter  610. 

fliege  18.  262.  263  280.  2iK).  v^'l. 
Insekten. 

Floh  2G3.  280.  21K). 
FWhauskIoi)fen  268.  303.  332. 
Foolplough  557. 
Frau  8.  Weib. 
Frau  Berte  112. 
Fratienhöhle  lU). 
FräuleJiopf,  Berg  1H)(). 
Freibauyn  38.  39. 
Freitiere  (fridjus)  132. 
Freifju  5S7.  5^6.  r)iH).  591. 


Freyr  522.   580.  588.  589.  590. 
592. 

Freytag,  G.,  458.  568. 

Friar  Tuch  546. 

Fricco  591. 

Friedherg,  E.,  299. 

Friscfie  Grün  streicfien  265. 

Frö  522.  592. 

Frö  592. 

Frohnleichnamstag  371. 379.  381 

Frosdi  354.  355.  606.     Frosche 
der,  Paddenschinder  356. 

Frostbeule  227.  s.  Auswuchs. 

Fruchtbare  Bäume  39.  56.  76. 

Fruchtfeld  =-  Weib  560. 

Fuchs  290.  396.  515. 

Fudelgeld  255. 

/üen,   fudeln   254  ff.   256.   280. 
292. 

Funkensonntag  465.  500  fil 

Fuß  262.   263.  268.   269.  280- 
Fußspitze  waschen  489. 

FußbaU  475. 

Füstge  Mai  326.  324. 

Fylgja  45.  52. 

G. 

Gabriel  hounds  251. 

Gabriels  Jagd  251. 

Gadeild  508. 

Gttdindc  509. 

Gans  389  ff. 

Garbe  letzte  190.  213.  393.  396. 
Todte"  420,    gerbe  de  la  p 
231.  233.,  gerbe  de  la  maitresse 
gerbe  a  la  galette  205.,  gerbe 
205-,  gerbe  fleurie  207.,  de  la  fi 
207.  613.    De  St.  Jean  614. 
gar w  213.    Glücksgarbe  213.    S 
garbe  213.  Stamm  213.  Letzte 
verbrannt  613.  614.,  schlagen 
278.    mit  Wasser  begossen    2 
Getränk  hinein  gebunden  214  ff 
bräutliches  Gewand  gekleidet  i 
grüner  Baum  hineingesteckt  s.  '. 
teniai,   dem  Vieh  am   Weihn 
ubond  gegeben  233.    Mensch  hi 
gebunden    215.    484.      Brod, 


^1. 


061. 
ohjo- 


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Register. 


627 


igebnnden  s.  Brod,  Bi.  Feuer- 
.liiBeingebund€n228.  St.  Wal- 
8  in  eine  Garbe  gebunden  121. 
e  Garbe  erbält  Tiemaraen  487. 

Garbe  ^  Maria  230.,  in  Jo> 

Trarnn  234. 

uud  der  Waldgeister  148,  der 
fran  87.,  der  Seligen  103.,  der 
ihoUen  102. 

i,  Frau  85 

[e  la  me  aox  Onrs  514. 

ö.  59.  63.  78.   141.  192.  203. 

213.  218.  247.  512. 

ibaum  49  ff.     ^ 

%e  ans  dem  Leibe  winden  28  ft. 

47 

,  wilder  %. 

Hein  96.  98. 

if  den  Richtmai  220.  221.,  in 

Baum  stecken,  wie  die  Esten 

in   ihre   heiligen  Bäume  ton 

in  die  Krippe  404.,  ins  Weih- 

tsfener  225  werfen. 

del  284. 
?  91. 

le  der  Madonna  zu  Straubing, 
aarkt ,  Breslau  231.,  des  wilden 
les  in  der  Alhambra  339.  Mi- 
xen in  Handschriften :  Tanz  um 
Maibaum  188  Anm.  2. ,  ballet 
irdents  338.,  Burglinden  XIII. 

Haustiere  der  wilden  (seligen) 
lein  100.  102.  132.  147. 

a,  Königin  448. 
icUvatica  113. 

der  grüne,  313.  314.  316.  328. 

585.,  der  h   314.  316. 

Uig  ^23.  Apr.)   270.   313.   317. 

480. 

7ul8t42.  64.  8.  Auswuchs. 

'€  s.  Korn. 

tzauber  211.  214.  419.  613. 

•r  8.  Blitz.     Donner. 

I.  Krankheit. 

fei  91. 


Gild£  Opfermahlzeit  585.  428.  429., 
große  450.,  der  Dorfburschen  450., 
Gildestnbe  369.  379. 

Glodce  (Schelle)  130.  290.  324.  325. 
327.  416.  428.  433.  440.  455.  488. 
539.  540.  541.  542.  543.  544.  546. 
547.  548.  606.  613. 

Glockenblume,  blaue,  426. 

Gloria  97. 

Gloso  210. 

Glück  bringen  252.  263.  280. 

Glückskorn  213. 

Gode  85. 

Göthe,  Wolfg.,  V ,  58.  239. 

Gofar  128. 

Gold  aus  Birkenlaub  76.  87.,  aus  Spä- 
nen 85.,  aus  Kohlen  142.  616.,  aus 
Baumrinde  142.,  aus  Getreidekör- 
nem  121.  Geschenk  der  Waldgei- 
ster 142.  152.  Goldstück  durch 
den  Mund  ziehen  180.  187. 

G(adiaie  43. 

Goliath  8.  Köpfang  des  Pfingstl. 

Gower  460. 

Ghras  ausläuten  540.  547. 

Graskönig  343.  347  ff.  355.  357. 

Graswuchs  332. 

GreentDichhül  480. 

Ch-egoriustag  (12.  März)  274. 

Grenze.  Neun  Grenzen  21.  Grenzbaum 
27.  39  Grenze  verrücken  121. 
Grenzbegang  397.  398. 

Grimm,  J.,  2.  369.  405. 

Crrimnismdl  54.  55. 

Grönjette  122.  124.  445. 

Gründonnerstag  184. 

GHin  Grüner  Junge  64.  Grüne  Haare 
138.  Grünes  Holz  184.  Grüner 
Georg  313.  316.  317.,  grüne  Klei- 
dung 111.  448.  Grüner  Weiberrock 
317.442.  Grüner  Wagen  452.  Grü- 
nes Gesicht  34.  Grüne  Hand  64. 
Grünes  Moosweibchen  82.  Grüne 
Berg  223. 

Grundblock  228. 

Gürtel.  Geschenk  der  Waldfrauen  und 
Hexenmeister  152.,  silberner  am  Som- 

40* 


628 


Register. 


mer  156.    Gürtel  des  Pfingstl  353. 
des   Ehemanns   302.,    aus   Halmen 
210.  487.     Thors  Stärkcgürtel  486. 
Guvmar  Helming  580.  589  if. 
Gtirö  Bysnerofa  147. 
Gyldeeiche  9. 

H. 
Haar  =  Lauh   76.  124. ,  grünes  des 
Ljeschi  64. ,   langes ,    fliegendes  76- 
88.    102.   117.    123.   128.   137.  148. 
Haariger  Körper  113  flf.  147.  338  ff. 
Haar  in  den  Baum  yerkeilen  48. 
Hafer  s.  Korn. 
Haferhräuiigam  610.  612. 
Hafergeiß  611.  613. 
Haferkömg  611. 
Haferweihe  404. 
Haffru  122. 
HagedomnUe  343.  365. 
Hagel  291.  502.  504.  s.  Blitz.    Don- 

ner. 
Hahn  (und  Henne)  auf  Maibaam  160. 

174 ,  auf  Erntemai  197. 
Hahn  (Henne)  183.  197.  245-  290. 
315.  327.  562.  565.  583-  613., 
auf  Maibaum  160.  174.  211.,  auf 
und  bei  Emtemai  197.  198.  199. 
201.  205.  206.  212.,  auf  Mimameidr 
56.  183.  211.,  Hahnbaum  174.,  auf 
Brauthemden  46.  Opfer  148.  246., 
auf  Erntewagen  gefahren  613. ,  im 
Kupalofeuer  verbrannt  515.  Hah- 
nenschlag 488.  533.  547.  Dreibei- 
niger 42.  Blüte  des  Hanfs  2. 
Hain,  heiliger  31.  70.   71.  572.  582. 

584. 
Hnllfeiier  500. 

Hammel  396.,  —tanz  387.  oiJ6.  490. 
Hammerle,  A.  J.  101. 
Hamster  538. 
Hand   254.  255.  256.  262.  263.  264. 

268.  280.  298.,  grüne  64. 
Handtuch  270. 

Hanf  259.   32S.   464.  510.  cf.  Flachs. 
Jlansel  und  Gretel  429.  464.  493.  494. 

513. 
Hansel i  543. 


Harke  197.  198. 

Harkelmai  195.  196.  197,  198.,  Har- 

kelmaigam    195.  196.     Harkelnuu- 

böm  195.  196.  237. 

Harugari  579.  582. 
Harvestqueen  611. 
Hase  141.  204.  212. 
Haselnuß  a.  Nußbaum. 
Haselnußfräidi  106. 
Hatzeler  350.  351.  368.  386. 

Hausgeist  44    60.  61.  64.  65.  75.  81. 

90  ff   95.   96.   103.   114.  115.  119. 

137.  153.  154.  215.  238. 
Heckerling  559.,  säen  554. 

Heer  wildes    67.    116.    122  ff  14Ö. 

150  ff. 
Heerdfeuer  198.  224  ff.  296.  566. 
Heinrich  VIIL,  König  von  Englaid 

341.  368. 
Hemann  127. 

Hemde  46.  156.  220.  419.  560. 
Hense,  G.,  3. 
Herbst mai  203. 

Herbstschmudl  203.  311.  314.  322. 
Herbstsonntag  203.  314. 
Hetweggen  253. 
Hetzmann  406. 
Heuernte  101.  136.  192.  202.  206  209. 

217. 
Heumarienfeuer  469. 
Heumütterli  610. 
Hexe  14.  25.  66.  116.  162.  179.    ^ 

273.  325.  329.  402.  501.  502.    ^ 

541. 
Hieronymus  von  Prag,  MissioC^-" 

Niederlitauen  36. 

Hiesely  der  bairische  352.  367. 
Himmelfahrt  397.  399.  449.  546^      *  ' 
Hipelpipel  92. 
Hirsch  132.  151. 
Hirsmontag  523.  550. 
Hirte  224.  230.  271  ff  290.  332 
449.  456.  494. 

Hoalrad  500. 
Hobbyhorse  396.  546. 
Hochrinta  89  ff. 


Register. 


629 


Hachzeü    45.   46.   47.   48.    184.    m>. 

221  ff.  223.  245.  296.  299.  345.  442. 

443.  448.  454.  468.  473.  488.  491. 

546.  565.  613.,  des  Ljeschi  143.,  der 

Zwerge  92. 616.,  zu  Kana  517.  Hoch- 
zeitlader 299.    Hochzeitfeuer  565. 
Hojemannel  127. 
Hollen  und   Hollinnen  65.  =»  Selige 

Fräulein  154.    Holdichen  14. 
Holla,  Frau  Holle,  Holt  85.  120. 
Hollybay  422, 
HoUsaten  70. 
Holunder  10.   11.  12.  15.  10.  20   21. 

22.    52.   56.   63.    64.  70.   165.   166. 

167. 189. 210. 222.  223.  257.  266.  298. 
Holundermutter  10  ff. 
Holzfahrt  in  Köln  375.  376. 
HoUfräuleingam  76. 
Holsieute  (Holzfräulein,  Moosmfinnchen, 

Moosweiblein)   74.   75.    76.    77.  78. 

79.  80.  81.  82.  90.  91   92. 103.  106. 

114.   127.   137.   153.  217.  237.  333. 

334.  335.  408.  544. 
Holzheizer  82. 
Molzmuoja  127. 
Molzrüna  127. 
Moyujatar  30. 
Hopfen  232. 

JHosantuUi,  das  große  282.  29.^. 
JHrafnagaldr  Odins  55. 
Mudler,  Buttler  268.   269.   317.  541. 

548.    Hudellaufen  268.  ^ 
Jlügel  hinabroUen  480  ff.  vgl.  Green- 

wicbhill. 
Muitzüopochtli  360  ff. 
Hütte  verbrannt  463.  vgl.  Laubhütte. 
Hnlda  107. 
Hulte,  der  127. 
Hund  212.  52].,  der  wilden  Jagd  137. 

138.    Gestalt  des  Uaiuara  145. 
Hundeschläger  324. 
Hure  441.  443. 

Hut  auf  der  Maistange  387.  392. 
Hutzehruinn  501. 
hvannarknJfr  2. 
Hyldemoer,    Hyllcfroa    s.    Ilolunder- 

muttcr. 


I. 

Jack  in  the  green  322.  342.  425. 

Jacohstag  (25.  Juli)  277. 

Jättesa  138. 

Jagd  glückliche,  Gabe  des  Waldgei- 
stes 130. 131.  141.,  des  Gabriel  251., 
wilde  82  ff.  85.  105.  112.  115.  116. 
121.  122  ff  137.  145.  149.  150. 151. 
251. 

Jahresfrist  217.  218.  371.  452.  458. 
493.  566.  606.,  in  eine  nach  meh- 
reren Jahren  wiederkehrende  cycli- 
sche  Feier  verwandelt  172.  175. 
371.  533  534. 

Janchon  145. 

järes  umbihringy  järhring  430.  466. 
594. 

Jarilo  415  ff.  547.  606. 

Jauchzen  191.  199.  202.  215.  597. 

Jenn,  wilder  Jäger  123. 

Jesse  230.  235. 

Jessen,  E.,  54. 

Ilmateuctli  303. 

Immermann  j  K. ,  300. 

Indra  14.  275.  592. 

Insekten,  Krankheitsgeister  13.  24. 
25.  290.  296.  502.  504.  510.  520. 
560.  s.  Fliege,  Floh,  Korn  wurm, 
Laus,  Mücke,  Kaupe,  Spinne. 

Invocavit,  Fackelsonntag,  Funken- 
sonntag, dimanche  des  brandons 
178.  453.  455.  463.  473.  479.  488. 
500  ff.  536  ff.  549.  550. 

Jochträger  90  ff. 

Jods  210. 

Jördh  588. 

Johannes  Person ification  des  Kalen- 
dertages 170.  181.  212.  311.  466  ff. 
493.,  Weib  des  Johannes  468. 

Johannisabend  (23.  Juni)  159.  172. 
173.  463  ff.  469.  483.  487.  488.  508 ff. 
515  ff  519.  520. 

JohanuiMtad  534. 

Johannisbaum  244. 

Johannisfcuer  177  ff.  237.  419.  463. 
464.  406  ff.  487.  502.  508  ff.  519. 
522.  524.  532  ff. 


630 


Register. 


Johannistag  (24.  Juni)  33.   325.  355. 

552. 
St  Johannisaposteltag  462. 

Jost^23i. 

Imm  Gott  301  309. 

,yii,i„  __  Verstärkungswort  304. 

Jmitii^  303  ff . 

Irregdui  61.  84.   108.  109.  110.  118. 
129.  140.  143.  144.  153. 

licgrim  433. 

Isis  559. 

Issiteggi  94. 

Jnchfoder  191. 

Judas  504  ff.    Judasfeuer  505. 

Judicasonntag  471. 

Julabrasa  229. 

JnkUannar  539. 

Juifriede  589. 

Junge,  schmucker  384.,   bunter  384., 

grüner  64. 
ividhja  55. 
/rw  593. 
Ivygirl  422. 

K. 
Kfl/er  504.  582.  584. 
Kälberquiekm  271.  294.  298. 
Käse  96.  112.  113. 
Kässonntag  540. 
iCaZ6  Pflanzenschüß  2. 
KawecZ  32.  335. 
Kaminfeger  322.  352.  367.  425.  548., 

vgl.  Schwärzung  des  Gesichts. 
Kampf  auf  dem  Kornfelde  498.  548  ff. 

vgl.  545. 
Kaninchen  122. 
Kantenreiten  387. 
Kanutsgilde  379. 
iCon^dmann  91. 
Karl  der  Große  307. 
Karl  VI.  König  von  Frankreich  338. 
Karl  Herzog  von  Orleans  459. 
Kastanie  207. 
Xati  30. 
Katze   (Kater).      Gestalt    der   Wald- 

geister  89.  112.  146.  290.,  des  Haus- 
geistes 93.,  des  Vegetationsdämons 

und    Krankheitgeistes    561  ff. ,    im 


Johannisfeuer  verbrannt  515. 
kätzchen  2.      Katzenkopf  am 
bäum  167. 

Kenningar    von    B&umen    herg<^zi.o 

men  8  ff. 
Kidd^lhund  611. 

Kinder  goldene  Zweige  45.,  Blumei 
50.    Geburtsbaum,  Lebensbaum  toa 
Kindern   48.   Anm.  49  ffl    tod    der 
todten  Mutter  gepflegt  104.,   rom 
Holunder  erschreckt   12.,   fiber  Jo- 
hannisfeuer   getragen    512.     Kind 
durch  Baumspalt  gezogen  32  ff,  mit 
Leinsamen  besät  33.    Von  den  El- 
tern gequitzt  270.     Von  den  Dive 
zeny   87.,    den   Fanggen   90.,  der 
Langtüttin  108-,   den  Seligeo  107., 
dem  Eis   126. ,    dem  Salvanel  118., 
dem  Ljeschi  143.,  dem  Caypora  145^ 
gestohlen.      Vgl.    153.     Vertauscht 
65.     Sein  Eingeweide  ausgefressen 
295.     Weinendes  Kind  Gestalt  ^ti 
Ljeschi    140.      Kind   der  Waldfrau 
88.    135    142.     Kindersegen  erwir- 
ken 184.  226.  281.  558. 

Kindbett,    leichtes    51     52.    56.  M 

284.  302.  512. 
Kindbetterin  von  den  Seligen  geragt«* 

108.   153. ,  todte  kehrt  wieder  VH 

vgl.  112. 

Kindein  266.  292.  293. 
Kindsvöt  233. 

Ki7ig  of  May  and  Queen  of  Ma 
Kirche.    Ball  über  die  Kirche 

473.  480.     Dreimaliger  Umzu 

die  Kirche  506. 

Kirchenglocke  130  547. 
Kirnbaby  409. 
Kirnis  245. 

Kirschbaum  18.  39.  41.  53.  126. 
167.  205.   207.   226.   236.  245. 
Kitzeln  87.  89.  139. 
Klabautermufin  33. 

Kleidung  grüne  64.  88.  111.  117 
341.    368.    448.,    dem    Wal 
Zwerg  u.  s  w.  geschenkt  73. 


RegiBter. 


6S1 


lem  Baum  angetan  157.  158. 

auf  den  Maibanm  157.  169. 
^2.  174.  179.  191   209  464. 

42.  Tgl.  Glocke. 
ri  326. 
tne  136. 

44. 

ine  883. 
^tspid  480. 
ih  180. 

▼erbrannt  178.  509.  515., 
aibanm  383.,  ins  Saatfeld 
i;400. 

Aehren  iu  Knoten  209.    Kno- 
n  Krankheitsgcistem  herrüh- 

3.  14.  15.  16   19.  20.  22. 
•  Ch'oße  70. 

in,  A.  3. 

13.  44.  64.  65.  69.  95.  96-  110. 

4.  ff  151.  vgl.  Hauägeist,  Kla- 
nann, Tomtegubbc. 

).  352. 

d  350.  428. 

\2.  227.   228.  229.    504.   510. 

KrautpHanze,    Kohldtaiiim  u. 

ie  248. 

ßbO. 

J61. 

Maikönig,  Pfingstkönig,  Syl- 
Lönig,   König    Knoblauch  93. 

der  Katzen  93. 

M  385.  392. 

',  Erschießang  u.  s.  w.  des 
tbatzes,  Maikönigs  321.  343. 
m.  354.  357  ff.  364  ff  365. 
k21.,  dcB  Goliath  352.  365., 
gs  XVI.  352.  366.,  des  Engel- 
8  514.,  des  wilden  Mannes 
36.,  des  Fastnachtbären  421. 

it  Obst  im  Martinsfeuer  ver-  ■ 
576.  Korb  im  Umzüge  derl 
nie  zu  Zürich  523.  Korbträ- 1 
f4. 
,  Hochzeitbrauch  der  302- 


Kam  (Getreide)  s.  Aehre,  Asche, 
Christus,  Ernte,  Emtemai,  Fackef- 
lauf,  Feuer,  Gewichtzauber,  Hnüer, 
Kampf,  Sämann  bdeer,  Wasaer- 
tauche.  —  HimmliMhes  Korn  -■ 
Ohristut  230.  232.  Korn  Tom  Christ- 
kind mitgebracht  233.  —  wichst  um 
das  Muttergottesbild  232.  Auf  jedem 
Weisen  körn  ein  Mnttergottesbild 
232.  Krankes  Kind  38,  Weihnaehts- 
klotz  und  Polaznik  284.  225.,  Kru- 
zifix 233.,  Hochzeiter  222  mit  Ge- 
treide beschüttet  Weihnachtsmte 
ins  Korn  gesteckt  224.  —  Kom- 
wachstum  abhängii^  Ton  den  Holz- 
fräulein 77  ff.,  Hulda  und  den  Seli- 
gen 107.,  St  Walpurgi8  210.,  Jarilo 
415.,  Metsik  407.  408.,  Thorr  48-1 
Ukko  485.  Korngeist  212.  215.  409. 
410.  609  ff:  Komaufwecken  540  ff. 
547.  548.  Korn  wird  fruchtbar, 
Brand,  Kost,  Hagel  abgehalten 
durch  Umreiten  des  Kornfeldes  350. 
353. 357. 398.,  Eschprozession  398  ff., 
Wälzen  auf  dem  Saatfelde  481  ff., 
Sprung  durch  das  Feuer  464.,  Schlag 
mit  der  Lebensrute  253.  255.  269., 
Gewichtszauber  s.  s.  v.,  Hinein- 
steckung von  Palmen  291.,  Lorbeer 
297.,  Zweigen  der  LaubumhüUnng 
des  Pfingstl  348.  357.,  Knochen  400 
in  das  Saatfeld,  durch  Fackellauf, 
Feuer,  Asche  s.  s.  vv.  —  Aussaat 
des  Kornes  17.  33.  77.  159.  212. 
217.  226.  232.  233  262.  263.  488. 
561.  Vgl.  80.  158.  224.  Korn  im 
Winde  wogend  119. ;  Tod  sitzt  darin 
420.  Einemtung  77.  80.  107.  112 
121.  190  ff.  214.  420.  483.  609  ff 
Dreschen  429.  Fieber  in  Getreide- 
kömer  gebannt  17.  Getreide  steh- 
len 60.  63.  65.  69.  75. 

KoDibaum  190.  212. 

Karnbonde  484. 

Kommode  484. 

KornmtUter  611. 

Kornwarm  291. 


ß32 


Register. 


Kvroivay  223. 

Korybatitffi  7. 

KosmoffOHie  der  Pliryger  8. 

Kostroma  414.  417  ff. 

Kraiotm  3*2.  344. 

KratMeittH  und  ilirc  Heilung.  Krank- 
beitsgeistor ,  ächmarotzer  in  Ge.stalt 
der  iMokten  13.  14.  15.  17.  18. 
Anm.  3.  20.  22.  25.  2Ü2.  2G3.  26«. 
2«0.  21H).  2i)2.  294.  332. ,  anderer 
Tiero:  Kröte  13.,  Maus  23  if.,  Katze 
:«».»  Hund  562.,  Hahn  562.  Vieh- 
l«id>  Viehschelm  2im.  563.  Strigon 
l>l>j. :  menschengestultige  Kranklicits- 
gtister  15.,  zwölf  Mädcbon  15 ,  neun 
Scliweütern  16.,  sieben  Teufel  13., 
«Ite  Wittweu  20.  Elbe ,  Klfen  14. 
62  ft*.  64.  66.  Krankheit  des  Bäu- 
men, SalvancI  113.  durch  Aufhocken 
111.,  durch  Anhauch  12.  62..  Kreu- 
zung des  Pfades  140. «  durch  l^feil- 
sühuH,  Axthieb  (>6  ff.  u.  s.  w.  von 
(■eistem  entstunden.  Kninkheits- 
goistor  im  Baume  heimisch  und  von 
diesem  entsandt  11.  12.  13ff.  ^  aus 
dem  Walde  kommend  14.  22  ff.,  aus 
allerlei  anderen  Orten  22.  Krank- 
heit des  Keisenden  am  zurückge- 
bliebenen Baume  bemerklich  4.S. 
Vom  Baume  zurückgerufen,  oder 
auf  ihn  übertragen  16.  Baum  hilft 
gegen  Kr.  52.  Krankheitsgeistor 
in  den  Wald  17.  (>2.  257  ,  die  Wüste 
17.  22.,  unter  Steine  15.  16.  18.  21. 
68.  69.  verwiesen.  Vom  Vogel  mit- 
genommen 21.  Waldgeister  heilen 
durch  Kräuter  Hl.  H7.  106.  153. 
Sympathetische  Kuren  16.  Heilung 
durch    Aussaugen    des   Kraukheits- 

'  geistes  3.  14.  Einpilöckung  dessel- 
ben 21  ff.  24.  ff.  71.,  durch  Donner- 
keil 14.  62.,  Kohle  des  Christbran- 
des 22i». ,  Durchkriechen  32  ff.  129. 
226.,  Taufwasser  517.,  Gold  in  den 
Baum  stecken  174.  Knoten  einbin- 
den vgl.  Knoten.  Abwehr  der  Krank- 
heit   durch   Feuer    518.    519.   562- 


Feueraprung  464.  518.,  PflngziE 
15.  561.,  Schlag  mit  der  Lebens 
257.  270.   272.  280.,   Opfer  an 
Baum  59.,   Wälzen  auf  dem  A.< 
4S;).,  Flurritt  399.,  Stephansritt 
Palmkätzchen   2iK). ,    Lorbeer 
Blut   vom  Aderlail  403.  -    Au 


'■>.. 


!»■■ 


.1. 


>^ 


krankheit   17.   42.  64.     Aasschi.I»<r 
Auswuchs    s.    Cieschwuldt.      Bein. 
bruch  24.  36  ff.  105.    Beinweh  2«>y 
Bruchschaden  32.     Buckel  67  (v^/ 
Geschwulst)  Kinge weideschmerz   1./. 
Elfenanhauch   62.      Epilepsie    2^^/. 
2t)6.     Fieber  15.  17.  20-  2:^.66.  2fN;. 
291.  292.   297.    510.     Flechten   Vj. 
Frostbeulen   227.    \g\,   Geschwulst 
Furunkeln    226.  237.      GeschwaJüf. 
Ausschlng   u.  s.  w.  14.    Anm.  3-  VJ. 
20.  23.  42.    Gicht  13.  15.  21.   Hals- 
weh 2iN).  291.    Hexenscliuß  66.  Irr- 
sinn 13.  26.     Ko]ifweh  13.    Krätze 
228.  239.  vgl.  Ausschlag.    Kreoiweh 
210.  263.  280.  482  ff.  486.  487.  Ma- 
genkrampf 13.    Nösch  13.    Pest  und 
Cholera    16.    22.    66.   81.  97.  21«. 
518.    561.    562.      Rotlauf  2a    ^ 
Schwindsucht  13.    14.   18.  68.  2Ä». 
237.  290.   295.     Strily   23.     VieV 
krankheit   275.  470.  518.  521.   '^^■ 
Zahnweh    13.   17.    21.    22.  23.    ^-•'^^ 
2i>l. 
Kranz  (Krone)  am  Mai  bäum  169. 
171.  175.  176.  177.  272.  318. 
387.   388,    am    Hals    des    Pfii 
353.,  des  Maigrafen  369  ff.  372. 
374.  375.  376.  406.  606.,  am 
des  Siegers   im  Wettlanf  382., 
siegenden    Rosses    387-,     um 
Handpferd  31>8.,  um  Hals,  Seh 
Hörner    der    Weidetiere   271.    » 
389 ff.,   beim  Flurumritt  überreich 
3in».  40«).  4ö5.     Preis  des  Wettt^ 
nens  388.     Kranzstechon  388.  ^ 
Erntekranz  196.  197.  215.  216,  & 
der  Tür  295.     Liebende  sehen  t 
durch    den    Kranz  an  466.,   kün*  * 
sich  durch  den  Kranz  434. 


C.r-:rr-fc 


•-r 


^  Z.z.-^r 


'<  -*' 


--*■». 


KufxOo  513.  bU. 
K^lopet,  94.  139. 


!  (Kohl)  348.   277.   382, 


K). 

!B  Aehten  201-  305.  206.,  dem 
m  verglieheD  173. 242.  Krenz 
Innder  im  Palrabnach  257. 289. 
Vax  tlber  der  TSr  291.,  im  Äcker 
Irrt  Kreuze  tum  Sehnte  fBr  die 
eibehen  78.  83.  M.  106.  148. 
im  Fenster  128.,  Feueter- 
121.  138..  verleiht  Schatz. 
I  233.  284.  886.  Ballspiel 
^reuz  an«  474.  476.  480. 
anm  der  Wenden  174.  177. 
J7.  305.  583.  Kreuzweg  = 
BolstizV  125. 
tum  173  174.  211. 
üag  16Ü. 


lilder  96. 

75. 

rige    146..  bunte  390.    äÜT). 

schwarze  126. ,  vom  Wald- 
eh0tet96ff.  141.,  vom  Wald- 
im  SUIle  gepflegt  80.  95. 
die  Knh  gesund ,  milcbreich, 
ittr  zo  machen  157.  271.  272. 
SO.  Kuh  mit  Raten  geatri- 
69  5.,  bekommt  Namen  271  tf. 
ilepper  3Ü0. ,  zuletzt  anagc- 
le  389  ff.  Kuh  (Mockel)  Nanic 
mtemai,  der  Icizten  Garbe 
.  192.  212.  Kühe  der  Ner- 
>76.     Kuhsehwanz  der  Skog- 

128.  130. 


Laehen  der  Dunei  vwtea  119-,  des 
Waldmanns  127.,  der  Sb^mafvft 
129.  130.  134.,  des  Ljwohi  139.  140., 
des  üchnclacbAqai  143.  Oricter ' 
lachen  nicht  384.  Lachen  wie  dei 
PSngstfuehs  ä91. 

I^ady  at  the  May  181.  212. 

LärcMavM  101. 

Lätare  LW^LW-  181.  222.244.^1. 
269.  294.  410.  414. 

IxiufeT  325. 

I^füahmi  55-1. 

Lampe  ewige  508. 

Langas  wecken  540.  548. 

Laiiytehläfer  254.  ffi7.  »9.  268.  310. 
321.  323.  328.  349.  351.  353  382. 
389  ir.  392-  393.  403-  438.  548. 

LangtiOin  108. 

Lagikmvtki.  J.  IS.  245. 

Lattiehköniff  313. 

Latzmann  325.  .547. 

Luidi  in  Gold  verwandelt  76.  87. 
Lanboinklcidong  316  ff-  Lanbhttlle 
des  Scholimeiera.  PtingHtqoaeka  Amn- 
let  348.  349.  Laabniftnncben  320., 
Laubpappe  320. 

Laubhütte  dea  Slaikönigs,  SchDtien- 
königa  187.  315.  354.  355. 

LaabhütUnfm  283. 

Lot«  290. 

LaveniM  49. 

,St.  Laiarufiag  (letzter  Tag  der  Oster- 
fasten)  440. 

Lebensbaum  im  Hochzeitliede  45.,  in 
Hocbzeitgebränchen  46.  221  ff.  607., 
in  Fmblingsgebräacben  s.  Baum, 
Maibaum.  Lebeoabanm  von  Baom- 
geistern  69.  75.  89.  91.  Leben  ei- 
nes Henachen  mit  dem  Leben  eines 
Baumes  verknapfl  32.  33.  36.  87. 
48  49.  63.  Oeburtabanm  50.  Le- 
bffnsb«uiu  von  Familien  vgl.  Banm, 
Boträ,  V&rdti&d,  Haibsam,  lUaht- 


634 


Register. 


mal,    Lebensbaum    des    Dorfes   s. 

Maibauin,   der   Welt  s.  Yggdrasül, 

Weihnachtsbaum. 
Lebensrute  251  ff.  386. ,  mit  Maibaum 

verglichen  279.,  Schlag  mit  der  538. 
Lehmann,  Chr.  74.  336. 
Leich  585. 
Leichdorn  20. 
Leiche  durch  Palmzweig  unTerweslich 

286.  287.     Palmzweig  in  den  Sarg 

mitgeben  290. , .  anfo  Grab  stecken 

290. 
Lenzgatte  586. 
St.  Leonhard  (6.  Nov.)  404- 
Lerchen  wecken  253.  319. 
lesni  muzove  87. 
lesni  panny  86. 
Licht  s.  Christus. 
Licht  geweihtes  559.   Lichtgestalt  des 

Vird  51.    Lichter  auf  Bäumen  46., 

am   Maibaum   178.   223.   244.,    auf 

Weihnachtsbaum   238  ff.   243. ,   auf 

Kirschbäumen  bei  der  Burg  245. 
Lichtmesse  Mariae  (2.  Febr.)  203.  436. 

447.  473. 
Lichtmesshraut  431.  447. 
Liebe  281. 
Liebeszauber  31.  48 
Ljeschi    94.    138  ff.    408.   512.,    ver- 

mcählt  mit  Sterblichen  143. 
Linie  8.  45.  51.  53.  58.  62.  165. 184. 

187.  188.  266.  853.  449. 
Linne ,  Familie ,  ihr  Familienbaum  51. 
Lisurika  142. 
Lito  (Ljeto)   156.  157.   181.  210.  246. 

253.  581. 
Löfviska  11. 
Lohjungfern  74. 
Lorbeer  164.  205.  207.  222.  241.  242. 

242.  249.   281.  286.  287.  295.  296. 

298.,  beseeltes  Wesen  297. 
Lord  of  the  May  417.  546.    Lord  and 

Lady  of  the  May  424  ff. 
Lubbart,  Henr.,  317. 
Ludtüig  XVL  s.  Köpfung  des  Pfingst- 

butz. 
LUcketeies  499. 


Lügengarbe  213. 

Lulabh  283. 

Luperealien  298. 

Luther,  Martin ,  352.  367.  513. 

LydgaU  J.  460. 

M. 

Mad  Moll  426. 

Mädchen  50.  156.  237.  244.  24^  —  248. 

251.  257.  260.  205.  267.  278 281. 

313.  320.  332.  357.  362.  363  —  385. 
386.  388.  390.  396.  414.  41^  -  434. 
435.  450  ff.  456.  463.  469.  47^».  4d5. 
Anm.  548.  553  ff.  560.  561. »-  ?e^ 
schreiben  453.  vgl.  Weib. 

März,  erster  269.  455.  539.540  _  641., 
zweinndzwanzigster ,     Anfang'         des 
Cybelefestes   572.      Mfirzfeuen-     4ö5. 
456.  540.  541. 

Mäume  92. 

Mäumkenloch  02.  100. 

Magnussen,  P.  55. 

Mahdküchel  107. 

Mahjas  Kungs  31.  52.  53.  245. 

Mahlen  Mühle  80. 

Mai  1.  8.  Walpurgisabend. 

Maja  313.   316.    338.   346.  346    417. 
495.  586. 

Mai  suchen,  einholen  161.  316. 

Maibaum  160  ff..   Bedeutung   dess«^" 
ben  180  ff,  alter  ego  von  Mcnscb*^^ 
u.  Tieren  182.     Genins  des  Wa«^^ 
tums  182.  =  Eiresione  295.  298- 
Kreuz  250.,   vorchristlich  297., 
Lebensrute    verglichen   279. ,    v^ 
der    christliche    Baum    des   Let>^^^^ 
294.      Mb.    und  Erntemai,    Uu 
schied  211.    Maibaum  pflanzen  % 
einholen    161.    162.  168.,  171.  % 
182.    183.   316.   368.,   von   Rin* 
gefahren  182. ,  mit  40  Joch  Ock» 
eingeholt  171.,  nmhergetragen  'S 
180.  343.  350.  356.  375.  524., 
Haus  getragen  220.,  auf  den  Scf^ 
tern    heimgeführt    175.,    Ziel 
Wettlaufs    209.    382  ff.  387.,  ^ 
des  Wettritts  385.,    erklettert  %^^' 
170.  171.  172.  177.  179.  187.  1  ^^'' 


X' 


3 
e 


ei 


B^gister. 


S86 


-4  Jahre  erneuert  169.  172. 
i  des  Majpole  176.  Maibamn 
eifen  umschwebt  176.  220., 
ihreren  Stämmen  znsammen- 
169.  171. 172.,  in  schlangen- 
Bn  Ringeln  geschalt  165. 169. 
77.  208.  326.,  bemalt  172. 
bis  znr  Krone  abgeästet  170. 

73.  Tgl.  288.  Aepfel  166. 
23.,  Aehren  171.  172.  183. 
>9.  222. ,  Eier  156.  160.  165. 
77.  181.  183.  203.  218.  219. 
•45.  252.  271.  566-,  Gebäck 
69.  171.,  Getränk  164.  166. 
ri.  172. .  Tücher  164  ff.  170. 
19.  220.  313.,  Puppe  223., 
m  383.,  Vogel  222.  223., 
171.  175.  179  208.  218.  219. 
.ichter  46.  178.  223.  244.  245 , 
n  164.,  Pflöcke,  Nägel  174 
n.,  am  Maibaum.  Maibaum 
»cken  bedeckt  174.  181.,  auf 
gestellt  223.  vgl.  207.,  mit 
llung  des  Leidens  Christi 
Tanz  um  den  Maibaum  164. 
69.  171.  174.  176.  179.  180. 
^.  Maibaum  vergraben  412., 
mt  177.  186  ff.  244.  456.  463. 
66.  469.  506.  (vgl.  507.  512. 
nach  Jahresfrist  566.  Was- 
he  162.  170.  221.  .  Maibaum 
Banzt  im  Dorfe  164.  168  ff. 
.82.  188.  (Village-Maypole 
12.),  auf  der  Hausfirst  (Dach, 

161.  162.  165.  219.  220. 
7).  451.,  vor  dem  Kammcr- 
166.  167.,  vor  der  Haustür 
)3.  164.  165.,  vor  dem  Braut- 
223.  607.,  auf  der  Dünger- 
161.  165.  167.,  über  dem 
ill  161.  165. ,  auf  dem  Scho- 
2.,  an  oder  auf  dem  Brun- 
1.  323.  333.  —  Maibaum  für 
»upter  der  Gemeinde  163. 
für  Mädchen  161.  163.  164. 
ß6.  167.  183.  184.,   für  Vieh 

74.  182.  —  Bekränzter  Mai- 1 


bäum  =»  Krone  16.K  170.  Dürrer 
Baum  165.  166.  184.  -^  Maibanm 
im  Brod  223.  —  Maibanm  der 
Miaotse  189.  —  Neben  Maibanm  ein 
Laubmann  311.  —  Vom  jüngsten 
Ehepaare  ausgeriehtet  488.  —  Mai- 
baum der  Prager  Schneider  431.  596. 

Matbrcmtschaft ,  Maibrant,  Maipaars. 
Aschenbraut,  Lichtmeftbraut»  Pfingst- 
braut,  Hansel  und  GreteL  422  ff. 
437  ff.  591 ,  Erklärung  444  cf.  352 
(Hansel  und  Gretel  und  Hochzeit- 
leute) 386. 

Maid  Marian  423.  546. 

Maienbuhle  454. 

Maienföder  191. 

Maienf^hrer  349.  350.  351.  352.  385. 

Mukfigäßlein  169 

Maienknechte  162.  349. 

Maienreiten  347. 

Maifeuer  178.  180.  419.  450  ff.  508  ff. 
525. 

Maifrau  338.  451. 

Maigraf  369  ff.  432.  533.  593.  606. ; 
der  Name  378 ;  aus  Maibutz  hervor- 
gegangeu  376  ff. ;  zu  Lübeck  369, 
Wismar  370,  373,  Greifswald  370. 
373,  Stralsund  370.  372,  Danzig 
370.  371.  372,  HeUigeubeil  370, 
Reval  370.  371,  Riga  370.  371, 
Hildesheim  371.  373,  Bremen  371, 
Aalborg  371,  Malmö  371,  Dänemark 
371—375. 

Maiherr,  Umritt,  Heiltum  für  die 
ganze  Commune  378. 

Maiinde  380.  381. 

Maikönig  187.  341  ff.  347.  353.  354. 
365.  366.  385.  394.  452.  493.  546. 
547.  586.  606.,  umhergejagt  343., 
geschlagen  854.,  Maikönigin  347. 
355.  452.,  Maikönig  und  Königin 
355.  386.  422  ff. 

Mailehen  165.  188.  450  ff.  492. 

Mairöslein  163.  312.  318. 

Mais  (türk.  Weizen)  269.  280.  541, 
Maisblätter  dürre  361.,  Maisstengel 
362. 


6d6 


Register. 


Maistange  159. 

MaUrä  159. 

Mamurienda  413. 

Mandel  244. 

Mannbarkeitserklärung  269. 

Mantel  des  wilden  Mannes  98. 

Mao  112. 

MarceUus  Bordigalensis  20.  83. 

Maresuüh,  Aebtissin  von  Schildesche 
401.  405. 

Marena  413.  514. 

Maria  s=^  Aarons  Gerte  244.,  =  Cc- 
derbaom  293.,  =^  Garten  mit  Le- 
bensbaum 242.,  füllt  die  Scheuern 
mit  Weizen  231.,  dargestellt  mit 
ährendurchwirktem  Mantel  231.  232., 
trägt  drei  Aehren  in  der  Ff  and  232., 
notre  Dame  aux  trois  epis  210, 
lälit  drei  Aehren  horvonsprießon  232. 
Muttergottesbild  mit  Getreide  um- 
wachsen 232.,  auf  jedem  Weizen - 
und  Speltkorn  232. 

Maria  Magdalena  13. 

Maiiä  Verkündigung  224.  232.  407. 
616. 

Manee  du  May  439.  493. 

Markopole  63. 

Marmousin  166. 

Mars  586.  592. 

Marsilius  375. 

Martin  St.,  der  Heilige  577:  Perso- 
nification  des  Kalendertages  273. 
274.  327  (Pelzmärte). 

Martiniabend  273. 

Martinifeuer  516. 

Martinigerte  273. 

Martini,  W.,  394.  j 

Marzana,  Mar/anka  159.  181.  413. 
414. 

Maschia  und  Maschiäna  7. 

Matka  -  Tejypo  404. 

Matrosenquartier  in  Kopenhagen  52. 

Ma^wurf  204.  291.  536.  538. 

Manritiuspahne  8; 

Maus  23.  204.  291.  504. ,  in  Baum 
verptiöckt  24. 

Mag  Ladg  315.  346. 


May  pole  171.  188.  305.  315. 

Mayqueen  354.  546. 

Medizinischer   Aberglaube   s.   K 
heiten. 

Megingjardr  486. 

Mehl  amKübelreifcn82,  gestohlen     75. 

MeJdiau  536.  560. 

Meienehe  454.    < 

Melusine  120. 

Menschenfaß   aus    Wolken     heral)|^^' 
werfen  85. 

Memchetiopfer  30  ff.  360  ff.  525.  5fe^^- 

Merlin  117. 

Messer  in  den  Wirbelwind  werfen  13^^^* 

Metamorphose  in  Pflanzen  3. 

Metzgerzunft  zu  Zürich  433.,  zu  Mni 
ster  436,  zu  Trier  178.  596. 

metsa  ema  407.  metsa  isa  407. 

Metsik  407    408. 

Michaelisfeuer  516. 

Mielikki  408. 

Miesco  von  Polen  413. 

Milch.  Opfer  11.   60.  103.  272. 
erzeugt  161.   162.,    vormehrt  1(C^, 
Diebstahl  92.  113.,  aus  Milch  Wac^lzu 
112.,  Gold  97    machen.     Lohn  A^ä 
wilden   Geißlers    96.    Nahrung  ^^a 
Salvanel  113.,  der  Seligen  103. 

Mimameiär  56   183.  217. 

Mimirs  Brunnen  56. 

Mirtesgardn  273. 

Mißwachs  399.  504. 

Mistel  249.  273.  279. 

Mitesser  69. 

Mittivinterfest  heidnisches  249. 

Mockel  s.  Kuh. 

Mohrenkönig  s.  Schwärzung  des 
sichts. 

MoUtzlaufen  382. 

3Iommsen,  Th.,  6. 

Mond  234. 

Mondard  409. 

Moüsleute  74.  75.  82.   106.  114.      ^ 
153  333.,  Moswyfjes  in  Flander«^ 

Mooskuh  524. 

Morgentau  355 

Morris 'dancer 8  546. 


74. 


Begblar. 


687 


63.  280.  510. 
r,  K ,  309.  587. 

7.,  428.  587. 

dura  106. 

I  Windes  43.  86 

ife  191. 
umpe  93. 
J.  284.  287. 
von  Elensis  598. 

N. 

fr  151. 
i  151. 

Maibaam   geschuitten   165. 
Logvieh  gegeben  271. 
«w,  Thom.,  287.  288. 
n  einsammeln  428. 
ipinst  der  Franberte  112. 
«449. 
%ba  148. 
e  423. 
;.  {)92. 

83.  567  ff.  587.,  Name  570  ft. 
2.,  Insel  derselben  568.  598. 
0. ,  Umfahrt  600  ff. 
7.  184.  264.  ^ 

n  218  ff. 

9.   227.    241.  2G5.  462.  553. 

d. 

ihend  150.  247.  s.  Sylvester. 

iben  264.    nenn   Morgen  75. 

^elten  55.   neun  Grenzen  21. 

ihUe  s.  Eheleute. 

l  192. 

9  Personification  des  Ealen- 

s  327. 

eh,  Kraut  81. 

71.  288.  590.  591.  592. 

\  Benental  188. 

Org,  Ork,  Norg,  73.   110. 
retterproi>het  111. 
Norglein. 


Norg  8.  Nörglein. 

Nornen  54. 

Notfeuer  470.  518  ff. 

Nußbaum,  Nüsse  (Symbole  der  Fmcht- 
barkeit)  58.  164.  165.  166.  167. 
184.  199.  207.  217.  222.  223.  238. 
244.  245.  246.  257.  264.  265.  266. 
272.  276.  277.  289.  329.  508.  511., 
Nüsse  knacken  «»  Symbol  für  Zeu- 
gung 184, 

0. 

Oblaten  233. 

Oden  (König)  122.  137. 

Odhr  445. 

Odinn  590. 

Oelbaum  216.  227.  286.  288. 

Oeschtreiden  400. 

Old  Bessy  257. 

Ole  i  skrynUa  337. 

Ommegän  523. 

Ommegang  594. 

Opfer  59.  64.  65.  71.,  bei  Ernte  77. 
78.,  für  Holzfräulein  82,,  für  arme 
Seelen  82.,  fürLjeschi  141.,  für  den 
mahjas  kungs  245. ,  Menschenopfer 
s.  s.  V. ,  im  Schutzhain  245. ,  am 
Semiktage  157.  158  ;  für  die  Skog- 
snufva  auf  einen  Stein  gelegt  130. 

Opferfeuer  275. 

Ophelia  458. 

Orakel  495. 

Orangenbaum  242.  285. 

Orco  110.  a38. 

OrdnU    der    glühenden   Pflugscharen 

546. 
Orken  73. 
Ortles  110. 
Ostara  505.  522. 

Ostern  256  fL   25a   270.   277.    278. 

290.   291.  292.   335.  385.  397.  398. 

430.  454.  469.  471.  473.  476.  477. 

478.  503.   507.  546.  565.  605. 
Osterberg  505. 
Osterbrod,  gelbes,  263. 
Osterei  158. 


688 


Register. 


Osterfeuer  178.    180.  419.   470.  480. 

502.  516.  522.  532. 
Osterkerze  503. 
Ostermann  505.  522. 
Osterpeüsehe  261. 
Osterpsalmen  506. 
OsterreUer  8d8. 
Osterwasser  293. 

Oswald  (Aswald)  209. 

P. 

Pabst,  Ed.,  369. 

Padden  schinden  356. 

Paderborn,  Landtag  zn,  71. 

Pageants  341. 

Paldgabaum  275. 

Palüien  295.  517. 

Palmsanntag  231.  256.  258.  270.  273. 

282.  284.  291.  292.  294.  295.  298. 

488. 

Palmzweig,  Palmstrauß  278.  281.  294. 
vgl.  Weide.  Dem  Maibanm  nach- 
gebildet 246.  In  den  Sarg  290.» 
aufs  Grab  gelegt  290.  Vieh  damit 
aufs  Feld  getrieben  270.  272.,  aufs 
Feld  gesteckt  schützt  vor  Hagel 
285.  505. ,  mit  vergoldeten  Eiern 
geschmückt  257. ,  auf  Scheune  oder 
Haastüre  aufgesteckt  258.  285., 
nach  Jahresfrist  verbrannt  258.  Palm- 
besen 'J84.  Palmsegnung  281. ,  in 
Rom  286.  Palmblatt  145.  Palm- 
esel 288. 

Pan  73. 

Pankratius  (12.  Mai)  402. 

PapageienscJiießen  369. 

Papageiengüde  371.  373.  .379. 

Papal^iga  329.  33U. 

Pappel  165.   167.  177.   192.  207.  288. 
313.  606.    Darstellung  des  Vegeta- , 
tionsgeistes  319. 

Paradiesesbaum  242.  243.  249.  005. 
Paradiesspiel  242. 
parawari  579. 
Parstucken  63. 
Paskeberg  505. 


Passionsspid  im  Obenunmergta     SSi 

598. 
Pelzmärte  327. 
Peperuga  329.  330. 
I  Perchtel  (Perchta)  85. 
Perchten,  Perchteln  542.  548.   Percli. 

t«n  laufen  542.  543. 
Pere  May  314.  316.  318.  417. 
Personification  von  Kalendertagen  e. 
Georg,  Johannes,    Martin,  NicUiv 
I     Perchtl. 

'  Peter  und  Paul  (29.  Juni)   177.  611. 
I     513. 

!  Petersüte  166.  185. 
!  Petri  Stuhlfeier  (22.  Febr.)  566.  597. 
j  St.  Petrus  274.  356. 
I  Pfaffe  vor  dem  Palmesel  gescbligen 
I      258. 

Pfaffenköchin  120.  122.  123. 
'  Pfefferkuchen  265.  266. 
pfeffern  266.  267.  280. 
Pfeisthutte  323. 

Pferd  398  ff.  402  ff.  576. ,  das  baute 
.     390.  ^891.,    heilige  500.,    bebinit 
387.    Vgl.  Hobbyhorse,  FaseröBl.  - 
Pferdekopf  auf  Maibaum  167.  383^ 
im  Maifeuer  178.,  Johannisfeuer  516 
j     verbrannt;  auf  Fastnacht  vergraben 
i     411.,  der  ungetreuen  Liebsten  über 
!      die    Tür    gehängt     167.    185.    - 
Ljcschi     wiehert     wie     ein    "Pt**^ 
139.  —  Pferd  des  Teufels  120.  ^ 
Wildes  Pferd  in   DeutschlanA^   ^' 
misch  151.  —  Jagdobjoct  des  ^^'^ 
Jägers  151.  —  Heilige  Bosse 
I  Pfifigsten    157.    159.    168.    170. 
'     261.  264.  318.  319.  325.  333     - 
'     344.  350.  370.  371.  382.  383^  - 
389.   391.  393.  397.  400.  427^ 
'439.  441.  449.  476.  488.  490-^ 
I     594. 

I  Pfiugstbanm  211.  m 

Pfingsthlume  Pflanze  318.  319.  W 
tationsdämon  318.  366.  438.  5^ 
'Pfingstbruut    3b7.    432.    438  ff 
I     494.  * 
PfiiUfHtbiiben  556 


B^gUtef« 


iuU  311.  349.  368. 
'uehs  391. 
iageti  350.  351. 
iammel  391. 

UiUd  323. 

fcoM  382. 

i:<ditee{  312. 

iMeete  162.  387. 

tönig  187.  341  ft  343.  385. 

fcoit^'n  344.  345. 

tuh  390.  395. 

r  320.  331.  352  ff. 

lümmel  327.    391.    55G.    581., 

hen  2  Begleitora  367.,   unter 

▼ergraben  321. 

mo€k€  390. 

mekel  162.  181.  212.  318.  384. 

9uack  312.  348. 

redit  347  ff.  349. 

reiter  385. 

ritt  400. 

r<»e  320. 

sMäfer  321. 

Umgang  zu  Lüttich  442.  443. 

irc«n«  404. 

i  164. 

^  69.  223. 

jrster  158.  214.   268.  280.  317. 

517.  561.  581.  —  Pfingstlümmel 

•flug  fahrend  321. 327.  —  Pcrch- 

ißt  ihren  Pflug   vorkeilen  158. 

—  Kreuz  auf  Pflug  schützt  die 

deute  83.  —  Kuchen  der  Moos- 
chen und  Fairies  bei  derPflug- 

le  80.  —  Pflugumziehen,  feier- 

8,  553  ff.    586  ff.   593.  vgl.  die 

t    auf   Eggenschleife    352.    — 

rfest    zu    Hollstadt    534.    556. 

'•—  Pflug  bei  Krankheiten  um*8 
15.  561.,  ums  Feuer  geführt 
564.      -    von  Frauen   gezogen 

554  ff.  —  Pflugochfic  214.  538. 

flugschar  glühende^  Ordale  564. 

.enkraut  320. 

n  der  Bäume  31. 


>. 


Phutnmathevada  44. 

Fieker  484. 

PiMajatar  30. 

PÜ09U8  114.  338. 

Pimpemuß  270. 

Pinie  572. 

Piposs  396. 

Pippe  kong  93. 

Pvru  22. 

PliniuB  Valerianus  20.  71. 

pHöh  uleöiti  556. 

Ploughmonday  557. 

plow'light  558. 

Pöppig  144. 

polcusnik  225. 

poUard'Mh  24. 

Polyphem  94. 

pomlazka  259.  261.  270. 
Posidanius  525  ff. 
Preußen,  die  alten  35. 
Priap  416.  417.  469.  521. 
Priester  579.  580.  583.  599. 
Primigenius  sulcus  562. 
Pripats  330. 
ptUlus  2. 
Pulstereicihli  lOo. 

Puppe  (simulacrum)  um  die  Felder 
geführt  405. ,  aus  Lappen  62.  167. 
405.  406.,  vgl.  voddeventen,  in  den 
Wald  getragen  406.,  au  Baum  ge- 
hängt 156.  158.,  vor  die  Tür  ge- 
setzt 166. 

PuschkaiHs  63.  69. 
puu'halijad  68.  84. 
Pyramide  aus  Reisern  322.   323.  326. 
347.  425.  524. 

Pyrpiruna  328.  330.  331. 
Pysslingar  61.  127.  152. 

Queen  of  the  May  315.  347.  493. 

Queste  in  Questenberg  175. 

Quetzalcoatl  361. 

Quieke  279. 

quitzen  (quieken)  270  ff. 


640 


Begfister. 


IL 

Rad  430.  455.  4G3.  500.  501.  507. 
509  510.  511.  518.  519.  520.  521. 
537.  553.  565. 

Rätsel  von  den  Sternen  235. 

Ralstofi,  W.  B.  S.,  15.  143.  663. 

Rauhnächte  (drei  Donnerstage  vor 
Weihnachten)  542. 

Raupen  13.  14.  291.  510.  520.  vgl 
Insecten. 

Recktsgdyräuche ,  und  Gewohnheits- 
rechte 27  ff.  89.  171.  175.  299  fF. 
323.  373  ff. 

Regen,  Freys  Spende,  591.  Begen- 
mädchen  327  ff.  366. 

Regenza%iber  s.  Wassertauche.  Frosch 
köpfen  355.  356. 

Regia  295. 

RehbreU  40. 

Reiben  am  Maihaum  174. 

Reibung,  Feuer  durch ,  518  ff. 

Reine  de  printenips  344. 

l^n«&fr(7  -  Düringsfeld ,  0.  v.,  246. 

Reivaspflanze  7. 

Reudingi  599. 

ReiMJes  523. 

Richtmai  218  ff.  295.  357. 

Rinder  ziehen  den  Mai  bäum  171. 174. 
182.,  den  Nerthuswagen  183.  566. 
676.  583. 

Ring  aus  den  Wolken  330.  Ringrei- 
ten 388. 

Rippe  aus  Erlenholz  116. 

Robin  et  Marion  546. 

Robin  Hood  423.  546. 

Rodnerinnenlocken  104. 

Römer,  der  in  Frankfurt  a/M.  167. 

Roggenbär  421. 

Roggenwolf  483.  487.  611. 

Rohrinta  Fanggenname  89.  90.  91. 

Rotten  auf  der  Tenne  484. 

Ropenkerl  127. 

Rosegger,  P.  K.,  58. 

Rosenstrauch  164.  205.  207. 

Rosmarin  254.  265.  266.  281.  429. 
451. 

Ro/J  s.  Pferd. 


Rost  im  Getreide  227.  297. 

Rubens  y  P.  P.,  523. 

Rücken,  hohler,  120.  121.  125.  126. 
128.  130.  133.  134.  147.,  auf  den 
Bttcken  schlagen  257.  262.  270.  272. 

Rüster  61. 

Rüttelweiber  74.  82. 

Rudolf  von  Fulda  304.  310. 

Ruf  des  Ljeschi  139.,  des  Waldgei- 
stes 144. 

Rukkhathevada  44. 

RuprecJU,  Knecht  327. 

Saat  s.  Korn,  Aehre  39.  —  Kampi  im 
Saatfeld  s.  Kampf.  —  Saatfeld  vgl. 
Georg,  grüner.  -  -  Holunder  im 
Saatfeld  210.  Saatgang  441.,  der 
Wenden  auf  der  Gabelhaide  401.  — 
Saatleuchten  455  ff.  535.  —  Saat- 
reiter 398. 

Sägemehl  säen  427. 

Sämann  158.,  böser  500. 

Saide  aus  Flechtwerk  im  Johannis- 
feuer    verbrannt    515.      Irmensfiul« 

8.    8.    V. 

Salatstaude  44. 

Salbanello  114. 

Salbei  wilder  88. 

Salvadegh  112.  113. 

Salvanel  112.  113. 

Salva/ngs  113. 

Salz  227.  237. 

Samen,  Götterbild  von  361.,  Samen- 
zünden 535. 

Samtrügl  429. 

Satyr  73.  114. 

Schaaffhausen ,  Professor,  147.  548. 

Schachtelhalm  88.  138. 

ScJhaf  210. ,  schwarzes  400.  Schafstall 
184.  295.  389  ff. 

SchanhoUen  102. 

Scheibentreiben  456.  465.  466.  488. 
492.  498.  501.  502.  507.  511.  519. 
521.  537. 

Schellenmoritz  327. 

Schembart,  Schönbart,  545. 


Begystdi. 


G41 


SchieksaldHHim  des  Einzelnen  49  ff., 
der  Familie,  Dorüschaft  51 »  der 
Stadt  57. 

Schiff  555.  559.  587.  598  ff.  Schiffs- 
kobold  33.  44. 

Schilf  353. 

SchiOer,  Fr.,  6. 

Schimmelreiter  442. 

SchUig  mit  der  Lebensrate  251  fL 
Durchs  Dorf  peitschen  321.  Peit- 
schen des  Pfingstkönigs  365.  366. 

Schlange  8.  44.,  im  Johannisfeuer 
verbrannt  516. 

SehUiermacher,  Fr.,  239. 

ScMüsseiblume  426. 

JSchmackostern  259  ff.  270.  292.  293' 

311.  319.  332.  438.  595.  596. 
JSchmdlihaf  325. 
JSchmelber  43. 
Schmetterling  14.  115.  329. 
sSchmiedezwnft  in  Zürich  596. 
Schnäbel  des  Wasservogels  357. 
JSchnak  324.  366. 
Schnee  232. 
Schneefräulein  100. 
Schneidergewerk  431.  596. 
ßchnellcr,  Chr.,  110. 
Schnitter  481.  483. 
Schnupfen  89. 
Schödüwel  546. 
Schönbarüaufen  334.  335. 
SchötteJnMy  191. 
Schoolcraft  560. 
Schofhneier  348.  357.  440  ff. 
Schotenklee  (Iotas  comiculatas)  324. 
Sd^rätel  290. 
6'cÄra«  115. 
Schretlein  115. 
Schützenfest  187.  369.  552. 

Schwärzung  des  Gesichts,  162.  314. 
321.  322.  326.  336.  342.  343.  349. 
427.  428.  442.  540.  541.  545.  i>16. 
547.  548.  606.  Kaminfeger  322 
352.  365.  Moiirenkönig  351.  365., 
schwarzer  Teufel  352.  365.,  tür- 
kischer Kaiser  365. 
MannhArdt 


Schwanz    des   Skogsnofva    128.   130. 

134.  135. 
Sehicartz,  Wilh.,  85.  152. 
Schwarzer  Mann  42. 
Schwertgebwrt ,  Maler,  239. 
SchwerUane  546.  558. 
St.  Sebastian  (20.  Jan.)  404. 
SechseiätUen  in  Zflrich  496. 
Seele  arme  19.  40  iL  82.  152.  532.  « 

Lafthaach  152.  =  Schmetterling  329. 

=  Maas  24.  =  Hand  41.    Mehrere 

in  einem  Körper  25.  532.,  kommt 
•   wieder  69.,  bannen  43. 
Seidelbast  291. 
Selb  94. 
Selige  Fräulein  j  Salgfr&alein  91.  95. 

99  ff.  101.  102.  103.  104.  106.  111. 

116.  =  Holden  and  weiße  Frauen 

154. 
Semikbaum  584. 
Semiktag    (Donnerst,    vor    Pfingsten) 

157.  434. 
Sesleria  caerulea  62. 
Sevenbaum  257.  288. 
shretoash  24. 
Sieben    Jahre    (mythisch)    125.    150. 

350.  445. 
Sigeminne  109. 
Sigufrit  445. 
Silen  73. 

Silvanus  113.  114. 
Simrock,  K.,  93  479.  495.  559.  588. 
Sinngrün  223. 
Sjörä  128.  131.  136. 
Skaidenpoesie  8. 
Skogsnisse  130. 
Skogsrä  128.  130. 

Skogsnufva  73.  113.  119.  125.  127  ff 
skogtagen  130. 
skoje  halder  130. 
Skougman  127. 
Statte  Langpatto  123. 
Smrt.  413   420. 
Sommer  156.  246.  251.  252.  295.  412., 

heißt  Mai  294.     Sommer  a.  Winter 

245.    Sommer  einbringen  222.   Som- 

mcrgabel  252.     Sommergewinn  zu 

41 


6^ 


Register. 


Eisenach  156.  Sommerkinder  252. 
Sommerwecken  253. 

Sonne  151.  152.  187.  234.  235.  362. 
444.  465.  466.  468.  474.  479.  497. 
508.  509.  518.  519.  521.  553.  591. 

Sonnenkraut,  Sonnenwende  187. 

Sonnen8cheibe  187. 

Sonnentier  151. 

Sonnwendfeuer  462  ff.  Deutnng  516. 
521  ff. 

Sonnenzaüber  466.  521.  554.  566. 

Späne  goldene  >»  Blitze  85. 

Speer,  mit  demselben  Gabe  reichen 
134. 

Spiwnen  60.  65.  76.  104.  107.  112. 
118.  120. 

Spottverse  343.  354. 

Spreu  165.  167.  184. 

Souche  de  No^  226. 

Stcidtbanner  von  Köln  375. 

Stadtmaye  in  Nürnberg  169. 

stäupen  254  ff  260. 

Staffansvisa  402. 

Stamm  213. 

Stechpalme  204.  207.  241.  247.  273. 
278.  322. 

Stecknadel  67.  473. 

SteffansriU  402  ff. 

Stein  anf  Disteln  legen  15.  69.,  in 
der  Nähe  des  'Krankenhauses  anf- 
gehoben  18.  Krankheit  unter  einen 
Stein  tragen  21.,  auf  Wacholder- 
busch legen  68.  ^  auf  drei  Halme 
gelegt  210.  Sitz  des  wilden  Man- 
nes 96.  97.  Opfer  für  die  Skogs- 
nufva  darauf  gelegt  130.  —  Stein- 
werfen 389.  412.  413.  419. 

Stephanstag  (26.  Dez.)  267.  402  ff. 

Sterne  233.  234.  235.  =  Aehren  235. 

Stettin,  heiliger  Baum  daselbst  57. 

Stimmen  im  Walde  72. 

Stockgarbe  213. 

Stoolball  476. 

Stopfer  551. 

Stoppelhahn  199. 

Strabo  525  ff. 

Strigen  295. 


Strohsackfest  zn  Prag  430. 

Strutei'Buzzi  91. 

Stutzemutze  (Staunze  -  Mannze)  89. 

91.  93.  106. 
Stutzforche  89. 
Stutzkatze  146. 
Sudauer  im  Samland  63.  69. 
Süßholz  262. 
Suso,  Heinrich,  250. 
Svend  Vonved  117. 
Swantowit  393.  Anm. 
Sylvesterabend  276. 
Sylvesterkönig  386. 


T. 

Täbadk,   dem  Ljeschi   geopfert  X41., 
am  Emtemai  200. 

Tabelträger  324. 

Tacitus,  C,  568  ff. 

Tänie  182.  278. 

Talgilgen  106. 

Tanne,  Pichte,  Kiefer,   15.   46.       *''• 
57.  135.   136.   156.   157    161.     ^^• 
165.   166.    169.   170.  177.  179.     ^^^• 
189.    191.    192.   194.  195.  199.    Ö^^' 
202.   203.  205.  207.  219.  222.     ^^• 


238.  239  240.  241.  245.  246. 
254.  257.  267.  278.  288.  289. 
313    318.  321.  325.  337.  342.  - 


^ 
^ 


385.    390.   427.  455.  501.  524.  fcs^ 
589.     Stab  des  wilden  Mannes 
97.    105.   340.    341.       Tannzapr 
Symbol  der  Fruchtbarkeit  223. 

Tanz  =-  Sturmlied  86.  87. ,  des  Lt. 
Chi  =  Wirbelwind    143.,    um    • 
Feuer  518.,   um   das  Johannisfe'^ 
466.  469.  510.  511.,  um  den  Johi 
nisbaum  244.,    um    das   Hochz^' 
feuer  565.,  der  Elfen  125.,  der  HiT' 
1er  269.,   der  wilden  M&nner  _ 

beim  Schiffsumzug  597.,  am  Mai#'-^ 
450  ff.,  unter  der  Linde  449., 
Begrabnisse    des   Jarilo   416., 
dem  Acker  253. 

Tapio  408. 

Tari  Pennu  363. 

Tatermann  513. 


Bflguter. 


64a 


idi   demelben   ziehen   384., 

B&  390. 

0r  298.  503.  517. 

iir 

362. 

ter  571  iL  584. 
251. 

360.  363. 
oea  362. 

)6.   505.  548.  8.  SehwärzuDg 
tichts. 

aldaabend  178. 
ag  434. 
2. 

8,  Sknlo,  55. 
>.  484.  486.  590. 
AktL  128.  150. 
,  239. 

ch  einen  hohlen  Banm  ziehen 
tn  Ifetsik  gehütet  407.  408., 
Lehensrate  geschlagen  269  £ 
re  Tom  Waldgeist  im  Stall 
t  80.  95.,  Segen  «um  Ge- 
derselben  325.  Hanstiere 
r.  141. ,  Waldtiere  117.  131. 
m  Walde  vom  Waldgeist 
Tiergestalt  der  gente  sal- 
113. 

.17.  408. 
,  Familie  51. 
6.  362. 

es  wilden  Mannes  s.  Köpfnng, 
reide  420.  s.  8mrt.     Kinder- 
ir  Erntezeit  4*20.,  des  Haus- 
en Bäumen  angesagt  9.    Tod 
en  155.  222.  410. 
!><5  60.  84.  215. 
l  60. 
247.  248. 
).  75. 
5. 

Sonntag  441.     ^ 
5  ff.  484. 
M#e  19. 

5S,  zum  Anfassen  der  Lebens- 
3r  Mistel  279.,  am  Maibaum 
aum,  Tänie. 


TüeheJbawm  223. 
Tünwhä/r  247. 
Twmetar  30. 
Turnier  544. 
Tylor,  £.,  327.  606. 
t^tfidr  8.  Seidelbast 

ü. 

Uaiuara  145. 
Uchttdla-chaqui  143. 
UMand,  L.,  312.  369.  590  fEl 
Ukko  484.    Ukkos  Schale  485. ,  Korb 
485.,  Pandel  485. 

Ulme  8.  51.  172. 

ütstüpen  254. 

Umdrehen  beim  Tana  181.  312.  3ia 

dxt/.    ijö{}»   «j4n. 

Umritt  um  die  Gemarkung  389.  397., 
der  Maipaare  448. 

Un  (Oden)  122. 

Unfruchtbar  machen  31. 

Unkraut  536. 

UnackxOdige  Kinder  (28.  Dez.)  265  ff. 
275.  292. 

Unsichtbarkfit  dargesteUt  322.  365., 
unsichtbar  machen  337. 

Unterirdische  61. 

Unwan,  Erzbischof  v.  Bremen,  70. 

Uodelgart  105. 

Uppstallsbäume  189. 

Upsaltty  Göttertempel,  57. 

Urdharbrtmnen  57. 

Urvoüc  wildes  14d. 

Urwald  in  Brasilien  144.,  in  Schwe- 
den 126 

V. 

Vrettar  63. 

Valdemar  König,  122.  123. 

Valentin,  Valentine,  457  ff.  491.  537. 

Vale^itinsbriefe  461.  462. 
Valentinstag    (14.   Febr.)    453.    458. 

495. 
Vanen  590. 
Värdtrüd  35.   51  ff.   57.   58.  59.   70. 

182.  183.  217. 
Väsolt  82. 


644 


BßgisbdT. 


\ 


h 


Vegetalumageistery      üebergang     der 
Waldgeister  in  148. 

VeiMien  344.  582. 
Venus,  Planet,  362. 
Verfolgung  des  Pfingstkönigs  386. 
Verkündigung,  Darstellung  der,  231. 
232.  616. 

Vicdin  70. 
Viäofnir  183. 
VieOiebchen  453.  462. 
Vishnu  552. 
voddeventen  166. 
Völuspa  55.  56. 

Vogel  an  Brantmaie  angebunden  222., 
nimmt  das  Fieber  mit  21. 

Vogelheerhaum  8.  40.  165.  166.  241. 

271.  272.  298. 
Vorübergehende  331. 
Votum  394. 

W. 

Wachholder  (Kranewit)  34.     65.   68. 

242.  247.  257.  265.  267.  272.  275. 

278.  281. 
Wade  255. 
Wälzen  auf  dem  Saatfelde  480  fF.,  auf 

der  Dreschtenne    484.,     im    Grase 

435. 
Wäsche  der  Waldfrauen  101.  112.  120. 

129.  152.,  der  Zwerge  61. 
Waffenmiisterung  372.   373.  381.  382. 
Wagen   583.  584.  592.,    zerbrochener 

85.,  mit  Tüchern  behangen  578  ff. 
Waidhammel  391. 
Walber  312.  315.  316.  342. 
Walborgsmesseldar  509. 
Wald  heiliger  575. 
Waldfänken  94.  95. 
Waldfrauen  99. 
Waldmann  410. 

Waldgeister  Gestalt  146.    Verschmel- 
zung   mit    den    Windgeistem    146. 

Uebergang  in  Feldgeister  154. 
waUn  481. 

Walperherren,  vier  378. 
Wälperzug  in  Erfurt  375.  376. 


WalpwrgiB^  heilige,  Penonificitioii 
des  Kalendertages  121.  445. 

Walpwrgisabend  (1.  Mu)  66.  67.  93. 
121.  150.  160  ff.  171.  178.  252. 264. 
270  ff.  272.  273.  277.  291.  312  ft 
316.  318.  322.  368.  869.  871.  875. 
426.  429.  434.  437.  489.  449  ff. 
480.  508. 

Walpurgistag  (2.  Mai)  312. 

Waltminne  109. 

Walts<^rate  114.  33a 

Wassaüing  538. 

Wasserbesprengung  zu  Ostern  289., 
des  Christblocks  227.  237. ,  des  Hau- 
ses zu  Himmelfahrt  899. 

Wasserblume  (caltha  palnstris)  820. 

Wassermann  289.  429. 

WassertaiAche  Begenzanber  156.  158. 
159.  162.  170.  181.  197.  198.  207., 
214.  215.  216.  221.  259.  81S.  814. . 
320.  328.  333.  337.  342.   848.  348.. 
350.  351.  353.  35&.  357.  874.  385- 
405.  409.  411.  412.  413.  414.  415- 
417.  418.  429.  430.  435.  488.  491. 
497.  514.  vgl.  517.  553.  554.  563- 
566.  573.  581.  585.  586.  587.  606- 
606.   613 .   bei  wilden  Völkern  356- 

Wasservogel  352.  353.  355.  385.  389— 
393.  438.  446. 

Wasservogelbhime  353. 

Wate  106. 

Wauer,  Frau,  123.' 

Weben,  lehren  die  Seligen  104. 

Weberzufift  in  Trier  178,  in  Flandern 
595. 

Wegedorn  295.  296. 

Weü)  vgl.  Mädchen  173.  174.  183. 
211.  216  ff.  221.  238.  255.  2b7.  265. 
267.   281.  332.  395.  412.  484.  560. 

Weiberdingete  462. 

Weiberkleidung  der  Männer  314. 

Weiberrock  tfi4. 

Weide  42.  69.  195.  199. 207. 247. 252. 
257.  261.  284.  288.  289.  270.  283. 
291.  348.  514. 

Weidräuke  520. 

Weihe,  Vogel,  483.  485. 


— •«, 


4. 


Jb. 
«1. 


Register. 


646 


WeihuacfUen  9.  150.  224  225.  226. 
22a  229.  :^.  234.  265  ff.  276  292- 
293.  326.  404.  442.  473.  484.  Wie- 
derkehr des  Frühlings  ankündigend 
278. 

TVeihnachtsbaum  224.  238  ff.  266. 
605.    Bedeutang  desselben  250. 

^Veihnachtshlock  224  ff.  516.  605. 
'Weihwasser  215.   222.  287.  292.  297. 
503.  521. 

'Wein,  wilder  Mann  damit  berauscht 
96.  97.  112.  113.,  über  Emtemai 
195. ,  Badnjak  225. ,  Christblock 
227.  237.  ausgegossen.  —  Wein- 
flaschen am  Maibaum  164.  (vgl.  166). 
171.,  Emtemai  205.  206.  —  Wein- 
berg und  Weinernte  202.  217.  511. 
517.  537.  577. 

Weinhold,  K.,  99. 
Weißdorn  65   178.  295.  426. 
Weiße  Mann,  der,  349.  350.  351.  365. 
Weiße    Weiber    (witte    wiwcr)     122. 
123.  124.  =  Selige  und  Holden  154. 

Weizen  s.  Korn. 
St    Wendelin  (20.  Oet.)  401. 
Wepelröt  247.  248.  311. 
Wessel,  Franz,  233. 
Wetscho  427. 

Wetterbaum j  Wolkengebilde,  55 
Wetterfräulein  78. 
Wetterhex^  122   123   294. 
Wetterkind  583. 
Wettersegen  400. 

Wettlauf  und  Wettritt  nach  der  letz- 
ten Garbe   396,    nach   dem   Stollen 
387.  396.,  nach  dem  Maibaum  350. 
382  ff.,   nach   dem    Erntemai    191., 
zu  Pfingsten  344.  351 ,  am  Steffans- 
tage   403,    nach    dem    Königsstuhl 
385.    392.,    nach   dem    Hute    387. 
392. 
^hytepotqueen  346. 
^Vichtelweibchen  91. 
Wickelkinder  281. 
Widewibli  106. 
Widukind  von  Korvey  309  ff. 
Mannhardt. 


Wiederbelebung  116.  151.  395.,  des 
Vegetationsdämons,  Darstellung  der- 
selben 358.  Sbd. 

Wilde  Häuser  87. 

WUde  Jagd  s.  Jäger. 

Wildeleutloch  88. 

.Wildeleutschüasel  88. 

Wildemannspiel  333.  334. 

Wildemannstein  98. 

WildfrätUeinhaus  88. 

WildfräideinhöU  93. 

Wüdfräulekrüt ,  Baldrian  106. 

Wildfrauenloch  88. 

Wildleute  in  Böhmen  86.  87.,  in 
Hessen,  Rheinland,  Baden  87,  in 
der  keltischen  Sage  117.  —  Wilde 
Mann  105.  357.  582.  606.  Darstel- 
lung in  den  Frühlingsgebränchen 
333—341.,  fallt  wie  todt  hin  335., 
bunt  bemalt  336,  in  der  Heraldik 
339  ff.,  Numismatik  340  ff.,  in  Bra- 
silien 145.,  verfolgt  weiße  Weiber, 
Ellepige,  Meerfrauen  122  ff.,  jagt 
die  Seligen  105.  106.,  Gemahl  der 
Fanggen  89.  —  Wildes  Männchen 
95.  97.  98.  110.  111.  -  Wilde 
Frauen  (Fräulein)  93.  102.  103. 
106.  113.  117.  127. 

Wildmann  340. 

Wind  591.  604.  Dames  vertes  gehn 
im  Winde  übers  Getreide  119. 
Windsbraut  132.  152.  —  Wirbel- 
wind 68.  72.  86.  116.  126.  127. 
128.   129.    132.   139.   140.  143.  149 

Wintersonnenwende  151.  236.  443. 

Wittwenscliaft  der  Kirche   446.   492. 

Wizl  92. 

Wodan  546. 

Wade  251. 

Wolf  135.  138.  111.  433. 

Wolfdietrich  108.  109. 

Wolke,  Wäsche  der  Seligen ,  101.  152. 

Wolle  65. 

Wollkraut  (Verbascura)  511. 

Woodhouse  340. 

Würmer  560.  s.  auch  Insect. 

Würste  am  Emtemai  202.  203. 

42 


646 


Register. 


Wurzelcfide  235. 
Wmhhoundii  122. 

Y. 

YggdrasUl  5-1.  70. 
Ystctter-KajsH  13^. 
Yukclog  22iK  2. «. 

Z. 

Zahnschmerzen  s.  Krankheiten. 

Zauber  Abwehr  296.,  zum  Schutze 
gegen  Curupira  145.,  zur  Befruch- 
tung der  Vegetation,  Begenzauber 
8.  Wassertauchc :  zur  Erzeugung 
von  Licht  und  Wanne  s.  Sonnen- 
zauber; zur  Schwere  der  künftigen 


Ernte  2U.  419.,  den  Ertrag  der 
B&ume  schwer  zu  machen  220.  — 
Zaubersegen  für  glückliche  Jagd 
141.,  um  den  Ljeschi  herbeizurufen 
141.  142. 

Zeidelbast  s.  Seidelbast 

Zeitgung  281. 

Ziegenfüjie  der  Diale  95.   115. 

ZitMuemiami  der  lahme  383. 

Zimne  ludzie    14. 

Zingerkt  J.  V. ,  101. 

Zo2)f  flechten  bei  der  Ernte  77. 

Zuibotschnik  139. 

Zwerge  61.  92.  93.  HO.  114. 

ZwUbel  483.  486. 

Zwölften  (24.  Dez.  —  5.  Jan.)  41«4.  M2. 


( 


Halle,  Bachdruckerei  Aw  WaiMnhauiieii. 


WALD-  UND  FELDKULTE. 


VON 


WILHELM  MANNHARDL 


Zweiter  Teil. 

ANTIKE  WALD-  UND  FELDKULTE. 


BERLIN  1877. 

GEBRÜDER    BORNTRAEGER 


ED.    EGGEBS. 


ANTIKE 

WALD-  UND  FELDKÜLTE 


AUS 


NORDEUßOPÄISCHEß  ÜBERLIEFERUNG 


ERLÄUTERT 


VON 


WnJIELM  MANNHARDT. 


BERLIN  1877. 

GEBRÜDER    BORNTRAEGER 


ED.    BQ0BB8. 


Vorwort. 


Zu  den  im  ersten  Bande  dieses  Werkes  „  BaumJculitis  der 
">»nanen  und  ihrer  Nachbar  stamme  ^^  vorgefUhrten  Vorstellungen 
L  Gebräuchen  weist  das  vorliegende  Buch,  den  einzelnen 
E^iteln  desselben  folgend,  griechische,  rOmische  und  vorder- 
^tische  Seitenstücke  auf.  Buchhändlerische  Rücksichten  empfah- 
'  eine  Anzahl  auf  die  antiken  Ackerbaukulte  (Lityerses,  Elen- 
den, Thesmophorien,  Chthonien,  Buphonien,  Octoberroß,  Luper- 
^en)  bezüglicher  Aufsätze  fUr  eine  nächstfolgende  besondere 
eröflfentlichung  zurückzulegen;  diese  Fortlassung  bot  zugleich 
äh  Vorteil,  eine  größere  Conformität  mit  dem  ersten  Teile  her- 
tellen  zu  können.  ^  Die  Darstellung  ist  so  gehalten ,  daß  sie 
.ueh  als  selbständiges  Ganze  aus  sich  selbst  verständlich  bleibt; 
inem  eindringenderen  Studium  ist  die  Nachprüfung  der  aufge- 
teilten Behauptungen  jedoch  durch  fortlaufende  Verweisung  auf 
üe  entsprechenden  Untersuchungen  und  Tatsachen  im  ersten  Teile 
irleichtert. 

Wer  die  Schwierigkeit  aus  Erfahrung  kennt,  die  «es  macht, 
Ir  das  Ganze  solcher  Einzeluntersuchungen,  wie  sie  in  meinem 
Verke  vereinigt  sind,   eine  allen  theoretischen  und  praktischen 


1)  Auf  don  folgenden  Blättern  ist  derselbe  stäts  unter  der  Bezeichnung 
)k.  angezogen. 


VI  Vorwort. 

Ansprüchen  genügende  Aufschrift  zu  finden,   wird  mit  Nachsiebt 
beurteilen,   daß  der  Titel  meines  Buches  nicht  genau   mit  dem 
Inhalte  sich  deckt.    Ich  weiß  recht  wol,  daß  er  streng  genommen 
nach  der  einen  Seite   hin  zu  weit,    nach  der   anderen  zu  eng 
gegriffen  ist.    Was  das  erstcre  betriflft,  so  erschöpfen  meine  Dar- 
legungen den  Umfang  des  europäischen  Baum-  und  Waldkultns 
nicht.    Wenn  ich  jedoch  mit   dem  Tropus  der  Synekdoche  den 
Namen  des  Ganzen  flir  den  wichtigsten  Teil  in  Anspruch  nahm, 
während  ich  nur  diejenigen  Vorstellungen  und  Gebräuche  geschil- 
dert hatte,  welche  nach  meiner  Ansicht  auf  die  Grundvorstellaog 
der  Baumseele  und  die  daraus  abgeleiteten  bzw.  mit  ihr  verbun- 
denen Begriffe  der  Baum-  und  Waldgeister  entweder  zurückgehen 
oder  mit  denselben  verknüpft  sind,  so   habe  ich  keinen  Augemi- 
blick verkannt,  weder,  daß  noch  einzelne  abseits  liegende  Art^^n 
von  Baumverehrung   vorhanden  waren  und  sind,   die  aus  ga.uz 
anderen  Gedankenkreisen  ihren  Ursprung  nahmen  (z.  B.  gewisee 
Fälle  der  Heiligung  von  Bäumen  im  Dienste  von  Göttern),  Il<X^h 
habe  ich  eine  reich  entwickelte  mythische  Botanik  leugnen  w^3l- 
len,  welche  Bäumen  und  anderen  Pflanzen  teils  wegen  auffalle  ^'' 
der  Eigenschaften,  oder  zur  Erklärung  dieser  Eigenschaften,  t^^^ 
in  Folge   ihrer  mannigfaltigen  Verwendung   zur  metaphoriselB.  ^n 
Bezeichnung    anderer  Naturgegenstände  oder  geistiger    BegrL^*ß 
eine  Stellung  in  Sitte  und  Sage  anweist.    Da  aber  diese  Gebil  ^® 
in  überwiegender  Mehrzahl  nicht  sowol  Zeugnisse  flir  die  Vef^^^' 
mng  der  Bäume ,  als  für  die  Verwendung  von  Bäumen  in  Kult**®» 
Zauber  und  Aberglauben  gewähren,   glaubte   ich  sie  mit  gut^™ 
Rechte  außer  Betracht  lassen  zu  dürfen.    Zu  eng  aber  kann   ct^"^ 
Titel  MdMmkultus  erscheinen,  einmal  deshalb,  weil  ich  in  meiu^^"* 
Buche    mich   nicht    allein    mit   den  ILvXigebräuchen   beschät'tig*'^' 
sondern   auch  in  ebenso   breiter  Ausführung  mythische   Vorst^^ 
hingen    behandelte,    welche    aus    derselben    Wurzel,    wie  jex^^ 
erwachse^)  sind;  sodann,  weil  ganze  Abschnitte  des  Werkes  (d^^ 
auf  die  allgemeinen  Vegetationsgeister,   die  Sonnwendfeuer,   A^^ 
Brautlager  auf  dem  Ackerfelde ,   Pflugziehen  u.  s.  w.  bezüglich^^^-*^ 
nicht  eigentlich   unter  die   Kategorie   der  Baumverehrung  fall^^' 
sondern    nur  wegen   des   engen    Zusammenhanges  der    in  iht^^^ 
dargelegten  Anschauungen   und  Sitten  oder  wichtiger  Teile  do^* 
selben  (vgl.  z.  B.  den  Maibaum,   die  Laubpuppen  im  Sonnwen^^* 


Vorwort.  vii 

fener)  mit  den  in  den  übrigen  Kapiteln  besprochenen  Traditionen 
herangezogen  sind.    Sie  dienen  eben  zur  Vervollständigung,  ohne 
<iaß  ich  damit   sie  alle  ihrem  gesammten  Inhalte  nach  aus   der 
Ornndvorstellung   der  Baumseele   oder  emer  Personification  der 
vegetativen  Natur  abgeleitet  wissen  möchte.     Dies  zur  Vorbeu- 
gong  Ton  etviraigen  Mißverständnissen.     Den   richtigen  Gesichts- 
pimkt  fllr  dasjenige,   v^as  ich   mit  meinen  Auseinandersetzungen 
1)ezweckte  und  erstrebte,   v^ird   der  Leser  durch  die  Darlegung 
gewinnen,  daß  und  wie  die  veröffentlichten  Untersuchungen  von 
der  Ausführung  eines  größeren  Planes,    dessen    Verwirklichung 
teils  in  mehreren  fertig   ausgearbeiteten  Manuscripten ,  teils  im 
äto£fe  mehr  oder  minder  abgeschlossen  daliegt,   nur   einen  Teil 
ausmachen.     Diese  Darlegung  glaube  ich  dem  Publicum  schuldig 
zu  sein,  selbst  auf  die  Gefahr  hm,  dadurch  den  mich  bedrücken- 
den Abstand   meines  WoUens   vom  Können   ans   helle  Licht   zu 
ziehen.    Wenn  ich  mir  erlaube,  dabei  einige  persönliche  Verhält- 
nisse anzudeuten,   so  geschieht  es,   weil  die  in  Bede  stehenden 
Arbeiten  so  enge  mit  meinem  Leben  verwachsen  und  in  der  Art 
ihrer  Ausfuhrung  so  sehr  durch  die  Geschicke  desselben  beein- 
flußt sind,   daß  eine  gerechte  Beurteilung  ohne  einige  Kenntniß 
der 'bei  ihnen  mitwirkenden  subjectiven  Factoren  kaum  möglich 
zu  sein  scheint 

Schon  ft'ühe  ist  in  mir  ein  Gefallen  an  mythologischen 
Gegenständen  begründet  worden.  Als  Knabe  lange  Zeit  an  ein 
Streckbett  gefesselt,  das  dem  Uebel,  welches  das  große  Hemm- 
niß  meines  Lebens  zu  werden  bestimmt  war,  nur  weitere  Aus- 
dehnung gab ,  nahm  ich  in  freien  Stunden  die  hehre  Wunderwelt 
der  griechischen  Götter  -  und  Heroengestalten  aus  Beckers 
meisterhafter  Wiedererzählung  in  meine  Seele  auf,  um  sie  auf 
meinem  Lager  mit  lebhafter  Einbildungskraft  in  mir  weiter  zu 
verarbeiten.  Zudem  von  Jugend  auf  durch  ungewöhnliche  Kurz- 
sichtigkeit einer  scharfen  Erfassung  der  Dinge  außer  mir  beraubt 
wurde  ich  auf  die  innere  Welt  der  Phantasie  zurückgeworfen  und 
gewöhnte  mich  ihre  Gestalten  auseinanderzuhalten  und  unter 
verschiedenen  Verhüllungen  wieder  zu  erkennen.  Als  angehender 
Jüngling  lernte  ich  während  der  durch  meüien  Gesundheitszu- 
stand nötig  gewordenen  Schulfreiheit  eines  Sommerhalbjahrs  im 
grünen  Wald  und  am  rauschenden  Meeresstrand  zugleich  Milton 


vm  Vorwort. 

Ossian  und  eine  nordische  Mythologie  kennen.  Der  Wunsch,  exum 
befreundeten  Dänen  Widerpart  zu  halten,  der  mir,  dem  gebore* 
nen  Schleswig -Holsteiner,  als  auszeichnenden  Vorzug  seines  Vol- 
kes wieder  und  wieder  dessen  herliche  Götterwelt  vorhielt, 
veranlaßte  mich,  mich  um  J.  Grimms  „deutsche  Mythologie"  zu 
bemtthen.  Es  waren  die  Sommerferien;  der  Augustapfelbaum 
inmitten  unseres  Gartens  warf  mir  seine  rotbackigen  Frttchte  in 
den  Schoß.  So  habe  ich,  damals  Secundaner,  das  schweremm- 
gene  Meisterwerk  von  Anfang  bis  Ende  gelesen  —  and  die 
Richtung  meines  Lebens  war  entschieden.  Die  Verhältnisse, 
unter  denen  ich  aufwuchs,  zeitigten  in  mir  frühe  im  Gegensätze 
zu  meiner  starr  preußischen  Umgebung  eine  entschieden  nationale 
Denkweise,  und  ein  lebhaftes  Interesse  an  den  verschiedenen 
Gestaltungen  religiösen  Lebens.  So  betrat  ich  1851  die  Schwelle 
der  Universität  mit  dem  Wunsche,  durch  das  Studium  der  Alter- 
tttmer  unseres  Volkes  in  dessen  innerstes  Wesen  einzudringen 
und  mich  tüchtig  zu  machen,  vor  allem  Grimms  mythologische 
Forschung  weiterzubilden.  Mein  Schicksal  ftlhrte  mich  nach 
Berlin;  ein  CoUegienheft  von  Lobecks  G riech.  Mythologie  and  der 
Mythologus  von  Bnttmann  waren  meine  Reisebegleiter.  Lachmann 
war  kürzlich  gestorben ;  des  Leiters  entbehrend  erfuhr  ich  manche 
Anregung,  aber  in  der  Hauptsache  blieb  ich  auf  mich  selbst 
angewiesen  und  das  außerordentlich  geruige  Maß  meiner  durch 
den  Körper  gehinderten  Leistungsfähigkeit  nötigte  mich  bei  in  die 
Weite  strebendem  Interesse  immer  wieder  zur  Beschränkung,  und 
führte  mich  stäts  zur  Mythologie  als  dem  Mittelpunkte  zurück, 
auf  den  alle  meine  sprachlichen  und  sachlichen  Studien  Beziehung 
gewannen. 

Als  Lernender  blieb  ich  selbstversändlich  lange  Zeit  völlig 
unter  dem  Einflüsse  derjenigen  Männer  befangen,  deren  For- 
schungen damals  der  jungen  Wissenschaft  neue  und  vielverhei- 
ßende Wege  und  Ziele  zu  eröffnen  schienen.  Das  waren  außer 
J.  Grimm  selbst  vorzugsweise  A.  Kuhn  und  W.  Schwartz.  Ich 
lebte  mich  gänzlich  in  den  (ledankenkreis  ihrer  Erörterungen 
hinein  und  teilte  aucli  die  Irrtümer,  welche  diesen  ersten  Ver- 
suchen auf  neuem  Boden  naturgemäß  anhafteten. 

Grimms  grundlegendes  Meisterwerk  ist  ebensowenig,  als 
alle  sonstigen  historischen  Gebilde,  unvermittelt  in  die  Erschei- 


Vorwort.  IX 

lg  getreten.  Schon  seit  dem  Refonnationszeitalter  hatten,  teils 
Interesse  einer  ErläuteruDg  des  Abgüttereiverbots  im  Kate- 
mos,  teils  ans  humanistischem  oder  ans  natioualantiquarischem 
trebeuy  Männer  wie  Mäletius,  Agricola,  Porthan,  Amkiel 
lerlein,  G.  Schütz,  Mone  und  Finn  Magnussen  vereinzelt  Aber- 
iben,  Bräuche  und  Sagen  als  Reste  heidnischer  Mythologie 
iiuit  und  benutzt. 

J.  Grimms  mit  wunderbarer  üombinationsgabe  ausgerlisteter 
liuSy  der  zugleich  auch  kindlieh  und  naiv  den  Geist  des  Alter- 
8  nachzufühlen  verstand,  hat  zum  erstenmale  in  großartigstem 
fang  derartige  Quellen  in  ein  Bette  geleitet,  mit  den  spärlich 
Altenen  unmittelbaren  Zeugnissen  über  deutsches  Heidentum 
banden,  und  in  Zusammenhang  mit  der  von  ihm  zu  histori- 
im  Verständniß  gebrachten  Sprache,  mit  den  Sitten  und 
ensanschauungen  unserer  Vorzeit  und  der  Mythologie  des 
«sandten  Nordens  gesetzt.  Da  erst  war  das  Ei  des  Columbus 
inden  und  den  Nationen  ein  Weg  vorgezeichnet,  der  sie  über 
weites  Mare  incoifnitum  in  das  goldene  Land  ihrer  eigenen 
dheit  zu  leiten  und  durch  Ausdelmung  ihrer  Selbsterinnerung 
in  eine  ferne  Periode  rückwärts  ihrem  Lehen  und  ihrer  Per- 
lichkeit   ein  ansehnliches  Stück  hinzufügen  zu  können    schien. 

den  Augen  der   staunenden  Zeitgenossen  stieg  nun   ein  Bild 

altgermanischeu  Religion  empor,  in  den  Hauptsachen  so 
effend,  daß  es  Itir  immer  das  zu  entwickelnde  und  zu  ver- 
$emde  Vorbild  weiterer  Untersuchungen  bleiben  wird,  und 
leich  so  überwältigend  reichhaltig,  daß  es  nunmehr  fast  ein 
bes  Jahrhundert  die  Wissenschaft  beherrsclit.  Allmählich 
innt  es  sich  soweit  in  das  freie  geistige  Eigentum  der  Forscher 
verwandeln,  um  der  so  notwendigen  kritischen  Betrachtung 
eimzufallen,  und  nach  Ausscheidung  seiner  Mäugel  in  geläu- 
er  und  verjüngter  Gestalt  daraus  hervor/ugehen.     Nur   selten 

ein  Buch  eine  so  großartige  Nachfolge  geweckt,  wie  dieses, 
ward  zu  einer  nationalen  Tat,  Sitte,  Sage,  Märehen,  Aber- 
iben,  Lieder,  kurz  niUndlicbe  Ueberlieferungcn  jeder  Art  als 
'umente  der  vaterländischen  Urzeit  zusammenzubringen  und 
rerwertcn.  Wir  verdanken  diesem  Streben  eine  reiche  Fülle 
r.  treftlieher  Sammlungen.  Die  anderen  Stämme  Europas 
n  es  uns  nach;  am   eifrigsten  diejenigen,    welche  so  gut  wie 


X  Vorwort. 

aller  Kunde  über  die  Religion  ihrer  Urväter  entbehrten  und  auf 
diese  Weise  in  Erfahrung  zu  bringen  glaubten,   wie  in  der  Zeit 
ungebrochenen  nationalen  Wesens   vor  Einführung  des  Christen- 
tums der  Geist  ihres  Volkes  sich  in  seinen  idealsten  Angelegen- 
heiten geäußert  habe  (z.  B.   Slaven,   Magyaren).     Gleichgiltiger 
verhielten  sich  dem  entsprechend  andere  Völker  (z.  B.  Skandina- 
veu,  Romanen),  die  im  Besitze  reichlicher  Nachrichten  über  ihre 
Vorfahren  keine  Lockung  verspürten,  'diesen  Schatz,    wie  groß 
oder  klein  er  sein  mochte,    aus  den  neuen  bis  dahin  so  verach- 
teten Fundgruben  zu  vermehren.    Dies  anfängliche  Vorwiegen  die- 
ser rein  nationalen  Tendenz   auch  in  meinen  Bestrebungen  ver- 
schuldete, daß  meine  Arbeit  vorzugsweise  der  lebendigen  Volks- 
überlieferung, als  der  vermeintlichen  Hauptquelle  einer  eigentfim- 
lich  deutschen  Mythologie  zugewandt  blieb,  selbst  als  ich  erkannt 
hatte,   wie  notwendig  u.  a.   zur  Ergänzung  die  Forderung  einer 
nicht  bloß  bruchstttckweisen ,    sondern   zusammenhangenden  kri- 
tisch historischen  Bearbeitung  der  gcsammten  nordischen  Mytho- 
logie aufzustellen  sei.      Die  Manen    des  teuren  Meisters,    der  in 
echter  Bescheidenheit  seine  Forschung  als  eine  Scheuer  voll  nach- 
gelesener Aehren    demjenigen  vermacht   wissen  wollte,    welcher 
mit  der  Ausstellung  und  Ernte  des  großen  Feldes  in  vollen  Zug 
kommen  werde,  können  nicht  zürnen,   wenn  diejenigen,    welche 
auf  seinen  Schultern  stellen,  heutzutage,  neben  dankbarster  Aner- 
kennung   des  von    ihm   emi)tangenen    bleibenden    Besitzes,  der 
Erkenntniß  Kaum  gehen,  daß  seine  großartige  Leistung  in  vieler 
Hinsicht   noch  unvollständig  imd  mangelhaft  war,    daß  der  Bau, 
den    er    aufführte,    mehrfach    schon    in  den   Fundamenten   eine 
schiefe  Richtung   hatte  und  zu  unbrauchbarem  Weiterbau  Veran- 
lassung gab.     Eine  alles  Unhaltbare  ausscheidende  Kritik  >vtirde 
den  Umfang  seines  Buches  vielleicht   auf  nicht  weniger  als  die 
Hälfte  zu   verkleinern    haben.      Es  ist   hier  nicht  der  Ort,   dies 
eingehender    zu     erörtern;  *     nur    Einiges    will     ich     andeuten. 
J.  Grimm  machte   den  großen  Fortschritt,    die  Mythologie  nicht 


1)  Eiiii<j:c  treftendc  kritische  Bemerkuugon  über  J.  Griranis  System  siDd 
iuW.  Selierers  Schrift  über  J.  Grimm,  Berlin  1865,  S.  141--150  nieder- 
gelegt. 


Vonrort.  xi 

mehr  als  Erzengnift  bewußter  Speculation,  sondern  als  eine  der 
Sprache  anal(^  Schöpfung  des  unbewußt  dichtenden  Volksgeistes 
zu  erfassen.     Damit  hat  er  den  Grund  gelegt  für  d<is  tcissen- 
schafÜiche    Verständniß  nicht  allein   der  germanischen,  sondern 
auch  der  griechischen  und  römisclien  und  (dler  sonsti{jcn  Mytho- 
logie.   In  der  Ausübung  aber  machte  er  keine  strenge  Scheidung 
zwischen  den  als  Wirklichkeit  empfundenen  Gebilden  des  Mythus 
und  den  ihnen   vielfach   zum  Verwechseln  ähnlichen  Metaphern 
und  Personificationen  subjcctiver  Dichter.     Er  verschloß  sich  noch 
der  Einsicht;  zu  welcher  bereits  Heyne,  noch  mehr  aber  David  Strauß 
den  Weg  bahnte,  daß  der  Mythus  auf  einer  bestimmten  Anschauungs- 
weise oder  Denkform  beruhe,  deren  sich  jedes  Volk  auf  gewissen 
Entwickelungsstufen    mit   Notwendigkeit    bedienen  •  muß.     Diese 
Denkform  bleibt  bei  fortschreitender  Kultur  das  Eigentum  rück- 
ständiger niederer  Kreise  des  Volkes  und  hält  ni  ihnen  teils  die 
geistigen  Produkte  der  von  den  fortgeschritteneren  Klassen  über- 
wundenen Vergangenheit  als  Ueberzeugung  fest,   teils   zieht  sie 
die  Ideen  und  Schöpfungen  einer   reformierten   oder  von  außen 
her  eingeführten  höheren  Religion  (Christentum,  Islam,  Buddhis- 
mus u.  8.  w.)   auf  ihr  Niveau   heral).  und  formt  sie  nach  ihren 
Kategorien  um,  teils  äußert  sie  sich  noch  fortwährend  in  manchen 
neuen     mythischen     Appereeptionen    verschiedenartigen    Stoffes. 
Xndem   J.  Grimm    diese   Unterschiede    hintenansetzte,    mußte    er 
geneigt  sein,  alles  Mythische  unter  den  Bevölkerungen  der  Jetzt- 
zeit für  Niederscldag ,  Verkleidung,   Abschwäehung  oder  Vergrö- 
ßerung   einer    einstigen   heidnischen    Mythologie    zu    halten   und 
55war    ftlr  den    in    grader   Linie    fortgepflanzten  Nachklang  der 
Mythologie   grade    desjenigen    Volkes,    bei   dem    die    in    Frage 
IjLommende  Tradition   vorgefunden   wurde.      Denn  auch   dies  ließ 
^r    außer  Rechnung,   daß   im   Lauf  der  Geschichte   eine  ununter- 
1)rochene  Bewegung  der  Bevölkerungen   und  Stände  auch  in  den 
Tinteren  Volksklassen  einen  weitreichenden  Austausch   von  Ideen 
und    UeberUeferungen    selbst    mit    fremden    Ländern    begünstigt 
latte.    Endlich  überschätzte  er  bei  weitem  den  Einfluß  des  Mythus 
auf  die  Sprache.     In  Folge   dieser   Irrtümer  verwertete   er   als 
Zeugnisse  für  die  von  ihm  erstrebte  deutsch  -  heidnische  Mytholo- 
gie   vielfoch    ebensowol   rein    poetische    Personificationen    mittel- 
alterlicher Dichter  (Frou  Zuht,   Fron  ßre,    diu  Triuwe,  Wunsch 


xn  Vorwort. 

n.  8.  w.  ^)  y   als  ans  christlicher   Symbolik   oder  den   zeitweiligen 
tendenziösen  Phantasien  einzelner  kirchlicher  Kreise  entsprossene 
Sagen ,  abergläubische  VorstelluDgen  und  Bräuehe,  sowie  maimig- 
fache   allgemein   menschliche  oder  fremdländische  SupentitioneD 
von    ungewisser   Entlehungszeit.     Vor  allem  aber  schlug  er  die 
nach  dem  sicheren  Zeugniß  der  Merseburger  Sprüche  und  ande- 
ren Spuren  nicht  unbeträchtliche  Uebereinstimmung  der  nordischen 
und  deutschen  Sage  deunoch^zu  hoch  an,  da  er  nach  der  Weise 
der  alten  Theologie  die  Ed^lamythen  itir  einen  einheitlichen  Com- 
plex  gleichartiger,  die  altererbte  Yolksreligion  der  Nordgermanoi 
ausprägender  Anschauungen  ansah,    während  üi  Wahrheit  darin 
das  letzte  Ergebniß  einer  historischen  Entwickelung  zu  erkennen 
sein  wird,  in  welcher  der  Hauptanteil  den  letzten  Jahrhunderten 
vor  Einitihrung  des  Christentums,   also  nach  der  Trennung  von 
den  Südgermanen,  und  in  diesem  Zeiträume  vorzugsweise  der  die 
Gedanken  und  Bilder  ihrer  Vorgänger  immer  weiter  fortspinnen- 
den  bewußten  Arbeit  von  Kunstdichtern  der  höheren  Gesellschafi 
zufällt.    Der  Vorrat  alter  echter  Volksmjthen  ist  darin  dn  nur 
beschränkter   (über  eine  solche    s.  unten  S.  151);    vielÜBU^h  aber 
lassen  sich  noch  die  Stufen   nachweisen,   welche   die  Ausbüdnng 
einzelner   Mythen    durch    Dichterhand    durchmachte.  *     In  weit 


1)  Wer  möchte  z.  B.  noch  jetzt  die  schöne  Verbildlichung  des  Wunders 
der  Empfängnis  bei  Frauenlob,  dall  Gott,  der  gewaltigste  aller  Künstler, 
„der  Schmied  aus  Obcrlande,"  seinen  Hammer  in  Marien  Schoß  warf,  d.  h- 
gcheimnißvoll  den  Gottessohn  darin  wirkte,  mit  Myth.  *  165  als  eine  Erinne- 
rung an  Thors  riesentödtcnden  Hammer  auffassen? 

2)  Wie  ich  dies  meine,  davon  ist  Bk.  5G  Anm.l  hinsichtlich  Yggdrasil« 
ein  Beispiel  gegeben.  Ein  anderes  bietet  Grimnisra.  25  dar.  Die  Angabe 
dieses  späten  katalogisierenden  Liedes ,  Odhinn  lebe  allein  von  Wein,  der  nur 
Göttern  und  großen  Königen  erreichbaren  Einfuhrwaare  (Weinbold  altnord. 
Leben  S.  155),  seine  Einherien  von  Fleisch  und  Met,  ist  doch  offenbar  nicht 
Volksmytlie,  sondern  eine  individuelle  Dichtererfindung.  Daß  in  der  Sage 
von  Freyd  und  Woud  b  ,'i  Schönwerth  11,  312  If.  sich  dieser  Zag  in  der  Form 
wiederholt,  „Freyd  trank  Wasser,  Woud  eine  Art  Wein",  ist  mir  troö 
J.  Grimms  Verteidigung  der  Echtheit  ^Monatsber.  1859,  S.  420  ff.  Kl.  Sehr. 
U,  428)  neben  vielem  anderen  ein  Beweis  für  den  Ursprung  dieser  Erzählung 
aus  Reminiscenzon. —  Noch  läiU  sich  beobachten,  wie  Eigennamen  aus  Appel- 
lativen entstanden.  ,,Der  goldborstige*'  ist  in  der  älteren  Poesie  stehende» 
Beiwort  von  Freys  Eber   (Hyndlul.  7.    Skäldskaparm  35),  erst  der  Verfi»«» 


Vorwort.  xm 

»herem  Orade,  als  man  seit  J.  Grimm  anzunehmen  pflegt,  war 
e  in  Kede  stehende  Mythologie  ein  durch  die  Natur  und 
^schichte  ihrer  Heimat  bedingtes  eigentümliches  Erzengniß  des 
andinavischen  Nordens.  ^ 

Fassen  wir  alle  diese  Gesichtspunkte  zusammen,  so  zeigt 
;h  uns  die  Notwendigkeit,  (entweder  ein  für  allemal  oder  bis  auf 
»tere  Beweise)  nicht  allein  die  große  Keihe  lediglich  aus  dem 
»rhandensein  der  den  nordischen  Güttemamen  zu  Grunde  lie- 
nden  Wortstämme  in  deutscher  Kede  erschlossener  Gottheiten, 
e  Gart,  Nanda,  Rähana,  Brego,  Hadu,  Fro  (Gerdr,  Nanna, 
in,  Bragi,  Hödhr;  Freyr),  sondern  auch  die  Personificationen 
Q  Festtagen  wie  Ostara  (Bk.  505.  522),  Berchta  (unten  S.  185), 
ristliche  oder  historische  Sagengestalten,  wie  den  bergentrück- 
1   Kaiser*  u.  s.  w.  aus  dem  deutsch -heidnischen  Götterhimmel 

entfernen,  und  nur  in  späterem  Volksglauben  bezeugte 
sstalten,  wie  Holda,  Here,  Harke  u.  s.  w.  nicht  unmittel- 
r    mit   den   in  alten  Quellen    überlieferten   auf  einen  Boden 

stellen. 

Der  Autorität  des  Meisters  folgend  und  dessen  Fehler  oft 
\  Maßlose  übertreibend  versuchten  die  Schüler,  unter  ihnen  der 
Erfasser  dieses  Buches,  neben  fleißiger  Stoffsammlung  den  Wei- 
•ban  seines  Systems,  indem  sie,  zumeist  gestützt  auf  das  Zu- 
mmentreffen    einzelner  rein  äußerlicher  Merkmale  in  jede  ver- 


i  Gylfaginning  macht  aus  dem  „Freyr  ridr  guUi  byrstum**  der  Husdräpa 
■  Uggasons  um  995  ^Skaldskaparm  7),  die  er  benutzt,  ein  nomen  proprium 
llinbursti. 

1)  So  wertvoll  und  ehrwürdig,  ja  unentbehrlich  uns  immer  die  Edda  als 
e  der  wichtigsten  Quellen  germanischen  Altertums  und  insbesondere  der 
thologie  bleiben  wird,  stellen  wir  neidlos  unseren  skandinavischen,  zumal 
wogischen  Brüdern  ihren  höheren  Anspruch  daran  zurück.  Ucber  die  über- 
>bene  Wertschätzung  derselben  als  „deutschon'*  Nationaleigontums  äußerte 
Bückert  viel  Lesenswertes  in  einem  Aufsatz^  der  mit  nächstem  in  der  von 
ler  besorgten  Ausgabe  seiner  kleinen  Schriften  zum  Wiederabdruck  gelan- 
I  wird. 

2)  Vgl.  den  vorzüglichen  Aufsatz  v.  G.  Voigt  „  die  deutsche  Kaisersage" 
3ybel8  histor.  Zeitschr.  B.XXVI,  1871,  S.  131  — 187,  nebst  DümmlersNach- 
ff  XXK,  1873,  S.  491. 


XIV  Vorwort. 

einzelte  Sage,  jedes  Märchen,  jede  Heiligenlegende  eine  nordische 
Gottheit  hineintrugen.  Gelangte  diese  Richtung  in  Simrock, 
J.  W.  Wolf,  Hocker,  Woeste,  Rochholz  u.  A.  zur  vollen  Blttte,  so 
vermochten  sich  doch  selbst  die  in  Lachmanns  Schule  erzoge- 
nen Vertreter  der  deutschen  Philologie  ihr  nicht  gänzlich  za 
entziehen. 

Bleibenden  Gewinn  versprach  nur  eine  solche  FortfOhnmg 
des  begonnenen  Riesenwerkes,  welche  zunächst  einmal  in  dem 
Baumaterial  selber  sich  orientierte  und  ohne  Rücksicht  auf  ein 
vorher  bestimmtes  Resultat  die  Volksüberlieferungen  einerseits 
unter  sich,  andererseits  mit  den  zunächstliegenden  verwandten 
Erscheinungen  verglich.  Einen  kleinen,  aber  schönen,  von  der 
späteren  Forschung  noch  nicht  ausgenutzten  Anfang  in  letzterer 
Richtung  machte  K.  Müllenhojf]  indem  er  in  der  Vorrede  zu  sei- 
ner musterhaften  Sammlung  Schleswig  -  Holst.  Sagen  1845  auf 
vielfache  Berührungen  mit  der  Poesie  und  Sitte  des  Mittelalters 
hinwies.  Das  andere  aber  versuchte  zuerst  Ä.  Kuhn.  Als  das 
bedeutendste  Verdienst  dieses  großen  Sprachforschers  neben  sei- 
nen drei  großen  und  wichtigen  Stoffsammlungen  (Mark.  Sag. 
1843.  Nordd.  Sag.  1848.  Westf.  Sag.  1859)  erachte  ich  die 
Anmerkungen  zu  den  beiden  letztgenannten  Schritten,  in  denen 
viele  Varianten  zu  den  emzelnen  Uebcrlieferungen  aus  der  Lite- 
ratur der  Sagensammluugen  zusammengestellt  und  mit  einander 
verglichen  werden.  ^  Zahlreiche  Verwandtschaften  und  Abwei- 
chungen traten  unter  ihnen  hervor.  Üoch  erstreckte  sich  die 
Vergleichung  immer  nur  auf  einzelne  Züge  oder  auf  kleinere 
Sagengruppen  und  auch  Kuhn  kam  häufig  genug  auf  eine  aus 
bloß  äußerlichen  Aehnlichkeiten  erschlossene  Identifizierung  von 
Sagengestalten  mit  nordischen  Göttern  und  nicht  selten  grade 
mit  den   tür   Deutschland    noch    nicht   nachgewiesenen   hinaus.' 


1)  Solche  Zusammonstelliingen  vorwandten  Stoffes  verleihen  auch  man- 
chen Abschnitten  in  J.  W.  Wolfs  Arbeiten  fortdauernden  Wert,  obgleich 
dieselben  zum  Zwecke  eines  Beweises  aufgestellt  sind,  der  völlig  hin- 
fallig ist. 

2)  Vgl.  z.  B.  Die  aus  der  letzten  Garbe  geformte  Puppe,  der  Alte, 
beziehe  sich  auf  Donar,  weil  Thorr,  der  als  Gewittergott  nach  Adam  vpn 
Bremen  auch    „fruges   gubernat,"    [von  irgend  einem  Skalden  einmal  auch] 


Vorwort.  xv 

eit  höheren  Buhm  hat  Kuhn  durch  die  glänzenden  and  Über- 
sehenden Schlußfolgerungen  in  einer  ganzen  Reihe  von  Aufsätzen 
id  Schriften  erlangt,  in  welchen  er,  als  einer  der  bedeutendsten 
igrttnder  und  Förderer  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft, 
rimms  Methode  auf  das  weitere  indogermanische  Gebiet  über- 
lg  und,  gestützt  auf  die  wirkliche  oder  vermeintliche  Ueber- 
istimmung  von  Namen  und  Sachen,  mit  genialem  Scharfsinn 
den  Mythen  und  Göttergestalten  des  Veda  (deren  VerständniB 
ih  ihm  bei  Belauschung  der  deutschen  Volkssage  unter  ihren 
wendigen  Trägem,  den  Bauern,  entzündete)  die  der  Grundform 
ch  sehr  nahestehenden  Niederschläge  einer  Urmythologie  nach- 
weisen unternahm,  aus  welcher  auch  die  griechische  und 
mische  Mythenwelt  geflossen  sei.  *  Diese  Arbeiten  wurden 
anz  abgesehen  von  der  Richtigkeit  der  durch  sie  zunächst  zu 
ige  geförderten  Ergebnisse)  von  entscheidender  Bedeutung  flir 
lg  Schicksal  der  germanischen  Mythenforschung,  indem  sie  der- 
Iben  neue  Ziele  steckten  und  ihre  Tendenz  verschoben.  In  den 
edas,  in  der  Götterwelt  der  indischen  Epen  und  in  derjenigen 
$r  Puranas  lagen  die  verschiedenen  Stul'en  des  Lebensganges 
ner  Mythologie  von  der  Jugend  bis  zum  Greisenalter  vor  Augen, 
ie  Lieder  des  Rigveda,  obwohl  sie  keinesweges  eine  rein 
•sprüngliche  und  naive,  sondern  eine  viell'ach  schon  subjective 
id  nut  Allegorie  durchsetzte  Poesie  enthalten,  zeigten,  wie  eine 
ythologie  in  ihrem  Werdeprozeß  aussieht.  Man  lernte  hier  eine 
K^h  ganz  im  Flusse  befindliclie  gläubige  Naturauschauung  als 
rsprung  eines  großen  Teiles  der  späteren  wunderbaren  Götter- 


bli  genannt  war,  was  Grimm  Myth. *  154  Großvater,  Altvater  übersetzt, 
ährend  es  doch  unzweifelhaft  Abwandlung  von  atall,  acer,  strenuua  ist]. 
)rdd.  Sag.  Gebr.  Anm.  102.  Der  Nix  im  Darrassen,  der  mit  einem 
jh werte  bewaffnet  in  den  See  springt,  muß  Heimdall  oder  Freyr  sein, 
)il  ersterer  in  der  Skaldensj>rache  Schwert  -Ase  heißt,  letzterer  ein  Schwert 
saß,  das  er  weggeschenkt  hat  (Westf.  Sag.  I,  54).  Das  zur  Sonnenwende 
Bezug  stehende  Notfcuor  muß  dem  [hypothetischen]  Sonnengott  Frö  geweiht 
iwesen  sein,  w^^il  in  England  dabei  ein  Priap  aufgepflanzt  wurde,  in  Upsala 
■er  Frös  Bildsäule  mit  einem  Phallus  ausgerüstet  war.  Herabk.  S.  101. 
lasen  wir  aber,  ob  es  überhaupt  irgend  einem  Gotte  gewidmet  war? 

1)  Hermes  -  Sarameyas ,    Zs.  f.   d.    A.  VI.    1848.  S.  117  — 134.    Telchln, 
I.  f.   vgl.  Spr.    I,  1852,    S.  179  ff.      Saranyu-Erinnys.     Ebenda.  439  —  470 


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Vorwort.  xm 

icht  zarückhalten ,  daß  nach  meiner  Ansicht  die  vergleichende 
idogermanische  Mythologie  die  Früchte  noch  nicht  getragen  hat, 
reiche  man  allzu  hofibungsreich  von  ihr  erwartete.  Der  sichere 
rewinn  beschränkt  sich  doch  auf  einige  sehr  wenige  Gottesna- 
len  (wie  Dyaus  —  Zeus  —  Tius;  Parjanya  —  Perkunas; 
ihaga  —  Bog;  Varuna  —  Uranos  u.  s.  w.)  ,und  Mythenansätze 
nd  im  Übrigen  auf  zahlreiche  Analogien,  welche  aber  noch  nicht 
oitoendig  historische  Urverwandtschaft  begründen.  Grade  die  beim 
rste'n  Anblick  scheinbarsten  Vergleichungeu,  z.  B.  Säramgya  = 
enneias,  Saranyus  ==  Demeter  Eriunys,  Kentauros  =  Gandharva 
8.  w.,  und  ein  großer  Teil  der  in  dem  berühmten  Buche 
Herabknnft  des  Feuers"  vorgeführten  Parallelen  halten  nach 
einer  Ueberzeugiing,  die  ich  in  kurzem  mit  Gründen  zu  bele- 
jn  Gelegenheit  haben  werde,  vor  einer  eindringenden  Kritik 
cht  Stand;  ich  fllrchte,  daß  die  Geschichte  der  Wissenschaft 
)  einmal  eher  als  geistvolle  Spiele  des  Witzes,  denn  als 
währte  Tatsachen  zu  verzeichnen  haben  wird.  Schon  der 
instand,  daß  sie  nicht  die  stätig  fortzeugende  Kraft  bewähren, 
alche  Grimms  und  Bopps  sprachlichen  Entdeckungen  inne 
)hnte,  muß  gegen  ihre  Wahrheit  mißtrauisch  machen,  und  zur 
>rsicht  mahnen  selbst  bei  Beurteilung  so  wahrscheinlicher  Iden- 
siten,  wie  die  vom  Kampfe  der  Devas  und  Vritras  oder  Ahis  mit 
;n  Sagen  von  Erlegung  des  schatzhütenden  oder  frauenrauben- 
jn  Drachen  und  vom  Tode  des  Cacus  durch  Recaranus- Hercules, 
nzweifelhaft  hat  es  neben  der  Sprache  auch  schon  eine  gemein- 
,me  Grundlage  der  religiösen  Vorstellungen  in  der  arischen  Ur- 
^imat  gegeben,  und  die  Veden  bewahren  die  ältesten  uns  erhal- 
nen  Sproßformen  davon ;  ob  aber  ausgebildetere  größere  Mythen- 
>mplexc  von  dorther  in  den  europäischen  Mythologien  übrig 
ud,  bleibt  vor  der  Hand  noch  eine  offene  Frage.  Nicht  das 
rinzip  trägt  die  Schuld  davon,  daß  wir  noch  nicht  weiter  sind, 
)ndeni  die  augewandte  Methode,  deren  Gnmdfelüer  in  einem 
Mangel  an  historischem  Sinne  zu  suchen  ist.  Man  ließ  außer 
echnung,  daß  die  Mythologien  einen  bei  weitem  verwickeiteren 
cid  weit  weniger  der  ßegcl  unterworfenen  Zustand  vielfach 
iisammengesetzter  Bildungen  darstellen,  als  die  verhältnißmäßig 
infachen  Erscheinungen  der  Sprache;  man  machte  sich  noch 
icht  klar,    daß  das  geistige  Leben  der  Kulturvölker  niemals  in 

Mannhardt.    II.  b 


xvni  Vorwort 

der  graden  Linie  einer  ungestörten  Entwickelung  ans  nationalem 
Keime  verlief ,  daß  es  von  dem  Zuströmen  fremdländischer  Ideen 
reichliche  Impulse  empfing;  und  indem  man  unmittelbar  die  bei- 
den Endpunkte  zweier  in  ziemlichem  Abstände  von  dem  hypo- 
thetischen Ausgangspunkte  auslaufender  Entwickelungen  mit  ein- 
ander combinatorisch  verknüpfte,  unterließ  man,  die  letzteren 
durch  die  nachweisbaren  Zwischenglieder  Schritt  für  Schritt  bis 
auf  ihre  wirklich  erreichbare,  oft  nicht  weit  dahinten  liegende 
Grundform  rückwärts  zu  verfolgen.  Ohne  alte  und  junge  Ueber- 
lieferungen,  bloße  Nachahmungen,  dichterische  Erfindungen,  ätio- 
logische Erklärungen  zu  scheiden  und  je  anders  nach  ihrem  wah- 
ren Werte  zu  verwenden,  spannte  man  die  europäischen  Mythen 
in  das  Prokrustesbett  einer  nach  den  zwar  alten  aber  doch 
schon  national  indischen  Anschauungen  entworfenen  Schablone 
und  vernachlässigte  darüber  ihre  nächsten  historischen  Zusam- 
menhänge, ihre  Bedingtheit  durch  den  Ideenkreis  der  Zeit  oder:^ 
der  Schriftsteller,  ihren  ethischen  Gehalt  und  ihre  Beziehungeiv^ 
zu  den  localen  Formen  der  Naturverhältnisse.  Dazu  stützte 
die  Vergleichung  nicht  selten  auf  Bruchstücke,  die  aus  ihrem  natür- 
lichen Zusammenhang  gerissen  waren,  oder  man  legte  solch^^w 
vedische  Anschauungen  zu  Grunde,  deren  Bedeutung  noch  unklar  un< 
Gegenstand  verschiedenartiger  Auslegung  ist.  Die  europäische] 
Mythen  sollten  nun  fast  durchgehend  irdische  Localisierungei 
einer  bildlichen  Veranschaulichung  himmlischer  Naturvorgäng^p»*^ 
sein;  die  zum  Beweise  des  Ursprungs  in  der  urarischen  Periode^ -^ 
vorgebrachte  Uebereinstimmung  in  Namen  und  Sachen  zwischen::^^! 
den  indischen  und  griechischen  oder  deutschen  Traditionen,  isr  -^t 
aber  sehr  häufig  im  etymologischen  oder  sachlichen  Teil( 
oder  in  beiden  trügerisch ,  und  damit  fällt  das 
zusammen.  ^ 


1)  Mau  Süll  es  mir  nicht  als  kleinliches  Mäkeln  an  den  hohen  Verdien  

sten  des  Gründers   der  comparativen    M}i;hologie   auslegen,    wenn  ich  grad-^e^ 
aus  seinen  Schriften  einige  Beispiele  outlehne,  um  meine  Bchauptangen  nich-  "♦ 
ganz  ohne  Beweis  zu  lassen.     Ich  habe  sie  z.  T.  nebensächlichen  Erört^rna  — 
gen  entnommen,    aber  manche  Eckpfeiler  der  Induction  sind  ihnen  gleichar— 
tig.    Man  darf  indessen  vermuten,  daß  Kuhn  selber  manches  Derartige  sdK^v 
selbst  stillschweigend  aufgegeben  hat.     Mit  der  Farbe  der  goldenen  Tanoeii 


Vorwort. 

Eine  besondere  Fraction  in  der  vergleichenden  Mythologie 
Indete  M.  Müller  (1856),  indem  er  in  mehreren  Stücken  von 
hn  abwich.  Während  nämlich  dieser  und  seine  Schule  anfangs 
t  aussehließlich  in  den  wechselnden  Naturerscheinungen  der 
»Iken  und  Winde  die  Ausgangspunkte  der  mythischen  Bilder- 
It  suchte^  setzte  jener  dieselben  noch  mehr  ausschließlich  in 
I  überwältigenden  Eindruck  der  sich  täglich  wiederholenden 
inomene,   der  Sonne  und  der  Morgenröte,    auf  die  kindliche 


dem  silbernen  Schilde  des  Herakles  wird  deren  Bedeutung  als  diejenige 
I^laiuender  Sonnenstrahlen  belegt  (unten  8.  88).  Poseidon  soll  Ursprung- 
ein  Sonnengott  gewesen  sein  dem  Vergleich  einer  arkadischen  mit 
T  vedischen  Sage  zu  Liebe,  in  den  nur  ein  Sonnengott  hineinpaßt.  Zum 
'eis  "wird  beigebracht  1)  eine  bedenkliche  Etymologie,  2)  der  Gebrauch 
>8  und  desselben  Wortes  für  Wolkenhimmel  und  Ocean  in  der  vedischen 
sie,  3)  der  Umstand,  daß  Poseidons  Palast,  seine  Geißel,  die  Mähne  sei- 

Bosse  im  griechischen  Epos  golden  sind  (,Zs.  f.  vgl.  Spr.  I,  456).  Aber 
1  ist  bei  den  Dichtern  das  Material  aller  göttlichen  Besitztümer.  —  Ein 
chnitt  aus  der  „Herabkunft'*  ist  unten  S.  335  analysiert.  Eina  andere 
fübmng  (üerabk.  238  ff.)  finde  hier  kurz  Erwähnung.  Kuhn  erörtert,  der 
terbote  Hermes  sei  ein  Feuergott,  weil  der  vedischo  Feuergott  Agni  auch 
e  der  Götter  heiße  [als  ob  nicht  die  Idee  des  Götterboten  aus  verschiede- 

Anlüssen,  z.  B.  aus  Person ificatiou  des  Windes,  entspringen  konnte], 
Min  weil  er  [der  Gott  der  Erfindungen]  das  Feuerzeug  erfand.  Wahr- 
nnlich  aber  werde  die  Hypothese  dadurch,  daß  Kallimachos  (Hymn.  in 
n.  V.  64 — 71)  Hermes  gradezu  den  feurigen  Kyklopen  gleichsetze, 
am  er  ihn  statt  dieser,  mit  Kuß  bedeckt,  vom  Herde  her  herbeikommen 
;e.  Was  sagt  nun  Kallimachos?  Die  neugeborne  Artemis  geht  mit  ihrem 
olge  von  Okeaniueu  zu  den  Kyklopen  in  den  Aetna,  um  sich  von  ihnen 
jen  und  Pfeile  schmieden  zu  lassen.  Die  Okeaninen  fürchten  sich  vor  den 
,^efügen  Gesellen.  Ganz  natürlich.  Denn,  wenn  ein  Töchterchen  bei  den 
:tern  ungehorsam  ist,  ruft  die  Mutter  nach  den  Kyklopen;  und  aus  dem 
lersten  des  Hauses  kommt  Hermes,  mit  Kuß  bestrichen,  und  das  Kindlein 
ht  in  den  Schoß  der  Mutter  und  bedeckt  seine  Augen  mit  den  Händen, 
«mis  aber  fürchete  sicli  nie,  u.  s.  w.  —  Hier  ist  keine  Spur  von  einem 
ten  Mythus,  alles  freie  dichterische  Erfindung  zur  Verherrlichung  der 
ungenen  Göttin.  Die  Kyklopen  [übrigens  auch  keine  Feuergottheiten] 
mieden  der  jungen  Artemis  Walfou  in  Nachahmung  der  älteren  Dichter, 
lohe  sie  dem  Zeus  solche  anfertigen  lassen.  Hierin  liegt  kein  Naturmythus. 
3  Uebrige  stellt  eine  liebliche  menschliche  Familienscene  in  die  Götterwelt 
ertragen  dar.  Die  Kyklopen  spielen  darin  die  KoUe  unseres  Schornstein- 
ers, und  Hermes  verkleidet  sich  in  Uire  Gestalt  lediglich  als  Diener  oder 
usknecht  der  Götter,  nicht  im  entferntesten  als  Naturgott. 

b* 


XX  Vorwort. 

Seele  der  Urväter.    Außerdem  wollte  M.  Müller  nicht  sowol  aas 
einer  Erstarrung  einfacher  poetischer  Metaphern,  als  yielmehr  ans 
einem   rein    sprachlichen   Vorgange    die   Mehrzahl    der    Mythen 
ableiten.    Ursprünglich  nämlich  seien  mehrere  Gegenstände  (oder 
Handlungen)   mit   einem  und   demselben  Worte   von  generellem 
Sinne  bezeichnet  worden.   Als  später  der  Gebrauch  dieses  Wortes 
sich  auf  einen  jener  Gegenstände  einschränkte,  itir  die  übrigen  in 
Vergessenheit  geriet,  hefteten  sich  an  ersteren  auch  die  Begriffs- 
merkmale des  letzteren.    So  seien  einst  die  Morgenröte  und  die 
Lorbeerpflanze  ddcpvrj,  d.  h.  die  brennende,  bzw.  leichtbrennende 
[?  =  einem  hypothetischen  skr.  dahana]  genannt  gewesen;  von 
der  Morgenröte  sagte   man   aus,    die  Sonne   habe   sie  verfolg^ 
d.  h.  schwinden  machen.    Die  spätere  Sprache  behielt  nur  ddqvr^j 
Lorbeer,    und   nun   erzählte   man,    Apoll   habe    einer  Nymphe 
Daphne  nachgestellt,  welche  die  Götter  dann  in  den  Lorbeer  ver- 
wandelten (vgl.  unten  S.  20).  *    Ich  vermag  dem  von  M.  Müller 
aufgestellten  Principe,   wenn  überhaupt  eine,    so   doch  nur  eine 
sehr  beschränkte  Geltung  zuzugestehen.     Kuhn  hat  sich  ihm  in 
seinen  neuesten  Aufsätzen  wesentlich  genähert. 

Alles  in  allem  ^  genommen  halte  ich  den  größeren  Teil  der 
bisherigen  Ergebnisse  auf  dem  Boden  der  indo- germanischen 
Mythenvergleichung  noch  für  verfehlt,  verfrüht  oder  mangelhaft, 
meine  eigenen  Versuche  in  „Germ.  Mythen  1858"  mit  eingeschlos- 
sen. Daß  ich  jedoch  nicht,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  das 
Kind  mit  dem  Bade  verschütte,  bezeugt  mein  Aufsatz  „Let- 
tische Sonnenniythen  in  Bastian -Hartmanns  Zeitschr.  f.  Ethnol 
VU,  1875."  2 


1)  M.  Müller  Oxford  Essays  1856  S.  57.  Vorles.  üb.  Wissensch.  d.  Spr. 
2.  Ser.  461  flF.  577. 

2)  Hier  habe  ich  in  etwa  90  Liedern  der  Litauer  und  Letten,  welche  tradi- 
tionell an  Hochzeiten  gesungen  werden,  und  deren  Grundideen  älter  al^ 
das  Christentum  sein  müssen  (S.  87),  als  Inhalt  mehrfach  variierte  M)'th^ 
von  der  Sonne,  der  Sonnentocliter  oder  Gottestochter,  den  Gottessöhnen,  dem 
Monde,  von  Perkun  und  einem  Himmelsschmiede,  sowie  die  in  einer  reichen 
Fülle  poetischer  Bilder  niedergelegte  Beschreibung  ihrer  Handlungen  aufge- 
wiesen. Ich  stellte  mir  zunächst  nur  das  Verständniß  des  Ideengehalts  dieser 
Lieder  zur  Aufgabe.    Aus  ihnen  selbst  ergiobt    sich  vermöge  der  Variantefli 


Vorwort. 

Auf  den  Wanderungen,  welche  W.  Schwartz  als  Begleiter 
d  Teilnehmer  seines  Schwagers  Kuhn  zum  Zwecke  der  Samm- 
ig märkischer  und  norddeutscher  unternahm,  fanden  beide 
legenheit,  den  Zusammenhang  einiger  Gruppen  derselben, 
tnentllch  derjenigen  vom  Wode  und  der  wilden  Jagd  mit  der 
»endigen  Naturanschauung  des  Volkes  zu  beobachten.  Während 
Q  Kuhn  dadurch  auf  die  Beachtung  analoger  Erscheinungen  in 
a  Veden  geleitet  wurde ,  8ch(>pfte  Schwartz  aus  jener  Beobach- 


denen  einmal  die  Naturerscheinung,  ein  andermal  die  Personification  mit 
i  nämlichen  Prädicaten  verbunden  ist,  für  die  Sonnentochter  die  Bedeutung 

Dämmerung  oder  der  Morgenröte^  für  den  Gottessohn  die  Bedeutung  des 
rgen  -  Abendsterns :  jene  poetischen  Bilder  aber  tat  ich  als  anch  anderswo 
Knfige  Metaphern  für  Zustande  der  himmlischen  Lichterscheinungen  dar. 
1  der  Berechtigung,  ja  der  durch  den  Zusammenhang  gebotenen  Notwen- 
keit,  die  Deutung  in  dieser  Eichtung  zu  suchen,  wird  sich  überzeugen, 
:  ao&nerksam  und  vorurteilslos  prüft  und  seine  Prüfung  mit  den  Abschnit- 

über  Sonnenroß  (93) ,  Sonnenboot  (102),  Sonnenapfel  (103)  beginnt.  Nicht 
e  Deutung  (z.  B.  die  des  Eichbaums)  wage  ich  für  bereits  gelungen  auszu- 
>en.  Nur  als  Analogien,  als  Illustrationen,  welche  durch  den  Nachweis 
chischer  Möglichkeit  einer  Apperception  des  nämlichen  Naturvorgangs 
>er  den  nämlichen  Metaphern ,  wie  in  den  lettischen  Sonnenliedern,  meiner 
itung  zur  Stütze  dienen  sollen,  nicht  als  Zeugnisse  historischen  Zusam- 
ohangs  werden  deutsche  und  slavische  Sonnenlieder,  auf  Sunnenwesen 
ögliche  vedischo  Hymnen  ,  griechische  Mythen  und  Dichter,  Märchen  und 
ar  die  Sagen  fremder  Weltteile  verglichen  (Vgl.  darüber  S.  325— 329).  Ich 
one  diese  Absicht  noch  ausdrücklich  hinsichtlich  dessen,  was  ich  über  den 
inentisch  der  Aethiopen  i^S.  230,  vgl.  244),  das  goldene  Vließ  am  Eichbaum 
283),  die  Hesperidcnäpfcl  (234)  ausgeführt  habe.     Einige  der  beigebrach- 

Analogien  sind  unrichtig.  Der  Stein  Alatir  (S.  287}  z  B.  entstammt 
istlicher  Symbolik  des  M.  A.  (cf.  Jagic  im  Archiv  f.  slav.  Phil.  1,89—101). 
r  erst  hinterher  glaubte  ich  durch  die  über  ihr  Ganzes  sich  erstreckende 
jraus  große  Uebereinstimmung  der  unbestrittenermaßen  auf  demselben 
turgebiete  sich  bewegenden  Sagenkreise  von  üshas  und  den  A^vins,  von 
lena  und  den  Dioskuren  mit  demjenigen  von  der  Sonnentochter  und  den 
ttessöhnen  genötigt  zu  sein,  als  einstweilige  Vermtitung  (S.  329) 
en  indogermanischen  Ursprung  für  sie  alle  anzusprechen.  Für  bewiesen 
rde  ich  diese  Vermutung  nicht  eher  erklären ,  als  bis  erneute  und  eindrin- 
idere  Unsersuchungen  die  von  mir  gegebene  Construction  jedes  der  drei 
•glichenen  Sagenkreise  als  der  ältesten  Ueberlieferungsform  entsprechend 
(tätigt,  und  bis  die  Fortschritte  unserer  Kenntniß  die  indogermanische 
pothese  in  mehreren  Fällen,  denn  bis  jetzt,  überzeugend  gemacht  haben 
rden. 


xxn  Vorwort. 

tung  die  in  einem  gewissen  Umfang  richtige  Entdeckmig,  daB  in 
den  unter  dem  Volke  noch  lebendigen  Sagenmassen  eine  „  niedere 
Mythologie''  enthalten  sei^  welche  einen  früheren  Zustand,  eine 
embryonale  Entwickelungsform  der  späteren  Götter-  und  Dämo- 
nenwelt  festhalte,    möge    die    letztere    auch    in    weit   früheren 
geschichtlichen  Zeugnissen  überliefert  werden.     Nicht  also  bloB 
Abschwächungen ,  Niederschläge  der  in  der  Edda  u.  s.  w.  yorlie- 
genden   ausgebildeteren  Mythologie  des   Heidentums  treten  nns 
hier  entgegen,  wie  Grimm  wollte,  sondern  die  Keime  undGmnd- 
elemente,  aus  denen  sie  sich  entwickelte.    Schwartz  legte  dieae 
Beobachtungen    in    einem    Schulprogramm    nieder.  ^      Zugleich 
machte   er  fruchtbare  Wahrnehmungen  ttber  die  Veränderongen, 
denen   die  Sagen  im  Laufe   ihrer  Fortpflanzung  von  Mund  za 
Mund  fast   mit   der  Regelmäßigkeit  eines  Gesetzes   unterliegen. 
Indem  er  in  späteren  Aufsätzen  und  Schriften '  auch  bei  andere 
Völkern    den    bildlichen    Naturauffassungen   und    den    Residnen 
der  rohesten   und  einfachsten  Mythenelemente  nachging,  wnrde 
er  neben  Th.  Waitz  (Anthropologie  der  Naturvölker  1859  — 1865) 
Bahnbrecher  ftlr  die  zuerst  von  A.  Bastian  *  mit  unerhörter  aber 
unkritischer  Gelehrsamkeit  unter  scharisinniger  Auffindung  vieler 
wertvoller    allgemeiner  Gesichtspunkte   gegründete,    dann  (zwar 
auch  nicht  ohne  Verwendung  manches  ganz  wertlosen  Bausteines) 
mit  nüchterner  Besonnenheit  von  E,  Tf/Ior  *  fortgeführte  ethnogra- 
phisch -  anthropologische  Betrachtung  der  Sitte  und  Sage ,  welche 


1)  Der  Volksglaube  u.  das  alte  Heidenthum.  Berlin  1849.  Zweite  Anfl. 
Berlin  1862. 

2)  Die  hauptsächlichsten  sind :  T'rsprung  dor  Mythologie.  Berlin  1S60. 
Sonne,  Mond  und  Sterne.  Berl.  1864.  Der  (rotho)  öonnenphallus  der  Urzeit 
Zeitschr.  f.  Ethnologie  VI,  1874,  S.  107  ff. 

3)  Der  Mensch  in  der  Geschiclite.  3  Bde.  Lpzg.  1860.  Beiträge  iw 
vergl.  Psychologie.  Die  Seele  und  ihre  Erscheinungsweisen  in  der  Ethnogra- 
phie. Berl.  1868.  Ethnolog.  Forschungen  B.  II.  Jena  1873.  Kap.  IV.  (Zar 
vergl.  Mythologi*  Tod  und  Krankheit.)  Der  Baum  in  vergl.  Ethnologie.  Zs. 
f.  Volkerpsych.  B.  V,  1868,  S.  287—317  und  zahlreiche  andere  Aufsätze  und 
Schriften. 

4)  „Early  history  of  Mankind.'*  (ürgt^schichtc  der  Mcnschlieit^  deutsch 
von  H.  Müller.  Lpzg.  Ahel,  li^67.)  Primitive  Culture.  (Die  Anfange  der 
Cultur,  deutsch  von  Sprengel  u.  Poske.    Li)zg.  1873.) 


Vorwort. 

darauf  ausgeht ,  an  Tatsachen  bei  den  verschiedensten  Naturvöl- 
kern den  analogen  Verlauf  der  ältesten  Sitten-,  Religions-  und 
Mytfaenbildung  zu  veranschaulichen.  Ihr  verdanken  wir  nament- 
lich die  Einsicht,  daß  fast  sämmtliche  Eutwickelungsphasen  und 
Lebensformen,  welche  der  geistige  Zustand  der  Menschheit  aU- 
m&hlich  durchlaufen  hat,  in  heutigen  Völkern  der  Erde  noch 
lebende  Vertreter  zählen  und  daß  man  in  der  Beobachtung  dieser 
sin  treffliches  Hilfsmittel  besitze,  um  die  im  Leben  der  civi- 
iaierten  Nationen  erhaltenen  Ueberlebsel  früherer  Kulturstufen  zu 
itadieren,  und  daß  viele  solcher  Ueberlebsel  selbst  bis  in  die 
irimitive  Stufe  des  Fetischismus  und  der  Wildheit  zurückreichen. 
Inf  diese  Weise  wird  durch  Analogien  Verständniß  ermittelt; 
laneben  wird  man  künftig  auch  hinsichtlich  solcher  rudimentärer 
itesidnen  in  jedem  einzelnen  Falle  die  Frage  stellen  müssen ,  ob 
de  als  Lehngut  oder  als  eigenes  Erzeugniß  der  Urväter  ihres 
jeweiligen  Besitzers  zu  betrachten  seien.  Diesen  Forschungen 
^ommt  die  Gunst  der  2ieitgenossen  entgegen,  seit  im  letzten 
lahrzehnt  unter  dem  Einflüsse  des  Darwinismus  die  Urgeschichte 
unseres  Geschlechtes  gradezu  in  den  Vordergrund  des  wissen- 
schaftlichen Interesses  gerückt  ist.  Während  aber  die  verglei- 
3hende  Ethnologie  die  Mythologie  bisher  nur  als  Teil  des  geisti- 
gen Gesammtlebens  in  Betracht  zog,  widmet  ihr  Schwartz  die 
^nze  Breite  seiner  Forschung;  auch  knüpft  er  seine  Erörterun- 
gen doch  vorzugsweise  an  deutsche  und  griechische  Mythen  an. 
lieider  muß  man  beklagen,  daß  er  in  seinen  späteren  Schriften 
luf  dem  in  seinem  bahnbrechenden  Programm  betretenen  Wege 
licht  mit  Besonnenheit  fortgeschritten  ist,  sondern  sich  in  eine 
größtenteils  selbsterschaffene  wirre  Phautasiewelt  verstrickt  hat. 
Indem  er  nämlich  die  Abstractionen  aus  dem  einen  Mythenkreise, 
len  er  zuerst  im  Ganzen  richtig  beobachtet  hatte,  «lUzuhastig  ver- 
illgemeinerte ,  gelangte  er  zu  folgender  Grundansehauung.  „Es 
^igte  sich  als  Ausgang  und  Mittelpunkt  der  ganzen  Mythologie 
ein  in  den  mannigfachsten  Kreisen  und  Zeiten  entstandenes  Chaos 
gläubiger  Vorstellungen  von  den  in  den  wunderbaren  Erscheinun- 
gen des  Himmels  und  namentlich  des  Gewitters  sich  bekundenden 
Wesen  und  Dingen  als  einer  zauberhaften  Welt,  die  nur  mit 
ihren  Symptomen  in  diese  Erdenwelt  hineinzureichen  schien,  die 
iber  das  Volk  oder  vielmehr  die  Menschen   sich  nach  Analogie 


Vorwort. 

der  letzteren  gläubig  zurechtlegten,  und  deren  Veränderungen 
ihnen  also  zu  einer  den  irdischen  Verhältnissen  analogen  Geschichte 
wurden."^  Den  Beweis  für  seine  Theorie  lieferte  ihm  eine 
Methode,  von  deren  VerhältniB  zu  den  Anforderungen  histori- 
scher Kritik  dasselbe  gilt,  wie  von  derjenigen  Kuhns.  Ja  es 
steht  damit  noch  bedenklicher,  insofern  die  verglichenen  antiken 
Mythen  zumeist  aus  ganz  abgeleiteten  Darstellungen,  dem  mythoL 
Lexicon  u.  s.  w.  entnommen  werden.  Doch  ist  andererseits  ein 
wesentlicher  Unterschied  zwischen  dem  Verfahren  der  beiden 
Gelehrten  bemerkbar.  Schwartz  stellt  nicht  je  zwei  Sagen  in 
ihrer  Totalität  einander  gegenüber,  wobei  dann  der  Harmonistik 
zu  Liebe  ein  Teil  der  einen  sich  häufig  gewaltsame  Verrenkun- 
gen gefallen  lassen  muß ,  sondern  er  geht  überall  auf  die  Urele- 
mente.  Diese  gewinnt  er  aber  nicht  durch  historische  AnalyBe, 
sondern  indem  er  irgend  einen  einzelnen  auffallenden  Zug,  einen 
losen  Faden  aus  dem  zusammenhangenden  Gewebe  der  Sage 
herauszieht  und  nun  leichten  Spieles  mit  einem  ähnlich  aussehen- 
den Naturbilde  combiniert  Zwar  hat  er  das  Verdienst,  dabei 
viele  volkstümliche  Naturanschauungen  und  ihre  Uebereinstim- 
mung  mit  Metaphern  der  Dichter  wirklich  nachgewiesen  zu  haben; 
sehr  viele  der  von  ihm  zum  Ausgangspunkte  der  Mythen  gemachten 
Naturauffassuugen  haben  aber  entweder  nur  in  der  äußerst  frucht- 
baren Einbildungskraft  des  Autors  oder  in  der  Subjectivität  ver- 
einzelter Poeten  ein  Dasein ;  und  ebenso  unberücksichtigt  bleibt, 
daß  nicht  jede  bildliche  Apperccptiou  von  Naturerscheuiungen  an 
sich  Mythos  ist  oder  überall  zum  Mythus  sich  weiterbildet  und 
deshalb  ihr  Vorhandensein  noch  keinesweges  von  vorneherein 
die  Vermutung  begünstigt,    sie  in   den   Sagen   wiederzufinden.* 


1)  Berliner  Zeitschr.  f.  Gynmasialwesen  1861,  S.  833. 

2)  In  den  Yeden  spielt  bekanntlich  die  poetische  Auffassung  derBegen- 
wolken  als  milchspendende  Kühe  eine  große  Rolle ;  sie  findet  vielfache  Ver- 
wendung in  dem  M^ihenkreis  des  Gewittergottes  Indra.  Das  deutsche  Volk 
könnt  die  nämliche  poetische  Metapher  (unten  S.  203):  in  nordischen  Volk»- 
rätseln  nähert  sich  dieses  Naturbild  mythischem  Charactcr  (Mannhardt  Ger- 
man.  Mvth.  7..  Götterwelt  S.  89^ ,  in  einem  Sonnenliede  (Germ.  M)th.  7.,  vgl. 
dazu  S.  386  ff.)  ist  es  völlig  zu  mythischer  Anschauung  geworden ,  mit  wel- 
cher vielleicht  einzelne  abtrgläubisclie  Vorstellungen  zusammenhangen 
mögen.     Aber  auch   die  Araber  haben   dieselbe  Naturanschauung  produziert 


Vorwort.  xxv 

loh  kann  diese  meine  Bedenken  gegen  Schwartz  nnd  seine  Naeh- 
folger,  deren  besonnenster  Äfanasieff  sein  dürfte,  hier  ebenfalls 
nur  andeuten  (vgl.  unten  S.  101.  157.  292);  ich  werde  auch  sie 
im  Gegensatze  zu  meiner  eigenen  Auffassung  künftig  an  beleh- 
renden Beispielen  darzulegen  Gelegenheit  haben. 

Durch   die   großartigen  Entdeckungen   auf  dem  Gebiete  der 
orientalischen,  besonders  der  ägyptischen  und  assyrischen  Alter- 
tumskunde und  die  Funde  der   prähistorischen  Archäologie  nicht 
weniger,  als  durch  die  vergleichende  Sprachwissenschaft,  hat  die 
griechische  Kulturgeschichte    aufgehört   mit  Homer  zu   beginnen; 
sie   ist  zu  einem   in    der  Mitte   liegenden   Zwischengliede   einer 
schon  Jahrtausende  früher  anhebenden,    immer  mehr  aus   dem 
Dunkel    hervortretenden    Entwickelungsreihe    geworden.      Man 
beginnt  der  allmählichen  Aufeinanderfolge  des  Einströmens  man- 
nigfaltiger   Kulturerwerbungen    vom    früher    zum    Aufschwung 
gelangten  nichtindogermanischen  Asien  her  in  die  europäische  Welt 
bis   in   deren   vorhistorische  Perioden   nachzuspüren    (V.  Hehn) ; 
seit  J.  Olshausen   zuerst  zahlreiche  phoenikische  Wortstämme  in 
griechischen  Ortsnamen  nachwies,  macht  sich  bei  einem  Teile  der 
Historiker  (E.  Curtius ,  C.  Wachsmuth  u.  a.)  das  Streben  geltend, 
das  Vorhandensein  und   den  Einfluß    eines    starken    semitischen 
Elements   unter   der   vorhomerischen   Bevölkerung  Griechenlands 
darzutun.      Allen    diesen    in    den    Anfängen    begriffenen    neuen 
Erkenntnissen   gegenüber   muß   die   von  einem  Teile  der  klassi- 
schen Philologen  festgehaltene  Behauptung  einer  rein  autochthonen 
hellenischen  Entwickelung   als  einseitig  zurückgewiesen   werden. 
Dennoch  verteidigen  auch  die  Vertreter  dieser  Richtung  wichtige 


Sie  findet  sich  mehrfach  in  deren  ältester  vorislamischer  Poesie.  Im  4.  Jahr- 
hand, d.  Hedschra  stellte  sodann  Abu  Bekr  Ibn  Uuräid  Ausdrücko  über  Wolke 
und  Regen  zusammen ,  die  er  grölUenteils  aus  dem  Munde  improvisierender 
Wüstenbeduinen  aufgezeichnet  hatto.  Da  finden  sich  ganz  dieselben  Natur- 
bilder, wie  in  den  Vedcn.  Die  Wolken  sind  Kameelhorden ,  die  einzelne 
Wolke  heißt  Wall  oder  Berg;  oder  sie  wird  als  Kamecl  gefaßt,  welches  der 
Wind  treibt  und  befruchtet,  als  gefülltos  Euter,  aus  welchem  die  Regenmilch 
niederströrat ,  als  Schlauch ,  aus  dessen  Ritzen  Wasser  sickert.  (Will.  Wright 
Opusc.  arab.  collect,  a.  edit.  froni  Mss.  in  the  University  of  Leyden.  —  Göt- 
ting.  gel.  Anz.  1800,  p.  094.)  Aber  alle  diese  Bilder  sind  hier  rein  poetisch, 
von  einer  Fortbildung  zum  Mythus  ist  nichts  bekannt. 


xrvi  Vorwort. 

Wahrheiten.  Und  auf  dem  Gebiete  der  seit  Preller  nur  in  Har- 
tungs  verkehrter  Religion  der  Griechen  umfassend  behandelten 
antiken  Mythologie,  haben  grade  K.  Lehrs  und  seine  Schale  in 
Einzelarbeiten  sehr  wertvolle  Beiträge  geliefert  Sie  machen  mit 
Recht  geltend ,  daß  man  die  griechische  und  römische  Götterwelt 
zunächst  vom  Boden  des  hellenischen  und  römischen  Volkstums 
aus  begreifen  lernen  soll;  sie  haben  uns  die  Empfindung  nachflih- 
len  lassen,  welche  die  Alten  in  historischer  Zeit  mit  ihren  Göt- 
tern verbanden ;  ein  Verständniß  von  den  mannigfachen  Ursprüngen 
und  den  Lebensgesetzen  der  mythischen  Bilderwelt  besitzen  sie 
nicht.  Eine  besondere  Beachtung  verdienen  E,  Plews  Unter- 
suchungen ,  weil  sie  (in  Bezug  auf  die  späteren  Geschicke  d< 
lomythus  und  mehrere  Kulte  der  in  jüngerer  Zeit  entlehnte] 
fremdländischen  Gottheiten  glücklich)  mit  einer  historische] 
Betrachtung  entschiedensten  Ernst  machen.  Gleich  sehr  um  sei — ^^- 
ner  Methode  willen  hervorzuheben  ist  Ä.  Bapps  Aufsatz  über  di^a^^e 
Mänade  (Rhein.  Mus.  n.  F.  XXVU,  1872).  Ganz  neuerdings  ha-^Mtt 
E.  Curtius  (Preuß.  Jahrb.  XXXVI,  1875,  1  flf.)  die  Frage 
geworfen,  ob  nicht  sämmtliche  hellenische  Göttinnen  ans  einer 
DiflFerenzieruug  der  durch  Entlehnung  angeeigneten  großen 
tisch -phrygischen  Naturgöttin  Vorderasiens  hervorgegangen  seiei 
Die  Frage  als  solche  ist  berechtigt  neben  der  nach  dem  indo-  ^- 
«uropäischen  oder  ethnisch -griechischen  Ursprung,  da  die  Viel  -Äll- 
seitigkeit  der  meisten  Göttinnen  in  der  Tat  an  Pantheismus  -^ß 
erinnert.  Bewiesen  ist  aber  noch  nichts  und  die  schließUch^  -^^ 
Lösung  des  Problems  dürfte  schwerlich  so  allgemein  im  Sinn^  -^^ 
des  Fragestellers  ausfallen. 

So  sehen  wir  denn  in  den  letzten  Jahrzehnten  von  den  vei 
schiedenstcn  Seiten  her  neue  WegG  cröflFuet,  um  in  das  Verstän< 
niß  der  Mythologie  einzudringen ;  aber  alle  diese  Arbeiten  stehei 
erst  im  Begiimc,  und  ihrer  manche  haben  sich,  von  der  gradei 
Richtung  abgelenkt,   in  der  Wikbüß  verlaufen.     Wenn  es  jedod 
für   seineu   freien    Fortschritt   ein   unab weisliches  Bedüiiniß  de^=^  ^ 
menschlichen  Geistes   ist,    die  psychischen  Petrefacten  der  Vec^""- 
gangenheit  Avieder  lebendig  zu  machen ,    wenn   die  Wissenscha-rÄ 
unserer  Tage  sich  als  eines  der  letzten  und  höchsten  Ziele  ihr^^« 
Ringens  einen  Stammbaum  der  gesammten  Ideenwelt  stellt,  wer^Ji 
endlich  die  verschiedensten  Einzelwissenschaften  an  einem  strer^ff 


Vorwort.  xxvu 

saenschaftlichen  Aafbau  der  Mythologie  ein  Interesse  haben, 
nn  darf  das  begonnene  Werk  nicht  liegen  bleiben.  Indem  der 
irfEisser  dieses  Buches  sein  Augenmerk  darauf  richtete,  von 
an  angedeuteten  Richtungen  zu  lernen,  das  Wahre  aus  ihnen 
&anelmien,  die  Fehler  auszusondern,  bildete  er  sich  seinen 
;enen  Standpunkt.  Selbst\'erständlich  nimmt  er  keine  Unfehl- 
rkeit  für  sich  in  Anspruch,  nur  das  Zeugniß  gewissenhaften 
rebens  und  eines  deutlichen  Bewußtseins  der  zu  verfolgenden 
ile  und  anzuwendenden  Mittel.  Und  niemals  wird  er.verleug- 
tt,  daß  er  von  Männern  wieWclcker,  Preller,  Lehrs,  Bötticher, 
ihn,  Schwartz,  Tylor  und  andern  lernte  und  sich  ihnen  oft  zu 
tnke  verpflichtet  weiß,  selbst  da,  wo  er  zu  andern  Ergebnissen 
langte,  als  sie. 

Der  Befreiungsprozeß  von  den  herrschenden  Richtungen  voll- 
^  sich  in  mir  naturgemäß  sehr  allmählich,  ein  schärferes  Auge 
rd  seine  Symptome  bereits  in  meinen  Jugendarbeiten  ^  erken- 
Q.  Meine  jetzige  Ansichten  und  Absichten  lassen  sich  etwa  in 
gende  Sätze  zusammenfassen.  Noch  immer  bleibt  der  wissen- 
laftliche  Aufbau  einer  deutschen  bzw.  germanischen  Mythologie 
r  Mittelpunkt ,  auf  welchen  alle  meuie  Bestrebungen  hinzielen ; 
er  ich  erkenne,  daß  es  noch  fttj  lauge  nicht  an  der  Zeit  sein 
rd,  den  Bau  im  Ganzen  {luszultihren.  Die  Mythologie  eines 
dkes  umfaßt  mir  alle  in  seinem  Geiste  unter  dem  Einflüsse 
rthischer  Denkform  zu  Stande  gekommenen  Verbildlichungen 
herer  Ideen,  miJgen  die  letzteren  von  ihm  selbst  erzeugt  oder 
Q  außen  her  aufgenommen  sein,  sowie  die  Geschichte  dieser 
listesproducte  und  ihrer  Veränderungen  durch  Verschiebung 
er  Umdeutung  des  ursprünglichen  Sinnes,  durch  Zutaten, 
roh  Verschmelzung  und  Mischung  mit  anderen  rein  mythischen 
er  geschichtlichen  Traditionen ,  endlich  durch  dichterische  oder 
nstlerische  Behandlung,  nachdem  sie  aufgehört  haben  im 
wußtsein  ihrer  Träger  Wirklichkeit  zu  beanspruchen.  Diese 
trachtung  berührt  Vieles,  was  weder  Philosophie  (wenn  auch 
ch  so  primitive)  noch  Religion  ist.    Sie  fällt  daher  nicht  zusam- 


1)  Germanisclic  3Iython.    Forschungen.    Borlin  1858.  Dio  Götterwelt  der 
itechen  und  nordischen  Völker,  I.    Berlin  18G0. 


.*ui  Vorwort 

IC»,  ist  aber  versch^vistert  mit  einer  anderen  Betrachtaogy  welche 
teil  Oolialt  und  die  Umwandinngen  der  mythisch  ansgedrttckten 
UKvn  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Entstehung  und  fortschreiten- 
den Gntwickelung  des  philosophischen  und  religiösen  Gedankens 
y.u  prüfen  hat.  Diesen  Grundsätzen  gemäß  stelle  ich  den  Begriff 
der  deutschen  ÄFythologic  anders,  als  J.  Grimm  tat.  Nicht  allein 
die  Gestalten  und  Phantasicgebildc ,  unter  welchen  unsere  Vor- 
eltern während  der  verschiedenen  Epochen  ihres  Lebens  vor 
Einführung  des  Christentums  die  Götter-  und  Geisterwelt  ru 
erfassen  suchten,  rechne  ich  dahin,  sondern  auch  diejenigen  Per- 
Bonificationen  und  vermeintlichen  Aeußerungen  übersinnlicher 
Mächte,  welche  sie  später  vermiige  der  Fortdauer  des  mythen— 
bildenden  Triebes  aus  sieh  selbst  oder  durch  Versinnlichung  dei 


Ideen    des    Christentums    oder    aus    anderen    Anregungen    nemin 
erschufen.     Bei  dieser  Auflassung  gewinnen  dann  auch  PAr^hta 
der    bergentrückte  Kaiser,    der    Teufel  des  Volksglaubens  un< 
Aehnliches  wieder  eine  berechtigte  Stelle  in  der  deutschen  Myth< 
logie;    fem    aber  bleiben    die  schon  fertig  übernommenen   uni 
unverändert    fortgetragenen     Verbildlichungen,    mit    denen    di. 
christliche  Kirchenlehre  ihre  hohen  Wahrheiten  der  menschlicher 
Anschauung  nahe  bringt.      Innerhalb   des  beschriebenen 
muß  angestrebt  werden,  verschiedene  Perioden  (ältere  und  spätei 
Mythologie    des   Heidentums,    Volksmythologie    des   Mittelaltei 
u.  s.  w.)  zu  trennen  und  Je  mit  dem  ihnen  eigentümlichen  Inhalt 
zu  erfüllen;    es  muß  zwischen  den  Anschauungen  (Sage,  Braucl 
Kultus)    des    gcsannntcn    Volkes  und    einzehier   Teile   desselbe 
(Stämme,    Stände,     Familien    u.  s.  w.)    unterschieden    werdei 
Quelle   ist  überall,   wo  es  sich  nicht  um  die  späteren  Schicksal 
der  Mythen  in  Kunst  und  Literatur  handelt,  der  lebendige  Voll 
glaube.     Ihn  in  seiner  echten   Form   zu  ermittehi  und   in   seine       fl 
Entwickelungsphasen    bis   auf  die  ursprüngliche,    die    Grundide^^^ 
am   reinsten   ausdrückende,    Fassung   zu  verfolgen,    ist  eine  dc^r 
ersten  Aufgaben ,    mag  die  Ueberlieferung  unmittelbar  aus  de"«^3? 
Volksmunde  oder  aus  dem  Schrilttum  entnommen  sein.      Iliet^/ 
wird  jedoch  ein  Unterschied  zu  beobachten  sein.      Ue1)erall,   y^^o 
eine    Tradition     (Sage,    Brauch,   Glaube)    uns    auf   literarischem 
Wege  überliefert  wird,  oder  wo  sie  in  den  Strom  geschichtlich ei? 
Lebens   hineingerissen   von  diesem   eine  Zeitlang  weitergetragefl 


Vorwort. 

GUTy  80  daß  sie  innerhalb  eines  erkennbaren  bistoriscben  Zusanimen- 
mgs  steht^  hat  der  Forseber  vorab  alle  diejenigen  durch  Jahr- 
loderte  lange  Erfahrung  ausgebildeten  kritischen  Handhaben 
ihrem  VerständniB  anzuwenden ,  deren  sich  die  Philologie  und 
^schichtswissenschaft  zur  Lösung  ihrer  Aufgaben  bedienen,*  nur 
it  gebührender  Berücksichtigung  der  eigentümlichen  Beschaffen- 
it  des  zu  bearbeitenden  Stoffes.  Jede  üeberlieferung  ist  zuerst 
15  sich  selbst  uml  aus  ihrem  vcichsten  Umkreise  zu  erklären; 
)t  wenn  hier  die  Rechnung  nicht  aufgeht,  darf  schrittweise 
jiter  und  tiefer  rückwärts  gegriffen  werden. 

Die  Chronologie  der  Zeugnisse  ist  in  erster  Linie  zu  befragen ; 
r  Mythenforscher  wird  jedoch  nicht  vergessen,  dass  unter  Um- 
inden  eine  junge  Aufzeichnung  die  ältere  und  echtere  Form 
r  Üeberlieferung  zu  Tage  fordert.  Wo  unmittelbare  Volkstra- 
'ion  vorliegt,  ist  nach  inneren  Gründen,  auf  dem  Woge  der 
lalyse  und  mit  Hilfe  von  Analogien,  die  nach  Wert  und  Inhalt 
larf  geprüft  sind,  ebenfalls  nach  Möglichkeit  eine  chronologische 
Kierung  und  die  Herstellung  der  ürgestalt  zu  erstreben.  Sind 
loch  solche  Traditionen  in  geschichtsloscn  ^  Volksschichten  weiter 

1)  Nicht  um  am'h  nur  im  entferntesten  ein»^  Anschauung  der  vielen 
ibei  in  Betracht  kommenden  Verrichtungen  niederer  und  höherer  Art  (von 
•  Tcxtherichtigung  und  quellengoschichtlichen  Untersuchung  bis  zu  der 
rch  innere  Kritik  erreichbaren  Zerlegung  des  Objccts  in  seine  genetischen 
imente)  zu  gewähren,  sondern  nur  um  von  der  Anwendung  des  Prinzips 
r  die  in  Rede  stehenden  Gegenstände  überhaupt  einen  Begriflf  zu  geben, 
ite  ich  Einiges  an.  Man  vgl.  den  Nadiweis  über  die  verscliiedenen  Wand- 
igen der  epischen  Sago  von  Rauch -Else  his  auf  die  Volkssage  vom  wilden 
übe  zurück.  (Bk.  108  ff.)  Dem  entsprechend  ist  die  Darlegung  der  ver- 
liedenen  Entwickelungstadien    der    Sage    von    Peleus     und   Thetis    (unten 

77).  —  Einen  gedi<»genen  Versuch  kritischer  Untersuchung  der  verscbie- 
[len  Aufzeichnungen  einer  Volkssage  macht  S  c  h  o  tt m  ü  11  e r  in  s.  Programm- 
fsatz  „die  Krügerin  von  Eichmedien."  Bartenstoiu  1H75 ;  doch  der  Schluß 
rläßt  die  eingeschlagene  Bahn  und  gelangt  daher  zu  unbefriedigenden 
gebnissen.  (Vgl.  unten  Ö.  i)6.)  Ein  Muster  der  methodischen  Bearbeitung 
les  Volksbrauches,  der  in  einer  von  höherem  geschichtlichen  Leben  bewegten 
»Iksschicht  weiter  gebildet  wurde,  bietet  ,,  E.  Pabst,  die  Volksfeste  der  Mai- 
afen.  Berlin  18G5."  ^Vgl.  meine  Weiterführnng  der  Untersuchung  Bk. 
376  ff.)  Dazu  stellt  sich  gleichwertig  K.  Müllenhoffs  monographische  Behand- 
ag  des  Schwerttanzes  i^Gabeu  für  Homeyer.  Berlin  1871.) 

2)  Dies  Wort  werde  cum  grano  salis  verstanden.  Unter  den  Kultur- 
Ikem   haben   freilich  auch  die  niederen,   rückständigen  Volksschichten  am 


\ 


Vorwort. 

getragen,  so  sind  wir  meistenteils  berechtigt,  sie  wie  Natar- 
objeete  zu  behandeln,  und  nach  vorgängiger  Prüfung  ihrer  Echt- 
heit derjenigen  Untersuchungsmethode  zu  unterwerfen,  welche  die 
Naturforschung  fllr  ihre  Gegenstände  anwendet  Wie  in  einem 
Gebirge  sich  die  organischen  Reste  verschiedener  Erdbildungs- 
Perioden  über  einander  ablagern,  bewahrt  das  Gedäditniß  des 
Volkes  unbewußt  Ablagerungen  der  verschiedenen  Kulturepoehen, 
die  dasselbe  jemals  durchgemacht  hat,  mit  vielen  fremden  Ein- 
schlüssen; aber  die  Lage  der  Schichten  hat  sich  vielfach  ver- 
schoben und  durchkreuzt,  der  Inhalt  jedes  einzelnen  hat  sich 
durch  Verwitterung,  Vermischung  oder  rein  äußerliche  Verbm- 
dung  mit  den  Produkten  anderer  umgestaltet^    Damit  aus  de 


Versteinerungen  die  Geschichte  der  Vorwelt  wieder  hergestellt^  -t 
werden  könne,  mußte  der  Tätigkeit  der  Geologen  und  Paläonto —  -^ 
logen  die  elementare  Arbeit  descriptiven  der  Mioeralogie,  Zoologi< 
und  Botanik  vorausgehen,  welche  die  Fülle  der  individuelle] 
Erscheinungen  nach  Gattungen,  Arten  und  Unterarten 
und  die  gemeinsamen  Merkmale  jedes  derselben  umgrenztem— ^. 
Sodann  machte  der  Geologe  seine  Längen-,  Queer-  und  Höhen-  -ä- 
durchschnitte  und  verzeichnete  das  Verhältniß  der  einzelnen  Lage—  ^- 


>- 


historischen  Leben  der  Nation  ihren  Anteil,  aber  einen  weit  geringeren,  al  -^Bls 
die  höheren  Klassen;  und  nicht  alle  Ideen  und  Lebensgebicte  ihrer  Angehö 
rigen  unterliegen  in  gleiclicni  Maße  dem  umbildenden  Einflüsse  neuer  Kulti 
Strömungen.     Wie  wir  in  unseren  Hansastädten  vielfach  alte  Häuser  antreffe 
deren  Fayade  modern  ist,  oder  dem  Rockockostyl  angehört,  während  in  ihre 
entlegenen    Hinterhause    noch    die    verblichene    Pracht    der    Renaissancezei 
erhalten  ist,  in   der  Seitenwand  am  Hiutergäßchen  und  unter  Dächern  an 
Treppen  gar  noch  unberührt  die  Gothik  träumt,  giebt  es  namentlich  bei  de 
in   einfacher,  gloiclimälHger  Arbeit    dahin   lebenden  Landvolk   noch   einzeln— 
Leben sgebieto,  Winkel  und  Ecken  der  Vorstellungswelt ,  an  denen  eine  mehr^ 
tausendjährige  Geschiclite  fast  ganz  spurlos  vorüberschritt.  Ein  solches  Gebie=- 
ist  beispielshalber  dasjenige    der   Erntegebräuche.     Andere    in  den   niedere 
Ständen  haftende  Vorstellungskrcise  repräsentieren  ebenfalls  läng8tvcrgangent£^i 
aber  jüngere  Kulturstufen,   und  im  Großen  und  Ganzen  darf  man   urteilcira  -. 
daß  der  Wellenschlag  der  geschichtlichen  Strömungen  ihren  Ideenvorrat  ni»  r 
langsam  und  selten  bewegte. 

1)   Vgl.   unten    S.  205.     In  Bezug   auf   die   Verbindung    verschiedener 
Sagenelemente  (Accumulation   und  Assimilation)  macht  Schottmüller  a.  a.  O. 
gute  Beobachtungeu. 


Vorwort. 

niDgsschichten  und  ihrer  Einschlüsse.  Es  ist  nicht  zu  bezweifeln, 
daß  ein  entsprechendes  Verfahren  auch  der  mit  der  Volkstlber- 
liefemng  arbeitende  Mythologe  einzuschlagen  hat.  Bei  noch  sehr 
uiiTollständig  gesammeltem  Material  stehen  wir  noch  vor  der 
Aufgabe,  die  der  Naturwissenschaft  im  vorigen  Jahrhundert  oblag, 
der  Aufgabe  der  Klassifizierung^  und  der  rationellen  und  voll- 
aitändigen  Sammlung  der  zu  jeder  Abteilung  gehörigen  Erschei- 
Qiuigsformen,  sodann  der  Verknüpfung  derselben  mit  anderen 
Typen  zu  generelleren  Klassen.'  Dabei  kommt  es  darauf 
Eui,  die  reinen  Typen  heraus  zu  erkennen  und  selbst  im 
Zustande   der  Verwitterung    wiederzuerkennen ,  ^    oder   mehrere 


1)  Wenn  man  eine  solche  rein  schematistisch  und  olino  vorgängige 
Anwendung  der  kritischen  Operationen  vornimmt,  gelangt  man  zu  den  Irr- 
kümem,  in  welche  der  wackere  J.  G.  v.  Uaiin  in  seinen  „Mythologischen 
Parallelen,  Jena  1859'*  und  „Sagwissenschaftlichen  Studien^  Jena  187G'' 
sich  yerfangen  hat. 

2)  So  haho  ich  z.  B.  Bk.  IGO — 190  die  Merkmale  des  Maihaumtypus  in 
seiner  dreifachen  Ausgestaltung  als  Lebensbuum  der  Ortschaft,  des  Gemeinde- 
worstehers   und    des   geliebten   Mädchens   aus  der  Vielheit  der  individuellen 
Erscheinungen   herausgezogen,    und    diesen  Typus  aucli    als  Grundform   des 
vielfach   gemodelten   englischen   Maypole  nachgewiesen:    S.  190  ff.   sind   der 
Jlrnteraai,  S.  218  der  Richtmai,  S.  221  die  Brautmaie,    8.155  der  Leto  als 
l>e8ondere,  verwandte  Tyj»en  beschrieben,  sudann  aber  mit  dem  Maibaum  zu 
«iner   gemeinsamen  Klasse   verknüpft.      Ebenso    verzeichnet  Bk.  498  ff.    die 
Xennzeichen  des  Sonnwendfeuers  und  bespricht  sodann  die  Unterarten  dieses 
BegrifTs.   In  vorliegendem  Bande  sind  S.  155 — 171  die  bockägestaltigen  Korn- 
nnd   Grasdämonen  beschrieben,   S.  171 — 173   werden    damit   verschiedene 
Arten  von  bocksgestaltigen  Haus-  und  Feldgcistem  und  S.  113  -1,')5  sttd-  und 
nordeuropäische  Waldgeistor  als  Begriffe  von  nah  verwandtem  Inhalt  zu  einer 
größeren  Gruppe  verbynden,  ob  mit  Rocht,  kann  erst  die  systematische  Durch- 
forschung der  Totalität  des  antiken  und  nordischen  Volksglauben  ausweisen. 

3)  Wie  den  Goliatli,  Ludwig  XVI.  und  Mohrenkönig  als  den  geköpften 
Maikönig  Bk.  365,  das  Ringstechen  als  Wettritt  nach  dem  Kranze  des  Mai- 
baums  Bk.  388.  W.  Schwartz  lehrte  uns  das  „Fortrücken'*  der  Sagen 
kennen  und  unter  den  Wandlungen  raumlicher  und  zeitlicher  Scenerie  die 
Substanz  eines  urspränglichen  Mythus  herausfinden.  Viele  Trümmer  echter 
Volksanschauungen  sind  erst  aus  der  Auflösung  der  ätiologischen  Sagen  her- 
auszulesen ,  welche  durch  sie  veranlaßt  sind  ^^s.  unten  229  ff.  339  ff.}.  Der 
Trieb  zur  ätiologischon  Sagenbildung  spielt  eine  der  bedeutendsten  Rollen  in 
aller  Mythologie.     U.  a.  ist  seine  Betätigung  in  den   aus  Kunstwerken  ent- 


xxxu  Vorwort. 

uuvolktäudige  beziehungsweise   in  verschiedene  Ziisanimenhän{ 
einpflügte    Exemplare    zur  gegenseitigen   Erläuterung    oder  Ei 
gHuzung  zu  verwenden.^    Zugleich   aber  mit  dieser  Anfstelluu^ 
der  Typen   muß   schon  jetzt  für  jeden   einzelnen  Fall  oder  ftL_ 
jede  Gruppe  der  Versuch  einer  sowol  äußeren  als  inneren  Chrc 
nologie  (durch  historische  Zeugnisse  und  durch  Beobachtung  di 
Verhältnisses  der  Entwickelungsformen)   angestellt,  und  es  mi».  ß 
vorläufig  damit  begonnen  werden,    die  Ablagerungsscbichten  di 
verschiedenen    kulturhistorischen  Perioden   in   ihrer  ganzen  An 
dehnung  zu  verfolgen,  ihre  Einschlüsse  (Entlehnungen)  anzumerk^^ 
und  zu  beobachten,  was  von  andern  Ueberlieferungen  über,  onti^r 
oder  neben  ihnen  liegt. 

Bei  allen  diesen  Verrichtungen  kann  die  deutsche  Myth^n- 
forschung  des  Hilfsmittels  der  Vergleichung  mit  den  niythisctk.  ^^n 
Gebilden  anderer  europäischer  und  nichtcuropäischer  Völker  nic:z=lit 
entraten,  noch  sich  der  Beobachtung  analoger  Fälle  entschlag^isn, 
die  mitten   im  Zusammenhange   einer  in  der  Gegenwart  geübKi^n 


standenen  Sagen  des  Altertums  und  des  Mittelalters  von  G.   Kinckel  (Mos 
z.  Kunstgeschichte.   Berl.  1876.    S.  IGl — 243)  so  eben  ausführlich  besprocl 
auch    die  Mehrzahl    der  lilumensagcn    und   viele   andere   Pflanzensagen 
lediglich   ätiologiscli.     Schwiirtz   verkennt   diese  Verhältnisse  durchaus, 
er  sich  über  L.  Friedländer  lustig   macht  (Jahrb.    f.  Phil,  und  Pädagog. 
1874,    S.  180  1V.),  weil    dieser    der    [nur   zu    eng    gegriffenen]   Kategorie 
,, Küstersagen"    d.  h.    der  im   Kopfe   der  Periegeten    entstandenen   Legei 
einen  groHen  Anteil  an    dem,   was  uns  als  griechische  Mythologie  überli( 
ist,  zuschreibt. 

1)  8o  wird  z.  B.  der  niederlitauische  Glaube  von  der  Rache,  welche      die 
Baumgeister   üben,   wenn   man  den  Baum  der  Kinde  beraubt  (Bk.  12),  diirci 
den  franz.  Aberglauben  vom  Wasserholunder  (ebds.)  erklärt.    Beide  Traditiouea 
erläutern  sowohl  viele  Stücke  der  Volksmedizin,  als  namentlich  die  in  Uecbts- 
formein    lange   erhaltene  Strafe  für  Baumschäler   (Bk.  20  ff.)  und  den  deut- 
schen  (flauben.   daß   ein  Moosmännclien  sterbe,    wenn   man   vom  Baum    die 
Rinde  abdrehe  (Bk.  75).     Der  irische   Aberglaube,  daß  ein  Baum  verweüre. 
wenn  man   ihm  einen  Traum  sagt,    läßt  das  Verbot  der  Holzfräulein  (Panxer 
II,  161.  Bk.  75)  verstehen;   die  Superstition,   daß  es  regne,   wenn  man  einen 
Frosch  köpft,  erläutert  das  Froschtödten  im  Maikonigsspiel.  (Bk.  355).    Hie- 
durch  findet  auch  die  in  dem  Namen  Fruschschinder  unvollständig  erhaltene 
Tradition    i^Bk.  35G)    Vervollständigung    und    Beleuchtung.      Der    vereinzelte 
Name  Heugeiß  (unten  171)  darf  nach  Analogie    des  in  voller  Breite  erhal- 
tenen Glaubens  vom  Kornbock  ergänzt  werden  u.  s.  w. 


> 


Vorwort.  xxzm 

^Iksreligion  befindlich  sind.  Sie  bedarf  dieser  Hilfsmittel  sowohl, 
^  die  Typen  festzustellen,  als  um  unser  Eigentum  von  fremdem 
^td  unterscheiden  zu  lernen;  nur  darf  niemals  nach  einer 
hablone  verfahren  werden,  und  bloße  Analogien  oder  Aehn- 
hkeiten  und  wirkliehe  Congruenzen  sind  sorgfältig  auseinanderzu- 
Iten. 

Vor  der  Verwendung  irgend  eines  fremdländischen  Stückes 
r  Vergleichung  müssen  auch  au  diesem  alle  diejenigen  Forde- 
Dgen  erillllt  sein,  welche  wir  in  Bezug  auf  deutsche  Mythen 
tistellten,  und  das  um  so  entschiedener,  wenn  sie  einer  Mytho- 
i;ie  angehören,  welche  ein  so  langes  geschichtliches  Leben 
iter  sich  hat,  wie  die  der  Griechen  und  Römer.  Hier  muß  es 
r  allem  obliegen,  den  Kern,  die  smfangliche  echte  Volksvor- 
Jlung  aus  den  umhüllenden  Schalen  zu  lösen,  und  mit  andern 
»Iksvorstellungen  darf  nur  diese  Volksvorstellung ,  Gleichartiges 
t  Gleichartigem,  in  Vergleichung  gebracht  werden. 

Der  Widerstand  ist  groß,  den  die  Eigenartigkeit  und  Lücken- 
ftigkeit  des  ätofTes  und  die  tausendfältige  Verschlingung  der 
scheinungen  einer  Uebersetzung  dieser  Grundsätze  in  ihre  tat- 
^hliche  Anwendung  entgegenstellen.  Mehr  als  auf  anderen 
bieten  liegt  es  hier  in  der  Natur  der  Sache,  daß  erst  aus 
len  vergeblichen  Versuchen  allmählich  das  Richtige  sich  her- 
anarbeitet und  daß  der  Weg  zur  Wahrheit  mit  Irrtümern  gepila- 
rt  ist  Darum  ist  die  größte  Vorsicht  geboten  und,  was  blei- 
dden  Wert  erlangen  soll,  bedarf  einer  längeren,  allseitig  und 
rgsam  prüfenden  Vorbereitung. 

Die  methodische  Grundlage  flir  Forschungen  der  bezeichneten 
t  müßte  ein  Urkundetibuch ,  ein  QueUcnschatz  der  germanischen 
»Iksüberlieferung  abgeben,  in  welchem  jede  Tradition  über  das 
nze  Gebiet  ihres  Vorkommens  bis  auf  dessen  letzte  Grenzen, 
d  historisch  rückwärts  bis  auf  ihre  erste  Erwähnung  verfolgt 
rd.  Ein  solches  Unternehmen  ist  aber  fttr  jetzt  noch  weit 
bwieriger  als  die  Sammlung  und  Bearbeitung  der  Geschichts- 
hreiber  und  diplomatischen  Documente,  weil  es  sich  nicht  um 
reits  zusammenhangende  und  mehr  oder  minder  leicht  datier- 
.re  große  Contexte  und  deren  kritische  Behandlung,  sondern 
Q  unzählige  im  Volksmund  und  der  Literatur  zerstreute,  zeitlich 
hwer  bestimmbare,  Kleinigkeiten  handelt,  die  erst  in  Zusammen- 

Mftnnhftrdt.    II.  C 


Vorwort. 

hang  gebracht  werden  sollen,  und  weil   die  dreihundert]Umg^^=^ 
Erfahrung    fehlt,    welche    den    historischen    Monumentenwerkei 
bereits  zu  festen  Normen  verholfen   hat.     Zunächst  kann  nur 
einen  Versuch  mit  einer  kleinen  Gruppe   von   UeberlieferongeiK^üi 
gedacht  werden. 

Sobald  ich  diesen  Gedanken  gefaßt  hatte,   machte  ich  186(r      j> 
der  historischen  «Commission  in  Mtlnchen  den  Vorschlag  mit  ,,dei 
mythischen  und  magischen  Liedern"  zu  beginnen.     Jedoch  ver- 
hinderten   äußere    Verhältnisse    sowohl    die    Ausführung    diesem  :sb 
Planes ;   als  die  Fortsetzung  meiner  „Götterwelt,"   deren  BeendL^KJ- 
gung   sodann   in  Folge    der  Umwandlung   meiner  Anschauungen  ^n 
unterbleiben  mußte.    Unter  dem  Druck  dieser  Verhältnisse  brac!"-.^! 
meine  Gesundheit  zusammen  und  ich  sah  mich  genötigt,  die  begoi 
nene  akademische  Lehrtätigkeit  an  der  Berliner  Universität  einzu- 
stellen und  mich  nach  der  Provinz  in  die  Pflege  meiner  Famili- 
zurückzuziehen,  wo  meine  Kräfte  sehr  alhnählich  wieder  erstarktei 
Jetzt  vertauschte  ich  den  ins  Auge  gefaßten  Arbeitsstoff  mit  „  des — =» 
mythischen  Gebräuchen  beim  Äckerbau,''  weil  die  Tatsache, 
in  Schweden   fllr  den  Oden,  in  Norddeutschland  flir  den  W< 
die  letzte  Garbe  auf  dem  Felde   stehen  blieb,  eine  Schicht  vo 
üeberlieferungen    anzeigte,    welche    einen   sicher   innerhalb    d< 
deutschen    Heidentums    stehenden    Ausgangspunkt    darbot. 
Ausführung  meiner  Absicht  habe  ich  nach  und  nach  eine  Anzal 
bestimmter  Fragen  in  Hunderttausendeu    von   Exemplaren  üb< 
ganz  Deutschland  und  in  die  übrigen  Länder  Europas  verbreite 
Es  gelang  mir,  durch  die  Beteiligung  fast  sämmtlicher  deutschi 
Schullehrerseminare   und   der   vom  Lande    gebürtigen 
vieler  Gymnasien,    durch    die    landwirtschaftlichen  Vereine  un^    -^ 
viele  einzelne  Personen,  mit   denen  ich  in  Verbindung  trat,  ei^   -^ 
sehr  umfangreiches  Material  aus  Deutschland  zusammen  zu  bringecr^:::^ 
ein  minder  umfangreiches  aber  wertv^olles  aus  Holland   (wo  sictll^ 
die  Maatschappy  der  Nederlandske  Letterkunde   der  Sache  m^^^ 
Eiler  annahm),  aus  Schweden,   Norwegen,  Polen  und   verschic^^* 
denen  Teilen  Rußlands.     Ich  ergänzte  die  Sammlung  durch  eigeiL     ^ 
Aufzeichnungen    aus    meiner   Umgebung    und    auf*  Reisen    nac     ^ 
Schweden,^   Holland,    den   russischen    Ostseeprovinzen),   so   wÄ-^ 


1)   Hier    habe    ich  u.  a.  1874    Gelegenheit  gefunden    unter    Asbjöi 
8ens   Beistand  die  norwegischen    Soldaten    der    kgl.    Leibgarde,    in    Beglc3?i- 


Vorwort. 

1  die  Literatur.  Auch  die  mir  bekannt  gewordenen  Ver- 
tlichungen  von  Saat-  und  Emtegebränchen  während  des 
m  Jahrzehnts  (aus  Oestreieh,  der  Schweiz,  Oesel,  Bulgarien) 
len  auf  Sammlungen  mit  Hilfe  meiner  Frageblätter.  Außer- 
kamen mir  die  siegreichen  Kriege  1864 — 1870  zu  statten, 
le  viele  bei  dem  Landbau  aufgewachsene  Männer  als  Kriegs- 
igene  in  meine  Nähe  führten.  Zuerst  suchte  und  fand  ich 
felegenheit,  in  Graudenz  einige  Hunderte  von  Dänen  ftir  meine 
ske  auszuforschen;  demnächst  konnte  ich  trotz  der  unter  den 
Qgenen  herrschenden  Cholera  ein  Vierteljahr  lang  täglich 
»chselnd  in  den  Kasernen  zu  Danzig  und  im  Lager  bei  Dir- 
1  die  dort  eingelegten  Angehörigen  eines  beträchtlichen  Teils 
Völkerstämme  des  Kaisertums  Oestreich  ausbeuten,  wobei 
mehrere,  ihrer  jedesmaligen  Regimentssprache  wol  kundige 
nach  längerer  Beobachtung  mit  Vorsicht  ausgewählte  Feld- 
ilkadetten  als  Dolmetscher  schätzbare  Dienste  leisteten.  End- 
verschaffte mir  der  Krieg  mit  Frankreich  die  Möglichkeit, 
fuße  die  mythischen  Ackerbaugebräuche  in  Elsaß -Lothringen 
fast  sämmtlichen  Departements  von  Frankreich  zu  erfragen, 
von  Laisnel  de  Salle  neuerdings  in  Berry  aufgezeichneten 
jgebräuche  bestätigten  die  Zuverlässigkeit  meiner  Erhebungen, 
diese  Weise  gewann  ich  eine  lebendige  und  reiche  Anschauung 
der  meinen  Gegenstand  betreffenden  Tradition  im  nördlichen 
mittleren  Europa  bis  an  die  nördliche  Grenze  der  drei  sttd- 
n  Halbinseln;  die  Sammlung  in  Griechenland  ist  im  Beginne 
iffen.  Die  Bearbeitung  des  umfangreichen  Stoffes,  von  der 
in  größter  Kttrze  einige  wenige  Proben  mitteilte,^  bewährte 
^chtigkeit  des  Prinzipes,  indem  sie  das  Bild  eines  großen 
mmenhangenden ,  in  fast  allen  seinen  Zwischengliedern  erhal- 
i  Anschauungskreises  entrollten.  Neben  einer  Fülle  von 
n  und  sonstigen  Aberglauben  traten  viele  bis  dahin  unbe- 
te  mythische  Gestalten  so  vollständig  und  lebendig  zu  Tage, 


eines  sclnv cd i scheu  Gelehrten   die  Insassen  einer  schwedischen  Kaserne 
fragen. 

1)  Roggenwolf  und  Roggenhund.    Danzig  1865.    Aufl.  2.    1866.     fVgl. 

8.  318—327).     Die  Korndämcneu.    Berl.   1867.      Vgl.  ßk.  190—218. 

smai):  unten  8.  155—171.  179  — 1H9.  (Kornbock). 


c* 


Vorwort. 

wie  bis  dahin  kaum  irgendwo  eine  andere  mythische  Penomfi- 
cation.  Zugleich  sind  diese  Gestalten  einander  so  analog,  djJ 
die  noch  nicht  aufgefundenen  Stücke  der  einen  sich  fast  mit  der 
Sicherheit  sprachlicher  Flexionsformen  oder  osteologischer  ädi- 
logien  aus  den  vollständiger  erhaltenen  anderen  ergänzen  lassen.^ 
Wider  Erwarten  zeigte  es  sich  aber,  daß  diese  Traditionai 
mit  dem  germanischen  Sprachgebiet  nicht  aufhörten,  senden 
weit  in  das  Gebiet  der  Romanen,  Kelten,  Slaven  und  Litauer 
hineinreichten,  so  jedoch,  daß  an  einigen  Stellen  eine  Grenie 
sichtbar  zu  werden  scheint,  wo  sie  dünner  werden  und  end- 
lich ganz  verschwinden.  Die  französische  und  norditaliänisehe 
Form  der  Tradition  zeichnet  sich  durch  einige  wenige  fast 
unmerkliche,  aber  bedeutsame  Verschiedenheiten  von  den  näm- 
lichen Ueberlieferungen  in  Deutschland  und  dessen  OstlieheD 
und  nördlichen  Nachbarländern  aus,  und  ich  entdeckte  darin 
zu  meiner  Ueberraschung  die  Uebergangsformen  und  Mittel- 
glieder, welche  das  Verständniß  der  ältesten  griechischen 
und  römischen  auf  den  Ackerbau  bezüglichen  Kulte  mir  auf- 
schlössen. In  Bezug  auf  ihr  Verhältniß  zu  den  großen  Klllta^ 
epochcn  betrachtet,  erwies  sich  in  den  in  Rede  stehenden 
Bräuchen  oben  aufliegend  eine  starke  Schicht  christlicher  Symbo- 
lik ,  wie ,  wenn  die  letzte  Garbe  in  Folge  der  AuflFassung  Christi 
als  himmlischen  Weizens  la  gerbe  de  la  passion  heißt  (Bk.  231  ff), 
oder  den  Tieren  in  der  Christnacht  in  die  Krippe  gelegt  wird. 
Man  sieht,  wie  mächtig  und  tief  der  christliche  Vorstellungskreis 
in  das  Gemüt  des  Volkes  eingriff.  Darunter  liegt  eine  ganz  kleine 
Zahl  von  Ueberlieferungen  des  späteren  germanischen  oder  slavi- 
schen  Heidentums  (letzte  Garbe  dem  Öden-Wode  geweiht;  drei- 
köpfiger Komalter  =  Swantewit.  Komdämon.  S.  32).  Aber 
diese  Formationen  der  beiden  oberen  Schichten  sind  augenschein- 
lich nur  Umwandlungen  einer  in  weit  älterer  Zeit  erzeugtcD 
Substanz,  deren  Produkte  (Darstellung  der  anthropomorphen  und 
theriomorphen  Korndämonen)   in   breitester  Fülle   erhalten  sind. 


1)  Vgl.  einstweilen  den  Alten  (Korndäm.  23  ff.),  die  Kornmutter 
(Komd.  19  fl.),  das  Kornkind  (Korndäm.  28  ff.),  das  Kornschwein  (Rogg^^' 
wolf.  S.  1  ff.),  den  Roggenliund  (Roggenwolf  a.  a.  0.),  den  Komwolf,  ^«"^ 
Kornbock,  den  Kornkator  (unten  8.  172  ff.)  Komhahn  (Korndäm.  S.  13  ff.). 


Vorwort. 

Sie  beiühren  sich  (was  ich  teils  mit  vollster  Sicherheit,  teils  mit 
sehr  Tioher  Wahrscheinlichkeit  nachzuweisen  unternehmen  darf) 
mit  den  vorhomerischen  und  sonstigen  allerältesten  Agrarkulten 
in  Griechenland  und  Phrygien,  denjenigen  der  Köuigszeit  in  Kom, 
den  vonnosaischen  in  Palästina.  In  der  Zeit  des  späteren  ger- 
manischen Heidentums  mögen  sie  schon  außerhalb  des  herschen- 
den  Kultus  gestanden  haben  und  nur  noch  als  altüberlieferte 
Bräuche  fortgetibt  sein.  *  üb  sie  aber  bei  den  Vorfahren  der 
nordeuropäischen  Völker  entstanden,  oder  im  grauen  Altertum 
etwa  im  Gefolge  des  Ackerbaus  emwanderten,  läßt  sich  noch 
nicht  erkennen.  Ganz  ähnlich  steht  in  jeder  Beziehung  die  Sache 
hinsichtlich  des  Maibaums  und  der  Sonnwendfeuer.  Seien  sie 
entlehnt  oder  autochthon,  so  haben  sich  in  ihnen  die  unwillkür- 
lichen Schöpfungen  einer  von  sinnlicher  Frische  der  Auffassung 
erflüiten  fernen  Jugendzeit  der  Menschheit  breit  und  lebendig  im 
heutigen  Volksglauben  erhalten  und  den  Sieg  über  die  wol  schon 
nehr  vergeistigten  Kulthandlungen  des  Wodanglaubens  behauptet. 
jrradeso  dauerten  in  Kom  grade  die  ältesten  Kulte  aus  der 
Cönigszeit  (Argeer,  Üctoberroß,  Luperealien)  bis  gegen  das 
tinfte  Jahrhundert  unter  den  christlichen  Kaisern  noch  fort,  als 
angst  die  geistigeren  Götterdienste  der  historischen  Zeit  der 
Religion  des  Kreuzes  zum  Opfer  gefallen  waren.  Sollte  aber 
iiese  Beobachtung,  daß  nur  eine  dünne  Schicht  späteren  deut- 
chen  Heidentums  in  der  heutigen  Volksüberlieferung  erhalten  ist, 
ich  in  weiterem  Umfange  bestätigen ,  so  beruht  unsere  vorzüg- 
ichste  Hoffnung,  außer  den  spärlichen  Zeugnissen  der  ältesten 
Geschichtsschreiber  Urkunden  und  Sprachdenkmäler  etwas  Aus- 
^ebiges  darüber  zu  erfahren,  auf  der  Ausscheidung  der  mythi- 
schen Elemente  aus  der  germanischen  Heldensage.  Möge  es 
5.  Müllenhoff,  der  dieses  Gebiet  so  gründlich,  wie  kein  anderer 
^or  ihm,  kennt  und  wie  vielleicht  niemand  nach  ihm  es  durch- 
forschen wird ,  möge  es  ihm  vergönnt  sein,  dieses  wichtige  Stück 
seiner  reichen  Lebensarbeit  zu  vollenden  und  zum  Gemeingute 
VI  machen. 


1)  Dum  widerspricht  nicht,  <hi({  sie  boj  den  alten  Preußen  gleich  nach 
der  Bekehrung  zum  Christentum  als  Götterverehrung  verboten  werden 
(Komdäm.  26.) 


xxxvm  Vorwort. 

Da  selbst  bei  einer  objeetiven  Sammlang,  wie  die  mdnige. 
noch  mehr  aber  bei  ihrer  Einrichtung  die  stäte  Mitwirkung 
aprioristischen  Elementes  nicht  auszuschließen  ist,  es  aber 
ankommt,    derselben   als  dem  Anfang    eines  größeren   Qoellen- 
schatzes  in  Form,    Umfang  und  Anordnung  möglichste  Vollkom- 
menheit zu  geben ,    damit   nicht  ein   verfehlter  Beginn   fllr   di 


künftige  WeitcrfUhrung  durch  mich  oder  andere  verhängnißvoUf  ^ 
werde,  so  sah  ich  mich  zu  einer  Anzahl  von  Vor-  und NebenarbeiteuHijHi 
genötigt,  die  dann  unwillkürlich  z.  T.  zu  selbständigen  größere] 
Untersuchungen  heranwuchsen.  So  widmete  ich,  um  über 
auf  den  Ackerbaukultus  bezügliche  wichtige  Zeugnisse  mir  Klar — - 
heit  zu  verschaffen,  zwei  Jahre  lang  der  Sanmilung,  sowit^  ^e 
textkritischen  und  quellengeschichtlichen  Erforschung  aller 
Aufzeichnungen  über  litauische,  preußische  und  lettische  Mythe-- 
logie.  Diese  Arbeit  ist  bis  auf  die  letzte  Feile  im  Manuserip 
vollendet.  Aus  der  gleichen  Ursache,  d.  h.  aus  dem  Bestrebei 
über  die  Stellung  der  Komdämonen  und  der  auf  sie  bezügliche] 
und  anderer  Gebräuche  zu  den  nahverwandten  Vorstellungen  vo^-^n 
den  Baumgeistem  und  der  Baumseele  und  zu  den  durch  die  obeK:  ^sa 
S.  XXXVI  erwähnte  Beobachtung  an  den  französischen  Traditioner  -^sn 
mir  nahe  gerückten  Ackerbaukulten  der  alten  Welt  ins  Beine  zr 
kommen ,  sind  denn  auch  die  iu  den  beiden  Teilen  dieses  Buche 
und  in  den  S.  v  genannten  Aufsätzen  niedergelegten  Unter^ir  -r- 
suchungen  hervorgegangen.  Ich  betone,  daß  es  mir  bei  den  darici  Ä» 
angestellten  Vergleichungen  vorzugsweise  darauf  ankam,  ein»  ^^^ 
Einsicht  in  die  den  nordeuropäisehen  gleichartigen  Typen  zr  -^^ 
gewinnen ,  nicht  aber  für  die  historischen  Probleme  verfrüht  ein^  ^^ 
Entscheidung  zu  suchen. 

Daß  ich  die  Veröffentlichung  dieser  Vorarbeiten  der  Samnu*^^' 
lung  der  Ackergebräuche  selbst  vorangehen  lasse,  hat  folgend^^  -^ 
Gründe.  Ich  mußte  wünschen  zur  Vervollständigung  der  Sammli 
noch  Zeit  zu  gewinnen.  Noch  fehlt  mir  trotz  aufgewandter  Mühi 
die  Tradition  einiger  deutscher  Landstriche,  es  fehlt  noch  seh 
an  der  wünschenswerten  Ergänzung  durch  ältere  literarische  un< 
archivarische  Zeugnisse  (wie  unten  S.  319)  und  durch  bildlicb  ^ 
Darstellungen  der  Gebräuche.  Aus  mehreren  fremden  Länder"^«' 
floß  trotz  stäts  erneuter  Anstrengung  die  Ausbeute  nicht  so  reich::» - 
lieh  als  es  erwünscht  war.    Und  doch  wollte  ich  selbst  bei  dies^"» 


Vorwort. 

nicht  auf  ein  gewisses  Maß  von  Vollständigkeit  verzichten,   weil 
grüde  ans  ihnen  nicht  selten  eine  Aufklärung   gewährende  Con- 
gmeiiz  zu  irgend  einer  bestimmten  Form  der  Ueberlieferung  zum 
Yorschein  kam,    welche  in  Deutschland  unter  vielen  Tausenden 
Ton  Aufeeichnungen  nur  einmal  aufgetaucht  war  (vgl.  z.  B.   den 
Bairer  und  den  Smolensker  Emtcbrauch  Bk.  277  ff.).    Die  Wahr- 
scheinlichkeit, zu  dem  erwünschten  Materiale  zu  gelangen,  beruht 
aber  auf  der  Fortsetzung  der  systematischen  Eribrschung  auf  Grund- 
lage ebenderselben  Fragen,  welche  der  ganzen  übrigen  Sammlung 
zu  Grunde  liegen.   Zu  Ausfüllung  der  angedeuteten  Lücken  mußte 
ich    wünschen,    neue  Teilnehmer   und  Helfer  aus  verschiedenen 
Bernfskreisen  zu  wecken.     Deshalb  veröffentlichte  ich  meine  klei- 
nen Schriften    „Roggenwolf"  und  „Korndämonen".    Die  wissen- 
schaftliche Presse  des   Inlandes  beobachtete  aber  darüber   (wie 
auch  bisher  über  den  ersten  Teil   des  vorliegenden  Werkes)  ein 
fast  tödtliches  Stillschweigen;  nur  die  Beistimmung   der  Akade- 
mien der  Wissenschaften  zu  Wien  und  Berlin,  mehrerer  wissen- 
schaftlichen Versammlungen  und  einiger  Stimmen  des  Auslandes 
dienten  meinem  Streben   zur  Ermunterung.     Da  wagte  ich  denn 
den  Versuch,  Interesse  für  meine  Bestrebungen  durch  Darlegungen 
anzuregen,  welche  den  Zusammenhang  derselben  mit  allgemeiner 
gekannten  und  allseitiger  geschätzten  Wissensgebieten  und  ihren 
Nutzen  für  dieselben  nebenbei  ins  Licht  zu  setzen  geeignet  schie- 
nen.    Sollte  ich  mich  in  meiner  Hoffnung  getäuscht  haben?    Für 
den  in  der  Provinz  einsam  Arbeitenden,  der  nie  Gelegenheit  hat, 
sich  über  seine  Studien  mit  Gleichstrebenden  auszusprechen,   ist 
es  doppelt  niederschlagend ,  wenn  seinem  Kufe  kein  Echo  wider- 
hallt,   keine    zurechtweisende    oder   anerkennende    Stimme   ihm 
Förderung  gewährt.     Wie  es  aber  auch  komme,   unbeirrt  werde 
ich,    so   lange   mir   die   äußere   Mr^glichkeit   nicht   abgeschnitten 
wird,  fortfahren,  die  erfaßte  Aufgabe  und  das  begonnene  Werk, 
so   weit  meine    schwachen   Kräfte   reichen,    zur   Vollendung  zu 
führen. 

Es  bleibt  mir  noch  die  angenehme  PHicht,  meinen  verehrten 
Freunden,  Herrn  Professor  Dr.  2?G7>6r,  der  mich  bei  vorliegender 
Arbeit  mit  den  Schätzen  der  Gymnasialbibliothek  und  seiner 
eigenen  Büchcrsammlung,  nicht  minder  mit  öfterer  Auskunft  aus 
dem  Schachte  seines  tiefen  Wissens  unterstützte,  sowie  den  Herren 


XL 


Vorwort. 


Gymnasialdirector    a.    D.    Dr.    Lehmann   and    Gymnasiallehre 
Dr.  Schömcmn  herzlichen  Dank  zu  sagen  ^  von  denen  der  erste: 
bei  der  Correctur   des  Ganzen,   der   letztere   bei   der   CorrectiL__ 
einiger  Bogen  mir  wertvollen  Beistand  gewährte.    Vor  allen  ab 
gilt   auch  diesmal  mein   ehrerbietigster  Dank  E.  h.  ünterrich 
ministerium,  dessen  hochgeneigte  Unterstützung  mir  die  Fortsetzun 
meiner  Arbeiten  ermöglichte. 

Möge  die  Zukunft  in  meinem  Buche  wenigstens  einige  We 
stücke  entdecken,  würdig  genug,  um  in  den  bleibenden  Besitzstac^^^  ^ 
der  Wissenschaft  überzugehen. 

Danzig,  den  1.  November  1876. 


Dr.  W.  Mumhirdt. 


Inhalt. 


Entf8  lapiteL 

Dryaden. 

l^-  Blwuenm/igdlein ,  Behenmädchen,  Die  Milre  im  Alcxanderliede  enthält 
eine  auf  Volkssage  beruhende,  den  Baum-  und  Komgeistern  analoge 
Vorstellung  von  der  Pflanzenseele  S.  1  —  2:  stimmt  überein  mit  einer 
von  Lucian  parodierten  hellenistischen  Sage  von  Bebenmädchen 
S.3— 4. 

Die  Dryaden,  Die  Dryaden  und  Hamadryaden  den  nordeuropäischen 
Baum-  und  Waldgeistem  verwandt.  Baumnymphe,  an  das  Leben  des 
Baumes  gebunden.  Dryaden  im  hom.  Hymnus  auf  Aphrodite  S.  5 — 7, 
bei  Pindar  .Seite  8.  Sagen  von  Paraibios  und  Erysichthon  und 
deren  volkstümliche  Grundlage  S.  8  — 13.  Die  Dr.  bei  Nonnus 
S  .  14 — 15.  Arkas  und  Rhoikos  S.  16.  Beweise  für  die  Vorstel- 
lung von  den  Dr.  als  wirklichen  Volksglauben  in  Hellas  S.  17  — 18, 
Dryaden  verschiedener  Baumarten  S.'19. 

Die  Baumsede,  Diese  Vorstellung  Grundlage  des  Dryadenglaubens 
S.  20.  Verletzter  Baum  blutet  S.  21.  Seelen  Verstorbener  in  Bäume 
verwandelt  S.  21— 22. 

=-  Wechselbeziehung  zwischen  Memch  und  Baum;  Zubehör  der  Vorstel- 
lung von  Baumseele  und  Dryaden.  Geburtsbüume  S.  23.  Italische 
Lebens-  und  Schicksalsbäume  der  Familien,  der  Stände,  der  Nation 
S.  23 — 25.  Heiliger  Burgölbaum,  Schicksalsbaum  des  athenischen 
Staates  S.  25  —  29.  Oliven  Lebensbäume  der  Phyle  Hyrnetho  S.  27. 
Baumschädiger  verwundet  sich  selbst;  Halirrhotios  S.  28  — 29.  Baum 
Doppelgänger  des  Phylakos  S.  30.     Sicilianische  Parallelen  S.  31. 

^.  Dryaden,  Nymphen  und  Neraiden.  Uebereinstimmendc  Züge  der  Blu- 
menmädchen ,  Dryaden  und  nordischen  Baum  -  und  Waldgcister. 
Lebensäußcning  im  Winde  S.  32.  Gehen  aus  immanenten  Psychen  der 
Gewächse  in  danebenstehende  Wesen  oder  darüber  waltende  Erzeuger 
der  Pflanzen  und  danebenwolmende  Waldgeister  über.  Die  homerischen 
Orestiaden  S.  33 — 34.  Unmerklicher  Uebergang  in  Berg-,  Wiesen-, 
Feld-,  Wassergeister,  Nymphen  S.  35.  Verwandtschaft  mit  den  deut- 
schen   Eiben  S.  36.    Fortleben   der  Dr.  in  einem  Teil  der  ueugriechi- 


IUI  Inhalt. 

sehen  Neraiden  und  ilirer  Männer :  Lehonsänßerung  derselben  in 
und  Wirbelwind  S.  36—38. 

Zweites  lapitel. 
Die  wilden  Leute  der  griechischen  und  römischen  Sage  I. 

§  1.      Cliaracteristik    der  wilden  Leute.    Die  auszeichnenden  Merkmale 
deutscheu,    schwedischen,    russischen   Waldgeister.    Dieselben  fin< 
sich  bei  Kentauren  und  Kyklopen  wieder  S.  39. 

§  2.  Kenturen,  Keschers  und  Plews  Ansichten  über  diese;  erneute  ün^i.^x'. 
suchung  notwendig.  Der  Volksglaube  von  den  K.  ist  uns  nur  bns.<^l3- 
stückweise  in  der  verdunkelten  Gestalt  episch  verwerteter  S^k^j-^n 
bekannt,  Lapithenkampf  und  Cheiron  als  Arzt  S.  40.  Wesen  der 
tauren  als  Berg-  und  Waldgeister  bei  Homer  und  Üesiod  S.  41 
in  den  älteren  Herakleen  S.  43 — 44.  Raub  der  Braut  auf  der  Hooli- 
zeit  des  Peirithoos  S.  44  —  46. 

§  3.  Cheiron.  Vorhomerische  Entstehung  des  Namens  und  der  Gestalt  die- 
ses heilkräftigen  Waldgeistes  durch  Individualisierung  einer  allgeixioi- 
nen  Eigenschaft  der  Kentauren  im  Epos  S.  46.  Zeugnisse  liir  ^sa 
Fortleben  der  verlorenen  Heldensage  von  seiner  Heiltat  in  Brauck  "and 
Glauben  des  Volkes  S.  47 — 48.  Unterrichtet  den  Landesberos  in  d«r 
Heilkunst,  wird  Heldenerzieher  S.  48  —  49.  Sage  von  Achills  Pflo^ 
durch  Cheiron  bei  ApoUodor.  Diese  Erzählung  die  Auflösung  oizi^s 
epischen  Gesanges  von  Peleus  S.  49  —  52. 

§  4.      IXe  alte  Fdei«    (Episode    zur  weiteren  Erläuterung    des  Vorigen).      Jener 
Gesang   aus  mehreren    durch  Dichterhand  verbundenen   echten  Volkssa^en 
zusammengesetzt   S.  53.      a)  Peleus    [über  den  Namen  desselben  vgl.     ^e 
richtigere  Entwickclung  S.  207]  und  sein  Kampf  mit  den  Tieren  übereio- 
stimnjeiid  mit  Märchen,  Tristan-  und  Sigfridssage  S.  54  —58.     Anülogfien 
in  griechischer  Sage  S.  57.     Aelterc  Gestalt    dieser  releussage  icar  die   ftr- 
lorcue  Sage  von  Cheirom  Heiltat  S.  58 — 59.      Des  Peleus  Kampf  mit    den 
Kentauren  analog  den  P^ortsetzungon  der  Sage  vom  Drachenkampf  S.  59. 
b)  Des  Peleus  Heirat  mit  Thetis    eine    noch    fortlebende  Elfensage    S.  6*'. 
[Thetis    dem    Xamcu    und    der    Sache    nach    die    deutsehe    WasserrouliD»«? 
S.  2U7.]       «)     rcru'a?idlmigen    da-  geraubten  Elfin.      Altgriech.   Varianten 
und     Nachahmungen     dieser    Sage     S.    61  —  62.       Nordische    Varian^M 
S.  63  —  67.     Weitere  Verwandtschaften  S.  68.     ß)  rVötzliehcs  T>rw*in>»<^ 
der  Thetis    S.  68.      Persische    Parallele    S.  69.      Spuren   dieses  Zuges  bei 
Homer    S.    70.      c)    Cheiron  erzieht  den  Achilleus;    seine  Erziebungsmitlel 
beruhen  auf  der  Weltanschauung  eines  reinen  Naturvolks  S.  71.    Versnch 
einer  Erklärung  des  Namens  Achilleus  S.  72.     Keim   dieser  Heldengestalt 
in    der  Peleussage ;    ilire  Ausbildung    eine    ganz    ethische  Schöpfaog  "^ 
Epos  ohne  mythistjhe  Zutat  S.  73-    75.     Die  analysierte:  Erz^ihlting  Ap^^ 
dora  it>t    die   durch  verschiedene    literarische  Zwischenglieder    permittelte  Z"*** 
saische  yinjlüsung  eines  vor  homerischen  Feleusgesangs  S.  75  —  77.     Vcrsclu®" 

• 

dene  Stufen  (Ringe)  der    späteren  Erweiterung   der    ursprünglich  im  f^' 
facher  mythischer  Volkssage  geschöpften  Geschichte   des  Peleus  iv  ^P^ 


> 


Inhalt.  xun 

S.  77.  Diese  Ergebnisse  als  Gegenbeweis  gegen  Benfcys  Theorie  des 
Märchens  und  als  Zeagniß  für  Gemeinsamkeit  altgriechischer,  altgermani- 
scher and  keltischer  Sagenstoffo  S.  78. 

Gestalt  der  Kentauren.  SchnellfölUgkeit  derK.:  Riesenfüßo  derselben 
S.  78 — 79.  Behaarung  des  Leibes.  Ihre  Halbroßgestalt  in  der  älte- 
ren, modifiziert  in  der  jüngeren  Kunst  S.  79,  bei  Homer  und  Hcsiod 
noch  nicht  nachweisbar,  vermutlich  künstlerische  Wiedergabe  eines  in 
verlorenen  Epen  bewahrten  echten  Sagenzuges  oder  poetischen  Bildes 
S.  81  —  82.  Diese  Sage  ist  nicht  in  den  das  Kunstidoal  voraussetzen- 
den Erzählungen  von  Choirtjns  Geburt  und  von  Ixion  erhalten.  S.  82 — 83. 

Die  Saffe  von  Ixion:  Analyse  derselben  S.  83.  Jxion  Perso- 
niticatioD  des  Wirbelwindes  8.  85  —  87  [Beschreibung  dieses  Natur- 
phäuomens  S.  85  — 8ü].  Ixions  Sohn  Kentauros  weist  auf  Leben sänße- 
rung  der  Kentauren  als  Waldgeister  im  Winde  S.  88— 89.  Auch  die 
Lapithen  Sturmgeistcr  S.  90 ,  den  Harpyien  verwandt.  [Episode  über 
die  Harpifteti.  ihre  Sage  S.  90 — 92.  Sturmwesen  gleich  der  deutschen  Winds- 
braut, fahrenden  f'rau,  Ffaifenköehin.  I)ie  Dtineusiage  gleich  Verfolgung 
der  Ffafinköchinnen  durch  die  wiUUn  Jäger  S.  92.  93.  Der  Raub  des  Mah- 
les S.  94 — 95,  Verwandlung  der  Harpyie  in  ein  Roß  begegnet  gleicher 
Verwandlunjr  der  Pfatfcnköchin  S.  95  —  9C.]  Die  Elemente  der  Sage  vom 
Kampf  der  Lajnthen  und  Kentauren  auf  der  Hochzeit  sind  vollstän- 
dig vorhanden  im  Volksglauben  rom  Kampfe  der  im  Orkan  zur  Hocf^- 
zeit  fahrenden  und  sich  bekämpf  tulen  Waldgeister  gegen  einafuier 
S.  96  —  97.  Ursache  der  ungleichartigen  Vermenschlichung  der  Lapi- 
then und  Kentauren  im  Ej>os  8.  97.  Lösung  der  Aufgabe:  Nachweis 
der  Ulbereinsfimmung  der  Kentauren  und  der  deutschen  wilden  Män- 
ner durch  GegenübersteUung  ihrer  Eigenschaften.  Erklärung  der 
Halbro/^gestalt  S.dS  — 100.  Analogie  d.  s  sndtirolischen  Orco  S.  99. 
Landschaftliche  Verschiedenheit  der  verschiedenen  Personificationen  des 
Wirbelwindes  S.  100 — 101.     Deutungsversuche  anderer  Forscher  S.  102. 

Kyklopen.  Auch  diese  zeigen  Uebereinstimmung  mit  nordischen  Wald- 
und  Berggeistern.  Vergleich  mit  dem  einäugigen  Ljeschi  und  ein- 
äugigen Almputz  S.  103  — 105.  Sageu  von  Niemand  und  Selbstgetan 
S.  106  —  107.  Kyklupon  und  Phaiaken  S.  108.  Kyklopen  bei  Ilesiod 
S.  1(J8-    109.    Das  Kundauge  S.  1 10— 112. 

l^ritifs  Kapitel. 

Die  wilden    Leute    der  antiken   Sage   IL 

Faunus  und  die  Faune.     Waldgötter  S.  1L3— 114,    von  Einfluli  auf 

das    Wach.stum    der    Früchte    S.  IM.  Ihre  Gestalt    S.  114     Ruf  im 

Walde    S.    115.     Weiberliehe    8.  116.  Alpdruck    S.  116.      Segnen   die 

Heerde  S.  117.  Faunusfeste  S.  117.  Faunus  und  Picus  im  Rausch 
gefesselt  S.  117. 

Süvanus  und  die  Silvam.  Waldgcister  S.  118.  Silvanus  segnet  und 
hütet  die  Heerdcn  S.  120,    verleiht  Jagdglück  S.  120    und  Emtesegen 


XLiv  Inhalt. 

S.  120.  Sein  heiliger  Baum  Hüter  der  Grundstücke  und  Faniili-«:]^:^] 
S.  121 — 122,  später  Hüter  derG&rten;  dadurch  boTiirkte  ümwandlirszft.  ^ 
des  Silvanglaubens  S.  123.  Silvan  raubt  Wiegenkinder  8.  124.  E^  ^>j 
Verfassers  Deutung  von  Pilumnus  und  Picumnus  S.  125.  SilvÄ--Ä:^j 
behaarte  Gestalt  S.  125.    Silvani  und  Silvanae  S.  125. 

§  3.     Faune  und  Sürane  im  rownni'idten  Volksglauben  S.  126 — 127. 

§  4.  Pan  und  Pane  arkadische  Waldgoister  S.  128.  Pan  im  homeri8clA.^Ti 
Hymnus  S.  128  — 129.  Gott  des  Wildes,  der  Heerden  S.  129  — 1_^0. 
Sein  Sang,  Tanz  und  Spiel  mit  den  Dryaden  im  Windeswehen  S.  L  C3 1. 
Lüsternheit  S.  131.  Rufe  im  Walde;  panischer  Schrecken  S.  131.  E^^n 
bewirkt  Irrsinn  S.  131.  Pans  Bocksgestalt  S.  131-  132.  VolkssrM  ^e 
vom  Tode  des  großen  Pan  S.132 — 134.  Zusammenfassendos  S.lLÜij. 
Der  Name  Pan  S.  135  — 136. 

§  5.  Satyrn  ursprünglich  argivische  Waldgeister  S.  136.  Figuren  des  di.o- 
nysischen  Thiasos  S.  136  —  137.  Sagen  S.  106.  Fesselung  <ies 
berauschten  Satyrs  S.  137  —138.  NjTnphenräuber  S.  138.  Bock8ge?»t,alt 
S.  188— 139. 

§  6.  Bocksgestaltige  Wahl-  und  Feldgeister  im  heutigen  Griecheni^M^^d 
S.  139  —  140. 

§  7.  Seikne  phrygische  Waldgeister.  Hymnus  auf  Aphrodite.  Sage  von 
Fesselung  des  berauschten  Seilens  S.  140  —  142.  Gestalt  und  Kleidvuig 
S.  142.     XiTCJV  fAttXXiOTog  und  XoQTaTog  S.  143. 

§  8.  Bocksgestaltige  Wald-  und  Feldgeister  in  semitischen  LänH^T'n 
S.  143-144. 

§  9.      Verwandte  nordeiiropäiscJte  Waldgeister.    Nachweise  der  UebereinÄtinJ- 
mung  des  bocksgestaltigen   russischen  Ljeschi  mit   Pan   S.  144 —  1^^» 
und  beider  mit  skandinavischen  und  deutschen  oft  halb  tiergestaltij^^^ß 
Waldgeistern,  wilden  Leuten,  Fanggen  S.  146— 148.    Die  Sage  vofn 
Tode  des  großen  Pan  gleich  einer  von  Fanggen  und  ander  n 
Wald-  and  Feldgeistern    erzählten  Sage   S.  148  — 149.      V^i. 
S.  345.    Die  Pane  und  die  wilden  Geißhirten  S.  149  — 150.    Die  Fes- 
selung des  FaunuSy    Satyrs ^    Seilens  identisch  den  Sagen  von  Fesae- 
lang    der    deutschen    Waldgeister    S.   150.      Sage    von    UeberlistüD/^ 
Polyphenis    durch  Niemand    gleich   Ueberlistung   der   Fanggin   durch 
SelbgeUn  S.  150.      Das  Alter  dieser  deutschen  Sagen  S.  151.    [TrniD- 
mer  von  Volksmärchen    in  der  antiken  Literatur  S.  151.]     üebergang 
der   Waldgeister   in   Feldgeister   S.  152.     Bocksgestaltige  Feldgeütff' 
Härdloute  S.  152,   Uriskin  S.  153,  Härjapolwelasc  pogg  S.  153 -IM, 
Haubukke  S.  154.  .  Goda-Het-niß  S.  154—155. 

§10.  Bocksgestaltige  Kam-  und  Feldgeister  in  Nardeuropa,  Waldgcister 
und  Korndämonen  durchweg  parallel:  darum  bocksgestaltige  Korngci- 
ster  Analogien  er  Faune,  Pane  und  Satyrn  S.  155.  Komböcke  im 
Winde  durch  Getreide  gehend  S.  155  —  156.  [Andere  Personificatiomn 
von  Wind-  und  Wettererschcinungon  als  Bocke  S.  156  —  157.]  Warnung 
vor  dem  im  Saatfelde  und  Walde  hausenden  Getreidebock,  BockmMD 
und  Bockelmann  S.  158. 


\ 


Inhalt  ZLV 

Gebräuche  beim  Knrnschnitt  AuBtbock  stößt  bei  der  Ernte 
8.  159.  Olewstags  Böckchen  ^.  160.  langsamer  Mäher  als  Bock 
geneckt  S.  161.  In  der  letzten  (iarbo  Uabergeiß  gefangen  S.  162, 
Benennung  der  Garbe  S.  162—164,  dos  Schnitters  und  der  Binderin 
nach  dem  Getreidebock  S.  164 — 165.  Getreidebock  als  Numen  des 
gesammten  Kornwuchses  zum  Nachbar  gebracht  S.  165.  Korngeiß  beim 
.  Aehrenschnitt  getödtet  S.  166. 

Kombock  im  Drescherbrauch.  Umzug  mit  der  Komgeiß  S.  167. 
Halmbock  in  der  Garbe  S.  167  — 168.  Habergeißmaskerade  S.  168. 
Kombock  dem  Nachbar  zugeschoben  S.  169.  Tod  der  Komgeiß 
8.169—170. 

liCtzte  Hahne  dem  Bock  als  Nahrung  gelassen  S.  170.  Vorüber- 
gehender Fremder  Horbuck  S.  170.  De  Böm  bi  den  Buck  bringen 
S.  170—171.     Heubock  S.  171. 

lieber gmxg  des  Komhocks  in  Hausgeister  und  Feldgeister.  Gaard- 
buck:  Variante  der  Sage  vom  Tode  des  großen  Pan  S.  171  — 172. 
Bocksgestaltige  Kobolde  S.  172  — 175.  [Genaue  Analogien  im  Glauben 
vom  Korakater  S.  172  — 174.]  Bockschnitter  S.  175  — 176.  Bocksge- 
staltige Haus-  und  Feldgeister  S.  176  —  177.  Moorbuck  S.  177. 
Bocksmärte  S.  178.    Bock  beim  Osterfeuer  S.  179,  vgl.  S.  316. 

Ändere  Tiere  Stellvertreter  des  Kornbocks ^  Fortsetzung  des  Vorigen. 
Insekten  zeitweilige  Erscheinungsformen  des  Kornbocks  8.  179.  Die 
Heerschnepfe  und  Eule  vom  Ton  ihrer  Stimme  Habergeiß  benannt 
S.  180,  und  im  Volksglauben  zu  gespenstigen  Wesen  geworden  S.  181 
bis  182 ,  verschmelzen  mit  der  in  mehreren  Stücken  ähnlichen  Vorstel- 
lung vom  Kombock  S.  183. 

Dramatische  Darstellungen  des  Vegetationsbocks  zu  Fastnacht  S.  183 
bis  185.  [Personificationen  der  Kalendertage,  Perchta  keine  heid- 
nische Göttin,  Knecht  Ruprecht  nicht  Wodan  S.  184  — 187.] 
Umzüge  des  Kombocks  zur  Weihnachtszeit  in  Deutschland  S.  186  bis 
190,  des  Julbocks  und  der  Julgeiß  in  Skandinavien  8.  191  — 198. 
WiederauHeben  des  Julbocks  zu  Neujalir  und  in  der  jungen  Saat 
8.  197  — 198.  Kombock  auf  Hochzeiten  und  in  Kinderspielen 
8.198  —  199. 

Die  wilden  Leute  der  griechischen  und  römischen  Sage.  Schluß- 
beirachtungen.  Die  Pane,  Satyrn,  Faune,  Dämonen  des  Wachstums 
in  Wald-  und  Feldgeister  übergehend,  zeigen,  wie  die  Komdämonen, 
die  Tendenz  zu  dramatischer  Vergegenw&rtigung  zumal  im  Frühjahr 
und  zur  Zeit  der  Wintersonnenwende  S.  200.  ürspmng  der  Tragödie 
8.  201.  Pane  und  Satyrn  Ueberreste  einer  Reihe  verschiedengestaltiger 
theriomorpher ,  die  Natur  der  Windgeister  und  Pflanzengenien  verbin- 
dender Wildleute  S.  201,  von  denen  u.  a.  die  Kentauren  übrig  sind 
S.  201-202. 

[Ueber  Personification  verschiedener  Naturelemente,  der  Sonne,  der 
Meer-  und  Fluß  wellen,  der  Wolke,  des  Windes  unter  den  nämlichen 
Tiergestalten   S.  203.     Zusammenrinnen  mythischer  Gebilde  verschiedenes 


XLYi  Inhalt. 

Ursprungs.     Die  Verbindung  des  Begriffs  Pflanzengeist  mit  dem  als  se 
Lebensäußerung  gedachten ,  thcriomorph  aufgefaßten  Winde  mag  die 
riomorphosc   auch   des   ersteren    nach    sich  gezogen    haben  8.  204.      —     ,-  ^^ 
wilden  Leute  der  antiken  Sage  entsprechen  dem  Wesen  nach  imBern  El^^^^g 
S.  204.     Einige  allgemeinere  Betrachtungen:     Wind-   und  Pflanzengeisa» 
halbflüssige  Gebilde  inmitten  des  Assimilier ungs-  und  Miscbungsproze^  j 
verschiedenartiger  mythischer  Aperceptionen  S.  205 — 206.    Zusammenria  ik:^^ 
ganzer    Sagencomplexe    (Argonauten,    Boreaden,    Pbinens    und  Oreith^£^ 
Wassermuhme  Thetis  und  die  Pcleussage  S.  206  —  208).] 

§  14.     Die  antiken  Wtldleute  in  der  Kunst,    Die  griechischen  Wildleute      in 
Verhältniß  zu  den  olympischen  Gottheiten  S.  201 — 209.     Ihr  Ghana  oter 
im  Vermenschlichungsprozeß  durch  Literatur  und  Kunst   S.  209— SlO. 
Analogie  zu  den  wilden  Leuten  der  nordischen  Sage  S.  211. 

Viertes  lapitel. 

Erntemai  und  Maibaum   in  der  antiken    Welt. 
§  1.      Ernteniai  und  Maibaum  in  Nordeuropa  S.  212 — 214. 

§  2.     DieEirenione  und  das  Pyanejmen fest.    Die  Eirosione  am  Pyaoepi 
fest  entspricht  dem  Enitcmai  S.  214.     Quellen  der  Zeugnisse  fftr  di 
Bra  ch  S  215.    Erntefest  (Thargelien)  und  Erntedankfest  <,[^anep 
als  geschichtliche  Erinnerung   an   Theseus   umgedeutet   8.  215  — 
Ritus    der   Pyanepsien    und    Oschophoricii    S.  216 — 217,     Notiz 
Theophrast   über  die  private  Eiresione   S.  217.      Quellengesehicht 
Untersuchung  über    die  Berichte   von  der  öffentlichen  Eircsionc  S 
bis  220.     Inhalt  dieser  Berichte  S.  221.    Aufpflanzung  der  E.  vor 
Haustür  S.  221  —  222.      Verbrennung    nach   Jahresfrist    S.  222. 
schmückimg  mit  Bändern  S.  223,  Früchten  S.  224,  Gefäßen  voll 
sigkeit  S.  225,  Kuchen  S.  22ü.    Chytrcn  und  Panspermie  8.  227. 
E.  der  Thargelien  8.228-229. 

§  3.      Aetiologische  Legenden  über  den   Ursprung  der  Eiresione,     Leg ^ß"'-* 

bei    Krates   8.  229,  bei   Lykurgos    8.  230  —  231   und   bei  Philocl— -^oros 

• 

8.  231  —  232.  Die  beiden  letzteren  setzen  die  Pyanepsieneiresioi^^  ^  ^" 
Beziehung  zum  Thargelien  feste  auf  Delos.  In  der  Pompa  der  D^^i^*** 
welche  zur  Entstehung  der  Hyperboreer  sage  Veranlassung  gab,  ^^^ 
ein  Erntezug  erhalten  8.  232  —  238,  der  in  der  lykurgischen  Le^ -^^^^^ 
als  Dankfest  beim  Erntebeginn  betrachtet  ist,  während  die  Eire??^  ^**D6 
der  Pyanepsien  als  Opfer  vor  der  Pftügung  (Proerosia)  aufgefaßt  y^  '^^^^' 
(Abweisung    anderer    Deutungen    der    Proerosia)    8.    238 — 240.  ^^^ 

Philochoros    die    delischen    Thargelien    Verheißung    auf    das    \cylkre 
Herbstfest  der  Pyanepsien  8.  241.    Die  delische  Pompa  wahrschei  u^^"^ 
von  einer  Eiresione  begleitet  8.  242. 

§  4.  JJas  pseudohonierische  Eiresionelied,  Erläuterung  dosselben.  Uni^- 
staltung  eines  bei  Einbringung  der  ersten  Früchte  gesungenen  Ernte- 
liedes  in  ein  Bettelliod  8.  243  —  248. 


Inhalt.  XLvn 

Die  Panspermie  der  Pyanejmen.  Die  Panspermie  der  öffentlichen  und 
privaten  Feier  S.  249.  Dentache ,  litauische  und  lettische  Analogie 
S.  249— 252.    Bedeutung  der  Panspermie  S.  252  — 253. 

Die  Oschopfiorie  der  Umführang  der  Uerbstschmudel  und  der  Eom- 
dämonen  verwandt  8.253—254.  Staphylodromie  im  Kameios  S.  255. 
Das  Emtegekreisch  S.  256. 

Die  Eiresione,  GesamnUergebnisse  S.  256  — 258. 

Maibaum  der  Kotyto  S.  258— 259. 

Das  Friihlingsfest  der  syrischen  Göttin.  Maibaum  im  Frühlingsfeuor 
verbrannt  S.  259—260.  Atargatis  S.  261—252.  Tamulische  Parallele 
S.  263. 

Fiiftfs  lapiteL 

Persönliche  Vogetationsgeister    in    Jahrfestgebräuchen. 

Darstellung  der  Vegetationsgeister  in  Jahrfestgebräuchen.  ümföhrung, 
Aufstellung,  Wassertauche  der  deutschen  Laubmännor.  Begräbniß  des 
Jarilo  S.  264  -  265. 

Die  Argeer  den  Laubmännem  entsprechend  S.  265  —  273. 

Ädonis.  Tammuz  und  Duvzi  S.  273  —  276.  Der  phoenikisch -grie- 
chische Adonis.  Mythus  und  Kult  S.  276  —  278.  Wassertauche  278. 
Adonisgärten  S.  279  — 280-  Parallelen:  Klage  um  Lines  S.  281  und 
die  erste  Garbe  S.  282.  Bedeutung  der  Fostgobräuche  S.  283.  Preis- 
gebung der  Frauen  an  Fremde  S.  284 — 285.  Nachweis  der  Analogien 
des  Adoniskults  mit  den  nordeuropäischen  Bräuchen  S.  285  —  291. 

Ättis  und  sein  Kult.  Analogien  zum  „Sommerbringen",  zum  Nerthus- 
dienst  u.  s.  w.  S.  291  —  295. 

Ergebnisse.  Die  vorstehenden  südlichen  Kulte  zeigen  Gleichartigkeit 
der  Conception  mit  den  angezogenen  nordischen  Bräuchen:  die  Frage 
nach  ihrem  historischen  Verhältnisse  ist  noch  verfrüht  S.  296-301. 

Seckstfs  lapitfL 

Sonnwendfeuer  im  Altertum. 

A. 

Orientalische  und  altrömische  Sonnwendfeuer. 

Orientalische  San ntvend fetter  den  europäischen  gleichartig.  Johannis- 
feuer:  Baal-  und  Molochsfeuer  S.  302  — 305.  Feuersprung  am  Purim- 
feste S.  305,  beim  Erntefeste  der  Badagas  in  Südindien  S.  306— 307. 
Typhonisches  Sonnwendfeuer  S.  307 — 309. 

Die  Falilien  in  Rom.  Oeffentliche  und  private  Begehung  S.  309 — 310. 
Die  Gebräuche  des  privaten  Feuers;  Fruchtbannachung  der  Viehweide 
S.  310  —  313.  Der  Staatskultus;  Fruchtbarmachung  des  Getreides,  der 
Tiere,  der  Menschen  S.  313  — 317  (Octoberroß,  Fordicidien,  Bocks- 
hombrennen). 


XYLni 


Inhalt. 


Hirpi  Sorani. 

§  1.  Getreidewölfe,  Varianten  der  Kornböcke  und  Kornkater  8.318  — 
Grüner  Wolf  {=  Komwolf)  zu  Jumiiges  um  das  Johännisfeuer 
fend  S.  323— 3. 

§  2.  Feronia.  Der  Johannisbrauch  von  Jumieges  kommt  überein  mit  o 
Kultbraucb  im  Dienste  der  Feronia  und  des  Soranus.  Erweis, 
Feronia  Getreidegöttin  war  S.  327 — 330. 

§  3.     Hirpi  Sorani,  d.  i.  Wölfe  des  Sonnengottes  liefen  zu  Ehren  des 

nengottes  und  der  Feronia  durchs  Sonnwendfeuer  S.  330 — 332,  «tz^^i/en 
wahrscheinlich  Getreidewülfe  dar  S.  333.  Ihr  Verhältniß  zum  ^Vo//e 
des  Mars  S.  334 — 336  (Auseinandersetzung  mit  A.  Kuhn  S.  3351 

§  4.     Die  Lylcma  in  Arkadien  am  Sonnwendfest   mit  Umlauf   eines  Wolfes 
werden   verglichen,    um  die   Richtigkeit  der  den   Hirpi  Sorani   gege- 
bonon   Deutung   daran    zu    messen.     Die    Frage    bleibt  unentschiedeo 
S.  336— 344. 


323. 
lath 


Sofl. 


Nachträge   S.  345—346. 
Schlußwort   S.  347  —  350. 


Register   S.  351  —  359. 


Kapitel  L 

Dryaden. 

§.  1.  BlnmenmSgdlcin,  Bebcnmftdchen.  Wer  kennte 
licht  —  sei  es  auch  nur  durch  Viimars  oder  Uhiands  anmutige 
iViedererzählung  —  die  Märe  von  den  Blumenniägdlein  im 
\.lexanderliede  des  Pl'aflFen  Lamprecht  (v.  5004 —  5205).  Im  schat- 
igen  Walde  hatten  sie  ihre  Stätte,  den  kalte  Brttnulein  durch- 
rauschen und  sttßer  Yogelgesang  durchtönt.  Wenn  der  Winter 
lavonging  und  der  Frühling  erschien,  wenn  es  zu  grünen  begann 
ind  die  Blumen  hervorkamen,  dann  sproßten  aus  dem  Boden 
les  Waldes  in  unübersehbarer  Menge  wundergroße  Knospen  her- 
vor. Sie  öffneten  sich  und  aus  jeder  tauchte  eine  zarte  Mädchen- 
Gestalt,  wie  zwölfjährig  anzuschauen;  schöner  war  nie  eine 
uidere  Blume  und  nie  sah  man  an  Frauen  schöneres  Antlitz,  noch 
schönere  Augen.  Ihres  Leibes  ganzes  Gewand  war  fest  an  de 
gewachsen^  an  die  Haut  und  an  das  Haar,  an  Farbe  waren  sie 
genau  deti  Blumen  auf  der  Aue  gleich,  rot  und  weiß,  wie 
Schnee  getan.  Alle  diese  Hunderttausende  wonniger  Wesen 
schwebten  y  spielten  und  s^rrangen  in  zierlichem  Reigen  durch 
grünen  Klee  und  kühlen  Waldesschatten  auf  und  ab  und  misch- 
ten wettstreitend  in  das  Lied  der  Vögel  ihren  mehrstinmiigen 
txesang.  Wer  sie  sah  und  hörte,  der  vergaß  alles  Herzeleid, 
das  ihm  je  von  Kindheit  an  geschehen,  und  er  meinte  genug  zu 
liaben  an  Freude  und  Reichtum  sein  ganzes  Leben.  Wehe  aber 
den  holden  Mägdlein,  wenn  sie  die  schattige  Waldeinsamkeit  ver- 
ließen ;  beschien  ihrer  welche  die  Sonne ,  von  denen  blieb  keines 
am  Leben.  Wenn  dann  die  Monate  des  Sommers  vergangen 
waren,  dann  war  alle  Freude  dahin,  „die  Blumen  verdarben,  die 
schönen  Frauen  starben,  die  Bäume  ihr  Laub  ließen,  die  Brun- 
nen das  Fließen  und  die  Vögel  ihr  Singen."  Alexander  und  seine 
Helden  gelangten  an  diesen  wunderreichen  Ort,  schlugen  ihr 
Gezelt  im  Walde  auf  und  hatten   ihre  Freude  an  den   seltsamen 

Mannhardt.    II.  1 


Kapitel  I.    Dryaden. 

^ruiivtf  *  h^iuon  sie  dort  immer  bleiben  dttrfen,  sie  wären  genese^ 
vfit  Jiiifr  ängstlichen  Not  und  hätten  nichts  als  den  Tod  geflL"rt^- 
jj/w     l^rvi  Monate  und  zwölf  Tage  hatte   die  Lust  gewährt ,      Aa 
^idJhru  sie  tagtäglich  eine  Blume  nach  der  andern  welken  und     ^' 
ittählich  alle  die  lieben  schönen  Frauen,  mit  denen  sie  in  W(^^ne 
^lebt,  dahinsterben.    Traurig  schied  der  König  mit  allen  seS^^en 
Mannen. 

Elin  lieblicheres  Bild  der  Sommerlust  dttrtle  schwerlich  jencnals 
ersonnen  werden ,   als  dieses  poetische  Gemälde  y   dessen  äs-  ^^e- 
tische  Zergliederung  eine  Fülle  einzelner  Schönheiten  offenb^BJ^n 
würde.    Zu  diesen  rechne  ich  besonders,  daß  die  BlomengeL ^ster 
eine  wundersame  Melodie  in  den  Chor  der  Vögel  ertönen  lasiLJcn; 
der  Einklang  aller  reinen  Eindrücke  auf  das  Qemüt  des  Menflclkneii, 
die  aus  Farbe  imd  Duft  der  Blüten,   wie  aus  den  Stimmen      ^imd 
Lauten  des  Waldes  entspringen,    ist  damit  auf  das  treffen^cdste 
ausgesprochen.    Auch  ohne  die  Erzählung  bis  auf  ihre  erste  ^ETie- 
derschrü't  zurückvertblgen  zu  können,  werden  wir  nicht  fehige  TSien, 
wenn  wir  sie  nicht  für  ein  Erzeugniß  subjectiver  Reflection,     ^Bon- 
dern  für  den  Ausfluß  eines  irgendwo  einmal  lebendigen    Fu>  ^ks^ 
glaubens    licUten,    wofiach   der    Blume    eine   Nymphe  etnwof^^nkf 
deren  Lebest  an  dem  Leben  der  Pflanze  haftete;    wie  diese         *** 
Lenis  geboren,   des  Schattens  und  der  Sommerwärnie  gleiche^^^^i 
bedürftig  y    tvelkt    und    stirbt   sie  ebenso    im  gliihefiden   Sonz:    ^'^' 
strahl,    wie   beim  Nahen  des  Herbstes.     Ztigleich  aber  löste  ^*^ 

Vorstellung  den  Blumengeist  von  der  Pflanze  ab;  dies(^^==^^ 
Wesen  y    welche    mit    der    Blume    zugleich    entstehen    ufid  ^^' 

gehen,  treten  zeitiveilig  aus  derselben  heraus.  ,ySie  gin  9^^ 
und  lebten''*  nach  den  Worten  des  Gedichtes,  „sie  hc^^^^^ 
Menschen    Sinn   und    redeten    und    baten,    wie    Mägdlein  ^^ 

zwölf  Jahren,  sie  spidten^  spra^ngen  und  sangen  auf  dem  gri^^*^^ 
KleeJ^  Diese  doppelte  Darstellung  des  der  Blume  inne^^^^^l^ 
nenden  Numens  durch  Weib  und  Pflanze  entspricht  genau  u^^e™ 
bei  nordeuropäischen  Pflanzengeistem  (Baumgeistem,  Korrr:^^^^^ 
monen)  beobachteten  Verhältniß.  ^  Dürfte  man  die  ErzähL — -^S 
von    den    Blumenmädchen,    gleich    der    ganzen    Episode  ^^ 

Alexanderliedes,    in    welche    sie    eingeschoben    ist,    auf    ^^ioe 


1)  Bk.  603.  604.  609.  610. 


•i 


Blumenmägdlein ,  Bebeniu&dchen.  8 

ieehische  Qaelle  der  alexandrinischen  Zeit  zurflekführen  ^  so 
Ire  somit  ftlr  ein  Land  der  hellenistischen  Welt  ein  mit  jenen 
rdenropäisehen  Anschanongen  übereinstimmender  Volksglaabe 
«riesen,  den  der  Urheber  desselben  benutzte.  ^  Als  ein  indi- 
etes  Zeugniß  für  den  in  letzter  Instanz  antiken  Ursprung  des  in 
)de  stehenden  Reiseabenteuers  erscheint  die  Wundergeschichte, 
dehe  Lucian  in  seiner  ,,  wahren  Geschichte  ^^  dem  Urbilde  von 
lUivers  Reisen  und  Mflnchhausens  Abenteuern  (c.  8)  auftischt 
Q  jenseitigen  Ufer  eines  Flusses,  der  Wein  statt  Wasser  filhrte,  so 
richtet  der  Dichter,  stießen  wir  auf*  eine  außerordentliche  Art  von 
emreben.  Unten  am  Boden  bestanden  sie  aus  einem  sehr  kräfti- 
a  und  dicken  Stamm,  tveiter  aufwärts  aber  waren  die  Mäd- 
!f»  9   die  bis  auf  die  Hüften  herab  an  allen  Teilen  vollkommen 


1)  Die  ErzähluRg  von  den  Blumenm&dchen  bildet  bei  Lamprecbt  einen 
1  der  Epistel  Alezanders  an  seinen  Meister  Aristoteles  nnd  seine  Mutter 
'mpiM,  findet  sieb  jedoch  in  den  uns  bekannten  Handschriften  des  Pseado- 
Usthenes,  Julius  Yalerius  und  über  de  preliis  nicht,  so  daß  allem  An- 
eine nach  die  griechisch  -  ägyptiscbe  Hauptquelle  der  mittelalterlichen 
ixanderromano  sie  nicht  enthalten  bat.  Es  bleibt  somit  ungewiß,  woher 
nprechts  Gewährsmann  Aubry  von  Besan^on  sie  entlehnte.  Auch  in  dem 
xanderepos  des  Lambert  li  Tors  ist  sie  benutzt.    Cf.: 

ä  Tentree  dlvier,  encontre  le  froidure 
entrent  toutes  en  ti^re  et  muent  lor  faiture. 
et  quant  estes  rovient  et  li  clars  tans  s^apure, 
ä  guisc  des  flors  blanques  muent  ä  lor  nature. 
ccles  qui  dedcns  nesscnt  sunt  de  Teors  la  figuro 
et  la  flor  qu'est  dedena,  si  est  lor  vesteure  etc. 

Ronmans  d*Alixandre  ed.  Michelant  8.  341  ff.     WeiBmann  Alexanderl.  II. 
)  ff.    Guil.  de  Turre  spielt  auf  die  Fabel  an: 

plus  que  las  domnas ,  que  aug  dir 
qu' Alixandrcs  trobet  et  bruoill, 
qu'eran  totas  de  tal  escouoiU 
que  non  podian  ses  morir 
outra  Tombra  del  brouoill  anar. 

lynouard ,  choix  de  poesies  des  Troubadours  II,  299).  Es  läßt  sich  Monach 
jetzt  nur  soviel  mit  Sicherheit  ersehen,  daß  die  Sago  von  den  Mädchen- 
men  im  12.  Jahrhundert  in  einer  uns  noch  unbel^annten  selbständigen 
eile  von  Alexander  erzählt  wurde  und  wol  von  dort  aus  in  die  französi- 
len  Bearbeitungen  des  aus  dem  Pseudokallistbenes  stammenden  Stoffes  ein- 
ligt  wurde.  Vgl.  Weißmann  a.  a.  0.  I,  p.  XVI.  J.  Zacher  Alexandri  Magni 
r  ad  paradisum.  .  Regiom.  1859,  S.  14  ff.  Hartczjck  in  Zacbers  Zeitschr.  f. 
PWl.  IV,  167. 

1* 


4  Kapitel  I.    Dryaden. 

ausgebildet  waren,   ähnlich   wie  man  die  Daphne  malt  in  d^em 
Augenblicke,  da  sie  zum  Baume  wird.    Aus  ihren  Finger8pit::ate& 
sproßten  Schößlinge,   die  voller  Trauben  hingen,   und  sogar      im 
ihre  Köpfe  schlangen  sich  statt  der  Haare  Weinranken  mit  L^Eub 
und  Trauben.    Freundlich   grüßend  kamen  sie  auf  uns  zu  'Kznd 
hießen  uns  willkommen.    Die  meisten  sprachen  griechiseh,  einzige 
auch  lydisch  und  indisch.    Sie  küßten  uns  auch  auf  den  Mcsjid, 
aber  wer  geküßt  wurde,  ilihlte  sich  im  Augenblick  betrunken  mmd 
verwirrt    Daß  man  Beeren  von  ihnen  abpflückte,  litten  sie  nlc^h^ 
sondern  schrien  vor  Schmerz  laut  auf,  so  wie  man  welche  al>jrd- 
ßen  wollte.     Als  aber  zwei  meiner  Gelehrten   sich  völlig  ik^-ren 
reizenden  Umarmungen  hingaben,  konnten  sie  sich  nicht  wi^^er 
losmachen,  sondern  wuchsen  und  wurzelten  dergestalt  mit  ÜMJSieD 
zu  einem  Gewächse  zusammen,   daß  auch   ihnen   die  FingeK*   in 
Schößlinge  ausliefen  und  Weinranken  sich  um  ihre  Köpfe  waa^en. 
Es  wird  nicht  lange  angestanden  haben,  so  werden  auch  T^jvan- 
ben  aus  ihnen  gewachsen  sein.   Diese  Erzählung  ist  augenseis.  ein- 
lich  eine  geistreiche  Parodie,   wo  nicht   auf  diese  Episode        der 
Alexandersage,  so  doch  auf  eine  nah  verwandte  Greschichte       1^ 
einem  griechischen  Schrii'täteller,  da  Lucians  Absicht  bekann  'i^ch 
dahin  ging,    die  Wuudererzählungen  in   der  geschichtlichen        und 
geographischen    Literatur    durch    selbstertundene    übertreib^^nde 
Seitenstücke  zu  verspotten.    Die  Parodie  weist  jedesfalls  m^Bttel- 
bar  hinter  sich  selbst  und  über  ihr  der  Märe  von  den  BluE=^cn- 
mädcheu  entsprechendes  Vorbild  auf  eine  dem  letzteren  vorau^e-süc- 
gende  Volksvorstellung  zurück. 

§.  2.   Die  Dryaden,    ünzweilfelhaft  betreten  wir  das  G^^^iet 
des  Volksglaubens  mit  der  antiken  Vorstellung  von  Beseelun^^^  der 
Waldbäumc  durch  Nymphen,    welche,   ebenso  wie  jene  hlm::::^-^^^' 
mädcheu  an  das  Leben  des  Gewächses  gebunden,  doch  auch  auv — ^^' 
halb  desselben  ein  Dasein  lühren.    Homer  giebt  von  den  Wald-        "°d 
Feldgeistern  so  wenige  Züge,  daß  es  einigen  Forschem  zweifeilÄliaft 
erschienen    ist,    ob   zu  seiner  Zeit  derjenige  Begriff   bestaK^deo 
habe,    welcher  in   der   späteren  Literatur   an    den  Namen        der 
Dryaden  und  Hamadryaden  sich  knüpfte.     Zeus  beruft  die  G^-'^^^ 
zum  Olymp    und  keiner  von  den  Flüssen  blieb  fem,   noch       y^^ 
den    Nymphen,    wclclw    die    schönen    (heiligen)    Haine   r>^»^ 
haben  {Xv/ucfuojy,   uii'  aXoeu   Y.aka   vi/novrai)^    und   die  Qa^^Ueo 
der    Flüsse    und   die    kräuterreichen   Marschen    {nia^a    nosriey- 


Die  Dryaden.  5 

),  IL  XX,  7 — 9.  Mit  der  pfeilschttttenden  Artemis,  die  an 
r  Jagd  auf  Eber  und  schnelle  Hirsche  sich  vergnttgt,  spielen 
r  dem  Taygetos  und  Erymanthos  fddbewohnende  Nymphen 
fiq^i  äyonfoftoi),  die  Töchter  des  ägishaltenden  Zeus.  Od.  VI, 
S.  Um  den  Grabhügel  des  Eetion  pflanzen  Bergnymphen 
t  Töchter  des  ägishaltenden  Zeus  (iT/tiq-ai  oQeanadag,  •AovQai 
bg  aiytnynio)  ülmenhäume.  II.  VI,  420.  Kirke  ist  von 
«den  umgeben,  von  denen  die  einen  aus  Quellen,  die  andern 
I  HcUnen,  die  dritten  aus  Flüssen  entstdi^i  {ylyvovrai 
aga  raiy'  «x  te  x^jyvtW,  arro  t*  aXoiiav,  fx,  t*>'  t€Q(ov  ;roTa- 
¥  oiV  «Ig  ahxiB,  nQO()iovoiv.  Od.  X,  350  flf.)  Wir  lassen  einst- 
ilen  diese  homerischen  Angaben,  um  in  §.  5  auf  sie  zurückzu- 
nmen.  Der  sogenannte  homerische  Hymnus  auf  Aphrodite 
vährt  die  folgende  ausftlhrliche  Erörterung  über  das  Wesen 
-  Orestiaden.  Die  Liebesgöttin  vertraut  ihren  Sohn,  den  klei- 
I  Aeneas,  der  Hut  und  Pflege  der  Dämonen  des  Ida  an. 
rfbusige  Nymplien  haben  dieselben  auf  dem  Berge  ihr 
^r,  das  göttliche  große  Waldgebirg  ist  ihre  Wohnung 
itqHXi  ogeoy.otni  (ia^t\7LohjT niy  cei  Tode  vaierdovaiv  ngog  juiya 
La&inv  Th).  Weder  den  Menschen  arten  sie  nach,  noch 
1  Unsterblichen.  Lange  zwar  leben  sie,  sie  genießen  un- 
rbliche  Speise  und  mit  UnsterUicJien  führen  sie  schöne  Bei- 
vtänze  auf;  Seilcne  gatten  sich  ihnen  und  auch  Hermes 
heinüichen  Winkd  IteUi^her  Grotten.  Zugleich  aber  mit 
\en^  wenn  sie  geboren  werden,  entsprießen  auf  hohen  Ber- 
»  aus  der  männemährenden  Erde  sclwne  FicMen  oder 
^hen,  [Hochragend  stehen  diese  da;  man  nennt  sie  Haine 
"  UnsterUichen  und  nicht  hauen  die  Menschen  sie  mit 
n  Stahle.]  Wenn  aber  die  Moira  des  Todes  herantritt  y  so 
rden  zuerst  auf  dem  Erdreich  die  schönen  Bäume  dürr, 
\  Binde  ringsum  stirbt  ab,  abfallen  die  Acste  und  zugleich 
läßt    die  Seele   der  Nymphen   das  Licht  der   Sonne.  *      Der 


1)  Hymn.  i.  Ven.  Homer.: 

V.  265     Tfiat  d'  Uli    ti  (kdrai  iil  ^Qvfs  vtfuxciQrjvoi 

xc()mI,  T7j).f(h(covfrtu ,  h'  ot'n((Tir  rtjirjXotair. 
[föTüa^   i))JßnTor  Tffifvt]  cT^  ^  xixXijaxovaiv 
iiUavdjuyr  f  Titg  cT  oVxi  flQorol  xftQOvOi  cri-cfi/py]. 


6  Kapitel  I.    Dryaden. 

Hymnus   auf  Aphrodite  hat  zum  Inhalt  die  bereits  episdi  yer- 
dunkeite  Stammsage  der  unzweifelhaft  längst  gi^isierten  Aenea* 
den  in    den  Städten  der  kleinasiatischen  Landschaft  Troas,  tob 
einem  jonischen  Sänger  in  naehhomerischer  Zeit  bearbeitet    So 
deutlich    die  Sage  selbst  in  den  Hauptsachen  die  Sparen  phiy- 
gischer    Mythologie    zeigt,  ^    und    so    wahrscheinlich   ein  Uem* 
asiatischer  Ursprung  des  Liedes  ist,  wäre  es  zu  weit  gegangen, 
alle  ausmalenden  Züge  auf  niehtgriechischen  Ursprung  zurfidut- 
tUhren.    Mithin  gehört  auch  die  Beschreibung  der  Bamnnymphoi 
nicht  mit  Notwendigkeit  dem  Kreise  der  vom  Dichter  bewahrteB 
Reminiseenzen  phrygischen  Volksglaubens  an,  obschon  die  Erwih- 
nung  der  Seilene  daitir  sprechen  könnte.    Auch  der  feinen  BemeT- 
kung  Welckers,  '  der  Dichter  des  Hymnus  schildere  die  ü^iüx 
der  Hamadryaden  so  ausführlich,  als  ob  seiner  Zeit  und  seis^^ 
Kreisen    die    merkwürdige    Anschauung    und    die  EmpfindnBgj . 
worauf  sie  beruhe,   neu  und  befremdend  genug  erschiene,     vm 
poetisch  zu  wirken,   darf  nur  in  soweit  Wahrheit  zugestand 
werden,  als  die  schon  reflectierende,  vornehme  und  onzweifeUuft 
großentheils  städtische  Gesellschaft,  für  welche  der  epische  Sie- 
ger dichtete,  längst  entwöhnt  war,  sich  die  Pflanze  als  göttlioles 
Wesen  zu  denken,  und  daß  ihr  die  Eintlihrung  dieser  Vorstellig 
aus  dem  Glauben  der  im  Verkehr  mit  der  Natur   naiv  gebliebe- 
nen Landleute  in   die  Poesie  und  zwar  in  ein  unter  göttlioleo 
und  heroischen  Wesen  der  grauen  Vorzeit  spielendes  Idyll  rüh- 
rend und  reizvoll  erscheinen  mochte ;  sicher  aber  hat  der  Rhapsode 
die  Anschauung  nicht  aus  dem  Seinen  genommen,  sondern    ent- 
weder in  der  von  ihm  bearbeiteten  troisch  -  äolischen  Ueberlicfe- 
rung,   oder  im  lebendigen  Glauben  der  Bevölkerung  von  AeoJis 
oder  lonien   voi^funden.     Die  beiden   oflfenbar   eingeschobenen 
Verse  268  —  9  bekunden,  daß  auch  der  Verfasser  der  interpolier- 
ten Verse,  doch  sicher  ein  Grieche,  die  in  Rede  stehende  \oT' 


270       fUA'    OTS   X6V   ^rj    MoTqU    TTCtQiÖTljxrj   daVKTOtO, 

Tüiv  Jf  &'  öuoö  rjjv/fj  Xilnti  (fäog  -^eUoto. 

1 )  Vgl.  darüber  R.  Thiele  Prolegomena  ad  hymnum  i.  Ven.  Homer.  Bahi 
1872,  61  flf. 

2i  Griechische  Götterlehre  III,  57. 


Die  Dryaden.  .  7 

iteDong  als  eine  zu  seiner  Zeit  lebendige  kannte,  aber  in  anderer 
Form,  nicht  an  jeden  Baom  geknüpft,  sondern  an  die  mit  beson- 
derer   Ehrinreht    betrachteten    Baumexemplare    heiliger    Haine, 
welche  niemand  umzuhauen  oder  zu  verletzen  wagte,  weil  sie  als 
der  Körper,  die  Hülle  oder  das  Alterego  der  Baumnymphe  galten. 
Der  Sache  nach  ganz  genau  entsprechen  im  europäischen  Volks- 
glauben  hallende  Vorstellungen.     Auf  dieselbe  Weise,   wie   das 
Leben    der  Nymphen   im  homerischen  Hymnus,   ist  das  Leben 
casechischer  und  deutscher  Baum-   und  Waldgeister,   Moosleute, 
Fanggen,  Elfen  an  dasjenige   ihres  Baumes  gebunden  (Bk.  69. 
89.  91.  75.  62.  124).     Der  Glaube  an  solche  Baumgenien,    ur- 
sprttnglich  auf  alle  Bäume  bezüglich ,  schränkt  sich  auch  im  Nor- 
den allmählich  auf  die  heiligen  Haine  ein  (Bk.  29.  38.  39).   Das 
Seiwort  ßaOvxolTioi   tiefbusig,    welches   v.  258    den   Nymphen 
^ebt,  erinnert,  da  die  Tiefe  der  Einbiegung  eine  entsprechende 
Erhöhung  der  hervorragenden  Weichteile   des  weiblichen  Ober- 
körpers  voraussetzt,   an  die  großen  Brüste   der  deutschen  und 
skandinavischen  Waldweiber  (Bk.  147)  und  könnte  immerhin  ein 
etwas  edler  gehaltener  Ausdruck  ftlr  die  üppige  WerdefllUe  der 
Vegetation  sein,   wenn  nicht  der  Dichter  ein  den  Trojanerinnen 
bei  Homer  zuständiges  Epitheton  in  die  Schilderung  der  auf  dem 
Ida  hausenden  Göttinnen  emfach  als  Redeschmuck  herübergenom- 
men hat.     Bäume,  die  als  Doppelgänger,   Wohnsitz  oder  Körper 
des  Baumgeistes  gelten,  dürfen  nicht  abgehauen  werden  (Bk.  35 
l>i8  37.  lOflF.  60.  62.  57.  70.  71),  ja   man    bittet  den   Baum  um 
Erlaubniß,  ehe  man  ihn  fällt,  oder  Holz  von  ihm  abschneidet,  und 
wagt  nicht   einmal  windbrüchige  Aeste  aus  seiner  Umgebung  zu 
entfernen  (Bk.  35.  51). 

Seit  dieser  —  wie  es  scheint  —  ersten  umständlicheren 
Einführung  der  Bsiumuymphen  in  die  griechische  Literatur  durch 
den  Hymnus  auf  Aphrodite  begegnen  wir  ihnen  darin  mehrfach 
wieder,  ohne  daß  sich  in  jedem  Falle  wird  ausmachen  lassen,  ob 
die  Schilderung  durch  literarische  Tradition  auf  das  pseudohome- 
rische Gedicht  oder  durch  eine  selbständige  Erhebung  aus  dem 
Borne  des  Volkslebens  auf  wirklichen  und  fortdauernden  Glauben 
zurückgeht.  Letzteres  werden  wir  annehmen  müssen,  sobald  uns 
Spuren  einer  vom  H}'Tnnus  abweichenden  Vorstellung  aufstoßen, 
welche  gleichwol  aus  inneren  Gründen  als  echte  Volksanschauung 
sich  zu  erkennen  giebt. 


8  Kapitel  I.    Dryaden. 

Nächst   dem   homerischen  Hymnus   ist  Pindar  fttr  xxda 
älteste  Zeuge ;  aus  einem  semer  yeriorenen  Gedichte  ist  ein  V^  «» 
erhalten,    in  welchem    er    von  Nymphen    redet,   die   das   ^Sid 
eines  baumgleichen  Lebens  erloßten,   und  auch  der  Name  Di       m- 
den,    oder  vielmehr  Hamadryaden   scheint  für  diese  Nymp-^^^hei^ 
von  ihm  in  Anwendung  gebracht  zu  sein,  ^     Der  Name 
dryaden    drückt    eben    die    Vorstellung    ans,    da0    Baum 
Nymphe    zusammengehören ,   gleichzeitig  entstehen  und  gemi 
sam  sterben,    wie  eine  Glosse  des  Mnesimachos  im  Schol. 
Apoll,  ßhod.  Argon.  II,  v.  478  ganz  richtig  sagt:  'A^iadqvadaq 
q>ai  dia   t6  cifia  zcag   ÖQual  yivvao^ai   ?J  eitel  doTiOvaiv  aftia 
ögvoi  cpd-eiQead^ai. 

Nicht  unwahrscheinlich  dtlnkt  mich  eine  Vermutung  l^^aiei- 
nekes,  der  mit  leichter  Aenderung  den  offenbar  ungehörigen  "i^nd 
eingeschobenen  Versen  des  Kallimacheischen  Hymnus  in  De'K^nm 
79  —  85  hinter  v.  40  des  Hymnus  in  Cererem  Ton  demseLTbcn 
Dichter  eine  Stelle  giebt.  Dadurch  entsteht  folgender  wolbegÄrlto- 
detcr  Zusammenhang  (Hymn.  in  Cer.  25  —  40) :  In  Dotion  ha^^Kcn 
Pelasger  der  Göttin  Demeter  einen  schönen,  dichten,  wolbesc^Ä**" 
teten  Hain  geweiht,  in  dem  Fichten,'  hohe  Ulmen,  Birnen  ^^^ 
liebliche   Pfirschen    wuchsen.     Vom   Schutzgeiste   seines   HaE^i^-^JS^s 

verlassen   faßte  einst   Erysichthon  den  verderblichen   Entsch l^ß, 

mit  zwanzig  Sklaven  den  Lustwald  umzuhauen.  Ein  Pap^__Jß^' 
bäum  stand  da,  schlank  und  hoch,  der  den  Himmel  bertibrrnrte, 
und  unter  welchem  die  Nymphen  um  die  Mittagszeit  tc — ^^' 
ten.    Dieser  ward  zuerst  abgehauen  und  sein  Aechzen  sang         ^^^ 

andern  ein  unheilvolles  Lied.  (Hymn.  in  Del.  79  —  85):     Sie  a ^h 

die  hier  am  Orte  geborene  3Ielie  {vvftfpt]  jttah't],  otTox^wr),  ^^ 
bisher    unter    dem    Baume   getanzt    hatte    {v/rodivtjO^slaa),  ücß 

ab  vom  Reigen  und  entfärbte  ihre  Wangen,  um  den  ihr  gle^5=ich- 
altrigen  Eichbaum  Pein    erduldend,    als    sie   dessen  HaupH^^aar 

1)  Plutarch  do  defect.  orac.  11  spricht  von  eiDigen  Versen  des  He=  ^'<x^f 
welche  der  Krähe  neun  Menschenalter,    dem  Hirsche  vier  Krähenalter»        ^^ 
Raben  drei  Hirschenalter,  dem  Phönix  neun  Rahenalter,  den  Nymphen,    -^eus 
Töchtern,    zehn  Phönixalter   beilegen,   und  berechnet  daraus  die  angele lJc^<? 
Länge  des  Nyniphenaltos.     Andere  aber  nähmen  dafür  eine  weit  geriri^frc 
Jahreszahl  an:     nl^or  (Vov  niröaoog  (iQrjxfv,  fitnorp  zng  rvfjitfng  ^fjv  fa€y€f/r- 
^Qor  T^xuo)(t  afiorog  Xa/ovöag ,  tSib  xa)  xnXfTv  nvrag  Aun^Qvä^ng.     Vgl.  X'^öf. 
Erot.  15.     Öchol.  Apoll.'    Rhod.  v.  H,  478, 


Die  Dryaden.  9 

$ben  sah.  Helikomerinnen ,  meine  Göttinnen,  o  sagt  mir,  ob 
iiklich  die  Eichen  and  Nymphen  gleichzeitig  entstanden? 
ie  Nymphen  freueti  sich,  wann  Regen  die  Eichet^  wach- 
n  macht,  die  Nymphen  weinen  y  wann  die  Eichen  keine 
läUer  mehr  haben.  (Hymn.  in  Cerer.  41):  Demeter  merkte, 
lB  ihr  heiliges  Holz  verletzt  war  und  sprach  unwillig:  Wer 
Mi  mir  in  meine  schönen  Bäume  ?  ^  Nachdem  sie  zuerst  ver- 
blich in  der  Gestalt  ihrer  Priesterin  versucht  hat  den  Frevler 
LTcb  gütliches  Zureden  von  seinem  Vorhaben  abzubringen,  ver- 
mdelt  sie  sich  in  die  furchtbare  Gestalt  der  ztlmenden  Göttin, 
d  die  Sklaven  lassen  erschreckt  die  Aexte  in  den  Eichen  haf- 
1.  Der  Bösewicht  wird  mit  der  Krankheit  ewigen  Hungers 
straft.'  Der  Dichter  schildert  mit  großen  Zügen;  kunstvoll 
rvollständigt  er  (da  die  trockene  Aufzählung  in  v.  28  —  29 
5ht  weiter  fortgesetzt  werden  durfte,  ohne  prosaisch  zu  werden) 
sere  Anschauung  von  der  Reichhaltigkeit  des  Demeterhaines 
durch,  daß  er  uns  nach  und  nach  wissen  läßt,  auch  Pappeln, 
ichen,  Eichen  gehörten  zu  dessen  Insassen,  aus  gleichem  Grunde 
»braucht  er  (Hjmn.  in  Del.  80)  Melie  (Eischennymphe)  syno- 
Tn  mit  Dryas  in  der  allgemeinen  Bedeutung  Baumnymphe  und 
Bt  sie  über  die  mit  ihr  geborene  Eiche  klagen,  deren  Wipfel 
hon  in  ängstlichem  Vorgefühl  ])ebt,  da  sie  die  Pappel  bereits 
aällt  sieht,  und  die  Dryaden  aller  übrigen  Bäume  weinen  mit 
r.  —  Eine  ganz  ähnliche  Geschichte  besingt  ApoUonios  von 
hodos  in  seinen  Argonauten  H,  471  flF.  Schwerlich  hat  ihm 
sin  Feind  Kallimachus  bei  der  Erzählung  zum  Vorbilde  gedient, 
ie  Spanheim  will,  den  Stoff  der  Sage  hat  er  sicherlich  anders- 
oher;  sie  zeigt  anscheinend  eine  neue  und  selbständige  Auffas- 
mg  der  Baumnymphcn.  Des  Paraibios  Vater,  im  Begriff  im 
aine  von  Thyne  Bäume  zu  bauen,  wird  in  klagendem  und  fle- 
endem  Ton  von  einer  Haniadryade  {a/naÖQt^ag  vvfiffr/j  angerufen, 
ie  ihr  gleichaltrige  Eiche,  auf  oder  m  (f^ri)  welcher  sie  so 
mge  gelebt  hätte ,   nicht  zu  fällen.  ^     Er  achtet  im  Jugendüber- 


1)  NvfUfat  fxtv  /jtfQovaiv,  ^n  Snvttg  Hfißfiog  ic^^ei 
Nvfiffctt  <r  nv  xXatovötv ,  oif  {fQvaIv  ovk^ri  (fvX).«. 

2)  S.  Callimachus  ed.  Meineke  p.  185. 

3)  ui)  TUfi/eiv   HQ^/Ltrov    tforng    ijXtxog,    t]    ^tt)     ttovIvv    nfoh'fc    TQtßfftxt 
iijvfx^g. 


\ 


10  Kapitel  I.    Dryaden. 

» 

mat  der  Bitten  nicht    Die  des  Banmes  beraubte  Nymphe  st 

ihn  selbst  und  seine  Kinder  mit  Verlust  der  Habe  und  bitU!    — tw 

Armut  und   wendet  das  Geschick  erst,  als  der  Sohn  ParaiL-üsioA 

ihr   einen  Altar   errichtet   und  versöhnende  Opfer  bringt 

also  ist  die  Nymphe  im  Stamme,  oder  swischen  den 

des  Baumes  wohiüiaft  gedacht ;  ^    mit   dem   Gewächse  gngU        «A 

entstanden,  überlebt  sie  dasselbe  doch;  die  Schädigung  des tob 

ihr  bewohnten  Baumes  hat  den  Verlust  der  Habe  (d.  h.  wie 
beim  Landmanne  wol  von  selbst  versteht  und  im  Sinne  der 
ren  Sage  den  Tod  der  Heerden)  des  Frevlers  und  seines  'HJe- 
schlechtes  und  ihre  völlige  Verarmung  (Nahrungslosigkeity  Da^Hnn- 
schwinden)  zur  Folge.  Das  sind  großenteils  Züge,  welche  ab 
Varianten  der  im  homerischen  Hymnus  vertretenen  VorstelL  ~nng; 
auch  in  deutschen  Sagen  wiederkehren.  Vgl.  die  im  Ba^Knme 
hausenden  oder  auf  dem  Baumstumpf  sitzenden  Moosfräo — Idn 
Bk.  76.  83.  77.  Vgl.  60.  Daß  freilich  die  Nymphe  mit  der 
Pflanze  zwar  zugleich  geboren  \vird,  aber  nicht  zugleich  mit  ihr 
stirbt,  sieht  nach  einem  Misverständniß  der  Ueberliefernng  ^muu; 
die  ursprüngliche  Sage  wird  nicht  von  einem  völligen  Abh^^Men 
des  Baumes,  sondern  nur  von  einem  Hiebe  in  seinen  St^^BHun 
erzählt  haben,  es  müßte  denn  angenommen  sein,  daß  die  Ba^^iua- 
seele  im  Stubben  fortlebte  (vgl.  Bk.  68).  In  Folge  dessen  ^^ter- 
ben  dem  Täter  die  Haustiere,  wie  Bk.  12.  60.  53  Hühner  «»* 
Kühe,  er  hat  Abgang  in  seinem  Vermögen,  er  leidet  Hunger  wid 
verkümmert    und    sein  Geschlecht    dazu    (Vgl.    Bk.   51.   53.  ^^ 

Anm.  3).    Diese  Verkümmerung  findet  erst  dann  ein  Ende,  ^ 

die  Dryas   mit  Opfern   bedacht  wird,    gerade   so   wie   das  ^ 

Beschädigung  der  schwedischen  Eschenfrau  empfangene  U-  ^ 
aufhört,  sobald  der  Beschädiger  ein  Opfer  von  Milch  oder  y^^^^' 
ser  über  die  Wurzeln  des  Baumes  ausgießt,  d.  h.  das  verlt^s^*^*® 
Numen  des  Gewächses  wieder  erquickt  und  zu  Kräften  br  -^8* 
Bk.  11. 

Sind  die  Parallelen  richtig,  so  werden  wir  auch  in  die  t=-ÄIiy- 
sichthonsage  zu  einer  klareren  Einsicht  zu  gelangen  vermö^^f^"- 
Die  Darstellung  des  Kallimachus  würde  —  wenn  sie  allein  ^* 

erhalten  wäre  —  leicht  zu  dem  irrigen  Schlüsse  verführen,         ^^ 
Sage  sei  von  Hause  aus  eine  Demetermythe  und  die  um  Er  'ÄäI- 


1)  Auch  Schol.  II.  Vril,  20  erklärt  die  Hamadryaden  ^nl  i&v  JA^C*'^* 


Die  Dryaden.  11 

^  üureB  Baomes  bangende  Dryas  Bei  nur  zur  dichterischen 
Bboiig  des  Stoffes  nach  dem  Muster  des  homerischen  Hymnns 
die  von  Verletzung  des  heiligen  Haines  der  Getreidegöttm 
delnde  Schilderung  eingelUhrt.  Nun  sind  uns  aber  nicht  allem 
uren  einer  früheren  Niederschrift  dieser  Sage  bei  dem  Mytho- 
phen  Hellanikos  (saec.  V  a.  Gh.)  und  anderen,^  sondern  es  ist 
Oyid  (Metam.  Vin,  738  —  878)  sogar  eine  vollständige  Bear- 
nng  erhalten,  welche  trotz  Einmischung  ganz  modemer  Alle- 
len eine  ursprünglichere  Form  der  Sage  aufweist,  und  ohne 
eifel  auf  eine  griechische,  wenn  nicht  der  Abfassungszeit,  so 
ligBtens  dem  Stoffe  nach  vorkallimacheische  Dichtung  (Nikan- 
8  *Et€Qowv^ava?)  als  ihre  Quelle  zurückgeht  Im  uralten  Haine 
'  Ceres  stand  eine  heilige  Eiche: 

Stabat  in  bis  iDgens  annoso  robore  qaercos, 
Una  nemiiB:  >ittae  mediam  memoresque  tabellae 
Sertaque  eingebaut,  voti  argumenta  potentis. 

ter  diesem  Bautne  pflegteti  die  Dryaden  festliche  Beigen  auf- 
'Ohren,  oftmals  umkreisten  sie  mit  zum  Tane  in  einander 
Mungenen  Händen  den  Stamm  (manibus  nexis  ex  ordine 
nci  circuiere  modum),  der  fünf  Ellen  dick  mit  Riesenhöhe  die 
igen  Waldbäume  überragte.  Erysichthon  befiehlt  den  Baum 
zuhauen,  und  entreißt,  als  die  Diener  zögern,  einem  der- 
ben das  Beil.  „Die  Eiche  soll  fallen,  und  wäre  sie  selbst 
e  Göttin."  Als  er  die  Axt  schwingt,  seufzt  der  Baum  und  ver- 
ndet  strömt  er  Blut  aus: 

Contremuit,  genütumque  dcdit  Deo'ia  qucrcns: 

Et  paritcr  frondes,  pariter  pallcscero  glandcs 

Coepero  ac  longi  palloreni  ducero  rami. 

Cujus  ut  in  trunco  fecit  manus  impia  vulnus» 

Haut  alitor  fluxit,  discussa  cortice,  sanguis, 

Quam  solet,  ante  aras  ingens  ubi  victiina  taurus 

Concidit,  abrupta  cruor  e  cervice  profusus. 

I  der  Frevler  dennoch  von  seinem  Vorhaben  nicht  abläßt, 

Editus  e  medio  sonus  est  cum  robore  talis: 
Nympha  sub  hoc  ego  sum,  Cereri  gratissima,  ligno: 
Quae  tibi  factorum  poenas  instare  tuorum 
Vaticinor  moriens  nostri  solatia  leti. 

f  Bitten  der  gesammten  Dryaden  entsendet  Ceres  eine  Oreade 
m  Wohnsitz  des  Hungers  auf  dem  eisigen  Gaucasus,  um  ihm 

J)  S.  Preller  Demeter  und  Persephone  8.  331. 


12  Kapitel  I.   Dryaden. 

ZU  befehlen,  daß  er  in  Erysichthons  Leibe  Platz  nehme, 
geschieht  und  alsbald  peinigt  diesen  das  nagendste  Hiuigeigeft2K]bl*, 
er  schlingt  und  schlingt  unaufhörlich,  aber  die  Nahrung  säfer-Migt 
nicht  und  verschlägt  nichts;  er  ißt  sich  arm;  als  alles  sein  ^Knt 
dahin  ist,  verzehrt  er  seine  eigenen  Glieder.  —  Deutlicher  a  «och 
als  in  der  Paraibiossage  ist  in  dieser  Fassung  der  Erzähl^^ong 
vom  Erysichthon  der  Baum  die  Hülle  der  Baumsede; 
der   verletzte   Baum    redet   und   Blut   ausströmt,    ist    ein 


volksmäßiger,  in  der  mythischen  Vorstellung  wolbegründeter  ^Zag 
(s.  Bk.  34.  35.  36.  38.  40.  41.  42).^  Keinesfalls  also. gehört  der 
Umstand,  daß  durch  das  Einhauen  in  den  Baum  die  Nyn^^he 
selbst  verwundet  wird,  dem  Scharfsinne  des  Ovid  an,  wie  LeBnrs* 
wollte.  Daß  der  von  der  Nymphe  bewohnte  Baum  mit  BiniK^en, 
Votivtäfelchen,  Kränzen  behängt  im  heiligen  Haine  stand,  zernag 
schon  einer  sehr  frühen  Gestalt  der  Sage  angehören.  Es  stiflCDimit 
dies  mit  der  Interpolation  im  homerischen  Hynmus;  auch  der 
deutsche  und  slavische  mit  Kränzen ,  bunten  Bändern  und  anc^em 
Gegenständen  behangene  Sommer-  und  Maibaum,  der  von  dei^BL  im 
Mailehen  Vegetationsgeister  nachahmenden  Paaren  in  festlic-""lÄcm 
Reigen  umkreist  wird,  wie  die  heilige  Eiche  von  den  Drya--^en, 
ist  Sitz  eines  göttlichen  Wesens.  (Bk.  157.  160  flf.  18  1  ff. 
311  ff.).  In  den  Worten  der  sterbenden  Nymphe  sehe  ich  ^^ach 
noch  eine  Erinnerung  an  den  natürlichen  und  richtigen 
menhang  des  Mythus  bewahrt;  Erysichthon  wird  von  dem 
aufzehrenden  Hunger  befallen  in  notwendiger  Folge  seint 
der  Nymphe  verübten  Frevels,  der  ursprünglich  wie  bei 
machus  nur  bis  zu  tödtlicher  Verwundung,  nicht  bis  zur  völ 
Vernichtung  gegangen  sein  wird.  Da  der  Baum  fortan  verl 
mcrt,  welkt  und  dorrt,  ergreiftauch  ihn  Abzehrung,  Mange 
Nährfähigkeit,  wie  in  dem  Beispiel  aus  Skinnersäla.  Bk.  62 
Ein  Erzähler,  der  das  nicht  mehr  verstand,  fasste  diesen  Mi 
positiv  als  nicht  zu  befriedigende  Esslust  auf.    Dem  Volksglai 

nach  ist  die  Heißhunger   genannte  Krankheit  (griech.  ßoi}j    "^9t 

ßovXiftia)   oder  die  Polyphagie  in  der  Tat  mit  Abzehrung  i  -^^en- 


1)  Vgl.  Plin.  histor.  natiir.  XII,  72.    Humor  et  cortici  arborum  est-  --  W 
sangiiis  camm  intelligi  (lebet,  non  idera  omnibus.  —  Atque  in  totnm  co-  :^po^ 
arbonim,  ut  roliquorum  animalium,  cutis,  sanguis,  caro,  nervi,  venae,     ofi«, 
medullae,  pro  cute  cortex. 

2)  Populäre  Aufsätze  aus  dem  Alterthum.    Aufl. «   Lpzg.  1875.  S.      Jifi 


Die  Dryaden.  IS 

;h.^     Später  reflectierte   man,    daß  unstillbarer  Hanger  eine 
afe  der  speisegebenden  Göttin  Demeter  sein  müsse,  und  machte 

1)  Vgl  Dr.  Hartliebs  Buch  aller  verboten  kunst  1455.  p.  76'  (Grimm 
Ji.^  LXVII):  Das  wissen  die  natürlichen  ärzt  wol  und  sprechen  das  ain 
ilchait  sei,  die  haißt  bolismas  oder  appetitus  caninus;  die  selb 
ikhait  mag  man  mit  kainem  essen  oder  trinken,  dan  allain  mit  artznei 
llen.':  Wann  alle  speis  gat  ungedäwt  durch  den  leibe,  also  verschwindt 
i  flaisch  vnd  die  kuochen  bleiben  in  ir  grosse,  das  macht  das 
id  80  ungestalt,  umb  das  haist  man  die  chind  Wächselkind.  Die  von 
'tlieb  beschriebene  Krankheit  ist  die  atrophia  infantilis,  (Paedatrophia, 
J8  mcsenterica  s.  scrophulosa),  die  Darrsucht  (üngedeihen,  Bchextsein, 
dfeln),  zn  deren  vorzüglichsten  Symptomen  Abzehrung,  Abmagern,  Dfinn- 
den  der  Extremitäten  und  Schwinden  der  Muskeln  bei  stark  aufgetriebe- 
I  Unterleib  nnd  dabei  häufig  hoch  gesteigerter  Appetit  (UeiÜ- 
ager)  besonders  nach  groben  Speisen  gehören;  gleichzeitig  schwellen 
Bücken,  Brust,  Schultern  und  Schenkeln  die  Talgdrüsen  an,  aus  denen 
a  madenartige  Wülste  herausdrücken  kann,  die  das  Volk  Mitesser, 
brwürmer  nennt  und  für  krankheiterzeugende  Elbe  h&lt,  dergleichen 

Baume  zu  Hause  sind.  Diese  Krankheit  konnte  füglich  für  eine  vom 
imgeist  ausgehende  Strafe  gelten,  (vgl.  Bk.  68).  Ganz  verschieden  sind 
i  dieser  nur  bei  Kindern  vorkommenden  Krankheit  der  häufig  mit  all- 
meiner  Entkräftung  verbundene  Heißhunger,  Bulimus  {gr. ßov- 
og,  ßovliuCa)  und  der  auf  Unempfindlichkeit  der  Magennerven  beruhende 
ngel  an  Sättigungsgefühl ,  Vielgefräßigkeit  (Polyphagia,  appetitus 
linus;  nnd  die  Erscheinungen  der  Wurmkrankheiteu  ^Spulwurm,  Bandwurm), 
deren  Symptomen  Abmagerung  und  Blässe  ohne  äußere  Veranlas- 
g  trotz  guter  Nahrung  und  unregelmäßiger  mit  Heißhunger  ab- 
chselnder  Appetit  gehören.  Vgl.  H.  E.  Richter,  Grundriß  der  inneren 
nik.  Lpzg.  1853.  §  2()0  S.  292,  §  602  S.  868,  §  626  S.  909.  Hartlieb 
mischt  diese  Krankheitsformen ,  wie  denn  überhaupt  in  älteren  Zeiten  ganz 
8chiodene  Uebel,  zu  deren  Aoußerungen  Heißhunger  gehörte,  für  eins 
lalten  sind.    Vgl.   üb.  ßovXifiog  Plut.  Symp.  6,  8  und  Suid.    v.  ßovXifA^i^  I, 

G.  1022  Bemhardy.  Griechische  Aerzte  vermischten  ßovXifiog  und  nolv- 
yla.  S.  Bernard  ad  Theoph.  Nonnum  de  curat,  morb.  c.  156.  T.  II,  p.  16. 
r  werden  es  somit  für  sehr  wahrscheinlich,  ja  für  gewiß  halten  müssen, 
\  der  griechische  Bauer  erst  recht  die  genannten  Krankheiten  nicht  aus- 
anderhielt,  und  duß  in  seinem  Kopfe  der  bei  der  Paedatrophie  und  den 
irmzufallen  mit  Abmagerung  verbundene  Heißhunger  einerseits  zu  einem 
MTöhnlichen  Zubehör  der  Abzehrung  wurde ,  andererseits  mit  den  stärkeren 
ngeranfällen  der  Polyphagie  und  des  Bulismus  sich  vermischte.  Wenn  er 
an  den  Glauben  hegte,  daß  der  vermeintliche  Parallelismus  des  Menschen- 
•ens  und  Baumlebens  den  die  Pflanze  schädigenden  Baumfrevler  in  dem- 
ben  Grade  dahinschwinden  und  auszehren  mache,  als  der  verletzte  Baum 
rdorre  und  absterbe ,  konnte  sich  leicht  dieser  Vorstellung  das  Sympton 
r  Vielfgcfräßigkeit  zugesellen  und  in  starker  mythischer  Uebertreibung  die 
ysichthonfabel  erzeugen. 


\ 


14  Kapitel  I.   Dryaden. 

ff 

nun  den  geschändeten  Hain  zu  ihrem  Eigentmne,  was  um  so  e%M!( 
geschehen   konnte,   als   der  Demeter  nnd  ihrer  Tochter  vielCaüäi 
heilige  Haine  bei  ihren  Heiligtümern  geweiht  waren.   Wir  gelaiE^en 
somit  für  die  Erysichthonsage  auf  eine  echte,   einfache  Volks^^^or- 
stellung  als  Grundlage  zurück;  ob  der  Zusatz  der  Demeter  dc^udi 
Dichterhand,  oder  schon  im  Volksmunde  gemacht  wurde, 
sich  nicht  ausmachen  lassen. 

Mit  dem  Vorgänger  Ovids  übereinstimmend  stellt  auch 
nns  sich  den  Baum  als  die  Behausung  oder  Hülle  der  Hamadr-^a% 
oder,  wie  er  auch  sagt,  Hadryas  oder  Mdia  vor.  Die  rKflr- 
zere  Form  Hadryas  hat  wol  keinen  Anspruch  darauf,  flbr 
ein  altes,  einst  aus  lebendiger  Volkssprache  geschöpftes  ¥^oit 
mit  Präfix  ä  (a)  nach  Analogie  von  ä-nägy  a-^^öog,' 
a-Xoxog  angesehen  zu  werden,  der  überkühne  Wortbilcäner 
Nonnus  hat  offenbar  nur  der  Metrik  zu  Liebe  ganz  ^%¥ill- 
kürlich  aftaÖQvdg  um  eine  Sylbe  verkleinert  Nach  Noicmiu 
also  hat  jeder  Baum  eine  solche  mit  ihm  zugleich  entstaim^^ieM 
und  ihn  bewohnende  Nymphe,  welche  bei  verschiedenen  GM^^en- 
heiten  sich  über  die  Wipfel  desselben  heraushebt,^  bei  Wal«3ver- 
wüstungen  aus  ihm  herauskommt ,  und  den  Baum  beklagend  sich 
zu  den  Najaden  ins  Gewässer  flüchtet.  Der  „  Spätling '^  Nc^oinuB 
zeigt  nicht  selten  Kenntniß  volkstümlicher  Sitten  und  An- 
schauungen.^ Deshalb  darf  wol  vergleichsweise  auf  jene  ^eutr 
sehen  Sagen  hingewiesen  werden,  nach  denen  eine  Seele  den 
Baum  so  sehr,  daß  Blut  in  seinem  Geäder  umläuft ,  mit  m^  :si8cb- 
lichem  Leben  ertUlt,  häufig  aber  als  schwarzer  Mann  hinter  dem 
Baume  auftaucht.  Bk.  42.  Wie  Nonnus  die  Dryade  zu  den 
Najaden  flüchten  lässt,  ist  das  Secweib  des  Mälar  Schut^Egeist 
der  Rlintatanne.  Bk.  136.  Auch  sonst  finden  wir  schocR  Tor 
Nonnus  die  Dryaden  den  Najaden  zugerechnet.^    Das  geh.*  wol 

1)  Nonnus  Dionys  II,  92 ff.: 

jiS{)i'ciä€g  (ff 
fßixfg  tbSvQOVTo  Xtnocxia  6^vJ()f(t  Nvutftti 
xai  Tig  l'vTiTOQxHiio  Si/ctCou^voto  xonvfißov 
«Ti'y/^oi'Of  (txQTJdffivog  uif^aSitväg  ärihoQf  6d(fvrig. 

Derselbe  spricht  XIV,  212  von  av^tfv^tg  AUKat  d(jv6g  ijXtxog   Ders.  XVI,  2i5: 

"iiff  (fttjo  {AUXCrj)  xal  iS(tv6g  hiog  ixaviv  ofiijXixog. 

2)  Vgl.  W.  Schwartz  in  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  XX,  207. 

3)  Wenn  eine  Zeitgenossin  des  Kallimachus,    die  Dichterin  Myro,  in 
einem  Epigramm  von  den  Dryaden  als  Töchtern  (oder  Mädchen)  des  Flasi« 


{ 


Die  Dryaden«  15 

uaf  eine  Volksvorstellang  zaiHck,  wonach  Diyaden  und  Najaden 
die  belebenden  NatorgeiBter  der  Bäume  und  des  Wassers ,  als 
Sieicharfcige  Wesen  empfunden  wurden,  gradeso  wie  der  deutsche 
Volksglaube  Roggenmöder  und  Watermöder  (resp.  Roggenmoem' 
lind  Watermoem')  neben  emander  nennt.  Zu  gleicher  Zeit  aber 
seheint  die  JBezeichnung  der  Dryaden  als  Najaden  den  Anfang 
der  Sntwickelung  zu  bezeichnen,  welche  auf  neugriechischem 
Boden  dahin  führte  alle  Nymphen  mit  dem  Gemeinnamen  der 
Geralden  d.  i.  Wasserjungfern  ^  zu  belegen.  Freie  epische ,  auf 
ketnenoi  Volksglauben  beruhende  Erfindung  ist  es  dagegen,  daß 
17 onnos«  Hamadryaden  verfolgte  Bacchantinnen  schützend  in  ihren 
Saum  aufnehmen  läßt,  wie  es  auch  nichts  anderes  als  ein  dem 
Schauplatz  der  Begebenheit  zu  Liebe  gewähltes,  rührendes  Bild 
sein  kann,  wenn  bei  ihm  Pentheus,  in  Gefahr  im  Walde  von 
den  Mänaden  zerfleischt  zu  werden,  die  vv^q>aL  l(4/iiadQvddeg  um 
Seistand  anruft 


(norafAoö  xögai)  spricht,    deren  rosige  Füße  die  Tiefen    betreten,    (Anthol. 
J?al.  VI,  189)  80  hat  sie  die  bestimmte  Scenerie  eines  Gewässers  im  Sinne ,  das 
die  Wurzeln  der  an  seinem  Ufer  gedeihenden  Bäume  mit  Lebenskraft  trankt. 
Das  Wasser  ist  gleichsam  die  Mutter  der  Vegetation,  am  Wasser  gedeiht  der 
X^anzen wachs  am  üppigsten  und  vorzugsweise  an  Quellen,  Bächen  und  Flüssen 
stehende  Baomexemplare    wurden    eben   deshalb  als   Dryadenbäome   geehrt. 
Diese  Vorstellungen  mögen  die  Identifizierung  der  Dryaden  mit  den  Najaden 
iresentlich  befördert  haben.    S.  Pausan.  VIII,  4,12.    jQvä^ag  yaQ  <f^  xal 
^EnifÄTiliädtts  Tng  kaiitjv  IxdXoi-v  NufiSag.     Bei  Ovid  Metam.    I,  689  befindet 
sich  unter  den  Hamadryaden  eine  Xaias,  in  ihrem  Treiben  der  Diana  ähnlich, 
Satyrn  stellen  ihr  nach  ;^  in  Ovids  Fast.  IV,  251  tödtet  Venus  (d.  i.  Cybele) 
die  Baumnymphe,  welcher  Attes  sein  Herz  geschenkt  hatte:  Na'ida  volneri- 
bos  succidit  in   arbore  factis.     lila  perit.     Fat  um   Naidos  arbor  erat. 
Auch  Properz  verschmilzt  Dryaden  und  Najaden,  indem  er  umgekehrt  ersterer 
an  Stellen  gedenkt,    wo    nach   gewöhnlichem   Sprachgebrauch   die  Najaden 
erwähnt  sein  müssten.    Cf.  Lobeck  de  Nympharum  sacris  lU,  p.  399,  Schoe- 
mann  Opusc.  acad.  II,  p.  129.  flf.     Die  griechischen  Vorbilder  dieser  Dichter 
müssen  bereits  mit  der  Verwechselung  vorangegangen  sein.  Auch  daß  in  den 
beiden  jüngeren  Becensionen  des  Pseudokallisthenes  Kaie ,  Alexanders  natür- 
liche Tochter,  von  ihrem  Vater  verstoßen,  weil  sie  vom  Wasser  der  Unsterb- 
lichkeit trank,  zur  Nereide  wird,  zeigt  im  4.  Jahrb.  unserer  Zeitrechnung 
den  im  jetzigen  griechischen  Volksglauben  vollendeten  Entwickelungsproceß 
bereits  im  Beginn,    der  die  Nymphen  der  antiken  Sage  dem  Namen  nach 
zu  Neraiden  d.  h.    Wassergeistern  machte.     Cf.  J.  Zacher  Pseudokallisthenes. 
Halle  1869.    I,  141. 

1)  S.  B.  Schmidt,  das  Volksleben  der  Neugriechen.    S.  98  ff. 


16  Kapitel  I.   Dryaden. 

Nicht  ganz  so  sind  die  Erzählungen  zu  bearteilen  wie  die 
vermutlich  auf  Eumelos  (760  y.  Chr.)  zurückgehende  von  Arkas, 
dem  sich  eine  Hamadryas  zu  eigen  gab,  weil  er  den  Bam^ 
in  wdcJiem  die  Nymphe  geboren  war,  vor  der  GefUir, 
durch  einen  Bergstrom  fortgerissen  zu  werden ,  vermittebit  eines 
Dammes  geschützt  hatte  (Gharon  von  Lampsakos  bei  TzetMSsd 
Lycophr.  480) ;  oder  die  ganz  ähnliche  vom  Enidier  Bhoikog,  den 
die  Baumnymphe  mit  ihrer  Liebe  belohnte ,  da  er  den  gnikeDde& 
Baum  gestützt  hatte ,  mit  dem  sie  selbst  im  Begriff  war  untem- 
gehen  {uikkovaa  avfxq^d-uQaa&ac  t^  dgvt  Nvfuqirj)]  ein  Bienldi 
war  ihr  Liebesbote.  Rhoikos  verscherzte  die  Gunst  der  Hama- 
dryade  y  als  er  einst  in  der  Leidenschaft  des  Würfelspiels  ihre 
Einladung  unbeachtet  ließ.  (Gharon  v.  Lampsak.  in  SchoLApolL 
Bhod.  II,  481).  Schon  die  homerische  Dichtung  kennt  Liebes- 
verhältnisse der  Nymphen  mit  Sterblichen  (D,  VI,  21.  XIV,  444),  in 
denen  sich  —  wie  in  jenen  Erzählungen  des  Gharon  von  Lamp- 
sakos die  unwiderstehliche  Anziehungskraft  des  Waldes  —  der 
tiefe  Eindruck  reflectiert,  den  die  Schönheit  der  quelldurchrieselteD 
Aue  auf  das  unverdorbene  Gemüt  ausübt.  Noch  näher  aber  ver- 
gleichen sich  nordeuropäische  Sagen,  nach  denen  die  Banm- 
nymphe,  das  Holzfräulein  mit  einem  sterblichen  Manne  in  trauter, 
oft  ehelicher  Gemeinschaft  lebt.  Bk.  69.  79.  102.  103.  109.  112. 
113  u.  s.  w. 

Daß  die  Annahme,  die  Hamadryaden  lebten  in  dem  Bamue 
selbst,  oder  entsprängen  aus  ihm,  ein  wirklicher,  allgemeiner 
verbreiteter  Volksglaube  war,  daftlr  lassen  sich  noch  mehrere 
unmittelbare  Beweise  aufbringen.  Dahin  gehören  außer  dem  im 
Namen  Drj'^aden  und  Melien  liegenden  Zeugnisse  selbst  meh- 
rere Mitteilungen  des  Pausanias  und  Antoninus  LiberaliS' 
Nach  der  einen  (Paus.  X,  32,  6)  erklärte,  gegenüber  den  ge- 
lehrten Namensdeutungen  der  Schriftsteller,  das  Volk  (^ 
hnyotQioi)  in  der  Umgegend  von  Tithorea  in  Phokis,  dieser 
Name  stamme  von  einer  Nymphe  Tithorea  von  der  Art,  «^ 
sie  nach  alter  Sage  hei  den  Dichtern  soivol  aus  andern  Bäuf»c^f 
als   atirch   ganz    besonders   aus    Eichen    entstanden   (wuchsen)-  * 


1)    oitti  TW  (CQ/afq)  X6^*(p    Tfjj  TTotTjTuir  fffvoiTo   am'i   rf    äklwv  3^f^^ 
xttl  fitiXtarn  und  rCtv  ÖQvtav. 


Die  Dryaden.  ]7 

£in  ganz  in  der  Nähe  heimisches  Seitenstiick  dieser  Volkssage 
läßt  sich  mit  unumstößlicher  Sicherheit  aus  einer  Erzählung  her- 
ausschälen, welche  Anton.  Lib.  XXX,  11  und  Ovid  Metam.  IX,  327 
den  ^t»TEqoiov(.iBva  des  Nikander  entlehnten.     Am  Oeta  bei  Am- 
phissa  in  Lokris  stand  auf  dem  Felde  neben    einer  Quelle  ein 
kleiner  Hain,  bestehend  aus  einer  Pappel  und  mehreren  Fichten 
nebst  einem  reuevog  der  Dryaden;  dort  fand  zu  gewissen  Zeiten 
eine  Feier  statt,  deren  HauptstUck  ein  Wettlauf  war  (cf.  Bk.  392  flF.), 
bei   dem  kein  Weib  zugegen   sein  durfte.     In   der  Pappel  und 
den  Fichten  schaute  man  die  Göttinnen  selbst  als  gegenwärtig 
any  glaubte  jedoch,  daß  sie  zu  Spiel,  Tanz  und  Gesängen  aus 
dem  Baumkörper  zeitweilig  hervorträten.    Späterer  Rationalismus 
sah  in  diesen   Bäumen  (dem  Vorgänge  ßk.  39  ff.  entsprechend) 
die  Verwandlung  eines  Menschenkindes,  der  Tochter  des  Landes- 
königs,  die  man  dem  Wortanklange   an  Dryaden  zu  Liebe   mit 
dem   Namen  Dryope  belegte,    und   bald   war  genealogisierendc 
Gelehrsamkeit  geschäftig  aus  den  Ortsnamen  der  Umgegend  die 
Geschichte  dieser  Verwandlung  zusammenzufügen.    Dem  griechi- 
schen  Gemeinbewußtsein  wohnte  eben    in   historischer  Zeit  die 
Neigung  em,  die  Stadt-  und  Inselnamen  als  Nymphen  zu  hypo- 
stasieren,   (s.   darüber  Lehrs  pop.  Aufsätze  Aufl.*    S.  121),   an 
diesen  Glauben  knüpfte  die  erweiternde  Combination  der  Schrift- 
steller an.     Dryops,   König  am  Oeta  (d.  h.  der  Eponymus    des 
Dryopis,    später  Doris    genannten  Ländchens),    der   Sohn    des 
Flusses  Spercheios ,  (der  die  nördlich  angrenzende  Landschaft  der 
Aenianen   oder  Oetäer   durchströmte)    hat   eine   einzige  Tochter 
Dryope ,  welche  ihres  Vaters  Heerden  weidend  von  den  Dryaden 
liebgewonnen  und  zur  Genossin  ihrer  Spiele  gemacht  wurde,  {hi  ei 
di  avTi]v  f^ydjrtjOav  huoffviTg'u^jucxd^vcideg  tnonjaavro  ovfiJiaiTtTQtav 
iaiTwr  y,ai  fdida^av  iitiveiv  &6obQ  y.ai  xoQBvetv),    Auch  Apollo 
—  der  Hauptgott  jener  Landschaften  —  liebt  sie  und  verwandelt 
sich,  um  sie  zu   gewimien,   in  eine  Schildkröte    [deren   Schale 
bekanntlich  den  Schallboden    der  Lyra  bildete],   dann,   als   sie 
diese   in    ihren   Busen    steckt,   in   eine   Schlange   (vgl.    Orakel- 
schlange) und  wohnt  ihr  bei.    Mit  Andraimon  (nach  einigen  z.  B. 
Arist  bei  Harp.  Gründer  von  Amphissa,  man  zeigte  daselbst  das 
Grab  dieses  Heros)  verheiratet,    gebar  sie  vom  Apollo  den  Am- 
phissos   (Eponyraos  der  Stadt).    Aus  dem  von  Andraimon  dem 
Apollo  gebauten  Tempel  raubten  sie  die  Dryaden,  umhüllten  sie 

Mannkardt.    II.  2 


Kapitel  I.    Dryaden. 

ji'^  }i/iise  der  Pappel  und  machten  sie  zu  einer  der  Ihrigen. 
^..    «^  i-KTO  .raQohaav  xo  uqov  jQvo/cfjv  ijq/iaaav  ^u4fiadi}vaäi(; 
,,*,#....     V4'i     (vuivetav   Tcai    airipf  f.itv   a/rty,QVif*av   ai^  tijv  vhv, 
..**    -v^  »t>  aiyetQOv  dricpfjvav  Ix  rijt;  yrjg  xai  naqu  rf^v  aiyu{^w 
v*Y    '^'•'Ä".?^'*'*      -Jq^ojiI'   dt    uexLiale  '/ml  dyxi    d-vr^zT^Q  fyivtin 
,.*ii'.      Aniphissos   aber  errichtet  zum  GedUchtniß  seiner  Mutter 
äu  l>nadcn  ein  Heiligtum   und  gründet   die   noch    bestehende 
4^^o*r  yjaqov  tögvoaxo  vv/tKptüv  y.al  7iQunog  äyiavu  f.7r€Tf?^a€  öqofiov 
vxft   iti   vvv  Ol  a/nxi'jQiot    öiaq^vkciaaoiOL  toltov,    yvvuiyu   d'  01% 
Mwur   .iaqaTvxtiv,)     Zwei  JungiVauen   aber,    welche    die  )[eta- 
HK^rphose  der  Dryope  mit  angesehen,  werden   von  den  Dryaden 
^Mchtalls  in  Fichten  verwandelt     Hier  scheidet  sich  der  wirk- 
Ikrhe  Volksglaube  und  der  ins  Dunkel  einer  unbekannten  Vorzeit 
sich  verlierende  Brauch  leicht   und   reinlich    von    der   nur   ad- 
^tragenen    Schminke     pragmatischer    Geschichtsdeutelei.      Den 
localen  Volkssagen  von   Tithorea    und  Amphissa   stelle    ich   als 
nächste  Analogie  die  Sage  von  Phigalia  in  Arkadien  zur  Seite, 
wonach  diese  »Stadt  von  einer  gleichnamigen  Dryade  den  Namen 
haben  sollte  (Pausan.  Vlll,  3ü,  2).    Diese  Sage  bewährt  eine  beim 
gemeinen  Mann  in  verschiedenen  Teilen  Griechenlands  verbreitete 
Neigung,  den  Ursprung  der  Landesbevölkerung  von  einer  Baum- 
nyniphe    abzuleiten,     und    in    diesem    Sinne    wird    auch    Mclia 
als  Gemahlin  des  Flußgottes  Inachos  und  Mutter  des  Urkönigs  von 
Argos,  Phoroncus,  gegolten  haben,  ApoUod.  II,  1,  1,  ehe  Dichter- 
hand sie,   die  Dryade,  zur  Okeaniue  ummodelte.     Offenbart  sieh 
in  solcher  Neigung   eine    dunkele  Erinnerung  an  jenen    uralten 
Glauben,  daß  die  ältesten  Menschen   aus  Fels  und  Baum  (cr/r/* 
dgiog  y.ai  ujro  /utqi^q)   hervorgingen  ?   (Bk.  7  ff.    Schümann  (Jp. 
Ac.  H,  13()).    Ein  anderes  Beispiel  (Paus.  VIII,  24,  4),  in  welchem 
die  Nymphe    mit   dem   Baume    fast    vollständig   in  eins    zusam- 
menfällt,   ist  aus  dem  Peloponnes.      Auf  einem  Berge  bei  Pso- 
phis  in  Arkadien   sah   Pausanias  heilige   Cypressen,    welche  nie- 
mand  Hmzuhaiicn    ivaijte;    Periegetengelehrsamkeit    nannte    sie 
die  Cypressen   des  Alkmaion,    weil  dieser   in  der  Nähe   begra- 
ben sein  sollte;   das    Volk  aber   hieß  sit:  Junf/fraHen  {vraQxftivi), 
Solche  Vorstellung  von   Einheit   der  Nymphe    und   des  Baumes 
spiegelt  sich   auch  noch   in   den   Vergleichen    ganz    aufgeklärter 
Dichter  eines  si)äten  Zeitalters.     Vgl.   die  Verse   aus  Nikanders 
Thebais  (150  v.Chr.): 


Die  Dryaden.  19 

Xtti  uiv  vno  ZtavaTov  lioog  ö{tvi<;  (c/mf/  Tt  (frjyuf 
oiu  Ti  7ia{td^tvixa(.^ 

laait  Vergils  Aen.  11,  626—631  : 

Ac  velati  summis  antiquam  in  montibus  ornum 
Qnum  ferro  accisam  crebrique  bipennibns  instant 
£raere  agricolae  certatim;  illa  nsque  minatur 
Et  tremefacta  coniam  concusso  verticc  nutat; 
Volneribus  donec  paullatim  evicta,  supremura 
Congeniuit  traxitque  jugis  avolsa  ruinam. 

Jener  Volksglaube  von  Tithorea,  Araphissa,  Phigalia  und  Psophis 

^Jestätigt  —   was   schon  die  mehrfach  vorkommende  Benennung 

^elie  lehren  konnte,  —  daß  die  Beseelung  durch  Nymphen  nicht 

^ui  eine  einzelne  Pflanzenart  gebunden   ist.     Ein  Epigramm   des 

^gathias  spricht  von  Nvftcpat  derÖQirideg  überhaupt.    Der  epische 

Dichter  Pherenikos  von  Heraklea  erzählte,   daß  die  Feige  von 

Syke  der  Tochter  des  Oxylos   den  Namen  habe.     Oxylos,   (d.  i. 

O-xyl-os  Holzmann)  der  Sohn  des  Orias  (Bergmann),  habe  näm- 

Tich   aus  der  Umarmung  seiner  Schwester  Hamadryas  die  Karya 

(Nuß),  Balanos  (Eichel),  Aigciros  (Pappel),   Ptelea  (Ulme),    den 

Ampelos  (Weinstock)   und  die  Syke  (Feige)   gezeugt  und  daher 

seien  diese  Hamadryaden  geheißen,  nach  ihnen  aber  viele  Bäume 

benannt  worden.  *    Das  ist  natürlich   keine  mythische ,   sondern 

eine  etj-mologische  Sage,  aber  dieselbe  setzt  den  Glauben  voraus, 

daß    auch    andere  Pflanzen,    nicht    allein    Eichen    und    Eschen, 

von  Dryaden  eifUllt  seien.    Und  hi  Wirklichkeit  finden   wir  Phi- 

lyra   (Linde),    JDaphnc   (Lorbeer),    Bhoiai^  (Granaten),    Hclikc 

(Weide)    als  Namen    von  Nymphen    in    der   griechischen  Mythe 

genannt,  *    ohne   daß    man   sich    später  ihres  Dryadencharacters 

1)  Nicandr.  Thebais  fragm.  XXXVI  Lehrs  et  Dtibncr.  Schol  Nicandr. 
Theriac.  v.  460. 

2)  X«)  TKVTug  l/f/n(CifQV€i(U(g  ri'/LUfitg  xnhTad^fu  xtd  itn^  airrm'  noXXu  roh' 
i(viS(Htiv  nQognyoQtvtaxkiu.     Athen.  lü,  14  f.  78  Casaub. 

3)  Kostath.  ad.  Od.  VII,  115  un  cT*  ^Poiai  ouiorv/ntog  Ttu  öM^tp  xuX  «i 
ni(i\  ttirjug  fivO^txnl  vvfiqKiy  Ji^Aolt«!  x(u  uUm/oCi.  Ders.  ad.  Od.  XXIV,  340 
(f(TT((  MnkiriiSfgy  (firra  * Poittt ,  (((rra  Mtldw  h'  oig  vvu(f(Jijr  fJtr  iia)v 
dv6fi(cr((  T«  O^rjkvxd,  tö  tff  ifinu  ^ntf^^riuu  Tii/ovg  ör]kwTtx('n'.  Solcher  Aus- 
mfe  bedienten  sich  die  Mädchen  bei  Wettlauf  und  Spiel:  rag  yitQ  riuqag 
(i'if  rjttovü«!  xf^ovai  naool-vrovaiu  (W.ijkag  tig  rd/og.  Pollux  IX,  127.  Erinnert 
Werden  darf  an  den  Wcttlauf  zum  Dryadenheiligtnni  bei  Amphissa.  o.  S.  17. 

4)  Die  umständlicheren  Belege  bei  Schömann  a.  a.  0.  128,  Anm.  5. 

2* 


'20  Kapitel  I.   Dryaden. 

noch  jedesmal  bewußt  war.    Zuweilen  hatte  sich  der  alte  Glaube       |^ 
in   die   schon  o.  S.  17  hinsichtlich   der  Dryope  erwähnte  rationel- 
lere Form  umgesetzt,  daß  die  Nymphe  eine  in  einen  Baum  ver- 
wandelte Sterbliche,    Najade,    Okeauiue   u.  s.  w.   sei.    So  ward       I;*. 
Philyra  zur  Linde,   Daphne   zum  Lorbeer.     Die  Motivienrng  der 
Metamorphose  fließt  aus  verschiedenen  Anlässen,  bei  Daphne  ein-        V^ 
fach  aus  ihrer  Heiligkeit  im  Kulte  Apollos,   weswegen  der  Gott       %^ 
sie  liebt.     Es  ist  kein  Grund,   die  von  Max  Müller  aufgestellt^ 
aul'   sprachliche  Metapher   gegründete  Deutung  des   Mythus  ai*-^ 
die  vom   Sonnengott  getödtete  Morgenröte  hier,    wo  jeder  tiu^' 
sächliche  Anhalt  dafllr  fehlt,  gelten  zu  lassen.     (Vgl.  Bk.  297). 

§  3.  Die  Baumseele.   Wenn  wir  den  aufgefundenen  Spure-^^^^ 
folgen  dürfen,  so  waren  mehrere  Varianten  des  Dryadenglaubcn^  -^ 
unter  den  europäischen  und  kleinasiatischen  Griechen  dem  Volk^^  ^^ 
vertraut.     Dieselben  stimmen  im  wesentlichen  mit  ganz  analogen^^  ^^ 
Sagen    und  Sitten  unter    nordeuropäischen  Völkern  überein  nni-^^^ 
erklären  sich  wie  die  letzteren,  sobald  man  als  ihren  Ausgangs- 
punkt die  Vorstellung  von   einer  in  verschiedener  Weise  und  i 
verschiedenen  Abstufungen  sich  äußernden  Beseelung  des  Baumes 
erblickt,  nicht  aber  mit  Lehrs  die  Hamadrj'aden  flir  jüngere,  voicac-^B 
Dichterlaune  eingegebene  Individualisierungen  des  allgemeinereinÄ^^^" 
Begriffs  von  Waldnymphen,   welche  in  großem  und  freiem  Stjl^^^ 
Repräsentanten    des    inneren    Naturlebens    darstellen,     erklärt-    -^' 
Einen  Beweis  für  die  Richtigkeit  unserer  Ansicht  ergiebt  der  Um- 
stand,  daß   auch  im  alten  Griechenland  eine  Reihe  solcher  Vor- 
stellungen nachweisbar   ist,  welche  mit  dem  Dryadenglauben  i 
untrennbarer  Verbindung  stehend  sich  als  Abwandlungen  der  Ide 
Baumseele  zu  erkennen  geben,   keinesweges  aber  aus  der  Vcr— '■^^' 
enger UDg  des  Begriffes  Waldgeist  abgeleitet  werden  können.   DaßÄ-^ 
der  Baum  beseelt  sei,  geht  in  den  Glauben  über,  daß  die  Seeleä^'^^ 
(das  Blut,  d.  i.  das  Leben)  eines  Verstorbenen  in  einen  Baumc-«^^^ 
sich  wandele  und  daß  dieser  bei  Verletzungen  blute.    Diese  Vor— *^  •' 
Stellung  war  z.  B.  auf^^Geryon  übertragen,  von  dem  es  heißt,  dai^Ä-^ 
aus  seinem  Blute  eine  Art  Kirschbaum  entsproß,  *  oder  eine  Dop — ^^^ 


1)  Popul.  Aufsätze  Aufl.«.   114 ff.    Auch  schon  Welcker  Griech.  Götter— -^'®' 
lehre  III,  Gl  spricht  sich  „ausdrücklich"  gegen  Lehrs  Auffassung  aus. 

2)  De  cujus  sduguine  dicitur  arbor  nata,  quae  vergiliamm  tempore  pomi^-^ 
in  modum  cerasi  sino  ossibüs  ferat.     Serv.  ad  Vt»rg.  Aen.  VlI,  662. 


Die  Baumseele.  21 

elfichte,  welche  Blut  austräufte. ^  Als  Aeneas  auf  dem  Grabe 
jines  ennordeteii  Verwandten  Polydorus  Laubwerk  zur  Be- 
ränznng  der  Altäre  abhauen  wollte,  flössen  aus  dem  ersten 
aufne,  den  er  mit  den  Wurzeln  aus  deni  Boden  rißy 
lutstrapfen  hervor,  und  befleckten  die  Erde,  und  immer  wei- 
r  strömte  schwarzes  Blut  aus  den  abgebrochenen  Zweigen, 
idlich  ertönt«  aus  dem  Grabe  ein  Seufzer  und  eine  Stimme: 
Vas  zerfleischest  du  mich  Unglückseligen,  der  hier  begraben  liegt? 
cht  fremd  ist  dir  das  Blut,  das  aus  diesem  Stamme  fließt.  Ich 
D  Polydorus"  *  Vgl.  Bk.  39—44.  Wegen  der  Vorstellung,  daß 
is  Leben,  die  Seele  des  Bestatteten  in  den  sein  Grab  beschatten- 
m  Baum  oder  Hain  tibergegangen  sei,  war  es  demnach  nattir- 
jh,  daß  die  Athener  jeden,  welcher  ein  Bäumchen  in  einem 
eroon  abhieb,  mit  dem  Tode  bestraften.*  Das  Alter  und  die 
olksmäßigkeit  dieser  Anschauungen  bewährt  die  Erweiterung 
jrselben  zu  der  auf  dem  Glauben  an  Beseelung  der  Pflanze 
>erhaupt,  nicht  allein  des  Baumes  beruhenden  Vorstellung,  daß 
e  Seele  (das  Lebensprinzip)  jedes  Begrabenen  in  eine  Blume, 
n  Kraut,  einen  Strauch  tibergehe,  und  zu  dem  Brauche,  Blumen 
ler  Bäume  als  Abbilder  davon  auf  die  Gräber  der  Angehörigen 
1  pflanzen.^  Derselbe  Glaube  und  dieselbe  Sitte  bestand  bei 
3n  Römern.^  In  mehreren  deutschen  Sagen  wird  der  Baumgeist 
.  B.  derjenige  der  Kestenberger  Eiche  Bk.  41,  so  wie  der  des 
''ildegger  Birnbaums  Bk.  42)  ftir  die  Seele  eines  Menschen  er- 
lärt,  der  sich  an  dem  Baume  crJwnkt  hat.  Dieser  Zug  begeg- 
3t  gleichartigen  Erzählungen  in  griechischer  Sage.  Phyllis, 
önigin  von  Thracien,  verlobt  sich  mit  dem  aus  Troja  zurtick- 
ehrenden  Demophoon,  Theseus  Sohn,  der  ihr  verspricht  nach 
>rdnung  seiner  Angelegenheiten  in  Athen  zur  Vermählung  zu- 
Ickzukehren.  Da  er  lange  ausbleibt,  meint  sie  verschmäht 
a  sein,  sie  erhenJct  sich  mit  einem  Stricke  imd  wird  in  einen 
landdbaum   verwandelt,    der   keine  Blätter   trägt.     Als   Demo- 


1)  Philostr.  imagg.  I,  4. 

2)  Vergl.  Aen.  111,  19—47. 

3)  Oti  Toaoi'jor  jjr  l4'hiV(iioiq  i^tioiötauovdtg'  il  rig  JiQtviihov  i^^xoijjev 
:  rjQOioi' ,  au^xitivor  artov.     Acliaii   var.  hist.  V,  17. 

4)  S.  BOtticber  Uaumkiütus  der  Hellenen  S.  2b2  ff. 

5)  Bötticher  a.  a.  0.  292.    Preller  Rom.  Myth.  481  ff. 


22  Kaidtcl  I.    Dryaden. 

phoon  ankommt,  umarmt  er  den  Stamm  der  sofort,  als  empfin^lie 
Phyllis    die  Gegenwart   des   Geliebten,    Blätter    treibt.*    Allem 
Anscheine  nach  sind  wir  berechtigt   hiezu  die  folgende  Ue\)ei- 
lieferung  zu  stellen.    Auf  Rhodos  gab  es  ein  Heiligtum  der  Helena 
Dendritis.    Man  erzählte,  Helena  sei  nach  dem  Tode  des  3C«ne- 
laos  zur  Königin  Polyxo  gefluchtet,    sei  aber    auf  deren  B^feU 
von  verkleideten  Dienerinnen  im  Bade  überfallen  und   an       dm 
Baume    aufgehüngt,  *      Mit    Recht    vergleicht    Bötticher '        der 
Helena  Dendritis  die   jy^v(pf]  dsvögntg"   d.  i.  Baumnymphe ^    die 
als    göttliches    Wesen   und   Baum   zugleich    gedacht    wird^      bei 
Agath.  46.    Er  leitet  daraus  die  folgende  Erklärung  ab.   ^^E^  gab 
auf  Rhodos  ein  Heiligtum  der  Helena  Dendritis,  also  der  B^sum- 
Helena,  von  einem  Baume  so  genannt,  welcher  der  Helena  luieilig 
oder  vielmehr  Helena  selbst  war,  die  von  ihm  eben  das  Beiwort 
Dendritis  empfing.    Helena  lebte  in  dem  Baume  fort;  der  !^arau 
nahm  das  Wesen  der  Helena  in  sich  auf."    Es  liegt  wol  aimrf  der 
Hand  und  geht  aus  der  durchaus  erkünstelten  Anknüpfung  ara  dan 
Epos  hervor,  daß  der  Name  und  die  Geschichte  der  Helenai-    hier 
mit  übler  Gelehrsamkeit  einer  älteren  an   dem  heiligen  RÄnme 
haftenden   Sage  aufgepfropft  sind.     Die  Veranlassung  dazu      niag 
die  Aehnlichkeit  mit  einem  im  dorischen  Mutterlande  der  Kim  odier 
verehrten   Helcnabaum    gegeben   haben,    der    vermutlich    e"ininal 
als  die   aus  dem  Grabe  der  Heroine  emporgestiegene  Seelen    ^^^' 
selben    gegolten    hat.     Wenn    nämlich    Theokrit  Id.   XVII H  ^^ 
Lakonischen  Jungfrauen  in  dem  Hochzeitliede  zu  Ehren  dec=^  ^'^' 
nelaos  und  der  Helena  der  letzteren  geloben  läßt,  ihr  zuerst      <iwen 
Kranz  von  erd wachsendem  Lotos  auf  die  Platane  zu  hängei^^  ^" 
Oel   aus   silberner  Flasche    unter  dem   Baume  auszugießen     :3  *^* 
dessen  Rinde   der  Vorübergehende  lesen   werde    „verehre      "^*^"> 
ich  bin  der  Helena  Baum"  {atßov  u.    'EXevct^  (pvcov  si^ti):  r==»^  ^^^ 
das  unzweifelhaft  mit  Rücksicht  auf  die   zur   Zeit   des  Dic^'^^^'* 
oder  seines  Gewährsmannes  noch  bestehende  Sitte  der  Bekrär:  ^i^""© 
einer  •  wirklichen  Helena- Platane  in  der  Umgebung  Sparüis  g«i38^> 
welche  wir  uns  am  ftiglichsten  zu  Therapne,  dem  alten  Sitz^*^  der 


1)  Scrvius  ad  Vcrg.  Bucol.  V,  10. 

2)  Pausan.  3,  19,  10. 

3)  Haumkultus  dur  Hellenen    S.  50. 


Wechselbeziehuog  zwischou  Mciisch  und  Baum.  23 

ordorischen  Könige,  in  dem  gemeiusamen  Heroon  des  Menelaos 
nd  der  Helena,  wo  man  Beider  Grab  zeigte,^  zu  denken 
aben. 

§.  4.    Wechselbeziehung  zwischen  Mensch   und  Baum. 

Ke  Verschiebung  der  Vorstellungen  Baumuymphe,  Bauraseele,  im 
^aiun  wohnende  oder  eingek(')rperte  Seele  eines  gestorbenen 
Eenschen  von  einer  zur  andern  ist  möglich,  weil  ein  lebendiger 
.nd  häufig  bis  zur  Annahme  eines  durchgreifenden  Parallelismus 
:edeihender  Vergleich  zwischen  dem  wachsenden  und  welkenden 
fenschen  und  der  Pflanze  diesem  ganzen  Vorstellungskreise  zu 
Ironde  liegt  Nicht  anders,  als  im  nordeuropäischen  Volksglauben, 
ritt  die  nämliche  Anschauung  auch  schon  bei  den  Alten  hervor. 
Vis  Vergils  Mutter  mit  ihm  schwanger  war,  träumte  sie,  sie  habe 
dnen  Lorbeerzweig  geboren,  der  auf  den  Boden  gefallen  sofort 
estwurzelte  und  zu  einem  mit  Blüten  und  Früchten  erfüllten 
Saume  emporschoß;  am  folgenden  Morgen  wurde  sie  von  dem 
Dichter  entbunden*  (Vgl.  Bk.  46).  Entsprechend  dieser  bildlichen 
Auflassung  des  Kindes  als  grüner  Baumzweig  hatte  man  den 
Brauch  als  Doppelgänger  des  Neugebomen  an  der  Geburtsstätte 
einen  Baum  zu  pflanzen.  (Vgl.  Bk.  50).  Auch  daitir  gewährt 
das  Leben  Vergils  einen  Belag.  ^  Ganze  Familien  hatten  ihre 
Bäume,  deren  Gedeihen  man  als  vorbedeutsam  fUr  ihr  Schicksal 
ansah.  Auf  dem  Landgut  der  Flavier  vor  der  Stadt  sUmd  eine 
alte  dem  Mars  geweihte  Eiche.  Als  Vespasia,  des  Kaisers  Ve- 
spasian  Mutter,  das  erste  Kind,  ein  Mädchen,  gebar,  trieb  der 
Baum  einen  Schößling,    der  klein   blieb  und  bald  vertrocknete; 


1)  Pausan.  111,  19,  1):  IMtvO-dov  d^  lajiv  h'  «rr/J  vubg  xcä  Miv^laov  x«l 
XX^vrjr  H'tuOUk  xatfiivat  kiyovair.  Vgl.  Ourtius  Peloponnesos  II, 
236.  239. 

2)  Praegnans  eo  mater  soinniavit  Maja,  enixam  sc  laurcura  ramam, 
quem  contacta  terra  confestim  cernerct  evaluissc  et  excrevisse  in  speciem  na- 
'Urac  arboris  refertae  variis  pomis  et  floribus,  ac  seqiienti  luce  cum  inarito 
"US  propinquuiii  petons  ex  itinere  divertit  atque  in  subjecta  fossa  partu  levata 
St.  Donati  Vita  Virgilü  cap.  I,  §.  3.  Virgilius  Heynii  cur.  Wagner,  Lips. 
830,  p.  LXXXll. 

3)  Et  accessit  aliud  praesagium:  siquideni  virga  populea  more 
egionis  in  puerpcriis  oodem  statim  loco  (der  Stätte  der  Geburt) 
.0 pacta    ita   brevi  coaluit,    ut  inulto  ante  satas  populus  adaequarit.     Quae 

rbor  Virgilü  ex  eu  dicta  atquc  consecrata  est;  summa  gravidarum  et  fe- 
arum  religione  suscipicutium  ibi  et  holventium  vota.    Donatus  a.  a.  0.  §.  5. 


24  Kapitel  I.    Dryaden. 

die  kleine  Neugeborene  erreichte  nicht  das  erste  Jahr ;  als  Vespa- 
sia  darauf  mit  Sabinus,  dem  späteren  Praefectus  arbis,  niedet- 
kam,  war  das  wieder  ein  Zweig,  diesmal  ein  starker  und  ftp^- 
gevy  der  großes  Glück  yorbedeutete ;  bei  der  Grebort  des  ktlnfti- 
gen  Imperators  entsproß  ein  dritter  Zweig,  einem  Baume  gleidh, 
und   die  Haruspices  weissagten,    das  Kind  werde  'zum  Troluid 
gelangen*  (Ct'.  Bk.  49.   50).      Während   seiner  Aedilität  w^xirdc 
Yespasian  vom  Kaiser  Caligula  einer  erniedrigenden  Besehimpf  img 
unterworfen,   bald  darauf  sttlrzte  auf  seinem  väterlichen  L«2iBd- 
gutc  eine  Cypresse  ohne  ersichtliche  Ursache  zu  Boden ,  riefctetc 
sich  aber  am  folgenden  Tage  von  selbst  wieder  auf.    Als  Yespa- 
sian zur  Regierung  kam,    erinnerte  er  sich  dieses  Vorfalls      und 
faßte  ihn  als  ein  Vorzeichen ,  welches  ihm  die  Erhebung  nac^li  flo 
schmählicher  Erniedrigung  habe  vorbedeuten  sollen;  und  fovtao, 
falls  nicht  die  Cypresse  schon  seit  längerer  Zeit  als  Schiele  sals- 
bäum  der  Flavischen  Familie  gegolten  hatte,  wurde  sie  fttr*    das 
Gedeihen   des  Kaiserhauses   als  vorbedeutend  betrachtet        Hau 

4 

bemerkte,   daß  sie  wenige  Tage  vor  dem  Tode  des  Dommtian, 
mit  dem  das  Haus  der  Flavier  ausstarb^    abermal  umsank,     und 

sich  nicht  wieder  erhob.  *    Auf  des  Augustus  vejentischem  I -^nd- 

gut  bestand  ein  Lorbeerwäldchen.  Aus  diesem  brach  j^^^ 
Triumphator  der  Augusteischen  Familie  den  Zweig,  welche  "»^  er 
beim  Sicgeseinzuge  in  der  Hand  hielt,  pflanzte  ihn  dann  wS-cder 
in  dem  Wäldchen  ein ,  und  pflegte  sein  wol.  Der-  so  aufr^wacU- 
sende  Baum  starb  al)er,  so  erzählte  man,  jedesmal  sobald^  ^^^ 
Tod  dessen,  der  ihn  gepflanzt  hatte,  herannahte,  und  als^  ™*^ 
Nero    die   Augusteische    Familie    erlosch,    verdorrte    das 


1)  Sueton.  Vcspas.  5.  In  suburbano  Flaviorum  qucrcus  antiqua,  ^^^ 
erat  Marti  sacra,  per  trcs  Vesi)a8iae  partns  sinnlos  reponte  ranios  a  t  rnln'c 
dcdit,  haud  dubia  sigiia  futuri  cujnsquc  fati:  priiimin,  exilein  ^t===^* ^'^'^ 
arefactuiii,  ideoque  puella  nata  uon  perannavit:  secundum,  praevalidn:^*-"*  *^ 
prolixuiii,  et  qui  magiiain  felicitatem  portenderet:  tcrtiaui  vero  iustar  ac  ^"*' 
Quarc  patrom  Sabiimm  ferunt  baruspicio  in  super  contirinatam  renoiv^  ^***** 
matri:    Nepoteni  ei  Caesarem  genitum. 

2)  Arbur  quoque  cuprcssus  in  agro  avito  sine  ulla  vi  tcnipc^'''^^* 
evulsa  radicitus  atquo  prostrata ,  insequ<>nti  die  viridior  ac  tinnior  resu  .^tt^^"* 
SuctoD.  Vcspas^.  5.  (^f.  Tac.  Ilist.  11,  7H.  Dio  Cass.  GÜ,  1.  Arbor,  H^^ 
privat«)  adbuc  Vespasiano  cversa  surrexerat,  tunc  rursus  repente  c*:^»"™"* 
Suet  Doniit.  15. 


Wechselboziehaog  zwischen  Menech  und  Baum.  25 

ildchea  ^  Wie  das  Schicksal  von  Familien  schien  dasjenige 
'  Stände  oder  des  Volkes  mit  dem  Lieben  eines  correspondie- 
den  Baumes  verknüpft.  Im  Heiligtum  des  Quirinus  d.  h.  Ro- 
Ins  (dem  Quirinal)  —  sagt  Plinius  XV,  36  —  standen  vor  dem 
npel  (aedes)  zwei  heilige  Myrtenbäume,  die  patricische  und 
plebejische  Myrte  genannt.  Die  patricische  hatte  lange  Jahre 
laeres  Gedeihen  und  frühliche  Ausbreitung,  so  lange  die  Macht 
I  Senates  in  Blüte  stand;  die  mächtige  plebejische  stand  dürr 
1  traurig  da.  Als  sie  erstarkte,  begann  zur  Zeit  des  Marsi- 
len  Krieges  die  Macht  des  Senates  zu  schwmden  und  zugleich 
Ikte  die  Schönheit  der  patrieischen  Myrte  dahin.  Im  Cimbem- 
ege  —  sagt  Plinius  —  geschah  den  Quirlten  das  Wunder- 
chen;  daß  eine  Ulme  im  Haine  der  Juno  zu  Nuceria,  welche 
ne  ersichtliche  Ursache  von  selbst  umzusinken  und  auf  den 
ter  ihr  stehenden  Altar  zu  stürzen  drohte  und  welche  deshalb 
•es  Wipfels  beraubt  war,  sieh  von  selbst  >vieder  aufrichtete  und 
'»hlich  grünte,  worauf  alsbald  die  durch  Niederlagen  gebeugte 
ijestät  des  römischen  Volkes  sich  von  neuem  zu  erheben 
gann.* 

Der  auf  römischem  Hoden  somit  scharf  ausgeprägte  Glaube 
ler  mystischen  Wechselbeziehung  zwischen  Baum  und  Mensch 
It  sich  auch  unter  den  Griechen  in  maunigi'aeheu  Spuren  nach- 
jisen.  Doch  mag  es  ausreichen  statt  vieler  ein  hervorragendes 
^ispiel  namhaft  zu  machen.  Schon  die  älteste  uns  zugängliche 
►esie  der  Hellenen  vergleicht  den  Wuchs  des  Menschen  dem 
ifwuehs  des  Baumes,  nisondcrheit  des  Oelbauuis,  der  Palme, 
•  ö*  aviÖQcmtv  bQvii  ]aüi;.''  II.  18,  437.  inr  d'  fjiel  O^Qtfl'av 
Ol  igvei  Jany.  Od.  14,  175.  Cf.  II.  17,  53.  Od.  6,  163.  Auf 
r  Akropolis  zu  Athen  im  Heiligtume^  des  Landesheros 
echtheus  und  der  stadtschimienden  Göttin  (Athene  Polias) 
fand  sich  nebst  einem  „Meer"  genannten  Salzwasserbrunnen 
1    heiliger   Oelbaum,  iloit]^  sc.    ^?Mia  Stadtolive    oder   fiogia 


1)  Sucton.  Galba  1.    Tlin.  List.  nat.  15,  39.  40. 

2)  Plin.  hiat.  nat.  IG,  57. 

3)  Vermutlich  in  dem  westlich  an  das  Erechtlieion  stonendcu  Tenipclbofe. 
W.  Vischcr  Erinnerungen  u.  Eindrücke  a.  Griechenland,  Basel  1857  S.  142. 
TsiaD  Geogr.  v.  Griorhenl.  1,  :Urt. 

4)  HCfirj,  (Xu(n  t)  fv  (txnonoX^i,  r)  xuXovfxfmi  ^(iyxrffog  Sin  x^^nuaXf'niixn. 
»sych.  8.  V.     "EXtyov   ovv  l^ariiv  (Xti(av  t>;j'  f'i  iix(»07r6Xta>i  f    ri^v  xul  *itQuv. 


26  Kapital  I.    Dryaden. 

Schicksalsolive  (Substantivierung  des  Feminins  von  fioQiog 
lis ')  geheißen ;  man  wähnte ,  daß  an  ihn  das  Geschick  der  S  "%a&1 
und  des  Landes  geknüpft  sei.  Unzweifelhaft  hat  das  als  h^^Uig 
verehrte  Exemplar  im  Laufe  der  Zeit  mehrmals  gewech^^lt, 
beziehungsweise  in  Schößlingen  sich  selbst  aus  der  Wurzel  en^^ent) 
er  war  in  der  Periode ,  aus  welcher  die  Glossen  o.  S.  25  si^kam- 
men,  krumm  und  klein,  aber  man  schrieb  ihm  immeigrün^^^Bode 
Kraft  zu.  ^     Der  wol  schon  in  dem  alten  Erechthensheilifr^rtom 


Euötath.    ad  Odyss  A.  p.  1383.     Cf.   TTayxvtfog   l).a(ag    tldög  rt   xaraxe^^mvifdi 
xal  TttTTdvov  h  rfj  \4xQon6Xti.     Hosycb.  s.  v. 

D  Den  Ursprung  von  f.ion('ä  aus  dem  Adjectiv  fxoQiog  erweist  d^^rAc- 
cent  (Vgl.  Miateli  Z.  f.  vgl.  Spr.  XVJl,  161.  IGö^.    Dieses  nur  spät  imc^B  ver- 
einzelt  in   der   Scliriftsprache   auftauchende  Wort   kann  der  älteren  ^»^olig- 
sprache  in  Attika  gleichwol  geläufig  gewesen  sein;    es  steht   zu  fioQo^^^  und 
ftoQifiog  wie  ntaiog  zu  alau  und  (ttai ^og.    Auch  in   der  Bedeutung  triM^JBt  ^e 
Analogie  zu     MoQog  entspringt  aus  W.  uto  Anteil,   Zuteilung  erhalteik       frgl 
ftdQouai  nebst /i^^m?  Anteil,  juoion  aus  u6o-in  gebührender  Anteil,  Ge»«jhick, 
fioQtc  Heerabteilung,  ^on-tov  Teilchen,  fx^nog  Anteil],  wie  anogog  Haii.<31aDg 
des  Aussäens  aus  W.  a/rfo  [anftQot]   säen,   bedeutet  also  die  Erlangun^^  de« 
gcbübrendüu  Anteils,  des  vom  Schicksal  Zuerteilteu,  sei  dieses  Loß  gufc    oder 
böse.     lu  der  epischen  Sprache  ist  uonog   freilich    vorwiegend    in    schlixmner 
Nebenbedeutung,  ja  geradezu  für  Todesloß  gebraucht,  aber  das  ist  eiao  we- 
sentlich durch    den  Strjff  bedingte    besondere  Anwendung  des  allgemeineren 
Begriffs,  der  z.  B.  in  d(T  Redensart  rnw  uonov  (vgl.  vntQ  aiaar)  noch   deut- 
lich   vorliegt,    wie   denn   auch  ttoomog   11.  XX,  302   von  der  Lebensret t^^g» 
fjitiQfaOai  mehrfach  von  Erlangung  der  Ehre  gesagt  wird,    während  wir    *i^ 
sinnverwandte  taait  d.  h.  der  gleiche,  gebührende  Ant<;il  ebenso  wul  y(»13    *-''^" 
glück  und  Tod,    häufiger  aber    [in  Folge  seines  Ursprungs   aus  laog  Cii^^"^^ 
Grundz.3   340V]    in   glückhaftem    Sinne   verwandt   sehen.     Dem  lebcacli^*^^ 


Sprachgebrauch  Altattikas  dürfen  wir  die  der  Jit.vuudogie  entsprechende     »»^'^" 
trale  Bedeutung  „zur  Erlangung  des  Lebensanteilä,  des  Sdiicksalsloßcs  i^*^ 
rig"  für  uooiog  noch  zutrauen,    und  wie  das   sinnverwandte   aTaiog  miC- 


^^»bo- 


--r»     •-'  ,.,ww.,,s  t.x^v,..  ^«.,*c*«v,.. ,    ^..x*  ,wv.  — ,  ^ai 

Begriffen  Dimner,    Vogel,   Adler  u.  s.  w.  verbunden   in  die  Bedeutung    ^-r 
Geschick  verkündend,  glückvorbcdcutend "   übergeht,   konnte  dem  ^^ 
ner  der  Baum ,  aus  dessen  Gedeihen  er  ein  Vorzeichen  und  Wahrzeicbc  ^  ^^^ 
das  gesunde  Leben  der  Bürgerschaft  entnahm,  des.sen  etwaiger  Fall  den  ^^^ 
selbst  mit  Tod  und  Untergang  becb-uhte,  mit  gutem  Kechte  uo^woj  heiß--^-?* 

2)  Eurip.  Jon.   M:i3.    "/.Vjn  Iv  itj  iixnon6).i   kuiij  ^r^fx^fjog  lov  p'     '", 
v^og  MyofAtynv  tirtci  rtjog,    h'  Zft)  ^Xitirj    rf  x(u  ihiXuaaa   tri    .  .  .    ittiTtf^" 
T>;r  0,uiriv  (iUK  T^}  (VMfi  into  xaxtXaßh  ^fjuioriaihftvat   vnö  im*  ßa^ßd^Hav        * 
T^Qijl   (T*    7)fi^oiji   tcno  jtjg  ^u/in/jaiog  l4!h}rtooi   nl    !h'fiv    vtio  ßaailfjog  xt-^ 
fifvoi    tog   i\v^ßi]auv   fg   to'' toov   ohmv  ßXaarov   fx  rof^  anK/fog  oaor  xer        ^ 
yvaifyv  (h'(((Uth^>((UT)x6i((.     ovroi  fi^r  rri'  jaüra  hfitaanv.    Herod.  L.VllI, 


Wechselbeziehung  zwischen  Mensch  and  Bamn.  27 

len  dem  Tempel  stehende  Baum  gleicht  dem  in  Gallien  und 
mmeniy  Schweden  nachgewiesenen  (von  einem  Numen  be- 
hnten)  Baume  ficben  deni  Göiterhause,  Bk.  57.  Es  wird  nr- 
Unglich  ein  wilder  Oelbaam  gewesen  sein;  einen  solchen,  der 
>en  der  den  Nymphen  geweihten  Grotte  auf  Ithaka  wachs, 
mt  schon  der  Fortsetzer  in  Odyss.  XIII,  373  heilig  (ieQtjg 
ga  nv&/iiiv'  ilairig),  er  kannte  also  unzweifelhaft  heilige  Oel- 
ime  in  ähnlicher  Situation.^  Als  die  Knltur  der  veredelten 
ye  nach  Attika  kam,  mag  man  den  wilden  Burgoelbaum  mit 
em  fremden  Reise  gepfropft  haben.  ^  Als  später  die  Perser 
I  Stadt  anzündeten,  verbrannte  mit  dem  alten  Erechtheion  anch 
r  heilige  Oelbaum,  aber  bald  darauf,  angeblich  schon  am 
3hstfolgenden  Tage,  hatte  der  Stumpf  wieder  einen  ellenlangen 
hößling  getrieben.  Von  diesem  heiligen  Baume  war  ein  Able- 
r  nach  dem  Platze  der  Akademie  am  Kephissos  verpflanzt,  von 
m  12  weitere  Stecklinge,  vielleicht  als  Schicksalsbäume  der 
Phratrien,  ausgesetzt  wurden.  Diese  Bäume,  die  sich  später 
einem  ganzen  Haine  vermehrten,  heiBcn  auch  (.lonlai.  Von 
len  pflegte  man  das  heilige  Oel  zu  nehmen,  das  beim  Feste 
r  Panathenäen  in  kunstvollen  schönbemalten  Hydrien  den 
3gem   als  Preis    zucrtcilt   wurde.  ^     Von   der   (.loqict   auf  der 


IWn  der  Nähe  von  E])i(lauros  gab  es  noch  zn  Pausanias  Zeit  einen 
iligen  Hain  von  wilden  Oclbäumcn,  der  Hyrncthion  hieß  nnd  Schan- 
ttz  festlicher  IJe^'chungen  war  (vgl.  E.  Curtius  Peloponnesos  11,  425).  l)a- 
Is  leitete  man  Ortsnuinen  und  Fest  ätiologisch  von  dem  Schicksal  einer 
ler  ersc^hlosscnen  Horoino  Hyrnetho  ab  'Pausan.  II,  28,  2  ff.").  In  Wahr- 
t  wird  hier,  so  vermute  ich,  der  Yorsainmlungsplatz  einer  Phylc  Hyrnc- 
a  gewesen  sein,  welche  zwar  für  Epidauros  nicht  wie  für  Argt^s  bewiesen 
,  aber  doch  mit  0.  Müllir  iDorier  II,  8.53.  72)  angenommen  werden  darf. 
1.  auch  Bursian  üeogr.  v.  (Jriechenl.  II,  44.  56.  73.  75.  Es  bestand  ein 
setz,  wonach  das  windbrüchige  Holz  der  heiligen  Oliven  und 
dernBäume  desHains  von  niemand  fortgenommen,  nach  Hause 
tragen  und  gebraucht  werden  durfte,  sondern  liegen  bleiben 
ßte  »Pausan.  a.  a.  0.  28,  3i.  Vgl.  die  genauen  üebereinstimmungen 
,  35,  3.  Knüpfte  einst  an  diese  Bäume  der  Stamm  sein  Schicksal,  wie 
Athen  die  ganze  älteste  Gemeinde  das  ihrige  an  den  Burgölbaum? 

2)  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpü.  u.  Haustiere,  Aufl.  «  S.  95. 

3)  AIoq(m  (X(ch(i  ito(d  r^s"  liO-tjviig,  l^  mv  to  fXnior  l^nnd^lov  i^Cdoro 
g  Vtxtaai  t«  Uttvaih/ivattc.  fjaav  dt  nQütmi  if(  xov  itntif^iuov,  al  /nfTiCffv- 
^(Taai  fx  rfjg  \-/xoo/r(Mi)g  tfg  \^x«(^r}itfav.  Suid.  v.  uonfnt.  'O  Jt  \-totOro- 
¥jg  xiti  Tolg  rix^imai  r«  //ur(i!h]yM(t  ^ka^ov  loO  ix  fionCtav  ytyi'ouivov  cf/- 


28  Kapitel  I.    Dryaden. 

Burg  sowol,  als  von  den  Morien  beim  Gymnasium   der  Akade- 
mie   ging    der    Glaube,    daß   derjenige,    wdcJier    es    wctge,       iv^ 
einen  der  Bäume  zu  hauen,  sich  selbst  verwunde.  Man  erzäklti^ 
einst  habe  Poseidon ,  erzürnt  über  den  Sieg,   den  Athene  dairc^lh 
die  Pflanzung    der  heiligen  Burgolive   über  ihn  davongetrag-^ 
den  Baum  zu  zerstören  versucht.    Er  sandte  deshalb  seinen 
Halirrhotios ,    den   Dämon    des  Wogengebrauses,    ab,   um 
Oelbaum    ahzuliau&n.      Dieser     schlug    aber    fehl,    traf 
eigenen    Fuß   uyid   starb,  *     Es    ist    augenscheinlich,    daß 
ganze  echte  Grund  dieser  Sage  einzig  und  allein  die  Vorstelluvig 
war,  der  heilige  BurgrJbaum ,  der  Schicksalsbaum,  das  alter  e^o 
der  Stadt,  und  seine  Sprößlinge  seien  beseelte  Wesen  und  des- 
halb  haue  nach   dem  Gesetze   strenger  Wiedervergeltung,    T^«r 
ihren   Fuß   schädige,   sich   selbst   ins   Bern.     Vgl.  o-  S.  24  uxad 
Bk.  26  ff.  603.   Anm.  1.  36  ff.  105.  63.      Als    diese    aus    hohem 
Altertum   herrührende   Vorstellung   in   der   Blütezeit    städtischer 
Kultur  und   staatlicher  Macht  den  Athenern  unverständlich   um3d 
befremdlich  geworden  war,  aber  glcichwol  kraft  der  Gewohnhei* 
ihr  Dasein  fristete,    suchte  man  nach  einer  Erklärung  fttr  ihr^n 
Ursprung.     Man   mußte  vermuten,   daß  die  Erfahrung  in  einc^ifl 
bestimmten  Falle  dazu   den  Anlaß  gegeben   habe.      Wenn  m^^^ 
weiter  fragte,  wem  daran  gelegen  sein  konnte,  die  heilige  Oli"^*^^ 
zu  vernichten,   so  blieb  der  Blick  auf  Poseidon  haften,   der  m"»'^ 
Athene  um  die  Herrschaft  von  Attika  streitend,  als  WahrzeieU  ^^"^ 
seines  Besitzrechtes,  jene  Salzquelle  beim  Erechtheion  geschafften 
haben,    aber  der  Göttin  unterlegen    sein   sollte,    als  diese  zt^^ 
Zeugniß  ihres  besseren  Anrechts  den  heiligen  Oell)aum  aufwa*-=^ "' 
sen  ließ.      Offenbar  war  auch  diese  Sage  eine  ätiologische,    ^^"^ 


doaiinC  (ftjai.     Cf.  Meursii  Panath.  c.  11  (Gronov.  Thcs.  Gr.  Ant.  VII).      ^^**'" 
<hr(hm.     Schol.  Aristoph.  Nubb.  liX)'). 

i//f   TÖv    viov  airroC  l:iki(}()ußioy  Tnvrrfj'   TiiioOrra.     6  di    dvartCvag   rör    7t  ^*-^' 
3evv,  TKihtjg  utr  iiOT6/i]Ot'     röv    iH    Tiöd'ic  avTov  nlti^ug  iiflfi'itjOf  -       ^"^ 
ovTb}  (.lOQdt    t)   ÜM(a    ^xlt'iOriy    thg  ftooov  nnotxrixti    —     AI    U{HtX   IXaUc*       ""i^ 
li'hiviig   iv   Tfi    axQUTiolti    uomiu    fxuXoüvro.     Kyovai  yao  ort  l4Xii}^9ic>^  •    ^ 
nuTg  Jloatn^m'og,    ti'f^eltjOtj'    Ixxöxjjtu   ttcritg,    Ji«    to    ti;^*   fXtUttg   ivofOt^'^^t^ 
XQi O-rfvia  Tt^g  l-id^väg  riiv    noXiV     o    Jf    unatditg    ror    TitXixm'   xtä    rttf^li 
unoTv^iav    (TiXii^fv    hciTov   x(t)  an^^uvf.    xn)    diä     toCto    uoqüci     tei    /X^*^"* 
^xXi^f^riffccr.     Sehol.  Aririfoph.  NuLb.  1005. 


Wechselbeziehung  zwischen  Mensch  nad  Banm.  S9 

tnng  des  Ursprungs  der  längst  vorhandenen  Burgolive  und 
Salzquelle  (x^dkaooa)  gebildet  nach  Analogie  einer  allgemei- 
Q  in  verschiedenen  Varianten  verbreiteten  Erzählung  vom 
ite  der  elementaren  Gewalten  des  Wassers  und  der  Erde  um 
griecbiscben  Ktistenstädte  (Vgl.  Welcker  Griecb.  Götterl.  ü, 
E).  Daß  aber  diese  Sage  hier  grade  an  die  Burgolive  sich 
)te,  seheint  lediglich  aus  den  Verhältnissen  des  sechsten 
hnnderts  begreiflich  zu  werden.  Damals  gedieh  die  von  ans- 
8  kommende  Kunst  der  Veredelung  der  Obstbäume  und  ihr 
bringender  Anbau  im  Gegensatz  zu  anderen  griechischen 
Ischaften  in  Attika  zu  so  hoher  Bedeutung  und  wurde  in 
mrrenz  mit  dem  Ertrage  der  Schiffahrt  so  sehr  Quelle  des 
onalwolstandes,  daß  man  solchen  Segen  stolz  und  dankbar  als 
auszeichnendes  Geschenk  der  Landesgöttin  empfand.  ^  Indem 
r  dem  Einflüsse  dieses  Bewußtseins  jene  Sage  vom  Kampfe 
Landes  und  Meeres  sich  in  localer  Bestimmtheit  umbildete 
modernisierte,  bot  sie  zugleich  ein  treffendes  Material  zur 
ärung  des  heiligen  Baumes  und  der  Quelle  «auf  der  Burg, 
beleidigte  Meergott,  dessen  Streit  mit  Athene  später  ja  auch 
t  neben  dem  Erechtheion  am  westlichen  Giebelfelde  des  Par- 
on  und  unter  den  zwischen  diesem  Tempel  und  dem  Erech- 
m  aufgestellten  Weihgeschenken  verewigt  wurde,*  imd  des- 
Wogen man  bei  Südwinde  in  dem  Salzbrunnen  rauschen  zu 
n  vermeinte ,  ^  mußte  nun  seinen  Sohn ,  den  Meeresbraus 
rrhotios  abgesandt  haben,  den  unweit  stehenden  Baum  zu 
:ören.  Der  Name  Halirrhotios  weist  uns  gleichfalls  in  das 
ste  oder  das  beginnende  tUnfte  Jahrhundert  als  Entstehungs- 
für  die  Sage,  da  grade  in  dieser  Periode  die  Wörter 
bot^ioc:,  aXi^^oO^nc:  von  den  Orphikern  und  Aeschylos  modern 
acht  wurden.  Wenn  dann  aber  die  Er/älüung  in  den  Schluß 
iutt,  er  hieb  mit  der  Axt  in  den  Oelhaum  uml  sich  in  den 
,   so  setzt  dies  die  feste  Ueberseuifung  von  derartiger  Bestra- 


1)  S.  V.  Hchn  a.  a.  0. 

2)  S.  Michaelis  Parthenon  S.  179  ff.    5.  108. 

3)  tiXXä  TOiSf  (fofiiQ  lg  avyyiufriv  7Tt€Q^/fT€a    xv/Lnertov  fiX^v  fjrl  voto) 
7tcvTt.     xa\  jniciirtjc  ^(Tt)v  Iv  t^  nf'rtm  a/rj/nce.     rnCrra  cT^  l^yfTtci   IToafi- 

uttorrnm    ^g    7i]v  (CfHfKTßfJTtioir   rtjg  /aumg   tfavfivtti.     Pausan.  T,  26,  6. 
Dreizack  war  iiatiirlich  erst  in  Folge  der  Sage  angebracht. 


30  Kapitel  I.    Dryadeu. 

fang  des  Sacrilegs  an  der  Burgolive  als  einen  zur  Entstekur^^^. 
zeit  der  Sage  lebendigen  Glauben  voraus.  Zugleich  ist  deatlmc^l 
daß  letztere  den  ursprünglichen  Burgölbaum ,  nicht  die  Mok*1.«q 
der  Akademie  im  Auge  hatte. 

Die  Vorstellung  des  Parallelismus  und  einer  gewissen  m^^  ti- 
schen Verknüpfung  eines  heiligen  Baumes  mit  einem  Menscb^n- 
leben  erhellt   auch  schon   aus   der  Sage  des  Melampus,    welcslie 
bereits  in  die  vorhomerische  Zeit  (Od.  XV,  230  flf.)   zurUckreicslit. 
Ihre  aus  älteren  Quellen  geschöpfte  Aufzeichnung  bei  Pherek^^des 
ist  uns  nur  in  einem  doppelten  Auszuge  bei  ApoUodor  und    dem 
Scholiasten  zu  Homer   Odyss.  XI,  289    (Pherecyd.  Fragm.  XJS^VI 
Sturz)  erhalten;  von  ersterem  weist  C.  Robert  (de  Apollodori    Iri- 
bliotheca.     Berol.  1873   p.  35ff.)   überzeugend  nach,   daß  er    zn 
Nutz  und  Frommen  der  Schuljugend  vorgenommene  Auslassang^en 
und  Abänderungen  enthalte,  so  daß  wir  genötigt  sind,  durch  Com- 
bmation   beider  Excerpte   die  Erzählung  des  Pherekydes  herzu- 
stellen.    Der   Seher  Mclampus,   welcher  die  Vögelsprache   ver- 
steht, so  lautete  danach  der  Inhalt  des  Stückes,   auf  welches    es 
uns  hier  ankommt,  verspricht  dem  Phylakos  ausfindig  zu  madien, 
weshalb  sein  Sohn  Iphikles  kinderlos  bleibe,   und  ein  Mittel    zar 
Abhilfe  herbeizuschafFen.     Melampus  schlachtet  dem  Zeus  eiiicu 
Stier  und  ruft  alle  Vögel  zur  Teilnahme  am  Mahle  herbei.     Alle 
kommen  mit  Ausnahme  des  Geiers  und   werden  von  ihm    nach 
einem  Heilmittel  flir  Iphikles  befragt ;  da  keiner  etwas  weiß  ,  ho- 
len sie  auch  den  Geier.     Dieser  macht  sofort  die  Ursache    der 
Schwäche  des  Kihiigssohnes  ausfindig.    Als  Phylakos  einst   Ham- 
mel machte  [xQtoig  zi^iviov  htl  tcuv  aiöoltov],  sah  er,  wi^»®^^ 
noch  junger  Sohn  Iphikles  etwas  Unzüchtiges  beging.     VoLl^  Un- 
willen  drohte   er   dem  Knaben ,    mit   dem   blutigen  Messe  :^  ^^^ 
ebenso  zu  tun,   wie  den  Widdern,   und   da  dieser  erschr«*^!^*^" 
floh,   sti^ß  er   die  Schneide  in  einen  danebensteJienden  li^e^il^9^'^ 
Eichbaum;  Rinde    wuchs   seitdem   darüber,  Iphikles  aber      v^*"" 
lor    die    Manneskraft.      Werde  das  Messer  nun    herausge^ßoge''; 
der    Rost    abgeschabt    und    zehn    Tage    lang    von    Iphikl^^«  '^ 
Wein  getrunken,    so  werde  letzterer   einen  Erben  zeugen.      ^ 
sprach  der  Geier;    es  geschah  nach  seinen  Worten  und  die   ^'^^' 
hersage  erttillte  sich.    Hier  spielt  der  Batim  deutlich   die    i^''^ 
eines  Doppelgängers   des  Iphikles,    er  empfängt  den  für  diesen 
bestimmten  Messerstich  und  derselbe  hat  dieselbe  Wirkung;  ^^ 


Dryaden,  Nymphen  und  Keraiden.  31 

nn  er  den  Körper  des  Menschen  selbst  getroffen  hätte.      Vgl. 
:.  46  ff.  31.  Anm.  1. 

Solche  Wechselbeziehung  zwischen  Mensch  und  Banm  und 
\  Yorsteilong  von  der  Banmseele  ließe  sich  auf  altgriechischem 
1  italischem  Boden,  sowie  unter  den  heute  diese  Länder  bewoh- 
iden  Völkern  *  noch  viel  weiter  und  in  mannigfache  Verzwei- 
Qgen  des  Grundgedankens  hinein  verfolgen ,  die  beigebrachten 
Dgnisse  reichen  aber  wol  aus,  um  wahrscheinlich  zu  machen, 
B  auch  der  Dryadenglaube  aus  dieser  Wurzel  erwachsen  ist. 
ir  kehren  rückblickend  noch  einmal  zu  diesem  zurück,  um 
n  YerhältniB  zu  dem  Nymphenglauben  im  allgemeinen  uns  klar 
machen. 

§.  5.  Dryaden,  Nymphen  und  Neralden.  Wie  immer  es 
t  der  Vermutung  bestellt  sein  möge,  daß  die  unbekannte  Quelle 
r  Sage  von  den  Blumenmädchen  einmal  in  einem  Lande  helle- 
(cher  Bevölkerung  gerauscht  habe  (o.  S.  4),  so  viel  steht  fest, 
6  dieselbe  ein  fast  ganz  genaues  Seitcnstüek  zu  dem  Dryaden- 
luben  bildet.  Als  Pflanzen  werden  die  Mägdlein  geboren,  Blu- 
snblätter  sind  ihr  mitangebomes  Gewand,  mit  den  Pflanzen 
irben  sie   in  Sonnenglut,    aber  losgelöst  tanzen,    spielen  und 


1)  Vgl.  boispiclsweise  die  von  Mattia  di  Martino  aus  Noto  in  Sicilicn 
sammelten  Zaubersprüche  is.  J.  v.  Düringsfeld  Ausland  1875  n.  3.  S.  55) 
t  Bk.  00.    Mau  stößt  einen  Dolch  in  einen  Baumstamm  und  spricht: 

La  campana  sona 

'nta  lu  cori  di  tiziu  ci  va  a  tona; 

E  cu  gesti  c  cu  palori 

*stu  imtieddu  oi  lu  apizzu  'nta  lu  cori. 

e  Glocke  hallt  und  hallt  im  Herzen  N.  N's  wieder  und  mit  Geberden  und 
»rten  steche  ich  ihm  dieses  Messer  ins  Herz.  —  Wird  das  Messer  bei  einem 
kUse  in  den  Boden  gesteckt: 

Spiritu  di  ficu  o   diavuli  di  nuci 

tanti  pampiiü  siti,  tanti  diavuli  \i  faciti, 

In  casa  di  chLstn  vi  'ne  jiti, 

tanti  tanti  cci  uni  rati, 

muurto  'n  t<»rra  lu  lassati, 

no  pi  oampari,  no  pi  muriri, 

ma  pi  avillu  o  me  vnliri. 
»igenbaumgeist,    Nußbaumteufel,    80  viele  Blätter  ihr  seid,    zu  so 
?len  Teufeln  werdet,  falirt  in  das  Haus  des  N.  N.,  keilt  ihn  gehörig  durch, 
M  ihn  ffir  todt  auf  der  Erde,  nicht  um  zu  loben,  nicht  um  zu  sterben,  aber 
1  mir  zu  Willen  zu  sein! 


i 


32  Kapitel  I.    Dryaden. 

singen  sie  auch  im  grünen  Klee.    Die  Dryas  lebt  im  Baume,  ist 
der   als  7taQ&6vog  bezeichnete  (o.  S.  18),    beim  Axthieb  blutende 
(o.  S.  11)  Baum  selbst,  führt  aber  zugleich  Reigentänze  und  Ge- 
sänge um  denselben  auf.    Beide  Vorstellungen,  diejenige  von  den 
Blumenmädchen  und  die  andere   von  den  Baumjungfrauen  sind 
augenscheinlich  nach  einem  Modell  gebildet,    oder  vielmehr  aas 
einer   Wurzel    entsprossen,    und    zwar    in    einer    Volksschicht, 
deren  naturwüchsige  Anschauungen  durch  keine  literarische  Gelehr- 
samkeit getrübt   waren.    So  dienen  sie  einander  gegenseitig  zur 
Bewährung  ihrer  Ursprünglichkeit.    Da  mithin  auch  Tams  und 
Sang  als   ein  wesentlicher  anfänglicher   Bestandteil    des    durch 
sie  vertretenen  Typus  erkannt  werden   muß,    gehen  wir  sicher 
nicht  irre,  wenn  wir  darin  die  durch  den  griechischen  Volksgeist 
in   die  Sphäre   des  Schönen  erhobene   Vorstellung  wiederfinden, 
nach  welcher    in    roherer    Form     Windesrauschen,    Sturm  ond^E^ij 
Wirbelwind  an  und  flir  sich   oder  unter  dem  Bilde  von 
und    Musik    gefaßt    als    die    Lebensäußerung    nordenropäisehe] 
Baum-,    Wald  -    und    Komgeister    gedacht    wurde    (Bt    43 
86.    87.    101.   .116.    143.    604.    611).     Die    letzteren   gewährei:»:— n 
überhaupt   ein  neues   Analogon   zu  den   Dryaden,    indem   ancW^^sh 
sie    zunächst    die   immanenten    Psychen    der    einzelnen 
sind^    sodann  aber  in  Menschen-  oder    Tiergestalt    aus    densd 
ben  Jieraus  und  hieben  sie  hintreten.    Auch  ihr  weiteres  VerhaltCK"  ^^n 
ist  lehrreich.      Meistenteils  nämlich  erweitert  sich  der  Getreides^^^- 
dämon    zum   CoUectivgenius    des  ganzen   Ackerfeldes   oder  de^^ae» 
Komwachstums  in  der  ganzen  Landschaft,  nicht  selten  zur  ScelÄT  -le 
der  gesanimten  Kulturfrucht,  ja  der  Vegetation  überhaupt,  und  i  ä~  in 
allen  diesen  Vorstcllungsformen  zeigt  sich  das  Leben  der 
geister  mehr  oder  minder  deutlich  erkennbar  an  das  Leben  d 
Halme  selbst  gebunden  (Bk.  600  ff.).     Daneben   aber  taucht  zi 
weilen   als    eine    dritte  Entwickelungsstufe    die  Anschauung  ai 
daß  der  Dämon  nicht  dem  Halme   einwohnt  und  sein  Lebensl 
teilt,  sondern  der  Erzeuger  desselben  ist,  so  daß  er  nicht  in  d 
zuletzt  übrigbleibenden  Aehren  gefangen  wird,  sondern  diese 
ihn  auf  dem  Felde  stehen  bleiben  (S.  m.  Komdämonen  S.  7  fiF.  3 
Genau  so  sehen  wir  im   nordeuropäischen  Volksglauben  in  d 
Gestalten  der  Moosweibchen,  Holzfräulein,  wilden  Weiber,  Dam^  «s 
vertes,    Skogsnufvar,    Ljeschie  u.  s.  w.   die  Baumseelen  unmeE-"i- 
lich   in    eine  Schaar  von  Waldgeistem    übergehen,    Genien  CMes 


Dryaden,  Nymphoii  und  Neraidiii  ii3 

gesamiuteu  Waldes,   mit  ihrem  Leben  an  diesen,   znweilen  noch 
an  einzelne  Bänme  gebunden,   bald  nur  noch  in  schwachen  Spu- 
ren den  Zusammenhang   mit   der  Pflanze  verratend,    endlieh  zu 
Geistern  der  Vegetation  überhaupt  sich  erweiternd.     Dieses  nor- 
«lisphe  Gegenbild  macht  uns  das  Verhältnis  der  o.  S.  5   erwähn- 
ten   homerischen   Waldnyniphen    zu    den    Dryaden    anschaulich. 
Die  Orestiaden  des  Hymnus  in  Vcn.,  welche  mit  den  Bäumen  zu- 
gleich geboren  werden  und  sterben,    entsprechen  den   deutschen 
^oosweibchen,  deren  eines  jedesmal  stirbt,  sobald  man  ein  Bänm- 
<:hen  auf  dem  Stamme  driebt  (Bk.  75).     Aus  den  kurzen  Andeu- 
tungen in  Homers  Gesängen  ersehen  wir  nicht,  inwieweit  und  in 
'welcher  Weise  die  Dichter  derselben  einer  Beziehung  der  vvfKpai, 
€11  aXaea  xa?M  vif.i(n'cai  oder  an^   aXanov  yr/vnvrcn  zu  den  Bäu- 
men  sich  bewußt  waren.     Da  aber  ulaog  in  jenen  Dichtungen 
^orzogsweise  von  heiligen  Hainen  gebraucht  wird,   liegt  es  doch 
nahe  anzunehmen,    daß  gradezu  die  Dryaden  solcher   von  dem 
-Axthieb  gefreiten  heiligen  Baumgruppen  {ii^uvtj)  gemeint  waren, 
'wie  sie  die  Verse  2G8  —  2Gt)  des  Hynmus  in  Ven.  (o.  S.  5)  vor 
^ugen  führen.      Ganz  richtig  sah  Lehrs,   daß  jenes  a/ro  ähjimv 
Q^iyvovtai  (Od.  X,  350)  „elementares  Entstehen  aus  den  Wäldern" 
zu  bezeichnen  scheine.  ^    Wenn  aber  nach  II.  VI,  420  Orestiaden 
um  das  Grab  des  Eetion  Bäume  pflanzen,   d.  h.  wachsen  lassen, 
so  ist  das  freilich  eine  andere  Stufe  der  Vorstellung,  die  Genien 
lallen  nicht  mehr  in  der  Pflanze  ihre  Wohnung;  daß  aber  grade 
sie  das  Liebeswerk  verrichten,    verrät    dem    durch    die  o.  S.  32 
angelUhrten  Analogien   geschärften  Auge  sofort  eine  Spur  dessel- 


1)  Popül.   Aufs.    Autl.  •^.    115  Anm.      Wenn    derselbe   aber  gleichzeitig 
behauptet,  diese  aus  Wäldern  und  die  andern  aus  Quellen  und  Flüssen  ihren 
Unsprung  nehmenden  Dienerinnen  der  Kirke  seien  keine  Nynipheif,   sondern 
etwas  Besonderes  der  Zaubersphäre  ent8i>rechend,  [er  meint  also  wol  Kobolde, 
Spiritus  familiäres,  nach  Art  der  aus  Besen,  bunten  La]>pcn  und  allerlei  In- 
gredienzien verfertigten   und  belebt^-n  Zaubergehilfen,  Alraune,  Skratte,    Til- 
berar,  Diharar  u.  s.  w.  nordischer  Sagen],  so  widcrsi)richt  diesem  Sopliisma  aufs 
bestimmteste  der  Umstand,    daft  die  Verrichtung  dieser  Wesen,  die  einfache 
Hauswirtschaft ,    die  Versorgung  der  Sessel  und  Tische  mit  Teppichen  Speise 
und  Trank,  keinerlei  übernatürlichen  Zwecken  dient,  in  keiner  Weise  zauberhafte 
Verwendung  der  Kräfte  des  Wassers  oder  der  Wälder  erfordert  oder  voraus- 
setzt.   Nein,  es  sind  wirkliche  Nymphen.    Alles  AuHallige  erklärt  sich  auf  die 
einfachste  Weise ^  indem  der  späte  Dichter,  welchem  die  Abenteuer  des  Odys- 
seus  bei  Eirkc  angehören,   ein  Epigone  jener  aus  der  Eddapoesie  so  wol  be- 

MftnnhArdt.    IL  3 


34  Kapitel  I.    Dryaden. 

ben  Vorstellungskreises,  der  in  den  Orestiadeu  des  Hymous  ai 
Tage  tritt.  Sie  handeln  so  nicht  rein  aus  gemütlichem  Antrieb, 
sondern  weil  es  in  ihrer  Natur  liegt,  weil  sie  Schöpfer,  Erzeuger 
der  Baumpflanze  sind.  Es  entsprechen  also  die  homerischen  Ore- 
stiaden  und  Hainnymphen  in  der  Tat  der  Gattung  nach  uns^ 
Holzfräulein,  Danies  vertes  u.  s.  w.  in  deren  verschiedenen  Ab- 
stufungen. Daneben  bestand  ohne  Zweiibl  der  davon  untrennbare 
Glaube  an  Dryaden  im  engsten  Sinne,  d.  h.  an  eigentlicbe 
Baumpsychen,  wenn  auch  nur  noch  local  erhalten;  nur  modite 
dem  Gemeinbewußtsein  der  aufgeklärteren  städtischen,  indostriel- 
len  und  ritterlichen  Kreise,  aus  welchen  das  Epos  hervorging 
und  itlr  welche  die  dem  naiveren  Landmanne  noch  nicht  flbendl 
aufgegangene  Scheidung  des  botanischen  Begriffs  Baum  and  der 
Anschauung  der  Bäume  als  begeisteter  Wesen  sich  längst  voll- 
zogen hatte,  die  Vorstellung  von  Genien  zusagender  und  geläu- 
figer seui,  welche  in  mehr  allgemeiner  Weise  und  in  freierem 
und  größerem  Style,  d.  h.  ohne  sofort  erkennbare  elementare 
Gebundenheit  das  Leben  und  Weben  der  Bäume  und  des  Waldes 
repräsentieren. 

Waldnymphen,  auch  im  Namen  unseren  Holzfräulein  ver- 
gleichbar, waren  wol  die  dgr^ildeg,  Nymphen  des  Eichenwaldes 
{dQifidg),  welche  Herodian  aus  einem  Dichter  antllhrt  ^  Ihnen 
entsprechen  wol  die  römischen  Vtrne  (picrquetnlnnae  „nym- 
phae  praesidentes  qucrqueto  vircsccnti"  Fest.  p.  261.  Müller.  Cf. 
Prcllcr  Körn.  Myth.  Aufl.  \  p.  88.  Henzen  Acta  Fratr.  Arval 
p.  145. 


kannten  Art,  welcher  bereits  dii»  aus  früheren  Vorbihlern  entnoiniD«*n*D 
Motive  sammelt  und  in  njehr  und  minder  meclianischou  Aufzählnnjren 
nebeneinanderstellt,  den  Einfall  hatte,  die  Bedeutung  seiner  Heldin  dadurA 
hervorzuheben  ,  dalJ  er  ihr  Nymphen  aus  allen  Gebieten  der  Natur  zu  ücflib^ 
tinnen  gab.  Auch  Welcker  Götterlehre  III,  58  nennt  in  nnausgcsprot-henw 
Zurückweisung  von  Lehrs  die  Dienerinnen  der  Kirke  „drei  natürliche  Artei 
von  Nymphen ,  und  darunter  Hamadryaden ,  ohne  etwas  Zauberhaftes." 

1)  Gramer  Anecd.  Gr.  Oxon.  p.  225,  1  'Ouijoov  ^mu^niau.  x.  öroftn  ^^T 
m'VLiov  (tnoTtXfi'Tni  (\nö  tutv  th  '«»"  o'ivTortt'  d\n\uo^  ^iQv/nig  «cy*  ov 

jQVfjL(6fg  ri'jutfai. 
Daß   diese  Drymiden    in  den  Drymien   der  Neugricchen  erhalten  seien,  ▼** 
B.  Schmidt  Volksleb.  d.  Neugr.  I,  130.    Rhein.  Mus.  NF.  XXVII,  m  go^ 
Wachsmuth  Götting.  gel.  Anz.  1872  S.  253.    Khein.  Mus.  NF.  XXVII,  342  ff- 
zu  erweisen  sucht,  ist  mir  im  höchsten  Grade  UDwahrscheinlich. 


Dnadcii,  N}ini»hin  und  Noruiilon.  35 

Den  deutschen  Waldmeistern  stehen  Genien  der  niederen 
danzenwclt  anf  I5erj;:hahlen  und  Wiesen  (Bk.  100)  zur  Seite, 
"adeso  wie  den  Bauni^eistern  die  Komdämonen ;  andererseits 
jhen  Ilolzlrjiulein ,  Fangen,  »Selige  und  ihre  Sippe  einmal  in 
enien  eines  gnißeren  Vegetationsgebiets,  sodann  in  so  leisen 
id  unmerklichen  Abwandlungen  in  Berg-  und  Feldgeister,  Ko- 
dde,  Elbe  aller  Art  (Bk.  154),  ja  in  Meerfrauen  (Bk.  122  ff.) 
>er,  daß  die  Schranke  zwischen  diesen  verschiedenen  Klassen 
«1  Wesen  stäts  flüssig  erhalten  wird,  und  niemals  die  Faniilien- 
inliehkeit  zer8t()rt.  Wiederum  dieselbe  Beobachtung  kntipil  sich 
1  die  griechischen  Waldgeister.  Denn  den  Oreaden  gesellen 
eh  Nymphen  der  Wiesen  (niaea  ^roitjirra),  Xuficoriddeg, 
•ophocl.  Philoct.  145  4\  der  Waldsehluchten  und  Täler,  Na/raloi, 
fvhoyiadegy  der  Felder  (t'fftifac  dygordfint)  der  Felsen  (;r£r^a7o/); 
id  diese  'sind  abgesehen  von  ihrem  Wohnsitz  wieder  so  wenig 
m  den  Sumptnymphen  kijuvddeg,  ÜMovofioi,  Wassernymphen 
pvdQidäegy  fied^cdgiddeg^  norajur^tdegj  F/ri7roTajtiideg,  fjriTroTUfiioi^ 
tjyalaiy  y.Qtp'alai  ^  y.Q).videg,  endlich  den  Meemymphen  (iktat, 
Uadeg,  NrjQf/l'dag,  'üxtavldeg  nach  Art,  Wesen  und  Verrichtungen, 
^schieden,  daß  —  wie  wir  o.  S.  15  sahen  —  Dryaden  und  Najaden 
einander  rinnen  konnten.  Wenn  nun  die  Nereiden  unzweifelhaft 
\e  belebenden  Elementargeister,  die  Psychen  der  Meereswellen, 
enn  die  Flußnymphen,  ai  yrijydg  nozai^uor  viiinvzai  o.  S.  4,  die 
imanenten  aber  zugleich  gleich  den  Blumenmädchen,  Baumnym- 
lien,  Komdämonen  (o.  S.  32)  aus  ihrem  Elemente  hervortretenden 
}er  demselben  in  freier  Bewegung  waltenden  Quellgeister  waren, 
e  erst  weiterhin  neben  dem  Quell  oder  Flusse  ihren  Wohnsitz 
jhmen,  f.rtnnrafi/deg  werden,  so  wird  ein  ganz  entsprechendes 
erhältniß  auch  bei  den  meisten  übrigen  Nymphenklassen  anzu- 
jhmen  sein,  während  einige  (z.  B.  die  7iirQ(aai)  durch  Analogie- 
Idung  hinzugekommen  sein  mögen.  Alle  diese  Nymphen  stehen 
if  einem  gemeinsamen  Boden,  bilden  eine  und  dieselbe  große 
attung,  tragen  eine  und  dieselbe  Physiognomie,  und  diese  Gleich- 
•tigkeit  beruht  auf  einem  inneren  Grunde.  Alles  spricht  dem- 
ich  dafür,  die  Psychen  der  Baundeiber,  die  Dryaden,  von  An- 
.ng  au  unter  ihnen  vorhanden  und  zu  den  Oreaden  in  demselben 
erhältniß  wie  die  Potamiaden  zu  den  Ei)ipotanuadeu  zu  denken, 
ie  Aufenthaltsorte  seiner  Landnymphen,  Haine  und  Grotten, 
ebte  der  Grieche  mit  sprudelndem  Quelle  belebt  (o.  S.  15),  aber 

3* 


36  Kapitel  I.    Dryaden. 

unerweisHch  und  unrichtig  ist  Welckers  öfter  von  Andern  wieder- 
holte Hypothese,  alle  Nymphen  seien  ursprünglich  Personificationoi^ 
von  Quellen. 

Die      in      den     vorgetragenen     Tatsachen      ausgesproclie^^^ 
Gleichung  unserer  Elbe   mit  den  Nymphen  verstärkt  sich  dnit^ 
die  Uebereinstimnnmg  einiger  sehr  characteristischer  Züge.    W\ 
die  Nymphen,  spinnen  und  wehen  nicht  allein  andere  Elbe,  so: 
dem  auch  die  Baum-  und  Waldfräulehi   (Bk.   Gf).   76.  104.  107 
Wer  die  Nymphen  erblickt,  wird  mmvfrunrH,  vvftqokt^ntog.- 
Unter  diesem  Zustand  verstand  man  ursprünglich  wirkliche  Geistes-^ 
Zerrüttung;  wie  aber  dem  Orientalen  noch  heute  der  Wahnsinnige^^ 
vielfach  als   gottbegeisterter   Prophet   und   Heiliger    gilt,    diente 
jenes  Wort  dem  Griechen   später    zur  Bezeichnung  exstatischer 
Begeisterung    und    Weissagung,      in    seiner    ursprünglichen   Be- 
deutung kommt  das  Ergriffensein  von  den  Nymphen  damit  ttber- 
ein,    daß   auch    im  Norden,   wer   den  Weg   der  Eiben   kreazt^K- 
krank,  oder  irrsinnig  wird.    (Bk.  62.  126.  140). 

Auch  der  neugriechische  Volksglaube,  welcher  bei  maneheoH 
unzweifelhaft  slavischcn  Beimischung  doch  noch  vielfach   die  alt- 
griechische  Volkstradition,    nicht    die  Mythologie    der   LiteratUE:  _l  j 
fortsetzt,    zeigt    uns    dasselbe   Bild.     In  Folge  des  o.  S.  15  ei — nr- 
wähnten,  in  dem  Mittelalter  zur  Reife  gekommenen  Entwickelonga^^^- 
Prozesses   begreii't  der  Ncugricchc   unter   dem  N.imen  NeraidcM^  n 
oder  Exotika  alle  Arten  von  Nymphen.     Unter  ihnen  treten  aber^^r 
noch  vielfach  kennbar  die  Dryaden  hervor,  deren  Name  jQi'adt=^^; 
nach  üikonomos  noch   heute   auf  Aegina,   nach  F.  W.  Sieber 
der  Nähe  von  Goniais   an   den  nordöstlichen  Abhängen  des  kn 
tischen  Ida  erhalten  sein  soll.*    Auf  Zakynthos  hausen  Neraid< 
nach  der  bei  den  Bergbewohnern  herschenden  Vorstellung  besoi 
ders  in   Stcineiehen   (^reo^uoia),    auch   werden  auf   dieser  Ins»  -^el 
die  Löcher  und  Höhlungen   (y,oi(fd?Mig)  in  den  Stämmen  groß^»-  er 
alter  Olivenbäume  als  Wohnungen  von   Geistern   betrachtet     —     In 


1)  Vulf^o  autem  meinoriao  prodituni  est,  quicunquo  speciem  quandnm— ■  * 
fontc  i.  0.  cffigicm  N^inphac  vidorint,  furondi  non  fccisse  iiiietn,  quos  Gra  -^t'i 
vvu(f(drJ7iToi'(:  vocant,  Latini  lymphaticos  appcllaut.    Paul.  p.  120. 

2)   Hier  (in  ('a^cs)  orfulir   ich,  daß  der  Glaube  an  die  Nereiden  c^W 
Dryaden  noch  nicht  verloschen  sei,  indem  man  sie  selbst  noch  zu  nenm  ^o 
wußte,  doch  vermengte  man  beide  mit  einander.    Man  müsse  sie  st&tB,  w^»fl 
man  einsam  sei,   loben,   ihrer  ja  nicht  spotten,    besonders  aber  dem  E'Cbo 


Dryaden,  Nymphen  und  Neraiden.  37 

Li*2ichoba   nimmt    man    u.  a.    auch    in    Feigenhäumen    Neraiden 
a-       Doch  setzt  das  Volk   auch  die  in  Gebirgen,   Wäldern  und 
men   wohnhaften  Neraiden  gern   in   Beziehung  zum   Wasser 
läßt  sie  an  Quellen,  Mtthlbächen  und  Wassennühlen  ihr  Spiel 
ei.l)en.    (Schmidt  a.  a.  0.  1(>2).     Hier  vorzugsweise  ruhen  oder 
ifgen    sie  sich   gern    um   die   Mittagsstunde    oder   um    Mitter- 
i^lt,   gradeso  wie  die  Drj'aden    im    kallimacheisehen  Hymnus 
S.  8).     Deshalb  hütet   sich    der    imi  die   Mittagsstunde  Vor- 
stehende scharf  nach  denselben  hinzusehen  (Schmidt  a.  a.  0. 
^,  und  man  wanit  davor,   im  Sommer  tibermittags   sich  am 
«ser  oder  im  Schatten  von  Bäumen,  namentlich  unter  Plata- 
,    Pappeln,    Feigen,    Nußbäumen    und    Johannisbrodbäumen 
uhalten   oder  gar  dem  Schlafe   hinzugeben,   weil  man  sonst 
lit   „von    den    Neraiden    ergriffen**   wird  d.  h.   einen  Schlag 
ommt,  in  Folge  dessen    der  Mensch   geistig   oder  hörperlich 
''ankt,    LäJimung  des  Körpers  oder  eines  Gliedes,   Verkrüp- 
^^Xmg    oder    Verlust    des    Verstandes    sich    zuzieht      (Schmidt 
^0.  119  — 120).     Hier  haben  wir  noch    die  einfache  volks- 
^^cjQliche  Grundform  der   Nymi)holepsie.     Die  Neraiden   si)innen 
Xid  weben,   und  eine  in  zahlreichen  Kanken  um  die  Bäume  sich 
^Vudende  Schlingpilanze  heißt  tu  iiviqaiöoyvtfutTLt  oder  viQiudo- 
^i^iaia  Neraideugarn   (Schmidt  a.  a.  0.  106).     Vgl.  das  Holzfräu- 
^-^ingam  Bk.  76.    Wie  die  nordcuroi)äischen  Konidämonen  (Korn- 
^äm.  2. 19  Bk.  611)  Baum-  und  Waldgeister  in  Sturm-  und  Wirbel- 
Vmd  ihr  Leben  kundtun  (Bk.  119),  gelten  auch  die  Neraiden  als 
\Jrheberinnen    des    alles    nnt    sich    fortreißenden     Wirhelwimles 
i^dvefwoTQOfiilog) ,    welcher    in    G riech tmland ,    zumal    im    Som- 
mer häufig  einzutreten  pflegt.     In   ihm    schreiten  sie  daher  und 
reißen   begegnende   Menschen    mit  sich  in   die  Lüfte,      Sie    be- 
rühren den  Boden  nur   schwebend  f)der  streifend  mit  der  Sohle 
ihrer  Fttße,    deren   Spur   man    in    den    Kreisen    erkennen   will, 
welche  der  Wirbelwind  im  Sande  bildet.     In   den  an  eine    von 
e^itMtixatg  bewohnte  Höhle  in  den  pierischen  Bergen  angrenzenden 
Wäldern  wagt   niemand  auch   nur   einen  Baum   zu  fallen  j    und 
wenn   auf  den  benachbarten  Höhen  sich  Stürme  bilden,  so  rufen 

nicht  Dacbäffoii,  weil  sii?  sU-h  dann  beöon<ltTs  an  Miiibbon  /u  rächen  pflegten; 
man  müsse  mit  Achtung  von  ihnen  sprechen,  du  sie  auch  (lutes,  besonders 
Kindern  erzeigten.  F.  W.  Sieber  Keise  nach  Kreta.  Lpzg.  u.  Sorau  1823 
I,  S.  432. 


38  Kapitel  I.    Dryaden. 

die  Bäueriimeu  „Houig  und  Milch! '^  (ue?u  ydla)  oder  „Honig 
und  Milch  auf  euren  Weg!",  um  die  geiürchteteu  Wesen  zu 
beschwören.  Wer  sich  der  Höhle  nähert,  wird  von  Wahtisinn 
befallen.  Auf  Korfu  opfert  man  den  Neraiden  bei  einem  i)iöt> 
Udien  stauhaicfwählenden  Wirbel  in  Wirklichkeit  Honig  und 
Milch.  Vgl.  das  Opfer  von  Milch  an  den  'Baumgeist  Bk.  11. 
Auf  Zakynthos  sagt  man  vom  Wirbelwinde  „die  Neraiden  Um- 
jgfßH."  (Schmidt  a.  a.  0.  123  —  125).  Und  wie  unsere  Waldgeister 
in  Hausgeister  tibergehen  (Bk.  80),  kehren  auch  die  Neraiden 
öfter  in  die  Wohnung  einer  von  ihnen  begnadeten  Familie  ein 
und  verrichten  alle  Arbeit,  so  daß  die  Haustrau  morgens  beim 
Aufstehen  alles  fein  und  sauber  gekehrt  und  geputzt  findet;  oder  •_  ^^_^^^^ 
spinnen  am  Rocken  und  weben  am  Webstuhl,  oder  sie  ver — ^•^^- 
wirren  das  Gara  (wie  Frau  Holle  und  Frau  Berchte).  Schmidf',^^  ^^ 
a.  a.  0.  118. 

Die  nordeuropäischen  Waldgcister  werden  nicht  allein  toeib^^  -j. 
lidi  gedacht.    Es  giebt  Moosmännchen  und  Moosweiblein,  wiliflEl^e 
Männer    und    wilde  Frauen;    ebenso   stehen   den   schwedische^^^en 
Skogsnufvar   männliche  Waldgeister  der  Skougman  oder  Hult^o^-te, 
den  männlichen  russischen  Ljeschie  weibliche  Lisunki  zur  Seit^Kie. 
Der  eine  Teil  solches  Paares,  der  Mann  oder  das  Weib,  lä  .^ßt 
dann  gewöhnlich  entschiedener  die  meteorische  Seite  der  Wal-_^Äd- 
geisternatur  hervortreten,   so  daß  er  fast  wie  eine  reme  PersuL-^Moi- 
fication  von  Sturm  und  Wirbelwind  sich  ausnimmt.    (Vgl.  Bk.  l*^ — ^7. 
105.  127).    Gradeso  sind  nun  aucli  die  Neraiden  der  Neugriech»»     eu 
als  die  Frauen  männlicher  Dämonen  oder  Teufel  gedacht  (SchmMMdt 
a.  a.  0.  108),  welche  dem  Volke  vielfach  mit  Wind  und  Wirb^""^l- 
wind  zusannnenfallen ;    daher  der  Ausdruck  avtfiog:    ftlr  Teaf^  — d- 
Schmidt  a.  a.  0.  175.  177  —  78.     Von  ihnen  meint  man,   daß  ^^»ie 
den  Neraiden  zum  Tanz  aufs])ielen  und  oft  glaubt  das  Volk  v        ou 
Arachoba  von  den  Felsliöhen  des  Paniassos  herab  ihre  bezaubeEzrrn- 
den    Weisen    zu    vernehmen    (Schmidt  a.  a.  0.   110).     Im   allMÄen 
Griechenland   liefen   nicht   minder   neben   den  weiblichen  Wa^^d- 
nymphen  männliche  Waldgeister   her.     Mit  ihnen  haben  sich         die 
Untersuchungen  des  nächstfolgenden  Kapitels  zu  beschäftigen. 


Kapitel  U. 

Die   wilden   Leute   der   griechischen   und 

r  ö  m  i  s  c  li  e  n    Sage. 

§  1.    Characterlstik  der  wilden  Leute.     Die  altgriechi- 
«eben  Sagengestalten   der  Kentauren  und  Kyklopen,  die  altrömi- 
eehen  der  8ilvane  «iud  möglichst   genaue  Gegenbilder  nordeuro- 
päiseher  Waldgeister.      Die    im    ersten    Bande    veröffentlichten 
Untersuchungen   lehrten  uns  als  die  bezeichnenden  Eigenschaften 
<ier  wildeti  Leute  in   Deutschland,    des    Hulte   und    der   Skog- 
snoiVar  in  Schweden,  der  Ljeschie  in  Rußland,  vorzüglich  folgende 
lennen.    Sie  sind    herg  -  oder  traWbewohnende  Wesen   von  oft 
riesiger  Gestalt,    deren  ursprünglicher  Zusammenhang   mit  dai 
Baumseden  noch  deutlich  in  mehreren  Zügen  hervorbricht  (Bk. 
147.    148),     wie    sie    auch    als    Vegetationsgeister    durch    ihre 
KeufUniß    van    Heilkräutern    für    Pest    und    Viehsterben    sich 
kundtun.     (Bk.  81.  1)7.  106.  153);  Wate  hat   von   einem  wilden 
Weibe  die  Kunst   erlernt  mit  guten  Wurzeln  Wunden  zu  heilen. 
(Bk.  106  flF.).     Von   Kopf  bis  zu   Fuß  sind  die  Waldgcister  mit 
Moos  oder  mit   rauhen  sottigen  Haaren   bewachsen.     (Bk.  147. 
Anm.  2),    ihr    langes   Haiq)thaar    fliegt    im    Winde.     (Bk.   148. 
Anm.  1).     Zuweilen  erscheinen   sie   in    Tiergestalt.    (Bk.    146. 
147).      Im   Winde,  zumal   im    Wirbelwinde j   geben   sie  ihr  Da- 
sein   kund.    (Bk.   140  ff.).      Die   männlichen   Waldgeister   tragen 
ausgerisseyie    Tannen   oder   andere    Bäume   als    Waffen    in   der 
Band  (Bk.  86.  96.  105.  liO),  mit  entwurzelten  Bäumen  und  aus 
defn   Boden  gerissenen  Felshlöcken  liefern  sie  einander  SeJdach- 
ien,    (Bk.    130).      Die   Verwüstungen   der    Orkane    gelten    dem 
mssisehen  Bauer  als  Wirkungen    dieser  mächtigen  Kämpfe  der 
Waldgeister  (Bk.  130.  140).    Andererseits  wird  deren  Umfahrt  im 
Wirbelwinde   als   ein   Brautzug   aufgefaßt    (Bk.    143)    und   fast 
insgemein  sind  sie  lüstern  und   weibcrliehend   (Bk.   153).     Durch 
Feuerhrände    werden    diese   Dämonen    vertrieben.      (Bmk.    615. 


m0    *-*  >-v\ 


40       Kapitel  II.   Dio  wilden  Leute  der  griechischen  nnd  römischen  Sage. 

§  2.    Keutauren.     Im   Gegensatz    zu   der  neuerdings  Yon 
einem   so  tüchtigen  Forscher  wie  W.  Koscher*  weitläufiger  aus- 
getUhrten   Behauptung,    dal)    die   Kentauren   ursprünglich  nichts 
weiter  als  die  Pcrsonificationeu  wilder,  von  hohen  Waldgebirgen 
niederstürzender  Bäche  seien,  spricht  E.  Plew  als  Ergebniß  seiner 
sorgsamen  Prüfung  dieser   Ansicht^  aus:    ,,Bei  unserer  äußerst 
geringen  Kenutniß  von  den  ersten  Phasen  des  Kentaurenmythos 
müssen  wir  uns  wol  mit  der  Annahme  begnügen,  daß  die  Phan- 
tasie der  Griechen  oder  eines  einzelnen  Stammes  derselben  die 
Vorzeit  gewisser  Gebirge,  namentlich  —  wie  es  seheint  —  des 
Pelion  mit  wilden  tierisch  rohen  Gestalten  bevölkerte ,  die  erst;^.^^ 
nach  schweren  Kämpfen  durch   die  civilisierten  Einwohner  VLudM^^^^d 
zwar  durch    deren   berühmteste   Helden,   aus   ihren   Wohnsitzeii::^'«-^^ 
vertrieben  und  unschädlich  gemacht  waren."    Eine  erneute,  nkhrM^ht 
bloß  auf  die  Negative  gerichtete  Untei-suchung  der  vorhandenenKr^^en 
Quellen  dürfte  diese  von  Plew  entworfene  Zeichnung  zwar  ün  allf  ^STJ]. 
gemeinen  Umriß  bestätigen,    doch  im  einzelnen  weit  lebendige^' -^sr, 
deutlicher  und  verständlicher  machen. 

Schon  vor  Homer  waren  die  Kentauren  aus  Gestalten  d( 
Volksglaubens  Figuren  epischer  Dichtung  geworden;  einzelne  vo 
ihnen  umlaufende  rein  mythische  Erzählungen  in  Episoden  d( 
Heldensage  verüochten  und  der  frei  weiterbildenden  und  nacl 
ahmenden  poetischen  Tradition  anheimgefallen.    Nicht  jede  solcht 
Erzählungen  hatte  das  volle  Bild  der  mythischen  Wesen,  wie 
im  Volksglauben   der  Heimat  lebte,    in   sich   aufgenommen; 
eine  hatte   diesen,    die  andere  jenen  Characterzug  betont  od< 
breiter  geschildert.    Da  aber  die  Geschichten  außerhalb  des 
cals  ihrer  Entstehung  reproduziert  wurden,   so  hafteten  in 
jedesmaligen  Wiederholungen   besten  Falles  nur  diejenigen  Zt 
des   ursprünglichen  Porträts,   welche  in  der  ersten  dichterischc^^^-^^ 
Bearbeitung  zur  Benutzung  gekommen  waren,    bis  durch  Z 
mentragung  und   Vermischung  der    verschiedenen  Angaben 
verschiedenen  Geschichten  und  Quellen  eine  meist  Späteres  ui 
Jüngeres,    Echtes  und  Unechtes  unentwirrbar    vereinigende 
sammtvorstellung  zu  entstehen  pflegt.     In  den  homerischen 
dichten  wird  vorzüglich  auf  zwei  thessalische  Volkssagen  öl 


1)  Jahrb.  f.  class.  Phil.  1872.    S.  421  ff. 

2)  Jalirb.  f.  class.  Phil.  1873.    S.  193  ff. 


Kentauren.  41 

die  Kentauren  Bezug  genomuicu ,  vom  Kampf  derselben  mit  den 
Lapithen  und  von  Cheiron  als  Lehrer  der  Arzneikunst.  Beide 
liegen  uns  aber  weder  in  Ilias  noch  Odyssee  vollständig,  noch  in 
der  Form  des  ursprünglichen  Mythus  vor,  sondern  sind  nur  in 
Andeutungen  erhalten,  welche  eine  selbststäudige  t>ereits  episch 
entwickelte  Ueberlieferung  in  Liedern  zur  notwendigen  Voraus- 
setzung haben. 

Im  Hause  des  Peirithoos,   Königs  der  Lapithen,   der  nach 
IL  XIV,  318  der  Sohn  des  Zeus    mit   der  Gemahlin   des  Ixion 
war,    verttbte    nach    der   Odyssee    der    hochbertihmte   Kentaur 
Eurytion   im    Weinrausch   arge   Frevel,    weshalb   ihn   die    ver- 
sammelten Helden  (J/^wtc),  daa  beleidigte  Gastrecht  rächend,  vor 
die  Türe  warten,  und  ihm  Nase  und  Ohren  abschnitten.     Daher 
entstand  der  Streit  zwischen  den  Menschen  und  den  Kentauren^ 
Od.  XXI,  295  —  303.    Auf  diesen  Streit  wird  auch  11.  I,  262  flf. 
n,  742  fF.  Bezug  genommen;    hier  werden   die    Kentauren   das 
einemal  als  sehr  stark  (x«^r/aro/)  und  als  (frjQei;  ogea-Aotot  geschil- 
dert;  die  andere   Stelle  nennt  sie  (flgag  htxvi]tvvaQ.     Sie  sind 
also   von   den   Menschen    unterschiedene,    im  Waldgebirg  (ö^oc) 
haasende  Dämonen  von  rauhheliaarter ,    tierartiger  Gestalt,  von 
der  es  nicht    deutlich    ist,    ob   der    Theriomoqihismus    bloß    in 
der    zottigen    Haut,    oder    auch    im  Zusätze    tierischer    Glieder 
zum  Menschenköq)er  bestand.    Und  zwar  ist  das  Peliougebirge 
der    Wohnsitz  dieser   Wesen,    von    da    werden   sie    durch    die 
Lapithen   schließlich   zu    den   Aithikeni    auf   das    Pindusgebirge 
an   der  westlichsten  Grenze  Thessaliens   gegen  Epirus  hin   ver- 
trieben.    Ihre  Stärke    denkt  man  sich    so   groß,   daß  ihre   Be- 
kämpfung selbst  für  die  gewaltigsten  Helden   der   an  Kraft  die 
Mitwelt  weit  überragenden  Vorzeit  eine  schwierige  Aufgabe  war. 
JLus  der   volleren   epischen   Ueberlieferung,    welcher   diese   An- 
deutungen in  der  homerischen  Dichtung  entnommen  sind,  entlehnt 
auch  noch  Ilesiod  (Scut.  Heracl.  178  — 188)  eine  Erwähnung  des 
Kampfes,   aus    welcher    hervorzuheben    ist,    daß    die  Kentauren 
als    Waffen    Fichten    in   den  Händen    tragen,   (x^vata^;    ikdiag 
iv  /eQOip  tynriec).   Die  Namen  und  Beiwörter,  welche  der  Dichter 
den  auf  dem  Schilde  abgebildeten  Kentauren  giebt,  sind  insofern 
von  mythologischem  Wert,    als  sie  nicht  wie  in  ähnlichen  Fällen 

1)  /|  ov  KtvTuvnoiai.   '/AU  (ti'öofiOt  veTxog  (TV/(}t]. 


42       Kapiti^l  II.   Die  wilden  Leute  der  griechischen  und  römischen  Sage. 

beliebig  aus  dem  Vorrate  gebräuehlicher  Personennamen  ausge- 
wählt sind,  sondern  in  Wahrheit  sämmtlich  naeh  verschiedenen 
Seiten  hin  die  Auffassung  wiederspiegeln ,  welche  die  Sänger  des 
älteren  Epos  von  diesen  Wesen  hatten.  Auf  ihre  Heimat  im 
Gebirge  und  ihr  Treiben  in  Berg  und  Wald  gehen  die  Namen 
Pdraios  (IlerQaJog),  Ureios  (ücgaioQ),  Koseformen  etwa  zn 
llezQoßiog,  Tkiq6v()f.io(^,  OvQoßiOi^,  ^OQeayjTtog ^  ^  und  Dry  -  atas 
d.  i.   Baumspringer ,    wie   Hipp  -  alos  auf  das  Pferd  springend.  *  s 

Dryalos  wird  Peukidc  (flevyitiörjg)  genannt,  sein  Vater  hieß  also  ^ 

PeukcuSy'^    d.  i.  Kosename   wol  zu   IlevArj-ffOQog   Fichieniräger.  ^, 

Weist   derselbe   auf  die   Bewaffnung  der  Kentauren   mit  Baom-  

Stämmen,  so  dürfte  As-holos  =  '^ai-ßokog  der  am  Werfen  ,^^ 
Beilagen  findet^  von  den  (durch  andere  Quellen  bezeugten)  ^j 
Steinwtlrlen  derselben  hergenommen  sein.  Ärktos  entweder  "m.ty 
schlechthin  Bär,  oder  Verkürzung  fUr  Arktomenes,  Arktosthenes^  ^  ^i 
vergleicht  die  Kentauren  entweder  von  Seiten  der  Kraft  ödes  des  .^  -g 
Aussehens  mit  dem  Waldtiere,  denn  kaaiavxffV  mit  dicht-  — ^ 
beliaartem,  zottigem  Naelcen,  wie  im  homerischen  Hynm.  in  m:m:ji 
Merc.  224  der  Kentaur  heißt  (i'x*''«  —  Keviavqov  laaiavxi-  - 
vog)  y  wird  im  Hymu.  6  in  Bacch.  46  der  Bär  genannt  (of^xroy  *<«4 

e/toirjaey  laatai^tva).    Die  behaarte  Gestalt  des  Kentauren  schil 

dert  ganz  übereinstimmend  das  Beiwort  ^lekayxamfi  (vgl.  tlvovo 

Xahrjg)    mit    lose    fUeijemlem ,    frei    herabwaUendeniy    scJiwarzem^^r^m 
IIaupth<iar,    das    Hesiod   Sc.    Her.    186     dem    Mimas     erteilt^^iA^^t 
dessen   Name    (3i/-//«-)^ -(;   wie    yi-ya-vv-g)    den    begehrlich^^zxA 
Daherstürmenden    [vgl.  fnwfiai    begehre,    ftdaoficu  suche   zu  be-,^^^. 
tasten,   berühren',  fuiiaa  verlange  heftig,    begehre,  strebe  yorm:  ^i^j. 
wärts]    bezeichnet   und    füglich    ein  treffender   Hinweis    auf  dL^^^^ 
Neigung  der  Unholde,   Frauen  zu  rauben,  gewesen  sem  könnti*.^:^- ^ 
Der  Name  Ferimedes,   der    in   hohem   Grade  Batkluge,    endlic^^^^^ 
vergegenwärtigt    uns    diese    Dämonen    gleichzeitig    als    Inhab^cTDer 
manches  Wissens  von  den  verborgenen  Kräften  der  Natur,    (v-— ^«^ 

1)  V^'l.  Fick,  Griedi.  Porsoncim.    Göttingen  1874.    S.  XXXVII.  XXS:i.IX. 

2)  V.ltI.  Fick  a.  a.  0.  S.  100. 

3)  Vgl.    ^Jh/tn^i;,  J/iXltiih]i: ,  lirmuhjq   zu    Atytvg ,  li/ilhvg,  Ifr^^fv;. 
Zö.  f.  vgl.  ►Sprmhf.  IX,  177. 

4)  Vgl.  Fkk.  a.  a.  0.  S.  16.    Curtius  Grundz.3  251. 

5)  Vgl.  Fick  a.  a.  0.  XVIII  ff. 


Kentauren.  43 

Cheiron).     Eine  Variaute  der  Sage  vom  Lapitlieiikampie  finden 
wir   im  Pelopounes  an    den    dorischen    Stanimhelden   Herakle» 
geknüpft  wieder.    In  einer  aus  allerlei  Lappen  zusanimcngefliekten 
jedoch  wahrscheinlich  schon  vor  Pisander  (650  v.  Chr.)  entstande- 
nen Hcraklee,*  welche  ApoUodor  (Biblioth.  II,  5,  4)  auszugsweise 
wiedergiebt,    werden  die  Kentauren,    zu    deren  Namen  Agrios 
(für  Agriandros?)  dar   wilde  Mann    [vgl.   Hesiod.  Thcog.    1013 
^AyQiog  =  Faunus]  und  Elatos    d.  h.  Elatoi)horos  Fichtenträger  * 
[falls  nicht  bloße    Anwendung    des   grundverschiedenen  Namens 
Elatos  von  IXavvio^  wegen  des  Gleichklangs  mit  DAcr-  anzunehmen 
ißt]   gehören,    vom  Gerüche  eines    ihnen  gemeinsam  zustämligen 
Fasses  Wein  herbeigelockt,  das  Pholos  seinem  Gaste  Herakles  zu 
Ehren  öffnet.     Sie  geraten  mit  diesem  in  Streit  und  kämpfen  mit 
Baumstämmen  und  Felsstücken;  Herakles,   aberjagte  sie  durch 
Feuerbrände,  die  er  warf,  zurück,  die  übrigen  verfolgte  er  durch 
Pfeilschüsse.*    Der  Kentaur  Pholos  (Eponymus  des  Gebirges  Pho- 
ioe  auf  der  Grenze  zwischen  Arkadien  und  Elis)   heißt  der  Sohn 
der  Melia  (also  einer  im  Eschenbaume  wohnenden  Dryas)  und  eines 
Seitens;  er  verzehrt  alles  Fleisch  roh  und  wohnt  in  einer  Berghöhle. 
Der  Dichter  der  lleraklec  muß  eine  Vorlage  gehabt  haben,  welche 
um  mehrere  Züge  aus  dem  Bilde  der  Kentauren,  und  zwar  um 
solche   von   sehr  altertümlichem   Gejiräge  (das  Rohessen,    Stein- 
wcrfcn,  Angelocktwcrden   durch    den   Geruch   eines  Weinfasses, 


1)  V^O.   .].  Tl.  Voss  Mythol.   IJricfc  II,   IJr.  XXXIII.    8.  2(>7.     Herakles 
führt  no<'h   Hogeu  und  Pfeile  und  uirht  die  Keule,  die  Pisander  in  die  Poesie 

«jiiiführtc.     Hernliardy  ^v.   IJteraturg.  11.'^  3'ii>.     Pisander  selbst    behandelte 

Siuch  wol  diesen  (ie^^enstand.     Vi^l.    das  aus  ihm  stammende  Spriehwort  roi\ 

itv  nium  hi-rJHvnnini.    Hesy«h.  —  Außer  bei  ApoUodor  ist  die  oben  erwähnte 

Hffaklee  z.  T.  ausriihrlieher.  größtenteils  nber  llüehtiger  und  mit  Einmisehuug 

eij^ener  Gelehrsamkeit  ausgezo<^en  bei  l>iodor.    Sie.  Hibl.  IV,  70.^ 

2)  Vgl.  o.  S.  l'J  Peuk-rus  aus  Peukephoro.s.  und  Fi«'k  S.  G. 

3)  Vgl.  Klatos  Freier  der  P.nidnix'  Od,  XXII,  1>(J7.     Trojaner  11.  VI,  33 
mit  Fiek  a.  a.  O.  IGt». 

4)  Aijorrtn;;  tSt  (lirttr  ' llow/.).t(n\; ,  lif  tj  (UAoixtuti  luv  xoirur  rtjv 
AhVTaroov  lO'o/crw  :iiifi)r.  t}Knntiv  t)n-  Jiiumy.tktrauuf-rag  Ifnuxliic,  aiHov 
iji'ai^i:,  >,ii)  utr  o**  .70/. r  (Vm'<  r /}  s  n  o  u  i,  i^  aiaiioutvoi  JinnfiOuv  oi  h^v- 
T H  V n (j  I  ;i  ^h  o  fK  I  v  t'n ;i  /.  i  a  11 1-' voi  xai  ^.  ). d i  (c  1  <;  t.i )  to  ToO  'In'tlov  an  i]kai  ov 
Toi-s;  ntr  ovr  ;iniöri)r>^  lo/.nt'ioc.rnii;  hom  jiHnÜ.ltHi*  ^iy/iov  x«)  'liyniov 
//occx/^V  ^Tof^il'cin  fitcltor  (h'.}.ntg.  tov^  dt  Xomoi'^;  höitiae  ifiomor  t</Qi 
Tr^g  JMuh'ag. 


44        Kapitel  11.   Die  wilden  Leute  der  griechischon  und  rÖmischeD  Sage. 


\ 


Wohnsitz  in  der  Höhle ,  Vertreibung  durch  Feuerbrände)  reicher 
ausgestattet  war,  als  die  hesiodeische  Darstellung  des  Lapithen- 
kampfes.    Dieselben  sind  um  so  weniger  tiir  archaisierende  eitle 
Erfindungen    eines  Dichters   zu   halten ,   als  die   Fabel  auch  in 
anderen  Teilen  den   Character  echter  Volkssage  aufweist,   wie 
denn  z.  B.  der  Tod  des  Pholos  einer  solchen  nachgebildet  ist 
Letzterer  hatte  aus  dem  Leichnam  eines  Kentauren  den  Todes- 
pfeil gezogen;  während  er  sich  nun  wunderte,  wie  ein  so  kleines 
Ding  so  große  Männer  hatte  niederwerfen  können,  entglitt  das 
Geschoß    seiner  Hand,   fuhr  ihm   in  den   Fuß   und  tödtete  ihn 
plötzlich.     Hiczu  vgl.  die  Sagen  von  Hackelberend,  Oenrarr  Odd, 
Sigurd  Orkneyinga  Jarl  u.  s.  w.  ^     Dagegen   ist  die  EHnniischnng 
des  Cheiron  augenscheinlich  ein  vermutlich    erst  vom  Verfasser    ^«r^j 
der  Heraklee  herrührendes  rein  dichterisches  Einschiebsel.    Mag    ^^jg 
denn  nun  die  Erzählung  von  Pholos  eine  auf  peluponnesischem 
Boden  gewachsene  Localisierung  des  Mythus  oder  die  bewußte 
epische  Nachbildung    eines   aus  Thessalien   stammenden  Liedes 
sein,  in  jedem  Falle  darf  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  ange — 
nommen  werden,   daß  ihr  echter  Volksglaube  und  echte  Volks— 
sage  zu  Grunde  lag. 

Nur  in  unbestimmten  Ausdrücken  deutet  Homer  (Od.  XX 
auf  die  Gelegenheit  hin,  bei  welcher  der  Streit  mit  den  Lapithe 
entstand,    und    auf  die   Gräuel,    welche  ihn   veranlaßten.     Vc»-.^.^ 
Schollene  nachhomerisclie  Epen,  deren  Inhalt  Phcidias  auf  de^-^.jj 
Metopcn   des  Parthenon  verwertete,^   von  denen  uns  aber  GviÄ^^j^ 


1)  Grimm  D.  S.  I,  399,  310.  Myth. «.  901.  W.  Schwartz  der  heu^^y^^ 
Volksgl.  Auti.ä.  S.  55 ff.  Simmk  Haudb.  d.  d.  Myth.  Aufl.«.  S.  S^ägtJ. 
Äfenzel  Odiu.  209. 

2)  FüDt"  Metopen  der  Südseite   (Mii'haelis  Parthenon   T.  III,  10.  12-      22. 
25)  und  die  sehr  verstümmelte  (IV,  29)  stellen  mit  mannigfacher  Abwechue  ^  uug 
franenraiibende  Kentauren  (hir.     Vgl.   Michaelis  a.  a.  0.     S.   132.  135.        13e. 
Auch  auf  dem    hintern  Giebelfeld  des  Zeustcmpels  zu  Olympia  war  \'OtM     der 
Hand  dos  Alkamcncs  unter  des  Pheidias  Aufsieht  und  Anleitung  die  Ho^^'Ä^wit 
des  Pcirithoos  dargestellt;   man    sah  den  Eurytion,    wie  er  die  Braut   cr^rfaßt 
hatte,  ferner  einen  Kentauren,  der  eine  Jungfrau,  einen  anderen,   der     «^^nc« 
schönen  Knaben  forts('hlepi)tc.   Pausan.  V,  10.    Vgl.  Curtius  Peloponn.  XÄ-  »^^• 
Aus  derselben  Zeit  rührte  die  Darstellung  der  Kcntauromachic  auf  dem  0*:^«se 
des  Theseions  zu  Athen,  wie  des  Apollotempels  zu  Phigalia,  auch  in  let^«-*^/^ 
begegnet  der  Raub  des  Mädchens  u.  des  Knaben.  (0.  Müller,  Handb.  d.  Ar^  Biwl. 
§  118.  119.) 


KcDtauren.  45 

und  Vergils  auszügliche  Naehbilduiigen  eine  Vorstellung  zu  geben 
im  Stande  sind,  ^  lassen  den  Streit  auf  der  Hochzeit  des 
Petri/Äoos  •  mit  Hippodanieia  und  zwar  darüber  sich  entspinnen, 
daß  die  .Kentauren  im  Rauscht'  hrgvhrliche  Hände  nach  der 
Braut  und  ihren  Gefähtiinnen  atisstrech^i.^  Diese  im  rohen 
Character  wilder  Waldnienschen  wolbegründeten  Züge  sind  ein 
Erbstück  aus  der  älteren  Poesie^  und  waren  ohne  Zweifel  in 
den  von  Homer  benutzten  ausflihrlicheren  Schilderungen  aus- 
drttcklich  genannt.  Denn  aus  ihnen  erklären  sich  am  einfach- 
sten und  natürlichsten  die  kurzen,  den  SagenstoiT  als  bekannt 
Yoranssetzenden  Andeutungen  der  Odyssee  vom  Bruche  des  Gast- 
rechts auf  einer  von  den  namhatlesten  auswärtigen  Heroen  und 
zugleich  von  dem  ungehobelten  Nachbar  Kentaur  besuchten  Ge- 
sellschaft, ja  die  Erzählung  des  zu  den  jüngsten  Erweiterungen 
der  Ilias  gehörigen  Schiflfskatalogs  (H,  740 ff.)  setzt  —  wenn  ich 
nicht  irre  —  gradezu  die  angegebene  Fabel  als  ihr  älteres  Vor- 
bild voraus.  Der  Dichter  der  Teichomachie  (Iliad.  XII,  127  ff.), 
dem  es  darauf  ankam,  auch  die  berühmten  Lapithen  am  Kampf 
gegen  Ilion  teilnehmen  zu  lassen ,  hatte  als  deren  Führer  einen 
»Sohn  des  Peirithoos  erfinden  müssen,  da  letzterer  nach  anderen 
Liedern  (IL  I,  266)  längst  gestorben  war.  Wenn  nun  der  Ver- 
fasser des  Schiffsverzeichnisses  diesen  neugebackenen  Polypoites 
jrade  an  dem'Tage  gcl)oren  werden  läßt,  an  dem  der  Vater  an  den 


1)  Vermutlich  oin<*  Thosois  (vgl.  Benihardy  Gr.  Literaturg. ».  11,  334), 
eren  Verfasser  vielleicht  die  o.  Ö.  43  erwähnte  Heraklee  benutzte,  war  es, 
roranf  die  Metopen  des  Parthenon  und  Ovid  Metani.  XII,  210  —  535  zurück- 
rehen,  ein  nächstverwan<ltes  Gedicht  ist  von  Vergil  Georg.  II,  454 — 57. 
Ven.  VIII,  293—  %  und  Valerius  Flaccus  I,  140.  338  benutzt.  Vgl.  Michaelis 
,.  a.  O.  S.  131  zu  Met.  3  un<l  Voss  zu  Vcrg.  Georg.  II,  454. 

2)  Diodor.  Sic.  IV,  70:    Ihiod^uvg  yt'juug  'inTioöuufKiv  ttjv  Buvtov  xaX 

nißnl^oS^ai  j€uq  xfxli]uh'(tiq  yvrut!^  x(c)  [i(i(  u(ayhathu.  Raptaturque  conüa 
»er  viin  nova  nupta  prohensis.  Eurytus  Hippodamen ,  alii  quam  quisque  pro- 
»araut,  Aut  poterant  rapiunt.     Ov.  Met.  XII,  223 — 25. 

3)  Mindestens  war  <lie  Lüsternheit  bereits  in  der  erwähnten  vorpisan- 
Irisohen  Heraklce  als  Characterzug  der  Kentauren  ausgesprochen.  Der  Ken- 
taur Nessus  will  der  DcTaneira  Gewalt  antun.  Apollod  II,  7,  G.  Der  Kentaur 
Eurytion  (so  hieß  der  Urheber  des  Lapithenkampfs)  findet  sein  Ende,  als  er 
im  Begriff  steht  sich  an  der  Jungfrau  Mnesimache  zu  vergreifen.  Apollod. 
El,  5,  5.  Muß  eine  derartige  Handlung  nicht  schon  nach  der  früheren  Poesie 
i-ü  seinem  Character  gelegen  haben? 


40         Kapitel  If.     Die  wilden  L(Mit«»  d«'r  «rriecliis«*hen  und  römischen  Sage. 

Kentauren  Kaebe  nalnn  und  sie  zu  den  Aithikern  vertrieb,  so 
beabsichtige  er  augensebeinlicb,  in  leicht  erkennbarem  Parallelis- 
mus dem  IIochzcitst4i^e  der  Eltern,  an  welchem  durch  Beleidigung 
der  Mutter  der  Frevel  begangen  war,  als  dem  Ausgsmgspunkte 
des  Streites,  den  Geburtstag  des  Sohnes,  an  dem  die  Untat 
gesühnt  sei,  als  Ende  des  Kampfes  entgegenzustellen. 

Noch  ein  ursprünglicher  Zug  aus  den  älteren  Bearbeitungen 
des  Lapithenkampfes  scheint  durch  Pindar  (Fragm.  147  Boeekh)  f  ^ 
erhalten  zu  sein.  Kaum  hatten  die  Kentauren  den  Geruch  des  ^^^ 
männerbezwingenden  Weines  gespürt,  so  stiejien  s/c  die  weiße 'T:%\yq^ 
Milch  von  den  Tischen  {ajro  uiv  kar/.ov  yaka  x^qoi  tQa7r£t(h'.m:'S'^ 
oiOeov)  und  berauschten  sich  aus  silbernen  llöniem.  BoeekfcB'^^il] 
vermutet,  daß  aus  demselben  Liede  das  Pindarische  Frsignienr' mrm- .tn\ 
148  übrig  sei,  wonach  Kaineus  in  die  Erde  sinkt,  von  den  gm-%r^ — ö- 
nen  Tannen  des  Kentauren  (jctr offen  (xl(0Qa7g  eXazaiai  rvTrelt;). 

§  3.    Cheiroii«     Neben    den   Liedern    vom  LapithenkampiT^^^fe 
liefen  andere  aus  thessalischem  Volksglauben  geschöpfte  um,  irM      in 
welchen    die    Kentauren    «als    hräuterhundige  ^     krankhcitJmlcnJ^^  sde 
Wald '  und  Berggeister  geschildert  werden.     Nach    IL  XI,  83  ^Iw  30 
bis   48    hat  Achill  von   Chciron ,    dem   gerechtesten    aller   Keir.M-  ru- 
tauren,    blutstillende,   schmerzlindernde   Ileilwurzeln  kennen  gc^-i^e- 
lemt.      Nach  II.  IV,   219  besitzt  Machaon,   der  Ar/t,  des  Askl<»  M  le- 
pios  Sohn,    einen  lindernden  Wundbalsam,  den  einst  dem  Vatc^-iÄcr 
vcrliehn     der    gewogene    Cheiron.      Diese    Andeutungen    sctzcri^  ,oij 
frühere,    ausführlichere   Erzählungen    von    Cheiron    voraus,  de  ^rucs- 
scn     auf    die     geschickte     Iland     des     Wundarztes     deuteud»  -JFler 
Name,     Abkürzung     von    Cheirisophos  '     oder    einem     ander»  — j-oii 
mit    xf.t()    zusammengesetzten    Worte,    daraus   entsinnngen   s/-" 
muß ,    daß  ihm  seihst  in  einer  Sage  eine  tätige  Holle  als  Noih 
fer  ^f (geschrieben    wurde:   auch  wird  diese  Sage   zu  den  berül 
testen   und  bekanntesten    der  alten   Zeit  gehr)rt  haben.     So 
konnte   es   geschehen,  dali  die  Zuni't  der  Asklepiaden,  *  wel 
nach  Ausweis  der  Geburtslcgcnde  des  Gottes  in  Thessidicn  ei 
ihrer  ältesten  Sitze  hatte,  und  daselbst  während  des  homeris^^ 
Zeitalters  oder  doch  bald  nachher  vorzugsweise  in  Trikka  blül~mtc,^ 


1)  Firk  rjric<'h.  IVrsoiioiiii.  XXVI. 

2)  lieber  dies«'  vgl,  Häser  (leschichte  der  Medizin  I.    Jona  ISTiS.  S.    ^ff. 

3)  II.  II.  721». 


Cheiron.  47 

lie  chirurgische  Seite  ihrer  Kunst,  „den  Brauch  der  h'nden  Hand," 
inf  das  mythische  Vorbild  der  im  Besitze  schmerzstillender  Heil- 
uüater  befindlichen  Waldgeister  zurückführte  und  dieselbe  dadurch 
m  adeln  suchte,  daß  sie  ihren  Ahnherrn  Asklepios  zum  Schüler 
iines  derselben  machte.  ^  Schon  vor  dem  Aufkommen  einer  zünf- 
3gen  Betreibung  der  Heilungen  als  priesterlicher  Kirnst  mögen 
Familien ,  in  denen  die  erprobte  Anwendung  vegetabilischer  Haus- 
nittel  sich  fortpflanzte,  ihre  Kenntniß  mit  Stolz  und  Ueberzeu- 
^Dg  in  die  sagenhafte  Vorzeit  zurückgeleitet  haben.  Von  einer 
solchen  Familie  in  Demetrias  am  Fuße  des  Pelion;  hatte  man 
loch  im  vierten  Jahrhundert  v.  Chr.  Kunde ,  in  ihr  vererbten  sich 
7on  Vater  auf  Sohn  gewisse  Geheimmittel  aus  der  Wurzel  und  dem 
lüraut  eines  lür  Nervenleiden,  Uuterleibskrankheiten ,  Augenfluß 
leilsamen  kaum  fußhohen  Strauchs  von  dunkler  Farbe ,  und  deren 
Anwendung.  Sie  rühmte  sich  der  Abkunft  von  Cheiron  und  hielt 
58  für  Ehrensache,  mit  ihrem  Wissen  jedem  Bedürftigen  unent- 
^Itlich  zu  dienen.  *  Mehrere  tlir  heilkräftig  oder  zaubermächtig 
ingesehene  Pflanzen ,  an  denen  das  Pcliongebirge  reich  war,  ^ 
zeichnete  man  durch  die  Namen  XeiQiovtov,  XetQcavog  {ti'ia,  xtr- 
tavQiov  (xeviavQeiov ,  jiivzavQUj,  yievvuvQii;)  als  solche,  welche  von 
Cheiron  oder  den  Kentauren  überhaupt  angewendet  und  empfoh- 
en  seien,  aus.*  Eine  derselben  war  das  Tausendgüldenkraut, 
)der  Fieberkraut  (Centaurea  Centaurium  L.),   das  auf  den  Alpen 


1)  Chiron  ccntaurus  Saturni  lilhis  artoni  modicinam  chirurgicÄiii  ex  hcr- 
is  primum  iiistituit.  Ily^.  lab.  274.  p.  loO.  Schmidt.  Cf.  alii  (volunt  repor- 
im)  hcrbariam  et  mcdicamciitariam  a  Chirone.  Pliii.  hist.  nat.  VII,  sect.  57. 
Utß^vutjTK  Xffodri'  Totifff  kixHrtt}  r  ^Iüüoy"  ^vditv  T^yfi,  xtd  fTifirev 
axki]niov.  7üj'  tfuouiixMv  th'tht^f  u  «ktixo/fi  o(t  vuuov.  Find.  Nem.  III, 
2,     Vgl.  Pyth.  III,  liT. 

2)  TavTi]r  (F*  rtiv  ihh'uuir  Vr  rcur  rroA/rwr  onFf  y^vog  o  (F»y  X^yfira 
Zf  ioojvo^  ((Tioyoror  f^h'iti  /T(co((Öi'i^(0(Ti  J^  xit)  öftxvvffi  Tiurijo  i'iai  xid 
irnog  f)  di'rttuis  (pvXancin«! ,  Ws  ort^A/s  «AAo?  oiih  rvjr  iioXudjr  ov/  oaior 
i  rovs  t7H(fT((uf'i'ovs;  Tt(  (futmaxd  uiat>ov  loig  xi((.iV(nni  (itn]'>hiv  uXXu  jiüoTxh. 
"u  fjh'  ovv  ITi]).i()v  xui  liiv  .U]urij(inUhi  avLtßtßtixf^  Tuiavjiiv  th'fu.  Dicacarch. 
'r.  60.     Mnilcr  Fragm.  Graec,  liist.  II,  p.  263,  12  sqq. 

3)  7o  J^  i'mog  TUtlvffdoucixor  Tf  ^gt)  x(d  TToXkikq  f/ov  xa\  7i(tvtOiSn7T(tq 
"^wafÄfig  Ttig  Tf  öipfig  (tiTuJr  yivütaxavai  x«l  /nrja'hci  ^vvufih'oig.  Dicaearch. 
•>.  60.    Müller  Fr.  hist.  Graec.  II,  j..  2(;2. 

4)  Nicandr.  Thcriac.  505.  Dioscor.  III,  57.  71.  Theophr.  hist.  pl.  IX,  12. 
Plin.  hist.  nat.  XXV,  sect.  13.  14. 


48      Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  griecliisclicn  und  ruinischen  Stige. 

der  Südländer  drei  Ellen  hoch  wächst.  *  Vom  \€iQ(th'toy  sagt 
Dicaearch,  die  Wurzel  dieses  kleinen  Strauches,  der  gerne  im 
Gebüsche  wachse,  hal)e  die  Kraft  Schlangen  fern  zu  halten,  zn 
vertreiben ,  oder  unschädlich  zu  machen  und  durch  ihren  Gernch 
zu  tödten.  Dem  Menschen  wegen  seines  thymianähiilicheu  Duftes 
angenehm ,  heile  das  Kraut  jeden  Schlangenbiß.  *  Die  Eingamm- 
1er  von  Heilkräutern  (Khizotomen)  übten  auf  dem  Pelion  denn 
auch  den  frommen  Brauch,  die  Erstlinge  ihrer  Ausbeate  dem 
Cheiron  darzubringen ;  ^  sie  werden  einige  Hände  voll  auf  einen 
Stein  gelegt  oder  ins  Gebüsch  geworfen  haben,  wie  der  frän- 
kische Bauer  noch  heute  den  Holzfräulein  opfert  (Bk,  77  —  79). 

Früher  als  die  Anknüpfung  der  ärztlichen  Zunft  an  Cheiron 
mag  auch  die  Vorstellung  schon  dagewesen  sein ,  daß  der  Wald 
geist  den  Landesheros  selbst  in  der  dem  Helden  so  wiehtigei 
Kunst  des  Wundverbandes  unterrichtet  habe  (II.  XI,  830  ff.);  si' 
erweiterte  sich  bald  dahin,  daß  Cheiron  der  ganzen  Pflege  un» 
Erziehung  des  jungen  Fürsten  sich  annahm^  wie  Regln  des  Sr 
gurd.  Schon  Hesiod  benutzte  alte  Lieder  dieses  Inhalts  von  Jasoi 
den  Cheiron  in  seiner  Höhle  erzog,*  er  kannte  sogar  schon  ei 
jüngere  Ueberlieferung,  welche  nun  gar  den  Medcios,  JasoiciM^  ^3ds 
Sohn,  zum  Zögling  des  Kentauren  machte.^  In  ihr  ist  uns  ab^^^Jer 
das  erste  äußere  Zeugniß  ftir  eine  unzweifelhaft  alte,  aus  früh^  ä  le- 
ren Dichtungen  überkommene  Vorstellung  erhalten ;  Cheiron  hell  m:  ißt 
PhilyridcSj  Sohn  der  Dryade  Philyra,  d.  h.  der  Linde,  gracT:^  -de 
so  wie  Pholos  o.  S.  43  Sohn  der  Esche  (Melia).  '^ 


51 


1)  Fraas  Synopsis   plantarum    florao    classicac.     München  1845  S.  ItjL.  i^    «50. 
(^f.  Voss  zu  Verg.  Gcorf?.  IV,  270. 

2)  Dicaoarrh  Fr.  00.     Müller  Fra^nn.  liistor.  Graec.  II,  p.  2(»1. 

B)   Ti\itf)i   iaIv  l-tyrirondhj ^    jMiiyrtjTfg  iV*   XefoMVt,   Toi^g  Timiiro/^  /^^     '«- 
TQfOa«!  Xfyou^i'(ßi>;,    «<7r«f>/«s    xo/i/Corn/'     (n'Ctu  ytin  ffai  xtu  ftoTurai  ^  ♦'* 

UV  im'Tu  rolv  xtiumrutg.  Plnt.  Syin[».  III,  1,  3. 

4)  yliaiov  os  T^xfiy  iior  V//(7oi'«,   rroiuh'«.  Xnm\ 
'^'Or  Xfmo)}'  fi'hjfijf'  tri  IfrjXtu)  vktjtin. 

Hesiod.  fragm.  111.    Cf.  Piiular.  Noiii.  III,  i>2.    Schol.  Pind.  Nem.  III.  112.   V         -V^ 
Preller  Gr.  Myth.»  II,  322  Anm.  1. 

5)  j\h'nhior  ify.f  maiht,  tot  ovnfair  fTOfffs  Xf/oow  *PiXvQ/Jrig.    Hesi»-  — MOu. 
Theo??.  1(K)1. 

G)  \^].  Schöniann    opnsc.   aoad.  II.  128.     Die    spätere    enhemcristis^     che 
Sage  läßt  Philyra   in  eine  Linde  verwandelt  werden.     Quidam  Philynim  ^n 


Cheiron.  49 

Da  vielleicht  schon  im  hcsiodeischen  Zeitalter  ein  Lehr- 
gedicht vnodijxai  oder  '^ra(jaiv^(J6ic;  \tt\Kin'og  f;ti  didaaxa?Jce  ttj 
4%iX)ikoq  entstand/  nuiß  die  im  übrigen  ziemlich  spät  ])ezeugte* 
Pabel  von  Achilleus  Erziehung  behn  Kentauren  weit  früher  vor- 
banden gewesen  sein;  sie  lief  vermutlich  neben  der  homerischen 
Version,  welche  PhHnix  zum  Pfleger  des  jungen  Helden  machte, 
^eichzeitig  her.  Diese  Vermutung  scheint  sich  durch  eine  auf 
echten  Volkssagen  von  sehr  altem  Geprilge  beruhende  Peleis  zu 
bestätigen ,  welche  den  Cheiron  mehrfach  mit  sehr  bezeichnenden 
Verrichtungen  in  die  Handlung  verflocht,  und  von  deren  wesent- 
lichem Inhalt  schon  Hesiod  Gebrauch  machte,  Apollodor  sei  es 
nach  diesem,  sei  es  nach  Akusilaos,  einen  dürftigen,  aus  eini- 
gen sonst  erhaltenen  Nachklängen  derselben  oder  einer  nächst- 
verwandten Dichtung  zu  ergänzenden  Auszug  erhalten  hat. 

Die  folgende  Darstellung  giebt  den  Inhalt  der  Erzählung 
nach  Apollodor  mit  gleichzeitiger  Angabe  der  aus  jenen  anderen 
Quellen  sich  ergebenden  Berichtigungen  und  Ergänzungen.  Pe- 
leiis  wird  beim  Könige  Akastos  von  Jolkos,  dem  Sohne  des  Pe- 
lias,  an  dessen  Hofe  er  als  Flüchtling  weilt,  von  dessen  Gemah- 
lin Astydameia  verläumderisch  unehrenhatler  Anträge  beschuldigt. 
Akastos  scheut  sich  ihn  zu  tödten ,  sucht  sich  aber  seiner  zu  ent- 
ledigen, indem  er  ihn  zur  gefahrvollen  Jagd  auf  die  schädlichen 
Raubtiere  des  Pelion  überredet.  Ergänzend  tritt  hier  Schol.  Ari- 
stoph.  Nubb.  lOG.'i  ein:  '0  öf.  Aiilvcti  /niv,  ov  xa^^tjuevy  ova  rjßov' 
li^&fj'  fxßci'l?.6i  ()f^  UV  vor  eic;  %6  Jl/jkiov,  oiKog  v7io  i^ijQtov  pQto- 
^€19],  Ol  äf.  ^toi  ötct  zljv  aiüfpooavvijv  dedioxatriv  avrtji  jlicixctiQCfv 
TiQog  To  ajcaXi^tiv  lä  x^rj^ia.  *     Vgl.    auch    Zenobii   Proverb.  V, 


Äoretn  convcrsam  ossc  dicnnt  vel  in  arborem,  uiulc  Über  pbiljrinus,  quo  co- 
ronae  illigantur.  Philargyr.  ad.  Verg.  Georg.  III,  93.  Cf.  Hygin.  fab.  138 
>.  16,  7  sqq.  Schmidt  nach  dvm  Autor  der  üigantomachie  bei  Schol.  Apollon. 
ihod.  I,  554  (Düntzor  fragni.  op.  p.  3i.     Dosith.  p.  71. 

1)  Pausan.  IX,  31,  i  Cf.  BtTnhardy  grioch.  Litcraturgcsch.  II,  536. 
>och  fehlt  es  im  Altertum  nicht  an  Stimmen,  welche  einen  Zweifel  gegen 
in  so  hohes  Alter  dieses  Gedichtes  aussprechen.  Borgk  Grioch.  Literaturg. 
»  10<)8.  Auf  dem  im  Zeitalter  des  Krösus  gesehaiFenen  Tron  des  amy- 
^äischcn  Apollo  war  abgebildet,  wie  Polens  dem  Cheiron  den  Achill  über- 
riebt. Pausan,  III,  IH.  Vgl.  Pindar.  P.  7,  22.  Eurip.  Iph.  A.  209.  709. 
►27.  1066.     Prellcr  Griech.  M}'th.  II,  401. 

2)  Aas  einer  verwan<lten  dichterischen  Bearbeitung,  welche  aber  das 
Weib  des  Akast  Hippolyte  nennt,  rührt  der  Auszug:    'O'lixnarog  ua&ary  xttl 

Mannhardt.    IL  4 


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Chciron.  51 

l^o  K*iu  aufzunehmen,  wonach  Jason  und  die  Dioskuren  bei  diesem 
Peleus  Helfer  waren.  —  Chcinm  rrthtc  dm  Helden  nidU 
n  aus  Lebensiiefahrj  sondern  half  ihm  auch  das  vom  (leschiek 
iliKUM  bestimmte  Glück  zu  erreichen,  imkm  er  ihn  mit  errichtete  ^ 
er  es  anstelleti  müsse,  um  die  Nereide  lliefis ,  welcher  der 
■ch  Abweisung  seiner  Werbungen  erzürnte  Göttervater  einen 
Tblichcn  zum  Gatten  bestimmt  habe,  zu  fangen.  Peleus  paßte 
d^icft.  richtigen  Augenblick  ab,  ergriff  die  Meerjungfrau  und  hielt 
si^  trotz  alles  Widerstrebens  fest;  sie  verwandelte  sich  in  meh- 
r^it-^  Gestalten:  Feuer,  Wasser  und  ein  wildes  l^er  [nach  einer 
Sophocles  benutzten  Quelle  in  Löwe,  Scldange,  Feuer,  Was- 
J,*  doch  er  ließ  nicht  los,  bis  Thetis  sich  ergab  und  wieder 
»schliche  Gestalt  annehmend  ihm  folgte.  Schon  Homer  deutet 
die  Erzählung  hin;  IL  XVHl,  432  klagt  Thetis: 

*Ex  jii^v  /<'  ttUittüir  uindtoi'  itv^f»)  dtiuittJatr  {Z(vg) 
AtnxKSfi  Ili]X>ii  y   xtii  hlr^r  itv^iun;  fii'i^r 

(dem  Pdion  (in  Cheirons  Höhle)  wurde  das  Beilager  gehal- 
,  [alle  Götter  waren  zugegen]  und  Poseidon  (als  oberster  Ge- 
iler der  Meermaid)  schenkte  zwei  unsterbliche  Kosse,   Cheiron 
^^  einen   gewaltigen    Speer,    eine    Esche   auf  Pelions    Gipfel 
^^auen.   Auch  dieser  Teil  der  Sage  läßt  sich  aus  Homer  belegen. 
1. 11.  XVI,  8G7.  XVII,  194.  443.  XVUI,  «4.  XIX,  390.  XXIU, 
"7.    XXIV,  G2,  besonders  XVI,  140  flF.: 

JioiOv,  /i^/«,  an,i(UH'n''  lu  [a;'/Os]  uiv  ov  övvfcr'  liXkoi  li/ttttüv 
JJukkfir^  t(XX((  uir  oio«»*  (niojuju  nfiXut    A^^iXXtvq' 
/IriXiitt^«  LH-X(i]V,  Tip'  ntao)   (fiXo)  nuof   Xbdnov 
I7r}Xiüv  ix  xotivif  fjs  <,  (fovor  fuufrici   t){tuiinaiY. 

Schweigend  verweilte  Thetis  bei  dem  Gatten.     So  legt  mei- 
8  Erachtens  B.  Schmidt  Volksleben  d.  Neugriechen  S.  116  ganz 


1)  Piudar.   Nein.  III,   00:     -ak)    Tioriiur   dfriv  x«r^^«(n/'fr  iyxovfiTi. 
M,  Schol.  Pind.  N.  III,  GO:     ^ iioxo^x^vii  y(\o  im'  (tirov  uir^ßaXXf  r«^  /*0(>- 
^g f    Utk  ulv  f/«r  ^Oo,    or^    J^    tis    ^rjofu.      o    Ja    x€C(ij lor/aag    JTioiy^yoi'f. 
tgü     Si    fÄiTKUootfuidhviig    «i>r»7c    x«i    2^oifoxXfig   .  .  .    iv  yl/iXX^iog    f{ta(JT(tTg 
ragm.  Branck  III,  p.  404): 

T{g  ydo  uf.  u6/'hßg  ovx  fninTtirta ;  X^utv 

gl.  Pind.  N.  IV,  100.    Proller  Gr.  Mytb.  II,  398  Anm.  1. 


52     Kapitel  II.    Dio  wilden  Leute  der  griechiHchcn  und  römischen  Sage. 

richtig  die  Verse  ans  dem  Troilus  des  Sophokles  (Schol.  Find. 
III,  GO.   Fr.  Sopli.  Bruiiek.  III,  p.  452)  ans : 

' Eyi]in-r  WC  ?ynuf-r  (< tf  ff^nyy ovs  yduovg 
Tfi  /iKvinuuoffat  (^^Titfi  <1viiJiXuxk(<;  norh. 

Als  Thetis  daranf  einen  Knalien  geboren,  wollte  sie  ihn  u 
sterblich  machen,  vt5rbarg  ihn,  von  Peleus  nngesehen,  nachts  l 
Feuer  und  vertilgte  so,  was  vom  Vater  her  an  ihm  sterblich  wl_  -^' 
Bei  Tage  salbte  sie  ihn  mit  Ambrosia.  Peleus  aber  belansel^^^  ^ 
sie  einst  und  schrie  laut  auf,  als  er  seinen  Sohn  im  Fener  za^^L  ^ 
peln  sah.  Da  verschwand  Thetis  und  ging  zu  den  Nereid- 
zurück.  Peleus  brachte  nunmehr  den  Knaben  sf^  CJkeiran.  D" 
ser  nahm  ihn  wol  auf  und  nährte  ihn  mit  der  .Leber  von 
und  Löwen  und  mit  dem-  Mark/t  von  Bären,  und  hieß  ihn  Ad 
leus ,  da  er  vorher  einen  andern  Namen  ftlhrtc.  * 

In  dieser  Erzählung  weht  der  frischeste  Hauch  des  höchst 
Altertums.     So  glaubt  noch  heute  der  Wilde,  daß  die  Kraft 
Gewandtheit  des  erlegten  und  verzehrten  tierischen  oder  men& 
liehen  Gegners  in  ihn  übergehen  werde  (Bk.  218);  vor  allem 

von  jeher  Essen   des  Herzens    als   des  Lebenssitzes  bedentsa. , 

Lokis  Bosheit  wird  vom  Genuß  eines  halbvcrbrannten  steinhai— *:  ^d 
Frauenherzens   a))gelcitet.  *     Da  es   nicht  denkbar  ist,   daß     <^Ä 
späterer  Dichter  diesen   echt  mythischen  Zug  erfand,  rückt     ^ie 
Fabel   von  Achillcus  Erziehung  durch  Cheirou   hoch  in   die  Vor- 
zeit hinauf.     Dieses  Ergcbniß  gewinnt  volle  Sicherheit  durch     ^/e 
Wahrnehmung,    daß  auch  die  ti))rigcn  Teile   der  durch  Clmf^^^s 
mcderholtes  Eingreifen  in  die  Ilandlumj  als  ein  altes  einmal    -^"' 
sammenffehörifjes    StücJ:  eharalderisierten  Peleis    (oder   Achillc^i»)) 
nämlich   die  Abenteuer   bei  Akastos   und  die   Heirat  mit  Tlm^tis 
sich  dem  Kundigen    als   echte   Volkssagcn   darstelleti.     Die  W^ich- 
tigkeit  der  Sache  möge   entschuldigen,   daß  wir  den  Beweis       ^^ 
diese  Behauptung  als  eine  den  Gang  unserer  Untersuchung  LÄber 
die  Kentauren  einstweilen  unterbrecliende  Episode  in  dieselbe  ^Äicr 
einschalten. 

§.  i.  Die  alte  Peleis.  Mit  Recht  ahnte  Preller  (Gr.  Myth.  *D. 
39G)  in  den  Abenteuern  des  Peleus  bei  Akastos  „märchentm-^ 
Züge   einer   altertümlichen   Ueberlieferung ,    welche    ursprün^i'c^ 


1)  Apollod.  Ribl.  ni,  13,  2  —  7. 

2)  Hyndlul.  38.    Simrock  Hamlb.  d.  d.  Myth.  2.  Aufl.  332. 


Die  alte  Peleis.  58 

ol  noch  einen  andern  Sinn  als  den  der  gewöhnlichen  Sage  hat- 
tt.*'  Sie  zeigen  auf  den  Heros  Eponymos  der  Peliotis,  den  Pe- 
ns *  (Hypokoristikon  von  Peliarchos,  Pcliokrates  oder  Pclioraa- 
loe)  übertragen  ^  jenen  uralten  Mythus ,  welcher  bei  den  Germa- 
fcn.  einen  Hauptteil  der  Sigi'ritsage  und  den  Gehalt  mehrerer 
äirchen  [am  nächsten  kommt  das  Märchen  von  „den  beiden 
"ttdem"],  bei  Kelten  einen  Teil  der  Tristausage  bildete.  Ein 
er  Held,  Königssohn  oder  Jäger,  kommt  zu  einer  Stadt,  wo 
e  eine  Königstochter  einem  sicbenkr)pfigen  Drachen  zur  Beute 
LS^esetzt  werden  soll.  Mit  Hülle  eines  wunderbaren,  auf  dem 
^''^:4cketd)erge  vergndjenen ,  oder  daselbst  in  einer  Kapelle  aufge- 
99^n,  edles  erhauende u  Sehivertes,  das  er  eben  vor  Beginn  des 
mpfes  aufßmlet,  und  das  zu  schwingen  vermag,  wer  drei  da- 
en  gestellte,  geftlllte  Becher  austrinkt,^  besiegt  er  das  Unge- 
er,  schlägt  ihm  die  sieben  Köpfeherunter,  schneidet  die  Zun- 
heraus,  wickelt  sie  in  ein  Tuch  und  verwahrt  sie  wohl. 
^Mtt  und  kampfmüde  füllt  er  sammt  der  erlösten  Jungfrau  und 
^*:i  treuen  Tieren,  die  sein  Gefolge  bilden  (Löwe,  Bär,  WoU"), 
Schlaf;  darüber  kommt  der  Hofmarschall  zu,  schlägt  dem 
-lilummemden  das  Haupt  ab,  bringt  die  Jungfrau  zu  ihrem 
^ter  und  giebt  sich  für  den  Sieger  aus.  Ihm  wird  als  Sieges- 
'"^^is  die  Hand  der  Königstochter  zugesagt.  Auf  der  Hochzeit 
^^r  erscheint  der  von  seinen  treuen  Tieren  mit  einer  Lebenswur- 
*i  vom  Tode  ivieder  erweeJUe  Held,  weist  sieh  durch  die  Zungen 
f 'S  deth  echten  Dracheniödtcr  aus ,  und  gewinnt  die  Braut  *     In 


1)  Das  nach  seinem  fruchtbaren  T.ehniboden  [7Tr,lag  vgl.  ndv  J'  fml  rt\ 
^og  fAtilaxiiv  yfOiXotfop  rf  xta  Tidutfunor.  Dicaearch  bei  Müller  F.  hist.  Gr. 
I,  261]  benannte  Gebirge  Pelion  gab  8ta<lt  und  liaudscluift  an  seinem  Fußo 
l^snien.  Iltiltumg  =  'lodxog;  Jhjliti  unil  lltiltit;  die  Stadt,  welche  später 
^fjinctrias  hieß,  ein  einzelner  Kinwohncr  derselben  /hihf-vg.  JftiXfig  für  fJtj- 
»*tV»  wie  Utßti^s  f.  Ih])Ath;  nnd  //tjkui'r.,  Nynijdie,  der  ein  Hain  am  Fuße 
es  Pelion  bei  der  Mündung  des  IJrychnnflusses  goweiht  war  (Dicaearch 
1,  7.     Fr.  60,  7.     Müller.  Fr.  Hist,  Gr.  II,  202}  für  Jffßiaf« 

2)  Erst  als  seine  .Sage  berühmt  wnrde ,  können  ihn  die  Nachbarn  in  der 
'hthiotis  sich  angeeignet  und  zu  ihrem  Könige  gemacht  haben ;  noch  jünger 
st  oft'enbar  die  Anknüpfung  an  Aigina  und  Aiakos. 

3)  Vgl.  Mannhardt  Germ.  Myth.  171.  21G. 

4)  KHM.  n.  m  bf).  E.  Meier  Volksmärchen  a.  {Schwaben  n.  58  S.  204. 
Tgl.  n.  1. 


} 


54     Ka])itel  U.    Die  wilden  Leute  der  griecliisclieii  und  römischen  Sage. 


den  schwedi»chcu  und  norwegischen  Varianten  dieses  Märchens 
crscUägt  der  Held  drei  Meertrollc  sammt  ihren  Händen  »117  Hilfe^^^^ 
seines  einen  oder  seiner  drei  alles  niederreißenden  Hunde  nnS:^^^ 
seines  Schwertes,  welches  ein  ganzes  Heer  auf  einfnäl  zu  Bodem 
streckt ;  er  hat  es  von  einer  Alten  sum  Dank  für  die 
ihres  gestohlenen  Auges  erhalten.  Er  schläft  fiach  dem  Kampß^^^^A 
auf  dem  Schöße  der  befreiten  Königstochter  ein;  ein  Hitter  (odev^^  ei 
Schneider),  der  von  ferne  zugesehen,  will  sich  den  Siegerpreis  st^^ -z^. 
tvendeny  wird  aber  durch  die  ausgestodienen  Zungen  bzhw,  äuqi^  tm. 
äpfel,  oder  die  in  den  Schiffen  verborgenen  Schätze  der  Troir^Ä"*||o 
widerlegt,  Iliemit  im  wesentlichen  stimmt  das  litauische  Märchen  ^en 
vom  hörnenen  Manne.* 

Eine   eigentümliche  Abart    dieser  Sage   bildet  KHM.  n.  ^?"    9i 
,;datErdmänneken.'^    Dazu  vgl.  das  oberhessische  Siglritmärch»  .^cn 
bei  Raßmann  D.  Ileldens.  I,  360  ff.     Der  Held  wird  im  Wal»  ^flde 
durch  ein  Erdmännchen,   dem  er  den  Bart  in  einen  Bautnspi^     alt 
klemmt,  in  die  Tiefe  unter  die  Erde  zum  Aufenthaltsorte  üreSr  ier 
von   einem  sie])enk()])iigcn  Draclien  gefangen  gehaltener  Köni^^K^ 
töchter  gefllhrt.     Er  fimlet  hier  ein  zauherisciws  Schwert,  das  (        Un 
daneben  stehender   Trank   ihn  zu  heben   befähigt y   erschlägt 
Drachen  und  schneidet  ihm  die  Zungen  aus  (Raßmann  I,  S.  36 
Seine  Brüder  bemächtigen  sich   der   befreiten   Jungfrauen, 
lassen  ihn  allein  in  der  Unterwelt  zurück.    Er  entkommt  jede 
von  dort  und  bewährt  sich  mit  den  Drachenzungen  als  den  rc< 
ten  Sieger  und  Bräutigam. 

Auch   KHJf.  101   „der  gelernte  Jäger"   sei   erwähnt.     E=3"i 
Jäger  tödtet  drei  Riesen,  die. in  djis  Schlafgemach  der  im  (zaul 
risehen)  Schlummer  daliegenden  Königstochter   kriechen  woll— 
mit    dem    dnseWst    vorgefundenen    immer    siegreielien    Schwer 
schneidet  ihnen  die  Zungen  aus  und  entlarvt  damit  nach  Jahr 


1)  LUlekort.  Asbjörnseu  Norske  Folke-Evcntyr.  n.  24.  Tr.  Udg.  9 
Silwerhwit  ooh  Lillewucker.  H}it«''n-Caviillius  Scliwed.  Märch.  übers,  v.  Ol 
loitner,  Va.     Der  Halbtroll,  ebds.  IV. 

2)  Schleiclier  Lit.  Lcsobuch  S.  118.    Ders.  Lit.  Märchen   u.  s.  w.    \^^^«* 
raar  1857  S.  4  —  7.     Auf  die  Vcrwiiiidtsehaft  dieses  Märchens  mit  dem  Lr^*!— ^^^ 
vom  hürnen .  iSigfrit  nuiclito  Scliloiohcr  aufmerksam  im  Sitzunpsber.  d.  YT       ^^^- 
Akad.    Octb.  1852,    s.   jotzt    auch  Kdzardi   in   Bartsch   Germania  XX,  ^Ä-57j 
S.  317  flf. 


Die  alte  Peleis.  55 

fijgt  einen  alten  Hauptmann,  welcher  als  angeblicher  Kiesentöd- 
ter  die  erlöste  Juiigi'rau  heimzufllhrcn  im  BegriiT  steht. 

Beim  Haare  (beim  Barte  vgl.  Nib.  4G8)  gefußt  und  an  die 
Sieinwaiid  gedrückt  tllhrt  Zwergkönig  Eugd  den  jungen  Helden 
Seyfiied  zum  Berge,  wo  der  Riese  Kuperan  ein  vom  Drachen 
entführtes  Mägdlein  hütet.  Seyfried  bestellt  zuerst  den  liiesen,  da- 
nadi  cfei»  Drachen,  fällt  dann  (d/er  vor  Ermattung  wie  todt  nieder, 
neben  ihm  die  Jungfrau^  Engel  aber  holt  eine  Ileilwursel  und 
madU  sie  alsbald  gesund  (Lied  vom  Hürnen  Sejiried). 

Bekanntlieh  hat  die  nändiche  ^lythe  auch  in  den  bretoni- 
schen Sagenkreis  von  Tristan  Eingang  gefmiden;  in  Gotirits  (üe- 
dicht  wird  sie  (217,  35  —  272,  8)  in  wesentlicher  Uebereinstimmung 
mit  Eilhart  von  Oberge  c.  10 — 11  und  dem  englischen  Gedichte 
von  Sir  Tristram  H,  21  —  15  ^  folgendermaßen  erzählt.  Ein  Braehe 
sdiädigt  auf  Irland  Land  mul  Leute  der  Art,  daß  der  König  schwört 
demjenigen,  der  ihn  erlege,  seine  Tochter  Isot  zur  Frau  zu  geben. 
Tristan  besiegt  und  tödtet  das  Ungeheuer  nach  langem  gefahrvol- 
len Kampfe,  schneidet  ihm  die  Zunge  aus  und  steckt  sie  in  den 
Busen;  dann  sucht  er  in  der  Wildniß  ein  verborgenes  Flätsclien, 
um  zu  rulicn,  und  wieder  zu  Kräften  zu  kommen;  er  war  so 
ermattet,  daß  er  kaum  leben  konnte.  Der  aus  der  Drachenzunge 
hervorbrechende  Qualm  raubt  ihm  vollends  die  Besinnung,  bleich 
und  regmigslos  liegt  er  wie  ein  Todter  da.  Der  Truvliseß  des 
Königs  fimlet  den  Körper  des  Drachen,  und  versetzt  demselben 
3inige  Hiebe;  nachdem  er  vergeblich  nach  Tristan  gesucht,  um 
ien  Ermüdeten  zu  erschlagen,  nimmt  er  tds  Drachensie4jcr  die 
^athd  der  jungen  Königin  in  Anspruch,  Doch  die  Königinnen, 
söt  und  deren  Mutter,  schenken  seiner  Prahlerei  keinen  Glauben, 
ie  besichtigen  mit  Gefolge  den  Kampfplatz  und  entdecken  den 
mscJieinend  entseelten  Tristan,  meinen  anfangs,  der  Trucliseß 
\abe  ihn  ern^rdet,  rufen  ibn  dann  aber  durch  Entfernung  der 
Jrachenzunge  und  Einflößung  eines  Theriaks  (aus  Pflanzen  und 
lonig  bestehenden  Gegengiites)  ins  Lel)en  und  Bewußteein  zurück. 
^on  den  Frauen  heimlich  ins  Scliloß  geführt,  wird  er  dem  seine 
Belohnung  einfordernden  Truchseß  als  Käm])e  gegcntlbergestellt, 
der  durch  die  vorgewiesene  Drachenzunge  des  Betruges  übcrf'ührt 
den  Zweikampf  aufgiebt. 


1)  Vgl.  K.  Ueinzcl  in  Zs.  f.  D.  A.  X.IV,  410. 


56     Kapitel  II.    Die  wilden  Leato  der  griechischen  und  römischen  Sage. 

Mehrfach  hat  der  Dracheiikampf  ein  Vorspiel  oda^  ein  Nach' 
spiel  von  gleiclier  Bedeutung.      Bei  Meier   a.  a.   0.   n.  29  S.  101 
erlöst    Hans    mit    Hilfe    einer   Zauberflöte    eine    Prinzessin   im&. 
Walde  naeheinander  von  drei  Riesen,  de^ien  er  die  Zungen 
Augen  nimmt.     Naciideni   er  sicli  durch  diese  als  den  wahrei 
Riesenerleger  legitimiert  bat,  soll  er  die  erlöste  Prinzessin  nich\«:^ht 
eher  heiraten ,    bis  er  in  Ymem  verwünscMen  Kloster  geschlafe 
worin   dreisehn  Teufel  hausen^.     Er  tödtet  auch  diese  und 
König.  —    In  einer  neugriecbi'scben  Erzählung^  findet  man 
Märchen  vom  Erdmänueken  und   von  den  beiden  Brüdern  ver  ^ver- 
bunden.     Der  Prinz  erschlägt   mit  dem  Zauberschwert  in  d^^Her 
Unterwelt  den  drei  goldige  Jungtrauen  bewachenden  Drachens  :^of 
nachher  von  seinen  Brüdern  daselbst  im  Stich  gelassen  tödtet  »        er 
eine   zwöIitLöptige ,    brunneuverstopl'ende    Sehlange  y    wdche  jem-^ssde 
Woche  ein  MädcJien  frißt,   nachdem  er  zuvor  auf  dem  Schoft  -^ße 
der    dem    Ungetüm    als     Opfer    herausgeiilhrteu    Königstocht^Jlr  tcr 
gesMafen  Juit,     Ein  Mohr  giebt   sich  ilir  den  Sieger  ans,   wii.  "^rd 
aber  vom  Helden  durch   Vorweisung  der  Dradietizungen 
legt.     Aus  einer  Verbindung  der  nämlichen    beiden  Sagenstor 
besteht  auch  Schott  wal.  Märch.  n.  11  S.  144.     Petru  Firitsch» 
gelangt,  einem  daumenlangen  Zwerge  folgend,  den  er  beim  Bai 
erwisclU  hat^  in  eine  tiefe  Höhle,  wo  ihn  seine  Brüder  im  Stic== 
lassen.      Hier  erlegt  er  mehrere  Drachen,    später  noch   eL 
einen    zwölltöpfigen    Drachen,    dem    eine    Kaiserstochter    zu^^iun 
Fräße   dargebracht  wird.     NacMem  er  die  zwölf  Zungen  aus^^J^' 
schnitten  y    wird  er ,   auf  dem  Schoß  der  Jungfrau  eiitgeschlaf^   ^"^» 
omh  einem  Zigeuner  gdödtet;  aber  durch  ein  heilkräftiges  Schlc^^^^ 
genkraut  wird  er  wieder  ins  Leben  zurückgerufen,  —  Nach  Ha^E^^" 
rieh  (Siebenbirg.  Märch.  n.  24  S.  127  flf.)  tödtet  ein  Knabe  mit^-^  ^ 
wunderbaren  Hunden  in   einer  Räuberhöhle,    wo  er  ein  Zaubm  mTier- 
Schwert  findet,  sechs  Räuber  (Abschwächung  von  Riesen);  spä-^^^' 
kommt  er  zu  einer  Stadt,  wo  er  eine  Königstoe/Uer  vom  sidm' 
köpfigen  Drachen  erlöst,  aber  von  dem  Schweife  des  sterbenc-i 
erschlagen   wird.     Die   Hunde   erwecken  ihn   mit  Lebenswai 
Die  Lügen   des  Kutschers  werden  durch  die  Drachenzungen 
solche  dargetan.  —  Haltrich  u.  22  S.  112  verbindet  KHM.  n.^ 
und  n.  60.     Der  Held  erlegt  einen  Löwen,   einen  Bären,  ei 


1)  Hahn  Griccli.  u.  alb.  Märchen  n.  70   Bd.  II.   S.  49  flf. 


Die  alte  Peleis.  57 

Wolf  und  schmidct  ihnen  die  Pfoten  ab;  heniach  tOdtet  er  mit 
lern  WuDschschwert  drei  Hünen,  weiclie  ins  Schiafgeniacli  der 
Königstochter  kriechen  wollen;  er  schläft  bei  der  Maid  und 
immt  als  Wahrzeichen  die  Hiluenznngen  mit.  Durch  Pfoten  und 
#aiigen  bewährt  er  sich  späterhin  als  Sieger. 

So  kämpft  auch  Sigfrit  im  Liedc  vom  hürnen  Sigfrit  zuerst 
lit  dem  Riesen  Kuperan,  dann  mit  dem  Drachen.  In  KHM. 
1.  60  und  Varianten  folgt  dem  Streite  des  Helden  mit  den 
)rachen  (Trollen)  häufig  als  Nachspiel,  daß  eine  Hexe  (oder 
dännlicher  Troll,  des  zuvor  Getödteten  Bruder)  den  Helden 
Mein  in  einen  Wald  lockt ,  durch  List  der  Hilfe  seiner  Tiere 
»eranbt  und  tckltct,  worauf  derselbe  aber  durch  Lebenswasser 
neder  erweckt  wird. 

Unverkennbar  wird  durch  die  Uebejeinstimmung  mehrerer, 
D  der  gleichen  Reihenfolge  mit  einander  verbundener  Züge 
Kampf  gegen  Ungeheuer  auf  einem  Berge,  Erlangung  eines  sieg- 
lal'ten  Zauberschwertes  im  x\ugenblickc  des  Kampfes,  Ausschnei- 
len  der  Zungen,  Bewährung  als  Sieger  durch  dieselben.  Schlaf 
luf  dem  Kampfplatz)  die  Identität  der  erwähnten  Märchen  und 
Seidensagen  mit  dem  Abenteuer  des  Peleus  dargctiui;  am  deut- 
jchsten  tritt  die  Verwandtschaft  der  Traditionen  wol  bei  der 
rristansage  hervor.  Ebenso  unverkennbar  ist  der  Umstand,  daß 
iie  griechische  Sage  teils  unvollständig,  teils  in  sehr  abgeschwäch- 
ter, den  ursprtingliclien  Zusammenhang  verrückender  Form  über- 
liefert ist. .  Die  wilden  Tiere,  zu  deren  Bekämpfung  der  Held 
eines  überall  sieghaften  von  Hephäst  geschmiedeten  Dolchmessers 
benötigt  ist,  hat  man  unzweifelhaft  als  übernatürliche,  dämonische 
Wesen  zu  denken,  dem  ganzen  Lande  oder  dem  Königshause 
schädlich;  wie  hätten  die  Ilöfiiuge  sonst  ein  so  großes  Interesse 
daran  gehabt,  sich  die  Beute  zuzueignen V  In  der  griechischen 
Sage  treten  mehrfach  andere  Tiere  in  der  Rolle  auf,  welche  sonst  ^ 
der  Drache  spielt.  Anipliitryo  zieht  gegen  den  Teumcssischen 
Fuchs  aus,  den  Niemand  ergreifen  konnte;  jeden  Monat  nmßten 
die  Thebaner  dem  Tiere  einen  Knaben  vorwerfen,  das  sich 
durch  Zerreißen  Vieler  zu  entschädigen  suchte,  wenn  einmal  die 


1)  Vgl.  z.B.  Kyclirciis  wird  König  von  Salamis,  weil  er  oine  unge- 
heure Sclilango  107/1'  i'Trf-ntfiijid/nfytfh)^),  welche  die  Einwohner  verschlang, 
siegreich  bestoht.    Ai)ollod.  III,  12,  7.     Diod.  Sic.  Bibl.  IV,  72. 


58     Kapitell!.    Die  wiMeii  Leute  der  griechiRchen  und  römischen  Sage. 

bestimmte    Lieferung   unterblieb.      Der  Held  gewinnt    fttr  sein 
Unternehmen  den  Beistand  des  Kephalos  oder  vielmehr  de»  dem- 
selben gehr)rigen  Hundes,    der  alles,   was  er  vertblgt,   ergreifen 
muß.  ^     Hier  ist  der  Fuchs  ein  genau  zutreffendes   Gegenstttck 
zu  dem  Drachen  (oder  Troll) ,  der  alle  Jahr  eine  reine  Jungfrau 
haben   nmß ,    sonst  venvüstet  er  das  ganze  Land  (KHAf .  n.  60) 
oder   verzehrt  täglich   einen  Ghristenmenscheu  (Basile  Pentame — -^^jö 
rone  1,  7,  7.    KHM.  III  ^,  21)2),   der  Hund   des  Kephalos  abcn 
zu  dem  unwiderstehlichen  Hunde,  der  dem  Helden  unseres  Mär- 
chens beim  Kampfe  Beistand  leistet.  ^    Es  ist  deutlich ,   daB  deK  ^^  Jle 
Mythus  in  der  überlieferten  Gestalt  der  Amphitryonsage  nicht  zcp^bt   » 
Ende  gebracht,  sondern  von  einem  rationalistischen  Erzähler,  der^^JHe 
(mißverständlich)    die   gleiche,    wunderbare   Eigenschaft    beide^^^Ee 
Fabeltiere  nicht  zu  reimen  wußte,  durch  Annahme  ihrer  VersteiC^s^^i 
nerung  mitten  durchgeschnitten  ist.   Die  Sage  vom  Teumes8ischeK^>  Mei 
Fuchs    war   in    unverstümmeltem    Zustande    eine   Variante   vor^z^^oi 
KHM.  n.  60.  Für  die  Peleussage  erwächst  aus  dieser  Wahmehmon^  m::k  jog 
der  Gewinn,  daß  wir  in  ganz  analoger  Weise  die  Jagd  auf  deinr^^m 
Pelion  als  Kampf  mit  einem  Ungeheuer  in  Gestalt  eines  wildere» ^en 
Tieres  aufzufassen  uns  l)ercchtigt  sehen,  welches  wol  auch  LandeeiB  ^^s- 
kinder  zum  Fräße  verlangte.   Nach  diesen  Darlegungen  wird  du -tue 
Vermutung  berechtigt  sein,  daß  der  Schlummer,  in  den  Peleus  fäll  K  MJltf 
in  der  älteren  Tradition   unmittelbar  auf  den  Kampf  folgte  VLUMim^  Jnd 
durch  die  ErmiUlang  in  Folge  desselben  motiviert  wurde.    Dai*«*^:  •»'» 
lo^ird  er  auch  von  einem  neidischen  Höflinge  im  Scidaf  gctödtet  aiiÄ^-^wi 
durch  Chciron  mit  einer  lleilivxirzel  wieder  ins  Leben  zurückgerufen:^ "yfcn 
sein ,  und  jetzt  erst  durch  Vorzeigung  der  Zungen  sieh  als  Siegen  Z^^^ 
erwiesen  haben.    So  ivird  es  erklärlich,  wie  mmi  dazu  kam,  «fek-^a^St?» 
Kräuterkenner  Cheiron  in  dieser  Sage  eine  Rolle  zuzuteilen;  ir-^^^^sr«r 
treffen    hier   äugen  scheinlich    auf  den  Ausgangspunkt   und  dt^^^^^ 


1)  Apollod.  II,  4,  fi.  7.     Pausaii.  IX,  19.  1.     Suid.  Ttl^iata. 

2)  S.  Millionhoff  Sdileswi;,' -  holst.  Sa^'.  n.  20  S.  452.  Hylten-Cavall»  Miliw 
Schwcd.  Märch.  üIkts.  v.  Oberloitncr  n.  4  S.  G4  ff.  Basile  Peutamerone  ^s^  1, 
I,  7  u\     KHM.  Iir-^.  21>2.     In    doii   mcistoii  Voröionon   siod   es  ^rax  VL^m=^nik 

(z.  B.  HyU.n-ravalliu.^  a.  a.  O.  V,  8.  78 ff.     Haltrioh  Siobonbirg.  Märch.  d. ^^ 

»S.  127  ff.'   ihit   Namen    wie  Haltan,    Groifan,  Brich  Eisen  und   Stahl.    Z^^^BM. 
III3,  101.     Haltt'ost,  Heil!  zusammen,  Horch.     Hylten-Cavallius  XIII,  235=^=^i8: 
Vgl.  Mannliardt  Gorm.  Myth.  174.  21G. 


( 


Die  alte  Peleis.  59 

2Uusier  für  alle  weiteren  Erzählungen  von  den  FreumkcJuiflser' 
Ufeisufigen  des  Clwiron  gegen  Fdeus;  ja  die  größte  Wahrschein- 
iichkeit  sjnricIU  dafür,  diiß  iv/r  Imr  die  einst  hochher ahmte, 
9j9dter  verschollene  Sage  aufgefunden  haben,  welche 
Cheiron  seihst  den  Namen  gab,  (s.  o.  Ö.  40).  Doch  schon 
Ulf  thessalischem  Boden  hat  die  Sage  ihre  (vorhin  8.  50  dar- 
^legte)  Neigung  zur  Verstärkung  durch  gleichbedeutende  Vari- 
auiten  bewährt,  indem  sie  Peleus  einen  zweiten  Kampf  und  zwar 
mit  den  Unholden  des  Gebirges ;  den  Kentauren,  bestehen  und 
in  Folge  dessen  m  der  bisherigen  Fabel  die  erlbrderlichen  Aen- 
demngen  eintreten  ließ.  Als  Peleus  schlief,  bemächtigte  sich 
Akastos  seines  Zauberschwertes  und  legte  sich  in  einen  Hinter- 
halt,  um  ihn  damit,  sobald  er  aufwachend  es  suche,  zu  ermorden. 
Bald  aber  überlegte  er,  daB  es  genügend  sei,  ihm  das  Schwert 
zu  verstecken,  und  die  Vernichtung  des  Wehrlosen  dem  Angriffe 
€ler  wilden  Bergkentauren  zu  überlassen.  Diese  konnnen,  und 
sind  im  Begriffe  ihn  zu  tiklten,  aber  Cheiron  wehrt  den  Tod  von 
mhm  ab.  Diese  Auffassung  scheint  mir  als  diejenige  der  alten 
J^eleis  aus  der  Combination  der  beiden  Dichterstellen  Ilesiod 
TFragm.  Cx.   (s.  o.  S.  50)  und  Pindar  Nem.  IV,  95: 

Tu  A'((i(h'd(o  tU  u«y(({tm 

Vix  Afi/or  ffikitio  ntcTg. 
l4la).xt^  tU   XkCimv. 

Tiervorzugehcu.  Hier  ist  der  Tod  des  Peleus  in  ein  Bedroht- 
virerden durch  Akastos  abgeschwächt  (Vgl.  Tristan).  Die  Her- 
Einziehung  der  Kentauren  setzt  den  noch  lebendigen  Volksglau])en 
voraus,  daß  der  waldige  Rücken  des  Pclion  von  den  menschen- 
mörderischen Berggeistern  bewohnt  sei.  Das  zweite  Buch  der 
Ilias  ist  schon  der  Widerhall  einer  grübelnden  Zeit,  welche  den 
Widerspruch  zwischen  der  hellen  historischen  Wirklichkeit,  dem 
Nichtvorhandensein  der  Kentauren  auf  diesem  Local,  und  der 
Sage  durch  Annahme  ihrer  Vertreibung  auf  den  Pindus  nationa- 
listisch auszugleichen  suchte,  gradcso  wie  der  norddeutsche  Bauer 
vermeint,  daß  der  alte  Fritz  die  Zwerge  ül)er  das  schwarze 
Meer,  Napoleon  und  seine  Franzosen  die  Kabautermännchcn  oder 
auch  allen  Spuk,  Gott  weiß  wohin,  aus  dem  Lande  getrieben 
haben.  * 

1)  Kuhn,  Xordd.  Sag.  ii.  1H9,  2.    S.  1G3  nebst  Anm. 


) 


60    Kapitel  II.  Die  wilden  Leute  der  griechischen  und  römischen  Sage. 


Vom  Tode  wieder  auferweekt  wird  Peleus  der  echten  Sage 
gemäß  allein,  als  einzeluer  Held  nach  Jolkos  gezogen  sein,  die 
Zungen  vorgewiesen  und  Rache  geübt  haben.    (Vgl.  o.  S.  50). 

Der  Verfolg   des  Epos   schließt   nun   eine   andere  auf  das 
Leben  des  Peleiis  übertragene  echte  Volkssage ,  die  Heirat  des 
Helden  mit  der  Thetis,   an.     Noch   heute    wird   dieselbe  Sage 
auf  Kreta   von   den   Ncraiden   erzählt,    welche   die   Stelle  der 
antiken  Nymphen,   unserer  Elfen ,   einnehmen.     In   der  Eparchie 
Pediada  befmdet  sich  eine  Höhle  6  ^'egaYdoc/iijlog  genannt ,  der 
ein  klarer  Quell  entströmt.    Hier  pflegten  die  Neraiden  zu  Zeite; 
nachts  nach  der  Musik  zu  tanzen,  welche  ein  Bursch  ans  Sgoa 
rokephali  aul'  der   Laute  machte.     In   eine  von   ihnen   verlieb 
faßte  er  einst,  von  einem  alten  Weibe  unterwiesen,  als  morgens 
der  Habukrat  nahte,  die  Ersehute  bei  den  Haaren  und  hielt  sii 
fest,   obwohl  sie   sich  in  einen  Ilwid,  eine  Schlange,  ein  Ka^ 
nieel  und  in  Feuer  verwandelte,  bis  der  Hahn  krähte,   und  di^ 
übrigen  Neraiden  verschwanden.    Da  iiahm  sie  ihre  niei 
Gestalt  wieder  an  und  folgte  ihm,    gebar  ihm  auch  einen 
sprach  aber  nie  ein  Wort,  *  bis  der  Gatte  einst  3Iiene  machte 
Kind  in  den  Backofen  zu  werfen.    Da  verschwand   sie  mit  de 
Knaben.  ^ 

Die  nachfolgende  Erörterung  wird  erweiseu,  daß  wir  in  d^^Hi^^r 
kretischen  Erzählung  nicht  einen  Nachhall  der  Brautwerbung  di^^i^h^s 

Pclcus  sondern  einen  Elfenmythus  vor  uns  haben,   von  welche ^^ii 

auch  die  antike  Heldensage  nur  Localisicrung  war.     Schon  d le 

Alten  bemerkten  die  Vcnvandtschatt  unserer  Thetissage  mit  d^^i*^3n 
Verwandlungen  des  Proteus,  des  Meergreises,  der  aus  d^^iEH^n 
Fluten   gestiegen,   von   Jfenclaos  festgclialten,   in   einen  Löwe  ^h 


1)  Audi  »licscr  Zu<j^  (s.  o  S.  52)  ist  echt  und  alt.    Nach  einer  englisc! 
Sage,  welche  Walter  Maj»,  der  Freund  Königs  Heinrich  II.,  in  seiner  zwiscl 
1180  — 1193  verfullten  Schrift   ini^ac  curialium   von   dem    hcrühmten   aog — 
sächsischen  Kitter  Edric   dem    Wilden  (Lappeubcrg  Gesch.   Englands  II, 
erzählt,  hat  derselbe  im  Walde  tiinzende  Waldfrauen  belauscht,  eine 
selben  ergritTon    und  nach  lanirem  Kampfe  siegreich  mit  sich  fortgegcble|: 
Drei  Tage   ii^t  sie  ihm   vJdlig  zu  Willen,   spricht  aber  kein  Wort, 
vierten  öffnet  sie  den  Mund,  um  ihn  mit  holdseliger  Rede  zu  grtißen  und  i 
Glück  zu  verheißen,  so  lange  er  sie  nicht  schelte.    Als  er  dieseiast^ 
Uebereilung  tut,   ist  sie  verschwunden.     S.  G.  Philipps  Walter  Map.    W^M,eo 
1853.    S.  <;7.     Vjpl.  Bk.  IIG. 

2)  B.  Schmidt,  Volksleben  der  Neugriechen.    Lpzg.  1871.    S.  115 ff- 


I 


Die  alte  Poleis.  61 

^rddy  Dracheny  Eber,  in  Wasser,  Fiuersglut  und  einen  Baum 
lieh  umgestaltet,  bevor  er  sieh  ergiebt,  und  au8  dem  Schatze 
lemes  Wissens  die  an  ihn  gestellten  Fragen  l)eantwortet.  (Odyss. 
V,  365  —  570).  In  einer  v<m  Pherekydes  ausgezogenen  Heraklee 
iel  dem  Nereus  diesell>e  Rolle  zu.  Dem  nach  den  goldenen  Aepfeln 
tUBziehenden  Herakles  offenbaren  die  Nymphen  des  J^eus  und  der 
Phemis  am  Eridanos,  wie  er  den  Nereus  im  Schlaf  ttberraschen, 
md  obwohl  derselbe  in  Feuer,  Wasser  und  allerlei  (iestalteyi 
rieh  foandelt,  fesseln  krinne.  Nereus  zeigt  dann  den  Weg  zu  den 
Elesperiden.  (Apollod.  H,  5,  11,  G.  Cf.  Pherek.  Fragm.  30. 
j^Ottling.  Schol.  Apollon.  4,  139,  G.  Hier  ist  bewußte  Nachahmung 
m  Spiel.  ^)  Eine  andere  antike  Variante  dieser  Sage  kntiptl  sich 
IQ  Dionysos.  Von  ihm  berichteten  die  'ETtQotovfteya  des  Nikander 
y^ei  Antonin.  Liber.  Praef.   10),    die   Töchter    des   Minyas   von 


1)  Nar  eine  spätere  Uebertragung  aus  Analogie  der  Sagen  vom  Proteus 
und  Tlietis  mochto  ich  auch  in  derjenigen  vom  Achelous  erkennen,  nach 
«reicher  der  Flußgolt  im  Ringkampfe  um  Dcianeini  mit  Herakles,  sich  in 
BiiMn  Stier,  eine  Schlange,  einen  Mann  mit  Stierhaupt  wandelt, 
irobei  ihm  der  Gegner  zuletzt  ein  Hörn  abbricht.  Soph.  Trachin.  18  ff.  (Vgl. 
Dvid  Metam.  JX,  8 — 80  nach  Nikanders  Metamorphosen  oder  dessen  Aetolica). 
Denn  bei  ApoUodor,  der  vielleicht  auch  hier  wie  vielfach  aus  Pherekydes 
schöpft,  und  bei  Hygin  ist  noch  die  ältere  Gestalt  der  Sage  erhalten,  daß 
Achelous,  der  gemeinen  Vorstellung  von  den  Flußgöttern  entsprechend,  sich 
in  einen  Stier  und  nur  in  diesen  verwandelt.  Apollod.  II,  7,  5.  Hygin 
fab.  31).  Onehin  verrat  sich  die  ganze  Geschichte  dor  Dcianeira  in  jedem 
Zage  als  das  gekünstelte  Machwerk  eines  nachhesiodeischen  Herakleen- 
dichters,  der  das  Wesen  der  in  den  älteren  Heraklceu  als  Gegner  des  Zeus- 
sohnes auftretenden  Kentauren  mißverstand  und,  um  seine  Vorgänger  zu  über- 
bieten, die  Geschichte  vom  vergifteten  Hemde  erfand,  den  Kentauren  ganz 
gegen  dessen  Natur  in  «ler  Rolle  eines  Flußgottes,  als  eine  Art  Wate,  tatig 
gein  ließ  un<l  mit  einem  wahrscheinlich  lediglich  aus  Hesiod  (Theog.  341) 
entlehnten  Flußnamen  beschenkte.  In  der  alten  Sage  vom  Tode  des  Hera- 
kles war  dessen  Verbrennungsto«!  noch  nicht  durch  dio  Qualen  des  Nessus- 
hemdes  motiviert.  Vgl.  auch  Jacobi  Myth.  W.  B.  31^G).  Daß  auch  die  Dichtung 
der  Kyprien,  Nemesis  habe  vor  Zeus  in  verschiedene  Gestalten  sich  gewandelt, 
die  Erzählung  eines  hesiodeischen  Fragments,  Poseidon  habe  seinem  Sohne 
Periklymenos  die  Gabe  der  Metamorphose  in  alle  Tierarten  verliehen,  endlich 
die  ganz  junge  Ausschmfickung  der  Ery  sich  thonsage,  des  Hungernden  Tochter 
habe,  um  diesem  Unterhalt  zu  schaffen  und  durch  ihren  Liebhaber  Poseidon 
dazu  beföhigt ,  in  den  verschiedensten  Verwandlungen  sich  selbst  verkauft, 
daß  alle  diese  Angaben  aus  den  Sagen  von  Thctis  und  Proteus  verstandes- 
uMig  abgeleitet  sind,  bedarf  wol  keines  Beweises. 


G2    Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  griechi sehen  und  römischen  Sage. 

Orchomeuos  widersetzten  sieb  der  Einftihrung  des  Bakehosknlts, 
bis  Dionysos  selbst  in  Gestalt  eines  Mädcbens  vor  sie  trat  mit 
der  Ermabuung,  die  Weibeu  des  Gottes  niebt  zu  vernachlässigen. 
Als  sie  darauf  niebt  acbtetcn,  erachien  ihfwfi  der  Gott  in  vinsckicde- 
tien  Oestcdten  (ds  Stier,   als  Löwe  uml  Panthtr  und  von    ihrem 
Webstuhl  Hoß  Nektar  und  Milch.     Erschreckt  beschlossen  sie  den^rx-^^en 
Gott  durch  ein  Opfer  zu  versöhnen.    Das  Loß  zerrissen  zu  werdenrs^^  en 
traf  Leukippes   Sohn.   —   Offenbar    sind  auf  dem  langen 
vom  Ursprünge  bis   zu   Nikaudcr  einige   sehr  wesentliche 
abhanden  gekommen.     Wie  Thetis  und  Proteus  nur  durch  Zwsa^Mwman 
festgehalten  sich  in  so  und  so  viel  Gestalten  wandeln,  wird  ancI^^>M::aiel 
Dionysos   in   seiner  Verkleidung  von   den  Minyaden  fcstgehalter^^kCt^Jtei 
seiU;  um  seinem  schwärmerischen  Rasen  als  Bakchantin  Einliar,fl^M:Jial 
zu  tun;  und  auch  die  Reihe  der  Metamorphosen  läßt  mehrere  vec^^^^rer 
missen ,  welche  sonst  nicht  zu  fehlen  pflegen.    Diese  Ansicht  wir»  r-^ri 
vollkommen  bestätigt  durch  eine  Variante  bei  einem  älteren  SchrifJ^.ff-wift- 
steller,  in  den  Bakchen  des  Euripides.    Pentheus  will  dem  tiac^^s^^aeh 
Theben  geJcomnienni  Dionysos  Fesseln  anlegen;  plötzlich  sieht  ^        z  er 
einen  Stier  vor  sich;    er  wirft  ihm  Schlingen    über  Knie    aürv .flcnnd 
jKlau'n,    da  leuchtet  Feuer sciwin  und   scheinbar  steht  das  gansM^mze 
Haus  in  Flammen,  vergeblich  wird   es  von  oben   bis  unten  nB^msr^rmit 
Wasser  heyossen]  nun  stellt  sich  wieder  D/on?/.<J05  den  Augen  d^^t^des 
Königs  dar,  der  sticht  nach  ihm,   doch  fährt  das  Schwert  dur^-:«:  :reh 
leere  Luft.     Endlich  stürzt  Bakch<>s  zomgemut   das   ganze  Ha  .^^s-nus 
in  Trümmer.     Wage  nimmer  ein  Sterblicher  wider  einen  Gott  r  zu 

kämpfen!  Noch  vollständiger  zählt  v.  1015  die  in  der  Sa^^-Äigc, 
welche  Eurii)ides  frei  benutzte,  aufgenannten  Verwandlungen  ar-^^sauf. 
Der  Bakchcnchor  ruft  beim  Herannahen  des  Pentheus,  der  d»-fc^deu 
Mänaden  Einhalt  tun  will,  dem  Gotte  zu 

*Pi(vrjx'h  T((uo(ig,   fj  71  oXvxo(tr6g  y'  iJfh' 

Erschein'  als  Stier,  erschein'  viclhanptig  anzuscliaun 
Ein  Draeh'  und,  in  strahlender  Glut 
Das  Anlitz,  ein  Leu  I 

In  Gedichten,  die  Nounus  ausschrieb  (40,  41),  wechselte  Dionyss      ^^ 
als  Untier y  Feuer,  linum  und  Wasser.    In  allen    diesen  Ueb^c_3er- 
lieferungen   begegnet  uns  ein  geisterhaftes  Wesen,  welches  ^^'^ou 
einem  Sterl)lichen  zu  diesem  oder  jenem  Zwecke  festgehalten  a-^«/cA 


i 


Die  alte  Peleis.  63 

demselben  durch  mehrere  MeUimorphosen  iu  Tiere,'  zumal  eine 
Schlange  (Thetis,  Neraide,  Proteus,  Dionysos),  Fetwr  und  Wasser 
za  entziehen  sucht  und  entweder  den  Bann  bricht,  oder  sich 
e]f;eben  muß  und  nun  auf  einige  Zeit  leibhaftige  Menschengestalt 
imd  Menschentum  annimmt. 

Den  griechischen  Traditionen  treten  interessante  nordeuro- 
piische  zur  Seite.  So  oft  Janet,  Gräfin  von  March,  an  einer 
gewissen  Quelle,  neben  der  sie  einen  weißen  Zelter  stehen  sieht, 
Basen  pflückt ,  erscheint  der  Kitter,  dem  das  Roß  gehört,  und 
verbietet  ihr  das  Pflücken  [der  Rosenstock  ist  die  Hülle  seiner 
Seele].  Sie  liebt  ihn  und  wird  von  ihm  Mutter.  Er  giebt  sich 
ihr  als  Tamlane,  Cfraf  von  Murray,  zu  erkennen,  der  als  acht- 
jähriges Kind  von  den  Elfen  geraubt  und  mit  Abstreifung  von 
Leib  und  Gliedern  zu  einem  der  Ihrigen  gemacht  sei.  Alle  sieben 
Jahre  ziehe  er  mit  den  Elfen  zur  Hölle,  wo  der  Teufel  ein  Opfer 
verlange ;  in  der  nächsten  Mainacht  sei  er  dazu  ausersehen.  Janet 
könne  ihn  retten,  wenn  sie  soviel  Mut  und  Liebe  besitze,  ihn 
den  Ellen  zu  entreißen.  Sie  solle  um  Mittemacht  den  Zug  der 
Blfen  erwarten.  Sie  werde  ihn  dann  an  gewissen  Zeichen  er- 
cennen,  vom  weißen  Bosse  herabzieJ^en ,  sie  werde  ihn  in  ihre 
4.mie  sclüießen  und  dürfe  ihn  nicht  daraus  loslassen,  wenn  er 
tich  auch  nacheinamler  in  Schlange,  Molch,  Feuer  und  glühendes 
Eisen  verwandele.  Er  tue  ihr  nichts  zu  leide.  Dann  möge  sie 
hn  in  ein  Faß  mit  Milch,  und  nachher  ins  Wasser  werfen,  aber 
iocb  da  noch  festhalten,  denn  er  werde  zu  einem  Aal  und  einer 
Kröte,  sodann  zu  einer  Taube  und  zuletzt  zu  einem  Schwan 
iverden;  hierauf  aber  müsse  sie  ihren  grünen  Mantel  über  ihn 
werfen,  denn  er  werde  nun  wieder  ein  Mensch  und  nackend 
)eiii;  wie  er  zur  Welt  gekommen.  Als  Janet  dieses  alles  buch- 
stäblich erfüllte,  bekam  sie  ihren  Tamlane  wieder,  die  Elfen- 
königin aber  ließ  aus  dem  Gebüsche  ihre  lauten  KLogen  über  den 
STerlust  des  schönen  Jünglings  ertönen.  Dies  der  Inhalt  einer 
schottischen  Ballade.^  Eine  andere  Fassung  der  Ballade  enthält 
nur    die   Verwandlungen    in   eine   Eisscholle,    Feuer,    Schlange^ 


1)  Die  Stiorgestalt  wird,  so  scheint  es,  beim  Dionysos  allein  erwähnt. 
Das  hän^  offenbar  mit  seinem  f,'cwöhnliehen  Beinamen  Stier  oder  Stier- 
gestaltiger {raüQog,  rnroouooffoq)  zusammen  und  ist  von  diesem  in  die  oben 
l)ehandelto  Verwand lungsfabel  hineingetragen. 

2)  W.  Scott  Minstrelsy  of  Scottish  borders  T.  11,  p.  193. 


64    Kapitel  II.   Die  wilden  Leute  der  griccbiRchcn  und  römischen  Sage. 

Schwan,  *  —  Nah  verwandt  Hiiid  die  vielen  deutschen  »Sagen  voin»-^ 
der  schatzhütenden  weißen  Frau  oder  Jungfrau ,  deren  ErlGsoD^^  ^^g 
d.  h.  dauernde  Rückkehr  zur  Menschengestalt  und  zu  menschlicher  ^^^er 
Art  und  Lebensweise  (Grinnn  D.  S.  I,  S.  17.  n.  13)  davon  abhängttf^^^gt 
daß  ein  reiner  Jüngling  sie  dreimal  küßt,  obwohl  sie  sich  wähKr^'^jt^ii 
rend  dessen  in  fremde  Gestalten,  Sc}d<in<)e  (Drache),  Kröte  (FrosclMLC^^mch 
resp.  Jmiiffrau,  Bär,  Ochse  (Kuhn  Westf.  Sag.  I,  242,  276)  ode^J^Bde 
Frosch,  Wolf,  Sehlnngc  (MüUenhoff  Schleswigh.  Sag.  S.  580,  597V  ^^7 
oder  Frosch,  Schlange,  Feuerdrache  (Baader  I,  S.  198)  W(inMfk^%r^i. 
In  den  meisten  Sagen  mißlingt  die  Erlösung. 

Am  auffallendsten  ist  es  jedoch,  daß  sogar  der  Eintritt  jed£»^de 
menschlichen   Seele   in   die  Leil>lichkeit  von  den   nämlichen  V*^     Er 
scheinungen  begleitet  gedacht  wurde.     Ungetaufte  Kinder  werd«  f»*dei 
im  heutigen  Griechenland  die  Knaben  Drache  (ßganog,  d^'xoircrar^  -ag)^ 
die  Mädchen  Drachin  (ßQaxatva,  dgaiiovla,  dQoxovtiaaa)  gcnanr  rnnrnint- 
man   muß   bei   ihrem  Anblick    sofort  ausspeien  und  KnoblaiKar  ^ncli 
sagen,  ^  wie  man  zu  tun  pflegt,  um  Behexung  abzuwenden,  al'  ■L-alles 
empfangene  Schlimme  von  sich  auszustoßen.     Die  aufiUUige  l^C    Be- 
nennung erhält  ausreichendes  Licht  durch  die  Angaben ,   welcz^  icfae 
der  Freiherr  J.  W.  Valvassor  zu  Wagensperg  in  Crain  in  seinK'  iner 
Ehre  des  Herzogtums  Crain  1689  uns  über  den  Aberglauben        -j  in 
seiner  Heimat  hinterlassen  hat.     „In  einem  gewissen  Distrikt  ^^    aof 
dem  Karst,  oder  an  der  Poig  hat  sichs  zuweilen  zugetragen,  d.  .-■aß, 
wann    es    mit    einem    schwangeren    Weibe    bis    an    die   Gclr  ^■»nrt 
gelanget,  anstatt  eines  Kindes  eine  Schlange  von  ihr  gekomm-   ^en. 
Solche  Schlange    wird   mit   Ruten  gestrichen   und  in  ein  SclÄrJiaff 
voll  Wasser  getrieben  (welches  zu  dem  Ende  mitten  in  die  StnL  ^■>en 
hingesetzt  ist)   und  mit  Kutenstreichen  so  lange  angehalten;   .         ^'^ 
sie  in  das  Wasser  geht.    Alsdann  soll  man  allerlei  Handw^erÄ^^er 
und   sonst   auch  Leute,    oder  vielmehr   Aemter   der  Leute  u-^und 


1)  Aytoun   Ballads    of    Scotland   I,    p.  7.      Allingliam    Ballad-B^  ^ook. 
K.  Kiiortz  Schott.  Bulladon.     S.  51. 

2)  Vgl.  Mytb.«.    1)21.    Wolf  Bcitr.  z.  D.  Mytli.  II,    247.    Rochhoh      ^  7.^^. 
f.  D.  Myth.  IV,  289.   Ders.  Naturmythen  IGO,  8.    Stöber  Elsäss.  Sag.  S.  346,=r     277. 
Wuckc    Werrasag.    II,    S.  132.     Pri.hh)    Harzs.    217,  2.   177.     Birlinger  ^3 
Schwaben  I,  203,  274.    Panzer  II,   154,  231).     Zingorle  Sagen  u.  Marchc         «  a. 
Trrol  223,   31)7.    In   Ulrichs  von  Zazikhovcn  Lanzolot  v.  7845  ff.  erlost           der 
Held  eine  Königstochter  von  Tile  (Thule),    welche   verzaubert  ist,   so  Ic^fl^ 
eine  Schlange  zu  sein,  bis  sie  der  beste  Ritter  küsse. 

3)  C.  Wachsmath,  das  alte  Griechenland  im  neuen.  Bonn  1864.  S.  SC-  CS. 


Die  alto  IVIeis.  05 

aancberlei  Staude,  auch  so^ar  geistliche,  nacheinuiider  benennen, 
lebst  Befragen y  was  das  Kind  künftig  werden  wolle.  Als  zum 
ixempel:  Wirst  du  ein  Schuster,  Sehneider,  Kürschner,  l^arbier, 
techtsgelehrter,  Pfarrer  u.  s.  w.  werden?  Bei  jedwedem  Amts- 
lamen  gibt  man  der  Si?hlangen  mit  der  Kiiten  einen  Streich,  bis 
ie  sich  verwandelt  in  rin  Kimij  welches  hernach  einmal  zu 
olehem  Handwerk,  Amt,  oder  Würde  und  Stand  gelangt,  bei 
lesBcn  Nennung  und  Namen  die  Schlange  zum  Knäblein  sich 
erbildet  hat  Es  soll  oft  grscluhen,  da/S  die  Scldanffe  vrrschmndet 
ind  alsdann  findet  sich  auch  kein  Kin<l  mehr.  Man  sagt  auch 
ttr  gewiß,  es  soll  noch  auf  den  heutigen  Tjig  auf  dem  Karst 
tin  Geistlicher  am  Leben  sein,  welcher  gleicher  Gestillt  geboren 
forden.  Es  ist  noch  ein  altes  Weib  am  l^ben ,  welches  zweiuial 
»ei  solcher  Verwandlung  soll  gegenwärtig  gewest  sein.  Als  ich 
Dl  Juni  1685  auf  dem  Karst  war,  schickte  ich  nach  demselbigen 
Veibe,  daß  ich  solches  vcm  ihr  selber  miichtc  vernehmen,  sie 
var  aber  nicht  daheim."  Valvassor  gesteht  nun  von  dergleichen 
Verwandlungen  viel  gehört,  aber  nienials  Augenzeugen  gesprochen 
u  haben,  er  würde  die  Sache  verschwiegen  haben,  wenn  ihn 
licht  folgende  Stelle  in  den  vor  22  Jahren  geschriebenen  „Anna- 
ns Norici'*  des  gelehrten  M.  Bauscher  dazu  veranlaßt  hätte,  dem 
terttcbte  Gewicht  beizulegen.  „  In  einer  adligen  Familie  in  dieser 
^andsehafk  des  Karst  —  sagt  Bauscher  —  ffrwinmri  alle  Kinder, 
fenn  sie  aus  Muiterleihe  kamm/*n,  ein  SrJdanffemjvsieht ,  oder 
'cfdf^nyengestalt.  Sobald  aber  das  Kind  zum  erslenwale  (je- 
foschen  mrd,  legt  es  das  Schlangenangesiehf  ait  und  entdeckt 
nne  menschliche  Oestalt,  die  zuvor  mit  einer  Schlangenform 
erlarvt  war.  Solches  seheinet  nach  einem  Muster  des  ersten 
rbsüudlichen  Fleckens  zu  riechen." 

Zur  Darlegung  des  mutmaßlichen  Gedankenzusanunenliangs 
er  vorstehenden  Superatitionen  erlaube  man  mir  einige  Sätze 
.as  meinen  „Gennanischen  Mythen."  Berlin  1858.  S.  310  zu 
(wiederholen.  „Das  neugeborne  Kind  galt,  so  lange  es  die  heid- 
ische  Wassertaufe,  mit  welcher  die  Namengebung  verbunden 
var,  noch  nicht  empfangen,  oder  noch  keine  menschliche  Speise 
;enos8eu  hatte,  als  Seele.  Der  menschliche  so  wie  jeder  andere 
iörper  wurde  als  ein  Gewand  gedacht,  das  die  Seele  anzieht, 
lih-ham,  altn.  llk-hamr).  Das  Band  zwischen  der  Seele  und 
lern  Leibe  galt  Itirerst  noch  als  lose."  — 

Mannhardt.     II.  5 


6G    Kapitel  II.  Die  wildon  Leute  der  griechischen  und  römischen  Sage. 

yyWeil  die  Verbindung  mit   dem  Körper   noch    nicht   Halter  ^\ 
gewonnen  hat,   ist  das  Kind  bis  znr  Taufe,  die  im  Ycdkgabei 
glauben  die  Stelle  der  heidnischen  Wasserbegießnng  vertritt ,  dei 
Vertauschung  mit  Wechselbälgen  ausgesetzt  d.  h.  in  Gefahr , 
den  Geistern  (Nixen,  Unterirdischen,  Zwergen,  wilden  Weibern' 
ohne  weiteres  wieder  in  ihre  Gemeinschaft  gezogen  und  dureW^^^-xd 
einen  nur  anscheinend  mit  menschlicher  Körperlichkeit  behafteter ^^«^lie 
Geist,   eine  zur  vollen  Menschheit  nicht  durchgedrungene  SeehM^^^ 
(Kretin)  ersetzt   zu  werden/'  ^     Dem  entsprechend  schekit  ma^^^  .0:113 
angenommen  zu  haben,  daß  ebenso  wie  in  den  Sagen  von  Thetir«-;#.^ti 
Proteus,  Tamlane  und  von  den  verwünschten  weißen  Fraaen  eS^a»    ei 
zu  zeitweiliger  oder  dauernder  Annahme  menschlicher  LeiMieV-^^^eh 
keit  gezwungener  Geist  (Dämon)  vor  seiner  Verkörperung  n.       .  «.  a 
in  die  Gestalt  einer  Schlange  (Thetis,  Proteus,  Neraide,  TAmlftn»-^  Mnnc, 
weiße  Frau)  sich  wandelt,  schließlich  auch  in  Wasser  sich  nim  Mcmm- 
gestaltet  (Thetis,  Proteus)  oder  ms  Wasser  geworfen  toird  (Ti 
lane),  ebenso  auch  die  zum  Austritt  aus  der  Geisterwelt  und 
Eintritt  in  den  Menschenkörper  bestimmte  Seele  jedes  Sterblieb*^«cflDieii 
zuvor  als  Schlange  sich  darstelle,   ehe  sie  nach  dem  Durchga^s^rsing 
durchs  Wasser  zu  fester  und  dauernder  Verkörperung  gelang  «"Bge. 
Hiermit  vgl.  die  buddhistische  Erzählung  im  Teluguwerke  Dh^  .^er- 
mangada  Cheritra  (Mackenzie,    CoUection  I,  324.     Benfey  Vnw  mini 
schatantra  1,  254.  §  92).     Die  Frau  des  Dharmangada,   KönEi^^gs 
von  Kanakapuri  in  Kashmir,  wird  von  einer  Schlange  entbund'^^ien. 
Dieses  wird  verheimlicht  und  bekannt  gemacht,    sie  habe  eiizü^BCD 
Sohn  geboren.  Der  König  von  Suväshtra  bietet  diesem  seine  Toeh^H=iter 
zur  Frau.     Dharmangada  nimmt  sie  an,  um  das  Geheimniß  ni»^  ^cbt 
zu  verraten.    Das  Mädchen  kommt  nach  Kashmir,   und  als  sie 

reif  ist,  fragt  sie  nach  ihrem  Manne.  3Ian  giebt  ihr  die  Schlau  ^ige. 
Obgleich  sehr  bekümmert,  pflegt  sie  sie,  und  führt  sie  nach  cs^^den 
heiligen  Orten.  In  dem  letzten,  den  sie  besucht,  erhält  sie  ^^^  den 
Befehl,  die  Schlange  in  den  WasserbeJiäUer  jsu  setzen.  Nachö^:r^^n^ 
sie  es  getan,   nimmt  die  Schlange  die  Gestalt  des  Mannes  of*, 

und  die  Frau  kehrt  mit.  diesem  vergnügt  nach  Kashnodr  zariJ^ci. 
Hier  sind  die  beiden  Verwandlungen  des  Geistes  in  die  Schlang^^  bei 
der  (Geburt  und  bei  der  Heirat  mit  einander  combiniert    Zar 


1)  Den  Versuch  eines  Beweises  für  obenstehende  Sätze  8.  Germ.  ^^Jtb. 
311—313. 


Die  altu  Feieis.  67 

tigimg  des  Gesagten  gereicht  es,  daß  die  KUckverwaudlung  des 
xam   Menschen  gewordenen   Geistes  oder   Albs  in   Geistematur 
mit  den  nämlichen  Erscheinungen  verbunden  ist.    Dies  lehrt  sehr 
deutlich  die  älteste  Gestalt  der  Melusinensage,    wie  sie  um  das 
Jahr  1211  Gervasius  von  Tilbury  in  seinen  Otia  imperialia  I,  15 
(liebrechts   Gervasius  S.  4  flf.)    aufschrieb.     Kaimund  Herr    von 
Biisset   bei  Trets  unweit  Aix  in  der  Provence  trifft  am  Ufer  des 
den  Burgberg  besptilenden  Flusses  einmal  eine  herlich  gekleidete 
Jungfrau  auf  kostbar  geschmücktem  Zelter,  die  sich  ihm  zur  Ehe 
gelobt,   wenn   er   verspreche,   sie  niemals  nackt  zu  sehen.    Nach 
vielen  Jahren  bricht  der  bis  dahin  überaus  glückliche  Gatte  sein 
Wort  und  stürmt  in  das  Badegemach  seiner  Frau.     Quid  moror, 
erepto  linteo,   qtw  balneum  operitur,    miles   ut   uxorem   nudam 
videat,   accedit,  staümque  domina  in  ser^tenlein  conversa,  misso 
sab  aqua  balnei  capite,  disjHiruit,  nunquam  msa  imposterum  nee 
audüa,   nisi  quandoque  de   nocte,   cum  ad  infantidos  suos  visi- 
tandos  veniebat,  nutricibus  audientibus,  sed  ab  ejus  aspectu  sem- 
per   arctatis.     Hier    also    verwandelt    sich    die   Waldfrau    oder 
Bmnnenfrau,  als  sie  durch  den  Bruch  des  Versprechens  gezwungen 
wirdy  die  Leiblichkeit  wieder  abzustreifen  und  zu  den  Geistern 
zurückzukehren,  in  eine  vollständige  Schlange,    in  gleichzeitigen 
anderen  Localisierungen  desselben  Mythus  erscheint  dann  freilich 
die  Vorstellung,  daÄ  die  mit  Menschen  vermählten  Eiben  von  Zeit 
2n  Zeit  die  Sehnsucht  oder  Notwendigkeit  fühlen ,  auf  kurze  Zeit 
lie  Fesseln  der  angenommenen  Menschengestalt  abzustreifen  [vgl. 
äie  Skogsfiru  Bk.  135],  aber  noch  immer  ist  es  eine  ganze  Schlange, 
in  deren  Aussehen  der  freigewordene  Geist  sich  hüllt.   So  erzählt 
am  1205  Helinand,   (bei  Vincentius  Bellovacenis  Spec.  natur.  H, 
127.    Liebrecht  Gervasius  S.  66):  In  Lingonensi  provincia  quidam 
Qobilis   in  sylvarum  ahdih's   reperit  mulierem  speciosam  preciosis 
restibus  amictam ,  quam  adamavit  et  duxit.    lila  plurimum  balneis 
deleetabatur,   in  quibus  visa   est  a  quadam  puella  m  serpentis 
speeie  se  volutare.     Incusata  viro   et   deprehensa  in  balneo  nun- 
quam deinceps   comparitura  disparuit  et  adhuc   durat  ejus  pro- 
genies.  *    Wie  das  Wasserbad  dazu  gehörte ,  um  in  menschlichen 
Körper  eingehen  zu  können,  mochte  es  auch  zur  Abstreifung  des- 
selben von  Seiten  der  Geister  flir  erforderlich   gehalten  werden. 


1)  Vgl.  die  Sage  von  Henne  bei  Walter  Map.    (PbUipps  a.  a.  0.  S.  G9.) 

5* 


G«    Kapitel  II.   Die  wilden  Leate  Her  griocliischen  und  rümischcn  SMtgc. 

Erst  in  spUtcrcii  Versionen  und  Hcarbeitungcn  der  Melusinesage^E^^-^ 
(vgl.  Dunlop  (lesch.  der  rrcisaroniane  übers,  v.  F.  Liebreeht  40«^  ^M^, 
544.    Anni.    ITf).    Nachtr.  544  *)   ist  die  Verwafidlung   der  Ellntm^^'^i^ 
in  eine  Üchhimjv  dnrvh   (Uv  Mischffestall   aus  Mnisch  und   Fif^cl^-^^^^^ 
(oder  Sohlanijv)  erseht. 

Den  unnierklicben  IJcberganfJi;  dieser  Sageniamilie  in  ander»-:» -«jj»j^ 
Formen  und  ibre  Verwandtscbait  mit  denselben^  (z.  B.  den  Sago.r^-*,r^.^ 
und  Märelien  von  den  Schwan jmujfraneii  ^  Tierklndcm  u.  s.  w  ^^r^- ^^  \ 
erweisen  die  von  lienfey  Pantsebatantra  I,  S.  254  —  2611  ziunnKK^,^«]i|. 
mcngestellten  Heispiele. 

Wie   vieles    aucb    so   noeb  immer  dunkel   bleibt ,    und  w^^-^r^^-j^ 
manebes   Stück    der    vorstellenden    Auseimmdersetzung   der   B^rS    J|^». 
riebtigung  bedUri'tig  sein  mag^  wie  endlieb  das  gegenseitige  V^  "^Wer- 
bältnil^  die  llrt'orm  und  Grundbedeutung  der  angezogenen  Ueb€»N«.flier. 
lieferungen   sieb   berausstelle,    in  jedem  Falle   ergiebt    sich   vom.     mii 
Sicberbeit  die  Brautwerbung  des  I'eleus  um  Tbetis  als  eine  etXM^r^hte 
Volkssage  und  zwar  als  eine  Elfensage ,  welebc  durch  das  Hj^S^^jHßS 
zur  Helden-  und   Göttersage   aufgebauscbt ,    beziehungsweise  in 

dieselbe  vertlocbten  ist. 

Schwieriger  ist  die  Entscheidung^  ob  auch  der  Zug  in  ech.^».  iter 
Sage  begründet  sei,  daß  Tbetis  vom  Polens  plötzlich  sich  trenrz^nte^ 
weil  dieser  sie  durch   seinen  Aufschrei  unterbrach  ^    als  sie  cz^aden 
jungen  Acbilleus  Nachts  ins  Feuer  hielt.     Das  plötzliclie  I"      er- 
schuinden  ^  ist  völlig  dem  echten  Mythus  gemäß.     So  verschw^üiü'in- 
det  Mehisine  <»der    die    mit    einem  sterblichen    Manne  vermäLj^lilte 
Selige,  sol)ald  derselbe  ihren  Namen,  oder  sonst  das  Gehcim^^^tfuiB 
ihres    rrsj)rungs  eriabrt  oder  sich   einf<dlen   läßt  sie  su  sche^^^ien 
(vgl.  Bk.  10:»  -104;    ienier  c».  S.  (»0  Anm.  und  Alpenburg,  Al- 

pensagen   :n2,   :j:{0).     Die   Bearbeitung  der  Beleussjige,  wel        che 
Sophokles  in  <len  ,,  >/////Mf/v:  ^QtafKu^''  zu  Grunde  legte,  entli^^'t^'t 
denselben  Zug.     ,,2V)<^o//.7|C    c)^  h'  'ylyjkuio^  l^aaiaii^  (fi^aiy  ^^vio 
Jftj'/,H'i^   K n I () (i(t  1^  iV binar   i l^r    Httiv    /.aiakiueiy  aiTor."     (Sc   "Twl 
Aristopli.  Aid.  Xubb.  lo08;  j).  4  i:j  F.  Didot.)  Im  Aigimios,  euiem     ^i-n 
Sngcnkreis  des  Herakles  iiebandelnden  Gediehte  der  besiodeiscr-  Tifio 
Zeit,  war  erzählt,  daß  Tbetis  ibre  von  Beleus  geborenen  KiL:Mder 
in  einen  Kessel  siedenden  Wassers  warl',  um  zu  erproben,  ob      sie 

1)  Virl.  Li,.],rooht  in  Zpits.l,r.  f.  v«:!.  Spruchf.  XVIII,  50—00. 

2)  V^].  Aristo|»]i.  Nubl».   1007:     xa)    li^r  Htrir  «r  ^yr,u(  cV/«   lu  (tit^^ffto- 


Die  alte  Pcleis.  69 

insterblich  seien;  mehrere  Helen  duhei  unigekonunen,  den  Aehil- 
3118  aber  habe  Peleu8  gjerettet,  indem  er  verbot,  ihn  in  den  Kessel 
u  werfen.  ^  Das  sehehit  doeh  wol  nur  eine  Abwandhni^  der 
kndem  Sage,  welehe  übereinstimmend  mit  ApoUodor  (o.  S.  52) 
>cIiol.  Aristoph.  Nubb.  lUGH  r(%cndermalien  erzählt:  tfuoiv  l'ai 
ovg;  yirofi^yoig  /ralöag  Iv.  inv  ili^livtg  !^  Hin^z  )Atu{Uty()vou  .il- 
iuxate  %n  xh't-iov  aiiioi'  oviitit  (iüi').ofn'ri^  itinHX  LtihivavnvQ 
jiHEiv'  xcd  /coV.nvi;  i/xtroi  y.fti  vor  ^///AA^«  mv  it/jwoa  t:ii- 
t^i]X£v  eli;  lo  /fVQ.  '/mi  yvots:  n  Ui^),tvi^  f^i/n^aey.  t)  (U  Ai/i/^- 
i^tlaa  f/wQUfxh^.'  Die  Uebereinstimnuin^  dieser  P^rzählun^  von 
Thetis  und  Aehilleus  mit  der  im  so^^enannten  homerischen  llynuuis 
»ron  Demeter  und  ihrem  Plie^^iin^  Demoi)hoon  erzählten  krumte 
leicht  zu  der  Annahme  lühren,  <laß  erstere  eine  Naehl)ildun{;  der 
letzteren  sei,  da  nieht  uiiwiehtif^e  Gründe  lur  die  Vermutung 
sprechen,  dali  die  eleusinisehe  [.egende  durch  einen  Kultakt  ver- 
anlaßt wunhö.  Wir  werden  bei  späterer  Gelegenheit  das  richtige 
Verhältniß  kennen  lernen.  Einstweilen  macht  schon  der  olVenl)ar 
deutisehe,  nur  fälschlich  auf  den  Vater  bezogene  Zug  der  kreti- 
ichcn  Volkssage,  daß  die  Neraide  verschwindet,  als  das  Kind  in 
leu  Backofen  geworlen  wird,  noch  mehr  aber  die  folgende  jicr- 
ische  Parallele  augenscheinlich,  (biß  die  fragliche  Tradition  echte 
^olkssage  war.  Ein  Kaiser  von  China  rettet  auf  der  Jagd  eine 
/-eiße  Schlainjc  aus  Lebensgelähr  und  trägt  sie  in  sein  Kabinet. 
LUi  nächsten  ^lorgen  hat  sie  sich  in  eine  wunderliehliche  Teri 
erwandelt,  welche  ihm  als  Dank  Schätze,  Wissen  geheimer 
Lrzeneikräuter,  endlich  ihre  eigene  Schwester  zur  (jlattia  anbie- 
gt. Dieselbe  wird  unter  der  Bedingung  sein  Weib,  daß  er  sie 
ie  nach  den  Ursachen  ihrer  1  landhingen  frage.  AU  sie  den 
rsten  Sohn  geboren  y  lUunmt  ein  helles  Feuer  vor  der  Tür  auf; 
ie  wiekelt  das  Kind  in  ein  Tueh  und  wirft  es  in  die  Glut, 
)as  zweite  Kind  wiiit  sie  einer  Bärin  in  den  Rachen ^  und  lu^i 
^uöbrechendem  Kriege  zerschneidet  sie  mitten  in  der  Wüste  die 
Irodsäeke  und  Wasserschläuche.  Jetzt  bricht  der  Gonahl  in 
ichdt warte  tind  Veru-ünsehungen  aus.  Die  Peri  erklärt,  der 
iluudvorrat  sei  von  einem  Verräter  vergiftet  gewesen,  das  erste 


1)  Schul.  Apollon.  Ulio.l.  IV.  SM.  Seliol.  Arist.  AM.  Nubb.  UMlS  ]k4\:V 
?.  Didot. 

1»)  Vgl.  Apolbm.  Uh.Kl.  IV,  8GGir.  ScboL  II.  XVI,  3G.  lAkoi^bron 
r.  178  et  8rhol  ;  Ptobm.  H«'|.bi.st.  VF,  p   -iSl.     Heyne  ad  Apollod.  lÜ,  13,  (J. 


70     Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  griechischen  and  römischen  Sige. 

Kind  war  nicht  lebensfähig,   die  Bärin  aber  des  zweiten  Ammi 
Sogleich  erscheint  letztere  mit  dem  reichgeschmttckten  Pflegling  =r      -^ 
die  Pcri,  zu  zart,  um  mit  M&nschen  zu  leben,  ist  entflohen.^ 

Nach  diesen  Analogien  bin  ich  überzeugt,  daß  auch  die  Ver^^-^- 
brennungsgeschichte  zur  Schilderung  der  Jugend  des  Achill  r^.^  ja 
der  alten  Peleis  gehörte.  Da  es  aber  nicht  wol  abzusehen  is^^e^^ 
wie  neben  derselben  und  ihren  literarischen  Sprossen  sich  noc^^^^i] 
selbständig  die  Kcnntniß  einer  ebenfalls  noch  aus  echter  Volle.9h^g. 
Überlieferung  geschöpften  Variante  erhalten  haben  sollte,  so  wir^»--ifj 
man  anzunehmen  haben,  daß  der  von  Sophokles  hervorgehober ^^^ene 
Umstand,  Thetis  sei  durch  die  Scheltworte  ihres  Gatten  ^^  zm 
Flucht  bewogen  worden,    auch  einen  Teil  der  Darstellung  im 

Peleusepos  bildete,  und  hier,  wie  in  jener  persischen  Sage,  die  )■?  Er- 
zählung von  der  Feuerprobe  des  Kindes  abschloß.     Obwohl      _f  in 
den  homerischen  Gesängen  mehrfach  (11.  I,  396.   XVI,  574)  d^EiIar- 
auf  hingedeutet  ist,   daß  Thetis  jahrelang  im  Hause  des  Gat^z^BKen 
wohnte,  sehen  wir  sie  doch  nicht  bei  diesem,  der  nach  D.  ^       -'Y^ 
420.   IX,  394.  400.   XVUI,  331.  434  als  hochbetagter  Greis  JLmmoch 
lebt,   sondern  bei  ihren  Schwestern    im  Meere  weilen  und         von 
dort  aus  hilfreich  hervorkommen,    so   oft  es  sich  um  das  Yi^^obl 


und  Wehe  ihres  geliebten  Sohnes  Achilleus  handelt.     Wir  h^«i-/)CD 
guten  Grund  erstercs  fllr  eine  epische  Abschwächung,  letzteres        ffir 
das  Ursprünglichere  und  zwar  für  jene  durch  die  epische  BehandB.  nng 
nur  wenig  verdunkelte  Form  des  Mythus  zu  halten,   welche        nns 
auch  bei  Melusine,    den   seligen  Fräulein,    todten  WöchneriEÄ-Ucn 
u.  s.  w.  mehrfach  entgegentritt,  daß  die  von  dem  Manne  plöt^M 
geschiedene  Eibin,  Verstorbene  u.  s.  w.  noch  wiederkehrt,  um    ihre 
Kinder  zu   pflegen.     Bk.  103.  104.     Vgl.  KHM.  III»,  21  nr-    11 
Hylt^n  -  Cavallius    Schwed.    Volksm.    übers,    v.    Oberleitner     ^ 
S.  147.     Vgl.   die   neuerdings    aufgenommene   Neraidensage     ans 
Euboea,    der   Nachbarschaft  Thessaliens,    bei    Hahn  Neugricci. 
Märch.  nr.  83  (II,  S.  82  ff).     Ein  Mann  hat  eine  Neraide  dadarei 
in  seine  Gewalt  bekommen,  daß  er  ihr  die  Flügel  wegnahm,  die 
sie  beim  Tanzen   auf  einer  Tenne   abgelegt  hatte.    Als  ihr  Sohn 
fünf  Jahr  alt  ist,  giebt  er  ihr  einmal  die  Flügel  wieder  und  sofort 
verschwindet  sie  mit  dem  Ausruf:    „lebe  wohl.  Mann,  achte  auf 

1)  Hammer  -  Purgstall ,   Rosenöl    162  —  164.     J.  W.  Wolf   Beitr.  t  D. 
Myth.  II,  262  ff. 


\ 


Die  alte  Peleis.  71 

unser  Kind'^  Täglich  kommt  nie,  wenn  ihr  Mann  weggegangen 
ist,  wieder  ins  Haus^  backt  Brod  ftir  ilm,  speist  das  Kind  und 
besorgt  alle  Geschäfte.  Dann  fliegt  sie  auf  den  Acker  und  be- 
grüßt ihren  dort  arbeitenden  Gatten,  ist  alier  niemals  zu  bewegen 
wieder  in  seinem  Hause  zu  wohnen.  Dies  gleicht  ganz  dem  Ver- 
hältniß  der  Thetis  zu  Peleus. 

Die  Volkssage  von  der  Heirat  des  Peleus  ist  mit  dem  Ver- 
schwinden der  Thetis  eigentlich  zu  Ende;  das  zur  Fortsetzung 
der  epischen  Handlung  anget^chobene  neue  Sttlck  kündigt  sich 
durch  ein  abermaliges  Auftreten  des  Cheiron  an,  und  verrät  da- 
durch die  Hand  derselben  Rhapsodenschule,  welche  zuerst  die 
Hochzeitgeschichte  mit  dem  Tier-  oder  Drachenkampfe  des  Peleus 
v^erband  Wenn  nun  ein  wesentlicher  Teil  seines  Inhalts  sofort 
alB  sehr  altertümlicher  Volksaberglaube  in  die  Augen  springt 
^o.  S.  52),  erlaubt  dann  die  Gesellschaft,  in  welcher  dieser  Be- 
richt über  die  erste  Erziehuug  des  Achilleus  sich  befindet,  auch 
nur  einen  Augenblick  an  seinem  eigenen  Alter  zu  zweifeln?  Ob 
der  von  Pindar  (Nera.  HI,  75  —  91  Böckh)  bewahrte  Zug,  daß 
der  siebenjährige  Held  von  Cheiron  gelernt  hatte,  Eber  und  Hirsche 
schnell  wie  der  Wiful  (ioog  drtfioii;)  im  Liaufe  einzuholen,  ohne 
Hund  zu  fassen  und  auf  starkem  Arm  seinem  Lehrmeister  zuzu- 
tragen, ebenfalls  alt  und  bereits  im  Epos  ausgesprochen,  ja  der 
Ausgangspunkt  des  homerischen  Beiworts  Ttodag  (mvg  (Iliad.  X, 
58)  gewesen  sei,  ist  bei  dem  Mangel  äußerer  Zeugnisse  nicht  mit 
Gewißheit  zu  sagen;  es  trägt  aber  auch  diese  Angabe  noch  so 
sehr  den  Character  derselben  von  Bergesluft  und  Waldesduft 
durchwürzten  Naturpoesie,  wie  die  Erzählung  von  der  Ernährung 
mit  Bärenherzen,  daß  wir  sie  unbedenklich  derselben  noch  von 
lebendiger  Kenntniß  des  Wesens  der  Kentauren  durchdrungenen 
Zeit,  wie  das  vorhin  analysirte  Peleusepos,  zuzuschreiben  und 
aas  Uebertragung  einer  den  Kentauren  beigemessenen  Eigenschaft, 
der  SchnelUÜßigkeit,  auf  den  Zögling  zu  erklären  geneigt  sein 
werden.  ^    Daß  übrigens  die  erste  Erziehung  des  Thctissohnes  in 


1)  Nach  Bergk  (Griech.  Literaturg.  1,  1008)  entnahmen  dio  fraglichen 
Verse  aiis  der  Einleitung  des  dem  Hesiod  zugeschriebenen  Lehrgedichts  Xil- 
(Hovog  v7To&fjX((i  ihren  Stoff,  welches  ein  Kritiker  des  Altertums,  Stephanus 
von  Byzanz,  für  unecht  d.  h.  nachhesiodoisch  erklärte.  Selbst  wenn  letzteres 
richtig  ist,  darf  vermutet  werden,  daß  grade  die  epische  Einleitung  des  Lehr- 
gedichts älteren  Vorbildern  nacherzählt  war. 


72     Eapitül  n.    Die  \rildeii  Leute  der  griechischen  und  römisclieii  Sage. 

der  Tat   nur   eine  Fortsetzung  und  Ergänzung   der  Heiratsge- 


schicbte  des  Pelcus  und  ein  Werk  desjenigen  Geistes  war,  wel — _- 
eher  die  dieser  zu  Grunde  liegende  Volkssage  zum  Heldenepo^e- ^ 
maehte,  geht  auch  aus  dem  Namen  Achilleus  hervor,   wenn  di^^^\e 
im  Folgenden  vorgetragene  Vermutung  über  seine  Bedentang  zn«-.^ zu- 
treffend wäre.   Derselbe  ist  ein  liypokorißma  auf  -eus,  and  weis^f  4\gt 
auf  einen  mit  ax^kk-  anlautenden  Vollnamen  zurtlek,  ieh  nehoLsrirsnt 
an  etwa  I/x/AAa-ytV/^(;  oder  llx^M-yoroi;;   in  dem  ersten  Wor-^^3rt 
teil  aber  suche  ich  eine  Ableitung  {*axihj,  *ax/Aifr)   von  *^^^yi^'?xt\ 
Sehlange  (Grundform  von  txi<;,  skr.  abis,  lat  anguis,  ahd.  mic^«:sDc] 
gebildet  wie  ogyilog  zornig  von  oQyrj,  rgoxi^og  Strandläafer  v<^"%^nroi 
TQoxog,   (TrQOfiü^og  Kreisel,    Wirbelwind   von  acqoßog^    oder  e:^^     eii 

einfaches  Dcmmutivuni  wie  vcxivilo^  von  vavi^g.   Als  Schlaop^^ ^m 

frau  oder  Schlange  konnte  die  gefangene  und  wieder  verschwoLV  ^^Fon- 
dene  Nereide  bezeichnet  werden,  insofern  die  Verwandlung  in  c^  die 
Schlange  die  hauptsächlichste  ihrer  geisterhaften  Gestalten  war  (v^^^Jvgl 
die  deutschen   weißen  Frauen  o.  S.  64),    als  Sehlangenkind  i:  ihr 

zurückgelassenes  Söhnchen.  Diese  Bezeichnung  ^  mag  ans  c^  der 
noch  einfacheren  Volkssage  in  das  Epos  herttbergenommen  ns:^  und 
zu  einem  Namen  geworden  sein,  an  den  sich  mythische  ZttzV  2öge 
ansetzten.  Zunächst  wol  der,  daß  der  von  einem  der  gewalttätig- 
sten Helden  und  einer  Ellin  erzeugte  Sohn  eine  Steigerung  <^  der 
Kräfte  enthielt,  „noch  stärker  und  gewaltiger  ivurdc  als  der  )-^  Va- 
ter/' So  lautete  jedenfalls  die  einfache  Fonnel  im  Volksmur  .^'-ind, 
welche  unter  der  Hand  der  Sänger  dahin  umgestaltet  ist,  es  ^^ 

der  Thetis  geweissagt,  sie  werde  einen  Sohn  gebären,  der  gröE  -ÄJßcr 
werde,  als  sein  Vater,  sodann,  Zeus  habe  um  solcher  Weissagci^  "M^ 
willen  auf  ihr  Bett  verzichtet  und  sie  einem  sterblichen  Mar:^^  --^^^ 
gegeben.  Wer  diesen  Darlegungen  beistimmt,  —  und  es  möcr  -=!^«hte 
schwer  halten  eine  andere  gleich  sehr  aus  der  Sache  fließeri^  ^^^^ 
psychologische  Genesis  des  in  Rede  stehenden  Sagenzuges  a-Ä=^*^ 
findig  zu  machen  —  ^  gesteht  zugleich  ein ,    daß  die  Gestalt 

1)  V^H.  dio  Ik'zeichnung  st^irkcr  Hans,  Askcladdcn  u.  s.  w.  im  Märrl 

2)  Zwar  ist  riudar  der  «»rsto  erlialtüno  Zeuge,  welcher  von  einem  Sti 
des  Zeus  uii<l  rosoidon  um  den  Hesitz  der  blühenden  Nercustochtor  ci 
da  habe  Themis  den  Götlcrbesclilul]  {7rt7tnoHi(''vor)  verkündet,  der 
tin  sei  OS  bestinniit.  von  oiueni  Soliii  zu  genesen  stärker  als  der 
zeuger  (iff-'oitnui'  yontv  <>i  mnxra  /tutqoi;  Ttxfiv  Tuniitn'  iHor),   es  sei 
halb  ilirc  Vermahlung  mit  einem  sterblichen  Manne,   dem    frommen  Pel    ^=^os, 
anzuraten,   als  dessen  Gattin  sie  oinon  Sohn   gevrinnen  werde,    der  zwar"    ^ 


des 


Die  alte  Poleis.  73 

Ldiilleng  in  der  Sage  späteren  Ursprungs  war,  als  die  des  Pe- 
^nSy  während  sonst  nicht  selten  umgekehrt  der  Vater  erst  um  des 
lohnes  willen  erdichtet  wurde.  Der  Ijaulesrettcr  und  Utihold- 
tsieger  Peleus  muß  den  Hellenen  in  Thessalien  einmal  ein  hohes, 
an  göUlicJi^m  Lichte  umflossenes  Ideal  des  Heldentums  von  der 
(^llrde  und  Bedeutung  eiues  deutschen  Higl'rit  gewesen  sein. 
[an  erkennt  dies  an  der  Helligkeit  der  Strahlen,  mit  denen  noch 
er  Abglanz  seines  Kuhmes  Cheirons  Haupt  umspielt;  Homers 
Darstellung  läßt  die  Größe  des  Heros  kaum  mehr  ahnen.  Unter 
olchen  Umständen  ist  es  erklärlieh,  daß  der  vom  localen  Epos 
rfaßte  und  fortgetragene  Schluß  seiner  wunderbaren  Heirats- 
:e8chichte:  „das  suriiekgelassene  Kind  der  Neraide  wurde  noch 
rößer,  als  der  Held  der  Helden  ^  sein  Vaf4*r ,  war  ,^^  zu  einem 
reibenden  Keime   sich  ausbildete,    welcher  hernach    im   großen 


kraft  der  Arme  doui  Ares,  iin  Schnelligkeit  den  lUitzen  gleich  sein,  aber  im 
Lampfe  dahin  sinken  werde.  Dieso  Ueberlieferung  cntstainmt  aber  derselben 
on  Pindar  benutzten  e[»i6C'lien  Quelle  über  die  Taten  des  Peleus,  welche  auch 
onst  mehrere  sehr  alte  und  edik  Züge  bewahrt  hat  (o.  S.  49.  S.  50)  und 
hre  Hanptntucke  liegen  augonscheinlich  der  Rede  der  Thetis  II.  XVIII,  431  ff. 
Zt,  85  zu  Grunde.  Denn  d;is  Verhältnin  beider  Erzählungen  zu  einander  ist 
o,  daß  entweder  die  jundarische  sofort  oder  allmählich  aus  den  kurzen  Andcu- 
QDgeu  bei  Homer  herausgesponnen  ward,  oder  dieser  den  Kern  der  von  Pindur 
iricdererzählton  Sage  gekannt  und  in  kurzen  Andeutungen  [P»etonung  einerseits 
ler  Sterblichkeit  des  Mannes,  dem  Zeus  die  Thetis  wider  ihren  Willen 
nit  Zwang  unterwirlt,  andererseit  der  Stärke  und  des  kurzen  Lebens  des 
iohns]  darauf  angcs])ielt  haben  muß.  Die  Priorität  «ler  vollständigeren  pinda- 
ischen  ihrem  weKentiichstcn  Inhalte  nach  geht  aber  daraus  hervor,  daii  sie 
las  richtige  Motiv  für  den  von  Zeus  gegen  Thetis  ausgeübten  Zwang  bewahrt 
lat.  In  der  Tat  war  der  in  Rede  stehende  Zug  nicht  eine  haare  Erfindung 
ler  nachhoineriscJien  Epiker.  Niemandem  hatte  es  einfallen  können,  aus 
)lauor  Luft  zu  erfinden ,  Zeus  od«T  Poseidon  [der  hier  nur  wieder  als  Ober- 
lerr  der  Nereiden  in  die  Fabel  hineinkommt]  hätte  durch  Verbindung  mit  der 
intergeordneten  Halbgöttin  ein  höheres  und  stärkeres  Wesen,  als  er  selbst, 
»rzeugen  müs.sen.  Wie  viele  Liebschaften  des  Zeus  mit  Nymphen  und  Göttinnen 
)leiben  ohne  s(dche  Folge?  Und  w<^rin  hätte  bei  der  Nereide  die  größere  Gefahr 
>cstehen  sollen  ?  Ganz  anders  verhielt  es  sich  mit  Peleus,  wenn  er  mit  einem 
iVeibc  höheriT  Ordnung  sich  verband.  Poi  ihm  allein  hatte  die  Rede  vom 
f^infQog  yorn<;  Sinn,  die  nachmals  die  Epiker  zur  Pointe  machten.  War  sie 
iber  einmal  vorhanden,  so  konnte  leicht,  sobald  der  Stolz  der  Nordachäer 
fragte,  warum  ihr  großer  Held  denn  nicht  ein  Kiml  von  Zeus  sei,  die  Ver- 
nähluug  des  Peleus  wenigstens  als  eine  Veranstaltung  des  Göttervaters 
betrachtet  und  für  <lessen  Handlungsweise  der  bei  Pindar  genannte  Grund 
gefolgert  werden. 


74     Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  griechischen  und  römischen  Sage. 

gemeingriechischen  Epos   fruchtbar  aufging  und   herlich  empor- 
wuchs.    Denu  als  im  Laufe  der  griechischen  Yölkerwandenuig, 
welche  der  Einbruch  der  Dorier  in  den  Peloponues  eröffnete,  den 
zuerst   an  Kleinasicns  Nordwestl^Uste  augesiedelten  Aeolem  ans 
dem  Peloponnes,    unter  denen  damals  die    Sage  von  Zierstörang 
Trojas  nach  zehnjähriger  Belagerung  durch  Helden  v^irschiedener 
griechischer  Stämme  aber  unter  Anführung  des  peloponnesisoheo 
Königsgeschlechts  der  Atriden  entstand ,  als  diesen  sttdachäischea. 
Stämmen  Nordachäer  aus  Thessalien  nachrückten,  ^  trugen  letztere 
mit  sich  zugleich  den  Namen  Achills  hinüber  in  Verbindung  mit 
einer  noch  unausgeülhrten  Anweisung  auf  wundersame  Helden- 
größe.   Freilich  die  Zeit  war  vorbei,  man  stand  in  einer  za  lichten, 
durch  historische  Tat  und  mancherlei  im  Contact  mit  der  Frenatde 


gewonnene  KenntniB  aufgeklärten  Kulturepoche,  um  noch  an  de 
Uebertragmig  wunderbarer,   dem  wirklichen  Leben    grell  wider 
sprechender  Mythen  auf  den  Namen  des  Helden  Gefallen  zu  fin. 
den.    Im  Gegensatz  zu  Pcleus  blieb  die  ganze  Geschichte  Achill-: 
mit  Ausnahme  jener  ersten  Kindheit  leer  von  jedem  alieti    u 
ecJUen  mythologischmi  Inhalt.^    Dagegen  mußte  der  Wunsch 
dem  ruhmvollen  Kampfe  um  Troja  auch  teilgenommen  zu  hal 
sich  naturgemäß  zum  guten  Glauben  umgestalten,  der  Hdd  übe- 
alle  Helden^  t^oxog  iiQtocov  (II.  XVIU,  56)  habe  die  Großtaten,  dl 
man  zu  Hause  nicht  aufnennen  konnte,  hier  in  der  Fremde  ver" 
richtet;   er  mußte  den  Jwrvorragendsten  Anteil  an  jenem  Krieg" 
gehabt  haben.    Aber  Troja  war  zerstört;  und    er  nicht  der  Ze 
störer?    Nach  der  bereits   feststehenden  Sage   vollbrachten   di^ 
Atriden  diese  Tat.   Nun  ja,  Achilleus  war  vor  der  Endkatastropl»- -^^   -^ 
gefallen.      War  er   nicht   OberanlÜhrer,   noch  Zerstörer,    worL 


-€ 


1)  Hiusichtlich  dieser  Vorhältnisse  imd   über  die  Kotstehung  der 
von  Troja  verweise  ick  auf  Müllen hoffs  epochomacheude  Forschung  in  s.  Alte 
tumsk.  I,  1870  S.  8—30. 

2)  Die  Erzeugung  auf  dem  Pelion,    die  Fußschnelligkeit  und  der 
Tod  Achills  reichen  nicht  hin ,    um  in  diesem   mit  MüUenhoff  (a.  a.  O.  S 
die  Person ification  eines  Waldstroms  zu  erkennen«  der  nach  kurzem,  rasche 
Laufe  vom  Pclion  sich  ins  Meer  stürze  (,und  solche  hohle  Allegorie  hätte  di 
Kraft  in  sich  getragen,   die  Idee   des  Holden    x«t'  i^oxh^   2U  erwecken?)^ 
noch  weniger  sein  Tod  in  Jugcudfülle  uud  seine  (hekanntlich   erst  der  jfin^— 
sten  Sageubildung  —  PrcUer  Gr.  M.  II,  S.  436  Anm.  1  —  angohörigo)  Unver- 
wundbarkeit, um   mit  M.  Müller   (^Essays,   Lpzg.  18G9,   11,  S.  95ff.)   in  üub 
den  allabendlich  in  jugendlicher  Kraft  sterbenden  Sonnenball  wiederzufinden- 


Die  alte  Peleis.  76 

bestand  dann  seine  Großtat?  Er  hatte  den  üanptheldeu  und 
Verteidiger  Trojas ,  den  Erhalter  (Hektor)  getr»dtet.  Durch  diese 
natürlichen  Schlußfolgerungen  bildeten  sich  die  Hauptmomente 
der  Achilleussage.  Wie  die  Vorstellung  vom  Zorn  des  Achill 
(jn/vig)  als  eine  notwendige  Folge  aus  dem  Gegensatz  hervorging, 
in  den  die  flir  ihren  Achill  begeisterten  und  Itir  seinen  Ehrenan- 
teil  an  Trojas  Unterwerfung  mit  Entschiedenheit  der  Ueberzeu- 
gung  eintretenden  Nordachäer  von  Anfang  an  gegen  die  älteren 
Ansprüche  der  Atriden  geraten  mußten ,  darUl>er  wolle  man  Müi- 
lenhoffs  scharfsinnige  Auseinandersetzung  a.  a.  0.  2ß  nachlesen. 

Mithin  war  die  Gestalt  des  Achilleus  kein  Gebilde  des  My- 
thnSy  sondern  einzig  und  allein  dos  epischeu  Gesanges,  eine  reine 
Schöpfung  der  ethischen  Mächte,  welche  die  Brust  des  üellenen 
in  seiner  Heldenzeit  bei  der  Besiedeluug  Kleiuasiens  in  höchster 
Erregung  bewegten. 

Die  wichtigen  Schlußfolgerungen,  die  wir  im  Bcgriflf  sind 
ans  den  bisherigen  Darlegungen  zu  ziehen,  veranlassen  uns  den 
Inhalt  der  letzteren  noch  einmal  rückblickend  zu  überschlagen. 
Der  Vorgänger,  aus  welchem  Apollodor  die  drei  Erzählungen  von 
des  Peleus  Kampf  mit  den  Ungeheuern,  vom  Raube  der  Thetis 
und  von  Achills  frühesten  Jugendtagen  bei  Cheiron  schöpfte  und 
seinem  im  Anfange  des  zweiten  Jahrh.  n.  Chr.  compilierten  Com- 
pendium  der  griechischen  Mythologie  einverleibte,  war  schwer- 
lich sein  Hauptgewährsmann  Pherekydes,  obwol  dieser  grade 
di^  unmittelbar  vorausgehenden  und  unmittelbar  nachfolgenden 
Notizen  hergegeben  hat.  *  Vielmehr  wird  an  ein  Excerpt  aus 
Hesiod  (vgl.  o.  S.  49)  oder  aus  einem  anderen  älteren  Dichter  zu  den- 
ken sein,  der  wiederum  einem  noch  älteren,  seinem  Stoffe  nach  in 
das  vorhomerische  Epos  hineinreichenden  Vorbilde  nachdichtete. 
Zu  solchem  Schlüsse  berechtigt  der  Umstand,  daß  jene  drei  Sagen 
der  Hauptsache  nach  vor  Homer  bekannt  gewesen  sein  müssen, 
da  sie  den  kurzen  Andeutungen  desselben  über  des  Peleus  Schick- 
sale zu  Grunde  liegen:  der  Kampf  mit  den  Ungeheuern  und  die 
Lebeusrettung  durch  Cheiron,    weil  daraus  der  Name  und   die 


1)  S.  Kobert  de  Apolloilori  bibliothcca  Borol.  1873  S.  67.  Vgl.  Apol- 
lodlll,  c.  13  S.  1.  §.  1  -  S.  2.  §.  3  p.  342—43.  Heyne.  Pberccyd.  Fragm.  3. 
Göttling.  p.  71— 70  (Schol.  Pind.  Ncni.  4,  81.  Tzetzes  ad  Lycopbr.  175. 
Schol.  Hom.  II.  n.  175..  Apollod.  III,  13  S.  7.  —  Pherecyd.  Frag.  3.  Gött- 
liBg.  p.  80.    Schol.  Pindar.  Nem.  3,  55. 


76     Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  griechischen  and  römischen  Sage. 

ganze  Gestalt  des  Cheiron  und  dessen  Auffassung  als  dixaio^owg 
Kevxavqiüv  (IL  XI,  830)  und  als  lebenslänglicher  Freund  de«  Pc- 
leus  erst  hervorging  (o.  S.  59).    Erst  nachdem  diese  Geschfchte 
sich  fixiert  hatte  und  im  epischen  Gesänge,  der  in  Thessalien, 
der  ältesten  Stätte  griechischer  Kultur  und  der  Mutter  sowol  des 
olympischen  Göttersystems  als  des  ritterlichen  Wesens,  besonders 
lebhaft    war ,  ^  bereits   verschiedene  Wandlungen   erlitten   hatte 
(o.  S.  53),  konnte  es  einem  Kha])soden  einfallen,  nun  auch  eine 
Elfensage  auf  Peleus  zu  übertragen  und  dem  Cheiron  als  seinem 
Freunde  eine  Rolle  dabei  beizumessen.    Der  Raub  der  Thetis  nun, 
das  Beilager  auf  dem  Pelion  und  d:is  Verschwinden  der  Nereide 
nach  der  Geburt  des  Achilleus  dienen  den  homerischen  Gresängea 
ebenfalls  zur  Voraussetzung,  da  nur  daraus  mehrere  AeaBerungen 
des  Helden  zu  seiner  Mutter,    ihr  Sträuben  gegen  die  erzwun- 
gene menschliche  Heirat,   sowie  die  Geschenke  und  die  Gegen- 
wart der  Götter  bei  der  Heirat  und  das  in  der  Ilias  geschilderte 
Vcrhältniß  der  Thetis  zu  Gatten  und  Sohn  sich  erklären  (Vgl.  o- 
S.  70).     Eine  neue  aus  des  Peleus  und  Cheirons  Freondschafts- 
bunde  fließende  Zudiehtung  ist  erst  hienach  in  dem  Stücke  von 
Achills  Erziehung  bei  Cheiron  hinzugetreten.    Auch  sie  war  Ho- 
mer   unzweifelhaft    bekannt.      Ich    darf    darüber    Th.    Bergk 
Gr.  Literaturg.  I,  348  reden  lassen:  „Wenn  Homer  den  Achilles 
unter  allen  Heroen   durch  das  Beiwort  schnelltllßig  auszeichnet, 
so  gab  dazu  die  homerische  Dichtung  selbst  keinen  Anlaß,  man 
sieht,   Homer  hat  dieses  characteristische  Beiwort   von   fnUaren 
Dichtern  übirkammen,  welche  (J^e  Jugendzeit  des  Helden  und  die 
Kämpfe  schilderten,    die  der  frühreife  Knabe  in  der  Pflege    des 
Kentauren  Cheiron  mit  den  gewaltigen  Tieren  des  Waldes  bestand, 
wo  ebenso  die  ungewöhnliche  Schnelligkeit,  wie  die  Körperkrall 
des  Achilles  hei-vortrat.  —  (Hesiod  oder  wer  sonst  das  Spruch- 
gedi<*lit  \f:iootvog  hiod^ijxai  verfaßt  hat,   mag  solche  alte  Lieder 
noch  gekannt   haben.)  —    Andere  Lieder  mochten  von  der  Ver- 
mählung des  Peleus  mit  der  Thetis  melden."    Auch  die  Ileilkunst 
(s.  0.  S.  4(>)  lernte  Achill  wol  am  chestciu  vom  Cheiron ,  wenn  er 
dessen  Zögling  war.    Und  endlich  kommt  hinzu,    daß   die   rem 
äußerlichen  Mittel,  durch  welche  Cheiron  seinem  Schutzbefohlenen 
moralische  Eigenschaften  beizubringen  sucht  (Ilerzesscn  o.S.52),  eine 


1)  Th.  Bergk,  Gricch.  Literaturg.  1872  I,  310 ff.  317  ff. 


Die  alte  Peleis.  77 

hinter  der  Wcltsiiischauuiig  des  homerischen  Zeitalters  weit  zurück- 
liegende Autl'assuug  der  Dinge  verraten.  Während  also  die 
bonieriseken  Andeutungen  sich  vollständig  als  Nachhall  der  bei 
ApoUodor  aufbewahrten,  der  echten  Volkssage  noch  ganz  nahe 
stehenden  Tradition  erklären,  konnte  diene  nimnurtmhr  umgekehrt 
aus  der  hon^rischen  V eberlief erung  erwachsen.  Wenn  nun  alle 
drei  als  vorhouierisch  nachzuweisenden  Sagen  in  dem  apoUodo- 
riscben  Stücke  unmitteU)ar  mit  einander  vereinigt  nebeneinander- 
stehen und  zwar  der  Art,  daß  dreimal  Cheiron  augenscheinlich 
in  den  Vordergrund  tritt,  so  liegt  es  nahe,  darin  eine  bewußte 
künstlerische  Anordnung  zu  erblicken,  und  es  dürfte  vielleicht  die 
Vermutung  nicht  allzukUhn  sein,  daß  ein  günstiges  Geschick  uns 
In  diesen  zusammengehörigen  Stücken  durch  eine  Anzahl  unbe- 
kannter Mittelglieder  hindurch  den  Inhalt  einer  altthessalischen 
Bhapsodie,  eines  vorhomerisehen  i^eleusliedes  mit  einiger  Treue 
erhalten  habe. 

Wie  dem  nun  auch  sei,  die  l'estgestellten  Tatsachen  gewäh- 
ren einige  überraschende  Einblicke  in  das  Leben  des  griechischen 
Heldengesangs  vor  der  Ausbildung  der  großen  Kationalepik. 
EinfacJte  mtfthische  Volkssagen,  nach  Art,  Form  und  Umfang 
genau  solchen  kurzen  Erzätdungcn  (Märchen  oder  Sagen)  ent- 
sprechend,  loelcfie  jede  nordische  Sagensammlung  als  nodi  heute 
im  Volksmunde  Ichendig  ausweist,  waren  die  Keime,  aus  welchen 
utUer  Dichterhänden  die  Heroengcstalt  des  Pdeus  und  seiner  An- 
geJiorigen  allmäldich  emporwuchs.  Zuerst  speziell  Magnesia  und  dem 
Peliongebirge  angehr>rig  und  der  dort  im  localen  Gesänge  gefeierte 
Held  ward  er  von  den  Hellenen  in  Phthia  aufgenommen  und  zum 
eigenen  Nationalhcros  und  Landeskihiig  gemacht,  sodann  mit  den 
genealogischen  Localsagen  auch  noch  anderer  Landschaften  in  Ver- 
bindimg gesetzt.  Seine  Schicksale  erleben  so  im  thessalischen 
Epos  mehriache  Umwandlungen,  ehe  seine  Sage,  in  das  große 
homerische  Nationalcpos  verpflanzt,  ihrem  Hauptstamme  nach 
erstirbt,  aber  in  der  Gestalt  des  Achilleus  einen  zu  tippigstem 
Wachstum  gedeihenden  Seitenzweig  treibt.  So  lassen  sich  z.  B. 
in  Entwickelung  der  Sage  von  seiner  Verbindung  mit  Thetis  noch 
folgende  Hinge  deutlich  unterscheiden:  1)  Peleus  umarmt  die 
geraubte  Mecnnaid  in  einsamer  Waldgrotte.  2)  Regelrechte 
Schließung  einer  legitimen  Ehe  daselbst,  Cheiron  und  Poseidon 
geben  Geschenke.     3)  Glänzende  Vermählungsfeier;   alle  Götter 


78      Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  griecbischeu  and  römischen  Sage. 

sind  zugegen,  Apoll  spielt  'die  Lyra.  Jene  Volkssagen y  toelehe 
den  Kern  der  Peleussnge  bildeten,  decken  sich  mit  einer  ESfen- 
sage  und  einem  sogenannten  SiglVitsmärchen.  Hier  liegt  ein  tm- 
umstößli/ilier  Beweis  gegen  Benfi^s  Belinupiung  vor,  daß  die 
Märehenstoffe  durchweg  buddhistiscJien  Ursprungs  und  in  ver- 
hältnißmäßig  später  Zeit  nach  Europa  gelangt  seien.  Ein  ande- 
res Beweisstück  glaube  ich  in  meinem  Aufsatze  über  ^^  lettische 
Sonnenmythen  (Bastian  -  Hartmanns  Zeitschrift  für  Ethnologie  VII, 
1875  »S.  235  —  243)  geliefert  zu  haben,  indem  ich  dartat,  dad  die 
älteste  Aufzeichnung  einer  noch  heute  in  Südeuropa  (Griechen- 
land, Rumänien,  SUdrußland)  weit  verbreiteten  Märchenfamilie 
in  dem  altägyptischen  Roman  von  den  beiden  Brüdern  Batan  and 
Anepu  erhalten  ist.  Von  nicht  geringerem  Gewicht  dürfte  die 
Beobachtung  sein,  daß  grad^i  dieselben  Sagenstoffe  es  waren, 
welche  beim  ersten  Erwachen  höherer  Kultur  von  Griechen  und 
fast  zweitausend  Jahre  später  unter  ähnlichen  Verhältnissen  von 
Germanen  und  Kelten  aus  der  Tiefe  der  Volksseele  heranfge- 
hoben  und  zum  Ausgang  und  Mittelpunkte  epischen  Gesanges 
gemacht  wurden,  ein  Anzeichen  dafür,  daß  eben  vor  und  bei  dem 
ersten  Zusammenstoß  mit  der  christlichen  Kultur  die  Germanen, 
eben  vor  dem  Eintritt  ihrer  Völkerwanderung  und  des  frucht- 
baren Austausches  mit  der  höheren  vorderasiatischen  Civilisation 
die  Griechen  von  den  nämlichen  geistigen  Mächten  bewegt,  von 
einer  sehr  ähnlichen  Weltanschauung  erillllt  waren. 

§.  5.  Gestalt  der  Keutauren.  Nach  langer  Abschweifung 
kehren  wir  zur  Untersuchung  über  das  Wesen  der  Kentauren 
zurück.  Wenn  unsere  Untersuchungen  in  dem  Punkte  die  Wahr- 
heit trafen ,  daß  Achilleus  kein  Gebilde  des  Mythus,  sondern  ein- 
zig und  allein  des  epischen  Gesanges  war,  so  sind  wir  berech- 
tigt, die  Ui-sache  seiner  Schnell füßigJccit  (o.  S.  71)  nicht  aus  sei- 
nem Wesen,  sondern  wie  die  Kenntniß  der  lleilkunst  aus  dem 
Vorbilde  seines  Lehnneisters  Cheirou  abzuleiten  und  da  kein 
Grund  vorhanden  ist,  weshalb  diesem  die  genannte  Kunst  oder 
Eigenschaft  individuell  zukommen  sollte,  dieselbe  folgerichiig  als 
ein  Zubehör  der  Kentauren  überlmupt  anzusehen  (Vgl.  a.  o.  S.  76). 
Einen  charakteristischen  Zug  bewahrt  der  sogenannte  homerische 
Hynmus  auf  Hermes.  Der  neugebome  Gott  hat  dem  Apollo  Rin- 
der gestohlen;  um  ihre  Spur  zu  verwischen,  trieb  er  sie  rück- 
wärts;  er  selbst  aber  band  sich  jungbelaubte  Zweige  von  Tama- 


Gestalt  der  KiDtauren.  79 

risken  und  Myrten  mit  allem  mätterwerk  müer  die  Füße,  Als 
nun  später  Apollo  die  dadurch  cntstaudenen  Eindrücke  im  Sande 
sieht y  erstaunt  er  über  die  rirsrngroßcn  seltsamen  Fußspuren: 
„Das  sind  keines  Mannes  Schritte ,  ncK^h  eines  Weil>es,  noch  ge- 
hören sie  Löwen,  Bären  oder  \V(>lt'en  an.  Idt  will  doch  nicht 
fürchten  j  daß  nie  einem  KvnlaureJi  ei(ß7ien,  der  mit  schtiffllen 
FttBen  so  gewaltig  einhersch  reitet  {onU  ii  KtvzaiQov  /.aaiavx^vog 

Hymn.  in  Merc.  219  ff.  Man  schrieb  also  zur  Zeit  des  Dichters 
den  Kentauren  ungeheure,  ungestalte  FUBe  zu,  welche  mit  jenen 
um  eine  breitere  Grundfläche  herum  sich  verästelnden  I^im- 
zweigen  wenigstens  annähernd  verglichen  werden  konnten. 
liäheres  läßt  sich  über  diese  Anschauung  nicht  sagen;  sie  erin- 
nert aber  an  mancherlei  nordischen  und  sonstigen  Volksglauben 
hinsichtlich  der  Füße  von  Waldgeistern  und  andern  Dämonen. 
So  ist  es  gefährlich  in  die  Spur  des  russischen  Waldgeistes 
Ljeschi  zu  treten ,  doch  verdeckt  er  dieselbe  mit  Sand  oder  Laub. 
Bk.  140.  Beim  peruanischen  Waldgeist  wird  der  Abdruck  seiner 
ungleichen  Füße  als  unheimlich  und  gefahrbringend  hervorgeho- 
t>en.  Bk.  144.  Die  wilden  Leute  der  deutschen  Sage  haben 
liäafig  ZiegenOiße  oder  Gansfüße  y  den  letzteren  könnten  die 
beschriebenen  Kentanrenttiße  ähnlich  erscheinen. 

Einen  solchen  Vergleich  machte  augenscheinlich  niemand, 
der  die  Kentauren  nach  der  Weise  der  späteren  Kunstwerke  als 
Mischgestalten  aus  menschlichem  Oberkörper  und  tierischem  Un- 
teAörper  mit  vier  Pferdefüßen  sich  vorstellte.  Von  der  Kunst  ans 
drang  letztere  Darstelinngs  weise  seit  dem  sechsten  Jahrhundert 
auch  in  die  Poesie  und  die  durch  sie  bewirkte  Fortbildung  der 
alten  Sage  ein  und  verdrängte  jede  abweichende  Vorstellung  über 
das  Aussehen  der  Kentauren.  Es  ging  ihr  aber  in  der  älteren 
griechischen  Kunst  eine  andere  Auffassungsweise  vorher,  wonach 
der  Kentaur  vom  Koi)f  bis  zum  Zeh  die  Gestalt  eines  Mannes 
hatte,  dem  rückwärts  die  hintere  Haltte  eines  Pierdes  an- 
gewachsen war.  *  Das  älteste  Kunstwerk  dieser  Art,  von 
dem  wir  Kunde   haben,    war  die  Darstellung  des  Gheiron  als 


1)  Nachweisungen  über  solche  Darstellungen  auf  Vasen  von  Clusium 
und  Volci ,  Bronzen,  Gemmen  und  Reliefs  bei  0.  Müller  Handbuch  d.  Archäol. 
d.  Kunst,  1835  §.  389,  2  S.  584.    Roß  archäol.  Aufs.  S.  101. 


80     Kapitel  IL    Die  wilden  Leute  der  griechischen  und  römischeD  Sage. 

Tröstei-8  Achills  nach  dem  Tode  des  Patroklos  auf  der  zur  Auf- 
bewahrung heihger  Gewänder  bestimmten  Lade  im  Heratempel 
zu  Olympia,  welche  angeblich  das  Weihgesehenk  eines  korinthi- 
schen Fürsten  aus  dem  Hause  des  Kypselos  im  siebenten  Jahr- 
hundert V.  Chr.  gewesen  ist.  *  Auch  die  von  Herakles  mit  Pfei- 
len verfolgten  Kentauren  (Pholossage)  auf  derselben  Bildfläehe 
müssen  die  gleiche  Gestalt  getragen  haben,  da  sonst  Pausanias 
die  Abweichung  angemerkt  hätte.  Der  Veri'ertiger  des  Kastens 
war  somit  der  erste  nicht,  der  die  Kentauren  so  abbildete;  die 
typische  Vei-weudung  der  Mischgestalt  setzt  eine  bereits  vorauf- 
gegangene längere  künstlerische  Tradition  voraus.  Quelle  der 
Künstler  war  die  Poesie;  doch  in  dieser  suchen  wir  einen  deut- 
lichen Anlaß  der  in  Rede  stehenden  Darstellungsform  vei^ebens; 
weder  Homer,  noch  Hesiod  oder  irgend  welche  andere  aaf  uns 
gekommene  Bruchstücke  der  älteren  Epik  schildern  die  Kentao- 
ren  als  Halbrosse,  noch  enthalten  die  aus  dem  alten  Epos  abge- 
bildeten Kentaurensagen  irgend  eine  Situation,  welche  die  Dämo- 
nen als  solche  zu  zeichnen  Veranlassung  geben  konnte.  Zwar 
heißen  die  Kentauren  Tiere  (tw^^'j  !'•  I>  268.  II,  743)  and  da- 
bei haben  sie  Hände,  mit  denen  sie  Baumstämme  schwingen 
(Hesiod.  sc.  Herc.  187).  Im  übrigen  werden  sie  nur  durch  die 
Beiwörter  itelayyahri:  (He».),  ?.a(jiavy)jv  (Hymn.  in  Merc.),  la- 
xvijti^  (Uom.)  mit  dunkclm  herabwalleudeu  Haupthaar  (Mähne?), 
mit  zottigem  Nacken,  rauhhaarig  characterisiert.  Wollte  man 
diese  Epitheta  auf  TiergesUilt  deuten,  so  würde  sich  zwar  auch 
eine  Zwitterform  der  Kentauren,  und  zwar  eine  den  indischen 
Kinnaras  oder  Kimpurushas  ähnliche  (Menschen  mit  menschlichen 
Armen  und  Pferdekopf),  nicht  aber  diejenige  der  griechischen 
Kunst  (Pferde  mit  menschlichem  Vorderlcib)  ergeben.  Eine  so 
eigenartige  und  ungewöhnliche  Vorstellung  wäre  schwerlich  — 
und  am  wenigsten  in  der  absichtlich  ausmalenden  Beschreibung^ 
Hesiods  —  durch  die  obigen  Beiwörter  allein  und  ohne  weiteren 
Zusatz,  d.  h.  mit  Verschweigung  der  Hauptsache  ausgedrückt 
worden.  Da  außerdem  die  Wörter  x^'^^^jy  "'bf'/*'  häufiger  vom 
Haupthaar  und  Nacken  des  Menschen,  als  von  der  Mähne  und 
dem  Halse  der  Tiere  gesetzt  werden,  liegt  kein  Grund  vor  jene 


1)  Pausan.  V,  17,2.    10,  2.     V^j^l.  J.  J.  Schubring  deCypselo  CorinÜiior. 
tyranno.     Gotting.  18G2  p.  24— 29. 


Qestalt  der  Kentaareo.  81 

Epitheta  in  theriomoq)hisehem  Siune  zn  verstehen  ^  und  es  wird 
deshalb  wol  bei  der  zaerst  von  J.  H.  Voß,  Myth.  Br.  U,  n.  33 
ansgesproehenen  Deatung  sein  Bewenden  haben,  daB  die  Bezeich- 
nung Tiere  bei  Homer  nur  auf  Tierähnlichkeit  gemünzt  war,  daß 
die  Sänger  des  alten  Epos  dabei  nur  eine  etwas  wildere,  durch 
zottigen  Haarwuchs  am  ganzen  Leibe,  vorzttglich  an  Kopf  und 
Nacken  entstellte  Menschengestalt  im  Sinne  hatten. 

Woher  kam  dann  den  Bildnern  die  kentaurisehe  Mischgestalt? 
Wir  antworten  auf  diese  Frage  mit  dem  ehrlichen  Geständniß  des 
Nichtwissens,  vermuten  aber,  daß  eine  verschollene  Sage  dazu 
Veranlassung  gegeben  hatte,  welche  neben  den  auf  uns  gekom- 
menen Kentaurensagen  herlaufend,  und  für  sich  Gegenstand  epi- 
scher Bearbeitung  geworden,  einen  oder  mehrere  Kentauren  viel- 
leicht in  Folge  einer  bestimmten  Situation  derartig  geschildert 
hatte,  daß  in  der  Zeichensprache  der  Kunst  die  nachmals  durch 
Generalisierung  fllr  die  Darstellung  auch  aller  übrigen  Kentauren- 
sagen maßgebend  gewordene  Zwiegestalt  als  der  getreueste  Aus- 
druck dieses  Gedankens  gelten  konnte. 

Die  Betrachtung  einiger  Analogien  wird  vielleicht  fllr  das 
Verständniß  unseres  Falles  förderlich  sein.  Auf  dem  Kypselos- 
kasten  waren  mehrere  Menschen  -  und  Tiergestalten  mit  fremd- 
artigen Zutaten  dargestellt,  Artemis  und  die  Rosse  sowohl  des 
Pelops  als  diejenigen  der  Thetis  mit  Flügeln,  Boreas  mit  Schlan- 
genfUßen  und  vemmtlieh  ebenfalls  mit  Flügeln  (s.  Voß  Myth.  Br. 
I,  Br.  35  p.  239),  Ker  mit  Krallen  an  den  Händen,  der  personi- 
fizierte Schrecken  (Phobos)  als  Mann  mit  Löwenkopf  Hier  Überall 
waren  die  fremden  Gliedmaßen  der  allegorische  Ausdruck  einer 
dem  dargestellten  Wesen  innewohnenden  Eigenschaft.  Manche 
dieser  Zeichen  mögen  zuerst  von  den  nach  einem  Notbehelf  su- 
chenden Bildneni  eingeführt  sein,  vielfach  aber  hatte  diesen 
die  Poesie  bereits  vorgearbeitet,  sei  es  durch  Vergleiche,  welche 
ihnen  Anregung  gewährten,  sei  es  durch  Phantasicgebilde,  welche 
den  Gedanken  bereits  in  anschaulichen   Gestalten  verkörperten. 


1)  Durcli  diese  Bemerkunp^  und  das  Ganze  unserer* obigen  Ausein- 
andersetzungen erledigt  sich  J.  H.  Vossens  irrige  Ansicht,  zur  neueren 
Pabel  gehörten  die  Kentauren  im  Hynin.  in  Merc.  v.  224  mit  ihrem 
haarigen  Nacken  und  unmenschlichen  Fußspuren,  wodurch  Halbrosse  ange- 
zeigt würden. 

Mannhardt.    U.  6 


82     Kapitel  ü.    Die  wilden  Leat«  der  griechiBchen  und  römischen  Sage. 

So   gingen  die  Flttgel|   welche   der  göttlichen  Jägerin  Artemis, 
den   in  der  Wettfahrt  siegenden   göttlichen  Bossen   des  Pelops, 
dem  über  Land  und  Meer  schwebenden  Gespanne  der  Nereiden 
znr  Bezeichnung  wunderbarer  Schnelligkeit  beigelegt  wurden,  un- 
zweifelhaft in  letzter  Instanz  auf  Vergleiche  im  Epos,  wie  Hymn. 
hom.  in  Cer.  v.  43  von  Demeter  j^aevaro  d*  üat'  olatvog^^  zurück. 
Die  Keren  haben  bereits  auf  dem  Schilde  des  Herakles  bei  He- 
siod   als  dahinraffende  Todesgöttinnen  Krallen,   aus   demselben 
Grunde  die  Moiren  und  Achlys  (tiefe  Bekümmemiß).    Vgl.  Ifann- 
hardt  Germ.  Myth.  S.  626).    Boreas  wird  noch  von  Tyrtaios  als 
laufend  geschildert;  die  Drachenschwänze  an  Stelle  der  Fttße  auf 
dem  Kypseloskasten  setzen  eine  andere  poetische  Auffassung  ge- 
wisser Erscheinungen  des  Naturereignisses  voraus,  und  Lieder,  in 
denen  das  geschah,  müssen  damals  neben  anderen,  welche  Boreas 
ganz  menschlich  schilderten,  hergelaufen  sein.     Aehnlich,  meine 
ich,  werde   die   Zwiegestalt  der  Kentauren   die  Versinnlichung 
einer    dem    Wesen    derselben    einwohnenden    Eigenschaft    sein, 
welche  eine  nur  noch  in  fernen  Nachwirkungen  fortlebende  Dich- 
tung hervorgehoben  hatte.      Vielleicht  ist  es  nicht  zufällig,   dafi 
auf  dem  Kypseloskasten  grade  Cheiron  als  Halbroß    uns    bege- 
gnet, daß  eine  schon  vom  Logographen  Pherekydes  nacherzählte 
genealogische  Mythe  zur  Erklärung  speziell  dieser  seiner  Mißge- 
stalt ersonnen  war.    War  Cheiron  etwa  Träger  jener  verscholle- 
nen Sage,   aus  welcher  der  Koßleib    der  Kentauren    entuonunen 
istV    Er  war  ja  der  Lehrer  des  fußschnellen  (jroßiixt^g,   ttoöuq- 
xtjg,    7r(idag  jLOAvg)   Achillens   und    soll    diesen   darin  unterwiesen 
haben,  „schnell  wie  der  Wind,"  loog  avifioig^  das  Wild  im  Lauf 
einzuholen.     Der  Vergleich  schnelles  Laufes  mit  dem  Winde  war 
und  blieb  den  Griechen   sehr  geläufig  (vgl.  die  Worte  ftodaiQog, 
aello/rovg,    aelXoTrogy    jcvoii/ioig  und  Ilodavsftog)]    ly^^S  I,  3 
bekennt,  den  unkriegerischen  Mann  nicht  zu  achten: 

Nein,  und  war'  er  Kyklopen  an  Riesenwuchs  und  Gestalt  gleich, 
Siegt'  er  im  Laufe  sogar  über  den  thrakischen  Nord. 

In  einer  Gigantomaehie  und  demnächst  bei  Pherekydes,  Dositheos  . 
und  Hygin^   ist  die  Sage  erzählt,   Kronos  habe  sich  in  ein  Koß 


1)  Phorec.  Fragm.  33.  Schol.  Apoll.  Rhod.  I,  554.  II,  1233.  Ci 
Duentzer  fragm.  ep.  p.  3.  Dosith.  p.  71.  Hygin.  f.  138,  p.  16.  Schmidt. 
Schol.  Apoll.  Rhod.  U,  1235. 


*  Gestalt  der  Kentauren.     Ixion.  83 

verwandelt  und  mit  der  Philyra  den  Kentauren  Cheiron  erzeugt. 
Diese  Ueberlieferung  setzt  die  Ilalbrottgestalt  des  Cheiron  voraus, 
%n  deren  Erklärung  die  ganze  Er/ilhluug  ersonnen  scheint.  Die 
Erfindung  schmeckt  nach  dem  Zeitalter  der  Göttergenealogien 
resp.  Hesiods;  Kronos,  der  Herscher  einer  noch  halb  chaotischen 
Urzeit,  ist  der  Vater,  damit  nicht  Zeus  eine  umnenschliche 
MiBgestalt  erzeugen  soll.  Eine  ähnliche ,  aber  offenbar  noch  s])ä- 
tere  Dichtnng  läßt  die  Itoßkentauren  aus  der  Begattung  des 
Ixionsohnes  Kentauros  mit  magnesischen  Stuten  hervorgehen.  So 
las  Pindar  (Pyth  2,  78 ff.)  in  irgend  einem  Gedichte;  al)er  ohne 
Zweifel  war  dies  ein  zugedichteter  Zug,  erst  in  junger  Zeit  einer 
älteren  Mythe  ganz  lose  angefltgt,  welche  vom  Keutauros  berich- 
tete, ohne  seine  Roligestalt  zu  kennen,  oder  zu  erwähnen. 

Die  Mythe  lautet  nach  Pindar  und  Schollen  folgendermaßen : 
Ixion  (nach  Aischylos  des  Antion,  nach  Pherekydes  des  Peision, 
nach  einigen  des  Ares  und  nach  Asklepiadcs  des  Phlegyas  Sohn) 
hat  Dia,  die  Tochter  des  Deionais,  geheiratet,  der  mit  Ge- 
walt das  Brautgeschenk  vom  Schwiegersohne  eintreibt.  Daflttr 
rächt  sich  dieser,  indem  er  eine  Grube  gräbt  und  mit  Feuer  fllllt 
{diOQv^ag  ßoi^gov  y.al  jrhiQtoaag  nvQ6g)y  in  welche  er  den  treulos 
zum  Schmause  geladenen  Deioneus  fallen  läßt.  Derselbe  ver- 
brennt {üaiXO^foy  üg  Ttjv  nvQctv  tvdov  tTttae  y,ai  yLaTey.cn'thj).  Nie- 
mand habe  den  Ixion  vom  Morde  reinigen  wollen,  nur  Zeus 
erbarmte  sich  seiner,  entsUndigtc  ihn,  führte  ihn  ni  den  Himmel 
nnd  nahm  ihn  sogar  zu  seinem  Tischgenossen.  Doch  der  Schänd- 
liche vergaß  die  Woltat  und  trachtete  der  Hera  nach.  Da  schob 
Zeus  eine  der  Gülte rkönigin  ähnliche  Wolke  unter.  Ixion  um- 
armte sie  stürmisch  {lov  öi  V^/ornr  xhuadtievov  FfpoQfnjimi  y.ai 
mtQai^h^rivai)  und  aus  beider  Verbindung  ging  ein  wilder 
(äyQtOi:)  und  wunderlicher  (rf^aifr/Ji^c)  Kerl  hen'or,  den  man 
KeMtnuros  hieß.  Nachmals  fesselte  Zeus  die  Füße  und  Hände 
des  Ixion  auf  ein  rwi(j  sieh  drehendes  Rad ,  indem  er  ausrief,  es 
gezieme  sich,  Woltäteni  mit  Gutem  zu  vergelten,  nicht  ihnen  zu 
schaden.  Pindar  legt  diese  Sentenz  dem  „am  flugschnelle^t 
Bad  allivärfs  int  Kreise  gerollten  ^^  ^  Ixion  in  den  Mund  als 
eine  Mahnung,  die  er  nach  der  Götter  Gel)ot  allem  Volke  zuru- 
fen  muß.    Es   ist   deutlich,    daß  Pindar   die  Fabel    als  bekannt 


1)  'Ev  TTTfQÖfvTi  T(ioxtp  TtnvTä  xvlivSdf^ivov.    Find.  Pyth.  11,  40. 

6» 


Bi     Kapitel  ü.    Die  wilden  Leute  der  griecbiachen  und  römischen  Sage. 

Yoraassetzt,  and  daß  schon  frühere  Dichter  (Simonides?  Bakchy- 
lides?)  dieselbe  als  Beispiel  ftlr  einen  ethischen  Satz  bearbeitet 
hatten.  Das  weist  auf  noch  ältere  Quellen  zurück.  Weiter  hin- 
auf fUhrt  kein  äußeres  Zeugniß,  der  Widerspruch  gegen  Homers 
Angabe,  der  Ixion  zum  Vater  des  Peirithoos  macht,  scheint  so- 
gar auf  den  ersten  Blick  die  ganze  Erzählung  zu  einer  neueren 
Erfindung  zu  stempeln.  Eine  genauere  sachliche  Analyse  eigiebt 
jedoch,  wie  es  scheint,  überzeugend  das  Alter  derselben  und 
ihren  Ursprung  aus  einem  Naturmythus. 

Die  Verflechtung  Ixions  auf  ein  ewig  rollendes  Rad  ist  eine 
so  singulare  Strafe,  daß  sie  als  epische  Entwickelung  aus  der 
Verschuldung  des  Heros  nicht  verstanden  werden  kann,  vielmehr 
wird  sie  den  Kern  der  Fabel  gebildet  haben ,  *  um  den  sich  das 
Uebrige  anspann.  Und  in  der  Tat  hat  dieser  Zug  alle  Vermu- 
tung des  Alters  und  der  Echtheit  fttr  sich,  wenn  man  erwägt, 
daß  bei  Homer  des  Ixion  Sohn  mit  offenbarer  Anspielung  auf 
eine  Eigenschaft  des  Vaters  Fetri-thoos  der  liingsumläufer* 
heißt;  wenn  II.  14,  318  Zeus  sich  rühmt,  denselben  mit  des 
Ixions  Ehegemahl  erzeugt  zu  haben,  so  setzt  dies  als  frühere 
Sagengestalt  die  wirkliche  Vaterschaft  des  Ixion  voraus ;  nur  der 
Wunsch,  das  Ansehen  des  Helden  Peirithoos  noch  zu  vergrößern, 
hatte  einen  Rhapsoden  veranlaßt,  den  Göttervater  einzumengen. 
Berechtigt  uns  diese  frühe  Spur  des  Mythus  nach  verschiedenen 
Analogien  an  ein  zu  Grunde  liegendes  Naturbild  zu  denken,  so 
bietet  sich  von  selbst  eine  Erklärung,  auf  welche  schon  alte  Dich- 
ter verfallen  waren,  deren  einer  dem  Logographen  Pherekydes 
als  Gewährsmann  diente.  Asclepiad.  Fragm.  3 ;  Schol  Pind.  Pyth. 
II,  39:  jiqoi^ioioQOvat  dt:  fWo/,  loc:  xal  ftaveifj  o  ^I^iiov  cic;  za* 
(DtQe^vdtjg'  yiai  T/yi'  i/cl  lov  t()oxov  xolaaiv  avuo  /t aQtyxexiitQrixa' 
aiv    vjcö  yaQ  öivijg  xai  O^vekkrjg  avcov  i^agn aOy^ivia 


1)  Der  Naiiie  Ixion  ist  wol  Hypokorisma  einer  zweistäminigen  Form,  etwa 
jii(-aToo((>oq  auf  dem  Rade,  mit  der  Achse  herumgedreht.    Vgl.  FicksAw- 
einundorsetzungen  über  die  Bildung  der  griech.  Eigennamen  auf  -(tav.    P«^ 
souenn.  S.  XXXIV.     «chon  Kuhn  (Herabk.  60)  und  Breal  (le  mythe  d'  Oedipe 
10)  nahmen  den  Anlaut  von  Ixion  als  Schwüchung  von  a;    nach  ihnen  licg^ 
eine  Form  'f^ifuv  ■=  skr.  Akshivan,  Achseuträger ,   Radmann  (vgl.  gr.  Ä^ 
Achse,  tiu'te^tt,  Wagen,  skr.  akshas,  lat.  axis,  ahd.  ahsa)  zu  Grunde.     'Vgl. 
auch  CurtiuB  Grundz.  "^  G43  Anm. 

2)  Vgl.  Pott  Za.  f.  vgl.  Öpr.  VII,  93. 


Gestalt  der  Kentauren.    Ixion.  85 

(fx^a^^vai  g>aair.  Ixion  war  der  Wirbelwind,  das  Bad  die 
Umdrehung  einer  Trombe  (o.  8.  38).  Ein  Knabe  aus  Zoppot  bei 
Danzig  beschrieb  mir  1864,  sein  Vater  habe  auf  der  Chaussee 
nach  Koliebke  ein  feuriges  Bad  mit  großem  Geräusch  „schisch! 
schisch !  '^  in  horizontaler  Lage  fliegend  sieh  fortbewegen  gesehen. 
Der  deutsche  Volksglaube  behauptet,  im  Wirbelwind  sitze  der 
Teufel,  ein  Hexenmeister  oder  eine  Hexe;  sobald  man  ein  Mes- 
ser, Hut  oder  Mütze  hineinwerfe,  höre  er  auf  [vgl.  das.  Abschie- 
ßen der  Kanonenkugel,  u.  S.  86  Anm.  unt.];  der  Hut  sollte  Ober- 
herrschaft über  den  Dämon  begrtüiden  (vgl.  RA.  148  ff.  Bk.  392), 
das  Messer  denselben  verwunden.^  Dann  fällt  nach  manchen  Sa- 
gen der  Zauberer  oder  die  Hexe  nackt,  oder  mit  ausgestocJienem 
Auge  aus  dem  Wirbel  herab.  Dem  Neugriechen  schreitet  oder 
tanzt  im  Wirbelwinde  die  Neraide  (o.  Ö.  37  flf.)  oder  der  Teufel,  der 
daher  auch  o  liveftoi;  heißt.  *  Ganz  ähnlich  sehen  wir  im  Typhös 
auch  schon  eine  griechische  Verbildlichung  des  Wirbelsturms  als 
ein  persönliches,  unholdes  Wesen,  dem  bei  plötzlichem  Sturm, 
Stoßwind,  Wirbelwind  (xaratyigy  f()i(o?.i^,  arQOiit?A0(Sf^g  rireiiog) 
—  aller  dieser  Vorsteher  war  Typhos,  Typhon  —  das  Opfer  eines 
schwarzen  Lammes  gebracht  wurde,  damit  er  aufhöre  (Schol. 
Arist.  Equ.  511.     Ran.  847).^     In  den  homerischen  und  hesiodei- 


1)  Vgl.  Manuhanit  Gött(Twelt   d.  d.  u.  nord.  Völker  99.      Kuhn  nordd. 
Sag.  454,  405.  406. 

2)  Schuiidt  Volkslebeu  der  Neujrriechen  175.  177. 

3)  Da  es  für  UDserc  Untersuchung  von  Wichtigkeit  scheint,  lasse  ich  eine 
Beschreibung  dos  Naturphänoniens  aus  dem  Munde  der  Alten  und  n:ich  neue- 
ren wissenschaftlichen  Beobachtungen  folgen.  Plin.  histor.  nat.  II,  cap.  48: 
Nunc  de  repentinis  Hatibus  qui  cxhalante  terra  coorti,  rursusque  dejecti, 
Interim  obducta  nubium  cut<',  multiformes  existuut.  Vagi  quippe  et  ruen- 
t€8  torrentium  modo  tonitrua  et  fulgura  edunt.  Majore  voro  iUati  pon- 
dere  incursuque,  si  latc  rupere  nubem,  procellam  gignunt,  quae  voca- 
tur  a  Graecis  Ecnephias  (^xt'ftfuti).  Sin  vero  depresso  sinu  arctins  rotati 
effregerint,  sine  igne  hoc  est  sine  fulmine  vorticcm  faciunt,  qui  Ty- 
phon vocatur,  id  est  vibratus  Ecnephias.  Defert  hie  secum  aliquid 
abruptum  e  nube  gelida,  convolvens,  versansque,  et  ruiuam  suam  illo  pondero 
2iggrü\'fina ,  et  locum  ex  loco  mutans  rapida  vertigine:  praecipua  na- 
Tigantiam  postis,  nou  auteimas  modo ,  verum  ipsa  navigia  contorta  frangens, 
tenui  remedio  aceti  in  advenientem  etfusi,  cui  est  frigidissima  natura.  Idem 
illisu  ipse  repercussus,  corropta  secum  in  caelum  refert,  sorbetqne 
in  excelsum.  Quod  si  majore  depressae  nubis  cruperit  spccu,  sed 
minus   lato,   quam    procella,   nee  sine  fragore  Turbinem    vocant,   proxima 


86     Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  griechisches  and  römischen  Sage. 

sehen  Gestalten  Typhöeus  und  Typhaon  ist  die  Personifieation 
diefeer  Naturerscheinung  mit  der  poetischen  AuiTassung  des  Vul- 
cans  vermischt.  Auch  der  Araber  sieht  im  Wirbelwind  einen 
Dschin,  wirft  ein  Stück  Eisen  hinein  und  ruft:  ,, Eisen,  o  Unse- 
liger!^^ (Bk.  132  Anm.  l).    Wie  leicht  also  konnte  es  geschehen, 

qnaeque  prostementem.     Idom   ardcntior,   accensusqne  dum  fiirit,   Presier 
vocatur,   aniburens  contaeta   paritcr  et  protercns.    Hiezu  vergl.  man  die 
Schildertiiig  bei  Martins,    Troiubcs  terrestres  in  Poggcndorfs  Annal.  81,  444. 
Schniid  Meteor.  1860  S.  552,  der  wir  aus  Arago's  wertvoller  Zusammenstel- 
lung vielfacher  Einzelbeobachtun«^en  (Werke,  Lpzg.  1860.    B.  XVI,  S.  254  bii 
286)   noch   einige   Züge   hinzufügen.    „Nicht  selten  geht  der  Windhose  ein 
Gewitter  voraus  oder  begleitet  sie/'     Fast  immer  entwickelt  sie  sich   ans 
einer  Wolke,  die  sich  in  Form  eines  Kegels  oder  Schlauches  der  Erde  nähert 
Das  Aussehen  dieser  Wolke   gleicht  dem   Rauche   einer  Feuersbrunst   oder 
eines  mit  Steinkohlen  gespeisten  Ofens  und  fast  immer  bemerkt  man 
darin  unter  Begleitung  von  Blitzen  [daraus  hervorsprühenden  Flammen, 
Feuerkugeln,  Funken],  heftig  wallende  und  wirbelnde  Bewegungen.    Fast 
alle  Beobachter   haben    beim  Herannahen  der  Windhose    ein   starkes  Ge- 
räusch bemerkt,    vergleichbar    mit  dem  Dröhnen  eines  schweren  Lastwa- 
gens auf   stoinigcm  Damm  oder  eines  Eisenbabnzugs  [,,Den  raschen  Lauf 
der  Trombe  begleit ote  ein  Geräusch,    wie  das  Hollen    eines   galoppierenden 
Wagens  über  das  SteinpÜaster;    die  Explosion  der  Feuer-  und  Dampfkn- 
goln    hörte  sich    an,   Avie   das  in    Intervallen    rasch   aufeinanderfol- 
gende Geknatter  von  Flintenschüssen  und  der  stürmisehe  Wind  ließ 
dazu  ein  entsetzliches  Pfeifen  vernehmen"].     Der  Weg  der  Windhose  über 
i\\o  p>dobcrflächi^  ist  mit  Trümmern  bezeichnet.    Bäume  werden  entwur- 
zelt und  i^estürzt,  verdreht,  zcrspellt  und  zujjrleich  ausgedörrt,  [Steine  und 
FelsbliH'ke  weit  hinweggeschleudert,  Gebäude  zertrümmert,  erschüttert,  ab- 
gedeckt,  Sand,  Erde,    Pflanzen,    Dachziegel,  Heuschober,  Kornhan feo. 
zuweilen  Menschen  und  Tiere  vom  Wirbel  ergriffen,  zerstreut  und  Streckten 
weit  durch  die  Luft  fortgeführt].     Das  Phacnomen  ist  von  einem  sehr  stin- 
kend eu  seh  wefelartijxen  Geruch  begleitet.    Die  Wirbelsäule  hat  nicht 
selten    das  Aussehen    eines  von  einem    starken  Luftstrom   bewegten  Bandes 
oder  die  Gestalt  einer   mehrere  Hundert  Schritte  langen  Schlange.     Wäh- 
rend des  Wirbelstunns  herrscht  nicht  selten  völlige  Dunkelheit.     [„Die Sonne 
soll,  wie  die  meisten  Zuschauer  versichern,  um  diese  Zeit  gar  nicht  j^feschi«*- 
neu  haben."      „Die  Säule    verbreitete    sich  an  der  Obertiäche    der  Erde  onH 
Hell  einen  sehr  schwarzen  Rauch  ausströmeu  ,   welcher  die  ganze  Ebene  bc- 
tleckte  und  eine  solche  Finsternift  erzeugte,  dal5  die  Bewohner  der  nnih>" 
gcnden  Anhöhen  glaubten ,  die  Conmiune  von  St.  Seurin  sei  ganz  verschwan- 
den uud  vom  Meteore  verschlungen  worden."]     Sobald  aber  die  Trombe  »vni 
zerteilt,    tritt   plötzlich  Windstille   und    Sonnenhelle    ein,    und  «uglei<'b 
schweigt    der  Donner,    der   vorher   von   allen  Seiten   des  Firma- 
mentes   vernehmbar   gewesen    ist.     Man  kann  die  Windhose  zerreißen, 
wenn  man  eine  Kanonenkugel  oder  Flintenkugeln  dahinein  abfeuert. 


Gestalt  der  Kentanren.    Ldon.  87 

daß  der  Olaabe,  in  der  Trombe  sitze  ein  b()ser  Dämon  ^  in  die 
Vorstellung  von  einem  anseiigen  Geiste  umschlug,  der  verwünscht 
sei,  im  Kade  oder  auf  einem  Rade  sich  zu  drehen.  Mit  dieser 
Deutung  stimmen  alle  Einzelheiten  des  Mythus  auf  das  vollstän- 
digste und  beste  zusammen.  Das  Phänomen  berührt  und  ver- 
düstert den  Himmel  und  kann,  wie  des  Typhöeus  Ansturm  gegen 
Zeus  lehrt;  als  ein  Angriff  auf  die  höchste  Himmelsmacht  (hier 
Hera)  aufgefaßt  werden^  aber  die  Wolke  schiebt  sich  unter,  welche 
jedesmal  von  oben  sich  herablassend  den  Beginn  des  Schauspiels 
bildet,  woher  der  griechische  Name  i-Avetfiag  (o.  S.  85).  Ihr 
steigt  vom  Erdboden  ein  Wirbel  entgegen,  so  daß  die  ganze  Er- 
scheinung als  Vermählung  zweier  Wesen  aufgefaßt  werden  konnte, 
wie  in  Rußland,  wo  der  Wirbelwind  der  Brautzug  des  Ljeschi 
oder  der  Tanz  des  Ljeschi  mit  seiner  Braut  genannt  wird 
(Bk.  143).  Jene  von  Ixion  umarmte  Wolke  konnte  aber  auch 
Jia ,  die  himmlische ,  genannt  werden ,  und  aus  dem  Dampf  und 
den  feurigen  Entladungen,  welche  das  Phaenomen  des  Wirbel- 
sturmes jedesmal  begleiten,  erklärt  sich  von  selbst,  weshalb  Bei" 
on-eus  (doppeltes  Hypokorisma  eines  mit  dry/'o-c,',  sengend,  bren- 
nend, verzehrend  [vgl.  dtjioi'  jivq]  zusammengesetzten  Namens, 
wahrscheinlich  J ti'tji  i-qoc:)^  von  seinem  Schwiegersohne  in  der 
mit  Kohlen  gettillten  Grube  verbrannt  wird;  ja  sogar  die  Grube 
hat  in  der  Wirklichkeit  ihr  Vorbild ,  insofern  die  Säule  des  Wir- 
belwinds, wo  sie  die  Erde  berührt,  jedesmal  eine  Verftefufig 
bewirkt.  *  Ursprünglich  bestand  die  Legende  aus  zwei  Erzählun- 
gen, in  deren  einer  Nephele,  in  deren  anderer  Dia  das  Weib 
des  Ixion  hieß.  Zu  welcher  von  beiden  die  Bestrafung  des  Ixion 
mit  dem  Wirbelrade  gehr)rte,   wie  und  wann  die  Durchdringung 


1)  Cf.  Pütt  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  VII,  91.    VIII,  428. 

2)  Vjjl.  das  Phaenomen,  Assonvalle  bei  Boulogne  6.  Juli  1822  Mittags. 
Mehrere  Wolken  von  verschiedenen  Seiten  sammelten  sich  zu  einer  einzi- 
gen Wolke,  die  den  ganzen  Horizont  übordeckto.  Aus  dieser  senkte  sich 
ahfbald  ein  Kegel  dichten  Dampfes  von  der  bläulichen  Farbe  des  brennen- 
den Schwefels  herab,  dessen  Grundfläche  auf  der  Wolke  ruhte»  während 
die  Spitze  sich  zur  Krdo  senkte,  bald  darauf  eine  von  der  Wolke  ge- 
löste sich  drohende  Masse  bildete.  Diese  erhob  sich  mit  d^m  Ge- 
räusch einer  explodierenden  Bombe  und  ließ  auf  der  Erde  eine  Vertie- 
fung in  Gestalt  einer  kreisförmigen  Höhlung  von  8  Meter  Umfang 
zurück. 


88     Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  griechischen  nnd  romischen  Sage. 

derselben  mit  ethischen  Motiven  und  ihre  Vereinigung  vor  sich 
ging;  ist  nicht  mehr  auszumachen. 

Der  Sohn  der  Wolke  und  des  Wirbelwindes,  Kiv%avqo^ 
muB  selbst  eine  meteorische  Erscheinung  sein,  sei  es,  daß  er  eine 
bloße  Wiederholung  gewisser  Wesensseiten  des  Vaters,  wie 
0ai&wv  des 'ff Aioc;,  war,  oder  daß  man  schwächere  Windtrom- 
ben  von  geringer  Ausdehnung  und  weniger  verderblicher  Wirkung, 
wie  sie  bei  heißen  Sommertagen  häufig  über  Aecker  und  Wald 
tanzen,  als  Kinder  eines  stärkeren  Wirbelsturms  ansah,  oder  daß 
der  die  Trombe  begleitende  oder  ihr  nachfolgende  sons%e  Luft- 
zug als  ihr  Sprößling  betrachtet  worden  ist.  Hiemit  dürfte  sich 
auch  die  Etymologie  des  Wortes  nivr-atQog  als  Luftstachler, 
Luftanspomer  vertragen,  insofern  der  im  Wirbel  oder  im  Luftzug 
inwohnende  Geist  die  Luft  anspornt,  zum  Laufe  antreibt  (Vgl 
xivaaiy  II.  XXIII,  337  vom  Anspornen  der  Pferde,  xevr^cci,  x^V- 
TQov).  Vielleicht  wäre  sogar  die  Auffassung  als  „Roß-anspomer" 
erlaubt,  wenn  mit  Kuhn  und  Ebel  Zs.  f.  vgl.  Spr.  IV,  42;  V, 
392  ein  Substantiv,  aiQogj  Renner,  Pferd  ==  skr.  arvan,  aus  dem 
bei  Grammatikern  angeftlhrten  Adj.  avgog  =  ''^ax^g  und  avQoiy 
hxywoi  Lobeck  Aglaoph.  II,  848  erschlossen  werden  dürfte.  Diese 
Deutung  empfiehlt  sich  doch  wol  noch  eher  als  A.  Kuhns  nach 
eigenem  Geständniß  auf  lauter  sprachlichen  Ausnahmen  beruhende 
Gleichstellung  von  Kentauros  mit  dem  indischen  GatidJiarvaj^ 
zumal  da  auch  die  austllhrlich  begründete  sachliche  Uebereinstim- 
mung  bei  näherer  Prüfung  unter  den  Händen  verschwindet.    Denn 

1)  Cf.  Zeitschr.  f.   vgl.  Sprachf.  I,  5U— 512,  bes.  S.  514-516.      Vgl. 
Kuhn  Hcrabkunft  des  Feuers  S.  132.  173.  253.  —  Ixion  wird  dabei  (Zs.  f.  vgl. 
Spr.  I,  535)  auf  das  Sonnenrad,  Chciron  wird  als  Beiname  des  Sonnengottos 
wegen  der  Sonnenstrahlen  nach  Analogie  von  hiranyapäni,  (goldhandig)  für 
den  indischen  Helios  Savitar   und  von  (to^oJnxTv).og  '//wj  (a.  a.  O.  536),   der 
nach  jungen  Quellen  von  Cheiron  als  Lehrer  der  Jagd   geführte  Bogen  wird 
auf  den  Regenbogen    (Herabkunft  S.  253) ,   die  von    den  silbernen  Kentauren 
auf  dem  Schilde  des  Herakles  geschwungenen   goldenen  Fichten  worden    ^Zs. 
f.  vgl.  Spr.  I,  540)   als  die   hinter  Wolken   hervorbrechenden  Sonnenstrahlen 
(vgl.  engl,  beam)  gedeutet.    Kuhns  Hypothese  hat  mannigfache  Zustimmung 
gefunden  (z.  B.  bei  W.  Schwartz  Urspr.  d.  Myth.  S.  10.    Ebel  Zs.  f.  vgl.  Spr. 
V,  392.    A.  Maury,  histoiro  des  religions  de  la  Grece  antique  S.  202.    Breal, 
le  mythe  d'Oedipe  S.  10);  sprachliche  Bedenken  erhob  schon  Pott  Zs.  f.  vgl 
Spr.  VII,  88.     S.   auch   Fick ,   die    Spracheinheit    der   Indogermanen  S.  153. 
Uebereinstimmend  mit  Kuhns  Deutungen  hatte  Lauer  System  d.  gr.  Myth.  280 
Ixion  für  eine  Epiphanie  des  Apollon  erklärt. 


Gestalt  der  Kentauren.    Lapithen.  89 

wenn  Gandhanra  die  hinter  der  Wolke  und  den  Nebeln  verbor- 
gene Sonne  ist  (Kuhn  a.  a.  0.  518  if.),  so  entspricht  dem  auf  Seite 
der  Kentauren  kein  Zug.  Die  IJebercinstinjmungen ,  daß  die 
Gandharven  nach  Trunk  und  Weibern  lüstern  und  Sammler  heil- 
kräftiger Kräuter,  dazu  die  Gatten  der  Apsarasen ,  d.  h.  der  Was- 
ser- oder  Wolkenfrauen  sind,  wozu  ich  nach  Atharvav.  IV,  37, 11 
bei  Muir  Orig.  Sanscr.  Text«.  V,  S.  309  noch  tilge,  daß  sie  gleich 
Hunden  oder  Affen  haarig  erscheinen,  wilhrend  eine  Abart  von 
ihnen ,  die  Kinnaras  (d.  h.  Halbnienschen)  als  Männer  mit  Pferde- 
köpfen geschildert  werden,  diese  Uebereinstiramungen  reichen 
unter  den  erörterten  Umständen  nicht  hin,  um  das  Urteil  der 
hi^rischen  Identität  beider  Wesen  zu  begriinden,  so  lange  die 
Grundvorstellung  —  so  viel  wir  erkennen  können  —  auseinan- 
dergeht. Die  Natur  der  Kentauren  als  Windgeister,  Dämonen 
des  Sturms  und  Wirbelwindes  bestätigt  sich  dagegen  durch  die 
von  ihnen  als  Waffen  geschwungene^^  Bäume  und  im  Kampf  ge- 
sddeudertah  Felsstücke  (o.  S.  41  ff.),  während  auch  ihre  lamjen  ufid 
tairreti  Ha^re  ein  auch  sonst  den  Sturmgeistem  eignendes  Attri- 
but sind  (Bk.  148).  In  einem  Dithyrambos,  welchen  Aristophanes 
Kubb.  336  verspottet,  war  die  Kede  von  den  Locken  (/f  Aox«//o/)  des 
hundertköpfigen  Tt/plios,  ^  Als  Windgeister  mochten  die  Kentauren 
endlich  fußschnell  genannt  (vgl.  die  /foJet;  Lc/.af.iaTai  desTyphoeus 
Hes.  Theog.  824,  o.  Ö.  80)  und  roßlUßig,  roßgestaltig,  sich  in  ein 
Roß  wandelnd,  oder  auf  einem  Roß  reitend  geschildert  werden. 
Der  russische  Waldgeist  Ljeschi  kreischt,  lacht,  klatscht,  belÜ 
wie  ein  Hund,  hrüllt  wie  eine  Kuh  [auch  Typhöeus  brüllt  wie 
ein  Stier,  und  belfert  wie  Hündlcin],  sodann  wieliert  er  wie  ein 
Pferd.  Bk.  139.  Der  vom  Roß  entnommene  Name  KinavQoi, 
Luftspomer,  läßt  beinahe  vermuten,  daß  man  sich  die  Kentauren 
u.  a.  auch  als  Sturmrc/^r  gedacht  habe. 

Wie  fügt  sich  zu  diesen  Deutungen  die  homerische  Angabe, 
daß  Ixion  und  Peirithoos  Lapithen  ^  die  Lapithen  aber  Menschen 
(aVcJ^ec)  waren  im  Gegensätze  zu  den  Kentauren,  die  von  ihnen 
aufs  heftigste  bekämpft  wurden?  Macht  nicht  die  früher  bezeugte 


1)  Tavi''  an  lno(otv  vyQdv  Mnff).ür  or(}t/iTaiylny  dtiiov  oQfiav, 
nXoxdfxovq  0"  txni oyxnf  tilu  Tvifih,  Jim]tnavnva(tq  it  Ov^XXttg.  Kudra, 
der  Sturuigott,  lieißt  »»bonso  der  Gelockte  (kapardliin,  keyi),  auch  die 
Gandharven  einmal  windhaarig,  vayuke^an. 


90     Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  ^echischen  und  römischen  Sage. 

und  innerlich  bewähi*te  Genealogie  Ixion-Peirithoos  Lapithenk()nig 
die  später  auftauchende  Ixion  -  Kentanros  von  vorneherein  unglaab- 
würdig?  In  dem  Falle  nicht,  wenn  die  zuerst  bei  Pindar  auf- 
tauchende Mythe  als  eine  einst  neben  Homer  herlaufende  gleichalte 
Variante  der  ersteren  Sage  sich  erweisen  ließe.  Und  das  tut  sie 
wirklich^  wie  es  den  Anschein  hat  Um  es  gleich  heransznsageiiy 
auch  die  Lapithen  waren  kein  wirkliches  ,,halbmythi8che8^  ^ 
Volk ,  sondern  ganzmythische  Gestalten,  ursprünglich  Personifizie- 
rungen von  Sturmerscheinungen,  und  deshalb  konnte  ihnen  der- 
selbe Ahnherr  zugesprochen  werden,  wie  den  Kentanren.  Wenn 
Peirühoos  den  Herumläufer  bedeutet,  mithin  eüi  Doppelgänger 
Ixions  ist,  müssen  auch  die  Lapithen  im  allgemeinen  derselben 
Art  gewesen  sein.  AaTT-i^-ai  (gebildet  wie  sQ-id'-og^  Lohn- 
arbeiter von  oQ  Curtius  Grundz.  ^  S.  306)  entsprießt  dem  Stamme 
Xajr ,  reißen,  raffen,  zerstören,  welcher  in  lai-laip^  artog  (Aat-, 
Aa-  verstärkende  Vorsatzpartikel)  Sturmwind  mit  Regen  erhal- 
ten ist,  von  Düntzer  (Zs.  f.  vgl.  Spr.  XU,  12  ff.)  auch  in  kano^o, 
d'la/tdKco,  ausleeren,  zerstören  und  plündern  (IL  H,  367.  XXIV, 
245  u.  8.  w.)  gesucht  wird.  Es  ist  eine  Nebenform  von  ^a/r, 
griech.  gewöhnlich  ctQ/c-^  wozu  lat.  rapio,  rapax,  gricch.  uQuaS, 
aQ7iah-oi;  und  der  Name  der  raffenden  Sturmgöttinnen  ^.AQiivim. 
Eine  Nebenform  wiederum  der  Wurzel  rap  war  rup,  brechen, 
zerreißen,  wohin  lat.  rumpo,  griech.  Xv:ü-iu}^  betrübe,  skr. 
lurap.-ami,  breche,  verderbe.  S.  Curtius  Grundz.*  S.  238.  240. 
Mithin  stehen  die  Lapithen  den  llarpyicn  etymologisch  und  auch 
wol  dem  Wesen  nach  ganz  nahe.  Dies  ttihrt  uns  zu  einer  kurzen 
Untersuchung  über  diese  llalbgotthcitcn. 

Die  Ilarpiiien  des  griechischen  Altertums  entsprechen  genau 
gewissen  Gestalten  unserer  deutschen  Sagen.  Bei  Homer  sind 
sie  Göttinnen  des  Sturmes,  welche  unversehends  Menschen  aus 
Gesicht  und  Gehör  wegraffen;  Tclemach  und  Eumaios  geben 
ihnen  des  Odysseus  Enttiihrung  Schuld.-  Dieselbe  Meinung  erhellt 
aus  der  Rede  der  Pcnelopc  Od.  XX,  63  ff.,  wo  sie  den  Wunsch 
ausspricht,  ein  Sturmwind  (xh'-Ma)  möge  sie  in  die  Höhe  raffen 
((n'((Q;f((^(«Ta)  imdj  weit  hinweg  über  dämmernde  Pfade  fortschrei- 
tend, sie  dahintragen  und  hinwerfen,   wo  kreisend  die  Flut  des 


1)  Bursian  Googr.  v.  Griechenland  I,  45. 

2)  iVfT  Ji  juiv  (cxht(b$  Z-ionviai  uvf\QU\pavTo.    Od.  I,  241.    XIV,  371. 


Gestalt  der  Kentauren.    (Uarp3rien.)  91 

Okeanos  ausstrümt.  So  hätten  einst  die  Sturmwinde  (^vekkai) 
des  Pandareos  Trichter  in  die  Höhe  gerissen.  Der  verwaisten 
Kinder  hätten  Athene,  Artemis,  Here  und  Aphrodite  gepflegt 
und  ihnen  alle  bei  Frauen  begehrenswerten  Eigenschaften  mitge- 
teilt Als  nun  Aphrodite  sie  vermählen  wollte,  hätten  die  Ilar- 
pyien  die  Mädchen  gerauht,  und  den  Ermnyen  dienstbar  gemacht. 
Hesiod  Theog.  267  denkt  sich  die  Harpyien  Sturmfuß  und 
Schneüfliegerin  (Aello,  Hypokorisma  wol  von  Aellopus,  Stumifufi 
Okypete)  als  schöngelockte  (rjr/.oftoi)  Göttinnen  (vgl.  o.  S.  89), 
welche  mit  der  Fittige  Schwung  des  Windes  Anhauch  und  himm- 
lische Vögel  erreichen.  In  die  Argonautensagen  war  femer  der 
alte,  schon  von  Hesiod^  behandelte  Mythus  vonPhineus  verfloch- 
ten. In  der  sehr  altertümlichen  Form,  welcher  ApoUodor  1, 1»,  21 
folgt ,  lautet  er  der  Hauptsache  nach  folgendermaßen :  Der  ge- 
bletulete  Phineus  wurde  von  den  Harpyien  belästigt,  welche,  so- 
bald ihm  der  Tisch  gedeckt  war,  vom  Himmel  mit  Geschrei 
herabflogen,  die  meisten  Speisen  ivegraubten  und  die  übrigen 
Brocken  mit  solchem  Gestmik  iHilmßet  zurückließen,  daß  sie  zum 
Essen  untauglich  waren.  Vom  Schicksal  war  ihnen  bestinmit 
durch  die  liorcadcn  umzukommen ,  diesen  hinwiederum  selbst  zu 
sterben,  wenn  sie  mit  der  Verfolgung  nicht  zum  Ziele  gehangen 
könnten.  Als  nun  die  Nordwindsöhue  Zefes  und  Kaiais,  mit  den 
Argonauten  nach  Thracien  gekommen,  die  Not  des  Phineus  sahen, 
rissen  sie  ihre  Schwerter  heraus  und  verfolgten  die  Harpyien 
durch  die  Luft  bis  zu  den  strophmlischcn  Inseln,  die,  vorher 
Ikihinaden  genannt,  ihren  Namen  daher  bekamen,  daß  hier  die 
eineHaqiyie,  nachdem  die  andere  schon  abgefallen  war,  umkeh- 
ren wollte;  als  sie  aber  gegen  das  Ufer  kam,  flel  sie  vor  großer 
Ermattung  mit  ihrem  Verfolger  zugleich  nieder.  Die  von  Hesiod 
benutzte  Fassung  der  Sage  scheint  mehrere  Jligentümlichkeiten 
gehabt  zu  haben.  Er  erzählte  (Strab.  VII,  p.  iO.S.C),  die  Har- 
pyien hätten  Phineus  in  ein  fernes  Land,  das  der  Milehesser 
(durch  die  Luff)  entfährt  (lov  ilhrta  i,io  taov  \!{t;in(iiv  (iycirO^ai 
,yrX((Aroqtiyiov  i/c  cxlav  (xjii'-i'cti^  fHAi*  ^/or^^)l'*'),  wozu  Heyne 
Observ.  ad  Apoll.  I,  D,  21  bemerkt:  ('eterum  Hesiodeam  narra- 
tionem  habenms   adhuc  in  Orphicis  quae  liinc  illustranda  v.  675. 

1)  Frapn.  CLWXIX  mIuzu  v^l.  Kirohhoff  im  riiilol.  XV,  10  und  Bergk 
n.  Jahrb.  f.  Phil.  1873,  :jy,  G)  und  CCXl,  p.  21»4.  2l>9.  Göttling. 


92     Kapitel  IL    Die  wilden  Leute  der  griechischen  und  römischen  Sage. 


6.  7:  avzaQ  ifciKaineyrjg  BoQtt^g  aTQOfpddeoaiv  aiklaig 
ccQTta^ag,  e-Avlxvdev  viro  dQVfxa  rtviava  aal  vhxg  Btatnvir^^  %m 
xrjQ*  (ikoijv  %ai  notfiov  uticn-Q,  In  den  hesiodeisclien  EiOeen, 
welche  die  Blendung  des  Phinens  damit  motiirierten  ^  dai  er 
Fhrixos  den  Weg  gezeigt  habe,  war  die  Beraubung  des  Mahles 
durch  die  Uarpyien  mit  sehr  altertümlichen  Zügen  geschildert, 
„elg  rag  nvoag  hqsxnv,"  „in  die  Windhauche  liefen  sie*^  (die 
Harpyien)  SchoL  Apoll.  Rhod.  II,  178 ff.  276 ff.;  wozu  die  Be- 
schreibung des  Theognis  (um  540  v.  Chr.)  Paraen.  v.  534 
stimmt : 

wxvTfQog  S^  ftridf&n  Tiodag  tnx^&v  jiQnvtüVj 

xai  TiaiStav  BoqIov,  rdtv  ätpaQ  dot  nöSig. 

Ob  du  auch  hurtiger  wärst,  wie  die  faßgeschwinden  Harpyien, 

Oder  des  Boreas  8ölin',  eilend  mit  flüchtigem  Faß. 

Für  €ig  Tag  7cvoag  erQsxov  hätte  gesagt  werden  können  und  ist 
auch  wol  einmal  gesagt  eig  rag  avQOipadag  sc.  äillag  (vgl  o. 
Z.  1).  So  offenbart  sich  auf  eimnal,  durch  welches  Mißverständ- 
niß  man  dazu  kam,  die  Verfolgung  der  Harpyien  bis  zu  den 
gleichnamigen  Strophadcninseln  gehen  zu  lassen.  —  Zuweilen 
nehmen  die  windschnellen  Harpyien  Roßgestalt  an.  Homer 
erwähnt  IL  XVI,  149  ff.  die  unsterblichen  Rosse  des  Achilleus,  welche 
die  Harpyic  Fußschnell  (lIodaQyr^)  dem  Westwind  gebar,  als  sie 
auf  der  Wieso  am  Okeanos  geweidet.  Die  Bildersprache  dieser 
Mythen  blieb  völlig  durchsichtig.  Die  Harpyien  sind  eine  weib- 
liche Persouwerdung  einer  milderen  Form  der  nämlichen  Natur- 
erscheinung, deren  furchtbarste  Gestaltung  eine  andere  griechische 
Landschaft  als  den  männlichen  Dämon  Typhoeus  auffaßte,  d.h. 
des  Menschen  mit  sich  fortreißenden  Wirbelwindes,  der  ja  auch 
bei  Neugriechen  als  Lebensäußerung  der  Neraide  gedacht  wird 
(o.  S.  37).  Ganz  genau  entsprechen  deutsche  und  nordische  Auf- 
fassungen. In  den  Niederlanden  sagt  man,  wenn  Wirbelwinde  auf 
Erden  wüten  und  alles  mit  fortreißen,  die  fahrende  Mutter  Judie  ihre 
Umzüge. '  Am  Niederrhein  heißt  es ,  im  Wirbelwind  sitze  eine 
böse  Hexe,'^  ebenso  im  Lechrain.  Die  Hexen  können  einen 
Sturmwind  erregen,  in  dessen  Windgäspeln  sie  sich  dann  ver- 
bergen ,  und  Getreide  oder  Heu  mit  sich  fort  nach  Hause  flihren.' 

1)  J.  W.  Wolf  Niederl.  Sag.  1843  S.  GIG.  n.  518. 

2)  Kuhn  Westf.  Öap.  II,  93. 

3)  Leoprechting  Lechrain  S.  15.  101. 


Gestalt  der  Kentauren.    (Harpyien.)  i^ 

In  Westfaleu  denkt  mau  beim  Wirbelwinde  an  niehrere  dämo- 
nische Weiber,  „da  fliegen  die  Buschjangl'ern"  (Bk.  8G).  Seit 
alten  Zeiteu  heißt  der  einem  Gewitter  voraasgekende  Wirbelwind 
in  Deutsehland  Wimlsbraut ,  Windis  prüt  oder  das  ,,  fahrende 
Weib,"  Vgl.  ff  Lief  spätide  als  ein  wiudiB  brüt  durch  daz  gras."  * 
„Die  Windsbraut  ist  Vorläuferin  einer  Witterung,  eines  Unwet- 
ters, das  kommen  wird.  Den  Staub  treibt  sie  wie  Rauch  von 
großem  Feuer  in  die  Höhe  und  itihrt  ihn  weit  fort."  ^  Geht  man 
voraus  nicht  auf  die  Seite  y  so  nimmt  sie  einen  mit,  —  Jemand 
war  unterwegs;  da  kam  die  Windsbraut  daher.  Er  ward  zornig 
und  rief:  „Komm  nur  wieder,  du  Hexe"  und  warf  sein  Messer 
hinein.  Da  nahm  ihn  der  Wind  mit  und  führte  ihn  zweihundert 
Stunden  weit.  Hier  harrte  seiner  im  Wirtshause  ein  Mann  mit 
einem  Auge;  der  zeigte  ihm  sein  Messer  und  sagte:  „Schau,  das 
zweite  Auge  hast  du  mir  ausgestochen!"  Er  warnte  ihn  ilir  die 
Zukunft  und  ließ  eine  Windsbraut  kotnmen,  die  ihn  wieder  heim 
führte.  ^  In  Schweden  wird  dieser  Wirbelwind  als  ein  Mädchen 
(Thors  pjäska)  gedacht,  das  dem  Blitz  vorherläuft  (Bk.  128), 
oder  als  ein  Trollweib,  eine  Skogsnufva  (Waldfrau),  welche  der 
gute  Vater  (Gofar),  d.  i.  der  Donner,  verfolge  (Bk.  a.  a.  0.). 
Diese  Vorstellung  wendet  sich  zuweilen  dahin,  daß  der  personifi- 
zierte Sturm,  König  Oden,  hoch  zu  Roß,  mit  seinen  Jagdhunden, 
und  begleitet  vom  Donner  der  Trollfrau  nachjage,  sie  endlich 
erlege  und  quer  über  sein  Roß  hänge  (Bk.  137  ff.).  Dieser  schwe- 
dischen entsprechen  zahlreiche  deutsche  Sagen,  in  welchen  vom 
unldeti  Jäger  oder  von  den  tvilden  Jägern  (den  Geistern  des  Stur- 
mes) ein  gespenstiges  Weib  (Wetterhexe  mit  roten  fliegenden 
Haaren,  weißes  Weib)  die  Buhle  des  Verfolgers,  oder  eine 
ganze  Schaar  wilder  Frauen ,  Unterirdischen  u.  s.  w.  verfolgt 
werden.  Jemand  sieht  ein  Weib  ängstlich  vorüherlaufen ,  bald 
darauf  stttrzt  ein  Reiter,  der  wilde  Jäger  mit  seinen  Hunden,  ihr 
nach,  und  es  dauert  nicht  lange,  so  kehrt  er  wieder  und  hat 
die  Frau,  welche  nackt  ist,  quer  vor  sich  auf  dem  Pferde  liegen.* 


1)  Mj-th.«.  598.  599. 

2)  Schönwertli  aus  der  Oberpfalz  II,  112. 

3)  Schön werth  a.  a.  0.  115. 

4)  Vgl.  W.  Schwartz  der   Volksgl.  u.  d.   a.  Heidentum  Ai\fl.  «  S.  22  ff. 
43  ff.    Bk.  82  ff  86.  105  ff.  109  ff  112,  115.  116.  121.  122  ff.  128.  149  ff 


94     Kapitel  11.    Die  wilden  Leute  der  griechischen  und  römischen  Sage. 

In  Mecklenburg  jagt  Fru  Wauer  die  unterirdischen  oder  weißen 
Weiber,  Einst  kam  Mutter  Wamcke  in  Sukow  aus  der  Back- 
kaninier  und  hatte  eben  den  Teig  eingesäuert^  um  am  anderen 
Morgen  zu  backen.  Da  hr>rte  sie  in  der  Lowitz  das  Gretöse  der 
wilden  Jagd  und  im  Nu  waren  die  Hunde  da,  drangen  groß  und  klein 
mit  „Juckjack  huuch!"  in  die  Backkammer,  fielen  über  den  Teig 
und  schlürften,  als  ob  sie  bei  der  Tranktonne  wären.  Die  alle 
Frau  rief  in  ihrer  Angst:  „Nu  frett  dat  DUwelstUg  mi  all  den 
Deg  up!"  Zu  gleicher  Zeit  gab  Fru  Wauer  ein  Hornsignal  und 
die  Meute  stürzte  zur  Tür  hinaus.  Neugierig  schielte  Mutter 
Wamcke  aus  der  Tür  und  sah  Fru  Wauer  hoch  zu  Boß  die  bei- 
den weißen  Weiber  mit  den  Haaren  zummnie^igelznüpft  vor  sitk 
über  dem  Pferde  hängende  Auch  sonst  heißt  es  von  der  wilden 
Jagd :  „Läßt  man  die  Tür  auf,  so  zieht  der  Wode  hindurch,  und 
seine  Hunde  vermehren  alles,  was  im  Hause  ist,  sonderlich  den 
Brodteig  y  wenn  eben  gebacken  wird.  *  Von  der  wilden  Jägerin 
Frick  wird  erzählt,  daß  sie  einem  Bauer,  der  mit  Mehlsäckcn 
von  der  Boitzenburger  Mühle  kam,  begegnete.  In  seiner  Her- 
zensaugst soliüttete  er  seine  Mehlsäckc  den  anstürmenden  Hunden 
dahin,  die  sogleich  darüber  herfielen  und  ulle^  Mehl  an/fraßen. 
Auch  in  einem  norwegischen  Märcrhcn  7iimmt  der  Nordwind 
einein  Bur sehen  dreimal  das  Mehl  weg,  wie  es  in  manchen  Ge- 
genden Sitte  war,  bei  starkem  Winde  einen  Mehlsack  auszustau- 
ben, um  den  Wind  zu  ftittcrn.  ^  Vom  Wirbelwinde  im  Frühjahr 
sagt  der  Schwede:  „Der  Troll  ist  draußen  Stint  su  stehlen^* 
(Bk.  12S).  In  Franken  ruft  man,  wenn  der  Wirbelwind  etwas 
von  Heu  oder  Oelreide  in  die  Lnlt  und  mit  sich  fortgedreht  hat, 
der  vermeintlich  im  Wirbel  steckenden  Hexe  (Trübte)  zu:  „Du 
Luder,  hast  doch  et ivas  mif genommen J^^  In  Böhmen  heißt  der 
Wirbelwind  Karasek.  Er  ist  ein  boshafter  Geist,  der  die  Men- 
schen neckt  und  ihnen  s(;hadet,  indem  er  plötdich  die  Garben 
vom  Felde  wegträgt.     Oft  ist  er  so  stark,   daß  er  dem  Menscheo 

unvermutet  in  die  Augen  fahrt  und  ihn  des  Augenlichts  beratM^ 

-   -      - \ 

1)  Niedorhüflr»'r  Moil'lonburgs  Volkssagen  III,  »S.  1*J1. 

2)  Müllenhoff  Schleswig -holst.  Sag.  n.  500  S.  372. 

3)  W.  Schwartz  a.  a.  0.  25—27. 

4)  Royuitsch  Truhton ,  und  Truhtensteine  1«02  S.  78. 

5)  V.  GrobmaDu  Aberglauben  und  Gebräuche  aus  Mähren  8. 15,  73. 


Gestalt  der  Keutaureu.    (Harpyien.)  % 

Nach  diesen  Analogien  wird  wol  kein  Zweifel  sein,  daß  die 
Mythe  von  Verfolgung  der  Harpyien  durch  die  ßureaden 
eine  griechische  Variation  der  germanischeu  von  Ver- 
folgung (Ter  Trollweiber ,  lloljsfräulein,  weißen  Frauen, 
u.  8.  w,  durdi  die  wilden  Jäger ,  Oden  u.  s.  w.  war;  und  daß 
za  ihr  der  Kampf  des  Zeus  mit  TypbOeus  sieh  grade  so  verhält, 
wie  zu  der  ihr  entsprechenden  deutschen  Sage  die  Feindschaft 
Thors  gegen  die  Trolle,  des  Donners  gegen  die  Waldwciber, 
Biesen  a.  s.  w.  (Bk.  luu.  128).  Die  Blendung  oder  Blindheit  des 
Phineus  (des  Himmels  V  liimmelsriesen  V ')  erklärt  sich  durch  die 
Verdeckung  des  Sonnenlichtes  (o.  S.  86)  beim  Phänomene  des 
Wirbelstnrms.  Der  Baub  der  Speisen  scheint  mir  aus  dem  Fort- 
ilihren  des  Getreides  vom  Erntefelde  durch  den  Wirbelwind,  oder 
aas  Sagen,  welche  jenen  deutschen  von  Ausschttttuug  des  Mehls 
parallel  gingen,  jedenfalls  aus  drr  Vorstellung  von  Gefräßigkeit 
des  Windes  (Wirbelwindes)  notwendig  hervorgegangen.  ^  Sollte 
der  Zug,  daß  die  Har])yien^  indem  sie  das  Mahl  des  Phineus 
entraffen,  zugleich  die  übriggelassenen  Brocken  mit  übelriechefi- 
dem  Unrat  besudeln,  welchen  Apollonius  (Argon,  II,  189  ff.  228  ff. 
270  ff.)  vorträgt,  noch  auf  alte  und  echte  Quellen  zurtickgehn,  so 
ließe  er  sich  ttiglich  auf  den  nach  dem  Auiliören  des  Wirbelwin- 
des bemerkbaren  stinkenden  Schwefelgeruch  (o.  S.  86)  deuten. ' 
—  Endlich  hat  auch  die  Verwandlung  der  ilaq>yie  in  ein  Roß 
Dordeuropäische  Analoga.  Beweisend  wäre  schon  die  Anitihrung 
eines  Volksausdruijks  in  Masureu.  Wenn  der  Wirbelwind  so 
stark  ist,  daß  auch  Erde  aufgerührt  und  mitgetUhrt  wird,  so  sagt 
man:  „Am  Pferd  fliegt  durch  die  llWiTw."  *  Wir  sind  aber 
sogar  im  Staude,  wenigstens  an  euicr  besonderen  Form  der  in 
Rede  stehenden  nordeuropäisclicn  llebcrlieferungen  noch  beide 
Hauptzüge  der  Harpyiensjige  (die  im  Sturme  veri'olgten  Weiber 
und  deren  Koßgestalt)  beisammen  nachzuweisen.  Die  im  Sturme 
gejagte  Frau,  dieser  unselige  (icist,  wurde  vom  regen  Gewissen 
des  christlichen  Volkes  in  die  Seele  der  gn'^ßten  Frevlerin  am 
Heiligen,   der  Pfaffenhure  umgedeutet.     Bald  ist  nun  von  einer 


1)  Vgl.  W.  Schwartz,  Ursprung  der  Myth.  1^), 

2)  Vgl.  W.  Mannliardt  Oöttcrwelt  H.  100. 

3)  Vgl.  auch  W.  8chwartz  Ursprung  8.  197. 

4)  Toppen  Abergl.  a.  Masurcn.    Aufl.  2,  S.  34. 


96     Kapitel  11.    Die  wildeu  Leute  der  griechischen  npd  rdinischeii  tta^e. 

einzelnen  Coucnbiua  sacerdotis  die  Kede,  welche  ein  wilder  JSger 
verfolgt,  bald  (wie  bei  den  Harpyien)  bilden  Verfolger  und  Ver- 
folgte eine  ganze  Schaar.  Diese  Pfaffenköchinnen  heiBen  aber 
auch  die' Reitpferde  des  Teufels,  der  sie  nach  manchen  Sagen 
mit  Hufeisen  beschlagen  iUßt.  Sie  werden  also  auch  als  Bosse 
(«=  Wirbelwinde)  gedacht.  ^  Beide  Vorstellungen  combiniert  die 
Sage,  daß  die  tvüd^n  Jäger  (das  wilde  Gjaid)  in  einem  schiffiB- 
artigen  Schlitten,  vor  den  die  in  der  Christnacht  mit  Hufeisen  be- 
schlagenen Seelen  böser  Dienstm'ägde  als  Pferde  gedpannt  sind, 
die  Wildfrauen  jagen.    Bk.  120. 

Wenn  der  Name  die  Ijapithen  den  Harpyien  äufierlich  ver- 
wandt erscheinen  läßt,  80  zeigt  der  „Ringsumläufer**  Peirithoos 
nun  auch  ihre  innere  Verwandtschaft.  Sie  sind  gleichsam  männ- 
liche Harpyien,  eine  schwächere  Auflage  des  (ursprünglichen) 
TyphOeus  oder  Typhaon.  Typhaon  wird  von  Hesiod  als  vßQt- 
aTi)g  avo(.io(;  (oder  avifiog)  bezeichnet  (Theog.  307),  grade  so 
bedeutete  lajiluo  sich  übermütig  betragen,  luniai/jg  em  Prahler. 
In  Böhmen  sagt  man,  im  Wirbelwinde  fahre  die  Brauty  die  sich 
der  Teufel  von  der  Erde  holt,  in  Masuren:  „der  Teufel  fakri 
zur  Hochzeit  j*^  ^  in  Rußland  ist  der  Wirbelwind  die  Vermählung 
des  Waldgeistes  und  der  Tanz  desselben  mit  seiner  Braut  (Bk. 
143);  in  Deutsehland  hieß  die  Erscheinung  seit  alters  auch 
Windsbraut  y  Pfaffen/zM/v,  Cow€«^/wa  sacerdotis.  Halten  wir  dazu, 
daß  die  Kentauren  als  Waldgeister  lüstern  sind  (o.  S.  39.  45), 
daß   dem   russischen   Bauer    die  Verwüstungen   der  Orkane  aus 

1)  Vgl.  Bk.  120.  123  Anm.  4.    German.  Myth.  711.    Wolf  Beitr.  II.  143. 
145.     Noch  ein  Helag  aus  Frankreich:     „Nos   moissonneuri^   appellent   ser- 
vantes  de  pretres  ces  suiulaines  et  violentes  bonifees  de  vent  qui,  par  on 
temps  calme,  survicnnent  tout  a  coiip ,  sonlcvent,   cbassent.  devant  elles,   et 
emportent  en  tourbillounant,  Houvent  a  de  grandcs  distanccs.  les  javelles  des 
chauips,  le»  andains  des  pres,  la  poussiere  des  chemins.     Laianel  de  la  Salle, 
Croyauces  ei  legendes  du  centre  de   la   France  II,  138.      „ITne  meHchiiie  de 
prestre,  perseverant  et   niourant  on   pecbie,    est    chevalet    au    dyable." 
„Quant  vouH  veez  un  cheval  si  terrible,    qu'il    ne  veult  soufTrir  qa'on   loonte 
ßur  lui,    ou   ne   veult   entrer   en  un  navire  ou   sur  un    pont,    dLstes  luy  en 
Toreille  ces  parolles :    (Cheval ,   aussi  vraj  quc  meschine  de  prestre  est  che?a] 
au  dyablo,   tu  vueilles  que  je  monte  sur  toy.    Et  tantost  il  sera  painible,  et 
en  forez  vostre  volontt^.     Kvangile^  des  qucnouilles  Saec.  XV  (Nouv.  ed.  p.  P. 
Janet.  Paris  1855.  p.  133.  90).    Vgl  aucb  Scbottniüller  die  Krügerin  von  Eich- 
medien.   Bartenstein  1875. 

2)  Grobmann  Abgl.  a.  Böbm.  S.  35,  195.   Toppen  Abgl.  a.  Masuren.*  di 


Lapithen  und  Kentauren.  97 

dem  Kampfe  der  Whldgeister  (Liesowih)  gegen  dnatider  entsprin- 
gen y  wobei  die  Kämpfer  hundertßüirige  Baumstämme  und  vieriau- 
send  Pfund  schwere  FelsstiicJce  auf  Entfernungen  von  hundert 
Werst  gegeneinander  schleudern,  *  sowie  daß  nach  neugriechischer 
YorsteUung  die  Ortsgeistcr  in  den  Stürmen  einander  wütende 
Schlachten  liefern:^  so  liegen  nan  die  Elemente  völlig  klar^  aas 
denen  die  Sage  von  der  Uochzcit  des  Pcirithoos,  von  dem  bei 
dieser  erfolgten  Angriff  der  Kentauren  auf  die  Braut,  und  von 
dem  Elampfe  zwischen  Lapithen  und  Kentauren  entsprossen  ist. 
Die  beiden  Gregner  in  diesem  Streite  waren  also  ursprünglich 
gleichartig  y  ^  Lapithen  und  Kentauren  synonym,  oder  doch  höch- 
stens so  verschieden  wie  Wirbelwind  und  Sturm,*  und  daher 
konnten  sie  in  zwei  verschiedenen  Sagen  sehr  wol  als  Kinder  des- 
selben Vater»  genannt  werden.  Mit  der  Verflechtung  der  Sage 
ins  Epos  beginnt  der  Prozeß  der  Vermenschlichung,  welcher  an 
beiden  Teilen  in  ungleichem  Maße,  an  den  Kentauren  sehr  un- 
vollkommen, an  den  Lapithen  aber  fast  vollständig  sich  vollzogen 
hat,  weil  fiir  letztere  als  folgenreicher  Factor  der  Humanisierung 
die  Gemeinschaft  mit  den  geehrtesten  Helden  der  Vorzeit  (The- 
seas  u.  8.  w.)  wirksam  wurde ,  welche  die  der  Naturgrundlage 
des  Mythos  vergessene  Dichtung  nach  und  nach  ihnen  als  Hel- 
fer zugesellte. 

1)  Bk.  139.  Afanasieff  poet.  Naturansch.  IT,  S.  333.  Vgl.  Um  Alt- 
bunzlau  sagt  man ,  wenn  oin  starkes  Gewitter  ist  und  die  Winde  gegeneinan- 
der wehen,  „die  bösen  Engel  streiten  wider  einander*'  und  der  ge- 
meine Mann  nm  Au  Big  erklärt  sich  den  Hagel  daraus,  daß  böse  Geister  sich 
in  der  Luft  bekämpfen.  Sie  schleudern  Mühlsteine  gegen  einander,  die  auf- 
einanderstoßend in  tausend  kleine  Stückchen  zerspringen  und  als  Hagelkörner 
herunter&llen.    Grohmann  Abergl.  a.  Böhmen  S.  33,  n.  183.  184. 

2)  S.  Schmidt  Volksl.  d.  Nengriechen  S.  189.  In  Rumolien  kämpft  der 
Meergeiflt  mit  dem  Geiste  einer  tausendjährigen  Platane.  Wenn  einer 
besiegt  wird,  sterben  in  der  Nachbarschaft  viele  Menschen.  Auf  dem  Gipfel 
des  Parnasos  liefern  sich  die  verschiedenen  Ortsgeister  dieses  Gebirges  tobende 
Schlachten,  und  von  diesen  leiten  die  Arachobiten  die  Schneestürme  ab. 

3)  Die  Gleichheit  würde  noch  stärker  hervortreten,  wenn  die  bei  Eustath. 
ad  Rom.  p.  102,  2  erhaltene  Etymologie  eines  Grammatikers  (Herodians?  Ah- 
rens  Dial.  Dor.  160),  Peirithoos  habe  den  Namen  (Ringsumläufer),  weil 
Zeus  in  Roßgestalt  werbend  dessen  Mutter  umkreiste,  auf  eine 
ältere  und  echte  üeborlieferung  gebaut  wäre.  Doch  beruht  dieselbe  wahr- 
Bcheinlich  auf  einer  bloßen  Verwechselung  der  La[)ithon  mit  den  roßleibigen 
Kentauren  von  Seiten  eines  gelehrten  Grüblers. 

4)  Oder  wieFangga  und  wilder  Mann  (Bk.89),  Skogsfru  und  Kulte  (Bk.l27). 

Mannkardt.    II.  7 


98     Kapitel  n.    Die  wilden  Leate  der  griechischen  nnd  römischen  Sag». 

Nunmehr  sehen  wir  uns  ausgerüstet,  ^durch  eine  einfache 
Zusammenstellung  der  an  den  Rentauren  wahrgenommenen  Eigen- 
schaften die  im  Anfange  unseres  Aufsatzes  ausgesprochene  Be- 
hauptung ihrer  Einerleiheit  mit  unseren  taildcn  Männern  zu 
erhärten.  Die  Kentauren  sini- Berg-  und  Waldgeister;  das  Pe- 
liongebirge ,  welchem  sie  am  nächsten  zugehören ,  war  besonders 
waldreich  (vgl.  TlrjXiov  vl¥jsv  o.  S.  48),  *  nicht  minder  die  Pholoe, 
wohin  die  Verpflanzung  der  Sage  ihren  Sitz  übertrug.  Aus  Bfto- 
men  nahmen  sie  ihren  Ursprung,  Cheiron  aus  der  Linde,  Pholos 
aus  der  Esche  (o.  S.  43.  48),  ganz  ähnlich  sind  die  Fanggen  Kinder 
der  Stutzföhre,  Rohrinde,  oder  sie  heißen  selbst  wie  diese  Wald- 
bäume (Bk.  89.  91).  Die  Kräuter  des  Waldes  und  Oebirges 
wuchsen  unter  ihrer  Obhut  Im  Luftzüge,  der  den  Wald  belebt, 
äußerten  sie  sichtbar  ihr  Dasein,  sei  es,  daß  derselbe  in  Stnrm 
und  Wirbelwind  zu  furchtbarer  Größe  anschwillt  nnd  alles  mit 
sich  fortreißt,  sei  es,  daß  er  als  sanfterer  Hauch  den  Wanderer 
umfächelt.  Darum  sind  die  Kentauren  einerseits  schreckhafte 
Unholde,  welche  FelsblOcke  und  entwurzelte  Bäume  als  Waffen 
schleudern;  auch  das  Geschenk  Cheirons  an  Peleus,  die  auf  dem 
Pelion  geschnittene  Esche,  welche  kein  gewöhnlicher  Sterblicher 
als  Lanze  heben  kann ,  ist  noch  epische  Verwertung  dieses  Zuges. 
Es  lag  daher  nahe,  daß  eine  andere  Auffassung  die  Kentanren 
vom  Wirbelsturm  (Ixion)  abstammen  ließ.  Andererseits  aber 
erweisen  sie  sich  dem  Menschen  freundlich  und  hilfreich.  Diese 
Seite  ihres  Wesens  hat  ihren  typischen  Ausdruck  gefunden  in 
Cheiron,  dessen  Name,  wenn  wir  recht  sahen,  mit  der  rettenden 
Tat  einer  Todtenerweckung  in  einer  berühmten  Heldensage  zu- 
sammenhing, und  daher  zum  leuchtenden  Vorbilde  ärztlicher 
Kunst,  ja  der  Lebensrettungen  und  Auferweckungen  des  Askle- 
pios  wurde.  Wie  die  deutsehen  wilden  Leute  und  andere  im 
Winde  waltende  Wesen  waren  sie  von  rauher,  mit  langen  Haa- 
ren behangener  Gestalt;  dazu  passen  ihre  riesigen  unförmlichen, 
den  Waldgeist  anzeigenden  Füße  im  hom.  Hymnus  (o.  S.  79); 
daß  spätere  Bildner  sie  als  Halbrosse  darstellten ,  muß  auf  eine 
verlorene  Sage  zurückgehu,  in  welcher  ein  Kentaur  als  Roß  oder 
teilweises  Roß  geschildert  war.  Grade  so  erscheint  die  den  Ken- 
tauren nah  verwandte  Harpyie   bei  Homer  gewöhnlich  als  Weib, 


1)  Vgl.  Bürsian  Geogr.  v.  Griechanl.  I,  97. 


Wesen  der  Kentauren.  99 

in  einer  Stelle  als  weidendes  Roß.  Das  Roß  ist  eine  Gestalt  des 
Wirbelwindes  (o.  S.  95) ;  der  rassische  Waldgeist  Ljeschi  wiehert 
wie  ein  Pferd  (Bk.  139);  beim  Umzug  der  wilden  Jagd  hört  man, 
wie  nnten  im  Walde  die  Eichen  krachen,  oben  in  der  Lnft  die 
Hunde  bellen ,  die  Wagen  rollen ,  die  Rosse  wiehern,  ^  Da  über- 
dies die  nordischen  Wald-  und  Windgeister  teils  ganz,  teils  teil- 
weise in  zeitweiliger  Tiergestalt  erscheinen,  der  vollen  Kuhgestalt 
der  dänischen  Waldfran  der  Kuhschwam  der  schwedischen  Skogs- 
nufVa  und  norvegischen  Huldra  (Bk.  126.  128  ff.),  der  vollen 
Oeißgestalt  der  Delle  Vivane  (Bk.  116)  die  Bockshörner  und 
Bocksfüße  der  Dialen  und  Ljeschie  (Bk.  95.  138)  entsprechen, 
der  in  Baiem  zuweilen  Windmu  genannte  Wirbelwind  in  Thü- 
ringen und  Pranken  auch  Sflstert,  Schwelnezagel,  Sauzagel  ange- 
redet wird:'  so  sehen  wir  durch  diese  Analogie  zahlreicher  Bei- 


1)  Myth. »  877,  Schwartz  Der  heutige  Volksglaube.  Aufl.  2  S.  29.  Ein 
romanisches  Seitenstöck  dor  Kentauren  ist  der  zumeist  boshafte  südtirolische 
Orco  (Bk.  110.  338),  dor  bald  als  Mensch,  bald  als  Roß  erscheint. 
Häufig  zeigt  er  sich  als  Kugel  (Alpenbni^  Myth.  74,  16.  StaflTler  Tirol  IT, 
2,  294.  8.  Y.  Hörmann  Mythol.  Beitr.  a.  Wälschtir.  12  ff.)  oder  als  Knänel 
(Schneller  Sag.  a.  Wälschtir.  219.  VI,  6);  er  entführt  Bauern ,  die  ihm  nach- 
spotten, zwei  Stunden  weit  durch  die  Luft  fort  (Alpcnb.  Myth.  74,  17)  und 
hinterläßt  beim  Verschwinden  einen  ekelerregenden  Gestank  (Alpenb. Myth. 
73,  15.  Staffier  a.  a.  0.).  Diese  Zöge  föhren  unverkennbar  auf  eine  Perso- 
Bifieation  des  Wirbelwindes  hin;  grade  so  stürzen  die  schwedischen  Trolle  vor 
dem  Donner  flüchtend  (Bk.  128.  149)  in  Gestalt  einer  Kugel  oder  eines 
Knäuels,  oder  eines  Tiers  vom  Berg  auf  die  Wiesen  hinab;  gleich  hinter- 
her schlägt  der  Blitz  ein  (Afzelius  Sagohäfder  1,  10.  Grimm  Myth.*  952. 
Baß  wurm  Eibofolke  11,  §.  380)  und  die  norveg.  Huldre  fahren  ebenfalls  sau- 
send daher  wie  graue  Garnknäuel.  Asbjörnsen  Huldreoventyr  I,  51,  vgl.  47. 
Als  Tiergestalten  des  Orco  werden  Hund,  Geiß,  Lamm,  Esel  genannt;  am 
liebsten  jedoch  erscheint  er  als  Pferd  mit  feuersprühenden  Hufen  (Alpen- 
bnrg  M.  72,  14),  als  Kaufmann,  der  später  plötzlich  als  weißes  Pferd  da- 
steht (Schneller  a.  a.  O.  218,  Vi,  1),  als  weidendes  Ro8,  das  zum  Besteigen 
einlädt.  Wagt  dies  jemand ,  so  verlängern  sich  die  Beine  des  Gauls  derge- 
stalt immer  höher  und  höher,  daß  der  erschreckte  Reiter  aus  schwindelnder 
Höhe  kaum  mehr  den  Erdboden  unter  sich  sieht,  und  dann  gehts  in  sausen- 
dem Galopp  in  die  granseste  Wildniß  über  Stock  und  Block,  bis  der  unglück- 
liche Phaethon  aus  seiner  Luftregion  niederstürzt  und  an  Gesicht  und  Hän- 
den zerschunden  sich  aus  dem  Domgestrüpp  herauswindet  (Staffier  a.  a.  0. 
T.  Hörmann  a.  a.  0.). 

2)  Vgl.  Panzer  Beitr.  z.  D.  Myth.  II.  216.    Schwartz  Der  VolksgL  Aufl.  « 
S.  61.     Mannhardt  Hoggenwolf.    Aufl.»  S.  1. 

7* 


100    Eiapitcl  II.    Die  wilden  Leute  der  griechischen  und  römischen  Sage. 

spiele  von  Roßleil),  sonstigem  TicrkOrper  oder  tierischer  Bei- 
mischung zu  menschlichem  Körper  als  Ausdruck  ilir  das  Wesen 
mehrerer  den  Kentauren  nahverwandter  Naturgeister  die  Bedeu- 
tung und  Entstehung  des  von  der  bildenden  Kunst  fixierten  Ken- 
taurentypuSy  so  gut,  als  wir  es  noch  irgend  hoffen  konnten, 
verdeutlicht.  Wie  die  Skogsnufvar  und  Ljeschie  durch  ange- 
zündete IlolzstUcke  verscheucht  werden  (Bk.  133.  615),  so  be- 
kämpft Herakles  die  Kentauren  mit  Feuerbränden,  die  er  auf  sie 
schleudert  (o.  S.  43).  * 

Soweit  die  Kargheit  unserer  Quellen  einen  SchluA  erlaub^ 
mag  der  Unterschied  zwischen  Lapithen  und  Kentanren,  wenn 
ein  solcher  ursprünglich  bestand,  darin  zu  suchen  sein,  daB 
crstere  Personificationen  des  Wirbelwindes  an  sich  waren,  letztere 
in  sich' die  Beziehung  auf  das  Local  und  die  Pflanzenwelt  des 
Berges  und  Waldes  trugen,  sie  waren  Berg-  und  Waldgeister 
und  die  Bewegungen  der  Luft  ihre  Lebensäußerung.  Typhaon 
oder  T}nphoeus  und  die  Harpyien  sind  mit  den  Lapithen  gewis- 
sermaßen Synonyma,  mythische  Ausdrücke  für  gewisse  Formen 
des  Wirbelwindes,  aber  unzweifelhaft  in  anderen  griechisehen 
Landschaften  gewachsen.  Grade  so  ist  dem  Neugriechen  der 
Wirbelwind  hier  eine  Ncraide  (o.  S.  37),  dort  der  Teufel  (o.  S.  38). 
Zwar  die  Ueberlicfcrung  II.  XVI,  151,  daß  die  Harpyie  Podarge 
des  Achilleus  unsterbliche  ßosse  geboren,  scheint  auch  die  Har- 
pyien schon  der  vorhomerischen  Sage  am  Pelion  zuzuweisen. 
Allein  wenn  auch  die  Ersetzung  der  als  Urform  der  Sage  zu 
erschließenden  Erzählung,  daß  Pelcua  in  verschwiegener  Wald- 
nacht des  Pclion  mit  seiner  schönen  Gefangenen  sich  vermählte, 
durch    eine    Ilochzeitfeier  in   Cheirons  Höhle    einer    frühen   Er- 


1)  So  in  der  von  Apollodor  bewahrten  Tradition.  Erst  in  der,  wie 
schon  die  Kentauren nainen  zeigen,  abweichenden  und  jüngeren  Dichtang, 
welche  Diodor  IV,  12  (nach  dem  Kyklo^aphen  Dionysios  von  Samos?)  auf- 
zog, sind  die  Feuerbrände  von  Herakles  auf  die  Kentanren  übertragen.  Die  Ver- 
treibung der  Dämonen  durch  Feuerbrände  blieb  aber  im  griechischen  Volks- 
glauben lebendig.  In  den  jüngeren  Interpolationen  des  Briefes  Alexanden 
an  Olympias  beim  Pscudocallisthcnes  werden  nackte  schwarzbehaarte  MenscheD- 
fresser,  welche  die  Macedonier  mit  Knütteln  und  Steinen  anfallen,  darch 
Feuer  vortrieben.  Zacher  Pseudocallisthenes.  Halle  1867,  &  137  (33). 
138  (34).  Noch  der  neugriecliisclie  Volksglaube  schreibt  vor,  durch  einen  vor  de» 
Hause  aufgesteckten  Feuerbrand  die  Kallikantsaren  fern  zu  halten.  Schmidt 
Volksl.  d.  Neugr.  S.  150. 


Wesen  der  Kentauren.  101 

weitening  des  ältesten  Peleusepos  (o.  S.  51)  angehört,  wobei 
Poseidon  als  Herr  der  Nereiden  und  zugleich  der  Winde  und 
Wogen  (IToaiidotv  y/i/fios*)  zwei  wunderbare,  windschiiclle  Rosse, 
Cheiron  des  Peleus  Ketter  und  Freund  als  baumschwingender 
Kentaur  die  wuchtige  Esche  schenkend  genannt  wurden,  so  tlUlt 
die  weitere  Entwickelung  der  llochzcitgeschichte,  die  Heranzie- 
hung aller  Götter,  namentlich  des  Apollo  und  der  Musen,  der 
Eris  u.  s.  w.  der  späteren  Weit<^rbildung  des  Epos  zu  (o.  S.  77). 
Eine  solche  von  Homer  bereits  vorausgesetzte  und  vielleicht  schon 
in  Europa  vollzogene  Erweiterung  der  alten  Tradition  ist  denn 
auch  der  Zug,  daß  die  Rosse,  welche  nach  dem  Sinne  der  ur- 
sprünglichen Dichtung  ihre  wunderbaren  Eigenschai'ten  als  Schö- 
pfungen oder  Gaben  des  Poseidon  besitzen,  dieselben  nun  erst 
als  Zeugungen  des  Zephyros  und  der  llaq)yia  empfangen  haben 
sollen.  Hfk'hst  wahrscheinlich  jedoch  entstand  diese  Umdich- 
tang  nicht  mehr  in  unmittelbarer  Nähe  des  Pelion ;  schon  in  kur- 
zer geographischer  Entfernung  aber  konnte  allenfalls  noch  in  Thes- 
salien selbst  statt  der  männlichen  Persouiiication  des  Wirbelwin- 
des in  den  Lapithen  die  weibliche  Harpyia  herschender  Volks- 
glaube sein.  Auf  diese  Weise  löst  sich  die  bedenkliche  und  fUr 
eine  einzelne  Landschaft  unwahrscheinliche  Vielheit  gleichbedeu- 
tender Personifizierungen  desselben  Meteors  (Kentauren,  Ty- 
phaon,  Typhöeus,  Ixion,  Pcirithoos,  Lapithes,  Harpyia)  in  klei- 
nere Reihen  teils  durch  landschaftlichen  Entstehungsort,  teils 
durch  sachliche  Nuancen  unterschiedener  Varianten  auf. 

Durch  die  gegebenen  Nachweise  hoflFe  ich  einer  «ausführlichen 
Widerlegung  der  Ansichten  meiner  Vorgänger  überhoben  zu  sein. 
Uebrigens  vereinigte  sich  die  neuere  Forschung  bereits  in  dem 
Gedanken,  daß  die  Kentauren  Personiiicationen  von  Naturgewal- 
ten waren.  Uebcr  Kuhn  ist  o.  S.  88  berichtet.  Klausen  (Aeneas 
und  die  Penaten  4i)5ft*),  Härtung  (Kelig.  u.  Myth.  der  Griechen 
U,  34),  W.  Röscher  (Jahrb.  f  class.  Phil.  1872  S.  421)  erklärten 
sie  fUr  baumentwurzclnde  Bergströme;  Preller  (Gricch.  Myth.  ^ 
U,  16)  schwankte  zwischen  Gießbächen  und  Stünuen;  W.  Schwartz, 
obgleich  er  Kuhns  Zusammeustelluug  mit  den  Gaudharven  billigt, 
sieht  in  den  Kentiiurcu  doch  ausschließlich  Gewittererscheinungen. 
Demgemäß  ist  ihm  sowol  Philyra  das  „Wetterbaum"  genannte 
Wolkengebildc,  um  welches  Kronos  im  Gewittersturm  buhle 
(Urspr.  d.  Myth.  170),  als  auch  Ixions  liad  das  j^rollcnde  Blitz- 


102     Kapitel  IL    Die  wilden  Leute  der  griechischen  and  römischen  Sage. 

feuer^'  (a.  a.  0.  83);  die  Boßfilße  desKentaars  Cheiron  gehen  auf 
den  hallenden  gleichsam  galoppierenden  Boviner  (a.  a.  0.  166). 
Blitze  sind  auch  die  himndischen  Heilkräater^  welche  Cheiron 
austeilt  (a.  a.  0.  179);  der  BIüb  ist  die  Esche,  welche  Cheiron 
dem  Peleos  als  Lanze  schenkt  (a.  a.  0.  141)  u.  s.  w.ü! 

Der  Unterschied  meiner  Auffassung  von  diesen  Deutungen 
W.  Schwartz's  beruht ,  abgesehen  von  der  nach  ersterer  notw^i- 
digen  Scheidung  jüngerer  und  älterer  UeberlieferungeOy  nicht 
allein  auf  der  Annahme  verschiedener  Naturgrundlagen  der  auf 
solchen  beruhenden  mythischen  Bilder ,  sondern  weit  mehr  noch 
darin ,  daß  ich  tlberhaupt  die  Kentauren  nicht  ftir  Personifiziermi- 
gen  atmosphärischer  Erscheinungen  schlechthin,  vielmehr  fllr 
Wald  -  und  Berggeister  erkenne ,  als  deren  Ijebensäußerung  jene 
meteorischen  Vorgänge  angesehen  wurden.  Die  Genealogien  Phi- 
lyra  -  Cheiron  und  Melia  -  Pholos,  von  denen  die  letztere 
möglicherweise  der  ersteren  einfach  nachgebildet  sein  könnte, 
sind  nur  ein  schwaches  Band,  welches  diese  Wald-  and  Berg- 
geister mit  der  Pflanzenwelt  verbindet ,  sie  mit  den  Seelen  der 
Waldbäume  identisch  erscheinen  läßt;  aber  die  folgende  Analogie 
kann  lehren  die  Stärke  dieses  Bandes  durchaus  nicht  zu  unter- 
schätzen. Im  Gouvernement  Archangel  stritten  sich  zwei  Ljeschie 
mit  einem  dritten  um  Teilung  der  Waldgaben,  warfen  ihn  nieder 
und  banden  ihn.  Ein  Jäger,  der  zufällig  auf  ihn  stieß,  befreite 
ihn.  Aus  Dankbarkeit  trug  der  Waldgeist  seinen  Retter  mit  einem 
Wirhdmnde  aus  der  Fremde  in  das  Vaterland,  trat  flir  ihn  als 
Rekrut  ein  und  machte  eine  schwere  Dienstzeit  durch.  ^  Im  we- 
sentlichen dieselbe  Geschichte  erzählt  der  Este  vom  Baumdf, 
der  vor  dem  Gewitter  flieht  (Trombe  vor  dem  Wetter  Bk,  128), 
zugleich  in  den  Wurzeln  der  Birke  Sitz  und  Wohnung  haty  und 
seinen  Retter  durch  die  Lull  gedankenschnell  aus  der  Fremde  in 
die  Heimat  sendet  (Bk.  68).  Hier  sind  deutlich  Baumgeist,  Wald- 
gßist  und  Personification  des  Wirbelwindes  identisch.  Und  grade 
so  schreibt  der  Neugrieche,  der  gerne  Teufel  und  Wirbelwind 
identifiziert,  das  Einschlagen  des  Blitzes  in  große  Bäume 
der  Absicht  Gottes  zu,  die  darin  hausenden  Dämonen  zu  ver- 
nichten. * 


1)  Afanasieff  poet.  Naturansch.  der  Rossen  11,  335. 

2)  Schmidt  Volksleben  der  Nengr.  S.  33. 


Kyklopcn.  103 

§.  6.  Kyklopen.  Unzweifelhaft  haben  die  Kentauren  als 
(Testalten  des  mrklichen  Volksglaubens  nur  locale  Geltung  gehabt; 
erst  die  Kunst  machte  sie  zum  Gemeingut  der  griechischen  Welt 
In  anderen  hellenischen  Landschaften  erwuchsen  andere  Gegen- 
bilder der  nordeuropäischen  wilden  Leute;  wir  nennen  die  Kyklo- 
pen,  Pane,  Satyrn ,  denen  sich  die  griechischen  SeilenC;  die  ita- 
lischen Faune  und  Silvane  anschließen. 

Meine  Behauptung,  daß  die  Kyklopen  den  Wald-  und  Berg- 
geistern der  griechischen  Sage  einzureihen  und  den  wilden  Leu- 
ten der  nordeuropäischen  VolksUberlicferung,  den  Kentauren  der 
thessalischen  au  die  Seite  zu  stellen  seien,  gründet  sich  auf  nach- 
stehende Tatsachen.  Von  den  nordischen  Berggeistern  wird 
mehrfach  berichtet,  daß  sie  einäugig  seien.  So  hat  der  russische 
Lrjeschi  nur  ein  Auge  (Bk.  94.  130),  woher  schon  Afanasieff  auf 
seine  Verwandtschaft  mit  den  Kyklopen  schloß;  er  ist  es,  der  — 
wie  wir  gesehen  —  in  Sturm  und  Wirbelwind  sein  Dasein  be- 
merkbar macht;  er  hütet  aber  auch,  günstig  gestimmt,  die  im 
Walde  grasfmde  lleAirde  des  Dorfes.^  Giebt  ihm  im  Gouverne- 
ment Olonetz  der  flirte  bei  Sommeranfang  keine  Kuh  zu  eigen, 
80  wird  er  böse  und  verdirbt  die  ganze  Heerde.  ^  Nach  andern 
soll  der  russische  Waldgeist,  wie  Hexen  und  Feuerdrachen,  den 
Kühen  die  Milch  aussaugen.  —  In  Norwegen  glaubt  man,  daß 
im  Herbste ,  wenn  Hirt  und  Heerde  die  Sommerweide  (sjeter)  auf 
dem  Gebirge  verlassen,  die  Huldren  (das  Huldrefolk)  mit  ihren 
Küheth  (Hulderkyr,  Hulderfe,  Huddekr{c;tur)  und  Hirtenhunden 
(Huddebikkjcr)  von  den  still  gewordenen  Plätzen  und  Sennhütten 
Besitz  nehmen ,  ^  sie ,  denen  man  Sommers  im  Walde  begegnet, 
wie-  sie  (Männer  wie  Weiber)  hinten  durch  langen  Kuhschwanz 
entstellt,  bei  rauhem  Wetter  ihre  Heerde,  schwarzgraue  Kühe 
oder  Schafe,  vor  sich  her  treiben,  oder  (den  Melkeimer  in  der 
Hand)  an  der  Spitze  derselben  einhergchen.  Sie  wohnen  Som- 
mers in  Höhlen,  finden  besonderes  Gefallen  an  Frauen  und  sind 
einerseits,  wie  der  schwedische  Hulte  (Bk.  127)  und  die  nieder- 


1)  Gedächtninbuoli  dos  Gonvcrnom.  Arcliaiigclek  auf  das  .Tahr  1864  bei 
Afanasielf  poct.  Naturansch.  II,  332.    Bk.  111. 

2)  Bk.  Ml.      AfaDiisirlT  a.  a.  0.    nach  raschkolF  Beschreibung  des  Gou- 
vem.  Olonetz. 

.  3)  Asbjörnsen  Norsk«»  Huldreeventyr  1,  1859,  S.  77  ff. 


104     Kapitel  ü.   Die  wilden  Leate  der  griechischen  und  römischen  Sage. 

rheinischen  Holden  (Bk.  154)  erweisen,  die  nächsten  Verwandten 
der  SkogsnufVar  y  seligen  Fräulein  nnd  mlden  Leute,  während  sie 
andererseits  in  kinderabtauschende ,  hUgelbewohnende  Unterir- 
dische und  seebewohnende  Wassergeister  übergehen. '  Grade  so 
erzählt  man  nun  auch  in  den  Tiroler  Alpen  von  den  „AlpabütjSj" 
welche  alljährlich  im  Herbst,  wenn  die  letzte  Kuh  bei  der  Ab- 
fahrt das  Gebiet  der  Alpe  verläßt,  die  traulichen  Deihjen  (Alp- 
hiitten)  beziehen,  dort  senuen  und  käsen,  brtlhen  und  Milchkttbel 
fegen  und  wieder  in  Wälder  und  Töbler  (Schluchten)  zurttckilie- 
hen,  sobald  bei  der  Auffahrt  die  erste  Kuh  von  neuem  ihren 
Fuß  auf  die  Alpe  setzt.  Im  Ultentale  in  Tirol  heißen  diese  Gei- 
ster nach  den  zur  Käsebereitung  dienenden  Htttten  auf  den  Al- 
men (Käser),  Kctscrniandl.  Im  übrigen  denkt  man  sie  sich  ent- 
weder einzeln  auf  der  Alpe  hausend,  und  dann  führen  sie  den 
Namen  von  den  Almen,  z.  B.  Hnttlabutz,  Novabutz,  Bolzifenzer- 
wibli  nach  den  Alpen  Huttlas,  Nova,  Balzifenz;  oder  sie  kehren 
in  Haufen  über  Winter  in  die  Käser  und  Sennhütten  ein.  Da 
hört  mau  denn  am  St.  Martinsabende  das  Geläute  von  Almschel- 
len und  das  Geklingel  der  Geißglöcklein;  oft  vernimmt  man  den 
Almgeist  oder  Alberer  lieftig  lännen^  er  wirft  mit  Steinen  um 
sichy  oft  arbeitet  er  still  in  der  Hütte,  „er  tut  abkasen,"  „Seine 
Eigenheit  ist,"  sagt  ein  Bericht  vom  Kasermandl  auf  der  Hoch- 
alm im  Unterinutal,  „nächst  der,  daß  er  auf  der  Alm  au&ieht, 
wenn  das  Vieli  abzieht,  sieb  durch  LärmnKicItcfi  axissuzeichnen'* 
Das  tut  er  den  ganzen  Winter  hindurch,  aber  auch  im  Sommer 
läßt  er  sich  hören  und  macht  oft  in  dunkeln  Nächten  einen  Lärm, 
wie  die  wilde  Jagd,  um  die  Almhütten  her,  mit  Schellenge- 
läute, Peitschengeknalle,  und  es  ist,  als  sprengten  Hunderte- von 
wüden  Pferden  gegen  die  Hüttentüren,  bisweilen  verläßt  er  auch 
die  Alm  und  geht  gegen  die  Talweiden  zu.  So  hörten  ihn  am 
10.  Aug.  1854  mehrere  Grenzjäger,  die  in  der  Sennhütte  auf  der 
Hochalm  übernachteten.  Es  entstand  ein  furchtbares  Getöse 
außerhalb  der  Hütte,  wie  wenn  die  wilde  Jagd  vorbeiziehe.  E« 
war,  als  würden  alle  Kühe  um  die  Hütte  gejagt  und  auch  die 
Bosse,  denn  es  war  ein  stütes  Schellenläuten  und  Stampfen 
Auch  der  als  Käser  gekleidete  kopflose  Almputz  aul'  der  Alpe 


1)  Vgl.  Fayc  Norskc  Sagu   S.  39.  42.     Müllers   Sagabiblioth.  übers,  t. 
Lachmann  S.  274.    Germ.  Myth.  8. 


Kyklopen.  105 

Yerwall  nimmt  von  der  Alpe  erst  Besitz,  wenn  die  Heerde  ab- 
gezogen ist,  ciher  an  Vorabenden  gefährlicher  Gewitter  läßt  er 
sich  auch  im  Sommer  wahrnehmen  und  heuU,  wie  das  Sausen  der 
Wind^aut.  Sichtbar  wird  er  als  Mensch,  grau  vom  Kopf  bis 
zu  Fufi,  wie  wenn  er  ganz  in  Bawnbist  gewickeÜ  wäre;  oder  in 
TiergestaUen ,  z.  B.  als  Hund,  Katze,  Koß.  Als  einer  einmal 
beim  Emwintem  auf  die  Fludrigaalm  in  Vorarlberg  wieder  hin- 
aufstieg, um  noch  et>vas  ans  der  Alphütte  zu  holen,  da  saß  da 
auf  dem  Boden  eine  schwarze  Katze,  hatte  eine  Maultrommel  in 
der  linken  Pfote  und  spielte  darauf  Das  war  der  Alpbutz,  der 
also  zuweilen  in  Katzengestalt  erscheint  grade  so  wie  in  andern 
tirolischen  Landschaften  die  Fanggen  (Bk.  89  fl.  146.  147).  Ein 
andermal  aber  eignet  ihm  zeitweise  Koßgcstalt,  wie  den  Kentau- 
ren. Ein  Heuer,  der  mit  seinem  Kameraden  in  einer  Barga  auf 
dem  Henstocke  übernachtete,  ließ,  mit  Respect  zu  vermelden, 
einen  Wind  streichen  und  rief:  „der  geliört  dem  BargabutzJ^  Da 
rauschte  es  rückwärts  im  Heustock  und  ein  schwarzer  Roßkopf 
mit  feuerspriHiefiden  Augen  hob  sich  aus  dem  Heustocke.  Die 
Tiergestalt  wechselt  aber  wie  beim  Ljcschi  mit  Menschengestalt, 
ja  letztere  ist  die  gewöhnlichere.  Eine  Ueberliefcrung  bewahrt 
sehr  altertümliche  Züge.  Einst  kehrte  ein  Wildschütze  im  Spät- 
herbste bei  der  verlassenen  Klapfl)ergeralpe  im  Ultentale  ein,  um 
droben  zu  übernachten,  da  hörte  er  in  der  Nacht  alsbald  ein  Kascr- 
mandl  in  die  Nähe  kommen  und  verbarg  sich  in  einer  Ecke  der 
Hütte.  Das  Ka^ermandl  öffnete  die  Türe,  trat  herein  und  hatte 
nur  ein  einziges  großem  Auge  mitten  auf  der  Stirtie.  Das  Mandl 
machte  Feuer  an,  kochte  schwarze  Speise,  aß  sie,  verweilte 
ziemlich  lange  Zeit  beim  Feuer,  löschte  es  endlich  aus,  reinigte 
das  Kochgeschirr,  ging  hinaus  ins  Freie  und  war  verschwunden.^ 
Da  haben  wir  also  aus  Rußland  und  Tirol  je  ein  Beispiel  eines 
heerdelmtenden,  melkenden  oder  käsenden  Berg-  oder  Waldgeistes 
mit  dem  einen  Auge  vorn  auf  der  Stirn ,  und  die  vorstehende 
Zusammenstellung  sowie  die  breiteren  AuslUhrungen  in  Kap.  II 
des  Baumkultus  lassen  wol  keinen  Zweifel  darüber  bestehen,  daß 
beide,    der  einäugige  Ljeschi   und   das  einäugige  Kasermandle, 


1)  Zs.  f.  D.  Altert.  XI,  171  ff.  Vonbun  Beitr.  z.  D.  Myth.  Chur  1862, 
S.  71  — 78.  Alpenburg,  D.  Alpensagen.  Wien  1861,  S.  265,  277.  Alpenburg 
Mythen  171,  34.  178,  46.  162,  25.  175,  43. 


106      Kapitel  II.    Die  wilden  Leute  der  griechischen  and  römischen  Sage. 

Einzelgestalten  einer  zusammengehörigen,  in  mannigfachen  Ntlan- 
ciemngto  abgestuften  Reihe  gleichartiger  Dämonen  sind,  der  auf 
griechischem  Boden  auch  die  Kentauren  zugezählt  werden  mttssen. 
Da  nun,  wie  das  Verhältniß  der  riesigen  Fanggen  zu  den 
zwerghaftien  Waldfänken  und  Fenggen  lehrt  (Bk.  94),  bei  den 
Wald  -  und  Berggeistern  der  Unterschied  der  Körpergröße  keinen 
Unterschied  des  Wesens  begründet,  so  liegt  es  nahe,  den  home- 
rischen Kyklopen  (Odyss.  IX)  JPolyphenws  (Bopenkerl,  Bk.  127 
Anm.  2)  zu  vergleichen,  den  Einäugigen,  der  (wie  die  wilden 
Männer  entwurzelte  Tannen)  einen  wilden  Olivenbanm  als  Keule 
trägt,  und  im  Gebirge  seine  Schafe  und  Ziegen  hütet,  melkt  und 
Käse  macht.  Nicht  Menschen  siebt  er  ähnlich,  sondern  dem 
bewaldeten  Gipfel  eines  einsam  ragenden  Felsgebirgs.  Zn  Men- 
schenfressern werden  in  der  Sage  zuweilen  auch  andere  Berg- 
nnd  Waldgeister  (vgl.  den  rom.  orco,  huorco,  fr.  ogre  „je  sens 
la  chair  fraische,^'  Myth.  ^  459,  o.  S.  99;  die  Bregostane,  Bk.  113, 
L.  V.  Hörmann  Myth.  Beitr.  4,  der  wilde  Mann ;  Alpenb.  Mjrttt  26). 
Verstärkt  wird  unsere  Berechtigung,  den  Kyklopen  Polyphemoe 
und  seine  Sippschaft  mit  den  wilden  Leuten,  Almputzen,  Ljescbie, 
Huldre  der  nordeuropäischen  Tradition  zusammenzustellen,  durch 
den  Umstand,  daß  noch  ein  anderer  Zug  seiner  Sage  sich  grade 
bei  unscm  wilden  Leuteti  und  verwandten  elbischen  Wesen  wie- 
derfindet. Von  einem  Menschen  mißhandelt  nennen  sie  dessen 
vermeintlichen  Namen:  „fcA  selbst*'  als  Täter  (Bk.  94.  95),  wie 
OdysseuB  den  Niemand;  eine  estnische  Variante,  welche  den 
Ausruf:  „Selbst  tats,"  dem  sehier  Augen  beraubten  Fddteufd 
beimißt  (Myth.  *  979),  verbürgt  die  Identität  mit  der  Polyphemos- 
sage.  Der  uralte  Mythus  vom  Fortgange  eines  Sommergottes  in 
die  Untenveit  fllr  den  Winter,  seine  Wiederkehr  übers  Meer  her 
im  Frühling  und  die  Befreiung  seiner  verlasseneu,  inzwischen 
von  winterlichen  Mächten,  zudringlichen  Freiem  umworbenen 
Gattin  ^  ist  im  meerumschlungenen  Griechenland  frühzeitig  zur 
Siige  eines  Heros  der  Seefahrt,  Odysseus,  d.  h.  de«  Führers, 
geworden,  auf  den  jonischen  Inseln  localisiert,  sodann  in  den 
troischen  Sagenkreis   verflochten   und  zum  beliebten  Thema  epi- 


1)  Bk.  444if.    W.  Mtillers  Niedere.  Sag.  3% -407.  .  Steinthal  in  Zs.  f. 
Völkerpsychol.  VU,  82. 


Kyklopen.  107 

sehen  Gesanges  gemacht.  ^  Das  Abenteuer  bei  dem  Kyklopen 
bildete  eine  der  frühesten  Erweiterungen  der  Erzählung  von  Odys- 
sens  Fahrt  y  die  Besehreibung  desselben  machte  schon  einen  Be- 
standteil des  ältesten  von  Kirchhoff  als  ;,der  alte  Nostos'^  bezeich- 
neten Stückes  der  uns  erhaltenen  homerischen  Odyssee  aus.  An 
und  für  sich  aber  hat  es  mit  dem  Mythus  und  der  Person  des 
Odysseos  nichts  zu  tun ,  sondern  ist  anderswoher  auf  ihn  über- 
tragen. '  In  der  Tat  ist  uns  in  verschiedenen  Aufzeichnungen  aus 
Frankreich  (historia  Septem  sapientum,  Dolopatbos  Saec.  XU. 
XIII) y  Turkestan  (Korkuds  Geschichte  der  Oghuzier  saec.  XIII. 
XrV.),  Arabien  (Sindbads  Reisen),  Serbien  (Wuk  Märchen),  Sie- 
benbirgen  (Obcrt),'  eine  Fassung  erhalten,  welche  der  griechi- 
schen möglichst  nahe  stehend  in  euiigen  Stücken  (wohin  nament- 
lich der  Zug  zu  rechnen  ist,  daß  der  Held  in  die  Haut  eines 
Widders  hineinschlttpft)  die  der  homerischen  soeben  vorangehende 
Entwickelungsstuie  der  Tradition  vergegenwärtigt*  Dieser  Fas- 
sung fehlt  die  List,  womit  sich  Odysseus  einen  irreleitenden  Na- 
men (Niemand)  beilegt,  sie  ist  reicher  um  den  Zusatz  des  am 
Bing  oder  Stabe  haftenden  Zaubers,  durch  welchen  der  geblen- 
dete Riese  den  entflohenen  Helden  beinahe  dennoch  in  seine  Ge- 
walt gebracht  hätte;  sie  bezeugt  als  schon  alte  Bestandteile  die 
Blendung  eines  menschenfressenden  Riesen  mit  einem  Stirnauge 
(Depe  Ghöz  heißt  Scheitelauge)  und  die  Flucht  des  Täters  in 
Gestalt  eines  Bocks  aus  der  vom  Riesen  gepflegten  Ueerde.  Es 
wäre  ja  nun  sehr  wol  möglich ,  daß  diese  Geschichte  ursprüng- 
lich gar  nicht  griechisch ,  sondern  in  vorhomerischer  Zeit  aus  der 
Fremde  entlehnt  wäre;  allein  die  einäugigen  Kyklopen  sind  auch 
sonst  der  griechischen  Sage  bekannt,  so  daß  sie  Haft  und  Halt 
im  Volksglauben  gehabt  haben  müssen.  Nach  der  Vorstellung 
der  Kreise ,  aus  denen  die  ältesten  Bestandteile  der  Odyssee 
herrühren ,  standen  die  Kyklopen  mit  den  unholden  Giganten  und 
mit  den  Phaiaken,  dämonischen  Wesen  von  menschenfreundlichem 


1)  Cf.  Müllenhüff,  D.  Alterlumskimdo  I,  31.  42. 

2)  W.  Griium  die  Sape  von  Polypliem  S.  18  ff. 

3)  S.  W.  Griinm  die  Sa^e  von  Polyphem.    (Abhandl.  der  Berl.  Akad.  d. 
Wiss.  1857.)    S.  4  — 16. 

4)  W.  Grimm  a.  a.  0.  18.  20.  23. 


106     Kapitel  II.  Die  wilden  Lente  der  griechischen  und  römischen  Sage. 

Sinne,  unsern  Lichtelben  vergleiclibar/  in  nahem  Zusammenhang 
und  waren  gleich  ihnen  den  Göttern  nahestehend  (Od.  VII,  65ff. 
206);  ja  die  Kyklopen  sind  stärker  als  die  GU^tter  {fpiqzeqoi  Od. 
IX,  276)  und  Verächter  derselben;  ihr  Wohnsitz  ein  von  den 
Menschen  geschiedenes,  geräumiges  mythisches  Land,  Hyperda 
das  Oberland,  wo  ehedem  auch  die  Phaiaken  ihre  Nachbani 
waren  (Od.  VI,  4),  zu  deren  seligem  von  allen  Gütern  der  Kultur 
verschönten  Wunschleben  sie  jedoch  als  Vertreter  äußerster  Roh- 
heit und  wilden  Naturzustandes  in  schroffem  Gegensatz  stehen. 
Aus  allen  diesen  Stücken  geht  jedesfalls  soviel  hervor,  dad  die 
Kyklopen  nicht  eine  ungewöhnliche  Art  wilder  Menschen,  sondern 
übernatürliche  Wesen  von  älterem  Datum  als  die  Götter  waren. 
Ich  vermag  nicht  mit  Müllenhoff  (a.  a.  0.  47)  in  ihnen  Personifi- 
cationen  der  wilden  und  wüsten  Naturgewalt  Poseidons  id 
erblicken,  vielmehr  vermute  ich,  daß  der  von  Odysseus  geblen- 
dete Polyphemos  erst  deshalb  zum  Sohne  des  Poseidon  und  der 
Meernymphe  Thoosa,  Phorkys  Tochter,  gemacht  ist  (Od.  1,70), 
um  in  dem  Zorne  des  Vaters  einen  Grund  zu  haben  für  die  Zer- 
trümmerung der  Schiffe  des  Helden  und  seine  in  der  ursprüng- 
lichen Sage  begründete  alleinige  Ankunft  bei  Kaly{)so.  Hesiod 
(Theog.  139  ff.)  trägt  eine  ganz  abweichende  Genealogie  vor. 
Aus  der  Verbindung  von  Himmel  und  Erde  (Uranos  und  Gaia) 
entsprießen  die  drei  Kyklopen  mit  dem  Herzen  voll  Uebermnt, 
Blitz,  Donner  und  Wetterstrahl  (Brontes,  Steropes  und  Arges), 
welche  dem  Zeus  den  Donner  schenkten  und  den  DonnerkeU 
schmiedeten ;  in  allem  übrigen  waren  sie  den  unsterblichen  Göttern 
ähnlich,  nur  trugen  sie  mitten  auf  der  Stirn  ein  einziges  Auge. 
Unzweifelhaft  hat  Klausen  recht,  wenn  er  diese  hesiodeische  Form 
der  Kyklopen  iltir  im  ganzen  älter  ansieht,   als  die  homerische,' 


1)  Dies  ist  das  Ergebniß,  welches  die  von  Gerlaud  (Altgriech.  Märchen 
in  der  Odyssee.  Magdeburg  1869,  S.  10  — 16)  angestellte  Vergleichaug  der 
Phaiaken  mit  den  indischen  Yidyadharcn  zu  ergeben  scheint;  einen  engeren 
Zusammenhang  der  beiden  letzteren  Dämonengeschlechter  kann  ich  ebenso 
wenig  einsehen,  als  eine  nähere  Verwandtschaft  zwischen  dem  Märchen  Ton 
Saktidcva  und  dem  Inhalt  der  lUicher  X  —  Xll  der  Odyssee  (Gerland  a.  a.  0. 
17  ff.).  Preller  ^Griech.  Myth.«  I,  517)  und  MüUenhoif  (D.  Altertuiusk.  I.  47) 
suchen  in  den  Phaiaken  die  guten  Geister  der  Schiffahrt,  Personificationen 
der  guten  Fahrwinde. 

2)  Die   Abenteuer  des   Odysseus   aus   Hesiodus   erklärt.     Bonn   1894. 
S.  2  ff. 


Eyklopen.  109 

mit  der  sie  bei  aller  Abweichung  doch  die  cbaracteristiselie  Aus- 
rüstung mit  dem  Stimauge  und  die  übermütige,  freche  Gesinnung 
gemein  haben,  ein  Epitheton ,  das  ans  Hcsiods  Darstellung  sich 
nieht  erklärt,  sondeni  noch  eine  breitere,  von  dem  Dichter  ver- 
schwiegene Uel)erlielerung  von  ihnen  voraussetzt  ^  Eine  Verbin- 
dung des  homerischen  Zuges  der  Weseuähnlichkeit  mit  den  Gigan- 
ten and  des  hesiodeischen  der  Kunstfertigkeit  tritt  in  den  Sagen 
zu  Tage,  wonach  entweder  Kyklopen  oder  Giganten  für  die  Bau- 
meister aus  verschollener  vorhistorischer  Vorzeit  UbriggebUebene- 
ner  als  Riesenwerk  erseheinender  Städtemauem  oder  Schatzkam- 
mern ausgegeben  wurden.  *  Hesiod  schöpfte  entweder  schon  aus 
einer  Titanomachie ,  oder  seine  Darstellung  wurde  bald  nachher 
in  einer  solchen  benutzt,  von  der  uns  Apollodor  ßibl.  I,  1,  2. 
2,  1  eine  Vorstellung  bewahrt  hat.  Danach  waren  die  Kyklopen 
sammt  den  Hekatoncheiren  von  ihrem  Vater  Uranos  in  den  Tar- 
taros geworfen,  Zeus  befreite  sie,  indem  er  ihre  Wächterin  Kampe 
tödtete,  und  sie  gaben  dafür  ihm  Blitz,  Donner  und  Donnerkeil 
zum  Kampfe  gegen  Kronos,  dem  Pluton  einen  unsichtbar  machen- 
den Helm,  dem  Poseidon  den  Dreizack.  Erst  der  neueren  nach- 
hesiodeischen  Dichtung  gehr^rt  die  Verbindung  der  Kyklopen  mit 
Hephaistos  an,  der  in  allen  älteren  Quellen  ohne  Gehilfen,  und 
zwar  allerlei  kunstvolle  Werke,  aber  nicht  den  Blitzstrahl  schmie- 
det, und  am  allerwenigsten  in  der  Tiefe  feuerspeiender  Berge 
(Aetna  u.  s.  w.)  seine  Werkstatt  hat,  sehr  natürlich,  wenn  unser 
an  einem  anderen  Orte  (Zs.  f.  Ethnologie  1875  S.  322)  versuchter 
Nachweis  recht  hätte,  daß  Hephaistos  ursprünglich  der  im  Morgen- 
rot die  Sonne  schmiedende  Himmelsschmied  gewesen  sei.  Wir 
dürfen  mithin  diese  secundären  Sagen  bei  Seite  lassen,  und  uns 
auf  die  Erörterung  der  Frage  beschränken ,  wie  Homers  und  He- 
siods  Kyklopen  zu  vereinigen  seien.  Wir  antworten  mit  Schömann 
a.  a.  0.,  beide  gehen  aus  einer  dritten,  älteren  Form  hervor.  So- 
wol  die  Analogie  des  einäugigen  russischen  Ljeschi  und  des  Tiro- 
ler Kasermandl  zum  homerischen  Polyphem,*  als  die  Verfertigung 
der  Blitze  durch  die  hesiodeischen  Kyklopen,  sowie  deren  Ver- 


1)  Falls  nicht  etwa,  wie  Flach  will  (System  der  hesiodeischen  Kosmo- 
gonie  S.  27)  die  Verse  Thcog.  142  — 146  durchweg  unecht  sind. 

2)  S.  die  Belege  in  6.  F.  Schömanns   Schcdiasma   de  Cyclop.     Opnsc. 
Acad.  IV.    Berol.  1871,  S.  326ff. 


110    Kapitel  II.    Dio  wilden  Lonte  der  griochischen  and  römisehen  Sage. 

flechtang  in  den  Titanenkampf  weist  auf  meteorische,  mit  elek- 
trischen Entladungen  verbundene  Phaenomene,  auf  Gewitterstarme 
und  Wirbelwinde  als  eine  Naturgrundlage  ihres  Wesens  hin.  Von 
solchen  konnte  ebensowol  gedichtet  werden,  daß  sie  Ziens  Blitz 
und  Donner  liefern,  als  sie  als  Lebeusäußerungen  von  Bei^-  und 
Waldgeistem  aufgefaßt  werden  konnten.  Was  aber  bedentet  ihr 
kreisförmiges  oder  radftJrmiges  Stimauge  und  seine  Vemichtong? 
Man  konnte  die  deutsche  Sage  zur  Eriliuterung  heranziehen,  dafi 
jemand  durch  ein  in  den  Wirbelwind  hineingeworfenes  Messer 
dem  darin  sitzenden  Dlimon  ein  Auge  ausstach,^  d.h.  das  Phäno- 
men aufhören  machte.  Dürfte  man  das,  so  blUe  sich  eine  ziem- 
lich einfache  Erklärung  des  Auges  in  Form  eines  Kreises  oder 
Rades.  Wir  sahen  bereits  bei  Ixion,  daß  der  Grieche  die  Erschei- 
nung des  Wirbehmndes  als  feuriges  Rad  auffaßte  (o.  S.  85).  Eben- 
sowol, als  sich  daraus  in  Verbindung  mit  dem  Glauben  an  seine 
Natur  als  dämonisches  Wesen  die  Vorstellung  eines  aufs  Rad 
Gebundenen  entwickelte,  konnte  daraus  ein  andermal  die  Meinung 
von  einem  Riesen  entstehen,  dessen  hauptsächlichstes  Glied  ein 
gewaltiges  Rad  oder  rollendes  Auge^  sei.  Damit  wäre  der  Ky- 
klop  den  Kentauren  und  den  Wald-  und  Berggeistern  der  nord- 
europäischen Sage  ^  in  der  Tat  ganz  nahe  gerückt  und  zugleich 
erklärt,  warum  der  Ljesehi  und  das  Kasermandl  auch  nur  ein 
Auge  haben.  Ganz  andei-s  freilich  haben  meine  nächsten  Vorgän- 
ger die  Frage  zu  ir^acii  versucht,  was  unter  dem  Kreisauge  oder 
Rudaiige  zu  verstehen  sei.  W.  Grimm  antwortete  darauf,  die 
Sonne,  das  Weltauge,  das  den  Kyklopcn  als  Zeichen  ihrer  gött- 
lichen Abkunft  geblieben  sei.  Ihm  haben  sich  namhafte  spätere 
Forscher  angeschlosseu.  Man  darf'  jedoch  nicht  behaupten ,  daß 
durch  diese  Deutung  ein  Verständniß  der  Sage  erreicht  wäre. 
Wenn  das  Auge  die  Sonne  sein  soll,  wer  war  denn  der  gehlen- 
dete Riese ,  wer  der  ihn  verstümmelnde  Held  V    W.  Schwartz  sagt, 


1)  Schon werth,  aus  der  Oberpfalz  II,  113. 

2)  Vgl.  Hesiod.  Theog.  826  vom  ripsigen  Typhoeus  ,Jx  64  ol  Öaatar 
O^iajTtafrjg  xfffttlfjaiv  vn'  ntfoi'at  Ttvo  tcut(()v(fat." 

3)  Vgl.  den  Grinkcnsehmicd,  wekhcr  wie  oin  feuriger  ruuderKorn- 
scheffel  den  Knecht  verfolgt,  der  ihm  seinen  Braten  aufgegessen  hat  Kuhn 
Westf.  Sag.  I,  S.  91  n.  89  und  den  Alke,  welcher  in  Gestalt  eines  glühenden 
Rades,  wie  in  Blitz  hinter  dem  hersaust,  der  ihm  zugerufen  hat:  „Alke, 
gehst  du  mit?"    Ebds.  S.  33  n.  33». 


Kyklopen.  111 

ersterer  sei  der  Himmelsriese  (also  der  Himmel  selbst),  mit  dem 
Sonnenaage ,  der  im  Gewitter  geblendet  werde ,  ^  im  Sturm  und 
Wetter  auf  die  verschiedenste  Weise  sieh  bekunde,  *  im  Wetter- 
leuchten sein  Schmiedefeuer  blinken  lasse,  als  dessen  Funken  die 
Sterne  (?)  gefaßt  seien,  ^  während  er  im  „sich  auftürmenden" 
Unwetter  die  Wolkenburg  aufrichte,  sich  als  Baumeister  erweise.* 
Diese  Auffassung  wird  weder  der  homerischen,  noch  der  hcsio- 
deisehen  Sage  gerecht.  Denn  wenn  der  Himmel  im  Unwetter  des 
Gesichts  beraubt,  d.  h.  der  Sonne  Schein  ausgelöscht  wird,  wie 
wäre  er  dann  zugleich  als  Menschenfresser  aufgefaßt  ?  Und  wenn 
andererseits  der  Himmel  selbst  im  Gewitter  tobend,  frevelnden 
Uebermut  beweisend,  den  Donnerkeil  schmiedet,  wie  kann  es  da 
heißen,  daß  er  die  Sonne  als  Auge  trage,  und  daß  er  dem  lich- 
ten Himmel,  Zeus,  zum  Titanenkampfe  die  Waffen  liefere?  Kaum 
Kegt  hier  derselbe  Fall  vor,  wie  in  der  Herakles-  und  Simson- 
sage,  in  welcher  die  Tödtung  des  Löwen  einen  Sieg  der  Sonne 
über  die  Sonne,  die  Ueberwindung  des  verderblichen  Sonnendä- 
mons durch  den  segnenden  Sonnengott,  der  heißen  Glutsonne  der 
Hnndstage  durch  den  milderen  Schein  des  Spätsommers  bedeuten 
soll.  Auch  Ruhn's  Deutungen  ftlhren  nicht  zu  einem  befriedigen- 
den Verständniß.  Er  meint  doch  auch  wol  den  Himmel  selbst, 
wenn  er  den  Kyklopen  ttir  den  sonnenäugigen  Riesen  erklärt,  der 
morgens  seine  Schafe,  d.  h.  goldige  Lichtwolken  austreibe,  nachts 
dieselben  in  eine  finstere  Höhle,  den  Nachthimmel,  einpferche^ 
und  dieselbe  mit  einem  Stein,  dem  Ball  der  untergehenden  Sonne, 
zuschließe.  ^  Eine  andere  Erklärung  wird  Herabkunft  S.  69  vor- 
getragen. Der  gefräßige  Kyklop  („Radauge")  sei  gleich  dem 
gefräßigen,  versengenden  Dämon  der  Inder,  dem  Qushna,  dem 
Austrockner  (d.  i.  der  verzehrenden  ausdörrenden  Gluthitze  des 
Hochsommers),  der  das  Sonnenrad  besitzt  oder  gestohlen  hat,  und 
welchem  Indra,  mit  den  Rossen  des  Windes  herbeieilend,  im  Ge- 
witter dasselbe   entreißt.  ^     Ich  halte  die  vorhin  von  mir  vorge- 

1)  Sonne,  Mone  und  Sterne  I,  83. 

2)  ürspr.  der  Myth.  17. 

3)  Sonne,  Mond  und  Sterne  105. 

4)  ürspr.  d.  Myth.  16. 

5)  EntwickelungsHtufen  der  Mythenbildung  S.  141. 

6)  A.  a.  0.  S.  150. 

7)  Vgl.  aach  Härtung  Griech.  Myth.  II,  89 ff.,    der  u.  a.    an  den  drei- 
äagigen  Zeus  l^Qxeiog  zu  Argos  erinnert. 


112      Kapitel  ü.   Die  wilden  Leute  der  griechischen  and  römiachen  Sage. 

tragene  Deutung  fUr  wahrscheinlicher,  glaube  aber,  dafi  ein  end- 
giltiges  Urteil  noch  verfrüht  sein  würde,  so  lange  nicht  die  mög- 
licherweise analogen  Sagen  von  den  Dorftieren  (Hund,  Kalb 
u.  s.  w.)  mit  Augen  gl^h  einem  glühenden  Teller  oder  runden 
Fenster  ^  und  deren  etwaige  Verwandtschaft  mit  den  beiden  vier- 
äugigen  Hunden  des  Yama,  den  Sarameyau,*  und  der  yieräugigen 
Augenhltndin  Sttkjenitza^  der  Albanesen,  sowie  die  Mythen  vom 
einäugigen  Fisch  und  einäugigen  Tier  der  wilden  Jagd  *  in  ihrer 
Bedeutung  an  sich  und  in  ihrem  Verhältniß  zur  Kyklopensage 
klar  liegen. 


1)  Rochholz  Aargausagen  II,  S.  36  n.  2ß5^.  38  n.  265 r.  Vgl.  37  n.  265p. 
Stöher  Elsäss.  Sag.  30,  24.  Schamhaeh- Müller  Niederaächs.  Sag.  8.194 
n.  210,  2.  195  n.  212,  2.  Schmitz  Sag.  d.  Eifel  II,  34.  Schamhaeh -Mfiller 
S.  196,  n.  214,3.  Schmitz  a.  a.  0.  II,  36.  Colshorn  Märchen  a.  Sag.  Han- 
nov.  1854,  S.  114  n.  35.    Vgl.  auch  den  Vegetationsdämon,  die  Gloso. 

2)  Muir  Original  Sanscrit  Toxts  Vol.  V,  S.  294.  Knhn  in  Hanpt  Zs.  t 
D.  Altert.  A^,  125  ff.  Derselbe  Zs.  f.  vgl.  Spr.  II,  314  ff.  M.  Mfiller  Vorles. 
fih.  Wissensch.  d.  Spr.  II,  438. 

3)  Hahn  albanesische  Stadien  S.  162.  Ders.  Nengriech.  und  alhan.  Mär- 
chen II,  S.  110  n.  95. 

4)  Knhn  Wcstfal.  Sag.  I,  8.  324.  326  ff 


Kapitel  III. 

Die   wilden   Leute    der   antiken    Sage  IL 

§.  1.  Faunus  und  die  Faune.  In  Bespreclinng  der  anti- 
ken Gestalten  y  welche  unsem  wilden  Leuten  wesenähnlich  sind, 
wenden  wir  uns  nun  der  zumeist  bocksgestaltigen  (Gesellschaft  der 
Faune,  SUvane,  Pane,  Satjrn,  sowie  ihren  Verwandten,  den  Sei- 
lenen,  zunächst  aber  den  beiden  erstgenannten  zu.  Auch  sie  sind 
Wald-  und  Feldgeister,  welche  mit  ihren  nordischen  Vettern 
in  mehr  als  einem  Zuge  ttbereinstimmen.  Den  Nachweis  dieser 
Uebereinstimmung  im  Einzelnen  geben  wir  am  Ende  der  ganzen 
Reihe ,  nachdem  wir  die  griechischen  und  italischen  Dämonen  zu- 
nächst fllr  sich  betrachtet  haben  werden.  Die  italischen  Bauern 
erzählten  bald  von  einem  einzehien  Dämon  Famius,  bald  von 
einer  ganzen  Schaar  von  Fauni  oder,  wie  sie  bei  den  Umbrem 
hießen,  FuJics  (Zusammenziehung  aus  Faunes),  d.  i.  die  Holden, 
Gnädigen,  vom  Verbalstamm  fav-  (favere)  mit  Suffix  no  (vgl.  le- 
nis,  seg-nis,  pro-nus)  abgeleitet.  Vgl.  umbr.  fo-ns  gnädig, 
günstig.  *  Diese  Wesen  waren  Waldg<Uter.  -  Als  Waldj::ott  hat 
Faunus  nach  einigen  den  giUtlichen  Schwar/spccht,  den  Picus, 
zum  Vater  ^  und  die  Dryaden  sind  die  Gespielinnen  der  Faune.  * 
Horaz  schildert  den  Anteil  der  Natur  an  dem  winterlichen  Feste 
des  Faunus,  den  ländlichen  Faunalien  im  Dccembcr,  mit  den  an 

1)  Aufrecht  und  Kirclilioff  rmbr.  SpraclKleiilviii.  11,  131).  I>ufrj,'o  in  Zs. 
f.  vgl.  8pr.  III,  41. 

2"»  Fönes  dei  silvestrcs.  (iloss.  Isid.  Mart.  Cap.  II,  107.  Kurirolae  sil- 
varum  nuraina  Fauni.  Ovid.  Mctani.  VI.  3i)2.  Picus  und  Faunus  lieißon  sil- 
vestria  numina,  di  nemorum.  ,,Di  sumus  agrestes  et  qui  domincmur  in  altis 
montibus.     Ovid.  Fast.  III,  303.  3<.m.  315. 

3i  Fauno  Piius  pater.     Ver;,^  Aen.  VII,  48. 

4)  Quin  et  Silvan^s  Faunos(|uo  et  dearum  gj'nora  silvi.s,  a«*  sua  numina, 
tanquaiu  et  caclo,  attribnta  crodinjus.  Plin.  bist.  uat.  XII,  2.  Scinidoac 
Dryades  Fauniqu«^  biconios.  Ovid.  lloroid.  IV,  41).  Kt  vns  ji^'restuni  praoscn- 
tia  numina,  Fauni,  ferto  Hinnil  Faunique  ])edem  Dryadesi^ue  pucllae.  Verg. 
Georg.  I,  10. 

Msnnbardt.     fl.  8 


114  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

den  Gott  gerichteten  Worten:  „Öpargit  agrcstes  tibi  silva  fron- 
des"  (Od.  III,  18).  Der  Wald  war  somit  der  Faune  eigentlicher 
Aufenthalt,  doch  zeigten  sie  sich  nicht  selten  auch  in  den 
Getreideäckern.  Die  Landleute  in  der  römischen  Campagna 
wollten  sie  häufig  auf  der  Waldweide  oder  auf  den  Feldern  er- 
blicken , '  deren  Früehte  durch  ihreti  Einfluß  GedeOien  luiüenJ'  * 
Deshalb  macht  die  S<age  auch  zu  Faunus  Sohn  den  Stercutiug 
(Plin.  bist.  nat.  XVII,  6),  oder  setzt  ihn  selbst  zu  Mars,  dem  agra- 
rischen Gotte,  ins  Sohnesverhältniß.  ^  liier  auf  den  Feldern  hat 
er  seine  Wohnung  in  der  Erde.  ^  Auf  den  Feldern  sonnt  er  sich 
in  heiler  Mittagsstunde,  es  ist  unheilvoll  ihn  zu  belauschen  oder 
zu  stören.^  Für  gewöhnlich  sind  die  Faune  unsichtbar,  nur  die 
geistersichtigen  Hunde  (vgl.  Myth.  *  632.  Odyss.  XVI,  160), 
und  unter  diesen  zumal  weibliche  Erstgeburten  nehmen  ihrer 
wahr.  ^  Eine  genaue  deutsche  Parallele  dieses  Glaubens  ist  Bk. 
406  nachgewiesen.  Wenn  sie  sich  aber  zeigen,  so  bemerkt  man 
an  ihnen  Judhticrlsche  Gedalt ,  Zietjenhärner  ufid  Geißfüße,^ 
Ihr  Haupt  umkränzt  gerne,  der  Natur  der  Waldgöttcr  entsprechend, 
ein  grüner  Fichtenzweig.  Als  Waldgeister  segnen  und  behüten 
sie  die  im  Walde  weidende  Heerdc,  als  Waldgeister  werden  sie 
auch  durch  einige  in  der  römischen  Sage  bereits  ziemlich  ver- 
dunkelte Züge  characterisiert.  Im  stillen  Urwalde,  zumal  zwischen 
Bergen,  schallt  jeder  Laut,  sei  es  das  Geräusch  eines  brechen- 
den oder  sich  reibenden  Astes  oder  Stammes,  die  Stimme  eines 
Tieres,  oder  Windespfeifen  im  hohlen  Baum  doppelt,  ja  vielfach 
verstärkt   und  oft  vernimmt  man   unvermutet  sporadische,   uner- 

1)  Flures  autciii  existiinantur  esse  ctiaiii  praesontes.  ldc-ire<>  rusticis  j'tT- 
sua.sum  est  iiu'oleiitibus  eam  jiartem  Italiae,  quac  suburbana  est,  saepe  eos  in 
agris  conspici.     Pnjbus  z.  Vcrj^.  Geor^»".  1,  10. 

2)  Quidani  Faunos  putant  dictos  ab  eo,  quod  frugibus  faveant.  S«*rv. 
Verg.  Georg  I,  10. 

3)  Dionys.  Hai.  1,  31. 

4)  Faunus  inferuus  dicitur  deus Nam  nibil  est  terra  inferius.  in 

qua  babitat  Faunus.     8erv.  Vorg.  A.  VII,  ül. 

b)  Nee  nos  vidoamus  Faununi  inedio  quum  preiuit  arva  die.  OtIJ. 
Fast.  4,  7<>1. 

G)  Et  ab  ea  (eauc)  quae  foniina  sit  ex  primipara  genita  Faunos  cemi 
Plin.  H.  N.  Vm,  40,  G2. 

7)  Daber  heißen  Faunus  und  die  Faune  somicaper.  Ov.  Fast.  IV,  75:2. 
V,  IUI.  Cornipes  Ov.  1.  1.  II,  3G0.  Quations  eornua  Faunus  Ov.  1.  L  III 
312.     Capripedes  Fauni.     Plin.  H.  N.     Fauni  bicornes.     Ov.  Herold.  IV,  i^- 


Fauniis  und  dio  Faune.  115 

kläriicbe^  durch  das  Gniuliche  der  Einsamkeit  schreckhaft  ge- 
machte Töne,  durchdringende  Schreie/  welche  die  Phantasie 
des  Wanderers  bei  den  verschiedensten  Völkern  als  einen  Kuf, 
oder  als  höhnisches  Lachen  des  Waldgeistes  aufzufassen  pflegt. 
Der  brasilische  Indianer  schreibt  dem  Curupira  oder  wilden 
Manne  jene  unerklUrlichen  Töne  zu;  der  Peruaner  glaubt,  daß 
der  Waldgeist  Uchuclachaqui  den  Keisenden  iu  erlogener  Gestalt 
in  die  Oede  des  dunkelsten  Dickichts  locke  und  zuletzt  mit  Holm- 
gdächter  verschwinde  (Bk.  14:5  ff.).  Wenn  im  Sturmwetter  das 
Knarren  der  Aeste,  das  Krachen  der  Stämme  wiederhallt,  ver- 
nimmt der  russische  Bauer  kein  Echo,  sondern  den  Huf  der 
Ljeschie^  welche  einen  unvorsichtigen  Jäger  oder  Holzhauer  auf 
gefährlichen  Grund  zu  verlocken  trachten  und  zu  Tode  kitsein, 
sobald  sie  ihn  m  ihrer  Gewalt  haben  (Bk.  lo9).  Der  Waldmann 
(Skongman)  in  Schonen  fllhrt  Menschen  in  die  Irre  und  lacht 
dann:  ha!  ha!  ha!  Wenn  der  Berguhu  im  Walde  sich  hören 
läßt,  sagt  man,  der  Skougmau  sei  draußen  und  schreie  (Bk.  127). 
In  deutschen  Sagen  entspricht  ein  Waldgeist,  der  von  einem  Rufe 
hebe!  oder  hoho!  den  Namen  Iloimanu  (Oberpfalz),  Hemanu 
(Böhmen),  das  Homännchen,  de  Röpenkerl  (Westfalen)  führt 
(Bk.  a.  a.  0.).  Ganz  so  schrieb  man  dem  iu  verschiedene  Ge- 
stalten sich  wandelnden  Faunus  die  spukhaften  Bilder  zu,  die 
den  Wanderer  im  Zwielicht  der  Waldschluchten  äffen,  sowie  die 
gespenstischen  Laute  im  Kauschen  des  Laubes  und  der  Blätter.  * 
Aus  dem  Walde,  zumal  in  der  Morgenstille  plötzlich  hervorbre- 
chende Töne  wurden  auf  ihn  zurückgeführt,  woher  die  Sage 
rührt,  daß  des  Faunus  Stimme,  die  Feinde  erschreckend,  den 
Römern  in    der  Schlacht   zu   Hilfe  gekommen   sei.  ^     In   andern 

1)  So  tönt  z.  B.  der  Schrei  der  Waldelster,  das  Gesclirei  des  Fal- 
ken n.  8.  w. 

2)  Vgl.  Schweglrr  Rom.  Gesch.  I,  215. 

3)  Cf.  Dionys.  Halicaru.  V,  16  vom  Kampfe  der  Römer  mit  den  Söh- 
nen des  Tarquinius.  Aruiis  und  Brutus  sind  gefallen,  die  Römer  denken 
daran  das  Lager  zu  verlassen.  Toittvia  iV  cdTÜy  diavoovu^vMv  xa)  ihtdtyo- 
^i(vo)v  yToos  lUÄ/y/oriT,  7in^)  itjr  7io(6r7}v  ;iov  iiitliata  (fv).nxitr,  ^x  rov  J(J1'- 
fioi',  Tiati  \\v  ^(TToicTdJift^fvOtn'to,  tfMj'i'j  II ^  i]xoro!hi  nag  övrütudiv  tiu ff ort- 
oatg  yfyovruc,  o'iaiy  ajariag  «rTr]<;  (ixoi'f^ir,  ttif:  ritc  xia^/uvKtg  to  jA 
lifvos  ijoomg ,  Hrt  t  (tr  xu).uvu  h  roi  ^icit'ov.  Ktiru)  yaf)  (<i'((Ti!HUc(fi  iio 
Sttffiovi  *PüHii(ioi  tu  .Kcvixu  xtu  öoic  ffdoiiuTd  uD.iiTt  ulküCag  Ta/ornt  /<oo- 
(fug  lii  6\}jir  (h'^hmtnuor  fo/orTitt ,  (hfiiaTu  fftooiTtt,    Tj  (fun'al  öaiuoriot  ru- 

8* 


116  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  U. 

Ueberlieferungen  sind  die  {ihnungsvoUen  Stimmen  des  Waldes  zu 
prophetischen  Verkündigungen  des  Faunus  geworden,  dessen 
Orakclsprilche  man  im  Walde  und  unter  Bäumen  zu  erlauschen 
sucht;  und  wenn  es  heißt,  daß  die  Faune  in  den  Wäldern  die 
ältesten  (satuminischen)  Verse  gesungen  hätten,  wer  verkennte 
darin  das  urälteste  aller  Lieder,  das  die  Wipfel  der  Eichen  und 
Buchen  im  Winde  rauschen  ?  ^  Als  Waldgeister  endlich  stellen 
sich  die  Faune  dar  durch  ihre  enge  Verbindung  und  gelegent- 
liche Identifizierung  mit  den  Silvani ,  ^  mit  denen  sie  auch  die 
Eigenschaft  der  Weiberlicbe  teilen.  *  Vorzugsweise  scheint  man 
die  letztere  den  unter  Feigenbäumen  oder  in  Feigenbäumen  hau- 
senden Faunen  nachgesagt  zu  haben.*  Aus  griechischer  Dich- 
tung und  Kunst  dürfte  entlehnt  sein,  daß  die  Faune  die  flüchti- 
gen Nymphen  haschen.  Beängstigende  Träume  und  Alpdrücken 
wurden  ebenfalls  dem  Faunus  beigemessen.  Eine  merkwürdige 
Tradition  aus  später  Quelle,  von  der  es  zweifelhaft  bleibt,  ob 
sie  aus  altem  römischen  Volksglauben  stammt,  oder  dem  einhei- 
mischen Aberglauben  von  Provinzialen  entnommen  ist,  setze  ich 
gleichwol  hieher,  da  sie  sich  mit  dem  deutschen  Glauben  an  die 
Hollen,  Holden  (Bk.  14  Anm.  3.  65.  154  Anm.  1)  eng  berührt. 
Der  Anonymus  de   monstris   c.  G ,  -^   den  Berger  de  Xivrey  ins 


nuirüiaai  rin;  «xo«V,  tovtov  (faa)r  ilvui  toO  Ufov  tu  t^yor.  7)  J^  tov  dal- 
tioro^  (fo)i'fj  iha]oHv  TKwfxe/.fctTo  roiV  Piouaiuig  t'o-;  r(vixi]xöniv .  h'i  nXfiovi 
Hviii  Toi'^  Toii'  jioltuiMv  IUI o(f  (Uvovau  vfxooi's.  Cf.  a  Ijiciunt  rairac'ula  huic 
])Uf^nae;  silentio  j)roximao  noctis  ex  silva  Arsia  inp^ontcm  cditam  voceni:  Sil- 
vani vocem  oani  croditam.  Liv.  II.  7.  Sacpc  Faanoruin  vocca  exauditac 
saepo  visae  formae  deorum  quenivis  mm  aut  hubetom  aut  iinpium  praescnt«'^ 
dcos  confitori  coogorunt.  Cicor.  Nat.  Deor.  II,  2,  6.  Saepo  ctiam  in  proeliis 
Fauni  auditi.     Ciccr.  Div.  I,  45. 

1)  Vgl.  Prellcr  Rom.  Mytli.  338. 

2)  Hunc  Faunum  pleriquo  cundeni  Silvanum  a  silvis  —  dixcrunt.  Aurcl. 
Vict.  orig.  gent.  Koni.  4. 

3)  Multiquc  se  oxpertos  vol  ab  ein  qui  cxperti  essent,  de  quomm  fide 
dubitandum  non  est,  audisse  confirmant ,  Silvanos  et  Fanno.s,  quos  vulgo 
incnbos  vocant,  improbos  saepo  oxstitisse  raulieribus  et  earoin  appeti.sse  et 
peregisse  coDCubitum.     Aug.  C.  D.  1.  XV,  23. 

4)  Vol  incubones  vel  satvros  vel  silvostres  quosdam  homines,  quos  non- 
nulli  Faunos  ficarios  vocant.  Hieronym.  in  Is.  V,  13,  21.  Vgl.  o.  S.  31 
den  spiritu  di  ficu. 

5)  S.  Borger  de  Xivroy  traditions  toratologiques  p.  20.  Vgl.  p.  XXXIV 
und  IG.     Liebrecht  Gervasius  v.  Tilburv  S.  7G. 


Faunns  uud  die  Faune.  117 

6.  Jahrhundert  setzt,  giebt  an:  Fauni  fiaseuntur  de  vennibus, 
natis  inter  lignnm  et  cortkcMj  et  postrcmo  procedunt  ad  terram 
et  Buseipiunt  alas  et  eas  aniittunt  postmodum  vi  effichintur  liomi- 
nes  süvestres.  Et  plurima  cantiea  de  iis  poetae  cecmerunt. 
Zweimal  im  Jahr  beging  man  dem  Faunus  zu  Ehren  ein  Fest, 
einmal  beim  Herannahen  der  Wintersonnenwende,  an  den  Nonen 
des  Dezembers  (Dez.  5).  Dann  kam  das  ganze  Dort*  zu  festlichem 
Tanz  auf  dem  Anger  zusammen,  ein  Böcklein  wurde  zum  Fest- 
mahl gesehlachtet,  der  Weinschlauch  zum  Festtruuk  geöfinet  und 
der  alte  Altar  mit  Weihrauch  bestreut.  Menschen  und  Tiere 
feierten  von  aller  Arbeit.  Dann  flehte  der  Landmanu,  daß  Fau- 
nus gnädig  über  seine  Grenzen  und  somiigen  Felder  gehen  und 
den  jungen  Anwuchs  der  Herde  schonen  mr)ge.  Alles  freut  sich, 
sagt  der  Dichter,  das  Vieh  hüpft  auf  kriluterreicher  Weide,  das 
Lamm  flirchtet  nicht  den  Wolf  und  der  Wald  streut  dem  Gotte 
seine  Blätter.  *  Mit  Recht  entnimmt  Preller  dieser  Schilderung 
die  Andeutung,  daß  des  Faunus  Gunst  den  Viehstand  vermehre, 
sein  Zorn,  wenn  er  nahe,  Seuche  unter  den  Tieren  hervorbringe. 
Das  zweite  Faunusfest  hatte  im  Beginne  des  Frühlings  statt.  Am 
15.  Februar  hielten  die  in  Bocksfelle  gekleideten  Luperci,  ver- 
mutlich irdische  Abbilder  von  Faunen,  einen  Umlauf  um  die  pa- 
latinische  Altstadt.  Wir  kommen  in  einem  eigenen  Aufsatze  auf 
diese  Jius  den  frühesten  Tagen  Korns  herrührende  Begehung 
zurück.  In  späterer  Zeit  sehen  wir,  vermutlich  anderswoher ,  das 
Faunusfest  in  Kom  in  noch  anderer  Form  eingebürgert.  In  dem 
im  Jahre  196  v.  Chr.  erbauten  Faunustempel  auf  der  Tiberinsel 
wurde,  offenbar  in  Nachahmung  ländlicher  Sitte,  am  13.  Februar 
(Id.  Febr.)  ein  Opfer  begangen.  Ehie  Volkssage  erzählte,  daß 
aus  einem  vom  Dickicht  mächtiger  Steineichen  umschatteten  Quelle 
am  Fuße  des  Aventin  Picus  und  Faunus  zu  trinken  pflegten. 
Numa,  der  von  ihnen  das  Geheinmiß  herauslocken  will,  den  Blitz 
zu  sühnen,  steUt  mehrere  müchthjey  mit  Wein  gef Hilfe  Beelier  hin 
und  wartet  mit  swiilf  erlesenen  Jünglingen  in  naher  Höhle  tvr- 
stecMy  his  die  beiden  Waldgöttcr  den  dußigcn  Dank  gefunden 
und  versucht  haben  und  davon  bcraiiseht  ins  Gras  gesunken  sind. 
Schnell  legt  man  ihnen  Fesseln  an  uud  nötigt  so  die  Erwachten, 
die  Zauberformel  mitzuteilen,  durch  welche  Juj)iter  vom  Himmel 


1)  Horat.  Od.  III,  18, 


118  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

bcrabgelockt  wird  ^  den  Numa  dann  darch  seine  Schlauheit  dahin 
bringt,  das  Menschenopfer  aufzugeben.  Diese  Gestalt  der  Sage 
(bei  Amobius  V,  1,  7.  üvid.  Fast.  III,  285.  344.  Platarch  Nuni. 
15)  stammt  aus  dem  zweiten  Buche  der  Annalen  des  Valerius  Äntias, 
eines  Zeitgenossen  des  Sulla,  der  wahrscheinlich  wieder  ansCal- 
pumius  Piso  Frugi,  einem  Historiker  der  gracchischen  Zeit, 
schupfte.  ^  Selbst  die  aufklärerische  Richtung  dieses  Autors  hat 
die  schlichte  Ehifalt  der  weit  älteren  zur  Erklärung  der  Fnlgnri- 
talgebräuche  aus  echtem  mythischen  Material  geformten  Sage 
nicht  vernichtet  Plutarch  verwebt  in  seine  Darstellung  noch  eine 
zweite  unabhängige,  aber  sichtlich  volkstümliche  Version  der 
Sage  aus  unbekannter  Quelle,  wonach  Numa  den  Waldbronnen 
selbst  mit  Wein  mischte  und  von  den  gefangenen  Dämonen  an- 
mittelbar das  Geheimniß  der  BlitzsUhnung  erfuhr.  Fassen  wir 
rückblickend  die  erläuterten  Züge  zusammen,  so  stellen  sich  uns 
die  Faune  als  Waldgcister  dar  in  teilweiser  Tier-  (Geiß-)  Gestalt 
(cf.  Bk.  146);  die  Stimmen  des  Waldes,  zumal  die  Windhauche, 
sind  ihre  Lebensäußerung  (cf.  Bk.  127  flF.  139.  143  ff.  149);  sie 
behüten  und  bringen  zu  Gedeihen  die  im  Walde  weidende  Heerde 
(cf.  Bk.  96ff.  111),  sie  ftirdern  aber  auch  das  Wachstum  der 
Kulturtrucht  auf  den  Acckern  (cf.  Bk.  148  ff.).  Sie  sind  lüstern, 
stellen  den  Frauen  nach  (cf.  Bk.  152  ff.),  und  gehen  in  den  nächt- 
lich drückenden  Alp  über. 

§.  2.  Silvaiius  und  Silvaiie.  Noch  entschiedener  als  die 
Faunen  characterisicren  sich  schon  dem  Namen  nach  Silvanus  und 
die  Silvane  als  Waldgeister.  Zwar  die  Quellen,  aus  denen  wir 
diese  Wesen  kennen  lernen,  sind  ebenso  wie  bei  den  Faunen 
großenteils  sehr  jungen  Datums,  Dichtungen  und  Inschriilen  der 
römischen  Kaiserzeit.  Es  ist  somit  wol  begreiiiich,  daß  mehri'aeh 
nicht  die  ursprünglichen,  sondern  durch  historische  Verhältnisse 
modifizierte  Formen  der  Ueberlieferung  in  den  auf  sie  bezüglichen 
Kultusgcbräuchen  und  Sagen  uns  entgegentreten,  doch  hat  uns 
die  Gunst  des  Schicksals  auch  einige  Stücke  autl>ehalten,  welche 
uns  den  älteren  Zustand  deutlich  erkennen  lassen.  Vergil  (Aen. 
Vlll,  601)  nennt  Silvanus  einen  Gott  des  Viehs  und  der  Aecker 
(arvorum  et  pecoris  deus)  und  sagt,  schon  die  ältesten  Einwoh- 
ner v(m  Latiuni  hätten  ihm  einen  heiligen  Ilain  luid   einen  Fest- 

1)  Cf.  Si<balcl  de  Val.  Aiit.  p.  20.     Potor  dio  Qu«dleii  Plutanrhs  S.  1»*»7. 


Silvanus  und  Silvane.  119 

tag  (lacnm  et  dicm)  geweiht.  Erläutert  wird  diese  Nachrieht 
durch  ein  altes  Opferritiial ,  welches  Cato  (R.  K.  c.  83)  auf- 
bewahrt „Das  Gelübde  für  die  Rinder ,  daß  sie  wohl  seien, 
sollst  du  also  tun.  Dem  Mars  Silvanus  sollst  du  in  einem  W(dde 
unter  Tags  für  jedes  Stück  Kind  p^loben  drei  Pfund  Dinkel  und 
vier  Pfund  Speck  und  vier  Pfund  von  den  Knochen  gelöstes 
Fleisch  und  drei  NOsel  Wein.  Das  kannst  du  in  ein  Gefäß  tun 
und  den  Wein  kannst  du  gleichfalls  in  ein  Gefäß  tun.  Das  Opfer 
kann  ein  Sklave  oder  ein  Freier  verrichten,  das  ist  einerlei. 
Wenn  das  Opfer  verrichtet  ist,  soll  er  (den  Anteil)  gleich  eben- 
daselbst verzehren.  Ein  Weib  darf  bei  diesem  Opfer  nicht  zuge- 
gen sein  und  nicht  zusehen,  wie  es  geschieht.  Dies  Gelübde 
kannst  du,  so  du  willst,  alljährlich  wiederholen."*  Man  identi- 
fizierte also  Silvanus  mit  Mars  als  agrarischem  Gotte  oder  hielt 
ihn  seinen  Wirkungen  nach  für  nah  verwandt  mit  diesem,  den 
der  Römer  zur  Zeit  der  Saatblüte,  die  Opfertiere  um  das  (tc- 
treidefeld  herumttihrcnd,  um  das  Wachstum  und  Gedeihen  (gran- 
dire  et  evenire  sinas)  der  Gewächse ,  sowohl  des  Getreides  und 
der  sonstigen  Früchte,  als  auch  der  Weinstöcke  und  Gesträuche, 
zugleich  aber  um  die  Gesundheit  der  Heerden  und  Hirten,  und 
das  Wolsein  der  eignen  Person,  Familie  und  Hausgenossenschaft 
anrief.  *  Ganz  die  nämliche  Verbindung  von  Pflanzen ,  Menschen 
und  Tieren  tritt  in  deutschen  (Gebräuchen  hervor,  z.  B.  bei  dem 
sogenannten  Schlag  mit  der  Lebensrute  (Bk,  269 — 278\  bei  den 
Frühlings-  und  Sommerfeuern  (Bk.  521),  und  bei  Maibaum  und 
Emtemai;  auch  in  den  nmiischen  und  griechischen  Begehungen 
der  Luperealien,  Palilien  und  Thargelien  begegnet  —  wie 
wir  sehen  werden  —  dieselbe  Erscheinung.  Jn  allen  diesen  Ce- 
remonien  handelt  es  sich  um  den  Parallelisnms  des  Wachstums 
bei  Menschen,   Tieren  und   Pflanzen  und   um  Uebertragung  der 


li  Votum  pro  bubus,  nt  valeant,  sie  facito.  Marti  Silvano  in 
Silva  interdius,  in  cajiita  singula  boum  votuni  facito  t'arris  adorei  libras  III 
et  lardi  p.  IV  s.  et  pulpae  p.  IV  s.  vini  sextarios  tres.  Id  in  unum  vas  liceto 
conjicero,  et  viiunn  itrm  in  unuin  vas  liecto  eonjicere.  Eain  rem  divinaui  vel 
servus,  vel  liber  liccbit  fa^-iat.  Ubi  r«s  ilivina  facta  orit,  statim  ibidem 
(V)nsurait<>.  iMulier  ad  eam  r<'m  diviiiam  no  adsit,  nove  videat,  quo 
modo  fiat.  llnc  votuiii  in  ann«t.s  slngubK,  si  voles,  licebit  vovere.  Cato  R. 
R.  LXXXIll. 

2,  Cato  R.  R.  CXLI. 


1:^)  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  11. 

Vegetationskräfte  auf  Wesen  mit  willkürlicher  Bewegung.  Es 
ergiebt  sieh  aus  diesen  Analogien,  daß  Silvanus  nicht  allein  des- 
halb Hirtenstelle  bei  den  Weidetieren  vertrat,^  und  dem  2ialme 
des  Wolfes  wehrte,  ^  weil  auch  der  Italer  ursprünglich  sein  Vieh 
auf  Waldlichtungen  grasen  ließ,^  wie  er  denn  auch  gleich  ande- 
ren Waldgeistern  (Bk.  117.  131.  141)  das  Wild  des  Waldes  als 
Herr  befehligt  und  dem  Jäger  Jagdglück  verleiht  oder  versagt;* 
sondern  es  muß  in  seinem  Wesen  gelegen  haben,  Wachstunis- 
kräfte zu  verleihen.  Aus  diesem  Grunde  wurde  er  in  dankbarer 
Gesinnung  bei  Erntefesten  nächst  Tellus  als  derjenige,  welcher 
dem  Korne  Gedeihen  verlieh,  mit  einem  Opfer  bedacht,  indem 
man  ihm  Milch  darbrachte/  die  man  unzweifelhaft  über  die  Wur- 
zeln des  ihm  heiligen  Baumes  oder  Haines  ausgoß  (cf.  BL  11). 
Wie  die  Holzfräulcin  in  Franken,  denen  die  Erstlinge  der  Früchte 
geopfert  werden  (Bk.  77  flf.),  Yegetationsgcnien  des  Waldes,  Per- 
sonificationen  von  Bäumen  oder  Baumcomplexen  sind  (Bk.  75  ff.), 
werden  auch  Silvanus  imd  die  Silvane  von  diesem  Begriffe  aus- 
gegangen und  in  einzelnen  hervorragenden  Baumexemplaren  oder 


1)  „Magno  deus,  Silvane  potcns  sanctissime  pastor'*  Hcntzen Inscr. 
Lat.  n.  5751. 

2)  Luporum  exactor  heißt  er  in  einem  Fragment  des  Lucilins  (No- 
nius  Marc.  p.  110,  Cf.  Dcmster  zu  ßosini  antiqq.  Rom.  p.  184).  So  ruft  auch 
die  finnische  Hauswirtin  in  ihren  langen  Gebeten  bei  Enthassung  der  Heerde 
den  (^nüt  grünem  Pelz  aus  Baummooa  und  hohem  Hut  aus  Fölireunadeln  be- 
kleideten) Waldgott  Kuippana  oder  Tapio  an,  er  möge  seinen  Hunden,  den 
Wi'lCen,  Eicheln  und  Schwämme  in  die  Naslöcher  stecken,  damit  sie  nicht 
nach  der  Heerde  schnui>pern,  er  möge  ihnen  Ohren  und  Augen  verstopfen 
und  verbinden ,  oder  noch  besser  si«;  fern  von  den  Weideplätzen  mit  goldge- 
schmiu'kter  Fessel  in  Waldeshöhlen  festbinden.  Kalewala  R.  XXXII,  4U3  ff. 
Schiefner. 

3)  Saltuni  Gallus  Aelius  I.  II  significationum  .  . .  ita  definit.  Saltus 
est  ubi  silvae  et  i>astiones  sunt.  Fest.  p.  302.  Cf.  Röscher  Apollon  und 
Mars  S.  67. 

4)  Vgl.  die  Weihinschrift  eines  Jagdfreundes,  des  Praefectcn  Ctetius 
Veturius  Micianus  zu  Stanhope  in  Britannien:  Silvano  invieto  Sjicrum  ob 
aprum  eximiae  formae  capturn,  quem  multi  antecessores  ejus  praedari  nou  po- 
tuerunt.     Donati  I,  \>.  40,  4.     Orelli  n.  1(303. 

5)  Hör.  K]nst.  II.  140  fT.: 

Condita  post  frumenta,    levantes  tempore  festo 
Corpus  et  ipsum  animuni  spe  ünis  dura  ferentem. 
Cum  soi'iis  operum  ]>uoris  et  conjuge  lida, 
Tellun-m  porco ,  Silvunum  lacte  piabant. 


Silvanas  und  Silvane.  121 

Banmgrnppen  verkörpert  gedacht  sein.  Deswegen  liebte  man 
es  bis  in  späte  Zeit,  das  Bild  des  Gottes  unter  einem  Banme 
aufzustellen  oder  ans  einem  solchen  hervorwachsen  zu  lassen.  ^ 
Vermutlich  hatte  jedes  Grundstück  in  alter  Zeit  hinter  dem  Hofe 
oder  auf  der  Grenze  einen  solchen  Baum  oder  Hain,  der  den 
Silyan  vorstellte,  oder  ihm  geweiht  war  und  vermöge  jenes  o. 
S.  23  ff.  beobachteten  Glaubens  an  einen  Parallclismus  des  Baum- 
nnd  Menschenlebens  als  alter  ego,  Lebens-  und  Schicksalsbaum 
der  auf  dem  Grundstück  wohnenden  Familie  und  ihrer  Haustiere 
galt  (vgl.  Bk.  51  und  den  Hain  des  Mahjas  kungs  Bk.  52).  Mit 
der  Zeit  wurde  dieser  eine  Silvanus  nach  den  (nur  scheinbar) 
verschiedenen  Seiten  seiner  Wirksamkeit  in  drei  differenziert. 
Wir  erfahren  nämlich  aus  einer  Stelle  in  den  Schriften  über  die 
Feldraine,  daß  jede  Besitzung  (possessio)  drei  verachiedene  Sil- 
vane hatte,  den  Haussilvan  (S.  domesticus),  der  flir  Haus  und 
Hof  Sorge  trug,  den  Fhirsilran  (S.  agrestis),  dem  der  Schutz 
der  Heerden  und  Hirten  befohlen  war,  und  den  Grenzsüvan  (S. 
Orientalis),  dem  auf  der  Zusammengrenzung  zweier  oder  mehre- 
rer Grundstücke,  deren  Marken  von  dort  ausgingen  (oriebautur), 
ein  ganzer  Hain  geweiht  zu  werden  pflegte.  Man  hat  sich  vor- 
zustellen, daß  drei  Standbilder  des  Gottes  nebst  dem  betreffenden 
Baume,  das  eine  beim  Hause,  das  andere  auf  der  Flur,  das  dritte 
auf  der  (irenze  zu  sehen  waren.  Diese  Angabe  der  Feldmesser 
wird  durch  die  Inschriften   vielfach  bestätigt  und  ergänzt.     Die- 


1)  Ein  Simulacrnm  Silvani  stand  z.  B.  unter  einem  Feigenbaum  beim 
Saturnustempel  auf  dem  Capitol;  als  der  Baum  durch  seine  Ausbreitung  das 
Bildwerk  umzustürzen  drohte,  entfernte  man  ihn  nacli  einem  von  den  Vesta- 
linnen,  den  Hüterinnen  des  lieiligen  Staatsheerdes,  gebrachten  Opfer  im  J. 
d.  St.  260  (=  494  v.  Chr.).  So  erzählt  Plinius  h.  n.  XV,  18,  20.  Eine  zu 
Aixmc  gefundene  Inschrift  (Orelli  n.  1G13)  redet  den  Gott  an:  Silvane  sacra 
semiduse  fraxino.  Vgl.  das  Bildwerk  bei  ^lillin  Mythol.  Gallerie ,  Berl.  1836, 
Tab.  CXVI  n.  289.  Silvan  mit  Tannzapfon  gekränzt,  einen  großen  Tannen- 
ast in  der  einen,  eine  Sichel  oder  Gartenmesser  in  der  andern  Hand,  Wein- 
trauben und  Baumfrüchto  im  Mantel  tragend,  steht  neben  einem  Altar,  bei 
dem  der  Hund  der  Laren  liegt,  unter  einem  Tannenbaum,  der  mit  einem 
Kranze  geschmückt  ist.  Bauern  bringen  ein  Opfer.  Cf.  ähnliche  Dar- 
stellungen auf  dem  Marmor  28  der  antiken  Sculpturen  des  Berliner  Museums 
bei  Bötticher  Baumkultus  der  Hellenen  Taf.  II,  Fig.  6 ;  Clarac  Mus.  PI.  259, 
Fig.  567.  Bötticher  a.a.O.  Taf.  VI,  Fig.  16. 17;  Moses  Collection  PL  52. 
Bötticher  a.  a.O. ,  T.  VI,  F.  16;  Gerhard  ant.  Bildw.  T.  42.  Bötticher  a.  a.  0. 
T.  X,  F.  32. 


122  Kapitel  III.    Die  wüden  Leute  der  antiken  Sage  U. 

selben  reden  ebenfalls  von  dem  Silvamis  domesiicus  (Or.  n.  1601. 
4960.  Hentzen  n.  5746),  casanicus  (Or.  1600),  oder  villicuSf  und 
zwar  rufen  sie  ihn  an  als  Erhalter  (conservator.  Hentzen  n.  5742), 
Behütcr  (Custos),  Heilgeber  (Salutaris,  Or.  1609),  Wiederk&rskl' 
ler  der  Gesundheit  oder  des  Vermögens  (restitutor,  Hentzen  5750) 
einzelner  Personen'  oder  ganzer  Familien,^  als  deren  Zugehörige 
die  Verwalter  und  Freigelassenen  derselben  sich  mit  einrechnen.* 
Die  Bewahrung  auf  Reisen  und  die  glückliche  ZurttcktUhmng  zur 
Heimat  wird  ebenfalls  als  Werk  des  Silvanus  angesehen  ^  (Bk.  48). 
Die  Bezeichnung  Silvanus  domesticus  wechselt  auch  mit  einem 
vom  Namen  des  Grundeigentümers  oder  des  Gutes  hergenomme- 
nen Beiwort  (Silvanus  Staianus ,  Sinquas ,  Pegasianus ,  Caesarien- 
sis,  Caminensis  u.  dgl.).  Den  Silvanus  agrestis  erkennen  wir 
wieder  in  dem  Silvanus  lar  agrestis  einer  römischen  Inschrift;* 
daß  er  Gras  und  Kräuter  auf  der  Viehweide  wachsen  läßt,  drückt 
wol  der  Name  Silvanus  (h)erbarius^  aus.  Den  Silvanus  orienta- 
lis  meint  Horaz,  wenn  er  Epod.  U,  22  vom  Silvanus  tutor  finium 
redet,  und  der  Divus  Sylvanus  portae  Komanae  zu  Venafrum' 
wird  in  dieselbe  Kategorie  gehören.  Als  in  einem  großen  Teile 
Italiens  die  Latifundien  der  römischen  Großen  den  kleinen  Gnmd- 


1)  Silvano  custodi  Papirii.  Hentzen  n.  5743.  Silvano  doraostico  pro  S. 
T.  (pro  salute)  T.  Flavi  Crescentis.    Grell,  n.  lüOl. 

2)  Cf.  Silvano  Flaviornm.  Hentzen  n.  57-48.  Numini  domus  Augustae 
et  san(cti  Silvani)  salutaris  sacrura.     Grell,  n.  1;VJG. 

3)  Diese  errichten  Bild  und  Altar  des  Gottes  öfter  für  das  Gedeihen 
ihrer  Herrschaft.  Hentzen  n.  5751.  Pro  salute  et  inc^dumitate  indnlgentia- 
simorum  dominorum  Marcio  Lib.  proc.  sacris  eoruni  judiciis  gratns  SilTano 
Deo  praesenti  effigiem  loci  ornatum  religionem  instituit  consecravitcjue  libens 
aniniü.  Gr.  liiOH.  Haec  ego  quae  fcci  dominorum  causa  salutis  et  mea  pr<»- 
quo  meis  orans  vitanKpie  benignam  offidumque  gerens  fautor  tu  dexter  adesto. 
Hentzen  5751. 

4)  Pro  salute  et  reditu  L.  Turselli  Maximi,  L.  Tursellius  Restutus 
L(ibertus)  »Silvano  Casanico  vot.  lib.  solvit.  Grell,  n.  liiUO:  cf.  n.  1012.  1587; 
cf.  das  Bildwerk  mit  der  üedication  „Silvano  D.  D.**,  worauf  eine  Herme 
des  Gottes  unter  der  ihm  heiligen  Fiehte,  daneben  als  Weihgeschenk ,  un- 
zweifelhaft für  die  glüelfliehe  Rückkehr  von  gefahrvoller  Handelsreise,  ein 
Ballen  Kaufinannswaare  und  ein  Hermesstab  dargestellt  sind.  Mose«  Collect. 
PI.  52.     Böttieher  l^aumkultus  Taf.  VF,   18. 

5)  Grelli  u.  W)\.    Vgl.  dazu  Hentzens  Bt»merkung. 
(])  Hentzen  n.  5747. 

7)  Hentzen  n.  5745. 


Silvanus  nnd  Silvane.  123 

besitz  verdrängten  und  Land  nnd  Stadt  mit  weitlänftigen  Park- 
und  Gartenanlagen  itillten,  wurden  die  Bäume  und  Haine,  Sta- 
tuen nnd  Kapellen  des  Silvanus  in  die  neuen  Gründungen  mit 
anigenommen  und,  indem  sie  im  allgemeinen  ihren  alten  Platz 
hinter  dem  Hause  oder  auf  der  Grenze  des  (jfrundstücks  behaup- 
teten, den  veränderten  Zwecken  und  Verhältnissen  angepaBt. 
An  die  Stelle  der  einheimischen  Waldbäume  traten  jetzt  vielfach 
die  aus  der  Fremde  entlehnten  *  (iartengewächse  Pinie  und  Cy- 
presse;  Silvanus  wurde  nun  neben  Priapus  zum  Schützer  der 
Gärten.*  Schon  früher  mag  man  ihn  mit  einer  entwurzelten 
Fichte  oder  einem  anderen  Waldbaum  in  der  Hand  sich  vorge- 
stellt haben,  wie  die  griechischen  Kentauren  und  deutschen  wil- 
den Männer,  und  aus  gleichem  Grunde.  Denn  daß  auch  die  Ge- 
räusch verursachenden  Bewegungen  und  Windhauche  im  Walde 
als  Lebensäußerungen  des  Silvanus  gefaßt  wurden,  geht  aus  dem 
Umstände  hervor,  daß  man  plötzliche  Laute  ihm,  wie  dem  Fau- 
nus,  zuschrieb.^  Üic  als  Waffe  getragene,  sturmentwurzelte 
Fichte  oder  Taime  wurde  unter  dem  Einfluß  der  neuen  Verhält- 
nisse zu  einem  Bäumcheu  umgedeutet,  das  der  sorgsame  Pfleger 
der  Gärten  mit  der  Wurzel  ausgehoben  hat,  um  es  an  einen 
geeigneteren  Ort  zu  verpflanzen.  *  Eine  andere  Deutung ,  welche 
aui'kam,  um  die  Cypresse  in  der  Hand  des  Gottes  zu  erklären, 
ging  dahin,  Cyparissus  sei  der  Liebling  Silvans,  ein  schöner 
Knabe,  gewesen,  welcher  aus  Gram  über  den  Tod  seiner  zah- 
men Hirschkuh  starb  und  vom  Gotte  in  den  Baum  gleiches  Na- 
mens verwandelt  wurde,  den  derselbe,  um  sich  zu  trösten,  stets 
in  der  Hand  trägt.-*     Das  ist  aber  nur  eine  Uebertnigung  aus 


li  V^'I.  V.  Hehn  Kulturi)tlanzen  und  Haustiere  1870,  S.  Ijr2  ff.  205  ff. 

2)  Vgl.  Silvane  sacra  semicluse  fraxino  et  liuju3  alti  smume  custos  lior- 
tuli.     Orcli.  n.  1G1J3:  cf.  If)!«).     Hör.  Kpod.  2,  21  ff. 

3>  Livius  I,  7.  o.  S.  115  Anm.  Cf.  Valer.  Max.  VIII,  5.  Ingens  re- 
pente  vox  proxima  silva  .\sia,  quao  oro  Silvani  in  hiinc  poue  inodum 
ernis8a  traditiir:  uno  plns  Hetru.sci  cadent,  Romaniis  exen-itus  victor  abibit. 
Martial  nentit  »Silvanus  tonans  viai  dem  donncrlauton  Hall  seiner  Stimme 
im  "Walde  X,  1)2,  5:  Seniidocta  villi<-i  mann  structas  tonanti.s  aras  borri- 
dique  Silvani. 

4)  Vorg.  (ioorg.  f,  20:  Et  ton»Tam  ab  radico  fon»ns  Sylvane  cupressum. 
Servius  Comni.  1.  1.  Quidam  Sylvanum  prinium  instituisso  plantationes  di- 
cunt.     Cf.  das  Weintrauben  und  Obst  tragende  Bild  des  Silvan  o.  S.  121  Anm. 

5)  S«Tviiis  zu  Verg.  (Joorg.  I,  20. 


124  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  IL 

der  älteren  griechischen  Sage,  welche  ApoUon  an  Stelle  des  Sil- 
vanos  nennt.  ^  Und  weil  die  Cypresse  den  Alten  auch  ein  Sym- 
bol der  Trauer  war  und  vor  dem  Sterbehause  aufgepflanzt  wurde,* 
so  wurde  der  Cypressenbaumträger  Silvanus  zum  Schutzgott  ron 
Sterbeladen,  Verbindungen,  die  unter  dem  Namen  collegia  oder 
sodalitia  dendrophororum  zum  Zwecke  gegenseitiger  Unterstützung 
bei  Begräbnissen  zusammengetreten. 

Man  glaubte,  daß  die  Silvane  die  Wöchnerin  belästigten  und 
Kinder  raubten  (vgl.  Bk.  153),  ohne  Zweifel,  um  sie  zu  sich  in 
den  Wald  zu  tragen ,  wie  unsere  Eiben,  wilden  Weiber  (Bk.  108). 
Mulieri  fetae  post  partum  tres  deos  custodes  commemorat  adhi- 
beri  (Varro),  ne  Silvanus  deus  per  noctem  ingrediatur  et  vexd; 
eorumque  custodum  significandorum  caassa  tres  homines  noctn 
circumire  limina  domus  et  primo  limen  secuii  ferire ,  postea  pilo, 
tertio  deverrere  scopis,  ut  bis  datis  culturae  signis  deus  Silvanus 
prohibeatur  intrare,  quod  neque  arbores  caeduntur  ac  putantur 
sine  ferro,  neque  far  conficitur  sine  pilo,  neque  fruges  coacer- 
vantur  sine  scopis;  ab  bis  autem  tribus  rebus  tres  nuncupatos 
deos,  Intercidonam  a  securis  intercisione ,  Pilumnum  a  pilo,  De- 
vcrram  a  scopis,  quibus  diis  custodibus  contra  vim  dei  Silvani 
feta  conservaretur.  Es  muß  einer  späteren  Gelegenheit  aufbehal- 
ten bleiben,  diesen  Glauben  und  Brauch  zu  deuten;  nur  so  viel 
dürfte  ohne  weiteres  klar  sein,  daß  Varros  Auflassung  an  meh- 
reren Unrichtigkeiten  leidet.  Intercidona  und  Deverra  und  in 
diesem  Zusammenhange  auch  Pilumnus  sind  lediglich  Personifica- 
tionen,  Schutzgottheiten,  der  von  den  drei  Männern  als  Averrun- 
cation  geübten  Tätigkeiten  des  Durchhauens  der  Schwelle,  des 
Schiagens  mit  idcr  Mörserkeule  und  des  Ausfegens,  welche  die 
Averrunzierenden  in  einer  einzelnen  Verrichtung  dramatisch  nach- 
bildeten, nicht  Götter  von  selbständiger  und  umfassenderer  Bedeu- 
tung. Das  Durchhauen  der  Schwelle  soll  dem  Silvan  unmöglich 
machen,  darüber  hineinzukommen,  das  Ausfegen  den  etwa  schon 
ins  Haus  gedrungenen  bösen  Zauber  hinausschaffen.  (Cf.  die  zahl- 
reichen   ähnlichen  Indigitalgötter.     Preller  Köm.  Mytlf.  572  bis 


1)  Servius  zu  Verg.  Aen.  III,  G4.  680.    Ovid.  Metamorph.  X,  106—142. 
Cf.  riiilostrat.  Vit.  Apoll.  I.  16.    Vgl.  die  Sago  von  Daphne  o.  S.  20. 

2)  Servius  zu  Verg.  Aen.  II,  714.    Plin.  Hist.  nat.  16,  60.  Festusp.öS. 
Bötticher  Baumkultus  S.  488. 


Silvanus  und  Silvane.  125 

596).  Jedenfalls  liegt  also  der  Gegensatz  des  wilden  Waldes,  in 
den  Silvanns  die  Neugcbornen  zurückzuholen  sucht,  und  der  davon 
befreienden  Tätigkeit  des  die  Kulturfrucht  erbauenden  Landmanns 
mindestens  nicht  in  der  Weise  in  den  von  Yarro  beschriebenen  Hand- 
langen ausgedrückt,  wie  er  meint.  *  Höchstens  könnte  die 
Androhung,  den  Öilvan  mit  dem  Komquetscher  zu  zerstoßen, 
auf  eine  Vermischung  des  ersteren  mit  Korndämonen  (vgl. 
die  Holzfräulein  und  den  Waldmann,  Bk.  77.  410)  hindeuten. 
—  Wie  die  Kentiiuren  langhaarig,  die  wilden  Leute  der 
deutschen,  die  Ljcschie  der  russischen  Sage  mit  rauhem 
Haarwuchs,    wird   auch    »Silvau   als    zottig   (horridus)    gedacht, 


1)  Varro  bei  Augiistin  ('iv.  1>.  VI,  9.  Nur  eine  andere  Form  desselben 
Gebrancbes  ist  es,  wenn  man.  so  lange  bis  das  Kind  vom  Boden  erhoben,  f&r  le- 
bensfähig erklärt,  vom  Vater  anerkannt  war,  im  Hause  dem  Pilumnus  und  Picum- 
nus  ein  Lectistemium  bereitete ,  als  einen  Sitz ,  worauf  ruhend  sie  den  Silvan 
vom  Säugling  abwehren  sollten.  Varro  de  vit.  jmp.  Rom.  1.  Cap.  Non.  s.  v. 
Pilumnus:  Xatu«  si  erat  vitalis  ac  sublatus  ab  obstetrioe  statuebatur  in 
terra,  nt  auspicaretur  rectus  esse,  diis  conjugalibus  Pilumno  et  Picumno  in 
aedibus  lectus  steruebatur.  Sorv.  ad  Verg.  Aen.  X,  76.  Varro  Pilumnnm 
et  Hcumuum  deos  esse  ait  «isque  pro  puerpera  lectum  in  atrio  sterni,  dum 
oxploretur  an  vitalis  sit  qui  natus  est.  So  brennt  in  deutschen 
Bauernhäusern  ein  Licht  neben  der  Wiege,  bis  das  Kind  getauft  ist, 
damit  die  Unterirdischen,  Zwerge,  die  Roggenmuhme  u.  s.  w.  es  nicht  ab- 
tauschen. Ganz  dasselbe  geschah  bei  den  Römern,  und  dieser  Handlung 
stand  eine  Göttin  Candelifera  vor.  Pilumnus,  d.h.  der  mit  der  Mörser- 
keule Versehene  oder  der  Keulenschwiiiger  (vgl.  Zeyß  Zs.  f.  vgl.  Spr.  XVU, 
419.  420)  ist  uns  auch  noch  sonst  bezeugt  als  eine  von  den  Bäckern  verelirto 
Gottheit,  eben  die  Persouifieation  des  Komquetschens  zum  Brotbacken.  Ser- 
vius  ad.  V.  A.  IX,  4.  (Invenit  usum  Pilumnus  pinseudi  frumentum,  undo  et 
a  pistoribus  colitur. )  Ihas  Zusammenauftreten  mit  ihm,  wie  die  sprach- 
liche Form  machen  gewiß,  daß  wir  auch  in  Picumnus  nichts  anderes  als 
eine  analoge  Personification  einer  averrunzicrenden  Tätigkeit  zu  suchen  liaben, 
zu  deren  Verständiiin  uns  jedoch  mit  dem  Etymon ,  wovou  es  abgeleitet  ist, 
das  Material  verloren  gegangen  ist.  Denn  in  Wahrheit  erfahren  wir  aus  der 
römischen  Literatur  außerdem  keinen  echten  Zug  über  den  lediglich  den  Göt- 
tern der  Indigitamenta  angehörenden  Gott  Picumnus.  Nur  eine  falsche  Ety- 
mologie hat  die  römisclien  Antiquare  schon  vor  Varro  verleitet ,  ihn  mit  Pi- 
cus  zu  identifizieren ,  und  dessen  Beinamen  Sterquilinus  auf  ihn  (Serv.  a.  V. 
A.  IX.  4),  ja  auf  Pilumnus  (Serv.  a.  Aen.  X,  TO)  zu  iibertragen.  Das  Ver- 
hältniß  ist  noch  durchsichtig  selbst  in  der  Notiz  des  Nonius  Marc^llus  s.  v. 
Picumnus:  Picumnus  est  avis  Marti  dicata,  quam  picum  vel  picam  vocant 
(die  falsche  Combination)  et  deus  qui  sacris  Romauis  \\tl  dem  angeführten 
Brauch)  adbibetur. 


120  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

ein  rechtes  Abbild  des  Waldes.  ^  Wie  bald  von  einem  FaiinaSy 
bald  von  einer  Gesellschaft  der  Faanen  die  Rede  ist,  sprach  man 
auch  von  vielen  Süvatuni,  *  sowie  von  weiblichen  Waldgeistem, 
Sümnae  (Orell.  2103),  Salevae  (Or.  2101.  2099),  Saleviae  Or. 
2100),  welche  zuweilen  Feldnymphen,  Campcstres  (Or.  2101. 
2102)  oder  Nymphen  der  Kreuzwege^  Quadriviae,  Quadribae 
(Or.  2103)  gesellt  sind. 

§.  3.   Faune  und  Silvanc  Im  romanischen  Yolksglauben. 

Als  ein  noch  heute  lebender  Nachklang  dieser  antiken  Elemen- 
targeister müssen  die  wilden  Leute,  gcntc  salvaticay  in  Nordita- 
lien bezeichnet  werden.  Um  Mantua  werden  sie  beschrieben  als 
Geister,  luüb  Mensch,  halb  Tier,  mit  einem  Schwänze  hinten, 
welche  die  Menschen  mit  sich  forttragen  und  auftressen  (Bk.  113); 
schon  im  frühen  Mittelalter  werden  femniae  agrcstes,  quas  Silva- 
ticas  vocant^  genannt,  welche  Liebschaften  mit  sterblichen  Män- 
nern suchen  (Bk.  113).  In  Wälsch- Tirol  heißt  der  wilde  Mann 
Vom  Salvadegh,  d.  i.  homo  silvaticus  oder  Salvang,  d.  i.  Silvanus, 
Salvanel  oder  Salband,  d.  i.  Silvanellus.  Die  Form  Salband 
hat  bereits  in  einer  antiken  Inschrift  „Silbano  sacrum"  (Marini 
atti  II,  3G7.  Or.  1617)  ein  Vorbild.  Der  Salvanel  inValsugana 
läßt  Leute ,  die  in  seine  Fußtapfen  geraten ,  im  Wald  in  die  Irre 
gehen.  Er  raubt  wie  Silvanus  (o.  S.  124)  kleine  Kindery  besonders 
Mädchen,  nährt  sie  in  seiner  Höhle  und  behält  sie  mit  ungemeiner 
Liebe  bei  sich.  Er  stiehlt  gern  den  Hirten  die  Milch.  Einst 
setzte  der  Bestohlene  ihm  zwei  mit  Wein  gefüllte  Milchgefdße 
hin;  er  trank,  wurde  berauscht,  gefangen  und  gebunden,  lehrte 
den  Hirten  gegen  seine  Freilassung  Käse  machen  und  rief  im 
Verschwinden:  „hättest  du  mich  noch  ein  wenig  festgehalten,  so 
hätte  ich  dich  gelehrt  aus  Milchabguß  Wachs  zu  machen.^'* 
Diese  möglichst  genau  mit  der  altrömischcn  Sage  von  Picus  und 


1)  Horridi  duineta  Silvani  Hör.  Od.  III,  29,  22  silva  dumis  horrida, 
Hör.     Vgl.  Martial  X,  92,  5;  o.  S.  39.  41  und  die  Bildwerke. 

2)  Calybe  Silvanis  v.  s.  1.  di.  Marin,  atti  delli  fr.  Arv.  II,  j».  543. 
Orclli  n.  IGIG.  Quin  et  8ilvaiios  Faun(>sque  et  deorum  genora  silvis  ac 
sua  Dumina  tanquam  et  caclo  attributa  crcdinms.    Plin.  H.  n.  XJI,  1.  2. 

3)  Bk.  113.  0.  Schneller  Märchen  und  Sagen  aus  Wälsch -Tirol.  Inns- 
bruck 18G7,  S.  214  ff.  Vgl.  L  v.  Hürmann  Mytbol.  Beiträge  a.  WäUch- Tirol. 
Innsbr.  1870,  S.  3. 


SilvanoB  u.  SUvane  im  romauisciiun  Volksglauben.    Pan  u.  Pane..     127 

Fannns  übcreiustimmende  Sage  erweist  die  Identität  der  geilte 
BilTatica,  der  Salvanelli  n.  t».  w.  mit  deu  antiken  Faunen  und 
SOyaDen.  Auch  als  Baumeiiivvohner  zeigt  »ich  noch  der  Salvanel, 
mBofem  man  im  Etschlande  von  krankhaften  Stellen  am  Baume 
sagt,  derselbe  habe  deu  Salvanel.  Und  wenn  um  Mantua  eine 
menschlieh  gestaltete  Puppe  im  Saatfeld  „Salha^iello^^  heißt,  so 
ist  das  genau  der  Silvanus  agrestis,  o.  S  121.  Auch  sonst  fin- 
den sieh  nämlich  Spuren,  daß  die  Popanze  oder  Vogelscheuchen 
im  Saatacker  ursprünglich  nicht  sowol  aus  nüchtern  praktischen 
Zwecken  hervorgegangene  Schreckmittel  für  die  Vögel  gewesen 
sind,  sondern  daß  sie  Darstellungen  des  Vegetation sdämons  wa- 
ren, der  m  iiositiver  und  negativer  Richtung  zugleich  wirksam 
Ungeziefer  vertreibt  und  Wachstum  fördert.  So  wird  in  Königs- 
wartha  Kr.  Bautzen  die  den  Komgeist  darstellende  beim  Ausdrusch 
der  letzten  Koggengarbe  aus  einem  mit  Stroh  umwundenen  Holz- 
kreuz gefertigte  Menschenfigur,  der  Alte  oder  Stary,  bis  zum 
Frühjahr  verwahrt  und  dann  mit  Rock  und  Hut  bekleidet  und 
mit  einem  Besen  in  der  Hand  ins  Krautfeld  gesteckt.  —  In  Fassa 
stellte  man  sich  die  Salvegn  (Flur.  v.  Salvangj,  welche  gern  Kin- 
der abtauschten,  von  Ansehen  wie  große  Aflfen  vor,  stark,  haarig 
und  mit  langen  Nägeln  an  den  behaarten  Fingern.  ^  Die  wilden 
Weiber  heiüen  m  Wälsch- Tirol  Bregosüine,  Enguane  oder  Delle 
Vivane.  Ein  Mann  von  Muzin  hatte  eine  solche  gefangen  und 
sie  willigte  ehi,  sein  Weib  zu  werden,  wenn  er  sie  nie  Geiß 
nennen  wolle.  Sie  gebar  ihm  Kinder  und  unter  ihren  Händen 
mehrte  sich  der  Wohlstand  des  Hauses,  bis  nach  5  Jahren  der 
Gatte  sie  bei  einem  Wortwechsel  Geiß  schalt.  Da  entstand  im 
Zimmer  ein  Staubwirbel ,  in  dem  sie  verschwand.  ^  Oflenbar 
glaubte  man,  daß  diese  Wesen,  wenn  sie  in  ihrer  wahren  Gestalt 
sichtbar  würden,  die  Gestalt  einer  Geiß  zeigten,  oder  daß  sie 
sich  zeitweilig  in  eine  solche  zu  wandeln  vermöchten.  Vermut- 
lich leben  die  Faune  und  Silvane  auch  in  der  lebendigen  Volks- 
überlieferung Mittel-  und  Süditalicns  fort,  doch  ist  es  mir  noch 
nicht  gelungen,  darüber  Auskunft  zu  erhalten. 

§.  4.   Paii  und  Paue.    Unzweifelhaft  richtig  war  die  bereits 
von  den  Alten  gemachte  Annahme,  daß  der  griechische  Pan  und 


1)  L.  V.  HörniaDn  a.  a.  0. 

2)  Hörmann  a.  a.  0.  S.  8. 


128  Kapitel  IIL    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

die  Pane  den  Silvanen  und  Faunen  der  Hauptsache  nach  iden- 
tisch seien.  „Wir  haben,"  sagt  darüber  Welcher^  treffend,  „in 
Pan  bei  den  jüngsten  Nachrichten,  da  Homer  und  Hesiod  ihn 
nicht  einmal  kennen,  einen  der  ältesten  Götter  auf  altgriechi- 
schem Boden,  zum  Teil  die  einfachsten  Anschauungen  der  älte- 
sten Zeit,  zum  Teil  armselige  Volksvorstellungen."  Seine  frü- 
heste Erwähnung  in  einem  dem  Epimenides  (um  600  v.  Chr.)  zu- 
geschriebenen Verse  lehrt  ihn  uns  als  eine  locale,  aber  schon 
auswärts  bekannt  gewordene  Mythengestalt  der  Arkader  kennen. 
Pan  und  Arkas  werden  als  Brüder  bezeichnet.  ^  Auch  Simonides 
(490  V.  Chr.),  Pmdar  (490  v.  Chr.),  Pausanias,  Dionysios  nennen 
ihn  Arkader,  Arkadiens  Herscher,  der  Arkader  ältesten  und 
geehrtesten  Gott.  Erst  nach  der  Schlacht  bei  Marathon  ist  der 
Kult  des  Pan  nach  Athen  verpflanzt*  und  von  hier  aus  wurde 
der  Gott  in  Griechenland  allbekannt,  mit  mehreren  der  nationa- 
len Götter  in  Verbindung  gesetzt  und  auf  verschiedene  Weise 
in  die  genealogischen  Systeme  eingereiht.^  Nach  Böotien  scheint 
ihn  Pindar  gebracht  zu  haben,  der  ihn  schon  der  phrygischen 
Göttermutter  zugesellt.  In  den  dionysischen  ^hiasos  aufgenom- 
men ward  er  und  sein  Geschlecht  ein  beliebter  Gegenstand  der 
Kunst.  Aus  diesen  späteren  Quellen  muß  auf  sein  ursprüngliches 
Wesen  zurückgeschlossen  werden.  Am  reinsten  und  altertümlich- 
sten zeigt  dasselbe  nocli  der  sogenannte  homerische  Hymnus  auf 
Pan.  Zwar  ist  diese  Dichtung,  welche  uns  Pan  ebenfalls  schon 
als  Maskenfigur  in  den  dionysischen  Festtänzen  kennzeichnet,  nur 
die  mit  Geist  und  Feinheit  freiertündene  humoristische  Nachah- 
mung älterer,    zu  heiligem  Gebrauche  bestimmter,    die  Geburts- 


1)  Gütterlehro  I,  452. 

2)  Schol.  Tlieocr.  I,  3.    Schol.  Rhes.  36.    Wcleker  a,  a.  0.  4.^3. 

3)  Herod.  II,  145.     Voss.  myth.  15r.  I,  13. 

4)  S.  dieselben  bei  Jacobi  Handwörterbuch  d.  gr.  u.  röin.  Mytb.  II, 
694  Anm.  *.  Unter  diesen  Genealogien  berulit  diejenige,  welche  Pan  zum 
Sohne  der  Pcnelupe,  sei  es  mit  Hermes  (Herod.  II,  145.  Schol.  Theoer.  I, 
123.  Verg.  Aon.  II,  43).  mit  Odyssens  (Serv.  Verg.  Georg.  1, 16.  Schol.  Theoer. 
a.  a.  0.)  oder  mit  allen  (jfdvTior)  Freiern  i^Duris.  Schol.  Lyk.  772.  Schol.  Theoer.  I, 
3)  machte,  nach  Meinekes  treffender  Bemerkung  (Anal.  Alex.  p.  159)  lediglich 
auf  etymologischer  Spielerei  mit  dem  Gleicliklang  der  Namen.  Man  sirlit, 
wie  fernab  von  jeder  Wahrheit  die  Deutung  von  W.  Schwartz  (Sonne,  Mond 
und  Stern,  70 — 71)  liegt,  Pan  sei  ein  Numen  des  gehörnten  Blitzes,  den 
Penelope,  die  spinnende  S(>nnengüttin ,  gebäre. 


Fan  und  Pane.  129 

legende  irgend  einer  Gottheit  mit  religiösem  Ernste  verherr- 
lichender Rhapsodien.  ^  Der  Dichter  kannte  aber  noch  den 
Volksglauben  von  Pan  und  benutzte  den  Contrast  desselben  mit 
der  höher  entwickelten  Vorstellung  von  den  Olympiern  zur  Ko- 
mik. Uns  gehen  nur  die  Spuren  der  volkstümlichen  Ueberliefe- 
rnng  in  dem  Mythus  an.  Pan  war  danach  zunächst  und  eigent- 
lich Waldgeist  oder  Baumgott,  wie  ihn  denn  ein  von  Macrobius 
aus  unbekannter  Quelle  ausgehobenes  griechisches  Zeugniß 
geradezu  %hv  jfjg  vkr^g  xvgiov  nennt.*  Deshalb  macht  ihn  der 
Dichter  zum  Enkel  eines  Dryops,  wie  denn  auch  ein  Fichten- 
kranz auf  dem  Kopf  oder  ein  Fichtenzweig  in  der  Hand  zu 
seinen  Attributen  in  der  künstlerischen  Darstellung  gehört;  und 
eine  ihm  geheiligte  Eiche  oder  Fichte  pflegt  neben  seinem  Hei- 
ligtum zu  stehen.  •*  Auf  baumbewachsenen  Wiesen  (ava  Ttiatj 
dtvögr^evra)  treibt  er  sich  mit  tanzliebenden  Nymphen  um,  er 
wandelt  hin  und  her  durchs  dichte  Gebüsch  (q>oiT((  l'v&a  xat 
iv&a  dia  ^(onrjia  Ttvxvd).  Doch  geht  er  bereits  über  in  das  Nu- 
men  der  Bergwildniß  überhaupt;  alle  beschneite  Höhen,  Bergfir- 
sten und  Felsenpfade  gehören  ihm  und  eine  Berghöhle  ist  seme 
Wohnung,  weshalb  ihm  später  als  Kultstätten  in  Marathon, 
Athen,  Delphi  u.  s.  w.  Grotten  eingerichtet  wurden.  Als  Waldgeist 
ist  er  Gebieter  und  Jäger  des  Wildes  *  und  zugleich  Schützer  und 


1)  Vgl.  Welcker  Gr.  Gött^rl.  II,  (ittO. 

2)  Haue  (leum  (PaDa)  Arcades  colunt  appellantos  roj'  r^g  Vlfjs  xvqiov. 
Macrob.  Saturn.  I,  22. 

3)  /U(t{im'Ti  St  T(n>  r«(}(iTf}v  x(t)  n QogfXth'n*j i  ajtu^iovg  iS^xtt  Iluvog  iariv 
Iftmy,  X(u  noog  uiTtp  Sqi\  hoa  xn)  aiii]  tov  fltti'og.  Pausan.  VIII,  54,  3. 
Pans  unter  einer  Pinie  stehendes  Bil<l,  dem  ein  mit  Fichtenlaub  bekränzter 
Hock,  Kränze  und  Trauben  geopfert  werden.  Longiis  II,  24.  31.  Vgl.  die 
Panshenne  unter  einem  Baume.  Gerhard  antike  IJildw. ,  T.  48.  Bötticher 
Baamkultus  S.  148. 

4)  ItiyQtvg'  o  ffäv  nuou  yiihirai'utg,  tbg  l47tokl6JM(tog.  Hesych.  s.  v.  — 
Wenn  keine  .Jagdbeute  da  war,  peitschten  die  Arkadier  sein  Bild.  Theoer. 
7.  107.  Wie  die  seligen  Fräulein  und  andere  wilde  Weiber  das  Wild,  welches 
sie  nicht  dem  Jäger  ]»reisgcben  wollen ,  vor  dem  Gesciiosse  desselben  in  ihren 
Grotten  bergen  (Bk.  S.  10().  131  —  132),  so  erzählt  Aelian,  in  Arkadien  gebe 
es  auf  dem  Gijjfol  des  Lykaion  einen  dem  Pan  heiligen  Ort,  .4vXtj  (Hof»  ge- 
heil.en.  Alle  Tiere,  welche  dahin  gleichsam  hilfeflehend  fliehen,  nimmt  der 
Gott  auf  und  schützt   ihr  Leben.     Denn  die   verfolgenden  Wölfe  wagen   es 

Mannhardt.    IL  9 


130  Kapitel  III.    Die  wilden  Leate  der  antiken  Sage  11. 

Mehrer  des  auf  den  Waldwiesen  weidenden  Viehes,  wo  Krokos 
und  Hyazinten  duften.  Besonders  die  letztere  Eigenschaft  wird 
an  ihm  hervorgehoben.  Der  Hymnus  nennt  ihn  vo^iog  ^eog; 
Pindar  heißt  ihn  Genossen  der  Böcklein  (Fragm.  18),  Piaton 
(Krat.  p.  280'')  Ziegenhirt;  von  des  Daphnis  sorgfältig  gepflegter 
Heerde,  der  der  junge  Hirt  die  Homer  salbt  und  die.  Haare 
kämmt,  äußert  Longus,  man  hätte  meinen  können,  eine  heilige 
Heerde  des  Pan  zu  sehen.  ^  Das  bocksflißige  und  gehörnte  Bild 
des  Pan  unter  der  Pinie  hat  in  der  einen  Hand  eine  Syrinx,  in 
der  andern  einen  springenden  Bock.  ^  Auch  die  Heerden  von 
Menschen  stehen  zuweilen  unter  der  Pflege  Paus.  Als  Feinde 
die  Schafe  und  Ziegen  des  Daphnis  weggetrieben ,  erscheint  der 
Gott  dem  Feldherrn  im  Traum  und  schilt  ihn,  daß  er  Tiere,  die 
unter  seiner  Obhut  seien,  geraubt  habe.  ^  Auch  der  Bienenstöcke 
nimmt  Pan  sich  an,  die  der  Hirt  im  Walde  aushebt  ^^  und  Milch 
und  Honig  bringt  man  ihm  als  Opfer  dar  (vgl.  o.  S.  38). 
Abends  spielt  §r  die  Syrinx,  seine  Erfindung;*  kein  Vogel  über- 
trifft ihn,  der  im  Frühling  in  den  Zweigen  hüpfend  süßen  Klage- 
gesang flötet.  Mit  dem  Pan  singen  und  tanzen  die  lautsingenden 
Nymphen  und  um  den  Berggipfel  tönt  der  Widerhall.  Wer  er- 
kennte nicht  in  dieser  Schilderung  den  vergeistigten  Keflex  der 
nämlichen  Naturerscheinung,  welche  ein  feiner  Naturbeobachter, 
Berthold  Sigismund,  im  Thüringer  Walde  folgendermaßen  ver- 
nahm? „Abends  nach  Sonnenuntergang  sang  der  Wald  seui 
Abendlied,  schöner  als  je.  Die  Vögel  waren  verstummt,  kein 
Lüftchen  regte  sich.  Da  ließ  sich  von  fem  ein  leises  Murmeln 
hören,  wie  ein  ernster  Männerchor.  Die  tiefen  Töne  wogten  in 
schwankenden  Accorden  auf  und  nieder,  wie  wenn  eine  Windharfe 
rauscht,  endlich  schwollen  sie  zum  Brausen  einer  vollen  Orgel 
an.    Es  tönte  tvie  ein  ernster  feierlicher  Gesang  y  gleich  als  wolle 


nicht  das  Asyl  za  betreten.  Aelian  Hist.  anim.  XI,  7.  Pan  nährt  das  Wild 
anf  den  schneewipfeligen  Bergen;  daher  nennt  ihn  ein  Lied  des  KastorioD 
O-rjQovöfxot;. 

1)  Hirtengesch.  IV,  4. 

2)  Ebendas.  U,  24. 

3)  Ebendas.  II,  27. 

4)  Anthol.  Pal.  IX,  226.    Welcker  Götterl.  ü,  662.    Theokr.  5,  53. 

5)  Pausan.  X,  32,  5.    Welcker  a.  a.  0.  II,  664. 


Pan  und  Pane.  131 

der  Wald  das  tiefe  Geheimniß  aussprechen^  das  in  allem  Leben- 
den und  Wachsenden  verschleiert  liegt."  ^  Wenn  nach  einem 
platonischen  Epigramm  Pan  mit  seiner  Syrinx  die  Baumnymphen 
(Hamadryaden)  und  Quellnymphen  (Hydriaden)  zum  Tanzen 
bringt,  wenn  er  die  Pitys,  die  personifizierte  Fichte,  geliebt 
haben  soll,  *  so  ist  deutlich  zu  erkennen,  wie  man  im  Sausen  des 
Wmdes ,  der  die  Bäume  tanzen  macht ,  seine  Gegenwart  spürte.  ^ 
Dann  buhlt  er ,  gleich  Faunus ,  um  die  Dryaden ,  woher  er  auch, 
gleich  sonstigen  Waldgeistem,  als  Ulstern,  geil,  befruchtend,  xrikaip 
(Kratinos),  ^rolva/ioQog,  7idvayioQog,  geschildert  wurde;  Heraklit 
braucht  navtveiv  ywaiyLag  im  Sinne  von  beschlafen.  Auch  jene 
plötzlichen,  oft  erschreckenden  Töne  und  Widerhalle  des  Waldes 
(o.  S.  114)  schrieb  man  Pan  zu,^  und  plötzlicher  Schrecken  hieß 
daher  ein  panischer.  *  Sein  Zorn  bewirkt  Irrsinn  ^  (vgl.  o.  S.  36). 
Die  Gestalt,  in  welcher  die  städtischen  Künstler  Pan  aus 
dem  Volksglauben  der  Bauern  überkamen,  war  nach  Herodot  II,  46 
die  eines  Menschen  mit  Bocksbeinen  und  Bocksgesicht,  d.  h.  er  trug 
Bocksschenkel  und  Geißfüße,  sowie  zwei  Homer  auf  dem  Kopf  und 


1)  B.  Auerbachs  Volkskal.  1860.  S.  129. 

2)  Longus  II,  39  iiodai^ri  uhv  IHrvog,  i)oua*^i}  J^  2ivQiy'yos,  naviTKi  J^ 
ovJiTimf  ^Iqvugiv  Iro/kuir  x(c\  ^K:i i  ui]).iai  rvutftcig  TtuQtj^ttn'  Tioiiy- 
uKjtt.  Aristides  I,  249.  Jebb  sagt:  bei  den  Dichtern  hallen  die  Pane  und 
Sat}Tn  auf  den  Bergen  und  um  die  Bäume  sich  ergötzend  in  der  Sommer- 
zeit als  die  musikalischsten  der  (f Otter. 

3)  Vgl.  M.  Müller  Essays  II,  142:  „Gab  es  irgendwo  in  Hellas  eine 
mit  Fichten  bedeckte  Seeküste ,  wie  die  Küste  von  Dorset,  so  mochte  wol  ein 
griechischer  Dichter,  der  ein  Ohr  hatte  für  das  weiche  klagende  Gespräcli 
des  Windes  und  der  zitternden  Fichten  und  ein  Auge  für  die  Verwüstung, 
die  ein  wilder  Nordwind  anrichtete,  seinen  Kindern  von  den  Wundern  des 
Waldes  erzählen  und  von  der  armen  Pitys,  der  Fichte,  um  die  Pan,  der 
sanfte  Windhauch,  wirbt  und  die  vom  eifersüchtigen  Borcas,  dem  Nordwinde, 
niedergestreckt  wird."    Vgl.  auch  Welckcr  G.  L.  II,  66G — 67. 

4)  Cf.  ApoUod.  bei  Schol.  Kur.  Khes.  36:  t«  Um]  kta  «/  vunm  xtc) 
TrnvTn  Tic  vmtrjoa  Tiur  oodtr  iariv  ii/ioJy,  nor/JkMV  yiä  jiavioiUtnm'  ifuivm' 
iv  ToTg  Öotai  ytrou^vinr  in 6  Tf  xrrriym'  y.iu  coiwr  t)ut-'oo)i'  it  x«l  «;Wöw' 
^oi  dl  fjLiur^Tixo)  yh'orrai  rot'rwr.  öihiv  nokXdxig  iirtg  itt  iilv  öiüuutu  lür 
fftovuvvTtav  ovx  <H'w*Tff,  nhiiv  6t  uoviiv  rr^r  n(tooji(nrovanr  tfün'rjr  tfual 
riiivic  öiv  Kcig  rvutftcig  h'  toig  ih'TQoig  itfr'  uvlCjv  xiii   avoCyyuiV  {fmviTv. 

5)  ITkv  vofjiiOaiv  ityuxhbg  Ji«  to  ro^ioi',  xtu  xvvf}yoTg  diu  tö  äy^iov. 
TüTg  Jf  XoinoTg  äxuTnaTna(ug  xn)  (^ot}vßovg  ar/uufvfi.     Artemidor.  11,  37. 

6)  Eurip.  Med.  1162.     Wclcker  G.  L.  II,  669.  Anm.  iu. 

9* 


132  Kapitel  III.    Die  wilden  Leate  der  antiken  Sage  11. 

einen  oft  tierischen  Gesichtsausdruck,  ^  wie  er  auf  vielen  erhalte- 
nen Denkmälern  zu  sehen  ist.  ^  Auch  der  homerische  Hymnus 
bezeichnet  ihn  als  aiyircodrjg,  dixeQwg,  Aristophanes  Ran.  232  als 
KSQoßaTrjQ,  Simonides  als  TQay67iovg,  und  mehrfach  wird  er  als 
AlytTtav  bezeichnet.  Den  übrigen  Stücken  der  Tiergestalt  gesellt 
sich  zuweilen  ein  Schwanz  hinzu.  Noch  näher  an  tierisches  We- 
sen streift  das  dem  Bock  zukommende  Beiwort  alyißdrrjg,  wel- 
ches Theokrit  IX,  433  dem  Pan  beilegt;  übereinstimmend  stellt 
ihn  eine  in  Neapel  befindliche  Marmorgruppe  dar,  wie  er  sich 
mit  einer  Ziege  begattet.  ^  Vermutlich  dachte  man  sich  ihn  ur- 
sprünglich als  ein  zuweilen  ganz  ziegengestaltig  erscheinendes 
Wesen  mit  menschlichem  Bewußtsein.  Als  ein  geisterhaftes  We- 
sen bekundet  sich  Pan  auch  dadurch,  daß  er  wie  Pannus  dem 
Alp,  Ephialtes,  gleichgesetzt  wurde.*  Schon  Aeschylus,  Sopho- 
kles und  Aristophanes  kannten  eine  ganze  Klasse  von  Ilccveg  oder 
Jlaviaxoi,  bocksgestaltige  Waldteulei  und  Dämonen,  die  in  allen 
Stücken  dem  einen  Pan  ähnlich  von  den  bildenden  Künstlern 
häufig  auch  mit  Weib  und  Kind  beschenkt  wurden.  Es  ist  kein 
Beweis  vorhanden,  daß  diese  mehreren  Pane  nicht  aus  volkstüm- 
licher Quelle  geflossen  seien.  ^ 

Es  liefen  verschiedene  Volkssageu  um,  nach  denen  Pan  und 
die  Pane  im  Gebirge  oder  auf  einem  am  Meere  liegenden  Vor- 
gebirge Vorübergehende  angerufen  haben  sollten.  Eine  solche 
Volkssage  gab  Veranlassung ,  daß  vor  der  Schlacht  bei  Marathon 
Pheidippides,  der  nach  Sparta  gesandte  Herold,  da  die  Lacedä- 
monier  den  Ausmarsch  aufschoben,  den  Athenern  Mut  machte, 
indem  er  vorgab,  am  Parthenischen  Gebirge  bei  Tegea  sei  ihm 
Pan  begegnet,  habe  ihn  augerufen  und  gesagt,  daß  er  den 
Athenern    gewogen    sei    und    bei    Marathon    für    sie    kämpfen 

1)  Herod.  II,  46:  y^dipovaC  re  Sij  xai  ylvq.ovai  ol  Cüiynittfoi  xtä  oi 
tcyaXf^KTonoioi  roO  llttvög  XfxyyttXfxaj  xicjuniQ  "Ellrjvtg  j  alyonooamnov  xai 
ToayoaxeXtu. 

2)  Vgl.  Wieseler  zur  Kunstmythol.  Pans.  Götting.  Nachrichten  d.  Ge- 
sellsch.  d.  Wissensch.  1875  n.  17,  S.  433  — 78.  Ebenders.:  Ind.  lect.  aest.  Georg. 
Aug.  1875.     Coiiimentatio  de  Pane  et  Paniscis. 

3)  S.  0.  Müller  Handbuch  der  Archäologie  §  387,  4. 

4)  Hesych.:  TJuvög  axotog  olov  vvxi&Qivug  tpavTaalug.  Artem.  II,  34: 
ExiiTT]  xtu  näv  xccl  ^Etf'iuXiTjg.  37:  o  Sk  ^ICtfiaXrrjg  6  «tTo?  itvtti  rö  //«ci'i 
vevof^iarui. 

5)  Schol.  Theoer.  IV,  62.  Aristoph.    Eccles.  1069.   Cic.  Nat.  Deor.  3, 17. 


Pan  und  Pane.  IdS 

werde. '  Nachahmung  einer  solchen  Volkssage  ist  auch  erkenn- 
bar in  der  Erzählung  des  Longus,  wie  die  Flotte  der  Methyninäer 
nach  einem  Raubzuge  in  das  Gebiet  der  Mytilenäer  bei  einem  Vor- 
gebirge Anker  warf.  Da  hörte  man  am  Lande  Schlaehtgetöse  und  von 
dem  sehr  schroffen  Felsen,  der  das  Vorgebirge  krönte,  ward  furcht- 
bar wie  Drommetenhall  der  Ton  einer  Syrinx  vernommen ;  um  die 
Mittagszeit  aber  erschien  Pan  dem  Feldherm  selbst  im  Traum  und 
mahnte  ihn,  seinen  Schützling,  eine  geraubte  Jungfrau  sammt  ihrer 
Heerde  herauszugeben.  Als  dies  geschehen,  tönte  die  Syrinx 
wieder  vom  Felsen  her,  aber  nicht  mehr  furchtbar  kriegerisch, 
sondern  hirtlich.  ^  In  die  Reihe  solcher  noch  spät  umlaufenden 
Volkssagen  gehört  auch  die  von  Plutarch^  autbewahrte  Erzählung, 
welche  ich  um  der  Wichtigkeit  willen,  die  sie  flir  unsere  Unter- 
suchung erweisen  wird,  ganz  hieher  setze.  Der  Rhetor  Aemilia- 
nus,  ein  durchaus  enisthafter  Mann,  pflegte  zu  erzählen,  sein  in 
Chäronea  ansässiger  Vater  Epitherses  habe  in  der  Absicht,  nach 
Italien  zu  fahren,  ein  schwerbeladenes  Kauffahrteischiff  bestiegen. 
Als  sie  in  die  Nähe  der  Echinaden,  gegenüber  Akamanten, 
gekommen  waren ,  trat  Windstille  ein  und  sie  kreuzten  bis  zu  den 
Paxiinseln  (weiter  nördlich  gegenüber  Epirus).  Viele  von  den 
Fahrgästen  wachten  auf  Deck,  während  andere  nach  aufgehobener 
Tafel  noch  beim  Weine  saßen.  Da  hörte  man  plötzlich  von  der 
Paxiinsel  her  eine  Stimme,  welche  zu  aller  Verwunderung  einen 
gewissen  Thamus  mit  Namen  rief.  Dieser  Thamus  war  ein  ägyp- 
tischer Steuermann ,  dem  Nanten  nach  den  wenigsten  Mitreisenden 
bekannt.  Er  schwieg  auch,  als  er  zum  zweitenmalc  gerufen 
wurde.  Als  aber  der  Ruf  zum  drittenmale  ertönte,  ant^vortete  er, 
und  nun  sprach  die  Stimme  in  erregtem  Tone :  ,,  Wemi  du  nach 
PcUodes  kommst y  melde,  daß  der  gmße  Pari  gestorben  ist'^  (Jitav 
ytvTj  TLavcL  t6  Ilahddtg  ctitayyulnv ,  oii  ITav  o  jtieyag  xi&vr-Kt), 
Alle  waren  bestürzt,  so  erzählte  Epitherses,  und  stritten  darüber, 
ob  man  den  Auftrag  ausführen  müsse  oder  nicht.  Thamus  aber 
entschied,  wenn  guter  Wind  wehe,  wolle  man,  ohne  ein  Wort 
zu  sagen,  vorüberfahren ;  weim  aber  Windstille  eintrete ,  werde  er 
melden,  was  er  gehört  habe.     Als  man  nun  nach  Palodes  kam, 


1)  Herod.  VI,  105.    Pausan.  U,  28,  4. 

2)  Longus  II,  26  —  28. 

3)  Plutarch  de  defect  orac.  XVII.    Moralia  II,  490  Wyttenbach. 


134  Kapitel  III.    Dio  wildon  Leute  der  antiken  Sage  II. 

lag  das  Meer  spiegelglatt  da  uud  kein  Lttilchcn  regte  sich.  Da 
stellte  sich  Thamus  auf  das  Hinterteil  des  Schiffes  und  rief, 
gegen  das  Land  hin  blickend,  wie  er  gehört  hatte:  „der  große 
Pan  ist  todt."  (0  ^uyag  ITav  T6dyt]X£v).  Kaum  hatte  er  geen- 
det, 50  hörte  man  ein  lautes  Wehklagen  nicht  von  einer y  sondern 
von  vielen  Stimmen,  Wie  aber  wol  geschieht,  wenn  viele  Zeugen 
zugegen  sind,  der  Kaiser  Tiberius  hörte  von  der  Sache,  Heß 
Thamus  holen  und  glaubte  seine  Erzählung  so  fest,  daß  er  seine 
Hofgelehrten  befragte,  was  das  für  ein  Pan  sein  könne ^  und  sie 
entschieden,  es  müsse  der  Sohn  des  Hermes  und  der  Penelope 
(o.  S.  128)  sein.  ^  Wir  werden  es  später  (u.  S.  148)  bestätigt 
finden,  daß  Epitherses  nur  einer  älteren  Yolkssage  dadurch 
Interesse  zu  verleihen  suchte,  daß  er  sie  in  der  Gegenwart  loca- 
lisierte  und  als  sein  eigenes  Reiseabenteuer  erzählte.  In  dersel- 
ben war  unzweifelhaft  der  Ausdruck  6  fieyag  Ilav  in  demselben 
Sinne  gemeint,  wie  Zeus  fiiyag  d-ewv  ßaailevg,  der  Perserkönig 
Oberkönig,  Großkönig,  itiiyag  ßaailevg  genannt  wird,  als  der 
Ober -Pan,  der  große  Pan  zum  Unterschiede  von  der  untergeord- 
neten Schaar  der  Panisken.  Zu  einer  Deutung  des  materiellen 
Inhalts  der  Sage  selbst  gebricht  uns  das  Material.  * 

Fassen  wir  alle  Züge  der  populären  Gestalt  des  Pan  zusam- 
men, so  erscheint  er  als  bocksgestaltiger  „die  geheime  Lust  und 

1)  Dieser  Zusatz  zur  Volkssage  entsprang  daher,  daß  Kaiser  Tiberias 
als  Liebhaber  spitzfindiger  mythologischer  Gelehrsamkeit  allbekannt  war.  Vgl. 
Sueton  Tiber.  70:  Maxime  tarnen  curavit  notitiam  historiae  fabnlaris  usquc 
ad  ineptias  atque  derisum ;  nam  et  grammaticos ,  qaod  genas  hominnm  prae- 
cipue,  ut  diximus,  appetebat,  ejusmodi  fere  quaestionibus  experiebatur,  quae 
mater  Heeubae,  qiiod  Achilli  uomen  inter  virgines  faisset,  quid  Sirenes  can- 
tare  sint  solitae.  Es  war  Sitte,  Naturseltsamkeiten  den  Kaisern  zu  senden  oder 
zu  melden ;  dem  Tiber  berichtete  man  aus  Lissabon,  ein  Triton  sei  gesehen  wor- 
den.   Plin.  H.  N.  IX,  9.    Friedländer  Sitteng.  R.  1873.  I,  43. 

2)  Mit  diesen  tatsächlichen  Nachweisen  werden  auch  alle  bisherigen 
Erläuterungen  der  Erzählung  hinfällig.  Welcker  (Götterl.  II,  671)  meinte, 
ein  weitblickender  Heide,  der  den  nahenden  Untergang  des  großen  Pans, 
d.  h.  des  Allgotts,  anders  gesagt  dos  Pantheismus  der  neuplatonischen  Phi- 
losophie wie  der  vulgären  flachen  Auffassung  des  Heidentums,  gegenüber  der 
neuen  christlichen  Bewegung  der  Geister  ahnte,  habe  dem  Edebtein  dieses 
tiefsinnigen  Gedankens  die  Anecdote  als  kunstreiche  Einfassung  gegeben. 
Preller  (Gr.  Myth.^  I,  G16)  glaubt,  das  seltsame  Märchen  erkläre  sich  aus 
der  in  Plutarchs  Zeit  natürlichen  Geneigtheit,  den  älteren  Wald-  und  Berg- 
Pau  des  arkadischen  Volksglaubens  neben  dem  jüngeren  All -Pan  der  Philo- 
sophie für  einen  sterblichen  Dämon  nach  Art  der  Nymphen  za  halten. 


Pan  lind  Pane.  195 

das  dunkle  Granen  der  wilden  Waldeinsamkeit,"  ^  wie  die  üppige 
WachBtamstlille  des  Waldes  darstellender  Waldgcist,  der  in  einen 
Dämon  der  Vegetation  und  des  Lebens  im  ganzen  Waldgel)irge 
übergehend  bald  als  Eiuzelgestalt,  bald  zu  einem  Schwärme  ver- 
vielfältigt erscheint.  Denn  er  ist  Befruchter,  und  inTn'izen  ver- 
ehrte man  ihn  unter  dem  Namen  ytvzrjQiog,  weil  er  der  Obrig- 
keit daselbst  Heilmittel  gegen  die  Pest  gezeigt,  sich  als  Lebens- 
erhaltcr  erprobt  hatte.  *  Die  Verallgemeinerung  seines  Wesens 
zu  einer  Personification  des  gesammten  Lebens  im  Waldgebirge 
spricht  sich  deutlich  im  Volksglauben  aus,  daß  bei  der  Gluthitze 
der  südlichen  Mittagssonne  von  der  Jagd  ausruhend  der  Gott, 
gleichsam  die  Natur  selbst,  schlafe;  niemand  darf  ihn  stören  und 
der  Hirt  scheut  sich  die  Svrinx  zu  blasen.  ^  Nur  muß  diese 
volkstümliche  Anschauung  streng  geschieden  werden  von  der 
durch  Orphiker  aufgekommenen  philosophischen  Deutung  Paus 
als  Allgottes,  welche  aus  einem  etj'mologischen  Irrtum  entsprang. 
ilay,  Gen.  Ilävog  hat  nur  mittelbar  etwas  mit  Trüg,  Gen. 
navTog  zu  tun,  ist  auch  nicht  mit  M.  Müller  a.  a.  0.  von  pu  reini- 
gen als  Name  des  fegenden  und  reinigenden  Windes  abzu- 
leiten und  einer  hypothetischen  Sanskritlbrm  pavan  gleichzu- 
stellen, sondern  muß  (nach  der  Analogie  von  ^trjv,  (.n,v6g^  Monat, 
aus  Wurzel  mä,  messen)  von  dem  Stamme  i)ä,  hüten,  schützen, 
weiden,  mit  der  Nebenform  pan,  nähren,  abgeleitet  sein,  welche 


1)  Cf.  0.  Müller  Handbuch  der  Arcbäol.  S.  378  §.  387. 

2)  Pausan.  II.  32,  5. 

3}  Thcücr.  Id.  I,  15.  18.  Dieser  Vorstellung  verglcieht  sich  zunäcliHl 
die  czeehischc  von  der  Poledniec  u.  dorn  Poledniiek.  Die  Poledniec  (Mittag.sfrau, 
von  poledne,  Mittag)  wird  in  der  altböhmisehen  Glosse  von  Waeehrad  als 
Dryas  bezeichnet  (Hanka  Zbirka  p.  G)  und  noch  Krolnms  hörte  von  Keinem 
Großvater,  daß  in  der  zantischen  Linde  bei  IJirzinka,  unter  der  alle  Früh- 
ling8S])iele  gehalten  wunlen,  eine  Polednice  oder  wilde  Frau,  eine  bald 
gute,  bald  böse  Alte  wohne  und  zuweilen  unter  vielem  Glänze  aus  derselben 
herauskomme.  Nach  der  gangbaren  Vorstelhiiig  al>er  ist  die  Poledniec^  ein 
Waldweib,  das  nur  um  die  Mittagsstunde  ausgeht  und  im  Walde  oder 
auf  dem  Erntefelde  Wöehnerinneii  ihre  kleinen  Kinder  fortholt  oder  verwech- 
seit.  Ebenso  durchsucht  <ler  Polednieek  Mittags  zwischen  11  — 12  die  Felder 
und  Wälder.  S.  Grohmann  Sagen  aus  Böhmen  S.  111.  Ders.  Abcrgl.  ans 
Böhmen  S.  13.  Auch  die  deutsche  Sage  kennt  eine  Mittagsfrau  En-ongermöer 
(von  onger  =  d.  i.  undorn  die  mittlere  Stunde  zwischen  Sonnenaufgang  und 
Mittag),  welche  in  den  Getreidefeldern  umgeht.  Eine  Parallele  a.  Japan  s.  Aus- 
land 1875  U.48.  S.952.  Vgl.  a.SchellingPhil.  d.Ofifenb.  Werke  1858.  11,3.  S.439. 


186  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  11. 

in  den  gr.  Worten  ttwv,  Heerde,  Tioä,  Gras,  eigentlich  Weide, 
TtoifiijVj  Hirt,  nav-i-a^  Fülle  nnd  in  lat.  pa-BCO,  weide,  pa- 
balam,  Weide,  pan-is,  Brod,  pen-us,  Nahrung,  Vorrat  steckt* 
Der  Name  Ilav  bedeutet  sonach  den  Hirten  (vgl.  den  wilden 
Ktther,  wilden  Geißler.  Bk.  96)  oder  den  Nahnmgsgcber, 
genau  mit  dem  von  uns  entwickelten  sachlichen  Inhalt  der  an  ihn 
geknüpften  Vorstellung  übereinstimmend. 

§.  5.  Satyrn.  Auf  das  nächste  mit  den  Panen  verwandt, 
ursprünglich  vielleicht  nur  eine  argivische  Variante  derselben, 
waren  auch  die  Satyrn  Elementargeister  der  Wälder  und  Berge 
von  halbtierischer  Gestalt.  *  Ihre  älteste  Erwähnung  weist  auf 
Argos  als  ihre  Heimat  hin.  Hesiod'  nennt  sie  „das  Greschlecht 
der  nichtsnutzigen  und  durchtriebenen  Satyrn"  {yivog  ovtidavwv 
2aTVQ€f}v  xal  a^irj^avoEqyiijv)  nämlich  Enkel  des  Urkönigs  von 
Argos,  Phoroneus,  von  dessen  Tochter  sie  sammt  den  Nymphen 
der  Berge  und  den  Enreten  entsprossen.  Die  Zusammenstellung 
mit  den  Kureten,  den  Waffentänzem  im  kretischen  Zeuskultus  ^ 
(KovQfjrig  te  d-eol  noXvnaiyi^oveg  o^xrjürrjqeg)  macht  wahrschein- 
lich, daß  der  Dichter  die  Satyrn  bereits  als  Characterrollen  in 
irgend  einem  Thiasos,  die  Verbindung  mit  den  Bergnymphen, 
daß  er  sie  zugleich  noch  als  Nachbildungen  elementarer  Dämonen 
kannte.  Hiemit  stimmt  die  Nachricht,  daß  in  Korinth  unter  der 
Regierung  des  Tyrannen  Periander  (v.  Chr.  625 --585)  Arion  dem 
an  den  Dionysosfesten  gesungenen  Dithyrambos,  dem  Vorläufer 
der  Tragödie,  eine  derartige  Einrichtung  gegeben  habe,  daß  der 
bis  dahin  seinen  Standort  beliebig  wechselnde  Chor  einen  festen 
Platz  in  einer  geordneten  Festversammlung  erhielt  und  von  tkn 
dramatischen  Rollen  der  Satyrn  unterschieden  wurde,  denen  man 
nun  einen  versifizierten  Text  in  den  Mund  legte.  ^   Mithin  müssen 


1)  Vgl.  Curtius  Grundz.  Aufl.  2  S.  244.     Prellcr  Griech.  Myih.  Aufl.  3. 
I,  S.  611. 

2)  Vgl.  Preller  Griech.  Myth.  Aufl.  3  ed.  Plew.  I,  599. 

3)  Fragm.  bei  Strabo  X,  471.  Cf.  Preller  a.  a.  0.  540.  Anni.  3.  2«rr- 
Qog  ÖQ€iog  ^af/utov.     Kallistr.  1. 

4)  Vgl.  Preller  a.  a.  0.  540  S.  Hermann  gottesdienstl.  Altert  Aufl.  2. 
§.  29,  21.  §.  67,  27, 

5)  AiyiTKi  x«i  TQccyixoO  tqotiov  (vofrijg  ytv^a&ni  xal  nndtjog  /otHtv  ffr^- 
aai  xai  Si&vQ(t^ißo7'  (tani  x«)  dvofidaui  %o  aifouivov  vno  xov  ;^0(>oi',  x«i  2.*«- 
jtjQovg  eigeveyxetv  ff4f4tTQtt  X^yovtag.  Suidas.  Vgl.  Bemhardy  Griech.  Litora- 
tnrg.  n,  575  ff. 


Satyrn.  137 

schon  vor  Arion  im  7.  Jahrhundert  im  nördlichen  Pelopounes  die 
Festgenossen  und  Chöre,  welche  den  Dionysos  au  seinen  Festen 
feierten ,  in  ihren  Verkleidungen  vorzugsweise  Satyrn  nachgeahmt 
und  dargestellt  haben.  ^  Auch  noch  später  blieben  sie  Haupt- 
figuren der  dionysischen  Pompe,-  sie  fllhrten  dabei  einen  aus 
bocksähnlichen  Sprtlngen  bestehenden  Tanz,  aiyjwig,  auf,  wovon 
sie  axiQToiy  Springer^  zubenannt  wurden.  Ihr  Wesen  spricht 
sich  in  Volkssagen  aus,  die  noch  in  später  Ueberlieferung  aus 
älteren  Quellen  zu  uns  herUl)crtönen.  Argos  stellte  sich  einem 
Satyr,  der  den  Arkadem  Beleidigungen  zufügte  und  ihre  Heer- 
den  wegtrieb ,  entgegen  und  tödtete  ihn.  *  Danaos  schickt  bei 
großer  Dürre  seine  Töchter  in  den  Wald,  um  Wasserquellen  auf- 
zusuchen. Die  eine  von  ihnen,  Amymone,  schreckt  dabei  einen 
Hirsch  auf,  ihr  Pfeil  verfehlt  aber  sein  Ziel  und  triflft  einen  im 
Gebtisch  schlafenden  Satyr.  Derselbe  springt  in  die  Höhe  und 
begehrt  dem  Mädchen  beizuwohnen.  *  Apollonins  von  Thyana 
kommt  in  Aethiopien  an  ein  Dorf,  wo  ein  Satyr  den  Weibern 
nachstellt.  Er  geht  zum  Komarchen  und  erbietet  sich,  den 
Unhold  zu  bannen.  „Wenn  die  Dorfleute  Wein  haben,  sagt  er, 
wollen  wir  ihn  dem  SatjT  mischen."  Dieser  Rat  gefiel  und  man 
schtittete  4  aegyptische  Amphoren  Wein  in  den  Trog,  aus  wel- 
chem die  Schafe  zu  trinken  pflegten.  Dann  rief  Apollonins  den 
Satyr  bei  Namen  und  fügte  heimlich  einige  Verwünschungen 
hinzu.  Der  Satvr  wurde  nun  zwar  nicht  sichtbar,  aber  man 
merkte,  wie  der  Wein  im  Troge  abnahm.  „Spenden  wir  dem 
Satyr,"  sagte  Apollonins,  als  das  Gelaß  leer  war,  „er  schläft 
schon."  Und  mit  diesen  Worten  führte  er  die  Dorfleute  zur 
Nymphengrotte,  welche  nur  hundert  Schritte  vom  Dorfe  entfernt 
lag,  zeigte  ihnen  darin  den  sclilafenden  Dämon,  hieß  sie  aber 
denselben  weder  schlagen  noch  schelten,  denn  er  werde  jetzt  von 


1)  Vgl.  Bcrnbardy  a.  a.  0.  572.    Paiily  Realen cyclop.  8.  v.  Tragödie. 

2^  ^vyyomrnu  .Uorvaov  2^HTV{toi.  Aolian  var.  bist.  III,  40.  2ixioTti- 
TJ/s  2!€cri'oog.     Mosch.  Id.  VI.  2. 

.*])  Cornut.  (\  XXX,  daraus  Malela  II,  p.  17.  Ccdren.  p.  21  B.  Lobeck 
Aglaoph.  1311.  iromiann  gottesd.  Altert.  Anft.'-«  §.29,20.  üeber  den  Sikin- 
nis  vgl.  Wieseler  das  Satyrspiel,  (iötting«n  1848  S.  51  ff.  G2  IV. 

4)  Apollod.  Bibl.  II,  1,  2,  wol  nach  des  Hellanikos  Pboronis. 

5)  Apollod.  II,  1,  4. 


138  Kaiütcl  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

selbst  aailiöreii  ihnen  Streiche  zu  spielen.^  Das  ist,  auf  Apol- 
lonius  übertragen,  im  wesentlichen  dieselbe  Volkssage,  welche 
wir  vorhin  (o.  S.  117)  von  Numa  und  Faunus  erzählt  fanden. 
Wenn  sie  nicht  von  Faunus  oder  Silen  entlehnt  ist,  zeugt  sie  für 
die  alte  Verwandtschail  der  Satyrn  und  Faune.  Philostratos  iUgt 
hinzu,  er  habe  auf  Lemnos  einen  Mann  gekannt,  dessen  Mutter 
es  mit  einem  Satyr  zu  tun  gehabt  haben  sollte,  weil  er  einen 
dicht  behaarten  Rücken  hatte,  der  wie  ein  auf  dem  Leibe  ange- 
wachsenes Tierteil  (veßQig)  aussah,  dessen  Yorderzipfel  über  der 
Brust  zusammengetUgt  seien.  *  In  den  Darstellungen  der  frühe- 
sten Kunst  dürfen  ebenfalls  noch  aus  dem  Volksglauben  oder  den 
aui*  diesem  beruhenden  Darstellungen  der  älteren  Dionysosfeste 
herrührende  Motive  vermutet  werden.  Auf  den  sehr  alten  Mün- 
zen von  Thasos  umarmt  der  Satyr  eine  Nymphe  oder  verfolgt 
die  vor  ihm  fliehende ,  ^  wie  denn  auch  die  ältere  Vasenmalerei 
die  Satyrn  gern  als  Nymphenräuber  darstellt  Die  Gestalt  der 
Satyrn  in  der  Kunst  war  die  vermenschlichte  von  Böcken;  kräf- 
tige Gliedertbrmen,  gemeines,  in  der  älteren  Zeit  stäts  ein  lang- 
bärtiges Gesicht  voll  niederer  Smnlichkeit  oder  Bosheit,  Platt- 
nasen, ziegenartige  Spitzohren,  zwei  Knollen,  sogenannte  .Hegen- 
warzen (q)^Q€a)  am  Halse,  zuweilen  sprossende  Homer,  tierisch 
geformte  Geschlechtsteile,  hinten  ein  Schwänzchen.  Dazu  hatten 
wol  die  Masken  im  Mummenschanz  der  Dionysosfeste  ein  erstes 
Vorbild  gegeben.  Bei  diesen  iudeß  sehen  wir  in  den  Darstellun- 
gen des  daraus  abgeleiteten  attischen  Satyrdramas  noch  viel 
deutli  eher  die  Bocksgestalt  bewahrt.  Nach  Pollux  und  nach  Aus- 
weis mehrerer  uns  erhaltener  Abbildungen  bestand  das  Haupt- 
stUck  derselben,  die  aajvQiTifj  ia^g  aus  einem  Schurz  von 
Ziegenfell  mit  Phallus   (aly^,  tjv  aal  i^akrjv  symIow  Y.ai  TQayrjv*)- 


1)  Philostrati  vita  Apollonii  VI,  cap.  27,  p.  123.    Kayser. 

2)  ü.  a.  0.  Wenn  Macrobius  Saturn.  I,  16  erzählt:  „in  hoc  nionte  Par- 
naso  -  ubi  etSatyrornm,  ut  aiferunt,  frequens  cernitur  coetus  et  plenim- 
<iue  voces  propriae  eorum  exaudiuntur,'*  so  muß  es  eher  für  wahracheinlich 
gelialten  werden,  daß  hier  Verwechselung  mit  den  Panen  vorliegt. 

3)  0.  Müller  Handb.  d.  Archäol.  u.  Kunst  78  §.  98,  3. 

4)  Pollux  onomast.  IV,  118.  Vgl.  Wieseler  das  Satyrspiel,  Göttingen 
1848.  Monum.  de  Inst,  di  corresp.  arch.  111,  T.  21.  Wicseler  Theatergebäude 
U.  D3nkm.  Taf.  VI,  2. 


) 


Bucksgostaltigc  Wald-  ti.  Frldgcistcr  im  heutigen  Griechenland.      IHO 

Die  Satyrn  werden  daher  auch  gradezu  als  thvQOi  *  oder  TQaym, 
Böcke,*  als  &fjQeg'oder  qn^^^g'  bezeichnet.  Ja  der  Name  cjorr- 
Qog  soll  gleich  zitvQog  Bock  bedeuten.  *  Die  Vergleichung  dieser 
Tatsachen  wird  uns  das  Geständniß  abnötigen,  daß  die  2^ug- 
nisse  über  die  ursprüngliche  Gestalt  und  Bedeutung  der  Satyrn 
zwar  noch  viel  lückenhafter  sind ,  als  die  auf  den  Pan  bezügliche 
Tradition,  daß  aber  dieselben  hinreichen,  um  mit  Wahrscheinlich- 
keit auch  in  ihnen  theriomorphische  peloponnesische  Waldgeister 
erkennen  zu  lassen.  Mit  der  Bocksgestalt  mag  aber  dem  Volks- 
g:lauben  nach  in  den  Aufführungen  der  Dionysien  Roßgestalt  und 
lä<*rdeartige  Maske  gewechselt  haben,  da  in  den  älteren 
Kr.n:?tdarstellungen  der  Schwanz  des  Satyrs  häufig  ein  Roß- 
schweif ist.  * 

§.  6.  Bocksgestaltige  Wald-  nnd  Feldgeistcr  Im  heu- 
tigen Orlechenland.  Wie  die  Faune  im  Volksglauben  der 
Italiäner  als  gentc  salvatica  u.  s.  w.  fortleben,  bestehen  Pane  und 
Satyrn  auf  dem  Boden  des  heutigen  Griechenlands  ebenfalls  noch 
in  mannigfachen  Gestalten  des  lebendigen  Volksglaubens  fort. 
Im  epirotischen  Zagori  ist  der  Gamotzaruchos  ein  ziegenbockarti- 
ger Unhold  mit  Höniern  auf  dem  Kopf,  langem,  bartvollem  Kinn, 
von  Haaren  umstarrteu  Augen  uud  meckernder  Stimme,  der 
Schwangere  und  Wöchnerinnen  verfolgt  und  str)ßt,  jungen  Mäd- 
chen Gewalt  antut.  ^  Die  auf  dem  Parnaß  weidenden  Hirten 
glauben  an  einen  Dämon,  der  die  Hasen  und  wilden  Ziegen 
hütet  und  schützt;  auf  Zakynthos  soll  derselbe  noch  heute  Ildvog 
oder  IJaviog  genannt  als  Vorsteher  der  Ziegen  betrachtet  und  in 
den  Höhlen  und  Schluchten  der  Berge  wohnhaft  gedacht  werden. 


1)  T{tv()oi  Satyre.  Eustath.  II.  18  p.  1214.  Scliol.  Thcocr.  7,  172.  ön 
Ol  aiyj^OQfiTai  ^liovraov  2,'ttrt'(toi  iiauv,  oi  vn'  h'iiov  TdvQoi  drouaCofitroi 
Aol.  Var.  bist.  III,  40.  Laconuni  lingua  tityrus  dioitur  aries  major,  qui 
grcgem  anteire  consuevit.    Servius  ad  Verg.  Biicul.  Ed.  1. 

2)  Touyovg  ^(CTvnorg  J/«  to  indytov  (?na  f/tir.  Bei  Acschylos  Fraglli. 
210  (p.  38)  wird  cm  Satyr  angeredet:  rodyog  y^rtiov  «(>«  ntv^rjafis  t«/«. 
Bock,  Bock,  du  wirst  dir  gleich  den  Bart  verbrennen. 

3)  Euripid.  Cycl.  G20.     ihilvn  bei  Hippokr.  Epid.  6. 

4)*Plin.  bist.  n.  VllI,  60  und  Solin  27  nennen  Satyro  eine  Art  zahmer 
Affen,  die  beim  Theoplirast  charact.  VI  Tityre  heilJen. 

5)  Bei  Bekk.  Aneed.  Gr.  p.  44  wird  der  Öatyrechwanz  als  i'/inovQig  be- 
zeichnet. 

6)  B.  Schmidt,  das  Volksleben  der  Nougriechcn  1871.  B- 1,  154  —  55, 


140  Kapitel  in.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  IL 

Zuweilen  mit  ihm  identifiziert^  zuweilen  von  ihm  geschieden  wird 
•  der  mit  dem  Namen  )Mßco^ia  (Schaden,  Verderben)  bezeichnete 
Dämon^  der  in  Gestalt  eines  Bockes  mit  langem  Barte  die  Ziegen 
zu  besteigen  und  dadurch  ihren  raschen  Tod  herbeizuführen  pflegt. 
[Vgl.  den  Tlav  alyißdrtjg  o.  S.  132.]  Man  entzieht  ihm  die  Tiere 
durch  Versetzung  in  eine  andere  Gegend.  Auch  im  Peloponnes 
ist  das  Laboma  den  Schafen  gefährlich;  es  besteigt  dieselben 
jedoch  nächtens  in  Gestalt  eines  Hundes  oder  einer  Katze.  ^ 
Nach  dem  Glauben  der  Moreaten,  welche  das  sogenannte  Pen- 
tadaktylon,  einen  Teil  des  alten  Gebirges  Taygetos  in  Lakonika 
bewohnen;  tanzen  auf  dem  Gipfel  des  Berges  Skardamyla  drei 
Mädchen  von  bezaubernder  Schönheit  mit  Ziegenfüßen  beständig 
im  Kreise  umher.  Jeder,  der  sich  ihnen  nähert,  muß  sie  um- 
armen und  wird  darauf  zur  Strafe  für  •  seine  Frechheit  von  der 
Höhe  des  Berges  in  den  Abgrund  gestürzt.  *  Auf  Rhodos  wiederum 
hausen  nach  der  Vorstellung  des  Landvolks  in  den  Wäidem 
Dämonen  und  ein  dortiger  Bauer  antwortete  auf  die  Frage,  wie 
sie  aussähen,  er  glaube,  sie  hätten  Ziegenheine  und  Ziegen^ 
schwänze  und  seien  ähnlich  den  auf  griechischen  Vasen  gemalten 
Figuren.  ^  Die  Albanesen  in  Griechenland  hinwiederum  haben 
die  Dämonen  brotomorphisiert  und  sind  nun  überzeugt,  daß  es 
Menschen  von  großer  Stärke  mit  Ziegcnschtvänzen  oder  kJmien 
Pferdeschivänzen  gebe.  So  tief  wurzelt  dieser  Volksglaube,  daß 
mehrere  Leute,  mit  denen  von  Hahn  sprach,  behaupteten,  solche 
Leute  gesehen  zu  haben.  * 

§.  7.  Seileiie.  Die  Albanesen  sind  wahrscheinlich  Ueber- 
bleibsel  derlUyrier,  welche  den  geographischen  wie  ethnographi- 
schen Uebergang  bilden  zu  dem  phrygischen  Stamme,  der  zu 
beiden  Seiten  des  Hellespont  angesessen  neuerdings  von  Fick 
seiner  Sprache  nach  als  dem  europäischen  Zweige  der  indoger- 
manischen Familie  angehörig  nachgewiesen  wurde.  Bei  ihm 
scheinen  die  Scilene  den  Pancn  und  SatjTu  der  Griechen  ent- 
sprochen zu  haben.  Die  älteste  Nachricht  von  ihnen  findet  sieb 
im   homeridisehen  Hymnus   auf  Aphrodite,    von  dem  schon  oben 

1)  Schmidt  a.  a.  0.  156.  Der  übliche  Ausdruck  ist  ^«(Jx«A«f/  r«  y^^^^^ 
derselbe,  den  man  von  wirklichen  Böcken  braucht. 

2)  Firmenich  Touyovihu  Ptoutaxu.     Berlin  1840  S.  57. 

3)  Newton  Trav.  a.  Discover.  I,  211.     Schmidt  a.  a.  0.  111. 

4)  V.  Hahn  albanes.    Studien  S.  163. 


Seilene.  141 

S.  6  erwähnt  ist,  daß  sein  neuester  Erklärer,  ß.  Thiele,  ihn 
auf  Grund  troisch-  (phrygisch-)  griechischer  Sagen  im  9.  Jahr- 
hundert V.  Chr.  in  Gergythium  bei  Kyme  an  der  kleinasiatischen 
Küste  verfaßt  sein  läßt.  *  Die  8eilenen,  heißt  es  da,  und  Hermes 
begatten  sich  im  Dunkel  der  Grotten  mit  den  (Baumgeistem) 
bergbewohnenden  Nymphen,  welche  zugleich  mit  den  Eichen 
entstehen,  aufwachsen  und  sterben.  ^  Scheiden  wir  das  Local  der 
Liebeswerbung  in  den  Grotten  als  späteren  epischen  Zusatz  des 
die  mythologische  Anschauung  nicht  mehr  verstehenden  Dichters 
aus,  so  bleibt  hier  dieselbe  Vorstellung,  wie  wenn  Pan  die  Pitys 
umfreit.  Den  wilden  Männern  der  Tiroler  (o.  S.  39),  den  Fau- 
nen und  Satyrn  dagegen  begegnen  die  Seilene  in  der  Sage  von 
der  Weinberauschung,  die  zuerst  Bakchylides  (Fr.  2)  um  450 
V.  Chr.  erwähnt,  Theopomp  aber,  der  in  Karten  um  350  v.  Chr. 
schrieb,  im  achten  Buche  seiner  Philippischen  Geschichten  zur 
Einkleidung  für  seine  lehrhafte  Dichtung  benutzte.  Nach  ihm 
wurde  Seilen  von  den  Hirten  des  König  Midas  im  Weinrausch 
gefesselt;  und  so  gezwungen  offenbarte  er  dem  Könige  sein 
geheimstes  Wissen,  er  sang  ein  Lied  über  den  Ursprung  und  die 
Beschaffenheit  der  Welt,*  und  beschenkte  ihn  mit  dem  Satze, 
daß  es  tür  den  Menschen  am  besten  sei,  nicht  geboren  zu  wer- 
den, nächstdem  aber  sobald  als  möglich  zu  sterben,*  offenbar 
die  Umwandlung  einer  älteren ,  einfacheren  Fabel,  in  welcher  der 
mitgeteilte  Weisheitssatz  mehr  populärer  Natur  war.  Einen 
verblaßten  Rest  einer  einfacheren  Form  der  Sage  bewahrt  Philo- 
stratos.  Als  Midas  Eselsohren  bekam,  habe  ein  Satyr  (Silen) 
singend  und  blasend  das  Geheimniß  in   die  Welt   hinausposaunt. 


1)  R.  Thiele  Prolegg.  ad  hymn.  in  Vener.  Halis  1872  p.  79. 

2)  Hymn.  in  Vener.  257—275. 

3)  S.  Servius  ad  Vcrg.  Biicol.  VI,  13.  2G.  Cf.  Aelian  Var.  hist.  UI,  18. 
Dem  elenden  Loße  der  Menschen  ließ  Theopomp  den  Seilen  die  sentimentale 
Idyllo  der  Meropis,  eines  glückseligen  Landes  am  fernsten  Erdrande  gegen- 
überstellen. Uchcr  diese  Dichtung  Theopomps  und  ihre  Stellung  in  der  Lite- 
ratur s.  Rhode,  der  griechische  Koman.  Leipzig  187G.  204  ff.  Nach  dem 
Vorgange  des  Theopomp  läßt  Vergil  Ecl.  VI,  13  ff.  den  beim  Gelage 
eingeschlafenen  Silen,  dem  im  Ransche  der  Kranz  vom  Kopfe  gefallen, 
von  zwei  Satyrn  gefunden  und  mit  aus  dem  Kranze  geflochtenen  Fesseln 
gebunden  werden,  worauf  er,  um  sich  zu  lösen,  ihnen  in  begeisterndem  Liede 
den  Ursprung  der  Welt  singt. 

4)  Cicero  Tuscul.  I,  48,  114. 


142  Kapitel  III.    Dio  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

Midas  aber  hatte  von  seiner  Mutter  gehört,  wie  man  solchen 
Gesellen  zur  Vernunft  bringen  könne,  er  ließ  die  Quelle  neben 
der  Königsburg  mit  Wein  tUllen  und  schickte  den  Spötter  dahin. 
Dieser  trank  und  wurde  gefangen.  ^  An  mehreren  Orten  in 
Phrygien  zeigte  m^  Midasbrunnen,  welche  der  König,  um  den 
Seilen  zu  fangen,  mit  Wein  gemischt  haben  sollte,  so  zu  Ankyra,' 
zu  Thymbrium  zwischen  Keramus  und  Tyriaeum.  *  Die  phry- 
gische  Bevölkerung  in  Makedonien  endlich  verlegte  den  Schau- 
platz der  Begebenheit  in  die  sogenannten  Gärten  des  Midas  am 
Berge  Bormios,  wo  die  sechzigblättrige  süßduftende  Böse  ohne 
menschliches  Zutun  aus  dem  Boden  sproßte.  ^  Unzweifelhaft 
erweisen  diese  Zeugnisse,  daß  die  Sage  von  der  Gefangennehmnng 
des  trunkenen  Silen  den  Phrygem  nicht  bloß  angedichtet,  sondern 
in  ihrem  Volksglauben  heimisch  war.  Die  Verwandtschaft  der 
Seilene  mit  den  Satyrn  geht  auch  daraus  hervor,  daß  erstere 
schon  früh  aus  kleinasiatisch -griechischer  Ueberlieferung  in  das 
Satyrdrama  übernommen  und  den  Satyrn  als  eine  besondere  Art 
beigesellt  wurden.^  Der  Seilen  galt  ftlr  einen  greisen  Satyr* 
und  behielt  als  solcher  den  phrygischen  Namen  nanTiogy  Papa, 
Großpapa.^  Und  zwar  unterschied  man  deutlich,  wie  den  Ober- 
pan  (6  ^liyaq  Jldv^  o.  S.  134),  so  den  Papposilen,  den  greisen 
Vater  der  Satyrn,  als  bestimmte  Person  von  der  Mehrzahl  der 
andern  Silene.  ^  Auf  Bildwerken  trägt  Seilen  eine  zottige ,  eng- 
anschließende, den  ganzen  Körper  bedeckende  Kleidung  von 
Ziegenfell.  So  sieht  mau  an  einer  Statue  der  Villa  Albani  Ana- 
gyriden  (Beinkleider)  von  Ziegenfell  und  einen  bis  zu  den  Knien 
herabreichenden  Chiton  aus  gleichem  Stoff  mit  langen  bis  an  die 

1)  Philostr.  Vit.  Apoll,  a.  a.  0.  p.  124. 

2)  Pansan.  I,  4,  5. 

3)  Xenoph.  Anab.  I,  2,  13.     Hier  wird  aber  statt  des  Silcns  ein  Satyr 

genannt. 

4)  Horod.  Vm,  138.    Cf.  Conon  narrat.  1.    Nicimder  Fr.  74, 11  ff. 

5)  Gerhard  del  Dio  Fauno  p.  17. 

6)  2:(iTVimv  ö  ysQadarog.    Eurip.  Cycl.  v.  103.     Cf.  85.  274.  436.  601. 

7)  Polluc.  ODomast.  V,  132:  aaivQixa  S^  Tigoatana  S^aiv(>6g  noltoi, 
2^äTV()og  ytviiüiVj  SdrvQog  ayivuogy  ^silt]v6q  nännog.  r^llXte  öftoiu  r« 
TTQÖacjna,  Tilrjv  Saoig  fx  rör  dvofidrtav  nl  nttQicXXayat  STjXoOvittt ,  üam^ 
xttl   6  ndnnog  2eilriv6g  rrfv  i^iav  iarl  &ij()t(od^aT€Qog. 

8)  Lanzi  de  vasi  ant.  dip.  dissert.  II,  §.  6.  in  Opnsc.  raccolt.  da  accad. 
Ital.  Vol.  I,  p.  96.  Gerhard  ant.  Bildw.  Text.  S.  299.  0.  Müller  Handb.  d. 
Archaol.  §.  386,  5.    Wieseler  Satyrsp.  S.  29. 


Bocksgestaltige  Wald-  u.  Feldgeister  in  semitischen  Landern.        143 

Hand  herabgehenden  Aermeln.  ^  Eine  Gemme  bei  Wieseler, 
Denkm.  d.  Btthnenwesens ,  beweist,  daß  diese  Kleidung  flir  die 
Silenen  der  Bühne  angewendet  wurde.  Die  Silenstatue  im  Palast 
Giostiniani  alle  Zechere  in  Venedig  hat  am  Leibe  lauter  kleine 
Zotteln.  Auch  in  der  Literatur  ist  oft  von  einem  ringsum  zotti- 
gen (ßaXlanog,  afi(pi^aU.og)  Chiton  der  Seilene  die  Rede.*  Wie- 
seler glaubt,  daß  man  anfangs  rohe  haarige  Felle  zur  Bekleidung 
des  Seilen  im  Drama  verwandte,  später  dieselben  aus  Wolle  mit 
künstlich  gearbeiteten  Haaren  nachahmte.  ^  Wir  werden  darin 
vielleicht  den  Rest  einer  Vorstellung  erblicken  dürfen,  welche 
sich  den  Seilen  gleich  den  deutscheu  wilden  Männern  (Bk.  147), 
Kentauren  u.  s.  w.  als  einen  zottigen,  behaarten  Waldgeist  dachte. 
Nach  Wieseler  ist  dieser  zottige  Anzug  der  x^Q^^^og  x«TcJy,  der 
als  Bekleidung  der  Seilene  im  Satyrspiel  mehrfach  erwähnt  wird,* 
indem  er  ihn  mit  dem  vorhin  genannten  x^^<(>)'  ding>i^aXXog  ^  fiak- 
hunog  identifiziert  und  annimmt ,  der  Ausdruck  habe  ursprünglich 
einen  Anzug  bedeutet,  der  für  den  Viehhof  oder  Weideplatz  im 
Freien  paßte  (vgl.  ayoQoiog  ztrwv),  also  einem  Hirten  (vgl.  oben 
S.  130.  136)  zukam.  Es  bleibt  jedoch  zu  erwähnen,  daß 
andere  Gelehrte^  durch  den  fialhovog,  a(.i(piixaXkog^  xoQToiog  xitlüv 
verschiedene  Kleidungsstücke  bezeichnet  glauben,  und  daß  hin- 
sichtlich des  letzteren  die  Ansicht  aufgestellt  ist,  derselbe  sei  die 
spätere  Nachbildung  eines  in  den  ältesten  Aufführungen  ttir  den 
Seilen  gebräuchlich  gewesenen  Anzugs,  welcher  aus  einem  eng- 
anschließenden Gewand  mit  darauf  genähten  Gräsern  (xoqftog) 
bestanden  habe.^ 

§.  8.    Bocksgestaltige  Wald-  und  Feldgeister  In  semitl- 
sehen  Ländern.    Die  ethnographischen  Grenzen  des  Indogerma- 


1)  Clarac  Musee  de  Sculpt.  T.  V,  pl.  874.  A.  2221.  Wieseler  Denkmäler 
des  Bühnenwesens  T.  VI,  8. 

2)  ^Eat^Tig  6'  riy  tois  2:ikTjvoTg  afjnf)(fXttkXoi  /nuiveg.  Aelian  var.  hist. 
III,  40. 

3)  Wieseler  Satyrspiel  101. 

4)  Kai  /OQTcdog  ;(iTdiv  d^aavg,  ^v  ol  2ifikr\vol  (foooOaiv.     Pollux  IV,  118. 

5)  Caes.  Sealigor  de  com.  et  trag.  CXIII  im  Thesaur.  Graec.  antiqu. 
VIII,  1521.  Welcker  Zeitschr.  f.  Gesch.  u.  Anal.  d.  alt.  Kunst  S.  535  A.  19. 
Schneider  Theaterwesen  S.  166. 

6)  Casaubon.  p.  107  ff.  H.  Stephan,  Thesaur.  V.  Vll,  p.  10680.  Lon- 
don. Toup  opusc.  crit.  P.  II,  p.  53  ff.  Welcker  zu  Theogn.  p.  XI.  Nachtr. 
z.  aeschyl.  Trilog.  214. 


144  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  U. 

nentums  überspringend  finden  wir  bocksgestaltige ,  offenbar  den 
Faunen,  Panen  und  Satyrn  ähnliche  Feldgeister  auch  im  semiti- 
schen Asien  verbreitet.  Das  Wort  sair,  Bock,  Plur.  seirim 
bezeichnet  dem  Hebräer  einen  Feldgeist,  der  zwischen  Nesseln 
und  Disteln  in  lautloser  Wildniß  seinen  Ruf  ertönen  läßt^  und 
der  einst  mit  religiöser  Scheu  geehrt  sein  muß,  da  mehrfach  die 
heidnischen  Götter,  denen  Israel  nicht  opfern  soll,  in  yerächt- 
lichem  Sinne  mit  dem  Namen  der  im  Aberglauben  fortdauernden 
Seirim  belegt  werden.  *  Aus  syrischem  oder  babylonischem 
Volksglauben  lehrt  uns  das  entsprechende  Wesen  Jamblichus 
kennen,  der  ein  Zeitgenosse  des  Lucian  und  Apulcjus  in  Syrien 
geboren,  aber  in  Babylon  erzogen  war,  und  seinem  dortigen 
Pflegevater  den  Stoff  zu  den  tatoQiai,  BaßvXwvixai  verdankte. 
In  diesen  erzählt  er,  wie  zwei  Liebende,  Rhodanes  und  Sinonis, 
vor  König  Garmus  von  Babylon  fliehend  auf  einer  Wiese  Zuflucht 
suchten.  Hier  zeigte  sich  plötzlich  ein  gespenstiges  Ungetüm 
einem  Bocke  ähnlich  {rQayov  ti  qxia^a)^  welches  die  Sinonis  zu 
umarmen  strebte.  Mit  Zurücklassung  ihres  Kranzes  floh  sie  von 
der  Wiese,  um  seinen  seltsamen  Anträgen  zu  entgehen. ' 

§.  9.  Verwandte  nordenropSische  Waldgeister.  Viel 
entschiedener  gleichen  den  Faunen,  Panen  und  Satyrn  nordeuro- 
päische Wald-,  Feld-  und  Pflanzengeister,  über  deren  Natur  wir 
eingehender  und  noch  unmittelbar  aus  volkstümlichen  Quellen 
unterrichtet  sind,  so  daß  sie  vorzüglich  geeignet  erscheinen  zu 
einer  Vorstellung  von  dem  Urbild  und  der  Grundbedeutung  der 
,gräco  -  italischen  Dämonen   uns   zu   verhelfen.     Wir   wiederholen 


1)  Vgl.  Jos.  34,  14  von  der  Zukunft  Edoms.  „Und  Domen  schießen  auf 
in  seinen  Palästen,  Nesseln  und  Disteln  in  seinen  Wegen.  Und  er  wird  der 
Schakale  Behausung,  ein  OehÖfte  für  die  Straußen.  Da  treffen  sich  die 
wilden  Katzen  und  Wölfe,  ein  Feldteufel  i^sair)  ruft  dein  andern  zu. 
Dort,  wie  nirgend  sonst,  rastet  das  Nachtgespenst  (lilith,  ein  Unhold,  in 
(iestalt  eines  scliöngestalteton  VVeib'\*«,  der  besonders  den  Kindern  nackstellt)." 
et  Jes.  13, 21.     Baruch  4,  35.     Otfenb.  18,  1. 

2)  3  Mos.  17,  17  ;  2  Chron.  11,  15;  5  Mos.  32,  17.  Ueber  die  richtige 
Auffassung  dieser  Stollen  s.  Bandissin  Studien  z.  sem.  Religionsgo^eh.  Lpzg. 
187G.    I,  S.  121).  13G  — 139. 

3)  Passow  Corp.  script.  erot.  1,  p.  31  ff.  Photii  exccrpt.  e  Jambl.  bist 
Bab.  cap.  3.  4.  Vgl.  auch  Grenzlxiten  Jahrg.  XXX,  1871,  n.  4G  S.  7G2.  764. 
Dunlo]». ,  Gesch.  d.  Prosadicht,  übers,  v.  Liebrecht  S.  G.  Rhode,  der  griet^h. 
Roman ,  Lpzg.  187G  S.  361  ff. 


Verwandte  nordonropäischc  Waldgei«ter.  145 

• 

hier  in  größter  Ktirze  ftlr  ungern  gegenwärtigen  Zweck  neu  grup- 
piert und  etwas  vervollständigt,  was  wir  über  sie  Bk.  Kap.  II  aus- 
iUhrlieh  auseinandergesetzt  bähen.    Am  aufTälligsten  zeigt  sich  die 
Uebereinstimmung  bei  den  russischen  Waldgcistern  (Bk.  138 — 143). 
Der  Ljesehak,   Ljesowik,  Liesnik,   Lisun,   Polisun   oder  Ljeschi 
der  Waldgeist  (von  Ijes  Wald   abgeleitet)  erscheint  oft  und  gern 
von  Ansehn   wie   ein  Bauer  im  ungegürteten  Kittel  von  Schatiell, 
zeigt  er  sich  aber  in  seiner  wahren  (»estalt,  so  bemerkt  man  an 
seiner  Stirn  zwei  Hörfier,  am   Unterkörper  Boeksheine,  am  Kopf 
und  Körper   zottige  Hanre    von   grüner  Farbe   [vgl.    den  yj^^^^ 
xnQtaloq  o.  S.  143  VV],  an  den  Armen  lange  Klauen.^    In  manchen 
Gegenden  heißen  die  Waldgeister  Waldhospodarc.     In  der  Nähe 
von  Rjäsan  (Großrußland)  sagt  man,  daß  in  den  Wäldern  solche 
(■zarki  rHerscher)  mit  goldenen  Hörnern  wohnen.  *     Der  Ljeschi 
oder  Lisun  kann   seine  Statur  beliebig  ändern,  oft  ist  er  so  groß 
als  die  Bäume,  oft  so  klein  als  das  Gras.    Nach  der  Versicherung 
der  Weißrussen  ist  sein  Wuchs  nämlich  abhängig  von    der  Höhe 
derjenigen  Bäume,  in  deren  Nähe  er  geht  oder  steht,  auf  Wiesen 
macht  er  sich  den  (Jlräsem  gleich.  ^    In  den  Gouvernements  KieflF 
und  TschemigoflF  unterscheidet  man  den  Lisun,  einen  Ries(yi  von 
aschgrauer  Farbe,  und  den  Polewik,  der  der  Höhe  des  im  Felde 
waclisenden  Kornes   gleichkommt   und   nach    der  Ernte   so  klein 
geworden    ist   als    die    übriggebliebenen    Stoppeln.      Mit   andern 
Worten,  die  Ljeschie  sind  als  die  Lebensgeister  der  Bäume  selbst 
zu  denken,   denen   die  Geister  der  Getreidchalme,  die  Polewiki 
parallel  gehen.     Hieraus  erklärt  sich  auch  der  Volksglaube,   daß 
die   im  Walddickicht  lebenden   Ljeschie    mit   den   ersten  Nacht- 
frösten im  October  in  die  Erde  sinken  und  ttir  den  ganzen  Winter 
verschwinden,   um  im  Frühjahr  wieder  aus   der  Erde  hervorzu- 
kommen,  als  wären   sie   gar  nicht  fort  gewesen.*     Der  Ljeschi 
äußert  sein  Leben   im  Winde   oder   Sturm,   zumal    beim  Wirbel- 
winde.    Im  Sturme   fährt  er  daher,   wie  Silvanus  und  die  Ken- 
tauren   mit    einem    entwurzelten    Baumstamm   bewaffnet.     Wenn 

1)  Daschkoflf  Boscbr.  d.  Gouvorn.,01onetz  217  ff.  TercHohtschenko  VI,  128. 
Aboff  234.     Afiinasio.T  poet.  Natuninsch.  II,  334. 

2)  Abeff  234.     Riäzan  Gouverneinentszeitung  18  tG,    IG.     Moskauer   Be- 
obachter 1837  Mai,  D.  II,  247.    Afanaaicff  Natiiranscli.  II.  332 

3)  Afanasieff  II.  330.     Ka^^sar.)^v  Vors.  .\  slav.  M3tb.  S.  71. 

4)  Afanasieff  11,  32G. 

Mannhardt.    IL  10 


146  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  11. 

beim  Unwetter  das  Echo  das  Krachen  der  Aeste  wiederhallt,  ver- 
nimmt der  Bauer  darin  den  Pfiif  des  Waldmanns;  der  prickelnde, 
Sandkörner  aufwirbelnde  Wirbelwind  gab  Veranlassung  zur  Vor- 
stellung, dass  der  Ljeschi  Holzhauer  oder  Jäger  verlocke  und 
zu  Tode  kitzele.  ^  Zumal  wenn  er  sich  vom  Walde  trennt,  (also 
wol  im  Herbste)  wird  er  rasend,  zerbricht  Bäume  wie  sprödes 
Rohr,  vertreibt  alle  Tiere  aus  ihrem  Lager  und  es  heult  an 
diesem  Tage  im  Walde  ttirchterlicher  Wind.  ^  Der  Ljeschi  ent- 
ttlhrt  gerne  sterbliche  Jungfrauen  und  schließt  mit  ihnen  eheliche 
Verbindungen;  die  Wirbelwinde  gelten  im  Archangelschen  als 
Tänze  solcher  Paare  bei  ihrer  Vermählung,  oder  als  der  Braut- 
zug des  Waldmanns  mit  der  Waldfrau  (Lisunka).  Vgl.  das  Ver- 
schwinden der  Geiß  gescholtenen  wälschtirolischen  Waldfrau  im 
Wirbelwinde  (Bk.  116)  und  o.  S.  32.  Mitleidige  Menschen,  welche 
sich  der  rauhhaarigen  Kinder  amiehmen,  werden  von  ihnen  mit 
Kohlen  beschenkt,  die  sich  nachher  in  Gold  verwandeln.  Wald- 
weidcnde  Heerden  schützt  der  Ljeschi,  wenn  er  dem  Hirten 
gewogen  ist,  er  vernichtet  dieselben  oder  saugt  den  Kühen  die 
Milch  aus,  wenn  er  zürnt.  Im  Gouvernement  Olonetz  schenkt  ihm 
deshalb  jeder  Hirtc  bei  Sommeranfang  eine  Kuh,  damit  er  nicht 
böse  werde  und  alle  Tiere  veniichte,  im  Gouvernement  Archan- 
gelsk hütet  er,  wenn  es  gelang  ihn  zu  gewinnen,  selber  die 
Heerde.  Das  Wild  des  Waldes  steht  unter  seiner  Obhut  und  er 
ist  es,  von  dem  das  Glück  des  Jägers  abhängt. 

Wer  sieht  nicht,  daß  die  Uebereinstimmung  des  Ljeschi  mit 
dem  Pan  und  den  Pauen  so  vollkommen  als  möglich  ist?  Diese 
russische  Ueberlieferung  leitet  aber  hinüber  zum  VerständuiB  des 
Eiusseins  der  antiken  Waldgeister  mit  germanischen,  welche 
nicht  mehr  oder  nicht  grade  in  Bocksgcstalt  auftreten,  sondern 
die  Ueberreste  anderer  Tieifomien  aufzeigen,  im  Uebrigen  al)er 
auf  unzweideutige  Weise  ihre  Wesensgleichkeit  mit  der  gesammten 
Gevatterschaft  der  Faune  und  Paue  kundgeben.  Aehnlieh  dem 
Ljeschi  ist  der  schwedische  Waldmanu  (Skougmau)  für  gewöhu- 
lich  so  groß  als  ein  Mann,  stiert  man  ihn  aber  an,  so  wird  er 
so  hoch  als  ein  Haus.  Oft  hört  man  ihn  im  Walde  schreien  oder 
lachen:    ha!  ha!   ha!     Er  ist  sehr  sinnlich  und  strebt  nach  Ver- 


1)  Afanasicff  II,  325.     Kayssarow  a.  a.  0. 

2)  Sachoroff  Skazauija  llusskago  naruda  II,  60  —  Gl. 


Verwandte  nordonropäischo  WaldgeUter.  147 

bindung  mit  christlichen  Frauen.  Sein  Weib  ist  die  im  Wirbel- 
wind umfahrende ;  in  Tierfelle  gekleidete,  hinten  mit  einem  Kuh- 
schwänz  ausgerüstete  Waldfrau  (Skogsnufva),  die  in  der  Sage 
viel  bedeutsamer  hervortritt  als  ihr  Mann.  Ihr  Kuhschwanz  darf 
als  Anzeichen  davon  betrachtet  werden,  daß  man  sich  einst  die 
Kuh  als  genuine  theriomorphische  Form  der  Skogsnufva  gedacht 
hat    (Bk.  126  —  138). 

Ebenso  spielen  in  der  deutschen  Volksmythologie  die  Wald- 
weiber die  erste  KoUe  unter  den  Waldgeistera ,  die  unter  dem 
Namen  Moosleute,  Buschleute,  wilde  Leute,  Fanggen  bekannt 
sind  und  gleich  dialektischen  Varianten  den  russischen  Ljeschi 
entsprechen. 

Im  Voigtlande  kennt  man  sie  als  Moosleute,  die  Frauen  als 
Holzfräulein,  Buschweibchen.  Ihr  Leben  ist  an  das  Leben  der 
Waldbäume  gebunden;  mit  jedem  Stämmchen,  das  man  a])dreht, 
stirbt  eines  von  ihnen.  Frauen,  die  ihnen  ihre  Waldkinder  mit- 
leidig säugen,  schenken  sie  Baumrinde,  die  sich  in  Gold  ver- 
wandelt. Sie  walten  in  der  Vegetation  des  Waldes,  aber  auch 
der  Segen  des  Ackers  ist  ihr  Werk  und  man  läßt  fiir  sie  die 
letzten  Korn-  Flachs-  Grashalme  auf  dem  Felde  liegen.  Im 
Wirbelwimle  fliegen  die  liuschjungfeni.  Sie  gehen  in  Hausgeister 
über  und  helfen  den  Bauern  bei  den  Fcldgeschäften.  (Bk.  74 — 86). 
Bei  den  Czechen  stehen  den  Waldmännem  (leäni  niuzov^),  welche 
Mädchen  rauhen  und  sie  zwingen  mit  ihnen  in  Ehe  zu  leben, 
Waldjungfo-n  (leäni  panny)  oder  ivilde  Weiher  (div6  zeny)  zur 
Seite,  die  —  wie  Pan  —  die  Musik  liehen  und  in  der  Luft  leiden- 
schaftliche Tänze  ausltihren.  Mit  Mädchen  tanzen  sie  wol  den 
lieben  langen  Tag;  Knaben,  die  in  ihre  Gewalt  kommen,  kitzdn 
sie  zu  TodCj  wie  der  Ljeschi  (o.  S.  146).  Blätter,  die  sie  schenken, 
wandeln  sich  in  Gold  (vgl.  o.  S.  146  u.  147  Z.  17.  Bk.  86).  Die 
hessischen  Wildmänncr  gehen  entweder  hnumgroß  Über  die  Berge 
und  rütteln  an  den  Wipfeln  des  Waldes,  oder  sie  wandeln,  sieh 
klein  machend,  zwischen  den  Schachtelhalmen  einher.  Ihre 
Frauen  steigen  oftmals  in  Mondnächten  in  die  Lüfte.  Ihre 
Kleidung  id  grün  und  rauh,  gleichsam  zottig,  ihr  Haar  lang 
und  aufgelöst.  Oder  sie  zeigen  sich  fast  ganz  unbekleidet,  tvie 
Tiere  am  ganzen  Kärper  behaart.  Auch  sie  unterstützen  die  Ein- 
wohner der  benachbarten  Dr>rfer  bei  den  Ackergeschätten.»  Sie 
kennen  heilsame  Kräuter,  namentlich  solche,   welche  gegen   die 

10* 


148  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sa^e  II. 

Pest  gut  ;sind.     (Vgl.  Pan  Lytcrios  o.  S.  135)  Bk.  87.     In  Tirol 
heißen  die  Wildfrauen  Fanggen.    Sie  sind   ungeheure  Gestalten, 
am  ganzen  Körper  heJiaart,  ihr  schwarzes  Haupthaar  hängt  voll 
Baumbart  (liehen  barbatus);   ihr  Wamms  besteht  aus  Baumrinde 
und   ihre  Schürze   bildet  ein    Wildkatzenfell.     Sie    sind  an  den 
Wald,  ja  an  bestimmte  Bäume  gebunden;   mit  dem  Walde  oder 
Einzelbaumc   gehen  auch  sie  zu  Grunde  und  demgemäß  fahren 
sie  auch  Namen  wie   HochrifUa  (Hochrinde),   RüchritUa  (Rauh- 
rinde),  SMsforche  (StntiföhTe).    Daneben  weist  der  Name  Stutze- 
mutze  (Stutzkatze),   der  ebenfalls  bei  den   Fanggen   geläufig   ist, 
darauf  hin,  daß  man  sie  sich  auch  in  der  Tiergestalt  von  Wild- 
katzen  dachte.    Der  Gemahl  der   Faugga  ist  der  wilde  Mann, 
der  riesenhaft    eiyien  mächtigen  entwurzelten  Baumstamm  in  der 
Hand  tragend  im  Sturm  durch  die  Lüfte  fährt.    Auch  die  Fan^a 
äußert  ihr  Leben  im  Wirbelwind.     Wie  der  Ljeschi ,  die  hessische 
Waldfrau  zu   Tode  kitzelt,  reibt   sie,   kommen  kleine   Buben   in 
ihre  Gewalt,  dieselben  au  alten  dürren  Bäumen,  bis  sie  zu  Staub 
geraspelt  sind.     Auch  stiehlt  sie,  wie  Silvanus,   Kinder  ans  der 
Wiege.     Andererseits   gehen   auch   die  Fanggen   hi  Hausgeister 
über,   treten  bei   Menschen    in  Dienst    und  hellen   ihm  bei    der 
Arbeit.     Nach   allem   diesem   kann    kein   Zweifel    sein,    daß   die 
Fauggen  und    ihre  Gatten,    die  Wildmänner,   den   Ljcschie    ent- 
sprechen.   Wenn  es  nun  andererseits  richtig  ist,  daß  die  letzteren 
dem   Geschlecht  der  Pane  gleichstehen,    so  müssen   nach   einem 
unfehlbaren  mathematischen  Satze  auch  die  Fanggen  diesen  dem 
Wesen  nach  entsprechend  sein.     Und  in  der  Tat  tiuden  wir  die- 
selbe Sage,  welche  Epitherses  (o.  S.  133)  von  Pan  erzählte,  unter 
dem  oberdeutschen  Volke  von  Fanggen  und  Wildfrauen  berichtet 
(Bk.  90  —  93).    Aus  den  vielen  Varianten  der  deutschen  Tradition 
wollen   wir  hier  nur  einige  wenige  mitteilen.     Bei   einem  Bauer 
in  Flies  stand  eine   unbekannte,    riesenstarke   Dirne   in   Dienst, 
welche  aber  nichts   vom  Christentum  wußte.     Einst  vom  Markte 
nach  Hause  kehrend  kam  der  Bauer  durch  den  Bannwald,    die 
Joche  der  verkauften  Oechslein  über  die  Schulter  gehängt.    Da 
hörte  er  aus  der  Mitte   des  Waldes  eine  sehr  laute,   unbekannte 
Stimme  ,yJoclhträger,  sag    der  Stulzkatzc  die  Uodirinde  sei  todt!'' 
Darauf  ward   alles   wieder   still.     Als  der  Bauer  zu  Hause  beim 
Abendessen  das  Abenteuer  erzählt,    springt   die  Magd  mit  dem 
Geschrei  jj  meine  Mutter  ist  todf'   vom  Tische   auf  und  ist  bald 


Vorwandte  nordoiiropäisclie  Waldgeister.  149 

im  Banmvalde  verschwunden,  wo  sie  das  Geschilft  der  Mutter, 
Kinderstehlen  u.  s.  w.  fleißig  fortsetzt.  *  Noch  viel  deutlicher 
stimmt  die  folgende  Version  mit  der  i^ansjige  tibereiu.  Einem 
Bauern  in  Tirol  bot  eine  Mag<l  ihre  Dienste  an,  unter  deren 
Händen  sein  ganzes  Hauswesen,  besonders  der  Viehstand,  wie 
mit  einer  Fülle  von  Segen  tibcrscliUttct  gedieh.  Einst  saßen  sie 
beim  Mittagessen,  als  dreimal  eine  unsichtbare  Stimme  durchs 
Fenster  ert()nte:  Salome  komm!  Die  Magd  sprang  auf  und  ver- 
schwand und  sogleich  7virJf  (Irr  Srgni  vom  II(iusi\  Einige  Jahre 
später  ging  ein  Metzger  um  Mitternacht  durch  den  Hohlweg  von 
Saalfelden  im  Pinzgau.  Da  rief  eine  Stimme  aus  der  Felswand: 
Metzger,  wenn  du  hei  der  langen  Unlen^r  Wand  vorbeikommsf, 
so  rufe  in  die  Spalte  hinein  „..Salome  ist  gestorhen!^^''  Noch 
vor  Tagesanbruch  an  die  lange  Wand  gekommen  ruft  er  das 
Aufgetragene  dreimal  hinein.  Da  ertihite  aus  der  Tiefe  des  Berges 
ein  Inutes  vielstimmiges  Wehklagen  und  Jammern ,  und  der  Metz- 
ger eilte  voll  Schrecken  seines  Weges.  *  Dieselbe  Geschichte 
wird  durch  alle  deutschen  Gaue  von  Tirol  und  Baiem  bis  in  die 
dänisch  redenden  Landschaften  Nordschleswigs  hinauf  erzählt; 
die  handelnden  Personen  derselben  sind  wilde  Weiber,  Holz- 
weiblcin,  Buschmännchen  oder  auf  dem  Felde  unter  der  Erde 
wohnender  Zwerge.  In  ihrem  Munde  lautet  die  Nachricht  bald 
„die  Mutter  Pumpe  ist  todt"  oder  „der  König  ist  todt,"  was 
noch  näher  an  den  Ausruf  „r'  ^dyctg  Ilav  rtd^rr/.e^^  heranreicht. 
Knüpft  diese  Erzählung  sich  vorzugsweise  an  die  wilden  Weiber, 
so  wird  von  den  wilden  Männern  eine  Mythe  erzählt,  welche  sie 
den  Faunen,  Satjrn  und  Seilenen  gleichstellt.  Die  w^ilden  Männer 
werden  in  Tirol,  Vorarlberg,  der  Schweiz  bald  riesig,  bald  klein 
und  in  Hauskobolde  oder  Zwcrgniännchen  übergehend,  inmicr 
aber  als  von  großer  Körperstärke ,  ganz  behaarten  Leibes  und 
mit  Tierfellen  bekleidet  geschildert,  eine  mit  den  Wurzeln  aus- 
gerissene Tanne  in  der  Hand  tragend.  Sie  treiben  Heerden  von 
Kühen  oder  Gnßen  in  den  Wald  und  hüten  den  Mensehen, 
welchen  sie  wolwollcn,  hoch  oben  im  Gebirge  das  Vieh,  wes- 
wegen sie  oft  als  wilde  Geißirr  oder  wilde  Küher  bezeichnet 
werden.    Morgens  treibt  man  ihnen  bis  vors  Dorf  zu  einem  Steine, 


1)  Alpciiburg  Mythen  u.  8;i?^eii   S.  07. 

2j  Panzer  Bcitr.  z.  D.  Mytli.  II,  48  —  63,  Vgl.  hinten  den  Nachtrag  z.  d.  S. 


l>0  Kapitel  111.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sago  ü. 

aaf  den  man  von  Zeit  zu  Zeit  als  Lohn  einige  Käse  hinlegt,  die 
Ueerde  zu,  abends  kommt  dieselbe  mit  strotzendem  Euter  zurück. 
Entweicht  der  wilde  Mann^  so  geht  mit  ihm  der  Wal  stand  und 
Segen  des  Dorfes  verloren.  Den  stäts  Schweigenden  suchten  Mut- 
willige zur  Mitteilung  seiner  Geheimnisse  zu  bewegen,  indem  sie 
ihn  berauschten.  Meist  ist  es  ein  Mittel  gegen  die  Pest  was  ein 
Bauer  ihm  entlocken  will;  der  ütllt  deshalb  die  Höhlung  seines 
Lieblingsplatzes  mit  Wein.  Er  kommt,  kostet  nach  längerer  Zeit 
neugierig  und  vorsichtig.  Endlich  lustig  geworden,  wird  er  von 
dem  aus  dem  Versteck  Hervorspringenden  überrascht  und  nach 
dem  Heihnittel  befragt.  „Ich  weiß  es  wohl,  sagt  er,  Bibemell 
und  Eberwurz,  aber  das  sage  ich  dir  noch  lange  nicht"  Oder 
man  füllt  zwei  Brunnentröge  mit  Wein,  den  einen  mit  rotem, 
den  andern  mit  weißem.  Der  Waldfänke  trinkt  von  letzterem, 
da  er  die  Farbe  des  Wassers  hat,  wird  im  Rausch  gebunden 
und  soll  als  Lösegeld  seinem  Peiniger  die  Kunst  aus  Milchschotten 
Gold  zu  bereiten  oder  ein  anderes  seiner  Geheimnisse  verraten. 
Losgebunden  findet  er  sich  schelmisch  mit  einer  Wetterregel  ab. 
Auch  diese  Sage  ist  in  mannigfachen  Varianten  verbreitet 
(Bk.  96  —  98.  112.  113).  Sie  stimmt  genau  zu  den  von  Faunus, 
dem  Satyr  und  Seilen  erzählten  antiken  Ueberlieferungen  o.  S. 
117.  118.  137.  138.  141.  142;  in  weiterem  Kreise  zu  denjenigen 
Formen  der  o.  S.  60 if.  behandelten  Elfensage,  in  welchen  der 
Meergreis  gebunden  und  zur  Weissagung  gezwungen  wird.* 

Endlich  wird  von  einem  Fenggaweibchen  (in  Unterengadin 
von  einer  ziegenfüßigen  Diale)  und  einem  schlauen  Bauer,  der 
sich  listiger  Weise  Selb  nennt,  dieselbe  Geschichte  erzählt,  welche 
Homer  an  den  Kyklopcn  Polyphem  und  Odysseus  knüi)ft  (Bk.  94 
0.  S.  106).  *  Es  kann  nicht  daran  gedacht  werden ,  daß  diese 
Sagen  von  der  Todankündigung,  von  der  Gefangennehmung  im 
Weinrausch  und  von  der  Ueberlistung  des  Geschädigten  durch 
den  Namen  Selb  (=  Niemand)  aus  Plutarch,  Ovid,  Homer  in 
die  deutsche  Volksüberlieferung  gekommen  sein  sollten.  Denn 
erstens  würden  sie  aus  gelehrter  Quelle  stammend  nicht  eine  so 


1)  Vgl.  auch  die  ontsprochondc  aus  Indien  stammende  altfrauzös.  Sa^rf 
von  Merlin.  (Val.  Schmidt  Straparola  p.  33G  ff.  Liobrecht  und  B<'nfey ,  «Orient 
und  Occident  I,  341  — 3r>l.    Rhode  der  gricch.  Roman  204,  Anm.  3). 

2)  Vgl.  auch  Rhode  a.  a.  0.    S.  173. 


Verwandte  nordeuropäische  Waldgeistcr.  151 

einiache,  naive  und  vielfach  eigentümliche  Gestalt  aufweisen, 
zweitens  nicht  so  weit  verbreitet  und  jedesmal  an  elbische  Wesen 
und  nur  solche  geknüpft  sein,  noch  würden  sie  drittens  in  einem 
und  demselben  Sagenkreise  (von  den  Wildleuteu)  beisammen 
gefunden  werden.  Wer  bis  dahin  hätte  jemals  die  Kenntniß  und 
das  Interesse  gehabt,  aus  der  Literatur  der  Alten,  und  zwar  aus 
entlegenen  Schriftstelleni  diese  Stücke  als  zusammengehörig  her- 
auszulesen, auf  den  Panen  und  ihrer  Sippe  wirklich  entsprechende 
Wesen  der  deutsehen  Volksmythologie  zu  übertragen  und  so  dem 
gemeinen  Manne  zu  erzählen  V  Und  wenn  dies  an  einem  Punkte 
geschehen  wäre,  wie  ließe  sich  erklären,  daß  bei  der  Weiter- 
verbreitung von  da  auch  die  Weiterübertragung  auf  echte  ver- 
wandte Mythengestalteu  erfolgte  V  Somit  müssen  wir  annehmen, 
daß  diese  Geschichten  sich  auf  mündlichem  Wege  seit  den  Zeiten 
des  Altertums  fortgepflanzt  haben,  und  niemand  kann  die  Mög- 
lichkeit leugnen,  der  unseren  Nachweis  der  Identität  der  Peleus- 
sage  mit  dem  Märchen  von  den  zwei  Brüdern  anerkennt.  ^  Zum 
Uebei'fluß  aber  kommt  dieser  Auflfiissung  noch  eine  andere  schla- 
gende und  sichere  Analogie  zu  Hill'e.  In  Valsugana  knüpft  sich 
an  den  wilden  Mann  genau  dieselbe  Sage,  welche  die  Edda  von 
Thorr  und  seinen  Böcken  zu  berichten  weiß  (Bk.  IIG).  Ist  hier 
eine  literarische  Vermittelung  noch  gewisser  ausgeschlossen,  als 
bei  den  Parallelen  jener  antiken  Sagen,  zumal  da  diese  Er- 
zählung nur  die  Variante  einer  in  den  Alpen  weitverbreiteten 
ganz  eigentümlichen,  aber  aus  der  nordischen  Mythenform  keines- 
falls abzuleitenden  Sagenversion  ist  (Germ.  Myth.  57  —  62);  haben 
wir  also  hier  ein  sicheres  Beispiel  der  ursprünglichen  Ueberein- 
stimmung  eines  mindestens  im  10.  Jahrhundert  in  Norwegen  ver- 


11  Hiezu  stimmen  die  vielfachen  Kiu'hwcisc  echt  volksmäßiger  ]\Iärchen- 
triimmer  in  der  griccJjischen  und  römischen  Literatur,  welche  Friedländer  in 
seinem  Aufsatze  über  ,,das  Märehen  von  Amor  und  Psyche  und  andere 
►Spuren  des  Volksmän^hens  im  Altertum.**  Sittengesch.  R.  I,  1873.  S.  509  ff. 
und  Rohde  der  griechische  Roman  Ljjzg.  1876.  a.  m.  0.  (s.  das  Inhaltsverz. 
u.  Märchen)  gegeben  haben.  Hinzuweisen  ist  ferner  auf  die  von  mir  darge- 
legten Uebereinstimmungen  des  aegyptischen  Märchens  von  Batau  und  Anepu 
mit  X.  H.  M.  n.  88  (Bastian -Hartmanns  Zs.  f.  Kthnologie  1875.  S.  2:^r)ff.)  und 
der  von  Ovid  bearbeiteten  griechischen  Vokssage  von  der  Klytia  mit  deut- 
schen und  rumänischen  Volkssageu  und  Volksliedern.  (Klytia  in  Virchows 
u.  HoltzeudoiHs  Sammlung  gemeinnütziger  Vorträge.    Heft  3U.    Berliti  1875). 


152  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  IL 

breiteten  lieidnisclien  Mythus  mit  der  Tiroler  Volkstradition  von 
heute :  so  ist  anzuerkennen,  daß  nichts  hindert,  ganz  analog  auch 
die  nahe  Verwandtschaft  jener  altrömischen  und  tirolischen  Sagen 
auf'  Rechnung  alter  Mythengleichheit  zu  setzen.  Schon,  daB  der 
wilde  Mann  in  den  Fesselungssagen  als  Geißler  oder  Ktlher  auf- 
tritt, wie  Pan  als  vo/luoc:,  sichert  denselben  Selbständigkeit  und 
Altertümlichkeit  gegenüber  den  römischen  und  griechischen  Ver- 
sionen,, die  von  diesem  Zuge  in  dieser  üeberlieferung  nichts 
wissen. 

Die  soeben  erörterte  Uebereinstimmung  in  den  genannten 
Sagen  festigt  nun  das  schon  vorher  gewonnene  Ergebniß,  daß 
die  Pane,  Faune,  Satyrn  und  Seilene  (resp.  Kyklopen)  den  wilden 
Leuten  der  nordeuropäischen  Sage  aufs  nächste  und  engste  ver- 
wandt sind,  mythischen  Wesen,  welche  aus  Geistern  der  Bäume 
zu  Genien  des  Waldes,  ja  zu  Komwuchs  bel(5rdemden  Vegeta- 
tionsgeistem  überhaupt  sich  erweitem,  im  Winde  ihr  Leben  und 
Dasein  äußern,  bei  menschenartigem  Bewußtsein  ganz  oder  teil- 
weise die  Gestalt  von  Tieren  (z.  B.  Böcken,  Kühen,  Katzen)  führen, 
endUch  vielfach  in  Hauskobolde  oder  zwergische  Feldgeister 
übergehen.  Und  wenn  irgend  etwas  die  Glaubwürdigkeit  dieses 
Kesultates  noch  verstärken  kann,  so  ist  es  einmal  der  Uebergang, 
den  die  norditalische  Gente  salvatica  und  die  geißgestaltigcn  Delle 
Vivaue  (o.  S.  127)  zu  den  wilden  Leuten  der  alten  Griechen  und 
Kömer  machen ,  sodann  der  Umstand ,  daß  im  Schweizer  Jura 
Zwerge  und  Zwerginnen,  die  Härdleute,  Erdleute  oder  Heiden- 
leute, welche  im  Walde  Berghöhlen  bewohnen  und  wie  die  Holz- 
leute und  wilden  Leute  daraus  hervorkommend  den  Menschen  bei 
den  Feldarbeiten  helfen,  übrigens  aber  mit  langen  Mänteln  stäts 
die  Füße  bedeckt  halten,  sobald  man  ihnen  aber  Asche  oder 
Kleie  hinstreut,  den  Abdruck  von  Entenfüßen  oder  GeißfüQvti  oder 
je  eines  Menschenfußes  und  eines  Geißfußes  zurücklassen. ' 
Gradeso  erzählt  man  in  Sehottland  von  den  Uriskin,  Waldgeisteni 
von  einer  GesUdt,   welche  zivisclien  Geiß  und  Maisch  die  Mitte 


1)  Griinm  Myth.«  410,  Anm.  =•*  V^'l.  Grimm  D.S.  n.  140.  Uochholz 
Aargaus.  1,  270,  181".  280,  H»3,  12.  Rochholz  Naturmytlien  S.  103.  123. 
Daß  dabei  diese  Wesen  nocli  immer  als  Geister  gcdaclit  seien,  geht  aus 
mannigfadieu  Analogien  hervor.  Vgl.  Tylor  Anfänge  der  Cultur  II,  198. 
Zingerlc  Sitten^  227,  1790. 


Verwandte'  nordouropäischo  Waldgcister.  15JJ 

hält,  Sie  wohnen  in  unzugilnglichen  Waldhöhlen,  kommen  aber 
gerne  zu  den  Menschen,  um  Dienste  als  Hausgeister  zu  leisten.* 
Und  auch  das  estnische  Epos  Kalewipoeg  schildert  Urdmännclwn 
(Härjapdlwelase  poeg)  in  ganz  ähnlicher  Weise: 

1)  Walter  Scott,  Lady  of  the  Lake  Cmio  IIL  (Works  Frankf.  a'M.  1834. 
p.  1Ü2): 

By  many  bard  in  Celti<j  tongue 
Uas  Coirnan  -  Uriskin  becn  sung, 
A  softer  name  the  Saxonsgave 
A  cal'd  the  grot  the  Gobiin -cave. 

I)a/.n  die  Anm.  (p.  421)) :  Ooir-nan-üriskin.  This  is  a  very  stcop  and 
inost  romautic  hollow  in  tho  mountain  of  Ben-venuc,  overhanging  the 
southeastern  extreniity  of  Loch-Katrine.  It  is  surr(mnded  with  stupondeous 
rocks  and  overshadowed  with  birchtrees  mingled  with  oaks,  th<i  s])ontiineous 
produetion  of  the  mountain,  even  wherc  its  cliff  appear  denuded  of  soll. 
The  namo  litterally  implies  the  corri  or  Den  of  the  wild  or  shaggy  mon. 
Perhaps  this  may  have  originally  only  implied  its  being  tho  hount  of  a  fero- 
cions  banditti.  But  the  tradition  has  jiscribed  the  Urisk,  who  gives 
name  to  the  cavcrn,  a  ügurc  between  a  goat  and  a  man,  in  short 
howower  muoh  the  classical  reader  may  be  startled,  precisely  that  of  the 
Grecian  Sat\T.  The  Urisk  seoms  not  to  have  inherited  with  the  form  tho 
petulancc  of  the  silvan  deity  of  the  chwsics:  his  occupatious  on  the 
contrary  ressembled  those  of  Miltons  Lubber  Fiends  or  of  the  8cottish 
Brownies,  though  he  diifered  froni  buth  in  uamc  and  appearence.  „The 
Urisks,  says  Mr.  Graham,  wero  a  sort  of  lubberly  supernaturals ,  who  likc 
tlie  Brownies  could  bo  gainod  over  by  kind  attention,  to  perform  tlie  drud- 
gcry  uf  the  farm,  and  it  was  believed,  tliat  many  of  the  families  in  tlie 
Highlands  had  one  of  the  order  attaehed  to  it.  They  were  supposed  to  bo 
dispersed  over  the  Highlands,  each  in  his  own  wild  recess,  but  the  solemn 
stated  meetings  of  the  order  were  regularly  held  in  the  cave  of  Ben-veuue.'* 
Hiermit  vergleiche  man  die  Aussage  von  Reginald  Scot  (Discoverie  of  Witch- 
craft  1655,  11.  «;.  4).  Ein  Brownie  Namens  Luridan  bewohnte  lange  Jahre 
die  Insel  Pomona,  die  größte  der  Orkneys  in  Schottland,  und  ersetzte  die 
Stelle  einer  Magd  mit  bewunderungswürdiger  Emsigkeit  bei  den  Familien, 
bei  welchen  er  zu  spuken  pflegte,  iudem  er  ihre  Zimmrr  kehrte,  ilire 
Schüsseln  wusch  und  Feuer  anmachte  lange  vurluT,  ehe  sie  morgens  auf- 
standen. Nach  70  .Jahren  müsse  er  seinen  Platz  an  Balkin,  den  Herrn  der 
nördlichen  Berge  abgeben,  dieser  sei  wie  ein  Satyr  gestaltet,  habe 
12(X)0  Weiber  und  Kinder  aus  dem  Geschlechte  der  nördlichen  Elfen,  welche 
die  Höhlen  in  den  Felsen  von  Southerlaud,  ('atanes  und  den  umliegenden 
Inseln  bewohnen.  Mit  ditisen  Sagen  wird  der  schottische  Volksglaube  in  Ver- 
bindung stehen,  daß  die  Ziegen  ein  gutes  Einvernehmen  mit  den  Elfen 
haben,  deren  gute  Bekannte  sind,  und  mehr  wissen,  als  man  glauben  sollte. 
Grimm  Ir.  Elfonmärch.  XL. 


IM  Kapitel  Ul.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  IL 

Da  ans  tiefem  Basengrando 

Stieg  hervor  von  Furcht  befangen 

Mit  gcheimnißvollen  Schritten 

Einer  von  dem  Zwerggescblecbte, 

Mochte  drei  der  Spannen  messen, 

Trug  am  Hals  ein  goldnos  Glöckchen, 

Kleine  Hörner  hinterm  Ohre, 

Unterm  Kinn  ein  Ziegcnbärtchen." 

Die  ErzähluDg,  in  welcher  dieser  Zwerg  handelnd  auftritt,  ist 
identisch  mit  dem  Märchen  „dat  Erdmänncken"  K.  H.  M.  n.  91. 
Vgl.  K.II.M.  IIP,  1 62.  Raßmanu  D.  Heldens.  I,  860—373  und  o.  Ö.  5 1. 
Bemerkenswert  ist  das  goldene  Glöckchen  am  Halse  des  Zwerges, 
das  der  Kalewide  im  Verfolg  demselben  abnimmt,  und  auf  seine 
Stirne  schlägt,  worauf  ,,gleich  aJs  Mm'  der  Donneralte,  als  ob 
Äike  (der  Donnergott)  selber  käme,^^  das  Zwerggebilde  mit  krachen- 
dem Gepolter  in  der  Erde  Schoß  hinabiährt  (v.  625-  683).  Diese 
Schelle  des  estnischen  Erdmännchens  gleicht  dem  Glöckchen  auf 
der  ZwergenmUtze  in  den  Zwergsagen  von  Rügen.*  Sie  bewährt 
einerseits  die  Selbständigkeit  der  estnischen  Ueberlieferung  und 
stellt  andererseits  den  estnischen  Dämon  zu  den  schwedischen 
im  Wirbelwind  umfahrenden  vom  Donner  verfolgten  Trollen  und 
Skogsnuftrar  (Bk.  138).  In  Norwegen  spricht  man  von  IliUjd- 
böcken  (Uoubukke).  „Sie  haben  —  sagt  der  Berichterstatter  — 
ihren  Namen  von  den  Hügeln,  in  denen  sie  sich  autlialten;  sie 
kommen  nach  dem  Begriffe  des  gemeinen  Volkes  ganz  überein 
mit  den  heidnischen  Satyrn  oder  Waldgeistern,  Daß  nmn  ihnen 
hl  alten  Tagen  Speise  hinsetzte,  gleichsam  opferte,  ist  noch  bekannt 
genug/*  ^  Ist  auch  die  Geißgestalt  nicht  ausdrücklich  bezeugt, 
weist  auf  ein  den  Hügelböckcn  ähnliches  oder  gleiches  Wesen 
dennoch  deutlich  hin  eine  gotländischc  Ueberlieferung,  die  I^vcn 
beibringt:    Wettis   tanquam   Diis  tcrrestribus  libaruni  sine  dubio 


1)  Kalewipocg  verd.  v.  Hertram  Dorpat  1861,  XMl,  v.  42:)  ff.  S.  5r>o. 
Vgl.  S.  546  —  567.   Vgl.  a.  Bluniborg  Quellen  und  Realien  des  Kalcwipoeg  S.  ir>. 

2)  S.  E.  M.  Arndt  Märchen  nnd  .lugenderinnorungen.  Berlin  1818. 
Keigtliley  Mythologie  der  Feen  und  Elfen  übers,  v.  0.  L.  B.  Wolf  I,  378. 

3)  (Hans  StrönO  Physisk  og  oekonomisk  Beskrivelse  over  Fogderiot 
Söndniör  i  Borgens  Stil't.  Soroe  1762,  8.  537.  Vgl.  den  Bock  der  Trolle 
Odnianns  Babuslän  »S.  224.  Myth.^  426.  llov,  im  zweiten  Teil  von  Zusam- 
mensetzungen houg  (altn.  haugr)  ist  eine  kleine  Krböbung  auf  der  Erde,  ein 
kleiner  Hügel,   in  Telemarkcn  eiire  gröücre  Erböhung,   ein  kleiner  Berg. 


Bockgestaltigo  Korn-  und  Foldgeister  in  Nordonropa.  155 

varii  gofieris  cscidenta  et  caprarii  Iwdiernl  retinucruut  inoreni. 
Nam,  cum  in  pancuis  coenantiir,  partlunadas  panis,  caavi  alio- 
rumque  Wettis  sive  Goda-Ucit-Niss  scponuut  et  ceHpitc  vivo 
saperstitione  teguiit,  ne  pccori  vel  gregibus  noceant  implacata  et 
laeva  numina.  * 

§.  10.  Bocksji^estaltige  Koni-  und  Foldpeister  in  Nord- 
europa« Wir  sahen  die  Waldgeistcr  einerseits  im  Winde  ihr 
Leben  kundgeben,  andererseits  mit  ihrem  Leben  an  das  Leben 
der  Waldbäume  gebunden,  gleichsam  als  Genien,  Beseelungen 
derselben  auftreten,  sodann  ihre  Wirksamkeit  nicht  bloß  im  Wald- 
wuchs, sondern  auch  im  Getreidewachstum  äußern.  Es  gab 
Ljeschie  des  Waldes  und  Ljeschie  des  Kornfeldes  (o.  S.  1 15)  und 
auch  sonst  ergeben  sich  die  bald  anthropomorphischen  bald  the- 
riomorphischen  Getreidegeister  in  der  deutschen  Ucberlieferung 
den  Waldgenien  als  wesensgleich  (Bk.  6o:5flF.).  So  heißt  die  den 
Getreidedämon  darstellende  letzte  Garbe  in  der  Gegend  von 
Eisenach  Wcädmami  (Bk.  4iu);  in  8t.  Polten  ob  dem  Wiener 
Walde  warnt  man  die  Kinder  nicht  ms  Koni  zu  gehen,  darin 
hause  der  Waldteufel ,  der  sie  vom  rechten  Wege  ab  in  die  Irre 
tilhre.  Mehrfach  heißt  es,  der  Hemann  (Bk.  127,  o.  S.  115)  fahre 
im  Winde  durchs  Korn  und  weile  zwischen  den  letzten  Halmen 
des  Ackers,  woher  auch  die  letzte  Garbe  nach  ihm  benannt  wird 
(Böhmen,  Mähren,  Ücstreich).  In  Aurich  in  Ostfriesland  warnt 
man,  wie  sonst  vor  dem  Schotenhund,  Weizenbeller ,  Kornmops, 
vor  den  Klddclhundcn  im  Kornfeld,  welche  Kinder  zu  Tode 
kitzeln,  wie  die  wilde  Frau,  Fangga  und  der  Ljeschi  (o.  S.  146. 
147.  148).  Mithin  ist  es  deutlich,  daß  wir  in  dem  bocksgestal- 
tigen  Getreidedämon  den  Bruder  oder  nächsten  Anverwandten 
des  bocksgestaltigen  Waldgeistes  zu  suchen  hal)en.  Dieses  Wesen 
tritt  in  einer  reichen  Fülle  von  Ucberlieferungcn  hervor.  Zunächst 
macht  es  sich  auch  im  Windesicclien  l)emerkbar  und  zwar  ent- 
weder als  einzelner  Dämon,  oder  zu  ganzen  Scharen.  Wenn  das 
Korn  in  Wellen  auf-  und  abwogt  .Jaycu  sich  die  Böcke,''  ,,t reiht 
der  Wind  die  Böcke  durchs  Korn,*'  ,,  weiden  da  die  Böcke/'  und 
man  erwartet  eine  sehr  günstige  Enite.  (Umgegend  von  Krmigs- 
berg,  Lyck,  Olctzko,  Prov.  Preußen).  Bei  Sensburg  und  Kreutz- 
burg  (Pr.  Preußen)  heißt  es  dann,  „der  Haferbock  sitze  im  Hafer- 

1)  Lüvc'n  Dlssertatio  graduiilis  de  Gotliungia.  Londini  Gothw.  1745.  1S.*J0, 


156  Kapitel  III.   Die  wilden  Leute  dur  antiken  Sago  II. 

feld,  der  Kornbock  im  Roggenfelde,"  und  bei  Gardelegen  sagt 
man  vom  wogenden  Korn  „datKoarn  huckV^  In  diesen  Redens- 
arten macht  sich  dasselbe  Verhäitniß  zwischen  dem  einen  Korn- 
bock und  mehreren  Getreideböcken  geltend,  welches  zwischen 
Faunus  und  Faunen ,  Pan  und  Panen  obwaltet.  * 

1)  Hängt  mit  diesen  Vorstellungen  zusammen,  daß  dem  Litauer  am 
kurischen  Haif  der  Südostwind  ozinnis  (trumpas  ozinnis  Ostsüdostwind ,  ilgas 
ozinnis  Südsüdostwind)  d.  h.  der  böckische,  vom  Bock  ausgehende  heißt? 
Auch  Wolken  werden  als  Böcke  gefaßt.  Bei  Oscherslebcn  heißen  schwarze 
Massenwolken  de  Murrkater,  Bullkater,  aber  auch  dcBockkerl  (Bockniaun-. 
Zu  üntrup  Amt  Rhynow  Kr.  Hamm  Rgbz.  Arnsberg  nennt  man  die  leichten 
Wolken,  welche  bei  heißen  Tagen  nach  und  nach  aufsteigen,  Gewitter- 
böcko.  Damit  stimmt  die  Benennung  Thors  bockar  für  diese  kleinen 
schwarzen  Wetterwolken  im  Dialekt  der  Insel  Gotlaud  (C.  Säve  om  de  nor- 
diska  Gudenamnens  Betydelse.  üpsala  1860,  p.  78)  überein.  Cf.  Thors  Böcke 
Tanngrisnir  und  Tanngniostr.  Kinderlieder,  welche  die  Auffassung  der  Wolken 
als  Böcke  zu  enthalten  scheinen,  habe  ich  nachgewiesen.  Germ.  Myth. 
390  —  91.  Dazu  vgl.  Bk.  116.  Bemerkenswert  ist  die  Sage  vom  Holzenberg 
(Baselland).  Auf  demselben  läßt  sich  zuweilen  zur  Zeit  der  £rnte  eine 
Ziege  hören,  welche  fürchterlich  brüllt;  dann  stellt  .sich  jedesmal 
schlechte  Witterung  ein.  (Lenggenhager,  Volkssagen  a.  Ranton  Basel- 
land. Basel  1874,  S.  99^  Da  im  Baselland  Erzählungen  von  Witterungs- 
wechsel ankündigenden  Geistern  sehr  verbreitet  sind,  und  jedesmal  Töne  von 
sich  gebende  Geister  des  Sturmes  (Schloßherr,  der  den  Kopf  zum  Berge  heraus- 
steckt und  schreit;  a.a.O.  S.  111;  luftfahrende  Männer  117,  Schimmelreiler 
118,  wilde  Jäger  118,  Geister  in  der  Kutsche  u.  s.  w.  96^  oder  als  Windper- 
soniticationcn  bekannte  Tiere  (bellender  Hund  15,  Pferd  115)  als  solche 
genannt  werden,  wird  auch  diese  brüllende  Geiß  eine  NaturauiFassung  des 
dem  Gewitter  vorangehenden  Windstoßes  (Windsbraut)  oder  Wirbelwindes 
sein.  Diese  Auffassung  scheinen  zwei  andere  Sagen  aus  Baselland  (a.  a.  O. 
65.  37)  zu  festigen.  Ein  schwarzer  Mann  in  altmodischer  schwarzer  Tracht 
mit  breitkrämpigem  Hut  geht  auf  dem  Fußweg  unter  der  Alp  von  Sissach, 
Reiser  ausziehend  und  in  kleine  Stücke  zerteilend.  In  einem  klei- 
nen Gehölz  purzelt  er  den  Abhang  kopfüber  hinab  und  hinauf  und  geht  dann 
an  das  vorige  Geschäft.  Bald  folgt  ein  schwerer  Gewitterregen.  —  Zu  Häfel- 
fingen  schreitet  bei  der  Heuernte  ein  unbekannter  Mann  in  grauem  Kittel 
mit  breitrandigem  Hute  daher,  grußlos  an  Kindern  vorbei  und  scheinbar  iu 
die  Sense  des  am  Wege  mähenden  Bauern  hinein,  der  nichts  von  der 
Erscheinung  sieht,  wc^lche  bald  darauf  verschwindet  und  durch  ein  mächtiges 
ciewitter  abgelöst  wird.  (Vgl.  bei  einem  während  der  Enite  heraufziehenden 
Gewitter  pÜegt  der  aargauische  Bauer  zu  seinen  im  Acker  helfenden  Kindern 
zu  sagen:  „Buben  macht  schnell,  der  schwarze  Mann  kommt!**  K4>ch- 
holz  Sag.  a.  d.  Aargau  1,  198).  Aufs  nächste  stellt  sieh  die  Häfelßnger  Sage 
zu  der  schwedischen  bei  Afzelius  Sagohäfder  I,  10  lübers.  v.  üngcwitter  I.  23;, 
wonach   die  Bergtrolle  beim  Gewitter   iu   allerhand  Gestalten,   besonders  in 


Bocksgestaltige  Korn-  und  Feldgeister  in  Nordenropa.  157 

Andererseits  warut  man  die  Kinder  ins  Kornfeld  zu  gehen, 
um  die  hlaiieii  Konibhumm  (Cyanus  ecntaurea)  abzupflücken,  oder 
in  die  Erbsenbeete,  um  Schoten  zu  naschen,  denn  da  sitze  oder 
liege  der  lioggenfßock  (Gardelegen),  Kortibock  (Mohrungen,  Neu- 
baldensleben ,  Ilsenburg,  Kr.  Wernigerode),  Haferbock  (Garde- 
legen), Arftetibuck,  Erbsenbock  (Mohrungen,  Wanzleben,  Verden, 
Stade,   Grätsch.  Hoya),   liohienhock  (Göttingen,   Lüneburg),    die 


Gestalt  großer  Kugeln  oder  Knäuel  vom  Berge  heruntergerollt  gekommen 
Schutz  bei  den  Heuniähern  gesucht  hätten,  welche  die  Gefahr  wol  erkennend 
sie  stäts  mit  den  Sensen  von  sich  abgewehrt,  wobei  es  denn  oft  vorgekommen, 
daß  der  Blitz  herabgefahren  und  die  Sensen  zertrümmert,  worauf  der  Kobold 
mit  kläglichem  Gewimmer  in  den  Berg  zuriickgeilohen.'*  (Vgl.  (►.  S.  99). 
Diese  Erscheinung  ist  deutlich  die  Trombe,  deren  rauchwolkenartiger  Anfang 
das  sich  herabsenkende  Knäuel  darstellt.  Die  Bauern  wehren  den  Dämon  mit 
der  Sichel  ab.  wie  sonst  durch  Messerwurf  oder  Kanonenschuß  (o.  S.  8lj.  1 10) ; 
die  Heuernte  ergiebt  sich  aus  der  Jahreszeit.  [Man  sieht,  wie  ungegründet 
die  von  W.  Schwartz  aufgestellte  Deutung  des  Knäuels  auf  das  dicke  Blitz- 
ende ( y )  und  der  Sichel  auf  den  Regenbogen  war.  Schwartz  Urspr.  d.  Myth. 
.S.  136.  Der  Volksglaube  Aufl.-  S.  44J.  Nun  aber  erwäge  mau  die  folgende 
Erzähluug  aus  Litau^^n.  Der  als  Lehrer  Schleichers  bekannte  Schullehrer 
Kumutatis  in  (rroß  Kakschen  teilte  mir  mit,  seine  Xachbarin  habe  ihm  erzählt, 
als  ihre  Mutter  noch  ein  unverheiratetes  Mädchen  war,  wurde  auf  den  Som- 
merwiesen  an  einem  schwülen  Sommertago  Heu  geharkt.  Während  dessen 
stieg  ein  Gewitter  auf:  und  als  es  schon  ganz  in  der  Nähe  der  Harker  war, 
kam  ein  Ziegenbock  gelaufen,  mitten  durch  die  Leute,  welche  aber  den 
Bock  seiner  Sciinelligkeit  wegen  mit  den  Blicken  nicht  verfolgen  konnten. 
Unmittelbar  darauf  kam  ein  Jäger,  grün  gekleidet,  und  fragte  die  Leute,  ob 
sie  nicht  einen  Ziegenbock  gesehen.  Kaum  hatte  der  Jäger  sich  in  der 
ihm  angedeuteten  Richtung  von  den  Leuten  entfernt,  so  fuhr  ein  heftiger 
Wetterschlag  in  einen  Heuhaufen,  zündete  ihn  an  und  verbrannte  ihn.  Ein 
Mann  in  Puskeppeln  sah  vor  dem  Gewitter  einen  großen  schwarzen  Hund 
durchs  Dorf  ins  Feld  laufen,  worauf  alsbald  ein  heftiger  Blitzschlag  folgte, 
der  den  grausig  heulenden  Hund  erschlug,  wobei  der  Bauer  bemerkte  „ach 
(rott  sei  Dank!  da  ist  wieder  ein  Teufel  todtgeschlagen ! "  Sind  hienach  Thors 
Böcke,  die  gotländischen  Thors  bockar  und  der  litauisch«^  und  Baselländische 
Ziegenbock  deutlich  Naturbilder  bald  für  die  dem  starken  Gewitt^rausbruch 
vorangehenden  Winderscheinungen  (Windsbraut,  Wirbelwind),  bald  für 
die  voraufgehenden  Wolkenbildungen,  so  darf  an  eine  Uebertragung  von  einem 
Bilde  aufs  andere  gedacht  werden,  und  da  werden  wir  den  oft  schon  mit 
feurigen  Phaeiiomenen  gemischten  Winderscheinungen  den  Vorzug  geben. 
(Vgl.  0.  8.99  den  Orco).  Hier  ist  nun  auch  der  Punkt,  wo  sich  die  schon 
von  Preller  auf  die  ,.W<'tterwolke"  gedeutete  Aegis  des  Zeus  an  die  von  uns 
behandelt<'n  Vorstellung<'n  .anschließt.  Vgl.  auch  die  estnischen  Erdmännchen 
o.  S.  154. 


158  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  aDtiken  Sage  11. 

Habergeiß  (Ramsau  Ohersteiennark),  der  Nickelbock  (Nenhaldens- 
leben)  und  nehme  sie  mit,  stoße  oder  tödte  sie.  Der  Name 
Nickelbock  weist  auf  Verwechselung  oder  Vermischung  des  Kom- 
bocks  mit  dem  Nix  des  den  Acker  durchrieselnden  Baches.  Zu- 
weilen braucht  man  den  Ausdruck  Bohnenbock  auch  dann,  wenn 
Kinder  davor  gewarnt  werden,  in  ein  Weisenfeld  oder  Roggen- 
feld zu  laufen.  (Fallersleben ,  Lüneburg,  Wecke  bei  Göttingen). 
In  der  Altmark  schreckt  man  vom  Komfelde  zurtlck  ^  indem  man 
sagt:  de  Bockkerl  sitt'r  imie  un  nimmt  dick  tnidde,  womit  denn, 
noch  augenfälliger  an  Pan  erinnernd,  die  um  Zusmarshausen 
(Kr.  Schwaben  und  Neuburg)  gebräuchliche  Kedensart,  die  Kinder 
vom  Verlaufen  in  den  Wald  abzuhalten,  parallel  geht  „da  sei 
der  Bockemä'^  (Bockmann);  und  hiezu  gesellt  sich  die  schon  im 
16.  Jahrhundert  nachweisbare  Kinderscheuche  Bockelnmnn.^  Durch 


1)  Vgl.  Grimm   D.  W.-B.  II,  224  aus  Seb.  Franck  Heillosigkeit  33: 
,,Pan  wird  gcacht  der  gott  sein,  der  die  lout  erschreckt  und  furchtig  macht, 
den  die  Kinder  Hockelmann  oder  Bercbt  heißen."     A.  Bastian    (der 
Mensch  II,  113)  führt  aus  Luther  folgende  Stelle  an:    „Da  droben  in   der 
Luft  schweben  die   bösen  Geister,   wie  die  Wolken  Über  uns,    flattern   und 
fliegen  allenthalben  um  uns  her,    wie  die  Hummeln  in    gr(»ßen  unzähligen 
Haufen,   lassen  sich  wol  auch  sehen  in  leiblicher  Gestalt    wie  die  Flammen 
daherziehen  in  Drachen gestalt  oder  andern  Figuren,   item  in  Wäldi^rn  und 
bei  dem  Wasser,    da   man    sie  siebet  wie  Böcke  springen  oder  bürnen 
wie  die   Fische."     Von    diesem  Bockolmann    handelt    die  Sage    bei  Panzer 
II,  59.     Ein  bocks  füßig  er  Teufel  in   grtinor  Jägerkleidung  kam  jedesmal 
aus  dem  Walde,  s(»  oft  eine  gewisse  Bauermagd  auf  einer  Wiese  bei  Nürnberg 
heuen  sollte,  schäkerte  und  liebelte  mit  ihr  und  besorgte  inzwischen  unsicht- 
bar das  Grasschueiden ,  so  daß  sie  nichts  anderes  zu  tun  hatte,   als  das  Heu 
einzuraff'en.     Der  Pfarrer  gab   ihr  zwei  Kräuter  auf  der  Brust   zu 
tragen,    die  vertrieben    ihn.     Oft    strich    er   um   ihr  Haus   und  jammerte 
„Wireutla  und   Mireutla,    das  bringt  mich    um  mein  schöns  Bräutla.*'     So 
helfen  die  Holzfräulein  (Bk.  7i)),  Wildfräulein  ^ßk.  88),  Seligen  (Bk.  104.  107 
beim  Heuen  und  Kornschneiden  und  die  Kräuter  Dorant  (antirrhinum*  und 
Dorant  (origanum)   werden  getragen,    um  Nixen  und  Kobulde   davon    abzu- 
halten,   Kinder   zu  vertauschen  (vgl.  Wuttke  Abergl.  -   §.  5G.  135.  570.  581): 
Kümmel  vertreibt  die  Moosleuto  (Bk.  75 1.     Somit  erweist  sich  der  Inhalt 
obiger  Sage  als  echt  volkstümlich  und  höchstens  leicht  beeinflußt,  nicht  etwa 
abgeleitet   von  den    si^ätmittelalterlichen   Vorstellungen    der   Theologen   und 
Juristen  von  einem  bocksg«'staltigen  Teufel,  welche  aus  den  seit  Mitte  saecXlII 
(Vgl.  Nicola  v.  Pisa  s.  Pii)er  Mythol.  u.  Symbol,  d.  christl.  Kunst  I,  1,  495. 
405)  aufgekommenen  Kunstdarstellungen  des  Teufels  als  antiker  Satyr  in  die 
Literatur  (Matth.  Parisiensis  histor.  maj.   ad  a.   1100,  bei  Soldan  Gesch.  d. 
Hexenproz.  8.  150),  im  15.  .lahrh.  in  das  Gewebe  der  den  Ketzern  und  Hexen 


Bocksgestalti^o  Korn-  and  Feldgeister  in  Nordeuropa.  159 

Metonymie  vom  Getreidcdänion  heißt  die  hlatie  Kornblume  selbst 
landsehaillich  Ziegenbock  oder  Zieijenbein , '  sie  muß  *il8  eine  Er- 
scheinungsform jenes  Geistes  gegolten  haben  und  sollte  deshalb 
nicht  gebrochen  werden.  Daß  man  den  Getreideboek  als  einen 
wirklich  wesenhaften  und  wirksamen  Dämon  tllrchtAe  oder  ehrte, 
geht  aus  der  Vorstellung  hervor,  daß  der  bis  dahin  im  Acker 
verboi^ene,  beim  Schneiden  des  Getreides  aber  zum  Vorschein 
kommende  es  verschulde,  wenn  ein  Arbeiter  (Arbeiterin)  während 
der  Ernte,  zumal  in  den  ersten  Tagen  derselben,  krank  wird 
oder  hinter  seinen  Genossen  aus  Schwäche,  Ermüdung,  Trunken- 
sein zurückbleibt.  Dann  ruft  man  letztcrem  (ihr)  zu,  oder  sagt  von 
ihm  (ihr):  ^jl)e  Ausfbuck  hef  em  (är)  statt ^^  „d.  i.  der  Emtebock 
hat  ihn  (sie)  gestoßen,"  ^^ er  hat  sich  vom  Kornbock  stoßen  lassen^^ 
(allgemein  Mecklenburg -Strelitz,  Hannover,  Lüneburg).  Nament- 
lich gebraucht  man  diese  Redeweise  von  einem  Mädchen,  das 
während  der  Erntezeit  erkrankt.  *  Junge  Dirnen,  die  zum  ersten- 
male  binden,  warnt  man  in  Mecklenburg  „Laß  dich  nicht  vom 
Erntebock  stoßen  (lät  di  nich  von'n  Austbuck  stiften).  Wird  eine 
von  Aufregung,  Hitze  u.  s.  w.  wirklich  krank,  so  hört  man  jjde 
Austbuck  hrt  är  nnnerkrngen^^  und  kommt  eine  Magd  in  interes- 
sante Umstände  und  zwar  so,  daß  nach  der  Rechnung,  welche 
jede  Kameradsch  unfehlbar  anstellt,  die  Ursache  davon  in  der 
alle  Sinne  aufregenden  Zeit  der  Roggenernte  zu  suchen  ist,  so 
lautet  der  Spottruf  „Du  h^^t  di  wol  vnnn  Austbuck  'n  Bing 
stäken  Idten^^  oder  „(//  hrt  ivol  de  Austbuck  ivat  unncre  Sclii'ni 
stäken}^  Siehe  da,  das  Seitenstück  zum  Faunus  iicarius  (o.  S.  116) 
und  seinen  weiberfreundliclicn  Collegen  Pan,  Satyr  und  Seilen! 
Neben  dem  Getreideboek  gab  es  auch,  wie  wir  sehen  werden, 
einen     bocksgestjiltigen    Dämon    des    Grases.      Zuweilen    wird 

vorgeworfenen,  orträumton  Bcscliuhligun^^en  gerieten.  Soldan  Gesch.  d.  Hexen- 
proz.  101.  2(^5.  Vgl.  auch  lUoniberg,  der  Teufel  u.  s.  Gesellen  i.  d.  bilden- 
den Kunst  S.  25.  32. 

1)  Heinsius  volkstfiml.  W.-H,  der  d.  Spr.  S.  1757.  Eine  ähnliche  Me- 
tonymie ist  vielleicht  der  Name  }^)ekahorn  Bockshorn  für  das  Mutterkoni 
secale  cornutum  (Moller  Ordhog  ofver  Hallandska  Landskapsm.  Land  1858), 
da  auch  die  sonstigen  Namen  desselben  Kornmutter,  Wolf,  Ilundebrod 
auf  Korndämonen  (Kornmutter,  Kornwolf.  Kornhund)  zurück  zu  wei.sen  scheinen. 
S.  Mannhardt  Roggenwolf  8.  22  ff. 

2)  Hetze  bei  Lüneburg:  „deck  het  de  Kornbuck  stött.'*  Vgl.  Heyse 
Punschendörp  8.  231  Smidt-en  het  de  Austbuck  stütt. 


KiO  Kapitel  III.   Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

derjenige ,  der  bei  der  Heuernte  auf  diesen  gestoßen  ist ,  so  zu 
sagen  mit  ihm  identifiziert.  So  spotten  die  Esten  auf  der  Insel 
Dagden  an  der  russischen  Ostseeküste ,  wenn  beim  Schnitt  ein 
Arbeiter  mit  den  andern  nicht  Strich  halten  kami  „se  on  Ole- 
päwa  ois,  mis  numa  päle  jääb  '^  d.  i.  das  ist  des  OUwstags  Böek- 
chen .  welches  auf  der  Mast  bleibt. '  Olewstag  d.  h.  St.  Olafetag 
(29.  Juli)'  ist  ein  altes  Erntefest ,  dann  feierte  man  den  Schluß 
der  Heumahd  und  den  glücklichen  Beginn  der  Kornernte.  ^  Dann 
schlachteten  die  Esten  und  Finnen  unter  sehr  altertümlichen  Cere- 
monien  ein  Tier,   meistens  ein   Lanmi,^  ohne  Zweifel  zuweilen 

1)  Holzmayor  Osiliana.  Verliandl.  d.  estn.  Gesellsch.  zu  Dorpat.    B.  VII, 
S.  115. 

2)  Holzmayer  a.  a.  0.   S.  64   nennt   irrtümlich  Juni  29.   statt  Juli  29. 
(10.  August  n.  St.). 

3)  Vgl.  Pinn  Magnussen  (den  forste  November  og  den   forste  August, 
to  kalendariske  Undersögelser  Khvn.  1829,  p.  77  ff.):     „Der  29.  Juli  ist   ein 
St.  Olaf  geweihtes  Uauptfest  im  ganzen  Norden.   Auf  ein  ält<>res  gleichzeitiges 
Erntefest  gründete  sich  wol  die  Legende,   daß   der  König  kurz  vor  seinem 
Tode  durch  Gebet  und  Besegnung  ein  von  Pferden  niedergetretenes  Kornfeld 
in  ein  üppig  gedeihendes  umwandelte.    Die  norwegischen  Kirchengesetze  ver- 
ordnen eine  Komlieferung  an   den   königlichen  Heiligen  unter  dem   Namen 
Olafskorn  (Olafs-korn,   Olafs- told,    Olafs- pengei  —  ohne  Zweifel  als  Ab- 
gabr  von  den  ersten  Früchten  dos  Foldfs  —  um  davon  in  der  Domkirche  zu 
Drontheim,  der  Landeshauptkirche,  Messen  für  Frieden  und  Fruchtbarkeit 
lesen  zu  lassen.    Am  Abend  vor  diesem  großen  Nationalfest  begann  auch  der 
sogenannte  Olafsfrieden  (Olofsfreden)  oder  Krntefrieden  (Hustens  Holig- 
hed,   Hösthelgen),  der  bis  Michaelis  dauerte,    begleitet   von  großen  Märkten, 
die  an  manchen  Orten  bis  Mi(!haelis  währten.     In  Oesterbotn  wird  am  (Hafs- 
tage  der  SlStterost  (Mäherkäse)   bereitet,    ein  Käse,    mit  welchem  die  Haus- 
leute zur  Feier   des  Schlusses  der  Heuernte  bewirtet  werden.     In  S<hwedeii 
und  Norwegen  hat  seit  uralter  Zeit  um  diesi»  Tage  ein  Gastgebot  und  Trink- 
gelage stattgefunden ,  das  in  beiden  Reichen  Slätöl ,  Slättöl  u.  dgl.  hieß  und 
zugleich  als  Daukfest  für  die  vollbrachte  Heuernte  und  frober  Bett^ig  für  «lie 
Kornernte  diente. 

4)  Die  Esten  auf  Oesel  halten  für  unerläßliche  Pflicht  am  Olaustage 
(Olewi-pä)  in  jedem  Hofe  ein  eßbares  Tier  zu  schlachten:  „denn,  sagen  sie,  am 
Olaustage  muß  das  Messer  blutig  gemacht  werden.**  Htdzmayer  a.  a.  O.  G4. 
In  Wierland  und  Alientacken  wurde  ein  Lamm  (Olewi  -  lamnias)  geschlachtet 
dessen  Blut  den  Schutzgeistern  des  Hauses  ge<»pfert  wurde;  die  Eingeweid.« 
brachte  man  auf  den  Ukkostein  (Opferstein  des  Donnergottes),  das  Fleisih 
verzehrte  das  Hausgesinde.  Boeder -Kr«»utzwald  der  Ehsten  ab»»rgl.  Gebr. 
S.  87.  Die  Karelen  in  Finnland  braten  am  Olewstage,  an  welchem  sie  von 
aller  Arbeit  ruhen,  ein  ganzes  Lamm,  das  ohne  Messer  getödtet  ist,  und 
dessen  Knochen  nicht  zerbrochen  werden    dürfen.*  Es  ist  seit  dem  Frühjahr 


Bocksgestaltige  Korn-  and  Feldgoistcr  in  Nordenropa.  161 

ein  Ziegenböckchen.  Man  wird  die  Vorstellung  gehabt  haben, 
daß  das  am  Olewstage  verzehrte  Lamm  oder  Böckchen  den  Vege- 
tationsdämon des  Grases  darstelle,  der  beim  Schluß  der  Heuernte 
znm  Vorschein  komme  und  als  segnendes  Heiltum  von  den  Haus- 
genossen genossen  werde,  weswegen  kein  Fremder  am  Mahle 
teilnehmen  darf.  Verlangsamt  sich  ein  Mäher,  so  hat  er  schon 
vorher  unerwarteten  Widerstand  gefunden,  er  ist  auf  den  Dämon 
gestoßen.  Gleiche  Vorstellungen  muß  es  bei  der  Kornernte  gege- 
ben haben.  Denn  abgeleitet  daher  ist  es,  daß  man  zu  Fisch- 
hausen im  Samlande  zu  dem  Schwächsten  bei  irgend  einem  Spiele 
oder  zu  demjenigen,  der  am  wenigsten  vom  Spiele  versteht,  sagt: 
du  gehst  für  Haferbock.  Nicht  minder  nennt  man  in  der  Graf- 
schaft Glatz  einen  rohen  und  ungeschickten  Menschen  Häherhock, 
In  der  Gegend  von  Braunsberg  (Ermeland)  sputet  sich  deshalb 
beim  Haferbinden  ein  jeder,  damit  ihn  nicht  der  Kornhock  stoße. 
Am  meisten  jenem  estnischen  Olafstagsbrauche  ähnlich  ist  der 
folgende  norwegische.  In  Oefoten  schneidet  bei  der  Kornernte 
jeder  sein  bestimmtes  Stück  (Fei);  und  wenn  nun  einer,  der  in 
der  Mitte  steht,  später  fertig  wird,  so  schneidet  (skjjerer)  der 
andere  sein  Stück  und  man  sagt  von  ihm,  dessen  Stück  geschnit- 
ten wurde,  er  bleibe  auf  dem  Holme  (Insel)*  stehen  (han  bliver 
staaende  paa  Holme).  Ist  er  ein  Mann,  so  tut  man,  als  locke 
man  einen  Bock    (kalder   man  paa  Bukken)    „kille  Biikjen!^^^, 


nicht  geschoren.  Wird  es  Jinf  den  Tisch  getragen,  so  spritzt  man  mit  Baum - 
zweigen  von  Eller  oder  Föhre  Wasser  über  die  Ttirschwclle  und  setzt  etwas 
von  der  Mahlzeit  in  einen  Winkel  oberhalb  der  Bank  am  Tischende  (für  die 
Hausgeister),  einen  andern  Teil  schüttet  man  aufs  Feld  und  neben  die 
Birkenbäume,  welche  dazu  ausersehen  sind  im  nächsten  Jahre  als  M ai- 
Stangen  beim  Mittsommerfest  ins  Gehöft  (Bk.  159  ff.)  gepflanzt  zu  werden.  Die 
Eingeweide  werden  in  die  Erde  vergraben.  Kein  Fremder  darf  vom  Fleische 
kosten.  Diese  Gebräuche,  sagt  Finn  Magnussen,  gehörten  höchst 
wahrscheinlich  zu  dem  ersten  (»der  vorläufigen  Erntefest  der 
Finnen.  Finn  Magnussen  a.  a.  0.  78.  Ders.  Loxicon  mythol.  830.  Nach 
Lcncquist  de  8U])erst.  vet.  Fenn.  31  heißt  das  Lamm  willa-wuona  (Wollelamm). 

1)  Holm  1.  eine  Insel,  2.  ein  Fleck ,  der  sich  von  der  umliegenden  Erde 
unterscheidet.  Z.  B.  ein  Grasplatz  auf  einem  Acker,  ein  Stück  unabgemähte 
Wiese  u.  s.  w.    Aasen. 

2)  Kille  aus  kidla  Zicklein  ist  Lock  wort,  womit  man  Geiße  zu  sich 
ruft.  (AasenV  Vom  Schafbock  gebraucht  findet  sich  das  Wort  als  Koseform 
„liebes  Böckchen*'  in  Björnstjern  Björnsous  Arne.  Bergen  1858.  S.  40. 
„  killebukken ,  lammet  mit*' 

Mannbardt.    II.  11 


162  Kapitel  HL    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  IL 

ist  er  ein  Mädchen^  so  stellt  man  sich,  als  locke  man  die  Gtiß 
yykiUe  gjeita!^^ 

Der  im  Ackerfelde  sich  aufhaltende  Getreidebock  wird  von 
den  Schnittern  bis  in  die  letzten  Halme  verfolgt  and  in  diesen 
oder  beim  Schneiden  oder  beim  Binden  der  letzten  Garbe  er- 
griffen. Er  ist  nattlrlich  ein  ansichtbares  Wesen,  wird  aber  gerne 
aach  äußerlich  dargestellt.  Man  ruft  deshalb  der  Binderin  der 
letzten  Garbe  zu,  in  der  Garbe  sitze  der  Bock  (Erentzbai^  Ost- 
preußen). In  der  Gegend  von  Straubing  (Niederbayem)  sagt  man 
von  demjenigen,  der  das  letzte  Getreide  schneidet,  je  nach  der 
Fruchtart  „er  hat  die  Korngeiß ,  WeizengeijS,  Habergeiß.^  Dem 
letzten  der  Korn-  oder  Weizenhaufen  (Mandel)  werden  zwei 
Homer  aufgesetzt;  derselbe  heißt  dann  der  gehörnte  Bock  (Grafe- 
nau  bei  Straubing  Niederbayem).  Im  Hundsrttckviertel  in  Ober- 
östreich  heißt  es  bei  jeder  Getreidesorte,  sei  es  auch  Koro  oder 
Weizen,  von  demjenigen,  der  beim  Abmähen  der  Stoppeln  den 
letzten  Sensenhieb  illhrt,  er  hat  die  Habergeiß.  Wenn  in  Gab- 
iingen (Schwaben)  das  letzte  Haferfeld  eines  Bauerhofes  geschnit- 
ten wird,  schnitzen  die  Schnitter  aus  Holz  eine  Geiß.  Durch  die 
Nasenlöcher  und  das  Maul  stecken  sie  in  entgegengesetzter 
Richtung  je  zwei  Haferähren  (Haberspitz)  und  auf  das  Genick 
eine.  Auf  dem  Rücken  der  Geiß  liegt  von  den  Hömera  bis  zum 
Schweif  eine  Blumenkette,  an  welcher  noch  andere  Blumenketten 
befestigt  sind,  die  über  den  Leib  herabhangen.  Die  Geiß  wird 
auf  den  Acker  hingestellt  und  heißt  die  Habergeiß.  Wenn  die 
Schnitter  das  letzte  zwischen  zwei  Furchen  liegende  Ackerbeet 
(Strang)  schneiden,  beeilt  sich  jeder  zuerst  fertig  zu  werden. 
Wer  der  letzte  ist  „bekommt  die  Hahergeiß.^^  * 

Es  ist  ganz  natürlich,  daß  auf  die  letzte  Garbe,  in  welcher 
der  Bock  ergriffen  wird,  der  Name  derselben  übergeht.  So  heißt 
in  Schweden  (Umgegend  von  Linkjöping)  die  erste  Garbe,  welche 
in  die  Scheuer  gelegt  wird,  (also  die  oberste,  letzte  des  letzten 
Erntewagens)  an  manchen  Orten  Vorherresbockj  Herrgottsbock 
Verlangt  ein  Neugieriger  den  Bock  zu  sehen,  so  umklammert 
man  ihm  mit  den  Händen  den  Kopf  und  hebt  ihn  in  die  Höhe. ' 


1)  Panzer  Beitr.  z.  d.  Myth.  ü,  232,  426. 

2)  In  gleicher  Weise   verfahrt  man,   indem  man  ein  Kind  firagt  „har 
du  sett  herrans  höns?    Hast  da  die  Herrgottshühnor  (Marienkäfer  ?gl 


BoeksgeflAaltige  Korn-  und  Feldgeister  in  Nordeuiopa.  168 

Im  Tale  der  Wiesent  in  Oberfranken  heißt  die  letzte  Garbe,  die 
auf  dem  Acker  gebunden  wird ,  der  Bock  und  man  sagt  sprich- 
wörtlich „  der  Acker  muß  einen  Bock  tragen."  ^  Im  Kreise  Khein- 
bach  Rbgz.  Köln  heißt  die  letzte  Einfuhr  die  Mahlegeiß  y  Mahlde- 
geiß  oder  Mahdegeiß.  Eine  Garbe  wird  auireeht  gestellt ,  mit 
Bändern  und  Blumen,  Taback,  Weißbrod  und  Branntweinflaschen 
als  Lohn  für  die  Arbeiter  geschmückt.  In  Spachbrttcken  Großhrzt 
Hessen  heißt  die  letzte  Handvoll,  die  geschnitten  wird,  Oeiß, 
and  wer  sie  schneidet,  muß  viel  Gespötte  darum  erdulden.  Und 
ebenso  wird  im  Ostkreis  des  Herzogtums  Altenburg  der  Schnitter 
der  letzten  Handvoll  Winterfrucht  damit  geneckt,  daß  er  „die 
Ziege"  geschnitten  habe. 

In  vielen  Gegenden  wird  die  letzte  Garbe  nur  dann,  wenn 
sie  unvollständig  gerät,  also  kleiner  ist  als  die  anderen,  Bock 
(Kr.  Schleusingen  Kgbz.  Erfurt ;  Kreutznach,  Wetzlar  Rbgz.  Coblenz ; 
Kr.  Neustadt,  Dieburg,  Lindenfels  Prov.  Starkenburg  im  Groß- 
hrzgt.  Hessen;  Aemter  Weizen,  Diez,  Usingen  in  Nassau),  in 
Mittelfranken  Bock,  Böckla  (Böckchen)  genannt.  *  Entweder  läßt 
man  es  auf  den  Zufall  ankommen,  ob  die  Garbe  klein  wird  und 
betrachtet  dies  dann  als  ein  gutes  Vorzeichen  für  das  Gedeihen 
der  Frucht  im  nächsten  Jahr: 

heuer  a  Böckla, 

s'  nächst  Jahr  a  Schöckla!     (Oberfranken). 

Der  karge  Ertrag  in  diesem  Herbste  giebt  Anwartschaft  auf 
einen  größeren  in  der  Zukunft.    Wem  alle  Garben  klein  geraten, 

meine  Germ.  Myth.  243  —  255  und  meinen  Aufsatz  Lettische  Sonnenm}i;hen 
in  Bastian -Hartmanns  Zeitschr.  f.  Anthropologie  VII,  1875,  S.  98.  209.  211. 
217.  232.  296)  gesehn?  Arwidsson  Svenska  Fornsanger  TU,  494.  In  Hol- 
stein fragt  man  das  Kind  „Willst  du  Bremen  sehen?'*  Wenn  es  ja  ant- 
wortet, faßt  man  es  mit  beiden  Händen  am  Kopf  oder  den  Ohren  und  hebt 
es  in  die  Höhe.  Schütze  Schleswigholst.  Idiotik  I,  152.  Handelmann  Volks - 
und  Kindersp.  S.  4().  In  der  Oberpfalz  „zeigt  man  einem  Paris,"  indem 
man  ihn  „knirren  läßt*'  d.  h.  schreien  macht  dadurch,  daß  man  ihm  die 
Finger  hinter  den  Ohren  eindrückt.  Schmeller  Bair.  W.-B.  U,  375  (Aufl.«  I, 
1353).  Bremen  und  Paris  stehen  hier  höchst  wahrscheinlich  an  Stelle  eines 
mythischen  Ortes. 

1)  Panzer  Beitr.  z.  d.  Myth.  II,  228,  422. 

2)  Vgl.  jedoch  auch  den  metaphorischen  Gebrauch  von  Bock  l.für  den 
kleinen  Kohlenmeiler  der  am  Schlüsse  des  Brandes  aus  den  Resten  des 
großen  gebaut  wird,  2.  im  Bergbau  für  einen  Rost,  der  nicht  den  gewöhn- 
lichen Erzgehalt  hat,  unvollständig  ist    Grimm  D.  W.-B.  II,  204. 

11* 


164  Kapitel  HI.    Die  wilden  Leato  der  antiken  Sage  IL 

der  heißt  „der  Bockbinder ^^  (Kr.  Friedberg  Oberhessen).  Oder 
man  richtet  es  mit  Absicht  so  ein,  daß  auf  jedem  Acker  die 
zuletzt  gebundene  Garbe  kleiner  werde,  als  die  anderen.  Fragt 
man  dann  den  Bauer ,  wie  groß  seine  Ernte  sein  werde  ^  so  ant- 
wortet er :  „ so  und  so  viel  Garben,  Haufen  und  Böcke"  ^  letztere 
zeigen  die  Zahl  der  bestellten  Aecker  an  (Oberbeerbach  Prov. 
Starkenburg  Großhrzgt  Hessen).  Auch  giebt  man  der  letzten, 
absichtlich  dünneren  Garbe  mitunter  die  Gestalt  eines  Bocks 
(Sonnenburg  Meiningen)  und  sagt:  ^^der  Boch  sitet  drin^^  (Eisfeld 
Meiningen).  Der  Name  Bock  geht  von  der  letzten  Garbe  auch 
über  auf  die  Schwaden  oder  Haufen,  in  denen  das  Getreide  einst- 
weilen auf  dem  Felde  zu  liegen  oder  stehen  konmit  Sechs  Ge- 
lege werden  zu  einem  Bock  zusammengestellt  und  dieser  später 
mittelst  Strohseils  zu  einer  Garbe  zusammengebunden  (Wünschen- 
suhl  bei  Eisenach).  Oft  besteht  der  Bock  nur  aus  zwei  Gelegen, 
die  Arbeit  des  Aufsetzens  heißt  „böckeln'']  oder  das  mittelste 
Gelege  ist  Bock  und  in  den  letzten  Bock  wird  ein  grünes  Reis 
gesteckt  (Unterellen  a.  d.  Elda).  In  der  Ereisdirection  Dresden 
bleibt  (Oelsnit2  bei  Großenhain)  das  Haidekom  in  Schwaden 
liegeü  und  wird  dann  in  „  Böckchen "  gesetzt.  Um  Krems  (Nieder- 
östreich)  setzt  man  auf  9  nebeneinandergestellte  Garben  die  zehnte 
als  Hut.  Diese  Form  der  Aufstellung  bezeichnet  man  als  Korn- 
bock  oder  BockerL  ^  Eine  andere  Uebertragung  der  Benennungen 
des  dämonischen  Getreidenumens  findet  statt  auf  die  Personen, 
welche  die  letzten  Halme  geschnitten,  resp.  die  letzte  Garbe 
gebunden  haben.  Der  Binderin  ruft  man  zu  „du  bist  Äustbock^^ 
(Amt  Grabow  Mecklenburg).  In  der  Gegend  von  Uelzen  (Hanno- 
ver) beginnt  das  Fest  des  Großaust  mit  dem  Bringen  de^  Ernte- 
bockSy  d.h.  die  Schnitterin,  welche  die  letzte  Garbe  band,  wird 
mit  Stroh  ummckelt,  mit  einem  Erntekranz  gekrönt  und  so  auf 
einer  Schiebkarre  ins  Dorf  gefahren,  wo  alsbald  ein  Kundtanz 
beginnt.  Auch  um  Lüneburg  wird  die  Binderin  des  Letzten  mit 
einem  Aehrenkranze  geziert  und  Kortibock  geheißen;  ganz  ähn- 
lich führten  in  Unterfranken  (Gerolzheim)  Schnitter  und  letzte 
Garbe  den   gleichen  Namen  Bock.    Auch  in  Kauton  St.  Gallen 


1)  Nach  Grimin  D.  W.-B.  II,  204  heißt  irgendwo  Bock  auch  die  erste 
Armvoll  Gotreido,  die  man  nach  Beendigung  des  Schnitts  aufsetzt;  es  ist  wol 
die  letzte  geschnittene. 

2)  E.  Landsteiner  Reste  des  Hoidenglaubens  in  Niederöstreich  S.  65. 


Bocksgestaltige  Korn-  und  Feldgeistor  in  Nordeuropa.  165 

(Ctem.  Henan)  ruft  man  Korngeiß,  RoggengeijS  oder  einfach  Geiß 
(Goaß)  die  Person,  welche  auf  dem  Ackerfelde  die  letzte  Hand- 
voll Aehren  schneidet,  welche  zuletzt  ablegt  oder  den  letzten 
Erntewagen  in  die  Scheuer  führt.  Im  Bezirk  Tobel  (Thurgau) 
wird  sie  Kornbock  geheißen,  gleich  einer  Geiß  am  Halse  mit 
einer  Almglocke  behängen,  im  Triumphe  umhergefUhrt  und  mit 
Getränk  überschüttet.  Auch  in  Kr.  Graz  (Steiermark)  ist  Kam- 
bocky  Haberbock  u.  s.  w.  der  Schnitter  des  Letzten.  In  der  Regel 
verbleibt  der  Name  Kornbock  u.  s.  w.  seinem  Träger  ein  ganzes 
Jahr  bis  zur  nächsten  Ernte,  gradeso  wie  der  Maigraf,  Maikönig 
seine  Würde  ein  Jahr  lang  behält.     (Vgl.  Bk.  606.  612). 

Der  in  den  letzten  Halmen  des  Ackerfeldes  erhaschte  Bock 
(Geiß)  überwintert  nach  einer  Vorstellung  auf  dem  Gehöfte  des 
Bauern.  Danach  hat  die  Feldmark  jedes  Ackerwirts  ihren  beson- 
deren Getreidedämon.  Nach  anderer  Betrachtungsweise  ist  der- 
selbe jedoch  das  Numen  des  gesammteu  Komwuchses.  Durch 
die  vollendete  Ernte  von  dem  Acker  des  einen  Landmanns  ver- 
trieben flüchtet  er  natürlich  in  das  noch  unabgemähte  Feld  des 
zunächst  Wohnenden.  Dies  wird  symbolisch  in  der  Emtesitte 
auf  der  Insel  Skye  an  der  schottischen  Küste«  dargestellt.  Der 
Grundbesitzer,  welcher  zuerst  mit  dem  Kornschnitte  fertig  wird, 
sendet  einen  Mann  oder  ein  Mädchen  zu  dem  nächsten  Nachbar, 
der  noch  nicht  fertig  ist,  mit  einem  Bund  Aehren;  dieser  schickt 
dasselbe,  sobald  er  fertig  wurde,  zu  seinem  Nachbar,  der  noch 
ungeemtete  Felder  hat,  und  so  fort,  bis  im  ganzen  Dorfe  die 
Ernte  vollendet  ist.  Jenes  Aehrenbund  heißt  goabhir -bhacagh 
d.  L  die  lahme  Geiß,^  Lahm  heißt  die  Geiß,  weil  dem  Dämon 
durch  das  Fortnehmen  des  Getreides  ein  Teil  seiner  Kraft  ent- 
zogen wurde.  Wenn  im.  Böhmer  Walde  zwei  Hausbesitzer  zu- 
gleich einfahren,  so  wetteifern  sie  zuerst  nach  Hause  zu  kommen. 
Wer  zuletzt  ankommt,  dem  setzen  die  Dorfbursche  in  der  fol- 
genden Nacht  aufs  Haus  die  Haber geiß,  eine  kolossale  Strohfigur 
in  Gestalt  einer  Ziege,  die  von  einem  Ende  des  Daches  bis  zum 
andern  reicht  Darauf  sitzt  em  kolossaler  Strohmann,  in  der 
einen  Hand  eine  Geißel,  in  der  andern  einen  Knüttel* 


1)  Gentlemans  Magazine.     Febniary  1795,  p.  124  bei  Brand  pop.  antiqu. 
ed.  EUiß.  II.  24. 

2)  J.  Rank  aus  dem  Böhmerwalde  S.  110. 


166  Kapitel  lU.  Die  wilden  Leate  der  antiken  Sage  IL 

Der  Kombock  ist  die  Seele,  das  Nomen  der  Pflanze  und 
kann  deshalb,  wie  die  Dryas,  bald  in  und  mit  derselben  lebend, 
bald  aus  ihr  heraus  und  neben  sie  hin  heraustretend  voi^stellt 
werden.  Im  ersteren  Falle  modifizieren  sich  die  bisher  betrachte- 
ten Anschauungen  dahin,  daß  der  Dämon  nicht  nach  der  Ernte 
fortlebend,  sondern  mit  dem  Korne  zugleich  sterbend,  durch  die 
Sichel  oder  Sense  getödtet  gedacht  wird.  Im  Kreise  Bemkastel 
(Kbz.  Trier)  wird  durchs  Loß  bestimmt,  in  welcher  Reihe  die 
Schnitter  auf  einander  folgen.  Der  erste  heißt  der  Vorschnitter, 
der  letzte  der  Schwangpräger.  Vorsichtig  teilt  man  das  Feld  in 
gleiche  Gänge  ein,  damit  der  eine  nicht  mehr  zu  tun  bekommt 
als  der  andere.  Holt  ein  Schnitter  seinen  Vordermann  ein,  so 
schneidet  er  rasch  an  ihm  vorbei  und  biegt  dann  so  um,  da£  ftlr 
diesen  ein  kleiner  bloßgelegter  Streifen  (die  Insel  jenes  norvegi- 
schen  Berichtes  o.  S.  161)  übrig  bleibt,  „  die  Geiß}^  Das  begeg- 
net nur  unbeholfenen  oder  unaufmerksamen  Schnittern.  Hat  man 
aber  einem  „die  Greiß  geschnitten/^  so  bleibt  dieser  den  ganzen 
Tag  dem  Gelächter  ausgesetzt  und  muß  spitzige  Reden  hören. 
Ist  der  Schwaneträger  so  weit  vorgedrungen,  dann  y, schneidet  er 
der  Geiß  den  Hals  ah.^*  In  der  Dauphin^  (Umgegend  von  Gre- 
noble)  schmückt  man  vor  Beendigung  des  Komschnitts  eine 
lebendige  Ziege  mit  Blumen  und  Bändern,  und  läßt  sie  in  das 
Feld  laufen.  Die  Schnitter  eilen  hinterher  und  suchen  sie  zu 
haschen  (sie  stellt  ja  den  vor  der  Sichel  entweichenden  therio- 
morphischen  Komdämon  dar).  Ist  sie  gefangen,  so  hält  die 
Bäuerin  sie  fest,  indeß  der  Bauer  ihr  deti  Kopf  abschneidet. 
Vom  Fleische  wird  die  Emtemahlzeit  ausgerichtet.  Ein  Stückchen 
desselben  pökelt  man  ein  ^nd  bewahrt  es^  bis  zur  nächsten  Ernte 
wieder  eine  Ziege  geschlachtet  unrd.  Dann  essen  alle  Arbeiter 
davon.  Noch  denselben  Tag  verfertigt  man  aus  dem  Ziegenfell 
ein  Mäntelchen,  manteau,  das  der  mitarbeitende  Hausherr  zur 
Erntezeit  stäts  tragen  muß,  wann  Regen  oder  schlechtes  Wetter 
eintritt  Bekommt  ein  Arbeiter  Kreuzschmerzen  u.  dgl.,  so  giebt 
man  statt  des  Herren  ihm  das  Mäntelchen  zu  tragen. 

Doch  ist  es  auch  damit  der  Verschiedenheit  der  Auffassungen 
nicht  genug.  Eine  neue  Anschauung  läßt  den  beim  Komschnitt 
eingefangenen  Dämon  im  Getreide  der  Scheuer  sich  verstecken 
und  erst  beim  Ausdrusch  im  letzten  Gebunde  zum  Vorschein 
kommen.    Deshalb   wiederholen    sich   beim  Dreschen  alle  jene 


Bocksgostaltigc  Korn-  und  Feldgcister  in  Nordeuropa.  167 

Züge,  welche  wir  beim  Kornschnitt  beobachteten.  Bemerkens- 
wert scheint  die  Sitte  von  Tiefenbach  (Oberpfalz).  Die  Haber- 
geiß zeigt  nämlich;  sobald  der  Moment  des  Äusdreschens  naht, 
ihre  eigene  Gegenwart  an.  Am  Tage,  bevor  das  letzte  Getreide 
aiLSgedroschen  wird,  macht  sich  der  Oberknecht  eine  hölzerne 
Geißy  hängt  sie  sich  an  einem  Bande  über  die  Schalter  und 
nimmt  sie  zwischen  die  Beine.  Er  selbst  verkleidet  sich  und 
bedeckt  sich  und  die  Geiß  mit  einem  großen  Mantel,  so  daß  man 
seiner  Füße  nicht  ansichtig  wird,  und  es  den  Anschein  hat,  als 
reite  er  wirklich  auf  der  Geiß.  So  reitet  er  zuerst  zur  Bäuerin 
und  meldet  ihr,  daß  morgen  ausgedroschen  werde,  sie  also  zum 
„Ausdrisch"  (Festmahl  bestehend  aus  Mehlspeise  von  4  Getreide- 
sorten) sich  richten  möge.  Dann  zieht  er  von  Haus  zu  Haus, 
ruft  zum  Fenster  hinein  „HobagoajS!^^  und  benennt  dabei  die 
Bauern,  bei  denen  gedroschen  wird.  ^  Eigentlich  jedoch  ist  der 
Bock  in  dem  zum  Ausdrusch  kommenden  Getreide  verborgen. 
Dies  sagt  deutlich  die  Sitte  bei  der  Buchweizenemte  zu  Marktl 
und  Umgegend  in  Oberbayem.  Die  Garben  werden  unter  den 
Aehren  gebunden  und  aufrecht  hingestellt.  Die  Garbe  heißt 
Halmbock  oder  auch  nur  Bock,  Die  Halmböcke  werden  auf 
freiem  Felde  in  einen  großen  Haufen  zusammengelegt  und  dann 
von  zwei  einander  gegenüberstehenden  Drescherreihen  ausgeklopft, 
wobei  sich  die  Nachbarn  gegenseitig  unterstützen.  In  dem  wäh- 
rend der  Arbeit  gesungenen  Liede  heißt  es: 

Dal  dal  inn  halm  drin 
dal  dal  is  dr  Halmbock  drin, 
dal  dal  hän  i  cinigschaut, 
dal  dal  wars  laut.* 

d.  i. 

Dort,  dort  im  Halme  drin 
Dort,  dort  ist  der  Ha  Im  bock  drin; 
Dort,  dort  hab'  ich  hineingeschaut, 
Das  war  ein  schöner  Anblick! 

Wenn  der  letzte  Bock  auf  den  Haufen  geworfen  wird,  sagen  sie : 


1)  Schönwerth  a.  d.  Oberpfalz  I,  S.  402. 

2)  Vgl.  Schmeller  W.-B.  I,  347  (N.  Ausg.  I,  475)  da-1,  da-n  dort, 
damals.  Ebendas.  II,  515  —  16  (N.  A.  I,  1530)  laud,  laut  aufifallend,  wol- 
tönend,  schönschmeckcndi  schön  anzusehen,  prächtig. 


168  Kapitel  III.   Die  wilden  Lc^ute  der  antiken  Sage  II. 

Hab'  mor  emal  nix  meer  ghabt, 
habms  uns  en  alto  gaos  herbracht 
and  en  bock  ach! 

Hopsasa! 
d.  i. 
Haben  wir  einmal  nicht  mehr  gehabt, 
Da  haben  sie  uns  'ne  alte  Geiß  hergebracht 
Und  'n  Bock  auch. 

Hopsasa! 

Dieser  letzte  Bock  wird  mit  einem  schönen  Kranze  von  Amberten 
(Ampferstaaden?  Laubbirken?  betola  ovataV)  Veildien  und  atidern 
schönen  Blumen  sodann   mit  einer  Schnur  von  Kuchen  behängt 
und  schön  in  die  Mitte  des  ausgedroschenen  Haufens  geworfen. 
Nun  fallen  einige  darauf  und  reißen  das  Beste  heraus,   andere 
aber  schlagen  mit  ihren  Drischein  zu,  daß  es  oft  schon  blutige 
Köpfe  gesetzt  hat.    Dieses  Dreschen  des  letzten  Halmbocks  heißt 
xor*  ^^o^r/v  Drasch;  dabei  läßt  jede  der  einander  gegenüberstehenden 
Beihen  ihre  Drischein  zu  gleicher  Zeit  fallen ,  indem  in  gereimten 
gegenseitigen  Spottreden  ein  Teil  dem  andern  vorwirft,  was  jeder 
sich  das  Jahr  über  hat  zu  Schulden  kommen  Uissen.  ^    Im  Ober- 
inntal (Tirol)  wird  der  letzte  Drescher  Bock  genannt  *    Wer  in 
Tettnang  (Würtemberg)  bei  der  letzten  Komlage,  bevor  dieselbe 
gewendet,  den  letzten  Streich  mit  dem  Flegel  tut,  heißt  der  Bock, 
Man   sagt    „cfer  hat  den  Bock  verschlafen  !^^     Wer  dann  nach 
dem    Umwenden    den    allerletzten   Schlag   tut,    wird    die   Geiß 
genannt.^    Hier  wird  deutlich  ein  Paar  von  Komgeistem,  Bock 
und  Ziege,    als  Inwohner  des  abgeschnittenen  Getreides  gekenn- 
zeichnet.   Li  Fruchtlaching  a.  d.  Spitze  des  Chiemsees  wird  [um 
anzudeuten ,  daß  er  das  Numen  des  Kornes  darstelle]  ein  Knecht, 
der  yjHaring^^  d.  i.  magere  Person,  in  die  zuletzt  ausgedrosdiene 
Garbe  gebunden   und   dann  mit  Peitschenhieben  auf  der  Tenne 
umhergetrieben.    Mager  heißt  er  augenscheinlich,  weil  der  Dämon 
durch  Verlust  der  Kömer  seine  Fülle  verloren  hat,   dünn  >vird, 
wie  ein  ausgenommener  Häring.    In  einigen  Orten   des  Bezirks 
Traunstein  (Oberbayem)  pflegen  sich  bei  dem  auf  das  Dreschen 
folgende  Mahl  einige  Personen  zu  vermummen,  und  besonders  den 
Kindern  nachzusetzen,   schließlich   dieselben,   falls  sie  als  brav 


1)  Panzer  Bcitr.  z.  D.  M}'th.  II,  225—229,  421. 
2}  L.  V.  Hörmann,  der  heber  gät  in  litum  35,  68, 
3)  £.  Meior  Sagen  a.  Schwaben  S.  4i5,  162. 


Booksg^taltige  Korn-  und  Foldgcisier  in  Nordonropa.  169 

befunden  werden,  mit  Obst  und  Spielsaclien  zu  belohnen.  Diese 
Vermummten  heißen  Hoher geiße. 

Das  ergriflFene  Korntier  wird  dem  Nachbar  zugeschoben.  Im 
Franche  Comte  (D6p.  Jura)  setzen  die  jungen  Leute  sofort  nach 
beendigtem  Ausdrusch  dem  Nachbar,  der  noch  nicht  fertig  ist, 
eine  Ziege  von  Stroh  (chevre  de  paille)  auf  den  Hof.  Er  muß 
das  Geschenk  mit  einer  Gegengabe  von  Wein  oder  Geld  entgel- 
ten. Bei  Ellwangen  (Neueuheim)  in  WUrteraberg  verfertigt  man 
beim  Dreschen  aus  dem  letzten  Gebunde  Korn  einen  liockd 
(Bock),  i^hdem  nier  Stecken  die  FüjSe,  zwei  Stecken  die  Härner 
bilden  und  eine  mit  Stroh  ausgestopfte  Zipfelmütze  untergebunden 
tvird.  Wer  den  letzten  streich  mit  dem  Flegel  macht,  muß  die- 
sen Bock  dem  noch  dreschenden  Nachbar  in  die  Scheune  werfen; 
wird  er  dabei  erwischt,  so  bindet  man  ihm  den  Bockel  auf  den 
Kücken.  Zu  Indersdorf  in  Oberbayera  werfen  nicht  minder  die 
Dienstboten,  wenn  sie  früher  ausgedroschen  haben ,  dem  Nachbar 
fneckernd  einen  aus  Stroh  geformten  Bock  in  die  Scheuer.  Der 
dabei  erwischte  Knecht  (oder  Magd)  wird  im  Gesicht  geschwärzt 
und  ihm  der  Bockel  auf  den  Rücken  gebunden.  ^  Bei  Zabem 
(Elsaß)  dagegen  setzen  die  Nachbarn  demjenigen,  der  gegen  sie 
8  — 14  Tage  mit  dem  Dreschen  im  Rückstande  ist,  einen  wirk- 
lichen ausgestopften  Ziegenbock  oder  Fuchs  vor  die  Tür.  Statt 
des  wirklichen  Tiers  stellt  dann  im  Mtihlviertel  (Oberöstreich) 
eine  symbolische  Miniaturgestalt  den  Komdämon  dar,  indem  man 
nach  Beendigung  des  eigenen  Ausdnisches  dem  noch  unfertigen 
Nachbar  als  „UabergeiJ^'  einen  ausgehöhlten,  mit  Weizenkörnem 
gefüllten  j  mit  drei  Spänchen  als  Füßen  versehenen  Erdapfel 
schickt.  *  Diese  dreifüßige  Habergeiß  entspricht  der  schottischen 
lahmen  Geiß  o.  S.  165. 

Endlich  tritt  auch  hier  beim  Dreschen  die  Vorstellung  ein, 
daß  durch  dasselbe  die  Komgeiß  des  alten  Jahres  getödtet  werde. 


1)  Panzer  Beitr.  z.  D.  Myth.  II,  224,  420. 

2)  Bemerkbar  sind  antike  Analogion.  Die  Athener  opferten  dem  Hera- 
klos Alexikakos  statt  des  entflohenen  Ochsen  einen  Apfel  \^filov)  mit  4 
Zweigen  izA«Jo/)  als  Beinen  und  zwei  Hörnern.  (Zenob.  Cent,  V,  22.)  Die 
Lokrer  anoQoOvr^g  jiüxt  (ioog  nQog  örjuankrj  iH^aiuv ,  aixvoig  vnod^^vr tg 
li.'A«  uixQtc  x((l  ayi]uuT(aavTtg  ßniyv ,  oi'tm  tö  IHio^v  ^x^tQfimvaav.  (Ze- 
nob. Cent.  V,  5.)  Vgl.  Hermann  Gottesd.  Altert.  Th.  II,  c.  II.  §.  25,  14.  Vgl. 
die  Darstellung  des  Todes  in  Nürnberg.    Bk.  412. 


170  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  IL 

Im  Bezirk  Traunstein  (Oberbayem)  meint  man  von  der  letzten 
Hafergarbe,  in  ihr  stecke  die  Udbergeißy  die  so  letz  (verkehrt, 
nicht  geheuer)  ist.  Abgebildet  wird  diese,  indem  man  einen 
alten  Rechen  aufstellt,  einen  alten  Topf  als  Kopf  darüber  stülpt 
und  ein  altes  Leintuch  darauf  hängt.  Den  Kindern  wird  die 
Aufgabe  gestellt,  „die  Haber geiß  zu  erschlagen}^  Selbst  hiemit 
ist  der  Kreis  der  auf  den  Dämon  bezüglichen  Vorstellungen  noch 
nicht  beendigt.  Auch  die  Wendung  nimmt  die  Yorstellong  von 
ihm,  daß  das  Korn  eigentlich  sein  Eigentum,  seine  Nahrung  sei 
und  daß  er  in  der  Ernte  von  den  Menschen  darum  beraubt 
werde.  Nach  dieser  Vorstellung  bleibt  er  über  Winter  auf  dem 
Felde,  und  so  wird  völlig  verständlich  sein,  weshalb  man  noch 
vor  20  —  80  Jahren  zu  Wannenfeld  bei  Gardelegen  und  zwischen 
Salzwedel  und  Calbe  die  letzten  Halme  unabgeschnitten  auf  dem 
Acker  stehen  ließ  mit  den  Worten:  „Do^  sali  de  Bück  heihol- 
len!''  (Das  soll  der  Bock  behalten!)  Wenigstens  ein  kleiner 
Best  soll  ihn  gegen  das  Verhungern  schützen.  Nach  sicheren 
Analogien  dürfen  wir  diese  Vorstellung  dahin  ergänzen,  daß  der 
Bock  dem  Bauern  über  Winter  in  die  Scheune  falle  und  sie  von 
Korn  leer  fresse,  wenn  ihm  dieser  Rest  nicht  bleibe.  ^ 

Ein  Unbekannter,  Fremder,  welcher  an  einem  Emtefelde 
vorüberging,  kam  in  den  Verdacht,  flir  den  entweichenden 
Getreidedämon  gehalten  zu  werden.  Hieraus  möchte  ich  die 
süderditmarsische  Sitte  erklären,  daß  alle  zur  Erntezeit  auf  dem 
Felde  Beschäftigten,  wenn  ein  Fremder  vorbeikommt,  wie  aus 
einer  Kehle:  „Horbuck!  Horbuck!"  schreien.  Im Schleswigschen 
(Eiderstedt,  Husum,  Tondern)  ertönt  beim  Rappsaatdreschen,* das 
meistenteils  auf  dem  Felde  geschieht,  derselbe  Ruf,  falls  der 
Fremde  nicht  seinen  Hut  zieht. 

Schon  vorhin  lernten  wir  den  Kombock  sls  nächstverwandt  oder 
identisch  mit  dem  im  Wachstum  des  Waldes  waltenden  Bocke  kennen. 
Dasselbe  Ergebniß  gewährt  eine  niedersächsische  Sitte.  Zu  Sievem 
bei  Stade  binden  einige  Leute  am  Weihnachtsabend  Stroh  um  ihre 
Obstbäume.  Man  nennt  dieses  Verfahren:  „rfß  Böm  hi  den  Buch 
bringen'^  und  erhofft  davon  einen  besonders  ergiebigen  Frucht- 
ertrag. Damit  stimmt  die  westfälische  Redensart:  „de  Böm 
hocket, ^^   wenn  der  Wind  in  den  Zwölften  so  recht  mit  den  Bäu- 


1)  M.  Korndämonen  S.  8.  32. 


Bocksgestaltige  Korn-  und  Feldgeister  in  Nordenropa.  171 

men  geht,  nun  gebe  es  im  nächsten  Jahre  reichlich  Obst,  sowie 
die  schwäbische  und  westfälische:  „die  Bäume  rammelet,  es 
giebt  wieder  Obst."  *  (Cf.  Rammel  Schaftock  und  „der  Bock 
rammelt"  aries,  caper  coit.)  Hier  haben  wir  das  genaue  Gegen- 
bild des  im  Winde  um  die  tanzenden  Dryaden  werbenden  Pans 
(o.  S.  131),  der  mit  den  Baumnymphen  buhlenden  Seilene 
(o.  S.  141). 

Es  war  sicherlich  nur  Zufall,  daß  bis  jetzt  so  geringe  Spu- 
ren des  Crrasbocks  oder  Heuboeks  neben  dem  Baum-  und  Kam- 
hock  in  unsem  Quellen  aufgetaucht  sind.  Auf  dem  Schwarzwalde 
heißt  der  letzte  Wagen  Heu  die  Heugeiß.  Nachher  werden 
Kuchen  gebacken,  an  Wein  Ueberfluß  aufgetragen,  damit  „die 
Heugeiß ^^  recht  getrunken  werden  könne;  man  lädt  Bekannte, 
besonders  auch  die  Mähder,  zum  Schmause  ein.  ^  Nach  diesem 
Brauche  dürfen  wir  den  Grasbock  um  so  gewisser  nach  Analogie 
anderer  Grasdämonen  (Heupudel,  Heukatze,  Heumockel,  Heuhahn, 
Grummetkerl  u.  s.  w.)  voraussetzen,  als  J.  Grimm  D.  WB.  H,  204 
Bock  auch  als  figürliche  Bezeichnung  für  einen  Heuhaufen  anflihrt. 
Hiemit  stimmt  die  zu  Rimberg  von  Weibsleuten,  welche  beim 
Grasschneiden ,  Heumachen  oder  sonst  auf  dem  Felde  beschäftigt, 
dabei  müßig  zusammenstehen  oder  sitzen  und  plaudern,  gebrauchte 
Redensart:  ,,deti  Bock  schinden,^^  Die  Metapher  will  sagen,  den 
Bock  langsam  und  schmerzhaft  statt  durch  tüchtige  Arbeit  schnell 
und  leicht  zu  Tode  zu  bringen.  ^ 

Wir  sahen  o.  S.  138. 152  ff.,  daß  die  Waldgeister  in  Hausgeister 
tibergingen.  Denselben  Vorgang  können  wir  bei  den  Komdämo- 
nen  beobachten.  Der  Geist  des  Wachstums ,  der  Vegetation,  der 
in  Feld  und  Wald  tätig  ist,  wird  eben  auch  in  Haus,  Viehstall 
und  Komscheuer  segnende  Wirksamkeit  entfaltend  gedacht.  Was 
den  Kornbock  insbesondere  betrifft,  so  heißt  in  Dänemark  der 
Hausgeist,  Nisse,  Gaardbuk  (Hofbock),  Husbuk  (Hausbock). 
Man  muß  also  ehedem  geglaubt  haben,  daß  der  in  Haus  und 
Hof  waltende  Spiritus  familiaris  zeitweilig  in  Bocksgestalt  sicht- 
bar werde,  wie  anderswo  der  kombringende  Kobold  als  Katze, 
Hund,  Hahn,  Huhn  oder  Schlange  sich  sehen  läßt.     Der  Gaard- 


1)  Kuhn  wcstfiil.  Sag.  II,  116,356.    E.Meier  Sag.  a.  Schwab.  258,  288. 
Woeste  in  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  L  394. 

2)  Birlinj,'er  Aus  Schwaben  1874.  II,  333. 

3)  Schmeller  WB.  I,  151.    N.  A.  I,  204. 


17^  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

Mc  futtert  die  Pferde  im  Stall  und  trägt  durch  die  Luft  seiaen 
Verehrern  die  Kornähren  zu,  die  er  der  Scheuer  emeß  bei  ihm 
in  Ungnade  Btehenden  Nachbars  entnimmt.  Dadurch  verhilft  er 
ihnen  zu  großem  Reichtum.  Man  setzt  ihm  als  Opfer  eine 
Schüssel  Grütze  hin  mit  einem  tüchtigen  Stück  Butter  in  der 
Mitte.  ^  Eine  Volkssage  in  Aistrupsogn  erzählt  von  ihm  genau 
dasselbe,  was  die  Tiroler  Sage  (o.  S.  148)  von  der  Fanggin,  die 
griechische  (o.  S.  133)  von  Pan  berichtet.  Auf  einem  Hofe  hielt 
sich  ein  HushuJc  auf.  Die  Leute  versäumten  niemals  ihm  Abends 
Grütze  hinzusetzen  und  ihn  aufs  beste  zu  pflegen.  Zum  Lohne 
daillr  glückte  ihnen  alles  vortrefflich,  und  Geld  strömte  ihnen  von 
allen  Seiten  zu.  Eines  Abends,  als  der  Mann  über  einen  Bach 
heimkehrte,  trat  ein  kleines  Männlein  an  ihn  heran  und  sagte: 
„Sage  doch  Atfod^  wenn  du  heimkommst^  daß  VcUfod  todt  ist.^ 
Als  der  Mann  das  zu  Hause  erzählte,  erhob  sich  der  Husback, 
rief  aus:  „Ist  Vatfod  todt,  so  muß  ich  heim.  Lebt  wohl,  habt 
niemals  Mangel!^'  und  verschwand.  Diesem  £fti$&t<2;  entsprechend 
hat  in  einer  Thüringer  Sage  ein  von  einem  alten  Weibe  zu 
Frauenbreitungen  in  einer  Schachtel  unter  einem  Birnbaum  ver- 
grabener Kobold  von  kohlschwarzer  Leibesfarbe,  glühende  Tetter- 
äugen  (vgl.  o.  S.  112),  Bochhörner  und  Pferdehufe.*  In  Strauß- 
berg besaß  ein  Weber  Kobolde ;  die  ihm  während  der  Nacht  die 
Arbeit  fertig  stellten.  Als  die  Dienstmagd  einmal  durch  die  Tür- 
ritze schaute ,  sah  sie  zwei  Ziegenböcke  am   Wehstuhle  sitzen.  * 


1)  Sv.  Grundtvig  Gamle  Dansko  Minder  i.  Folkemunde  I,  155»  203. 
142,  171.  138,  160.  126,  130. 

2)  L.  Bechstein  Sagonschatz  des  Thüringer  Landes.  IV.  Hildbnrghaa- 
sen  1864,  S.  138. 

3)  Kuhn  mark.  Sag.  S.  191  no.  180.  Die  Richtigkeit  der  obigen  Zusam- 
mensteUungen  scheint  nicht  wenig  dadurch  bewährt  zu  werden ,  daß  dieselben 
Stücke  von  der  Katze,  als  Gestalt  des  Vegetationsdämons,  ausgesagt  wieder- 
kehren. Nur  ganz  kur2,  mit  wenigen  Beispielen  belegt,  sei  diese  Reihe  hier 
vorgefühlt.  Die  Waldgeister,  Fanggen  (Bk.  89.  90)  und  wilden  Weiber 
(Bk.  112)  werden  zeitweilig  als  Katzen  gedacht.  In  Eisfeld  (Herzogt.  Moi- 
ningen)  sagt  man ,  wenn  Kinder  auf  dem  Felde  sind ,  und  nicht  folgen  wol- 
len: „die  Holzkatze  kommt!"  und  auf  dem  Fichtelgobirge  schreckt  man 
die  Kinder  mit  dem  Waldgeist  „Katzenveit"  (Der  Katzenveit  kommt! 
Myth.  *  448).  Im  Bremischen  sagt  man,  wenn  der  Wind  im  Getreide  geht: 
„die  Windkatzen  laufen  im  Getreide,"  „die  Wetterkatzen  sind  im 
Korn."    Gradeso  heißt  es  im  Saterlande,  wenn  im  Frühling  und  Sommer  die 


BocksgeBtalUge  Korn-  and  Fcldgeister  in  Nordenropa.  173 

Wir  verstehen  jetzt  die  von  J.  Grimm  DWB.  II,  203   ange- 
fahrte und  mit   Beispielen  belegte   fränkische   und  schwäbische 


Sonne  heiß  aufs  feuchte  Moor  scheint,  ,.de  Ssummerkatten  lope'*  (Strakerjan 
II,  89,375).      Bullkator,   Wettcrkatzo  sind  weitverbreitete   «.zumal  pomme- 
rische)  Benennungen  fiir  Wind-  und  Wetterwolken.     In  der  Provinz  Sachsen 
sagt   man    daf&r    auch   Murrkater,    schwarze    Kater,    „da    kommt   ein 
schwarzer  Kater  herauf,**  „da. steht  ein  Murrkater,*'  bei  Liegnitz:  „ach  die 
grauen  Wolken,  die  sind  die  rechten  Katzen.**     In  derPropstei  bei  Kiel 
warnt  man  die  Kinder  davor,   ins  Korn  zu  gehen^  ,,da  sitze  der  Bullka- 
ter drin.**  während  in  einigen  Orten  des  Eisenacher  Oberlandes  bei  gleicher 
Gelegenheit  vor  der  Kornkatze  gewarnt  wird.     (Die  Komkatze  kommt  und 
holt  dich.     Merkers  bei  Tiefenort.     Der  Komkater  geht  im  Korn.     Kr.  Butt- 
stedt.)    Der  faule  Schnitter  soll  nicht  mit  der  beliebten  Formel:  „die  Katze 
will   mir   auf  den  Buckel    springen,'*    die  Mühen  der  Arbeit  beklagen 
(Zürich).      Im  Kr.  Freistadt  in  Schlesien    wird    beim   Abmähen    der  Aehren 
„der  Kater  gehascht.**     Auch  beim  Dreschen  heißt  hier  derjenige,  der  den 
letzten  Flegelschlag  tut,  „der  Kater.'*    In  der  Gegend  von  Lyon  heißt  die 
letzte  Garbe  und  das  Emtemahl  le  Chat,    um  Vesoul  sagt  man  beim  Abern- 
ten des  Letzten,    „man  halte    die  Katze  beim  Schwanz"    ^nous  tenons 
le  chat  par  la  queue).     Zu  Brian^on  (Dauphine)  wird  im  Anfang  des  Aehren- 
schnitts  eine  Katze  mit  Bändern,    Blumen    und  Aehren   herausgeputzt  und 
geschmückt.     Sie  heißt    ,,le  chat  de  peau  de  balle."     Wird  während  der 
Ernte  ein  Arbeiter  verwundet ,  so  legt  man  die  Katze  zu  ihm,  damit  sie  ihm 
die  Wunden  lecke.    Am  Tage,    wenn  man   das  Letzte  schneidet,  putzt  man 
die  Katze   abermals    mit  Bändern   und  Aehren;    man  tanzt  und  ist  fröhlich. 
Nach  beendetem  Tanz  wird  die  Katze  von  den  Mädchen  feierlich  der  Blumen 
und  Aehren  entkleidet.     BeiAmiens  sagt  man  statt  die  Ernte  beendigen  „on 
va  bouffer  (tuer)  le  chat.**     Wenn  das  Letzte  geschnitten  ist,  tödtet  der 
Eigentümer  nach  altem  Herkommen  auf  dem  Hofe  eine  Katze.   Wer  in  Grüne- 
berg in  Schlesien  beim  Ernten,  nauiontlich  beim  Kornabschneideu  zuletzt  fer- 
tig wird,    ist  Kater.     Derselbe  wird  bei  her  Domanialemte    mit  Roggen- 
halmen und  mit  grünen  Beisern  umbunden    und  ausgeputzt  und   mit 
einem  langen  geflochtenen  Schwanz    versehen.      Sämmtliche  Emte- 
arbeiter   halten    hinter  ihm   ihren  Einzug  vom  Felde  auf  den  herschaftlichen 
Hof.     Oft  wird  ihm  zur  Gesollschaft  eine  Kitsche  (Katze)  beigegeben,    die 
ebenso  ausgeschmückt  ist.     Beide    werden  übrigens   immer  durch  männliche 
Personen  dargestellt.     Ihre  Hauptaufgabe  ist.  den  in  Weg  und  Sicht 
Kommenden,  namentlich  Kindern,  nachzulaufen  und  sie  mit  einer  gro- 
ßen Rute  zu  hauen    (Englion  und  Lahn  der  Volksmund  I,  1868  S.  235,  8). 
Und  diese  selbe  Gestalt  ging  wieder  zu  Weihnachten  um.    E.  M.  Arndt  (Erinne- 
rungen a.  Schweden ,   Berlin  1818  S.  367  berichtet  (doch  wol  aus  Pommern), 
daß  in  „Nordteutschland'*  zu  Weihnachten,  den  schwedischen  Julböcken  ähn- 
lich, Masken  auftreten,  welche  „mit  einem  mit  Sand  und  Steinchen  gefüllten 
Beutel   und   einer  herzhaften  Birkenrute   bewaffnet  auch  Mädchen - 
und  Knabenschrecken  sind,   und  mit  der  gräulichsten  Zusammensetzung  den 


174  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antikeii  Sage  II. 

Kedensart:   ,,der  Bock  gehet  jemanden  an/'   welche   einerseits 
soviel  bedeutet  als:    „die  Not  ist  groß,"    andererseits:    „er  hat 


Namen  Bullkater  (Arndt  übersetzt  Stierkater)  führen."    In  mehreren  Orten 
des  Kreises  Franzburg,  Rgbz.  Stralsund,  ruft  der  Drescher  seinem  neugieri- 
gen Kinde  zu;  „warte,  der  Scheunkater  wird  dich  kriegen !''   und  in  den 
nämlichen  Orten  geht  zu  Weihnachten   der  Bullkater,   d.  i.  ein  Mann 
mit  einer  fürchterlichen  Larve,  auf  einem  Ziegenbock  reitend,  in  die  Häuser. 
In  Pouilly  (Gegend  von  Dijou)    wird   die   letzte  Garbe  nicht  ausgedroschen, 
sondern  überm  Kamine   aufgehängt   und   bleibt  da,   bis   sie   ganz   schwarz 
geworden  ist.     Unter  das  letzte  Korn,   das  zum  Ausdrusch  kommt, 
legt  man  eine  lebendige  Katze  und  schlägt  sie  mit  dem  Dresch- 
flegel todt  (gewöhnlich  richtet  man  es  so  ein,  daß  der  DrischelschluB  anf 
einen  Samstag  fällt) ,  um  das  Tier  am  Sonntag  als  Festbraten  zu  verschman- 
Ben.    In  Norwegen  im  Stift  Bergen  sagt  man  an  manchen  Orten,  wenn  das 
Dreschen  sich  dem  Ende  zuneigt ,  unter  dem  noch  übrigen  Getreide  liege  ein 
Tier,  ohne  daß  noch  man  die  Gestalt  desselben  anzugeben  wüßte,  während  in 
anderen  Orten  die  erste  auf  die  Tenne  gelegte  Garbe,  also  die  zuletzt  zum 
Ausdrusch  gelangende  Logkatten   (Tennenkatze),   Yorherresbuk    (Herr- 
gottsbock) oder  Stögubben   (der    Stadelalte)   heißt.     Verlangt  jemand  die 
Dreschkatze   (Logkat)  zn  sehen,    so   legt  man  den  Dreschflegel  um 
seinen  Hals  und  kneift  ihn  damit.   Anderswo  geschieht  dies  mit  jedem, 
der   beim   oder   kurz   nach  dem  Ausdreschen  dos  letzten  Gebundes  auf    die 
Dreschdicle  kommt.      Man  nennt   das  „at  give  Laavekat,*'    „han  faar 
Laavekatten.** —  DerKornkatzo  steht  wiederum  eine  Heukatze  zur  Seite. 
„Heukatze*'  heißt  in  schwäbischen  Orten  das  Fest  der  Sichelhenke   (Meier 
Schwab.  Sag.  S.  439.  Birlinger,  aus  Schwaben  U,  333).  Katzen  sind  Gestalten  des 
getreidezutragenden  Kobolds.   Derselbe  zeigt  sich  am  Himmel  als  feuriger  Strei- 
fen, auf  Erden  als  schwarze  Katze  (Kuhn  Nordd.  Sag.  Gebr.  206).    Nach  Stender 
soll  auch  der  lettische  Komalp  in  Gestalt  einer  schwarzen  Katze  von  seinen  Wir- 
ten gehalten  werden.   Vgl.  die  Sage  von  der  Katze,  die  nach  Begehr  ihres  Herrn 
Mäuse,  Roggen  oder  Geld  bringt.  MüUenhofFSchlesw. -Holst.  Sag.  n.  281.  Hexen 
und  Hausgeister  lieben  Katzcngestalt;  Katzen  wie  Hausgeister  heißen  Hinz,  Hin- 
zelmann;  einen  Katzobutz,  Katzebutzerole  wies  J.  Grimm  (Myth.  *  474),  einen 
KazroU  ich(Zs.f  D.Myth.II,197)  nach.—  Dieselbe  Geschichte,  welche  wir  oben 
an  den  Gaardbuk  geknüpft  sahen,  ist  bereits  Bk.  S.  93  aus  England  und  Deutsch- 
land von  der  Katze  nachgewiesen.    Vgl.  noch:  Ein  Bauer  bei  Tabor  in  Böh- 
men erschlug  seinen  alten  Kater ,   worauf  die  junge  Katze  das  Haus   verließ 
und  an   der  Brücke  dem   vorüberfahrenden  Postillion  zurief:    gehe    in  jenes 
Wirtshaus  und  sage  dem  Kater ,    er  möchte  heut  Nacht  zur  Leiche  kommen, 
der  Mirermauer  (alter  Kater)  sei  gestorben.    Der  Postillion  vollzog  staunend 
den   Auftrag.     Des  Wirten  erschlagener  Kater  war  verschwunden,    erschien 
seinem  Mörder  aber  jedesmal,    so   oft  er  durch  einen  Wald   ging,    in 
Gestalt    eines   großen   Mannes  mit   broitkrämpigem  Hut  und  langem  Stabe. 
Vemaleken  Mythen  u.  Bräuche,  1859,  S.  26,  8.    Ein  Mahlgast  aus  Dubna,  der 
in  die  Kreseyner  Mühle  ging,  sah  am  Berge  Bohatec  eine  große  Schaar  Katzen, 


Bocksgestaltige  Eom-  und  Fcldgeister  in  Nordeoropa.  175 

vid  Geld  eingenommen,"'  „er  hat  recht  Glück  gehabt."  Ganz 
ähnlich  geht  der  Getreidehahn  in  den  unter  Hahngestalt  weizen- 
speienden Drachen,  oder,  was  dasselbe  ist,  in  den  als  Hahn 
resp.  Huhn  erscheinenden  kom  -  oder  geldtragenden  Kobold  über.  * 
Wenn  dieser  Dämon  und  die  ihm  entsprechenden  Geister  ihren 
Besitzer  oder  Verehrer  reich  machen ,  ihrem  Verächter  aber  die 
Scheuer  ausleeren,  um  die  Frucht  ersteren  zuzutragen,  so  stimmt 
das  genau  zu  dem  Zuge,  daß  der  Komdämon  dem  Bauer,  der 
ihm  nicht  etwas  von  der  Ernte  als  Speise  auf  dem  Felde  stehen 
läßt,  die  Scheune  leer  frißt.  ^  Andererseits  erscheint  der  kom- 
stehlende  oder  konibringende  Kobold  (Stepke)  oftmals  so  ent- 
schieden identisch  dem  das  Heu  oder  die  Aehren  vom  Felde  ent- 
führenden, dem  befruchtenden  Gewitter  oder  dem  die  Ernte  ver-- 
Dichtenden  Hagelwetter  voraufgehenden  Wirbelwinde,  daß  der 
im  Wind  sein  Leben  bekundende  Komdämon  auch  von  dieser 
Seite  her  bis  auf  das  engste  mit  dem  Drachen  oder  Kobold  sich 
berührt.  Aus  der  zürnenden  oder  schädlichen  Aeußerung  dieser 
Naturmacht  möchte  ich  daher  die  Sage  vom  Pilwiz  entstanden 
glauben,  der  wie  Waldgeister  im  Baume  (pilbisbaum)  seinen  Sitz 
hat  (Myth.  *  442),  im  Stall  die  Pferde  besorgt,  ihnen  die  Mähnen 
flicht,  zugleich  aber  mit  einer  Sichel  an  den  Füßen  die  reifenden 
Getreideäcker  durchschreitet.  Auf  dem  Teil  des  Feldes ,  den  er 
umgrenzt  hat,  werden  die  Halme  braun,  alle  Aehren  kömerleer, 
oder  alle  Kömer  fliegen  beim  Dreschen  durch  die  Luft  in  seine 
Scheuer,  oder  in  die  des  Bauern,  dem  er  als  Hausgeist  dient, 
wenn  er  nicht  euhemeristisch  als  Zauberer,  sondern  sachgemäßer 
als  elbisches  Wesen  aufgefaßt  wird.*     Der  Bilwisschnitt  heißt 


aus  der  ein  Kater  ihm  zurief:  „  Sage  dem  Wau,  er  solle  morgen  zumBegräb- 
niß  kommen."  In  der  Mühle  erzählt  er  dies  dem  Altgesellen ,  da  springt  ein 
alter  Kater  vom  Gesimse  und  fährt  durchs  Fenster  auf  Nimmerwiedorsehn. 
Krolmus  8t«rocesk.  povest.  II,  42.  Grohmann  Sag.  a.  Böhmen  S.  227.  Ein 
Webergeselle  zu  Bamberg  stand  mit  der  großen  grauen  Katze  seines  Mei- 
sters in  besonders  gutem  Einvernehmen.  Sie  war  ein  Teufel,  der  für  den 
Gesellen  die  Arbeit  tat.  Als  der  Meister  einmal  Nachts  in  die  Werkstnbe 
guckte,  sah  er  die  Katze  am  Webstuhl  sitzen  und  mit  ihren  Füßen  das 
öchifiFlein  rasend  hin-  und  herwerfen.    Panzer  II,  59,  7G. 

1)  S.  Komdämonen  S.  18  ff.  41  Anm.  54. 

2)  Korndämonen  S.  8.  25.  32. 

3)  Vgl.  Myth.  2  441—445.    Simrock  Handb.  d.  d.  Myth. «  459.    Feifalik 
in  Zs.  f.  östorr.  Gymnas.  1858  S.  406  ff. 


tt^  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  11. 

auch  BocJcsschnitt ,  ^  weil  der  Bilwisschnitter  auf  einem  Bocke 
reitend  und  Hörner  wie  der  Teufel  auf  dem  Kopfe  durch  den 
Roggen  reitet;  wo  er  reitet,  gehört  alles  sein.  Oder  er  schwebt 
über  den  Aeckem,  die  Sdmittsicliel  am  Geißfüße,  und  wo  der 
Fuß  anstreift,  werden  die  Aehren  bis  zur  Hälfte  des  Halmes  ab, 
dieser  aber  schwarz.  *  Der  Kombock  oder  halbbockgestaltige 
Komgeist  selber  —  so  scheint  es  —  schafft  in  seinem  Zorne  das 
Gegenteil  seiner  sonstigen  Wirkungen,  taube  Aehren  oder  Krank- 
heit der  Halme.  Der  Bockreiter  ist  nichts  als  ein  von  der  Glie- 
dermischung abweichender  Versuch,  den  Anthropopathismns  des 
Getreidebocks  zur  Anschauung  zu  bringen. 

Stellt  der  Bockschnitter  —  falls  wir  Hecht  haben  —  die 
Kehrseite  der  Vorstellungen  vom  komzutragenden  Kobolde  dar, 
so  begegnet  uns  namentlich  in  der  Schweiz  und  Frankreich  die 
Ziege  ganz  in  der  Itolle  des  die  Geschicke  des  Hauses  und  der 
Familie  bewachenden  Hausgeistes.  So  erscheint  am  Fenster  des 
Schlosses  von  Gtimoens  im  Canton  Waadt  jedesmal  eine  weiße 
Ziege, ^  so  oft  den  Bewohnern  der  Landschaft  ein  freudiges 
Ereigniß  bevorsteht.  *  Nicht  selten  haben  ganze  Dörfer  einen 
gemeinschaftlichen  Gemeindekobold,  „servant."  Derjenige  des 
Waadtländischcn  Dorfes  Beiair  wälzte  sich  bald  als  Kugel  (vgl. 
0.  S.  99.  157)  rings  um  den  Kirchhof,  bald  ließ  er  sich  in 
Gestalt  eines  kopflosen  Schinmiels,  einer  Geiß  oder  eines  unge- 
schwänzten Hundes  sehen.  ^  Auch  in  anderen  Gegenden  glaubt 
man  an  solche  tiergestaltige  Geister  der  Gebäude  und  der 
Gemarkung,  genii  loci,  nur  daß  ihre  Bedeutung  als  Schutzgeister 
nicht  mehr  so  erkenntlich  auf  der  Hand  liegt  Sie  treten  oft  als< 
Bockreiter    oder   Böcke   auf.      Zwischen    Sissach    und    Thümen 


1)  Schmeller  WB.  I,  151.  N.  A.  I,  204.    Myth, «  445. 

2)  Schönwerth  Aus  der  Oberpfalz  I,  S.  427.  429.  Panzer  Beitr.  z.  d. 
Myth.  I,  S.  240,  266.    II,  209,  370. 

3)  D.  Monnier  et  A.  Vingtrinier  traditioDS  populaires  comparees.  Paris 
1854,  ö.  679. 

4)  Hiezu  vgl.  die  Sage,  daß  zu  Vallorbe  (Neufchatel)  eine  Fee  mit  einer 
Heerde  weißer  Ziegen  aus  dem  Berge  herauskommt,  um  ein  fruchtbares 
Jahr  anzukündigen,  ihre  Tiere  sind  schwarz,  wenn  Mißwachs  eintreten  soll. 
Monnier  a.  a.  0. 

5)  VuUiemin  Canton  de  Vaud  2.  Abt.  2.  p.  37  bei  Rochholz  Aargaus. 
I,  130. 


Bocksgestaltige  Korn-  und  Fcldgeister  Id  Nordonropa.  177 

(Canton  Basellaud)  reitet  eine  weißgekleidete  Jungfrau  auf  einem 
Ziegenbocke  den  Bach  entlang  mit  fliegenden  Haaren  im  Mond- 
schein. ^  Im  Hügel  bei  Zunzgen  (Baselland)  hält  sich  eine  gol- 
{Jene  Jungfrau  mit  einem  Ziegenbock  au/*,  auf  welchem  sie  am 
Weihnachtsmorgen  an  den  Bach  reitet,  sich  wäscht  und  die 
Haare  strählt.  ^  In  der  Johanniskirche  der  Neustadt  zu  Werni- 
gerode zeigt  sich  ein  Ziegenbockreiter ,  besonders  um  Weihflach- 
fen,  winkt  den  Kindern  aus  der  Kirche  und  reitet  ins  Johannis- 
tor.  *  Auf  dem  Schloßberge  bei  Ilsenburg  sieht  man  bei  hellem 
Tage  einen  Bockreiter,  Das  Volk  hält  daltir,  er  sei  der  Geist 
eines  ungerechten  Gerichtsherrn.  *  Auf  dem  Knüppeldamm  bei 
Stolberg  geht  ein  Ziegenbock  um  und  zupft  Kinder  am  Kleide, 
die  dann  dahinsiechen  und  sterben.  ^  Auf  Worms  (Insel  an  der 
estnischen  Küste)  begegnete  einem  von  der  Jagd  heimkehrenden 
Bauer  ein  schwarzer  Ziegenbock,  der  sich  in  einen  schwarzen 
Kerl  verwandelte.  *  Auf  der  Iburg  in  Baden  sahen  zwei  holz- 
lesende Mädchen  am  Schlosse  ein  Gdßböcklein  stehen,  das  sich 
zu  ihnen  gesellte  und  sie  nach  Art  der  Waldgeister  stundenlang 
im  Walde  irre  fllhrte.  Erst,  als  sie  die  Schuhe  umkehrten,  ver- 
schwand er.  '  Im  Kulzermoos  in  der  Oberpfabz  verfuhrt  eine 
Geiß  die  Leute  und  verschlieft  sich  dann  in  di^  Erde,^  In 
einem  kleinen  Birkeniväldchen  um  Tiefenbach  stoßen  sich  zwei 
Geißböcke,  so  daß  man  meinen  sollte,  es  müsse  einer  von  ihnen 
auf  dem  Platze  bleiben.  • 

An  diese  Sagen  schließt  sich  wieder  eine  niederdeutsche 
Redensart.  In  Schleswig- Holstein  (Ditmarschen,  Eiderstedt)  sagt 
•  man,  wenn  ein  Mädchen  beim  Torfstechen  eine  Karre  mit  Torf 
umfallen  läßt:  „de  Moorbuck  het  är  stötf'  (Vgl.  o.  S.  159:  de 
Austbuck  het  är  stött).  Bei  Burg  (Ditmarschen)  heißt  es,  wenn 
jemand  am  Abend  seine  tausend  Torfziegel  nicht  fertig  brachte, 


1)  Lcnggfuhager  Volkssagen  aus  Basolland  S.  7U. 

2)  Ebend.  S  8G. 

3)  Prölilr  Sagen  des  Unterharzos  08,  172. 

4)  Pröhle  a.  a.  0.  111,287. 

5)  Pröbl.^  a.  a.  O.  IGl»,  445.    Vgl.  109,  272. 
ü)  Rur.wunii  Kibofolke  II,  S.  267.  §.  38i),  5. 

7)  B.  Baader  Volkssagen  a.  IJaden.     Karlsnibe  1851,  S.  128,  141. 
8;  Scliönwertb  a.  d.  Oberpfalz  IIJ,  193. 
y)  Schönwerth  a.  a.  0.  IM. 

Mannbardt.    II.  12 


178  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

„c/<'  Mom'huck  het  cm  statt"  Im  Bndjadingerlande  (Oldenburg) 
ist  Moorhuck  Schimpfwort. 

So  ftlhrt  eine  geschlossene  Kette  von  Analogien  ohne  Unter- 
brechung von  den  bocksgestaltigen  Waldgeistem  und  Komgeistem 
zu  den  Hausgeistern  und  von  diesen  zu  den  Waldgeistem  und 
Feldgeistem  zurück.  Ueberall  treten  Aehnlichkeiten  mit  Faiinus 
und  seiner  Sippe  hervor.  Vollständigere  Kunde  würde  noch 
mehrere  derselben  zu  Tage  fördern.  Denn  auch  was  noch  zu 
fehlen  scheinen  könnte,  ist  einmal  dagewesen.  Auch  das  Alp- 
drücken ist,  wie  Faunus  o.  S.  116  und  den  Panen  o.  S.  132  in  ehe- 
mals slavischen  Distrikten  Deutschlands  einem  bockgestaltigen  Wesen 
zugeschrieben  worden.  Im  Altenburgischen  (P()chau  und  Stolpen) 
nennt  man  ein  Gespenst  „Bocksmarte."  ^  Märte  aber  oder  Drüt 
ist  der  Menschen,  Tiere,  Bäume,  Steine  reitende  oder  drückende 
Windgeist,  der  im  Winde  (Wirbelwinde,  Dröten winde)  daher- 
fahrt,  Haare  und  Mähnen  verwirrt  (Märklatt)  und  Bäume  oder 
Kornh^hm  beständig  zittern,  verkümmern,  verdorren  macht, 
wenn  er  darauf  ausruht.  *  Dieser  Menschen  und  Bäume  reitende 
Windgeist  vermittelt  den  um  die  Dryaden  buhlenden  Pan  mit  dem 
Ephialtes  (o.  S.  131).  Die  Märte  oder  der  Mär  heißt  polnisch 
mora,  czech.  masc.  niorous,  fem.  müra  Plur.  moruzzi.  Von  ihm 
sagt  der  altböhmische  Glossator  Wacehrad  (mater  verbor.) :  „mo- 
ruszi  pilosi,  qui  a  Graeeis  panites  a  Latinis  incubi  voeantur, 
quonim  forma  ah  humana  incipit^  sed  hestiall  extrcmif<ite  termi- 
natura  Nach  Krok  II,  p.  360  bei  Hanush  Wissensch.  d.  slav. 
Mythus  S.  332  werden  die  moruzzi  vom  Volke  als  Waldyeister 
„lesj^^  (lies  leschi)  bezeichnet. 

Wie  ich  (Bk.  177  ff.  492  flf.  515.  516  fr.)  erwiesen  zu  haben 
glaube,  hatte  die  in  deutschen,  skandinavischen,  slavischen  und 
keltischen  Landen  heimische  Sitte,  zu  Fastnacht,  Ostern,  Maitag 
oder  Johanuis  ein  großes  Feuer  anzuzünden,  ringsumher  zu  tan- 
zen nnd  einen  Baiim^  Kräuter,  oder  lehemle  Tiere,  die  Vertreter 
von  Getreidedämonen  darin  zu  verbrennen,  den  Sinn  einer  Dar- 
stellung des  Durchgangs  der  Vegetation  durch  das  Feuer  der 
Somnicrsonue.  Das  Passieren  der  Mensehen  oder  Tiere  durchs 
Feuer   wird    häufig  durch  ein  bloßes  Erscheinen  bei  demselben 

1)  Kuhn  Nordd.  Sag.  520.  XV. 

2)  Mannhardt  (Norman.  Myth.  S.  45  ff.  712. 


k. 


Andere  Tiore  Stellvertreter  des  KombocIcM.  179 

dargestellt  (Bk.  S.  494.  524).  Dahin  gehört  aiigenschc»inlieh  auch 
der  Volksglaube  in  Norland  (Schweden),  daß  l)eiin  Mittsonmier- 
feuer  sieh  JUler  ein  Bork  oder  rinc  Zi/'gc  sehen  lUßt,  von  dem 
(der)  man  meint,  e«  sei  der  Pa/rw  (Teufel,  konizutragende  Kol)old). ^ 
Im  Harze  hieß  ehedem  das  Osterteuer  Bockshorn,^  wie  ich  nicht 
zweifle,  weil  man  ehedem  das  Hom  eines  Hockes  in  die  Flamme 
warf,  als  Ausdruck  des  (Uaubens,  daß  aus  dem  abgehauenen 
Gliede  (Reste)  des  im  Herl)ste  getödteten  Getreidedämons  durch 
Einfluß  der  SonnenwHrme  des  Frühjahrs  sich  die  ganze  Gestalt 
desselben  bele])en  und  zum  Wiederaufleben  gelangen  werde. 

§.11.    Andere  Tiere  StollTertreter  des  Kornboeks.    Der 

Kombock  wurde  als  ein  geisterhaftes  Wesen  gedacht;  man 
glaubte  jedoch,  daß  derselbe  mehrere  Gestalten  annehmen  könne. 
Die  blauen  Kornblumen  (o.  S.  1510,  mehrere  Insekten  und  Vögel 
seheinen  als  Gestalten  gegolten  zu  haben,  unter  denen  der  Ge- 
treidebock zeitweilig  dem  Auge  sichtbar  wird.  So  heißt  die  grüne 
Heuschrecke  (locusta  acridium)  in  Holstein  und  Mecklenburg  Atist- 
bück, '  in  der  Altmark  Prov.  Sachsen  (Kr.  Gardelegen,  Salzwedel, 
Wanzleben  u.  s.  w.)  Hawvrhuck.  Die  langtüßige  Komspinne  (pha- 
langium  opilio)  ist  Mä-hock  (Pr.  Sachsen  Kr.  Oscherslehen), 
HafergeiJ  Hahergciß  (Pr.  Sachsen  Kr.  Jericho,  Rgbz.  Coblenz, 
Oberfranken,  Oberpfalz,  Niederbayeni  u.  s.  w.)  genannt.  Wenn 
ihr  Gewebe  zu  Anfang  der  Ernte  oben  an  den  Aehren  sitzt,  steigt 
das  Koni  im  Preise,  sitzt  es  am  Wurzelende,  so  fällt  der  Kom- 
preis.  In  Meiningen  nennt  man  ein  vom  Berichterstatter  nicht 
näher  bezeichnetes  Insekt  Kornhock  und  in  Ichtershausen  bei  Gotha 
ebenso  ein  kleines  schwarzes  Tierchen,  das  in  der  ausgedrosche- 
nen Frucht,  wenn  sie  lange  auf  dem  Speicher  gelegen  hat,  sieh 
einfindet  und  dieselbe  hohl  frißt;  wol  in  beiden  Fällen  der 
schwarze  Kornwurni  (culandra  granaria),  der  anderswo  auch 
Kornwolf  genannt  wird.  Diese  Benennungen  (Kornbock,  Kom- 
wolf)  gehen  auf  die  Vorstellung  von  dem  die  Scheuer  ausfressen- 
den Getreidedämon  zurück.  *    Dagegen  ist  es  kaum  zweifelhaft, 


1)  Dybeck  Runa  1844  S.  22. 

2i  Ö.  Jacobs  der  Brocken  und  sein  Gebiet  S.  KW  — 160.  241  belegt  diesen 
Namen  durch  urkundliche  Zeu«;nissc. 

3)  \gl.  Schiller  zum  Tier-   und  Kräuterbuche  des  meklenburg.  Volkes 

II,  1«. 

4)  S.  0.  8.  170.    Roggenwolf  AuH.-',  S.  10-21.     Korndämonen  S.  8. 

12* 


180  Kapitel  III.    Die  wildcu  Leate  der  antiken  Sage  II. 

daß  der  gleichlautende  Name  der  Beecassine ,  Heerschnepfe  (seo- 
lopax  galliuago)  Uawcrzeg  (Pommern,  Mecklenburg)  Hawerzicke 
(Kr.  Jericho  U  Pr.  Sachsen,  Kr.  Czemikow  Rgbz.  Bromberg), 
Häiverhuck,  Hawerbock  (Altmark,  Angeln,  Flensburg,  Kr.  Gar- 
delegen, Wolmirstedt  u.  s.  w.),  Haber geiß ,  Habergäes  (Kr.  Keu- 
haldensleben ;  Kr.  Ottweiler  Rgbz.  Trier,  Bayern,  Zürich  u.  s.  w.) 
nicht  von  Hause  aus  oder  unmittelbar  in  diese  Eeihe  gehöre. 
Der  Vogel  hat  nämlich  mit  dem  Getreide  nichts  zu  tun;  seinen 
Vergleich  mit  dem  Ziegengeschlecht  verdankt  er  ganz  offenbar 
dem  Umstände,  daß  das  Männchen  zur  Begattungszeit  bei  heiterem 
Wetter  sich  in  ganz  enorme  Höhe  in  die  Luft  schwingt,  und  dort 
mit  den  Flügeln  ein  dem  fernen  Meckern  eines  Bockes  ähnliches 
Geräusch  hervorbringt,  weshalb  er  als  Eribrscher  der  höchsten 
Regionen  Regen  und  nahendes  Unwetter  verkünden  soll  und  aui-h 
Gotteszkge,  Himmelsziege^  Donnersziege,  lit.  Perkuno  ahsis,  ozelis, 
D^vo  ozys,  Dangaus  ozys,  lett.  Perkona  kasa  genannt  wird. 
Es  ist  möglich,  aber  nicht  erweislich,  daß  in  heidnischer  Zeit 
diese  Benennungen  eine  Beziehung  auf  den  persönlichen  Himmels- 
gott oder  Donnergott  enthalten  haben.  Der  erste  Oompositions- 
teil  hawer  (luiher)  aber  soll  nach  J.  Grimms  Erklärung  (G.  d. 
D.  Spr.  35)  das  alte  Wort  ags.  häfer,  altnord.  hafr  Bock,  lat 
capcr  bewahren,  so  daß  Hafer -bock  eine  nicht  beispiellose  Tau- 
tologie enthielte.  ^  In  diesem  Falle  muß  freilich  der  süddeutsche 
Name  Hahergeiß  für  den  Vogel  erst  nachträglich  aus  Haberhock 
gebildet  sein,  wo  nicht  das  dem  lat.  haedus,  lioedus  Laut  tllr 
Laut  entsprechende  gaiß  auch  hier  ursprünglich  ohne  Unterscliied 
des  Geschlechts  ein  Tier  des  Ziegengeschlechts  bezeichnete.*  Die 
kleine  Eule  (strix  aluco,  strix  ortus)  \vird  ihren  Namen  Häher- 
geiß  (Kr.  Gardclegeu,  Kr.  Delitsch,  Naumburg,  Bayern,  Tirol) 
auf  gleiche  Weise  wegen  des  meckernden  Tons  ihrer  Stimme 
erhalten  haben.  Sicher  aber  ist,  daß  diese  Benennung  lür  die 
beiden  Vögel  mißverständlich  sehr  leicht  sowohl  etymologisch  mii 
der  Getreideart  in  Zusammenhang  gebracht,  als  auch  mit  dem 
Glauben  an  den  Getreidebock  zusammengebracht  werden  konnte. 
Hiezu  lud  einmal  der  Umstund  ein,  daß  ja  auch  der  KomlKK'k, 
die  Habergeiß  z.  T.  in  Wind  und  Wetter,  speziell  in  dem  Gewitter 


1)  \^\.  auch  Schiller  a.  a.  0.  J,  8. 
2i  l)orh  ist  f^oth.  gaits  horeit«  Fcniin. 


Andere  Tiere  Stellvertreter  des  Eorubocks.  181 

vorhergehenden  Wirbehvinde  sein  Leben  kundgebend  gedacht 
wurde,  niitliin  außer  dem  Einklang  der  Namen  zwei  verwandte 
Vorstellungen  von  vonieherein  sich  anzogen  (Vgl.  Bk.  250),  anderer- 
seits mußte  die  Verbindung  um  so  gewisser  zu  Stande  kommen, 
wenn  die  Volksphantasie  schon  vorher  ohnedies  geschäftig  gewesen 
war,  den  wirklichen  Vogel  in  ein  geisterhaftes  Wesen  umzu- 
schaffen.  ^  Der  Sumpfschnepfe  (Häwabuck)  legt  man  z.  B.  in  der 
Altmark  den  Ruf  unter,  den  man  meckernd  hersagt:  Is  Häwa  all 
sät?  Ik  häw  min  all  mäht!  (Ist  der  Hafer  schon  gesät V  Ich 
habe  meinen  schon  gemäht).  In  01)erdeutschland  erzählt  man  sich 
viel  von  der  gespenstigen  Habergeiß.  Um  Nüziders  im  Walgau 
sagt  man,  sie  sei  ein  Vogel  mit  gelbem  Gefieder  und  der  Stimme 
einer  Geiß.  Derselbe  werde  heim  Bctjinne  der  Maienzeit  nur  den 
Blicken  ))evorzugter  Sterblicher  sichtbar  und  seine  meckernde 
Stimme  sei  so  gut  ein  FrUhlingslmte,  wie  der  Ruf  des  Kuckuks. 
Andere  sagen,  die  Ilabergeiß  habe  im  Ganzen  die  Gestalt  einer 
Geißy  aber  Pfcrdefüjr^  und  ein  Maid,  das  einer  h<ilb(jeö/f'neten 
Hanfbrechc  gleiche,  noch  andere  halten  die  Habergeiß  ttir  eine 
junge  Gemse  mit  Flügeln.^  Dem  Steiermärker  gilt  sie  ttir  das 
Gespenst  einer  Ziege,  mit  welcher  ihr  Herr  sich  vom  Felsen  in 
den  Abgrund  stürzte,  als  sein  Gläubiger  dem  Armen  dieses  sein 
einziges  Gut  entreißen  wollte.  Sie  verkündet  mit  ihrem  Gekrächze 
Unglück.*  Nach  andern  aber  ist  sie  ein  Vogel  mit  drei  Füjlfen, 
der  sich  gewöhnlich  in  den  Fehlern  hören  läßt.  Wer  ihren  Huf 
fuichäff't,  den  sucht  sie  nachts  heim.  Oft  erscheint  der  Teufel 
in  ihrer  Gestalt  (Steiermark ,  Kämthen).  ^  Sie  entspricht  keinem 
wirklichen  Tier.  Im  Auswärts  (Frühjahr)  hiirt  man  sie  nachts 
plärren,  wie  eine  Geiß  (Oberöstrcich).  Noch  «•mdem  aber  ist  sie 
die  Seele  eines  verstorbenen  Menschen,  der  in  Gestalt  einer  Ziege 
in  den  Kornfeldern  um  das  Sterbehaus  sich  aufhält,  und  dort  um 
die  (Jeisterstunde  so  lange    umgeht,   bis  die  nächste  Leiche  her- 


1)  ÄL^hrere  aborj^läubifje  VorstellnD<i:en  an  dw  Heor8(hne])fo  geheftet 
sind  verz.'i«-lmet  MytL.>,  H>8.     Zeitschr.  f.  tl.  Myth.  111,  221  ff. 

2)  Di«*  Stimm«'  der  Strix  aluco  spielt  \\o\  zuweilen  aueli  in  einen  dem 
Gewi«h«'r  älmliehen  Laut  über,  wie  das  drr  Ileersehnepfe,  di«'  dem  Skan- 
dinavii  r  nicht  Donnerziejr«',  sondern  dän.  nnrehest,  Hrhwed.  Imrsf^jiW'k,  isl. 
hros.'^a.L.Mukr  (PtVnh»-Kukuek)  IieilJt. 

i]>  Vunl>un  Ih'itr.  z.  d.  Mytli.  a.  Churrhätitu  S.  110. 
4.  Zeitschr.  f.  <1.  Mytii.  I,  244. 
5)  Wrinliold  Weihnacht8piele  S.  10. 


182  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antikcu  Sage  II. 

ausgetragen  wird  (Reichenau  Kr.  unter  dem  Wiener  Walde).* 
Oder  sie  soll  eine  verwunschene  Jungfrau  sein,  die  in  Gestalt 
einer  weißeti  Geiß  in  den  Getreidefddeni,  namentlich  zur  Ernte- 
zeit kläglich  schreit,  auch  wol  der  Teufel  selber,  der  als  schtvarze 
Geiß  umgehe  (Erzherzogt.  Oestr.  Umgegend  v.  Krems).*  Auch 
der  Tiroler  beschreibt  die  Habergeiß  als  einen  verwünschten 
Menschen ,  als  ein  Wesen  halb  Vogel  halb  Geiß ,  als  einen  „Vogel 
der  wie  ein  Mann  aussieht ,''  welcher  Leuten,  die  nachts  zum 
Fenster  heraussehen,  tüchtige  Ohrfeigen  giebt  Sie  wohnt  auf  der 
höchsten  Steinwand.  Ihre  Eigenschaften  berühretv  und  vermisclien 
sich  teils  mit  derienigen  der  ivilden  Jagd,  teils  mit  denen  der  Haus^ 
geistcr,  fliegenden  Drachen  und  des  Büsenschnitters,  Das  Jauchzen 
der  wilden  Jagd  und  das  Schreien  der  Habergeiß  soll  man  nicht 
nachäifen,  sonst  kommen  sie  herbei.  Die  Habergeiß  jagt  dem 
Nachrufer  nach,  zerkratzt  oder  frißt  ihn  und  verfolgt  ihn  bis  an 
seine  Haustür,  die  er  nur  mit  Not  vor  sich  zuschlägt.  (Vgl.  die 
iSagen  vom  wilden  Jäger  resp.  Nachtraben).  Sie  hängt  sich  ihm 
als  blutiges  Fell  vor  die  Türe,  wie  der  wilde  Jäger  ein  Viertel 
des  Jagdticres  an  die  Türpfosten  des  Nachrufers  heftet.  Im 
Erzherzogtum  Oestreich  nennt  man  mehrfach  die  Habergeiß  als 
Teilnehmerin  der  wilden  Jagd,  des  Zuges  derPerchtl;  der  Teufel 
reitet  auf  ihr.  Auch  der  uiederöstreichische  Glaube,  daß  sie  bei 
starkem  Gewitter  (Hagel  u.  s.  w.)  das  schon  geschnittene  Getreide 
von  einem  Acker  auf  den  andern  fremden  trage,  zeigt  ebenso- 
wohl Sturm,  Hagelschlag  und  Wirbelwind  als  ihr  Element,  wie 
er  an  den  getreide tragen  den  Drachen  erinnert.  Im  Oetztal  stellen 
sich  die  Leute  die  Uabergeiß  gradezu  als  glühenden  Draclicn  vor. 
Schreit  sie  vor  Ave  Marialäuten,  so  bedeutet  es  Glück,  später 
Unglück ;  schreit  sie  im  Spätherbst,  so  kommt  langer  Winter  und 
große  Heunot,  Wo  sie  hinkommt,  bedeutet  es  Unsegen  und  Unrat, 
das  Korn  verdirbt,  die  Kühe  magern  ab,  geben  keine  Milch  und 
haben  verfilzte  Mähnen,  ^ 

1)  Entstand  wol  aus  Vorsclnnolzung  dos  Korndämons  HabiTgciß  mit  der 
Eulo  (strix  aluco),  die  auf  dorn  Baum  vor  dem  8torl>ehause  sitzend  die  baldige 
Lcie.he  ansagt  und  erwartet.     Hei  Meran  sagt  man,   der  Ruf  der  Habergeill 
(strix  aluoo)  vorkündige  baMigen  Todesfall.     Zingerle  Sitten*  81,  679. 
'  2)  Landsteiner  Reste  di'S  H«'idenglaubens  S.  (»G. 

3)  Mündl.  —  Zingerle  Tiroler  Sitten  •-»  S.  80— 82,  n.  67l-i;82.   Zeits^rhr. 
f.  d.  Myth.  I,  214.   III,  30,  15.    Alpeuburg  Mythen  385.    Landsteiner  a.a.O. 


Dramatiifchc  DarstollaDgcn  des  Vegetationsbocks.  183 

Efl  bestätigt  sich  somit,  daß  mehrere  Stücke,  (der  Name 
Habeigeiß,  der  Aufenthalt  im  Konifelde,  die  Lebensäußerung  in 
Wind  und  Wetter,  die  Berührung  mit  fliegenden  Drachen  und 
Hausgeistern  u.  s.  w.)  dem  gespenstigen  Vogel  und  dem  bald  seg- 
nend, bald  zürnend  waltenden  (ietreidebocke  gemeinsam  waren, 
welche  zu  einer  Verschmelzung  von  beiden  flihren  mußten.  Alehrerc 
Züge  z.B.  die  an  die  lahme  Geiß  (o.  S.  165)  erinnernde  Dreifüßig- 
keit^  das  einer  Hanfbreche  ähnliche  Gebiß  mit  langen,  scharten 
Zähnen  mögen  die  Vorstellungen  vom  mythischen  Vogel  direct 
den  Vorstellungen  von  dem  Komdämon  Habergeiß  und  dessen 
bildlichen  Repräsentationen  entlehnt  haben.  Dagegen  weisen  die 
letzteren  wiederum  den  Einfluß  des  Glaubens  an  den  gespenstigen 
Vogel  mehrfach  auf  das  deutlichste  auf  Es  ist  die  Volkssitte, 
in  der  wir  das  Produkt  der  angedeuteten  Mischung  kennen  lernen. 

§.  12.  Dramatische  BarstelluDgen  des  Vegetationsbocks. 
Nicht  allein  auf  dem  Enitefelde  und  der  Dreschdiele,  sondern 
auch  unabhängig  davon  liebte  man  den  Getreidedämon  sich  durch 
Darstellung  zu  vergegenwärtigen,  zumal  in  feierlichen  Umzügen 
während  des  Frühjahrs  und  um  die  Winfersonne7iweiidc,  durch 
welche  der  Wiedereinzug  der  segnenden  Mächte  des  Sommers  in 
die  verödete  Natur  veranschaulicht  werden  sollte. 

In  Steiereck  und  Mühlviertel  (Erzherzogt.  Oestr.)  ist  die 
Hauptfigur  des  Fastnachtumzuges  ein  Ungetüm,  gebildet  durch 
zwei  Männer,  welche  unter  hochemporgehaltencr  Plahe  gehen, 
worauf  ein  Geißkopf  sitzt.  Ein  dritter  führt  die  Ziegcngestalt; 
mehrere  Wagen  folgen,  von  denen  die  übrigen  allerlei  komische, 
bucklige  oder  kropfige  Masken  tragen,  einer  ganz  mit  grünen 
Tannen  oder  Ficidenzweigen  IfedecM  einen  Strohmann  enthält,  der 
an  der  Donau  ins  Wasser  geworten  wird.  ^  Diese  Wassertauche 
ist  —  wie  ich  Bk.  a.  m.  0.  ausfilhrlich  erörterte  —  ciu  Regen- 
zauber. Kein  Zweifel,  daß  die  ganze  Begehung  den  im  Lenze 
wieder  ins  Land  einziehenden  Vegetationsdämon  darzustellen 
bestimmt  war.  In  Böhmen  (Kr.  Tabor)  geht  um  die  Faschings- 
zeit die  Habergeiß  um.  Sie  wird  verschieden  dargestellt  z.  B. 
als  Jlcnsch,  der  ganz  in  Stroh  ringehidU  ist,  drei  Füße,  einen 
Menschenkopf  mit  Hörnern,  zuweilen  aber  auch  noch  einen  langen 
Schnabel  zeigt.     Die  Einhüllung  in  Stroh   macht  abgesehen  von 


1)  A.  Baumf^arton  das  Jahr  nn<l  seine  Tage.    Linz  18(30,  »S.  19. 


iSi  Kapitel  III.   Bio  wildcu  Lcuto  der  antikt^n  Sago  IL 

den  weiterhin  anzuilibrenden  norddentsehen  and  skandinavischen 
Parallelen  gewiß,  daß  dieser  Fasehingsumzug  mit  der  analogen 
Darstellung  auf  dem  Emtefelde  und  der  Dreschtenne  (o.  S.  168) 
zusammenhängt,  daß  nicht  das  Vogelgespenst,  sondern  der  Ge- 
treidedämon  Habergeiß  dargestellt  werden  sollte;  aber  ersteres 
wirkte  mit,  die  rohe  und  vielleicht  von  Anfang  an  schnabelartige 
Darstellung  der  Schiiauze  in  diejenige  eines  wirklichen  Schnabels 
umzuformen.  Noch  durchgreifender  ist  dies  in  Tirol  geschehen, 
wenn  zu  Fastnacht  und  Weihnachten  als  Hahergeiß  ein  ganz  in 
Stroh  gekleideter  Bursch  von  Haus  zu  Haus  geleitet  wird,  der 
mit  rot'  oder  buntangestrichenetn  Storch-  oder  Spechtschnabel  und 
gleichartig  gefärbtem  Strohschwanz  ausgerüstet  einem  Vogel  ähn- 
lich sieht.  Seine  Begleiter  tragen  ein  großes  Netz  als  Vogelfänger. 
Solche  Darstellung  der  Habergeiß  als  Vogel  hat  jedoch  nur 
beschränkte  Verbreitung.  In  der  Kreisdirection  Leipzig  (Wemers- 
dorf)  gingen  früher  zu  Fastnacht  in  Getreidestroh  gehüllte  Per- 
sonen von  Tür  zu  Tür,  wo  man  ihnen  Bratwürste,  Speck  und 
andere  gute  Sachen  schenkte.  Diese  Personen  hießen  Habergeiß 
und  Erbsenbär.  Der  Erbsenbär  wird  von  uns  durch  positive 
Zeugnisse  späterhin  als  Korndämon  nachgewiesen,  mithin  spricJU 
die  größte  Wahrscheinlichkeit  dafür,  daß  auch  seine  Begleiter 
Schimmclreiter  und  Geiß,^  ja  selbst  der  gleich  zu  erwähnende 
Nicolaus  (Klaas ,  Buhlaas ,  Knecht  Buprecht  u.  s.  tv.)  dieselbe 
Bedeutung  haben.  *    Wie  iu  Leipzig  und  Bühl  der  irrtümlich  hin- 


1)  In  Bühl  (WürtcmbcTg)  füllt  man  zu  Fastnacht  einen  Sack  mit  Streu 
und  Häcksel,  an  dem  man  mit  ilen  Zipfeln  des  darüber  gebängten  weißen 
Lakens  einen  Pferde  köpf  mit  langen  Ohren  befestigt  und  wie  ein  Pferd 
aufzäumt.  Di<ser  Sehinnuel  heilJt  der  Golisch*  Bock  (Meier  Schwab.  Sas?. 
372,3).  Im  Münstertal  (F^lsaliJ  dagegen  zogen  die  Weiber  in  der  Fastnacht 
maskiert  mit  einem  lebendigen  aufgeputzten  Bock  und  einem  schel- 
lenbrhangenen  Pft^de,  das  zwei  Fässer  Wi;in  trug,  durch  die  Straßen,  und 
kein  Mann  dürft«'  sieh  vor  Abend  selbst  an  den  Fenstern  sehen 
lassen.  Dit  Brauch  wurde  im  Jahr  1681  auf  Anregung  dos  Pastors  Forstor 
abgeschaflt  (Curiosites  d'Alsace.  Colmar  1861,  I,  p.  82  bei  W.  Hertz  deutsche 
Sage  im  Elsuü.  1872,  S.  26).  Hiermit  mag  zusammenhangen,  daß  in  der 
Gegend  von  Saulgau  der  in  April  Geschickte  mit  dem  Rufe  Aprillcnbock! 
Aprillrnbock!  vorfolgt. wird  (Birlingor  Volkstüml.  a.  Schwaben  II,  93,  122. 

2)  St.  Niclas  (Rubklas,  Asclienklas  u.  s.  w.)  ist  in  diesen  Gebräuchen  mit 
niehten  der  kinderliobcnde  Bisehof  von  Myra  und  deshalb  auch  in  dessen 
Legende  kein  Anhaltspunkt  für  dit- Entstehung  der  Sitte  zu  finden,  sondern 

^  (iulisch  wol  Abkürzung'  von  goliathiscli,  riesig. 


Dramatische  Darstelliuigeii  deH  Vegetationsbocks.  185 

eingetragene  Anklang  an  den  Vogel  fehlt ,   im  Elsaß  das  leben- 
dige Tier  über  die  reine  Ziegengestalt  keinen  Zweifel  läßt,  treffen 


die    oinfache    Personification    dos   Kalendortapres,    6.  Dezember. 
Solche  Personificationen  sind  im  europäischen  Volksglauben  sehr  gewöhnlich, 
lu  Rumänien  glaubt  man  an  gütige  Wesen  Swinta  maica  Dominica,   swinta 
niaica  Mercuri,    swinta   Maica  Vinire   oder  Paraskeve,    d.  i.    heilige  Muttor 
Sonntag,  Mittwoch  und  Freitag,  von  denen  man  manche  Sagen  erzählt  (Toll- 
hausen i.  d.  Didaskalia.   Prankf.  1841,  Nov.  25.    Arthur  Schott  im  Ausland  1849, 
n.  231.    Ders.  Walach -Märchen  n.  11.  23.  25.     J.  K.  Schuller  Kolinda  Her- 
mannstadt  1860,  S.  12).    Gradeso  werden  in  Schweden  der  Donnerstag  und 
Freitag  (Thorsdag,  Fredag;  als  Thor  und  Frigg  personifiziert.    In  der  Nacht 
von  Donnerstag  zu  Freitag  muß  jedes  Si)inDrad  ruheu,  denn  dann  spinnen 
Thoregnd  och  Frigg e  darauf.    «Hylten-Cavallius  Wärend  och  Wirdarne 
1,    S.  188),    wo  oifenbar  nicht  der  Asathor  und  Odins  Gemahlin  sondern  der 
Person  gewordene  Donnerstag  und  Freitag  zu  verstehen  sind.    In  Oberdeutsch- 
land ist  der  Donnerstag  (Pfinztag)  zu  einem  mythischen  Wesen,  die  Pfinze, 
geworden.     „Dominae  Habundiae  vulgariter  Pfinzen.*'   Schmeller  W.-ß.'  439. 
Die  Bussen  haben  aus  dem  Worte  pjatnica  Freitag  eine  Heilige,    Pjatnica 
(spr.  Pjatnitza\   gemacht,    welche  zornig  sei,   wenn  die  Leute  ihr  Fest  nicht 
halten.   An  einem  gewissen  Festtage  führt  man  in  Kloinrußland  eine  Frauens- 
person   mit    fliegenden    Haaren    als   Pjatnica    in    Kirchenprozession    herum. 
J.  Glenking  Gebr.  d.  griech.  Kirche  (deutsch  1773)   p.  398.    Wie  in  den  bis- 
her angeführten  Beispielen  die  Wochentage,  sind  auch  hervorragende  Heiligen- 
tagc  des  Kalenders  zu  Personen  geworden,  deren  Namen  dann  uatnrlich  mit 
dem  Namen  des  Heiligen  zusammenfallen,  ohne  mit  seinem  Wesen  und  seiner 
Legende  etwas  gemein  zu  haben.     Wir  nennen  zuerst  Berchtay  Verchtay 
toelchehisher  mit  Ungrtmd  nach  Grimms  Vorgang  für  eine  Göttin 
unserer  heidnischen  Vorfahren  gehalten  icorden  ist.     Vielmehr  ist 
sie  lediglich  die  Personification  des  Epiphanientages  (Berchtentag,  Berchten- 
nacht)  und  ihr  steht  eine  ganz  analoge  Gestalt  in  der  italiänischen  Fee  Be- 
fania,  Befana  d.  i.  Epiphauia  zur  Seite.    [Für  Berchte  bietet  die  reichhaltigste 
Lese    älterer    Zeugnisse    Sciimeller  -  Frommann    W.-B.=^  I,    2G9 — 272,    über 
Befana   vgl.  H.  Usener  im   Rhein.   Museum  XXX ,   p.  197].     xVm   G.  Januar 
lEpiphania  Domini,  festum  trium  regum,  adoratio  magorum)  feiert  die  Kirche 
die  Anbetung  der  drei  Weisen  uns  dem  Morgenlande,  welcher  auf  dem  Fußo 
der  bcthlehemitische  Kindermord  folgte.     Deshalb  ist  leicht  einzusehen,    wo- 
her   der   Volksglaube  die  Perehtl   in  der  Perchtennacht   umziehen  läßt, 
in  endloser  Reihe  von  einem  Heere  zarter,    ungetauft  verstorbe- 
ner Kinder  gefolgt,    denen  der  fromme  Bauer  mitleidig  einen  Tisch  mit 
Speise  hinsetzt  (Alpenburg  Mythen  Tirols   S.  48).     Diese  Kinderseelen  sind 
dann  vielfach   in  Schretzleiu,   Heimchen  u.  s.  w.  umbenannt.     Aus  der  einen 
von    deutschem  in   slavischen  Volksglauben  übergegangenen  (Zs.  f.  d.  Myth. 
IV,  387}  und  weit  verbreiteten  Perehta  sind  dann  vielfach  mehrere  Perchteln, 
Eroberte  u.  s.  w.  geworden,  bei  denen  der  Zusammenhang  mit  dem  Kalender- 
tage sich   verdunkelt  hat.     Im   Baierwalde  glaubt  man  eine  Personification 


186  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

wir  in  Obersteiermark  deutlich  die  Ziege,  die  Korageifi,  ftlr  sich. 
Hier  geht  nämlich  die  Habergeiß  zur  Weihnachtszeit  in  der 

der  Zwölften  oder  Ranchtnächte  (d.  1.  der  Tage  zwischen  Weihnachten  und 
Neujahr)  „die  Eauhnacht/*  welche  durch  eine  vermnmmte  stark  verhüUte 
Weibsperson  dargestellt  wird.  Schmeller  W.-B.«  II,  14.  Der  13.  Dcc.  St  Ln- 
cia,  der  im  Mittelalter  für  den  Tag  der  Wintersonnenwende  galt  [„Vitus  et 
Lncia  sunt  duo  solstitia"  „Lucia  bringt  die  längsten  Nacht"  Schmeller  W.-B.* 
1549J  ist  ebenfalls  zu  einer  mj^hischen  Person  geworden,  Lncia,  Lnti 
Schmeller  I,  1549.  Rank  a.  d.  Böhmerwaldo  S.  137.  Aus  Fronfasten  d.  i.  den 
Quatembem  hat  man  eine  Frau  Faste  gemacht  (Schwaben;  Schweiz.  Myth.* 
742).  Als  männliche  Porsonificationen  von  Kalendertagen  im  Volksgebranch 
sind  von  uns  bereits  der  Walber  (von  Walpurgis)  Bk.  312.  316,  Georg 
Bk.  313.  316.  317,  St.  Johannis  Bk.  468,  St.  Stephan  Bk.  404.  (Vgl. 
meinen  Aufsatz  „Die  lettischen  Sonnenmythen  in  Bastians  Zs.  f.  Ethnologie 
VII,  1875,  S.  95)  nachgewiesen.  Auch  Bartel,  der  am  Bartolomänstagc 
(24.  Aug.)  die  Brombeern  beschmutzt  d.  h.  weißblau  färbt  und  den  Kohl- 
pflanzen die  Häuptehen  einsetzt  (Kuhn  Nordd.  Sag.  400,  113.  Wuttke  Abergl.« 
§.  665),  Martin  (Pclzmärten  u.  s.  w.)  in  den  Martini-  und  Adventsgebräuchen 
sind  keinoswe^^es  die  Heiligen,  oder  gar  Wodan;  wenn  Martin  auf  dem  Schim< 
mel  reitet,  so  geschieht  dies,  weil  und  wann  in  der  Zeit  des  Martinstages 
(11.  Nov.)  der  erste  Schnee  fällt.  (Vgl.  Weinhold  Weilmachtspielo  S.  7).  Die 
Ansätze  zu  solchen  Persouificationen  der  Kalendertage  kann  man  vielfach  in 
den  Wetterregeln  der  europäischen  Völker  beobachten.  Z.  B.:  Die  heiligen 
drei  Könige  kommen  zu  Wasser  oder  gehen  zu  Wasser.  (Brandenb.).  St.  An- 
tonius macht  die  Brücke  und  St.  Paulus  (25.  .lan.)  zerbricht  sie.  i  Venedig). 
Saut  Bastia  la  viola  en  ma  d.  i.  St.  Bastian  das  Veilchen  in  der  Hand. 
St.  Mathias  schickt  Saft  in  den  Baum.  St.  Agnes  treibt  die  Lerchen  aus 
der  Stadt.  St.  Dorothee  brinj^'t  den  meisten  Schnee.  St.  Severin  wirft  den 
kalten  Stein  in  den  Rhin ,  St.  (Jertnid  mit  der  Maus  holt  ihn  heraus  u.  s.  w. 
(S.  Reinsberg-Düringsfeld,  das  Wetter  im  Sprichwort  18G4,  S.  64  ff.).  Und 
wie  die  Wochentage  und  Heiligentage  erleiden  auch  Monate  und  Jahreszeiten 
eine  ähnliche  Personification;  Perc  Mai,  Reine  Maia.  rnss.  Jarilo  iFrühlingi 
u.  8.  w.,  slav.  Leto  (Sommer)  sind  (Bk.  a.  a.  0.)  von  uns  als  solche  besprochen; 
wir  glauben  au  den  betreffenden  Stellen  zugleich  nachgewiesen  zu 
haben,  dal»  mit  diesen  Personificationeu  der  Jahreszeiten  und  Kalen- 
dertage sich  ältere  mythi sehe  Vorstellungen  aus  dem  Kreise  ilcr 
Veg^'tationsdämonen,  der  Sagen  vom  wilden"  Heer  u.  s.  w.  ver- 
bunden haben.  Einmal  zu  (restulten  des  Volksgebrauchs  geworden  haben 
sie  durch  Attraction  und  Assimilation  ähnlicher  Gebräuche  dann  häufig  ihre 
Stelle  im  Kalenderjahr  verrückt,  ihr  Gebiet  rückwärts  oder  vorwärts  erweitert. 
Berchta,  die  Person  gewordene  Epij)hania,  und  St.  Martin,  der  Dämon  des 
10.  Novembers,  gehen  auch  in  der  ganzen  Advents-  und  Weihnachtszeit  «als 
Perchtel,  Pelzmärte  u.  s.  w.)  um.  Auf  gleiche  Weise  ist  denn  auch  St.  Niklas 
in  den  Advents-  und  Weihnachtsumzügen  für  den  Person  gewordenen 
Nicolaustag  (6.  December)  zu  erachten,  der  mit  dem  um  die  Win- 


Dramatische  Darst^^Uaugen  diA  Vegetationsbock«.  187 

Begleitung  des  Nikolo  um.  Sie  wird  durch  vier  Männer  gebildet, 
welche  sich  aneinander  halten  und  mit  weißen  Kotzen  bedeckt 
sind.  Der  vorderste  hält  einen  hölzernen  Geißkopf  empor,  dessen 
untere  Kinnlade  hcweglieh  ist,  und  womit  er  klappert  (Weinhold 
Weihnachtsp.  S.  10).  Im  Böhmerwalde  wird  ebenfalls  eine  mit 
übergebreitetem  Leintuch  und  durchstehenden  Hörnern  als  Ziege 
maskierte  Person  von  einer  Art  Niklo  hcrumgeflihrt,  hier  aber  ent- 
lehnt sie  ihren  Namen  Luzia  von  der  Personitication  des  Heiligen- 
tages (12.  Dec);  sie  enuahnt  die  Kinder  zum  Beten,  beschenkt 
gute  mit  Obst  und  droht  den  schlimmen,  sie  werde  ilmen  den 
Bauch  aufechlitzcn  und  Stroh  und  Kieselsteine  hineinlegen  ( J.  ßank 
a-  d.  Böhmcrwalde  S.  3GG).  In  Überöstreich  ist  die  Darstellung 
ganz  ähnlich.  Auch  hier  tritt  die  Ilabergeiß  im  Gefolge  des  Nikla 
auf  und  zwar  am  Vorabende  seines  Tages  (am  5.  Dec).  Um  sie 
darzustellen  nimmt  man  eine  Plahe  über  sich  und  darunter  zwei 
Stäbe,  womit  man  bald  vorwärts,  bald  rückwärts,  bald  in  der 
Richtung  nach  oben,  bald  wieder  nach  unten  herumschiebt,  so 
daß  das  Ungeheuer  bald  Hörner,  Kopf  und  Hals  zu  verlängern, 
oder  zu  verküi-zen,  bald  den  Hinterleib  mannigfaltig  zu  verändern 

tersonneiiwende  wieder  ins  Land  einziclieiHlou  Vegetations- 
dämon verschmolzen  ist.  Letzteres  ersieht  man  deutlich  aus  der  uftmaUgcn 
Einhüllung  in  Erbsenstroh,  wie  son^t  in  Pelz,  so  wie  aus  der  Ausrüstung 
mit  obstgefülltem  Korbe  o<ler  Sa<*k  und  Gerte  oder  Rute.  Darin  gleicht 
er  genau  dem  zu  Weiimachten  unigelienden ,  mit  einer  Birkenrute  bewaffneten 
Bullkater  (o.  S.  174\  der  doch  von  dem  der  f>nteprozession  ^oranschreiten- 
dcn  Komkater,  der  den  (jetrt?idedämon  vorstellt,  niciit  getrennt  werden  kann. 
Gegen  diese  Auffassung  des  Rauliklas,  Aschenklas,  Niclas  kann  auch  der  in 
einigen  Gegenden  (Br.hmen,  Halle,  Insel  T'sedom)  demselben  zustehende  Name 
Knecht  Ruprecht  nicht  ins  Feld  geführt  werden.  Die  von  Kuhn  (Zs.  f.  d. 
Altert.  V,  482 ff.)  aufgestellte  und  seitdem  allgemein  angenommene  Meinung 
ist  nicht  zu  halten:  „kein  Kneciit  sei  in  dem  alten  Pelzträger  verborgen, 
sondern,  wie  s<diori  der  Name  verkündet,  ein  ruhmglänzender  Gott  (Hruod- 
peraht),  niemand  anders  als  Wodan."  Vielmehr  worden  wir  auch  in  Ruprecht 
eine  dem  Niclas.  Pelzmärten  u  s.  w.  analoge  Figur  (vielleicht  ursprünglich 
männliehe  Personitication  des  IJerchtentages:  vgl.  in  der  Schweiz  Bertholdstag 
d.i.  Jan.  3.)  zu  suchen  haben.  Die  Gerte  (Rute),  welche  Ruprecht,  Polz- 
märte,  Niklo  u.  s.  w.  (wie  der  Bullkatcr  o.  S.  173)  in  der  Hand  führen,  um 
die  Begegnenden,  namentli(rh  Kinder,  zu  sehlagen,  ist  nichts  anders,  als  die 
auch  vom  Maikünig  geführte,  Waelistum  hervorbringende  Lebensrute  (Rk.  365. 
366s  welehe  lediglich  aus  Millverständniß  umgedeutet  wird  in  das  i)ädago- 
glsche  Instrument  des  Schulmeisters.  Vgl.  die  russ.  Plingst-  und  Sonnwend- 
person iticatiouen  Rusalky  und  Koljada.    Miklosich  Rusalien.    Wien  1864. 


•  I 


188  Kapitel  III.   Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

scheint.  In  jenem  Bühler  Fastnachtnmzng  (o.  S.  184  Anm.)  ist  die 
Habergeiß  mit  dem  Schimmclreiter  zu  einer  Gestalt  verschmolzen. 
Dasselbe  geschieht  im  Weihnachtsbrauche  in  mehreren  (regenden 
mit  dem  Erbsenbär.  Um  Krakau  besteht  der  Weihnachtsumzng 
aus  drei  Gestalten.  Ein  Mann  ist  gane  in  ZiegenfeUe  gehülU  und 
auf  einen  Schubkarren  gesetzt,  die  heiden  anderen  sind  in  Erbsen- 
Stroh  eingebunden.  Merkwürdigerweise  wird  nun  der  in  Felle 
gehtillte  Mensch  Erbsenbär  (grochowej  niedz'wiedz')  genannt  ^  vor 
jedem  Hause,  wo  man  anlangt,  bmmnit  er;  und  wird  dies  Brum- 
men  zuerst  von  einem  Mädchen  gehört,  so  soll  es  bald  heiraten.  * 
Bei  Marburg  in  Steiermark  tritt  noch  ein  dritter  Geselle  als  Factor 
in  den  Verschmelzungsprozeß  mit  ein.     Wer  beim  DrescJien  den 

m 

letzten  Schlag  macht,  heißt  Wolf.  Alle  Knechte  laufen  eiligst  aus 
der  Scheuer  heraus  und  lauem  ihm  auf,  htlllen  ihn,  wenn  er 
herauskommt,  in  Stroh  in  Gestalt  eitles  Wolfes  und  führeti  ihn 
so  im  Dorfe  herum.  Den  Namen  Wolf  behUlt  er  bis  Weihnachten. 
Dann  steckt  man  ihn  in  ein  Ziegenfell,  hüllt  ihn  übrigens  in  Erb- 
senstroh  und  iUhrt  ihn  als  Erbsenbär  an  einem  Stricke  von  Hans 
zu  Haus.  Hier  liegt  (wie  beim  Kornkater  o,  S,  173 ff.) 
ein  neuer,  sicherer  Belag  für  den  Zusammenhang, 
die  Identität,  des  nach  der  Ernte  angestellten,  den 
Korndämon  darstellenden  Umgangs  und  des  Um- 
zugs in  der  W eihnachtszeit  vor,  —  In  Rühmen  (Neuhaus) 
bcHteht  der  Nikolausumgang  aus  vielen  Masken.  Da  gie])t  es 
zwei  Bischöfe  f Vervielfältigung  des  einen  h.  Nikolaus,  der  Per- 
sonification  des  Heiligentages)  Soldaten,  Husaren,  Teufel,  Kamin- 
feger, Quacksalber,  Sehacherjuden.  Den  Keni-  und  Mittelpunkt 
des  Aufzuges  aber  bilden  die  folgenden  Figuren.  Einer  scheint 
auf  einem  künstlichen  Schimmel  zu  reiten,  ein  zweiter  auf  einer 
ähnlichen  Ziege,  der  dritte  und  vierte  endlich  erscheinen  in  bären- 
artiger Gestalt,  behangen  mit  mannigfachen  Glocken  und  Sehellen, 
mit  denen  sie  imaufhörlich  läuten.    Dem  Haufen  werden  Aepfel 

1)  Man  erzählt  sogar  eine  Geschichte,  um  die  sonderbare  Miscbgcstalt 
zu  erklären.  Vor  jedem  Hause  wiederholen  die  Führer,  dies  sei  der  Erbsen- 
bär,  drr  den  Sohn  Gotti-s  erschrecken  wolito.  Ein  Müller  hatte  sich  nämlich 
den  Übeln  Spaß  erdacht  an  einem  Weihnachtsabend  das  Jesnkind  zu  ängstigen. 
Er  steckte  sich  in  ein  Ziegen  feil  und  umwand  sich  mit  Erbsenstroh. 
Zur  Strafe  wurde  er  in  einen  Bären  verwandelt.  Der  Umzug  geschehe  zum 
Andenken  an  diese  Begebenheit. 


Dramatischo  Darstellangeu  des  Vegetation sbocks.  189 

imd  Ntisse  vorhergctrageu,  welche  die  Bischöfe  an  die  guten 
Kinder  verteilen.  Gewöhnlich  geht  diesem  Zuge  noch  ein  Vor- 
läufer voraus,  der  in  das  Zimmer  tretend  den  Hausvater  fragt, 
ob  der  h.  Niklas  kommen  dürfe,  und  ihn,  fällt  die  Antwort 
bejahend  aus,  hereinruft  Nun  giebt  es  vielerlei  Spaß.  Der 
Handelsjnde  stiehlt  etwas  aus  dem  Hause,  bietet  es  dann  zum 
Verkauf  dem  Hauswiii;  an  und  dieser  muB  sein  Eigentum  mit 
Geld  auslösen.  In  reicheren  Häusern  bekommen  die  Niklasum- 
gänger  Getreide j  Überall  al)er  Finch s.  Auch  verkleiden  sich  drei 
junge  Leute  als  Engel,  Teufel  und  Bock.  Letzterer  hat  die  Auf- 
gabe, die  Kinder,  welche  nicht  beten  können,  mithin  vom  Engel 
nicht  beschenkt  werden ,  auf  seine  Hörner  zu  heben ,  so  daß  der 
Teufel  ihnen  einige  Schläge  mit  seiner  Bute  gehen  kann,  ein  Scherz, 
den  sich  übrigens  selbst  die  erwachsenen  Knaben  und  Mädchen 
gefallen  lassen  müssen.  ^ 

Unter  anderem  Namen  finden  wir  Geiß  und  Bär  auf  der 
Insel  Usedom  wieder.  Hier  ziehen  am  Weihnachtsabend  die 
Knechte  mit  Schimmelreiter,  Erbsenbär  und  dem  Klapperbock 
von  Hof  zu  Hof.  Letzterer  ist  ein  Mensch,  der  eine  Stange  trägt, 
über  welche  eine  Bocksluiut  gespannt  >vurde,  mit  daran  befind- 
lichem hölzernem  Kopf,  an  dessen  unterer  Kinnlade  eine  Schnur 
befestigt  ist,  so  daß,  wenn  der  Tragende  daran  zieht,  die  beiden 
Kinnladen  klappenid  zusammenschlagen.  Mit  dem  Klapperbock 
werden  die  Kinder,  die  nicht  beten  können,  gestoßen.  ^  In  Ilsen- 
burg (Harz)  geht  zu  Weihnachten  der  Habersack,  ein  in  Stroh 
gehüllter  Mensch ,  den  Kopf  mit  Hörnern  geziert.  ^  In  Natangen 
(Ostpreußen)  ziehen  am  Sylvesterabend  ein  Schimmel,  ein  Bock 
und  ein  Mensch  umher.  Der  Bock  ist  ein  mit  Tüchern  verhange- 
ner Kerl,  welcher  mit  einem  Flachsschwanz  versehen  eine  Ofen- 
gäbet  reitet^  deren  Zinken  Hörner  darstellen.  Er  stößt  immer 
den  mitziehenden  buckligen  Kerl.**  Bei  den  Deutschen  in  Preuß. 
Litauen  heißt  Neujahrshock  ein  mit  Pelzen  behangener  Bursch, 
der  in  die  Häuser  dringt  und  daselbst  seine  Fratzen  treibt.  In 
manchen  Ort  sind  der  Sehimmelreiter  und  Neujahrshock  zusammen- 
geflossen, insofern  jemand  den  letzteren  darstellt,  indem  er  einen 

1)  RuiiiskTg-Düriug8feld,  Festkalender  a   Böhmen  S.  528.  521). 

2)  Kuhn  Nordd.  Sair.  403,  126. 

3)  H.  Pröhlc  Harzbildor  51. 

4)  Reusch  in  N.  Preuß.  Provinzialbl.    Kgbg.  1J548,  Bd.  VI,  S.  220,  55. 


Dramatische  Darstillun^'cn  des  Vcgctationsbocks.  191 

von  dem  man  durch  den  Lärm  die  feindlichen  wachstumhindem- 
den  Geister  verscheuchen  wollte,  und  den  man  im  Nachbardorfe 
absetzte,  wie  bei  der  Ernte  die  Konipuj)j)e  beim  Nachbar  (o.  S.  165), 
weil  die  Nachbarn  eigentlich  verpflichtet  waren,  ihn  weiter  zu 
bringen.  Der  Name  Po8terliyV///rw  für  den  Brauch  und  die  Dar- 
stellung als  alte  Hexe  oder  alte  Ziege  lileiben  bei  dieser  Auf- 
fassung als  zufällig  oder  jüngeres  MißverstäudniB  außer  Acht 
gelassen.  Und  in  der  Tat,  sobald  das  Volk  den  Umzug  bei 
erloschenem  Verständnis  ins  Komische  und  Schreckhafte  um- 
deutete, lag  es  nahe  stott  der  (erwachsenen)  Ziege  überhaupt 
eine  recht  alte  und  garstige  Geiß  zu  wählen  und  die  Hexe  so 
abschreckend  als  möglicli  zu  bilden;  das  Vorangehen  im  Zuge 
mußte  dann  als  Cfcjagtwerden  erscheinen.  Zu  dem  Entlibucher 
Brauch  stellt  sich  die  Tiroler  Sage,  daß  zu  Küssen  sich  vor 
einigen  Jahren  die  eigentliche  Percht  (der  Genius  der  Perchten- 
nacht)  am  h.  Dreikönigsabend  unter  die  Perchtelläufer  gemischt 
habe.  Sie  gab  sich  durch  einen  Kiesensprung  übers  Brunnenhaus 
zu  erkennen  und  man  sah  ihre  Boeksfüßc.  ^ 

Viel  lebendiger  ist  die  Darstellung  des  Getreidebocks  unter 
dem  Namen  Julbuck  noch  in  Skandinavien  gebliel>en.  Hier  hat 
man  noch  entschiedene  Erinnerungen  an  die  eigentliche  Be- 
deutung desselben  bewahrt,  indem  man  noch  sehr  wol  weiß, 
daß  die  Julböcke  m  den  Julspiclen  Darstellungen  geisterhafter 
Wesen  seien,  welche  bald  Jola.'ivehmr  (Weihnachtsbursche),  bald 
Joldbukkar,  Julebokkar  genannt  werden.*  Die  Jolesveinar  sollen 
ihren  Aufenthalt  in  Hügeln  und  Bergen  haben  und  nicht  größer 
als  die  Zwerge  sein  (Mo  in  Helgeland).  Gradeso  hörte  H.  Ström 
im  vorigen  Jahrhundert  im  Stifte  Bergen,  die  Masken  des  Jw- 
lebuk  und  der  Julegjed  seien  Nachahnmngen  der  Hügelböcke 
(o.  S.  154).  In  Mandal  (Stift  Christiansand)  sagt  man,  der  JuU 
bock  halte  sich  Sommers  in  den  Wäldern  auf,  aber  jeden  Tag 
kommt  er  ein  Stückchen  näher;  Weihnachtsvorabend  (lille  Jul- 
aften  23.  Dez.)  ist  er  in  der  Badstube,  Weihnachtsabend  (24.  Dez.) 
im  Stubenwinkel,  wo  er  darauf  ausgeht  die  Julgrtitze  zu  schmecken 


1)  Zingerlc  Sitten «  129,  1150. 

2)  Vgl.  Aasen  W.-B.:  Jolobukk  ni.  og  Jologeit  f.  Maske  eller  mas- 
keret  Person  i  Juk'log.  Jolesveinar  pl.  Vaitter,  som  besoege  Gaardene  i 
Jnletiden;  Jolasvcinar  Hardanger,  paa  Söndmür  Julebokkar. 


192  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sago  11. 

und  die  kleinen  Kinder  fortzunehmen ,  welche  in  die  Stube  kom- 
men. Ist  ersteres  geschehen,  so  geht  er  wieder  fort.  In  Sönd- 
möre  nähert  sich  die  Julgeiß  (Julgjed ;  man  hört  hier  selten  oder 
nie  Julebukken)  von  den  Bergen  Jier  langsam  dem  Gehöft,  das 
sie  am  Weihnachtsabend  erreicht;  ihre  Gegenwart  kündigte  sich 
durch  ein  eigentümliches  Brennen  der  Lichter  an.  In  Nordmöre 
heißt  es,  daß  der  Julebuk,  der  im  allgemeinen  einem  Bocke 
gleiche,  um  Mittemacht  eintreffe,  wo  er  hinter  dem  Ofen  (wie 
ein  Hausgeist)  Platz  nehme.  Setzt  man  ihm  dann  kein  Abend- 
brod  dorthin ,  so  verwüstet  er  alles  in  der  ganzen  Stube.  In 
Mandal  glaubt  man  denn  auch  nicht  vergnügt  sein  zu  können, 
ohne  dem  Julbuk  eine  Schale  Julgrütze  und  eine  Schale  Julbier 
hinter  den  Ofen  zu  setzen,  grade  wie  sonst  dem  Tomtegubbe. 
Vernachlässigt  trinkt  derselbe  die  Bierfässer  im  Keller  leer  und 
füllt  sie  mit  Wasser,  und  in  der  Speisekanuner  verzehrt  er  die  Jul- 
grütze (Grebstad).  Wer  nicht  zu  Julabend  neue  Kleider  bekommt 
oder  irgend  etwas  Neues,  wird  von  den  Julesveinar  fortgeholt 
Dasselbe  sagt  man  von  der  Julegjed  am  Weihnachtsabend  und 
vom  Nytaarslnik  (Neujahrsbock)  am  Neujahrsabend  (Saltdaleu). 
In  diesen  Schilderungen  ist  der  Zug  von  dem  langsamen  Heran- 
kommen des  Dämons  und  die  Forderung,  etwas  Neues  zu 
bekonmieu,  deutlich  einer  Personification  des  Jultages  und  Neu- 
jahrs entlehnt,  daß  aber  in  der  Tat  dennoch  der  Getreidebock 
gemeint  sei,  geht  aus  der  Sitte  in  Ibestad  hervor,  in  der  Jul- 
'nacht  etwas  von  Stuhl  (Axt,  Messer  u.  dgl.)  in  die  Scheune  su 
legen,  um  den  Julbuk  und  die  Jvlcfjed  zu  verhitulern  hineinzu- 
kommen, und  vom  Heu  su  speisen.  Geschehe  d<is,  so  werde  mau 
den  ganzen  Wiräer  hindurch  Futternuingel  und  Unglück  mit  dem 
Vieh  haben.  Das  nämliche  wird  vom  Getreidedämon  ausgesagt, 
wenn  man  ihm  den  geringen  Winterunterhalt  auf  dem  Felde  zu 
lassen  verabsäumt  hat  (o.  S.  170).  Auch  in  Schonen  wußte  man 
im  17.  Jahrhundert  noch  von  den  geisterhaften  Urbildern  der 
Julböcke.  Ein  Bericht  a.  d.  J.  1730  sagt:  „Vor  40  Jahren  lagen 
hier  in  den  Kirchspielen  Gessin  und  Eskilstorp  im  Oxinhärad  die 
Julspiele  dem  Volke  sehr  am  Herzen;  man  pflegte  da  Julböcke 
von  schrecklichem  Ansehn  auszurüsten.  Da  haben  ein  Kitter  und 
mehrere  junge  Leute,  des  Bockes  Fülirer,  einen  solchen  abends 
in  eine  Spielstube  gebracht.  Doch  nicht  lange  hatten  sie  ihren 
Spaß  mit  ihm  getrieben,   als  die  Lichter   erloschen  und  man  im 


DramaUsche  Dardtelluugeu  des  Vegetatiousbocks.  IHS 

Mondschein  einen  andern,  größeren  und  viel  furchtbarem  Back 
zu  sehen  bekam,  der  den  Kornsdiober  vor  dem  Fenster  immer 
auf  und  ab ,  auf-  und  abliefe  ein  Anblick ,  von  dem  der  eine 
oder  der  andere  der  Alten  noch  jetzt  nicht  ohne  Schauder 
berichten  kann."^  Das  war  der  wahre  Julbock  gewesen,  der 
Kombock  im  Getreideschober,  der  die  Nachäffung  seiner  Person 
übel  nahm.  Seinem  Ursprünge  entsprechend  war  denn  der  Jul- 
bock auch  noch  yielfach  in  Komhalme  gekleidet.  In  Bergslags- 
härad  (Oerebro-Län  in  Schweden)  führte  man  ehedem  [jetzt 
geschieht  es  nur  noch  selten]  den  Julbock  herum,  ganz  in  Ge- 
treidehidme  gehülU,  mit  den  Hörnern  eines  Bocks  ode7'  einer  Ziege 
auf  detn  Kopf.  Er  glich  so  einem  Bock,  nur  war  er  beträcht- 
lich größer. 

Anderswo  aber  wird  der  Julbock  meistenteils  mittels  einer 
Vorrichtung  fast  genau  so,  wie  die  Habergeiß  in  Oberdeutschland, 
der  Klapperbock  in  Usedom  u.  s.  w.  dargestellt  Bei  den  Dänen 
beschreibt  ihn  Sorterup'  „capri  Jolenses,  qui  olim  machinä  qua- 
dam,  capro  simili  at  nolis  crepitantibus  tonante,  sed  davä  tundente 
instructa  inter  Danos  repraesentari  soluerunf  In  dieser  oder 
einfacherer  Gestalt  bildet  der  Julbock  (oder  die  Julziege  resp. 
beide)  eine  stehende  Figur  in  der  zu  allerlei  lustigem  Spiel  die- 
nenden Festversammlung  zu  Weihnachten,  der  sogenannten  Weih- 
nachtstube (Julestue),  von  der  wir  durch  L.  Holbergs  lebendige 
Schilderung  in  seinem  1724  zuerst  aufgeiUhrten  einaktigen  Lust- 
spiel „Julestue '^^  eine  anschauliche  Vorstellung  zu  gewinnen  in 
Stand  gesetzt  sind.  Der  alte  grämliche  Hausherr  Hieronymus 
will  am  Weihnachtsabend  nichts  von  einer  Julstube  wissen  und 
ohrfeigt  den  Knecht,  der  bereits  als  Jidbock  vermummt  im  Hause 
umherläuft.  Die  ganze  Familie  ist  höchst  betrlibt;  bei  der  Be- 
scherung erlaubt  er  auf  Bitten  der  Kinder  die  Julstube  dennoch. 
Die  Nachbarn  kommen,  man  beginnt  Pfänderspiele,  der  Knecht 
tritt  als  Julbischof  auf,  endlich  spielt  man  Blindekuh  u.  s.  w. 
Der  Ausputz  dieses  dänischen  Julebuk  (resp.  der  Julegjed  d.  i. 
Julgeiß,  wo   sie   auftrat)   bestand   darin,  daß  ein  junger  Bursch 

1)  Dybeck  RuDa  1844,  S.  64. 

2)  Prodromus  calcndarii  ethnici  medii  aevi  (Msc.)  ap.  Finn  Magnussen 
lex.  mvth.  643. 

o)  L.  HoHmtj^s  udviilgte  SkriftiT  iulgivno  vrd  Ralib«'ck  Hd.  If,  l.'iT  --li»2. 
VI,  322  —  363. 

Maiiiihardt.     II.  13 


194  Kapitel  III.    Dio  wilden  Leute  der  antiken  Sago  II. 

(Mädchen),  in  ein  zottiges  Fell  oder  weißes  Laken  gehttUt  nnd 
mit  zwei  Hörnern  an  der  Stirn  versehen,  die  Stimme  des  Bocks 
nachahmte  und  durch  seine  Sprünge  und  Narrenstreiche  die  Ge- 
sellschaft belustigte.  Besonders  fiihr  der  Julbock  über  die  Dir- 
nen und  Kinder  her,  um  sie  zu  erschrecken  oder  zu  stoßen, 
oß  hcUte  er  auch  eine  lange  Rute  und  geißelte  sie  damit ;  der 
dabei  gesungene  Spielreim  ist  nicht  erhalten.  ^  Eine  eigentümliche 
Form  der  Sitte  schildert  Finn  Magnussen,  Eddaloere  lU,  328. 
Man  schwärzte  einem  Burschen  das  Gesicht  (Bk.  a.  v.  0.),  band 
ihn  in  ein  Laken  ein,  gab  ihm  einen  Schwanz  und  einen  mit 
brennenden  Lichtern  besetzten  Stock  in  den  Mund.  In  der  Jnl- 
stube  ringsum  laufend  erhielt  er  Äepfel  und  Nüsse. 

In  Norwegen  spielt  man  Weihnachtsabend  Julbock  (agjeres 
Julebuk).  Dies  geschieht  in  Mandal  der  Art,  daß  jemand  sich 
eine  Stange  verschafft,  so  lang  als  er  selbst,  sich  dann  eine 
bewegliche  Kinnlade  verfertigt,  rot  färbt  und  oben  an  der  Stange 
befestigt,  die  vorne  mit  einer  Gabel,  hinten  mit  einem  Schwänze 
versehen  wird.  Er  setzt  sich  in  reitender  Stellung  darauf  nnd 
über  das  Ganze  werden  Tierfelle  gespannt.  Er  paßt  es  gerne  ab, 
grade  dann  anzukommen,  wenn  die  Julgrütze  auf  dem  Tische 
steht.  Es  gehört  dazu,  den  „  Julbock ''  mit  Schnaps,  Julbier  und 
einigen  Löffeln  Grütze  zu  traktieren.  In  Ibestad  war  der  Dar- 
steller des  Julebuk  in  ein  Fell  gehüllt  und  hatte  einen  mit 
großen  Zähnen  besetzten  adlermäßigen  Schnabel,  auf  den  große 
Augen  und  bunte  Streifen  und  Büsche  gemalt  waren,  damit  es 
recht  prächtig  aussehen  sollte.  Er  ging  in  gebückter  Stellung 
über  die  Diele,  schielte  nach  allen  Seiten  hin,  und  es  sah  aus, 
als  wolle  er  mit  seinem  Schnabel  die  Umstehenden  hauen.  Hier 
begegnen  wir  wieder  einer  Art  Vogelgestalt  Aus  einem  Dorfe 
bei  Mandal  ist  noch  eine  andere  Art  der  Darstellung  des  Jnl- 
bocks  bezeugt.  Man  verfertigte  aus  einem  Baumstock  das  Bild 
eines  Bockes,  welches  die  Jugend  in  der  Weihnachtsnacht  vor 
dem  einen  oder  vor  dem  anderen  Hause  aufstellte,  so  daß  es 
das  erste  war,  was  dessen  Einwohner  am  Weihnachtsmoiigen  zu 
Gesicht  bekamen.  Siehe  da ,  ein  Seitenstück  zur  Aufstellung  der 
den  Komdämon  darstellenden  Puppe  vor  dem  Hause  (o.  S.  169)! 


1)  Vgl.  dio  wertvollen  Mitteilungen  von  H.  Handelmann,   Weihnachten 
in  Sclileswigholstein.    Kiel  1866.    S.  67  —  76. 


Dramatische  Vorstellungcii  des  Vegetationsbocks.  195 

Und  auf  einem  Hofe,  Annex  zu  Mandal,  war  es  gebräuchlich, 
zu  Weihnachten  einen  Julebuk  auf  Papier  su  zeichnen ,  der  einen 
Reiter  und  sein  Roß  angreift,  und  dieses  Bild  während  der  Jul- 
spiele  an  die  Wand  zu  hängen,  wo  es  zwanzig  Tage  lang  ver- 
blieb. ^  Wieder  ein  Beweis,  daß  man  sich  bewußt  war,  die  Jul- 
bukmaske  stelle  ein  geisterhaftes  Wesen  dar,  dessen  Gegenwart 
man  durch  die  Abbildung  während  der  ganzen  Festzeit  sich  zu 
veranschaulichen  suchte. 

Aus  Schweden  vermag  ich  ziemlich  ausführliche  Nachrichten 
mitzuteilen,  welche  die  Identität  der  Maske  des  Julbocks  mit 
deijenigen  des  Klapperbocks  und  der  Habergeiß  außer  Frage 
stellen.  E.  M.  Arndt  beschreibt  sie  nach  eigener  Anschauung  so: 
„  Junge  Leute  oder  Knechte  zogen  sich  das  Fell  eines  Bockes  an, 
und  setzten  sieh  seine  Homer  auf,  und  so  fuhren  sie  über  die 
jungen  Dirnen  und  Knaben  her  um  sie  zu  erschrecken,  auch  wol 
mit  Ruten  zu  geißeln  und  mit  den  fürchterlichen  Hörnern  zu 
stoßen."  *  In  Westerbottn  stellt  man  den  Julbock  dar,  indem  man 
einen  beim  Teerschwälen  gebrauchten  Quirl  an  das  Ende  eines 
Felles  bindet,  so  daß  die  rohe  Gestalt  eines  Hauptes  heraus- 
kommt Im  Kreuz  befestigt  man  eine  andere  Ecke  des  Felles 
an  eine  Ofengabel  vermittelst  einer  an  ihr  festgemachten  Gerte. 
Auf  die  Ofengabel,  dieselbe  mit  einer  Hand  festhaltend,  steigt 
rittlings  ein  Bursche,  der  mit  der  andern  Hand  den  Teerquast 
mit  dem  Fellhaupt  hält  und  nun  mit  dem  übrigen  Teile  des  Felles 
ganz  verhüllt  wird.  So  ausgerüstet  wandert  der  Julbock  in  der 
Gesellschaft  herum  und  von  seiner  Geschicklichkeit  die  Maske 
zu  bewegen  hängt  das  Ergötzen  der  Zuschauer  ab.'  Auch  bei 
den  Inselschweden  an  der  russischen  Ostseeküste  (Dagoe,  Nuckoe) 
verkleiden  sich  die  jungen  Kerle  als  Julbock,  indem  sie  sich  von 
Stroh  zwei  Homer  und  einen  langen  Schwanz  verfertigen  und 
eine  Decke  über  den  Kopf  ziehen,  kommen  brummend  in  das 
Zimmer,    ergreifen    einige    Kinder,    schleppen   sie   ins   Vorhaus 


1)  Diese  Notiz  wie  einen  Teil  der  übrigen  Nachrichten  über  den  nor- 
wegischen Julbock  entnehme  ich  der  handschriftlichen  Sammlung  des  ver- 
storbenen Lehrers  Storaker  zu  Mandal  auf  der  üniverHitätsbibliothek  zu 
Ohristiania. 

2)  E.  M.  Arndt,  Aus  Schweden  1818,   S.  3G7. 

3)  D.vbcck  Runa  1844,   S.  119. 

13* 


19G  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  11. 

uud  lassen  sie  nach  einiger  ausgestandener  Angst  wieder  frei.^ 
Von  den  Schweden  ist  die  Sitte  zu  den  Esten  übergegangen. 
Auf  der  Insel  Oesel  nehmen  die  jungen  Kerle  am  Weihnachts- 
abend ein  Krummholz^  binden  an  das  eine  Ende  einen  Badeqaast, 
an  das  andere  Ende  einen  Bockkopf  fest;  hängen  es  an  einer 
Schnur  so  über  die  Schultern,  daß  sie  rittlings  darauf  sitzen,  und 
hüllen  sich  selbst  in  einen  umgekehrten  Pelz  ein.  Diese  Ver- 
mummung heißt  Joulosdk  (Weihnachtsbock).  So  gehen  sie  in  die 
Gesinde  (Bauerhöfe) ,  wo  junge  MädcJien  sind,  treiben  mit  Hinen 
allerhand  Scherze ,  werden  aber  auch  oft  genug  recht  arg  von 
denselben  mitgeuonmien.  Besonders  lustig  ist  es,  wenn  sich  in 
einem  Gesinde  mehrere  Böcke  begegnen.  ^  Auf  der  Insel  Dagden 
macht  ebenfalls  ein  in  allerlei  Kleider  vermummter ,  auf  einem 
Krummholz  rittlings  sitzender  Mensch  den  Weihnachtsboek  (Jou- 
lopuk).^  In  Willstad  wickelt  man  Weihnachtsabend  nach  dem 
Abendbrod;  während  der  sogenannte  Engeltanz  (ängladansen)  auf- 
gefllhrt  wird,  um  eine  gute  I lachsernte  zu  erzielen^  einige  Halme 
des  während  der  Feiertage  den  Fußboden  bedeckenden  langen 
Weizen-  oder  Boggenstrohs  (Julstrohs)  zusammen  und  verfertigt 
daraus  die  Gestalt  eines  Bockes,  den  man  mitten  unter  die 
Tanzenden  wirft,  indem  man  ihnen  zurui't,  sie  sollten  den  Julbock 
fassen  (sägaude,  at  de  skulle  taga  julabocken).  In  Dalame  hat 
man  denselben  Brauch,  sagt  aber  statt  Julbock  julgumse  (Julwid- 
der).^  Das  gleicht  sich  wieder  genau  den  Ernte-  und  Drescher- 
sitten, wobei  man  aufibrdeii;,  das  Getreidetier  zu  haschen,  oder 
eine  dasselbe  darstellende  Kompuppe  dem  Nachbar  in  die  Scheune 
zu  werfen  mit  den  Worten  „  da  habt  ihr  den  Wolf,  Bock  u.  s.  w.'* 
In  Upland  (Langtora  Säten)  verfertigt  man  ans  den  Halmen  des 
Weihnachtstrohs  Bocksfiguren  mit  Hörnern  und  Füßen  zum  Spiel- 
zeug iür  die  Kinder. 

Eine  eigentümliche  Wendung  nimmt  der  Brauch  im  südlichen 
Schweden  (Schonen,  Blekingen,  Oeland  u.  s.  w.).  Der  von  zwei 
Führern  in  der  Gesellschaft  rings  umhergeleitete  Bock  wird  er- 
schlagen und  lebt  wieder  auf  unter  dem  Gesänge  eines  Liedes, 


1)  RuIJwurm  Eibofolke  II,  96.   §.  296. 

2)  Holzmayer  Osiliana.  Verhandl.  der  estnischen  Gesellscliaft  zu  Dorpat. 
1872.    S.  56. 

3)  Ebds.    S.  114. 

4)  Hylten-Cavallius  Wärend  och  Wirdarae  II,  LIV.    Tüläg  §.  124. 


Dramatische  Darstellangen  des  Yegetationsbocks.  197 

dessen  Text  von  Strophe  zu  Strophe  die  einzelnen  Akte  der 
Handlung  mit  einem  Commentar  begleitet.  Die  in  Blekingen 
gebräuchliche  Version  erzählt,  die  Führer  hätten  den  Bock  auf 
der  Höhe  der  hohen  Bergeswand  getroffen,  da  stand  er  so  böse 
und  schüttelte  seinen  Bart.  Weil  er  Brod  fraß  (?),  legten  sie 
auf  ihn  einen  roten  MafitcL  Einer  drohte,  der  andere  schlug  ihn^ 
der  Bock  fiel  nieder  zur  Erde.  Sie  legten  auf  den  Bock  einen 
blauen  Mantel,  weil  das  Tier  grau  war,  sie  legten  auf  ihn  einen 
weißen  Mantel,  weil  der  Bock  Leiche  war,  Sie  legten  auf  ihn 
einen  gelben  Mantel,  weil  die  Weihnacht  kommen  sollte.  Doch 
ehe  er  in  Salz  gelegt  wurde ,  sprang  der  Bock  auf  und  schüttelte 
seinen  Bart,  und  er  schlägt  sein  Haupt  durch  die  ttlnfte  Mauer. 
Bei  den  letzten  Worten  des  Liedes  erhebt  sich  der  todte  Bock 
vom  Boden  und  erzeugt  durch  Sprung  und  Anprall  großen  Wirr- 
warr und  Jubel  unter  den  Versammelten.^  Der  Oeländische  Text 
des  Liedes  läßt  die  den  Julbock  begleitenden  zwei  Bauern,  Vater 
und  Sohn,  ein  Lied  anstimmen,  wie  das  Boot  gebaut  wird,  wie 
sie  das  Vieh  auf  die  Weide  treiben,  wie  sie  den  Bock  (auf  der 
Gebirgswiesc)  aufspüren  und  erlegen.  Dabei  feuert  der  Sohn  die 
Pistole  ab  und  ruft:  paflF!  Der  Julbock  fällt  wie  todt  nieder. 
Dann  geht  das  Lied  weiter,  wie  der  Bock  eingehüllt  und  nach 
Hause  gebracht  wird,  dort-  aber  ivieder  auflebt.  Der  Refrain  ist: 
„so  laden  sie  den  Bock  ins  Boot."  Beim  letzten  Verse  springt 
der  Julbock  wieder  auf  und  beginnt  umherzutoben.^  Es  scheint 
ursprünglich  das  Wiederaufleben  des  in  der  Ernte  getödteten 
Vegetationsbockes,  oder  des  gestorbenen  Jahresbockes  gemeint 
gewesen  zu  sein.  Um  das  Wiederaufleben  zu  veranschaulichen, 
mußte  vorher  die  Tödtung  dargestellt  werden.  Auf  den  gleichen 
Gedankenkreis  leiten  auch  noch  andere  Stücke  des  Weihnachts- 
brauches. So  jene  aus  dem  Julstroh  gefertigten  Bocksfiguren, 
insofern  das  Julstroh  im  Frühjahr  auf  die  Aecker  gestreut  der 
Saat  Gedeihen,  um  die  Obstbäume  gebunden  denselben  große 
Tragfähigkeit  geben  soll.  Außerdem  backt  man  zu  Weihnachten 
in  Dänemark  und  Schweden  Weihnachtstollen  aus  feinem  Mehl, 
welche  den  Namen  Julbock ,  Jidgumse  (Julmdder)  oder  Jtdgalt 
(Juleber)  führen  und  entweder   die   Gestalt  des  entsprechenden 

1)  Dybeck  Runa  1844,    S.  119. 

2)  Arvidson  Svcnska  Forasängor  III,  525. 


198  Kapitel  III.   Dio  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

Tieres  haben;  oder  ein  Abbild  desselben  auf  ihrer  Oberfläche 
tragen.  Dazu  mrd  mehrfach  das  Korn  der  letzten  Crarbe  ver- 
wandt  Der  Kuchen  steht,  mit  Schinken,  Butter,  Käse,  Bier 
und  Branntwein  auf  den  Tisch  gesetzt,  daselbst  bis  St.  Knut 
Häufig  wird  er,  bis  zur  SäezeU  aufbewahrt^  teils  unter  das  aus- 
zustreuende  SacUkom  gemengt,  teils  genossen  und  den  Pflug- 
ochsen zum  Essen  gegeben  ^  in  Hoffnung  einer  glücklichen  Ernte 
und  persönlichen  besseren  Wolseins  und  Gedeihens.  Der  dieser 
Sitte  zu  Grunde  liegende  Gedanke  ist  ja  augenscheinlich  der, 
daß  mit  den  aufsprossenden  Getreidepflänzchen  der  neuen  Aus- 
saat der  Kombock  wieder  ersteht  Da  nun  der  Julbnk- Kuchen 
offenbar  nicht  von  der  Julbuk- Maske  getrennt  werden  darf,  haben 
wir  in  demselben  einen  neuen  Beweis  daftlr,  daß  die  Julböcke 
und  ihre  deutschen  Verwandten  Klapperbock  und  Habergeiß  in 
der  Tat  —  wie  wir  aus  verschiedenen  gewichtigen  Gründen 
schließen  zu  mttssen  glaubten  —  Getreidedämonen  darstellten. 

Von  diesem  Ergebniß  aus  fällt  erwünschtes  Licht  auf  mehrere 
verdunkelte  Stücke  des]  ganzen  Brauches.  Zunächst  nämlich  ist 
deutlich,  daß  der  Umgang  der  Julböcke  von  Haus  zu  Hans  und 
in  die  Stuben  hinein  ursprünglich  kein  bloßer  Spaß  war,  daß  er 
einen  ernsten  religiösen  Zweck  verfolgte;  mithin  muß  er  den 
Vegetationsbock  nicht  als  fnrchbares,  im  Zorne  schadendes  Un- 
geheuer sondern  als  segnenden,  den  Menschen  und  den  Tieren 
Gedeihen,  Wachstum,  Vermehrung  verleihenden  Dämon  zur  55eit 
seiner  Wiedereinkehr  ins  Land  mit  der  Wintersonnenwende 
gemeint  und  gefeiert  haben.  Hierauf  aber  weist  noch  weiter 
sehr  deutlich  der  Zug,  daß  das  Mädchen  heiraten  soll,  wenn  sie 
zuerst  den  in  Ziegenfell  gehüllten  Umgänger  hört,  und  daß  der 
Julbock  in  Schweden  sich  vorzugsweise  an  junge  Mädchen  wen- 
det und  mit  ihnen  Scherz  treibt.  Mit  den  hier  zu  Grunde  liegen- 
den Ideen  hängt  es  nämlich  höchst  wahrscheinlich  zusanmien, 
daß  auch  auf  Hochzeiten  (Bulkesch  in  Siebenbirgen)  ein  Geißtanz 
aufgeführt  wird,  wobei  ein  als  Geißhock  ausgekleideter,  mit  einem 
Plum2)sack  versehener  VoHänzer  allerlei  Sprünge  und  Bewegungen 


1)  Mündl.  Aradt  Erinnerungen  a.  Schweden  S.  3B5.  Ueber  die  dänische 
Sitte  vgl.  Finn  Magnussen  lex.  myth.  p.  779:  Jalegalt  sivc  aper  Jolensi»  ve! 
etiam  caper  Jolensis,  dictus  Julbocken,  qui  panesdeindc  ad  seuKMi- 
tis  tempus  servati  tunc  ab  operariis  et  cquis  religiöse  consunii  debuerunt. 


DramatUche  Darstellungen  des  VegetationsboclcB.  199 

vonnacht,  welche  seine  Gespielen  genau  nachahmen  müssen, 
wenn  sie  nicht  seinen  Plampsack  fühlen  sollen.^  Verschiedene 
tatsächliche  Beobachtungen  über  die  Rolle  des  Plumpsacks  im 
Kinderspiel ,  welche  an  dieser  Stelle  zu  erörtern  zu  weit  iUhren 
wtirde,  nötigen  mir  die  Vermutung  ab,  daß  dieser  Plumpsack  an 
die  Stelle  jener  Rute  (Lebensrutc)  getreten  sein  möge,  welche  wir 
gewöhnlich  in  der  Hand  des  Knechts  Ruprecht,  Niklas  u.  s.  w. 
(o.  S.  184),  mehrfach  in  der  Hand  des  Julbocks  antreflFen. 

Wie  ganz  unwillkürlich  und  aus  sich  heraus  die  Gestalt  des 
Getreidebocks  zur  dramatischen  Darstellung  hindrängte,  geht  auch 
daraus  hervor,  daß  dieselbe  in  mancherlei  Kinderspiele  Eingang 
fand.  Zu  Ichtershausen  bei  Gotha  erzählten  alte  Leute  von 
70  Jahren  aus  ihrer  Jugend  von  einem  Spiele  „der  Kornbock, ^^ 
bei  dem  sich  Kinder  in  Stroh  einhiillteyi.  Im  Gerichtsamt 
Plauen  (Kr.- Dir.  Zwickau)  ist  im  Reigen  „kling,  klang  kloria!"* 
das  „Königstöchterlein"  durch  den  Kombock  ersetzt  Ein  Mäd- 
chen setzt  sich.  Ihren  Oberrock  halten  die  übrigen  Mitspieler, 
einen  Kreis  bildend ,  mit  ihren  zwei  Händen  fest.  Ein  Kind  geht 
ringsumher  und  singt: 

Ringel,  ringe!  dorne. 
Wer  sitzt  in  diesem  Korne? 
Das  kleine  Eornböckelein, 
Ma^n  kann  es  kaum  ersehen. 

Ist  das  Lied  zu  Ende,  so  schlägt  der  Umgehende  dem  zunächst- 
stehenden Kinde  eine  Iland  vom  Rocke  ab.  Sind  alle  Hände  frei, 
so  muß  der  Kombock  aufspringen,  um  von  den  Uebrigen  nicht 
gehascht  zu  werden.  Auch  in  einem  sonst  ganz  anders  lautenden 
Abzählreim^  treffen  wir  in  Steiermark  den  Haberbock  wieder: 

1.  2.  3 

pipa  pa])a  pci, 

pipa  papa  Haberkorn! 

Zehn  Kinder  sind  geborn. 

Liegt  der  Fisch 

Auf  dem  Tisch, 

Kommt  der  Katz  und  frißt  den  Fisch. 

Hasel  nudcl  Schock, 

Komm'  heraus  Haberbock! 


1)  J.  Haltrich,  zur  «loutschen  Tiersage.    Kronstadt  1855.  S.  8.  Anm.  13. 

2)  S.  Mannhardt  Germ.  Mj-th.    8.  492.  504. 

3)  Mannhardt  in  Zs.  f.  D.  Myth.  IV,  438. 


200  Kapitel  ni.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

Deijenige,  auf  den  die  letzte  Silbe  trifft,  ist  Haberbodc  and  maß 
die  andern  haschen. 

§.  13.  Die  wilden  Leute  der  griechisch -rOmlschen  Smge. 
Schloßbetraehtnngen.  Wenn  vorstehende  Untersuchongen  ein 
stichhaltiges  Ergebniß  lieferten ,  so  waren  die  bocksgestaltigen 
Geister  der  antiken  Welt,  Pane,  Satyrn,  Fanne  unseren  Wald- 
geistem  nnd  wilden  Leuten,  die  im  Winde  ihr  Leben  äußern, 
identisch  und  da  diese  von  den  bocksgestaltigen  Komdämonen 
nicht  zu  trennen  sind,  in  weiterem  Sinne  auch  den  letzteren.  Sie 
sind  Dämonen  des  Wachstums,  welche  wie  ihre  nordischen  Ver- 
wandten z,  T,  in  Feldgeister  übergehen.  Wir  vermögen  dieses 
Resultat  in  Bezug  auf  die  Faune  und  Satyrn  noch  durch  einen 
neuen  Umstand  zu  festigen.  Wir  sahen  o.  S.  117,  daß  dem  Fau- 
nus  zwei  Feste  (eines  im  Februar  das  andere  im  Dezember) 
gefeiert  wurden,  bei  dem  ersteren  fand  eine  Begehung  statt, 
deren  Teilnehmer,  die  Luperci,  vermutlich  Faune  darstellten, 
gradeso  wie  Satyrmasken  an  den  Dionysosfesten  auftraten.  Zu 
Athen  erhielten  noch  in  später  historischer  Zeit  die  im  Poseideon 
(Dezember)  begangenen  ländlichen  oder  kleinen  Dionysien  und 
Lenäen  und  die  im  Elaphebolion  (März)  gefeierten  großen  Diony- 
sien in  vielfach  gewandelter  Form  die  Erinnerung  an  ein  Winter- 
fest und  ein  Frühlingsfest  des  Vegetationsgottes  Dionysos  fest, 
bei  welchen  unzweifelhaft  einst  ebenso,  wie  bei  dem  Erntefest 
der  Weinlese ,  die  Satyrn  als  Masken  der  Pompe  eine  Rolle 
spielten.  Denn  offenbar  dieser  Umstand  war  die  Veranlassung, 
daß  man  auch  die  ausgebildeten  theatralischen  Vorstellungen  der 
Tragoedie  u.  s.  w.  auf  diese  Feste  verlegte.  Wir  werden  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  vermuten  dürfen,  daß  besonders  in  der  Jahres- 
zeit, wann  die  Sonne  wiederkehrt,  um  die  Wintersonnenwende 
und  Frühjahr  (Februar,  März,  Fastnacht)  die  antiken  wie  die 
nordeuropäischen  Vegetationsdämonen  gegenwärtig  gedacht  und 
festlich  gefeiert  wurden.  Unsere  Untersuchungen  haben  schon 
dargetan  und  werden  es  noch  weiter  dartun,  daß  y.az'  e^oyr^r 
die  Vegetationsdämonen  die  ausgesprochene  Tendenz  zeigen,  in 
lebendiger  dramatischer  Darstellung  dem  nach  Berührung  des 
Göttlichen  sehnsüchtigen  Volke  vergegenwärtigt  zu  werden.  (Vgl. 
Pfingstquak,  Maiköuig,  Wilde  Mann  Bk.  Kap.  IV;  Ernte  bock, 
Roggenwolf,  Halmstier,  Komkater,  Erbsenbär  u.  s.  w.).  Schon 
auf  dem  Emtefelde  beginnt  in  Nordeuropa  diese  Darstellung,  sie 


Die  wilden  Leute  der  griechisch -römiächon  Sage.  Schlußbetrachtangon.    201 

setzt  sich  freier  geworden  im  Weihnachtsumgange  fort.  So  wird 
es  erklärlich,  wie  die  Alten  dazu  kamen  ihre  Satyrn  al»  drama- 
tische Figuren  zunächst  des  Emtebrauchs,  sodann  des  Mittwinter - 
und  Frtthlingsfestes  im  Gefolge  des  der  Vegetation  vorstehenden 
Gottes  Dionysos  zu  schaffen ,  und  zugleich  wird  es  deutlich,  daß 
unsere  Habergeifie,  Klapperböcke  und  Julböcke  die  lebendigen 
Gegenbilder,  aus  gleicher  Wurzel  hervorgewa^hsenen  Seitenstücke 
J3U  den  Jialb  bocksgestaltigen  Gesellen  bilden,  dereti  Gesänge  die 
Tragödie  ihren  ersten  Ursprung  und  Namen  verdankt.  Ob  und 
inwiefern  diese  Wahrnehmung  auch  der  Aesthetik  von  Nutzen  sein 
und  dazu  dienen  könne,  ein  tieferes  Yerständniß  der  Grundlagen 
des  dramatischen  Kunstwerks  zu  gewinnen,  diese  Frage  zu  er- 
örtern muß  einer  anderen  Gelegenheit  vorbehalten  bleiben.  Be- 
achten wir,  daß  in  Skandinavien  die  dramatische  Darstellung 
der  Vegetationsfcöcie  zur  Mittwinterzeit  im  Kampf  um  das  Dasein 
allein  den  Platz  behauptet  hat  [wonebcn  nur  in  schwachen  Spuren 
nocji  die  Julsveinar,  Julbagge  (Jul Widder),  Julgalt  (Juleber) 
bemerkbar  sind],  während  sie  in  Deutschland  zwar  mit  Schimmel- 
reiter, Erbsenbär,  Knecht  Ruprecht  die  Bühne  teilen,  aber  die 
Repräsentation  anderer  Korndämonen  (z.  B.  des  Komkaters,  Kom- 
stiers,  Roggenwolfs)  bei  gleicher  Gelegenheit  bis  auf  ganz  ver- 
einzelte Fälle  zurückgedrängt  haben:  so  wird  durch  diese  Ana- 
logie vollkommen  ersichtlich,  wie  es  möglich  war,  daß  auch  in 
Griechenland  Pane  und  Satyrn  auf  den  ersten  Blick  scheinbar 
eine  so  vereinzelte  Stellung  einnehmen. 

Doch  ist  diese  Isolierung  wirklich  nur  scheinbar.  Wir  wiesen 
ja  nach,  daß  die  halbroßgestaltigen  Kentauren,  vielleicht  auch 
die  Kyklopen,  mit  SatjTu  und  Panen  in  eine  Reihe  gehören. 
Zwar  nur  geringe  Spuren  waren  es,  welche  bei  ihnen  auf  einen 
Zusammenhang  mit  der  Vegetation  hindeuteten  (o.  S.  48.  98) ;  viel- 
mehr drängt  sich  die  Beziehung  zu  Wind  und  Wetter  so  in  den 
Vordergnind,  daß  man  sie  gradezu  als  Personificationen  von 
Wirbelwinden  und  Stürmen  aufzufassen  versucht  sein  könnte. 
Allein  diese  Tatsache  steht  in  keinem  Widerspruch  zu  unserer 
Behauptung.  Kein  Stück  im  ganzen  Kreise  unserer  Unter- 
suchungen ist  sicherer  begründet,  als  dieses,  daß  sowohl  die 
Baumgeister  und  WaUhjcimter  (Hk.  42.  43.  149 ff.),  als  auch  die 
Korndämonen  im  Wetter  und  vorzüglich  im  Windwirbel  ihr  Leben 
äußern.    Der  vom  Donner  verfolgte  Wirbelwind  ist  zugleich  Baum- 


202  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  IL 

elf  (6k.  68.  vgl.  0.  S.  102).  Und  auch  bei  den  Komdämonen  tritt 
die  Windnatur  oft  so  stark  hervor,  daß  sie  auf  den  ersten  Augen- 
blick die  Hauptsache,  der  Grundbegriff  zu  sein  scheinen  kann, 
wie  denn  in  der  Tat  der  Roggenwolf  zuerst  von  diesem  Gresichts- 
punkte  aus  von  mir  behandelt  wurde.  Dieses  mythische  Tier, 
welches  in  der  letzten  Garbe  drin  sitzt,  beim  Schneiden  oder 
Dreschen  aus  derselben  hervorspringt,  also  Genius  des  Kornes 
ist,^  läßt  in  den  Redensarten  ,yhe  rärt  (brüUt)  as  eii  Roggenwulfy 
he  fritt  a^n  Boggenwtdf^^  und  in  einem  von  Windstille  handeln- 
den Kinderspiel '  gradezu  nur  seine  andere  Eigenschaft  als  Stnrm- 
geist  blicken.  Ebenso  ist  das  im  Winde  umgehende,  wie  im 
Halme  drin  sitzende  Roggenschwein  von  der  Windsau  auf  keine 
Weise  zu  trennen.  Wer  aber  nur  die  Sagen  von  dem  im  Wirbel- 
winde fahrenden  Teufel,  dem  Sauschwanz,  Sfistert  (Sausteiß) 
Windsau,  Duivels  zwijntje  kennt,  gewinnt  keine  Ähnung  von 
diesem  Zusammenhang.  Die  Kornmuttcr,  welche  in  den  Wind- 
tromben  dahertahrt,  sieht  der  fahrenden  Mutter  und  der  von  ^m 
wilden  Jäger  gejagten  Frau  zum  Verwechseln  ähnlich ;  diese  ver- 
raten durch  nichts,  daß  sie  mehr  als  reine  Windwesen  seien. 
Der  Volksglaube,  so  werden  wir  sagen  dürfen,  stellt  eine  enge 
Verbindung  des  Pflanzengenius  und  des  Windgeistes  zu  einer 
Persönlichkeit  her,  in  der  bald  die  eine,  bald  die  andere  Wesens- 
seite deutlicher  hervortritt.  Daneben  bemerken  wir  auch  Pflanzen- 
dämonen und  Windgeister,  in  welchen  je  einer  der  beiden  Fak- 
toren jenes  Produktes  noch  unverbunden  verharrte,  oder  wieder 
aus  der  Verbindung  herausgelöst  ist ;  im  letzteren  Falle  zuweilen 
nicht  ohne  irgend  ein  Stückchen  oder  Merkmal  der  einstigen  Ver- 
einigung niitzufUhren  und  an  sich  zu  tragen.  So  darf  es  uns 
nicht  Wunder  nehmen,  daß  bei  den  Kentauren  das  vegetative 
Element  gegen  das  meteorische  fast  ganz  zurücktritt^  und  daß  sie 
mit  Geistern  in  Verbindung  stehen  (Lapithen),  welche  (wie  die 
Harpyien)  nur  im  Winde  ihre  Wirksamkeit  entfalten. 

Die  Mythologie  kennt  theriomorphischc  Wesen  verschiedener 
Art  und  verschiedenen  Ursprungs.  Ein  Grundfehler  bei  Guber- 
natis  ist  es,  sie  allzuausschließlich  als  Sonnenapotypome  gefaßt 
zu  haben.     Sichere  Beispiele  einer  Verbildlichung  der  Sonne   in 


1)  Mannhardt  Roggeiiwolf«    S.  33  ff . 

2)  Roggen woIf*   S.  16—19.  44. 


Die  wilden  Lente  der  griechisch-römischen  Sage.    Schlnfibetrachtnngen.    203 

Tiergestalt  sind  aber  z.  B.  das  Sonnenroß/  der  Sonnen widder,* 
der  Sonnenliirsch  (Solarhjörtr),  Sonnenschwan,  auch  wol  der  gold- 
borstige Eber  Freys.  Wolkenrinder  sind  nicht  bloß  den  Indem 
eigen ;  sondern  auch  in  deutschem  Volksglauben  nachweisbar.' 
Die  Sonnenrosse  (Alsvidr  und  Arvakr)  laufen  in  germanischer 
Mythe  ebenso  neben  der  Auffassung  des  Windes  als  Pferd  ein- 
her, wie  die  Rosse  des  Helios  neben  der  roßgestaltigen  Harpyie 
(o.  S.  92)  in  griechischer  Sage;  ein  drittes  roßgestaltiges  Natur- 
bild ist  die  Personification  der  Wogen  fließender  Gewässer  als 
Sosse,  wenn  der  Nix  als  Roß  aus  den  Fluten  steigt,  oder  in 
Schweden  von  vielen  Wasserrossen  (Vatnhestar)  *  die  Rede  ist. 
Neben  der  Wolke  als  Kuh,  der  Verbildlichung  des  Tages  oder 
der  Sonne  als  weiße  oder  bunte  Kuh,*  werden  auch  Wasser- 
wellen mythisch  als  Rinder  (waterbuUs)  appercipiert,*  was  genau 
der  Stierbildung  der  Flüsse  bei  den  Griechen  entspricht.'  Auf 
die  Verbildlichung  des  Mondes  sei  an  diesem  Orte  nicht  einge- 
gangen, noch  weniger  auf  die  Veranschaulichung  geistiger  Begriffe, 
wie  Stärke,  Klugheit  u.  s.  w.  durch  Tiergestalten.®  Wenn  somit 
aus  sehr  verschiedenen  Anlässen  Theriomorphosen ,  die  in  der 
Mythologie  eine  Rolle  spielen,^  entsprungen  sind,  so  haben  doch 
kaum  irgendwelche  andere  theriomorphische  Bildungen  eine  gleiche 


1)  S.  Mannhardt,  Lcttischo  Sünnenmythen  in  Bastians  Zs.  f.  Ethnologie 
und  Anthropologie  VII,  1875,  IS.  93  —  96. 

2)  Ebendas.    S.  243  ff.  310. 

3)  Mannhardt  Gütterwelt  S.  89.  German.  Myth.  4  ff.  Die  an  diesen 
beiden  Orten  beigebrachton  nur  teilweise  zutreffenden  Nachweise  ergänzen 
folgende  unmittelbare  Zeugnisse.  Zu  Dorenburg  ^Kr.  Halberstadt)  heißt  ein 
leichtes  flockiges  Gewölk  Lämmergewölk:  haben  die  Wolkenteile  größere 
Ausdehnung,  so  spricht  man  von  Himmelskühen.  Um  KremsmiSnster  (Oest- 
reich)  hört  man  statt  Lämmchen  Kuh  „dieKüh*  stehn  als  still**  d.i.  die 
Wolken  bewegen  sich  nicht.  Regenwolken  =  Ochsen  (Rakow  Kr.  Grimmen 
Rgbz.  Stralsund).  Leichte  Wolken  Schafe,  dunklere  Kühe,  ganz  dunkle 
Ochsen  oder  Bullkater  (Gürslow  Amt  Schwerin). 

4)  Hylten-Cavallius  Wärend  och  Wirdame  I,  S.  424  ff. 

5)  Lettische  Sonnenmyth.  S.  3()8.  Daher  wol  die  westpreußische  Redens- 
art „Weiß  (iott  und  die  bunte  Kuh"  d.  i.  „Weiß  Gott  und  die  all- 
Behende  Sonne,  der  allsehcmle  Tag. 

6)  Mannhardt  Germ.  Myth    7  ff. 

7)  Prellcr  Griech.  Myth.  ^  I,  448.  449. 

8)  Vgl.  Mannhardt  Götterwelt  S.  17. 

9)  Vgl.  Mannhardt  a.  a.  0.  S.  17. 


20i  Kapitel  IIL    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

Aktivität  im  Volksglauben  und  Volksbranch  aufeuweisen,  wie  die 
derartigen  Personifieationen  der  Wind-  und  Wettererscheinungen 
und  des  Päanzengeistes.  Der  strenge  Parallelismus  und  die  enge 
Verbindung  beider  legt  nun  den  Gedanken  nahe,  daß  beide  einen 
gleichen  Ursprung  haben.  Es  kann  die  Frage  entstehen ,  ob 
nicht  der  Glaube  an  die  Tiergestalt  zunächst  an  und  aus  gewis- 
sen Erscheinungsformen  des  Windes,  zumal  des  Wirbelwindes 
(schneller  Lauf,  wiehernder  Laut  der  Trombe  =  Pferd,  Heulen,  Bel- 
len des  Windes  =  Hund,  springende  Bewegung,  meckernder  Laut  =- 
Ziege,  erdaufwtihlende  Gewalt  =-  Schwein  u.  s.  w.)  sich  entwickelte, 
bei  der  Verbindung  mit  den  Päanzengeistem  das  Produkt  mit 
übernommen  wurde,  und  bei  abermaliger  Trennung  der  Elemente, 
wo  eine  solche  geschah,  als  Rest  der  Vereinigung  an  den  Baum  - 
und  Komdämonen  haften  blieb.  Doch  ist  das  vorläufig  nur  ein 
Gedanke,  dessen  Beweis  oder  Widerlegung  im  jetzigen  Augen- 
blicke mir  noch  verfrüht  erscheint. 

Mit  größerer  Zuversicht  darf  ich  als  Frucht  unserer  Unter- 
suchungen den  Satz  aussprechen  und  fUr  bewiesen  erachten,  die 
Dryaden,  Ni/m2)hen,  Nereiden,  Kentauren,  Satyrn, 
Pane,  Seilenc,  Faune  der  Alten  sind  unsere  Elbe, 
Von  Windgeistem  durch  Baum-,  Wald-  und  Komgeister  führt 
eine  zusammenhangende  Kette  von  UebergUngen  zu  Berg-  und 
Feldgeistern,  Kobolden,  Zwergen  und  Mährten.  Mit  unsem 
Waldgeistern  und  wilden  Männern  sind  die  Pane,  Faune,  Ken- 
tauren und  ihre  Sippschaft  ebenso  eins,  wie  die  Baumgeister  mit 
den  Dryaden;  und  von  letzteren  leitet  eine  ganz  ähnliche  Reihe 
zu  den  Nymphen  und  neugriechischen  Neraiden,  deren  Umfahrt 
im  Wirbelwinde  (o.  S.  37.  38)  wieder  an  die  Windgeister,  an  Skog- 
snufvar  und  an  Kentauren  anschließt.  Wer  erwägt,  daß  auf 
griechischer  Seite  das  Material  der  alten  Volkssage  nur  in  lücken- 
haften Bruchstücken  erhalten  blieb,  während  die  Mittelglieder 
verloren  gingen,  und  wer  zugleich  die  notwendige  Verschiedenheit 
der  individuellen  Ausgestaltung  gleicher  Grundgestaltungen  in  An- 
schlag bringt,  wird  die  Uebereinstimraung  mit  dem  nordeuropäi- 
schen Elfenglauben  überraschend  groß  finden. 

Wie  unsere  Wald-  und  Komgeister  auf  der  einen  Seite  mit 
den  Windgeistem  in  engster  Verbindung  stehen,  nach  einer  zwei- 
ten hin  in  Kobolde  und  Zwerge  sich  verlieren,  erweitem  sie  sich 
nach  einer  dritten  Richtung  zu  Dämonen  der  von  den  Phasen  des 


Die  wilden  Leute  der  griechiscli  -  rom.  Sage.    Schloßbeiracbtangen.    205 

Jahre  slanfs  bedingten  Vegetation  überhaupt  und  nehmen  als  solche 
häufig  das  Aussehen  von  Persouificationen  der  Jahreszeit  oder 
bezeichnender  Abschnitte  oder  Momente  derselben  an.  In  diesem 
Falle  stoßen  oder  rinnen  sie  zuweilen  sogar  mit  ähnlichen  Natur- 
bildem  des  Wassers  oder  der  Sonne  zusammen.  Man  sehe  spä- 
ter, was  von  uns  bei  anderer  Gelegenheit  über  die  schwedische  Kom- 
sau,  die  Gloso,  und  Freys  goldborstigen  Eber,  sowie  das  zu 
Weihnachten  oder  Neujahr  im  Traum  erscheinende  goldene 
Schweinchen  vorgetragen  werden  wird.  DerMythus  vom  Raube 
und  nachherigen  Verschwinden  der  elbischen  Braut  ist  in  altgrie- 
chischer Sage  (Thetis)  an  ein  Wasserwesen,  im  Norden  vielfach 
an  Waldfrauen,  aber  auch  an  die  Valkyilsn  geknüpft,  als  deren 
letzte,  wenn  auch  tief  zurückliegende  Naturgrundlage  man  viel- 
leicht einige  Ursache  hat  die  Sonne  anzusehen.  ^  Ebenso  haftet 
die  Erzählung  von  Selbgetan,  litis  gleichmäßig  an  Kyklopen, 
wilden  Weibern,  Nixen  (o.  S.  106.  150.  Bk.  94).  Mehrere  Züge 
unserer  Waldgeister-  und  Zwergsagen,  z.  B.  die  aus  dem  Acker 
oder  See  emporsteigenden  Kuchen,  sowie  von  den  durch  die  Zwerge 
während  der  Nacht  geschmiedeten  Schüsseln  und  Waffen  wird 
man  vielleicht  anders,  als  ich  es  Bk.  S.  80  getan  habe,  aus  der 
Sonnenmythologie  deuten  müssen.  *  Auch  einige  der  Vorstellun- 
gen, die  in  der  Legende  des  Stephanstages  ausgeprägt  sind, 
ergeben  sich  sicher  als  Sonnenmythen,  ^  während  die  Gebrmiche 
dieses  Tages  Zusammenhang  mit  den  dem  Gedankenkreise  der 
Vegetationsdämonen  angehörigen  Frühlings  -  und  Emtegebräuchen 
zeigen  (Bk.  403).  Unter  den  Eiben  giebt  sich  eine  ganze  Klasse, 
diejenige  der  Lichtelfen  (Liosälfar)  als  Persouificationen  von  Licht- 
erscheinungen zu  erkennen.  Ist  aus  diesen  Tatsachen  irgend  ein 
Gegenbeweis  gegen  unsere  bisher  vorgetragenen  Theorien  abzu- 
leiten ?  Mit  nichten ,  sondern  nur  dies  werden  tmr  daran  zu  fol- 
gern Ärt&en,  daß  die  Wind-  und  Fflanzcngeister  keinesweges 
aUcin  undisoUert  aJs  constantCy  starr  geword&ne  Arten  dastanden 
und  dastehen^  sondern  als  halbflüssige  Gebilde  inmitten  eines 
lebendigen  Kreises  aus  heterogenen  Anlässen  auf  älinliche  Weise 
vollzogener   mythisciher  Appcrceptionen  ^    welclie   fortwährend  auf 


1)  Mannhardt  Lett.  Sonnenmythen  S.  320. 

2)  Lett.  Sonncnm.  101.  102.  321. 

3)  Lett.  Sonnen m.  S.  95. 


206  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  IL 

einander  einwirkten,  sich  gegenseitig  anzogen  oder  abstießen,  einem 
mannigfachen  Assimilier ungs-  oder  Mischungsprozesse  unterlagen^ 
oder  zu  Neubildungen  und  Umbildungen  nach  Analogie  vorhandener^ 
Macht  gewinnender  Vorstellungen  Veranlassung  gaben.  Es  ist  für 
den  Forscher  schwer,  in  vielen  Fällen  unmöglichy  die  dnzdnen  Ele- 
mente reinlich  zu  sofidern,  weil  die  Wirklichkeit  eben  in  einem 
Ineinanderrinnen  des  ursprünglich  Verschiedenen  ihr  Bestehen  hat. 
Dies  zeigt  sich  natürlich  noch  äaffälliger,  wo  einzelne  my- 
thische Volkssagen  durch  freie  Dichtung  zu  längeren  epischen 
Sagenreihen  mit  einander  verbunden  und  verschmolzen  werden. 
Wenn  irgend  eine  der  von  mir  vorgetragenen  Vergleichungen, 
scheint  mir  die  o.  S.  ^  ff.  gegebene  Deutung  der  Phineossage 
in  ihrer  ältesten  Gestalt  auf  das  großartige  Naturphänomen  des 
Gewittersturms  gesichert.  Diese  Sage  muß  längere  Zeit  für  sich 
bestanden  haben,  ehe  die  Boreaden  und  mit  ihnen  Phineaa  und 
die  Harpyien  einerseits  in  die  Argonautensage  hineingezogen  und 
verflochten  wurden ,  deren  Grundstock  sich  allem  Anscheine  nach 
aus  dem  Zusammenfluß  mehrerer  auf  das  Leben  der  Sonne  bezüg- 
licher poetischer  Bilder  kristallisierte,  ^  und  ehe  andererseits  der 
Name  der  Boreaden  die  Attraction  der  verwandten  attischen  Sage 
von  Boreas  und  Oreithyia  veranlaßte.  Denn  ursprünglich  war 
Z'qrrjQ,  dor.  ZaTog,  der  Sturmwind  (Contraction  von  Za-i^rt^g, 
Zadiag,  d.  i.  dia-di^Trjg.  Vgl.  dt^vfjg  IL  XIV,  254.  Laei  nvei 
Kv/TQiot,  Curtius  Gr.  E.  ^  544)  sicherlich  Zijtrjg  Bogiddr^g ,  d.  i. 
äiJTTjg  ßoqio)  genannt  ohne  Beziehung  auf  die  Erzählung,  daß  der 
Nordwind  vom  Ilissosufer  die  Oreithyia  „die  auf  den  Bergen 
DaJherbrausende'' ^  entfllhrte.  Es  war  dies  offenbar  eine  gleich- 
bedeutende Variante  der  Mythe  von  Verfolgung  der  faJirenden 
Frau,  der  Harpyie  u.  s.  w.  durch  den  Sturmgott;  wobei  wir  den 
Uebergang  dieses  Wirbelwindwesens  in  eine  echte  Berg-  und 
Waldnymphe  (Oreade,  Orestiade  o.  S.  33)  genau  ebenso  beobach- 
ten können,  wie  beispielsweise  bei  den  weißen  Weibern  (Bk.  122  ff.). 
Erst  später  können  Zi^rjg  und  sein  Bruder  Kaiais  *  genealogisch 


1)  S.  m.  Aufsatz  „  Lettische  Sonnenmythen  in  Bastian  -  Hartmanns  Zeit- 
schrift f.  Ethnologie  VII,  1875,  S.  281  ff. 

2)  Vgl.  ävk^og  auv  lalkajii  Ü-von'.     Od.  XII,  400.  urfutav  ^vovan'  co^rrcf 
Hes.  0.  e.  D.  519,     {t^v-Ma,  nv^uoio  O^vflla. 

3)  Diesen  wie  IdgiOTaig,  EfQrjvaig ,  'Eariaig  gebildeten  Kosenamen  wago 
ich  nicht  zu  erklären. 


Die  wilden  Leute  der  griechisch -röm.  Sage.    Schlaßbetrachtungen.    207 

ZU  Söhnen  dieses  Paares  gemacht  sein.  —  Auch  der  Thetissage 
liegt  eine  Volksttberliefcrung  von  schlichtester  Form  zu  Grande, 
wie  ein  Held  die  Wasssermuhme  raubte  (o.  S.  60 ff.):  Thetis, 
Odrig,  &HT12,  [nach  dem  von  Fick  (Bildung  der  griech.  Per- 
sonenn.  S.  LVI)  vorgetragenen  Gesetze  vielleicht  abgekürzt  ans 
KYMO'^eng,  HloÜhig  oder 'r_/^/7'0- ^^ng ']  bewahrt  die 
ältere  Form  des  durch  Aspiration  später  gemodelten  Wortes 
'^Tjdig,  Muhnie,  Tante;  lit.  dede,  Muhme,  Tante;  vgl.  v^clog, 
Oheim;  lit.  dedas  Oheim  (cf.  Curtius  Gr.  Etym.  2.  229.  Lobeck 
ad  Phryn.  p.  1).  Hier,  wie  beim  Boreaden  Zrjir^g  steht  die 
Bezeichnung  des  göttlichen  Wesens  noch  ganz  auf  appellativer 
Stufe.  Von  der  Wärme  des  Herzens  eingegeben  war  ^trig  zu- 
traulicher Ehrenname,  ganz  genau  dem  deutschen  Muome,  muo- 
mila,  Watermöme,  Wassermuhme  ftlr  die  weiblichen  Elementar- 
geister des  Wassers,'  und  Kornmuhme j  Boggenmuhme  für  den 
Eorndämon  entsprechend;  während  Ttj^^vg,  Name  der  Gemahlin 
des  Okeanos  (abgektlrzt  aus  KvuoTr^d'vgj  ^^AXotr^d-vg?)  ^  die  Alte, 
Nährmuttex,  Wasseralte  eine  Variation  des  Wortes  tj^'^i^  Groß- 
mutter und  eine  Parallele  zur  deutschen  WatermMer,  lettischen 
Jurasmäte,  Meeresmutter,  estnischen  Wete-efna,  Wassermutter, 
finnischen  Weene  -  ukho,  Wasseralte  darstellte.  Diese  Sage  wurde 
durch  Association  mit  dem  aus  ganz  anderen  phymchen  Anre- 
gungen entstandenen  Mythus  vom  Kampfe  mit  den  Ungeheuern 
verbunden,  dessen  Held  (dahin  glaube  ich  jetzt  meine  o.  S.  53 
vorgetragene  Namensdeutung  modifizieren  zu  müssen)  den  durch 
eine  delphische  Inschrift  bezeugten  Namen  TltjXe-xUag  (Curtius 
Grandz.  *  430),  d.  i.  der  Weithinberühmte,  oder  einen  ähnlichen, 
abgekürzt  FeleuSy  führte.  Die  Gleichheit  des  Aiüauts  in  den 
Namen  Feleus  und  Pelion  veranlaßte  die  Localisierung  der 
Begebenheit  auf  letzterem  Gebirge.  Erst  die  Vereinigung  der 
Mythe  vom  Raube  der  Wassermuhme  mit  der  nun  in  Raum  und 
Zeit  fixierten  Heldensage  vom  Peleus  und  zugleich  das  durch 
das  siegreiche  Vordringen  der  jtlngeren  appellativen  Form  xtjv^ig 
tUr  Muhme  bewirkte  Vergessen  der  älteren  Form  x^t/vig  machten 
QtTig  zum  vollen  Eigennamen.     Und  noch  weit  später,   erst  in 


1)  Vgl.  homer.  tdü-avJvrj  Meerestochter,  'Ydaro-audyT}   (Kollimachos) 
Wassertochter,  Nereide. 

2)  Mj-th.  «  458. 


^>^  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  II. 

Fol^  des  ausgebildeten  Epos,  entstand  der  Kult  der  Thetis  im 
Tbetideion  und  am  Sepiasstrande. 

Mit  diesen  allgemeinen  Betrachtungen  sei  die  Untersuchung 
fther  die  wilden  Leute  der  griechisch  -  römischen  Sage  beschlossen, 
welche  einzig  darauf  hinausging,  soweit  es  möglich,  die  ursprting- 
tiehe  Gestalt  derselben  im  naiven  Volksglauben  aufzufinden  und 
daivh  den  Nachweis  ihrer  Uebereinstimmung  mit  nordeuropäischen 
Anaii^en  ins  Licht  zu  setzen.  Wir  mußten  uns  dabei  versagen, 
die  mannigfachen,  übrigens  zu  großem  Teile  durchsichtigen 
Sproßtbrmen  aufzuführen,  welche  die  dargelegten  elementaren 
Anschauungen  im  Munde  des  Volks  oder  der  Kunstdichter  ein- 
gingen, wie  wenn  Pan  Vater  des  Krotos  (Getöse)  oder  Geliebter 
der  Echo  genannt,  oder  wenn  die  Aehnlichkeit  der  durch 
Geräusch  in  Wäldern  und  Schluchten  (die  Ilavixa  xinj/icrra) 
scheu  gewordenen  Heerden  mit  dem  plötzlichen  Grauen,  der  lee- 
ren Angst  und  Verwirrung  {O^oQvßog,  zagoxog  navr/.og)y  welche 
zumal  im  Dunkel  der  Nacht  kämpfende  Heerhaufen  nicht  selten 
ergreifen  und  in  die  Luft  treiben,  zu  Erzählungen  Anlaß  gab  und 
weitergebildet  wurde,  wie  Pan  in  dieser  und  jener  bestimmten 
Schlacht  seinen  Freunden  zu  Hilfe  kam  oder  die  feindlichen  Mas- 
sen durch  Muschelblasen,  Zuruf  u.  s.w.  in  Verwirrung  brachte. 
Ausgeschlossen  blieb  auch  die  Erörterung  der  mannigfachen  und 
immer  reicher  werdenden  Ent>vickelung,  welche  der  Character 
dieser  Wesen  im  Drama  und  der  bildenden  Kunst  erfuhr.  Doch 
möchte  ich  mir  hierüber  wenigstens  einige  andeutende  Bemer- 
kungen gestatten. 

§.  14.  Die  antiken  Wildlente  In  der  Knust.  Schon  im 
homerischen  Zeitalter  hatte  der  griechische  Volksgeist,  insoweit 
er  in  der  Poesie  sich  offenbarte,  die  Stufe  der  Naturreligion  über- 
wunden; seine  Götterwelt  ist  von  ideellem  Gehalt  durchdrungen, 
besteht  aus  wesentlich  ethischen  Gestalten,  in  denen  das  phy- 
sische Substrat,  welches  ihren  Ursprung  bedingte,  oft  wenig  oder 
gar  nicht  mehr  deutbar,  vom  Gemeinbewußtsein  sieher  nicht 
mehr  verstanden,  nur  als  elementare  Bildung  noch  fortdauerte. 
Jeder  historische  Fortschritt  war  zugleich  ein  Fortschritt  zur 
Humanität,  vermehrte  den  an  Wert  steigenden  Gehalt  der  geistigen 
Beziehungen,  welche  an  diese  authropomori)hischen  Wesen  sich 
knüpften,  bis  sie  schließlich  zu  Grunde  gehen  mußten  an  dem 
Widerstreit  der  in  ihnen  lebendigen  Idee  mit  der  Eierschale  ihres 


Die  antiken  WiMleute  in   der  Kunst.  209 

physisch -geistigen  Ursprungs,  die  sie  unabstreifbar  mit  sieh 
herumzutragen  verurteilt  waren.  Erst  tmchdem  clor  WenUxyrozeß 
der  olympischen  (htthrUfin  in  der  Hauptsache  längst  varübcr  war^ 
traten  die  Pane,  Satyrn y  SeilcfiCt  Kentauren,  die  im  niederen 
Volksglauben  w(^it  treuer  den  Zusanunenhang  mit  der  poetisciien 
Naturanscluiuung  bewahrt  hatten,  aber  dafür  leerer  an  geistigem 
Inhalt  geblieben  waren ,  in  den  städtischen  Kult  und  in  die  Lite- 
ratur ein.  Gewissermaßen  vergleichbar  erscheint  es,  daß  erst 
tausend  Jahre  nach  dem  lieginne  einer  deutselien  Literatur  die 
Gestalten  des  wilden  Jägers,  der  hochzeitt'eiernden  Zwerge,  des 
gemsenhUtenden  Berggeistes  durch  Bürger,  Göthe,  Schiller  aus 
den  Tiefen  der  bis  dahin  unbea(*hteten  Volkssage  in  die  Poesie 
eingeführt  wurden.  Eine  notwendige  Folge  des  dargestellten  Ver- 
hältnisses war  es,  daß  die  wilden  Leute  zwar  an  dem  Prozesse 
der  Vergeistigung  teilnahmen,  aber  fortdauernd  in  weitem  Abstände 
hinter  den  Olympiern  zurückblieben,  und  mit  wenigen . Ausnah- 
men ^  niemals  zu  so  lebendiger,  freier  und  individueller  Gharac- 
terausbildung  gelangten ,  wie  diese.  Gleich  unseren  Kobolden  all- 
zusehr mit  dem  Gewichte  der  Materie  behaftet  und  doch  voll 
Anspruches  auf  religiöse  Verehrung  ließen  sie  durch  das  Erbteil 
tierischer  Körperteile  den  Contrast  mit  dem  Adel  göttlicher 
Wesenheit  als  Komik  empfinden,  und  empfingen  daher  großenteils 
in  Dichtung  und  bildender  Kunst  als  Beigabe  ihrer  Eigentümlich- 
keit einen  Zug  von  Schalkheit,  Ironie  oder  Humor,  der  im  Kul- 
tus  und  naiven  Glauben  der  Landleute  —  wie  noch  Longus  zeigt 
—  natürlich  nicht  oder  wenig  hervortritt.  Zwar  in  einigen  dun- 
keln Reminiszenzen  dauerte  die  Kenntniß  der  objectiven  Natur- 
anlässe fort,  welche  die  Bildung  ihrer  Gestalt  im  Volksgciste 
beeinflußt  Initten,  doch  im  allgemeinen  verdichtete  sie  sich  zu 
Spiegelbildern  der  wilden  ursprünglichen,  von  der  Herrschaft  der 
Kultur  gebändigten  und  unterworfenen,  aber  noch  nicht  veredel- 
ten Natur  als  Prinzip,^  weiterhin  wurden  sie  zu  ideellen  Typen 


1)  Vf^l.  Chciron,  der  oinzig  durch  die  im  Jlpos  fj^egobenc  Rollo  ala  Ret- 
ter dos  Polens  und  di»'  dadurch  horvorgerulene  Auffassung  als  thxcciurnTOi 
Kfiinvtmr  von  seiner  Sippe  getrennt  nnd  mit  der  auf  mannigfache  Weise 
fruchtbar  gewcson«'n  Triebkraft  zu  ethischer  Veredelung  ausgerüstet  wurde. 

2)  Nicht  unzutreffend  sind  Schellings  Bemerkungen  (Philosophie  der 
OffenbaruTig.  Werke  II,  3.  1858.  8.  4:J8.  430.  437):  „Silenos  ist  das  mild 
und  zahm  geworden«',  ebcm  darum  seiner  selbst  bcwullte  und  sieh  selbst  mit 

Manrnhardt.     II.  14 


210  Kapitel  III.    Die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  IL 

jener  auch  im  höchsten  Kulturleben  nie  aussterbenden  Menschen- 
gattnngy  welche ,  von  Naturkraft  strotzend,  die  Schranke  der 
Sinnlichkeit  und  des  niederen  Geisteslebens  nicht  zu  durchbrechen, 
in  das  Reich  der  Ideen  und  wahrer  Humanität  nicht  vorzudringen 
vermag.  Sie  dienen  deshalb  den  Vertretern  der  letzteren  als 
Folie ;  so  die  Kentauren  als  Barbaren  dem  Heldenideale  (vgl.  die 
Metopen  des  Parthenon  u.  s.  w.),  die  Satyrn,  Pane,  Seilenc  dem 
Dionysos  und  seinen  Mänaden.  Was  veredelte  Menschen  begei- 
stert, weckt  ihnen  nur  sinnliches  Behagen  (vgl.  den  Faun  Bar- 
berini).  Oft  sind  sie  roh,  feige,  gemein,  immer  nur  auf  ihren 
augenblicklichen  Nutzen  bedacht  (vgl.  d.  Kyklops  des  Euripides); 
nicht  selten  auch  behende,  aufgeweckt,  lustig,  munter  in  Ein- 
fällen, in  ländlichen  Scherzen,  dabei  lüstern,  üppig,  einem  Teile 
nach  gutmütig,  wolgefällig,  freundlich,  aber  zeitlebens  an  den 
Spielen,  Tändeleien,  Vergnügungen  der  Jugend  haftend.  Diese 
Menschenart  fiihrt  die  Kunst  vor,  wenn  sie  in  jugendlicher  Freude, 
unerfahrener  Lüsternheit  und  Neugier  hier  einen  Satyr  mit  unend- 
lichem Appetit  die  süße  Traube  kosten,  dort  ein  Faunchen  die 
Nymphe  belauschen  und  haschen,  einen  anderen  mit  kindischem 
Vergnügen  die  FüUe  blasen  läßt.  So  offenbaren  Maler  und  Bild- 
hauer Gestalten  dieser  Art  von  großer  Schönheit.  Aber  indem 
sie  hier  ein  Schweifchen ,  dort  ein  Hörnchen  sprießen,  ein  spitzes 
Ohr  lauschen,  die  Zunge  lüsten  lassen,  und  jene  Wesen  dadurch 
schon  ihrer  Art  naph  zum  gaukelnden  Sprunge,  zur  lüsternen 
Fröhlichkeit  gemacht  zeigen,  zeichnen  sie  dieselben  zugleich  aus 
als  der  reinen  Menschheit  nicht  ganz  würdig.  [Inser  Auge  würde 
vielleicht  nicht  beleidigt,  wenn  ein  gans  mensehUcher  Jüngling 
mit  einer  Nymphe  scherzt,  das  Auge  der  Griechen  ward  es. 
Die  Gestalt  eines  Jünglings  war  heilig,  aber  ein  Satyr  durfte  so 
scherzen  und  tändeln.     Diese  characteristische  Unterscheidung,  die 

Irouio  botrachtende  wilde  Prinzip/*  ,,P»'^n»  ^^  Inwohnende  dor  uun  «gewor- 
denen beruhigten  Natur,  jenes  unsiclitbar  Webende,  das  der  Mensrh  in  di-r 
Stille  der  Wälder,  in  dem  Schweigen  der  Fluren  um  sich  empfindet,  eben 
darum  vorzüglich  der  Gott  der  Landleute,  der  Hirten  und  aller,  die  in  freier 
Natur  ein  einsames  Geschäft  verrichten.  Es  ist  der  nicht  mehr  geftirchtoto, 
mild  gewordene,  dessen  ehemalige  Wildheit  eben  darum  nur  noch  gleichs^im 
scherzhaft,  mit  Ironie  dargestellt  wird,  wie  er  selbst  durch  seine  Ironie  iillf 
Götter  ergötzt.**  „Die  Satyri  und  Tityri  stellen  das  Bild  jenes  {hr,fuM^vt^ 
Cr^v  dar,  jenes  tierähnlichen  Lebens,  von  welchem  die  Menschheit  duri*h 
Dionysos  befreit  worden." 


Die  antiken  Wildlente  in  der  Knnst  211 

Begierden  solcher  Art  gleichsam  au  die  Grenze  der  menschlichen 
Natar  rockte,  war  höchst  sittlich  gedacht,  und  die  reine  mensch- 
liche Natur,  insonderheit  der  menschliche  Jüngling  ward  durch 
sie  hoch  geehrt. 

Dem  aufmerksamen  Leser  wird  nicht  entgangen  sein,  daß  ich 
in  den  letzten  Sätzen,  großenteils  mit  seinen  eigenen  Worten, 
wenig  beachtete  Gedanken  Herders  (Briefe  zur  Beförderung  der 
Humanität,  Samml.  6.  Br.  G9)  wiederhole,  an  welche  zu  erinnern 
nicht  ganz  überflüssig  schien.  Man  vgl.,  was  derselbe  a.a.O. 
über  die  Seilene,  Kentauren  und  Kyklopen  ausführt.  Wie  die 
Kunst  den  Hnmanisierungsprozeß  weiterführte,  indem  sie  Seilene 
und  Satyrn,  endlich  sogar  die  Pane  immer  weiter  vermenschlichte 
und  ins  Schöne  verklärte,  aber  trotzdem  den  angedeuteten  Cha- 
racter  nicht  austilgte,  dies  zu  erörtern  liegt  außer  unserer  Aufgabe. 

Es  ist  nun  bemerkenswert,  daß  auch  der  nordeuropäische 
wilde  Mann  insofern  eine  den  wilden  Leuten  der  griechischen 
Sage  analoge  Entwickelung  durchgemacht  hat,  als  auch  er  in  der 
Kunst  und  Heraldik  des  Mittelalters  zum  Typus  der  durch  Ritter- 
tum und  edle  Weiblichkeit  bezwungenen  rohen  Kraft  geworden 
ist  (Bk.  339),  wie  denn  auch  seine  Darstellung  als  Maske  bei 
Festlichkeiten ,  höfischen  Schaustellungen  z.  T.  auf  diesen  Gedan- 
kenkreis hinauslief  Nur  in  seiner  völligen  Loslösung  von  dem 
Boden  der  herschenden  Volksreligion  und  in  den  Geschicken  der 
mittelalterlichen  Kunstgeschichte  liegt  es  begründet,  daß  er  sich 
in  eine  abstracte  und  abgeblaßte  Allegorie  vei'flüchtigte  und  nicht 
zu  der  mannigfaltigen  und  lebensvollen  Characteristik  gelangte, 
welche  die  Gestalten  seiner  antiken  Geschlechts  verwandten  in 
immer  steigendem  Maße  erfuhren. 


14 


* 


Kapitel  IT. 

Erntemai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt. 

§.  1.    Erntemal  nnd  Maibanm  in  Nordenropa.    Dryaden 
sind  die  typischen  Gegenbilder  der  deutseben  Baumgeister.     Die 
Oreaden,   Kentauren   und  Kyklopen,   sowie    die   Sippschaft    der 
Faune,   Satyrn,    Psine,   Seilene  und  Silvane   entsprechen    ihrem 
Wesen  nach  vollkommen  nordeuropäischen  Waldgeistem,  in  denen 
allmählich  der  Begriff  der  Baumseele  sich  nahezu  bis  zur  Unkennt- 
lichkeit verflüchtigt,  oder  gegen  Personificationen  von  Wettererschei- 
nangen  als  Lebensäußerung  dieser  Dämonen  fast  gänzlich  zurttck- 
tritt.    Die  sonstigen  mythologischen  Gebilde,  welche  wir  im  ersten 
Bande  dieses  Werkes  als  Ausflüsse  oder  als  bald  nahes  bald  ent- 
fernteres Zubehör   der  Vorstellung  Baumpsyche  erörterten,    hat- 
ten unter  den  Völkern  des  Altertums   ebenfalls  Vertreter.      Auf 
den  nachstehenden  Blätteni  sollen  zwei  derselben,  der  Erntemai 
und    der  Maibaum ,   einer  eiDgehenderen  Betrachtung  unterzogen 
werden. 

Auf  dem  letzten  Erntewagen  pflegt  man  im  westlichen 
Deutschland  und  dem  größeren  Teile  von  Frankreich  einen  grü- 
nen Baum  oder  Baumzweig  heimzufahren,  der  mit  bunten  Bändern 
oder  Papierstreifen,  häufig  auch  mit  farbigen  Hals-  oder  Taschen- 
tüchern, sowie  allerhand  Kleidungsstücken  (Bk.  11)2.  193),  mit 
allen  möglichen  Getreidearten,  Nüssen  (Bk.  195.  199.  205),  auch 
wol  Aqpfeln,  Birnen,  Blumen  (Bk.  205.  204.  201  Anm.),  Kuchen 
oder  anderem  Backwerk,  Eiern,  verschiedenen  Coufitüren  (Bk. 
200.  202.  203),  zuweilen  sogar  mit  Wurst,  Schinken,  Tabacks- 
roUen,  Ringen,  Nadeln  (200)  behangen  ist.  Nicht  selten  werden 
auch  Ilasehen  mit  Wein  (Bk.  203.  204.  205.  200)  oder  mit 
Bierkrügen  an  diesem  Baumzweig  befestigt,  welcher  die  Namen 
Mai,  Emtemai,  Harkelmai,  l)ouquet  de  la  moisson'zu  ftihren 
pflegt.  Er  wird  häufig  während  der  Enite  «auf  dem  abzumähen- 
den Ackerfelde  selbst  eingepflanzt.     Bei  der  Einfahrt  prangt   er 


Erntemai  und  Maibanm  in  Nordonropa.  313 

inmitten  derjenigen  Garbe,  welche  zuletzt  gebunden  oder  zuletzt 
aufgeladen  wurde,  oder  ohne  diese  auszeichnende  Stelle  auf  dem 
mit  den  letzten  Garben  einer  bestimmten  Fruchtart  oder  der 
gesammten  Ernte  heimkehrendeu  Fuder ,  oder  man  läßt  ihn,  mit 
einem  Kranze  geschniUckt,  dem  Wagen  vorauf  tragen;  oder  es 
sitzt  ein  Knecht  oben  auf  dem  Fuder  und  schwingt  den  mit  Kranz 
und  Bändern  verzierten  Tannenbaum  in  der  Hand  (Bk.  197.  202. 
192).  Zu  Hause  angekommen  wird  der  Emtemai  vom  Hauswirt 
feierlich  empfangen  und  an  der  Einfahrt  der  ScJieuney  über 
der  Tür  oder  dem  Tor,  an  Dach,  First,  Giebel  des  Hauses  oder 
der  Scheune,  unter  dem  Rauchfang  des  Herrenhauses,  vor  den 
Türen,  oder  auf  dem  Komschober  (Bk.  197.  198.  202.  205.  204. 
206)  aufgesteckt,  und  verhleiU  hier  ein  ganzes  Jahr ^  bis  sein 
Nachfolger  ihn  ersetzt.  Was  bei  diesem  Wechsel  mit  den  alten 
MaibUscheu  geschieht,  darüber  besitze  ich  keine  Angaben.  Wie 
aber  die  ihnen  entsprechenden  am  Palmsonntage  oder  Maitag 
aufgepflanzten  Maibüsche  bei  Gelegenheit  ihres  Austausches  nach 
Jahresfrist  an  manchen  Orten  feierlich  verbrannt  werden  (Bk.  566), 
werden  auch  sie  ehedem  auf  diese  Weise,  nachdem  sie  ausge- 
dient, dem  profanen  Gebrauche  Itir  immer  entzogen  sein.  Der 
Erntemai  und  die  ihn  einbringenden  Arbeiter  werden  sodann 
(es  ist  dies  ein  Regenzauber)  mit  Wasser  begossen  (Bk.  197)  oder 
mit  Wein  besprengt  (Bk.  191.  207).  Beim  Aufstellen  und  Ein- 
fahren des  Maibusches  lassen  die  Arbeiter  ein  lautes  eigentüm- 
lichcs  Jauchzen  oder  Gvjuchze^  das  häutig  eher  wie  ein  Klage- 
geheul klingt,  hören  (Bk.  191.  199.  202).  In  Form  eines  ein- 
fachen grünen  Busches  oder  Baumes,  der  auf  der  letzten  Fuhre, 
oder  in  der  letzten  Garbe  steckt,  ist  übrigens  auch  im  östlichen 
Deutschland  der  Emtemai  viel  häufiger  zu  belegen ,  als  ich  früher 
annahm. 

Die  vorstehenden  Gebräuche  beziehen  sich  auf  die  Einbrin- 
gung der  letzten  Fuhre  irgend  einer  Frucht.  Eine  etwas  andere 
Form  nimmt  die  Sitte  bei  dem  der  Einemtung  aller  Früchte  fol- 
genden allgemeinen  Erntefeste  im  Sj)ätherbste  an.  In  Chlumetz 
Kr.  Gicin  in  Böhmen  z.  B.  ladet  der  Gutsherr  bei  Ueberbringung 
der  aus  mehreren  der  allerletzten  Schwaden  der  ganzen  Jahres- 
emte  verfertigten  großen  Garbe,  der  „Baba/'  die  Arbeiter  auf  den 
nächsten  Sonntag  zum  Erntefest  ein.  Dann  läßt  er  auf  einer 
Wiese  eine  hohe,  glatte  Stange  (Abschwächung  des  grünen  am 


214         Kapitel  IV.    Emtemai  nnd  Maibanm  in  dor  antiken  Wolt 

Stamm  beschälteD  Baamcs.  Bk.  169)  in  die  Erde  stecken  nnd 
mit  wertvollen  Sachen  als  Uhren,  Kleidern ,  Geld,  Hüten ,  seide- 
nen Tüchern  behängen  and  die  Arbeiter  danach  klettern.  An 
verschiedenen  Orten  findet  dasselbe  an  einem  weite'r  hinaasge- 
schobenen  Zeitpunkte  nach  der  Ernte  oder  an  dem  mit  der  Kirch- 
weih verbandenen  allgemeinen  Erntedankfest  im  October  oder 
November  statt.  In  vielen  Dörfern  des  Königreichs  und  der 
Provinz  Sachsen  geschieht  die  Aufpflanzung  dieses  Maibaums 
im  Ausgang  September  oder  Anfang  October,  man  schmückt  ihn 
mit  bunten  Bändern ,  Tüchern,  Kleidern,  Kuchen,  Obst  xmd  stellt 
einen  Wettlauf  danach  an  (Bk.  191),  was  damit  übereiustimmt, 
daß  in  manchen  Gegenden  nach  der  als  Komdämon  (Alter,  Korn- 
stier  n.  s.  w.)  benannten  resp.  ausgestatteten  letzten  Garbe  die 
Schnitter  um  die  Wette  laufen  (Bk.  396). 

Bis  ins  Einzelne  hinein  ließ  sich  der  Emtemai  als  eine  Abart 
des  „Sommers"  (Bk.  156)  oder  Maibaums  nachweisen  (Bk.  208  flF.), 
welcher,  beim  Erwachen  des  Frühlings  aus  dem  ergrünenden 
Walde  geholt,  mit  bunte^i  Bändern,  Tüchern,  Backwerk,  Eiern. 
Weinflaschen  geziert  als  Lehensbaum  der  Gemeinde  auf  dem  Dorf- 
platz oder  einzelnen  Personen  vor  der  Tür  oder  auf  dem  Dach 
ihres  Hauses  aufgesteckt  und  hier  längere  Zeit ,  meistens  ein  Jahr 
bewahrt  (Bk.  161  flf.),  vorher  mehrfach  inmitten  einer  größeren  An- 
zahl von  Trägem  kleinerer  grüner  Zweige  in  gabensammelndem 
Umgang  von  Haus  zu  Haus  getragen  wird  (Bk.  162).  Sofern 
aus  den  Gebräuchen  selbst  auf  die  ihnen  zu  Grande  liegende 
Idee  ein  Schluß  gemacht  werden  kann,  stellen  der  Maibaum  und 
Emtemai  das  der  Pflanzenwelt  einwohnende  Numen,  den  Genius 
des  Wachstums,  dha^ug  av^rjriTcrj  dar.  Daher  rührt  die  Aus- 
schmückung des  Baumes  oder  Zweiges  mit  allerlei  Früchten  und 
Gebacken,  daher  die  Aufrichtung  als  Amulet  au  Haus  oder 
Scheuer  (Bk.  211  ff.). 

§.  2.  Die  Eiresione  nnd  das  Pyanepsienfest.  Dem  nord- 
europäischen Erntemai  entsprach  —  fast  könnte  man  sagen,  mit 
photographischer  Genauigkeit  —  die  Eiresione  der  Griechen. 
Ein  paar  gelegentliche  Anspielungen  des  Aristophancs  (Equit  721». 
Vesp.  398.  Plut.  1054)  gewähren  die  ältesten  Zeugnisse  flir  den 
Brauch.  Ihnen  verdanken  wir,  daß  die  Granunatiker  der  alexcin- 
drinischen  Periode  ( Commentatoren  und  Lexilogen)  mehrfach 
einander    ergänzend    oder   berichtigend;    aus  der  Literatur   der 


Die  'Eirosionc  und  das  PyanepsioDfest.  215 

Atthidographen  und  Ileortologeu  einige  ausführlichere  Notizen 
darüber  zosanimentrugeu,  welche  jedoch  nur  in  den  lückenhafiten 
Aaszttgen  teils  der  Historiker  und  Lcxicographen  der  römischen 
Kaiserzeit,  teils  der  byzantinischen  Aristophanesscholiasten  des 
4.  —  5.  Jahrhunderts  durch  Vemiittelung  der  späteren  Scholien- 
sammlungen  und  der  Wortschätze  eines  Photius,  Ilarpokration, 
Hesych,  Suidas  u.  s.  w.  auf  uns  gekommen  sind.  So  wenig  es 
noch  möglich  ist,  jedes  einzelne  Stück  in  dieser  Fülle  von  Scho- 
llen und  Glossen  ihrem  ersten  Verfasser  zurückzustellen  und  in 
ihrem  gegenseitigen  Verhältniß  genau  zu  bestimmen,  lassen  sieb 
doch  unter  ihnen  mehrere  und  verschiedene  literarische  Ueberlie- 
ferungen  mit  Sicherheit  aussondern  und  z.  T.  bis  ins  ftlnfte  oder 
vierte  Jahrhundert  v.  Chr.  zurückverfolgen. 

Wie  andere  Völker  (im  Altertum  u.  A.  die  Hebräer  und 
Römer)  begingen  die  Griechen  ein  zwiefaches  oder  dreifaches 
Erntefest,  nämlich  ein  Fest  des  Emtebeginns  im  Anfang  der  Ein- 
heimsung der  ersten  reif  gewordenen  Früchte  im  Mai,  sodann 
ein  zweites  Erntefest  nach  Beendigung  der  gesammten  Getreide- 
ernte und  nach  dem  Beginn  des  Dreschens  zwischen  Ende  Juli 
und  Anfang  September ,  endlich  zwei  Monate  später  ein  allgemei- 
nes Dankfest  flir  Bergung  sämmtlicher  Korn-,  Obst-,  Wein- 
erträge des  Jahres,  dem  dann  noch  zuweilen  gegen  die  Zeit  der 
Wintersonnenwende  im  Dezember  eine  Wiederholung  des  letzte- 
ren (vgl.  z.B.  die  Consualien,  Saturnalien  und  Opalien  am  12., 
15.,  17.  —  21.  Dezember  in  Rom)  folgte.  Nach  diesen  Festen 
waren  mehrfach  Monate  benannt,  so  im  jonisch -attischen  Kalen- 
der in  Athen,  Delos,  Paros,  Tenos  nach  dem  Früherntefeste  der 
Tharyelidn  (Mai  —  Juni),  nach  dem  allgemeinen  Erntedankfest 
im  October — November  der  Pj/anepsion  (Athen)  oder  Kyanepsiön 
(Samos,  Ky/ikos).  Bei  allen  genannten  Völkern  wiederholt  sich 
die  Erscheinung,  daß  diese  Naturfeste  in  einer  verhältnißmäßig 
jungen  Zeit  zu  Gunsten  einer  ethisch -historischen  Auffassung 
umgedeutet  und  in  Erinnerungstiige  eines  sagenhaften  Ereignisses 
der  nationalen  Urgeschichte   venvandelt  wurden.  ^      Athen  hatte 


1)  Dieselbe  Ersehcinuiij^-,  welelie  u.  a.  auch  bei  dem  hebräischen  Früh- 
erntefest  (Pesadn  und  hor])3tli(heni  Erntedankfest  (Laubhüttenfest)  zu  Tage 
tritt,  und  der  Au.stlul)  eines  weil{,Teifendun  psycholt)gis«?hen  Gesetzes  ist,  wie- 
derholt sich  in  nordischem  Brauche.  Die  Kölner  Holzfahrt  wurde  als  histo- 
rischer Gedenktag  des  erdichteten  Sieges  eines  römischen  Statthalters  Marsi- 


216         Kapitel  IV.    Erntcmai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt 

(wahrscheinlich  erst  in  der  Epoche  lebhaft  angeregten  attischen 
Selbstgefühls  gleich  nach  den  Perserkriegen)  die  beiden  Ernte- 
feste der  Thargelien  und  Pyanepsien  mit  dem  Andenken  an  den 
(mythischen)  Zug  des  Theseus  nach  Kreta  verschmolzen,  und  diese 
Beziehung  spielt  selbsvcrständlich  eine  bedeutende  Rolle  in  den 
späteren  Berichten,  aus  denen  wir  jene  Feste  kennen  lernen. 

An  einem  der  ersten  Tage  des  Pyanepsion  fand  die  Begehung 
der  Oschophorien  statt.  Sie  bestand  zunächst  aus  einer  feierliehen 
Prozession.  An  der  Sxntse  des  Chores^  der  Itir  die  Gelegenheit 
geeignete  (oschophorische)  Lieder  sang,  gingen  zwei  in  tceihliche 
Stola  gehüllte  Jünglinge  (xora  yuyar/Mg  }oioXiöiuvoi\  welche  eifien 
mit  reifeyi  Trauben  hehufigenen  Rebzweig  (yJijfia  a^utüjov  Aoui- 
tovTtg  fieOTOv  ev^cthov  ßoTQvoßv)  trugen.  ^  Außerdem  fand  ein 
Wettluuf  von  Epheben  aus  den  reichsten  und  vornehmsten  Fami- 
lien' statt.  Jede  Phyle  stellte  dazu  zwei  Söhne  noch  lebender 
Eltern.  Die  Läufer  trugen  fruchtbeladene  Reben,  und  wer  siegte, 
erhielt  einen  aus  Wein,  Oel,  Honig,  Mehl  und  Käse  bereiteten 
Fttnftrank  und  durfte  am  Konios  des  Chores  teilnehmen.^  Als 
der  Ausgangspunkt  beider  Festakte  wird  ein  Dionysostempel,  als 
das  Ziel   das  Heiligtum   der  Athene   Ökiros  im  Hafen   Phaleros 


liu8,  der  Erfurter  Walperzug  als  Erinnoninjj  an  die  Zerstörung  dor  Dienst- 
burg gefeiert  (Bk.  375.  876\  Ebens«^  beli**bt  war  die  ätioli>gisehe  Erklärung 
der  Volk.>bräucbo  au8  der  heiligen  (?esehichte.  Die  Aufrichtung  des  Maihaunis 
vor  den  Haustüren  am  Aposteltag.*  dos  h.  Philippus  (2.  Mai)  gab  den  Kuniä- 
non  zu  folgender  Legende  Veranlassung.  Als  die  Juden  St.  .laeobus.  dessen 
Fest  auf  den  ersten  Mai  fällt,  enthauptet  hatten,  wollten  sie  an  St.  Pliilij»- 
pus  ein  Gleiches  tun.  Ihr  Vorhaben  ward  jedoch  zu  Sehanden,  weil  der 
Baum,  den  man  als  Erkennungszeichen  vor  sein  Haus  jicsetzt  hatte,  Tags 
darauf  vor  allen  Türen  Jerusalems  aufgeschossen  gefunden  wurde.  W.  Schmidt 
das  Jahr  u.  s.  Tage.  Ilermannstadt  18GG  S.  12.  Hiezu  vgl.  die  Erklärung 
Adventbrauches  o.  S.  188  Anm. 

1)  Proklus  Chrestnm.  bei  Photius  bibl.  c.  239  p.  322.  Hermann  G.  A. 
§.56,  10.  11.  Plutareh.  Thes.  23  erzählt,  Theseus  habe  zwei  d«*n  Miidrh.-n 
möglichst  ähnlich  grmachte  Jünglinge  mit  sich  nach  Kreta  geführt:  f:iH  lU 
fjittvfiliHv  (ciTOV  Tf-  Tiountvoai  y.(u  roiV  vt(trt'(Txor<;  ofitoi  itujih/tnthvm^ 
f'V  vvv  ttfjLn^/ovKu    Tovg  löa/oig  tf^novitg. 

2)  Hesych.  s.  o.  vja^otn'uun. 

3)  Aristodemus  hhj)  IIivAvoov  III  bei  Athcnaeus  XI,  G2,  \>.  Uli.  Din- 
dorf.    Proklos  a.  a.  0.    Hermann  G.  A.  §,  56,  11. 


Die  EiresioDO  und  das  Pyancpsienfest.  217 

genannt,  neben  welchem,  offenbar  bievon,  ein  Platz  den  Namen 
Oschophorion  führte. ' 

Es  bleibt  ungewiß,  wie  das  Verhältniß  beider  Begehungen 
zu  denken  sei.  Am  wahrscheinlichsten  jedoch  ging  der  Wettlauf 
voran,  welcher  ilbcr  die  Teil  nähme  am  Festziige  entschied  (xai  6 
vrAtjoag  . .  xio/ttaLti  tihrn  yoQor.  Athen,  a.  a.  0.);  der  Austeilung 
deg  FUnftranks  und  dem  damit  verbundenen  Trankopfer  folgte 
sodann  die  Pompe,  der  Festzug  selbst,  der  seines  heiteren  Cha- 
rakters wegen  und,  weil  er  ja. dem  Dionysos  galt,  bei  Athenäus 
als  Komos  bezeichnet  ist.  Ein  Herold  mit  bekränztem  Stabe 
schritt  vorauf j  hinter  ihm  die  beiden  Jünglinge  in  iveiblicher 
Tracht^  sie  allein  trugen  jetzt,  in  der  Prozession,  die  Rebzweige, 
oder  größere  als  die  andern  und  hießen  vorzugsweise  Oschopho- 
ren;  endlich  die  übrigen  7  Sieger  des  vorangegangenen  Wett- 
kampfes ,  so  daß  alle  10  Phylen  vertreten  waren  und  dadurch  die 
Begehung  als  eine  zum  Heil  gemeijier  Bürgerschaft  angestellte 
religiöse  Handlung  charakterisierten.  Vom  Augenblicke  der  Liba- 
tion  an  ertönte  der  Ruf:  FAeleu!  Jul  Ju!j  unter  dessen  fortwäh- 
render Wiederholung  der  Umgang  sich  der  Stadt  zuwandte  *  und 
wahrscheinlich  am  Tempel  des  Dionysos  sein  Ziel  fand. 

Um  die  nämliche  Jahreszeit,  möglicherweise  am  nämlichen 
Tage ,  und  zwar  am  siebenten  Pyanepsion  hatte  der  Umzug  mit 
der  Eircsione  statt.  Außer  einer,  wie  es  scheint ,  offiziellen  Pro- 
zession zum  Ajwllotcmi^el  fanden  private  Umzüge  statt.  Auf  die 
letzteren  bezieht  sich  die  bei  Porphyr,  de  abstinentia  II,  7  aus 
Theophrast  und  in  den  otfenbar  aucli  aus  letzterem  stammenden 
Öchol.  Arist.  Equ.  72l>,  Schol.  Arist.  Plut.  1051  erhaltene  nur 
öchcmbar  widersprechende  Notiz,  die  gottesdieustliche  Begehung 
gelte  dem  Helios  und  den  Hören, ^  die  sich  ganz  einfach  aus  dem 


1)  Hesych.  s.  v.  wa/or/omor. 

2)  Dieiio  Darstollini^  ist  auf  den  sicheren  KückscbluU  aus  der  ätiologi- 
schen Legende  bei  Phitarch  Theseus  c.  22  gegründet :  Proklos  a.  a.  0.  ist 
unrichtig  oder  un^^enau 

3)  Porphyr,  ih*  abstin.  11,  7:  Oig  uianrnfiv  i^oixt-  xa)  i)  llih]ri]an'  hi 
xni  rCr  dnotuf-'rr)  Tiaujirj  '///i'or  x(()  'll(tiur.  IJouutvti  yuo  tikvonuu  i(y(HO- 
am  ^:ü  71  ritffi'ion'  ');'^(*''<fs ,  öo/ioi«.  <)V»/\,'  |1.  ru^^ojVor«?]  uifHuxvXu,  xniUftt\ 
nvüfU,  niOAiHti,  t)ytiir,nu<  t}).n'oo)t'  /t  r(ii'fU)r  xu)  xoiih'noy  7 /lo/ s" ,  <){}ihtaiujui, 
XII Qo<;.  Schol.  Arist.  Kiju.  72*. > :  nravtxlnnn;  xal  (•^ui)ytiUoi<;  *77A/fji  xul 
"lliHcig  tooTuCovaii'  AOrivaioi.     tf.foovai    J*   o/  naiöti  tovg   n  d-aklovg    ({iioig 


218  Kapitel  IV.    Erntemai  und  Maibaum  in  dor  antiken  Welt 

UmBtande  erklärt,  daß  ein  gottesdieDstlicher  Akt  bei  einem 
bekannten  Heiligtum  in  der  privaten  Pyanepsien  -  wie  Thargelien- 
feier  nicht  vorkam,  Apollo  aber,  den  in  seiner  Eigenschatl  als 
früchtereifenden  Sonnengott  die  Prozession  verherlichte,  seit  der 
Zeit  des  Aeschylos  and  Euripides  ganz  gewölinlich  mit  Helios  flir 
eins  gehalten  wurde,  während  die  Analogie  des  sogenannten 
homerischen  Eiresioneliedchens  v.  4  —  5  es  als  eine  naheliegende 
Möglichkeit  erweist,  daß  in  attischen  Gesängen  bei  dieser  Gele- 
genheit Hören  und  Chariten  gefeiert  wurden.  Somit  konnte  ein 
Schriftsteller,  der  im  Augenblick  nur  die  privaten  Eiresionen  im 
Auge  hatte,  ohne  großen  Verstoß  gegen  die  Wahrheit,  statt  Apolls 
Helios  und  die  Hören  nennen. 

Ueber  die  öffentliche  Feier  belehrt  uns  eine  Ueberlieferung, 
welche  durch  eine  unmittelbar  und  unverktlrzt  aus  dem  Original 
oder  wahrscheinlicher  bereits  in  einem  Auszuge  von  Eustathius 
zu  II.  XXTIl,  p.  1283,  6  und  Suidas  s.  v.  elgeaicivr]  überkommene 
Glosse  des  Rhetors  Pausanias,  der  sein  rhetorisches  Lexicon  unter 
Hadrian  verfaßte,  ^  sodann  durch  die  Glossen  nvavoxpia  (resp. 
Ttvavexpia)  bei  Harpokration  Hesych,  aiQeaiijivrj ,  Etj^mol.  Magn., 
dl?Mxov  de  leyszaij  Eustatli.  a.  a.  0.,  Suid.  v.  elgsGiaivt!,  endlich 
durch  Plutarchs  Thescus  Cap.  XVUI  u.  XXH  vertreten  ist.  Plu- 
tarchs  und  seines  Zeitgenossen  Pausanias  gemeinsame  Quelle 
stellte  bereits  die  Aussagen  mehrerer  Schriftsteller  vergleichend 
zusammen;  was  letzterer  über  den  Ursprung  des  Eiresione- 
gebrauchs  bei  Unfruchtbarkeit  aus  Krates,  die  Parallelstelle  im 
Et}nn.  Magn.  s,  v.  eiQeaiwvtj  (s.  u.  S.  219  flf.)  aus  Lykurgos  meldet, - 


ntQitt).rju^rorg^  8^'Hv  fineatärrci  )JyovT€u  xiu  xoviovg  ttqo  i6jr  O  lotjr 
XQtuixiair.  l^t'iOTrjvTa  lU  tmv  OnlXior  at  tjoai.  Cf.  Scljül.  Arist.  Plut.  KKil: 
ITvfd'fiJjioig  xct)  Sanyißtotg  ^iDJuj  xfti  "Sinnig  OvovOi  Aikrivaioi '  if^norat  St  of 
7TaT(Sig  Tit  TT  ooxm  fi  Xiyu  fva  «xooJor«  x(c)  iitiru  77  (>o  rwr  i/tttuir  xnt' 
fiihai.  xttTii  Ti  ()'i:  /nr^a T t'ioi  Ol'  /roo?  icnoTQon  i^v  liuov  ikitu  ^ztoiou. 
Hemsterliuys  bemerkte,  daß  r«  iiüoxnTt^iUyuh'ra  uxno^nva  als  .,anti.'  rt*cen- 
siti  i't  enumerati  frnctus.*'  niclit  als  ,,illa  prius  (ilecta  frugnm 
genera*'  aufzufassen,  und  daß  dieser  Au^lruck  bei  Tbeophrast  sieh  auf  die 
nns  von  Porphyrios  erhaltene  Aufzcählunjj  beziehe.  Für  die  Zasaininon^elii*- 
rifrkeit  beider  Fragmente  bei  Porphyrius  und  im  Schol.  Arist.  spricht  au«h 
das  in  beiden  Stücken  gebrauchte  Präsens. 

1)  W.  Rind  Heisch   de  Pausaniae  et  Aelii  Dionysii  lexicis  rlietoricis.  Ko- 
giom.    Pr.  18()(),  j).  10. 

2)  S.  Sauppc  in  Orator.  attic.  Turici  1850,  p.  272. 


Die  Eircsione  und  das  Pyanepsiciifcst.  219 

zieht  ersterer  mit  Uebergehung  dieses  Namens  zu  dem  Vorherigen. 
Die  erwähnten  Glossen  aber  verraten  denselben  Ursprung,  wie  die 
z.  B.  bei  Harpokration  durch  die  Artikel  vT^oxww«,  irelavog  u.  s.  w. 
vertretene  Klasse,  in  welcher  uns  der  Redner  Lykurgos  {natd 
Meveaalxfiovy  niqi  isQsiag  u.  s.  w.)  um  340  v.  Chr.,  die  Heorto- 
logen  und  Atthidenschreiber  Apollonios  aus  Aehamae,  Demon  aus 
Athen  (ttsqI  O-vauov)  um  306  v.  Chr.,  Krates  aus  Athen,  Tregi 
tiüv  ^A&fjvijai  d-vaiiov)  als  benutzte  Gewährsmänner  entgegen- 
treten. Wenn  wir  nun  einigen  Grund  haben  zu  vermuten,  daß 
diese  Glossen  durch  Ciceros  Zeitgenossen  Didymus  in  die  lexilo- 
gische  Literatur  kamen,  dieser  aber  itir  sie  ebenfalls  schon  eine 
eine  ältere  Schrift  excerpierte,  so  wird  bei  letzterer  nicht  ohne 
Wahrscheinlichkeit  an  die  Atthis  des  Ister,  eines  Sklaven  dann 
Freundes  des  Kallimachos  (zwischen  248  —  224  v.  Chr.),  eine 
Compilation  der  Angaben  verschiedener  Autoren  über  attische 
Altertümer,  gedacht  werden  dürfen,  die  Gilbert^  als  unmittelbare 
Quelle  des  plutarchischen  Theseus  zu  erweisen  einen  höchst 
beachtungswerten  Versuch  gemacht  hat.  Aus  ihm  muß  denn  auch 
die  Glosse  des  Pausanias  geflossen  sein.  Ister  aber  folgte  in  sei- 
ner Schrift  vorzugsweise  der  Atthis  des  Philochoros  *  (zw.  320 
bis  260  V.  Chr.),  indem  er  aus  andern  Schriftstellern,  zumal  den 
übrigen  Atthidographen ,  eine  Anzahl  ihm  geläufiger  Notizen  in 
sein  Werk  aufnahm.  Cap.  22  des  Theseus  (Oschophorien  und  Eire- 
sione)  beruht  aber  nach  Gilbert  entschieden  seinem  Hauptteile  nach 
auf  Philochoros.  ^    Da  aber  dieser  sich  ohne  Zweifel  vielfach  ohne 


1)  Philologus  XXXIII,  1873,  S.  47  — 50 

2)  üeber  d.  s.  Böckh.  Berl.  Akad.  d.  Wissenschaft  H.  Ph.  Kl.  1832, 
1».  1  —30.  Gilbort  a.  a.  0.  53  ff.  Vgl.  :^I.  Hang  die  (JueUeii  Plutarclis,  Tübin- 
gon  1853,  S.  14. 

3)  a)  Pausanias  bei  Eustath.  ad  II.  XXII,  p.  1283,  6  (cf.  Suidas  s.  v. 
finfOKürj)):  V.'r  lU  loig  Ilavauriov  xhixiu  tuitw  tfot-aiiorf],  ihtkXog  D.a(agy 
lanuuh'og  ^qUo,  n  lutgxmimutvoi  g  h/on'  (^laq  onoig  ^x  yf]g  xu{)noi'g'  toCtov 
^xtffoti  naTg  uuff  lifaXijg  xu)  rdhiOi  Tino  i'>i(>Cf>r  toC  l4n6}Morog  U()oC  iv  Toig 
nvavtxl'loig'  X^ytTtd  ;'«'(>,  *4  U^' i  ^fjOHc ,  oTf  tfg  hoijTijv  i7i).ti ,  TiQogG/övrtt 
.h'iUo  Tfj  rt'jrfo)  tSiic  ytium'ic  ti'iaait^«!  ^inölkbryt  xttTaaj^\l>aGO^ai  xXtUSoig  ^Xnfng, 
f:i  Tov  Drlirunuvnov  XTtirag  atj'hfj,  xtu  iHOKtativ.  xit)  yoi'v  liiv  ixiTt]o(uv 
jniTf]v  xmitOTfr'x'Kcg  hl'i,ar.i  Xtynta  /ri(t(cg  Uxß^icuag  xitt  ^rvovg  xai  ßojfÄor 
hhivanoiHii'  J/o  xid  Ilvar^ipia  ktytdiUu  oiov  xiaut^pia^  <fio  %ö  nvuiiovg 
iinoTfQitv  roig  xruuorg  xultiöUar  tjyoy  <)*^  ^fj//  6'r*  Ticvja  X€tl  fnl  anoTQonfi 
XiuoP'     fi^ov   iVt  ntoiStg  oI'to)'     „ffQfaiiartj  aCxu  q^Qd  xccl  ntovttg  üqtovq  xni 


220  Kapitel  IV.    Erntemai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt 

NamensDeimnng  des  Materials  seiner  Vorgänger  bediente,  die  seit 
geraumer  Zeit  sich  auf  factische  Ansmittelang  der  attischen  Alter- 
tümer in  Mythen,  Sagen,  Opfern,  Festen,  Gebräuchen  und  Denk- 
würdigkeiten gelegt  und  dafUr  in  ihren  Attbiden  ein  ansehnliches 
Material  zusammengebracht  hatten  (Müller  Fragm.  bist.  6r.  II, 
Prolegg.  p.  85),  so  reicht  die  erste  Niederschrift  der  in  Rede  ste- 
henden Ueberlieferung  sicher  bis  ins  vierte,  vielleicht  bis  ins 
fünfte  Jahrhundert  zurück. 


/i^XtTog  xoTvkrjv  xid  (Xtuov  ^TttxQriattaO^tct ,  sicd  xvXixu  ft''^cD(>oi',  ^ra  uiiß-voiau 
xu'&iv^ty  /una  J^  Tfjv  ioQTriv  f$(o  ayotjv  iti^^aat  nuQtc  rag  '>i'««f.  KoitTr^g 
it^  (frjtTiv,  (c(foofag  noil  xaraaxovarjg  ji'>i]i'ug  Üdllovg  xnrttaidl'avTag  lQ(oig 
ixfjfiQdtv  ävn^fivat  lAnoklbn'i .  b)  Pin tarch.  Thes.  c.  XVIII:  r^vofA^vov  ^k  toO 
xlrJQOv  JittQaXaßm'  rovg  Xa^orrng  6  OriOfvg  fx  toD  fjQiTftvffov  xai  nuQtk'htov 
iig  ^UXifh'iov  f&rjxtv  v/r^o  atrrwv  r^^AnöXXvDVt  ttiv  ixfrrjQfnv.  ^Ifr  <f*  xkdSng 
uno  r^g  ifoüg  (ka(ag  fotiu  l€vx(^  xttTtajfuu^vog.  Lv^cififvog  J^  xar^ßaivkr 
%xxr^  firivög  inl  ^ukaoauv  iarre/a^rov  Movvv^^im'ogf  rj  xa)  rOr  fri  rieg  xonag 
TT^finovöiv  IXnaofx^vttg  tfg  JiXffd'iov.  C.  XXII:  f)(hlfng  <U  toi*  ntcrfoa  t« 
^AnoXXtovi  Ti)v  n^'X^v  änidtSov  Tfj  ißdofifj  toü  JJvavkiptCtvog  tirjvog  /otn/j/roi" 
TftiTj  yaQ  ur^ßr^aar  tfg  äarv  aioi^fvrfg.  *i/  ^ttv  ovf  ^if/rjOig  rwv  oOnoiMV 
XfytTfti  ytr^a/httt  (fi«  t6  Obi^h^rag  airiovg  tfg  r«iTo  avfifAi^ai  rn  TitQtorxu 
Xbiv  aiT^MV  xa)  uttcv  xth(>fev  xon'ijV  tilJtJ0((iT((g  avvtfJTKCxftjrni  ;f«l  avyxarm^tt- 
ytiv  (ü.XtjXoig.  Tiiv  ift  tfotOKovtjr  ^xtf^ooiai  xXd^or  n.aiug  ^(*(m  utv  urtOTtu- 
utvoj'i  (otTTitQ  TOTt  Tt]!'  fxtTrjoiuv ,  TKnioiUcTim'  (U  uränXtor  XicranyutcTiin'  rf/« 
TO  Xfj^ai  rrjv  CafondiVy  ^nic^oi'Tig'  „FJoiaitoirj  ai^xa  ^/(ttiv  xn)  niorng  tto- 
Tovg  x(()  /j^Xi  h'  xoTrXtj  x(c)  tXaiov  (ivcol.n]<saa'h(ti  t  xu)  xvXix'  ti"\toQOV,  tag  ^r 
fitih'üLOa  xaUti'd'tjr  c)  Etymol.  Magn.  303,  18 ff.  868  Gaisf.:  Efotanorri. 
Jjrutyt^f^rjg  .  .  xluiSog  ^|  ^qimv  t/iov  OTtuuaia,  xXtorag  xai  fayut)'teg  xitt 
Tü>r  xaOaounf  uxooihn'un»  oouaOovg.  ^11  ihuXXog  ^auv  fXiUug  Tturrteg  rf»i> 
(^1.  ncnTtnUiTTorg)  xuonorg  f/ov  d/itjorrjutfürg  xic)  aT^nuit  Xtvxuv  xtti  tfotffxnCr. 
fTootriiHjo  ()7  ix^aia  lut  li.-ioXXtori  ^xtnij  rfi  f)/iH-'{i(c^  if  ot  TTtm  i^rintUe  aotl^t- 
vui  tfoxoCfft.  AfCTtt/raiKiT«  <!ft  xaf  xvXixa  oivor  xtxnautrr,r  xaitt/toiit^ 
(crrtjg  hriXhyovaiv.  ,.  Efofoitortj  aCxu  f/t'oti  x(c)  nforng  äororg,  xici  atXi- 
fog  xoT rXtjr  xn)  tXuioy  uno\jft]aiia'hu  ^  xtu  xrXtx'  tKotooio^  i'ru  fit'f^iovaa 
XKxhfv^tj"  —  —  ^tvxovoyog  ^4  «fijatr  ut^oudtg  ytvoutj'ijg  lUi^^rm'otg  tui'to 
fnntXtaOtfVtti  x(ct(\  /()r]fffi(H'  (Jtor  txf-rtinfccg.  d)  Eustath.  a.  a  O. :  l-iXXrt/in' 
tH  X^ytrai  xu)  ort  ar^fjua  Xtrxur  xa)  (foirixovv  i\:n'joTijTo  ror"  fhcXXov  xfti  uji 
TioorrilhTO  ixKTia  rio  l-ifidlXiori  xalF  t]v  i)u^imv  ot  ntn)  GfiO^a  (Tot'i t^rtti 
öoxoCai,  xfc)  (irt  xam/vouuTit  xa)  xrXixa  uJrov  xbxoau^vr)r  fni/j^oiitg  fttri^g 
^n^Xtyor  iffV  nrfi>tiaav  imhiv.  e")  Harpocration  s.  v.  llvaroilua.  ^Irxnruyitg 
h'  1(0  xaxa  Altvtaai'/uor.  xa)  f'ijuti^g  Tlvaroihia  raritjr  r^r  tooTtfV  ynX(trut9'' 
Ol  (f'  äXXoi  ^'JjXXtji'tg  IfaroH'ia  ,  ori  ndriag  tlihiv  xao.iovg  Tfj  (Ui'tt.  \t7ioXXt^'h- 
ri oi;  xa)  o/fihW  ndiTt-c;  o/  ;uo)  ndr  A'ht]rii(liv  toonuv  ytynatfoitg^  llritvty'ifh' 
rog  ti^ih'jfni  la  ffrai'f-'ilfia  .I;f(iXXo)ri  äytaihat  (friai.  thiv  th' (faui  Xtytir  rirarf- 
ipta  xa)  Toy  ufjra  HiartV^noiva.  nvara  yao  t^povatv  h*  «tVo/V  xai  r)  tf^ttaionTf 
äytrai.     Cf.  Suid.  3.  v.  Ilvavtipidrog. 


Die  Eiresione  und  das  PyaDepsienfcst  221 

Nach  dieser  also  trug  (i'KtpeQei)  ein  Knabe,  dem  beide  Eltern 
noch  lebten  (naig  dfiqi&alrjg),  wir  wissen  nicht  mehr  von  wel- 
chem Punkte  aus,  einer  Prozession  voran  einefh  mit  wollefien  Bän- 
dern und  allen  möglicJwn  FcldfrücUen  behangetien  Oehweig  bis 
zum  Apollotempd  und  pflanzte  oder  hüig  ihn  hier  vor  dessen  Ttlr 
auf.  Die  Prozession  wird  der  oiSziellen  Feier  gemäß  aus  ernsten, 
angesehenen  und  grundbesitzenden  Männern,  die  dem  Knaben 
folgten,  bestanden  haben.  In  der  Tat  zeigt  der  einzige  attische 
Kalender  in  bildlicher  Darstellung,  der  aus  dem  Altertum  auf 
uns  gekommen  ist,^  als  Bezeichnung  des  Pyanepsion  den  mit  der 
Eiresione  ausgerüsteten  Ephcben,  dem  ein  Mann  in  reiferen  Jah- 
ren hinten  nachfolgt.  Der  eine  Eupatride  ist  unzweifelhaft  nur 
der  Vertreter  einer  ganzen  Öchaar,  da  der  Künstler  gezwungen 
war,  sich  in  knappster  Andeutung  mit  so  wenigen  Figuren  als 
möglich  zu  behelfeu,  wie  denn  eine  derartige  artistische  Kurz- 
schrift der  Weise  athenischer  Reliefplastik  überhaupt  entsprach.  * 
Zu  dieser  im  öflFentlichen  Interesse  einhergetragenen  Eiresione 
mag  zu  Zeiten  ein  Zweig  von  der  heiligen  Burgolive,  der  Moria, 
verwandt  sein  (vgl.  o.  S.  25  flf.  S.220  Anm.).  Doch  zeigt  der  soeben 
erwähnte  bildliche  Kalender  nach  Böttichers  Angabe  einen  Lor- 
beerzweig, und  einen  solchen  nennt  auch  ein  Scholion  (Schol.  in 
Arist.  Plut.  105t)  als  abwechselnd  mit  der  Olive:  algeoKov?/ 
iyaXkog  £).alag  )]  dacpvt^g,  e.^  f.QUov  avf.i7r€7tleynevog  tx^ov  aQTOv 
i^rjQrrrjfjevov  xat  y.oTvhjv  etc. 

Von  der  öflFentlichen  unterschied  sich  die  private  Begehung 
dadurch,  daß  jeder  Grundeigentümer,  welcher  Ackerbau  und  Obst- 
kultur betrieb, —  denn  nur  von  solchen,  nicht  von  allen,  nicht  von  den 
nur  mit  städtischen  Grundstücken  angesessenen  Bürgern  wird  der 
Brauch  geübt  sein  —  die  Eiresione  vor  der  Tür  seinem  Hauses 
aufpflanzen  und  dort  ein  Jahr  lang  stehen  oder  hängen  ließ. 
Nach  Jahresfrist  wurde  die  vertrocknete  mit  einer  frischen  ver- 
tauseht.  ^ 

1)  E»  ist  oin  Relief,  welches  einst  als  Zophoros  eines  antiken  Gebäudes 
diente,  s]>äter  in  die  Westwand  des  Gotteshauses  der  Panagia  (Jorgopiko  in 
Athen  einj^elassen ,  incorrect  von  Lobas  (Voyage  archeolo^iquc  en  Grece  ett\ 
PI.  21.  22)  und  genauer  von  Bötticher  (in  Philologus  XXII,  Göttiingen  1865) 
publiziert  wurde. 

2)  Vgl.  Michaelis  Parthenon  8.  208. 

3)  Taitfii'  Sf  rijr  tiofGiofrtjV  Tiito  rwr  uixti/jiCTtav  frfi^iVTu  oi 
jilfi]vnioi    xiil   x«t'    trog  (curriv  iilurrov.     Schol.  in  Arist.  Plut.  1054: 


222  Kapitel  IV.    Erntemai  und  Maibauni  in  der  antiken  Welt. 

Auf  diese  Verhältnisse  beziehen  sich  verschiedene  Anspie- 
lungen des  Aristophanes.  Demos,  der  vor  seiner  Hanstfir 
Geschrei  und  —  wie  er  meint  —  zu  Tätlichkeiten  ausgearteten 
Zank  gehört  hat,  tritt  mit  den  besorgten  Worten  hervor: 

Wer  sind  die  Schreier?    Port  von  meiner  Tür! 

Den  Segensölzweig  (Eiresione)  habt  ihr  mir  herabgorupft! 

Er  ttirchtet,  daß  bei  der  Kauferei  seine  Eiresione  von  der  Tür 
herabgerissen  und  als  Schlaginstrument  benutzt  sei.  ^  In  den 
Wespen  läßt  sich  d^r  eingesperrte  Philokieon  an  einem  Seile  zum 
Fenster  hinaus,  Bdelykleon  .rät  dem  Sosius,  um  dies  zu  ver- 
hindern: 

Flink  steig'  ans  andere  Fenster  hinauf,  und  hau  ihn  hier  mit  den 

Zweigen, 
Dann  rudert  er  wol   mit  dem  Hintern  zurück,    von  der  Eiresione 

getroffen.  ■ 

Im  Griechischen  enthält  die  letzte  Zeile  ein  sehr  wirksames  Wort- 
spiel, welches  auf  dem  Gleichklang  von  Eiresione  mit  eiresia, 
das  Rudern,  beruht.  Im  Plutos  endlich  wird  von  einem  alten 
Weibe,  das  einem  schwärmenden  Jtlngling  zurief,  ihr  nicht  uoiit  der 
Fackel  nahe  zu  kommen,  gesagt: 

Nun  da  hat  sie  Reclit! 
Denn  wenn  sie  auch  ein  einzger  Funke  nur  ergreift, 
Zu  Asche  brennt  sie  wie  ein  alter  Segenszweig.  ^ 

Einen  besseren  Zunder  gab  es  in  der  Tat  kaum,  als  die  ver- 
trocknete und  ausgedörrte  Eiresione,  wenn  sie  das  Jahr  hindurch 
ihren  Platz  behauptete  Der  Dichter  spricht  davon  aber  wie  von 
einer  allgemein  gemachten  Erfahrung;  augenscheinlich  wurde  die 
ausgediente  Eiresione  nicht  auf  den  MilUhaufen  geworfen,  sondern 


älXoi-  (f^  (paOiV  titg  koifxoö  non  h'(Txij\l.iavTog  jiS^rjva^oigy  'ixuarog  noo  ttir 
(hvQtüv  (arrjauv  eloeaim'ng  itg  anoTQoni]v  tov  loiuoü.  xn\  di^uivfi'  flg 
fviavTov.  ijr  xa)  ^rjQicr 'ff  fattv  Trakt  v  xrtr^  trog  inoifi  (r^oni'  j^lod- 
Co V aar.    Ibid.  Cod.  Reg. 

1)  Equit,  729:  tP/v  ffQfatoh'rjv  /uov  xaTfanttQd^an.  Schol. :  t6  cf^  xa- 
TfO'7r«(>«|«r€  (7/ifv  iTTfi^rj  ttlki]kovg  Monv. 

2)  Vesp.  398:  urcißaiv  avvaag  xfträ  rijv  ir^ouv  xal  raTair  ifvlldai 
7iC(t€  f  ijv  Tiüjg  JiovfitvtjV  uraxQovariTm,  nXriytXg  raTg  (i(>€aim'(cig.  Schol.:  ^E:ift 
x).(aSotg  Tial  7T€co«x8).fi'fTai  7tii{fiv  (iVTor  xoTg  tiqö  rijg  oix(t<g'  dia  toCto  rnTg 
ff(}6ai(üvaig  finf  .  .  ffo8ai(6ynig  ^f  itnlutg  rotg  ^rjQOig  xkiiöoig. 

3)  Flut.  1054:  Mr  yao  niTtiV  tig  fxovog  aniV\f-ii(>  kdßr^  äanfo  TtaXainr 
(fQeanavrjv  xavaitai.     Schol.  nalaittv:  xitrd^iiQot'. 


Die  Eiresione  nnd  daR  Pyanepsicnfcst.  223 

aas  Ehrerbietang  durch  Fencr  vernichtet.  Der  Aufpflanzung  der 
Eiresione  im  (städtischen?)  Herrenhanse  ging  aber  ein  Umgang  mit 
derselben  auf  dem  Dorte  und  den  Aeckem  vorher.  * 

Die  Ausschmtlckung  der  Eiresione  war  begreiflicherweise  bei 
den  einzelnen  Prozessionen  kleineu  Verschiedenheiten  unterwor- 
fen. Bald  war  sie  ein  sehr  großer  Ast  (evfieyid'rjg  xlddog)  mit 
vielen  Bändern  oder  Binden  (vittae,  stemmata),  bald  ein  kleiner 
Zweig  (x^dkog)  mit  einem  Bande  geschmtlckt  (Etym.  Magn.  303. 
8.  0.  S.  220).  Die  Farbe  der  Bänder  war  vorherrschend  weiß 
und  rot.  2  Außerdem  umwanden  abwechselnd  rote  und  weiße 
Wollenfäden,  wie  es  scheint,  den  Schaft  des  Baumzweiges,''  auch 


1)  Wenn  Pansanias  o.  S.  219  zuerst  von  einem  einzigen  Knaben 
spricht,  der  die  £.  znm  Apollotcmpel  trägt,  später  ein  Liedchcu  erwähnt, 
das  mehrere  Knaben  bei  Umtragung  der  E.  singen  (jcTov  cT^  TTtti^eg  oitw), 
und  endlich  fortfährt:  t^ufric  lU  Ttjv  ionriiv  6^w  üyodiv  rtO^tnat  ntcQtc  jag 
^t'()«<;,*'  so  ist  es  klar,  daß  hier  in  dem  stark  abkürzenden  Auszuge  des 
Lexicographen  zwei  verschiedene  Teile  seiner  Vorlage ,  die  Schilderung,  der 
öffentlichen  und  diejenige  der  privaten  Begehungen,  in  eins  geworfen  sind. 
Schon  die  Mehrheit  der  singenden  Knaben  gehört  der  letzteren  an;  mehrere 
Knaben  sind  es,  weil  jeder  Prozession  von  Gutsangehörigen  je  ein  nai^g  äfA- 
fft^(drjg  vorausschreitet.  Wenn  aber  nach  dem  Feste  die  E.  außerhalb 
der  Aecker  oder  ländlichen  Besitzungen,  d.h.  in  den  Herrenhäusern 
der  Güter  oder  in  stä^ltischcn  Häusern  der  Gutsherren  zur  Aufbewahrung  vor 
die  Tür  gehängt  wird ,  so  muß  das  Fest  selbst ,  d.  h.  hier  die  Prozession,  der 
Umgang  mit  dem  Segenszweige,  im  Gegensatz  dazu  innerhalb  der  Aecker 
oder  Landgüter  vollzogen  sein  und  schon  deshalb  die  Erklärung  von  Meur- 
sias  (Graec.  fer.  L.  V.  in  Gronovii  Thes.  antiqn.  Gr.  T.  VII,  p.  847)  verworfen 
werden,  die  vor  dem  Apollotempel  aufgepflanzte  Eiresione  sei  nach  dem  Feste 
von  dort  entfernt  und  vor  den  Privathäusorn  aufgesteckt.  Wie  vielfach  müßte 
dann  jene  eine  E.  geteilt  sein !  Oder  unberechtigter  Weise  müßten  aus  der 
einen  durch  die  Ueberlieferung  bezeugten  Prozession  zum  Apollotempel  deren 
sehr  viele  gemacht  werden. 

2)  *//  ihdXog  f(fr\v  ^Xniag  TiuvTüiUinovg  xuojTovg  ^/ov  äni]^Tiixii'ovg  xal 
ar^fAua  Xfvxov  xal  ifoivixoCv.  Etym.  Magn.  3()3.  s.  o.  S.  220.  ^AXlaxoC  dk 
X^yijai  xa)j  ort  ax^u^u  Xfvxov  xid  (foinxovv  utujotvito  toO O^akkoO.  Eustath. 
s.  o.  S.  219.  Dieses  Stcmma  war  also  der  Art  aufgehängt ,  daß  es  vom 
Zweige  herabhing. 

3)  Darauf  bezieht  sich,  was  der  Scholiast  zu  Statins  Thebais  II,  736 
berichtet,  wenn  er  von  der  (von  uns  später  zu  besprechenden")  Eiresione  am 
Panathenäenfeste  redend,  ,,in  qua  omnium  frugum  pomorumque  primitias 
obligabant,"  diese  Beigaben  mit  roten  und  weißen  Fäden  angehängt  nennt 
(purpureiö  nexibus  supra  dicta  pendebant,  quae  tamen  interjecta  duobus  pedi- 
bus  Candida  flla  discriminabant).    Hieniit  stimmt  die  Angabe  in  Schol.  Arist. 


224  Kapitel  IV.    Erntemai  nnd  Maibaoin  in  der  antiken  Welt. 

waren  alle  möglichen  reifen  Früchte  daran  gehängt*  Falls  die 
0.  S.  218  ausgesprochene  Ansicht  über  die  Aussage  des  Theo- 
phrast  begründet  ist ,  so  muß  außer  Früchten  des  Erdbeerbaomes 
(jituaixvka)y  Bohnen  {HaTtgta)^  Gersten-  und  Weizenähren  (z^i- 
d-ai^  7rvQoi)y  Wicken  (?  elhgnoa  äyQioaTtg),  runden  Kuchen 
((pd'ötg)  und  aufrechtstehenden  Gebacken  {oQO-oaravai)  von  Ger- 
sten- und  Weizenmehl  auch  das  so  beliebte  Confekt  aus  den  in 
länglicher  Form  zusammengepreßten  Kernen  von  Steinobst,  Wein- 
beeren oder  Pinienäpfeln  {nvqrjvuov  riyrj^ia^  1.  ijyfjit/Qict)  und  aus 
Feigen  TtaXdiyrj  fjyrjTriQla)  zuweilen  zu  diesem  Schmuck  der  Eire- 
sione  gehört  haben ; '  wenn  aber  auch  Kochtöpfe  nebst  Inhalt 
{xvtqol)  als  Gegenstände  der  UmfÜhrung  {no^irrt])  genannt  wer- 
den, so  halte  ich  für  wahrscheinlicher  ^  daß  diese  —  wie  sich 
nachher  ergeben  wird  —  nebenher  getragen  wurden.  Der  Seho- 
liast  des  Statins  erwähnt  auch  Aepfel  unter  den  Anhängseln. 
Dagegen  sagte  der  Astronom  Hippareh  (128—  102  v.  Chr.),  dem 
Homer  jede  Kunst  und  jede  Wissenschaft  zuzusprechen,  wäre 
grade  so,  wie  wenn  jemand  der  attischen  Eiresione  Aepfel  and 
Birnen,  die  sie  nicht  tragen  kann,  zuspräche.^  Ein  sicheres 
Zeugniß  ttir  die  Ausrüstung  des  Segenszweiges  gewährt  das  Bruch- 
stück eines  launigen  Liedchens,  welches  vor  Aufhängung  dessel- 
ben am  Herrenhause  von  seinem  Träger  gesungen  wurde : 

Eiresione  ist  da!    Horbstfeigen  träj^  sie  und  fette 
Kuchen  und  Honig  im  Napf  und  Gel  die  Glieder  zu  salben. 
Lauteren  Weins  ein  Becherchen  auch,  um  trunken  zu  schhininiem. * 


Equ .  729  :  KXnöog  /A«/««;  ^(jtoi  g  n f  q i  n  i tt ).  f  y tn^ r o t  g  ti  r « <T * it f  ti  f  rngy 
und  Schol.  Arist.  Phit.  1054  in  der  entsj>reehenden  Ueberlief»Tung  ab^^okürz- 
ter:  xXdßog  ^r  ^{}(oig  /if/thym^vog.  Ebenso  Thoophrast  o.  S.  217:  ihtU.ovg 
fQ(oig  7¥fnif.ilT]fi^yorg. 

1)  Pausan.  b.  Eustath.  p.  1283,  o.  S.210:  ihaWtg  nm'ag ,  ^arftiunnc 
^Q^oj  n oogxexQfcu^vorg  fyior  öidffonovg  Ix  yfjg  x«n7f ovg.  Dafiir  Suida«» 
in  der  näml.  Gb»sse:  7iai*nt($njiuvg  tmv  Ix  yfjg  xuottmi:  Schol.  Arist.  Ei[n. 
720,  vgl.  (».  S.218:  AXäiJog  flaing  ^ofoig  n^oijfbnlhyu^rovg  i(r(uUthu/r(tg  f^i]*»- 
rniTo  iH  Kujov  toofcTn  jiniTu  lixonSm'u. 

2^  Auch  6()vg  Eichen  werden  genannt,  oiVenbar  ha.  Verd«'r]»uil5.  Dr.  G. 
SchOmann  macht  mich  aufmerksam,  dal»  «xooJor«  zu  b\><en  sein  dürfte. 

3)  Strabo  IG  Casaub. 

4^    rJofatMVtj  aC'xa  tf^of-t  xa)   n(uvng  äorovg 

Kit)  u(h  h*  xoivkij  xft)  f/Mtor  «;ioi/'/)fT«ry.Vc«. 
Äff)   xvlix*  fiKoutoto,  JV«  ufHvovöa  xtdUnhi. 


IMo  Eiresione  nnd  das  Pyanopsionfest.  225 

Ander  Kuchen  und  Feigen  sehen  wir  also  Gefäße  mit  llHfisi(ßri- 
ten,  Honig,  Oel,  Weiyi  an  den  Baumzweig  gehängt,  der  nach 
Ausweis  des  o.  S.  221  erwähnten  Reliefs  in  aimähemd  wagerech- 
ter Lage  über  die  Schulter  zurückgelehnt  getragen  wurde.  ^  Den 
Inhalt  der  an  Schnüren  herabhangenden  Gefäße  go/  man  hei 
Beendigung  des  Umgangs  über  die  Eiresione  selbst  aus.  *  Diese 
Ceremonie  hat  das  Liedchen  im  Sinn,  indem  es  die  Eiresione 
Iiersonifiziert,  die  über  sie  ausgeschütteten  Flüssigkeiten  Honig, 
Oel  und  Wein  gleichsam  als  Gebrauchs-  und  Genußmitlel  dersel- 
ben auffaßt  und  ihr  schalkhaft  für  das  Jahr,  welches  sie  auf  dem 
ihr  nunmehr  anzuweisenden  Platze  verharren  soll,  einen  guten 
Schlummer  in  süßem  Räuschlein  an  wünscht.  Im  „Landmann" 
des  Timokles,  eines  als  Feinschmeckers  berüchtigten  Dichters  der 
mittleren  Komödie,  hatte  jemand  das  mit  frischen  und  getrock- 
neten Feigen  y  mit  Oel  itnd  Honig  besetzte  l'ischtuch  scherzhaft 
seine  alles  produzierende  Landwirtschaft  genannt,  welche  ihm 
jegliche  Fruchtftille  herzütrage;  ein  anderer  erwicderte  im  Hin- 
blick darauf,  daß  dieser  Ertrag  nicht  an  Ort  und  Stelle  gewach- 
sen sei,  man  könne  das  wol  eher  eine  Eiresione  nennen.'   Nach 


Pausan.  ap.  Eustath.  et  Suid. :  öchol.  Aristoph.  Plut.  1054.  Equit.  729; 
Etym.  Magn.  303;  Plutarch  Thos.  XXJI:  Mich.  Apostol.  lirovorb.  XXI,  24. 
Phavorin  240"*.  Die  beiden  ersten  Verse  auch  Clemens  Alex.  8troui.  9,  33, 
Pott.  1)  (f^ofir  Plutarch.  aOxa  (ffott  xccl  uTilu  Schol.  Clem.  Alex.  p.  9,  33, 
Pott  2)  xKt  u^h  h  xoTvXi].  Schol.  Arintoph.  Plut.  et  Equ.:  Plutarch,  »Suid., 
Phavorin.,  Apostol.,  Clemens.  uOjTog  xoTthjv  Eustath.,  Etymol.  Ma«rn. 
äno^priGaai^at  Etym.  Magn.,  Schol.  Arist.  Plut.  1054,  Suid.,  Apostol.  ara- 
ifßTjaaaOai  Plutarch,  Schol.  Axist.  Equ.  729,  Clemens,  v.roijjiiauaiha  Pha- 
vorin 240.  inixniiaaaU(ci  Eustath.  3)  xvlixu  fv^owor  Eustath.  xvXix'  ti\ta- 
nor  Suid.,  Plutarch.,  Schol.  Arist.  Plut.  Equ.     o;iov  Suid.     x«'/* i'tV/;^  Suid. 

1)  Schol.  Arist.  Plut.  1054:  ihtkUt^  ^/.aiug  fj  ihafi't]^'  ^i  ^nUttv  (Hjunt' 
7i/.fyfi^rog  f/(or  iVoror  ^  ^iioTy/nf-'ror  x((i  xot  vk^jV  faii  dl-  uf-roor  (o 
vvv  xukoOfifi  ijui^faroi']  >.(u  avxii  [xat  nurra  Tic  (}-/((!) ü].  TierTijr  lU  jifr  tiof- 
(Tiiüytjv  71QÖ  Ttüv  oixi]udnov  tTUhhVTo  Ol  Alhivuiui  x(ii  x((T  hog  ICVlijl' 
fJÄUTTov.  iitiiüht  dt  Tiaig  CiutfiiHiVug  utuf'  liiifi  T((C'T(C  At'yfiv  „tintatu'n'r^  afxit 
ff^ofi'*   otc. 

2)  h((T€(/rau(CT(c  tU  x(()  xvlr/M  ulrov  xhxoauh'rir  xuTuyHtVTt';  arn^g  tm- 
X^yovair.  Etym.  Magn.  s.  o.  S.  220.  Cf.  Eustath.:  x(d  öji  xura/iauuru 
xtä    xiXixu    oU'ov   xtxoauhviiv    i jri/tovT  fg    lii'Tfjs    tJiO.kyov    liji'    (n]thHauv 

3)  Clom.  Alex.  Strom.  L.  IV,  Cap.  II.  S-  7.  P.  5GG  P(»tt.  -  /rrixu  ol 
ainmuntlg  ijitwj'  Xitn't  Tor  yKooyov   TinioxlHug  Tur  X(Ofiixoi) 

avx\  r/Ml  Ol',  !(j/t(d\cg, 

Maniihardt.     II.  1«^ 


226  Kapitel  lY.    Grntomai  nnd  Maibaam  in  der  antiken  Welt. 

dem  Glossokoraon  des  Geschichtsschreibers  Meuekles,  eines  Zeit- 
genossen des  Ptoloraaeas  Physkon  (145  — 118  v.  Chr.),  backen 
die  Athener  Lyra ,  Napf  (Kotyle) ,  Rebzweig  und  wieder  andere 
in  Formen  gegossene  Kuchen  von  kreisförmiger  Gestalt  und  häng- 
ten sie  an  die  Eiresione.  Dieses  Gebäck  hieß  Diakonion  oder  in 
der  Mehrzahl  Diakonia.  ^  Auch  bei  anderem  Anlaß  und  anderswo 
(z.  B.  zu  Patara  in  Lykien)  wurden  dem  ApoUon  in  heiliger  Kiste 
als  Weiheopfer  Kuchen  in  Gestalt  seiner  Attribute  Leier,  Sogen 
und  Pfeile  zugetragen.^  Während  somit  die  der  Eiresione  ange- 
hängte Lyra  die  athenische  Eiresione  als  Darbringung  an  Apollo 
bewährt,  waren  die  aus  Teig  geformte  Kotyle  und  Rebzweige 
nur  ein  jtlngerer  Ersatz  für  einen  wirklichen  mit  Trauben  hehan- 
genen  Ast  und  das  wirkliche  mit  Honig  oder  flilssigem  Inhalt 
erfüllte  Gefäß,  welche  jenes  Liederbruchsttick  uns  kennen  lehrte. 
Beide  Formen  des  Brauches  können  in  Attika  neben  einander 
bestanden  haben.* 

Die  in  der  Schilderung  des  Theophrast  (o.  S.  217.  224) 
als  Gegenstände  der  Pompe  erwähnten  Kochtöpfe  (Chytren)  bezie- 
hen sich  unzweifelhaft  auf  diejenige  Handlung,  welche  dem  Pya- 
nepsienfestc  den  Namen  gab  und  somit  als  dessen  llauptveran- 
staltung  aufgefaßt  wurde.*  Es  wurden  nämlich  nach  vollendetem 


au  iih'  timaioh'fjr  od  ytiü^yiuv  X^ytig. 

1)  zi I  €(x6ri  or.  oi  fxh'  ziir  roO  n)MxoC'VTog  xoriniöa.  JMfrfxkffi;  J* 
h'  IM)  r).o)aaoxouoi  TtiVTct  ttmyxe  Treol  airjov'  l-l&fjvurot  tiu  l'inoJJ.un'i  ri,*- 
xalovuh'Tiv  Kloeanüi'rjy  Ikav  Troiöjai ,  nXtcTim'Tfg  Xvnap  ts  xnl  xorvlriV  xai 
xkfjuu  x(c)  (ilV  ärra  xvxXoTto^  n^u^aTa,  laOra  xicXoCai  Siaxcn'iov'  )Jynat  Jf 
Ini  Tivoi'  iyxmiToig.  6uotti)i;  iU  xtci  l4fxf()ti(^  iSi((x6vtn  tu  x((tu  Tr^v  fr/(>fryico- 
vtjf  1^)  *A/i6U.(ori  jilaaaoiuva  ntuuicKc.     Suid. 

2)  Stephan.  Byz.  s.  v.  ritaaoa. 

3)  Von  mehreren  Arten  Kuchen  spricht  auch  das  Scholion  Arist. 
Plut.  1051:  Efofaim'tj  ai^uiutra  7ino  tvjv  7iv)Aor  nfoifiXrjufvic  nXuxovr- 
jixoTg  Tiöi  xo).).vnoi  g  xal  ü).).oig  toi  o  rr  otootioi  g  roTg  Tf  tboautig 
xanmoig  xal  i)Mifig  dnoxfxo(cutr((. 

4)  f[ vavo^hia  tonrij  ylfh^i'tjatv  ^-liioXliüvog.  ihvouicaff^r]  (Tf  xa)  dia  Tu 
kipoun'ov  fTiog  TüJi'  xviiuiov  ro  yno  f^rrog  xa)  lifr  alH'amv  nvnrcc  xnXoCffir' 
(C(f'  ou  xiu  uj)V  i(TTt  Uiuvhiljnoi'  Xfyoiitvog.  IT vuvf-ü'i  oiv  urjr  lifhf)rriai  <f'. 
iv  0)  x(u  TU  iTvuvu  ti/'*T«/,  tlg  TiurjV  T(tO  l4/iö?Mürog.  nvuvu  de  nuvxa  r«  «.70 
yfjg  iihoiJiuu  ()(T7Ton6ötj  f  u  a vvuyovT  f  g  fi'joraiv  ir  /vTotag ^  ufftionr  TioioCr- 
Tfg.     Photius:  Ilarpokriit. 


Die  Eiresione  und  das  Pyanepsienfest  227 

Eiresioneamzag  verschiedene  Getreidearten  und  Hülsenfrüchte 
zusammengekocIU  und  aus  einem  Topfe  von  den  Hausgenossen 
gemeinsam  verzehrt.  Diese  Weise  der  Pyauepsienmahlzeit  geht 
aas  ihrem  Spiegelbilde  in  der  ätiologischen,  d.  h.  zur  Erklärung 
ihres  Ursprungs  erfundenen  Legende  deutlich  hervor.  Der  Rhe- 
tor  Pausanias  (o.  S.  219)  drückt  sich  darüber  so  aus.  Nachdem 
Theseus  von  Kreta  rückkehrend  mit  den  Geretteten  ans  Land 
gestiegen;  schmückte  er  die  Eiresione  aus,  kochte  dann  Töpfe  mit 
Weizen  -  und  Gemüsebrei  {x^%^g  ad^dgag  Tcai  aTvovg)  und  errich- 
tete einen  Altar.  Plutarchs  Bericht,  der  auf  die  nämliche  Quelle 
zarückgeht,  wie  der  des  Pausanias,  mithin  zur  Ergänzung  und 
Verdeutlichung  des  letzteren  verwandt  werden  darf',  sagt,  die 
Begleiter  des  Theseus  hätten  nach  ihrer  Rettung  und  Heimkehr 
die  übriggebliebenen  vegetabilischen  Lebensmittel  untereinander- 
gemischt  in  einem  gemeinsamen  Topfe  gekocM  und  in  gemeinsamer 
MaJdzeit  mit  einander  ve^'zehrt  (s.  o.  S.  220).  Nach  Sosibios  bei 
Athen.  XIV,  G48  und  Hesych.  waren  di^  pyanoi  ein  aus  allen 
möglichen  Erdfrüchten,  einer  „  Panspennie,"  gekochter  süßer  Brei.  * 
Wie  es  nach  Theophrast  den  Anschein  hat,  wurde  die  zum  Pya- 
nepsienfestmahl  verwandte,  Getreide-  und  Gemüsefrüchte  umfas- 
sende Panspermie  bei  dem  feierlichen  Umzüge  in  Kochtöpfen, 
wie  sie  auch  sonst  zur  Bereitung  religiös  geheiligter  Speisen  dien- 
ten (Schol.  Arist.  Pac.  924),  der  Eiresione  (an  der  diese  Töpfe 
doch  wol  nicht  aufgehängt  werden  konnten)  hinterhergetragen  und 
demnächst  verzehrt. 


1)  ^I^gtI  (T^  tü  7tv(irioVy  Mi  (prjffi  S^bjatfStog,  Ttccranfouta  h'  ylvxfT  r)Hiij- 
tit'rrj.  Athen.  XIV,  648.  Für  ;7r«roi' liam  auch  die  Nebenform  nractrut  vor. 
Vgl.  Hesych.:  Tivaiina,  7mvanfou(a  kifiht].  Für  pro  wohnlich  gebrauchte 
man  die  Ausdrücke  nvitvuvy  7ivuYtt,  nvuroi ,  nviivior  für  das  hvo^,  nämlich 
für  eine  Speise  von  6anoia  [ß.  o.  S.  226),  d.  h.  von  solchen  Erdfrüchten, 
welche  nicht  zum  Brodbacken  verwandt  werden.  (Cf.  öanom  txiiva  nov 
^:1riufiT{tiax(ov  a:tfQ^uTü}Vy  ^^  (ov  ii()TOi  ov  yivnut.  Galen,  de  aliment. 
facult.  p.  314,  14.  Bas.)  Und  zwar  war  die  Mischung  aus  verschiedenen 
Fruchtarten  wesentlich.  So  Theognost.  Can.  23:  juvuroi  utyfta  navTo- 
Sandr  öanotbjy.  Doch  wird  niurov  auch  von  Getreidebrei,  speziell  Wei- 
zenbrei {iiO^iit}^)  gebraucht.  ;ir«rd?///«  —  diu  to  u'hinag  hl'iTv  a  seidoüai 
nviiva.  Hesych.  Cf.  Hogesander  b.  Athen.  IX,  S.  406  1).:  rfn  xGtv  nvoibv 
tVn]anoq  tfiirur^Ohlans;  oi  iih'  ,i(Omi(i)  iivarov,  of  cff  vvv  a).6;rvoor  noamyo- 
okvovatr.    Vgl.  Ahrt-ns  Rhein.  Mus.  XVI f,  343. 

15* 


\. 


228  Kapitel  IV.    Erntomai  und  Maibanm  in  der  antiken  Welt. 

Nur  die  iu  den  Aristophanesscholien  bewahrte  Stelle  des 
Theopbmst  (o:  S.  217)  sagt  ausdrttcklicb  ans,  daß  auch  an  dem 
Früh^^rntefeste  der  TJuirgelien  im  Mai  zu  Ebren  des  Helios  und 
der  Hören  eine  Umtragung  der  Eiresione  stattgefunden  habe. 
Die  Richtigkeit  dieser  Angabe  wird  indessen  durch  unabhängige 
Zeugnisse  aus  anderen  Gegenden  stark  gestützt.  Der  Monat 
Thargelion  hatte  seinen  Namen  von  den  ThargeKen  (^a^y^iUa), 
d.  h.  dem  in  ihm  gefeierten  Feste  des  mit  Helios  identifizierten 
Apollo ,  auf  welches  diese  Benennung  von  den  dabei  dargebrach- 
ten Weihegaben  übergegangen  war.  Man  nannte  also  Thargelien 
(d^agyriha)  einmal  die  Erstlinge  der  bis  dahin  zum  Vorschein 
gekommenen  Früchte  (anaqyag  tiov  (paivo/niviay ^  zwv  7teq>rpf6to» 
xaQTtoßv)]  diese  trug  man  in  besondere  Bündel  gebunden  prozes- 
sionsweise umher  {ana^aq  TtoiovvTai  xal  7tBQi%0(.iiC,ovai\^  wobei 
Reigentänze  nicht  fehlten  {tatcevro  de  ev  avtfj  xal  xoqoi^)]  sodann 
eine  Panspermie^  eine  Schüssel  mit  Brei  aus  den  Erstlingen  ver- 
schiedener Fruchtarten  zusammengekocht.  ^  Endlich  hieß  ^-a^- 
ytjXog  ein  mit  WoUe  umtvundener  Oelzweig,  den  tnan  als  BiU- 
isweig  an  den  Hiargelien  einhertrug,^  und  das  aus  der  neuen 
Ernte  zuerst  gebackene  Brod  (resp.  .Kuchen).  Letzterer  Sprach- 
gebrauch dehnte  sich  auch  auf  das  erste  vom  Ausdrusch  im  Hoch- 
sommer gemachte  und,  wie  es  scheint,  stark  mit  Sesam  versetzte 
Brod  aus.  ^ 

Wir  treffen  hier  also  auf  einen  genauen  Parallelismus  zu  den 
Pyanepsien ,  Benennung  des  ganzen  Monats  nach  dem  Namen  des 

1)  S(toyi]).i  a  linoU.on'og  fooTtj.  xicl  ölog  6  fAtji'  hoög  rot*  r>€oC'.  '/7r 
cT^  Toi'g  iytwyt]k(oig  j itg  ä7J(C()^(cg  rcDr  (f((i  vofA^VMV  ti oi  oOvt (ci  xai  nfoi- 
xou^Corai.   Tuvra^i  yk(toyf]hd  ffua.   Hesyeh.  cf.  Harpokr.    Suid.  s.v.  ^«(>;'iji.i«. 

2)  Suid.  s.  V.   iha{tyriha. 

3)  Kul  o  ihdoytilog  /iknog  lm\v  itviinXiwg  anfQfidtbrv.  Hesyeh.  s.  v. 
(rfccoyrßi(c.  —  'HcoyTjXi (c  .  .  .  x(d  6  twv  a/rfoudronf  ^ifarog  /iV()o«;  h(»oO  lipfj- 
ftuTog.  fj^lfOi'V  cT'  h'  airrfj  unao)((tg  tö  ihfio  tcjv  nefftjvÖTüJV  xuo7idh%  ovoua^tH 
iitru)  ihiö  rov  '/^ofir  tiiv  yrjv ,  t0  «rrw  ötti  Ttp  'UkOtj.  Said.  8.  V.  nach 
Küsters  Emondation. 

4)  Ka)  Tfii'  lxhri]o(nv  ^xuXovv  thco}'r)Xov.     Hesyeh    s.  v.   x^noyrjXta. 

5)  Ilaofi^f  ^l  Torror  o  liXtil^dig  üaniQ  xai  rov  duQyrjXov,  or  rirfg 
xaXovat  ihuXvaiov  —  AaicTJjg  cJ'  h'  (hiiiou  lirrix^g  Si€tl(xTov  {f^tc(f)'rjXor  xtt- 
Xfioiha  Tor  Ix  rfjg  acyxoui&rjg  /r^xoTor  yfvouhrov  liinov  —  x«\  tbv  arianui- 
Ttp'.  Athen.  III,  8.  p.  114  C.  Vgl.  ihaXiaiu  ui  rcDr  x(i{)nm*  unao/t<{.  (hz- 
Xvatog  äoTog  dno  TTjg  uXoi  nnToufvog  TtotoTog.     Hesyeh.' 


Aetiologlscbo  liegenden  über  den  Ursprong  der  Eiresione.  229 

Festes,  UmiUhnrng  der  zuerst  geschnittenen  Früchte ^  Genuß  eines 
Breies  aus  Vermischung  mehrerer  Fruchtarten,  Umhertragung 
eines  mit  Wolle  bewickelten  Baumzweiges.  Da  der  letztere  Thar- 
gelos  hieß,  wie  diie  ersten  Emtebtlndel,  läßt  sich  mit  Sicherheit 
annehmen,  daß  er  in  dem  nämlichen  Festzuge,  wie  diese,  seinen 
Platz  gehabt  haben  wird.  Nattlrlich  entbehrte  er  des  reicheren 
Schmucks  der  erst  später  reif  gewordenen  Baum-  und  Ilülsen- 
frtlchte,  im  tlbrigcn  entspricht  er  deutlich  der  Eiresione  der  Pya- 
nepsien. 

§.  3.  Aetlologlsehe  Legenden  fiber  den  Ursprung  der 
Eiresione.  Auf  das  nämliche  Ergebuiß ,  das  Vorhandensein  der 
Eiresione  bei  den  Thargelien  wie  bei  den  Pyanepsien  Itihrt  die 
Analyse  der  ätiologischen  Sagen  über  den  Ursprung  der  Eiresione. 
Von  diesen  sind  als  solche,  die  nicht  erst  späterer  Buchgelchr- 
samkeit  ihr  Dasein  verdanken,  sondern  aus  lebendiger  Kenntniß 
des  bestehenden  Brauches  flössen,  zwei  zu  verzeichnen,  welche 
die  Pyanepsicneiresione  mit  der  athenischen  Beschickung  des  deli- 
schen  Thargclienfcstes  in  Verbindung  bringen. 

Die  erste  derselben  liegt  scheinbar  in  dem  aus  Krates 
(o.  S.  220)  erhaltenen  Auszuge  in  ihrer  einfachsten  Form  vor. 
Als  in  AttiJca  einst  Miß  wachs  (d(fOQta)  herrschte,  hatten  die 
Athener  in  Folge  eines  Orakelspruchs  dem  Apoll  den  mit  WoU- 
bändem  umwundenen  Bittzweig  (ly.eztjQia)  aufgestellt.  ^  Dieser 
Erzäldumj  liegt  augenscli>einlich  einsig  und  allein  der  Glaube  zu 
Grunde,  daß  die  Eiresiojie  Hungersnot,  Mißivachs  abwehre  und 
verhütCj  als  divaititg  av^tjTiyiij  ftir  die  nächste  Ernte  wirksam  sei. 
Aufßilligerwcise  aber  setzt  das  Etymol.  Magnuni  in  dem 
gleichlautenden  Abschnitt  des  Artikels  elgeoKuvt]  (o.  S.  220)  den 
Namen  des  Lykurgos  an  die  Stelle  des  Krates.  Das  erklärt  sich 
vielleicht  als  Acnderung  eines  Glossators,  welcher  wahrnahm, 
daß  Lykurgos  etwas  Aelmliches  ausgesagt  hatte.  Oder  Krates 
hatte  den  Lykurgos  ausgeschrieben  ^  und  der  dem  Pausauias  wie 
demEtym.  M.  zu  Grunde  liegende  Context  citierte  beide  Gewährs- 
männer   neben    einander.      In    letztcrem    Falle   aber   wäre    die 


1)  Vgl.  liuof^  /'"C'    ^V(7xtpl'i(2'TOi;  (ii'tilty  6  »>*Os'  Tng  tfnfaioh'ftg    tiqo 
Tör  th'Qm'  xohuuoai.     Scliol.  Arist.  Plat.   1054. 

2)  Dies   ist   die    MeiuuDg   Sauppe's.     S.    Bait.   et  Sauppe  Orator.  Att. 
II,  272. 


230  Kapitel  lY.    Erntemai  und  Maibanm  in  der  antiken  Welt 

BeschränkuDg  des  Mißwachses  auf  Athen  ungenau  und  auf  die 
Darstellung  des  Lykurgos  nicht  ganz  zutreffend.  Denn  dieser 
hatte  zwar  dieselbe  Legende,  aber  in  einer  erweiterten  und  kllnst- 
licher  ausgebildeten  Gestalt  erzählt^  nach  welcher  die  Hungers- 
not nicht  allein  Attika,  sondern  die  ganze  bewohnte  Erde  betraf. 
Die  erwähnte  Aeußerung  lesen  wir  in  den  Fragmenten  einer  Rede, 
durch  welche  Lykurgos  seinen  Feind  Menesaichmos  in  Bezug  auf 
die  alljährlich  zu  den  Thargelieu  nach  Delos  entsandte  Theorie 
der  Gottlosigkeit  anklagte.  ^  Der  Angeklagte  verteidigte  sich 
mit  der  von  den  Alten  gemeinhin  ftir  eine  Ausarbeitung  des  Dei- 
narch  ausgegebenen,  von  Dionysios  für  ein  eigenes  Werk  des 
Menesaichmos  erkannten  Gegenrede  nsQl  Trjg  J^lov  ^HJiagy 
welche  anhub  lycetevoinev  vfnag  xat  u.  s.  w.  Obwol  der  ganze  Vor- 
trag des  Lykurg  auf  die  delische  Theorie  und  die  delischen  Hei- 
ligttlmer  abzielte,  *  nimmt  unter  den  erhaltenen  zehn  Fragmen- 
ten die  Hälfte  Bezug  auf  den  uns  beschäftigenden  Gegenstand. ' 


1)  S.  Bocckh  Erklärung  einer  attischen  Urkunde  über  das  Vermögen 
des  apollinischen  Heiligtums  auf  Delos,  S.  15  Anm.  4.  Abhandl.  d.  Berl 
Akad.  d.  W.  1834.    Bait.  et  Sauppe  Orat.  Att.  II,  270. 

2)  Cf.  Sauppo  a.  a.  0.:  etiam  hoc  patet,  totam  Lycurgi  orationem  ad  sacra 
Dcliaca  pertinuisse. 

3)  Wir  geben  in  Folgendem  eine  Zusammenstellung  dieser  Bruchstucke, 
insoweit  des  Lykurgos  eigene  Worte  erhalten  sind,  in  der  Ordnung,  welche 
sie  uns  im  Zusammenhango  der  Rede  gehabt  zu  haben  scheinen.  1)  ^irikia- 
aral  ol  tig  JfiXov  d^aoQoC'  AvxoOQyog  xtira  Ahveatti^^uov.  Harpokr.  2)  ^/i'- 
xoi'oyog  6  (n]Tü)n  u^uvrjrat  tov  l^fiuoifSog  (v  tu)  xarä  Ahnani/fiov  Xoyot  k^ytar^ 
Oll  XiuoO  ytvou^vov  h'  roi^g  ^YntoßoQ^oig  ijl(her  6  ^ü^ßnQig  Iv  rg  *£^kudt  xm 
^uaih'ßivaf  TtpjinolXurvr  xal  ^^nhc/f^rj  TiaQ'  kvtoO  t6 /ofiauoloyeTr.  xai 
ovTM  xodTtüv  To  ß^Xog  d)g  ovußoXov  ToO  llnoXXfOvog  {ro^oTrjg  yicQ  ourog  6  O^eog) 
7ni)ifiti  /QriafxoXoytbv  nüaav  ttjv  ^EXXd^a.  Eudocia  Viel.  p.  20.  Sch<d.  Gre- 
gor. Nazianz.  in  catal.  bibl.  Bodleianae  p.  51.  'lißanig  Övoua  xiQior.  XoiuoC 
J^  (fttai  X(CT(t  Tifiaap  rrp'  oixoi'ft^rr]i'  yfyororog  uvfi^Xtv  6  lAnoXXtav  ftnrtfvch- 
/iitvoig"EXXi]ai  xat  ßnoßctooig  tov l-l'hji'(t((üv  ^fjuov  vTTfo  ndiiMV  kv)(ag  Tioiu- 
a!Hii.  7i{)taß^vo{xtv(t)v  öt  noXXtbv  ^OvioP  Tiobg  ccrjoug  xai  ^l^ßccQir  ^^  'Ynifoßo- 
o^MV  7Z(»6fT/?ftTf/j'  (HfixhGihii  X^orötp.  Harpokr.  3)  ,ivxovny6g  (frfair  fr  tu 
xara  j\Urtc((d/uov  „Kai  yuo  vOv  noXXag  xal  utydXag  vuTv  Tiiing  oiffiXm. 
xa\  u]Xut  nana  näatv '[EXXfjCfi  uavTfivoutvoig  tuv  .1(a  7iuor]noaiar  noit]o€ta\Hti. 
Suid.  V.  TiQorjQoaia.  Sauppc's  wahrscheinliche  Verbesscruug  dieser  verdorbe- 
nen Stelle  lautet:  Aa)  yao  ti-v  noXXag  xa\  fifydXag  vuir  nuicg  dtff/iorair 
[^^  oi'  tiot']  avtiXfj'  d  i'Hög  arraotr  "JCXXjjai  uarifvouivoig  tch'  tTfjttor  noor^- 
Qoaia  non]aaaiHit  [ttj  ^hjoi'  vnlo  anarrtov].  4)  tiofaitovi].  ^ivxovir^'og  d^  tfr,- 
aiv,  affjOQfag  ytvofiirrjg  li(hrjvaioig  tovto  (die  Umtragung  der  Eiresione)  A71- 


Aetiologisclie  Legenden  über  den  ürsprnng  der  Eiresione.  231 

Der  Zasammenhang  der  von  Lykurgos  vorgebrachten  Legende 
scheint  danach  der  folgende  gewesen  zu  sein.  Ueber  die  ganze 
Welt  war  eine  Hungersnot  oder  Pest  hereingebrochen.  Durch 
dieselbe  aus  seinem  Vaterlande  vertrieben  kam  der  Hypcrboräer 
Abaris  nach  Griechenland,  lernte  vom  Apollo  die  Weissagung 
und  reiste  umher;  durch  seinen  Mund  erteilte  der  Gott  den  ihn 
befragenden  Barbaren  und  Hellenen  die  Antwort,  die  Plage  werde 
anfhr^ren,  w^enn  die  Athener  itir  alle  ein  Vorpflügcopfcr  {fj  TtQor^- 
goaia)  darbrUchten.  Dies  geschah  und  das  Uebcl  nahm  ein  Ende. 
Daher,  d.  h,  weil  die  Athener  die  Procrosia  darbrachten,  (in 
Nachahmung  dessen)  bringen  die  Athener  noch  jetzt  das  Opfer  zur 
Abwehr  des  Hungers,  der  Pest,  indem  sie  die  mit  allen  Früchten 
behangene  Eiresione  aufpflanzen.  Dieses  Fest  nannten  die  Hellenen 
Panopsia,  weil  sie  alle  Frtlchte  mit  Augen  sahen,  die  Athener 
sagen  daltlr  Pyanepsia.  Für  ihre  Tat  schulden  die  Hellenen  den 
Athenern  große  Ehren  und  deshalb  senden  (oder  sandten)  sie  als 
Dank  die  Erstlinge  aller  Früchte  nach  Attika. 

Die  zweite  Legende,  als  deren  älteren  Aufzeichner  wir  ver- 
mutlich Philochoros  bezeichnen  dürfen  (s.  o.  S.  2110?  konmit  uns 
zur  Anschauung  durch  Combination  des  Lexicographen  Pausanias 


Tbltaihf^vni  xitiu  XQrjaiiöv  olov  ixfTt^otccg.  Etym.  Magn.  p.  303,  34.  Cf.  Anecd. 
Oxon.  Craineri  II,  p.  436.  5)  Uvuroxhui.  ^iv/.uvnyog  h  rw  y.mii  Ahviaici/fiov' 
Xitl  tjtitTg  IlL'avoijjicc  T(tiTi]V  ifii'  hooiiiv  XftXoNifr y  oi  «V  rY/./.or  ^'jjJ.tivti;  IJav- 
o^fjia,  f)Ti  rrdvrag  *?Jo»'  rovg  xnonoig  rff  öiIju.  Harpokr.  Hiemit  vgl.  man 
Schol.  Aristoph.  Equ.  729:  JJod  ^f  tmv  Ornidv  laräaiv  avrr]v  (sc.  stnfoion'rjv) 
fia^Ti  xtci  vOv.  TtotoOoi  (ft  ToOro  xaiä  THUAUor  rt  /orjaTtjoiov'  ui  ulv  yä(> 
ifaati'  int  Xifiov^  ol  61  Ihi  xai  Xoiuov  Trjv  'jtCiauv  xdTUG/ovTug  oixovii^VYi\\ 
^Qtatt^j'on'  jiva  äv  jQOJior  .ntvamro  to  J^n'or,  jiiV  Ivoiy  rtcvrr}]'  6  Tlv'hiog 
^ utcvT ti'a ((7 Oj  ti  Ji(}oi]o6aior  v,ito  ujiuvtmv  Al}i]V(iioi  i^vanKV'  ^vcfih'Ton' ovv 
T(orl'f*hivttto}v  70  dfiyor  ^/KcrdtcTa.  x(u  ol'iiog  löamo  y(ini(fTi]mor  ot  Timta- 
^6&(r  TOtg  \4*hirtt(oig  ^fikUTJov  tmv  xanjitor  «./«'jTwr  rng  (t:mn/tig.  Sie  cf^ 
xtuZ-lßaod'  fficai  tov^  Ynfo,3omior  ^/.ihirr«  '/fwoor  ffg  TifV^rAXiiöa.lint'dXdyvi  ^tj- 
Tf  taai  xfc)  oi'iM  avyyituifmt  j<ii<g/otjauovg  lotv  vrv  JioognyooH'oiiiii'ovg ^{idoi&og. 
ot>iv  efotit  rii\  /y7Ar  Jfcr  (crirfiioat  tov  xXu^ov,  Xhyovai  kcOkcj  li^i()fanari]  avxa  (f/- 
Qfi  etc.  —  Cf.  Schul.  Arist.  Plut.  1054:  lOitcour  i)'*-  (cviuv  {xXäöov  tXu(ag)  nno 
ttav  /hvoiov  xnjd  naXutov  yoi]nn]ni(n''  oi  ulr  yuo  t/ccaiv,  on  Xiuoi),  oi  cTt 
xnl  ÜTt  Xoiuov  ;rn(T(tv  rifV  yTjV  xttma/nvTog  o  thkog  tJne  nQorjtuKTfttV  Tfi  .1i]oT 
vnto  itn (iiiMV  ^f-i'Gf ci  Oralav  .Hhjvtttorg.  av  frfxcc/ani(TTijoi(t  TUtiiayo- 
(Hv  ix/iiunoraiv  l^Ot'i^'aCf  tüjv  xaonutr  dnao/iig  noug  ditoTooirifV  tov  Xoiuoü. 
ThXuTtu  Jt  ii  Ovatu  lii'tn  7ia()u  zwr  thu^mv  Tvjr  Afhiralviv.  Cf.  auch  Suif' 
s.  rJiiiOtwvii. 


232  Kapitel  IV.    Erntemai  uud  Maibaam  in  der  antiken  Welt. 

(o.  S.  220)  mit  Plutarchs  Theseus  (o.  S.  220).  Als  sich  Theseus 
mit  den  zum  Opfer  des  Minotaurus  bestimmten  Jünglingen  und 
Jungfrauen  nach  Kreta  einschiffen  wollte,  brachte  er  flir  sie  alle 
einen  Bittzweig  {IxeTj^Qiä),  d.  h.  einen  mit  weißer  Wolle  amwon- 
denen  Zweig  des  heiligen  Burgölbaums  im  Tempel  des  Apollo 
Delphinios  dar,  sprach  ein  Gebet  und  stach  am  sechsten  des  Mo- 
nats Munychion,  an  welchem  es  in  historischer  Zeit  Sitte  war, 
Mädchen  in  den  Tempel  des  Delphinios  zu  entsenden,  in  See. 
Nach  Pausanias  wurde  er  sodann  auf  der  Hinreise  nach  Kreta 
durch  einen  Sturm  an  die  Küste  von  Delos  verschlagen  und 
gelobte  hier,  wenn  er  den  Minotauros  tödte  und  gerettet  werde, 
dem  Apollo  einen  Oelzweig  zu  schmücken  und  darzubringen. 
Plutarch  läßt  erst  auf  der  glückhaften  Heimreise  die  Landung  des 
Theseus  auf  Dclos  vor  sich  gehen,  wo  er  Reigentänze  um  den 
Altar  des  Gottes  und  Kampfspielc  stillet  (cf.  Pollux  IV,  lOl)- 
Bei  der  Wiederkehr  nach  Athen  am  7,  Pyanepsion  weihte  er  dem 
Apoll  das  bei  der  Abreise  Gelobte,  indem  er  neben  den  Chytren 
(0.  S.  227)  die  Eiresione  dahertrug,  einen  Oelzweig,  welcher,  wie 
damals  der  Bittzweig,  mit  Wolle  umwunden,  jetzt  zugleich  mit 
allerlei  Fruchterstlingen  behängen  war.  An  demselben  Tage 
(7.  PyaDcpsion)  —  Plutarch  sagt  Thes.  3G  irrtümlich  am  8.,  wie 
A.  Momniscu  Heortol.  richtig  zu  bemerken  scheint  —  fand  im 
Theseion  ein  feierliches  Opfer  zum  Andenken  an  Theseus  Rück- 
kehr aus  Kreta  statt. 

Beide  Legenden  haben  das  Gemeinsame,  daß  sie  die  Umtra- 
gung  der  Eiresione  am  Pyanepsienfeste  in  Parallelismus  stellen 
mit  der  Uebcrführuug  von  Erstlingsgarben  aus  Attika  und  Um- 
gegend zum  Thargelienfeste  auf  Delos,  und  legen  dadurch  ein 
indirektes  Zeugniß  dafür  ab,  daß  Eircsionen,  mit  Wolle  (und 
Früchten?)  geschmückte  Baumzweige  Begleiter  der  dem  Apoll 
übersandten  Erntehündel  waren.  Um  diese  .auf  den  ersten  Blick 
vielleicht  befremdlichen  Behauptungen  zu  erweisen  und  in  helles 
Licht  zu  stellen,  dürfte  es  erforderlich  sein,  einiges  Nähere  über 
die  delische  Theorie  und  die  mit  ihr  verbundene  Hyperboräcrsagc 
vorauszuscliicken. 

Am  ().  oder  7.  Thargelion,  also  zur  nämlichen  Zeit  wie  zu 
Athen  das  Früherntefest  der  Thargclien,  fand  auf  Delos  zu  Ehren 
des  ApoUon  die  Feier  der  Delien  statt,  welche  seit  der  Reform 
im  Jahre  426  v.  Chr.  in  besonders  großartiger  Weise  mit  gymni- 


Aetiologbche  Legenden  über  den  Unprong  der  Eircsione.  233 

sehen  und  musischen  Wettkämpfen  alle  vier  Jahre,  in  kleinerem 
Maßstäbe  alljährlich  von  den  zu  einer  Amphiktyonie  vereinigten 
Bewohnern  der  Kykladen  begangen  wurde.  Diese  Amphiktyonie, 
die  nächste  Nachfolgerin  des  großen  attischen  Seebundes,  war 
eine  zeitgemäße  Erneuerung  einer  ins  Dunkel  der  Vorzeit  hinaui- 
reichenden  religiös  -  politischen  Vereinigung  aller  meeranwohnen- 
den lonier  aui*  europäischem  und  asiatischem  Boden.  Schon  sie 
hatten  das  kleine  öde  Eiland  zum  Schauplatze  einer  von  zahl- 
reichen Teilnehmern  und  Zuschauem,  darunter  Frauen  und  Ean- 
dem,  besuchten  Festfeier  gemacht^  (vgl.  Bk,  598),  in  welcher 
bereits  das  Schaugepränge  neu  hinzugefügter  Stücke,  wetteifern- 
der orchestischer,  gymnischer  und  musischer  Aufführungen  und 
Kämpfe  den  nur  als  Teil  der  heiligen  Begehungen  festgehaltenen 
ursprünglichen,  vielleicht  schon  aus  einer  vorionischen  Periode 
her  an  diesem  Orte  haftenden  Kern  der  Kultushandlung  tiber- 
wucherte. *  Noch  mehr  tand  dies  bcgreillicherweise  in  der  neuen 
Epoche  unter  Athens  glänzendem  Protektorat  statt;  aber  selbst 
in  die  reformierte  Gestalt  des  Festes  vom  Jahre  426  wurde 
augenscheinlich  der  älteste  religiöse  Festbrauch  mit  herüber- 
genonmien. 

Alljährlich  gingen  von  Seiten  der  teilnehmenden  Staaten 
amtliche  Gesandtschaften  (Theorien)  zum  Feste  nach  Delos  ab, 
welche  die  Weihgeschenkc ,  Opfer,  das  wol  eingeübte  Personal 
der  von  Staatswegen  dargestellten  Männer-  oder  Frauenchöre 
hinübergeleiteten.  Von  Athen  aus  diente  im  fünften  und  vierten 
Jahrhundert  v.  Chr.  zu  diesem  heiligen  Zwecke  die  Triere  Delias 
oder  Theoris,  welche  immer  wieder  ausgeflickt  bis  auf  die  Zeit 
des  Demetrios  von  Phaleros  (um  309  v.  Chr.)  sich  erhielt.  Schon 
zu  Sokrates  Zeit  galt  sie  für  das  Schiff,  auf  (lern  TJieseus  mit 
den  Opfern  des  Minotauros  nach  Kreta  fahrend  in  Delos  gelan- 
det sei,  und  für  den  Fall  der  Bettung  dem  Apoll  eine  jährliche 
Theorie  zu  senden  gelobt  habe.  ^  Unzweifelhaft  auf  dieser  heiligen 
Triere  wurden  —  und  dies  war  einer  jener  vorerwähnten  uralten 
Kultusbräuche  —  neben  Chortänzern  und  sonstigem  Festpersonal, 
sowie  neben  anderen  Weihgeschenken,  Erstlinge  der  Ernte  ein- 

1)  V^l.  Böckh  C.  J.  I,  p.  250. 

2)  Hymu.  Ilom.  in  Apoll.  UG  ff.    Tliucyd.  III,  104. 

3)  Plutarcü  Thob.  23.    Piaton.  Phacdou  iuit. 


234  Kapitel  IV.    Ernteroai  tuid  Maibanm  in  der  antiken  Welt. 

geschiflPt,^  dergleichen  sämmtliche  Festteilnebmer  auch  anders- 
woher einsandten.  *  In  die  erstgeschnittenen  Garben  waren  z.  T. 
auch  Gaben  anderer  ÄH,  Opfer  für  den  Gott,  der  Art  eifigcbun- 
den,  daß  sie  von  den  Halmen  ganz  verhüllt  wurden,  ^  Offenbar 
wnrden  diese  heiligen  Fmchtsendongen  nicht  sämmtlich  in  natura 
dem  Altare  des  Gottes  zngefllhrt,  sondern  statt  aller  wurden 
einige  Garben  vor  Apollon  in  einem  alle  Amphiktyonen  stellver- 
tretenden Festzage  gebracht,  dessen  altüberlieferter  Brauch  die 
Veranlassung  zur  bertthmten  Sage  von  den  Hyperboreern  gewor- 
den ist,  welche  schon  über  die  Zeit  des  Hekatäus  und  Hesiod 
hinaufreicht*  Das  bei  diesem  Festzuge  funktionierende  Personal 
bestand  (falls  hier  mit  gleichem  Rechte,  wie  in  hundert  ähnlichen 
Fällen  ein  Rückschluß  aus  der  ätiologischen  heiligen  Legende 
der  Delier  bei  Herodot  IV,  33  erlaubt  ist)  aus  zwei  Frauen  und 
fünf  Männern ,  Perpherees  (7T€Qq>€Q€€g)  genannt  ^  und  öfter  als 
Garbenträger  {anaXXocpoQoi  ^  ovXocpoqoi)  bezeichnet.  *  Flöten, 
Syringen  und  Cithern  begleiteten  ihren  Gesang. '  Diese  sieben 
Personen  stellten  mit  verhältnißmäßig  sehr  getreuer  Bewahrung 
des  Alten  —  wie  denn  der  Kultus  überhaupt  in  seinen  wichtig- 


1)  Vgl.  A.  Moininscn  lleortol.  402,  zumal  Anm.  *  u.  **,  wo  mit  Wahr- 
scheinlichkeit nachgewiesen  wird,  daß  am  6.  Munychion  die  Prymna  der  Do- 
lias  im  Phaleroshafon  zur  Ahfahrt  hekränzt  wurde,  die  Ahfahrt  aber  erst 
erfolgte,  sobald  die  Erstlinge  des  Emtcscgcns  wirklich  da  waren;  dann  erst 
wird  sie  dieselben  zu  Prasiä  an  Bord  genommen  haben,  üeber  die  Orientie- 
rung des  Thargelionfestes  im  Kalender  und  dessen  Stellung  zum  tatsächlichen 
Eintritt  der  Ernte  s.  A.  Mommscn  Heortologic  98.  99.  402.  Ebenders.  Griech. 
Jahreszeiten  S.  54. 

2)  Kallimach.  Hymn.  in  Del.  278:  aiufitxtig  i^fxajrjtfÖQoi  alh  ch7«o/«i 

TT^UnOVTUI. 

3)  Pausan.  Descr.  Graec.  lug  iVf  nnan/ag  xtxni'y'hai  ^tv  h'  x(Utcu>j 
TTVQ&v ,  yiv(ü<Txfafhci  öi  rn^  or^n'o)v-     Herod.  IV,  33:]  inä  h'tSf<hu^i'fc  /r  .ti«- 

^1^   XKlitfUtJ. 

4)  Vgl.  Stein  zu  Herod.  IV,  33.  Ukert  Geogr.  d.  Griech.  u.  R.  III,  2, 
S.  393—406.    0.  Müller  Dorier  I»,  267—281. 

5)  Herod.  IV,  33:  n^fxxl'ftt  ff>iooia«g  r«  !na  6ro  xov()itg  ....  r«<i«  St 
(cvT^ai  .  .  .  TT^VTf  Tiounovg,  tovTovg  Oi  vir  IJi-offt(ttfg  xaX^ovj«! ,  riuag  uf- 
yälag  Iv  JrjXo)  f/ovTfg.    Vgl.  Stein  zu  dieser  Stelle. 

6)  Porphyr,  de  abstin.  II,  19.     Servius  Verg.  Aen.  XI,  858. 

7)  Tu  l^ 'Yntoßoo^ioi'  iton  un^  avkatv  xm  avQiyyojv  x iti  xi(Hi{tag 
ffg  r//j'  Jt)l6i  tfjttai  lo  jialaibv  arMtoO^Ki.    Plntarch.  Mor.  1136. 


Aetiologische  Legenden  über  den  Ursprung  der  Eiresione.  235 

sten  Stücken  sehr  conscrvativ  zu  sein  pflegt  —  das  Bild  der 
Erntezüge  dar,  welche  in  alter  Zeit  von  den  Inseln  resp.  den 
Küstenlandschaften  des  Festlandes  h^r  die  Erstlingsgarben  nach 
Delos  überführten.  Perpherees  nämlich  ist  eine  äolisierende  Neben- 
form ftlr  v7r€Qq:>€Q€€g  j  Hertiberbringer ,  da  tv^q  im  Aeolischen  = 
v7t€Q  gesetzt  wird.  *  Daneben  scheint  ehedem  eine  zweite  Form 
dieses  Amtsnamens  Hyperboroi  {vniQßoQOi)  oder  Hyperberetai 
{vTtBQßeqlTai)  bestanden  zu  haben,  welche  sich  aus  Analogie  der 
im  Makedonischen  häufigen  Vertauschung  von  qp  und  ß  als  iTtiq- 
(poQoi^  v7tEQ(p^qhaL  erklärt  und  durch  den  Monatsnamen  vTteqße- 
Qeralog  für  den  Monat  des  Herbstemtefestes  (September)  in  Make- 
donien, und  der  Frühemte  (Mai,  später  nach  Verrtickung  des 
Kalenders  um  zwei  Monate,  Juli)  auf  Kreta  wesentliche  Unter- 
stützung erhält.  Zu  solchen  Vermutungen  berechtigt  die  Fiction 
der  heiligen  Sage  von  Delos,  jene  Garben  sammt  ihrem  Einschluß 
seien  Gaben  eines  im  hohen  Norden  jenseits  des  Boreas  in  seli- 
gem Glück  und  Frieden  lebenden,  dem  ApoUon  immerdar  zur 
Kithara  heilige  Lieder  singenden  Volkes,  der  Hyperboreer,  welche 
die  Getreideerstlinge  anfangs  durch  eine  Gesandtschaft  der  oben 
beschriebenen  Art  überbracht  hätten,  jetzt  aber  von  Stamm  zu 
Stamm  über  Dodona,  den  malischen  Meerbusen  in  Südthessalien, 
Karystos  auf  Euboea  und  die  Kykladcninscl  Tenos  nach  Delos 
weitergäben.  Natürlich  spielt  hier  einerseits  ein  etymologisches 
Mißverständnis  des  Wortes  Hyperboreer  mit;  zu  Grunde  liegt 
aber  andererseits  unzweifelhaft  auch  noch  ein  historisches  Factum, 
welches  wir  uns  etwa  der  Art  zu  denken  haben  werden,  daß  der 
ionischen  Kultgenossenschaft  eine  ältere  äolisch-achäische  vom 
pagasäischen  oder  malischen  Meerbusen  ausgegangene  der  Zeit 
nach  voraufgeschritten  war,  welche  das  kleine,  wüste  und  men- 
schenleere Eiland  von  Delos  wegen  seiner  Unberührtheit  vom 
alltäglichen  Menschengetriebe  (vgl.  Bk.  598)  zur  Statte  ihres 
Apollodienstes  gewählt  hatte,  oder  daß  zur  Festfeier  der  lonier 
auch  thessalischc  Griechen,  vielleicht  angeregt  durch  Verwandte 
auf  Tenos,  zu  irgend  einer  Zeit  Festtheorien  zu  entsenden  ver- 
anlaßt wurden,  die  in  ilirer  Sprache  mit  Makedonen  verwandt 
von  dieser  Sendung  den  Namen  ihres  Erntemonats  entlehnten 
und  denselben  weiter  nach  Makedonien  hinein  verbreiteten,   wie 


1)  Ahrens  Biall.  I,  151. 


236  Kapitel  IV.    Erntemai  und  Maibaain  in  der  antiken  Welt. 

er  andererseits  über  Delos  nach  Kreta  gelangte.  ^  Seit  sie  die 
politische  Führerschaft  des  ionischen  Bandes  an  sich  nahmen,  zur 
Zeit  des  großen  Seebundes  und  später  der  delischen  Amphiktyonie 
haben  die  Athener  Brauch  und  Legende  im  Interesse  ihrer  Stel- 
lung umgewandelt.  Einerseits  setzten  sie  durch,  daß  sie  von  ver- 
schiedenen Seiten  [zumal  wol  von  asiatischen  Kolonien  griechi- 
schen Stammes,  welche  seit  der  Not  der  Ferserkriege  sich 
beeiferten,  Kolonien  Athens  zu  heißen],  wie  den  zur  delischen 
Bnndeskasse  einzuzahlenden  Geldbeitrag,  so  auch  die  einzuliefern- 
den Erstlingsgarben  zur  Ablieferung  nach  Delos  erhielten,  welche 
dann  die  delische  Theorie  zu  Frasiä  an  Bord  nahm.  Andererseits 
entnahmen  sie  aus  dieser  Tatsache  in  prahlerischer  Uebertreibung 
die  Behauptung,  aus  der  ganzen  Welt  Ehiteerstlinge  zu  empfan- 
gen, und  die  Bezeichnung  fitjTQOTtolig  tüv  TLagitiov  ttir  ihre  Stadt, 
sowie  die  Fiction,  die  Garbenerstlinge  der  Hyperboräer  gelangten 
durch  Yemiittelung  der  Arimaspen,  Issedonen  und  Skythen  nach 
Sinope  in  Pontes  und  von  da  nach  Prasiä.  *  Auch  nach  dem 
Apolloheiligtum  in  Delphi  sandten  weit  entfernte  Städte  die  Erst- 
linge ihrer  Ernte,  Metapont,  Myrine,  Pantikapaeum,  ApoUonia 
symbolisch  in  Gestalt  goldener  Aehren  {xQ^aovv  d^iqog)]  andere 
goldene  Rettige,  silberne  Beete  (betae) ,  bleierne  Rüben,  *  während 
ursprünglich  solche  Weihung  in  naturellen  Früchten  am  nächst- 
gelegenen ApoUohciligtum  der  Heimat  vor  sich  ging.  Auf  einem 
Candclaberfuß  siebt  man  z.  B.  Apollon,  einen  Priester  und  ein 
Weib,  das  drei  Äehreti  darbringt*  (vgl.  die  drei  Achrvn 
ßk.  209  fif.).  Jene  Rettige,  Beete  und  Rüben  entsprechen  den  an 
die  Eiresionc  befestigten  Gemüsen  (o.  S.  224),  und  wie  die  letz- 
tere in  Athen  vor  der  Tür  des  Apollotempels  befestigt  wurde, 
heftete  man  in  Delphi  die  Ernteerstlinge  an  die  heiligen  Tür- 
pfosten   und   eine   hohe  Säule.  ^     Nach  Delos    also   wurden  als 


1)  lieber  alles  dieses  vgl.  AliroDs  im  Rhein.  Mus.  XVII,  18G2,  8.  840 
bis  342.  0.  Müller  Dorior  I,  S.  202.  272.  Welckcr  Gr.  Götterl.  IT,  352. 
Bnrsian  Gr.  Geogr.  II,  S.  454. 

2)  Pausan.  Descr.  Gr.  I,  31,  2.  Vgl.  BursianGr.  Geogr.  I,  351.  Momiu- 
sen  Heortologie  8.  50.  218.  402. 

3)  Strabo  VI,  p.  205.    Plut-arch  de  P}i,h.  orac.  6.    Pliii.  IL  N.  XIX,  «(>• 

4)  Annal.  d.  Inst,  arcli.  XXII,  59.    Tav.  B.  D. 

5)  Clem.  Alei.  Strom.  IV,  24  §.  164  p.  149.  Pott.  tUXä  xn\  n  r»;r  lU- 
QMndtr  noit]a«^    iarooti    lo    h'  Jkhfoig  üyiO.un  ^Anulltavog    xfavn  tina  cf/« 


Aetiologische  Legenden  über  den  Ursprung  der  Eircsionc.  237 

äna^ai  volle  Garben  von  weiterher  geliefert,  welche  zum  grö- 
ßeren Teile  in  den  Vorratskammern  der  Priesterschaft  aufgespei- 
chert und  in  einigen  wenigen  stellvertretenden  Exemplaren  {vneQ 
TrdvTwv)  durch  die  Pompe  der  Perpherees  vor  den  Altar  des 
Gottes  selbst  gebracht  werden  mochten.  Was  es  aber  mit  den 
in  die  Halme  eingebundenen  Opfergaben  (ieQo)  o.  S.  234  auf  sich 
habe,  welche  Welcker  wunderlicherweise  fllr  samländischen  Bern- 
stein erklären  wollte ,  *  lehrt  auf  das  deutlichste  die  Vergleichung 
nordeuropäischer  Erntefeste.  Es  wird  nämlich  in  außerordentlich 
zahlreichen  Fällen  noch  jetzt  ein  Mensch  *  oder  ein  Tier ,  *  oder 
ein  Ei  (Osterei)  und  Brod  (Bk.  158)  in  die  erste  oder  letzte 
Garbe  des  Aehrenschnitts  als  Vertreter  des  Wachstumsgeistes, 
hineingebunden.  Im  griechischen  und  italischen  Brauche  spielt 
aber  die  erste  Garbe  der  Ernte  die  Rolle,  welche  in  Nord- 
europa gemeinhin  der  letzten  zufällt.  Unzweifelhaft  waren  auch 
die  in  Weizengar])en  eingebundenen  Opfergaben  des  delischen 
Erntefestes  von  gleicher  Art;  Herüberbringer  (7teQq)€Qe€g,  vnBQßo- 
eteg)  hießen  ursprünglich  die  Festgesandten,  welche  sie  von  den 
Kykladen  oder  vom  Festlande  über  das  Meer  zum  Inselheilig- 
tume  von  Delos  geleiteten;  ihr  Name  haftete  später  im  Ganzen 
des  ausgebildeten  Festgepränges  an  den  Personen,  welche  eine 
Auswahl  in  Prozession  dem  Altare  des  Gottes  zuführten.  Diese 
Prozession  bildete  aber  nur  den  Emtezug  nach,  der  anfänglich 
wol  in  jedem  Dorfc  bei  Einbringung  der  zuerst  geschnittenen 
Garbe  (des  Praemetium)  gebräuchlich  war.  Bei  Gelegenheit  einer 
in  Zukunft  zu  veröffentlichenden  Untersuchung  werde  ich  nach- 
weisen können,  daß  auch  noch  andere  Stücke  des  delischen  Fest- 
gebrauchs auf  alter,  einfacher,  dorflicher  Emtefcier  beruhen. 

Die   Delien    waren    demnach    ihrem    Ilauptcharacter    nach 
nichts    anderes  als   die   Thargelien;    sie   waren    das    auf   einen 


ajui^fxCiv  hx   ^tcif-iüiv  xai   xiovog    i'i//ij>loro. 

C)f.  ux{iotHvttt  (d  Ttjr  h'utvaittCtov  xitonuir  icn(C()/a(.  Suld.  ux{ioi^Cviov  U7i(((i/ii 
x(Wii(bv  .  .  uxnoihhiuY  u^mo^i]  rtbv  ihrür.  htv(<;  J*  tia\v  ol  acjQol  ruiv  nv- 
ittov  1}  xQi'ktity.     ff  nüau  «/7«(j»;^/;.     Hosycli. 

1)  Gr.  Götterl.  II,  354. 

2;  So  S.  ir>4.  S.  173.     Vgl.  Bk.  215.  Gll.    Komdänioupii  S.  34. 

S)  S.  0.  Korii(Iäinon(>n  15.  * 


238  K^apitel  IV.    Erntemai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt 

bestimmten  Jahrestag  fixierte  Frilhemtefest ,  und  selbst  die 
darüber  hinausgehenden  Zutaten  der  ionischen  Periode  hatten  die 
HauptzUge  nicht  verwischen  können.  Erst  die  Zeit  der  atheni- 
schen Hegemonie  nach  den  Perserkriegen  kann  die  Umdeutong 
des  Festes  und  seiner  Bräuche  in  eine  historische  Erinnerung  an 
die  Erlebnisse  des  attischen  Nationalhelden  Theseus  unternommen 
und ;  so  gut  als  möglich ,  durchgefiUhrt  haben.  ^ 

Kehren  wir  nach  dieser  Abschweifung  mit  der  nun  gewon- 
nenen Ausbeute  an  neuen  Gesichtspunkten  zu  der  o.  S.  232  unter- 
brochenen Erörterung  zurück,  so  finden  wir  uns  zu  dem  Nach- 
weise ausgerüstet,  daß  in  der  Tat  beide  Legenden,  wie  wir 
behaupteten,  die  Entstehung  der  Pyanepsien  zu  der  Theorie  nach 
*Delos  in  Beziehung  bringen.  Denn  die  Erstlinge  aus  aller  Welt, 
welche  als  Dank  nach  Athen  gesandt  werden  (o.  S.  231),  sind 
eben  nichts  anderes  als  die  Weihegaben  zu  den  delischen  Thar- 
gellen ;  von  einer  Sendung  der  a/rag^ai  zu  einer  anderen  Zeit,  zu- 
mal zum  Pyanepsienfest,  weiß  keine  Quelle  etwas ;  und  folgerich- 
tig können  auch  die  auf  Geheiß  des  Hyperboreers  Abaris  iUr  alle 
Welt  dargebrachten  Vorpflügeopfer  (fCQorjQoaia)  ^  welche  einerseits 
als  widerholende  Fortsetzung  die  Pyanepsieneiresione  veranlaßt, 
andererseits  als  dankbare  Erwiederung  (xa^farij^ta)  die  allseitige 
Versendung  der  Erstlingsgarben  nach  Attika  hervorgerufen  haben 
sollen,  in  diesem  Zusammenhange  nichts  anderes  bedeuten  als 
eben  die  am  Pyanepsienfest  unmittelbar  vor  dem  Beginn  der  Saat- 
zeit geschehene  Aufpflanzung  der  fruchtbehangenen  Oelzweige, 
da  sie  ebenso  gut  wie  als  Dank  für  die  vollbrachte  diesjährige 
Ernte  als  ein  boni  ominis  causa  dargebrachtes  Bittopfer  flir  die 
künftige  aufgefaßt  werden  durften. 


1)  Die  historische  Anknüpfung  der  delischen  Heiligtümer  an  Athen  zum 
Erweise  eines  uralten  Anrechts  der  Athener  an  die  Verwaltung  derselben  ver- 
snchte  man  damals  durch  mannigfache  Fictionen.  Phanodemos  iui  zweiten 
Buche  seiner  Attlüs  erzählte ,  daß  schon  Krysichthon ,  der  Sohn  des  KokTOps, 
nach  l)elos  fulir,  daselbst  den  Apollotempel  gründete  und  von  dort  das  Bild 
der  Von  den  Hyperboreern  nach  Delos  gekommenen  Eileithyia  nach  Attika 
brachte  (Euseb.  Canon,  p.  497.  Athen  IX,  392  D.).  An  der  Al)fabrtsstation 
der  Hyperboreererstlinge  zu  Prasiä  (o.  S.  236)  zeigte  man  Erysichthons  Grab- 
mal i^Pausau.  I,  18,  5.  31,  2).  Die  dem  Deinarchos  zugeschriebene  Bede 
Jrihaxoi;  l6yo<;  machte  Anius,  (h'U  delischen  König  zur  Zeit  des  Trojaiier- 
krieges,  zum  Enkel  des  Theseus.  Vgl.  Bot'ckh  über  e.  att.  Urk.  S.  15.  Abb. 
d.  Berl.  Akad.  1834. 


Aetiologische  Legenden  über  den  Ursprang  der  Eiresione.  239 

Die  Darbringung  der  Eiresione  wird  mehrfach  als  dvaia 
bezeichnet  (o.  S.  231).  Es  liegt  somit  nahe  zu  vermuten,  daß 
Proerosia  (d.  h.  das  der  Pflügung  voraufgehende  Fest)  überhaupt 
nur  eine  andere  gelegentliche  Bezeichnung  für  die  unmittelbar 
vor  der  Wintersaatzeit  eintretende,  sonst  und  zumal  offiziell  Pya- 
nepsia  genannte  Feier,  die  Eiresionen  das  von  den  Lexicographen 
erwähnte,  fllr  alle  an  Hungersnot  und  Pest  leidenden  Völker 
dargebrachte  Fruchtopfer  7tq6  tov  uqoiov   waren.  ^     Denn  auch 


1)  n{iori{ioaiai  «i  ;t(>ü  tov  uqotqov  yiroutvai  ikvaiai  jiiQi  t&v  fifklav^ 
Twv  fafo&tti  xuimiovy  üait  xtliatfo^ttToxyM.  Suid.  —  Mit  obiger  Annahme 
stimmt  auch  der  den  Proerosien  vom  ältesten  Atthidenschroiber  Kleidemos 
(oder  Kleitodemos  um  380  v.  Chr.)  bei  Stephanos  s.  v.  ji^orinoaia  den  Proe- 
rosien beigelegte  Name  Proarkturia  wol  ftberein,  da  das  Pyanepsicnfest  in 
die  letzte  Hälfte  des  Oetobers  fiel,  der  heliakische  Untergang  des  Arktur  in 
das  Ende  dieses  Monats  (vgl.  Mommsen  Heortol.  77).  Merkwürdiger  Weise  hat 
man  die  richtige  Erklärung  der  Proerosien  bisher  gänzlich  verkannt  und  in 
Urnen  ein  eigenes  Fest  gesucht.  Der  Irrtum  entstand  durch  die  uu bewiesene, 
ja  sicher  falsche  Conjectur,  daß  die  Proerosien  mit  den  drei  heiligen  Pflü- 
gungen der  Athener  ("Rinck  Gr.  R.  IT,  p.  180  n.  9:  Mommsen  Heort.  76)  oder 
mit  einer  derselben  (Hermann  G.  A.  56,  28)  zusammenfielen.  Sie  waren  ja 
aber  ihrem  Namen  nach  ein  der  Pflügung  voraufgehendes  Fest,  nicht  ein  Fest 
der  Vorpflügung  selbst.  Dieser  Grundirrtum  verleitete  zu  den  geschraubte- 
sten Annahmen.  Nach  Mommsen  a.  a.  0.  218  ist  die  Eiresione  ein  dem  Apoll 
dargebrachter  Dank,  weil  der  Gott  in  allgemeiner  Not  Proerosien  angeraten 
babe;  an  den  letzteren  nämlich  wurden  aus  aller  Welt  eingesandte  Aparchai 
von  den  Athenern  für  alle  geopfert.  Als  dankenswerte  Sache  aber  mußten 
die  Proerosienopfer  dem  Erntedankf(>st  der  Eiresione  im  Kalender  der  Eire- 
sione vorausgehn.  Grade  das  Gegenteil  von  dieser  Mommsenschen  Aufstel- 
lung sagt  die  Ucberlieferung  (o.  8.  231).  Die  Athener  stellen  die  Eiresionen 
vor  die  Türen  als  Wiederholung  dessen,  was  ehedem  nach  Befehl  des  Orakel- 
sprucrhs  geschah;  diese  sind  also  die  dankenswerte  Sache,  die  Proerosien, 
welche  der  Gott  für  alle  zu  opfern  befahl.  Die  xitQiarTJota  aber  bestehen  aus 
den  von  aller  Welt  [zur  Weiterbeförderung  nach  Dolos  o.  S.  233  ff.]  gesandten 
änttoxai.  C.  Th.  Anton  (mos  hieme  expulsa  aestatem  salutandi.  Gorlicii 
1840,  II,  p.  12  0".)  sieht  zwar  richtig,  daß  die  Eiresione  an  den  Proerosien  im 
Umzüge  dahergetragen  wurdo,  hält  aber  irrigerweise  mit  Ilgen  (Opusc.  var. 
phil.  I,  13G  — 139)  die  Angaben  des  Plutarch  von  Aufpflanzung  derselben  am 
Pyanepsienfeste  für  unzuverlässig.  Auch  Preller  »Dem.  u.  Perseph.  S.  295),  der 
die  Proerosien  als  einzelnen  Akt  mit  den  großen  Eleusinien  verbinden  möchte, 
täuscht  sich,  wenn  or  meint,  daß  an  diesen  das  von  unseren  Quellen  gemeinte 
Opfer  von  Erstlingsgarben  aus  aller  Welt  dargebracht  sei.  Eine  derselben 
(o.  S.  231 1  sagt  zwar,  es  habe  der  Deo  (Demeter)  gegolten.  Es  lag  aber  nahe, 
trotzdem  die  Feier  hauptsächlich  dun  Apollo  anging,  daneben  auch  wie 
der  Hören  (o.  8.217),   so   der  Demeter  dabei    zu  gedenken.      Auch  an    den 


J4M  Kapitel  IV.    Erntemai  und  Maibanm  in  der  antiken  Welt. 

d^  spricht  ftir  die  Identität,  daß  nach  Lykurgos  die  Eiresione, 
wie  die  Proerosien,  des  Mißwachses  wegen  gestiftet  sein  soll 
(o!  S.  220.  S.  230).  Und  so  heißt  es  in  der  Tat  in  dem  rhetor. 
Lexic.  Bekk.  Anecd.  6r.  246,  die  Eiresione  sei  ein  Bittzweig, 
den  man  mit  Hymnen  von  allen  Volksstämmen  dem  Appllon 
weihe,  damit  die  Erde  fruchtbar  würde  und  die  Früchte  erschie- 
nen. '  Von  den  Proerosien  sprach  auch  Hypereides  in  seiner 
i.  J.  346  V.  Chr.  vor  dem  Amphiktyonenrate  gehaltenen  delischen 
Rede  (loyog  JTjhaxdg)^  in  welcher  er  das  uralte  Recht  Athens 
auf  die  Verwaltung  des  delischen  Tempels  siegreich  erwies.* 
Er  wird  so  ziemlich  dieselben  Argumente  ins  Feld  geführt  haben 
wie  Lykurgos  (o.  S.  230),  der  ebenfalls  die  Proerosien  und  da- 
neben Pyanepsien,  Eiresione,  Abaris  in  engem  Zusammenhange 
mit  Delos  und  zwar  mit  der  Thargelientheorie  erwähnte.  Augen- 
scheinlich ,  um  dfesen  Zusammenhang  glaublich  zu  machen ,  war 
der  Hyperboreer  Abaris  als  Urheber  des  Proerosien -Pyanepsien- 
festes  in  die  Legende  eingeführt.  Ebenso  augenscheinlich  können 
in  diesem  Zusammenhange  die  den  Athenern  für  die  erste  Dar- 
bringung des  Proerosienopfers  von  Seiten  der  andern  Hellenen 
gebührenden  großen  Ehren  schwerlich  etwas  anderes  bedeuten, 
als  die  Leitung  der  hyperboreischen  Theorie.  Der  Zusatz  javtipf 
TTjv  eoQTtjv  zu  dem  offiziellen  Namen  des  Festes  Pyauopsia 
(o.  S.  231)  weist  auf  eine  vorausgehende  Beschreibung  desselben 
unter  anderer  Bezeichnung  zurück,  und  es  ist  klar,  daß  eben 
TTQorjQoaia    in    dem    Vorherigen    diese    Function    erttillte.      Wir 


Thargolien  wurde  am  8.  Thargclion  zugleich  der  Demeter  Chloe  ein  Scliaf 
geopfert.  So  hat  es  deun  auch  nichts  Auffallendes,  daß  [wie  ich  annehme, 
am  Pyanepsien-  =  Proerosientage ,  zehn  Tage]  nach  den  Eleusinien,  ein 
Stieropfer  dargebracht  wurde ,  das  auf  Ephebeninschriften  einer  sehr  späten 
Zeit  unter  dom  Namen  dfr  Proerosia  hinter  den  eleusinischeu  Mysterieu- 
opfem,  also  doch  wol  als  eine  in  der  Kalenderzeit  darauf  folgende  Bege- 
hung, vielleicht  sehr  jungen  Ursprungs  erwähnt  wird  (Ephemeris.  401>8,  8. 
4104.    Mommsen  a.  a.  0.  220.  77). 

1)  EiQfGi  (ovrj  xul  Tiolhv  ij  xtav  nvarixpCiov  ioQTtj:  iooTfjg  öyoua  xnl 
txetrjQdc  xnl  vuroi  ntivTMV  tO-vOjv  Ttodi  l4n6lk(ora  cf*«  Trjv  Trjg  yfjg  fvfTrioir.r 
xa)  Ji«  rd  Tfi  Ö^l'fi  rotV  xno7iovg  (fttrtjrtti.  ;fAf<cyof  ^Inift^  xul  tfutfrrn  nou 
TuJv  oixtibv  TiMtfro<;,  7iAijo»;<;  noXKav  (bifftiur  avuöiöiu^vMV.  rovro  ifl  fy^rfTo 
ini  Tififj  Ttüv  i^füiv  üajiio  (\7Ta()/a<;  XitußccvoiTMr.  Vgl.  auch  Schol.  Arist.  Flut. 
Cod.  R^g.:  li^Gaut  loig  l4ih.  vnln  nih'TMv  xia  Tuihriv  ir/v  f/(if(J/curiyi'  tiMolriaur 
oiovfl  nuvTtüv  rm'  XKOiiüv  unfw/tig. 

2)  S.  Bait.  et  Sauppe  Orat.  Att.  IT,  285  fr. 


Aetiologische  Legenden  über  den  Ursprung  der  Eiresione.  241 

gewinnen  aus  alledem  die  Gewißheit,  daß  Lykurgos  die  Pya- 
nepsien  und  die  Eiresionepompa  zu  der  delischen  Tliargelien- 
pompa  in  Parallelismus  setzte.  Wie  das  weiter  begründet  wurde, 
wie  man  die  Weiterflilirung  der  Emteerstlinge  von  Athen  nach 
Delos  motivierte,  wissen  wir  nicht.  Eine  Andeutung  aber  gewährt 
die  von  Diodor  bewahrte  Notiz,  Abaris  habe  die  alte  Freundschaft 
der  Hyperboreer  mit  den  Deliem  erneuert.  *  —  Sicherlich  fanden 
Lykurg  und  Hypereides  die  Legende  bereits  vor,  da  sie  als 
Beweisstttcke  nicht  Selbsterfimdenes  vorbringen  durften;  dieselbe 
reicht  also  sicher  in  den  Anfang  des  vierten ,  wo  nicht  ins  flinfte 
Jahrhundert  zurück.  Die  Erwähnung  der  Proerosien  bei  Kleito- 
demos  (o.  S.  239)  giebt  zu  der  Vermutung  Anlaß,  daß  schon  bei 
ihm  davon  die  Rede  war. 

Noch  deutlicher  liegt  die  Parallelisierung  der  Pyanepsien  und 
delischen  Thargclien  in  der  an  die  Geschichte  des  Theseus 
geknüpften  anderen  Legende  (o.  S.  219.  8.231)  zu  Tage,  welche 
vermutlich  auf  Philochoros  zurückgeht,  aber  deren  Entstehung 
noch  in  das  fünfte  Jahrhundert  zurückreicht,  da  bereits  Plato  im 
Phaedon  Hauptteile  von  ihr  voraussetzt.  In  dieser  Legende  lie- 
gen (vgl.  S.  232)  die  behaupteten  Beziehungen  so  auf  der  Hand, 
daß  ich  darüber  in  weitere  Auseinandersetzungen  einzutreten  nicht 
für  erforderlich  halte.  Beide  Erzählungen,  die  wir  kurzweg 
und  cum  grano  "tealis  verstanden,  als  die  Philoohoreische  und 
Lykurgische  (o.  S.  219.  S.  232)  unterscheiden  wollen,  setzen  also 
die  Pyanepsien  zu  den  Delieu  in  Beziehung,  aber  auf  eine  ganz 
entgegengesetzte  Weise.  Während  die  letztere  nämlich  die  herbst- 
liche Eiresione  als  Zaubermittel  faßt,  welchem  der  durch  reich- 
liche Einsendung  der  Erstlinge  bezeugte  Segen  der  imThargelion 
des  nächsten  Jahres  zur  Reife  kommenden  Ernte  zu  verdanken 
sein  wird ,  geht  umgekehrt  die  von  Philochoros  verzeichnete  Deu- 
tung des  Pyanepsienfcstes  vom  Standpunkte  des  Thargelienfestes 
aus  und  läßt  den  mit  geringem  Fruchtschmuck  auftretenden  Oel- 
zweig  desselben  (Thargelos  o.  S.  228,  Eiresione  vgl.  Theophrast 
o.  S.  217,  oder  Hiketeria  o.  S.  228  Anm.  4)  eine  Verheißung  des  volle- 
ren der  herbstlichen  Erntefeste  sein.  Wenn  somit  beide  ätiolo- 
gische Sagen  von  einander  unabhängig  sind,  und  dennoch   über- 

1)  Diod.  Sic.  II,  47:  'ilgfciroig  «^^  x(u  fx  rair 'Y7Uoßo()t(av  "4ßa(}iv  efg 
riiV*r.ll(iS(i  xaimTiiauriii  tu  jiukmöv  avaadatu  t»/1'  7i{}6g  ^1r\X(ovi  eüvoidv  TB 
x(tl  avyyiviinv. 

Mannhardt.    II.  16 


242  Kapitel  IV.    ErDtemai  und  Maibaum  in  4er  antiken  Welt. 

einstimmend  die  Herbsteiresione  zu  der  Sendung  von  Garbenerst- 
lingen nach  Delos  in  Parallele  stellen,  so  konnte  das  nur 
geschehen,  wenn  die  Aehnlichkeit  der  Feier  der  delischen 
Thargelien  und  der  attischen  Pyanepsien  auffallend  groß  war. 
Nur  weil  sich  dies  in  der  Tat  so  verhielt,  fühlte  man  sich  ver- 
anlaßt,  die  vom  attischen  Nationalstolze  verlangte  ZurüekfÜhrung 
der  seit  den  Perserkriegen  von  Athen  geleiteten  delischen  Theo- 
rie auf  die  Reise  des  Theseus  nach  Kreta  auch  auf  die  Pyanepsien 
auszudehnen,  in  Folge  dessen  die  Heimkehr  der  Geretteten  auf 
den  7.  Pyanepsion  zu  verlegen,  und  aus  der  Ceremonie  des  Pya- 
nepsien- oder  Proerosienfestes  die  noch  unbekannte  Geschichte 
dieses  Vorgangs  mit  dem  Schmucke  neuerdichteten  Details  zu 
beleben.  Nach  allem  diesem  wird  der  Vermutung  nicht  ausge- 
wichen werden  können,  daß  —  wie  die  ümtragung  der  Pansper- 
mie  und  der  Eiresione  im  herbstlichen  Erntedankfest  verbunden 
waren  —  so  auch  die  Ponipa  der  Garbenerstlinge  im  Frühjahr 
von  einer  derselben  voraufgetragenen  Eiresione  (Thargelos,  Hike- 
teria)  waJirscheinlich  begleitet  gewesen  ist. 

Uebrigens  wurde  an  den  Thargelien  zu  einzelnen  Apollohei- 
ligtümem  Attikas  wol  eine  Lorbeereiresionc  statt  des  bekränzten 
Oelbaumzweiges  einhergetragen ;  so  in  Phlye,  und  daneben  wird 
die  Panspermic  in  einem  heiligen  Korbe  statt  in  Töpfen  (Chy- 
tren)  dahergeflihrt  sein.  Eine  solche  Lorbeereiresionc  scheint 
dann  auch  abwechselnd  mit  der  Oelbaumeiresione  oder  neben 
dieser  die  delische  Garbensendung  begleitet  zu  haben,  oder  einem 
der  zum  Inselfestc  abgeordneten  Tanzchöre  voraufgetragen 
zu  sein.  ^ 


1)  Vgl.  Theophrast  b.  Athen.  X,  24:  taQ/oOrro  J'  ovrot  nfQl  idv  toC- 
Ajiollüjvog  i'fibv  loO  ^IriKoVy  t(üv  ttqmtmv  ÖVTfg  riav  Idthjvafatt' ,  xetl  xitif- 
fft'ojTO  i/uiKTia  rdiv  f^rjoiäxuiv  6  dh  AnokXtav  ovtog  iariv  y  ('i)  r«  f^«(>;'ijZ/« 
nyovai ,  xal  t^iaöojCfTUi  'Plvfiatv  iv  ko  jfa(fvrj(fOQf{q)  yQMpjf  /leQi  Tovrar. 
Ueber  diese  Daphnephorie  vgl.  Biitticher  Baumkult  S.  390.  Procl.  ad  Hesiod. 
0.  e.  D.  7G7  :  x«l  uifhrivaToi  xkvttiv  (liir  ^ßö6fxf]v)  log  uinokXan'iaxtfV  tiuojoi 
Snff  vriffOQovvT e g  xai  xttvoOv  iniaT^ifoiTig  xtcl  vuvovvjfg  röv  '>for.  He- 
sycb:  KoQv'haKa  öti(fvr\  fOKfif^^rTj'  Tivlg  ttji'  fiQeffitovtjr,  ä/J.oi  J^ 
vn:€(}6()tor  ^for  (1.  vneQßoQior  x^-eTov).  Aus  welchem  anderen  Grunde,  als 
dem  oben  vermuteten  kann  der  bindengeschmückte  Lorbeer  Eiresione  oder 
hyperboreischcs  Hoiltum  genannt  sein?  t>fTov  ist  nach  Harpokr.  v.  ^totooi 
technischer  Ausdruck  für  die  in  Obhut  der  zu  einem  Feste  abgeordneten 
Theoren  gestellten  Heiltümer,  die  man  in  der  Pompa  cinhcrtnig.  Cf.  Her- 
mann G.  A.    Ausg.  2.    §.  31,  16. 


Das  psendohomcrische  Eiresionelied.  243 

§.  4.  Das  psendohomerlsehc  Eiresionelied.  In  dem 
angeblieh  herodoteischen  Leben  Homers,  einer  Corapilation  aus 
der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  der  christlichen  Aera ,  ^  ist 
ans  ein  mit  dem  Namen  der  Eiresione  bezeichnetes  Volksliedchen 
erhalten,  welches  zunächst  wol  dem  Duris  (324  v.  Chr.),  von 
diesem  des  Eugeon  samischen ^ßpot  entnommen*  sein  wird,  vor- 
her aber  lange  Zeit  ohne  Namen  des  Verfassers  von  Mund  zu 
Mund  getragen  sein  mag,  bis  man  (gradeso  wie  ein  ganz  ähn- 
liches Volkslied  beim  FrUhlingsumgang  mit  der  Schwalbe  auf 
Rhodos  in  der  Schrift  des  Theognis  7t€Qi  twv  iv  T6d(fi  dvaiwv 
dem  Kleobulos  von  Lindos  zugewiesen  war*)  durch  das  hohe 
Ansehen  der  Festdichtung  und  deren  altertümliches  Gepräge  auf 
den  Einfall  gebracht  wurde,  sie  dem  Homer  zuzuschreiben.  An 
den  Kaienden,  oder  den  ersten  Tagen  (vovfa-viaig)  eines  Frtth- 
lingsmonats  wurde  dieses  Volkslied  zu  Ehren  ApoUons  von  Kna- 
ben gesungen,  welche  von  Haus  zu  Haus  vor  den  Türen  der 
Reichen  sangen  und  Gaben  dafür  in  Empfang  nahmen.  Hiemit 
ist  deutlich  die  am  Anfange  des  Thargelion  eintreffende  apolli- 
nische Festzeit  bezeichnet.  Ob  die  Knaben  noch  den  mit  dem 
Stemma  geschmückten  Oliven-  oder  Lorbeerzweig  in  Händen 
trugen,  sagt  unsere  Quelle  nicht.  Die  Nichterwähnung  kann 
durch  Schuld  der  Excerptoren  der  ersten  Niederschrift  des  Brau- 
ches in  zweiter,  dritter  Hand  veranlaßt  sein.  Der  Name  Eire- 
sione konnte  aber  auch  geblieben  sein,  wenn  nur  die  Gabenein- 
sammlung fortdauerte,  das  umhergetragene  Heiltum  aber,  um 
dessen  willen  dieselbe  geschah,  in  Abgang  kam;  ein  Vorgang, 
den  ich  bei  anderer  Gelegenheit  mehrfach  aus  deutschen  Früh- 
lingsumgängen belegen  werde,  welche  der  Art  nach  jenen 
gabeneinsammclnden  Umzügen  mit  der  Schwalbe  oder  Krähe  als 
symbolischen  Vertretern  des  den  Frühling  herbeiflihrenden  Numens 
völlig  gleichstehen.  Jedesfalls  hatte  das  lAcd  einst  durch  Meto- 
nymie von  dem  umhergetragenen  Baumzweige  den  Namen  Eire- 
sione empfangen,  genau  sowie  auch  ^a^yjyAoc,  jener  andere  Name 
für   letztere,    auf  den  bei  der  Umtragung  gesungenen  Hymnus 


1)  Vgl.  J.  Schmidt  de  Hcrodotea  quac  fertur  vita  Homcri.  1875  p.  115. 

2)  Schmidt  a.  a.  0.  91  ff. 

3)  Athenaeus  VIII,  860  B.    Of.  Schmidt  a.  a.  0.  89. 

IG* 


ä44  Kapitel  IV.    Erntemai  nnd  Maibaum  in  der  antiken  Welt 

übergegangen  war.  *  Dadurch  aber  unterschied  sich  der  saoDusche 
Brauch  von  der  attischen  und  delischen  Thargelien-  and  Pya- 
nepsiensitte ,  daß  in  letzterer  der  glückliche  Knabe  die  Eiresione 
zum  Apollotempel  oder  zum  Hause  des  Gutsherrn,  dessen  die 
Ernte  war,  brachte  und  sie  hier  vor  der  Tür  aufipflanzte,  dort 
aber  eine  Compagnie  armer  barfüßiger  Knaben  den  Segenszweig 
bei  verschiedenen  Besitzern  von  Haus  zu  Haus  trug.'  Ursprüng- 
lich geschah  das  in  allem  Ernste,  um  jede  Haushaltung  der 
innewohnenden  Segenskraft  teilhaft  zu  machen,  und  man  empfing 
eine  Gabe  als  Opfer  für  das  dem  Segenszweige  immanente  Numen, 
wie  sonst  ftlr  die  Schwalbe ,  Krähe  ^  u.  s.  w. ;  mit  der  2ieit  war 
der  zur  Spielerei  hinabgesunkene  Brauch  zu  einer  bloßen  Gele- 
genheit geworden,  Almosen  zu  erbetteln.  Der  Art  nach  vergleicht 
sich  von  deutschen  Bräuchen  das  in  Prozession  von  Haus  zu  Hans 
geschehende  Inshausbringen  des  Mais  in  der  Grafschaft  Mark 
(Bk.  162),  das  eine  Abwandlung  der  Sitte  ist,  den  eingeholten 
Mai  ohne  solchen  Umzug  vor  der  Türe  aufzupflanzen.  *  Der 
Wortlaut  des  gesungenen  Liedchens  ergiebt,  daß  dieser  Umzug 
der  wirklichen  Einbringung  der  auf  dem  Felde  ausgedroschenen 
Ernte  um  kurze  Frist  voranging,  deren  fllUestrotzenden  baldigen 
Einzug  anktlndigte,  und  die  Hauswirtschaft  derselben  wie  aller 
mit  ihr  verbundenen  leiblichen  und  geistigen  Güter  gewiß  machen 
sollte.     V.  1  — 10 : 

Hier  nun  stebn  wir  am  Hanse  des  viel  vermögenden  Mannes, 

Der  gar  Großes  vermag  und  groß  stäts  rauschet  in  Vollem; 

Dreht    euch    zurück,    Türflügel,    von    selbst!      Ein    gehet   ja 

Plutos 
Lastvoll;  auch  saramt  Plutos  des  Frohsinns  blühende  Charis, 
Und  Fried-Hora  mit  Gut.    An  den  Eand  sei  jedes  Gefäß  voll. 


1)  Kai  ö  O-aQyrjlog  naQu  Alikfjafotg  i^öofiivri  inl  (fQovi^aii.     Hesych. 

2)  Die  Sänger  vergleichen  sich  selbst  mit  den  Chelidonisten  V.  11  ff. 

3)  Vgl.  Athen,  a.  a.  0.  359:  xo(hüvti  x^*Q^  JifwsJore  xQid^^otr  rfj  nai&l 
t'  Anokltovog.  .  .  .  xal  rfj  xoqojvtj;  naQd^^vog  (p^Qti  oOxa.  360:  lA  XfUötar 
Xttl  Xtxi&Cjav  oi!X  uTKüO^eTrat. 

4)  Vgl.  auch :  Zu  Kirchohmfeld  im  Eichsfeld  ziehen  am  zweiten  Pfingst- 
tag  die  Knaben  in  oder  vor  die  Häuser,  indem  einer  einen  langen  Stab 
trägt,  der  bis  auf  die  Mitte  mit  allerlei  Blumen  bedeckt  ist.  Vor 
einem  Hause  angekommen  schreien  alle  Knaben:  „Eier!  Eier!  Eier!  ein 
ganzes  Nest  voll!'*  und  erhalten  dann  Eier  und  andere  Gaben.  Waldmann 
Eichsfeld.  Uebr.  u.  Sag.    Heiligenstadt  1864  S.  9. 


Das  pseudohomerische  £irc8ionelied.  245 

Schwellend  fließe  der  Teig,  der  eingerührte,  vom  Backtrog. 
[Jetzo  den  Kuchen  gebackt  mit  lieblichem  Bildniß,  von  Gerste 

Und  mit  Sesam  bestreut!] 

Siehe,  die  Grattin  des  Sohns  wird  bald  auf  den  Wagen  euch  schreiten, 
Kraftige  Mäuler  fahren  sie  her  ins  Haus,  wo  sie  selbst  nun 
Webe  den  bemsteinglanzenden  Tritt  mit  dem  Fuße  beschreitend.* 

Auftun  sollen  sich  die  Türen  des  Hauses  von  selbst,  denn  Plutos, 
der  Dämon  der  Fülle,  des  Emtesegens,  der  Sohn  der  Demeter,  * 
wiü  hinziehn,  mit  ihm  die  gute  Eirene,  die  Höre  des  Friedens, 
und  die  blühende  Euphrosyne,   die  Charis   des   Frohsinns;*    so 


1)  Herod.  Vita  Homer,  und  daraus  Suidas  s.  v.  ^O^^tog. 

1     Jßt^n  TiQoqtJQttnoittaO'  itrSobg  fi^yti  SvrufAivoio, 

^g  fi^yn  fih  Svrnratj  ^^yn  Ji  ßQ^f*^'   tiXfiiog  idtf. 

niTtti  ttvttxXh'ead-f  di'^«/.     17 k oörog  yä{i  tanaiv 

TTokk    g,   avv  nXovjM   dt  x«l    Ertf Qoavvi]   TfO^aXvicc, 
5     KiQtjvrj   r'   uyad^rj.     oa«  J'   liyyeit,  jueOTtt   fihv   tif}, 

xvQXttCrj  [Suid.;  xv(tßaCri  Herod.]  <f*  attl  xtaä  xuqöohov  tQTioi  uuCn. 

[vOv  fÄtv  XQtd^ttiriv  tv(oni6n  aTjafcuootatd'] 

Tov  Tiftidog  (Tf  yvvr]  xara  ddfQnxK  ßrjatrni   ifUfiiVy 
riuforoi  J'  ä^ovai  xofaainoSfg  fg  rdJf  SdfAtt' 
10     «IT»/  rf'  i'drov  v<fuivoi  />t'  ijX^XTQO)  ßf'ßavin. 

i'€VfÄnt   TOI,  vtvfJLKi  ^vuevatog,  löan  Xtlidtav. 

'iGxi]x    iv  TTQO&vQoigy  xlfiXög  noöag'     aXka  f/V(/  «?i//« 

TitnOfci  TM  jtnoXkoivi  yvi(ixi6og 

FA  fA^v  Ti  ^iäatig'     tl  dt  uri,  ov/  ian^^ofitv 
15     ov  y«()  avvoixrjaoyTfg  h'O^ud'  ijlO^o/uti'. 

2)  II).oüTog  Fülle  bezeichnet  zunächst  und  in  eigentlichstem  Sinne  den 
Getreidesegen.  Vgl.  nloCTog'  i}  rwr  antQudTMV  ^nixuonia  xa)  fi  navaniQfiCu, 
Hosych.  Der  Getreidesegen ,  Plutos ,  als  Person  gedacht  Sohn  der  Demeter. 
Hesiod.  Theog.  969.  Heerdgenosso  der  Demeter  und  Köre.  Hymn.  Hom.  in 
Cerer.  488 ff.  Im  Gebote  neben  Demeter,  Köre,  Kalligen eia,  Ge,  Hermes 
und  den  Chariten  angerufen.  Aristoi)h.  Thesmophor.  295.  üeber  die  gleiche 
persönliche  Bedeutung  m  unserem  Eiresionelied  s.  J.  H.  Voss,  Hymne  an  De- 
meter, Heidelberg  1826  S.  147  ff.  Ö.  namentlich  auch  Mannhardt  Korndämo- 
nen S.  38.  Da  ich  darauf  bei  anderer  Gelegenheit  in  kurzem  ausführlicher 
zurückkomme,  begnüge  ich  mich  für  jetzt  mit  diesen  Nachweisen. 

3)  Hesiud  Thoog.  902  nennt  FAQr]vri  TffhctXrTa  als  eine  der  Hören.  Auf 
dem  Tholos  des  athenischen  Marktes  stand  neben  den  Stammhelden  (Epony- 
mcn),  nach  welchen  Klcisthenes  die  Phylon  benannte,  Eirene  den  Knaben 
Plutos  auf  dem  Arme  tragend,  ein  Werk  des  Bildhauers  Kephisodotos 
(392—372  v.  Chr.),  Vaters  des  Praxiteles,  welches  Brunn  in  der  Münchener  Leu- 
kothea  wieder  erkannt  hat.     Die  Hören  gelten   als  der  Demeter  verbunden, 


246  Kapitel  lY.    Emtemai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt 

reich  möge  der  Emtesegen  sein ;  daß  alle  Gefäße  sich  füllen.  ^ 
Nun  wird  neues  Brod  und  Kuchen  zum  Erntefeste  gebacken,'  und 
so  groß  sei  die  Fülle,  daß  der  aufgehende  Teig  über  den  Band 
des  Backtrogs  hinabfließe.  Auf  diese  Verse  folgt  v.  8  — 10 ,  ein 
anderes  Stück,  ^  welches  an  die  den  Herrschaften  dargebrachten 

sie  selbst  heißt  im  homor.  Hymnns  dtQrj(f6()og,  sie  wird  mit  den  furchendoreh- 
wandelnden  Hören  zugleich  angerufen.  Bei  Aristophanes  (Pax  1166)  sagt  der 
Chor:  „Ist  die  Frühfeige  gereift,  so  kost'  ich  sie,  so  esse  ich  sie  und  singe 
dabei:  „0  liebe  Hören!''  (Anfang  eines  Liedes).  Der  innige  Zusammenbang 
zwischen  Becht  und  Frieden  und  ungestörtem  Betrieb  und  Genuß  des  Acker- 
baues ist  der  schöne  Grundgedanke  hiebei.  „Den  Sterblichen,"  sagte  Bak- 
chylides,  der  Hofgenosse  Hioros,  „gebiert  die  erhabene  Eirene  Reichtum  und 
die  Blumen  der  honigstimmigen  Gesänge.  Vgl.  Eallimachos  ruft  Demeter 
an:  q>^Q€  araxw,  olae  ^(QiOfioVy  (p^Qß^  xal  tiQavttv ,  tv*  ^g  äQoae  Ti^vos 
äjLtdari.  Hymn.  in  Cor.  137  ff.  Meineke.  At  nobis,  Pax  alma,  veni,  spicam- 
que  toneto.  Tibull.  I,  10,  67.  Aw^/a  .  .  rorg  näatv  av&Qtonoiaiv ElQtjviiSf 
iflXr\g  &öiX(fr^.  Aristophan.  Fragm.  Meineke  Fr.  Com.  II,  p.  1065.  dlßt- 
^ÖTiiQav  EiQipfijv,  xovQOTQÖifov  d^€uv.  Eurlp.  Bacch.  416.  Pax  Cererem  nu- 
trit ,  pacis  alumna  Ceres.  Ovid.  Fast.  I,  704.  Pax  aluit  vitcs.  Tibull.  I,  10, 
47.  Noch  auf  Münzen  der  Agrippina ,  Gemahlin  des  Claudius ,  ist  diese  als 
Eirene  abgebildet  in  Gestalt  einer  Frau,  deren  Haupt  Aohren  kränzen  und 
aus  deren  Basen  A ehren  hervorwachsen.  Cf.  Spanhoim  zu  Callim.  II,  Ji^ 
Erncsti. —  Eurynome  gebar  die  drei  Chanten  uiyXai'riv  n  xal  Lvtfooavrrjr 
BnUrjv  r'  ftmTnitji'.  Hcsiod.  Theog.  909.  Die  Athener  verehrten  zwei  Cha- 
riten Auxo  und  Hegemone.  Pausan.  Descr.  Gr.  IX,  35.  Auf  Bildwerken 
sieht  man  die  Chariten  häufig  mit  Aehrcn  oder  mit  Blumen  und  Aehren  oder 
mit  Füllhörnern  in  der  Hand  dargestellt.  Oft  erscheinen  die  Grazien  mit 
den  Hören  vereint  als  Spenderinnen  erfreulicher  Naturgaben  im  Umlaufe  des 
Jalires,  als  Reize  der  Jahresseiten,  oder  wo  ihr  Dienst  ausschließlich  geübt 
wurde,  als  —  mit  den  Worten  eines  großen  Forschers  zu  reden  —  nur  pro- 
vinziell von  den  Hören  verschieden.  Gädechcns  Verhandl.  d.  Kieler  Philolo- 
genvers. 1869  S.  139  ff.  Auf  der  Hand  des  delischen  Apolls  von  Angelion 
und  Tektaios  sah  man  drei  Chariten  gebildet.    Pausan.  D.  Gr.  IX,  35. 

1)  Das  ausgedroschene  Getreide  wurde  in  Gefäßen  geborgen.     Vgl.  Hes. 
0.  0.  D.  597  ff. : 

JfXbtal  (T*  fjioTQvvsiv  JrjuijTSoog  Uqöv  «xrr/v 
div^utv  t  für  &v  noCjxa  (fm'fj  aO-^vog  *li(){(avog, 

f^(T(){p  J'  iv   xo^^aaaO-atr  iv   äyytaiy. 
Auch  versandt  wurde  Oel,  Wein,  Getreide  in  TongefaiJen,  so  in  den  aus  Rho- 
dos, Thasos,  Knidos  stammenden,  die  man  mit  dem  Namensstempel  des  Ma- 
gistrats und  den  Emblemen  des  Orts  versehen  vorfindet,  von  wo  uie  Waare  aus 
gesandt  wurde.  0.  Jahn  Verhandl.  d.  sächs.  Gesellsehaft  d.  Wissensch.  1851  S.  361. 

2)  Vgl.  das  Thargelosbrod  o.  8.  228  Anm.  5. 

3)  Uebcr  das  Elektron  am  Webstuhl  s.  Buttmann  Mytholog  11,  339.  350. 


Das  psoadohomcrisclio  Eiresionelicd.  247 

Wünsche   deutscher   und   slavischer  Erntelieder   bei  Einbringung 
des  Erntekranzes  oder  der  letzten  Garbe  anklingt,   wie    „Wir 
wünschen  der  Frau  'ne   goldene  Krön  ,    aufs  andere  Jahr  'nen 
jungen  Sohn;  wir  wünschen  der  Jungfer  'ne  silberne  Kann',  aufs 
andere  Jahr  'nen  Gen'ral  zum  Mann!"    Oder  vergleicht  sich  der 
Glaube,  daß,  wer  die  letzte  Garbe  bindet,  die  letzten  (resp.  ersten) 
Halme  schneidet,   noch   in  diesem  Jahre  heiraten  werde?    Nun 
kommen  v.  1 1  — 19    die    sehr  verderbten  Zeilen  des  Vergleichs 
des  Eiresionenumzugs  mit  der  Prozession  der  Chelidonisten.    End- 
lich schließen  v.  14.  15  in  verändertem,  jambischem  Metrum  mit 
einem  den  Bettelliedem   der  Naturfeste  gewöhnlichen  Aufruf  zur 
Mildtätigkeit  ab,    der  ganz  äußerlich  angeschoben  ist.  ^      Somit 
besteht  der  tiberlieferte    samische  Eiresionetext  aus  einem  Flick- 
werk verschiedener  Bruchstücke  verschiedener  Lieder,  von  denen 
das  älteste    v.  1  — 10  einen  im  flinften   und   vierten   Jahrhmidert 
sehr  lebendigen  Ideenkreis  (vgl.  o.  S.  245  Anm.  3)  verrät   und 
auch  wol  in   diese  Zeit,    auf  welche   auch  die  literarhistorische 
Untersuchung  leitet,   hinaufreichen  wird,    wenngleich  hier  schon 
rationalistischer  Mißverstand  die  in  Kultus  und  Poesie  der  genann- 
ten Periode  „als  persönliche  Wesen  warm,    innig  und  lebendig 
empfundenen"  Gottheiten  Plutos  Eirene  und  Euphrosyne  in  bloße 
BegriflFsdarstellungen,  abstrakte  Allegorien  aufzulösen  sich  anschickt. 
Doch   in  dem    „llXociog  i'aeiai^^   bricht  die  volle  Personification 
durch,  zu  der  das  Beiwort  nollog  nicht  paßt.    In  dem  urspriing- 
lichen   Liede   wird  ein   anderes   (ioMcig?      Hesiod  Theog.  972) 
gestanden  haben;   setzen  wir  dieses  in  sein  Recht  ein,  so  offen- 
bart sich  uns  echte  mythische  Anschauung.     Betrachte  ich  nun- 
mehr den  ganzen  Eingang  des  Eiresioneliedes  als  ein  ursprünglich 
nicht  zu  dem  Folgenden  gehöriges,  mit  ihm  nur  durch  die  Einhertra- 
gung  des  Eiresionezweiges  vermitteltes  Stück  für  sich,  und  erwäge 
ich  seinen  Gedankenzusammenhang  lediglich  aus  seinen  eigenen  An- 
gaben, so  gewinne  ich  den  Eindruck,  daß  es  einem  Gesänge  entnom- 
men sei,  welcher  nicht  bei  einem  Umzüge  von  Haus  zu  Haus,  son- 
dern hei  FjiyihrbKjang  der  ersten  (ccnaQxctl)  Gäben  der  Ernte  unter 
Vortragung  der  vielleicht  auch  hier  vor  der  Tür  des  Herrenhau- 


1)  V.  14  kehrt  mit  Veränderung  eines  Wortes  {iäaofjes  f.  lan^^ofitv) 
im  Chelidonisma  wieder:  ti  u^v  n  diorrfig'  ft  <H  ui],  orx  fdaoutg.  Cf. 
iSchmidt  a.  a.  0  Hi).  Zu  V.  15  vgl.  im  rumänischen  Soareliedo  (Mannhardt 
Klytia  S.  13):  „kamen  nicht  ums  Sitzen." 


248  Kapitel  IV.    Erntemai  und  Maibaom  in  der  antiken  Welt 

ses  demnächst  aufzupflanzenden  Segenszweiges  rezitiert  umrde. 
Erst  später  mag  sich  diese  Sitte  in  den  Bittgang  von  Tür  zu  Ttlr 
(ßy€Qfi6g)  umgesetzt  haben,  was  um  so  eher  geschehen  konntei 
da  auch  bei  ihr  die  mit  der  Eiresione  aufziehenden  Emtearbeiter 
—  wie  die  unsrigen  —  vom  Herrn  und  seinen  zum  Feste  des 
Emtebeginns  versammelten  Gästen  eine  Gabe  empfangen  haben 
werden,  welche  ursprünglich  als  Steuer  für  die  segenbringende 
Gottheit  galt.  Noch  in  dem  großen  delischen  Thargelienfest  war 
als  besonderer  Festakt  auch  ein  gabeneinsammelnder  Umzug  der 
Weiber  erhalten,  bei  welchem  man  Artemis  unter  den  Namen  Opis 
und  Arge  (Hekaerge)  in  einem  Hymnus  (ayeigovrag  luveeip)  an- 
flehte. Da  man  diese  unverständlich  gewordenen  Beinamen  der 
Schwester  Apollos  für  Namen  zweier  Hyperhnreerinnen  ausgab, 
welche  die  Inselleute  undloner  den  Brauch  gelehrt  haben  sollten,^ 
wird  der  aya^fiog  zur  Pompa  mit  den  Erstlingsgarben  in  Bezie- 
hung gestanden  haben. 

§.  5.  Die  Panspermle  der  Pyanepsicn.  Sowol  die 
herbstliche  Pyanepsieneiresione  (o.  S.  226),  als  der  sommerliche 
Thargelos  (o.  S.  228)  waren  von  einer  Panspermie,  d.  h.  dem 
Aufführen ,  Kochen  und  Verzehren  einer  Zusammenschüttung  ver- 
schiedener Früchte  begleitet.  Die  letztere  bildete  einen  wesent- 
lichen Bestandteil  des  Erntefestes,  wir  finden  sie  scll)st  in  der 
Privaterntefeier  des  kleinen  Landbesitzers  wieder.  In  einem  Epi- 
gramm des  Diodor  Zonas  aus  Sardes  stellt  Heronax  für  die  eine 
Worfschaufel  schwingende  Demeter  und  die  furchendurchwandcln- 
den  Hören  von  seinem  armen  und  kleinen  Felde  die  Erstlinge 
der  ausgedroschenen  Aehren  und  eine  Panspermie  nach  altem 
Brauche  auf  den  drciiüßigen  Holztisch.  ^  Wenngleich  beide  Dar- 
bringungen in  weitcrem  Sinne  als  Weihen  an  die  Gottheit  gelten 
konnten,  wird  man  doch  von  der  zuerst  genannten  fiolqu  der 
Demeter  und  der  Hören  das  Sämereiengemisch  als  den  von  der  hei- 
ligen Darbringung  den  Menschen  zum   sakramentalen  Genuß  zu- 

1)  Herodot  IV,  35.     Vgl.  dazu  Steins  Anmerkuiig. 

2)  ,lriot   Aixundji  xtti  h'itvkttxof^olTiöiv  ^Llnaig 

'll(>(üva^  nn'i/otjg  ^^  d).iyi]ooa(jig 
ftomar  uXtolTa  arä/vog  nuvantQ^iii,  rt  lavia 
log  jioiv  fnl  nXuxivov  tov6'  Uhno  To^no^og. 
Anthol.    Pal.  VI,  08.      Said.  s.  v.  ^iixdtog.  —  uUmja  f.  «Jtwf/T«/    Correctur 
Mcinekes,  Delect.  8.  223, 


Die  Panspennie  der  Pyanepsien.  2i9 

fallenden  Anteil  unterscheiden  können.  Dies  wird  recht  deutlich 
durch  nordeuropäische  Analogien,  welche  viel  dazu  beitragen, 
ans  das  Wesen  der  Panspennie  zum  klaren  Verständniß  zu 
bringen. 

In  der  Oberpfalz  besteht  das  Festmahl  beim  Schlüsse  des 
Dreschens  aus  Mehlspeise  von  vier  Getreidesorten  (o.  S.  167).  — 
Matth.  Prätorius,  v.  J.  1664  —  1684  Pfarrer  zu  Niebudzen  zwi- 
schen Insterburg  und  Gumbinnen,  envarb  sich  das  Verdienst,  im 
Verein  mit  mehreren  gleichstrebcnden  Geistlichen  litauischen 
Volksbrauch  und  Volksglauben  zu  sammeln.  Seine  wertvollen 
Ermittelungen  finden  sich  in  höchst  breiter,  erst  1703  vollendeter 
Ausführung  letzter  Hand  in  den  handschriftlichen  Foliobänden 
„Deliciae  Prussicae  oder  Preußische  Schaubühne"  niedergelegt.^ 
B.  V,  cap.  7,  S.  23  beschreibt  Prätorius  „das  Fest  Samborios  oder 
Getreydigt-Fest"  der  Litauer  seinerzeit;  wir  geben  nachstehend 
die  Haupttatsachen  seines  Berichtes  wieder.  Nach  beendigter 
Ernte  und  Winteraussaat,  wenn  schon  das  Dreschen  begonnen 
hat,  anfangs  Dezember,  halten  sie  ein  Fest,  das  sie  Sqbarios 
nennen  [d.  i.  Fest  der  Zusammenschtittung,  s^-baria,  Gen.  ios  von 
s^-berti,  zusammenschütten,  zusammenstreuen],  weil  sie  dann 
das  Getreidig  zusammenwerfen  und  aus  den  zusammengeworfenen 
Fladen,  d.  i.  kreisrunde  Kuchen  backen  und  Bier  brauen.  Es 
heißt  auch  das  Fest  der  dreimal  ncune  (ant  tryu  dewinu)  und 
schließt  in  sich  eine  Heiligung  [sacrificium]  aller  Getreidearten, 
welche  Gott  ihnen  segnen  wolle,  damit  sie  von  jeder  mögen 
Nutzen  haben.  Der  Wirt  nimmt  row  jeder  Getreidesorte,  die  man 
aussät,  Weisen,  Leinsaat,  Gerste,  Hafer,  Bohnen,  Linsen 
u.  s.  w.,  je  neun  Handvoll  und  zwar  so,  daß  er  je  dreimal  zugrei- 
fend jede  Handvoll  wieder  in  drei  Teile  teilt.  So  wirft  er  27 
Würfe  von  jedem  Getreide  auf  einen  Haufen  und  schüttet  alles 
zusammen.  Dieses  Getreide  muß  aber  das  zuerst  ausgedroschene 
und  geworfelte  sein  und  wird  schon  vorher  alsbald  abgeschüttet 
und  ttlr  sich  verwahrt ,  denn  wenn  es  schon  mit  anderem,  wovon 


1)  In.  z.  T.  wörtlicliein  Au.szii|^o  (aber  ungenügend)  herausgeg.  von  W. 
Pierson,  Berlin  1871.  Ich  folge  deni  Originalmanuscr.  und  verweise  hiefür 
wie  für  das  beliauptcto  Verliältiiil?  Brodowski's  und  Ruhiges  zu  Prätorius  im 
Voraus  auf  die  Nachweise  in  meinen  später  herauszugebenden  „Denkmälern 
der  lettopreulJischcn  Mytliologie." 


250  Kapitel  IV.    Emtomai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt 

etwas  zum  Gebrauch  genommen  wurde,  vermischt  war,  bringt  es 
keinen  Vorteil.    Von  diesem  Getreide  wird  nun  zunächst  ftir  jeden 
Hausgenossen  ein  kleines  Brödchen  gebacken,  das  Uebrige  wird 
mit  soviel  anderer  Gerste  oder  Hafer  versetzt,   als  nötig  ist,  um 
Malz  für  ein  viertel  oder  halbes  Tönnchen  Bier  zu  geben,   und 
von  diesem  Gebräu  macht  der  Wirt  den  ersten  Maisch  allein  für 
sich,  sein  Weib  und  seine  Kinder  fertig  und  hebt's  besonders  auf, 
kein  Fremder  darf  daran  konunen;    vom  zweiten  Aufguß    erhält 
das  Gesinde,  zuweilen  auch  ein  zufällig  ankommender  Fremder; 
nur  darf  niemand  darauf  zu  Gaste  geladen  werden.    Ist  das  Bier 
fertig,  so  erwählt  der  Hausvater  einen  Abend,  wann  man  keine 
Fremden  vermutet,  nach  getaner  Hausarbeit  und  Abilltterung  de« 
Viehes  zum  Vollzug  des  Festes,    Zunächst  kniet  er  dann  vor  dem 
Tönnchen  nieder,  zapft  sich  ein  Kännchen  Bier  und  gießt  unter 
Gebet  dreimal  auf  den  Spund:    „Blütenbrmgcrin  Erde  (Zemynele 
zedkellei)  lasse  blühen  Roggen,  Gerste  und  alles  Getreide;  Gott 
sei  uns  gnädig,   laß   die  heiligen  Engel  bei  unserm  Werke  sein, 
die  bösen  Menschen  aber  treibe  zur  Seite,    damit  sie  uns  nicht 
verspotten!"    In   der  Stube  envarten   den  Hausvater  Weib   und 
Kinder;    vor  ihnen  liegt  am  Boden  gebunden  ein  im  Laufe  des 
Jahrs   geborener  schwarzer,    weißer  oder  bunter  Hahn  (ja  kein 
roter)  und  eine  eben  solche  Henne,  mit  dem  Hahn  aus  derselben 
Brut.     Der  Bauer  kniet  nieder,  die  Kanne  in  der  Hand  haltend, 
und  dankt  Gott  für  die  gute  Ernte,    den  reichlichen  Ertrag   des 
Ausdrusches,  die  gnädig  bewahrte  Gesundheit,  bittet  flir  die  neu 
ausgestreute  Saat  und  um  das  Gedeihen  der  nächstjährigen  Feld- 
früchte ,  um  Segnung  des  Brodes  in  Ofen  und  Keller,  um  Bewah- 
rung von  Haus  und  Hof,    Gesinde    und  Vieh,    vor  Unglück  und 
spricht  ein  Vaterunser.    Dann  heben  alle  die  Hände  auf:    „Gott 
und    du  Zeminele,    wir  schenken   dir  diesen  Hahn   und  Henne, 
nimm  sie  als  Gabe  aus  gutem  Willen,"  und  er  schlägt  mit  einem 
hölzernen  Kochlöflfcl  die  beiden  Tiere  tot,   er  darl*  sie  nicht   ab- 
schneiden.    Den  Hahn  unter  dem  linken  Arm  erneuert  er  das 
Dankgebet,  und  setzt  dann  die  Kanne  weg,  von  welcher  er  nach 
dem  ersten  Gebet,   nach  der  Tödtung  des  Hahns  und  dcrjenigeu 
der  Henne  je  ein  Drittel  geleert  hat.     Nachdem  die  Hühner  von 
der  Magd  gebrüht  und  gerupft  sind,    so  schickt  die  Wirtin   das 
Gesinde  hinaus,  nimmt  die  Hühner  aus,  macht  sie  rein  und  kocht 
sie  hl  einem  neuen  noch  ungebrauchten  Topf;  keine  gemietde  Ptr^ 


Die  Panspermio  der  Pyanepsien.  251 

s<m  darf  zugegen  sein  nnd  kosten.  In  der  Stube  wird  ein  umge- 
stttlptes  Seheffdmaß  mit  einem  Tischtuch  bedeckt,  und  auf  dieses 
nebst  etwas  Butter  für  jedes  Familienglied  eines  der  oben 
beschriebenen  Brödchen  gelegt,  in  die  Mitte  die  Schüssel  mit  den 
beiden  Htlhnem  aufgetragen.  Inzwischen  hat  der  Hausvater  em 
Gefäß  mit  dem  Festbier  herbeigeholt;  man  bringt  einen  nur  zu 
dieser  Gelegenheit  gebrauchten  Schöpflöflfel  und  drei  ebenfalls 
sonderbarlieh  dazu  bestellte  Trinkschälchen  (Kauszelen),  aus 
denen  niemand  sonst  trinken  darf,  und  er  fUllt  jede  derselben  in 
dreimaligem  Schöpfen  mit  Bier.  Alle  knien  um  das  Scheffelmaß; 
der  Vater ,  seine  Kauszel  in  der  Hand  haltend,  spricht  den  Glau- 
ben und  die  zehn  Gebote ;  und  mit  dem  Gebete ,  daß  Gott  im 
nächsten  Jahre  nicht  mehr  und  nicht  weniger  geben  möge,  trinkt 
er  die  drei  mit  beiden  Händen  erfaßten  Kauszehi  nacheinander 
aui'  einen  Zug  aus.  Ebenso  tun  der  Beihe  nach  alle  Knienden. 
Unter  Segenswunsch  werden  darauf  die  Brode  und  das  Fleisch 
des  Hahns  und  der  Henne  verzehrt.  Und  nun  beginnt  der  Um- 
trunk aufs  neue,  bis  jeder  neunmal  die  drei  Schälchen  geleert 
hat,  und  ein  geistliches  Lied  die  Feier  schließt.  Von  der  MaM- 
zeit  darf  niclUs  übrig  bleiben ;  geschieht  dies  doch ,  so  muß  es  am 
andern  Morgen  mit  den  nämlichen  Cercmonieu  verzehrt  werden. 
Die  Knochen  muß  der  dazu  herbeigeholte  treue  Wächter,  der 
Hofhund,  vor  den  Augen  des  Wirts  rein  auffressen;  jeder  etwaige 
Best  wird  auf  emem  Teller  im  Stall  unter  dem  Miste  vergraben. 
An  dem  Tage ,  an  welchem  diese  Feier  vorgenommen  wird,  darf 
man  dem  Gesinde  kein  böses  Wort  geben,  sondern  muß  mit 
allen  freundlich  umgehen.  ^  Das  erwähnte  Herbstbier  hieß  sj^be- 
rinis  (samberinis)  alus.  ^ 


1)  Vgl.  M.  Prät(^>rius  Deliciac  Prussicae,  lirsg.  v.  Pierson.    S.  60flf. 

2)  Vorarbeiten  des  Prätorius  gerieten  in  einem  mit  subjectiven  Conjec- 
turen  durchsetzten  Auszüge  in  J.  Brodowski's  uijd  Ph.  Ruhig's  Hände,  die 
davon  zwischen  1730  — 1750  in  ihren  litauischen  Wörterbüchern  Gebrauch 
machten.  Da  ist  denn  erstens  die  Zeit  des  Festes  mißverständlich  auf  Ostern 
verlegt,  zweitens  aus  dem  Sf^bariosfest  ein  Gott  Sambarys,  d.  i.  Pluto  (^Bro- 
dowski)  und  mit  weiterer  Verdrhung  Zcmbarys,  d.  i.  Erdbcstreuor  (Ruhig) 
gemacht,  der  seitdem  iu  der  ]»reulUschün  Mythologie  (Ostermeyer,  Voigt 
u.  8.  w.)  und  sogar  noch  in  Ncs>elmanns  Wörterbuch  seinen  Spuk  treibt. 
Alles,  was  von  diesen  vermeintlichen  Göttern  ausgesagt  wird,  sind  entstellte 
Excerpte  aus  obigen  Mitteilungen  des  Prätorius.  Auch  hierüber  Näheres  in 
den  „Denkmälern''. 


252  Kapitel  lY.    Erntemai  und  Maibanin  in  der  antiken  Welt 

Mit  dem  geschilderten  litauischen  Brauche  stimmt  als  Abart 
ein  lettischer  bei  Festzeiten  zusammen  ^  den  fun&ig  Jahre  firtther 
der  Superintendent  S.  Einhorn  verzeichnete^.  In  Zeiten  der 
Pestilenz  j  sagt  er^  hatten  die  Undeutschen  hier  zu  Lande  ein 
Opfer  j  welches  sie  Sdbar  ^  nannten ,  das  ist  ein  zusammengeleget 
oder  von  vielen  zusammengeschüttet  Opfer,  denn  ihrer  viele  tra- 
ten zusammen ,  legten  jeder  ein  gleiches  Stück  Geldes  znsanmien, 
kauften  dafür  ein  Stück  Vieh,  opferten  es  und  verzehrten  her- 
nach das  Uebrige.  Auch  haben  sie  einer  so  viel  Getreide,  als  der 
andere,  ßusammengeschüttet,  davon  gebacken  und  gebratoen.  Dann 
haben  sie  hernach  abergläubiger  Weise  mit  ihren  heidnischen 
Ceremonien  zusammen  Gott  angerufen,  daß  er  die  Pestilenz  ab- 
wenden wolle,  und  darauf  ein  Gonvivium  gehalten  und  die  zusam- 
mengebrachte Speise  und  Trank  mit  einander  verzehrt.  Das 
geschieht  noch  jetzt  heimlich,  da  es  öffentlich  nicht  erlaubt  ist; 
ich  habe  von  mehreren  gehört,  daß  sie  im  Traum  von  den  Spee- 
tris,  die  sich  alsdann  an  etlichen  Orten  sehen  lassen,  dazu  ver- 
mahnet sein,  sich  durch  ein  Sobar  von  der  Plage  zu  befreien. 
In  der  großen  Pestilenz  1602  und  wiederum  später  1625  hat 
man's,  wie  ich  von  vielen  erfahren,  ins  Werk  gerichtet,  um  die 
Pest  zu  vertreiben.^ 

Dem  aufmerksamen  Beobachter  kann  es  nicht  entgehen,  daß 
die  vorstehenden  Bräuche  eine  altüberlieferte  Handlung  von  sacra- 
mentalem  Character  enthalten.  Das  in  der  gesammten  Kultur- 
frucht waltende,  in  den  Erstlingen  sich  offenbarende  Numen  giebt 
sich  zum  Genüsse  dar;  damit  seine  segnenden  Kräfte  ausschließ- 
lich der  Familie  des  Bauers  zu  Gute  kommen,  darf  kein  Frem- 
der an  dem  Mahle  teilnehmen  (vgl.  auch  das  finnische  Fest  oben 
S.  161).    Weil  dasselbe  ein  Hciltum  ist,  darf*  nichts  umkommen. 


1)  P.  Einhorn  Reformatio  gontis  Letticae  in  Ducatu  Curlandiae.  Riga 
1636.    Cap.  2  p.  8^ 

2)  Dialektisch  von  sa-hehrt  zusammenschütten. 

3)  Aus  dieser  Aufzeichnung  Einhorns  machte  Stender  in  s.  lettiscben 
Mythologie:  „Sobarri  die  Opfer,  die  man  zur  Pestzeit  dem  Auskat  brachte. 
Von  sobahrt  anstatt  sabehrt  zusammenschütten,  weil  sie  das  zusammen- 
gebrachte Korn  zusammenschütteten  und  daraus  ein  Saufopfer  bereiteten.** 
Die  Zueignung  an  Ausknt  [d.  i.  den  Auschants  des  Sudanerbüchleins ,  den 
Lasicki  nach  Mäletius  als  Auscotnm  incolumitatis  et  aegritudinis  doum  nennt', 
ist  conjecturcller  Zusatz  Stenders. 


Die  Oschophorie.  25d 

wird  sogar  der  letzte  Best  der  Knochen  als  segenbringend  im 
Yiehstall  vergraben.  Die  Feier  ist  gut  christlich  gemeint  ^  in 
christlicher  Frömmigkeit  geübt,  ihrer  Substanz  nach  aber  noch 
heidnisch,  und  sogar  die  heidnische  Personification  der  Erdgöttin  ^ 
Zeminele  mischt  sich  noch  hinein.  Sie  war  zugleich  ein  Ernte- 
dankfest und  ein  Bittfest  tUr  die  neue  Ernte ,  und  sollte  Wachs- 
tum, Gedeihen,  Gesundheit  des  Bauerwirts,  seines  Weibes  und 
seiner  Kinder  erwirken.  Darum  schien  dieselbe  Ceremonie, 
welche  WachstumsfliUe  der  nächstjährigen  Frucht  verbürgte,  mit 
in  der  Sache  liegenden  Abänderungen  geeignet,  auch  schon 
entstandene  Krankheit,  Seuche  abzuwenden.  Vgl.  o.  S.  231. 
S.  239. 

Werden  wir  nach  diesen  Analogien  darüber  zweifelhaft  sein 
können,  was  es  mit  der  bei  den  griechischen  Erntefesten  gekoch- 
ten Panspermie  auf  sich  hatte?  Sie  war  die  sacramentale 
Er^nznng  der  zugleich  sacramentellen  und  sacrifiealen  Weihung 
der  Eüresione  oder  der  dem  Gotte  dargebrachten  omaQ^aL 

§.  6.  Die  Oschophorie.  Noch  deutlicher  wird  die  ursprüng- 
liche Natur  der  Pyanepsienbräuche  als  eines  reinen  Naturfestes, 
wenn  wir  nachweisen  können,  daß  auch  die  beiden  Akte  der 
dazu  gehörigen  oder  wenigstens  damit  in  Verbindung  stehenden 
und  ebenfalls  auf  die  Geschichte  des  Theseus  gedeuteten  Oscho- 
phorie, die  Prozession  mit  den  Bebzweigen  und  der  Wettlauf, 
nichts  anderes  waren  als  eine  Uebertragung  gewöhnlicher  Emte- 
gebräuche  auf  die  Weinlese.  Wem  wollte  entgehen,  daß  die  von 
zwei  als  Frauen  angekleideten  Jünglingen  angeführte  Oschopho- 
rienpompa  sowol  dem  von  zicei  Frauen  geleiteten  Emtezuge  der 
Dellen  (o.  S.  234) ,  als  auch  dem  clsässischen  Winzerfest  mit  den 
beiden  Herbstschmudeln  (Bk.  203)  auffallend  ähnlich  sieht?  In 
weiterem  Kreise  vergleicht  sich  der  Brauch  deutscher  Erntefeste, 


1}  Die  Anrufung  dorselben  dauerte  in  manchen  Formeln  bis  auf  den 
heutigen  Tag.  Ich  setze  ein  noch  unveröffentlichtes  Liedchen  hieher,  das 
Kurontatis  erst  1806  in  Mazuiken  aus  Volksmnnd  aufzeichnete: 

Zeminele  mus  kawok,  Zeminele  segne  uns, 

Dirwas  musu  per/egnok,  Segne  unsro  Aecker, 

Perzegnok  girres,  laukus,  Segne  die  Wälder,  Felder, 

Xl^nus  lankas  ir  szlaitus.  Die  Ackerstücke  neben  den  Bau- 

stellen und  die  hohen  Fluß- 
ufer. 


254  Kapitel  IV.    Emtemai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt 

bei  welchen  eine  als  Eorndämon  characterisierte  Person  oder  zwei 
(s.  z.  B.  0.  S.  173  Kater  und  Eitsche)  dem  feierlichen  Znge  der 
Emtearbeiter  durchs  Dorf  vorausschreiten  (Bk.  612.  613).  Von 
derselben  Art  sind  die  Maitags-  und  Pfingstumgänge  mit  dem 
Laubmann  oder  mit  einem  Brautpaar  (Bk.  312  ff.  431  ff.).  Im 
EHsaB  wurde  dann  von  der  den  Brauch  ausfahrenden  Gompagnie 
ein  großer  Maibaum  voraufgetragen;  diesem  folgte  der  in  ein 
weißes  Hemde  gekleidete  Pfingstnickel ,  sodann  die  fibrigen  Mit- 
glieder der  Gompagnie ;  jeder  mit  einem  kleineren  Maibaum 
bewaffnet  (Bk.  162.  vgl.  315.  316.  312  ff.).  In  der  Bresse 
ging  ein  ,,Dendrophore''  mit  grünem  Maibaum  an  der  Spitze, 
hinter  ihm  die  blumengeschmückte  Maibraut  (la  mariee);  von  einem 
galanten  Burschen  geführt ,  endlich  das  liedersingende  Gefolge 
(Bk.  439).  Gradeso  war  in  Athen  die  Reihenfolge:  1)  Herold 
mit  bekränztem  Stabe,  2)  die  zwei  Weibermasken  mit  Rebzwei- 
gen, 3)  die  übrigen  Rebträger  oder  Prozessions  -  Teilnehmer. 
Jene  deutschen  Maitags  -  und  Emteumgänge  nehmen  mehr- 
fach auch  die  Form  eines  WeUlaufs  an ,  bei  welchem  entweder 
die  letzte,  den  Eorndämon  darstellende  Garbe  oder  der  Maibanm 
(vgl.  0.  S.  214)  das  Ziel  ist  (Bk.  396),  oder  durch  welchen  die 
Rollen  bei  dem  Umgange  mit  dem  Laubmann,  Pfingstbutz  a.  s.  w. 
entschieden  werden  (Bk.  382  ff.).  Der  Wettlauf  bildet  den  ersten 
Akt,  die  Prozession  mit  dem  durch  den  Sieger  in  demselben 
dargestellten  Vegetationsdämon  den  zweiten  Akt  der  Festbege- 
hungen (Bk.  406).  Genau  so  verhält  es  sich  mit  dem  Verlauf 
der  Oschophorie;  erst  Wettlauf,  der  über  die  Teilnahme  am  Cho- 
ros  der  Pompa,  unzweifelhaft  und  folgerichtig  auch  über  die  ein- 
zelnen Aemter  desselben  (den  Herold,  die  beiden  Frauenrollen 
u.  8.  w.)  bestimmte;  darauf  die  Pompa  selbst.  Jener  andere  Fall 
aber,  der  Lauf  hinter  dem  Darsteller  des  Vegetationsdämons 
her,  tritt  uns  deutlich  in  dem  Brauche  eines  peloponnesisehen 
Erntefestes  entgegen. 

Im  Monate  Kameios,  der  im  Ganzen  unserm  August  ent- 
spricht, und  den  Beginn  der  Weinlese  bezeichnet,  feierten  näm- 
lich die  Dorier  im  Peloponnes  ihre  Kameia,  das  Erntefest  der 
Trauben,  welches  hernach  zu  einem  Kriegerfeste  umgedeutet 
war.*    Dabei  wurde  ein  TTc^^/aw/"  angestellt,  indem  einer  gute 

1)  Roschor  Apollon  und  Mars  8.  59.  Vgl.  Sauppc  Mysterienschrift  v. 
Andania.    Gottingen  18G0.  S.  45  ff. 


Dio  Oschophorio.  2&5 

Wünsche  für  die  Stadt  sprechend  voranlief,  andere  Trauhenläu- 
fer  (Staphylodronien)  ihn  verfolgten.  Holten  sie  ihn  ein,  so 
teurde  das  als  ein  gutes  Zeichen  y  das  Gegenteil  als  ein  schlimmes 
betrachtet.^  Schümann  zog  daraus  den  Schluß,  dessen  Richtig- 
keit die  zahlreichen  von  uns  zu  Tage  gefiirdcrten  nordeuropäi- 
schen Analogien  in  emer  von  ihm  ungeahnten  Weise  bestätigen: 
Der  Voranlaufende  bedeutete  den  Herhstsegen;  wurde 
er  eingeholt,  so  bedeutete  dies,  daß  auch  der  Stadt  der  Segen 
nicht  entgelten  iverdeJ'  *  Auch  die  Lauben  oder  Hütten  (ayuadeg), 
in  denen  die  festteiemde  Gemeinde,  nach  Phratrien  abgeteilt, 
lagerte,  waren  unzweifelhaft,  wie  bei  dem  aus  dem  herbstlichen 
Emtedankiest  hervorgegangenen  ebräischen  Laubhüttenfest 
(ßk.  281  flf.),  ein  Zubehör  des  alten  Naturfestes,  der  Laubhütte 
oder  den  Laubhütten  entsprechend,  welche  bei  uns  auf  Maitag, 
Pfingsten,  Johannis  u.  s.  w.  neben  dem  Maibaum  iUr  den  Mai- 
könig u.  8.  w.  errichtet  wurden  (Bk.  187.  315.  323.  354.  355). 
Später  erfolgte  die  Umdeutung  in  Lagerzelte.  ^ja(fvlodQ6f.iot 
hießen  die  Wettläufer  augenscheinlich,  weil  sie  einst  Kebzweige 
mit  Trauben  trugen,  wie  die  Läufer  am  Oschophorienfest. 

Wenn  nun  hier  der  voranlaufende  Jüngling  deutlich  den  per^ 
sonifizierten  Herbstsegen  darstellt,  ein  College  unserer  Korndä- 
monen ist,  so  werden  auch  die  beiden  der  athenischen  Oscliopho- 
rienpompe,  wie  der  delisclien  TJiargelienprozession  voranschreiten- 
den  Frauengestalten  in  gleichem  Sinne  aufzufassen  sein.  Ich  darf 
den  Leser  nicht  durch  weiteres  Abschweifen  verwirren,  bemerke 
aber  schon  hier  ftlr  diejenigen,  welchen  dieses  Ergebniß  noch 
befremdlich  erscheinen  möchte,  daß  weitere,  in  der  Kürze  zu 
veröffentlichende  Untersuchungen  den,  wie  ich  meine,  zutreflFen- 
den  Nachweis  enthalten  werden,  wie  mehrere  sowol  römische  als 
griechische  Kulte  der  ältesten  geschichtlichen  Zeit  das  Vorhan- 
densein der  Vorstellung  von  anthropomorphischen  und  theriomor- 
phischen  Konidämonen  aufs  entschiedenste  bestätigen,  daß  Wett- 


1)  Ilesych.  s.  v.  (Trtafvlo^oouot'  jivlg  rior  KuQVfnrm'  TrnQOQ/JüivTfg 
jovg  fnl  Touyjj.  Bekkcri  Anecd.  I.  p.  303,  25:  (n.  xhtu  jriv  Ttttv  JictQretMV 
fogrijV  aj^uuitiu  rig  nf-oi!)^ufrog  jot'^it ,  ^ntvyyufvog  t/  t»7  noXn  )rQt}ar6v' 
i7Ttdio)xoi'ai  (Tf  ttvTov  r^oi  amtfvkoifoouoi  xalovufvot.  xa\  fav  fth'  xarald- 
ßtoaiv    uvTor,    «;'«'>o^•   ti    noogdoxiaatv   xata  i/ti^cjoia  ifj  ndifi,    d  <J^  ^i}, 

TOl^VttlTfor. 

2)  Schümann  Gottesd.  Altert.     1859.  II  *,  S.  438. 


256  Kapitel  IV.    Emtemai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt 

laufe  der  ebenbeschriebenen  Arten  vielfach  ein  Zubehör  de« 
Erntefestes  waren  ^  endlich  daß  u.  a.  auch  der  athenische  und 
kleinasiatische  Thargelienbrauch  der  Austreibung  der  Pharmakoi 
als  Abwandlung  der  Umftlhrung  des  Komdämons  sich  mit  größter 
Wahrscheinlichkeit  dartun  läßt^  und  daß  die  Zahl  der  unbedingt 
sicheren  Beispiele  flir  den  behaupteten  Anschauungskreis  groß 
genug  ist,  um  die  Vereinzelung  aufzuheben,  in  welcher  meine 
bisherigen  Auseinandersetzungen  noch  dastehen. 

Ebensowol  als  der  Wettlauf  war  wol  auch  der  beständige 
Kuf:  Eleleu!  Ju!  Ju!y  unter  dem  die  Oschophorienprozession  vor 
sich  ging  (o.  S.  217),  ein  auf  die  Weinlese  übertragener  Brauch 
des  Erntefestes.  Er  begegnet  nämlich  dem  eigentümlichen  Gekreisch 
oder  Gejuchee,  das  bei  Einbringung  der  letzten  Garbe  resp.  del 
Emtemais  sich  hören  läßt  (o.  S.  213).  Eine  andere  Form  von  ihm 
scheint  der  im  Gotte  Jakchos  personifizierte  Eleusinienruf  iakche  ! , 
ich  würde  sagen  ist,  wenn  nicht  das  Verhältniß  zu  Bakchos  eine 
eigene  Untersuchung  nötig  machte. 

§.  7.  Die  Elreslone.  Gesammtergebnlsse.  Halten  wir 
Musterung  über  die  Gesammtergebnisse  dieses  Kapitels,  so  wird 
die  Behauptung  nicht  mehr  als  kühn  erscheinen,  daß  die  Eiresione 
so  vollständig  als  möglich  unserem  Erntenmi  entsprach.  Wie 
dieser  ein  Baumzweig  mit  Bändern,  Früchten,  Backwerk,  Wein- 
krügen (o.  S.  212.  S.  223  flF.  S.  226)  behangen,  wurde  sie  in  Prozes- 
sion einhergetragen ,  und  wie  unser  Emtemai ,  Maibaum  u.  s.  w. 
als  Regenzauber  mit  Wasser  oder  Wein  resp.  Branntwein  (o.  S.  212, 
vgl.  Bk.  197.  207.  214  vgl.  227)  mit  dem  Inhalt  des  angebunde- 
nen Weinbechers  begossen  (o.  S.  225).  Vor  der  Tür  des  Herren- 
hauses  oder  des  Tempels  autgehängt  oder  aufgepflanzt  (o.  S.  213. 
221.  231.  236),  in  anderen  Landschaften  wahrscheinlich  neben 
den  Ahnenbildem  im  Innern  der  Wohnung  selbst  angebracht, " 
verblieb  sie  ein  Jahr  lang  daselbst  (o.  S.  213.  S.  221)  und  wurde 
dann   bei  Vertauschung   mit  einem  neuen  Exemplare  verbranfU 

1)  Nach  Theophrast  Char.  XVI  waren  Hermapliroditeu  gewisse  lienuen- 
artige  Ahnenbilder.  Bei  Alciphron  III,  37  liest  man  von  der  Wittwe  Pbae- 
dria,  deren  Mann  wol  aus  Alopecae  war:  fioiotdvrjy  jik^uaa  tjtiv  tig  'Tmu- 
tttfQodljoVf  T(^  lAXojntxfjd^tv  Trakrjv  ura(hriaovatt.  Cf.  Lübeck  Aglaoph.  1007. 
So  stellen  die  Kleinrussen  die  erste  gemähte  Garbe  an  den  Ehrenplatz  unt^r 
die  Heiligenbilder:  so  nagelt  man  iu  Schwaben  den  „Palmbüschel**  entweder 
an  die  Haustüre  oder  das  Scheunentor  oder  unter  das  Kmziiix  (Bk.  289),  wo 
er  verbleibt,  bis  er  herunterfallt. 


Die  Oschophorie.  257 

(o.  S.  213  S.  217).  Der  Auipflanzung  vor  dem  Eapatridenhause 
ging  wol  ein  Umzug  in  dem  Dorf  und  auf  den  Aeckern  ^  voran 
(o.  S.  213.  223). 

Die  Ausübung  des  Brauches  geschah  am  Erntefeste  und  zwar 
sowol  am  Frühemtefeste  der  Thargelien  als  am  herbstlichen 
Dankfest  des  Pyanepsion.*  Wenn  es  uns  gelungen  sein  sollte, 
aus  den  lückenhaften  und  noch  immer  manche  Schwierigkeiten 
darbietenden  Andeutungen  der  Alten  über  die  delischen  Tharge- 
lien überhaupt  und  namentlich  in  der  Hinsicht  ein  einigermaßen 
zutreffendes  Bild  zu  gewinnen,  daß  bei  dem  altüberlieferten 
Emtezuge  an  denselben  den  Erstlingsgarben  Eiresionen  vorauf- 
getragen wurden,  und  daß  dies  traditionelle  Fortsetzung  eines  in 
§ehr  frühe  Zeit  zurückreichenden  gewöhnlichen  Erntefestes  war, 
so  rückten  wir  hiednrch,  wie  auch  durch  die  vielleicht  den  ersten 
Versen  des  pseudohomerischen  Eiresioneliedchens  zu  Grunde  lie- 
gende Festweise  (o.  S.  247)  noch  näher  an  die  deutsche  Sitte, 
den  Harkelmai  dem  letzten  Emtefuder  voraufzutragen  oder  der 
letzten  Garbe  einzuheften ,  heran.  Die  Eiresione  ist  eine  symbo- 
lische Repräsentation  des  Wachstumsgenius,  sie  wird  wie  eine 
Persönlichkeit  angeredet  (o.  S.  224  flF.);  und  als  solche  hat  man  den 
Lorbeer  (vgl.  o.  S.  221)  als  die  verwandelte  Geliebte  Apollons 
aufgefaßt  (cf.  Bk.  297).  Daß  Apoll  durch  Orakelspruch  die  Eiresione 
angeordnet  habe,  um  Hungersnot  und  P^s^  abzuwenden  (o.  S.  231. 
S.  253),  ist  wieder  eine  ätiologische  Fabel,  durch  welche  uns  die 
feste  Ueberzeugung  der  Festteilnehmer  verbürgt  wird,  daß  lieber- 
tragung  der  Wachstumsfiille  auf  die  Feldfrüchte,  wie  (vermöge 

1)  So  faßt  auch  Böttichor  die.  Sache:  „Der  Oelzweig,  welchen  man  mit 
Früchten  hehangen  vom  Acker  hrachte  und  als  Eiresione  vor  das  Haus 
stellte."    Banmk.  362.  397. 

2)  Nach  dem  Scholiasten  zu  Clem.  Alex.  I*Totrept.  p.  9,  33.  Pott  wäre 
auch  hei  den  Panathenäen  im  Hekatomhäon  (Augast)  eine  Eiresione  darge- 
bracht. „fQ^qß"'  rijv  Ifyofi^vrjv  iiQtanüvrjv  ifrjdfiVf  ijr  ovTia  7T((ii- 
€1  loOvTfg  iQ^oig  xal  Tuiviatg  vtfaauicT toi'  kir^tov  —  rjp  (T*  xliiJog 
und  Tfjg  MoQtag  fXcc^ag  —  xal  ax{)odQvoig  naitofoig  niQittQTm'Tig^  ni'fj^'or 
€tg  axQOJToXiv  rij  TTohtidt  ji9-r]ratoi  nnvad-rfvaia^  ovTtog  fv(fTjjJovvT€g'  </(>f- 
aiwf]  ffOxtt  (f^Q€i  xal  jufjla  xat  i^fjg.  Allein  diese  Glosse  ist  offenbar  dnrch 
üble  Verwechselung  des  Scholiasten  aus  derselben  Quelle  herausgezogen,  aus 
welcher  Platarch  o.  S.  220  schöpfte,  wie  die  Anführung  des  Liederbruchstticks 
beweist.  Wegen  der  heiligen  Moria  glaubte  der  Commentator  lieber  an  die 
Panathenäen  denken  zu  sollen,  deren  Thallophorie  (Micliaelis  Parthenon 
Bi2U.  330  n.  201—205)  die  Combination  begünstigte. 

Mannhardt.    n.  17 


258  Kapitel  lY.    Emtcmai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt. 

des  Parallelismas  der  tierischen  und  pflanzlichen  Vegetation)  auf 
die  Menschen  die  sicher  zu  erhoflfende  Wirkung  des  Brauches  sei. 
Aus  letzterem  Grunde  erfolgte  auch  die  Aufsteckung  des  heiligen 
Zweiges  vor  dem  Eupatridenhause. 

In  nordischer  Sitte  geht  der  aus  gleicher  Absicht  vor  oder 
auf  dem  Hause,  dem  Stall  oder  der  Scheuer  aufgesteckte  Ernte- 
mai  oder  Maibaum  in  den  auf  dem  Hausdache  angebrachten 
Bichtmai  (Bk.  218  ff.),  sowie  in  die  dem  jungen  Ehepaar  bei  der 
Hochzeit  aufs  Dach  gesetzte  oder  prozessionsweise  überbrachte 
Brautmaie  (Bk.  47.  221  ff.)  und  in  die  den  jungen  Mädchen  als 
Lebensbäume  vor  ihr  Fenster  gestellten  Maibäume  (Bk.  163  ff.) 
über,  und  ins  Saatfeld  steckt  man  zur  Abwendung  schädlicher 
Einflüsse  und  zur  Fruchtbarmachung  grüne  Zweige,  resp.  den 
Emtemai  (Bk.  210).  Dieselben  Sitten  wies  ich  bereits  Bk.  296  ff. 
auch  als  griechische  nach,  insofern  auch  in  Hellas  den  Jünglingen 
und  Jungfrauen  bei  den  Ephebien  und  am  Feste  der  Hochzeit 
Lorbeerzweige  vor  die  Türe  gestellt  und  ebensolche  Zweige  zur 
Abwehr  von  Würmerfraß  und  Kostschaden  ins  sprossende  Saat- 
feld gesteckt  zu  werden  pflegten. 

Wer  ApoUons  ausgesprochene  Bedeutung  als  Emtegott  und 
die  0.  S.  246  aufgewiesene  Verbindung  der  Begriffe  des  Friedens 
und  der  Ernte  erwägt,  wird  es  wahrscheinlich  finden,  daß  sowol 
die  sämmtliche  apollinische  Daphnephorie  als  die  Verwendung 
des  bekränzten  Oelzweiges  zum  Bittzweig  (Hiketeria)  der  um 
Frieden  und  Schutz  Flehenden  und  zum  Stabe  des  Frieden  hei- 
schenden und  gebietenden  Herolds,  sowie  auch  die  im  Kulte 
anderer  der  Vegetation  vorstehender  Götter  (Athene,  Dionysos) 
weitverbreitete  Thallophorie  aus  dem  Kreise  der  im  Maibaum 
und  Erntemai  verkörperten  Vorstellungen  hervorgegangen  sind. 

§.  8.  Maibaum  der  Kotyto.  Uebrigens  beschränkten  sich 
diese  Sitten  nicht  allein  auf  Griechenland.  Wir  finden  dieselben 
z.  B.  im  Kultus  der  Kotys  oder  Kotyto,  einer  Göttin  des  thra- 
kischen  Volkes  der  Hedonen  wieder,  welcher  sich  nach  Korinth, 
Athen  und  Sizilien  verbreitet  hatte.  Ueber  ihn  besitzen  wir  aus 
keinem  Orte  eine  zusammenhängende  Beschreibung.  In  Sizilien 
aber  pflegte  man  am  Feste  Kotj^tis  mit  Kuchen  und  Baumfrüch- 
ten  behangene  Bmmiäste  dem  Volke  zur  Plünderung  preiszugebend 

1)  AQTiaycc  KoriTioig.  KoTvr)g  ^onrtj  r(g  fart  ^ixflixij,  fv  tj  TTfQf  rtra^ 
xld^ovg  ^'ifinromg  nimuva  xttl  axQoÖQva  in^roairov  agnäCiiv.  Plutarch.  piy- 
verb.  78.    Vgl.  Lobeck  Aglaoph.  1031  ff. 


Das  Fr&hlingsfest  der  syrischen  Göttin.  259 

Aus  Athen  -  Korinth  erfahren  wir,  daß  die  da8  Fest  der  Göttin 
feiernden  Compagnien  oder  Gesellschaüten  (Thiascu),  unter  denen 
sich  junge  Mäntier  in  Weibcrkleidern  befanden,  vermutlich  spott- 
weise Bapten  genannt  wurden,  weil  sie  jemand  oder  vielleicht 
einander  ins  Wasser  warfen.  Die  Feier  stand  im  Rufe  großer 
Zdgelloßigkeit  und  Unsittlichkeit,  doch  ist  wol  dabei  teils  die 
Uebertreibung  halbunterrichteter  Schriftsteller,  teils  das.. Kase- 
rtlmpfen  der  guten  Gesellschaft  im  Spiele;  die  Wahrheit  wird  in 
sinnlich  derben^  das  Geschlechtliche  berührenden,  mit  der  2^it 
zu  profaner  Belustigung  gewordenen  Festgebräuchen  zu  suchen 
sein.  ^  Die  Plünderung  des  fruchtbehangenen  Astes  entspricht  dem 
HerabreijSen  und  Herabholen  der  Anhängsel  vom  Emtemai 
(Bk.  202)  und  Maibaum  (Bk.  1 70  flf.),  welches  ursprünglich  sakrar 
mentale  Aneignung  des  Fruchtsegens  war  (vgl.  das  Herabreißen 
der  Hülle  des  Graskönigs  (Bk.  349.  357.  606);  das  Bad  begeg- 
net der  so  häufig  mit  der  Aufsteckung  jener  Bäume  verbundenen 
WassertaiAche  (Regenzauber).  Vgl.  o.  S.  256  und  Bk.  158.  162. 
170.  197.  215  u.  s.  w.).  Die  Vorwürfe  über  sittliche  Ausschrei- 
tungen aber  beruhen  unzweifelhaft  auf  ursprünglich  religiösen 
symbolischen  Gebräuchen  von  Art  unserer  Mailehen  (Bk.  449  flf. 
cf-  469).»  Zur  Wäberkleidung  vgl.  Bk.  314.  441  ff.  544.  338.  378. 
§.  9.  Das  Frfihlingsfest  der  syrischen  (jrSttin.  Wenn 
es  wahr  ist,  daß  die  thrakische  Kotyto  ihrem  Wesen  nach  mit 
der  in  Vorderasien  als  Kybele ,  große  Mutter  u.  s.  w.  gefeierten 
Gottheit  nahe  verwandt  war,  so  kann  es  uns  nmi  nicht  mehr 
Wunder  nehmen,  auch  im  Dienste  der  großen  Göttin  zu  Hiera- 
polis  in  Syrien  dem  Maibaum  wieder  zu  begegnen.  Wir  wiesen 
Bk.  177  —  180.  456.  463  flf.  498  nach,  daß  im  Oster  -  Maitags - 
oder  St.  Johannisfeuer  ein  Baum,  der  Maibaum ,  verbrannt  werde. 
Statt  des  einen  Baumes  sehen  wir  z.  B.  zu  Thann  im  Elsaß  drei, 
zu  Dehnenhorst  zwei  (Bk.  178.  179),  in  der  Franche  Comte 
(Bk.  456)  ebenfalls  drei  Bäume  aufgerichtet,  mit  Stroh  und  Rei- 
sig umhüllt  und  angezündet.    Diese  Vervielfältigung  des  Maibaums 


1)  Lobeck  Aglaoph.  S.  1007  — 1039.    Buttmann  Mythol.  II,  150  —  167. 

2)  Gegenseitiges  Hineinwerfen  ins  Wasser  war  auch  in  Rom  am  Mai- 
tag Brauch  (Suid.  s.  v.  Atniorurtc):  damit  vgl.  das  Bad  am  Johannistage 
in  Köln,  Neapel,  Nordafrika  (Myth.*  555  — 556),  und  man  wird  jetzt  l)ogrcif- 
lich  finden ,  wit^  auch  diese  Sitte  dorn  verallgemeinerten  Regen brauchzan her 
am  Maitag  und  Mittsonimerfest  ihre  Entstehung  verdanken  kann. 

17* 


260  EapitellY.    Emtemai  und  Maibanm  in  der  antiken  Welt. 

diente  in  manchen  Fällen  vielleicht  nur  dem  Pomp;  in  anderen 
entstand  sie  dadurch,  daß  mehrere  Dorfgemeinden  oder  Stadtteile 
ihre  Festteier  mit  einander  vereinigten.  (Auch  wo  der  Maibaom 
nicht  verbrannt  wird,  sieht  man  z.  B.  im  Kreise  Chrudim  in 
Böhmen  am  Pfingstfest  neun  junge  Fichten  um  eine  bedeutend 
höhere,  deren  Krone  mit  Bandschleifen  und  BlumensträuBen 
geziert  ist,  im  Kreise  herumstehen.  ^)  Um  den  Scheiterhaufen 
tanzt  das  Volk,  religiöse  Lieder  singend,  (oft  unter  Anführung  des 
Pfarrers),  es  steckt  denselben  mit  langen  Strohfackeln  an,  mit 
denen  es  auch  über  die  Felder  läuft,  um  dieselben  fruchtbar  zu 
machen  (Bk.  498  ff.).  Der  Maibaum  ist  in  diesen  Fällen  nur 
noch  ganz  vereinzelt  (Bk.  179)  mit  allen  den  schönen  Sachen, 
bunten  Bändern  ^  Tüchern  y  allerlei  Kleidungsstücken  (Hosen  und 
Westen),  vergoldeten  Eiern,  Geld,  silbernen  Uhren,  glitzernden 
Spiegehl,  Backwerk  und  anderen  Eßwaaren  geschmückt,  welche 
ihn  dort  zieren,  wo  er  nicht  verbrannt  wird  und  zur  Plünderung 
bestimmt  ist  (vgl.  z.  B.  Bk.  157.  169  ff.  172.  192  ff.  200.  218  ff. 
223),  er  ist  aber  von  letzterem,  an  denselben  Tagen  aufgesteckten,  in 
keiner  Weise  zu  trennen.  In  manchen  Formen  desselben  begeg- 
nen uns  auch  noch  lebende  Kleintiere  als  Anhängsel  desselben. 
So  wird  au  den  Emtemai  in  Frankreich  häufig  ein  Huhn,  eine 
Taube,  kalekutische  Henne  oder  dergl.  (Bk.  206),  an  die  mit 
Früchten  und  bunten  Bändern  geschmückte  Brautmaie  ein  Vogel 
(Bk.  222.  De  Nore  193)  angebunden.  Im  Egerlande  trägt  man 
zu  Pfingsten  gabensammelnd  eine  junge  Fichte  einher,  an  deren 
Krone  ein  Querholz  mit  fünf  darangebundenen  jungen  KraJie» 
befestigt  wird,  während  die  ineinandergeflochtenen  Zweige  sich 
wie  ein  breites  Querholz  um  das  Stämmchen  herwinden.  *  In 
Neupilseu  pflanzt  man  zur  gleichen  Zeit  im  Dorfe  drei  bis  zu 
den  Wipfeln  abgeschälte  und  oben  mit  Bändern  geschmückte 
Fichten  auf  und  errichtet  daneben  eine  Laubhütte  und  eine  Stange, 
an  welcher  mehrere  Frösche  (vgl.  Bk.  355)  lebendig  aufgehängt 
sind.  ^  Wiederum  in  der  Zeit  der  Wintersonnenwende  (am  St 
Stephanstag  26.  Dez.)  tragen  die  jungen  Dorfbewohner  Südirlands 
von  Haus  zu  Haus  einen  mit  Bändern  geschmückten  Stechpalmen- 
zweig, von  welchem  mehrere  Zaunkönige  (wrens)  mit  den  Köpf en 

1)  Roinsberg  -  Diiringsfeld  Böhm.  Festkalender  S.  258. 

2)  Keinsborg  -  Düriugsfeld  Böhm.  Festkalender  8.  268. 

3)  Reinsberg-Dtiringsfold  a.  a.  0.  260. 


Das  Frühlingsfest  der  syrischen  GöttiD.  261 

nach  unten  herabhängen.  *  Vergegenwärtigen  wir  nns  diese  Tat- 
sachen, 80  verstehen  wir  den  Bericht  der  anter  Lucians  Namen 
gehenden  Schrift  über  das  Hauptfest  der  Göttin  (Atargatis,  Der-' 
keto ,  Tii^ata)  zu  Hierapolis  (Bambyke,  Mabug)  in  Syrien  unweit 
des  Euphrai  Es  wurde  im  Beginne  des  Frühjahrs  gefeiert,  den 
Oster-  und  Maitagsbräuchen  entsprechend.  Im  Tempelhofe  waren 
mehrere  große  Bäume  aufgerichtet,  die  man  im  Walde  schlug, 
mit  lebenden  Schafen,  Ziegen,  anderem  Kleinvieh,  mit  Vögeln, 
Gewandstttcken,  Gold-  und  Silbersachen  ähnlich  dem  Maibaum 
and  Emtemai,  nur  in  größerem  Style,  behängte.  Bings  umher 
schichtete  man  einen  Scheiterhaufen  und  verbrannte  die  Bäume 
mit  ihrem  Schmuck.  Mehrere  Gemeinden  oder  Völkerschaften 
nahmen  am  Feste  Teil ,  und  hielten  mit  ihren  Heiligttlmem  einen 
Reigen  um  die  brennenden  Bäume.  Man  darf  vielleicht  anneh- 
men, daß  jede  einen  derselben  als  ihren  Lebensbaum  (Bk.  169. 
182)  gestellt  hatte.  Das  Fest  hieß  Scheiterhaufen  oder  Fackel, 
es  wurde  also  der  Holzstoß,  wie  bei  unsem  Sonnenwendfeuem, 
mit  Fackeln  angezündet,  vielleicht  auch  war  ein  Fackellauf 
damit  verbunden,  der,  obschon  von  Lucian  verschwiegen,  einen 
wichtigen  Teil  der  Feier  ausmachte.  * 

Atargatis^  nach  Levy  Nöldecke^  und  Schrader  Athar- 
athe,  war  die  aramäische  Form  der  phtUiikischen  Astarte,  Aschera, 
der  assyrischen  Istar,  „eine  spezielle  Vorstellung  der  assyrisch - 
phönikischen  Venus."  ^  Näheres  über  ihr  Wesen  läßt  sich  aus 
dem  Umstände  schließen,  daß  ihr  Tauben  und  Fische,  Symbole 
fippigster  Geburtenflille,  als  heilige  Tiere  unterhalten,  Fische  von 
den  Priestern  als  Opfer  dargebracht  und  Von  den  Gläubigen  in 

1)  Sandys  Christmas- Carols.    London  1833  p.  LXV. 

2)  Lucian  de  Syria  dca.  c.  49.  Opp.  III,  p.  236  Dindorf.  *OQT^m'  df  na- 
aftav  Tcöi'  ol9ti  fieyfffrrjv  roü  iT«i)og  ÜQ/onivov  ^nmKovai ,  xnl  /niv  ol 
fA^v  71  vQTjr,  ol  (f^  XufXTtiiiUt  xulhovoi.  %hvait]V  dl  h' uvTfi  ToiTivdf  Tioiiovai' 
iT^rJof«  fitydlu  ^xxtnitnrT^g  h'  rf}  nvlfj  lajüat,  /jnä  Se  äyivfomg  nl- 
ytig  Tf  Xftl  Ö'ing  xn)  äXXtt  xTrjvfn  tft>«  fx  Ttoi'  Sfv^Q^tov  unctQ- 
riovai.  h'  ifl  xu)  fiortf^ag  xiu  ffunrn  xn)  /ovaitt  xttl  aqyvQfa 
TT  oiTJfJtnrit.  fnfitr  <fi-  h'Tf-l^a  Tidvia  viotfjObnTni  n tQiivdxnvTfg  t«  Iqu. 
ttiqI  tu  J^rJ(>*«  Tivnrjr  iriiioi,  t«  lU  teiT^xa  narra  xulovTai.  lg  rav- 
jfiv  Tip'  dotip'  noXXoi  äv(h{to}noi  itmxv^oiTai  hx  re  2^i'(t(Tjg  xal  TtDr  n^Qi$ 
^lOQ^tar  naa^toVy-  tf^Qovai  T€  t«  liovratv  loa  txnaTOi  xnl  tu  arj/ntji«  €xu 
aroi  fj^ovOi  ig  T«tf«  fAtfttuT}jjh'€(. 

3)  Zß.  d.  morgenl.  Gesclls.  XXIV,  1870.  S.  92.    Levy  phön.  Stud.  II,  38. 

4)  Bandissin  z.  sem.  Keligionsgcsch.  1876  S.  238. 


262  Kapitel  lY.    Erntemai  und  Maibaum  in  der  antiken  Welt. 

goldener  und  silberner  Nachbildung  geweiht  worden.  ^  Weil  man 
sie  mit  der  phrygischen  Göttermatter  Rhea-Kybele  identifizierte, 
finden  wir  in  ihrem  Personale  auch  freiwillig  Verschnittene  wie- 
der, welche  mit  weiblichen  Hierodulen  exstatisch -erotische  Um- 
armungen ausführten  und  mit  allem  Zubehör  von  Pfeifen,  Trom- 
peten, Klapperblechen  gabensammelnd  umherzogen.  Sie  wurde 
bald  als  Hera,  bald  als  Aphrodite  aufgefaßt  (Hygin);  Apolejns 
nennt  sie  ÄllmtUter  (omniparens  Dea  Syria.  —  Met.  VIII,  257, 
rerum  naturae  parens,  elementorum  omnium  domina.  XI,  p.  182, 
rerum  naturae  prisca  parens.  IV,  90).  Plutarch  sagt  (Grassos 
cap.  27) ,  sie  sei  das  Prinzip  der  Natur,  welches  die  Keime  und 
Anfänge  allen  Dingen  aus  dem  feuchten  Elemente  mitteile , '  und 
beschreibt  sie  als  die  gütige  Göttin,  welche  den  Menschen  die  Ur- 
sprünge aller  Güter  zeige  {rijv  navvvjv  eig  dv^QOJTrorg  a^rjv  ayal^ww 
xaradet^aoav).  Das  sind  Ideen,  welche  völlig  begreiflich  machen, 
wie  auch  die  Aufrichtung  des  in  deutschen  und  andern  nordeuro- 
päischen Bräuchen  als  Lebensbaum  und  Darstellung  der  Wachs- 
tumskraft ((5(;vai//(;m;^i7rixf^)sichmanifestierendenMaibaums  (Johan- 
nisbaums)  in  ihren  Kultus  hineingezogen  werden  konnte.^  Daß 
wir    aber  wirklich   berechtigt   sind,    die  am  Frtihlingsfeste  der 

1)  Lucian  a.  a.  0.  Hygin.  fab.  127.  Eratostbencs  catastb.  38.  Mnaseas 
b.  Atben.  VIII,  34G.  Diod.  Sic.  II,  4.  Nur  obenstebendcr Kultverbalt  war  Veran- 
lassung der  in  diesen  Stellen  vorgebracbten  ätiologiscben  Sagen  über  die  Göttin. 

2)  Cf.  Movers  I,  584  —  600. 

3)  Scbon  Movors  erkannte  als  näcbstc  Verwandte  der  Atargatis  die 
kananitiscbe  Göttin,  deren  Numen  und  Idol,  ein  vielfacb  nocb  mit  Laub  Tcr- 
scliencr  auf  künstlicben  Höhen  nebou  den  Altären  des  Baal  und  anderer  Göt- 
ter aufgerichteter  Baum  oder  Baumstamm,  mit  dem  gleichen  Namen  Ascbora 
belegt  wurden  (Movers  I,  560  —  584).  Die  nabeliegende  Frage,  üb  nicht 
diese  Ascheren  ebenfalls  aus  Analogie  des  Maibaums  zu  erklären  seien,  über- 
lasse ich  den  Semitisten  zu  näherer  Untersuchung.  Ebenso  verdient  es  Er- 
wägung, ob  nicht  auch  der  auf  assyrischen  Denkmälern  erscheinende  Lebens- 
baum ,  statt  ein  naturwüchsiger  Baum  zu  sein,  dem  Maibaumtyxms  entsprach. 
Er  erscheint  als  ein  schlanker,  von  Knoten  unterbrochener  Stamm  mit  einer 
Krone  gleich  einem  siebenfäclierigen  Palmblatt;  er  ist  jedesmal  rings 
umgeben  mit  einem  Geschmeide  von  ähnlichen  Blättern  oder 
Blüten,  die  unter  sich  und  mit  dem  Stamm  durch  ein  Netz  v^n 
Bändern  verbunden  sind,  welche  auch  den  Baumschaft  selbst,  wie  die 
gemalten  oder  geschälten  Riuge  unsem  Maibaum  i^Bk.  16'J.  170.  172.  177. 
208.  326)  in  spiralförmigen  Windungen  umwinden  i^s.  Piper  Evangel.  Kai.  1863 
S.  23.  79).  Der  ganz  im  ethischen  und  geistigen  Gebiet  spielende  Baum 
des  (ewigen)  Lebens,  der  Unsterblichkeit  in  einem  jüngeren  Zusatz  dt-r 


Das  Frühlingsfcst  der  syrischen  Göttin.  2G3 

Atargatis  verbrannten  Bäume  für  denselben  Typus  wie  unsere 
Maibäume  zu  erklären  ^  maeht  die  im  letzten  Kapitel  dieses 
Buches  nachzuweisende  genaue  Uebereinstimmung  unserer  Oster-, 
Mai-  und  Sonnwendfeuer,  deren  Mittelpunkt  die  Maibäume  bilden, 
mit  den  vorderasiatischen  Jahrcsfeuem  so  gut  wie  gewiß. 

Wenn  wir  den  zur  Fruchtbarmachung  der  Aecker  auf  den 
Kornfeldern  geübten  Scheinkampf  in  Nepal  und  Maleyala,  wie  in 
Deutschland  wiederfanden  (ßk.  552),  darf  es  nicht  Wunder  neh- 
men, daß  wir  auch  zur  Verbrennung  des  Maibaums  ein  südin- 
disches Seitenstück  anzuführen  haben,  von  dem  es  für  jetzt 
dahingestellt  bleibe,  ob  die  Aehnlichkeit  nur  äußerlich  und  schein- 
bar sei,  oder  auf  tieferem  Grunde  beruhe.  Die  Tamulen  feiern 
im  November  das  Fest  Mäbaliräja-tirunal,  angeblich  zum  Anden- 
ken an  die  Höllenfahrt  des  von  Vishnu  in  die  Unterwelt  hinab- 
getretenen Königs  Mabaliräja.  Dann  zündet  man  in  allen  Pago- 
den eine  Unzahl  Lampen  an;  vor  ihnen  aber  wird  ein  großer 
Palmyrahaum  in  die  Erde  gesetzt ,  um  welchen  man  rund  herum 
ein  Geländer  von  Holz  macht,  das  man  mit  dürren  Palmyrablät- 
tem  bedeckt.  Dies  (dies  zümlet  man  mit  einer  Fackel  an  und 
verbrennt  Baum  und  Umfriedigung.  ^ 


biblischen  Schöpfunj,'s«]roschichte ,  der  zuerst  in  den  salomonischen  Schriften 
erscheint  (EwaM  Dichter  d.  A.  B.  Ansg.  2.  II,  S.  4.  Lelire  d.  Bibel  v.  Gott  II I,  72), 
war  wol  ein  aus  ostsenutisclier  Vorstellung?  entlehntes  vergeistigtes  Bild, 
welchem  eine  concrctere  Ans<"hauung  von  Art  derjenigen  des  Maibaum-Lebens- 
baums zu  Grunde  liegen  mochte. 

1)  S.  Ziegenbalgs  i.  J.  17i;>  geschriebene  „Malabar.  Götter"  hrsg.  von 
German,  8.267,  vgl.  98.  —  Zum  Kotytienbrauch  o.  S.  258,  vgl.  Ziegenbalg 
a.  a.  0.  S.  2G4.  An  dem  im  August  gefeierten  Geburtsfest  Krishnas  werden  der 
Pagode  gegenüber  und  zwar  gewöhnlich  an  einem  Kreuzwege  vier  Bäume 
in  die  Erde  gesteckt  und  über  selbige  ein  Pandel  aus  Aesten  von  Kokos- 
bäumen  gemacht,  an  welches  Kokosnüsse  und  Feigen  gebunden 
werden.  Wenn  nun  das  Krishiiakind  aus  der  Pagode  auf  die  Straße  getra- 
gen wir<l  und  vor  ein  solches  Pandel  konmit,  Läuft  ein  Hirte  herzu  und 
schlägt  na<'h  den  Früehten.  Alsdann  begielien  sie  ihn  von  oben  her- 
unter mit  Buttermih'li  oder  mit  Wasser,  das  mit  Safran  gelb  gemacht  ist. 
Das  mag  Umdoutung  eines  älteren  Brauchs  im  Sinne  der  Krishnalegende  sein. 


Kapitel  V. 

Persönliche  Vegetationsgeister  in  Jahrfestgebräuchen. 

§.  1.  Darstellung  der  Tegetationsgeister  In  Jahrfest- 
gebrftuchen.  Ließ  uns  das  Vorhergehende  Kapitel  die  Darstel- 
lung des  unpersönlichen  Yegetationsgeistes,  der  Wachstumskraft, 
durch  einen  mit  allerhand  guten  Gaben  geschmückten  Baum,  wie 
in  Nordenropa,  so  auch  in  Griechenland  und  dem  Orient,  ak 
Gegenstand  mehrerer  Feste  erkennen ,  so  sollen  die  nächstfolgen- 
den Blätter  den  Versuch  machen,  in  den  Gestalten  der  römischen 
Argeer  einen  Typus  nachzuweisen,  welcher  unseren  Laubmänn- 
chen ,  Graskönigen ,  Pfingstbutzen ,  Maikönigen  u.  s.  w.  der  Art 
nach  verwandt  ist.  Nächstdem  sollen  einige  weitere  Bemerkun- 
gen die  Gründe  darlegen,  welche  dahin  führen,  mythische  Gestal- 
ten ähnlicher  Art  auch  in  dem  phönikischeu  Adonis  und  phrygi- 
schen  Attis  zu  vennuten.  Das  nordeuropäische  Seitenstück  des 
Argeeropfers  erblicke  ich  in  jenem  Kreise  deutscher  und  slavi- 
scher  FrühUngs-  und  Sommergebräuche,  den  Maibaum  (Bk.  159) 
oder  Johannisbaum  (Bk.  170)  oder  den  in  grüne  Zweige  einge- 
bmidefien  grünen  Georg  (a.  a.  0.  313),  Pfingstbutz,  Pfingstl,  Pfingst- 
könig  (Bk.  355),  oder  statt  dessen  nur  eine  menschlich  gestaltete 
aus  grüneyi  Beisern  geflochtene  Puppe  (Bk.  313),  oder  eine  S^roA- 
puppe,  oft  mit  Kleidern  angetan  (Bk.  410  fif.),  am  Lätaresonntag, 
am  24.  April,  zu  Pfingsten,  am  23.,  28.  oder  30.  Juni  (Bk.  159) 
in  den  Bach  oder  Fluß  zu  führen  oder  zu  werfen,  im  Dorfbrun- 
nen zu  baden,  oder  von  der  Brücke  in  ein  fließendes  Wasser  zu 
stürzen  (Bk.  353  vgl.  Panzer  II,  89).  Weil  er  ins  Wasser  gewor- 
fen werden  soll,  besteht  der  Pfingstl  (Wasservogel)  nicht  selten 
aus  einem  vom  Schreiner  gefertigten  Gestell  in  roher  Menschen- 
gestalt, das  ganz  mit  Sumpfblumen,  Wasservogelblumcn  (caltha 
palustris)  umivunden  ist  (Panzer  11,  85).  Die  zuweilen  ausschließ- 
lich von  Weibern  in  Traucrschleiern  oder  von  als  Klageweiber 
verkleideten  Männern  um  Fastnacht  unter  Wehklagen  hinansge- 


Dantellimg  der  Vegetationsgeister  in  Jahrfestgebräachen.  265 

tragenen  Götzen  aus  Stroh ,  Hanf  oder  Halm ,  heißen  in  den  8la- 
▼ischen  Ländern  Marena,  Marzana  u.  8.  w.  (Bk.  410  ff.).  In  Ruß- 
land wechselt  der  Brauch ,  auf  Mittsommer  das  Begrähniß  des 
in  einen  Sarg  gebetteten  Jarilo  {Frühling)  oder  der  Kostroma 
darzustellen  (Bk.  414ff.),  wobei  Trähnen  und  Klagen  und  die 
Wassertauche  nicht  fehlen,  mit  Bräuchen  wie  diese,  einen  mit 
bunten  Bändern  behangenen  Baum  aufzurichten,  der  Marena 
genannt  wird,  daneben  eine  Strohpuppe  in  Weiberkleidung  von 
springenden  Knaben  und  Mädchen  durch  das  Johannisfeuer  tra- 
gen zu  lassen  und  am  folgenden  Tage  Baum  und  Puppe  in  ein 
fließendes  Gewässer  zu  werfen  (Bk.  514).  Wir  wiesen  nach,  daß 
die  Wassertauche  ein  Regenzauber  war,  daß  sie  im  Norden  im 
April  oder  Mai  angewandt  dem  ins  Land  einziehenden  (durch  den 
in  Laub  gekleideten  Menschen  oder  die  Puppe,  zuweilen,  wie  in 
dem  letzten  Beispiel,  durch  Baum  und  Puppe  zugleich  dargestell- 
ten) Wachstumsgeist  die  nötige  Feuchtigkeit  und  fröhliches  Ge- 
deihen erwirken  sollte.  Dem  Ausgangs  Juni  als  sterbend,  zu 
Lätare  als  gestorben  versinnbildlichten  (und  daher  Marzana,  Ma- 
rena genannten)  Vegetationsdämon  zu  Teil  werdend,  sollte  diese 
Wassertauche  dem  Nachfolger  desselben  den  zur  Erhaltung  seiner 
Lebenskräfte  hinreichenden  Regen  verschaffen.  Zugleich  aber 
bezweckte  die  sichtliche  Vergegenwärtigung  des  Wachstumsgeistes 
vermöge  einer  Art  mystischer  Parallelisierung  des  Menschenlebens 
mit  dem  Pflauzenleben  das  Gedeihen  der  zu  einem  Gehöft,  einer 
Gemeinde  u.  s.  w.  gehörigen  Menschen.  Sehr  deutlich  trat  die 
vermeintlich  zauberkräftige  Beziehung  der  Wassertauche  auf  Zu- 
stände der  Zukunft  in  dem  Eryitehrauch  hervor,  eine  aus  der 
letzten  Garbe  gefertigte  Puppe ,  den  Alten  oder  die  Alte  (der  Ve- 
getation) u.  s.  w.,  resp.  einen  in  die  letzte  Garbe  gebundenen 
Menschen  mit  Wasser  zu  beschütten  oder  in  den  Bach  zu  leiten, 
damit  es  im  nächsten  Jahre  den  wachsenden  Halmen  an  Regen 
nicht  fehle. 

§.  2.  Die  Argeer.  Das  Tatsächliche,  was  uns  über  das 
Argeerfest  tiberliefert  ist,  besteht  in  den  nachfolgenden  Zügen.  In 
jeder  der  4  städtischen  Tribus  befanden  sich  6,  im  Ganzen  also  24* 


1)  Varro  L.  L.  V,  45  nennt  irrtümlich  als  Gesammlzahl  27.  lieber  die 
richtige  Zahl  s.  Ri^per  lucubr.  pontif.  P.  I.  Ged.  1849,  p.  19  ff.  23.  Becker- 
Marqaardt  Handbach  röm.  Altert  IV,  200. 


266     Kapitel  V.    Persönliche  Vegetationsgeister  in  Jahrfestgebriuclien. 

kleine  Kapellen  (sacella,  sacraria),  welche  den  Namen  Argeiy 
loca  Argea  oder  Argeorum  sacraria^  führten  —  ein  Name,  den  die 
gelehrte  Deutelei  römischer  Antiquare  durch  die  Annahme  zu 
erklären  suchte ,  diese  Orte  seien  die  Grabstätten  mit  Hercules 
eingewanderter  Argiyer.  ^  Zu  diesen  24  Kapellen  zog  man  am 
16.  und  17.  März.  *  Möglicherweise  war  es  dieser  Umzug,  wobei 
nach  Fabius  Pictor  bei  Grellius  die  Flaminica  Dialis  mit  unge- 
kämmten Haaren ,  d.  h.  im  Traueraufzuge  erschien.  ^  Da  nach 
Ovid  am  16.  März  der  Umzug  der  Salier  mit  dem  Mamurius^ 
stattfand,  von  dem  Tage  dieses  Umzuges  aber  gleichfalls  die 
Anwesenheit  der  ungekämmten  Flaminica  bezeugt  wird,  *  müßte 
man  in  diesem  Falle  annehmen,  in  Ovids  Quelle  sei  der  Gang 
zu  den  Argcem  in  so  enger  Verbindung  mit  dem  Salierumznge 
genannt  gewesen,  daß  er  irrtümlich  den  dorthin  gehörigen  Um- 
stand hierher  verlegte,  oder  daß  eben  die  Salier  auch  zu  den  Argeem 
zogen.  Möglicherweise  jedoch  bezog  sich  die  Notiz  des  Fabius 
Pictor  nicht  auf  die  Märzfeier,  sondern  auf  die  gleich  zu  nennende 
Maifeier. '    Am  13.  Mai  trug  man  sodann,  nachdem  die  Pontifices 


1)  Liv.  I,  21:  looa  sacris  facicndis,  qua  c  Arg  cos  pontifices  vocant.  Pau- 
las p.  19  Argea  loca.  Varro  L.  L.  V,  45.  Argeorum  aacraria.  Cf.  Schweg- 
1er  K.  G.  I,  379. 

2)  Paul.  p.  19.  Argea  loca  Romao  appellantur,  quod  in  liis  sepulti 
essent  quidam  Argivorum  illustres  viri.  Cf.  Varro  a.  a.  0.  Ueber  diese  et\- 
mol«)gischc  Sage  s.  ausführlicher  R.  Sachs,  die  Argeor  im  röm.  Cultu». 
Progr.  V.  Motten  IL    Landshut  18G8,  S.  3  — 8. 

3)  Ond.  Fast.  III,  791:  Itur  ad  Argoos  ....  Hac  si  comnieniini 
praet^ritaque  die. 

4)  N.  A.  X,  15,  30:  cum  it  ad  Argeos,  quod  neque  corait  capnt,  no- 
quo  capillum  depectit.    Cf.  Röper  a.  a.  0.  25  Anm.  83. 

5)  UebcT  diesen  vgl.  IL  Usener  italische  Mythen.  Rhein,  l^fus.  B.  XXX, 
1875,  S.  2()9  ff.  W.  Koscher  Apollon  und  Mars.  Lpzg.  1873,  S.  M. 
4G  ff.  K.  Müllonhoflf  über  den  Schwei*ttanz  (Festgaben  an  Honieyer).  Berlin 
1871,  S.  7. 

6)  Ovid.  Fast.  III,  397  von  den  Marauralien:  His  etiam  conjnx  apicati 
cuncta  Dialis  Lucibus  impexas  debet  habere  comas. 

7)  Die  uns  über  letztere  erhaltenen  Berichte  [bei  Dionysius  v.  Halicarn. 
I,  19.  38;  Ovid.  Fast.  V,  (i21sq.;  Fest,  sexagenarios  p.  334  Müller;  MafT«»h. 
Saturn.  1,  7 ,  der  aus  Eigenem  fälschlich  die  Saturnalien  hineinniengt  (I^"^p€r 
a.  a.  0.  9)],  scheinen  z.  T.,  wie  aus  Dionysius  I,  19  erhellt,  auf  den  Histo- 
riker L.  Manilius  zur  Zeit  des  Sulla  und  zwar  großent<>il3  durch  Verinittelung 
von  Varro,   im  Uebrigen  auf  des  Letzteren  gründliche  Keuntniß  römischer 


Die  Argeer.  267 

und  VestaÜDiien  das  an  den  Idas  gesetzliche  Opfer  eines  Schafs 
vollzogen  hatten,  *  24  {Dionysius  sagt  wol  irrig  30)  aus  Stroh 
oder  Binsen  in  Menschengestalt  geflochtefie,  mit  Schmuck  und 
Kleidern  versehene,  an  Händen  und  Füßen  zusammengebundene 
Puppen  zum  Pons  sublicius,  von  wo  in  Gegenwart  des  Praetor» 
und  der  Vollbürger  (cives  optimo  jure),  welche  allein  das  Recht 
hatten  zuzuschauen,'  die  Schar  der  Vestalischen  Jungfrauen 
dieselben  in  den  Tiberstrom  hinabstieß.  ^  Diese  Ceremonie  galt 
als  eine  Lustration  (wegen  ihres  umfangreichen  Apparates  nennt 


Sacralaltertümcr  zurückzugehen  (Merkel  zu  Ovid.  Fast.  CIV:  cf.  CLXXI. 
CC.  Ambrosch  Studien  und  Andeutungen  S.  198  Anm.  18.  Vgl.  Sachs  ü, 
S.  19).  Dionys.  Antiqu.  Rom.  I,  38:  X^yovai  61  x«l  i«?  fhvaiag  iniUXtiv 
T^  Ji(t6i'(fi  Tovs  nidttiov^f  ügnifj  iv  JK(C()/rj(5üvi ,  titog  ij  Tiohg  tSi^juaive  xal 
naQu  KtXioig  tig  TOih  /^orov  yd'hrm ,  xnl  ^v  tikXoig  nat  jwv  lanenfcjr  iO^vwv 
itr^QOffovovg'  *JlQ((xk((i  61,  ndioiu  jov  roMor  r»7?  (H'omg  ßovXrjfh^jtn,  tov  t€ 
ß(ou6v  ld{iva(t(fO-(ti  TOV  fn\  rot  2^rtTonr{o}  x«/  xtcTcin^na/hfu  O^vunxMV  äyvCiv  fnl 
xa&itQ^  ttvq)  aCou(rbn\  S'r«  6h  urjöh'  iTrj  rofg  avO-oianoig  fvif-vtiiov  dtg  TtaxQltav 
ilkoyr\x6üi  Ovaidji',  6i6t(^at  zovg  inix(OQfoL>g  unouttkirrofj^rovg  rrjv  toü  &(oO 
fifjriv,  urr)  Ttbr  i\vO^()(jj:i (or,  ovg  avu.ioJii^ovTtg  xal  tmv  )^tiQtav 
axQarfig   noiovvTfg  ^{i{)(7ir()vv    fig   ro    Tißh'oiog   (^€iO^(toVf    tXSmXa 

TT  OloVt'Tdg    €tv6()fJxfX(i,     XtXOaUllu(V(t    TOV    ftVTOP     Ixtd'Oig     TQOTTOV, 

iußitXfTr  ffg  ror  noTtiuov  ^  JV«  dt]  ro  r^c  oriffag  ort  6rj  noTf  tj}'  iv  ratg 
d7iävT€or  lUv^nig  nK{inu^vov  f^aiofO^fj,  rdiv  hixovtov  toü  TritXttioö  fO-oifg  €ti  ctoi- 
^ouivtav.  toOto  6k  x€t\  (i^^/Qtg  ^fioO  6ifT^XofV  ^Pmuaioi  6Qm'rig  6'aor  ti  fxi- 
XQOV  VoTf oo V  (aoi yfjg  i(Jf}u t oucg  fv  fxii vi  Altctfo ,  ta^g  xaXov(x(vaig  i6 o7g, 
6i/ouTjvt6u  ßovXo/Ltfvoi  Hvtu  Tici'TrjV  lijy  tj/n^o(cr.  h'  ij  n  (toO^vOterifg  ifQ« 
Ttt  xKT(c  Tovg  i'OfjLOvg  Ol  xaXovutroi  ffoiidfixtg ,  ffo^an'  of  6in*f(iv^(fTaT0i 
xal  avv  niToTg  ttt  t6  nfhirttroi'  tivo  6i€ufvXrcTiovGni  naQd^fvoi  ^  aTOKTrjyot  re 
xal  Tüh'  äXXfov  TioXtriSiv^  ovg  iKtotTvai  rnig  Uoovoy(aig  (f^^utg  ^  fl6toXa  fiOQ- 
(ftcTg  i\v  t^QtoTiwv  iixaa  u^ra  tqi  tcxovTU  rör  uQiO^ftov  uno  rfjg  itQäg 
yfifVQug  ßuXXovaiv  tfg  ro  ()tiuf(  rov  Ti  ß^Qi  og  Id^ye  f  ovg  avrä  xa- 
XovrTf^^g.  Plutarch.  Quaest.  Rom.  80 :  öti  ko  urjrl  roihtii  tov  utyiarov 
71  Ol  oOvTKi  T(ör  xuiHi Ott  (0 V  rvv  uh'  it6(oXa  (u jTToOitfg  ano  r^g  yerpvQng 
efg  lov  noTauöv,  ndXai  (f'  (trihou'movg.  Plut.  Quaest.  R.  32:  toO  Matov 
firjvög  ttno  rfjg  ^vXd'rig  y^f  VQug  ^l6oiXa  (tinroCiT^g  arlhQianbiv  ffg  rov  TTorafxöVy 
jiQykiovg  T«  (nnTovutvic  xaXoüaiv. 

1)  Paul.  Diac.  p.  104,  Müller  v.  „Idulis  ovls,"  Ovid.  Fast.  1,56.  Hör. 
Carm.  111,  30,  8.    Vgl.  R.  Sachs  a.  a.  0.  I,  18G6,  S.  3. 

2)  8.  darüber  Sachs  a.  a.  0.  S.  4  Anm.  8. 

3)  Paul.  Diac.  p  15.  M.  Argoos  vocabant  scirpeas  offigios,  quao  per 
Virgines  Vestalcs  annis  singulis  jaciebantnr  in  Tiberim.  Ovid.  Fast.  V,  621. 
Tum  quoque  prisconim  virgo  simulacra  virorura  Mittere  roboreo  scirpea 
ponte  solet. 


268     Kapitel  V.    Persönliche  Yegetationsgeister  in  Jabrfestgebr&nchen. 

Plutarch  sie  sogar  tov  jueyiatov  riov  xax^aQitiov)^  man  erwartete  da- 
von also  für  die  Gemeinde  Entfernung  von  Schäden  und  Uebeln. 
Aach  bei  dieser  Gelegenheit  zeigte  sich  die  Flaminiea,  eine  mttr- 
rische  Miene  annehmend,  ungekämmt  und  ungewaschen.  ^  Als 
Götter,  denen  das  Opfer  dai^ebracht  wurde,  galten  Scdumus 
(Eronos)  und  (oder)  Dis  pater  (Z^idrjg)]  eine  alte  Sage  behauptete, 
es  seien  früher  Menschen  und  zwar  alte  Leute  von  60  Jahren,  an 
deren  Stelle  als  Ersatz  später  die  Binsenmänner  (scirpei  Quirites) 
in  den  Fluß  geworfen.  Es  ist  nun  längst  wahrgenommen,  daß 
die  24  Puppen  *  Vertreter  von  24  Stadtbezirken  waren; '  jeder 
derselben  wollte  seinen  Einwohnern  durch  die  Wc^sertauche  ein 
besonderes  Heiltum  sichern.  Die  Yestalinnen  und  Pontifices  ver- 
treten wie  bei  den  Fordicidien  das  Zusammenfassende,  die  Staats- 
idee; die  Prätoren  ((TTQccrrjyni)  ^  deren  Gegenwart  offenbar  eine 
Einrichtung  späterer  Zeit,  vertreten  dagegen  den  Senat,  welcher 
als  oberste  Aufsichtsbehörde  über  Religion  und  Kultus  für  die 
Reinhaltung  der  vaterländischen  Gottesverehrung  Sorge  zu  tragen 
hatte.  *  Wenn,  wie  man  mehrfach  beobachten  kann,  die  Idee  der 
Lustration  die  negative  Kehrseite  der  positiven  Mitteilung  von 
Kräften  des  Wachstums  und  Gedeihens  ist,*  so  liegt  es  nahe, 
auch  in  dem  Argeeropfer  eine  der  vielfältigen  Darstellungen  der 
Vegetationsnumina  zu  vermuten.  Und  in  der  Tat  ist  die  Aehn- 
lichkeit  der  o.  S.  264  angeführten  deutschen  und  slavischen  Sitten 
so  auffallend,  daß  schon  J.  Grimm  Myth.  *  733  Anm.  1  den 
Lätarebrauch ,  beim  Todaustreiben  Strohpuppen  ins  Wasser  zu 
werfen,  mit  dem  Argeeropfer  verglich.  Dagegen  erhob  Preller 
R.  M.  516  Anm.  2,  unter  Anerkennung  der  Aehnlichkeit  mit  Recht 
den  Einwand,   daß    die   Jahreszeit   zu    dieser  Vorstellung   nicht 


1)  Plutarch.  Qiiaest.  Born.  86:  J/o  rryi»  (fla^irixav  ii^uv  xfig  "limt^ 
fivni  doxovaav  vd'ö/Liiaiai  axvxhQtoTitt^iiv  /nrjrt  kavo/ui^vriv  firftt  xoOfAOvutftir. 

2)  Varro  1.  1.  Vll,  44.  Argei  fiunt  e  scirpeis  siraulacra  hominum 
XXIV ,  ea  quotannis  de  ponte  sublicio  a  sacordotibos  publice  dciici  solcnt  in 
Tiberim. 

3)  S.  Schwegler  R.  G.  I,  377.    Marquardt  Handbuch  IV,  201. 

4)  S.  Sachs  a.  a.  0.  5  Anm.  2.  Vgl.  Becker -Marquardt  Handbuch  II,  2 
S.  452. 

5)  Hierüber  werde  ich  später  bei  Publication  einer  eingehenden  Arbeit 
über  die  Luperealien  ausführlichere  Beweise  beizubringen  Gelegenheit  haben. 
Einstweilen  vgl.  Bk.  C07.  608. 


Die  Argeer.  269 

passe.  Da  der  Taurus  23.  »  jal.  9.  Mai  nach  dem  römischen 
Bauemkalender  den  Sommeranfang  bezeichnete,  Aries  1.  = 
17.  März  Frühlingsanfang  und  Nenjahr,^  so  ist  es  emlenchteud, 
daB  die  beiden  Argeerfeste  im  März  und  Mai  sich  dem  Gedanken 
nach  entsprechen,  wie  Lenzesbeginn  und  Lenzesende;  daß  mithin 
das  Argeeropfer,  wenn  überhaupt  in  die  von  uns  vermutete 
Kategorie  fallend,  den  oben  S.  265  erwähnten  Mittsommerbräu- 
chen vergleichbar ,  das  Hinaustragen  des  sterbenden  Frühlings- 
dämons (vgl.  Jarilo)  und  seine  Wassertauche ,  die  Prozession  am 
17.  März  seinen  Einzug  ins  Land  darstellen  sollte.  Es  ist  wahr- 
scheinlich, daß  diese  Fixierung  auf  Frühlingsanfang  und  die 
ersten  Idus  (Neumond)  nach  Sommeranfang  einmal  von  den 
Pontifices  selbst  in  jenen  langen  Zeiten  der  Verwirrung  des  offi- 
ziellen Kalenders  geschehen  sein  mochte,  als  die  früheren  fixier- 
ten Festtage  von  den  ihnen  zukommenden  Jahreszeiten  allzuweit 
entfernt  waren  ^,  und  nicht  unmöglich  bleibt  es,  daß  das  ältere 
und  ursprünglichere  Datum  des  Argeeropfers  im  Hochsommer, 
um  die  Zeit  der  Sonnenwende,  zu  suchen  ist.  Eine  ziemlich 
deutliche  Spur  der  einstigen  Verlegung  vom  Juni  in  den  Mai 
vermeine  ich  folgenden  Tatsachen  entnehmen  zu  dürfen.  Das 
Argeeropfer  fiel  in  dieselben  Tage ,  wann  die  drei  ältesten  Vesta- 
liunen  (7.  — 14.  Mai)  die  frühesten  reif  gewordenen  Öpeltähren 
schnitten,  in  Emtekörben  (corbes  messuariae)  aufsammelten,  zur 
Tenne  trugen,  rösteten,  mahlten  und  das  Mehl  zur  Aufbewahrung 
in  den  Penus  Vestae  brachten.  Serv.  Virg.  Buc:  YUly  82.  Vier 
Wochen  später  vom  9.  — 15.  Juni,  d.  h.  in  der  Zeit,  wann  im 
Großen  und  Oanzen  die  Einheimsung  des  Getreides  ernstlich 
begann  und  in  Zug  kam  (nach  Varro  R.  R.  sogar  erst  „inter 
solstitium  et  caniculum  plerique  messem  faciunt^'),  folgte  das 
Fest  der  Vestalia,  ein  Erntefest,  wobei  Müller  und  Bäcker  ob 
des  neuen  Vorrats  jubelten  und  mit  Blumen  und  Broden  bekränzte 
Esel  umhertllhrten.  Dann  bereiteten  die  Vestalinnen  durch  Zu- 
mischung von  Salz  aus  jenem  heiligen  Mehl  die  zu  Opfern  uner- 
läßliche mola  Salsa  oder  mola  casta;  ^  dann  reinigten  sie  den 
Penus   Vestae    und    trugen   den   Kehrricht    in    den  Tiberstrom, 


1)  Th.  Momnisen  Rom.  Chronol.  Aufl.  2  S.  2G.    Cf.  70. 

2)  Mommson  a.  a  0.  S.  70  Anm.  99. 

3)  Serv.  Verg.  Bucol.  VIII,  HJ.    Cf.  Prouner  Hestia-Vesta  S.  307. 


270     Kapitel  V.    Persönliche  Vegetationsgoister  in  Jahrfestgebräuchexi.       * 

damit  ihn  dieser  ins  Meer  entßhre  (Ovid.  Fast.  VI,  707),  oder 
auf  eine  gewisse  Stelle  des  capitolinischcn  Hügels;  dann  endlich 
erschien  auch  die  Flaminica  Dialis  in  dem  Traaeraofzoge,  unge- 
kämmt, mit  ungeschnittenen  Nägeln,  wie  beim  Argeeropfer,  und 
den  Bürgern  waren  keine  Hochzeiten  gestattet.  Ovid.  Fast  VI, 
226  sagt  die  Flaminica: 

Donec  in  Iliaca  placidus  purgamina  Vesta 
Detulerit  flavis  in  mare  Tibris  aquis, 

Non  mihi  detonsae  crines  depectere  buxo, 
Non  urigues  ferro  subsecnisse  licet, 

Non  tetigisse  vimm,  quamvis  Jovis  ille  sacerdos, 
Quamvis  perpetua  sit  mihi  lege  datas. 

Nun  hatte  die  Auskehrung  doch  offenbar  ursprünglich  keinen 
andern  Sinn,  als  zur  Aufnahme  des  neuen  Vorrats  vom  heiligen 
Mehl  das  Haus  und  die  Vorratskammer  der  Göttin  zu  säubern, 
mithin  wird  dieser  Vorrat  selbst  schwerlich  4  Wochen  zuvor 
beschafft  und  herbeigetragen  sein.  Somit  ist  anzunehmen,  daß 
ehedem  die  Bereitung  des  heiligen  Mehls  aus  den  Körnern  der 
neuen  Frucht  mit  der  Mischung  zur  mola  salsa  in  der  eigent- 
lichen Erntezeit  zusammenfiel,  aber  später  in  den  Mai  verlegt 
wurde.  Ist  es  da  nicht  glaublich,  daß  die  Hinaustragung  der  den 
Dämon  der  abgelebten  Vegetation  darstellenden  Argeerpuppen  in 
den  Fluß  einst  in  dieselben  Tage  der  Auskehr  des  Alten  gefallen 
ist,  und  daß  damit  der  Traueraufzug  der  Flaminica  verbunden 
war,  der  bei  der  Verlegung  in  den  Mai  sowol  am  Argeeropfer, 
als  an  dem  Tage  der  Uinaustragung  der  Reste  und  Abgänge  des 
alten  Vorrats  haften  blieb?  Doch  wie  dem  auch  sei,  auch  ohne 
die  ehemalige  Zusammengehörigkeit  der  Vestalien  und  des  Ar- 
geeropfers  wird  unsere  Deutung  desselben  als  sommerliches  Fest 
durch  die  einzelnen  Züge  desselben  augenscheinlich  bestätigt. 

Die  Bezeichnung  der  Argeerkapellen  als  Begräbnißstätten 
ruht  mutmaßlich  auf  dem  Umstände,  daß  die  hier  dargebrachten 
Opfer  die  Merkmale  emes  Todtenkultus  an  sich  trugen,  den 
Parentalia  ähnlich  sahen,  ^  ganz  natürlich,  wenn  die  Maifeier  Tod 
und  Bestattung  des  nach  den  24  Bezirken  vervielfältigten  Vege- 
tationsgeistes des  Frühlings  darstellen  sollte,  da  die  Binsenidole 
doch  wol  aus  den  Sacellis  abgeholt  wurden.  So  erklärt  sich  auch 
der  Traueraufzug  der  Flaminica.      Daß  die   Puppen  nicht,    wie 


1)  Cf.  Schwegler  ß.  G.  I,  379  Anin.  10. 


Die  Argeer.  271 

größtenteils  im  Norden,  ans  grünbelaubteu  Reisern,  sondern  aus 
Binsen  hergestellt  wurden,  steht  ganz  jener  Bekleidung  des  Was- 
servogels  mit  Caltha  palustris  (o.  ä.  264)  parallel,  und  war  außer 
dureh  die  Rüeksieht  auf  ihre  Bestimmung  zur  Wsissertauehe  aueh 
wol  dureh  das  Bestreben  bedingt,  ihnen  auf  einige  Monate  Halt- 
barkeit zu  geben.  Deim  wenn  ich  recht  sehe,  hat  man  (in  älte- 
rer Zeit  wenigstens)  schon  im  März  die  Puppen  angefertigt  und 
(wie  unsere  Maibäume)  dieselben  an  den  bestimmten  Orten  auf- 
gestellt, welche  mit  der  Zeit  in  umschlossene  mit  Altar  versehene 
Heiligtümer,  Kapellchen,  sacella,  verwandelt  wurden,  von  der  Art, 
wie  solche  bei  den  Alten  häutig  (nach  den  Seiten  hin  offen)  hei- 
lige Bäume  einfriedigten  und  überbauten.  ^  Hier  blieben  sie  daim 
wol  bis  zu  ihrer  WegtÜhrung  im  Juni  oder  Mai.  Daß  jeder 
Stadtbezirk  seine  Argeerpuppe  hatte,  entspricht  genau  der  Auf- 
richtung eines  besonderen  Maibaums  in  jedem  Viertel  oder  jeder 
Straße  zumal  französischer  Städte  (Bk.  169).  Durch  diese  An- 
nahme, daß  die  heiligen  Orte  ursprünglich  die  Bestimmung  hat- 
ten j  Standorte  der  liinsenmänncr  zu  sein^  erUärt  sich  auf  ein- 
fädle und  ungezwungene  Weise,  iceshalb  sie  wie  die  letzteren 
Argei  genannt  waren.  Die  aufgestellten  Puppen  (Argei)  selbst 
waren  das  Ziel,  zu  welchem  während  der  beiden  Märztage  die 
Besuche  der  Bezirksgenossen  strömten,  wie  in  Kußland  zu  dem 
als  Idol  aufgepflanzten  Pfingstbaimi  (Bk.  158);  oder  zu  denen 
man  vielleicht  von  Kapelle  zu  Kapelle  in  feierlicher  Prozession 
Rundgang  hielt  in  der  Weise,  wie  heute  am  Frohnleichnamstage 
die  festlich  gekleidete  Menge  von  einem  in  grünem  Birkenschmucke 
prangenden  Feldaltar  zum  andern  betend  und  singend  mit  ihren 
Fahnen  und  Kreuzen  fortschreitet.  Der  Ausdruck  „itur  ad  Ar- 
geos" läßt  beide  Deutungen  zu.  Die  älteste  Erwähnung  der 
Argeer  in  den  Versen  des  Ennius  (Fr.  123  — 124  Vahlen): 

mensas  constituit  itlemque  ancilia 

lil>a(|ue  fictores  Argcos  et  tutulatos 

würde,  sobald  man  sie  mit  Röper  als  eine  Aufzählung  der  Fest- 
tage des  15.  — 17.  März  betrachten  dürfte,    die  Aufstellung  der 

1)  Böttiehcr  ßaamkultus  der  Helleneu  S.  152  ff.  Cf.  Festus  p.  319: 
Sacella  diciintur  loca  diis  sacrata  sine  tecto.  —  Gcllius  6,  13:  Trobatius 
in  libro  de  religiuiiibu.s  secando.  äacelluui  est  locus  parvus  dco  sacratus 
cum  ara.  Fest.  p.  Hl:  Fagu[tal]  Kacelluni  Jovis,  in  quo  fuit  fagus  arbor,  quao 
Jovis  Sacra  babebatur. 


272     Kapitel  V.    Persönliche  Vegetationsgeifiter  in  Jahrfestgebräuchen. 

Argeerpuppen  fttr  diese  Tage  ausdrücklich  bezeugen,  da  das 
Wort  Argei  neben  den  gedeckten  Festtafeln  (mensae)  und  heili- 
gen Schilden  (ancilia)  der  Salier,  sowie  den  vielleicht  (wie  oft 
andere  derartige  Opferkuchen)  auch  Tier-  oder  Menschengestalt 
nachahmenden  Fladen  (liba)  des  Festes  der  Anna  Perenna  und 
ihren  Verfertigern  (fictores)  als  Einrichtungen  des  Numa  genannt, 
etwas  Substantielles,  einen  Apparat  des  Festes  bezeichnen  muß.^ 
Allein  Sachs  a.  a.  0.  S.  28  bemerkt  dagegen  mit  Recht,  daß  aus 
dem  Fragmente  keinesweges  zu  ersehen  sei,  daß  Ennius  die  auf- 
gezählten Stücke  als  unter  einander  in  Verbindung  stehend 
genannt  habe,  sondern  nur  dieses,  daß  er  sie  sänuq^ch  itir 
Einrichtungen  des  Numa  erklärte.  Dagegen  spricht  der  Ausdruck 
des  Ovid  „itur  ad  Argeos;  qui  sint  sua  pagina  dicd:  hac,  ri 
commemini,  praeteritaque  die^'  (nämlich  März  16.  17.),  entschie- 
den zu  Gunsten  unserer  Auslegung.  Denn  offenbar  sind  hier 
unter  den  Argei  die  V,  62^  und  630  zwar  nicht  benannten,  aber 
deutlich  beschriebenen  simulacra  virorum  scirpea,  straminei  Qui- 
rites,  somit  die  Binsenpuppen  und  nicht  die  gleichnamigen  Kapel- 
len zu  verstehen.  Das  Hinabwerfen  der  ausgedienten  Argeer- 
puppen, der  nunmehrigen  Alten  der  Vegetation^  in  den  Fluß  hat 
seine  nächsten  Analogien  in  der  vorhin  erwähnten  Ausschüttung 
des  alten  Kehrrichts  der  aedes  Vestae,  sowie  ein  andermal  der 
auf  geweihtem  Boden  gewachsenen  Ernte  des  Tarquinius  in  den 
Tiberstrom.  Unrat  und  Ernte,  beides  sollte  vernichtet  werden, 
aber  ihnen  wohnte  zu  sehr  Empfindung  des  Verbundenseins  mit 
dem  Heiligen  bei,  als  daß  dies  auf  profane  Weise  möglich  schien. 
Sie  wurden  deshalb  dem  reinen  Strom  übergeben,  damit  er  sie 
ins  Meer  entillhre.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  man  vielleicht 
schon  im  Ausgange  der  königlichen  Zeit  das  Argeeropfer  in 
gleichem  Sinne  aufgefaßt  habe;  aber  eine  ältere  Stufe  lag  dahinter, 
in  welcher  die  Wassertauche  der  Laub-  oder  Binsenpuppe  noch 


1)  Cf.  Marquardt  Handb.  IV,  S.  202  Anni.  6.  Roper  a.  a.  0.  25:  Itaqne  si 
teste  Ovidio  „hac  praeteritaque  die  itur  ad  Argeoß:**  eosdem  patet  signi- 
ficare  Knnium;  eosdem  vero  Enuii  interpres  Varro  dixit  fieri  e  scirpls  sima- 
lacra  hominam  24,  oaque  quotannis  de  ponte  sublicio  a  sacerdotibiis  deiici 
solere  in  Tiberim. 

2)  Cf.  den  „Alten",  Komdämonen  S.  24ff.  Daher  vielleicht  die  Sage, 
Greise  seien  ehedem  von  der  Brücke  gestürzt  und  an  deren  Stelle  das  Ar- 
geeropfer getreten. 


Adonis.  273 

HegenzaulKr  war.  Damals ,  als  man  die  agrarischen  Beziehungen 
des  Brauches  noch  durehftthlte,  wird  man  denselben  zu  Sa^'tur- 
nus,  dem  Gotte  der  Saaten ,  in  Beziehung  gesetzt  haben;  auch 
diese  Beziehung  erführ  eine  Umdeutung,  indem  man  die  Wasser- 

• 

tauche  der  Binsenmänner  als  Opfer  und  zwar  als  Surrogat  eines 
Menschenopfers  auffaßte  (eine  für  eine  sehr  frühe  vorhistorische 
Periode  der  Wildheit  vielleicht  nicht  unrichtige  [Bk.  364],  für  die 
Zeit  der  römischen  Könige,  in  welcher  ja  die  Puppen  [also  nicht 
in  Laub,  Binsen  u.  s.  w.  gekleidete  Menschen]  in  den  sacella  Ar- 
georum  aufgestellt  wurden,  abzuweisende  Conjectur).  Nunmehr 
dachte  man  an  die  Analogie  des  mit  Menschenopfeni  geehrten 
karthagischen  Kronos  (El)  und  fügte  dem  so  als  Unterweltswesen 
gefaßten  Satumus  den  erst  im  Beginne  der  Republik  eingeführten 
Dispater  ^  als  Mitempfanger  des  Opfers  bei.  liätselhaft  bleibt 
nur  der  Umstand,  daß  auch  beim  Frühlingsfeste  die  Flaminica 
Dialis  im  Traueraufzuge  erschien.  Entweder  hat  Ovids  Vorlage 
irrtümlich  einen  Zug  des  Maifestes  auf  die  Märzfeier  übertragen, 
oder  die  Priesterin  der  Juno  vertrat  bei  letzterer  diejenige  Seite 
des  Festgedankens,  welche  bei  unseren  Lätaregebräuchen  durch 
das  Todaustragen  vor  Einführung  des  Sommers,  beim  Attisfeste 
durch  die  drei  ersten  Trauertage  zum  Ausdruck  gebracht  war. 

§.  3.  Adonis.  Wenn  ich  nunmehr  dazu  übergehe,  die  von 
Phoenikem,  zunächst  wol  denen  auf  Cypern,  entlehnte  Adonisfeier 
der  Griechen*  mit  den  in  §.  1  d.  Kapitels  berührten  Volks- 
gebräuchcn  Nordeuropas  zu  vergleichen,  so  geschieht  dies  selbst- 
verständlich keinesweges  in  der  Meinung,  diesen  wichtigen 
Gegenstand  schon  jetzt  zur  endgiltigen  Lösung  zu  bringen,  bei 
dessen  Erörterung  die  semitische  Altertumswissenschaft  das  ent- 
scheidende Wort  zu  sprechen  hat.  Wol  aber  glaube  ich  v(m  den 
Gesichtspunkten  aus ,  welche  unsere  vorangehenden  Untersuchun- 
gen eröffnen,  auf  mehrere  Tatsachen  aufmerksam  machen  zu 
müssen,    welche  es  verdienen,    beim   Fortgange   der  Forschung 


1)  Preller  R.  M.  474  if.     Marquardt  Handbuch    IV,  S.  51. 

2^  lieber  diesen  Kalturt  vgl.  im  Allgemeinen  W.  H.  Engel  Kypros.  Berl. 
1.S41.  II,  S.  536  — ()43.  Movers  Phoenizier  L  191—253.  H.  Brugsch  Ado- 
nisklage  und  Linoslied.  Berlin  1852.  Baudissin  Studien  zur  sem.  Religions- 
Kcscliichte  I.  LjJZg.  1H76.  J.  M»'ursii  Graeeia  fcrinta  1.  1,  in  Gronov.  Thesaur. 
(Jraec.  anti^iu.  VII,  Lugd.  Bat.  1691),  \^.  706  —  709.  l*reller  Griech.  M.vth.  I,« 
285-289.     Pauly  Realenc.vclopädio  I/^  175-    178. 

Mannhardt.    II.  18 


274     Kapitel  V,   Persönliche  Vcgetationsgeister  in  JahrfestgebrancheiL 

in  den  Kreis  der  Erwägungen  aufgenommen  und  darin  berück- 
sichtigt zu  werden.  Der  neueste  Stand  der  Frage  ist,  so  viel 
mir  bekannt  geworden,  der  folgende.  Aus  den  Nachrichten 
griechischer  Schriftsteller,  welche  z.  T.  bis  ins  siebente  Jahrhun- 
dert V.  Chr.  zurückreichen,  wissen  wir  von  einem  Feste,  bei 
welchem  laute  Todtenklage  um  einen  in  der  Blüte  der  Jugend 
gestorbenen  Heros  oder  Oott  Adonis,  den  Geliebten  der  Aphrodite, 
ertönte,  sodann  dessen  Wiederaufleben  gefeiert  wurde.  Die 
schon  durch  den  phönikischen  Namen  Adon,  d.  i.  Herr,  bewährte 
semitische  Herkunft  dieses  Kultus  ist  den  Alten  stäts  im  Bewußt- 
sein geblieben  und  in  genealogischen  Mythen  ausgesprochen.^ 
Noch  Cicero  weiß,  daß  die  dem  Adonis  vermählte  Venus  die 
lyrisch -syrische  Astarte  sei.*  Erst  durch  Strabo  (L.  XVI,  c.  2. 
§.  18.  C.  755)  lernen  wir  Byblos  als  einen  Hanptsitz  der  Feier 
in  Phoenikien  selbst  kennen  und  der  Verfasser  der  angeblich 
Lucianischen  Schrift  über  die  syrische  Göttin  giebt  uns  von  der 
bereits  mit  Ideen  und  Gebräuchen  des  ägyptischen  Osirisknltos 
verschmolzenen  Begehung  daselbst  eine  eingehendere  Beschreibung. 
Da  aber  das  Wort  Adon,  Herr,  in  den  uns  bekannt  gewordenen 
phoenikischen  Inschriften  ein  ehrendes  Epitheton  mehrerer,  ver- 
schiedener Götter  ist,  liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  die  Griechen 
die  Benennung  des  Gottes  nicht  einem  einheimisch  semitischen 
Eigennamen  desselben ,  sondern  den  Anrufungen  des  Kefrains  des 
Klageliedes  „Adonai,"  d.  i.  mein  Herr!  entlehnten.^  Mit  ziem- 
licher Gewißheit  darf  man  behaupten^  daß  die  aus  Babylonien 
nach  Jerusalem  verpflanzte  Klage  um  Taynmuz  (Ezechiel  8,  14), 
nach  welcher  der  Monat  bei  den  Chaldäem,  und  in  nachexili- 
scher  Zeit  bei  den  Juden  Tammuz,  bei  Syrern  Tomnz  genannt 
wurde,*  der  Adouisfeier  verwandt  war,  ob  genauer  entsprechend 
ist  nicht  auszumachen.  Doch  zeugt  daftlr  allerdings  die  Ent- 
deckung der  neueren  Assyrologie,   deren  Correctheit  zu   prüfen 


1)  Vgl.  Baudissin  Studien  S.  299  fF. 

2)  Cicero  nat.  deor.  III,  23.  Quarte  (Venus)  Syria  Tyroque  concq^ts^ 
quao  Astarte  vocatur,  quam  Adonidi  nupsisse  proditum  est. 

3)  Brugsch  Adonisklago  8.  19.    Baudissin  a.  a.  0. 

4)  Ideler  Chronologie  der  alten  Völker  S.  430.  509.  Delitzsch  bei  Bau- 
dissin a.  a.  0.  S.  35.  301.  Oppert.  Schradcr  Jahrb.  f.  protest.  Thool.  1. 1875. 
8. 128.  Lenormant  Anfänge  der  Cultur  II,  50 IF.  71.  Dcrs.  La  langiie  primi- 
tive de  la  Chaldeo  370.  431. 


AdoniA.  275 

nicht  in  meinen  Kräften  steht,  daß  dem  hebräischen  Monatsnamen 
Tammnz  der  assyrisch -akkadische  vierte  Monat  (Juni,  Juli)  Duzfi 
oder  in   anderer  Aussprache  Duvzi,   Dumuzi,    Sohn  des  Lebens, 
d.  h.  Sprößling  entspreche.    In  den  epischen  Gesängen,  welche 
Sardanapai  nach  Lenormant   aus   altchaldäischen  Originalen  des 
17.  Jahrhunderts  v.  Chr.  abschreiben  ließ,  ist  Duzi,  der  Sohn  des 
Lebens,  der  Gegenstand  der  Leidenschaft  der  Istar  (der  phoeni- 
kischen  Astarte)  gestorben;  Istar  geht  in  das  Todtenrelch,  um  für 
ihn  die  himmlischen  Wasser  des  Lebens  zu  holen ,  und  wird  dort 
festgehalten.     Da  bespringt  nicht  mehr  der  Stier  die  Kuh,    der 
Esel  die  Eselin,  die  Zeugung  unter  den  Menschen  hört  auf.    Die 
Gfitter  l)efehlen  Istars  Befreiung;  sie  steigt  wieder  durch  die  Pfor- 
ten der  sieben  Sphären  des  Landes  ohne  Heimkehr  empor,   ihre 
abgelegten  Kleidungsstücke   wieder  an  sich   nehmend,    empfängt 
aber  zuvor  im  Pabiste   des  Geistes  der  Erde  das  Lebenswasser, 
um  es  auf  den  Sohn  des  I^bens ,   den  jungen  Mann ,   ihre  glü- 
hende Leidenschaft,  zu  sprengen,   und  zwar,   wie  es  nach  den 
Schlußzeilen  des  Liedes  von    der  Höllenfahrt   der   Istar   scheint, 
bei  dem  großen  Trauerfeste ,  das  Männer  und  Weiber  mit  vielen 
Trähnen  am  Sarge  des  Duzi  begehen.      Ein  anderer  Text  stellt 
den  Sohn  des  Lebens  selbst  zu  den  Wohnsitzen  der  Todten  hin- 
absteigend,   ein  dritter,    der   ihn  mit  der  Sonne  vergleicht,   sein 
Vcrhältniß   zu   Istar  nicht  als  das   des  Gatten    oder  Bräutigams, 
sondern   als  das   des  Sohnes  dar.     Das  Epos   von  Izdubar   läßt 
diesen  Gott  oder  Helden  die  vom  Sohne  des  Lebens  zurückgelas- 
sene Witbve  Istar  freien.  ^    Wenn  die  Uebersetzung  dieser  Stücke 
bereits  Verläßlichkeit  besitzt,   ist  es  einleuchtend,    daß  die   mit- 
geteilte   Erzählung    größtenteils    eine    ätiologische    Mythe,    eine 
historische  Erklärung  der  Klagefeicr  war,  bei  deren  Schluß  über 
eine  Bahre   oder  eine   den   ,,götUichcn  Sprößling  ^^   bezeichnende 
Gestalt    Wasser   ausgegossen   wurde,    vofi   dem   man  ein 
Wiederaufleben  crwaHete.     Diese  Feier,  welche  nach  Ausweis  des 
Monatsnamens  zur  Zeit  der  Sommersonnemvende  ^  stattfand,  muß 

1)  Lenormant  die  Anfänfro  der  Cultur  IL  58.  6«.  (38  ff.  70  —  73. 

2)  Nach  einem  von  Mos.  Maimonidos  bewahrton  Fragmente  des  Buelics 
,,die  nabatäischc  Landwirtschaft"  war  d(T  Schau phitz  der  Tammiizlclai^o  zu 
Babylon  das  Innere  eines  Tim])els  mit  einer  pfroßon  BildHänle,  welche  die 
Sonne  darHtcUte.  Aber  dieses  Ihicli  ist  von  selir  zweifelhaftiT  Eclitheit. 
Lcuonnant  a.  a.  0.  72. 

18* 


276      Kapitel  Y.   Persönliche  Vogetationsgeister  in  Jahrfestgebräachenu 

aber,  da  die  Benennnng  der  handelnden  Personen  (Istar,  DuTzi) 
sich  nur  aus  der  akkadischen  Sprache  erklärt,  bereits  in  der  fer- 
nen, den  Chaldäem  voraufgehenden  Kulturepoche  anter  den 
Akkader  genannten  tnranischen  Ureinwohnern  Babylons  entstan- 
den und  von  diesen  auf  ihre  semitischen  Nachfolger  vererbt  and 
später  durch  die  assyrischen  und  babylonischen  Eroberungszüge 
nach  Palästina  weiterverbreitet  sein.  Istar  ward  bald  als  Gk>ttheit 
des  Mondes,  bald  als  Gottheit  des  Planeten  Venus  gedeutet,  sie 
galt  aber  auch  als  Urheberin  der  Fruchtbarkeit,  und  nur  in  die- 
ser göttlichen  Eigenschaft  spielt  sie  nach  einer  richtigen  Bemer- 
kung Baudissins  ^  in  Brauch  und  Mythus  der  Duvzifeier  eine 
Rolle.  Ueber  die  Bedeutung  des  „göttlichen  Sprößlings'^ 
scheint  nichts  überliefert,  sie  ist  lediglich  aus  dem  Kultas  zu 
erschließen. 

Der  akkadisch- babylonische  Ursprung  der  palästinensischen 
Tammuztrauer  schließt  nicht  aus ,  daß  in  der  Adonisklage  schon 
seit  alters  ein  ganz  analoger  Typus  bei  den  Semiten  Vorderasiens 
selbständig  bestand.  *    Ob  also  das  Yerhältniß  der  letzteren  Feier 
zur  ersteren   ein  töchterliches  oder  schwesterliches,    oder  noch 
anderer  Natur   war,    bleibt    vor  der  Hand    eine   offene    Frage; 
jedesfalls   bezeugen   die    überlieferten   Bräuche  in  hohem  Grade 
Verwandtschaft   der   Art.      Frauen    in    Trauergewändem    ließen 
einen  oder  mehrere  Tage  hindurch,    die  Brust  schlagend,   herz- 
zerreißende Klagerufe  und  Klagelieder  ertönen.    Die  Klage  galt, 
wie  man  sagte,  dem  Tode  eines  schönen  Jünglings,   des  Gelieb- 
ten der  Aphrodite   (d.  i.  der  phönikischen  Astarte   oder  Baaltis)^ 
den  in  der  Blüte   des  Lebens  der  Eber  des  Ares  getödtet.      Zu 
den  Todten  hinabgestiegen,   gewann  er  auch  hier  in  so  hohem 
Grade   die  Liebe   der  Persephone,    daß  sie   ihn  nicht  fortlassen 
wollte,  und  nur  mit  Schmerz  auf  der  Götter  Gebot  darin  willigte, 
daß  er  je  alljährlich  auf  sechs  Monate  ^  (später  hieß  es  zwei  Drit- 
tel des  Jahres  *)  zur  liebenden  Aphrodite  an  das  Licht  der  Sonne 


1)  Baudissin  S.  33. 

2)  Vgl.  Engel  a.  a.  0.  623  ff. 

3)  Schol.  Theokr.  III,  48.  Lucian  Göttergespr.  11.  Hygln.  poot 
astron.  II,  7. 

4)  Die  Mythe  bei  Fanyasis  (vgl.  Engel  a.  a.  0.  570)  halte  ich  nicht  für 
eine  Mysteriensage,  sondern  für  eine  wahrscheinlich  durch  die  athenische 
Erichthoniossage  beeinflußte  Sproßform  des  gewöhnlichen  Adonismythoa. 


Adonis.  277 

wieder  emporsteige.  Das  Verhaltniß  der  Göttin  zu  dem  Gelieb- 
ten ist  dabei  stäts  als  ein  edles,  bräutlicbes  oder  als  das  ehrba- 
rer Gattenliebe  gedaeht^  Dieser  Mythus  nun  war  nicht  etwa 
der  Ursprung  der  Bräuehe,  sondern  umgekehrt  die  Umsetzung 
der  Festhandlungen  und  ihres  ideellen  Inhalts  in  eine  Hegeben- 
heit. Zu  Grunde  lag  die  Vorstellung,  daß  Jahr  um  Jahr  im 
Frühling  ein  göttliches  jugendschrmes  Wesen ,  sei  es  die  Personi- 
fication  3er  im  Keimen,  Wachsen  und  Keifen  der  Tflanzen  sieh 
vollendenden  Frühlings-  und  Sommerzeit,  sei  es  die  personifizierte 
Wachstumskraft  der  Natur  zur  Aphrodite-Astarte  zu  bräutliehem 
Liebesleben  emporsteige,  im  heißen  Hochsommer  oder  Herbste 
aber  ins  Schattenreich,  in  die  unsichtbare  Welt  dahinscheide,  um 
im  nächsten  Lenze  wieder  zu  erscheinen.  Diesen  Gedanken 
stellten  die  Festgebräuche  in  verschiedener  Weise  dar,  jenach- 
dem  die  Feier  in  den  Frühling,  oder  in  den  Hochsommer  fiel. 
Entweder  nämlich  ging  der  Trauertag  voraus  und  die  Verherr- 
lichung des  Wiederauflebens  des  Adonis  folgte,  oder  man  stellte 
zuerst  das  bräutliche  Zusammenleben  des  Gottes  mit  Aphrodite 
dar,  und  danach  sein  Scheiden,  aber  nicht  ohne  die  Bitte  um 
gnädige  Wiederkehr  im  nächsten  Jahre.  Von  ersterer  Form 
bietet  Byblos  ein  Beispiel.  Da  hier  die  Begehung  in  den  Früh- 
ling fiel  (Febr.  —  März  ^) ,  stellte  man  zuerst  das  Bild  des  Adonis  in 
Gestalt  eines  Todten  aus,  welcher  unter  den  Klageliedern,  Träh- 
nen  und  Janmierrufen  der  au  ihre  Brust  schlagenden  Weiber  mit 
Todtenopfem  vermutlich  zu  Grabe  gel)racht  wurde.  Am  Tage 
darauf  aber  holte  man  ihn  jubehid  wieder  her\^or  und  sagte,  er 
sei  auferstanden.  •*  Die  zweite  Weise  der  Feier  lehrt  Alexandria 
kennen,  wo  nach  Ausweis  der  um  die  Bahre  gehäuften  soeben 
gereiften  Früchte  die  Begehung  in  den  Spätsonmier  gefallen  sein 
muß.  *  Theokrit  beschreibt  Id.  XV  die  glänzende  Feier,  welche 
Ptolemaeus  Philadelphus  und  seine  Gemahlm  Arsinoe  (wahr- 
scheinlich 277  V.  Chr.)  nach  kyprischem  Vorbilde  in  ihrer  Hof- 
burg anstellten.     Auf  purpurnem  Polster  ruhte  Adonis,  das  Bild 

1)  Engel  a.  a.  0.  573.  601  ff. 

2)  Die  Beweise  liefert  Baudissiii  a.  a.  0.  S.  29S  Anm.  3. 

3)  Lucian  de  dea  Syria  6:  f/jfnr  c^^  nnoTvilnnvinC  Tf  xtä  änoxXctv- 
atonat ,  nQdnrt  fih'  xajay(C.ovai  tw  lii^tarnh  oxm^  fotfjt  v^xvi ,  fit  tu  dt  ifl 
li^Qfj  'A"^('t/  itin:iv  i^  (Ätv  fivdoXoy^oroi  xm  ti  rov  ^i^QU  n^/nnovaiv. 

4)  Vgl.  Engel  a.  a.  0.  547. 


278      Kapitel  Y.    Porsönliche  Vcgetatiunsgcister  in  Jabrfestgebraudioii. 

ehies  Achtzehnjährigen  in  schönster  Jugendflüle,  neben  ihm  war 
auf  gleiche  Weise  Aphrodite  gebettet.  Neben  ihnen  und  rings 
umher  standen  oder  lagen  Früchte  jeder  Art  und  Adonis^urtchen, 
in  silbernen  Körben^  Kuchen  aus  Mehl,  Honig  und  Oel,  allerlei 
(gebackene?)  Tiere,  fliegende  und  kriechende.  At^ch  grüne 
Laubdächer  waren  errichtet y  mit  zartem  Dille  belastet,  über 
welche  Eroten  hinflatterten,  wie  junge  Nachtigallen,  die  von  Zweig 
zu  Zweig  hüpfend  den  ersten  Flug  versuchen.  Und  nun  alles 
das  Ebenholz,  Gold  und  die  beiden  elfenbememen  Adler,  den 
Ganymed  emportragend!  Eine  Sängerin  trug  Aphroditens  Lob 
vor,  wie  ihr  die  Hören  nach  Jahresfrist  den  Adonis  aus  dem 
Acheron  zurückgeführt  hätten.  Heute,  so  schloß  die  Sängerin, 
möge  Aphrodite  des  Adonis  sich  erfreuen,  morgen  mit  dem  Früh- 
rot wollen  wir  Weiber  ihn  ins  Meer  tragen ,  mit  aufgelösten  Haa- 
ren, das  Gewand  zerreißend,  die  Brust  entblößend,  und  lauten 
Gesang  erhebend:  „Sei  uns  gnädig,  lieber  Adonis,  jetzt  und  im 
künftigen  Jahre!  Freundlich  kamst  du,  und  freundlich  komme, 
wann  du  wiederkehrst."  Und  auch  das  zuschauende  Volk  singt: 
„Gehab'  dich  wol,  geliebter  Adonis,  und  zu  Glücklichen  komme 
zurück!"*  Nach  einer  Notiz  in  dem  Argumentum  des  Theokri- 
tischen Idylls  scheint  man  übrigens  nicht  bloß  in  der  Königs- 
halle, sondern  an  mehreren  Orten  der  Stadt  Adonisbildcr  ausge- 
stellt zu  haben,  welche  jedesmal  die  vornehmsten  Frauen  ins 
Meer  trugen.^  Doch  ließe  sich  die  Angabe  auch  wol  anders 
fassen  und  Ihre  Glaubwürdigkeit  ist  zweifelhaft.  Sicher  aber  fand 
in  Athen  an  verschiedenen  Stellen  die  Ausstellung  (yM&eÖQa)  *  von 


1)  Tlieokr.  Id.  XV,  v.  112:  7T(\q  /uiv  ot  (Öqkc  xttrcii ,  oaa  d{tvog  iixQC 
fftnoiTi  ,  7?«//  (V  (i7i((Xo)  y.anoi ,  n^f^rXityniroi  h'  nOxwiaxotg  aoyv{tioii 
Dazu  bemerkt  der  »Scholiast:  Tidria  tfria)  ja  axoo^Qva  nuQKiiiitviKi  tä 
Adm'iöi ,  «77 o  Timiolag  tSing  onajorn'. 

2)  V.  lo2:  LiibO^fv  <r  äutufg  ivr  lifAic  ifnoaot  icd^QOta  ?|w  oiad^ufg  ttoti 
xvum'  (n'  uiovi  Tniorrn.  V.  143:  XlaO^i  vi^v,  (f(V'^^ü)ri,  xai  (g  v(vn  H" 
^vut]a(ug.     x(d   vir  ^vi^tg.  yithori ,  x((t  oxx'  iafi'xij,  ^().og  fj^fig.    V.  149:   X«/V* 

IVcfwr    «;'«7i«r^,    x(a  ^g  /c({oorT((g  (ctfixnv.     Vgl.  Scbol.  zu  v.  132:     ^.it    ytto 
liiv  iH'daoaav  fx^ttyoi^jHg  xov  yidontr  t^tttitrov  tn'  arrtji'. 

3)  "/iV>of  ;«()  fi/oi'  ol  ii'!Alt^aviS()iiit  ir  roig  jiSorviotg  xttXov^^ioig,  loQrr, 
^t  i]v  V7i^(i  Tov  Id^tüvtöog  Ttlovfji^vriy  xoajuftv  ttöotXit  roO  \4^wri6og  xtu 
/utTu  libv  int()t/üva(oi'  Inl  ji^r  i^uluaaav  xofifitiv. 

4)  Hesycb. :     xai^^doa.     i}vaia  Mm'idog, 


Adonis.  279 

Todtenbildem  statt  und  die  Weiber  auf  den  Dächern  klagten, 
weinten ,  sangen  Trauerlieder  und  schlugen  sich  an  die  Brust.  ^ 
In  Athen  treffen  wir  auch  die  Adonisgärten  (tl^hoi  '^ddvidog) 
wieder  an,  erdgefUllte  Körbe  oder  Töpfe  mit  allerlei  zarten 
Pflanzen  (Blumen,  Getreide,  Fenchel  und  Lattich),  welche  durch 
Sonnenwärme  in  acht  Tagen  künstlich  getrieben  waren  und 
darum  kraftlos  und  hinfällig  auffallend  schnell  verwelkten ,  ^  so 
daB  der  Name  Adonisgärten  sprichwörtlich  wurde,  um  damit, 
wie  wir  von  Treibhauspflanzen  im  Gegensatz  zum  Naturwüchsigen 
reden,  schnell  Entsprossenes,  aber  nicht  zur  Reife  Gediehenes  aus- 
zudrücken. ^  Diese  Gärtchen  standen  neben  der  Bahre  des  Ado- 
nis und  wurden  daher  als  htizdq)ioL  bezeichnet ,  oder  in  dem 
Vorhof,  vor  der  Türe  der  Tempel,  wenigstens  im  Orient*,  wo 
auch  im  Walde  (?)  abgehauene  Bäume  zu  Ehren  des  Adonis  in 


1)  Flutaroh.  Alcibiad.  18:  ElSiaXa  nolXaxov  rexQoTg  (xxofit^ofxivoig 
BfAoitt  n^oVxettto  rnig  ywai^l^  x(tl  raifccg  i/ui/noHnro  xoTitoutvm  xal  d^Qtjvovg 
y6ov.  Plut.  Nicias  73:  jldioviu  yäo  i]yov  al  ym'aixig  notf,  xni  JiQoVxfiro 
noXXa^oO^t  Tfjg  Ttolfoig  fT^toXct  xal  xtafoi  Tifol  «iV«  x«)  xontjol  ym'ttixdry 
fjaav.  Vgl.  Aristoph.  Lysistr.  389  ff.:  *0  r'  lidtovtnafiog  ovrog  ov  'nl  rwv 
Tty&v;  —  ij  yin'i]  d'  öo/ovf4.^vr]  al  itt  !l4Ja)riv  (f-ija^v  —  ^  vnont7i(oxvVy  ^ 
ywii  ^7il  Toö  j^yovg  xonrtoif'  *M(oviv,  (f.r\olv, 

2)  Eudocia  1:  ^t(xrjv  jidan'tSog  xt'jTiov  narrodaTJoTg  ävx^iatv  tvto- 
^fai  ßgvovTtg.  Scbol.  Tbeocr.  Id.  XV,  v.  112:  Liatihnai  yä()  iv  roTg  utöia- 
v(oigj  nv()ovg  xttl  x{)ix)^ccg  anfiQftv  fv  riai  n^onffThCmg  (?),  xnl  jovg  (fv- 
Ttvi^ivrag  xjqnovg  ji^on'(ovg  7inog((yo()fVfir.  Simplic.  iu  Aristot.  Phys.  V,  403 
Bekk. :  Kai  aTrog  (fiä  S^^ourjv  la/v  (frfiai  xa)  aV^ftai  h'  roTg  l4S(ovi6og 
xaXoi'u^t'Otg  xrJTioig,  tiqo  tov  ^iCtjO^fjrai  xa)  TTiXrjf^fjrai  h'  t^  yfj.  Suid. : 
Id^tin'i^og  xfjTioi  fx  ^Qt^dxtav  xal  fiaQdihQon',  änfQ  xai^anfiQov  fv  düTQUXotg. 
Julian.  Caesar,  c.  XXIV,  I.  p.  329  Spanh.:  xal  6  2!fiXi]r6g:  dXX'  ij  lovg  Mio- 
vtSog  xrjnovg  wg  *(>;'«  »?,«n',  w  Kiovaiavrivty  laiioO  7iQoaq({iftgy  al  yvj'aTxtg 
T^»  Tfjg  ji(f()o^(Trjg  dr^Ql  (fvtivovair  daT{)axioig  ^TiajUTjafe/mvai  yfjv  Xa/av(av. 
XXcjQfjaavra  J^  rarra  ngog  oXiyov  ^  aii(xa  d7iofAa{ia(vtTai.  Platon.  Phaedr. 
C.  61:  *0  %'oVv  fj^otr  ysto^yög ,  ojr  GnfQudnov  xi^(fotTo  xal  iyxaQna  ßovXoiro 
yfV^af^at ,  TTÖTfQa  dv  O^Qovg  flg  'AdtaviSog  x/jnovg  aQUh'  ^afgoi  ^fa>()ä>]'  xa- 
Xovg  iv  ^fi^Qaiaiv  öxtm  ytyvou^vovg ;  fj  rreür«  /n^v  örj  naiSiäg  T€  xal  ioQiijg 
X^Q*y  <^('wj/  äVy  ort  xal  noioT. 

3)  Vgl.  A.  Boeckh  in  Humboldts  Kosmos  V,  131. 

4)  Pbüostr.  Vit.  Apoll.  VII,  14:  ij  St  avXij  dv^^tav  ijiti^f'iXti 
x^noig,  ovg  !A6(üvtSog  !AaavQtoi  jioioüvrai  ujiIq  ÖQy((ov  dfAfOQoipCotg  aurovg 
tfVTtvovTcg. 


280      Kapitel  V.    Persöulicho  Vcgctationsgcistor  in  JahrfcstgebrftucheD. 

den  Boden  aufgepflanzt  zu  sein  scheinen.  ^  Adonisbild  and  Ado- 
nisgarten  trug  man  dann  mit  einander  zum  Orte  hinaus  und  warf 
sie  beide  ins  Meer  oder  in  einen  Quell.  ^  Die  Pflanzen  des 
Adonisgartens  waren  ein  zweiter  Ausdruck  für 
Adonis  selbst;^  das  Idol  und  die  Kräuter  gehörten 
zusammen  wie  Bild  und  Unterschrift,  oder  besser 
wie  zwei  Hälften,  in  die  der  sichtliche  Ausdruck  des 
einen  Begriffes  Numen  der  Vegetation  zerfiel.  Die 
menschenähnliche  Puppe  zeigte  den  Gott  oder  Dämon 
als  anthropopathisch,  die  danebengestellte  Pflanzung 
und  Fruchtfülle  zeigte  denselben  seinem  Wesen  nach 
als  Seele  oder  Beseeler  der  Pflanzenwelt  an.  Im  Frtthlinge 
kam  Adonis,  von  den  Hören  geleitet;  in  den  Frühlingsblumen 
stieg  er  aus  der  Unterwelt  empor.  Deshalb  heißt  es,  daß  das 
Kind  des  Lenzes,  die  Anemone,  aus  seinem  Blute  entsjyrossen  sei ; 
dies  will  sagen,  daß  seine  Seele,  sein  Leben  in  ihr  wieder  zum 
Vorschein  komme  (vgl.  Bk.  40).  In  den  Kräutern,  Nährpflan- 
zen, Früchten  des  Sommers  führt  er  sein  Leben  weiter;  mit 
ihnen  stirbt  er  im  Hochsommer,  wann  die  Glut  der  Sonne  die 
Pflanzenwelt  verdorren  macht,  die  Sichel  des  Schnitters  und  die 


1)  Hesych. :  Lioict:  d'^rd'ti«  xonTÖutva  x€tk  urfCTtt^tju^rtt  ttj  jiifoodiit^, 
(hg  iaioQii  A(caa(crd\>og,  TiQog  rctig  figodoig.  Nach  dem  Etymol.  MagD.  v. 
L4(Jiog  war  l-/(p  auf  Cypern  Beiname  des  Adonis. 

2)  Hesych:  Li(hi}rtih)g  xtjTToi:  h'  roig  Adtorioig  f-T(^o}X(c  f^uyorair 
xal  xi^novg  ^ji^  ttaifidxorv  xoX  TKcvTtuhcirijV  ononmv,  otor  ix  ^€t{idif{Hov  xni 
i^QnSdxaiv  naoaaxtrdCovaiv  (tirrtp  jorg  xrjnovg.  x«i  y(\(f  fr  i^nidnxiroig 
xaTuxli  v'^rjvni  vtto  ^c/ooJ'/'r»;^  (fccatv.  Enstath.  ad  Honi.  Od.  11  S.  451*: 
xfjnot  ycio  AÖMVu^og  (fVTtcoia  T(c/v  urtcrdXXovzai  tau}  /tTQitg  ^  €l(io{/or  xai 
okiog  xoffCvov  Tivog,  x(u  ^i in nutvu  xuitt  i^uXdaarig  xnt  afficriCoutra  xuif 
o  tiviüTrjtn  rivci  toO  xarä  tov  (bxvftooov  ^ji^otrir  //«r«ror,  ng  ihu'^^ang  i'torrj- 
aiov  Tfif/L'  (cnipTrjaf  xnTctßkTjff^itg  ina  y^(}fb}g  xarit  tov  uC'iov  yvvnixfg  tU  Toig 
ToioiTovg  TTi^iXovaai ,  xi'inovg  looCow  ^  n  iTaifCovg  lAöutviSog.  Zen*jb. 
Paroem.  Cent.  I,  41):  Ftrovrai  iVf:  orroi  ot  xfjnoi  rot-  l-li^atyi^og  tig  ityyfia 
xfQUfitiK  anti()üfttvot  ü^qi  /Aoi;?  fionig.  ixf^^QovTai  iVt  aijui  t^  /.t  vrcjm 
t>€0  xai   (5//r TOt'iT«/   ttg  X{)r)vag. 

3)  Das  BewuHtseiii  davon  spricht  sich  auch  in  der  Fabel  aus,  der  Lat- 
tich werde  deshalb  in  die  Adonis^ärten  gosät.  weil  Aphrodite  den  verwun«lo- 
ten  Geliebten  in  Lattich  niedor«rolcgt,  vcrbor^ani  habe.  iS.  Hesych.  o.  S.  2^0 
Anm.  2.  Wol  erst  in  Fol;jre  dor  Anwenduni^j  des  Lattichs  bei  den  als  ijnrti- 
(f'ioi  gebrauchten  Adonisgärtchcn  kam  diese  Pflanze  in  den  Ruf,  die  Zeu- 
gungskraft zu  benehmen. 


AdoDis.  281 

Hippe  des  Winzers  die  Früchte  dahinrafft.  Es  war  daher  eine 
zwar  einseitige  und  allzuenge,  aber  der  Wahrheit  einigermaßen 
nahekommende  Schlußfolgerung  aus  der  noch  vollständiger  vorlie- 
genden Gesammtheit  der  Gebräuche  und  Mythen  des  Kultus, 
wenn  die  Gelehrsamkeit  des  späteren  Altertums  selbst  bald  den 
Adonis  als  ein  Bild  der  reif  gewordenen  Frucht ,  seinen  Tod  als 
dfis  Mähen  der  gereiften  FrucM  oder  das  Hinabsteigen  des 
Samens  in  die  Erde  ausdeutete ,  ^  während  andere  Physiologen 
ihn  als  Personification  des  Maimonats  nehmen  wollten,  welchem 
Aphrodite,  der  Frühling  oder  April,  von  dem  Winter  oder  Ares 
abgewendet,  sich  zuneige,*  noch  andere  gar  als  die  Sonne, 
deren  Abnahme  und  Zunahme  in  seinem  Mythus  dargestellt  sei.  ^ 
Es  gab  verwandte  Vorstellungen,  welche  sich  auf  ein  enge- 
res Gebiet  einschränkten.  Längst  hat  man  erkannt ,  daß  das  von 
den  Griechen  aus  Phoenikien  und  Cypern  übernommene,  nach 
dem  Klageruf:  ai  leuu!  wehe  uns!  gräzisiert  aihvov!  benannte 
Linodied  dem  Adoniasmos  nahe  verwandt  war.  *  In  dem  älte- 
sten Zeugniß  für  den  Brauch  wird  uns  ein  noch  fruchtschwerer 
Weingarten  vor  Augen  geführt,  von  dem  der  Zug  der  Winzer 
und  Winzerinnen  die  (ersten)  abgeschnittenen  Trauben  zur  Kelter 
trägt  Inmitten  geht  ein  Kitharist,  der  zur  Leier  den  schönen 
Linos  besingt,  die  andern  aber  folgen  ihm  singend,  hüpfend  und 
juchzeml  (ivyfKp.  Vgl.  o.  S.  256).''  Das  Linoslied  kehrt  an  dem 
argivischen  Enitefest  im  Anieios  wieder.  Die  ätiologische  Le- 
gende, daß  Linos  ein  schöner,  jugendlicher  Sänger  gewesen  sei. 


1)  Etyni.  Magn.  M(o,  "AStavig  xvntog'  Svvttxai  yaQ  6  xtconog  tivni, 
olov  .Athovn^og  )^(C()7i6g,  ün^axor.  Aniinlau.  Marceil  XIX,  1:  mau  sehe  die 
Vorehreriinien  der  Venus  weinen  an  d«T  heiligen  Adonisfeier  ,,quod  simula- 
crum  frugum  adulüirum  regiones  mysticae  docent."  (Jemens  Alexandr.  Hom. 
6,  11:  Inußih'ot'ai  J*  xa)  yfJon'iv  ffg  oumfovg  xiumovg.  Euseb.  praep.  evang. 
III,  4:  o  ()7  '^Jiovig  ro  tmv  Ttlftinr  xannibr  fxTouijg  av/j/foXor.  Schol. 
Tbcücr.  III,  48:  oyltfaing,  ijym'v  n  anog  6  a^rtnytut-vog,  ?^*  urjvag  h>  r^  yfj 
TTOiti  iinu  Tfjg  anotidg,  xttt  i'if  uijyag  ^/hi  uitov  q  L-itfiiodfitj,  t)  tvx(}(caia  toO 
€C^Qog'  xrci  ix  loit  Xnaßdrovaiv  raVor  ol  ävxhQOinoi  Cf.  Hicronym.  ad 
Ezccb.  VIII,  4. 

2)  Job.  LydiLs  de  niensibus  IV,  44. 

3)  Macrob.  Saturn.   I,  21. 

4)  Movers  Pboon.  I,  244.  245.  Brugscli  Adonlskl.  IG  IT.  Prcllcr  Gr. 
Mytb.  I.  »  377  ff.     Baudissin  Studien  302  ff. 

5)  Hom.  11.  XVI II,  561  ff. 


282      Kapitel  V.    Persönliche  Vegetationsgoister  in  Jahrfcstgebiänchen. 

'  den  Hunde  zerrissen  oder  Apollo  tödtete,  läßt  darauf  schliefien, 
daB  man  im  Linosgesang  den  allzufrtiken  Tod  eines  schönen 
Jünglings  beklagte;  er  ynrd  namenlos  gewesen  sein  und  das  Nomen, 
den  Dämon  des  Weinwuchses ,  resp.  der  Feldirttchte  bedeutet 
haben,  der  in  der  Ernte  stirbt.  Dies  folgere  ich  aus  mehreren 
Analogien.  Zunächst  vergleiche  man  den  ägyptischen  Brauch, 
den  Diodor.  Sic.  I,  14  beschreibt:  Isis  habe  den  Anbau  des 
Weizens  und  der  Gerste  erfunden.  eVt  yaQ  xal  vvv  xctvä  %q9 
^eqiafiov  xovg  nQWTOvg  dftirj'^ivtag  ata%vg  ^irrag  rovg  av^ 
d-^Ttovg  xoTtread'ai  nkrjaiov  %ov  dgayiAazog  tuxI  t^  ^Iolv 
avaKaleia&aLy  xal  tovto  TrQarreiv  aftoviftovTag  ti^rjv  %y  x^eqf  twp 
evQrjuhojv  naza  %ov  i^  ofx^g  %rjg  evQeaewg  naiQov.  Offenbar  ist 
hier  derselbe  Klagegesang  gemeint,  von  welchem  Xenopbanes 
von  Kolophon  in  seiner  Apostrophe  an  die  Aegypter  redete: 
äklwg  öi  yeloiiov  äfxa  ^Qrjvovvtag  Biixeod-ai  tovg  xaqnovg 
TtaXtv  dvaq>aiv€tv  xai  tekeioCv  kavTOvgy  OTtwg  ndXiv  onfo- 
XiaTuavrai  %al  &^äycai.  Plut  Is-  e.  Osir.  c.  70  p.  124  Parthey. 
Der  beschriebene  Emtebrauch  hatte  keinen  Smn,  wenn  die  Klage 
nicht  ursprünglich  einem  persönlichen  Wesen  gaU,  desseti  Tod 
durch  die  Sicliel  man  beiveinte ,  dessen  fröhliches  WiederaufltAen 
aber  gleichzeitig  als  Hoffnung  jubelnd  ausgesprochen  wurde. 
Diese  Beziehung  mochte  zu  Diodors  Zeit  bereits  stark  verdunkelt 
sein,  und  man  rief  jetzt  die  Isis  als  Geberin  der  Fruchtbarkeit 
an,  im  nächsten  Jahr  neue  Früchte  zu  schaffen.  Dies  deutet 
gleich  darauf  (c  71)  Plutarch  an:  -^Qrjvovac  ^ev  zovg  yutqnovg, 
evxovrai  di  zolg  ahiotg  xai  doTxjqoi  Oeolg,  ereQovg  naJuv  viovg 
noielv  xai  dvacpveiv  dvzi  tüv  d7roU.vf.i€V(ov,  Den  von  der  Sichel 
getödteten  Getreidedämon  zeigt  aber  wol  erhalten,  in  der  Fülle 
aller  feinsten  und  kleinsten  Züge  —  wie  ich  demnächst  ausflihr- 
lieber,  als  es  „Korndämonen  S.  34"  geschehen  konnte,  darlegen 
werde  —  unserem  Älfm  (Komdäm.  24)  entsprechend  der  phry- 
gische  Emtebrauch,  dessen  Schnitterlied  gradeso  wie  der  Linos- 
gesang den  Personennamen  fUr  eine  ätiologische  Fabel  her- 
gegeben hat. 

Betrachten  wir  in  dem  Lichte  der  gewonnenen  Ergebnisse 
wieder  die  Adonienbräuche  selbst,  so  ist  klar,  daß  in  der  Früh- 
lingsfeier, wo  eine  solche  stattfand,  wie  in  Byblos,  der  zweite 
Teil,  die  Darstellung  des  Wiederauflebens  die  Hauptsache  war. 
Der  Naturvorgang  j  welchen  die  erste  Festlwlfte  im  Spiegel  eines 


Adonis.  283 

götÜidicn  Lcbcfis  verbildlichte,  war  schon  im  HucJisammer  des  vcr- 
gangenen  Jahres  gescheiten,  aber  der  KuUu^  mußte  auch  ihn 
darstellen ,  um  das  Aufleben  des  Adonis  eben  als  Wiederaufer ste- 
hen aus  dem  Tode  zur  Anschauung  zu  bringen.  Die  Sommer- 
feste dagegen,  wie  z.  B.  in  Alexandria,  vergegenwärtigten  das 
Schicksal  des  Person  gewordenen  Blütenlebens  im  laufenden 
Jahre  und  stellten  demgemäß  die  Veranschaulichung  des  bräut- 
lichen Beisammenseins  des  Adonis  und  der  Aphrodite  voran,  und 
ließen  darauf  die  Todtenklage  folgen,  indem  sie  zugleich  in 
Gestalt  des  Wunsches  und  hoffnungsvollen  Zurufs  auf  die  Wieder- 
kunft des  Gottes  im  nächsten  Frühjahr  Bezug  nahmen.  Es  fragt 
sich  nun,  welchen  Gedankengehalt  im  Zusammenhange  dieser 
Gebräuche  die  schließliche  Hinabwertung  des  Adonisbildes  und 
Adonisgartens  i^is  Wasser  zum  Ausdruck  bringen  sollte.  Neben 
dem  Wurfe  ins  Meer  oder  in  einen  (^udl  steht  als  dritte  die  assy- 
rische Form  der  Begießumj  mit  Wasser^  und  zwar  wurde  diese  als 
ein  Mittel  zur  Wiederbelebung  des  Gestorbenen  gedacht  (o.  S.  275). 
Wenn  diese  Tatsachen  richtig  sind,  kann  diese  Wassertauche^ 
Begießung  wie  Wurfy  nicht  die  VernidUung  des  Adonis  bedeutet 
haben  ^  sotidem  sie  muß  notwendig  in  Beziehung  auf  das  künftige 
Wiederaufleben  der  Vegetation  geübt  sein. 

In  Byblos  schnitten  sich  die  Frauen  beim  Trauerfeste  die 
Haare  ab,  wie  die  Aegypter,  wenn  der  Apis  gestorben  war. 
Diejenigen  aber ,  welche  sich  diesem  Opfer  nicht  unterziehen 
wollten,  hatten  die  Pflicht,  sich  einen  Tag  lang  den  auf  dem 
Markte  zusammenströmenden  Fremden  zur  Schau  zu  stellen  und 
einem  derselben  ihre  Schönheit  preiszugeben,  den  Erlös  aber  der 
Göttin  zu  weihen.  *  Das  muß  am  Freudentage,  der  zweiten  Fest- 
bälfte,  geschehen  sein.  In  Paphos  und  Cyi)ern  bestand  derselbe 
Gebrauch,  wie  die  zur  Erklärung  desselben  erfundene  Erzählung 
beweist,  die  leiblichen  Schwestern  des  Adonis,  Kinder  des  Kin- 
yras,  des  Gründers  und  Heros  von  Paphos,  und  der  Kyprierin 
Metharme,  die  Jungfrauen  Orsedike,  Laogara  und  Braisia  hätten 
sich  dem  Willen  der  erzUmtcu  Aphrodite  gemäß  fremden  Männern 
preisgegeben.*     Vielleicht  zeigt    es    eine   Abweichung    von   der 

1)  Luciau  a.  a.  0. 

2)  Apollüd.  Bibl.  III,  14,  3.  Die  andere  Sage,  wonach  Adonis  aus  der 
geborstenen  Rinde   der   in    einen   Myrrheubaum   verwandelten  Myrrba,    der 


284      Kapitel  V.    Persönliche  Vegetationsgoistor  in  Jahrfestgebranchen. 

byblischen  Sitte,  wenn  Justin.  XVIII,  5  berichtet,  auf  Cypeni 
sei  es  Gebrauch  gewesen,  daß  die  jungen  Mädchen  vor  ihrer 
Verheiratung  sich  an  bestimmten  Tagen  ans  Gestade  begäben, 
um  durch  Preisgebung  an  fremde  Männer  sich  ein  Heiratsgut  zu 
erwerben.  Die  von  Herodot  I,  199  beschriebene  babylonische 
Sitte,  daß  jede  Frau  einmal  im  Leben  im  Heiligtum  der  Aphro- 
dite-Mylitta  sich  dem  ersten  Fremden  zu  eigen  geben  mußte, 
der  ihr  ein  Sttlck  Geld  in  den  Schoß  warf,  mag  ursprttngUcb 
ebenfalls  dem  Duzifeste  oder  einem  entsprechenden  angehört 
haben,  von  demselben  aber  nachher  abgelöst  sein.  Oder,  was 
wahrscheinlicher  ist,  fand  sie  wirklich  an  einem  solchen  Feste 
statt,  und  war  der  von  Herodot  mißdeutete  Sachverhalt  dieser, 
daß  die  Weiber,  ohne  nach  Hause  entlassen  zu  werden,  das 
ganze  Fest  hindurch  ausharren  mußten,  bis  sie  einen  Liebhaber 
fanden ,  und  daß  die  Unschönen  oft  drei  bis  vier  Jahre  hinterein- 
ander dies  wiederholten,  bis  sich  endlich  ihrer  jemand  annahm? 
Mit  diesen  Festgebräuchen,  so  widerstrebend  dieselben  dem  geläu- 
terten moralischen  Geftlhle  erscheinen,  vertrug  und  verband  sich 
ohne  Zweifel  völlig  strenge  Keuschheit  außerhalb  des  Festes  und 
in  der  Ehe.  *  Hervorgegangen  aus  einer  Lebensanschauung, 
welche  in  Bezug  auf  geschlechtliche  Verhältnisse  anders  war  als 
unsere,  waren  sie  nicht  unsittlich  im  Sinne  gemeiner  Lust  Sic 
waren  symbolischer  und  mystischer  Ausdruck  eines  religiösen 
Gedankens  und  als  göttlichen  und  geheiligten  Urspnmgs  wenig- 
stens ursprünglich  von  dem  viehischen  Sinuenrausch  und  ^vildcn 
Taumel  fem,  zu  dem  sie  und  verwandte  Begehungen  später  in* 
dem  hier  nicht  zu  berührenden  Dienste  der  Aphrodite  Paiidemos 
ausarteten.  Die  ihre  Keuschheit  opfernden  Frauen  ahmten  das 
Beispiel  der  Aphrodite  selber  nach,  welche  mit  dem  wiederkeh- 
renden Adonis  sich  aufs  neue  vermählt.  Sie  handelten  als  Ab- 
bilder, Stellvertreterinnen,  Vervielfältigungen  der  Göttin.  Der 
kyprische  Kult  drückte  dies  der  Art  aus ,  daß  diejenigen,  welche 
sich  in  den  Kult   der  Aphrodite   in  dem    von   Kinyras  erbauten 


Tochter  des  Kinyras,  geboren  wurde,  war  ätiologische  Erklärung  der  Anwen- 
dung von  Myrrhen  als  Weibrauch  bei  der  Todtenfeier  des  Adonis,  wie  Prel- 
ler Gr.  Myth.  I. »  S.  285  sehr  richtig  erkannt  hat.  Vgl.  die  Sage  der  in  eine 
Weihrauchstaude  verwandelten  Leukothea.  Manuhardt  Klytia.  Berlin  ISlh. 
S.  20. 

1)  Vgl.  Aelian  Var.  Bist.  IV,  1.    Engel  Kypros  II,  143  ff.  146. 


Adonis.  385 

Tempel  einweihen  ließen,  einen  kleinen  Phallos  empfingen  und 
ein  Stück  Geld  ,,mercedis  nomine''  der  Göttin  selbst  in  die  Hand 
gaben.  *  Stellte  aber  jedes  Weib  die  6r»ttin  dar,  so  der  Frefude, 
der  erschien  and  ihre  Liebe  genoß,  folgerichtig  den  unkenntlich 
aas  der  Fremde,  dem  Todtenlande  ankommenden  Adonis.  Ich 
mnß  auf  die  Möglichkeit,  vielleicht  Wahrscheinlichkeit  hinweisen, 
daß  der  Fremde  hier  ebenso  aufzufassen  ist,  wie  in  dem  phrygi- 
sehen  Lytiersesgebrauche,  in  welchem  einst  —  wie  ich  jetzt  durch 
zahlreiche  nicht  zu  mißdeutende  nordeuropäische  Analogien  (vgl.  übri- 
gens auch  0.  S.  170)  mit  unumstößlicher  Sicherheit  betceiscn  kann 
—  der  am  Emtefelde  vorbeigehende  Fremdling  illr  den  Konigeist 
genommen ,  in  eine  Garbe  eingebunden  und  wirklich  oder  schein- 
bar geköpft  wurde.* 

Schließlich  sei  noch  ein  Umstand  erwähnt,  der  möglicher- 
weise ein  weiteres  Zeugniß  für  die  Uebereinstimmung  des  Kul- 
tus und  Mythus  der  Istar  und  des  göttlichen  Sprößlings  mit  den 
Adonien  ablegt,  falls  die  Deutung  der  Aphrodite -Astarte  in 
Byblos  und  Antiochia  auf  einen  Stern,  wol  den  Jlorgenstem,  alt 
und  nicht  erst  spätere  Entlehnung  ist.  Kaiser  Julian  fand  bei 
seinem  Einzüge  in  Antiochien  Stadt  und  Palast  vom  Geheul, 
Wehklagen  und  Trauergesang  der  Adonien  erfüllt:  „Publicas 
niiratus  voces  multitudinis  magnae,  salutare  sidus  inluxisse  eois 
partibus,  acclamantis.'^  ^  In  Byblos  sah  man  an  einem  bestimm- 
ten Tage  von  der  Spitze  des  Libanon  ein  Feuer  gleich  einem 
Sterne  in  den  Fluß  schießen.     Dies  hielt  man  flir  die  Aphrodite* 

Ich  konnte  nicht  vermeiden,  dem  Leser  das  von  früheren 
Forschem  über  den  Adoniskult  gesammelte  Material  nach  zum 
Teil  neuen  Gesichtspunkten  geordnet  abermals  vorzuführen,  wenn 
ich  meine  Absicht  erreichen  wollte,  darzutun,  daß  die  in  §.  1 
dieses  Kapitels  erwähnten  Frühlings-  und  Mittsommergebräuche 
aus  eben  denselben  Elementen  zusammengesetzt  seien,  als  jener 
asiatisch  -  griechische  Gottesdienst.  Zergliedern  wir  die  Adonis- 
mythe  und  die  Adonisfeier,  so  finden  wir  darin  folgende 
Bestandteile. 


1)  Arnob.  adv.  gent.  V,  19.    Firmic.  de  error,  prof.  rel.  p.  425. 

2)  Vgl.  einstweilen  Korndära.  S.  34. 

3)  Amniian.  Marcell.  XXII,  10. 

4)  Sozomenos  II,  5. 


286      Kapitel  V.    Persönliche  Vegotationsgeister  in  Jahrfestgcbraachen. 

« 

A.  Die  sehöne  Jahreszeit ,  resp.  das  Bltltenleben ,  die  Vege- 
tation derselben  ist  personifiziert  als  ein  schöner  Jüngling. 

B.  Derselbe  wird  im  Kultus  dargestellt  durch  eine  menschen- 
ähnliche Figur  und  die  leichtwelkenden  Kräuter  des  Ado- 
nisgartens. 

C.  Er  kommt  im  Frühling  und  tritt  in  das  VerhältniB  des 
Bräutigams  oder  Gatten  zu  einer  liebenden  Göttin,  welche 
sonst  auf  ein  Gestirn  gedeutet,  sich  doch  vorzugsweise  als 
Göttin  der  Fruchtbarkeit  manifestiert.  Sie  leben  während 
der  schönen  Jahreszeit  in  inniger  Vereinigung,  man  darf 
sie  als  Lenzbratäpaar  bezeichnen. 

D.  Im  Hochsommer  verschwindet  der  Gatte  oder  Bräutigam 
und  weilt  während  des  Winters  und  Herbstes  in  der  un- 
sichtbaren Welt  des  Todes. 

E.  Mit  lauter  Klage  wird  seine  Bestattung,  mit  Jubel  sein 
Wiedererscheinen  gefeiert.  Beide  Feiern  sind  im  Frtlhling 
und  Hochsommer  in  verschiedener  Ordnung  verbunden. 

F.  Das  Bild  des  Dämons  und  die  ihn  repräsentierende  Pflanze 
werden  mit  Wasser  begossen,  in  Quellen  oder  ins  Meer 
geworfen. 

a.  Das  göttliche  Lenzbrautpaar  wird  nachgeahmt  durch  den 
mystischen  Brauch  eines  zeitweiligen  geschlechtlichen  Bun- 
des eines  Mannes  und  einer  Frau. 

Alle  diese  Bestandteile  finden  wir  in  verschiedener  Zusam- 
menstellung in  den  nordeuropäischen  Bräuchen  wieder.  A.  Die 
Wachstumskraft,  das  Numen  der  Vegetation  wird  in  einem  per- 
sönlichen Wesen  personifiziert,  das  in  eine  Personification  der 
schönen  Jahreszeit  übergeht  und  demgemäß  bald  die  Namen  Laiib- 
mann  (Bk.  320),  Lattichkimig  (Bk.  343,  vgl.  o.  S.  280  Anm.  3), 
bald  die  Bezeichnungen  Pßngstl,  Maikönig,  Pere-Mai^  Jarilo  (ii. 
Frühling  4 1 5  ff.)  u.  s.  w.  trägt.  Vgl.  Bk.  310.  Ü06.  Vgl.  610.  B.  Dieses 
Wesen  wird  im  Volksgebrauch  dargestellt  entweder  unpersönlich 
durch  einen  geschmückten  Baum  oder  persönlich  durch  einen  in 
Laub  gekleideten  oder  bekränzten  Menschen  oder  eine  Puppe. 
Häufig  aber  dient  ein  daneben  aufgestellter  oder  hergetragener 
Maibaum  dazu,  um  durch  ein  Doppetbild  die  Idee  des  Wachs- 
tumsgeistes vollständig  auszudrücken.  Bk.  311  —  316.  605.  Die 
nämliche  Doppeldarstellung  durch  Mensch   und  Garbe    ist  beim 


Adonis.  287 

Komdämon  bemerkbar  (Bk.  612).  In  dem  dentschen  Maibanm 
und  den  südliehen  Pflanzen  des  Adonisgärtehens  wird  also  die 
nämliehe  Absicht  anf  gleiche  Weise  durch  ein  ähnliches  Mittel 
zur  Ansfllhrung  gebracht  Sollte  aber  nicht  vielleicht  der,  wie 
der  Maibanm  und  die  Eiresione,  vor  die  Tür  des  Tempels  auf- 
gepflanzte Banm  (o.  S.  280)  in  denselben  Znsammenhang  gehören  ? 
Und  wären  die  Latiben  des  alexandrinischeu  Brauchs  (o.  S.  278) 
die  Abschwächung  davon  ?  Der  Einzug  des  Wachstumsgeistes  wird 
im  Frühling,  am  Lätaresonntag  (Sonmier  Bk.  156),  am  ersten  Mai, 
Pfingsten  (Bk.  157.  311  ff.)  u.  s.  w.  dargestellt  Er  kommt  im 
Lenze  und  gesellt  sich  vielfach  eine  Maikönigin ^  Maibrauty 
Pfingstbrautj  Reine  MaYa  zu ;  die  Hochzeit  dieses  Maibrautpaars 
oder  dieser  dämonischen  Maigatten  wird  gefeiert.    Bk.  422 — 447. 

D.  Während  des  Winters  dachte  man  den  Bräutigam  oder  die 
Braut  verschwunden  oder  schlafend,  die  Braut  vom  Bräutigam 
verlassen.  Bk.  438.  494  flf.  445  ff.  Auch  wo  der  Pfingstl  nicht 
in  bräutlichem  Verhältniß  dargestellt  wird,  gilt  er  als  vom  Schlafe 
soeben  erwacht,  alsPßngstschläfer  (Bk.  321. 319).  Oder  man  sagt,  er 
sei  sieben  Jahre,  d.  h.  sieben  Monate  im  Walde  gewesen.    Bk.  338. 

E.  In  Rußland  wird  um  Mittsonmier  eine  den  Jarilo  darstellende 
Puppe  m  einen  Sarg  gelegt  und  mit  herzzerreißender  Todtenklage 
bestattet  (Bk.  416,  o.  S.  266),  oder  es  wird  eme  Strohfigur  (Ko- 
stroma, Kostrubonko)  ins  Wasser  geworfen  und  als  todt  bejam- 
mert; diese  Ceremonie  heißt  u.  a.  Zug  des  Frühlings  (Bk.  415). 
Diesem  Mittsommerieste  steht  nun  in  andern  slavischen  und  ehe- 
mals von  Slaven  bewohnten  deutschen  Landschaften  die  Sitte  im 
ersten  Frühling  zur  Seite,  daß  eine  (als  Tod,  Marzana  u.  s.  w. 
benannte)  Puppe  oder  ein  in  einen  Sarg  gelegter  Buchenzweig 
mit  darangestecktem  Apfel  zuweilen  von  Frauen  oder  Mädchen 
in  Trauerschleiern  begraben^  ins  Wasser  geworfen  oder  verbrannt 
wird.  Diese  Puppe  bedeutet,  wie  ich  Bk.  418  zu  zeigen  mich 
bemühte,  den  erstorbenen  Vegetationsdämofi  des  vergangenen 
Jahres.  An  das  Begräbniß  schließt  sich  dann  unmittelbar  der 
Akt  der  Wiedererweckung  in  Form  der  Einhertragung  eines  als 
So^nnier  benannten  Maibaums  oder  eines  mit  einer  Menschenfigur 
behangenen  Baumes.  ^    Daneben  läuft  eine  andere  Form  der  Sitte, 


1)  Hk.  156  if.  359.  410  ff.      Reinsbcrg-Düringsfeld   Festkai.   a.  Böhmen 
92.    Vernaleken  Mythen  n.  Br.  a.  Oestr.  S.  296. 


288      Kapitel  V.    Persönliche  Vegotationsgeister  in  Jahrfestgebräuchen. 

wonach  der  Maibi^utigam  zuerst  schlafend  {oder  todt)  ssu  Boden 
fällt,  und  dann  von  der  Maibraut  geweckt  wird.  Bk.  434.  435. 
Da  im  deutschen  Pfingst-  oder  Maitagsgebrauch  die  AnflEBissiuig 
der  winterlichen  Zustände  des  Vegetationsgeistes  als  Schlaf  Tor- 
herrscht,  fällt  hier  Begräbniß  und  Todtenklage  natürlich  fort; 
aber  vereinzelt  bricht  dennoch  auch  letztere  Form  der  Anschauung 
durch.  So  fällt  der  aus  dem  Walde  geholte,  in  Laub  gehttllte 
wilde  Mann  in  Thüringen  zuerst  erschossen  wie  todt  zu  Boden^ 
und  wird  dann  wieder  ins  Lehen  gebracht  (Bk.  335).  Zuweilen 
aber  trägt  die  Pfingstfeier  umgekehrt  proleptisch  den  Character 
des  Sommerfestes.  Indem  der  Pfingstbutz  nach  geschehenem  Um- 
zug geköpft  oder  unter  Stroh  und  Mist  vergraben  wird,  schlieBt 
sich  an  die  vorausgehende  Darstellung  seines  FrOhlingseinzuges 
als  zweite  Hälfte  die  Begehung  seines  Todes  (Bk.  321.  357  ff.). 
F.  Der  Laubmann ,  Maikönig,  Pfingstl  und  der  daneben  herge- 
tragene Maibaum,  der  Maibräutigam,  die  Kostroma,  der  Tod  u.  s.  w. 
werden  mit  Wasser  begossen,  im  Strom  oder  Bach  versenkt 
(o.  S.  265.  Bk.,  Register  unter  Wassertauche)  und  es  sind  sichere 
Beweise  daftlr  vorhanden  (Bk.  327  ff.,  vgl.  das  Froschtödten. 
Bk.  355),  daß  diese  Handlung  ein  Regenzauber  war.  Liegt  es 
nicht  äußerst  naJie,  die  gleiche  Ceremonie  beim  Ädonis  in  gleichein 
Sinne  zu  deuten?  G.  Wie  endlich  in  Byblos  und  auf  Cypem  der 
Beischlaf'  der  festfeiernden  Frauen  mit  einem  Fremden  den  Akt 
der  ehelichen  Wiedervereinigung  der  Aphrodite  und  des  aus  der 
Fremde  heimkehrenden  Adouis  nachbildete,  ^  werden  die  europäi- 
schen Maipaare  nachgeahmt  durch  eine  Vielheit  menschlicher  Lie- 
bespaare, welche  im  Frühlingsanfang  (14.  Febr.;  Sonntag  luvooa- 
vit),  am  Maitag  und  am  Mittsommerfeste,  beim  Maibaum  oder 
beim  lodernden  Sonnweudfeuer  durch  Versteigerung  oder  Loß 
einander  zugeteilt  ein  halbes  Jahr  lang,  oder  ein  Jahr  in  eio 
bräutliches  oder  nominell  eheliches  Verhältniß  zu  einander  tre- 
ten (Bk.  447  ff.).     Daß  diese  Maibuhlen,  VicllicbcJmi^  Vfdcfiiins, 


1)  Vgl.  Bk.  444. 

2)  Hieraus  entstand  die  Belustiguug  der  guten  Gesellschaft,  sich  auf 
Zeit  Vielliebchen  zu  wählen  (vgl.  noch  Moreto ,  Donna  Diana  und  Göthe, 
Wahrh.  u.  Dichtung  B.  VI.  XV  nebst  Loepers  Anmerkung.  Göthe  Hempcl 
XXI,  S.  248).  Diese  Sitte  nahm  schließlich  die  Form  dos  Vielliebchen- 
ossens  (Bk.  462)  an  und  ist  in  ihrer  deutschen  Form  nach  Frankreich  zurück- 
geströmt, wo  aus  Vielliebchen  der  Name  des  Paars  Philippe  und  Philip- 


Adonis.  289 

und  ValetUines  (normannisches  Dialectwort  ftlr  galantius,  Lieb- 
haber *)  in  der  Tat  Nachahmuugen  von  Vegctationsgeisteni  sein 
sollen,  erweist  wieder  eine  merkwürdige  Parallele  in  den  Ernte- 
gebräuchen.  Im  Kirchspiele  Hafslo  (Nordre  Bergeushus,  Stift 
Bergen)  in  Norwegen  geht  derjenige,  der  sich  eine  Tennenfrau 
(Laakone,  Lovekone)  gewinnen  will,  am  ersten  Werkeltag  nach 
Neujahr  auf  die  Dreschtenne  und  fangt  an  zu  dresch^^n.  Das  erste 
unverheiratete  Frauenzimmer,  welches  von  Weihnachten  bis  Neu- 
jahr nicht  im  Hause  war  (also  eine  Fremde  j  vgl.  o.  S.  285j,  und 
nun  in  die  Stube  tritt,  in  der  er  täglich  sich  aufhält,  heißt  sein 
Tetinenweib  und  wird  von  ihm  traktiert.  Sie  vertritt  die  aus 
dem  Korn  herausgetriebene  KomjurKjfrr.  Auf  gleiche  Weise 
erwirbt  ein  Frauenzimmer  sieh  einen  Dreschmann  (Laavemand). 
Die  eingehende  Erläuterung  dieses  Brauches  gebe  ich  an  einem 
anderen  Orte.  Bei  der  vielfach  nachweisbaren  Analogie  von 
Emtegebräuchen  und  Hochzeitsitten  wird  mit  einem  ähnlichen 
Brauche  irgendwie  der  mir  noch  nicht  völlig  verständliche  Um- 
stand zusammenhangen,  daß  in  der  Lausitz  das  alf^  Wcibj  welches 
bei  der  Heimholung  dem  Bräutigam  zuerst  an  Stelle  der  wirk- 
lichen Braut  und  unter  dem  Vorgeben,  diese  sei  es,  zugeführt  wird, 
das  alk  Spreuweih  y  phtca  haha  heißt.  Wie  dem  aber  auch  sei, 
jedesfalls  rückt  die  Sitte  der  das  dämonische  Brautpaar  nachbil- 
denden Lenzpaare  *  dem  asiatischen  Kultgebrauch  dadurch  noch 


pine  geworden  ist.  In  Spanion  übt  man  vielfach  den  Brauch,  daß  jede  Frau 
am  Sylvesterabend  durch  das  Loß  den  Namen  eines  Mannes  zieht,  der  da- 
durch das  Vorrecht  erhält,  sie  im  nächsten  Jahre  unangemeldet  zu  besuchen, 
mit  Blumen  und  SfilUgkeiten  zu  versorgen  ui.d  bei  ihren  Ausgängen  zu  beglei- 
ten.   Derselbe  heißt  „ano",  Jahr. 

1)  Hienach  ist  die  Bk.  ^>'t^  vorgetragene  Ansicht  über  das  Verhältniß  des 
französischen  zum  englischen  Valeutinbrauche  zu  berichtigen.  Im  Depart. 
de  la  Meuse  nennen  sich  die  wirklichen  Brautleute  vom  Tage  des  Ver- 
apmchs  ab  Valentin  und  Valentine.     De  Nore  j).  307. 

2)  Vgl.  noch  den  Johannisfestgebraueb  im  Herzogtum  Berg.  Unter 
einer  über  der  Straße  aufgehangenen,  mit  Laubwerk,  Blumen,  Eierschnüren, 
bunten  Bändern  und  Flittergold  gezierten  Krone,  welche  Ueberbleibsel  des 
mit  solcher  Krone  geschmückten  Maibaums  ist  (Bk.  IGO.  169.  170.  17G),  tanzen 
auf  dem  mit  Laub  und  Blumen  bestreuten  Boden  die  jungen  Leute  den  Rei- 
gen.    Ein  Mann  tritt  in  die  Mitte  des  Kreises.     Alle  singen: 

0  Bauer  hast  du  Geld? 
0  Bauer  hast  du  Kirmesgeld, 

Mannhardt.    U.  19 


290      Kapitel  V.    Persönliche  Vegetationsgeister  in  Jahrfestgebräaehen. 

näher,  daß  das  Verhältniß  der  Brautleute  nicht  selten  die  Gestalt 
eines  nengesMossenen  Ehebundes,  ^  zuweilen  der  symbolischen 
Darstellung  des  Beilagers  annimmt  (Bk.  469.  480  ff.).  —  Wie  der 
eine  Teil  des  göttlichen  Lenzpaars  den  Phoenikem  sonst  als  der 
Morgenstern  gilt,  so  treten  die  dasselbe  nachbildenden  europäischen 
Lenzpaare  in  den  Gebräuchen  des  Scheibentreibens  und  Brant- 
ballwerfens«  (Bk.  466.  465.  471  AF;,  vgl.  Bk.  4  44.  187)  deutlich  in 
Bezug  zur  Sonne,  Hierin  offenbart  sich  eine  gewichtige  Abwei- 
chung; es  muß  durch  weitere  Untersuchungen  festgestellt  werden, 
ob  dieselbe  bei  der  völligen  Analogie  aller  übrigen  Merkmale  so 
erheblich  erscheint,  um  darauf  hin  zwischen  den  asiatischen  und 
europäischen  Bräuchen  Gnmdverschiedenheit  des  Typus  zu 
statuieren. 

Eine  mehrfach  bei  Russen  und  Walachen  (Bk.  434)  auf- 
tauchende moralisierende  Form  der  Schließung  des  Maibundes  ist 
die  unter  einem  Baume  vor  sich  gehende  gegenseitige  Erwählung 
von  Gevattern,  welche  im  russischen  Kreise  Nerechta  unmittelbar 
mit  der  Darstellung  des  Todes  und  der  Auferweckung  des  Mai- 
bräutigams verbunden  ist.     Dieser  Brauch,  ursprünglich  und  noch 


Kirmesgeld V    0  Bauer  hast  du  Geld? 

So  nehme  dir  ein  Weib!  u.  s.  w. 
Der  im  Kreise  Stehende  wählt  sich  eine  beliebige  Person. 

So  kniee  dich  auf  die  Erd*! 

So  knioc  dich  auf  die  Kirmeserd*!  u.  s.  w. 
Beide  knieen  nieder. 

Steh  auf  von  dieser  Erd'!  u.  s.  w. 

So  küsse  dir  dein  Weib!  u.  s.  w. 

Heraus,  hinaus  vom  Kreis!  u.  s.  w. 

Wer  zuerst  im  Kreise  gestanden,  tritt  in  die  Reihe  wieder  ein;  «lor  aiidoro 
bleibt  darin,  und  llesang  und  Tanz  beginnen  von  neuem,  bis  allr  im  Kiiijrel 
gewesen  sind.    Montanus  Volksfeste  I,  35, 

1)  S.  Bk.  Register:  Eheleute,  neuvermählte. 

2)  Zu  den  in  den  Kreis  dieser  Sitte  gt>hörigen  Bniuchen  vgl.  noch  'fol- 
genden französischen  Brauch.  In  Lacs  bei  Chatro  (Berry)  sammeln  die  Mäil- 
chen  bei  Frühlingsanfang  jährlich  viele  Himmelsschlüsselchen  (]>rinnil:i 
veris)  und  machen  daraus  dicke  goldene  Bälle  (dont  elles  composent  «ie 
grosses  pelotes  dorees),  die  sie  durch  die  Luft  werfen.  Dabei  rufen  sie 
wiederholt:  grand  soule!  p'tit  soule!  (grand  soleil!  petit  8<deil!).  Laii;- 
nel  de  la  Salle.  croyances  et  legendes  du  centre  de  la  France  I,  85.  Ander- 
])rofane  und  kirchliche  Formen  dos  Brauchs  ebendas.  86  —  87.  E.  Souvostre 
les  derniers  Bretons. 


Adonis.  291 

yielfach  zwischen  zwei  jungen  Personen  verschiedenen  Geschlech- 
tes ansgettbt,  ist  dann  weiterhin  häutig  zu  einem  Bunde  zwischen 
je  zwei  Knaben  oder  Mädchen  abgeschwächt.  Er  besteht  auch 
in  Sizilien  und  wird  hier  am  Tage  Johannis  des  Täufers  vollzo- 
gen. Der  Knabe  und  das  Mädchen  (resp.  die  beiden  Mädchen 
oder  Knaben)  ziehen  sich  jeder  ein  Haar  aus ,  drehen  beide  zu- 
sammen und  blasen  sie  fort  in  die  Luft.  Dann  haken  sie  ihre 
kleben  Finger  ineinander  und  erklären,  sich  als  Gevattern  (com- 
pari)  für  die  Zeit  bis  Weihnachten  betrachten,  und  bis  dahin 
alles,  was  sie  haben,  mit  einander  teilen  zu  wollen.  Noch  an  dem- 
selben Tage  schickt  man  sich  die  Gevattergeschenke.  Vielfach 
dienen  dazu  die  sogenannten  piatti  dt  sepulcruoder  die  lavuri, 
Ersteres  sind  Teller,  auf  denen  man  Hanf  ausgebreitet  und  Lin- 
sen, Erbsen  oder  Weisen  gesät,  und  durch  Begießen  schnell  in 
die  Hohe  getrieben  hat  (Pinna  de'  Greci).  Die  lavuri  sind  Wei- 
zenschößlinge,  vierzig  Tage  vor  Johaniii  auf  Watte  in  einen  Blu- 
mentopf gesät  (Ciancina),  Die  Empfäugerin  schneidet  entweder 
ein  Büschel  der  Frucht  ab,  legt  es,  mit  zierlichem  Bändchen 
umflochten,  zu  ihren  liebsten  Familienreliquien  und  sendet  das 
Uebrige  zurück ;  oder  sie  schneidet  einen  Halm  des  lavuru  mit 
der  Scheere  ab  und  beide  Gevatteni  essen  die  Hälfte  desselben.^ 
Diese  in  Tupfe  gesäten  und  zu  schnellem  Wachstum  getriebenen 
Früchte  erinnern  in  diesem  Zusammenhange  lebhaft  an  die  Ado- 
nisgärtchen  der  Alten. 

.  §.  4.  Attls.  In  anderer  Ordnung  kehren  die  Elemente  im 
phrygischen  Attiskultus  wieder,  dessen  Gebräuche  unseren  Lätare- 
bräuchen  am  meisten  verwandt  sind,  falls  die  römische  Festfeier 
einen  Schluß  auf  den  heimatlichen  Brauch  gestattet.  Danach 
wurde  am  ersten  Tage,  der  den  Namen  „arbor  intrat''  Itlhrte, 
im  Haine  der  Cybele  eine  schöne  Fichte  (Pinie)  abgehauen  und 
von  dem  Collegium  der  Dendrophoren  feierlich  in  das  Sanctuarium 
des  Tempels  der  Göttin  getragen.  Hier  wol  erst  wurde  der  Baum 
mit  den  Attributen  des  phrygischen  Dienstes  Krumnistaby  Tym- 
pami,  Flöten  und  Klappcrblechen  geziert.  Außerdem  schmücJcte 
die  Pinie    das  darangebundene  Bild  eines  Jünglings,      Es   hieß. 


1)  Gnihcppe  Pitrc    Usi    populari  Siciliani    iiolla  Fosta    di    S.   Giovanni 
Battista  I.  IL     Palermo  1871.  1873.     Vgl.  Ausland  1873.   n.  40. 

19* 


292      Kapitel  V.    Persönlicho  Vegetationsgeister  in  JalurfestgebrancheiL 

das  sei  das  Bild  des  Attis ,  ^  eines  der  großen  Mutter  verbände- 
nen  göttlichen  Wesens,^  das  dem  Adonis  der  Phoeniker,  wie  es 
scheint,  gleichartig  war.  Attis  war  ein  Liebling  der  Kybele^  und 
als  ein  Eber  ihn  (wie  Adonis)  tödtete,  haäe  ihn  Kybele  in  die 
heilige  Pinie  verwandelt.  ^  Es  bewahrt  diese  Sage  das  Bewußt- 
sein, daß  die  an  den  Baum  gehäugte  Puppe  das  dem  Baume 
einwohnende  Numen  der  Vegetation  bezeichnen  sollte  (Vgl.  Bk.  156. 
210).  Eine  andere  Version,  d.  h.  eme  den  eigentlichen  Grund 
der  Baumauipflanzung  mißverstehende  Deutung  des  Vorhandenseins 
der  Gallen  im  Kultus  der  großen  Mutter,  erzählte,  Attis  habe 
(aus  dieser  oder  jener  Ursache  *)  sich  unter  der  Fichte  seiner 
Zeugungskraft  beraubt  und  in  seinem  Blute  sein  Leben  ausge- 
haucht. Dem  entsprechend  fand,  nachdem  den  2.  Tag  (Tubilu- 
strium)  hindurch  fortwährend  mit  Hümem  geblasen  war,  am  drit- 
ten Festtage  (Sanguen)  unter  heftigem  Wehklagen  und  Jammer 
jene  ekstatische  Ceremouie  statt,  derzufolge  jedes  neueingetretene 
Mitglied  des  CoUegs  der  Gallen  sich  der  Castration  unterziehen 
mußte,  der  Vorsteher  (Archigallus)  sich  den  Arm  blutig  ritzte, 
worauf  die  übrigen  mit  aufgelösten  Haaren  und  Weinen  und  Weh- 
rufen sich  an  die  Brust  schlagend  ebenso  taten.  ^  Die .  Priester 
betrachteten   sich  dabei  als  Nachahmer  des   Gottes ,  ^  was   noch 


1)  In  sacris  Phrygiacis,  quao  matris  Deüni  dicunt,  per  annos  singulos 
arbor  piuca  colitur  et  iu  media  arboro  siiuulacrum  juvenis  snbli- 
gatur.    Jul.  Finiiic.  de  error,  prufau.  relig.  24. 

2)  Numeu  conjunctum  ....  Matris  Deum  Attys.  Verg.  Aen.  yil,  7: 

3)  üvid.  Metamorph.  X,  103  ff. 

Et  succinta  comas,  hirsataque  yertico  pinus: 
Grata  deam  matri  siquidem  Cybeläius  Attis 
Exiit  hac  hominem  truncoque  induruit  illo. 
Of.  Arnobias  V,  IG.    Cur  ad  ultimum  pinus  ipsa  paulo  ante  in  damis  incertissi- 
mum  nutans  lignum  mox  ut   aliquid    praesens  atque   augnstissimnm 
numen  doüm  matris  constituatur  in  sedibus? 

4)  Die  verschiedenen  Varianten  der  Motivierung  s.  bei  Nitsch  MytÜol. 
W.  B.  8.  V.  Attis. 

5)  Die  Belege  s.  Marquardt  Handbuch  d.  R.  A.  IV,  317  Anm.  2103.  31fc^, 
Anm.  2106. 

6)  W.  Schwartz  läßt  aber  seiner  Phantasie  zu  freien  Lauf,  wenn  er  den 
Gebrauch  der  Gallen,  sich  zu  entmannen,  für  die  Nachahmung  der  im  Gewit- 
ter geglaubten  Entmannung  des  Sonnenwesens  erklärt,  der  man  in  der  £x- 
stase  meinte  folgen  zu  müssen. !!!  Schwartz  in  Bastian-Hartmanns  Zs.  f.  Ethnol. 
1Ö74  S.  173.  1875  S.  403.  —  Vgl.  hinton  den  Nachtrag  z.  d.  S. 


Attds.  293 

deutlicher  daraus  hervorgeht,  daß  der  Gott  selbst,  wie  die  Prie- 
ster ,  Gallus  genannt  wird.  \  Endlich  wurde  dann  an  manchen 
Orten  ein  Attisbild  auf  einem  Todtenbettchen  aufgestellt,  mit 
Trauei^esängen  beklagt  und  heroisch  bestattet.  *  Wol  am  Abend 
dieses  Tages  oder  am  folgenden  umwand  man  den  Baum  mit 
Kränzen  aus  frischen  Veilchen  und  mit  Binden  von  Wolle;  die 
Veilchen ,  sagte  man  zur  Erklärung  des  Brauchs ,  seien  aus  dem 
Blute  des  Attis  entsprungen  (die  eigentliche  Feier  der  Sanguen- 
tages  war  mithin  schon  vorhergegangen),  seine  Seele,  sein  Leben, 
war  in  diesen  erstgebomen  Kindern  des  FrUhlmgs  wieder  neuge- 
boren zum  Vorschein  gekommen.'*  Der  vierte  Tag,  Hilaria 
genannt,  und  als  laetitiae  exordium  bezeichnet,*  feierte  nach 
Diodor  das  Wiederauffinden  (evQeaig)  des  von  Kybele  Gesuchten 
im  Hades,  seine  Wiederheraufführung  ans  Licht  und  seine  Ver- 
einigung mit  der  Göttin.  Wie  die  Darstellung  des  Todes  und 
der  Trauer  eine  dreitägige  war,  erstreckte  sich  nun  auch  das 
Freudenfest  auf  einen  dreitägigen  Zeitraum.  Es  schloß  am 
6.  Tage  (Lavatio)  mit  einem  Bade  des  Wagens,  des  Idols  und 
anderer  Sacra  der  großen  Mutter  im  Flusse  Almo.  Vorauf  gin- 
gen dem  Wagen  Mitglieder  der  vornehmsten  Gesellschaft  mit 
bloßen  Füßen  (vgl.  die  römischen  Aquaelicien),  man  trug  alle 
möglichen  Kostbarkeiten,   Wunder  der  Natur  und  Kunst  vorher. 


1)  Julian,  orat.  V,  p.  168.  C.  Spanh.  Tfj  ToiTtj  dt-  T^/urma  t6  Uqov  x«) 
^nonQriJor  i^^Qog  toV  d^fov  rdllov.  Gradeso  heinoii  die  lidx/oi  von  JUcx/os. 
die  die  deutschen  Korndämonen  darstellenden  Menschen  wie  diese  ,,der  Alte, 
die  Kornmutter,  Wolf"  u.  s.  w.    Mannhardt  Korndänionen  S.  3  Bk.  612. 

2)  Diod.  Sic.  Ill,  bS.  59. 

3)  Arnob.  V,  16.  Quid  enim  sibi  vult  illa  pinus,  quam  sempcr  statutis 
diebus  in  Deum  Matris  intromittitis  sanctuariu?  Nonne  illius  similitudo  est 
arboris,  sub  qua  sibi  furens  manus  et  infelix  adulescentulus  intulit  et  genc- 
trix  divum  solatium  sui  vulneris  conseeravit?  Quid  lanarum  vellera,  qui- 
bas  arboris  coUigatis  et  circumvolvitis  stipitem?  Nonne  illarum  repetitio 
lanarum  est,  quibus  Ja  deficientem  cont<;xit?  Quid  compti  violacois  coronis 
et  redimiti  arboris  ramuli?  Nonne  illud  imlicant,  uti  mater  primigc- 
niis  floribus  adornaverit  pinum?  —  Quid  coronue ,  quid  violac?  quid  volu- 
cra  mollium  velamenta  lanarum  ?  —  Cf  V,  7 :  Evolat  cum  i)rofluvio  sangui- 
nis vita:  sed  abscissa  quae  fuerant  magna  Icgit  mater  Deftm  et  iniicit  bister- 
ram ,  vesto  prius  tectis  atque  involutis  defuncti.  Fluore  de  sanguinis  viola 
flos  nascitur  et  redimitur  ex  hac  arbos.  Inde  natum  et  ortum  est,  nunc  etiam 
sacras  velarier  et  coronarier  pinos. 

4)  Macrob.  Saturn.  I,  21. 


294      Kapitel  V.    Persönliche  Vegetationsgeister  in  Jahrfestgebräuchen. 

Während  der  Wagen  mit  dem  Idol  sich  durch  die  Straßen 
bewegte,  sang  das  Gefolge  auf  Fruchtbarkeit  bezügliche  Lieder, 
die  Einwohner  beschütteten  den  Zug  mit  Blumen  und  die  Gallen 
sammelten  an  den  Türen  Gaben  ein.  ^  In  der  hier  beschriebenen 
Gestalt  war  das  Fest  erst  unter  Kaiser  Claudius  in  Rom  einge- 
tührt,  vorher  bestand  bloß  die  letzte  Prozession,  die  mit  der 
Wassertauche  der  Göttin  schloß;  da  das  Bad  der  Göttermuttcr 
auch  aus  Kyzikos  und  Ankyra  bezeugt  ist,  ^  mithin  nicht  aUein 
dem  urspiilnglichen  asiatischen  Kult  der  Kybele  anzugehören, 
sondeni  auch  ein  Hauptstück  desselben  gewesen  zu  sein  scheint, 
dürfen  wir  urteilen,  daß  dieser  Ritus  ein  notwendiger  Teil  der 
ganzen,  durch  Claudius  nur  in  erweiterter  und  prächtigerer  Form 
restaurierten  Feier  war.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  die  zweite 
Hälfte  derselben,  die  Darstellung  des  Heraufsteigens  der  Kybele 
mit  Attis  aus  dem  Hades, ^  der  Kenipunkt  des  Festes  war,  daß 
auf  ihr  der  Accent  ruhen  sollte;  es  geht  das  auch  schon  aus  dem 
Zeitpunkt  hervor,  auf  welchen  man  es  verlegt  hatte,  d.  h.  die 
Woche,  in  welcher  der  Tag  anfängt  über  die  Nacht  den  Sieg  zn 
gewinnen.  Die  erste  Hälfte,  das  Trauerfest,  die  Darstellung  des 
winterlichen  Zustandes,  in  welchem  der  Vegetationsdänion  die 
Geliebte  verläßt  (Bk.  444  iF.),  der  Zeugungskraft  beraubt,  gestor- 
ben ist ,  bildet  somit  trotz  der  gleichen  Zeitdauer,  trotz  der  dabei 


1)  Ovid.  Fast.  IV,  340:  Ulic  purpurea  (*anus  cum  vestc  sacerdos  Alnio- 
uis  dominaiii  sacraque  lavit  aqais.  Ammiau.  Marc.  XXIII,  3.  A.  1).  VI. 
Kai.,  quo  Romae  matri  doorum  pompae  celebrantur  aniiales  et  carpeiituin. 
quo  vehitur  siniulacrum  Alinoniy  undis  ablui  perhibctur.  Auibrus.  ep.  c. 
Symnuicli.  iu  Parei  Symniachns  p.  482:  Unde  iijitur  exoinpluin  quod  cnrnis 
suos  siinulato  Almonis  iu  tluniine  lavatCybcloV  Serv.  ad  Vorg.  G.  1, 1G3  :  Eleu- 
sinao  luatvis  volveiitia  plaustra  .  .  .  qualibus  iiiator  Douni  colitur.  Xaiu  ip>a 
est  etiam  Ceres,  Romae  quoqiie  sacra  huius  deae  plaustris  vchi  consucve- 
rant.  Prudentius  7te{)t  ar^f/^rwr  X,  153:  Nudare  plantas  ante  carpeiituni 
scio  procores  togatos  niatris  Ideae  sacris.  Lapis  nigellus  evebendus  ossed-j 
muliebris  oris  clausus  argc^nto  sedet:  quem  dum  ad  lavacrum  praccnndo 
ducitls,  podes  rcmotis  attorontes  calceis  Almouis  usque  pervenitis 
rivulum. 

2)  S.  Marquardt,  Handb.  IV,  318  An  .«.  2107.  Vgl.  über  die  ganze  Feier 
m.  572.  574.     Bötticber  IJaunicultus  242  —  247.     Preller  R.  Myth.  735  ff. 

3)  Damascius  Vita  Isidori  I»ei  Photius  p.  341".  Becker:  ror*  rtj  "ffotcntp- 
Ui  ^yxaihtv^iiaug  iiSöxori'  övint  o  l'i/z/ys  ytviathu  xuC  uoi  ^nntltioi^m  naoic 
Tt)g  ^t)Tods  itjy  Iftüiv  ÜM{>üür  xu/.oi  utro)p  60(>r//j'  07f<(>  ^drjXov  rrjv  i^  «cfoi 


Attis.  295 

vorgenommenen  Entmannung  der  Galleu,  nur  da«  Vorspiel  zu  der 
eigentlichen  der  Jahreszeit  angemessenen  Frühlingsfeier  und  hat 
keinen  andern  Zweck,  als  den  Zustand  der  dabei  auftretenden 
mythischen  Personen  als  den  des  IVurfcrcnvachtseins  oder  Wie- 
rferautlebens  zu  bezeichnen.  Ganz  dasselbe  Verhältniß  der  Teile, 
ganz  die  nämliche  Grundidee  und  der  gleiche  Ausdruck  derselben, 
ein  mit  der  Puppe  und  (im  Attiskulte)  mit  Frühlingsblumen  (wie 
in  Böhmen  mit  Eiern)  hehangcyie  Baum  (Sommer)  als  Verkörpe- 
rung des  vom  Tode  erwachten  Wachstumsgeistes  findet  sich  auch 
in  unsem  deutschen  und  slavischen  Lätareliräuchen.  ^  Denmach  wird 
es  schwerlich  von  der  Wahrheit  abliegen,  wenn  wir  aueh  im  Attis- 
kidt  die  Wassertattch^  des  Kyhcleidoh  und  Wagens  mit  dem  in 
den  nordischen  Frühlingshräuehen  so  stehenden  Wasserhadc, 
das  wir  für  eitlen  liegenzaiüjer  erklären  mußten ,  für  identisch 
halten,^  Falls  aber  sowol  diese  Schlußfolgerung  als  auch  das 
Ergebniß  unserer  (Bk.  567  —  602)  vorgetragenen  Untersuchungen 
über  die  deutsche  Nerthusumfahrt  richtig  sein  sollten,  so  erhellte, 
daß  zwar  die  unmittelbare  Identification  des  letzteren  deutschen 
Kultus  mit  demjenigen  der  phiygischen  großen  Mutter  durch  die 
römische  Interpretatio  fehlgriif ,  daß  aber  die  unleugbare  Aehn- 
lichkeit  beider  Begehungen  nicht  auf  liloß  äußerlichem,  zufälligem 
Znsammentreffen ,  sondern  auf  einer  inneren  Verwandtschaft  der 
Vorstellung  und  ihres  symbolischen  oder  mythischen  Ausdrucks 
beruhte.  In  weitem  Abstände  dagegen  hält  sich  die  ethische 
Richtung.  Die  maßlosen  sinnlichen  Ausschreitungen,  zu  welchen 
das  heiße  Blut  des  Südens  die  Asiaten  verlockte,  lag  dem  reinen 
Naturgefühl  und  keuschen  Geiste  der  Germanen  und  ihrer  euro- 
päischen Nachbarn  so  liimmelfenie,  daß  in  dem  Kreise  von 
Gebräuchen ,  welchem  wir  den  Nerthuskult  zuwiesen,  trotz  scharf 
ausgeprägter  geschlechtlicher  Symbolik  jeder  sittliche  Makel  mit 
Strenge  verhütet  wird  (Bk.  105.  188.  Vgl.  selbst  Bk.  469).  Sollte 
sich  bei  weiteren  Untersuchungen  herausstellen,  daß  rohere  Formen 
der  Feier  ehedem  in  au8gc<lehntem  Maße  geübt  wurden,  so  blie- 
ben dieselben,  soweit  wir  sie  verfolgen  können,  doch  rein  sinn- 
bildlich ,  und  die  Verschönerung  ins  Zarte  gereicht  unseren  Bevöl- 
kerungen zu  desto  größerer  Ehre. 

1)  Bk.  150.  417  ff.  3r)Hir.     Myth.'-"  727  ff.     Reinsberg-Diiringsfold    Fest- 
kalender aus  IJöhincu  S.  87  ff. 

2)  Vgl.  Bk.  Register  s.  V.  Kegenzaubor  and  namcutl.  S.  3h5. 


296      Kapitel  V.    Persönliche  Vegetationsgeister  in  Jahrfestgebräuchen. 

§.  5.  Ergebnisse.  Die  orientalischen  Feste  des  Adonis,  des 
Attis  und  der  Kotyto,  welche  nach  Griechenland  and  Italien 
verpflanzt,  dort  viele  Jahrhunderte  lang  als  „freff^dländische 
Ktdte^^  fortgeübt  wurden,  zeigen  gleich  dem  Frtthlingsfest  der 
Atargatis  (o.  S.259  flF.)  eine  auffallende  Uehereinstimmwng  des  Typus, 
eine  Iwhe  Gleichartigkeit  der  Coyiception  mit  den  nordeuropäischen 
Begehungen  des  Maibaums,  Emtemais,  Laubmanns,  Maibraat- 
paars,  Todaustragens.  Diese  Gleichartigkeit  ist  jedoch  keines- 
weges  der  Art^  daß  man  etwa  die  letzteren  von  den  ersteren 
ableiten  könnte,  vielmehr  machen  grade  diese  den  Eindruck  der 
jüngeren,  weniger  ursprünglichen  Form.  Die  Uebereinstimmung 
tritt  auf  Seiten  der  nordischen  Bräuche  nämlich  in  dem  Vorhat^ 
densein  aller  oder  fast  aller  derjenigen  Eletnente  hervor,  aas 
denen  sich  auch  jene  orientalischen  Feiern  zusammensetzen;  die 
Verbindung  dieser  Elemente  untereinander  aber  folgt  dort  nicht 
immer  der  hier  historisch  gewordenen  Reihe  und  Ordnung,  son- 
dern bleibt  durchaus  eine  freie.  Der  noch  völlig  durchsichtige 
Grundgedanke  erweist  sich  in  den  slavogermanischen  Bräuchen 
eines  mehriachen,  gleichwertigen  Ausdruckes  iahig.  Dieselben 
verzweigen  sich,  weithin  das  Volksleben  durchziehend,  in  meh- 
reren Seitenästen  (Erntemai,  Kichtmai,  Brautmaie,  Vielliebchen- 
essen  u.  s.  w) ;  sie  stehen  so  als  unauslösbare  Glieder  inmitten 
eines  großen  Kreises  lebendiger  Volkssitten,  welche  noch  einen 
weit  unmittelbareren  und  frischeren  Naturzusammenhang  verraten, 
und  eine  weit  einfachere,  primitivere  Gestalt  haben,  als  die 
genannten  orientalischen  Kulte.  (Vgl.  z.  B.  das  Aufsuchen  des  in 
Laub  gehüllten  Maibrautpaars  im  Walde  gegenüber  der  Ausstel- 
lung der  kunstvollen  Götterbilder  des  Adonis  und  der  Aphrodite 
in  der  Köuigshalle.  Ferner  die  Begießung  des  Laubmanus, 
Pfingstkönigs,  mit  Wasser  in  der  beimißten  Absicht  eines  Regen- 
zaubers u.  s.  w.)  Umgekehrt  zeigen  die  Adonien  und  der  Attis- 
kult  die  ursprünglichen  Elemente  bereits  durch  Auslese  und  Ord- 
nung in  eine  feste  oder  wenig  verschiebbare  Form  gebannt,  in  der 
sie  bei  weiterer  geographischer  Verbreitung  erstarrt  und  isoliert 
verharrten ,  ohne  neue  Öproßformcn  zu  erzeugen  und  tiefere  Wur- 
zeln im  Volksleben  zu  schlagen.  Wir  werden  schwerlich  irre 
gehn,  wenn  wir  annehmen,  daß  der  aus  historischer  Zeit 
bekannten  Gestalt  dieser  Kulte  eine  volkstümlichere,  ältere 
und    einfachere    vorangegangen     war,     welche    den    in    Rede 


Ergebnisse.  297 

stehenden  germano  -  slavischen  Bräuchen  noch  weit  ähn- 
licher gewesen  sein  muß. 

Dagegen  gab  es  in  Griechenland  und  Italien  neben  jenen 
aus  Vorderasien  herübergekommenen  Kulten  des  Adonis,  Attis 
and  der  Kotyto  eine  Anzahl  einheimischer  Begehungen  desselben 
Inhalts  und  derselben  Art,  wie  die  nordeuropäischen  Bräuche. 
Ich  habe  o.  S.  265  flf.  den  Versuch  gemacht,  in  den  römischen 
Argeem  ein  Seitenstück  unserer  Pfingstlümmel  nachzuweisen. 

Die  Gelehrsamkeit  eines  MüUenhoflF  *  hat  sich  mit  derjenigen 
L.  Prellers ,  *  W.  Koschers  ^  und  H.  Useners  '  vereinigt ,  um  in 
den  zu  Rom  in  der  Mitte  des  Märzmonats  begangenen  Festhand- 
lungen die  entsprechenden  Gegenbilder  deutsch -slavischer  Früh- 
{jnijf^gebräuche  (Schwerttanz;  Todaustragen  u.  s.  w.)  aufzuzeigen. 
Die  an  die  Namen  Anna  Perenna,  Mamurius  Veturius,  Mars 
geknüpften  Riten  und  Sagen  ergeben  sich  als  Darstellungen  der 
Schicksale  des  sterbenden,  bzw.  vertriebenen,  tcieder  geborenen, 
sofort  siegreichen  und  sich  wieder  vermählenden  Jahresgottes  und 
Wachstumsgebers  Mars.  Sollte  jemand  fragen,  wie  sich  mit  die- 
sen Ergebnissen  die  o.  S.  269  von  uns  vorgetragene  Ansicht  über 
die  Aufstellung  der  Argeerpuppen  als  Repräsentanten  des  neuein- 
ziehenden Wachstumsgeistes  vereinigen  lasse ,  da  ja  Mars  bereits 
diese  Idee  ausdrücke,  so  ist  darauf  zu  erwiedem,  daß  erfah- 
rungsmäßig bei  der  solennen,  volkstümlichen  Feier  von  Natur- 
festen sehr  oft  mehrere  Begehungen  von  verschiedenen  Seiten 
her  zusammenfließen,  und  neben-  oder  nacheinander  sich  abspie- 
len, welche  den  nämlichen  oder  einen  nahverwandten  Gedanken 
auf  verschiedene  Weise  mythisch  ausdrücken.  Nicht  anders  wird 
es  sich  in  diesem  Falle  verhalten.  Ja  die  Figuren  des  alten 
Vegetationsdämons  und  seiner  Frau,  des  neuverjüngten  Wachs- 
tumsgottes  und  seiner  Braut  und  des  Laubmanns,  d.  i.  im  römi- 
schen Kultus  des  Mamurius  Veturius  und  der  Anna  Perenna, 
des  Mars  und  der  Neriene,  endlich  der  Argeer  finden  sich 
(jradeso  vereinigt  in  Mad  Moll  and  her  husband,  Mylord  und 
Mylady,    endlich  dem  Jack  in  the  green  des  Londoner  Kamin- 


1)  K.  MüUonhoflf  Schwerttauz  S.  7. 

2)  Rom.  Myth.  S.  317  ff. 

3)  Apollon  und  Mars.     Lpzg.  1873,  S.  25  —  28.  45. 

4)  Itaüsche  Mythen.     Rhein.  Museum  XXX.    Bonn  1875,  S.  182—229. 


298      Kapitel  V.    Persönlicho  Vegetationsgobter  in  Jahrfostgcbranchen. 

fegerumgangs  (Bk.  426)  wieder.  Usener  macht  in  seiner  lehr- 
reichen Abhandlung  zugleich  einleuchtend,  daß  die  bis  in  die 
Gegenwart  hinein  lebendige  Neigung  des  Volkes,  Kalendertage 
oder  Zeitabschnitte  in  mythischen  Personen  zu  verbildlichen  und 
auf  letztere  die  Functionen  von  Yegetationsgeistem  zu  übertragen 
(s,  0.  S.  184  flF.  188.  192.  286),  bereits  in  den  Tagen  der  römi- 
schen Königszeit  wirksam  war,  und  daß  auch  in  dem  symboli- 
schen Begräbniß  der  Charila  zu  Delphi  eine  dem  Todanstragen 
verwandte,  einheimisch  griechische  Ceremonie  zu  finden  ist 
Kennten  wir  die  religiösen  Volksgebräuche  der  Landstädte  und 
Dörfer  von  Hellas  und  Italien  im  Altertum  auch  nur  so  vollstän- 
dig, wie  diejenigen  von  Athen  und  von  Rom,  so  würde  sich 
(nach  den  vorstehenden  Fingerzeigen  zu  urteilen)  eine  Fülle  jetzt 
ungeahnter  einheimischer  und  naturwüchsiger  Correspondenzen 
der  nordischen  Lätare-,  Fastnachts-,  Maitags-,  Pfingst-  und 
Johannistagsgebräuche  herausstellen,  über  welche  eine  vollstän- 
dige Sammlung  und  kritische  Untersuchung  der  spanischen,  ita- 
liänischen^  neugriechischen  Volksgebräuche  uns  wol  in  Zukunft 
noch  einmal  wenigstens  mittelbare  Kunde  znftthrt.  Eine  solche 
Sammlung  würde  uns  zugleich  den  Umfang  und  den  Grad  der 
Uebereinstimnmng  zwischen  den  gräcoromanischen  und  den  deut- 
schen, slavischen,  keltischen  Bräuchen  vor  Augen-  stellen,  und 
dadurch  einige  Handhaben  darbieten  zur  Entscheidung  der  ftir 
den  Augenblick  noch  verfrühten  und  unlöslichen  Frage  nach  dem 
historischen  Vcrhältniß  dieser  Bräuche  untereinander  und  zu  den 
vorhin  mehrfach  erwähnten  vorderasiatischen  Kulten.  Von  den 
drei  ttberliaupt  in  Betracht  kommenden  Möglichkeiten,  die  Ueber- 
einstimmung'  zu  erklären,  Vererbung  aus  einer  dem  gemeinsamen 
Stammvolk  angeh(*)rigen  proethnischen  Grundform,  selbständiger 
Entstehung  bei  mehreren  Völkern  aus  gleichen  psychischen  Kei- 
men, Verbreitung  von  Volk  zu  Volk  durch  Entlehnung  und 
Ucbcrtragung,  von  diesen  drei  Möglichkeiten  liegt  die  erste  in  un- 
serm  Falle  weiter  ab.  Eine  Verbreitung  vorderasiatischer  Religions- 
gcbräuche  zu  Deutschen  und  Slaven  in  altheiduischcr  Zeit  wäre 
an  und  flir  sich  cbensowol  möglich  als  die  Wanderung  der  phoc- 
nikischen  Schriftzeichen  und  der  babylonischen  siebentägigen 
Woche,  sowie  mancher  Kulturpflanzen  und  Haustiere  nach  dem 
Norden.  Wann  aber  und  auf  welchem  Wege  sollte  sie  geschehen 
sein?      Sie  müßte  Italien  bereits   vor  der  römischen  Königszeit 


Ergebnisse.  299 

and,  bevor  der  Adoniskult  in  seiner  jetzigen  Form  fixiert 
wurde,  erreicht  haben.  Zu  welcher  Zeit  erfolgte  der  Uebergang 
nach  Deutschland?  Unsere  Untersuchungen  im  ersten  Teile 
dieses  Werkes  bringen  darüber  keinen  Aufschluß;  ja  wir  haben  die 
Frage  nicht  einmal  berührt,  da  es  sich  (nach  Bk.  S.  6)  bei  unse- 
ren Zusammenstellungen  daselbst  „noch  nicht  um  die  Darlegung 
irgend  welcher  historischen  Verwandtschaft y  sondern  um  die 
üescJireibung  vofi  Typen  handelte''  Wir  führten  demnach  als  der 
in  mannigfachen  Bräuchen  ausgeprägten  Vorstellung  von  der 
Baumseele  und  den  Waldgeistern  der  Idee  nach  am  nächsten 
sich  anschließend  jenen  Complex  von  Volkssitten  auf,  welcher 
die  verschiedenen  Arten  und  Formen  des  Maibaums  (bzw.  Som- 
mers)^ Laubmanns,  Maibrautpaars  und  Sonnwendfeuers  umfaßt. 
Die  genannten  Volkssitten  sind  durch  ein  so  enges  Band  gegen- 
seitiger Beziehungen  miteinander  verknüpft,  daß  es  folgerichtig 
erscheint,  ihnen  im  Ganzen  und  Großen  eine  gleichzeitige  und 
genieinsame  Herkunft  zuzutrauen ;  somit  würde  der  Nachweis  über 
das  Vorhandensein  des  einen  Stückes  zu  einer  bestimmten  Zeit 
zugleich  das  Vorhandensem  der  übrigen  mit  Wahrscheinlichkeit 
bezeugen.  Die  älteste  Spur  vermeinten  wir  in  dem  von  uns  fllr 
Verbrennung  des  Laubmanns  erklärten  großen  Jahresfeuer  der 
Gallier  hundert  Jahre  vor  Christo  aufzufinden  (Bk.  525  fi^.);  zwei 
Jahrhunderte  später  glauben  wir  in  dem  Berichte  des  Tacitus  vom 
Kultus  der  Nerthus  eine  römisch  gefärbte  Beschreibung  der  Früh- 
lingseinholung und  Wassertauche  des  Vegetationsdämons  erkennen 
zu  müssen  (Bk.  567  fl^.).  Haben  wir  recht,  so  mtlßte  die  Entleh- 
nung dieser  Kultgebräuche  aus  der  Fremde ,  falls  überhaupt  Ent- 
lehnung vorliegt,  vor  Beginn  unserer  Zeitrechnung  erfolgt  sein. 
Wir  sind  jedoch  nicht  berechtigt,  diese  unsere  mit  guten  Gründen 
gestützte  vermutungsweise  Deutung  der  beiden  Kulte  schon  als 
grundlegende  Tatsache  mitreden  zu  lassen.  Erst  im  achten  Jahr- 
hundert zeigen  uns  die  Synoden  unter  Karlmann  das  Notfeuer 
als  einen  von  der  Kirche  für  heidnisch  erklärten  Brauch  in  deut- 
schen Landen  (Bk.  5 18);  ob  derselbe  schon  im  deutschen  Heiden- 
tum geübt  wurde,  oder  in  die  früh  zum  Christentum  bekehrten 
südlichen  und  westlichen  Diöcesen  Deutschlands  aus  der  römischen 
Welt  gekommen  war,  erhellt  aus  dem  Zeugniß  der  Synoden  nicht. 
Im  12.  Jahrhundert  tauchen  in  Frankreich,  Griechenland  (Bk.  470) 
die  ersten  Belege  für  das  Sonnwendfeuer  am  Vorabend  St.  Johannis 


Mf      CipäKlT.    Persönliche  Yegetationsgeister  in  Jahrfestgebr&ncheD. 

(sipc&scaie  und  zugleich  ftlr  die  Verbindang  desselben  mit  der  Mai- 
^nofisehaft  auf.  Einen  urkundlichen  Belag  über  den  Maibaum 
bdo^  endlich  das  Jahr  1225  (Bk.  170),  und  bald  darauf  b^in- 
neit  die  Zeugnisse  für  den  Maigrafen ,  welcher ,  aus  dem  Laub- 
ttuum^  Haikönig  abgezweigt,  diesen  mit  bewährt  (Bk.  369  ff.).  In 
liaüen,  Frankreich  und  Deutschland  sehen  wir  nicht  viel  später 
^$aec.  XIY)  die  heutzutage  auch  in  Rumänien ,  Spanien  n.  s.  w. 
oiK'hzuweisende  Sitte,  vor  dem  Hause  des  geliebten  Mädchens 
einen  Maibaum  aufzustecken.  Fiele  in  diesen  Fällen  die  Greogra- 
phie  und  Chronologie  der  ersten  literarischen  Erwähnung  notwen- 
dig zusammen  mit  dem  Zeitpunkte  und  Local  der  ersten  Ekitste- 
hung  der  Bräuche,  wenigstens  der  in  Rede  stehenden  Form  der- 
selben, so  würde  unserer  Deutung  des  Nerthuskultus  und  jenes 
gallischen  Jahrtagsfeuers  auf  denselben  Complex  von  Gebräuchen 
eine  große  Schwierigkeit  erwachsen.  Aus  mannigfachen  Gründen 
sind  wir  jedoch  berechtigt,  einen  solchen  Schluß  in  seiner  AUge- 
meinheit  zurückzuweisen ;  schon  die  Lückenhaftigkeit  der  bisheri- 
gen Ausbeute  des  älteren  Schrifttums  nach  den  hier  einschlägi- 
gen Gesichtspunkten  hin  muß  vor  voreiligen  Schlüssen  warnen 
Können  wir  in  dem  verhältnißmäßig  späten  Zeitpunkt  der  litera- 
rischen Zeugnisse  keinen  Grund  sehen,  an  dem  weit  früheren 
Alter  unserer  Fastnacht-,  Maitags-  und  Sonnwendgebräuche  zu 
zweilein,  so  erheischt  doch  das  mehrfach  gleichzeitige  Auftreten 
derselben  in  gleicher  volkstümlicher  oder  kirchlichgewordener  Form 
auf  dem  Boden  des  griechischen,  romanischen,  deutschen  Mittel- 
alters eine  gesonderte  eingehende  Erklärung  und  Untersuchung 
des  Entstehungsheerdes  jeder  Spezialform  für  sich.  Wir  werden 
uns  der  P^insicht  nicht  verschließen  können,  daß  wir  es  hier  nicht 
überall  mit  einfachen  Verhältnissen  zu  tun  haben,  daß  wir  nicht 
den  Produkten  einer  gradlinigen  parallelen  Entwickelung  aus 
uralten,  einander  sehr  ähnlichen  Geistesgebilden  des  nationalen 
Heidentums  jedes  dieser  Länder  gegenüberstehen,  sondern  daß  im 
Mittelalter  die  betreffenden  Volksgebräuche  der  europäischen  Län- 
der in  der  irgendwo  erhaltenen  Modification  mit  Ueberspringung 
der  Sprachgrenzen  weiter  verbreitet  und  wechselseitig  ausgetauscht 
seien.  Es  bleibt  dabei  immer  die  Möglichkeit  bestehen,  daß  in 
sehr  alter  Zeit,  bereits  um  den  Beginn  der  christlichen  Aera,  ein 
Grundstock  sehr  ähnlicher  Bräuche  in  den  südlichen  und  nordi- 
schen Ländern  Europas  bestand;   es  bleibt  die  Möglichk/nt ,  daß 


ErgebiiisBo.  301 

derselbe  in  einer  dem  Adonis  -  und  Attiskult  voraufgehenden  Form 
ans  Vorderasien  vielleicht  über  Italien  und  GjiUieu  eingewandert 
war.  Von  solcher  Möglichkeit  ist  es  ein  weiter  Abstand  bis  zur 
Wahrscheinlichkeit  oder  Gewißheit;  und  das  von  der  neueren 
Anthropologie  auf  das  unwiderleglichste  erwiesene  „psychische 
Elinerlei  des  Menschengeschlechtes"  '  nötigt  uns,  als  gleiche  Mög- 
lichkeit anzuerkennen,  daß  in  Nordeuropa,  bei  den  sUdeuropäischen 
Stämmen  und  in  Vorderasien  die  in  Frage  stehenden  einander 
analogen  Frühlings-  und  Sommergebräuche  selbständig,  aus  glei- 
cher Geistesorganisation  erzeugt  seien. 

Bei  diesem  verwickelten  Zustande  der  Frage  bleibt  der  For- 
schung nichts  übrig,  als  dem  Urteil  über  den  historischen  Zusam- 
menhang ^  die  Herkunft  und  die  Geschichte  des  gesammten  Com- 
plexes  der  in  Rede  stehenden  Bräuche  vor  der  Hand  zu  entsagen 
und  sich  einfach  darauf  zu  beschränken ,  die  Gestalt,  den  Tyi)us, 
die  Merkmale  und  die  Bedeutung  derselben  festzustellen,  die 
näheren  und  weiteren  Uebereinstimmungen  derselben  geographisch 
und  historisch  zu  verfolgen,  im  Emzelnen  Sproßformen  und  Ent- 
lehnungen von  Mutterformen  (vgl.  z.  B.  Bk.376,  o.  S.288fif.)  morpho- 
logisch zu  scheiden  und  womöglich  chronologisch  zu  fixieren  und 
so  allmählich  feste  aus  innerer  mori)hologischer  und  äußerer  ur- 
kundlicher Chronologie  zusammengesetzte  Anhaltspunkte  zu 
gewinnen,  welche  bei  fortgesetzter  Ausbeute  der  Literatur  und  des 
Volkslebens  mit  der  Zeit  zu  deutlicher  Einsicht  auch  in  das  flir 
jetzt  noch  unklare  geschichtliche  Verhalten  führen  werden. 


1)  ünkrindige   seien  darüber   hier  nur   auf  Peschels  klare  Auseinander- 
setzung „Völkerkunde.     Leipzig  1874,  S.  22— 27"  verwiesen. 


Kapitel  Tl. 

Sonnwendfeuer    im  Altertum. 

A. 

Orientalische    und    altrömische   Sonnwendfeuer. 

§.  1.  Orientalische  Sonnwendfeuer.  Sollte  jemand^  trotz 
der  0.  S.  259  ff.  nachgewiesenen  Uebereinstimmangen  bis  ins  Kleinste 
hin,  im  Zweifel  sein,  ob  das  Fest  der  syrischen  Göttin  mit  der 
Verbrennung  des  Maibaums  in  unseren  Oster -Maitags-  und 
Johannisfeuem  nur  zufällig  übereinkomme,*  oder  damit  als  Sproß- 
form desselben  Typus  zusammengehöre ,  so  muß  erwiedert  werden, 
daß  auch  die  schon  längst  und  immer  wiederholt  bemerkte  Aehn- 
lichkeit  unserer  Sonnwendfeuer  mit  den  heiligen  Feuetm  der 
Phoeniker,  Syrer  und  anderer  Semiten,  durch  welche  die  Festf eiern- 
den ihre   Söhyie  und  Töchter  hindurchgehen  ließen,^  sich   durch 


1)  Vgl.   auch  Nilson,  Ureinwohner  des  skandinav.  Nordens.     Hamburg 
1866.     S.  597 

2)  S.  über  diese  Feuer:  5.  Mos.  18,  10.  2.  Kon.  16,  3.  17,  17.  21,  6. 
23,  10.  Jer.  32,  35.  Man  ließ  die  Kinder  auf  den  Höhen  des  Baal  „hin- 
durchgehen dem  Moloch  (König)."  Wenn  in  mehreren  Parallelstellen  von 
Verbrennung  die  Rede  ist  (4.  Mos.  18,  21.  Jer.  7,  31.  19,  5),  so  ist  das  wol 
in  manchen  Fällen  Uebertreibuug:  doch  kam  auch  vullständige  Verbrennung: 
von  Kindern  nach  vorheriger  Tüdtung  vor  (Ez.  ü3,  37.  16,  20.  21:  Plutareh 
de  supcrst  c.  13.  Philo  bei  Euseb.  i)raep  evaug.  I,  10.  Cf.  Movers  Phoe- 
nizier  I,  380.  879.  31);  im  Kultus  der  Karthager  (Movers  301  flf.\  Moabiter 
(2.  Kön.  3,  27.  Inschrift  des  Mesa\  von  öepharvaim  (Syrien?  Mesopotamien? 
2.  Kön.  17,  31.  Movers  8.  410.)  und  zwar  jährlich  an  einem  bestimm- 
ten Tage,  wahrscheinlich  im  Hochsommer,  sodann  wie  bei  unsem  Not- 
feuern, um  Dürre j  Seuchen  oder  großes  Kriegsunglück  zu  wenden  oder 
abzuwehren.  Diese  Anwendung  bei  Kriegsunglück  war  wol  erst  secundär  aus 
dem  Begriff  größter  Calamität  entsprungen.  Vgl.  a.  J.  G.  Müller  Artikel 
Moloch  in  Herzogs  Realencycl.  der  protc-st  Theol.  IX.  717.  Eine  besondere 
Abart  war  die  Verbrennung  von  Kindern   in   einem    ehernen  Idol  mit  Stier- 


Oriontalische  Sonnwendfeaer.  303 

bisher  anbeachtet  gebliebenes  Detail  bis  in  Einzelheiten  hinein 
verfolgen  läßt.  Man  gönne,  da  hier  nicht  der  Ort  ist,  diese 
Sache  erschöpfend  und  allseitig  zu  behandeln,  gütigst  den  nach- 
stehenden Zasammenstelliingen  Raum.  Laisnel  de  la  Salle 
(Croyances  et  legendes  du  centre  de  la  France.  Paris  1875  T.  I. 
p.  79  flF.)  beschreibt  das  Johannisfeuer  (la  jonöe  d.  i.  joanee, 
jouannöe)  in  Berry  folgendermaßen:  „Dans  nos  villages,  la  veille 
de  la  St.  Jean  (23.  juin)  ä  la  tonibee  de  la  nuit,  chaque  famille 
foumit,  Selon  ses  facultes,  un  ou  plusieurs  fagots  pour  faire  la 
jonee.  On  emjnle  ccs  fagots  au  pied  et  le  lotuj  d'une  perche  fichee 
en  terre  sur  le  Heu  le  j^l^s  &minent  des  envirous.  [Dies  ist  der 
Maibaum  inmitten  des  Sonnwendfeuers.  Vgl.  Bk.  177  ff.  388. 
456.  463  ff.]  ...  ä  peine  les  fagots  commencent-ils  ä  pötiller 
et  se  tordre  sous  Tetreinte  des  flammes,  que  tous  les  assistants, 
jeunes  et  vieux,  se  prennent  par  la  main  et  se  mettait  ä  danser 
des  rondes  autour  de  la  jon^e.  Les  danseurs  se  n'arretent,  que 
pour  activer,  au  moyeyi  de  longues  perclies  [das  sind  die  Stroh- 
fackeln der  deutschen  Gebräuche]  l'ardeur  du  brasier  et  en  faire 
jaillir  des  jets  de  flammes  et  d'etincelles. . .  Tandisque  la  joyeuse 
faraudole  s'agite  en  chantant  devant  le  feu  de  la  jön^e,  les 
jeunes   gens   les  plus  lestes  s'en  detachent  de  temps  ä  autre,  et 


köpf  (Bnch  Jalkut ,  Rabbi  Kimdii,  R.  Jarcbi  Midrascb  £cha  ad.  Tbrcn.  c.  1, 9. 
Diod.  Sic.  XX,  14.  Plutarch  de  superstit.  c.  13.  Tertnllian  apolog.  adv. 
gent.  c.  9.  Miiiuc.  Fei.  Octav.  c.  30,  §.  3.  Clitarchi  Scliol.  in  Plat.  Sie- 
benkees  Anecd.  Gr.  p.  47.  Cf.  Seiden  de  diis  Syr.  I,  5,  p.  96.  Movors 
1,  379.)  Wir  begegnen  hier  mehreren  Typen.  1)  Ea  gab  ein  Feuer,  durch 
welches  Menschen  hindurch  liefen  oder  hindurch  sprangen.  Es  darf  zunächst 
als  Lustration ,  als  Verbrennung  der  schädlichen  Stoffe  oder  Krankheitsgeister 
bei  den  Hindurchlanfenden  gefaßt  werden,  erhält  aber  durch  seine  Vollziehung 
zu  Ehren  des  Baal  oder  El  eine  weitere  Beziehung  zur  Sonne:  2)  In  andern 
Feuern  wurden  Menschen  lebendig  oder  nach  vorheriger  Tödtung  verbrannt 
im  Kultus  derselben  Götter.  Hier  liegt  entweder  die  Vorstellung  eines  Opfers, 
einer  Darbringung,  oder  die  Symbolik  der  Verbrennung  eines  Repräsentanten 
des  schadenden  Dämons,  oder  endlich  die  symbolische  Darstellung  eines 
Naturvorgangs  als  Gedanke  zu  Grunde.  Alle  diese  Formen  rinnen  aber  in 
unsem  Quellen,  zumal  dem  alten  Testament,  der  Art  in  einander,  daß  eine 
Scheidung  im  Einzelnen  nicht  vorgenommen  werden  kann.  Wir  werden 
schließen  dürfen,  daß  sie  in  der  Tat  unter  einander  verwandt  sind,  und  ver- 
schiedene Seiten  eines  in  mehrfachen  Richtungen  sich  entfaltenden  Ideen- 
compleies  zur  Anschauung  bringen,  worüber  ich  die  nähere  Auseinandersetzung 
späterer  Gelegenheit  vorbehalte,  und  einstweilen  auf  Bk.  521  ff.  verweise. 


304  Kapital  VI.   Sonnwendfeuer  im  Altortam. 

s'elancent  ä  pltmeurs  reprises,  et  non  Sans  danger,  ä  travers  les 
flammes  de  Vincendie.  On  regarde  cette  tbnnalit^  comme  nne 
Sorte  de  pnrifications^  qui  chasse  les  mcdadies  et  qui  doit  porter 
bonheur  ä  ceux  qui  Vaccomplissent  Aussi  les  2)eres  et  les  meres 
ont'ils  soin,  lorsque  la  flamme  est  tombee,  de  prendre  les  petUs 
enfans  dans  leurs  hras  et  de  leur  faire  traverser  le  brasier  de  la 
joneeJ'  Wilde,  Irish  Superstitions  p.  49  berichtet  über  das 
Johannisfener  der  Bergschotten,  mit  seinen  Pfeiffem  und  Geigern, 
wie  es  in  späterer  Nacht  ganz  den  wilden  Character  der  Satnr- 
nalien  angenommen.  Jüngere  Leute  springen  durch  das  Feuer, 
ältere  gehen  leise  Gebete  murmelnd  rund  um  dasselbe.  Wollte 
jemand  eine  längere  Reise  unternehmen,  so  lief  er  dreimal  hin 
und  jsurikk  durch  das  Feuer.  Galt  es  eine  Heirat,  so  tat  er  es, 
um  sich  zu  der  ehelichen  Verbindung  zu  reinigen.  Hatte  er 
irgend  ein  Wagestück  im  Sinne ,  so  lief  er  durch  das  Feuer,  um 
sich  unverwundbar  zu  machen.  Wenn  das  Feuer  matter  wurde, 
gingen  die  Mädchen  hindurch,  um  gute  Männer  zu  bekommen, 
schwangere  Frauen  sah  man  hindurchgehen,  um  eine  glückliche 
Niederkunft  zu  haben,  selbst  Kinder  sah  nmn  durch  die  glühen- 
den Kohlen  tragen.  Damit  vergleiche  man  zunächst  den  Bericht 
des  Bischofs  Theodoret  (saec  5  p.  Chr.)  zu  Cyrus  in  Syrien  über 
den  zu  seiner  Zeit  daselbst  geübten  Brauch :  eidov  yaq  hv  tiai 
Ttoleatv  OLTia^  tov  erovg  ev  talg  /ilaTeiatg  ämofuvag  fcvQccg 
xat  TavTug  riväg  vneqaXXofxivovg  xai  nrßüvxag  ov  fiovov 
Tvaldag  aD.ä  xal  ävÖQag  .  za  di  ye  ßqeipti  naqä  xüv  fiijTe- 
Q(ov  7taQoicpeq6f.iEva  cJia  xi^g  q)Xoy6g.  ido'KSi  öi  rovto  ano- 
TQ07iiaaf.i6g  elvai  yxxI  xd&aQOig.^ 

Hiezu  füge  ich  zunächst  einige  Aussagen  altjüdischer  Rab- 
biuen,  von  denen  es  hinsichtlich  der  auf  das  MolocMener  bezüg- 
lichen freilich  noch  fraglich  bleibt,  ob  sie  auf  Ueberlieferung  oder 
nur  aufConjectur  beruhen.  Nach  den  Erläuterungen  des  Talmud 
zu  den  Büchern  der  Könige  bestand  das  Molochfeuer  aus  einem 
Scheiterhaufen,  durch  welchen  inmitten  einer  doppelten  Mauer 
von  Ziegelsteinen  erwachsene  Menschen  oder  Kinder  hindurch- 
liefen, geführt  oder  getragen  wurden.  In  der  Mischnach,  San- 
hedrin  p.  64  ist  auseinandergesetzt,  daß  nur  derjenige  als  wirk- 
lich straflfäUig  zu  betrachten  sei,   bei  welchem  beide  Stücke  zu- 


1)  Theodoreti  Opp.  ed.  Sinüond.  Paris.  1642.  I,  352.    Myth.«  592. 


Oriontalisflie  Sonnwondfener.  BOT) 

sauimentrefFcn ,  daß  er  sein  Kind  dem  Priester  ftlr  den  Moloch 
überliefert  und  daß  er  es  durchs  Feuer  geitihrt  habe.  Dies 
erläutert  die  Gemara  z.  Sanhcdrin  p.  04  B  dahin  „Es  lehrte 
Kaph  Jehnda  (saec.  3  p.  Chr.):  Er  ist  nur  dann  straflTällig.  wenn 
er  seinen  Samen  so  durchttihrt,  wie  es  Gebrauch  ist.  Wie  war 
es  denn  Brauch?  Darauf  sagte  Abaji  (Zeitgenosse  Constantins 
des  Großen):  p]in  Feuer;  Ziegelsteine  in  der  Mitte  und  Feuer  von 
der  einen  Seite  und  Feuer  von  der  andern  Seite.  Kabba  aber 
(zu  derselben  Zeit):  Es  war  eine  Art  Verehrung  wie  das  Schwin- 
gen am  Purimfeste."  Nach  älteren  Quellen  erläutert  der  Com- 
mentator  Kaschi  (1040  — 1105  p.  Chr.)  die  vorstehende  Gemara: 
Die  Durchfuhrung  fand  statt,  ohne  daß  der  Tod  des  Durchge- 
führten notwendig  war.  [Dagegen  führt  der  Verfasser  des  Wiirter- 
buchs  Aruch  eine  andere  Erklärung  an,  wonach  die  Hinüber- 
fbhrung  über  die  Ziegelsteine  so  lange  wiederholt  wurde,  bis  das 
Feuer  den  Durchgeführten  ergrifi'  und  er  in  dasseli)e  hineinfiel]. 
Man  ttihrte  den  betrefiFenden  Menschen  nicht  schrittweise,  sondeni 
man  sprang  wie  die  Kinder  am  Purimfeste.  Da  war  eine  Grube 
in  der  Erde,  worin  Feuer  brannte,  und  man  sprang  von  Kand  zu 
Kand.  [Wiederum  berichtet  das  Wörterbuch  Aruch  aus  älteren 
Schriftstellern,  es  sei  in  Babylon  und  Elam  der  Gebrauch 
gewesen,  daß  Bursche  sich  Bilder  und  Figuren  Ilamans  fer- 
tigten und  diese  auf  ihren  Dächern  vier  bis  fünf  Tage  aufhängten. 
An  den  Purimtagen  machten  sie  ein  Feuer  und  warfen  diese 
Figur  hinein,  stellten  sich  rings  umher  und  sangen  Lieder  dazu. 
Sie  hatten  einen  King  über  dem  Feuer  aufgehängt.  Darein  griffen 
sie  und  sprangen  so  von  der  einen  Seltr,  des  Feuers  zu  der 
anderen  Seite.\  —  Dieser  Nachricht  liegt  sicher  tatsächliches 
Material  zu  Grunde. 

Die  vorstehenden  Bräuche  wurden  in  Phoenikien  zu  Ehren 
des  Sonnengoites  Baal  geübt.*  Wie  sie  einschließlich  der  Ver- 
brennung der  aus  Lumpen,  Stroh  u.  dgl.  hergestellten  Menschen- 
gestalt mit  den  deutschen,  russischen  u.  s.  w.  Sonnwendfeuern 
sich  decken,  ist  Bk.  407  ff.  nachzusehen.  Es  erhellt  deutlich, 
daß  der  Ritus  des  Purimfestes  ursprünglich  eine  von  den  Ein- 
gebomen in  Babylon  und  Elam  geübte  Volkssitte  war,  w^elclie 
die  jüdische  Kolonie  sich  aneignete  und  hi  ihrem  Sinne  umdcu- 

1)  Movtrs  a.  a.  O.  Ö.  I,  178—184. 

Maiinbardt.     II.  20 


306  Kapitel  VI.    Sonnwendfeuer  im  Altertum. 

tete,  indem  ihr  der  in  effigie  verbraunte  Dämon  des  Mißwachses, 
der  Krankheit  (Bk.  622)  zum  Bilde  ihres  Nationalfeindes  Haman, 
wie  den  Christen  zum  Bilde  des  Verräters  Judas  wurde.  Wir 
finden  aber  dieselbe  Sitte  nach  zweien  Seiten  hin  noch  weiter 
über  den  Orient  verbreitet,  und  zwar  in  Indien  sowol  als 
Acgypten. 

Aus  dem  arischen  Teile  Indiens  ist  mir  nur  die  unserem 
Notfeuer  (Bk.  518  flF.)  entsprechende  Vorschrift  in  Ä^valäyanas 
Hausregel  IV  8,  40  —  42  bekannt,  bei  einer  Viehseuche  dem 
Kudra  in  der  Mitte  der  Kuhhürdc  ein  Feuer  anzuzünden  und, 
nachdem  man  die  Opferstreu  und  geschmolzene  Butter  in  das- 
selbe geworien,  die  Kühe  durch  den  Bauch  iu  fi\hrcn.^  Aus- 
führlicheres kann  ich  von  mehreren  Stämmen  der  dravidiscben 
Urbevölkerung  Südindiens  berichten.  Dem  Berichte  des  Missio- 
nars J.  J.  Metz  „über  die  Volksstämme  der  Nilagiris.  Basel  Ver- 
lag des  Missionshauses  1858"  entnehme  ich  zunächst  die  fol- 
genden Tatsachen.  Im  Süden  des  Hochlandes  von  Mysore  steigt 
das  Gebirge  der  Schwarzberge,  Nilagiris,  bis  zu  9000  Fuß  Höhe 
hinan;  es  wird  von  einem  eingewanderten  Tamulenstamm ,  den 
Todas,  und  mehreren  ciugebornen  canaresischen  Stämmen 
bewohnt,  unter  denen  wieder  das  in  is  Klassen  geteilte  Volk 
der  Badagas  das  vornehmste  ist.  Ucber  die  eine  dieser  Klassen 
äußert  Missionar  Metz  S.  54  —  56:  „Die  Ilaruwaru  sind  eine 
gesunkene  Brahminenklasse,  stehen  aber  dessen  ungeachtet  an 
Unreinigkcit  und  Schmutz  den  übrigen  Bergstämmen  nicht  nach, 
Ihre  Brahminenschnur  und  der  anererbte  Stolz  sind  alles,  was 
sie  noch  besitzen,  um  zu  zeigen,  daß  sie  der  Klasse  der  Zwei- 
malgebornen  angehören.  In  der  Regel  tragen  sie  Lasten  flir 
Europäer,  es  sei  denn,  sie  vermuten,  dieselben  enthalten  Fleisch. 
Sie  wohnen  teils  in  einigen  Dörfern,  von  denen  sie  sechs  inne 
haben,  teils  aber  auch  zerstreut  unter  den  Badagas,  denen  sie 
zur  Erntezeit  als  Priester  dienen.  Bei  dieser  Gelegenheit 
waren  sie' geivohnt,  alle  zwei  Jahre  mit  noch  andern  Lingait^ 
barfuß  auf  glühenden  Kohlen  zu  laufen  und  vor  den  Augen  der 
kurzsichtigen  Zuschauer  ein  Wunder  zu  tun,  Sie  gaben  vor, 
derOott,  dem  sie  dienen,  lindere  die  Hitze  und  mache  dasFener 


1)  iStcnzlcr,    At;valayanas  Hausregoln.     Heft  2.     Tebersf^tzung.     Lpj^r. 
18G5.    S.  144. 


Orientalische  Sonnwoitdfeuer.  307 

für  sie  unschädlich.  Weil  sie  aber  nur  wenige  Secunden  auf  den 
Kohlen  verweilten,  ^var  es  natürlich,  daß  ihnen  die  Hitze  nur 
geringen  Schaden  zuttigte.  Einmal  kam  einer  dieser  Leute  zu 
mir  und  bat  um  eine  Salbe  fUr  seine  Füße;  er  fügte  hinzu,  in  der 
Aufregung  habe  er  etwas  länger,  als  üblich  sei ,  auf  den  Kohlen 
verweilt  und  in  Folge  davon  seine  Fußsohlen  ziemlich  verbrannt. 
Trotz  dieses  ofiFenbaren  Betruges,  gab  es  doch  jederzeit  Hunderte 
von  Badagas,  die  sich  versammelten  und  mit  Verwunderung 
einem  solchen  Schauspiele  zusahen.  Als  die  Regierung  unlängst 
einen  Befehl  erließ,  welcher  die  obige  Unsitte  verbot,  so  glaubten 
sie,  ich  hätte  denselben  veranlaßt,  und  überschütteten  mich  mit 
den  furchtbarsten  Verwünschungen.  Bald  darauf  ging  eines 
ihrer  Dörfer  in  Flammen  auf.  Um  das  Unglück  zu  erklären, 
behaupteten  sie,  es  sei  nichts  anderes,  als  eine  Offenbarung  des 
Zornes  ihres  Gottes,  w^elcher  auf  diese  Weise  seine  Unzufrieden- 
heit gegen  das  Regierungsverbot  an  den  Tag  lege."  Hiezu  stellt 
sich  das  Fest  Ä'ezupyson  tinmul  bei  den  Tamulen  in  Französ. 
Indien,  an  ivelchem  ein  ungeheurer  Scheiterhaufen  errichtet  tvird, 
um  den  die  Menge  tanzt,  und  durch  dessen  Kohlen  sie  springt^ 
die  kleinen  Kinder  in  den  Armen  tragend.  Die  Holz  -  und  Aschen- 
reste werden  mit  heiliger  Scheu  von  den  Umstehenden  gesam- 
melt.^ Es  verlohnte  sich  zu  untersuchen,  inwiefern  damit  das 
angeblich  zu  Ehren  desDharma,  seiner  Brüder  und  ihres  Weibes 
Draupadi  gefeierte  Fest  zusammenhängt,  bei  welchem  die  Prie- 
ster der  Vislmuiten  in  Malabar  mit  bloßen  Füßen  durchs  Feuer 
gehend 

Während  in  den  vorstehenden  Beispielen  die  geographische 
Verbreitung  der  bei  den  Phoenikern  an  Baal  oder  El  geknüi)ften 
Feuer  sich  weit  in  das  südöstliche  Asien  fortsetzt,  ohne  daß  wir 
jetzt  schon  zu  sagen  berechtigt  wären,  ob  dieselben  genuin  oder 
von  Semiten  oder  einem  diesen  der  geschichtlichen  Entwickelung 
nach  voraufgehenden  Volke  entlehnt  waren,  spricht  nach  Sach- 
lage der  historischen  Verhältnisse  die  größere  Wahrscheinlichkeit 
flir  einen  immittelbar  semitischen  Ursprung  bei  dem  von  Manetho 
erwähnten  Sonnwendfciier  in  Aegypten.     „In  der  Stadt  Eileithyia 


1)  Inde  Fran(;ai8e  bei  Laisnel  de  la  Salle  a.  a.  0.  I,  84. 

2)  Ziegenbalf;  nialabar.  Gött^T  herausg.  v.  Geruian.  Madras  ii.  Erlangen 
18G7.  S.  99. 

20* 


308  Kapitel  VJ.  •  Sonnwendfcucr  im  Altertum. 

hat  man  sogar,  wie  Maiietho  erzählt ,  lebende  Menschen  verbrannt, 
die  man  Typhonische  7iannte,  und  ihre  Asche  mit  Getreideschwin' 
gen  in  alle  Winde  verstreut.  Dies  geschah  öffentlich  und  zu  eitler 
bestimmten  Zeit  in  den  Hundstagen,  *  Da  der  aegyptische  Set 
oder  Sutech,  den  die  griechische  Benennung  Typhon*  wieder- 
giebt,  seit  den  Zeiten  des  neuen  Reichs  viele  Züge  des  mit  ihm 
identifizierten  und  verschmolzenen  Baal  oder  Bär  der  kananäischen 
Hyksos  in  sich  aufgenommen  hat,"*  so  liegt  es  nahe  zu  vermuten, 
daß  dieses  Feuer  im  Hochsommer  aus  dem  Kultus  jener  semiti- 
schen Eindringlinge  stammte,  um  so  mehr,  als  im  echt  aegypti- 
schen  Gottesdienst  keine  Menschenopfer  nachweisbar  sind.  Plu- 
tarch  lUhrt  es  als  eine  durch  die  Oeffentlichkeit  des  Ritus  und  die 
Verbrennung  ohne  vorherige  Tödtung  unterschiedene  Steigerung 
der  Bedrohung  und  nachherige  Opferung  heiliger,  dem  Typhon 
geweihter  l'iere  auf,  welche  geschah,  so  oft  ein  heftiger  und 
beschwerlicher  Glutwind  verderbliche  Krankheiten  oder  andere 
ungewöhnliche  und  außerordentliche  Landplagen  im  Uebermaß 
herbeiführte.  Will  er  damit  sagen,  daß  auch  das  Feuer  an  den 
Hundstagen  den  gleichen  Zweck  erfüllte?  Geht  man  bei  dem 
Versuche  einer  Deutung  dieses  Brauches  von  der  nach  Meyers 
Nachweis  bereits  in  ältester  Zeit  vorhandenen  Grundbedeutung 
des  Set  als  Urhebers  alles  Schädlichen  und  Bösen  in  der  Natur 
aus,  und  nimmt  man  demgemäß  mitPlutarch  an,  in  den  „typho- 
nischen"  Menschen  solle  der  Dämon  als  in  den  Abbildern  seiner 
selbst  bestraft  werden,  so  stellt  sich  das  aegyptisch - kananäische 
Hundstagsfeuer  zu  denjenigen  Fonuen  unserer  Sonnwendfcucr,  in 
denen  „die  Hexe  u.  s.  w."  als  Abbild  der  schadenden  Macht 
(Bk.  522)  verbrannt  wird.  War  aber  dieser  Kult  nur  einfach  aus 
dem  Dienste  des  Biir  herUbergenommen,  so  kann  diese  Auffassung 


1)  Plutarch  Is.  et  Osir.  c.  73.  p.  12i).  Parthey:  xal  yuo  fv  nXftihit:; 
7i6/.fi  ^iüVT(cg  uvO^oatnoig  y.ui  t  :i  t  [.i  jIq  aa  av^  (hg  Alayffhog  iaTOQffXf, 
TvtfMvtovi;  yMXoin'Thg  y.(ti  Ttjr  r^fpQttv  li  %  ft  ojvt  fg  »}f/«r/cor  xul  it  i(a  n  tt- 
Qov.  üXXu  Tof'To  11  tr  i()\)((To  tfiivfniog  x(d  xulf  h'((  xniooy  /r  rtcig  xvrtlair 
ijfx^Qui  g. 

2)  Teber  den  aegyptisclien  Ursprung  auch  dieses  vom  Typhos,  Typhaon 
(o.  S.  85)  scharf  zu  trennenden  Namens  s.  H.  Krugsch  Zeitschr.  f.  Aegyptol. 
1875.  S.  5  ff. 

3)  Vgl.  Baudissin  Jalive  et  Moloch.  Lips.  1874  S.  :U— 32.  Ed.  M.ycr 
Set- Typhon.  Lpzg.  1875.  S.  47— 48.  51—58.    BaudiKsin  Studien  S.  278. 


Die  Piililion.  30n 

zwar  alt  sein,  wie  beim  Purinifeöte  (o.  S.  305),  aber  sie  ist  nicht 
notwendig  die  ursjrränglichc  gewesen,  und  wir  sind  berechtigt, 
auch  dem  von  Manetho  berichteten  Ritus  anfänglich  keinen 
anderen  Gedankeninhalt  zuzutrauen,  als  in  den  meisten  entspre- 
chenden Begehungen  der  Phoeniker,  Karthager  u.  s.  w.*  Das 
Hinausstreuen  der  Asche  nach  allen  Kichtungen  der  Windrose 
vermittelst  einer  Worfschaufel  oder  Gefreideschwinge  gleicht  auf- 
fallend dem  ausstreuen  der  Ische  tmserer  Sonnwendfeuer  auf  die 
Wiesen  und  Getreidefelder  (Bk  504.  512.  520.  521).  Denn  das 
bei  jener  Manipulation  in  Anwendung  gebrachte  Gerät  zeigt  deut- 
lich, daß  der  Verbrennungsstaub  durch  das  Sieb  nach  unten,  auf 
den  Boden  fallen  sollte.  Wer  die  Absicht  nicht  mehr  verstand, 
konnte  die  Ceremonie  sehr  leicht  in  einen  Akt  völliger  Vernich- 
tung (r]qittviuor)  der  Typhonrepräsentanten  umdeuten.  Zu  der 
Verbrennung  der  Typhonischen  Menschen  stellt  sich  der  altgalli- 
sche Brauch,  in  Mannsfiguren  aus  Weidengeflecht  Kriegsgefangene 
zu  verbrennen;  auch  von  dieser  Ceremonie  erwartete  man  J'rwc//^ 
harJceit  der  AecJccr,     Bk.  525  flF. 

§.  2.  Die  ValilieiK  Die  Brücke  zwischen  diesen  orientali- 
schen Begehungen  und  den  nordeuropäischen  Sonnwendfeuem 
bilden  der  heutige  Brauch  in  Griechenland,  zur  Zeit  der  Sonnen- 
wende ein  Feuer  anzuzünden,  durch  welches  die  Weiber  mit 
dem  Rufe  y^ich  lasse  meine  Sünden^^  springen;^  sodann  das  in 
die  frühesten  Tage  Koivis  zurückreichende  Fest  der  Palilien  oder 
Parilien.  Die  Uebereinstimmung  desselben  mit  unseren  Oster - 
und  Johannisfeuem  ist  allgemein  anerkannt;  es  verlohnt  sich  aber, 
dieselbe  einmal  wenigstens  kurz  in  ihren  feineren  Einzelheiten 
zu  beleuchten.  Die  Palilien  wurden  am  21.  April  sowol  in  den 
Städten,  als  auf  den  Dörfern  begangen,  und  zwar  unterschied 
man  in  beiden  eine  öftentHchc  Feier  von  Staats-  oder  Gemeinde- 


1)  Hängt  mit  dem  obigen  Hundsta^sbraucbe  noch  ursächlich  die  heu- 
tige Johannisfoler  in  Acgyptcn  zusammen?  ,,  Alexandria  6.  Juli  1844  .  .  . 
Man  hat  hier  eine  Ceremonie  am  Vorabend  des  Johannisfestes,  wo  die  Pest 
verbrannt  wird:  heuer  bat  die  Ceremonie  das  üebel  nicht  zu  bannen  ver- 
mocht. Allgcm.  Ztg.  1844  Beil.  S.  1653."  Oder  weist  das  bestimmte  Datum 
des  23.  Juni  auf  Entlehnung  dieser  Form  des  Brauchs  aus  der  christlichen 
Welt? 

2)  Preller  Köm.  Myth.  3G8.  Analogie  a.  d.  Türkei  s.  Magazin  f.  Lite- 
ratur d.  Auslandes  IJ^IO  p.  601.  Beul  les  Turques  en  Europe  II,  500. 


310  Kapitel  VI.    Sonnweudfeuer  im  Altertum. 

wegen  und  eine  private  der  einzelnen  Wirtschaften.*  Ovid  hat 
um  Fast.  IV,  721 — 861  die  eingehendste  aber  nicht  in  allen 
Stücken  deutliche  Keschreibung  des  Festes  hinterlassen.  Nach- 
dem er  V.  725 — 28.  731  —  34  aus  eigener  Anschauung  die 
Hauptstücke  der  städtischen  öflfentlichen  Begehung  angegeben.- 
wendet  er  sich  735  if.  zur  Schilderung  der  in  den  Vorstädten 
und  auf  dem  Lande  üblichen  privaten  Feier.  ^  Dieselbe  bestand 
aus  folgenden  Akten.  1)  Der  Schafstall  wurde  mit  Laub  und 
grünen  Zweigen  besteckt  und  an  der  Türe  ein  großer  Kranz  auf- 
gehängt, Hiemit  vergleicht  sich  die  nordeuropäische  Sitte,  am 
Johannisabend  die  Stuben-  und  Haustüren,  wie  zu  Pfingsten  mit 
grünen  Zweigen,  zu  schmücken.  In  Danzig  war  dieselbe  in  den 
an  die  Badaune  beim  Ausiiuß  in  die  Mottlau  anstoßenden  StraBen 
vor  2  Jahrzehnten  noch  in  folgender  Weise  geübt.  Ueber  der 
Haustür  wurden  Birkehzweige  angeheftet.  Vor  der  Tür  war  von 
ebensolchen  Zweigen,  eine  Laube  errichtet,  in  welcher  die  Familie 
Platz  nahm.  Wenige  Schritte  davor,  zwischen  Haus  und  Fluß- 
ufer, brannte  vor  jeder  Wohnung  ein  kleines  Johannisfeuer. 
Ebenso  geschah  es  in  Schottland.  Am  Abend  vor  Midsummer- 
day  ging  man  in  den  Wald  und  brachte  Zweige  heim,  die  über 
den  Türen  befestigt  wurden;  nachher  zündete  man  bontires  an, 
um  die  man  tanzte,  und  über  die  man  fortsprang  (Chambers  in 
Edinburgh  Journal.  2.  Juli  1842).  In  London  waren  alle  Türen, 
Haus  bei  Haus,  überschattet  von  grünen  Birkenzweigen,  und 
geschmückt  mit  Fenchel,  fetter  Henne,  weißen  Lilien,  vielen 
Kränzen  von  schönen  Blumen  und  brennenden  Lampen.  In  den 
Straßen  brannten  Johannisfeuer.^  Diese  grünen  Büsche  sind 
augenscheinUch   eins  mit  den   vor  Haus   oder  Viehsfall  am  Mai- 


1)  Varro  b.  Schol.  Persii  I,  72  Palilia  tarn  privata  r[uani  publica  amii 
apud  rusticoö.  Labeo  bei  Festus  \k  2bo  Müller  nennt  die  Parilia  unter  «le» 
l>opularia  saera. 

2)  In  dieser  nennt  er  als  handelnd  den  populus,  die  städtische  I>ür;:er- 
schaft:  fiir  die  aus  derselben  am  Acte  Teilnehmenden  allein  reichte  das  Blnt 
des  einen  Octoberrosses  und  der  Fordicidienkälber  aus. 

3)  liier  ist  der  „pastor''  Acteur,  die  Handlung  spielt  sich  z.  T.  in  den 
Schafställeu  ab ,  die  wir  in  der  Großstiidt  nicht  suchen  dürfen,  und  die  ganze 
Feior  ist  von  lebendigster  Frische  des  Wald-  und  Weidelebens  im  Gegensatz 
zu  den  städtischen  Verhältnissen  durchweht. 

4)  Stow,  Survey  of  London  bei  Brand  pop.  antiqu.  ed.  Ellis.  I,  307. 


Die  ralilien  311 

tag  zur  Vertreibung  der  Hexen  und  Gewinnung  von  Milchreich- 
tum  aufgepflanzten  Maibüschen  und  aufgehängten  Kränzen.  (Bk. 
161.  162.)  2)  Bei  Beginn  der  Abenddämmerung  (ad  prima  cre- 
pusenla)  wurde  ein  Feuer  von  Stroh  ayigezündet  und  man  trieb 
die  Schafe  hindurch  (v.  805  per  flaniuias  saluisse  pecus).  Hicbei 
räucherte  man  mit  Schwefel.^  Es  ist  aber  nicht  ersichtlich,  ob 
derselbe  in  den  Scheiterhaufen  geworfen,  oder  schon  vorher,  etwa 
im  Stalle,  zum  Brennen  gebracht  wurde.*  .*))  Vorher  schon  war 
vermöge  eines  Lorbeerquastes  der  Boden  gekehrt  und  mit  Wasser 
besprengt ,  ein  Rcinigungsakt,  der  griechischem  Ritus  entnommen 
zu  sein  scheint.  Vgl.  Bütticher,  Baumk.  361)  flF.  372  ff.).  Nun 
wurde  auch  noch  auf  dem  Herd  oder  einem  tragbaren  Altar  ein 
Lorbeerast  nebst  Zweigen  von  Oelbaum,  Fichte  oder  Sadelbaum 
verbrannt,  und  aus  dem  Knistern  des  Lorbeers  ein  gutes  Vor- 
zeichen entnommen  (v.  741  —  742).  Auch  diese  Cereraouie  war 
nichts  anders  als  eine  Accumulation  der  Käucherung  mit  Schwe- 
fel, eine  aus  dem  griechischen  Apollokulte  durch  die  Kömer 
entlehnte  Purgation,  von  der  man  die  Befreiung  von  Sünden  und 
Uebeln,  und  in  Folge  dessen  reiche  Korn-  und  Weinernte, 
Kindersegen  u.  s.  w.  erwartete.  (Vgl.  TibuU  H,  5,  79  flf.  Bötti- 
cher  a.  a.  0.  365  fl".).  4)  Gleichzeitig  brachte  der  Hirte  der 
Weidegöttin  Pales  ein  Opfer  von  Kuchen  aus  Hirsemehl  von 
Hirsekörnern  in  einem  Körbchen,  und  von  Milch  dar,  und  flehte 
sie  in  einer  dreimal  wiederholten  Gebetsformel  um  Abwendung 
und  Wiederentfernung  aller  derjenigen  Schäden  an,  welche  die 
Schallieerde  etwa  durch  den  Zorn  und  Anhauch  waldbewohnen- 
der Elfen,  der  Dryaden,  Faune  und  Nymphen  wegen  unabsicht- 
licher Schädigung  oder  Störung  ihrer  heiligen  Bäume,  Haine  und 
Grotten  sich  zugezogen  haben  könnte.  (Vgl.  den  Elfenanhauch 
0.  S.  36.  37.)  Ueberhaupt  erhellt  aus  diesem  Gebete  als  Absicht 
des  Palüienfeuers ,  alle  Krankheit  erzeugenden  Mächte  von  den 
Aufenthaltsorten  der  Schafhecrde  fern  zu  halten^^  die  zumeist  im 


1)  V.  739  Caerulci   fiant  de  sulphure   fumi,  tactaquo  fumanti  sulphure 
balet  Ovis. 

2)  Käucherii    mit    Schwefel    als    Lustrationsmittel    war    Griechen    und 
Römern  gemeinsam.     Hermann  G.  A.  §  23,  11. 

3)  V.  748  Eflfugiat  stabulis  noxa  repulsa  meis.  763.  Pelle  procul  morbos, 
aleant  hominesque  gregesque. 


312  Kapitel  VI.    Sounwendfeaerim  Altertum. 

W(dde  belegene  Weide  mit  reichlichem  Graswuchs  zu  begabeUj^ 
den  Tieren  volle  Euter  und  reichliche  Nachkomnienschaß  zu 
sichernd  Denn  unbedingt  sind  wir  berechtigt,  diese  zu  Ovids 
Zeit  von  Palcs  besonders  erflehten  Güter  nach  älterer  Auffassung 
ttlr  die  vermeintliche  unmittelbare  Wirkung  des  maßgebenden 
Kultakts,  des  Feuersprungs  zu  erachten.  Der  Idee  nach  steht 
also  das  Palilienfest  ganz  jener  Luzemischeu  ^^Weidbrüiüci'^  der 
Beräucherung  der  Viehweide  gleich,  durch  welche  der  Bauer 
alle  die  Frucht  beschädigenden  Fcldgespenster,  alle  das  Milchvieh 
behexenden*  Weiber  vertreiben  will.  (Bk.  520).  5)  Nach  dem 
Gebete  wusch  sich  der  Festteilnehmer  in  frischem  Jhendiau  (vivo 
rore)  die  Hände.  Zwar  kam  Waschung  im  Tau  auch  sonst  im 
römischen  Gottesdienst  vor,  doch  darf  mit  dieser  vielleicht  verglichen 
werden,  daß  der  in  der  Johannisnacht  oder  Mainacht,  ako  in  den- 
selben Nächten,  wann  die  Honnwend-  und  Maitagsfeuer  ange- 
zündet werden,  vom  Himmel  fallende  Tau  ebenso  in  Deutschland 
und  England  wie  in  Portugal  und  Aegypteu  für  wundersam 
kräftig  und  heilsam  zur  Vertreibung  von  Pest,  Hautkrankheiten 
gilt,  weshalb  man  sich  an  diesen  Tagen  darin  badet. ^  G)  Nach- 
dem sich  die  Festgesellschaft  der  Hirten  inzwischen  durch  einen 
Trunk  Milch  oder  Most  gestärkt,  beginnt  nun  auch  der  Sprung 
der  Menschen  durch  das  vermittelst  lleihung  zweier  Steine  crzcwjic 
und  mit  Stroh  oder  Heu  genährte  Feuert  Falls  die  Käucherung 
mit  Schwefel  einen  Akt  lür  sich  bildete,   nu*>gen  auch   die  Tiere 


1)  7G7.     Absit  iniqua  fames,  hcrbae  frondesqiie  supcrsint. 

2)  V.  771.  Sitque  salax  arics,  conceptaquc  Kcmioa  conjiix  rcd'lat. 

3)  S.  Mannliardt,  gerui.  Mytb.  28 — 33.     Brand  popul.  autiqu.  I,  218. 
Clioice-notcs  from  notes  aud  qucries.    London  1859.     S.  18. 

4)  V.  781  Mox([ue   per    ardentes   stipulae    cropitantis    acervos   trajioias 
celeri  strenua  membra  pede.     Cf.  Tibiill.  II,  5,  88: 

At  nuididus  Baccbo  sua  festa  Palilia  pastor 
Concinot:  a  stabulis  tunc  procul  este  lupi. 
Illü  levis  stipulao  solennes  potus  acervos 
A Geendet,  flammas  transilietque  sacras. 

Propert.  IV,  4,  75: 

Annua  pastorum  convivia,  lusns  in  urbc, 
Cum  pagana  madent  fercula  deliciis: 
Cumque  super  raros  foeni  flammantis  acervos 
Trajicit  immundos  ebria  turba  pcdes. 


Die  Palilicn.  313 

erst  jetzt  durch  die  Flamue  getrieben  sein.  Wie  bei  der  (*>tfent- 
lichen  Feier  mag  ein  jeder  den  Sprung  dreimal ,  d.  li.  je  einmal 
tlber  drei  hintereinander  gelegte  Haufen  brennender  Halme  gemacht 
haben. '  Aehnlich  lief  beim  schottischen  Bcaltinc  der  dazu 
Erwählte  dreimal  durchs  Feuer  (Bk.  üOS). 

Die  von  Stajitswcgen  angestellte  Feier  zu  Rom  unterschied 
sich  von  dem  Feste  der  Hirten  außer  der  Teilnahme  des  Pontifex 
Maximus  in  alter  Zeit  des  Königs,  der  als  geistlicher  pater 
familias  ttlr  das  Volk  opferte,-  wol  dadurch,  daß  nur  Menschen, 
nicht  mehr  Heerden  durch  die  Flammen  sprangen.  Es  war  ver- 
mutlich €  i  n  an  einem  bestimmten  Platze  angezündetes  Feuer,  zu 
welchem  die  VestaUnnen  den  Festteilnehmern  die  Materialien 
lieferten,  Bohnenstroh'^  und,  soweit  der  Vorrat  davon  reichte, 
Asche  der  Fordicidienkiilber  und  lUut  des  Octoherrosses.  Letz- 
tere wurden  als  limicheriingsmittel  (suffimenta)  in  das  nun  mit 
den  Bohnenhalmen  entlohte  Feuer  geworfen ;  diese  dreierlei  Dinge 
zusammen  bildeten  den  Keinigungsapparat  (februa  castaj,  durch 
welchen  die  Feiernden  von  der  Infection  physischer  Uebel  gesäu- 
bert werden  sollten.  Während  aber  die  brennenden  Halme  augen- 
*  scheinlich  die  Vernichtung  oder  Austreibung  der  Krankheitsgeister 
bewirken  sollten ,  vervollständigten  die  Äsche  der  Fordicidienköl- 
ber  und  das  Blut  des  Ocfoberpferdes  die  Idee  des  Brauches  nach 


1^  V.  72G.  Corte  ego  transsilui  positas  ter  iu  urdiuc  Haiuiuas. 

2}  Bocker- Marquardt  llandb.  d.  Köm.  Altort.  IV,  165. 

3)  V.  725  —  2(1:  (Vrto  ego  de  vitulo  cinereni  stipulainijuo  faba- 
lem  saopc  tuli  plcna,  febraa  casta,  manu.  Diese  Vorso  schildern  ledig- 
lich die  Herbeiholung  der  zum  Feuer  orF(>rdorlichen  Bestandteile.  Die 
hier  genannte  stipula  fabalis  ist  ohne  Zweifel  identisch  mit  den  V.  781 
und  797  als  Material  des  Palilienfcuers  selbst  erwähnten  ,,stipulao",  und 
dieser  Auifassung  steht  nicht  entgegen,  dalJ  Properz  IV,  1,  11^  V,  4,  77 
an  Stelle  dessen  mit  ungenauem  Ausdruck  ,,fuenum'*  nennt.  Die  Herbeiho- 
lung muß  jedoch  nicht  notwendig  von  einem  und  demselben  Orte  her  gesche- 
hen Sein,  und  sehr  wol  möglich  ist  es,  daß  das  Bohnenstroh  nicht  dem Penus 
Vestae  entnommen  wurde,  woher  Blut  und  Asche  nachweislich  kamen.  In 
Ovid.  Fa^t.  IV,  727:  ,,(/erto  ego  transsilui  positas  ter  in  ordine  flammas," 
ist  dann  die  Verwendung  der  Februa  im  Palilienfeuer  berichtet.  Die  her- 
gebrachte Deutung  \.  V.  725  —  26.  731  —  34  auf  ein  außerhalb  des  letzteren 
zur  Räucherung  verwandtes,  von  den  Vestalinnen  bereitetes  künstliches  Ge- 
misch von  Blut,  Asche  und  Bohnenstroh,  ist  ebenso  unnötig,  als  sachlich 
unwahrscheinlich. 


314  Kapitel  VI.     Suiiiiwcndfcuer  im  Altertum. 

einer  andern  Richtung  hin,  insofern  ihnen  nur  der  Zweck  unter- 
liegen konnte,  in  positiver  Weise  Gesundheit  und  Wachstums- 
kräfte  mitzuteilen.  Sechs  Tage  vor  den  Paiiiien,  am  15.  April, 
wurden  teils  auf  dem  Capitol,  teils  in  jeder  der  30  Curicn,  der 
Versammlungsörter  jener  gleichnamigen  Abteilungen  in  der  ältesten 
patrizischen  Bürgerschaft,  zu  Ehren  der  Erdgöttin  Tellus  träch- 
tige Kühe  (fordae)  geopfert.  Die  noch  ungeborenen  Kälber,  the- 
rimnorplhische  Gegenbilder  des  Numens  der  noch  im  Mutierschoß 
der  Halme  verborgenen  und  um  diese  Zeit  daraus  in  Gestalt 
von  Aehren  oder  Schoten  hervorbrechenden  'neuen  Früchte,  ^  riß 
man  dabei  aus  den  schwangeren  Leibern  und  die  älteste  der 
vestalischen  Jungfrauen  verbrannte  dieselben  wol  auf  dem  Staats- 
heerde  im  Vestatempcl  zu  Asche,  von  dort  holten  die  Fcstfeiem- 
den  die  letztere  am  21,  ab  zur  Verwendung  beim  Palilienfeuer.  * 
Die  Absicht  dos  Fordicidienopfers  zielte  dahin,  durch  gedeihliche 
Abwechselung  von  Regen  und  mildem  Sonnenschein  das  Gedeihen 
und  die  regelrechte  Geburt  der  keimenden  und  wachsenden  Halm- 
früchte und  jungen  Tiere  zu  sichern.  *      Die  aufbewahrte  Asche 


1)  Cf.  die  Cominentarii  pontificum  bei  Plinius  H.  N.  XVIII,  3,  3,  von 
dem  um  dieselbe  Zeit,  im  April,  stattfindenden  Opfer  rötlicher  Hunde  .,iit 
fruges  flavescentes  ad  maturitatom  j)erdueerentur.  Augurio  canario  aj^eudo 
dies  constituantur,  priusquam  frumenta  vaj^inis  excant  et  antequam  in  vagi- 
nas  porveuiant.  Cf.  Preller  K.M.  S.  438.  Einer  derartigen  Symbolik  ist  sich 
auch  noch  Ovid  bewußt.  IV,  632:  Nunc  gravidum  pecus  est,  gravidae  quo- 
que  somma  terrae.  Telluri  plenae  victima  jdona  datur.  Nur  darf,  da  das 
Getreide  bereits  in  Halmen  steht,  nicht  mehr  au  die  im  Mutterschoß  der  Erde 
verborgene  Saat  gedacht  werden. 

2)  Ovid.  Fast.  IV,  G37 : 

Ast  ubi  visceribus  vitulos  rapuere  ministri 
Sectaque  fumosis  extra  dedero  focis, 
Igne  cremat  vitulos  quae  natu  maxima  virgo  est, 
Luee  Palis  populos  purget  ut  ille  cinis. 
Id.  IV,  731 : 

1  pete  virginea,  populus,  suffimen  ab  ara, 
Vesta  dabit,  Vestae  munere  purus  eris. 
Sanguis  equi  suffimen  erit,  vituliquo  favilla 
Tertia  res  (^das  dritte  zum  Feuer  erforderliche  Stück  i 
durao  culmon  inane  fabae. 

3)  Als  Grund  der  Einsetzung  des  Kultus  wird  augegeben.  Ovid.  Fast: 
IV,  641: 

Rege  Numa  fructu  non  respondente  labori 
Irrita  decepti  vota  colentis  erant. 


bic  Palilien.  315 

der  Kälber,  welche  wieder  an  die  über  die  Saatfelder  ausgestreute 
Asche  der  Oster-  und  Maifeuer  erinnert,  kann  keinen  anderen 
Zweck  gehabt  haben,  als  ccrealische  und  animalische  Wachstums- 
krafl  und  Fruchtbarkeit  mitzuteilen.  Ganz  dasselbe  gilt  von  dem 
Blute,  d.  i.  dem  Lebenssaß  des  Octoberrosscs ,  d.  h.  des  beim 
Erntedankfest,  am  15.  October,  auf  dem  Marsfelde  geschlachte- 
ten, wahrscheinlich  als  Abbild  eines  dämonischen  Getreiderosses 
(von  derselben  Art  wie  Kornbock,  Kornkatze,  Komwolf,  Korn- 
hund, Kornstier  u.  s.  w.) '  mit  Broden  bekränzten  Pferdes,  um 
dessen  Haupt  als  um  ein  Heiltum  zwei  der  ältesten  Stadtteile 
Roms  sich  stritten.  Das  aufgefangene  Blut  scheint  von  den 
Vestalinnen  präpariert  und  bis  zum  Palilienfeste  im  Penus  Vestae 
bewahrt  zu  sein,  um  dann  mit  der  Asche  jener  Kälber  in  das 
lodernde  Feuer  geworfen  zu  werden.  ^  Den  Palilientag  hielt  man 
für  den  Gründungstag  Roms;  man  hatte  also  die  Vorstellung  von 
einer  in  unvordenkliche  Vorzeit  fallenden  Entstehung  des  Kultus. 
Bestätigt  wird  dieser  Glaube  durch  die  Beteiligung  der  Vestalin- 
nen daran  und  den  engen  Zusammenhang  der  in  die  früheste  Zeit 
der  Könige  hinaufreichenden  Agrargebräuchc  der  Fordicidien  und 
des  Octoberrosscs  mit  dem  Palilienfeuer.  Ich  vermute  nun  auf 
Grund  nordeuropäischer  und  griechischer  Analogien,  die  hier  noch 
außer  Betracht  bleiben  sollen,  daß  nach  ursprünglicher  Anschauung 

Nam  modo  siccus  erat  gclidis  aquiUmibus  aiinus, 

Nunc  ager  assidua  luxuriabat  aqua. 

Saepc  Ccrea  primis  dominum  fallebat  in  herbis 

Et  levis  obsesso  stabat  avcna  solo. 

Et  pecus  ante  diem  partus  odcbat  acerbos 

Agnaque  nascondo  sacpo  necabat  ovcm. 

Die  Wirkung  des  Opfers  v.  671: 

Exta  bovis  dantur  gravidao.     Folicior  annus 
Provenit,  et  fruetum  terra  pecusque  ferunt. 

1)  Den  Nachweis  für  diese  Behauptung  habe  ich  vermöge  nordcuropäi- 
schcr  Analogien  in  einem  später  zu  veröffentlichenden  eigenen  Aufsatz,  wie 
ich  glaube,  zu  hoher  Wahrscheinlichkeit  führen  können. 

2")  Fcstus  j).  178  s.  V.  October  equus.  Paul.  p.  222.  Panibus:  Plutarch. 
Quaest  Rom.  97.  Cf.  Preller  K.  M.  323.  Becker  -  Marquardt  Handb.  d.  Rom. 
Altert.  IV,  277  ff.  Preuncr  Hestia- Vesta  257  tf.  312.  313.  Ovid.  Fast.  IV,  733 
Sanguiö  equi  suffimen  erit  vitulique  favilla.      Propert.  V.  (IV),  1,  19: 

Annuaque  accenso  celebrare  Palilia  foeno, 
Qualia  nuuc  curto  lustra  novantur  equo. 


316  Kapitel  VI.     Sonnwciidfoiier  im  Altotura. 

au.s  dem  Blute  des  Octoberrosses  im  Frühling,  in  der  Zeit,  wann 
die  neuen  FrUcbte  sich  bilden,  das  dämonische  Korntier  sich 
wieder  erneuern  sollte,  und  daß  die  ins  Feuer  geworfene  Asche 
der  Fordicidienkälber ,  die  gleichfalls  Symbole  der  werdenden 
Früchte  sind,  den  erhofften  ungefährdeten  Durchgang  derseUicn 
durch  die  Sonnenhitze  des  Sommers  bedeuten  mochte.  Wie  dem 
nun  auch  sei,  jedesfalls  wird  dem  Schluß  nicht  auszuweichen 
sein ,  daß ,  abgesehen  von  der  Lustration  der  Menschen  in  jener 
alten  Zeit,  als  die  staatliche  Begehung  der  römischen  Palilien  ihre 
^äter  bleibend  gewordene  Form  erhielt,  ei^ie  ^zauberhafte 
Einwirkung  nicht  bloß  auf  den  Graswuchs  der  Wiesen 
und  Weiden,  sondern  auch  auf  das  Gedeihen  der  Feld- 
fruchte  beabsichtigt  wurde,  welche  vermöge  der  mehrfach 
besprochenen  Sympathie  mit  dem  animalischen  Lel>en  zugleich 
den  Menschen  Wachstumskräfte,  Gesundheit  u.  s.  w.  mitzuteilen 
bestimmt  war.  Hier  liegt  also  eine  zweite  Form  des  Brauches 
vor  neben  der  auf  die  Schafheerdc  beschränkten  Palilienfeier  der 
Hirten.  Sie  entstand,  als  die  palatinische  Altstadt  von  Rom,  erst 
durch  die  allernächsten  benachbarten  Ansiedelungen  enveitcrt, 
noch  aus  Ackerbürgern  bestand,  welche  durch  eigenen  Anbau 
ihre  Lebensbedürfnisse  deckten.  Wie  nun  unsere  Sonnwendfeuer 
sowol  in  jener  Beziehung  auf  die  Fruchtbarkeit  der  Getreidefel- 
der reichliche  Analogien  darbieten  (Bk.  4i>8ff.),  stellt  sich  ganz 
speziell  zu  dem  Ilinahiverfen  der  Kälberasche  und  des  Pferdeblu- 
tes  in  das  Palilienfencr  der  Umstand,  daß  nicht  selten  ganze 
Tiere  oder  Teile  von  Tieren  oder  Tierknochen  in  dem  Oster - 
oder  Johannisfeuer  verbrannt  iviirden,  wobei  der  Gedanke  nahe- 
liegt, dieselben  auf  die  theriomorphischen  Korndämonen  zu  deu- 
ten (Bk.  515).  Von  der  Anwendung  solcher  Knochen  (bones) 
ist  wol  noch  der  englische  Ausdruck  ,jbonfire'*  übrig.  In  Thü- 
ringen warf  man  ein  Fferdehaiipt  in  die  Flamme,  wie  in  Rom 
das  Pferdeblut  y  und  mau  darf  dabei  an  das  in  deutschen  und 
französischen  Erntegebräuchen  sicher  und  ausgiebig  nachweisbare 
Kornroß  erinnert  werden.  Im  Harze  hieß  das  Osterfeuer  das 
Bockshornbrennen  oder  kurzweg  das  Bockshorn^  ^  unzweifelhaft, 


1)  „Als»  die  Kinder  dort  (\\\  der  Stadt  Hasselfoldo  i.  J.  1559)  kurtz  zu- 
vor die  Oestcrlichoii  Foyertaj^o  über  [der  1.  Festtag  fiel  auf  d.  26.  März]  das 
Osterfeuer,  oder  wie  man  es  delJ  Orts  nennet,    den  Bockshorn,    vor  dem 


Die  Palilicn.  317 

weil  man  ehedem  ein  Boclcshorn  in  die  Flammen  wart",  weFches 
vermutlich  dem  Kornboek  (o.  S.  155  ff.)  angehcirig  gedacht  wurde. 
Menschen  müssen  ehedem  durchs  Boekshorufeuer  gelaufen  oder 
getrieben  sein;  denn  darauf  bezieht  sich  augenscheinlich  die 
Redensart:  ^ Jemanden  ins  Bockshorn  jagen ,  ins  Bockshorn  trci' 
hen,^^  d.  h.  in  blinden  Schrecken  setzen.  Das  Osterfeucr  sieht 
zwar  getahrlich  aus,  verbrennt  aber  den  Hindurchlaufenden  nicht. 
Die  Beziehung  des  (öffentlichen  Palilienfestes  auf  den  Acker- 
bau leitet  zu  dem  Kultus  der  Hirpi  Sorani,  einem  anderen  alt- 
italischen Sonnwendfeuer  hinüber,  welches  zu  erstcrem  sich  ver- 
hält, wie  unser  Johannisfeuer  zum  Osterfeuer.  Dasselbe  erlbr- 
dert  eine  für  sich  stehende  Betrachtung,  und  soll  deshalb  in  einem 
besonderen  Abschnitt  behandelt  werden. 


Flecken  brennen  und  dabey  allcrley  Ueppigkeit  treiben  gesehen,  solches  nach- 
zuahmen, haben  die  einföltigen  Kinder  Stroho  auf  einen  Schweinskoffen  zu- 
sammengetragen und  dasselbe  angestecket."  (Zeiller -Merian),  Topograph,  v. 
Braunschweig  u.  Lüneburg  1654,  S.  110.  In  der  Grafschaft  Wernigerode  wird 
in  der  zweiton  Hälfte  des  17.  Jahrh.  das  „Bockshornbrennen  oder  das 
abgöttische  Osterfeuer"  als  großes  Aergerniß  bezeichnet  (Zeit«chr.  d.  Harz- 
vereins. 1868,  S.  105).  Nacli  der  Amtsrechnung  von  1601  zu  1602  wurden 
Namens  der  Herrschaft  verausgabt:  ,,9  gioschon  Thomas  Hofchen  (alias  Wein- 
schenke) zur  Theertonnen  zum  Bockshorn."  Letzner,  historia  8t  Bonifacii. 
Hildesh.  1602  c.  12  bericlitet  auf  dem  Retberge  zwischen  Brunstein  -und  Wibb- 
rechtshausen  sei  am  Ostertage  bei  Sonnenuntergang  noch  bei  Menschengeden- 
ken das  Osterfeuer  gehalten,  ,,welchs  die  Alten  Bockshorn  geheißen."  Im 
Texte  steht  zwar  Bocksthorn;  aber  das  ist  Druckfehler;  denn  am  Rande  ist 
vom  Verfasser  bemerkt:  ,,Osterfewr  für  alters  Bockshorn  genand."  Danach 
ist  Myth. «  583  Anm.  1  zu  berichtigen.  Diese  Nachweise  entnehme  ich  der 
treft'lichen  Schrift  von  Jacobs,  der  Brocken  und  sein  Gebiet,  S.  168.  240. 


B. 

Hirpi    Soraiii. 

§.  1.  Getreldewölfc.  Führten  die  Untersuchungen  des 
dritten  Kapitels  uns  zu  der  Ueberzeugung ,  daß  die  Faune,  Sei- 
lene,  Pane,  Satyrn  und  Silvanc  der  Alten  unseren  Waldgcistem 
entsprechen  und  durch  diese  mit  den  Komgcistem  verwandt  sind, 
so  glaube  ich  nun  mit  ziemlicher  Wahrsclieinlichkcit  eine  Dar- 
Btellung  dieser  selbst  in  einem  altrömischen  Gebrauche  nach- 
weisen zu  können,  der  sich  aus  grauem  Altertum  bis  in  die 
Kaiseraeit  erhielt.  Mit  einem  Worte  gesagt,  die  Hirpi  Soratn 
scheinen  Darstellungen  der  Getreidcwole  gewesen  zu  sein. 

lieber  letztere  habe  ich  in  einem  eigenen  Schriftchen '  gehan- 
delt. Hier  sei  mit  Einfiigung  vieles,  durch  Nennung  des  Fund- 
orts und  etwaige  literarische  Belege  gekennzeichneten  neue« 
Materials  nur  so  viel  wiederholt,  als  zum  Verständniß  notwendig 
erscheint,  im  Uebrigen  aber  auf  meine  ausführlichere  Abhandluug 
verwiesen.  Die  Namen  Boggenwolf^  Kormvolfj  Haferwolf,  Fflau- 
menwolf,  G-rastvolf  bezeichnen  eine  der  mannigfachen  Formen, 
unter  denen  der  im  Winde  und  zugleich  im  Leben  der  Kräuter 
und  Bäume  waltende  Geist  des  Wachstums  dem  Glauben  der 
Vorwelt  als  persönlich  geworden  vorschwebte.  Wann  der  Wind 
die  Aehren  des  Saatfeldes  in  wellenförmige  Bewegung  setzt,  sagt 
man  „(Zcr  Wolf  geht  durch  das  Korn,  der  Wolf  geht  üher  das 
Korn,  der  lioggenwolf  jagt  idjcr  das  Feld,  der  Kornivolf  ist  im 
Felde,  der  Boggenwolf  ist  schon  da;^^  in  Niederungarn  (Kr.  diess. 
d.  Theiss)  „die  Wölfin  hat  im  Korne  Junge  geworfen,"  oder  ..die 
TFc>7/^  jagen  sich"  u.s.w.^  Nicht  minder  sagt  man  in  französischen 

1)  Roggenwolf  und  Roggeiihund.     Danzig  1865.   Aufl.  2.     186G. 

2i  Audi  ohno  Verbindung  mit  dem  Konigeist  sprach  man  vom  Wind- 
wolf. Außer  dem  Roggenw.*^  S.  3  —  5  Angeführten  dient  zum  Erweise  der 
Namo  W^indolf.  nach  dem  u.  a.  noch  jetzt  eine  Wieso  heilit.  Waldmann 
Ortsnamen  von  HeiligenBtadt.     1850,    S.  31. 


Kapitel  VI.    Soiinwoiidfeiur,  B,  Hir|>i  Sorani.  319 

Landschaften  vom  wallenden  Korn  „le  loup  est  dans  les  bles*' 
(Bourgogne  Üep  de  i'Ain)  „Vers  la  fin  du  mois  de  Mai  on  dit, 
que  le  loup  passe  dans  les  bies,  ce  qui  est  fait  par  un  vent 
foilet  en  tourbillons"  (Sonmie).  Man  warnt  die  Kinder  sieh  zum 
Abpflücken  von  Kornblumen  (Cyanen)  ins  Getreidefeld  zu  ver- 
laufen ^  denn  der  Roggenwolf  oder  Kornwolf  sitze  darin  und 
fresse  sie  auf  oder  nehme  sie  mit.  Ich  vermag  diesen  Glauben 
mit  Wahrscheinlichkeit  bereits  ilir  das  14.  Jahrhundert  zu  belegen; 
denn  zu  Frankfurt  a/M.  wurde  im  Jahr  1343  ein  Haus  an  der 
Ecke  der  Kornhlumenstrqfie  Kornwolf  geuanut^  Auch  in  Frank- 
reich (z.  B.  Nivemais;  Flandres,  Dep.  du  Nord;  Champagne,  Haute 
Marne)  warnt  man  bei  der  Gelegenheit  „le  louj)  vous  manger a^^  „le 
loup  vous  prendra"  und  bei  den  Esten  (Kirchsp.  Karmel  Insel 
Oesel)  jjhunt  istiih  ruggis^'  der  Wolf  sitzt  im  Korn,  oder  „Wiljahunt, 
VhbahufU,  Ernelmnt  tulleb!*'  der  Korn-,  Bohnen',  Erhsenwolf 
kommt  !^  Bei  den  Letten  ist  Rudsuwilks  Roggenwolf  zum  bloßen 
Schimpfwort  gesunken;  auch  ein  Gesinde  (Baiferhof)  bei  Linden 
heißt  Eudsuwilki;  dort  spukt  es  noch  jetzt  und  es  soll  dort  der 
Werwolf  (wilkats)  sein  Wesen  treiben.  Sind  Steige  im  Getreide, 
so  ist  der  Wolf  dagewesen  und  hat  ein  Kind  mitgenommen 
(Rgbz.  Magdeburg).  Die  von  gefräßigen  Menschen  und  weinen- 
den Kindern  gebrauchten  Kedensarten  „er  frißt  tvie  ein  Roggen^ 
wolf  {oder  Pflaumenwolf),  ^  „he  hült,  rärt,  bölkt  as'n  Roggenwulf  ^^ 
(er  heult,  brüllt  wie  e.  R.)  vergleichen  diese  mit  dem  im  Sturme 
oder  Wirbelwind  durchs  Getreide  gehenden  dämonischen  Tier. 
Beim   Schneiden   des  Kornes   zieht  sich   der  Kornwolf  vor  den 


1)  Ich  verdanke  diesen  Nachweis  Dr.  H.  Pfunnenschmidt  in  Hannover. 
In  Battons  örtl.  Beschreibung  der  Stadt  Frankfurt  a/M.  herausg.  v.  Dr.  Euler 
3.  Hft.  Frankf.  a/M.  1864  heißt  S.  59  ein  Haus  auf  der  mittügigcn  Seite  der 
kleinen  Bockgasse  im  14.  Jalirh.  (urkundl.  bereits  1343)  Kornwolf.  Es  war 
das  Eck  bei  der  Kornblumengasse.  S.  60.  Der  Besitzer  dieses  Hauses 
Heylo,  Heyle  (S.  59,  Anm.  70)  oder  Heylraann  legte  sich  nach  der  Sitte  der 
Zeit  den  Namen  von  seinem  Hanse  bei.  Er  schrieb  sich  nun  a.  1343  Heyle 
Korn  wolf  (S.  59,  Anm.  70).  S.  66.  Im  14.  Jahrh.  noch  wurde  das  Haus  in 
zwei  getcdlt,  beide  hießen  Korn  wolf. 

2)  Wiü  bei  uns  neben  der  Roggenmuhnie  eine  Wassermuhme  steht, 
spricht  man  auch  in  Estland  neben  dem  Wiljahunt  vom  Brunnen  wolf  Kae- 
wahunt  mit  großem  blutigem  Rachen.  Wenn  man  mit  diesem  schreckt,  zeigt 
man  dem  Kinde  sein  eigenes  Gesicht  im  Brunnen  als  Kaewahunt.  Holzmayer 
Osiliana  S.  113. 


320  Kapitel  VI.    Sonn  wen  dfcuor,  B.  Hirpi  Sorani. 

vordringenden  Arbeitern  in  die  Mitte  des  Ackers  zurück  und  wird 
in  den  letzten  Halmen  gefangen,  um  in  feierlichem  Zuge  nach 
Hause  geleitet  zu  werden.  Wird  ein  Arbeiter  während  der  Ernte 
krank,  so  sagt  man  „de  Boggenwulf  hat  ein  unnerkrägen;^^ 
gradeso  sagt  man  in  Villefranche  im  Lyonnais  (Rhone),  wenn 
jemand  langsamerarbeitet,  als  die  Uebrigen,  j,il  a  le  loup/^  auch 
nennt  man  den  zweiten  Arbeiter,  wenn  er  dem  Vormäher  nicht 
zu  folgen  vermag,  h  hup.  In  der  Bretagne  heißt  es,  wenn  beim 
Abnehmen  der  Trauben,  Aepfel  oder  Birnen  im  Herbste  jemand 
ermüdet,  von  ihm  „il  a  les  c6tes  debout  comme  un  loup."  Wenn 
zwei  Kameraden  zusammen  arbeiten  und  einer  den  andern  bös- 
willig allein  läßt,  heißt  es  von  dem  Verlassenen  „il  a  vu  passer 
le  loup  blanc,  il  le  suit."  (Seine  inferieure).  —  In  der  letzten 
Garbe,  sagt  man  in  Deutschland,  sitze  der  Wolf;  die  Binderin 
der  letzten  Garbe  muß  den  Wolf  herausholen;  die  letzte  Garbe 
selbst  bekommt  den  Namen  Wolf  (ehedem  erhielt  sie  auch  die 
rohe  Gestalt  einet  Wolfes)  und  wird  unter  Jubelgeschrei  auf  dem 
letzten  Fuder  nach  Hause  geführt  Man  nennt  das  „den  Wolf 
hringeny  In  Patznaun  und  im  Zillertal  in  Tirol  heißt  es  auch 
bei  der  Heuernte  von  demjenigen,  der  das  Letzte  vom  Berg  her- 
abbringt, ,jdcr  bringt  den  Wolf!'''  Zuweilen  stellt  die  Binderin 
der  letzten  Garbe  yjden  Woip'  dar.  Auf  Rügen  ruft  man  ihr  zu 
„  du  büst  Wtdfj'^  zu  Hause  angelangt  beifit  sie  die  Frau  und  die 
Wirtschafterin  und  erhält  daftir  ein  ziemlich  großes  Stück  Fleisch. 
Gradeso  ruft  man  in  Frankreich  bei  der  Ernte  dem  Schnitter  der 
letzten  Hahne  zu  „Vous  attraperez  le  loup!"  (Vilaine);  in  Cham- 
bery  schließt  man  um  die  letzten  Aehrcn  einen  Kreis  und  ruft 
„le  loup  est  dedans!"  und  in  Fiuistere  „les  moissonneurs ,  qui 
tiennent  chacun  un  sillon,  s'ecrient,  lorsqu'ils  sont  pour  terminer 
la  moissou:  „„/7-//-a  le  loup;  nous  Tattraperons." "  Celui  qui 
arrive  le  prcmicr  au  bout  de  son  sillon,  repete  yj,yfni  pris  Ic 
loup!''''  In  Lure  (Haute  Saonc)  heißt  die  Beendigung  des  Ge- 
treideschnitts jyChasser  le  loup."  In  Guyenne  (Pruuel  Cant.  Tard. 
Lot  et  Oaronne)  führt  man  nach  dem  Schnitt  der  letzten  Halme 
einen  Hammel  um  alle  4  Seiten  des  Ackers  an  einem  Bande 
umher.  Dieser  Hammel  heißt  le  loup  du  ehamp.  Er  ist  geschmückt 
mit  einem  Kranze  von  Blumen  und  Achren  um  die  Homer,  einem 
Kranz  am  Halse  und  einem  Kranze  um  den  Leib  nebst  vielen 
bunten  Bändern.    Alle  Schnitter  ziehen  singend  hinterher.     Dann 


Getreidewölfe.  321 

wird  er  auf  dem  Felde  getödtet.  Die  letzte  Garbe  heißt  hier 
gewöhnlich  cotijaulaye  (im  Patois  Ausdruck  für  Hammel  und  zwar 
den  kleinsten  der  Schafherde  des  Gutes).  Hier  ist  offenbar  der 
Tod  des  Komdämons  durch  das  Schneiden  des  Getreides  (s.  o. 
S.  166)  dargestellt,  und  dabei  Komwolf  und  Kornwidder  ebenso 
mit  einander  vermischt,  wie  im  Steiermärkischen  Drescherbrauch 
0.  S.  188  Kornwolf  und  Kombock.  Im  Kreise  Wreschen  (Pr.  Posen) 
werden  die  Knechte,  welche  das  erstemal  eine  Ernte  mitmachen, 
auf  folgende-  Weise  in  den  Kreis  der  MUher  aufgenommen.  Der 
Neuling  heißt  an  diesem  Tage  Wolf  (wilk).  Mit  Blumen 
geschmückt  begiebt  er  sich  vor  Sonnenaufgang  in  Begleitung  der 
älteren  Mäher  auf  das  Emtefeld,  wo  er  den  ersten  Schnitt  mit 
der  Sense  macht  und  den  ganzen  Tag  Vordermann  bleibt.  Die 
hinter  ihm  folgenden  Mäher  strengen  ihre  Kräfte  an,  ihm  mit 
der  Sense  möglichst  nahe  zu  kommen,  so  daß  er  sich  sputen 
muß,  um  ihnen  zu  entkommen  und  nicht  verwundet  zu  werden. 
So  geht  es  bis  Sonnenuntergang.  Man  nennt  das  „den  Wolf 
jagen^^  (wilkg^  gonid).  Abends  wird  er  mit  Getreidehalmen  und 
Strohbändern  bewickelt,  mit  einer  Art  Krone  von  Binsen  und 
Blumen  geschmückt,  und  unter  Gesang  und  Jubel  auf  zwei  Stroh- 
bändern von  zweien  Führern  in  Begleitung  aller  Mäher  zum 
Herrenhause  gebracht.  Unterweges  sträubt  er  sich,  will  ent- 
laufen, Vorübergehende,  zumal  alle  begegnenden  Mädchen  an 
sich  reißen,  wird  aber  immer  zurückgehalten.  Vor  dem  Herren- 
hause trinkt  unter  den  Klängen  der  Musik  ein  jeder  dem  Wolfe 
zu,  zuletzt  wird  ihm  das  Glas  gefüllt.  Im  Kruge  zecht  man  bis 
Mitternacht.  Sobald  aber  der  Hahn  kräht,  steigt  der  Wolf  aufs 
Dach  seiner  Geliebten  und  ruft  durch  die  Oeffnung  des  Scham- 
Steins  ihren  Namen  hinein,  Sie  bleibt  dann  während  der  Ernte 
seine  Begleiterin  und  wird  oft  in  der  Folge  seine  Frau.  Heim- 
geführt versteckt  sich  der  Komwolf  in  den  abgeschnittenen  Aehren 
in  der  Scheuer  und  wird  durch  den  Dreschflegel  aus  dem  zuletzt 
zum  Ausdrusch  kommenden  Gebunde,  in  das  er  sich  geflüchtet, 
hervorgetrieben.  Dann  veranstalten  um  Wanzleben  bei  Magde- 
burg die  Bauem  einen  Umzug,  wobei  ein  in  das  ausgedroschene 
Stroh  eingewickelter  Mann  an  einer  Kette  herumgeftihrt  wird. 
Derselbe  heißt  Wolf  Im  Regierungsbezirk  Trier  herscht  der 
Glaube,  der  Kornwolf  finde  beim  Dreschen  seinen  Tod.  Die  Ar- 
beiter  schlagen   auf  die  letzte  Garbe  so  lange  los,    bis  sie  ganz 

Manuhardt.     IT.  21 


322  Kapitel  VI.    Sonnwondfeuer.   B.  Hirpi  Sorani. 

ZU  Häcksel  verwandelt  ist.    Damit  soll  der  Kornwolf,  der  in  der 
letzten  Garbe  steckte,  sicher  todtgeschlagen  sein. 

Auch  außerhalb  der  Erntezeit  wird  der  Korntoclf  oder  Crras- 
wolf  durch  dramatische  Darstellungen,  welche  heutzutage  als 
Kinderspiele  geübt  werden,  vergegenwärtigt.  Dieselben  haben 
um  so  mehr  Sinn,  als  der  Volksglaube  dem  dämonischen  Roggen- 
wolf stäts  menschenähnliches  Selbstbewußtsein  zuschrieb,  wes- 
halb man  ihn  leicht  mit  dem  Werwolf  (Lykanthropos)  verwechselte 
und  die  Kinder  warnte,  nicht  ins  Korn  zu  gehen,  *da  ^it^e  der 
Werwolf  drin.  Hat  der  Wind  das  Getreidefeld  nach  allen  Seiten 
hin  niedergeworfen,  so  sagt  man  in  Ostfriesland  „Zei,  dar  het 
de  Wulf  vernacht  släpen^'  und  um  Osnabrück  nennt  man  eine 
solche  Stelle  Werwolfsnesf,  Gradeso  wieder  warnt  man  in  Isle 
de  France  (Seine  et  Marne)  die  Kinder,  im  Korne  sitze  der 
hup-garou  und  in  Limousin  (Correze)  „lorsque  les  bl^s  se 
trouvent  couch^s,  on  dit,  que  c'est  Le  beroux  (loup  garou);  in 
Loire  inferieure  ,,c'est  le  loup,  qui  se  roulait  W."  Auch  der 
Glaube  vom  Roggen  wolf  ninmit  zuweilen  die  Wendung,  daß  der 
in  den  letzten  Halmen  eingefangeue  Geist  des  Feldes  fortlebe  und 
den  Winter  über  bis  zum  Frühjahr  unsichtbar  auf  dem  Hofe  des 
Landmanns  verweile.  Die  Wiederkehr  des  Lichtes  in  der  Winter- 
sonnenwende kündigt  die  Rückkehr  des  Lenzes  und  aller  seiner 
waltenden  Mächte  an  und  es  pflegen  daher  um  die  Weihnachts- 
zeit im  Volksgebrauch  dieselben  aufzutreten  (vgl.  o.  S.  187.  200  ff.). 
So  rührt  sich  auch  der  den  Winter  hindurch  im  Hause  gehegte 
Komwolf  In  Polen  wirft  dann  jemand  eine  Wolfshaut  über  den 
Kopf  und  wird  von  einem  andern  umhergcftlhrt;  daher  das  Sprich- 
wort „er  läuft  herum  wie  mit  der  Wolfshaut  zu  Weihnachten 
bzw.  Neujahr  (bicga  z  nim  by  z  wilcz^,  skora  po  kol^dzie);  *  oder 
man  trägt  einen  ausgestopften  Wolf  gabensanimelnd  umher.* 
Auch  in  der  russischen  und  russuiischen  Weihnachtsfeier  spielen 
Vermummungen  in  Wölfe  durch  umgehängte  Wildschuren  (Wolfs- 
pelze) eine  Hauptrolle;  diese  Masken  lassen  umherlaufend  nie- 
mand in  Haus  und  Hof  und  auf  den  Gassen  in  Ruhe.  ^  Und  wie 
man    in    Skandinavien    aus    Körnern    der    letzten    Garbe    den 


1)  Wurzbach,  Sprichwörter  der  Polen.    Wien  1852,   S.  148.  150. 

2)  Linde  s.  v.  kolijda. 

3)  Zs.  f.  D.  Myth.  IV,  19G. 


Getreidowölfe.    Loup  vert.  323 

Jüleber  oder  Julbock  backt  (o.  S.  197),  so  ist  es  a.  d.  Ebrach  in 
Mittelfranken  Sitte  zu  Weihnachten,  im  Steigerwaldc  zu  Neujahr, 
daß  die  Bauern  je  nach  ihrem  plastischen  Talente  aus  besonderem 
Teige  allerlei  Figuren  formen,  die  dann  gebacken  und  unter  dem 
Kamen  Hauswolf  teils  an  Kinder  und  Gesinde  verteilt,  teils  auf- 
bewahrt und  bei  ausbrechendem  Feuer  zur  Stillung  des  Brandes 
in  die  Flammen  geworfen  werden.  ^  In  Pommern  dagegen  wurde 
zu  Ostern  ein  Gebäck  Osterwulf  gefertigt,  wofür  wir  ein  Zeug- 
niß  von  1451  besitzen.  Die  Bäcker  hatten  es  einem  Ratsmit- 
gliede  zu  liefern.*  Dieses  Brod  sollte  doch  wol  den  nämlichen 
Gedanken  ausdrücken,  wie  die  Umzüge  zu  Fastnacht  und  Pfingsten, 
in  denen  der  Vegetationswolf  wieder  segnend  in  den  grünen  Wald 
und  den  sprossenden  Acker  einziehend  gedacht  wird.  Im  Fast- 
naehtaufzuge  der  Nürnberger  Metzger,  dem  Schönbartlaufen  (Bk. 
334),  lief  neben  dem  wilden  Mann  und  dem  wilden  Weibe  ein 
Mann  mit  einem  Wolfskopfe ,  in  demjenigen  der  Züricher  Metz- 
ger trug  man  ein  Tierbild  umher,  welches  Isegrim,  Eisengrind 
hieß,  wie  der  Wolf  in  der  Tiersage ,  durch  späteres  Mißverstand- 
niß  jedoch  die  Gestalt  eines  halben  Löwen  bekommen  hatte 
(Bk.  433).  Im  Hanauischen  war  es  „  Pfingstrecht,"  daß  die  jungen 
Bursche  auf  jungen  Pferden,  deren  Schweif  und  Mähne  mit 
buntfarbigen  Bändern  geschmückt  war,  am  ersten  bzw.  zweiten 
Pfingsttag  zur  Herrschaft  ritten  und  von  dieser,  so  wie  von  jedem 
Pferchbeständer  10  Kreuzer  „Wolfsgeld"  „von  wegen  des  Wolfs ^^ 
erhoben.  ^  Die  Analogie  der  unter  dem  Namen  des  Pfingstrechts 
in  Hessen  und  Thüringen  verbreiteten  verwandten  Gebräuche 
(Bk.  347  —  349)  macht  gewiß,  daß  die  umziehenden  Bursche  einst 
einen  in  grünes  Laub  gehiÜUen  Gefährten  mit  sich  führten,  der 
den  Wolf  darstellte  und  für  dessen  Umherfllhrung  sie  die  Steuer 
beanspruchten.  Wie  dies  nun  deutliche  Beweise  sind  tlir  den 
Frühlingseinzug  des  Vegetationswolfes,  so  bilden  sie  auch  den 
Uebergang  zu  einer  merkwürdigen  Sitte  der  Normandie,  über 
welche  ausiührlich  zu  berichten  gestattet  sein  möge. 

„Tons  les  ans,  ä  Jumieges,  Ic  23.  juin,  veille  de  la  Saint - 
Jean-Baptiste,   la  confrerie  du  Loup- Vert   va  chercher  son 


1)  Bavaria  III,  340. 

2)  Pfeiffers  Germania  XV,  82. 

3)  Han.  Magaz.  1778,   S.  428.    Lyncker  hessische  Sagen  S.  249. 

21* 


324  Kapitel  VI.    Sonnwendfeuer.    B.  Hirpi  Sorani. 

nonveau  chef  on  mattre  daus  Ic  hameau  de  Conihont:  c'est  la 
seulement  que  Tusage  permet  de  le  choisir.  LliabUant  prend  k 
titre  de  Loup-Vert;  ü  revet  une  large  houpdmide  verte^  d  se 
couvre  la  Ute  d'un  bonnet  vert  de  forme  conique,  trh  rlere  et  sans 
hords.  Ainsi  costumö,  il  se  met  en  marche  ä  la  tete  des  freres. 
Uassoeiation  s'ayanee  en  chantant  ThyinDe  de  saiiit  Jean  au  bruit 
des  p^tards  et  des  mousquetades ,  la  croix  et  la  bänniere  en 
tgte,  jusqu'au  lieu  dit  Chouquet  La,  le  eure  vient  avec  les 
ehantres  et  les  enfants  de  cboeur  au-devant  des  freies  et  les 
eonduit  ä  T^glise  paroissiale.  Apres  Toffice,  on  retourne  chez  k 
Loup'  Verty  oü  est  servi  un  repas  tont  en  maigre,  Ensuite  on 
danse  devant  la  porte  en  attendant  Theure,  oü  doit  s'allumer  le 
feu  de  la  Saint -Jean.  La  nuit  venue,  un  jeune  komme  et  une 
jeune  fille,  pares  de  fleurs,  mettent  le  feu  au  bücher  *  au  son 
des  clochettes.  Des  que  la  flamme  s'eleve,  on  ebante  le  Te 
Deum;  puis  un  villageois  entonne  en  patois  normand  un  ean- 
tiquc,  espece  de  parodie  de  1  „ut  queant  laxis."  Pendant  ee  temps 
le  loup  et  les  freres,  le  chaperon  sur  Tepaulc,  se  tenant  tous  par 
la  main,  eourent  autour  du  feu  aprh  c^luiy  quHls  ont  designe 
pour  etre  le  loup  Vannee  stiivante,  Le  premier  et  le  dernier  de 
ces  singuliers  chasscurs  ont  seuls  une  main  libre;  il  faut  eepen- 
dant,  qiCils  enveloppent  le  fntur  loup,  qui,  en  cherchant  ä  leur 
echapper,  frappe  ä  coups  redoubles  les  con freres  d'unc  gründe 
baguetfc,  dont  il  est  arme,  Lorsqu'ü  est  enfin  2>ris,  on  h  j>ortr 
au  bucher  et  Von  feint  de  Fy  jeter.  Cette  ceremonic  tenninee, 
on  se  rend  chez  le  loup  et  Ton  y  soupe  encore  en  mnigre,  La 
moindre  parole  ineonvenante  ou  ^trangere  ä  la  solennite  est 
intcrdite,  un  des  convives  a  la  Charge  de  ceuscur,  et  il  agite 
des  clochettes,  si  Ton  nobserve  pas  cette  regle,  celui,  qui  la 
transgresse,  est  obligd  de  reciter  immediatement,  debout  et  a 
haute  voix,  le  Pater  noster;  raais  ä  Fapparition  du  dessert  ou 
ä  minuit  sonnant,  la  libertc  la  plus  entiere  fait  place  ä  la  con- 
traintc;  les  chansous  bachiques  succcdent  aux  hymnes  religieuses, 
et  les  aigres  accords  du  menctrier  du  village  peuvent  ä  peine 
dominer  les  voix  detonnantcs  des  joyeux  compagnons  de  la  con- 
frerie  du  Ix)up-Vert.  On  va  dormir  cnfin  et  puiser  de  nouvelles 
forces  et  un  nouvel   appetit  pour  Ic  lendcmain.     Le  24.  juin  la 


1)  Vgl.  Hk.  4G4. 


Loup  vert.  325 

fete  de  Saint -Jean  est  cel^bree  par  les  meraes  personuages  avec 
la  meme  gaiete.  Une  des.  cercmonies  consiste  ä  proniener,  au 
son  de  la  mousqueterie,  un  enorme  pain  bcnif  ä  plusieurs  ctages, 
surmonte  d'une  pyramide  de  vcrdure  ornee  de  nihans'^  apres  quoi 
les  r^ligieuses  clochettes,  deposdes  sur  le  degre  de  Tautel,  sont 
confideS;  comme  insignes  de  sa  future  dignite,  ä  celui,  qui  doit 
6tre  le  Loup  -  Vert  Tannee  suivante.  * 

Der  beschriebene  Brauch  ist  das  Fest  einer  Gilde,  gradeso 
wie  der  Einritt  des  Maigrafen  (Bk.  369  flF.)  und  gradeso  wie  bei 
diesem  ein  uralter  Naturkultus,  der  Wiedereinzug  des  Vegeta- 
tionsdämons mit  den  religiösen  Bedürftiissen  des  Mittelalters  in 
Verbindung  gebracht  ist,  wenn  z.  B.  in  Reval  der  Maigraf  in  der 
kirchlichen  Frohnleichnamsprozcssion  dem  h.  Sakramente  voran- 
schreitet (Bk.  71.  81),  so  ist  auch  hier  ein  verwandter  Natur- 
dienst mit  dem  christlichen  Gottesdienst  der  Gildegenossen  ver- 
schmolzen. Das  christliche  Element  scheidet  sich  aber  leicht  aus, 
und  was  übrig  bleibt,  zeigt  uns  eine  auf  den  Vegetationswolf 
bezügliche  Sitte.  Ich  glaube  Bk.  497  flF.  516  flF.  521  flF.  erwiesen 
zu  haben,    daß   das  Mittsommerfeuer  ein  Sounenzauber  war  und 


1)  Magazin  pittoresqne.  Paris  1840,  S.  287ff. ,  daraus  Liebrecht  Gerva- 
sius  V.  Tilbury  ö.  209.  vgl.  192  und  Cortct  cssay  sur  les  fetes  religieuses. 
Paris  1867,  S.  221.  Die  Archäologen  von  Ronen  z.  B.  Hyacintho  Langlois 
bringen  einfältiger  Weise  den  Brauch  de8  Loup -vert  in  ätiologischen  Zusam- 
menhang mit  einer  zufällig  in  derselben  Gegend  localisierten  Legende;  welche 
damit  auch  im  entferntesten  nichts  zu  tun  hat.  Die  Abtei  von  Jumieges  in 
der  Nonnandie  wurde  im  Jahre  654  von  St.  Philibcrt  gegründet:  derselbe 
bcwog  die  heilige  Austrebertha  4  Meilen  davon  zu  Pavilly  (Savilly?)  ein 
Nonnenkloster  zu  erbauen.  P^in  Esel,  der  abgerichtet  war,  ohne  Begleitung 
eines  Menschen  zwischen  der  Abtei  und  dem  Jungfrauenstifte  die  Wäsche  hin 
und  her  zu  tragen,  wurde  einst  im  Walde  von  Jumieges  von  einem  Wolfe 
aufgefressen.  Austrebertha,  durch  den  Notschrei  des  Esels  herbeigerufen, 
legte  die  Hand  auf  den  Wolf  und  zwang  ihn  zeit  seines  Lebens  den  Dienst 
des  von  ihm  getödteten  Grauchens  zu  vollziehen.  An  der  Stelle,  wo  der  Esel 
verendet  war,  im  Walde  von  Jumieges,  gründete  man  noch  im  7.  Jalirhundert 
eine  Ka]»elle;  als  diese  zerfiel,  ersetzte  sie  ein  Steinkreuz;  da  im  Anfang 
des  18.  Jahrhunderts  auch  dieses  zerbröckelte,  pflanzte  man  eine  Eiche,  in 
die  man  einige  Bilder  der  h.  Jungfrau  einfügte  und  nannte  sie  „ebene -ä- 
Täno.*'  Ein  Basrelief  im  Kloster  und  mehrere  Skulpturen  in  der  St.  Peters- 
kirche stellen  die  Legende  dar.  Eine  der  letzteren  zeigt  St.  Austrebertha, 
wie  sie  den  Wolf  streichelt,  der  Verzeihung  zu  erflohen  scheint.  Magaz. 
pittor.  a.  a.  0.;  Amelie  Bosquet,  la  Normandie  romanesque.  Paris  1845, 
S.  357  ff. 


326  Kapitel  VI.    Sonnwendfouer.    B.  Hirpi  Sorani. 

das  Licht  und  die  Wärme  der  Sommersonne  darstellen  sollte, 
durch  welche  zu  ihrem  Gedeihen  die.  Vegetation  hindurchgehen 
muß.  Menschen  und  Haustiere  wurden  hindurchgetrieben,  um 
an  diesem  Gedeihen  der  Vegetation  teil  zu  haben.  Wenn  man 
an  anderen  Orten  lebendige  Tiere  (Katzen  vgl.  o.  S.172flF.,  Füchse, 
weiße  Hähne  vgl.  Komdämonen  S.  13flF.,  Schlangen  u.  s.  w.)  ins 
Feuer  warf  und  darin  verbrannte  (Bk.515),  so  scheinen  damit  Beprä- 
sentanten  der  Vegetationsdämonen  gemeint,  welche  um  Sommers- 
mitte die  Glut  der  Hundstage  zu  bestehen  haben.  Wenn  in 
Schwaben  ein  in  grime  Heiser  mid  Blätter  gehüllter  Mann,  Moos- 
kuh  genannt,  mit  seinen  Füßen  das  Sonnwendfeuer  austritt  (Bk. 
524),  so  vertritt  derselbe  augenscheinlich  den  später  einmal  zu 
besprechenden  theriomorphischen  Dämon  Komhuh  oder  Vegeia- 
tionsrind.  Ich  werde  daher  schwerlich  besorgen  dürfen  auf 
Widerspruch  zu  stoßen,  wenn  ich  behaupte,  daß  auch  der  grüne 
Wolf  des  Johannisabendgebrauches  zu  Jumi^ges^  jedesmal  den 
Geist  der  heurigen  Pflanzenwelt  bedeutet.  Er  ist  schon  durch 
den  Sommersonnenschein  hindurchgegangen,  der  Blätter  und 
Blüten  zur  Entfaltung  brachte,  und  nun  von  der  Sonnenwende  an 
aus  der  erreichten  Höhe  herabsinkt.  Mit  der  bald  eintretenden 
Ernte  ist  sein,  des  grünen  Wolfes,  des  Komwolfs  Leben  und 
Regiment  geendet.  Aber  sein  Nachfolger,  der  Komwolf  des 
nächsten  Jahres,  der  nächstens  mit  dem  Samen  der  reifenden 
Pflanze  geboren  wird,  hat  behufs  seiner  Reife  vom  künftigen 
Frühjahr  bis  Mittsommer  das  Feuer  des  Sonnenbrandes  zu  pas- 
sieren. Ihn  verfolgt  deshalb  die  Brüderschaft  und  wirft  ihn  ins 
Feuer,  um  diesen  erfolgreichen  Akt  im  Naturlcben  vorzubilden 
und  dessen  Segnungen  sich  zu  sichern.  Als  der  nunmehr  gewaltige 
Vegetationsdämon  schlägt  er,  wie  der  Maikönig,  Komkater  u.  s.  w. 
(Bk.  365,  0.  S.  187)  mit  der  Lebensrute,  Noch  ist  es  magere 
2eit,  so  lange  der  grüne  Wolf  des  alten  Jahres  herscht,  die  alten 
Vorräte  sind  aufgezehrt;  erst  die  Zeit  nach  Johannis,  die  Ernte, 
bringt  neuer  Nahrung  FtQle.  Deshalb  speist  die  Gilde  beim  alten 
Loup  vert  nur  Fastenkost,  magere  Gerichte,  sobald  aber  die 
Jahreswende  vollbracht  ist,  nach  Mitternacht,  aus  voller  Schüssel. 
Das  riesenhafte  Brod  am  folgenden  Tage  in  Prozession  umher- 
getragen, das  Sinnbild  des  Emtesegens  (Bk.  158.  317.  393.  396. 
538.  539  u.  8.  w.)  bewährt  die  agrarische  Bedeutung  der  ganzen 
Ceremonie.     Wollte  noch  jemand  diese  Symbolik  verkennen ,   so 


Feronia.  327 

wtlrde  ich  ihm  ein  lettisches  Johannisliedchen  zu  bedenken  geben, 
worin  von  den  drei  Tagen  St.  Johannis  (24.  Juni),  Peter  und 
Paul  (29.  Juni)  und  Jacobi  (25.  Juli)  folgendermaßen  die  Rede  ist: 

Arm  und  hungrig  kommt  Johannes, 
Noch  verhungerter  St.  Peter : 
Doch  St.  Jacob  ist  der  Reiche, 
Kommt  mit  Roggen  und  mit  Gerste.' 

Daß  die  grüne  Kleidung  des  Loup  vert  und  seiner  Gesellen  die 
einstige  Einhüllung  in  grüne  Büsche  ersetzt,  hat  ein  genaues 
Analogon  in  der  russischen  Darstellung  der  Personification  des 
St  Georgstages  mit  grünem  Gewände  (Bk.  317),  während  d^r 
slo venische  grüne  Georg  noch  in  grüne  Birkenzweige  eingebunden 
ist  (Bk.  313).  Vgl.  den  Mann  im  grünen  Weiherroch  im  Bohlen- 
dorfer  Märzumgang  (Bk.  317)  und  die  grüngekleideten  Maireiter 
(Bk.  448.  368). « 

§.  2.  Feronia.  Die  normannische  Sitte  leitet  uns  hinüber 
zu  dem  altitalischen  Brauch  der  Hirpi  Sorani.  Mitten  aus  einer 
fruchtbaren  Landschaft  erhebt  sich  einige  Meilen  von  Born  der 
weißschimmernde  (candidus)  Kalkfelsen  des  Monte  di  Silvestro,^ 
im  Altertum  Soracte  genannt;  auf  seinem  Gipfel  lag  der  uralte 
Tempel  des  Soranus.  Soranus  war  ein  sabinischer  Sonnengott, 
wie  schon  sein  Name  besagt,  den,  auf  Curtius  *  gestützt,  L.  Preller  ^ 
mit  Recht  von  sora  Sonne,  d.  i.  svaijä,  einem  Worte  derselben 
Wurzel  ableitet,  welche  auch  den  Worten. sol,  serenus  goth. 
savil,  lit.  saule  Sonne,   griech.  oelgiog  zu   Grunde  liegt.     Nach 


1)  ülmann  Lettische  Volkslieder  S.  81,  n.  262. 

2)  Vgl.  auch  noch  die  folgende  französische  Sitte.  Bei  dem  Papageien- 
feste in  Montpellier,  welches,  wie  man  sagt,  durch  die  Könige  von  Minorca 
gestiftet  war,  und  am  ersten  Mai  gefeiert  wurde,  schritt  an  der  Spitze 
der  Gesellschaft  ein  großer  Mann  in  grünem  Bocke  einher,  der  die 
Functionen  des  Narren  ausübte.  Auf  dem  Hintern  trug  er  einen  Cupido  in 
Goldstickerei  (J.  W.  Wolfs  Papiere).  Da  das  Papageienfest  eine  mittelalter- 
liche städtische  Form  des  Maigrafenfestes  war  (Bk.  369.  371.  373.  379),  so  geht 
auch  hier  der  grüne  Rock  des  voranschreitenden  Mannes  unzweifelhaft  auf 
die  grüne  Laubhülle  des  ehemals  dem  Zuge  vorangeführten  Vegetations- 
dämons seinem  Ursprünge  nach  zurück. 

3)  So  heißt  er  nach  dem  auf  einer  seiner  Spitzen  liegenden  von  Karl  Mar- 
tells  Sohne  Karlmann  i.  J.  747  gegründeten  Kloster  San  Silvestro. 

4)  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  I,  29  AT. 

5)  Rom.  Myth.  239. 


328  Kapitel  VI.    Souuwcndfeuor.    B.  Hirpi  »Sorani. 

dein  Eindringen  der  griechischen  Bildung  hat  man  ihn  mit  Apollo 
identifiziert,  ohne  Zweifel,  um  ihn  als  Sonnengott  zu  bezeichnen. 
„Summe  deüm   —   sagt  Verg.  Aen.  XI,   785    —  sancti  custos 
Soractis  Apollo."     Am  Fuße   des   Berges,    wo  jetzt   das   Dorf 
San  Oreste  liegt,  befand  sich  im  Altertum  der  Hain  der  Feronia, 
ein  Heiligtum  und  vielgefeierter  Wallfahrtsort,   wo   sich  an  die 
Feste  der  Göttin  eine  Messe  (Markt  und  Waarenaustauschj  ange- 
knüpft hatte.     Feronia  war  eine  Getreidegöttin.    Dies  sagt  ver- 
mutlich  schon  der  Name,    der    im  römischen  Volksmunde    mit 
Faronia  abwechselte.    Vgl.  Dionys.  Halicam.  Antiqu.  II,  49,  der 
erzählt,  die  Sabiner  seien  nach  der  Meinung  einiger  Schriftsteller 
ausgewanderte  Lacedämonier  „  xorrax^^' vrac?  de  xr^  'haliag  itaqi 
TCL  xaXotfUvu  lIcüfievTiva  nedlay  to,  xe  xioqlov^  h  ^  irQcdrov  tJ^^u/- 
aavTOy  (DsQiüviav  ä/io  rijg  iteXayiov  qoQi^atiog  orofidoai '  yxd  d^eceg 
Uqov   idQiaaa^at  Oeqoyviag^    Jj  zag  ei'xag  eO^ewo'   \]v  vvv,  trog 
dXXay^  yga/nfiaTog  OaQiov'lav  xaloioiv.^^    Wir  haben  uns 
die  Sache  wol  so  zu  denken,  daß  die  eine  dieser  beiden  Namens- 
formen die  römische  der  lingua  rustica,  die  andere  die  sabinische 
war.    Die  Endung  -ona  -onia  bildet  Denominativa ;  Faronia  ergiebt 
sich  somit  (wie  Pomona,  Populonia  McUona  Vallona  von  pomum, 
populus   mel  vallis)   gleich  far-iua   (für  fars-ina)   von  far,   (d.i. 
farr  aus   fars)    Gen.  farris    abgeleitet.      Föronia   weist    auf  eine 
geschwächte  Stammform  fer  d.  i.  ferr,  fers  mit  Ersatzdehnung  lK?i 
ausgefallenem  Consonantcn.    Vgl.  ver  Frühling  für  verr,  vesr  aus 
veser,   verer   und  in  noch  älterer  Zeit  vaser.  ^    Vgl.  auch  setius 
aus  sectius,  penis  aus  pesnis,  pedo  aus  perdo.    Die  Schwächung 
ferr  statt   farr  entspräche  Beispielen   wie   volsk-umbr.  vesclis  = 
lat.  vasculis  (Corssen  de  Volsc.  dial.  g).    Vgl.  aber  auch  lat.  scdes 
neben  l'dog  skr.  sadas,  cera  neben  TcfjQog,  verus  Würz,  var,  serus 
Würz.   sar.     Far  Dinkel,    Spelt  galt  als   die  älteste   Speise  in 
Latium;-  Feronia  wäre  etjmol.  ein  goth.  barizcins  und  der  volle 
Name  Feronia   mater,  den  Scrvius  Aen.  VH,   504  bezeugt,   ent- 
spräche etwa  einer  Sanskritischen  *  bharsäni  mätä  Getreidemutter, 
Mit  diesem   immerhin  noch  weiterer  Aufklärung   über  das  Ver- 

1)  Vgl.  Graßmanii  in  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  XVI,  110.  Ein  römisches 
Ferronirt ,  Feronia  neben  far  stände  in  gleichem  Verhältniß  wie  Epona  neben 
equus,  insofern  beide  Götternanicn  dialectisehe  Nebenformen  (ferr  oder  fiT, 
epus)  statt  der  gebräuchlichen  Appellativa  zum  Etymon  haben. 

2)  Vgl.  Kuhn  Herabkunft    S.  99. 


Feronia.  329 

hältniß  der  beiden  Namensformeii  bedürftigen  Ergebniß  der  sprach- 
liehen Analyse  stunmt  der  sachliche  Verhalt  tiberein.  Durch 
Livius  erfahren  wir,  daß  die  ältesten  Bewohner  der  Gegend  in 
den  Hain  der  Feronia  die  Erstlinge  der  Feldfrüchte  und  andere 
Gaben  brachten,  um  für  den  Segen  der  Ernte  zu  danken.  „Inde 
Hanibal  ad  lucum  Feroniae  pergit  ire,  teuiplum  ea  tempestate 
inclitum  divitiis:  Capenatcs  antiqui  accolae  ejus  erant,  primitias 
frugum  eo  donaque  alia  pro  copia  portantes  multo  auro  argen- 
toque  id  exornatuni  habebant."  ^  Wenn  Feronia  als  dvS^riffOQog, 
cpiXooiiffctrog,  HeQaecfovr]  characterisiert  wurde,*  so  scheint  das 
einerseits  eine  Metonymie  von  dem  Tempel,  an  dessen  Pfosten, 
wie  am  Heiligtumc  der  Ceres,  der  mit  Blumen  geschmückte  Ernte- 
kranz aufgehängt  wurde ;  andererseits  ist  die  mit  der  mystischen 
Pcrsephoue-Kore  identifizierte  Froseipina  zum  Vergleiche  heran- 
gezogen ,  welche  die  römischen  Antiquare  als  fecunditas  seminum 
erklärten.*  Aus  diesem  Vergleiche  der  Feronia  mit  Proserpina, 
erzeugte  sich  die  weitere  Combination  des  der  ersteren  gesellten 
Soranus  mit  Dis  d.i.  Pluto -Aidcs,  dem  Gatten  der  Persephone, 
die  von  einigen  Gelehrten  gemacht  wurde.*  Außerdem  wissen 
wir,  daß  Feronia  von  den  Freigelassenen  besonders  verehrt  wurde. 
Varro  nannte  sie  libertorum  dea.  Zu  Terracina  unweit  Suessa 
Pometia  hatte  sie  ebenso  wie  am  Soracte  einen  Hain  mit  einer 
Quelle ;  hier  war  m  ihrem  Heiligtum  ein  Stein,  auf  den  zur  Frei- 
lassung bestimmte   Sklaven  sich  setzten,    um  als  Freie    wieder 


1)  Liv.  XXVI,  11. 

2)  Dionys.  Halle.  III,  32:  Uqöv  ^an  xoivfj  ri/tKoimvov  vnö  2^aßiv(ov  re 
xnl  Aarivon*  f  äytov  tv  TOig  tiuvv  Ü^tui  4^(Q0)Vftag  ovoibiaCofA^vtjg ,  fjv  ol  fifra- 
(fQfii^ovTtg  ^ig  T//r  *£AA«(f«  yktüoaccv  o/  filv  IdvO^rnföfiov y  ol  dl  'Pi loari- 
(ffd'oVy  ol  öi-  'i^tQaf  if  6ri]v  xnXoOaiv. 

3)  Praefcceinint  ergo  Proseridnain  frumentis  germinantibns.  Varro  bei 
August.  Civ.  Doi  IV,  9.  In  Cereris  autem  sacris  praodicantur  illa  Eleusinia, 
quae  apud  Athenienses  nobilissima  fuerunt.  De  quibus  ille  (Varro)  nihil  inter- 
pretatur,  nisi  quod  attinet  ad  frumentum,  quod  Ceres  invenit  et  ad  Proser- 
pinam,  quam  rapiente  Orco  perdidit,  et  hanc  ipsam  dicit  significare 
fecunditatem  seminum:  quao  cum  defuisset  quodam  tempore,  oademque 
storilitate  terra  moereret,  exortam  esse  opinionem,  quod  filiam  Cereris,  id 
est  ipsam  fecunditatem,  quae  a  proserpendo  Proserpina  dicta 
esset,  Orcus  abstulerat  etc.    Augustin  a.  a.  0.  VII,  20. 

1)  Serv.  Verg.  Aen.  XI,  785. 


330  Kapitel  VI.    Sonnweiidfeacr.    B.  Hirpi  Sorani. 

anfzostehen.  ^  Sodann  erhielten  sie  nach  Abscheenuig  des  Haupt- 
haars den  Freiheitshut  ^  Als  man  in  Rom  während  des  zweiten 
panischen  Krieges  beschloß ,  alle  Götter  durch  außerordentliche 
Geschenke  gnädig  zu  stimmen,  waren  es  die  freigelassenen  Weiber, 
welche  der  Feronia  das  Weihgeschenk  zusammenstenem  mußten.' 
Dieses  Verhältniß  der  Liberten  zu  der  Göttin  erklärt  sich  sehr 
einfach  und  befriedigend  aus  den  Gebräuchen  des  Erntefestes. 
Denn  am  Erntefeste  war  es  bei  den  Alten  Sitte/  wie  sie  es 
noch  bei  uns  ist,  daß  die  Herren  allen  Standesunterschied  ver- 
gessend mit  den  Knechten  sich  auf  gleichen  Fuß  setzten ,  mit 
ihnen  aßen,  tranken  und  ganz  als  mit  ihresgleichen  verkehrten. 
Dieser  Umstand  mochte  Zeit  und  Ort  eines  Festes  der  Emte- 
göttin  als  besonders  geeignet  erscheinen  lassen,  um  damit  die 
feierliche  Freilassung  verdienter  Sklaven  zu  verbinden,  durch 
solche  Potenzierung  des  Festgedankens  die  Würde  der  Feier 
gewissenmaßen  noch  zu  erhöhen.  Wie  Feronia  wurde  auch  die 
Emtegöttin  Dea  Dia  in  einem  Haine  verehrt  und  Demeter  besaß 
gleichfalls  heilige  Haine  (o.  S.  14). 

§.  3.  Hirpl  Sorani.  Zu  Ehren  beider  Götter,  des  Sora- 
•  nus  und  der  Feronia  fand  alljährlich  zu  einer  gewissen  Zeit  im 
Haine  der  Göttin  am  Soracte  ein  Fest  statt,  wobei  die  Mitglieder 
gewisser  ortsansäßiger  Familien,  welche  sieh  Hirpi  d.  i.  Wölfe 
nannten,  mit  nackten  Füßen  durch  ein  Feuer  liefen.  Der  ältere 
Plinius  sagt :  *  Nicht  weit '  von  Rom  im  Gau  der  Falisker  giebt 
es  einige  wenige  Familien ,  welche  man  Hirpi  nennt.  Diese  wan- 
deln Jahr  für  Jahr  an  dem  Feste  zu  Ehren  des  Apollo,  welches 
beim  Berge  Soracte  veranstaltet  wird,  über  einen  angezündeten 
Holzstoß  und  verbrennen  sich  nicht.  Deshalb  genießen  sie  nach 
einem  Senatsbeschluß  auf  ewige  Zeiten  Befreiung  vom  Kriegs- 
dienst und  anderen  Lasten.  ^    Vergils  Dichtung  macht  den  Aruns, 

1)  In  hujus  teniplo  Tarracinae  sedile  lapidenm  fuit,    in  quo  bic  versns 
incisns  erat :  Bene  raeriti  servi  sedeant,  surgent  liberi.   Servius  Aen.  VIII,  564 

2)  Servius  a.  a.  0. 

3)  Liv.  XXII,  1  Quin  ut  libortinae  et  ipsae,  unde  Feroniae  doniun  dare- 
tur,  pecuniam  pro  facultatibus  suis  conferrent. 

4)  S.  darüber  die  Zusammenstellungen  von  Buttmann,   Mythologua  ü, 
52—56. 

5)  Eist.  nat.  VII,  2. 

6)  Plin.  bist.  nat.  VII,  2    Haud  procul  urbe  Roma  in  Faliscorum  agro 
familiae  sunt  paucao,  quae  vocantur  Hirpi:    hae  sacrificio  annao,  quod  fit 


Hirpi  80 ran i.  o31 

Tarquins  Sohn,  zu  einem  Gliede  jener  Genossenschaft,*  und 
Varro  behauptet,  die  Hirpi  hätten  sich  mit  einer  gewissen  Salbe 
die  Fußsohlen  bestrichen  und  seien  dadurch  gegen  die  Verbren- 
nung geschützt  ^gewesen.  *  Strabo  ergänzt  diese  Berichte  dahin, 
daß  die  Begehung  im  Haine  der  Feronia  stattfand ,  auch  auf  die 
Göttin  Beziehung  und  viele  dazu  herbeigeströmte  Besucher  zu  Zu- 
schauem hatte.  „Unter  dem  Berge  Soracte  —  sagt  er  —  liegt 
die  Stadt  Feronia,  gleichnamig  einer  einheimischen  von  den 
Bewohnern  geehrten  Göttin,  deren  an  diesem  Orte  befindlicher 
Tempelhain  eine  wunderbare  Feierhandlung  darbietet.  Denn  mit 
bloßen  Füßen  durchwandeln  die  von  der  Göttin  Ergriffenen 
Kohlen  und  Glutaschc  unbeschädigt,  und  sowol  wegen  des  Volks- 
festes, das  jährlich  gefeiert  wird,  als  wegen  des  erwähnten 
Schauspiels  versammelt  sich  hier  eine  große  Menschenmenge." 
Wir  besitzen  eine  ätiologische  Sage,  ein  Histörchen,  welches 
irgend  jemand  lediglich  zur  Erklärung  der  ebenerwähnten  Bräuche 
erdacht  hat;  Servius,  der  die  Geschichte  einem  älteren  Schrift- 
steller nacherzählt ,  verdunkelt  sie  etwas,  indem  er  mit  den  Hirpi 
Sorani  das  sabinische  Volk  der  Hirpini  confundiert.  Einst  bei 
einem  Opfer,  das  die  Hirten  dem  Gotte  auf  dem  Soracte  brach- 
ten ,  erschienen  plötzlich  Wölfe,  rissen  das  Opfer  fleisch  aus  dem 
Feuer  und  trugen  es  davon.  Die  Hirten  ihnen  nacheilend, 
gelangten  zu  einer  Höhle  von  giftiger  Ausdünstung,  durch  welche 
sie  mit  einer  Seuche  behaftet  und  todt  hingestreckt  wurden.  Als 
die  Einwohner  Abhilfe  des  Uebels  bei  den  Göttern  suchten,  lau- 
tete die  Weissagung  dahin,  daß  die  Fest  aufhören  werde,  wenn 
sie  sich  wie  Wölfe  geberden  würden.  Sie  taten  dies  und  fortan 
hieß  das  Volk  Hirpi  Sorani.  *      Dieser  Name    bedeutete   Wölfe 


ad  inontem  Sqractem  ApoUiiü,  super  ambustam  ligni  struem  ambu- 
lantes noii  aduruntur.  Et  ob  id  perpctuo  Öenatusconsulto  uilitlae  omnium- 
que  aliorum  muuerum  vacationem  habent. 

1)  Verg.  Aen.  XI,  785. 

2)  Serviu8  ad  Verg.  Aen.  XI,  787 :  Varro  ubiquo  expugnator  religionis  alt, 
cum  quoddam  medicamentum  describeret:  üt  solent  Hirpini,  qui  ambulaturi 
per  igues  mcdicamento  plantas  tingunt 

3)  Serv.  a.  Verg.  Aen.  XI,  785.  Soractis  mens  est  Hirpinorum  in  Fla- 
minia  collocatus.  In  hoc  autem  monte  cum  aliquando  Diti  patri  sacrum  por- 
solverotur;  nara  [diis]  manibus  consecratus  est,  subito  veniontes  lupi  eita 
[de  igni]  rapuerunt,    quos  cum  diu    [pastores]  sequercntur,    delati   sunt   ad 


332  Kapitel  VI.    Soniiwcudl'uuer.    B.  Hirpi  Soraiü. 

des  Sonnemjottes  j  denn  hirpns  war  der  sabinische  Ansdruck  ftr 
Wolf.  *  Aus  der  vorstehenden  ätiologischen  Sage  sind  wir  berech- 
tigt auf  den  Gebrauch ,  dessen  Entstehung  sie  begreiflich  machen 
sollte,  zurttckznschließen ,  und  soviel  zu  entnehmen ,  einmal,  daß 
die  Familien,  von  denen  der  Brauch  geübt  wurde,  nicht  zufällig 
oder  aus  irgend  einem  andern  Grunde  Hirpi  hießen ,  sondern  nur 
deshalb,  weil  sie  am  Feste  des  Soranus  die  Bolle  von  Wölfen 
spielten,  durch  Geberden  (Geheul  u.  s.  w.)  und  vielleicht  auch 
Kleidung  sich  als  Darstellungen  von  solchen  zu  erkennen  gabeu, 
sodann,  daß  von  dem  Durchlauf  dieser  Wölfe  durch  das  Feuer 
Oesundheity  Freisein  mid  Befreitwerden  von  Seuclien  als  Wirkung 
erwartet  wurde. 

Hiemit  sind  wir  im  Besitz  einer  hinreichenden  Reihe  von 
Uebereinstimmungen,  um  die  schon  von  Preller*  aufgestellte  Ver- 
mutung für  gewiß  ansehen  zu  dürfen ,  daß  die  Begehung  der  Hirpi 
Sorani  unseren  Sonnwendfeuerny  dem  Osferfeuer  oder  Johannis- 
feuer  identisch  war.  Hier  wie  da  ein  Sonnenfest;  hier  wie  da 
ein  Durchlaufen  von  Menschen  durch  die  Flamme,  hier  wie  da 
endlich  der  Glaube,  daß  durch  das  Feuer  bösartige  Krankheit 
vertrieben  werde.  Die  Hii-pi  hießen  Wölfe  des  Sonn^mgoftes  So- 
ranus, weil  sie  am  Feste  der  Sommersonnenwende  ihren  Feuer- 
sprung ausführten.  Wenn  nun  die  Sonuwendfeuer  nachweisbar 
auch  die  vermeintliche  Wirkung  ausübten,  die  Fruchtbarkeit  des 
Kornfeldes  und  der  Viehweide  zu  befördern  (o.  S.  316),  so  liegt 
es  klar  am  Tage,  weshalb  das  Somiwendfeuer  am  Soracte  im 
Haine  der  Getreidegöttin  Feronia  begangen  ist,  und  daß  dabei 
vorzugsweise  die  agrarischen  Beziehungen  betont  wurden. 

Eine  einigermaßen  verdunkelte  Spur  des  Glaubens,  daß  das 
im  Haine  der  Feronia  angezündete  Feuer  auf  die  Wiedcrbclchung 


quandam  speluncam,  halitum  ex  se  pcstifcnim  emittentom,  adco  ut  juxta 
Btantes  nccaret:  [et]  exintle  est  orta  pcstilentia,  quia  faerant  lupos  secnti: 
de  qua  responsum  est,  posse  cam  scdari,  si  lupos  im itaren  tur,  i.  e.  rapto 
viverent.  Quod  postquani  factum  est  dicti  sunt  isti  populi  Hirpi 
Sorani.  Die  Erklärung  „i.  e.  rapto  viverent"  giebt  sich  sofort  als  irriger 
Zusatz  des  Servius  zu  den  Worten  seiner  Vorlage  zu  erkennen. 

1)  Servius  a.  a.  0.:  Nam  Inpi  Sabinorum  lingua  hirpi  vocantur.  So- 
rani vero  a  Dite:  nam  Dispater  Soranus  vocatur:  quasi  Lupi  Ditis  pa- 
tris.  Strabo  V,  4,12.  p.  250:  Xo;ior  xidoCair  ol  ^^KvrJiai  töv  Xixor.  Paul. 
Diac.  p.  106:  Irpini  appellati  nomine  lupi,  quem  irpum  dicunt  Samnites: 
cum  enim  duccui  secuti  agros  occupavere. 

2)  R.  M.  S.  240. 


Hirpi  Sorani.  333 

der  in  den  Hundstagen  iferbrannteti  Vegetation  Einfluß  idfc, 
liegt  wol  in  der  wiederum  ätiologischen  Legende  vor,  daß  der 
Hain  der  Göttin  zu  Terracina  (Anxur)  clnM  in  Brand  geraten 
sei,  plötzlich  aber ^  als  die  Einwohner  zur  Rettung  der  Götterbil- 
der herbeieilten,  wieder  frisch  und  grün  vor  ihren  Augen  dage- 
standen Iwbe.  *  Wahrscheinlich  gab  es  auch  in  Terracina  ein 
Sonnwendfeuer  und  man  mochte  bei  demselben  grüne  Büsche 
oder  Bäume  aufpflanzen  (vgl.  o.  S.  310),  ein  Brauch,  den 
man  dann  nachmals  als  Erinnerung  an  die  vermutete  einmalige 
Begebenheit  eines  Hainbrandes  deutete,  indem  man  in  diese 
Legende  zugleich  einen  Hinweis  auf  die  vom  Feuer  erwartete 
Wirkung  hineinmischte. 

Auch  von  dieser  Seite  her  bestätigt  sich  unser  Ergebniß. 
Der  Festakt  am  Soracte  fand  zur  Zeit  der  Sommersonnenwende 
statt  zu  Ehren  des  Sonnengottes  und  zu  Ehren  der  Getreide- 
göttin Feronia;  es  hatte  also,  wie  jener  stidindisehe  Feuer- 
sprung bei  den  Badagas  (o.  S.  306),  auf  dieEryite  Bezug,  wie 
nach  den  Indizien  des  ätiologischen  Mythus  auf  die  Gesundheit 
der  Menschen  und  Tiere.  Die  Wölfe  liefen  durchs  Sonnenfeuer, 
um  glückliche  Ernte  auf  den  Aeckern,  sich  und  ihren  Mitbürgern 
ein  krankheitfreies  Jahr  zu  erzielen.  Gicbt  man  diese  Vorder- 
sätze zu,  und  ich  sehe  keinen  Ausweg,  sich  ihnen  zu  entziehen, 
so  ergiebt  sich  zugleich  das  Fest  der  Hirpi  Sorani  als  nach  Jah- 
reszeit, Zweck  und  Ausführung  übereinstimmend  mit  der  Feier 
der  Confrerie  du  Loup  Vert  s.  zu  Jumieges ,  und  wir  werden 
dann  kaum  umhin  können,  die  Wölfe  des  Soranus  auf 
gleiche  Weise,  wie  die  grünen  Wölfe  des  normannischen 
Brauches  und  die  schwäbische  Mooskuh,  d,  h.  als  Korn- 
wölfe, Vegetationswölfe  zu  deuten.  Mit  einem  Worte, 
das  Vorhandensein  der  Korndämonen  scheint  auch  im 
römischen  Volksglauben  nachgewiesen  zu  sein.  Es  scheint 
so,  denn  die  Möglichkeit  bleibt  immerhin  nicht  ausgeschlossen, 
daß  durch  eine  Laune  des  Zufalls  trotz  der  aufl^lligen  Ueberein- 
stimmung  die  Wölfe  hier  einen  anderen  Ursprung  und  eine 
andere  Bedeutung  hätten,    als  in   dem  normannischen  Brauche; 


1)  Sorvius  ad  Vcrg.  Aon.  VII,  800:  Nain  cum  aliquando  hujus  fontis 
lucus  fortuito  ar8i«set  incendio  <»t  vollont  incolao  exinde  transferro 
simulacra ,  subito  roviruit. 


334  Kapitel  VI.    Sonnweudfeuer.    ß.  Hirpi  Sorani. 

aber  die  Wahrscheinlichkeit  ftlr  yorstehende  Deutang  verstärkt 
sich  in  hohem  Grade  durch  den  in  später  zu  veröffentlichenden 
Untersuchungen  geführten  und  in  einigen  Beispielen  bis  za  un- 
umstößlicher Grewißheit  gedeihenden  Nachweis,  daß  Vorderasien, 
Griechenland  und  Altitalien  den  unsrigen  ganz  genau  entspre- 
chende anthropomorphische  und  theriomorphische  Komdämonen 
kannten. 

Die  Getreidegöttin  Feronia  wurde  offenbar  in  naher  Bezie- 
hung zu  Mars  gedacht,  der  in  der  Urzeit  Gott  des  Wachstums, 
der  tellurischen  und  animalischen  Fruchtbarkeit  und  zugleich 
Kriegsgott  war,  und  dessen  verschiedene  Wesensseiten  von  W. 
Boscher  mit  nicht  geringer  Wahrscheinlichkeit  aus  dem  gemein- 
samen Ausgangspunkte  einer  Sonnengottheit  begreiflich  gemacht 
sind. '  Jene  durch  ihre  agrarische  Bedeutung  bedingte  Beziehung 
beider  Gottheiten  äußert  sich  u.  a.  darin,  daß  eine  Spechtart 
(picus  Martins)  dem  Mars,  eine  andere  (picus  Feronius)  der  Fe- 
ronia heiUg  war,  beide  galten  als  Vögel,  welche  sowol  durch 
ihre  Stimme ,  als  ihren  Flug  zu  Auspicien  dienten.  ^  Vielleicht 
lag  die  Ursache  ihrer  Heiligkeit  darin,  daß  der  Specht  wie  der 
Kukuk  und  die  Heerschnepfe  (Regenvogel,  Gießvogel,  Ha  wer- 
jsicke  0.  S.  180)  dem  Ackerbauer  als  Wetterkilnder  von  Wichtig- 
keit war,  da  er  beständig  piept,  tvenn  es  regnen  soll.  ^  Im  skan- 
dinavischen Norden  ist  der  rothaubige  Schwarzspecht,  St.  Gertuds- 
vogel  (ähnlich  wie  die  Habergeiß  o.  S.  181  ff.)  dadurch  gleich  dem 
Kukuk,  jy Bäckerknecht/'  zu  einem  brodgebend^n  anthropopathi- 
schen  Dämon  in  Vogelgestalt  geworden,  dessen  Dasein  man  sich 
nachmals  aus  der  Verwandlung  einer  brodbackenden  Frau  durch 
St.  Gertrud  erklärte.  Gradeso  war  Picus  den  ßömern  ein  therio- 
morphischer  Waldgeist,  des  Faunus  Vater,  den  man  nachmals 
zu  einem  Urkönige  Latiums  vermenschlichte  und  als  Jüngling  mit 
einem  Specht  auf  dem  Haupte  darstellte,  in  anderen  Kreisen 
aus  Metamorphose  eines  Menschen  entstehen  ließ,  worauf  man 
bei    weiterem    Grübeln    endlich   die    große  Zauberin   Kirke    als 


1)  Roseber  Apollon  und  Mars.    Lpzg.  1873. 

2)  Festus  p.  197    v.    oseines    aves.     Vgl.  W.  Wackemagel    r.'ifn   :iTk- 
QOivra  25. 

3)  Vgl.  Myth.*  G39.     Maiinhardt   in  Zs.  f.  d.    Mi^th.  III,  221.     Ebend. 
209  ff. 


Hirpi  Sorani.  336 

Urheberin  dieser  Verwandlung  hinzudichtete.  ^  Ein  anderes  Tier 
des  Mars  war  der  Wolf  (lupus  Marti us,  lupus  Martialis),  der 
sich   entschieden   dem  Wolfe  des  Apollo   bei   den  Griechen  ver- 


1)  Bios  gegen  Kuhns  unhistorische  Auffassung,  Herabknnft  S.  30.  31. 
32.  Ich  stelle  nachstehend  in  knappster  Andeutung  gegen  die  gründlich  ver- 
schiedene Entwickelung  dieses  Forschers  meine  eigene  abweichende  Ansicht. 
Feronia  hält  er  (Herabkunft  30 ff.)  A.  für  eine  Feuergöttin  undHer- 
abbringerin  des  himmlischen  Feuers  im  Blitze,  und  zwar  a] weil  ihr 
zu  Ehren  ein  Feuer  angezündet  wurde  und  weil  einmal  ihr  Hain  gebrannt 
haben  soll.  Aber  ein  Feuer  im  Dienst  einer  Gottheit  beweist  nichts  für  diese 
als  Numen  des  Feuers,  b)  Feronia  sei  sprachlich  und  sachlich  identisch  mit 
Phoroneus ,  auf  den  die  Argiver  die  Erfindung  des  Feuers  zurückführten,  und 
mit  bhuranyu,  einem  Beinamen  des  indischen  in  Yogelgestalt  gedachten 
Blitz-  und  Feuergottes  Agni.  Aber  Feronia  war  Denominativ,  und  steht 
auch  durch  Länge  der  ersten  Sylbe  von  Phoroneus  ab,  der  als  Begründer  der 
Kultur  in  Argos  das  Feuer  erfunden  haben  wird ;  von  Herabholung  des  Feuers 
wie  bei  Prometheus  wußte  seine  Sage  nichts,  c)  Feronia  sei  Proserpina 
genannt,  weil  sie  der  Despolna  =  Persophone  der  Arkader  gleichstand,  die 
Kuhn  mit  der  indischen  Wolkenfrau  ?  Blitzgöttin  ?  Dasapatni  identifiziert. 
Letztere  Gleichstellung  ist  sprachlich  bedenklich,  sachlich  unhaltbar.  Ueber 
den  Grund  der  griechischen  Interpretatio  der  Feronia  durch  Persephone  s.  o. 
S.  329.  B.  Im  Feuer  des  Blitzes  steige  nach  verschiedenen  Mythen  die  Seele 
des  Menschen ,  stieg  einst  der  erste  Mensch  zur  Erde.  Dieser  Glaube  haftete 
an  der  Blitzgöttin  Feronia  und  daher  heiße  a)  der  älteste  König  Herilus  von 
Praeneste  ihr  Sohn.  Aber  daß  Herilus  der  älteste  König  war,  sagt  die  Ueber- 
lieferung  nicht;  die  ältesten  Könige  sind  noch  nicht  die  ersten  Menschen, 
und  die  Urkönige  der  italischen  Sage  sind ,  wo  sie  überhaupt  Gottheiten  wa- 
ron ,  rückwärts  durch  Euhemerismus  zur  Königsrolle  gekommen,  b)  Der  Blitz- 
göttin Feronia  war  der  Specht  (picus  Feronius)  geweiht,  an  den  sich  die 
Sage  von  der  Springwurzel  knüpft,  welche  Kuhn  auf  den  als  Vogel  gedach- 
ten Blitz  deutet.  Der  Italer  hielt  den  picus  also  für  den  Bringer  des  Blitzes, 
in  dem  aus  dem  himmlischen  Seeionreich  in  den  Wolken  auch  der  erste 
Mensch  zur  Erde  kam.  Daher  gelte  Picus  1)  selbst  für  einen  ersten  König, 
der  mit  Faunus  den  Blitz  (Jupiter  Elicius)  aus  der  Wolke  herablockte,  nach 
anderer  Vorstellung  selbst  aus  dem  Seelenreich  kam.  Dies  bedeute  die  Sage 
seiner  Verwandlung   in   einen  Vogel   durch   die   Unterweltsgöttin  (!I)  Circe. 

2)  Der  Specht   nährte  Romulus   und  Eemus,  ^wieder  zwei    erste  Menschen. 

3)  Picumnus  d.  i.  Picua  galt  noch  später  für  einen  kinderhütenden  Genius, 
d.  h.  für  den  Herabbringer  der  Seelen  im  Blitze.  Nun  ist  aber  die  behaup- 
tete Bedeutung  der  Springwurzelsage  noch  keinesweges  bewiesen.  Ueber 
Picus  und  Circe  s.  o.  S.  334.  Romulus  und  Bemus  werden  vom  picus  Martins 
als  dem  heiligen  Tiere  ihres  Vaters  genährt.  Ueber  Picumnus,  der  von  Picus 
zu  scheiden ,  viel m  dir  eine  männliche  Nebenform  der  Intorcidona,  und  dessen 
Name  wahrscheinlich  von  einem  verlorenen  Verbum  des  Stammes  pik  schnei- 
den abzuleiten  ist,  vgl.  o.  S.  125. 


336  Kapitel  VL    Sonnwendfeuer.   B.  Hirpi  Sorani. 

gleicht.  In  welchem  Verhältniß  stehen  nun  diese  Tiere  za  den 
—  wie  wir  vermuten  —  durch  die  Hirpi  Sorani  dargestellten 
Kornwölfen?  Ist  es  nötig,  daß  der  Uebereinstimmung  des  piciis 
Feronius  und  picus  Martialis  entsprechend  die  hirpi  des  Soranus 
und  der  Feronia  denselben  Gedanken  verkörpern  wie  die  lupi 
Martis  und  Apollinis?  Von  diesen  beiden  gilt  gleicherweise,  daß 
„ihre  Bedeutung  einen  tieferen  bis  jetzt  noch  nicht  erkannten 
Grund  haben  muß/'^  Man  würde  es  vielleicht  nicht  für  uner- 
laubt erachten,  auch  hier  eine  agrarische  Beziehung  zu  suppo- 
nieren,  wenn  man  den  schon  Roggenwolf*  S.  15  beigebrachten 
Gumbinner  Volksglauben  in  Erwägung  zieht:  „Wenn  ein  Wolf 
durch  ein  AcJcerfeld  oder  eine  Wiese  laufend  erblickt  wurde, 
gaben  die  Bauern  Acht,  ob  er  den  Schweif  nachschleppen  ließ. 
Geschah  dieses,  so  gingen  sie  ihm  nach  und  dankten  ikm^  daß  er 
ihnen  Segen  gebracht  habe,  ja  sie  legten  ihm  wo  möglich  einen 
Leckerbissen  hin;  trug  er  jedoch  den  Sohweif  hoch,  so  verfluch- 
ten sie  ihn  und  suchten  ihn  zu  tödten."  Weit  wahrschein- 
licher jedoch  ist,  daß  der  Wolf  dem  Mars  und  ApoUon  aus  der 
nämlichen  Ursache  beigegeben  war,  wie  dem  nordischen  Odhinn, 
d.  h.  als  poetisches  Bild  des  siegreichen  Helden.  *  In  diesem 
Falle  triflFt  ein  ganz  ähnliches  Verhältniß  aus  dem  Germanischen 
genau  zu.  Denn  auch  Odhinn  war  wie  Mars,  ohne  im  Uel)rigrn 
diesem  conform  zu  sein,  zugleich  Gott  des  Krieges  und  ein  Emte- 
gott,  insofern  ihm  in  Schweden  die  letzte  Korngarbe  für  sein 
Roß  auf  dem  Acker  stehen  blieb;  die  Wölfe  des  Sieges  al)er, 
welche  zu  des  Siegvaters  Füßen  Hegen  oder  ihn  atzungsbegierig 
in  die  Schlacht  begleiten,  und  die  Kornwölfe  blieben  gesonderte 
Gestalten,  welche  aus  verschiedenen  Wurzeln  vom  Volksgeiste 
erzeugt  neben  einander  herliefen,  ohne  sich  zu  berühren  oder 
einander  auszuschließen.  In  gleicher  Weise  dürfen  trotz  der 
Berührung  des  Mars  und  der  Feronia  in  gewissen  Stücken  der 
lupus  Martins  und  die  Hirpi  Sorani  für  Verkörperungen  verscfhie- 
dener  Ideen  erklärt  werden. 

§.  4.    Die    Lykaia.      Unser  Urteil,   daß  die   Hirpi  Sorani 
Getreidewölfe  darstellen,   ging  einerseits   aus   ihrer   unverkenn- 

1)  0.  Müller  Dorior  I,  305.     Welcker  Götterl.  1,  481.     Koscher  Apollnn 
und  Mars  S.  89. 

2)  Vgl.  Liv.  X,  27,  Victor  Martins  Inpns.  XX,  40.     Homer.  11.  XVI.l.'»«». 
3r>i.    XI,  72.    XVT,  352. 


Die  Lykaia.  337 

baren  Beziehung, zu  Sonnengott  und  Ernte,  andererseits  ans  der 
deutlichen  Analogie  der  normannischen  Umläufe  des  Loup  veri 
hervor.  Ich  halte  mich  jedoch  ttlr  verpflichtet  noch  eme  grie- 
chische Begehung  vergleichend  in  Erwägung  zu  ziehen,  in  welcher 
anscheinend  gleichfalls  der  Umlauf  eines  einen  Wolf  darstellen- 
den Menschen  zur  Zeit  der  Sommersonnenwende  die  Hauptsache 
war,  und  die  Frage  zu  beantworten,  ob  etwa  diese  Analogie  es 
ratsam  mache,  den  Hirpi  Sorani  eine  andere  Bedeutung,  als  die 
vorhin  aufgestellte,  zuzuweisen.  Ich  meine  das  Fest  der  Lykaia 
in  Arkadien,  dessen  Verständniß  durch  die  bisherige  Forschung 
sehr  unvollständig  erreicht  ist. 

Im  südwestlichen  Randgebirge  Arkadiens  erhebt  sich  die 
4737'  hohe  zweigipfelige  Bergkuppe  Diaphorti  von  isolierter  Lage 
und  weiter  Rundsicht,  deren  südliche  jetzt  nacH  dem  heiligen 
Elias  benannte  Spitze  im  Altertum  Lykaion  hieß  und  diesen  ihren 
Namen  in  weiterem  Sinne  zunächst  dem  Gebirgsstock ,  sodann 
sogar  der  ganzen  umliegenden,  von  dem  Stamme  der  Parrhasier 
bewohnten  Landschaft  mitgeteilt  hatte.  Doch  blieb  man  sich 
allezeit  bewußt,  daß  der  Name  Lykaion  eigentlich  und  zunächst 
der  Felskuppe  zukomme.  Sie  hieß  so  als  Schauplatz  eines  ur- 
alten Kultus  des  Zeus,  bei  welchem  der  Lauf  eines  Wolfes  den 
Hauptritus  ausmachte.  Von  dem  Namen  des  Bergstockes  und 
der  Landschaft  war  ein  Heros  Eponymos  Lykaon  abgeleitet,  auf 
dessen  Geschlecht  die  parrhasischen  Städte,  Lykosura,  Trapezus 
u.  s.  w.  ihren  Ursprung  zurückführten.  '  Der  Diaphortigipfel,  die 
„heilige  Höhe  der  Arkader,"  noch  jetzt  eine  runde  künstlich 
geebnete  Fläche  von  150  Fuß  Durchmesser,  trug  einst  auf  der 
gegen  Sonnenaufgang  gerichteten  Seite  zwei  Säulen  mit  vergolde- 
ten Adlern,  den  Vögeln  des  Zeus,  und  zwischen  beiden  eine 
Erdaufschüttung,  von  der  aus  man  einen  großen  Teil  des  Pelo- 
ponnes  überschaute  und  auf  welcher  im  Geheimen,  d.  h.  nur 
durch  wenige  dazu  Berufene  mit  Ausschluß  einer  zuschauenden 
Menge,  Opferceremonien  vollzogen  wurden.  Der  Platz  war  ein 
aßarov  und  so  heilig,  daß  man  glaubte,  ein  jeder,  der  ihn  ohne 
Beruf  und  Erlaubniß  betrete ,  müsse  im  Laufe  des  Jahres  sterben. 
Beim  Eindringen  betroflFen ,   wurde  er  gesteinigt.  *     Von  denen, 

1)  Pauaan.  Descr.  Gr.  VIII,  3. 

2)  Pausan.  VIII,  38,  5.    Plutarch.  Quaest.  Gr.  39. 

M«nnh«rdt    II.  22 


338  Kapitel  VI.    Sonnwendfeaer.   B.  Hirpi  SoranL 

welche  in  das  Heiligtum  hineingingen,  wurde  man  keinen  Schatten 
gewahr.^  Man  darf  aus  dieser  sicher  übertreibenden ,  doch  un- 
zweifelhaft irgend  wie  tatsächlich  begründeten  Angabe  schließen, 
daß  der  heilige  Brauch,  welcher  einzig  und  allein  Menschen  in 
den  sonst  nie  betretenen,  geweihten  Raum  hineinführte,  in  einem 
Momente  statt  hatte,  wann  die  Sonne  möglichst  senkrecht  über 
den  Köpfen  stand,  der  Schatten  nur  sehr  gering  war;  am  wahr- 
scheinlichsten in  der  Mittagsstunde  des  längsten  Tages,  Denn 
dann  beträgt  der  Schatten  für  den  Peloponnes  ein  Fünftel  der 
Höhe  aller  aufrechten  Gegenstände  und  wird  bei  dem  Menschen 
vom  Fuße  fast  völlig  bedeckt.  Zwischen  zweien  Vorsprtingen 
des  Berggipfels  führt  nach  Norden  eine  lange  und  tiefe  Schlucht 
zu  Tale,  an  deren  bewaldetem  westlichem  Abhang  von  der  Opfer- 
höhe aus  sich  Her  heilige  Bezirk  des  Zeus  bis  an  den  Kopf  einer 
Quelle  hinabzog,  welche  xar'  i^oxfjv  die  heilige,  HagnS  oder  als 
Quellnymphe  personifiziert  Hagno,  genannt  war.  Jenseits  der- 
selben am  östlichen  Abhänge  der  Schlucht  lag  ein  Hain  and  Hei- 
ligtum des  Pan,  vermutlich  dasselbe,  welches  nach  Aelian  H.  A 
XI^  6  (vgl.  0.  S.  129)  Aule  genannt  und  als  eine  Freistatt  des 
Wildes  betrachtet  wurde,  in  die  kein  Jäger,  angeblich  auch  kern 
Raubtier  ein  Tier  zu  verfolgen  wagte.  *  Nördlich  der  heiligen 
Quelle  schlössen  sich  an  den  Hain  ein  Hippodrom  und  ein  Sta- 
dion, angeblich  die  ältesten  Einrichtungen  dieser  Art  in  Griechen- 
land, an ,  in  welchen  die  Lykaia  genannten  Spiele  und  Wettläufe 
nach  Preisen  abgehalten  wurden.  *  lieber  den  Ritus  des  Gottes- 
dienstes im  Lykaion  erfahren  wir  durch  Plato,  daß  dem  Gerüchte 
nach    noch    zu   seinen  Tagen   ein  Menschenopfer  daselbst    dar- 


1)  Nur  diea  sagt-e  die  ältesto  Tradition,  welche  von  Theopomp  allerdings 
bereits  in  ein  „schattenlos  trcrrfen"  umgedeutet  wird.  Polyb.  XVI,  12,  7... 
GiOTro/JTiog  (fi^Occg,  rovg  dg  t6  toi^  /1t 6g  äßarov  hißiirrug  xcct*  'AuxttSiar 
aax(ovg  y^yrffr^^cti .  Später  hat  sich  daraus  aus  Mißvorstand  die  vergröberte 
und ,  wie  es  scheint ,  selbst  von  den  Umwohnern  geglaubte  Mähr  gebildet, 
auf  dem  heiligen  Platze  bleibe  zu  jeder  Zeit  alles  Lebende ,  was  <iahin 
komme,  schattenlos.     Pausan.  VIII,  38,  5. 

2)  Augenscheinlich  auf  Verwechselung  dieses  Panheiligtums  mit  dem 
Lykaion  beruht  es,  daß  nach  Pausanias  a.  a.  0.  dessen  mündliche  Berichter- 
statter von  letztcrem  behaupteten,  der  Jäger  verfolge  kein  Tier  hinein 
und  ihm  nachsehend  nehme  er  keinen  Schatten  desselben  wahr. 

3^  Curtius  Peloponnesos  I,  300  —  304.  338  ff. 


Die  Lykaia.  339 

gebracht  wurde,  ^  und  sogar  Theophrast  behauptet  noch  dasselbe 
für  seine  Zeit.  ^  Wenn  Pausanias  sich  abhalten  ließ,  genauer 
nachzuforschen,  wie  es  sich  mit  dem  Opfer  verhalte,  so  sieht 
man,  daß  er  nichts  Tatsächliches  darüber  wußte,  sondern  durch 
den  Glauben  an  die  alte  Ssige  von  moralischer  Scheu  erftillt  war.^ 
An  einer  zweiten  Stelle  berichtet  Plato  von  Hörensagen,  wer  im 
Heiligtum  des  lykäischen  Zeus  menschliche  Eingeweide  gekostet, 
werde  mit  Notwendigkeit  zum  Wolfe.  *  Auch  Tansanias  weiß 
davon,  daß  ehedem  beim  Opfer  des  Lykäischen  Zeus  immer 
einer  ein  Wolf,  nach  zehn  Jahren  aber  wieder  ein  Mensch  gewor- 
den sei,  wenn  er  sich  inzwischen  des  Menschcnfieisches  enthalten 
habe.*  Hiermit  stimmt  Plinius  tiberein,  dessen  aus  Euanthes 
geschöpfter  Bericht  auf  arkadische  Schriftsteller  zurückgeht.  Hie- 
nach  wurde  aus  dem  Geschlechtc  des  Anthos  jedesmal  derjenige 
durchs  Loß  bestimmt,  der  neun  Jahre  in  Einöden  mit  Wölfen 
in  Wolfsgestalt  sein  Wesen  treiben,  dann  aber  wieder  seine 
vorige  Gestalt  erhalten  sollte.  Nach  Agriopas,  der  Nachrichten 
über  die  Sieger  in  Olympia  sammelte,  hatte  ein  gewisser  Dema- 
^  nätus  von  Parrhasia,  nachdem  er  an  den  Lykaien  vom  Fleische 
eines  geopferten  Knaben  gegessen,  sich  in  einen  Wolf  verwandelt, 
im  zehnten  Jahre  wieder  Menschengestalt  angenommen  und  zu 
OljTiipia  einen  Sieg  im  Faustkampf  errungen.^  Offenbar  bildet 
dieselbe  Tatsache,  welche  diesen  den  Sachverhalt  phantastisch 
ausschmtickenden  Gerüchten  zu  Grunde  lag,  auch  den  Ausgangs- 
punkt der  vielfach  variierten  Sagen  ^  vom  Könige  Lykaon ,  der 
allein  oder  sammt  seinen  50  Söhnen  zum  Wolfe  wird,  weil  er 
Zeus,  der  ihn  als  unerkannter  Fremdling  besuchte,  die  Eingeweide 
eines  geschlachteten  Kindes  vorgesetzt.  Der  Gott  habe  mit  seinem 
Blitzstrahl  dreingeschlagen ,   oder  zornig  aufspringend  den  Tisch 


1)  S.  Plato  Minos  p.  315  mit  den  Verbesserungen  Boeckhs  u.  Welckers. 

2)  Theophrast  bei  Porphyr,  de  abstin.  11^  27. 

3)  Pausan.  VIII,  38,  5. 

4)  Plato  de  republ.  VIII,  p.  565d. 

5)  Pansan.  VIII,  38,  2,  3. 

6)  Plin.  Hist.  nat   VIII.  22. 

7)  Pausan.  VIII,  2,  3.  Apollodor.  Bibl.  III.  8,  1.  Tzetzes  ad  Lycophr. 
481,  cd.  Müller.  Lpzg.  1810.  II,  p.  035.  Hygin.  Fab.  Nicol.  Damasc.  Hi- 
stor.  Excerpt.  et  Fragni.  ed.  Orell.  Lpzg.  1804,  p.  41  sqq.  Ovid.  Metara.  1, 
198  ff. 

22* 


840  Kapitel  VI.    Sonn wendf euer.   B.  Hirpi  Sorani. 

(trapeza)    umgestoßen,    woher    der  Ort    den   Namen   Trapezus 
empfing.  * 

Darf  nun  vielfachen  Analogien  entsprechend  in  der  einen 
Klasse  dieser  Traditionen  eine  von  der  Wundersucht  der  aber- 
gläubischen Menge  bewirkte  Vergrößerung  der  mysteriösen  Cere- 
monien,  in  der  andern  ein  genetischer  Dentungs versuch  derselben 
gesucht  werden,  so  ergiebt  sich  als  der  wahrscheinliche  Sachver- 
halt der  folgende.  Alle  9  oder  10  Jahre  fand  an  der  Sommer- 
Sonnenwende  von  Seiten  eines  bestimmten  Geschlechts  (der  Anthier) 
in  dem  ftlr  gewöhnlich  und  iUr  jeden  andern  unnahbaren  Haine 
des  Zeus  allein  oder  mit  andern  Opfern  vermischt  das  wirkliehe 
oder  symbolische  Opfer  eines  Kindes  statt.  Einer  der  Teilneh- 
menden, durchs  Loß  erwählt,  hielt  darauf  einen  Umlauf,  wel- 
chen man  als  Flucht  auffaßte,  und  bekam  den  Namen  Wolfj  der 
ihm  bis  zur  Zeit  der  nächsten  Feier  verblieb.  Die  zehnjährige 
Wiederholung  des  Festes  trat  unzweifelhaft  einst  an  die  Stelle 
einer  jährlichen  Begehung,  wie  in  vielen  ähnlichen  Fällen 
(Bk.  533.  534).  Vermutlich  fand  einst  die  Opferung  eines  Kindes 
wirklich  statt ;  ob  dieser  Brauch  aber  noch  in  Wahrheit  zu  Piatos 
Zeit,  ja  noch  später  geübt,  oder  nur  vom  übertreibenden  Gerüchte 
behauptet  wurde,  bleibt  streitig.  Doch  spricht  ftlr  letztere  An- 
nahme und  gegen  die  erstere,  da  sowol  Plato  als  Theophrast 
nicht  Augenzeugen  waren,  nicht  allein  die  ethische  Richtung  der 
Hellenen  des  ftlnften  und  vierten  Jahrhunderts  im  allgemeinen,  son- 
dern ganz  insbesondere  die  aus  der  nächsten  Umgebung  des  Lykaion 
hervorgegangene  ätiologische  Lykaonsage  selbst.  Denn  schwerlich 
konnte  dieselbe  in  derjenigen  Form  concipiert  werden,  welche 
sie  hat,  daß  nämlich  die  Wolfsverwandlung  als  Strafe  von  Seiten 
des  ein  Mahl  von  Menschenfleisch  verabscheuenden  Zeus  ausge- 
geben wurde ,  wenn  sich  im  Kultus  ein  wirkliches  Menschenopfer 

1)  Dieser  plnmpo  Versuch  einer  DentuDg  des  wol  von  viereckiger  Anlajce 
des  Platzes  ausgegangenen  Ortsnamens  Trapozus  gehört  natürlich  zu  den 
jüngsten  Auswüchsen  der  Lykaonsage.  W.  Schwartz  aber,  der  Kult  und  Sage 
als  Gewittermythologie  deutet  und  den  Lykaon  zum  heulenden  Sturm. 
daher  Wolf,  das  geschlachtete  Kind  zu  dem  aus  der  Wolke  geborenen 
Blitz ,  die  Steinigung  des  unberufenen  Eindringlings  in  das  Lykaion  zur  Nach- 
bildung der  vermeintlich  im  Gowitter  herabfallenden  Donnersteine  machen 
will,  verkennt  auch  hier  das  vareQov  jiQoxkQov  [der  Ortsname  war  natürlich 
eher  da,  als  die  Sago]  und  sieht  in  dem  Umstürzen  des  Tisches  ein  Bild  des 
krachenden  Donnergepolters,     (ürspr.  d.  Myth.  100.  118.) 


Die  Lykaia.  341 

fllr  diesen  Gott  stäts  wiederholte.  Dagegen  vertrug  sich  mit  der 
sittlichen  Würde  des  Gottes  sehr  wol  eine  symbolische,  vielleicht 
im  Hin-  und  Herweben  über  dem  Opferfeuer  bestehende  Dar- 
bringung eines  Kindes,  indem  diese  sammt  dem  Umlauf  des  Wolf 
genannten  Mensehen  als  Erinnerungsfeier  an  jene  aus  diesen  Tat- 
sachen herausgesponnene  Geschichte  des  Lykaon  aufgefaßt  wurde. 
Vielen  griechischen  und  orientalischen  Gottesdiensten,  zumal 
Emtekulten,  eignete,  wie  wir  später  nachweisen  werden,  die 
Deutung  eines  rituellen  Umlaufs  als  Flucht.  Die  Vermutung,  daß 
das  Opfer  zur  55eit  der  Sonnenwende  stattfand,  mithin  ein  Gottes- 
dienst war,  welcher  wahrscheinlich  gleich  den  anderswo  ange- 
zündeten Mittsommerfeuem  den  Zweck  hatte,  Seuche  und  Miß- 
wachs fem  zu  halten  und  das  Gedeihen  der  Pflanzen  zu  fördern, 
wird  verstärkt  durch  den  in  denselben  Ideenkreis  fallenden 
Regenzauber  an  der  Quelle  Hagno.  Wenn  in  der  Gluthitze  des 
Sommers  langanhaltende  Trockenheit  die  Felder  und  Weiden  und 
das  Laub  der  Bäume  ausdörrte,  brach  der  Priester  des  Zeus 
einen  Eichenzweig  und  sprach,  die  Opferspende  verrichtend,  ein 
besonderes  Gebet,  indeß  er  den  Zweig  in  die  heilige  Quelle 
senkte,  ohne  jedoch  den  Grund  derselben  zu  berühren.  Alsbald, 
sagte  man,  bewege  sich  das  Wasser,  walle  auf,  und  eir^  dickte 
Dunstsäule  steige  empor,  die  zu  Wolken  verdichtet  ganz  Arkadien 
mit  erquickendem  Regen  überströme.  \ 


1)  So  schlagen  Hoxen  mit  Gerten  so  lange  in  Wasserbäche,  bis  Nebel 
hervorkommen  und  sich  zu  schwarzen  Wolken  zusammenballen  (Myth.*1041). 
Der  „heilige  Bach"  (estn.  pöhajöggi,  lettisch  swehti  upe)  bei  Ilmegerwe 
in  Estland  lag  in  einem  heiligen  Hain,  in  dessen  Umkreis  niemand 
einen  Baum  hieb,  oder  eine  Rute  brach,  aus  Furcht  im  nächsten  Jahr 
zu  sterben.  Bedurfte  man  Regen,  ward  etwas  hineingeworfen 
(Gutsleff  bei  Grimm.  Myth.*  565).  Bäche  oder  Seee,  welche  der  Sage  nach, 
sobald  Holz  oder  Steine  hineingeworfen  wurden,  Sturm-  und 
Wetterwolken  aufsteigen  lieBon,  sind  über  ganz  Europa  verbreitet 
(Myth.  *  563).  So  erzählt  Gervasius  v.  Tilbury  i.  J.  1221  (Otia  imperial, 
p.  990  Leibnitz,  p.  41  Liebrecht):  Est  in  provincia  regni  Arelatensis  fons 
quidam  pellucidus,  in  quem  silapidem  vel  lignum  aut  hujuscemodi  materiam 
projeceris,  statim  de  fönte  pluvia  ascendit,  quae  projicientem  totum 
humectat.  Vgl.  Liebrecht  Gervasius  v.  Tilbury  S.  146fF.  H.  Runge  Pilatus 
u.  St.  Dominik.  Zürich  1859,  S.  162,  S.  165—  166.  Derselbe  Quellkultus  in 
der  Schweiz.  Zürich  1859,  S.  16.  17.  Der  arabische  Schriftsteller  AI  Utbi 
im  Kitab  Jamliii  (11.  Jahrh.)  spricht  auch  von  einem  Bache  in  Indien,  aus 
dem   bei  Verunreinigung  Gewitter   und  Stürme  hervorbrechen    (S.  Nöldecke 


342  Kapitel  VI.    Sonnwendfeuer.    6.  Hirpi  SoranL 

Der  Erdaui^rarf  (yfjg  xCj^iei),  der  als  Opferplatz  (ßtofiog) 
diente ,  könnte  darauf  hindeuten,  daß  das  Opferfeuer  eine  größere 
Ausbreitung  als  gewöhnlich  hatte,  nach  Art  unserer  Sonnwend- 
feuer construiert  war;^  dagegen  weist  die  Mittagsstunde  als  Zeit 
der  Begehung  (falls  wir  hierin  das  Richtige  trafen)  von  denselben 
ab,  da  sie  in  den  uns  bekannten  Fällen  stäts  im  Dunkel  des 
Abends  angezündet  werden.  Ist  demnach  eine  volle  Ueberein- 
stimmnng  der  Lykaia  mit  den  Sonnwendfeuem,  und  somit  auch 
dem  Kultus  der  Hirpi  Sorani  sehr  zweifelhaft,  so  l)egründen 
gleichwol  die  Jahreszeit  (Sommersonnenwende),  das  wirkliehe 
oder  symbolische  Kinderopfer  y  und  die  Absicht,  Mißwachs  abzu- 
wenden, eine  nahe  Verwandtschaft  der  Art  mit  jenen  Kinderopfem 
im  Dienste  des  Baal  oder  El,  die  im  Orient  in  mannigfacher 
Form  geübt  wurden.  Ja  möglicherweise  liegt  hier,  bei  den 
Lykaia  ein  Fall  historischer  Entlehnung  vor,  indem  die  Hellenen 
den  an  den  arkadischen  Berggipfel  geknüpften  Kult  einer  uralten 
phönikischen  Kolonie  sich  angeeignet  und  fortgesetzt,  und  deren 
Hauptgott  El  (abweichend  von  der  sonstigen  Uebertragung  durch 
Kronos)  in  die  erhabene  Majestät  des  Zeus  umgedeutet  haben. 
Wenn  wir  nun  nicht  berechtigt  sind,  die  verschiedenen  Formen 
jener  semitischen  Kulthandlung  als  gänzlich  verschieden  von  ein- 
ander zu  treimen,  wenn  alle  Arten  derselben  nähere  oder  ent- 
ferntere Verwandtschaft  mit  den  Sonnwendfeuem  aufweisen  (oben 
S.  302  ff.),  so  liegt  selbst  bei  ziemlicher  Verschiedenheit  der  Feste  im 
Detail  die  Vermutung  nahe,  daß  der  Lauf  des  einzelnen  Lykaien- 


Sitziingsber.  d.  Wien.  Akad.  1857,  XXIIl,  JS.  75).  Der  Hergang  dieses  Brau- 
ches, erst  nach  der  Hand  in  den  Zorn  der  Wassergeister  wegen  Verunreini- 
gung ihres  Elementes  umgedeutet,  waf  ursprünglich  eine  rohe  XachahmuDg 
des  Gewittervorgangs  (vgl.  iSchwartz  Ursprung  S.  '261).  Vgl  auch  den  Regen- 
zauber in  Mammast  bei  Dorpat.  Bei  großer  Dürre  stiegen  drei  Männer  auf 
die  Fichten  eines  alten  heiligen  Haines.  Drr  eine  trommelte  «lort  oben 
mit  einem  Hammer  auf  einen  Kessel  oder  (.«ine  kleine  Tonne ,  um  den  Donner 
darzustellen;  der  zw<.*ite  schlug  zwei  Feuerbräude  an  einander  und  ließ  sie 
Funken  sprühen  (Blitz):  und  der  dritte,  ,,der  Regenmacher/'  sprengte 
mit  einem  Reisigquast  aus  einem  Eimer  Wasser  nach  allen  Sei- 
ten. Bald  darauf  spendete  der  Himmel  RegQn  in  Fülle  i^Hurt  Sagen  a.  Pol we, 
Dorpat  1863,  S.  1\ 

1)  Dann  dürfte  der  „Wolf*'  durchs  Feuer  gelaufen  sein  und  das  Kind 
hindurchgotragcn  haben,  wora'is  sich  vielleicht  am  ehesten  dies  Gerücht,  er 
habe  vom  MenschenÜeische  gespeist,  entwickeln  konnte. 


Die  Lykaia.  343 

Wolfs  hier,  der  Umlauf  der  Hirpi  Sorani  dort  demselben  Typus 
angehören,  dieselbe  Grundidee  ausdrücken.  Folgt  nun  aus  die- 
sem Umstände  —  wir  «wiederholen  hier  die  o.  S.  337  aufgewor- 
fene Frage  —  ein  Gegenbeweis  gegen  unsere  Auffassung  der 
Hirpi  als  Komdämonen  ?  Eine  Antwort  hierauf  könnte  nur  dann 
mit  Sicherheit  gegeben  werden,  wenn  das  schattenhafte  und 
unsichere,  nur  durch  Conjectur  einigermaßen  erschließbare  Bild 
des  arkadischen  Kultus  mit  näheren  Einzelheiten  ausgestattet 
wäre,  welche  uns  erlaubten,  aus  ihm  selbst  ein  begrtlndbares 
Urteil  über  die  Bedeutung  der  umlaufenden  Wolfsmaske  zu  schöpfen. 
Bei  dem  Stande  der  uns  erhattenen  Ueberlieferung  bleiben  wir 
aber  darüber  in  völliger  Unkenntniß.  Wenn  0.  Jahns  Schlußfol- 
gerung ^  richtig  wäre ,  da  Varro  und  andere  römische  Antiquare  * 
die  römischen  Luperealien  stäts  mit  den  Lykaia  der  Arkader  als 
daher  entlehnt  identifizieren,  so  müsse  letzterer  Brauch  den 
ersteren  sehr  ähnlich  gewesen  sein,  so  würden  wir  vielleicht  den 
Umlauf  des  Lykaienwolfs  dem  Umlauf  unserer  Korndämonen  noch 
übereinstimmender  denken  dürfen,  als  die  sonstigen  Quellen 
erraten  lassen;  die  unilatifenden  Luperci  schlugen  mit  Riemen, 
wie  der  Loup  vert ,  der  Komkater,  der  Maikönig  u.  s.  w.  mit  Ger- 
ten schlagen.  Aber  jene  gelehrte  Identifizierung  des  griechischen 
und  römischen  Kultus  beruht  unzweifelhaft  nicht  auf  genauerer 
Kenntniß  der  Gebräuche,  sondern  auf  bloßer  etymologisclier  Ver- 
gleichuny  der  Namen  Lykaia  und  Lupercalia  in  Verbindung  mit 
einer  Combination  des  dem  Lykaion  benachbarten  Dienstes  des 
Pan  und  der  in  dem  Umlauf  der  Luperci  bewerkstelligten  Ver- 
ehrung des  Faunus.  Es  bleibt  trotzdem  die  unbewiesene  Mög- 
lichkeit, daß  die  Lykaien  mit  dem  Feste  der  Hirpi  Sorani  und 
dem  des  Loup  Vert  im  Character  näher  zusammenstimmten,  aber 
ebensowol  konnten  sie  in  uns  unbekanntem  Detail  so  auseinander- 
gehen ,  daß  bei  aller  äußeren  Aehulichkeit  der  umlaufende,  Wolf 
genannte  Mensch  die  Merkmale  eines  ganz  anderen  Ideeninhalts 
an  sich  trug,  als  die  in  jenem  auftretenden  Umlauf  er.  Es  ist 
daher  von  dieser  Seite  her  weder  ein  Analogiebeweis  noch  ein 
Gegenbeweis    gegen    unsere  Deutung  der    römischen   und   nor- 


1)  Berichte  der  sächs.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  zu  Leipzig  1848,  I,  427. 

2}  Vor  Varro    bereits   L.  Cincius  AJimontus  (210  v.  Chr.)   und  Cassius 
Hcmina  (146  v.  Chr.).    S.  Merkel  zu  üvids  Fast.  p.  CCU, 


844  Kapitel  YI.    Sonnwendfener.   B.  Hirpi  Sorani. 

mannischen  Feier  zu  entnehmen  nnd  wir  haben  Grand  die- 
selbe aufrecht  zn  halten,  so  lange  nicht  andere  entschei- 
dende Widersprüche  dagegen  aufgedeckt  sind.  Ja  ich  möchte 
die  erstere  Möglichkeit  selbst  ftir  die  Lykaia  als  nicht  unwahr- 
scheinlich festhalten,  da  auch  im  Kreise  der  orientalischen 
Bräuche,  in  welchen^wir  die  nächste'^ Verwandtschaft  derselben 
suchen  zir  müssen  glaubten  (o.  S.  342),  nach  Ausweis  später  zu 
veröffentlichender  Tatsachen  zwar  noch  nicht  die  spezielle  Gestalt 
des  Komwolfs,  wol  aber  andere  theriomorphische  Komdämonen 
teils  mit  unzweifelhafter  Gewißheit,  teils  mit  großer  Wahrschein- 
lichkeit aufgezeigt  werden  können. 


Nachtrag. 

S.  76.  77.  Der  Verfasser  hat  sich  gestattet,  die  Wörter 
Rhapsode,  Rhapsodie  hier  in  dem  weiteren  Sinne  des  epischen 
Vortrags,  nicht  in  ihrer  engeren,  technischen,  auf  die  Kunst 
der  nachhomerischen  Recitatoren  eingeschränkten  Bedeutung  zu 
gebrauchen. 

S.  85.  97.  99.  157.  Vgl  Ein  Bauer  im  Amt  Svendborg  auf 
Ftinen  sah  einen  Wirbdwind  (den  der  dortige  Volksglaube  flir 
einen  Zusammenstoß  böser  Geister  erklärt),  und  das  war  anzu- 
sehen, lüie  ein  schwarzer  Knäud^  welcher  sich  immer  um  sich  selbst 
drehe.    Grundtvig  G.  D.  Mmd.  i.  Folkemund.  II.  1857.  S.  236.  361. 

S.  115.  Von  der  in  einen  Lindwurm  verwandelten  Jung- 
frau heißt  es  Lanz.  7892"  daß  sie  y,schre  als  ein  wildez  wip}^ 
Vgl.:  Ir  schreien^  wie  ein  Hohiveib.  Uhland  Volksl.  I,  S.  149. 
Müller  und  Schambach  Nieders.  Sag.  S.  350. 

S.  149.  Fast  noch  näher,  als  die  mitgeteilte  Fanggensage, 
tritt  eine  Oldenburger  Zwergensage  an  die  Erzählung  vom  Tode 
des  großen  Pan  heran.  Die  Erdmännchen  im  Osenberge  bei 
Oldenburg  haben  eine  Königin ,  Vehmäme  oder  Vehkemöme 
(Viehmuhme,  also  genau  dem  Pan  nomios  entsprechend).  Als 
einst  der  Bauer  von  Grashorn  auf  dem  Rückwege  von  Oldenburg 
im  Sandkruge  einkehrte,  erzählten  die  Wirtsleute,  in  der  verflos- 
senen Nacht  habe  man  plötzlich  eine  Stimme  vernommen :  „  Veh- 
kemöme  is  död,^^  und  dann  sei  lautes  Klagen  vieler  Stimmen 
gefolgt.  Als  der  Bauer  diesen  Vorfall  zu  Hause  erzählte,  wurde  hier 
eine  Stimme  laut,  welche  rief:  „Is  Vehkemöme  dod,  so  is  mine 
Möme  6k  dod."  Dann  begann  ein  Rumoren  und  Poltern;  endlieh 
ward  es  still,  und  die  Erdmännchen  aus  dem  Osenberge,  welche 
im  Bauerhause  gemaust  hatten ,  waren  mit  Zurücklassung  eines 
hübschen  Kesselchens  abgezogen.  Strackerjan  Abergl.  a.  Olden- 
burg. I,  §  257  f.  S.  402. 

S.  174.  Die  Sage  vom  Tode^des  großen  Pan  erzählt  von 
der  Katze  auch  Strackerjan  a.  a.  0.  §  220  k  S.  330. 


846  Nachtrag. 

S.  244.  In  der  verderbten  Glosse  des  Hesych:  „xori  6  ^q- 
yrilog  nagd  MiXrjoioig  ^dofiivr]  int  q>Q0vi^O€t^^  möchte  ich  vor- 
schlagen,  statt  der  letzten  Worte  zu  lesen:  iTtt  (pQovTidi.  Vgl. 
Harpocrat.  p.  146:  d-eioQol  Xiyovrai  ov  fxovov  oi  d-earal,  dlldyMi 
Ol  elg  ^eovg  ne/LtnotievoL  •  xai  oXiog  tovg  tcl  d-eia  qn:XaTTOvtag  rj 
Tüiv  d-eiuiv  q^QovTi^ovTag  ovrtjg  (üvofxatpv'  wQtjy  eleyov  ttjv 
(pQovTida,     Vgl.  auch  o.  S.  242  Anm.  1. 

S.  258.  Vgl.  die  japanische  Sitte,  daß  zur  Feier  des  auf  den 
8.  Februar  fallenden  Neujahrsfestes  die  Landleute  in  die  Stadt 
kommen,  um  sich  zu  vergnügen  und  Neujahrsamulete  einzukau- 
fen. Unter  letzteren  spielen  die  Glückshäume,  Zweige  der  Trauer- 
weide mit  Zuckerwerk,  Würfehi,  Glaskorallen,  Masken  und  Metall- 
Stückchen  behängt,  eine  Rolle;  unter  ihrem  Einfluß  sollen  die 
Kinder  httbsch  gedeihen.  H.  Floß,  das  Kind  in  Brauch  und  Sitte. 
Lpzg.  1876,  I,  72. 

S.  292.  Wie  die  Entmannung  der  Gallen  in  ursprünglicher 
Form  aussah  und  gemeint  war,  als  Mittel  die  Zeugungslust  eeit- 
weilig  zu  schwächen,  dürfte  aus  folgendem  Analogen  erraten  wer- 
den können.  Die  Pipilen  in  Mictlan  mußten  sich  vor  der  Ernte, 
auf  Geheiß  des  Priesters,  des  Beischlafs  etifhaÜen,  Sie  gruben 
dann  die  Sämereien  in  die  Erde  ein  (oder  setzten  Coca  unter 
freiem  Himmel  aus),  ritzten  sich  blutig  und  etUzogen  auch  der 
Zunge  und  den  Genitalien  Blut,  A.  Bastian,  der  Mensch.  Lpzg. 
1860,  ni,  72.  Auch  der  Brauch  der  Gallen  wird  ursprünglich 
gewiß  nicht  in  Abschneidung,  sondern  nur  in  einem  Aderlaß,  Ein- 
ritzung u.  8.  w.  der  Zeugungsteile  bestanden  haben. 

S.  342.  Sollte  nicht  die  Mythe  von  dem  Sturze  der  Herr- 
schaft des  kinderfressenden  Kronos  in  der  Tat  von  dem  vielleicht 
an  mehreren  Orten  wiederholten  religionsgeschichtiichen  Vorgang 
der  Verdrängung  eines  Localkults  des  mit  Kinderopfem  geehrten 
El -Kronos  durch  Zeus  ihren  Ausgang  genommen  haben?  Einen 
Zusammenhang  dieser  Mythe  mit  den  Ideen  jenes  asiatischen 
Dienstes  erkannten  bereits  Diodor  Sic.  XX,  14,  Movers  Phoen.  I, 
299,  Preller  Gr.  M.  I,  46,  Flach  System  der  hesiod.  Kosmog. 
11,  36  u.  A. 


Sehloszwort. 

Zum  Schlüsse  unserer  Betrachtuugen  mustern  und  umgrenzen 
wir  noch  einmal  in  der  Kürze  den  Ge^vinn,  den  dieselben  itir  das 
Verständniß  der  deutschen  und  antiken  Mythologie  im  Allgemeinen 
zu  Tage  gefördert  haben.  Zunächst  erachte  ich  Itir  einen  solchen 
die  Erkenntniß,  daß  mehreren  großen  Gruppen  unter  uns  tradi- 
tionell getlbter  und  von  Germanen,  Slaven  und  Kelten  etgentüm^ 
lieh  ausgebildeter  Gebräuche  und  Vorstellungen  (Maibaum  und 
Emtemai,  Sonnwendfeuer,  Baumseele  und  Waldgeister)  in  der 
Religion  der  antiken  Völker  mehr  oder  minder  genau  entsprechende 
Typen  begegnen ,  d.  h.  Gebilde,  welche  die  nämlichen  organischen 
Elemente  und  das  nämliche  oder  ein  sehr  ähnliches  Lagerungs- 
verhältniß  derselben  aufweisen.  Wir  finden  diese  correspondie- 
renden  T}^pen  bei  Kömern,  Griechen,  Thrakern,  Semiten  in  den 
Gottesdienst  hoher  göttlicher  Wesen  (Apollo,  Feronia  und  Sora- 
nus,  Kotyto,  Baal,  Set -Typhon,  Atargatis,  Baaltis,  Kybele 
u.  s.  w.)  verwebt  oder  zum  Gegenstande  gottesdienstlicher  Vereh- 
rung gemacht  (Pan ,  Adonis  u.  s.  w.).  Mindestens  einige  dieser 
Typen  ergeben  sich  als  so  alt,  daß  ihre  Genesis  vor  der  Ausbil- 
dung der  größeren  Gottheiten  sich  vollzogen  haben  muß.  *  Es 
wird  nun  hiedurch  die  bloße  Vemmtung  zu  einer  an  Gewißheit 
grenzenden  Wahrscheinlichkeit  erhoben,  daß  auch  jene  nordischen 
Bräuche  und  Anschauungen  nicht  während  der  Herrschaft  des 
Christentums  entstanden  seien,  sondern  ihren  Ursprung  irgendwo 
im  Heidentume ,  ja  in  einer  sehr  frühen  Periode  desselben  hatten, 
und   an    ihrer   Geburtsstätte  einen  Bestandteil  wirklicher  Volks- 

1)  Vgl.  über  die  wilden  Leute  der  antiken  Sage  ob«n  S.  201  ff.  Dumuzi- 
Adonis  vorsomitischen  Ursprungs  ob.  S.  273  ff.  Hinsichtlich  der  Sonnwend- 
feuer vgl.  o.  S.  307.  Bereits  Bk.  182  wies  ich  darauf  hin ,  daß  der  Maibaum 
und  die  sonstigen  mit  Tänien  behängten  heiligen  Bäume  in  letzter  Instanz 
auf  einer  jüngeren  Umdeutung  des  boi  den  wilden  Völkern  vielfach  auftre- 
tenden Tyi)us  der  mit  Lajjpen  und  Zeugstücken  behangenen  Fetischbäume 
beruhen  könnten.  Wie  sich  nun  in  den  Kultus  der  Brahmanen  und  Buddhi- 
st4;n  vielfach  gewisse  Riten  von  Baumverehrung  der  vorasischen  Naturvölker 
Indiens  übertragen  Iiaben  [darüber  giebt  Fergussons  mir  nicht  zugängliches 
Werk  Auskunft],  darf  immerhin  die  Frage  gestellt  werden  ,  ob  nicht  auch 
in  Vorderasien  der  Typus  des  Fetischbaumes  dem  Maibaum  zu  Grunde  lag 
und  sich  dann  neben  dieser  Difforenzierung  im  Volksbrauch  erhielt.  Jul.  Seiff 
(Reisen  in  der  asiatischen  Türkei,  Lpzg.  1875)  berichtet,  daß  ihm  vielfach 
kleine  Bäumchen  aufholen,  welche  mit  Läppchen  und  Fetzen  behangen  waren. 
Auf  seine  Frage  nach  der  Ursache  des  Gebrauches  teilte  man  ihm  mit,  ein 
jeder,  der  einen  solchen  am  Wege  stehenden  Baum  mit  Lappen  behänge| 
wähne  sich  dadurch  vor  Krankheit  zu  schützen. 


848  Schlußwort 

religion  bildeten.  Dies  ist  aber,  wie  ich  meine;  ein  Ergebniß  Ton 
nicht  zu  unterschätzender  Wichtigkeit,  wenn  wir  auch  auf  viele 
damit  zusammenhangende  Fragen  uns  vorläufig  einer  entscheiden- 
den Antwort  enthalten  müssen,  nicht  zu  geringstem  Teile  deshalb, 
weil  eine  eingehendere  Kenntniß  der  Volksüberlieferungen  des 
europäischen  Südens  (Spanien,  Italien,  Balkanhalbinsel)  uns  noch 
entgeht.  Falls  wir  berechtigt  sind,  den  in  Rede  stehenden  Bräu- 
chen und  Anschauungen  einen  Lebenslauf  innerhalb  des  Heidentums 
der  nordeuropäischen  Völker  zuzuerkennen  (unverächtliche  Gründe 
sprechen  dafttr  Bk.  525  ff.  567  ff.,  o.  S.  299,  und  dieser  Auffassung 
würde  selbst  der  Nachweis  einer  sehr  frühen  Entlehnung  ans  der 
Fremde  nicht  widersprechen),  so  muß  die  Möglichkeit  zugegeben 
werden,  daß  sie  (mindestens  in  späterer  Zeit)  ebenso,  wie  im 
Süden  an  höhere  Gottheiten  geknüpft  waren,  aber  ebenso  mög- 
lich bleibt  es,  daß  sie  im  jüngeren  Heidentum  schon  außerhalb  des 
herschenden  Kultus  standen  (o.  S.  xxxvii)  und  auf  jeden  Fall  ist  zu 
betonen,  daß  fiir  uns  die  Kenntniß  jener  Gottheiten  und  des  Zusam- 
menhangs mit  ihnen  verloren  ist  (vgl.  o.  S.  xm).  Ohne  Kenntniß  sind 
wir  ferner  bis  jetzt  noch  über  den  jedesmaligen  Entstehungsheerd 
der  ganzen  Gebilde  und  ihrer  einzelnen  Sproßformen.  Es  bleibt 
die  Frage  bestehen,  ob  die  von  mir  aus  Verwandtschaft  der  Ideen 
und  Fortnen  versuchten  Verknüpfungen  dem  historischen  Sachver- 
halt entsprechen ;  es  bleibt  das  große  Problem,  ob  die  behandelten 
Ueberlieferungen  Lehngut  seien ,  oder  ob  sie  sämmtlich  oder  teil- 
weise auf  nordeuropäischem  Boden  wuchsen,  und,  wenn  dies,  ob 
sie  in  ihren  GrundzUgcn  schon  aus  Asien  mitgebracht  oder  ob  sie 
erst  in  den  europäischen  Sitzen  concipiert  wurden.  War  letzteres 
der  Fall,  so  müßte  die  Uebereinstimmung  mit  den  mythischen 
Gebilden  der  südlichen  Völker  lediglich  auf  der  gleichen  Wirkung 
gleicher  Ursachen,  d.  h.  auf  analoger  Entwickeluug  aus  gleichen 
psychischen  Keimen  unter  ähnlichen  Verhältnissen  beruhen.  Reichen 
sie  aber  in  den  frühesten  Urzustand  unserer  nordischen  Bevölke- 
rungen zurück,  so  können  ihre  Anfänge  vor  der  indogermanischen 
Völkertrennung  selbst  dann  vorhanden  gewesen  sein,  wenn  unsere 
ältesten  arischen  Quellen  nichts  darüber  ergeben,  da  dieselben  in 
ganz  anderen  Vorstellungskreisen  sich  bewegen  und  durchaus  nicht 
das  gesammte  Volksleben  wiederspiegeln.  Hierüber  sind  weitere 
Untersuchungen  Berufener  abzuwarten.  Gelang  es  uns,  zur  Lösung 
aller  dieser  Fragen  einiges  Material  herbeizutragen  und  das  Pro- 
blem deutlicher ,  als  bisher^  zu  stellen ,  so  scheint  damit  ein  wei- 


Schlußwort.  349 

terer  Gewinu  für  die  deutsche  Mythologie  erreicht.  Zu  solcher  Klar- 
stellung dürfte  nicht  wenig  der  Nachweis  beitragen,  daß  manche 
der  deutschheidnischen  Mythologie  zugezählte  Gestalten  dem  Fort- 
wirken des  mythenbildenden  Triebes  in  späterer  Zeit  ihr  Dasem 
verdanken.  So  ist  Perchta  Personification  eines  christlichen  Hei- 
ligentages ;  daß  sie  aber  lebende  Menschen  mit  sich  durch  die  Luft 
trägt,  oder  ihren  zerbrochenen  Pflug  zimmern  läßt,  ist  aus  der 
Sage  von  den  fahrenden  Frauen  (Gode ,  Frick  u.  s.  w.)  herüber- 
genommen, mit  denen  diese  Personification  vermischt  wurde. 

Für  das  Verständniß  der  antiken  Mythologie  schließen  die 
angestellten  Untersuchungen  eine  ganz  neue  Seite  auf.  Was  unsere 
mythologischen  Handbücher  uns  von  derselben  zur  Anschauung 
bringen,  ist  die  Fülle  jüngerer  und  jüngster  Bildungen,  welche 
in  der  Literatur,  im  historisch  bewegten  und  verfeinerten  Leben 
städtischer  Volkskreise,  aus  den  ursprünglichen  mythischen  Vor- 
stellungen und  Handlungen  erwachsen  sind.  Nun  schimmert  unter 
dieser  Mythologie  der  Gebildeten  mit  einmal  eine  Volksmytholo- 
gie hervor,  welche  die  überraschendste  Aehnlichkeit  jnit  den  Volkg- 
tiberlieferungen  der  nordeuropäischen  Bauern  bekundet.  Diese 
Aehnlichkeit  erstreckt  sich  auf  Volkssagen,  Märchen  und  Gebräuche; 
die  einzelnen  Ueberlieferungen  behandeln  dieselben  Gegenstände, 
wie  die  unsrigen,  und  decken  sich  nach  Inhalt  und  Umfang  mit 
denselben.  Da  wiederholen  sich  die  Volkssagen  vom  Tode  des 
Waldgeistes  (=  Tod  des  großen  Pan)  o.  S.  132.  149,  von  der 
Fesselung  der  berauschten  Waldgeister  o.  S.  150,  von  der  Selbst- 
bestrafung des  Baumschädigers  o.  S.  23 ,  von  den  Verwandlungen 
und  dem  Verschwinden  der  Elfin  (=  Thetissage)  o.  S.  60.  61.  68, 
von  der  Wandlung  der  am  Wege  harrenden  Geliebten  des  Sonnen- 
gottes in  die  Sonnenblume  o.  S.  151;  von  der  Metamorphose  der 
im  Wirbelwind  fahrenden  Frau  (Harpyie)  in  ein  Roß  o.  S.  95. 
Aber  auch  unsere  Volkssage  von  der  Verwandlung  von  Schätzen 
in  Kohlen ,  ^  von  dem  Lagern  des  Drachen  auf  dem  Goldhort,  ■ 
von  den  (Zwergen  oder)  Kobolden,  die  sichtbar  werden,  sobald 
man  ihnen  den  Hut  oder  die  Mütze  abschlägt,    müssen  bekannt 


1^  Vgl.  das  Sprichwort:  äv&gaxfg  d  (hriaaigdg  n^tfvxf.  Zenob.  Cent.  Cf. 
Baader  Bad.  Sag.  27.  272.  370.  390.  398. 

2)  Vgl.  Phaedr.  IV,  19.  Ein  grabender  Fuchs  stößt  auf  die  Höhle  des 
goldhütenden  Drachen  „  ad  draconis  speluncam  ultimani,  custodiebat  qui  the- 
sauros  abditos."  Artemidor.  oneirocrit.  II,  13:  xal  nXoürov  xai  xQVf*'*'''* 
arifiaCvii  6  dQaxtov  diu  t6  inl  rovs  ^aavQovg  ISgöa&ai, 


850  Schlußwort 

gewesen  sein.  ^  Da  finden  wir  ferner  Märehen,  wie  das  vom 
Drachentödter  (Peleus)  o.  S.  54  ff.  (cf.  das  altägyptische  o.  S.  78. 
151);  endlich  die  Übereinstimmenden  Gebräuche  des  Maibanms  o. 
S.  258.  259  ff.,  des  Emtemai  o.  S.  212  ff.,  des  Emteeinzugs  232  ff. 
243  ff. ,  der  Emtemahlzeit  249  ff. ,  des  Emtewettlaufs  253  ff. ,  der 
Laubmänner  im  Frühlingsbrauch  265  ff.,  der  Sonnwendfeuer  (Pali- 
lien,  Hirpi  Sorani)  u.  s.  w.  Auch  dieselben  mythischen  Personifi- 
cationen,  unmittelbare  Schöpfungen  eines  primitiven  religiösen 
Gefühls  aus  dem  Materiale  der  Naturanschauung,  wie  in  unserem 
Volksglauben  treten,  uns  entgegen.  Da  begegnen  uns  in  ganz 
analogen  Gestalten  der  wilde  Jäger  (Zetes,  Boreaden)  o.  S.  92. 
206,  die  fahrende  Frau  (Harpyie)  o.  S.  92  ff.,  die  Moosleute  und 
Holzfräulein  (Dryaden),  die  wilden  Männer  (Kyklopen,  Kentauren, 
Pane,  Satyrn),  die  Wassermuhme  (Thetis)  o.  S.  207 ,  der  stier- 
gestaltige  Flußgeist  (Elfstier)  o.  S.  203.  Wir  vermögen  mehrere  der 
genannten  Ueberlieferungen  hinter  Homer  zurück  zu  verfolgen;  nicht 
alle  sind  in  ihrer  ältest  erreichbaren  Form  schon  in  Naturpoesie  auf- 
lösbar, sondern  einige  erscheinen  bereits  da  als  feste  unverständ- 
lich gewordene  Gebilde  (z.  B.  der  Kampf  mit  den  Ungeheuern  cf. 
Peleus).  Wir  geben  auch  diese  Beobachtungen,  ohne  hinsichtlich 
ihrer  die  letzte  höchst  wahrscheinlich  nicht  einfach  und  gleich- 
mäßig zu  beantwortende  historische  Frage  schon  jetzt  zu  stellen. 
Nur  soviel  ist  klar  ersichtlich.  Da  wir  tatsächlich  verfolgen  kön- 
nen, wie  aus  mehreren  der  genannten  Traditionen  eine  reichere 
Sage  und  ein  ausgebildeter  Kultus  in  jüngerer  Zeit  hervorwucbs, 
haben  wir  hier  Stücke  aus  einer  sehr  altfen  Schicht  des  antiken 
Volksglaubens  vor  uns,  icelclie  eine  weit  bedeutetidere  Ausdehnung 
besaßt  als  ihre  bis  jetzt  zu  Tage  gekonmieyien  Trümmer  erJcennen 
lassen,  und  welche  (mag  sie  vielleicht  schon  in  sich  nicht  ganz 
gleichartig  gewesen  sein,  sodaß  sie  neben  ihren  eigenen  Produkten 
Erbstücke  aus  der  indogermanischen  Urzeit  und  einzehies  Lehngut 
aus  der  Fremde  in  sich  schloß),  einem  großen  Teile  der  antiken 
Mythen  und  gottesdienstlichen  Verrichtungen  zu  Grunde  lag.  So 
bestätigt  sich  durch  gewichtige  Analogie  Schwartz's  Entdeckung, 
daß  der  Volksglaube  der  Bauern  die  noch  größtenteils  in  unmit- 
telbarem Zusammenhang  stehenden  Keime  der  höheren  Mytholo- 
gie in  sich  berge. 

1)  Cum  modo   incuboni  pileum  rapuisset,  thcsaurum  invenit.      Petron 
Fragm.  38.  Burm.    Cf.  Myth. «  431  ff. 


Register. 


A. 

Äharüi  Hyperboreer  230.  231.  240.  241. 

Acheloos  Flußgott  61. 

Achüleus  49.  6«.  71.  82.  100.    Etymo- 

loiB^ie   des    Nameos    72.      Ursprung 

seiner  Sage  74  ff. 
Adonis  273  ff.  296. 
Adonisgarten  278  ff.  291. 
Aegis  157. 
Aello  Harpyie  91. 
Agrios  Kentaur  43. 
Alke  estn.  Donnergott  154. 
Akastos  König  v.  Jolkos  49  ff.  52. 
Alherer  Tiroler  Berggeist  lOi. 
Alexander  d.  Große  1  ff.  15.  100. 

Alke  Fem.  westfäl.  Feldgeist  110. 
Almgeist  Tirojer  Berggeist  104. 
Alpabütz  Tiroler  Berggeist  104. 
Alpdrücken  116.   132.  178. 
Alsvidr  altnord.  Sonnenroß  203. 
Alte,  der,  Korndämon  127.  272.  282. 
Amor  und  Psycho  151. 
Ampelos  Sohn  des  Oiylos  19. 
Amphissos  Eponymos  v.  Amphissa  17  ff. 
Amphiiryo  König  v.  Tirynth  57. 
Andraimon  Gründer  v.  Amphissa  17. 
Anemone  Blume  280. 
Anios  König  v.  Dolos  238. 
Anna  Perenna  297. 
Ano  =  Lenzbräutigam  289. 
Aphrodite  276  ff.  Hymnus  auf  A.  5  ff. 

140. 
Apollon  17.  78.  88.  101.  218  ff.  221  ff 

226.  231  ff.  236.  239.  243.  246.  257. 

282.  311.  328.  330.  335  ff.  336.  Ap. 

Delphinios  232. 

Aprillenbock  Neck  wort  184. 
Ajysaraaen  indische  Nymphen  89. 
Arge  Beiname  der  Artemis  248. 
Argeer  265  ff.  297. 
Arges  Kyklop  108. 
Argonautensage  206. 
Arkas  Eponymos  v.  Arkadien  16.  128. 
Arktos  Kentaur  42. 
Artemis  81.  248. 


Arvakr  altnord.  Sonnenroß  203. 
Asbolos  Kentaur  42. 
Ascliera  phön.  Göttin  262. 
Asklepios  46.  98. 
Asta^-te  phön.  Göttin  276. 
Astydatneia  Gemahlin  d.  Akastos  49. 
Atargatis  syr.  Göttin  261.  262.  296. 
Atfod  dän.  Hausgeist  172. 
Athene  Potias  25.  28  ff. 
Attis  291  ff  296. 

Aule  Heiligtum  des  Pan  129.  338. 
AuscJiauts  altpreuß.  Gott  252. 
Austhuck  Korndämon  159.  164.  Insekt 

179. 
Auxo  Charitin  246. 

B. 

Baal  262.  293.  307.  342. 

Baaltis  phön.  Göttin  276. 

Badagas  Feuersprung  bei  denselb.  306. 

Bakchen  293. 

Balkin  Berggeist  der  Orkneys  153. 

Bapten  Thiasoten  der  Kotyto  259. 

5ttr-Baal  308. 

Bargahutz  Tirol.  Berggeist  105. 

Bartel  Personification  des  Bartholo- 
mäustages 186. 

Batati  und  Anepu  ägypt.  Märchenfigu- 
ren 78.  151. 

Baum  Kind  u.  B.  verglichen.  B.  darf 
nicht  gehauen  werden  5.  7.  33.  37. 
Hülle  einer  Seele;  Baumseele  20  ff. 
39,  blutet  11.  12.  21,  Körper  oder 
Sitz  der  Dryaden  s.  Dryaden,  Sitz 
des  Baumelfs  102,  der  Neraiden  36. 
Verwandlung  i.  B.  61.  62,  vgl. 
Daphne,  Myrrha.  Verknüpfung  des 
Lebens  mit  B.  5.  Geburtsbaum  23. 
Schicksalsbaum  von  Familien  23  ff. 
121.  Baumfrevler  haut  sich  in  den 
Fuß  28  ff.  Messer  in  den  Baum 
stoßen  30.  B.  des  Lebens ,  assyri- 
scher 262,  biblischer  263.  Böm  bi 
den  Bück  bringen  170.  Puppe  am 
Baume  29.  Maibund  unter  B.  290. 
Baum  verbrannt  259—263.    Vgl.  die 


352 


Register. 


Artikel,  Cypresse,  Eiche,  Esche, 
Feige,  Fichte,  Myrte,  Oelbaum,  Pap- 
pel, Platane,  Ulme:  Maibauin,  Eire- 
sionc,  Emtemai. 

Baumgeister  204. 

BaumseeU  10,  12.  20  ff. 

Bedlthie  313. 

Befana  Personification  des  Dreiköuigs- 
tages  185. 

Benfeij  Th.  78. 

Bergtroll  156. 

Blumenmädchen  1  ff.  31. 

Bock  Opfer  f.  Pan  130.  Tiergestalt 
von  Wald-,  Feld-  und  Korngeistern 
114.  127.  131.  138.  144.  145.  152 
bis  199.  Lobender  Bock  im  Fast- 
nachtaufzug 184,  im  Emtebrauch 
160.  161.  166,  vgl.  169.  Bock  = 
Gewitterwolke  156,  =-  Wind,  Wir- 
belwind 156.  157. 

Bockahorn  secale  comutum  159. 

Bockelmann  Kinderscheuche  158. 

Bockemä  Kinderscheuche  158. 

Bockkerl  Wolke  156.    Korndämon  158. 

Bockreiter  =  Pilwiz  176  ff. 

Bockschnitt  176. 

Bock  schinden  171. 

Bockshorn  Ostorfouer  179.  316.  Ins 
Bockshorn  jagen  317. 

Bocksmärte  Gespenst  178. 

Böcke  jagen  durchs  Korn  155. 

Bonfire  310.  316. 

Boreaden  91.  206. 

Boreaa  81.  206. 

Brauthall  290. 

Brautmaie  258.  260.  29(). 

jB;T(/os/an«wälschtir(d.Waldgci8terl27. 

Bremen  selieyi,  Kinderspiel  1G3. 

Brontes  Kyklop  108. 

Brüste  des  Waldweibes  7. 

Brumunwolf  estn.  Wassergeist  319. 

Bullkater  Wolke  173.  Korndämon 
174.  187. 

Buschmännchen  Feldgeister  149. 

C. 

Campestres  Feldnymphen  126. 

Candelifcra  röm.  Göttin  125. 

Charila  298. 

Chariten  218.  245  ff. 

Cheiron  Kentaur  41.  43.  46  ff.  51.  58  ff. 

71.  75.  79.  82  ff.  98    101.  102.  209. 

Ch.  dixaioTUTog  KfvravQoyv  76.  209. 
Chelidonisma  243  ff. 
Chelidonisten  247. 
Consualien  röm.  Fest  215. 
XoQjaToi  /iTu'iv  143. 
XqvOovv  h^^Qog  236. 


'  Curupira  brasilian.  Waldgeist.  115. 
!  (^Uishna  indischer  Dämon  111. 

Cyparissus  Liebling  Silvans  123. 

Cypresse  heiliger  Baum    18.    24;    des 
Silvan  123.  124. 

^' 

Daphne  Baumnymphe  19. 20. 124. 257. 

Daphnephorie  258. 

Dasiapatni  ind.  Wolkenfrau  335. 

Bea  Dia  330. 

Deiufieira  45.  61. 

Beioneus  83   87. 

Uelias  Triere  233 

Delien  Fest  232  ff. 

Delle  Vivane   Tirol.   Waldgeister  99. 

127.  152. 
Demeter  8  ff.  13  ff.  69.  239.    240.  245. 

246   330. 
Demophoon    Sohn     des    Theseus    21. 

Sohn  des  Keleus  69. 
/livdoCji^tg  vvuifAu  19.  22. 
De^ie  Ghöz  türkischer  Kyklop  107. 
Derketo  syr.  Göttin  261. 
Deverra  röm.  Göttin  124. 
Dioskuren  51. 
Dharma  ind.  Held  307. 
Dharmangada  König  in  Kashmir  66. 
Dia  Tochter  des  Deioneus  83  ff.  87. 
Diakonion  heil.  Backwerk  226. 
Dialen  Waldgeister  i.  Engadin  99. 150. 
Dionysien  200. 
Dionysos  61  ff.  136  ff. 
Disjyater  röm.  Gott  268.  329. 
Dorfticre  112. 
Drache  (Schlange)  vom  Helden  erlegt 

53  ff.  57.     Verwandlung    in   Dr.  51. 

61  ff.  64.  67,  neugeboniPsKindDr.  64. 
Draupadi  ind.  Heroine  307. 
Dreschkatze  Korndämon  173. 
Dryaden  4  ff .  113.  178    204.  212.311. 
Dryalos  Kentaur  42. 
Drymides  Waldn}Tnphcn  34. 
Drymien  neugr.  Dämonen   34. 
Dryope  Tochter  des  Dryops  17. 
i>ri/o;A<f  Eponymos  von  Drvopis  17.  Dr. 

Großvater  Pans  1^9. 
Dschin  arab.  Elfe  86. 
Dmninica  Personific.  d.  Sonntags  isO. 
Dumuziy  Duozi  assyr.  Dämon  275. 

E. 

Echo  Geliebte  Pans  208. 
i  Edric  der  Wilde  60. 
LEiche  h.  Baum  5.  23.  30.  129. 

Eetion  König  zu  Theben  in  Kl.  A.  5. 

Eirene  Höre  245  ff.     Statue  des  Kephi- 
sodotos  245. 


Register. 


853 


Eiresione    214  ff.    257.     Eiresionelied 

pseudohom.  243. 
Eisengrirul  Isegrim  323. 
FA  phön.  Gott  3()3.  307.  342. 
Elatos  Keotaur  43. 
Eh'usinien  Fest  239.  240. 
Elfen  63.  G8.  69.  150.  153.  204. 
Elfenanfiauch     36.     37.     311.       Vgl. 

Wahnsinn  ' 
Enfjuane  Waldgeister  127. 
Etujyujermoer  weatföl.  Korndämon  135. 
Ephehien  Fest  258. 
Ephialtes  Alp  132.  178. 
Epitherscs  133.  148. 
Erbsenbür  Korndämon  156.    184.  188. 

190.  200.  201. 
Erb. Kienböck  Korndämon  156. 
Erdmüyuichen  152  fif. 
Erechtheas  25. 
Erichthonios  276. 
Eris  101. 

Ernte  s.  Kornwaclistum. 
Erntebock  Korndämon  164. 
Ertütmai  119.  212  ff.  256.  260.  296. 
Erifsichton  Sohn  des  Triopas  8  ff.  12  ff". 

61.     Sohn  des  Kokrops  238. 
Esche  \i.  Baum  10,  vgl.  Melia. 
Engel  Zwergkönig  55. 
Eüphrosyne  Charitin  245. 
Eurytimi  Kentaur  41.  44.  45. 

F. 

FackeUauf  über  die  Felder  261  ff. 

Fanygen  oberd.  Waldgoister  7.  35. 
105*.  147  ff.  155.  172. 

Faumdia  Fest  113.  117. 

Faiinus  \V6^.  150.  178.204.  212. 
311.     Fauni  113  ff.  150.  178. 

Februu  313. 

Feige  h.  Baum,  Sitz  des  Neraiden37, 
des  Faun  US  116. 

Feigenbaunufcist  sizilian.  31. 

Feronia  ital.  Göttin  327  ff. 

Feuer,  Verwandlung  der  Geister  in 
F.  61  ff.  Tiere  78.  313 ff.,  Kinder 
im  F.  verbrennen  302.  Kinder  ins 
F.  halten  52.  60.  68.  Sonnwendfeuer 
119.  178  ff.  259  ff.  299.  3a3ft*.  308ff. 
350  ff.  Feuer  vertreibt  Dämonen  43. 
44.  100. 

Fichte  des  Pan  129. 

Flaminica  Dialis  266.^273. 

Flufhvmphen  5  ff.  35  ff. 

Fönes  113. 

Fordicidie^i  Fest  268.  310.  313  ff. 

Frau  Faste  186. 

Frau,  weiße  64.  93.  94. 

Fremder  170.  284—285. 

Mannbar  dt.    II. 


Freyr  altn.  Gott  203.  Pr's  Eber  205. 
Frigg  altn.  Göttin  185.     Fr.  Personi- 

lication  des  Freitags  185. 
Fritz ,  der  alte,  59. 
Fuchs  Teumessischer  57.  58. 

Gaardbuk  dän.  Kobold  171.  173. 
Gallen  Priestor  der  Kybele  292  ff. 
Gamotzaruchos    neugr.  Feldgeist  139. 
Gandharva  ind.  Dämon  88.  101. 
Garben  mit  Einschluß  von  Opf ergaben 

234  ff.  237. 
Geiß  =  Windsbraut  156. 
Gente  saluatica  126. 
Gerlahd  G.  108. 
Gertrudsvogel  334. 
Geryon  20. 

Getreidetoolf  s.  Komwolf. 
Gewitterbock  Wolke  156. 
Giganten  107.  109. 
Gloso  schwed.  Komdämon  205. 
Goabbir  bhacagh  Korndämon  165. 
Goda  -  Hett  -  Nisz   norw.  Feldgoister 

155. 
Gotisch  Bock  184. 
Grinkensmit  westfal.  Zwerg  110. 
Grüner  Georg  327. 


Habergeiß    Vogel  158.    162  ff.    180  ff. 

195.  201.  334.    Insekt  179. 
Hadry  ts  14. 

Härdleute  Schweizer  Zwerge  152. 
Härja  pölwelase  pölg  estn.  Zwerg  153. 
Haferbock  155.  161. 
Hagno  heil.  Quelle  338. 
Haine  heilige  5  ff.  14.  21.24. 27.  33.341. 
Hakelberend  nordd.  Sturmgeist  44. 
Halirrhotios  Sohn  des  Poseidon  28  ff. 
Hahnbock  Korndämon  167  ff. 
Hamadryadm  4.n  8 ff.  15 ff.  20.  131. 
Hamm  305.  306. 
Harkelmai  257. 

Harpyien  90  ff.  100.  101.  202.  206. 
Hausgeister  SS.  147.153. 17  Iff.  173. 175ff. 
Hauswolf  Weihnachtsgebäck  323. 
Heidenleute  Zwerge  152. 
Heilkräuter   39.   47.   55.   58.  69.  98. 

147,  vgl.  135.  150. 
Heimcfhen  Eiben  185. 
Hekatuncheiren  109. 
Helena  21  ff. 
Helios  203.  217  ff.  230. 
Hemann  Waldgeist  155. 
Henno  67. 

Hephaistos  50.  57.  109. 
Hera  83.  87. 

23 


354 


Register. 


HeraMea  43.  61.  80.  100.  111.  H. 
alexikakos   169. 

Herbstsdimudel  Erntedäinon  253. 

Hemniphrodüen  256. 

Hermes  78  ff.  128.  141. 

Heroldsstab  258. 

Herzessen  71.  76. 

Heugeiß  Komdämon  171. 

Hevkatze  Korndämon  173. 

Hüaria  Fest  293. 

Hippodameia  Gemahlin  d.  Peirithoos  45. 

Hippolyte  Gemahlin  d.  Akastos  49.  50. 

Hirpi  Soruni  318  ff.  330  ff.  336.  342. 

HAmann  Waldgeist  115. 

Holbeig  L.  193. 

Holdenmederd,  Peldgeistcr  104.  Baum- 
elbe  116. 

Holzfahrt,  Kölner»  Fest  215. 

HoUfräulein  Waldgeister  48.  120. 125. 

Holzkatze  Waldgeist  172. 

Holzleute  Waldgeister  120.  152. 

Hörbuch  Korndämon  170. 

Hören  217  ff.  230.  245.  280. 

Houbukke  norweg.  Feldgcister  154. 

Hvddra  norweg.  Waldfrau  103. 

Hiüdte  99.  103. 

HuUe  schwed.  Waldgeist  38.  97. 

Hund  des  Drachentödters  56.  58  =  H. 
des  Kephalos  58.  H.  geistersichtig 
114.  H.  =  Wind  157.  204.  Hund 
Korngeist  s.  Kiddellmnd.  Hunde  d. 
Huldre  (Huddojbikker)  103.  Hund 
Gestalt  des  Orco  99.  Sükjenitza  112. 
Saranieyau  112. 

Hungersnot  abwenden  257. 

Husbuk  dän.  Kobold  170. 

Hydriaden  131. 

mperboreer    234.  238.  239.  248. 

Hypereia  myth.  Land  108. 

Hymetho  Heroine  27. 

L 

Jack  in  the  green  297. 

Jarilo  russ.  Personilic.  d.  Frühlings 
186.  268.  286  ff 

Jason  48.  51. 

ItUercidona  röm.  Göttin.  124.  335. 

St.  Johannes  Personific.  d.  Kalender- 
tages 186. 

Johannisfeuer2bd.  265. 293  ff.3ÖJ  ff.310. 

jönee^  ==  Johannisfeuer  293  ff. 

Joulosak  estn.  Weihnachtsmaske  196. 

Iphikles  Sohn  des  Phylakos  30. 

Isis  aeg.  Göttin  282. 

Istar  assyr.  Göttin  275  ff. 

Judas  Puppe  im  Osterfeuer  306. 

JuXbock  Weihnachtsmaske  191  ff.  193  ff. 
Weihnachtsgebäck  197. 


Julestue  193. 

JulgaÜ  Weihnachtsgebäck  197.  201. 

Jidgjed  Weihnachtsmaske  191  ff. 

Julgumse  Weihnachtsgebäck  197  ff 

Julstroh  197  ff. 

Julsveitmr  197.  201. 

Juno  273.    J.  von  Unceria  25. 

Jupiter  Elicius  117. 

Jurasmäte  lett.  Meermuttcr  207. 

Ixion  83  ff.  98.  101.  110. 

Izdubar  assyr.  Held.  275. 

K. 

Kaluts  Sohn  des  Boreas  91.  206. 

Kaie  Tochter  Alexanders  d.  Gr.  15. 

KaUiqeneia  245. 

KaUikantsaren  neugriech.Dämuneo  100. 

Kamjye  Wäclterin  der  Hekatoncheiren 
109. 

Karneia  Pest  254  ff 

Karya  Tochter  des  Oxylos  19. 

Ä:cwennan<?/Berggeistl04.105. 109.110. 

Katze  Gestalt  deiFangge  1 48.  d.  Alpputz 
105,  des  Laboma  140,  des  Korndä- 
mons 172  ff.,  des  Kobolds  174  ff. 
Wolke  =  Katze  173. 

Katzebutz  Kobold  174. 

Katzenveit  Waldgeist  172. 

Kazroll  174. 

Kentauren  40  ff.  97  ff.  145.  2(4.  210. 
212.  sclAiellfüßig  71.  78  ff.  Gestalt 
80  ff.     Halbrosse  79  ff.  98  ff. 

Kentauros  Sohn  des  Ixion  83. 

Kephalos  Sohn  des  Dcion  58. 

Ker  Todesgöttin  81. 

Kiddelhund  Komdämon  155 

Kinhpurushas  ind.  Dämonen  80. 

Kind  =  Seele  65.  =  Drache  61; 
Tierkind  68;  K  ins  Feuer  gehalten 
52.  60.  68.  69 ,  durchs  Feuer  getra- 
gen 304,  geopfert  302.  340.  342: 
vom  Waldgeist  geraubt  124  ff.  126. 
127. 

Kinnaras  indische  Dämonen  80. 

Kinyras  König  v.  Paphos  283  ff. 

Kirke  Tochter  des  Aötes  33.  334.  335. 

Kirmesweib  Figur  des  Sonnwendfestes 
290. 

Kitzeln  147.  148.  155. 

Klapperbock  Weihnachtsmaske  189. 
195.  201. 

Klytia  Geliebte  des  Helios  151. 

Knäuel,  der  Trolle  156.  157. 

Kornblume  159.  319. 

Kornbock  156  ff.  161.  198.  317,  im 
Kinderspiel  199. 

Korndämonen  2.  32,  in  Bocksgestalt 
155  — 171,  in  Katzengestalt  172  bis 


Register. 


355 


174,  in  Schweinegestalt  202,  in 
Wolfsgestalt  318—325,  in  Roßgc- 
stalt,  in  Rindsgestalt  326.  333,  in 
Menschengestalt:  der  Alte  127,272. 
2S2,  Kornmatter  202.  293,  Korn- 
jungfer 289. 

Kornkater  172  ff.  187.  188.  2(X).  201. 
2tA.  326. 

Kornkatze  172  ff. 

Kornkuh  326. 

Kornwachstum  und  Ernte  114.  118. 
119.  120. 160.  164  ff.  187.  196.  212  ff. 
21.9.  228  ff  236.  237.  242.  243  ff 
254.  256  ff.  269.  282.  313  ff.  318  ff. 
329  ff.  336 

Kornwolf  188.  293.  318-325.  344. 
Insekt  179. 

Koronisma  Frühlingshraucli  2o9  ff' 

Kostroma  russ.  Mittsomnierh rauch  26'>. 
287.  288. 

Kotytia  Fest  258. 

Kotyio  thrac.  Göttin  258  ft'.  296.  297. 

Krishna  ind.  Gott  263,  sein  Geburts- 
fest 263. 

Kranos  82  ff.  101.  102.  lOJ).  271. 

Krotos  Sohn  des  Pan  208. 

Kuh,  Stier ^  Apperception  der  Wolke 
20:5  Anm.,  der  FluHwellen  61.  203. 
Kuh  bunte  203.  Kuhgestiilt  der 
Skogsnufva  147,  Huldra  103,  des 
Komdäm.326.Fürdicidienkälber313ff. 

Kuhn  A.  88.  89.  111.  335   viii.  xivff. 

Kukuk  334. 

Knretffn  kretische  Festtänzer  136. 

Kybelc  phryg.  Göttin  259.  291  ff. 

Kychreus  Ki'mig  von  Salamis  57. 

Kyklopen  81.  103  ff.  201.  2u5.  xix. 

Kypseloskasten  80. 

L. 

Laakone  289. 

Laacekaty  Logkat  Korndänion  173. 

Laboma  neugr.  Dämon  140. 

Lapithen  41  ff  44.  45.  89  ff.  97.  202. 

Lattich  280.  286. 

Laubhütten  255. 

Laubhütten  fest  215. 

Lavatio  Fest  293. 

Larari  291. 

Lebensrute   119.    173.   187.   189    193. 

191.  19.y  199.  326.  343. 
Lehrs  K.  20.  33 

IjCukothea  Tochter  des  Orcliamos  284. 
lAchtelfen  205. 
Ljcschie  russ.  Waldgeister  32.  79.  87. 

89.  100.   103.    105.    109.    110.    125. 

145  ff.  155. 
Linos  281 


Lisunka  russ.  Waldfran  146. 

Lityerses  282.  285. 

Loki  altnord.  Gott  52. 

Ijoup  rert  323  ff.  337.  343. 

Lucia  Person ific.  d.  Lucientages  186. 

Lupcrci  200.  343. 

Luridan  Brown ie  153. 

Lykaian  129.  337  ff. 

Lykaon  337.  339.  340  ff. 

N. 

MäbaUrajatirunal  malabar.  Fest  263. 

Machaon  46. 

Mad  Moll  Figur  des  Maifestes  297. 

Märdien  151. 

Mahdegeiß  Korndämon  163. 

Mahjax  Kungs  Ictt.  Hausgeist  121. 

Mahlten  drückende  Elbe  178.  204. 

Mai  ins  Haus  bringen  244. 

Maibaum  12.  119.  212ff.2.ö9.30O.302ff. 

Maibraatpaar  286.  287.  296. 

Maigraf  16'.  3(X).  325. 

Maikönig  165.  200.  286  ff. 

Maikönigin  287. 

Mailehen  12.  259. 

Mamurius   Veturins  266.  297. 

Marcna  265. 

Marienkäfer  162  ff. 

Mars  114.  125.  297.  334.  335.  336. 
Mars  Silvanus  119. 

Martin ,  St. ,  Personific.  des  Kalender- 
tages 186. 

Marlana  265. 

Medeios  Sohn  des  Jason  48. 

Melampos  Sohn  des  Amythaon  30. 

Melia  Baumnvmphe  8.  14. 18. 43.  102. 

Melusine  67  if. 

Menelaos  23.  60. 

Mestra  Tochter  des  Ery  sichthon  61. 

Midus  König  v.  Phrygien  141  ff 

Mimas  Kentaur  42. 

Mliotauros  232  ff. 

Minyaden  61  ff. 

Mittagsstunde  37.  135. 

Mne.>imache  Tochter  d.  Dexamenos  4». 

Mola  Salsa  269. 

Moloch  phön.  Gott  302  ff. 

Mommscn  A.  239. 

Moorbuck  Feldgeist  177  ff. 

Mooskuh  Komdämpn  326.  333 

Moosleute  7    10.  33.  147. 

Mora,  Müra  Alp  178. 

Moria  heil.  Baum  26  ff.  221.  257. 

Morous  böhm.  Alp  178. 

Mofuzzi  =  Mährten  178. 

3/M/?enÄo/fK.74.75.108,xiv.xxix.xxxvii. 

Murrkater  Wetterwolke  173. 

Mutter  fahrende  92. 

23* 


356 


Register. 


Mjfrrha  Tochter  des  Kinyras  283. 284. 
^^ffie ,  heilige ,  auf  dem  Qnirinal  25. 

Najaden  Uff. 

'Napoleon  59. 

Nemesis  61. 

NepJiele  87. 

Neraid^n  neugr.  Elfen   15.  36  ff.   60. 

66.   69.   70.   71.   73.   85.  100.  204. 

NeraideDgarn  37. 
Nereiden  15.  35.  36.  51.  70.  204. 
Nereus  61. 

Neriene  Gemahlin  des  Mars  297. 
Ncrthus  d.  Göttin  295.  299. 
Nessos  Kentaur  45.  61. 
Nenjahrshock  189. 
Nesupysan  tirunal  tamul.  Fest  307. 
Niklas,  St.,   Personific.  d.  Kalender- 1 

tages  184.  186.  187.  188. 
Nixe  in  Roßgcstalt  203. 
Noifemr  299. 

Nußbaumteufel  sizilian.  31. 
Nymphen  35  ff.  60.  204.  311. 
vmKfoXrinTog  36.  37.    Vgl.  Wahusyin. 
Nytaarshuk  192. 

0. 

Octöberroß  röm.  Emteopfer  310.  313. 

315. 
Oähinn  93.  336. 
Odyssetis  106  ff.  108.  128.  150. 
Oeibauin  heiliger  25  ff. 
Oervarr  Odd  skandin.  Held  44. 
Okypete  Harpyio  91. 
Olafsfrieden  160. 
Olafskorn  Abgabe  160. 
Olewi-lammas  finn.  Ernteopfer  160. 
Olewstags  Böckchen  160. 
Opis  Beiname  der  Artomis  248. 
Orco  wälschtirol.  Borggeist    99.   106. !  Vflanmenwolf  Baumgeist  319 

157.  I  Phaiaken  107.  108. 

Oreadeyi  33.  35.  206.  212.  Phigalia  18. 

Oreithyia.  Tochter  des  Erechtheus  206.    pnuyra  Baumnvmphe  19.  48.  83. 101. 
Orestiiulen  4  ff.  33.  i      ;^02. 

Orias  Vator  des  Oxylos  19.  i  pkinc^^s  König  v.  Salmydessos91.  20<3. 

Osclwphorien  216  ff.  2d3  ü.  Phlegyas  Vater  des  Ixion  83. 


Pandareos  91. 

Panios  neugr.  Berggeist  139. 

Panhfphos  h.  Baura  26. 

Pamper mie  228  ff.  242.  248  ff". 

Papageienfest  327. 

Pappel  8.  37. 

Papposilen  142. 

Paraibios  9  ff. 

Paraskeve  Personific.  d.  Freitags  185. 

Paris  sehen  Kinderspiel  163. 

naoih^voi  Dryaden  18.  32. 

Peirithoos  Lapithe  41.  44.  45.  46.  84ff. 
97.  101. 

Peleus  König  von  Phthia  49  ff.  68.  75. 
100.  101.  209.  Bedeutung  des  Na- 
mens 207.   Ideal  des  Heldentums  73. 

Penelope  128.  134. 

Pentheus  König  v.  Theben  15.  62. 

PcrcÄf aPersonification  des  Dreikönigs- 
tages, keine  Göttin  185.  191 

Pere  Mai  186. 

Peri  uers.  Fee  69  ff. 

Perikiymenos  Sohn  des  Poseidon  61. 

Perimedes  Kentaur  42. 

Perpherees  Kultpersonen  auf  Delos  234. 

Persephone  276.  335. 

Pesachfest  215. 

Pest  und  Hungersnot  abwenden  39. 
135.  148.  150.  219.  231.  252.  253. 
257.  208.  309.  311  ff.  332. 

Peiraios  Kentaur  42. 

Peukeus  Kentaur  42. 

Pfafl'enhure  Sturmgeist  96 

Pfingstbraut  287. 

Pfingstbutz  264. 

Pfingstkönig  296. 

Ptingstl  264. 

Pfingstnickel  254. 

iYt>i2re  Personific.  des  Donnerstages  ls;>. 


Ostericulf  Ostergebäck  323. 
Oxiflos  Sohn  des  Orias  19. 
O'zinuis  lit.  Windname  156. 

P. 

Pales  311  ff. 
Palilien  Fest  309  ff. 
Pan  127  ff.    148.    149.  152.   158.  171. 
178.  208.  209  ff.    Pano   127  ff.    152. 


Phobos  81. 

Phoinix  Sohn  des  Amvntor  49.  - 
Pholos  Kentaur  43  ff.  80.  98.  102. 
Phoroneus  König  v.  Ärgos  18. 136. 3^^>. 

Pjatnitza  russ.  Personificat.  des  Frei- 
tags 185. 
Piatta  di  sepulcni  291. 
Picumnus  röm.  Jndigitalgott  125.  33.'» 

201.204.     Pano  in  der  Kunst  209.    j  P/cmä  TCönig    von  Latium    llo.    117. 
Panathenäen  Fest  27.  257.  |     334  ff. 


Register. 


357 


Ficus  Feronius  334. 
Picu.^  Martius  334. 
Pihimmis  röm.  Indif^italgott  124  ff. 
Pihciz  174. 

Pitijs  Baumnymphe  131. 
Platmie  beilige  22.  97. 
Plowa  haha  289. 

Plutos  Dämon  der  Erntefülle  244  ff. 
Podarge  Harpyio  92.  100. 
Püledhice  czech.  Mittagsfrau  135. 
Polednicek  135. 
Polcwik  nis8.  Komdämon  145. 
Pohjdoros  Sohn  des  Priamos  21. 
Pohjphemos  Kyklop  106.  108. 109. 150. 
Pohipoites  Sohn  des  Peirithoos  45. 
Poseidon  28.  51.  61.  72.  101. 108. 109. 
Posterli  190  ff. 
PrUipus  123. 
Proarktnria  Fest  239. 
Proer osia  Fest  231.  238.  239.240.241. 
Proserpina  3-29. 
Proteus  Mccrgrels  60.  66. 
Psophis  Dryadon  daselbst  18. 
Purimf  est  305. 

Pyanepsien  Fest  214  ff.  257.  Pyanep- 
sieniuablzcit  227. 

R. 

Rarasek  Windgeist  94. 

PauJnuicht  186. 

RehenmcUichen  3  ff. 

Pegenzauher  213.  256.  259.  263.  (?) 
264.  265.  268.  269.  272.  273.  275. 
278.  280.  283.  287.  288.  293.  295. 
299.  341.  342. 

Reine  Mala  186. 

Rhea  -  Kyhcle  262. 

Rhoiu  Banmnymphe  19. 

Rhoikos  16. 

Roggenmuhme  Korndäuion  125. 

Roggenmutier  Komdämon  15. 

Roggensau  202. 

Roggenwolf  200.  201.  202.  318  ff.,  s.  o. 
Kornwolf. 

Röpenkerl  Waldgeist  105.  115. 

RofJ  s.  Wind,  Sonne,  Octoberroß, 
Vatnhestar,  Roß,  Gestallt  des  Nix 
203,  des  Oreo  99.  Rosse  dos  Acbil- 
leus  100  ff.  Roßgestalt  der  Wald- 
geister 8.  Kentauren:  anderer  W^ald- 
geister  139.  140. 

Rudsmrilks  319. 

Ruprecht y  Knecht,  1^4.  187.  199. 

S. 

Sahariosfest  lit.  249. 
Saetumus  273. 
Salhanello  Waldgoist  127. 


Salier  272. 

Salome  Waldgeist  149. 

Salvadegh  Wald-  und  Feldgeist  126. 

Salvanel  Wald-  u.  Feldgeist  126.127. 

Salvang  Wald  -  u.  Feldgeist  127. 

SamharySy  zembarys  angeblicher  Gott 

der  Litauer  251. 
Sanguen  Festtag  292. 
Sarameyau  ind.  Höllenhunde  112. 
Satyrn  136  ff.  142.  149.  150.  152.  201. 
•    204.  209  ff. 

Scheunkater  Komdämon  173. 
Schimmelreiter  184. 
Schlange  s.  Drache. 
Schotenhund  Komdämon  155. 
Schrezlein  Elbe  185. 
Schwanjinigfran  68. 
SchwartzW.  101 .157. 292. 340. 350.  xxiff. 
Schicarze  Mann  156. 
Seilen  5.    140  ff.    149.    150.  152.   171. 

204.  209  ff.  212. 
Seirim  sem.  Feldgeister  144. 
Selb,  Selbgetan  150.  205 
Selige  Wald-  u.  Berggeister  68. 
Servant  Kobold  176. 
Set-  Typhon  aeg.  Gott  308  ff. 
Sigfrit  53.  55.  57. 
Sikinnis  Tanz  137. 
Silranae  126. 
Sihani  113.  118  ff  212. 

Silranus  113.  118  ff.  145,  agrestis  121. 

122.  127,  domesticus  121.  122,  vil- 

licus    122,    custos    122,    orientalis 

121 ,  Kinderräuber  124. 
Sivisofi  111. 
Skoqsnufvar    schwed.  Waldfrauen  32. 

38.  67.  93.  97.  99.  100   147.  204. 
Skou(pnan  schwod.  Waldgeist  38.  115. 

146. 
Sobari  lettischer  Pestilenzgebrauch  252. 
Solarhjörtr  203. 
Sommer  Lütarebrauch  295. 
Sommerkatze  173. 

Sonne,  Appercoption  derselben  als  Rad 
88.  89.  110  ff,  Kuh  203,  Roß  203, 
Widder  203 ,  Hirsch  203. 

Sanneumythen  205  ff. 

Sorahus  327  ff. 

Soule  Ball  beim  Frühlingsfest  290. 

Springwurzel  335. 

Staphylodromen  255. 

Stary  Korndämon  127. 

Stephanstag  205. 

Stepke  Wirbelwind,  Kobold  174. 

Steropes  Kyklop  108. 

SterquiUnus  röm.  Gott  125. 

Stögubbe  Korndämon  173. 


358 


Register. 


Strophaden  Inseln  91.  92. 
Stutzkatze  Waldgeist  148. 
Suleviae  Waldnymphen  126. 
Sükjenitza  alban.  Gespenst  112. 
Syke  Baumnymphe  19. 

T. 

Tamlane,  Graf  v.  Munav,  Elf  63.  66. 

Tamimiz  274  flf. 

Tanz  der  Dryaden  11.  32,  vgl.  Wald- 
geister. 

TaiHO  finn.  Waldgott  121. 

Taubaden  312. 

Tellus  120. 

Tennenweib  289. 

Teihys  Gem.  des  Okeanos  207. 

Teufel  bocksgestaltig  158. 

Thallophorie  257.  258. 

Thargelien  Fest  215  ff.  230  ff  234  ff. 
243.  244.  248.  255.  256  257. 

Thargehs  228.  244. 

Tfierapne  Heroon  daselbst  22. 

Theseus  45.  97.  216.  232  ff.  238.  241. 
242. 

Tlietis  Nereide  51.  60.  61.  66.  68.  69. 
70  ff.  81.  205.  208.  Bedeutung  des 
Namens  ==  Muhme,  Wassermuhme 
207. 

llwosa  Tochter  des  Phorkys  108. 

Ihoregud  Personific.  des  Donnerstags 
185. 

Tlwrr  altnord.  Uonnor^^ott  93.  151. 
156.  157.  185. 

Tierkind  68. 

IWiorctty  Drvaden  daselbst  16. 

Todaustragen  268.  273.  287.  296  ff. 

Tragödie  ,  Ursprung  der,  200.  201. 

Tristan  55. 

Trolle  99. 

Typhami  86.  96.  100.  101. 

Typhoeus  H6   89.  100    101.  110. 

Tyjfhon,  Typhös  Dämon  des  Wirbel- 
wind.s  85.  89.  308. 

Typhon -Set  äg.  Gott  308. 

l. 

Ukkostein  finn.  Opferplatz  160. 
Vhne  heilige  25. 
Uranos  108.  109. 
Ureios  Kentaur  42. 
Uriskin  schott.  Wald-   u.  Berggeister 
152  ff 

V. 

Vattar  151. 

Valentins  288  ff. 

Vatnhestar  schwed.  Wassergeister  203. 

Vehmöme  350. 


Vergüius  r.  Dichter  23. 
Vespasianus  r.  Kaiser  23. 
Vestaiia  Fest  269. 
Vestalinnen  121.  267  ff  313  ff. 
Vidyadharen  ind.  Elfen  108. 
Vietliebcheti2SS.  Vielliebchenessen 296. 
Vinire  rum.  Pcrsonif .  d.  Freitags  185. 
ViraeqaerquetulanaeBaümnym)^henS4. 
Vishnu  ind.  Gott  263. 
Vogelscheuchen  127. 
VorJierresbock  schwed.  Eomdämon  162. 
173. 

W. 

Wahnsinn  in  Folge  der  Berührung 
mit  Geistern  36.  37   38.  131. 

Walber  186. 

Waldgeister.  Lange,  zottige  Haare  der 
Wald-  und  Sturmg.  39   41.   42.  89 

98.  125.  147.  149.  Tiergestalt  39. 
79  ff  99.  114  ff  126.  127.  131.  138. 
139  ff  145  ff  150.  152.  ff  203.  201. 
Tragen  Baum  als  Waffe  39.  41.  42. 
43.  46.  89.  98.  123.  148,  vgl.  86: 
schleudern  Felsblöcke  39   44.89.96. 

99.  Vgl.  86.  Ihr  Ruf  oder  Schrei 
114  ff  131  ff.  146  ff  206.  360  Ihre 
Lösternheit  (Weiberliebe,  39.  42.  44 
45.  96.  103.  116.  118.  126.  131.  137. 

138.  139.  144.  147.  159.  170.  196. 
Tanz  der  Wald-  und  Windgeister 
38.  62.  131.  147.  Wind  ihre  Lobi-ns- 
äuUcrung  s.  Wind-  u.  Wirbelwind. 
Vgl.  die  Artikel:  (>urui»ira,  Dell" 
Vivane,  Dialen,  Drymides,  Faunus. 
Fönes,  Hemann,  Holzfriiulein,  Hul- 
dra ,  Kentauren,  Ljeschi.  Lisuiika, 
Moosleute,  Pan,  Ropcnkorl.  Salba- 
nello,  Salvadegh,  Salvany,  Satyr, 
Silvanus,  Uriskin,  Wilde  Leute.  — 
Waldgeist  hütet  (segnet)  die  Hecrde 
103  ff  117.  119.  120.  122.  130.  136. 

139.  146.  149  ff.,  Schützer  des  Wil- 
des 129.  135.  146,  raubt  Kinder  s. 
Kind. 

Waldmann  Korndämon  155. 
Waldteufel  Korndämon  15.'). 
Walperzug  in  Erfurt  Maitagsgebr.2l6. 
Wassertauche  s.  Regenzanber. 
Wasservogel  Figur  des  Pfingstbrau«:hs 

264. 
Wuterbulls  Wassergeister  203. 
Water möder  Wassergeist  207. 
Wauer  Frau,  Sturmgeist  94. 
Wcidbräuki  312. 
Werwolf  322. 

Wete-ema  finn.  Wassermutter  207. 
Wettlauf  254.  256. 


Register. 


359 


Wilde  GeifiUr  149.  151. 

mide  Leute  39.  103.    U7.  150.  155. 

172.  211. 

Wind  -  und  Wirbehcind.  Ww.  in 
Griechunland  liäiitijLr  37.  Boschroi- 
bun^'  des  Phänomens  85  flf.  Ww. 
bzw.  \V.  apjicrzipiert  als  Mimk 
31.  llü.  130.  U7.  Tanz,  38.  131. 
1-47,  lirautztuf  39.  96.  97,  Kamj.f 
der  Wald  •  und  Sturni<?oister  97 ; 
als  Rad  85.  87.  Kujjel  oder  Knäuel 
99.  157.  176,  alfl  Roß  89.  95.  96. 
99.  204,  vgl.  10-4.  105  [vgl.  Winde 
und   Wogen   ^^  Rosse    100 1,   Katze 

173,  Schwrin  99.  204,  Hund  (der 
wilden  Jagd)  99.  2«)4,  Schlange 
S6.  -  Ww.  prrüonitiziort  als  Teu- 
fel 38. 1(K),  H<«xe  93,  Thorsiijäska  93, 
fahrrnde  Slutter  93,  Pfaffenhure  95, 
Rarasok  94,  Dschin  86,  Typhoa, 
Tvphon  85  (Tvphaon,  TyphOcus  85. 
1(M)^  Ixion  87.  98,  Lapithen  S9ff., 
Ilarpyie  90  ff  95.  100.  Wind.  bzw. 
Ww.  Lebt'nsäuUerung  der  Baum-  u. 
WaWgtister  39. 98. 201  ff.,  d(«.s  Baum- 
elfs  i02,  der  Buschjungfern  147, 
Ljeschi  103.  146,   Skogsnufvar  147. 


204,  der  delle  Vivane  127,  der 
Korndämonen  155.  172.  201.  202. 
318,  der  Neraiden  38.  92.  100.  204, 
dfs  Silvan  123,  des  Pan  131,  der 
Drvaden  32,  der  Kentauren  189. 
Wind  huMeriscli  131.  170.  171. 
Sturm  ==  wild«'  Jäger  95,  Zetirs 
206  ff  Schnell  wie  der  Wind  71.  82. 
Wulke  87,  apperzi]>iert  als  Kuh  203, 
Katze  15<].  173.  2<UK  Bock  und  Geiß 
156.  157,  schwarzer  Mann  156, 
At'gis  157.     V^gl.  XXV. 

Yama  ind.  Todtengott  112. 


Ziiidijne  lit.  Neujahrsbrauch  19i>. 
Zauberschivert  53  ff.  59. 

Zembarys  s.  Sambarys. 

Zeininele  lit.  Erdgöttin  250.  253. 
Zephyros  101. 

Zetes  Sohn  des  Boreas  91  ff.  20<j. 
Zcfiii  72  ff.  83.  108.  342.      Z   Lykaios 

;W9.  Herkeio.s  111. 
Ziegen  Freunde  der  Elfen  153. 
Zwerye  125.  204.  205. 


Berichtigungen. 


ö.  9  Z.  4  V.  u. 

-  21  .  4  -  u. 

-  110  -  a  -  u. 

-  110  -  2  -  u. 

-  IGi)  -  7-11. 

-  207  -  18  -  0. 

-  220  -  7  -  u. 

-  224  -  7  -  u. 


tU^i  für  äi^ti. 

"Oll  f.  Ot/. 

die  Alke,  welche  f.  der  Alke,  wclduT. 

<ler  ilir  f.  der  ihm. 

Hemerkenswert  f.  Bemerkbar. 

Moeriuutter  f.  NährmuttiT. 

r»/i'  f.  T^'. 


llullu,  liucliiiruckui'ui  de»  WaiäuubaUauä. 


-v""     ^ 


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