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Full text of "Was für ein Philosoph manchmal Epoche macht : Vortrag gehalten zum Besten des Lesevereins der deutschen Studenten Wiens"

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Sammlung 0 | Re 


| gemeinnütziger populät-wiſfenſchaftlicker Vor üge, 


1. Heft. 


Dor dpal⸗ Nepedil iauen der Aukunlk 


und 
deren ficheres Ergebniß, 


verglichen mit den 
bisherigen Forſchungen auf dem arktiſchen Gebiete. 


Vortrag 
gehalten von 
Carl Weyprecht, 


k. k. Schiffslieutenant. 
3 Bogen. Geheftet. Preis 30 kr. ö. W. = 60 Pf. 


Die arktiſche Frage, die nach den Franklin⸗Expeditionen für lange Zeit 
beſeitigt ſchien, iſt wieder mehr als je in den Vordergrund getreten und bejchäf- 
tigt die wiſſenſchaftlichen Kreiſe aller Nationen. Oeſterreich, Amerika, Schweden, 
Deutſchland haben ihrer Löſung in den letzten Jahren enorme Opfer gebracht, 
und neuerdings wieder hat England eine Expedition im großartigſten Style aus⸗ 
geſandt, deren Ziel die Erreichung des Poles ſelbſt iſt. 


Oeſterreich it durch feine denkwürdige zweijährige Expedition und durch 
die Entdeckung von Franz⸗Joſefsland ruhmreich in den Kampf um die arktiſche 
Palme eingetreten und tritt neuerdings an die Spitze eines Unternehmens, das 
geeignet iſt, der arktiſchen Frage eine ganz neue Richtung zu geben. 


In dem vorliegenden Vortrage tritt der Verfaſſer auf das Entſchiedenſte 
gegen die Ziele der vergangenen Expedition auf und entwickelt an der Hand 
ſeiner reichen Erfahrungen, auf wiſſenſchaftliche Gründe geſtützt, den Plan zu 
einer internationalen Expedition mit rein wiſſenſchaftlichen Zwecken. In die 
Details des Unternehmens eingehend, giebt er Auskunft über die Schritte, welche 
bis jetzt zu ſeiner Realiſirung geſchehen ſind. 


A. Hartleben's Verlag in Wien, Peſt und Leipzig. 


Epoche macht. 


Vortrag IR 

gehalten 8 a 

zum Beften des Leſevereins der deutlcken Studenten Wiens Er 
von Br 

ER 


Franz Brentano, 1 


ord. Profeſſor der Philoſophie an der k. k. Univerſität zu Wien. SR) 


ö Fr, . 
Wien. Peſt. Leipzig. RD 7 j 

A. Hartleben's Verlag. * 
1876. + 


(Alle Rechte vorbehalten.) 


Druck von G. Giſtel & Co., Wien, Auguſtinerſtraße 12, 


Vorwort. 


Mlein Vortrag ſpricht von Erſcheinungen einer frühen 
Vergangenheit: aber die Intereſſen unſerer Tage ſind es, die 


er vorzüglich im Auge hat. Und nichts dürfte geeigneter ſein, 


ſie zu fördern, als der Blick auf fernentrückte Ane in 
welchen die näherliegenden ſich ſpiegeln. 

Die Philoſophie lebt in einer Zeit des Ueberganges und 
der Gährung. Mehr und mehr hat die Ueberzeugung ſich 
Bahn gebrochen, daß die gerühmteſten Syſteme der letzten 
Decennien nichts anderes als Ausartungen der Wiſſenſchaft 
geweſen ſind: aber noch immer fehlt viel daran, daß dieſe Er— 
kenntniß ein Allgemeingut geworden wäre; und noch weniger iſt 
man über die wahre Natur des Uebels und ſeine Urſachen ſich 
klar geworden. So kann es geſchehen, daß Viele, die von den 
letzten Denkern ſich abwenden, auf ſolche Lehren zurückgreifen, 
die entweder ſelbſt bereits die Anfänge der gleichen Krankheit 
oder, in entgegengeſetzter Richtung ausſchreitend, die Urſache 
von ihr enthielten. Ihre Fehler hatten die ſpäteren Mißſtände 
als Reaction zur unausbleiblichen Folge. Insbeſondere aber 
fehlt es auch nicht an Forſchern, welche das anererbte Uebel 
nicht ſowohl zu heilen als einer erwachenden Kritik gegenüber 


— 
zu verdecken beſtrebt ſind. Ihr Bemühen mag uns als ein 
Zeichen der nahenden Beſſerung gelten: ein Mittel dazu bietet 
es ſicher nicht; ja es ſchafft mehr als jedes andere dafür ein 
Hemmniß. 

Keine von dieſen falſchen Richtungen iſt in dem Vortrage 
unberückſichtigt geblieben: doch geht er ſelbſtverſtändlich nicht 
über bloße Andeutungen hinaus. Alles Weitere bleibt dem 
eigenen Nachdenken überlaſſen. Aber die Thatſachen, und 
zumal die Analogien zwiſchen antiken und modernen Verhält⸗ 
niſſen, ſprechen klar genug für ſich ſelbſt; und ſo darf ich 
hoffen, daß auch ein Wort, welches nicht mehr als eine einfache 
Anregung enthält, nicht nutzlos geſprochen ſein werde. Vielleicht 
wird es ſogar wie in anderen Fällen auch hier in erfreulicher 
Weiſe ſich bewähren, daß die Belehrung, die von Innen 
ſtammt, am willigſten Gehör findet. 


‚Was für ein Philoſoph manchmal Epoche macht“ — das 
iſt ein Titel recht nach neueſtem Schnitte. Wie ſollten Sie 
ſich da nicht wundern, wenn ich ſage, daß in der modernen 
Hülle ſich ein antiker Kern verbirgt? Der Denker, für welchen 
ich Ihre Aufmerkſamkeit in Anſpruch nehmen möchte, iſt weder 
Hegel noch Schopenhauer, noch auch der Philoſoph des Un— 
bewußten, der jetzt vor Anderen der Held des Tages geworden 
iſt. Sein Name iſt Plotin, und er lebte und ſtarb vor mehr 
als ſechzehnhundert Jahren. 


Plotin! — wer war dieſer Plotin? — Die Philologen 
kennen ihn wohl und haben als treue Hüter aller Reliquien des 
Alterthums neue Ausgaben ſeiner Enneaden veranſtaltet: 
aber ſchon die Philoſophen befaſſen ſich wenig mehr mit dem 
Studium ſeiner Werke, und der Laienwelt iſt der Name ſelbſt 
ſo gut wie unbekannt. 

Das war anders zu anderen Zeiten. Alt und Jung 
Reich und Arm, Vornehm und Gering, — Alles drängte ſich zu 
ſeinem Lehrſtuhle. Hunderte von begeiſterten Verehrern ſtießen 
für ſeinen Ruhm in die Poſaune. Ja die auszeichnende Be— 
günſtigung, die man in Preußen noch vor Kurzem der Hegel'ſchen 
Schule zu Theil werden ließ, hat die Schule Plotin's auf 
einem ungleich ausgedehnteren Schauplatze gefunden: in dem 
ganzen, weiten Römerreich iſt ihre Lehre für einen Augenblick 
ſozuſagen Staatsphiloſophie geworden. 


— >, 


Die große Bewegung der Geiſter, die Plotin hervorrief, 
der weittragende Einfluß, den ſeine Anſchauung gewann, 
knüpfen an ſeinen Namen ein bleibendes hiſtoriſches Intereſſe. 
Und wenn die Gegenwart ſeinen Speculationen keinen wahren 
Werth zugeſteht, ſo liegt gerade in dem Contraſte zwiſchen der 
früheren und ſpäteren Würdigung ein neues Moment, das 
unſere Aufmerkſamkeit verdient. An welches Urtheil ſollen wir 
uns halten? — An das der Vorzeit? — wie läßt ſich dann 
die jetzige Geringſchätzung begreifen, da doch ein Demokrit, 
Sokrates, Platon und andere Denker des Alterthums noch immer 
hoch in Ehren ſtehen? Wenn aber, wie zu vermuthen, das 
Urtheil der Nachwelt das gerechtere iſt; wenn jo wenig wiſſen⸗ 
ſchaftlicher Geiſt den Forſchungen Plotin's innewohnt, daß ent⸗ 
weder ſie nicht den Namen einer Philoſophie, oder die Philoſophie 
nicht den Namen einer Wiſſenſchaft verdient: ſo erhebt ſich die 
Frage, wie denn ſeine eigene Zeit, die doch bereits wahre 
Größen der Wiſſenſchaft, einen Archimed, einen Hipparch und 
in der Philoſophie ſelbſt einen Forſcher wie Ariſtoteles vor ſich 
hatte, — wie, ſage ich, eine ſolche Zeit den haltloſeſten 
Träumereien mit bewundernder Verehrung lauſchen konnte. 
Jedenfalls ſtehen wir vor einem Räthſel. 


Bei Plotin gehören Leben und Lehre innig zuſammen. 
Werfen wir einen Blick auf beide. 

Das Leben Plotin's hat bereits ſein unmittelbarer Schüler 
Porphyrius beſchrieben. An ſeinen Bericht vorzüglich werde ich 
mich halten. Manches darin klingt allerdings märchenhaft; aber 
Porphyrius macht auch dieſe Ausſagen als redlicher Zeuge, 
wie er denn nirgends, wo in ſeiner Kenntniß eine Lücke iſt, 
ſie mit Conjecturen oder gar mit willkürlichen Erfindungen aus⸗ 
zufüllen wagt. So liegt auch in dem Unglaublichen, was er 
berichtet, ein werthvolles hiſtoriſches Zeugniß; es zeigt uns, was 
die nächſte Umgebung Plotin's, ja was dieſer ſelbſt über ſich 
ſelbſt zu glauben fähig war. 

Plotin wurde geboren im Jahre 205 nach Chr., alſo 800 


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Jahre, nachdem Thales den Grundſtein zur griechiſchen Philoſophie 
gelegt, und 527 Jahre, nachdem Ariſtoteles ſein Forſcherauge für 
die Welt irdiſcher Erfahrungen geſchloſſen hatte. 

Ueber ſeine erſte Jugend ſind wir faſt ohne Nachrichten; 
denn Plotin verweigerte darüber faſt jede Auskunft. „Er ſchien,“ 
ſagt ſein Biograph, „ſich zu ſchämen, daß ſeine Seele in einem 
Körper wohne. Deshalb konnte er es nicht ertragen, wenn man 
ihn nach Vorfahren, Eltern oder Vaterland frug. Völlig ent⸗ 
rüſtet wurde er darum auch bei der Zumuthung, er möge ſein 
leibliches Angeſicht von einem Maler oder Bildhauer nachbilden 
laſſen. „„Wie?““ rief er ſeinem Schüler Amelius zu, als dieſer 
ihn einſt mit ſolchen Bitten beſtürmte, — „„wie? dir ſcheint 
es nicht genug, daß ich dieſes Bild ſelbſt mit mir herumtrage, 
mit welchem die Natur mich von Anfang an umkleidet hat? — 
du meinſt gar, ich ſolle überdies von dieſem Bild ein bleibenderes 
Bild wie ein ſehenswürdiges Werk hinterlaſſen?““ — 

Doch in dieſem Stücke überliſteten ihn ſeine Anhänger. 
Ein Maler, den ſie in die Schule brachten, fertigte ſein Bildniß 
nach der Erinnerung. 

Ebenſo wußte man auf Umwegen das Jahr ſeiner Geburt 
zu ermitteln. Sein Arzt, wahrſcheinlich unter dem Vorgeben, 
eine genauere Kenntniß ſeines Alters ſei bei der Behandlung 
von Wichtigkeit, entlockte ihm das Geheimniß. Ueber den Tag 
ſeiner Geburt, den die Schüler gern feſtlich begangen hätten, 
konnten ſie dagegen nichts erfahren. Und ebenſowenig kennt 
Porphyrius ſeinen Geburtsort. Spätere nennen als ſolchen 
Lykopolis in Aegypten. 

So fließt zunächſt unſere Quelle ſpärlich. Nur einen 
Zug weiß Porphyrius aus ſeiner Kindheit zu erzählen, und dieſer 
iſt eigenthümlich genug. Bereits acht Jahre alt, zu einer Zeit, 
da er ſchon die Schule beſuchte, trank Plotin noch an der Bruſt 
ſeiner Amme. Als aber dieſe ihn ſchalt und einen läſtigen 
Jungen nannte, entſagte er endlich dieſer Weiſe der Ernährung. 

Nun verlieren wir ihn für lange Zeit aus den Augen und 
finden ihn erſt als achtundzwanzigjährigen jungen Mann in 


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Alexandrien wieder, eben im erſten Nachdenken über philoſophiſche 
Fragen begriffen. 

Alexandrien, die geniale Schöpfung des großen Make⸗ 
doniers, blieb, auch nachdem Aegypten dem Scepter Rom's ſich 
gebeugt hatte, noch lange eine Weltſtadt im großartigſten Sinne. 
Fremde aus allen Ländern ſtrömten in ſeinem Hafen zuſammen. 
Hellenen und Barbaren, Juden und heidniſche Völker, Orient 
und Occident tauſchten hier mit den Waaren zugleich auch die Ideen 
aus. Das Muſeum und die großen Bücherſchätze, welche die 
Ptolomäer in Bruchium und im Tempel des Serapis aufgehäuft 
hatten, waren der Mittelpunkt einer ausgebreiteten literariſchen 
Thätigkeit. Hier lebten die gelehrten Commentatoren des Platon 
und Ariſtoteles, hier hatte Aeneſidem für den Skepticismus 
epochemachend gewirkt, hier Philo der Jude die Samenkörner 
einer theologiſch-philoſophiſchen Speculation ausgeſtreut. Zur 
Zeit des Plotin beſaßen alle bedeutenden Schulen des Alterthums 
in Alexandrien ihre Vertreter. 

Plotin ſuchte, einen um den anderen, die Lehrer auf, 
welche am meiſten eines Rufes ſich erfreuten. Aber das 
philologiſch gelehrte Commentiren, zu welchem die einen ihn 
anleiten wollten, war nicht das, wonach er verlangte; die 
Skepſis der andern war durchaus ſeinem Sinne fremd; und 
ebenſowenig konnten die Epikureer oder die Stoiker ihn be— 
friedigen, alle etwas vom Skepticismus angekränkelt und in 
Eklekticismus ausgeartet. 

Da verfiel Plotin in Traurigkeit und tiefe Schwermuth. 

In dieſer Stimmung, da jede Hoffnung ſchwinden wollte, 
fand ihn ein Freund und beredete ihn zu einem letzten Verſuche. 
Er führte ihn zu Ammonius. 

Dieſer Ammonius war ein ſeltſamer Geiſt. Er war Chriſt 
geweſen und Heide geworden, und er war Sackträger geweſen 
und Philoſoph geworden. Nach ſeiner früheren Beſchäftigung 
gaben ihm die Leute den Beinamen Saccas, d. i. der 
Sackträger. Seine Schüler aber nannten ihn Fsodidarrog 
„der Gottbelehrte“; denn dieſelben ſchrieben ihm göttliche 


| 


Eingebungen zu. Und in Wahrheit, aus den Säcken wenigſtens, 
die er getragen, konnte Ammonius ſeine ſpeculativen Ideen 
nicht wohl genommen haben. 

Seine Lehre, über die wir nur ſehr unvollkommen unter- 
richtet ſind, war enthuſiaſtiſch, myſtiſch, ſchwärmeriſch. 

Plotin war hingeriſſen. — „Dieſer iſt's, den ich ſuchte,“ 
rief er ſeinem Freunde zu, als der Vortrag ſchloß; und ſofort 
verband er ſich dem Meiſter und gehörte bald zu ſeinen ver— 
trauteſten Schülern. Acht Jahre blieb er bei ihm und verließ 
ihn nicht mehr bis zu ſeinem Tode. Auch ſpäter, auf der 
Höhe ſeines Anſehens, hat Plotin immer Ammonius als den— 
jenigen genannt, dem eigentlich der Ruhm gebühre. 

Um jene Zeit, im Jahre 242 nach Chr., geſchah es, 
daß Kaiſer Gordian einen Feldzug gegen die Perſer unternahm. 
Plotin, dem gewiß Ammonius die Weisheit des Orients ge— 
prieſen hatte, ſchloß ſich, nach geiſtigen Eroberungen begierig, 
dem Heere an. Aber das Glück war Gordian nicht günſtig; 
er verlor in Meſopotamien Sieg und Leben, und Plotin ſelbſt 
rettete ſich nur mit Mühe nach Antiochien. 

Bei dieſer Gelegenheit mochte Plotin mit manchem edlen 


Römer freundſchaftliche Beziehungen angeknüpft und die Ueber— 


zeugung gewonnen haben, daß auch in der Hauptſtadt des 
Erdkreiſes ein für ſeine Speculationen empfänglicher Boden ſich 
finde. Er wandte ſich nach Rom. 

Vierzig Jahre alt betrat er die Stadt. 

Alsbald eröffnete er eine Schule, legte ſeine Lehre dar, 
beſprach die Anſichten der vornehmſten Commentatoren zu Platon 
und Ariſtoteles, forderte aber auch die Schüler zu activer 
Theilnahme an der philoſophiſchen Unterſuchung auf. 

Sein Biograph ſchildert ihn als von unerſchöpflicher 
Geduld und Sanftmuth und weiß auch die Kraft ſeiner 
Dialektik und die Schnelligkeit, mit welcher er Schwierigkeiten 
zu löſen und den richtigen Weg zur Ueberzeugung zu finden 
wußte, nicht genug zu rühmen. Doch andererſeits hören wir 
ihn klagen, die Schule ſei voll geweſen von Unordnung und 


— 


vielem Geſchwätze, ſo daß dieſe Uebelſtände Plotin ſchließlich 
genöthigt hätten, ſeine Lehre ſchriftlich aufzuzeichnen. Jene 
Meiſterſchaft im Dialoge, die einſt Sokrates eigen geweſen, 
werden wir alſo unſerem Philoſophen kaum zuſchreiben dürfen. 

Wie dem auch ſei, jedenfalls ſind logiſche Schärfe 
und Gewandtheit etwas, was immer nur eine kleine Zahl zu 
würdigen verſteht: Plotin aber wußte mit ſeinen Vorträgen 
die weiteſten Kreiſe anzuziehen. Dazu trug nicht wenig die 
Begeiſterung bei, die aus ſeiner Rede hervorleuchtete. Seine 
Züge waren ſchon von Natur edel und anmuthig; aber ihre 
Schönheit erhöhte ſich, wenn er ſprach. Sein Antlitz wurde 
dann wie ſtrahlend, und leichte Schweißtropfen perlten auf ſeiner 
Stirne. Der Ausdruck war geſpannt, gedankenſchwer, kurz und 
enthuſiaſtiſch. Man fühlte, wie er nicht auf die Worte achtete, 
ſondern ganz in die Sache vertieft war. 

Was er ſprach, floß aus der Fülle ſeiner Betrachtung; 
denn immer war er in ernſtem Nachdenken begriffen, mochte er 
allein ſein oder mit Anderen verkehren. Er war ſo vollkommen 
geſammelt, daß er, im Schreiben und vielleicht mitten in einem 
Satze unterbrochen, wenn er nach geraumer Zeit dazu zurück— 
kehrte, nie nöthig hatte, auch nur ein Wort von dem zu über— 
leſen, was er geſchrieben. Er fuhr fort, als hätte er den 
Griffel nie aus der Hand gelegt. 

Auch im Uebrigen war feine Lebensweiſe eine eigenthüm— 
liche und erinnert ſtark an das, was in unſeren Heiligenlegenden 
berichtet wird. Er ſchlief wenig und nahm nur kärgliche Nah— 
rung zu ſich. Selbſt Brod genoß er nicht häufig; Fleiſchſpeiſen 
wies er gänzlich und ſogar in Zeiten der Krankheit zurück. Eben— 
ſowenig erlaubte er ſich jemals den Gebrauch von Bädern. Und 
für alle dieſe Entſagung fand Plotin reichen Lohn in der Wonne 
der Betrachtung, namentlich der Betrachtung göttlicher Dinge. 

Die Perſönlichkeit des Plotin und ſeine Lehre machten in 
Rom den gewaltigſten Eindruck. Philoſophen, Aerzte, Senatoren, 
Staatsmänner und auch Frauen aus den vornehmſten Geſchlech— 
tern ſchloſſen ſich ihm an. Sein Haus füllte ſich mit Knaben 


1 


und Mädchen, die von ſterbenden Eltern ihm anvertraut 
wurden; und er ſorgte für die Kleinen und ihr Vermögen mit 
praktiſchem Sinne und aufopfernder Hingebung. Sehr häufig 
wurde er bei Streitigkeiten zum Schiedsrichter gewählt; und 
obwohl er viele Jahre hindurch unzählige Male des Amtes waltete, 
niemals hat er ſich dabei mit einer der Parteien verfeindet. 

Selbſt bei dem Kaiſer Galienus und der Kaiſerin Salonina 
ſtand Plotin in höchſten Ehren. Und faſt hätte der Kaiſer ihm 
erlaubt, eine zerſtörte Stadt Campaniens unter dem Namen 
Platonopolis wieder aufzubauen. Plotin ſelbſt mit allen ſeinen 
Freunden wollte ſich dort niederlaſſen, und ſie ſollte nach den 
Geſetzen Platon's regiert werden. Doch gelang es einigen am Hofe 
einflußreichen Männern, durch ihre kräftigen Gegenvorſtellungen 
die Genehmigung des etwas abenteuerlichen Planes zu hinter— 
treiben. ö 

Wollte man den Berichten des Porphyrius Glauben 
ſchenken, ſo hätten den Plotin nicht blos die Menſchen, ſondern 
auch die Götter durch beſondere Gunſtbezeigungen ausgezeichnet. 
Seine Contemplation ſoll ſich oft bis zur höchſten Stufe über— 
natürlicher Ekſtaſe erhoben haben. In den ſechs Jahren, in welchen 
Porphyrius mit Plotin verkehrte, wäre dieſer nicht weniger als 
viermal zur vollen Vereinigung mit der Gottheit gelangt, während 
Porphyrius ſelbſt ein ſolches Glück nur einmal in ſeinem Leben, 
und zwar im achtundſechzigſten Jahre ſeines Alters, erfahren 
haben will. 

Noch in anderen Beziehungen behauptet er eine wunderbare 
Bevorzugung ſeines Meiſters durch die überirdiſchen Mächte. 

Jeder Menſch hat nach der Schule Plotin's eine Art von 
Schutzengel, einen Dämon, der ihn geleitet. Aber Plotin's per— 
ſönlicher Schutzgeiſt ſoll kein Dämon, ſondern ein Weſen höheren 
Ranges geweſen ſein. Porphyrius erzählt als Beweis dafür fol— 
gende Begebenheit. Ein ägyptiſcher Prieſter, der Plotin in Rom 
beſuchte, verſprach ihm den Dämon zu zeigen, der ihn ſchütze. Die 
Beſchwörung fand im Tempel der Iſis ſtatt. Aber ſiehe da! ſtatt 
des Dämons erſchien ein Gott, der nicht mehr in die Gattung 


1 


der Dämonen gehörte. „Selig biſt du, o Plotin,“ habe da der 
Aegyptier gerufen, „der du ſtatt eines Dämons einen Gott haſt, 
und nicht aus einem geringeren Geſchlechte den Führer deines 
Lebens erloſteſt.“ „So,“ ſagt Porphyr, „hatte Plotin ſchon durch 
die Natur ſelbſt etwas vor den Uebrigen voraus.“ Freilich klingt 
es etwas verdächtig, wenn Porphyrius beifügt, dieſen Gott habe 
man damals weder etwas fragen, noch auch länger als einen 
Augenblick ſehen dürfen, weil, wie der Aegyptier ſagte, ein 
Freund, der mit dabei war, die (Opfer-) Vögel, die man ihm 
zum Aufheben in die Hand gegeben, erdrückt hatte, ſei es aus 
Neid, ſei es aus Schrecken. 

Ein anderes Mal ſoll der höhere Schutz, deſſen Plotin 
genoß, ſich gezeigt haben, als ein gewiſſer Olympius aus Alexandrien 
ihm mit Zaubermitteln nachſtellte. Dieſer mußte es erleben, daß 
alle ſeine Verſuche ſich gegen ihn ſelbſt kehrten. „Wehe!“ rief 
er zu ſeinen Gefährten, „die Seele dieſes Plotin hat eine ſo 
ungeheuere Macht, daß ſie die Schläge, die man gegen ſie 
richtet, ſofort auf den Angreifer zurückfallen läßt.“ Plotin aber 
ſagte zu derſelben Zeit denen, die mit ihm waren: „Jetzt wird 
Olympius der Leib wie ein Geldbeutel zuſammengeſchnürt, und 
alle ſeine Glieder reiben ſich aneinander.“ 

Noch ein ſtolzes Wort berichtet Porphyrius von ihm. 
Amelius hatte ihn aufgefordert, mit ihm zu der Stätte zu gehen, 
wo er den Göttern opferte. „Nicht meine Sache,“ entgegnete 
Plotin, „iſt es, zu ihnen, ſondern die ihrige, zu mir zu kommen.“ 
„Wie er aber dazu komme,“ fügt Porphyrius bei, „ſo Hohes 
von ſich zu ſprechen, das konnten wir weder ſelbſt uns erklären, 
noch wagten wir, ihn darüber zu fragen.“ 

Der Aſtrologie war Plotin nicht grundſätzlich feind. Er 
glaubte, unbeſchadet der Freiheit laſſe ſich das Schickſal der 
Menſchen in den Sternen leſen. Aber von denen, welche ſich 
als Aſtronomen rühmten, hätten viele die Kunſt nicht inne. 

Er ſelbſt hatte zuweilen auf andere und mehr unmittel— 
bare Weiſe einen Einblick in's Verborgene und in die Zukunft. 


. 


Einer Witwe, Namens Chione, die mit ihren Kindern im 
Haufe des Plotin wohnte, wurde eine koſtbare Halskette ent- 
wendet. Plotin ließ alle Sklaven und Hausgenoſſen verſammeln, 
ſchaute jedem Einzelnen in's Geſicht, und indem er dann auf 
einen von ihnen hinwies, ſagte er: Dieſer hat den Schmuck 
genommen. Der Burſche verlegte ſich auf's Leugnen, bis er end— 
lich, durch Schläge zum Geſtändniſſe gebracht, das geſtohlene 
Gut zurückgab. 

Ein anderes Mal ſagte Plotin von einem Knaben ſeine 
ſpäteren ſittlichen Ausſchweifungen und ſeinen frühen Tod voraus. 

Und von ſich ſelbſt erzählt Porphyrius, er ſei einſt mit 
dem Gedanken umgegangen, ſich den Tod zu geben; da habe 
Plotin ſeine geheimen Abſichten erkannt und ihn von ihrer Aus- 
führung zurückgehalten. 

Auch beim Tode des Plotin und nach demſelben fehlte es 
nicht an wunderbaren Zeichen. Er ſtarb 270 n. Chr. in einem 
Alter von 66 Jahren. Einem Magenleiden unterworfen, hatte 
er nur tägliche Reibungen dagegen angewendet. Da eine Peſt 
ausbrach und die Männer, welche ihm dieſen Dienſt zu leiſten 
pflegten, wegraffte, hatte dies für ſeine Geſundheit ſchlimme 
Folgen. Er wurde nach und nach contract an Händen und 
Füßen und verlor auch den Gebrauch der Sprache. Dies ver— 
anlaßte ihn, ſich aus der Stadt zurückzuziehen. Man brachte ihn 
nach Campanien, auf ein Landgut, das der Familie eines ver— 
ſtorbenen Freundes gehörte. Die Stunde ſeiner Auflöſung war 
nahe. Seine vertrauteſten Schüler, Porphyrius und Amelius, 
waren abweſend; der eine in Sicilien, der andere in Syrien. 
Sein treuer Arzt Euſtochius, der in Puteoli wohnte, eilte auf 
die Nachricht von ſeiner ſchweren Erkrankung zu ihm. Es war 
zu ſpät. Da Euſtochius eintrat, erlangte Plotin plötzlich die Gabe 
der Sprache wieder und rief dem Freunde entgegen: „Auf dich 
nur habe ich gewartet und ſtrebe jetzt das, was in mir göttlich 
iſt, zu dem Göttlichen, das im Weltall lebt, zurückzuführen.“ 
Mit dieſen Worten gab er ſeinen Geiſt auf. Bei ſeinem letzten 
Athemzuge, erzählt Porphyrius weiter, ſei ein Drache unter 


BE 


dem Bette, auf welchem Plotin lag, hervorgekommen und, 
nachdem er das Gemach durcheilt, in einer Maueröffnung ver⸗ 
ſchwunden. 5 


Amelius frug beim delphiſchen Orakel an, welches 
Schickſal der Seele des Verſtorbenen zu Theil geworden. Der 
Gott antwortete mit einundfünfzig hinkenden Hexametern voll 
ſchwülſtiger Lobpreiſungen. Plotin, heißt es darin, weile da, 
wo die Brüder Minos und Rhadamanthys, wo der gerechte 
Aeacus, wo Platon's heilige Kraft, wo der ſchöne Pythagoras 
ſammt allen jenen wohne, die bereits in den Chor unſterblicher 
Liebe eingegangen ſeien, gleichen Looſes theilhaft mit dem Ge— 
ſchlechte der ſeligſten Dämonen. 

Freuen wir uns dieſer für die Freunde unſeres Philo— 
ſophen gewiß ſehr tröſtlichen Offenbarungen, und wenden wir, 
über das Seelenheil des Mannes beruhigt, uns der Betrachtung 
ſeiner Lehre zu. 


Nicht ganz unvorbereitet treten wir an die Lehre Plotin's 
heran; aber freilich nicht ſowohl für ihr Verſtändniß, als 
auf ihre Un verſtänd lichkeit. Myſtiſches Dunkel und ein 
freies Schweifen der Phantaſie in unbekannten Regionen: das 
iſt, worauf jeder von uns gefaßt ſein wird. Und dieſe Er— 
wartung wird er reichlich beſtätigt finden ſchon in den wenigen 
Grundzügen, auf die ſich meine Darſtellung beſchränken wird. 
Denn lange Zeit Sie auf den Pfaden Plotiniſcher Specula⸗ 
tionen umherführen, hieße die Geduld meiner geehrten Hörer 
und Hörerinnen auf eine allzu harte Probe ſtellen. 

Auch das Leben Plotin's war abſonderlich. Es iſt in der 
That gleichſam eine Verkörperung ſeiner Lehre. Aber im Leben 
gewinnt Alles Farbe, wenn man ſie auch bei einem Leben, wie 
Plotin es führte, nicht wohl mit Goethe als grün und golden 
bezeichnen kann. Die Theorie dagegen, ſagt der Dichter, iſt 
grau, und die Speculationen Plotin's ſind ganz beſonders ein 
Reich der Schatten. 


15 


Auch dürften wir über das, was wir hinſichtlich der 
Lehre Plotin's vorzüglich zu erkennen wünſchten, aus ſeinem 
Leben allein ſchon hinreichenden Aufſchluß gewonnen haben. 
Keiner von Ihnen wird noch daran zweifeln, daß das Urtheil 
der Nachwelt ein gerechtes iſt, wenn es ſeiner Philoſophie jede 
wiſſenſchaftliche Bedeutung abſpricht. Als einen edelgeſinnten 
und für hohe Ideale begeiſterten Mann mögen wir Plotin 
bewundern: als einen ruhigen Beobachter von Thatſachen, oder 
auch als einen nüchtern berechnenden Verſtand, der mit logiſcher 
Schärfe die Conſequenzen zieht und Schritt für Schritt ſich von 
der Sicherheit oder Wahrſcheinlichkeit ſeiner Gedankenverbindungen 
Rechenſchaft giebt, — mit einem Worte als einen beſonnenen 
und in irgend welchem Sinne wahrhaft wiſſenſchaftlichen Forſcher 
werden wir ihn nicht gelten laſſen. 


Welches iſt das erſte Princip aller Dinge? — 


Iſt es etwas Körperliches? — ſo hatte Thales, jo hatte 
Demokrit es gefaßt. — Iſt es ein weltbildender Verſtand? — 
dafür hatte Ariſtoteles es erklärt. — Nach Plotin iſt beides 
unrichtig. 


Alles Körperliche hat Theile, iſt alſo eine Vielheit; und 
auch der Verſtand iſt eine Vielheit, denn er enthält in ſich die 
Zweiheit des Denkenden und Gedachten. Aber eine Vielheit 
kann das erſte Princip nicht ſein, da jede Vielheit eine Einheit 
vorausſetzt. Die erſte und höchſte unter allen Urſachen der 
Dinge iſt alſo weder etwas Körperliches noch ein göttlicher 
Verſtand, ſondern das ſchlechthin Eine. 

Was dieſes Eine ſei, vermögen wir nicht zu ſagen. Kein 
Name ſteht uns zu Gebote, der ſein Weſen entſprechend 
bezeichnete. Es iſt nicht Denken; es iſt nicht Sein. Nicht aber als 
ob es deshalb Mangel hätte: es überragt nur ſowohl Denken 
als Sein. Es iſt zu erhaben, um noch unter dieſe Begriffe 
zu fallen. 

Hier haben wir ſozuſagen den erſten Lehrſatz in dem 
Syſteme Plotin's und zugleich den erſten Fehlſchluß. 


— 


Jede Vielheit, ſagt er, ſetzt eine Einheit voraus. Iſt 
dieſe Behauptung unmittelbar einleuchtend? — In einem 
Sinne ohne allen Zweifel! — Als Theil iſt eine Einheit. für 
jede Vielheit Vorbedingung. Aber es handelt ſich ja in unſerem 
Falle um eine Vorausſetzung als wirkendes Princip. 
Und da erſcheint der Satz in keiner Weiſe als ſelbſtverſtändlich. 
Er müßte bewieſen werden. Und auf einer groben Verwechslung 
beruht es, wenn Plotin unterſchiedslos auch in dieſem Sinne 
das ndelbüre Zugeſtändniß fordert. 


Und noch einer zweiten Verwechslung macht er ſich hier 
ſchuldig. Das, was im Gedanken exiſtirt, verwechſelt er 
mit dem, was in Wirklichkeit beſteht. Sonſt hätte er nicht 
in dem Verſtande eine Vielheit (natürlich eine wirkliche Vielheit) 
finden können, nämlich die Zweiheit des Denkenden und Ge— 
dachten. Doch dieſer Fehler wird ſofort noch deutlicher hervor— 
treten und zu den tollſten Annahmen führen. Denn, was 
Plotin eben geſagt, erſcheint noch klar und verſtändig geſprochen, 
verglichen mit dem, was ſich unmittelbar daran anſchließt. 

Es folgt die Lehre von der göttlichen Trias und der 
Schöpfung der niederen Welt. g 

Alles geht nach Plotin aus der unendlichen Kraft des 
Einen hervor. Aber in einer Reihe ſich folgender Procefje. 
Zunächſt und unmittelbar entſpringt aus ihr ein zweites gött⸗ 
liches Princip, der Verſtand, und aus ihm ein drittes, die 
Weltſeele. Von dieſer erſt wird die ſinnliche Welt hervor— 
gebracht. 

Betrachten wir kurz jede einzelne Stufe der Entwickelung. 

Der göttliche Verſtand umfaßt ſelbſt eine Welt. Er erzeugt 
und trägt in ſich die Ideen aller Dinge. Und dieſe Ideen ſind 
nicht weſenloſe Gedanken. Was der göttliche Verſtand denkt, 
das iſt wahr und wirklich. Und ſo ſind denn die Ideen 
nicht weniger ſeiend als die Dinge, deren Ideen ſie ſind, 
ſondern mehr als ſie. Sie ſind das wahrhaft Seiende. Jede Idee 
iſt ſelbſt ein lebendiger Geiſt und ein göttliches Weſen. Der 


— 17 


göttliche Verſtand, der die Idee der Ideen iſt, iſt ein Geiſt von 
Geiſtern, ein Gott, der eine Fülle von Göttern in ſich begreift. 
— Ganz Aehnliches lehrt Plotin von der Weltſeele. Wie der 
Verſtand die Ideen oder Götter, ſo erzeugt und trägt die Welt— 
ſeele die Seelen in ſich. Und er ſagt, die einzelnen Seelen ſeien 
von einander und von der Weltſeele verſchieden, zugleich aber, da 
ſie in der Weltſeele ſeien, auch eines mit ihr und unter ſich. 
Schneidender können Widerſprüche nicht fein. Aber Plotin 
läßt ſich nicht dadurch beirren, oder vielmehr ſelbſt durch ſie 
wird er nicht auf die arge Begriffsverwechslung aufmerkſam, 
deren er ſich abermals ſchuldig machte, indem er Wahrheit im 
Sinne der Richtigkeit des Denkens und Wahrheit im Sinne 
der Wirklichkeit confundirte. Die Richtigkeit des Denkens muß 
im Verſtande ſein, die Wirklichkeit des Gedachten muß es nicht. 

Doch hören wir weiter. 

Die Weltſeele hat eine doppelte Wendung, nach Oben und 
nach Unten. Nach Oben zum göttlichen Verſtande gekehrt, hat 
ſie in ſich die Seelen erzeugt, und jeder Idee im Verſtande ent— 
ſpricht in ihr eine Seele. Plotin bezeichnet die Weltſeele wegen 
dieſer Wendung nach Oben als himmliſche Aphrodite. 
Die Weltſeele wendet ſich aber auch nach Unten, zur Welt der 
körperlichen Dinge, und in dieſer Hinſicht heißt ſie die Natur. 

Die Körperwelt iſt weit unvollkommener als die Weltſeele, 
aus der ſie ihren Urſprung nimmt, wie überhaupt das, was 
ausgeht, nie jo vollkommen iſt, als das, woraus es entſpringt. 
Das unnennbare göttliche Urprincip iſt nur Einheit, der Ver— 
ſtand und die Weltſeele ſind Einheit und Vielheit zugleich. 
Die Körperwelt iſt Vielheit ohne Einheit. Und wegen dieſes 
Mangels an Einheit iſt ſie einerſeits unvermögend, ein neues Reich 
von Weſen hervorzubringen, und andererſeits unfähig jeglicher Er 
kenntniß. So ſchließt mit der Weltſeele das Reich des Lichtes 
ab. Die ſinnliche Welt, das ſchlechthin letzte Glied der Kette, 
iſt das Reich des Dunkels. 

Blind aufeinander wirkend, würden die körperlichen Dinge, 
ſich ſelbſt überlaſſen, ein Chaos darſtellen. Da wendet die 


Brentano, Was für ein Philoſoph manchmal Epoche macht. 2 


— een: 


Weltſeele fürſorgend ſich zu ihnen hinab und führt Alles zu ver⸗ 
ſtändiger Ordnung. 

Fehlerfrei und mühelos iſt das Walten ihrer Vorſehung. 
Sie herrſcht in der Welt mit königlicher Gewalt, ohne im Ge— 
ringſten ihrerſeits in eine Abhängigkeit von ihr zu gerathen. 
Nicht die Weltſeele, ſagt Plotin, iſt in der Körperwelt, ſondern 
die Körperwelt iſt in der Weltſeele, ja (genau geſprochen) nur 
in einer Seite von ihr, in jener nämlich, vermöge deren ſie als 
Natur mit ihrer Kraft und Herrſchaft dem Körperlichen zu— 
gewandt iſt, nicht in der anderen, vermöge welcher ſie, nach Oben 
gekehrt, als himmliſche Liebe die Welt der Ideale nach— 
bildet. 

Aber wie verhält es ſich mit der Einzelſeele? Wie iſt ſie 
mit ihrem Leibe verbunden? und welches war die Urſache, die 
ihre Vereinigung mit ihm bewirkte? 

Hier ſtoßen wir auf einen Punkt, wo unſer Philoſoph wieder 
einmal ganz beſonders myſtiſch wird. 

Das Herabſteigen der Einzelſeelen in das Reich des Sinn— 
lichen, lehrt er, liegt im Plane der Vorſehung. Die Vollkommenheit 
der körperlichen Welt verlangt dasſelbe weſentlich, und es geſchieht 
nach nothwendig en Geſetzen. 

Aber die Prädeſtination von Seite der Weltſeele ſchließt 
nicht auf Seite der Einzelſeele die Freiheit aus. Die Einzel— 
ſeelen in ihrem überſinnlichen Zuſtande blicken nieder. Sie 
ſchauen ihre körperlichen Abbilder, und von Liebe zu ihnen erfaßt 
wollen ſie für dieſelben Sorge tragen. 

So ſteigen ſie zunächſt in den der idealen Welt benach— 
barten und beſten Ort der ſichtbaren Welt, den Himmel. Hier 
nehmen ſie einen himmliſchen Körper an, und mittels ſeiner 
gehen ſie in den irdiſchen Körper ein, jede in den ihr ent— 
ſprechenden. 

Doch nicht eigentlich die Seele wird in den Leib, ſondern der 
Leib in ſie aufgenommen. Ihre Vereinigung iſt ganz ähnlich 
zu denken wie die der Weltſeele mit der Geſammtheit der 
Körperwelt. 


19 


Nichtsdeſtoweniger beſteht ein großer Unterſchied zwiſchen 
dem Zuſtande der Weltſeele, die dem ſinnlichen Univerſum, und 
dem Zuſtande der Einzelſeele, die ihrem Leibe vorſteht. Die 
Weltſeele hat die Körperwelt geſchaffen. Sie herrſcht darum 
vollkommen unbeſchränkt durch irgend etwas, was ihr als fremdes 
Werk gegenüberſteht. Die Einzelſeele dagegen lenkt einen Körper, 
der nicht ihr ſelbſt entſprungen iſt, und indem ſie ihn beherrſchen 
will, wird ſie darum gleichzeitig abhängig von ihm. 

So tritt eine Aenderung ihrer Functionen ein; das vege— 
tative Leben, Empfindung, Luſt und Unluſt, Begierde, Zorn, 
Sinneswahrnehmung, — lauter Thätigkeiten, bei welchen ſie an 
den Leib gebunden iſt, treten an die Stelle des Denkens. In 
mannigfachſter Weiſe wird ſie von ihrem Leibe in Anſpruch ge— 
nommen, der ja zerſtörenden Wirkungen unterworfen iſt. Und 
je mehr ſie ſich mit ihm abgiebt, um ſo mehr wird ſie ihm 
ganz innerlich. 

Hatte ſie vormals in Einheit mit der Weltſeele, leidlos 
und gleich vollendet wie ſie, den Himmel und das Univerſum 
verwaltet, ſo wird ſie jetzt, nachdem ſie ſich der Sorge für das 
Einzelne hingab, mehr und mehr vom Ganzen und Allgemeinen, 
und ebenſo vom Idealen entfernt. 

Darum war ihr Herabſteigen in den Leib ein wahrer 
Verluſt für ſie, in den ſie nie hätte willigen ſollen. Es war 
für ſie die Verſenkung in einen Kerker, ein Fall aus lichter 
Höhe in Grabesnacht. Was als Fügung der Weltſeele weiſe 
und vollkommen gerechtfertigt erſcheint, das muß, als Handlung 
der Einzelſeele betrachtet, im höchſten Grade mißbilligt werden. 
Schuldig wird der Menſch geboren, und wohlverdient erſcheint 
das mannigfache Yeid, das ihn trifft. 

Und die erſte Schuld zeugt weiter. Die Seele ſchwebt 
in der höchſten Gefahr, ſich in ihrer Liebe immer mehr noch 
in das Sinnliche zu verlieren. Und ſo finden wir ſie that— 
ſächlich auf böſen Wegen. Uneingedenk ihres göttlichen Urſprunges, 
und ihrer inneren Hoheit vergeſſend, ehrt ſie das Verächtlichſte. 

Da bedarf es der Bekehrung. 


8 * 


— 0 


Der Seele, die jo Vieles verlor, Eines iſt ihr geblieben: 
ihre Freiheit. 

Einige benützen dieſe Freiheit zur Hingabe an die Luſt; 
Andere wenden ſich zur Tugend des praktiſchen Lebens; Andere 
endlich verweilen, alles Irdiſche gering ſchätzend, betrachtend dort, 
wo ihr wahres Vaterland iſt. Sie haben den beſten Theil erwählt. 

Die höchſte Stufe der Betrachtung iſt die Ekſtaſe. In 
der Ekſtaſe findet die Seele ſich ſelbſt wieder; ja ſie erhebt 
ſich noch über ſich empor. Und wenn der höchſte Gipfel der 
Ekſtaſe erſtiegen wird, ſo reicht die Seele nicht etwa blos an 
den die Weltſeele überragenden göttlichen Verſtand, ſondern an 
den erſten, eigentlichen Urſprung, an das Einig-Eine ſelbſt hinan. 

Sinnliche Bilder leiſten hier keine Dienſte. Auch das 
höhere Denken giebt kein Licht. Es iſt noch Vielheit und Be— 
wegung. Die Seele muß unbewegt ſein, wie das Eine ſelbſt 
es iſt, um ſich mit ihm zu verbinden. Alles ruht und ſchweigt 
in ihr, wenn das höchſte Vermögen, welches gleichſam der 
Mittelpunkt der Seele iſt, der Einheit ſich vermählt. Es iſt 
dies Erkennen der Einheit kein Schauen; es iſt Verzückung, 
Berührung, Vereinfachung der Seele bis zum Einen. 

Alles frühere Erkennen, auch das der Ideen, war nur 
Vorbereitung: dies iſt Ziel, dies iſt Seligkeit. Die Seele 
iſt ſozuſagen Gott geworden und umtanzt ihn mit unendlichem 
Entzücken in gottinnerlichem Reigentanze. 

Freilich kann ſie nicht immer hier verharren, fo lange ſie 
noch mit den Feſſeln des Leibes belaſtet und an das Irdiſche 
gekettet iſt. Nur in ſeltenen Augenblicken wird den beſten, 
weiſeſten, göttlichſten Menſchen die Vereinigung mit dem höchſten 
Gute zu Theil, und erſt das Jenſeits, wo jede körperliche 
Störung wegfällt, vermag in bleibender Weiſe ſie zu geben. 


Ich habe den Gedankenlauf Plotin's nicht weiter unter— 
brochen. Nur bei den erſten Schritten zeigte ich durch ein 
paar Worte der Kritik, wie ſchon hier alle Bahnen vernünftiger 
Forſchung verlaſſen werden. 


41 
ane 


un 2 


Wie die erſten Schritte, fo iſt der ganze Weg. Es bedurfte 
für ihn keiner weiteren Bemerkung. 

Ein Reichthum von Behauptungen iſt in der Lehre: aber 
ein gänzlicher Mangel an Beweiſen. In einem einheitlichen 
Styl iſt der Bau künſtleriſch ausgeführt: aber er iſt kein Syſtem 
mit wiſſenſchaftlicher Methode. Und nicht auf feſter Grundlage 
erhebt er ſich: ſondern wie eine Fata morgana ſchwebt er in 
den Lüften. In jeder Hinſicht wird der Vernunft Unmögliches 
zugemuthet: das Unerkennbarſte ſoll ſie erkennen und denken, 
was am meiſten undenkbar iſt. Dröhnend prallen oft die 
Widerſprüche aneinander: aber das Alles paßt recht wohl in 
das Ganze der ſchwärmeriſchen Muſik, die unſer Hirn in 
Taumel ſetzt. 

Und das konnte ein Mann von der Bedeutung Plotin's 
für ſichere Erkenntniß halten! — und das vermochten Hunderte 
und Tauſende begabter Menſchen als Ueberzeugung ſich eigen 
zu machen! ja auf ein ſolches Syſtem wollten ſie wie 
auf ein unerſchütterliches Fundament ihr ganzes Leben gründen! 
Das ſcheint unbegreiflich und ein unlösbares Räthſel. 

Doch die Geſchichte bietet den Schlüſſel zu Vielem. 

Die Geſchichte der Philoſophie zeigt uns wiederholt Zeiten 
des Verfalles, und dieſer Verfall iſt ein allmäliger und erfolgt 
nach feſten Geſetzen. 

Immer finden wir zunächſt eine Abnahme oder Trübung 
des wiſſenſchaftlichen Intereſſes, und in Folge davon verflacht 
die Philoſophie und verliert den Charakter ſtrenger, wiſſenſchaft— 
licher Forſchung. 

So war es im Alterthum zur Zeit der Stoiker und 
Epikureer. Mannigfache Umſtände führten dahin, daß das 
praktiſche Intereſſe das theoretiſche überwog und verdrängte. 
In der Stoa und bei Epikur herrſcht faſt ausſchließlich die 
Ethik. Aber die Wurzeln der praktiſchen Disciplinen liegen in 
den theoretiſchen; und wenn dieſe ohne Nahrung ſind, jo können 
auch jene nicht gedeihen. Darum war die Zeit der Stoiker 


und Epikureer eine Zeit des Niederganges der philoſophiſchen 
Forſchung überhaupt. 

Doch dies war nur ein erſtes Stadium des Verfalles, 
das mit Nothwendigkeit zu einem zweiten führte. Die Herrſchaft 
eines unberechtigten Dogmatismus drängt in der Wiſſenſchaft 
zum Skepticismus, wie in der Politik die Herrſchaft rechtloſer 
Willkür zur Revolution und Anarchie. Die neuere Akademie und der 
Pyrrhonismus waren die ſkeptiſchen Syſteme, die, alle ſichere Er— 
leuntniß leugnend, nunmehr zu Anſehen und Verbreitung gelangten. 
Und auch die Eklektiker, wie z. B. Cicero, waren vom Geiſte 
des Skepticismus durchdrungen. 

Aber die Skepſis kann den Menſchen nie befriedigen; er 
hat einen Drang nach Wiſſen, und wo der Skepticismus und 
die Verzweiflung an der Erkenntniß herrſchend geworden ſind, da 
ſieht man ihn zu einem krankhaften Heißhunger ſich ſteigern. 
Dieſer, plötzlich hervorbrechend, führt nun zu einer Reaction, 
die jedes Maß überſchreitet. Unvermittelt, oder im Gefolge 
einer Gedankenverbindung, die keine vernünftige Vermittelung 
zu nennen iſt, ſieht man die kühnſten Behauptungen auftreten. Zu 
den unnahbarſten Höhen wähnt man ſich erſchwingen zu können; 
ja man glaubt, man habe ſie erreicht, und füllt mit den will— 
kürlichſten Annahmen die weiten Lücken der Erkenntniß aus. 

So war es zu der Zeit, in welche das Leben des 
Plotinus fällt. ö 

Dieſelben krankhaften Dispoſitionen hatten ſchon die judai— 
ſirenden Platoniker wie Philo und Numenius und die ſogenaunten 
Neupythagoräer hervorgerufen. Das neuplatoniſche Syſtem 
ſo pflegt man die Lehre zu nennen, die Plotin begründete 
war nur die großartigſte Geſtalt, in welcher das damalige 
Streben Ausdruck gewann; und darum fanden in ihm vorzüglich 
eine Menge hervorragender Perſönlichkeiten Befriedigung. 

Die neuplatoniſche Philoſophie war alſo in gewiſſem Sinne 
allerdings zeitgemäß; ſie war den Dispoſitionen ihrer Zeit ent— 
ſprechend: aber ſie war darum nicht weniger Verfall und allen 
wiſſenſchaftlichen Werthes baar und ledig. 


5 


* 
19 


1 


8 


Aber wenn dem ſo iſt, warum habe ich ſo lange Ihre Auf— 
merkſamkeit dafür in Anſpruch genommen? — Etwa aus reiner Yieb- 


haberei an Antiquitäten, die ſelbſt auf antiquirte Syſteme ſich erſtreckt? 


— Nein! eine ſolche iſt nicht meine Sache. Aber ich glaube, daß der 
Blick auf den Neuplatonismus und ſeine Erfolge für die Gegenwart 
in hohem Maße lehrreich iſt. Auch die neueſte Zeit hatte 
und hat ſogenannte epochemachende Philoſophen, 
und nicht Wenige glauben, ſchon die Größe ihres 
Anhanges beweiſe, daß bei ihnen vorzüglich Be— 
lehrung und Weisheit zu finden ſei. Wer die Er— 
folge des Neuplatonismus kennt, der weiß, wie 
wenig dieſer Schluß gerechtfertigt iſt. Ja, wenn 
man ſieht, wie auch in der modernen Philoſophie 
auf die Speculationen der erſten großen Denker 
eine Zeit ſeichter Aufklärung, und auf dieſe eine 
Zeit der Skepſis, und auf die Skepſis, erſt in den 
letzten Decennien, eine mächtige Reaction folgte, 
welche der höchſten und abſoluteſten Erkenntniß 
ſich rühmte: ſo wird man noch mehr zur Vorſicht 
ſich gemahnt fühlen, damit man nicht, von eitlem 
Scheine verlodt, in den labyrinthiſchen Gängen 
einer Pſeudophiloſophie ſich verliere. 

Der beſte Prüfſtein des Werthes einer Speculation iſt der 
Vergleich ihrer Forſchungsweiſe mit der Methode, welche in 
anderen, minder ſchwierigen und darum vorgeſchritteneren Wiſſen 
ſchaften angewandt wird. 

Das haben bereits Viele erkannt. Und in der That ſchien 
es einen Augenblick, als ob durch den Einfluß der Naturwiſſen 
ſchaft die Philoſophie der Willkür ihres unberechtigten Anſehens 
entkleidet worden ſei. Aber gewiſſe Zeichen deuten darauf hin, 
daß die Krankheit fortdauert, und daß noch immer Philoſophen 
Epoche machen können, die in ihrer Natur ſich von den Kory 
phäen der jüngſten Vergangenheit nicht merklich unterſcheiden, 
wenn ſie nur, wie der Wolf der Fabel, der in den Schafspelz 
kroch, inſoweit dem erwachenden Sinne für empiriſche Begründung 


N 


— 24 — 


Rechnung tragen, daß ſie ein angenehmes Vielerlei von 
Thatſachen zuſammenflicken und ihr Syſtem äußerlich damit um⸗ 
kleiden. Zu einer eigentlich wiſſenſchaftlichen Verwerthung der 
Thatſachen, wobei die wahren Regeln der Induction beachtet 
werden, kommt es dabei nicht. 

Soll ich Namen nennen? — Nein, das will ich mir er— 
ſparen. Nomina sunt odiosa. Und ſelbſt unter meinen 
geehrten Zuhörern könnte vielleicht der eine oder der andere ſich 
beleidigt fühlen. Denn die epochemachenden Philoſophen der 
Gegenwart, wie ſollten ſie nicht auch in dem hier verſammelten 
Kreiſe von Freunden der Speculation Anhänger zählen? Gewiß 
aber wäre es ſchlechte Sitte, wollte ich zum Danke für die 
Freundlichkeit, mit welcher Sie mich bisher begleiteten, in einem 
meiner Zuhörer oder gar einer meiner geehrten Zuhörerinnen die 
Gefühle der Sympathie mehr verletzen, als es die Rückſicht auf 
den allgemeinen Nutzen unbedingt zu erheiſchen ſcheint. 


A. Hartleben's Verlag in Wien, Peſt und Leipzig. 
Dang 


a gemeinmühiger popnlär-willenfchaftlicher Vorträge, 
2. Heft. 


Fauldeckungen 


Gebiete Ser geiſtigen Verrichtungen 
des 


Centtalnervenſüſlems. 


Mündlicher Vortrag 
gehalten 
in dem unter dem Protectorate Sr. k. k. Hoheit des Kronprinzen Rudolf ſtehenden 
Techniſchen Inſtitute „Nudolſinum“ und im Lehrervereine „Die Volksſchule“, 
in den Sälen des k. k. Pädagogiums 
von 


Dr. Joſef Raith. 
2 Bogen. Geheftet. Preis 25 kr. 5. W. = 50 Pf. 


Die Errungenſchaften, deren der menſchliche Geiſt, durch die ſtaunens— 
werthe Zunahme neuer Entdeckungen bisher dunkler Erſcheinungen ſowohl im 
allgemeinen Naturleben als auch in der Pſychophyſik des Menſchen ſelbſt ſich 
erfreut, erweckten die bereits brennende Begierde jedes Gebildeten, ſich über das 
Weſen und die Kraft des Geiſtes Aufklärung zu verſchaffen. 

Dieſem Wunſche entſprechend, wählte der Verfaſſer zu ſeinem populären 
Vortrag das zeitgemäße Thema: „über Entdeckungen im Gebiete der 
pſychiſchen Functionen des Centralnervenſyſtems.“ 

In dem Abſchnitt: Wiſſenſchaftliche Beſtrebungen wird auf die vielſeitigen 
Hinderniſſe hingewieſen, durch welche die Vertreter der alten Dogmen jeden Fort— 
ſchritt der Wiſſenſchaften jederzeit zu unterdrücken ſtrebten. 

In Kürze find die pſychiſchen Functionen der einzelnen Gehirnorgane 
in einer, ſelbſt für jeden Laien leicht faßlichen Redeweiſe dargeſtellt. 

Die Entwicklung der Geiſtes fähigkeiten iſt in natürlicher Stufenreihe, von 
der unbewußten Wahrnehmung an bis zur höchſten Intelligenz erläutert; mit 
beſonderer Sorgfalt wird das Weſen des Gedächtniſſes und Verſtandes beleuchtet. 

Das Ganze gipfelt in der Aufitellung eines ethiſch aſthetiſchen Lebens- 
prineipes, das auf keine ſchwankenden dogmatiſchen Gründe ſich ſtützt, ſondern 
aus dem Selbſt des Menſchen hervorgeht, dem Menſchen die Macht der Selbit: 
beherrſchung und die höchſte Menſchenwürde verleiht. 

Zum Schluſſe findet der Leſer die kurze Anleitung, wie der Menſch auf 
ganz kunſtloſem, nur mechaniſchem Vorgange von Stufe zu Stufe zur höchiten 
Vollkommenheit emporzuſteigen und ſich auf derſelben zu erhalten vermag. 


A. Hartleben's Verlag in Wien, Peſt und Leipzig. 


. Gartleben’s Verlag in Wien, Pen und Leib 


gemeinnütziger populäcswifenfchaftlicher Vortt 
| In zwanglofen Heften. 


Die Methode, ſämmtliche Zweige des menſchlichen Wiſſens auf dem 
populär gehaltener Vorträge dem großen Publikum zugänglich zu machen, 
in demſelben Maße wachſenden Anklang, in welchem die Anzahl ſolcher Vo 
ſich mehrt und deren Gebiet nach jeder Richtung ſich erweitert. Der ( 
dieſer Erſcheinung liegt in dem ſich ſtets ſteigernden Wiſſensdrange in 
Schichten der Geſellſchaft und in der naturgemäßen Urſache, daß Mittheil 
jeder Art durch das lebende, geſprochene Wort, durch die geflügelte For 
Rede viel leichter im Geiſte und Gemüthe ihren Eingang und Verſte 
finden als durch den trockenen Buchſtaben. 

Trotz dieſer unwiderlegbaren Thatſache giebt es mancherlei Gründe, 
uns die Verbreitung und Verallgemeinerung von populär-wiſſenſchaftlichen 
trägen durch den Druck, wie ſie die vorliegende Unternehmung anſtrebt 
ſchenswerth erſcheinen laſſen, und mehrere derſelben ſeien hier angefü 
nicht Jedermanns Sache, einen mündlichen Vortrag in allen ſeinen 
jener geiſtigen Sammlung zu verfolgen, welche unbedingt nöthig iſt, 
haltenden Nutzen aus demſelben ſchöpfen zu können; nicht jedem Vortra 
die Gabe verliehen, ſein Auditorium durch die Form ſeiner Redeweiſe zu fe 
endlich ſind Viele durch räumliche Hinderniſſe, Zeitmangel und andere Ur 
verhindert, trotz des lebhaften Verlangens und Wiſſensdurſtes, den meiſt r 
größeren Städten gehaltenen populär⸗-wiſſenſchaftlichen Vorträgen beizuwe 
Dieſen, ſowie der nicht minder großen Zahl Derjenigen, welche einen mit! 
eſſe gehörten Vortrag gern auch der Erinnerung einprägen oder zu we 
Studium benutzen möchten, glaubt die unterzeichnete Verlagshandlung 
Veranſtaltung vorliegender Sammlung gemeinnütziger populär-wiſſen 
licher Vorträge eine willkommene Gabe zu bieten und zählt hierbei a 
Unterſtützung der Vortragenden, wie auch der nach vielſeitiger Bildung ſt 
den Leſewelt. N 

Wir ſehen uns ſchon gegenwärtig in den Stand geſetzt, eine eb 
reiche, als anregende Folge von Aufſätzen in Vortragsform aus allen Ge 
der populären Wiſſenſchaft mit Zuverſicht verſprechen zu können. 

Die Geographie mit ihren Zweigen, die Naturlehre, Aſtronomie 
ſchichte und Biographie, die Philoſophie, Culturgeſchichte ſollen mit Vor 
auf arzneiwiſſenſchaftlichem, pädagogiſchem, botaniſchem, volkswirthſchaft 
und pſychologiſchem Gebiete abwechſeln, Vorträge aus dem Bereiche der K 
Titeratur und der Gewerbe find in Ausſicht genommen, und werden 
ſociale und finanzielle Fragen ihre Aufnahme in unſere Sammlung f 

Das vorgeſteckte Ziel der Verbreitung edel populären Wiſſens im 
behaltend, ſoll unſer Streben vor Allem dahin gerichtet ſein, das J 
Freunde dieſer Sammlung durch eine gewählte und gediegene Auswahl 
Vorträge lebendig zu erhalten, und rechnen wir auf eine allſeitige und I 
Unterſtützung unſerer Unternehmung. 7 


a. Hartleben's Verlag in Wien, Peſt und Keipzig. 


6 Beiträge zur Erweiterung dieſer Sammlung werden 
entgegengenommen und angemeſſen honorirt. Zug 


Gottlieb Giſtel & Co., Wien, Stadt, Auguſtinerſtraße 12. 


> . n 0 
8 . Br a * FEN ur al 


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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY 


Brentano, Franz Clemens 
Was fur ein Philosoph 
manchmal Epoche macht 


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M3IASNMOG IV 1.