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WAS IST SYNTAX?
EIN KRITISCHER VERSUCH
VON
JOHN EIES.
«Fruchtbare Umf^estaltung einer
Theorie ist nicht möglich ohne die
gründlichste Kritik derselben.*
(Steinthal.)
MARBURG.
N. G. ELWERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG.
1894.
Vorwort.
Der vorliegende Versuch ist erwachsen aus der Beschäf-
tigung mit einigen neueren Arbeiten auf dem Gebiete der
deutschen Syntax, deren Besprechung mir übertragen worden
war. Erwägungen allgemeinerer Art über Wesen und Aufgabe
der Syntax, über Auswahl und Anordnung ihres Stoffes konnten
in jenen Anzeigen nur zum kleinsten Teile Raum finden;
manches davon aber, was dort ganz übergangen werden musste
oder nur angedeutet werden konnte, schien mir weitere Aus-
führung und Begründung zu verlangen. So schrieb ich den
Kern der folgenden Arbeit im Anschluss an jene Recensionen
nieder, zunächst nur für mich selbst, um den Gedankengang
festzuhalten. Zur Ausarbeitung und Veröffentlichung habe ich
mich erst mehrere Jahre später entschlossen und zwar aus
zwei Gründen.
Bei dem entschieden ablehnenden Standpunkt, den ich
dem besonders von Miklosich und Erdmann vertretenen System
gegenüber einnehme, musste ich in seiner wachsenden Beliebt-
heit geradezu eine Gefahr für die gedeihliche Fortentwicklung
der syntaktischen Forschung erblicken. Darum erschien es
mir nicht überflüssig, meine Einwände gegen dies System im
Zusammenhang vorzutragen und ausführlicher zu begründen,
als das im Rahmen kritischer Anzeigen möglich ist.
Der zweite Grund war der eigentlich entscheidende. Eine
der von mir besprochenen Arbeiten folgte einem andern, dem
eben erwähnten entgegengesetzten System. Auch die gegen
IV
dieses sprechenden Bedenken hielt ich für zu erheblich, als
dass ich seine Anwendung hätte befürworten mögen; ein
System aber, dem ich völlig zustimmen konnte, fand ich in
der Litteratur nicht vertreten, sodass es unmöglich war, durch
einfachen Hinweis anzugeben, welche Art der systematischen
Behandlung ich für empfehlenswert hielt. So wollte es mir
gewissermassen als eine wissenschaftliche Pflicht erscheinen,
nicht bei der ablehnenden Kritik stehen zu bleiben, sondern
positiv auszusprechen, was ich an Stelle der getadelten Systeme
zu setzen wünschte, und eingehender darzulegen, wie ich den
Begriff Syntax verstanden, ihren Stoff begrenzt, behandelt und
geordnet wissen wollte.
Demgemäss zerfällt die folgende Abhandlung in zwei Teile :
einen specielleren, rein kritischen, der die üblichen syntaktischen
Systeme einer Prüfung unterzieht, und einen allgemeineren,
der, ausgehend von der Kritik des Verhältnisses der Syntax
zu den übrigen Teilen der Grammatik, zu positiven Ergebnissen
zu gelangen sucht.
Dieser Versuch will und kann nicht den Anspruch machen,
zu einer abschliessenden Lösung so verwickelter und schwie-
riger Fragen geführt zu haben. Er hat seinen Zweck erreicht,
wenn er etwas zu ihrer Klärung beiträgt und zu erneuter
Prüftmg und Erörterung anregt. HoflFentlich hilft er wenigstens
die gar zu beliebte einfache Nachahmung eindämmen, die sich
der Kritik ihrer Vorbilder überhoben glaubt und glauben darf,
wenn diese in Ermangelung entschiedenen Widerspruchs die
Geltung anerkannter Muster erlangen.
Prof. Edward Schröder, der in stets dienstbereiter Freund-
schaft meiner kleinen Schrift seine fördernde Teilnahme zuge-
wandt hat, sei auch an dieser Stelle mein herzlichster Dank
wiederholt
Colmar i. E., Oktober 1893.
Der Terfiasser.
^
Inhalt.
Es giebt keine allgeraein gültige Definition von Syntax; die Ver-
schiedenheiten in der Auffassung sind bedeutend und hinderlich 1 ; zumal
in der Germanistik 2. Langes Urteil über die syntaktischen Systeme noch
heute zutreffend. Mängel der syntaktischen Systeme hängen zusammen
mit Mängeln im System der Gesamtgrammatik 3. Diese erklären sich
daraus, dass die wissenschaftliche Behandlung der Grammatik verhältnis-
mässig noch jung ist 5, aus dem hemmenden Einfluss der Überlieferung 6
und der praktischen Zwecke, denen die Grammatik so lange dienstbar
war 7.
I. Die drei Haaptarten syntaktischer Werke . . . 9—61
Die Hauptrichtungen in der syntaktischen Litteratur 9.
Die Mischsyntax 11—18
Ungleichartigkeit des Stoffes und der Behandlungsweise. Hineinspielen
der Logik 11 und der am Studium anderer Sprachen gewonnenen syn-
taktischen Anschauungen 12. Darstellung oft zu abhängig vom Gange
der Untersuchung ; bedenklich zumal bei negativen Ergebnissen 13. Gruppe
der Mischsyntax nicht einheitlich; ihr Gemeinsames nur die Systemlosig-
keit 15. Verschiedener Standpunkt der Verfasser von Werken der Misch-
syntax gegenüber den systematischen Fragen 16. Mischsyntax ist grund-
sätzlich zu verwerfen 17. Um ihr zu entgehen, ist es nötig, einen Teil
ihres Stoffes auszuscheiden; Wahl möglich zwischen den beiden verschieden-
artigen Hauptbestandteilen der Mischsyntax 18.
Das System Miklosigh 19 — 45
MiKiiOsicHs Definition 19. Gegensatz zur Mischsyntax, zur BscKEsschen
Richtung ; Ebdmanns Stellungnahme 20. Gegensatz zu Becker hat Miklosigh
mit andern gemein. Ist Miklosichs Anordnung »altbewährt«? 21. Die
Eigenart des Systems liegt in der ungewöhnlich konsequenten Durch-
führung der Anlage 22. Folgen dieser Eonsequenz; Vorzüge; Mängel.
Ebdmanns Verteidigung des Systems 23. Kritik derselben 24. Widerspruch
gegen Becker führt nicht notwendig zum System Miklosigh: Verwechs-
VI
lung der Methode der Forschung mit der Anordnung und der Art
der Darstellung 26. Verwechslung der Methode der Forschung
mit ihrem Objekte 27. System Miklosich ein Rückschritt 28. Unter-
schiebung von ^Wortform* an Stelle von ^Sprachform' ; daher leidet
MiKLOsicHS Definition an zwei Hauptfehlem: sie ist zu eng und zugleich
zu weit. Zu eng: kein Platz für Behandlung der Grundfragen und
mehrerer wichtiger B[apitel der Satzlehre 29. Miklosich erhebt die alt-
überlieferte imvollkommene Praxis zum Prinzip; Folgen davon 31. Die
musikalischen Mittel der Satzbildung werden vernachlässigt; ohne diese
zu berücksichtigen, ist es z. ß. unmöglich, zwischen selbständigen und
unselbständigen Sätzen in den germanischen Sprachen zu scheiden. Kebns
Lehre von den Kennzeichen des deutschen Nebensatzes 32. Kritik der-
selben 33. Vernachlässigung der Wortstellungslehre 36. Der Erfolg des
Systems Miklosich eine Gefahr für die Fortentwicklung der syntaktischen
Forschung. Sowohl Miklosich als seine Nachfolger fühlen selbst, dass
ihre Definition zu eng ist; sie gehen über die selbstgezogenen Grenzen
hinaus 37. Miklosich in Anhängen 38, Erdmann durchweg; er bietet
stofflich mehr, aber die Disposition leidet Schiffbruch. Miklosich und
Ebdüann behandeln innerhalb desselben Systems dieselben Gegenstände
an verschiedenen Stellen 39. Erdmanns Behandlung der Nebensätze ohne
einleitendes Wort 40, der Wortstellungslehre 42. Schbrers Vorschläge
zur Ergänzung des Systems; Kritik derselben 43. Zusammenfassung 44.
Syntax als Satzlehre 45—61
Der diesem System — dem Gegenteil des Systems Miklosich — zu
Grunde liegenden Auffassung ist im allgemeinen zuzustimmen 45. Die
völlige Gleichsetzung von Syntax und Satzlehre hat viel Bestechendes,
erregt aber doch Bedenken; prinzipieller Art 46. Die Begriffereihe Laut
— ^Wort — Satz ist fehlerhaft. Unterschiebung von ^Satz' an Stelle von
^Wortgefüge* eine Folge des Einflusses der Logik 47. Der erst zu ent-
wickelnde Begriff ^Satz* wird vorausgesetzt 48. Seine Definition ist aber
strittig, die Frage nach der Existenz formaler Kennzeichen ungelöst ; daher
das praktische Bedenken, die allgemeine Gliederung der Grammatik mit
auf den Begriff ^Satz* zu gründen 50. Aus der fehlerhaften Definition
ergeben sich Schwierigkeiten für die angemessene Unterbringung eines
Teils des syntaktischen Stoffes. Auch bei der weitesten Definition von
^Satz* fallen die nicht satzbildenden Wortgruppen aus dem Rahmen einer
blossen Satzlehre heraus 51. Versuch diese Schwierigkeiten zu umgehen
durch die Bezeichnung der nicht satzbildenden Wortgruppen als ^Satz-
teile' 52; verfehlt 53. Disposition der Lateinischen Syntax von Schmalz.
Kritik derselben 54. Josupbits Behandlung der Syntax als »Lehre von
den Satzteilen und Satzarten«. Eigentliche und uneigentliche Satzteile 56.
Kerns »Satzbestimmungen« und ihre Sonderung in unmittelbare und
mittelbare. Verschiedene Grade der Mittelbarkeit 58. Gewisse Bestand-
vn
teile der Wortgefiige lassen sich keinesfalls als Satzbestimmungen an-
sehen 59. Für Schulzwecke und bei der Analyse bestinamter gegebener
Sätze sind jene Bezeichnungen brauchbar, für die Aufgaben wissenschaft-
licher Forschung weniger geeignet 60. Zu unterscheiden zwischen den
konstituierenden Bestandteilen des Satzes als eines solchen und den zu-
fälligen eines bestimmten Satzes. ^Satzlehre' für ^Syntax' nur als pars-
pro-toto-Bezeichnung zu billigen 61.
II. Die Stellung der Syntax im Rahmen der Oesamt-
grammatik 62—135
Weder die von Miklosich ausgeschiedenen noch die von ihm behan-
delten Stoffe sind ganz zu entbehren; beide ohne weiteres verbunden
ergeben jedoch stets Mischsyntax 62. Aber der Stoff von Miklosichs Syn-
tax ist zu sichten, denn er ist nicht einheitlich, seine Definition nicht
nur zu eng, sondern auch zu weit. Dieser Fehler ist allen Systemen ge-
meinsam, die die gesamte Lehre von der Bedeutung aller Wortklassen
und aller Wortformen einschliessen 63. Er hängt zusammen mit der
fehlerhaften Gegenüberstellung von Syntax und Formenlehre 64.
Syntax und Formenlehre 64—75
Einfluss der Überlieferung 64. Seit dem Altertum Flexionslehre und
Syntax die Hauptbestandteile der Grammatik 65. Die übliche Dreiteilung
der Grammatik in Lautlehre, Formenlehre, Syntax ist fehlerhaft, weil ohne
durchgehendes Prinzip ; daneben als vierter Teil die Wortbildungslehre 67.
Folgen des Eintretens von ^Formenlehre* an Stelle von ^Wortlehre' 68.
Apoixonius Dyscolus 69. Eii^uss der praktischen Ziele der grammatischen
Studien 71. Syntax vom Standpunkt des Lernenden 72. In der Syntax
wird imtergebracht , wofär sich sonst kein Platz finden lässt 73; beson-
ders die Stoffe der bisher fehlenden Bedeutungslehre 74.
Syntax und Bedeutungslehre 75—83
Miklosich, Schereb, Behaghel bezeichnen die Syntax geradezu als
Bedeutungslehre 75. Diese Auffassung aber nur mit der Stoffbeschrän-
kung des Systems Miklosich vereinbar, die doch Scherer und Behaohel
wenigstens zum Teil missbilligen 76. Nur ein Teil der Syntax ist
gleich einem Teil der Bedeutungslehre; aber gleich welchem Teile?
Inwieweit ist auch die ümkehrung richtig, dass Bedeutungslehre Syntax
ist? 77. Bedeutungslehre und Syntax nicht Glieder derselben Einteilung
der Grammatik. Kreuzteilung 78. Schema derselben 79. Bisherige Ver-
suche, die Bedeutungslehre in das System der Grammatik einzufügen:
Benaby, Haase, Schlsichee, Heebdeoen 80, Lange, Steinthal 81, Yoobinz 82.
4
vin
Syntax und Wortlehre 83—119
Folgen der Ereuzteilung für die Abgrenzung von Wortiehre und
Syntax 83. Die Bedeutungslehre der Worterten und Wortformen gehört
prinzipiell zur Wortlehre, ist aber teilweise auch für die Syntax unent-
behrlich 85. "Wie ist dieser Stoff zu verteilen? Einwände, die gegen
seine Behandlung in der Wortlehre erhoben werden 86. Kritik des prin-
zipiellen Bedenkens, die Bedeutung der Wortarten und Wortformen
gehe über den Bezirk des Einzelworts hinaus, bestehe nur für den Satz
und in ihm. Bedeutungslehre und Formenlehre desselben Objekts gehören
in denselben Hauptteil der Grammatik 87. Völlige Trennung überhaupt
unmöglich 88. Heebdegen 89. Zusammenhang der Wortformen- mit der
Wortbiidungslehre 90. Bedeutung der Wortklassen , der Form- und Hilfs-
wörter 91. Ähnliche Verhältnisse in der Lautlehre 92. Die ganze Be-
hauptung beruht auf schiefer Grundauffassung. Ihre Konsequenz würde
sein, dass weder eine besondere Lautlehre noch Wortlehre möglich wäre 93.
Jeder Teil der Grammatik hat seinen eigenen »Heldenc 95. Die Behaup-
tung, die Flexionsformen dienten nur zum Ausdruck von Beziehungen
der Worte untereinander, ist nur zum Teil richtig: es ist zwischen syn-
taktischer und materieller Bedeutung der Formen zu unterscheiden 96.
Formen mit nichtsyntaktischer Bedeutung 97. Gelegentlich nichtsyntak-
tische Bedeutung auch solcher Formen, die meist syntaktischen Wert
haben 99. Die Steigerungsformen. Relative und absolute Begriffe 100.
Auch bisher verfahren die Grammatiker nicht gleichmässig 101. Das
Genus bei Grimm, Diez, Delbrück, Miklosich. Inwieweit ist die Behaup-
tung richtig, dass die Bedeutung der Wortarten nur im Satze und durch
ihn bestehe? 102. Homonymie der Wortarten 103. Diese beweist nichts
104. Von ihr abgesehen hat jene Behauptung überhaupt keinen Sinn 105.
Haase ging zu weit, indem er die gesamte Bedeutungslehre von Wort-
arten und Wortformen von der Syntax ausschloss 106. Folgen dieser
Übertreibung 107. Dieser Stoff ist zu teilen. Kritik des Einwandes, dass
solche Trennung praktisch unthunlich sei 108. Wo ist die Grenze zu
ziehen? Sie wird in verschiedenen Sprachen verschieden verlaufen 110.
Bestimmung der Grenze vom Standpunkt der Syntax aus 111, von dem
der Wortlehre aus 112. Solche Trennung in einzelnen Fällen bereits
praktisch bewährt: Grimm 113. Beispiele dafür, wie die Trennung zu
erfolgen hätte : Unterschied von older oldest und eider eldest ; Genusformen
des Verbs 114; englisch eUher und deutsch jeder) die nhd. Adverbia 115.
Leidet darunter der Zusammenhang? 116. Je nach der gewählten Ein-
teilung ist der Zusanmienhang, den es zu wahren gilt, ein verschiedener 117.
Syntax und Lautlehre 119—121
Satzsandhi gehört nicht in die Syntax 119. Lautvorgänge, die durch
syntaktische Verhältnisse veranlasst oder bedingt sind; Bedenken gegen
IX
ihre Behandlung in der Lautlehre unbegründet 120. Mehrfache Behand-
lung desselben Gegenstandes unter verschiedenen Gesichtspunkten 121.
Syntax und Stilistik 126-135
Die Frage: welche Stoffe gehören in die Syntax, welche in die Sti-
listik, ist unlösbar, weil falsch gestellt 122. Zu der schiefen Fragestellung
ist man gelangt unter dem Einfluss der praktischen Ziele der Sprach-
studien 123, infolge der unrichtigen Begrenzung der syntaktischen Auf-
gaben 124 und des Fehlens einer Wortbedeutungslehre 125. Die Frage:
Syntax oder Stilistik ? zu ersetzen durch : Grammatik oder Stilistik ? Der
sprachliche Stoff ist beiden Gebieten grossenteils gemeinsam 126. Objek-
tive und subjektive Stilistik. Verhältnis der Grammatik zur objektiven
Stilistik 127; zur subjektiven 128. Der nationale Stil 130. Nutzen der
subjektiven Stilistik; ihr Platz in der vollständigen Grammatik 131.
Übergriffe der Stilistik auf das rein grammatische Gebiet; teils nicht zu
billigen, teils gerechtfertigt 132. Die ün Vollständigkeit der ErgebniBse
grammatischer Forschung eine Fehlerquelle fQr die Stilistik. Die sub-
jektive Stilistik abhängig von der objektiven 133. Verhältnis der Stilistik
zur Syntax 135.
Disposition der Syntax 136—142
Der richtig begrenzte Stoff disponiert sich von selbst. Erster Ein-
teilungsgrund : die Verschiedenheit der syntaktischen Objekte selber d. h.
der Wortgefüge. Daneben der zweite: ihre Betrachtung nach Form und
Bedeutung 136. Ist die syntaktische Bedeutungslehre von der Formen-
lehre zu trennen? 137. Aufstellung vollständiger Formenschemata der
Wortgefäge zu erstreben 138. Lehre von der Bildung der Wortgefüge
d. h. von den Mitteln der Wortfügung und ihrer Bedeutung 139. Bei
diesen Fragen hat die Forschung einzusetzen; ihre Beantwortung bildet
die Grundlage imd Voraussetzung für die Lehre von Form und Bedeutung
der GefQge 141.
Zasammenfassnng der Ergebnisse 142—145
Anmerkungen 146—163.
^
Jlis scheint befremdend, dass die Frage: Was ist Syntax?
überhaupt noch aufgeworfen werden kann; man möchte voraus-
setzen, dass sie längst und endgültig entschieden sein müsste.
Und doch wird sie, teils ausdrücklich durch Definition, teils
mittelbar durch die Auswahl und Behandlung des Stoffes von
den verschiedenen Verfassern syntaktischer Schriften recht ver-
schieden beantwortet. Eine allgemein anerkannte Definition
des so allgemein gebrauchten Wortes giebt es in der That nicht.
Nach einer solchen, die allseitige Anerkennung finden könnte,
also nach der richtigen, zu suchen, wäre ein Bemühen, das
ziemlich müssig erscheinen müsste, wenn es sich dabei nur um
einen Wortstreit handelte. Es kommt aber nicht darauf an,
einen thatsächlich feststehenden Begriff mit dem (oder den)
passendsten Worte(n) zu bezeichnen, sondern darauf, den Begriff
selber richtig zu bestimmen. Denn wenn auch vielleicht im
grossen und ganzen ungefähr dasselbe unter dem Worte Syntax
verstanden wird, so lehrt doch ein Blick in die syntaktische
Litteratur, auch der neuesten 2feit, wie bedeutende Abweichun-
gen im einzelnen bestehen. Diese Verschiedenheiten in der
Auffassung des Begriffs Syntax, die, statt mehr und mehr zu
schwinden, sich vielmehr neuerdings eher verschärft haben,
sind an sich zu wichtig und in ihren Folgen für den weiteren
Ausbau der syntaktischen Forschung zu bedeutend, als dass sie
unbeachtet bleiben dürften. Sie erschweren nicht nur die Be-
nutzung der syntaktischen Werke, die von verschiedenen Defi-
nitionen des Begriffs Syntax ausgehend, ihren Stoff verschieden
begrenzen und verschieden disponieren, sondern sie schädigen
Ries, Was ist Syntax? 1
2
auch die Forschung selber: der häufige Wechsel der Gesichts-
punkte hemmt und beeinträchtigt ein erspriessliches Zusammen-
und in die Hände arbeiten der Fachgenossen. Und dass eine
unrichtige Definition die Forschung auf Abwege leiten, über
die Bedeutung der erreichten Ergebnisse wie über die Wichtig-
keit der noch zu lösenden Fragen täuschen, überhaupt das
Endziel, dem zuzustreben ist, verrücken muss, leuchtet ein. So
drängt sich angesichts der herrschenden Unsicherheit oder
vielmehr der lebhaften Gegensätze, die zur Zeit in betreff der
grundlegenden Fragen des Systems, der Auswahl und Anord-
nung des Stojffes bestehen, immer unabweisbarer die Frage auf,
ob eine und welche von den herkömmlichen Auffassungen des
Begriffs Syntax zu halten bezw. zu verbessern ist, oder ob sie
sämmtlich durch eine neue ersetzt werden müssen.
Jene Übelstände und Nachteile treten in der Behandlung
der germanischen Syntax besonders deutlich zu Tage, und sie
sind bei einer Sprache, deren syntaktisches Lehrgebäude erst
im Entstehen begriffen ist, naturgemäss von weit fühlbarerem
Einfluss als dies vielleicht auf anderen Gebieten der Fall ist.
Gerade jetzt, wo soviel fleissige Hände sich rühren, die erforder-
lichen Bausteine von allen Seiten zusammenzutragen; jetzt, da
die ersten Versuche gemacht werden, das halbfertige Bauwerk
zunächst vorläufig unter Dach zu bringen, sind diese misslichen
Zustände doppelt zu beklagen. Eine Verständigung über die
grundlegenden Fragen nach Gegenstand, Methode, System der
syntaktischen Forschung und Darstellung wäre dringend zu
wünschen; um einer solchen Verständigung näher zu kommen,
dürfte es nicht unnütz sein, in eine eingehende Prüfimg der
einschlägigen Fragen von neuem einzutreten. Als ein Versuch
in dieser Richtung wollen die folgenden Erörterungen ange-
sehen sein.
Dass eine Einigung über das System der Syntax sich noch
nicht hat erzielen lassen, erklärt sich daraus, dass die bisher
aufgestellten Systeme sämtlich an nicht unbedeutenden Män-
geln leiden, und wir müssen daher wohl zu dem Schlüsse
kommen, dass das vor 40 Jahren von Lange gefilllte ungünstige
Urteil über dieselben auch heute noch zutrilBft. Er erklärte:
»Keine systematische Darstellung wird das Wesen der Sprache
zu einer völlig richtigen Anschauung bringen. Nichtsdesto-
weniger ist nicht bloss für die Praxis, sondern auch für die
Wissenschaft eine systematische Darstellung nötig. Die Forderung
aber, welche die Wissenschaft an das System stellen muss, dass
es keine Unterscheidungen kennt, die nicht im wissenschaftlichen
Objekte begründet sind, die wirklich in diesem begründeten
aber sämtlich und in richtiger Stellung zu einander zur Geltung
bringt: diese Forderung hat das System der Syntax in allen Meta-
morphosen, die es durchlaufen hat, nicht befriedigt.« (^) Auch
eine andere, von Lange nicht erwähnte Forderung wird von
den vorhandenen syntaktischen Systemen nicht befriedigt, nämlich
die nicht weniger wichtige, dass die Syntax sich angemessen
und felgerichtig in das System der Gesamtgrammatik einfüge.
Die üblichen Definitionen der Syntax, die vielfach zu eng und
gewöhnlich zu weit sind, und die durch diese bedingte Stoflf-
begrenzung verhindern eine richtige Verteilung des Stoffes auch
auf die übrigen Teile der Grammatik, und umgekehrt — denn
hier fliessen Ursache und Wirkung ineinander — die unvoll-
kommene Gliederung der Gesamtgrammatik unterstützt die
falsche Auffassung von den Aufgaben der Syntax und hält sie
aufrecht. Denn dass wir es noch zu keinem brauchbaren
System der Syntax gebracht haben, das liegt mit in erster
Linie gerade daran, dass überhaupt die systematische Gliederung
der gesamten Grammatik in Bezug auf Vollständigkeit, Ordnung
und Festigkeit des Gefuges nicht durchaus einwandfrei ist. Be-
sonders kommt dabei das Verhältnis der Syntax einerseits zur
Formenlehre, andererseits zur Bedeutimgslehre in Betracht
Hierüber soll in unserm 11. Abschnitt ausführlicher gehandelt
werden.
Ehe wir ims jedoch zur eingehenden Betrachtung der
verschiedenen Systeme wenden, erscheint es wünschenswert,
zunächst noch einigen allgemeinen Erörterungen Raum zu geben.
Wir finden in den bisherigen Systemen der Syntax wesent-
liche Mängel und bringen diese, wie eben bemerkt, mit UnvoU-
kommenheiten in dem System der Gesamtgrammatik in Zu-
sammenhang. Nun könnte es aber sonderbar scheinen, dass
in so grundlegenden Dingen überhaupt Unsicherheit und
Meinungsverschiedenheiten haben aufkommen und fortbestehen
können, dass sich auf diesem Gebiet offenbare Irrtümer bis
heute sollten erhalten haben. Die Behauptung, dass fast alle
Syntaktiker bis auf den heutigen Tag ihr Forschungsgebiet
unrichtig abgegrenzt haben, dass so viele ausgezeichnete Gelehrte
in schiefen Vorstellungen über die Beziehungen der verschiedenen
Teile der Grammatik zu einander sollten befangen gewesen sein,
dass die übliche Gliederung der Gesamtgrammatik trotz des
hohen Standes, den die heutige Sprachwissenschaft erreicht
hat, nicht ohne Mängel sei: solche Behauptungen möchten
geradezu vermessen erscheinen.
Doch all das ist in Wirklichkeit weder so arg noch so
wunderbar, als es auf den ersten Blick scheinen will. Zunächst
ist daran zu erinnern, dass Einwendungen gegen die übliche
Gliederung der Grammatik und Verbesserungsvorschläge schon
wiederholt gemacht worden sind, und wir möchten betonen,
dass wir durchaus nicht das Verdienst in Anspruch nehmen,
allein und zuerst die Fehler aufgedeckt und das Bessere ge-
funden zu haben. Das Wesentliche ist vor uns von andern
ausgesprochen oder doch angedeutet worden. Die richtige
Einsicht hat nur bisher nicht durchdringen können, sei es dass
man sich auf mehr gelegentliche Bemerkungen beschränkt und
es versäumt hat, das Einzelne in den grössern Zusammenhang
zu rücken und aus ihm ausdrücklich die vollen Konsequenzen
zu ziehen, sei es dass das Richtige nicht nachdrücklich genug
betont wurde, um sich gegen alteingewurzelte Anschauungen
zu behaupten. Die Hauptinteressen der Zeit waren auch wohl
zu ausschliesslich andern Gebieten der Forschung zugewandt;
jedenfalls sind jene vereinzelten Stimmen bisher ziemlich wirkungs-
los verhallt.
Ferner erklärt sich aber das Fortbestehen einzelner un-
klarer und schiefer Auffassungen auf dem Gebiete der Systematik
überhaupt unschwer aus dem Gange, den die Entwicklung der
Grammatik genommen hat.
Die ausserordentlichen Fortschritte, welche die Sprachwissen-
schaft in diesem Jahrhundert gemacht hat, und die überraschende
Schnelligkeit, mit der diese Fortschritte gemacht wurden, verur-
sachen, dass wir uns leicht einer eigentümlichen Illusion hingeben.
Es geht uns mit den Ergebnissen der Sprachwissenschaft
wie einem Kinde unserer Tage mit den Erfindungen und
Einrichtungen, die unser Verkehrsleben beherrschen. Wie dieses
zunächst Mühe hat sich zu vergegenwärtigen, wie neu all diese
alltäglichen, selbstverständlich scheinenden Dinge sind, so vergisst
man leicht, dass auch die Sprachwissenschaft — in dem Sinne,
den wir heute mit dem Worte verbinden — etwas ganz Neues
ist. Geblendet von ihren Erfolgen und schon von der Schul-
bank her mit einigen ihrer Ergebnisse vertraut, verliert man
zu leicht aus den Augen, dass die eigentlich wissenschaftliche
Beschäftigung mit der Grammatik, die reine Wissenschaft von
der Sprache, »der es nur darauf ankommt, ihren Gegenstand
zu begreifen« (Steinthal), auch nicht älter ist als jene Erfin-
dungen. Je mehr man sich das gegenwärtig hält, um so weniger
wird man über Lücken und Mängel erstaunen ; und am wenigsten
wird es befremden dürfen, wo sich solche Unvollkommenheiten
im systematischen Aufbau zeigen. Dieser kann naturgemäss
nichts aprioristisches sein. Das System einer Wissenschaft
— das ist selbstverständlich — entsteht nicht auf Grund
theoretischer Konstruktion, entspricht nicht von vornherein
einem einheitlichen und wohl durchdachten Plane, sondern
bietet lange Zeit ein treues Bild des Entwicklungsganges der
betreffienden Wissenschaft, wie sie aus unscheinbaren Keimen
allmählich erwachsen ist, sich abhängig von äussern Umständen,
oft sprungweise entwickelt hat, je nach Gunst und Ungunst
der Verhältnisse. Hinterdrein stellt sich das Bedürfm's ein, in
dem gesamten Aufbau eine dem vorgeschrittenen Stande der
Wissenschaft entsprechende systematische Ordnung herzustellen.
Für die wissenschaftliche Grammatik nun liegt dies Bedürftiis
jetzt unzweifelhaft vor, und der Zeitpunkt, ihr gesamtes System
einer Revision zu unterziehen, dürfte längst gekommen sein.
Unter diesem Gesichtspunkt wird die gegen weit verbreitete
Anschauimgen auf diesem Gebiete geübte Kritik weniger ge-
wagt erscheinen ; sie ist in der That etwas durchaus Natürliches
und zur Zeit geradezu Notwendiges.
Für die Erklärung einzelner Mängel in ihrer systematischen
Gliederung kommen ausser dem Umstände, dass die wissen-
schaftliche Behandlung der Grammatik verhältnismässig jung
ist, noch zwei Thatsachen in Betracht, die mit jenem und
untereinander in Zusammenhang stehen und die der Ausbildung
eines vollständigen und wohl geordneten Systems der Grammatik
vielfach hemmend im Wege standen. Zunächst der über-
mächtige Einfluss der bis ins Altertum zurückreichenden Über-
lieferung. Die moderne wissenschaftliche Grammatik hat sich
für ihre neuen Zwecke ihr Handwerkszeug nicht neu geschaffen,
sondern meist nur hergerichtet und notdürftig ergänzt; sie hat
keinen Neubau nach eigenem Plane aufgeführt, um die neu-
gesammelten reichen Erträgnisse angemessen zu bergen, sondern
sie hat sich im wesentlichen mit dem alten Gtebäude begnügt,
sich mit Ausbesserungen und hie und da mit einem Anbau
beholfen. »Das ganze Gerüste und Fachwerk unserer Grammatik,
ihre ganze Terminologie und Methode ist eine Schöpfung der
Griechen.« (^) Bei aller Bewunderung aber, die man den auch
auf diesem Gebiete bahnbrechenden Leistungen der Griechen
zollen muss, wird man doch nicht verlangen wollen, dass die
heutige Wissenschaft, die so wesentlich andere Ziele verfolgt
als die Sprachbetrachtung der Alten, an allem festhalte, was
diese überliefert hat an Terminologie und Systematik, an »Gerüste
und Fachwerk«. Und an wie vielen Punkten man sich auch
längst von der Autorität der Alten und dem Einfluss der Über-
lieferung überhaupt frei gemacht hat, an allen, wo es dringend
zu wünschen wäre, ist es noch nicht geschehen.
V
Ferner musste der Entwicklung eines den wissenschaft-
lichen Anforderungen genügenden Systems direkt entgegen-
wirken die Abhängigkeit der Grammatik von den praktischen
Zielen, die sie so lange ausschliesslich verfolgte.
Von ihren Anfangen an bis in unsere Zeit hinein ist die
Sprachforschung fremden Zwecken dienstbar gewesen: die
Spuren dieser langen Abhängigkeit sind noch nicht alle ver-
wischt ; am deutlichsten weist diese von allen Teilen der Gram-
matik die Syntax auf. Langsam und mühsam haben sich im
Altertum die Anfänge der grammatischen Theorie, die einen
aus dem mütterlichen Schosse der Philosophie, die andern
aus dem der Rhetorik losgerungen. Zur reinen Wissen-
schaft hat sich die Sprachbetrachtung der Alten überhaupt
nicht aufgeschwungen, sie ist immer Dienerin geblieben. Teils
hat sie im Dienst der Textkritik und Schriftstellerauslegung
gestanden, teils sollte sie den rechten (Jebrauch der Sprache
lehren und ihn bewahren helfen. (^)
Und was das Altertum nicht vermocht hatte, das hat
weder das Mittelalter, noch der Humanismus, noch die Folge-
zeit vermocht. Eher das Gegenteil. Mit der Wiedererweckung
des Lateins zu neuem, künstlichen Leben musste das Bedürfnis
nach Anweisimgen entstehen, die Sprache der Römer in
klassischer Reinheit zu gebrauchen. Die lateinische Grammatik,
speziell die Syntax, wurde in den Händen der Humanisten
und ihrer Nachfolger naturgemäss im wesentlichen zu einer
Sammlimg von Regeln für die Komposition, von Vorschriften
zur Vermeidung von Barbarismen und Solöcismen, zur Aneignung
eines guten lateinischen Stils. Lateinsprechen und vor allem
Lateinschreiben war Jahrhunderte lang das Ziel, dessen Erreichung
die lateinische Grammatik dienen sollte. Und zwar je länger,
desto mehr. Je mehr im Laufe der Zeit der mündliche und
schriftliche Gebrauch der lateinischen Sprache in Abnahme
kam, je weniger das Lateinschreiben ausserhalb des Unterrichts
zur wirklichen Verwendung gelangte, imd somit die Fertigkeit
darin nicht mehr zum grossen Teile dmxh vielfache praktische
♦ iv'
8
Übung erworben wurde, um so mehr fiel ausschliesslich der
Grammatik und in ihr besonders der Syntax, die Aufgabe zu
das Lateinschreiben zu lehren. Und je weniger man es mit der
Zeit zur vollen Beherrschung der fremden Sprache, zum Denken
in ihr brachte, um so mehr drängte sich, der Standpunkt der
äusserlichen Vergleichung mit der Muttersprache vor. Nicht
von innen heraus wm'de der lateinische Satzbau erforscht und
in den Grammatiken dargestellt, sondern von aussen her wurde
der fremde Massstab d. h. der der Muttersprache angelegt und
die Verschiedenheiten einseitig in den Vordergrund gestellt.
Wie wenig ein solches Verfahren geeignet ist zu einer syste-
matischen Darstellimg zu füliren, die dem behandelten Objekte
allseitig gerecht wird, liegtauf der Hand*); ebenso klar ist es,
dass bei der Übertragung des Systems der lateinischen Grammatik
auf die Behandlung anderer Sprachen das Missverhältnis nur
wachsen konnte. Dass und in welchem Masse die lateinische
Grammatik bis auf unsere Tage für alle andern vorbildlich
war und geblieben ist, mitunter mehr, als die Verfasser gram-
matischer Werke sich bewusst zu sein scheinen, braucht nicht
besonders erörtert zu werden.
Durch die neuere Sprachwissenschaft ist freilich die Gram-
matik aus ihrer dienenden Stellung erlöst worden. In der
Theorie hat die moderne Sprachbetrachtung allerdings auch
alle Teile der Grammatik ganz selbständig und von den
Rücksichten auf fremde Interessen sowohl, wie von der Nach-
ahmung fremder Vorbilder frei gemacht. Doch nicht durchweg
ist diese theoretische Befreiung auch zur vollen praktischen
Durchfühnmg gekommen, sie hat sich nicht gleichmässig auf
alle Gebiete erstreckt, die Behandlung aller Stoffe gleich voll-
ständig durchdrungen. Wie vielfach lassen sich zumal in der
Syntax (und in der Stilistik) die Spuren des alten Dienstver-
*) Worin im besondem die Überlieferung und die vorherrschende
Rücksicht auf die praktischen Zwecke das System der Syntax und die
Gliederung der Gesamtgrammatik geschadigt hat, wird unten in dem
Abschnitt über Syntax und Formenlehre gezeigt.
hältnisses wahrnehmen, von dessen immer noch nachwirkendem
Einfluss auch die modernsten Forscher nicht überall auf der
Hut sind. Hier harrt die dringliche Aufgabe noch ihrer Lösung,
aus dem Prinzip auch die vollen Konsequenzen zu ziehen, die
Idee der errungenen Freiheit zur lebendigen Wirklichkeit werden
zu lassen. Und die Unabhängigkeit des grammatischen Systems
jeder einzelnen Sprache von dem Schema der grammatischen
Kategorien einer andern, zumal der lateinischen, ist bisher
häufiger als theoretische Forderung aufgestellt, denn wirklich
allseitig in praktischer Durchfuhrung bethätigt worden. (*)
L Die drei Hanptarten syntaktischer Werke.
Der gegenwärtige Zustand der syntaktischen Litteratur
kann ohne Übertreibung als ein Duroheinander von wider-
streitenden Systemen und systemloser Eikl^ktik bezeichnet werden.
Doch lassen sich in diesem Wirrwar mit Sicherheit mehrere
Hauptgruppen unterscheiden, in welche sich die überwiegende
Mehrzahl aller syntaktischen Arbeiten als zugehörig einordnen
lässt.
Zunächst ist es der bekannte Widerstreit zweier entgegen-
gesetzter Methoden der Forschung, der in die Augen springt:
das Ausgehen von der Bedeutung, nach deren Ausdrucks-
form gefragt wird, und umgekehrt das Ausgehen von den
vorhandenen Formen, nach deren Bedeutung gefragt wird.
Die erstere Richtung, die ihren Hauptvertreter in Becker gefunden
hat, kann, wenigstens sofern ihre Ausgestaltung zu einem Gesamt-
system eben nach dem Muster und in dem Sinne Beckers in Frage
kommt, heute wol für überwunden gelten. Wir beschäftigen
uns hier mit ihr deshalb zunächst nicht weiter — zumal wir
unten gelegentlich auf sie zurückzukommen Anlass haben — und
begnügen uns damit auf eine Stelle in dem bekannten Artikel
von ScHERER hinzuweisen, an welcher, wie ich glaube sehr mit
Recht, betont wird, dass diese Methode an und für sich durch-
e
10
aus berechtigt und wertvoll ist, dass sie jedoch »vorläufig« aus
praktischen gründen nicht »ratsam« ist. (*)
Wenn das Ausgehen von der Form , wie man wohl be-
haupten darf, im Prinzip die herrschende Richtung in der
syntaktischen Forschung der Gegenwart geworden ist und inso-
fern heute eine gewisse theoretische Übereinstimmung in betreff
der Methode vorhanden ist, so stehen sich doch — zunächst
abgesehen von den sehr verschiedenen Graden von Konsequenz
bei der praktischen Durchführung des Prinzips — die Ansichten
hinsichtlich des eigentlichen Objektes der Forschung unversöhnt
gegenüber. Während die einen Syntax im wesentlichen mit S a t z -
lehre gleichsetzen, also den Satz , das wichtigste syntaktische
Gebilde selber, zum eigentlichen Gegenstand der Forschung ,
und Darstellung machen, wenden die andern ihre Betrachtung den
einzelnen aus ihrem Zusammenhang gelösten Bestand-
teilen zu, aus denen syntaktische Gebilde sich zusammen-
setzen können, und indem sie die Bedeutung und den
Gebrauch der verschiedenen Arten und Formen der
Wörter imtersuchen, weisen sie der Syntax als ihren Gegen-
stand zugleich alles dasjenige aus der Wortlehre zu, was in der
gewöhnlichen Wortblegungs- und Wortbildungslehre nicht ent-
halten ist
Diese beiden Anschauungen dürften am meisten in Betracht
kommen und sollen uns im folgenden vorwiegend beschäftigen*).
Doch wird die Hauptmasse aller syntaktischen Arbeiten wohl
schwerlich von denen zusammen gebildet, die einer der ge-
nannten Richtungen mit völliger oder doch annähernder Aus-
schliesslichkeit folgen. Ein sehr grosser, wenn nicht der über-
. wiegende Teil aller syntaktischen Schriften (*) gehört vielmehr
in eine weitere Gruppe, der wir von allen die geringste syste-
matische Bedeutung zuerkennen müssen. Dieser wollen wir uns
hier zunächst zuwenden.
*) Unten S. 19 fiP. und S. 45 fiP.
11
Wir bezeichnen diese Gruppe mit dem Namen
Mischsyntax
wegen der prinziplosen Nebeneinanderstellung oder Durcheinander-
würflung ihres verschieden gearteten Stoffes. Was man in einer
solchen Syntax nach landläufigen Begriffen zusammen behandelt
findet, das ist in der That eine, mitunter ziemlich bunte, Mischung
heterogener Dinge. Da finden sich neben Erörterungen über
das Wesen und den Gebrauch der Wortarten oder der soge-
nannten Redeteile die Lehre vom Gebrauche bezw. der Bedeutung
der Flexionsformen (Gegenstand der Forschung und Darstellung:
die einzelnen Elemente der Rede) und eine mehr oder minder
systematische Satzlehre oder Bruchstucke einer solchen (Gegen-
stand : die wichtigsten syntaktischen Gebilde selber) mit häufigen
Übergriffen auf das Gebiet der Stilistik und Rhetorik. Diese
disparaten Gegenstände werden bald nebeneinander angeordnet
bald durcheinander geworfen. (')
Der Ungleichartigkeit des zusammenbehandelten Stoffes ent-
spricht nicht selten eine ebenso wenig einheitliche Behandlungs-
weise. Denn in der Lehre von den Redeteilen und Flexions-
formen liegt es nahe von dem gegebenen sprachlichen Material
auszugehen, um dessen Gebrauch (Bedeutung) aufzuweisen; und
dieses Verfahren kann hier als das übliche bezeichnet werden,
wie es auch das von alters her überlieferte ist. In der eigent-
lichen Satzlehre dagegen pflegt die umgekehrte Methode noch
vorwiegend oder doch zum grossen Teil befolgt zu werden. Aus-
gegangen wird hier gern von dem auszudrückenden Gedanken
und seinen Beziehungen; die Bedeutungen werden angesetzt,
danach wird eingeteilt und geordnet und die dafür vorhandenen
Ausdrucksformen aufgesucht. Wo die Satzlehre nicht in
ganz fragmentarischer Fassung auftritt, gründet sie sich auch
gerne auf eine an die Spitze gestellte Definition des ,Satzes';
eine Definition, die oft nicht von sprachlich-grammatischen,
sondern von logischen Merkmalen hergenommen ist. Und ist
einmal bei Aufetellung dieser Definition der Logik das Thor
12
geöflfhet, so bleibt eine ,philosophische' Betrachtungsweise, die
auch wohl mitunter in die Lehre von den Redeteilen hinein-
spielt, in der Satzlehre vorherrschend oder doch mitherrschend.
Hier spielt die Logik — oder was in weiterem Sinne so ge-
nannt wird — auch heute noch eine Rolle, wie sie ihr in der
Grammatik überhaupt nirgends gebührte.
Wenn auch die konsequente Durchführung der BECKERschen
Methode und ihr Ausbau zu einem geschlossenen System
gegenwärtig keine bekannteren Anhänger zu zählen scheint, so
würde es doch weit gefehlt sein anzunehmen, dass in der Syntax
die Herrschaft dieser Richtung überhaupt gebrochen sei.
Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Hier, in der eigentlichen
Satzlehre der Mischsyntax, hat die sonst überall ausgewiesene
und verdrängte einen, wie es leider scheint, sichern Unterschlupf
gefunden. Noch immer steht, wie man leicht an der Hand
einiger neuerer Arbeiten nachweisen kann, die Behandlung des
Satzes und seiner Arten unter dem übermächtigen Zeichen der
Logik. Rein logische Unterscheidungen werden der Grammatik
aufgedrängt; es wird eingeteilt und gesondert, wo die betr.
Sprache selber keinerlei Sonder ung und Einteilung kennt. Oder
es schieben sich bei der Unterbringung in die bekannten
grammatischen Kategorien die logischen Erwägungen an die
Stelle der formalen Kennzeichen z. B. bei der Entscheidung
der Frage, ob ein Satz ein ^Hauptsatz* oder ein ^Nebensatz'
sei. Diese noch vorwiegend gebrauchten, aber schiefen und
irreführenden Namen, die den logischen, besser den inhaltlichen
Wert der Sätze zu bezeichnen geeignet sind, sind durchaus ent-
sprechend der schiefen Fragestellung : denn in der Syntax sollte
es sich doch nur darum handeln zu entscheiden, ob ein Satz
grammatisch selbständig oder unselbständig ist. (®)
Ist es nicht die Zwangsjacke der Logik, in welche die
Sprache durch solche aprioristische Behandlung der Syntax
gesteckt wird, so ist es dafür die Zwangsjacke der Grammatik
einer andern Sprache, deren Einteilungen und Unterscheidungen
ohne viel Bedenken, oft unbewusst auf die gerade behandelte
13
Sprache übertragen werden. Dies ist bei der Untersuchung
fremder Sprachen entweder die Muttersprache des Forschers,
oder, wie bei der Behandlung dieser selbst, das Lateinische
oder beides zugleich. Besonders oft und besonders störend hat
sich der Einfluss der am Latein gewonnenen syntaktischen
Anschauungen bei der Erforschung anderer Sprachen geltend
gemacht.
Die Gefahr das syntaktische System einer Sprache fremd-
artigen Einflüssen unterzuordnen — seien es nun logische Er-
wägungen oder die syntaktischen Eigentümlichkeiten einer andern
Sprache — wird verstärkt durch die Neigung mancher Forscher
die Darstellung genau dem Gange der Untersuchung anzu-
passen. Dies Verfahren, das oft ganz angebracht ist und zu-
weilen selbst entschiedene Vorzüge hat, würde überhaupt — für
Einzeluntersuchungen wenigstens - gar nicht bedenklich sein,
wenn dabei nicht so leicht versäumt würde, negative Ergebnisse
der Untersuchung als solche deutlich hervortreten zu lassen.
Die Fragestellung bei syntaktischen Forschungen kann natürlich
sehr wohl und muss häufig genug so lauten: Zeigen Sätze
solchen und solchen Inhalts, oder Sätze, die in dem und dem
logischen Beziehungsverhältnis zu andern Sätzen stehen, eine
besondere, ihnen eigentümliche Form? und welches sind die
Merkmale, durch welche sich diese Sätze von andern unter-
scheiden ? Die Darstellung dürfte hier aber höchstens dann dem
Gange der Untersuchung folgen, wenn die erste der beiden
Fragen bejahend beantwortet werden konnte. Nur wo die
Untersuchung ein positives Ergebnis zu Tage gefordert hat,
kann die Darstellung dementsprechend angeordnet werden.
Ich fingiere ein Beispiel. Wer von seiner Muttersprache her
etwa gewohnt wäre, zwischen beschreibenden und beschränkenden
Relativsätzen zu scheiden, würde bei der Untersuchung der
Relativsätze einer beliebigen andern Sprache sich mit Recht
die Frage vorlegen, ob diese 1) ebenfalls eine solche Scheidung
erkennen lässt und 2) wenn dies der Fall ist, ob dazu dieselben,
oder ähnliche, oder andere syntaktische Mittel verwendet werden.
14
Ergäbe nun die Untersuchung für Frage 1 ein negatives Re-
sultat, so wäre es doch grundverkehrt, trotzdem den Stoff bei
der Darstellung zu teilen in I. Beschreibende Relativsätze,
IL Beschränkende Relativsätze, um dann unter II zu erklären:
Die beschränkenden Relativsätze lassen keinerlei formalen Unter-
schied von den beschreibenden erkennen; es werden ohne
Unterschied in ihnen dieselben Pronomina und Adverbia, die-
selbe Wortstellung u. s. w. gesetzt wie bei jenen. In einem
so konstruierten Beispiel hört sich das gerade so absurd an,
wie es thatsächlich ist. Und doch geschieht dasselbe fort und
fort in syntaktischen Untersuchungen, die, von den Bedeutungs-
unterschieden der Sätze — woher immer sie genommen sein
mögen — ausgehend, nach der Form dieser im voraus ge-
schiedenen Satzarten fragen. Es geht noch verhältnismässig
gut ab, wenn, wie eben angenommen wurde, das negative
Resultat sauber hervortritt: trotz der verkehrten Einteilung,
die auf ein positives Ergebnis hatte schliessen lassen, ist doch
der wirkliche Thatbestand soweit zu seinem Rechte gekommen.
Es kommt aber auch vor, dass dem Forschenden selber das
negative Ergebnis nicht recht klar zum Bewusstsein gekommen
ist, aus dem einfachen Grunde, weil er sich die entscheidende
Frage: Entsprechen die thatsächlichen Verschiedenheiten der
syntaktischen Formationen den gemachten Abschnitten? über^
haupt nicht, oder nicht klar genug vorgelegt hat. Es werden
vielmehr oft genug die einmal aus dem Latein bekannten oder
sonstwoher genommenen Kategorien einfach als für alle Sprachen,
Mundarten und Zeiträume feststehend angenommen, die Bei-
spiele werden gesammelt, in die bereitstehenden Fächer und
Kästen verteilt, die dann unter den bekannten Überschriften
vor dem Leser ausgeschüttet werden. Dabei kümmert es die
eifrigen Sammler und Ordner wenig, ob unter manchen dieser
Überschriften ganz dieselben Angaben z. B. über Modus, Tempus,
Wortstellung zu machen sind; die werden ruhig jedesmal von
neuem gemacht Offenbar hervortretende Unterschiede werden
angemerkt, die Übereinstimmung jedoch vielfach nicht, diese
15
|stzuste]len bleibt dem nachprüfenden Leser überlassen. Das
•gebnis solcher nachträglichen Prüfung ist freilich nicht selten,
[SS einige Unterabteilungen zwecklos und willkürlich sind,
Mere unbedeutende Dinge in den Vordergrund rücken, dass
it einem Wort die thatsächlichen Verhältnisse durch die ge-
iachten Einteilungen verdunkelt und verschoben sind, dass
.nordnung und Darstellung dem wirklichen Thatbestande nicht
rerecht werden.
Es bildet diese grosse Gruppe der Mischsyntax natürlich
keine irgendwie einheitliche Masse; besteht doch ihre Gemein-
samkeit nur in dem negativen Merkmal ihrer Systemlosigkeit.
Daher haften die besprochenen Mängel auch nicht allen den
Arbeiten gleichmässig an, die zur Mischsyntax zu rechnen sind:
denn diese Mängel sind zum Teil keine direkte und notwendige
Folge der Systemlosigkeit, sondern nur eine indirekte und mehr
zuföUige. Die Mischsyntax bietet in ihrer Systemlosigkeit gleichsam
einen günstigen Nährboden, auf dem allerlei Fremdes und
Schädliches üppig gedeiht. {^)
Die einzelnen zur Mischsyntax gehörigen Arbeiten unter-
scheiden sich daher auch von einander in vielerlei Abstufungen
und Unterarten jö nach der Zahl der mit einander wechselnden
Gesichtspunkte und nach den verschiedenen Graden des Anteils,
der einem jeden von ihnen bei der Mischung zugefallen ist.
So kann man im einzelnen Falle sogar im Zweifel sein, ob man
eine Schrift überhaupt zur Mischsyntax zählen soll, oder ob man
in Anbetracht der verhältnismässig nur geringfügigen Bei-
mischung anders gearteter Elemente zu einem sonst einheitlichen
Ganzen in ihr einen Vertreter einer der andern oben genannten
Hauptrichtungen sehen soll, der sich nur einiger Inkonsequenz
schuldig gemacht hat. Die Menge der imzweifelhaft zur Misch-
syntax gehörigen Arbeiten liesse sich somit, da wesentliche
Unterschiede innerhalb derselben bestehen, leicht in mehrere
Unterabteilungen sondern; doch ist das für unsem Zweck
gleichgültig. In Betracht kommen könnte hier nur noch die
k>
16
verschiedene Art, in der sieh die Verfasser von Arbeiten der
Mischsyntax zu den vorliegenden Fragen verhalten.
Da giebt es zunächst eine stattliche Zahl von solchen, die,
mehr oder weniger naiv und unbewusst, in alten Geleisen bequem
einherziehen, sich die Freude des Sammeins und Gruppierens
nicht durch die Sorge um solch nebensächliche Dinge wie
Methode imd System verderben lassen, mitunter auch wohl
von der Existenz der Fragen, die uns hier beschäftigen, keine
deutliche Vorstellimg haben. Dass solche Arbeiten, seien sie
auch noch so systemlos, des gesammelten Materials wegen doch
sehr nützlich und verhältnismässig wertvoll auch in ihren
Resultaten sein können, soll durchaus nicht geleugnet werden;
nur für unsere gegenwärtige Untersuchung sind sie ohne jede
Bedeutung.
Dem gegenüber giebt es bewusste Anhänger der
Mischsyntax. Zunächst solche, die gar nicht die Absicht
haben eine systematische Syntax zu schreiben, sondern eine
lockere Reihe von einzelnen Punkten aufeuklären und mit un-
gleicher Ausführlichkeit zu erörtern wünschen und die für ihre
mehr aphoristisch gehaltenen Ausführungen die Freiheit der
Bewegimg imd Gruppierung, die wechselnde Wahl des Stand-
pimktes dem Zwange irgend eines Systems vorziehen. Inso-
fern diese die systematischen und methodischen Fragen als
vorhanden anerkennen, aber für ihre besonderen Zwecke im
einzelnen Falle — der aber doch im ganzen als Ausnahme zu
gelten haben wird — bei Seite setzen, ist nichts dagegen zu
sagen; die Berechtigung dieses Verfahrens wird niemand be-
streiten wollen, da durch dasselbe nichts für oder wider irgend
ein System entschieden werden soll.
Dann gehören hierher solche Autoren, die an einer be-
friedigenden Lösung jener Grundfragen überhaupt verzweifeln,
die Mängel eines jeden der bekannten Systeme neben seinen
Vorzügen nicht übersehen und, da sie keinem den Vorrang
einzuräumen vermögen, es für erspriesslicher halten, in den
gewohnten Bahnen der Mischsyntax zu bleiben; ein Notbehelf
17
der doch wenigstens für Verfasser und Leser den Vorteil der
Bequemlichkeit bietet.
Und endlich diejenigen Autoren, die auch für eine ausge-
führte und umfassende Arbeit sich an die Mischsyntax halten,
nicht als an ein pis aller, weil sie etwas Besseres zu finden ver-
zweifeln, sondern weil etwas Besseres zu suchen ihnen unnütz
scheint, weil sie mit dieser Mischsyntax in theoretischer wie
praktischer Hinsicht durchaus zufrieden sind.
Den beiden letzterwähnten Anschauungen gegenüber
brauchen wir unsem Standpunkt nicht besonders zu betonen
und ausführlicher zu begründen. Er ist durch das blosse
Aufwerfen der Frage: Was ist Syntax?, durch das Suchen
nach dem besten syntaktischen System schon hinlänglich be-
zeichnet. Aus dem Widerspruch gegen jene Ansichten sind
die vorliegenden Erörterungen erwachsen; unsere gesamten
Ausführungen würden also, soweit ihnen überhaupt irgend
welche überzeugende Kraft innewohnt, zugleich als Wider-
legung der zuletzt erwähnten Anschauungen anzusehen sein.
Die Anerkennung der Mischsyntax — sei es als eines allen
billigen Anforderungen genügenden Systems, sei es auch nur
als eines notwendigen Übels — enthielte in sich schon das
Zugeständnis, dass eine befriedigende Antwort auf die Fragen,
deren Untersuchung uns hier beschäftigt, nicht zu finden sei.
Selbst wenn — was wir durchaus bestreiten*) — - alle Elemente,
aus denen sich die Mischsyntax zusammenzasetzen pflegt, an
sich völlig einwandfrei wären, wenn alle Gesichtspunkte, die
sich in ihr zur Geltung bringen, für sich ihre volle Berechtigung
hätten, so wäre doch das Durcheinander oder auch nur ein
Nebeneinander ungleichartiger und zmn Teil direkt entgegen-
gesetzter Elemente von vornherein verwerflich. Es liegt im
Wesen der Mischsyntax, dass sie nur eine äusserliche Disponierung
des Stoffes zulässt, eine dm-chweg dem Gegenstand gemässe,
aus seiner Natur entspringende und dabei einheitliche An-
*) Vergl. unten S. 62 ff.
B 1 e 8 , Was ist Syntax ?
t
18
Ordnung unmöglich macht, und auch die Gleichartigkeit der
methodischen Behandlung ausserordentlich erschwert , wenn
nicht ausschliesst. Ein eklektisches System — das ist eigent-
lich eine contradictio ; ein Mischsystem ist gar keins. (lo. ii.)
Um der Systemlosigkeit der Mischsyntax zu entrinnen,
giebt es nur den einen Weg: den herkömmlichen Stoflf durch
Ausscheidung eines Teiles seiner Elemente einheitlich zu machen.
Unter Beibehaltung alles dessen, was ihr hergebrachtermassen
zugewiesen wird, ist Ordnung, Einheit und System in die Syntax
nicht hineinzubringen. Entschliesst man sich aber zu der
durchaus notwendigen Amputation, so steht man vor der Eni--
Scheidung der Hauptfrage: Welche Teile des üblicherweise der
Syntax zugeteilten Stoffes sind abzutrennen, welche sind bei-
zubehalten ? — Aber soll man sich, bloss dem System zuliebe,
überhaupt zu solch gewaltsamer Operation entschliessen ? Soli
Ordnung und Einheitlichkeit auf Kosten des Inhalts erzielt
werden ? Dies schwer wiegende Bedenken wird durch das End-
ergebnis der folgenden Erörterungen, wie wir denken, beseitigt
werden. Wir hoffen zeigen zu können*), dass es sich in
Wahrheit gar nicht um eine Amputation handelt, dass eine
künstliche Lostrennung von organisch zur Syntax gehörigen
Teilen nicht erforderlich sein wird. Es wird sich erfreulicher-
weise herausstellen, dass der Syntax alles wirklich Wesentliche
erhalten bleiben kann und dass, um zu einem einheitlichen
und gleichartigen Stoffe zu gelangen, man nur solche Teile der
landläufigen Syntax abzusondern braucht, die ihrem Wesen
nach der Syntax im Grunde fremd sind. Solche Trennung
kann aber allen Teilen, die so aus einer zwar seit lange zur
Gewohnheit gewordenen, aber eigentlich unnatürlichen Ver-
bindung gelöst werden, nur zum Vorteil gereichen. (^2)
Wir stehen also, von der Mischsyntax ausgehend, vor der
Alternative: entweder den wahren Kern der Syntax in der
Darstellung der Satzlehre zu suchen oder aber diese selber
*) Siehe unten den Abschnitt über Syntax und Wortlehre.
19
ganz über Bord zu werfen. Zu diesem letzleren entschliesst
sich MiKLOsiCH, und ihm folgen nicht wenige andere Gelehrte.
Wir nennen diese neuerdings mehr in den Vordergrund ge-
tretene Richtung, deren Besprechung wir uns nun zuwenden,
nach ihrem hervorragendsten Vertreter das
System Miklosich.
»Jener Teil der Grammatik,« sagt Miklosich, »welcher die
Bedeutung der Wortklassen und Wortformen darzulegen hat,
heisst Syntax. Die Syntax zerßLllt demnach in zwei Teile, von
denen der erstere die Bedeutung der Wortklassen, der andere die
Bedeutung der Wortformen zum Gegenstand hat.« (^®) Einfach,
klar und — sicherlich unrichtig. Auf den ersten Blick sogar
etwas verblüffend, dieser Sprung von der »Bedeutung der
Wortklassen und Wortformen« zu dem Namen Syntax. Dies
Wort ist etymologisch zu durchsichtig, man ist sich seiner
Bedeutung zu lebhaft bewusst, als dass die Worte Miklosichs
»heisst Syntax« nicht hart ans Ohr schlagen sollten.
Lebhaft zu bedauern ist, dass sich Miklosich meines
Wissens nicht zu einer eingehenden Erklärung und Begründung
seines Systems verstanden hat. Die einzige Stelle, an der er
sich, soviel mir bekannt, über die Anlage ^ines Werkes aus-
spricht, versucht nur eine Rechtfertigung für das Aufgeben
der getrennten Behandlung der Modi im einfachen und mehr-
fachen Satze. (^*) Selbst wenn diese Rechtfertigung gelungen
wäre, was wir nicht glauben, so streift sie doch die uns be-
schäftigende Frage nur nebenbei. Ob die Bedeutung der Modi
im Zusammenhang oder nach Haupt- und Nebensätzen ge-
sondert behandelt wird, ist uns hier relativ gleichgültig. Was
wir wissen möchten, ist vor allem, weshalb Miklosich zwar
den Modus u. s. w. im Satze und den Satzarten, aber nie
den Satz und seine Arten selber behandelt. Kommt auch
natürlich an vielen Stellen seines Werkes gelegentlich die Rede
auf bestimmte Formen und Arten des Satzes, so fehlt doch eine
Darstellung der Satzlehre und soll seiner Definition nach fehlen.
2*
/
20
So sind wir in Ermangelung eigener Äusserungen des
Verfassers vielfach auf blosse Vermutungen angewiesen. Sicher
ist wohl , dass Miklosich sein System in bewusstem und ge-
wolltem Gegensatz zu der oben besprochenen Art syntaktischer
Arbeiten ausgebildet hat. Wahrscheinlich ist auch, dass er
selber, ebenso wie es seine Nachfolger und Beurteiler einstimmig
gethan haben, einen Hauptvorzug seines Systems gegenüber dem
Durcheinander der Mischsyntax in der Einfachheit, Durchsichtig-
keit und Folgerichtigkeit seiner Anordnung gefunden haben vrird.
Dass er sich bei der einmal als notwendig erkannten Wahl
zwischen den widerstrebenden Gesichtspunkten gegen die Auf-
fassung der Syntax als Satzlehre entschieden hat, das hängt
wohl mit der Abneigung gegen die in der Satzlehre, wie er sie
vorfand, noch so vielfach herrschende Richtung Beckers zu-
sammen. Mir ist zwar nicht bekannt, das MiKLosrcH dieser
Abneigung einen besonderen Ausdruck gegeben hat ; sie scheint
mir aber aus der ganzen Anlage und Durchfuhrung seiner
Syntax deutlich erkennbar. Und es liegt nahe anzunehmen,
dass die verkehrte Methode, nach welcher Miklosich die
Satzlehre so häufig behandelt fand, ihn gegen den so behan-
delten Stoff selber mistrauisch und abgeneigt gemacht habe.
Über einen solchen Zusammenhang zwischen der Ausbreitung
des Systems Miklosich und dem Kampfe gegen die BECKERsche
Richtung kann übrigens kein Zweifel sein, wenigstens nicht so-
weit Erdmann, der tüchtigste unter seinen Nachfolgern, in
Betracht kommt. Dieser letztere, der sich bei Gelegenheit aus-
drücklich scharf gegen Becker gewendet hat (^^), nennt Miklosich
sein Vorbild (^®) und beruft sich gleichzeitig auf Sgherer(^^),
der in dem oben erwähnten Aufsatz gesagt hatte: »Entweder
Becker oder Miklosich, aber keine Vermischung beider Stand-
punkte. Entweder Ausgehen vom Innern oder vom Äussern,
aber konsequent in jedem!« (''')
Doch ist dieser — von Miklosich selbst nicht ausgesprochene,
aber doch unverkennbare — Widerspruch gegen die philosophie-
rende Behandlung der Syntax nach BECKERscher Art nur eine
21
Seite des Systems Miklosich: er ist vor allem kein unter-
scheidendes Kennzeichen desselben; so aber könnte man nach
der eben angezogenen (^^) Äusserung Erdmanns vermuten, in
der dieser die Wahl seines Vorbildes mit dem Gegensatz gegen
die BEGKERSche Methode zu begründen sucht. Diesen Gegen-
satz hat vielmehr Miklosich mit andern gemein ; so hatte sich
z. B. schon vor dem Erscheinen der vergleichenden Syntax der
slavischen Sprachen Vernaleken gegen »die Bernhardi, Becker,
Herling« erklärt, die »von der philosophischen Seite begonnen
haben, anstatt mit ihr zu endigen.« ('•) Femer sagt Vernaleken:
»Was endlich die Anordnung im ganzen betrifft, so habe ich
vor allem im Auge gehabt, dass die Grammatik eine empirisch-
historische Wissenschaft ist, keine spekulative Ein
Gerüst aus logischen Abteilungen und Unterabteilungen be-
stehend, ist und bleibt ein Gerüste, das jeder andere philo-
sophische Sprachforscher über den Haufen wirft.« (^®) Wäre
also das eigentlich Charakteristische an Miklosich sein Gegensatz
gegen die BECKERsche Schule, so hätte es für den Germanisten
Erdmann doch näher gelegen, sich auf den Vorgang des älteren
Vernaleken zu beziehen.
Und auch das ist für Miklosich nicht charakteristisch —
und daher auch nicht geeignet, die von Erdmann getroffene
Wahl eines Vorbildes zu begründen — dass »dieser Forscher
(wie Erdmann a. a. 0. sagt), das altbewährte Prinzip der An-
ordnung festhielt . . .« Ist das System Miklosich wirklich
das .altbewährte', weshalb wird er denn gerade besonders
genannt, zum Vorbilde empfohlen (Scherer) und gewählt
(Erdmann , Wunderlich) ? (^^) Jene Worte Erdmanns lassen
den eigentlichen Sachverhalt überhaupt nicht mit genügender
Klarheit erkennen. Setzen wir für das Wort .altbewährt',
das eine petitio principii enthält, einfach ,air, so ist die
Bemerkung insofern richtig, als die Bestandteile, aus denen
Miklosich sein Werk aufbaut, von alters her überliefert sind
und seitdem, wenigstens in ihrer Mehrzahl, meist als für eine
Syntax unentbehrlich gegolten haben. Es ist auch weiter richtig,
22
dass sehr vielfach und ebenfalls von alters her gerade diese
Bestandteile als das Wesentliche angesehen worden sind und
oft den breitesten Raum in syntaktischen Werken eingenommen
haben. Aber gerade weil das richtig ist, deshalb ist es kein
Umstand, der dazu führen könnte, das System Miklosigh zum
Vorbild zu wählen. Insofern dieser Forscher am Altüberlieferten
festhält, ist in seinem System nichts Eigenartiges, das Gegenstand
der Nachahmung sein könnte. Es deckt sich jedoch Miklosighs
System keineswegs mit dem altüberlieferten. Was er vorfand
war doch immer nichts Anderes als Mischsyntax verschiedenster
Art und Abstufung, wie sehr auch in vielen die Lehre von den
Redeteilen und Flexionsformen, der altüberlieferte Kern, über-
wiegen mochte. Miklosigh hat also unter dem überlieferten
Stoff ausgewählt und durch diese Auswahl hat er eigentlich
erst ein ,Prinzip* in die Anordnung hineingebracht; er hat
erst durch Ausscheidung anders gearteten Stoffes eine aus der
geschichtlichen Entwickelung der syntaktischen Forschung er-
klärliche, einfach thatsächlicheGepflogenheit zum Prinzip
erhoben. Aber auch andere {^^) haben mit mehr oder minder
bewusster Absicht sich in derselben Richtung bewegt: keiner
freilich mit der Folgerichtigkeit wie Miklosigh. Wollte Erdmann
die Wahl seines Vorbildes begründen, so hätte er den Nachdruck
ausschliesslich auf die Worte ». . . und konsequent durchfahrte«
legen müssen, die er den oben angeführten wie etwas höchstens
gleich Wichtiges nachfolgen lässt. Allerdings! Konsequent
ist Miklosigh wie kein zweiter. Die unbezweifelte Origi-
nalität der MiKLOsicHschen Syntax liegt weder in der Opposition
gegen die BECKERsche Richtung noch im Festhalten am altüber-
lieferten Stoff und seiner Anordnung: was ihre ausgeprägte
Eigenart ausmacht, das ist die starre Konsequenz, durch welche
allein die schöne Einfachheit ihres Aufbaus ermöglicht wurde.
Was die Syntax von Miklosigh vor allen andern aus-
zeichnet, die klare Durchsichtigkeit ihrer Anlage und die sonst,
weder von Vorläufern noch von Nachfolgern erreichte Folge-
richtigkeit im Festhalten des zu Grunde liegenden Planes —
23
diese Vorzüge, darüber darf man sich nicht täuschen, waren
aber nur ermöglicht durch die grossartige und gewaltsame
Einseitigkeit, durch welche sich sein System ebenfalls von
allen andern unterscheidet. Bis auf einige, allerdings nicht
unwichtige und recht bezeichnende Ausnahmen, die wir noch
zu besprechen haben werden, hat Miklosich den Mut seiner
Meinung gehabt und alles unbarmherzig aus seinem Werke
verbannt, was sich seiner Definition und Disposition nicht hat
fügen wollen. So ist denn sein Werk zwar bis auf die er-
wähnten Ausnahmen einheitlich und übersichtlich geworden wie
keine andere Syntax — aber auf Kosten des Inhalts. Dieses
in solchem Masse, dass wir ein derartiges Werk — so gross
sonst immer seine Verdienste sein mögen — überhaupt nicht
eine Syntax nennen würden, sondern es nur als eine Materialien-
sammlung zu einer solchen bezeichnen könnten. Denn es
werden nicht nur einzelne Gebiete, die unzweifelhaft als wich-
tige, ja unentbehrliche Bestandteile einer Syntax anzusehen
sind, völlig ausgeschlossen, sondern es werden auch die Teile
des syntaktischen Stoffes, die von Miklosich behandelt sind, in
einer Weise angeordnet, wie sie höchstens neben einer zusammen-
fassenden Behandlung zulässig erscheinen könnte. Durch seine
Definition und die sich aus derselben ergebende Disposition ist
aber Miklosich jede zusammenhängende Darstellung der syn-
taktischen Gebilde selber unmöglich gemacht.
Möglich, dass sich Miklosich über das Fehlen einer zu-
sammenhängenden Darstellung der Satzlehre mit einem ähn-
lichen Gedanken getröstet hat, wie ihn Erdmann in der oben (S. 20/21
vergl. Anm. 17) schon zu einem Teile besprochenen Verteidigung
seines Systems ausspricht: »Für jede Wortklasse gebe ich die
Gebrauchstypen an, in denen sie — für sich allein stehend,
oder in Verbindung mit anderen — erscheint; dann verfolge ich
den Gebrauch jeder Formation des Verbums und will es ebenso
bei jeder des Nomens thun. Nach dieser Anordnung kann der
Aufbau jedes Satzes bei den einzelnen Bestandteilen desselben
zur Sprache kommen ; ebenso jede in der Sprache ausgebildete
24
Form der Verbindung zweier Sätze bei den einzelnen Mitteln,
welche der Verbindung dienen, also zunächst an verschiedenen
Stellen. Zusammenfassung und Ergänzung dieser einzelnen
Erörterungen zu einem Gesamtbilde der Satzverknüpfung
habe ich dem Schlussabschnitt vorbehalten«. Der letzte Teil
dieser Verteidigung seines Verfahrens setzt sich in prinzipiellen
Gegensatz zu dem ersten, und damit zu dem System selber,
dessen Hauptvorzug, der einfache, harmonische Aufbau, wie
auf der Hand liegt, durch diesen Schlussabschnitt zerstört
wird. Was »ein Gesamtbild der iSa^^verknüpfung« in
einer »Lehre vom Gebrauche der TTor^klassen und Wort-
formen in der Rede« zu thun hat, wie es sich in eine solche
einfügen soll, ist völlig unerfindlich. Die Satzverknüpfung ist
ein wirklich syntaktisches Problem ; eine Darstellung derselben
fasst die syntaktischen Gebilde selber ins Auge, während »die
Lehre vom Gebrauch der Wortklassen und Wortformen« sich
ausschliesslich mit deren einzelnen Bestandteilen befasst. Wer
eine so definierte Syntax mit einem Gesamtbilde des Gebrauchs
einiger dieser Bestandteile in einem bestimmten syntaktischen
Gebilde beschliesst, fallt damit einfach aus der Rolle. Er fügt
dem System Miklosich ein Stück aus dem ihm gerade entgegen-
gesetzten System hinzu ; das Ergebnis ist natürlich wieder Misch-
syntax. Miklosich ist konsequenter und, indem er nur seine
2 Teile : I. Bedeutung der Wortklassen, II. Bedeutung der Wort-
formen, aber keinen »Schlussabschnitt« kennt, hat er auch
keine »Zusammenfassung zu einem Gesamtbilde.« Erdmann
fühlt für die Satzverknüpfung das Bedürfnis einer Zusammen-
fassung, was sehr begreiflich ist. Schwer zu begreifen ist aber,
dass er nicht gefühlt hat, dass er damit einmal die einfache,
klare Zweiteilung und die ganze saubere Folgerichtigkeit des
MiKLOsiGHschen Systems vernichtet, und dass er zum andern
damit gegen die übrigen Teile der Satzlehre ungerecht wird.
Was der Satzverknüpfung recht ist, ist doch allen
andern Teilen der Satzlehre billig. Weshalb denn nur
jener »eine Zusammenfassung und Ergänzung zu einem 6e-
25
samtbilde« gönnen? Wird man Erdmann auch bereitwillig
zugeben, dass bei seiner Anordnung das Bedürfiiis einer Zu-
sammenfassung zu einem Gesamtbilde gerade für die Satz-
verknüpfung besonders fühlbar war, so wird man doch nicht
behaupten wollen, dass etwa jede zusammenhängende Behand-
lung der übrigen Teile der Satzlehre entbehrlich und überflüssig
sei. Selbst wenn wir Erdmann zugeben könnten, dass »bei
dieser Anordnung der Aufbau jedes Satzes bei den einzelnen
Bestandteilen desselben zur Sprache kommen kann; ebenso
jede . . . Form der Verbindung zweier Sätze« — (wenn dem
so ist, weshalb bedarf es da übrigens zum Gesamtbilde einer
Ergänzung?); selbst wenn wirklich auf diese Weise der
gesamte Inhalt einer Satzlehre, zwar zerstückelt und verteilt,
aber doch vollständig zur Behandlung gelangen könnte, so
richtet sich eben dagegen unser erster Einwand, dass die
Verfasser von Werken nach dem System Miklosich dem Leser
zumuten, dass er sich »an verschiedenen Stellen« »die ein-
zelnen Bestandteile« zusammenlese. Dadurch wälzen sie einen
wesentlichen Teil ihrer Arbeit auf den Leser ab. Wir ver^
missen eben die »Zusammenfassung«; es fehlt eben
»das Gesamtbild«. An verschiedenen Stellen sind
die einzelnen Bestandteile des Satzes behandelt, der Satz
aber ist nirgends behandelt. Ist das nicht, als ob in einer
Darstellung der Grundzüge seiner Wissenschaft ein Zoologe,
ein Botaniker, statt uns »Gesamtbilder« von den Tieren und
Pflanzen zu geben, uns nach einander die einzelnen »Bestand-
teile«, aus denen sich die Objekte seiner Wissenschaft zu-
sammensetzen, vorfuhren wollte, diese Bestandteile beschreiben
und angeben wollte, wie, wann, wo, in welchen Formen,
Verbindungen usw. sie sich finden? Würden wir ein Werk
der beschreibenden Naturwissenschaft als ein Muster seiner
Art gelten lassen, in dem der Verfasser, statt uns Blumen und
Bäume vor Augen zu stellen, statt uns Fische, Vögel und
Reptile vorzuführen — jedes in seinem natürlichen Zusammen-
hang, an seiner Stelle im System, — uns der Reihe nach von
26
Wurzeln, Dornen, Blättern, Nadeln spräche; E[nochen, Gräten,
Haut, Flossen und sonstige »Bestandteilec behandelte; ihre
Arten und Formen, ihr Vorkommen bei diesem Tiere, bei jener
Pflanze erörterte? Der Vergleich hinkt? Wenn auch — ! Dass
die sprachlichen Gebilde, mit denen es der Syntaktiker zu
thun hat, den Objekten der beschreibenden Naturwissenschaft
völlig an die Seite gesetzt werden können , so dass der Ver-
gleich an allen Punkten sich durchfuhren Hesse, soll gar nicht
behauptet werden. So lahm ist er aber doch nicht, dass er
nicht gut veranschaulichte, woran uns die Vertreter des Miklo-
sicHschen Systems gewöhnen möchten und auch soweit schon
gewöhnt haben, dass ihr Verfahren kaum noch recht als Unbill
empfimden wird. Statt einer wirklichen Syntax bieten sie uns
geordnete Stoffsammlungen und halb bearbeitetes Material zu
einer solchen. Die Teile geben sie uns in die Hand, das geistige
Band sollen wir selber herumschlingen.
Wir haben oben gesehen, dass die Stellungnahme Erdmanns
gegen die BECKERSche Richtung nicht als ausreichende Be-
gründung für die Wahl seines Vorbildes angesehen werden
kann, weil dieser Gegensatz zu Becker nichts für Miklosigh
Charakteristisches ist. Ebensowenig würden wir zugeben können,
dass die eben bekämpfte Behandlungsweise der Syntax etwa
eine notwendige Folge dieses seines Widerspruchs gegen Becker
sei. Wenn Erdmann das glaubt, wie aus seinen oben angeführten
Äusserungen hervorzugehen scheint, so verwechselt er die
Methode der Forschung mit der Anordnung und
Art der Darstellung. Die letztere ist von dem Wege,
auf dem die Ergebnisse der Forschung erlangt worden sind,
durchaus unabhängig, sie kann diesem Wege folgen und
wird das angemessenerweise bei manchen Einzelforschungen
thun, aber sie braucht es nicht zu thun. Und was für
Monographieen mitunter am Platze sein mag, wird nicht ohne
weiteres auf Gesamtdarstellungen übertragen werden dürfen.
Richtet sich Erdmanns Opposition mit Recht gegen die Methode
Beckers und seiner Schule, so ist es darum nicht erforderlich,
27
dass das nach einer geeigneteren Methode gewonnene Material
einfach nach den Rubriken geordnet, unter denen es gesammelt
wurde, dem Leser vorgelegt werde. Eine zusammenfassende,
Gesamtbilder gebende Darstellung, eine wirkliche Bear-
beitung der auf richtigem Wege gefundenen Forschungs-
ergebnisse würde der Richtigkeit dieser gewiss keinen Abbruch
thun, sie würde sie im Gegenteil erst ins rechte Licht stellen.
Wäre dem System Miklosich nur das Fehlen jeder zu-
sammenhängenden und zusammenfassenden Darstellung des
eigentlich syntaktischen Stoffes vorzuwerfen, so wäre das keine
geringfügige Ausstellung; doch ist sie relativ geringfügig, in-
sofern sie sich nur auf die Anordnung und Darstellung bezieht,
verglichen mit den übrigen Bedenken, zu denen das System
Anlass giebt: denn diese richten sich gegen den hihalt selber.
Der Verwechslung von Forschungsmethode und Darstellungs-
weise, die Erdmanns Verteidigung des Systems Miklosich zu
Grunde liegt, tritt nämlich die noch bedenklichere Verwechs-
lung der Methode der Forschung mit dem Objekte derselben
zur Seite. Erdmann widersetzt sich der »Neigung (der Herling,
Becker u. s. w.) nicht die Funktion der gegebenen Sprachform
nachzuweisen, sondern für die zuerst angesetzte Funktion die
sprachlichen Ausdrucksmittel zu suchen. c (i') Scherer hatte »das
Ausgehen vom Äussern«, »die formelle Behandlung« empfohlen.
Diese Anschauung teilen wir auch, sie dürfte wohl überhaupt
kaum noch Gegner haben. Aber, wohl gemerkt: es bezieht
sich all dies ausschliesslich auf die Methode der Forschung.
Die Forschung soll, um sichern Boden unter den Füssen zu
haben, vom Äussern, vom Formellen ausgehen; sie soll nichts
im voraus ansetzen, sondern für die gegebene Sprachform die
Funktion nachweisen. Das ist der Weg, den die Forschung
gehen soll — kein Wort über ihren Gegenstand! War
Herlings und Beckers und ihrer Nachfolger Weg der falsche,
so brauchte das Ziel, dem sie zustrebten, nicht falsch zu sein;
es brauchte nur der richtige Weg nach dem Ziele gesucht
zu werden. — Sah man sich veranlasst ihre als verkehrt
28
erkannte Methode der Forschung zu verlassen, so lag darin kein
Grund auch das Objekt derselben aufzugeben.
Und weshalb sollen nun der Gregenstand syntaktischer
Forschung die Wortklassen und Wortformen sein, und nicht
mehr wie bei jenen der Satz? Hat etwa der Satz kein »Äusseres«,
kein »Formelles«? Ist denn nur das Wort eine »Sprachform«,
der Satz nicht? (*'*) Oder wird die Satzform ausschliesslich durch
die Verwendung von bestimmten Wortarten und Wortformen
gebildet, sodass durch die Darstellung des Gebrauchs dieser die
Formen des Satzes zur Genüge — wenn auch nur implicite —
schon mit dargestellt wären? Dass eine solche, sachlich durch
nichts begründete Beschränkung der syntaktischen Forschung
auf den Gebrauch von Wortarten und Flexionen grösstenteils
altüberliefert ist, das ist eine historische Erklärung, aber keine
Rechtfertigung. Im Gegenteil. Was ehemals nur natürlich war,
hat längst aufgehört es zu sein. Die Syntaktiker, auf deren
»altbewährtes« Verfahren in Stoflfauswahl und Anordnung die
Vertreter des Systems Miklosigh zurückgreifen, haben sich auf
die Darstellung des Gebrauchs der Bestandteile der Rede
beschränkt und beschränken müssen, weil ihnen der Begriff
des Satzes und vor allem des Satzgefüges überhaupt noch fehlte
oder doch nur unklar vorschwebte. Begriff und Terminus ,Satz'
gehören aber jetzt, in rein sprachlichem Sinne gefasst, zu dem
festen Bestände allgemein gültiger grammatischer Begriffe, wie
sehr man im einzelnen über die ihm zu gebende Ausdehnung
und seine Definition streiten mag. Ihn wieder aufeugeben
kommt ja auch den Anhängern des Systems Miklosigh nicht
in den Sinn, sie behandeln aber ihre Syntax, alter Überlieferung
getreu, als ob auch sie den Begriff des Satzes noch nicht hätten.
Wenn diejenigen, die in der Syntax zuerst entschlossen eine
Satzlehre gesehen haben, wie ich überzeugt bin, einen grossen
Schritt über das altüberlieferte Schema hinaus gethan haben,
so lag auch in den Mängeln, die ihren Versuchen anhaften,
kein Grund diesen Schritt wieder zurückzuthun. Und das
System Miklosigh bedeutet im Prinzip, sowohl was die Auswahl
29
als was die Anordnung des syntaktischen Stoffes betrifil, einen
Rückschritt.
Hiermit haben wir den schwächsten Punkt dieses Systems
berührt. Jene Substitution von ,Wortart und Wortform' an
die Stelle des allgemeineren Ausdruckes ,Sprachform\ der auch
Satzart und Satzform einschliesst , jene Unterschiebung der
Satzelemente als Forschungsobjekt der Syntax an die Stelle
der syntaktischen Gebilde, also vornehmlich des Satzes selber,
das ist der Kardinalfehler des Systems, die Wurzel aller übrigen.
Auf ihn gehen auch die beiden Hauptmängel der Definition
von Syntax, wie sie Miklosigh an der Spitze seines Werkes
gegeben hat, zurück, die wir noch besonders besprechen müssen.
Diese Definition ist nämlich zu gleicher Zeit zu eng und zu weit.
Dass sie zu eng ist, dass sie ganz wesentliche Teile der
Syntax ausschliesst, darüber kann nicht der geringste Zweifel
bestehen ; es ist durchaus nicht richtig, was EIrdmann behauptet,
dass bei der Besprechung des Gebrauchs von Wortklassen und
Wortformen alles zur Sprache kommen kann, was zu einer
Satzlehre gehört*).
So ist nach dieser Definition zunächst schon kein Platz
für die Erörterung der Grundfragen der Satzlehre. Aus der
oben (S. 23 und Anm. 17) schon zum Teil angeführten Ver-
teidigung seines Systems erfahren wir noch, dass Erdmann
»alles, was irgend ein Mensch ,Satz* nennen kann, ausdrücklich
einschliessen wollte, von unvollkommenen Anfangen der Satz-
bildung bis zum verwickelten Satzgefüge . . . « Wollen wir
aber erfahren, was Erdmann selber einen Satz nennt und
— was noch interessanter und belehrender wäre — was er als
»unvollkommene Anfänge der Satzbildung« im Deutschen will
angesehen wissen, wo sollen wir darüber Belehrung suchen in
einer Syntax, die sich darauf beschränkt, uns den Gebrauch
der Wortklassen und Wortformen darzustellen? Da der Satz
*) Das ist doch wohl der Sinn der oben (S. 23 flg.) angeführten
Worte Ebdmanns.
30
weder eine Wortklasse noch eine Wortform, sondern ein syn-
taktisches Gebilde ist, diesen letzteren aber kein Abschnitt
einer Syntax nach dem System Miklosich gewidmet ist, noch
sein kann, dürften wir vergebens nach einer Antwort auf unsere
Frage suchen. Eine Definition von Syntax ist aber ohne Zweifel
zu eng, wenn sie keinen Raum lässt für eine, wenn auch noch
so kurze, aber zusammenhängende &örterung solch grund-
legender Fragen wie die nach dem Wesen und der Entwicklung
des Satzes; nach den notwendigen Bestandteilen desselben;
nach dem Verhältnis des logischen (besser: psychologischen) zu
dem grammatischen (formalen) Subjekt und Prädikat u. s. w.
Erdmann hat sich einmal anderswo (^*) für die EERNsche Auf-
fassung des strittigen Terminus ,Satz' ausgesprochen; aus
seinem eigenen Werk über deutsche Syntax ist aber eine
volle Klarheit darüber nicht zu gewinnen, wie er sich zu diesen
Grundfragen stellt, denen eben erst von mehreren Seiten er-
neute Aufmerksamkeit zu teil geworden war. Noch weniger
darf man eine Begründung seines Standpunktes in seiner Syntax
suchen. Denn alles, was sich Diesbezügliches in den »Grund-
zügen« Erdmanns findet, beschränkt sich naturgemäss auf bald
hier, bald dort eingestreute Andeutungen und halbe Antworten
auf diese Fragen. (^*) Um diese aufeufinden, ist man
darauf angewiesen, aufs Geratewohl das ganze Werk zu durch-
blättern. Das konnte freilich bei dieser Disposition nicht an-
ders sein.
Aber es heisst doch die Sachlage eigentümlich verschieben,
wenn Erdmann, aus der Not eine Tugend machend, diesen
Mangel eher als einen Vorzug seines Werkes hinzustellen bemüht
ist. Wenn der Leser nicht in einer Syntax darüber Belehrung
finden soll, was ein Satz ist, wo denn sonst? Diese berechtigten
Erwartungen etwa deshalb zu täuschen, um alles einschliessen
zu können, was »irgend ein Mensch« Satz nennen kann — das
ist doch zuviel Rücksicht auf irgend welche Menschen. Entweder
die Ansicht des Professors Erdmann über das Wesen des Satzes
ist richtig, oder sie ist es nicht. Ist sie es nicht, so wird das
31
allerdings den Wert seines Werkes beeinträchtigen, wie jeder
andere Irrtum, den er etwa begangen haben mag ; aber wie für
jeden andern Irrtum wird er auch für diesen die Verantwort-
lichkeit auf sich nehmen können und müssen. Ist seine Ansicht
über das Wesen des Satzes aber die richtige, dann war eine
so weit gehende Rücksicht auf entgegenstehende Ansichten vom
Übel, zumal wenn die gesamte Anlage seines Werkes davon
so wesentlich beeinflusst werden konnte. Seine eigene Ansicht
über das Wesen des weitaus wichtigsten syntaktischen Gebildes
in seinem eigenen Werke über Syntax zurückzudrängen, um
alles einschliessen zu können, was andere — seiner Überzeugung
nach also fälschlich — als Satz bezeichnen, das ist eine mir
nicht völlig begreifliche Selbstbeschränkung und Entsagung.
Solche Zurückhaltung war um so weniger geboten, als ja jene
sjTitaktischen Gebilde, die wohl andere, aber Erdhann vielleicht
nicht als Satz bezeichnen würden, deshalb nicht unbesprochen
zu bleiben brauchten. Erdmann hätte nur nötig gehabt sie an
der Stelle und unter der Bezeichnung zu behandeln, die ihnen
nach seiner Ansicht innerhalb seines Systems syntaktischer
Termini zukam.
Ausser all jenen grundlegenden allgemeineren Erörterungen
werden durch die MiKLOsiCH-ERDMANNsche Definition eine ganze
Reihe von andern, höchst wichtigen Kapiteln der Syntax aus-
geschlossen. Wir nennen, ohne auf Vollständigkeit Anspruch
zu machen, die Wort- und Satzstellung, die Parataxe und
Hypotaxe in ihrem wechselnden Verhältnis zu einander und in
ihren Grenzschwankungen, und die sämtlichen ,musikalischen'
(siehe flg. S.) Mittel der Satzbildung.
Die MiKLOsiGH-ERDMANNSche Definition erhebt eine altüber-
lieferte unvollkommene Praxis zum Prinzip und verleitet dadurch
noch mehr als jene zu einer einseitigen Ausbildung der Syntax;
sie verdeckt die Lücken unserer bisherigen syntaktischen Er-
kenntnis ; sie verführt dazu, den satzbildenden oder besser den
syntaktischen Wert der Wortformen und Wortarten zu über-
schätzen ; und indem sie diese Mittel der Satzbildung , die
r
32
greifbarsten, die am bequemsten und sichersten zu behandeln
sind, geradezu als die einzigen hinstellt, verleitet sie zu einer
Verkennung und Vernachlässigung der übrigen syntaktischen
Bildungsmittel.
So ist denn in der That eine Behandlung derjenigen Satz-
bildungsmittel, die ich unter dem Namen der musikalischen
zusammenfassen möchte : Tempo, Pausen, Betonung, RJiythmus,
Melodie, kaum noch je ernstlich im einzelnen versucht worden. (**)
Von welcher W^ichtigkeit die eingehende Erforschung der musi-
kalischen Satzbildungsmittel für die richtige Erkenntnis der
syntaktischen Gebilde ist, ersieht man allein aus dem Umstände,
dass ohne Berücksichtigung dieser Momente die Frage der Ab-
grenzung von selbständigen und unselbständigen Sätzen sich
in den germanischen Sprachen gar nicht lösen lässt. Wer sich
dieser Einsicht verschliesst, fallt entweder immer wieder in den
alten Fehler zurück, andere als rein sprachliche Momente zur
Entscheidung heranzuziehen und ,Haupt*- und ^Nebensätze'
nach ihrem ^logischen* oder inhaltlichen Werte zu unter-
scheiden oder ist, indem er diesen Fehler zu vermeiden sucht,
gezwungen den Begriff »unselbständiger Satz« zu eng zu defi-
nieren. Vergebens sucht man nach rein sprachlichen
Kennzeichen, die für alle Arten von unselbständigen Sätzen
ausreichten, wenn man die musikalischen Mittel des Satzbaus
unberücksichtigt lässt. In dieser Lage befindet sich z. B. Kern. (^^
Er bekämpft mit den scharftm Waffen, die er zu führen pflegt,
und, wie meistens, siegreich die »Realgrammatiker«, die »rhe-
torische Übungen vornehmen statt Grammatik zu treiben«. Er
betont diesen gegenüber die Thatsache, »dass die Hauptsätze
Nebensachen und die Nebensätze Hauptsachen enthalten können«.
Er glaubt aber (a. a. 0. S. 148) »ein klares formales Merkmal
für den deutschen Nebensatz« gefunden zu haben in der »vom
Hauptsatz gänzlich verschiedenen, ja geradezu entgegengesetzten
Wortfolge«. Freilich muss er sofort »eine Art von Nebensätzen«
ausnehmen, die dies Merkmal nicht zeigen und »dennoch durch-
aus als Nebensätze zu bezeichnen sind. Das sind diejenigen
33
Fragesätze, welche allmählich die Funktion von Bedingungssätzen
übernommen haben«. (^'^) Auf die Frage, die allerdings Kern
in erster Linie im Äuge zu haben scheint, ob es sich für
den Unterricht in der deutschen Satzlehre aus praktischen
Rücksichten empfiehlt, die Wortstellung als hauptsächliches
und entscheidendes Kennzeichen der Nebensätze gelten zu
lassen, wollen wir hier nicht eingehen. Unser Widerspruch
bezieht sich nur auf die wissenschaftliche Berechtigung der
KERNschen Definition. Dass für die wissenschaftliche Betrach-
tung die Wortstellung kein ausschlaggebendes Merkmal bei der
Unterscheidung von abhängigen und unabhängigen Sätzen im
Deutschen bilden kann, liegt auf der Hand. Es genügt der
Hinweis auf das Englische, das keine Nebensatzwortstellung
kennt, dabei aber mit Vorliebe Objekt- und Relativsätze ohne
einleitendes Wort bildet. Über die Nebensatznatur der Sätze
ohne die Konjunktion that und ohne Relativpronomen besteht
aber keinerlei Zweifel. Ich halte es für undenkbar, dass es
jemand einfallen könnte zu behaupten, dass: »/ hope you are
weih zwei Hauptsätze seien , während : »I hope that you are
weih ein Haupt- und ein Nebensatz sei. Ist aber you are well
in »/ hope you are weih ein Nebensatz, wie nicht bestritten
werden kann (und meines Wissens noch nie bestritten worden
ist), so ist es wissenschaftlich ganz unmöglich, Sie sind wohl in
»icA hoffe^ Sie sind wohU als Hauptsatz anzusehen. Es bedarf
keines Beweises, dass in »/ hope you are weih und »Ich hoffe, Sie
sind wohh dasselbe syntaktische Gebilde vorliegt. Dieselbe
Formation aber in zwei so nahverwandten Sprachen zwei sich
gegenseitig ausschliessenden syntaktischen Kategorien zuzu-
weisen, das wäre eine wissenschaftliche Ungeheuerlichkeit.
(Schüler, die Englisch treiben, darf somit auch im Deutschen
die KERNsche Unterscheidung nicht gelehrt werden: man sieht,
als wie wenig praktisch sich hier, wie gewöhnlich, das wissen-
schaftlich Unhaltbare schliesslich herausstellt.) Dass ein Gram-
matiker von der kritischen Schärfe und der Umsicht Kerns
dazu kommen kann, in y>Es scheint, er kommt heute nicht<^\
B i e s , Was ist Syntax? 3
r
34
»DaÄ beste ist, du vergisst diese Kränkung^ ; ^Ich hoffe^ du bist
gesund^ (*®) nichts als Hauptsalze , als »grammatisch ganz
selbständige Sätze« zu sehen, ist bezeichnend. Giebt es einen
deutlicheren Beweis für die Übermacht des Buchstaben, des ge-
druckten und geschriebenen Wortes über den lebendigen Laut,
über die wirkliche Sprache, des toten Zeichens über die be-
zeichnete Sache? Auch hierin steckt viel Altüberliefertes, das
wir darum nicht altbewährt nennen wollen. Alte Gewöhnung
von der jahrhundertelangen intensiven und einseitigen Beschäf-
tigung mit den toten Sprachen: von diesen her die Methode
des Hängens und Haftens am geschriebenen Zeichen. Was
bei jenen zum grössten Teil Notwendigkeit ist, wird aus blosser
Gewohnheit unbewusst auf die Behandlung der lebenden Sprache
übertragen. Auch in diesen, auch in der Grammatik der eignen
Muttersprache gilt es von vornherein als ausgemacht, dass das
,Sprachlich-formale' sich decke mit dem, was sich in Schrift
und Druck auf dem Papiere fixieren lässt. Dass man abhängige
Sätze von unabhängigen durch das Gehör unterscheiden könne,
dass der Laut und die Betonung usw. sprachliche Merkmale
seien, ist ein gar zu fern liegender Gedanke. Und doch ist er
auch für die, welche fast über den Sprachzeichen die Sprache
selber vergessen, nahe genug gerückt durch die Interpunktion.
Diese ist ja nichts anderes als ein zwar unvollkommener, aber
doch dem Hauptbedürfnis ungefähr genügender Versuch, die
musikalischen Mittel der Satzbildung dem Auge anzudeuten.
Wir schreiben:
Du sagst: ^Ich bin kranh<^
und: Du sagst, ich bin krank.
Nach Kern hätten wir im zweiten Falle {ebensogut wie im ersten
zwei »grammatisch ganz selbständige« Sätze. Da aber in beiden
Fällen dieselben Worte gebraucht sind und (nach Kern) dieselbe
syntaktische Formation (nur Hauptsätze und zwar einfache
Aussagesätze) vorliegt, so müsste in beiden Fällen dasselbe
gesagt sein. Weshalb aber die verschiedene Interpunktion?
35
Zur Andeutung einer (musikalisch) verschiedenen Aussprache,
und diese ein Mittel, verschiedene Satzarten zu bilden ohne Zu-
hilfenahme besonderer Wörter oder Wortformen ; und somit eine
ganz verschiedene Bedeutung. Zuerst zwei selbständige Sätze,
von denen der zweite direkte Rede enthält: der Kranke ist also
der mit Du Angeredete, der von sich selbst behauptet hat, er
sei krank. (Im Zusammenhange ginge es etwa weiter: Du
jammerst: T^Mein Kopf ihut mir weh,<^ Ich glaube kein Wort
von deinen Klagen!) Im zweiten Falle ein selbständiger Aus-
sagesatz und ein von ihm abhängiger: Der Kranke ist nach
der Behauptung des Angeredeten der Redende. (Es geht etwa
weiter : Ich fühle mich aber ganz wohl ). (^°) — Kein Ein-
sichtiger wird verlangen, dass wir hier die praktische Nutz-
anwendung der von uns verlangten Berücksichtigung der
musikalischen Satzbildemittel machen in Form von fertigen
Definitionen, die wir etwa an die Stelle der KERNSchen Unter-
scheidung von Haupt- und Nebensätzen setzen würden, oder
gar von Regeln, die für den Schulimterricht brauchbar wären.
Ehe man sich an diese Aufgabe machen kann, muss erst die
Syntax die lang versäumte, ins Einzelne gehende Untersuchung
der musikalischen Mittel der Satzbildung gründlich nachgeholt
haben. Worauf es ims hier ankam, war nur darauf hinzuweisen,
dass eine wissenschaftlich haltbare Unterscheidung selbständiger
und unselbständiger Sätze noch nicht geftinden ist, und den Weg
anzudeuten, auf dem sie, unseres Ermessens, allein zu suchen wäre.
Dass aber über eine so ungemein wichtige, auf die Elemente der
Satzlehre bezügliche Frage noch solches Dunkel und solche Mei-
nungsverschiedenheit herrschen kann, das erklärt sich nur aus
dem hemmenden Einfluss, den jenes altüberlieferte Verfahren auf
die Entwicklung der syntaktischen Forschung so lange ausgeübt
hat; das ist die Schuld eines Systems, das uns vom lateinischen
Unterricht her daran gewöhnt hat, in der Syntax im wesentlichen
eine Lehre vom Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen
zu sehen. Nebensätze, die nicht durch ein besonderes Wort
eingeleitet werden und sich weder durch eine besondere Tempus-
3*
36
noch durch eine besondere Modusform auszeichnen, giebt es
naturgemäss für eine Syntax nicht, die nur den Gebrauch der
Wortarten und Wortformen ins Auge fasst. Selbst Berück-
sichtigung der Wortstellung bei der Unterscheidung der Satzarten
ist vom Standpunkte eines solchen Systems prinzipiell eine blosse
Inkonsequenz. Kern, der diesen Standpunkt nicht teilt, sondern
wirkliche Satzlehre im Auge hat, legt in dieser auf die Wort-
stellungsunterschiede mit Recht grossen Wert. In diesem Falle
überschätzt er aber die Bedeutung der Wortstellungsverschieden-
heiten und zwar offenbar deshalb, weil ihm der Gedanke nicht
gekommen ist, dass es, neben der Verwendung von besonderen
Worten und Wortformen, ausser der Wortstellung noch andere
sprachliche Mittel der Satzbildung geben könne. Damit zeigt er
deutlich, wie auch er noch von dem Geiste der alten Syntax
beeinflusst ist, die vom Gebrauch der Redeteile und Flexionen
handelt, aber von eigenthcher Satzlehre nichts weiss. (^^)
Auch die Lehre von der Wort- und Satzstellung liegt, wie
erwähnt, ausserhalb des von der Definition Miklosichs um-
grenzten Bereichs der Syntax. So ist es denn neben den musikali-
schen Mittebi der Satzbildung dies weite und gewiss nicht
unwichtige Gebiet {^^) , das am meisten im argen liegt. Nicht
viel mehr als die Anfangsgründe der Wortstellungslehre sind
bekannt; für manche Sprachen, deren Studium sonst eifrig
gepflegt wird, kaum diese. Gerade die klassischen Sprachen,
deren Syntax im übrigen so erfolgreich erforscht und durch-
gearbeitet ist, bieten ein bezeichnendes Beispiel für die
Vernachlässigung der Gebiete, die ausserhalb der grossen, von
alters her viel begangenen Strassen der syntaktischen Forschung
über den Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen liegen.
Unter dem Einfluss der Überlieferung wird die Wortstellungs-
lehre der klassischen Sprachen noch vielfach irrtümlicherweise
vorwiegend der Stilistik oder gar der Rhetorik zugewiesen und
damit nicht selten jener etwas dilettantischen Behandlungsart
überlassen, die sich kaum irgendwo noch so breit macht wie
auf diesem Felde. Trotz der jahrhundertelangen Bearbeitung der
37
lateinischen und griechischen Syntax sind heute kaum mehr
als die Grundzüge der historischen Wortstellungslehre dieser
Sprachen wissenschaftlich festgelegt; und von dem, was auf
diesem Gebiete geleistet ist, verdankt man das meiste nicht
den eigentlichen klassischen Philologen, sondern den Vertretern
der allgemeinen Sprachwissenschaft. Erst in allemeuster Zeit
macht sich der Einfluss der modernen Sprachforschung auch
hier geltend.
Das Heil der syntaktischen Forschung lag nun in der
Aussicht, dass sie fortführe sich von dem Einfluss des über-
lieferten Verfahrens (in der Beschränkung auf die Beobachtung
des Gebrauchs der Redeteile und Flexionsformen) mehr imd
mehr zu befreien und durch Nachholung des bisher Versäumten,
durch immer eingehendere Behandlung der so lange vernach-
lässigten Aufgaben ihr Gebiet angemessen zu erweitern. Diese
Aussicht droht der Erfolg des Systems Miklosich zu zerstören.
Gelingt es seinen Anhängern mit ihrer Auffassung durchzu-
dringen, gelangt dies System zu immer weiterer Ausbreitung,
so kommt damit das schon halbüberwundene altüberlieferte
Verfahren zu neuer Herrschaft; und diese dürfte für die
Entwicklung der syntaktischen Forschung um so schädlicher
sein, je konsequenter die von Miklosich zum Prinzip erhobene
Beschränkung auf die durch seine Definition umgrenzten
Gebiete durchgeführt wird. Demgegenüber ist zu betonen, dass
eine durchgreifende Besserung des gegenwärtigen Zustandes,
eine erfolgreiche Fortführung der jüngst begonnenen Entwicklung
so lange nicht zu erwarten steht, als nicht jene altüberlieferte
Auffassung von den Aufgaben der Syntax samt ihrer Wieder-
belebung in noch gefährlicherer Form durch die Definition
MiKLosiCHs völlig und endgültig zu den Toten geworfen ist.
Dass diese Definition, die sie an die Spitze ihrer Werke
gestellt haben, zu eng ist, müssen übrigens sowohl Miklosich
als Erdmann selbst gefühlt haben ; denn implicite haben sie es
dadurch zugegeben, dass sie einen Teil der Stoffe, die sie durch
38
ihre Definition theoretisch ausgeschlossen haben, dessenunge-
achtet thatsächlich in ihre Behandlung einbeziehen.
Es ist nicht uninteressant festzustellen, wie sie sich in
diesem Punkte im Einzelnen verhalten. Miklosigh hält auf Über-
sichtlichkeit seines Plans und Konsequenz in dessen Durchführung :
er hat am wenigsten Konzessionen gemacht; er hat kein Wort
über die slavische Wortstellung, wie er auch kein Gesamtbild
der Satzverknüpfung giebt. Nur ausnahmsweise überschreitet
er die durch seine Definition gezogenen Grenzen, und wo er es
thut, da deutet er dies Verhältnis offen an, indem er äusserlich
seine Disposition aufirecht erhält und sich mit Anhängen (^^)
behilft. Anhänge sind aber, sofern sie nicht etwa nur
erweiterte oder zusammengefasste Anmerkungen oder Beweis-
material und dergl. enthalten, ein offenbarer Notbehelf, der
durch seine blosse Existenz beweist, dass die Stoflfbegrenzung
imd Stoffverteilung dem behandelten Gegenstande nicht gerecht
geworden ist, dass sozusagen die Rechnung nicht aufgegangen ist:
was in den Anhängen untergebracht ist, das ist der übrig ge-
bliebene Rest. Je grösser nun verhältnismässig dieser Rest ist,
um so weniger wird man sagen können, dass die Lösung der
Aufgabe gelungen ist. Nun stellt sich, meiner Meinung nach,
dies Verhältnis bei Miklosigh nicht besonders günstig. Wir
finden nämlich in der Lehre von der Bedeutung der Wortklassen
zu den beiden Kapiteln, die vom Substantiv und Adjektiv handeln
und zusammen 14 V» Seite füllen, einen Anhang von 34 Seiten,
und später in der Lehre von der Bedeutung der Wortformen
zu dem Kapitel über den Nominativ von im ganzen 2^/3 Seiten
einen Anhang von 23 Seiten. Man wird gestehen müssen , dass
sich an diesen Stellen der Stoff, den Miklosigh in der Syntax
hat behandeln wollen, schlecht in seine Anordnung gefügt hat.
Es kommt hinzu, dass auf Seite 341—344 ohne besondere
Überschrift der eigentlichen Behandlung der Bedeutung der
Wortformen Erörterungen vorausgeschickt sind, die ebenfalls
aus der Disposition herausfallen ; sie handeln von der Kongruenz
der Attribute und Appositionen.
i
39
Erdmann geht manchen Schritt weiter als Miklosich und,
während er so einerseits sein Werk inhaltlich reicher ge-
staltet, verdirbt er andererseits dadurch die Anordnung nahezu
vollständig. Mit Anhängen (^*) allein hätte er sich auch nicht
helfen können: denn diese hätten weit umfangreicher und
zahlreicher werden müssen als bei Miklosich. Die Folge
davon ist aber, dass zu den eben besprochenen Mängeln der
Disposition von Miklosich zwei neue Fehler hinzukommen:
1) die Vorzüge des ganzen MiKLOsicHschen Systems — der ein-
fache, übersichtliche und konsequente Aufbau — gehen durch
Erdmanns stoffliche Erweiterungen zu Grunde, und 2) der Inhalt
der einzelnen Abschnitte entspricht zuweilen nicht der Überschrift.
Der thatsächlich behandelte Stoff ist über die ihm von der
Definition gezogenen Schranken hinausgewachsen und setzt sich
teils ohne weiteres über sie hinweg oder fügt sich nur scheinbar
und äusserlich in die ihm aufgezwungene Gliederung. Die
Lehre von der Kongruenz, der Wortstellung, der consecutio
temporum, den subjektlosen Sätzen, bezw. den Sätzen ohne
Subjektswort — Gebiete, die Erdmann alle behandelt oder doch
streift — sie können an keiner Stelle des Systems Miklosich-
Erdmann richtig untergebracht werden; denn ihr Gegenstand
sind immer mehrere Wörter in ihren Beziehungen zu ein-
ander, sind die syntaktischen Gebilde selber, nicht ihre
Elemente, und nur von diesen, von den »Bestandteilen« (wie
Erdmann selber es an der citierten Stelle zugiebt) der syntak-
tischen Gebilde handelt eine Syntax, die die Bedeutung oder
den Gebrauch der Wortformen und Wortklassen lehrt. Be-
zeichnend dafür ist, dass Erdmann dieselben Fragen unter
der (unpassenden) Überschrift »Verbum« als ein Kapitel der
Lehre vom Gebrauch der Wortklassen behandelt, oder berührt,
die Miklosich anhangsweise hinter dem »Nominativ« im 1. Kapitel
der Lehre von der Bedeutung der Wortformen ausführlich
erörtert hat. Das beweist, dass ihre Anordnung eine äusser-
liche und willkürliche ist; solche Verschiedenheit im Rahmen
desselben Systems wäre immöglich, wenn die Anordnung sich
r
40
aus der Natur des behandelten Stofifes ergäbe und ihrA nicht
künsüich aufgedrängt wäre. Erdmanns Disposition, so schielend
sie ist, verdient hier noch den Vorzug vor der von Miklosich;
er handelt doch wenigstens gelegentlich des Verbgebrauchs von
Sätzen, die nur aus einem Verbum bestehen; Miklosich aber
gelegentlich der Bedeutung des Nominativs von Sätzen, die
keinen Nominativ enthalten.
Wie soll sich aber Erdmann helfen, wenn er jene schon
erwähnten unselbständigen Sätze behandeln will, die ohne
Konjunktion bezw. ohne einleitendes Pronomen gebildet sind
und dabei weder eine besondere Modusform noch besondere
Wortstellung zeigen? Hierbei bleibt ihm nur die angenehme
Wahl zwischen zwei gleich unerfreulichen Möglichkeiten: ent-
weder der verkehrten Anordnung, dass er Satzformen
unter der Wortklasse aufiPührt und bespricht, die eine andere
Sprache oder Sprachperiode in ihnen setzen würde, die gerade
behandelte aber nicht setzt; oder der falschen, bezw. nur
teilweise zutreffenden Auffassung, als ob die Setzung des
einleitenden Pronomens oder der Konjunktion das eigentlich
Regelrechte , bezw. das Ursprüngliche , ihr Fehlen aber
eine Ausnahme sei; als ob die Konjunktion, das Pronomen
^ausgefallen' wäre. Es geht glimpflich ab, wenn wie bei Erd-
mann und Miklosich nur die erste dieser Möglichkeiten zur
Wirklichkeit wird; doch dürfte die Gefahr, dass auch die
zweite sich verwirklicht, auch heute noch nicht ausgeschlossen
sein. Diese Auffassung war bekanntlich früher das Gewöhn-
liche, was dem Geiste des überlieferten Verfahrens durchaus
entspricht
Während nun Erdmann die Relativsätze ohne Relativ-
pronomen bei diesem letzteren erörtert, also in dem Teile, der
den Wortklassen gewidmet ist, behandelt er die konjunktions-
losen Objektsätze in einem Abschnitt der Moduslehre, also bei
den Wortformen. Dieses letztere Kapitel ist für Erdmanns
Verfahren charakteristisch, weshalb wir einen Augenblick dabei
verweilen wollen. Nachdem Erdmann über den Gebrauch des
41
Indikativs, Imperativs und Konjunktivs je in selbständigen Sätzen
und Nebensätzen (®^) gehandelt hat, fügt er in der Art eines
Anhangs ein besonderes Kapitel hinzu mit der Überschrift
»Modus in indirekter Rede«. Zunächst deckt sich diese Über-
schrift entfernt nicht mit dem Inhalt; denn in diesem Abschnitt
wird ausser vom Modus der indirekten Rede auch von der
vierfachen Art der Anknüpfung derselben, von der Wortstellung
und dem Tempusgebrauch in diesen Sätzen (»consecutio tempo-
rum« sagt das Inhaltsverzeichnis geradezu) ausführlicher ge-
handelt. Es ist sogar die innere Gliederung des ganzen Ab-
schnittes nicht nach dem Modus gemacht, sondern im wesent-
lichen nach den verschiedenen Arten der Anknüpfung. (3^)
Somit stellt sich der ganze Abschnitt nicht mehr dar als ein
Kapitel vom Gebrauch gewisser Wortformen, sondern als
eigentliche, echte Satzlehre. Nicht der Gebrauch eines
bestimmten Modus, eines bestimmten Tempus wird dargestellt,
auch werden nicht im Zusammenhang gewisse Anwendungen
der. Modi und Tempora, die durch einander bedingt wären, er-
örtert: es wird vielmehr von einer bestimmten Satzart gehan-
delt und alles zur Sprache gebracht, was zu ihrer Charakteri-
sierung von Belang erscheint. (^')
Mit Inhalt und Gliederung stimmt die Ausdrucksweise
überein. Es beginnt das ganze Kapitel: »Indirekte Rede . . .
nenne ich alle Sätze (!), deren Inhalt (!) . . .« Der nächste Ab-
satz beginnt : »Formen (!) der indirekten Rede sind . . .« Also
Satzlehre! Und nicht nur Wortstellung und Anknüpftings-
weisen werden hier in der Moduslehre besprochen, Dinge, für
die im ganzen System kein rechter Platz zu finden war, die
somit hier so gut wie anderswo untergebracht werden
mochten, sondern ein Stück der Tempuslehre ist von dieser
abgezweigt und hier der Moduslehre, oder vielmehr einem der
Moduslehre angehängten Kapitel aus der Satzlehre eingefügt.
Da ständen wir nun mit beiden Füssen wieder in unserer
lieben, alten Mischsyntax!
4S
Ein deutlicheres Eingeständnis der Unzulänglichkeit des
Systems kann man nicht wünschen. Sachlich ist dies Ver-
fahren allerdings durchaus zu billigen, weil nur auf diese Weise
innerlich so eng Zusammengehöriges auch im Zusammenhang
erörtert werden konnte. Denn die Frage der Abhängigkeit der
Zeiten in der indirekten Rede ist freilich unzertrennlich von
der Behandlung dieser Satzform überhaupt. Aber eine solche
sachgemässe Behandlungsweise steht eben in direktem Gegen-
satz zu dem Geiste des Systems Miklosigh. Dieses will nicht
Satzformen beschreiben und ihre Bedeutung und ihren Gebrauch
lehren, sondern die Bedeutung (den Gebrauch) der Wortformen
und Wortklassen. Dass Erdmann, der hier durchaus auf dem
richtigen Wege war, nicht durch solche Fälle von seiner Ein-
genommenheit für dies System zurückgekommen ist; dass er
nicht gesehen hat, welch handgreiflicher Inkonsequenz er sich
schuldig macht, in welchen Widerspruch er sich mit seinem
System setzt, ist kaum zu begreifen.
Die »Stellung des Verbums im Satze« behandelt Erdmann
als vierten Abschnitt der Lehre vom Gebrauche der Verb-
formen und in diesem »Stellung des Verb ums« überschrie-
benen Abschnitt handelt er auch in drei Paragraphen von der
»Anordnung der dem Verbum folgenden Satzteile«.
Es wird das nach dem Vorausgehenden nicht weiter wunder
nehmen.
Um die Kritik seines Verfahrens zusammenzufassen: Erd-
mann wechselt wiederholt den Gesichtspunkt, geht von der Be-
trachtung der Bestandteile des Satzes zu der Betrachtung der
syntaktischen Gebilde selber über; er setzt Abschnitte einer
eigentlichen Satzlehre mitten hinein in das System Miklosigh
und fällt somit in die Mischsyntax zurück, von der wir uns
befreien wollten.
Erdmanns planloses Durcheinandermengen ist umsoweniger
begreiflich, als Sgherer, der sich doch auch und in so lebhafter
Weise für Miklosigh ausgesprochen hatte, und auf dessen
43
privatim ihm gegenüber geäusserte Ansichten über die Anlage
einer Syntax sich Erdmann geradezu beruft, öffentlich auf einen
andern Weg hingewiesen hatte. (^®) Scherer hatte es deutlich
genug ausgesprochen, dass er »natürlich nicht sagen wolle,
dass er alles und jedes (bei Miklosigh) für richtig und anwend-
bar auf deutsche Verhältnisse halte«; er hatte betont, dass
»auch Kongruenz, Satzaccent, Wortstellung Mittel der Satz-
bildung sind, deren Bedeutung und Gebrauch erwogen werden
müsse«. Er hatte femer diese Stoffe einem besonderen
»sei es ersten, sei es dritten Teil« zugewiesen, weil — so er-
klärt er ausdrücklich — »diese Kapitel weder mit der Bedeu-
tung der Wortklassen, noch mit der der Flexionsformen etwas
zu thun haben, sondern ein besonderes Gebiet für sich bilden«.
Und an einer späteren Stelle wiederholt er: »alles was sich auf
die Kongruenz bezieht, wäre (aus der Kasuslehre) auszuscheiden«.
Will man einmal von dem System Miklosigh ausgehen und
dabei nicht, wie sein Begründer es gethan, auf die Behandlung
grosser und wichtiger Gebiete der Syntax verzichten, so kann
man — das liegt auf der Hand — verständigerweise keinen
anderen Weg einschlagen als den, welchen Sgherer gezeigt
hatte. Statt der zwei Teile bei Miklosigh hätten wir dann
drei; diesem neuen Teil würde dann alles das zugewiesen
werden, was bei strengem Festhalten an der Disposition sich
in den beiden andern nicht unterbringen liesse.
Aber wäre damit auch das Durcheinander einer Anordnung,
wie sie Erdmann gewählt hat, vermieden, so wären wir doch
von ei» wirklich guten und sachgemässen Disposition des
syntaktiÄhen Stoffes so weit entfernt wie je.
Gerade die von Sgherer empfohlene Einrichtung überzeugt
uns vielmehr von der Unmöglichkeit, auf Grund des Systems
Miklosigh überhaupt zimi Ziele zu gelangen. Dadurch dass bei
ihr die Ordnung im Kleinen hergestellt ist, dass innerhalb
der einzelnen Teile folgerichtig am Thema festgehalten, alles
Fremdartige ausgeschieden wird, dadurch tritt die Inkonsequenz
im Grossen, die Diskrepanz der Teile selber, die sich
44
zu keinem Ganzen verbinden, um so deutlicher und schärfer
hervor. Die Syntax nach Sgherers Vorschlag würde in zwei
Hälflen auseinanderfallen: einerseits die Syntax Miklosighs,
andererseits die Zusätze Sgherers. Da aber jener von den
Worten, ihren Klassen und Formen, ausgeht und deren
Bedeutung lehrt, dieser den Satz im Auge hat und einige (^®)
Mittel seiner Bildung darstellen will, so steht der neue Teil
innerlich fremdartig neben den beiden alten und wird nur
äusserlich mit ihnen durch den gemeinsamen Namen Syntax
zusammengehalten. Statt des Durcheinander hätten wir dann
ein Nebeneinander und bei aller Folgerichtigkeit innerhalb
der Teile doch immer Mischsyntax. Wie wenig eine solche
Syntax ein einheitliches System darstellen würde, erkennt man
am besten bei dem Versuche, für den Begriff Syntax eine Definition
zu finden, die zu dem Inhalt einer Syntax passte, wie sie sich
nach Sgherers Vorschlag gestalten würde.
Wir verlassen hiermit das System Miklosigh. Wir glauben ge-
zeigt zu haben: l)dass das eigentlich Charakteristische an diesem
System die zum Prinzip erhobene und annähernd konsequent
durchgeführte Beschränkung auf die Lehre von der Bedeutung
(dem Gebrauch) der Wortklassen und Wortformen ist; 2) dass
infolge dieser Beschränkung Miklosighs Definition von Syntax
zu eng ist; 3) dass die Versuche, die grossen Lücken des Systems
auszufüllen — sei es in der Art Erdmanns, sei es nach dem
Vorschlage Sgherers — scheitern müssen, weil sie notwendiger-
weise mit dem Geiste des Systems in Widersprucl:]^ geraten
und zur Mischsyntax zurückführen.
Dass andererseits die Definition Miklosighs auch zu Weit ist,
ist oben schon angedeudet worden. Während die Lehre von
den Wortklassen und Wortformen die Aufgaben der Syntax
durchaus nicht erschöpft, enthält sie zugleich vieles, was in eine
Syntax überhaupt nicht gehört. Dieser Fehler, dass es sich
auf eine zu weite Definition gründet, ist jedoch keine Eigen-
tümlichkeit des Systems Miklosigh; dieses hat ihn vielmehr
mit all den syntaktischen Systemen gemein, die, der Überliefe-
45
rung folgend, überhaupt die Lehre von der Bedeutung und
dem Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen wesentlich
unverkürzt in sich aufgenommen haben. Da wir die Quelle
dieses annähernd allen syntaktischen Werken anhaftenden
Fehlers in einer mangelhaften Gliederung der Gesamtgram-
matik zu finden glauben, besprechen wir ihn unten in der
allgemeinen Erörterung des Verhältnisses, in dem die Syntax
zu den übrigen Teilen der Grammatik steht. Wir wenden uns
daher zunächst zu dem Widerspiel des Systems Miklosich, zu
der Auffassung der
Syntax als Satzlehre.
Während Miklosich zu einem einheitlichen Stoffe zu ge-
langen suchte, indem er die syntaktischen Gebilde in ihre
Bestandteile auflöste, sich auf die Darstellung der Bedeutung
dieser letzteren beschränkte, eine eigentliche Satzlehre aber
ausschloss, werden umgekehrt von einer grossen Zahl von
Grammatikern die Ausdrücke ^Satzlehre' und ^Syntax' geradezu
als gleichwertig angesehen, wird Syntax einfach als Satzlehre
definiert und behandelt.
Aus dem Vorausgehenden, besonders dem S. 23 fif. und
29 fif. Ausgeführten, ergiebt sich, dass wir dieser Auffassung
sehr nahe stehen. Denn das meiste von dem, was wir
gegen das System Miklosich zu sagen hatten, spricht zugleich
direkt für eine Auffassung von den Aufgaben und der Ein-
richtunAder Syntax, die darin in geradem Gegensatz zu
dem Gelle jenes Systems steht, dass sie nicht die Bestand-
teile der syntaktischen Gebilde, sondern diese selber zum
Gegenstande ihrer Behandlimg macht. Können wir der
Definition »Syntax ist Satzlehre« auch nicht unbedingt zustimmen,
so teilen wir doch im grossen und ganzen die Auffassung,
auf der sie beruht. Wir halten diese Definition allerdings
nicht für ganz fehlerfrei und glauben nachweisen zu können,
dass sich für die angemessene und folgerichtige Unterbringung
des syntaktischen Stoffes innerhalb einer als ,Satzlehre* defi-
46
nierten und behandelten Syntax nicht unerhebliche Schwierig-
keiten ergeben müssen; diese werden sich jedoch durch eine
naheliegende Verbesserung der Definition ohne Schwierigkeit
beseitigen lassen.
Die völlige Gleichsetzung von Syntax und Satzlehre hat
freilich viel Verlockendes. Es wäre in der That hübsch, wenn
man V^ort und Begrifif Syntax überhaupt entbehren und
dafür gut deutsch Satzlehre setzen könnte. So würde dann
der Laut- und der V^ortlehre einfach als dritter Hauptteil eine
Satzlehre zur Seite treten : eine Einteilung der Gesamtgrammatik,
die zumal durch ihre Einfachheit und Klarheit, dann auch
durch die Bequemlichkeit der deutschen Bezeichnungen besticht.
Und wie dem V^ort unter den übrigen [Lauten und] Lautver-
bindungen, so gebührt ja dem Satze unter den übrigen
[Worten und] Verbindungen von Worten eine hervorragende
Stellung; es ist der Satz unter diesen ohne Frage die wichtigste.
Aber andererseits bleibt doch zu erwägen, dass eine weit tiefere
Kluft das Wort, das allein mit selbständigem geistigen Gehalt
erfüllte Lautgebilde, von den übrigen, den bedeutungslosen
Lautverbindungen trennt und zwischen ihnen eine weit deut-
lichere, natürlichere Trennung erzeugt, als dies beim Satze
gegenüber den andern in der Sprache gebrauchten Wort-
verbindungen der Fall ist. Alle jene möglichen Lautzusammen-
stellungen, die nicht Worte bilden, sind überhaupt, sprach-
lich betrachtet, nichts, sind ein leeres Spiel und, wie man sie
nennen möge, jedenfalls nie ein Gegenstand sprAi wissen-
schaftlicher Forschung. Unter den Verbindungen vÄ Worten
aber, die keine Sätze bilden, sind sehr viele, die emen Sinn
haben, die von der Sprache thatsächhch zum Ausdruck der
Verknüpfung von Vorstellungen gebraucht werden imd daher
unzweifelhaft einen Gegenstand grammatischer Betrachtung
bilden. Aber nur eine besondere Art solcher Verknüpfung ist
ein Satz. Der Satz ist zwar eine sinnvolle Verbindung von
Worten, wie das Wort eine sinnvolle Verbindung von Lauten ist;
während wir aber jede Lautverbindung, die überhaupt zum
47
selbständigen Träger eines Sinnes geworden ist, als Wort
bezeichnen, nennen wir doch nicht auch jede sinnvolle, zu einer
Einheit verbundene Wortgruppe einen Satz. Es trennt somit
den Satz vom Wort ein anders gearteter Unterschied als der
ist, der zwischen Wort und Laut besteht. Die übliche Gegen-
überstellung von Laut — Wort— Satz enthält also einen Fehler, sie
bietet eine unrichtig gebildete Begriflfsreihe ; sie ist nicht kor-
rekter, als es etwa die wäre von Wohnraum— Haus — Stadt (an
Stelle von ^bewohnter Orf überhaupt). Denn das dritte Glied ent-
hält dem zweiten gegenüber ein Merkmal mehr, als das zweite
gegenüber dem ersten ; der dritte Begriff der Reihe ist zu eng. Die
richtige Reihe erhalten wir, wenn das dritte Glied den Kollektiv-
begrifif zum zweiten bildet, wie das zweite ihn vom ersten bietet,
beidemal mit dem einzigen weiteren Merkmal, dass die ent-
standene Verbindung von der Sprache als Träger eines Sinnes
gebraucht werde. Definieren wir den Ausdruck ^syntaktisches
Gebilde' oder kurz ,Wortgeföge' als eine sinnvolle Verbindung
von Worten zu einer neuen Einheit, so würde die richtige
Reihe lauten: Laut— Wort— Wortgefüge. (^^)
Die fehlerhafte Unterschiebung des engern Begriffs Satz
an Stelle von Wortgefüge hätte sich im gemeinen Gebrauch nicht
so festsetzen können, wenn die Grammatik nicht so sehr unter
den Einfluss der Logik geraten wäre. Der Begriff und Terminus
,Satz', der seinen Ursprung aus der Logik nicht verleugnen kann,
stellte sich wie von selbst dem Wort gegenüber, wie sich in
der Low das Urteil dem Begriff gegenüberstellt. Seitdem man
aber dft irrigen Standpunkt der Definition : »Satz ist der sprach-
liche Ausdruck eines Urteils« überwunden hat, hätte man auch
die Definition: »Syntax ist Satzlehre« aufgeben sollen, auch wenn
man ,Satz* als rein grammatischen Terminus gebraucht. Denn
beide irrigen Definitionen entspringen doch der gefahrlichen
Methode des Ausgehens von dem Inhalt, dessen Ausdrucksform
gesucht bezw. postuliert wird. Hätte man mit dem Ausgehen
von der gegebenen sprachlichen Form rechten Ernst gemacht,
so wäre der Fehler in der Reihe Laut — Wort — Satz sofort in
48
die Augen gefallen. Konsequentes Festhalten an diesem metho-
dischen Grundsatz hätte notwendig zu der Erkenntnis geführt,
dass sich der grammatischen Betrachtung zunächst nur jene
drei Hauptgattungen sprachlicher Objekte darbieten, welche
durch die formale Analyse der menschlichen Rede gewonnen
werden. Zerlegt sich die wissenschaftliche Betrachtung das
komplexe Gebilde der Sprache, von formalen Gesichtspunkten
ausgehend, in seine Bestandteile, so findet sie : 1) die Laute, als
die kleinsten, nicht weiter zerlegbaren, einfachsten Einheiten ;
2) zu neuen (verhältnismässig) selbständigen Einheiten ver-
bundene Laute d.h. Wörter; und 3) wiederum zu neuen (relativ)
selbständigen Einheiten verknüpfte Wörter d. h. Wortgefüge.
Sätze aber findet eine formale Analyse zuvörderst nicht.
Vorausgesetzt dass weitere, eingehendere Betrachtung zur Er-
kenntnis besonderer formaler Eigentümlichkeiten derjenigen
Wortgefüge, die wir Sätze nennen, führt — die Möglichkeit
des Gegenteils kann doch nicht a priori verneint werden — ,
so wird dadurch ein sicherer Anhalt zu weiterer Gliederung
der grossen Masse von Wortgefügen gewonnen, Kennzeichen,
welche die Sätze den übrigen Wortgefügen gegenüberzustellen
veranlassen können, nicht aber den Worten. Eine Gegenüber-
stellung von Satz und Wort kann ihren Ausgangspunkt immer
nur von dem ausgedrückten Inhalt her nehmen, nicht von der
Form, hinsichtlich welcher dem Einzelwort nur das Wortgefüge
gegenübersteht. In Bezug auf die Form schliessen sich Wort
und Satz gegenseitig zudem nicht aus; eine grosse ^hl von
Sätzen wird bekanntlich durch ein Wort gebildet, %ne viel
zu grosse Zahl, als dass man sie ohne weiteres als blosse Aus-
nahmen abthun könnte. Umgekehrt aber darf man darum
gerade, hält man sich an das gebotene Ausgehen von der
Form, bei der Übersicht und Gliederung der Objekte gram-
matischer Forschung von der Existenz einlautiger Worte, ein-
wortiger Sätze absehen ; der Form nach ist die Scheidung rein :
erst bei der Erörterung der weiteren Frage nach dem geistigen
Inhalt und der sprachlichen Verwendung der zimächst ihrer
49
Form nach betrachteten grammatischen Objekte ergiebt sich,
dass öfters auch Einzellaute die Bedeutung haben, die sonst
gewöhnlich nur den ^Wörter' genannten Lautverbindungen zu-
kommt, und dass die wichtigste Art der Verknüpfung von Vor-
stellungen nicht nur in gewissen Wortverbindungen verkörpert
ist, sondern vielfach schon in bestimmten Einzelworten voll-
kommen enthalten ist. Bei der Einteilung der Grammatik nach
den Objekten der Forschung ist es also nur konsequent, wenn
zuvörderst auf einlautige Wörter und einwortige Sätze keine
Rücksicht genommen wird; denn ihr Begriff ergiebt sich nicht
ohne Bezugnahme auf ihren Bedeutungsgehalt, während es sich
zunächst nur um die Form der Objekte handeln durfte. Fest-
zustellen ist die Existenz solcher Einzellaute und Einzelworte
mit der Geltung von Worten und Sätzen korrekterweise in dem
der Bedeutung (dem Gebrauch) gewidmeten Abschnitt je des
Hauptteils, der vom Laut bezw. vom Wort handelt, in den sie
ja ihrer Form nach gehören; es steht dann aber nichts im
Wege, für die eingehendere Behandlung ihrer Bedeutung aus
praktischen Gründen auf den jeweils folgenden Hauptteil, die
Worllehre bezw. die Syntax zu verweisen, in die sie ihrer
Bedeutung nach gehören.
Andererseits ist es eine Verletzung des methodischen Grimd-
satzes des Ausgehens von der Form , wenn man gewissen
selbständigen [Lauten und] Lautverbindungen den Wortcharakter
absprechen will, weil sie keinen Begriff ausdrücken und ausser-
halb des Satzes stehen; desgleichen, wenn man unter den
Wortgefügen von vornherein den Satz ausschliesslich ins Auge
fasst, weil er die wichtigste Verknüpfungsart von Vorstellungen
verkörpert, mit welchen Begründungen man das Formale völlig
verlässt.
So steht denn eine Satzlehre, da die Bestimmung ihres^
Objekts, des Satzes, nicht von einem formalen Gegensatz zum
Einzelwort hergeleitet werden kann, prinzipiell nicht einer
Wortlehre gegenüber, will man nicht auf den Grundsatz des
Ausgehens von den gegebenen Formen verzichten;* und dei'
B 1 e 8 , Was ist Syntax ? 4
50
Anschein eines solchen natürlich-einfachen Gegensatzes war
es gerade, was für die Einteilung der Grammatik in Lautlehre,
Wortlehre und Satzlehre einnehmen konnte.
Während eine Syntax nach dem System Miklosich keinen
Anlass findet, in Erörterungen über das Wesen des wichtigsten
syntaktischen Gebildes, des Satzes, seine Form und Bedeutung
einzutreten, ja solche Erörterungen, will sie konsequent bleiben,
geradezu ausschliesst, setzt dagegen eine sich als Satzlehre
gebende Syntax diesen Begriff, der sich uns erst aus der Be-
trachtung der gegebenen syntaktischen Gebilde nach Form
und Inhalt ergeben sollte, statt ihn zu entwickeln und seine
Definition zu begründen, in unmethodischer Weise als vorhanden
und bekannt voraus. Indem die Satzlehre sich nicht als
einen Teil der Syntax giebt, sondern sich als Syntax
der Wortlehre gegenüberstellt, überspringt sie die wichtige
Frage nach den formalen Kennzeichen des Satzes und geht, indem
sie den Satz dem Wort auf Grund des Bedeutungsunterschieds
gegenüberstellt, so sehr sie im Einzelnen den richtigen Weg
von den gegebenen sprachlichen Formen zu dem ausge-
drückten Inhalt einhalten mag, in der allgemeinen Definition
und Disposition den umgekehrten Weg von der Bedeutung zur
Ausdrucksform.
Verfahren die beiden prinzipiell entgegengesetzten Haupt-
systeme der Syntax in solcher Weise, so wird es erklärlich,
dass die Existenz formaler Kennzeichen des Satzes, wie
überhaupt die Definition von Satz und was damit eng zu-
sammenhängt, zur Zeit noch durchaus strittige Dinge sind : ein
deutliches Zeichen für die seltsame Unsicherheit in den Grund-
lagen unserer syntaktischen Anschauungen, aus der man auf
nicht unwesentHche Mängel in der bisher üblichen Behandlung
der Syntax schliessen muss.
Neben diesem prinzipiellen Bedenken gegen die Gleich-
setzung von Syntax und Satzlehre, steht ein praktisches, das
sich auf die eben erwähnte Thatsache bezieht, dass es zur Zeit
eine feststehende, allgemein angenommene Definition von Satz
51
noch nicht giebt. Und gehen schon die Meinungen darüber,
was in der eigenen Muttersprache ein Satz sei, heute noch weit
auseinander, so mehren sich die Schwierigkeiten, wo es sich
um den Versuch handelt, eine für alle Sprachen bezw. Sprach-
perioden passende Definition dieses Begriffs zu finden, der so
allgemein anwendbar und unvermeidlich scheint und doch so
schwer zu bestimmen ist. Vorläufig scheint ein solcher Ver-
such jedenfalls wenig Aussicht zu haben. Da wäre es doch nicht
eben glücklich, wenn man das allgemeine System der Gram-
matik mit auf eine Definition gründen müsste, die entweder
zweifelhaft und bestritten wäre oder aber für die einzelnen
(vielleicht sogar nahe verwandten) Sprachen und Sprachperioden
verschieden lautete. (*^)
Der Fehler in der Definition »Syntax ist Satzlehre« konnte
natürlich nicht ohne Wirkung auf die Disposition einer als
Satzlehre gefassten Syntax bleiben. Es werden durch diese
Definition theoretisch Stoffe von der Syntax ausgeschlossen,
die man in praxi doch weder ausschliessen will noch entbehren
kann. Gesetzt, es hätten sich alle massgebenden Stimmen auf
der denkbar weitherzigsten Definition von Satz vereinigt, einer
Definition, die ausdrücklich darauf berechnet wäre, möglichst
allgemein anwendbar zu sein und alles einzuschliessen, »was
irgend ein Mensch Satz nennen kann«: die Folge könnte doch
nur sein, dass dann kein syntaktisches Gebilde ausgeschlossen
bliebe, das in irgend einer Sprache von irgend jemand zu den
Sätzen gerechnet würde. Neben einigen Wortgefügen aber,
über deren Zugehörigkeit zu der Kategorie der Sätze Meinungs-
verschiedenheit herrscht, stehen zahlreiche andere, die von
niemand als Sätze angesehen werden. Es könnte zwar der
Fall eintreten, dass eine absichtlich sehr weit gefasste Definition
von Satz ihrem Wortlaut nach auch die zweifellos nicht satz-
bildenden Wortgruppen mit einschlösse — sie wäre dann eben
fehlerhaft — ;aber trotz der thatsächlichen Möglichkeit, diese nicht
satzbildenden Wortgefüge mit in den Umfang einer solchen Defini-
tion zu ziehen, entspräche das doch der Ansicht niemandes,
52
auch nicht der Absicht ihrer Urheber. So hat z. B. Paul (*^)
den Begriff Satz so weit definiert, dass, wenn man ihn beim
Worte nähme, >Cäsars Ermordung^^^ -»Reise nach Paris^,
mehrwortige Firmenschilder und Büchertitel von ihm auch für
Sätze erklärt werden müssten, wie das Kern(*^), ich meine
überzeugend, ausgeführt hat. Selbstverständlich ist das aber
nicht Pauls Meinung. Dem Wortlaut dieser und ähn-
licher zu weit geratener Definitionen fügen sich die nicht
satzbildenden Wortgruppen wohl, und doch will sie niemand
als Sätze angesehen wissen: somit läge auch ihre Behandlung
zweifellos ausserhalb des Rahmens einer ,S atzlehre', wie
immer man die Definition von ,Satz* fassen will. Die Syntax aber
beschäftigt sich hergebrachtermassen auch mit der Form, Be-
deutimg und Bildung von Wortgruppen wie die genannten.
Und nicht nur hergebrachtermassen. Ganz zu entbehren, das
liegt auf der Hand, ist die Behandlung der nicht satzbildenden
Wortgruppen nun einmal nicht. Ebenso wenig wird man
versucht sein, die Lehre von den Wortgruppen als einen selbstän-
digen Hauptteil zwischen die Wortlehre und die Satzlehre
einzuschieben oder sie gar der Wortlehre einzuverleiben. Über
die Notwendigkeit, die Behandlung der Wortgruppen der Syntax
zuzuweisen, kann kein Zweifel bestehen; der Stoff einer Lehre
von den Wortgruppen imd der einer Satzlehre ist ganz offen-
bar ein wesensgleicher; es wäre also verkehrt, sie nicht unter
einem Namen zu begreifen und in einem Hauptteil der
Grammatik zu behandeln: der Syntax.
Setzt man aber Syntax einfach gleich Satzlehre, so entstehen
für die Unterbringung der Lehre von den Wortgruppen nicht
unbedeutende Schwierigkeiten.
Es liegt sehr nahe, diese Schwierigkeiten dadurch zu um-
gehen — und in der That hat man diesen Weg vielfach ein-
geschlagen — , dass man die nicht satzbildenden Wortgruppen
einfach als Satzteile ansieht und sie unter dieser Überschrift
in der ^Satzlehre* miterbringt. Man könnte in der That versucht
sein, in der Satzlehre etwa zu handeln von dem Satze, seinen
53
Teilen, Formen, Arten und Zusammensetzungen als Seitenstück
zu einer Wortlehre, die man ansehen würde als Lehre vom
Worte, seinen Teilen (= einem Teil der Wortbildungslehre),
seinen Formen, Arten und Zusammensetzungen: und dabei
müssten dann die Wortgruppen unter den Satzteilen mit zur
Behandlung kommen. Das wäre aber doch nur eine äusserliche
Gleichmacherei, die über die innere Verschiedenheit des Stoffes
von Satz- und Wortlehre nicht täuschen könnte. Denn die
Bezeichnung der nicht satzbildenden Wortgruppen als Satzteile,
so einfach und natürlich sie auf den ersten Blick scheinen
mag, beruht doch auf nichts als einem Spiel mit Worten.
Nennt man ^^Cäsars Ermordungen einen Satzteil, so ist das
richtig, sofern man von einem Satze ausgeht, in dem > Cäsar s
Ermordung^ Subjekt, Objekt oder Prädikatsnomen ist. Insofern
aber die Wortgruppe T^Cäsars Ermordung^ eine dieser syntak-
tischen Funktionen hat, unterscheidet sie sich in nichts von
einem Einzelwort in derselben Funktion und bietet somit als
Wortgruppe nicht das geringste weitere syntaktische Interesse.
Handelt man aber von der Form, der Bedeutung und Bildung
derWortgruppe selber, so wird es meistens ganz gleichgültig
sein, ob diese Gruppe in einem Satze Subjekt ist oder Objekt oder
Prädikatsnomen; erörtert man die Gesetze, nach denen sich
innerhalb der ^Satzteile' die einzelnen Worte zu Gruppen zu-
sammenfügen, so verliert man den Satz, also auch seine Teile,
völlig aus den Augen. Unter der Überschrift »Satzteile« darf
man vernünftigerweise nur Erörterungen darüber suchen, wie
sich der Satz in Teile gliedert, wie diese Teile sich zum
Ganzen und zu einander verhalten, wie sie den Satz bilden:
also immer mit Beziehung auf den Satz ; nicht aber Erörterungen
über die Verbindung von Worten zu andern Einheiten, die in
derselben Weise wie Einzelworte als Satzteile verwandt werden
können; nicht über die Entstehung, die Bildungsgesetze und
Bildungsmittel dieser als Satzteile gebrauchten Wortgruppen
selber. Sehen wir die nicht satzbildenden Wortgefüge als Satzteile
an, so betrachten wir sie als fertige, in sich selbständige Ein-
54
heiten, über deren Bildung, Form und Bedeutung innerhalb
der Satzlehre zu handeln ebenso unpassend ist, als wenn man
Bildung, Form und Bedeutung der — als Satzteile ihnen völlig
gleichstehenden — Einzelwörter darin behandeln wollte.
So können wir z. B. der Anordnung des Stoffes im
Einzelnen nicht zustimmen, die Schmalz in seiner »Lateinischen
Syntax« (**) gewählt hat, welche sonst einen so entschiedenen
Fortschritt auf diesem Gebiet bedeutet. Wir sind durchaus
mit ihm einverstanden, wenn er in der Einleitung erklärt: »In
der Behandlung der Syntax muss man heute die völlig aus-
getretenen Geleise der früheren Grammatiker in Einzwängung
des doch historisch Gewordenen in fertige Denkformen und
logische Kategorien verlassen und die Bahnen der historischen
Grammatik einschlagen. Freilich ist die Methode hier noch
keine vollständig durchgebildete und fertig dastehende ....
Also kurz: die syntaktische Erscheinungsform wurde in ihrer
Entstehung und Weiterbildung genau verfolgt, wo nötig und
thunlich psychologisch begründet und zweckentsprechend unter-
gebracht« (S. 390). Wir begrüssen es auch mit besonderer
Freude, dass Schmalz ausser den von ihm selbst ausdrücklich
erwähnten auch die nicht minder ausgetretenen Geleise der
Grammatiker verlassen hat, die die Syntax in der Lehre vom
Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen aufgehen lassen;
dass er entschlossen mit der Überlieferung und Gewohnheit,
die gerade bei der Behandlung der Syntax der klassischen
Sprachen noch besonders mächtig ist, gebrochen und »die
syntaktische Erscheinungsform« selber zum Gegen-
stand seiner Forschung und Darstellung gemacht hat.
Nur dass er — zwar nicht durchDefinition, aber thatsächlich —
Syntax geradezu gleich Satzlehre setzt, halten wir für verfehlt.
Daraus entspringen Misstände für die Anordnung des Stoffes
im Einzelnen und Dispositionsfehler, die wir nicht als gering-
fögig ansehen möchten. Seine Einteilung ist die folgende:
A. Der einfache Satz. B. Der zusammengesetzte Satz. A. zer-
fällt in: 1. Der Behauptungssatz. 2. Der Fragesatz. (***), B. in:
55
3. Die Beiordnung. 4. Die Unterordnung. Unter »A. 1. Behaup-
tungssatz« finden wir nun gehandelt: a. Vom Subjekt, b. Vom
Prädikat, aa. Allgemeines, bb. von der Kongruenz, cc. Tempora,
Modi, Genera Verbi. e. Attribut und Apposition, d. Kasus-
lehre, e. Participia. f. Präpositionen aa. mit Accusativ. bb. mit
Ablativ, cc. mit dem Ablativ und Accusativ. Wir wollen hier
davon absehen, dass in den Abschnitten, die von den Tempora,
Modi, Genera Verbi, von der Kasuslehre, von den Partizipien
und Präpositionen handeln, die betrachteten Gegenstände ein-
zelne Wortklassen und Wortformen und nicht syntaktische
Gebilde sind, der Verfasser also mit diesen Kapiteln in die
Mischsyntax zurückfällt. Hier kommt es uns nur auf zweierlei
an : erstens ist der überwiegende Teil von all dem, was unter
»A. 1. Behauptungssatz« behandelt wird, an falscher Stelle unter-
gebracht; denn es ist das nichts, was dem Behauptungs-
satz eigentümlich wäre; es gilt vielmehr fast alles, was dort
vom Subjekt, Prädikat, Attribut bis zu den Präpositionen
herunter gesagt ist, ebenso vom Fragesatz; es gilt vom zu-
sammengesetzten Satz so gut wie vom einfachen, weil es
überhaupt vom Satze als solchem, oder von den Wort-
gruppen gilt, die in jedem Satze vorkommen können. Es
hegt also eine falsche Grundeinteilung vor : es handelt sich zu-
vörderst gar nicht darum, einfachen und zusammengesetzten
Satz , Behauptungssatz und Fragesatz gegenüberzustellen,
sondern zunächst lediglich um das, was allen Sätzen
gemeinsam ist, also um die Lehre vom Satze (an sich,
überhaupt) ; dahin gehören die Erörterungen über Subjekt und
Prädikat und sonstige Satzteile; dann erst kommt die Be-
trachtung der einzelnen Satzarten. Und zweitens : Wie kommt
die gesamte Kasuslehre oder die Lehre von den Präpositionen
dazu, der von Subjekt und Prädikat koordiniertzu werden?
Oder wie kommen Attribut und Apposition in diese Reihe?
Die Lehre vom Attribut, von der Apposition handelt von der
Verbindung gewisser Wortarten zu zusammengehörigen Gruppen,
aber nicht zu Sätzen. Die Kasus, die Präpositionen dienen da-
r\
56
zu, Worte mit einander in verschiedenster Weise zu verbinden,
— aber wozu ? doch nicht zu Sätzen, sondern zu Satzgliedern,
zu Wortgruppen. Aus der Verbindung von Subjekt und Prä-
dikat aber entsteht der Satz. In c. — f. wird, mit einigen Aus-
nahmen, überhaupt nicht vom Satze und seiner Bildung, seinen
Teilen, geschweige vom Behauptungssatze, sondern von einzelnen
Wortgruppen ohne jede Beziehung auf den Satz gehandelt.
Dass diese Abschnitte der Behandlung des Subjekts und des
Prädikats, dieser Grundpfeiler des Satzes, gleichartig an die
Seite gestellt sind, ist entschieden ein Fehler.
Unter den übrigen Vertretern (*^) der Gleichsetzung von
Syntax und Satzlehre beschränken wir uns auf die Er-
wähnung JosüPEiTs, der ausser zwei praktischen Versuchen,
die Syntax der lateinischen und der französischen Sprache für
Schulzwecke als Satzlehre darzustellen, seine Ansichten über
die Einteilung der Gesamtgrammatik, über die Aufgaben und
Einrichtung der Syntax auch in einer eigenen Abhandlung (*')
verfochten hat. Wenn er zwar auch in dieser vorwiegend
fremdsprachliche Lehrbücher im Auge hat, so erklärt er
doch ausdrücklich, dass seine Aufstellungen sowohl der Schule
als »der speciell grammatischen Wissenschaft« gelten; er stützt
dieselben auch auf Erörterung^i so allgemeiner Art, dass sie
für wissenschaftliche Werke zum mindesten ebenso zwingend
sein müssten wie für Schulbücher, und für die Syntax der
Muttersprache nicht minder als für die fremder Sprachen.
JosüPErr sucht zu zeigen, dass das System der Grammatik sich
»naturgemäss in die Lehre vom Laut, Wort und Satz« gliedere (*®) ;
er erklärt (S. 4.): »die Satzlehre zerfällt in die Lehre von den
Satzteilen und dem Satze«. S. 3. hatte er richtig als Satz-
teile »eigentlich (!) nur Subjekt und Prädikat im weiteren
Sinne oder Subjekt, Prädikat im engeren Sinne und Objekt«
bezeichnet. S. 4. heisst es aber (im Anschluss an den zuerst
angeführten Satz): »Die Satzteile sind: Subjekt, Prädikat, Ob-
jekt, adverbiale Bestimmungen (des Orts, der Zeit, der Art
und Weise, des Werkzeugs, der Ursache, des Vergleichs) und
57
endlich attributive Bestimmungen (der Eigenschaft, des Sub-
jekts, Objekts, des Ganzen, des Besitzers).« Auf diese Ver-
mehrung der Zahl von Satzteilen hatte die Bemerkung vorbe-
reitet ». . . . Halburteile sind die einem Substantiv hinzuge-
fügten Adjektiva oder attributiven Bestimmungen und die einem
Verb (oder Adjektiv) hinzugefügten Adverbia oder adverbialen
Bestimmungen. Beide Arten des Halburteils reihe ich der
praktischen Kürze wegen unter die Zahl der Satzteile, als
welche sie sich der unbefangenen sprachlichen Beobachtung
darbieten«. Josüpeit fühlt also, dass etwas dabei nicht in Ord-
nung ist, wenn er die adverbialen und attributiven Bestim-
mungen als Satzteile dem Subjekt, Prädikat und Objekt koordi-
niert. Sie sind auch ihm nicht eigentlich Satzteile; dass
er sie als solche aufführt, sucht er sozusagen zu entschuldigen
mit der Berufung auf »die praktische Kürze« und »die unbe-
fangene sprachliche Beobachtung«. Bei dem Hinweis auf die
praktische Kürze kann ich mir nichts Rechtes denken — eine
richtige Benennung und Unterbringung desselben Stoffes an
angemessenerer Stelle würde die Kürze nicht beeinträchtigen — ;
und dass ich in der »unbefangenen« Beobachtung nicht viel
mehr sehe als einen Euphemismus für oberflächliche Beob-
achtung, wird mir der Verfasser hoffentlich nicht verargen;
umsoweniger, als ihn selbst dieser Vorwurf nicht oder nur
halb trifft. Er hat die »eigentliche« Sachlage richtig erkannt;
aber er hat einem bequemen Worte (Satzlehre) und einer be-
quemen Zweiteilung (Satzteile und Satzarten) zuliebe der Sache
einen gewissen Zwang angethan und dem Stoffe eine ihm nicht
völlig gemässe Einteilung aufgedrängt. Wenn wir Josüpeit
auch noch so weit entgegenkommen und einräumen wollen,
dass mit ziemlich demselben Rechte wie die Objekte auch die
andern »Bestimmungen zum Verbalinhalt« (Kern), also auch die
zum Verbum finitum gehörigen adverbialen Bestimmungen als
Satzteile (im weiteren Sinne) angesehen werden können, so
bleiben doch immer die Attribute, Appositionen und die nicht
zmn finiten Verbum gehörigen adverbialen Bestimmungen übrig,
r\
58
für welche die Bezeichnung Satzteile durchaus nicht passen will.
Gerade das, was Josupeit vom »Halburteil« sagt, — was z. B.
schon Herling(^') in der Gegenüberstellung von T>der Vogel
fliegU und »rfer fliegende VogeU erörtert hatte und was dann
wieder von Kern {^^) klar und erschöpfend behandelt worden
ist — spricht deutlich gegen das Zusammenwerfen der attri-
butiven und appositionellen mit den zum finiten Verbum ge-
hörigen adverbiellen Bestimmungen und den übrigen ,Satz-
teilen'. Eine adverbielle Bestimmung des Verbalinhalts kann
insofern als Satzteil angesehen und dem Objekt an die Seite
gestellt werden, als sie den Ausdruck einer sich eben bilden-
den Verknüpfung von Vorstellungen vervollständigen hilft; die
Attribute aber sind immer der Ausdruck einer schon früher
vollzogenen Verbindung von Vorstellungen, die fertig in den
neu sich bildenden Satz herübergenommen ist.
Am ehesten könnte man noch mit Kern statt von Satz-
teilen oder Satzgliedern von Satzbestimmungen sprechen
und diese sondern in unmittelbare und mittelbare. (^*) Als
mittelbare Satzbestimmungen sollten dann die gelten, welche
ihrerseits die unmittelbaren näher bestimmen. Aber »mittel-
bare Satzbestimmung« ist doch nicht viel mehr als ein vor-
sichtig gewähltes Wort, ein verschleiertes Zugeständnis der
Thatsache, dass die darunter verstandenen Wörter eben nicht
den Satz selber, sondern eines seiner Glieder näher be-
stimmen. Dann müsste man auch konsequenterweise in der
Gradabstufung der Mittelbarkeit noch mehrere Stufen weiter-
gehen, wo die Attribute ihrerseits noch durch abhängige Kasus
oder Adverbien usw. näher bestimmt sind. Bezeichnet man
das Adjektiv gut in T^ein guter Freunde als mittelbare Satz-
bestimmung gegenüber der unmittelbaren in dem Adverbium
gut des Satzes »er spricht gut^^ so müsste man in der Ver-
bindung »em in allen Nöten trefflich bewährter Freunden eine
mittelbare Bestimmung ersten, zwei zweiten und 6ine dritten
Grades imterscheiden. Solche Unterscheidung ist zwar weder
unrichtig noch wertlos (zumal nicht im Unterricht); aber bei
59
einer Mittelbarkeit so hohen Grades wird es recht fühlbar,
wie gezwungen und äusserlich die Auffassung ist, die da noch
Beziehungen zum Satz herstellen will. Mit ebensoviel Recht
könnte man dann auch in Vorsilben und andern Wortteilen,
die des Einzelworts Bedeutung näher bestimmen, mittelbare
Satzbestimmungen sehen.
Wichtiger aber ist, dass gewisse Bestandteile der nicht
satzbildenden Wortgefüge sich überhaupt nicht in die Klassi-
fizierung als mittelbare Satzbestimmungen schicken, selbst
wenn man sich sonst auf diesen Standpunkt stellen wollte.
So würde mir jene Bezeichnung für den Artikel in manchen
Fällen seines Gebrauchs und gerade solchen, die durchaus und
nur in der Syntax zu erörtern sind(*Oi völlig unpassend er-
scheinen; ähnlich liegt die Sache mit den Präpositionen. Auf
Grund dieser Auffassung und Terminologie könnte man in der
Verbindung : -»der in diesem Jahre gestorbene grosse Feldherr . . .«
der, gross ^ in diesem Jahre gestorben , ferner in diesem Jahre
und schliesslich dies als mittelbare Satzbestimmungen 1., 2.,
3., oder wievielten Grades immer, ansehen, weil sie alle das
Satzglied Feldherr selbst oder seine Attribute näher bestimmen :
aber auf die Präposition in will die Bezeichnung Satzbe-
stimmung doch auch von diesem Standpunkt aus nicht passen.
Denn in giebt keine nähere Bestimmung der Begriffe dies
und JciÄr, sondern dient zum Ausdruck der syntaktischen Be-
ziehung zwischen dies Jahr und verstorben. Solche Be-
ziehungsausdrücke als Satzbestimmungen zu bezeichnen, geht
doch nicht an, will man der Sache nicht offenbare Gewalt
anthun.
Scheitert aber der Versuch, alle (nicht satzbildenden)
Wortarten in allen ihren Gebrauchsweisen als Satz b estimmun -
gen zu bezeichnen, weil sich eben nicht alle als solche, und
wäre es noch so mittelbare, ansehen lassen, so ist auch der
Versuch als gescheitert zu betrachten, für alle syntaktischen
Erscheinungen einen angemessenen Platz in einer Syntax zu
finden, die nur eine Satzlehre sein will. So gilt denn auch
r\
60
für gewisse mehrwortige ,Satzbestimmungen , was oben
inbetrefif der ,Satzteile' ausgeführt wurde: Die Wortgruppe
selber, als Einheit genommen, kann in einer ^Satzlehre' einen
angemessenen Platz finden als ,Satzbestimmung*; ihre eigene
innere Gliederung, ihre Form, Bedeutung und Bildung aber
nicht, weil für ihre Teile die vorausgesetzte Beziehung zum
Satze sich auch nicht durch Einführung des Begriffs ,Satzbe-
stimmung* überall herstellen lässt. (^•^)
All diesen und ähnlichen Schwierigkeiten der Disposition
entgeht man nur, wenn man darauf verzichtet, Beziehungen
zum Satze zu suchen und anzusetzen, wo das ohne Künstelei
und Gewaltsamkeit nicht gehen will. Handelt es sich aber
(wie im Sprachunterricht) darum, bestimmte vorliegende Sätze
grammatisch zu analysieren, so wird man es allerdings nicht
umgehen können, alle Worte eines Satzes als seine Teile zu
bezeichnen, und dabei wird die Unterscheidung von unmittel-
baren und mittelbaren Satzteilen oder Satzbestimmungen mit
Nutzen verwertet werden. Dagegen besteht auch keinerlei
Bedenken. Für Schulzwecke, zumal wo es sich um den gram-
matischen Unterricht in der Muttersprache oder darum handelt,
überhaupt Klarheit zu schaffen über die syntaktischen Ver-
hältnisse und die Beziehungen der Worte zueinander, ist es
vielleicht praktisch und unbedenklich, Syntax und Satzlehre
gleichzusetzen und demgemäss die Wortgruppenlehre in die
Satzlehre einzufügen. Es unterliegt natürlich keinem Zweifel,
dass in einem bestimmten Satze jedes in ihm vorkommende
Wort als ein Teil dieses Satzes angesehen werden kann; in
diesem rein äusserlichen Sinne ist freilich auch jede Silbe und
jeder Einzellaut, der in diesem Satze vorkommt, ein Teil des-
selben. Handelt es sich aber nicht um die grammatische
Analyse bestimmter Sätze in der Schulpraxis, sondern um die
wissenschaftliche Erforschung und Darstellung der Form, Be-
deutung und Bildung der syntaktischen Gebilde überhaupt, so
werden einerseits für das syntaktische Gebilde, das wir (in
einer bestimmten Entwicklungsstufe einer bestimmten Sprache)
61
als ,Satz' bezeichnen, nur die konstituierenden Teile
desselben, nicht die zufälligen, nicht die Teile der Teile in
Betracht kommen; und andererseits werden Form, Bedeutung
und Bildung der nicht satzbildenden Wortgruppen gesondert
zu behandeln sein, ohne Hineinmischung der Beziehungen zum
Satze, die ihrerseits für die Wortgruppen wiederum nichts
Wesentliches, sondern etwas Zufalliges sind.
Diese Erwägungen sprechen gegen die völlige Gleichsetzung
von Satzlehre und Syntax. Die Syntax enthält ein Mehr, das
sich in der Satzlehre ohne Zwang nicht unterbringen lässt.
Für die wissenschaftliche Behandlung bleibt die Satzlehre ein
Teil der Syntax, wenn auch der wichtigste, ist aber nicht
gleich Syntax. Will man das allerdings sehr bequeme und
seit langem vielfach als gleichbedeutend mit Syntax gebrauchte
Wort Satzlehre nicht entbehren, so könnte man es nur so als
Synonym für Syntax in unserm Sinne brauchen, dass man
,Satzlehre' fasste als eine Bezeichnung des Ganzen nach einem
(hier auch dem wichtigsten) Teile und darunter verstände: die
Lehre vom Satze und den übrigen Wortgefügen. (^*)
f\
II. Die Stellnng der Syntax im Rahmen der Gesamtgrammatik.
Wir glauben oben gezeigt zu haben, dass die dem System
MiKLOsiGH zu Grunde liegende Definition zu eng ist und dass der
Versuch, sich von der Mischsyntax durch einfache Ausscheidung
eines Teiles ihrer Stoffe zu befreien, als gescheitert anzusehen
ist. Das von Miklosich Ausgeschiedene ist durchaus nicht zu
entbehren. Andererseits aber sind auch d i e Stoffe nicht ganz
zu entbehren, die jener ausschliesslich behandelt hat. Denn es
ist selbstverständlich, dass kein System der Syntax auf die Mit-
berücksichtigung des Gebrauchs von Wortarten und Flexionen
ganz verzichten kann. Ohne diese wäre eine Syntax ebenso-
wenig denkbar, wie sie vollständig wäre, wollte sie sich auf
diese Gebiete beschränken. Denn sind die verschiedenen Arten
und Formen der Worte auch nicht das einzige, so sind sie
doch ohne Frage eins der wichtigsten Mittel, deren die Sprache
sich bedient, um den syntaktischen Gebilden verschiedene Form
und Bedeutung zu geben.
Würde man aber die Syntax nach dem System Miklosich
als Ganzes einfach in eine Syntax, wie wir sie uns denken, also
in eine ,Lehre von den Wortgefügen', hinübemehmen, oder in
mehrere Abschnitte zerlegt in eine solche einschieben, so wären
damit immer nur neue Spielarten von der Gattung Mischsyntax
erzeugt. {^^) Somit möchte es scheinen, dass es aus der Misch-
syntax wirklich keinen Ausweg gäbe. Denn wie soll man ihr
entrinnen, wenn weder die von Miklosich ausgeschiedenen
Stoffe noch die von ihm behandelten entbehrlich sind?
63
Die Lösung der Schwierigkeit liegt in der Erkenntnis der
Thatsache, dass der von Miklosich ausgewählte Stoff, vom
Standpunkte der Syntax betrachtet, kein einheitlicher, kein
organisch zusammengehöriger ist: seine Definition ist, wie wir
oben schon kurz erwähnt haben, nicht nur zu eng, sondern
gleichzeitig auch zu weit.
Von der Besprechung dieses Fehlers haben wir dort vor-
läufig abgesehen, weil er dem System Miklosich nicht allein
anhaftet, diesem vielmehr mit allen anderen Systemen der
Syntax gemein ist, die sein Stoffgebiet als Ganzes und unge-
sichtet in sich aufiiehmen.
Ob man sich im wesentlichen auf den Boden der Defini-
tion MiKLOsicHs stellt, oder im Gegenteil Syntax der Hauptsache
nach als Satzlehre ansieht, oder aber dieser oder jener Art von
Mischsyntax anhängt: man filllt immer in denselben Fehler zu
weiter Stoflfbegrenzung , sobald man der Syntax, sei es als
Hauptsache, sei es neben ihren andern Aufeaben auch die
zuweist, die Bedeutung bezw. den Gebrauch der Wortarten
und Wortformen zu lehren. Den Gebrauch d. h. jedweden
Gebrauch ; d i e Bedeutung d.h. alle Bedeutungen ; d e r Wort-
formen d.h. aller Wortformen. Offenbar fehlt hier ein be-
schränkender Zusatz, ein Zusatz, der die Einbeziehung der
Lehre von Bedeutung und Gebrauch der Wortarten und Wort-
formen in die Syntax auf diejenigen Redeteile und
Flexionsformen und diejenigen Bedeutungen und
Gebrauchsweisen derselben einschränkt, die für
die Zusammenfügung der Worte zu neuen Ein-
heiten in Betracht kommen.
,Aber, da es sich um die Stoflfbegrenzung der Syntax
handelt, ist das doch selbstverständlich !' — Freilich ist es das,
und doch wird es nicht etwa nur in der Formulierung der
Aufgaben der Syntax, eben als etwas Selbstverständliches weg-
gelassen, sondern es bleibt vielmehr ganz allgemein auch bei
ihrer Ausführung unberücksichtigt. Die Behandlung aller
Gebrauchsweisen aller Wortformen ohne Unterschied
64
innerhalb der Syntax ist ein dermassen zur Gewohnheit ge-
wordener Missbrauch, dass die Behauptung, es giebt auch
Flexionsfonnen bezw. Bedeutungen derselben, die für die
Syntax gleichgültig sind, notwendig auf starkes Misstrauen und
Widerstand stossen muss. Dass der gesamte Gebrauch der
Redeteile und Wortformen in der Syntax zu erörtern sei< das
ist ein feststehender Satz mit der Geltung eines Axioms; er
ist allen, die die Schule des Lateins durchgemacht haben, so
in Fleisch und Blut übergegangen, dass an seiner Richtigkeit
zu zweifeln den wenigsten in den Sinn kommt Dass Easus-
lehre, Tempuslehre, Moduslehre die wichtigsten Teile der
Syntax bilden, das wissen wir von der Quarta her. So wird
die Frage, ob alle in der Syntax gewöhnlich behandelten
Redeteile und Wortformen, ob deren sämtliche Gebrauchs-
weisen in der That für die Wortfügung von Bedeutung sind,
d. h. also, ob sie auch mit Recht alle in der Syntax zur Sprache
kommen, gar nicht geprüft, gar nicht aufgeworfen.
Dieser so allgemeine Fehler der zu weiten Stoflfausdehnung
hängt, wie wir oben (S. 45.) angedeutet haben, mit einem Fehler
in der üblichen Gliederung der Gesamtgrammatik zusammen.
Dieser besteht in der beliebten Gegenüberstellung von
Syntax und Formenlehre
als der beiden Hauptteile, auf die — abgesehen von der Laut-
lehre und mitunter der Wortbildungslehre — der gesamte
grammatische Stoff verteilt wird.
Beide Fehler bedingen sich gegenseitig und sind zum Teil
auf den Einfluss der Überlieferung zurückzuführen, zum Teil
entspringen sie aus der Abhängigkeit der Grammatik von den
praktischen Zielen, die sie vorwiegend verfolgt hat
Was zunächst die Überlieferung aus dem Altertimi selber
betrifft, so ist allerdings weniger an eine eigentliche Einteilung
der Grammatik und an ausdrückliche, Stoff und Aufgaben der
Teile feststellende Definitionen zu denken, die von den Alten ge-
schafftju wären und bis heute Bestand gehabt hätten. Trotz der
65
gesonderten Behandlung der Syntax durch Apolloniüs in einem
eigenen Buche herrscht vielmehr noch lange nach ihm die
Gruppierung des gesamten grammatischen Stoffes nach den
Redeteilen vor. Diese wirkt auch heute noch nach, doch ge-
wöhnlich nur als Nebenprinzip für die weitere Teilung; als
solches für die Syntax um so mehr, als man auch in der
grundlegenden Schrift des Apolloniüs die Einteilung nach den
Redeteilen festgehalten glaubte. (•**) Doch hierauf kommt fiir
die herrschende Gegenüberstellung von Syntax und Formen-
lehre, die wir hier vor allem im Auge haben, weniger an. In
diesem Punkte geht die Wirkung nicht so sehr von den über-
lieferten Einteilungen und technischen Ausdrücken selber —
Terminologie und Systematik sind hierin im Altertum noch
nicht zu voller Reife gekommen — als vielmehr von der That-
sache aus, dass die sprachwissenschaftliche Thätigkeit der Alten
hauptsächlich an zwei Punkten erfolgreich eingesetzt, zwei Ge-
biete besonders gepflegt hat. Gewisse Unvollkommenheiten in
der heutigen Systematik gehen, wie leicht zu sehen ist, direkt
auf den an sich selbstverständlichen Umstand zurück, dass
nicht alle Teile der Grammatik im Altertum gleichmässig und
mit demselben Glücke ausgebildet worden sind.
Unter den Leistungen der Alten auf dem eigentlich sprach-
lichen Gebiete überragt das in der Flexionslehre und der Syntax
Geschaffene weit alles übrige. Auf dem etymologischen wie
auf dem phonetischen Gebiete, auf jenem wohl noch mehr als
auf diesem, ist die antike Wissenschaft in den Kinderschuhen
stecken geblieben. Auf die Flexionslehre zunächst und dann
auf die Syntax haben die Alten ihre Aufmerksamkeit vorzugs-
weise und mit dem grössten Erfolge gerichtet. Der ganze,
jahrhundertelange Streit der Anomalisten und Analogisten
dreht sich um die Lehre von den Wortformen; aus ihm ist
geradezu mit der Aufstellung der xavoveg die Flexionslehre
erwachsen. Die aus philosophisch-grammatischen Erwägungen
hervorgegangene Scheidung der Redeteile diente beiden Ge-
bieten, der Flexionslehre und der Syntax; sie beherrscht die
Biet», Was ist Syntax? k
r^
66
antike Grammatik, wie sie ihren eigentlichen Ausgangspunkt
bildet; sie dient, wie erwähnt, zunächst, seitdem überhaupt
von einer Gliederung der eigentlichen Grammatik gesprochen
werden kann, und auch später noch vielfach, als Grundlage
der Einteilung des im übrigen ungegliederten grammatischen
Stoffes oder liefert doch das übergeordnete Einteilungsprinzip.
Ist auch die Anordnung nach Formenlehre und Syntax erst
spät allgemeiner der Scheidung nach den Redeteilen über-
geordnet worden, geht auch diese Einteilung selber nicht
direkt auf die älteren Zeiten zurück, so haben doch seit
Apollonius Dyscolus Formenlehre und Syntax die Haupt-
bestandteile der Grammatik gebildet. Flexionslehre und
Syntax sind dann jahrhundertelang diejenigen Teile der Sprach-
lehre geblieben, die vorzugsweise, wo nicht ausschliesslich, ge-
pflegt wurden. Auch heute stehen und bleiben Flexionslehre
und Syntax im Vordergrunde. So ziemlich alle grammatischen
Werke, welche der praktischen Spracherlemung dienen wollen,
begnügen ^ich, mit welcher Sprache sie sich auch beschäftigen,
— ganz zweckmässig — mit Formenlehre und Syntax; auf
diese beschränken sich bis in die neuere Zeit auch sehr viele
Werke, die in mehr oder minder strengem Sinne wissenschaft-
liche Ziele verfolgen. So musste sich im Bewusstsein der Ge-
lehrten und Lernenden von Jugend auf, von ihren ersten gram-
matischen Studien her, die Vorstellung festsetzen — und zwar
mit der Zähigkeit festsetzen, die so fipüh gewonnenen Vor-
stellungen eigen ist — , dass Flexionslehre und Syntax die
beiden wesentlichen Bestandteile der Grammatik, ihr eigent-
licher Kern seien.
Diese Vorstellung ist zwar einseitig und der Einschränkung
bedürftig , aber sie ist gewiss nicht ohne Berechtigung , auch
wenn man vom Standpunkte des Lernenden absieht : nur dass
sich mit ihr zugleich die durchaus unrichtige Vorstellung zu
verknüpfen pflegt, dass mit der Heraushebung der Flexions-
lehre (oder der , Formenlehre*) und der Syntax als der Haupt-
teile (d. h. der in mancher Beziehung besonders wichtigen
67
Teile) der Grammatik auch schon eine brauchbare Einteilung
der Gesamtgrammatik gegeben oder überhaupt möglieh wäre.
Je mehr neue Teile jenen beiden Hauptteilen zur Seite treten,
je vollständiger das System der Grammatik ausgebaut werden
soll, um so deutlicher tritt zu Tage, dass Formenlehre und Syntax
keine reinen Gegensätze sind, dass eine Einteilung, in welcher
Flexionslehre und Syntax als Glieder in einer Reihe auftreten,
prinziplos ist. Zu jenen beiden Teilen pflegt sich in neuerer
Zeit die Lautlehre zu gesellen, die jetzt gewöhnlich als be-
sonderer Teil vorangeschickt wird, ja im letzten Jahrzehnt
nicht selten grosse Teile der alten Flexionslehre au&augt.
Die Dreiteilung der Grammatik in Lautlehre, Formenlehre und
Syntax, die als das jetzt üblichste Schema bezeichnet werden
kann, lässt ein durchgehendes Prinzip nicht erkennen. Dass
diese Einteilung durch die häufig beUebte Hinzufügung eines
vierten koordinierten Teiles, der Wortbildungslehre, nur noch
schlechter wird, ist offenbar. Geradezu wunderbar erscheinen
muss es — ein Beweis für die erstaunliche Gleichgültigkeit
vieler gegenüber den einfechsten Forderungen einer verständigen
Systematik — , dass sich nicht wenigstens allen den Gram-
matikern, welche der Wortbildungslehre einen eigenen Abschnitt
widmen, die doch unvermeidliche Einsicht aufdrängt, dass
Flexionslehre und Wortbildungslehre als zwei Unterabteilungen
sich zu einem Hauptteil notwendigerweise zusammenschliessen ;
einem Hauptteil, der zwischen Lautlehre und Syntax gestellt,
nichts anderes sein kann, nicht anders benannt werden kann
als ,W ort lehre*. Statt stets unter dem gemeinsamen Namen
Wortlehre den Stoff in die Abschnitte Flexionslehre imd
Wortbildungslehre einzuteilen, lässt man ihn häufiger in zwei
selbständige Hauptteile auseinanderfallen, stellt also vier Teile
ohne gemeinsames Einteilungsprinzip nebeneinander. Neben
dieser falschen Vierteilung in Lautlehre, Formenlehre, Wort-
bildungslehre und Syntax findet sich zuweilen auch die richtige
Zusammenfassung der beiden mittleren Teile zu Einem, dem
aber die allein richtige Bezeichnung Wortlehre trotzdem ver-
5*
r\
68
sagt bleibt ; statt ihrer erhält die Flexionslehre mit der Wort-
bildungslehre zusammen den Namen Formenlehre, der als
gemeinsame Bezeichnung gewiss wenig passend ist.
Aber wenn die Einteilung sonst nur richtig und der Inhalt
brauchbar ist, was liegt dann an einer ungenauen oder selbst
falschen Bezeichnung? Man ist geneigt zu meinen, dass es
allein auf die Sache ankomme , der Name gleichgültig sei, und
übersieht nicht selten, wie leicht gerade eine schiefe Bezeichnung
auch der Sache zum Nachteil gereicht. Man gefällt sich wohl
auch darin, gegenüber dem ,Haften am Äusserlichen' , dem
,Herummäkeln an Worten' die ausschlaggebende Bedeutung
des hihalts zu betonen. Eine solche Auffassung ist jedoch nicht
überall berechtigt und oft weniger geistreich, wie sie scheint;
ja sie schlägt bisweilen ins gerade Gegenteil von dem um, was
sie sein möchte, und wird oberflächlich. Würde die Wirkung
eines ,blossen Namens* weniger oft unterschätzt, so würde
mancher frrweg in der Wissenschaft vermieden werden. Die
verkehrte Benennung der Teile einer Disziplin begünstigt oder
veranlasst bisweilen geradezu eine verkehrte Verteilung des
Stoffes oder verschleiert doch und verdeckt die Fehler in
der überlieferten Stoffverteilung.
Wir glauben nicht zu weit zu gehen, wenn wir der so viel-
fach üblichen Umgehung bezw. dem Fortfall der naturgemässen
Bezeichnung ,Wortlehre' einen Teil der Schuld daran zuschreiben,
dass man der Syntax Aufgaben und Stoffe aufgebürdet hat,
die ihr nicht zukommen. Denn erstens wird durch das Eintreten
von Formenlehre (oder von Formenlehre und Wortbildungslehre)
in die gleiche Reihe mit Lautlehre und Syntax die Ordnung
des Systems der Gesamtgrammatik zerstört, dadurch der klare,
wort- und sachgemässe Gegensatz von Wortlehre und Syntax
verwischt und so zugleich die Aufgabe der Syntax verdunkelt.
Dann hatte jene Substitution den weitem Nachteil im Gefolge,
dass bei dem Fehlen des verbindenden Begriffs ,Wortlehre* von
vornherein alle jene neuen Abschnitte obdachlos waren, die
bei dem Auftreten neuer Gesichtspunkte für die grammatische
69
Behandlung des Wortes entstehen konnten. Diese mussten nun
entweder als neue selbständige Teile neben die drei oder vier
bereits bestehenden treten und so die Disposition der Granunatik
immer schlechter machen; oder sie mussten gewaltsam in
einem der vorhandenen Teile untergebracht werden: beides
ist mit der Bedeutungslehre in der That geschehen, wovon
unten ausführlicher zu handeln sein wird.
Wäre der zwischen Lautlehre und Syntax stehende Teil
der Grammatik nicht nur bisweilen, sondern stets den ele-
mentaren Einteilungsgesetzen gemäss als Wortlehre bezeichnet
worden, wie hätte eine andere Auffassung über den Gegen-
stand der Syntax aufkommen können als die, welche ihr
Schöpfer richtig und klar genug ausgesprochen hatte? Wie
Buchstaben und Silben nicht willkürlich und regellos sich zu-
sammenfügen, meint Apolloniüs in der Einleitung zu seinem
Werk über die Syntax, sondern ihre nach einem bestimmten
Gesetz sich vollziehenden Verbindungen das Wort schaffen,
so ist auch in der Verbindung der Wörter Regelmässigkeit.
Das Wort ist der Buchstabe des Satzes. »Wie die Buchstaben
die Silben hervorbringen durch ihre Zusammenfügung, so wird
auch die Verbindung der dem Worte inwohnenden Gedanken
gewissermassen eine Zusammenfassung hervorbringen durch
Verknüpfung der Wörter ; und wie ferner aus den Silben das
Wort, so entsteht aus der regelmässigen Folge der Wörter
der in sich abgeschlossene selbständige Satz«. (*') Zwar sind
bei Apolloniüs, wovon wir hier absehen dürfen, die Begriffe
Laut, Wort und Satz noch nicht völlig ausgebildet als
rein sprachliche Kategorien, diese vielmehr noch mit den
logischen vermischt und in ihnen versteckt; die Aufgabe der
Syntax aber hat er doch richtig erkannt und deutlich bezeichnet,
wie sie sich aus dem Gegensatz zu derjenigen der Laut- und
Wortlehre naturgemäss ergiebt. Das zeigt auch die Wahl der
Worte (XvtTdaaeiv und avwa^ig. Fehdt dem Apolloniüs auch
noch der sprachliche Begriff ,Satz' und die Kategorien für die
Satzverhältnisse , stellt er auch nur Wortverhältnisse dar , »so
r^
70
hat er dagegen überall festgehalten, dass es sich in der Syntax
immer um die Verknüpfung zweier Wörter handelt und dass
man nicht eigentlich von der Syntax eines Wortes reden
kann«. (Steinthal a. a. 0. S. 687.) Dieser letztere Sprach-
gebrauch , der zu verkehrter Auflfassimg verfuhrt , ist späteren
Ursprungs.
Der Begründer der Syntax ist somit, welche andere Mängel
in der Einrichtung und Behandlung der Disziplin auch auf
ihn zurückgehen mögen, nicht schuld an dem falschen Gegen-
satz von Syntax und Formenlehre; er stellte sie ausdrücklich
der Wortlehre gegenüber. Erst im Laufe der geschichtlichen
Entwicklung hat die Formenlehre infolge der überwiegenden
Wichtigkeit ihres hihalts für praktische Zwecke und ihrer
frühen und allseitigen Ausbildung sich dermassen im Bewusst-
sein der Grammatiker vorgedrängt, dass sie sich aus einer
Unterabteilung zum Hauptteil gemacht, dass der eine Abschnitt
sich an die Stelle der ganzen Wortlehre gesetzt hat. So ist
die Formenlehre der Syntax als selbständiger Hauptteil gegen-
übergetreten imd die falsche Vorstellung eingedrungen, dass
Formenlehre imd Syntax Gegensätze bilden, eine Vorstellung,
die auf die innere Einrichtung und die Ausbildimg der Syntax
störend einwirken musste. Denn verschwand der weitere
Begriff der Wortlehre in dem der Formenlehre, ging die Wort-
lehre in der Flexionslehre auf, so konnte die natürliche Folge
nicht ausbleiben, dass der Syntax nun statt der Lehre von der
Verbindung der Einzelworte zu neuen Einheiten die Lehre
von der Bedeutung (dem Gebrauch) aller der Formen
zugewiesen wurde, die im vorangehenden Teile der Grammatik,
eben der Formenlehre, in geordneter Folge vorgeführt worden
waren. Diese Substitution führte dazu, den Begriff Syntax in
fehlerhafter Weise gleichzeitig zu verengen und zu erweitern;
einerseits veranlasste sie die Forscher sich auf die Ermittlung der
Bedeutung derWortarten und Formen zu beschränken (ein Fehler,
den wir oben besprochen haben), andererseits Hess sie es natürlich
71
erscheinen, dass in der Syntax auch die Bedeutung derjenigen
Formen erörtert wurde, die mit der Zusammenfügung der Worte
zu neuen Einheiten nichts zu thun haben.
In derselben Richtung wirkte und wirkt noch heute der
Einfluss, den die von der Grammatik so lange vorwiegend
verfolgten praktischen Ziele auf ihre innere Einrichtung ge-
winnen mussten.
Wie wir oben (S. 7 flf.) erwähnt haben, hat die Grammatik,
die von ihren Anfängen an fremden hiteressen dienstbar war,
infolge der Bestrebungen der Humanisten und ihrer Nachfolger
immer mehr den Charakter eines Hilfemittels der Spracherlemung
angenommen. Nicht wissenschaftliches Erkennen, sondern der
Erwerb praktischer Ferügkeit, das Lateinschreiben wurde das
Hauptziel der lateinischen Grammatik, dieses Vorbildes aller
übrigen, und in ihr fiel diese Aufgabe besonders der Syntax
im Bunde mit der Stilistik zu. Wie diese wurde auch jene
vorwiegend von dem Gesichtspunkte aus betrachtet: worin
weicht der lateinische Gebrauch von dem der Muttersprache ab ?
Und da die modernen Sprachen im Vergleich mit den alten
formenarm sind, und von den wenigen Formen, die sie haben,
so vielfach abweichenden Gebrauch machen, was lag da näher,
als dass eine Syntax, die den korrekten Gebrauch der alten
formenreichen Sprache in Schrift und Rede lehren sollte, diesen
wichtigen Unterschied zunächst ins Auge fasste ? Es konnte nicht
ausbleiben, dass eine solche Syntax ihre Hauptaufgabe darin sah,
die Bedeutung und die vielföltigen Anwendungen all der Formen
zu entwickeln, deren gedächtnismässige Aneignung die erste Auf-
gabe des Unterrichts gewesen war. Sofern die lateinische Gram-
matik nichts war und sein sollte als ein Hilfemittel zum Erwerb
der Sprech- imd Schreibfertigkeit, zerfiel ihr Stoff naturgemäss
in zwei Teile: der eine hatte das vorhandene Material an Wort-
formen geordnet vorzufuhren, der andere zu lehren, was diese
Formen bedeuteten, wie sie gebraucht würden. Ob man nach
älterer Art beides zusammen, nur nach den Redeteilen geordnet
oder, was später vorgezogen wurde, in zwei Teilen gesondert
r
72
behandelte, einer Formenlehre (wofür man unter Einschluss
einer elementaren Lautlehre auch vielfach das wenig passend
erscheinende Wort Etymologie gebrauchte) und einer Syntax:
jedenfalls ergab sich aus dem Zwecke der Grammatik
als einer Anweisung zum Gebrauch der Sprache
von selbst die Bestinmiung des hihalts dieser beiden unent-
behrlichen Teile. Hatte der erste das Material zu liefern, die
Kenntnis der vorhandenen Laute, Wortarten und Wortformen
zu vermitteln, so war es naturgemäss die Aufgabe des zweiten
Teils, die Verwendung dieses Stoffes zu lehren, die Bedeutung
und den Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen darzustellen.
Und vom Standpunkte des Lernenden aus, der von aussen an
die fremde Sprache herantritt, um sie sich zum Gebrauche
anzueignen, ist die Bezeichnung ,Syntax* für den Teil des
Lehrbuchs ganz angemessen , der ihn darin unterweist , wie
man das erworbene Sprachmaterial regelrecht zusammenfügt.
Zu diesem Zweck, um zu eigenem richtigen Zusammenfügen
in Rede und Schrift befähigt zu sein, muss er auch in seiner
,Syntax* die Bedeutung aller Formen und ihre sämtlichen
Gebrauchsweisen zusammengestellt finden. Eine solche Lem-
syntax wird ihren Zweck um so besser erfüllen, je mehr sie.
auf die Punkte besondere Rücksicht nimmt, in denen der fremde
Sprachgebrauch von dem der Muttersprache abweicht. Der Stand- .
punkt der wissenschaftlichen Grammatik aber ist ein anderer.^
Sie hat ihren Stoff ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse eines
sprachlich anders gewöhnten Schülers allein nach den
Gesichtspimkten zu gliedern, die sich aus der Eigenart des zu
behandelnden Objekts selber ergeben. Bezeichnet die wissen-
schaftliche Grammatik einen ihrer Teile als Syntax, so kann
die Aufgabe dieses Teiles nur sein, die Wortgeföge einer Sprache
allseitig zu imtersuchen und darzustellen ; die innere Gliederung
dieses Teiles kann keine andere sein als eine solche, die genau
den im behandelten Gegenstande, also den Wortgefügen selber,
vorhandenen Verschiedenheiten entspricht. Dabei werden
natürlich die Arten und die Formen der Einzelworte soweit
73
in Betracht zu ziehen sein, aber auch nur soweit, als diese
auf Art , Form oder Bedeutung der Wortgefüge von Einfluss
sind. Es liegt jedoch kein Grund vor a priori anzunehmen,
dass alle Arten und alle Formen der Einzelworte, dass alle
Gebrauchsweisen derselben für die verschiedene Gestaltung der
Wortgefüge, ihre Gliederung und Bedeutung von Belang seien.
Es liegt im Gegenteil auf der Hand, dass das nicht der Fall
zu sein braucht und vielfach thatsächlich nicht der Fall ist
(vergl. unten S. 96).
Ob nun aber die Grammatik praktischen Zwecken sich
dienstbar mache oder rein wissenschaftliche Ziele verfolge,
erörtern muss sie doch immer, will sie auf Vollständigkeit
Anspruch machen, die sämtlichen Bedeutungen aller
Wortarten und Flexionsformen, die die behandelte Sprache
kennt. Das ist keine Frage. Nun kann die Bedeutung der
Redeteile und Wortformen doch weder in der Lautlehre noch
in der Formenlehre behandelt werden ; was bleibt da Anderes
und Besseres übrig, als sie eben in der Syntax zu behandeln?
Dieser Schluss wäre unabweisbar, sobald wir annehmen müssten,
dass die beliebte und herkömmliche Einteilung der Grammatik
in Lautlehre, Formenlehre und Syntax die einzig mögliche;
wenn wir zugeben könnten, dass sie überhaupt nur richtig und
brauchbar wäre. Unter dieser Voraussetzung, die freilich
stillschweigend gemacht zu werden pflegt, erklärt es sich leicht,
dass man der Syntax so verschiedene, zum Teil fremdartige
Stoffe zugewiesen hat. , Mit grosser Offenheit spricht sich dar-
über Draeger in der Einleitung zu seiner historischen Syntax der
lateinischen Sprache (Bd.L S. vn) aus. Er giebt zu (wunderbar !),
dass »die Darstellung der Wortformen und ihrer Entstehung aller-
dings nicht in die Syntax gehört«, begründet aber die Behandlung
der »Anwendung, welche sie [die Wortformen] in verschiedenen
Zeitaltem oder bei den einzelnen Autoren gefunden haben«,
innerhalb der Syntax damit, dass er erklärt, »er wüsste sie in
keinem andern Abschnitt der Grammatik unterzubringen« (!).
Ein wertvolles Zugeständnis! In die Syntax, das grosse
r
74
Receptaculum , wird hineingepackt, was man sonst nirgends
unterzubringen weiss. Dies ist in der That oft der letzte, der
massgebende Grund für die übliche Stoflfbegrenzung der Syntax,
wenn er auch selten so unumwimden ausgesprochen wird.
Dieses und jenes soll noch behandelt, soll noch ^untergebracht*
werden, es will sonst nirgends recht hinpassen — also wird's in
die Syntax gesteckt! (*®) Da ist es denn kein Wunder, wenn
die sachgemässe Anordnung eines solchen Stoffkonglomerats
unüberwindliche Schwierigkeiten macht.
Jenes Ver&hren hatte eine Art von Berechtigung, so-
lange der Gedanke noch nicht aufgetaucht war, dass ausser
den altgewohnten Teilen, der Formenlehre und Syntax, neben
denen sich Lautlehre und Wortbildungslehre einen selbstän-
digen Platz errungen hatten, noch ein weiteres Stoffgebiet
als ein besonderer Teil der Grammatik abzuzweigen sei.
Solange der Begriff der Bedeutungslehre als eines
selbständigen Gebietes grammatischer Forschung noch nicht
aufgestellt war, mochte es natürlich scheinen, dass innerhalb der
Syntax die Bedeutung der Wortarten und Wortformen über-
haupt und grundsätzlich erörtert wurde, und nicht nur
soweit sie für die Wortfügung in Betracht kommt Nach-
dem aber durch Reisig die Bedeutungslehre als selbständige
Disziplin einmal begründet worden war, konnte auch dieser
Grund oder vielmehr diese Entschuldigung für die Benutzung
der Syntax als einer bequemen Ablagerungsstätte für sonst
nicht unterzubringendes Serial nicht länger geltend gemacht
werden. Die Aufgabe, die Grenzen z^vischen den einzehien
Teilen der Grammatik neu abzustecken, ist nunmehr dringlich
geworden; um so dringlicher, als die vielfach misslungenen
Versuche, die Aufgaben der Bedeutungslehre angemessen zu
umgrenzen, das System der Gesamtgrammatik in einige Ver-
wirrung gebracht haben. Da infolge der oben angedeuteten
Umstände und in Ermanglung einer eigenen Bedeutungslehre
die Syntax lange Zeit einen Teil der Aufgaben jener hatte
übernehmen müssen, und da sich die Angaben beider Teile
75
der Grammatik in der That vielfach berühren bezw. dm-ch-
kreuzen, hat die Grenzregelung zwischen ihnen besondere
Schwierigkeiten verursacht. Ein Eingehen auf die Frage, wie
die Gebiete von
Syntax und Bedeutungslehre
gegeneinander abzugrenzen seien, erscheint um so nötiger, als
noch heute in weitestem Umfange über die Verschiedenheit
ihrer Aufgaben und Stoffe grosse Unklarheit herrscht; noch
heute ist die Verwischung ihrer Grenzen, ja ein völliges Zu-
sammenwerfen beider Gebiete durchaus nichts Seltenes.
Wenn Miklosich sagt : »Jener Teil der Grammatik, welcher
die Bedeutung der Wortklassen und Wortformen darzulegen
hat, heisst Syntax« , so bezeichnet er damit in unzweideutiger
Weise die Syntax als (einen Teil der) Bedeutungslehre. Noch
nackter tritt die als etwas Selbstverständliches angesehene
völlige Einordnung der Syntax in das Gebiet der Bedeutungs-
lehre in den Worten Sgherers zu Tage: »Dass die Syntax ein
Teil der Bedeutungslehre sei, wird man leicht zugeben«, (a. a. 0.
S. 119.) Wie die Fassung dieser Äusserung selber und im übrigen
der Zusammenhang lehrt, hat Sgherer damit nicht nur die
Thatsache feststellen wollen, dass das die herrschende Auf-
fassung ist, sondern ist selber für diese Auffassung eingetreten.
Auch Behaghel hat sich in ganz ähnlicher Weise geäussert : »Die
Syntax ist ihrem Wesen nach nichts anderes als ein Abschnitt
der Bedeutungslehre«. (*•) Er fugt aber die Beschränkung
hinzu: »wenn man von den Fragen der Wortstellung und
Satzstellung absieht«. Sgherer hat diese Einschränkung nicht.
Er weist zwar die Behandlung der Wortstellung zusammen mit
der der Kongruenz und des Satzaccents einem besondern Teil
zu, sieht aber auch in diesem Bedeutungslehre, denn er sagt:
»Kongruenz, Satzaccent und Wortstellung sind Mittel der Satz-
bildung, deren Bedeutung und Gebrauch erwogen werden
müssen«, (a. a. 0. S. 119.)
Soviel aber leuchtet sofort ein, dass sich nicht der ge-
rv
76
samte Stoff der Syntax unter den Begriff .Bedeutungslehre*
bringen lässt. Denn auch die syntaktischen Gebilde haben eine
Form. Die formale Seite der Objekte der Syntax, die Unter-
suchung und Darstellung der Form der Wortgefage müsste aber
zu kurz kommen, ja ganz vernachlässigt werden, wollte man
in der Syntax nichts als Bedeutungslehre sehen. Wer mit
uns die syntaktischen Gebilde selber als den eigentlichen und
einzigen Gegenstand der Syntax ansieht, wird selbstverständlich
nicht nur die Bedeutung derselben, sondern auch, und zunächst,
ihre Form und ihre Bildung darzustellen als seine Aufgabe be-
trachten. Die Auffassung der Syntax als einer blossen Bedeutungs-
lehre ist also überhaupt unvereinbar mit ihrer Auffassung als
Satzlehre oder, wie wir dafür sagen würden, als einer Lehre von
denWortgefügen. Die Möglichkeit, in der Syntax nichts als euie
Bedeutungslehre zu sehen, ist eben nur dann gegeben, wenn
man nicht die syntaktischen Gebilde selbst, sondern ihre Be-
standteile als den Stoff der Syntax betrachtet. Damit würde
dann die ganze Syntax aus einem Hauptteil der Grammatik,
welcher der Wortlehre gegenübersteht, zu einer Unterabteilung
der Wortlehre selber gemacht, innerhalb welcher sie als reine
Bedeutungslehre der Wortarten und Wortformen der
eigentlichen Formenlehre des Wortes zur Seite treten würde.
Dass durch eine solche Auffassung eine grosse Zahl wichtiger
und unzweifelhaft syntaktischer Stoffe von der Syntax — und
somit überhaupt von der ganzen Grammatik — ausgeschlossen
würde, ist oben bei der Besprechung des Systems Miklosich aus-
geführt worden. Aber die Anschauung, dass Syntax nichts
als ein Teil der Bedeutungslehre sei, ist nur vereinbar mit der
Stoffbegrenzung des Systems Miklosich. Mit dieser Beschränkung
auf die Lehre von der Bedeutung der Wortarten und
Wort formen steht und filUt die Auffassung der Syntax als
blosserBedeutungslehre, weil nur bei dieser dieFormen-
lehre der syntaktischen Objekte schon vorhanden ist in der
Wortforraenlehre. Ohne sich in Widersprüche zu verwickebi,
kann diese Anschauung nur vertreten, wer konsequent an der
77
Definition von Mielosigh festhält. Nur dieser ist konsequent
und widerspricht sich nicht, weil das Objekt seiner Syntax
stets das Wort ist. Wer aber die willkürliche Stoflfauswahl
des Systems Mielosigh nicht billigt, und das thut ja auch
Sgherer(*®) nicht, wird diesem auch nicht zugeben können,
»dass die Syntax ein Teil der Bedeutungslehre sei«. Es
bedarf keines weitern Beweises, dass diese Behauptung zum
mindesten im Ausdruck ungenau ist, dass es nur heissen
kann: »ein Teil der Syntax«. Und zwar würde diese
Einschränkung in weiterem Umfange gelten müssen als die
oben erwähnte Behaghels, der nur die Wortstellungslehre
von der Bezeichnung als Bedeutungslehre ausnahm.*) Doch
auch mit solcher Einschränkung ist noch nicht viel gewonnen.
Auch in dieser Form hat jene Behauptung etwas Schiefes,
Halbwahres, wodurch das eigentliche Verhältnis der Bedeu-
tungslehre zur Syntax verschleiert wird.
Wenn man sagt : »Ein Teil der Syntax ist gleich einem
Teil der Bedeutungslehre«, so kommt alles darauf an, zu bestim-
men, gleich welchem Teil der Bedeutungslehre. In wie viele
Teile zerföJlt die Bedeutungslehre? Welche sind dies? Welche
dieser Teile sind nun gleich Syntax und welche nicht? Man
sieht, dass mit der Behauptung : ^Syntax ist ein Teil der Bedeu-
tungslehre* für das System, die Stoflfbegrenzung und Einteilung
der Syntax noch gar nichts gewonnen ist. Die Gefahr der
falschen Umkehrung jenes Satzes liegt zu nahe. ,Syntax ist
Bedeutungslehre; diese Abhandlung erörtert die Bedeutung
der und der Formen; also ist sie ein »Beitrag zur Syntax«'.
Erst müsste aber entschieden werden, in wieweit solche
Umkehrung richtig ist, dass Bedeutungslehre auch Syntax ist.
Jene Behauptung ist für unsere Zwecke wertlos, solange nicht
die Bestimmung hinzutritt, wieviel und was von der Be-
deutungslehre zur Syntax gehört. Diese Vorfrage wird nun
*) Andererseits ist es selbstverständlich, dass auch die Wortstellung
zum Teil Träger einer Bedeutung ist.
rv
78
aber gewöhnlich entweder gar nicht aufgeworfen oder falsch
beantwortet, hifolgedessen dient jene Behauptung nur dazu,
die Herrschaft ungenauer oder geradezu unrichtiger Vorstellungen
von dem Verhältnis der Syntax zur Bedeutungslehre und den
übrigen Teilen der Grammatik zu stützen und zu verewigen.
Da nur ein Teil jder Syntax gleich einem Teile der Be-
deutungslehre ist (dass nicht die ganze Bedeutungslehre iii
Frage kommt, ist selbstverständlich), steht zunächst soviel fest,
dass die Gebiete der Bedeutungslehre und der Syntax sich
weder decken noch sich ausschliessen, noch auch dass das eine
dem andern ganz eingeordnet werden kann. Es kann aber
— und das wird fast immer übersehen — die Bedeutungs-
lehre überhaupt in keiner Weise neben der Syntax und in
einer Linie mit ihr als ein Teil der Grammatik auftreten,
weil solche Teilung kein gemeinsames Prinzip hat. Bedeu-
tungslehre und Syntax gehören nicht als Glieder zu ein und
derselben Einteilung der Gesamtgrammatik; sie entstehen viel-
mehr durch zwei nach verschiedenen Prinzipien vorgenommene
Einteilungen.
Beschäftigt sich die Bedeutungslehre mit dem
geistigen Inhalt der sprachlichen Gebilde, so steht Ihr die
Formenlehre gegenüber als der Teil der Sprachlehre, welcher
von dem körperlichen Elemente der Sprache handelt, an
dem die Bedeutung haftet.
Die Syntax aber, welche es mit der Zusammenfügung
der Worte, mit ihrer Verbindung zu neuen Einheiten, der
Wortgruppe, dem Satze, der Periode zu thun hat, tritt an
die Seite der Lehre vom Einzelworte, wie neben der
Wortlehre die Lautlehre steht.
Lautlehre, Wortlehre und Syntax sind Teile der
Gesamtgrammatik, welche dadurch entstehen, dass man die
menschliche Rede in ihre Bestandteile auflöst, diese als
verschiedene Objekte der Forschung sondert und
nach der Grösse ihrer Einheiten anordnet.
Formenlehre und Bedeutungslehre sind dagegen
79
nichts als das Ergebnis verschiedener Betrachtungs-
weisen derselben Forschungsobjekte, die von ver-
schiedenen Gesichtspunkten aus, dort nach der körperlichen,
hier nach der geistigen Seite hin, einmal auf ihre Form, dann
auf ihren Inhalt untersucht werden. Wir haben es also in
betreff der Syntax und der Bedeutungslehre mit einer sich
kreuzenden Einteilung zu thun, der dort die Verschieden-
heit der Objekte selber, hier die verschiedene Betrachtungsweise
derselben Objekte zu Grunde liegt. Das mag zum Überfluss noch
durch das folgende Schema verdeutlicht werden:
Objekt /
Einzelwort
Wortgefüge
Be-
trach-
tet in
Bezug
auf die
Wortlehre
Syntax
1
g
e
I.
Lehre von den
Formen der Worte
(Wortarten nach
formalen C^icbts-
punkten und Flexions-
lehre).
m.
Lehre von den
Formen der
syntaktischen
Gebilde.
1
PQ
9
1
9
II.
Lehre von der
Bedeutung der
Worte, ihrer Arten
und Formen.
IV.
Lehre von der
Bedeutung der
syntaktischen
Gebüde.
Wie aus dieser Übersicht leicht erkennbar ist, enthält das
IV. Feld das der Syntax und der Bedeutungslehre allein gemein-
same Glied: die Lehre von der Bedeutung der syntaktischen
Gebilde.
Werfen wir einen raschen Blick auf die bisher gemachten
Versuche, die Bedeutungslehre in das übliche Schema der
Grammatik einzureihen, soweit sie uns bekannt geworden sind,
80
so ergiebt sich uns aus denselben als sicher : 1) die Richtigkeit
des REisiGschen Gedankens, die Notwendigkeit eines besonderen
Teils ^Bedeutungslehre* wird allgemein anerkannt; 2) gleich-
falls als allgemein anerkannt darf gelten, dass die Einfügung
dieses neuen Teils der Grammatik auf die Stoflfbegrenzung der
alten Teile nicht ohne Einfluss bleiben kann, dass im besondern
die Verteilung des grammatischen Stoffes unter die Syntax
und die Bedeutungslehre neu geregelt werden muss ; 3) dagegen
ist es noch nicht gelungen, eine Obereinstimmung darüber zu
erzielen, welche Stoffe der Bedeutungslehre, welche der Syntax
zuzuweisen seien; vielmehr harrt die Frage der Grenzregelung
zwischen diesen beiden Gebieten noch der Lösung. Auch
die Vorbedingung zu einer befriedigenden Lösung dieser Frage
ist noch nicht gegeben , insofern die richtige Auffassung des
allgemeinen Verhältnisses der Bedeutungslehre zu den altern
Teilen der Grammatik noch keineswegs zum wissenschaftlichen
Gemeingut gehört. Somit musste eine erneute Prüfung dieser
Frage geboten erscheinen.
Die Versuche von Reisig selbst, von Benary, Haase,
Schleicher (®^), die Bedeutungslehre in den Rahmen der
Grammatik einzufügen, mussten scheitern, weil sie alle sich
damit begnügten, die Bedeutungslehre (unter diesem Namen oder
als Semasiologie oder als Funktionslehre) den bisher üblichen
Teilen der Grammatik einfach an die Seite zu stellen imd sie
zwischen Wortlehre (Etymologie, Morphologie, Formenlehre
u. s. w.) und Syntax (Satzlehre, Lehre vom Wort als Gedanken
u. s. w.) auf derselben Linie einzuschieben. Dass eine solche
Einteilung fehlerhaft ist, haben wir oben gezeigt. Wir
brauchen hier auf die Versuche, die Grammatik auf dieser
Grundlage einzuteilen, nicht näher einzugehen. Auf rich-
tigerem Wege befindet sich Heerdegen. {^^) Zwar geht er von
Schleichers fehlerhafter Vierteilung der Grammatik aus, betont
aber den Gegensatz von Einzelwort und Wortgefüge, der bei
Schleicher ganz zurücktritt, und gründet auf ihn seine Glie-
derung der Grammatik in zwei Hauptteile: Wortlelu'e und
81
Satzlehre, wobei nur nicht einzusehen ist, weshalb dem Laut,
der sich zum Wort ähnlich verhält wie dieses zum Wort-
gefüge, kein besonderer Teil gewidmet werden soll. (•*) Da-
neben weist er richtig auf den andern Gegensatz hin : Form
und Bedeutung, wofür er mit Schleicher »Funktion« sagt. Deut-
lich stellt er »den sinnlich-lautlichen Faktor, die äussere Laut-
form der Sprache oder ihre Form schlechthin« . . . »dem
(beherrschenden) innerlich - geistigen Faktor oder . . . ihrer
Funktion« (S. 45 ff.) gegenüber. Damit hat er den einzig
richtigen Gesichtspunkt für die Gliederung der Gesamtgram-
matik und die Einordnung einer Bedeutungslehre gewonnen.
Oder vielmehr wiedergewonnen. Denn Lange hat schon
1852 sowohl auf den bekannten Gegensatz von Wort und Satz,
»diesen zwei Einheiten der entwickelten Sprache« (•*), als
auch auf den andern von Form und Bedeutung und seine
Wichtigkeit auch für die Syntax hingewiesen: »Auf dem
Gebiete des Satzes wird im Interesse des Systems wieder zu
unterscheiden sein zwischen Satzform und Satzbedeutung, eine
Unterscheidung, die auf dem Gebiete des Wortes jedem geläufig
ist . . .«. {^^) Damit war die Kreuzteilung genügend angedeutet.
Und der von Heerdegen öfters angeführte Steinthal hatte
1855 (®*) noch deutlicher und ausfuhrlicher das Verhältnis der
beiden Gegensätze zueinander besprochen und die Forderung
der Kreuzteilung ausdrücklich aufgestellt und begründet, hnmer-
hin bleibt es ein Verdienst Heerdegens', von neuem auf das
Richtige hingewiesen zu haben. Seine Einteilung verwirklicht
jene Forderung : der Gegensatz von Wort und Satz giebt ihm
das Prinzip der Hauptteilung, der von Form und Bedeutung
das Prinzip für die weitere Gliederung.
Im Einzelnen ist Heerdegens Einteilung der Grammatik
durchaus originell, aber trotz der richtigen allgemeinen Ge-
sichtspunkte entschieden verfehlt. (*') Der Grundfehler in seinem
System der Grammatik liegt wieder in der irrigen Auffassung
der Stellung der Flexionslehre. Trotzdem er den alten fehler-
B i e 8 , Was ist Syntax ? 6
82
haften Gegensatz: Formenlehre — Syntax aufgegeben und durch
den richtigen : Formenlehre — Bedeutungslehre ersetzt hat, ist ihm
die Eingliederung der Syntax und die Bestimmung ihrer Auf-
gaben doch völlig missglückt, weil er mit den meisten an der unbe-
dingten Zuweisung der gesamten Lehre von der Bedeutung der
Flexionen zur Syntax festhält und — worin er konsequenter ver-
fährt als alle andern — darüber hinaus ihr auch noch die
Formenlehre der Flexionen zuteilt. Aber Lange (•*) hatte
auch darauf schon hingewiesen, dass »in der Syntax ein Ma-
terial sprachlicher E>^heinungen vereinigt sei, das besser ge-
trennt würde« . . . »Über den Unterschieden auf dem Gebiete
der Wortformen übersahen die alten Grammatiker die Ver-
schiedenheiten der Satzformen« . . . »Mit Recht hat daher Herr
Prof. Haase schon vor längerer Zeit darauf gedrungen, den
Stoff, der jetzt in den Systemen der Syntax behandelt zu
werden pflegt, zu teilen ...«(•®) Dass die Behandlung des
Satzes eine Hauptaufgabe jeder Syntax sein müsse und dass
auf diesem Gebiete wie auf dem des Wortes gleichfalls die
Formen und ihre Bedeutungen zu erörtern seien, hatte Lange,
wie erwähnt, ebenfalls betont. All das findet aber in Heer-
degens System wiederum keine Stätte. Er hat zwar dem Namen
nach eine Satzlehre ; sie besteht aber ausschliesslich aus Formen-
und Bedeutungslehre der Flexionen — von den Formen und Be-
deutungen der Sätze selber ist auch bei ihm keine Rede.
Übrigens scheinen auch Heerdegens Bemühungen um bessere
Ordnung im System der Grammatik und seine Wiederentdeckung
der Kreuzteilung erfolglos bleiben zu sollen. Wenigstens zeigt
der einzige mir bekannt gewordene neuere Versuch, die so
vielfach geforderte Bedeutungslehre wirklich in den Rahmen
der Grammatik einzufügen, wieder die altbeliebte prinziplose
Nebeneinanderreihung : Vogrinz schiebt die »Bedeutungs-
lehre« zwischen einen Teil mit der Überschrift » W ortbildung
und Wortzusammensetzung« und der»Satzlehre«ein;
voran gehen »Lautlehre« und »Formenlehre«, sodass wir
fünf in einer Reihe stehende Teile haben. (••)
83
So ist denn die richtige Ansicht von dem Verhältnis der
Bedeutungslehre zu den übrigen Teilen der Grammatik, obwohl
sie schon vor längerer Zeit und von hervorragenden Gelehrten
aufgestellt und begründet und, meines Wissens, von niemand
bekämpft oder gar widerlegt worden ist, trotz Heerdegens
neuerlichem Eintreten dafür, bisher ohne praktische Folgen
geblieben.
Allerdings ist mit der Erkenntnis, dass die Bedeutungs-
lehre der Formenlehre, die Syntax der Wortlehre gegenüber-
steht und die beiden Einteilungen sich kreuzweise durchschneiden,
nur der Weg zur Lösung der Schwierigkeiten gezeigt, gelöst
sind sie damit noch nicht.
Es bleibt noch eine Reihe von Fragen zu beantworten, die
bei der Verteilung des grammatischen Stoffes auf
Syntax und Wortlehre
auftauchen.
Aus dem Prinzip der Kreuzteilung ergiebt sich zunächst
die Möglichkeit einer doppelten Einteilung der Grammatik, je
nachdem der Gegensatz: Einzelwort — Wortgefuge oder der
von: Form — Bedeutung dem andern übergeordnet wird. Je
nach den Umständen und den besonderen Zwecken, die
im einzelnen Falle verfolgt werden, wird die eine oder die
andere Gruppierung den jVorzug verdienen. Im allgemeinen
wird jedoch für eine Gesamtdarstellung die erstere vorzu-
ziehen sein, und wir hätten somit, von den übrigen Haupt-
teilen und weiteren Unterabteilungen zunächst abgesehen, die
Einteilung :
Lehre vom Einzelwort (oder kurz Wortlehre).
1. Von der Form der Worte:
Wortarten (nach formalen Gesichtspunkten),
Flexionslehre.
6
84
2. Von der Bedeutung
der Worte*,
der Wortarten,
der Flexionsformen.
Lehre vom Wortgefüge (oder Syntax).
1. Von der Form der Wortgefüge.
2. Von der Bedeutung der Wortgefüge.
Hieraus folgt, dass es prinzipiell nicht die Auf-
gabe der Syntax sein kann, in systematischer
Weise die Bedeutung der Wortarten und der
Wortformen zu lehren. Diese Aufgabe fällt viel-
mehr der Wortlehre zu. Die Syntax hat es grund-
sätzlich nur mit Form und Bedeutung der Wortgefüge
zu thun.
Dürfen wir dies nach dem Gesagten als bewiesen ansehen,
so bleiben ims noch zwei Aufgaben übrig. Erstens die Ein-
wände zu prüfen, die gegen die verlangte Zuweisung der Be-
deutungslehre von Wortarten und Wortformen (die doch bis-
her fast ausnahmslos als ein Hauptbestandteil der Syntax ge-
golten hat und die nach Miklosigh geradezu gleich Syntax sein
sollte) zur Wortlehre erhoben worden sind und die sonst da-
gegen voraussichtlich erhoben werden dürften. Zweitens zu
untersuchen, welche Folgerungen für die Begrenzung des Stoffes
der Syntax und für ihre Einrichtung aus den bisher gewonnenen
Ergebnissen zu ziehen sind.
Beides hängt enge zusammen. Denn es ist ohne weiteres
klar, dass die Form imd die Bedeutung der Wortgefüge, die
nach obigem den ausschliesslichen Gegenstand der Syntax
* Hier findet im System der vollständigen Grammatik die Synonymik,
die Lehre vom Bedeutungswandel und was sich sonst auf dem Gebiete
der Wortbedeutung der bloss lexikalischen Darstellung abgewinnen und
einer systematischen Bearbeitung unterwerfen lässt, den angemessenen
Platz. (^°) Synonymie und Bedeutungswandel sind übrigens auch bei den
Flexionsformen besonders in Betracht zu ziehen.
85
bilden sollen, nicht durchweg unabhängig sind von der Form
und der Bedeutung der Worte, dass jene vielmehr häufig und
wesentlich von diesen mit bestimmt und bedingt werden. Selbst
wenn man die Syntax, wie einige wollen, auf die eigentliche
Satzlehre (im engern Sinne) einschränkte, könnte man doch
auch diesem Stoffe nicht allseitig gerecht werden, ohne Form
und Bedeutung vieler Flexionen eingehend zu berücksichtigen.
Auch eine reine Satzlehre, wie sie z. B. Benary und Haase
planten, müsste ohne jede Mitberücksichtigung der Flexions-
lehre unvollständig bleiben. Das gilt noch viel mehr von einer
Syntax, die, wie wir es wollen, ausdrücklich die Lehre von
den nicht satzbildenden Wortgruppen mitbegreift. Dieser
Einwand ist ohne Frage berechtigt, und es bedarf keines Nach-
weises im Einzelnen, dass diejenigen zu weit gehen, welche die
Behandlung der Bedeutung der Wortarten und Wortformen,
weil sie grundsätzlich der Wortlehre zukomme, nun auch
gänzlich aus der Syntax verbannen wollen. Strittig kann nur
sein, was daraus folgt. Es bleibt also immer noch die Frage
zu beantworten: inwieweit ist die Syntax genötigt,
trotzdem dies prinzipiell nicht ihre Aufgabe ist,
doch auch Form und Bedeutung der Worte selbst
in ihre Erörterung hineinzuziehen?
Nun ist andererseits gegen die Behandlung der Be-
deutungslehre von Wortarten und Wortformen innerhalb der
Wortlehre und für die Einreihung dieses ganzen Gebietes in
die Syntax, abgesehen von der Macht der Gewohnheit, haupt-
sächlich der eine Grund massgebend: die Formen der Worte
drücken Beziehungen der Worte untereinander aus; die Be-
deutung der Flexionen geht also über den Bereich des Einzel-
wortes hinaus, sie ist nur in der Wortverbindung lebendig,
besteht nur im Satze und für den Satz. Ähnlich behauptet
man wohl auch von den Wortarten: ihre Bedeutung fliesst
allein aus ihrer syntaktischen Verwendung, wird nur aus dem
Satze und in ihm erkannt. Vom Standpunkte der Wortlehre
aus angesehen, stellt sich somit die soeben vom Gesichtspunkt
86
der Syntax formulierte Frage so; inwieweit soll, wie
kann überhaupt die Wortlehre die Bedeutung der
Wortarten und Flexionsformen erörtern, wenn
diese sich erst aus der Wortfügung ergiebt, nur
in ihr und durch sie besteht? Und schliesslich, indem
wir beide Teile , l Wortlehre und Syntax, ins Auge fiassen :
wie sollen die Abschnitte der Wortlehre, die von
der Bedeutung der Wortklassen und Flexionen
handeln, vom zweiten Teile der Syntax gesondert,
wie soll der Stoff unter sie verteilt werden, wenn
doch die Syntax ohne einen Teil des Stoffes der
Wortlehre nicht vollständig, und dieser ohne die
Syntax nicht verständlich ist?
Wie diese Fragen zu beantworten sind, das hängt davon
ab, ob imd wieweit sich die Einwände gegen die Zuweisung
der Bedeutungslehre von Wortarten und Wortformen zur
Wortlehre als stichhaltig erweisen. Li den Ergebnissen, zu
denen die Prüfung dieser Einwände führt, ist die Antwort auf
jene Fragen mitgegeben.
Diese Einwände sind zweierlei Art:, sie beruhen entweder
auf prinzipiellen oder auf praktischen Bedenken.
Die Behandlung der Bedeutung von Wortklassen und
Flexionen wird der Wortlehre grundsätzlich abgesprochen
und in die Syntax verwiesen aus dem schon angedeuteten
Grunde: beide (oder doch gewiss die Flexionen) bestehen nur
in und für die Wortverbindung, überschreiten also den Bereich
des Einzelwortes.
Oder es wird zugegeben, dass die Lehre von der Bedeutung
der Wortklassen und Wortformen eigentlich wohl zur Wort-
lehre gehöre; betont wird aber, woran wir oben erinnert haben,
dass ein Teil derselben doch in den Bereich der Syntax hinüber-
greife und ohne Hineinziehen syntaktischer Verhältnisse nicht
zu behandeln sei; andererseits müsse die Syntax ohne einen
Teil dieser Wortbedeutungslehre unvollständig bleiben: es sei
also eine Trennmig der bisher zusammen behandelten Lehre
87
von der Bedeutung der Wortklassen und Flexionsformen in
zwei Teile, von denen der eine der Wortlehre, der andere der
Syntax zufiele, unvermeidlich. Solche Trennung aber sei nicht
erwünscht und nicht gut durchzufuhren, sie sei praktisch
unthunlich.
Wir wenden uns zunächst zu dem grundsätzlichen Be-
denken. Seine Begründung erweist sich bei näherer Betrach-
tung als durchaus nicht stichhaltig, so einleuchtend sie auf
den ersten Blick erscheint Sie zieht aus einer nur zum Teil
richtigen Behauptung eine völlig falsche Folgerung.
Ist es richtig, was so oft behauptet und gemeinhin ohne
Prüfung angenommen wird, dass die Flexionsformen nur zum
Ausdruck von Beziehungen der Worte untereinander dienen,
und dass deshalb die Lehre von der Bedeutung der Flexionen
in die Syntax gehöre, so ist auch die Konsequenz unabweisbar,
dass dann die gesamte Lehre von den Flexionen d. h. auch
die speziell sogenannte Flexions- oder Formenlehre, die bisher
der Syntax gegenüberstand, mit in die Syntax zu verweisen
ist*). Denn kann das Wort für sich allein gar keine Flexion
haben, giebt es eine Flexion nur im Satz und für den Satz, so
gehört doch die Lehre von der Form der Flexionen so gut in
die Satzlehre, wie dies mit der Lehre von ihrer Bedeutung
der Fall sein soll. Was für diese gelten soll, muss auch für
jene gelten. So lange der falsche Gegensatz : Formenlehre —
Syntax der Gliederung der Grammatik zu Grunde lag, mochte
man die Bedeutung der Flexionen der Syntax, ihre Form der
Formenlehre zuweisen; stellen wir aber der Syntax richtig die
Wortlehre gegenüber, so kann die Behandlung der Form der
Flexionen nur demselben Hauptteil zugewiesen werden, dem
auch die Behandlung ihrer Bedeutung zufällt. Bei einer Ein-
teilung der Grammatik, bei der die Verschiedenheit der Objekte
*) Zu dieser Eonsequenz hat sich meines Wissens nur Heebdegen be-
kannt (siehe oben S. 81 ff.)' I^^ einer mehr beiläufigen Bemerkung hat ein-
mal auch Behaohel C^) einen ähnlichen Gedanken ausgesprochen.
88
selber (Einzelwort— Wortgefüge) das Prinzip der Hauptteilung
(Wortlehre — Syntax) abgiebt, bei der aber der Gegensatz von
Form und Bedeutung je desselben Objekts zur weitern Gliederung
der Hauptteile dient, kann natürlich auch die Formenlehre und
die Bedeutungslehre der Flexionen immer nur verschiedene
Unterabteilungen desselben Hauptteils bilden, sei es nun der
Wortlehre oder der Syntax. Schliesst also, wie behauptet
wird, die Bedeutung der Flexionen ihre Behandlung in der
Wortlehre aus, so kann auch die Form der Flexionen nicht
mehr in der Wortlehre erörtert werden; dann gehören beide
zur Syntax.
Übrigens ist eine völlige und wirkliche Trennung der Be-
deutungslehre der Flexionen von ihrer Formenlehre überhaupt
unmöglich. Es scheint manchem nicht recht zum Bewusst-
sein gekommen zu sein, dass die aus der Wortlehre theoretisch
verbannte Bedeutungslehre der Formen sich doch stets in diese
Eingang zu verschaffen weiss, dass überhaupt das Eindringen
der Bedeutungslehre in die Formenlehre gar nicht zu ver-
meiden ist. Was ist es denn anderes als Bedeutungslehre der
Formen, wenn gelehrt wird, das ,Aktiv* heisse amare, das
Passiv* amari, das ,Präsens' heisse dico^ das ,Perfekf dixi;
Kind sei ^Singular, Kinder ^PluraF; aimerai sei ^Futurum*,
a/iwerafs ,Konditionar; wenn asJcs^ does, liveth als Formen ,der 3.
Pers. Sing.Praes.' bezeichnet werden; wenn naidsvoi die ,3. Pers.
Sing. Optat. Praes. Act.* genannt wird? Mit andern Worten,
die ganze, doch unvermeidliche Benennung und Gruppierung
der Formen ist nichts anderes und kann nichts anderes
sein als eine Bedeutungslehre in nuce. Sind manche
Namen undurchsichtig oder weniger glücklich gewählt, wie
Aorist, Participium, Genitiv, Accusativ, so ändert das an der
Sache nichts, andere sind um so besser und durchsichtiger, wie
Vokativ, Optativ, hnperativ, Singular, Dual, Plural usw. Selbst
wenn man der Konsequenz eines falschen Grundsatzes zuliebe
den absurden Gedanken hätte, die Formen statt mit Namen,
die doch die Bedeutung zum wenigsten andeuten, mit Zahlen
89
oder dergleichen zu bezeichnen, würde man jener Notwendig-
keit nicht ganz entrinnen. In der Wahl der Zahlen oder
sonstigen Zeichen für die einzelnen Formen würde sich ihr
Zusammenhang aussprechen müssen, in der Anordnung allein
würde sich ein Teil der Bedeutung verraten. Und der blosse
Umstand, dass lautlich ganz unähnliche Formen in den ver-
schiedenen Deklinationen und Konjugationen mit demselben
Namen oder 2feichen versehen werden, so nichtssagend man
sie auch wähle, und die Thatsache, dass sie im System der
Formen denselben Platz einnehmen, enthält ja schon die Er-
klärung, dass diese formell ganz ungleichen Gebilde zum Aus-
druck derselben Bedeutung dienen. Kann man also schon
die blossen Schemata der Flexionsformen gar nicht aufstellen,
ohne dabei ihre Bedeutung hineinzuziehen und zu berück-
sichtigen, so ist nicht abzusehen, wie und weshalb die Be-
deutungslehre und die Formenlehre der Flexionen in zwei ver-
schiedene Hauptteile der Grammatik eingereiht werden sollen,
mit welchem Rechte die wissenschaftliche, systematische Gram-
matik die ausgeführte Behandlung der Flexionsbedeutungen in
einen andern Hauptteil verweisen könnte als die abgekürzte,
fragmentarische. Das einzig Natürliche ist doch vielmehr, dass
die ausführliche Behandlung der kurzen, im Schema mitge-
gebenen Übersicht unmittelbar folge. Li welchen Teil der
Grammatik die Bedeutungslehre der Flexionen auch eingefügt
werde, man kann sie von der Formenlehre der Flexionen nicht
völlig trennen. (^^)
Wenn also Heerdegen, wie erwähnt, auf Grund seiner
Ansicht von dem Wesen der Flexionsbedeutung ihre Behand-
lung der Syntax zuwies, so verfiihr er nur konsequent, indem
er auch die Formenlehre der Flexionen der Satzlehre zuteilte.
Dass er mit diesem sonderbaren Vorschlag, die Wortformen-
lehre in die Satzlehre einzureihen, Beifall und Nachahmung
finden sollte, ist nicht zu befürchten. Was eine Formenlehre
des Wortes ist (bei ihm I. 1.), die alles auf die Flexion Bezüg-
liche ausschliesst, ist unerfindlich. Eine Wortformenlehre ohne
90
Lehre von den Flexionsformen, d. h. ohne die xat^i^oxr-v so
genannte Formenlehre*, ist barer Widersinn *).
Wir werden mnsomehr Bedenken tragen, Heerdegen auf
diesem Wege in der Erweiterung der Aufgaben der Syntax
zu folgen, als die Durchfuhrung seines Gedankens zu einer
völligen Auflösung der Wortlehre führen würde. Denn wie
steht es mit der Wortbildungslehre ? Ein durchgreifender Unter-
schied, formaler oder funktioneller, zwischen den sogenannten
flexivlschen Wortveränderungen und den übrigen, die gewöhn-
lich in die Wortbildungslehre, damit also in die Wortlehre, ein-
bezogen werden, lässt sich nicht aufstellen noch durchfuhren.
Dieselben Vorgänge, die der Bildung von Flexionsformen zu
Grunde liegen, finden sich auch in den übrigen Wortbildungen
wirksam. Änderungen des Stammvokals, Nasalierung, Redu-
plikation, Vor- und Nachsilben usw., sie dienen alle ebenso der
Wortbildung wie der Flexion. Die sprachlichen Mittel, auf
denen die Flexionen beruhen, lassen sich von den übrigen
Wortbildungsmitteln grundsätzlich gar nicht trennen. Der
Bedeutung nach ebensowenig wie in etymologischer Hinsicht.
Soweit die Frage nach der Grundbedeutung sich überhaupt
wissenschaftlich behandeln lässt, müssen die Lösungsversuche
bei den Ergebnissen der etymologischen Forschung einsetzen;
und es ist ebenso bedenklich, die Lehre von der Bedeutung
wesensgleicher Formelemente wie die Lehre von der Bildung
der Worte und Wortformen aus diesen wesensgleichen Formen-
elementen grundsätzlich zwei verschiedenen Hauptteilen der
Grammatik zuzuweisen. Zur Lehre von der Form der Flexionen
gehört die Lehre von ihrer Bildung, zur Lehre von der Be-
deutung der Flexionen gehört die Frage nach ihrer ursprüng-
lichen Bedeutung; beides aus der Lehre von der Wortbildimg
und Wortbedeutung auszusondern, um es in einem andern
*) In der Grammatik flektierender Sprachen — natürlich ! Wo keine
Flexion vorhanden ist, kann keine dargestellt werden, weder in der Wort-
lehre noch in der Syntax.
91
Hauptteil der Grammatik zu erörtern, das ist bei der Wesens-
gleichheit der behandelten Objekte nicht zu rechtfertigen.
Ganz dasselbe gilt für die Wortklassen. Will man die Be-
deutung der Wortklassen nur in der Lehre vom Wortgefüge
behandelt wissen, da nur ffir die Wortverbindung ihre Ver-
schiedenheit in Betracht komme, da diese nur aus der syntak-
tischen Verwendung fliesse und erkannt werde, mit welchem
Rechte wird denn da die Bildung der Form dieser Wortklassen
in einen andern Hauptteil verwiesen? Ohne Widerspruch
pflegt aber die Wortbildungslehre, also ein Teil der Wortlehre,
den noch niemand zur Syntax hat schlagen wollen, die Vor-
gänge der Stamm- und Wortbildung zu erörtern, durch welche
eine Wurzel in bestimmte Wortklassen gesetzt, Verba und
Nomina, Substantiva, Adjektiva, Adverbia geschaffen werden.
Auch hier wirkt wieder die alte falsche (Jegenüberstellung von
Wortkörper und Wortgeffige an Stelle der richtigen : Wort und
Wortgefüge, Wortkörper und Wortbedeutung. Überschreitet
die Lehre von der Bedeutung der Wortarten die Grenzen der
Wortlehre, so überschreitet diese Grenze auch die Lehre von
der Bildung dieser selben Wortarten. Rechnet man aber, wie
es allgemein geschieht, die Wortbildungslehre zur Wortlehre,
so kann man auch der Lehre von der Form und Bedeutung
der Wortklassen und von der Form und Bedeutung der
Flexionen einen Platz innerhalb der Wortlehre nicht versagen.
Wie mit der Bildung der Worte, steht es mit den
Worten selber. Will man die Flexionsformen von der Wort-
lehre deshalb ausschliessen , weil sie lediglich die Be-
ziehung mehrerer Worte zueinander ausdrücken, so müsste
man aus gleichem Grunde auch die zahlreichen selbständigen
Worte aus der Wortlehre verbannen, die dem gleichen Zwecke
dienen: also die sämtlichen Form- und Hilfewörter. Was die
eine Sprache durch Flexionen, das drückt die andere durch
Präpositionen, Hilfeverba, Adverbia usw. aus; innerhalb der-
selben Sprache dienen zum Ausdruck der nämlichen Beziehungen
bald Flexionsformen, bald eigene Wörter. Präpositionen, Hilfe-
r\
92
verba, Ersatzwörter für die Gradation, und was sonst von
selbständigen Wörtern in den verschiedenen Sprachen in Kon-
kurrenz steht mit Flexions- und Ableitungsformen , sofern sie
alle nur zum Ausdruck von Beziehungen der Wörter unter-
einander dienen, all das müsste, wäre jener Grund stichhaltig,
aus der Wortlehre grundsätzlich verbannt werden. Dies zu be-
fürworten hat meines Wissens noch niemand seine Stimme er-
hoben. So bliebe für die Wortlehre etwa noch die Betrach-
tung des Bedeutungswandels und die Synonymik übrig. Doch
auch diese dürften sich nach Obigem nur auf die eigentlichen
Begriflfswörter im Gegensatz zu den Form- imd Hilfswörtern
erstrecken, deren Bedeutung ja nur aus der Wortverbindung
fliesst. Es bleibt zu erinnöm, dass weder der Bedeutungs-
wandel noch die synonymische Verschiedenheit der Begrifife-
wörter unabhängig ist von der Verbindung mit andern
Wörtern, in der sie auftreten können bezw. aufzutreten pflegen.
Gilt jener Einwand, so überschreitet auch die Lehre vom
Bedeutungswandel und die Synonymik vielfach die Grenzen
der Wortlehre, weil in beiden Eigentümlichkeiten der Wörter
zur Sprache kommen müssen, die über den Bezirk des Einzel-
wortes hinausgehen. Wollte man diesen Massstab konsequent
überall anlegen imd aus der Wortlehre alles verbannen, was
,über den Bezirk des Einzelwortes hinausgeht, so würde schliess-
lich kaum viel übrig bleiben: die ganze Wortlehre löst sich auf.
hl der Lautlehre liegen die Verhältnisse ganz ähnlich. Will
oder kann man etwa aus der Lautlehre alles verbannen, was
nicht den einzelnen Laut an und für sich betrifift? Was die
gegenseitige Beeinflussung der Laute bei ihrem Zusammentreffen
angeht? Die Einwirkung eines Lautes auf einen andern, der
in einer andern Silbe desselben Wortes oder selbst in einem
andern Worte steht? Soll man in der Lautlehre nicht
den Einfluss des Accents auf die Lautgestaltung behandeln
dürfen? Nicht den der Pausen? Aber ein Einzellaut hat
keinen Accent, der lebt nur im Wort oder der Wortgruppe.
Pausen aber entstehen nur zwischen Wortgruppen, im Satze,
93
in der Periode. All das geht über den Bezirk des Einzellautes
hinaus, betrifft die Beziehungen der Laute zueinander, setzt das
Wort, ja den Satz voraus. Ist das kein Übergriff auf das Ge-
biet der Wortbildungslehre, der Flexionslehre, der Syntax?
Wäre es das, und wollte man darum dies alles aus der Laut-
lehre aussehliessen, so würde sie zu einem Bruchstück ver-
stümmelt, voller Lücken und ohne innem Zusammenhang.
(Vergl. unten über »Syntax und Lautlehre«).
Es beruht aber der ganze Schluss auf einer schiefen Grund-
auffassung. Was heisst denn das eigentlich: ,Wortformen und
Wortklassen bestehen nur für den Satz und in ihm, erhalten
ihre Bedeutung nur aus ihrer syntaktischen Verwendung, für
sich allein haben beide kein eigenes Dasein'? Soweit das
richtig ist, ist es allbekannt und anerkannt. Aber was soll
denn daraus für die Einteilung der Grammatik folgen? Steht
es denn mit dem Worte selbst wesentlich anders? Oder mit
dem Laut ? Auch das Wort hat kein eigenes Dasein, auch der
Laut besteht nicht für sich allein. Der Laut lebt nur im Wort,
das Wort nur im Wortgefüge, es lebt doch alles nur im Satz,
dieser allein ist die organische Einheit, phne Wortgefüge
gäbe es keine Flexionsformen, die ja nur die Beziehungen der
Worte untereinander ausdrücken; ohne Satz gäbe es keine
Wortarten, die für die verschiedenen Satzteile bestimmt sind*.
Gewiss! Aber ohne Satz gäbe es auch keine Worte, ohne
Worte gäbe es keine Laute. In der Sprache, wie in jedem
komplizierten Organismus, hängt eben alles mit allem zu-
sammen, wird alles durch alles bedingt. Könnte daraus für
die Gliederung der Grammatik überhaupt irgend etwas ge-
folgert werden, so müsste es schon dies sein: es ist weder
eine besondere Lautlehre noch eine besondere Wortlehre mög-
lich. Und in der That hat man sich auch zu dieser Konse-
quenz wirklich verstiegen. (^®) So führt sich jene falsche Auf-
fassung, konsequent entwickelt, selbst ad absurdum. Die Teile,
in die der Naturforscher den tierischen Körper zerlegt, haben
gewiss kein selbständigeres Leben als Laut und Wort. Sollte es
94
darum keine Knochenlehre, keine Nervenlehre usw. raehr geben ?
Das hiesse nichts anderes, als dass die Wissenschaft auf ihr
Hauptmittel der Erkenntnis und der Darstellung, auf Trennen
und Scheiden, auf die Auflösung komplizierter Objekte in ihre
Teile verzichten müsste. ,Aber es ist doch ein grosser Unter-
schied zwischen Wort und Wortform. Jenes ist, wenn auch
nicht ganz selbständig, so doch selbständiger als diese. Es ist
immer dasselbe, in welcher Form es auch auftritt. Diese ist
nur eine wechselnde Veränderung desselben Wesens, dessen
Bedeutung sie unberührt lässt, dessen wechselnde Beziehungen
zu andern sie vielmehr nur bezeichnet'. Dass dies letztere nur
zum kleineren Teile richtig ist, werden wir unten sehen; wäre
es aber auch ganz richtig, wie es das erstere gewiss ist, so
folgt doch daraus nicht, was daraus geschlossen werden soll.
Weil das Wort ein sozusagen selbständigeres Wesen ist als
die Wortform, weil es der Träger dieser letzteren ist, deshalb
haben wir eben in der Grammatik einen Haupt teil, der dem
Worte, und darin Unterabteilungen, die seinen Formen ge-
widmet sind, und nicht umgekehrt. Ein weiteres folgt aus
diesem Verhältnis der Wortform zum Worte nicht. Dass ein
Teil der Flexionsformen zum Ausdruck von Beziehungen der
Worte zueinander dient, ist an sich kein Grund, sie prinzipiell
von der Wortlehre auszuschliessen. Denn da diese Beziehungen
am Worte selber durch lautliche Veränderungen an seinem
eigenen Körper zum Ausdruck kommen, gehören sie zu seinen
wesentlichsten Eigentümlichkeiten, und die Behandlung des
wissenschaftlichen Objektes ,Worr bliebe unvollständig, wenn
eine so vnchtige Seite seines Wesens nicht zur Sprache käme.
Flexionsfilhigkeit und Unfähigkeit des Wortes bilden einen
hervorstechenden Zug seines Gesamtcharakters; welcher Art
seine Abwandlung ist; wieviele und welche Formen es bilden
kann ; zum Ausdruck welcher Veränderungen und Ergänzungen
seiner Bedeutung, welcher Beziehungen diese dienen : das alles ist
ein Teil und ein überaus wichtiger, charakteristischer seines
ganzen Wesens. (^^)
95
Handelt man in der Laut- und Wortlehre von all jenen
Dingen, die ,über die Grenze des Einzellautes und des Einzel-
wortes hinausgehen', so macht man damit durchaus keinen
tadelnswerten Übergriff auf fremde Gebiete. Es liegt darin
nicht der geringste Dispositionsfehler, solange der Gesichts-
punkt nicht aus den Augen verloren wird, dass in der
Lautlehre vom Laute, in der Wortlehre vom Worte, in der
Syntax vom Wortgefüge die Rede ist, dass diese jedesmal den
Mittelpunkt der Darstellung, den eigentlichen Gegenstand
bilden, der beschrieben, erklärt, allseitig betrachtet wird. Es
kommt nur darauf an , dass jeder Teil der Grammatik hat,
was Scherer sehr treffend den ,Helden' der Darstellung
nannte. (^^) Jeder der drei Hauptteile der Grammatik hat seinen
eigenen Helden, dessen Beschreibung gegeben, dessen Geschichte
erzählt, dessen Geschicke im Verkehr mit seinesgleichen, in
seinen vielfachen Beziehungen zu seiner Umgebung verfolgt
werden durch alle wechselnden Lagen, in die er gerät. Gerade
das Umgekehrte ist das falsche Verfahren. Weist man aus der
Lautlehre in die Wortlehre, aus dieser in die Syntax alles, was
über den Bezirk des Einzellautes, des Einzelworts hinausgeht,
so bleibt einerseits von Laut- und Wortlehre nichts als ein
ziemlich wertloser Torso übrig, andererseits zerstört man gerade
dadurch die Einheitlichkeit der Wortlehre und der Syntax,
denen man ihren Mittelpunkt raubt, um den sich alles drehen
sollte. Darum gerade ist eine angemessene Disposition jeder
Art von Mischsyntax eine Unmöglichkeit, weil die Mischsyntax
keinen ,Helden* hat. Sie hat keinen, weil sie mehrere hat,
zwischen denen sie hin und her schwankt, von denen der eine
die andern als Teile mitumfasst, weil sie bald dem Wortgefüge,
bald dem Worte selber, seinen Arten und einzelnen Formen
die Heldenrolle zuweist.
Wir können somit die Berechtigung des prinzipiellen Ein-
wandes nicht zugeben. Auch wenn die ihm zu Grunde liegende
Behauptung richtig wäre, würde doch, wie wir gesehen haben,
daraus keineswegs zu folgern sein, dass die Behandlung der
rv
96
Bedeutung von Wortarten und Wortfomien von der Worllehre
auszusehliessen und der Syntax zuzuteilen sei.
Nun ist aber auch jene Behauptung nur zu einem Teile
richtig.
Es ist nicht richtig, dass die Flexionsformen nur zum
Ausdruck der Beziehungen der Worte untereinander dienen.
Das gilt wohl von einem Teil der Flexionsformen, aber nicht
von allen; und wo es gilt, da gilt es oft nicht von allen ihren
Bedeutungen und Gebrauchsweisen, sondern nur von einem
Teile dei-selben.
Die Bedeutung der Flexionsformen ist im Gegenteil mehr-
facher Art. Sie dienen sowohl zum Ausdruck von Beziehungen
der Worte untereinander (z. B. die meisten Kasusformen in
den häufigsten Arten ihres Gebrauchs), als zur Angabe einer
weitern Bestimmung, die zur eigentlichen Wortbedeutung
hinzutritt (z. B. Genus und Numerus der Nomina , die Mehrzahl
der Tempusbedeutungen), als auch zur Bezeichnung einer
Modifikation der Wortbedeutung (z. B. die Steigerungsformen).
Die irrige Ansicht, die ohne weiteres allen Flexionsformen
und allen ihren Bedeutungen ein syntaktisches Interesse zu-
schreibt, eine Ansicht, die heute noch die unbedingt herrschende
ist, hat zu einer Verschleierung und Verwischung der wesent-
lichen Verschiedenartigkeit der Flexionsbedeutungen geführt,
die meist unbeachtet bleibt und oft völlig verkannt wird. Da
man gewohnt ist, alle Flexionen und alle ihre Bedeutungen in
den einen syntaktischen Topf zu werfen — man kann in der
That die landläufige Syntax als ein grammatisches Potpourri
bezeichnen — , hat man die Unterscheidung der syntaktischen
Bedeutimg der Flexionsformen von ihrer realen, materiellen,
lexikalischen, oder wie man sie nennen will, fast ganz
vernachlässigt. Diese Unterscheidung ist nicht nur wichtig
und fruchtbar, sondern sie ist oft für die scharfe Erfassung der
eigentlich syntaktischen Verhältnisse und Probleme unentbehr-
lich und geradezu ausschlaggebend, wo es sich darum handelt, die
verschiedenen syntaktischen Gebilde als solche zu erkennen, zu
97
beschreiben, zu klassifizieren : hierbei dürfen doch nur diejenigen
Formen der in einem bestimmten Wortgefüge verwendeten
Worte bezw. nur diejenige Anwendung der betreffenden Formen
mit in Betracht gezogen werden, die auf die Form und Be-
deutung des syntaktischen Gebildes als eines solchen von Einfluss
sind. Das sind aber bei weitem weder alle Flexionsformen noch
alle ihre Gebrauchsweisen. Ebensowenig wie die Art eines Wort-
gefüges dadurch eine Veränderung erleidet, dass ein Wort des-
selben mit einem andern syntaktisch gleichartigen vertauscht
wird, ebensowenig ist vielfach die Vertauschung einer Wortform
mit einer andern imstande, die Art des Geföges zu beeinflussen.
Wie T^Ber Vater 'kommU syntaktisch ganz dasselbe ist wie »Der
Bruder hommU und T^Ber Vater kommU dasselbe wie T>Ber Vater
gehtü^ so ist es für die Syntax auch völlig dasselbe, ob ich sage
:i^Ber Vater kommta oder T^Bie Väter kommen^^ ob ich sage T^Ber
Vater kommtt oder »Der Vater kam,^ Und wie die Syntax keinen
Anstoss nimmt an T^2mal2 ist 5«, was sie gar nicht von »2 mal
2 ist 4€ 7M unterscheiden vermag, so nimmt sie auch keinen
Anstoss an -»Meine Köpfe thun mir weh^^ was ebenfalls von »Jlfefn
Kopf thut mir weh^ syntaktisch gar nicht unterscheidbar ist.
Was in diesen sich gleichbleibenden Gefügen verändert ist, das
ist ausschliesslich der materielle hihalt. Dieser allein verändert
sich durch die Vertauschung von kommt und kam, von der Vater
und die Väter, von Kopf und Köpfe, wie er sich durch die
Einsetzung von Bruder für Vater, von geht für kommt, 5 für 4
ändern würde. Man wende nicht ein, dass es sich bei jenen
Formen nicht um eigentliche materielle Wortbedeutung, sondern
nur um die logischen oder erkenntnistheoretischen Kategorien
der Quantität, der Zeit u. s. w. handle. Dass gewisse allen
Worten der gleichen Art gemeinsame Formen zum Ausdrucke
gewisser allgemeiner Begriffe oder Denkkategorien dienen, ändert
nichts an der Thatsache, dass es sich dabei doch ausschliesslich
um die Bedeutung des einzelnen Wortes handelt, indem
ein Begriff allgemeinerer Art zu dem speciellen Wortbegriff
hinzutritt Das alles hat mit der Syntax nichts zu thun; und
Bies, Was ist Syntax? 7
rv
98
weil eine Wortform eine für die Logik oder sonst für die Philosophie
in Betracht kommende Bedeutung hat, braucht sie deshalb noch
keine syntaktische Bedeutung zu haben. So allgemeiner oder
rein formaler Art auch der in manchen Flexionsformen ausge-
drückte Begriff sei, so kommt er doch zu dem materiellen
Bedeutungsinhalt des Wortes selber hinzu: ändert sich die
allgemein formale Bestimmung des Wortbegriflfs, so liegt doch
diese Bedeutungsveränderung ebenso innerhalb der Grenzen der
Bedeutung des Einzelwortes und lässt die Art des Gefüges, in
dem sie vorkommt, ebenso unberührt wie eine Veränderung des
materiellen Bedeutungsinhaltes der Worte. Beide Arten der
Bedeutungsveränderung spielen sich innerhalb der Worte
selber ab, ohne die syntaktischen Beziehungen der Worte zu
einander auch nur zu streifen. Die Art und Form eines Wort-
gefuges, die Beziehungen seiner einzelnen Glieder zu einander
und damit seine Bedeutung als syntaktisches Gebilde bleiben
ebenso genau dieselben, ob z. B. eine Aussage von einem singu-
laren oder pluralen Subjektswort gilt, ob diesem eine Thätigkeit
zugeschrieben wird in der Gegenwart, der Vergangenheit oder
der Zukunft (vorausgesetzt, dass die Angaben der Zeit in ein-
fachen Verbformen mit ausgedrückt werden ; der Gebrauch von
Hilfsverben, Zeitadverbien u. s. w. würde natürlich die Form
des Gefüges beeinflussen). Deshalb hat man unseres Wissens
auch bisher mit Recht noch nicht singularische und pluralische
Gefuge, präsentische, präteritale, fiiturische Sätze als besondere
Arten syntaktischer Gebilde aufgestellt, obwohl das doch die
Konsequenz der Behauptung wäre, dass diese Foi-men eine
syntaktische Bedeutung haben. Dagegen spricht man nicht
ohne Grund von indikativischen, imperativischen Sätzen u. s. w.
Kann man aber auf Grund der Verschiedenheit gewisser Wort-
formen nicht verschiedene syntaktische Gebilde unterscheiden
und ansetzen, so ist damit zugegeben, dass die betreffenden
Wortformen ein syntaktisches hiteresse im allgemeinen nicht
bieten. Dennoch bildet z. B. die Lehre von der Bedeutung
und dem Gebrauch der Numeri sowohl als der Tempora ein
99
stehendes und mit Vorliebe eingehend behandeltes Thema aller
syntaktischen Werke. Noch mehr. Nicht nur der allgemeine
Bedeutungsunterschied z. B. der Tempora, der Numeri wird in
der Syntax erörtert, sondern es werden daselbst stets auch
ausführlich die privatesten Angelegenheiten der Einzelworte
durchgegangen. Es pflegt z. B. dargelegt zu werden, welche
Worte keinen Plural bilden, zu welchen Pluralformen kein Sin-
gular vorkommt, wie sich mit gewissen Singularformen plurale,
mit einzelnen Pluralformen singulare Bedeutung verbindet u. s. w.
Alle diese Einzelheiten würden aber auch dann immer noch
ausschliesslich eine sozusagen interne Sache der betreffenden
einzelnen Substantiva bleiben, bei denen gewisse Abweichungen
vom Gewöhnlichen statthaben, und demgemäss in die Wort-
lehre gehören, selbst wenn die allgemeinen Verhältnisse der
Bedeutung der Numeri — auch abgesehen von der Kongruenz-
lehre — in der Syntax behandelt werden müssten.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, die sämtlichen
Flexionsformen durchzugehen und ihre nichtsyntaktischen Be-
deutungen und Gebrauchsarten von den syntaktischen zu sondern,
zumal die Verhältnisse in den verschiedenen Sprachen und
Perioden nicht überall gleich liegen werden und es eingehender
Einzelforschung bedürfen wird, um das bisher in dieser Hinsicht
Versäumte nachzuholen. Wir hatten hier nm* an ein paar
Beispielen zu zeigen, dass es nichts als ein Vorurteil ist, wenn
man in der Bedeutung sämtlicher Flexionsformen nur den Aus-
druck syntaktischer Beziehungen sieht. Ehe wir diesen Punkt
verlassen, soll nur noch kurz auf einen zweifellosen Fall von
gelegentlich nichtsyntaktischer Bedeutung auch solcher Formen
hingewiesen werden, die gewöhnhch syntaktischen Beziehungen
zum Ausdruck dienen. Dieser Art ist die rein lokale Bedeutung
einiger Kasusformen. Der vielfach mit andern Kasusformen
zusammengefallene Lokativ drückt eine rein sachliche Bestim-
mung, keine syntaktische Beziehung aus. Man wird nicht be-
streiten können, dass in T^RomaenatusesH die Kasusform JSoma^
nicht syntaktischer ist als in Africa, ibi oder hodie; es liegt
7*
rv
100
im Kasus keine Bezeichnung eines Beziehungsverhältnisses des
in diesem Kasus stehenden Wortes zu einem andern, sondern
ausschliesslich eine inhaltliche, nähere Bestimmung des Prädikats-
begriflfe, wie sie sonst durch adverbiale Ausdrücke gegeben
wird. Wie mit der lokativen Bedeutung gewisser Kasusformen
verhält es sich selbstverständlich auch mit ihrem gesamten
sonstigen adverbialen Gebrauch. Auch die Zeit- und Mass-
bezeichnungen durch blossen Kasus stehen in Hinsicht ihrer
Bedeutung reinen Adverbien und adverbialen Wendungen völlig
gleich und gehören also zur Wortlehre, worauf schon die
Etymologie zahh-eicher Adverbien hinweist.
Dann noch ein Wort über die Gradationsformen, deren
Bedeutung, obwohl in ihnen Stammbildungen vorliegen, her-
gebrachtermassen meist in der Syntax erörtert wird. Die nicht-
syntaktische Natur ihrer Bedeutung tritt bei ihnen auffallender
in den Nebenbedeutungen zu Tage als in ihrer eigentlichen.
Auch wer sich von dem Einfluss der langgewohnten Auffassung
schwerer frei machen kann, wird gern zugeben, dass der
Komparativ, der, absolut stehend, ungefilhr die Bedeutung des
Positivs hat oder ein allzu hohes oder ein ziemliches Mass
der Eigenschaft ausdrückt, oder der Superlativus elativus in
der Bedeutung nicht syntaktischer sind als der Positiv, dessen
Bedeutung wohl noch niemand in der Syntax hat behandeln
wollen. Gegen die Einsicht, dass Komparativ und Superlativ
auch in ihrer eigentlichsten Anwendung keine syntaktische,
sondern reine Wortbedeutung haben, sträubt man sich wohl
eher und zwar auf Grund der Thatsache, dass beide ge-
wöhnlich einer Ergänzung bedürfen, dass die Bedeutung der
Steigerungsgrade über das gesteigerte Wort hinaus auf das
Verglichene weist. Darin unterscheiden sich aber Komparativ
und Superlativ durchaus nicht von zahlreichen Positiven, und
sie verhalten sich darin überhaupt nicht anders als alle die
zahlreichen Worte, Verba wie Nomina, die ebenfalls über sich
hinausweisend einer Ergänzung bedürfen ; darum scheidet man
mit Recht zwischen Worten, die einen relativen und solchen, die
lOI
einen absoluten Begriff ausdrücken. Die Syntax geht aber nur
die Art und Form dieser Ergänzung, dieser Verbindung
mit andern Worten an ; die Bedeutung der Worte selber bleibt
darum immer etwas Nichtsyntaktisches, bleibt Sache der Wort-
bedeutungslehre; denn die Ergänzungsfähigkeit wie die Er-
gänzungsbedürftigkeit ist eine Seite, ist eine Folge der Wort-
bedeutung, ist ein Ausfluss ihrer innersten Natur. Dass es
Worte giebt und welche es sind, die der relativen Natur
ihres Begriffes wegen einer Ergänzimg fähig oder bedürftig
sind, wie diese sich zu den absoluten verhalten, wie beide
Klassen in einander übergehen, das ist ein wichtiges und inter-
essantes Kapitel der Wortbedeutungslehre. Behandelt man
all das in gelegentlichen Einschüben hie und dort in der
Syntax, so kann man einerseits diesem bedeutenden Gegenstande
selbst nicht gerecht werden — denn er will im Zusammenhang
behandelt werden — und ist andererseits in der Syntax ge-
zwungen, beständig die Aufmerksamkeit von den syntak-
tischen Objekten, den Wortgefügen, auf ihre Bestandteile,
die W o r t e , abzulenken. Die Syntax hat allein davon zu handeln,
welcher Ergänzung die relativen Worte bedürfen, in welcher
Form, mit welcher Bedeutung die Ergänzungen zu ihnen treten.
Was also im besonderen die Steigerungsformen betrifft, so ist
ihre Bedeutung, wie die aller andern relativen Worte, in
der Wortlehre abzuhandeln. Ihre Verbindung mit Kasus-
formen , Vergleichungspartikeln , präpositionalen Wendungen
darzustellen: dies allein bleibt der Syntax vorbehalten.
Übrigens verfahren die Verfasser der verschiedenen syn-
taktischen Werke bei der praktischen Bethätigung ihrer Ansicht
von der syntaktischen Bedeutung der Wortformen nicht überall
mit der Konsequenz und Übereinstimmung, die man voraus-
setzen sollte und die sich von selbst ergeben müsste, wenn
diese herrschende Ansicht in der Sache selber wirklich be-
gründet wäre. Auch diejenigen Grammatiker, denen der Ge-
danke eines besondern, der Bedeutungslehre gewidmeten Teiles
noch fem lag, sind in der Abgrenzung der in die Syntax zu
102
ziehenden Stoffe aus der Bedeutungslehre der Wortformen
nicht völlig gleichmässig verfahren. Besonders ist es das Genus
— bei dem allerdings nicht die Formen allein in Betracht
kommen — das bald in der Syntax, bald in einem frühem Teile
der Grammatik, der Wortbiegungs- oder der Wortbildungslehre
behandelt wird. So erörtert Grimm das Genus im dritten,
nicht im vierten Teil der deutschen Grammatik; ihm folgte
DiEz, der es in der Wortbiegungslehre abhandelt (Gramm, der
rom. Spr. ü. 17flF.). Beide geben in der Syntax nur, was in
diese auch nach unserer Auffassung gehört: die Kongruenz der
Genusformen. Sie führen also — und dies ist lehrreich und
ffir uns von besonderer Wichtigkeit — an diesem Punkte die
von uns allgemein verlangte Trennung des Syntaktischen imd
Nichtsyntaktischen in der Behandlung desselben Objekts durch.
Dagegen bildet auch neuerdings wieder die allseitige Behand-
lung des Genus ein Kapitel der Syntax: so z. B. in Delbrücks
Altindischer Syntax (IL 1 ; dort handelt § 55 vom Geschlechts-
wechsel, dem mehrfachen Geschlecht, dem Geschlecht der
Komposita: lauter nichtsyntaktische Stoffe). Auch Miklosigh
erörtert das Genus in der Syntax (übrigens nicht unter den
Wortformen, sondern unter den Wortklassen als Anhang
zum Nomen).
Erwies sich die Behauptung, dass die Flexionsformen nur
zum Ausdruck syntaktischer Beziehungen dienen, als unrichtig,
ist dies vielmehr nm* zu einem Teil der Fall, so trifft in noch
weit geringerem Masse die entsprechende Behauptung für die
Wortklassen zu. Dass die Bedeutung der Wortarten nur aus
ihrer syntaktischen Verwendung fliesse, nur im Satze bestehe,
nur aus ihm erkannt werden könne, das ist nur in dem Sinne
richtig, dass nicht selten allein die syntaktische Funktion dar-
über entscheidet, welcher Wortklasse ein bestimmtes Wort in
einem bestimmten einzelnen Falle seines Vorkommens zuzu-
rechnen sei. Denn es giebt freilich Worte genug, die bei gleicher
Lautform wegen ihrer verschiedenen Bedeutungsart und der
daran sfliessenden verschiedenen syntaktischen Verwendung
\
103
zu verschiedenen Wortklassen gehören. Da handelt es sich
also um eine bestimmte Art von Homonymen. Für solche
Homonyma gilt natürlich, was für alle Homonyma gilt. Keinem
aus dem Zusammenhang gelösten Homonymon kann man es an-
sehen, was es bedeutet. Dass dieses Verhältnis ebensogut für
die Bedeutung der Wortart besteht wie für die Wurzel-
bedeutung des Einzelworts , das ist nicht im geringsten merk-
würdig; und in beiden Fällen folgt daraus nicht, dass die Be-
deutung der Worte oder die der Wortarten überhaupt nur im
Zusammenhang der Rede und durch ihn bestehe ; noch weniger
folgt daraus irgend etwas für die grammatische Behandlung
dieser Bedeutungen in diesem oder jenem Teile des Systems.
Dabei ist auch gleichgültig, ob die homonyme Übereinstimmung
gewisser Worte, die verschiedenen Klassen angehören, eine
sozusagen zufällige ist, d. h. ob dabei eine verschiedene Wurzel-
bedeutung zu Grunde liegt (wie in dem Satze »Kosten [Subst.
zu constare] erwachsen uns doch, auch wenn wir davon nur
kosten [Verb, entspr. gustare]*) oder ob von gleicher Wurzel
ursprünglich verschieden gebildete Wortarten im Laufe der Ent-
wicklung gleichlautend geworden sind. Im letzteren Falle ist es
wiederum gleichgültig, ob diese Entwicklung nur bei einzelnen
Wörtern oder bei ganzen Gruppen gleiche Lautformen ergeben
und so die früheren Unterschiede zwischen zwei Wortarten
verwischt hat (wie bei den nhd. Adverbien, die von den zu-
gehörigen Adjectiven formell nicht mehr unterschieden werden).
Hierbei entsteht nur die Frage, ob die Grammatik über-
haupt ein Recht hat, noch weiter von zwei verschiedenen
Wortarten zu sprechen. (Vergl. unten S. 105 und Anm. 78).
Doch die Entscheidung dieser Frage berührt die uns hier be-
schäftigende gar nicht. Wie man sich auch zu ihr stellen mag,
immer ist es in erster Linie eine Eigentümlichkeit der Wort-
bedeutung, um die es sich handelt, die syntaktische Frage ist
erst sekundär, ist nur eine Folge davon. Es ist ein Unterschied
der Wortbedeutungen, der nur gestattet zu sagen »Der-
gleichen ereignet sich ofU^ aber neben t^ Dergleichen ereignet sich
104
häufige auch die Fassung zulässt ^^ Solche Ereignisse sind häufig ^\
es ist eine Eigentümlichkeit der Worte häufig und oft^ die
T^häufige Unglücksfälle^^ aber nicht ofte zu sagen erlaubt. Sehr
bezeichnend ist dafür das Beispiel, das Kern bei Besprechung
jener Frage anführt (^*): »Der Mann sprach stehend^:, -»Der
Mann sprach fliessend^ ; wobei stehend adjektivischen, fliessend
adverbialen Sinn hat. Das heisst doch nichts anderes als:
die Bedeutungssphäre von stehend ist enger als die von fliessend.
Dieses hat eben mehrere Bedeutungen, besser Bedeutungsarten ;
es drückt sowohl eine einem Dinge anhaftende Eigenschaft als
die Art und Weise einer Handlung aus, während stehend auf
die erstere Bedeutungssphäre beschränkt ist, wie umgekehrt
oft nur adverbiale, häufig beide Arten der Bedeutung in sich
vereinigt. Dass ein und dasselbe Wort mehrere Bedeutungs-
ar ten haben kann, ist um nichts wunderbarer, als dass ein
Wort mehrere Wurzelbedeutungen hat Zu welcl^r Wort-
klasse in einem bestimmten Falle ein Wort gehört, d. h. welche
Bedeutungsart ihm neben seiner Wurzelbedeutung gerade zu-
kommt, das kann man allerdings ebenso nur aus dem Satz-
zusammenhang erkennen, wie man nur aus diesem ersehen
kann, welche Wurzelbedeutung ein vieldeutiges Wort in einem
konkreten Fall haben soll. Verschiedene Bedeutungsar t wird
ebensowenig durch gelegentliche Homonymie der Wortarten auf-
gehoben, wie verschiedene Wortbedeutung durch die Homonymie
von Worten derselben Wortklasse. Solange die so häufige Mehr-
deutigkeit der Worte kein Grund ist, die Wortbedeutungslehre
aus der Wortlehre in die Syntax zu verweisen, solange kann
die gleiche Form von Worten verschiedener Klassen nicht den
Ausschluss der Lehre von der Bedeutung der Wortarten aus
der Wortlehre rechtfertigen.
In einem weitern Sinne aber als dem eben besprochenen,
wo es sich nur um Homonymie von Worten verschiedener
Klassen handelt, kann jene Behauptung einfach darum nicht
gelten, weil sie allgemeiner gefasst, eine offenbare Contradictio
enthalten würde. Was sollte denn das heissen: ,die Bedeutung
105
der Wortarten besteht nur für und durch den Satz, nur in ihm* ?
Wo das wirklich zutriflfl, wie zum Teil im Chinesischen, da
giebt es eben keine Wortarten in unserm Sinne. Fliesst die
Bedeutungsart eines Wortes ausschliesslich aus seiner syn-
taktischen Funktion, so hat es keinen Sinn mehr von Wort-
arten zu reden. Deshalb geht z. B. die chinesische Grammatik,
von Laut- und SchrifUehre abgesehen, auch sozusagen in der
Syntax auf. (") Hat aber eine Sprache überhaupt Wortarten,
das heisst doch verschiedene Arten von Worten, so muss die
Verschiedenheit in den Worten selber liegen, aus ihnen erkennbar
sein, dann gehört sie mit zu ihrem eigensten Wesen. Giebt es
überhaupt Wortarten, d. h. sondert sich der Sprachschatz in
gewisse formal und begrifflich geschiedene Kategorien, so heisst
das nichts anderes als: zu der Lautgestalt und Bedeutung der
Wurzel kommt noch etwas weiteres hinzu, wodurch gewisse
Worte von andern derselben Wurzel geschieden werden — auch
unabhängig vom Satz. Sogut der Formunterschied der Wort-
arten zur Charakteristik der Worte gehört und in der Wort-
formenlehre zu behandeln ist , sogut gehört dazu der Begriffs-
unterschied der Wortarten, der in der Wortbedeutungslehre zu
behandeln ist. Dieser Begriffsunterschied ist ebensogut ein
Teil der Wortbedeutung, wie die ihm entsprechenden Bildungs-
elemente ein Teil des Wortkörpers sind. Freilich muss man
sich vor der irrtümlichen Voraussetzung hüten, dass alle Sprachen,
in denen es überhaupt Wortarten giebt, diese stets in gleicher
Zahl und Art müssten ausgebildet haben. Die Forschung wird
vielmehr in jedem Falle zunächst festzustellen haben, welche
Kategorien in der jeweilig grammatisch darzustellenden Sprache
und Sprachperiode anzunehmen sind. Auch hierbei wirkt die
Gewohnheit, das Schema der lateinischen Grammatik auf andere
Sprachen zu übertragen, vielfach verwirrend. So kommt, wie
erwähnt, bei fortschreitendem Verfall der Formunterschiede
mancher Wortarten ein Zeitpunkt, wo es fraglich wird, ob das
Bestehen verschiedener Wortarten noch weiter angenommen
werden darf. Diese Frage wird nicht immer leicht zu ent-
r>
106
scheiden sein; zumal wird die Auflfassung schwanken können,
wo es sich um nicht abgeschlossene Entwicklungen handelt. C^)
Mit der Forderung Reisios, der Bedeutungslehre einen be-
sonderen Teil der Grammatik zu widmen, und der Anerkennung
ihrer Berechtigung war eigentlich schon der &lsche Gegensatz
Formenlehre — Syntax und damit die Hauptursache beseitigt,
die zur Behandlung der gesamten Lehre von der Bedeutung
der Wortarten und Wortformen in der Syntax gefuhrt hatte.
Dass trotzdem noch heute dieser Gregenstand zu den unent-
behrlichen Bestandteilen der Syntax gezählt zu werden pflegt,
erklärt sich unter andemi vielleicht gerade daraus, dass die
ersten, die dem REisieschen Gedanken näher traten und ihn
fortbildeten, sich in das entgegengesetzte Extrem verloren und
dieses Stoffgebiet gänzlich aus der Syntax verbannen wollten.
Benart verlangte, dass die gesamte Lehre von der Bedeutung
der Wortformen der Syntax entzogen und der Bedeutungslehre
zugeteilt würde, (•*) Mit diesem originellen Vorschlag ist er
der Voriäufer Haases geworden, der diese Abtrennung eines
der wichtigsten Teile jeder bisherigen Syntax durchgeführt und
damit ganz eigene, geradezu revolutionäre Wege eingesehlagen
hat, auf denen ihm, soviel ich sehe, keiner seiner Nachfolger
hat folgen wollen. Und das aus guten Gründen. Denn indem
er die gesamte Lehre von der Bedeutung der Wortarten und
Flexionsformen der Syntax absprach, ist er offenbar zu weit
gegangen ; aber sein Verfahren beruht doch auf dem durchaus
richtigen und fruchtbaren Gedanken, dass die in d^ Syntax
gewöhnlich verbundenen Stoffe wesansverschieden sind, dass ein
Teil davon überhaupt der Wortfügung fremd ist und bess^
ausgesondert würde. Wie Haase bei der praktisch^i Verwertung
dieser Einsicht so übers Ziel hat hinausschiessai könnai, wie
er übersehen konnte, dass eine Syntax, wie &r sie jdante, ein
Torso bleiben musste, ist schwer zu begreifen. Erkäuren lässt
sich sein Veffahrm wdü nur aus dem Bestrebai, die Gesamt-
grammatik in sieh gegensdtig ai]ßschliessa[)de Tale zu soodem.
107
wobei er nur, wie auch Benary und die meisten seiner Nach-
folger, den oben besprochenen Fehler beging, die Bedeutungs-
lehre in die gleiche Reihe neben die bisherigen Teile zu
stellen. Die Folgen dieses Fehlers sind bis heute nicht über-
wunden. Gliedert man die Grammatik in nebengeordnete Teile,
unter denen einer der Bedeutungslehre, ein anderer der Syntax
gewidmet sein soll, so muss der Stoflf von Bedeutungslehre
und Syntax sich allerdings ausschliessen. Dieser Forderung
glaubte Haase wohl dadurch genügen zu können, dass er die
Lehre von der Bedeutung und dem Gebrauch der Wortarten
und Flexionen ganz und ungesondert aus der Syntax in die
Bedeutungslehre zog, was ebenso unrichtig ist, als sie, wie es
fast alle übrigen Grammatiker thun, ganz und ungeteilt zur
Syntax zu schlagen. Haases Nachfolger sahen sich um so mehr
veranlasst, beim alten zu bleiben und dies für das Richtige
zu halten, je weniger sie sich zu seiner radikalen und die Syn-
tax olBFenbar schädigenden Neuerung entschliessen konnten.
Haases Übertreibung musste auch gegen die seiner Neuverteilung
des Stoffes zu Grunde liegenden richtigen Gedanken misstrauisch
machen und ihre Wirkung aufheben. Denn soweit man sich
überhaupt darauf einliess, das Anrecht des überlieferten Stoffes,
im besondern der Bedeutung der Flexionen, auf die Behand-
lung in der Syntax zu prüfen, konnte man leicht dazu
kommen, sich mit einem Hinweis auf das Verfehlte in Haases
Stoffverteilung zu begnügen und damit den Beweis für die
syntaktische Natur der Flexionsbedeutungen als erbracht anzu-
sehen. Aber von der Unentbehrlichkeit eines Teils des von
Haase ausgeschiedenen Stoffes auf die Zugehörigkeit dieses
gesamten Stoffes zur Syntax zu schliessen, war ebenso nahe-
liegend wie unrichtig.
Auf den Gedanken, dass das Richtige in der Mitte liege,
dass der strittige Stoflf zu teilen, dass zwar nicht alles aus der
Syntax auszuscheiden sei, was Haase ausschied, wohl aber ein
Teil davon, scheinen leider auch seine Nachfolger nicht ge-
kommen zu sein. Und doch ist dies der einzige Weg, der zum
Ziele fahrt.
108
Dass nicht alle Bedeutungen und Gebrauchsweisen aller
Flexionsformen ein syntaktisches Interesse bieten, dürfen wir
nach Obigem als erwiesen ansehen. Dass andererseits gewisse
Bedeutungen gewisser Flexionen auf die Art und Bedeutung
der syntaktischen Gebilde als solcher von wesentlichem Einfluss
sind, braucht nicht erst bewiesen zu werden. Ist also ein Teil
der Bedeutungslehre der Flexionsformen für die Syntax unent-
behrlich, ein anderer nicht nur entbehrlich, sondern ihr fremd
und ohne Beziehung zu ihr, so folgt daraus, dass die Bedeu-
tungslehre der Flexionsformen kein einheitliches Ganze ist Ist
aber ihr Stoff nicht einheitlich, ist sie als Ganzes weder in
der Wortlehre zu erschöpfen noch in die Syntax einzufügen,
so ist das Einfachste und allein Richtige, sie zu teilen und,
was an ihr syntaktisch ist, der Syntax, was an ihr nicht syn-
taktisch ist, der Wort(bedeutungs)lehre zuzuweisen.
Der Schluss ist zwingend; und wir wären mit diesem Teil
unserer Erörterungen zu Ende, wenn sich hier nicht der ge-
fährlichste aller Einwände erhöbe, der immer zur Hand ist,
wo sich gegen eine verlangte Neuerung keine andern Gründe
finden lassen, der beliebte Einwand: ,Das ist theoretisch ganz
richtig, aber praktisch unthunlich*.
So giebt Heerdegen ('■) zwar als »unstreitig richtig« zu,
däss die Komparationsformen in die Stammbildungslehre d. h.
also in die Wortlehre gehören, er bezeichnet es als »unzweifel-
haft«, dass Genus und Numerus des Nomens, »femer die tempo-
rale und die (im engern Sinne) modale Aflfektion« des Verbmns
nicht syntaktischer, sondern semasiologischer Natur sind. Er
glaubt aber diese unbedeutenden Hindernisse, die seiner Ver-
teilung des grammatischen Stoffes im Wege stehen, mit dem
gewichtigen Einwand der praktischen Undurchfuhrbarkeit einer
Trennung innerlich verschiedener aber »herkömmlich« ver-
bundener Dinge ausreichend beseitigt zu haben. Warum
diese Trennung »praktisch nicht ganz leicht«, »auf dem Ge-
biete einer Einzelsprache allein vollends unmöglich« sein soll,
sagt er nicht.
109
Wir dürfen diesen Einwand in der That als den gefähr-
lichsten von allen bezeichnen, denn so abgenutzt und in den
meisten Fällen nichtssagend die Wendung von der praktischen
Unthunlichkeit theoretisch als richtig erkannter Forderungen
^uch ist, — wann und gegen welche nützliche Neuerung, auf
welchem Gebiete auch immer, wäre sie nicht ins Feld geführt
worden? — so wirkungsvoll ist und bleibt sie doch. Denn
diese letzte Waffe lässt sich den Gegnern einer innerlich be-
rechtigten Neuerung endgültig doch nur dadurch aus der Hand
schlagen, dass man ihre Ausführbarkeit durch die That, durch
die Ausführung selbst ad oculos demonstriert. Bis das auch
in dem vorliegenden Falle einmal geschehen sein wird, müssen
wir uns darauf gefasst machen, diesen Einwand in überlegenem
Ton und in den verschiedensten Formen wiederholt zu hören.
. Doch wollen wir in Kürze versuchen, seine etwaige Begründung,
soweit wir sie glauben vorhersehen zu können, im voraus zu
widerlegen.
Ein Widerspruch kann ja zwischen dem theoretisch Rich-
tigen und dem praktisch Ausführbaren nur dann angenommen
werden, wenn man den Begriff der Theorie so eng fasst, dass
sie die Berücksichtigung aller der Verhältnisse ausschliesst, mit
denen die Ausführung zu rechnen hat. Die wirklich richtige
d. h. auch vollständige Theorie einer Maschine z. B. rechnet
aber mit den Eigenschaften des Materials und den Bedingimgen,
unter denen sie arbeiten soll. In unserem Falle wurde es sich
also darum handeln, ob bei dem Verlangen einer Trennung
der syntaktischen und nichtsyntaktischen Bedeutungen von
Wortformen und Wortklassen alle Umstände in Betracht ge-
zogen sind, die sich der Ausführung in den Weg stellen könnten.
Da wir hier weder eigentliche Schulbücher noch überhaupt
Grammatiken für den praktischen Lemzweck, sondern aus-
schliesslich wissenschaftliche Darstellungen im Auge haben,
können etwaige Bedenken rein äusserlicher oder didaktischer
Natur ausser Betracht bleiben (womit nicht etwa gesagt werden
soll , dass wir für solche Zwecke das Festhalten an der alten
r^
110
Stoffverteilung von vornherein för empfehlenswert hielten) ; und
es bleiben nur Hindemisse zu erwägen, die aus der Sache
selber sich ei^eben könnten. Somit käme es ausschliesslich
auf die Beantwortung der beiden Fragen an : 1) Berücksichtigt
die verlangte Trennung der Bedeutungslehre von Wortformen
und Wortarten in einen syntaktischen und einen nichtsyn-
taktischen Teil ausreichend die Interessen aller in Mitleiden-
schaft gezogenen Gebiete der Grammatik, sodass die Übersicht-
lichkeit und der natürliche Zusammenhang nirgends darunter
leiden? 2) Lässt sich die wohl im allgemeinen aufstellbare
und prinzipiell richtige Unterscheidung von syntaktischer und
nichtsyntaktischer Bedeutung auch im Einzelnen durchführen,
lässt sich überall entscheiden, wo die eine aufhört und die
andere an&ngt, wo die Grenzlinie zu ziehen ist?
Was zunächst die letztere Frage betrifft, so ist gewiss
richtig, dass man a priori nicht festsetzen kann, die und die
Wortarten und Formen bezw. die und die Bedeutungen der-
selben sind in der Wortlehre, jene in der Syntax zu behandeln,
derart dass diese Sonderung nun für alle Fälle stattfände und
für die Grammatik aller Sprachen und Zeiträume gleicher-
massen zu gelten hätte. Dagegen wird sich im gegebenen
Einzelfelle die Sache sehr einfach gestalten. In die Wortlehre
einer bestimmten Sprache wird eben von der Bedeutung der
Wortformen und Wortklassen all das aufgenommen, was sich
dort ohne Hineinziehung syntaktischer Verhältnisse behandeln
lässt. In die Syntax wird umgekehrt nichts aufgenommen, von
dem nicht sofort erhellt bezw. der Nachweis gefuhrt wird, dass
es die syntaktischen Gebilde als solche beeinflusst. Wenn sich
auch in betreff einzelner ganzer Gebiete (wie Genus, Numerus,
Gradation u. s. w.) die Zuweisung zu einem der beiden Haupt-
teile der Grammatik allgemeingültig wird feststellen lassen, so
kann doch im Einzelnen diese Grenzlinie sehr wohl in ver-
schiedenen Sprachen und Perioden verschieden verlaufen. Und
darin sehen wir gerade einen Hauptvorzug der verlangten Neu-
verteilung des grammatischen Stoffes, dass durch dieselbe jeder
111
Forscher gezwungen wird, selbst in jedem Falle und von Punkt
zu Punkt zu prüfen und zu entscheiden, was in dem unter-
suchten Sprachzustande von der Bedeutung der Wortklassen
und Wortformen syntaktisch ist, was es nicht ist. Ganz so
bequem wie der Abklatsch fertiger Glichös wird das nicht sein,
darum aber doch sehr wohl ausführbar. Dies Verfahren wird,
dieses allein kann die syntaktischen Systeme der einzelnen
Sprachen endlich von der Herrschaft altüberlieferter, stereo-
typer Formen befreien, in die sie nach dem Vorbilde des
Lateins gezwängt zu werden pflegen. Denn dass die bisherigen
Systeme der Syntax mit ihren feststehenden besonderen Ab-
schnitten für die Bedeutung aller Flexionsformen, die schon
für die flexionsreichen Sprachen nicht völlig passen, um so un-
passender sind, je weniger Flexionen die Sprache besitzt, deren
Syntax nach ihnen dargestellt wird, liegt auf der Hand. Die
unbegründete Übertragung der syntaktischen Kategorien einer
Sprache auf die andere wird so durch die Unmöglichkeit
wesentMch erschwert, etwas anderes in die Syntax zu ziehen,
als was sich über seinen Einfluss auf die syntaktischen Gebilde
sofort genügend ausweist. Damit ist eine ergiebige Fehler-
quelle verstopft.
Vom Standpunkt der Syntax aus kann ein Zweifel über
die Durchführbarkeit der verlangten Trennung der syntaktischen
und nichtsyntaktischen Bedeutungen von Wortformen und
Wortarten gar nicht aufkommen. Wer die Möglichkeit dieser
Trennung leugnen wollte, würde damit die Möglichkeit der
Syntax selber leugnen. Diese Trennung ergiebt sich von selbst,
sobald nur ernstlich an der Forderung festgehalten wird, dass
in der Syntax nur syntaktische Objekte behandelt werden
dürfen. Zu entscheiden, ob gewisse Wortgefüge syntaktisch
gleichartig oder verschiedenartig sind, und worauf die syntak-
tische Verschiedenartigkeit derselben beruht, das gehört ja zur
eigentlichen Aufgabe der Syntax, und darin ist die Lösung der
Frage, ob die Bedeutung einer Wortart oder Wortform syntak-
tischen Wert hat oder nicht, schon inbegriffen.
112
Vom Standpunkt der Wortlehre aus stellen sich der ver-
langten Trennung erst recht keine praktischen Schwierigkeiten
entgegen. Denn grundsätzlich gehört ja die gesamte
Lehre von der Bedeutung der Wortarten und Wortformen zur
Wortlehre, wie sich schon aus Namen und Definition dieses
Teils der Grammatik ergiebt. (Vergl. oben S. 83/4.) Auch die-
jenigen Bedeutungen der Wortarten und Wortformen, die in
der Syntax eine Rolle spielen, in der Wortlehre zu behandeln,
böte prinzipiell gar kein Bedenken; es wäre das theoretisch
vollkommen zu rechtfertigen, weil alle Bedeutungen, die den
Wortarten und Wortformen eigen sind, welcher Art sie auch
seien, damit eben den Worten selber eignen, an denen sie zur
Erscheinung kommen, und einen Teil des Wesens dieser Worte
ausmachen. Nur aus praktischen Gründen wird gerade die
Absonderung eines Teiles dieses eigentlich der Wortlehre
zugehörigen Gebietes empfohlen. Die Behandlung auch der
syntaktischen Bedeutungen der Wortarten und Wortformen
innerhalb der Wortlehre wäre allerdings unpraktisch. Sie
müsste nicht nur zu einer Wiederholung führen, da die Syntax
ihrerseits auf die Behandlung derselben in ihrem eigenen
Zusammenhang nicht verzichten dürfte, sondern sie könnte
auch in ausgiebiger Weise, die zu vollem Verständnis führte,
nicht erfolgen, ohne viele rein syntaktische Gegenstände und
Probleme in die Besprechung hineinzuziehen. Von seiten der
Wortlehre sind es also gerade praktische Erwägungen, die die
verlangte Trennung empfehlenswert machen; nur diese ent-
scheiden, wo die Grenze zu ziehen ist : der Syntax bleibt über-
lassen, was praktischer dort behandelt wird.
Man kann nicht einwenden, dass auch die nichtsyntak-
tischen Bedeutungen der Wortformen nur aus dem Zusammen-
hang der Wortgefüge erkennbar seien, dass es ohne Berück-
sichtigung ganzer Perioden und oft des weiteren Zusammen-
hangs unmöglich sei, z. B. die feineren Unterschiede der Tempus-
bedeutungen festzustellen. Gewiss ist das unmöglich. Aber es
ist auch selbstverständlich, und es verhält sich mit der lexi-
113
kalisch-materiellen Bedeutung der Worte selbst nicht anders.
Auch die Bedeutung jedes einzelnen Wortes lässt sich nur aus
dem Zusammenhang der Rede entnehmen, die feineren syno-
nymischen Unterschiede, sowie strittige Bedeutungen lassen sich
oft nur durch die Vergleichung mehrerer Stellen und umfang-
reiche Belege feststellen.
Dass es möglich ist, zwischen syntaktischer und nicht-
syntaktischer Bedeutung zu scheiden, und dass es sehr wohl
angeht, die letztere ausserhalb der Syntax zu behandeln, be-
weist übrigens auch schon die Erfahrung. Wir haben bereits
darauf hingewiesen (vergl. oben S. 102.), dass Grimm und Diez
in betreff des Genus genau so verfahren, wie wir es durch-
gehends verlangen. Ausserdem behandelt Grimm auch die
Komparation, die Negation und Frage und Antwort in der
Wortlehre. Von den beiden letzten Kapiteln sagt er in der
Vorbemerkung (III. S. 751.): »sie hängen tiefer mit der Syntax
zusammen als die vorhergehenden und lassen sich, ohne schon
einiges aus dieser vorwegzunehmen, nicht genau erörtern;
doch bringt es Vorteil, dass sich eben den Wortformen eine
besondere Aufinerksamkeit , die ihnen dort nicht so zu teil
werden kann, zuwende«. Er weist dann später näheres Ein-
gehen auf rein syntaktische Dinge wiederholt mit der Bemer-
kung ab, dass »weiteres nicht in die Wortbildungslehre falle«
(S. 762.), »nicht hierhergehöre« (S. 764.). Wäre er in dieser
Beziehung noch etwas konsequenter gewesen — und diese
Methode ist sehr wohl einer weiteren Ausbildung und gleich-
massiger Durchführung fähig — so hätte sich auch das von
ihm zugegebene Vorwegnehmen einiger syntaktischer Er-
örterungen wohl vermeiden lassen. Auch wo er nicht so ver-
fährt, zeigen doch einige seiner Äusserungen, dass er unserer
Auffassung nicht fem steht. (®®) Jedenfalls hat er in mehreren
Fällen Stoffe, die gewöhnlich ungeteilt der Syntax zugewiesen
werden, dieser grossenteils entzogen und sie nach dem Gesichts-
punkt gesondert, obsie ein syntaktisches Interesse bieten oder
nicht.
Bios, Was ist Syntax ? 8
rv
114
Es dürfte nützlich sein, hier noch an ein paar weiteren
Beispielen zu zeigen, wie diese Trennung sich in der Praxis
gestalten würde. Ist in der englischen Grammatik die Unter-
scheidung der beiden Steigerungsformen older oldest und eider
eldest zu lehren, so fällt es der Wortbedeutungslehre zu, den
Unterschied ihrer Bedeutung zu entwickeln, und nicht der Syntax,
wo man dies zu finden gewohnt ist; dieser dagegen bleibt es
überlassen zu zeigen, dass der Gebrauch von eider eldest syn-
taktisch (auf die attributive Verwendung) beschränkt ist (worauf
an der früheren Stelle zu verweisen ist). Handelt es sich um
die Genusformen des Verbums, so gehört die Aufsuchung des
psychologischen Anlasses, der die Bildung von Passiv- und
Medialformen hervorgerufen hat(®^); die Darlegung der psycho-
logischen Gründe, die in den einzelnen Fällen zur Wahl der
passiven Konstruktion führten; die Erörterung der Folgen, die
diese für den sonstigen Bau des Satzes hat: all dies u. ä. gehört
in die Syntax; denn das betrifft die Art und Form der Wort-
gefüge. Die Erklärung der allgemeinen Bedeutung aber, die
den in den einzelnen Sprachen einmal vorhandenen Genusformen
an sich zukommt; im einzelnen die Aufführung der Verba, die
gewisser Genusformen ermangeln; derjenigen, die mit activer
Form passive, mit passiver Form active Bedeutung verbinden,
gehört, wie die Aufetellung dieser Formen selber, in die Wort-
lehre, weil das nur die Form und Bedeutung der Einzelworte
an sich angeht. Die Syntax setzt dabei, wie überall, die That-
sachen, welche aufzuführen und aufzuklären der Wortlehre zu-
kommt, als bekannt voraus und zieht allein ihre Verwertung
in der Wortfügung in Betracht.
Aus der Lehre vom Gebrauch der Wortarten gehört in die
Syntax alles, was die ausschliessliche, bevorzugte, zulässige oder
gelegentliche Verwendung bestimmter Wortarten als Glieder
der einzelnen Wortgefüge betrifft. Der grössere Teil des Stoffes
jedoch, der jetzt gewöhnlich diesen Abschnitt der Syntax füllt,
kommt der Wortlehre zu, da er nichts anderes ist als Wort-
bedeutungslehre und zwar gewöhnlich vergleichende. Man sehe
115
z. B. was die englischen Grammatiken in der Syntax vom
Pronomen über eiiher lehren. Nichts anderes, als dass either
bald einer von beiden^ bald jeder von beiden^ beide, einer oder
der andere diwi deutsch h eis st. Und all das wird aus keinem
andern Grunde in der Syntax erwähnt, als weil das Deutsche
kein dem either genau entsprechendes Wort besitzt, seine Be-
deutungen auseinanderlegen und auf mehrere Ausdrücke ver-
teilen muss. Dasselbe Bild bietet, nur von der andern Seite
gesehen, die Lehre von den englischen Worten, die auf Deutsch
jeder bedeuten. Dass es sich bei all dem ausschliesslich um
Wortbedeutungslehre handelt, tritt auch in der Fassung der
Regeln meist ganz nackt hervor.
Handelt es sich um die Lehre vom Gebrauch der Adverbia,
so ist es eine rein syntaktische Frage, ob und in welchem
Umfange eine Sprache Adverbia auch in attributivem und
prädikativem Verhältnis verwendet. Es ist aber eine Frage der
Wortbedeutungslehre, ob eine bestimmte Wortform adjektivische
und zugleich auch adverbielle Bedeutung haben kann, bezw.
ob eine Sprache im allgemeinen mit der Bedeutungsart der
Adjektiva die der Adverbia und umgekehrt verbindet. Es ist
z. B. Sache der Wortlehre (und zwar in der Formen-, Bildungs-
und Bedeutungslehre) einerseits zu zeigen, welche nhd. Ad-
jektiva zugleich Adverbia sind, andererseits zu lehren, welche
nhd. Adverbia nicht zugleich adjektivische Bedeutung haben.
Es bleibt dann die Sache der Syntax zu entscheiden, ob Ad-
verbia im Nhd. auch prädikativ und attributiv gebraucht werden.
Hat die Syntax der nhd. Schriftsprache diese Frage etwa dahin
beantwortet, dass prädikative Verwendung der Adverbia in
beschränktem Umfange statt hat, attributive aber in der Regel
nicht, so folgt daraus, dass im Nhd. diejenigen Worte, die nur
adverbiale Bedeutung haben (,vergl. Wortlehre §...') nicht,
wie beispielsweise mitunter im Englischen, auch attributiv ge-
braucht werden können. Und zwar folgt dies ohne weiteres,
d. h. ohne dass die Syntax mit Erörterungen der bereits in der
Wortlehre entschiedenen Frage zu belasten wäre, welche
8*
116
einzelnen Worte allein adjektivische, welche allein adverbiale
Bedeutung haben, welche beide Bedeutungen in derselben Form
vereinen. (®^)
,Aber unter solchem Verfahren muss doch der Zusammen-
hang und die Übersichtlichkeit leiden ! ' Nicht mehr und nicht
weniger, als das die notwendige Folge jeder Zerlegung eines
komplexen Gebildes ist, wie sie in einer systematischen Dar-
stellung unvermeidlich erscheint. Bei jeder Anordnung müssen
manche Erscheinungen von einander getrennt werden, die in
einem gewissen Sinne zusammengehören ; jedes wissenschaftliche
System ist etwas Künstliches und bietet in seiner Gliederung
wegen der räumlichen Trennung seiner aufeinander folgenden
Teile nicht überall ein Bild, das all den mannigfachen Be-
rührungen und wechselseitigen Beziehungen vollkommen ent-
spräche, die alle Teile des natürlichen Organismus miteinander
verknüpfen.
Es kann also nur die Frage sein, welche von mehreren
möglichen Arten der künstlichen Scheidung im System am
meisten der natürlichen Gliederung des behandelten Organismus
entspricht; ob die Teile des Systems, die sich zu künstlichen
kleineren Ganzen zusammenschliessen sollen, einheitlich ge-
bildet sind; ob das in ihnen Zusammengefasste innerUch zu-
sammengehört und ob die Gesichtspunkte, von denen die Glie-
derung des Systems ausgeht, sachgemäss und zweckentsprechend
gewählt sind. Nun kann aber, das ist uns hoffentlich zu beweisen
gelungen, der bisher der Syntax zugewiesene Stoff der Forderung
innerer Einheitlichkeit gewiss nicht genügen.
,Die Wortklassen, die Wortformen bilden doch aber ein
einheitliches Objekt, ihre Bedeutungen ein einheitliches Problem,
das im Zusammenhang zu erörtern ist; behandelt man die
Bedeutung einiger Wortarten, einiger Wortformen oder gar
einige Bedeutungen derselben in diesem, andere in jenem
Hauptteil der Grammatik, so zerstört man doch einen natür-
lichen Zusammenhang'. Gewiss ! Aber das wäre der Zusammen-
hang einer Bedeutungslehre und nicht der einer Syntax.
117
Die Abschnitte über die Bedeutung der Wortklassen und
Wortformen haben vom Standpunkt der Syntax aus keinen
einheitlichen Stofif: der Gesichtspunkt, unter dem allein dieser
Stofif einheitlich erscheint, entspricht nicht der Gliederung der
Grammatik in Lautlehre, Wortlehre und Syntax. Will man
die Grammatik in die beiden Hauptteile Formenlehre — Be-
deutungslehre gliedern, wogegen an sich gar nichts zu sagen
wäre, so kann und muss man alle Bedeutungen aller Wort-
klassen, aller Wortformen jeweils hintereinander abhandeln.
Aber bei dieser Gliederung würde umgekehrt wieder der
mindestens ebenso natürliche Zusammenhang je der Wortlehre
und der Syntax zerrissen. Je nachdem man den einen oder
den andern Gegensatz zum Prinzip der Hauptteilung macht,
gruppiert sich im System der natürliche Zusammenhang anders.
Vom Grammatiker zu verlangen, er müsse in einer Syntax des
Zusammenhangs wegen die samtlichen, auch die nichtsyn-
taktischen Bedeutungen der Wortklassen und Wortformen
behandeln, wäre nichts anderes als z. B. vom Mediziner
zu verlangen, dass er in einer Darstellung der Krankheiten
der Verdauungsorgane bei den nervösen Störungen der
Verdauungsthätigkeit gleich die sämtlichen nervösen Krank-
heiten abhandele , weil das gesamte Nervensystem ein einheit-
liches Objekt, die sämtlichen Nervenkrankheiten ein einheitliches
Problem seien. Wie aber der Mediziner berechtigt ist, in einer
Lehre von den Verdauungsstörungen diejenigen Nervenkrank-
heiten auszuschliessen, welche die Verdauung nicht beeinflussen,
und in einer Lehre von den Krankheiten des Nervensystems
die nichtnervösen Verdauungsstörungen unberücksichtigt zu
lassen, so ist auch der Grammatiker im Recht, wenn er aus
dem Gebiete der Bedeutungslehre für die Syntax auswählt,
was die syntaktischen Gebilde betrifft, und von ihr ausschliesst,
was nichtsyntaktischer Natur ist. Wer die Einheitlichkeit des
Stoffes einer Bedeutungslehre von Wortarten und Wortformen
und die Zerreissung ihres Zusammenhangs gegen die verlangte
Trennung der syntaktischen und nichtsyntaktischen Elemente
r
118
dieses Stoffes ins Feld führt, hat die Bedingungen und Wirkungen
der Kreuzteilung nicht erwogen. Wem die Bewahrung dieses
Zusammenhangs wichtiger erscheint, der mag, statt der Wort-
lehre eine Syntax folgen zu lassen, der Formenlehre eine Be-
deutungslehre gegenüberstellen. Ganz allgemein wird sich
schwerlich entscheiden lassen, ob das eine oder das andere
den Vorzug verdient. Beides hat seine Berechtigung, und bald
wird das eine, bald das andere besonderen Umständen und
besonderen Zwecken mehr entsprechen. Für Einzelunter-
suchungen und Vorarbeiten wird es sich besonders oft empfehlen,
den Gesichtspunkt der Bedeutungslehre voranzustellen. Nach
wie vor werden Untersuchungen über die gesamte Bedeutung
einzelner Formen wie bestimmter Gruppen von Flexionen oder
auch aller am Platze sein. Aber auch innerhalb solcher Ab-
handlungen über ein Gebiet der Bedeutungslehre wird es nütz-
lich und förderlich sein, syntaktische und nichtsyntaktische
Bedeutung zu unterscheiden; und jedenfalls bilden solche Aus-
schnitte aus der Bedeutungslehre nicht in ihrer Gesamt-
heit einen Teil der Syntax; ihre Verfasser sollten daher auf
den unpassenden Nebentitel »Eine syntaktische Untersuchung«
oder »Ein Beitrag zur Syntax« verzichten.
Den Einwand, die Stoflfgruppierung sei unübersichtlich,
und der natürliche Zusammenhang werde zerrissen, kann man
somit nicht gegen die verlangte Abtrennung des nichtsyntak-
tischen Teiles der Bedeutungslehre von Wortarten und Wort-
formen erheben, ohne damit überhaupt die ganze Einteilung
der Grammatik in Lautlehre, Wortlehre und Syntax anzu-
greifen. Die Frage: Was ist Syntax? hat aber diese Gliederung
der Grammatik zur selbstverständlichen Voraussetzung. Die An-
schauung derer, welche die verlangte Sonderung der Bedeutungs-
lehre von Wortarten und Wortformen in einen syntaktischen
und einen nichtsyntaktischen Teil ablehnen, schliesst zugleich
die Ablehnung der Einteilung in Lautlehre, Wortlehre und
Syntax ein. Wird aber die Verschiedenheit der betrachteten
Objekte (Laut, Wort, Wortgefüge) als Haupteinteilungsgrund
119
aufgegeben, so bleibt nur übrig, die Grammatik nach der Ver-
schiedenheit der Gesichtspunkte zu gliedern, unter denen jeweils
der gesamte Sprachstofif betrachtet wird, d. h. in Formen-
und Bedeutungslehre.
Jene Anschauung könnte also konsequent nur vertreten, wer
einmal in einer solchen ^Formenlehre' ausser den Wortformen auch
die Formen der Wortgefüge behandelte, und zum andern in
der ^Bedeutungslehre* auf die Lehre von der Bedeutung der
Worte (von der die in Frage stehende Bedeutungslehre der
Wortarten und Flexionsformen nur einen Teil bildet) eine
solche der Wortgefüge folgen Hesse. Immer bildet eine ,Lehre
von der Bedeutung der Wortarten und Wortformen' weder
einen selbständigen noch einen vollständigen Hauptteil der
Grammatik, auch wenn diese in Formenlehre und Bedeutungs-
lehre gegliedert wird.
Wir erachten aber die Einteilung der Gesamtgrammatik
nach den behandelten Objekten in die Lehre von den Lauten,
den Worten, den Wortgefügen (= Syntax) für sachgemäss,
theoretisch richtig und praktisch brauchbar und halten an ihr
fest. Wird jedoch diese Einteilung überhaupt anerkannt, so ist
auch der Einwand durchaus hinfallig, dass die verlangte Sonderung
des bisher gewöhnlich ungeteilt der Syntax zugewiesenen Stoffes
in einen syntaktischen und einen nichtsyntaktischen Teil theo-
retisch zwar richtig, aber praktisch unthunlich sei.
Damit wäre die Grenze der Syntax auch nach der Seite
der Wortlehre hin abgesteckt, und es bliebe uns nur noch ein
Wort zu sagen über das Verhältnis der Syntax zur Lautlehre
einerseits und zur Stihstik andererseits.
Syntax und Lautlehre
berühren sich zwar auch mehrfach in ihren Stoffen, doch ist
dabei die Gefahr von Grenzstreitigkeiten nicht eben gross. Es
kommen hier zunächst die Fälle des sogenannten Satzsandhi
in Frage. Diese gehören ohne Zweifel nicht zur Syntax, da
die Beeinflussung eines Auslauts durch den Anlaut des folgen-
120
den Wortes (oder umgekehrt) weder die Form noch die Be-
deutung des Gefüges zu ändern vermag, in dem jene beiden
Worte Nachbarn sind. (®^)
Soweit aber diese und ähnliche Lautvorgänge von dem
syntaktischen Verhältnis abhängig sind, in dem die neben
einander stehenden Wörter z u einander stehen, also z. B. nicht
eintreten, wo das erste Wort vor einer Pause steht, liegt die Sache
etwas weniger einfach. Solche Fälle (wie z. B. im Französischen
die Liaison und das Wiederlautwerden des sonst verstummten
Endkonsonanten mancher Wörter vor der Pause) fuhren uns
zugleich zu all den übrigen, in denen eins der musikalischen
Mittel der Wortfügung (Satzaccent, Pausen, Tempo u. s. w.)
auf die Lautform irgend welchen Einfluss übt, wo also Dinge,
die ausschliesslich der zusammenhängenden Rede angehören,
in die Lautlehre hineinspielen. Lautvorgänge dieser Art in
der Lautlehre zu behandeln, könnte wegen ihrer Abhängigkeit
von syntaktischen Verhältnissen bedenklich erscheinen.
Wir brauchen uns mit der Widerlegung solcher Bedenken
nicht lange aufzuhalten. Sie sind zwar möglich, denn sie ent-
sprechen genau den oben S. 86 flf. bekämpften; aber dass that-
sächlich jemand aus diesen Gründen die fraglichen Lautvorgänge
aus der Lautlehre in die Syntax hat verweisen wollen, ist uns
nicht bekannt geworden. Im Gegenteil scheint hierin voll-
ständige Übereinstimmung zu herrschen, sodass wir oben gerade
auf diese Verhältnisse haben hinweisen können als Belege dafür,
dass auch in der Lautlehre vieles unbeanstandet behandelt
wird, von dem man sagen könnte, dass es über den Bezirk
des Einzellautes hinausgehe. Diese Dinge gehören mit Fug
und Recht in die Lautlehre, und nicht in die Syntax, weil es
sich dabei eben um den einzelnen Laut handelt, solange dieser
»der Held« der Darstellung bleibt, gleichgültig, ob seine Schick-
sale von Verhältnissen mit beeinflusst sind, die zusammenhängend,
d. h. in ihrem Zusammenhang, erst in einem spätem Teil
erörtert werden sollen.
121
Es wäre ein ebenso vergebliches als nutzloses Bemühen,
nach einer Einteilung der Grammatik zu suchen, bei der alle
Stoffe nur in je ein und demselben Abschnitte behandelt
würden, bei der eine Erörterung derselben Erscheinung an
mehreren Stellen unnötig würde. Mehrfache Erörterung ist
aber nicht mit Wiederholung zu verwechseln. Die Ver-
schiedenheit der Gesichtspunkte, die vielfach für die Behandlung
desselben Stoffes in Frage kommen, zwingt dazu, ihn auch an
5.. verschiedenen Orten der systematischen Darstellung zu besprechen.
Der natürliche Zusammenhang leidet dabei nicht mehr, als
das bei jeder systematischen Gliederung unvermeidlich und
andererseits auch gänzlich unbedenklich, der Sache selbst
unschädlich ist. Auch hier gilt dasselbe, was über die angeb-
liche Zerreissung des Zusammenhangs oben (S. 116 flf.) gesagt ist.
Der Zusammenhang, den es zu wahren gilt, ist nicht überall
derselbe. Es steht nichts im Wege, den Satzaccent oder die
Pausen u. ä. zum Gegenstand einer eigenen Abhandlung zu
machen : in dieser wird sowohl von ihrer Einwirkung auf die
Laute als von ihrem Einfluss auf Wortgruppen und Sätze,
von ihrer Rolle in der Wortfügung die Rede sein. Dabei ist
dann dieser besondere Zusammenhang gewahrt, der sich für
eine gesonderte Behandlung dieser Einzelprobleme, Satzaccent
u. s. w. ergiebt, aber auch nur für eine solche besteht. Bei
einer Einteilung der Grammatik in Lautlehre, Wortlehre und
Syntax kommt es dagegen nur aufden Zusammenhang je dieser
Teile an ; und es ist ebenso unmöglich alles, was z. B. von den
Pausen zu sagen ist, an einer Stelle zu sagen, als es natur-
gemäss ist, was davon die Einzellaute angeht, in der Lautlehre
vorzutragen, was die Wortfügung betrifft, in der Syntax abzu-
handeln.
Schwieriger scheint die Aufgabe, die Gebiete von
Syntax und Stilistik
gegen einander abzugrenzen. Hier liegen die Verhältnisse
weniger einfach, doch scheinen sie verwickelter als sie that-
rv
122
sächlich sind ; denn die Schwierigkeiten , die sich der Lösung
dieser Frage entgegenstellen, ergeben sich weniger aus der
Sache selber, sie entspringen vielmehr im wesentlichen einer
schiefen Fragestellung.
Die Lösung der Frage : was gehört ins Gebiet der Syntax,
was in das der Stilistik? ist freilich nicht nur schwierig, son-
dern eigentlich unmöglich. Schon die völlige Ratlosigkeit
derer, die sich diese Frage vorgelegt haben, (®*) und der Um-
stand, dass keiner mit dem andern in ihrer Beantwortung über-
einstimmt, legt die Vermutung nahe, dass sie unlösbar ist.
Sie ist in der That nicht zu lösen, weil sie falsch gestellt ist
oder doch meist falsch verstanden wird.
Es ist unmöglich, eine reinliche Scheidung des in Betracht
kommenden Stoffes vorzunehmen und zu entscheiden: diese
sprachlichen Thatsachen fallen der Syntax zu, jene der Stilistik,
sodass die beiden Stoffgebiete sich ausschlössen, und nichts von
dem, was dort erörtert wird, auch hier erörtert werden dürfte.
Die Frage : Syntax oder Stilistik ? enthält zunächst den Fehler,
dass sie der Stilistik einen zu engen Begriff gegenüberstellt;
statt Syntax müsste es heissen: Grammatik. Von der Forde-
rung, dass die Stoffe der Syntax und der Stilistik sich direkt
ausschliessen sollen, könnte nur dann die Rede sein, wenn die
Stilistik ganz innerhalb der Grammatik stände, als einer ihrer
konstituierenden Teile in ihr enthalten wäre. Dann wäre jene
Forderung in zwei Fällen berechtigt : sowohl wenn die Stilistik
als eine Unterabteilung in die Laut- oder die Wortlehre ein-
zufügen wäre, als wenn sie den drei Teilen Lautlehre, Wort-
lehre, Syntax als ein vierter Hauptteil auf gleicher Linie zur
Seite träte. Dass aber diese beiden Annahmen ausgeschlossen
sind, leuchtet auf den ersten Blick ein: die Stilistik als einen
Abschnitt der Wortlehre zu fassen, d. h. die Wortgafüge
von ihr auszuschliessen, kann ernsthaft nicht in Frage kommen ;
und sie neben die Lehre vom Laut, vom Wort und vom Wort-
gefüge als vierten Hauptteil in die Grammatik einzureihen,
das ist schon wegen des jener Einteilung zu Grunde liegenden
123
Prinzips in keiner Weise angänglich ; es ist ja überhaupt neben
jenen drei Hauptteilen kein vierter denkbar. Ist aber beides
unmöglich, so kann es sich auch nicht um das direkte Ver-
hältnis der Syntax zur Stilistik handeln, sondern nur um das
Verhältnis der Stilistik zur Gesamtgrammatik, durch welches
dann ihr Verhältnis zur Syntax, als einem Teile dieser, bedingt
ist. Somit dürfte also die Forderung, dass die Stoffgebiete der
Syntax und der Stilistik sich ausschliessen sollen, nur dann
erhoben werden, wenn sie zugleich auf das Gebiet der Gesamt-
grammatik ausgedehnt werden könnte. Wenn die Stilistik den
grammatischen Disziplinen als etwas gänzlich Wesensverschie-
denes derart gegenüberstände, dass ihr Gebiet völlig ausser-
halb des Stoflfkreises der Gesamtgrammatik läge, dann wäre
das syntaktische Stoffgebiet indirekt, als ein Teil des Gebiets
der Grammatik, mit diesem zugleich von dem der Stilistik
ausgeschlossen. Die engere Frage: Syntax oder Stilistik? ist
also auf die weitere zurückzuführen: Grammatik oder Stilistik?
Die Antwort auf jene ist in der Antwort auf diese mitgegeben.
Zu der unrichtigen Fragestellung: Syntax oder Stilistik?
ist man auf verschiedenen Wegen gelangt; doch bleibt der
enge Zusammenhang überall leicht ersichtlich, in dem sie zu
den oben ausführlich besprochenen Verhältnissen steht: sie ist
nur eine weitere Folge der üblichen Auffassung von den Auf-
gaben der Syntax und ihrer Stellung zu den andern Teilen
der Grammatik. Zunächst wirkte auch hier der Einfluss, den
die so lange vorwiegend praktischen Zwecke der Sprachstudien
auf ihre Gestaltung ausgeübt haben. Das erstrebte Endziel
war Lateinsprechen und Lateinsclu-eiben ; dies zu lehren war
die Aufgabe, in die sich Syntax und Stilistik zu teilen hatten.
Zeigte jene hauptsächlich die richtige Anwendimg der im Ele-
mentarunterricht erlernten Redeteile und Flexionsformen, so
hatte diese zu lehren, wie man Richtigkeit mit Eleganz ver-
bindet, wie man dazu gelangt, gutes, klassisches Latein zu
schreiben: es hatte die Stilistik zu vollenden, was die Syntax
begonnen hatte. Diese Unterscheidung, die hier zu einer Ver-
124
teilung des Stoffes auf Syntax und Stilistik führte, ist für
Lehrzwecke im allgemeinen ebenso brauchbar, wie sie für die
wissenschaftliche Behandlung der Sprache unhaltbar ist. Im
Unterricht, wo das Schwerere dem Leichteren zu folgen hat,
spart man mit Recht die ,Feinheiten' bis zuletzt auf und weist
der Stilistik die Aufgabe zu, die von der Syntax gezeichneten
grossen Umrisse mit Einzelheiten auszufüllen und dem im Ge-
brauche der Sprache sich Übenden den letzten Schliff zu geben.
Trat so die Stilistik mit der Syntax in Konkurrenz, da beide
hauptsachlich als Anweisungen zum praktischen Gebrauch des
Sprachstoflfs und seiner Formen gedacht waren, so war der
Grammatiker hier vor die Frage gestellt, wie er seinen StoflF
am besten auf die beiden Gebiete verteile. Diese Aufgabe war
keine leichte, denn es ist nicht möglich, jene Unterscheidung
im Einzelnen streng und konsequent durchzuführen ; ihre Lösung
blieb also dem Takt des Pädagogen überlassen und konnte ihm
auch sehr wohl überlassen bleiben. So entsprang die Frage:
Syntax oder Stilistik? in erster Linie den praktischen Bedürf-
nissen des Unterrichts und wurde dann meist ohne weiteres
auf die wissenschaftliche Grammatik übertragen.
In derselben Richtung wirkte ferner, auch unabhängig von
dem lEinfluss der Schulüberlieferung, die übliche Gliederung
der Grammatik und die herrschende Auffassung von den Auf-
gaben ihrer Teile. Sowohl die unrichtige Stoflfbegrenzung der
Syntax selbst, als eine Quelle derselben, das Fehlen einer selb-
ständigen Wortbedeutungslehre haben zu der irrigen Meinung
geführt, dass man sich bei der Zuweisung des sprachlichen
Stoffes direkt zwischen der Syntax und der Stilistik zu ent-
scheiden habe. Bei einer Auffassung von Syntax, die eine
eigentliche Satzlehre ganz ausschliesst oder nur bruchstückweise
berücksichtigt, musste man dazu kommen, diejenigen recht
eigentlich syntaktischen Probleme, die (wie z. B. die Wort- und
Satzstellung) mit der Bedeutung und dem Gebrauch der Rede-
teile und Flexionsformen nichts zu thun haben und sich in
eine so aufgefasste Syntax nirgends recht einfügen lassen, der
125
Hauptsache nach als nichtsyntaktisch anzusehen. Wollte man
sie aber überhaupt irgendwo behandebi, so blieb nichts übrig,
als sie in die Stilistik zu verweisen. Streit und Zweifel mussten
somit darüber entstehen, ob von solchen Stofifen doch etwas
noch in die Syntax zu ziehen wäre, und demnächst über das
Mehr oder Weniger, was davon in der (Misch-)Syntax behandelt
werden sollte. Anders liegt es mit den Stoffen, die in der Syn-
tax nicht, wie die eben erwähnten, fehlerhafterweise vernach-
lässigt, sondern in ihr unberechtigterweise behandelt zu w^erden
pflegen. Da der zweite Teil unserer Grammatiken eine Formen-
lehre statt einer vollständigen Wortlehre zu sein pflegt oder
doch, auch wo er Wortlehre genannt wird, keinen eigenen
Abschnitt für die Bedeutungslehre der Worte, ihrer Arten und
Formen aufweist, mussten diejenigen Teile dieser Lehre, die
überhaupt zur Entwicklung gelangt, d. h. über die bloss lexi-
kalische Bearbeitung hinausgekommen sind, untergebracht
werden, so gut und wo es eben gehen wollte. Als Notunter-
kommen bot sich, da innerhalb der Grammatik weder Laut-
noch Formenlehre in Betracht kommen konnten, wie wir ge-
sehen haben, zunächst die Syntax dar, daneben aber auch,
ausserhalb der eigentlichen Grammatik, die Stilistik. Diese
Hess sich besonders gut für die Darstellung gewisser Teile der
Lehre von der Bedeutung der Wortarten gebrauchen; sie eig-
nete sich aber überhaupt trefflich als letzte Zufluchtsstätte für
alles, was man etwa noch zu behandeln wünschte, aber auch
in der Syntax noch nicht unterzubringen gewusst hatte. Denn
die Rolle, die der Syntax als dem letzten Teile der eigentlichen
Grammatik innerhalb dieser zufiel, dass man sie nämlich viel-
fach missbrauchte, um in ihr unterzubringen, was in den
früheren Teilen keinen Platz gefunden hatte, musste gegenüber
der Syntax die Stilistik spielen, die gleichsam einen Appendix
zur Grammatik bildete. So hatte man für die zunächst unent-
behrlichen Teile der Wortbedeutungslehre im Einzelnen die
Wahl, und so musste hier wieder die schwierige und prinzipiell
126
nicht entscheidbare Frage auftauchen : was kommt davon besser
in die Syntax, was besser in die Stilistik?
Da also die Zweifel darüber, ob gewisse Teile des Sprach-
stoflfs der Syntax oder der Stilistik zuzuweisen seien, teils direkt
durch die fehlerhafte Begrenzung der syntaktischen Aufgaben
hervorgerufen sind, teils mit diesen Fehlern derselben Quelle
entstammen, so sind sie auch auf dieselbe Weise wie diese zu
heben, oder vielmehr sie werden mitbeseitigt, sobald jene be-
seitigt werden. Bei richtiger Gliederung der Gesamtgrammatik
und richtiger Begrenzung und Behandlung der syntaktischen
Aufgaben fallen sie von selbst fort.
So ist nicht nur die Frage: Syntax oder Stilistik? durch
die richtigere: Grammatik oder Stilistik? ersetzt, sondern es
wird auch die falsche Auffassung dieser Frage verhütet. Denn
da nun weder die Syntax noch die Stilistik länger gezwungen
ist, Stoffe der Wortbedeutungslehre, die jetzt ihr eigenes
Heim innerhalb der Grammatik gefunden hat, bei sich auf-
zunehmen, noch auch die Stilistik weiter in die Lage kommt,
obdachlosen syntaktischen Stoffen Unterkunft zu gewähren: so
kann mit jener Frage nicht mehr die Au%abe gestellt sein,
nach der Grenze zu suchen, die den Sprachstoflf in zwei Teile
scheidet, von denen der eine allein der Grammatik zugehört,
der andere ausschliesslich der Stilistik zufällt. Denn die For-
derung, dass die Stoffe der beiden Disziplinen sich gegenseitig
ausschliessen sollen, ist offenbar unhaltbar. Es bedarf keines
Nachweises, dass der Stofifkreis der Stilistik nicht ausserhalb
des grammatischen Stoffgebietes liegen kann. Der zu behan-
delnde sprachliche Stoff ist vielmehr beiden Gebieten zum
grössten Teile gemeinsam: grundsätzlich verschieden sind nur
die leitenden Gesichtspunkte und infolgedessen die Behand-
lungsweise. Die Aufgabe kann also hier nicht sein, die Stoff-
gebiete ausschliessend abzugrenzen, sondern nur die Verschieden-
heit der massgebenden Gesichtspunkte klar zu erkennen und
an der Verschiedenheit der Behandlung konsequent festzuhalten.
Die Frage: Grammatik oder Stilistik? kann also nur den Sinn
127
haben : in welchem Verhältnis steht die Stilistik zur Grammatik,
worin unterscheiden sich ihre Aufgaben?
Die wissenschaftliche *) Stilistik kann prinzipiell von zweierlei
Art sein, je nachdem sie die objektive oder subjektive Seite des
Stils ins Auge fasst. Im ersten Falle behandelt sie den Stil,
insofern er vom Inhalt und Zweck der sprachlichen Darstellung,
im zweiten Fall, insofern er von der Eigenart der sprechenden
(schreibenden) Persönlichkeit bedingt ist. Diese aus den üb-
lichen Handbüchern bekannte Unterscheidung hat für die
wissenschaftliche Stilistik eine grössere Bedeutung als für die
praktische ; denn da der subjektive Stil sich nicht lehren lässt,
müssen sich die Lehrbücher der Stilistik im wesentlichen da-
rauf beschränken , jenen Unterschied festzustellen und zu er-
läutern; behandeln können sie nur den objektiven Stil.
Indem die objektive Stilistik, sei es mit Bezug auf die
menschliche Rede überhaupt oder auf eine bestimmte Sprache,
den sprachlichen Stofif einem ästhetischen Werturteil unter-
wirft, verlässt sie zwar das rein grammatische Gebiet, tritt
zusammen mit Rhetorik, Metrik, Poetik der Grammatik zur
Seite und bildet mit diesen einen Teil der allgemeinen Kunst-
lehre. Aber als ein Teil der Lehre von den Künsten, deren
Ausdrucksmittel die menschliche Rede ist, behandelt sie nicht
einen Stofif, der von dem der Grammatik wesensverschieden
ist, sondern sie schöpft vielmehr ihren Stofif aus der Grammatik,
in der er schon völlig enthalten ist oder sein sollte; sie findet
ihn hauptsächlich in den der Bedeutungslehre gewidmeten Ab-
schnitten sowohl der Wortlehre als der Syntax. Denn auch
die stilistischen Eigenschaften der Wörter, Wortklassen, Wort-
formen und Wortgefiuge bilden einen integrierenden Teil ihrer
Bedeutung und ihres Gebrauchs; auch sie gehören mit zu
ihrem Wesen, das die Grammatik allseitig darzustellen hat.
Die Stilistik, die diese Seite ihres Wesens allein ins Auge fasst,
*) Lehr- und Lembücher aller Art, Anweisungen zum Erwerb eines
guten oder schönen Stils, Antibarbari usw. bleiben von unserer Betrach-
tung auggeschlossen.
128
wählt aus der vollständigen Grammatik das för ihre Zwecke
Passende aus, gruppiert es neu unter ihrem Gesichtspunkt, dem
der stilistischen Wirkung, und vereinigt es zu einem neuen
selbständigen Ganzen. Ob z. B. ein Wort, eine Form, Wen-
dung, Stellung, Konstruktion häufig oder selten, R^el oder
Ausnahme, allgemeingültig und farblos oder mundartlich, volks-
tümlich, gemein, vertraulich, edel, poetisch, geziert usw. ist,
darum hat sich sowohl die Grammatik als die Stilistik zu
kümmern. Aber jene hat die Thatsachen zu untersuchen und
festzustellen, weil all das einen Theil der Bedeutung ausmacht ;
diese zeigt den Zusammenhang auf zwischen dem ausgedrückten
Inhalt und den gewählten Ausdrucksmitteln, zwischen den
verschiedenen Arten und Zwecken der sprachlichen Darstellung
und dem verschieden gefärbten Sprachstoflf und seinen mannig-
faltigen Formen. Jene erforscht und beschreibt die Bedeutungen
in allen ihren Schattierungen; diese untersucht die Anforde-
rungen, welche die verschiedenen Zwecke der Darstellung an
ihre verschiedenartige Gestaltung stellen, und urteilt darüber,
ob im Einzelnen die Wahl angemessen getroffen, ob die An-
wendung richtig oder falsch, ob sie stil gemäss ist oder nicht.
Die subjektive Stilistik unterzieht ihren ebenfalls bereits in
der vollständigen Grammatik enthaltenen Stoff einer ver-
gleichenden Betrachtung, die allein darauf ausgeht, festzustellen,
inwiefern ein bestimmtes Individuum sprachliche Eigenart be-
sitzt, und worin diese besieht. Als ein solches Individuum kann
dabei e i n Schriftsteller (in einem einzelnen oder einer Gruppe
oder der Gesamtheit seiner Werke), kann eine Gruppe von
Schriftstellern (eine Richtung, eine Schule) angesehen werden
oder auch eine ganze Epoche oder eine Nation. Die subjek-
tive Stilistik überschreitet das grammatische (Sebiet gar nicht,
sondern gehört mit zur Grammatik. Aber nicht in dem Sinne,
dass sie als einer ihrer Teile zu den übrigen Teilen (nach
welchem Prinzip die Gliederung auch erfolgt sm) hinzutreten
uiüsste« um sie vollständig zu machen, sondern als ein unt^
129
einem bestimmten Gesichtspunkt gemachter Auszug aus der
vollständigen Grammatik, sozusagen als ein Inbegrifif der Gram-
matik, der nur das Charakteristische zusammenfasst. Da die
subjektive Stilistik die einer bestimmten Individualität eigen-
tümliche Sprachbehandlung und Gestaltung darzustellen hat,
ist sie in der vollständigen Grammatik der Sprache dieses
Individuums schon mit gegeben, sie kann dieser stofflich nichts
Neues, noch nicht Behandeltes hinzufügen, sie kann nur weg-
lassen, was dies Individuum mit andern gemeinsam hat. In-
dem sie unberücksichtigt lässt, was sich der individuellen Sprach-
gestaltung entweder überhaupt entzieht oder im einzelnen Falle
einer solchen nicht gedient hat, stellt sie übersichtlich zu-
sammen, was sich der vergleichenden Betrachtung als charak-
teristisch ergiebt. Alle die Einzelheiten, die zusammen die
Eigenart der Sprache eines Individuums ausmachen, sie müssen
doch alle in der Grammatik dieser Sprache -— nicht im Zusam-
menhang erörtert, sondern an verschiedenen Stellen zerstreut,
aber doch jedenfalls immer behandelt sein. Wie sollte die
Grammatik einer Sprache gerade das für sie Charakteristische
unberücksichtigt lassen, eher als das, was ihr mit andern ge-
meinsam ist? Im Gegenteil; auch die Grammatik wird sich
häufig auf das Charakteristische beschränken und das übrige
unberücksichtigt lassen können, sodass die Stoffe von Gram-
matik und Stilistik fast völlig übereinstimmen. Dies wird der
Fall sein, wo es sich um die Sprache eines einzelnen Werkes
oder Schriftstellers handelt. Nur darum tritt dies Verhältnis
seltener deutlich hervor, weil so vielfach die Sprache eines oder
weniger Sprachdenkmäler in Ermangelung anderer Quellen für
den Forscher als Vertreter der Sprache ganzer Völker und
Zeiten gelten muss. Was man in diesem Falle die Grammatik
eines Schriftstellers nennt, ist vielmehr die Grammatik der aus
ihm erschlossenen Sprache seines Volkes: daher die erstrebte
Vollständigkeit der Behandlung. Eine Grammatik des Vulfila
ist für uns nicht eine Grammatik der Sprache dieses gotischen
Kies, Was ist Syntax? 9
r\
130
Bischofs, sondern der Westgoten des 4. Jahrhunderts, ja des
Gotischen. Ist aber die Sprache der Zeit- und Volksgenossen
eines Schriftstellers aus andern Quellen ausreichend bekannt
und vollständig behandelt, so wird die Grammatik der Sprache
dieses einzelnen Autors verständigerweise nur das enthalten,
was ihm eigentümlich ist, worin er von der Gemeinsprache
abweicht, för alles übrige wird sie einfach auf die allgemeine
Grammatik seiner Sprachgenossen verweisen. In diesem Falle
würde sich so Grammatik und Stilistik eines Schriftstellers
stofflich decken, wenn die Grammatik auch des einzelnen
Schriftstellers ausser den zugleich von der Stilistik zu behan-
delnden Erscheinungen nicht noch das zu erörtern hätte, was
sich der individuellen Gestaltung entzieht. Die Stilistik wird
z. B. ebenso wie die Grammatik zu untersuchen haben, ob und
in welchem Umfange ein Schriftsteller der Mundart einen Ein-
fluss auf seine Sprache gestattet hat; welches aber seine heimat-
liche Mundart ist, ob er sie rein wiedergiebt oder getrübt
durch spätere Einflüsse einer andern Umgebung usw.,
das bleibt der Stilistik gleichgültig als etwas, das nicht
der freien Wahl des Lidividuums unterlag; die Grammatik
wird es festzustellen haben. Umgekehrt wird die Stilistik zu
erörtern haben, wann und wie ein Schriftsteller den Dialekt
oder dialektische Anklänge verwendet, ob aus Nachlässigkeit
oder mit Absicht und in welcher Absicht, zur Erreichung
welcher Wirkungen usw.*)
Am reinsten tritt das Verhältnis der subjektiven Stilistik
zur Grammatik zu Tage, wo es sich um das umfassendste
Kollektivindividuum handelt, die Nation. Worin besteht der
nationale Stil? ]n der Armut oder dem Reichtum des Wort-
schatzes bezw. dieses oder jenes Teiles desselben; in der Ab-
neigung gegen den konkreten oder abstrakten, den nominalen
*) Hierin ein Übergreifen der subjektiven Stilistik auf das Gebiet der
objektiven; siehe S. 164.
131
oder verbalen Ausdruck; in der Vorliebe für die aktive oder
passive Konstruktion, für die freiere oder gebundenere, die
analytische oder synthetische Wortstellung, das parataktische
oder hypotaktische Gefüge, die Kürze und Gedrungenheit des
Satzbaus oder die reichentwickelten, kunstvoll verschlungenen
Perioden u. s. f. Was davon sollte sich der eigentlich gram-
matischen Behandlung entziehen können, was sollte davon in
der vollständigen Grammatik fehlen dürfen ? Nicht einmal der
Versuch, diese Eigentümlichkeiten der Sprachbehandlung mit
den Charaktereigenschaften der betreffenden Nation in ursäch-
lichen Zusammenhang zu bringen; denn das gehört mit zur
psychologischen Erklärung der Spracherscheinungen, die jetzt
allseitig als eine wichtige Aufgabe der Grammatik anerkannt
ist, eine Forderung, die natürlich für das Allgemeine nicht
minder zu gelten hat wie für Einzelfälle. So ist z. B. mit
Recht die Leidenschaftlichkeit der alten Germanen gelegentlich
zur Erklärung sprachlicher Thatsachen, sogar auf dem Gebiete
der Lautlehre, mit herangezogen worden. (®*)
Enthält die (subjektive) Stilistik der Grammatik gegenüber
auch stofflich nichts Neues, so ist sie darum natürlich nicht
minder wertvoll oder gar überflüssig. Sie ist zwar nicht so
unentbehrlich wie die integrierenden Teile der Grammatik,
weil man sie sich aus einer vollständigen Grammatik zur Not
selbst zusammenstellen könnte; aber sie hat den Nutzen jeder
Zusammenfassung des in einem gewissen Sinne zusammen-
gehörigen Materials, das sich in der Grammatik an den ver-
schiedensten Stellen verstreut findet. Solche Zusammenstellung
gewährt allein eine Übersicht und ermöglicht ein Urteil. Die
(subjektive) Stilistik hat daher innerhalb der vollständigen
Grammatik ihren richtigen Platz entweder in einer orientieren-
den Einleitung oder in einem zusammenfassenden Schluss-
abschnitt.
Soweit ist das Verhältnis der Stilistik zur Grammatik klar
imd einfach. Etwas verwickelter gestaltet es sich jedoch in
Wirklichkeit aus mehreren Gründen. Zunächst greift die ob-
9*
132
jektive wie die subjektive Stilistik vielfach auf das rein gram-
matische Gebiet über und verliert bei Auswahl und Behand-
lung ihres Stoffes den Gesichtspunkt des Stils ganz aus den
Augen. Solche Übergriffe sind nicht zu billigen, soweit sie
allein Verfassern stilistischer Werke zur Last fallen, die sich
entweder über die Verschiedenheit der Aufgaben von Stilistik
und Grammatik nicht genügend klar geworden sind oder sich
über die Verpflichtung einer sachgemässen Begrenzung ihres
Gebiets hinwegsetzen. Dies ist z. B. der Fall, wenn in der
objektiven Stilistik, wie das gelegentlich geschieht, die Sprach-
richtigkeit mit in Betracht gezogen wird. Die subjektive
Stilistik eines einzelnen Schriftstellers wird zwar den etwaigen
Mangel an Sprachrichtigkeit festzustellen haben, überschreitet
aber ebenfalls ihre Grenzen, sobald sie die Frage selber zu er-
örtern und zu entscheiden unternimmt, ob eine Erscheinung
als sprachrichtig zu bezeichnen sei oder nicht. Das kommt
allein der Grammatik zu, die Stilistik darf und muss die von
jener gewonnenen Resultate überall als gegeben voraussetzen.
Da aber die ,vollständige' Grammatik ein Ideal ist, von
dessen Erreichung wir in Wirklichkeit mehr oder minder weit,
in der Bedeutungslehre gerade am weitesten entfernt sind, so
wird die Stilistik an vielen Punkten das Material , das ihr jene
liefern soll, noch nicht bereit finden und genötigt sein, wofern
sie ihrerseits Vollständigkeit erstrebt, es sich selbst zu be-
schaffen.
Die Aufgabe, den Stil d. h. die sprachliche Eigenart eines
hidividuums darzustellen, ist eigentlich unlösbar, solange eine
vollständige Darstellung der Gemeinsprache seiner Zeit- und
Volksgenossen noch nicht vorhanden ist. Diese ist die Voraus-
setzung, ohne welche der Stil des Individuums gar nicht er-
kennbar ist. Von einem Stil des Vulfila können wir nicht
reden, wenn wir damit nicht vielmehr den Stil der gotischen
Sprache meinen; von diesem können wir einiges wenige
wissen, von dem individuellen Stil des Bibelübersetzers aber
können wir gar nichts wissen. Fehlt jene Voraussetzung ganz
133
oder teilweise, so fehlt damit im selben Umfang der Prüfetein und
der Massstab, an dem allein die Sprache eines Individumns
auf ihre Eigentümlichkeiten, also auf ihren Stil hin untersucht
und gemessen werden kann.
Darum gehen einerseits stilistische Untersuchungen so oft
in rein grammatische über und führen andererseits nicht selten
zu falschen Ergebnissen. An sich sind solche Übergriffe au
das grammatische Gebiet, weil und soweit sie notwendig sind,
auch gerechtfertigt; nur wäre zu wünschen, dass diese Er-
örterungen als Abschweifungen und Voruntersuchungen genügend
gekennzeichnet würden, damit sie den Verfassern und Lesern
immer deutlich als solche bewusst bleiben und die stilistische
Untersuchung sich nicht ganz in die grammatische verliert.
Wo aber dieser Prüfstein und Massstab noch fehlt oder doch
aus den Augen verloren wird, gelangt man zu irrigen Schlüssen
und falschen Resultaten, indem entweder wirklich eigenartige
Sprachbehandlung nicht als solche erkannt wird, oder — was
häufiger der Fall ist — indem als Stileigenheit eines Individuums
angesehen wird, was diesem mit andern gemeinsam, wohl gar
Gemeingut der Gesamtheit ist. Die genaue praktische Ver-
trautheit mit einer Sprache kann bei stilistischen Untersuchungen
natürlich in etwas den Mangel einer ausführlichen Darstellung
ihrer Grammatik ersetzen, aber doch in geringerem Masse , als
man geneigt ist anzunehmen. Selbst wenn die Beherrschung
der Sprache soweit geht, wie bei der eigenen Muttersprache,
ist die grösste Vorsicht des Urteils geboten, wo die wissen-
schaftliche Durchforschung noch Lücken aufweist und die
Grammatik die sichere Auskunft versagt.
Wie oben gezeigt ist, steht die subjektive Stilistik in einem
engeren Verhältnis zur eigentlichen Grammatik als die objektive,
da sie sich prinzipiell des Werturteils enthalten, sich auf die
Feststellung des Thatsächlichen beschränken kann und das
sprachliche Gebiet nirgends zu verlassen braucht. Nun lässt
sich aber die subjektive Stilistik von der objektiven leichter
begrifElich trennen als in der Ausführung ; denn sie setzt ihrer-
134
seits vielfach die Ergebnisse der objectiven voraus und muss
sie berücksichtigen. Die subjektive Seite des Stils hängt aufe
innigste mit seiner objektiven zusammen, diese bildet meistens
die Grundlage jener. Handelt es sich z. B. um den Stil eines
bestimmten Anakreontikers, Balladendichters, Redners, Geschicht-
schreibers, so bildet die Kenntnis und Berücksichtigung der
Eigentümlichkeiten und Erfordernisse des historischen und
rhetorischen Stils, des Stils der Balladendichtung und der
anakreontischen Poesie die Voraussetzung für die Erforschung
der stilistischen Eigenart jener Autoren. Ihr persönlicher Stil
besteht gerade mit in dem, was sie von den übrigen Vertretern
ihrer litterarischen Gattung unterscheidet. So muss man, um
den Stil eines Redners zu erkennen, seine Sprache nicht nur
an der Gemeinsprache seines Volkes und seiner Zeit, sondern
an der Sprache der Redner seiner Zeit und Volksgenossen , ja
an der rednerischen Sprache überhaupt messen. Man wird
also die Ergebnisse der objektiven Stilistik zu Hilfe nehmen oder
selber in derartige Untersuchungen eintreten müssen. Bezieht
sich die Untersuchung auf den Stil eines Autors oder Werkes
von litterarischem Wert, was bei solchen Einzelforschungen
doch meist der Fall ist, so wird man sich zudem mit der
blossen Feststellung des Thatsächlichen nicht begnügen wollen,
sondern den eigentlichen Zweck der Arbeit darin erblicken,
die litterarisch-ästhetische Würdigung seines Autors tiefer be-
gründen zu helfen; man wird sich also auch eines Werturteils
nicht wohl enthalten können : die subjektive Stilistik geht ganz
in die objektive über, nur dass sie sich auf einen Einzelfall
bezieht. Nur wo es sich um den Stil der Sprache eines ganzen
Volkes handelt, ist es möglich, die subjektive Stilistik annähernd
rein zu erhalten. Aber auch hier nicht durchweg. Eine
Untersuchung des altgermanischen Stils z. B. wird zu berück-
sichtigen haben, dass die erhaltenen Denkmäler überwiegend
poetische sind; der Stil der altgermanischen Poesie, die fast
ausschliesslich zur epischen Gattung gehört, weist neben den
nationalen Eigenheiten vieles auf, was speziell der epischen
135
Poesie überhaupt eigentümlich ist u. s. f. So spielt auch hier
die objektive Stilistik überall mit hinein und nötigt auch in
der subjektiven, die Grenzen der rein sprachlichen Betrachtung
zu überschreiten.
Auf weitere Einzelheiten einzugehen, liegt unserer Aufgabe
fern. Wir hatten hier nur im allgemeinen das Verhältnis der
Stilistik zur Grammatik und damit zugleich zur Syntax zu
skizzieren und zu zeigen, dass die Ziele, Aufgaben und Wege
beider Wissenschaftszweige wesentlich verschieden sind, ohne
dass durch diese Verschiedenheit die Gemeinsamkeit der zu
behandelnden sprachlichen Gegenstände ausgeschlossen würde.
Die Stilistik berücksichtigt zwar nur einen Teil des Sprach-
stoflfs der Grammatik, aber sie behandelt keinen andern
Sprachstoflf als diese. Was hinsichtlich seiner stilistischen
Wirkung von jener zu beurteilen ist, musste doch von dieser
zunächst bezüglich des Thatbestandes untersucht und festgestellt
werden. Es ist nicht abzusehen, welchen sprachlichen Stoff
die Stilistik enthalten könnte, der nicht auch der rein gram-
matischen Behandlung unterläge; welche von den einzelnen
Spracherscheinungen, die von der Stilistik zusammengestellt
werden, in der vollständigen Grammatik fehlen dürfte. That-
sächlich freilich fehlt in unsern Grammatiken gar manches
davon, aber es sollte nicht fehlen. Ihre UnvoUständigkeit ist
auch in diesem Punkte sachlich durch nichts begründet und
nur eine Folge ihrer mangelhaften Gliederung und der äussern
Umstände, die ihre Entwicklung beeinflusst haben. (®®)
Daraus folgt speziell für die Grenzregelung der Stoffgebiete
von Syntax und Stilistik : soweit die Stilistik auf die Form und
Bedeutung der Wortgefüge Bezug zu nehmen von ihrem Stand-
punkt aus Anlass hat, behandelt sie durchaus denselben Stoff
wie die Syntax, aber in ihrer Art; für die Syntax liegt darin
nicht der mindeste Grund, etwa auf die Behandlung dieses
selben Stoffes in ihrem eigenen Zusammenhang und in ihrer
eigenen Weise zu verzichten.
r\
Nachdem wir so das Stoffgebiet der Syntax den übrigen
Teilen der Grammatik und der Stilistik gegenüber abzugrenzen
versucht haben, bleibt uns zum Schluss noch zu erwägen, wie
das System der als ,Lehre von den Wortgefiigen' delBnierten
Syntax au&ubauen und zu gliedern sei. Wird diese Definition
angenommen, so scheinen uns die auf die
Disposition der Syntax
bezügUchen Fragen nur geringe Schwierigkeiten und wenig An-
lass zum Streit der Meinungen zu bieten. Die vielfachen und
im letzten Grunde unüberwindlichen Hindemisse, die sich der
angemessenen Gliederung der üblichen syntaktischen Systeme
entgegenstellten, entsprangen allein daraus, dass der zu dis-
ponierende Stoff nicht einheitlich gebildet, unvollständig und
übervollständig war. Der von fi-emden Elementen befreite imd
vollständige Stoff disponiert sich aber gewissermassen von selbst
Da den Gegenstand der Syntax die Wortgeföge bilden, bietet
sich als Einteilungsgrund zunächst die Verschiedenartigkeit der
Gefüge selber dar; und da die nach den Objekten gegliederte
Grammatik von der andern Einteilung, welcher der Gegensatz
von Form und Bedeutung zu Grunde liegt, kreuzweise durch-
schnitten wird, besteht daneben dieser Gegensatz als zweiter
Einteilungsgrund. Welches von beiden Einteilungsprinzipien dem
andern überzuordnen sei, ob also die Syntax zerfallen soll in
zwei Hauptteile : 1. Formenlehre IL Bedeutungslehre der Wort-
gefäge, oder ob bei jedem der behandelten Gefuge gleich hinter-
einander und im Zusammenhang Form und Bedeutung derselben
zu erörtern sei, das ist eine untergeordnete Frage. Diese und
137
andere Einzelfragen sind nicht prinzipieller Art und lassen sich
überhaupt nicht a priori und generell erledigen. Wir sind weit
entfernt zu meinen, dass es möglich oder auch nur wünschens-
wert sei, die Anordnung und innere Einrichtung der Syntax
bis in alle Einzelheiten genau im voraus festzulegen, gewisser-
massen eine Musterdisposition aufeustellen, die nun ein für alle
Male innezuhalten wäre. Im Gegenteil ; es wird von der Eigen-
art der behandelten Sprache, von der zeitlichen und räum-
lichen Ausdehnung des in einer Darstellung zu umfassenden
Gebiets, von der Art der Behandlung, ob empirische, historische,
genetische (®^) oder vergleichende, von der beabsichtigten Aus-
führlichkeit der Behandlung und manchen andern besondern
Umständen abhängen, ob diese oder jene Gruppierung im
Einzelnen den Vorzug verdient. Die Entscheidung über alle
Einzelfragen der Anordnung kann man getrost der Erfahrung
überlassen, die erst die Frucht zahlreicher praktischer Versuche
sein kann. Worauf es uns allein ankam, und was wir hier
allein unternehmen konnten, war, die Möglichkeit einer
sachgemässen Disposition zu geben — deren Vorbedingung eine
richtige Definition des Themas ist — indem wir die Unklarheiten
und Unrichtigkeiten der Bestimmung des Begriffs Syntax zu
beseitigen versuchten.
Nur auf zwei Punkte sei es noch gestattet hinzuweisen.
War es schon bei der Wortlehre thatsächlich unmöglich, die
Lehre von den Formen von ihrer Bedeutungslehre völlig zu
trennen (vergl. oben S. 88.), so dürfte es noch grössere Schwie-
rigkeiten bieten, eine solche Trennung bei der Behandlung der
Wortgefüge konsequent durchzuführen. Und wenn es auch
möglich sein sollte, so erscheint es doch um so weniger zweck-
mässig, als der bestimmende Einfluss des auszudrückenden Be-
deutungsinhalts auf die Gestaltung der Form bei den Wortge-
fügen teils offen zu Tage liegt, teils mit viel grösserer Sicherheit
nachgewiesen werden kann, als dies bei den so stark ver-
dunkelten Wortformen der Fall ist. Andererseits muss, auch
wenn sich die Trennung der Formenlehre von der Bedeutungs-
138
lehre der Wortgefüge ffir die Darstellung nicht oder nur
selten empfehlen sollte, an der Forderung aufs strengste
festgehalten werden, dass diese Trennung bei der Forschung
selber niemals versäumt werde. Nur bei der sorgföltigsten Be-
obachtung des methodischen Grundsatzes, der in der ana-
lytischen Grammatik das Ausgehen von der Form zur Pflicht
macht, ist die Gefahr unberechtigter Übertragung der syntak-
tischen Gesetze einer Sprache auf die andere zu vermeiden.
Dabei ist die Aufstellung vollständiger Formenschemata der in
einer Sprache gebildeten Wortgeffige nach dem Vorbilde der
Flexionsschemata das zu erstrebende Ziel. Nur wenn dieses
Ziel bei der Forschung unausgesetzt im Auge behalten wird,
ist klare Einsicht in das Wesen und die charakteristischen
Unterschiede der einzelnen syntaktischen Formen zu erwarten;
nur wenn dies Ziel annähernd erreicht sein wird, wird auch
eine wirkliche Übersicht über die vorhandenen syntaktischen
Formen, bei historischer Forschung über Zuwachs und Ab-
sterben derselben zu gewinnen sein. Auch für die genetische
und die vergleichende Syntax liegt der Nutzen schematischer
Formenübersichten auf der Hand. Wir verkennen die grossen
Schwierigkeiten nicht, die sich der Aufetellung solcher Schemata
der syntaktischen Formen entgegenstellen, doch halten wir
sie keineswegs für unüberwindlich. Die Benutzung von Buch-
staben und andern Zeichen und Formebi, wie das in einzelnen
Fällen z. B. Paul und v. d. Gabelentz schon mit gutem Er-
folge versucht haben (®®), desgleichen von graphischen Dar-
stellungen in der Art der KERNSchen Satzbilder, wird dabei gute
Dienste leisten. Diese noch viel zu wenig begangenen und zu-
nächst freilich noch unbequemen Wege sind eifriger Pflege
wert; sie werden nach unserer Überzeugung die nicht geringe
Mühe der Aufsuchung und Einebnung lohnen und zu schönen
Erfolgen führen. Gelingt es solche Formenschemata in um-
fassender Weise aufeustellen, so wird es auch bei einer Darstellung,
welche die Erörterung der Form, von dieser ausgehend, mit
der der Bedeutung verbindet, von grösstem Nutzen sein, eine
139
Zusammenstellung der Schemata zur orientierenden Übersicht
der eingehenden Behandlung vorauszuschicken oder nachfolgen
zu lassen.
Doch mit der Besprechung der Form und Bedeutung der
einzelnen syntaktischen Gebilde ist die Aufgabe der Syntax
noch nicht erschöpft. Wie in der Wortlehre neben der Formen-
und Bedeutungslehre die Wortbildungslehre steht, wird sich
auch innerhalb der Syntax ein besonderer Teil mit der Bildung
der Wortgefuge zu beschäftigen haben. Während aber eine
Hauptaufgabe der Wortbildungslehre darin besteht, die Be-
standteile der Worte aus der innigen Verbindung, die sie ein-
gegangen sind, auszulösen und zu zeigen, woraus die Worte
entstanden sind, liegen die Teile der Wortgefuge offen vor den
Augen des Forschers. Die syntaktischen Gebilde sind nicht
dermassen zur Einheit verschmolzen, dass es nötig wäre, sie zu
zerlegen und ihre Bestandteile aufeusuchen. Um so wichtiger
wird es sein zu untersuchen und darzustellen, welche Mittel die
Sprache verwendet, imi die einzelnen, nicht wie im Worte mit-
einander verwachsenen, sondern in scheinbarer Selbständigkeit
nebeneinander stehenden Teile der Wortgefuge doch zur Ein-
heit zu verbinden und in ihr zusammenzuhalten. (®*) Der dem
allgemeinen Gesichtspunkt nach der Wortbildungslehre ent-
sprechende Teil der Syntax, welcher dieBildung der Wortgefuge
behandelt, wird demgemäss doch ein wesentlich anderes Ziel ver-
folgen : während dort vorwiegend des Wortes Bestandteile selber
und seine Entstehung aus ihnen das Objekt der Forschung
bilden, werden hier allein die Mittel ins Auge zu fassen sein,
welche die Einzelworte zum Wortgefuge verknüpfen. Und
wiederum dem Verfahren in der Wortbildungslehre teilweise
analog, wird in diesem Abschnitt der Syntax zugleich darzu-
stellen sein, welche syntaktische Bedeutung die einzelnen sprach-
lichen Mittel der Wortfügung haben, wie sie nicht nur die
syntaktische Zusammengehörigkeit der Worte und die Beziehung
an und für sich, sondern darüber hinaus die Art dieser Be-
ziehimg andeuten oder ausdrücken, wie sie zur Bildung der
140
verschiedenen Arten von Gefügen dienen. So zeigt ja auch
die Wortbildungslehre zugleich, welche Rolle den einzelnen
Bildungselementen bei Stamm- und Wortbildung zukommt,
welcher Bedeutungsveränderung diese oder jene Gestaltung der
Stämme entspricht, welche Suffixe zur Bildung der verschie-
denen Wortklassen und Unterarten dienen.
hidem so die Lehre von den syntaktischen Bildungsmitteln zu
einer ausführlichen Darstellung der durch die einzelnen Mittel er-
zielten Differenzierung der syntaktischen Gebilde wird, schliesst sie
die Lehre von den syntaktischen Ausdrucksmitteln
ein, d. h. die Beantwortung der Frage: welche syntaktische
Bedeutung haben die einzelnen syntaktischen Bildungsraittel,
welchem syntaktischen Inhalt dienen sie zum Ausdruck? Somit
umfasst dieser Teil der Syntax eigentlich denselben Stoff, der schon
in den früher erwähnten Abschnitten behandelt ist : die formale
Gestaltung der Wortgefüge und ihr Zusammenhang mit der
Bedeutung derselben; nur ändert sich der Gesichtspunkt, von
dem die Betrachtung und Gruppierung ausgeht, und damit
die Beleuchtung, die dieser Stoff erhält. Damit kommt dieser
Teil der Syntax einem Bedürftiis entgegen , das sich bei der
Bearbeitung der vorhin erwähnten Teile gebieterisch geltend
machen wird. Denn die Erörterung der Form und Bedeutung
der einzebien Wortgefüge muss überall zur Erwähnung der-
selben Arten von syntaktischen Erscheinungen führen, eben der
syntaktischen Bildungs- und Ausdrucksmittel. Bei jedem ein-
zelnen Gefüge wird z. B. die Stellung seiner Teile zu einander,
syntaktischer Accent, Melodie und die anderen musikalischen
Mittel, die Kongruenz u. s. f. zu erörtern sein. Da wird einerseits
das Verlangen nach einer übersichtlichen Gesamtdarstellung
jeder einzelnen dieser immer wiederkehrenden syntaktischen
Erscheinungen, nach einer Zusammenfassung derselben unter
dem ihnen gemeinsamen Gesichtspunkt rege werden. Anderer-
seits wird eine zusammenhängende Erforschung der eu einem
Problem sich zusammenschliessenden Einzelfragen die unerläss-
liche Vorbedingung der Erkenntnis sein, in welchem Zu-
141
sammenhang diese formalen Verschiedenheiten der einzelnen
syntaktischen Gebilde mit der Bedeutung derselben stehen. So
lässt sich z. B. die Frage, ob eine verschiedene Wortstellung
zum Ausdruck einer Bedeutungsverschiedenheit dient, oder ob
sie nur vom Zufall, der Laune, dem Geschmack des Sprechen-
den abhängt, nicht von einem Forscher entscheiden, der nur
einzelne Fälle, die Stellung in gewissen Gefügen erörtert; die
Verwendung der Wortstellung als eines syntaktischen Aus-
drucksmittels «muss vielmehr im allgemeinen, in ihrem eigenen
Zusammenhang untersucht werden, wenn man den richtigen
Standpunkt zur Beurteilung der Einzelfalle gewinnen will.
Daher die vielfach missbräuchliche und missverständliche An-
wendung des Terminus ,freie Wortstellung'. So setzt also
die Ausführung jener Teile der Syntax, welche die Form
und die Bedeutung der einzelnen Geföge darzustellen haben,
die Ergebnisse dieses Teiles, der die einzelnen Mittel der
Wortfügung, ihre Verwendung und Bedeutung in ihrem
Zusammenhang behandelt, voraus. Bei diesen Fragen hat die
Forschung einzusetzen; denn die Entscheidung über alle noch
offenen Fragen in betreff der in einer Sprache vorhandenen
syntaktischen Formen und ihrer Bedeutung ist abhängig von
der Beantwortung der Fragen: welches sind die einzelnen in
derselben verwendeten Mittel der Wortfügung? was drücken
sie aus oder deuten sie an ? in welcher Kombination treten sie
auf? wie treten sie miteinander in Konkurrenz u. s. w. ? Diese
Fragen eignen sich vor allen andern zur monographischen Be-
handlung ; hier liegt der reichste Stoff für Einzeluntersuchungen.
Ob in einem umfassenden und ausgeführten syntaktischen Lehr-
gebäude der die Mittel der Wortfügung behandelnde Teil den
andern, welche die einzelnen Gefüge selber ziun Gegenstande
haben, vorausgehen oder nachfolgen soll, ist wieder eine neben-
sächliche Frage, die allein auf Grund praktischer Erwägungen
zu entscheiden sein wird, wie z. B. der, bei welcher Anord-
nung die wenigsten Verweisungen erforderlich sind. Dass diese
auch bei der bestmöglichen Gruppierung des Stoffes im besten
142
System nicht zu vermeiden sind, liegt in der Natur der Sache,
und wir können uns nur dem Rate Sgherers anschliessen,
der Verweisungen nicht zu sparen empfahl und es ablehnte,
dem Bestreben sie unnötig zu machen, »Einfluss auf den grossen
Gang der Darstellung einzuräumen.« (•^)
Damit glauben wir unsere Frage »Was ist Syntax?« be-
antwortet und diese Antwort hinreichend begründet zu haben.
Wir fassen das Ergebnis unserer Erörterungen in folgende
Sätze zusammen:
Syntax ist ein gutes und klares Wort, das der
zu bezeichnenden Sache durchaus entspricht. Doch
darf es nicht vom Standpunkt des Schülers gefiasst werden,
der von aussen herantritt und darin eine Sammlung von Regeln
sieht, deren er zum eigenen richtigen Zusammenfugen der Ele-
mente der Rede beim praktischen Gebrauch einer zu lernenden
Sprache bedarf.
Die wissenschaftliche Grammatik stellt ihren Gegenstand
von innen heraus dar, verzeichnet, ordnet und klassifiziert alle
seine Bestandteile, alle ihre Erscheinungsformen und Verbin-
dungen nach ihrem eigenen Wesen, das sie zu begreifen und
zu erklären versucht. Die wissenschaftliche Syntax
lehrt nicht, wie die Worte zusammenzufügen sind,
sondern wie sie sich zusammenfügen. Syntax ist
nicht Bedeutungslehre der Wortarten und Wort-
formen; denn der Gegensatz von Syntax ist nicht
Formenlehre, sondern Wortlehre. Der Formen-
lehre steht nicht die Syntax zur Seite, sondern die
Bedeutungslehre; in Formenlehre und Bedeutungs-
lehre zerfällt sowohl die Wortlehre als die Syntax.
SyntaxistderdritteTeilder nach den behandelten
Objekten gegliederten Grammatik. Er behandelt
die Verbindung der Worte zu neuen Einheiten oder
die Wortfügung. Sein Gegenstand sind die Wort-
143
gefüge; alle Wortgefüge und nicht nur die Sätze;
nichts als die Wortgefüge und nicht auch die Wort-
arten und Wortformen, weder diese allein noch diese
abwechselnd mit den Gefugen selber. Die Bedeutungslehre der
Wortarten und Flexionen gehört prinzipiell ebensogut wie ihre
Formenlehre zur Wortlehre. Art, Form und Bedeutung der
Wortgefüge ist aber nicht durchaus unabhängig von den Arten
und Formen der in ihnen verbundenen Worte; die Aufgabe
der Syntax lässt sich daher nicht vollständig lösen, ohne auch
die Wortarten und Wortformen mit in Betracht zu ziehen,
aber die Syntax hat Wortarten und Wortforraen
nur soweit zu berücksichtigen, als von ihnen die
Natur der syntaktischen Gebilde als solcher be-
rührt wird. Der jetzt gewöhnlich in den Abschnitten von
der Bedeutung und dem Gebrauch der Wortarten und Wort-
formen vereinigte Stoff ist zu einem Teile, aber nur zu einem
Teile syntaktisch ; der dem Gegenstand der Syntax fremde Teil
dieses Stoffes ist auszuscheiden und der Wortlehre zu über-
lassen. Eine möglichst streng durchgeführte Unterscheidung
der lexikalisch-materiellen und der syntaktischen Bedeutung
von Wortarten und Wortformen kann nicht vernachlässigt
werden, ohne dass dadurch die klare Erfassung des wirklich
Syntaktischen an den behandelten Objekten und Problemen
Schaden litte. Lässt sich die altgewohnte Anwendung des
Wortes Syntax auch auf die nichtsyntaktischen Teile der Be-
deutungslehre von Wortarten und Wortformen nicht ausrotten
— und wir geben uns nicht der Illusion hin , dass das leicht
geschehen könne — , so sollte doch wenigstens an Stelle des
naiven Missbrauchs des Wortes Syntax der bewusste treten und
geschieden werden zwischen einer uneigentlichen Bedeutung
dieses Wortes, zwischen der Syntax im weiteren (altüberlieferten)
Sinne und der Syntax im engeren Sinne, der eigentlichen.
Ohne die grundsätzliche Trennung der nur per
abusum so genannten und der mit Recht so be-
zeichneten, eigentlich syntaktischen Objekte ist
144
weder eine sachgemässe Anordnung des syntak-
tischen Stoffes möglich noch ein gleichmässiger,
allen Teilen voll gerecht werdender Ausbau der
syntaktischen Forschung zu erwarten.
Wird die Gliederung der Grammatik nach den Objekten
der Forschung in Lautlehre, Wortlehre und Syntax überhaupt
als berechtigt und brauchbar anerkannt, so ist auch eine
Trennung der Bedeutungslehre der Wortarten und Wortformen
in einen syntaktischen und einen nichtsyntaktischen Teil, welcher
letztere der Wortlehre zufällt, nicht anzufechten. Melu-fache
Behandlung desselben Objekts an verschiedenen Stellen des
Systems bedingt keine Wiederholung ; sie ist kein Fehler, son-
dern ein Vorzug, denn sie entspricht den verschiedenen Ge-
sichtspunkten, die für die allseitige Durchforschung und Dar-
stellung des Stoffes in Betracht kommen. Dasselbe gilt von
dem Verhältnis der Lautlehre zu den übrigen Teilen der Gram-
matik und ist bisher nie beanstandet worden. Auch die
Stoffe der Lautlehre berühren sich mit denen der
Wortlehre und der Syntax: auch hier darf und
muss das, was den Einzellaut allein angeht, ge-
trennt werden von dem, was die Worte und die
Wortgefüge betrifft.
Von der Forderung, dass die Stoffe der Syntax
und der Stilistik sich ausschliessen sollen, kann
nicht die Rede sein. Die Stilistik schöpft ihren
sprachlichen Stoff aus der Grammatik (also auch aus
der Syntax), in der er vollständig enthalten ist oder doch sein
sollte; sie setzt überall die Resultate der rein grammatischen
Sprachbetrachtung als gegeben voraus und rückt sie unter dem
Gesichtspunkt des Stils in eine neue Beleuchtung und einen andern
Zusammenhang. Andere Ziele und Aufgaben bedingen
nicht einen andern Stoff, sondern nur andere
Wege, eine andere Behandlung. Je vollständiger
die Syntax auch diejenigen Stoffe aus dem Gebiete
der Wortfügung behandelt, welche zugleich von
145
der Stilistik berücksichtigt werden, um so voll-
ständiger liefert sie der Stilistik das Material,
das diese braucht, und um so besser erfüllt sie zu-
gleich ihre eigenen Aufgaben.
Für die Anordnung der Syntax bieten sich als natürliche
Einteilungsgründe — - der Gliederung der Gesaratgrammatik ent-
sprechend — dar : zunächst die Verschiedenheit der behandelten
Objekte, der Wortgefüge selber, dann die Verschiedenheit der
Gesichtspunkte, unter denen sie zu betrachten sind: ihre Form,
Bedeutung und Bildung. Die Lehre von den syntak-
tischen Bildungs- und Ausdrucksmitteln hat den
Ausgangspunkt der Forschung zu bilden: ihre Er-
gebnisse sind die Grundlage und Voraussetzung
für die Aufstellungen in der syntaktischen Formen-
und Bedeutungslehre.
»lea. Wm ist Syntax? -^
Anmerkungen.
1. Andeutungen über Ziel und Methode der syntaktischen Forschung.
Verhandlungen der 13. Philologenversammlung, Gröttingen 1852, 8. 96.
2. Steimthal, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen
und Bömem, Berlin 1868, S. 709.
3. »Es war die antike Grammatik durchaus eine Anweisung zum
richtig Sprechen mit praktischer Tendenz und ist nie reine Wissenschaft
gewesen, der es nur darauf ankommt, ihren Gegenstand zu begreifen. c
Steinthal a. a. 0. S. 709.
4. Zur Einleitung vergl. noch Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte*,
Halle 1886 , besonders S. 21 : »Es ist von fundamentaler Bedeutung für
den Greschichtsforscher [gemeint ist der Sprachforscher, der der historischen
Methode folgt] , dass er sich Umfang und Natur des Gegenstandes klar
macht, dessen Entwickelung er zu untersuchen hat. Man hält das leicht
für eine selbstverständliche Sache, in Bezug auf welche man gar nicht
irre gehen könne. Und doch liegt gerade hier der Punkt, in welchem
die Sprachwissenschaft die Versäumnis von Decennien eben erst anfängt
nachzuholen.c
6. Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 1878, S. 119 (jetzt
Kleine Schriften I. S. 368.); dazu Scherebs Artikel: E. F. Bbckeb in der
Allgemeinen Deutschen Biographie (Kleine Schriften I. S. 217 ff.). Vgl.
jetzt auch die Ausführungen Georgs v. d. Gabelemtz (Die Sprachwissen-
schaft usw. Leipzig 1891, S. 87.) über die »zwei einander notwendig ergän-
zenden grammatischen Systeme«, das »analytische« und das »synthetische« ;
eine Unterscheidung, die auf analogem Prinzip beruht, wenn sie auch
mehr die Methode der Darstellung als die der Forschung trifft. So sagt
auch Gabelentz (a.a.O. S.U.) von den philosophierenden Grammatikem:
»Ihre Mittel und Wege waren verfehlt, aber ihre Ziele waren und bleiben
berechtigt.«
6. So bezeichnet es auch Pbcz geradezu als das »Gewöhnliche«, dass
»die Syntax teils auf Grund der Kategorien der Redeteile, teils der-
jenigen des Satzes aufgebaut wird.« (Neue Jahrbücher für Philologie und
Pädagogik 1890, S. 381.)
147
7. Aus der grossen Zahl von Vertretern der Ckittung Miscbsyntaz
seien als typische Beispiele genannt: v. d. Gabilxntz und Löbb, Ulfilas II.
Lipsiae 1846; Koch, Historische Grammatik der englischen Sprache IL*
Cassel 1878; Ateb, Grammaire compar^e de la langue fran^aise/ Paris
1885 ; Dbaeoeb, Historische Syntax der lateinischen Sprache, Leipzig 1878
—81; desselben Syntax und Stil des Tacitus,' Leipzig 1882. Als Beispiel
für die Art der Mischsyntax, in der die Lehre vom Gebrauch der Wort-
arten und Wortformen überwiegt, diene Holtze, Syntaxis priscorum scrip-
torum latinomm usque ad Terentium, Lipsiae 1861/2; umgekehrt über-
wiegt die Satzlehre z. B. in Delbrücks Altindischer Syntax, Halle 1888.
8. Vgl. dazu JoLLY, Schulgrammatik und Sprachwissenschaft usw.
München 1874, S. 75 ff.
9. Yergl. Gböbeb im Grundriss der romanischen Philologie I. Strass-
bürg 1888, S. 243 : »Die empirische Forschung löst ihre Aufgaben mangel-
haft, wenn sie bei der vergleichenden Beobachtung und Zergliederung der
Sprache mehr Unterscheidungen setzt, als Verschiedenheiten in ihr be-
stehen.... Zuviel Unterscheidungen verraten, dass das Wesen der Sache
nicht erfasst ist.€
10. Ebenso scharf urteilt über die Systemlosigkeit der landläufigen
Mischsyntax, wie sie sich zumal in Schulbüchern breit macht, Josupetf
in der oben S. 56 ff. besprochenen Schrift Ȇber die Behandlung der
Syntax fremder Sprachen als Lehre von den Satzteilen und Satzarten«,
Tilsit 1887. Er sagt dort S. 4f.: » — darauf habe ich die Antwort,
dass es in den bisher gebräuchlichen Grammatiken, wenig-
stens in den fremdsprachlichen Schulgrammatiken, gar kein System
giebt.« Dann giebt er kurz den Inhalt der Syntax aus den Schulgram-
matiken von Georg Cubtius und Ellendt-Sbtffebt an, welche Übersicht
allein genügt, um zu beweisen, dass diese Werke »durchaus prinziplos«
sind, dass eine »grössere Verwirrung und Unordnung nicht gedacht wer-
den kann«. Leider hat Josupeit damit vollständig Recht, und leider
sind auch die von ihm kritisierten Schulbücher ebenso weit verbreitet
als für ihre Gattung typisch.
11. Die Mischsyntax hat eine lange Geschichte. Ihre ersten Keime
liegen eigentlich schon in dem Werke des Apollonius Dtscolüs. (Vergl.
Anm. 56.) Nach ihm geht dann aber die Syntax , soweit sie überhaupt
gesondert behandelt wird, lange in einer blossen Lehre vom Gebrauch
der Bedeteile auf, bis mit dem Auftreten besonderer Abschnitte über die
Konkordanz und die Rektion die Einheitlichkeit des behandelten Stoffes
durchbrochen wird. Dadurch dass die Behandlung dieser rein syntakti-
schen Probleme in jene Lehre von den Bestandtcdlen der syntaktischen
Gebilde eingeschoben wird, entsteht die Mischsyntax. Innerhalb der
Rektionslehre verlässt man dann die Anordnung nach den Redeteilen und
lässt die Gliederung nach den Wortformen schärfer hervortreten ; so ent-
148
steht die Kasus-, Tempus-, Moduslehre, wie sie noch heute üblich ist.
Der letzte Schritt in der Entwicklung zu der jetzt gewöhnlichsten Form
der Mischsyntaz besteht in der HinzufÜgung einer bruchstückartigen
Satzlehre. — [Eine ausführliche, auf eigenen Quellenstudien beruhende
Darstellung der Geschichte der syntaktischen Forschung kann der Ver-
fasser bei der Weitschichtigkeit des schwer zu beschaJSenden Materials
aus naheliegenden Gründen nicht unternehmen. Die kurzen Angaben
hier und an andern Stellen der vorliegenden Schrift stützen sich der
Hauptsache nach auf das m den allgemein bekannten Hil&mitteln zusam-
mengestellte Material.]
12. Somit hoffen wir auch die Bedenken Pauls gegen jeden Versuch,
die Syntax streng systematisch zu behandeln, beseitigen zu können.
Seine Äusserung (Mittelhochdeutsche Grammatik," Halle 1889, Vorrede
S. VII : »Wer es unternimmt, ein solches System der Syntax zu entwerfen,
muss entweder eine Menge wichtiger Erscheinungen bei Seite lassen oder
sich mit vielen willkürlich eingeschobenen Exkursen behelfen, wobei die
Systematik der Kapitelüberschriften zu blossem Scheine wird.«) trifft aller-
dings völlig auf das System Miklosich zu, das zu beiden Notbehelfen hat
greifen müssen, wie oben S. 29 ff. und 38 f. näher ausgeführt ist.
13. Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen IV.' Wien
1883, S. 1. — Wir wollen nicht unterlassen, ausdrücklich zu betonen,
dass sich unsere Ausstellungen hier, wie überhaupt in diesen Erörterungen,
nicht auf den Inhalt der besprochenen Werke erstrecken. Speciell die
über jede Ejitik unsererseits erhabenen Leistungen Mklosichs und gerade
die mustergiltige Bearbeitung dessen, was er nun einmal Syntax genannt
hat, müssten ihn vor kleinlichem Herummäkeln an verhältnismässig doch
weniger wichtigen Dingen schützen, wenn er nicht das MisE^eschick ge-
habt hätte, gerade mit einem Irrtum gewissermassen Schule zu machen.
Wäre nicht von autoritativer Seite vor einer Kritik seines Systems aus-
drücklich und mit gar bösen Worten gewarnt, wäre es nicht geradezu
zur Nachahmung empfohlen worden und diese Empfehlung nicht auf so
fruchtbaren Boden gefallen — wobei es nicht ausbleiben konnte, dass
durch unvollkommene Nachahmung die ursprünglichen Obelstände ver-
schlimmert wurden — , so hätten diese auch die Bedeutung nicht erlangt,
die uns lebhaften Widerspruch und eingehende Besprechung gerecht-
fertigt, ja direkt erforderlich erscheinen lässt. Mutatis mutandis gilt
diese Bemerkung auch für die Syntax Erdmanns.
U. a. a. 0. IV. S. 769.
16. Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 1884,
S. 389.
16. Vorwort zu seinen »Grundzügen der deutschen Syntax« I. Stutt-
gart 1886.
149
17. Deutsche Litteraturzeitung 1887, Nr. 26, Sp. 956/7: »Ich nenne
MiKLosicH mein Vorbild, weil dieser Forscher in seiner slavischen Syntax
das altbewährte Prinzip der Anordnung festhielt und konsequent durch-
führte, während namentlich in der deutschen Schulgrammatik durch
Heblino, Bbckeb und teilweise auch durch Hetsb die Neigung befördert
worden war, nicht die Funktion der gegebenen Sprachform nachzuweisen,
sondern für die zuerst angesetzte Funktion die sprachlichen Ausdrucks-
mittel zu suchen. Schebeb hat durch eingehende Korrespondenz vor
Jahren mein Widerstreben gegen diese Richtung befördert ...«
18. a. a. 0. S. 122.
19. Deutsche Syntax, Wien 1861/1863, Vorrede S. V/VI.
20. 6benda S. XI.
21. WüNDEBLicH, Untersuchungen über den Satzbau Luthers I.
München 1887, Vorrede S. 6.
22. Z. B. Vebnaleken, von dessen Syntax bis zu der von Miklosich
kein grosser Schritt mehr ist, zumal wenn man die Worte des Vorworts
zum II. Teil S. IV. berücksichtigt.
23. Ebdxann spricht selbst von den »Formen der indirekten Bede«
Grundzüge S. 168.
24. Anzeiger f. deutsches Altertum IX, S. 806.
26. Vgl. »Grundzüge« § 2. 102 ff. 129. 205. — Da von Ebdmauns
Buch leider erst die eine ELälfbe vorliegt, könnten die obigen Äusserungen
verfrüht und nicht ausreichend begründet erscheinen. Jedoch ist der
Aufbau des Ganzen in der Vorrede und der mehrerwähnten »Entgegnung«
(Dtsche. Litt.-Ztg. 1887, Nr. 26.) skizziert. Wären allgemein grundlegende
Erörterungen von Ebdhann beabsichtigt gewesen, so wäre dieser Absicht
hier Erwähnung gethan. Es liegt auch auf der Hand, dass innerhalb
dieses Systems ohne die gröbste Inkonsequenz nirgends ein Platz für
solche Erörterungen zu finden gewesen wäre. Vergl. oben (S. 38 f. und
Anm. 34.) über die Anhänge bei Miklosich und Ebdkann.
26. Die Satzphonetik kann diese Lücke nicht ohne weiteres aus-
fällen; die Phonetiker liefern hier nur das Material — oder fangen an
es zu liefern — , das die Syntaktiker zu benutzen und für ihre Zwecke
zu verwerten hätten. Bemerkenswerte Anfönge dazu bei Sweet, Elemen-
tarbuch des gesprochenen Englisch, 3. Aufl. Leipzig 1891, S. XL VI — LIII
und jetzt Behaohel in Pauls Grundriss der germanischen Philologie I.
S. 548 ff. Vergl. auch : Reichel, Von der deutschen Betonung, Jena 1888.
27. Die deutsche Satzlehre," Berlin 1888, S. 144 ff. Vergl. dazu
meine Anzeige: Deutsche Litteraturzeitung 1888, Nr. 49, Sp. 1784/5.
28. Die immer ohne weiteres behauptete Entstehung der kon-
junktionslosen Nebensätze mit ungerader Wortfolge aus den Fragesätzen
erscheint mir in dieser Allgemeinheit zweifelhaft. Vergl. Quellen und
Forschungen XLI, Strassburg 1880, S. 63 Anm.
r
150
29. a. a. 0. S. 147 u. 157.
30. »jDu glat$bgt, ich bin gesund* hält Ebbn für zwei ganz selb-
ständige S&tze. Würde er auch in dem Satzgefüge: *Wenn du glaubst^
ich hin gesund, so irrst du.* ich bin gesund für einen selbständigen Satz
halten? Seinen Aufstellnngen gemäss müsste er es; man hätte dann das
merkwürdige Beispiel eines selbständigen Satzes, der zwischen Bedingangs-
und Folgerungssatz eines hypothetischen Gefüges eingeschoben wäre, ohne
doch den Charakter einer Parenthese zu haben. Ich zweifle daran, dass
sich Ebbn zu dieser Eonsequenz seiner Anschauung verstehen wird. Ist
der regierende Satz selbst abhängig geworden, so tritt die Abhängigkeit
des von ihm regierten konjunktionslosen Nebensatzes, der so ein Neben-
satz zweiten Grades geworden ist, zu deutlich hervor, um verkannt wer-
den zu können. Ist aber ich bin gesund selbständig in du glaubst, ich
bin gesund, so müsste es auch selbständig bleiben in wenn du ^ubst,
ich bin gesund ... und ist es in diesem Falle abhängig, so ist es auch
abhängig von selbständigem du glaubst. — Es ist natürlich nichts da-
gegen einzuwenden, dass man verschiedene Arten der Hypotaxe unter-
scheide nach dem Grade der Deutlichkeit und Bestimmtheit der zu ihrer
Bezeichnung verwendeten sprachlichen Mittel; man kann auch, wo diese
nur musikalischer Art sind, von unvollkommener Bezeichnung der Hypo-
taxe sprechen oder besser zwischen Bezeichnung (Ausdruck) und Andeutung
der Hypotaxe scheiden. Dass von der reinen Parataxe zur vollkonmienen
Hypotaxe zahlreiche Zwischen- und Obergangsformen hinleiten, Reste und
Zeugen des Entwicklungsganges, bedarf kaum der Erwähnung. VergL
Dbecke, Die griechischen und lateinischen Nebensätze usw. Progr. Buchs-
weiler 1887, S. 12 — 15. Doch ist es unrichtig und beruht auf der üb-
lichen Verkennung des sprachlich-formalen Charakters der musikalischen
Mittel der Satzbildung, wenn dieser S. 13. sagt: »Die Form der Hypotaxis
bleibt dann [wenn sie nur durch Betonung, Pause, Stellung (!) ... be-
zeichnet ist] wesentlich eine innere.« Statt »innere« wäre höchstens zu
sagen: eine unvollkommene. Der Zusatz »wesentlich« hebt allerdings die
Behauptung teilweise wieder auf. Yergl. auch die Ausföhrungen von
Paul, Prinzipien S. 119 u. 121, denen wir auch nicht völlig beipflichten
können und C. Müllers Bemerkungen zur Satzlehre in Lyons Ztschr. f.
d. deutschen Unterricht 1889, S. 441 ff., die, was diesen Punkt betrifft,
völlig unhaltbar sind. ■— Unsere (zuerst in der D. L. Z. 1888, Nr. 49. aus-
gesprochene) Ansicht von der sprachlich-formalen Natur der musikalischen
Mittel der Wortfügung erhält eine wertvolle Bestätigung durch die Au-
torität Georgs v. d. Gabelentz ; dieser erklärt : »Ich zweifele, ob auch die
besten phonetischen Aufzeichnungen, die wir bisher besitzen, in aUen
Fällen den grammatischen Faktoren der Sprache ganz g^erecht
werden. Zu diesen müssen wir ausnahmslos jede und jeder Art Gehörs-
erscheinung rechnen, die zum Ausdruck einer grammatischen Eategorie
151
erzeugt wird, auch die Tonhöhe und Tonbiegung, der Rhythmus, die
Pau8en.c (Die Sprachwissenschaft, Leipzig 1891, S. 430.) — S. 99. der
Prinzipien' nennt Paul als erstes der sieben »Mittel zum sprachlichen
Ausdruck der Verbindung von Vorstellungen« »die Nebeneinanderstellung
der den Vorstellungen entsprechenden Wörter an sich«. Diese erste
Nummer wäre zu streichen. (Vergl. Quellen u. Forschungen XLI, S. 24 :
gegen Jollts einfachste Form der Hypotaxe.) Die blosse Nebeneinander-
stellung an sich, ohne Anwendung eines der unter 2 — 5 genannten
Mittel ist gar kein sprachlicher Ausdruck einer Verbindung von Vorstel-
lungen , sondern das Gregenteil davon , das Fehlen jeder sprachlichen An-
deutung. A. a. 0. S. 101 giebt dann Paul Beispiele für »die grammatische
Form der Nebeneinanderstellung«. Sollte Paul hiermit wirklich noch
seine obige Nummer 1 meinen, was nicht ganz klar ersichtlich ist, so
wären diese Beispiele so unglücklich gewählt als nur möglich. Erstens
haben sie mit den gleich darauf erwähnten ersten Sprechversuchen der
Kinder (Papa Hut) und dem unvollkommensten Badebrechen einer Fremd-
sprache {Wein Tisch) überhaupt sehr wenig gemein und zweitens zeigen
sie alles andere eher als blosse Nebeneinanderstellung. Wendungen wie
» Viel Feind/ viel Ehr^€ ; %MU gefangen mit gehangen* ; ^Ehestand Wehe"
stand*; »Brune matinie helle jaumde*; »F^ves fleuries temps de folies*
zeigen nicht nur reichlichste Benutzung sämtlicher musikalischer Satzbilde-
mittel, sondern es sind überhaupt keine einfachen, elementaren Produkte
frühster Sprechthätigkeit , sondern echte Eunstprodukte , in denen man
die Verwendung einer ganzen Blumenlese von stilistisch-rhetorischen und
poetischen Kunstmitteln nachweisen kann : Parallelismus, Anaphora, Ellipse,
AUitteration , mehrere Arten des Keims, Bildlichkeit des Ausdrucks, epi-
grammatische Zuspitzung usw. Und das ist bei Sprüchwörtem und sen-
tentiösen Aussprüchen, die eine lange Geschichte hinter sich haben und
mit dem Anspruch auf besondere Geltung auftreten, gar nicht anders zu
erwarten.
31. Aber Beckse z. B. hatte seine Aufmerksamkeit dem Satzton, den
Pausen usw. schon zugewandt; manche seiner diesbezüglichen Beobach-
tungen scheinen mir noch jetzt brauchbar.
82. Benfet nennt »den Satzbau und die Anordnung der
Wörter und Satzteile im Satze« geradezu »die charakteristischen
Eigentümlichkeiten jeder Sprache«. (Geschichte der Sprachwissenschaft,
München 1869, S. 84.)
38. Unter diesem Namen fassen wir zusammen: S. 17 — 50 und 346
— 368, von denen allerdings nur der erste Abschnitt von Mklosich selber
geradezu als »Anhang« bezeichnet ist. Der zweite schliesst sich jedoch
ganz wie jener mit einer besonderen Überschrift (»Subjektlose Sätze«),
die im Inhaltsverzeichnis eingerückt ist, an den »Nominativ« an. Ein
Blick auf die Anordnung des Inhaltsverzeidmisses lehrt, dass der Ver-
r\
152
faaser diese Erörterungen ebenso wie jene anhangsweise einflecbten
will und dass die Bezeichnung als Anhang, aus welchen Gründen immer
sie unterblieben sein mag, seiner Absicht durchaus entsprechen dürfte. —
Es verschl> hierbei nichts, dass in dem ersten der beiden Anhange
manches erörtert ist, was nach unserer Auffassung aus dem Rahmen einer
Syntax heraus&Ut: hier liegt uns nur daran zu zeigen, wie Mklosich
trotz seiner sonstigen Eonsequenz, die ihn zur Ausschliessung so mancher
zur Syntax gehörigen Dinge führte, doch ohne Anhänge mit seiner Dis-
position nicht zu Rande kommt.
84. Er hat deren im vorliegenden I. Teil einen ausdrücklich so be-
zeichneten: S. 56 — 65 und ein anhangartiges Kapitel S. 168 — 181; über
dieses siehe oben S. 40 ff. Der erste Anhang behandelt unter der Überschrift
»Gebrauchstypen der Nomina im Satze« : 1) alleinstehende Nomina ;
Vokativ; (echte und unechte Ellipsen); 2) die Apposition. Beides wirk-
lich syntaktische Stoffe: Gegenstand der Forschung und Darstellung sind
die syntaktischen Gebilde selber; Rückfall in die Mischsyntax, maskiert
durch die Setzung in den Anhang.
86. Diese Gegenüberstellung von »selbständigen Sätzen« und »Neben-
sätzen« ist von Erdmann.
86. § 198. Einleitendes. § 199. »Einfache AnfOgung ohne Kon-
junktion.« § 200. »Anfügung durch die Konjunktion da88,€ § 201. »An-
fügung durch indefinites (interrogatives) Pronomen oder Adverb.« § 202.
»Die Konjunktion o6.« § 203. Modus der zur indirekten Rede gehörigen
Nebensätze. § 204. Tempusgebrauch.
87. Nicht anders verfahren andere Anhänger des Systems Mjklosich,
aus dem sie durch solche Inkonsequenzen beständig in die Mischsyntax
zurückfallen. Yergl. z. B. Reis, Beiträge zur Syntax der Mainzer Mund-
art, Mainz 1891, §§ 20 — 30. Yergl. dazu: Anzeiger für deutsches Alter-
tum XIX, S. 337 ff.
88. a. a. 0. S. 122, 119 u. 125.
89. Nicht alle; denn auch Worte und Wortformen helfen Sätze
bilden; die Bezeichnung »Lehre von der Satzbildung«, die Schebeb den
Kapiteln von Kongruenz, Wortstellung und Satzaccent geben will (a. a. 0.
S. 122.), ist also zu weit; sie umfasst zugleich wichtige Abschnitte, die
auch er den beiden andern Teilen (der Lehre von den Wortklassen und
der von den Flexionsformen) nicht entziehen will.
40. Der von Hetse gebrauchte, im allgemeinen wenig übliche Aus-
druck ^WortgefÜge' scheint mir empfehlenswert ; er entspricht genau dem
gebräuchlichen ^Satzgefüge' (im weiteren Sinne); zu unterscheiden von
der ^Wortfügung' und ^Satzf ügung' ; jene sind das Ergebnis dieser.
41. Dagegen ist die Einteilung der Grammatik nach den Objekten
der Forschung in Lautlehre, Wortlehre und Syntax (d. h. in unserm
Sinne : Lehre von den WortgefÜgen) jedenfalls auf sehr viele und scheint
153
auf alle Sprachen, auch die einverleibenden anwendbar; Wenn auch
seine sprachwissenschaftlichen Kenntnisse dem Verf. nicht erlauben, ein
bestimmtes Urteil darüber abzugeben, so scheint ihm doch nicht abseh-
bar, wie sich irgend ein Idiom dieser Einteilung seiner Grammatik sollte
widersetzen können, da die formale Analyse jeder menschlichen Rede
auf Laute, Wörter und syntaktische Gebilde führen zu müssen scheint.
42. Prinzipien der Sprachgeschichte,' S. 99 ff.
43. Die deutsche Satzlehre,* S. 31 ff. , woher auch obige Beispiele
entlehnt sind.
44. In Iwan v. Müllers Handbuch der klassischen Altertumswissen-
schaft II.» 1890.
46. Weshalb nur Behauptungssatz und Fragesatz? S. 257/8. wird
der Wunsch- und Befehlssatz bei Gelegenheit der Modi erwähnt. Liegt
hier ein Dispositionsfehler vor oder ist des Verfassers Meinung die, dass
der lateinische Wunschsatz sich formell vom Behauptungssatz nicht oder
nicht wesentlich genug unterscheide, um in einem besonderen Kapitel be-
handelt zu werden ? — In seiner vortrefflichen Schulsyntax (Latein. Schul-
grammatik von Schmalz und Waoener, Bielefeld und Leipzig 1891.) hat
der Verfasser, wie ich nachträglich sehe, einige der oben erwähnten Dis-
positionsfehler vermieden. Hier ist die Syntax ausdrücklich als Satzlehre
bezeichnet ; neben Behauptungs- und Fragesatz wird der Aufforderungssatz
gestellt; was vom Satze überhaupt gilt, wird nicht der Lehre vom Be-
hauptungssatz untergeordnet, sondern wenigstens nur der vom einfachen
Satz. Der Einfluss der Schriften von Kern ist erkennbar. (Definition
von Satz; Terminus »Bestimmung«.)
46. Neuerdings auch Pecz in den Neuen Jahrbüchern für Philologie
und Pädagogik 1890, S. 380 ff.
47. Vergl. Anm. 10.
48. Eine Einteilung, die, so wenig allgemein sie auch durchgeführt
ist, zumal nicht in den Granamatiken der Schulsprachen, doch durchaus
nichts Neues ist. Man vermisst bei Josupeit einen Hinweis auf die Vor-
gänger, von denen wir nur Hetse nennen wollen.
49. Syntax der deutschen Sprache, Frankfurt a. M. 1830, S. 17 u. 31.
50. Die deutsche Satzlehre,* S. 24 ff. u. öfters.
51. Grundriss der deutschen Satzlehre, Berlin 1884, § 17 ff.
52. Z. B. die Verwendung des bestimmten Artikels zur blossen Unter-
scheidung der Kasus. Berührt ist dieser bemerkenswerte und nicht seltene
Gebrauch, soweit der Genitiv und Personennamen in Betracht kommen,
von Erdmann, Grundzüge §§ 29. 36. 44. Beispiele für den Dativ habe ich
gegeben: Ajiz. f. deutsches Altertum XIX, S. 342. Da der Artikel in dieser
Verwendung jede Spur eigener Wortbedeutung verloren hat, handelt es
sich um eine rein syntaktische Erscheinung: Bezeichnung der Beziehung
syntaktisch verknüpfter Wörter durch ein eigenes Wort; auch von
Ries, Was ist Syntax? IQ*
rv
154
mittelbarer Bestimmung des Satzes kann keine Rede mehr sein, da
der Artikel keinen begrifflichen Inhalt mehr ausdrückt, also auch nicht
als adjektivisches (pronominales) Attribut aufgefasst werden kann.
68. In der 2. Auflage der »Deutschen Satzlehre« hat £[ebn auf S. 176
eine Übersicht der Satzbestimmungen hinzugefugt. In dieser lässt er die
Ausdrücke »unmittelbare« und »mittelbare« Bestimmungen fallen und unter-
scheidet daftir »Bestimmungen zum Aussagewort (finiten Yerbum)« von
den »Bestimmungen zum Substantiv. Attribute.« Das wäre aber ein un-
genügender Ersatz für die frühere Bezeichnung» die durchaus ihren Wert
hat. Dass die Benennung der 2. Gruppe entweder verfehlt oder die Ein-
teilung nicht erschöpfend ist, liegt auf der Hand. Es giebt auch Be-
stimmungen zum Adjektiv und zum Adverb, die ebenfalls nicht in die
erste Gruppe gehören.
64. Zur Kritik der üblichen Behandlung der Syntax vergl. schon
M. HoFVMANN in Jahns Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik,
Leipzig 1828 , S. 2 if . (besonders : » .... In Grammatiken der ersten
Art [Syntax der Redeteile] wird die Satzbildung yemachlässigt ; ein
Masgel, welcher selbst durch die grösste Masse einzelner Bemerkungen
über die Redeteile unmöglich ersetzt werden kann. Grammatiken der
zweiten Art [Syntax als Lehre von der Verbindung der Redeteile zu
Sätzen] leiden daran, dass sie für alle diejenigen vielen Bemerkungen,
welche ohne Rücksicht auf Satzbildung über die Redeteile zu machen
sind, keinen passenden Platz haben, mithin, wenn sie solche dennoch
geben, wenigstens die ursprüngliche Einteilung stören und den Zusammen-
hang des Ganzen verwirren . . .«) und F. Haase in den Ergänzongsblättem
zur Allgem. Litt«ratuntg. Nr. 65, August 1838. (Besonders: »Bsckkk hat
das unverkennbare grosse Verdienst, dass er die deutsche Syntax organi-
siert hat, indem er sie nicht nach alter Weise atomistisch nach den
Reileteilen und deren Formen durchgeht, sondern sie zur Satsldire macht.
... >YiIl mau aus einzelnen Wörtern, die für sich keinen Gedanken geben
und in keinem notwendigen Verhältnis zu anderen stehen, die Siyntax
entwickeln, so ist das entweder unmöglich oder sie wird eine tote. . ..
S. 516. — IHo Syntax, so wie sie jetzt yorhegt» best<^t aus zwei wesent-
lich verschit*denen Teilen; der eine umfasst die Lehre von der Bedeutung
und dem Gebrauch ihrer einzelnen Elemente, der Redeteile überhaupt
und üi;$be«ondere in ihren Flexionen. . . . IHe alte Syntax hat diese Aid"-
gabe gelötet, wenigstens ihrer Intention nach, und da sie weiter nichts
that und thuu wollte, so war sie eben keine Syntax. Die Neueren sahen
ein. dasd sie die« nur dur\'h die Satzlehre wird, sie erwarben sich das
grv>3se Verdiexk^, die^ Lehre zu schallen, die voriier noch gar nidit da
war.« S. 5:^6*1
53. V^l. was obeu S. 54 ff. über die Lateinkche Syntax tud Schmalz
und S. -U^C über ScazaK» Vctrschlag geisagt kI. Diesem letifterai ist
155
Behaohel in seinem Kolleg über deutsche Syntax gefolgt, wie Binz (Syn-
tax der Baselstädtischen Mundart, Stuttgart 1888, S. 2/3.) angiebt; doch
vgl. Anm. 71.
66. Dass diese Annahme irrig ist und auf Missverständnis der Ab-
sichten des »dunkeln« Verfassers beruht, hat Lange nachgewiesen: Das
System der Syntax des ApoU. Dysk. dargestellt, Göttingen 1852, S. 14. —
Übrigens zeigt die Einteilung von Varros Schrift »de lingua latina« schon
deutliche Gegenüberstellung der Formenlehre und der Syntax als zweier
Hauptteile der Grammatik.
57. Des Apoll. Dysk. vier Bücher über die Syntax. Übersetzt usw.
von Alex. Buttmann, Berlin 1877, S. 1/2.
58. Ein bezeichnendes Beispiel dafür, was alles in einer sogen. Syntax
»untergebracht« werden kann, bietet die Wissenschaftliche Grammatik
der englischen Sprache von Fiedler und Sachs II, Leipzig 1861. Da wird
z. B. S. 130/1 unter der Überschrift »Nominal-Ellipsen« gehandelt von
der Auslassung oder vielmehr Entstellung (!) des Namens Gottes usw.;
dort werden die Flüche OddSy Zounds, Marry u. ä. erwähnt und erklärt ;
desgl. die durch Gedankenstriche ersetzten (!) Worte devil, damn etc. —
Unter »Komparation« S. 248/9 findet sich bei »1. Absoluter Superlativ* :
»Der Begriff (!) ^einzig* wird ausgedrückt« . . . durch dfUic . . otUy . . sole . .
bare .. aJone .. mere ... »Statt (!) des Superlativs werden andere Aus-
wege zur Steigenmg angewandt«; darunter wird aufgeführt: 1) Kom-
position mit thrice wie thrice-valiant. 2) Verdoppelung wie a new new
love. 3) Wendungen wie holt uprightj chocJc-ftdl, fire new usw., faire as
faire mote be, as best he might, the warst possible usw. Also ein Stück
Wortbedeutungslehre, behandelt vom Standpunkt der synthetischen Gram-
matik !
59. Die deutsche Sprache, Leipzig u. Prag 1886, S. 196 ; doch vgl.
Anm. 71.
60. Wenn Scherer (vergl. Anm. 38.) die Behandlung der Wortstel-
lung, der Kongruenz und des Satzaccents, trotzdem sie mit der Bedeutung
der Wortklassen und Wortformen nichts zu thun hätten, ausdrücklich
deshalb verlangt, weil auch sie Mittel der Satzbildung (!) seien, so verlässt
er damit die Wort(bedeutungs)lehre und will Satzlehre. Will man aber
in der Syntax eine Satzlehre, so ist es ein Widerspruch, sie nur als
Bedeutungslehre anzusehen, wie Scherer thut; denn dann bedarf man
auch einer Satzformenlehre, einer Satzbildungslehre. Femer geht aber
auch Scherer über die reine Bedeutungslehre hinaus, indem er verlangt,
dass Bedeutung und Gebrauch jener Satzbildemittel erwogen werde.
Diesen Zusatz hätte er nicht gemacht, wenn er nicht gefühlt hätte, dass
sich doch nicht alles zur Sache Gehörige zwanglos unter den Begriff der
Bedeutimgslehre bringen lässt. Darum ersetzt wohl auch Erdmann in Miklo-
sicHs Definition »Bedeutung« stillschweigend geradezu durch »Gebrauch«:
156
»Nach dem Vorgänge von Miklosich . . . betrachte ich die Syntax als
Lehre vom Grebranche der WortklasBcn und Wortformen in der Rede.«
(Grandzüge S. III.) ^Gebrauch* ist ohne Frage ein um&aaenderer BegrifF
und in unserm Falle zutreffender als ^Bedeutung*. Er igt aber auch
unbestimmter. Diese Yertauschung erweitert zwar das von der Definition
umschriebene Gebiet, verwischt aber auch etwas die bewusste Bestimmt-
heit des MiKLOsicHSchen Systems und die Stellung seiner Syntax inner-
halb der Gesamtgrammatik. Bei Miklosich hängt die Beschrankung des
syntaktischen Stoffes innerlich und enge zusammen mit seiner Auffassung
der Syntax als Bedeutungslehre der Elemente der Bede, der Wortklassen
und Wortformen. Diese einheitliche Grundauffeissung wird durch £bd-
KAicNS Änderung verdunkelt.
61. Reisig schob seine »Semasiologie« als zweiten Teil zwischen die
»Etymologie« und die »Syntax«. Ihm ist die glänze Sprachlehre eine
Wortlehre: »Das Wort betrachten wir in seiner Gestalt ... und daraus
entsteht 1) die Etymologie, Formenlehre; demnach seine Verbindung mit
andern Wörtern, und dies bildet 2) die Syntax. Das Wort hat aber noch
eine andere Eigenschaft an sich , die Bedeutung . . .« (Vorlesungen über
lateinische Sprachwissenschaft hrsg. v. Fr. Haasb, Leipzig 1839, S. 18.)
Reisigs Vorschlag wurde zunächst von Bemabt beiflülig begrusst und
kritisch beleuchtet (Jahrbücher f. wissensch. Kritik 1834, Juli No. 9. 10.)
Er tadelt die noch unvollkommene Ausfuhrung des guten Gedankens und
schlagt seinerseits ebenfalls eine Dreiteilung der Grammatik vor, die
wiederum lediglich als Lehre vom Wort gefasst ist: »I. Das Wort als Form
(a. Elementarlehre = Lautlehre ; b. Flexionslehre ; c. Ableitungs- und Kom-
positionslehre). II. Die Bedeutungslehre. III. Das Wort als Gedanke
(Syntaxis).« Die Definition des dritten Teiles ist unklar und gekünstelt,
seine Einordnung in die gleiche Reihe mit den richtig gegenübergestellten
ersten beiden Teilen ist verfehlt. Benaby beschränkt die Syntax auf die
eigentliche Satzlehre: »a. der einfache Satz — Taxis; b. der Nebensatz
— Parataxis (!) ; c die Periode — Syntaxis.« Was aber besonders wichtig
ist, er fuhrt die Behandlung der Bedeutung der Wortformen nicht, wie
das so viele Vertreter der Definition »Syntax ist Satzlehre« thun (vergl.
oben S. 52 ff.), durch eine Hinterthüre wieder in die Satzlehre ein, son-
dern er weist sie ausdrücklich der Bedeutungslehre als deren zweiten
Abechnitt zu. Er will dort behandelt wissen: »1) die Verhältnisse der
Dinge zu einander (Genus, Numerus, Kasus); 2) die Verhältmsse der
Eigenschaften (Gradation); 3) die Verhältnisäe der Handlung (Tempus,
Modus, Genus). Diesen Gredanken ergriff Haass, der es zuerst unternahm,
Reisigs Versuch auf erweiterter Grundlage fortzufuhren. Auch er läast
die Grammatik in drei Teile zerfallen und setzt die Bedeutungslehre,
welcher er einen über die Absichten Reisigs und auch Bekabts weit
hinausgehenden Umfang gab, ebenfalls an die zweite Stelle zwisdiai
157
eine »Etymologie« und eine »Satzlehre«. Über Inhalt und Gliederung
dieser drei Teile (behandelt ist nur der mittlere) vergl. Vorlesungen über
lat. Sprachwissenschaft v. Friedrich Haase, hrsg. v. Eckstein und Peter,
Leipzig 1874/1880, Bd. I, S. 72 ff. und das Inhaltsverzeichnis von Bd. IL
Eine andere und, wie mir scheinen will, bessere Einteilung der Bedeutungs-
lehre hatte Haase vorgeschlagen in den Ergänzungsblättern z. Allg. Litt.-
Ztg. No. 65, Aug. 1838, S. 527. — Schleichebs Einteilung der »voll-
ständigen« Grammatik (Die deutsche Sprache, Stuttgart 1860, S. 122.) in
vier Teile: »1) Lautlehre oder Phonologie; 2) Lehre von der Wortform
oder Morphologie; 3) Lehre von der Funktion, Funktionslehre; 4) Lehre
vom Satzbau, Syntax« bringt keinen weitem Fortschritt, als dass von
dem bisherigen ersten Teil die Lautlehre als selbständiger Hauptteil ab-
gegrenzt ist. Die Bedeutungslehre zerfällt bei Schleicher in zwei Ab-
schnitte: er unterscheidet Wurzelfunktion und grammatische Funktion,
Bedeutung und Beziehung. Aber den Ausdruck ^Bedeutung' auf die
Wurzelbedeutung einzuschränken, ist willkürlich; der Ausdruck ^Be-
ziehung' ist zu eng, weil die zur Wurzel hinzukommenden Elemente des
Wortes keineswegs nur z^m Ausdruck von Beziehungen dienen (vergl.
oben S. 96 ff.). Übrigens ist die Unterscheidung nicht neu, sie findet sich
schon bei Benary und Haase. Die Beschränkung der Syntax auf die Lehre
vom Satzbau, die Behandlung der Bedeutung der Wortformen in der
Funktionslehre entspricht gleichfalls Benarys und Haases Vorgang. Auch
die fehlerhafte Nebeneinanderreihung der vier Teile ist die alte. Doch
fasst Schleicher, zwar nicht im Schema, aber in der Erklärung, die drei
ersten Teile zusammen als Lehre vom Worte. (»Das Wesen des Wortes
und somit das der gesamten Sprache (!) wird durch drei Momente be-
stimmt: Laut, Form und Funktion« S. 9.) Halb und halb, aber mehr
äusserlich, sucht er auch den vierten Teil diesem Gesichtspunkt unter-
zuordnen. (»Das Wort als Glied des Satzes« ; »eine vierte Betrachtungs-
weise der Sprache, die syntaktische« S. 10.) Schleicher lässt also den
Unterschied von Einzelwort und Wortgefüge, obwohl er ihn im Vorüber-
gehen streift, ebenso zurücktreten wie den von Einzellaut und Wort.
(Vergl. auch »Zur Morphologie der Sprache« in: Mömoires de l'Academie
imper. d. sciences de St.-P^tersbourg, Vll« serie, Tome 1 , Petersburg 1859,
S. 2.)
62. Untersuchungen zur lateinischen Semasiologie, I. Heft Erlangen
1875, n. Heft 1878.
63. Vermuten darf man, dass das wohl unbewusst dabei wirkende
Motiv in dem Wohlgefallen an der Symmetrie des Schemas liegt, ein
Motiv, das bei Einteilungen uneingestandenermassen so oft eine wichtigere
Rolle gespielt hat, als ihm zukommt. Heerdegens beide Hauptteile zer-
fallen in je zwei Unterabteilungen mit demselben Einteilun^rsprinzip,
welche Gliederung ihm für eine besondere Lautlehre nicht geeignet er-
schienen sein wird.
r
158
64. Lange, a. a. 0. (vergl. Anm. 1.) S. 97.
66. ebenda S. 96.
66. Steinthal, Grammatik, Logik u. Psychologie, Berlin 1885, EinL
S. XXI ff.
67. HEERDEasN giebt folgende Einteilung der Grammatik : » L Wortlehre.
1) Formenlehre des Wortes an sich, d. i. Etymologie (worunter wir [Heer-
DEOEn] auch Laut- und Wortbildungslehre mitbegreifen). 2) Funktionslehre
des Wortes für sich, d. h. Semasiologie. II. Lehre vom Wort als Glied
des Satzes oder kurzweg Satzlehre. 1) Formenlehre des Wortes im Satz,
d. i. Flexionslehre. 2) Funktionslehre des Wortes im Satz, d. i. Syntax.«
Wir haben oben S. 81/82 schon darauf hingewiesen, dass bei Heerdegen
ein besonderer Hauptteil für die Lautlehre fehlt, die er wenig passend
der »Formenlehre des Wortes an sich« unterordnet, und dass er von
dieser die gesamte Flexionslehre ausgeschlossen hat, um sie der Satzlehre
zuzuweisen. Dieses von allem sonstigen Gebrauch abweichende Verfahren
begründet er mit den Worten: »Flexion kann doch ein Wort für sich
allein gar nicht haben ..., sondern eben nur in Verbindung mit andern
Wörtern d. h. im Satz.« (a. a. 0. S. 45.) So lobenswert die Eonsequenz
ist, mit der er auf die Formenlehre der Flexionen anwendet, was sonst
nur von ihrer Bedeutungslehre gelten soll, so dient doch gerade die
richtige Nutzanwendung, die er von dieser irrigen Behauptung macht,
vortrefflich dazu, das Schiefe und Bedenkliche der ganzen Auffassung ins
rechte Licht zu stellen. Ebensowenig glücklich ist seine Definition und
Gliederung des II. Hauptteils. Abgesehen davon, dass eine »Lehre vom
Wort im Satze« noch lange keine Satzlehre ist, ordnet er den weiteren
Begriff Santax dem engern Begriff Satzlehre unter. Damit hätten wir
dann eine noch engere Definition der Syntax als die von Miklosich; sie
schrumpft bei ihm zur Bedeutungslehre der Flexionsformen zusammen.
68. Vergl. Anm. 61. u. Ergänzungsblätter zur AUgem. Litteraturztg.
No. 65, Aug. 1838, S. 526 ff.: »... jeder bemühte sich nun die alte soge-
nannte Syntax in die neue umzuwandeln, wodurch nicht nur die schon
erwähnten Nachteile entstanden, sondern auch die freie Entwicklung der
Satzlehre vielfach gehemmt wurde, indem sie jenen chaotischen Ballast
mit sich schleppte und ihn teils auf eine manierÜche Weise unterzubringen
suchte, teils auch sich selbst ihm möglichst accommodierte, damit ihre un-
natürliche Überladung nicht in einer allzu grellen und unförmlichen
Gestalt hervorträte. ... Wenn ich die Satzlehre von der Last entbinden
könnte, mit der sie sich ganz unnützer Weise beschwert hat, so würde
ich glauben, ihr und der lateinischen Grammatik überhaupt einen wesent-
lichen Dienst zu leisten.«
69. G. VoGRiNz, Grammatik des homerischen Dialektes, Paderborn
1889. Vgl. desselben Verfassers Ausführungen in den Neuen Jahrbüchern
f. Philol. u. Pädag. 1889, IL Abteil., S. 266. und Zeitschrift für die österr.
Gymnaden 1889, S. 9.
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70. Die sonst allgemein zugestandene Berechtigung von Reisigs
Forderung, dass die Bedeutungslehre als ein neuer Teil iu die Grammatik
einzureihen sei, wird neuerdings von Hecht bestritten. Er sagt (Die
griechische Bedeutungslehre, Leipzig 1888, S. 1.): »Nachdem ihre Wichtig-
keit schon Reisig betont, der sie als einen Hauptteil der Grammatik be-
trachtet . . . , hat man (?) sie später mit Recht als eine von der Grammatik
unabhängige Lehre sprachwissenschaftlich-psychologischer Art aufgefasst.«
Demgegenüber betont der Verfasser der neuesten Schrift auf diesem Ge-
biete, Friedrich Schröder: »Sie [die Bedeutungslehre] ist und bleibt —
darin muss man Heerdegen durchaus beipflichten — ein Teil der Gram-
matik . . .« (Zur griech. Bedeutungslehre, Progr. Gebweiler 1893, S. 5.)
Diesen Standpunkt halten wir umsomehr fest, als wir einen Gegensatz
zwischen den Stoffen der wissenschaftlichen Grammatik und denen einer
»Lehre sprachwissenschaftlich-psychologischer Art« nicht zu entdecken
vermögen. Die Ergebnisse von Forschungen allgemein sprachwissen-
schaftlicher Art, wie sie Hecht im Auge zu haben scheint, gehören
durchaus in die Grammatik, in der sie auf einen angemessenen Platz ein
Recht haben. Der mancherorts bestehenden Neigung, den Begriff der
Grammatik zu eng zu fassen und auch die wissenschaftliche Grammatik
nur als eine höhere Art von Lehrbuch anzusehen, das mit grösserer
Ausführlichkeit und gelehrterem Apparat doch schliesslich auf denselben
Wegen denselben Zielen zustrebt wie die Schulgrammatik, ist überhaupt
entgegenzutreten .
71. In seiner Anzeige von Erdmanns »Grundzügen« , Litteraturblatt
für german. u. roman. Philologie 1887, No. 5, Sp. 201 ff. Dort spricht er
von den verschiedenen Arten und Objekten der grammatischen Forschung
und stellt dabei zunächst klar und richtig das »sinnliche Element« der
Sprache dem »geistigen« gegenüber. Auf diesen Gegensatz eine Gliede-
rung der Grammatik zu gründen — soweit eine solche in diesen gelegent-
lichen Bemerkungen überhaupt beabsichtigt ist — misslingt ihm aber,
weil er es versäumt, daneben den andern Gegensatz von Laut, Wort und
Wortgefüge schärfer ins Auge zu fassen und beider Verhältnis zu einander
zu bestimmen, was um so unerlässlicher war, als er doch auf eine Stoff-
begrenzung der Syntax hinaus wollte, und der Begriff der Syntax jenen
Gegensatz voraussetzt. Darum ist ihm alles, was nicht Betrachtung des
»geistigen Elements für sich« [nach dem Vorbild von Rogets Thesaurus]
ist, entweder Lautlehre oder Bedeutungslehre: »Drittens . . . kann das
Verhältnis von Form und Inhalt untersucht werden: das ist Bedeutungs-
lehre im weitesten Sinne. Prüft man diejenigen Beziehungen zwischen
Form und Inhalt, diejenigen Wandlungen der Bedeutung, welche ftir die
Zusammenfugung der Wörter gleichgültig sind, so ergeben sich die Dis-
ziplinen der Semasiologie und der Synonymik und, zum Teil hierher
gehörig, der Wortbildungslehre. [Wohin gehört nun ihr anderer Teil?]
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Alle andern Erscheinungen fallen in das Gebiet der Syntax. Auch die
Flexionslehre ist Syntax ; nicht ein Teil (!) der Syntax, sondern ein Kom-
pendium der Syntax: wenn gesagt wird, dass in einer Sprache der Dativ
auf -e ausgehe, so heisst das nichts anderes als: bei den Verben gehenj
schenken etc. stehen gewisse auf -e ausgehende Wort formen.« Behaghel
springt also von der Lautlehre direkt zu der Untersuchung des Verhält-
nisses von Form und Inhalt über und übersieht, dass das sinnliche Ele-
ment an sich, die Form, nicht nur im Laut, sondern auch im Wort und
Wortgefüge vorliegt und für sich einen Gregenstand der Forschung bildet,
die zunächst die Formen der Worte und der Gefuge festzustellen hat,
ehe sie deren Bedeutung untersuchen kann. Somit fehlen der Grammatik
die der Formenlehre zu widmenden Abschnitte je der Wortlehre und der
Syntax : diese beiden sind lediglich Bedeutungslehre, und die erstere wird
auf Semasiologie und Synonymik beschränkt; alles andere ist Syntax.
Der wichtigste Teil der Wortformenlehre, die Flexionslehre ist ganz in
der Bedeutungslehre der Flexionen verschwunden und diese wieder als
Ganzes der Syntax zugewiesen. Mit Berufung auf eine Easusbedeutung
wird dabei wieder stillschweigend die falsche Voraussetzung gemacht,
dass alle Flexionsformen stets eine syntaktische Bedeutung haben. Und
doch war Behaghel auf dem besten Wege gewesen, den Stoff der Syntax
richtig zu begrenzen, indem er »diejenigen Beziehungen zwischen Form
und Inhalt ..., welche für die Zusammenfügung der Wörter
gleichgültig sind,« ausdrücklich von der Syntax ausgeschlossen hatte.
Nun heisst es aber wieder kurz und unrichtig: »Die Syntax befasst sich
also mit den Beziehungen zwischen der Bedeutung und dem sinnlichen
Substrat.« Also doch wieder mit allen! So fällt auch nach Behaghel
die gesamte Bedeutungslehre aller Wortklassen und Wortformen unter
den Begriff der Syntax, weil er hier* die notwendige Beschränkung weg-
lässt: soweit sie nicht »für die Zusammenfugung der Wörter gleichgültig
sind« — eine Beschränkung, die er selbst kurz vorher gegeben hatte,
um den Ausschluss von Semasiologie und Synonymik zu begründen.
72. Dass die sogenannte ^Formenlehre' auch bisher schon immer eine
Art abgekürzter Bedeutungslehre der Formen in sich schloss, hat Schleicher
richtig erkannt und deshalb in seiner Einteilung der allgemeinen Gram-
matik den Ausdruck Morphologie statt Formenlehre gewählt, »weil
Formenlehre für specielle Morphologie verbunden mit Funktions-
lehre der Beziebungslaute bereits im Gebrauche ist.« (Zur Morpho-
logie der Sprache S. 35.) Übrigens bildet auch nach Schleicher die
»Lehre von der Funktion der einzelnen TeDe des Wortes und des
Wortes selbst eine Ergänzung der Morphologie.« (ebenda S. 1.)
78. HoRNEMANN (Über Namengebung und Anordnung einer Parallel-
grammatik der Schulsprachen in: Lehrproben und Lehrgänge 1889, Juli,
S. 68 ff.) spricht sich gegen die Trennung von Syntax und Wortlehre aus.
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Er stützt sich dabei einerseits auf die Erwä^ng der praktischen Bedürf-
nisse des Unterrichts — was ausserhalb des Rahmens unserer Erörterungen
liegt — , andererseits auf allgemeinere. Betrachtungen , unter denen die
oben besprochenen die wesentlichsten sind. Übrigens wird ein Teil seiner
Einwände gegenstandslos, sobald Syntax in dem Sinne und der Be-
grenzung gefasst wird, die diese Abhandlung als die richtigen zu erweisen
versucht.
74. Ähnlich wandte sich schon Haase gegen den Einwand, dass
seine Bedeutungslehre »nicht ohne die Voraussetzung des Satzes, selbst
des zusammengesetzten, möglich sei«. Er sagt: »Aber es wird doch bloss
der Satz überhaupt, nicht die Satzlehre vorausgesetzt [Sehr wichtige und
treffende Unterscheidung !] , denn immer handelt es sich nur um die
Bedeutung einer einzelnen Form, und dass diese nicht für sich
stehen kann, ist eben ein Teil ihrer Bedeutung.« Auch weist
er schon auf die absurde Eonsequenz jenes Einwandes hin: ».. . da man
sonst auch weder in der Formenlehre mit Buchstaben und Silben, sondern
gleich mit dem ganzen Worte, noch auch in der Satzlehre mit dem ein-
fachen Satze, sondern mit der ausgebildeten Periode beginnen müsste.«
(a. a. 0. S. 527.)
76. A. a. 0. S. 125 mit specieller Beziehung auf die einzelnen Ka-
pitel der Syntax.
76. Die deutsche Satzlehre» S. 139.
77. Vergl. Georg v. d. Gabelentz, Chinesische Grammatik, Leipzig
1881, § 50 u. 150.
78. So sagt Paul, Prinzipien* S. 313: »Wir haben eigentlich kein
Recht mehr gtU in Sätzen wie *er ist gut gekleidet*, »er spricht gut* und
gut in Sätzen wie *er ist gut*, *man halt ihn für gut* einander als Adv.
und Adj. gegenüberzustellen. Das Sprachgefühl weiss von diesem Unter-
schiede nichts ...« Ganz gewiss ist es zum mindesten fraglich, ob wir
dies Recht noch haben, ob das Sprachgefühl von diesem Unterschiede
noch etwas weiss. Dass dies Gefühl im Erlöschen ist, dürfte nicht zu
bestreiten sein, dass es aber doch noch nicht ganz erloschen ist, ergiebt
sich u. a. daraus, dass man das Bedürfnis für Neubildung von A<yektiv-
formen wie dasig noch empfindet. Die Zahl der Fälle, in denen imNhd.
noch streng und sicher zwischen Adj. u. Adv. geschieden wird, scheint
mir doch ausreichend, um die Annahme zu rechtfertigen, dass das Gefühl
für den Unterschied der Kategorie überhaupt noch lebendig und kräftig
genug ist, um sich auch in den zahlreichen Fällen der Homonymie geltend
zu machen. Jedenfalls aber ist es ein Verdienst von Paul, darauf nach-
drücklich hingewiesen zu haben, dass es die Pflicht des Grammatikers
ist, derartige Fragen anzuwerfen und zu prüfen.
79. A. a. 0. n. Heft, S. U.
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80. Wenn Grimm z. B. Gramm. lY. S. 290 sagt : »Nach dieser Erörterung'
des allgemeinen Verhältnisses zwischen Sing, und Plur. ist n u n auch ihre
syntaktische Abhängigkeit zu prüfen«, so erklärt er damit selbst, dass
seine Ausführungen auf S. 284 — 290 nicht syntaktischer Natur sind.
Ebenso geht aus den Bemerkungen, die er seiner Behandlung des Yerbums
vorausschickt (S. 3.), hervor, dass er in der Bedeutung der Verbalformen,
von den Umschreibungen abgesehen , für den einfachen Satz keinen
eigentlich syntaktischen Stoff sieht.
81. Vergl. Paul, Prinzipien* S. 232.
82. Wird es als die Aufgabe der Wortlehre angesehen, die Bedeutung der
Wortarten und Wortformen zu lehren, so ist auch eine grössere Individuali-
sierung zu erwarten, die sehr wünschenswert ist. Jetzt werden die gleich-
artigen Formen aller Worte und alle Worte der gleichen Klasse meist ziem-
lich in Bausch und Bogen behandelt und vorausgesetzt, dass bei allen die
Bedeutung die gleiche ist. Es ist noch viel zu wenig festgestellt, bei
welchen Worten bezw. Gruppen von Worten gewisse Bedeutungen der
Klassen und Formen vorkommen, bei welchen nicht. Dass einige Be-
deutungen nur bei gewissen Wurzelbedeutungen überhaupt mögUch sind,
liegt auf der Hand und ist in dieser Allgemeinheit natürlich wohlbekannt.
Es ist aber eine wichtige und noch ungelöste Aufgabe, den Umfang jeder
einzelnen Verwendung der Formen so weit als möglich festzustellen, zu
zeigen, von welchen Worten eine bestimmte Formbedeutung ausgegangen
ist, wie sie sich ausgebreitet hat, wo sie zuerst abgestorben ist, in welchen
Kesten sie sich erhalten hat. Die Syntax, die sich doch immer, wie man
sie auch behandele, in erster Linie für das interessieren muss, was in allen
möglichen Wortverbindungen Geltung hat, begnügt sich leichter mit
allgemeinen Wendungen, die eine Bedeutung als selten, häufig, neu, ver-
altet bezeichnen. Es ist zu hoffen, dass vom Standpunkte der Wortlehre
aus das Interesse sich einer individuelleren Behandlung der Bedeutungs-
entwicklung auch der Wortarten und Formen zuwende.
83. Fraglicher könnte sein, ob diese Vorgänge nicht in der Wort-
formenlehre zu erörtern seien, weil die Veränderung des An- oder Aus-
lauts eines Wortes, äusserlich betrachtet, einer Veränderung der Wort-
form selber gleichkommt. Ohne auf diese unserm Thema femliegende
lYage näher einzugehen, scheint es uns das Richtige, die Erscheinungen
des Satzsandhi in der Lautlehre zu behandeln und in der Wortformen-
lehre nur darauf zu verweisen ; denn es handelt sich dabei doch lediglich
um die Angelegenheiten der Einzellaute und ihre gegenseitige Beeinflussung ;
die Wortformen aber werden nur indirekt betroffen, insofern neben den
eigentlichen Formen vorübergehend und unter bestimmten, von der Laut-
lehre erörterten Bedingungen, gewisse Nebenformen mit genau derselben
Bedeutung und syntaktischen Funktion auftreten.
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84. Man vergl. z. B. die Bemerkungen, die Schmalz seiner Lateini-
schen Stilistik vorausschickt. (A. a. 0. IP S. 532.) Man meint seinen Worten
recht die Verlegenheit anzumerken, die ihm die Aufgabe bereitet, zwischen
den Stoffen von Syntax und Stilistik eine Grenze zu ziehen. Yergl.
femer das Vorwort in Haackbs Lateinischer Stilistik,' Berlin 1875.
86. ScHEREB, Zur Geschichte d. deutschen Sprache, S. 87; Über den
Ursprung d. deutschen Nationalität, Vorträge u. Aufsätze S. 12 ff. Vergl.
auch Quellen u. Forschungen XLI, S. 11.
86. Über das Verhältnis der Stilistik zur Grammatik zu vergl. be-
sonders : K. F. BECKER; d. deutsche Stil, (neu bearb. v. Lyon 1884.) S. VII.
VIII. 56. 57. Steinthal, Grammatik, Logik und Psychologie, S. 138 ff.
Derselbe, Abriss der Sprachwissenschaft, Berlin 1871, Ö. 33 ff. G. v. d.
Gabelentz, a. a. 0. S. 108. 110.
87. Vergl. Gröber in seinem Grundriss der romanischen Philologie
1. S. 212 ff. 287.
88. Vergl. Paul, Prinzipien" S. 235 f. und Georg v. d. Gabelentz
a. a. 0. S. 124.
89. Diesen Gesichtspunkt hat auch Erdmann hervorgehoben: Ztschr.
f. Völkerpsychologie u. Sprachwissenschaft 1884, S. 889. Hier bestimmt
Erdmann, dessen Aufmerksamkeit weniger auf den Stoff selbst als auf
seine Behandlung gerichtet ist, die Aufgaben der syntaktischen Forschung
in einer von unserer Auffassung wenig abweichenden Weise. — Die Frage
nach den syntaktischen Ausdrucksmitteln wirklich zu beantworten, unter-
nimmt die Göttinger Dissertation von Seedorf, Über die syntaktischen
Mittel des Ausdrucks im ahd. Isidor usw. Paderborn 1888. Vergleicht
man diese Arbeit mit der gleichzeitig erschienenen von Max Rannow, Der
Satzbau d. ahd. Isidor usw., Berlin 1888, so erkennt man deutlich, welche
Vorzüge die von Seedorf gewählte Fragestellung besitzt, wie vorteilhaft
sie zumal für die syntaktische Einzelforschung werden kann. Besondere
Beachtung verdient auch Seedorfs Einleitung, deren Ausführungen sich,
zum Teil mit den oben S. 96 ff. entwickelten Ansichten decken.
90. In dem mehrfach angeführten Aufsatz S. 123.