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Full text of "Was ist Syntax? Ein kritischer Versuch"

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WAS IST SYNTAX? 



EIN KRITISCHER VERSUCH 



VON 



JOHN EIES. 



«Fruchtbare Umf^estaltung einer 
Theorie ist nicht möglich ohne die 
gründlichste Kritik derselben.* 

(Steinthal.) 



MARBURG. 

N. G. ELWERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG. 

1894. 



Vorwort. 



Der vorliegende Versuch ist erwachsen aus der Beschäf- 
tigung mit einigen neueren Arbeiten auf dem Gebiete der 
deutschen Syntax, deren Besprechung mir übertragen worden 
war. Erwägungen allgemeinerer Art über Wesen und Aufgabe 
der Syntax, über Auswahl und Anordnung ihres Stoffes konnten 
in jenen Anzeigen nur zum kleinsten Teile Raum finden; 
manches davon aber, was dort ganz übergangen werden musste 
oder nur angedeutet werden konnte, schien mir weitere Aus- 
führung und Begründung zu verlangen. So schrieb ich den 
Kern der folgenden Arbeit im Anschluss an jene Recensionen 
nieder, zunächst nur für mich selbst, um den Gedankengang 
festzuhalten. Zur Ausarbeitung und Veröffentlichung habe ich 
mich erst mehrere Jahre später entschlossen und zwar aus 
zwei Gründen. 

Bei dem entschieden ablehnenden Standpunkt, den ich 
dem besonders von Miklosich und Erdmann vertretenen System 
gegenüber einnehme, musste ich in seiner wachsenden Beliebt- 
heit geradezu eine Gefahr für die gedeihliche Fortentwicklung 
der syntaktischen Forschung erblicken. Darum erschien es 
mir nicht überflüssig, meine Einwände gegen dies System im 
Zusammenhang vorzutragen und ausführlicher zu begründen, 
als das im Rahmen kritischer Anzeigen möglich ist. 

Der zweite Grund war der eigentlich entscheidende. Eine 
der von mir besprochenen Arbeiten folgte einem andern, dem 
eben erwähnten entgegengesetzten System. Auch die gegen 



IV 

dieses sprechenden Bedenken hielt ich für zu erheblich, als 
dass ich seine Anwendung hätte befürworten mögen; ein 
System aber, dem ich völlig zustimmen konnte, fand ich in 
der Litteratur nicht vertreten, sodass es unmöglich war, durch 
einfachen Hinweis anzugeben, welche Art der systematischen 
Behandlung ich für empfehlenswert hielt. So wollte es mir 
gewissermassen als eine wissenschaftliche Pflicht erscheinen, 
nicht bei der ablehnenden Kritik stehen zu bleiben, sondern 
positiv auszusprechen, was ich an Stelle der getadelten Systeme 
zu setzen wünschte, und eingehender darzulegen, wie ich den 
Begriff Syntax verstanden, ihren Stoff begrenzt, behandelt und 
geordnet wissen wollte. 

Demgemäss zerfällt die folgende Abhandlung in zwei Teile : 
einen specielleren, rein kritischen, der die üblichen syntaktischen 
Systeme einer Prüfung unterzieht, und einen allgemeineren, 
der, ausgehend von der Kritik des Verhältnisses der Syntax 
zu den übrigen Teilen der Grammatik, zu positiven Ergebnissen 
zu gelangen sucht. 

Dieser Versuch will und kann nicht den Anspruch machen, 
zu einer abschliessenden Lösung so verwickelter und schwie- 
riger Fragen geführt zu haben. Er hat seinen Zweck erreicht, 
wenn er etwas zu ihrer Klärung beiträgt und zu erneuter 
Prüftmg und Erörterung anregt. HoflFentlich hilft er wenigstens 
die gar zu beliebte einfache Nachahmung eindämmen, die sich 
der Kritik ihrer Vorbilder überhoben glaubt und glauben darf, 
wenn diese in Ermangelung entschiedenen Widerspruchs die 
Geltung anerkannter Muster erlangen. 

Prof. Edward Schröder, der in stets dienstbereiter Freund- 
schaft meiner kleinen Schrift seine fördernde Teilnahme zuge- 
wandt hat, sei auch an dieser Stelle mein herzlichster Dank 
wiederholt 

Colmar i. E., Oktober 1893. 

Der Terfiasser. 



^ 



Inhalt. 



Es giebt keine allgeraein gültige Definition von Syntax; die Ver- 
schiedenheiten in der Auffassung sind bedeutend und hinderlich 1 ; zumal 
in der Germanistik 2. Langes Urteil über die syntaktischen Systeme noch 
heute zutreffend. Mängel der syntaktischen Systeme hängen zusammen 
mit Mängeln im System der Gesamtgrammatik 3. Diese erklären sich 
daraus, dass die wissenschaftliche Behandlung der Grammatik verhältnis- 
mässig noch jung ist 5, aus dem hemmenden Einfluss der Überlieferung 6 
und der praktischen Zwecke, denen die Grammatik so lange dienstbar 
war 7. 

I. Die drei Haaptarten syntaktischer Werke . . . 9—61 

Die Hauptrichtungen in der syntaktischen Litteratur 9. 

Die Mischsyntax 11—18 

Ungleichartigkeit des Stoffes und der Behandlungsweise. Hineinspielen 
der Logik 11 und der am Studium anderer Sprachen gewonnenen syn- 
taktischen Anschauungen 12. Darstellung oft zu abhängig vom Gange 
der Untersuchung ; bedenklich zumal bei negativen Ergebnissen 13. Gruppe 
der Mischsyntax nicht einheitlich; ihr Gemeinsames nur die Systemlosig- 
keit 15. Verschiedener Standpunkt der Verfasser von Werken der Misch- 
syntax gegenüber den systematischen Fragen 16. Mischsyntax ist grund- 
sätzlich zu verwerfen 17. Um ihr zu entgehen, ist es nötig, einen Teil 
ihres Stoffes auszuscheiden; Wahl möglich zwischen den beiden verschieden- 
artigen Hauptbestandteilen der Mischsyntax 18. 

Das System Miklosigh 19 — 45 

MiKiiOsicHs Definition 19. Gegensatz zur Mischsyntax, zur BscKEsschen 
Richtung ; Ebdmanns Stellungnahme 20. Gegensatz zu Becker hat Miklosigh 
mit andern gemein. Ist Miklosichs Anordnung »altbewährt«? 21. Die 
Eigenart des Systems liegt in der ungewöhnlich konsequenten Durch- 
führung der Anlage 22. Folgen dieser Eonsequenz; Vorzüge; Mängel. 
Ebdmanns Verteidigung des Systems 23. Kritik derselben 24. Widerspruch 
gegen Becker führt nicht notwendig zum System Miklosigh: Verwechs- 




VI 

lung der Methode der Forschung mit der Anordnung und der Art 
der Darstellung 26. Verwechslung der Methode der Forschung 
mit ihrem Objekte 27. System Miklosich ein Rückschritt 28. Unter- 
schiebung von ^Wortform* an Stelle von ^Sprachform' ; daher leidet 
MiKLOsicHS Definition an zwei Hauptfehlem: sie ist zu eng und zugleich 
zu weit. Zu eng: kein Platz für Behandlung der Grundfragen und 
mehrerer wichtiger B[apitel der Satzlehre 29. Miklosich erhebt die alt- 
überlieferte imvollkommene Praxis zum Prinzip; Folgen davon 31. Die 
musikalischen Mittel der Satzbildung werden vernachlässigt; ohne diese 
zu berücksichtigen, ist es z. ß. unmöglich, zwischen selbständigen und 
unselbständigen Sätzen in den germanischen Sprachen zu scheiden. Kebns 
Lehre von den Kennzeichen des deutschen Nebensatzes 32. Kritik der- 
selben 33. Vernachlässigung der Wortstellungslehre 36. Der Erfolg des 
Systems Miklosich eine Gefahr für die Fortentwicklung der syntaktischen 
Forschung. Sowohl Miklosich als seine Nachfolger fühlen selbst, dass 
ihre Definition zu eng ist; sie gehen über die selbstgezogenen Grenzen 
hinaus 37. Miklosich in Anhängen 38, Erdmann durchweg; er bietet 
stofflich mehr, aber die Disposition leidet Schiffbruch. Miklosich und 
Ebdüann behandeln innerhalb desselben Systems dieselben Gegenstände 
an verschiedenen Stellen 39. Erdmanns Behandlung der Nebensätze ohne 
einleitendes Wort 40, der Wortstellungslehre 42. Schbrers Vorschläge 
zur Ergänzung des Systems; Kritik derselben 43. Zusammenfassung 44. 

Syntax als Satzlehre 45—61 

Der diesem System — dem Gegenteil des Systems Miklosich — zu 
Grunde liegenden Auffassung ist im allgemeinen zuzustimmen 45. Die 
völlige Gleichsetzung von Syntax und Satzlehre hat viel Bestechendes, 
erregt aber doch Bedenken; prinzipieller Art 46. Die Begriffereihe Laut 
— ^Wort — Satz ist fehlerhaft. Unterschiebung von ^Satz' an Stelle von 
^Wortgefüge* eine Folge des Einflusses der Logik 47. Der erst zu ent- 
wickelnde Begriff ^Satz* wird vorausgesetzt 48. Seine Definition ist aber 
strittig, die Frage nach der Existenz formaler Kennzeichen ungelöst ; daher 
das praktische Bedenken, die allgemeine Gliederung der Grammatik mit 
auf den Begriff ^Satz* zu gründen 50. Aus der fehlerhaften Definition 
ergeben sich Schwierigkeiten für die angemessene Unterbringung eines 
Teils des syntaktischen Stoffes. Auch bei der weitesten Definition von 
^Satz* fallen die nicht satzbildenden Wortgruppen aus dem Rahmen einer 
blossen Satzlehre heraus 51. Versuch diese Schwierigkeiten zu umgehen 
durch die Bezeichnung der nicht satzbildenden Wortgruppen als ^Satz- 
teile' 52; verfehlt 53. Disposition der Lateinischen Syntax von Schmalz. 
Kritik derselben 54. Josupbits Behandlung der Syntax als »Lehre von 
den Satzteilen und Satzarten«. Eigentliche und uneigentliche Satzteile 56. 
Kerns »Satzbestimmungen« und ihre Sonderung in unmittelbare und 
mittelbare. Verschiedene Grade der Mittelbarkeit 58. Gewisse Bestand- 



vn 

teile der Wortgefiige lassen sich keinesfalls als Satzbestimmungen an- 
sehen 59. Für Schulzwecke und bei der Analyse bestinamter gegebener 
Sätze sind jene Bezeichnungen brauchbar, für die Aufgaben wissenschaft- 
licher Forschung weniger geeignet 60. Zu unterscheiden zwischen den 
konstituierenden Bestandteilen des Satzes als eines solchen und den zu- 
fälligen eines bestimmten Satzes. ^Satzlehre' für ^Syntax' nur als pars- 
pro-toto-Bezeichnung zu billigen 61. 

II. Die Stellung der Syntax im Rahmen der Oesamt- 
grammatik 62—135 

Weder die von Miklosich ausgeschiedenen noch die von ihm behan- 
delten Stoffe sind ganz zu entbehren; beide ohne weiteres verbunden 
ergeben jedoch stets Mischsyntax 62. Aber der Stoff von Miklosichs Syn- 
tax ist zu sichten, denn er ist nicht einheitlich, seine Definition nicht 
nur zu eng, sondern auch zu weit. Dieser Fehler ist allen Systemen ge- 
meinsam, die die gesamte Lehre von der Bedeutung aller Wortklassen 
und aller Wortformen einschliessen 63. Er hängt zusammen mit der 
fehlerhaften Gegenüberstellung von Syntax und Formenlehre 64. 

Syntax und Formenlehre 64—75 

Einfluss der Überlieferung 64. Seit dem Altertum Flexionslehre und 
Syntax die Hauptbestandteile der Grammatik 65. Die übliche Dreiteilung 
der Grammatik in Lautlehre, Formenlehre, Syntax ist fehlerhaft, weil ohne 
durchgehendes Prinzip ; daneben als vierter Teil die Wortbildungslehre 67. 
Folgen des Eintretens von ^Formenlehre* an Stelle von ^Wortlehre' 68. 
Apoixonius Dyscolus 69. Eii^uss der praktischen Ziele der grammatischen 
Studien 71. Syntax vom Standpunkt des Lernenden 72. In der Syntax 
wird imtergebracht , wofär sich sonst kein Platz finden lässt 73; beson- 
ders die Stoffe der bisher fehlenden Bedeutungslehre 74. 

Syntax und Bedeutungslehre 75—83 

Miklosich, Schereb, Behaghel bezeichnen die Syntax geradezu als 
Bedeutungslehre 75. Diese Auffassung aber nur mit der Stoffbeschrän- 
kung des Systems Miklosich vereinbar, die doch Scherer und Behaohel 
wenigstens zum Teil missbilligen 76. Nur ein Teil der Syntax ist 
gleich einem Teil der Bedeutungslehre; aber gleich welchem Teile? 
Inwieweit ist auch die ümkehrung richtig, dass Bedeutungslehre Syntax 
ist? 77. Bedeutungslehre und Syntax nicht Glieder derselben Einteilung 
der Grammatik. Kreuzteilung 78. Schema derselben 79. Bisherige Ver- 
suche, die Bedeutungslehre in das System der Grammatik einzufügen: 
Benaby, Haase, Schlsichee, Heebdeoen 80, Lange, Steinthal 81, Yoobinz 82. 



4 



vin 

Syntax und Wortlehre 83—119 

Folgen der Ereuzteilung für die Abgrenzung von Wortiehre und 
Syntax 83. Die Bedeutungslehre der Worterten und Wortformen gehört 
prinzipiell zur Wortlehre, ist aber teilweise auch für die Syntax unent- 
behrlich 85. "Wie ist dieser Stoff zu verteilen? Einwände, die gegen 
seine Behandlung in der Wortlehre erhoben werden 86. Kritik des prin- 
zipiellen Bedenkens, die Bedeutung der Wortarten und Wortformen 
gehe über den Bezirk des Einzelworts hinaus, bestehe nur für den Satz 
und in ihm. Bedeutungslehre und Formenlehre desselben Objekts gehören 
in denselben Hauptteil der Grammatik 87. Völlige Trennung überhaupt 
unmöglich 88. Heebdegen 89. Zusammenhang der Wortformen- mit der 
Wortbiidungslehre 90. Bedeutung der Wortklassen , der Form- und Hilfs- 
wörter 91. Ähnliche Verhältnisse in der Lautlehre 92. Die ganze Be- 
hauptung beruht auf schiefer Grundauffassung. Ihre Konsequenz würde 
sein, dass weder eine besondere Lautlehre noch Wortlehre möglich wäre 93. 
Jeder Teil der Grammatik hat seinen eigenen »Heldenc 95. Die Behaup- 
tung, die Flexionsformen dienten nur zum Ausdruck von Beziehungen 
der Worte untereinander, ist nur zum Teil richtig: es ist zwischen syn- 
taktischer und materieller Bedeutung der Formen zu unterscheiden 96. 
Formen mit nichtsyntaktischer Bedeutung 97. Gelegentlich nichtsyntak- 
tische Bedeutung auch solcher Formen, die meist syntaktischen Wert 
haben 99. Die Steigerungsformen. Relative und absolute Begriffe 100. 
Auch bisher verfahren die Grammatiker nicht gleichmässig 101. Das 
Genus bei Grimm, Diez, Delbrück, Miklosich. Inwieweit ist die Behaup- 
tung richtig, dass die Bedeutung der Wortarten nur im Satze und durch 
ihn bestehe? 102. Homonymie der Wortarten 103. Diese beweist nichts 
104. Von ihr abgesehen hat jene Behauptung überhaupt keinen Sinn 105. 
Haase ging zu weit, indem er die gesamte Bedeutungslehre von Wort- 
arten und Wortformen von der Syntax ausschloss 106. Folgen dieser 
Übertreibung 107. Dieser Stoff ist zu teilen. Kritik des Einwandes, dass 
solche Trennung praktisch unthunlich sei 108. Wo ist die Grenze zu 
ziehen? Sie wird in verschiedenen Sprachen verschieden verlaufen 110. 
Bestimmung der Grenze vom Standpunkt der Syntax aus 111, von dem 
der Wortlehre aus 112. Solche Trennung in einzelnen Fällen bereits 
praktisch bewährt: Grimm 113. Beispiele dafür, wie die Trennung zu 
erfolgen hätte : Unterschied von older oldest und eider eldest ; Genusformen 
des Verbs 114; englisch eUher und deutsch jeder) die nhd. Adverbia 115. 
Leidet darunter der Zusammenhang? 116. Je nach der gewählten Ein- 
teilung ist der Zusanmienhang, den es zu wahren gilt, ein verschiedener 117. 

Syntax und Lautlehre 119—121 

Satzsandhi gehört nicht in die Syntax 119. Lautvorgänge, die durch 
syntaktische Verhältnisse veranlasst oder bedingt sind; Bedenken gegen 



IX 

ihre Behandlung in der Lautlehre unbegründet 120. Mehrfache Behand- 
lung desselben Gegenstandes unter verschiedenen Gesichtspunkten 121. 

Syntax und Stilistik 126-135 

Die Frage: welche Stoffe gehören in die Syntax, welche in die Sti- 
listik, ist unlösbar, weil falsch gestellt 122. Zu der schiefen Fragestellung 
ist man gelangt unter dem Einfluss der praktischen Ziele der Sprach- 
studien 123, infolge der unrichtigen Begrenzung der syntaktischen Auf- 
gaben 124 und des Fehlens einer Wortbedeutungslehre 125. Die Frage: 
Syntax oder Stilistik ? zu ersetzen durch : Grammatik oder Stilistik ? Der 
sprachliche Stoff ist beiden Gebieten grossenteils gemeinsam 126. Objek- 
tive und subjektive Stilistik. Verhältnis der Grammatik zur objektiven 
Stilistik 127; zur subjektiven 128. Der nationale Stil 130. Nutzen der 
subjektiven Stilistik; ihr Platz in der vollständigen Grammatik 131. 
Übergriffe der Stilistik auf das rein grammatische Gebiet; teils nicht zu 
billigen, teils gerechtfertigt 132. Die ün Vollständigkeit der ErgebniBse 
grammatischer Forschung eine Fehlerquelle fQr die Stilistik. Die sub- 
jektive Stilistik abhängig von der objektiven 133. Verhältnis der Stilistik 
zur Syntax 135. 

Disposition der Syntax 136—142 

Der richtig begrenzte Stoff disponiert sich von selbst. Erster Ein- 
teilungsgrund : die Verschiedenheit der syntaktischen Objekte selber d. h. 
der Wortgefüge. Daneben der zweite: ihre Betrachtung nach Form und 
Bedeutung 136. Ist die syntaktische Bedeutungslehre von der Formen- 
lehre zu trennen? 137. Aufstellung vollständiger Formenschemata der 
Wortgefäge zu erstreben 138. Lehre von der Bildung der Wortgefüge 
d. h. von den Mitteln der Wortfügung und ihrer Bedeutung 139. Bei 
diesen Fragen hat die Forschung einzusetzen; ihre Beantwortung bildet 
die Grundlage imd Voraussetzung für die Lehre von Form und Bedeutung 
der GefQge 141. 

Zasammenfassnng der Ergebnisse 142—145 

Anmerkungen 146—163. 



^ 



Jlis scheint befremdend, dass die Frage: Was ist Syntax? 
überhaupt noch aufgeworfen werden kann; man möchte voraus- 
setzen, dass sie längst und endgültig entschieden sein müsste. 
Und doch wird sie, teils ausdrücklich durch Definition, teils 
mittelbar durch die Auswahl und Behandlung des Stoffes von 
den verschiedenen Verfassern syntaktischer Schriften recht ver- 
schieden beantwortet. Eine allgemein anerkannte Definition 
des so allgemein gebrauchten Wortes giebt es in der That nicht. 
Nach einer solchen, die allseitige Anerkennung finden könnte, 
also nach der richtigen, zu suchen, wäre ein Bemühen, das 
ziemlich müssig erscheinen müsste, wenn es sich dabei nur um 
einen Wortstreit handelte. Es kommt aber nicht darauf an, 
einen thatsächlich feststehenden Begriff mit dem (oder den) 
passendsten Worte(n) zu bezeichnen, sondern darauf, den Begriff 
selber richtig zu bestimmen. Denn wenn auch vielleicht im 
grossen und ganzen ungefähr dasselbe unter dem Worte Syntax 
verstanden wird, so lehrt doch ein Blick in die syntaktische 
Litteratur, auch der neuesten 2feit, wie bedeutende Abweichun- 
gen im einzelnen bestehen. Diese Verschiedenheiten in der 
Auffassung des Begriffs Syntax, die, statt mehr und mehr zu 
schwinden, sich vielmehr neuerdings eher verschärft haben, 
sind an sich zu wichtig und in ihren Folgen für den weiteren 
Ausbau der syntaktischen Forschung zu bedeutend, als dass sie 
unbeachtet bleiben dürften. Sie erschweren nicht nur die Be- 
nutzung der syntaktischen Werke, die von verschiedenen Defi- 
nitionen des Begriffs Syntax ausgehend, ihren Stoff verschieden 
begrenzen und verschieden disponieren, sondern sie schädigen 

Ries, Was ist Syntax? 1 



2 

auch die Forschung selber: der häufige Wechsel der Gesichts- 
punkte hemmt und beeinträchtigt ein erspriessliches Zusammen- 
und in die Hände arbeiten der Fachgenossen. Und dass eine 
unrichtige Definition die Forschung auf Abwege leiten, über 
die Bedeutung der erreichten Ergebnisse wie über die Wichtig- 
keit der noch zu lösenden Fragen täuschen, überhaupt das 
Endziel, dem zuzustreben ist, verrücken muss, leuchtet ein. So 
drängt sich angesichts der herrschenden Unsicherheit oder 
vielmehr der lebhaften Gegensätze, die zur Zeit in betreff der 
grundlegenden Fragen des Systems, der Auswahl und Anord- 
nung des Stojffes bestehen, immer unabweisbarer die Frage auf, 
ob eine und welche von den herkömmlichen Auffassungen des 
Begriffs Syntax zu halten bezw. zu verbessern ist, oder ob sie 
sämmtlich durch eine neue ersetzt werden müssen. 

Jene Übelstände und Nachteile treten in der Behandlung 
der germanischen Syntax besonders deutlich zu Tage, und sie 
sind bei einer Sprache, deren syntaktisches Lehrgebäude erst 
im Entstehen begriffen ist, naturgemäss von weit fühlbarerem 
Einfluss als dies vielleicht auf anderen Gebieten der Fall ist. 
Gerade jetzt, wo soviel fleissige Hände sich rühren, die erforder- 
lichen Bausteine von allen Seiten zusammenzutragen; jetzt, da 
die ersten Versuche gemacht werden, das halbfertige Bauwerk 
zunächst vorläufig unter Dach zu bringen, sind diese misslichen 
Zustände doppelt zu beklagen. Eine Verständigung über die 
grundlegenden Fragen nach Gegenstand, Methode, System der 
syntaktischen Forschung und Darstellung wäre dringend zu 
wünschen; um einer solchen Verständigung näher zu kommen, 
dürfte es nicht unnütz sein, in eine eingehende Prüfimg der 
einschlägigen Fragen von neuem einzutreten. Als ein Versuch 
in dieser Richtung wollen die folgenden Erörterungen ange- 
sehen sein. 

Dass eine Einigung über das System der Syntax sich noch 
nicht hat erzielen lassen, erklärt sich daraus, dass die bisher 
aufgestellten Systeme sämtlich an nicht unbedeutenden Män- 
geln leiden, und wir müssen daher wohl zu dem Schlüsse 



kommen, dass das vor 40 Jahren von Lange gefilllte ungünstige 
Urteil über dieselben auch heute noch zutrilBft. Er erklärte: 
»Keine systematische Darstellung wird das Wesen der Sprache 
zu einer völlig richtigen Anschauung bringen. Nichtsdesto- 
weniger ist nicht bloss für die Praxis, sondern auch für die 
Wissenschaft eine systematische Darstellung nötig. Die Forderung 
aber, welche die Wissenschaft an das System stellen muss, dass 
es keine Unterscheidungen kennt, die nicht im wissenschaftlichen 
Objekte begründet sind, die wirklich in diesem begründeten 
aber sämtlich und in richtiger Stellung zu einander zur Geltung 
bringt: diese Forderung hat das System der Syntax in allen Meta- 
morphosen, die es durchlaufen hat, nicht befriedigt.« (^) Auch 
eine andere, von Lange nicht erwähnte Forderung wird von 
den vorhandenen syntaktischen Systemen nicht befriedigt, nämlich 
die nicht weniger wichtige, dass die Syntax sich angemessen 
und felgerichtig in das System der Gesamtgrammatik einfüge. 
Die üblichen Definitionen der Syntax, die vielfach zu eng und 
gewöhnlich zu weit sind, und die durch diese bedingte Stoflf- 
begrenzung verhindern eine richtige Verteilung des Stoffes auch 
auf die übrigen Teile der Grammatik, und umgekehrt — denn 
hier fliessen Ursache und Wirkung ineinander — die unvoll- 
kommene Gliederung der Gesamtgrammatik unterstützt die 
falsche Auffassung von den Aufgaben der Syntax und hält sie 
aufrecht. Denn dass wir es noch zu keinem brauchbaren 
System der Syntax gebracht haben, das liegt mit in erster 
Linie gerade daran, dass überhaupt die systematische Gliederung 
der gesamten Grammatik in Bezug auf Vollständigkeit, Ordnung 
und Festigkeit des Gefuges nicht durchaus einwandfrei ist. Be- 
sonders kommt dabei das Verhältnis der Syntax einerseits zur 
Formenlehre, andererseits zur Bedeutimgslehre in Betracht 
Hierüber soll in unserm 11. Abschnitt ausführlicher gehandelt 
werden. 

Ehe wir ims jedoch zur eingehenden Betrachtung der 
verschiedenen Systeme wenden, erscheint es wünschenswert, 
zunächst noch einigen allgemeinen Erörterungen Raum zu geben. 



Wir finden in den bisherigen Systemen der Syntax wesent- 
liche Mängel und bringen diese, wie eben bemerkt, mit UnvoU- 
kommenheiten in dem System der Gesamtgrammatik in Zu- 
sammenhang. Nun könnte es aber sonderbar scheinen, dass 
in so grundlegenden Dingen überhaupt Unsicherheit und 
Meinungsverschiedenheiten haben aufkommen und fortbestehen 
können, dass sich auf diesem Gebiet offenbare Irrtümer bis 
heute sollten erhalten haben. Die Behauptung, dass fast alle 
Syntaktiker bis auf den heutigen Tag ihr Forschungsgebiet 
unrichtig abgegrenzt haben, dass so viele ausgezeichnete Gelehrte 
in schiefen Vorstellungen über die Beziehungen der verschiedenen 
Teile der Grammatik zu einander sollten befangen gewesen sein, 
dass die übliche Gliederung der Gesamtgrammatik trotz des 
hohen Standes, den die heutige Sprachwissenschaft erreicht 
hat, nicht ohne Mängel sei: solche Behauptungen möchten 
geradezu vermessen erscheinen. 

Doch all das ist in Wirklichkeit weder so arg noch so 
wunderbar, als es auf den ersten Blick scheinen will. Zunächst 
ist daran zu erinnern, dass Einwendungen gegen die übliche 
Gliederung der Grammatik und Verbesserungsvorschläge schon 
wiederholt gemacht worden sind, und wir möchten betonen, 
dass wir durchaus nicht das Verdienst in Anspruch nehmen, 
allein und zuerst die Fehler aufgedeckt und das Bessere ge- 
funden zu haben. Das Wesentliche ist vor uns von andern 
ausgesprochen oder doch angedeutet worden. Die richtige 
Einsicht hat nur bisher nicht durchdringen können, sei es dass 
man sich auf mehr gelegentliche Bemerkungen beschränkt und 
es versäumt hat, das Einzelne in den grössern Zusammenhang 
zu rücken und aus ihm ausdrücklich die vollen Konsequenzen 
zu ziehen, sei es dass das Richtige nicht nachdrücklich genug 
betont wurde, um sich gegen alteingewurzelte Anschauungen 
zu behaupten. Die Hauptinteressen der Zeit waren auch wohl 
zu ausschliesslich andern Gebieten der Forschung zugewandt; 
jedenfalls sind jene vereinzelten Stimmen bisher ziemlich wirkungs- 
los verhallt. 



Ferner erklärt sich aber das Fortbestehen einzelner un- 
klarer und schiefer Auffassungen auf dem Gebiete der Systematik 
überhaupt unschwer aus dem Gange, den die Entwicklung der 
Grammatik genommen hat. 

Die ausserordentlichen Fortschritte, welche die Sprachwissen- 
schaft in diesem Jahrhundert gemacht hat, und die überraschende 
Schnelligkeit, mit der diese Fortschritte gemacht wurden, verur- 
sachen, dass wir uns leicht einer eigentümlichen Illusion hingeben. 

Es geht uns mit den Ergebnissen der Sprachwissenschaft 
wie einem Kinde unserer Tage mit den Erfindungen und 
Einrichtungen, die unser Verkehrsleben beherrschen. Wie dieses 
zunächst Mühe hat sich zu vergegenwärtigen, wie neu all diese 
alltäglichen, selbstverständlich scheinenden Dinge sind, so vergisst 
man leicht, dass auch die Sprachwissenschaft — in dem Sinne, 
den wir heute mit dem Worte verbinden — etwas ganz Neues 
ist. Geblendet von ihren Erfolgen und schon von der Schul- 
bank her mit einigen ihrer Ergebnisse vertraut, verliert man 
zu leicht aus den Augen, dass die eigentlich wissenschaftliche 
Beschäftigung mit der Grammatik, die reine Wissenschaft von 
der Sprache, »der es nur darauf ankommt, ihren Gegenstand 
zu begreifen« (Steinthal), auch nicht älter ist als jene Erfin- 
dungen. Je mehr man sich das gegenwärtig hält, um so weniger 
wird man über Lücken und Mängel erstaunen ; und am wenigsten 
wird es befremden dürfen, wo sich solche Unvollkommenheiten 
im systematischen Aufbau zeigen. Dieser kann naturgemäss 
nichts aprioristisches sein. Das System einer Wissenschaft 
— das ist selbstverständlich — entsteht nicht auf Grund 
theoretischer Konstruktion, entspricht nicht von vornherein 
einem einheitlichen und wohl durchdachten Plane, sondern 
bietet lange Zeit ein treues Bild des Entwicklungsganges der 
betreffienden Wissenschaft, wie sie aus unscheinbaren Keimen 
allmählich erwachsen ist, sich abhängig von äussern Umständen, 
oft sprungweise entwickelt hat, je nach Gunst und Ungunst 
der Verhältnisse. Hinterdrein stellt sich das Bedürfm's ein, in 
dem gesamten Aufbau eine dem vorgeschrittenen Stande der 



Wissenschaft entsprechende systematische Ordnung herzustellen. 
Für die wissenschaftliche Grammatik nun liegt dies Bedürftiis 
jetzt unzweifelhaft vor, und der Zeitpunkt, ihr gesamtes System 
einer Revision zu unterziehen, dürfte längst gekommen sein. 
Unter diesem Gesichtspunkt wird die gegen weit verbreitete 
Anschauimgen auf diesem Gebiete geübte Kritik weniger ge- 
wagt erscheinen ; sie ist in der That etwas durchaus Natürliches 
und zur Zeit geradezu Notwendiges. 

Für die Erklärung einzelner Mängel in ihrer systematischen 
Gliederung kommen ausser dem Umstände, dass die wissen- 
schaftliche Behandlung der Grammatik verhältnismässig jung 
ist, noch zwei Thatsachen in Betracht, die mit jenem und 
untereinander in Zusammenhang stehen und die der Ausbildung 
eines vollständigen und wohl geordneten Systems der Grammatik 
vielfach hemmend im Wege standen. Zunächst der über- 
mächtige Einfluss der bis ins Altertum zurückreichenden Über- 
lieferung. Die moderne wissenschaftliche Grammatik hat sich 
für ihre neuen Zwecke ihr Handwerkszeug nicht neu geschaffen, 
sondern meist nur hergerichtet und notdürftig ergänzt; sie hat 
keinen Neubau nach eigenem Plane aufgeführt, um die neu- 
gesammelten reichen Erträgnisse angemessen zu bergen, sondern 
sie hat sich im wesentlichen mit dem alten Gtebäude begnügt, 
sich mit Ausbesserungen und hie und da mit einem Anbau 
beholfen. »Das ganze Gerüste und Fachwerk unserer Grammatik, 
ihre ganze Terminologie und Methode ist eine Schöpfung der 
Griechen.« (^) Bei aller Bewunderung aber, die man den auch 
auf diesem Gebiete bahnbrechenden Leistungen der Griechen 
zollen muss, wird man doch nicht verlangen wollen, dass die 
heutige Wissenschaft, die so wesentlich andere Ziele verfolgt 
als die Sprachbetrachtung der Alten, an allem festhalte, was 
diese überliefert hat an Terminologie und Systematik, an »Gerüste 
und Fachwerk«. Und an wie vielen Punkten man sich auch 
längst von der Autorität der Alten und dem Einfluss der Über- 
lieferung überhaupt frei gemacht hat, an allen, wo es dringend 
zu wünschen wäre, ist es noch nicht geschehen. 



V 



Ferner musste der Entwicklung eines den wissenschaft- 
lichen Anforderungen genügenden Systems direkt entgegen- 
wirken die Abhängigkeit der Grammatik von den praktischen 
Zielen, die sie so lange ausschliesslich verfolgte. 

Von ihren Anfangen an bis in unsere Zeit hinein ist die 
Sprachforschung fremden Zwecken dienstbar gewesen: die 
Spuren dieser langen Abhängigkeit sind noch nicht alle ver- 
wischt ; am deutlichsten weist diese von allen Teilen der Gram- 
matik die Syntax auf. Langsam und mühsam haben sich im 
Altertum die Anfänge der grammatischen Theorie, die einen 
aus dem mütterlichen Schosse der Philosophie, die andern 
aus dem der Rhetorik losgerungen. Zur reinen Wissen- 
schaft hat sich die Sprachbetrachtung der Alten überhaupt 
nicht aufgeschwungen, sie ist immer Dienerin geblieben. Teils 
hat sie im Dienst der Textkritik und Schriftstellerauslegung 
gestanden, teils sollte sie den rechten (Jebrauch der Sprache 
lehren und ihn bewahren helfen. (^) 

Und was das Altertum nicht vermocht hatte, das hat 
weder das Mittelalter, noch der Humanismus, noch die Folge- 
zeit vermocht. Eher das Gegenteil. Mit der Wiedererweckung 
des Lateins zu neuem, künstlichen Leben musste das Bedürfnis 
nach Anweisimgen entstehen, die Sprache der Römer in 
klassischer Reinheit zu gebrauchen. Die lateinische Grammatik, 
speziell die Syntax, wurde in den Händen der Humanisten 
und ihrer Nachfolger naturgemäss im wesentlichen zu einer 
Sammlimg von Regeln für die Komposition, von Vorschriften 
zur Vermeidung von Barbarismen und Solöcismen, zur Aneignung 
eines guten lateinischen Stils. Lateinsprechen und vor allem 
Lateinschreiben war Jahrhunderte lang das Ziel, dessen Erreichung 
die lateinische Grammatik dienen sollte. Und zwar je länger, 
desto mehr. Je mehr im Laufe der Zeit der mündliche und 
schriftliche Gebrauch der lateinischen Sprache in Abnahme 
kam, je weniger das Lateinschreiben ausserhalb des Unterrichts 
zur wirklichen Verwendung gelangte, imd somit die Fertigkeit 
darin nicht mehr zum grossen Teile dmxh vielfache praktische 



♦ iv' 



8 

Übung erworben wurde, um so mehr fiel ausschliesslich der 
Grammatik und in ihr besonders der Syntax, die Aufgabe zu 
das Lateinschreiben zu lehren. Und je weniger man es mit der 
Zeit zur vollen Beherrschung der fremden Sprache, zum Denken 
in ihr brachte, um so mehr drängte sich, der Standpunkt der 
äusserlichen Vergleichung mit der Muttersprache vor. Nicht 
von innen heraus wm'de der lateinische Satzbau erforscht und 
in den Grammatiken dargestellt, sondern von aussen her wurde 
der fremde Massstab d. h. der der Muttersprache angelegt und 
die Verschiedenheiten einseitig in den Vordergrund gestellt. 
Wie wenig ein solches Verfahren geeignet ist zu einer syste- 
matischen Darstellimg zu füliren, die dem behandelten Objekte 
allseitig gerecht wird, liegtauf der Hand*); ebenso klar ist es, 
dass bei der Übertragung des Systems der lateinischen Grammatik 
auf die Behandlung anderer Sprachen das Missverhältnis nur 
wachsen konnte. Dass und in welchem Masse die lateinische 
Grammatik bis auf unsere Tage für alle andern vorbildlich 
war und geblieben ist, mitunter mehr, als die Verfasser gram- 
matischer Werke sich bewusst zu sein scheinen, braucht nicht 
besonders erörtert zu werden. 

Durch die neuere Sprachwissenschaft ist freilich die Gram- 
matik aus ihrer dienenden Stellung erlöst worden. In der 
Theorie hat die moderne Sprachbetrachtung allerdings auch 
alle Teile der Grammatik ganz selbständig und von den 
Rücksichten auf fremde Interessen sowohl, wie von der Nach- 
ahmung fremder Vorbilder frei gemacht. Doch nicht durchweg 
ist diese theoretische Befreiung auch zur vollen praktischen 
Durchfühnmg gekommen, sie hat sich nicht gleichmässig auf 
alle Gebiete erstreckt, die Behandlung aller Stoffe gleich voll- 
ständig durchdrungen. Wie vielfach lassen sich zumal in der 
Syntax (und in der Stilistik) die Spuren des alten Dienstver- 



*) Worin im besondem die Überlieferung und die vorherrschende 
Rücksicht auf die praktischen Zwecke das System der Syntax und die 
Gliederung der Gesamtgrammatik geschadigt hat, wird unten in dem 
Abschnitt über Syntax und Formenlehre gezeigt. 



hältnisses wahrnehmen, von dessen immer noch nachwirkendem 
Einfluss auch die modernsten Forscher nicht überall auf der 
Hut sind. Hier harrt die dringliche Aufgabe noch ihrer Lösung, 
aus dem Prinzip auch die vollen Konsequenzen zu ziehen, die 
Idee der errungenen Freiheit zur lebendigen Wirklichkeit werden 
zu lassen. Und die Unabhängigkeit des grammatischen Systems 
jeder einzelnen Sprache von dem Schema der grammatischen 
Kategorien einer andern, zumal der lateinischen, ist bisher 
häufiger als theoretische Forderung aufgestellt, denn wirklich 
allseitig in praktischer Durchfuhrung bethätigt worden. (*) 

L Die drei Hanptarten syntaktischer Werke. 

Der gegenwärtige Zustand der syntaktischen Litteratur 
kann ohne Übertreibung als ein Duroheinander von wider- 
streitenden Systemen und systemloser Eikl^ktik bezeichnet werden. 
Doch lassen sich in diesem Wirrwar mit Sicherheit mehrere 
Hauptgruppen unterscheiden, in welche sich die überwiegende 
Mehrzahl aller syntaktischen Arbeiten als zugehörig einordnen 
lässt. 

Zunächst ist es der bekannte Widerstreit zweier entgegen- 
gesetzter Methoden der Forschung, der in die Augen springt: 
das Ausgehen von der Bedeutung, nach deren Ausdrucks- 
form gefragt wird, und umgekehrt das Ausgehen von den 
vorhandenen Formen, nach deren Bedeutung gefragt wird. 
Die erstere Richtung, die ihren Hauptvertreter in Becker gefunden 
hat, kann, wenigstens sofern ihre Ausgestaltung zu einem Gesamt- 
system eben nach dem Muster und in dem Sinne Beckers in Frage 
kommt, heute wol für überwunden gelten. Wir beschäftigen 
uns hier mit ihr deshalb zunächst nicht weiter — zumal wir 
unten gelegentlich auf sie zurückzukommen Anlass haben — und 
begnügen uns damit auf eine Stelle in dem bekannten Artikel 
von ScHERER hinzuweisen, an welcher, wie ich glaube sehr mit 
Recht, betont wird, dass diese Methode an und für sich durch- 



e 



10 

aus berechtigt und wertvoll ist, dass sie jedoch »vorläufig« aus 
praktischen gründen nicht »ratsam« ist. (*) 

Wenn das Ausgehen von der Form , wie man wohl be- 
haupten darf, im Prinzip die herrschende Richtung in der 
syntaktischen Forschung der Gegenwart geworden ist und inso- 
fern heute eine gewisse theoretische Übereinstimmung in betreff 
der Methode vorhanden ist, so stehen sich doch — zunächst 
abgesehen von den sehr verschiedenen Graden von Konsequenz 
bei der praktischen Durchführung des Prinzips — die Ansichten 
hinsichtlich des eigentlichen Objektes der Forschung unversöhnt 
gegenüber. Während die einen Syntax im wesentlichen mit S a t z - 
lehre gleichsetzen, also den Satz , das wichtigste syntaktische 
Gebilde selber, zum eigentlichen Gegenstand der Forschung , 
und Darstellung machen, wenden die andern ihre Betrachtung den 
einzelnen aus ihrem Zusammenhang gelösten Bestand- 
teilen zu, aus denen syntaktische Gebilde sich zusammen- 
setzen können, und indem sie die Bedeutung und den 
Gebrauch der verschiedenen Arten und Formen der 
Wörter imtersuchen, weisen sie der Syntax als ihren Gegen- 
stand zugleich alles dasjenige aus der Wortlehre zu, was in der 
gewöhnlichen Wortblegungs- und Wortbildungslehre nicht ent- 
halten ist 

Diese beiden Anschauungen dürften am meisten in Betracht 
kommen und sollen uns im folgenden vorwiegend beschäftigen*). 
Doch wird die Hauptmasse aller syntaktischen Arbeiten wohl 
schwerlich von denen zusammen gebildet, die einer der ge- 
nannten Richtungen mit völliger oder doch annähernder Aus- 
schliesslichkeit folgen. Ein sehr grosser, wenn nicht der über- 
. wiegende Teil aller syntaktischen Schriften (*) gehört vielmehr 
in eine weitere Gruppe, der wir von allen die geringste syste- 
matische Bedeutung zuerkennen müssen. Dieser wollen wir uns 
hier zunächst zuwenden. 



*) Unten S. 19 fiP. und S. 45 fiP. 



11 

Wir bezeichnen diese Gruppe mit dem Namen 

Mischsyntax 

wegen der prinziplosen Nebeneinanderstellung oder Durcheinander- 
würflung ihres verschieden gearteten Stoffes. Was man in einer 
solchen Syntax nach landläufigen Begriffen zusammen behandelt 
findet, das ist in der That eine, mitunter ziemlich bunte, Mischung 
heterogener Dinge. Da finden sich neben Erörterungen über 
das Wesen und den Gebrauch der Wortarten oder der soge- 
nannten Redeteile die Lehre vom Gebrauche bezw. der Bedeutung 
der Flexionsformen (Gegenstand der Forschung und Darstellung: 
die einzelnen Elemente der Rede) und eine mehr oder minder 
systematische Satzlehre oder Bruchstucke einer solchen (Gegen- 
stand : die wichtigsten syntaktischen Gebilde selber) mit häufigen 
Übergriffen auf das Gebiet der Stilistik und Rhetorik. Diese 
disparaten Gegenstände werden bald nebeneinander angeordnet 
bald durcheinander geworfen. (') 

Der Ungleichartigkeit des zusammenbehandelten Stoffes ent- 
spricht nicht selten eine ebenso wenig einheitliche Behandlungs- 
weise. Denn in der Lehre von den Redeteilen und Flexions- 
formen liegt es nahe von dem gegebenen sprachlichen Material 
auszugehen, um dessen Gebrauch (Bedeutung) aufzuweisen; und 
dieses Verfahren kann hier als das übliche bezeichnet werden, 
wie es auch das von alters her überlieferte ist. In der eigent- 
lichen Satzlehre dagegen pflegt die umgekehrte Methode noch 
vorwiegend oder doch zum grossen Teil befolgt zu werden. Aus- 
gegangen wird hier gern von dem auszudrückenden Gedanken 
und seinen Beziehungen; die Bedeutungen werden angesetzt, 
danach wird eingeteilt und geordnet und die dafür vorhandenen 
Ausdrucksformen aufgesucht. Wo die Satzlehre nicht in 
ganz fragmentarischer Fassung auftritt, gründet sie sich auch 
gerne auf eine an die Spitze gestellte Definition des ,Satzes'; 
eine Definition, die oft nicht von sprachlich-grammatischen, 
sondern von logischen Merkmalen hergenommen ist. Und ist 
einmal bei Aufetellung dieser Definition der Logik das Thor 




12 

geöflfhet, so bleibt eine ,philosophische' Betrachtungsweise, die 
auch wohl mitunter in die Lehre von den Redeteilen hinein- 
spielt, in der Satzlehre vorherrschend oder doch mitherrschend. 
Hier spielt die Logik — oder was in weiterem Sinne so ge- 
nannt wird — auch heute noch eine Rolle, wie sie ihr in der 
Grammatik überhaupt nirgends gebührte. 

Wenn auch die konsequente Durchführung der BECKERschen 
Methode und ihr Ausbau zu einem geschlossenen System 
gegenwärtig keine bekannteren Anhänger zu zählen scheint, so 
würde es doch weit gefehlt sein anzunehmen, dass in der Syntax 
die Herrschaft dieser Richtung überhaupt gebrochen sei. 
Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Hier, in der eigentlichen 
Satzlehre der Mischsyntax, hat die sonst überall ausgewiesene 
und verdrängte einen, wie es leider scheint, sichern Unterschlupf 
gefunden. Noch immer steht, wie man leicht an der Hand 
einiger neuerer Arbeiten nachweisen kann, die Behandlung des 
Satzes und seiner Arten unter dem übermächtigen Zeichen der 
Logik. Rein logische Unterscheidungen werden der Grammatik 
aufgedrängt; es wird eingeteilt und gesondert, wo die betr. 
Sprache selber keinerlei Sonder ung und Einteilung kennt. Oder 
es schieben sich bei der Unterbringung in die bekannten 
grammatischen Kategorien die logischen Erwägungen an die 
Stelle der formalen Kennzeichen z. B. bei der Entscheidung 
der Frage, ob ein Satz ein ^Hauptsatz* oder ein ^Nebensatz' 
sei. Diese noch vorwiegend gebrauchten, aber schiefen und 
irreführenden Namen, die den logischen, besser den inhaltlichen 
Wert der Sätze zu bezeichnen geeignet sind, sind durchaus ent- 
sprechend der schiefen Fragestellung : denn in der Syntax sollte 
es sich doch nur darum handeln zu entscheiden, ob ein Satz 
grammatisch selbständig oder unselbständig ist. (®) 

Ist es nicht die Zwangsjacke der Logik, in welche die 
Sprache durch solche aprioristische Behandlung der Syntax 
gesteckt wird, so ist es dafür die Zwangsjacke der Grammatik 
einer andern Sprache, deren Einteilungen und Unterscheidungen 
ohne viel Bedenken, oft unbewusst auf die gerade behandelte 



13 

Sprache übertragen werden. Dies ist bei der Untersuchung 
fremder Sprachen entweder die Muttersprache des Forschers, 
oder, wie bei der Behandlung dieser selbst, das Lateinische 
oder beides zugleich. Besonders oft und besonders störend hat 
sich der Einfluss der am Latein gewonnenen syntaktischen 
Anschauungen bei der Erforschung anderer Sprachen geltend 
gemacht. 

Die Gefahr das syntaktische System einer Sprache fremd- 
artigen Einflüssen unterzuordnen — seien es nun logische Er- 
wägungen oder die syntaktischen Eigentümlichkeiten einer andern 
Sprache — wird verstärkt durch die Neigung mancher Forscher 
die Darstellung genau dem Gange der Untersuchung anzu- 
passen. Dies Verfahren, das oft ganz angebracht ist und zu- 
weilen selbst entschiedene Vorzüge hat, würde überhaupt — für 
Einzeluntersuchungen wenigstens - gar nicht bedenklich sein, 
wenn dabei nicht so leicht versäumt würde, negative Ergebnisse 
der Untersuchung als solche deutlich hervortreten zu lassen. 
Die Fragestellung bei syntaktischen Forschungen kann natürlich 
sehr wohl und muss häufig genug so lauten: Zeigen Sätze 
solchen und solchen Inhalts, oder Sätze, die in dem und dem 
logischen Beziehungsverhältnis zu andern Sätzen stehen, eine 
besondere, ihnen eigentümliche Form? und welches sind die 
Merkmale, durch welche sich diese Sätze von andern unter- 
scheiden ? Die Darstellung dürfte hier aber höchstens dann dem 
Gange der Untersuchung folgen, wenn die erste der beiden 
Fragen bejahend beantwortet werden konnte. Nur wo die 
Untersuchung ein positives Ergebnis zu Tage gefordert hat, 
kann die Darstellung dementsprechend angeordnet werden. 
Ich fingiere ein Beispiel. Wer von seiner Muttersprache her 
etwa gewohnt wäre, zwischen beschreibenden und beschränkenden 
Relativsätzen zu scheiden, würde bei der Untersuchung der 
Relativsätze einer beliebigen andern Sprache sich mit Recht 
die Frage vorlegen, ob diese 1) ebenfalls eine solche Scheidung 
erkennen lässt und 2) wenn dies der Fall ist, ob dazu dieselben, 
oder ähnliche, oder andere syntaktische Mittel verwendet werden. 




14 

Ergäbe nun die Untersuchung für Frage 1 ein negatives Re- 
sultat, so wäre es doch grundverkehrt, trotzdem den Stoff bei 
der Darstellung zu teilen in I. Beschreibende Relativsätze, 
IL Beschränkende Relativsätze, um dann unter II zu erklären: 
Die beschränkenden Relativsätze lassen keinerlei formalen Unter- 
schied von den beschreibenden erkennen; es werden ohne 
Unterschied in ihnen dieselben Pronomina und Adverbia, die- 
selbe Wortstellung u. s. w. gesetzt wie bei jenen. In einem 
so konstruierten Beispiel hört sich das gerade so absurd an, 
wie es thatsächlich ist. Und doch geschieht dasselbe fort und 
fort in syntaktischen Untersuchungen, die, von den Bedeutungs- 
unterschieden der Sätze — woher immer sie genommen sein 
mögen — ausgehend, nach der Form dieser im voraus ge- 
schiedenen Satzarten fragen. Es geht noch verhältnismässig 
gut ab, wenn, wie eben angenommen wurde, das negative 
Resultat sauber hervortritt: trotz der verkehrten Einteilung, 
die auf ein positives Ergebnis hatte schliessen lassen, ist doch 
der wirkliche Thatbestand soweit zu seinem Rechte gekommen. 
Es kommt aber auch vor, dass dem Forschenden selber das 
negative Ergebnis nicht recht klar zum Bewusstsein gekommen 
ist, aus dem einfachen Grunde, weil er sich die entscheidende 
Frage: Entsprechen die thatsächlichen Verschiedenheiten der 
syntaktischen Formationen den gemachten Abschnitten? über^ 
haupt nicht, oder nicht klar genug vorgelegt hat. Es werden 
vielmehr oft genug die einmal aus dem Latein bekannten oder 
sonstwoher genommenen Kategorien einfach als für alle Sprachen, 
Mundarten und Zeiträume feststehend angenommen, die Bei- 
spiele werden gesammelt, in die bereitstehenden Fächer und 
Kästen verteilt, die dann unter den bekannten Überschriften 
vor dem Leser ausgeschüttet werden. Dabei kümmert es die 
eifrigen Sammler und Ordner wenig, ob unter manchen dieser 
Überschriften ganz dieselben Angaben z. B. über Modus, Tempus, 
Wortstellung zu machen sind; die werden ruhig jedesmal von 
neuem gemacht Offenbar hervortretende Unterschiede werden 
angemerkt, die Übereinstimmung jedoch vielfach nicht, diese 



15 

|stzuste]len bleibt dem nachprüfenden Leser überlassen. Das 
•gebnis solcher nachträglichen Prüfung ist freilich nicht selten, 
[SS einige Unterabteilungen zwecklos und willkürlich sind, 
Mere unbedeutende Dinge in den Vordergrund rücken, dass 
it einem Wort die thatsächlichen Verhältnisse durch die ge- 

iachten Einteilungen verdunkelt und verschoben sind, dass 

.nordnung und Darstellung dem wirklichen Thatbestande nicht 

rerecht werden. 

Es bildet diese grosse Gruppe der Mischsyntax natürlich 
keine irgendwie einheitliche Masse; besteht doch ihre Gemein- 
samkeit nur in dem negativen Merkmal ihrer Systemlosigkeit. 
Daher haften die besprochenen Mängel auch nicht allen den 
Arbeiten gleichmässig an, die zur Mischsyntax zu rechnen sind: 
denn diese Mängel sind zum Teil keine direkte und notwendige 
Folge der Systemlosigkeit, sondern nur eine indirekte und mehr 
zuföUige. Die Mischsyntax bietet in ihrer Systemlosigkeit gleichsam 
einen günstigen Nährboden, auf dem allerlei Fremdes und 
Schädliches üppig gedeiht. {^) 

Die einzelnen zur Mischsyntax gehörigen Arbeiten unter- 
scheiden sich daher auch von einander in vielerlei Abstufungen 
und Unterarten jö nach der Zahl der mit einander wechselnden 
Gesichtspunkte und nach den verschiedenen Graden des Anteils, 
der einem jeden von ihnen bei der Mischung zugefallen ist. 
So kann man im einzelnen Falle sogar im Zweifel sein, ob man 
eine Schrift überhaupt zur Mischsyntax zählen soll, oder ob man 
in Anbetracht der verhältnismässig nur geringfügigen Bei- 
mischung anders gearteter Elemente zu einem sonst einheitlichen 
Ganzen in ihr einen Vertreter einer der andern oben genannten 
Hauptrichtungen sehen soll, der sich nur einiger Inkonsequenz 
schuldig gemacht hat. Die Menge der imzweifelhaft zur Misch- 
syntax gehörigen Arbeiten liesse sich somit, da wesentliche 
Unterschiede innerhalb derselben bestehen, leicht in mehrere 
Unterabteilungen sondern; doch ist das für unsem Zweck 
gleichgültig. In Betracht kommen könnte hier nur noch die 



k> 




16 

verschiedene Art, in der sieh die Verfasser von Arbeiten der 
Mischsyntax zu den vorliegenden Fragen verhalten. 

Da giebt es zunächst eine stattliche Zahl von solchen, die, 
mehr oder weniger naiv und unbewusst, in alten Geleisen bequem 
einherziehen, sich die Freude des Sammeins und Gruppierens 
nicht durch die Sorge um solch nebensächliche Dinge wie 
Methode imd System verderben lassen, mitunter auch wohl 
von der Existenz der Fragen, die uns hier beschäftigen, keine 
deutliche Vorstellimg haben. Dass solche Arbeiten, seien sie 
auch noch so systemlos, des gesammelten Materials wegen doch 
sehr nützlich und verhältnismässig wertvoll auch in ihren 
Resultaten sein können, soll durchaus nicht geleugnet werden; 
nur für unsere gegenwärtige Untersuchung sind sie ohne jede 
Bedeutung. 

Dem gegenüber giebt es bewusste Anhänger der 
Mischsyntax. Zunächst solche, die gar nicht die Absicht 
haben eine systematische Syntax zu schreiben, sondern eine 
lockere Reihe von einzelnen Punkten aufeuklären und mit un- 
gleicher Ausführlichkeit zu erörtern wünschen und die für ihre 
mehr aphoristisch gehaltenen Ausführungen die Freiheit der 
Bewegimg imd Gruppierung, die wechselnde Wahl des Stand- 
pimktes dem Zwange irgend eines Systems vorziehen. Inso- 
fern diese die systematischen und methodischen Fragen als 
vorhanden anerkennen, aber für ihre besonderen Zwecke im 
einzelnen Falle — der aber doch im ganzen als Ausnahme zu 
gelten haben wird — bei Seite setzen, ist nichts dagegen zu 
sagen; die Berechtigung dieses Verfahrens wird niemand be- 
streiten wollen, da durch dasselbe nichts für oder wider irgend 
ein System entschieden werden soll. 

Dann gehören hierher solche Autoren, die an einer be- 
friedigenden Lösung jener Grundfragen überhaupt verzweifeln, 
die Mängel eines jeden der bekannten Systeme neben seinen 
Vorzügen nicht übersehen und, da sie keinem den Vorrang 
einzuräumen vermögen, es für erspriesslicher halten, in den 
gewohnten Bahnen der Mischsyntax zu bleiben; ein Notbehelf 



17 

der doch wenigstens für Verfasser und Leser den Vorteil der 
Bequemlichkeit bietet. 

Und endlich diejenigen Autoren, die auch für eine ausge- 
führte und umfassende Arbeit sich an die Mischsyntax halten, 
nicht als an ein pis aller, weil sie etwas Besseres zu finden ver- 
zweifeln, sondern weil etwas Besseres zu suchen ihnen unnütz 
scheint, weil sie mit dieser Mischsyntax in theoretischer wie 
praktischer Hinsicht durchaus zufrieden sind. 

Den beiden letzterwähnten Anschauungen gegenüber 
brauchen wir unsem Standpunkt nicht besonders zu betonen 
und ausführlicher zu begründen. Er ist durch das blosse 
Aufwerfen der Frage: Was ist Syntax?, durch das Suchen 
nach dem besten syntaktischen System schon hinlänglich be- 
zeichnet. Aus dem Widerspruch gegen jene Ansichten sind 
die vorliegenden Erörterungen erwachsen; unsere gesamten 
Ausführungen würden also, soweit ihnen überhaupt irgend 
welche überzeugende Kraft innewohnt, zugleich als Wider- 
legung der zuletzt erwähnten Anschauungen anzusehen sein. 
Die Anerkennung der Mischsyntax — sei es als eines allen 
billigen Anforderungen genügenden Systems, sei es auch nur 
als eines notwendigen Übels — enthielte in sich schon das 
Zugeständnis, dass eine befriedigende Antwort auf die Fragen, 
deren Untersuchung uns hier beschäftigt, nicht zu finden sei. 
Selbst wenn — was wir durchaus bestreiten*) — - alle Elemente, 
aus denen sich die Mischsyntax zusammenzasetzen pflegt, an 
sich völlig einwandfrei wären, wenn alle Gesichtspunkte, die 
sich in ihr zur Geltung bringen, für sich ihre volle Berechtigung 
hätten, so wäre doch das Durcheinander oder auch nur ein 
Nebeneinander ungleichartiger und zmn Teil direkt entgegen- 
gesetzter Elemente von vornherein verwerflich. Es liegt im 
Wesen der Mischsyntax, dass sie nur eine äusserliche Disponierung 
des Stoffes zulässt, eine dm-chweg dem Gegenstand gemässe, 
aus seiner Natur entspringende und dabei einheitliche An- 



*) Vergl. unten S. 62 ff. 

B 1 e 8 , Was ist Syntax ? 



t 



18 

Ordnung unmöglich macht, und auch die Gleichartigkeit der 
methodischen Behandlung ausserordentlich erschwert , wenn 
nicht ausschliesst. Ein eklektisches System — das ist eigent- 
lich eine contradictio ; ein Mischsystem ist gar keins. (lo. ii.) 

Um der Systemlosigkeit der Mischsyntax zu entrinnen, 
giebt es nur den einen Weg: den herkömmlichen Stoflf durch 
Ausscheidung eines Teiles seiner Elemente einheitlich zu machen. 
Unter Beibehaltung alles dessen, was ihr hergebrachtermassen 
zugewiesen wird, ist Ordnung, Einheit und System in die Syntax 
nicht hineinzubringen. Entschliesst man sich aber zu der 
durchaus notwendigen Amputation, so steht man vor der Eni-- 
Scheidung der Hauptfrage: Welche Teile des üblicherweise der 
Syntax zugeteilten Stoffes sind abzutrennen, welche sind bei- 
zubehalten ? — Aber soll man sich, bloss dem System zuliebe, 
überhaupt zu solch gewaltsamer Operation entschliessen ? Soli 
Ordnung und Einheitlichkeit auf Kosten des Inhalts erzielt 
werden ? Dies schwer wiegende Bedenken wird durch das End- 
ergebnis der folgenden Erörterungen, wie wir denken, beseitigt 
werden. Wir hoffen zeigen zu können*), dass es sich in 
Wahrheit gar nicht um eine Amputation handelt, dass eine 
künstliche Lostrennung von organisch zur Syntax gehörigen 
Teilen nicht erforderlich sein wird. Es wird sich erfreulicher- 
weise herausstellen, dass der Syntax alles wirklich Wesentliche 
erhalten bleiben kann und dass, um zu einem einheitlichen 
und gleichartigen Stoffe zu gelangen, man nur solche Teile der 
landläufigen Syntax abzusondern braucht, die ihrem Wesen 
nach der Syntax im Grunde fremd sind. Solche Trennung 
kann aber allen Teilen, die so aus einer zwar seit lange zur 
Gewohnheit gewordenen, aber eigentlich unnatürlichen Ver- 
bindung gelöst werden, nur zum Vorteil gereichen. (^2) 

Wir stehen also, von der Mischsyntax ausgehend, vor der 
Alternative: entweder den wahren Kern der Syntax in der 
Darstellung der Satzlehre zu suchen oder aber diese selber 



*) Siehe unten den Abschnitt über Syntax und Wortlehre. 



19 

ganz über Bord zu werfen. Zu diesem letzleren entschliesst 
sich MiKLOsiCH, und ihm folgen nicht wenige andere Gelehrte. 
Wir nennen diese neuerdings mehr in den Vordergrund ge- 
tretene Richtung, deren Besprechung wir uns nun zuwenden, 
nach ihrem hervorragendsten Vertreter das 

System Miklosich. 

»Jener Teil der Grammatik,« sagt Miklosich, »welcher die 
Bedeutung der Wortklassen und Wortformen darzulegen hat, 
heisst Syntax. Die Syntax zerßLllt demnach in zwei Teile, von 
denen der erstere die Bedeutung der Wortklassen, der andere die 
Bedeutung der Wortformen zum Gegenstand hat.« (^®) Einfach, 
klar und — sicherlich unrichtig. Auf den ersten Blick sogar 
etwas verblüffend, dieser Sprung von der »Bedeutung der 
Wortklassen und Wortformen« zu dem Namen Syntax. Dies 
Wort ist etymologisch zu durchsichtig, man ist sich seiner 
Bedeutung zu lebhaft bewusst, als dass die Worte Miklosichs 
»heisst Syntax« nicht hart ans Ohr schlagen sollten. 

Lebhaft zu bedauern ist, dass sich Miklosich meines 
Wissens nicht zu einer eingehenden Erklärung und Begründung 
seines Systems verstanden hat. Die einzige Stelle, an der er 
sich, soviel mir bekannt, über die Anlage ^ines Werkes aus- 
spricht, versucht nur eine Rechtfertigung für das Aufgeben 
der getrennten Behandlung der Modi im einfachen und mehr- 
fachen Satze. (^*) Selbst wenn diese Rechtfertigung gelungen 
wäre, was wir nicht glauben, so streift sie doch die uns be- 
schäftigende Frage nur nebenbei. Ob die Bedeutung der Modi 
im Zusammenhang oder nach Haupt- und Nebensätzen ge- 
sondert behandelt wird, ist uns hier relativ gleichgültig. Was 
wir wissen möchten, ist vor allem, weshalb Miklosich zwar 
den Modus u. s. w. im Satze und den Satzarten, aber nie 
den Satz und seine Arten selber behandelt. Kommt auch 
natürlich an vielen Stellen seines Werkes gelegentlich die Rede 
auf bestimmte Formen und Arten des Satzes, so fehlt doch eine 
Darstellung der Satzlehre und soll seiner Definition nach fehlen. 

2* 



/ 



20 

So sind wir in Ermangelung eigener Äusserungen des 
Verfassers vielfach auf blosse Vermutungen angewiesen. Sicher 
ist wohl , dass Miklosich sein System in bewusstem und ge- 
wolltem Gegensatz zu der oben besprochenen Art syntaktischer 
Arbeiten ausgebildet hat. Wahrscheinlich ist auch, dass er 
selber, ebenso wie es seine Nachfolger und Beurteiler einstimmig 
gethan haben, einen Hauptvorzug seines Systems gegenüber dem 
Durcheinander der Mischsyntax in der Einfachheit, Durchsichtig- 
keit und Folgerichtigkeit seiner Anordnung gefunden haben vrird. 
Dass er sich bei der einmal als notwendig erkannten Wahl 
zwischen den widerstrebenden Gesichtspunkten gegen die Auf- 
fassung der Syntax als Satzlehre entschieden hat, das hängt 
wohl mit der Abneigung gegen die in der Satzlehre, wie er sie 
vorfand, noch so vielfach herrschende Richtung Beckers zu- 
sammen. Mir ist zwar nicht bekannt, das MiKLosrcH dieser 
Abneigung einen besonderen Ausdruck gegeben hat ; sie scheint 
mir aber aus der ganzen Anlage und Durchfuhrung seiner 
Syntax deutlich erkennbar. Und es liegt nahe anzunehmen, 
dass die verkehrte Methode, nach welcher Miklosich die 
Satzlehre so häufig behandelt fand, ihn gegen den so behan- 
delten Stoff selber mistrauisch und abgeneigt gemacht habe. 
Über einen solchen Zusammenhang zwischen der Ausbreitung 
des Systems Miklosich und dem Kampfe gegen die BECKERsche 
Richtung kann übrigens kein Zweifel sein, wenigstens nicht so- 
weit Erdmann, der tüchtigste unter seinen Nachfolgern, in 
Betracht kommt. Dieser letztere, der sich bei Gelegenheit aus- 
drücklich scharf gegen Becker gewendet hat (^^), nennt Miklosich 
sein Vorbild (^®) und beruft sich gleichzeitig auf Sgherer(^^), 
der in dem oben erwähnten Aufsatz gesagt hatte: »Entweder 
Becker oder Miklosich, aber keine Vermischung beider Stand- 
punkte. Entweder Ausgehen vom Innern oder vom Äussern, 
aber konsequent in jedem!« (''') 

Doch ist dieser — von Miklosich selbst nicht ausgesprochene, 
aber doch unverkennbare — Widerspruch gegen die philosophie- 
rende Behandlung der Syntax nach BECKERscher Art nur eine 



21 

Seite des Systems Miklosich: er ist vor allem kein unter- 
scheidendes Kennzeichen desselben; so aber könnte man nach 
der eben angezogenen (^^) Äusserung Erdmanns vermuten, in 
der dieser die Wahl seines Vorbildes mit dem Gegensatz gegen 
die BEGKERSche Methode zu begründen sucht. Diesen Gegen- 
satz hat vielmehr Miklosich mit andern gemein ; so hatte sich 
z. B. schon vor dem Erscheinen der vergleichenden Syntax der 
slavischen Sprachen Vernaleken gegen »die Bernhardi, Becker, 
Herling« erklärt, die »von der philosophischen Seite begonnen 
haben, anstatt mit ihr zu endigen.« ('•) Femer sagt Vernaleken: 
»Was endlich die Anordnung im ganzen betrifft, so habe ich 
vor allem im Auge gehabt, dass die Grammatik eine empirisch- 
historische Wissenschaft ist, keine spekulative Ein 

Gerüst aus logischen Abteilungen und Unterabteilungen be- 
stehend, ist und bleibt ein Gerüste, das jeder andere philo- 
sophische Sprachforscher über den Haufen wirft.« (^®) Wäre 
also das eigentlich Charakteristische an Miklosich sein Gegensatz 
gegen die BECKERsche Schule, so hätte es für den Germanisten 
Erdmann doch näher gelegen, sich auf den Vorgang des älteren 
Vernaleken zu beziehen. 

Und auch das ist für Miklosich nicht charakteristisch — 
und daher auch nicht geeignet, die von Erdmann getroffene 
Wahl eines Vorbildes zu begründen — dass »dieser Forscher 
(wie Erdmann a. a. 0. sagt), das altbewährte Prinzip der An- 
ordnung festhielt . . .« Ist das System Miklosich wirklich 
das .altbewährte', weshalb wird er denn gerade besonders 
genannt, zum Vorbilde empfohlen (Scherer) und gewählt 
(Erdmann , Wunderlich) ? (^^) Jene Worte Erdmanns lassen 
den eigentlichen Sachverhalt überhaupt nicht mit genügender 
Klarheit erkennen. Setzen wir für das Wort .altbewährt', 
das eine petitio principii enthält, einfach ,air, so ist die 
Bemerkung insofern richtig, als die Bestandteile, aus denen 
Miklosich sein Werk aufbaut, von alters her überliefert sind 
und seitdem, wenigstens in ihrer Mehrzahl, meist als für eine 
Syntax unentbehrlich gegolten haben. Es ist auch weiter richtig, 




22 

dass sehr vielfach und ebenfalls von alters her gerade diese 
Bestandteile als das Wesentliche angesehen worden sind und 
oft den breitesten Raum in syntaktischen Werken eingenommen 
haben. Aber gerade weil das richtig ist, deshalb ist es kein 
Umstand, der dazu führen könnte, das System Miklosigh zum 
Vorbild zu wählen. Insofern dieser Forscher am Altüberlieferten 
festhält, ist in seinem System nichts Eigenartiges, das Gegenstand 
der Nachahmung sein könnte. Es deckt sich jedoch Miklosighs 
System keineswegs mit dem altüberlieferten. Was er vorfand 
war doch immer nichts Anderes als Mischsyntax verschiedenster 
Art und Abstufung, wie sehr auch in vielen die Lehre von den 
Redeteilen und Flexionsformen, der altüberlieferte Kern, über- 
wiegen mochte. Miklosigh hat also unter dem überlieferten 
Stoff ausgewählt und durch diese Auswahl hat er eigentlich 
erst ein ,Prinzip* in die Anordnung hineingebracht; er hat 
erst durch Ausscheidung anders gearteten Stoffes eine aus der 
geschichtlichen Entwickelung der syntaktischen Forschung er- 
klärliche, einfach thatsächlicheGepflogenheit zum Prinzip 
erhoben. Aber auch andere {^^) haben mit mehr oder minder 
bewusster Absicht sich in derselben Richtung bewegt: keiner 
freilich mit der Folgerichtigkeit wie Miklosigh. Wollte Erdmann 
die Wahl seines Vorbildes begründen, so hätte er den Nachdruck 
ausschliesslich auf die Worte ». . . und konsequent durchfahrte« 
legen müssen, die er den oben angeführten wie etwas höchstens 
gleich Wichtiges nachfolgen lässt. Allerdings! Konsequent 
ist Miklosigh wie kein zweiter. Die unbezweifelte Origi- 
nalität der MiKLOsicHschen Syntax liegt weder in der Opposition 
gegen die BECKERsche Richtung noch im Festhalten am altüber- 
lieferten Stoff und seiner Anordnung: was ihre ausgeprägte 
Eigenart ausmacht, das ist die starre Konsequenz, durch welche 
allein die schöne Einfachheit ihres Aufbaus ermöglicht wurde. 
Was die Syntax von Miklosigh vor allen andern aus- 
zeichnet, die klare Durchsichtigkeit ihrer Anlage und die sonst, 
weder von Vorläufern noch von Nachfolgern erreichte Folge- 
richtigkeit im Festhalten des zu Grunde liegenden Planes — 



23 

diese Vorzüge, darüber darf man sich nicht täuschen, waren 
aber nur ermöglicht durch die grossartige und gewaltsame 
Einseitigkeit, durch welche sich sein System ebenfalls von 
allen andern unterscheidet. Bis auf einige, allerdings nicht 
unwichtige und recht bezeichnende Ausnahmen, die wir noch 
zu besprechen haben werden, hat Miklosich den Mut seiner 
Meinung gehabt und alles unbarmherzig aus seinem Werke 
verbannt, was sich seiner Definition und Disposition nicht hat 
fügen wollen. So ist denn sein Werk zwar bis auf die er- 
wähnten Ausnahmen einheitlich und übersichtlich geworden wie 
keine andere Syntax — aber auf Kosten des Inhalts. Dieses 
in solchem Masse, dass wir ein derartiges Werk — so gross 
sonst immer seine Verdienste sein mögen — überhaupt nicht 
eine Syntax nennen würden, sondern es nur als eine Materialien- 
sammlung zu einer solchen bezeichnen könnten. Denn es 
werden nicht nur einzelne Gebiete, die unzweifelhaft als wich- 
tige, ja unentbehrliche Bestandteile einer Syntax anzusehen 
sind, völlig ausgeschlossen, sondern es werden auch die Teile 
des syntaktischen Stoffes, die von Miklosich behandelt sind, in 
einer Weise angeordnet, wie sie höchstens neben einer zusammen- 
fassenden Behandlung zulässig erscheinen könnte. Durch seine 
Definition und die sich aus derselben ergebende Disposition ist 
aber Miklosich jede zusammenhängende Darstellung der syn- 
taktischen Gebilde selber unmöglich gemacht. 

Möglich, dass sich Miklosich über das Fehlen einer zu- 
sammenhängenden Darstellung der Satzlehre mit einem ähn- 
lichen Gedanken getröstet hat, wie ihn Erdmann in der oben (S. 20/21 
vergl. Anm. 17) schon zu einem Teile besprochenen Verteidigung 
seines Systems ausspricht: »Für jede Wortklasse gebe ich die 
Gebrauchstypen an, in denen sie — für sich allein stehend, 
oder in Verbindung mit anderen — erscheint; dann verfolge ich 
den Gebrauch jeder Formation des Verbums und will es ebenso 
bei jeder des Nomens thun. Nach dieser Anordnung kann der 
Aufbau jedes Satzes bei den einzelnen Bestandteilen desselben 
zur Sprache kommen ; ebenso jede in der Sprache ausgebildete 




24 

Form der Verbindung zweier Sätze bei den einzelnen Mitteln, 
welche der Verbindung dienen, also zunächst an verschiedenen 
Stellen. Zusammenfassung und Ergänzung dieser einzelnen 
Erörterungen zu einem Gesamtbilde der Satzverknüpfung 
habe ich dem Schlussabschnitt vorbehalten«. Der letzte Teil 
dieser Verteidigung seines Verfahrens setzt sich in prinzipiellen 
Gegensatz zu dem ersten, und damit zu dem System selber, 
dessen Hauptvorzug, der einfache, harmonische Aufbau, wie 
auf der Hand liegt, durch diesen Schlussabschnitt zerstört 
wird. Was »ein Gesamtbild der iSa^^verknüpfung« in 
einer »Lehre vom Gebrauche der TTor^klassen und Wort- 
formen in der Rede« zu thun hat, wie es sich in eine solche 
einfügen soll, ist völlig unerfindlich. Die Satzverknüpfung ist 
ein wirklich syntaktisches Problem ; eine Darstellung derselben 
fasst die syntaktischen Gebilde selber ins Auge, während »die 
Lehre vom Gebrauch der Wortklassen und Wortformen« sich 
ausschliesslich mit deren einzelnen Bestandteilen befasst. Wer 
eine so definierte Syntax mit einem Gesamtbilde des Gebrauchs 
einiger dieser Bestandteile in einem bestimmten syntaktischen 
Gebilde beschliesst, fallt damit einfach aus der Rolle. Er fügt 
dem System Miklosich ein Stück aus dem ihm gerade entgegen- 
gesetzten System hinzu ; das Ergebnis ist natürlich wieder Misch- 
syntax. Miklosich ist konsequenter und, indem er nur seine 
2 Teile : I. Bedeutung der Wortklassen, II. Bedeutung der Wort- 
formen, aber keinen »Schlussabschnitt« kennt, hat er auch 
keine »Zusammenfassung zu einem Gesamtbilde.« Erdmann 
fühlt für die Satzverknüpfung das Bedürfnis einer Zusammen- 
fassung, was sehr begreiflich ist. Schwer zu begreifen ist aber, 
dass er nicht gefühlt hat, dass er damit einmal die einfache, 
klare Zweiteilung und die ganze saubere Folgerichtigkeit des 
MiKLOsiGHschen Systems vernichtet, und dass er zum andern 
damit gegen die übrigen Teile der Satzlehre ungerecht wird. 
Was der Satzverknüpfung recht ist, ist doch allen 
andern Teilen der Satzlehre billig. Weshalb denn nur 
jener »eine Zusammenfassung und Ergänzung zu einem 6e- 



25 

samtbilde« gönnen? Wird man Erdmann auch bereitwillig 
zugeben, dass bei seiner Anordnung das Bedürfiiis einer Zu- 
sammenfassung zu einem Gesamtbilde gerade für die Satz- 
verknüpfung besonders fühlbar war, so wird man doch nicht 
behaupten wollen, dass etwa jede zusammenhängende Behand- 
lung der übrigen Teile der Satzlehre entbehrlich und überflüssig 
sei. Selbst wenn wir Erdmann zugeben könnten, dass »bei 
dieser Anordnung der Aufbau jedes Satzes bei den einzelnen 
Bestandteilen desselben zur Sprache kommen kann; ebenso 
jede . . . Form der Verbindung zweier Sätze« — (wenn dem 
so ist, weshalb bedarf es da übrigens zum Gesamtbilde einer 
Ergänzung?); selbst wenn wirklich auf diese Weise der 
gesamte Inhalt einer Satzlehre, zwar zerstückelt und verteilt, 
aber doch vollständig zur Behandlung gelangen könnte, so 
richtet sich eben dagegen unser erster Einwand, dass die 
Verfasser von Werken nach dem System Miklosich dem Leser 
zumuten, dass er sich »an verschiedenen Stellen« »die ein- 
zelnen Bestandteile« zusammenlese. Dadurch wälzen sie einen 
wesentlichen Teil ihrer Arbeit auf den Leser ab. Wir ver^ 
missen eben die »Zusammenfassung«; es fehlt eben 
»das Gesamtbild«. An verschiedenen Stellen sind 
die einzelnen Bestandteile des Satzes behandelt, der Satz 
aber ist nirgends behandelt. Ist das nicht, als ob in einer 
Darstellung der Grundzüge seiner Wissenschaft ein Zoologe, 
ein Botaniker, statt uns »Gesamtbilder« von den Tieren und 
Pflanzen zu geben, uns nach einander die einzelnen »Bestand- 
teile«, aus denen sich die Objekte seiner Wissenschaft zu- 
sammensetzen, vorfuhren wollte, diese Bestandteile beschreiben 
und angeben wollte, wie, wann, wo, in welchen Formen, 
Verbindungen usw. sie sich finden? Würden wir ein Werk 
der beschreibenden Naturwissenschaft als ein Muster seiner 
Art gelten lassen, in dem der Verfasser, statt uns Blumen und 
Bäume vor Augen zu stellen, statt uns Fische, Vögel und 
Reptile vorzuführen — jedes in seinem natürlichen Zusammen- 
hang, an seiner Stelle im System, — uns der Reihe nach von 




26 

Wurzeln, Dornen, Blättern, Nadeln spräche; E[nochen, Gräten, 
Haut, Flossen und sonstige »Bestandteilec behandelte; ihre 
Arten und Formen, ihr Vorkommen bei diesem Tiere, bei jener 
Pflanze erörterte? Der Vergleich hinkt? Wenn auch — ! Dass 
die sprachlichen Gebilde, mit denen es der Syntaktiker zu 
thun hat, den Objekten der beschreibenden Naturwissenschaft 
völlig an die Seite gesetzt werden können , so dass der Ver- 
gleich an allen Punkten sich durchfuhren Hesse, soll gar nicht 
behauptet werden. So lahm ist er aber doch nicht, dass er 
nicht gut veranschaulichte, woran uns die Vertreter des Miklo- 
sicHschen Systems gewöhnen möchten und auch soweit schon 
gewöhnt haben, dass ihr Verfahren kaum noch recht als Unbill 
empfimden wird. Statt einer wirklichen Syntax bieten sie uns 
geordnete Stoffsammlungen und halb bearbeitetes Material zu 
einer solchen. Die Teile geben sie uns in die Hand, das geistige 
Band sollen wir selber herumschlingen. 

Wir haben oben gesehen, dass die Stellungnahme Erdmanns 
gegen die BECKERSche Richtung nicht als ausreichende Be- 
gründung für die Wahl seines Vorbildes angesehen werden 
kann, weil dieser Gegensatz zu Becker nichts für Miklosigh 
Charakteristisches ist. Ebensowenig würden wir zugeben können, 
dass die eben bekämpfte Behandlungsweise der Syntax etwa 
eine notwendige Folge dieses seines Widerspruchs gegen Becker 
sei. Wenn Erdmann das glaubt, wie aus seinen oben angeführten 
Äusserungen hervorzugehen scheint, so verwechselt er die 
Methode der Forschung mit der Anordnung und 
Art der Darstellung. Die letztere ist von dem Wege, 
auf dem die Ergebnisse der Forschung erlangt worden sind, 
durchaus unabhängig, sie kann diesem Wege folgen und 
wird das angemessenerweise bei manchen Einzelforschungen 
thun, aber sie braucht es nicht zu thun. Und was für 
Monographieen mitunter am Platze sein mag, wird nicht ohne 
weiteres auf Gesamtdarstellungen übertragen werden dürfen. 
Richtet sich Erdmanns Opposition mit Recht gegen die Methode 
Beckers und seiner Schule, so ist es darum nicht erforderlich, 



27 

dass das nach einer geeigneteren Methode gewonnene Material 
einfach nach den Rubriken geordnet, unter denen es gesammelt 
wurde, dem Leser vorgelegt werde. Eine zusammenfassende, 
Gesamtbilder gebende Darstellung, eine wirkliche Bear- 
beitung der auf richtigem Wege gefundenen Forschungs- 
ergebnisse würde der Richtigkeit dieser gewiss keinen Abbruch 
thun, sie würde sie im Gegenteil erst ins rechte Licht stellen. 

Wäre dem System Miklosich nur das Fehlen jeder zu- 
sammenhängenden und zusammenfassenden Darstellung des 
eigentlich syntaktischen Stoffes vorzuwerfen, so wäre das keine 
geringfügige Ausstellung; doch ist sie relativ geringfügig, in- 
sofern sie sich nur auf die Anordnung und Darstellung bezieht, 
verglichen mit den übrigen Bedenken, zu denen das System 
Anlass giebt: denn diese richten sich gegen den hihalt selber. 

Der Verwechslung von Forschungsmethode und Darstellungs- 
weise, die Erdmanns Verteidigung des Systems Miklosich zu 
Grunde liegt, tritt nämlich die noch bedenklichere Verwechs- 
lung der Methode der Forschung mit dem Objekte derselben 
zur Seite. Erdmann widersetzt sich der »Neigung (der Herling, 
Becker u. s. w.) nicht die Funktion der gegebenen Sprachform 
nachzuweisen, sondern für die zuerst angesetzte Funktion die 
sprachlichen Ausdrucksmittel zu suchen. c (i') Scherer hatte »das 
Ausgehen vom Äussern«, »die formelle Behandlung« empfohlen. 
Diese Anschauung teilen wir auch, sie dürfte wohl überhaupt 
kaum noch Gegner haben. Aber, wohl gemerkt: es bezieht 
sich all dies ausschliesslich auf die Methode der Forschung. 
Die Forschung soll, um sichern Boden unter den Füssen zu 
haben, vom Äussern, vom Formellen ausgehen; sie soll nichts 
im voraus ansetzen, sondern für die gegebene Sprachform die 
Funktion nachweisen. Das ist der Weg, den die Forschung 
gehen soll — kein Wort über ihren Gegenstand! War 
Herlings und Beckers und ihrer Nachfolger Weg der falsche, 
so brauchte das Ziel, dem sie zustrebten, nicht falsch zu sein; 
es brauchte nur der richtige Weg nach dem Ziele gesucht 
zu werden. — Sah man sich veranlasst ihre als verkehrt 




28 

erkannte Methode der Forschung zu verlassen, so lag darin kein 
Grund auch das Objekt derselben aufzugeben. 

Und weshalb sollen nun der Gregenstand syntaktischer 
Forschung die Wortklassen und Wortformen sein, und nicht 
mehr wie bei jenen der Satz? Hat etwa der Satz kein »Äusseres«, 
kein »Formelles«? Ist denn nur das Wort eine »Sprachform«, 
der Satz nicht? (*'*) Oder wird die Satzform ausschliesslich durch 
die Verwendung von bestimmten Wortarten und Wortformen 
gebildet, sodass durch die Darstellung des Gebrauchs dieser die 
Formen des Satzes zur Genüge — wenn auch nur implicite — 
schon mit dargestellt wären? Dass eine solche, sachlich durch 
nichts begründete Beschränkung der syntaktischen Forschung 
auf den Gebrauch von Wortarten und Flexionen grösstenteils 
altüberliefert ist, das ist eine historische Erklärung, aber keine 
Rechtfertigung. Im Gegenteil. Was ehemals nur natürlich war, 
hat längst aufgehört es zu sein. Die Syntaktiker, auf deren 
»altbewährtes« Verfahren in Stoflfauswahl und Anordnung die 
Vertreter des Systems Miklosigh zurückgreifen, haben sich auf 
die Darstellung des Gebrauchs der Bestandteile der Rede 
beschränkt und beschränken müssen, weil ihnen der Begriff 
des Satzes und vor allem des Satzgefüges überhaupt noch fehlte 
oder doch nur unklar vorschwebte. Begriff und Terminus ,Satz' 
gehören aber jetzt, in rein sprachlichem Sinne gefasst, zu dem 
festen Bestände allgemein gültiger grammatischer Begriffe, wie 
sehr man im einzelnen über die ihm zu gebende Ausdehnung 
und seine Definition streiten mag. Ihn wieder aufeugeben 
kommt ja auch den Anhängern des Systems Miklosigh nicht 
in den Sinn, sie behandeln aber ihre Syntax, alter Überlieferung 
getreu, als ob auch sie den Begriff des Satzes noch nicht hätten. 
Wenn diejenigen, die in der Syntax zuerst entschlossen eine 
Satzlehre gesehen haben, wie ich überzeugt bin, einen grossen 
Schritt über das altüberlieferte Schema hinaus gethan haben, 
so lag auch in den Mängeln, die ihren Versuchen anhaften, 
kein Grund diesen Schritt wieder zurückzuthun. Und das 
System Miklosigh bedeutet im Prinzip, sowohl was die Auswahl 



29 

als was die Anordnung des syntaktischen Stoffes betrifil, einen 
Rückschritt. 

Hiermit haben wir den schwächsten Punkt dieses Systems 
berührt. Jene Substitution von ,Wortart und Wortform' an 
die Stelle des allgemeineren Ausdruckes ,Sprachform\ der auch 
Satzart und Satzform einschliesst , jene Unterschiebung der 
Satzelemente als Forschungsobjekt der Syntax an die Stelle 
der syntaktischen Gebilde, also vornehmlich des Satzes selber, 
das ist der Kardinalfehler des Systems, die Wurzel aller übrigen. 
Auf ihn gehen auch die beiden Hauptmängel der Definition 
von Syntax, wie sie Miklosigh an der Spitze seines Werkes 
gegeben hat, zurück, die wir noch besonders besprechen müssen. 
Diese Definition ist nämlich zu gleicher Zeit zu eng und zu weit. 

Dass sie zu eng ist, dass sie ganz wesentliche Teile der 
Syntax ausschliesst, darüber kann nicht der geringste Zweifel 
bestehen ; es ist durchaus nicht richtig, was EIrdmann behauptet, 
dass bei der Besprechung des Gebrauchs von Wortklassen und 
Wortformen alles zur Sprache kommen kann, was zu einer 
Satzlehre gehört*). 

So ist nach dieser Definition zunächst schon kein Platz 
für die Erörterung der Grundfragen der Satzlehre. Aus der 
oben (S. 23 und Anm. 17) schon zum Teil angeführten Ver- 
teidigung seines Systems erfahren wir noch, dass Erdmann 
»alles, was irgend ein Mensch ,Satz* nennen kann, ausdrücklich 
einschliessen wollte, von unvollkommenen Anfangen der Satz- 
bildung bis zum verwickelten Satzgefüge . . . « Wollen wir 
aber erfahren, was Erdmann selber einen Satz nennt und 
— was noch interessanter und belehrender wäre — was er als 
»unvollkommene Anfänge der Satzbildung« im Deutschen will 
angesehen wissen, wo sollen wir darüber Belehrung suchen in 
einer Syntax, die sich darauf beschränkt, uns den Gebrauch 
der Wortklassen und Wortformen darzustellen? Da der Satz 



*) Das ist doch wohl der Sinn der oben (S. 23 flg.) angeführten 
Worte Ebdmanns. 




30 

weder eine Wortklasse noch eine Wortform, sondern ein syn- 
taktisches Gebilde ist, diesen letzteren aber kein Abschnitt 
einer Syntax nach dem System Miklosich gewidmet ist, noch 
sein kann, dürften wir vergebens nach einer Antwort auf unsere 
Frage suchen. Eine Definition von Syntax ist aber ohne Zweifel 
zu eng, wenn sie keinen Raum lässt für eine, wenn auch noch 
so kurze, aber zusammenhängende &örterung solch grund- 
legender Fragen wie die nach dem Wesen und der Entwicklung 
des Satzes; nach den notwendigen Bestandteilen desselben; 
nach dem Verhältnis des logischen (besser: psychologischen) zu 
dem grammatischen (formalen) Subjekt und Prädikat u. s. w. 
Erdmann hat sich einmal anderswo (^*) für die EERNsche Auf- 
fassung des strittigen Terminus ,Satz' ausgesprochen; aus 
seinem eigenen Werk über deutsche Syntax ist aber eine 
volle Klarheit darüber nicht zu gewinnen, wie er sich zu diesen 
Grundfragen stellt, denen eben erst von mehreren Seiten er- 
neute Aufmerksamkeit zu teil geworden war. Noch weniger 
darf man eine Begründung seines Standpunktes in seiner Syntax 
suchen. Denn alles, was sich Diesbezügliches in den »Grund- 
zügen« Erdmanns findet, beschränkt sich naturgemäss auf bald 
hier, bald dort eingestreute Andeutungen und halbe Antworten 
auf diese Fragen. (^*) Um diese aufeufinden, ist man 
darauf angewiesen, aufs Geratewohl das ganze Werk zu durch- 
blättern. Das konnte freilich bei dieser Disposition nicht an- 
ders sein. 

Aber es heisst doch die Sachlage eigentümlich verschieben, 
wenn Erdmann, aus der Not eine Tugend machend, diesen 
Mangel eher als einen Vorzug seines Werkes hinzustellen bemüht 
ist. Wenn der Leser nicht in einer Syntax darüber Belehrung 
finden soll, was ein Satz ist, wo denn sonst? Diese berechtigten 
Erwartungen etwa deshalb zu täuschen, um alles einschliessen 
zu können, was »irgend ein Mensch« Satz nennen kann — das 
ist doch zuviel Rücksicht auf irgend welche Menschen. Entweder 
die Ansicht des Professors Erdmann über das Wesen des Satzes 
ist richtig, oder sie ist es nicht. Ist sie es nicht, so wird das 



31 

allerdings den Wert seines Werkes beeinträchtigen, wie jeder 
andere Irrtum, den er etwa begangen haben mag ; aber wie für 
jeden andern Irrtum wird er auch für diesen die Verantwort- 
lichkeit auf sich nehmen können und müssen. Ist seine Ansicht 
über das Wesen des Satzes aber die richtige, dann war eine 
so weit gehende Rücksicht auf entgegenstehende Ansichten vom 
Übel, zumal wenn die gesamte Anlage seines Werkes davon 
so wesentlich beeinflusst werden konnte. Seine eigene Ansicht 
über das Wesen des weitaus wichtigsten syntaktischen Gebildes 
in seinem eigenen Werke über Syntax zurückzudrängen, um 
alles einschliessen zu können, was andere — seiner Überzeugung 
nach also fälschlich — als Satz bezeichnen, das ist eine mir 
nicht völlig begreifliche Selbstbeschränkung und Entsagung. 
Solche Zurückhaltung war um so weniger geboten, als ja jene 
sjTitaktischen Gebilde, die wohl andere, aber Erdhann vielleicht 
nicht als Satz bezeichnen würden, deshalb nicht unbesprochen 
zu bleiben brauchten. Erdmann hätte nur nötig gehabt sie an 
der Stelle und unter der Bezeichnung zu behandeln, die ihnen 
nach seiner Ansicht innerhalb seines Systems syntaktischer 
Termini zukam. 

Ausser all jenen grundlegenden allgemeineren Erörterungen 
werden durch die MiKLOsiCH-ERDMANNsche Definition eine ganze 
Reihe von andern, höchst wichtigen Kapiteln der Syntax aus- 
geschlossen. Wir nennen, ohne auf Vollständigkeit Anspruch 
zu machen, die Wort- und Satzstellung, die Parataxe und 
Hypotaxe in ihrem wechselnden Verhältnis zu einander und in 
ihren Grenzschwankungen, und die sämtlichen ,musikalischen' 
(siehe flg. S.) Mittel der Satzbildung. 

Die MiKLOsiGH-ERDMANNSche Definition erhebt eine altüber- 
lieferte unvollkommene Praxis zum Prinzip und verleitet dadurch 
noch mehr als jene zu einer einseitigen Ausbildung der Syntax; 
sie verdeckt die Lücken unserer bisherigen syntaktischen Er- 
kenntnis ; sie verführt dazu, den satzbildenden oder besser den 
syntaktischen Wert der Wortformen und Wortarten zu über- 
schätzen ; und indem sie diese Mittel der Satzbildung , die 



r 



32 

greifbarsten, die am bequemsten und sichersten zu behandeln 
sind, geradezu als die einzigen hinstellt, verleitet sie zu einer 
Verkennung und Vernachlässigung der übrigen syntaktischen 
Bildungsmittel. 

So ist denn in der That eine Behandlung derjenigen Satz- 
bildungsmittel, die ich unter dem Namen der musikalischen 
zusammenfassen möchte : Tempo, Pausen, Betonung, RJiythmus, 
Melodie, kaum noch je ernstlich im einzelnen versucht worden. (**) 
Von welcher W^ichtigkeit die eingehende Erforschung der musi- 
kalischen Satzbildungsmittel für die richtige Erkenntnis der 
syntaktischen Gebilde ist, ersieht man allein aus dem Umstände, 
dass ohne Berücksichtigung dieser Momente die Frage der Ab- 
grenzung von selbständigen und unselbständigen Sätzen sich 
in den germanischen Sprachen gar nicht lösen lässt. Wer sich 
dieser Einsicht verschliesst, fallt entweder immer wieder in den 
alten Fehler zurück, andere als rein sprachliche Momente zur 
Entscheidung heranzuziehen und ,Haupt*- und ^Nebensätze' 
nach ihrem ^logischen* oder inhaltlichen Werte zu unter- 
scheiden oder ist, indem er diesen Fehler zu vermeiden sucht, 
gezwungen den Begriff »unselbständiger Satz« zu eng zu defi- 
nieren. Vergebens sucht man nach rein sprachlichen 
Kennzeichen, die für alle Arten von unselbständigen Sätzen 
ausreichten, wenn man die musikalischen Mittel des Satzbaus 
unberücksichtigt lässt. In dieser Lage befindet sich z. B. Kern. (^^ 
Er bekämpft mit den scharftm Waffen, die er zu führen pflegt, 
und, wie meistens, siegreich die »Realgrammatiker«, die »rhe- 
torische Übungen vornehmen statt Grammatik zu treiben«. Er 
betont diesen gegenüber die Thatsache, »dass die Hauptsätze 
Nebensachen und die Nebensätze Hauptsachen enthalten können«. 
Er glaubt aber (a. a. 0. S. 148) »ein klares formales Merkmal 
für den deutschen Nebensatz« gefunden zu haben in der »vom 
Hauptsatz gänzlich verschiedenen, ja geradezu entgegengesetzten 
Wortfolge«. Freilich muss er sofort »eine Art von Nebensätzen« 
ausnehmen, die dies Merkmal nicht zeigen und »dennoch durch- 
aus als Nebensätze zu bezeichnen sind. Das sind diejenigen 



33 

Fragesätze, welche allmählich die Funktion von Bedingungssätzen 
übernommen haben«. (^'^) Auf die Frage, die allerdings Kern 
in erster Linie im Äuge zu haben scheint, ob es sich für 
den Unterricht in der deutschen Satzlehre aus praktischen 
Rücksichten empfiehlt, die Wortstellung als hauptsächliches 
und entscheidendes Kennzeichen der Nebensätze gelten zu 
lassen, wollen wir hier nicht eingehen. Unser Widerspruch 
bezieht sich nur auf die wissenschaftliche Berechtigung der 
KERNschen Definition. Dass für die wissenschaftliche Betrach- 
tung die Wortstellung kein ausschlaggebendes Merkmal bei der 
Unterscheidung von abhängigen und unabhängigen Sätzen im 
Deutschen bilden kann, liegt auf der Hand. Es genügt der 
Hinweis auf das Englische, das keine Nebensatzwortstellung 
kennt, dabei aber mit Vorliebe Objekt- und Relativsätze ohne 
einleitendes Wort bildet. Über die Nebensatznatur der Sätze 
ohne die Konjunktion that und ohne Relativpronomen besteht 
aber keinerlei Zweifel. Ich halte es für undenkbar, dass es 
jemand einfallen könnte zu behaupten, dass: »/ hope you are 
weih zwei Hauptsätze seien , während : »I hope that you are 
weih ein Haupt- und ein Nebensatz sei. Ist aber you are well 
in »/ hope you are weih ein Nebensatz, wie nicht bestritten 
werden kann (und meines Wissens noch nie bestritten worden 
ist), so ist es wissenschaftlich ganz unmöglich, Sie sind wohl in 
»icA hoffe^ Sie sind wohU als Hauptsatz anzusehen. Es bedarf 
keines Beweises, dass in »/ hope you are weih und »Ich hoffe, Sie 
sind wohh dasselbe syntaktische Gebilde vorliegt. Dieselbe 
Formation aber in zwei so nahverwandten Sprachen zwei sich 
gegenseitig ausschliessenden syntaktischen Kategorien zuzu- 
weisen, das wäre eine wissenschaftliche Ungeheuerlichkeit. 
(Schüler, die Englisch treiben, darf somit auch im Deutschen 
die KERNsche Unterscheidung nicht gelehrt werden: man sieht, 
als wie wenig praktisch sich hier, wie gewöhnlich, das wissen- 
schaftlich Unhaltbare schliesslich herausstellt.) Dass ein Gram- 
matiker von der kritischen Schärfe und der Umsicht Kerns 
dazu kommen kann, in y>Es scheint, er kommt heute nicht<^\ 

B i e s , Was ist Syntax? 3 



r 



34 

»DaÄ beste ist, du vergisst diese Kränkung^ ; ^Ich hoffe^ du bist 
gesund^ (*®) nichts als Hauptsalze , als »grammatisch ganz 
selbständige Sätze« zu sehen, ist bezeichnend. Giebt es einen 
deutlicheren Beweis für die Übermacht des Buchstaben, des ge- 
druckten und geschriebenen Wortes über den lebendigen Laut, 
über die wirkliche Sprache, des toten Zeichens über die be- 
zeichnete Sache? Auch hierin steckt viel Altüberliefertes, das 
wir darum nicht altbewährt nennen wollen. Alte Gewöhnung 
von der jahrhundertelangen intensiven und einseitigen Beschäf- 
tigung mit den toten Sprachen: von diesen her die Methode 
des Hängens und Haftens am geschriebenen Zeichen. Was 
bei jenen zum grössten Teil Notwendigkeit ist, wird aus blosser 
Gewohnheit unbewusst auf die Behandlung der lebenden Sprache 
übertragen. Auch in diesen, auch in der Grammatik der eignen 
Muttersprache gilt es von vornherein als ausgemacht, dass das 
,Sprachlich-formale' sich decke mit dem, was sich in Schrift 
und Druck auf dem Papiere fixieren lässt. Dass man abhängige 
Sätze von unabhängigen durch das Gehör unterscheiden könne, 
dass der Laut und die Betonung usw. sprachliche Merkmale 
seien, ist ein gar zu fern liegender Gedanke. Und doch ist er 
auch für die, welche fast über den Sprachzeichen die Sprache 
selber vergessen, nahe genug gerückt durch die Interpunktion. 
Diese ist ja nichts anderes als ein zwar unvollkommener, aber 
doch dem Hauptbedürfnis ungefähr genügender Versuch, die 
musikalischen Mittel der Satzbildung dem Auge anzudeuten. 
Wir schreiben: 

Du sagst: ^Ich bin kranh<^ 
und: Du sagst, ich bin krank. 

Nach Kern hätten wir im zweiten Falle {ebensogut wie im ersten 
zwei »grammatisch ganz selbständige« Sätze. Da aber in beiden 
Fällen dieselben Worte gebraucht sind und (nach Kern) dieselbe 
syntaktische Formation (nur Hauptsätze und zwar einfache 
Aussagesätze) vorliegt, so müsste in beiden Fällen dasselbe 
gesagt sein. Weshalb aber die verschiedene Interpunktion? 



35 

Zur Andeutung einer (musikalisch) verschiedenen Aussprache, 
und diese ein Mittel, verschiedene Satzarten zu bilden ohne Zu- 
hilfenahme besonderer Wörter oder Wortformen ; und somit eine 
ganz verschiedene Bedeutung. Zuerst zwei selbständige Sätze, 
von denen der zweite direkte Rede enthält: der Kranke ist also 
der mit Du Angeredete, der von sich selbst behauptet hat, er 
sei krank. (Im Zusammenhange ginge es etwa weiter: Du 
jammerst: T^Mein Kopf ihut mir weh,<^ Ich glaube kein Wort 
von deinen Klagen!) Im zweiten Falle ein selbständiger Aus- 
sagesatz und ein von ihm abhängiger: Der Kranke ist nach 
der Behauptung des Angeredeten der Redende. (Es geht etwa 
weiter : Ich fühle mich aber ganz wohl ). (^°) — Kein Ein- 
sichtiger wird verlangen, dass wir hier die praktische Nutz- 
anwendung der von uns verlangten Berücksichtigung der 
musikalischen Satzbildemittel machen in Form von fertigen 
Definitionen, die wir etwa an die Stelle der KERNSchen Unter- 
scheidung von Haupt- und Nebensätzen setzen würden, oder 
gar von Regeln, die für den Schulimterricht brauchbar wären. 
Ehe man sich an diese Aufgabe machen kann, muss erst die 
Syntax die lang versäumte, ins Einzelne gehende Untersuchung 
der musikalischen Mittel der Satzbildung gründlich nachgeholt 
haben. Worauf es ims hier ankam, war nur darauf hinzuweisen, 
dass eine wissenschaftlich haltbare Unterscheidung selbständiger 
und unselbständiger Sätze noch nicht geftinden ist, und den Weg 
anzudeuten, auf dem sie, unseres Ermessens, allein zu suchen wäre. 
Dass aber über eine so ungemein wichtige, auf die Elemente der 
Satzlehre bezügliche Frage noch solches Dunkel und solche Mei- 
nungsverschiedenheit herrschen kann, das erklärt sich nur aus 
dem hemmenden Einfluss, den jenes altüberlieferte Verfahren auf 
die Entwicklung der syntaktischen Forschung so lange ausgeübt 
hat; das ist die Schuld eines Systems, das uns vom lateinischen 
Unterricht her daran gewöhnt hat, in der Syntax im wesentlichen 
eine Lehre vom Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen 
zu sehen. Nebensätze, die nicht durch ein besonderes Wort 
eingeleitet werden und sich weder durch eine besondere Tempus- 

3* 




36 

noch durch eine besondere Modusform auszeichnen, giebt es 
naturgemäss für eine Syntax nicht, die nur den Gebrauch der 
Wortarten und Wortformen ins Auge fasst. Selbst Berück- 
sichtigung der Wortstellung bei der Unterscheidung der Satzarten 
ist vom Standpunkte eines solchen Systems prinzipiell eine blosse 
Inkonsequenz. Kern, der diesen Standpunkt nicht teilt, sondern 
wirkliche Satzlehre im Auge hat, legt in dieser auf die Wort- 
stellungsunterschiede mit Recht grossen Wert. In diesem Falle 
überschätzt er aber die Bedeutung der Wortstellungsverschieden- 
heiten und zwar offenbar deshalb, weil ihm der Gedanke nicht 
gekommen ist, dass es, neben der Verwendung von besonderen 
Worten und Wortformen, ausser der Wortstellung noch andere 
sprachliche Mittel der Satzbildung geben könne. Damit zeigt er 
deutlich, wie auch er noch von dem Geiste der alten Syntax 
beeinflusst ist, die vom Gebrauch der Redeteile und Flexionen 
handelt, aber von eigenthcher Satzlehre nichts weiss. (^^) 

Auch die Lehre von der Wort- und Satzstellung liegt, wie 
erwähnt, ausserhalb des von der Definition Miklosichs um- 
grenzten Bereichs der Syntax. So ist es denn neben den musikali- 
schen Mittebi der Satzbildung dies weite und gewiss nicht 
unwichtige Gebiet {^^) , das am meisten im argen liegt. Nicht 
viel mehr als die Anfangsgründe der Wortstellungslehre sind 
bekannt; für manche Sprachen, deren Studium sonst eifrig 
gepflegt wird, kaum diese. Gerade die klassischen Sprachen, 
deren Syntax im übrigen so erfolgreich erforscht und durch- 
gearbeitet ist, bieten ein bezeichnendes Beispiel für die 
Vernachlässigung der Gebiete, die ausserhalb der grossen, von 
alters her viel begangenen Strassen der syntaktischen Forschung 
über den Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen liegen. 
Unter dem Einfluss der Überlieferung wird die Wortstellungs- 
lehre der klassischen Sprachen noch vielfach irrtümlicherweise 
vorwiegend der Stilistik oder gar der Rhetorik zugewiesen und 
damit nicht selten jener etwas dilettantischen Behandlungsart 
überlassen, die sich kaum irgendwo noch so breit macht wie 
auf diesem Felde. Trotz der jahrhundertelangen Bearbeitung der 



37 

lateinischen und griechischen Syntax sind heute kaum mehr 
als die Grundzüge der historischen Wortstellungslehre dieser 
Sprachen wissenschaftlich festgelegt; und von dem, was auf 
diesem Gebiete geleistet ist, verdankt man das meiste nicht 
den eigentlichen klassischen Philologen, sondern den Vertretern 
der allgemeinen Sprachwissenschaft. Erst in allemeuster Zeit 
macht sich der Einfluss der modernen Sprachforschung auch 
hier geltend. 

Das Heil der syntaktischen Forschung lag nun in der 
Aussicht, dass sie fortführe sich von dem Einfluss des über- 
lieferten Verfahrens (in der Beschränkung auf die Beobachtung 
des Gebrauchs der Redeteile und Flexionsformen) mehr imd 
mehr zu befreien und durch Nachholung des bisher Versäumten, 
durch immer eingehendere Behandlung der so lange vernach- 
lässigten Aufgaben ihr Gebiet angemessen zu erweitern. Diese 
Aussicht droht der Erfolg des Systems Miklosich zu zerstören. 
Gelingt es seinen Anhängern mit ihrer Auffassung durchzu- 
dringen, gelangt dies System zu immer weiterer Ausbreitung, 
so kommt damit das schon halbüberwundene altüberlieferte 
Verfahren zu neuer Herrschaft; und diese dürfte für die 
Entwicklung der syntaktischen Forschung um so schädlicher 
sein, je konsequenter die von Miklosich zum Prinzip erhobene 
Beschränkung auf die durch seine Definition umgrenzten 
Gebiete durchgeführt wird. Demgegenüber ist zu betonen, dass 
eine durchgreifende Besserung des gegenwärtigen Zustandes, 
eine erfolgreiche Fortführung der jüngst begonnenen Entwicklung 
so lange nicht zu erwarten steht, als nicht jene altüberlieferte 
Auffassung von den Aufgaben der Syntax samt ihrer Wieder- 
belebung in noch gefährlicherer Form durch die Definition 
MiKLosiCHs völlig und endgültig zu den Toten geworfen ist. 

Dass diese Definition, die sie an die Spitze ihrer Werke 
gestellt haben, zu eng ist, müssen übrigens sowohl Miklosich 
als Erdmann selbst gefühlt haben ; denn implicite haben sie es 
dadurch zugegeben, dass sie einen Teil der Stoffe, die sie durch 




38 

ihre Definition theoretisch ausgeschlossen haben, dessenunge- 
achtet thatsächlich in ihre Behandlung einbeziehen. 

Es ist nicht uninteressant festzustellen, wie sie sich in 
diesem Punkte im Einzelnen verhalten. Miklosigh hält auf Über- 
sichtlichkeit seines Plans und Konsequenz in dessen Durchführung : 
er hat am wenigsten Konzessionen gemacht; er hat kein Wort 
über die slavische Wortstellung, wie er auch kein Gesamtbild 
der Satzverknüpfung giebt. Nur ausnahmsweise überschreitet 
er die durch seine Definition gezogenen Grenzen, und wo er es 
thut, da deutet er dies Verhältnis offen an, indem er äusserlich 
seine Disposition aufirecht erhält und sich mit Anhängen (^^) 
behilft. Anhänge sind aber, sofern sie nicht etwa nur 
erweiterte oder zusammengefasste Anmerkungen oder Beweis- 
material und dergl. enthalten, ein offenbarer Notbehelf, der 
durch seine blosse Existenz beweist, dass die Stoflfbegrenzung 
imd Stoffverteilung dem behandelten Gegenstande nicht gerecht 
geworden ist, dass sozusagen die Rechnung nicht aufgegangen ist: 
was in den Anhängen untergebracht ist, das ist der übrig ge- 
bliebene Rest. Je grösser nun verhältnismässig dieser Rest ist, 
um so weniger wird man sagen können, dass die Lösung der 
Aufgabe gelungen ist. Nun stellt sich, meiner Meinung nach, 
dies Verhältnis bei Miklosigh nicht besonders günstig. Wir 
finden nämlich in der Lehre von der Bedeutung der Wortklassen 
zu den beiden Kapiteln, die vom Substantiv und Adjektiv handeln 
und zusammen 14 V» Seite füllen, einen Anhang von 34 Seiten, 
und später in der Lehre von der Bedeutung der Wortformen 
zu dem Kapitel über den Nominativ von im ganzen 2^/3 Seiten 
einen Anhang von 23 Seiten. Man wird gestehen müssen , dass 
sich an diesen Stellen der Stoff, den Miklosigh in der Syntax 
hat behandeln wollen, schlecht in seine Anordnung gefügt hat. 
Es kommt hinzu, dass auf Seite 341—344 ohne besondere 
Überschrift der eigentlichen Behandlung der Bedeutung der 
Wortformen Erörterungen vorausgeschickt sind, die ebenfalls 
aus der Disposition herausfallen ; sie handeln von der Kongruenz 
der Attribute und Appositionen. 



i 



39 

Erdmann geht manchen Schritt weiter als Miklosich und, 
während er so einerseits sein Werk inhaltlich reicher ge- 
staltet, verdirbt er andererseits dadurch die Anordnung nahezu 
vollständig. Mit Anhängen (^*) allein hätte er sich auch nicht 
helfen können: denn diese hätten weit umfangreicher und 
zahlreicher werden müssen als bei Miklosich. Die Folge 
davon ist aber, dass zu den eben besprochenen Mängeln der 
Disposition von Miklosich zwei neue Fehler hinzukommen: 
1) die Vorzüge des ganzen MiKLOsicHschen Systems — der ein- 
fache, übersichtliche und konsequente Aufbau — gehen durch 
Erdmanns stoffliche Erweiterungen zu Grunde, und 2) der Inhalt 
der einzelnen Abschnitte entspricht zuweilen nicht der Überschrift. 
Der thatsächlich behandelte Stoff ist über die ihm von der 
Definition gezogenen Schranken hinausgewachsen und setzt sich 
teils ohne weiteres über sie hinweg oder fügt sich nur scheinbar 
und äusserlich in die ihm aufgezwungene Gliederung. Die 
Lehre von der Kongruenz, der Wortstellung, der consecutio 
temporum, den subjektlosen Sätzen, bezw. den Sätzen ohne 
Subjektswort — Gebiete, die Erdmann alle behandelt oder doch 
streift — sie können an keiner Stelle des Systems Miklosich- 
Erdmann richtig untergebracht werden; denn ihr Gegenstand 
sind immer mehrere Wörter in ihren Beziehungen zu ein- 
ander, sind die syntaktischen Gebilde selber, nicht ihre 
Elemente, und nur von diesen, von den »Bestandteilen« (wie 
Erdmann selber es an der citierten Stelle zugiebt) der syntak- 
tischen Gebilde handelt eine Syntax, die die Bedeutung oder 
den Gebrauch der Wortformen und Wortklassen lehrt. Be- 
zeichnend dafür ist, dass Erdmann dieselben Fragen unter 
der (unpassenden) Überschrift »Verbum« als ein Kapitel der 
Lehre vom Gebrauch der Wortklassen behandelt, oder berührt, 
die Miklosich anhangsweise hinter dem »Nominativ« im 1. Kapitel 
der Lehre von der Bedeutung der Wortformen ausführlich 
erörtert hat. Das beweist, dass ihre Anordnung eine äusser- 
liche und willkürliche ist; solche Verschiedenheit im Rahmen 
desselben Systems wäre immöglich, wenn die Anordnung sich 



r 



40 

aus der Natur des behandelten Stofifes ergäbe und ihrA nicht 
künsüich aufgedrängt wäre. Erdmanns Disposition, so schielend 
sie ist, verdient hier noch den Vorzug vor der von Miklosich; 
er handelt doch wenigstens gelegentlich des Verbgebrauchs von 
Sätzen, die nur aus einem Verbum bestehen; Miklosich aber 
gelegentlich der Bedeutung des Nominativs von Sätzen, die 
keinen Nominativ enthalten. 

Wie soll sich aber Erdmann helfen, wenn er jene schon 
erwähnten unselbständigen Sätze behandeln will, die ohne 
Konjunktion bezw. ohne einleitendes Pronomen gebildet sind 
und dabei weder eine besondere Modusform noch besondere 
Wortstellung zeigen? Hierbei bleibt ihm nur die angenehme 
Wahl zwischen zwei gleich unerfreulichen Möglichkeiten: ent- 
weder der verkehrten Anordnung, dass er Satzformen 
unter der Wortklasse aufiPührt und bespricht, die eine andere 
Sprache oder Sprachperiode in ihnen setzen würde, die gerade 
behandelte aber nicht setzt; oder der falschen, bezw. nur 
teilweise zutreffenden Auffassung, als ob die Setzung des 
einleitenden Pronomens oder der Konjunktion das eigentlich 
Regelrechte , bezw. das Ursprüngliche , ihr Fehlen aber 
eine Ausnahme sei; als ob die Konjunktion, das Pronomen 
^ausgefallen' wäre. Es geht glimpflich ab, wenn wie bei Erd- 
mann und Miklosich nur die erste dieser Möglichkeiten zur 
Wirklichkeit wird; doch dürfte die Gefahr, dass auch die 
zweite sich verwirklicht, auch heute noch nicht ausgeschlossen 
sein. Diese Auffassung war bekanntlich früher das Gewöhn- 
liche, was dem Geiste des überlieferten Verfahrens durchaus 
entspricht 

Während nun Erdmann die Relativsätze ohne Relativ- 
pronomen bei diesem letzteren erörtert, also in dem Teile, der 
den Wortklassen gewidmet ist, behandelt er die konjunktions- 
losen Objektsätze in einem Abschnitt der Moduslehre, also bei 
den Wortformen. Dieses letztere Kapitel ist für Erdmanns 
Verfahren charakteristisch, weshalb wir einen Augenblick dabei 
verweilen wollen. Nachdem Erdmann über den Gebrauch des 



41 

Indikativs, Imperativs und Konjunktivs je in selbständigen Sätzen 
und Nebensätzen (®^) gehandelt hat, fügt er in der Art eines 
Anhangs ein besonderes Kapitel hinzu mit der Überschrift 
»Modus in indirekter Rede«. Zunächst deckt sich diese Über- 
schrift entfernt nicht mit dem Inhalt; denn in diesem Abschnitt 
wird ausser vom Modus der indirekten Rede auch von der 
vierfachen Art der Anknüpfung derselben, von der Wortstellung 
und dem Tempusgebrauch in diesen Sätzen (»consecutio tempo- 
rum« sagt das Inhaltsverzeichnis geradezu) ausführlicher ge- 
handelt. Es ist sogar die innere Gliederung des ganzen Ab- 
schnittes nicht nach dem Modus gemacht, sondern im wesent- 
lichen nach den verschiedenen Arten der Anknüpfung. (3^) 
Somit stellt sich der ganze Abschnitt nicht mehr dar als ein 
Kapitel vom Gebrauch gewisser Wortformen, sondern als 
eigentliche, echte Satzlehre. Nicht der Gebrauch eines 
bestimmten Modus, eines bestimmten Tempus wird dargestellt, 
auch werden nicht im Zusammenhang gewisse Anwendungen 
der. Modi und Tempora, die durch einander bedingt wären, er- 
örtert: es wird vielmehr von einer bestimmten Satzart gehan- 
delt und alles zur Sprache gebracht, was zu ihrer Charakteri- 
sierung von Belang erscheint. (^') 

Mit Inhalt und Gliederung stimmt die Ausdrucksweise 
überein. Es beginnt das ganze Kapitel: »Indirekte Rede . . . 
nenne ich alle Sätze (!), deren Inhalt (!) . . .« Der nächste Ab- 
satz beginnt : »Formen (!) der indirekten Rede sind . . .« Also 
Satzlehre! Und nicht nur Wortstellung und Anknüpftings- 
weisen werden hier in der Moduslehre besprochen, Dinge, für 
die im ganzen System kein rechter Platz zu finden war, die 
somit hier so gut wie anderswo untergebracht werden 
mochten, sondern ein Stück der Tempuslehre ist von dieser 
abgezweigt und hier der Moduslehre, oder vielmehr einem der 
Moduslehre angehängten Kapitel aus der Satzlehre eingefügt. 
Da ständen wir nun mit beiden Füssen wieder in unserer 
lieben, alten Mischsyntax! 



4S 

Ein deutlicheres Eingeständnis der Unzulänglichkeit des 
Systems kann man nicht wünschen. Sachlich ist dies Ver- 
fahren allerdings durchaus zu billigen, weil nur auf diese Weise 
innerlich so eng Zusammengehöriges auch im Zusammenhang 
erörtert werden konnte. Denn die Frage der Abhängigkeit der 
Zeiten in der indirekten Rede ist freilich unzertrennlich von 
der Behandlung dieser Satzform überhaupt. Aber eine solche 
sachgemässe Behandlungsweise steht eben in direktem Gegen- 
satz zu dem Geiste des Systems Miklosigh. Dieses will nicht 
Satzformen beschreiben und ihre Bedeutung und ihren Gebrauch 
lehren, sondern die Bedeutung (den Gebrauch) der Wortformen 
und Wortklassen. Dass Erdmann, der hier durchaus auf dem 
richtigen Wege war, nicht durch solche Fälle von seiner Ein- 
genommenheit für dies System zurückgekommen ist; dass er 
nicht gesehen hat, welch handgreiflicher Inkonsequenz er sich 
schuldig macht, in welchen Widerspruch er sich mit seinem 
System setzt, ist kaum zu begreifen. 

Die »Stellung des Verbums im Satze« behandelt Erdmann 
als vierten Abschnitt der Lehre vom Gebrauche der Verb- 
formen und in diesem »Stellung des Verb ums« überschrie- 
benen Abschnitt handelt er auch in drei Paragraphen von der 
»Anordnung der dem Verbum folgenden Satzteile«. 
Es wird das nach dem Vorausgehenden nicht weiter wunder 
nehmen. 

Um die Kritik seines Verfahrens zusammenzufassen: Erd- 
mann wechselt wiederholt den Gesichtspunkt, geht von der Be- 
trachtung der Bestandteile des Satzes zu der Betrachtung der 
syntaktischen Gebilde selber über; er setzt Abschnitte einer 
eigentlichen Satzlehre mitten hinein in das System Miklosigh 
und fällt somit in die Mischsyntax zurück, von der wir uns 
befreien wollten. 

Erdmanns planloses Durcheinandermengen ist umsoweniger 
begreiflich, als Sgherer, der sich doch auch und in so lebhafter 
Weise für Miklosigh ausgesprochen hatte, und auf dessen 



43 

privatim ihm gegenüber geäusserte Ansichten über die Anlage 
einer Syntax sich Erdmann geradezu beruft, öffentlich auf einen 
andern Weg hingewiesen hatte. (^®) Scherer hatte es deutlich 
genug ausgesprochen, dass er »natürlich nicht sagen wolle, 
dass er alles und jedes (bei Miklosigh) für richtig und anwend- 
bar auf deutsche Verhältnisse halte«; er hatte betont, dass 
»auch Kongruenz, Satzaccent, Wortstellung Mittel der Satz- 
bildung sind, deren Bedeutung und Gebrauch erwogen werden 
müsse«. Er hatte femer diese Stoffe einem besonderen 
»sei es ersten, sei es dritten Teil« zugewiesen, weil — so er- 
klärt er ausdrücklich — »diese Kapitel weder mit der Bedeu- 
tung der Wortklassen, noch mit der der Flexionsformen etwas 
zu thun haben, sondern ein besonderes Gebiet für sich bilden«. 
Und an einer späteren Stelle wiederholt er: »alles was sich auf 
die Kongruenz bezieht, wäre (aus der Kasuslehre) auszuscheiden«. 

Will man einmal von dem System Miklosigh ausgehen und 
dabei nicht, wie sein Begründer es gethan, auf die Behandlung 
grosser und wichtiger Gebiete der Syntax verzichten, so kann 
man — das liegt auf der Hand — verständigerweise keinen 
anderen Weg einschlagen als den, welchen Sgherer gezeigt 
hatte. Statt der zwei Teile bei Miklosigh hätten wir dann 
drei; diesem neuen Teil würde dann alles das zugewiesen 
werden, was bei strengem Festhalten an der Disposition sich 
in den beiden andern nicht unterbringen liesse. 

Aber wäre damit auch das Durcheinander einer Anordnung, 
wie sie Erdmann gewählt hat, vermieden, so wären wir doch 
von ei» wirklich guten und sachgemässen Disposition des 
syntaktiÄhen Stoffes so weit entfernt wie je. 

Gerade die von Sgherer empfohlene Einrichtung überzeugt 
uns vielmehr von der Unmöglichkeit, auf Grund des Systems 
Miklosigh überhaupt zimi Ziele zu gelangen. Dadurch dass bei 
ihr die Ordnung im Kleinen hergestellt ist, dass innerhalb 
der einzelnen Teile folgerichtig am Thema festgehalten, alles 
Fremdartige ausgeschieden wird, dadurch tritt die Inkonsequenz 
im Grossen, die Diskrepanz der Teile selber, die sich 



44 

zu keinem Ganzen verbinden, um so deutlicher und schärfer 
hervor. Die Syntax nach Sgherers Vorschlag würde in zwei 
Hälflen auseinanderfallen: einerseits die Syntax Miklosighs, 
andererseits die Zusätze Sgherers. Da aber jener von den 
Worten, ihren Klassen und Formen, ausgeht und deren 
Bedeutung lehrt, dieser den Satz im Auge hat und einige (^®) 
Mittel seiner Bildung darstellen will, so steht der neue Teil 
innerlich fremdartig neben den beiden alten und wird nur 
äusserlich mit ihnen durch den gemeinsamen Namen Syntax 
zusammengehalten. Statt des Durcheinander hätten wir dann 
ein Nebeneinander und bei aller Folgerichtigkeit innerhalb 
der Teile doch immer Mischsyntax. Wie wenig eine solche 
Syntax ein einheitliches System darstellen würde, erkennt man 
am besten bei dem Versuche, für den Begriff Syntax eine Definition 
zu finden, die zu dem Inhalt einer Syntax passte, wie sie sich 
nach Sgherers Vorschlag gestalten würde. 

Wir verlassen hiermit das System Miklosigh. Wir glauben ge- 
zeigt zu haben: l)dass das eigentlich Charakteristische an diesem 
System die zum Prinzip erhobene und annähernd konsequent 
durchgeführte Beschränkung auf die Lehre von der Bedeutung 
(dem Gebrauch) der Wortklassen und Wortformen ist; 2) dass 
infolge dieser Beschränkung Miklosighs Definition von Syntax 
zu eng ist; 3) dass die Versuche, die grossen Lücken des Systems 
auszufüllen — sei es in der Art Erdmanns, sei es nach dem 
Vorschlage Sgherers — scheitern müssen, weil sie notwendiger- 
weise mit dem Geiste des Systems in Widersprucl:]^ geraten 
und zur Mischsyntax zurückführen. 

Dass andererseits die Definition Miklosighs auch zu Weit ist, 
ist oben schon angedeudet worden. Während die Lehre von 
den Wortklassen und Wortformen die Aufgaben der Syntax 
durchaus nicht erschöpft, enthält sie zugleich vieles, was in eine 
Syntax überhaupt nicht gehört. Dieser Fehler, dass es sich 
auf eine zu weite Definition gründet, ist jedoch keine Eigen- 
tümlichkeit des Systems Miklosigh; dieses hat ihn vielmehr 
mit all den syntaktischen Systemen gemein, die, der Überliefe- 



45 

rung folgend, überhaupt die Lehre von der Bedeutung und 
dem Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen wesentlich 
unverkürzt in sich aufgenommen haben. Da wir die Quelle 
dieses annähernd allen syntaktischen Werken anhaftenden 
Fehlers in einer mangelhaften Gliederung der Gesamtgram- 
matik zu finden glauben, besprechen wir ihn unten in der 
allgemeinen Erörterung des Verhältnisses, in dem die Syntax 
zu den übrigen Teilen der Grammatik steht. Wir wenden uns 
daher zunächst zu dem Widerspiel des Systems Miklosich, zu 
der Auffassung der 

Syntax als Satzlehre. 

Während Miklosich zu einem einheitlichen Stoffe zu ge- 
langen suchte, indem er die syntaktischen Gebilde in ihre 
Bestandteile auflöste, sich auf die Darstellung der Bedeutung 
dieser letzteren beschränkte, eine eigentliche Satzlehre aber 
ausschloss, werden umgekehrt von einer grossen Zahl von 
Grammatikern die Ausdrücke ^Satzlehre' und ^Syntax' geradezu 
als gleichwertig angesehen, wird Syntax einfach als Satzlehre 
definiert und behandelt. 

Aus dem Vorausgehenden, besonders dem S. 23 fif. und 
29 fif. Ausgeführten, ergiebt sich, dass wir dieser Auffassung 
sehr nahe stehen. Denn das meiste von dem, was wir 
gegen das System Miklosich zu sagen hatten, spricht zugleich 
direkt für eine Auffassung von den Aufgaben und der Ein- 
richtunAder Syntax, die darin in geradem Gegensatz zu 
dem Gelle jenes Systems steht, dass sie nicht die Bestand- 
teile der syntaktischen Gebilde, sondern diese selber zum 
Gegenstande ihrer Behandlimg macht. Können wir der 
Definition »Syntax ist Satzlehre« auch nicht unbedingt zustimmen, 
so teilen wir doch im grossen und ganzen die Auffassung, 
auf der sie beruht. Wir halten diese Definition allerdings 
nicht für ganz fehlerfrei und glauben nachweisen zu können, 
dass sich für die angemessene und folgerichtige Unterbringung 
des syntaktischen Stoffes innerhalb einer als ,Satzlehre* defi- 




46 

nierten und behandelten Syntax nicht unerhebliche Schwierig- 
keiten ergeben müssen; diese werden sich jedoch durch eine 
naheliegende Verbesserung der Definition ohne Schwierigkeit 
beseitigen lassen. 

Die völlige Gleichsetzung von Syntax und Satzlehre hat 
freilich viel Verlockendes. Es wäre in der That hübsch, wenn 
man V^ort und Begrifif Syntax überhaupt entbehren und 
dafür gut deutsch Satzlehre setzen könnte. So würde dann 
der Laut- und der V^ortlehre einfach als dritter Hauptteil eine 
Satzlehre zur Seite treten : eine Einteilung der Gesamtgrammatik, 
die zumal durch ihre Einfachheit und Klarheit, dann auch 
durch die Bequemlichkeit der deutschen Bezeichnungen besticht. 
Und wie dem V^ort unter den übrigen [Lauten und] Lautver- 
bindungen, so gebührt ja dem Satze unter den übrigen 
[Worten und] Verbindungen von Worten eine hervorragende 
Stellung; es ist der Satz unter diesen ohne Frage die wichtigste. 
Aber andererseits bleibt doch zu erwägen, dass eine weit tiefere 
Kluft das Wort, das allein mit selbständigem geistigen Gehalt 
erfüllte Lautgebilde, von den übrigen, den bedeutungslosen 
Lautverbindungen trennt und zwischen ihnen eine weit deut- 
lichere, natürlichere Trennung erzeugt, als dies beim Satze 
gegenüber den andern in der Sprache gebrauchten Wort- 
verbindungen der Fall ist. Alle jene möglichen Lautzusammen- 
stellungen, die nicht Worte bilden, sind überhaupt, sprach- 
lich betrachtet, nichts, sind ein leeres Spiel und, wie man sie 
nennen möge, jedenfalls nie ein Gegenstand sprAi wissen- 
schaftlicher Forschung. Unter den Verbindungen vÄ Worten 
aber, die keine Sätze bilden, sind sehr viele, die emen Sinn 
haben, die von der Sprache thatsächhch zum Ausdruck der 
Verknüpfung von Vorstellungen gebraucht werden imd daher 
unzweifelhaft einen Gegenstand grammatischer Betrachtung 
bilden. Aber nur eine besondere Art solcher Verknüpfung ist 
ein Satz. Der Satz ist zwar eine sinnvolle Verbindung von 
Worten, wie das Wort eine sinnvolle Verbindung von Lauten ist; 
während wir aber jede Lautverbindung, die überhaupt zum 



47 

selbständigen Träger eines Sinnes geworden ist, als Wort 
bezeichnen, nennen wir doch nicht auch jede sinnvolle, zu einer 
Einheit verbundene Wortgruppe einen Satz. Es trennt somit 
den Satz vom Wort ein anders gearteter Unterschied als der 
ist, der zwischen Wort und Laut besteht. Die übliche Gegen- 
überstellung von Laut — Wort— Satz enthält also einen Fehler, sie 
bietet eine unrichtig gebildete Begriflfsreihe ; sie ist nicht kor- 
rekter, als es etwa die wäre von Wohnraum— Haus — Stadt (an 
Stelle von ^bewohnter Orf überhaupt). Denn das dritte Glied ent- 
hält dem zweiten gegenüber ein Merkmal mehr, als das zweite 
gegenüber dem ersten ; der dritte Begriff der Reihe ist zu eng. Die 
richtige Reihe erhalten wir, wenn das dritte Glied den Kollektiv- 
begrifif zum zweiten bildet, wie das zweite ihn vom ersten bietet, 
beidemal mit dem einzigen weiteren Merkmal, dass die ent- 
standene Verbindung von der Sprache als Träger eines Sinnes 
gebraucht werde. Definieren wir den Ausdruck ^syntaktisches 
Gebilde' oder kurz ,Wortgeföge' als eine sinnvolle Verbindung 
von Worten zu einer neuen Einheit, so würde die richtige 
Reihe lauten: Laut— Wort— Wortgefüge. (^^) 

Die fehlerhafte Unterschiebung des engern Begriffs Satz 
an Stelle von Wortgefüge hätte sich im gemeinen Gebrauch nicht 
so festsetzen können, wenn die Grammatik nicht so sehr unter 
den Einfluss der Logik geraten wäre. Der Begriff und Terminus 
,Satz', der seinen Ursprung aus der Logik nicht verleugnen kann, 
stellte sich wie von selbst dem Wort gegenüber, wie sich in 
der Low das Urteil dem Begriff gegenüberstellt. Seitdem man 
aber dft irrigen Standpunkt der Definition : »Satz ist der sprach- 
liche Ausdruck eines Urteils« überwunden hat, hätte man auch 
die Definition: »Syntax ist Satzlehre« aufgeben sollen, auch wenn 
man ,Satz* als rein grammatischen Terminus gebraucht. Denn 
beide irrigen Definitionen entspringen doch der gefahrlichen 
Methode des Ausgehens von dem Inhalt, dessen Ausdrucksform 
gesucht bezw. postuliert wird. Hätte man mit dem Ausgehen 
von der gegebenen sprachlichen Form rechten Ernst gemacht, 
so wäre der Fehler in der Reihe Laut — Wort — Satz sofort in 




48 

die Augen gefallen. Konsequentes Festhalten an diesem metho- 
dischen Grundsatz hätte notwendig zu der Erkenntnis geführt, 
dass sich der grammatischen Betrachtung zunächst nur jene 
drei Hauptgattungen sprachlicher Objekte darbieten, welche 
durch die formale Analyse der menschlichen Rede gewonnen 
werden. Zerlegt sich die wissenschaftliche Betrachtung das 
komplexe Gebilde der Sprache, von formalen Gesichtspunkten 
ausgehend, in seine Bestandteile, so findet sie : 1) die Laute, als 
die kleinsten, nicht weiter zerlegbaren, einfachsten Einheiten ; 
2) zu neuen (verhältnismässig) selbständigen Einheiten ver- 
bundene Laute d.h. Wörter; und 3) wiederum zu neuen (relativ) 
selbständigen Einheiten verknüpfte Wörter d. h. Wortgefüge. 
Sätze aber findet eine formale Analyse zuvörderst nicht. 
Vorausgesetzt dass weitere, eingehendere Betrachtung zur Er- 
kenntnis besonderer formaler Eigentümlichkeiten derjenigen 
Wortgefüge, die wir Sätze nennen, führt — die Möglichkeit 
des Gegenteils kann doch nicht a priori verneint werden — , 
so wird dadurch ein sicherer Anhalt zu weiterer Gliederung 
der grossen Masse von Wortgefügen gewonnen, Kennzeichen, 
welche die Sätze den übrigen Wortgefügen gegenüberzustellen 
veranlassen können, nicht aber den Worten. Eine Gegenüber- 
stellung von Satz und Wort kann ihren Ausgangspunkt immer 
nur von dem ausgedrückten Inhalt her nehmen, nicht von der 
Form, hinsichtlich welcher dem Einzelwort nur das Wortgefüge 
gegenübersteht. In Bezug auf die Form schliessen sich Wort 
und Satz gegenseitig zudem nicht aus; eine grosse ^hl von 
Sätzen wird bekanntlich durch ein Wort gebildet, %ne viel 
zu grosse Zahl, als dass man sie ohne weiteres als blosse Aus- 
nahmen abthun könnte. Umgekehrt aber darf man darum 
gerade, hält man sich an das gebotene Ausgehen von der 
Form, bei der Übersicht und Gliederung der Objekte gram- 
matischer Forschung von der Existenz einlautiger Worte, ein- 
wortiger Sätze absehen ; der Form nach ist die Scheidung rein : 
erst bei der Erörterung der weiteren Frage nach dem geistigen 
Inhalt und der sprachlichen Verwendung der zimächst ihrer 



49 

Form nach betrachteten grammatischen Objekte ergiebt sich, 
dass öfters auch Einzellaute die Bedeutung haben, die sonst 
gewöhnlich nur den ^Wörter' genannten Lautverbindungen zu- 
kommt, und dass die wichtigste Art der Verknüpfung von Vor- 
stellungen nicht nur in gewissen Wortverbindungen verkörpert 
ist, sondern vielfach schon in bestimmten Einzelworten voll- 
kommen enthalten ist. Bei der Einteilung der Grammatik nach 
den Objekten der Forschung ist es also nur konsequent, wenn 
zuvörderst auf einlautige Wörter und einwortige Sätze keine 
Rücksicht genommen wird; denn ihr Begriff ergiebt sich nicht 
ohne Bezugnahme auf ihren Bedeutungsgehalt, während es sich 
zunächst nur um die Form der Objekte handeln durfte. Fest- 
zustellen ist die Existenz solcher Einzellaute und Einzelworte 
mit der Geltung von Worten und Sätzen korrekterweise in dem 
der Bedeutung (dem Gebrauch) gewidmeten Abschnitt je des 
Hauptteils, der vom Laut bezw. vom Wort handelt, in den sie 
ja ihrer Form nach gehören; es steht dann aber nichts im 
Wege, für die eingehendere Behandlung ihrer Bedeutung aus 
praktischen Gründen auf den jeweils folgenden Hauptteil, die 
Worllehre bezw. die Syntax zu verweisen, in die sie ihrer 
Bedeutung nach gehören. 

Andererseits ist es eine Verletzung des methodischen Grimd- 
satzes des Ausgehens von der Form , wenn man gewissen 
selbständigen [Lauten und] Lautverbindungen den Wortcharakter 
absprechen will, weil sie keinen Begriff ausdrücken und ausser- 
halb des Satzes stehen; desgleichen, wenn man unter den 
Wortgefügen von vornherein den Satz ausschliesslich ins Auge 
fasst, weil er die wichtigste Verknüpfungsart von Vorstellungen 
verkörpert, mit welchen Begründungen man das Formale völlig 
verlässt. 

So steht denn eine Satzlehre, da die Bestimmung ihres^ 
Objekts, des Satzes, nicht von einem formalen Gegensatz zum 
Einzelwort hergeleitet werden kann, prinzipiell nicht einer 
Wortlehre gegenüber, will man nicht auf den Grundsatz des 
Ausgehens von den gegebenen Formen verzichten;* und dei' 

B 1 e 8 , Was ist Syntax ? 4 




50 

Anschein eines solchen natürlich-einfachen Gegensatzes war 
es gerade, was für die Einteilung der Grammatik in Lautlehre, 
Wortlehre und Satzlehre einnehmen konnte. 

Während eine Syntax nach dem System Miklosich keinen 
Anlass findet, in Erörterungen über das Wesen des wichtigsten 
syntaktischen Gebildes, des Satzes, seine Form und Bedeutung 
einzutreten, ja solche Erörterungen, will sie konsequent bleiben, 
geradezu ausschliesst, setzt dagegen eine sich als Satzlehre 
gebende Syntax diesen Begriff, der sich uns erst aus der Be- 
trachtung der gegebenen syntaktischen Gebilde nach Form 
und Inhalt ergeben sollte, statt ihn zu entwickeln und seine 
Definition zu begründen, in unmethodischer Weise als vorhanden 
und bekannt voraus. Indem die Satzlehre sich nicht als 
einen Teil der Syntax giebt, sondern sich als Syntax 
der Wortlehre gegenüberstellt, überspringt sie die wichtige 
Frage nach den formalen Kennzeichen des Satzes und geht, indem 
sie den Satz dem Wort auf Grund des Bedeutungsunterschieds 
gegenüberstellt, so sehr sie im Einzelnen den richtigen Weg 
von den gegebenen sprachlichen Formen zu dem ausge- 
drückten Inhalt einhalten mag, in der allgemeinen Definition 
und Disposition den umgekehrten Weg von der Bedeutung zur 
Ausdrucksform. 

Verfahren die beiden prinzipiell entgegengesetzten Haupt- 
systeme der Syntax in solcher Weise, so wird es erklärlich, 
dass die Existenz formaler Kennzeichen des Satzes, wie 
überhaupt die Definition von Satz und was damit eng zu- 
sammenhängt, zur Zeit noch durchaus strittige Dinge sind : ein 
deutliches Zeichen für die seltsame Unsicherheit in den Grund- 
lagen unserer syntaktischen Anschauungen, aus der man auf 
nicht unwesentHche Mängel in der bisher üblichen Behandlung 
der Syntax schliessen muss. 

Neben diesem prinzipiellen Bedenken gegen die Gleich- 
setzung von Syntax und Satzlehre, steht ein praktisches, das 
sich auf die eben erwähnte Thatsache bezieht, dass es zur Zeit 
eine feststehende, allgemein angenommene Definition von Satz 




51 

noch nicht giebt. Und gehen schon die Meinungen darüber, 
was in der eigenen Muttersprache ein Satz sei, heute noch weit 
auseinander, so mehren sich die Schwierigkeiten, wo es sich 
um den Versuch handelt, eine für alle Sprachen bezw. Sprach- 
perioden passende Definition dieses Begriffs zu finden, der so 
allgemein anwendbar und unvermeidlich scheint und doch so 
schwer zu bestimmen ist. Vorläufig scheint ein solcher Ver- 
such jedenfalls wenig Aussicht zu haben. Da wäre es doch nicht 
eben glücklich, wenn man das allgemeine System der Gram- 
matik mit auf eine Definition gründen müsste, die entweder 
zweifelhaft und bestritten wäre oder aber für die einzelnen 
(vielleicht sogar nahe verwandten) Sprachen und Sprachperioden 
verschieden lautete. (*^) 

Der Fehler in der Definition »Syntax ist Satzlehre« konnte 
natürlich nicht ohne Wirkung auf die Disposition einer als 
Satzlehre gefassten Syntax bleiben. Es werden durch diese 
Definition theoretisch Stoffe von der Syntax ausgeschlossen, 
die man in praxi doch weder ausschliessen will noch entbehren 
kann. Gesetzt, es hätten sich alle massgebenden Stimmen auf 
der denkbar weitherzigsten Definition von Satz vereinigt, einer 
Definition, die ausdrücklich darauf berechnet wäre, möglichst 
allgemein anwendbar zu sein und alles einzuschliessen, »was 
irgend ein Mensch Satz nennen kann«: die Folge könnte doch 
nur sein, dass dann kein syntaktisches Gebilde ausgeschlossen 
bliebe, das in irgend einer Sprache von irgend jemand zu den 
Sätzen gerechnet würde. Neben einigen Wortgefügen aber, 
über deren Zugehörigkeit zu der Kategorie der Sätze Meinungs- 
verschiedenheit herrscht, stehen zahlreiche andere, die von 
niemand als Sätze angesehen werden. Es könnte zwar der 
Fall eintreten, dass eine absichtlich sehr weit gefasste Definition 
von Satz ihrem Wortlaut nach auch die zweifellos nicht satz- 
bildenden Wortgruppen mit einschlösse — sie wäre dann eben 
fehlerhaft — ;aber trotz der thatsächlichen Möglichkeit, diese nicht 
satzbildenden Wortgefüge mit in den Umfang einer solchen Defini- 
tion zu ziehen, entspräche das doch der Ansicht niemandes, 




52 

auch nicht der Absicht ihrer Urheber. So hat z. B. Paul (*^) 
den Begriff Satz so weit definiert, dass, wenn man ihn beim 
Worte nähme, >Cäsars Ermordung^^^ -»Reise nach Paris^, 
mehrwortige Firmenschilder und Büchertitel von ihm auch für 
Sätze erklärt werden müssten, wie das Kern(*^), ich meine 
überzeugend, ausgeführt hat. Selbstverständlich ist das aber 
nicht Pauls Meinung. Dem Wortlaut dieser und ähn- 
licher zu weit geratener Definitionen fügen sich die nicht 
satzbildenden Wortgruppen wohl, und doch will sie niemand 
als Sätze angesehen wissen: somit läge auch ihre Behandlung 
zweifellos ausserhalb des Rahmens einer ,S atzlehre', wie 
immer man die Definition von ,Satz* fassen will. Die Syntax aber 
beschäftigt sich hergebrachtermassen auch mit der Form, Be- 
deutimg und Bildung von Wortgruppen wie die genannten. 
Und nicht nur hergebrachtermassen. Ganz zu entbehren, das 
liegt auf der Hand, ist die Behandlung der nicht satzbildenden 
Wortgruppen nun einmal nicht. Ebenso wenig wird man 
versucht sein, die Lehre von den Wortgruppen als einen selbstän- 
digen Hauptteil zwischen die Wortlehre und die Satzlehre 
einzuschieben oder sie gar der Wortlehre einzuverleiben. Über 
die Notwendigkeit, die Behandlung der Wortgruppen der Syntax 
zuzuweisen, kann kein Zweifel bestehen; der Stoff einer Lehre 
von den Wortgruppen imd der einer Satzlehre ist ganz offen- 
bar ein wesensgleicher; es wäre also verkehrt, sie nicht unter 
einem Namen zu begreifen und in einem Hauptteil der 
Grammatik zu behandeln: der Syntax. 

Setzt man aber Syntax einfach gleich Satzlehre, so entstehen 
für die Unterbringung der Lehre von den Wortgruppen nicht 
unbedeutende Schwierigkeiten. 

Es liegt sehr nahe, diese Schwierigkeiten dadurch zu um- 
gehen — und in der That hat man diesen Weg vielfach ein- 
geschlagen — , dass man die nicht satzbildenden Wortgruppen 
einfach als Satzteile ansieht und sie unter dieser Überschrift 
in der ^Satzlehre* miterbringt. Man könnte in der That versucht 
sein, in der Satzlehre etwa zu handeln von dem Satze, seinen 



53 

Teilen, Formen, Arten und Zusammensetzungen als Seitenstück 
zu einer Wortlehre, die man ansehen würde als Lehre vom 
Worte, seinen Teilen (= einem Teil der Wortbildungslehre), 
seinen Formen, Arten und Zusammensetzungen: und dabei 
müssten dann die Wortgruppen unter den Satzteilen mit zur 
Behandlung kommen. Das wäre aber doch nur eine äusserliche 
Gleichmacherei, die über die innere Verschiedenheit des Stoffes 
von Satz- und Wortlehre nicht täuschen könnte. Denn die 
Bezeichnung der nicht satzbildenden Wortgruppen als Satzteile, 
so einfach und natürlich sie auf den ersten Blick scheinen 
mag, beruht doch auf nichts als einem Spiel mit Worten. 
Nennt man ^^Cäsars Ermordungen einen Satzteil, so ist das 
richtig, sofern man von einem Satze ausgeht, in dem > Cäsar s 
Ermordung^ Subjekt, Objekt oder Prädikatsnomen ist. Insofern 
aber die Wortgruppe T^Cäsars Ermordung^ eine dieser syntak- 
tischen Funktionen hat, unterscheidet sie sich in nichts von 
einem Einzelwort in derselben Funktion und bietet somit als 
Wortgruppe nicht das geringste weitere syntaktische Interesse. 
Handelt man aber von der Form, der Bedeutung und Bildung 
derWortgruppe selber, so wird es meistens ganz gleichgültig 
sein, ob diese Gruppe in einem Satze Subjekt ist oder Objekt oder 
Prädikatsnomen; erörtert man die Gesetze, nach denen sich 
innerhalb der ^Satzteile' die einzelnen Worte zu Gruppen zu- 
sammenfügen, so verliert man den Satz, also auch seine Teile, 
völlig aus den Augen. Unter der Überschrift »Satzteile« darf 
man vernünftigerweise nur Erörterungen darüber suchen, wie 
sich der Satz in Teile gliedert, wie diese Teile sich zum 
Ganzen und zu einander verhalten, wie sie den Satz bilden: 
also immer mit Beziehung auf den Satz ; nicht aber Erörterungen 
über die Verbindung von Worten zu andern Einheiten, die in 
derselben Weise wie Einzelworte als Satzteile verwandt werden 
können; nicht über die Entstehung, die Bildungsgesetze und 
Bildungsmittel dieser als Satzteile gebrauchten Wortgruppen 
selber. Sehen wir die nicht satzbildenden Wortgefüge als Satzteile 
an, so betrachten wir sie als fertige, in sich selbständige Ein- 




54 

heiten, über deren Bildung, Form und Bedeutung innerhalb 
der Satzlehre zu handeln ebenso unpassend ist, als wenn man 
Bildung, Form und Bedeutung der — als Satzteile ihnen völlig 
gleichstehenden — Einzelwörter darin behandeln wollte. 

So können wir z. B. der Anordnung des Stoffes im 
Einzelnen nicht zustimmen, die Schmalz in seiner »Lateinischen 
Syntax« (**) gewählt hat, welche sonst einen so entschiedenen 
Fortschritt auf diesem Gebiet bedeutet. Wir sind durchaus 
mit ihm einverstanden, wenn er in der Einleitung erklärt: »In 
der Behandlung der Syntax muss man heute die völlig aus- 
getretenen Geleise der früheren Grammatiker in Einzwängung 
des doch historisch Gewordenen in fertige Denkformen und 
logische Kategorien verlassen und die Bahnen der historischen 
Grammatik einschlagen. Freilich ist die Methode hier noch 
keine vollständig durchgebildete und fertig dastehende .... 
Also kurz: die syntaktische Erscheinungsform wurde in ihrer 
Entstehung und Weiterbildung genau verfolgt, wo nötig und 
thunlich psychologisch begründet und zweckentsprechend unter- 
gebracht« (S. 390). Wir begrüssen es auch mit besonderer 
Freude, dass Schmalz ausser den von ihm selbst ausdrücklich 
erwähnten auch die nicht minder ausgetretenen Geleise der 
Grammatiker verlassen hat, die die Syntax in der Lehre vom 
Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen aufgehen lassen; 
dass er entschlossen mit der Überlieferung und Gewohnheit, 
die gerade bei der Behandlung der Syntax der klassischen 
Sprachen noch besonders mächtig ist, gebrochen und »die 
syntaktische Erscheinungsform« selber zum Gegen- 
stand seiner Forschung und Darstellung gemacht hat. 

Nur dass er — zwar nicht durchDefinition, aber thatsächlich — 
Syntax geradezu gleich Satzlehre setzt, halten wir für verfehlt. 
Daraus entspringen Misstände für die Anordnung des Stoffes 
im Einzelnen und Dispositionsfehler, die wir nicht als gering- 
fögig ansehen möchten. Seine Einteilung ist die folgende: 
A. Der einfache Satz. B. Der zusammengesetzte Satz. A. zer- 
fällt in: 1. Der Behauptungssatz. 2. Der Fragesatz. (***), B. in: 



55 

3. Die Beiordnung. 4. Die Unterordnung. Unter »A. 1. Behaup- 
tungssatz« finden wir nun gehandelt: a. Vom Subjekt, b. Vom 
Prädikat, aa. Allgemeines, bb. von der Kongruenz, cc. Tempora, 
Modi, Genera Verbi. e. Attribut und Apposition, d. Kasus- 
lehre, e. Participia. f. Präpositionen aa. mit Accusativ. bb. mit 
Ablativ, cc. mit dem Ablativ und Accusativ. Wir wollen hier 
davon absehen, dass in den Abschnitten, die von den Tempora, 
Modi, Genera Verbi, von der Kasuslehre, von den Partizipien 
und Präpositionen handeln, die betrachteten Gegenstände ein- 
zelne Wortklassen und Wortformen und nicht syntaktische 
Gebilde sind, der Verfasser also mit diesen Kapiteln in die 
Mischsyntax zurückfällt. Hier kommt es uns nur auf zweierlei 
an : erstens ist der überwiegende Teil von all dem, was unter 
»A. 1. Behauptungssatz« behandelt wird, an falscher Stelle unter- 
gebracht; denn es ist das nichts, was dem Behauptungs- 
satz eigentümlich wäre; es gilt vielmehr fast alles, was dort 
vom Subjekt, Prädikat, Attribut bis zu den Präpositionen 
herunter gesagt ist, ebenso vom Fragesatz; es gilt vom zu- 
sammengesetzten Satz so gut wie vom einfachen, weil es 
überhaupt vom Satze als solchem, oder von den Wort- 
gruppen gilt, die in jedem Satze vorkommen können. Es 
hegt also eine falsche Grundeinteilung vor : es handelt sich zu- 
vörderst gar nicht darum, einfachen und zusammengesetzten 
Satz , Behauptungssatz und Fragesatz gegenüberzustellen, 
sondern zunächst lediglich um das, was allen Sätzen 
gemeinsam ist, also um die Lehre vom Satze (an sich, 
überhaupt) ; dahin gehören die Erörterungen über Subjekt und 
Prädikat und sonstige Satzteile; dann erst kommt die Be- 
trachtung der einzelnen Satzarten. Und zweitens : Wie kommt 
die gesamte Kasuslehre oder die Lehre von den Präpositionen 
dazu, der von Subjekt und Prädikat koordiniertzu werden? 
Oder wie kommen Attribut und Apposition in diese Reihe? 
Die Lehre vom Attribut, von der Apposition handelt von der 
Verbindung gewisser Wortarten zu zusammengehörigen Gruppen, 
aber nicht zu Sätzen. Die Kasus, die Präpositionen dienen da- 



r\ 



56 

zu, Worte mit einander in verschiedenster Weise zu verbinden, 
— aber wozu ? doch nicht zu Sätzen, sondern zu Satzgliedern, 
zu Wortgruppen. Aus der Verbindung von Subjekt und Prä- 
dikat aber entsteht der Satz. In c. — f. wird, mit einigen Aus- 
nahmen, überhaupt nicht vom Satze und seiner Bildung, seinen 
Teilen, geschweige vom Behauptungssatze, sondern von einzelnen 
Wortgruppen ohne jede Beziehung auf den Satz gehandelt. 
Dass diese Abschnitte der Behandlung des Subjekts und des 
Prädikats, dieser Grundpfeiler des Satzes, gleichartig an die 
Seite gestellt sind, ist entschieden ein Fehler. 

Unter den übrigen Vertretern (*^) der Gleichsetzung von 
Syntax und Satzlehre beschränken wir uns auf die Er- 
wähnung JosüPEiTs, der ausser zwei praktischen Versuchen, 
die Syntax der lateinischen und der französischen Sprache für 
Schulzwecke als Satzlehre darzustellen, seine Ansichten über 
die Einteilung der Gesamtgrammatik, über die Aufgaben und 
Einrichtung der Syntax auch in einer eigenen Abhandlung (*') 
verfochten hat. Wenn er zwar auch in dieser vorwiegend 
fremdsprachliche Lehrbücher im Auge hat, so erklärt er 
doch ausdrücklich, dass seine Aufstellungen sowohl der Schule 
als »der speciell grammatischen Wissenschaft« gelten; er stützt 
dieselben auch auf Erörterung^i so allgemeiner Art, dass sie 
für wissenschaftliche Werke zum mindesten ebenso zwingend 
sein müssten wie für Schulbücher, und für die Syntax der 
Muttersprache nicht minder als für die fremder Sprachen. 
JosüPErr sucht zu zeigen, dass das System der Grammatik sich 
»naturgemäss in die Lehre vom Laut, Wort und Satz« gliedere (*®) ; 
er erklärt (S. 4.): »die Satzlehre zerfällt in die Lehre von den 
Satzteilen und dem Satze«. S. 3. hatte er richtig als Satz- 
teile »eigentlich (!) nur Subjekt und Prädikat im weiteren 
Sinne oder Subjekt, Prädikat im engeren Sinne und Objekt« 
bezeichnet. S. 4. heisst es aber (im Anschluss an den zuerst 
angeführten Satz): »Die Satzteile sind: Subjekt, Prädikat, Ob- 
jekt, adverbiale Bestimmungen (des Orts, der Zeit, der Art 
und Weise, des Werkzeugs, der Ursache, des Vergleichs) und 



57 

endlich attributive Bestimmungen (der Eigenschaft, des Sub- 
jekts, Objekts, des Ganzen, des Besitzers).« Auf diese Ver- 
mehrung der Zahl von Satzteilen hatte die Bemerkung vorbe- 
reitet ». . . . Halburteile sind die einem Substantiv hinzuge- 
fügten Adjektiva oder attributiven Bestimmungen und die einem 
Verb (oder Adjektiv) hinzugefügten Adverbia oder adverbialen 
Bestimmungen. Beide Arten des Halburteils reihe ich der 
praktischen Kürze wegen unter die Zahl der Satzteile, als 
welche sie sich der unbefangenen sprachlichen Beobachtung 
darbieten«. Josüpeit fühlt also, dass etwas dabei nicht in Ord- 
nung ist, wenn er die adverbialen und attributiven Bestim- 
mungen als Satzteile dem Subjekt, Prädikat und Objekt koordi- 
niert. Sie sind auch ihm nicht eigentlich Satzteile; dass 
er sie als solche aufführt, sucht er sozusagen zu entschuldigen 
mit der Berufung auf »die praktische Kürze« und »die unbe- 
fangene sprachliche Beobachtung«. Bei dem Hinweis auf die 
praktische Kürze kann ich mir nichts Rechtes denken — eine 
richtige Benennung und Unterbringung desselben Stoffes an 
angemessenerer Stelle würde die Kürze nicht beeinträchtigen — ; 
und dass ich in der »unbefangenen« Beobachtung nicht viel 
mehr sehe als einen Euphemismus für oberflächliche Beob- 
achtung, wird mir der Verfasser hoffentlich nicht verargen; 
umsoweniger, als ihn selbst dieser Vorwurf nicht oder nur 
halb trifft. Er hat die »eigentliche« Sachlage richtig erkannt; 
aber er hat einem bequemen Worte (Satzlehre) und einer be- 
quemen Zweiteilung (Satzteile und Satzarten) zuliebe der Sache 
einen gewissen Zwang angethan und dem Stoffe eine ihm nicht 
völlig gemässe Einteilung aufgedrängt. Wenn wir Josüpeit 
auch noch so weit entgegenkommen und einräumen wollen, 
dass mit ziemlich demselben Rechte wie die Objekte auch die 
andern »Bestimmungen zum Verbalinhalt« (Kern), also auch die 
zum Verbum finitum gehörigen adverbialen Bestimmungen als 
Satzteile (im weiteren Sinne) angesehen werden können, so 
bleiben doch immer die Attribute, Appositionen und die nicht 
zmn finiten Verbum gehörigen adverbialen Bestimmungen übrig, 



r\ 



58 

für welche die Bezeichnung Satzteile durchaus nicht passen will. 
Gerade das, was Josupeit vom »Halburteil« sagt, — was z. B. 
schon Herling(^') in der Gegenüberstellung von T>der Vogel 
fliegU und »rfer fliegende VogeU erörtert hatte und was dann 
wieder von Kern {^^) klar und erschöpfend behandelt worden 
ist — spricht deutlich gegen das Zusammenwerfen der attri- 
butiven und appositionellen mit den zum finiten Verbum ge- 
hörigen adverbiellen Bestimmungen und den übrigen ,Satz- 
teilen'. Eine adverbielle Bestimmung des Verbalinhalts kann 
insofern als Satzteil angesehen und dem Objekt an die Seite 
gestellt werden, als sie den Ausdruck einer sich eben bilden- 
den Verknüpfung von Vorstellungen vervollständigen hilft; die 
Attribute aber sind immer der Ausdruck einer schon früher 
vollzogenen Verbindung von Vorstellungen, die fertig in den 
neu sich bildenden Satz herübergenommen ist. 

Am ehesten könnte man noch mit Kern statt von Satz- 
teilen oder Satzgliedern von Satzbestimmungen sprechen 
und diese sondern in unmittelbare und mittelbare. (^*) Als 
mittelbare Satzbestimmungen sollten dann die gelten, welche 
ihrerseits die unmittelbaren näher bestimmen. Aber »mittel- 
bare Satzbestimmung« ist doch nicht viel mehr als ein vor- 
sichtig gewähltes Wort, ein verschleiertes Zugeständnis der 
Thatsache, dass die darunter verstandenen Wörter eben nicht 
den Satz selber, sondern eines seiner Glieder näher be- 
stimmen. Dann müsste man auch konsequenterweise in der 
Gradabstufung der Mittelbarkeit noch mehrere Stufen weiter- 
gehen, wo die Attribute ihrerseits noch durch abhängige Kasus 
oder Adverbien usw. näher bestimmt sind. Bezeichnet man 
das Adjektiv gut in T^ein guter Freunde als mittelbare Satz- 
bestimmung gegenüber der unmittelbaren in dem Adverbium 
gut des Satzes »er spricht gut^^ so müsste man in der Ver- 
bindung »em in allen Nöten trefflich bewährter Freunden eine 
mittelbare Bestimmung ersten, zwei zweiten und 6ine dritten 
Grades imterscheiden. Solche Unterscheidung ist zwar weder 
unrichtig noch wertlos (zumal nicht im Unterricht); aber bei 



59 

einer Mittelbarkeit so hohen Grades wird es recht fühlbar, 
wie gezwungen und äusserlich die Auffassung ist, die da noch 
Beziehungen zum Satz herstellen will. Mit ebensoviel Recht 
könnte man dann auch in Vorsilben und andern Wortteilen, 
die des Einzelworts Bedeutung näher bestimmen, mittelbare 
Satzbestimmungen sehen. 

Wichtiger aber ist, dass gewisse Bestandteile der nicht 
satzbildenden Wortgefüge sich überhaupt nicht in die Klassi- 
fizierung als mittelbare Satzbestimmungen schicken, selbst 
wenn man sich sonst auf diesen Standpunkt stellen wollte. 
So würde mir jene Bezeichnung für den Artikel in manchen 
Fällen seines Gebrauchs und gerade solchen, die durchaus und 
nur in der Syntax zu erörtern sind(*Oi völlig unpassend er- 
scheinen; ähnlich liegt die Sache mit den Präpositionen. Auf 
Grund dieser Auffassung und Terminologie könnte man in der 
Verbindung : -»der in diesem Jahre gestorbene grosse Feldherr . . .« 
der, gross ^ in diesem Jahre gestorben , ferner in diesem Jahre 
und schliesslich dies als mittelbare Satzbestimmungen 1., 2., 
3., oder wievielten Grades immer, ansehen, weil sie alle das 
Satzglied Feldherr selbst oder seine Attribute näher bestimmen : 
aber auf die Präposition in will die Bezeichnung Satzbe- 
stimmung doch auch von diesem Standpunkt aus nicht passen. 
Denn in giebt keine nähere Bestimmung der Begriffe dies 
und JciÄr, sondern dient zum Ausdruck der syntaktischen Be- 
ziehung zwischen dies Jahr und verstorben. Solche Be- 
ziehungsausdrücke als Satzbestimmungen zu bezeichnen, geht 
doch nicht an, will man der Sache nicht offenbare Gewalt 
anthun. 

Scheitert aber der Versuch, alle (nicht satzbildenden) 
Wortarten in allen ihren Gebrauchsweisen als Satz b estimmun - 
gen zu bezeichnen, weil sich eben nicht alle als solche, und 
wäre es noch so mittelbare, ansehen lassen, so ist auch der 
Versuch als gescheitert zu betrachten, für alle syntaktischen 
Erscheinungen einen angemessenen Platz in einer Syntax zu 
finden, die nur eine Satzlehre sein will. So gilt denn auch 



r\ 



60 

für gewisse mehrwortige ,Satzbestimmungen , was oben 
inbetrefif der ,Satzteile' ausgeführt wurde: Die Wortgruppe 
selber, als Einheit genommen, kann in einer ^Satzlehre' einen 
angemessenen Platz finden als ,Satzbestimmung*; ihre eigene 
innere Gliederung, ihre Form, Bedeutung und Bildung aber 
nicht, weil für ihre Teile die vorausgesetzte Beziehung zum 
Satze sich auch nicht durch Einführung des Begriffs ,Satzbe- 
stimmung* überall herstellen lässt. (^•^) 

All diesen und ähnlichen Schwierigkeiten der Disposition 
entgeht man nur, wenn man darauf verzichtet, Beziehungen 
zum Satze zu suchen und anzusetzen, wo das ohne Künstelei 
und Gewaltsamkeit nicht gehen will. Handelt es sich aber 
(wie im Sprachunterricht) darum, bestimmte vorliegende Sätze 
grammatisch zu analysieren, so wird man es allerdings nicht 
umgehen können, alle Worte eines Satzes als seine Teile zu 
bezeichnen, und dabei wird die Unterscheidung von unmittel- 
baren und mittelbaren Satzteilen oder Satzbestimmungen mit 
Nutzen verwertet werden. Dagegen besteht auch keinerlei 
Bedenken. Für Schulzwecke, zumal wo es sich um den gram- 
matischen Unterricht in der Muttersprache oder darum handelt, 
überhaupt Klarheit zu schaffen über die syntaktischen Ver- 
hältnisse und die Beziehungen der Worte zueinander, ist es 
vielleicht praktisch und unbedenklich, Syntax und Satzlehre 
gleichzusetzen und demgemäss die Wortgruppenlehre in die 
Satzlehre einzufügen. Es unterliegt natürlich keinem Zweifel, 
dass in einem bestimmten Satze jedes in ihm vorkommende 
Wort als ein Teil dieses Satzes angesehen werden kann; in 
diesem rein äusserlichen Sinne ist freilich auch jede Silbe und 
jeder Einzellaut, der in diesem Satze vorkommt, ein Teil des- 
selben. Handelt es sich aber nicht um die grammatische 
Analyse bestimmter Sätze in der Schulpraxis, sondern um die 
wissenschaftliche Erforschung und Darstellung der Form, Be- 
deutung und Bildung der syntaktischen Gebilde überhaupt, so 
werden einerseits für das syntaktische Gebilde, das wir (in 
einer bestimmten Entwicklungsstufe einer bestimmten Sprache) 



61 

als ,Satz' bezeichnen, nur die konstituierenden Teile 
desselben, nicht die zufälligen, nicht die Teile der Teile in 
Betracht kommen; und andererseits werden Form, Bedeutung 
und Bildung der nicht satzbildenden Wortgruppen gesondert 
zu behandeln sein, ohne Hineinmischung der Beziehungen zum 
Satze, die ihrerseits für die Wortgruppen wiederum nichts 
Wesentliches, sondern etwas Zufalliges sind. 

Diese Erwägungen sprechen gegen die völlige Gleichsetzung 
von Satzlehre und Syntax. Die Syntax enthält ein Mehr, das 
sich in der Satzlehre ohne Zwang nicht unterbringen lässt. 
Für die wissenschaftliche Behandlung bleibt die Satzlehre ein 
Teil der Syntax, wenn auch der wichtigste, ist aber nicht 
gleich Syntax. Will man das allerdings sehr bequeme und 
seit langem vielfach als gleichbedeutend mit Syntax gebrauchte 
Wort Satzlehre nicht entbehren, so könnte man es nur so als 
Synonym für Syntax in unserm Sinne brauchen, dass man 
,Satzlehre' fasste als eine Bezeichnung des Ganzen nach einem 
(hier auch dem wichtigsten) Teile und darunter verstände: die 
Lehre vom Satze und den übrigen Wortgefügen. (^*) 



f\ 



II. Die Stellnng der Syntax im Rahmen der Gesamtgrammatik. 

Wir glauben oben gezeigt zu haben, dass die dem System 
MiKLOsiGH zu Grunde liegende Definition zu eng ist und dass der 
Versuch, sich von der Mischsyntax durch einfache Ausscheidung 
eines Teiles ihrer Stoffe zu befreien, als gescheitert anzusehen 
ist. Das von Miklosich Ausgeschiedene ist durchaus nicht zu 
entbehren. Andererseits aber sind auch d i e Stoffe nicht ganz 
zu entbehren, die jener ausschliesslich behandelt hat. Denn es 
ist selbstverständlich, dass kein System der Syntax auf die Mit- 
berücksichtigung des Gebrauchs von Wortarten und Flexionen 
ganz verzichten kann. Ohne diese wäre eine Syntax ebenso- 
wenig denkbar, wie sie vollständig wäre, wollte sie sich auf 
diese Gebiete beschränken. Denn sind die verschiedenen Arten 
und Formen der Worte auch nicht das einzige, so sind sie 
doch ohne Frage eins der wichtigsten Mittel, deren die Sprache 
sich bedient, um den syntaktischen Gebilden verschiedene Form 
und Bedeutung zu geben. 

Würde man aber die Syntax nach dem System Miklosich 
als Ganzes einfach in eine Syntax, wie wir sie uns denken, also 
in eine ,Lehre von den Wortgefügen', hinübemehmen, oder in 
mehrere Abschnitte zerlegt in eine solche einschieben, so wären 
damit immer nur neue Spielarten von der Gattung Mischsyntax 
erzeugt. {^^) Somit möchte es scheinen, dass es aus der Misch- 
syntax wirklich keinen Ausweg gäbe. Denn wie soll man ihr 
entrinnen, wenn weder die von Miklosich ausgeschiedenen 
Stoffe noch die von ihm behandelten entbehrlich sind? 



63 

Die Lösung der Schwierigkeit liegt in der Erkenntnis der 
Thatsache, dass der von Miklosich ausgewählte Stoff, vom 
Standpunkte der Syntax betrachtet, kein einheitlicher, kein 
organisch zusammengehöriger ist: seine Definition ist, wie wir 
oben schon kurz erwähnt haben, nicht nur zu eng, sondern 
gleichzeitig auch zu weit. 

Von der Besprechung dieses Fehlers haben wir dort vor- 
läufig abgesehen, weil er dem System Miklosich nicht allein 
anhaftet, diesem vielmehr mit allen anderen Systemen der 
Syntax gemein ist, die sein Stoffgebiet als Ganzes und unge- 
sichtet in sich aufiiehmen. 

Ob man sich im wesentlichen auf den Boden der Defini- 
tion MiKLOsicHs stellt, oder im Gegenteil Syntax der Hauptsache 
nach als Satzlehre ansieht, oder aber dieser oder jener Art von 
Mischsyntax anhängt: man filllt immer in denselben Fehler zu 
weiter Stoflfbegrenzung , sobald man der Syntax, sei es als 
Hauptsache, sei es neben ihren andern Aufeaben auch die 
zuweist, die Bedeutung bezw. den Gebrauch der Wortarten 
und Wortformen zu lehren. Den Gebrauch d. h. jedweden 
Gebrauch ; d i e Bedeutung d.h. alle Bedeutungen ; d e r Wort- 
formen d.h. aller Wortformen. Offenbar fehlt hier ein be- 
schränkender Zusatz, ein Zusatz, der die Einbeziehung der 
Lehre von Bedeutung und Gebrauch der Wortarten und Wort- 
formen in die Syntax auf diejenigen Redeteile und 
Flexionsformen und diejenigen Bedeutungen und 
Gebrauchsweisen derselben einschränkt, die für 
die Zusammenfügung der Worte zu neuen Ein- 
heiten in Betracht kommen. 

,Aber, da es sich um die Stoflfbegrenzung der Syntax 
handelt, ist das doch selbstverständlich !' — Freilich ist es das, 
und doch wird es nicht etwa nur in der Formulierung der 
Aufgaben der Syntax, eben als etwas Selbstverständliches weg- 
gelassen, sondern es bleibt vielmehr ganz allgemein auch bei 
ihrer Ausführung unberücksichtigt. Die Behandlung aller 
Gebrauchsweisen aller Wortformen ohne Unterschied 




64 

innerhalb der Syntax ist ein dermassen zur Gewohnheit ge- 
wordener Missbrauch, dass die Behauptung, es giebt auch 
Flexionsfonnen bezw. Bedeutungen derselben, die für die 
Syntax gleichgültig sind, notwendig auf starkes Misstrauen und 
Widerstand stossen muss. Dass der gesamte Gebrauch der 
Redeteile und Wortformen in der Syntax zu erörtern sei< das 
ist ein feststehender Satz mit der Geltung eines Axioms; er 
ist allen, die die Schule des Lateins durchgemacht haben, so 
in Fleisch und Blut übergegangen, dass an seiner Richtigkeit 
zu zweifeln den wenigsten in den Sinn kommt Dass Easus- 
lehre, Tempuslehre, Moduslehre die wichtigsten Teile der 
Syntax bilden, das wissen wir von der Quarta her. So wird 
die Frage, ob alle in der Syntax gewöhnlich behandelten 
Redeteile und Wortformen, ob deren sämtliche Gebrauchs- 
weisen in der That für die Wortfügung von Bedeutung sind, 
d. h. also, ob sie auch mit Recht alle in der Syntax zur Sprache 
kommen, gar nicht geprüft, gar nicht aufgeworfen. 

Dieser so allgemeine Fehler der zu weiten Stoflfausdehnung 
hängt, wie wir oben (S. 45.) angedeutet haben, mit einem Fehler 
in der üblichen Gliederung der Gesamtgrammatik zusammen. 
Dieser besteht in der beliebten Gegenüberstellung von 

Syntax und Formenlehre 

als der beiden Hauptteile, auf die — abgesehen von der Laut- 
lehre und mitunter der Wortbildungslehre — der gesamte 
grammatische Stoff verteilt wird. 

Beide Fehler bedingen sich gegenseitig und sind zum Teil 
auf den Einfluss der Überlieferung zurückzuführen, zum Teil 
entspringen sie aus der Abhängigkeit der Grammatik von den 
praktischen Zielen, die sie vorwiegend verfolgt hat 

Was zunächst die Überlieferung aus dem Altertimi selber 
betrifft, so ist allerdings weniger an eine eigentliche Einteilung 
der Grammatik und an ausdrückliche, Stoff und Aufgaben der 
Teile feststellende Definitionen zu denken, die von den Alten ge- 
schafftju wären und bis heute Bestand gehabt hätten. Trotz der 



65 

gesonderten Behandlung der Syntax durch Apolloniüs in einem 
eigenen Buche herrscht vielmehr noch lange nach ihm die 
Gruppierung des gesamten grammatischen Stoffes nach den 
Redeteilen vor. Diese wirkt auch heute noch nach, doch ge- 
wöhnlich nur als Nebenprinzip für die weitere Teilung; als 
solches für die Syntax um so mehr, als man auch in der 
grundlegenden Schrift des Apolloniüs die Einteilung nach den 
Redeteilen festgehalten glaubte. (•**) Doch hierauf kommt fiir 
die herrschende Gegenüberstellung von Syntax und Formen- 
lehre, die wir hier vor allem im Auge haben, weniger an. In 
diesem Punkte geht die Wirkung nicht so sehr von den über- 
lieferten Einteilungen und technischen Ausdrücken selber — 
Terminologie und Systematik sind hierin im Altertum noch 
nicht zu voller Reife gekommen — als vielmehr von der That- 
sache aus, dass die sprachwissenschaftliche Thätigkeit der Alten 
hauptsächlich an zwei Punkten erfolgreich eingesetzt, zwei Ge- 
biete besonders gepflegt hat. Gewisse Unvollkommenheiten in 
der heutigen Systematik gehen, wie leicht zu sehen ist, direkt 
auf den an sich selbstverständlichen Umstand zurück, dass 
nicht alle Teile der Grammatik im Altertum gleichmässig und 
mit demselben Glücke ausgebildet worden sind. 

Unter den Leistungen der Alten auf dem eigentlich sprach- 
lichen Gebiete überragt das in der Flexionslehre und der Syntax 
Geschaffene weit alles übrige. Auf dem etymologischen wie 
auf dem phonetischen Gebiete, auf jenem wohl noch mehr als 
auf diesem, ist die antike Wissenschaft in den Kinderschuhen 
stecken geblieben. Auf die Flexionslehre zunächst und dann 
auf die Syntax haben die Alten ihre Aufmerksamkeit vorzugs- 
weise und mit dem grössten Erfolge gerichtet. Der ganze, 
jahrhundertelange Streit der Anomalisten und Analogisten 
dreht sich um die Lehre von den Wortformen; aus ihm ist 
geradezu mit der Aufstellung der xavoveg die Flexionslehre 
erwachsen. Die aus philosophisch-grammatischen Erwägungen 
hervorgegangene Scheidung der Redeteile diente beiden Ge- 
bieten, der Flexionslehre und der Syntax; sie beherrscht die 

Biet», Was ist Syntax? k 



r^ 



66 

antike Grammatik, wie sie ihren eigentlichen Ausgangspunkt 
bildet; sie dient, wie erwähnt, zunächst, seitdem überhaupt 
von einer Gliederung der eigentlichen Grammatik gesprochen 
werden kann, und auch später noch vielfach, als Grundlage 
der Einteilung des im übrigen ungegliederten grammatischen 
Stoffes oder liefert doch das übergeordnete Einteilungsprinzip. 
Ist auch die Anordnung nach Formenlehre und Syntax erst 
spät allgemeiner der Scheidung nach den Redeteilen über- 
geordnet worden, geht auch diese Einteilung selber nicht 
direkt auf die älteren Zeiten zurück, so haben doch seit 
Apollonius Dyscolus Formenlehre und Syntax die Haupt- 
bestandteile der Grammatik gebildet. Flexionslehre und 
Syntax sind dann jahrhundertelang diejenigen Teile der Sprach- 
lehre geblieben, die vorzugsweise, wo nicht ausschliesslich, ge- 
pflegt wurden. Auch heute stehen und bleiben Flexionslehre 
und Syntax im Vordergrunde. So ziemlich alle grammatischen 
Werke, welche der praktischen Spracherlemung dienen wollen, 
begnügen ^ich, mit welcher Sprache sie sich auch beschäftigen, 
— ganz zweckmässig — mit Formenlehre und Syntax; auf 
diese beschränken sich bis in die neuere Zeit auch sehr viele 
Werke, die in mehr oder minder strengem Sinne wissenschaft- 
liche Ziele verfolgen. So musste sich im Bewusstsein der Ge- 
lehrten und Lernenden von Jugend auf, von ihren ersten gram- 
matischen Studien her, die Vorstellung festsetzen — und zwar 
mit der Zähigkeit festsetzen, die so fipüh gewonnenen Vor- 
stellungen eigen ist — , dass Flexionslehre und Syntax die 
beiden wesentlichen Bestandteile der Grammatik, ihr eigent- 
licher Kern seien. 

Diese Vorstellung ist zwar einseitig und der Einschränkung 
bedürftig , aber sie ist gewiss nicht ohne Berechtigung , auch 
wenn man vom Standpunkte des Lernenden absieht : nur dass 
sich mit ihr zugleich die durchaus unrichtige Vorstellung zu 
verknüpfen pflegt, dass mit der Heraushebung der Flexions- 
lehre (oder der , Formenlehre*) und der Syntax als der Haupt- 
teile (d. h. der in mancher Beziehung besonders wichtigen 



67 

Teile) der Grammatik auch schon eine brauchbare Einteilung 
der Gesamtgrammatik gegeben oder überhaupt möglieh wäre. 
Je mehr neue Teile jenen beiden Hauptteilen zur Seite treten, 
je vollständiger das System der Grammatik ausgebaut werden 
soll, um so deutlicher tritt zu Tage, dass Formenlehre und Syntax 
keine reinen Gegensätze sind, dass eine Einteilung, in welcher 
Flexionslehre und Syntax als Glieder in einer Reihe auftreten, 
prinziplos ist. Zu jenen beiden Teilen pflegt sich in neuerer 
Zeit die Lautlehre zu gesellen, die jetzt gewöhnlich als be- 
sonderer Teil vorangeschickt wird, ja im letzten Jahrzehnt 
nicht selten grosse Teile der alten Flexionslehre au&augt. 
Die Dreiteilung der Grammatik in Lautlehre, Formenlehre und 
Syntax, die als das jetzt üblichste Schema bezeichnet werden 
kann, lässt ein durchgehendes Prinzip nicht erkennen. Dass 
diese Einteilung durch die häufig beUebte Hinzufügung eines 
vierten koordinierten Teiles, der Wortbildungslehre, nur noch 
schlechter wird, ist offenbar. Geradezu wunderbar erscheinen 
muss es — ein Beweis für die erstaunliche Gleichgültigkeit 
vieler gegenüber den einfechsten Forderungen einer verständigen 
Systematik — , dass sich nicht wenigstens allen den Gram- 
matikern, welche der Wortbildungslehre einen eigenen Abschnitt 
widmen, die doch unvermeidliche Einsicht aufdrängt, dass 
Flexionslehre und Wortbildungslehre als zwei Unterabteilungen 
sich zu einem Hauptteil notwendigerweise zusammenschliessen ; 
einem Hauptteil, der zwischen Lautlehre und Syntax gestellt, 
nichts anderes sein kann, nicht anders benannt werden kann 
als ,W ort lehre*. Statt stets unter dem gemeinsamen Namen 
Wortlehre den Stoff in die Abschnitte Flexionslehre imd 
Wortbildungslehre einzuteilen, lässt man ihn häufiger in zwei 
selbständige Hauptteile auseinanderfallen, stellt also vier Teile 
ohne gemeinsames Einteilungsprinzip nebeneinander. Neben 
dieser falschen Vierteilung in Lautlehre, Formenlehre, Wort- 
bildungslehre und Syntax findet sich zuweilen auch die richtige 
Zusammenfassung der beiden mittleren Teile zu Einem, dem 
aber die allein richtige Bezeichnung Wortlehre trotzdem ver- 

5* 



r\ 



68 

sagt bleibt ; statt ihrer erhält die Flexionslehre mit der Wort- 
bildungslehre zusammen den Namen Formenlehre, der als 
gemeinsame Bezeichnung gewiss wenig passend ist. 

Aber wenn die Einteilung sonst nur richtig und der Inhalt 
brauchbar ist, was liegt dann an einer ungenauen oder selbst 
falschen Bezeichnung? Man ist geneigt zu meinen, dass es 
allein auf die Sache ankomme , der Name gleichgültig sei, und 
übersieht nicht selten, wie leicht gerade eine schiefe Bezeichnung 
auch der Sache zum Nachteil gereicht. Man gefällt sich wohl 
auch darin, gegenüber dem ,Haften am Äusserlichen' , dem 
,Herummäkeln an Worten' die ausschlaggebende Bedeutung 
des hihalts zu betonen. Eine solche Auffassung ist jedoch nicht 
überall berechtigt und oft weniger geistreich, wie sie scheint; 
ja sie schlägt bisweilen ins gerade Gegenteil von dem um, was 
sie sein möchte, und wird oberflächlich. Würde die Wirkung 
eines ,blossen Namens* weniger oft unterschätzt, so würde 
mancher frrweg in der Wissenschaft vermieden werden. Die 
verkehrte Benennung der Teile einer Disziplin begünstigt oder 
veranlasst bisweilen geradezu eine verkehrte Verteilung des 
Stoffes oder verschleiert doch und verdeckt die Fehler in 
der überlieferten Stoffverteilung. 

Wir glauben nicht zu weit zu gehen, wenn wir der so viel- 
fach üblichen Umgehung bezw. dem Fortfall der naturgemässen 
Bezeichnung ,Wortlehre' einen Teil der Schuld daran zuschreiben, 
dass man der Syntax Aufgaben und Stoffe aufgebürdet hat, 
die ihr nicht zukommen. Denn erstens wird durch das Eintreten 
von Formenlehre (oder von Formenlehre und Wortbildungslehre) 
in die gleiche Reihe mit Lautlehre und Syntax die Ordnung 
des Systems der Gesamtgrammatik zerstört, dadurch der klare, 
wort- und sachgemässe Gegensatz von Wortlehre und Syntax 
verwischt und so zugleich die Aufgabe der Syntax verdunkelt. 
Dann hatte jene Substitution den weitem Nachteil im Gefolge, 
dass bei dem Fehlen des verbindenden Begriffs ,Wortlehre* von 
vornherein alle jene neuen Abschnitte obdachlos waren, die 
bei dem Auftreten neuer Gesichtspunkte für die grammatische 



69 

Behandlung des Wortes entstehen konnten. Diese mussten nun 
entweder als neue selbständige Teile neben die drei oder vier 
bereits bestehenden treten und so die Disposition der Granunatik 
immer schlechter machen; oder sie mussten gewaltsam in 
einem der vorhandenen Teile untergebracht werden: beides 
ist mit der Bedeutungslehre in der That geschehen, wovon 
unten ausführlicher zu handeln sein wird. 

Wäre der zwischen Lautlehre und Syntax stehende Teil 
der Grammatik nicht nur bisweilen, sondern stets den ele- 
mentaren Einteilungsgesetzen gemäss als Wortlehre bezeichnet 
worden, wie hätte eine andere Auffassung über den Gegen- 
stand der Syntax aufkommen können als die, welche ihr 
Schöpfer richtig und klar genug ausgesprochen hatte? Wie 
Buchstaben und Silben nicht willkürlich und regellos sich zu- 
sammenfügen, meint Apolloniüs in der Einleitung zu seinem 
Werk über die Syntax, sondern ihre nach einem bestimmten 
Gesetz sich vollziehenden Verbindungen das Wort schaffen, 
so ist auch in der Verbindung der Wörter Regelmässigkeit. 
Das Wort ist der Buchstabe des Satzes. »Wie die Buchstaben 
die Silben hervorbringen durch ihre Zusammenfügung, so wird 
auch die Verbindung der dem Worte inwohnenden Gedanken 
gewissermassen eine Zusammenfassung hervorbringen durch 
Verknüpfung der Wörter ; und wie ferner aus den Silben das 
Wort, so entsteht aus der regelmässigen Folge der Wörter 
der in sich abgeschlossene selbständige Satz«. (*') Zwar sind 
bei Apolloniüs, wovon wir hier absehen dürfen, die Begriffe 
Laut, Wort und Satz noch nicht völlig ausgebildet als 
rein sprachliche Kategorien, diese vielmehr noch mit den 
logischen vermischt und in ihnen versteckt; die Aufgabe der 
Syntax aber hat er doch richtig erkannt und deutlich bezeichnet, 
wie sie sich aus dem Gegensatz zu derjenigen der Laut- und 
Wortlehre naturgemäss ergiebt. Das zeigt auch die Wahl der 
Worte (XvtTdaaeiv und avwa^ig. Fehdt dem Apolloniüs auch 
noch der sprachliche Begriff ,Satz' und die Kategorien für die 
Satzverhältnisse , stellt er auch nur Wortverhältnisse dar , »so 



r^ 



70 

hat er dagegen überall festgehalten, dass es sich in der Syntax 
immer um die Verknüpfung zweier Wörter handelt und dass 
man nicht eigentlich von der Syntax eines Wortes reden 
kann«. (Steinthal a. a. 0. S. 687.) Dieser letztere Sprach- 
gebrauch , der zu verkehrter Auflfassimg verfuhrt , ist späteren 
Ursprungs. 

Der Begründer der Syntax ist somit, welche andere Mängel 
in der Einrichtung und Behandlung der Disziplin auch auf 
ihn zurückgehen mögen, nicht schuld an dem falschen Gegen- 
satz von Syntax und Formenlehre; er stellte sie ausdrücklich 
der Wortlehre gegenüber. Erst im Laufe der geschichtlichen 
Entwicklung hat die Formenlehre infolge der überwiegenden 
Wichtigkeit ihres hihalts für praktische Zwecke und ihrer 
frühen und allseitigen Ausbildung sich dermassen im Bewusst- 
sein der Grammatiker vorgedrängt, dass sie sich aus einer 
Unterabteilung zum Hauptteil gemacht, dass der eine Abschnitt 
sich an die Stelle der ganzen Wortlehre gesetzt hat. So ist 
die Formenlehre der Syntax als selbständiger Hauptteil gegen- 
übergetreten imd die falsche Vorstellung eingedrungen, dass 
Formenlehre imd Syntax Gegensätze bilden, eine Vorstellung, 
die auf die innere Einrichtung und die Ausbildimg der Syntax 
störend einwirken musste. Denn verschwand der weitere 
Begriff der Wortlehre in dem der Formenlehre, ging die Wort- 
lehre in der Flexionslehre auf, so konnte die natürliche Folge 
nicht ausbleiben, dass der Syntax nun statt der Lehre von der 
Verbindung der Einzelworte zu neuen Einheiten die Lehre 
von der Bedeutung (dem Gebrauch) aller der Formen 
zugewiesen wurde, die im vorangehenden Teile der Grammatik, 
eben der Formenlehre, in geordneter Folge vorgeführt worden 
waren. Diese Substitution führte dazu, den Begriff Syntax in 
fehlerhafter Weise gleichzeitig zu verengen und zu erweitern; 
einerseits veranlasste sie die Forscher sich auf die Ermittlung der 
Bedeutung derWortarten und Formen zu beschränken (ein Fehler, 
den wir oben besprochen haben), andererseits Hess sie es natürlich 



71 

erscheinen, dass in der Syntax auch die Bedeutung derjenigen 
Formen erörtert wurde, die mit der Zusammenfügung der Worte 
zu neuen Einheiten nichts zu thun haben. 

In derselben Richtung wirkte und wirkt noch heute der 
Einfluss, den die von der Grammatik so lange vorwiegend 
verfolgten praktischen Ziele auf ihre innere Einrichtung ge- 
winnen mussten. 

Wie wir oben (S. 7 flf.) erwähnt haben, hat die Grammatik, 
die von ihren Anfängen an fremden hiteressen dienstbar war, 
infolge der Bestrebungen der Humanisten und ihrer Nachfolger 
immer mehr den Charakter eines Hilfemittels der Spracherlemung 
angenommen. Nicht wissenschaftliches Erkennen, sondern der 
Erwerb praktischer Ferügkeit, das Lateinschreiben wurde das 
Hauptziel der lateinischen Grammatik, dieses Vorbildes aller 
übrigen, und in ihr fiel diese Aufgabe besonders der Syntax 
im Bunde mit der Stilistik zu. Wie diese wurde auch jene 
vorwiegend von dem Gesichtspunkte aus betrachtet: worin 
weicht der lateinische Gebrauch von dem der Muttersprache ab ? 
Und da die modernen Sprachen im Vergleich mit den alten 
formenarm sind, und von den wenigen Formen, die sie haben, 
so vielfach abweichenden Gebrauch machen, was lag da näher, 
als dass eine Syntax, die den korrekten Gebrauch der alten 
formenreichen Sprache in Schrift und Rede lehren sollte, diesen 
wichtigen Unterschied zunächst ins Auge fasste ? Es konnte nicht 
ausbleiben, dass eine solche Syntax ihre Hauptaufgabe darin sah, 
die Bedeutung und die vielföltigen Anwendungen all der Formen 
zu entwickeln, deren gedächtnismässige Aneignung die erste Auf- 
gabe des Unterrichts gewesen war. Sofern die lateinische Gram- 
matik nichts war und sein sollte als ein Hilfemittel zum Erwerb 
der Sprech- imd Schreibfertigkeit, zerfiel ihr Stoff naturgemäss 
in zwei Teile: der eine hatte das vorhandene Material an Wort- 
formen geordnet vorzufuhren, der andere zu lehren, was diese 
Formen bedeuteten, wie sie gebraucht würden. Ob man nach 
älterer Art beides zusammen, nur nach den Redeteilen geordnet 
oder, was später vorgezogen wurde, in zwei Teilen gesondert 



r 



72 

behandelte, einer Formenlehre (wofür man unter Einschluss 
einer elementaren Lautlehre auch vielfach das wenig passend 
erscheinende Wort Etymologie gebrauchte) und einer Syntax: 
jedenfalls ergab sich aus dem Zwecke der Grammatik 
als einer Anweisung zum Gebrauch der Sprache 
von selbst die Bestinmiung des hihalts dieser beiden unent- 
behrlichen Teile. Hatte der erste das Material zu liefern, die 
Kenntnis der vorhandenen Laute, Wortarten und Wortformen 
zu vermitteln, so war es naturgemäss die Aufgabe des zweiten 
Teils, die Verwendung dieses Stoffes zu lehren, die Bedeutung 
und den Gebrauch der Redeteile und Flexionsformen darzustellen. 
Und vom Standpunkte des Lernenden aus, der von aussen an 
die fremde Sprache herantritt, um sie sich zum Gebrauche 
anzueignen, ist die Bezeichnung ,Syntax* für den Teil des 
Lehrbuchs ganz angemessen , der ihn darin unterweist , wie 
man das erworbene Sprachmaterial regelrecht zusammenfügt. 
Zu diesem Zweck, um zu eigenem richtigen Zusammenfügen 
in Rede und Schrift befähigt zu sein, muss er auch in seiner 
,Syntax* die Bedeutung aller Formen und ihre sämtlichen 
Gebrauchsweisen zusammengestellt finden. Eine solche Lem- 
syntax wird ihren Zweck um so besser erfüllen, je mehr sie. 
auf die Punkte besondere Rücksicht nimmt, in denen der fremde 
Sprachgebrauch von dem der Muttersprache abweicht. Der Stand- . 
punkt der wissenschaftlichen Grammatik aber ist ein anderer.^ 
Sie hat ihren Stoff ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse eines 
sprachlich anders gewöhnten Schülers allein nach den 
Gesichtspimkten zu gliedern, die sich aus der Eigenart des zu 
behandelnden Objekts selber ergeben. Bezeichnet die wissen- 
schaftliche Grammatik einen ihrer Teile als Syntax, so kann 
die Aufgabe dieses Teiles nur sein, die Wortgeföge einer Sprache 
allseitig zu imtersuchen und darzustellen ; die innere Gliederung 
dieses Teiles kann keine andere sein als eine solche, die genau 
den im behandelten Gegenstande, also den Wortgefügen selber, 
vorhandenen Verschiedenheiten entspricht. Dabei werden 
natürlich die Arten und die Formen der Einzelworte soweit 



73 

in Betracht zu ziehen sein, aber auch nur soweit, als diese 
auf Art , Form oder Bedeutung der Wortgefüge von Einfluss 
sind. Es liegt jedoch kein Grund vor a priori anzunehmen, 
dass alle Arten und alle Formen der Einzelworte, dass alle 
Gebrauchsweisen derselben für die verschiedene Gestaltung der 
Wortgefüge, ihre Gliederung und Bedeutung von Belang seien. 
Es liegt im Gegenteil auf der Hand, dass das nicht der Fall 
zu sein braucht und vielfach thatsächlich nicht der Fall ist 
(vergl. unten S. 96). 

Ob nun aber die Grammatik praktischen Zwecken sich 
dienstbar mache oder rein wissenschaftliche Ziele verfolge, 
erörtern muss sie doch immer, will sie auf Vollständigkeit 
Anspruch machen, die sämtlichen Bedeutungen aller 
Wortarten und Flexionsformen, die die behandelte Sprache 
kennt. Das ist keine Frage. Nun kann die Bedeutung der 
Redeteile und Wortformen doch weder in der Lautlehre noch 
in der Formenlehre behandelt werden ; was bleibt da Anderes 
und Besseres übrig, als sie eben in der Syntax zu behandeln? 
Dieser Schluss wäre unabweisbar, sobald wir annehmen müssten, 
dass die beliebte und herkömmliche Einteilung der Grammatik 
in Lautlehre, Formenlehre und Syntax die einzig mögliche; 
wenn wir zugeben könnten, dass sie überhaupt nur richtig und 
brauchbar wäre. Unter dieser Voraussetzung, die freilich 
stillschweigend gemacht zu werden pflegt, erklärt es sich leicht, 
dass man der Syntax so verschiedene, zum Teil fremdartige 
Stoffe zugewiesen hat. , Mit grosser Offenheit spricht sich dar- 
über Draeger in der Einleitung zu seiner historischen Syntax der 
lateinischen Sprache (Bd.L S. vn) aus. Er giebt zu (wunderbar !), 
dass »die Darstellung der Wortformen und ihrer Entstehung aller- 
dings nicht in die Syntax gehört«, begründet aber die Behandlung 
der »Anwendung, welche sie [die Wortformen] in verschiedenen 
Zeitaltem oder bei den einzelnen Autoren gefunden haben«, 
innerhalb der Syntax damit, dass er erklärt, »er wüsste sie in 
keinem andern Abschnitt der Grammatik unterzubringen« (!). 
Ein wertvolles Zugeständnis! In die Syntax, das grosse 



r 



74 

Receptaculum , wird hineingepackt, was man sonst nirgends 
unterzubringen weiss. Dies ist in der That oft der letzte, der 
massgebende Grund für die übliche Stoflfbegrenzung der Syntax, 
wenn er auch selten so unumwimden ausgesprochen wird. 
Dieses und jenes soll noch behandelt, soll noch ^untergebracht* 
werden, es will sonst nirgends recht hinpassen — also wird's in 
die Syntax gesteckt! (*®) Da ist es denn kein Wunder, wenn 
die sachgemässe Anordnung eines solchen Stoffkonglomerats 
unüberwindliche Schwierigkeiten macht. 

Jenes Ver&hren hatte eine Art von Berechtigung, so- 
lange der Gedanke noch nicht aufgetaucht war, dass ausser 
den altgewohnten Teilen, der Formenlehre und Syntax, neben 
denen sich Lautlehre und Wortbildungslehre einen selbstän- 
digen Platz errungen hatten, noch ein weiteres Stoffgebiet 
als ein besonderer Teil der Grammatik abzuzweigen sei. 
Solange der Begriff der Bedeutungslehre als eines 
selbständigen Gebietes grammatischer Forschung noch nicht 
aufgestellt war, mochte es natürlich scheinen, dass innerhalb der 
Syntax die Bedeutung der Wortarten und Wortformen über- 
haupt und grundsätzlich erörtert wurde, und nicht nur 
soweit sie für die Wortfügung in Betracht kommt Nach- 
dem aber durch Reisig die Bedeutungslehre als selbständige 
Disziplin einmal begründet worden war, konnte auch dieser 
Grund oder vielmehr diese Entschuldigung für die Benutzung 
der Syntax als einer bequemen Ablagerungsstätte für sonst 
nicht unterzubringendes Serial nicht länger geltend gemacht 
werden. Die Aufgabe, die Grenzen z^vischen den einzehien 
Teilen der Grammatik neu abzustecken, ist nunmehr dringlich 
geworden; um so dringlicher, als die vielfach misslungenen 
Versuche, die Aufgaben der Bedeutungslehre angemessen zu 
umgrenzen, das System der Gesamtgrammatik in einige Ver- 
wirrung gebracht haben. Da infolge der oben angedeuteten 
Umstände und in Ermanglung einer eigenen Bedeutungslehre 
die Syntax lange Zeit einen Teil der Aufgaben jener hatte 
übernehmen müssen, und da sich die Angaben beider Teile 



75 

der Grammatik in der That vielfach berühren bezw. dm-ch- 
kreuzen, hat die Grenzregelung zwischen ihnen besondere 
Schwierigkeiten verursacht. Ein Eingehen auf die Frage, wie 
die Gebiete von 

Syntax und Bedeutungslehre 

gegeneinander abzugrenzen seien, erscheint um so nötiger, als 
noch heute in weitestem Umfange über die Verschiedenheit 
ihrer Aufgaben und Stoffe grosse Unklarheit herrscht; noch 
heute ist die Verwischung ihrer Grenzen, ja ein völliges Zu- 
sammenwerfen beider Gebiete durchaus nichts Seltenes. 

Wenn Miklosich sagt : »Jener Teil der Grammatik, welcher 
die Bedeutung der Wortklassen und Wortformen darzulegen 
hat, heisst Syntax« , so bezeichnet er damit in unzweideutiger 
Weise die Syntax als (einen Teil der) Bedeutungslehre. Noch 
nackter tritt die als etwas Selbstverständliches angesehene 
völlige Einordnung der Syntax in das Gebiet der Bedeutungs- 
lehre in den Worten Sgherers zu Tage: »Dass die Syntax ein 
Teil der Bedeutungslehre sei, wird man leicht zugeben«, (a. a. 0. 
S. 119.) Wie die Fassung dieser Äusserung selber und im übrigen 
der Zusammenhang lehrt, hat Sgherer damit nicht nur die 
Thatsache feststellen wollen, dass das die herrschende Auf- 
fassung ist, sondern ist selber für diese Auffassung eingetreten. 
Auch Behaghel hat sich in ganz ähnlicher Weise geäussert : »Die 
Syntax ist ihrem Wesen nach nichts anderes als ein Abschnitt 
der Bedeutungslehre«. (*•) Er fugt aber die Beschränkung 
hinzu: »wenn man von den Fragen der Wortstellung und 
Satzstellung absieht«. Sgherer hat diese Einschränkung nicht. 
Er weist zwar die Behandlung der Wortstellung zusammen mit 
der der Kongruenz und des Satzaccents einem besondern Teil 
zu, sieht aber auch in diesem Bedeutungslehre, denn er sagt: 
»Kongruenz, Satzaccent und Wortstellung sind Mittel der Satz- 
bildung, deren Bedeutung und Gebrauch erwogen werden 
müssen«, (a. a. 0. S. 119.) 

Soviel aber leuchtet sofort ein, dass sich nicht der ge- 



rv 



76 

samte Stoff der Syntax unter den Begriff .Bedeutungslehre* 
bringen lässt. Denn auch die syntaktischen Gebilde haben eine 
Form. Die formale Seite der Objekte der Syntax, die Unter- 
suchung und Darstellung der Form der Wortgefage müsste aber 
zu kurz kommen, ja ganz vernachlässigt werden, wollte man 
in der Syntax nichts als Bedeutungslehre sehen. Wer mit 
uns die syntaktischen Gebilde selber als den eigentlichen und 
einzigen Gegenstand der Syntax ansieht, wird selbstverständlich 
nicht nur die Bedeutung derselben, sondern auch, und zunächst, 
ihre Form und ihre Bildung darzustellen als seine Aufgabe be- 
trachten. Die Auffassung der Syntax als einer blossen Bedeutungs- 
lehre ist also überhaupt unvereinbar mit ihrer Auffassung als 
Satzlehre oder, wie wir dafür sagen würden, als einer Lehre von 
denWortgefügen. Die Möglichkeit, in der Syntax nichts als euie 
Bedeutungslehre zu sehen, ist eben nur dann gegeben, wenn 
man nicht die syntaktischen Gebilde selbst, sondern ihre Be- 
standteile als den Stoff der Syntax betrachtet. Damit würde 
dann die ganze Syntax aus einem Hauptteil der Grammatik, 
welcher der Wortlehre gegenübersteht, zu einer Unterabteilung 
der Wortlehre selber gemacht, innerhalb welcher sie als reine 
Bedeutungslehre der Wortarten und Wortformen der 
eigentlichen Formenlehre des Wortes zur Seite treten würde. 
Dass durch eine solche Auffassung eine grosse Zahl wichtiger 
und unzweifelhaft syntaktischer Stoffe von der Syntax — und 
somit überhaupt von der ganzen Grammatik — ausgeschlossen 
würde, ist oben bei der Besprechung des Systems Miklosich aus- 
geführt worden. Aber die Anschauung, dass Syntax nichts 
als ein Teil der Bedeutungslehre sei, ist nur vereinbar mit der 
Stoffbegrenzung des Systems Miklosich. Mit dieser Beschränkung 
auf die Lehre von der Bedeutung der Wortarten und 
Wort formen steht und filUt die Auffassung der Syntax als 
blosserBedeutungslehre, weil nur bei dieser dieFormen- 
lehre der syntaktischen Objekte schon vorhanden ist in der 
Wortforraenlehre. Ohne sich in Widersprüche zu verwickebi, 
kann diese Anschauung nur vertreten, wer konsequent an der 



77 

Definition von Mielosigh festhält. Nur dieser ist konsequent 
und widerspricht sich nicht, weil das Objekt seiner Syntax 
stets das Wort ist. Wer aber die willkürliche Stoflfauswahl 
des Systems Mielosigh nicht billigt, und das thut ja auch 
Sgherer(*®) nicht, wird diesem auch nicht zugeben können, 
»dass die Syntax ein Teil der Bedeutungslehre sei«. Es 
bedarf keines weitern Beweises, dass diese Behauptung zum 
mindesten im Ausdruck ungenau ist, dass es nur heissen 
kann: »ein Teil der Syntax«. Und zwar würde diese 
Einschränkung in weiterem Umfange gelten müssen als die 
oben erwähnte Behaghels, der nur die Wortstellungslehre 
von der Bezeichnung als Bedeutungslehre ausnahm.*) Doch 
auch mit solcher Einschränkung ist noch nicht viel gewonnen. 
Auch in dieser Form hat jene Behauptung etwas Schiefes, 
Halbwahres, wodurch das eigentliche Verhältnis der Bedeu- 
tungslehre zur Syntax verschleiert wird. 

Wenn man sagt : »Ein Teil der Syntax ist gleich einem 
Teil der Bedeutungslehre«, so kommt alles darauf an, zu bestim- 
men, gleich welchem Teil der Bedeutungslehre. In wie viele 
Teile zerföJlt die Bedeutungslehre? Welche sind dies? Welche 
dieser Teile sind nun gleich Syntax und welche nicht? Man 
sieht, dass mit der Behauptung : ^Syntax ist ein Teil der Bedeu- 
tungslehre* für das System, die Stoflfbegrenzung und Einteilung 
der Syntax noch gar nichts gewonnen ist. Die Gefahr der 
falschen Umkehrung jenes Satzes liegt zu nahe. ,Syntax ist 
Bedeutungslehre; diese Abhandlung erörtert die Bedeutung 
der und der Formen; also ist sie ein »Beitrag zur Syntax«'. 
Erst müsste aber entschieden werden, in wieweit solche 
Umkehrung richtig ist, dass Bedeutungslehre auch Syntax ist. 
Jene Behauptung ist für unsere Zwecke wertlos, solange nicht 
die Bestimmung hinzutritt, wieviel und was von der Be- 
deutungslehre zur Syntax gehört. Diese Vorfrage wird nun 



*) Andererseits ist es selbstverständlich, dass auch die Wortstellung 
zum Teil Träger einer Bedeutung ist. 



rv 



78 

aber gewöhnlich entweder gar nicht aufgeworfen oder falsch 
beantwortet, hifolgedessen dient jene Behauptung nur dazu, 
die Herrschaft ungenauer oder geradezu unrichtiger Vorstellungen 
von dem Verhältnis der Syntax zur Bedeutungslehre und den 
übrigen Teilen der Grammatik zu stützen und zu verewigen. 

Da nur ein Teil jder Syntax gleich einem Teile der Be- 
deutungslehre ist (dass nicht die ganze Bedeutungslehre iii 
Frage kommt, ist selbstverständlich), steht zunächst soviel fest, 
dass die Gebiete der Bedeutungslehre und der Syntax sich 
weder decken noch sich ausschliessen, noch auch dass das eine 
dem andern ganz eingeordnet werden kann. Es kann aber 
— und das wird fast immer übersehen — die Bedeutungs- 
lehre überhaupt in keiner Weise neben der Syntax und in 
einer Linie mit ihr als ein Teil der Grammatik auftreten, 
weil solche Teilung kein gemeinsames Prinzip hat. Bedeu- 
tungslehre und Syntax gehören nicht als Glieder zu ein und 
derselben Einteilung der Gesamtgrammatik; sie entstehen viel- 
mehr durch zwei nach verschiedenen Prinzipien vorgenommene 
Einteilungen. 

Beschäftigt sich die Bedeutungslehre mit dem 
geistigen Inhalt der sprachlichen Gebilde, so steht Ihr die 
Formenlehre gegenüber als der Teil der Sprachlehre, welcher 
von dem körperlichen Elemente der Sprache handelt, an 
dem die Bedeutung haftet. 

Die Syntax aber, welche es mit der Zusammenfügung 
der Worte, mit ihrer Verbindung zu neuen Einheiten, der 
Wortgruppe, dem Satze, der Periode zu thun hat, tritt an 
die Seite der Lehre vom Einzelworte, wie neben der 
Wortlehre die Lautlehre steht. 

Lautlehre, Wortlehre und Syntax sind Teile der 
Gesamtgrammatik, welche dadurch entstehen, dass man die 
menschliche Rede in ihre Bestandteile auflöst, diese als 
verschiedene Objekte der Forschung sondert und 
nach der Grösse ihrer Einheiten anordnet. 

Formenlehre und Bedeutungslehre sind dagegen 



79 

nichts als das Ergebnis verschiedener Betrachtungs- 
weisen derselben Forschungsobjekte, die von ver- 
schiedenen Gesichtspunkten aus, dort nach der körperlichen, 
hier nach der geistigen Seite hin, einmal auf ihre Form, dann 
auf ihren Inhalt untersucht werden. Wir haben es also in 
betreff der Syntax und der Bedeutungslehre mit einer sich 
kreuzenden Einteilung zu thun, der dort die Verschieden- 
heit der Objekte selber, hier die verschiedene Betrachtungsweise 
derselben Objekte zu Grunde liegt. Das mag zum Überfluss noch 
durch das folgende Schema verdeutlicht werden: 



Objekt / 


Einzelwort 


Wortgefüge 


Be- 
trach- 
tet in 
Bezug 
auf die 




Wortlehre 


Syntax 




1 
g 

e 


I. 

Lehre von den 
Formen der Worte 

(Wortarten nach 
formalen C^icbts- 
punkten und Flexions- 
lehre). 


m. 

Lehre von den 

Formen der 

syntaktischen 

Gebilde. 


1 

PQ 


9 

1 

9 


II. 

Lehre von der 

Bedeutung der 

Worte, ihrer Arten 

und Formen. 


IV. 

Lehre von der 

Bedeutung der 

syntaktischen 

Gebüde. 



Wie aus dieser Übersicht leicht erkennbar ist, enthält das 
IV. Feld das der Syntax und der Bedeutungslehre allein gemein- 
same Glied: die Lehre von der Bedeutung der syntaktischen 
Gebilde. 

Werfen wir einen raschen Blick auf die bisher gemachten 
Versuche, die Bedeutungslehre in das übliche Schema der 
Grammatik einzureihen, soweit sie uns bekannt geworden sind, 




80 

so ergiebt sich uns aus denselben als sicher : 1) die Richtigkeit 
des REisiGschen Gedankens, die Notwendigkeit eines besonderen 
Teils ^Bedeutungslehre* wird allgemein anerkannt; 2) gleich- 
falls als allgemein anerkannt darf gelten, dass die Einfügung 
dieses neuen Teils der Grammatik auf die Stoflfbegrenzung der 
alten Teile nicht ohne Einfluss bleiben kann, dass im besondern 
die Verteilung des grammatischen Stoffes unter die Syntax 
und die Bedeutungslehre neu geregelt werden muss ; 3) dagegen 
ist es noch nicht gelungen, eine Obereinstimmung darüber zu 
erzielen, welche Stoffe der Bedeutungslehre, welche der Syntax 
zuzuweisen seien; vielmehr harrt die Frage der Grenzregelung 
zwischen diesen beiden Gebieten noch der Lösung. Auch 
die Vorbedingung zu einer befriedigenden Lösung dieser Frage 
ist noch nicht gegeben , insofern die richtige Auffassung des 
allgemeinen Verhältnisses der Bedeutungslehre zu den altern 
Teilen der Grammatik noch keineswegs zum wissenschaftlichen 
Gemeingut gehört. Somit musste eine erneute Prüfung dieser 
Frage geboten erscheinen. 

Die Versuche von Reisig selbst, von Benary, Haase, 
Schleicher (®^), die Bedeutungslehre in den Rahmen der 
Grammatik einzufügen, mussten scheitern, weil sie alle sich 
damit begnügten, die Bedeutungslehre (unter diesem Namen oder 
als Semasiologie oder als Funktionslehre) den bisher üblichen 
Teilen der Grammatik einfach an die Seite zu stellen imd sie 
zwischen Wortlehre (Etymologie, Morphologie, Formenlehre 
u. s. w.) und Syntax (Satzlehre, Lehre vom Wort als Gedanken 
u. s. w.) auf derselben Linie einzuschieben. Dass eine solche 
Einteilung fehlerhaft ist, haben wir oben gezeigt. Wir 
brauchen hier auf die Versuche, die Grammatik auf dieser 
Grundlage einzuteilen, nicht näher einzugehen. Auf rich- 
tigerem Wege befindet sich Heerdegen. {^^) Zwar geht er von 
Schleichers fehlerhafter Vierteilung der Grammatik aus, betont 
aber den Gegensatz von Einzelwort und Wortgefüge, der bei 
Schleicher ganz zurücktritt, und gründet auf ihn seine Glie- 
derung der Grammatik in zwei Hauptteile: Wortlelu'e und 



81 

Satzlehre, wobei nur nicht einzusehen ist, weshalb dem Laut, 
der sich zum Wort ähnlich verhält wie dieses zum Wort- 
gefüge, kein besonderer Teil gewidmet werden soll. (•*) Da- 
neben weist er richtig auf den andern Gegensatz hin : Form 
und Bedeutung, wofür er mit Schleicher »Funktion« sagt. Deut- 
lich stellt er »den sinnlich-lautlichen Faktor, die äussere Laut- 
form der Sprache oder ihre Form schlechthin« . . . »dem 
(beherrschenden) innerlich - geistigen Faktor oder . . . ihrer 
Funktion« (S. 45 ff.) gegenüber. Damit hat er den einzig 
richtigen Gesichtspunkt für die Gliederung der Gesamtgram- 
matik und die Einordnung einer Bedeutungslehre gewonnen. 

Oder vielmehr wiedergewonnen. Denn Lange hat schon 
1852 sowohl auf den bekannten Gegensatz von Wort und Satz, 
»diesen zwei Einheiten der entwickelten Sprache« (•*), als 
auch auf den andern von Form und Bedeutung und seine 
Wichtigkeit auch für die Syntax hingewiesen: »Auf dem 
Gebiete des Satzes wird im Interesse des Systems wieder zu 
unterscheiden sein zwischen Satzform und Satzbedeutung, eine 
Unterscheidung, die auf dem Gebiete des Wortes jedem geläufig 
ist . . .«. {^^) Damit war die Kreuzteilung genügend angedeutet. 
Und der von Heerdegen öfters angeführte Steinthal hatte 
1855 (®*) noch deutlicher und ausfuhrlicher das Verhältnis der 
beiden Gegensätze zueinander besprochen und die Forderung 
der Kreuzteilung ausdrücklich aufgestellt und begründet, hnmer- 
hin bleibt es ein Verdienst Heerdegens', von neuem auf das 
Richtige hingewiesen zu haben. Seine Einteilung verwirklicht 
jene Forderung : der Gegensatz von Wort und Satz giebt ihm 
das Prinzip der Hauptteilung, der von Form und Bedeutung 
das Prinzip für die weitere Gliederung. 

Im Einzelnen ist Heerdegens Einteilung der Grammatik 
durchaus originell, aber trotz der richtigen allgemeinen Ge- 
sichtspunkte entschieden verfehlt. (*') Der Grundfehler in seinem 
System der Grammatik liegt wieder in der irrigen Auffassung 
der Stellung der Flexionslehre. Trotzdem er den alten fehler- 

B i e 8 , Was ist Syntax ? 6 




82 

haften Gegensatz: Formenlehre — Syntax aufgegeben und durch 
den richtigen : Formenlehre — Bedeutungslehre ersetzt hat, ist ihm 
die Eingliederung der Syntax und die Bestimmung ihrer Auf- 
gaben doch völlig missglückt, weil er mit den meisten an der unbe- 
dingten Zuweisung der gesamten Lehre von der Bedeutung der 
Flexionen zur Syntax festhält und — worin er konsequenter ver- 
fährt als alle andern — darüber hinaus ihr auch noch die 
Formenlehre der Flexionen zuteilt. Aber Lange (•*) hatte 
auch darauf schon hingewiesen, dass »in der Syntax ein Ma- 
terial sprachlicher E>^heinungen vereinigt sei, das besser ge- 
trennt würde« . . . »Über den Unterschieden auf dem Gebiete 
der Wortformen übersahen die alten Grammatiker die Ver- 
schiedenheiten der Satzformen« . . . »Mit Recht hat daher Herr 
Prof. Haase schon vor längerer Zeit darauf gedrungen, den 
Stoff, der jetzt in den Systemen der Syntax behandelt zu 
werden pflegt, zu teilen ...«(•®) Dass die Behandlung des 
Satzes eine Hauptaufgabe jeder Syntax sein müsse und dass 
auf diesem Gebiete wie auf dem des Wortes gleichfalls die 
Formen und ihre Bedeutungen zu erörtern seien, hatte Lange, 
wie erwähnt, ebenfalls betont. All das findet aber in Heer- 
degens System wiederum keine Stätte. Er hat zwar dem Namen 
nach eine Satzlehre ; sie besteht aber ausschliesslich aus Formen- 
und Bedeutungslehre der Flexionen — von den Formen und Be- 
deutungen der Sätze selber ist auch bei ihm keine Rede. 

Übrigens scheinen auch Heerdegens Bemühungen um bessere 
Ordnung im System der Grammatik und seine Wiederentdeckung 
der Kreuzteilung erfolglos bleiben zu sollen. Wenigstens zeigt 
der einzige mir bekannt gewordene neuere Versuch, die so 
vielfach geforderte Bedeutungslehre wirklich in den Rahmen 
der Grammatik einzufügen, wieder die altbeliebte prinziplose 
Nebeneinanderreihung : Vogrinz schiebt die »Bedeutungs- 
lehre« zwischen einen Teil mit der Überschrift » W ortbildung 
und Wortzusammensetzung« und der»Satzlehre«ein; 
voran gehen »Lautlehre« und »Formenlehre«, sodass wir 
fünf in einer Reihe stehende Teile haben. (••) 



83 

So ist denn die richtige Ansicht von dem Verhältnis der 
Bedeutungslehre zu den übrigen Teilen der Grammatik, obwohl 
sie schon vor längerer Zeit und von hervorragenden Gelehrten 
aufgestellt und begründet und, meines Wissens, von niemand 
bekämpft oder gar widerlegt worden ist, trotz Heerdegens 
neuerlichem Eintreten dafür, bisher ohne praktische Folgen 
geblieben. 

Allerdings ist mit der Erkenntnis, dass die Bedeutungs- 
lehre der Formenlehre, die Syntax der Wortlehre gegenüber- 
steht und die beiden Einteilungen sich kreuzweise durchschneiden, 
nur der Weg zur Lösung der Schwierigkeiten gezeigt, gelöst 
sind sie damit noch nicht. 

Es bleibt noch eine Reihe von Fragen zu beantworten, die 
bei der Verteilung des grammatischen Stoffes auf 

Syntax und Wortlehre 

auftauchen. 

Aus dem Prinzip der Kreuzteilung ergiebt sich zunächst 
die Möglichkeit einer doppelten Einteilung der Grammatik, je 
nachdem der Gegensatz: Einzelwort — Wortgefuge oder der 
von: Form — Bedeutung dem andern übergeordnet wird. Je 
nach den Umständen und den besonderen Zwecken, die 
im einzelnen Falle verfolgt werden, wird die eine oder die 
andere Gruppierung den jVorzug verdienen. Im allgemeinen 
wird jedoch für eine Gesamtdarstellung die erstere vorzu- 
ziehen sein, und wir hätten somit, von den übrigen Haupt- 
teilen und weiteren Unterabteilungen zunächst abgesehen, die 
Einteilung : 

Lehre vom Einzelwort (oder kurz Wortlehre). 

1. Von der Form der Worte: 

Wortarten (nach formalen Gesichtspunkten), 
Flexionslehre. 



6 




84 

2. Von der Bedeutung 
der Worte*, 
der Wortarten, 
der Flexionsformen. 

Lehre vom Wortgefüge (oder Syntax). 

1. Von der Form der Wortgefüge. 

2. Von der Bedeutung der Wortgefüge. 

Hieraus folgt, dass es prinzipiell nicht die Auf- 
gabe der Syntax sein kann, in systematischer 
Weise die Bedeutung der Wortarten und der 
Wortformen zu lehren. Diese Aufgabe fällt viel- 
mehr der Wortlehre zu. Die Syntax hat es grund- 
sätzlich nur mit Form und Bedeutung der Wortgefüge 
zu thun. 

Dürfen wir dies nach dem Gesagten als bewiesen ansehen, 
so bleiben ims noch zwei Aufgaben übrig. Erstens die Ein- 
wände zu prüfen, die gegen die verlangte Zuweisung der Be- 
deutungslehre von Wortarten und Wortformen (die doch bis- 
her fast ausnahmslos als ein Hauptbestandteil der Syntax ge- 
golten hat und die nach Miklosigh geradezu gleich Syntax sein 
sollte) zur Wortlehre erhoben worden sind und die sonst da- 
gegen voraussichtlich erhoben werden dürften. Zweitens zu 
untersuchen, welche Folgerungen für die Begrenzung des Stoffes 
der Syntax und für ihre Einrichtung aus den bisher gewonnenen 
Ergebnissen zu ziehen sind. 

Beides hängt enge zusammen. Denn es ist ohne weiteres 
klar, dass die Form imd die Bedeutung der Wortgefüge, die 
nach obigem den ausschliesslichen Gegenstand der Syntax 

* Hier findet im System der vollständigen Grammatik die Synonymik, 
die Lehre vom Bedeutungswandel und was sich sonst auf dem Gebiete 
der Wortbedeutung der bloss lexikalischen Darstellung abgewinnen und 
einer systematischen Bearbeitung unterwerfen lässt, den angemessenen 
Platz. (^°) Synonymie und Bedeutungswandel sind übrigens auch bei den 
Flexionsformen besonders in Betracht zu ziehen. 



85 

bilden sollen, nicht durchweg unabhängig sind von der Form 
und der Bedeutung der Worte, dass jene vielmehr häufig und 
wesentlich von diesen mit bestimmt und bedingt werden. Selbst 
wenn man die Syntax, wie einige wollen, auf die eigentliche 
Satzlehre (im engern Sinne) einschränkte, könnte man doch 
auch diesem Stoffe nicht allseitig gerecht werden, ohne Form 
und Bedeutung vieler Flexionen eingehend zu berücksichtigen. 
Auch eine reine Satzlehre, wie sie z. B. Benary und Haase 
planten, müsste ohne jede Mitberücksichtigung der Flexions- 
lehre unvollständig bleiben. Das gilt noch viel mehr von einer 
Syntax, die, wie wir es wollen, ausdrücklich die Lehre von 
den nicht satzbildenden Wortgruppen mitbegreift. Dieser 
Einwand ist ohne Frage berechtigt, und es bedarf keines Nach- 
weises im Einzelnen, dass diejenigen zu weit gehen, welche die 
Behandlung der Bedeutung der Wortarten und Wortformen, 
weil sie grundsätzlich der Wortlehre zukomme, nun auch 
gänzlich aus der Syntax verbannen wollen. Strittig kann nur 
sein, was daraus folgt. Es bleibt also immer noch die Frage 
zu beantworten: inwieweit ist die Syntax genötigt, 
trotzdem dies prinzipiell nicht ihre Aufgabe ist, 
doch auch Form und Bedeutung der Worte selbst 
in ihre Erörterung hineinzuziehen? 

Nun ist andererseits gegen die Behandlung der Be- 
deutungslehre von Wortarten und Wortformen innerhalb der 
Wortlehre und für die Einreihung dieses ganzen Gebietes in 
die Syntax, abgesehen von der Macht der Gewohnheit, haupt- 
sächlich der eine Grund massgebend: die Formen der Worte 
drücken Beziehungen der Worte untereinander aus; die Be- 
deutung der Flexionen geht also über den Bereich des Einzel- 
wortes hinaus, sie ist nur in der Wortverbindung lebendig, 
besteht nur im Satze und für den Satz. Ähnlich behauptet 
man wohl auch von den Wortarten: ihre Bedeutung fliesst 
allein aus ihrer syntaktischen Verwendung, wird nur aus dem 
Satze und in ihm erkannt. Vom Standpunkte der Wortlehre 
aus angesehen, stellt sich somit die soeben vom Gesichtspunkt 



86 

der Syntax formulierte Frage so; inwieweit soll, wie 
kann überhaupt die Wortlehre die Bedeutung der 
Wortarten und Flexionsformen erörtern, wenn 
diese sich erst aus der Wortfügung ergiebt, nur 
in ihr und durch sie besteht? Und schliesslich, indem 
wir beide Teile , l Wortlehre und Syntax, ins Auge fiassen : 
wie sollen die Abschnitte der Wortlehre, die von 
der Bedeutung der Wortklassen und Flexionen 
handeln, vom zweiten Teile der Syntax gesondert, 
wie soll der Stoff unter sie verteilt werden, wenn 
doch die Syntax ohne einen Teil des Stoffes der 
Wortlehre nicht vollständig, und dieser ohne die 
Syntax nicht verständlich ist? 

Wie diese Fragen zu beantworten sind, das hängt davon 
ab, ob imd wieweit sich die Einwände gegen die Zuweisung 
der Bedeutungslehre von Wortarten und Wortformen zur 
Wortlehre als stichhaltig erweisen. Li den Ergebnissen, zu 
denen die Prüfung dieser Einwände führt, ist die Antwort auf 
jene Fragen mitgegeben. 

Diese Einwände sind zweierlei Art:, sie beruhen entweder 
auf prinzipiellen oder auf praktischen Bedenken. 

Die Behandlung der Bedeutung von Wortklassen und 
Flexionen wird der Wortlehre grundsätzlich abgesprochen 
und in die Syntax verwiesen aus dem schon angedeuteten 
Grunde: beide (oder doch gewiss die Flexionen) bestehen nur 
in und für die Wortverbindung, überschreiten also den Bereich 
des Einzelwortes. 

Oder es wird zugegeben, dass die Lehre von der Bedeutung 
der Wortklassen und Wortformen eigentlich wohl zur Wort- 
lehre gehöre; betont wird aber, woran wir oben erinnert haben, 
dass ein Teil derselben doch in den Bereich der Syntax hinüber- 
greife und ohne Hineinziehen syntaktischer Verhältnisse nicht 
zu behandeln sei; andererseits müsse die Syntax ohne einen 
Teil dieser Wortbedeutungslehre unvollständig bleiben: es sei 
also eine Trennmig der bisher zusammen behandelten Lehre 



87 

von der Bedeutung der Wortklassen und Flexionsformen in 
zwei Teile, von denen der eine der Wortlehre, der andere der 
Syntax zufiele, unvermeidlich. Solche Trennung aber sei nicht 
erwünscht und nicht gut durchzufuhren, sie sei praktisch 
unthunlich. 

Wir wenden uns zunächst zu dem grundsätzlichen Be- 
denken. Seine Begründung erweist sich bei näherer Betrach- 
tung als durchaus nicht stichhaltig, so einleuchtend sie auf 
den ersten Blick erscheint Sie zieht aus einer nur zum Teil 
richtigen Behauptung eine völlig falsche Folgerung. 

Ist es richtig, was so oft behauptet und gemeinhin ohne 
Prüfung angenommen wird, dass die Flexionsformen nur zum 
Ausdruck von Beziehungen der Worte untereinander dienen, 
und dass deshalb die Lehre von der Bedeutung der Flexionen 
in die Syntax gehöre, so ist auch die Konsequenz unabweisbar, 
dass dann die gesamte Lehre von den Flexionen d. h. auch 
die speziell sogenannte Flexions- oder Formenlehre, die bisher 
der Syntax gegenüberstand, mit in die Syntax zu verweisen 
ist*). Denn kann das Wort für sich allein gar keine Flexion 
haben, giebt es eine Flexion nur im Satz und für den Satz, so 
gehört doch die Lehre von der Form der Flexionen so gut in 
die Satzlehre, wie dies mit der Lehre von ihrer Bedeutung 
der Fall sein soll. Was für diese gelten soll, muss auch für 
jene gelten. So lange der falsche Gegensatz : Formenlehre — 
Syntax der Gliederung der Grammatik zu Grunde lag, mochte 
man die Bedeutung der Flexionen der Syntax, ihre Form der 
Formenlehre zuweisen; stellen wir aber der Syntax richtig die 
Wortlehre gegenüber, so kann die Behandlung der Form der 
Flexionen nur demselben Hauptteil zugewiesen werden, dem 
auch die Behandlung ihrer Bedeutung zufällt. Bei einer Ein- 
teilung der Grammatik, bei der die Verschiedenheit der Objekte 



*) Zu dieser Eonsequenz hat sich meines Wissens nur Heebdegen be- 
kannt (siehe oben S. 81 ff.)' I^^ einer mehr beiläufigen Bemerkung hat ein- 
mal auch Behaohel C^) einen ähnlichen Gedanken ausgesprochen. 




88 

selber (Einzelwort— Wortgefüge) das Prinzip der Hauptteilung 
(Wortlehre — Syntax) abgiebt, bei der aber der Gegensatz von 
Form und Bedeutung je desselben Objekts zur weitern Gliederung 
der Hauptteile dient, kann natürlich auch die Formenlehre und 
die Bedeutungslehre der Flexionen immer nur verschiedene 
Unterabteilungen desselben Hauptteils bilden, sei es nun der 
Wortlehre oder der Syntax. Schliesst also, wie behauptet 
wird, die Bedeutung der Flexionen ihre Behandlung in der 
Wortlehre aus, so kann auch die Form der Flexionen nicht 
mehr in der Wortlehre erörtert werden; dann gehören beide 
zur Syntax. 

Übrigens ist eine völlige und wirkliche Trennung der Be- 
deutungslehre der Flexionen von ihrer Formenlehre überhaupt 
unmöglich. Es scheint manchem nicht recht zum Bewusst- 
sein gekommen zu sein, dass die aus der Wortlehre theoretisch 
verbannte Bedeutungslehre der Formen sich doch stets in diese 
Eingang zu verschaffen weiss, dass überhaupt das Eindringen 
der Bedeutungslehre in die Formenlehre gar nicht zu ver- 
meiden ist. Was ist es denn anderes als Bedeutungslehre der 
Formen, wenn gelehrt wird, das ,Aktiv* heisse amare, das 
Passiv* amari, das ,Präsens' heisse dico^ das ,Perfekf dixi; 
Kind sei ^Singular, Kinder ^PluraF; aimerai sei ^Futurum*, 
a/iwerafs ,Konditionar; wenn asJcs^ does, liveth als Formen ,der 3. 
Pers. Sing.Praes.' bezeichnet werden; wenn naidsvoi die ,3. Pers. 
Sing. Optat. Praes. Act.* genannt wird? Mit andern Worten, 
die ganze, doch unvermeidliche Benennung und Gruppierung 
der Formen ist nichts anderes und kann nichts anderes 
sein als eine Bedeutungslehre in nuce. Sind manche 
Namen undurchsichtig oder weniger glücklich gewählt, wie 
Aorist, Participium, Genitiv, Accusativ, so ändert das an der 
Sache nichts, andere sind um so besser und durchsichtiger, wie 
Vokativ, Optativ, hnperativ, Singular, Dual, Plural usw. Selbst 
wenn man der Konsequenz eines falschen Grundsatzes zuliebe 
den absurden Gedanken hätte, die Formen statt mit Namen, 
die doch die Bedeutung zum wenigsten andeuten, mit Zahlen 



89 

oder dergleichen zu bezeichnen, würde man jener Notwendig- 
keit nicht ganz entrinnen. In der Wahl der Zahlen oder 
sonstigen Zeichen für die einzelnen Formen würde sich ihr 
Zusammenhang aussprechen müssen, in der Anordnung allein 
würde sich ein Teil der Bedeutung verraten. Und der blosse 
Umstand, dass lautlich ganz unähnliche Formen in den ver- 
schiedenen Deklinationen und Konjugationen mit demselben 
Namen oder 2feichen versehen werden, so nichtssagend man 
sie auch wähle, und die Thatsache, dass sie im System der 
Formen denselben Platz einnehmen, enthält ja schon die Er- 
klärung, dass diese formell ganz ungleichen Gebilde zum Aus- 
druck derselben Bedeutung dienen. Kann man also schon 
die blossen Schemata der Flexionsformen gar nicht aufstellen, 
ohne dabei ihre Bedeutung hineinzuziehen und zu berück- 
sichtigen, so ist nicht abzusehen, wie und weshalb die Be- 
deutungslehre und die Formenlehre der Flexionen in zwei ver- 
schiedene Hauptteile der Grammatik eingereiht werden sollen, 
mit welchem Rechte die wissenschaftliche, systematische Gram- 
matik die ausgeführte Behandlung der Flexionsbedeutungen in 
einen andern Hauptteil verweisen könnte als die abgekürzte, 
fragmentarische. Das einzig Natürliche ist doch vielmehr, dass 
die ausführliche Behandlung der kurzen, im Schema mitge- 
gebenen Übersicht unmittelbar folge. Li welchen Teil der 
Grammatik die Bedeutungslehre der Flexionen auch eingefügt 
werde, man kann sie von der Formenlehre der Flexionen nicht 
völlig trennen. (^^) 

Wenn also Heerdegen, wie erwähnt, auf Grund seiner 
Ansicht von dem Wesen der Flexionsbedeutung ihre Behand- 
lung der Syntax zuwies, so verfiihr er nur konsequent, indem 
er auch die Formenlehre der Flexionen der Satzlehre zuteilte. 
Dass er mit diesem sonderbaren Vorschlag, die Wortformen- 
lehre in die Satzlehre einzureihen, Beifall und Nachahmung 
finden sollte, ist nicht zu befürchten. Was eine Formenlehre 
des Wortes ist (bei ihm I. 1.), die alles auf die Flexion Bezüg- 
liche ausschliesst, ist unerfindlich. Eine Wortformenlehre ohne 




90 

Lehre von den Flexionsformen, d. h. ohne die xat^i^oxr-v so 
genannte Formenlehre*, ist barer Widersinn *). 

Wir werden mnsomehr Bedenken tragen, Heerdegen auf 
diesem Wege in der Erweiterung der Aufgaben der Syntax 
zu folgen, als die Durchfuhrung seines Gedankens zu einer 
völligen Auflösung der Wortlehre führen würde. Denn wie 
steht es mit der Wortbildungslehre ? Ein durchgreifender Unter- 
schied, formaler oder funktioneller, zwischen den sogenannten 
flexivlschen Wortveränderungen und den übrigen, die gewöhn- 
lich in die Wortbildungslehre, damit also in die Wortlehre, ein- 
bezogen werden, lässt sich nicht aufstellen noch durchfuhren. 
Dieselben Vorgänge, die der Bildung von Flexionsformen zu 
Grunde liegen, finden sich auch in den übrigen Wortbildungen 
wirksam. Änderungen des Stammvokals, Nasalierung, Redu- 
plikation, Vor- und Nachsilben usw., sie dienen alle ebenso der 
Wortbildung wie der Flexion. Die sprachlichen Mittel, auf 
denen die Flexionen beruhen, lassen sich von den übrigen 
Wortbildungsmitteln grundsätzlich gar nicht trennen. Der 
Bedeutung nach ebensowenig wie in etymologischer Hinsicht. 
Soweit die Frage nach der Grundbedeutung sich überhaupt 
wissenschaftlich behandeln lässt, müssen die Lösungsversuche 
bei den Ergebnissen der etymologischen Forschung einsetzen; 
und es ist ebenso bedenklich, die Lehre von der Bedeutung 
wesensgleicher Formelemente wie die Lehre von der Bildung 
der Worte und Wortformen aus diesen wesensgleichen Formen- 
elementen grundsätzlich zwei verschiedenen Hauptteilen der 
Grammatik zuzuweisen. Zur Lehre von der Form der Flexionen 
gehört die Lehre von ihrer Bildung, zur Lehre von der Be- 
deutung der Flexionen gehört die Frage nach ihrer ursprüng- 
lichen Bedeutung; beides aus der Lehre von der Wortbildimg 
und Wortbedeutung auszusondern, um es in einem andern 



*) In der Grammatik flektierender Sprachen — natürlich ! Wo keine 
Flexion vorhanden ist, kann keine dargestellt werden, weder in der Wort- 
lehre noch in der Syntax. 



91 

Hauptteil der Grammatik zu erörtern, das ist bei der Wesens- 
gleichheit der behandelten Objekte nicht zu rechtfertigen. 

Ganz dasselbe gilt für die Wortklassen. Will man die Be- 
deutung der Wortklassen nur in der Lehre vom Wortgefüge 
behandelt wissen, da nur ffir die Wortverbindung ihre Ver- 
schiedenheit in Betracht komme, da diese nur aus der syntak- 
tischen Verwendung fliesse und erkannt werde, mit welchem 
Rechte wird denn da die Bildung der Form dieser Wortklassen 
in einen andern Hauptteil verwiesen? Ohne Widerspruch 
pflegt aber die Wortbildungslehre, also ein Teil der Wortlehre, 
den noch niemand zur Syntax hat schlagen wollen, die Vor- 
gänge der Stamm- und Wortbildung zu erörtern, durch welche 
eine Wurzel in bestimmte Wortklassen gesetzt, Verba und 
Nomina, Substantiva, Adjektiva, Adverbia geschaffen werden. 
Auch hier wirkt wieder die alte falsche (Jegenüberstellung von 
Wortkörper und Wortgeffige an Stelle der richtigen : Wort und 
Wortgefüge, Wortkörper und Wortbedeutung. Überschreitet 
die Lehre von der Bedeutung der Wortarten die Grenzen der 
Wortlehre, so überschreitet diese Grenze auch die Lehre von 
der Bildung dieser selben Wortarten. Rechnet man aber, wie 
es allgemein geschieht, die Wortbildungslehre zur Wortlehre, 
so kann man auch der Lehre von der Form und Bedeutung 
der Wortklassen und von der Form und Bedeutung der 
Flexionen einen Platz innerhalb der Wortlehre nicht versagen. 

Wie mit der Bildung der Worte, steht es mit den 
Worten selber. Will man die Flexionsformen von der Wort- 
lehre deshalb ausschliessen , weil sie lediglich die Be- 
ziehung mehrerer Worte zueinander ausdrücken, so müsste 
man aus gleichem Grunde auch die zahlreichen selbständigen 
Worte aus der Wortlehre verbannen, die dem gleichen Zwecke 
dienen: also die sämtlichen Form- und Hilfewörter. Was die 
eine Sprache durch Flexionen, das drückt die andere durch 
Präpositionen, Hilfeverba, Adverbia usw. aus; innerhalb der- 
selben Sprache dienen zum Ausdruck der nämlichen Beziehungen 
bald Flexionsformen, bald eigene Wörter. Präpositionen, Hilfe- 



r\ 



92 

verba, Ersatzwörter für die Gradation, und was sonst von 
selbständigen Wörtern in den verschiedenen Sprachen in Kon- 
kurrenz steht mit Flexions- und Ableitungsformen , sofern sie 
alle nur zum Ausdruck von Beziehungen der Wörter unter- 
einander dienen, all das müsste, wäre jener Grund stichhaltig, 
aus der Wortlehre grundsätzlich verbannt werden. Dies zu be- 
fürworten hat meines Wissens noch niemand seine Stimme er- 
hoben. So bliebe für die Wortlehre etwa noch die Betrach- 
tung des Bedeutungswandels und die Synonymik übrig. Doch 
auch diese dürften sich nach Obigem nur auf die eigentlichen 
Begriflfswörter im Gegensatz zu den Form- imd Hilfswörtern 
erstrecken, deren Bedeutung ja nur aus der Wortverbindung 
fliesst. Es bleibt zu erinnöm, dass weder der Bedeutungs- 
wandel noch die synonymische Verschiedenheit der Begrifife- 
wörter unabhängig ist von der Verbindung mit andern 
Wörtern, in der sie auftreten können bezw. aufzutreten pflegen. 
Gilt jener Einwand, so überschreitet auch die Lehre vom 
Bedeutungswandel und die Synonymik vielfach die Grenzen 
der Wortlehre, weil in beiden Eigentümlichkeiten der Wörter 
zur Sprache kommen müssen, die über den Bezirk des Einzel- 
wortes hinausgehen. Wollte man diesen Massstab konsequent 
überall anlegen imd aus der Wortlehre alles verbannen, was 
,über den Bezirk des Einzelwortes hinausgeht, so würde schliess- 
lich kaum viel übrig bleiben: die ganze Wortlehre löst sich auf. 
hl der Lautlehre liegen die Verhältnisse ganz ähnlich. Will 
oder kann man etwa aus der Lautlehre alles verbannen, was 
nicht den einzelnen Laut an und für sich betrifift? Was die 
gegenseitige Beeinflussung der Laute bei ihrem Zusammentreffen 
angeht? Die Einwirkung eines Lautes auf einen andern, der 
in einer andern Silbe desselben Wortes oder selbst in einem 
andern Worte steht? Soll man in der Lautlehre nicht 
den Einfluss des Accents auf die Lautgestaltung behandeln 
dürfen? Nicht den der Pausen? Aber ein Einzellaut hat 
keinen Accent, der lebt nur im Wort oder der Wortgruppe. 
Pausen aber entstehen nur zwischen Wortgruppen, im Satze, 



93 

in der Periode. All das geht über den Bezirk des Einzellautes 
hinaus, betrifft die Beziehungen der Laute zueinander, setzt das 
Wort, ja den Satz voraus. Ist das kein Übergriff auf das Ge- 
biet der Wortbildungslehre, der Flexionslehre, der Syntax? 
Wäre es das, und wollte man darum dies alles aus der Laut- 
lehre aussehliessen, so würde sie zu einem Bruchstück ver- 
stümmelt, voller Lücken und ohne innem Zusammenhang. 
(Vergl. unten über »Syntax und Lautlehre«). 

Es beruht aber der ganze Schluss auf einer schiefen Grund- 
auffassung. Was heisst denn das eigentlich: ,Wortformen und 
Wortklassen bestehen nur für den Satz und in ihm, erhalten 
ihre Bedeutung nur aus ihrer syntaktischen Verwendung, für 
sich allein haben beide kein eigenes Dasein'? Soweit das 
richtig ist, ist es allbekannt und anerkannt. Aber was soll 
denn daraus für die Einteilung der Grammatik folgen? Steht 
es denn mit dem Worte selbst wesentlich anders? Oder mit 
dem Laut ? Auch das Wort hat kein eigenes Dasein, auch der 
Laut besteht nicht für sich allein. Der Laut lebt nur im Wort, 
das Wort nur im Wortgefüge, es lebt doch alles nur im Satz, 
dieser allein ist die organische Einheit, phne Wortgefüge 
gäbe es keine Flexionsformen, die ja nur die Beziehungen der 
Worte untereinander ausdrücken; ohne Satz gäbe es keine 
Wortarten, die für die verschiedenen Satzteile bestimmt sind*. 
Gewiss! Aber ohne Satz gäbe es auch keine Worte, ohne 
Worte gäbe es keine Laute. In der Sprache, wie in jedem 
komplizierten Organismus, hängt eben alles mit allem zu- 
sammen, wird alles durch alles bedingt. Könnte daraus für 
die Gliederung der Grammatik überhaupt irgend etwas ge- 
folgert werden, so müsste es schon dies sein: es ist weder 
eine besondere Lautlehre noch eine besondere Wortlehre mög- 
lich. Und in der That hat man sich auch zu dieser Konse- 
quenz wirklich verstiegen. (^®) So führt sich jene falsche Auf- 
fassung, konsequent entwickelt, selbst ad absurdum. Die Teile, 
in die der Naturforscher den tierischen Körper zerlegt, haben 
gewiss kein selbständigeres Leben als Laut und Wort. Sollte es 




94 

darum keine Knochenlehre, keine Nervenlehre usw. raehr geben ? 
Das hiesse nichts anderes, als dass die Wissenschaft auf ihr 
Hauptmittel der Erkenntnis und der Darstellung, auf Trennen 
und Scheiden, auf die Auflösung komplizierter Objekte in ihre 
Teile verzichten müsste. ,Aber es ist doch ein grosser Unter- 
schied zwischen Wort und Wortform. Jenes ist, wenn auch 
nicht ganz selbständig, so doch selbständiger als diese. Es ist 
immer dasselbe, in welcher Form es auch auftritt. Diese ist 
nur eine wechselnde Veränderung desselben Wesens, dessen 
Bedeutung sie unberührt lässt, dessen wechselnde Beziehungen 
zu andern sie vielmehr nur bezeichnet'. Dass dies letztere nur 
zum kleineren Teile richtig ist, werden wir unten sehen; wäre 
es aber auch ganz richtig, wie es das erstere gewiss ist, so 
folgt doch daraus nicht, was daraus geschlossen werden soll. 
Weil das Wort ein sozusagen selbständigeres Wesen ist als 
die Wortform, weil es der Träger dieser letzteren ist, deshalb 
haben wir eben in der Grammatik einen Haupt teil, der dem 
Worte, und darin Unterabteilungen, die seinen Formen ge- 
widmet sind, und nicht umgekehrt. Ein weiteres folgt aus 
diesem Verhältnis der Wortform zum Worte nicht. Dass ein 
Teil der Flexionsformen zum Ausdruck von Beziehungen der 
Worte zueinander dient, ist an sich kein Grund, sie prinzipiell 
von der Wortlehre auszuschliessen. Denn da diese Beziehungen 
am Worte selber durch lautliche Veränderungen an seinem 
eigenen Körper zum Ausdruck kommen, gehören sie zu seinen 
wesentlichsten Eigentümlichkeiten, und die Behandlung des 
wissenschaftlichen Objektes ,Worr bliebe unvollständig, wenn 
eine so vnchtige Seite seines Wesens nicht zur Sprache käme. 
Flexionsfilhigkeit und Unfähigkeit des Wortes bilden einen 
hervorstechenden Zug seines Gesamtcharakters; welcher Art 
seine Abwandlung ist; wieviele und welche Formen es bilden 
kann ; zum Ausdruck welcher Veränderungen und Ergänzungen 
seiner Bedeutung, welcher Beziehungen diese dienen : das alles ist 
ein Teil und ein überaus wichtiger, charakteristischer seines 
ganzen Wesens. (^^) 



95 

Handelt man in der Laut- und Wortlehre von all jenen 
Dingen, die ,über die Grenze des Einzellautes und des Einzel- 
wortes hinausgehen', so macht man damit durchaus keinen 
tadelnswerten Übergriff auf fremde Gebiete. Es liegt darin 
nicht der geringste Dispositionsfehler, solange der Gesichts- 
punkt nicht aus den Augen verloren wird, dass in der 
Lautlehre vom Laute, in der Wortlehre vom Worte, in der 
Syntax vom Wortgefüge die Rede ist, dass diese jedesmal den 
Mittelpunkt der Darstellung, den eigentlichen Gegenstand 
bilden, der beschrieben, erklärt, allseitig betrachtet wird. Es 
kommt nur darauf an , dass jeder Teil der Grammatik hat, 
was Scherer sehr treffend den ,Helden' der Darstellung 
nannte. (^^) Jeder der drei Hauptteile der Grammatik hat seinen 
eigenen Helden, dessen Beschreibung gegeben, dessen Geschichte 
erzählt, dessen Geschicke im Verkehr mit seinesgleichen, in 
seinen vielfachen Beziehungen zu seiner Umgebung verfolgt 
werden durch alle wechselnden Lagen, in die er gerät. Gerade 
das Umgekehrte ist das falsche Verfahren. Weist man aus der 
Lautlehre in die Wortlehre, aus dieser in die Syntax alles, was 
über den Bezirk des Einzellautes, des Einzelworts hinausgeht, 
so bleibt einerseits von Laut- und Wortlehre nichts als ein 
ziemlich wertloser Torso übrig, andererseits zerstört man gerade 
dadurch die Einheitlichkeit der Wortlehre und der Syntax, 
denen man ihren Mittelpunkt raubt, um den sich alles drehen 
sollte. Darum gerade ist eine angemessene Disposition jeder 
Art von Mischsyntax eine Unmöglichkeit, weil die Mischsyntax 
keinen ,Helden* hat. Sie hat keinen, weil sie mehrere hat, 
zwischen denen sie hin und her schwankt, von denen der eine 
die andern als Teile mitumfasst, weil sie bald dem Wortgefüge, 
bald dem Worte selber, seinen Arten und einzelnen Formen 
die Heldenrolle zuweist. 

Wir können somit die Berechtigung des prinzipiellen Ein- 
wandes nicht zugeben. Auch wenn die ihm zu Grunde liegende 
Behauptung richtig wäre, würde doch, wie wir gesehen haben, 
daraus keineswegs zu folgern sein, dass die Behandlung der 



rv 



96 

Bedeutung von Wortarten und Wortfomien von der Worllehre 
auszusehliessen und der Syntax zuzuteilen sei. 

Nun ist aber auch jene Behauptung nur zu einem Teile 
richtig. 

Es ist nicht richtig, dass die Flexionsformen nur zum 
Ausdruck der Beziehungen der Worte untereinander dienen. 
Das gilt wohl von einem Teil der Flexionsformen, aber nicht 
von allen; und wo es gilt, da gilt es oft nicht von allen ihren 
Bedeutungen und Gebrauchsweisen, sondern nur von einem 
Teile dei-selben. 

Die Bedeutung der Flexionsformen ist im Gegenteil mehr- 
facher Art. Sie dienen sowohl zum Ausdruck von Beziehungen 
der Worte untereinander (z. B. die meisten Kasusformen in 
den häufigsten Arten ihres Gebrauchs), als zur Angabe einer 
weitern Bestimmung, die zur eigentlichen Wortbedeutung 
hinzutritt (z. B. Genus und Numerus der Nomina , die Mehrzahl 
der Tempusbedeutungen), als auch zur Bezeichnung einer 
Modifikation der Wortbedeutung (z. B. die Steigerungsformen). 
Die irrige Ansicht, die ohne weiteres allen Flexionsformen 
und allen ihren Bedeutungen ein syntaktisches Interesse zu- 
schreibt, eine Ansicht, die heute noch die unbedingt herrschende 
ist, hat zu einer Verschleierung und Verwischung der wesent- 
lichen Verschiedenartigkeit der Flexionsbedeutungen geführt, 
die meist unbeachtet bleibt und oft völlig verkannt wird. Da 
man gewohnt ist, alle Flexionen und alle ihre Bedeutungen in 
den einen syntaktischen Topf zu werfen — man kann in der 
That die landläufige Syntax als ein grammatisches Potpourri 
bezeichnen — , hat man die Unterscheidung der syntaktischen 
Bedeutimg der Flexionsformen von ihrer realen, materiellen, 
lexikalischen, oder wie man sie nennen will, fast ganz 
vernachlässigt. Diese Unterscheidung ist nicht nur wichtig 
und fruchtbar, sondern sie ist oft für die scharfe Erfassung der 
eigentlich syntaktischen Verhältnisse und Probleme unentbehr- 
lich und geradezu ausschlaggebend, wo es sich darum handelt, die 
verschiedenen syntaktischen Gebilde als solche zu erkennen, zu 



97 

beschreiben, zu klassifizieren : hierbei dürfen doch nur diejenigen 
Formen der in einem bestimmten Wortgefüge verwendeten 
Worte bezw. nur diejenige Anwendung der betreffenden Formen 
mit in Betracht gezogen werden, die auf die Form und Be- 
deutung des syntaktischen Gebildes als eines solchen von Einfluss 
sind. Das sind aber bei weitem weder alle Flexionsformen noch 
alle ihre Gebrauchsweisen. Ebensowenig wie die Art eines Wort- 
gefüges dadurch eine Veränderung erleidet, dass ein Wort des- 
selben mit einem andern syntaktisch gleichartigen vertauscht 
wird, ebensowenig ist vielfach die Vertauschung einer Wortform 
mit einer andern imstande, die Art des Geföges zu beeinflussen. 
Wie T^Ber Vater 'kommU syntaktisch ganz dasselbe ist wie »Der 
Bruder hommU und T^Ber Vater kommU dasselbe wie T>Ber Vater 
gehtü^ so ist es für die Syntax auch völlig dasselbe, ob ich sage 
:i^Ber Vater kommta oder T^Bie Väter kommen^^ ob ich sage T^Ber 
Vater kommtt oder »Der Vater kam,^ Und wie die Syntax keinen 
Anstoss nimmt an T^2mal2 ist 5«, was sie gar nicht von »2 mal 
2 ist 4€ 7M unterscheiden vermag, so nimmt sie auch keinen 
Anstoss an -»Meine Köpfe thun mir weh^^ was ebenfalls von »Jlfefn 
Kopf thut mir weh^ syntaktisch gar nicht unterscheidbar ist. 
Was in diesen sich gleichbleibenden Gefügen verändert ist, das 
ist ausschliesslich der materielle hihalt. Dieser allein verändert 
sich durch die Vertauschung von kommt und kam, von der Vater 
und die Väter, von Kopf und Köpfe, wie er sich durch die 
Einsetzung von Bruder für Vater, von geht für kommt, 5 für 4 
ändern würde. Man wende nicht ein, dass es sich bei jenen 
Formen nicht um eigentliche materielle Wortbedeutung, sondern 
nur um die logischen oder erkenntnistheoretischen Kategorien 
der Quantität, der Zeit u. s. w. handle. Dass gewisse allen 
Worten der gleichen Art gemeinsame Formen zum Ausdrucke 
gewisser allgemeiner Begriffe oder Denkkategorien dienen, ändert 
nichts an der Thatsache, dass es sich dabei doch ausschliesslich 
um die Bedeutung des einzelnen Wortes handelt, indem 
ein Begriff allgemeinerer Art zu dem speciellen Wortbegriff 
hinzutritt Das alles hat mit der Syntax nichts zu thun; und 

Bies, Was ist Syntax? 7 



rv 



98 

weil eine Wortform eine für die Logik oder sonst für die Philosophie 
in Betracht kommende Bedeutung hat, braucht sie deshalb noch 
keine syntaktische Bedeutung zu haben. So allgemeiner oder 
rein formaler Art auch der in manchen Flexionsformen ausge- 
drückte Begriff sei, so kommt er doch zu dem materiellen 
Bedeutungsinhalt des Wortes selber hinzu: ändert sich die 
allgemein formale Bestimmung des Wortbegriflfs, so liegt doch 
diese Bedeutungsveränderung ebenso innerhalb der Grenzen der 
Bedeutung des Einzelwortes und lässt die Art des Gefüges, in 
dem sie vorkommt, ebenso unberührt wie eine Veränderung des 
materiellen Bedeutungsinhaltes der Worte. Beide Arten der 
Bedeutungsveränderung spielen sich innerhalb der Worte 
selber ab, ohne die syntaktischen Beziehungen der Worte zu 
einander auch nur zu streifen. Die Art und Form eines Wort- 
gefuges, die Beziehungen seiner einzelnen Glieder zu einander 
und damit seine Bedeutung als syntaktisches Gebilde bleiben 
ebenso genau dieselben, ob z. B. eine Aussage von einem singu- 
laren oder pluralen Subjektswort gilt, ob diesem eine Thätigkeit 
zugeschrieben wird in der Gegenwart, der Vergangenheit oder 
der Zukunft (vorausgesetzt, dass die Angaben der Zeit in ein- 
fachen Verbformen mit ausgedrückt werden ; der Gebrauch von 
Hilfsverben, Zeitadverbien u. s. w. würde natürlich die Form 
des Gefüges beeinflussen). Deshalb hat man unseres Wissens 
auch bisher mit Recht noch nicht singularische und pluralische 
Gefuge, präsentische, präteritale, fiiturische Sätze als besondere 
Arten syntaktischer Gebilde aufgestellt, obwohl das doch die 
Konsequenz der Behauptung wäre, dass diese Foi-men eine 
syntaktische Bedeutung haben. Dagegen spricht man nicht 
ohne Grund von indikativischen, imperativischen Sätzen u. s. w. 
Kann man aber auf Grund der Verschiedenheit gewisser Wort- 
formen nicht verschiedene syntaktische Gebilde unterscheiden 
und ansetzen, so ist damit zugegeben, dass die betreffenden 
Wortformen ein syntaktisches hiteresse im allgemeinen nicht 
bieten. Dennoch bildet z. B. die Lehre von der Bedeutung 
und dem Gebrauch der Numeri sowohl als der Tempora ein 



99 

stehendes und mit Vorliebe eingehend behandeltes Thema aller 
syntaktischen Werke. Noch mehr. Nicht nur der allgemeine 
Bedeutungsunterschied z. B. der Tempora, der Numeri wird in 
der Syntax erörtert, sondern es werden daselbst stets auch 
ausführlich die privatesten Angelegenheiten der Einzelworte 
durchgegangen. Es pflegt z. B. dargelegt zu werden, welche 
Worte keinen Plural bilden, zu welchen Pluralformen kein Sin- 
gular vorkommt, wie sich mit gewissen Singularformen plurale, 
mit einzelnen Pluralformen singulare Bedeutung verbindet u. s. w. 
Alle diese Einzelheiten würden aber auch dann immer noch 
ausschliesslich eine sozusagen interne Sache der betreffenden 
einzelnen Substantiva bleiben, bei denen gewisse Abweichungen 
vom Gewöhnlichen statthaben, und demgemäss in die Wort- 
lehre gehören, selbst wenn die allgemeinen Verhältnisse der 
Bedeutung der Numeri — auch abgesehen von der Kongruenz- 
lehre — in der Syntax behandelt werden müssten. 

Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, die sämtlichen 
Flexionsformen durchzugehen und ihre nichtsyntaktischen Be- 
deutungen und Gebrauchsarten von den syntaktischen zu sondern, 
zumal die Verhältnisse in den verschiedenen Sprachen und 
Perioden nicht überall gleich liegen werden und es eingehender 
Einzelforschung bedürfen wird, um das bisher in dieser Hinsicht 
Versäumte nachzuholen. Wir hatten hier nm* an ein paar 
Beispielen zu zeigen, dass es nichts als ein Vorurteil ist, wenn 
man in der Bedeutung sämtlicher Flexionsformen nur den Aus- 
druck syntaktischer Beziehungen sieht. Ehe wir diesen Punkt 
verlassen, soll nur noch kurz auf einen zweifellosen Fall von 
gelegentlich nichtsyntaktischer Bedeutung auch solcher Formen 
hingewiesen werden, die gewöhnhch syntaktischen Beziehungen 
zum Ausdruck dienen. Dieser Art ist die rein lokale Bedeutung 
einiger Kasusformen. Der vielfach mit andern Kasusformen 
zusammengefallene Lokativ drückt eine rein sachliche Bestim- 
mung, keine syntaktische Beziehung aus. Man wird nicht be- 
streiten können, dass in T^RomaenatusesH die Kasusform JSoma^ 
nicht syntaktischer ist als in Africa, ibi oder hodie; es liegt 



7* 



rv 



100 

im Kasus keine Bezeichnung eines Beziehungsverhältnisses des 
in diesem Kasus stehenden Wortes zu einem andern, sondern 
ausschliesslich eine inhaltliche, nähere Bestimmung des Prädikats- 
begriflfe, wie sie sonst durch adverbiale Ausdrücke gegeben 
wird. Wie mit der lokativen Bedeutung gewisser Kasusformen 
verhält es sich selbstverständlich auch mit ihrem gesamten 
sonstigen adverbialen Gebrauch. Auch die Zeit- und Mass- 
bezeichnungen durch blossen Kasus stehen in Hinsicht ihrer 
Bedeutung reinen Adverbien und adverbialen Wendungen völlig 
gleich und gehören also zur Wortlehre, worauf schon die 
Etymologie zahh-eicher Adverbien hinweist. 

Dann noch ein Wort über die Gradationsformen, deren 
Bedeutung, obwohl in ihnen Stammbildungen vorliegen, her- 
gebrachtermassen meist in der Syntax erörtert wird. Die nicht- 
syntaktische Natur ihrer Bedeutung tritt bei ihnen auffallender 
in den Nebenbedeutungen zu Tage als in ihrer eigentlichen. 
Auch wer sich von dem Einfluss der langgewohnten Auffassung 
schwerer frei machen kann, wird gern zugeben, dass der 
Komparativ, der, absolut stehend, ungefilhr die Bedeutung des 
Positivs hat oder ein allzu hohes oder ein ziemliches Mass 
der Eigenschaft ausdrückt, oder der Superlativus elativus in 
der Bedeutung nicht syntaktischer sind als der Positiv, dessen 
Bedeutung wohl noch niemand in der Syntax hat behandeln 
wollen. Gegen die Einsicht, dass Komparativ und Superlativ 
auch in ihrer eigentlichsten Anwendung keine syntaktische, 
sondern reine Wortbedeutung haben, sträubt man sich wohl 
eher und zwar auf Grund der Thatsache, dass beide ge- 
wöhnlich einer Ergänzung bedürfen, dass die Bedeutung der 
Steigerungsgrade über das gesteigerte Wort hinaus auf das 
Verglichene weist. Darin unterscheiden sich aber Komparativ 
und Superlativ durchaus nicht von zahlreichen Positiven, und 
sie verhalten sich darin überhaupt nicht anders als alle die 
zahlreichen Worte, Verba wie Nomina, die ebenfalls über sich 
hinausweisend einer Ergänzung bedürfen ; darum scheidet man 
mit Recht zwischen Worten, die einen relativen und solchen, die 



lOI 

einen absoluten Begriff ausdrücken. Die Syntax geht aber nur 
die Art und Form dieser Ergänzung, dieser Verbindung 
mit andern Worten an ; die Bedeutung der Worte selber bleibt 
darum immer etwas Nichtsyntaktisches, bleibt Sache der Wort- 
bedeutungslehre; denn die Ergänzungsfähigkeit wie die Er- 
gänzungsbedürftigkeit ist eine Seite, ist eine Folge der Wort- 
bedeutung, ist ein Ausfluss ihrer innersten Natur. Dass es 
Worte giebt und welche es sind, die der relativen Natur 
ihres Begriffes wegen einer Ergänzimg fähig oder bedürftig 
sind, wie diese sich zu den absoluten verhalten, wie beide 
Klassen in einander übergehen, das ist ein wichtiges und inter- 
essantes Kapitel der Wortbedeutungslehre. Behandelt man 
all das in gelegentlichen Einschüben hie und dort in der 
Syntax, so kann man einerseits diesem bedeutenden Gegenstande 
selbst nicht gerecht werden — denn er will im Zusammenhang 
behandelt werden — und ist andererseits in der Syntax ge- 
zwungen, beständig die Aufmerksamkeit von den syntak- 
tischen Objekten, den Wortgefügen, auf ihre Bestandteile, 
die W o r t e , abzulenken. Die Syntax hat allein davon zu handeln, 
welcher Ergänzung die relativen Worte bedürfen, in welcher 
Form, mit welcher Bedeutung die Ergänzungen zu ihnen treten. 
Was also im besonderen die Steigerungsformen betrifft, so ist 
ihre Bedeutung, wie die aller andern relativen Worte, in 
der Wortlehre abzuhandeln. Ihre Verbindung mit Kasus- 
formen , Vergleichungspartikeln , präpositionalen Wendungen 
darzustellen: dies allein bleibt der Syntax vorbehalten. 

Übrigens verfahren die Verfasser der verschiedenen syn- 
taktischen Werke bei der praktischen Bethätigung ihrer Ansicht 
von der syntaktischen Bedeutung der Wortformen nicht überall 
mit der Konsequenz und Übereinstimmung, die man voraus- 
setzen sollte und die sich von selbst ergeben müsste, wenn 
diese herrschende Ansicht in der Sache selber wirklich be- 
gründet wäre. Auch diejenigen Grammatiker, denen der Ge- 
danke eines besondern, der Bedeutungslehre gewidmeten Teiles 
noch fem lag, sind in der Abgrenzung der in die Syntax zu 




102 

ziehenden Stoffe aus der Bedeutungslehre der Wortformen 
nicht völlig gleichmässig verfahren. Besonders ist es das Genus 
— bei dem allerdings nicht die Formen allein in Betracht 
kommen — das bald in der Syntax, bald in einem frühem Teile 
der Grammatik, der Wortbiegungs- oder der Wortbildungslehre 
behandelt wird. So erörtert Grimm das Genus im dritten, 
nicht im vierten Teil der deutschen Grammatik; ihm folgte 
DiEz, der es in der Wortbiegungslehre abhandelt (Gramm, der 
rom. Spr. ü. 17flF.). Beide geben in der Syntax nur, was in 
diese auch nach unserer Auffassung gehört: die Kongruenz der 
Genusformen. Sie führen also — und dies ist lehrreich und 
ffir uns von besonderer Wichtigkeit — an diesem Punkte die 
von uns allgemein verlangte Trennung des Syntaktischen imd 
Nichtsyntaktischen in der Behandlung desselben Objekts durch. 
Dagegen bildet auch neuerdings wieder die allseitige Behand- 
lung des Genus ein Kapitel der Syntax: so z. B. in Delbrücks 
Altindischer Syntax (IL 1 ; dort handelt § 55 vom Geschlechts- 
wechsel, dem mehrfachen Geschlecht, dem Geschlecht der 
Komposita: lauter nichtsyntaktische Stoffe). Auch Miklosigh 
erörtert das Genus in der Syntax (übrigens nicht unter den 
Wortformen, sondern unter den Wortklassen als Anhang 
zum Nomen). 

Erwies sich die Behauptung, dass die Flexionsformen nur 
zum Ausdruck syntaktischer Beziehungen dienen, als unrichtig, 
ist dies vielmehr nm* zu einem Teil der Fall, so trifft in noch 
weit geringerem Masse die entsprechende Behauptung für die 
Wortklassen zu. Dass die Bedeutung der Wortarten nur aus 
ihrer syntaktischen Verwendung fliesse, nur im Satze bestehe, 
nur aus ihm erkannt werden könne, das ist nur in dem Sinne 
richtig, dass nicht selten allein die syntaktische Funktion dar- 
über entscheidet, welcher Wortklasse ein bestimmtes Wort in 
einem bestimmten einzelnen Falle seines Vorkommens zuzu- 
rechnen sei. Denn es giebt freilich Worte genug, die bei gleicher 
Lautform wegen ihrer verschiedenen Bedeutungsart und der 
daran sfliessenden verschiedenen syntaktischen Verwendung 



\ 



103 

zu verschiedenen Wortklassen gehören. Da handelt es sich 
also um eine bestimmte Art von Homonymen. Für solche 
Homonyma gilt natürlich, was für alle Homonyma gilt. Keinem 
aus dem Zusammenhang gelösten Homonymon kann man es an- 
sehen, was es bedeutet. Dass dieses Verhältnis ebensogut für 
die Bedeutung der Wortart besteht wie für die Wurzel- 
bedeutung des Einzelworts , das ist nicht im geringsten merk- 
würdig; und in beiden Fällen folgt daraus nicht, dass die Be- 
deutung der Worte oder die der Wortarten überhaupt nur im 
Zusammenhang der Rede und durch ihn bestehe ; noch weniger 
folgt daraus irgend etwas für die grammatische Behandlung 
dieser Bedeutungen in diesem oder jenem Teile des Systems. 
Dabei ist auch gleichgültig, ob die homonyme Übereinstimmung 
gewisser Worte, die verschiedenen Klassen angehören, eine 
sozusagen zufällige ist, d. h. ob dabei eine verschiedene Wurzel- 
bedeutung zu Grunde liegt (wie in dem Satze »Kosten [Subst. 
zu constare] erwachsen uns doch, auch wenn wir davon nur 
kosten [Verb, entspr. gustare]*) oder ob von gleicher Wurzel 
ursprünglich verschieden gebildete Wortarten im Laufe der Ent- 
wicklung gleichlautend geworden sind. Im letzteren Falle ist es 
wiederum gleichgültig, ob diese Entwicklung nur bei einzelnen 
Wörtern oder bei ganzen Gruppen gleiche Lautformen ergeben 
und so die früheren Unterschiede zwischen zwei Wortarten 
verwischt hat (wie bei den nhd. Adverbien, die von den zu- 
gehörigen Adjectiven formell nicht mehr unterschieden werden). 
Hierbei entsteht nur die Frage, ob die Grammatik über- 
haupt ein Recht hat, noch weiter von zwei verschiedenen 
Wortarten zu sprechen. (Vergl. unten S. 105 und Anm. 78). 
Doch die Entscheidung dieser Frage berührt die uns hier be- 
schäftigende gar nicht. Wie man sich auch zu ihr stellen mag, 
immer ist es in erster Linie eine Eigentümlichkeit der Wort- 
bedeutung, um die es sich handelt, die syntaktische Frage ist 
erst sekundär, ist nur eine Folge davon. Es ist ein Unterschied 
der Wortbedeutungen, der nur gestattet zu sagen »Der- 
gleichen ereignet sich ofU^ aber neben t^ Dergleichen ereignet sich 




104 

häufige auch die Fassung zulässt ^^ Solche Ereignisse sind häufig ^\ 
es ist eine Eigentümlichkeit der Worte häufig und oft^ die 
T^häufige Unglücksfälle^^ aber nicht ofte zu sagen erlaubt. Sehr 
bezeichnend ist dafür das Beispiel, das Kern bei Besprechung 
jener Frage anführt (^*): »Der Mann sprach stehend^:, -»Der 
Mann sprach fliessend^ ; wobei stehend adjektivischen, fliessend 
adverbialen Sinn hat. Das heisst doch nichts anderes als: 
die Bedeutungssphäre von stehend ist enger als die von fliessend. 
Dieses hat eben mehrere Bedeutungen, besser Bedeutungsarten ; 
es drückt sowohl eine einem Dinge anhaftende Eigenschaft als 
die Art und Weise einer Handlung aus, während stehend auf 
die erstere Bedeutungssphäre beschränkt ist, wie umgekehrt 
oft nur adverbiale, häufig beide Arten der Bedeutung in sich 
vereinigt. Dass ein und dasselbe Wort mehrere Bedeutungs- 
ar ten haben kann, ist um nichts wunderbarer, als dass ein 
Wort mehrere Wurzelbedeutungen hat Zu welcl^r Wort- 
klasse in einem bestimmten Falle ein Wort gehört, d. h. welche 
Bedeutungsart ihm neben seiner Wurzelbedeutung gerade zu- 
kommt, das kann man allerdings ebenso nur aus dem Satz- 
zusammenhang erkennen, wie man nur aus diesem ersehen 
kann, welche Wurzelbedeutung ein vieldeutiges Wort in einem 
konkreten Fall haben soll. Verschiedene Bedeutungsar t wird 
ebensowenig durch gelegentliche Homonymie der Wortarten auf- 
gehoben, wie verschiedene Wortbedeutung durch die Homonymie 
von Worten derselben Wortklasse. Solange die so häufige Mehr- 
deutigkeit der Worte kein Grund ist, die Wortbedeutungslehre 
aus der Wortlehre in die Syntax zu verweisen, solange kann 
die gleiche Form von Worten verschiedener Klassen nicht den 
Ausschluss der Lehre von der Bedeutung der Wortarten aus 
der Wortlehre rechtfertigen. 

In einem weitern Sinne aber als dem eben besprochenen, 
wo es sich nur um Homonymie von Worten verschiedener 
Klassen handelt, kann jene Behauptung einfach darum nicht 
gelten, weil sie allgemeiner gefasst, eine offenbare Contradictio 
enthalten würde. Was sollte denn das heissen: ,die Bedeutung 



105 

der Wortarten besteht nur für und durch den Satz, nur in ihm* ? 
Wo das wirklich zutriflfl, wie zum Teil im Chinesischen, da 
giebt es eben keine Wortarten in unserm Sinne. Fliesst die 
Bedeutungsart eines Wortes ausschliesslich aus seiner syn- 
taktischen Funktion, so hat es keinen Sinn mehr von Wort- 
arten zu reden. Deshalb geht z. B. die chinesische Grammatik, 
von Laut- und SchrifUehre abgesehen, auch sozusagen in der 
Syntax auf. (") Hat aber eine Sprache überhaupt Wortarten, 
das heisst doch verschiedene Arten von Worten, so muss die 
Verschiedenheit in den Worten selber liegen, aus ihnen erkennbar 
sein, dann gehört sie mit zu ihrem eigensten Wesen. Giebt es 
überhaupt Wortarten, d. h. sondert sich der Sprachschatz in 
gewisse formal und begrifflich geschiedene Kategorien, so heisst 
das nichts anderes als: zu der Lautgestalt und Bedeutung der 
Wurzel kommt noch etwas weiteres hinzu, wodurch gewisse 
Worte von andern derselben Wurzel geschieden werden — auch 
unabhängig vom Satz. Sogut der Formunterschied der Wort- 
arten zur Charakteristik der Worte gehört und in der Wort- 
formenlehre zu behandeln ist , sogut gehört dazu der Begriffs- 
unterschied der Wortarten, der in der Wortbedeutungslehre zu 
behandeln ist. Dieser Begriffsunterschied ist ebensogut ein 
Teil der Wortbedeutung, wie die ihm entsprechenden Bildungs- 
elemente ein Teil des Wortkörpers sind. Freilich muss man 
sich vor der irrtümlichen Voraussetzung hüten, dass alle Sprachen, 
in denen es überhaupt Wortarten giebt, diese stets in gleicher 
Zahl und Art müssten ausgebildet haben. Die Forschung wird 
vielmehr in jedem Falle zunächst festzustellen haben, welche 
Kategorien in der jeweilig grammatisch darzustellenden Sprache 
und Sprachperiode anzunehmen sind. Auch hierbei wirkt die 
Gewohnheit, das Schema der lateinischen Grammatik auf andere 
Sprachen zu übertragen, vielfach verwirrend. So kommt, wie 
erwähnt, bei fortschreitendem Verfall der Formunterschiede 
mancher Wortarten ein Zeitpunkt, wo es fraglich wird, ob das 
Bestehen verschiedener Wortarten noch weiter angenommen 
werden darf. Diese Frage wird nicht immer leicht zu ent- 



r> 



106 

scheiden sein; zumal wird die Auflfassung schwanken können, 
wo es sich um nicht abgeschlossene Entwicklungen handelt. C^) 

Mit der Forderung Reisios, der Bedeutungslehre einen be- 
sonderen Teil der Grammatik zu widmen, und der Anerkennung 
ihrer Berechtigung war eigentlich schon der &lsche Gegensatz 
Formenlehre — Syntax und damit die Hauptursache beseitigt, 
die zur Behandlung der gesamten Lehre von der Bedeutung 
der Wortarten und Wortformen in der Syntax gefuhrt hatte. 
Dass trotzdem noch heute dieser Gregenstand zu den unent- 
behrlichen Bestandteilen der Syntax gezählt zu werden pflegt, 
erklärt sich unter andemi vielleicht gerade daraus, dass die 
ersten, die dem REisieschen Gedanken näher traten und ihn 
fortbildeten, sich in das entgegengesetzte Extrem verloren und 
dieses Stoffgebiet gänzlich aus der Syntax verbannen wollten. 
Benart verlangte, dass die gesamte Lehre von der Bedeutung 
der Wortformen der Syntax entzogen und der Bedeutungslehre 
zugeteilt würde, (•*) Mit diesem originellen Vorschlag ist er 
der Voriäufer Haases geworden, der diese Abtrennung eines 
der wichtigsten Teile jeder bisherigen Syntax durchgeführt und 
damit ganz eigene, geradezu revolutionäre Wege eingesehlagen 
hat, auf denen ihm, soviel ich sehe, keiner seiner Nachfolger 
hat folgen wollen. Und das aus guten Gründen. Denn indem 
er die gesamte Lehre von der Bedeutung der Wortarten und 
Flexionsformen der Syntax absprach, ist er offenbar zu weit 
gegangen ; aber sein Verfahren beruht doch auf dem durchaus 
richtigen und fruchtbaren Gedanken, dass die in d^ Syntax 
gewöhnlich verbundenen Stoffe wesansverschieden sind, dass ein 
Teil davon überhaupt der Wortfügung fremd ist und bess^ 
ausgesondert würde. Wie Haase bei der praktisch^i Verwertung 
dieser Einsicht so übers Ziel hat hinausschiessai könnai, wie 
er übersehen konnte, dass eine Syntax, wie &r sie jdante, ein 
Torso bleiben musste, ist schwer zu begreifen. Erkäuren lässt 
sich sein Veffahrm wdü nur aus dem Bestrebai, die Gesamt- 
grammatik in sieh gegensdtig ai]ßschliessa[)de Tale zu soodem. 



107 

wobei er nur, wie auch Benary und die meisten seiner Nach- 
folger, den oben besprochenen Fehler beging, die Bedeutungs- 
lehre in die gleiche Reihe neben die bisherigen Teile zu 
stellen. Die Folgen dieses Fehlers sind bis heute nicht über- 
wunden. Gliedert man die Grammatik in nebengeordnete Teile, 
unter denen einer der Bedeutungslehre, ein anderer der Syntax 
gewidmet sein soll, so muss der Stoflf von Bedeutungslehre 
und Syntax sich allerdings ausschliessen. Dieser Forderung 
glaubte Haase wohl dadurch genügen zu können, dass er die 
Lehre von der Bedeutung und dem Gebrauch der Wortarten 
und Flexionen ganz und ungesondert aus der Syntax in die 
Bedeutungslehre zog, was ebenso unrichtig ist, als sie, wie es 
fast alle übrigen Grammatiker thun, ganz und ungeteilt zur 
Syntax zu schlagen. Haases Nachfolger sahen sich um so mehr 
veranlasst, beim alten zu bleiben und dies für das Richtige 
zu halten, je weniger sie sich zu seiner radikalen und die Syn- 
tax olBFenbar schädigenden Neuerung entschliessen konnten. 
Haases Übertreibung musste auch gegen die seiner Neuverteilung 
des Stoffes zu Grunde liegenden richtigen Gedanken misstrauisch 
machen und ihre Wirkung aufheben. Denn soweit man sich 
überhaupt darauf einliess, das Anrecht des überlieferten Stoffes, 
im besondern der Bedeutung der Flexionen, auf die Behand- 
lung in der Syntax zu prüfen, konnte man leicht dazu 
kommen, sich mit einem Hinweis auf das Verfehlte in Haases 
Stoffverteilung zu begnügen und damit den Beweis für die 
syntaktische Natur der Flexionsbedeutungen als erbracht anzu- 
sehen. Aber von der Unentbehrlichkeit eines Teils des von 
Haase ausgeschiedenen Stoffes auf die Zugehörigkeit dieses 
gesamten Stoffes zur Syntax zu schliessen, war ebenso nahe- 
liegend wie unrichtig. 

Auf den Gedanken, dass das Richtige in der Mitte liege, 
dass der strittige Stoflf zu teilen, dass zwar nicht alles aus der 
Syntax auszuscheiden sei, was Haase ausschied, wohl aber ein 
Teil davon, scheinen leider auch seine Nachfolger nicht ge- 
kommen zu sein. Und doch ist dies der einzige Weg, der zum 
Ziele fahrt. 




108 

Dass nicht alle Bedeutungen und Gebrauchsweisen aller 
Flexionsformen ein syntaktisches Interesse bieten, dürfen wir 
nach Obigem als erwiesen ansehen. Dass andererseits gewisse 
Bedeutungen gewisser Flexionen auf die Art und Bedeutung 
der syntaktischen Gebilde als solcher von wesentlichem Einfluss 
sind, braucht nicht erst bewiesen zu werden. Ist also ein Teil 
der Bedeutungslehre der Flexionsformen für die Syntax unent- 
behrlich, ein anderer nicht nur entbehrlich, sondern ihr fremd 
und ohne Beziehung zu ihr, so folgt daraus, dass die Bedeu- 
tungslehre der Flexionsformen kein einheitliches Ganze ist Ist 
aber ihr Stoff nicht einheitlich, ist sie als Ganzes weder in 
der Wortlehre zu erschöpfen noch in die Syntax einzufügen, 
so ist das Einfachste und allein Richtige, sie zu teilen und, 
was an ihr syntaktisch ist, der Syntax, was an ihr nicht syn- 
taktisch ist, der Wort(bedeutungs)lehre zuzuweisen. 

Der Schluss ist zwingend; und wir wären mit diesem Teil 
unserer Erörterungen zu Ende, wenn sich hier nicht der ge- 
fährlichste aller Einwände erhöbe, der immer zur Hand ist, 
wo sich gegen eine verlangte Neuerung keine andern Gründe 
finden lassen, der beliebte Einwand: ,Das ist theoretisch ganz 
richtig, aber praktisch unthunlich*. 

So giebt Heerdegen ('■) zwar als »unstreitig richtig« zu, 
däss die Komparationsformen in die Stammbildungslehre d. h. 
also in die Wortlehre gehören, er bezeichnet es als »unzweifel- 
haft«, dass Genus und Numerus des Nomens, »femer die tempo- 
rale und die (im engern Sinne) modale Aflfektion« des Verbmns 
nicht syntaktischer, sondern semasiologischer Natur sind. Er 
glaubt aber diese unbedeutenden Hindernisse, die seiner Ver- 
teilung des grammatischen Stoffes im Wege stehen, mit dem 
gewichtigen Einwand der praktischen Undurchfuhrbarkeit einer 
Trennung innerlich verschiedener aber »herkömmlich« ver- 
bundener Dinge ausreichend beseitigt zu haben. Warum 
diese Trennung »praktisch nicht ganz leicht«, »auf dem Ge- 
biete einer Einzelsprache allein vollends unmöglich« sein soll, 
sagt er nicht. 



109 

Wir dürfen diesen Einwand in der That als den gefähr- 
lichsten von allen bezeichnen, denn so abgenutzt und in den 
meisten Fällen nichtssagend die Wendung von der praktischen 
Unthunlichkeit theoretisch als richtig erkannter Forderungen 
^uch ist, — wann und gegen welche nützliche Neuerung, auf 
welchem Gebiete auch immer, wäre sie nicht ins Feld geführt 
worden? — so wirkungsvoll ist und bleibt sie doch. Denn 
diese letzte Waffe lässt sich den Gegnern einer innerlich be- 
rechtigten Neuerung endgültig doch nur dadurch aus der Hand 
schlagen, dass man ihre Ausführbarkeit durch die That, durch 
die Ausführung selbst ad oculos demonstriert. Bis das auch 
in dem vorliegenden Falle einmal geschehen sein wird, müssen 
wir uns darauf gefasst machen, diesen Einwand in überlegenem 
Ton und in den verschiedensten Formen wiederholt zu hören. 
. Doch wollen wir in Kürze versuchen, seine etwaige Begründung, 
soweit wir sie glauben vorhersehen zu können, im voraus zu 
widerlegen. 

Ein Widerspruch kann ja zwischen dem theoretisch Rich- 
tigen und dem praktisch Ausführbaren nur dann angenommen 
werden, wenn man den Begriff der Theorie so eng fasst, dass 
sie die Berücksichtigung aller der Verhältnisse ausschliesst, mit 
denen die Ausführung zu rechnen hat. Die wirklich richtige 
d. h. auch vollständige Theorie einer Maschine z. B. rechnet 
aber mit den Eigenschaften des Materials und den Bedingimgen, 
unter denen sie arbeiten soll. In unserem Falle wurde es sich 
also darum handeln, ob bei dem Verlangen einer Trennung 
der syntaktischen und nichtsyntaktischen Bedeutungen von 
Wortformen und Wortklassen alle Umstände in Betracht ge- 
zogen sind, die sich der Ausführung in den Weg stellen könnten. 
Da wir hier weder eigentliche Schulbücher noch überhaupt 
Grammatiken für den praktischen Lemzweck, sondern aus- 
schliesslich wissenschaftliche Darstellungen im Auge haben, 
können etwaige Bedenken rein äusserlicher oder didaktischer 
Natur ausser Betracht bleiben (womit nicht etwa gesagt werden 
soll , dass wir für solche Zwecke das Festhalten an der alten 



r^ 



110 

Stoffverteilung von vornherein för empfehlenswert hielten) ; und 
es bleiben nur Hindemisse zu erwägen, die aus der Sache 
selber sich ei^eben könnten. Somit käme es ausschliesslich 
auf die Beantwortung der beiden Fragen an : 1) Berücksichtigt 
die verlangte Trennung der Bedeutungslehre von Wortformen 
und Wortarten in einen syntaktischen und einen nichtsyn- 
taktischen Teil ausreichend die Interessen aller in Mitleiden- 
schaft gezogenen Gebiete der Grammatik, sodass die Übersicht- 
lichkeit und der natürliche Zusammenhang nirgends darunter 
leiden? 2) Lässt sich die wohl im allgemeinen aufstellbare 
und prinzipiell richtige Unterscheidung von syntaktischer und 
nichtsyntaktischer Bedeutung auch im Einzelnen durchführen, 
lässt sich überall entscheiden, wo die eine aufhört und die 
andere an&ngt, wo die Grenzlinie zu ziehen ist? 

Was zunächst die letztere Frage betrifft, so ist gewiss 
richtig, dass man a priori nicht festsetzen kann, die und die 
Wortarten und Formen bezw. die und die Bedeutungen der- 
selben sind in der Wortlehre, jene in der Syntax zu behandeln, 
derart dass diese Sonderung nun für alle Fälle stattfände und 
für die Grammatik aller Sprachen und Zeiträume gleicher- 
massen zu gelten hätte. Dagegen wird sich im gegebenen 
Einzelfelle die Sache sehr einfach gestalten. In die Wortlehre 
einer bestimmten Sprache wird eben von der Bedeutung der 
Wortformen und Wortklassen all das aufgenommen, was sich 
dort ohne Hineinziehung syntaktischer Verhältnisse behandeln 
lässt. In die Syntax wird umgekehrt nichts aufgenommen, von 
dem nicht sofort erhellt bezw. der Nachweis gefuhrt wird, dass 
es die syntaktischen Gebilde als solche beeinflusst. Wenn sich 
auch in betreff einzelner ganzer Gebiete (wie Genus, Numerus, 
Gradation u. s. w.) die Zuweisung zu einem der beiden Haupt- 
teile der Grammatik allgemeingültig wird feststellen lassen, so 
kann doch im Einzelnen diese Grenzlinie sehr wohl in ver- 
schiedenen Sprachen und Perioden verschieden verlaufen. Und 
darin sehen wir gerade einen Hauptvorzug der verlangten Neu- 
verteilung des grammatischen Stoffes, dass durch dieselbe jeder 



111 

Forscher gezwungen wird, selbst in jedem Falle und von Punkt 
zu Punkt zu prüfen und zu entscheiden, was in dem unter- 
suchten Sprachzustande von der Bedeutung der Wortklassen 
und Wortformen syntaktisch ist, was es nicht ist. Ganz so 
bequem wie der Abklatsch fertiger Glichös wird das nicht sein, 
darum aber doch sehr wohl ausführbar. Dies Verfahren wird, 
dieses allein kann die syntaktischen Systeme der einzelnen 
Sprachen endlich von der Herrschaft altüberlieferter, stereo- 
typer Formen befreien, in die sie nach dem Vorbilde des 
Lateins gezwängt zu werden pflegen. Denn dass die bisherigen 
Systeme der Syntax mit ihren feststehenden besonderen Ab- 
schnitten für die Bedeutung aller Flexionsformen, die schon 
für die flexionsreichen Sprachen nicht völlig passen, um so un- 
passender sind, je weniger Flexionen die Sprache besitzt, deren 
Syntax nach ihnen dargestellt wird, liegt auf der Hand. Die 
unbegründete Übertragung der syntaktischen Kategorien einer 
Sprache auf die andere wird so durch die Unmöglichkeit 
wesentMch erschwert, etwas anderes in die Syntax zu ziehen, 
als was sich über seinen Einfluss auf die syntaktischen Gebilde 
sofort genügend ausweist. Damit ist eine ergiebige Fehler- 
quelle verstopft. 

Vom Standpunkt der Syntax aus kann ein Zweifel über 
die Durchführbarkeit der verlangten Trennung der syntaktischen 
und nichtsyntaktischen Bedeutungen von Wortformen und 
Wortarten gar nicht aufkommen. Wer die Möglichkeit dieser 
Trennung leugnen wollte, würde damit die Möglichkeit der 
Syntax selber leugnen. Diese Trennung ergiebt sich von selbst, 
sobald nur ernstlich an der Forderung festgehalten wird, dass 
in der Syntax nur syntaktische Objekte behandelt werden 
dürfen. Zu entscheiden, ob gewisse Wortgefüge syntaktisch 
gleichartig oder verschiedenartig sind, und worauf die syntak- 
tische Verschiedenartigkeit derselben beruht, das gehört ja zur 
eigentlichen Aufgabe der Syntax, und darin ist die Lösung der 
Frage, ob die Bedeutung einer Wortart oder Wortform syntak- 
tischen Wert hat oder nicht, schon inbegriffen. 




112 

Vom Standpunkt der Wortlehre aus stellen sich der ver- 
langten Trennung erst recht keine praktischen Schwierigkeiten 
entgegen. Denn grundsätzlich gehört ja die gesamte 
Lehre von der Bedeutung der Wortarten und Wortformen zur 
Wortlehre, wie sich schon aus Namen und Definition dieses 
Teils der Grammatik ergiebt. (Vergl. oben S. 83/4.) Auch die- 
jenigen Bedeutungen der Wortarten und Wortformen, die in 
der Syntax eine Rolle spielen, in der Wortlehre zu behandeln, 
böte prinzipiell gar kein Bedenken; es wäre das theoretisch 
vollkommen zu rechtfertigen, weil alle Bedeutungen, die den 
Wortarten und Wortformen eigen sind, welcher Art sie auch 
seien, damit eben den Worten selber eignen, an denen sie zur 
Erscheinung kommen, und einen Teil des Wesens dieser Worte 
ausmachen. Nur aus praktischen Gründen wird gerade die 
Absonderung eines Teiles dieses eigentlich der Wortlehre 
zugehörigen Gebietes empfohlen. Die Behandlung auch der 
syntaktischen Bedeutungen der Wortarten und Wortformen 
innerhalb der Wortlehre wäre allerdings unpraktisch. Sie 
müsste nicht nur zu einer Wiederholung führen, da die Syntax 
ihrerseits auf die Behandlung derselben in ihrem eigenen 
Zusammenhang nicht verzichten dürfte, sondern sie könnte 
auch in ausgiebiger Weise, die zu vollem Verständnis führte, 
nicht erfolgen, ohne viele rein syntaktische Gegenstände und 
Probleme in die Besprechung hineinzuziehen. Von seiten der 
Wortlehre sind es also gerade praktische Erwägungen, die die 
verlangte Trennung empfehlenswert machen; nur diese ent- 
scheiden, wo die Grenze zu ziehen ist : der Syntax bleibt über- 
lassen, was praktischer dort behandelt wird. 

Man kann nicht einwenden, dass auch die nichtsyntak- 
tischen Bedeutungen der Wortformen nur aus dem Zusammen- 
hang der Wortgefüge erkennbar seien, dass es ohne Berück- 
sichtigung ganzer Perioden und oft des weiteren Zusammen- 
hangs unmöglich sei, z. B. die feineren Unterschiede der Tempus- 
bedeutungen festzustellen. Gewiss ist das unmöglich. Aber es 
ist auch selbstverständlich, und es verhält sich mit der lexi- 



113 

kalisch-materiellen Bedeutung der Worte selbst nicht anders. 
Auch die Bedeutung jedes einzelnen Wortes lässt sich nur aus 
dem Zusammenhang der Rede entnehmen, die feineren syno- 
nymischen Unterschiede, sowie strittige Bedeutungen lassen sich 
oft nur durch die Vergleichung mehrerer Stellen und umfang- 
reiche Belege feststellen. 

Dass es möglich ist, zwischen syntaktischer und nicht- 
syntaktischer Bedeutung zu scheiden, und dass es sehr wohl 
angeht, die letztere ausserhalb der Syntax zu behandeln, be- 
weist übrigens auch schon die Erfahrung. Wir haben bereits 
darauf hingewiesen (vergl. oben S. 102.), dass Grimm und Diez 
in betreff des Genus genau so verfahren, wie wir es durch- 
gehends verlangen. Ausserdem behandelt Grimm auch die 
Komparation, die Negation und Frage und Antwort in der 
Wortlehre. Von den beiden letzten Kapiteln sagt er in der 
Vorbemerkung (III. S. 751.): »sie hängen tiefer mit der Syntax 
zusammen als die vorhergehenden und lassen sich, ohne schon 
einiges aus dieser vorwegzunehmen, nicht genau erörtern; 
doch bringt es Vorteil, dass sich eben den Wortformen eine 
besondere Aufinerksamkeit , die ihnen dort nicht so zu teil 
werden kann, zuwende«. Er weist dann später näheres Ein- 
gehen auf rein syntaktische Dinge wiederholt mit der Bemer- 
kung ab, dass »weiteres nicht in die Wortbildungslehre falle« 
(S. 762.), »nicht hierhergehöre« (S. 764.). Wäre er in dieser 
Beziehung noch etwas konsequenter gewesen — und diese 
Methode ist sehr wohl einer weiteren Ausbildung und gleich- 
massiger Durchführung fähig — so hätte sich auch das von 
ihm zugegebene Vorwegnehmen einiger syntaktischer Er- 
örterungen wohl vermeiden lassen. Auch wo er nicht so ver- 
fährt, zeigen doch einige seiner Äusserungen, dass er unserer 
Auffassung nicht fem steht. (®®) Jedenfalls hat er in mehreren 
Fällen Stoffe, die gewöhnlich ungeteilt der Syntax zugewiesen 
werden, dieser grossenteils entzogen und sie nach dem Gesichts- 
punkt gesondert, obsie ein syntaktisches Interesse bieten oder 
nicht. 

Bios, Was ist Syntax ? 8 



rv 



114 

Es dürfte nützlich sein, hier noch an ein paar weiteren 
Beispielen zu zeigen, wie diese Trennung sich in der Praxis 
gestalten würde. Ist in der englischen Grammatik die Unter- 
scheidung der beiden Steigerungsformen older oldest und eider 
eldest zu lehren, so fällt es der Wortbedeutungslehre zu, den 
Unterschied ihrer Bedeutung zu entwickeln, und nicht der Syntax, 
wo man dies zu finden gewohnt ist; dieser dagegen bleibt es 
überlassen zu zeigen, dass der Gebrauch von eider eldest syn- 
taktisch (auf die attributive Verwendung) beschränkt ist (worauf 
an der früheren Stelle zu verweisen ist). Handelt es sich um 
die Genusformen des Verbums, so gehört die Aufsuchung des 
psychologischen Anlasses, der die Bildung von Passiv- und 
Medialformen hervorgerufen hat(®^); die Darlegung der psycho- 
logischen Gründe, die in den einzelnen Fällen zur Wahl der 
passiven Konstruktion führten; die Erörterung der Folgen, die 
diese für den sonstigen Bau des Satzes hat: all dies u. ä. gehört 
in die Syntax; denn das betrifft die Art und Form der Wort- 
gefüge. Die Erklärung der allgemeinen Bedeutung aber, die 
den in den einzelnen Sprachen einmal vorhandenen Genusformen 
an sich zukommt; im einzelnen die Aufführung der Verba, die 
gewisser Genusformen ermangeln; derjenigen, die mit activer 
Form passive, mit passiver Form active Bedeutung verbinden, 
gehört, wie die Aufetellung dieser Formen selber, in die Wort- 
lehre, weil das nur die Form und Bedeutung der Einzelworte 
an sich angeht. Die Syntax setzt dabei, wie überall, die That- 
sachen, welche aufzuführen und aufzuklären der Wortlehre zu- 
kommt, als bekannt voraus und zieht allein ihre Verwertung 
in der Wortfügung in Betracht. 

Aus der Lehre vom Gebrauch der Wortarten gehört in die 
Syntax alles, was die ausschliessliche, bevorzugte, zulässige oder 
gelegentliche Verwendung bestimmter Wortarten als Glieder 
der einzelnen Wortgefüge betrifft. Der grössere Teil des Stoffes 
jedoch, der jetzt gewöhnlich diesen Abschnitt der Syntax füllt, 
kommt der Wortlehre zu, da er nichts anderes ist als Wort- 
bedeutungslehre und zwar gewöhnlich vergleichende. Man sehe 



115 

z. B. was die englischen Grammatiken in der Syntax vom 
Pronomen über eiiher lehren. Nichts anderes, als dass either 
bald einer von beiden^ bald jeder von beiden^ beide, einer oder 
der andere diwi deutsch h eis st. Und all das wird aus keinem 
andern Grunde in der Syntax erwähnt, als weil das Deutsche 
kein dem either genau entsprechendes Wort besitzt, seine Be- 
deutungen auseinanderlegen und auf mehrere Ausdrücke ver- 
teilen muss. Dasselbe Bild bietet, nur von der andern Seite 
gesehen, die Lehre von den englischen Worten, die auf Deutsch 
jeder bedeuten. Dass es sich bei all dem ausschliesslich um 
Wortbedeutungslehre handelt, tritt auch in der Fassung der 
Regeln meist ganz nackt hervor. 

Handelt es sich um die Lehre vom Gebrauch der Adverbia, 
so ist es eine rein syntaktische Frage, ob und in welchem 
Umfange eine Sprache Adverbia auch in attributivem und 
prädikativem Verhältnis verwendet. Es ist aber eine Frage der 
Wortbedeutungslehre, ob eine bestimmte Wortform adjektivische 
und zugleich auch adverbielle Bedeutung haben kann, bezw. 
ob eine Sprache im allgemeinen mit der Bedeutungsart der 
Adjektiva die der Adverbia und umgekehrt verbindet. Es ist 
z. B. Sache der Wortlehre (und zwar in der Formen-, Bildungs- 
und Bedeutungslehre) einerseits zu zeigen, welche nhd. Ad- 
jektiva zugleich Adverbia sind, andererseits zu lehren, welche 
nhd. Adverbia nicht zugleich adjektivische Bedeutung haben. 
Es bleibt dann die Sache der Syntax zu entscheiden, ob Ad- 
verbia im Nhd. auch prädikativ und attributiv gebraucht werden. 
Hat die Syntax der nhd. Schriftsprache diese Frage etwa dahin 
beantwortet, dass prädikative Verwendung der Adverbia in 
beschränktem Umfange statt hat, attributive aber in der Regel 
nicht, so folgt daraus, dass im Nhd. diejenigen Worte, die nur 
adverbiale Bedeutung haben (,vergl. Wortlehre §...') nicht, 
wie beispielsweise mitunter im Englischen, auch attributiv ge- 
braucht werden können. Und zwar folgt dies ohne weiteres, 
d. h. ohne dass die Syntax mit Erörterungen der bereits in der 
Wortlehre entschiedenen Frage zu belasten wäre, welche 

8* 




116 

einzelnen Worte allein adjektivische, welche allein adverbiale 
Bedeutung haben, welche beide Bedeutungen in derselben Form 
vereinen. (®^) 

,Aber unter solchem Verfahren muss doch der Zusammen- 
hang und die Übersichtlichkeit leiden ! ' Nicht mehr und nicht 
weniger, als das die notwendige Folge jeder Zerlegung eines 
komplexen Gebildes ist, wie sie in einer systematischen Dar- 
stellung unvermeidlich erscheint. Bei jeder Anordnung müssen 
manche Erscheinungen von einander getrennt werden, die in 
einem gewissen Sinne zusammengehören ; jedes wissenschaftliche 
System ist etwas Künstliches und bietet in seiner Gliederung 
wegen der räumlichen Trennung seiner aufeinander folgenden 
Teile nicht überall ein Bild, das all den mannigfachen Be- 
rührungen und wechselseitigen Beziehungen vollkommen ent- 
spräche, die alle Teile des natürlichen Organismus miteinander 
verknüpfen. 

Es kann also nur die Frage sein, welche von mehreren 
möglichen Arten der künstlichen Scheidung im System am 
meisten der natürlichen Gliederung des behandelten Organismus 
entspricht; ob die Teile des Systems, die sich zu künstlichen 
kleineren Ganzen zusammenschliessen sollen, einheitlich ge- 
bildet sind; ob das in ihnen Zusammengefasste innerUch zu- 
sammengehört und ob die Gesichtspunkte, von denen die Glie- 
derung des Systems ausgeht, sachgemäss und zweckentsprechend 
gewählt sind. Nun kann aber, das ist uns hoffentlich zu beweisen 
gelungen, der bisher der Syntax zugewiesene Stoff der Forderung 
innerer Einheitlichkeit gewiss nicht genügen. 

,Die Wortklassen, die Wortformen bilden doch aber ein 
einheitliches Objekt, ihre Bedeutungen ein einheitliches Problem, 
das im Zusammenhang zu erörtern ist; behandelt man die 
Bedeutung einiger Wortarten, einiger Wortformen oder gar 
einige Bedeutungen derselben in diesem, andere in jenem 
Hauptteil der Grammatik, so zerstört man doch einen natür- 
lichen Zusammenhang'. Gewiss ! Aber das wäre der Zusammen- 
hang einer Bedeutungslehre und nicht der einer Syntax. 



117 

Die Abschnitte über die Bedeutung der Wortklassen und 
Wortformen haben vom Standpunkt der Syntax aus keinen 
einheitlichen Stofif: der Gesichtspunkt, unter dem allein dieser 
Stofif einheitlich erscheint, entspricht nicht der Gliederung der 
Grammatik in Lautlehre, Wortlehre und Syntax. Will man 
die Grammatik in die beiden Hauptteile Formenlehre — Be- 
deutungslehre gliedern, wogegen an sich gar nichts zu sagen 
wäre, so kann und muss man alle Bedeutungen aller Wort- 
klassen, aller Wortformen jeweils hintereinander abhandeln. 
Aber bei dieser Gliederung würde umgekehrt wieder der 
mindestens ebenso natürliche Zusammenhang je der Wortlehre 
und der Syntax zerrissen. Je nachdem man den einen oder 
den andern Gegensatz zum Prinzip der Hauptteilung macht, 
gruppiert sich im System der natürliche Zusammenhang anders. 
Vom Grammatiker zu verlangen, er müsse in einer Syntax des 
Zusammenhangs wegen die samtlichen, auch die nichtsyn- 
taktischen Bedeutungen der Wortklassen und Wortformen 
behandeln, wäre nichts anderes als z. B. vom Mediziner 
zu verlangen, dass er in einer Darstellung der Krankheiten 
der Verdauungsorgane bei den nervösen Störungen der 
Verdauungsthätigkeit gleich die sämtlichen nervösen Krank- 
heiten abhandele , weil das gesamte Nervensystem ein einheit- 
liches Objekt, die sämtlichen Nervenkrankheiten ein einheitliches 
Problem seien. Wie aber der Mediziner berechtigt ist, in einer 
Lehre von den Verdauungsstörungen diejenigen Nervenkrank- 
heiten auszuschliessen, welche die Verdauung nicht beeinflussen, 
und in einer Lehre von den Krankheiten des Nervensystems 
die nichtnervösen Verdauungsstörungen unberücksichtigt zu 
lassen, so ist auch der Grammatiker im Recht, wenn er aus 
dem Gebiete der Bedeutungslehre für die Syntax auswählt, 
was die syntaktischen Gebilde betrifft, und von ihr ausschliesst, 
was nichtsyntaktischer Natur ist. Wer die Einheitlichkeit des 
Stoffes einer Bedeutungslehre von Wortarten und Wortformen 
und die Zerreissung ihres Zusammenhangs gegen die verlangte 
Trennung der syntaktischen und nichtsyntaktischen Elemente 



r 



118 

dieses Stoffes ins Feld führt, hat die Bedingungen und Wirkungen 
der Kreuzteilung nicht erwogen. Wem die Bewahrung dieses 
Zusammenhangs wichtiger erscheint, der mag, statt der Wort- 
lehre eine Syntax folgen zu lassen, der Formenlehre eine Be- 
deutungslehre gegenüberstellen. Ganz allgemein wird sich 
schwerlich entscheiden lassen, ob das eine oder das andere 
den Vorzug verdient. Beides hat seine Berechtigung, und bald 
wird das eine, bald das andere besonderen Umständen und 
besonderen Zwecken mehr entsprechen. Für Einzelunter- 
suchungen und Vorarbeiten wird es sich besonders oft empfehlen, 
den Gesichtspunkt der Bedeutungslehre voranzustellen. Nach 
wie vor werden Untersuchungen über die gesamte Bedeutung 
einzelner Formen wie bestimmter Gruppen von Flexionen oder 
auch aller am Platze sein. Aber auch innerhalb solcher Ab- 
handlungen über ein Gebiet der Bedeutungslehre wird es nütz- 
lich und förderlich sein, syntaktische und nichtsyntaktische 
Bedeutung zu unterscheiden; und jedenfalls bilden solche Aus- 
schnitte aus der Bedeutungslehre nicht in ihrer Gesamt- 
heit einen Teil der Syntax; ihre Verfasser sollten daher auf 
den unpassenden Nebentitel »Eine syntaktische Untersuchung« 
oder »Ein Beitrag zur Syntax« verzichten. 

Den Einwand, die Stoflfgruppierung sei unübersichtlich, 
und der natürliche Zusammenhang werde zerrissen, kann man 
somit nicht gegen die verlangte Abtrennung des nichtsyntak- 
tischen Teiles der Bedeutungslehre von Wortarten und Wort- 
formen erheben, ohne damit überhaupt die ganze Einteilung 
der Grammatik in Lautlehre, Wortlehre und Syntax anzu- 
greifen. Die Frage: Was ist Syntax? hat aber diese Gliederung 
der Grammatik zur selbstverständlichen Voraussetzung. Die An- 
schauung derer, welche die verlangte Sonderung der Bedeutungs- 
lehre von Wortarten und Wortformen in einen syntaktischen 
und einen nichtsyntaktischen Teil ablehnen, schliesst zugleich 
die Ablehnung der Einteilung in Lautlehre, Wortlehre und 
Syntax ein. Wird aber die Verschiedenheit der betrachteten 
Objekte (Laut, Wort, Wortgefüge) als Haupteinteilungsgrund 



119 

aufgegeben, so bleibt nur übrig, die Grammatik nach der Ver- 
schiedenheit der Gesichtspunkte zu gliedern, unter denen jeweils 
der gesamte Sprachstofif betrachtet wird, d. h. in Formen- 
und Bedeutungslehre. 

Jene Anschauung könnte also konsequent nur vertreten, wer 
einmal in einer solchen ^Formenlehre' ausser den Wortformen auch 
die Formen der Wortgefüge behandelte, und zum andern in 
der ^Bedeutungslehre* auf die Lehre von der Bedeutung der 
Worte (von der die in Frage stehende Bedeutungslehre der 
Wortarten und Flexionsformen nur einen Teil bildet) eine 
solche der Wortgefüge folgen Hesse. Immer bildet eine ,Lehre 
von der Bedeutung der Wortarten und Wortformen' weder 
einen selbständigen noch einen vollständigen Hauptteil der 
Grammatik, auch wenn diese in Formenlehre und Bedeutungs- 
lehre gegliedert wird. 

Wir erachten aber die Einteilung der Gesamtgrammatik 
nach den behandelten Objekten in die Lehre von den Lauten, 
den Worten, den Wortgefügen (= Syntax) für sachgemäss, 
theoretisch richtig und praktisch brauchbar und halten an ihr 
fest. Wird jedoch diese Einteilung überhaupt anerkannt, so ist 
auch der Einwand durchaus hinfallig, dass die verlangte Sonderung 
des bisher gewöhnlich ungeteilt der Syntax zugewiesenen Stoffes 
in einen syntaktischen und einen nichtsyntaktischen Teil theo- 
retisch zwar richtig, aber praktisch unthunlich sei. 

Damit wäre die Grenze der Syntax auch nach der Seite 
der Wortlehre hin abgesteckt, und es bliebe uns nur noch ein 
Wort zu sagen über das Verhältnis der Syntax zur Lautlehre 
einerseits und zur Stihstik andererseits. 

Syntax und Lautlehre 

berühren sich zwar auch mehrfach in ihren Stoffen, doch ist 
dabei die Gefahr von Grenzstreitigkeiten nicht eben gross. Es 
kommen hier zunächst die Fälle des sogenannten Satzsandhi 
in Frage. Diese gehören ohne Zweifel nicht zur Syntax, da 
die Beeinflussung eines Auslauts durch den Anlaut des folgen- 




120 

den Wortes (oder umgekehrt) weder die Form noch die Be- 
deutung des Gefüges zu ändern vermag, in dem jene beiden 
Worte Nachbarn sind. (®^) 

Soweit aber diese und ähnliche Lautvorgänge von dem 
syntaktischen Verhältnis abhängig sind, in dem die neben 
einander stehenden Wörter z u einander stehen, also z. B. nicht 
eintreten, wo das erste Wort vor einer Pause steht, liegt die Sache 
etwas weniger einfach. Solche Fälle (wie z. B. im Französischen 
die Liaison und das Wiederlautwerden des sonst verstummten 
Endkonsonanten mancher Wörter vor der Pause) fuhren uns 
zugleich zu all den übrigen, in denen eins der musikalischen 
Mittel der Wortfügung (Satzaccent, Pausen, Tempo u. s. w.) 
auf die Lautform irgend welchen Einfluss übt, wo also Dinge, 
die ausschliesslich der zusammenhängenden Rede angehören, 
in die Lautlehre hineinspielen. Lautvorgänge dieser Art in 
der Lautlehre zu behandeln, könnte wegen ihrer Abhängigkeit 
von syntaktischen Verhältnissen bedenklich erscheinen. 

Wir brauchen uns mit der Widerlegung solcher Bedenken 
nicht lange aufzuhalten. Sie sind zwar möglich, denn sie ent- 
sprechen genau den oben S. 86 flf. bekämpften; aber dass that- 
sächlich jemand aus diesen Gründen die fraglichen Lautvorgänge 
aus der Lautlehre in die Syntax hat verweisen wollen, ist uns 
nicht bekannt geworden. Im Gegenteil scheint hierin voll- 
ständige Übereinstimmung zu herrschen, sodass wir oben gerade 
auf diese Verhältnisse haben hinweisen können als Belege dafür, 
dass auch in der Lautlehre vieles unbeanstandet behandelt 
wird, von dem man sagen könnte, dass es über den Bezirk 
des Einzellautes hinausgehe. Diese Dinge gehören mit Fug 
und Recht in die Lautlehre, und nicht in die Syntax, weil es 
sich dabei eben um den einzelnen Laut handelt, solange dieser 
»der Held« der Darstellung bleibt, gleichgültig, ob seine Schick- 
sale von Verhältnissen mit beeinflusst sind, die zusammenhängend, 
d. h. in ihrem Zusammenhang, erst in einem spätem Teil 
erörtert werden sollen. 



121 

Es wäre ein ebenso vergebliches als nutzloses Bemühen, 
nach einer Einteilung der Grammatik zu suchen, bei der alle 
Stoffe nur in je ein und demselben Abschnitte behandelt 
würden, bei der eine Erörterung derselben Erscheinung an 
mehreren Stellen unnötig würde. Mehrfache Erörterung ist 
aber nicht mit Wiederholung zu verwechseln. Die Ver- 
schiedenheit der Gesichtspunkte, die vielfach für die Behandlung 
desselben Stoffes in Frage kommen, zwingt dazu, ihn auch an 
5.. verschiedenen Orten der systematischen Darstellung zu besprechen. 
Der natürliche Zusammenhang leidet dabei nicht mehr, als 
das bei jeder systematischen Gliederung unvermeidlich und 
andererseits auch gänzlich unbedenklich, der Sache selbst 
unschädlich ist. Auch hier gilt dasselbe, was über die angeb- 
liche Zerreissung des Zusammenhangs oben (S. 116 flf.) gesagt ist. 
Der Zusammenhang, den es zu wahren gilt, ist nicht überall 
derselbe. Es steht nichts im Wege, den Satzaccent oder die 
Pausen u. ä. zum Gegenstand einer eigenen Abhandlung zu 
machen : in dieser wird sowohl von ihrer Einwirkung auf die 
Laute als von ihrem Einfluss auf Wortgruppen und Sätze, 
von ihrer Rolle in der Wortfügung die Rede sein. Dabei ist 
dann dieser besondere Zusammenhang gewahrt, der sich für 
eine gesonderte Behandlung dieser Einzelprobleme, Satzaccent 
u. s. w. ergiebt, aber auch nur für eine solche besteht. Bei 
einer Einteilung der Grammatik in Lautlehre, Wortlehre und 
Syntax kommt es dagegen nur aufden Zusammenhang je dieser 
Teile an ; und es ist ebenso unmöglich alles, was z. B. von den 
Pausen zu sagen ist, an einer Stelle zu sagen, als es natur- 
gemäss ist, was davon die Einzellaute angeht, in der Lautlehre 
vorzutragen, was die Wortfügung betrifft, in der Syntax abzu- 
handeln. 

Schwieriger scheint die Aufgabe, die Gebiete von 

Syntax und Stilistik 

gegen einander abzugrenzen. Hier liegen die Verhältnisse 
weniger einfach, doch scheinen sie verwickelter als sie that- 



rv 



122 

sächlich sind ; denn die Schwierigkeiten , die sich der Lösung 
dieser Frage entgegenstellen, ergeben sich weniger aus der 
Sache selber, sie entspringen vielmehr im wesentlichen einer 
schiefen Fragestellung. 

Die Lösung der Frage : was gehört ins Gebiet der Syntax, 
was in das der Stilistik? ist freilich nicht nur schwierig, son- 
dern eigentlich unmöglich. Schon die völlige Ratlosigkeit 
derer, die sich diese Frage vorgelegt haben, (®*) und der Um- 
stand, dass keiner mit dem andern in ihrer Beantwortung über- 
einstimmt, legt die Vermutung nahe, dass sie unlösbar ist. 
Sie ist in der That nicht zu lösen, weil sie falsch gestellt ist 
oder doch meist falsch verstanden wird. 

Es ist unmöglich, eine reinliche Scheidung des in Betracht 
kommenden Stoffes vorzunehmen und zu entscheiden: diese 
sprachlichen Thatsachen fallen der Syntax zu, jene der Stilistik, 
sodass die beiden Stoffgebiete sich ausschlössen, und nichts von 
dem, was dort erörtert wird, auch hier erörtert werden dürfte. 
Die Frage : Syntax oder Stilistik ? enthält zunächst den Fehler, 
dass sie der Stilistik einen zu engen Begriff gegenüberstellt; 
statt Syntax müsste es heissen: Grammatik. Von der Forde- 
rung, dass die Stoffe der Syntax und der Stilistik sich direkt 
ausschliessen sollen, könnte nur dann die Rede sein, wenn die 
Stilistik ganz innerhalb der Grammatik stände, als einer ihrer 
konstituierenden Teile in ihr enthalten wäre. Dann wäre jene 
Forderung in zwei Fällen berechtigt : sowohl wenn die Stilistik 
als eine Unterabteilung in die Laut- oder die Wortlehre ein- 
zufügen wäre, als wenn sie den drei Teilen Lautlehre, Wort- 
lehre, Syntax als ein vierter Hauptteil auf gleicher Linie zur 
Seite träte. Dass aber diese beiden Annahmen ausgeschlossen 
sind, leuchtet auf den ersten Blick ein: die Stilistik als einen 
Abschnitt der Wortlehre zu fassen, d. h. die Wortgafüge 
von ihr auszuschliessen, kann ernsthaft nicht in Frage kommen ; 
und sie neben die Lehre vom Laut, vom Wort und vom Wort- 
gefüge als vierten Hauptteil in die Grammatik einzureihen, 
das ist schon wegen des jener Einteilung zu Grunde liegenden 



123 

Prinzips in keiner Weise angänglich ; es ist ja überhaupt neben 
jenen drei Hauptteilen kein vierter denkbar. Ist aber beides 
unmöglich, so kann es sich auch nicht um das direkte Ver- 
hältnis der Syntax zur Stilistik handeln, sondern nur um das 
Verhältnis der Stilistik zur Gesamtgrammatik, durch welches 
dann ihr Verhältnis zur Syntax, als einem Teile dieser, bedingt 
ist. Somit dürfte also die Forderung, dass die Stoffgebiete der 
Syntax und der Stilistik sich ausschliessen sollen, nur dann 
erhoben werden, wenn sie zugleich auf das Gebiet der Gesamt- 
grammatik ausgedehnt werden könnte. Wenn die Stilistik den 
grammatischen Disziplinen als etwas gänzlich Wesensverschie- 
denes derart gegenüberstände, dass ihr Gebiet völlig ausser- 
halb des Stoflfkreises der Gesamtgrammatik läge, dann wäre 
das syntaktische Stoffgebiet indirekt, als ein Teil des Gebiets 
der Grammatik, mit diesem zugleich von dem der Stilistik 
ausgeschlossen. Die engere Frage: Syntax oder Stilistik? ist 
also auf die weitere zurückzuführen: Grammatik oder Stilistik? 
Die Antwort auf jene ist in der Antwort auf diese mitgegeben. 
Zu der unrichtigen Fragestellung: Syntax oder Stilistik? 
ist man auf verschiedenen Wegen gelangt; doch bleibt der 
enge Zusammenhang überall leicht ersichtlich, in dem sie zu 
den oben ausführlich besprochenen Verhältnissen steht: sie ist 
nur eine weitere Folge der üblichen Auffassung von den Auf- 
gaben der Syntax und ihrer Stellung zu den andern Teilen 
der Grammatik. Zunächst wirkte auch hier der Einfluss, den 
die so lange vorwiegend praktischen Zwecke der Sprachstudien 
auf ihre Gestaltung ausgeübt haben. Das erstrebte Endziel 
war Lateinsprechen und Lateinsclu-eiben ; dies zu lehren war 
die Aufgabe, in die sich Syntax und Stilistik zu teilen hatten. 
Zeigte jene hauptsächlich die richtige Anwendimg der im Ele- 
mentarunterricht erlernten Redeteile und Flexionsformen, so 
hatte diese zu lehren, wie man Richtigkeit mit Eleganz ver- 
bindet, wie man dazu gelangt, gutes, klassisches Latein zu 
schreiben: es hatte die Stilistik zu vollenden, was die Syntax 
begonnen hatte. Diese Unterscheidung, die hier zu einer Ver- 




124 

teilung des Stoffes auf Syntax und Stilistik führte, ist für 
Lehrzwecke im allgemeinen ebenso brauchbar, wie sie für die 
wissenschaftliche Behandlung der Sprache unhaltbar ist. Im 
Unterricht, wo das Schwerere dem Leichteren zu folgen hat, 
spart man mit Recht die ,Feinheiten' bis zuletzt auf und weist 
der Stilistik die Aufgabe zu, die von der Syntax gezeichneten 
grossen Umrisse mit Einzelheiten auszufüllen und dem im Ge- 
brauche der Sprache sich Übenden den letzten Schliff zu geben. 
Trat so die Stilistik mit der Syntax in Konkurrenz, da beide 
hauptsachlich als Anweisungen zum praktischen Gebrauch des 
Sprachstoflfs und seiner Formen gedacht waren, so war der 
Grammatiker hier vor die Frage gestellt, wie er seinen StoflF 
am besten auf die beiden Gebiete verteile. Diese Aufgabe war 
keine leichte, denn es ist nicht möglich, jene Unterscheidung 
im Einzelnen streng und konsequent durchzuführen ; ihre Lösung 
blieb also dem Takt des Pädagogen überlassen und konnte ihm 
auch sehr wohl überlassen bleiben. So entsprang die Frage: 
Syntax oder Stilistik? in erster Linie den praktischen Bedürf- 
nissen des Unterrichts und wurde dann meist ohne weiteres 
auf die wissenschaftliche Grammatik übertragen. 

In derselben Richtung wirkte ferner, auch unabhängig von 
dem lEinfluss der Schulüberlieferung, die übliche Gliederung 
der Grammatik und die herrschende Auffassung von den Auf- 
gaben ihrer Teile. Sowohl die unrichtige Stoflfbegrenzung der 
Syntax selbst, als eine Quelle derselben, das Fehlen einer selb- 
ständigen Wortbedeutungslehre haben zu der irrigen Meinung 
geführt, dass man sich bei der Zuweisung des sprachlichen 
Stoffes direkt zwischen der Syntax und der Stilistik zu ent- 
scheiden habe. Bei einer Auffassung von Syntax, die eine 
eigentliche Satzlehre ganz ausschliesst oder nur bruchstückweise 
berücksichtigt, musste man dazu kommen, diejenigen recht 
eigentlich syntaktischen Probleme, die (wie z. B. die Wort- und 
Satzstellung) mit der Bedeutung und dem Gebrauch der Rede- 
teile und Flexionsformen nichts zu thun haben und sich in 
eine so aufgefasste Syntax nirgends recht einfügen lassen, der 




125 

Hauptsache nach als nichtsyntaktisch anzusehen. Wollte man 
sie aber überhaupt irgendwo behandebi, so blieb nichts übrig, 
als sie in die Stilistik zu verweisen. Streit und Zweifel mussten 
somit darüber entstehen, ob von solchen Stofifen doch etwas 
noch in die Syntax zu ziehen wäre, und demnächst über das 
Mehr oder Weniger, was davon in der (Misch-)Syntax behandelt 
werden sollte. Anders liegt es mit den Stoffen, die in der Syn- 
tax nicht, wie die eben erwähnten, fehlerhafterweise vernach- 
lässigt, sondern in ihr unberechtigterweise behandelt zu w^erden 
pflegen. Da der zweite Teil unserer Grammatiken eine Formen- 
lehre statt einer vollständigen Wortlehre zu sein pflegt oder 
doch, auch wo er Wortlehre genannt wird, keinen eigenen 
Abschnitt für die Bedeutungslehre der Worte, ihrer Arten und 
Formen aufweist, mussten diejenigen Teile dieser Lehre, die 
überhaupt zur Entwicklung gelangt, d. h. über die bloss lexi- 
kalische Bearbeitung hinausgekommen sind, untergebracht 
werden, so gut und wo es eben gehen wollte. Als Notunter- 
kommen bot sich, da innerhalb der Grammatik weder Laut- 
noch Formenlehre in Betracht kommen konnten, wie wir ge- 
sehen haben, zunächst die Syntax dar, daneben aber auch, 
ausserhalb der eigentlichen Grammatik, die Stilistik. Diese 
Hess sich besonders gut für die Darstellung gewisser Teile der 
Lehre von der Bedeutung der Wortarten gebrauchen; sie eig- 
nete sich aber überhaupt trefflich als letzte Zufluchtsstätte für 
alles, was man etwa noch zu behandeln wünschte, aber auch 
in der Syntax noch nicht unterzubringen gewusst hatte. Denn 
die Rolle, die der Syntax als dem letzten Teile der eigentlichen 
Grammatik innerhalb dieser zufiel, dass man sie nämlich viel- 
fach missbrauchte, um in ihr unterzubringen, was in den 
früheren Teilen keinen Platz gefunden hatte, musste gegenüber 
der Syntax die Stilistik spielen, die gleichsam einen Appendix 
zur Grammatik bildete. So hatte man für die zunächst unent- 
behrlichen Teile der Wortbedeutungslehre im Einzelnen die 
Wahl, und so musste hier wieder die schwierige und prinzipiell 




126 

nicht entscheidbare Frage auftauchen : was kommt davon besser 
in die Syntax, was besser in die Stilistik? 

Da also die Zweifel darüber, ob gewisse Teile des Sprach- 
stoflfs der Syntax oder der Stilistik zuzuweisen seien, teils direkt 
durch die fehlerhafte Begrenzung der syntaktischen Aufgaben 
hervorgerufen sind, teils mit diesen Fehlern derselben Quelle 
entstammen, so sind sie auch auf dieselbe Weise wie diese zu 
heben, oder vielmehr sie werden mitbeseitigt, sobald jene be- 
seitigt werden. Bei richtiger Gliederung der Gesamtgrammatik 
und richtiger Begrenzung und Behandlung der syntaktischen 
Aufgaben fallen sie von selbst fort. 

So ist nicht nur die Frage: Syntax oder Stilistik? durch 
die richtigere: Grammatik oder Stilistik? ersetzt, sondern es 
wird auch die falsche Auffassung dieser Frage verhütet. Denn 
da nun weder die Syntax noch die Stilistik länger gezwungen 
ist, Stoffe der Wortbedeutungslehre, die jetzt ihr eigenes 
Heim innerhalb der Grammatik gefunden hat, bei sich auf- 
zunehmen, noch auch die Stilistik weiter in die Lage kommt, 
obdachlosen syntaktischen Stoffen Unterkunft zu gewähren: so 
kann mit jener Frage nicht mehr die Au%abe gestellt sein, 
nach der Grenze zu suchen, die den Sprachstoflf in zwei Teile 
scheidet, von denen der eine allein der Grammatik zugehört, 
der andere ausschliesslich der Stilistik zufällt. Denn die For- 
derung, dass die Stoffe der beiden Disziplinen sich gegenseitig 
ausschliessen sollen, ist offenbar unhaltbar. Es bedarf keines 
Nachweises, dass der Stofifkreis der Stilistik nicht ausserhalb 
des grammatischen Stoffgebietes liegen kann. Der zu behan- 
delnde sprachliche Stoff ist vielmehr beiden Gebieten zum 
grössten Teile gemeinsam: grundsätzlich verschieden sind nur 
die leitenden Gesichtspunkte und infolgedessen die Behand- 
lungsweise. Die Aufgabe kann also hier nicht sein, die Stoff- 
gebiete ausschliessend abzugrenzen, sondern nur die Verschieden- 
heit der massgebenden Gesichtspunkte klar zu erkennen und 
an der Verschiedenheit der Behandlung konsequent festzuhalten. 
Die Frage: Grammatik oder Stilistik? kann also nur den Sinn 



127 

haben : in welchem Verhältnis steht die Stilistik zur Grammatik, 
worin unterscheiden sich ihre Aufgaben? 

Die wissenschaftliche *) Stilistik kann prinzipiell von zweierlei 
Art sein, je nachdem sie die objektive oder subjektive Seite des 
Stils ins Auge fasst. Im ersten Falle behandelt sie den Stil, 
insofern er vom Inhalt und Zweck der sprachlichen Darstellung, 
im zweiten Fall, insofern er von der Eigenart der sprechenden 
(schreibenden) Persönlichkeit bedingt ist. Diese aus den üb- 
lichen Handbüchern bekannte Unterscheidung hat für die 
wissenschaftliche Stilistik eine grössere Bedeutung als für die 
praktische ; denn da der subjektive Stil sich nicht lehren lässt, 
müssen sich die Lehrbücher der Stilistik im wesentlichen da- 
rauf beschränken , jenen Unterschied festzustellen und zu er- 
läutern; behandeln können sie nur den objektiven Stil. 

Indem die objektive Stilistik, sei es mit Bezug auf die 
menschliche Rede überhaupt oder auf eine bestimmte Sprache, 
den sprachlichen Stofif einem ästhetischen Werturteil unter- 
wirft, verlässt sie zwar das rein grammatische Gebiet, tritt 
zusammen mit Rhetorik, Metrik, Poetik der Grammatik zur 
Seite und bildet mit diesen einen Teil der allgemeinen Kunst- 
lehre. Aber als ein Teil der Lehre von den Künsten, deren 
Ausdrucksmittel die menschliche Rede ist, behandelt sie nicht 
einen Stofif, der von dem der Grammatik wesensverschieden 
ist, sondern sie schöpft vielmehr ihren Stofif aus der Grammatik, 
in der er schon völlig enthalten ist oder sein sollte; sie findet 
ihn hauptsächlich in den der Bedeutungslehre gewidmeten Ab- 
schnitten sowohl der Wortlehre als der Syntax. Denn auch 
die stilistischen Eigenschaften der Wörter, Wortklassen, Wort- 
formen und Wortgefiuge bilden einen integrierenden Teil ihrer 
Bedeutung und ihres Gebrauchs; auch sie gehören mit zu 
ihrem Wesen, das die Grammatik allseitig darzustellen hat. 
Die Stilistik, die diese Seite ihres Wesens allein ins Auge fasst, 

*) Lehr- und Lembücher aller Art, Anweisungen zum Erwerb eines 
guten oder schönen Stils, Antibarbari usw. bleiben von unserer Betrach- 
tung auggeschlossen. 




128 

wählt aus der vollständigen Grammatik das för ihre Zwecke 
Passende aus, gruppiert es neu unter ihrem Gesichtspunkt, dem 
der stilistischen Wirkung, und vereinigt es zu einem neuen 
selbständigen Ganzen. Ob z. B. ein Wort, eine Form, Wen- 
dung, Stellung, Konstruktion häufig oder selten, R^el oder 
Ausnahme, allgemeingültig und farblos oder mundartlich, volks- 
tümlich, gemein, vertraulich, edel, poetisch, geziert usw. ist, 
darum hat sich sowohl die Grammatik als die Stilistik zu 
kümmern. Aber jene hat die Thatsachen zu untersuchen und 
festzustellen, weil all das einen Theil der Bedeutung ausmacht ; 
diese zeigt den Zusammenhang auf zwischen dem ausgedrückten 
Inhalt und den gewählten Ausdrucksmitteln, zwischen den 
verschiedenen Arten und Zwecken der sprachlichen Darstellung 
und dem verschieden gefärbten Sprachstoflf und seinen mannig- 
faltigen Formen. Jene erforscht und beschreibt die Bedeutungen 
in allen ihren Schattierungen; diese untersucht die Anforde- 
rungen, welche die verschiedenen Zwecke der Darstellung an 
ihre verschiedenartige Gestaltung stellen, und urteilt darüber, 
ob im Einzelnen die Wahl angemessen getroffen, ob die An- 
wendung richtig oder falsch, ob sie stil gemäss ist oder nicht. 

Die subjektive Stilistik unterzieht ihren ebenfalls bereits in 
der vollständigen Grammatik enthaltenen Stoff einer ver- 
gleichenden Betrachtung, die allein darauf ausgeht, festzustellen, 
inwiefern ein bestimmtes Individuum sprachliche Eigenart be- 
sitzt, und worin diese besieht. Als ein solches Individuum kann 
dabei e i n Schriftsteller (in einem einzelnen oder einer Gruppe 
oder der Gesamtheit seiner Werke), kann eine Gruppe von 
Schriftstellern (eine Richtung, eine Schule) angesehen werden 
oder auch eine ganze Epoche oder eine Nation. Die subjek- 
tive Stilistik überschreitet das grammatische (Sebiet gar nicht, 
sondern gehört mit zur Grammatik. Aber nicht in dem Sinne, 
dass sie als einer ihrer Teile zu den übrigen Teilen (nach 
welchem Prinzip die Gliederung auch erfolgt sm) hinzutreten 
uiüsste« um sie vollständig zu machen, sondern als ein unt^ 



129 

einem bestimmten Gesichtspunkt gemachter Auszug aus der 
vollständigen Grammatik, sozusagen als ein Inbegrifif der Gram- 
matik, der nur das Charakteristische zusammenfasst. Da die 
subjektive Stilistik die einer bestimmten Individualität eigen- 
tümliche Sprachbehandlung und Gestaltung darzustellen hat, 
ist sie in der vollständigen Grammatik der Sprache dieses 
Individuums schon mit gegeben, sie kann dieser stofflich nichts 
Neues, noch nicht Behandeltes hinzufügen, sie kann nur weg- 
lassen, was dies Individuum mit andern gemeinsam hat. In- 
dem sie unberücksichtigt lässt, was sich der individuellen Sprach- 
gestaltung entweder überhaupt entzieht oder im einzelnen Falle 
einer solchen nicht gedient hat, stellt sie übersichtlich zu- 
sammen, was sich der vergleichenden Betrachtung als charak- 
teristisch ergiebt. Alle die Einzelheiten, die zusammen die 
Eigenart der Sprache eines Individuums ausmachen, sie müssen 
doch alle in der Grammatik dieser Sprache -— nicht im Zusam- 
menhang erörtert, sondern an verschiedenen Stellen zerstreut, 
aber doch jedenfalls immer behandelt sein. Wie sollte die 
Grammatik einer Sprache gerade das für sie Charakteristische 
unberücksichtigt lassen, eher als das, was ihr mit andern ge- 
meinsam ist? Im Gegenteil; auch die Grammatik wird sich 
häufig auf das Charakteristische beschränken und das übrige 
unberücksichtigt lassen können, sodass die Stoffe von Gram- 
matik und Stilistik fast völlig übereinstimmen. Dies wird der 
Fall sein, wo es sich um die Sprache eines einzelnen Werkes 
oder Schriftstellers handelt. Nur darum tritt dies Verhältnis 
seltener deutlich hervor, weil so vielfach die Sprache eines oder 
weniger Sprachdenkmäler in Ermangelung anderer Quellen für 
den Forscher als Vertreter der Sprache ganzer Völker und 
Zeiten gelten muss. Was man in diesem Falle die Grammatik 
eines Schriftstellers nennt, ist vielmehr die Grammatik der aus 
ihm erschlossenen Sprache seines Volkes: daher die erstrebte 
Vollständigkeit der Behandlung. Eine Grammatik des Vulfila 
ist für uns nicht eine Grammatik der Sprache dieses gotischen 

Kies, Was ist Syntax? 9 



r\ 



130 

Bischofs, sondern der Westgoten des 4. Jahrhunderts, ja des 
Gotischen. Ist aber die Sprache der Zeit- und Volksgenossen 
eines Schriftstellers aus andern Quellen ausreichend bekannt 
und vollständig behandelt, so wird die Grammatik der Sprache 
dieses einzelnen Autors verständigerweise nur das enthalten, 
was ihm eigentümlich ist, worin er von der Gemeinsprache 
abweicht, för alles übrige wird sie einfach auf die allgemeine 
Grammatik seiner Sprachgenossen verweisen. In diesem Falle 
würde sich so Grammatik und Stilistik eines Schriftstellers 
stofflich decken, wenn die Grammatik auch des einzelnen 
Schriftstellers ausser den zugleich von der Stilistik zu behan- 
delnden Erscheinungen nicht noch das zu erörtern hätte, was 
sich der individuellen Gestaltung entzieht. Die Stilistik wird 
z. B. ebenso wie die Grammatik zu untersuchen haben, ob und 
in welchem Umfange ein Schriftsteller der Mundart einen Ein- 
fluss auf seine Sprache gestattet hat; welches aber seine heimat- 
liche Mundart ist, ob er sie rein wiedergiebt oder getrübt 
durch spätere Einflüsse einer andern Umgebung usw., 
das bleibt der Stilistik gleichgültig als etwas, das nicht 
der freien Wahl des Lidividuums unterlag; die Grammatik 
wird es festzustellen haben. Umgekehrt wird die Stilistik zu 
erörtern haben, wann und wie ein Schriftsteller den Dialekt 
oder dialektische Anklänge verwendet, ob aus Nachlässigkeit 
oder mit Absicht und in welcher Absicht, zur Erreichung 
welcher Wirkungen usw.*) 

Am reinsten tritt das Verhältnis der subjektiven Stilistik 
zur Grammatik zu Tage, wo es sich um das umfassendste 
Kollektivindividuum handelt, die Nation. Worin besteht der 
nationale Stil? ]n der Armut oder dem Reichtum des Wort- 
schatzes bezw. dieses oder jenes Teiles desselben; in der Ab- 
neigung gegen den konkreten oder abstrakten, den nominalen 



*) Hierin ein Übergreifen der subjektiven Stilistik auf das Gebiet der 
objektiven; siehe S. 164. 



131 

oder verbalen Ausdruck; in der Vorliebe für die aktive oder 
passive Konstruktion, für die freiere oder gebundenere, die 
analytische oder synthetische Wortstellung, das parataktische 
oder hypotaktische Gefüge, die Kürze und Gedrungenheit des 
Satzbaus oder die reichentwickelten, kunstvoll verschlungenen 
Perioden u. s. f. Was davon sollte sich der eigentlich gram- 
matischen Behandlung entziehen können, was sollte davon in 
der vollständigen Grammatik fehlen dürfen ? Nicht einmal der 
Versuch, diese Eigentümlichkeiten der Sprachbehandlung mit 
den Charaktereigenschaften der betreffenden Nation in ursäch- 
lichen Zusammenhang zu bringen; denn das gehört mit zur 
psychologischen Erklärung der Spracherscheinungen, die jetzt 
allseitig als eine wichtige Aufgabe der Grammatik anerkannt 
ist, eine Forderung, die natürlich für das Allgemeine nicht 
minder zu gelten hat wie für Einzelfälle. So ist z. B. mit 
Recht die Leidenschaftlichkeit der alten Germanen gelegentlich 
zur Erklärung sprachlicher Thatsachen, sogar auf dem Gebiete 
der Lautlehre, mit herangezogen worden. (®*) 

Enthält die (subjektive) Stilistik der Grammatik gegenüber 
auch stofflich nichts Neues, so ist sie darum natürlich nicht 
minder wertvoll oder gar überflüssig. Sie ist zwar nicht so 
unentbehrlich wie die integrierenden Teile der Grammatik, 
weil man sie sich aus einer vollständigen Grammatik zur Not 
selbst zusammenstellen könnte; aber sie hat den Nutzen jeder 
Zusammenfassung des in einem gewissen Sinne zusammen- 
gehörigen Materials, das sich in der Grammatik an den ver- 
schiedensten Stellen verstreut findet. Solche Zusammenstellung 
gewährt allein eine Übersicht und ermöglicht ein Urteil. Die 
(subjektive) Stilistik hat daher innerhalb der vollständigen 
Grammatik ihren richtigen Platz entweder in einer orientieren- 
den Einleitung oder in einem zusammenfassenden Schluss- 
abschnitt. 

Soweit ist das Verhältnis der Stilistik zur Grammatik klar 
imd einfach. Etwas verwickelter gestaltet es sich jedoch in 
Wirklichkeit aus mehreren Gründen. Zunächst greift die ob- 

9* 




132 

jektive wie die subjektive Stilistik vielfach auf das rein gram- 
matische Gebiet über und verliert bei Auswahl und Behand- 
lung ihres Stoffes den Gesichtspunkt des Stils ganz aus den 
Augen. Solche Übergriffe sind nicht zu billigen, soweit sie 
allein Verfassern stilistischer Werke zur Last fallen, die sich 
entweder über die Verschiedenheit der Aufgaben von Stilistik 
und Grammatik nicht genügend klar geworden sind oder sich 
über die Verpflichtung einer sachgemässen Begrenzung ihres 
Gebiets hinwegsetzen. Dies ist z. B. der Fall, wenn in der 
objektiven Stilistik, wie das gelegentlich geschieht, die Sprach- 
richtigkeit mit in Betracht gezogen wird. Die subjektive 
Stilistik eines einzelnen Schriftstellers wird zwar den etwaigen 
Mangel an Sprachrichtigkeit festzustellen haben, überschreitet 
aber ebenfalls ihre Grenzen, sobald sie die Frage selber zu er- 
örtern und zu entscheiden unternimmt, ob eine Erscheinung 
als sprachrichtig zu bezeichnen sei oder nicht. Das kommt 
allein der Grammatik zu, die Stilistik darf und muss die von 
jener gewonnenen Resultate überall als gegeben voraussetzen. 

Da aber die ,vollständige' Grammatik ein Ideal ist, von 
dessen Erreichung wir in Wirklichkeit mehr oder minder weit, 
in der Bedeutungslehre gerade am weitesten entfernt sind, so 
wird die Stilistik an vielen Punkten das Material , das ihr jene 
liefern soll, noch nicht bereit finden und genötigt sein, wofern 
sie ihrerseits Vollständigkeit erstrebt, es sich selbst zu be- 
schaffen. 

Die Aufgabe, den Stil d. h. die sprachliche Eigenart eines 
hidividuums darzustellen, ist eigentlich unlösbar, solange eine 
vollständige Darstellung der Gemeinsprache seiner Zeit- und 
Volksgenossen noch nicht vorhanden ist. Diese ist die Voraus- 
setzung, ohne welche der Stil des Individuums gar nicht er- 
kennbar ist. Von einem Stil des Vulfila können wir nicht 
reden, wenn wir damit nicht vielmehr den Stil der gotischen 
Sprache meinen; von diesem können wir einiges wenige 
wissen, von dem individuellen Stil des Bibelübersetzers aber 
können wir gar nichts wissen. Fehlt jene Voraussetzung ganz 



133 

oder teilweise, so fehlt damit im selben Umfang der Prüfetein und 
der Massstab, an dem allein die Sprache eines Individumns 
auf ihre Eigentümlichkeiten, also auf ihren Stil hin untersucht 
und gemessen werden kann. 

Darum gehen einerseits stilistische Untersuchungen so oft 
in rein grammatische über und führen andererseits nicht selten 
zu falschen Ergebnissen. An sich sind solche Übergriffe au 
das grammatische Gebiet, weil und soweit sie notwendig sind, 
auch gerechtfertigt; nur wäre zu wünschen, dass diese Er- 
örterungen als Abschweifungen und Voruntersuchungen genügend 
gekennzeichnet würden, damit sie den Verfassern und Lesern 
immer deutlich als solche bewusst bleiben und die stilistische 
Untersuchung sich nicht ganz in die grammatische verliert. 
Wo aber dieser Prüfstein und Massstab noch fehlt oder doch 
aus den Augen verloren wird, gelangt man zu irrigen Schlüssen 
und falschen Resultaten, indem entweder wirklich eigenartige 
Sprachbehandlung nicht als solche erkannt wird, oder — was 
häufiger der Fall ist — indem als Stileigenheit eines Individuums 
angesehen wird, was diesem mit andern gemeinsam, wohl gar 
Gemeingut der Gesamtheit ist. Die genaue praktische Ver- 
trautheit mit einer Sprache kann bei stilistischen Untersuchungen 
natürlich in etwas den Mangel einer ausführlichen Darstellung 
ihrer Grammatik ersetzen, aber doch in geringerem Masse , als 
man geneigt ist anzunehmen. Selbst wenn die Beherrschung 
der Sprache soweit geht, wie bei der eigenen Muttersprache, 
ist die grösste Vorsicht des Urteils geboten, wo die wissen- 
schaftliche Durchforschung noch Lücken aufweist und die 
Grammatik die sichere Auskunft versagt. 

Wie oben gezeigt ist, steht die subjektive Stilistik in einem 
engeren Verhältnis zur eigentlichen Grammatik als die objektive, 
da sie sich prinzipiell des Werturteils enthalten, sich auf die 
Feststellung des Thatsächlichen beschränken kann und das 
sprachliche Gebiet nirgends zu verlassen braucht. Nun lässt 
sich aber die subjektive Stilistik von der objektiven leichter 
begrifElich trennen als in der Ausführung ; denn sie setzt ihrer- 




134 

seits vielfach die Ergebnisse der objectiven voraus und muss 
sie berücksichtigen. Die subjektive Seite des Stils hängt aufe 
innigste mit seiner objektiven zusammen, diese bildet meistens 
die Grundlage jener. Handelt es sich z. B. um den Stil eines 
bestimmten Anakreontikers, Balladendichters, Redners, Geschicht- 
schreibers, so bildet die Kenntnis und Berücksichtigung der 
Eigentümlichkeiten und Erfordernisse des historischen und 
rhetorischen Stils, des Stils der Balladendichtung und der 
anakreontischen Poesie die Voraussetzung für die Erforschung 
der stilistischen Eigenart jener Autoren. Ihr persönlicher Stil 
besteht gerade mit in dem, was sie von den übrigen Vertretern 
ihrer litterarischen Gattung unterscheidet. So muss man, um 
den Stil eines Redners zu erkennen, seine Sprache nicht nur 
an der Gemeinsprache seines Volkes und seiner Zeit, sondern 
an der Sprache der Redner seiner Zeit und Volksgenossen , ja 
an der rednerischen Sprache überhaupt messen. Man wird 
also die Ergebnisse der objektiven Stilistik zu Hilfe nehmen oder 
selber in derartige Untersuchungen eintreten müssen. Bezieht 
sich die Untersuchung auf den Stil eines Autors oder Werkes 
von litterarischem Wert, was bei solchen Einzelforschungen 
doch meist der Fall ist, so wird man sich zudem mit der 
blossen Feststellung des Thatsächlichen nicht begnügen wollen, 
sondern den eigentlichen Zweck der Arbeit darin erblicken, 
die litterarisch-ästhetische Würdigung seines Autors tiefer be- 
gründen zu helfen; man wird sich also auch eines Werturteils 
nicht wohl enthalten können : die subjektive Stilistik geht ganz 
in die objektive über, nur dass sie sich auf einen Einzelfall 
bezieht. Nur wo es sich um den Stil der Sprache eines ganzen 
Volkes handelt, ist es möglich, die subjektive Stilistik annähernd 
rein zu erhalten. Aber auch hier nicht durchweg. Eine 
Untersuchung des altgermanischen Stils z. B. wird zu berück- 
sichtigen haben, dass die erhaltenen Denkmäler überwiegend 
poetische sind; der Stil der altgermanischen Poesie, die fast 
ausschliesslich zur epischen Gattung gehört, weist neben den 
nationalen Eigenheiten vieles auf, was speziell der epischen 



135 

Poesie überhaupt eigentümlich ist u. s. f. So spielt auch hier 
die objektive Stilistik überall mit hinein und nötigt auch in 
der subjektiven, die Grenzen der rein sprachlichen Betrachtung 
zu überschreiten. 

Auf weitere Einzelheiten einzugehen, liegt unserer Aufgabe 
fern. Wir hatten hier nur im allgemeinen das Verhältnis der 
Stilistik zur Grammatik und damit zugleich zur Syntax zu 
skizzieren und zu zeigen, dass die Ziele, Aufgaben und Wege 
beider Wissenschaftszweige wesentlich verschieden sind, ohne 
dass durch diese Verschiedenheit die Gemeinsamkeit der zu 
behandelnden sprachlichen Gegenstände ausgeschlossen würde. 
Die Stilistik berücksichtigt zwar nur einen Teil des Sprach- 
stoflfs der Grammatik, aber sie behandelt keinen andern 
Sprachstoflf als diese. Was hinsichtlich seiner stilistischen 
Wirkung von jener zu beurteilen ist, musste doch von dieser 
zunächst bezüglich des Thatbestandes untersucht und festgestellt 
werden. Es ist nicht abzusehen, welchen sprachlichen Stoff 
die Stilistik enthalten könnte, der nicht auch der rein gram- 
matischen Behandlung unterläge; welche von den einzelnen 
Spracherscheinungen, die von der Stilistik zusammengestellt 
werden, in der vollständigen Grammatik fehlen dürfte. That- 
sächlich freilich fehlt in unsern Grammatiken gar manches 
davon, aber es sollte nicht fehlen. Ihre UnvoUständigkeit ist 
auch in diesem Punkte sachlich durch nichts begründet und 
nur eine Folge ihrer mangelhaften Gliederung und der äussern 
Umstände, die ihre Entwicklung beeinflusst haben. (®®) 

Daraus folgt speziell für die Grenzregelung der Stoffgebiete 
von Syntax und Stilistik : soweit die Stilistik auf die Form und 
Bedeutung der Wortgefüge Bezug zu nehmen von ihrem Stand- 
punkt aus Anlass hat, behandelt sie durchaus denselben Stoff 
wie die Syntax, aber in ihrer Art; für die Syntax liegt darin 
nicht der mindeste Grund, etwa auf die Behandlung dieses 
selben Stoffes in ihrem eigenen Zusammenhang und in ihrer 
eigenen Weise zu verzichten. 



r\ 



Nachdem wir so das Stoffgebiet der Syntax den übrigen 
Teilen der Grammatik und der Stilistik gegenüber abzugrenzen 
versucht haben, bleibt uns zum Schluss noch zu erwägen, wie 
das System der als ,Lehre von den Wortgefiigen' delBnierten 
Syntax au&ubauen und zu gliedern sei. Wird diese Definition 
angenommen, so scheinen uns die auf die 

Disposition der Syntax 

bezügUchen Fragen nur geringe Schwierigkeiten und wenig An- 
lass zum Streit der Meinungen zu bieten. Die vielfachen und 
im letzten Grunde unüberwindlichen Hindemisse, die sich der 
angemessenen Gliederung der üblichen syntaktischen Systeme 
entgegenstellten, entsprangen allein daraus, dass der zu dis- 
ponierende Stoff nicht einheitlich gebildet, unvollständig und 
übervollständig war. Der von fi-emden Elementen befreite imd 
vollständige Stoff disponiert sich aber gewissermassen von selbst 
Da den Gegenstand der Syntax die Wortgeföge bilden, bietet 
sich als Einteilungsgrund zunächst die Verschiedenartigkeit der 
Gefüge selber dar; und da die nach den Objekten gegliederte 
Grammatik von der andern Einteilung, welcher der Gegensatz 
von Form und Bedeutung zu Grunde liegt, kreuzweise durch- 
schnitten wird, besteht daneben dieser Gegensatz als zweiter 
Einteilungsgrund. Welches von beiden Einteilungsprinzipien dem 
andern überzuordnen sei, ob also die Syntax zerfallen soll in 
zwei Hauptteile : 1. Formenlehre IL Bedeutungslehre der Wort- 
gefäge, oder ob bei jedem der behandelten Gefuge gleich hinter- 
einander und im Zusammenhang Form und Bedeutung derselben 
zu erörtern sei, das ist eine untergeordnete Frage. Diese und 



137 

andere Einzelfragen sind nicht prinzipieller Art und lassen sich 
überhaupt nicht a priori und generell erledigen. Wir sind weit 
entfernt zu meinen, dass es möglich oder auch nur wünschens- 
wert sei, die Anordnung und innere Einrichtung der Syntax 
bis in alle Einzelheiten genau im voraus festzulegen, gewisser- 
massen eine Musterdisposition aufeustellen, die nun ein für alle 
Male innezuhalten wäre. Im Gegenteil ; es wird von der Eigen- 
art der behandelten Sprache, von der zeitlichen und räum- 
lichen Ausdehnung des in einer Darstellung zu umfassenden 
Gebiets, von der Art der Behandlung, ob empirische, historische, 
genetische (®^) oder vergleichende, von der beabsichtigten Aus- 
führlichkeit der Behandlung und manchen andern besondern 
Umständen abhängen, ob diese oder jene Gruppierung im 
Einzelnen den Vorzug verdient. Die Entscheidung über alle 
Einzelfragen der Anordnung kann man getrost der Erfahrung 
überlassen, die erst die Frucht zahlreicher praktischer Versuche 
sein kann. Worauf es uns allein ankam, und was wir hier 
allein unternehmen konnten, war, die Möglichkeit einer 
sachgemässen Disposition zu geben — deren Vorbedingung eine 
richtige Definition des Themas ist — indem wir die Unklarheiten 
und Unrichtigkeiten der Bestimmung des Begriffs Syntax zu 
beseitigen versuchten. 

Nur auf zwei Punkte sei es noch gestattet hinzuweisen. 
War es schon bei der Wortlehre thatsächlich unmöglich, die 
Lehre von den Formen von ihrer Bedeutungslehre völlig zu 
trennen (vergl. oben S. 88.), so dürfte es noch grössere Schwie- 
rigkeiten bieten, eine solche Trennung bei der Behandlung der 
Wortgefüge konsequent durchzuführen. Und wenn es auch 
möglich sein sollte, so erscheint es doch um so weniger zweck- 
mässig, als der bestimmende Einfluss des auszudrückenden Be- 
deutungsinhalts auf die Gestaltung der Form bei den Wortge- 
fügen teils offen zu Tage liegt, teils mit viel grösserer Sicherheit 
nachgewiesen werden kann, als dies bei den so stark ver- 
dunkelten Wortformen der Fall ist. Andererseits muss, auch 
wenn sich die Trennung der Formenlehre von der Bedeutungs- 




138 

lehre der Wortgefüge ffir die Darstellung nicht oder nur 
selten empfehlen sollte, an der Forderung aufs strengste 
festgehalten werden, dass diese Trennung bei der Forschung 
selber niemals versäumt werde. Nur bei der sorgföltigsten Be- 
obachtung des methodischen Grundsatzes, der in der ana- 
lytischen Grammatik das Ausgehen von der Form zur Pflicht 
macht, ist die Gefahr unberechtigter Übertragung der syntak- 
tischen Gesetze einer Sprache auf die andere zu vermeiden. 
Dabei ist die Aufstellung vollständiger Formenschemata der in 
einer Sprache gebildeten Wortgeffige nach dem Vorbilde der 
Flexionsschemata das zu erstrebende Ziel. Nur wenn dieses 
Ziel bei der Forschung unausgesetzt im Auge behalten wird, 
ist klare Einsicht in das Wesen und die charakteristischen 
Unterschiede der einzelnen syntaktischen Formen zu erwarten; 
nur wenn dies Ziel annähernd erreicht sein wird, wird auch 
eine wirkliche Übersicht über die vorhandenen syntaktischen 
Formen, bei historischer Forschung über Zuwachs und Ab- 
sterben derselben zu gewinnen sein. Auch für die genetische 
und die vergleichende Syntax liegt der Nutzen schematischer 
Formenübersichten auf der Hand. Wir verkennen die grossen 
Schwierigkeiten nicht, die sich der Aufetellung solcher Schemata 
der syntaktischen Formen entgegenstellen, doch halten wir 
sie keineswegs für unüberwindlich. Die Benutzung von Buch- 
staben und andern Zeichen und Formebi, wie das in einzelnen 
Fällen z. B. Paul und v. d. Gabelentz schon mit gutem Er- 
folge versucht haben (®®), desgleichen von graphischen Dar- 
stellungen in der Art der KERNSchen Satzbilder, wird dabei gute 
Dienste leisten. Diese noch viel zu wenig begangenen und zu- 
nächst freilich noch unbequemen Wege sind eifriger Pflege 
wert; sie werden nach unserer Überzeugung die nicht geringe 
Mühe der Aufsuchung und Einebnung lohnen und zu schönen 
Erfolgen führen. Gelingt es solche Formenschemata in um- 
fassender Weise aufeustellen, so wird es auch bei einer Darstellung, 
welche die Erörterung der Form, von dieser ausgehend, mit 
der der Bedeutung verbindet, von grösstem Nutzen sein, eine 



139 

Zusammenstellung der Schemata zur orientierenden Übersicht 
der eingehenden Behandlung vorauszuschicken oder nachfolgen 
zu lassen. 

Doch mit der Besprechung der Form und Bedeutung der 
einzelnen syntaktischen Gebilde ist die Aufgabe der Syntax 
noch nicht erschöpft. Wie in der Wortlehre neben der Formen- 
und Bedeutungslehre die Wortbildungslehre steht, wird sich 
auch innerhalb der Syntax ein besonderer Teil mit der Bildung 
der Wortgefuge zu beschäftigen haben. Während aber eine 
Hauptaufgabe der Wortbildungslehre darin besteht, die Be- 
standteile der Worte aus der innigen Verbindung, die sie ein- 
gegangen sind, auszulösen und zu zeigen, woraus die Worte 
entstanden sind, liegen die Teile der Wortgefuge offen vor den 
Augen des Forschers. Die syntaktischen Gebilde sind nicht 
dermassen zur Einheit verschmolzen, dass es nötig wäre, sie zu 
zerlegen und ihre Bestandteile aufeusuchen. Um so wichtiger 
wird es sein zu untersuchen und darzustellen, welche Mittel die 
Sprache verwendet, imi die einzelnen, nicht wie im Worte mit- 
einander verwachsenen, sondern in scheinbarer Selbständigkeit 
nebeneinander stehenden Teile der Wortgefuge doch zur Ein- 
heit zu verbinden und in ihr zusammenzuhalten. (®*) Der dem 
allgemeinen Gesichtspunkt nach der Wortbildungslehre ent- 
sprechende Teil der Syntax, welcher dieBildung der Wortgefuge 
behandelt, wird demgemäss doch ein wesentlich anderes Ziel ver- 
folgen : während dort vorwiegend des Wortes Bestandteile selber 
und seine Entstehung aus ihnen das Objekt der Forschung 
bilden, werden hier allein die Mittel ins Auge zu fassen sein, 
welche die Einzelworte zum Wortgefuge verknüpfen. Und 
wiederum dem Verfahren in der Wortbildungslehre teilweise 
analog, wird in diesem Abschnitt der Syntax zugleich darzu- 
stellen sein, welche syntaktische Bedeutung die einzelnen sprach- 
lichen Mittel der Wortfügung haben, wie sie nicht nur die 
syntaktische Zusammengehörigkeit der Worte und die Beziehung 
an und für sich, sondern darüber hinaus die Art dieser Be- 
ziehimg andeuten oder ausdrücken, wie sie zur Bildung der 




140 

verschiedenen Arten von Gefügen dienen. So zeigt ja auch 
die Wortbildungslehre zugleich, welche Rolle den einzelnen 
Bildungselementen bei Stamm- und Wortbildung zukommt, 
welcher Bedeutungsveränderung diese oder jene Gestaltung der 
Stämme entspricht, welche Suffixe zur Bildung der verschie- 
denen Wortklassen und Unterarten dienen. 

hidem so die Lehre von den syntaktischen Bildungsmitteln zu 
einer ausführlichen Darstellung der durch die einzelnen Mittel er- 
zielten Differenzierung der syntaktischen Gebilde wird, schliesst sie 
die Lehre von den syntaktischen Ausdrucksmitteln 
ein, d. h. die Beantwortung der Frage: welche syntaktische 
Bedeutung haben die einzelnen syntaktischen Bildungsraittel, 
welchem syntaktischen Inhalt dienen sie zum Ausdruck? Somit 
umfasst dieser Teil der Syntax eigentlich denselben Stoff, der schon 
in den früher erwähnten Abschnitten behandelt ist : die formale 
Gestaltung der Wortgefüge und ihr Zusammenhang mit der 
Bedeutung derselben; nur ändert sich der Gesichtspunkt, von 
dem die Betrachtung und Gruppierung ausgeht, und damit 
die Beleuchtung, die dieser Stoff erhält. Damit kommt dieser 
Teil der Syntax einem Bedürftiis entgegen , das sich bei der 
Bearbeitung der vorhin erwähnten Teile gebieterisch geltend 
machen wird. Denn die Erörterung der Form und Bedeutung 
der einzebien Wortgefüge muss überall zur Erwähnung der- 
selben Arten von syntaktischen Erscheinungen führen, eben der 
syntaktischen Bildungs- und Ausdrucksmittel. Bei jedem ein- 
zelnen Gefüge wird z. B. die Stellung seiner Teile zu einander, 
syntaktischer Accent, Melodie und die anderen musikalischen 
Mittel, die Kongruenz u. s. f. zu erörtern sein. Da wird einerseits 
das Verlangen nach einer übersichtlichen Gesamtdarstellung 
jeder einzelnen dieser immer wiederkehrenden syntaktischen 
Erscheinungen, nach einer Zusammenfassung derselben unter 
dem ihnen gemeinsamen Gesichtspunkt rege werden. Anderer- 
seits wird eine zusammenhängende Erforschung der eu einem 
Problem sich zusammenschliessenden Einzelfragen die unerläss- 
liche Vorbedingung der Erkenntnis sein, in welchem Zu- 



141 

sammenhang diese formalen Verschiedenheiten der einzelnen 
syntaktischen Gebilde mit der Bedeutung derselben stehen. So 
lässt sich z. B. die Frage, ob eine verschiedene Wortstellung 
zum Ausdruck einer Bedeutungsverschiedenheit dient, oder ob 
sie nur vom Zufall, der Laune, dem Geschmack des Sprechen- 
den abhängt, nicht von einem Forscher entscheiden, der nur 
einzelne Fälle, die Stellung in gewissen Gefügen erörtert; die 
Verwendung der Wortstellung als eines syntaktischen Aus- 
drucksmittels «muss vielmehr im allgemeinen, in ihrem eigenen 
Zusammenhang untersucht werden, wenn man den richtigen 
Standpunkt zur Beurteilung der Einzelfalle gewinnen will. 
Daher die vielfach missbräuchliche und missverständliche An- 
wendung des Terminus ,freie Wortstellung'. So setzt also 
die Ausführung jener Teile der Syntax, welche die Form 
und die Bedeutung der einzelnen Geföge darzustellen haben, 
die Ergebnisse dieses Teiles, der die einzelnen Mittel der 
Wortfügung, ihre Verwendung und Bedeutung in ihrem 
Zusammenhang behandelt, voraus. Bei diesen Fragen hat die 
Forschung einzusetzen; denn die Entscheidung über alle noch 
offenen Fragen in betreff der in einer Sprache vorhandenen 
syntaktischen Formen und ihrer Bedeutung ist abhängig von 
der Beantwortung der Fragen: welches sind die einzelnen in 
derselben verwendeten Mittel der Wortfügung? was drücken 
sie aus oder deuten sie an ? in welcher Kombination treten sie 
auf? wie treten sie miteinander in Konkurrenz u. s. w. ? Diese 
Fragen eignen sich vor allen andern zur monographischen Be- 
handlung ; hier liegt der reichste Stoff für Einzeluntersuchungen. 
Ob in einem umfassenden und ausgeführten syntaktischen Lehr- 
gebäude der die Mittel der Wortfügung behandelnde Teil den 
andern, welche die einzelnen Gefüge selber ziun Gegenstande 
haben, vorausgehen oder nachfolgen soll, ist wieder eine neben- 
sächliche Frage, die allein auf Grund praktischer Erwägungen 
zu entscheiden sein wird, wie z. B. der, bei welcher Anord- 
nung die wenigsten Verweisungen erforderlich sind. Dass diese 
auch bei der bestmöglichen Gruppierung des Stoffes im besten 



142 

System nicht zu vermeiden sind, liegt in der Natur der Sache, 
und wir können uns nur dem Rate Sgherers anschliessen, 
der Verweisungen nicht zu sparen empfahl und es ablehnte, 
dem Bestreben sie unnötig zu machen, »Einfluss auf den grossen 
Gang der Darstellung einzuräumen.« (•^) 



Damit glauben wir unsere Frage »Was ist Syntax?« be- 
antwortet und diese Antwort hinreichend begründet zu haben. 
Wir fassen das Ergebnis unserer Erörterungen in folgende 
Sätze zusammen: 

Syntax ist ein gutes und klares Wort, das der 
zu bezeichnenden Sache durchaus entspricht. Doch 
darf es nicht vom Standpunkt des Schülers gefiasst werden, 
der von aussen herantritt und darin eine Sammlung von Regeln 
sieht, deren er zum eigenen richtigen Zusammenfugen der Ele- 
mente der Rede beim praktischen Gebrauch einer zu lernenden 
Sprache bedarf. 

Die wissenschaftliche Grammatik stellt ihren Gegenstand 
von innen heraus dar, verzeichnet, ordnet und klassifiziert alle 
seine Bestandteile, alle ihre Erscheinungsformen und Verbin- 
dungen nach ihrem eigenen Wesen, das sie zu begreifen und 
zu erklären versucht. Die wissenschaftliche Syntax 
lehrt nicht, wie die Worte zusammenzufügen sind, 
sondern wie sie sich zusammenfügen. Syntax ist 
nicht Bedeutungslehre der Wortarten und Wort- 
formen; denn der Gegensatz von Syntax ist nicht 
Formenlehre, sondern Wortlehre. Der Formen- 
lehre steht nicht die Syntax zur Seite, sondern die 
Bedeutungslehre; in Formenlehre und Bedeutungs- 
lehre zerfällt sowohl die Wortlehre als die Syntax. 
SyntaxistderdritteTeilder nach den behandelten 
Objekten gegliederten Grammatik. Er behandelt 
die Verbindung der Worte zu neuen Einheiten oder 
die Wortfügung. Sein Gegenstand sind die Wort- 



143 

gefüge; alle Wortgefüge und nicht nur die Sätze; 
nichts als die Wortgefüge und nicht auch die Wort- 
arten und Wortformen, weder diese allein noch diese 
abwechselnd mit den Gefugen selber. Die Bedeutungslehre der 
Wortarten und Flexionen gehört prinzipiell ebensogut wie ihre 
Formenlehre zur Wortlehre. Art, Form und Bedeutung der 
Wortgefüge ist aber nicht durchaus unabhängig von den Arten 
und Formen der in ihnen verbundenen Worte; die Aufgabe 
der Syntax lässt sich daher nicht vollständig lösen, ohne auch 
die Wortarten und Wortformen mit in Betracht zu ziehen, 
aber die Syntax hat Wortarten und Wortforraen 
nur soweit zu berücksichtigen, als von ihnen die 
Natur der syntaktischen Gebilde als solcher be- 
rührt wird. Der jetzt gewöhnlich in den Abschnitten von 
der Bedeutung und dem Gebrauch der Wortarten und Wort- 
formen vereinigte Stoff ist zu einem Teile, aber nur zu einem 
Teile syntaktisch ; der dem Gegenstand der Syntax fremde Teil 
dieses Stoffes ist auszuscheiden und der Wortlehre zu über- 
lassen. Eine möglichst streng durchgeführte Unterscheidung 
der lexikalisch-materiellen und der syntaktischen Bedeutung 
von Wortarten und Wortformen kann nicht vernachlässigt 
werden, ohne dass dadurch die klare Erfassung des wirklich 
Syntaktischen an den behandelten Objekten und Problemen 
Schaden litte. Lässt sich die altgewohnte Anwendung des 
Wortes Syntax auch auf die nichtsyntaktischen Teile der Be- 
deutungslehre von Wortarten und Wortformen nicht ausrotten 
— und wir geben uns nicht der Illusion hin , dass das leicht 
geschehen könne — , so sollte doch wenigstens an Stelle des 
naiven Missbrauchs des Wortes Syntax der bewusste treten und 
geschieden werden zwischen einer uneigentlichen Bedeutung 
dieses Wortes, zwischen der Syntax im weiteren (altüberlieferten) 
Sinne und der Syntax im engeren Sinne, der eigentlichen. 
Ohne die grundsätzliche Trennung der nur per 
abusum so genannten und der mit Recht so be- 
zeichneten, eigentlich syntaktischen Objekte ist 




144 

weder eine sachgemässe Anordnung des syntak- 
tischen Stoffes möglich noch ein gleichmässiger, 
allen Teilen voll gerecht werdender Ausbau der 
syntaktischen Forschung zu erwarten. 

Wird die Gliederung der Grammatik nach den Objekten 
der Forschung in Lautlehre, Wortlehre und Syntax überhaupt 
als berechtigt und brauchbar anerkannt, so ist auch eine 
Trennung der Bedeutungslehre der Wortarten und Wortformen 
in einen syntaktischen und einen nichtsyntaktischen Teil, welcher 
letztere der Wortlehre zufällt, nicht anzufechten. Melu-fache 
Behandlung desselben Objekts an verschiedenen Stellen des 
Systems bedingt keine Wiederholung ; sie ist kein Fehler, son- 
dern ein Vorzug, denn sie entspricht den verschiedenen Ge- 
sichtspunkten, die für die allseitige Durchforschung und Dar- 
stellung des Stoffes in Betracht kommen. Dasselbe gilt von 
dem Verhältnis der Lautlehre zu den übrigen Teilen der Gram- 
matik und ist bisher nie beanstandet worden. Auch die 
Stoffe der Lautlehre berühren sich mit denen der 
Wortlehre und der Syntax: auch hier darf und 
muss das, was den Einzellaut allein angeht, ge- 
trennt werden von dem, was die Worte und die 
Wortgefüge betrifft. 

Von der Forderung, dass die Stoffe der Syntax 
und der Stilistik sich ausschliessen sollen, kann 
nicht die Rede sein. Die Stilistik schöpft ihren 
sprachlichen Stoff aus der Grammatik (also auch aus 
der Syntax), in der er vollständig enthalten ist oder doch sein 
sollte; sie setzt überall die Resultate der rein grammatischen 
Sprachbetrachtung als gegeben voraus und rückt sie unter dem 
Gesichtspunkt des Stils in eine neue Beleuchtung und einen andern 
Zusammenhang. Andere Ziele und Aufgaben bedingen 
nicht einen andern Stoff, sondern nur andere 
Wege, eine andere Behandlung. Je vollständiger 
die Syntax auch diejenigen Stoffe aus dem Gebiete 
der Wortfügung behandelt, welche zugleich von 



145 

der Stilistik berücksichtigt werden, um so voll- 
ständiger liefert sie der Stilistik das Material, 
das diese braucht, und um so besser erfüllt sie zu- 
gleich ihre eigenen Aufgaben. 

Für die Anordnung der Syntax bieten sich als natürliche 
Einteilungsgründe — - der Gliederung der Gesaratgrammatik ent- 
sprechend — dar : zunächst die Verschiedenheit der behandelten 
Objekte, der Wortgefüge selber, dann die Verschiedenheit der 
Gesichtspunkte, unter denen sie zu betrachten sind: ihre Form, 
Bedeutung und Bildung. Die Lehre von den syntak- 
tischen Bildungs- und Ausdrucksmitteln hat den 
Ausgangspunkt der Forschung zu bilden: ihre Er- 
gebnisse sind die Grundlage und Voraussetzung 
für die Aufstellungen in der syntaktischen Formen- 
und Bedeutungslehre. 



»lea. Wm ist Syntax? -^ 




Anmerkungen. 



1. Andeutungen über Ziel und Methode der syntaktischen Forschung. 
Verhandlungen der 13. Philologenversammlung, Gröttingen 1852, 8. 96. 

2. Steimthal, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen 
und Bömem, Berlin 1868, S. 709. 

3. »Es war die antike Grammatik durchaus eine Anweisung zum 
richtig Sprechen mit praktischer Tendenz und ist nie reine Wissenschaft 
gewesen, der es nur darauf ankommt, ihren Gegenstand zu begreifen. c 
Steinthal a. a. 0. S. 709. 

4. Zur Einleitung vergl. noch Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte*, 
Halle 1886 , besonders S. 21 : »Es ist von fundamentaler Bedeutung für 
den Greschichtsforscher [gemeint ist der Sprachforscher, der der historischen 
Methode folgt] , dass er sich Umfang und Natur des Gegenstandes klar 
macht, dessen Entwickelung er zu untersuchen hat. Man hält das leicht 
für eine selbstverständliche Sache, in Bezug auf welche man gar nicht 
irre gehen könne. Und doch liegt gerade hier der Punkt, in welchem 
die Sprachwissenschaft die Versäumnis von Decennien eben erst anfängt 
nachzuholen.c 

6. Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 1878, S. 119 (jetzt 
Kleine Schriften I. S. 368.); dazu Scherebs Artikel: E. F. Bbckeb in der 
Allgemeinen Deutschen Biographie (Kleine Schriften I. S. 217 ff.). Vgl. 
jetzt auch die Ausführungen Georgs v. d. Gabelemtz (Die Sprachwissen- 
schaft usw. Leipzig 1891, S. 87.) über die »zwei einander notwendig ergän- 
zenden grammatischen Systeme«, das »analytische« und das »synthetische« ; 
eine Unterscheidung, die auf analogem Prinzip beruht, wenn sie auch 
mehr die Methode der Darstellung als die der Forschung trifft. So sagt 
auch Gabelentz (a.a.O. S.U.) von den philosophierenden Grammatikem: 
»Ihre Mittel und Wege waren verfehlt, aber ihre Ziele waren und bleiben 
berechtigt.« 

6. So bezeichnet es auch Pbcz geradezu als das »Gewöhnliche«, dass 
»die Syntax teils auf Grund der Kategorien der Redeteile, teils der- 
jenigen des Satzes aufgebaut wird.« (Neue Jahrbücher für Philologie und 
Pädagogik 1890, S. 381.) 



147 

7. Aus der grossen Zahl von Vertretern der Ckittung Miscbsyntaz 
seien als typische Beispiele genannt: v. d. Gabilxntz und Löbb, Ulfilas II. 
Lipsiae 1846; Koch, Historische Grammatik der englischen Sprache IL* 
Cassel 1878; Ateb, Grammaire compar^e de la langue fran^aise/ Paris 
1885 ; Dbaeoeb, Historische Syntax der lateinischen Sprache, Leipzig 1878 
—81; desselben Syntax und Stil des Tacitus,' Leipzig 1882. Als Beispiel 
für die Art der Mischsyntax, in der die Lehre vom Gebrauch der Wort- 
arten und Wortformen überwiegt, diene Holtze, Syntaxis priscorum scrip- 
torum latinomm usque ad Terentium, Lipsiae 1861/2; umgekehrt über- 
wiegt die Satzlehre z. B. in Delbrücks Altindischer Syntax, Halle 1888. 

8. Vgl. dazu JoLLY, Schulgrammatik und Sprachwissenschaft usw. 
München 1874, S. 75 ff. 

9. Yergl. Gböbeb im Grundriss der romanischen Philologie I. Strass- 
bürg 1888, S. 243 : »Die empirische Forschung löst ihre Aufgaben mangel- 
haft, wenn sie bei der vergleichenden Beobachtung und Zergliederung der 
Sprache mehr Unterscheidungen setzt, als Verschiedenheiten in ihr be- 
stehen.... Zuviel Unterscheidungen verraten, dass das Wesen der Sache 
nicht erfasst ist.€ 

10. Ebenso scharf urteilt über die Systemlosigkeit der landläufigen 
Mischsyntax, wie sie sich zumal in Schulbüchern breit macht, Josupetf 
in der oben S. 56 ff. besprochenen Schrift Ȇber die Behandlung der 
Syntax fremder Sprachen als Lehre von den Satzteilen und Satzarten«, 
Tilsit 1887. Er sagt dort S. 4f.: » — darauf habe ich die Antwort, 
dass es in den bisher gebräuchlichen Grammatiken, wenig- 
stens in den fremdsprachlichen Schulgrammatiken, gar kein System 
giebt.« Dann giebt er kurz den Inhalt der Syntax aus den Schulgram- 
matiken von Georg Cubtius und Ellendt-Sbtffebt an, welche Übersicht 
allein genügt, um zu beweisen, dass diese Werke »durchaus prinziplos« 
sind, dass eine »grössere Verwirrung und Unordnung nicht gedacht wer- 
den kann«. Leider hat Josupeit damit vollständig Recht, und leider 
sind auch die von ihm kritisierten Schulbücher ebenso weit verbreitet 
als für ihre Gattung typisch. 

11. Die Mischsyntax hat eine lange Geschichte. Ihre ersten Keime 
liegen eigentlich schon in dem Werke des Apollonius Dtscolüs. (Vergl. 
Anm. 56.) Nach ihm geht dann aber die Syntax , soweit sie überhaupt 
gesondert behandelt wird, lange in einer blossen Lehre vom Gebrauch 
der Bedeteile auf, bis mit dem Auftreten besonderer Abschnitte über die 
Konkordanz und die Rektion die Einheitlichkeit des behandelten Stoffes 
durchbrochen wird. Dadurch dass die Behandlung dieser rein syntakti- 
schen Probleme in jene Lehre von den Bestandtcdlen der syntaktischen 
Gebilde eingeschoben wird, entsteht die Mischsyntax. Innerhalb der 
Rektionslehre verlässt man dann die Anordnung nach den Redeteilen und 
lässt die Gliederung nach den Wortformen schärfer hervortreten ; so ent- 




148 

steht die Kasus-, Tempus-, Moduslehre, wie sie noch heute üblich ist. 
Der letzte Schritt in der Entwicklung zu der jetzt gewöhnlichsten Form 
der Mischsyntaz besteht in der HinzufÜgung einer bruchstückartigen 
Satzlehre. — [Eine ausführliche, auf eigenen Quellenstudien beruhende 
Darstellung der Geschichte der syntaktischen Forschung kann der Ver- 
fasser bei der Weitschichtigkeit des schwer zu beschaJSenden Materials 
aus naheliegenden Gründen nicht unternehmen. Die kurzen Angaben 
hier und an andern Stellen der vorliegenden Schrift stützen sich der 
Hauptsache nach auf das m den allgemein bekannten Hil&mitteln zusam- 
mengestellte Material.] 

12. Somit hoffen wir auch die Bedenken Pauls gegen jeden Versuch, 
die Syntax streng systematisch zu behandeln, beseitigen zu können. 
Seine Äusserung (Mittelhochdeutsche Grammatik," Halle 1889, Vorrede 
S. VII : »Wer es unternimmt, ein solches System der Syntax zu entwerfen, 
muss entweder eine Menge wichtiger Erscheinungen bei Seite lassen oder 
sich mit vielen willkürlich eingeschobenen Exkursen behelfen, wobei die 
Systematik der Kapitelüberschriften zu blossem Scheine wird.«) trifft aller- 
dings völlig auf das System Miklosich zu, das zu beiden Notbehelfen hat 
greifen müssen, wie oben S. 29 ff. und 38 f. näher ausgeführt ist. 

13. Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen IV.' Wien 
1883, S. 1. — Wir wollen nicht unterlassen, ausdrücklich zu betonen, 
dass sich unsere Ausstellungen hier, wie überhaupt in diesen Erörterungen, 
nicht auf den Inhalt der besprochenen Werke erstrecken. Speciell die 
über jede Ejitik unsererseits erhabenen Leistungen Mklosichs und gerade 
die mustergiltige Bearbeitung dessen, was er nun einmal Syntax genannt 
hat, müssten ihn vor kleinlichem Herummäkeln an verhältnismässig doch 
weniger wichtigen Dingen schützen, wenn er nicht das MisE^eschick ge- 
habt hätte, gerade mit einem Irrtum gewissermassen Schule zu machen. 
Wäre nicht von autoritativer Seite vor einer Kritik seines Systems aus- 
drücklich und mit gar bösen Worten gewarnt, wäre es nicht geradezu 
zur Nachahmung empfohlen worden und diese Empfehlung nicht auf so 
fruchtbaren Boden gefallen — wobei es nicht ausbleiben konnte, dass 
durch unvollkommene Nachahmung die ursprünglichen Obelstände ver- 
schlimmert wurden — , so hätten diese auch die Bedeutung nicht erlangt, 
die uns lebhaften Widerspruch und eingehende Besprechung gerecht- 
fertigt, ja direkt erforderlich erscheinen lässt. Mutatis mutandis gilt 
diese Bemerkung auch für die Syntax Erdmanns. 

U. a. a. 0. IV. S. 769. 

16. Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 1884, 
S. 389. 

16. Vorwort zu seinen »Grundzügen der deutschen Syntax« I. Stutt- 
gart 1886. 



149 

17. Deutsche Litteraturzeitung 1887, Nr. 26, Sp. 956/7: »Ich nenne 
MiKLosicH mein Vorbild, weil dieser Forscher in seiner slavischen Syntax 
das altbewährte Prinzip der Anordnung festhielt und konsequent durch- 
führte, während namentlich in der deutschen Schulgrammatik durch 
Heblino, Bbckeb und teilweise auch durch Hetsb die Neigung befördert 
worden war, nicht die Funktion der gegebenen Sprachform nachzuweisen, 
sondern für die zuerst angesetzte Funktion die sprachlichen Ausdrucks- 
mittel zu suchen. Schebeb hat durch eingehende Korrespondenz vor 
Jahren mein Widerstreben gegen diese Richtung befördert ...« 

18. a. a. 0. S. 122. 

19. Deutsche Syntax, Wien 1861/1863, Vorrede S. V/VI. 

20. 6benda S. XI. 

21. WüNDEBLicH, Untersuchungen über den Satzbau Luthers I. 
München 1887, Vorrede S. 6. 

22. Z. B. Vebnaleken, von dessen Syntax bis zu der von Miklosich 
kein grosser Schritt mehr ist, zumal wenn man die Worte des Vorworts 
zum II. Teil S. IV. berücksichtigt. 

23. Ebdxann spricht selbst von den »Formen der indirekten Bede« 
Grundzüge S. 168. 

24. Anzeiger f. deutsches Altertum IX, S. 806. 

26. Vgl. »Grundzüge« § 2. 102 ff. 129. 205. — Da von Ebdmauns 
Buch leider erst die eine ELälfbe vorliegt, könnten die obigen Äusserungen 
verfrüht und nicht ausreichend begründet erscheinen. Jedoch ist der 
Aufbau des Ganzen in der Vorrede und der mehrerwähnten »Entgegnung« 
(Dtsche. Litt.-Ztg. 1887, Nr. 26.) skizziert. Wären allgemein grundlegende 
Erörterungen von Ebdhann beabsichtigt gewesen, so wäre dieser Absicht 
hier Erwähnung gethan. Es liegt auch auf der Hand, dass innerhalb 
dieses Systems ohne die gröbste Inkonsequenz nirgends ein Platz für 
solche Erörterungen zu finden gewesen wäre. Vergl. oben (S. 38 f. und 
Anm. 34.) über die Anhänge bei Miklosich und Ebdkann. 

26. Die Satzphonetik kann diese Lücke nicht ohne weiteres aus- 
fällen; die Phonetiker liefern hier nur das Material — oder fangen an 
es zu liefern — , das die Syntaktiker zu benutzen und für ihre Zwecke 
zu verwerten hätten. Bemerkenswerte Anfönge dazu bei Sweet, Elemen- 
tarbuch des gesprochenen Englisch, 3. Aufl. Leipzig 1891, S. XL VI — LIII 
und jetzt Behaohel in Pauls Grundriss der germanischen Philologie I. 
S. 548 ff. Vergl. auch : Reichel, Von der deutschen Betonung, Jena 1888. 

27. Die deutsche Satzlehre," Berlin 1888, S. 144 ff. Vergl. dazu 
meine Anzeige: Deutsche Litteraturzeitung 1888, Nr. 49, Sp. 1784/5. 

28. Die immer ohne weiteres behauptete Entstehung der kon- 
junktionslosen Nebensätze mit ungerader Wortfolge aus den Fragesätzen 
erscheint mir in dieser Allgemeinheit zweifelhaft. Vergl. Quellen und 
Forschungen XLI, Strassburg 1880, S. 63 Anm. 



r 



150 

29. a. a. 0. S. 147 u. 157. 

30. »jDu glat$bgt, ich bin gesund* hält Ebbn für zwei ganz selb- 
ständige S&tze. Würde er auch in dem Satzgefüge: *Wenn du glaubst^ 
ich hin gesund, so irrst du.* ich bin gesund für einen selbständigen Satz 
halten? Seinen Aufstellnngen gemäss müsste er es; man hätte dann das 
merkwürdige Beispiel eines selbständigen Satzes, der zwischen Bedingangs- 
und Folgerungssatz eines hypothetischen Gefüges eingeschoben wäre, ohne 
doch den Charakter einer Parenthese zu haben. Ich zweifle daran, dass 
sich Ebbn zu dieser Eonsequenz seiner Anschauung verstehen wird. Ist 
der regierende Satz selbst abhängig geworden, so tritt die Abhängigkeit 
des von ihm regierten konjunktionslosen Nebensatzes, der so ein Neben- 
satz zweiten Grades geworden ist, zu deutlich hervor, um verkannt wer- 
den zu können. Ist aber ich bin gesund selbständig in du glaubst, ich 
bin gesund, so müsste es auch selbständig bleiben in wenn du ^ubst, 
ich bin gesund ... und ist es in diesem Falle abhängig, so ist es auch 
abhängig von selbständigem du glaubst. — Es ist natürlich nichts da- 
gegen einzuwenden, dass man verschiedene Arten der Hypotaxe unter- 
scheide nach dem Grade der Deutlichkeit und Bestimmtheit der zu ihrer 
Bezeichnung verwendeten sprachlichen Mittel; man kann auch, wo diese 
nur musikalischer Art sind, von unvollkommener Bezeichnung der Hypo- 
taxe sprechen oder besser zwischen Bezeichnung (Ausdruck) und Andeutung 
der Hypotaxe scheiden. Dass von der reinen Parataxe zur vollkonmienen 
Hypotaxe zahlreiche Zwischen- und Obergangsformen hinleiten, Reste und 
Zeugen des Entwicklungsganges, bedarf kaum der Erwähnung. VergL 
Dbecke, Die griechischen und lateinischen Nebensätze usw. Progr. Buchs- 
weiler 1887, S. 12 — 15. Doch ist es unrichtig und beruht auf der üb- 
lichen Verkennung des sprachlich-formalen Charakters der musikalischen 
Mittel der Satzbildung, wenn dieser S. 13. sagt: »Die Form der Hypotaxis 
bleibt dann [wenn sie nur durch Betonung, Pause, Stellung (!) ... be- 
zeichnet ist] wesentlich eine innere.« Statt »innere« wäre höchstens zu 
sagen: eine unvollkommene. Der Zusatz »wesentlich« hebt allerdings die 
Behauptung teilweise wieder auf. Yergl. auch die Ausföhrungen von 
Paul, Prinzipien S. 119 u. 121, denen wir auch nicht völlig beipflichten 
können und C. Müllers Bemerkungen zur Satzlehre in Lyons Ztschr. f. 
d. deutschen Unterricht 1889, S. 441 ff., die, was diesen Punkt betrifft, 
völlig unhaltbar sind. ■— Unsere (zuerst in der D. L. Z. 1888, Nr. 49. aus- 
gesprochene) Ansicht von der sprachlich-formalen Natur der musikalischen 
Mittel der Wortfügung erhält eine wertvolle Bestätigung durch die Au- 
torität Georgs v. d. Gabelentz ; dieser erklärt : »Ich zweifele, ob auch die 
besten phonetischen Aufzeichnungen, die wir bisher besitzen, in aUen 
Fällen den grammatischen Faktoren der Sprache ganz g^erecht 
werden. Zu diesen müssen wir ausnahmslos jede und jeder Art Gehörs- 
erscheinung rechnen, die zum Ausdruck einer grammatischen Eategorie 



151 

erzeugt wird, auch die Tonhöhe und Tonbiegung, der Rhythmus, die 
Pau8en.c (Die Sprachwissenschaft, Leipzig 1891, S. 430.) — S. 99. der 
Prinzipien' nennt Paul als erstes der sieben »Mittel zum sprachlichen 
Ausdruck der Verbindung von Vorstellungen« »die Nebeneinanderstellung 
der den Vorstellungen entsprechenden Wörter an sich«. Diese erste 
Nummer wäre zu streichen. (Vergl. Quellen u. Forschungen XLI, S. 24 : 
gegen Jollts einfachste Form der Hypotaxe.) Die blosse Nebeneinander- 
stellung an sich, ohne Anwendung eines der unter 2 — 5 genannten 
Mittel ist gar kein sprachlicher Ausdruck einer Verbindung von Vorstel- 
lungen , sondern das Gregenteil davon , das Fehlen jeder sprachlichen An- 
deutung. A. a. 0. S. 101 giebt dann Paul Beispiele für »die grammatische 
Form der Nebeneinanderstellung«. Sollte Paul hiermit wirklich noch 
seine obige Nummer 1 meinen, was nicht ganz klar ersichtlich ist, so 
wären diese Beispiele so unglücklich gewählt als nur möglich. Erstens 
haben sie mit den gleich darauf erwähnten ersten Sprechversuchen der 
Kinder (Papa Hut) und dem unvollkommensten Badebrechen einer Fremd- 
sprache {Wein Tisch) überhaupt sehr wenig gemein und zweitens zeigen 
sie alles andere eher als blosse Nebeneinanderstellung. Wendungen wie 
» Viel Feind/ viel Ehr^€ ; %MU gefangen mit gehangen* ; ^Ehestand Wehe" 
stand*; »Brune matinie helle jaumde*; »F^ves fleuries temps de folies* 
zeigen nicht nur reichlichste Benutzung sämtlicher musikalischer Satzbilde- 
mittel, sondern es sind überhaupt keine einfachen, elementaren Produkte 
frühster Sprechthätigkeit , sondern echte Eunstprodukte , in denen man 
die Verwendung einer ganzen Blumenlese von stilistisch-rhetorischen und 
poetischen Kunstmitteln nachweisen kann : Parallelismus, Anaphora, Ellipse, 
AUitteration , mehrere Arten des Keims, Bildlichkeit des Ausdrucks, epi- 
grammatische Zuspitzung usw. Und das ist bei Sprüchwörtem und sen- 
tentiösen Aussprüchen, die eine lange Geschichte hinter sich haben und 
mit dem Anspruch auf besondere Geltung auftreten, gar nicht anders zu 
erwarten. 

31. Aber Beckse z. B. hatte seine Aufmerksamkeit dem Satzton, den 
Pausen usw. schon zugewandt; manche seiner diesbezüglichen Beobach- 
tungen scheinen mir noch jetzt brauchbar. 

82. Benfet nennt »den Satzbau und die Anordnung der 
Wörter und Satzteile im Satze« geradezu »die charakteristischen 
Eigentümlichkeiten jeder Sprache«. (Geschichte der Sprachwissenschaft, 
München 1869, S. 84.) 

38. Unter diesem Namen fassen wir zusammen: S. 17 — 50 und 346 
— 368, von denen allerdings nur der erste Abschnitt von Mklosich selber 
geradezu als »Anhang« bezeichnet ist. Der zweite schliesst sich jedoch 
ganz wie jener mit einer besonderen Überschrift (»Subjektlose Sätze«), 
die im Inhaltsverzeichnis eingerückt ist, an den »Nominativ« an. Ein 
Blick auf die Anordnung des Inhaltsverzeidmisses lehrt, dass der Ver- 



r\ 



152 

faaser diese Erörterungen ebenso wie jene anhangsweise einflecbten 
will und dass die Bezeichnung als Anhang, aus welchen Gründen immer 
sie unterblieben sein mag, seiner Absicht durchaus entsprechen dürfte. — 
Es verschl&gt hierbei nichts, dass in dem ersten der beiden Anhange 
manches erörtert ist, was nach unserer Auffassung aus dem Rahmen einer 
Syntax heraus&Ut: hier liegt uns nur daran zu zeigen, wie Mklosich 
trotz seiner sonstigen Eonsequenz, die ihn zur Ausschliessung so mancher 
zur Syntax gehörigen Dinge führte, doch ohne Anhänge mit seiner Dis- 
position nicht zu Rande kommt. 

84. Er hat deren im vorliegenden I. Teil einen ausdrücklich so be- 
zeichneten: S. 56 — 65 und ein anhangartiges Kapitel S. 168 — 181; über 
dieses siehe oben S. 40 ff. Der erste Anhang behandelt unter der Überschrift 
»Gebrauchstypen der Nomina im Satze« : 1) alleinstehende Nomina ; 
Vokativ; (echte und unechte Ellipsen); 2) die Apposition. Beides wirk- 
lich syntaktische Stoffe: Gegenstand der Forschung und Darstellung sind 
die syntaktischen Gebilde selber; Rückfall in die Mischsyntax, maskiert 
durch die Setzung in den Anhang. 

86. Diese Gegenüberstellung von »selbständigen Sätzen« und »Neben- 
sätzen« ist von Erdmann. 

86. § 198. Einleitendes. § 199. »Einfache AnfOgung ohne Kon- 
junktion.« § 200. »Anfügung durch die Konjunktion da88,€ § 201. »An- 
fügung durch indefinites (interrogatives) Pronomen oder Adverb.« § 202. 
»Die Konjunktion o6.« § 203. Modus der zur indirekten Rede gehörigen 
Nebensätze. § 204. Tempusgebrauch. 

87. Nicht anders verfahren andere Anhänger des Systems Mjklosich, 
aus dem sie durch solche Inkonsequenzen beständig in die Mischsyntax 
zurückfallen. Yergl. z. B. Reis, Beiträge zur Syntax der Mainzer Mund- 
art, Mainz 1891, §§ 20 — 30. Yergl. dazu: Anzeiger für deutsches Alter- 
tum XIX, S. 337 ff. 

88. a. a. 0. S. 122, 119 u. 125. 

89. Nicht alle; denn auch Worte und Wortformen helfen Sätze 
bilden; die Bezeichnung »Lehre von der Satzbildung«, die Schebeb den 
Kapiteln von Kongruenz, Wortstellung und Satzaccent geben will (a. a. 0. 
S. 122.), ist also zu weit; sie umfasst zugleich wichtige Abschnitte, die 
auch er den beiden andern Teilen (der Lehre von den Wortklassen und 
der von den Flexionsformen) nicht entziehen will. 

40. Der von Hetse gebrauchte, im allgemeinen wenig übliche Aus- 
druck ^WortgefÜge' scheint mir empfehlenswert ; er entspricht genau dem 
gebräuchlichen ^Satzgefüge' (im weiteren Sinne); zu unterscheiden von 
der ^Wortfügung' und ^Satzf ügung' ; jene sind das Ergebnis dieser. 

41. Dagegen ist die Einteilung der Grammatik nach den Objekten 
der Forschung in Lautlehre, Wortlehre und Syntax (d. h. in unserm 
Sinne : Lehre von den WortgefÜgen) jedenfalls auf sehr viele und scheint 



153 

auf alle Sprachen, auch die einverleibenden anwendbar; Wenn auch 
seine sprachwissenschaftlichen Kenntnisse dem Verf. nicht erlauben, ein 
bestimmtes Urteil darüber abzugeben, so scheint ihm doch nicht abseh- 
bar, wie sich irgend ein Idiom dieser Einteilung seiner Grammatik sollte 
widersetzen können, da die formale Analyse jeder menschlichen Rede 
auf Laute, Wörter und syntaktische Gebilde führen zu müssen scheint. 

42. Prinzipien der Sprachgeschichte,' S. 99 ff. 

43. Die deutsche Satzlehre,* S. 31 ff. , woher auch obige Beispiele 
entlehnt sind. 

44. In Iwan v. Müllers Handbuch der klassischen Altertumswissen- 
schaft II.» 1890. 

46. Weshalb nur Behauptungssatz und Fragesatz? S. 257/8. wird 
der Wunsch- und Befehlssatz bei Gelegenheit der Modi erwähnt. Liegt 
hier ein Dispositionsfehler vor oder ist des Verfassers Meinung die, dass 
der lateinische Wunschsatz sich formell vom Behauptungssatz nicht oder 
nicht wesentlich genug unterscheide, um in einem besonderen Kapitel be- 
handelt zu werden ? — In seiner vortrefflichen Schulsyntax (Latein. Schul- 
grammatik von Schmalz und Waoener, Bielefeld und Leipzig 1891.) hat 
der Verfasser, wie ich nachträglich sehe, einige der oben erwähnten Dis- 
positionsfehler vermieden. Hier ist die Syntax ausdrücklich als Satzlehre 
bezeichnet ; neben Behauptungs- und Fragesatz wird der Aufforderungssatz 
gestellt; was vom Satze überhaupt gilt, wird nicht der Lehre vom Be- 
hauptungssatz untergeordnet, sondern wenigstens nur der vom einfachen 
Satz. Der Einfluss der Schriften von Kern ist erkennbar. (Definition 
von Satz; Terminus »Bestimmung«.) 

46. Neuerdings auch Pecz in den Neuen Jahrbüchern für Philologie 
und Pädagogik 1890, S. 380 ff. 

47. Vergl. Anm. 10. 

48. Eine Einteilung, die, so wenig allgemein sie auch durchgeführt 
ist, zumal nicht in den Granamatiken der Schulsprachen, doch durchaus 
nichts Neues ist. Man vermisst bei Josupeit einen Hinweis auf die Vor- 
gänger, von denen wir nur Hetse nennen wollen. 

49. Syntax der deutschen Sprache, Frankfurt a. M. 1830, S. 17 u. 31. 

50. Die deutsche Satzlehre,* S. 24 ff. u. öfters. 

51. Grundriss der deutschen Satzlehre, Berlin 1884, § 17 ff. 

52. Z. B. die Verwendung des bestimmten Artikels zur blossen Unter- 
scheidung der Kasus. Berührt ist dieser bemerkenswerte und nicht seltene 
Gebrauch, soweit der Genitiv und Personennamen in Betracht kommen, 
von Erdmann, Grundzüge §§ 29. 36. 44. Beispiele für den Dativ habe ich 
gegeben: Ajiz. f. deutsches Altertum XIX, S. 342. Da der Artikel in dieser 
Verwendung jede Spur eigener Wortbedeutung verloren hat, handelt es 
sich um eine rein syntaktische Erscheinung: Bezeichnung der Beziehung 
syntaktisch verknüpfter Wörter durch ein eigenes Wort; auch von 

Ries, Was ist Syntax? IQ* 



rv 



154 

mittelbarer Bestimmung des Satzes kann keine Rede mehr sein, da 
der Artikel keinen begrifflichen Inhalt mehr ausdrückt, also auch nicht 
als adjektivisches (pronominales) Attribut aufgefasst werden kann. 

68. In der 2. Auflage der »Deutschen Satzlehre« hat £[ebn auf S. 176 
eine Übersicht der Satzbestimmungen hinzugefugt. In dieser lässt er die 
Ausdrücke »unmittelbare« und »mittelbare« Bestimmungen fallen und unter- 
scheidet daftir »Bestimmungen zum Aussagewort (finiten Yerbum)« von 
den »Bestimmungen zum Substantiv. Attribute.« Das wäre aber ein un- 
genügender Ersatz für die frühere Bezeichnung» die durchaus ihren Wert 
hat. Dass die Benennung der 2. Gruppe entweder verfehlt oder die Ein- 
teilung nicht erschöpfend ist, liegt auf der Hand. Es giebt auch Be- 
stimmungen zum Adjektiv und zum Adverb, die ebenfalls nicht in die 
erste Gruppe gehören. 

64. Zur Kritik der üblichen Behandlung der Syntax vergl. schon 
M. HoFVMANN in Jahns Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik, 
Leipzig 1828 , S. 2 if . (besonders : » .... In Grammatiken der ersten 
Art [Syntax der Redeteile] wird die Satzbildung yemachlässigt ; ein 
Masgel, welcher selbst durch die grösste Masse einzelner Bemerkungen 
über die Redeteile unmöglich ersetzt werden kann. Grammatiken der 
zweiten Art [Syntax als Lehre von der Verbindung der Redeteile zu 
Sätzen] leiden daran, dass sie für alle diejenigen vielen Bemerkungen, 
welche ohne Rücksicht auf Satzbildung über die Redeteile zu machen 
sind, keinen passenden Platz haben, mithin, wenn sie solche dennoch 
geben, wenigstens die ursprüngliche Einteilung stören und den Zusammen- 
hang des Ganzen verwirren . . .«) und F. Haase in den Ergänzongsblättem 
zur Allgem. Litt«ratuntg. Nr. 65, August 1838. (Besonders: »Bsckkk hat 
das unverkennbare grosse Verdienst, dass er die deutsche Syntax organi- 
siert hat, indem er sie nicht nach alter Weise atomistisch nach den 
Reileteilen und deren Formen durchgeht, sondern sie zur Satsldire macht. 
... >YiIl mau aus einzelnen Wörtern, die für sich keinen Gedanken geben 
und in keinem notwendigen Verhältnis zu anderen stehen, die Siyntax 
entwickeln, so ist das entweder unmöglich oder sie wird eine tote. . .. 
S. 516. — IHo Syntax, so wie sie jetzt yorhegt» best<^t aus zwei wesent- 
lich verschit*denen Teilen; der eine umfasst die Lehre von der Bedeutung 
und dem Gebrauch ihrer einzelnen Elemente, der Redeteile überhaupt 
und üi;$be«ondere in ihren Flexionen. . . . IHe alte Syntax hat diese Aid"- 
gabe gelötet, wenigstens ihrer Intention nach, und da sie weiter nichts 
that und thuu wollte, so war sie eben keine Syntax. Die Neueren sahen 
ein. dasd sie die« nur dur\'h die Satzlehre wird, sie erwarben sich das 
grv>3se Verdiexk^, die^ Lehre zu schallen, die voriier noch gar nidit da 
war.« S. 5:^6*1 

53. V^l. was obeu S. 54 ff. über die Lateinkche Syntax tud Schmalz 
und S. -U^C über ScazaK» Vctrschlag geisagt kI. Diesem letifterai ist 



155 

Behaohel in seinem Kolleg über deutsche Syntax gefolgt, wie Binz (Syn- 
tax der Baselstädtischen Mundart, Stuttgart 1888, S. 2/3.) angiebt; doch 
vgl. Anm. 71. 

66. Dass diese Annahme irrig ist und auf Missverständnis der Ab- 
sichten des »dunkeln« Verfassers beruht, hat Lange nachgewiesen: Das 
System der Syntax des ApoU. Dysk. dargestellt, Göttingen 1852, S. 14. — 
Übrigens zeigt die Einteilung von Varros Schrift »de lingua latina« schon 
deutliche Gegenüberstellung der Formenlehre und der Syntax als zweier 
Hauptteile der Grammatik. 

57. Des Apoll. Dysk. vier Bücher über die Syntax. Übersetzt usw. 
von Alex. Buttmann, Berlin 1877, S. 1/2. 

58. Ein bezeichnendes Beispiel dafür, was alles in einer sogen. Syntax 
»untergebracht« werden kann, bietet die Wissenschaftliche Grammatik 
der englischen Sprache von Fiedler und Sachs II, Leipzig 1861. Da wird 
z. B. S. 130/1 unter der Überschrift »Nominal-Ellipsen« gehandelt von 
der Auslassung oder vielmehr Entstellung (!) des Namens Gottes usw.; 
dort werden die Flüche OddSy Zounds, Marry u. ä. erwähnt und erklärt ; 
desgl. die durch Gedankenstriche ersetzten (!) Worte devil, damn etc. — 
Unter »Komparation« S. 248/9 findet sich bei »1. Absoluter Superlativ* : 
»Der Begriff (!) ^einzig* wird ausgedrückt« . . . durch dfUic . . otUy . . sole . . 
bare .. aJone .. mere ... »Statt (!) des Superlativs werden andere Aus- 
wege zur Steigenmg angewandt«; darunter wird aufgeführt: 1) Kom- 
position mit thrice wie thrice-valiant. 2) Verdoppelung wie a new new 
love. 3) Wendungen wie holt uprightj chocJc-ftdl, fire new usw., faire as 
faire mote be, as best he might, the warst possible usw. Also ein Stück 
Wortbedeutungslehre, behandelt vom Standpunkt der synthetischen Gram- 
matik ! 

59. Die deutsche Sprache, Leipzig u. Prag 1886, S. 196 ; doch vgl. 
Anm. 71. 

60. Wenn Scherer (vergl. Anm. 38.) die Behandlung der Wortstel- 
lung, der Kongruenz und des Satzaccents, trotzdem sie mit der Bedeutung 
der Wortklassen und Wortformen nichts zu thun hätten, ausdrücklich 
deshalb verlangt, weil auch sie Mittel der Satzbildung (!) seien, so verlässt 
er damit die Wort(bedeutungs)lehre und will Satzlehre. Will man aber 
in der Syntax eine Satzlehre, so ist es ein Widerspruch, sie nur als 
Bedeutungslehre anzusehen, wie Scherer thut; denn dann bedarf man 
auch einer Satzformenlehre, einer Satzbildungslehre. Femer geht aber 
auch Scherer über die reine Bedeutungslehre hinaus, indem er verlangt, 
dass Bedeutung und Gebrauch jener Satzbildemittel erwogen werde. 
Diesen Zusatz hätte er nicht gemacht, wenn er nicht gefühlt hätte, dass 
sich doch nicht alles zur Sache Gehörige zwanglos unter den Begriff der 
Bedeutimgslehre bringen lässt. Darum ersetzt wohl auch Erdmann in Miklo- 
sicHs Definition »Bedeutung« stillschweigend geradezu durch »Gebrauch«: 



156 

»Nach dem Vorgänge von Miklosich . . . betrachte ich die Syntax als 
Lehre vom Grebranche der WortklasBcn und Wortformen in der Rede.« 
(Grandzüge S. III.) ^Gebrauch* ist ohne Frage ein um&aaenderer BegrifF 
und in unserm Falle zutreffender als ^Bedeutung*. Er igt aber auch 
unbestimmter. Diese Yertauschung erweitert zwar das von der Definition 
umschriebene Gebiet, verwischt aber auch etwas die bewusste Bestimmt- 
heit des MiKLOsicHSchen Systems und die Stellung seiner Syntax inner- 
halb der Gesamtgrammatik. Bei Miklosich hängt die Beschrankung des 
syntaktischen Stoffes innerlich und enge zusammen mit seiner Auffassung 
der Syntax als Bedeutungslehre der Elemente der Bede, der Wortklassen 
und Wortformen. Diese einheitliche Grundauffeissung wird durch £bd- 
KAicNS Änderung verdunkelt. 

61. Reisig schob seine »Semasiologie« als zweiten Teil zwischen die 
»Etymologie« und die »Syntax«. Ihm ist die glänze Sprachlehre eine 
Wortlehre: »Das Wort betrachten wir in seiner Gestalt ... und daraus 
entsteht 1) die Etymologie, Formenlehre; demnach seine Verbindung mit 
andern Wörtern, und dies bildet 2) die Syntax. Das Wort hat aber noch 
eine andere Eigenschaft an sich , die Bedeutung . . .« (Vorlesungen über 
lateinische Sprachwissenschaft hrsg. v. Fr. Haasb, Leipzig 1839, S. 18.) 
Reisigs Vorschlag wurde zunächst von Bemabt beiflülig begrusst und 
kritisch beleuchtet (Jahrbücher f. wissensch. Kritik 1834, Juli No. 9. 10.) 
Er tadelt die noch unvollkommene Ausfuhrung des guten Gedankens und 
schlagt seinerseits ebenfalls eine Dreiteilung der Grammatik vor, die 
wiederum lediglich als Lehre vom Wort gefasst ist: »I. Das Wort als Form 
(a. Elementarlehre = Lautlehre ; b. Flexionslehre ; c. Ableitungs- und Kom- 
positionslehre). II. Die Bedeutungslehre. III. Das Wort als Gedanke 
(Syntaxis).« Die Definition des dritten Teiles ist unklar und gekünstelt, 
seine Einordnung in die gleiche Reihe mit den richtig gegenübergestellten 
ersten beiden Teilen ist verfehlt. Benaby beschränkt die Syntax auf die 
eigentliche Satzlehre: »a. der einfache Satz — Taxis; b. der Nebensatz 
— Parataxis (!) ; c die Periode — Syntaxis.« Was aber besonders wichtig 
ist, er fuhrt die Behandlung der Bedeutung der Wortformen nicht, wie 
das so viele Vertreter der Definition »Syntax ist Satzlehre« thun (vergl. 
oben S. 52 ff.), durch eine Hinterthüre wieder in die Satzlehre ein, son- 
dern er weist sie ausdrücklich der Bedeutungslehre als deren zweiten 
Abechnitt zu. Er will dort behandelt wissen: »1) die Verhältnisse der 
Dinge zu einander (Genus, Numerus, Kasus); 2) die Verhältmsse der 
Eigenschaften (Gradation); 3) die Verhältnisäe der Handlung (Tempus, 
Modus, Genus). Diesen Gredanken ergriff Haass, der es zuerst unternahm, 
Reisigs Versuch auf erweiterter Grundlage fortzufuhren. Auch er läast 
die Grammatik in drei Teile zerfallen und setzt die Bedeutungslehre, 
welcher er einen über die Absichten Reisigs und auch Bekabts weit 
hinausgehenden Umfang gab, ebenfalls an die zweite Stelle zwisdiai 



157 

eine »Etymologie« und eine »Satzlehre«. Über Inhalt und Gliederung 
dieser drei Teile (behandelt ist nur der mittlere) vergl. Vorlesungen über 
lat. Sprachwissenschaft v. Friedrich Haase, hrsg. v. Eckstein und Peter, 
Leipzig 1874/1880, Bd. I, S. 72 ff. und das Inhaltsverzeichnis von Bd. IL 
Eine andere und, wie mir scheinen will, bessere Einteilung der Bedeutungs- 
lehre hatte Haase vorgeschlagen in den Ergänzungsblättern z. Allg. Litt.- 
Ztg. No. 65, Aug. 1838, S. 527. — Schleichebs Einteilung der »voll- 
ständigen« Grammatik (Die deutsche Sprache, Stuttgart 1860, S. 122.) in 
vier Teile: »1) Lautlehre oder Phonologie; 2) Lehre von der Wortform 
oder Morphologie; 3) Lehre von der Funktion, Funktionslehre; 4) Lehre 
vom Satzbau, Syntax« bringt keinen weitem Fortschritt, als dass von 
dem bisherigen ersten Teil die Lautlehre als selbständiger Hauptteil ab- 
gegrenzt ist. Die Bedeutungslehre zerfällt bei Schleicher in zwei Ab- 
schnitte: er unterscheidet Wurzelfunktion und grammatische Funktion, 
Bedeutung und Beziehung. Aber den Ausdruck ^Bedeutung' auf die 
Wurzelbedeutung einzuschränken, ist willkürlich; der Ausdruck ^Be- 
ziehung' ist zu eng, weil die zur Wurzel hinzukommenden Elemente des 
Wortes keineswegs nur z^m Ausdruck von Beziehungen dienen (vergl. 
oben S. 96 ff.). Übrigens ist die Unterscheidung nicht neu, sie findet sich 
schon bei Benary und Haase. Die Beschränkung der Syntax auf die Lehre 
vom Satzbau, die Behandlung der Bedeutung der Wortformen in der 
Funktionslehre entspricht gleichfalls Benarys und Haases Vorgang. Auch 
die fehlerhafte Nebeneinanderreihung der vier Teile ist die alte. Doch 
fasst Schleicher, zwar nicht im Schema, aber in der Erklärung, die drei 
ersten Teile zusammen als Lehre vom Worte. (»Das Wesen des Wortes 
und somit das der gesamten Sprache (!) wird durch drei Momente be- 
stimmt: Laut, Form und Funktion« S. 9.) Halb und halb, aber mehr 
äusserlich, sucht er auch den vierten Teil diesem Gesichtspunkt unter- 
zuordnen. (»Das Wort als Glied des Satzes« ; »eine vierte Betrachtungs- 
weise der Sprache, die syntaktische« S. 10.) Schleicher lässt also den 
Unterschied von Einzelwort und Wortgefüge, obwohl er ihn im Vorüber- 
gehen streift, ebenso zurücktreten wie den von Einzellaut und Wort. 
(Vergl. auch »Zur Morphologie der Sprache« in: Mömoires de l'Academie 
imper. d. sciences de St.-P^tersbourg, Vll« serie, Tome 1 , Petersburg 1859, 
S. 2.) 

62. Untersuchungen zur lateinischen Semasiologie, I. Heft Erlangen 
1875, n. Heft 1878. 

63. Vermuten darf man, dass das wohl unbewusst dabei wirkende 
Motiv in dem Wohlgefallen an der Symmetrie des Schemas liegt, ein 
Motiv, das bei Einteilungen uneingestandenermassen so oft eine wichtigere 
Rolle gespielt hat, als ihm zukommt. Heerdegens beide Hauptteile zer- 
fallen in je zwei Unterabteilungen mit demselben Einteilun^rsprinzip, 
welche Gliederung ihm für eine besondere Lautlehre nicht geeignet er- 
schienen sein wird. 



r 



158 

64. Lange, a. a. 0. (vergl. Anm. 1.) S. 97. 
66. ebenda S. 96. 

66. Steinthal, Grammatik, Logik u. Psychologie, Berlin 1885, EinL 
S. XXI ff. 

67. HEERDEasN giebt folgende Einteilung der Grammatik : » L Wortlehre. 
1) Formenlehre des Wortes an sich, d. i. Etymologie (worunter wir [Heer- 
DEOEn] auch Laut- und Wortbildungslehre mitbegreifen). 2) Funktionslehre 
des Wortes für sich, d. h. Semasiologie. II. Lehre vom Wort als Glied 
des Satzes oder kurzweg Satzlehre. 1) Formenlehre des Wortes im Satz, 
d. i. Flexionslehre. 2) Funktionslehre des Wortes im Satz, d. i. Syntax.« 
Wir haben oben S. 81/82 schon darauf hingewiesen, dass bei Heerdegen 
ein besonderer Hauptteil für die Lautlehre fehlt, die er wenig passend 
der »Formenlehre des Wortes an sich« unterordnet, und dass er von 
dieser die gesamte Flexionslehre ausgeschlossen hat, um sie der Satzlehre 
zuzuweisen. Dieses von allem sonstigen Gebrauch abweichende Verfahren 
begründet er mit den Worten: »Flexion kann doch ein Wort für sich 
allein gar nicht haben ..., sondern eben nur in Verbindung mit andern 
Wörtern d. h. im Satz.« (a. a. 0. S. 45.) So lobenswert die Eonsequenz 
ist, mit der er auf die Formenlehre der Flexionen anwendet, was sonst 
nur von ihrer Bedeutungslehre gelten soll, so dient doch gerade die 
richtige Nutzanwendung, die er von dieser irrigen Behauptung macht, 
vortrefflich dazu, das Schiefe und Bedenkliche der ganzen Auffassung ins 
rechte Licht zu stellen. Ebensowenig glücklich ist seine Definition und 
Gliederung des II. Hauptteils. Abgesehen davon, dass eine »Lehre vom 
Wort im Satze« noch lange keine Satzlehre ist, ordnet er den weiteren 
Begriff Santax dem engern Begriff Satzlehre unter. Damit hätten wir 
dann eine noch engere Definition der Syntax als die von Miklosich; sie 
schrumpft bei ihm zur Bedeutungslehre der Flexionsformen zusammen. 

68. Vergl. Anm. 61. u. Ergänzungsblätter zur AUgem. Litteraturztg. 
No. 65, Aug. 1838, S. 526 ff.: »... jeder bemühte sich nun die alte soge- 
nannte Syntax in die neue umzuwandeln, wodurch nicht nur die schon 
erwähnten Nachteile entstanden, sondern auch die freie Entwicklung der 
Satzlehre vielfach gehemmt wurde, indem sie jenen chaotischen Ballast 
mit sich schleppte und ihn teils auf eine manierÜche Weise unterzubringen 
suchte, teils auch sich selbst ihm möglichst accommodierte, damit ihre un- 
natürliche Überladung nicht in einer allzu grellen und unförmlichen 
Gestalt hervorträte. ... Wenn ich die Satzlehre von der Last entbinden 
könnte, mit der sie sich ganz unnützer Weise beschwert hat, so würde 
ich glauben, ihr und der lateinischen Grammatik überhaupt einen wesent- 
lichen Dienst zu leisten.« 

69. G. VoGRiNz, Grammatik des homerischen Dialektes, Paderborn 
1889. Vgl. desselben Verfassers Ausführungen in den Neuen Jahrbüchern 
f. Philol. u. Pädag. 1889, IL Abteil., S. 266. und Zeitschrift für die österr. 
Gymnaden 1889, S. 9. 



159 

70. Die sonst allgemein zugestandene Berechtigung von Reisigs 
Forderung, dass die Bedeutungslehre als ein neuer Teil iu die Grammatik 
einzureihen sei, wird neuerdings von Hecht bestritten. Er sagt (Die 
griechische Bedeutungslehre, Leipzig 1888, S. 1.): »Nachdem ihre Wichtig- 
keit schon Reisig betont, der sie als einen Hauptteil der Grammatik be- 
trachtet . . . , hat man (?) sie später mit Recht als eine von der Grammatik 
unabhängige Lehre sprachwissenschaftlich-psychologischer Art aufgefasst.« 
Demgegenüber betont der Verfasser der neuesten Schrift auf diesem Ge- 
biete, Friedrich Schröder: »Sie [die Bedeutungslehre] ist und bleibt — 
darin muss man Heerdegen durchaus beipflichten — ein Teil der Gram- 
matik . . .« (Zur griech. Bedeutungslehre, Progr. Gebweiler 1893, S. 5.) 
Diesen Standpunkt halten wir umsomehr fest, als wir einen Gegensatz 
zwischen den Stoffen der wissenschaftlichen Grammatik und denen einer 
»Lehre sprachwissenschaftlich-psychologischer Art« nicht zu entdecken 
vermögen. Die Ergebnisse von Forschungen allgemein sprachwissen- 
schaftlicher Art, wie sie Hecht im Auge zu haben scheint, gehören 
durchaus in die Grammatik, in der sie auf einen angemessenen Platz ein 
Recht haben. Der mancherorts bestehenden Neigung, den Begriff der 
Grammatik zu eng zu fassen und auch die wissenschaftliche Grammatik 
nur als eine höhere Art von Lehrbuch anzusehen, das mit grösserer 
Ausführlichkeit und gelehrterem Apparat doch schliesslich auf denselben 
Wegen denselben Zielen zustrebt wie die Schulgrammatik, ist überhaupt 
entgegenzutreten . 

71. In seiner Anzeige von Erdmanns »Grundzügen« , Litteraturblatt 
für german. u. roman. Philologie 1887, No. 5, Sp. 201 ff. Dort spricht er 
von den verschiedenen Arten und Objekten der grammatischen Forschung 
und stellt dabei zunächst klar und richtig das »sinnliche Element« der 
Sprache dem »geistigen« gegenüber. Auf diesen Gegensatz eine Gliede- 
rung der Grammatik zu gründen — soweit eine solche in diesen gelegent- 
lichen Bemerkungen überhaupt beabsichtigt ist — misslingt ihm aber, 
weil er es versäumt, daneben den andern Gegensatz von Laut, Wort und 
Wortgefüge schärfer ins Auge zu fassen und beider Verhältnis zu einander 
zu bestimmen, was um so unerlässlicher war, als er doch auf eine Stoff- 
begrenzung der Syntax hinaus wollte, und der Begriff der Syntax jenen 
Gegensatz voraussetzt. Darum ist ihm alles, was nicht Betrachtung des 
»geistigen Elements für sich« [nach dem Vorbild von Rogets Thesaurus] 
ist, entweder Lautlehre oder Bedeutungslehre: »Drittens . . . kann das 
Verhältnis von Form und Inhalt untersucht werden: das ist Bedeutungs- 
lehre im weitesten Sinne. Prüft man diejenigen Beziehungen zwischen 
Form und Inhalt, diejenigen Wandlungen der Bedeutung, welche ftir die 
Zusammenfugung der Wörter gleichgültig sind, so ergeben sich die Dis- 
ziplinen der Semasiologie und der Synonymik und, zum Teil hierher 
gehörig, der Wortbildungslehre. [Wohin gehört nun ihr anderer Teil?] 



160 

Alle andern Erscheinungen fallen in das Gebiet der Syntax. Auch die 
Flexionslehre ist Syntax ; nicht ein Teil (!) der Syntax, sondern ein Kom- 
pendium der Syntax: wenn gesagt wird, dass in einer Sprache der Dativ 
auf -e ausgehe, so heisst das nichts anderes als: bei den Verben gehenj 
schenken etc. stehen gewisse auf -e ausgehende Wort formen.« Behaghel 
springt also von der Lautlehre direkt zu der Untersuchung des Verhält- 
nisses von Form und Inhalt über und übersieht, dass das sinnliche Ele- 
ment an sich, die Form, nicht nur im Laut, sondern auch im Wort und 
Wortgefüge vorliegt und für sich einen Gregenstand der Forschung bildet, 
die zunächst die Formen der Worte und der Gefuge festzustellen hat, 
ehe sie deren Bedeutung untersuchen kann. Somit fehlen der Grammatik 
die der Formenlehre zu widmenden Abschnitte je der Wortlehre und der 
Syntax : diese beiden sind lediglich Bedeutungslehre, und die erstere wird 
auf Semasiologie und Synonymik beschränkt; alles andere ist Syntax. 
Der wichtigste Teil der Wortformenlehre, die Flexionslehre ist ganz in 
der Bedeutungslehre der Flexionen verschwunden und diese wieder als 
Ganzes der Syntax zugewiesen. Mit Berufung auf eine Easusbedeutung 
wird dabei wieder stillschweigend die falsche Voraussetzung gemacht, 
dass alle Flexionsformen stets eine syntaktische Bedeutung haben. Und 
doch war Behaghel auf dem besten Wege gewesen, den Stoff der Syntax 
richtig zu begrenzen, indem er »diejenigen Beziehungen zwischen Form 
und Inhalt ..., welche für die Zusammenfügung der Wörter 
gleichgültig sind,« ausdrücklich von der Syntax ausgeschlossen hatte. 
Nun heisst es aber wieder kurz und unrichtig: »Die Syntax befasst sich 
also mit den Beziehungen zwischen der Bedeutung und dem sinnlichen 
Substrat.« Also doch wieder mit allen! So fällt auch nach Behaghel 
die gesamte Bedeutungslehre aller Wortklassen und Wortformen unter 
den Begriff der Syntax, weil er hier* die notwendige Beschränkung weg- 
lässt: soweit sie nicht »für die Zusammenfugung der Wörter gleichgültig 
sind« — eine Beschränkung, die er selbst kurz vorher gegeben hatte, 
um den Ausschluss von Semasiologie und Synonymik zu begründen. 

72. Dass die sogenannte ^Formenlehre' auch bisher schon immer eine 
Art abgekürzter Bedeutungslehre der Formen in sich schloss, hat Schleicher 
richtig erkannt und deshalb in seiner Einteilung der allgemeinen Gram- 
matik den Ausdruck Morphologie statt Formenlehre gewählt, »weil 
Formenlehre für specielle Morphologie verbunden mit Funktions- 
lehre der Beziebungslaute bereits im Gebrauche ist.« (Zur Morpho- 
logie der Sprache S. 35.) Übrigens bildet auch nach Schleicher die 
»Lehre von der Funktion der einzelnen TeDe des Wortes und des 
Wortes selbst eine Ergänzung der Morphologie.« (ebenda S. 1.) 

78. HoRNEMANN (Über Namengebung und Anordnung einer Parallel- 
grammatik der Schulsprachen in: Lehrproben und Lehrgänge 1889, Juli, 
S. 68 ff.) spricht sich gegen die Trennung von Syntax und Wortlehre aus. 



161 

Er stützt sich dabei einerseits auf die Erwä^ng der praktischen Bedürf- 
nisse des Unterrichts — was ausserhalb des Rahmens unserer Erörterungen 
liegt — , andererseits auf allgemeinere. Betrachtungen , unter denen die 
oben besprochenen die wesentlichsten sind. Übrigens wird ein Teil seiner 
Einwände gegenstandslos, sobald Syntax in dem Sinne und der Be- 
grenzung gefasst wird, die diese Abhandlung als die richtigen zu erweisen 
versucht. 

74. Ähnlich wandte sich schon Haase gegen den Einwand, dass 
seine Bedeutungslehre »nicht ohne die Voraussetzung des Satzes, selbst 
des zusammengesetzten, möglich sei«. Er sagt: »Aber es wird doch bloss 
der Satz überhaupt, nicht die Satzlehre vorausgesetzt [Sehr wichtige und 
treffende Unterscheidung !] , denn immer handelt es sich nur um die 
Bedeutung einer einzelnen Form, und dass diese nicht für sich 
stehen kann, ist eben ein Teil ihrer Bedeutung.« Auch weist 
er schon auf die absurde Eonsequenz jenes Einwandes hin: ».. . da man 
sonst auch weder in der Formenlehre mit Buchstaben und Silben, sondern 
gleich mit dem ganzen Worte, noch auch in der Satzlehre mit dem ein- 
fachen Satze, sondern mit der ausgebildeten Periode beginnen müsste.« 
(a. a. 0. S. 527.) 

76. A. a. 0. S. 125 mit specieller Beziehung auf die einzelnen Ka- 
pitel der Syntax. 

76. Die deutsche Satzlehre» S. 139. 

77. Vergl. Georg v. d. Gabelentz, Chinesische Grammatik, Leipzig 
1881, § 50 u. 150. 

78. So sagt Paul, Prinzipien* S. 313: »Wir haben eigentlich kein 
Recht mehr gtU in Sätzen wie *er ist gut gekleidet*, »er spricht gut* und 
gut in Sätzen wie *er ist gut*, *man halt ihn für gut* einander als Adv. 
und Adj. gegenüberzustellen. Das Sprachgefühl weiss von diesem Unter- 
schiede nichts ...« Ganz gewiss ist es zum mindesten fraglich, ob wir 
dies Recht noch haben, ob das Sprachgefühl von diesem Unterschiede 
noch etwas weiss. Dass dies Gefühl im Erlöschen ist, dürfte nicht zu 
bestreiten sein, dass es aber doch noch nicht ganz erloschen ist, ergiebt 
sich u. a. daraus, dass man das Bedürfnis für Neubildung von A<yektiv- 
formen wie dasig noch empfindet. Die Zahl der Fälle, in denen imNhd. 
noch streng und sicher zwischen Adj. u. Adv. geschieden wird, scheint 
mir doch ausreichend, um die Annahme zu rechtfertigen, dass das Gefühl 
für den Unterschied der Kategorie überhaupt noch lebendig und kräftig 
genug ist, um sich auch in den zahlreichen Fällen der Homonymie geltend 
zu machen. Jedenfalls aber ist es ein Verdienst von Paul, darauf nach- 
drücklich hingewiesen zu haben, dass es die Pflicht des Grammatikers 
ist, derartige Fragen anzuwerfen und zu prüfen. 

79. A. a. 0. n. Heft, S. U. 



162 

80. Wenn Grimm z. B. Gramm. lY. S. 290 sagt : »Nach dieser Erörterung' 
des allgemeinen Verhältnisses zwischen Sing, und Plur. ist n u n auch ihre 
syntaktische Abhängigkeit zu prüfen«, so erklärt er damit selbst, dass 
seine Ausführungen auf S. 284 — 290 nicht syntaktischer Natur sind. 
Ebenso geht aus den Bemerkungen, die er seiner Behandlung des Yerbums 
vorausschickt (S. 3.), hervor, dass er in der Bedeutung der Verbalformen, 
von den Umschreibungen abgesehen , für den einfachen Satz keinen 
eigentlich syntaktischen Stoff sieht. 

81. Vergl. Paul, Prinzipien* S. 232. 

82. Wird es als die Aufgabe der Wortlehre angesehen, die Bedeutung der 
Wortarten und Wortformen zu lehren, so ist auch eine grössere Individuali- 
sierung zu erwarten, die sehr wünschenswert ist. Jetzt werden die gleich- 
artigen Formen aller Worte und alle Worte der gleichen Klasse meist ziem- 
lich in Bausch und Bogen behandelt und vorausgesetzt, dass bei allen die 
Bedeutung die gleiche ist. Es ist noch viel zu wenig festgestellt, bei 
welchen Worten bezw. Gruppen von Worten gewisse Bedeutungen der 
Klassen und Formen vorkommen, bei welchen nicht. Dass einige Be- 
deutungen nur bei gewissen Wurzelbedeutungen überhaupt mögUch sind, 
liegt auf der Hand und ist in dieser Allgemeinheit natürlich wohlbekannt. 
Es ist aber eine wichtige und noch ungelöste Aufgabe, den Umfang jeder 
einzelnen Verwendung der Formen so weit als möglich festzustellen, zu 
zeigen, von welchen Worten eine bestimmte Formbedeutung ausgegangen 
ist, wie sie sich ausgebreitet hat, wo sie zuerst abgestorben ist, in welchen 
Kesten sie sich erhalten hat. Die Syntax, die sich doch immer, wie man 
sie auch behandele, in erster Linie für das interessieren muss, was in allen 
möglichen Wortverbindungen Geltung hat, begnügt sich leichter mit 
allgemeinen Wendungen, die eine Bedeutung als selten, häufig, neu, ver- 
altet bezeichnen. Es ist zu hoffen, dass vom Standpunkte der Wortlehre 
aus das Interesse sich einer individuelleren Behandlung der Bedeutungs- 
entwicklung auch der Wortarten und Formen zuwende. 

83. Fraglicher könnte sein, ob diese Vorgänge nicht in der Wort- 
formenlehre zu erörtern seien, weil die Veränderung des An- oder Aus- 
lauts eines Wortes, äusserlich betrachtet, einer Veränderung der Wort- 
form selber gleichkommt. Ohne auf diese unserm Thema femliegende 
lYage näher einzugehen, scheint es uns das Richtige, die Erscheinungen 
des Satzsandhi in der Lautlehre zu behandeln und in der Wortformen- 
lehre nur darauf zu verweisen ; denn es handelt sich dabei doch lediglich 
um die Angelegenheiten der Einzellaute und ihre gegenseitige Beeinflussung ; 
die Wortformen aber werden nur indirekt betroffen, insofern neben den 
eigentlichen Formen vorübergehend und unter bestimmten, von der Laut- 
lehre erörterten Bedingungen, gewisse Nebenformen mit genau derselben 
Bedeutung und syntaktischen Funktion auftreten. 



163 

84. Man vergl. z. B. die Bemerkungen, die Schmalz seiner Lateini- 
schen Stilistik vorausschickt. (A. a. 0. IP S. 532.) Man meint seinen Worten 
recht die Verlegenheit anzumerken, die ihm die Aufgabe bereitet, zwischen 
den Stoffen von Syntax und Stilistik eine Grenze zu ziehen. Yergl. 
femer das Vorwort in Haackbs Lateinischer Stilistik,' Berlin 1875. 

86. ScHEREB, Zur Geschichte d. deutschen Sprache, S. 87; Über den 
Ursprung d. deutschen Nationalität, Vorträge u. Aufsätze S. 12 ff. Vergl. 
auch Quellen u. Forschungen XLI, S. 11. 

86. Über das Verhältnis der Stilistik zur Grammatik zu vergl. be- 
sonders : K. F. BECKER; d. deutsche Stil, (neu bearb. v. Lyon 1884.) S. VII. 
VIII. 56. 57. Steinthal, Grammatik, Logik und Psychologie, S. 138 ff. 
Derselbe, Abriss der Sprachwissenschaft, Berlin 1871, Ö. 33 ff. G. v. d. 
Gabelentz, a. a. 0. S. 108. 110. 

87. Vergl. Gröber in seinem Grundriss der romanischen Philologie 
1. S. 212 ff. 287. 

88. Vergl. Paul, Prinzipien" S. 235 f. und Georg v. d. Gabelentz 
a. a. 0. S. 124. 

89. Diesen Gesichtspunkt hat auch Erdmann hervorgehoben: Ztschr. 
f. Völkerpsychologie u. Sprachwissenschaft 1884, S. 889. Hier bestimmt 
Erdmann, dessen Aufmerksamkeit weniger auf den Stoff selbst als auf 
seine Behandlung gerichtet ist, die Aufgaben der syntaktischen Forschung 
in einer von unserer Auffassung wenig abweichenden Weise. — Die Frage 
nach den syntaktischen Ausdrucksmitteln wirklich zu beantworten, unter- 
nimmt die Göttinger Dissertation von Seedorf, Über die syntaktischen 
Mittel des Ausdrucks im ahd. Isidor usw. Paderborn 1888. Vergleicht 
man diese Arbeit mit der gleichzeitig erschienenen von Max Rannow, Der 
Satzbau d. ahd. Isidor usw., Berlin 1888, so erkennt man deutlich, welche 
Vorzüge die von Seedorf gewählte Fragestellung besitzt, wie vorteilhaft 
sie zumal für die syntaktische Einzelforschung werden kann. Besondere 
Beachtung verdient auch Seedorfs Einleitung, deren Ausführungen sich, 
zum Teil mit den oben S. 96 ff. entwickelten Ansichten decken. 

90. In dem mehrfach angeführten Aufsatz S. 123.