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iS 0 t
WEIMARISCHES
JAHRBUCH
FÜR
DEUTSCHE SPRACHE
LITTERATUR UND KUNST
HERAUSGEGEBEN
VON
HOFFHANN VON FALLERSLEBEN
l'ND
OSKAR SCHADE.
H. B A N D.
HMKOTER.
CARL ROM PL KR.
WEOUK libb. 4M8TERBA11.
BUUlAini BÖBLAU. J. MOLLEK.
'.
INHALT.
I. August Bachner. Von H. ▼. F 1
n. Über das Verhältniss Thüringens und Hessens zur deutschen Lit-
teratur. Von A. Koberstein 40
in. Zur Litteratur Fischarts. Sonette. Mitgetheilt von Dr. O. Schade 60
rv. Ein Pasquill aus der Zeit des 30jähr. Krieges. Mitgetheilt durch
Oscar Schade 66
V. Klopfan. Ein Beitrag zur Geschichte der Neujahrsfeier von
Oskar Schade 75
VL Die Musik. Kurze Darstellung ihres Wesens und ihrer geschicht-
lichen EntWickelung. Von Dr. Karl Emil Schneider . • • . 148
VII. Die ältesten deutschen Sprichwortersammlungen. Von H» v, F. . 173
Vm. Liederbuch der Frau von Holleben. Von H. ▼. F 187
IX. Sechs ungedruckte Briefe von Martin Opitz. Veröffontlicht Ton
Friedrich W. Ebeling 193
'X. Die deutschen Bprachverderber (Nachtrag zum Jahrb. 1. Bd.
S. 296.) Von Ludwig Erk . . . . 206
XI. Findlinge. Von H. v. F 210
1) Dietrich von dem Werder 211
2—4) Friedrich von Logau 212
5) Elisabeth, Markgräfin von Baden 213
6) Sonntagsthee bei Herder 219
7) Bnrger*s Nothgedrungene Nachrede 220
8) Schiller über die Minnelieder ^ . 224
9) SchiUer*s Brief an die Gräfin Purgstall 225
10) Kotzebue's Portrait 226
11) Sonnenberg*s Tod 227
12) Immermann an M. Beer 229
13) Heinrich Heine. Steckbrief 230
XII. Die älteste deutsche Räthselsammlung. Von H. t. F 231
Xm. Ein Liebesbrief. Mitgetheilt von H. v. F 236
Seite.
XIV. Der Tabak in der deutschen Litteratur. Von H. v. F. . . . 243
XV. Zur Geschichte des Wunderhorns. Von H. v. F 261
XVI. Daniel von Czepko. Von H. v. F 283
XVII. Schillers erste litterarische Fehde und die Herausgabe der An-
thologie. Von Eduard Boas 291
XVIII. Heinrich Mühlpforth. Von August Kahlert 304
XIX. Liederbuch Pauls von der Aelst v. J. 1602. Von H. v. F. . 320
XX. Prophetinnen und Zauberinnen mit Beziehung auf das deutsche
Alterthum.. Von Selig Cassel 357
XXI. Zur makaronischen Poesie von Dr. O. Schade 409
XXII. Findlinge. Von H. v. F. Zweite Gabe. Mit Beiträgen von
Gustaf Eschmann, August Kahlert, Franz Ludwig Mittler,
August Koberstein und August Spieß.
1) Lessing an Raspe 465
2) Merck an Raspe 466
3) Merck an Wieland 467
4) Lessings Werther 470
5) Lessings Faust • 470
6) Der Chor in der Tragödie 471
7) Schiller und Fräulein von Imhoff 472
8) Garve*s letzter Brief an Kant 475
9) Zwei Briefe von Jung Stilling 478
10) Jac. Grimm über den Adel in der deutschen Litteratur . 482
, 11) Friedrich Christoph Schlosser über Göthe und Schiller . 485
12) Was Herr Dr. Zarncke von Andern verlangt 486
13) Scherenberg und sein alter Lobebär 487
14) Der Bischof von Leitmeritz und die deutsche Litteratur 487
I.
AUGUST BÜCHNER.
VON
H. V. F.
Es ist eine sehr erfreuliche Erscheinung der neuesten Zeit,
dass die deutsche Litteraturgeschichte sehr viele Bearbeiter ge-
funden hat. Noch erfreulicher müsste es jedoch sein, wenn die
Bearbeiter immer zugleich auch Forscher gewesen waren.
Selbst die besten haben es leider nur zu ofl verschmäht, eigene
Forschungen anzustellen und sich mit dem Wüste det Übier-
lieferung begnügt. Was hilft aber am Ende die geiistreichste
Behandlung des ganzen Ganges unserer Litteratur, odet* eines
einzelnen Zeitraums, oder einer besonderen Richtung, die sich
in irgend einem Schriftsteller kundgibt, wenn die Thätsachen,
von denen man ausgeht, theils unvollständig oder, was noch
schlimmer, unrichtig sind? Unsere Litteratürgeschiohteti tind
Sammelwerke mit litterarhistorischen Notizen wimmelb von bio-
graphischen und bibliographischen Unrichtigkeiten. Leidet trifft
dieser Vorwurf gelbst die besseren Werke, die fabrikärtlgeti
Unternehmungen dieser Art wollen wir erst gär bidht inr^St^r
in Betracht ziehen. Wollte man alle Bücher, wel^h^ sich i^^it
den 80er Jahren mit deutscher Litteraturgeschichte befä^ä^ti,
berichtigen, so ließe sich gewiss ein ziemlich umfangreiches
Buch daraus machen. Endlich muds aber doch einmal der
Weimar. Jb. II. l
2
Überlieferung ein Ziel gesetzt werden, endlich müssen die Erb-
und eigenen Sünden der Litterarhistoriker ausgemerzt werden,
damit eine gründlichere Behandlung angebahnt und das Publi-
cum zugleich besser belehrt wird.
Wer Belege zu dieser Behauptung sucht, mag das Leben
und Wirken irgend eines beliebigen Dichters, der noch nicht
Gegenstand besonderer Forschung geworden ist, gründlich selbst
erforschen und dann Vergleichungen anstellen mit dem, was in
größeren und kleineren Werken über ihn gesagt ist, und er
wird meine Behauptung mehr oder weniger bestätigt finden.
Es ist ein hochfahrender Dünkel, jetzt schon die deut-
sche Litteraturgeschichte irgend eines Zeitraumes oder einer
Richtung, geschweige denn aller Zeiträume, aller Richtungen
auch nur bis Schiller als abgeschlossen zu betrachten. Selbst
in jenen Zeiten, welche so fern von uns liegen, dass wir außer
allen näheren Beziehungen zu ihnen stehen, sind die Darstel-
lungen nirgend erschöpfend und tragen mehr oder weniger die
Färbung subjectiver Ansichten und werden mit Urtheilen ge-
mischt, die aus einer ästhetischen Theorie entspringen, welche
man für die allein gültige Richtschnur hält.
Das bleibendere Verdienst haben bis jetzt alle diejenigen
Werke, worin das Thatsächliche bis ins Einzelne erforscht und
übersichtlich zusammengestellt ist und der Leser in Stand ge-
setzt wird, sich selbst ein Urtheil zu bilden. Das Streben nach
einer pragmatischen Geschichte des ganzen geistigen Lebens
und Treibens unsers Volkes in seiner Litteratur ist zwar sehr
anerkennenswerth, wird aber dann erst gerechten Anforderungen
genügen können, wenn es auf Vorarbeiten sich stützen kann,
welche Einer jetzt unmöglich allein zu machen im Stande ist.
Glänzende Darstellungen, die an Gediegenheit streifen, über-
raschende Behauptungen, die sich durch Neuheit und geist-
reiche Wendungen geltend machen wollen, gelegentliche Ver-
gleichungen mit den geistigen Erzeugnissen aller Zeiten und
Volker, wohlgemeinte Winke und Warnungen für die Gegen-
genwart — werden freilich auch ihr Verdienst behalten: sie
regen geistig an und leiten oft auf das hin, worauf es ankommt,
aber -^ Geschichte im eigentlichen Sinne des Worts sind sie
nicht. Denn wir wollen nicht wissen, was dieser und jener bei
unserer Litteraturgeschichte denkt und zu sagen weiß, son-
d€rn was jeder sagen darf, sagen muss.
Die verschiedenartige Darstellung einer und derselben Zeit
von verschiedenen, oft gleichzeitigen Schriftstellern verfasst, wo
doch die Quellen zugänglich sind, muss schon misstrauisch
machen; wie anders aber erst, wenn die Quellen minder offen
daliegen oder erst mühsam aufgesucht werden müssen?
Jeder hat über Buchner geschrieben und was hat auch
nur Einer von Buchner gewusst?
August Buchner war geboren den 2. November 1591 zu
Dresden. Seit dem 16. November 1604 besuchte er sechs Jahre
die Schule zu Pforta und studierte dann seit December 1610
zu Wittenberg. Hier wurde er 1616 Professor Poeseos und
1631 Professor Oratoriae. Er starb den 12. Februar 1661.
Buchner sprach und schrieb ein elegantes Latein, und er-
warb sich durch seine lateinischen Vorträge, lateinischen Ge-
dichte und Briefe, lateinischen academischen Reden und philo-
logischen Arbeiten einen großen Namen. Er beschäftigte sich
auch mit deutscher Poesie, machte deutsche Gedichte und hielt
Vorlesungen über deutsche Dicht- und Verskunst. Letztere
wurden erst nach seinem Tode herausgegeben und von ersteren
ist nicht ein Dutzend zu seinen Lebzeiten gedruckt worden,
und alle, bis auf eine kleine Sammlung, sind dem Inhalte und
der Art der Veröffentlichung nach nichts weiter als ganz ge-
wöhnliche Gelegenheitsgedichte!
Und dennoch galt Buchner für einen großen deutschen
Dichter, Morhof >) nennt ihn sogar den größten seiner Zeit
und Fleming *) meint bei der Kunde von Opitzens Tode
(1639) und der trüben Aussicht auf die Zukunft der deutschen
Poesie:
„Ist Buchner nur nicht todt, so lebet Opitz noch!'*
Die Überlieferung dieses Ruhmes hat sich bis in unsere
Tage fortgepflanzt, eine beispiellose Erscheinung! Das Fort-
leben derselben beruht nur in der bisherigen Unzulänglichkeit
litterarischen Forschens, ihre Entstehung findet einzig und allein
aus jener Zeit ihre Erklärung.
1) Morhofii Polyhistor, ed. Mollen 1708. T. I. p. 333. Erat vir Ule ad
onmem nitOrem literarom factas, Orator optimus et Poeta certe inter Germa-
nos suö tempore princeps. (Morhof f 1691). — 2) Gedichte, Jena 1650.
S. 188.
Vier Di^ige vermochten damals schon einen großen Namon
zi^ yerleihen: classische Gelehrsamjceit, ein ehrenvoller Wir-
kungskreis, Ehren- und Gunstbezeigungen von Seiten der Höfe
un4 fr^uodschaftlicfae Beziehungen zjli vornehmen Leuten und
berühmten Männern.
Dufch eine Reihe philologischer Arbeiten liatte B. darge-
thany wie bewandert er in den Schriften der Kömer und Grie-
chen war: sß}n% Ausgaben des Plautus, der Briefe dps Plinius
und des Thesaurus Eruditionis Scholasticae von Ba^ilius Faber,
hatten i^na einen weiten Ruf erworben. 3)
In seiner Stellung als academischer Lehrer erfreute er sich
hohen Ansehens und bedeutenden Einflusses: achtmal war er
Dec^n der philosophischen Facultas, dreimal Rcctor der Uni-
versität, in allen wichtigen A^igelegenh^iten bediente man sich
seines Rathes.
Er staqd mit vielen gelehrten, angesehenen und berühmten
J^annern in freundschaftlichen Beziehungen, wie sein Brief-
wechsel darthut. JJr hatte pehr innigen persönlichen Verkehr
mit Opitz. *)
Endlich würdigte ihn auch der chursächsische Hof ganz
besonderen Vertrauens und huldvoller Auszeichnung, wofür sich
denn B. auf manche Weise erkenntlich bewies: er hielt eine
lateinische Lobrede auf Joh. Georg I., als dieser das Zeitliche
gesegnet h^tte, und begrüßte in zierlichem Latein Joh. Georg IL
bei seinem Regierungsantritte. Auch bei den HofTesten des
letzteren finden wir B. betheiligt. Als sich dieser vergnügungs-
süchtige, verschwenderische Churfiirst im Nov. 1638 vermählte,
verfasste B. ein Festspiel mit Ballet.
3) Der Rector Andreas Knnad sagt in seiner Leichenrede (s. Witten Me-
mor. Philosoph. Decas VII. p. 391.): Sanc nihil antiquitatum mores, nihil
popnloruxn instituta, nihil temporum continuerunt gesta, quod non ad amus-
^\^t Q^chneru« Qalluisaet. Tulliuin cogltc^te , cpgitate Platoneip , Catonüm mihi
memorate, Buchnerus erit. Non Gallia eum, non Batayiai nee remotior qui^
ignorabat Sarmata.
4) Wie Buchner seinen Freund lobte, so wird es auch dieser nicht an
Lobeserhebungen haben fehlen lassen. B. spricht ganz überschwänglich von
Opitsi, ^. £pi||t 51. (in Morhof Unterricht S. 387): Non potest ascendere al-
%\VLi{ Mi^a Pi^tria , et neoesse est ut acquiescat eo fastigio , quo tu collocasti*
Interim te sequemur longe, et tua vestigia adorabimus: »ic t^qoen non oh-
scnri prorsns morituri.
5
Nur dem Zusammentreffen Met dieser Dinge* verdankte
B. seinen Ivuhiri, eineil Ituhm, vor dem die ZeiTgciiössen einen
solchen Respect hatten, dass sie nicht anders denken konnten
als dass der Mann, der in der WissenBcbaft und irii amtlichen
lind geselligen Leben so hoch sfantf, auch eb^ri so fcch in der
deutschen Poesie stehen müsste.
Woraus sonst hätte sich der große Dichterruhm Bnchner^s
herleiten sollen? Aus seinen deutschen Gedichten doch wahr-
lich nicht. Die wenigen gedruckfcü waren mir Gelegenheits-
gedichte und noch dazu ganz gewöhnlichen Schlages, die nicht
einmal über die Kreise derer, für die sie bestimmt waren, hin-
ausgingen. Und die vier Lieder,- die keiner äußeren Veran-
lassung, sondern einem inneren Alitriebe ihre Entstehung ver-
danken, sind nur vier Blätter in Quart ürid ohne Angabe eines
Orts und Jahrs und Verlegers gedruckt, also nicht für die
Öffentlichkeit bestimmt, ganz wie man jetzt etwais ,^als Manu-
scripf* drucken lässt zum Verschtjiite'ii an gute f^reunde *).
Diese vier Lieder erschienen unter deiöi Ifitel:
„AUGUSTl BUCHNERI Naohtmal des HErm, Nebenst
etlichen andeni Chrietliöhrön Getifehten." *)=
Ob nun diese Lieder, ödbst wenn sie die allgemeinste
Verbreitung gefunden hätten, an und für sicli irgend einen
großen Dichterruhm erwerben konnten, möge jeder heutiges
Tages beurthcilen, selbst wenn er die Ansichten lihd Anfor-
derungen von Damals mitbringt. Sic laüti^ti allsb:
Nachtmal des Herrn.
Jhr, derer Glaub nicht weiter geht
Als wo das Aug und Finger ihn hinleitet,
5) Wie sie denn auch seinem Schwager, dem chursächsischen Steuerver-
wandten Caspar Klengeln gewidmet sind.
6) Das einzige mir vorgekommene Exemplar befindet sich in der Zit-
t«uer Rathsbibliothek. Henning Witten in seinen Memoriae Philos. Decas VII.
p. 396. führt dasselbe Büchlein an, aber mit dem Zusätze: ^^Wittenb. 1628.''
Die daselbst vorkommende „Trost- Schriffi ib. 1644. in S^.*' ist in Prosa , s.
Heyse's Bücherschatz Nr. 854. und die darauf folgende Schrift: „Weinacht-
Gedancken. ibid. in 4®.** ist vielleicht auch nur in Prosa — ich habe sie nie
gesehen. Wenn das der Fall ist, so hat Neumeister aus beiden Titeln Einen
gemacht, p. 19. heißt es nämlich bei ihm: „Weynacht-Gedancken und Nacht-
mal des Herrn. Wittenb. 4, 38 (i. e. 4». 1638.)"
6
Beiseit, beUeit, zurückesteht !
Für dir ist nichts, du schnöder Häuf, bereitet.
Lasst underswo spitzfundig sein
Und die Vernunft und scharfen Sinne spielen,
Hier ist nicht nur schlecht Brot und Wein,
Wir nießen mehr als was wir sehn und fühlen.
Es gehet nicht nein^) in den Mund,
Was seine Kost dem Leibe nur mag geben;
Der Tisch macht unsem Geist gesund.
Durch dieses Mahl der innre Mensch muss leben.
Das Brot in seinem Wesen bleibt,
Der Wein ist Wein , wie er in Kelch geflossen,
Geheimbter Art wie einverleibt
Das Fleisch und Blut, das Gott für uns vergossen.
Die fromme Thorheit gehet hin.
Und mästet sich bei der so edlen Weide ;
In ihr entsteht ein neuer Sinn,
Sie weiß nichts als von lauter Himmelsfreude.
Sie ziehet ihren Meister an;
Was Welt nur heißt, zun Füßen sie ihr leget
Und klimmet bis zum Himmel nan*);
Der in ihr wohnt, von dem wird sie gereget.
Auf, meine Seel, und g^rte dich,
Und steh gerecht , du sollst dein Pascha essen ;
Dem grimmen bösen Wüterich
Dem bist du nun, wann du selbst willst, entsessen.
Des Glaubens Stab fass in die Hand,
Jetzt sollst du aus Egyptens Kerker gehen !
Brich auf, lass das verfluchte Land
Mit seiner Lust ihm selbst zum Urtheil stehen!
Wer ferner drinne bleiben kann,
Mag nicht mit uns des Osterlamms genießen,
Wir gehen hin in Canaan,
Da lauter Milch- und Honigbäche fließen.
Da bauen wir ein neues Reich
Und eine Stadt, die kein Feind wird bezwingen,
7) hinein. — 8) hiiinu. —
Die Züit selbst nicht , und wann auch gleich
All HöUenmacht auf sie nein wollte dringen.
Vun Jaspis ihre Mauren sein,
Die Thnrme drauf von lauteren Topassen,
Des feinsten Goldes reicher Schein
Leucht überall durch die saphirne Gassen.
tn klare Perlen sind die Thor
Und zwölfe zwar, ganz meisterlich, gehauen;
Man siehet keine Riegel Yor,
Auch keine Wacht, den Feinden aufzuschauen.
Ks ist da immer Fried und Ruh
Und stete Wonn und ewiges Wolleben ;
Man singt und jauchzet immerzu
Dem, der uns Heil und Sieg und Kraft gegeben.
Da geht die aus^rwählte Schaar
Und hat das Haupt mit Kränzen rings umleget;
Gott selbst ist Tempel und Altar,
Zu welchem man die keuschen Opfer traget.
Da ist kein Morgen und kein Heut,
Und Jahr und Tag, die das Gestirn regieret;
Ein unerschopfet Ewigkeit
Aus seiner Schoß *) Gott unser Licht gebieret.
Geiz, Ehbruch, Mord sind ausgejagt,
List und Betrug darf sich nicht sehen lassen;
Der Neid, der sich am meisten plagt,
Ist auch verbannt und die stets müssen nassen '*^).
Fromm, still, gerecht und nüchtern sein.
Das ists das uns zu Bürgern da kann machen;
Wer sein Fass hier behalten rein,
Der kommet dort zu groß und hohen Sachen.
Darum wer da will kommen hin,
Muss aus der Welt und seinem Fleische springen.
Und Gott ergeben seinen Sinn.
Der WiU ist da: HErr, gib du das Vollbringen!
i)) Die Schoss, wie nocli Jetst in Schletfien. —
10) Nms sein mässen, d. i. die SSufer.
8
Der Christen Schiffahrt.
Unser Leben ist ein Meer,
Die Begierden sind die Wellen,
Die sich grausamlich aufschwellen
Und uns werfen hin und her.
Bricht ein Ungelücke rein,
Ist es als ein Sturm zu achten;
Unser Port, darnach wir trachten,
Ist hier Ruh, dort selig sein.
Wer ist aber Steuermann?
Unser Glaub und weise Seele.
An des starken Ankers Stelle
Ziehen wir die Hofihung an.
Christus ist der Angelstern,
Nach dem wir die Fahrt anstellen;
Fröhlich brechen wir die WelleUi
Sehen wir ihn nur von fern,
Dannoch aber hat es noth,
Dass man wohl und unverletzet
Komme durch, weil auf uns seti^t
Mancher offenbarer Tod.
Wollen wir recht laufen ein.
Allem Ungemach entgehen,
Musst du, Christus, uns beistehen,
Schiffer, Rudel, Anker sein.
Das Mittel das beste.
Wer sich in der Mitten hält
Und nicht strebt nach hohen Sachen,
Wird nicht leichtlich umgcfallt
Oder seines Feindes lachen.
War er unberuhmt im Land,
Ist er ihm doch selbst bekannt.
Trifft nicht eh des Donners Knall
Starke Thürn und Fürstenhäuser
Als ein arme Hütt und Stall?
Bleiben nicht die kleinen Reiser,
Wann der Nord sich auf sie rieht,
Der die hohen Tannen bricht?
Wer nicht Schifibnich leiden will.
Liebt das Uf^r, schifft bei Bande.
Wer das Glucke furcht, ist still.
Bleibet in dem n ledern Stande.
O wie selig , der allein
Ihm sein Herr and Knecht narag sein!
Ob sich gleich fnr deiner Hand
Das und jewes Meer verneiget*');
Ob sich gleich viel Volk und Land
Unter deinem Scepter beuget,
Und die ungezähmte Macht
Alles ihr zu Diensten bracht:
Wann du dich nicht meistern kannst,
Den Begierden bist ergeben
Und nur füllest deinen Wanst,
Musst du stets ein Sclave leben.
Dann der sich selbst zwingen kann,
Der ist ein recht freier Mann.
Sollt ich nnn bemühet sein,
Ehr und Reichthum zu erlangen?
Andre trieg ihr falaeher Schein,
Ich will ihnen nicht nachhangen.
Gott der ist mein hochi»tes Gut:
Wo mein Schatz, da ist mein Muth.
Gemeiner Irrthum.
Ach, wie irren wir so sehr
Hier auf diesem, wilden Meer!
Alle wollen selig sein,
Wenig schicken sich darein.
Wer trifft doch die rechte Bahn?
Wer greift doch das Werk recht an?
Der auf schöne Blumen denkt.
Sich nicht zu den KUpften Unkt;
Der auf Steinwerk ist bedacht,
Sich nicht in die Gärten macht;
Und wer fischet auf. dem Feld,
In den Seen Lerchen steUt?
Was durchlaufet ihr das Land?'
Ihr habt alles in der Hand.
11)' Im Dnuk«« wea^e*.
10
Was hängt ihr euch an die Welt,
Die uns nur zum Fall bestellt?
Unser Hirte Jesus Christ
Einig allen alles ist.
Ach, was soll dem falschen Wahn
Ich für einen Wunsch thun an?
Dass sie stündlich sein bedacht,
Wie sie werden groß gemacht,
Und das {leg, in) Gold, den theuren Koth,
Setzen ihren Trost in Noth.
Nachmals , wann sie gleich als matt
Von den Sorgen und jetzt satt
Ab der falschen Güter Last
Finden weder Ruh noch Rast,
Nehmen in den Augenschein,
Welchs die wahren Schätze sein.
Diese Gedichte sind bisher unsem Sammlern und Litte-
rarhistorikem unbekannt geblieben.
Von den übrigen Gedichten '•), die ich bis jetzt kenne,
verdient nur ein einziges Beachtung. Es ist eine Ode, die B.
als Beispiel der dactylischen Versart**) in seiner Anleitung
Zur Deutschen Poeterey (Wittenberg 1665.) S. 149 und 150.
anführt :
12) Es sind Gelegenheitsgedichte — es mag genügen, ihre Anfange mit-
zutheilen :
Auf, Wittenberg, du Chnrstadt deiner Städte (Ode)
Ist*s nun um dich geschehn — ach! dass ich nicht soll schweigen
(Leicheng.)
In angenehmer Ruh, in stiller Einsamkeit (Ehrengedicht)
Ob die Musen zwar
Auch das graue Haar (Hochzeitged.)
Sollt ich das große Lob, den königlichen Schein (Sonett)
Wollen wir uns überheben (Ode)
13) B. galt für den Erfinder der Dactylen. Neumeister de poetis germ.
1695. p. 19 sagt von ihm: Teutonico in carmine Dactylum eleganter cnrrere
primus docuit. Diese Ehre lehnt er selbst ab und zwar also, Anleitung
S. 151. „Ob nun zwart wol die Erfindung sowol der dactylischen als ana-
pilftischen Verse ihrer viel , auch theils um die deutsche Poeterei wolverdiente
Leute uns zuschreiben wollen, wir auch gar gern gestehen, dass selbige wol
zum ersten von uns wiederum hervorgesucht und auf die Bahn gebracht wor-
den , so sind wir doch so gar ehrgeizig nicht , dass wir nicht gern gestehen
11
Lasset uns, lasset uns mindern im Garten
Heute der Kosen und Tulipen Zahl!
Wollen wir arme noch Morgen erwarten?
Sterbliche sind wir ja allezumaL
Die Blumen entstehen:
Wer säumet zu gehen?
Der Winter kömmt bald,
Bereifet die Wälder,
Schleift Wiesen und Felder /
Und macht die blühende Sommerlust alt^^).
Ach Gott, wie sind wir doch nimmer recht weise,
Wir das Geschlechte von Leime gemacht,
Dass wir nicht besser die letztere Reise,
Wie sichs gebührete, nehmen in Acht!
Ohn Sorgen zu leben.
Den Lüsten ergeben,
Da sind wir bemüht.
Was mag uns das werben?
Ein ewiges Sterben,
Welches die Seele zur Holle hin zieht.
Lasset uns, Liebeste, lasset uns finden
Nicht nur wo Lust und wo Freude sich hält !
Lasst die Gedanken am Himmel sich binden,
Wie so gar selig ist der so die Welt
Zurücke gesetzet,
In Gott sich ergötzet,
Sich Selbsten yerlacht.
Der Erden obsieget.
An dem sich vergnüget
Was nicht nur Nebel und Schatten und Nacht!
wollten, dergleichen Art Verse müssten auch den Alten nicht unbekannt ge-
wesen sein. U. s. wM Vgl. Koberstein Grundriss 4. Aufl. S. 574.
14) In der unechteu Aasgabe der Anleitang, die nnter dem Titel „Weg -Weiser lur
Deatsohen Tichtkunst*' Jehna 1663. erschien, lautet die erste Strophe also :
Lasset uns, lasset uns schauen im Garten,
Mindern der güldenen Tulipan Zahl!
Wollen vir armen noch morgen erwarten?
Sterbliche seind yr'n Ja allznmal.
laicht siumet zu gehen,
Die Blumen entstehen,
Der Winter bald kommt,
Die Felder bereifet.
Die Wiesen zerschleifet,
Alle behigliche Lust ans benimmt,
und die 3. Strophe beginnt:
Lasset uns, Liebeste, lasset uns lenken
Nicht nnr wo Lust und wo Freude sieh halt,
Uusre Gedanken aufs Himmlische schwenken ff.
Vi
Auch soll B. noch ein Morgenlied kurz vor sehiem Tode
abgcfasst haben:
Der schone Tag bricht an.
Das einzige Zeugniss dafür ist ein sehr unsicheres. **)
Unsere Kenntniss von Buchner's poetischer Thätigkeit wird
durch einen neulichen Fund erweitert und die Würdigung der-
selben sehr erleichtert. B. verfasste im J. 1638 ein Ballet:
Opheus und Eurydice.
Durch den Stoff selbst war dem Dichter die Gelegenheit
geboten, zu zeigen, wie heimisch er sich in der alten Welt
fühlte. Dass er von so guter Gelegenheit fleißigen Gebrauch
macht, kann man dem Kenner des Alterthums nicht verdenken,
wol aber dass er wie ein lateinischer Professor Eloquentiae seine
ganze Gelahrtheit auskramt, in den gesuchtesten, geziertesten
Worten und Redensarten sich ergeht, und dadurch nicht allein
dunkel und unverständlich, sondern auch völlig undeutsch wird.
Das Streben, bald recht zierlich, bald erhaben sich auszu-
drücken, artet oft in Schwülst und Bombast aus, und wird so-
gar zuweilen höchst geschmacklos und lächerlich. Obschon
maüchen Stellen sich ein freier ErgAiss des Gemüths, sogar
Schwung nicht absprechen lässt, so macht doch das Ganze den
Eindruck eines Machwerks ausT dem Kopfe eines völlig verla-
teinten sehr gelehrten Rhetors.
Doch wir wollen das Ganze mittheilen und Jeder mag
sich Selbst überzeugen, ob auch hierauf und ob überhaupt auf
Buchner's poetische Leistungen passt, was Gervinus in der
^vierten gänzlich umgearbeiteten Ausgabe" seiner Geschichte
der deutschen Dichtung, 4, Ausg. (1853.) 3. Bd. S. 230 »•) sagt:
JE^ ist ein allgemeines Bedauern ^^), dass dieser Erfinder
der deutschen Daktylen nichts Deutschpoetisches drucken ließ.
15) Wetzel, Hymnopoeogr. 1. Thf. S. 134. „Er hat sich kurz vor sei-
nem Ende das Lied: Auf meinen lieben Gi Ott' — vörslAgen lassen, und selbst
nach dessen Melodie im Meining. GB. A. 1711. den Morgengesang verfertiget:
Der schone Tag bricht an.*^
16) Dasselbe übrigens sebon 2, Aufl. (1«<#(I) 8. Thl. S. 233. und sogar
schon 1. Aufl. (1838) 3. Thl. S. 230.
17) Sonderbari so spricht auch ^eumeister vor anderthalb hundert Jah-
ren, de poetis gern. 1695. p. 18. JD ölend um oert«, virum illustrem nihil,
13
als wenige Gedichte, wie die Weihnacbtegedankeii «nd das
Nachtmahl des Herrn; und nach seinem Wegweiser zu urthei-
len, war er auch fast der einzige Mann, der deutlich wusste,
was er wollte, der, wie ihn Vinc. Fabricius aus Heinsius Munde
lobt, ungezwungen, nicht niedrig, nicht stolz, und ohne ein pe-
dantisch Farblein schrieb, der den Dünkel der Gelehrten seiner
Zeit nicht theilte, der mit Fleiß und Sorgfalt überdachte ehe
er schrieb, das nonum prematur in annum (wie Tscherning an-
erkennt) genau und nur all zu genau beobachtete, und dessen
Zeilen man daher höher hielt als Anderer ganze Bücher.*^
Ballet.
Inhalt des ersten Acts.
Der Hirten treues Volk, der frommen Nymphen Schaar
Krfröhlicht wünscht Gelück dem neugefugten Paar
Und das ihm selber auch. Orpheus zum Tempel geht,
Um da zu beten an, indess ein Tanz entsteht
Auch in der Götter Ehr, Eurydice ihn fuhrt.
Und eh man's innen wird, der Neid sich unterschlicrt ' ),
Wirft eine Schlang in Weg, Eurydice verletzt
Bald aus dem Heihen fallt, wird Lust und Lichts entsetzt.
Da reißet Alles aus. Iris vom Himmel kömmt.
Und dass es sterben kann , des Fräuleins Haar abnimmt ^).
Dann kömmt auch Charon an vom bleichen Acheron,
Schifft seinen Todten ein und segelt so darvon.
Der Menschen Thun setzt um*) in Eil als wie ein Wind,
Dass mitten unter Lust sich olt ein Trauren findt.
Der erste Act
Ein Hirte.
Brich an , brich an , du werther Tag,
Der Ziel und Endschaft geben mag
ut scriptorum reliquorum , ita carminum inprimis Germanicorum , edidisse, vel
saltem collegisse , praeter unicum , quod ego sciam , hae insoripttone : Wey-
nacht-Gedancken und Nachtmal des Herrn. Wittenb. 4, 38.<* und weiß nichts
von Buchner mitzntbeilen als ein ganz erbärmliches Gelegenheitsgedieht, das
er bis in die Wolken erhebt!
1) sich hineinschleicht, oiederd. slüren, slaren, slarren, einhergehen ohne die Füsäe
sonderlich Aufzuheben. — 2) Durch das Abschneiden der Locke wird der Sterbende der
Unterwelt geweiht. Was hier die Götterbotin Iris thut, kommt eigentlich der Proserpinx
«n (Virgil. Aen. 4, 698) oder dem Thanatos (Eurip. Alre»t. 74). — 3) schlift am. —
14
Den schweren Liebesschmerzen!
Schau , deine Ruh ist dir bereit,
Du Lust und Hoffnung nnsrer Zeit,
Nun hast du Fug *) zu scherzen.
Ein ander Hirle.
Der harte Sinn ist beigelegt,
Die Lieb hat Gegenlieb erregt,
Treu wird belohnt mit Treue.
Dein selbst, du dir sich nun ergiebt;
Wohl dem der liebt und wird geliebt !
Das, Orpheo, dich freue.
Die Hirten alle zusammen.
Und wir singen dich drum an,
Dich du hochgeehrtes Paar.
Von der blauen Himmelsbahn
Hat der guldnen Brüder Schaar
Deines Gleichen nie geschaut,
Du edler Bräutigam und du gleich edle Braut.
Eine Nymphe.
Was willst du fliehen der dich sucht,
Du Morgensterren aller Zucht
Und Spiegel Fräuleins Jugend ? ^)
Die Rebe muss nicht stchn allein,
Soll sie je tragen guten Wein;
So auch nicht deine Tugend.
Eine Andere.
Wer dich, Eurydice, nicht preist
Und noch weit mehr als selig heißt,
Ist von fast kalten Sinnen
Und all zu übel nur bericht.
Ein solches Thor -sein wolln wir nicht,
O Schöne, heut beginnen.
Die Nymphen alle zusammen.
Drum so singen wir dich an,
Dich du hochgeehrtes Paar.
Von der blauen Himmelsbahn
Hat der guldnen Bruder Schaar
Deines Gleichen nie geschaut,
Du edler Bräutigam und du gleich edle Braut.
4) BtftogniM. — 5) Ha. Tugend. —
15
Orpheus.
Hört auf, ihr Götter, höret auf!
Könnt ich ein Mehrers bitten
Und mir auch schenken eure Macht,
Meins Wunsches Lauf
Zu seinem Zweck ist bracht.
Der werthe Dank erstritten:
Ich hab, ich habe dich, mein Leben,
Mein ganzer Mtith und Sinn!
K u r y d i c e.
Dein ist was ich bin!
Was wollt ich lieber geben
Dir, ander Ich, als mich?
O meines Herzens Trost und Wonne!
Orpheus.
Helle Sonne,
Lass mir nie brechen deinen Schein!
Durch dich leb ich allein,
Durch dich, o Band und Schlüssel meiner Seele!
Eury dice.
Selbst nicht die Hölle
Uns trennen soll samt allem Wüthen,
Das der taube, taube Styx verübt.
O rpheus.
Wer sich dir ergiebt und dich liebt.
Auf den wird stets ein Freudenmeer sich schütten.
Eu r y dice.
Der Thau das dürre Land erquickt.
Mich deine Gunst erneuet.
Wann mir nur blickt
Die Morgenröthe deiner Wangen —
Schau, wie sie prangen!
Da leb ich erst und bin erfreuet.
Orpheus.
Ich spür und sehe mein Gelück,
O Liebste, doch geht oft Eurück
Und schlaget um worzu man nicht gebeten
Der Götter Hülf und Rath: drum will ich für sie treten,
Zum Tempel gehen hin und ihnen Opfer bringen :
Dies soll mein Erstes sein.
16
Eurvdico.
O selige Band, das Gott selbst segnet ein!
Wir unterdessen wollen singen,
Die Götter gleichfalls rufen an.
Was uns trösten kann
Und unser krankes Herze laben,
Das alles sind des frommen Himmels Gaben.
Ein "Schäfer.
Wir folgen dir, du Zier und Lust der Wälder,
Dein stet Geleit und treue Schaar,
Wir folgen dir, du keusche Lust der Felder.
Ein wenig steh beiseit und räume den Altar!
Voller Chor der Schäfer.
Dir unser Herz sich wendet
Und eilt den Göttern zu,
Viel heiße Seufzer sendet
Um die gewünschte Ruh,
Die dich heute soll umfangen,
Dir stillen dein Verlangen,
Du werther Orpheus du!
Eur yd i CO.
Nymphen, meine Lust, folgt nach}
Fügt Hand und Hand, zu singen einen Reihen!
Was übertäubt der Zeiten Ungemach
Als Spiel und Tanz und gute Melodeien?
Doch was wir anjetzt begehn,
Ist nicht nur Lust, es muss für Opfer stehn. ^)
Nymphe.
Schaff, Fräulein, und befiehl! denn zu gehorchen dir
Ist nicht nur unser Wunsch, es ist auch die Gebür.
Ballet der Nymphen und dann de» Neid».
Nun die Eurydiee vom Biete der Schlangen todt dahin gefallen i
Iris.
Wie ist doch der Menschen Leben,
Weil '') sie hier und sterblich sind.
Mit so manchem Fall umgeben!
Wie 80 plötzlich und geschwind
Liegen alle hohen Gaben,
So sie vor *) b«rühmt gemacht I
6) statt Opfer gelten. -- 7) wihrend. — 8) vorher. —
17
Und sie werden selbst begraben
In die finster lange Nacht!
Mitten in der Blüth der Freuden
Oft ihr Ende sie befällt,
Müssen unerwartet scheiden
Nunter •) in die stumme Welt,
Da nur Schem' i®) und Schatten wohnen.
Keine Lust je wird gespürt,
Und man weit von Kränz und Kronen
Ein recht todtes Leben führt.
Alles kommet da zusammen;
Zepter, Kronen, Stadt und Feld,
Auch die allergrößten Namen
Und geehrtsten von der Welt.
Keine Macht der starken Waffen
Nützt dann oder machet frei,
Auch die Weisheit kann nicht schaffen,
DasB sie selbst nicht sterblich seL
Schonest, inner ^^) diesem Lande
Wirst du auch gelangen an!
Schau, jetzt lös ich gleich die Bande,
Dass der Geist sich trennen kann,
Sein zerbrochnes Hans verlaMen,
Das ihn nicht mehr hegen mag,
Wandern dunkle düstre Straßen
Ohne Sonne, Licht und Tag.
Juno hat mich rab gesendet,
Deine Noth zwang ihren Sinn,
Nun ist ihr Befehl vollendet
Und ich kehre wieder hin
Wo ich neulich her bin kommen.
Auf! komm, Charon, jetzt ist Zeit!
Schau! das Haar ist abgenommen
Und nun deine diese Beut.
Dies und Alles ist ja deine,
Was nur worden kommt zu dir,
Hier bleibt nichts denn Asch und Beine,
Wann die Seel ergreift die Thür.
Selig sind der Götter Schaaren,
Die noch Fall**) noch Tod besteht.
9) lüiraBi«r. — 10) der Schemen, Schktteiibild , nd. scheine, mhd. sehhne. — 11) inner-
halb. — 12) Unfall. —
Weimar. Jh. IL 2
18
Sind befreit von Zeit nnd Jahren,
Und iJir Wesen nie zergeht.
Selig man auch billig nennet
Die ihr Leben so verbracht,
Dass, wann sie der Geist nun trennet,
Bie zwar sollen in die Nacht,
Der nichts kann noch mag entkomme».
Doch ihr großer Name bleibt,
Den, sind sie gleich weggenommen,
Fama in die Sternen schreibt.
Charon§ Ballet.
Ende des ersten Acts.
Inhalt des andern Acts.
Die Nymphen führen Klag ob der Gespielin Tod.
Orpheus vom Opfer kömmt, hört an, in was für Noth
£r nun gerathen sei. Sein Herz, im Leib entzündt.
Von Schmerzen irr gemacht, noch Maß noch Mittel findt.
Setzt allen Rath beiseits, nimmt keinen Trost nicht an,
Zielt nur auf Tänarus ^*) hin wo die tiefe Bahn
Nah »*) geht in Plutons Reich. Dahin er sich begiebt.
Ob zu erbitten sei das was er einig ^ ^) liebt
Von dem , der's geben kann , wo nicht , will er auch sein
Da lebendig *^), wo sonst sein Licht todt kommen ein.
Ein großes Heldenherz schlägt aus gemeinen Weg,
Und wo Gefahr und Furcht, sucht Tugend ihren Steg.
Der andere Act.
Erste Nymphe.
Ach, ach! wo soll ich mich doch lassen?
Mag ich mein flüchtigs Herz auch fassen?
Nein, neini es wallet stets in mir
Und ängstet sich nur für und für.
Nicht anders als wie pflegt und thut
Ein hohles Erz gestellet an die Glut
Mit Achelous i^) Saft
Im Fall er nun der heißen Flammen Kraft
Mit vollem Sode ^*) will entgehen.
Was thu ich? bleib ich stehen?
13) Vorgebirge in Lacedämon. Eine H6hle daselbst hielt man für ddn Eingang in di«
Unterwelt. — 14) hinab. — 15) eintig. -^ 16) nach alter ursprünglicher Accentaation: le-
bendig. — 17) Acheloos, Sohn des Okeanos und der G&a, ein Flussgott. Durch „Saft des
A." ist hier nur Wasser gemeint. — 18) Sod, das Aufbrodeln, kochende Aufwallen des
Wassers. —
19
Oder geh ich fort?
Mich schreckt der Ort,
Der nie genung vermaledeit vird sein.
Mir zittert Mark und Bein.
Das Blut ums Herz als Eis gerunnen steht.
Den Augen Licht und Glanz vergeht.
Ach, dass ich nur stracks ward ein leichter Schein
Und zn dir kam,
Ohn welcher Beisein unser Leben
In steter Todesnacht mnss schwebei)
Und sterben für nnd für,
O Auszug 1») aller Zier!
Zweite Nymphe.
Wer wird doch trösten unser Klagen?
Die Wunde heilen, so geschlagen?
Wie manch berühmtes Gras man meiht*<>)
Durch dieses Thal zur Frühlingszeit,
So wird man doch nicht linden
Ein solches Kraut und Arzenci,
Die gut und kräftig sei.
Den Schaden zu verbindep.
Orpheus.
Was hör ich da? wa« will dies Leidgeton?
Wo Hochzeit ist, muss Trauren übel stehn.
Es ahnet mich nichts guts, drum lasst uns eilen:
Furcht leidet kein Verweilen,
Ihr Wind und Flügel ist. «i)
Die erste Nymphe.
StI st!
Der Bräutigam kömmt wieder.
Stellt ein die Klagelieder,
Sie haben keine Zeit.
Schaut, er ist nicht weit!
Kläret auf die trüben Augen,
dass euch armen etwa nicht
Verrathe das Gesicht.
Ob ich gleich muss gestehn, dass man nicht all/uwol
Sich fröhlich stellen kann, ist das Herz Trauerns voll.
Orpheus.
Seh ich doch nicht, die mich hieher getrieben!
Sagt, Nymphen, an, wo ist sie blieben^
Die ich bei euch nur**) neulich hinterlassen?
19) -dM Ut. epitome, Inbegriff. — 20) im Niederd. noch Jettt inaien, holl. maajeii, mhd.
maejen. — 21) gani lateinisch: ei est veiitus et als d. h. sie hat Wind und Flügel. ~ 92)
so eben, lat. modo.
O*
iO
Erste Nymphe.
Ich weiß nicht, auf was fremde Straßen
Sie etwan von uns abgekommen.
Orpheus.
Habt ihr sie denn nicht bass in Acht genommen ?
Erste Nymphe.
Du weißt der Weiber Art und dass sie sicher sind,
Und kaum^') Bedachtsamkeit bei Spiel und Lust sich iindt.
Orpheus.
Wo ist sie dann? im Wald?
Nymphe.
O nein, da ist sie nicht.
Wir kommen nur **) heraus.
Orpheus.
Wo dann doch? gebt Bericht!
Nymphe.
Sie ist nicht mehr bei uns , und mehr kana ich nicht sagen.
Orpheus.
Was will mir diese Red? Ich muss nur weiter fragen:
Ist sie nicht mehr bei euch?
Nymphe.
Wie du siehst, ist sie nicht
Bei uns mehr wie zuvor.
Orp heus.
Sie schaut ja noch das Licht!
Was so geschwinder Fall hat sie betreffen können?
Alter Hirte.
Wie pflegen wir doch stets so weit hinaus zu sinnen!
Wir armen Sterblichen bedenken nicht die Stund,
Die stets zu Haubte steht *^) und schließen kann den Mund.
83) fftr kaum (oder kein) hat die Hs. kaun. — 24) 8. 92. — 2i) Wol nach dam Volks-
glauban : w«uu b«i einar Krankheit der Tod am Fussende des Bettys ateht, so genM«t dar
Kranke; wenn er ans Haiiptende tritt, so stirbt or. —
21
Orpheus.
Dies Niedersehn zur Erd, dies lange Stillet»chweigen
Ge8chiehet nicht umsonst, es niuss auf etwas zeigen.
Alter H i r t e.
AVer böse Zeitungen nicht gerne bringen will,
Weil es unangenehm, druckt *^) immer und schweigt still.
Orpheus.
Kein Seher zwar ich bin, doch mag ich leicht ermessen,
Es stehe nicht zu wol, da Freud und Lust vergessen,
Wo beides sollte sein. Ach, Nymphen, saget mir,
Ohn einigen Verzug, ohn einiges Verhelen,
W^as ist da gangen vor mit der geliebten Zier,
Die mir mein Alles war? Es pflegt nicht so zu quälen,
Wie ihr dann wisst.
Was klar vor Augen dargestellt,
Als dieses was man uns verhehlt
Und doch zu spüren ist.
Drum wollt ihr mir noch, wie ich hoffe, wol,
So fliehet nicht mir anzudeuten
Den Zustand meiner Zeiten*'):
Ich leide was ich leiden muss und soll.
Erste Nymphe.
Dass du nur reden kannst, du unglückhafber Mund!
Doch hat dir solches der vcrgunnt,
Der auch befehlen kann.
Acl), ach! wo fang ich an,
Ich arme? kann ich auch kaum nur ein Wort noch machen!
Was weiß ich dann? Ach, leider allzuviel!
Ich eisre**) mich so lang ich will,
Muss ich doch zum Ziel.
Hier wo du siehst den bunten Frühling blühen
Und dieses ganze Feld
^[it grüner Lust umziehen.
Ward in der Götter Ehr ein lleihen ungestellt.
Wir sungen allzugleich dich, Hymcnäns, an.
Andächtig, fröhlich auch, Eurydice voran.
O rpheas.
Eurydice! was wurd ihr dann gethan?
26) drucken, drucksen, zurücklialteud sein, nicht mit der Sprache herauswollen. — 37)
meiner augenblicklichen Verhältnisse. — 28) ich oisre mich, noch lu Norddeutschlaud neben
dem besseren: ich eise mich, ich schaudere mich (nämlich es auszusprechen, es hilft nichts,
ich mnss doch zum Ziel). —
•22
Nymphe.
Yernimms und Übertrags! — im Fall ich auch noch mag
Und so viel Kraft in mir das Übel zu erzählen —
O den noch mehr als schwarzen Tag!
Orpheus.
Sag her, du sollst mir nichts verhehlen!
Nymphe.
Wir pflegten nnsrer Lust ganz sicher, niemand dacht
Auf das was uns anjetzt dies Trauern hat gebracht
(Wie wir bei Freuden dann kaum indenk *•) sein).
Bald ein Gespükniss *®) kömmt und fliehtet sich mit ein.
Der Leib war ein Geripp, mit Haut doch überspannt,
Erdfarb, als wann ihn hatt der Sonnen Hitz verbrannt.
Die blauen Lefzen runter hungen, •*)
Dass nicht ein Zahn auch ward bedeckt;
Die Augen stunden tief als zwei Brand angesteckt^
Anstatt des Haars sich Nattern schlungen
Um beide Schläfen rings herum. ••)
Orpheus.
Was thäte dann das Ungethüm?
Nymphd.
Es warf ein giftig böses Thier
Verrätherich in Eil zur Erden,
Eh wir es mochten inne werden.
Dein Licht und unser Zier,
Eurydice tritt drauf und wird zugleich verletzet,
Zugleich auch außer Licht und aller Lust gcsctzett
FäUt längs die Erde hin.
Kann kaum noch deinen Namen nennen^
Damit sie den so treuen Sinn
Dir gebe zu erkennen
Auch in der letzten Noth.
Orpheus.
O weh, o weh! so ist sie todt!
Geht hin , ihr Sterblichen , und bildet euch was eiri,
Dass mehr als Glas und Traum und Schatten möge sein !
Was thu ich hochbetrübter Mann?
99) «ingedenk. ~ 30) 8pnk, Trugbild. — 31) hingen. -^ tf) Erfindung Bnchner's. Kury-
die« starb nach Apollodor Tom Biss einer Schlange, und wie Virgilius hintuffigt, als Hie
Von Ari9t&08 verfolgt floh. —
23
Was stell und fang ich an?
Kurydice! Eurydice!
O weh!
Bist du todt und ich kann noch leben!
Fort, fort, mein Geist! fort, fort! (nicht mein Geist, meine Pein,
So lange du verziehest hier zu sein)
Fort, folge die sich dir und du dich ihr ergeben!
Alter Hirte.
Bedenke dich und halt den Zügel an!
Du bist der erste nicht dem dieses leid gethan,
Wirst nicht der letzte sein. Der Himmel giebt und nimmt:
Nichts trifft uus, glaube mir, das er nicht vorbestimmt;
Und ihme geben nach, auch sittsam überwinden
Was nicht zu ändern steht , das ist recht freie sein !
Orpheus.
Die Liebe lasset sich nicht binden, ■ »)
Die Götter sehn ihr nach**), und ich bin nicht von Stein:
Hat mir me.n Herze dann ein Drachenerz umzogen?
Ich habe Muttermilch wie andere gesogen,
Bin eben auch ein Mensch, nicht grimmer Löwen Art.
Alter Hirt.
Ein Mensche freilich ja, doch mit Vernunft verwahrt,
Die nur das siebet an was unser erb und eigen.
Doch will ich jetzo stille schweigen:
Auch weise sein hat Zeit und Ort.
Orpheus.
Auf, Orpheus, du musst fort!
Hier gehet Orpheus ein Mai pder etliche Btiliachweigend hin umd wieder aU bedächte
er etwas bei ihm. Hernach fanget er an wie folget :
Auf, auf! ermunter dich! fass Alles das zusammen
Und zieh es in die Eng was du vermagst und bist!
Wie? schrecken deinen Muth die blauen Schwefelflammen,
Damit Cocytus'^) schäumt, im Fall er grimmig ist?
Mag dich was fechten an, ob in dem stummen Reiche,
Das Plutons Hofestadt, nur lauter Tod und Leiche,
Und grimme Nacht zu aller Zeit regiert?
Kein Licht je wird gespürt?
Ist doch Eurydice daselbst, dein Tag und Sonne,
Dein Schatten für die Hitz und Leben für den Tod,
S3) bewUtigen. — ' 84) sind ihr aach nnterworfen , können sich ihr nicht enttiehen. —
35) Kokytos, Strom der Wehklage in der Unterwelt. —
24
Die Furchtbenehmerin , im Trauren deine Wonne^
Dein Schutz und sicher Mal in allem Kreuz und Noth.
Geh strackes Fußes zu, wo Tänarus sich zeiget
Bei der Spartaner Stadt und bis in Himmel steiget.
Da ist Yorlängst ein Schlund gebrochen nab,
In aller Welt ihr Grab.
Hat der Alcmenen Sohn *•) den Cerbems bezwungen,
Das ungeheure Thier in unser Luft gebracht;
Auch der Athener Prinz •^) hat ritterlich getrungen
Samt dem Pirithous ■*) durch alle Höllennacht,
Dann wieder an das Licht des schönen Tags gekehret.
Wird meiner Hoffnung nach mirs auch nicht sein verwehret:
Stärk und Gewalt viel schaffet und bezwingt.
Noch mehrers Glimpf ■ •) verbringt.
Was. andere durch Krieg und strenge Schlacht verübet,
Dass wo sie angesetzt ^^) bald ihre Fahnen bracht,
Dies mir ein süßer Ton und güldne Leier giebet,
Sie zwinget Herz und Sinn , und Waffen * *) nur die Macht.
Glimpf mehr als Eisen thut: dies raubet zwar die Güter,
Und jagt das Leben aus, Glimpf aber die Gemüther.
Sie*') zähmt den Sinn, nicht nur den Leib allein
Und kann beliebt doch sein.
Sind jene Götterart, so hat mich auch getragen
Ein Leib, der himmlisch ist; ich habe gleichen Sinn, —
Ein Held so gut als sie — was will man weiter sagen? —
Nun ich auch bin *■), —
Der schärfet mir den Muth, legt alle Furcht bei Seite.
Was steh ich an? er ist mein Führer und Geleite.
Auf, Orpheus, auf! du brichst die güldne Frucht,
Die viel umsonst gesucht.
Du kühler Hebrusstrom **) und meine Lust, ihr Wälder,
Du klares Taglicht auch, und allgemeine W*onn,
Seid mir noch eins gegrüßt! Die schwarzen Trauerfelder
Mich ziehen unterhin, und da scheint meine Sonn.
Ich bleib, im Fall man will mein Seufzen ferne setzen.
Und wird mein einig All mich reichlich da ergetzen.
Komm ich, so kömmt sie wieder auch mit ein,
Dann mag ich göttlich sein.
86} Herakles. — 87) Thesens. — 86) ging mit Theseas in die Unterwelt, nm Proserpina
tn entfahren. — 89) Glimpf, ein noch Eur Zeit dos SOJ&hr. Krieges sehr gebrfiachliches
Wort: alles was sich siemt, angemessenes Benehmen, Ehrenhaftigkeit, guter Name. — 40)
Bum Angriff geschritten. — 41) n&ml. swingen nur die Macht, die Süssere Gewalt. — 43)
niml. di« Leier. •— 48) Die Wort« auch bin fehlen in der Hs. •— 44) Uebrus, Fluss in
Thracien. —
25
Voller Chor der Hirten und Nymphen.
Zieh hin! der Himmel dich begleit,
O Trost nnd Hoffnung unsrer Zeit!
Zwei Hirten.
Lass deine Saiten schallen,
Wo Tod und Grausen waUen!
Zwei Nymphen.
Dein großes Herze mnss, o Held,
Bekannt auch sein der andern Welt!
Zwei Hirten.
Du gehst da niemand wieder kömmt, * *)
Kein Gang zurücke bricht, **)
Da allem Thun sein £nd bestimmt,
Als nur der Tugend nicht.
Zwei Nymphen.
Sie kann und muts nicht nntergehen.
Siegt mitten in der Noth,
Bleibt unverrückt auf ihr bestehen
Und lachet HÖH und Tod.
Zwei Hirten.
Sie ist mit dir.
Drum kömmst du wieder,
Zwei Nymphen.
O unsre Zier,
Durch Kraft der süßen Lieder.
Voller Chor der Hirten nnd Nymphen.
Zieh hin ! der Himmel dich begleit,
O Trost und Hoffnung unsrer Zeit!
Inhalt des dritten Acts.
Ein neues Freudenfest bei seiner Hofestadt
Lässt Pluto rufen ans, dass nun dieselbig hat
Eurydice vermehrt, dergleichen Schöne nicht
Man sonsten irgend findt noch schaut der Sonnen Licht.
Man weiß von keiner Pein und brauchet sich der Zeit
Und übet lauter Lust und eitel Fröhlichkeit.
45) kömmt: bestimmt, Reime, wie sie sich Opitz and seine ^Nachahmer gestatteten. —
46) Bergwerksaatdrack : kein Gang wird sarüekgefaadea, vgl. vorher : d« iat Torl&ngst ein
Sehland gebrochen nab (hinab). —
26
IixWm kommt Orpheus an, spielt, bitt nnd findet Statt, *'')
Kuhn mit sich dann darvon drum er geflehet hat.
\Vo TuKond mit der Kunst gemachet einen Band,
Mng nichts für ihnen stehn, sie haben Oberhand.
Der dritte Act.
Die erste Scene.
Pluto.
Du linnt, luiNt Alles wol gcfasst und eingenommen,
Dnss nun i*m milnniKlich zu Ohren könne kommen,
Dftr (1U*SCN Z(*ptor ehrt.
Geist.
Herr, Alles hab ich inil
Vw\ rli'ht PN irntilHt aus, well ich dein Diener bin.
IMuto.
M«» üftMifi« WM|M*r nicht I Was Fürsten anbefehlen.
Will si'hl«»iitilK s«ln voUhrncht. Du sollst mir nichts verhehlen
\Uii\ S'-hwMiKPtt IikI d^m Volk, es muss sein dargethan,
IlMMN l'h lUu HiJmrfott ICrtist mit Onado süßen kann.
(Inlst.
hn tthi^t-)t*)\iit*n**) Volk, Ihr Hchatlon ohne Macht
i mi 14'fMi* Mll'lw» MMf, illd Ihr dlo hohle Nncht
D«»« /^tUt*tnu^ ***) liMwoliui, hnrsu und wim für i^achcn,
^Mt M*ftf»'H''lM»M'» Mot , li'li MUi'li soll wissend mnchon
Im ^Hmt'it Hi(d MMfdil dos d«r den /.eptcr führt
>♦♦*♦ »M»-«i»s v^i'M" Mt'ti li Hilf sflller llnnd regiertl
Dl>< }»• '«IH l'^itHlitd ^l»Mt, iIIm lllum tfcohrter Jugoud,
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l'H'l ll» »il»' IhM^m NihIiI mit AlloM elUKekohrt,
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27
Ein Geist.
Für das Weinen, für das Klägeii,
Für das herbe Leidetragen,
Giebet Fluto selbt nun nach,
Dies dein Ufer zu erfreuen
Mit Gespiel und leichten Reihen
Und vergiebet keiner Räch. *')
Voller Chor der Geister.
Wer sich jetzo nicht will letzen
Und heut diesen Tag ergetzen,
Hat sein selbst nicht wol in Acht.
Wenn der Morgen wieder kommen
Ist uns alle Lust genommen,
Und die Strafe wieder wacht.
Folget dat Ballet Tantati ^ Ixioni; Tityi und der dreien dee Danaue Töehtvr. &«)
Des dritten Acts die andere Scene.
Geist.
Sieh, da steh! Fremdling, steh! es ist nicht ohn Verdacht,
Dass du dich lebendig zu Todten hast geniacht.
Orpheus.
Ich suche was mir ist genommen
Und bin hieher zu bitten kommen.
Geist.
Fort nur! du musst fürn königlichen Thron!
Wie du verdient, wirst du da nehmen Lohn.
Der Geiet führet ihn fürn Pluto uiül eprieki:
Herr, dessen Pflicht ich trage, *•)
Gefurcht in aller Welt,
Die in dem Licht und die so außer Tage,
Hier wird dir vorgestellt
Der nur neulich kommen an
Und zwar bei Leben noch, weiß nicht was für ein Mann.
Pluto.
Ihr, meine, haltet gute Wacht
Und gebet wie euch ziemt auf Alles fleißig Acht!
Orpheus.
Was will ich armer schaffen!
Herr, dies sind meine Waffen!
51} ? hingt keiner Rache nach. — 53) Von den 50 Töchtern des Danaus sind nur drei
ausgewählt, damit Jeder Mann ein Fraulein erh<, also drei Paare tarnen können. — 58) dem
ich dienstbar bin. —
28
Pluto.
Ich kenne dicli) der Menschen freche Zucht,
Seiut **) Hercules ihm einen Weg gesucht
Von oben in mein lleich und sich fast kühner That
Verräthrisch unternommen hat;
Die andern will ich übergehen.
Orphe US.
Erlaube mirs, ich komme nur zu flehen,
O aller Ding ihr End! bin Orpheus sonst genannt,
In Thracien erzeugt und da nicht unbekannt
Von dem was Männer zieret,
Die Lieb hat mich geführet.
Pluto.
Auch den Pirithou».
Orpheus«
Dies müsse ferne sein! **)
Ich snche nichts als das gewesen mein.
Darum, o Vater, schone 1
Schau, hier ist meine Sonnet
O angenehmer Schein!
Die Liebe, die mich führet
Und euer Herz auch rühret,
Lass meinen Werber sein!
W^ie lang ist, dass man lebet.
In Licht und Tage schwebet!
Was wird euch doch entwandt?
Eurydice kömmt wieder.
Mich auch wird legen nieder
Mein Ziel in leichten Sand.
Ich gieße diese Zähren,
Und ihr lasst wieder kehren
Die meinen Geist entznndt.
Euch fall ich, ach! zu Füßen.
Wol mir, kann ich genießen
Der Hulde, die euch bindt.
Pluto.
Dein Suchen straf ich nicht, vielmehr rühm ich die Lieder,
Und ist mein dir so sehre nicht zuwider
Als der gemeine Schluss, mehr noch als Eisen hart.
54) eelt. — 55) Pirithou« wollte n&mlich die Gemalio det Pinto entführen. —
29
Proserpina.
Herr, ist das Zepters Art,
Sich den Gesetzen untergeben
Und nicht nach freiem Willen leben?
Pluto.
Die Kronen zwar sind außer Eh **) und Band,
Doch ihnen selbst ihr Maß.
Die heiige Würd, der hohen Ehren Stand
Zieht sie nur stets auf das
Was Ordnung anders heißet.
Es wird ein Thor geschätzt, der ab und niederreißet
Was er kaum aufgebaut: so wird ein Fürst veracht,
Im Fall er brechen will den Schluss, so er gemacht.
Proserpina.
Herr, dies Lied ist gesetzt, willst du ja Ordnung ehren,
Mag jemand auch dasselbig hören
Und nicht gebunden sein.
Doch bitt ich nur allein
Und suche Gnad für ihn, wüi ja das Recht entstehen. ^^)
Minos der erste Biohter.
Des Mannes Flehen,
Herr, lass nicht sein ohn Frucht,
Bevorab, weils euch sucht.
Die, derer Sinn sonst ist dein Wollen.
Äacus der ander Richter.
Thun wir ja hier nicht was wir sollen,
Im Fall mans aufs genauste wiegt.
So thun wir doch was außer Tadel liegt:
Vernünftig Gnad ist besser als scharf Recht.
Rhadamanthus.
Sic ändert doch nicht das Geschlecht,
Bleibt ein Mensch wie zuvor und muss die Schuld beaahlea.
Nun die Frist wiederkommt.
Und dem auch selbst, wie andern allen,
Der sich bemüht sie zu erbitten
Und mir, ich leugn es nicht, mein Hers hat überschrittea,
Ist sein Fall bestimmt.
56) Ehe in nrsprünglicher Bedeatiing: Gesetz. — 57) fehlen. —
80
Pluto.
Ich schwanke wie ein Schiff, auf welches hier der Nord
Mit Schnee und Reif tringt aller Ort
Und da der heiße Süd streicht ein.
Proserpina.
Lass , Herr , erhalten sein
Was Jugend bitt und Kunst
Und selbst ich noch dazu, im Fall nur deine Gunst
Ich noch verdienen mag, wie damals zwar*®) geschah,
Als ich im Enner *') Feld den guldnen Frühling brach
Und meines dein groß Herz entzundt.
Pluto.
Kann ich auch wol widerstreben
Denen Worten, da mein, Leben
Und ganz Vergnügen hängt? Nein, nein! es sei vergunnt!
Hier, Orpheus, ist dein Wunschi hier, Orpheus, ist dein Lohn!
Den treue Lieb und Tugend trägt darvon.
Orpheus.
Was soll ich thun, was soll ich sagen?
Dies sei gesagt, dass ich nicht danken kann
Wie du verdienst, doch will ich, Vater, tragen
Dein Lob von hier bis zu den Sternen nan. ^®)
Cho r der Geister.
Die Lieb hat dich hieher gebracht.
Du edler Sänger du.
Und dein Lieb frei und los gemacht,
Die deiner Seelen Ruh.
Was will nicht Liebe hoffen,
Nun selbst die grimme Nacht ihr offen?
Was will nicht richten ® *) Kunst,
Nun dies Orts««) sie auch findet Gunst?
O das mehr als selgc Bitten,
Das der Hollen Macht bestritten!
Wir bleiben hier, du ziehest hin.
Führst mit dir deinen Dank,
Den dein beherzter Muth und Sinn
Erworben durch Gesang,
Magst deiner Lust genießen.
Wir leider ach! wir müssen büßen
58) das alte se wflre, wahrlich. — 59) Enna, Stadt in Bicilien. — 60) hioan. — 61) aas-
richten. — 62) an diesem Orte. —
31
Voll Zittern, Pein und Leid
In steter Traurigkeit.
O das mehr als selge Bitten,
Das der Höllen Macht bestritten!
Inhalt des vierten Acts.
Wo sonsten niemand hin mit Willen leichtlich fahrt,
Und wann er einmal da, nicht wol zurücke kehrt,
Von dannen Orpheus jetzt wieder kommet an
Samt seiner Liebesten, der große Wundermann.
Sein Thracien sich freut, er selbst auch, und singt Dank
Dem, welcher ihn geführt, mit Saiten und Gesang,
Dem Meister aller W^elt. Er singt, und alsobald
Die Felsen laufen zu, mit ihnen kriegt der Wald
Gehör und kömmt herbei, die Thiere treten auf.
Die Vögel fallen zu. Der tollen Weiber Häuf
Aus Hass nur fallet an und stürmet auf ihn nein,
Den doch der Himmel schützt und schlägt mit Donner drein.
Wo Tugend, da ist Feind; wo Kunst, da findt sich Neid,
Und sie behält doch Platz, Gott wendet ihre Zeit,
Der vierte Act,
Orpheus.
O mehr als liebes Land!*') o überschönes Feldl
Der erste Schäfer.
O Wundermann, o Held!
Orpheus.
Mit was für Freuden seh ich wieder
Dies Gebirg und dieses Thal,
Und euch, ihr Hirten auch und Nymphen allzumal!
Der erste Schäfer.
Mein Licht ist mir selbst lieber nicht
Als unser Licht, dein Angesicht. ,
Der zweite und dritte Schäfer.
Nun wird die alte Lust der Lieder,
Die du so trefflich wol kannst singen,
Aufs neue wiederum durch Berg und Thal erklingen
Und ans geben Lust und Freud
Für das stumme Herzeleid.
6S) Hs. Band. —
32
Nymphon ingesamt.
So angenehm der Sonnen klares Licht
Am Morgenhimmel lencht
Und durch die Wolken sticht,
Wann Nacht und Schatten weicht:
So lieb auch sehen wir,
Eurydice, dich unsern Glanz und Zier
Wieder hier.
Eurydice.
Dass ich auch euer wieder mag,
O meine Lust, genießen.
Wie ehermals ich pflag,
Hier bei Helurus •*) kühlen Flüssen,
Ist eben, das^'mich kann nicht wenig nur ergetzen.
Orpheus.
Lass dieses uns zurücke setzen,
Es darf nicht sein belegt**)
Die Lieb und Hold, die eins dem andern trägt,
Sie redet für sich selbst, darf keiner Worte nicht.
Im Fall an That es ihr nur nicht gebricht.
Jetzt soll ich ••) meine den besingen.
Der nur Alles schafft und thut.
Unter welches Schutz und Hut
Diese Gruft ich bin gegangen außer Welt und Licht und Tag
Und auch wieder angelendet, da ich des genießen mag.
Du kannst mit besscrm Fug, o meine Harf, nie klingen.
Schäfer und Nymphen ingesamt.
Wie der Himmel dir geneigt,
Überflüssig ist bezeugt,
V-nd die Götter billig ehren
Der sie über Alles acht
Und nur immer ist bedacht,
Ihr Terdientes Lob zu mehren.
OrpheusLied.
Du Wesen außer End, du Wurzel aller Dinge,
Und selbst dein Same dir, doch ohne Tag und Zeit,
Dass beides aus dir fleußt, Ton dir ich, König, singe
Und rühme deine Macht und große Gütigkeit.
Chor der Schäfer und Nymphen
Was nur Wesen hat und Leben
Soll sich seinem Lob ergeben!
M) Hs. Herlirns». — 65) bewieseo. — 66) ich für ich, Ich. —
33
Orpheus.
Dein frommed Herze hat, o Vater, dich bewogen,
Dass du dies weite Rund so herrlich ausgebaut,
Die Wasser rumgeführt, um die den Himmel zogen.
Da man bei stiller Nacht viel schöne Feuer schaut.
Chor.
Was nur Wesen hat und Leben
Soll sich seinem Lob ergeben!
Orpheus.
Du hast der Erden Last ganz meisterlich gehangen
Recht mitten in die Luft stet, fest und unbewegt,
Mit Bergen hier und da als einen Wall umfangen,
Mit Blumen ausgekränzt und Bäumen schon belegt.
Chor.
Was nur Wesen hat und Leben
Soll sich seinem Lob ergeben I
Bauet der vier Bäume und zweien Feiten, untep welchem folgende Veree tkeiU omb
den Bdumeny theile aue den FeUen Art einee Echo ereehallen können.
Bäume: Wo ist den wir loben?
Felsen: Oben.
Bäume: Was für Nam ist ihm erkiest?
Felsen: Der ist.
Orpheus.
Der Vogel leichtes Volk von deiner Hand sich schwinget
Hin durch das blaue Feld, die ungestützte Bahn;
Bald fliehet es Wald ein und auf den Ästen springet.
Stimmt dann in deiner Ehr ein süßes Danklied an.
Chor.
Was nur Wesen hat und Leben
Soll sich seinem Lob ergeben!
Ballet der Fögel.
Orpheus.
Der kluge Elephant dich seinen Meister ehret,
Des starken Löwen Kraft von deinem Athem brüllt,
Das wild und zahme Vieh durch deine Stimm sich mehret,
Von Gaben deiner Hand ihm Durst und Hunger stillt.
Chor.
Was nur Wesen hat und Leben
Soll sich seinem Lob ergeben!
Ballet der Thiere.
Weimar. Jh. II. 3
u
Orpheus.
Dein Hauptwerk ist der Mensch, da hast du sehen lassen
Was deine Hand vermag und du auch selber seist:
£r ist dein Ebenbild, klug, witzig allermaßen,
Wie du ein Herr der Welt und was dich Schöpfer heißt.
Chor.
Lasst uns alle die wir leben
Unsers Meisters Gut erheben!
Orpheus.
Er sinnet Alles aus, ihm ist kaum was verborgen;
Was je dem Aug entgeht, das siebet der Verstand;
Er bauet Stadt und Feld, weiß Alles zu besorgen.
Spannt seinen Segel auf und schifft in fremde Land.
Chor.
Lasst uns alle die wir leben
Unsers Meisters Gut erheben!
Sit^aii und Bailet der tkrmcitcheu tollen iVeiber,
Orpheus.
Kein Donnerkeil, der durch die Wolken bricht,
Mit solchen Grimme fahrt,
Kein Wirbelwind mit gleichem Sturm auch nicht
Die hohle Ficht umkehrt.
Als wann der Pöbel rennet
Aus leichtem Wahn erregt
Und als für Hasse brennet.
Den er der Tugend trägt.
Er fmdet an der wahren Weisheit Licht,
Liebt Nebel, Rauch und Wind,
Und was ihm nur zu schaden ist gericht
Das suchet er geschwind.
Nicht minder darf er denken.
Ob er allcine sei.
Dem unter bösen Ränken
Doch Klugheit wohne bei.
Es rase nur die Thorheit wie sie will,
Ich bin doch wer ich bin
Und ringe stets nach dem gefassten Ziel
Mit freiem Zügel hin.
Sollt ich den Geist aufgeben,
Zu keiner Zeit verdirbt
Und wird dann todt auch leben
Wer Tugend wegen stirbt.
35
Von obeu rab und aus der Götter Rath
Fleußt diese werthe Brunst.
Wen sie entzündt und eingenommen hat.
Bleibt in des Himmels Gunst.
Es mag nur immer wüthen
Der grobe Unverstand,
Die Tugend doch wird hüten
Der Gotter starke Hand.
Kurydice.
Dass ich nun neben dir, mein Hort, nun los mag sein.
Das weiß euch Himmlischen ich Preis und Dank allein.
Ende des vierten Act.
Inhalt des fünften Acts.
Vom Himmel oben rab der Götter Bote kömmt,
Und Orpheus ihren Schluss von ihme dann vernimmt.
Wie dass er vorder soll auch sein in ihrer Zahl
Und die Geliebteste beim großen Göttermal.
Darauf stellt sich Amor ein, die Venus oben blickt
Und dieses edle Paar zu ihr in Himmel rückt.
Da bricht mit reichem Schein ihr werther Nam herfür
Und mehrt der Sternen Zahl mit einer neuen Zier.
Ihr großen Helden hofft! die Tugend nicht verfällt;
Sie steiget himmelan und leuchtet durch die Welt.
Der fünfte Act.
Mercurius.
Dass meinen Weg hieher ich jetzo , Held , genommen
Und in die Sterblichkeit, der ich nicht sterblich bin,
Wie du siebest, an bin kommen,
Ist dein Yortheil und Gewinn.
Du hast der Erden Kreis voll deines Lobs gemacht.
Sodann den Acheron und dessen tiefe Wacht
Zu deinem Ruhm bezwungen
Durch der Saiten süße Kunst.
Wo willst du, Held, nur weiter suchen Gunst,
Nu Erd und Hölle dein?
Der Himmel ist noch übrig nur allein,
Und jetzo ruft er dir,
Dass du da sollst für und für.
Du und deine Schöne leben.
In der Zahl der Götter schweben.
So fasse nun dein Glück zur Hand,
Wie ich darum bin gesandt,
Und lerne ferner dann hierbei,
3*
36
Dass nicht allem der sturkeii WaflVn Mai*ht,
Die sonst manche kühne H<»l(len in die Zunft der Sternen bra(fht,
Der Himmel zu erwerben sei.
Edle Wissenschaft
Hat nicht minder Kraft
In der Götter Mal zu kommen,
Da kein Thor wird aufgenommen.
Orp Ileus.
Ich kenne dich, der Majen ^^) schönes Kind,
Das die auch schöne Mutter bracht
Dem Atlas und zum Vater ihn gemacht
Hier, wo Cyllenes •*) Höhen sind
Mit stetem Schnee und Reif bedecket
Und Mänalus ••) den gäben Scheitel strecket
Bis da der schönen Feuer Zier
Durch Nacht und Wolken bricht herfür.
Du Ringergott, ^®) du Redemeister du,
Du Vater des Gewinns, der Abgeleibtcn Ruh
Und ihr ander Leben '^*),
Beides ist dir geben.
Für dir ich mich, o Vater, billig beuge
Und tief hinab zur Erden neige.
Ob sonst durch mich was sei gethan.
Warum mit Recht und Fug ich nehmen kann
Was mir die fromme Gunst der Götter angedenket ''*)
Und durch dich , großer Bot , jetzt schenket,
Ist mir zwar unbekannt, sie aber Alles wissen.
Sonst hab ich jederzeit mich nur dahin beflissen
Und meiner Pflicht eracht zu sein,
Ihr Gebot and heiigen Willen
Zu lernen nicht allein.
Sondern auch ohn alles Murren in Gehorsam zu erfüllen.
Sie haben mich von ihrer Hand gestellt, "^ •)
Sie thun mit mir was ihnen wolgelällt.
Chor der Cupidinu m.
Liebe wer nur lieben kann,
Hat or's Fug'*) und treulich liebt!
Treue Lieb den Himmel giebt,
Bricht zur Ewigkeit die Bahn.
ß?) Maja, Mutter des Mernirins. — 68) Herg in Arkadien, wo MerciiriuH gnboren und
vorehrt worden, weshalb er auch ('ylleniud hcisst. — 69) Reig in Arkadion. — 70) Kr galt
für den Erfinder der Talästra, Hingerkiinst. — 71) (»eleitor der AbKeschicdcue« in dio Un-
terwelt , Psychn^OKUM . PHychupoinyoH , ChthonioH. — 72) sngedarht. — 7.1) d. h. au» ihrer
Macht OMtlasricn, d:iH lat. manu einittere. — 7.1) ist er daxu befugt, \»i es ihm snst&ndig. — >
37
Wer von Lieben weiß allein,
Miiss Gott oder göttlich sein,
Wirds mit Fug und Hecht gethan.
Liebe wer nur lieben kann!
Venus.
Cieh, tiüßes Kind, und richte fleißig aus
Warum wir angelangt hier aus dem Götterhaus!
Amor.
Dein Winken, Mutter, nur das kann befehlen mir.
Der Wort« darf es nicht, ich thu es und bin hier.
Gehet von der Mutier zum Orpheo und der Eurydiee.
Ich der ich nicht gewohnt an leichten Scherz
Und nie ein irdisch geiles Herz
Durch meine Flamm berühret.
Dem Himmel nur allein bekannt
Und die demselben anverwandt
Mit gleicher Heiligkeit gezieret,
Ich Amor komm, o überedles Paar,
Samt meiner keuschen Mutter an
In der Götter Schar
Euch zu setzen und geleiten.
Da kein Raub noch Grimm der Zeiten
Kuch betrüben kann.
Mehr als Menschentugend
Und du Licht der Jugend,
Lasst den Pöbel gehen
Und die Erde stehen,
Nehmet euren Dank nun ein!
Himmelsherzen sollen nirgend als nur bald im Himmel sein.
Orpheus.
Wohin mein Sinn nur stets und immerdar
Mit allem Fleiß gerichtet war.
Folg ich willig dir,
O heilige Begier!
Und über>\'ol dem der so liebet.
Vor allen Dingen Gott, dann Tugend sich ergiebet!
Er wird nimmer sterblich sein
Und wie ich jetzt zun Göttern gehen ein.
Chor der Cupidinum.
Liebe wer nur lieben kann,
Hat er 's Fug und treulich lifbt!
Treue Lieb den Himmel giebt,
Bricht zur Ewigkeit die Bahn.
38
Wer von Lieben weiß allein,
Muss Gott oder göttlich sein,
Wird« mit Fug und Recht gethan.
Liebe wer nnr lieben kann!
Chor der Hirten und Nymphen.
So lebe, so lebe Johannes Georg
In Freuden ohn Sorgl
Und du auch, o lebe Magdlena Sibyll
In Freuden ohn Ziel!
Lebe, güldnes Paar,
Der Sibyllen Jahr!
Lfeben und Herzen,
Küssen und Scherzen
Stets soll um euch sein.
Nimmer erkalten.
Auch nicht veralten.
Bei euch nichts fließen als Honig und Wein!
Euere Namen
Sollen sich samen,
Ihre Frucht breiten!
Kein Zorn der Zeiten
Soll sie bezwingen.
Unter sich bringen!
Zepter und Kronen
Sollen mit Schilden, mit Landen und Thronen
Ihre halb gottliche Tugend belohnen!
Dies Festspiel findet sich bandscbriftlich im berzogl. Ar-
chive zu Gotha J8. IV. 6. BL 225 — 245. in einem Folioband:
„Allerband Meistentheils Alte das Hauß Sachßen betreffende
Händel." Das Stück selbst ist von gleichzeitiger Hand geschrie-
ben. Der Altenburger Consistorial -Präsident Hans Dietrich
von Schönberg (Ende des 17. Jahrb.) bat auf dem ersten Blatte
bemerkt: „Ballet Bey Churf. Johann Georgen des Andern ge-
haltenen Beylager. Ist von Augusti Buchneri, Professoris zu
Wittenberg Arbeit und Erfindung." Eine Abschrift, die ich
selbst verglichen habe, verdanke ich der gütigen Vermittelung
des Herrn Archiviaths Dr. A. Beck zu Gotha.
Das Beilager wurde in Dresden gehalten. Die Festlich-
keiten bei dieser Gelegenheit dauerten mehrere Tage. Am 20.
39
November 1638 wurde, wie Antonius Weck*) berichtet, „nach
aufgehobener Tafel aufm Riesensaal ein stattliches Ballet mit
unterschiedenen Abwechslungen und 10 Balleten, auch einer
wohl disponierten Action von dem Orpheo und der Eurydice
voUnbracht, worüber die Calliope als Obriste der Musen ein
Cartell ausgeworfen und der Inhalt auf folgende Maße von
HeiTn Buchnern P. P. zu Wittenberg begriffen worden."
*) Der Chur-Fürstl. Sachs, weitberuffenen Resident/. - und Hanpt-Vestung
Dreßden Beschreib- und YorsteHung Durch Antoniam Wecken. (Nürnb. 1680.
fol.) — Seite 365 — 367. daselbst der Inhalt des Stückes. — Weck berichtet
weitere Festlichkeiten. „Den 2. huius (December) nach geendeter Tafel wurde
ein sohun Ballet gehalten, das tauerte Ton Abends 7 Uhr bis In die Mitter-
nacht, hatte 5 Actus." — »Am 5. hielte man eine engeländische Comödia.** —
Die auf diese Vermählung geschlagene Denkmünze ist abgebildet in W. E.
Tentzel Saxonia Numismatica p. 527. Tab. 52.
II.
ÜBER DAS VERHALTNISS
••
THÜRINGENS UND HESSENS
ZUR DEUTSCHEN LITTERATUR.
VON
A. KOBERSTEIN.
üei der Beschäftigung mit der Gescbichte unserer Litteratur
hat mir immer das Verhältniss recht merkwürdig geschienen,
in welchem zu ihr der Theil des mittleren Deutschlands steht,
den ich kurzweg mit den althergebrachten Namen Thüringen
und Hessen bezeichnen will. Während hier nämlich seit länger
als einem Jahrtausende die Wissenschaft mehr fast als in irgend
einem andern Theile unsers Vaterlandes Pflege und Förderung
geftmden, die Dichtkunst aber in den Zeiten, wo sie entweder
zu vollster Blüthe sich zu entfalten, oder doch einen neuen
Aufschwung zu nehmen im Begriffe war, jedesmal eine vor
allen übrigen bevorzugte Wohnstätte aufgeschlagen hat: dürfte
auf diesem Landstriche, wenn mich nicht alles täuscht, im Laufe
der Jahrhunderte so wenig ein Denker, wie ein Dichter ersten
oder auch nur zweiten Hanges geboren worden sein. Ob bei
dieser Erschehiung die Natur des Landes, oder seine Geschichte
im Spiele gewesen sind, wage ich kaum zu vermuthen, ge-
schweige denn zu begründen und für Andere überzeugend zu
machen: dass sie sich jedoch als eine Thatsache vertreten lasse,
will ich, wenn auch nur andeutend, zunächst darzuthun ver-
suchen.
41
Die Geschichte des eigentlich wissenschaftlichen Lebens in
Deutschland hebt bekanntlich mit der Gründung der Kloster-
schulen an. Unter diesen war die älteste und auf die äußere
Gestaltung und den wissenschaftlichen Geist aller übrigen ein-
flussreichste die zu Fulda in Hessen. Ihre Einrichtung ver-
dankte sie Alkuins Schüler, dem berühmten Hrabahus Maurus,
der ihr seit 804 eine Reihe von Jahren vorstand und ihr gleich
einen so großen Namen machte, dass von nah und fern Jüng-
linge, unter ihnen auch der berühmte Otfried, dahin eilten, um
seine Schüler zu werden. Hier wurden außer den theologi-
schen Studien auch die, in dem Trivium und Quadrivium be-
griffenen, weltHchen Wissenschaften, nebst den classischen Spra-
chen betrieben. Zugleich ward diese Schule eine Pflanzstätte
für Ausbildung der deutschen Sprache, die neben der lateini-
schen zur Schriftsprache zu erheben, sich Hrabanus unter sei-
nen Zeitgenossen mit vorzüglichem Eifer angelegen sein ließ.
Er, wie es scheint, hielt zuerst seine Schüler zur Bezeichnung
des Tones deutscher Wörter an; es gelang ihm und seinen
Zeitgenossen auch, der barbarischen Nachlässigkeit im Deutsch-
und Lateinischschreiben, die bis dahin in Deutschland geherrscht
hatte, fast plötzlich ein Ziel zu setzen. Er kann also mit vol-
lem Rechte der Vater der Sprachstudien in Deutschland ge-
nannt werden. Und wenn nun in spätem Jahrhunderten, zumal
seit der Reformation, gerade in diesen mittlem deutschen Län-
dern, wo sie ihren Anfang nahm, die classische Philologie ganz
besondere Pflege gefunden hat, wenn gar in unsern Tagen die
eigentlich deutsche Sprachwissenschaft von einem gebornen
Hessen, so zu sagen, geschaffen worden ist, von einem Thüringer
aber die ägyptische ihre Mündigkeit erwarten darf: so fühlt
man sich leicht versucht, hierin ein Nachwirken jenes Geistes
zu ahnen, der bereits zu Anfang des neunten Jahrhunderts in
Fulda sich regte und die Richtung gleichsam im Voraus be-
zeichnete, welche die Wissenschaft in den einst auch politisch
eng verbundenen Ländern, Thüringen und Hessen, späterhin
vorzugsweise verfolgen sollte.
Ich sage mit Absicht vorzugsweise. Denn wer möchte
wohl behaupten, dass seit der Zeit, wo mit der Gründung von
Universitäten eine höhere und allgemeinere wissenschaftliche
Regsamkeit sich in Deutschland aufthat, diese beiden Land-
schaften darin hinter andern zurückgeblieben wären? Bereits
42
im vierzehnten Jahrhundert ward, als die vierte Hochschule in
Deutschland, die zu Erfurt errichtet, der sich späterhin in Thü-
ringen Jena, in Hessen Gießen, Marburg und Rinteln anschlös-
sen; und wem ist die großartige Einwirkung ganz unbekannt,
die zu Ende des vorigen Jahrhunderts und zu Anfang des
jetzigen von Jena aus auf das gesammte wissenschaftliche Le-
ben der Deutschen erfolgte? Aber so wenig wie der große
Denker in Königsberg, der die Umwälzung in der Philosophie
einleitete , waren seine drei großen Nachfolger, die sich in der
glänzendsten Zeit der Jenaer Universität auf ihr zusammenfan-
den, geborne Thüringer oder Hessen; ja von Albertus Magnus
an bis auf Hegel, Schleiermacher und Herbart vermag ich in
der langen Reihe namhafter deutscher Philosophen keinen ein-
zigen Hessen, wenn nicht etwa den darnach benannten, i. J.
1397 verstorbenen Heinrich, und nur einen Thüringer, den zu
Heldrungen geborenen und zu Gottingen gestorbenen Gottlob
Ernst Schulze nachzuweisen.
Großer ist freilich die Zahl der Männer aus diesen Ge-
genden, welche sich in der poetischen Litteratur unsers Vater-
landes einen Namen gemacht haben. Hier begegnen uns zuerst
im dreizehnten Jahrhundert außer Herbort von Fritzlar, von
dem weiter unten nochmals die Rede sein wird, einige Lieder-
dichter, wie Hetzbolt von Weißensee, Christian von Luppin,
einer, der schlechthin der Düring heißt, der namenlose Ver-
fasser eines Theils der Lieder über den Wartburgerkrieg, end-
lich der uns bloß dem Namen nach bekannte Hang von Salza;
im sechzehnten und siebzehnten die Hessen Burkard Waldis,
Dietrich von dem Werder, Everhard Guerner Happel und Johann
Balthasar Schuppe, und die Thüringer Christoph Homburg,
Georg Neumark, Joh. Georg Schoch, Christian Friedrich Hu-
nold und Erdmann Neumeister; endlich im siebzehnten und
achtzehnten die aus Thüringen oder dem zunächst ostlich an«*
grenzenden Landstriche herstammenden Dichter: Daniel Wil-
helm Triller, Gotter, Schatz, Manso, Jacobs aus Gotha selbst
oder dessen Nähe; Neubeck aus Arnstadt; Ernst Wagner aus
dem Meiningischen ; Heinse aus der Nähe von Ilmenau; Mu-
saeus aus Jena, Kotzebue aus Weimar; Zachariae und Wezel
aus dem Sondershäusischen ; v. Brawe und Müllner aus Weißen-
fels; Gruber aus Naumburg. Aber wer möchte heutiges Tages
auch nur einem einzigen unter allen diesen Männern nachrüh-
43
men, dass er, wenn von deutseben Dichtern die Rede ist, in
erster oder nur in zweiter Reihe mitzählte, sofern das Urtheil
nicht von vorübergegangener, wenn auch noch so allgemeiner
Beliebtheit und großer Berühmtheit abhängen soll, sondern von
dem absoluten Werthe ihrer Werke und der Bedeutung, die
ihnen bei der geschichtlichen Betrachtung und Darstellung un-
serer poetischen Litteratur eingeräumt werden kann? Es muss
allerdings zugegeben werden, dass unsere Dichterverzeichnisse
noch manche Namen enthalten, deren einstigen Inhabern wir
die Heimath entweder gar nicht, oder bloß nach Muthmaßun-
gen zu bestimmen vermögen. Dies würde jedoch fast nur von
Dichtem aus früherer Zeit, vornehmlich aus dem zwölften und
dreizehnten Jahrhundert gelten, und wenn sich darunter auch
noch Hessen und Thüringer verstecken mögen, so steht min-
destens so viel fest, dass zu ihnen die großen, oder gar größ-
ten Meister der erzählenden Dichtung sowohl, wie des Liedes
nicht gehören.
Wie durchaus verschieden erscheint dagegen das Verhält-
niss des deutschen Mittellandes zu unserer Dichtkunst, wenn
wir uns wieder nach den vornehmsten Pflegstätten dersel-
ben in den einzelnen Epochen ihres Bildungsganges umsehen I
Ich brauche kaum daran zu erinnern, welche dichterischen
Kräfte seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von
Süden, Westen und Nordosten in Weimar nach und nach zu-
sammentrafen und unter der schützenden und fordernden Gunst
eines hochsinnigen und geistvollen Fürsten in regster Wechsel-
wirkung ein neues Blüthenalter unserer Poesie herauffuhrten.
Die hohe ja einzige Stellung, welche der kleine Ort unter allen
deutschen Städten noch vor vierzig bis fünfzig Jahren einnahm
und die er seinem Fürsten und den um ihn sich sammelnden
Dichtern allein verdankte, ist jetzt selbst über die Grenzen un-
seres Vaterlandes hinaus unter den Gebildeten bekannt genug.
Ich will daher lieber gleich auf zwei andere für die Geschichte
unserer Litteratur wichtige Zeitabschnitte hinweisen, wo eben-
falls in Thüringen unter fürstlichen Gönnern die deutschen
Dichter enger als irgend wo anders zusammentraten.
Den ersten, von uns aus gerechnet, bildet der Anfang des
siebzehnten Jahrb., wo sich der deutschen Poesie, die bis da-
hin von allen Ständen geübt worden war, vorzugsweise oder
vielmehr ausschließlich die gelehrt Gebildeten bemächtigten und
44
ihr, nach Abstreifung ihres bis dahin mehr oder weniger be-
wahrten volksmaßigen , freilich mit der Zeit unscheinbar
und unsauber gewordenen Gewandes, ein neues, mehr feier-
liches und ins Auge fallendes, nur leider fremden Schnitt und
ausländische Farbe verrathendes ICleid anlegten. Die Männer,
denen wir diese für die Folgezeit sehr einflussreiche Umge-
staltung deutscher Dicht- und Darstellungs weise zuzuschreiben
haben, befanden sich bei ihren Bestrebungen in einem eigenen
Zwiespalt. Einerseits nämlich empfanden die bessern unter
ihnen, und hierin trafen sie mit der Gesinnung einiger wackern
Fürsten und altadeligen Herren zusammen, das Schimpfliche
und Gefährliche in der Hingabe an die Fremde, jener Sucht
zur Aneignung und Nachahmung ausländischer Geschmacks-
weise, Sitte, Form und Sprechart, wozu damals bereits alles
bei uns drängte: sie wollten also deutschen Sinn, deutsche Art,
deutschen Character, wie in den Äußerlichkeiten des Lebens,
so auch in den Gemüthern wahren und festigen, vor allem
Andern aber wollten sie dem Kleide des Gedankens, der Sprache,
ihre von Alters angeerbte Reinheit und Kraft sichern und zu
diesem Ende verfielen sie darauf, eigene Gesellschaften und
Verbrüderungen zu bilden, die sich mit erkannter und ausge-
sprochener Absicht dem Überhandnehmen der Ausländerei ent-
gegenstemmen, das Heimische aufrecht erhalten und schützen
sollten. Andrerseits aber wurden die Dichter selbst unwillkür-
lich von ihrer Zeit und Umgebung nach jener Richtung hinge-
trieben, die sie bekämpften. So blieb alles, was sie für ihre
Zwecke unternahmen, an Äußerlichkeiten haften und verlor sich
in Spielereien und Tändeleien, die sie selbst wieder, der Haupt-
sache nach, dem Auslande abgelernt hatten. Allein sehr merk-
würdig bleiben diese Dichter- und Sprachgesellschaften bei alle
dem, wenn ihnen auch weiter nichts nachzurühmen wäre, als
dass sie in der Zeit von Deutschlands tiefster Erniedrigung
noch die Sehnsucht nach der Ehre des Vaterlandes unter den
Bessern lebendig erhielten und deutlich erkannten, dass die-
selbe mit der Bewahrung heimischer Zucht und Sitte, der Rein-
haltung der Sprache und dem Aufschwünge der Dichtkunst eng
verbunden sei.
Die älteste und durch den Stand oder das Talent ihrer
Stifter und Mitglieder erlauchteste und berühmteste dieser Ge-
sellschaften, die sogenannte fruchtbringende oder den Palm-
45
Orden, sch^n wir nun im Jahr 16lt gerade wieder zu Wei-
mar ins Leben treten, wohin auch ihr Sitz und Mittelpunct,
nachdem er eine Reihe von Jahren zu Koethen gewesen, vom
Jahre 1651 bis 1662 verlegt wurde. Gestiftet von drei weima-
rischen Herzogen, zwei Fürsten von Anhalt und vier Herren
von Adel, unter denen sich der erste deutsche Übersetzer des
Ariosto und Tasso, Dietrich von dem Werder, befand, zählte
sie bis zum Jahre 1662 unter ihren Mitgliedern einen König
und Pfalzgrafen, drei Kurfürsten, hundert und neunzig Herzoge
und andere fürstliche Häupter, fünf und neunzig Grafen und
Freiherren; von namhaften Dichtern aber: Martin Opitz,
Andr. Gryphius, August Buchner, Harsdorfer, Siegmund von
Birken, Moscherosch, Homburg, Neumark, Johann Rist, Schot-
telius u. A., denen entweder ihr Adel oder ihr schriftstellerischer
Ruf die Aufnahme in die Verbindung verschafft hatten. —
Ungefähr vierhundert Jahre früher, als die mittelhoch-
deutsche Poesie eben ihre schönste und reichste Blüthe im
Volksepos, der kunstmäßigen Erzählung und dem Liede ent-
faltete, finden wir, wenn auch nicht in Weimar selbst, doch in
dem heutiges Tages eng damit verbundenen Eisenach an dem
Hofe des Landgrafen Hermann von Thüringen, einige der größ-
ten und berühmtesten Dichter jener Zeit in einem so lebendigen
Wechselverkehr mit diesem kunstliebenden Fürsten und unter
einander, dass die Sage darin frühzeitig genug Wurzel schla-
gen, das Thatsächliche mit ihren Ranken und Geschlingen über-
spinnen und zu jenen wundersamen, noch immer nicht ganz
enträthselten Gebilden auswachsen konnte, die uns unter dem
Namen der Lieder vom Wartburgerkriege erhalten worden sind.
Schon bevor Hermann zur Landgrafen würde gelangte, als
er noch Pfalzgraf von Sachsen hieß und in Freiburg an der
Unstrut seinen Sitz hatte, treffen wir an seinem Hoflager den
ältesten unter den kunstmäßigen Dichtern dieses Zeitraumes,
den Westphalen Heinrich von Veldeke. An dem Hofe zu
Cleve hatte er bereits den größten Theil seines Hauptwerkes,
der Aeneide naph einem französischen Vorbilde gedichtet, als
es ihm entwendet wurde; erst neun Jahre später, wie er uns
selbst berichtet, als er nach Thüringen gekommen war, ver-
schaffte ihm der Pfalzgraf das angefangene Werk wieder und
hieß es ihn vollenden, was zwischen 1184 und 1189 geschehen
sein muss.
46
Zu Eisenach oder auf der Wartburg begegnen wir aber
um das Jahr 1204 den beiden größten Dichtem des ganzen
deutschen Mittelalters, dem Wol&am von Eschenbach und dem
Walther von der Vogelweide; jener ohne Gleichen in der Erzäh-
lung, dieser nicht minder einzig im lyrischen Liede. Dass
Wolfram, als er sein herrlichstes Werk, den Parzival dichtete,
bereits in einem nähern Verhältniss zum Landgrafen stand,
geht aus einer Stelle des Gedichts, worin er Hermann anredet,
unwiderleglich hervor: als er es abfasste und vorlesen ließ
(denn der Dichter selbst konnte nach eigenem Geständniss
nicht lesen), muss er sich zu Eisenach oder Wartburg befunden
haben. Späterhin forderte ihn der Landgraf zur Bearbeitung
einer Kerlingischen Sage auf und verschaffte ihm dazu dasL fran-
zosische Werk, worin sie enthalten war. Wolfram ging auf
den Wunsch seines Gönners ein, und fing wahrscheinlich noch
am Thüringer Hofe sein zweites erzählendes Gedicht, den Wil-
helm von Oranse, an, wurde jedoch, nachdem der Landgraf
schon früher gestorben war, durch den Tod, wie es scheint,
an der Vollendung behindert. — Von Walther haben wir meh-
rere Lieder, die an Hermann gerichtet sind und ein näheres
Verhältniss zu demselben, sowie des Dichters Aufenthalt zu
Eisenach bezeugen. Eins darunter, das ich hier nach Simrock^s
Übersetzung mittheilen will, schildert uns das bewegte und
fröhliche Leben am Hofe des Landgrafen, und die Noth des
Sängers, die er zu bestehen hat, ehe er Gehör erlangen kann.
Es lautet so:
Wer in den Ohren siech ist oder krank im Haupt,
Der meide ja Thüringens Hof, wenn er mir glaubt:
Käm^ er dahin, er würde ganz bethöret;
Ich drang so lange zu, dass ich nicht mehr vermag.
Ein Zug fährt ein, ein andrer aus, so Nacht als Tag:
Ein Wunder ist's, dass da noch jemand höret.
r^'Omdgraf hat so milden Muth,
Dass er mit stolzen Helden, was er hat, verthut.
Davon ein jeder wohl als Kämpe stände:
Mir ist sein hohes Thun wohl kund.
Und galt' ein Fuder guten Weines tausend Pftind,
Doch Niemand leer der Ritter Becher fände.
47
In einem zweiten Liede, das im Dienste des Landgrafen
gedichtet ist, preist Walther seinen Herrn noch mehr wegen
seiner Freigebigkeit, oder wie es damals hieß, Milde, und man
hört es aus des Dichters Worten deutlich genug heraus, dass
er selbst diese fürstliche Milde wiederholt erfahren habe. Hier
heißt es nämlich:
Ich bin des milden Landgrafen Ingesinde:
Ich halt^ es so, dass man mich immer bei dem Besten finde:
Die andern Fürsten alle sind wohl mild, jedoch
So State sind sie^s nicht: er war es einst und ist es noch.
Drum kann er besser als die Andern mild gebahren:
Er ist im Launenwechsel unerfahren:
Wer heuer prunkt und ist doch über's Jahr so karg als je,
Dess Lob ergrünt und falbet wieder gleich dem Klee:
Thüringens Blume scheinet durch den Schnee:
Lenz und Winter blüht sein Lob wie in den ersten Jahren.
Minder berühmt, als Wolfram und Walther, sind zwei an-
dere erzählende Dichter, die gleichfalls in Beziehung zum Thü-
ringer Hofe standen und von Hermann zur Abfassung zweier
uns erhaltener Werke angefordert wurden. Der eine ist der
bereits genannte Hesse, Herbort von Fritzlar, der den Stoff zu
seinem Gedicht vom trojanischen Kriege in einem welschen
Werke von dem Landgrafen empfing; der andere, Albrecht von
Halberstadt, der diesem Fürsten, nach seiner Niederlassung in
Thüringen eine deutsche Umbildung der Ovidischen Verwand-
lungen widmete, wovon uns indess, außer dem Prolog, nur eine
spätere Um- und Überarbeitung geblieben ist.
Weiter wüsste ich keinen Dichter zu nennen, dessen Auf-
enthalt am Thüringer Hofe zu Hermanns Zeit entweder durch
sein eigenes, oder durch das Zeugniss eines Gleichzeitigen au-
ßer Zweifel gesetzt würde. Vermuthen lässt sich aber, dass
nicht bloß der Kunstdichtung, sondern auch dem epischen Yolks-
gesange der Eingang in die Wartburg un verwehrt war, zimial
wenn wir zufolge einer scharfsinnigen Wahrnehmung Lachmann^s
von den auf uns gekommenen Nibelungenhandschriften einer,
wegen der darin durchbrechenden Spracheigenheiten, thüringi-
scl^n Ursprung werden zuschreiben und glauben dürfen, dass
sie für den landgräflichen Hof angefertigt worden sei Darf
48
man ferner der Sage trauen, die mit ihrem Zeugniss wenigstens
in die letzten Jahrzehnte des dreizehnten Jahrhunderts hinauf-
reicht, so befanden sich um das Jahr 1207 zu Wartburg außer
Wolfram und Walther noch von andern namhaften, uns auch
anderweitig bekannten Dichtern, ein Reinmar, welches aber
kaum, wie das Gedicht vom Wartburgerkriege will und die
Jüngern Überlieferungen nacherzählen, der von Zweter gewesen
sein kann, sondern nur etwa einer der beiden altern Meister
dieses Namens, also entweder Reinmar der Alte, oder Reinmar
der Fiedler; dann Biterolf und Heinrich, genannt der tugend-
hafte Schreiber, und außerdem noch Heinrich von Ofterdingen
und Klinsor, von denen jedoch noch immer nicht ausgemacht
ist, wie viel Anspruch an sie die Geschichte, wie viel die Sage
zu machen hat.
Ich will hier von den in lateinischer und deutscher Prosa,
sowie in den gereimten Lebensbeschreibungen der heil. Elisa-
beth uns zugekommenen Berichten über den sogenannten Wart-
burgerkrieg nicht weiter reden, da sie ihrem allgemeinen Inhalte
nach hinlänglich bekannt sind. Noch weniger mag ich die dar-
nach benannten Lieder, welche unter den Namen jener sieben
im poetischen Wettkampf auftretenden Sänger in den Sing-
sQhulen des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts umgin-
gen, näher zur Sprache bringen. Lieber will ich die Aufinerk-
samkeit gleich für ein Paar andere Erscheinungen aus einer
weit früheren Zeit zu gewinnen suchen, die auch in einem sehr
nahen Bezüge zu Hessen und Thüringen stehen.
Wenn seit der Zeit, wo in der Geschichte unserer Poesie
die Namen der Dichter aus dem Dunkel herauszutreten begin-
nen, jene deutschen Mittelländer weniger durch Dichter, die sie
selbst hervorgebracht haben, als durch ihre kunstliebenden Für-
sten, welche die bedeutendsten Talente aus benachbarten oder
entfernteren Gegenden an sich zu ziehen und an ihren Hof zu
fesseln verstanden, für die Entwickelung und Gestaltung der
deutschen Dichtkunst merkwürdig gewesen sind: so sind sie es
für eine frühere Periode, wo die Persönlichkeit der Dichter,
sofern sie nicht Geistliche waren und kirchliche Stoffe behan-
delten, noch bis auf vollige Namenlosigkeit hinter den darge-
stellten Gegenständen zurücktraten, dadurch vor allen andern
deutschen Ländern geworden, dass die einzigen Überbleibsel
des damals nur noch in vereinzelten Liedern fortlebenden und
49
sieb fortbildendeu Volksepos in ihrer Mundart uns aufbebalten
und an zwei Orten au%eiiindeu sind, Ton denen , der eine in
Hessen liegt, der andere, wenn er nicht mehr zi^ Tl^üringen
gerechnet werden sollte, doch ganz hart daran stoßt. Ich meine
hiermit das sogenannte Hildebrandslied und zwei Gedichte aus
dem deutschen Heidenthum, jenes zu Fulda bereits vor längerer
Zeit, diese erst im Spätherbst 1841 zu Merseburg entdeckt und
bekannt gemacht.
Die Handschrift des Hildebrandsliedes, die gegenwärtig in
Cassel aufbewahrt wird und von der eine bis auf die allerge^
ringsten Kleinigkeiten getreue Abbildung von Wilh. Grimm ge-
fertigt ist, besteht aus der ersten und letzten Folioseite einer
Pergamenthandschrift, die außerdem ein Paar Stucke der Vul-"
gata enthält. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass diese eher
als das deutsche Gedicht geschrieben, die beiden anfänglich
leer gelassenen Seiten aber späterhin zur Aufzeichnung der letz-
teren benutzt worden sind. Entdeckt wurde es von Eccard,
der es auch 1729 im ersten Bande seiner „Commentarii de re-
bus Franciae Orientalis'^, mit einer Schriftprobe, Einleitung, la-
teinischen Übersetzung und Erläuterung abdrucken ließ. Achtzig
Jahre später wurde es auf's Neue von Reinwald im „Neuen
litterarischen Anzeiger^ herausgegeben und conunentiert. Beide
hielten es für niederdeutsche Prosa, und noch Bouterwek führte
es 1812 als Fragment eines alten Ritterromans aus der ersten
Hälfte des 8. Jahrh. an, obgleich er die Sprache nicht mehr
für rein niederdeutsch wollte gelten lassen. Jedoch bereits ein
Jahr ftrüher hatte J. Grimm im 2. Bande des „Museums für
^td. litteratur und Kunst^ S. 314 bemerkt, dass sich in dem
Fragment die Alliteration bestimmt nachweisen lasse, und 1812
führte er den Beweis davon in der mit seinem Bruder gemein-
schaftlich besorgten Ausgabe des Liedes von Hildebrand und
Hadubrand und des Wessobrunner Gebets. Drei Jahre später
lieferte J. Grimm im zweiten Bande der „altdeutschen WWder"
eine in manchen Eiuzelnheiten, besonders in der Versabtheilung,
abgeänderte Herstellung des Textes mit Erläuterungen, hier wie
in seiner ersten Ausgabe noch an der Voraussetzung festhaltend,
dieses poetische Überbleibsel unserer ältesten Heldenpoesie sei
fortlaufende, bis zum fehlenden Schluss fest zusammengefügte
Blrzählung, eine Ansicht, welche nach dem Erscheinen von Wilh.
CrruoEUDS treuer Nachbildung des Originals im Jahr 1830, zuerst
Weimmr. Jh. IJ. a
50
von diesem selbst in den Götting. gel. Anzeigen desselben Jah-
res angefochten , nachher von Lachmann in seiner am 20. Juni
1833 in der Berliner Akademie der Wissenschaften gelesenen
Abhandlung iiber das Hildebrandslied widerlegt wurde, indeni
es seinem Scharfsinn gelungen war, in diesem Hildebrandsliede
nur eine Reihe vereinzelter, vielleicht nicht einmal richtig ge-
ordneter, durch prosaische Zwischensätze hie und da zusam-
mengehaltener Bruchstücke zu entdecken, wie er dies in einer
besonders gedruckten Textherstellung auch dem Auge erkenn-
bar gemacht hat. Was seitdem für den Text und dessen Er-
klärung, namentlich in Grimms Grammatik und in W. Wacker-
nag eis altdeutschem Lesebuch, geschehen ist, besteht nur in
Einzelnheiten, hat aber noch nicht alle Dunkelheiten und Schwie-
rigkeiten gehoben, die sich hier und da im Ausdrucke darbieten.
Die Aufzeichnung dieser Dichtung verdanken wirvermuth-
lich zwei Fuldaischen Mönchen, denn dass zwei Hände dabei
thätig gewesen sind, lehrt eine genaue Betrachtung der Schrift-
züge. W. Grimm meint, ein dritter habe den Schreibern die
Worte in die Feder gesagt, wozu Lachmann bemerkt, dass
dieser dritte dann wenigstens schwerlich ein Sänger gewesen
sein könne; denn wenn er sich auch der Worte nicht genau
erinnerte, so hätte ein solcher doch wol selbst soviel von der
Kunst verstehen müssen, um den Schreibern das Gedicht in
etwas vollkommnerer Form vorzusagen. Ihm ist es wahrschein-
licher, dass beide Aufzeichner, der eine, der den kleinem Theil
des geistlichen Inhalts der Casseler Handschrift geschrieben
hatte und nun die erste und die letzte leere Seite mit diesen
unschätzbaren Bruchstücken ausfiillte, und sein Genoss dabei,
von welchem nur acht Zeilen herriihren, sich mit einander aus
ihrer weltlichen Zeit her auf die Worte eines Liedes besannen,
das sie sonst wol von „bäurischen^ Sängern gehört hatten.
Die Zeit der Aufzeichnung ist gewiss nicht später, als in
den Anfang des 9. Jahrh. zu setzen, also in die Blüthezeit der
Schule zu Fidda; die Sprache ist eine dem Niederdeutschen
sehr nahe stehende mitteldeutsche Mundart, in der thüringische
Formen durchblicken; die Versart die, worin alle deutschen
Gedichte vor der Mitte des neunten Jahrhunderts abgefasst zu
sein scheinen, die alliterierende, mit der besondern Bestim-
mung, dass jeder Vers, von denen je zwei durch die Alliteration
zusammengehalten werden, das Maß von vier Hebungen weit
51
strenger beobachtet, als dies in andern gleichzeitigen oder noch
altern Gedichten von derselben Bindeart der Fall ist. Die Al-
literation, die bekanntlich auf dem Gleichlaut der Buchstaben
beleiht, mit welchen mehrere der am stärksten betonten Worter
zweier zusammengehörender Verse oder einer Langzeile anhe-
ben, wobei aber die einzelnen Vocalanlaute alle unter einander
Bindefähigkeit besitzen, die Alliteration, sage ich, befasst hier
gewöhnlich drei, bisweilen aber nur zwei, oder auch vier Sil-
ben. Ein Beispiel der ersten Art ist:
Hiltibraht joh Hadhubrant untar herjun tvem, wo die Sil-
ben Hilt-, Had- und her- in dem Consonanten h alliterie-
ren. Zwei gebundene Laute, nämlich die Consonanten s sind
gleich in der nächstfplgenden Langzeile:
sunufatarungos iro saro rihtun;
vier ganz gleiche in:
dat Hiltibrant hetti min fater: ih heittu Hadubrant,
oder mit sich kreuzender Bindung durch die Consonanten f
und w:
föhem wortum, hver sin fater warf.
Einigemal bricht indess auch schon der Endreim neben der Al-
literation durch, der bald nachher diese ganz aus der deutschen
Poesie verdrängte, einmal sogar in einer Zeile, die gar keine
Alliteration hat,
dat sagetun mi üsere liuti,
eine Zeile, die mehr, als alles übrige thüringisch -hessische Ab-
kunft durch die Form ml für mir bezeugt.
Durch seinen Inhalt greift diese Dichtung in den Sagen-
kreis von Dieterich von Bern ein. Der alte Hildebrand mit
Dieterich von Otacker vertrieben, kehrt nach dreißig Jahren
heim, begegnet seinem als Kind zurückgelassenen Sohne Hadu-
brand, der einzelne dem einzelnen und wird von diesem ge-
zwungen mit ihm zu kämpfen. Ich will hier Lachmanns Über-
setzung mit einigen Ergänzungen geben:
„Ich horte das sagen, dass sich herausforderten im Zwei-
kampf Hiltibrant und Hadhubrant zwischen zweien Heeren.
Sohn und Vater besorgten ihre Rüstungen, sie bereiteten ihre
Schlachtkleider, gürteten sich die Schwerter an, die Helden,
über die Ringe (d. h. Panzer), da sie zum Gefecht ritten. Hil-
4*
52
tibrant sprach: er war der stolzere Mann, an Geist der klügere:
er hub an zu fragen, mit wenigen Worten, wer sein Vater wäre
der Leute im Volke, oder welches Geschlechtes du seiest Wenn
du mir einen sagst, ich weiß mir die andern, du Kind im Kö-
nigreiche: kund ist mir alles Menschenvolk. — Hadubrant sprach,
Hiltibrants Sohn: Das sagten mir unsere Leute, alte und kluge,
die Yorlängst dahin waren (d. h. die längst starben), dasd Hil-
tibrant geheißen habe mein Vater: — ich heiße Hadubrant.^ —
Hier haben wir wahrscheinlich eine Lücke in dem Gedicht .
anzunehmen, indem das zunächst Folgende zu der Voraussetzung
berechtigt, Hiltibrant habe sich als Hadubrants Vater zu erken*
nen gegeben, bevor dieser also in seiner Kede fortfahren konnte:
„Vordem gieng er ostwärts (er floh Otachers Hass) fort
mit Theotrih und seiner Männer viel. Er verließ im Lande
elend sitzen die Frau im Hause, unerwachsenes Kind, erblos
— (er ritt gen Osten fort) — das Volk. Nachher traf Theo-
trihhen Verlust meines Vaters. Das war so freundloser Mann:
er war auf Otacher allzu ergrimmt; der Männer Uebster war
er Theotrihhe; immer an des Volkes Spitze: ihm war immer
Gefecht zu lieb: bekannt war er . . . kühnen Männern: ich
glaube nicht mehr dass er lebt.'^
Diese Rede Hadubrants, hart und starr, aber richtig in der
Gedankenverbindung, würde nach unserer Sprechweise etwa so
lauten: Hildebrand floh mit Dietrich vor Otackers Hass: nach-
her verlor ihn Dietrich. Hildebrand war ohne Freunde, auf
Otacker zürnend und geliebt von Dietrich, immer an der Spitze
des Heeres und zu kampfbegierig: er kann nicht mehr am Le-
ben sein. —
Hier deuten die letzten, in Prosa eingefiihrten Worte wie-
der eine Lücke an, in welcher erzählt sein mochte, dass EL»-».
dubrand auf den Zweikampf drang und etwa sagte: ich entzog
mich nie, feige wie du, dem angebotenen Zweikampfe, worauf
wieder in einem gleich zu Anfange mannigfaltige Störungen und
AusfäUe des Ursprünglichen verratheuden Bruchstücke, Hilde-
brands Antwort erfolgt: „Gott vom Himmel, wahrlich noch viel
weniger strittest du jemals einen Streit mit einem so nah ver-
wandten Manne^, woran sich dann die weitere £rzählung an-
schließt:
„Da wand er (uämUch Hildebrand) vom Arme gewundene
Ringe, von einem Kaisering (byzantinischer Goldmünze) ge-
58
macht, wie ihm sie der König gab, der Hünen Herr, (spre-
chend): dass ich dir's nun mit Huld gebe. Hadubrant sprach,
Hiltibrantes Sohn: Mit dem Wurfspieß wird der Mann Gabe
empfahen, die Spitze gegen die Spitze. Du bist dir, alter
Hun, allzu klug, reizest mich . . . mit deinen Worten, willst
mich mit deinem Speere werfen (d. h. Du lockst mich mit dei-
nen Worten, aber du willst mich mit deinem Speer werfen).
Du bist ein so gealterter Mann, wie du ewigen Betrug ver-
führtest (oder uns verständlicher: je älter du bist, je mehr hast
du Zeitlebens betrogen). Das sagten mir Seefahrende west-
wärts iiber den Wendelsee, dass man Krieg vernahm: todt ist
Hiltibrant Heribrants Sohn.'^ — Hiltibrant sprach, Heribrants
Sohn: Wohl sehe ich an deiner Rüstung, dass du hast daheim
einen guten Herrn, dass du noch durch diese Obrigkeit nicht
verbannt worden bist. Wehe nun, Herrscher Gott, Wehschick-
sal geschieht. Ich wallte der Sommer und Winter sechzig au-
ßer dem Lande, wo man mich immer bestimmte in die Schar
der Schützen, dass man mir nirgend an einer Stadt den Tod
befestigte: und nun muss mich mein trautes Kind mit dem
Schwerte hauen, treffen mit seiner Hacke, oder ich ihm zum
Tode werden! Du kannst ja leicht, wenn dein Muth etwas
taugt, an einem eben so stolzen Mann Rüstung gewinnen, Raub
erbeuten, wenn du da irgend Recht hasf
Auf diese Rede des Vaters , . der Sohn werde leicht einen
andern Mann zu bekämpfen finden, den er anzugreifen mehr
Recht habe, fehlt die Erwiederung. In dem Folgenden erklärt
sich der Vater zum Kampf bereit.
„Der sei doch nun der feigste der Ostleute, der dir nun
Krieg weigere, nun dichs so wohl gelüstet. Die handgemeine
Schlacht versuche, den Kampf, wer von uns sich heute der
Beuten rühmen solle, oder dieser Panzer beider walten. Da
ließen sie zuerst mit Eschen schreiten (d. h. die Pferde mit
den Eschenspeeren), mit scharfen Schauern, dass es in den
Schilden stand (d. h. stecken blieb). Dann traten sie zusam-
men die Schwertschwinger (?); sie hieben schmerzlich weiße
Schilde, bis ihnen ihre Linden (nämlich Schilde aus Leder und
Lindenbast) klein wurden gemacht, und nicht zu den Bäuchen
— ^ Hier bricht unser Gedicht ab; den Ausgang des Kampfes
erfahren wir nicht. Nach spätem Darstellungen der Sage be-
54
siegt der Vater den Sohn, versöhnt sich mit ihm und beide
reiten auf die Burg zu Gattin und Mutter.
In dem Hildebrandsliede besitzen wir bis jetzt das einzige
Überbleibsel eines altdeutschen Heldenliedes aus der Periode
unserer Litteratur, die dem zwölften Jahrhundert voraufging;
und je sicherer wir in der Annahme sein dürfen, das» unser
Heldenepos im 9. und 10. Jahrh. bereits in vollster Blüthe stand,
desto unschätzbarer sind uns diese Bruchstücke, weil sie uns
vorzugsweise die Umrisse und Farben zu dem Bilde liefern
müssen, das wir uns von dieser Art der Poesie zu entwerfen
vermögen. Darnach aber, so wie nach dem, was wir aus den
durch ihren Inhalt dem althochdeutschen Heldenepos nah ver-
wandten alten Eddaliedern und der altsächsischen, den Ton der
alten Volkspoesie noch ziemlich festhaltenden Evangelienhar-
monie zu diesem Behufe entnehmen können, scheinen vor dem
zwölften Jahrhundert in Deutschland noch keine größeren Dich-
tungen bestanden zu haben, die in fortlaufender, geordneter
Erzählung und planmäßiger Entwickelung eigentliche Helden-
sagen von mehr oder minder bedeutendem Umfange wiederge-
geben hätten. Vielmehr werden diese Stoffe wol nur in ein-
zelnen Liedern dargestellt worden sein, die zwar immer das
lebendige Bewusstsein von einem ganzen Sagenkreise bei den
Zuhörern voraussetzten, sich auch wol auf einander bezogen,
aber immer nur eine einzelne Begebenheit aus der Masse her-
aushoben und diese in gedrängter, oft springender, nie bei ei-
nem Puncte lange verweilender und leicht in dramatische Le-
bendigkeit übergehender Erzählung veranschaulichten. Dabei
scheint dieser Poesie früh ein Vorrath von wiederkehrenden
Wendungen, Umschreibungen und bildlichen Ausdrücken eigen-
thümlich gewesen zu sein, der den Sängern die poetische Um-
kleidung des Stoffes erleichterte, auf der andern Seite aber auch
die individuelle Ausmalung von Charakteren und Begebenheiten
hemmte und eine gewisse Schroffheit und Starrheit in diese
Darstellungsweise brachte, wie sie auch unser Hildebrandslied
nicht verleugnen kann. —
Wenden wir uns jetzt zu den Merseburger Gedichten.
Als J. Grimm 18.^5 seine deutsche Mythologie herausgab,
konnte er das einstmalige Dasein einer reichen Götterwelt in
der Vorstellung unserer Vorfahren, sofern dabei nur von den
eigentlichen Deutschen und nicht zugleich von ihren scandina-
55
vischen Stammverwandten die Rede sein sollte, durch kein ein-
ziges schriftliches Zeugniss in deutscher Sprache, das noch in
die Heidenzeit zurückreichte, beweisen; und es gehörte die ganze
staunenswurdige Gelehrsamkeit, der feine Tact, das wunderbare
Ahnungsvermögen, endlich der seltene Scharfsinn und die glän-
zende Combinationsgabe dieses echt deutschen Mannes dazu,
aus den scheinbar entlegensten Gebieten der Litteratur, aus
der Sprache, den Sitten, der Geschichte, den Sagen und Mär-
chen, dem Aberglauben, den Bezeichnungen von Naturerschei- ^
nungen, örtlichkeiten, Thieren, Pflanzen, Gesteinen und Stern-
bildern die Ergebnisse zu gewinnen, die er in jenem unver-
gleichlichen Buche niedergelegt hat. Was noch nach wenigen
Jahren niemand zu hoffen wagte, Bestätigung der Grimmschen
Sätze durch Gedichte mythischen Inhalts aus dem deutschen
Heidenthum, das hat auf die überraschendste Weise seitdem
Statt gefunden. Professor Waitz, gegenwärtig in Gottingen,
im November 1841 bei mir einsprechend, um in Pforte etwa
Ausbeute für die von Pertz herausgegebenen „Monumenta Ger-
maniae historica'^ zu finden, ging von hier aus nach Zeiz
und von da nach Merseburg, die dortigen Stiftsbibliotheken und
Archive in gleicher Absicht zu durchsuchen. An letztgenann-
tem Orte findet er in einer Handschrift, welche der Bibliothek
des Domkapitels angehört, und die nur bekannte kirchliche
Stücke zu gewähren scheint, auf einem Blatte in schöner Schrift
des 9. Jahrh. die schon anderweit bekannte deutsche Ent-
sagungsformel, wie sie den Täuflingen unter den neubekehrten
Heiden vorgelegt wurde, weiterhin aber auf einem andern Blatte
von anderer Hand, die mit Sicherheit dem Beginne des 10.
Jahrh. beigelegt werden darf, mitten unter kirchlichen und firom-
men Sätzen zwölf altdeutsche Zeilen, in denen J. Grimm, dem
sie mitgetheilt werden, alsbald zwei unter sich unzusammen-
hängende, alliterierende Gedichte, offen heidnischen Inhalts, er-
staunt anerkennt. Bereits am 3. Febr. 1842 liest Grimm dar-
über in der Akademie der Wissenschaften, und nicht gar lange
darauf erscheint diese Vorlesung unter dem Titel: „Über zwei
entdeckte Gedichte aus der Zeit des deutschen Heidenthums",
nebst einem getreuen Facsimile der Handschrift im Druck, so
dass noch im Laufe des Sommers ein anderer Gelehrter, W.
Wackemagel seinem eben fertig gewordenen Wörterbuch zum
altdeutschen Lesebuch in der Vorrede eine Revision des Tex-
56
tes und eine theilweise von der Grimmischen abweichende Er-
klärung desselben anzufügen vermag.
Ich will, da beide Gedichte nur von so geringem Umfange
sind, sie in der Ursprache und Übersetzung mittheilen. Das
erste, von Grimm Idisi, d.i. Nymphae, iiberschrieben, lautet so:
Eiris sa^un idifl, fÄgun hera duoder,
fumä hapt heptidun, fumd. heri lezidun,
fumä clübödun umbi cuoniowidi,
infprincg haptbandun, invar wlgandun.
nach Grimms lateinischer Übersetzung : Olim sedebant nymphae,
sedebant huc atque illuc, aliae vincula vinciebaiit, aliae exerci-
tum morabantur, aliae colligebant serta, insultum diis compli-
cibus, introitum heroibus; — wogegen Wackernagel, mit zwei
geringen Abänderungen im Text, deren eine noch dazu durch
die Handschrift begünstigt wird und der Überschrift: Zauber«
Spruch über die Fesseln eines Kriegsgefangenen, übersetzt:
„Vormals saßen Weiber, saßen her (und hin): die einen
Fesseln fesselten, die andern das Heer aufhielten, die andern
pflückten nach Kniestricken. Entspringe den Fessclbanden,
entgehe den Feinden!"
Die Hauptabweiehung beruht auf der verschiedenen Auf-
fassung der letzten Zeile; ich möchte jedoch, da, wie wir spä-
ter sehen werden, die Bestimmung dieser Verse zur Zauberfor-
mel wol keinem Zweifel unterliegt, der Wackemagelschen Auf-
fassung und Übersetzung den Vorzug geben, zumal die Grimm-
sche, nach seinem eigenen Geständniss, mancherlei Schwierig-
keiten darbietet. Beide Gelehrte stimmen aber darin überein,
dass die Idisl hier nicht bloß Weiber schlechthin bedeuten,
wie anderwärts, sondern Weiber göttlicher Art, Schlachtjung-
frauen oder Valkyrjen. Den Beweis dafür führt Grimm in
seiner Vorlesung mit Bezug auf die deutsche Mythologie. —
Wenn jedoch noch jemand zweifeln könnte, dass in diesen Ver-
sen wirklich ein Denkmal aus dem deutschen Heidenthum uns
vorliege, so wird er jedes Bedenken müssen bei dem zweiten
Stücke fahren lassen, das aus folgenden acht alliterierenden
Langzeilen besteht, von Grimm überschrieben Bald eres volo,
d.i. Balderi equuleus, von Wackernagel: Zauberspruch über
den verrenkten Fuß eines Pferdes.
57
Phol ende W6dan yuorun zi holza,
du wart demo Balderes volon fin vuoj birenkit;
ihn bigüolen Sinthgunt, Sunnä era fuifter,
thu bigüolen FrM, VollJL era fuiller,
thu bigüolen W6dan, £5 he wola conda,
föfe bSnrenkl, föfe bluotrenkl, fofe lidirenki,
ben zi b^na, bluot zi bluoda,
lid zi geliden, föfe gelimida fin.
Nach Wackemagels Obersetzung, die Ton Grimms hier nicht
abweicht:
^hol und Wodan begaben sich zu Walde: da ward dem
Balders Fohlen sein Fuß verrenkt: da besprach ihn Sintfagnnt
(und) Sunna, ihre Schwester; da besprach ihn Früa (und) Volla
ihre Schwester; da besprach ihn Wodan, wie er wol verstand,
so die Beinverrenkung, wie die Blutverrenkung, wie die Glie-
derverrenkung, Bein zu Beine, Blut zu Blute, Glied zu Glie-
dern, als ob sie geleimt seien.^
Hier haben wir zunächst den schon anderweitig für Deutsch-
land feststehenden Hauptgott Wodan, hochdeutsch Wuotan,
nordisch Odhin; dann die aus der nordischen Mythologie be-
kannten, bis dahin für die deutsche mehr oder weniger nur
gemuthmaßten Gottheiten Balder, Sonne, Folla (abundantia) und
Freyja, in altdeutscher Form Früa, wenn nicht, wie Wacker-
nagel will, in der Handschrift Frlja gelesen werden muss, wor-
auf allerdings unser nach der Göttinn der Liebe genannter
sechster Wochentag Freitag, früher Frltac, führt; endlich
zwei bisher auch dem Norden ganz unbekannte Gottheiten, eine
männliche Phol und eine weibliche Sinthgunt; letztere be-
zeichnet dem Namen nach und als Schwester der Sonne wahr-
scheinlich ein wanderndes Gestirn, welches ? wagt Grinun nicht
zu sagen; man konnte aber an den Mond denken, wenn der
nicht andere Namen führte. Am räthselhaftesten ist Phol; doch
tritt auch dieser Name, nachdem er einmal die Aufinerksamkeit
err^t hat^ immer individueller und lebendiger aus dem Dunkel,
wie insbesondere einige Mittheilungen Grimms in Haupts Zeit-
schrift für deutsches Altertbum (2, 188. 252.), worauf ich mich
hier aber nicht näher einlassen mag, darthun können.
Dass beide Gedichte erst im Anfange des 10. Jahrh. in
dem Merseburger Codex aufgezeichnet sein dürften, ist bereite
58
bemerkt worden. In der Nähe ihres Fundorts müssen sie der
Sprache nach zu urtheilen auch abgefasst, wenigstens nieder-
geschrieben sein: denn die Sprache weist an die Saale nach
Thüringen hin, wo sich althochdeutsche und altsächsische Zunge
berührten. Ersterer stehen diese Verse näher, als das Hilde-
brandslied, das entschiedener sächsische Färbung trägt, nament-
lich in der Festhaltung des Consonanten t für das hochdeutsche
in den Merseburger Stücken vorfindliche z.
Wie ist es aber zu erklären, dass man zu christlicher Zeit
bei dem Ankämpfen der Geistlichkeit gegen alles, was mit dem
alt -germanischen Götterglauben zusammenhing, diese dahin of-
fenbar einschlagenden Verse aufzeichnete? Ja noch mehr, wie
konnte ein Geistlicher oder Mönch, denn von solcher EUmd
kann mitten unter geistlichen Dingen die Aufzeichnung nur
geschehen sein, es über sich gewinnen, dergleichen vor dem
Untergange zu retten? Hierauf gibt Grimm befriedigende
Antwort.
„Den ersten Christen galten, wie in der deutschen Mytho-
logie gezeigt ist, die heidnischen Götter für verhasste, nicht
für völlig machtlose Wesen. Selbst die Kirche war nicht ab-
geneigt, römische oder deutsche Gottheiten als bösartige Dä-
monen aufzufassen, deren ehemalige Herrschaft jetzt dem Reiche
des wahren Gottes weichen müsse. Die heidnischen Götter
traten zurück in einen schauerlichen Hintergrund, der ihre
wohlthätigen Eigenschaften und selbst ihre alten Benennungen
allmählig schwinden ließ, eine gewisse teuflische Macht und
Einwirkung aber an die Stelle setzte. Und wie wir in noch
späteren Zeiten aUmählig ein System von Teufeln und Hexen
sich entfalten sehen, dem die alten Götter und weisen Frauen
der Heiden zum Grunde lagen, nach welchem aber wirkliche
Zaubereien und Beschwörungen geübt wurden: so werden auch
jene heidnischen Lieder mit den verrufenen Göttemamen frühe
schon als ein nicht gerade unstatthaftes Mittel zu Heilungen
und Besprechungen gegolten haben. Es ist beinahe nicht zu
zweifeln, gar manche solcher Zauberformeln, wie sie die mei-
stens mündliche Überlieferung folgender Jahrhunderte noch
mehr entstellt, aber doch fortgepflanzt hatte, beruhen ihren fast
immer erzählenden Eingängen nach auf heidnischen Liedern
und Weisen, nur dass nach und nach an den Platz der alten
59
Eigennamen absiclitlich verdrehte, ersonnene oder anders woher
entlehnte traten."
Wer gegen diese Erklärung Bedenken tragen könnte, wird
es aufgeben, wenn er erfährt, dass der gesammte Inhalt des
zweiten Gedichts in einer solchen jungen Zauberformel auch
wirklich herauszuerkennen ist und zwar in einer, die in weit-
entlegener Gegend, in Scandinavien, erst im vorigen Jahrhun-
dert aufgezeichnet worden, und also lautet:
„Jesus ritt zur Heide, da ritt er das Bein seines Fohlens
entzwei. Jesus stieg ab und heilte es, er legte Mark in Mark,
Bein in Bein, Fleisch in Fleisch, er legte darauf ein Blatt, dass
es in derselben Stelle bleiben sollte."
Man sieht, hier sind unter dem Einflüsse des Christen-
thums die heidnischen Gottheiten der Person Jesu gewichen,
in welchem der Besitzer des Fohlens Balder und der zauber-
kundige, heilende Wodan zusammenfallen. Die Idee ist die-
selbe, wie in dem heidnischen Gedichte, ja zum Theil selbst
der wortliche Ausdruck. Was aber besonders merkwürdig ist,
dieselbe Idee finden wir in fast tausendjährigem Abstände an
den Ufern der Saale und in Dänemark auftauchen. Ist dies
nicht Beweises genug, dass wir in unserem Gedichte Vorstel-
lungen festgehalten sehen, welche dem ganzen heidnischen Ger-
manenthum eigen waren?
Fragen darf man auch, wie kam der Schreiber des Merse-
bnrger Codex, dem wir diese Stücke verdanken, zu ihnen? Es
bleiben als Antwort nur zwei Annahmen übrig, wenn man er-
wägt, dass Thüringen bereits im 8. Jahrb., Sachsen aber im
Beginne des 9. bekehrt worden waren. Entweder fand der
Geistliche zu Anfang des 10. Jahrb. unsere Zaubersprüche
schon anderswo aufgezeichnet, oder er empfing sie aus münd-
licher Überlieferung. Grimm neigt sich zu der zweiten An-
nahme und ich denke, wir können dem beistimmen.
Ul.
ZUR LITTERATÜR FISCHARTS.
SONETTE.
MITGETHEILT VON D'^ O. SCHADE.
Ejs wird in dieser Zeitschrift mehrfach Gelegenheit genommen
werden, die Betrachtungen unserer Leser auf Johann Fi«
schart zu lenken, jenen grösten Dichter des sechszehnten
Jahrhunderts und geistvollsten deutschen Humoristen überhaupt,
der durch eine seltsame Laune des Schicksals zwei Jahrhun-
derte lang fast verschollen war und auch jetzt noch kaum von
Wenigen näher gekannt ist. Wir werden die verschiedenen
Richtungen seiner literarischen Thätigkeit charakterisieren, seine
bedeutendsten Schriften eingehender Besprechung unterziehen
und Mittheilungen über bisher noch unbekannte oder unbeach-
tete Poesien von ihm machen. Eine Mittheilung letzterer Art
sind die nachfolgenden Sonette, die, abgesehen von. ihrer
Wichtigkeit für die Geschichte des Sonettes in Deutschland
(weil sie mit zu den frühesten Versuchen gehören diese fremde
Form uns heimisch zu machen), ihrem Inhalte nach, gerade
als politische Dichtung, einen weiihvollen Beitrag zum Charak-
terbilde Fischarts liefern. Es sind diese Sonette neuerdings
nicht gedruckt und wol kaum Einigen (wenn überhaupt Meh-
reren) bekannt. Als Karl Gödeke seine mit umfassender Kennt-
nis gearbeiteten Elf Bücher deutscher Dichtung veröffentlichte.
61
wüste er wol um ihre Existenz (siebe daselbst Seite 160), konnte
sie aber nicht mittheilen, da der Einzige der sie damals be*
kannter Maßen besaß, sie ihm vorenthielt. Das Buch, in dem
sie enthalten sind, befindet sich jetifX in der Königlichen Bib«
liothek zu Berlin, ein zweites Exemplar auf der herzoglichen
Bibliothek zn Wolfenbüttel, PoUtic. 89. 12. Dieses Buch fuhrt
folgenden Titel: Offentlichs vnd | inn warheit wolge-
gr&ndts I Außfchreiben der vbelbefridigte Stand in
I Franckreich, die sich Mal Content | nennen: In-
haltend I Die Wunderlich Befchreibung | des Le-
bens, Verhaltens, thun vnd Wefens | der CATHE-
RINE von MEDICIS | der Konig in Franckreich |
Mutter. I Darinnen gr&ndtlich weiß vfi weg | dar-
durch fie fich in die Regierung des Reichs | einge-
fchleiffet, auch folche noch alleweil zu verderb vnd
I vntergang deffelbigen statt vnd wolfahrt | vnrecht-
mAßig vorhält, be | fchriben wird: | Auß dem Frant-
zofifchen ins | Teutfch gebracht | durch Emericum
Lebufium. | Neun Bogen in Octav, unpaginiert aber mit
Zählung der Bogen. Auf I Vb beginnen die Sonette unter der
üeberfchrift An Ehr vnd Billigkeit | liebende Lefer. |
Etlich Sonnet. Huldrich Wifart | Sic nehmen etwas
über vier Seiten ein. Fifchart nennt sich hier Huldrich Wifart,
ein Name, den er sich auch anderweitig beilegt z. B. vor dem
Gedichte in der Schrifk Wacht fr&e auff, das überschrieben
ist An jedes auffrecht redlich Teutfch | Gebl&t vnd
Gemfith | und anhebt Ja billich fagt im Sprichwort jhr
I Vnbill ßoß auff die Thftr etc.
Die Sonette sind gerichtet gegen Katharina von Me-
d i c i s , die schone , geistreiche , kunstliebende , intriguante,
herrsch- und prunksüchtige Florentinerin, geb. am 13. April 1519,
einzige Tochter Lorenzo^s von Mediois, Herzogs von Urbino,
und Nichte des Papstes Clemens VII. Sie ward 14 Jahre alt
mit dem zweiten Sohne Franz I. von Frankreich, dem Prinzen
Heinrich, vermahlt. Das Beilager ward im October 1533 zu
Marseille gefeiert Man gab ihr viele Grausamkeiten Schuld;
sie habe den 1536 verstorbenen Dauphin vergiftet, um ihren
Gemahl an die Regierung zu bringen. 1549 zur Konigin ge-
krönt wüste sie sich das Vertrauen ihres Gemahls so zu er-
werben, dass er sie« ais er 1552 nach Deutschland zog, zur
62
Regentin machte. Als dieser Heinrich IL 1559 starb, kam
ihr ältester Sohn als Franz II. an die Regierung, den sie durch
alle Lustbarkeiten zu verlocken und zu entnerven suchte, ma
ungestört schalten und walten zu können. Der Tod dieses
Franz gab die Zügel der Regierung während Carl IX. Minder-
jährigkeit ganz in ihre Hände. Unaufhörliche Intriguen zwischen
den Parteien anzettelnd, bald för bald gegen die Protestanten,
zog sie sich immer mehr und mehr Haß zu. Sie war es, die
Carl den IX., als er zur Regierung gelangt war, zu jenem
Blutbade bestimmte, das unter dem Namen der Pariser Blut-
hochzeit eine so traurige Berühmtheit erlangt hat. Nach
CarPs IX. Tode führte sie aufs Neue die Regentschaft bis zur
Rückkehr Heinrichs III., damals Königs von Polen. Sie starb
1589 in einem Alter von 70 Jahren. Man gibt ihr mit Recht
Schuld, dass sie zum Ruine der französischen Sitten unendlich
viel beigetragen.
Wir lassen nun die Sonette folgen, eine Gruppe, deren
letztes als Abschluss durch einen Coda von fünf neunsilbigen
auf einander reimenden Versen verlängert ist. Wir regeln die
wilde Schreibung des Druckes und bessern einen offenbaren
Druckfehler, nemlich 7, 5 st ahn für stehn.
AN EHR UND BILLIGKEIT
LIEBENDE LESER.
ETLICH SONETT.
HULDRICH WISART.
L
In dem haus (fpricht man) ßehts nicht wol
Und muß gewis was bös gemanen.
Wann die hcnn kreht über den hanen.
Da fie doch dafür gachfen fol
Zu leichtern iren eierßol.
AlTo wie vil mer muß es hön
In einem regiment dann (lehn,
Welchs größer ift und forgen vol,
Wann die henn wil die hanen füren:
Da muß fie die gewis verfüren.
64
4.
Dann welches fchreit auß feinem ßant,
Dasfelb zerreißt das menschlich bant,
Schafft unwill und groß misverftant
Und verunruhigt ftat und lant,
Weil hochmuth findet widerftant.
Darum got alles recht erfchuf
Ein iedes gfchlecht in feim beruf,
Den man dapfer mit rat und haut,
Das weib blod MIl zu der haushaltung:
Und ie ftiller ift ir Verwaltung,
le beßer iß diefelb bellellt.
Denn ins haus ghort kein rechten fechten
(Es wird fonfl; bofes garn fich flechten),
Sondern aufs rathaus und ins feld.
5.
Und wie es eim man übel ßeht,
Wann er fich weiber gfchäft annimpt:
So übel es fich auch gezimpt,
Wann ein weib mansgefchäft hie thet.
Der man ein Gret, das weib als not.
Wann Sardanapalus wil fpinnen,
Semiramis die lant gewinnen:
Welchs tyrannei ift al zu fchnod,
So die leut machet widerfinnig.
Drumb liß; man vom Egypten konig,
Der, daß er fein volk weibifch fcha£%,
Ließ männer thun der weiber gfchäft,
Weiber anmaßen männer kraft:
Damit keins bhielt fein eigenfchaft;.
6.
Solchs that er, weil er fich befart,
Sein volk möcht in umb tyrannei
Bekriegen, fich zu machen frei.
Übt aber nicht auch folche art
65
Die konigin, wie man erfart,
Die, daß man nicht irm mutwill fteur,
Außrotten wil die manfcbaft teur?
O da wert all fo tregt ein hart!
Gleichwol Tag ich nicht, daß nicht auch
Ein weib mog herschen nach landsbrauch,
Fiir nemlich wann fie in irm Hat
Pfleget der männer rat und that:
Dton folches man noch lieber hat
Als herrn die weiber han zu rat.
*<•■.'•-'
7.
Sonder die firechlich unterftahn
Sich wider gfatz und on all wal
Zu Hecken in gfchäft überal,
Den (fag ich) fol man widerßahn,
Weil in der gwalt nicht zu wil Hahn.
Darumb nur, ir Franzofen, dran!
Erweiß daß hauen mut ir hani
So wirt euch alles glück zu gähn.
Erweill daß ir von Tcutfchen kommen,
Von Franken frei, den alten frommen!
Dann fo kein frembden han ir duldet
Der euch herfch, wann er euch nicht huldet:
Wie folt ir nicht die henn yerdammen,
So frembd die hauen hetzt zufammen.
Daß fie einander felbs erlamen
Und gar außrotten ireü ßanunen?
Derhalben dran ins herren namen!
Secht, ob man ein wild henn mag zamen
Und iren grinmiigen eir&men!
. /*. //.
ww.
Em PASQUILL
AUS DER ZEIT
••
DES DREISZIGJAHRIGEN KRIEGES.
MITGETHEILT DURCH OSCAR SCHADE.
£iin äußerß interelTantes PaTquiU aus der Zeit des dreißigjäh-
rigen Krieges findet fich auf 4 Blattern in Quart, ohne Ort
und Jahr, unter dem Titel
SPECULÜM
IMPERH ET MÜNDL
Das ist
Beichs- und Welt-
Spiegel,
Darinn eines Jeden Standes vnd Ampts Eigen-
fchafi^/ gleich als eine Quinta elTentia extrahii*et
vnd gezeiget wird/
Durch einer jeglichen Perfonen eigenen Außfpruch.
CHolzichnitt)
Im Jahre / Da ein jeder zum eulTerßen w&ndfchet
Candida pax orbi reddare recurre revife
Erige, conforta quae fera bella fiigant.
Hier folge nun dies Pasquill in geregelter Schreibung.
67
Reichs- und Weltspiegel.
Papft
Ich wil das geillliche und weltliche Schwert wider meine Feinde
brauchen.
Herzog in Friedland
Urbane, daß man das Schwert einftecke! Denn wer das Schwert
nimbt, der fol durchs Schwert umbkommen.
Römifcher Keifer
Ich profequiere meine Victorien, die mir Gott in meine Hände
gibt, biß ich austilge was mir und meinem Haus fchaden kan.
König in Spanien
Ich dacht, es were nun fchon alles im Reich gewonnen: fo
fehe ich itzo erß, daß die Würfel noch anf dem Tifch liegen.
König in Frankreich
Vor dißmal fucht ich nicht Königreiche noch Länder fondern
jufiitiam und aequilibrium.
König in Engelland
Aller Anfang iß fchwer.
König in Denemark
Das Spiel wird erß recht gut, und ift mir yaft leid, daß ich
aufhören muß mit zu fpielen.
König in Schweden
Ego dabo inimicis meis in faciem vulnus immedicabile.
Poln.
Es ift Gottes Werk.
Churfürß von Mainz
Ich fehe daß man auch umb unfern Gewand fpielet. Wann
idinur vorher gewuft, daß die Cron Spanien fo ein groß ver-
langen nach unfern langen churf. Röcken getragen, fo wolt ich
bei meinem interceJOTore follicitieret haben, daß er ihn den fei-
nigen vor feinem Abfterben in feinem Teftament vermacht ha-
ben folt.
Churfürft zu Köln
Ich furchte böfe Nachbaren.
Chur Trier
Ich auch.
Chur JBaiern
Jetzt wer es Zeit daß man Friede machete, fo könte ich in
meiner Oeonomie wol heftehen.
5*
68
Chur Sachfen
Cunctando reftituam rem.
Chur Brandenburg
PofituB lum in medio: quo me vertam nefcio.
Jüngerer Konig in Denemark
Ich fchweig und gedenke.
Erzbifchof zu Bremen
Es ift leider fchlecht beftellt.
Herzog zu Mechelburg
Wie der Keifer fo viel Fürften machete und glcichwol Teutfeh-
land nicht größer machen konte, hette ich leicbtlich denken
foUen, daß die alten Fürfien endlich den neuen würden Platz
machen müßen.
Herzog Friedrich Ulrich zu Braunfchweig
De quo gaudeam non habeo.
Herzog Chriftian zu Lüneburg
Wenn wir Alles gethan haben, fo müften wir dennoch Tagen:
wir find unnütze Knechte.
Herzog zu Pommern
De profundis clamavi ad te, Ted occultafti te a meis clamoribus.
Herzog zu Würtemberg
Vereor mihi eft.
Spinola
Mein Glück und Reputation
Laufen beid mit einander davon.
Peter Heinz
Pefiis eram vivus, moriens ero mors tua, Hifpane!
Gräfenhagen
Der Palaft vor den König in Denemark ift nunmehr vergeblich
zugerichtet.
Ungarn
Gaudeamus libertatel
Böheimb
Fuimus in multis tribulationibus.
Schlefien
Eandem jacturam fecimus.
Mehren
O uiifera provinciarum!
Lausnitz
Inter fpem et metum.
69
Boheimirche Stand
Spe fallimur.
Malae Contenten
Monßrum borrendum ingens cui lumen ademtum.
Calviniften im Reich
Ach Gott, fei uns armen Calvinißen genädig!
Confifcationis Commiffarii
Terrori fumus multis.
Deren Güter confifciert werden follen
Maximo periculo lucrum fecimus, fed nefcimus cui.
Edictmacher
Nimis prtepoßere!
Evangelifche Gemein
Media vita in morte fumus : quem quaeremus adjutorem?
öfterreich
Es iß mit unferm Thun verloren,
Verdienen doch nur eitel Zoren.
Teutfcher Krieg
Dum finguU pugnant, univerfi vincuntur.
Union.
O pater omnipotens, vituli miferere unionis,
quem Mors praeveniens non finit effe bovem!
Reformierte ünterpfalz
Was Thorbeit in der Welt! Meinß du, catholifche Obrigkeit,
daß du mir meinen alten Gott und vorigen lieben Herrn aus
dem Herzen gerißen ? Nein traun ! Du haß mich gequelet,
wirft wieder von den Holländern gequelet werden. Wie du
mich mit Lift und Sinceration Schreiben gefangen, alfo wil ich
dich auch in Feßel und Bande legen helfen, dadurch mir und
allen redlichen Teutfchen die edle Freiheit wiederumb erwerben.
Anspacher ex inferno
Hifpanicum rapidis jam nunc liquet ignibus aurum.
Anspacher Seel
O pater Abraham! crucior in hac flamma« quia multos habeo
firatres, ne veniant in locum, mitte ad illos Fridricum, ut di-,
cat illis, longe lateque fugiant munera Hifpanica.
Alter Graf von Turn
O focii, neque enim ig^ari fumus ante malorum,
O paili graviora, dabit deus bis quoque finem.
70
Graf Ernß Mansfelt
Per varios cafus, per tot discrimina rerum
Tendimus in requiem fedes ubi fata quietas
Oßendant.
Graf Tilli
Hos ego verficulos feci, tulit alter honores.
Sic vos non vobis vertitis affa canes.
Graf Collaldo
Ach Gott, wie find der Feind fo viel!
Bethlehem Gaboi
Verziehet ein wenig! Ich wil bald kommen und auch mit
fpielen.
Türkifcher Keifer
Signori, haltet ein wenig inn! Ich kan des heiligen Grab«
nicht umbfonft hüten.
Mofcowiter
Neutralitas periculofa.
Türke
Wir trauen keinen Sincerationibus.
Soldaten im Reich
Ach Gott, wie fitzen wir uns fo krumb und lahm an der Con-
tribution Tafel! Wenn doch nur das churfachfifche Confect
möchte bald aufgetragen werden !
Catholifche Liga
Manus noßrae oculatae funt : credunt quod vident.
Churfürftl. Collegium
Fürwar wir werden des Ruhms mangeln, den wir bei der
Pofteritet haben foUen.
Teutfche Freiheit
Video extremam unctionem.
Pra?textu8 Juris
Vis mihi , cara mater : nam ferreis gaudeo fceptris.
Juftitia
Sub terris lateo donec fuperfluat ira.
Jus novum
Sic Tolo, fic jubeo.
Religionsfried
Extrema cano.
Reichs Conftitutiones
Aurum cedit ferro.
71
Augspurgifohe Confeffion
Non fum qaae eram.
Deutfchland
O weh, o weh der großen Not!
Der Religionsfried ift tot.
Zukünftiger Reichstag
Wilt du nicht, fo muß du.
Niederfächs. Kraiß
Spemque metumque inter dubia feu vivere credunt,
Sive extrema pati, ne jam exaudirc vocatos.
Hanfe Städte
Sinceri fumus finceris, perfidi perfidis: fic ars delutitur arte.
Dänemärkifche Reichsftände
Unfer König überantwortet fich deiTt^einigern.
Niederfächs. Krieg auf den Frieden
Fürwar wir werden nun nicht ehe heraus hommen, biß wir den
letzten Heller bezahlen.
Dänemärkifcher Fried
Peota tarn fuspecta quam ignominiofa.
Jus rationis
Wie man mir unter Augen gegangen, alfo wil ich mich wie-
derpimb verhalten.
Stralfund
Der Schiffer hat uns bald unfern Sincerationszeug über einen
Haufen geworfen, und wenn unfer Stadt nicht mit Ketten were
an den Himmel gebunden gewefen, hette er fie nieder gerißen.
Magdeburg
Ich habs wol gedacht, die Reihe werde auch einmal an uns kommen.
Erzftift. Magdeburg
H. Churfürft zu Sachfen, man fagt meine Thumbkirche hette
jetzo, zween Erzbifchove drinnen, und des Keifers Sohn bitte
ich gar von Herzen fchon, fag mir, welchen unter diefen beiden
fol ich für meinen Erzbifchof halten?
Neuer Mechelburgifcher Herzog
Meliora fpero.
Fleciere & nequeo fuperos, Acheronta movebo.
Fürft von Eggenberg
Mein Verdienß beim Keifer erfordert auch ein Reichsfürften-
thumb ztcr recompens: wil Würtemberg nicht pfeifen, fo hab
ich fchon das Maul gefpitzt
72
Evangelifche Reichsftände
Si bona fuscepimus, cur bona non fustineamus? Ecclefia de-
dit, ecclefia abstulit.
Chorus Evangelicorum ad Electorem Sazonisd
Sancte Johannes, o fancte Georgi, ora pro nobisl
Straßburg
Ich bleibe daheim und verware meine Mauern.
Nürnberg
Auch unfer Witz wil nicht fein nütz.
Ulm
Und unfer Geld geht in die Welt.
Reichsfürilen
Wo nun hinaus?
Reichsßädte
Difficile eß, ex caroere et contributionibus refpqndere.
Heilige drei Könige
Der Stern wil nicht mehr leuchten.
Jofeph
Wo wil ich doch aus Egypten kommen? Arge Maufer! ich
fürchte mich dahin zu kommen.
Prießer Johannes in China
Venite ad me omnes qui laboratis et onerati eftis: ego vos re-
ficiam.
In Germanland
Es ift noch Raumb in der Herberge.
Accommodierte
Ihre Intention, veränderte ungefpeiRe catholifche Chriflen. Wir
haben die alamodifche Religion annehmen müßen wie fie geng
und gebe ift: verhoffen, ob Gott wil, lie fol bald abfchlagen.
Jefuwüten . Ja fie wüten.
Es ift Zeit daß wir uns mit einem guten Viatico verfehen, denn
wir werden doch mit unferm Sincerieren und heilfamcn Betrieg-
ligkeit nicht mehr fortkommen können.
Cardinal Clefel.
Ich hab es alles zuvor gefagt daß es fo hergehen werde: wa-
rumb folget man nicht.
Landgraf Moritz in Heffen
Ich bin fchwarz gewefen: es finden fich aber Leute die wollen
mich wieder weiß machen.
73
Landgraf Görg in Helfen klagt
In unfern Landen gehet es übel zu.
Landgraf Wilhelm zu Hessen Antwort
Du haß weidlich darzu geholfen.
Fürft Chrißian von Anhalt der Eitere
Veni, vidi, fugi, et nunc folitudinem amo.
Herzog von Savoi
Wer da wil ein SchifPman werden, der muß fich naqh dem
Winter richten.
Herzog zu Lothringen
Dura et afpera virtutis via.
Herzog von Nivers
In Deo et Gallo eß mea folatio.
Pfalzgraf Friedrich
Alles zu feiner Zeit, wer es nur mit Gedult erwart.
Alter Markgraf von Durlach
Omnia fi perda^, famam fervare memento.
Venediger
Wir danken Gott, daß S. Marx noch nicht krank liegt.
Cardinal zu Rom
Was wir lange erfchunden und erfchabt haben, das wil der
Teufel jetzund Auf einmal wegführen.
Graubünder
Nimis fecurel
Schweizer
Felix quem faciunt aliena pericula cautum.
Gubernator von Meiland
Nos gaudeamus aliena ope fed non indifciplinata foldatescal
Soldaten in Graubünden
Extra contributiones imperii non est falus.
Ibi enim
Vivitur ex rapto, non hofpes ab hofpite tutus.
Sive raptum live captum, mihi id omne eß aptum.
Holländer
Ei wie thun uns die Spanifchen Flotten fo wol!
Prinz Heinrich von Uranien
Frifch gewagt iß halb gewonnen.
Den Verzagten iß viel Glück entronnen.
74
Generalßaden.
Der SpaniTcben Flotta Geld
Bringt uns Staden auch ins Feld.
Infantin zu Brülfel
Die Staden hab ich zwar zu Nachbarn, aber ^^^* ^ Freunden,
Herzog Bufch
Mein Gott, mein Gott! warumb haß du mich verlaßen!
Wefel
Strick iß entzwei und wir find ifrei.
Graf Heinrich von Berg
Satius eß recurrere quam male pati.
Monfier Pickelhering
Meine Herren! verzeihet mir daß ich fo lang außen blieben bin.
Ich were lengß widerkommen, wenn mich die Sincerationes nicht
geßolen hetten.
Pluto infernalis
Hört auf, ir Purfch, cathoHfch und beierfch zu werden: ich
kan fonß mit den Logiamenten in der Hell nicht auskonunen.'
Jus Jußinianeum
Conßitit et lacrimans, quis locus (inquit) lußi?
Perge modo et qua te ducit via, dirige greflum!
Bauren Practica
Der Wind geht ßark: es kommen gewis Soldaten.
V.
K L O P F A N.
EIN BEITRAG
ZUB
GESCHICHTE DER NEUJAHRSFEIER
VOH
OSKAR SCHADE.
Wir wollen hier die Aufmerksamkeit auf eine bis jetzt noch
fast ganz unbeachtete, ihrem Entstehen und Wesen nach nicht
gewürdigte Gattung unserer Poesie lenken, die uns um so in-
teressanter erscheinen muß, als wir sie mit noch immer unver-
siegten, heidnischem Kultus entspringenden Bräuchen im Zu-
sammenhange finden werden. Wir meinen eine eigentümliche
Art von Neujahrswünschen, die man mit dem Namen
Klopf an bezeichnet hat. Nur Gervinus hat auf sie hingewie-
sen, ohne jedoch jenen Zusammenhang mit dem Leben und
den Sitten des Volkes zu erkennen. Er sagt (Geschichte der
deutschen Dichtung 4. Aufl. 2. Bd. S. 342): „Eigentümlich wie
dem Rosenblut die Priamel scheint dem Hans Folz allenfalls
in seinen Sprüchen und Schwänken die Neigung, verschiede-
ner Menschen Art und Weise in dem plumpen Stile der Zeit
zu charakterisieren, bald verschiedene Stände (in Form einer
Predigt), bald einen Liebesüchtigen, bald einen Spieler, einen
Trunkenbold, Charlatan, bald die schämigen und frechen Frauen.
Eine ihm eigene Gattung von Sprüchen, die er Klopf an
nennt, dient dieser Neigung ausschließlich. Der Dichter for-
dert darin Leute verschiedenen Charakters auf anzuklopfen und
76
gibt ihnen dann Bescheid nach Verdienst: der Allerliebsten ei-
nen frommen Neujahrwunsch, dem Schweinsohr und andern
seiner Antipathien einen greulichen Empfang von Schmähungen.
Solche Charakterzeichnungen leiteii dann zum Fastnachtspiele
ganz unmittelbar über."
Nicht alle aus älterer Zeit uns überlieferte Neujahrs wünsche
fallen in die Kategorie, der wir hier eingehende Besprechung
widmen wollen. Im sogenannten Liederbuche der Clara Hätzle-
rin, einer Sammlung von Spruchgedichten und Liedern, die
die Augsburgerin, nach der sie genannt ist, im Jahre 1471 zu-
sammen geschrieben hat, finden sich welche, die, ausgenommen
die Zartheit der Empfindung die aus ihnen spricht, sonst wei-
ter keine bemerkenswerte Eigentümlichkeit an sich tragen:
sie sind in Spruchform abgefaßt und an die Geliebte gerichtet.
Wir scheiden sie von unserer näheren Betrachtung aus, wol-
len sie jedoch eben um ihrer Zartheit willen hier mitteilen, die
sie im scharfen Gegensatze zu der Roheit so vieler anderer
poetischer Erzeugnisse jener Zeit auszeichnet. Es sind ihrer
acht; sie lauten*):
1.
Heins herzen troß, nun wiß furwar:
Als ich erwacht im neuen jar
Wol umb die mitternacht.
Da lag ich und bedacht.
Daß niemant lebt uf erd
Der dein weis oder berd
*) Die Schreibung, in der diese and die folgenden Stacke mi^^eteüt sind,
ist fall ganz dieselbe welche U h I a n d in seiner kritischen Ausgabe der Volks-
lieder angewendet hat. Ich habe mich für sie nach reiflicher Erwägung al-
les dabei in Frage kommenden entschieden. Sie ist die einzig haltbare fürs
15. and (wol kaum mit geringer Abweichung) fürs 16. Jahrhundert, wenn
man beiden Rechnung trägt, dem Schreib- uns Sprachgebrauche der damali-
gen Zeit und den Anforderungen, die die historische Grammatik stellt. Der
Vorwurf einer neugemachten kann sie nicht treffen: man lernt sie aus den
sorgfältigeren Handschriften und alten Drucken: durch die arge Verwilderung
der schlechteren selbst scheint sie hindurch. Es ist unverantwortliche Lüder-
lichkeit oder Bechränktheit , wenn ein kritischer Herausgeber solcher
77
Verkeren müg mit ^elimpf.
Du biß in ernß unde fchimpf
Mit finnen wol behät.
10 Icli hab ganz freud und mut
Von dir . alein on reuen
Und hoff zu deinen treuen,
Du wölleft mich nit verkeren.
Mein dienft wil ich dir meren
15 Unde wünfch mit ganzer gir,
Mein ußerweltes freulin, dir
Zu difem neu gelückes vil
Und mich biß an meins endes zil
In dein herz verfchloßen.
20 Ich lag gar unverdroßen
Wol in die dritten (lund
Daß ich dein nie vergeßen kund
Mit lieblichen gedenken.
Dein roter munt tet fchenken
25 Mir manig freud unde luft.
Ich truckt gar früntlich an die brufl;
Mein arm, als ob ich dich het
Lieplich bi mir an dem bet.
Nach liebem wan gefchach mir ant,
30 Wann du wärt in aim andern lant
Und mocht dich nit erraichen.
Dein lieb mein herz tet waichen,
Denkmäler, allen gerechton Anforderungen zum Hohne, verfahrt wie der letzte
Herausgeber des IjajJJRIWcbiffiit Herr Friedrich JSlUllcke, mit seinem Texte, d. h.
ihn mit Haut und Haar gibt in der ganzen wüsten Schreibung, wie sie Ton
den schlechtesten Setzern herrührt, er, der doch keinen Grnmd hatte einen
einzigen Druck diplomatisch genau wiederzugeben zum Behuf fernerer Unter-
suchung und zur YerYoUständigung des kritischen Apparates. Und das bei
Sebastian Brant, hinter dessen Sprachgebrauch und Versbau doch so leicht
zu kommen ist! So geht es aber, wenn man nichts lernen will, wenn man
gewohnt auf dem abgetriebenen Rezensentenklepper zu traben, in der Be-
thorung des Sinnes sich selber vorflunkert auf stolzem Bosse zu sitzen als
ein Ritter ohne Furcht und TadeL Wie edell Was man selber thut, dar-
um schilt man andere, die sich ihr Verfahren doch erst reiflich überlegt hat-
ten I Durch solches Treiben hat Herr Friedrich Zamcke sein Schiff um ei-
nen recht tüchtigen Narren schwerer gemacht.
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Daß ich dir wünichet alles gfit.
Gelück falde fireud und m&t,
35 Auch alles das dein herz begert
Und was dir wunn und lull mert:
Des günn dir als der neugebom.
Ich hoff, mein trü fei unverlom:
Wann was mit eren künt gefein,
40 Des gnad mir als das herze dein.
Damit gib ich zum neuen jar
Dir, zart liebftes freulin dar.
Mich selbs mit herz unde mfit.
Laß dich ben&gen, freulin g&t!
Liederb. der Clara Hätzlerin Bl. io5. Haltaus Ausg. 2, 34 S. 196 fg. Über,
fchrift Ain newes Jar ym ains vnd vierzigillen. 8 Tnd. 10 Ich
gab gantz. 15 Vnd. 25 vnd. 26 friantlich. 29 Auf fo frohe
Hoffnung ward mir wehe. 30 war dt UnorganlTch für du wfer'e, du
warft. 37 alles d. New geporen. 38 trin f. vnuerloren
43 vnd.
2.
Meins herzen troß, du liebßes ain,
Zu difem neu ich dich vermain
Geliick räld er und wunne
Und daß der freuden funne
5 Dich tägelich überfchein.
Ich wil auch genzlich aigen fein
Dein alain vor aller weit:
Darnach hab ich lang zeit geßelt,
Und wünfch dir, minneclicher hört,
10 Daß dich kain valfche zung nit mord,
Auch daß dir nichts gefchaden müg.
Und alles das ze freuden tüg,
Des günn dir got iez neugeporen.
Dein früntlich triw hab ich erkoren
15 Für alles das uf erden iß,
Wann du alain mein mächtig biß
Zu allem das du darß begeren.
Befunder wil ich deiner eren
Ain ßatig diener bleiben,
20 O cron ob allen weihen.
79
Mein troß, mein Ichaz, mein ußerwelt,
Sich hat mein herz zu dir gefeit
Und ift in triwen dir begeben.
Ich wil ie dir ze willen leben
25 Mit t&n und lan zu aller ßunt.
Des mag dein rofenÜEurber munt
Mich lieplich wol ergezen.
Mein trauren t&ß du lezen
Und pringft mir fireuden manigfalt.
30 Nun peut, firau, du haß gewalt.
ledoch bit ich, dein g&te
Wunfeh mir uß deinem gm&te
Zum neuen jar gunßlichen gr&fi:
Damit gefchicht mir unm&ts p&ß*
35 Mein ain, dein aigen herz dir gan
Was ich nur g&ts erdenken kan.
Ich prinn von dir in lieber glöt.
Halt veß, mein liebßes freuleip g&tl
Liederbuch der CUra Hätslerin Blatt 106. Ansg. von Haltans 2 Abthell.
Nr. 35. Seite 197. Mit der Oberfchrift Ain newes Jar ym zway vnd
▼ iertzigilleii. Zeile 3 wann. 4 fräden fnnn. 5 täglich. 10 chain.
mordt. 12 fräden. 14 friuntlich trin. 19 beleiben. 23
trinen. begeben hingeben. 34 b&Be BeBemng, Vergütung, Entfchä-
digung. 35 ain fehlt.
3
O hochße cron, mßin ufenthalt^
Zu difem neu £o hab ich gwalt
Meins herzen gar, und mein gen^&t
Das fei ergeben deiner g&t^
5 Auch tfin und lan n^t triwer pflicht.
Meins herzen ban die iß gencht
Zu dir alain ain tribqer p&t.
Dein lieb mich ganz enzündet hat.
Du haß mich iez gebunden
10 Daß idi^ au kainen ßunden
Vergiß deiner firüntlichait.
Mein freud und hoffen an dir leit
Darumb, mein troß, mein hochße gir,
Zu aigen aigen gib ich dir
80
15 Mein herz, auch fin unde mfit.
Ich wil mit ftäter hut
Deiner eren fein gerecht.
Was du gepeutß, das fei als fchlecht.
Ich f&re trü in rotem feit
20 In meinem fchUt: damit ich meld
Daß ich mit inprunftiger ger
Bewaren wil dein zucht und er.
In meiner hant ein paner blau,
Darin ich ftät taglichen fchau:
25 Wann ich dein bin on als verkeren,
Zu dienft bereit den deinen eren.
Mein hündlin Harr das iß ganz weiß:
Dabi erkenn daß ich mit fleiß
Biß an mein end dir wil beftan
30 In rechter trü on argen wan:
Wann als der vifch on waßer ftirbt,
Alfo mein hetz on dich verdirbt.
Darumb, mein fchaz, meins herzen bild,
Bis rechter trü herwider milt!
35 Laß mich in deines herzen claufen
Hinfur als her lieplich häufen!
So mag ich wol furwar fagen
Daß ich mit re6ht fol tragen
Von wolgemfit ain krenzelein.
40 Nun gepeut, ifrau, wann ich bin dein,
Und fchick mir zu dem neuen jar
Früntlich dein gr&ß! das freuet zwar
Mich baß dann was uf erden ift:
Wann du meins herzen &au biß.
45 Damit dem neugepom got
Bevilch ich dich, daß er vor not
Dich alzoit tS behalten
Und laß dich frolich alten
Ze luß und freud mir deinem knecht
50 Halt yeß, als du mir ie rerfprächtl
Liederbuch der Clara HiUlerin Bl. 106. Ausg. von Haltaus S. 197 fg. 2 Ab-
thlg. Nr. 36. überfchrift Ain newes Jar ym drey vnd viertzi-
giften. Z. 5 triner. 6 pan. 7 tribner pfat, worauf immer ge-
trieben wird, der alfo nicht öde ift; auf der Bahn die von feinem Hersen
81
zur Geliebten fährt, gehen unabl&ßig feine Gedanken, fo daß der Weg gar
nicht leer wird. 11 frinntlichait. 15 Tnd. 18 als d. i. alles.
19 trin. 27 Harr Harren, perfonificiert aU Hund, alTo fUter treuer Be-
gleiter. 30 trin. won. 34 triu. 42 friuntlich den g.
Frau, meines wefens ufenthalt,
Hab ,hin als her mein ganz gewaltl
Gepeut, fchaff, haiß! was du wilt han,
Das Fol von mir als fein getan
5 Genzlicb nach deinem willen.
Künt ich dir unmät ßillen,
Das war meins herzen große freud.
Wiß daß ich in gedenken geud,
So ich in lieb bin dir gefeit
10 Und fich dein tru fo früntlich helt
Nach allem mein begeren.
Was du vermacht mit eren,
Des bin ich ie von dir gewert.
Mein trü fich auch von dir nie kert
15 Als umb ain bar von anbegin:
Du woneft ßats in meinem fin
Nit anders dann in gät.
Von dir hab ich g&ten mfit.
Nach allem wunfch biA du ain bild
20 Mit ganzer tugent gen mir milt.
Dein fchön geßalt iß lobes wert,
Dich krönet auch dein ßat geberd,
Dich zieren wol dein wort und weis,
Dein leib gefchickt nach allem preis,
25 Den ich iez nit volloben kan.
Wes ich dir aber g&tes gan.
Des iß kain end ze fagen.
Ich wunfch von tag zu tagen
Dir glückes vil und alles hail.
30 Auch gib ich dir zu deinem tail
Mein herz zu difem neuen jar.
Dein aigen bin ich ganz und gar*
Leib fin und möt fei dir begeben:
Dir ain wil ich ze willen leben.
WHwtmr. Jh, IL ß
82
35 In deinem dienft mich freude ibt:
Und ob mich fünft ichts betr&bt,
Das machft du mir geringer.
Darumb in herzen ich beger,
Daß dich der neugeboren got
40 Bewaren wöll vor aller not.
Ach künd ich das erwünfchen dir,
Zwar fo war wol geholfen mir.
Darumb, mein aller fchonftes weib,
Mein ftäten dienft alfo befchreib
45 In deines herzen marmelftaini
Mit rechter lieb mich wider maini
ledoch bin ich der forgen on:
Mir Wirt meiner trü widerlon.
Darauf ich ftäticlichen bau.
50 Halt veft, mein allerliebfte fraul
Liederbuch der Clara Hätzlerin Bl. 107, in Haltaas Ausg. 2, 37 S. 198 fgg.
Überfchrift Ain newes Jar ym vier vnd viertz igiften. 10 triu fo
friuntlich. 11 meinen. 14 triu. 29 geluckes. 48 triu.
Zeile 8 ich gen de prale. 33 begeben hingegeben. 42 zwar
wahrlich. 46 mainen lieben.
5.
Troftlicher hört, mein hochfte freud,
In herzen ich gar billich geud,
So ich dein früntlich lieb betracht,
Ze haut mir alles trauren fchwaoht.
5 Was ich mit eren tar begeren,
Des t&ft du mich lieplich geweren.
Nun ift dein lob fo übergroß,
Und war ich eines küngs genoß,
Noch wäreft du mir ze gfit.
10 Du tregft ganz ftäten m&L
Dein fchön geftalt ich billich preis:
Dich zieren wol dein berd und weis.
Dein tun und lan ift rämes wert
Darumb mein herz recht als ain fwert
15 Dein lieb tief hat verwunt.
Ich t&n dir wider kunt,
83
Meins herzen irau, zu difem neu,
Daß ich bin dein mit ganzer treu
Und wil dein ßäts beleiben.
20 O cron ob allen weihen,
Peut fchaff und haiß hinfür als el
Ich bin gehorfam immermer
Und wil beßan in deinem gpot.
Doch bit ich ains (des iß mir not),
25 Mein aller liebßes freuelein.
Laß mich deins herzen hüslein
Befetzen heuer als fert
Umb den zins als ich des gert!
Herz mfit und fin ift darumb dein.
30 Ich wil dein ßater diener fein
Und wünfch auch deiner firüntlichkait
Daß dich vor allem herzen lait
Das neugeporen kint bewar
Und fög dir ain g&t fälig jar:
35 Das war mein luß und gröfte gir.
Ach, minneclichs, nun halts auch mir.
Als mir yerfprach dein roter muntl
Bedenk, wie zu der felben Hund
Geknüpfet wart der liebe lazl
40 Halt veft, mein aller höchßer schazi
Liederbuch der Clara Hätzlerin Bl. 108. Überfchrift : Ain newes Jar ym
fünff vnd viertz igiften. Ausg. von HaltauB 2 Abth. Nr. 38 Seite 199.
Zeile 2 geuden pralen. 3 friuntlich. 4 fchwachen hier intranfitlT
fchwach fein oder dünken. 5 darr Hs. ich tar, inf. geturren lieh ge-
trauen, wagen, dann auch (durch Yermifchung mit dürfen) Erlaubnis haben.
10 rtäten mut treuen Sinn. 12 berd geberden. 17 new. 18 triu.
21 £e. e zuTor, früher. 23gepott. 27fertim vorigen Jahre. 39
die laz, lez, lezen Schlinge oder Schleife zum Fefthalten.
6.
Meins herzen cron, meinr ireuden zier,
Zum neuen jar fo wünfch ich dir
Des gerumpeis in der mül ain tau,
Frolichen mfit gelück und hau,
Auch mich felbs ganz unde g^r.
Mein aller Uebfis, mm eben war
84
Wie die mül fei berichtet
Und ir ingebäu beticbtet.
Mein herz iil der mülßain,
10 Das rad iil die ere dein,
Und treibet das ain fcbneller baeh,
Treu genant, on alle vacb.
Der mülen knecht bin ich bekant:
Blau in blau iil mein gewant.
15 Tag noch nacht hab ich kain ru:
Merk, zart weib, was ich da tu.
Ain wannen nim ich in mein hant,
Ift früntlich angedank genant,
Darein vaß ich die liebe dein
20 Und fchütt die uf den mülAain,
Der lauft und melt on underbint:
Dein ere ftbt mein herz gefchwint.
Das zuckermel mir dann beleibt:
Die fpreiur es dannen treibt,
25 Die fint genant laide.
ledoch gefchicht, daß baide
Mel und fpreur gemifchet wirt:
So bin ich armer dann verirrt,
Biß mir das gelück befchicht
30 Daß ich ains von dem andern rieht
Mit not und fwärer arbait.
Darzu mein gfellen fint berait
State Harr unde Fleiß.
Uf der mül ain paner weiß
35 m fchon gemacht von tuch.
Darein geflickt ift ain fpruch
'H&te wol und halt veß.'
Dabi verftanden fremde geß
Daß die mül verbannen ift.
40 Ich wart dem zu aller frift
Alain, mein bort, on als verdrießen
Und bit dich, laß mich des genießen,
S&ch nit durch furwiz anders wa
Dein malen, aUer liebfte fraw,
45 Wann ich dir dien mit trüem mfit
Und fol nit als mein hantwerk t&t.
85
Valfcher tück ich dich vertrag.
Das gerumpel zwingt mich nacht und tag,
Des gleich ich dir erwünfcht wolt han.
50 Ich waiß, dein herz mir gätes gan:
Darumb ich ßäts in freuden brinn.
Halt veß, meins herzen kaiferin!
Liederbuch der Clara Hätzlerin Bl. 109, bei Haltaus 2-, 39 S. 199 4. Über-
fchrift: Ain Newes Jar ym Techs vnd yiertzigisten. 5 ynd.
12 das vach das Wehr, die Waßerfchwelle. 13 Mülin. 18 friunt-
lich. 21 on un derb int ohne Säumnis. 24 die fpreur plur. von
das rpreu Spreu. 25 laid Hs. laide entw. plur. zum fk. n. lait, oder fing,
ft. fem. die laide die Betrübnis. 27 baid. 29 die glück, 32 ge-
fellen. 33 Statt h. ynd. 37 Hütt. 39 yerbannen abgesondert
d. i. für Fremde gel^errt. 41 alles. 43 firwitz. 45 triuem
47 vertragen yerfchonen. 49 erwünft.
7.
Meins herzen fchloß, meinr freuden fchrein,
Ich main dich, lieplichs freuelein,
Mit truen zwar on als gevar.
Des wünfch ich dir ain feligs jar,
5 Zu difem neu gelück und hau,
Auch alles gäts ain michel tail.
Freud luß und wunn in eren
MAß dir der obroft meren
Der uns iez neu geboren iß.
10 Meins herzen du gewaltig bift
Alain mit aUem recht.
Ich bin deiner eren knecht
Mit willen lang beliben.
Laß mich nur unvertriben
15 In deinem dienA beftan.
Wes guten ich dir gan.
Des ift kain end ze lagen:
Sich mert von tag ze tagen
Mein lieb und ftate treue
20 Gen dir on afterreue.
Nach dir mir (ibt belangen.
Nun bin ich dein gefangen:
Des ich dir ie yergich.
86
Du baft gefchäzet mich
25 Umb herz mfit unde fin,
Darumb ich ganz aigen bin
Dein vor aller weit.
Was deiner lieb gevelt,
Des bis von mir gewert:
30 Ich bleib dein unverkert.
Tfi widerumb als ich dir trau,
Meins herzen fchaz, mein liebße frau:
Laß mich in dein genaden!
So mag mir nichts gefchaden.
35 Empfach mich uf das neu
In deines herzen treu!
Gib mir dein frünüich wortl
Damit wirt mir erftort
Meins herzen fwär unde pein.
40 Schluß mich in die arme dein
Unde fchmuck mich an dein bruft!
So hab ich größern luß
Dann iemants der uf erden lebt.
Mein herz in hoohen ireuden ßrebt,
45 Wann es dein trü bedenkt.
Kain unmöt mich bekrenkt:
So ich dein er und wirde miß,
Alles traurens ich vergiß.
Du bilt meins herzen fpiegel
50 Und meiner ireuden figel.
Zu dir Hat al mein hoffen.
Du hall mich ie getroffen
Mit deiner trüe fper:
Kains arzats ich beger
55 Dann dein biß an meins endes zil.
Halt veß, als ich dir trauen will
Liederbuch der Clara Hätzlerin Blatt 110, in Haltaoa Amgabe 2, 40 S. 200
fg. Überfchrift Ain newes Jar ym rieben vnd Tiertzi giften. 1
hertzens. meiner. 3 triuen. zwar d. i. ze wäre in Wahrheit
on als gevar in Wahrheit, Verßärkung von zwar. Das ge^ar, gewöhn-
lich gevfere, gever Betrug. 6 g{ltz. 8 der obroft archaifierende
mundartliche Form für obereft, fonft auch oberift und obrift der Oberfte.
13 beliben geblieben 16 ich gan ich gönne. 19 trin. 20 äff-
te rrew; ohne daß es mich hinterdrein Xtthmerzt. 81 belan|;en Verlangen
87
SehnXhoht; üben refl. feine Kräfte g^braucheD, thätig fein. Hier: Sehnfacht
ift mir thätig nach dir hin. 23 ich vergich (inf. verjehen) aoATStgen,
eingeftehn. ie immer. 24 fch ätzen einem das Geld (fchaz^ abneh-
men; einen fch. nmb jemanden eines Dinges berauben. 29 bis fei.
30 unyerkert ohne Veränderung, treu. 35 fg. New: triu. 37 friunt-
lich. 38erftort zerftort, vemichtet. 39 fwär mhd. fwfere Schmerz*
vnd. 40 Schliufz. 41 fchmucken hier wie fchmiegen eng an-
fchließend drücken. 42 luft als mafc. iß oberdeutfch) das femin. iß ipäter
aus dem Niederdentfchen eingedrungen. 43 iemants Jemand. 45 triu.
47 ich miß ich meße. 53 triue.
8.
Mein freud, mein wunn, mein höchßes hau,
Meins herzen frau, nim mich ze tail
Zu difem fälgen neuen jar!
So iedes des fein nimbt war,
5 So ruck mich uß der gemain,
Verfchlüß mich in dein herz alain!
Bedenk, wie ich mit ganzer treu
Dir gedienet hab on reu:
Des gleich ich auch verharren wil
10 Der dein biß auf meins endes zil
On alles arg: des bis gewis.
Deiner lieb ich nit vergiß:
Wann edlem fchaz ich nie gewan
Dann, ain, dein lieb: das wiß on wan.
15 Dabi mein herz in ßat beleibt,
Als uns das ewangeli fchreibt
*Wa dein fchaz iß, da iß dein herz/
Das felbig halt ich unverkerzt:
Den fchaz wil ich bewaren
20 Und darzä nichts erfparen.
Leib lin m&t und g&t
Bab idi gericht zu deiner h&t.
Darumb, mein aller liebße frau,
Mit rechter tru du auf mich bau: *
21^ Der gmnt föl dir nit weichen«
Die idi dir mCig geleichen,
Der hab ich nie gefehen«
'i^' Ich maß in warhait jehen,
88
Du bift meins herzen fpiegelglas
30 Darein ich fchau on underiaß
Und vinde das mich erfreut.
Mein unmöt fich zerßreut,
So ich gedenk deinr lieplich g&t.
Per neugeboren dich beh&t
35 Vor der klaffer neide,
Auch daß dich vermeide
Ungelimpfes gewaltl
Mein herz in freuden fchalt,
So mich dein roter munt empfacht
40 Und dein ftolzer leib umbfacht
Mit fruntlicher geberd.
Laß mich heuer als fert
In deinem triien dienft beftan,
So bin ich aller forgen an,
45 Mich mag kain unmfit letzen.
Dein gunft t&t mich ergetzen
Was zu truen züchet fich.
Darumb, mein troft, fo bit ich dich,
Halt veA, bis frifch unde gail
50 Und hftt wol, aUer höchftes hail!
Liederbuch der Clara Hätzlerin Blatt 110, bei Haltans 2, 41 S. 201. Über-
fehrift: Zum Newen Jar ym acht vnd viertzigißen. 1 Das dritte
mein fehlt. 3 fäligen. 7 triu. 8 rew. 14 won. 24 trin.
32 fich zerßöret. 33 dein. 35 neid. 36 vermeid. 37 nn-
g e 1 i m p f unnachfichtiges unfreundliches Benehmen. 42 hewr. 43 triuen.
44 on; an d. i. ane mit vorangehendem gen it. los, ledig, beraubt. 45
letzen verletzen. 46 ergetzen wofür entfchädigen , es vergüten. 47
triuen ziuchet fich. ziehen intr. einen Weg einfchlagen, fich begeben;
fich z. zu auf etwas fich beziehen. Der Sinn diefer Stelle ifi: deine Gnnft
vergütet mir alles Üble und entfchädigt mich dafür durch das wodnrch Liebe
und Treue belohnt wird. 49 gail frölicb, auch nicht mit dem geringften An-
fluge des Sinnes den diefes Wort jetzt hat.
Was die Abfaßungszeit diefer fo eben mitgeteilten Stucke
anlangt, fo werden fie ins funfeehnte Jahrhundert geh&ren und
zwar in die vierziger Jahre, wenn anders die Überfchriften die
fie tragen (fiehe die Anmerkungen) auf diefe ihre Abfaßung
fich beziehen. Außer dem find fie für die Metrik noch fehr
lehrreich: doch würde uns die Erörterung diefes Punctes hier
zu weit abführen: wir fparen ihn für eine fpatere Abhandlung
89
auf 'vom deutfchen Versbaue im 14. 15. und 16. Jahrhundert*,
die die Fortfetzung der im 1. Bande des Weimarifchen Jahr-
buchs gegebenen altdeutfchen Metrik bilden und in eine bis
jetzt noch fo wenig erhellte Periode mehr Licht zu bringen
Tuchen wird.
Ein Neujahrsgedicht des Liebenden an die Oeli^te unter
der Überfchrift Das plümlein gertlein findet fich auch in
einer Münchner Handfchrift des 15. Jahrhdts in 4 Nr. 7L4,
daf. Bl. 1—12 (Kellers FasnachtTpiele S. 1374). Der Anfang
lautet :
Ich hab in luftes zier
Nach meines herzen begir
Berait ein lalliges gertlein
Dem allerliebften b&ien mein etc.
Schloß :
Nun hat ein end das plibnelgertlein
Von den edelen fchönen TÖgelein.
Das thue ich meinem lieb fchenken,
Daß es meiner großen lieb fol gedenken.
Und das fols ir haben zu difem neuen jar
Und mein lieb Tor allen menfchen funderbar.
Und wünfch: alles das ir herz begert,
Des wer fie in difem neuen jar gewert I
Femer mögen hier noch zwei Neujahrslieder Platz finden,
die auch dem fun&ehnten Jahrhunderte angehören:
Ein faligs jar zu difem neu
wünfch ich dir, lieb, imd aUes göt.
mät unde fireud hab ich Ton dir:
mir iß nie liebers worden kunt«
ftunt weil und zeit beid nacht und tag
mag ich doch nit vergeßen dein,
mein herze wil von dir nit lan,
wann ich dich ie tat menglich mein
und niemants mer, du liebAes ein.
Mich felber on als wenken gar
gib ich für eigen dir, mein zart,
gart, aller meiner fi-euden hört,
wort und werk geleichen alfaie*
90
wie du das gerft nach deiner ger,
ger ich nit mer wann mein lehn
gebn dir zA g&tem hail.
tail nicht von mir! das t&n auch ich,
wa ich hinker zwar ewiclich.
Mein hort,^ nim war der treuen mein
daß ich dein eigens eigen bin.
in rechter lieb zu aller zeit
leil all mein freud an deinem troß.
haft du dann zweifeis an mir icht,
nicht laß, du verr&chft mich wie du wilt.
bilt, meines herzen hochßer Ilrick,
fchick daß wir ungefcheiden fein
durch aU dein er, wann ich bin dein.
Liederbuch der Clara Hätzlerin, bei Haltaus S. 57, 1. Abt. Nr 6i. Ha. 1,
3 Tnd 1, 7 hertz. 1, 8 dich nye für. 2. 1 mich f. gar on a.
w. 2,2 dir mein zeitt. 2, 5 gir. 2, 6 wann m. leben dir.
2, 7 bloß z& g. h. 3, 5 trinen. 3, 7 meins.
1 Zum neuen jar bin ich bereit
ze wünfchen dir, liebs iräulein zart,
geliick und alle falikeit,
darz& mein dienft gar unverfpart:
des foltu genzlioh glauben mir,
daß ich ganz nach deins herzen gir
dir wil bellan uf rechter fart.
2 Wiewol ich feiten bei dir bin,
das fol, zart frau, nit irren mich,
du wonft mir ßäts in memem fin:
des t&t mein herz dick freuen lieh
deinr gäten wort fo manigfalt,
darzu deinr minnedich geftalt,
der ich zwar alzeit g&ts vergich.
3 Des gleichen hoff ich aUe tag,
du halteß mir die treue dein,
fo wurd ich ganz erloß von dag
und wil hinför dein diener fein
in difem fäligen neuen jar.
91
daß dir gelück nun widerfar!
fo wirt erfreut das herze mein.
Liederbuch der Clara Hätzlerin, b^ Haltaas 1, 56 S. 54. Hs. 1, 5 gelau-
ben. 2, 1 by. 2, 6 dein. 3, 2 triue.
Nachdem wir nun diefe Art der Neujahrswünfche in Spruch-
und Liedform ausgefondert haben, wendet fich die Betrachtung
auf eine andere, der nur die Spruchform eigen gewefen zu fein
fcheint, eben jene, die man Klopfan genannt hat und die Ger-
vinus am oben a. O. dem Hans Folz eigen nennt, jenem be-
liebten nümbergifchen Dichter des 15. Jahrhunderts, der,
Barbierer von ProfelBon, als Verfaßer von Fasnachtfpielen und
Schwänken durch leine echt komifche Laune und die fchmutzige
Derbheit feines Witzes einen fo interelfanten Sittenfpiegel feiner
Zeit bietet. Wir woUen alle, die wir aufgefunden haben, in
lesbaren Texten und mit einigen Anmerkungen, die das beßere
Verßändnis vermitteln follen, hier geben. Einige mußen frei-
lich als zu unflätig ungedruckt bleiben, andere aber konnten
wir trotz gewüTen undelicaten Anfpielungen nicht iibergehen,
da fie gerade in ihrer Stellung neben dem Zartellen einen fo\
intereßanten Blick in das Gefühlsleben und fittliche Bewullfeinj
ihrer Zeit thun laßen und (wie wir nachher fehen werden) im
Zufammenhange mit einer uralten Volksfitte ßehen, bei der
gerade die Ungebundenheit ein charakterißifch^s Moment war,;
die wir weder zu falfchen noch zu bemänteln berufen find.
Die Situation, auf die diefe Neujahrswünfche fich beziehen,
iß nun folgende. Zum neuen Jahr (wir laßen dahingeßeUt, ob
dies mit unferem heutigen Neujahr auf den erßen Januar fal-
lend oder mit dem Weihnachtstage beginnend gedacht wird*)
kommen Leute verfchiedenes Gefchlechtes, Alters und Standes
heran, fie klopfen an die Thüre und erhalten darauf von innen
heraus ihren Befcheid, der je nach ihrem Werthe, ihrem Thun
und Treiben und ihrer Aufführung ein verfchiedener iß. Die
*) Das neue Jahr wurde im 15. Jahrh. und darüber hinaus noch häu-
fig mit dem Weihnachtstage begonnen. Siehe Schmeller 2, 270 fg. der
dafelbft entfcheidende Stellen anfuhrt. *An dem heiligen Weihnachtstag,
als man anhub zu zelen von Chrifti Geburt acht hundert und ein Jar.'^^
ÄTent Chron. 329. Datum München am St. Johannstag zu Weihnachten
anno 1431* d. h. 27. Dezember 14S0. "G^ben am Pftnztag nach dem heil.
Weihnachttag 1446' d. h. 30. Des. 1446 m. f. w.
92
Liebfte oder der Geliebte erhält einen frommen Wunfcb, An-
dere erhalten gute Lehren mit auf den Weg, werden zur Treue,
Vorficht und Verfchwiegenheit ermahnt, dem Schreihals und
Verleumder wird alles mögliche Üble und Unfaubere an den
Hals gewünfcht, dem Trunkenbolde Prügel von feinem Weibe,
dem Siemanne, daß es ihm inmier fchlechter gehen möge, der
lofen Dirne ein ordentlicher Denkzettel u. f. w.
Alle diefe Spruche fcheinen dem fünfzehnten Jahrhundert
anzugehören, auch die, welche in Drucken und Handfchriflen
aus dem Anfange des fechszehnten überliefert find. Wir laßen
fie nun einzeln folgen:
1.
Klopf an! klopf an!
Der himel hat fich auf getan,
Darauß ifl; hail und fald gefloßen:
Damit werdefiu begoßen,
5 Du feifl; frau oder man.
So wil ich dir wünfchen was ich kan,
Ein kfin herz, ein frifchen mut.
Und was deinem leib wol tfit.
Und fchön und fterk und Weisheit vil
10 Und was dein herz neur wil.
Und gefunden leib und lank leben:
Das m&ß dir got auf erden geben.
Hab dir Sampfons fterk und krafl
Und Alexanders herfchaft,
15 Und hab dir die fchon Abfalons
Und auch die Weisheit Salomons,
Unde hab dir gäten mfit
Und hab dir prießer Johannis g&t
Und hab dir Sufannen unfchult
20 Und aUer fchönen frauen hultl
Als vil ßern am himel ftan.
Als manig göts jar ge dich an!
Als vil tropfen im mer fein.
Als manig engel pflegen dein,
25 Die weil du hie auf erden bift!
Des helf dir der heilig Criß
93
Der von der junkiraun ift gebom!
Far hin dein ftraß von dan! kum morni
Handfchrift der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbütiel bez. 29. 6. Aogaat.
Blatt 57^ Überfchrift: Des Snepprers an klopfen. Kellers Fasnacht-
fpiele 3. Bd. S. 1433. 1439. 1 149 fg. 4 w e r ft u 10 n e w r t Hs. mit angehängtem
unorgan. t; neur, früher niur (nur) iAznfammen gezogen aus ahd. ni wärt,
mhd. ne wfere es wäre denn, außer. 12 muß. 20 fehonen. 24 pfle-
gen mögen pflegen. 27 junckfrawen. 28 von dannen kum mor-
gen. Amen.
Dasfelbe aus einer Pap. Hs. des 16. Jhdts. mitget. von Mone im Anzeiger
7. Jahrg. S. 554 fg. 3 fei. 4 werdeß du. 6 So wunfch ich dir
daß ich kan. 7 gefuntheit des leybs vnd f. m. 8 und alles
daz deinem hertzen w. t. 9 Die zwei erßen und fehlen. 10 und
die kunft aller feyten gefpil. 11 fg. fehlen. 14 Vnd kunig A.h.
15 Vnd hab dir fehlt 16 Vnd auch die fehlt. 17 dir frydlichen
m. 18 hab dir fehlt. Joanns. 19 dir zw famen vnfch. 20
Vnd hab dir aller. 21 Als manig ßere a. h. ßent. 22 guete.
23 Als manig tr. mere. 24 So vil heyliger engel Der Reß fehlt.
Diefer fchone Spruch, der in feiner allgemeinen Haltung
auf Frauen und Männer überhaupt, nicht auf eine beftimmte
PerConlichkeit geht und acht volksmäßige Züge enthält (vgl.
Zeile 21. 23), iH dem Snepperer zugefchrieben. Das iß Hans
Rofenblut, der um die Mitte des 15. Jahrhunderts dichtete.
Er feierte als Heroldsdichter die Siege feiner Vaterßadt Nürn-
berg, fo den bei Hempach 1450, den die Nürnberger über einige
benachbarte Fürßen und Herren errangen, an dem er auch als
tapferer Mitkämpfer perfonlichen Anteil, wie früher fchon an
den Huflitenkriegen, genommen haben foll. Er war ein äußerft
fruchtbarer Dichter und verfaßte außer jenen Heroldsdichtungen
eine große Anzahl von poetifchen Erzählungen, Priameln, Wein-
fegen, auch Lieder, die fich durch frifchen volksmäßigen Ton
auszeichnen, vorzügUch aber jene von derbßem Humor und fa-
tirifcher Laune ßrotzenden Fasnachtfpiele, die für die Gefchichte
der Entwickelung unferer Komödie fo bedeutend find. Den
Spitznamen Snepperer d. i. Schwätzer, erhielt er wol weniger
leiner fchriftßellerifchen Fruchtbarkeit, als feiner latirifchen lo-
fen Zunge wegen. Er macht fich am Schluße eines Liedes über
diefen Beinamen felber luftig und findet ihn ganz in der Ord-
nung:
Der dlTes liedlein hat gedieht
das nni die warheit geit,
94
der trinkt vil lieber wein dann waßr,
und hets der pabß geweiht.
Hans Snepperer iß er genant,
ein halber biderman.
der in ein großen fwätzer heißt,
der tut kein lunde dran.
Der oben mitgeteilte Neujahrswunfch ift der einzige, den die
Überlieferung ihm zufchreibt, fo viel eben jetzt bekannt ift. Es
fteht jedoch zu erwarten, das noch andere ihm zugehören, viel-
leicht von den folgenden welche: doch können wir einstweilen
beim Mangel der ZeugnüTe darübeiy nichts Beßimmtes ausfpre-
chen und wollen die Vermutungen für fpäter vertagen: in Ro-
fenbluts Sinne und Weife gedichtet find ficher eine Reihe da-
von. Wir laßen fie folgen: an wen fie gerichtet find, fagen
fie felber.
2.
Klopf an, klopf an!
Mein herz hat fich auf getan.
Und wünfch dir glück und aUes gfit.
Gefunden leib und frifchen mfit,
5 Vil gäter jar und lank leben:
Das muß dir got auf erden geben I
Ich wünfch dir ein freulein wolgeßalt
Das dir im herzen wol gefSält
Und dich lieb hat für ander knaben:
10 Die foltu dir zum neun jar haben.
Pap. Hs. 16. Jhdt. Mones Anz. 7, 556. 6muß. Twolgeft<. 8
gefeit. und die dich. 10 zw dem newen.
3.
Klopf an, klopf an!
Ein faligs neus jar ge dich an!
Alles das dein herz begert.
Des wirßu zu difem jar gewert.
5 Klopf immer mere.
Daß dir widerfar al ere
Und aUe glückfelikait!
Das helf uns Maria die raine maiti
95
Der lieb herr fant Sebolt
10 Der beh&t uns und hab dich boltl
Der liebe herr fant Moriz
Der beh&t dir fin und wiz,
Und die eilftaufent maid
Beh&ten dich vor aUem herzen laiti
15 Der liebe herr fant Veit
Der beh&te dich zu aller zeiti
Der liebe herr fant Mertein
Der m&ß alzeit dein gferte fein!
Sant Niclas der heilig himelfürft
20 Der bfcher dir weins gnuk, wenn dich dürft!
Got wol dir geben als vil em
Als der himel hat manig ftem
Und fo vil gflte zeit
Als vil fantkömlein im mere leit
25 Und darnach das ewig leben:
Das mfiß dir got mit freuden geben.
Das wünfch ich dir zum neuen jar.
Sprich amen daß es werde war!
Pap. Hb. des 16. Jhdts. bei Mone im Anzeiger 7, 555. 4 das. 5 mer.
6 alle er. 20 der befchur. 22 all manig d. h. hatft, 29 ei
wer war.
4.
Klopf an, du junger man!
Ob mir dein herz vil gätes gan,
So geh dir got gelück und hail
Und bewar dir dein leben gail!
5 Das wünfch ich dir zum neuen jar.
Bühl mir feind haimlich odr offenbar,
So befcher dir got durch deinen giel
Angft not und ungelückes viL
Haß du abr ireuntfchaft und ßatigkait
10 Zu mir, fo wärs meim herzen lait
Daß ich dir ain bös wort wolt fprecben.
Und wer dir lait tet, ich wolts rechen.
Du haß wol gemerkt den lin.
Sein iß genak: nu far dahin!
96
Pap. Hs. der Herzogl. Bibl. zu Wolfenbüttel ügn. 18. 12 Anguft. 4. Blatt
344. Vgl. Kellers Fasnachtfpiele S. 1355. 2guti8. 4geil frolich.
6 mir aber f. h. oder o. 7 beTchir. gil. 8 vngluckß. 9
aber. 10 wer es meinem. 11 poß. 14 dohin.
Dasfelbe aus einer Pap. Hs. des 16. Jhdts. in Mones Anzeiger 7, 554.
2 gutz. 3 gluck. 8 vngeluck vil. Zwilchen Z. 8 und 9 ßeht noch
ob mir dein hertz keins guten gan
fo gee dich felber als ungeluck an.
9 aber fehlt. 10 wer es meines. 12 wolt es. 14 far ich dahin.
5.
Klopf an! klopf an!
Ein faligs neus jar ge dich an!
Ich wünfch dir das ewig leben,
Das woUe dir got geben!
5 Und wünfch dir ain ft&blein warm
Und dein bfilen an dein arm.
O we, mechteßu des derbeiten!
So fetz fie freuntlich an dein feiten,
Druck fie lieplich an dein bruß
10 Nach deines herzen luft
Und laß dir dann wol gefein
Mit dem aller liebßen bälen dein!
Und fcheuch kein falfchen klaffer daran,
Und bis frifchlich ein man!
Pap. Hs. der Herzogl. Bibl. zu Wolfenbüttel. Ende des 15. Jhdts. in 4. fign.
18. 12 AnguA. Blatt 344. Mitget. von Keller, Fasnachtt^iele S. 1355 fg.
Scheint unyollftändig. 7 mechßu« derbeiten mundartU für erbeiten
erwarten. 9 fie freuntlich an.
Dasfelbe aus einer Pap. Hs. des 16. Jhdts. mitget. Ton Mone im Anzei-
ger 7, 556. 4 das muß dir got mit frenden geben. 5 ftübl e.
6 deinen puelen an deinen a. 7 o we wie magßu das drpeyten«
8 fo fehlt. 9 lyeplich.
6.
Klopf an, meins herzen hochfter hört!
Nun merk auf mein ireuntliche wort
In folcher lieb als ich das main!
Mein hoffiiung iß zu dir nit klain,
Wann aller dein handel und geber
97
Die lieben mir ie lengr ie mer.
Dein ßolzer mut und firifcher fin
Der nimbt mir vil traurens hin.
Dein frölichs herz und frifche jugent
10 Ift geneigt auf alle tugent.
Wer mocbt dir feint fein oder gram?
leb fcbreib fie all in eren an.
Ich lieb dich fer und bin dir holt
Für perlein filber unde golt.
15 Das ich auch von dir hoffen bin,
Du liebcft mich in deinem fin.
Drumb wirf ain arm auf in der ßille
Und tu ain fchrei durch meinen willen
Daß ich dein herz genzlich erfar.
20 So hau dahin! daß dich got bewar!
Pap. Hs. 16. Jhdts. Mone Anz. 7, 556 fg. 1 meines. 2 meine. 5
gewerb. 6 lenger. 9 froliches. 11 moclit. 14 Vnd lieb
dich für p. und. darum b wurf. 20 haw undeutlich
7.
lOopf an mit reichem fchal
Daß es den leuten wol gefal!
Das dir niemant hab verark.
Got mach dich an dem leibe ßark
5 Und mach dich an der fei gefunt,
Und daß du an ern nicht werdft wunt
Und alle dein fach mit glück end,
Und hail und f aide zu dir wend,
Und daß dir got wol bei fteen,
10 Und daß dir dein anfchleg für fich geen,
Und hab dir aller menfchen hult,
Und daß du nimer Ilerbft in fchult
Und in kainer totfünd fterbft
Und daß du gotes hult erwerbft,
15 Und daß du an dein lezten zeiten
Miift wider die hellifchen ßreiten,
Und daß du inen obgeligft
Und gnad und barmherzikait vindft
Bei gof in dem neunten köre:
20 Das wünf^h ich dir zu ainem neuen jore.
Weimar, Jh. IL 7
98
Pap. Hs. 16 Jhdt. Mones Anzeiger 7,553 fg. 5 dicli fehlt. 6 an dencren
nicht werden w. 8 hayle und feie. 0 daz dw g. w. pey ftent.
10 dein gut anfchleg f. f. gecnt. 12 daz dir nymer. 15 dei-
nen. 16 fchreyten. 17 u. d. dw i. allen obgeliß.
Zeile 3 verark haben verargen. 8 fälde Glück, Heil. 10 für
rieh geen vorwärts gehn, glücklich g. 17 ob 1 igen oben liegen als Sieger.
8
Klopf an, lieber fraz!
Ker dich nit an mein guts gefchwaz
Das ich dir heint anßgib,
Ob dir niemant das gfpot darauß trib.
5 So du das auf nimß für ein 1er,
So ift deinr weishait defter mer.
Nimftu es aber in übel ein,
So magftu wol ein tor fein.
Klopfflu an in züchten und in cren,
10 So wil ich dich etwas gäts leren.
Haftu ein buln, fo bis verfchwigen
Und hut dich des nachts vor lang außligen.
Gilt deinem buln was du im ghaiß
Und fag im nit als das du waiß
15 Und wend dich nit vil von frauen.
Du folt auch niemant in oren krauen.
Wiltu dein hant nach eren recken.
So behut dich got vor winkelfecken.
Und zale gern und borg nit vil
20 Und h&t dich auch vor würfeli'pil!
Tuftu das, fo bift du kain tor.
Die 1er hab dir zum neuen jor.
Pap. Hs. 16 Jhdt. Mones Anzeiger 7, 554. 3 den ich. heint d. i.
hintl hinaht diefe bevorllehende Nacht. 6 deiner. 7 nemßn.
Smachlln. 9 züchten, und auch fonll immer u für u u o ü ü e. 11
pulen. 12 nachtos. 13 pulen. geheyll. 14 alles. 18 be-
hut. 21 duftu. 22 dy.
Zeile 1 fraz ungezogenes Kind, dann bloß für Kind. 11 bis fei.
12 außligen außer dem Hanfe liegen, ßch herum treiben. 13 ghaiß
verheißen. 16 krauen kratzen.
Die nächstfolgenden fieben Klopfan find aus einer Hand-
fchrift der großherzoglichen Bibliothek zu Weimar genommen,
99
die die Signatur Q 565 trägt, im 15. Jhdt. gcfchriebcn ift und
einige Stücke von Kofenblut enthält, eine Keihe von Priameln,
Erzählungen, Kätfeln niit meift recht obfconem Inhalte. Keller
hat in den Fasnachtfpielen S. 1453 fgg. diefe Papierhandfchrift
näher befprochen. Wir konnten nur fieben Euiopfan ausheben,
einige mußen wir zurückweifen, da wegen ihres koloflalen Un-
flates die Mitteilung derfelben an diefem Orte nicht geßattet
fein kann. Weil die Handfchrift mehrere Stücke von Rofenblut
enthält, fo konnte man ihn auch als Verfaßer diefer Neujahrs-
fprüche vermuten : aus Nürnberg flammen fie einmal ficher, da
fie eine Reihe von Anfpielungen auf Localitäten dort enthalten.
Übrigens haben fie noch etwas ganz Befonderes an fich, was
wir weder bei den bereits mitgeteilten, noch bei den fpäteren
von Folz finden, nemlich (es gilt dies von den drei letzten)
fie find nicht allgemeiner gehalten, fondern fpielen auf gewifle
Dinge an die im Verlaufe des Jahres gefchehen fein müßcn,
haben alfo einen beftimmtcr ausgeprägten fatirifchen Character.
Wir erwähnen dies hier nur einßweilen, um es fpäter weiter
zu gebrauchen.
9.
Klopf an, klopf an!
Dein lieb wolgetan
Die dir in deinem herzen leit
Tag und nacht zue aller zeit
5 Und in deinem herzen leit gefangen.
Habe zu dir folichen verlangen
Und fol zu dir komen fchier
Und leben nach dcins herzen begir,
Daß dein herz erfreut werd
10 Mit dem du ie von ir haft begert.
Mit freuntlichen worten auß irm roten munt
Die do gen auß herzen grünt.
Und daß dich die lieb in freuden fech,
Und das in kurz gefchech,
15 Sprich amen daß es dir war werd!
Hdfchr. der Großherz. Bibl. zu Weimar Q. 565. XV Jahrh. Bl. 64 v. 5. 6
lind umgestellt. 6 Vnd habe. 8 deines hertzn. 9 were.
10 begert haft. 15 war wer.
7*
100
10
Klopfan, mein fchone rosl
Von dir hab ich alain troll.
Du troftes mich als der ftern mit feinem fchein.
Werftu der ßern den ich do main,
5 Den ich heut hab gefehen,
Ich wolt, daß er taufent jar folt leben:
So het ich freuden alfo vil
Und alles das mein herz wil. '
Vor großer lieb ich des nachts nit fchlafen mag,
10 Wenn ich gedenk daß ich den ftern nit gefehen hab.
Vor großer lieb ich des tags weder trinken noch eßen mag,
Wann ich des felben ftern nit vergeßen mag.
Vor großer lieb mag ich nit frölich gefein,
Ich weft denn daß der felbig ftern mein folt fein.
15 Ich hoff, fo het ich freuden alfo vil.
Wenn mich der ftern erfreuet warmit ich wil.
Er ist fo helle mit feinem fchein,
Er geleichet dem edeln karftmkelftain.
Der ftern gibt vor hohikait widerfchein.
20 Wann er mich erfreuet daß er mein folt fein,
Nit mer wolt ich begern und haben,
Allezeit wolt ich mein kurzweil im herzen tragen.
Des fternes wolt ich ftet beleiben.
Und wolt kaines andern wechfel treiben.
25 Ich dem ftern fo vil guts gan,
Ich wolt nit liebers für in hau.
Das fag ich dir für war.
Got geb dir ein guts feligs neus jar!
Far frolich von dann
30 Und kum biß jar herwider an
Und klopf mit großen freuden wider an!
Pap. Hs. der Großherz. Bibl. zu Weimar Q. 1565. XV Jahrh. Bl. 64 r.
3 gefehenn das billu. 11 weder effen noch trinckcn mag.
55 ich gan ich gönne. 29 vonn dannen d. Hs. 30 biß jar
nbers Jahr.
11
Klopfan, klopfan!
Ich waiß ein ireulein wolgetan,
101
Die hat aineti roten munt
Und ain herz in lieb enzunt,
5 Zwai äuglein braun, darzue ein kurz kin,
Ain grüeblein darin,
Ain finwel ftim, ain Weiße kein,
Zwai wenglein rot, ain lauters fei.
Ich wunfch dir auch die adeleichen,
10 Die macht dich allezeit freudenreiche.
Und wo dir wirt ir gebot,
So foltu es halten an allen fpot:
Du folt iren dienit nit vermeiden.
Ich wunfch dir auch das haimlich leiden
15 Von fchoner frauen wegen.
Far hini got m&ß dein pflegen!
Pap. Hs. der Großherz. Bibl. zu Weimar XV Jahrh. Q. 565. Bl. 66 v.
6 darein d. Hs. 1 ein Tibella ßirn Ha, Tinwel convex gerundet,
kelend. Hs. 8 feil Hs. 10 freudenreich Hs. 15 fchonner
Hs. 16 muß Hs.
12
Klopf an, klopf an belchaidenl
So mag dein klopfen niemant laiden.
Klopfftu unbefchaiden an,
So haißt man dich ain gockelman.
5 Bühl edel von gefchlecht,
Oder bist ain dienßknecht,
So gee befchaiden auf der gaßeu,
So mügen dich wenig haßen.
Man vindt vil der läppen
10 Die auf der gaßen^ here gnappen
Und unter den kremen treiben vil gefchwetz
Und die frauen eben befchetz:
Die ain ill enderifch.
Die ander ift fo peuerifch,
15 Die drit zue fchimpflich,
Die viert fo ungelimpflich,
Die fünft ift fiift, die fechft ift fo
Und fagt von altem habcrftro.
102
Biflu der ainer, fo thue dich des ab,
20 Daß ich dich aber lieber habl
HdTchr. der Großherz. Bibl. zu Weimar Q. 565. XV Jahrh. Bl. 67 r.
Überfchrift klopffan klopffan. 1. klopf an nur einmal in der Hs.
4 gockels man Hs. Die gogken NarrenspoITen. Aber der gogkel der
Hahn, gogkeln (rom Hahne) die Henne treten ^ der gogkeler Mädchen-
jäger, Schmeller 2, 26. Wol mit letzterem gleichbedeutend ift gockelman.
9 der läpp eigtl. blodfinnige taubftumme Ferfon, dann fcherzhaft für Narr
Schmeller 2, 485 fg. 10 gnappen, mit den FüBen, vacillare Schm. 2, 97.
374. 11 treüben die Hs. unter den kremen bei den Krambuden und
Kramläden. 12 eben gleichmäßig d. h. eine wie die andere. be-
fc hetzt die Hs. eigtl. befchetzen d. i. ihren Werth taxieren, ihn nehmen.
13 enderifch ungewöhnlich, nicht geheuer Schmeller 1, 77. 15 Sfchimpf-
1 i c h scherzhaft , fpottifch. 16 ungelimpflich ohne fchickliches Beneh-
men, ohne Nachßcht. 17 füft — f o fo — fo. 18 fchwatzt albernes
Zeug, Ygl. Schmeller 2, 136 fg. 20 aber wieder d. i. ein ander Mal, wenn
du wieder kommll.
Derfelbe Klopfan mit mehrfachen Varianten in einer Pap. Hs. des 16
Jhdts, bei Mone im Anzeiger 7, 555 fg. 2 pelayden; dasfelbe wie lai-
den Leidthun, Wehe thun , unangenehm fein. 4geckelmann 6oder
piRufunllein d. 7fopiß befch. 8fokunnen dich w. leut
gehaffen. 9 dann man fint manchen groben läppen. 10 der
die gaffen umb lauft trappen. 11 und vor den leuten vil ge-
fchwätzt. 12 und die frawen hinten und vorn befezt. 13
eine fey zw erbrifch undeutl. 14 ä. fey zw p. 15 d. dr. fey nit
fchimpfig. 16 fey zw. 17 fey fünft d. f. fey fo. 18 und fagt
als von haberftro. Von Z, 19 an lautet hier das Gedicht
piftu der einer, fo gee fein ab.
wiltu daz man dich lieb hab
und piftu darumb her kumen
dastu wilt fuchen deinen frumen,
fo wunfch ich dir ein gluck feiiges neus jar.
fprich amen, fo were dein wunfch war.
13
Klopfan, klopfan!
Tregftu gern fpitzig fchuch an.
So gee nit vil für die tür,
Daß man dich nit bring für
Und mit der zungen trag auf das rathaus,
Du muft Tüft drei gülden geben herauß:
Des man dich nit vertrait,
Du fchwerft dann dafür ain ait.
Wann man hat vernumen,
107
Vor aller varb den hochßen preis«
Wie wol doch grün der anfank,
85 Was doch rot der lieb zwank,
Was doch gewert mit zucfat we^>
Haftu auf ßetigkeit dein vleiß,
Wann ftetigkait alain beleibt,
So ilt nichts nit das lieb von lieb treibt«
90 Pülu ßet ine freuden,
So bifhi auch ßet zue leiden«
Bilhi auch ßet fo es wol get,
So bis auch ßet fo es übel get«
Beleih ßet an deinem pulen gut
95 Als das gürtelteublein thut:
Wenn es fein lieb verlüfl,
Kain anders es im außerküß.
Wenn du wilt ßet fein,
So nim ein plaus plümlein,
100 Mach dir darauß ein kränz
Und trag in frölich an dem renner tanz«
Wiltu der varb nit lenger darben,
Denn j^ftu^ auf der fchwarzen färben.
Schwarz bedeut verporgen:
105 Das foltu halten in folgen.
Wer iqyn rot pla^ oder y^ffß^
Wer lieb wil tragen in forgen vleiß
Und bedenkt nit wie er fich bewart
Vor der pofen klaffer art
110 Und wil feiner lieb gerümbt fein,
Dem wont feiten treue bei.
Merk die pfewin hat die art.
Daß fie vor lieb die aier bewart
Daß fein der pfaw nit werd gewar:
115 Alfo thue deiner lieb, gedenk gar
Mit fchwarz zue aller zeit
Vor der falfchen klaffer neiti
Ni^ foltu kurzlich kumen
Von dem adler auf der wegwart plumen:
120 Wann graw bedeut hoher eren,
Wiltu dein lieb mit freuden meren:
Graw iß unvertroßen.
106
Den fenix auf der rofen rot.
Kot ift ain zaiehen prinnender lieb:
45 Das iß zue tragen mit gutem fit^
Welchs herz mit grün bat angefangen
Daß es mit lieb begert zn erlangen,
Daß man kain zil noch {riß mag thon
Und kan im felbs nit wider ßon,
50 Daß er in hitziger begir flrebt
Und üch mert die weil er lebt
Und üch wendet alle fein fart
Nach des vogels fenix art»
Der iß ainig auf der erden
55 Und mag auch kainer mer werden:
Ine dem feuer er üch vernüt.
In trauern erkückt dein lieb mit
Nach des edelen fenix fit.
Wes lieb fich von tag zu tag nüt,
60 Der trag rot der lieb flammen:
So ßet freud auf fredige ßammen*
Nun vindeßu mit züchtigem vleiß
Den famen auf der lilgen weiß.
Weiß iß der lieb ain edler tron:
65 Die foltu haben in wirden fchon.
Wer im herzen lieb begert
Und mit weiß wkt gewert,
Der halt es fchön biß in fein end:
So nimbt fein lieb ein frölichs end.
70 Mit weiß gewert bedeut keufch
Und züchtige lieb an alles geteufch.
Wer troß und freud von lieb begert,
Der halt zucht, fo wirt er gewert.
Und bis an treu und lieb nit laß
75 Als der ßaub thut auf dem wafnl
Wenn du darauf legß dein vleiß,
So magßu irplich tragen weiß.
Wil fich aber dein freud machen,
So vindeßu ein gürtelteublein auf plaw.
80 Plaw bedeut ßet
Der im recht thet.
So het er in aller weis
107
Vor aller varb den hochften preis«
Wie wol doch griin der anfank,
85 Was doch rot der lieb zwank,
Was doch gewert mit zucht wejyß^
Haftu auf ßetigkeit dein vleiß,
Wann ßetigkait alain beleibt,
So ilt nichts nit das lieb von lieb treibt«
90 Piftu ftet ine freuden.
So bifhi auch ftet zue leiden«
Bifiu auch ftet fo es wol get,
So bis auch ftet fo es übel get.
Beleih ftet an deinem pulen gut
95 Als das giirtelteublein thut:
Wenn es fein lieb verlüft,
Kain anders es im außerküft.
Wenn du wilt ftet fein,
So nim ein plaus plümlein,
100 Mach dir darauß ein kränz
Und trag in frölich an dem renner tanz«
Wiltu der varb nit lenger darben,
Denn j3]fliH^ auf der fchwarzen färben.
Schwarz bedeut verporgen:
105 Das foltu halten in folgen.
Wer iqyn rot pla^ oder v^giü^
Wer lieb wil tragen in forgen vleiß
Und bedenkt nit wie er fich bewart
Vor der pöfen klaffer art
110 Und wil feiner lieb gerümbt fein,
Dem wont feiten treue bei.
Merk die pfewin hat die art,
Daß fie vor lieb die aier bewart
Daß fein der pfaw nit werd gewar:
115 Alfo thue deiner lieb, gedenk gar
Mit fchwarz zue aller zeit
Vor der falfchen klaffer neit!
Ni^ foltu kurzlich kumen
Von dem adler auf der wegwart plumen:
120 Wann graw bedeut hoher eren,
Wiltu dein lieb mit freuden meren:
Graw ift unvertroßen.
108
Die wegwartphim ill verfchloßen
Biß fich crfcheint der funnen glänz:
125 So get fie auf mit freuden ganz
Und gibt ireude über tag.
Dabei ein ieklichs wol merken mag
Alfo nach riterlichem fit:
Alfo foltu dein freud treiben mit.
130 Du lolt auch miltiklich gepam
Geleich dem milden adelarn.
Der ift milt von rechter art,
Der treu in lieb nit fpart,
Der iß milt wol geleich
135 Und tregt graw in freuden reich*
Wiltu aber nit entpern
Und wilt nach gelber färbe ftrebn
Die dich nit wol thut preifen,
So wil ich dich in ein kram weifen,
140 So kauf dir der gelben varb
E und du ir gar darbft.
Darmit wünfch ich dir gelük und hail
Und aller freuden ain übertail,
Zue difem hof nach eren ftreben
145 Und darzu das ewig leben.
Pap. Hs. der Qroßherz. Bibl. zu Weimar Q. 565. XV Jahrh. Bl. 61 igg.
Zeile 6 thut fchm eben die Hb, 7 jugennt gesirt dio Hs. gezem
d. i. gezeme gezieme. 9 aen die Hs. Vielleicht fehlt dahinter das
Reimwort auf all. 10 gronen die Hs. 11 Damit grün die paum
fccht an Hs. 13 allem meinein find Hs. 14 angefing fic die
Hs. angebint? klaid die Hs. 26 er dem Hs. geleich Hs.
27 jngeleichem Hs. 29 nach tigalenn: halenn Hs. 33 Das fie
jne freuden danen will die Hs. 45 mit guten fyten die Hs. 48
thun die Hs. 49 llan Hs. 55 werdn Hft. 58 fiten Hs. 61
fredige vgl. fredi Schmeller 1, 601. 64 edler trän Hs. 66 hertzu
Hs. 75 wafenn Hs. 79 plab Hs. 80 P lab Hs. Diefe und die
folg. Zeile find in der Hs. zufammen gefchrieben. 84 der anfangkwas
Hs. 85 Was fehlt hier in d. Hs. 86 weift- vleis Hs. 88 allein
todtbel. Hs. 89 treübt Hs. 96 te vleüßt Hs. ^ 97 aus er-
kyßt Hs. 99 plobs Hs. 101 an den r. Hs. 103 plab. varbn
Hs. 111 wannt Hs. 112 pfebin Hs. 114 nit wer g. Hs. 120
Wan grob Hs. 123 verfchloffn Hs. 128 fytenn Hs. 129
treuben Hs. 131 adler Hs. 125 grab Hs. 137 ßerbn Hs.
141 darbed Hs. 144 hoff Hs.
109
Das letzte Stuck hat fo manigfache und eigentümliche Schwie-
rigkeiten, daß ich mich hier einftweilen nicht auf weitere Er-
klärung einlaßen kann, die zu viel Kaum nehmen würde: ich
will es nur mitgeteilt haben um ein ander Mal auf nähere Er-
örterungen desfelben eingehen zu können.
Die näcIiOien fünfzehn Klopfan find aus einem alten uüm-
bergifchen Drucke der Kunegund Hergotin genommen, deren
Druckerthätigkeit zwifcben die Jahre 1528 und 1537 fällt. Es
iß 1 Bogen (8 Blätter). Die vordere Seite des erften Blattes
hat oben den Titel
Faß abentheürlich Klopff
an / Auff allerley art.
Hans Foltz.
Danmter iß ein ganz reizender Holzfchnitt: in einer Straße
vor einem Haufe ßeht ein junger Menfch der den Thürklöpfel
hält, aus dem Fenßer ficht ein junges Weib auf ihn herab.
Auf der Kückfeite beginnt der Text der bis zu Ende der vor-
dem Seite des letzten Blattes geht. Darunter ßeht noch
^ Gedruckt zu NArmberg durch
Kunegund Hergotin.
Die letzte Seite iß leer. Die verfchiedenen Stücke vom zwei-
ten an haben nur die Überfchrift Ein ander klopff an. Es find
16 au der Zahl und in folgender Ordnung überliefert:
1 Klopff an meines hertzen luß vnd wunn
2 Klopff an mein troß mein hertz mein hört
3 Klopff an meyns hertzen höchßer fchatz
4 Klopff an klopff an lieber fchweins or
5 Klopff an Got geb dir ein gfit jar
6 Klopff an mein aller liebßer knab
7 Klopff an klopff an lieber troll
8 Klopfift an jr zarten jungen frawen
9 Klopff an bißu ein J&ngling frey
10 Klopff an biß du ein junge fchnurr
11 Klopff an klopff an werder heldt
12 Wie haß ein klopffen gynSffel
13 Klopff an meyn aller liebße zart
H Wie haß ein klopffen vnd ein fcharm
110
15 KlopfF an du förwitz a
16 Kuiopff an lieber Fridel,
No 16 habe ich nicht mitgeteilt, weil es zu unflätig ift. Aller-
dings enthalten einige der andern auch etwas ziemlich derbe
Ausdrücke , die mit unfern heutigen Begriflfen nicht übereinftim-
men, für ihre Zeit aber, weit entfernt etwas anßoßiges zu ha-
ben, ganz in der Ordnung waren. Deshalb mußen fie um die
Zeit zu charakterifieren mitgeteilt werden: fie find aber ans
Ende verwiefen als die 6 letzten und wer zu zartfühlend ift,
möge fie überfchlagen, mir aber, der ich mein Eckartamt ver-
fehen, keine Vorwürfe machen, wenn ihn nachher dies wütende
Heer inconunodiert. Für die fchmutzige Derbheit der letzteren
entfchädigt reichlich die Innigkeit der erfteren, die ohne Zwei-
fel dem Zarteßen beizufetzen find was in deutfcher Zunge ge-
dichtet worden ift.
Der fo eben näher befchriebene alte Druck befindet fich
auf der großherzoglichen Bibliothek zu Weimar und ift jenem
koftbaren Mifchbande eingebunden der auch das einzige noch
auf uns gekommene Exemplar des älteften gedruckten deutfchen
Liederbuches enthält.*) Über andere Drucke der Klopfan f.
Kellers Fasnachtfpiele S. 1242 fgg.
So wol in dem uns vorliegenden vollftändigften , als auch
in andern Drucken wird Hanz Folz ausdrücklich als Verfaßer
diefer Stücke genannt und wir haben keinen Grund gegen die
Wahrheit diefer Zeugnifl*e irgend welche Zweifel zu hegen.
Hans Folzens dichterifche Thätigkeit wird etwa ins dritte Vier-
tel des 15. Jhdts zu fetzen fein, vielleicht noch etwas früher,
ficherer wol hat fie auch noch fpäter gedauert, walirfcheinlich
bis in die Mitte der achtziger Jahre. Er lebte noch mit dem
älteren ßofenblut zufammen. Hans Folz foU aus Worms ftam-
men, er fiedelte fich in Nürnberg an und verblieb dafelbft bis
zu feinem Tode. Er war seines Gewerbes Barbier, wahr-
fcheinlich befaß er zugleich eine eigene Druckerei. Wann er
geftorben, ift unbekannt. Er war nach Kofenblut der bedeu-
*) In genauem Abdrucke nun veröffentlicht: Bergreien. Eine Lieder-
derfammlung des XVI. Jahrhunderts. Nach dem Exemplare der Großherzog-
lichen Bibliothek zu Weimar heransgegcben von Oskar Schade. Weimar,
Hermann Böhlan 1854.
111
tcndUe Fasnachtfpieldichtcr. Seine Spiele find neuerdings in
Kellers Sammlung aufgenommen. Außerdem verfaßte er eine
große Anzahl poetifcher Erzählungen, Schwanke, Priameln und
war auch als MciAerfinger thätig, der Art daß ihn. die Schule
zum zwölften der zwölf alten niarnbergifchen Meilter machte.
Eine Reihe von meillerfingcrifchen Tönen tragen, als von ihm
erfunden, feinen Namen. Die folgenden lUopfan laßen feine
dichterifche Befähigung in einem günftigen, wenn nicht im gim-^
ßigften Lichte erfcheinen;
16.
Klopf an, meins herzen lud und wunn!
So hell gefchin noch nie die funn:
Die tugent zier und fitten dein
Schein klerer in dem herzen mein.
5. Wann folch zier fchön und freuntlich gßalt
Wart nie von maiers haut gemalt,
Gerad jung frei ftolz und ein helt
Des wefen iederman gefeit.
Des bit ich got, er won dir bei
10 In all dem das dir dienßlich fei
An leib an fei an eer an gät,
Und pflanz dir in dein fin und mut.
Wo du dein haut reckeft nach eern,
Daß du funll keiner th&ft begern
15 Dann eine die dich wiß zu halten.
Daß euer lieb bleib ungefpalten
Und bleibft bei deinem guten namen.
Das wünfch ich dir von herzen, amen.
Der alte Druck Zeile 1 meines.
17.
Klopf an, mein aller liebße zart!
Wann mir kein klopfen lieber wart.
All engel in des himels tron
Die fein darumb dein folt und Ion.
5 All Patriarchen und propheten
Wölln dir dein leib und leben retten.
110
15 KlopfF an du förwitz a
16 KJopff an lieber Fridel.
No 16 habe ich nicht mitgeteilt, weil es zu unflätig ift. Aller-
dings enthalten einige der andern auch etwas ziemlich derbe
Ausdrücke , die mit unfern heutigen Begriffen nicht übereinftim-
men, für ihre Zeit aber, weit entfernt etwas anßößiges zu ha-
ben, ganz in der Ordnung waren. Deshalb mußen fie um die
Zeit zu charakterißeren mitgeteilt werden: fie find aber ans
Ende verwiefen als die 6 letzten und wer zu zartfühlend iß,
möge fie überfchlagen, mir aber, der ich mein Eckartamt ver-
fehen, keine Vorwürfe machen, wenn ihn nachher dies wütende
Heer incommodiert. Für die fchmutzige Derbheit der letzteren
entfchädigt reichlich die Innigkeit der erßeren, die ohne Zwei-
fel dem Zarteßen beizufetzen find was in deutfcher Zunge ge-
dichtet worden iß.
Der fo eben näher befchriebene alte Druck befindet fich
auf der großherzoglichen Bibliothek zu Weimar und iß jenem
koßbaren Mifchbande eingebunden der auch das einzige noch
auf uns gekommene Exemplar des älteßen gedruckten deutfchen
Liederbuches entliält.*) Über andere Drucke der Klopfan f.
Kellers Fasnachtfpiele S. 1242 fgg.
So wol in dem uns vorliegenden voUßändigßen , als auch
in andern Drucken wird Hanz Folz ausdrücklich als Verfaßer
diefer Stücke genannt und wir haben keinen Grund gegen die
Wahrheit diefer Zeugniffe irgend welche Zweifel zu hegen.
Hans Folzens dichterifche Thätigkeit wird etwa ins dritte Vier-
tel des 15. Jhdts zu fetzen fein, vielleicht noch etwas früher,
ficherer wol hat fie auch noch fpäter gedauert, wahrfcheinlich
bis in die Mitte der achtziger Jahre. Er lebte noch mit dem
älteren Kofenblut zufammen. Hans Folz foU aus Worms flam-
men, er fiedelte fich in Nürnberg an und verblieb dafelbß bis
zu feinem Tode. Er war seines Gewerbes Barbier, wahr-
fcheinlich befaß er zugleich eine eigene Druckerei. Wann er
geßorben, iß unbekannt. Er war nach Kofenblut der bedeu-
*) In genauem Abdrucke nun veröffentlicht: Bergreien. Eine Lieder-
derfammlung des XVI. Jahrhunderts. Nach dem Exemplare der Großherzog-
lichen Bibliothek zu Weimar heransgcgoben von Oskar Schade. Weimar,
Hennann Bohlau 1854.
111
tcndfte Fasnachtfpieldichter. Seine Spiele find neuerdings in
Kellers Sammlung aufgenommen. Außerdem verfaßte er eine
große Anzahl poetifcher Erzählungen, Schwanke, Priameln und
war auch als Meillerfinger thätig, der Art daß ihn- die Schule
zum zwölften der zwölf alten nürnbcrgifchen Meilter machte.
Eine Reihe von meißerfingorifchen Tönen tragen, als von ihm
erfunden, feinen Namen. Die folgenden lUopfan laßen feine
dichterifche Befähigung in einem günßigen, wenn nicht im gun->
lligften Lichte erfcheinen;
16.
Klopf an, meins herzen lud und wunn!
So hell gefchin noch nie die funn:
Die tugent zier und fitten dein
Schein klerer in dem herzen mein.
5. Wann folch zier fchön und freuntlich gftalt
Wart nie von maiers haut gemalt,
Gerad jung frei ftolz und ein helt
Des wefen iederman gefeit.
Des bit ich got, er won dir bei
10 In all dem das dir dienßlich fei
An leib an fei an eer an gut.
Und pflanz dir in dein fin und mut,
Wo du dein haut reckeß nach eern,
Daß du fünft keiner thuß begern
15 Dann eine die dich wiß zfi halten.
Daß euer lieb bleib ungefpalten
Und bleibß bei deinem gäten namen.
Das wünfch ich dir von herzen, amen.
Der alte Druck Zeile 1 meines.
17.
Klopf an, mein aller liebße zarti
Wann mir kein klopfen lieber wart.
All engel in des himels tron
Die fein darumb dein folt und Ion.
All Patriarchen und propheten
Wölln dir dein leib und leben retten.
112
All zwolfbotn und evangeliften
Wölln dich vor allem übel friften.
All märterer und beichtiger
10 Bewaren dich vor aller fchwer.
Der junkfraun und der witwen fchar
Und aller heiligen famlung gar
Wölln dich allenthalben befriden
An leib fei und allen geliden.
15 Maria felbs und auch ir fufl
Laßen dich nimmer anders t&n
Dann das dich hie und dort erner:
Das erwerb dir als himlifch her,
Und daß dir als das günftig fei
20 Das dir dein lebtag wone bei
Und hie eins feUgn ends erfterbft
Und die ewigen krön erwerbll
Dort in dem aller hochften kor,
Wünfch ich dir zu eim neuen jor.
Zeile 7 zw&lffpoten d. Dr., der zwolfbote der Apoftel. 8 vbel.
d. Dr. 10 Bewarn d. Dr. fchwer mhd. fwsere Schmerz, Kummer.
11 Junckfrawen. 13 befriden umfriedigen , einfchließen und dadurch
vor Angriffen fchützen. 14 gliden d. Dr. gelit f. v. a. lit Glied.
15 fon d. Dr. Vielleicht fon : ton. 17 Alles was dich in diefer und jener
Welt in leiblichem und geüligem Leben und Wolergchen erhalte. 18 als
alles, und fo 19. 21 fei igen d, Dr. 24 newen jar der Druck.
18.
Klopf an, mein troü, mein herz, mein hört
Und hör in g&t mein freuntlich wort
Die ich dir auß fonder lieb mitteil I
Ich wünfch dir glück fald frid und heil
5 Mer dann ich felber denn gern het.
Ja wer wider dein eer icht thet,
Das brecht mir heimlich großen fchmerssen,
Als ob es mir felbs leg am herzen:
Wann dein fchön adelich perfon
10 Macht daß ich dir als g&ten gan.
Dein gütig und freuntlich geber,
Dein handel wandel zucht und eer,
113
Dein gSt geßalt und al dein fitten,
Dein günlllichs und lieblichs erbieten
15 Macht an dir daß dir iederman
Glück fald und aller eren gan.
Des ich dir auch nit feint mag fein,
Ob dus merkft an den werten mein.
So wunfch ich dich fo lang gefunt
10 Biß daß ein lins wigt hundert pfunt
Und biß ein mülAein in lüften fleucht
Und ein floch ein fuder weins zeucht
Und biß ein krebs baumwoUe fpint
Und man mit fchne ein feur anzünt.
25 Hiemit ein guts feligs neus jarl
Und hau hini daß dich got bewarl
Der a. Dr. 23 kreps baumwol. 26 hau hin fo viel als far hin;
hauen (ich fchneU bewegen, laufen Schmeiier 2, 130.
19.
Klopf an, meins herzen hochfter fchazi
Vergünn mir eins freuntlichen fchwaz
Und laß mein red dir nit misfallenl
Ich fprich, folt ich die weit auß wallen
5. Zu kiefen einen von perfon
Do ganz nicht wer vergeßen an,
An leib geßalt weis und geber,
An zucht fcham tugent und an er,
An fchon und freuntlichkeit der wort,
10 So wart dein gleich doch nie gehört
Der meinem herzen baß gefiel:
Darbei ich nimmer laugnen wil.
Dann wer ich alfo fchon und klar
Als Helena von Griechen war
15 Und het ein har als golt gefpunnen.
Des ftraim erglenzten für die funnen.
Und mocht an reichtum und an witzen
Bei der küngin von Saba fitzen,
Die küng Salmon groß fchenkung bracht
20 Und im fein tiefe frag auß flacht.
Und wer gbom von edelßem blut:
Weimmr. JÜ. 11. g
114
Dannoch mein herz gedank und mut
Dich außerkorn von aller weit,
ledoch in ßill gen dir gemelt.
25 Zeuch heim mit ganz frolichem mdtl
Denk mein zum nechAen auch in gut!
Z. 2 der fchwaz das Gefchwätz Schmeller 3, 552. 6 daran d. i. an dem
ganz und gar nichts vergeßen wäre, der vollkommen wäre. 7 geper d.
Dr. geper mhd. gebfere Benehmen; das nhd. Geberde, mit tmorga-
nifch eingefchaltetem d , hat eine modificierte Bedtg erhalten. 1 1 b a ß Ad-
verbinm beßer. 14 von Griechen von Griechenland, wie hin ze Grie-
chen nach Griechenl. heißt, ze Gr. in Griechenland. Griechen hätte kön-
nen ebenfo gut Name des Landes werden wie Sachfen, Schwaben,
Thüringen, alles urfprünglich Dative Pluralis der Volksnamen die von ze,
zu, regiert find, ze den Sah Ten bei den Sachfen, dag laut ze Sah Ten
das Land bei den Sachfen. IGßraim, der und ßraimen der Streifen,
die Reihe, auch die Strieme; liechtßraim radius ; ßraimen ßreifen.
Schmeller 3, 685. für die funnen mehr als die Sonne, heller als ße.
18 K&nigin d. Dr. 19 Salomo d. Dr. Die zufammengezogene Form
wie früher auch im 15 Jhdt. die gewöhnliche, fo im Narrenfchiffe 112, 7. 171,
27. 20 flacht jetzt flocht von flechten, a. Spr. flihte flaht geflöh-
ten. Zeile 18 fgg. bezieht fich auf die damals ungemein verbreitete Dichtung
die unter dem Namen Sibillenbuch gewöhnlich geht. Vgl. Geiftliche
Gedichte des 14 und 15 Jlidts vom Niderrhein herausg. von Of»kar Schade
daf. S. 291 fgg. und befonders S. 303 fgg. Vers 207 fgg. 23 Dennoch er-
kören nur dich unter allen mein Herz und Sinne auß. 24 gen dir; in
der alten Sprache wird gegen (zufgez, gen) fall nur mit dem Dativ verbun-
den, feiten mit dem Accufativ. melden eigtl. verraten; gemelt ift hier
Nomin. Plur. auf herz gedank und mut bezogen : obwol nur heimlich
dir verraten. 26 in gut auf gute Weife, in Güte und Liebe.
20.
Klopf an, mein aller liebßcr knab!
Biß du der für den ich dick hab,
Getreu Hat firum und verfcbwigen
Und wardß kein geudner nie gezigen,
5 Biß warhaft unde liizler wort,
Haß nie nichts heimlichs offenbart
Und redeß von frauen das beß
Und dich niemant verweifen leß
Zu tun wider junkfreulicb er :
10 On zweifei fo biß du ie der
Den ich zu buln mir hab gedacht.
Hau hin! got geb dir ein gut nacht I
115
Zeile 2 für den ich dich halte. 4 geudner Praler, AafTchneider , Groß-
thaer : daraus hat fich erA fpater der Begriff Verfchwender entwickelt und
daher im Neuhochdeutfchen vergeuden nach Analogie von verfchwenden
gebildet. 'gezigen geziehen, befchuldigend genannt; ich zihe, zech,
gezigen nach der achten ftarken Conjug. Grimms Gramm. 1, 937. 5 vnd
d. Dr. lüzel klein, wenig. 8 verweifen falfch weifen, verfuhren,
welche Bedeutung durch den folg. Vers gefördert wird. An verweifen im
Sinne von tadeln und ftrafen, für verweißen, mhd. verwigen, ift hier
nicht zu denken. 13 ie immer j zu aller Zeit : hier aber etwas abge-
fchwächt und mehr als Yerßärkung. 11 bulen d. Dr. 12 hau hin
fahr hin, lauf hin.
21
Klopf an, klopf an, du werder helt,
Wann es mir von dir wol gefeit 1
Du klopfeß an in deinem fcherz,
Dannoch geet es mir an mein herz.
5 Des darflhi dich gen mir nit nennen.
Dann ich dich funll ie mein zu kennen.
Und war ich bei dir (du weift wo).
Des war wir beide nit unfro,
Wann wir wol heten auß zu tragen^
10 Darvon ich iez nicht vil wil Tagen:
Dann morgen kum (du weift wol wenn),
Gee iez dein ftraß e man dich kenn.
Ein blechlein ift balt angefchlagen
Da man lang zeit hat an zu tragen.
15 Darumb weich ab! das ift mein rot.
Und bh&t dich got vor aller not!
Zeile 1 an werder d. Dr. 2 wann, mhd. wände, Bindewort, denn.
4gehet. ödes adverbialer Genit. Neutr. deshalb. darfßu brauchA
du. 9 außtragea ausmachen, entfcheiden : wir hätten wol etwas mit
einander auszumachen. 10 iez jetzt. 12 Gehe d. Dr. 13 ein blech-
lein anfchlagen oder anhenken wie jetzt allgemeiner einem etwas
anhängen, anheften einen durch bufe Nachrede brandmarken. Im Fas-
nachspiele Elsli Tragdenknaben (Keller 896) heißt es
wenn iedermann fein lafter hett
fornen an der ßimen gefchriben,
der wort wurdend nit vil triben,
und kam darzuo daß menger man
gar nienen far die lüt dörft gan
8*
116
der iez gar DÜt an fin laßer denkt
nnd iederman ein blechli anhenkt.
Die Redensart kann daher kommen , daß man Verbrechern , die an den Pran-
ger geilellt wurden, ein Täfelchen anhängte worauf ihr Verbrechen verzeich-
net Hand. So wird auch fiechblächlein, was Schmeller 1, 233 von
Selhamer anfuhrt, nicht Schönpfläfterchen bedeuten, fondern fichtbares Zei-
chen der Krankheit, des Siechtums, das einer am Leibe trägt, das ihm
gleichfam auf der Stime gefchrieben fleht 15 weich ab entweich. rat
d. Dr. 16 beh&t d. Dr.
22
Klopf an! biftu ein jüngling frei,
Daß dir als glück woll wonen bei
Und dir erwerbft ein fchonen bfiln
Mit dem du tfill dein herz erk&ln!
5 Bift aber du ein junge diem
Und haß zwei brufilein als die birn,
So wünfch ich dir ein jungen gfelln
Dem du mügll al dein not erzein.
Biß du aber ein jung eeman
10 Und klopfll in züchten bei uns an
Daß du kein unfiSr iiächll darbei,
So mach dich got als leides frei.
Bift du aber ein Jungs eeweib
Und haft einen geraden* leib,
15 So halt dich ftät an deinem mani
Nit beßers ich dir raten kan.
Nun hau hin, laß dich iez gen&gen!
Zum nechften mag fich aber f&gen
Daß ich noch minder an dir fpar.
20 Zeuch iez heim! daß dich got bewarl
Zeile 4 erkuln d. Dr. 5 dirn d. Dr. 6 pr&ftlein d. Dr. 7 ei-
nen j. gefelln d. Dr. 8 erzein erzählen. 11 unfür, unf&re (lark
Femin. üble Lebensweife. fuchll d. Dr.
23
Klopft an, ir zarten jungen frauni
Ir folt euch bei dem tag lan fchaun.
117
Solt man fich freuden mit euch aieten,
So kiint man euch doch eer erbieten.
5 Ir wißt, die nacht iA niemantd freunt.
Doch fo ir ie feit aufgeleimt,
So klopft an feuberlich und frolich
Und redet niemant heimlich holich
Und feit gefchemig bei den mannen,
10 Treibt die fchampern von euch dannenl
Und in der kirchen feit andechtig.
Daß euch nicht ßrafe der almechtig!
Habt mit gelerten nit vil fchwaz,
Daß man euch nit liederlich fchazl
15 Und auf der gaßen nit umbguzen,
Daß man euer nit werde fchmuzen!
Seit arbeitfam daheim im haus
Und fecht nit vil zum fenßer auß!
Seit ernßlich mit dem hausgefint
20 Und ziecht auf tugent eure kint!
Frölich ob tifch, willig zu bet.
Und welche frau im anders tet.
Ob fie biß jar herwider kam,
Wer weiß wie ich fie dann aufnäm.
25 Ziecht heim und feit nit ungefchlacht!
Got geb euch taufent guter nacht!
Zeile 1 frawen : fchawen d. Dr. 8 fich nieten eines dinges
fleh eifrig befleißigen. 5 aufgeleunt; lauen läunen durch laue Tem-
peratur erweicht werden, aufthauen ; aufläunen fchmelzen aufbhauen; figür-
lich Ton einem Menfchen der anfängt nicht mehr wie vorher fremd oder
fchüchtern zu thun. Schmeller 2, 405. 8 holich verholen. 9 gefche-
mig fchamhaftig. 10 die fchampern die unzüchtigen. 12 ftraff
d, Dr. 15 umbguzen umgucken, neugierig umfchaun. Schmeller 2, 89.
16 fchmuzen lächeln. 22 im neutral dem d. h. in diefer Sache, darin.
23 biß jar bis über jährige Zeit, nächftes Jahr um diefe Zeit. 25 unge-
fchlacht übel geartet.
24
Klopf an, got geb dir ein gfit jar!
Haft du anders ein kraufes har
Und fpizig fchuch und kauft fein tanzen
Und tfift den meiden nichts am ganzen.
118
5 Treibft mit fraucn lieblichen l'cherz,
Schmückefl fie freuntlich an dein herz
Und haft mit in manch gfit gefpei,
So daß in drauß werd kein gefchrei,
Und fchonft ir darbei an im em
10 Nach dem ein iede thut begern,
Und wo fie hofen han z& wafchen
Daß du z&tregft mit vollen flafchen
Feilte braten und groß wecken
Und laß dich nit leichtfam abfchrecken:
15 So laß ich dich iezunt verßan
Daß du in bift ein gdter man
Und muft in irem dienft erfterben.
Solft du ein jar umb eine werben,
Mit zfidütteln umb fie nafchen,
20 Mit fchüßel fpftln und wintel wafchen,
Ir betten kern und garn winden
Und in der küchen vor rauch erblinden:
So biß du ie einr auß den knaben
Da die weib im narren an haben.
Zeile 18 leichtfam leicht. 19 zfidütteln fchön thun, fchmeicheln
Schmeller 1, 405. 23 eyner d. Dr. 24 narrn d. Dr.
25
Klopf an! bift du ein junge fchnurr
Und laufn des tages in der hurr
Und wilt nachtes die man vcrfchneiden,
So folt man dich ein Ihind nit leiden,
5 Sonder ein weifen zä dem wirt
Do man funß allweg trucken fchirt.
Biß du aber ein junger lecker,
S für die tür große trecker.
So folt man dir dein maul drein pern
10 Und dann die gaßen mit dir kern.
Biß du aber ein flarke fchlücht
Und haß dich überal betrücht
Und geeß davon und haß dein fpür.
Ob du irgent iundß ein offiie tür
119
15 Daß du etwas möchtß ermaufen,
So folt man dir den balg erzaufen
Und dich annageln mit den orn,
Auf daß man dich erkennet mom.
Biß du aber ein Ilarker knol
20 Und ßeckeß aller bosheit vol
Und harft, wo dir einr kem mit wein
Daß du die zungen fchlfigeft drein
Und tr&gll die kandl mit dir davon,
So geb dir got den rechten Ion, ,
25 Der andern dein geleich ift worden,
Dauß an der dürren brfider orden.
Bift aber ein alt bärntreiberin
Und pflegeft eins folchen gewin.
Ob dir bekem einr oder ein,
30 Daß du fie föreft mit dir heim
Und dann verkupelft wo du mochteß:
Darumb du nindert baß zu töchteß
Denn daß man in ein fack dich ßrickt
Und m der nacht nach fifchen fchickt.
35 Biß du aber ein alter geheier
Und funß ganz ein unniizer fpeier
Und geeß des nachts fchlekmundi um,
Ob dir ein klemmerlein bekum
Darmit du fchmechß dein frumes weib:
40 Darumb folt man dir an deim leib
Den fchwiz allen am . . . abhauen.
So fchonteß du der andern frauen.
Hau hin! du feieß wer du weiß:
Denn fo du dich lang daher ßelß,
45 Erzürneß du mich leicht zu lezt.
Daß ich mein hundin an dich hezt.
Zeile 1 fchnurr Perfon die herum fchnurrt. 2 hurr. SchmeUer gibt
2y 234 die hur, eine eigentümliche Art R*auchfang über dem Feuerherde.
Hier überhaupt für Feuerherd? in der hur am Herde, in der Küohe. Da-
nach wäre eine Küchenmagd gemeint. 8 verfohneiden einen ihm et-
was bef. Geld abnehmen. 5 ein hinein. 8 Sch..Jft für d. Dr.
9 pern ßoßen. 11 die fchlücht auch fchlucht, fchlüchtin un-
reinliche faule Perfon. Schmeller 3, 431, 12 betrücht. Vgl. tr ech-
ten läufig fein, von Thieren und Menfchen; die truchtel achtungslofe Be-
nennung einer Weibsperfon, bef. wenn He dick ift. Schmeller 1, 473 fg.
120
13 geheß d. Dr. 15 möchU d. Dr. 18 morgn d. Dr. 19 knol
(wie knalli Schmeller 2, 373) grober Bengel. 21 harft harreft. ey-
ner d. Dr. 23 kandel Trinkgefchirr. 26 dauß draußen. 27 der
bar ift das männliche Schwein, Eber, Zuchteber; bärntreiber der den
Eber znm Behufe der Begattung zu den Schweindn treibt; bärntreiberin
figürl. Kupplerin. 32 töchteft Conjunctiv Praet. Ton taug bin nützlich,
nindert d. i. niender nirgend, hier nur verßärkte Negation: deshalb warft
du zu nichts beßer nütze. 35 geheien und keien (gheien?) werfen,
Ichmeißen, plagen; ge heier ein Plager, auch wol Zänker. Schmeller 2, 132.
36 fpeier Spötter. 37 fchleckmundi fic d. Dr. ymb d. Dr.
38 Schmeller führt 2, 356 die Redensart an einem ein klämperlein an-
henken etwas Übles von ihm reden, oder auch ihn zu Schaden bringen.
Im Wigalois heißt es 2376
fo ßnt die valfchen £6 gemuot,
daß ß. lo ftfete enmac gefin,
fi neflahen ir ein klempelin
mit Worten und mit väre.
Es ift übertragen von dem entehrenden Zeichen das einem angehängt wurde.
41 am a.s d. Dr. 43 feyft d. Dr.
26.
Klopf an, klopf an, lieber fchweinsorl
Wilt du nicht han ein böfes jor,
So gee von ft?t, laß dein pochen
E das nun an dir werd gerochen!
5 Wann die geßalt die du dann hall
Macht ie daß du nicht ficher (laß.
Des dein harfchober ungefär
Gar köIUich zu a war
Und dein köpf darmit zu kegeln,
10 Dein zen faft gut zu leirennegeln
Und dein nas gfit zfi eim lefchhorn.
Dein zung ein dreck darmit zfi born,
Dein oren zu eim henkers greis.
Dein äugen zfi einr raben fpeis,
15 Dein maul war zfi eim prifet fein
Daß wir all famen — drein.
So hettelhi ein weil zfi fchlecken.
Dein arm warn gfit zfi hirten ftecken,
Dein körper zfi einr fchleier laden
20 Da man ein lert die -^ gaden,
121
Dein rück z& einem hackftock,
Dein — zfl einem feutrog,
Dein bein daß man mit fchl&g der keuln,
Dein hend und föß z& wefchpleuln.
25 Nun eil und heb dich hin dein ßraß
E man dich ein anders hören laß!
Zeile 2 ein bofes jor einen böfen Neujahrwunfch. 3 gehe d. Dr.
4 Ee das man an d. Dr. Ehe das an dir beftraft wird. Vielleicht e das m e i|n
an dir w. g. ehe die Unthat an dir gerächt wird. 7 harlc hober ver-
ächtlich für dickes Haar das wie ein Schober auf dem Kopfe anfgefchichtet
Ül. ungefär wie äne gef»r ohne Betmg d. h. in Wahrheit. 8 a..-
wifchen. 10 zen Zähne. faft mhd. vaße fehr. leirenuegel
die Nägel an denen die Saiten der Laute oder Zither befeftigt und angezo-
gen werden? 11 lefchhorn? 13 orn d. Dr. greis, gereis
Fall Abfall? henkers greis Abfall für den Henker? 14 eyner
d. Dr. 16 fch.ff.n d. Dr. 17 fchlecken lecken. 19 fchleier-
lade wol Dreckbehälter; der fchlier Schlamm, vgl. Schmeller 3, 457.
20 fch. .ßgaden d. Dr. 21 hackftock Stock oder Klotz worauf man
hackt. 22 Deyn a.. zu d. Dr. feutrog Trog aus dem die Schweine
freßen. 24 wefchpleul ein Klopfel womit man die Wäfche fchlägt in
Ermangelung einer Rolle.
27.
Wie haft ein klopfen, ginoffel?
Ich mein, du feill ein gensloffel.
MeinA du daß klopfen ein kunft fei.
So fchick ich dir zwen oder drei
5 Die dir durchberen all dein glider.
Liebt es dir, fo kum morgen wider:
So fol man ie nicht fpam an dir
Und dich pleuen eins oder zwir
Daß dir der narm weis werde gnäg.
10 Ich rat, trab ab, fei es dein f&g,
E ich dir mit einr laug t& zwagen
Die ich fchon hab herzä getragen.
Und ift gemacht vor eim prifet
Da dicks und düns durch einander get.
15 Nun heb dich, du bfib du gelber!
Und wes du denkeft, hab dir felberl
Zeile 1 ginoffel Schreihals, Schreimanl, auch ginlöffel Schmeller 2, 52.
2 gensloffel Schimpfwort; der leffel ineptus Schmeller 2, 445. 5
122
darehberen durchprügeln. 6 liebt es beliebt es. 8 2 wir zweimal.
11 eyner d. Dr. z wagen wafchen. 14 gehet d. Dr.
28.
Klopf an, klopf an, lieber trol!
Mich dunkt zwar, du feiß eben vol.
Hat dich der rebenhenslein bißen?
Ja folt es dein weib von dir wißen
5 Daß du dein gelt verfufen hetft,
Sie lert dich daß dus nimmer tetß.
Ich mein du gehefl; drumb do kriechen.
Ob dir der wein wolt baß verriechen,
Und fo du kumeft zfi deim weib,
10 Daß fie dann minder gefpeis treib.
Sie tet dir aber in dein wangen.
Heb dich! du bift nit recht gangen.
So dir dein weib zurpleut den köpf.
Das hetft du wol verdient, du tropf.
Zeile 1 trol ein grober ftarker Kerl Schmcller 1, 489. 2 zwar d. i. ze
wäre in Wahrheit, wahrlich. vol betrunken. 6 nimmer nie mehr,
nicht wieder. 7 Ich glaube , du fchlenderd deshalb hier umher. 10 ge -
fpei, das, Gefpdtte Schmeller 3, 553. 559.
29.
Wie haft ein klopfen und ein fcharm?
Meinftu, ich hört nie mer ein narrn?
Sag, wer hat dich da her geweift?
Ich mein zwar daß du der einr feift
5 Die ßatigs auf der gaß umb trifen
Und all a woUn erfchliefen
Und auf den alten lauten punkern
Und oft die ganzen nacht umb glunkem.
Juchzß und fchreift, fapft durch das kot,
10 Haft morgens ein geflalt von not
Als werftu auß einr kil gezogen.
Und bift den büteln kaum entflogen.
Darumb fo heb dich nun hinweg
E daß man dich ins loch fehler leg!
123
Zeile 4 eyner d. Dr. 5 trieffen d. Dr. Sehmeller 1, 480 gib4 trifeln
drehen; aaftrifeln etw. figürl. es durch Nachfpüren, Wenden, Betrachten
nach allen Seiten anfiinden; dann auch geifernd reden, fpotten. 6 a..lo-''
eher d. Dr. erfchliefen etw. wohineinfchlüpfen, kriechen. 7 pun-
kern pauken, ßoßen, klopfen. Sehmeller 1, 287 punken. 8 glunkern
wol hier fehlendem, fchlndern. 9 fappen mit einem gewilTen Laut im
Schmutz herumtreten SchmeJler 3, 275. 10 von not mit Aufgeben der
eigentl. Bdtg. gewilTer Maßen nur Folgerungsconjunction , daher, darum: Tgl.
Sehmeller 2, 717 fg.
80.
Klopf an, du fürwiz a !
Wie laufll du in der fchnurr umb noch?
Lfig daß dir nicht zfi kum dein gleich
Und dir wol halt ein fei ab ftreich,
5 Darzu den bauch vol buben mach.
Wer meinfhi der fein denn nit lach?
Ich riet, du giengß und legH dich nider,
So mochtft du morgen aufHen wider,
Deiner herfchaft heizen und kern,
10 E daß man dir den rück werd pem,
Darmit man dir den lurwiz bfißt,
Daß dich keins klopfens mer geliiD;.
Zeile 1 fürwiz Adjecti^um vorwitzig Sehmeller 4, 207. a..loch d. Dr.
2 die fchnurr das Hemmfchnurren , d. h. mit Singen, MuHcieren etc her-
umhetteln Sehmeller 3, 494^. 3 lug fieh zu. 6 fein neutral, delTen,
darüber. 8 m6chft. auffftehen. 10 pern prügeln.
Diefe Klopfan gehen, wie fie felbß angeben, auf die Neu-
jahrszeit: ob gerade auf den Neujahrstag oder die ihm vor-
aufgehende Nacht, mochte ich dahin gellellt fein laßen, denn
das in mehreren derfelben als gleichzeitig erwähnte Geburts-
fest ChriAi könnte fie etwas früher fetzen. Doch iß es auch
möglich, daß man die ganze Weihnachtszeit in Baufch und
Bogen, alfo die Zeit zwifchen Weihnachten und Großneujahr
gemeint hat. Wir erkennen in diefen Klopfan manchen alt-
iiberlieferten, echt volksmäßigen Zug, im Ganzen aber find fie
keineswegs alte Sprüche, die etwa feit geraumer Zeit fchon
immer an diefen Tagen wiederholt worden wären; ihre Form
und Inhalt zeigt fie als Producte der Kunßpoefie. Sind doch
bei einigen die Verfaßer geradezu genannt, beziehen fich doch
124
welche auf ganz fpezielle Vorfalle, wie fie das vergangene Jahr
in Nürnberg (und diefer Stadt werden wir wol alle zuzu-
weifen haben) vorgekommen find und die nun fatirifch ausge-
beutet werden. Eine andere Frage aber iß, ob diefe Sprüche
blos niedergefchrieben und gelefen worden find, oder ob fie auf
wirklichen Vortrag, vielleicht von dramatifcher Handlung be-
gleitet, berechnet waren, d. h. ob, wie zu anderer Zeit dieFas-
nachtfpiele durch herumziehende vermummte Perfonen in den
Häufern gefpielt wurden, fo diefe noch einfacheren Stücke vor
den betreflfenden Häufern (vielleicht mit allerhand lärmendem
Beiwerke) förmlich vorgetragen worden find. Ich vermute das
letztere, kann es aber leider durch ZeugnilTe jetzt nicht belegen.
Die Vermutung wird geßützt durch ähnliche in diefe Zeit fal-
lende Bräuche aus anderer Gegend, die wir im Verlaufe der
Unterfuchung beibringen werden. Gerade auf das den Klopfan
eigene fatirifche Element wird hierbei befonderes Gewicht zu
legen fein.
Woher aber der Name Klopfan? War es vielleicht üb-
lich, in diefer Jahreszeit herumzuziehen und an den Häufern
anzuklopfen und hat fich dann an diefe Sitte das in Frage
flehende poetifche Spiel angelehnt? Und wenn die Sitte be-
ftand, war fie alt und worauf bezog fie fich? Lebt fie vielleicht
noch bis auf den heutigen Tag? In welchen Gegenden dann
und in welcher Gellet? Das foll den Gegenfliand unferer Un-
terfuchung ausmachen.
< In Nürnberg war ein alter Gebrauch, daß junge Leute
<i!am 6. Januar *ind der Oberftnacht^ mit Hämmern, Schlegeln
"^^und Prügeln den Leuten an die Hausthüren und Läden unge-
/ ßüm fchlugen und pochten und fich dann eilig aus dem Staube
machten. Man nannte diefe Nacht davon die Klopfe Isnaoht.
Siebenkees Material. 3, 380.
Die Klopfleinsnacht iß noch heutzutage in Baiern be-
kannt und zwar iß fie der Abend des letzten Donnerstags
vor Weihnachten, ja diefer ganze Tag, und in weiterer Be-
deutung jeder der letzten drei Donnerstage in der Advent-
zeit, an welchen arme Leute und Kinder, die fonß eben nicht
betteln, vor den Häufern auf dem Lande herumgehen und in-
dem fie mit hölzernen Hämmerchen oder fonß an die Thüren
klopfen und einen gewilfen Reimfpruch herfagen, fich eine
Gabe ausbitten, die gewöhnlich aus Eßwaaren, Brot, Küeoheln,
125
Klotzen u. dergl. beßebt. Der bierbei gewobnlichfte Reim-
fprucb beißt:
Holla, holla, klopf a!
dfrau hat en fchön ma.
geit me dfrau en küechel xlo,
das i en herrn globt ha,
en küechel und en zeltn
de Peda werds vegeltn.
de Peder \a a haiige ma,
der alle ding vegeltn ka.
oder:
Heit is kleplsnaeht.
wer hats au bracht?
unfes herrn Thame
rumpelt ei de kämme,
laft sftiagl auf und a,
bricht cem e fiießl a.
wer mueß s büeßn?
dfrau mitn küechlfpitz,
dmagd mitn ftückl brot.
sfeue hört me krache,
küechl werd me bache,
dfchlüßl hört me klinge,
küechl werd me bringe,
küechl rauß, küechl raußl
oder i fchlag e loch is haus.
So ScbmeUer im bairifcben Worterbucbe 2, 361 £ v. Klap£
Er fübrt ferner an, daß (nacb Spieß, Arcbivar. Nebenarbeiten
2, 88) die Gebräucbe des Anklopferleinstags oder der
Klopflisnacht aucb an proteftantifcben Orten Baiems noch
Statt baben. In Franken pflegen die Kinder bei ihrem An-
klopfeln zu fagen:
Klopfe, klopfe, hämmerle!
sbrot ligt inn kämmerle,
smeßer ligt dernebm:
folt mer eppes gebm,
gut tal, gut tal,
und mein gfelln a en tal.
oder:
Apfel rauß, bim rauß!
ge mer in en anderfch haus.
126
oder:
oder:
Drauß inn tenne
lafm dfafhi henne.
drobm inn firft
hange di würft.
get mer di lange,
laßt di karzn hange!
Klopf a, klopf a!
di bäurin hat en fchon ma,
di bäiirin is e fchone fra,
was R hat des gibts mer a.
Vor einigen Thüren fpreclien fie auch:
Die Rofen die Rofen die blühen auf dem Stengel,
Der Herr iß fchön, die Frau ift wie ein Engel.
Bei den Schneidern klopft man mit folgendem Reime an:
On klopfa heiige nochtl
dgas hat de fchneider gjogt,
hat 'n gjogt biß oba nauß,
fpringt der fchelm zum loda nauß.
Vgl. Journal von und für Franken 5 Band S. 408 fgg.
In Miinchen ift es üblich, daß in der Klopflesnacht
oder, wie man hier fagt, Kröpfeisnacht die Mägde bei den
Erannern, Metzgern etc., wo fie das Jahr hindurch einkauften^
und die Handwerkslehrjungen bei den Kunden ihrer Meißer
eine kleine Gabe in Geld oder fonft erhalten, welche Gabe lie
dann ebenfalls ihre Kropfeisnacht nennen. Schmeller 2, 362.
In Baiern und Franken findet alfo noch heute diefer Brauch
des Anklopfens und Gabeheifchens am letzten Donnerstage vor
Weihnachten oder mitunter noch ausgedehnter überhaupt an
den Adventsdonnerstagen Statt. In Kärnten herrfcht diefelbe
Sitte, aber an den Dienstagen. Da ziehen Abends die Bur-
fche von Haus zu Haus und klocken d. h. klopfen. Die Leute
im Haufe rufen:
Biß a mon,
fchloag brav drun!
biß a bue,
fchloag brav snel
125
Klotzen u. dergl. beßebt. Der bierbei gewobnlicbfte Reim-
fprucb beißt:
Holla, holla, klopf a!
dfrau hat en fchon ma.
geit me dfrau en küechel zlo,
das i en herrn globt ha,
en küechel und en zeltn
de Peda werds vegeltn.
de Peder is a haiige ma,
der alle ding vegeltn ka.
oder:
Heit is klepls nacht,
wer hats au bracht?
unfes herrn Thame
rumpelt ei de kämme,
laft sftiagl auf und a,
bricht eem e fiießl a.
wer mueß s büeßn?
dfrau mitn küechlTpitz,
dmagd mitn ftückl brot.
sfeue hört me krache,
küechl werd me bache,
dfchlüßl hört me klinge,
küechl werd me bringe,
küechl rauß, küechl raußl
oder i fchlag e loch is haus.
So ScbmeUer im bairifcben Worterbucbe 2, 361 £ v. Klapf.
Er fübrt femer an, daß (nacb Spieß, Arcbivar. Nebenarbeiten
2, 88) die Gebrauebe des Anklopferleinstags oder der
Klopflisnacbt auch an proteßantifcben Orten Baiems noch
Statt haben. In Franken pflegen die Kinder bei ihrem An-
klopfein zu fagen:
Klopfe, klopfe, hämmerle!
sbrot ligt inn kämmerle,
smeßer ligt dernebm:
folt mer eppes gebm,
gut tal, gut tal,
und mein gfelln a en tal.
oder:
Apfel rauß, bim rauß!
ge mer in en anderfch haus.
128
Sonft heißen diefe NäoLte auch Bochselnächte (vergl.
Deutfehes Wörterb. der Brüder Grimm f. v.) von bochslen,
lärmen, durch polterndes Gehen, Stoßen oder Werfen einen
Lärm machen.
Wir bringen weiter unten älterere ZeugnilTe für diefe Sitte
und die Zeit, in welcher fie Statt fand, bei und wenden uns
vor der Hand zu einer ähnlichen, ihr ohne Frage verwanten,
die aber an einem andern Tage gilt, nämlich dem unfchul-
digen Kindlein Tage, der auf den vierten Weihnachtsfeier-
tag (28. Dezember) fällt.
Noch immer herrfcht an vielen Orten Deutfchlands die
Sitte, daß an diefem Tage die Kinder auf den Straßen umher-
ziehen, mit Ruthen oder grünen Reifern die Vorübergehenden
fchlagen, auch wol in die Häufer kommen und bei lautem An-
klopfen mit diefen Ruthen eine Gabe erbitten. In Thüringen
ift das noch an vielen Orten gebräuchlich. Die Verwantfchaft
mit der vorigen Sitte fpringt in die Augen: auch der Name
fpricht dafür. Jene nannte man Klopfen, Glöckeln, diefe heißt
Klingeln und der vierte Weihnachtstag der Klingeltag.
Wir begegnen diefem Namen noch in mehreren thüringifchen
heit Behafteten, namentlich die Mifelfüchtigen, die zu ihres gleichen in abge-
fonderte Häufer verwiefen waren. So heißt es in Rudolfs Ton Ems Reim-
chronik mit Bezug auf Numeri 5, 2
ouch hieg got fundern von der fehar
die mifeUuhtigen gar,
als noch her an dife friA
der fite wol behalten ift
dag man Ton den gefunden
n fundert zallen ftunden.
Noch zu Ende des 18. Jahrhunderts fah man zu München an den Quatembem
die Sunderfiechen in fchwarzen Mänteln und fpitzen Hüten Almofen fammeln,
indem fie mit einem hölzernen Kläpperchen klapperten und in
fingendem Tone ihren gewöhnlichen Spruch fagten
Gebts, gebts,
weilts lebtsl
wennts nimme lebts,
künnts nimme gebm.
gebts, gebts,
weilts lebts t
129
Waldorten z. B. in Hohen fei den bei Kranichfeld, 4 Stunden
von Weimer: da fchwärmen am benannten Tage trotz dem Ver-
bote (weil es in die Kategorie Bettelei fallt) die Kinder auf
den Gaßen und fchlagen mit Birkenreifeijn (dort wachfen meiß
nur Birken) die Vorübergehenden um die Beine. Früher be-
kamen die Kinder allgemein dafür Aepfel, Nüße, Pfefferfchei-
ben und Stücke Schittchen, jetzt fpenden nur noch Einige.
Früher hat man auch dabei gefungen: das ift in Folge der po-
lizeilichen Verbote nun abgekommen. In Weida (auch im
Weimarifchen) gehen an diefem Tage die Kinder mit Tan-
nenzweigen, oft fehr großen, umher und fchlagen auf den
Straßen damit, wer fich blicken läßt, dringen auch in die Häu-
ser, prügeln die Dienfimädchen und heifchen eine Gabe. Dazu
haben fie einen Spruch. Diefelbe Sitte (und Sprüche dabei) ift
auch in Großbrembach zwifchen Weimar und Kölleda. Im
Orlagau herrfcht diefer Brauch auch noch, aber hat hier am
zweiten und dritten Weihnachtfeiertage Statt. Er
heißt dort das Peitfchen mit frifchem Grün. Am zweiten
Feiertage peitfchen die Mädchen, confirmierte und nicht con-
firmierte. Sie gehen zu den Eltern, Pathen u. f. w. vorzugs-
weife mit frifchen Tan nenr eifern und fchlagen damit. Das-
felbe thun dann am 3. Feiertage die Knaben und jungen Bur-
fche. Dienftleute bedienen fich gegen ihre Herrfchaft eines
Rosmarinftengels. Der Spruch dabei lautet:
Guten Morgen 1
FrlTcbes Grün!
Langes Leben!
Ihr foUt mir ein blanken Thaler (Nüße etc.) geben.
Die drei erßen Zeilen find beim Peitfchen immer diefelben für
all^, nur die letzte wird nach Verfchiedenheit der Perfonen
und Verhältniffe verändert. So viel für jetzt von Thüringen.
In Schwaben, der Oberpfalz und einigen Gegenden
Frankens pflegen am unfchuldigen Kiudleintage, der
darnach der Pfeffer tag, Pfefferl einstag heißt, die kleinen
und wol auch großen Jungen bei den kleinen und großen Mäd-
chen herum zu gehen und fie mit einem Rütchen von Wach-
holder u. dergl. auf die Finger oder um die Beine zu fchlagen,
wofür dann eine kleine Gabe zu reichen ift. In der Oberpfalz
fpricht man dabei den Spruch:
fFeiimar, Jb, IL 9
130
is de pfefPe rass,
weiten leifn a?
Am Neujahrstage ifl dann die Reihe zu pfeffern an den
Mädchen. Das 'Pfeffern am unfchuldigen Kindleinstag' fin-
det fich verboten in einer altern bayreutifchen Polizeiordnimg.
Schmeller im bairifchen Wörterbuche 1. Seite 306 fg. imter
pfeffern. Derfelbe vermutet auch, jene kleine Gabe habe wol
urfprünglich ein P f e f f e r z e 1 1 e n , Pfefferkuchen fein müßen und
fügt aus einer münchifchen Handfchrift des Virgil (X. — XI. Jhdt)
die Interlineargloffe bei: liba pheforceltun. Noch heutzutage
darf bei Weihnachtbefcheerungen der Pfefferkuchen nicht
fehlen: denn was im Katholicismus auf die verfchiedcnen klei-
nen Feßtage um Weihnachten fällt, ift im Proteftantismus auf
das eine Weihnachtfefl vereinigt worden. Am Epiphaniastage
hatte man früher in Franken noch einen ganz befondern Brauch
mit Pfefferkuchen, wie Joannes Boemus (Anfang des 16. Jhdts.)
erzählt. *) Jede Hausmutter buk an diefem Tage einen Pfeffer-
kuchen und ließ unverfehens ein kleines Geldftück in den Teig
fallen. Wenn dann der Kuchen fertig gebacken war, zerfchnitt
man ihn in fo viele Teile als Glieder die Familie hatte. Wer
in feinem Teile dann das Geldftück fand, der ward von den
übrigen unter Ceremonien als König begrüßt und mufte mit
Kreide Kreuze an die Balken machen, die als ganz befonders
gegen Unheil fchützend betrachtet wurden.
Auch im Bairifchen bei Lichtenfels (wenige Stunden
von Koburg) ziehen am unfchuldigen Kindleins tage die
Jungen herum mit Rosmarinftengeln u. dgl. und 'pfeffern* die
Mädchen, d. h. fchlagen fie leicht damit an die Beine. Der
Spruch ift:
*) Joannes Boemus Omnium gentium leges et ritus unter Franconla :
In Epiphania domini fingulie lamiliae ex melle farina addito zinzibere et pipere
libum conficiunt et regem übi leguut hoc modo : libnm materfamilias facit, oui
absque confideratione inter fnbigendum denarium nnum immittit, poßea amoto
igne fupra calidum fooum illiid torret, tofhim in tot partes frangit quot homi-
nes familia habet: demum distribuit cuiqne partem unam tribueus. Adlignan-
tur etiam ChriAo bcata^que virgini et tribns magis fuse partes, qufe loco elee-
mofynse elargiuntur. In cujus autem portione denarius repertus fuerit, hie
rex ab omnibus falutatus in federn locatur et ter in altum cum jubilo elevatur:
ipfe in dextra cretam habet, qua toties lignum crucis fupra in triciinii laquea-
riis delineat, qute cruces, quod obftarc plur.mis maus credantur, in multa ob-
fervatione habontur.
131
Da komme ich her getreten
mit meiner frifchen Gerten,
mit meinem frifchen Mut
Schmeckt der Pfeffer tag gut?
Dafür erhalten fie Äpfel, Nüße, einen Pfennig, ganz Arme auch
ein Stückchen Brot. Umgekehrt ziehen dann am Neujahrs-
tage die Mädchen herum und pfeffern auf diefelbe Art die
Knaben. Sie haben dazu den gleichen Spruch, der in der letz-
ten Zeile nur lautet:
Schmeckt das neue Jahr gut?
Was in jenen genannten Gegenden pfeffern heißt von
der Gabe alfo, die man erhält, derfelbe Brauch heißt im Bai-
reutifchen fizeln von der Art, wie man dem Begehren Nach-
druck verleiht: 'fizeln' ift 'öfters fitzen' d. i. mit der Ruthe
fchlagen. Gefizelt wird hier mit grünen Rütchen oder mit
Buchsbaum-, Rosmarin-, Lorbeer-, und andern grünen Zwei-
gen, auch wie dort um eine Gabe an Geld oder Eßwaaren, den
fogenannten Fizelslon, mit den Worten:
Schmeckt der Pfeffer gut?
oder:
Ift das Pfefferles Brot gut?
ifts gefalzen,
ifts gefchmalzen?
Der unfchuldige Kindleinstag heißt daher der Fizelstag.
Der alte Brauch des perlonlichen Fizelns ift bereits fchon bei
den Vornehmern verfeinert, indem man nur eine Fizelsruthe
überfendet. Eine Verordnung von 1731 verbietet, 'daß die Kin-
der nicht mehr am Neujahrstage zum Betteln und fogenann-
ten Fizeln herumlaufen Ibllen.' Schmeller im bair. Wörterb.
1, 580 f. V. fitzen. *)
•) Da unfere Weihnachtgebräuche fich vielfach mit Frühlingsbräuchen
berühren, (auch die dabei üblichen Lieder und Sprüche ftimmen häufig zu-
fammen), fo wollen wir hier eines ungrilchen Brauches gedenken, der an
den Oftertagen Statt hat und wobei fowol das Fitzen, als die Gegenfei-
tigkeit zu bemerken ift. Ich kenne diefen Brauch namentlich aus dem Pres-
burger, Neutraer und Barser Comitate. Am Oftermontage werden die Mäd-
chen Ton den Burfchen mit Waßer übergoßen, wo iie (ich irgend
9*
132
Ein anderer Name für denfelben Brauch am Tage der un-
fchuldigen Kindlein ift kindein, aufkindeln. Auch die noch
Schlafenden pflegen dann von den früher Erwachten mit einer
Ruthe aufgekindelt zu werden.
Und an dem lieben Kindlenstag
Geht heftig an der Jungfern Platz :
Dann um Lebzelten fie zu hauen
Viel junge Purfch lieh laßen fchanen.
heißt es im augsburgifchen *S Jahr ein MaF von 1764. Schmel-
1er im bair. Wörterb. 2, 310 f. v. kindein. Diefer Name der
Brauchs ift offenbar von dem Tage hergeleitet, an dem er
Statt hat.
Betrachten wir nun die bisher beigebrachten Belege etwas
näher. Faß überall handelt es fich hier um eine Gabe, die
entweder geradezu geheifcht wird, oder die doch nicht außen
bleibt, auch wenn man fie nicht verlangt. Dreierlei ifts was
hier in Betracht kommt: zuerft die das Heifchen oder Spenden
der Gabe begleitenden Umftände, dann die Gabe felbft und zu-
letzt zu welcher Zeit der Brauch Statt hat.
Die näheren Umftände beim Heifchen der Gabe anlangend,
fo wird in Baiern , Franken , Schwaben , im Salzburgifchen und
in Kärnten angeklopft, an die Thüren gefchlagen, und da-
bei kann das Inftrument, mit dem dies gefchieht, nicht gleich-
giltig fein. Wenn es ein Hämmerchen von Holz oder etwas
anders ift, fo ift, früher wenigftens, die Holzart ficher beftimmt
blicken laßen und zwar mit ganzen Eimern, fo daß fie melft bis aufs Hemd
durchnäßt werden. Wo der Adel die Sitte noch mitmacht, ift das Ausgießen
aus Waßereimem zu Befprengcn aus Fläfchchen mit Rofenwaßer TerfeinerU
Dafür rächen fich dann aber am Ofierdienfiage die Mädchen mit Fitzel-
ruthen. Diefe werden aus Weidengerten oft fechs- bis achtfach geflochten
und mit bunten Bändern oder Streifen von farbigem Zeuge umwunden und
verziert. Solch eine Fitzelruthe heißt schibäk, von schibät fitzeln (im Slova-
kifchen): fie werden zu der Zeit in jeder Große und Stärke feil geboten.
Mit diefeni Schibäk nun prügeln die Mädchen auf die Burfche los, wo fie ih-
rer habhaft werden, nicht gerade auf die fanftefie Art, fo daß es ihnen durch
die trauen ungrifchen Höfen hindurch ziemlich fühlbar fein muß. Selbft die
geifilichen Herren bleiben mitunter von den Streichen der rächenden Dorf-
fchoncn nicht verfchont und ertragen ihr Schickfal je nach ihrem heiteren
oder murrifchen Naturell.
133
gewefen, aus der das Inftrument gefertigt fein muße. In man-
chen Gegenden wird nicht an die Thüren geklopft, fondem
man fchlägt Andere mit Rnthen von Tannen, Wachholder oder
Sträuchen, die zu diefer Zeit noch grün und. Das dürfte wol
das Haupterfordernis dabei gewefen fein. Ich vermute, ur-
fprünglich waren es nur Tannenreifer die man in der Hand
trug. Der Tannenbaum fpielte eine Rolle bei den heidni-
fchen Feßgebräuchen zur Zeit unferer jetzigen Weihnachten.
Er, der trotz Schnee und Eis immer grüne, gab ja das beße
Symbol ab für das unaufhörliche Walten in der fcheinbar tod-
ten Natur, er verfinnlichte das Verblühte und Abgewelkte und
weckte die Hoffnung anf das junge Grün des kommenden Früh-
lings. In diefem Sinne iA auch die englifche Sitte zu betrach-
ten das Haus zu Weihnachten mit Grün zu fchmücken. üufer
Tannenbaum, der zu Weihnachten den Klindern errichtet wird,
iß heidnirches Urfprungs: er war eines der Symbole der heid-
nifchen Gottheit.*)
*) Beweifend hierfür ift der Name Bechl- oder Weibnachtbofchen,
die in einer falzburgifchen Waldordnung von 1755 verboten werden (Schmel-
1er 1, 195) d. i. Berchtlbofchen, worin ßch aUb der Name der heidni-
Tchen Göttin erhalten hat. Der Bofchen ift ein einzelner Bnfch, befondcrs
von Nadelhol f Schmeller 1, 214. Der Ausfall des r in Bechl ift mondartUch,
fo auch in der Schweiz Bechteli Stalder 1, 150. — Die Sitte den Weih-
nachtbaum zn putzen und anzuzünden galt lange als eine fpezififch pro-
t^ftantifche. Der ProteAantismus hatte alle Mummereien und fonftige
Bräuche, die in den Zwölften üblich waren, teils getilgt, teils lieh ihnen
feindlich erwiefen, weil fie zu fehr nach Paganismus fchmeckten und um fich
dadurch vom Katholicismus fchärfer abznfcbeiden. Unzählige Äußerungen
der Leiter der reformatorifchen Bewegung im 16 Jahrhundert ließen fich hier-
für beibringen. Auch die Bräuche des Nicolasabends fuchte man zu befeiti-
gen: die zu diefer Zeit üblichen Gefchenke aber übertrug man ausfchließlich
auf den Weihnachtabend um dadurch diefem grösten Fefte auch in den Au-
gen der Sünder eine höhere Weihe zu geben. Man ließ von allen fotifti-
gen Bräuchen nur den Weihnachtbaum gelten, der zugleich eine fymboli-
fche Deutung zuließ. Er follte den Kindern jenen fruchtbringenden Zweig
vom Stamme Kai verfinnlifchen , die brennenden Lichter auf das große Licht
hinweifen, das den Völkern im Finßem aufgegangen war und die Gefchenke
dabei auf jenes große das an diefem Tage den Menfchen gefchenkt worden.
Die Protestanten hielten an diefer Sitte eben fo feft als die Katholiken aus
Oppofition fie mieden. Erft im Laufe diefes Jahrhunderts hat fie aufgehört
ein ausfchließlich confelUonelles Kennzeichen zn bilden. In Deutfchland fel-
ber ift &e allgemein geworden, fo z. B. entfchieden in den Bheinlanden^
134
Die Sprüche, die gefprochen werden, find meiß bloße
BettelTprüche, doch dürfte vielleicht in den kärntifchen no<^
etwas zu Tuchen fein. Da aufs Klopfen von innen heraus ein
Spruch folgt und der Klökler in entfprechenden Reimen ant-
worten muß, fo liegt die Vermutung nahe, es könne diefer
Brauch aus einer Art von (vielleicht halb improvifiertem) Spiel lieh
herfchreiben , das uns hier in feinen letzten Bruchllücken vor-
liege. Es muß dies natürlich voll mythifcher Züge gewefen fein
wo ße dnrch die größere Zahl ProteAanten, die feit der preußirchen Herr-
fchaft dafelbft ßch befinden, an Ausbreitung gewonnen hat und jetzt auch bei
den Katholiken je mehr und mehr Anklang findet. Auch über die deutfchen
Grenzen hinaus iß ße gegangen i nach Frankreich befonders unter Lonis
Philipp durch die proteßantifche Herzogin von Orleans. Auch imOften unter
den Slaven hat ße ßch verbreitet, befonders in den ößreichifchen Kronlän.-
dem. In Ungarn kannte man vor 30 Jahrsn noch keinen Weihnachtbaum,
vor etwa 20 Jahren brannten die erßen , jetzt zündet man fchon viele an,
doch nur in den hohen Familien , nicht beim Volke. — Daß das Putzen und
Anzünden folcher Bäume weit über den Protedantismus hinaufreicht, zeigt
eine fchweizerifche Sitte (in den Vierwaldßätten , Zug, Zürich, Schaffhaufen,
Bünden , Glarus) , wo am Nikolausabende eine vermummte Perfon
kommt, Samiklaus genannt, d. i. Sant Niclaus mit einem Butzmann in
fürchterlichem Aufzuge, Schmutzli (dem deutfchen Knecht Ruprecht) und
Gefchenke bringt um die fleißigen Kinder aufzumuntern, die faulen aber sa
fchrecken. Diefe Gefchenke des Samiklaus werden öfters an ein dazu ver-
fertigtes mit Flittergol d ausgez iertes oder mit kleinen Wachs-
lichtern Terfehenes Bäumchen gehängt Stalder 2, 299. Hier haben
wir alfo die Sitte an einem reinkatholifchen Feßtage aus proteßantifcher 2«eit«
Die Legende jenes Heiligen entbehrt durchaus eines Zuges, von dem man daa
Baumfehmücken herleiten könnte: es iß alfo ein älterer Brauch, der auf
das Feß des Heiligen übertrageu iß wie die Befcheenmg. — Daß aber der
Weihnachtbaum auch bei proteßantifehen Geißlichen Anßoß erregt hat, da-
für hier nur eine Stelle. Dannhauer Lact. Catechct. V. p, 649 lagt: 'Unter
andern Lappalien, damit man die alte Weihnacht/eit oft mehr als mit Got-
tes Wort begehet, iß auch der Weihnachtbaum oder Tannenbaum,
den man zu Haufe aufrichtet, denfelben mit Puppen und Zucker be^
hängt und ihn hernach fchütteln und abblümen läßt. Wo die
Gewohnheit herkommen, weiß ich nicht: iß ein Kinderfpiel, doch beßer als
andere Phantaße, ja Abgötterei, fo man mit dem Chrißkinde pfiegt zu treiben
und alfo des Satans Kapelle neben die Kirche baut, den Kiaderu eine folche
Opinion einbringet, daß ße ihre innigliche Kindergebetlein für dem vermunun-
ten und vermeinten Chrißkindlein faß abgöttifcher Weis ablegen. Viel
beßer wäre es, man weifete ße auf den geißlichen Cedernbaum Chri-
ftum Jefum.'
135
und vielleicht ift die Bemerkung, der Klökler fei aus einem
todten Roffe gefchloffen, eine dunkle Erinnferung daran.
Die Gabe, die man reicht, befieht hauptßlchlich aus dem
für diefe Zeit hergebrachten Backwerke, das meift in altvorge-
fchriebenen Formen und mit beftimmten bedeutungsvollen Zu-
thaten noch heute bereitet wird, um andere zu befchenken, einst
aber zur Ehre der gefeierten Gottheit und für diefe gebacken
wurde. Es läßt lieh an unzähligen Gebräuchen nachweifen,
daß, wo heutzutage eine Gabe an Arme und Begehrende oder
fonft als Gefchenk an beftimmten Tagen gefpendet wird, diefe
Gabe urfprünglich der Gottheit dargebracht ward, deren Feft
auf diefe Zeit fiel.
Die Zeit, in welcher der hier gemeldete Brauch Statt hat,
fchwankt je nach den verfchiedenen Gegenden, eines Teils zwi-
fchen Weihnachten und Großneujahr, anderes Teils zwifchen den
Dienßagen und Donnerstagen im Advent Es fcheint faß, als
habe man ihn erft fpäter an manchen Orten in den Advent ver-
legt, um ihn der kirchlichen Symbolik dienllbar zu machen. Zu
diefer Annahme führt die Bemerkung bei Hofpinian: fo wie
die Adventzeit zur Vorbereitung auf die Feier der Geburt Chrißi
eingefetzt fei, fo fei auch die Sitte im Papfttum entftanden, daß
an den drei Weihnachten voraufgehenden Donnerstagen Kna-
ben und Mädchen Nachts umherlaufen und an die Thüren
klopfen, um fo das nahende Fell den Menfchen ins Gedächt-
nis zu rufen.*) Indes führt Naogeorgus ausdrücklich an, daß
diefe drei Donnerstagsnächte für unheilfchwanger gelten und in
ihnen allerhand Hexenfpuk getrieben werde: und das dürfte
wol einen tieferen Grund vermuten laßen. Diefe letztere Stelle
ßeht im Regnum papißicum nach der Ausgabe von 1559 S. 130
und lautet ganz:
Hebdomadas tris ante diem qua natos lefus
creditur atque die Jovis et pueri atque puellte
*) Hofpinian US de feAis Chriftianonim S. 160: feftum adyentns domini
inftitatum eA ut prseparentur Chriftianorum animi ad lobriam vitam piamque
meditationem nativitatis Chrißi: unde etiam mos ortus eß et confuetudo in
papata nt tribns diebns Jovis proxime natalem ChriAi prsece-
dentibnt pneri et pnellae noctn discurrant et oftia pulfent, Oo
naUvitStem domini hominibus in memoiiom reTocare Tolentes.
136
discurrunt pulfantque palam oliia cuiicta dumatim,
adventum domini clamantes forütan haud dum
Dati ac optantes felicem habitantibus anuum.
inde nuces capiunt pira nummos poma placentas.
quisque Inbeus tribuit: tres illse namque putantur
noctes infaußte: fatanie nocumenta timentur
fagarnmque artes odinmque immane papil^is.
Man fpendet gern, denn man fürchtet die rächende Gottheit:
es hatte die Gabe hier alfo noch immer den Charakter eines
Opfers. Daß in diefem Brauche Heidentum ftecke, findet fich
in einer beachtenswerten Stelle bei Keifler ausgefprochen, An-
tiquitates feptentrionales S. 307: In fuperiore Germanise parte,
ea praßcipue quae ad Almonam flumen vergit marchionatu Onols-
bacenfi comprehenfa, cujus incolae plurimas gentilifmi reli-
quias retinent, tempore adventus Chrifti five media
hieme (am Anklopferleinstag) vulgus per vias et pa-
gos- currit malleisque pulfat fores et feneftras indefi-
nenter clamens 'Guthyl GuthylT quod quidem non falu-
tem per Chrifti adventum partam indicat, quafi dicercs gut heil,
bona Talus; multo minus fictitiam fanctam Gunthildem, quam
rußici illius tractus miris fabulis ac nugis celebrant: fed nomea
ipfum vifci eft. Darin hat nun Keifler Unrecht: fein *ffut hyl*
fcheint nichts anderes zu fein, als der Ruf *gut taF, ^®^ ^'*
oben in einem noch heute gebrauchten fränkifchen Spruche ge-
funden haben:
fült iner eppes gebni,
guttal,giittal,
und mein gfelln a en tal.
d. h. ihr follt mir etwas geben, ein gut Teil, gut Teil und
meinen Gefeilen auch ein Teil.
Über die Sitte des Anklopfens zu anderen Zeiten
als um Weihnachten herum, ließe fich noch manches beibrin-
gen. Das erkennen wir ficher, das diefes Anklopfen ein we-
fentliches Moment bei gewiffen altüberlieferten, urfprünglich
heidnifchen Ceremonien war, das nicht inmier an altgehoriger
Stelle mehr haftet, fondern hier auf diefe, dort auf jene Zeil
vertragen fcheint. So erzählt Prätorius (Blockes -Berges Ver-
richtung S. 117) eine Gewohnheit der Bauern im Stifte Mün-
fter in Wcftphalen, die auf Pe tri Stuhlfeier den 22. Fe-
137
bruar Statt hatte, daß dafelbft ein Freund dem andern frühe
vor Sonnenaufgang an fein Haus fchlug und zwar mit
einer Axt zu jedem Worte des folgenden Spruches, der dabei
herkömmlich war:
Herut, herut, ßnllevogel u. f. w.
Auf hochdeutfch heiße das
Heraus, heraus, du Schwellenvogel I
Sanct Peters Stuhlfeier ift kommen,
Verbaut dir Haus und Hof und Stall,
Hausfchoppen , Schenern nnd anders all
Biß auf diefen Tag übers Jahr,
Daß hie kein Schade widerfahr.
Noch heutzutage ziehen zu Petri Stuhlfeier faß in ganz Weft-
phalen Schaaren von Knaben durch die Straßen, klopfen mit
Hämmern an die Thür jedes Haufes und fingen dabei folgen-
des Liedchen
Rint, riut, funnenfuegel !
Sünte Peiter is kumen,
Sünte Tigges wel kumen.
riut, rint, olle mius!
riut, riut, junge mius!
allet Unglück iut difem bius!
riut , riut !
Wir werden in einer andern Abhandlung diefe und andere Lie-
der und Sitten der angeflilirten Zeit näher erörtern.
Wir können bis jetzt fchon mit ziemlicher Gewisheit ver-
muten, daß jene Sitte des Anklopfens und die begleitenden
Umftände dabei auf uralter Grundlage ruhen , daß fie wol Refte
eines heidnifchen auf diefe Zeit fallenden Cultus fein müßen,
deflen weitere Überbleibfei wir aufluchen wollen, um wo mög-
lich einen tieferen Blick in Wefen und Weife diefes Cultus zu
thun.
In Schleswig und Holllein ziehen noch an vielen Or-
ten um die Weihnachtzeit die Knaben mit einem fogenann-
ten Rummelpott, Runmieltopf, herum. Das iß ein mit einer
Ochfenblafe überfpannter Topf: in die Blafe ift ein Stück Schilf-
rohr eingebunden, das aufrecht lieht. Man macht die Hand
inwendig naß, faßt das Rohe feil und läßt es fo in der Hand
138
auf und nieder gleiten , wodurch ein brummendes Geräufcfa ent-
lieht, das manRiunmeln nennt und jenem der Berliner Wald-
teufel auf dem Weihnachtmarkte gleichkommt. Überhaupt
fcheinen diefe beiden Inßrumente, Rumpehopf und Waldteufel,
nahe verwandt, wenn nicht gleich, und von gleichem uralten
Brauche zu ßammen. Nun haben in Berlin die Lieder, die ge-
wis früher dabei gefungen wurden, aufgehört: die zum Rum-
melpott gehören, leben noch. Sie lauten im Schleswigfchen :
FrukeUf mäk de dcer up
un lät de rummelpot in!
an wenn dat fchip van Holland kumt,
fo het dat moje win.
fchipper, wift du wiken ?
bosman, wift du ftriken?
fett de Tegel up de top
un gif mi wat in de rummelpot!
hallo hallo hallo !
Un as de arme lemau
to hufe kam , to hufe kam,
fin fru leg up dat her de.
fe fchicken wol hin, fe fchicken wol dar,
fe fchickten na Jacob Hänfen :
de kunn op de lute fpelen
un da können fe na danzen.
hallo hallo hallo!
Wenn die Knaben dann eine kleine Gabe erhalten haben,
fingen fi noch:
Hau de katt de fwanz af!
hau en nich to lang af!
lät en lütjen ftummel ftän,
dat de katt kan wider gän !
hallo hallo hallo!
In Eutin fingen die Kinder etwas kürzer fo:
Lischen, mäk de doer apen!
lat n rummelpot herin!
wenn dat fchip van Holland kämt,
het n goden win.
fchipper, wult du wiken?
fpelman, wult du ftriken?
fett n fegel opn top
un gü mi wat inn rummelpot!
139
und dann, wenn fie die kleine Gabe erhalten haben beim Ab-
fcbiede
Hau de katt den fwanz af!
hau en nich to lang af!
lat n lütten ßummel ftänl
morgen wöU wi wider gan.
Firmenich 3, 38. 59. Alfo auch hier ein lärmendes Getöfe
diu-ch ein Inßrument, das die Kinder tragen, die ohne weitere
Verkleidung umherziehen und Gaben fammeln.
Noch auflFalliger ift eine Gewohnheit in Schwaben, nach
der in vielen dortigen Ortfchaften die Kinder an gewiffen Ta-
gen in der Weihnachtzeit Kuh fc hellen, fo viel fie bekommen
können, an eine Schnur hängen, diefe um nehmen und fo lär-
mend, Stäbe in der Hand, den ganzen Tag im Dorfe umher-
fpringen. Meiers Sagen S. 464.
Glocken und Schellen aber, dazu oft Ketten mit de-
nen ftark geraßelt wird, trägt auch der noch an vielen Orten
Deutfchlands zur Weihnachtzeit umgehende Ruprecht, Clas,
hele Krift, wie er im Norden, Hans Muff, wie er am Nieder-
rhein als Begleiter des Bifchofs Nicolas (am Vorabende von
St. Niclas), Hans Trapp, wie er im Elfaß heißt.
Woher aber dies Kettengeraßel und diefe Glocken und
Schellen? Wie iß diefer Lärm in die den Chriften fo ftille
Weihnachtzeit gekommen?
Gehen wir einen Schritt weiter, um dies näher zu erken-
nen. Eine andere Sitte wird uns dazu helfen , die Weinhold in
den Weihnachtfpielen S. 20 beibringt. Im MöUthale nem-
lich zieht die verkleidete Berchtel am Vorabende des
Bercbtentages (6. Januar) und am Nachmittage deflelben
nach dem Segen in den Häufern herum. Sie hat gewöhnlich
einen Pelz um, eine fürchterliche hölzerne Larve vorgebunden
und trägt eine Kuhglocke oder große Schelle am
Rücken. Mit wilden mutwilligen Geberden hüpft fie im Haufe
herum , verfolgt die Leute , fragt nach dem Fleiße und der Ar-
tigkeit der Kinder und fammelt Gaben ein. Ihr Spruch da-
bei, den fie wild herausftößt, lautet
Kinder oder Speck!
derweil geh ich nit weg.
140
Zuweilen treten zwei folcher Bercfateln auf, nie aber mehr.
Diefer Umgang heißt das Berchteljagen. Hier haben wir
alfo die Berchtel felber die die Gaben einfammelt, die Göttin
Berchta, die ihre Opfer in eigener Perfon in Empfang nimmt.
Gerade daß fie in ein fo wildes Schreckbild umgewandelt ift,
hat ihr das Leben gefriftet: wäre es noch die alte milde müt-
terliche Gottin, fo würde ihr Umgang als zu heidnifcb längft
von der Klirche verpönt und unterdrückt worden fein. Als un-
fchuldige Vermummung zur Volksbeluftigung und Kinderfcheuche
wird fie geduldet. Aber ihr Umgang ift auch hier mit Lärm
verbunden und dabei fehlt auch wol das Anklopfen nicht, we-
nigftens mag es früher dabei gewefen fein. Viel lärmender aber
und allgemeiner find noch andere Umzüge, die gleiches Na-
mens auf die gleiche Göttin gehen.
Im Pinzgau ziehen in den Rauchnächten*) bei hun-
dert bis dreihundert Burfche bei heUem Tage in den poffier-
lichftcn Masken mit Kuhglocken und knallenden Peit-
fchen verfehen und mit allen Arten von Gewehren bewaffnet
umher und diefes nennen fie das Berchten, das Berchten-
laufen oder den Berchten tanz, fich felbft aber die Berch-
ten. (Schm. 1, 185). Im Gafteinerthale geht der Zug, den
Burfche bis zu dreihundert bilden, von Ort zu Ort, von Haus
zu Haus j durch das ganze Thal hüpfend und fpringend. Myth.
1 Ausg. S. 171.» An die Stelle des Anklopfens an jedem Haufe
einzeln fehen wir alfo hier einen Zug mit allgemeinerem Lärme,
der in größerem Maßßabe von Ort zu Ort fich bewegt, an
dem alfo nicht die Glieder einer einzigen Ortfchaft allein be-
teiligt find, fondern der von mehreren Ortfchaften gebildet wird,
und der, wie wild und regellos er jetzt auch ausgeiiihrt wird,
wo die inneren Zufammenhänge vergeßen find, fich doch noch
immer aus der Verwildeming heraus als ein Feftzug zu Ehren
der alten Göttin zu erkennen gibt, deren Namen daran noch
haftet.
*) Die Rauchnächte And die zwölf Nächte oder überhaupt die Zeit
zwifchen Weihnachten und heil. Dreikönige. Warum Rauchnächte? Wol
vom Ausrauchen, das jährlich in diefer Zeit Statt fand, wo in den Wohn-
ßuben , Ställen u. f. w. unter gewiflen Gebeten und Ceremonien Weihrauch
angezündet ward. Die Geiftlichen fchreiben dabei mit geweihter Kreide
die Anfangsbuchdaben der heiligen drei Könige C. M. B. an die Thüren.
141
Diefem Berchtenlaufen in den bairifchen und falzburgi-
fchen Alpen vergleicht fich die fogenannte Poßerlijagd der
Entlebucher in der Schweiz, die nach alter Sitte Donners-
tag in der vorletzten Woche vor Weihnachten vor
fich geht. Auf den Abend fammeln fich die meißen Jungge-
fellen und jungen Männer jeder Pfarre in ihren Dörfern und
kommen mit einander überein, in welche Gemeinde fie hinzie-
hen wollen. Gemeiniglich geht der Zug dahin, von wober im
verfloßenen Jahre fie auch einen Befuch bekommen hatten. Nun
ertönt ein Ohren betäubendes Durcheinanderlärmen von Kühe-
trücheln (einer Art Gabel, die man den Thieren an den Hals
hängt, damit fie die Zäune nicht durchbrechen), von Ziegen-
fchellen, von Keßeln und Pfannen, es knallen armsdicke und
klafterlange Geifeln, meflingene und eiferne Bleche werden an
einander gefchlagen, Alp- und Waldhörner machen das Getöfe
noch verworrener, — und fo geht der Zug von mehr als hun-
dert nervigen Jungen, deren jeder etwas zum Tumulte beiträgt,
unter einem allgemeinen, Berg und Thal erfchreckenden Ge-
brülle nach dem befl;immten Orte. Da fteht fchon voll fro-
her Erwartung eine große Anzahl rüftiger Jünglinge im Dorfe.
Nähert fich der wilde Zug, dann verdoppelt fich das Geräusch
von allen Seiten. In einer langen Keihe ziehen die Gäße unter
beftändigem Jolen, Schreien, Klatfchen, Schellen und Homen
ins Dorf. Einer aus diefer Truppe Hellt das Poßerli (ein Ge-
fpenß, eine Art Unhold) in Geftalt einer alten Hexe oder ei-
ner alten Ziege oder eines Efels vor, bisweilen aber fchleppt
man diefe pofiierliche Figur auf einem Schlitten nach. In ei-
ner Ecke des Dorfs läßt man das Gefpenft zmrück und das
Ins Rauchen gehen heißt zn diefem Behufe iu den Häufem hemmgehen.
Anch das Zeltenbrot (Klözenbrot) wird in den drei heiligden Ranchnächten
(Chrlftabend , Neujahrs und Dreikönigsabend) eingeräucht, d. i. Brot
welches mit gedörrten Birnen vermengt ift, das in Baiern zu Weihnachten
gebacken wird wie in andern Gegenden die Schittchen, Stollen und wie man
es fonA heißt. Die Mädchen im Pangan befchenken in der Rumpelnacht
(Chrißnacht) ihre Liebhaber mit Klözenfcherzen d. i. einem Stück diefes Klö-
zenbrodes. Der Ränchwecken heißt in München eine Art Brot,
das zur Zeit der Rauchnächte gebacken wijd. Schmeller 3, 12 fgg. 2, 365.
fg. Sonach wären Rauchnächte der Bedeutung nach fad ganz dasfelbe (nur
zeitlich erweitert) wie Weihnachten.
142
korybautifche Durcbeinauder hört auf. Stalders fchweizerifches
Idiotikon f. v. PofterU 1. S. 208 fg.
Es kann keinen Augenblick zweifelhaft fein, daß diefe aus
uralter Zeit ftammende Sitte der Endebucher wiederum den
Umzug jener heidnifchen Göttin darfteilt, der zu Eh-
ren wir oben den geräufchvoUcn Berchtentanz auffuhrea faheu,
alfo der Berchta, die hier zu einer alten Hexe eingefchrumpft
iß, die man zuweilen auf einem Schlitten mitfuhrt*). Daß der
Zug hier vor Weihnachten, dort in die Zeit zwifchen Weih-
nachten und Großneujahr fallt, darf uns nicht Wunder neh-
men, fehen wir doch die meiften alten Weihnachtbräuche zwi-
fchen diefer Zeit wechfeln, fahcn wir doch den gleichen Fall
bei jener Sitte des Anklopfens, die nur noch als eine fch wache
Erinnerung gegenüber diefem bedeutenderen Überbleibfel des
Heidentums zu betrachten ift**).
Wie wir jenem Anklopfen auch außerhalb der Weihnacht-
zeit begegneten (wovon an einem andern Orte ausfuhrlich ge-
handelt und der Grund angegeben werden foll), fo finden wir
die letztere hier erwähnte Sitte noch zu anderer Zeit und zwar
in der Schweiz wieder, nemlich am Hirßmontag d. i. der
*) Man fuhrt lie mit lieh nud läßt lie allein im andern Dorfe ßehen.
Da8 fcheint nicht ohne Bedeutung. Mußen früher vielleicht die Bewohner
des Dorfes, in dem Ae nun Hand, (ie wiederum weiter führen? Man kann
ßch dabei des Gedankens an jene Meldung Rodulfs nicht entfchlagen über
das Landfchiff, das in Ripuarien erbaut durch Limburg nach der Hesbanja
geführt wurde f von Ort zu Ort unter dem Jubel des Volks , und das nirgend
bleiben, fondem immer weiter gebracht werden muße : quod locus ille et
inhabitantes probrofo nomine amplius notarentur, apud quos remanßrfe in-
veniretur« Die Qöttin, der zu Ehren dies Schi£f umgeführt ward, ift diefelbe
der das oben befchriebene Jagen gilt, die Berchta.
**) InterelTant und für tiefere ZuTammenhänge von Bedeutung ill übri-
gens, daß der Ausdruck pollernächten oder poßernächteln in der
Schweiz für eine zu andrer Zeit abgehaltene Feier gilt, nemlich auf den Ber-
ner Alpen, wenn man mit dem Vieh einen andern Stafel (d. i. Abteilung ei-
ner Alpweide) bezieht oder wenn man die Alp verläßt. Schon lange vorher
fammeln die jungen Älper Holz , das ße oft Stunden weit vorn an den Band
eines hohen FelTens tragen, der das ganze unten liegende Thal beherrfcht,
richten dafclbft einen mächtigen Hol/.il<)ß auf, zünden deufelben bei anbre-
chender Nacht an und endlich laßen lie die glühenden Klötze von der Höhe
herunter rollen, was den Thalbewohnern ein Tchönes Schaufpiel gewährt.
Diefes Schüren von folchen Freudenfeuern nennt man im Berner Oberlande
143
letzte Montag in der Carnevalzeit. Da läuft eine yermummte
Perfon, der fogenannte Hirßnarr herum. Von den Entlebu-
chern ward alljährlich an diefem Tage in allen Gemeinen der
fogenannte Hirßmontagbrief abgefungen. Das war ein
Stachelgedicht von Knittelriemen im Landesdialect und regel-
lofem Versbau, welches aus einem Eingange, aus den Poffen,
dem Dorfirufe und endlich dem Befchluße beßand. Das Abfin-
gen gefchah auf öffenthchem Platze. Danach folgte der Hirß-
mändigfchwung oder Hirßmändigftoß. Es bildeten nem-
lieh zwei benachbarte Gemeinden eine Schlachtordnung gegen
einander, öfters fianden zwei bis dreihundert Jünglinge und
Männer auf jeder Seite und in enggefchloßenen Gliedern rück-
ten fie auf einander. Welche Partei die andere zurückgeftoßen
d. i. zum, Weichen gebracht hatte, war Sieger und das EUind-
gemenge hörte auf. Stalder 2, 45 f. v. Hirsmändig.
Es wäre nun interelTant, wenn wir gerade in der Schweiz
eine noch haftende Sitte beibringen konnten, in der diefe fati-
rifchen Züge, die wir hier für die Faden finden, auch in der
Neujahrszeit fich zeigten. Wir hätten darin eine notwendige
Ergänzung zu jenem geräufchvoUen Umzüge, den die Entlebu-
cher unter dem Namen Pofterhjagd veranllalten und fomit (wir
dürfen es wol behaupten) eine in größerem Maßfiabe ausge-
führte, ältere und urfprünglichere Darßellung jener Klopfan und
des damit verbundenen Treibens. Und in der That können
wir folch eine Sitte beibringen: wir meinen das bis heute noch
im fchwyzerifchen Bezirke March am Silvefterabende geübte
Broekenund Zu fc hellen. Das hat folgenden Vorgang. Beim
Zunachten (wenn es fchon dunkel ifi) konunen an einem be-
pofternächten, Denfelben Ausdruck kennen die Entlebucher , aber in der
Bedeutung mit feinen Nachbarn eine frohe Nacht in Saus und Braus zubrin-
gen, ehe man vom Berge mit der Heerde wieder zu Thal fahrt. Stalder 1,
209 fg. Alfo Freudenfeuer und Schmaus nach der Sommerzeit gleichfam als
Emtedank: das Rollen der Klotze vergleicht fich dem Rollen der Räder von
den Bergen in andern Gegenden (f. Jac. Grimms Mythol. 1 Ausg. S. 352 ^g.)
und der Wepelrot im Saterlande (Kuhn nordd. Sagen S. 406 fg. mit Anm.
S. 518) die zu Neujahr geworfen wird. Die Zufammenftimmung des Na-
mens (Pofterlijagd , po de mächten) läßt diefelbe Gottheit vermuten, der zu
Ehr^n beides gefchah , wol jener Berclita : denn an Frö zu decken (Wolf
Beitr. zur d. Myth. 1 , 115) ift nicht ausdrücklich nötig. Vgl. Schade Urfula-
läge S. 92. 120. Darüber an einem andern Orte ausführlich.
144
(timmten nicht erhellten Platze zuerll zwei oder drei junge Leute
zufammen, um das Zufchellen anzublafen. Sie haben dazu ein
Blasinfirument von fchrillem Tone, z. B. einen Clarinettenfchna-
bel, ein Hörnchen, einen Bücbel (d. i. ein uraltes fchalmeien-
artigcs Inflrument, das auf dem See geblafen wird). Auf dies
Signal gefellen fich nach und nach immer mehrere zu ihnen,
oft bis achtzig Mann, verfehen mit verfchiedenartigen Blasin-
Itrumenten, aber auch mit Ketten, Kuchenblechen (an die mit
eifemen Stäbchen gefchlagen wird) und verfchiedenartigen Schel-
len, unter denen nie eine oder zwei Sentefchellen (das find die
das Leitthier trägt) fehlen dürfen. Auch Tronuneln nimmt man
mit und Retfchen und fonßige Schlaginlhnmente, Triangeln u.
dgl. Wenn alle beifammen find, beginnt der Umzug. Man
vermeidet forgfältig alle Straßen, in denen ein Todtkranker
oder ein Geflorbener liegt. DiePerfonen find vermummt, meiß
in Frauenkleider. Sie ziehen lärmend vor die Häufer derer,
die durch einen groben Verfloß die öffentliche Meinung belei-
digt haben, fie feien Frauen oder Männer, die alfo durch Geiz,
Prozessfucht, Hurerei, getrennte Ehe ohne rechtliche Scheidung
und andere Laßer gegen den moralifchen Sinn der Bevölkerung
gefundigt haben, ohne deswegen von der Jußiz belangt worden
zu fein. Auf dem ganzen Wege wird mit allen oben genannten
Inßrumenten ein fortwährendes, unauslöfchliches Getöfe gemacht,
ein Lärm, als wenn das wilde Heer losgelaßen wäre. Vor-
witzige, die durch das Getöfe neugierig gemacht, aus denFen-
ßern fehen, werden mit Lappen, die man in GKille (Mißjauche)
getaucht und an Stangen befeßigt hat, berieben oder fie wer-
den gar mit derfelben Ingredienz aus umgekehrten Schellen und
Töpfen begoßen. So rücken fie den Betreffenden vors Haus.
Zuerß wird da auf die angegebene Art muficiert, dann ein Ab-
fatz gemacht und Einer aus der Menge fängt an zu bröken, d.
i. mit verßellter Stimme zu fprechen, entweder in Profa, mit-
unter auch in Knittelverfen. In diefer Rede werden mit der-
bem, körnigem Volks witze die Vergehungen desjenigen, dem
man brökt, dargelegt und durchgezogen. Wenn der Erße ge-
endet hat, tritt die Mufik wieder ein. Dann beginnt ein An-
derer, darauf folgt wieder Mufik und fo gchts fort bis der Gc-
genßand erfchöpft iß. Dabei wird noch anderer Unfug getrie-
beQ, an die Thürcn und Fenßer gefchlagen, das Haus befchmutzt
u. f. f. Dann rückt man weiter zu einem Andern und derfelbe
145
Vorgang wiederholt lieh. Das geht in diefer Weife bis Mit-
temacht und oft noch darüber hinaus. Konunt der Zug an
eine Straße, die in die Mark ausmündet, fo zieht man hin*
aus aufs Feld, am liebllen auf einen erhöhten Punct und
lärmt, damit die Nachbargemeinde es höre. Die Sitte wird
hauptfachlich am Silvelterabende und am Abende vor dem Drei-
königstage, aber auch an den drei großen Fasnachttagen (dem
fchmutzigen Donnerstag, Gügelimontag und Fasnachtdienstag)
und am erßen Faßenfonntage (Altfasnacht) geübt
- Bei diefer Volksfitte ift noch der Umßand nicht außer
Augen zu laßen, daß alle Stände ohne Ausnahme am Umzüge
fich beteiligen und daß felbfl die erßen obrigkeitlichen Perfonen
des Ortes oder Bezirks üch nicht ausfchließen. Es ift ^h^ ein
altes Volksrecht, das üch keiner nehmen läßt, das durch die
Teilnahme der von Rechtswegen beftellten Richter fanctioniert
wird. Die etwa dagegen ergehenden Verbote find nicht wort-
lich zu nehmen und beziehen fich mehr auf jene fchmutzigen
Extravaganzen als auf den Kern der Sitte felbft. Freilich mö-
gen jene häufig das Maß fo überfchritten haben, daß deshalb
an vielen andern Orteti die ganze Sitte in Miscredit gekommen
ift und fich endlich verloren hat.
Das Alter diefes Umzugs belangend, fo werden wir uns
nicht täufchen, wenn wir auch feine Anfänge in uralt heidni-
fchem Glauben und Leben fuchen. Das Hinausziehen auf die
Mark ift ein höchß bedeutfamer Zug, wenn er auch verftiimmelt
fein mag, zufammen gehalten mit jener fogenannten Pofterlijagd.
Und ftinmit der Lärm nicht zum Getöfe des um diefelbe Zeit
umfahrenden wütenden Heeres? Ja fcheint es nicht, als ob er
in diefem fein Vorbild hätte? Ob das fatirifche Element dabei
eben fo alt und eben fo volkstümlich fei, — die Beantwortung
diefer Frage bleiben wir für jetzt fchtildig. Das aber ift un<-
läugbar, daß jene Klopfanfitte nur eine verfeinerte Abfchwächung
des lauteren und allgemeineren Umzuges ift, der den letzter-
wähnten Bräuchen zu Grunde liegt.
Zum Befchluße noch ein paar fprachliche Bemerkungen
oder, wenn man will, nur Vermutung^!.
Das fchweizerifche klapf bedeutet, ganz wie hoU. klap
und engL clap einen Knall, Schall und dann einen fchallenden
Sdilag mit der flachen Hand (Klaps); kläpfen heißt fchlagen,
daß es fchallt, klapfen, mit der Peitfche knallen, natürlich auch
WeHmmr, Jb. 11 20
146
in der Forn klopfen; die klepfe ift eine kupferne Schelle.
Auch das Frequent. mit doppeltem confonantifchem Umlaute (ff
für pf) kleffelen, klöf feien heißt einen klappernden Ton
von fich geben; der kleffen ift klappernder Schlag, die klef-
fele, kloffele eine Klapper, bef. aber ein Bretchen, durch
defTen Mitte eine Handhabe geht, woran ein doppelköpfiger
Klöpfel angebracht ift, der von einer Seite des Bretchens auf
die andere Seite übergeworfen werden kann und bei den Ka*
tholiken in der Charwocfae ftatt einer Klingel gebräuchlich ift.
Diefelbe Sache zu gleichem Gebrauche heißt in Baiem das
kläpflein, klöpflein. Nun kommen aber beide Formen,
die in pf und in ff in abgezogener Bedeutung vor: kläpfen
und klopfen fchwatzen, die klepf, klepfe Alltagsfchwätzerin,
männlich klepfer, klepfi; klepfig, klepfhaft gefchwätzig,
ausklepfen ausfch watzen, verklepfen verfchwatzen, verleum-
den und davon ver klepfer, verklepferin. Ebcnfo heißt
kleffelen plaudern und diefe Bedeutung hat kleffelig, klef-
fei er, kleffeli. Aber auch die nicht umgelautete Form mit
dem Ablautvocale o hat diefe Bedeutung: klopfen niedrig
wafchhaft fein, Tagesneuigkeiten herumtragen, klatfchen u. fo
ausklopfen, verklopfen, klopfig, geklopf, die klopfe
wafchhafbes Weib, klopfhaus ein Haus wo man die Stadtge-
rüchte durchfpricht und dann in vermehrter Auflage verfchleppt.
In der Schweiz findet fich aber auch die unverfchobene Form
in pp klappern im Sinne von plaudern, klapperer, klap-
pertäfch, klapperig, klapperfaaft. Unfer jetzt gebräuch-
liches hochdeutfches klatfchen, klatfche, klätfcher, klat-
fchig, klatfchhaft beruht auf demfelben Übergange der Be-
deutung vom laut fchallen den Tone zur verläumderifcfaen Plau-
derei. Wenn man im Auge behält, daß die Wandlung der
Wortbedeutungen vielfach wie mit dem Glauben, fo mit der
Sitte des Volkes in Berührung fteht, fo ift es gar nicht un-
wahrfcheinlich , daß das hier in Rede ftehende Wort feine ver-
fchiedene Bedeutung durch jene weitläufig befprochenen, in das
Leben und den Glauben des Volks tief eingreifenden Sitten er-
halten habe, alfo von den mit fatirifchen Schmähreden verbun-
denem Ijärme, der fich zu gewiflen Zeiten wiederholte und in
urfprünglich mythifchen Vorftellungen feinen Grund hatte. Wir
fehen daraus zugleich, daß bei der Bezeichnung Klopf an nicht
an ein bloßes Anklopfen in unferem heutigen Sinne zu denken iß,
147
fondern an ein größeres, lauteres und allgemeineres Geräufcb,
das wir im unzertrennlichen Zufammenhange mit Bräuchen ge-
funden haben, die ins Heidentum fich verlaufen, daß wir ferner
für diefe Klopfan die Bedeutung von Schmähreden feßhalten
müßen und daß ihre Verbreitung viel weiter war, als wir auf
den erden Blick anzunehmen geneigt fein mochten.
Wir hätten fomit aus zerfprengten Reiten unferes alten
Glaubens, wie fie fich in Volksbräuchen noch immer lebendig,
wenn auch unbewust, bis auf den heutigen Tag erhalten ha-
ben, jene eigentümliche und fchöne Art von Neujahrswünfchen
als eine in altheidnifchem Wefen wurzelnde und aus mythifchem
Boden entfproßene Sitte erkannt. Wir haben für diesmal nur
diefe eine Erfcheinung aus dem weiten und überreichen Neu-
jahrscyclus ausheben und in ihren Verzweigungen verfolgen kön-
nen. Möge der freundliche Lefer diefe Darllellung als Neu-
jahrsgabe von uns annehmen und dazu in Worten Rofenbluts
unfern herzlichllen Glückwunfeh:
Als vil ßern am himel (tan,
als manig g&ts jar ge dich an!
als vil tropfen im mer fein,
als manig engel pflegen dein!
10
VI.
DIE MUSIK.
KUBZE DARSTELLUNG IHRES WESENS
UND
IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKELUNG.
VON
D«. KARL EMIL SCHNEIDER.
Die menschliche Phantafie wird bei dem Streben, dem Scho-
nen in den einzelnen Künsten eine ausdrucksvolle Verkörperung
zu geben, immer mehr von außen nach innen, vom umfang-
reichen Stoffe zu dessen Verdünnung und Verklärung, vom
festen, gleichzeitigen Bilde im Räume zur successiven Darstel-
lung in der Zeit, von der sinnlichen Anschauung in das Reich
der Empfindung und des Gedankens fortgeleitet. Die drei, der
Musik vorangehenden Künste, Baukunst nebst Gartenkunst,
Bildhauerei und Malerei, formen ihre Werke im rohen Stoffe,
stellen sie, in sich geschlossen und unbeweglich, in den Raum
und richten sich dabei, wenn jene genossen werden sollen, an
das Auge des Betrachtenden. Deshalb nennt man diese Künste
die bildenden. In der Musik nun wird dies ganze Gebiet des
Stoffes, des Raumes verlassen: der Stoff wird nicht mehr in
seiner Schwere und harten Festigkeit, nicht mehr in seinen
raumerfüllenden Massen genommen, wie in der Architektur und
Plastik, ja nicht einmal mehr in der Verdünnung zum farbigen
Scheine, wie in der Malerei: sondern in seine Innerlichkeit, so
zu sagen, wird er zurückgeführt, seine Seele soll er sprechen
lassen, sein geheimstes Leben offenbaren; mit andern Worten:
149
man läset den Stoff sich in sich selbst bewegen, in seinem har-
ten Gefuge erzittern,' d. h. tönen. Dies geschieht, indem man
ihn entweder zu langen, fadendünnen Walzen, den sogenann-
ten Saiten, auszieht, oder ihn zur umschließenden Wand cy-
linderformiger Röhren rundet. Im ersten Falle setzt man den
so geformten Körper selbst, im zweiten die von ihm einge-
schlossene Luftsäule in Bewegung, die dann die einschließende
Wand mit der umgebenden Luftschicht in Schwingung bringt
und, sich in Wellen weiter und weiter ausbreitend, auch un-
ser Ohr trifft. Dies ist alsdann der sogenannte Ton, der schöne
Klang, das Darstellungsmittel der Musik. In solchen Tönen
arbeitet diese Kunst, Töne giebt sie uns in ihren Werken zu
hören.
Der Ton ist aber nicht etwas mit einem Mal fertig Vor-
räthiges, starr im Räume Befestigtes: er muss vielmehr immer
erst hervorgebracht werden, bedarf mithin der Zeit um zu ent-
stehen, um eine gewisse Weile zu dauern, und verschwebt auch
wieder mit der Zeit, wie diese selbst vorübergeht. Daraus
folgt sofort, dass eine Reihefolge von Tönen, also ein ganzes
Musikwerk, gleichfalls eine bestimmte Zeitdauer nöthig hat,
um sich vor den Zuhörern zu entfalten und zu vollenden, dass
mithin die Musik überhaupt an das Nacheinander der Zeit
gewiesen ist, während ein Werk der bildenden Kunstfertig und
unveränderlich im Stoffe und Räume dasteht. Natürlich erfor-
dert jede Wiederholung eines Musikstückes oder die Aufiuh-
rung jedes neuen einen neuen Zeitabschnitt; und nur, indem
sich der Zuhörer das ganze vorübergegangene Tongebilde durch
das Erinnerungsvermögen noch ein Mal zusammenfassend vor-
fuhrt, tritt es ähnlich wie ein plastisches Bildwerk, in seinem
Totalnmfange vor ihn und kann nur in dieser zusammengrei-
fenden Vergegenwärtigung nach seinem Kunstwerthe geschätzt,
wie als vergeistigter Eindruck nachempfunden werden.
Aber auch jeder einzelne Ton in der Musik ist von ganz
bestimmter Zeitdauer, also scharfgemessen und begrenzt: denn
nur so wird er, im Unterschiede von dem rohen Naturlaute,
zum kunstschönen Darstellungsorgane. Ebenso sind sämmtliche
musikalische Töne unter sich in genaue Zeitgrenzen gefasst
und nach mathematisch strengen Gesetzen zusammengestellt.
Solch eine Zusammenstellung zusammengehöriger, wohlklingen-
der Töne heißt ein Akkord, eine Harmonie, während eine
150
fortlaufende gemessene Reihe einfacher Töne Melodie genannt
wird. Aber auch der gesammte, aus Melodie und Harmonie
gebildete Fluss der Musik, die vielstimmige Verschlingung ei-
nes Tonwerkes , bewegt sich in gemessenem Gange und ist nach
bestimmten Gesetzen eingetheilt, was den Takt, den Rhythmus
und das Zeitmaß oder Tempo ergiebt. Gerade deshalb nun,
weil das kiinstlerische Schaffen in der Musik ein gesetzmäßi-
ges Zusammenstellen von Tönen ist, nennt man es Komponi-
ren, das fertige Werk eine Komposition und den produciren-
den Kiinstler selbst einen Komponisten. Der Inbegriff der Re-
geln aber, wonach die musikalische Komposition zu verfahren
hat, heißt Kompositionslehre, Harmonielehre oder Generalbass,
oder auch, wenn man ihr die Praxis der tönenden Musikauf-
f&hrungen entgegenstellt, Theorie der Musik.
Trotzdem nun, dass der musikalische Ton auf kiinstlicfae
Weise hervorgebracht wird und streng gemessen ist, bleibt er
doch immer etwas Dunkles, geheimnissvoll Vieldeutiges. Der
Ton sagt nichts aus, giebt unserem innern Anschauungsvermö-
gen keine Vorstellung, fuhrt unserm Gedanken keinen Begriff
zu: er ist bloß ein mechanisches Erzittern des Stoffes und,
durch die mitschwingende Luft fortgepflanzt , ein sinnlich wohl-
thuendes Erregungsmittel unserer Gehörnerven. Klarheit und
verstandlichen Inhalt bringt erst das Wort, dies Darstellungs-
mitte] der letzten und höchsten Kunst, der Poesie: denn mit
dem Worte haben wir auch sogleich einen Begriff, ein Bild
dessen, was es bezeichnet. Auf diese Weise steht der musi-
kalische Ton gerade in der Mitte zwischen dem schweren Stoffe
der bildenden Künste und dem klaren , geistdurchhauchten
Worte der Dichtkunst. Und diese Stellung des Tones ist ganz
entsprechend demjenigen Gebiete der schönen Kunstdarstellung,
worin gerade das Wesen und die Aufgabe der Musik beruht,
nämlich der Empfindung. Die bildenden Künste zeigen uns
feingeformte Massen, schöngebildete Menschengestalten, charak-
teristische Gruppen und Scenen: in allen dreien ist noch der
Stoff oder die stofiliche Formgebung die Hauptsache. Die
beiden tonischen Künste dagegen, Musik und Poesie, dringen
von der bloßen Gestalt oder der stofflichen Außenwelt in des
Menschen Inneres, und zwar so, dass der Musik die Vorstufe
dieser Innerlichkeit, die Empfindung, das Gemüthsleben, der
Poesie dagegen die reife, entschleierte Innerlichkeit in ihrem
151
klar ausgesprochenen Gepräge anheimfallt, (L h. der geistge-
borene Gedanke, die gottgezeugte Idee.
In dieser aufsteigenden Entwickelungsreihe der einzelnen
Künste entspricht das Gebiet einer jeden genau dem Darstel-
lungsmittel, wodurch sie ihre Aufgabe im Kunstwerk verwirk-
licht Ist die Aufgabe der bildenden Künste ein Bauwerk, eine
Statue, ein Gemälde — Alles noch stoffliche Gegenstände —
so bietet sich der schwere Stoff diesen Künsten selbst als Dar-
stellungsmittel an. Ist auf der andern Seite das Reich der
Dichtkunst die geistbelebte Innerlichkeit des Menschen, die in
Handlungen und Kämpfen sich durchfuhrende Idee, so konunt
dieser Aufgabe das geistige Woi*t als Ausürucksorgan wie von
selbst entgegen. Ebenso die Musik. Ihr Bereich ist die Em-
pfindung, die Gemüthserregung, die es Angesichts der beweg-
ten Außenwelt noch nicht zu klaren Gedanken, zu bestimmten
Entschlüssen, zu festen Thaten bringt, sondern sich nur zu
Ahnungen, zu dunkeln Vorstellungen anregen lässt und so gleich-
sam in der Nacht , in der Dämmerung vor der ansehenden
Tageshelle stehen bleibt, zu welcher der selbstbewusste Geist
mit dem klaren Gedanken, mit der freien Idee erwacht. Diese
erste, elementare Seite des menschhchen Innern, diese Na-
turstufe des Geistes, die sich nur erst in der sinnlich weben-
den Empfindung äußert, die als bloßes Gefühl schon im Na-
men (von fühlen) ihr sinnlich dunkles Keich andeutet, sie ist
die eigentliche Provinz, die specifische Aufgabe der Musik.
Wer erkennt nicht, dass gerade der in sich erzitternde, erto-
nende Körper das entsprechende Gegenbild dieses Gebietes ist?
Der rohe Stoff der bildenden Künste ist in seiner massiven
Schwere und Härte überwunden: das Keich der bloßen Form-
gestaltung hat die Musik bereits im Kücken. Andrerseits aber
ist das geistige Wort, zu welchem sich die organische Stoff-
welt als zu ihrem höchsten Aeußerungsmittel erhebt (das Wort
entsteht aus der Bewegung der körperlichen Sprachwerkzeuge
und aus der dieselben leitenden geistigen Beseelung) noch nicht
erreicht: die Poesie, als die höchste Kunstform, liegt über die
Musik noch hinaus, die Musik hat diese Stufe noch vor sich.
Da gerade konunt der Musik mit ihrer dunkeln Empfindungs-
welt der ebenso dunkle Ton des schwingenden Körpers entge-
gen, ^richt mit seiner tönenden Innerlichkeit die beseelte In-
nerlichkeit des menschlichen Gemüthslebens aus und giebt sich
152
in der klingenden Menschenstimme, dieser Mischung von or-
ganischem Stoff und gemüthvoUem Innenleben, seinen reinsten
Ausdruck.
Aus dem Reichthum der menschlichen Empfindung nun,
zu der das Gemüth sich Angesichts jeder Erscheinung der
Wirklichkeit, bei jedem äußern Eindruck, bei jedem eignen
Erlebniss, angeregt fühlt, ist sowohl die Menge musikalischer
Tonmittel, als auch die große Mannigfaltigkeit der Gattungen
der Musik zu erklären. Von beiden hier in der Kürze das
Nothige.
1. Die musikalischen Tonmittel. Das älteste und
naturgemäßeste derselben ist offenbar die menschliche Stimme,
die Sing stimme, die sich zunächst wieder in zwei weibliche
spaltet, mit vorherrschender Innerlichkeit oder Weichheit, den
Sopran oder Diskant, für erregte, mehr nach außen gehende
Stimmungen, und den Alt, für gehaltene, ernstere Gegenstände;
sodann in zwei männliche, Ausdrucksorgane männlicher Stärke
undThat: den Tenor, dessen Charakter jugendlich, ritterlich,
schwärmerisch sentimental ist, und den Bass, diesen Reprä-
sentanten der Würde, der Kraft, der Macht. Der Bariton,
eine sehr häufige, besonders in der neuern Musik zur Geltung
gekommene Männerstimme, liegt zwischen dem Tenor und dem
Bass und verschmelzt die extremen Stimmungen beider in sei-
nem sonoren Wohlklang. Die Vereinigung der vier erstge-
nannten, stehend gewordenen Stimmen zur zusammenwirkenden
Masse bildet den Chor; den Gesang einer einzelnen Sing-
stimme aber nennt man, der Gesammtheit gegenüber, Solo-
Gesang.
Unter den musikalischen Instrumenten, deren Inbegriff
Orchester heißt, wie wir es im Koncert, im Theater hören,
stehen an der äußersten Grenze kunstschoner Tonbildung:
Leyer, Zither, Guitarre, Harfe und ähnliche, und andrerseits
Trommel, Pauke, Triangel, Becken u. s. w., die sämmtlich
nur zur Begleitung oder Verstärkung der Kunstmusik dienen
und eine selbstständige Musik nur bei den unkünstlerischen
Wilden ausmachen. Von den Blaseinstrumenten aus Holz
hat die Flöte einen gehauchten, säuselnden, schwindsüchtigen
Ton, die kleine, hohe Pikkoloflöte einen schrill pfeifenden.
Der Klang der Oboe ist quäkend, halb naseweis, der der Kla-
rinette dick und plump: man hört ihm an, dass er aus vollen
153
Backen kommt. Das tiefere Fagott hat etwas Dumpfes, Wol-
liges im Tone. Blaseinstrumente aus Blech sind das ebenso
elegisch weiche als gellende und dröhnende Hörn; mit hell-
schmetterndem Metallklange, gleichsam siegreich und triumphi-
rend, ertönt die Trompete, während der Charakter der Po-
saune Feierlichkeit ist mit dem metallischen Beiklange der
Kraft. Der Zusammentritt sämmtlicher Blasoinstrumente bildet
die sogenannte Hörn- oder Militärmusik, — Der Ton der
Saiten-, Streich- oder Bogeninstrumente ist fließen-
der und schwebender, auch modulationsfähiger und seelenvol-
ler als der der Blaseinstrumente. Die Violine oder Geige, das
technisch ausgebildetste Instrument und die Primadonna im
Orchester, tritt mit einer Art von Glanz, von Selbstbewusst-
sein auf und steht gern melodiefuhrend über der Instrumental-
masse, um dieselbe zu leiten und vorwärts zu treiben. Die
Bratsche, von der mittleren Tonlage des Alt und Tenor, ist
polternd und altfränkisch und hat etwas von der Unbeholfen-
heit und Geschwätzigkeit alter Weiber; dabei ist sie aber gut-
miithig und unschädlich: Grazie und Leidenschaft der Jugend
sind längst verflogen. Schön männlich dagegen, geistreich, fast
nobel ist das Auftreten des Cellos oder Violoncells, während
der hohe, mächtige Kontrabass, scherzweise Brummbass ge-
nannt, sich als grundfesten, unverrückbar sichern Führer des
ganzen Orchesterschwarmes hervorthut.
Weit umfangreicher als die eben angeführten Instrumente
sind Klavier und Orgel, jenes ein Saiteninstrument mit Ta-
sten, diese, die Orgel, nach der Theorie der Blaseinstrumente
gebaut und ebenfalls mit Tastatur versehen. Das Klavier oder
Pianoforte, das ziemlich den ganzen Umfang der Blase- und
Streichinstrumente in sich vereinigt, miacht durch diesen Ton-
reichthum das gleichzeitige Spiel von Melodie und Harmonie
und mithin die Ausfuhrung vollstimmiger Musikwerke möglich.
Daher kommt ihm sein allgemeiner häuslicher Gebrauch, die
liebevolle Privatpflege, die vielseitige Anwendbarkeit, so dass
es selbst — man denke an die sogenannten Klavierausziige —
als Ersatzmittel für umfassende Gesang- und Orchesterkompo-
sitionen dient; daher konunt ihm endlich seine reichhaltige Li-
teratur mit ihrer unerschöpflichen Produktivität und dem un-
übersehbaren Wachsthum. Am dankbarsten jedoch erweist es
sich zur Einübung und Begleitung des Gesanges, wobei aber
154
seine Rolle nicht die eines gleichgiiltigen Nebenläufers, son-
dern die eines vervollständigenden Tonmalers ist, der die ly-
rische Situation, im innigsten Einklänge mit der Singstimme,
zum plastischen Seelengemälde herauszugestalten hat. Trotz-
dem aber ist dies Instrument von einer gewissen Armuth an
Modulation, von seelenloser Monotonie, die nur durch ein sehr
geföhlvoUes Spiel und eine besondere Kunst des Anschlags ge-
mildert werden kann, nicht freizusprechen. Die Orgel endlich
ist das umfangreichste, kunstvollste Instrument. Aus einer
Menge von Pfeifen, Registern mit verschiedener Klangfarbe,
aus mehreren Klaviaturen und einem Pedal bestehend, rauscht
ihre vollstimmige Tonmasse wie ein Hymnus aus höherer Welt
durch die weiten Hallen unserer Dome — ein würdiger, groß-
artiger Leiter des feierlichen Gemeindegesanges zum Lobe des
Höchsten.
2. Hinsichtlich der Gattungen zerfällt die Musik zu-
vörderst in die beiden Hauptunterschiede der Vokal- und In-
strumentalmusik. Von den Unterarten der Vokal- oder Ge-
sangmusik (mit oder ohne Begleitung) ist die ursprüngUchste
das Lied, diese einfache, ansprechende Melodie, von mäßigem,
bestimmtem Umfange und von naiver, rührend treuherziger Ein-
falt und warmer Empfindung. So besonders das Volkslied,
worin ein noch naturwüchsiges Geschlecht — man denke an
Slaven und Schotten, Schweizer und Tyroler — seine geheim-
sten Herzensregungen, seine innige Naturliebe, seine ruhmvolle
Geschichte ausspricht. Deshalb ist das einfache Lied auch die
Grundform und der Einheitspunkt für die beiden auseinander-
gehenden Zweige der geistlichen und weltlichen Musik, sowie
für die ganze Instrumentalmusik geworden. Nach weltlicher
Seite hat es sich durch größere, harmonische Füllung und kunst-
vollere Behandlung zur Arie, in allen größeren Tonwerken,
femer, wo es mehrstimmig auftritt, zum Duett, zum Terzett,
zum Quartett, theils dem gemischten aus Sopran, Alt, Tenor
und Bass, (Reichardt, Mendelssohn), theils dem männerstimmi-
gen aus zwei Tenören und zwei Bässen (Kreutzer, Silcher,
Zöllner) fortgebildet. Der geistlichen oder kirchlichen Musik
hat das Lied den Choral geschaffen, d. h. den einstimmigen,
in langsamem Gleichmaß fortschreitenden Gemeindegesang (Spe-
ratus: es ist das Heil uns kommen her. Spangenberg: allein
Gott in der Höh sei Elirl Schindermann: ¥de schön leuchtet
155
uns der Morgenstern! Ringhardt: nun danket alle Gottl
Neumark; wer nur den lieben Gott lässt walten. Gastorius:
was Gott thut, das ist wohlgetban. Luther: ein feste Burg
ist unser Gott; vom Himmel hoch da komm ich her; o Gott,
du frommer Gott!) Motette nennt man den vierstimmigen
religiösen Chorgesang ohne Begleitung, auf der einfachen Grund-
lage des Chorals und mit freier Behandlung desselben (Seb.
Bach). In der Hymne erhebt sich der religiöse Chorgesang
mit gesteigertem Affekt, zum Lobe Gottes und göttlicher Kräfte
(das Hallelujah der Schöpfung von Kuntze, das Tedeum, der
Psalm, z. B. die von Friedrich Schneider, von Mendelssohn:
Psalm 42: wie der Hirsch schreit u. s. w.) Messe heißt die
Musik zur katholischen Abendmahlsfeier, wozu auch das Re-
quiem für die Verstorbenen gehört (die h-moll- Messe von Seb.
Bach; das Requiem von Mozart). Die Kantate ist eine ly-
risch freie, nicht streng kirchliche Verherrlichung geistlicher
und weltlicher Gegenstände (der Ostermorgen von Neukomm,
die Bergmannstreue von Anacker, gewöhnlich Bergmannsgruß
genannt, die vier Weltalter von Franz Lachner).
Die Instrumentalmusik ihrerseits ist vielseitiger, tech-
nisch gewandter, volltönender und von der einfachen Urform
des Volksliedes noch weiter abgekommen, als die Gesangmusik.
Dieser am nächsten stehen noch, rein musikalisch genommen,
der Tanz und der Marsch, diese gefälligen, frei dahinschwe-
benden Melodien mit noch dürftiger Harmoniefüllung, in der
Begrenzung einer bestimmten Taktzahl und mit der Wieder-
kehr vieler Theile, als Begleitifng der Tanzbewegungen und des
soldatischen Gleichschrittes (Lanner, Strauß, Grungl). Die So-
nate, zunächst für Klavier, ist eine freiere, kunstreichere Be-
handlung des melodischen Motivs zu einem selbstständigen,
harmonisch durchgearbeiteten Ganzen mit mehreren Sätzen, ge-
wöhnlich einem AUegro, einem Andante oder Adagio, dem
Scherzo nebst dem Trio und dem Rondo oder Finale (Mozart,
Beethoven). Zum Duo erweitert sich die Sonate, wenn sie für
zwei Instrumente, am liebsten Klavier mit Violine oder CeUo,
zum Trio, wenn sie für drei, Klavier, Violine und CeUo, ge-
schrieben ist. Das sogenannte Streichquartett entsteht aus
dem Zusanunenspiel von zwei Violinen, Bratsche und Cello,
(Haydn, Mozart, Beethoven). Weiter giebt es noch Quintette,
Sextette, Septette u. s. f. In ihrer Grundform nicht mehr er-
156
kennbar ist die Sonate als Etüde, Capriccio, Phantasie,
wie überhaupt als sogenannte Bravour- oder Koncertmu-
sik, entweder für Klavier oder für sonst ein Instrument, mei-
stens mit Hinzutritt des Orchesters. Musikstücke dieser Art
sind eine totale Auflosung der einfachen Melodie zu technischen
Künsteleien voll der herausgesuchtesten, schwindelndsten Schwie-
rigkeiten, stellenweis geistreich und pikant, aber im Ganzen
inhaltlos und unschön, eine Übertreibung der Technik im Dienste
des eiteln Virtuosenthums, und ein Gift für den gesunden Ge-
schmack des Publikums, wie diese Produkte selbst aus der ver-
gifteten Unnatur überreifer Kunstansprüche Seitens der moder-
nen Aristokratie hervorgegangen und von Künstlern, wie Ber-
lioz, Chopin, Liszt u. A, mit verschwendeter Genialitat gepflegt
worden sind. Die Ouvertüre ist ein einziger großer Instru-
mentalsatz für volles Orchester, entweder der Eröfihungssatz
für eine Oper oder ein Drama (Beethoven's Koriolan und Eg-
mont, Mendelssohn's Sommernachtstraum), oder ein selbststan-
diges Ganzes mit eigenem innern Zweck und Abschluss. Die
Symphonie endlich ist das umfangreichste Instrumentalge-
mäide, gewöhnlich, nach dem Vorgange der Sonate, aus drei
bis vier Sätzen bestehend, mit einer Art dramatischen Verlaufs,
Schürzung und Lösung von Konflikten (außer Haydn's ' und
Mozarf s besonders Beethoven's unsterbliche Symphonien). Misch-
gattungen der zusammenwirkenden Vokal- und Instrumental-
musik sind das Oratorium nach kirchlicher, die Oper nach
weltlicher Seite. Das Oratorium ist ein musikalisches Drama,
aber nicht in der Bewegtheit der Handlung wie das Bühnen-
drama der Dichtkunst, sondern nur in dem beruhigten Nieder-
schlage der Empfindung, in der breiten Entfaltung lyrischer
Stimmungen, die sich zu den Solo- und Chorgesängen verkör-
pern. Geistliche Oratorien sind die von Händel, die beiden
Passionsmusiken von Seb. Bach, der Tod Jesu von Graun, der
Paulus und der Elias von Mendelssohn; weltliche sind Haydn's
Schöpfting und Jahreszeiten, Schumann^s Paradies und die Peri.
Die Oper dagegen, aus den dramatischen Kirchenstücken und
den musikalischen Fastnachtsspielen im Mittelalter hervorge-
gangen, ist ein wirkliches Drama auf der Bühne, nur ein mi-
misch musikalisches, d. h. es lehnt sich zwar an eine geschicht-
liche Thatsache an und wird auch wirklich mit lebendiger Ak-
tion gespielt, hebt aber weniger die Momente der Handlung,
157
als die Rubepunkte der lyrischen Empfindung, der musikali-
schen Situation hervor. In dem Wechsel von Solo-, Ensem-
ble- und Chorgesang und in der Folge mehrerer Theile und
Akte entwickelt das Oratorium, wie die Oper, die einzelnen
Momente der Handlung zu bestimmten Gesangstucken und
Scenen«
3. Die Geschichte der Musik. Das klassische Alter-
thum, in der Kunst nur auf sinnliche Anschauung und Form-
gebung beschränkt, aber der erst mit dem Christenthum auf-
gegangenen Innenwelt des Gemüthes, der Empfindung, noch
fremd, hatte auch noch keine selbstständige Musik. Dürftige
Anfange von Melodie und Harmonie dienten, in bescheidener
Unterordnung, nur zur Begleitung der rhythmischen Chorge-
sänge auf der Biihne oder des recitirenden Vortrags der Rhap-
soden, die dem versammelten Volke die alten Götter- und Hel-
denthaten zu den Klängen der Lyra priesen. Auch was uns
von den Gesängen der Griechen bei Tanz und Spiel, von feier-
lichen Hymnen bei Götterfesten und Opfern erzählt wird, hat
sich über die Stufe anspruchsloser Vorversuche nicht erhoben,
wie sich schon aus der einzigen Angabe schließen lässt, dass
man nur die Konsonanzen der Quarte, Quinte und Oktave
kannte. Von unserm ausgebildeten Tonsystem, von dem har-
monischen Vollklange der modernen Musik sind jene Anfänge
hinunelweit entfernt. Mag also immerhin die bildende Kunft
der Alten mit ihren vollendeten Werken Grundlage und Vor-
bild für alle nachfolgende Kunstthätigkeit im bildenden Fache
geworden sein: die antike Musik ist für uns so gut wie nicht
vorhanden. Vielmehr hat sich dasjenige, was wir gegenwärtig
von Musik haben, erst im Mittelalter, unter den beseelenden
Einflüssen des Christenthums, rein aus sich selbst, aus der pri-
mitivsten Rohheit, auf miihevollen Umwegen und in langen
Zeiträumen hervorgebildet.
So wurde das Mittelalter dasselbe für die Musik, was
die alte Zeit für die bildenden Künste war: die Schöpfungs-
epoche, die BiMungsperiode der musikalischen Technik und
Komposition. Und wie die antike Kunst im Bunde mit der
Religion entsprungen und groß geworden war, so vernehmen
wir auch im Mittelalter aus der Kirche die frühesten musika-
lischen Klänge. In den frommen Versammlungen der ersten
Christen war es, wo sich zuerst ein höchst einfacher, kunst-
158
und regelloser Naturgesang bildete, der sich alsdann in den
Gemeinden festsetzte und von einer auf die andere fortpflanzte.
Zynischen 300 und 400 versuchten bereits einige fromme und
gelehrte Bischöfe des Morgen- und Abendlandes, mit Benutzung
einer altgriechischen Tonleiter und eben solcher Intervalle und
Akkorde, den Kirchengesang zu ordnen und zu bestimmten
Sangweisen festzustellen. So schon Ambrosius, Bischof von
Mailand (390), der vier alte Tonleitern auswählte und dem öf-
fentlichen Gemeindegesange die erste bestimmte Fassung gab;
so besonders Papst Gregor der Große (590 — 604). Dieser hat
nicht bloß ein neues System von Tonleitern, neue Benennungen
für die sieben stehend gewordenen Töne und eine einfachere
Notenschrift aufgestellt, sondern auch die vorhandenen Kir-
chenweisen verbessert, neue hinzugefiigt und die von ihm be-
sorgte Sanunlung für alle christliche Kirchen verordnet. Von
ihm rühren auch die Anfange des mehrstimmigen, harmonischen
Gemeindegesanges her. Alles Übrige in der Musik, was wir
heutzutage fertig und wohltönend allerorten zu hören bekom-
men können, war damals noch nicht vorhanden; und es hat
Jahrhunderte gedauert, ehe unsere Intervalle, konsonirenden
Akkorde, aufgelöste Dissonanzen, Tonleitern, unsere Instru-
mente eins nach dem andern erfunden wurden, ehe die Orgel,
die man Anfangs mit dem Ellenbogen und mit Fäusten schlug,
eine menschlichere Behandlung und kunstgemaße Vervollkomm-
nung erhielt, ehe das Orchester sich seiner jetzigen Zusammen-
setzung ählich bilden lernte, ehe die einzelnen Gattungen der
Musik sich von einander abschieden und aus dem massenhaften
Chorgesange der ersten Jahrhunderte sich der Einzelgesang im
Liede, im Recitativ und der Arie loszulösen anfing. Das Meiste
hierfür geschah in den Niederlanden und Italien.
Erst mit der neuen Zeit nimmt die Musik einen glän-
zenden und schnellen Aufschwung, erst sie ist die Periode der
Blüthe und Reife. Im geistlichen Fache treten, gleichzeitig
mit dem letzten imd hervorragendsten Niederländer, Or-
lando Lasso (Orlandus de Lassus, gestorben in München
1594) die Italiener epochemachend auf. Vor allen Pale-
strina (1524 — 1594), Kapellmeister an St Peter im Vatikan,
mit seinen Motetten, Litaneien, Hymnen, Magnificats, Messen
u. s. w., besonders der Missa Papae Marcelli, sämmtlich im
großartig erhabenen, strengen Styl. Sodann Scarlatti (1658
159
bis 1725), Königl. Oberkapellmeister in Neapel, ein wahrer Re-
fonnator der Musik nach allen Richtungen, der seiner Zeit
machtig vorauseilte, von dem wir ebensowohl Opern als Eor-
chcnsachen haben, und der besonders das Recitativ zu hoher
Vollkommenheit des Ausdrucks steigerte. Femer Scarlatti^s
Zeitgenossen: Lotti, Kapellmeister an St. Marco in Venedig,
mit seinen Kirchenkompositionen, Marcello, der uns „die fünf-
zig Psalmen Davids^ hinterlassen hat, und Caldara. Endliph
die Neapolitaner Leonardo Leo (lun 1725), der die freie,
schone Anmuth selbststandiger Melodien* in den Kirchenstyl
einführte, und Dur ante, beide wichtig, indem sie die Arie
verlängerten und ihr mehr Wechsel, mehr Gewandtheit gaben
und den fast ausschließlich herrschenden Streichinstrumenten
eine größere Anzahl Blaseinstrumente hinzufugten, mit dieser
ganzen Thätigkeit aber schon in die weltliche Musik hinüber-
weisen.
Spärlicher zwar, aber auch mächtiger erstehen in D e u tsch-
land die Meister der Kirchenmusik, an der Spitze der bür-
gerliche, befcheidene Thomaskantor in Leipzig, Sebastian
Bach (1685 — 1750), durchaus kein naiver, populärer Kompo-
nist, ohne melodischen Fluss und schmeichlerischen Wohlklang,
aber kühn und unerbittlich streng in seinen harmonischen Kom-
binationen und von einer genialen, kaum nachzufühlenden Tiefe
der musikalischen Empfindung: ein wahrer Hoherpriester des
Kirchenstyls. Sein wohltemperirtes Klavier, seine Fugen, Cho-
räle und Motetten, seine h-moU- Messe und die beiden Pas-
sionsmusiken nach Matthäus und Johannes sind unsterbliche
Schöpfungen der protestantischen Kirchentonkunst. Der zweite
Heros derselben ist Händel (1684 — 1759), melodiöser, fließen-
der, weltlicher als Bach, wie er denn auch vor seinen Orato-
rien, dem Messias, Samson, Judas Makkabäus u. a., nur Opern
schrieb und sich dem Volksliede durch dessen Verarbeitung in
seinen Werken sehr geneigt zeigte. Dabei ist er aber immer
noch tief und innig, großartig und majestätisch; ein gewaltiger
Ernst, eine hohe Glorie geht durch alle seine Schöpfungen:
Kleinliches und Schwaches hat er nirgends gegeben. Einige
Stufen tiefer als die Genannten steht Graun, dessen Tod Jesu •
noch heute eine würdige Charfreitagsmusik bildet und in den
Recitativen und Chören ein klassisches Werk für immer blei-
ben wird, während die etwas unkirchliohen Arien schon stark
160
in das sinnliche Tonkolorit der weltlichen Musik hinüberstrei-
fen. Gleichzeitig brachte Deutschland (was hier der Vollstän-
digkeit halber zu erwähnen ist) auch große Theoretiker und
Organisten hervor, z. B. Mattheson, Phil. Em. Bach, Marpurg,
Kimberger, wie man denn in Deutschland schon seit der Re^
formation angefangen hatte, das eigentliche Kirchenlied, unsern
Choral, zur Geltung zu bringen und mit der Orgel harmonisch
zu begleiten.
Auch die weltliche Musik ist ein Kind der neuen Zeit,
indem die Reformation, die allerdings nur auf religiösem Ge-
biete praktisch durchgeführt und als Protestantismus, der ka-
tholischen Kirche gegenüber, festgehalten wurde, die befangenen
Geister aus diesem einseitigen Kirchenbanne erlöste und sie
auf alle Gebiete und für jedes Geistesstreben frei ließ. Ihrem
Umschwünge verdanken wir es, dass das Leben in seiner ge-
sunden Heiterkeit sich dem geöfiheten Blicke wiederaufschloss,
dass das Volk in seinem natürlichen Frohgefühle, das Indivi-
duum in seiner sittlichen Berechtigung wieder zur Anerkennung
kam — eine Emancipation des Geistes- und Gemüthslebens,
die als neuerwachter Reiehthum von Lebenslust, von Empfin-
dungsfrische sich auch in der Musik zu Tage kämpfte und sich
als Oper, als weltliche Musik überhaupt, eine kunstmäßige
Gestalt gab. Die ersten zerstreuten Spuren des dramatischen
Opernstyls tauchen um 1600, also schon im Zeitalter Palestri-
na^s, bei den Italienern auf, und schon der wenig spätere
Scarlatti, um 1700, schreibt neben seinen Kirchensachen selbst-
ständige Opern. Aber die erfte in^s Große gehende Thätigkeit
auf diesem Gebiete entwickelte die Neapolitanische Schule
mit ihrem graziösen Styl und ihren ausgebildeten Arien; sie
war es zugleich, die den Kunst- und Sologesang zu kultiviren
anfing, nachdem man bisher nur immer im Chor zu singen ge-
wohnt gewesen war. Solche Pfleger der jungen Oper aus der
Neapolitanischen Schule sind: Piccini, der Schopfer der italie-
nischen Opera buffa oder komischen Oper, femer Cimarosa,
Paesiello, Zingarelli. In Frankreich war damals Lully
wegen seiner tragödies und ballets der gefeiertste Opemkom-
. ponist, weil er volksthümliche Tänze und Chore in die Oper
einführte und die leichte Recitation des Dialogs durch kurze
Arien und Ritornells unterbrach. Der spätere Rameau nahm
von diesem Anfangspunkte aus die Richtung auf das Ernste
161
und ward der Gründer der sogenannten großen Oper bei den
Franzosen, während ihre kleine komische Oper, die Operette,
besonders von Grfetry, um 1750, mit Gluck angebaut wurde.
Alle die Genannten hatten weniger einen ernsten und großar-
tigen, als einen zierlichen und lebendigen Opernstyl, der sich
dann, wenigstens in Italien, als weltliche Grazie, als irreligiöse
Sinnlichkeit, leider auch in der geistlichen Musik festgesetzt
hat und noch gegenwärtig in den Kirchen Italiens zu hören ist.
Auch im Fache der Oper war es wieder Deutschland, das
die Mängel der Ausländer überwinden und die Vollendung auf
dem eingeschlagenen Wege erreichen sollte. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus ist Gluck zu begreifen (1714 — 1787), der
läuternde Reformator der Oj)er von den Unschonheiten der
Neapolitaner : jenen vieltheiligen, langathmigen Bravourarien mit
ihren inhaltlosen, entstellenden Schnörkeln, und jenem stereo-
typen, todten Schema, wonach sämmtliche Opern übereinstim-
mend gearbeitet wurden. Dagegen steht Gluck in allen seinen
Opern, dem Orpheus, der Alceste, der Helena und Paris, der
Iphigema in Aulis, der Iphigenia auf Tauris, der Armide, wie
ein Heiliger, ein Priester, in edler, großartiger Einfachheit da,
und ist mit dieser ein weit treuerer Maler der stillen Tiefe des
individuellen Seelenlebens, als alle jene Italiener und Franzosen
mit ihren zauberischen Melodien und ihren schwirrenden Bra-
vourstücken. Die sich an ihn unmittelbar anschließenden Wie-
ner Klassiker, Haydn, Mozart und Beethoven, dehnen die
bisherige Pflege dor Oper auf sämmtliche Musikgattungen aus
und führen einige derselben, z. B. die Instrumentalmusik, zu
solcher Hohe der Vollendung, dass der Folgezeit nichts darin
zu thun übrig blieb, als eine hinter den Vorbildern weit zurück-
stehende, rein formelle Nachahmung. Joseph Haydn (1732 —
1809) war durch und durch ein kindlich heiteres Gemüth: hat
er doch noch in seinen letzten Jahren ein so naives, echt volks-
thümliches Lied geschrieben, wie das bekannte „Gott erhalte
Franz den Kaiser"; und selbst bis zu der liebenswürdigen Spie-
lerei konnte er sich herablassen, dass er eine kleine Kinder-
symphonie für die betreffenden kindlichen Instrumente setzte.
Glücklich und fröhlich in sich selbst, herzlich und wohlwollend
gegen Jedermann, vergnügt in seinem Gott wie in seiner Welt:
so muthet uns Haydn in allen seinen Kompositionen an. Nur
ein solches Gemüth konnte der Schopfer des weltlichen Ora-
ff'eimar. Jb. II. 1|
162
toriruns werden, wie er es mit der Schöpfung und den Jahres-
zeiten geworden ist, und ebenso der Schopfer des Streichquar-
tetts und der Symphonie, in denen sich ein seliger, scherzhaf-
ter Kindessinn, selten von elegischen Tönen gedämpft, mit
bloßen Instrumentalmitteln seine Sprache giebt. Stellenweis
auch erhaben und gewaltig, wie in den großartigen Parthiecn
der SchöpAing, athmet doch seine ganze Musik ein glückseliges
Behagen und ist in unserer unbefriedigten Zeit eine wahre Er-
quickung für die trübgestimmten Gemüther. — Mit dem tän-
delnden Humor und der durchsichtigen Klarheit der Haydn-
schen Kompositions weise vereinigt Mozart, dieser genialste
aller Tonkünstler (1756-1791), die größte Tiefe und Vielsei-
tigkeit. Geistreich und gewandt in seinen Klaviersonaten, Quar-
tetten, Symphonien, erscheint er in seinen Opern (Don Juan,
Figaro^s Hochzeit, Zauberflöte, Titus, Entführung aus dem Se-
rail, Cosi fan Tutte, Idomeneus) als der unübertroffene Mei-
ster in der Plastik der dramatischen Charaktere, in der Malerei
der lyrischen Situation, ja im Don Juan führt er uns in die
grausigsten Tiefen des Geisterreichs hinab und schlägt hier
bereits die ersten Grundakkorde der spätem romantischen Oper
an, während bisher nur die heroische Heldenoper und die fran-
zösische Konversationsoper geherrscht hatte. Am Wichtigsten
aber für die nächstfolgende Musikpraxis sollte die neugeschaf-
fene Instrumentalmusik, besonders das Streichquartett, dieser
beiden Meister werden, indem es nämlich von unzähligen klei-
nen Geistern, z. B. von Pleyel, Gryrowetz, Wranitzky, Hoff-
meister u. A. angebaut wurde und, bei seinen gemüthlich volks-
thümlichen Elementen, auch das Volk mit der Liebe zur In-
strumentalmusik entzündete. Zuerst bildete sich der reiche Adel
Privatkapcllen und in ihnen Pflanzstätten der neuen Lieblings-
gattung. Bald lernte aber auch der gebildete Bürger sein
Streichquartett spielen — beiläufig das erste Auftreten des mu-
sikalischen Dilettantismus in der deutschen Musikgeschichte —
und dies Streichquartett ist als Hausquartett, als früheste Form
der Familienmusik, bis weit in unser Jahrhundert herein der
Günstling der deutschen Kunstwelt geblieben. Erst mit den
technischen Schwierigkeiten und der dem Laien unverständ-
lichen Genialität der Beethoven^schen Muse fing es an zurück-
zutreten. — Über Mozart hinaus ist Beethoven, der dritte
der Wiener Heroen (1772 — 1827), ein gewaltiger, ja ein epoche-
163
machender Fortschritt. Alle seine Werke (die Eülayiersonaten,
z. B. die pathetique, les adieux, die cis-moll, viele auch mit
Violin- oder Cellobegleitung, seine Streichquartette, Ouvertü-
ren, zumal seine neun Symphonien, seine Oper Fidelio) — alle
diese Werke sind nicht bloß in der Form ausgedehnter, son-
dern von einem ganz neuen, bis dahin nicht gehorten Geiste
durchzogen. Nicht naiv und fließend melodiös, wie die popu-
lären Meister Haydn und Mozart, war Beethoven vielmehr eine
Natur wie Seb. Bach, ebenso tief nach innen reflektirt, ebenso
hohepriesterlich erhaben. Durch Taubheit von der Welt ab-
geschlossen und gegen sie erbittert, dadurch aber sich in sieb
selbst vertiefend, erschloss sich ihm der ganze Reichthum der
menschlichen Innerlichkeit, durchwühlten seine Brust alle Lei-
den und Freuden der menschlichen Natur. Diese eigenthiim-
liche Organisation und dies für einen Tonkünstler doppelt tra-
gische Schicksal arbeiteten in ihm, nach der ungebrochenen
Empfindungsfrische imd der klaren Formschonheit seiner Vor-
gänger, ein neues Prindp heraus, kündigten in seinen Schopfim-
gen eine nur erst geahnte Zukunft an: die Empfindung des
schonen Subjekts, die Verklärung des dunkeln Instrumental-
klanges zur Freiheit des lyrischen Dichterwortes, zum seelen-
vollen Gesänge. Er selbst steht freilich noch nicht auf dem
Boden dieser neuen Welt, er streift dies Gebiet der romanti-
sehen Gesangmusik nur in seiner neunten Symphonie mit den
Schiller^schen Chören an die Freude und in seinem Fidelio; er
weissagt prophetisch nur diese kommende Epoche: seine eigene
Schöpferkraft bleibt in der wortlos dunkeln Symbolsprache der
Instrumentalmusik gefesselt Unverkennbar aber geht durch
alle seine Werke, unter wilden Zuckungen und titanenhaften
Kämpfen, der Drang nach diesem neuen Geiste; geheimnissvoU
mahnend klopft er aus der Tiefe herauf und weitet die Formen
über ihre angestammten Grenzen zum Ausdrucke des Unend-
lichen und Ungeheuern, bis sie in seinen spätesten Werken ins
Wüste und UnscUöne ausschweifen.
Mit Beethoven trat, als Nachfolgerin der klassischen, die
romantische Musik in^s Dasein, die mit der vertiefi;en Em-
pfindung des schönen Subjekts einen Stoff in die musikalische
Darstellung hereinnimmt, der, nur der Klarheit des lyrischen
Wortes erreichbar, sich dem musikalischen Ausdrucke entzieht,
und hinter dessen Unendlichkeit die musikalische Tonsprache,
11*
164
wie eine nach oben deutende Hand ohnmächtig zurückbleibt.
Wohl haucht das Gemüth seine Empfindungen in den Tönen
des Gesanges aus; aber immer bleibt ihm ein Etwas, ein Rest
von Gemüthsleben, den die bloße Tonsprache wiederzugeben
unfähig ist. Daher nach jedem Gesangwerke, nach jedem tief-
empfundenen Liede der Eindruck nicht, wie bei einem plasti-
schen Bildwerke, in sich selbst befriedigt ist, sondern über sich
hinausweist und im Zuhörer eine Ahnung der nur erstrebten
Vollendung, eine Wehmuth über deren Unerreichbarkeit rege
macht. Natürlich wirfl sich der überschwängliche Inhalt auch
in die Form, die, wie schon bei Beethoven, nicht mehr das
schöne Ebenmaß, die plastische Rundung der klassischen Reife
innehält, sondern ausgereckt, durchbrochen und bis zum ver-
schwebenden Hauche verflüchtigt erscheint.
Von dieser romantischen Gesangmusik nun ergreift der
sinnlich buhlerische Geist der Italiener diejenige Gattung, die
von den deutschen Klassikern bereits ausgebildet war «nd sich
für den Zweck volksthümlicher Ergötzung am Bequemsten zu-
richten ließ: die Oper, indem man die ernste Gediegenheit
derselben, die vom deutschen Geiste nun einmal unzertrennlich
ist, mit der leichten, koketten Grazie des südlichen Naturells
versetzte. Rossini (um 1820) ist der gefeierte ^Großmeister
dieser Richtung, der unübertroffene Matador dieser neuitalieni-
schen Oper, mit der er, Jahrzehnte hindurch und bis in unsere
Tage hinein, die Bühnen Europa^s beherrscht hat. Frei von
aller Tiefe oder Düsterkeit, aber desto reicher an reizvollen
Melodien und bei aller Oberflächlichkeit von treffendem, pikan-
tem Ausdruck, sind seine Opern höchst lebhaft und sinnlich
ergreifend; aller Zauber der Instrumente und des Gesanges ist
aufgeboten, um sie unwiderstehlich zu machen. Die meisten
bis zum Jahre 1829, z. B. der Barbier von Sevilla, Semiramis,
Tankred, sind von tändelnder Leichtigkeit, von der zierlichsten
Grazie durchweht; großartig und revolutionär hingegen ist der
Teil (1829), dieser Vorläufer der französischen Julirevolution,
sowie der großen historischen Oper der Neuzeit. Bellini da-
gegen (um 1830), von dem wir die Norma, die Nachtwandlerin,
die Puritaner u. a. haben, ist weich und elegisch bis zu kran-
ker Sentimentalität Donizetti endlich (gest 1848), der uns
den Liebestrank, Belisar, Lucie di Lanmiermoor , Lucrezia
Borgia, die Favorite, die Kegimentstochter, seine beste Lei-
165
stuDg, gegeben hat, ist oberflächlicher als seine Vorgänger,
aber immer leicht und wohlklingend. Ein Nachahmer Doni<-
zetti^s ist Verdi, gegenwärtig der beliebteste Opernkomponist
Italiens.
In dem nämlichen Elemente des sinnlichen Wohlklanges
wie die italienische, ist die französische Oper, doch charak-
teristischer, pikanter, effektvoller und hat in ihrer besten Zeit,
treu dem eiteln Geiste der giiande nation, immer ein Streben
zum großen historischen Style gezeigt. So hat vornehmlich
Spontini (geb. 1778), dieser Verherrlicher des Napoleonischen
Kaiserreichs, die pomphafte Hof- und Heldenoper ausgebildet,
der es nicht mehr auf liebevolle Detailmalerei des Seelenlebens,
wie bei Gluck, nicht mehr auf plastisch anschauliche Zeichnung
der Charaktere, wie bei Mozart, ankommen konnte, sondern
nur auf Vorführung großer Massen , auf Darstellung der Lei-
denschaften in großen, allgemeinen Umrissen. So sein berühm-
ter Erstling, die Vestalin, so seine folgenden Opern: Ferdinand
Cortez, Olympia, Nurmahal, Agnes von Hohenstaufen. Die
andere Seite des französischen Nationalgeistes vertritt die leichte^
vaudeville- ähnliche Volksoper in Cherubini (der Wasserträ-
ger) und Mehul (Joseph in Ägypten). Unter den Neuem ist
Boildieu in Johann von Paris, im Kalifen von Bagdad und
der weißen Dame leicht und volksthümlich. Auber trat An-
fangs gewaltig und revolutionär auf in der Stummen von Por-
tici (1828), worin das Volk als dramatische Masse, der Chor
als handelnder Held erscheint, die Arie aber zurücktritt und
dagegen das volksthümliche Lied, die Barkerole, in den Vor-
dergrund rückt; zugleich nehmen wir an Auber — eine beson-
dere Stärke der neufranzösischen Musik — schon gewaltsame
Effekte, betäubende Massen Wirkungen wahr, auf die u. A. der
noch lebende Berlioz seine, genialen Instrumentalgemälde be-
rechnet. Auber selbst aber vereinigt mit der Darstellung des
Großartigen auch den leichten Styl der Konversationsoper,
z. B. im Fra Diavolo. Adam ferner, der Komponist des
PostiUons von Longjumeau, ist fnsch und gefällig, aber leicht-
fertig, Herold ein glücklicher Nachahmer Boildieu'^s, in der
Zampa jedoch, mit Ausnahme schöner Einzelnheiten, monströs
geworden, Halevy ein reflektirter, ernster Opemkomponist,
aber ohne Naivetät und Fluss des Gesanges; am Bedeutend-
sten igt durch heroische Tragik seine Jüdin.
166
Aas der italienisch französischen Verflachung nimmt sich
die moderne Oper in der deutschen Weiterentwickehing zu-
rück und taucht mit Gemiithsinnigkeit und ernster Haltung zu-
erst wieder in K. M. v. Weber auf (1787—1826), diesem
Sänger der deutschen Romantik nach den Freiheitskri^en. Er
gab dem froherwachten Siegesgefuhle der Nation in seinen
Opern zuerst einen musikalischen Ausdruck; er machte uns
durch den nationalen Stoff, wie im Freischütz, zuerst aufmerk-
sam auf den Schatz unserer eigenen Sage und Geschichte und
lehrte uns, auch för unsere Kunstbedürfoisse, in den eigenen
Busen greifen; er entzündete endlich von Neuem die Liebe zur
Oper, dieser in Deutschland seit Mozart nicht weiter angebau-
ten Gattung. Weber verkannte diese seine national -deutsche
Stellung, als er seine Stoffe, wie den zur Euryanthe, aus dem
mittelalterlichen Ritterthum, oder, wie im Oberen, aus der
Märchenpracht des Morgenlandes holte; nur, wo er deutsche
Volksweisen in die Oper verflicht, wie im Freischütz, ist er
populär geblieben; nur, wo er sich, wie hier, auf der mütter-
lichen Erde hält, ist er unwiderstehlich und unübertroffen.
Seine minder begabten Nachahmer sind Marschner, jedoch
ein glücklicher Humorist in Templer und Jüdin; Konradin
Kreutzer (gest. 1849), ein sehr beliebter Lyriker in seinen
männerstimmigen Quartetten und auch im Nachtlager von
Granada durchaus lyrisch; femer Löwe, fruchtbar in düstem
Balladen und originell in dem rein männerstimmigen Oratorium :
die Apostd von Philippi; Reissiger, vortrefflich im komi-
schen Liede, wie in Vater Noah und Noah^s Vermächtniss ;
Franz Lachner, dessen Katharina Comaro keinen eigenthfim-
lich charakteristischen Zug hervorkehrt; Flotow, der mit der
Martha mehr Glück gemacht hat als mit Stradella, hauptsäch-
lich durch das eingewebte Volkslied: des Sommers letzte Rose t
endlich Lortzing, der uns mit Zaar und Zimmermann, den
beiden Schützen, dem Waffenschmid, Undine u. a. beschenkt
hat, volksthümlich komische Opern in Haydn-Mozart^scher
Naivität und aus glücklich kombinirten und selbsterfundenen
Melodien gemischt. Im Gegensatz zu den Genannten steht,
als durchaus reflektirter Romantiker, der mit Weber gleichzei-
tig aufhretende Spohr, der deshalb auch bei allem Reichthum
an üppigen Modulationen, z. B. in seiner Jessonda, nicht volks-
thümlich hat werden können. Ein vereinzeltes GhegenbikI zur
167
Romantik liefert Friedrich Schneider, ein fijrchenkomponist,
etwa nach Handels Vorbilde, aber ohne Handels Geist und
mit vorromantischer , nicht mehr zeitgemäßer Formensteifbeit,
die er nicht, wie Mendelssohn, mit modemer Beseelung zu
durchwärmen wusste. Dafür zeugen z. B. sein Weltgericht,
Pharao, verlorenes Paradies u. a., die nur noch genießbar sind,
wenn man von der spätem Fortbildung des Kirchenstyls ab-
strahiren gelernt hat.
Die bisherige romantische Oper beruhete wesentlich auf
einer innern Unwahrheit, insofern sie sich, mit Durchbrechung
der Naturgesetze, nur auf der Täuschung des Wunders auf-
baute und in sinnenbetäubender Pracht aufging; nicht die feste
Natur, nicht das wirkliche Leben und die Geschichte war ihr
Inhalt, sondern Uebernatürliches und Unbegreifliches. Meyer-
beer war es, der diesen Mangel empfand und, mit dem fnsch-
erwachtcn historischen Sinne der Neuzeit, der sich auf Natur
und Geschichte warf, auch für die Oper historische Stoffe er-
griff und konkrete Gestalten der handelnden Welt auf die Bühne
stellte — der Fortschritt von der romantischen zur historischen
Oper. Nicht mehr eine inhaltlose Zaubergeschichte, nicht mehr
unschuldiger Feenspuk ergötzt uns in seinen Hugenotten, im
Propheten (Robert der Teufel, als sein erstes Debüt, steckt
noch in der Romantik): sondern geschichtliche Thatsachen wer-
den von den geschichtlich wirklichen Helden in historischer
Lebenswahrheit vorgeführt. Ganze Massen handelnder Indi-
viduen erscheinen auf der Bühne, Kämpfe ganzer Völker, ewi-
ger Ideen werden ausgefochten; die Musik weitet sich zu groß-
artiger Massenwirkung aus und ist nicht mehr auf schönen
Tonklang und Stimmenentfaltüng, sondern auf scharfe Charak-
teristik der geschichtlichen Individuen, auf Malerei der histori-
schen Situationen und der kämpfenden Gedanken gerichtet.
Eine Ueberreizung der musikalischen Mittel zu ausgereckten
Formen, zu berechneten Kontrasten und Effekten, die wäh-
lerische Vermengung unvereinbarer Style sind die Folge die-
ses unmusikalischen Strebens gewesen. Meyerbeer^s Opern
bieten geniale, urschöpferisch erfundene Einzelschönheiten, aber
keine bringt es zu innerer Einheit, zum kunstschönen Ganzen.
In jedem Satze nimmt der Komponist einen vielversprechenden
Anlauf; id>er der Fortgang täuscht, und das ganze Werk lässt
einen selir gemischten, sehr zweifelhaften Eindruck zurück.
168
Ueber Meyerbeer noch hinausgebend, hat sich in neuester
Zeit Richard Wagner bis an die äußersten Grenzen einer
möglichen Kunstdarstellung überhaupt vorgewagt Wagner ver-
leugnet die ganze bisherige Geschichte und Theorie der Musik
und sucht letztere auf der Grundlage gewaltsamer Harmonien,
unerhörter Intervalle und Fortschreitungen, mit genialer, ener-
gischer Kiihnheit, neuzuschaffen. Zugleich versammelt er in
dem musikalisch dekorativen Drama der Oper sämmtliche
Künste und erblickt in diesem Gesammtorganismus das einzig
berechtigte Kunstwerk der Zukunft — ein noch gewaltthäti-
geres, bedenklicheres Unterfangen, als Kaulbach^s vielbespro-
chene Gedankenmalerei. Mehr in der Weise der bisherigen
Musik waren die Wagnerischen Opern: Cola Kienzi und der
fliegende Holländer; in dem neuern revolutionären Style sind:
Tannhäuser, Lohengrin und Nibelungen (erster Theü: das Rhein-
gold). Nicht ohne Besorgniss folgt die Kunstwelt den weitem
Schritten und Schöpfungen dieses himmelstürmenden Genie^s.
Den vollendeten Ausdruck der schönen Empfindung aber
gab sich die romantische Musik erst im reinen Liede, dessen
Pflege ihre Erklärung in der modernen Isolirung der Subjekte
auf ihr eigenes Selbst und in dem Kultus ihrer schönen Inner-
lichkeit findet, wie sich dieser wiederum aus der Gleichgültig-
keit des Volkes gegen seine öffentlichen Zustände, aus politi-
schen Enttäuschungen und religiösen Beschränkungen von oben
herab herleiten lässt. Der Wiener Franz Schubert, noch
ein Zeitgenosse Beethoven^s, hat das unbestreitbare Verdienst,
dass er der Musik das Wort gewann und mit ihm zugleich von
der Handlung des belebten Operndrama^s zur reinen Empfin-
dung des Einzelsubjcktes fortschritt und der modernen Be-
seelung ihre entsprechende Verklärung und Zuspitzung « im
Liede gab — der jüngste Portschritt der Musik von der dra-
matischen zur lyrischen Gattung. Für diese reflektirte Empfin-
dungstiefe des modernen Bewusstseins genügte nicht mehr das
naive Volkslied, da dieses nur die einfachsten Naturgefuble in
den allgemeinsten Umrissen typischer Melodien umschreibt:
vielmehr erfand Schubert dafür das sogenannte durohkomponirte
Lied, dessen einzelne Strophen je nach dem Wechsel ihres
Empfindungsgehaltes besonders gesetzt sind, so dass die mu-
sikalische Fassung sich zur treuesten Wiedergabe des Textes»
zur Lebendigk^t des dramatischen Effektes steigert; der poe-
169
tische Text ist von der Komposition vollständig durchdrungen,
die feinsten Nuancen und Details der Dichtung gehen in die
TonföUe des Liedes bis zur Erschöpfung auf. Schuberts In-
strumentalkompositionen, z. B. seine Klaviersonaten und Sym-
phonien , sind lyrisch zerflossen , eben ein Zeichen , welch eine
durch und durch lyrische Natur er war. Aber als eine solche
steht er auch unerreicht da: sein Schwanengesang, seine Win-
terreise, seine schöne Müllerin und noch viele unter seinen
einzelnen Gesangwerken, sind in der Musik des Liedes das
Vollendetste, was je geschaffen ist
Die moderne Beseelung über die Einseitigkeit des subjek-
tiven Liedes hinaus auf sämmtliche Gattungen der Tonkunst
auszudehnen, war der Fortschritt und die künstlerische Mis-
sion Mendelssohn 's (gest. 1849.) Und sie gelang ihm,
weil er, ohne eigentlich Genie zu sein, das neue Gattun-
gen in's Leben gerufen hätte, ein höchst vielseitiges, schmieg-
sames Talent war, das sich an alle Größen der Vergangenheit
gefügig anschloss, die Vorzüge aller Schulen, die Eigenthüm-
liehkeiten aller Style, wie ein echter Eklektiker, sich aneignete
und die bedeutsamsten Musikformen aus modernem Geiste und
fiir den modernen Geschmack neu erzeugte. Das ist das Haupt-
verdienst Mendelssohn's , dass er uns das Alte wieder auffrischte,
ihm ^ine saubrere, anständigere Haltung gab und es uns so
von Neuem lieb machte, dass er die starre Strenge des alten
Kirchenstyls durchwärmte, wie im Paulus und Elias, ja dass
er selbst solche Gestalten mit musikalischen Arabesken um-
schlang, bei denen man die Zuthat moderner Tonkunst für un-
möglich hätte halten sollen, wie Sophokles' Antigene und Sha-
kespeare^s Sommemachtstraum. Auch seine Lieder bieten nichts
Neties oder Bedeutendes. In der Auffassung etwas oberfläch-
lich, aber in der Form außerordentlich schmuck und glatt
sind sie da am schönsten, wo sie sich zur Innigkeit und Frische
des einfachen Volksliedes zurückwenden, wie das Minnelied
und das Lied vom Scheiden.
Die von Mendelssohn errungene Formvollendung sollte sich
in der Fortentwickelung der Musik wieder auflösen, indem der
einseitige Empfindungssubjektivismus sich noch mehr zur In-
nerlichkeit vertiefte, sich zu noch höherer Ueberschwänglich-
keit steigerte und so über die nun mehr vernachlässigte 'und
170
zerbröckelnde Form hinauseilte. Bei Schumann und Franz,
unstreitig den bedeutendsten Liederkomponisten der Neuzeit,
greift der lyrische Gefuhlsgehalt und die musikalische Fassung
sich nicht mehr in Eins zusammen, geht nicht zu verzehrender
Durchdringung in einander auf, was Schubert auch im tiefsten
Weh, im höchsten Sturme der Leidenschaft noch gelingt: viel-
mehr erscheint die Empfindung bis zur form- und haltlosen
Ueberseligkeit hinaufgespannt, und die Form zur gehauchten
Andeutung, zum verschwebenden Seufzer verflüchtigt. Voll-
endet schöne Einzelnheiten in den Gesangschöpftmgen beider
Komponisten, bei Schumann auch in seinen KJavier- und In-
strumentalwerken, nehmen wir aus; im Ganzen aber ist hier
die Charakteristik der lyrischen Stimmung, das Streben nach
frappanter Malerei des Ausdrucks, gegen die Natur der Mu-
sik wie der Kunstschönheit überhaupt, übertrieben. Bei Schu-
mann, der in seiner Geistesdisposition wie in seinen spätem
Werken leider verkommen und wirr geworden ist, dürfte ein
Wunsch für seine Zukunft vergeblich ausgesprochen sein. Um
so inniger wünschen wir die seelenvolle Muse Franz^ zu dem
Gleichgewicht von Empfindungstiefe und musikalischem Aus-
druck, dieser unverrückbaren Grundbedingung aller Schönheit,
zurückkehren zu sehen.
Nicht um ihres musikalischen Werthes willen , sondern we-
gen ihrer geselligen Bedeutung erwähnen wir schließlich noch
einige mittlere Liederkomponisten, wie Curschmann und
Banck, und einige kleine und kleinste, wie Kücken, Proch,
Dame 8, T hießen u, s. w. Curschmann giebt in seinen Lie-
dern durchaus nichts Neues, nichts, was bleibenden Werth
hätte, aber auch nichts Verschrobenes und Unschönes. Er ist
eins jener bescheidenen Talente, die nicht in die Tiefe dringen,
aber ihren Gegenstand einfach und natürlich auffassen, und in
leichter, ansprechender Weise wiedergeben. Der Text ist in
seinen Liedern richtig deklamirt, die poetische Stimmung im
Ganzen getroffen, die Singstimme glücklich geführt, die Be-
gleitung nicht unpassend — das ist auf diesem so vielfach be-
sudelten Gebiete schon sehr viel. Kücken, Proch und Konsor-
ten stehen dem musikalischen Pranger schon weit näher. Das
sind oberflächliche, kokett sinnliche Bänkelsänger, moderne
Landstreicher der Kunst, die die raffinirte Sentimentalität der
neuiialienischen Oper in das deutsche Lied eingeschmuggelt ha-
171
ben und mit dieser Kontrebande den leicht bestechlichen Ge-
schmack der Halbgebildeten für ihre ohrenkitzelnden Mach-
werke zu gewinnen wissen. Denen kommt es nicht auf Tiefe
der Auffassung, auf innere Wahrheit und Nothwendigkeit der
Darstellung an, die aus dem lyrischen Texte wie Ton selbst
hervorwachsen und sich aus ihm bis zur schlagenden Ueberzeu-
gung nachweisen lassen muss: ja die fragen nicht einmal nach
richtiger, naturgemäßer Deklamation. Die bringen den ersten
besten Einfall, der ihnen durch den Kopf und am Klavier durch
die Finger fuhrt, sofort zu Papiere und tragen solche Seifen-
blasen haufenweise zu Markte. Nur das Eine liegt ihnen da-
bei am Herzen, dass die Sachen angenehm klingen und in^s
Ohr fallen, um die plebejische Aristokratie des Salons zu ent-
zücken.
Trotz diesen Mängeln haben die modernen Bänkelsänger
dazu beigetragen und thun dies wider Willen fortgehend, dass
der Sinn für die Liedermusik und ihre Pfl^e eine so allver-
breitete geworden ist und das musikalische Publikum, auf die
Schwächen dieser Nichtsnutzigkeiten ahnälig aufmerksam ge-
worden, zu dem Bessern binübergefuhrt wird: denn man muss
erst das Schlechte kennen und verabscheuen gelernt haben, ehe
sich die EmpfäDglichkeit für das Schöne einstellt. Uniäugbar
ist der Liedergesang auch durch diese musikalischen Handlan-
ger allgemeiner und die Liebe zur Musik auch in den bürger-
lichen Kreisen geweckt worden — um dieses socialen Gewin-
nes und Verdienstes willen gestattet die Kunstgeschichte auch
diesen verirrten Söhnen großmüthig den Zutritt in ihre heili-
gen Hallen, wenn sie sich auch das Ehrenbürgerrecht der rei-
nen Schönheit allerdings nicht erkauft haben.
Bei so allgemeiner Pflege ist denn das musikalische Lied
eine ebensolche Macht in der Gegenwart , als es früher das
Streichquartett und nachher das Pianoforte war: jenes in der
Blüthezeit der Instrumentalmusik nach Haydn und Mozart, wie
oben bereits erwähnt wurde; dieses, das EJavier , seit den zwan-
ziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts: noch in un-
sem Tagen sprechen die fast gleichzeitigen Namen HummePs,
Moscheles% Kalkbrenner's , Herz\ Cherny's, Thalberg^s, Hen-
selfs, Liszfs, Klara Schumann^s, Wilhelmine Clauß^ die Mei-
sterschaft wie die Vorliebe für das Pianoforte aus. Beides
aber genügte nicht mehr, als man eine tiefere Beseelung, einen
172
8precbendei*n Ausdruck für das eigene Gemütbsleben suchte.
Ein solcher war das Lied, in der Poesie so gut wie in der
Musik. Darum hat es auch so schnell die Herzen erobert und
in alle Schichten der heutigen Gesellschaft veredelnd und ver-
bindend eingegriffen. Für die Familie wurde es die bildendste
Liebhaberei und der klare Ausdruck für die unklaren gegensei-
tigen Herzensbeziehungen ; in die hohle Geselligkeit brachte es
den edelsten Unterhaltungsstoff, in das Konzert ein vertrauteres,
menschlicheres Element, verglichen mit dem halb unverstande-
nen Instrumentalgetön; und das moderne Vereinsleben ist zum
großen Theil seine Schöpfung. Besonders in der Form des
vierstimmigen Männergesanges hat das Lied Sängerbünde und
Liedertafeln gestiftet, die Massen begeistert und den schönen
Kunstgenuss mitten in''s Volk, bis in die niedrigsten Stande
hinab , getragen , ja dem unbefriedigten Drange nach politischer
Vereinigung wenigstens eine Verwirklichung en miniature ge-
geben. Und so wird es noch fernerhin segensreich walten und
das Volk für die künstlerische Mündigkeit, auch für das noch
bildungsfähige Musikdrama der Zukunft erziehen helfen.
VII.
DIE
ÄLTESTEN DEUTSCflEN
SPRICHWÖRTERSAMMLÜNGEN.
VON
H. V. F.
1. Niederländisch.
Eine Sammlung von 803 niederländischen Sprichwörtern
unter dem Titel:
Incipiant proverbia seriosa in theutonico prima, deinde in
latino sibi invicem consonantia, iudicio coUigentis pulcher-
rima ac in hominum colloquiis communia.
Ich habe sie vollständig mit den lateinischen leoninischen Hexa-
metern mitgetheilt in meinen Horae belgicae, Pars IX. p. 3 — 49.
Es ist von allen bisher bekannten Sammlungen die älteste und
zugleich eine der reichhaltigsten.
Der Sammler, der gegen Ende des 15. Jahrhunderts sein
Werk drucken ließ, hat augenscheinlich mit Lust und Liebe,
gesammelt: er hat die Sprichworter aus dem Munde des Volks,
wie er sie seiner Zeit vorfand, aufgezeichnet und nach den An-
fangsworten geordnet. Dass er sie für die schönsten hielt,
wollen wir der VorKebe für seinen Stoff und den damaligen
Ansichten von Schönheit zu Gute halten, und so sind denn die
Worte des Titels „nach dem Urtheil des Sammlers die aller-
schönsten und im Gespräche des Volkes gäng und geben" ge-
rechtfertigt. Eine kleine Auswahl der eigenthümlichsten wird
auch heutiges Tages nicht unwillkommen sein.
174
Das Büchlein muss seiner Zeit sehr beliebt gewesen sein.
Es lassen sich jetzt noch verschiedene Ausgaben nachweisen.
Die von mir benutzte (26 Blätter 4<^. in der Bibl. des kathol.
Gymn. zu Köln) ist ohne Ort und Jahr; eine andere ebenfalls
ohne Ort und Jahr verzeichnet Hain Repertorium bibliogr.
Nr. 13,429. Die einzige datierte ist die: Buscoducae per Ger.
Leempt de Novimagio 1487. 4«. s. Cat. Bibl. Thott. Vol.
VII. p. 217. Eine Ausgabe: Delphis in Hellandia, wahr-
scheinlich von Henricus Eckert van Homberch, der von Ant-
werpen nach Delft zog und dort 1498. 99. druckte, befindet
sich zu Haarlem, s. Supplem. Cat. Bibl. Harlemensis (autore
Abr. de Vries) Harl. 1852. p. 105. Eine dieser Ausgaben hat
P. J. Harrebomee benutzt zu seinem Spreekwoordenboek der
Nederlandsche taal. 1. Aflevering. Uitrecht 1853.
Als de anxt meest is, so is godes hulpe aldemaest.
Wenn die Angst ist am größten, so ist Gottes Hülf^ am
nächsten.
Als enen wast sijn goet, wast hem sinen moet.
Wenn einem wächst sein Gut, so wächst ihm sein Muth.
AI liecht die mont, dat hert en liecht niet.
Lügt auch der Mund, das Herz liigt nicht.
Also goet coop gaet men tot smeets als tot smekens huus.
Eben so billig geht man zu Schmids als zu Schmidleins
Haus.
Alleman wat: dat deelt schoon.
Jedem etwas, das theilt schon.
Alder lüde vrient is alder lüde sot.
Aller Leute Freund ist aller Leute Geck.
AI te vele en is niet ghenoech.
Allzuviel ist nicht genug.
Aen meinen bint nieman peerde vast.
An Meinen bindet niemand Pferde fest
Arbeit wint dat vuur uten steen.
Arbeit gewinnt das Feuer aus dem Steine.
Als de sac comt, worpt men den budel achter die kist.
Wenn der Sack kommt, wirft man den Beutel hinter die
Kiste.
Also wee wort den naghel als den gate.
Ebenso weh wird dem Nagel als dem Loche.
175
Als ic doot bin, ig alle die werelt doot.
Wenn ich todt bin ist die ganze Welt todt
Beter doot dan vriendeloos.
Lieber todt als freundelos.
Blint man arm man, al had hi bonte cleider an.
Blinder Mann armer Mann, hätt^ er auch bunte Kleider an.
Clein ghepac is groot ghemac.
Klein Gepäck ist groß Gemach.
Dat dat oghe niet en siet, dat en begheret herte niet.
Was das Auge nicht sieht, begehrt das Herz nicht
Daer niet en is, en rijst niet.
Wo nichts ist, fällt nichts.
Daer een man is, daer en is mer half tale.
Wo Ein Mann ist, da ist nur halbe Sprache.
Den lieyen kinde gheefl men menighen name.
Dem lieben Kinde gibt man manchen Namen.
Dat rechte hevet dicwijl hulpe noot.
Das Recht hat oftmals Hülfe noth.
De woorde sijn goet, vervolghen hem die werken.
Die Worte sind gut, folgen ihnen die Werke.
Die spierinc doet den salm afslaen.
Der Stint macht den Salm billig.
Die van enen quade wijf seheit, doet een goede dachvaert.
Wer von einem bösen Weibe scheidet, macht eine gute
Tagereise.
Die vorder wil dan sijn peert, sit af ende gae te voet.
Wer weiter will als sein Pferd, sitze ab und gehe zu Fuß.
Die hem selven ketelen can, lacht als hi wiL
Wer sich selbst kitzeln kann, lacht wenn er will.
Die mi lief doet, bereet mi een sorghe.
Wer mir Liebes thut, bereitet mir eine Sorge.
Die der ghemeinten dient, dient enen quaden beer.
Wer der Gemeinde dient, dient einem bösen Herrn.
De altoos te vroech meinet te comen, comt die te laet.
Wer immer meint zu früh zu kommen, kommt oft zu spät.
De wael doet, en derf niet omsien.
Wer Grutes thut, darf nicht umsehn. *)
*) Um den Orden des Königs Ludwig Ton Holland stand: Doe wel, zie
niet om.
176
Die men raden mach, den mach men helpen.
Wem man rathen kann, dem kann man helfen.
Diet qualic gaet, stoot hem aen een stroo.
Wem's übel geht, stößt sich an einen Strohalm.
Dat den been goet is, dat is der leersen quaet.
Waö dem Beine gut ist, das ist dem Stiefel schädlich.
Die cat is gheern daer mense clauwet. ^
Die Katze ist gern wo man sie streichelt.
Die nae enen giilden waghen staet, crighet gheern enen naghel af.
Wer nach einem güldenen Wagen trachtet, bekommt leicht
einen Nagel ab.
Die gheringhe looft, is haest bedroghen.
Wer schnell glaubt, ist bald betrogen.
Enen dach verlenet dat een heel jaer weighert.
Ein Tag verleiht was ein ganzes Jahr verweigert
Haddic was een arm man.
Hatt-ich war ein armer Mann.
Hongher is een scharp sweert."
Hunger ist ein scharfes Schwert.
Hi hindert wael, die niet ghehelpen en can.
Der bindert leicht, der nicht helfen kann.
Hi is lanc doot dict jaer starf.
Der ist lange todt der das Jahr starb.
Hi comt al vroech ghenoech, die quade bootschap brinct.
Der kommt schon früh genug, der schlimme Botschaft
bringt.
Jae ende neen is een langhe strijt.
Ja und Nein ist ein langer Streit.
In allen landen vint men ghebroken potten.
In allen Landen findet man zerbrochene Töpfe.
In eens arm maus hooft blijft vele wijsheit versmoort.
In eines armen Mannes Haupt geht viele Weisheit zu Grunde.
Kindershant is haest ghevolt.
Kinderhand ist bald gefüllt.
Lrants sede is lants ere.
Landessitte ist Landesehre.
Luttel te late is vele te late.
Ein wenig zu spüt ist viel zu spät.
Men vint menighen esel, die nie sac en droech.
Man findet manchen Esel, der nie Säcke trug.
177
Men roept den esel niet tot bove dan als fai wat draghen moet
Man ruft den Esel nicht zu Hofe, als wenn er was tra*>
gen soll.
Men voer een cat in Enghelant, si lai mauwen.
Man führe eine Katze nach England, sie wird miauen.
Men drift enen verre tot Mompelier; comt hi weder, lu blijft
een stier.
Man treibt einen Farren nach Monipellier; konunt er wie*
der, er bleibt ein Stier. ^
Men set den vors op enen stoel, hi sprinct weder in sinen poel.
Man setze den Frosch auf einen (güldenen) Stuhl, er springt
wieder in seinen Pfuhl.
Natuur gaet boven leer.
Natur geht über Lehre.
Stelet eens ende blijft ewelic een dief.
Stiehl Einmal und du bleibst ewig ein Dieb.
Siet wael toe! schuum en is gheen hier.
Seht wol zu! Schaum ist kein Bier.
Siet ment, so speel ic; siet ment niet, so steel ic.
Sieht man^s, so spieP ich, sieht man^s nicht, so itehr ich.
Ten wart nie meister gheboren.
Es ward nie Meister geboren.
Ten hincte nie man van eens anders seer.
Es hinkte nie jemand von eines anderen Weh.
Tis gheen sac so quaet, hi en is ener bede waert
Es ist kein Sack so schlecht, er ist einer Bitte werth.
Tis qua^t water, sprac die reigher, ende conde niet swemmen.
Es ist schlechtes Wasser, sprach der Reiher, und konnte
nicht schwimmen.
Tis een quaet laut, daer niemant vordel en hevet.
Es ist ein schlechtes Land, wo niemand Nutzen hat.
Tis den enen hont leet, dat dander in die ecken gheet.
Es ist dem einen Hunde leid, dass der andere in die
Küche geht.
Tis al eens waer hi sit diet wael can.
Es ist ganz einerlei, wo einer sitzt der was kann.
Tis goet mit heier huut slapen gaen.
Es ist gut mit heiler Haut schlafen gehn.
Tonluc hoort nau.
Das Unglück hört scharf.
Weimw. Jk. IL |2
178
Tot gods faulpe faoort arbeit.
Zu Gottes Hülfe gehört Arbeit.
Tkint seit, dat nient slaet, mer niet waer om.
Das Kind sagt, dass man^s schlagt, aber nicht warum.
Tseint menich sinen hont, daer hi seif niet comen eu wil.
Es sendet mancher seinen Hund wohin er selbst nicht
kommen mag.
Dat een jaer en leert dat ander niet.
Das eine Jahr lehrt das andere nicht.
Tgheruft doot den man.
Das Gerücht todtet den Mann.
Waer spot quaet spot.
Wahrer Spott schlimmer Spott.
Wael ghedaen is vele ghedaen.
Wolgethan ist viel gethan.
Wijn drinct, wijn ghelt.
Trink Wein, bezahle Wein.
Voor olde schult neemt men haver.
Für alte Schuld nimmt man Hafer.
Wat schaet dat niet en schaet?
Was schadet was nicht schadet?
Seif doen seif hebben.
Selber thun selber haben.
2. Niederdeutsch.
1362 niedeutsche Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten
und Sittensprüche. Antonius Tunnicius sammelte und übersetzte
dieselben in lateinische Hexameter in seinen Nebenstunden zu
Münster im Sommer des Jahres 1513 und widmete sie dem
jungen Canonicus Eberwein Drosten. *)
*) In der Zaeignang spricht er sich über die Zeit der Abfassung seines
Büchleins und den Zweck also aus : Ego igitur, studiose adolescens, calcaria
(vt dicitur) addens sponte currenti, hoc licet incultum opusculum in germano-
mm paroemias a me tumultuario sub secundarijs (vt fertur) boris bac estate
inter plurimas meas occupationes conscriptum et in capita diuisum tibi nun-
cupatim dedico, cui adhuc etas discendis literis est congrua et acutum Inge-
nium et memoria tenacissima. Rogo itaque vt quedam horum monostichorum
(proderunt enim vt spero non parum tue lingue) tempore iuuentutis memorie
eommendare non pigeat. — ex Monasterio quinto calendas Octobris Anno a
natali christiano supra Millesimum quingentesimum deeimo tertio.
179
Die meisten sind entlehnt aus den Proverbia communia,
die dortigen leoninischen Hexameter sind jedoch in bessere ver-
wandelt. Tunnicius hat die dort fehlenden theils aus Büchern,
theils auch wol aus mündlicher Überlieferung hinzugefügt. Das
Niederdeutsche ist das damals im Münsterlande übliche.
Über Tunnicius selbst habe ich nichts weiter erfahren
können, als was Hamelmann sagt.*) Er war lange Zeit Leh-
rer an der Pauliner Schule zu Münster unter dem Rector Ti-
mann Camener und lebte noch im J. 1544 sehr bejahrt als
Vicarius (tunc optimus) am Dom daselbst.
Von seinem Buche sind mehrere Ausgaben vorhanden. Ich
benutzte die Kolner vom J. 1515, dasselbe Exemplar der Meu-
sebachschen Bibliothek, woraus bereits Julius Zacher in seiner
Schrift: Die deutschen Sprichwortersammlungen (Leipzig 1852)
S. 25 — 30 einige Proben mittheilt.
ANtonij Tunnicij Monafterienfis. in prouerbia fiue paroe-
mias Germanorum Monoftica
32 Blätter in 4^. Am Ende:
Liber hie adagiorum iam nouiter impreflus Colonie in
domo Quentel Anno domini. M. ccccc. xv. ad Aprilem
Die Ausgabe, die jener vorhergeht, schließt mit den Worten:
Jmpreflum Coloniae per Martinum (de) Werdena. A. D.
M. D. xiv.
s. Panzer Annal. VL p. 374.
Eine dritte, ohne Ort und Jahr, setzt Scheller (Sassische Bü-
cherkunde Nr. 464.) sehr irriger Weise ins J. 1495 und soll
nach ihm in Wolfenbüttel sein, wo sie aber noch niemand hat
finden können.
AI verloren dat men den undankberen doet.
Alles verloren was man den Undankbaren thut.
Ein junk engelken wert wol ein olt duvel.
Ein junges Engelchen wird wol ein alter Teufel.
He vischet up dem drogen, de den vos bedrogen wil.
Der fischet auf dem Trockenen, der den Euchs betrügen
wiU.
We en is nicht klok in synem sin?
Wer ist nicht klug in seinem Sinn?
De de kerne wil eten, de mot de not upbreken.
*) Heim. Hamelmanni opera geneal.-bist. (Lemgo riae 1711) p. 171.
12*
180
Wer den Kern will essen, muss die Nuss aufbrechen.
Stotterbemt beft Stotterhenneken leif.
Stotterbernhard hat Stotterheinrichen lieb.
D6t is beter dan leven sunder Trunde.
Tod ist besser als leben ohne Freunde.
Gedwungen leifde vorgeit balde.
Gezwungene Liebe vergeht bald.
Wat dat oge nicht en siebt, dat en quellet dat herte nicht.
Was das Auge nicht sieht, das quälet das Herz nicht.
Dem vromen lecht nien ein küssen, dem schalke twe.
Dem Frommen legt man ein Küssen, dem Schalke zwei.
Den exteren wert 6k wol ein ei gestolen.
Den Elstern wird auch wol ein Ei gestohlen.
De böm en drecht neine appel to syner bäte.
Der Baum trägt keine Aepfel zu seinem Nutzen.
Der bede gän vele in einen sak.
Der Bitten gehen viele in einen Sack.
Beter geswegen dan ovel gesproken.
Besser geschwiegen als übel gesprochen.
We kan den äl by dem sterte holden?
Wer kann den Aal beim Schwänze halten?
Van druwen stervet nummant.
Von Drohen stirbt niemand.
De vulle munt sprikt des herten grünt.
Der volle Mund spricht des Herzens Grund.
Dem gelucke entegen is, de brikt wol ein bein up slechter
Orden.
Wem das Glück entgegen ist, der bricht wol ein Bein auf
ebener Erde.
He doet 6k wat de de h6ner v6rt.
Der thut auch was der die Hühner futtert.
Dar drinken ere is, dar is spyen neine schände.
Wo Trinken Ehre ist, da ist Speien keine Schande.
De einen to gaste bidt, de gae Ersten wol to vleischmarkt.
Wer einen zu Gaste bittet, der gehe erst wol zum Fleisch-
markt.
Wan men nicht en mach als men wil, so mot men doen als
men kan.
Wenn man nicht mag wie man will, so muss man thun
wie man kann.
181
Ein ander kloppet up den buscb, mer du krichst den vogel.
Ein anderer klopft auf den Busch, aber du bekommst
den Vogeh
Wan de gecken to markede komen, so krygen de kremer gell
Wenn die Narren zu Markte geben, so bekommen die
Krämer Geld.
Men sal neine worste soken in des hundes stal.
Man soll keine Würste suchen im Hundestall.
Men hovet nicht de vlo in den pels to setten.
Man braucht nicht den Floh in den Pelz zu setzen.
Ik hebbe gesaiet, mer ein ander maiet.
Ich habe gefaet, aber ein anderer mähet.
Se hinderen wol vake, de nicht baten mögen.
Die hindern wol oft die nicht nützen können.
Gedeilt viir bernt nicht lange.
Getheiltes Feuer brennt nicht lange.
In de haut gegeven is angeneme.
In die Hand gegeben ist angenehm.
Ein hastich man sal up einem essel ryden.
Ein hastiger Mann soll auf einem Esel reiten.
He kumt nicht to late, de quade bdtschap brenkt.
Der kommt nicht zu spät, der böse Botschaft bringt.
He steit by synem gesellen als de hase by dem hunde.
Er steht seinem Gesellen bei wie der Hase dorn Hunde.
Ja undc nein scheidt de lüde.
Ja und Nein scheidet die Leute.
He entfenkt de dem werdigen gift.
Der empfungt, der dem Würdigen gibt.
Hillige dinge en sal men nicht antasten mit unreinen banden.
Heilige Dinge soll man nicht antasten mit unreinen
Händen.
Men kan mit neinen mdrken grote dinger kopen.
Man kann mit keinem Heller große Dinge kaufen.
Natur trekt m^r dan «even perde.
Natur zieht mehr als sieben Pferde.
Schade, sorge unde klage wassen alle dage.
Schade, Sorge und Klage wachsen alle Tage.
Wat batet rykdom, als men neine wysheit kopen kan?
Was nützt Reichthum, wenn man keine Weisheit kaufen
kann?
182
Ais men de pauwen loyet, so bredet se den stSrt.
Wenn man die Pfauen lobt, so breiten sie den Schwanz
aus.
De wyn drinket, de mot 6k wyn betalen.
Wer Wein trinkt, der muss auch Wein bezahlen.
De vru wil h^r syn, de mot lange knecht syn.
Wer früh will Herr sein, der muss lange Knecht sein.
Dat men vorleisen mach, sal men nicht holden vor syn egen.
Was man verlieren kann, soll man nicht halten für sein
eigen.
Dattu nummande. wult geven, dat saltu 6k van nummande
bidden.
Was du niemandem geben willst, das sollst du auch von
niemandem bitten.
Mit den minschen sal men hebben vrede, mit den sunden stryt.
Mit den Menschen soll man haben Friede, mit den Sün-
den Streit.
Men sal des geldes her syn, nein knecht.
Man soll des Geldes Herr sein, kein Knecht.
Ryk is he de nicht mSr begert.
Reich ist wer nichts mehr begehrt.
Dattu wult allene wetten, dat segge nummande.
Was du willst allein wissen, das sag niemandem.
He heft einen vyent overwunnen, de synen toren bedwinget.
Der hat einen Feind überwunden, der seinen Zorn be-
zwingt.
Dat eine qnki sleit vake to dem anderen.
Ein Übel kommt oft zum andern.
De cre is nicht dem se schfit, mer dem de se doet.
Die Ehre ist nicht für den, welchem sie erwiesen wird,
sondern für den, welcher sie erweist.
De dat schone br6t v6r it, de mot dat grove br6t naeten.
Wer das Weißbrot vorher ißt, muss das Grobbrot nach-
essen.
(Sch6nbr6t in Hamburg eine Art Weißbrot mit zwei
Timpen.)
Swygen hindert seiden.
Schweigen schadet selten.
183
3. Hochdeutsch.
0
Unser Sprich worterschatz, dies schone Erzeugniss und Ge-
meingut des ganzen deutschen Volkes, galt von je her für
eine sprudelnde Quelle der Laune, des Scherzes, des Witzes
und Spottes, für eine Fundgrube köstlicher Ergebnisse des
Nachdenkens und Nachsinnens , für eine immer flüssige Kente
der mannigfaltigsten Erfahrungen in allen Lebensverhältnissen
und Beziehungen.
Schon die alten Dichter haben es nicht verschmäht, ihre
Lehrsätze durch alte Sprichwörter zu belegen und zu bekräfti-
gen l) und ihre Sittenlehre in das volksthümliche Gewand der
Sprichwörter zu kleiden, wie Walther von der Vogelweide un-
ter dem Namen Freidank es gethan.
Die große Bedeutung, welche das Sprichwort seit dem
Mittelalter bei uns bis auf den heutigen Tag behalten hat, lehrt
schon ein Blick auf seine Litteratur seit dem 16. Jahrhun-
dert»).
Gewöhnlich gilt Heinrich Bebel für den ersten Sammler
deutscher Sprichwörter. Seine Sammlung enthält aber wie
auch der Titel besagt 3) nur deutsche Sprichwörter in lateini-
scher Uebersetzung und Auslegung.
Der erste Sammler ist Johannes Fabri de Werdea:
„Prouerbia metrica et vulgariter rjtmifata Magißri Johan-
nis Fabri de werdea Vtriufque iuris baccalarii Collegii prin-
cipis alme vniuerfitatis famofifllmi ßudii Lipczenfis collegiati
Necnon eiuTdem infignis ftudii fecretarii Incipiunt*)."
24 Blätter in 4<^. Am Ende das Druckerzeichen des Leipziger
Buchdruckers Martinus Landsberg de Herbipoli, der sich ge-
wöhnlich Baccalaureus Herbipolensis nennt und vom J. 1492 —
1522 zu Leipzig druckte. Das zweite Blatt beginnt mit ganz
1) Vridankes bescheidenheit von W. Grimm S. LXXXVin — CVU
Mone, Anzeiger 3, 29—31. Maßmann in den Heidelb. Jahrb. 1827. S.
242—246.
2) Julius Zacher, Die deutschen Sprichwörtersammlungen (Lpz. Weigel
1852).
3) Proverbia germanica collecta atque in latinum traducta (opuscula. Ar-
gent. 1508).
4) Ich habe schon früher darauf aufmerksam gemacht in meiner Moaat-
schrift von und für Schlesien 1829. S. 91 — 94.
184
denselben Worten wie das Titelblatt; dann folgen die lateini-
schen Distichen oder Tetrastichen und jedesmal darunter die
deutschen Verse, die theils Fabri selbst gemacht theils aus
dem Munde des Volks entlehnt hat. Einige dieser deutschen
Sprüche und Sprichworter , aber in jetziger Schreibung , mögen
zur Kenntniss der ganzen Sammlung dienen.
Der nicht Hurn und Buben in seim Gschlecht hab,
Der lösch fröhlich diesen Keim ab.
Bisher hat ihn niemands ausgethan,
Darum, lieber Gesell, lass ihn auch stahn!
Alte Freund und alte Schwert
Sind in der Noth ihrs Geldes wertb.
Ich hab oft gehört,
Dass ganz übel stat.
Reden schöne Wort
Und thun närrische That.
Ein stolzer Pfaff,
Ein kluger Äff,
Ein unverschämtes Kind
Sein des Teufels Hofgesind.
Wer da will buhlen mit schönen Frauen,
Der kann nicht wol hohe Häuser bauen;
Denn ein itzlicher Buhler muss mild^) sein.
Will er geliebt werden von den Fräuelen fein.
Den Topf erkennt man aus seinem Klang,
Und den Thorn und Narren aus seinem Gesaug:
Also einen itzlichen Menschen auf Erden
Aus seinen Sitten und Gebehrden.
Wenn Thorn zu Markt kommen.
Des haben die Krämer großen Frommen.
Von dem VerCuser wissen wir nicht viel mehr als was er selbst von
sich auf dem Titel sas^ Er verfasste auch andere lateinische Gedichte , s.
Paaxer Annal. Vol. 1. |>. 603.
5) freigebig.
185
Armuth und Stolzheit
Ist ein Spott und Thorheit.
Wuchs Laub und Gras
Als Gewalt, Neid und Hass,
So äßen die Kuh dester baß.
Zehr ich, so verderb ich,
Spar ich, so sterb ich;
Doch ist besser gezehrt und verdorben
Denn gespart und gestorben.
Einem itzlichen liebet ö) sein Vaterland,
Darin er gebom ist und bekannt:
Zu dem zeucht ihn große Süßigkeit,
Dass er sich auch gibt in Weges Fahriichkeit.
Das schadet der christlichen Kirchen zu allen Stunden,
Dass besser Laien denn Priester werden erfiinden.
Der karg Mensch in seinem Muth
Meint, er hab Geld und Gut;
Aber fürwahr, das Geld hat ihn.
Und nicht er das Geld, in meinem Sinn.
Ein gefleckter Hund ist begehren,
Dass alle Hund geflecket wären;
Also wollt, der mit Schanden ist umgeben,
Dass iedermaun geschändet wurd in seinem Leben.
Wer da nicht wol reden kann.
Der will mehr reden denn ein ander Mann.
Also der nicht wol singen kann.
Facht alle Zeit viel Gesanges an.
Jedermann gefällt sein Sinn wol.
Darum ist die Welt Narren voll.
Der hoffärtig Mensch auf Erden
Will alle Zeit geehrt und gelobt werden;
Denn die Tugend stehn ihm nicht bei,
Darum er rechtes Lobes wird frei.
8) ist lieb.
186
Willt du werden bekannt
In mancherlei Stadt und Land,
So mach Gedicht und lern Kunst,
Darum wirst du gelobt mit Gunst.
Das Wort freien als ich finde,
Wird gesprochen mit Widersinne,
Denn der ist nicht frei in seim Leben,
Dem ein Weib wird zu der Eh gegeben.
(Dicta per antifrasim vox vulgi sit tibi freyen.
Liber enim minime est quem gravis uxor habet.)
Der Schluss lautet buchstäblich:
Hec metra cum rytmis finxit werdea magifter
Quem deus a vicijs omtiibus exoneret
Dise Sprüche vnnd getieht
Hat iohannes werdea erdicht
Den woll entpinden
Von allen lästern vnd siinden
Hoftibus a cunctis deus hunc conferuet, vt ipfe
Poft mortem eterna pace fruatur Amen
Got wolle dem tichter vergünnen
Alle seyne feynde zcu vberwinden
Das ym nach diesem leben
Der ewige fride werd gegeben
AMEN
Till.
LIEDERBUCH
DER
FRAU VON HOLLEBEN.
VON
H. V. F.
r rau Sophia Margareta von Holleben, geb. Normann war
eine große Freundin der Poesie. Sie hatte in der Mitte des
18. Jahrhunderts sich ein Lieder album angelegt, zu welchem
auch ihre Freunde, Gönner und Verwandten beisteuerten. Die
Aufzeichnungen stammen aus den Jahren 1745 — 1776, es sind
die damals viel gesungenen, allgemein beliebten Lieder, die
noch zum Theil dem Anfange des 18. Jahrh. angehören. Außer
den deutschen enthält die Sammlung viele franzosische. Im
Ganzen sind es weit über 200, wovon die größere Hälfte deut-
sche. Obschon die meisten von Edelleuten, einige sogar von
Fürsten geschrieben sind, so ist doch die Schreibung eine
höchst verwahrloste. Auch die Lieder selbst sind zum Theil
dermaßen verdorben, dass es oft schwer hält, einen Sinn hin-
einzubringen; daran ist nun auch wol Schuld, dass sie aus dem
Kopfe und nach mündlicher Überlieferung aufgezeichnet wurden.
Dennoch ist die Sammlung ganz werthvoll: wir lernen daraus,
welche Lieder damals beliebt waren und gern gesungen wurden.
Sie geben zugleich ein treues Bild der Neigungen und Liebha-
bereien der höheren Stände: die damaligen nobles passions sind
Li^be, Jagd und Soldatenthum, bei welchem letzteren denn
188
auch das Crambambuli - Lied (Ein Günther singt das Lob
vom Knaster etc.) mit seinen 40 Strophen nicht fehlt. Einige
dieser Lieder haben etwas Volksthümliches, so das Soldaten-
lied S. 85.
Ich will ein Soldat verbleiben,
Weil mein Herz noch Othem spürt,
Will mich auch nicht anders schreiben,
So lang mein Herz von Blut sich rührt,
Denn auf dieser weiten Erden
Mir nichts Liebers hier kann werden,
Hab' ich doch mein Stücklein Brot
Oder einen honetten Tod.
Einige gehören einer fiiihem Zeit an, dem poetischen
Schäferthume :
Damotas war schon lange Zeit
Der jungen Phyllis nachgegangen.
Alle diese Lieder sind bis auf wenige vergessen worden,
zwei aber leben, wiewol völlig verändert, noch jetzt im Munde
des Volkes:
Ein Herz, das sich mit Sorgen plagt, und
Wahre Freundschaft mnss nicht wanken.
Frau von HoUeben hat ihrer Sammlung folgenden Titel
gegeben:
Sammlung verschiedener Melodischer Lieder, die von den
Händen hoher Gönner und Gonnerinnen, auch Freunde
und Freundinnen in dieses Buch eingetragen worden und
mir als dessen Besitzerin zum Zeugniss Dero resp. Gnade
und Freundschaft dienen, die ich lebenslang mit unter«
thänigstem und gehorsamen Dank verehren werde.
Eine Abschrift ließ Se. König]. Hoheit der verstorbene Ghro&-
herzog Carl Friedrich anfertigen (seit einiger Zeit erst auf der
Bibliothek su Weimar). Die Abschrift bei aller ihrer Netttg-*
keit läast viel zu wünschen übrig; der Schreiber hat besonders
in den mundartlichen Liedern arge Verstöße gemacht.
Lied.
1. Ein Herz, das sich mit Sorgen plagt,
Verzehrt sich selbst bei Zeiten.
Wer stetig üb»r Unglück klagt,
Wird sich dM Grab bereittn.
189
Es kann ja doch nicht anders sein:
Auf Regen folget Sonnenschein.
3. Die Zeiten sind veränderlich,
Es wechseln Tag' und Stunden.
Oft hat nach Blitz und Donner sich
Die Stille eingefunden.
Die Nacht kann nicht so finster seiii,
Der Tag bricht wiederum herein.
3. Obgleich die dunkle Finsterniss
Des Tages Licht verborgen.
So glaub' ich gänzlich noch gewiss,
Dass es sich endet morgen.
Kömmt bei mir auch wol noch d^ Tag,
Dass ich mich glücklich nennen mag.
4. Liegt gleich mein Schiff vor Anker noch
Und hat conträre Winde,
So ist bei mir die Hoffnung doch,
Dass er sich endlich finde,
Der Hafen so mir ist beschert
Und den mein Herz schon längst begehrt«
5. Ein Schiff, das in der Wasserfluth
Mit Wind und Wellen streitet,
Verlieret nicht sogleich den Muth,
Weil es die Hoffnung leitet,
Es werde bald dem Sturm entgehn
Und in dem sichern Hafen stehn.
6. Wer weiß, wo mir mein Glück noch soll
In voller Blüthe stehen.
Und scheint es heute noch so toll,
Kann's morgen anders gehen,
Dass ich durch einen guten Weg
Erlange den erwünschten Zweck.
7. Das Glücke ist den Bädern gleich:
Was unten ist, kommt oben ;
Wer heut' ist arm, wird morgen reich
Und kann sich herzlich loben.
Wie mancher ist im Augenblick
Gelangt zu einem großen Glück.
8. Drum, mein Gemüth, ennuntre dich
Und lass die Sorgen fahren !
Das Glücke geht so wnnderKeh,
Man zieht's nicht bei den Haaren.
190
Lass sorgen wer da sorgen willl
Ich hoff* und warte in der Still
Vgl. die neueren Texte bei £rk, Volkslieder 1. Bd. 4. Heft Nr. 30. Lie-
der-Lexikon Nr. 521. Trowitzsch Neuer Liederkranz 7. Th. Nr. 4.
M e n u e t.
1. Wahre Freundschaft muss nicht wanken,
Ob man gleich entfernet ist,
Da man doch in den Gedanken
Seine wahre Freunde küsst.
Dieses soll mich niemand hemmen,
Ihre Abschrift heißt Bestand,
Eh lasst mir das Leben nehmen,
Eh zerbrecht das Freundschaftsband.
2. Trennet uns gleich Berg und Hügel,
Lasst es sein, mir liegt nichts dran.
Denn die Liebe hat ja Flügel,
Die kein Mensch nicht binden kann.
Weit entfernet noch am Herzen I
Dieses Sprichwort gilt allzeit.
Denn die wahre Freundschaft^kerzen
Löschet nicht Abwesenheit,
3. Dies sind die Versichrungsworte,
Die mein Herz zum Abschied giebt.
Lebe wohl an diesem Ortet
Glaub dass der so dich geliebt
Niemals keinen Wechsel kennet.
Niemals keine Ändrung glaubt.
Und dass auch die Liebe brennet.
Bis der Tod das Leben raubt
Vgl. die neueren Texte: meine Schles. Volkslieder Nr. 108, Krk Volksl.
1. Bd. 6. Heft Nr. 25, Fink Hausschatz Nr. 903..
Arie.
1. Ich liebte nur Ismenen,
Ismene liebte mich.
Mit unverfälschten Thränen
Getreu verließ ich dich.
Noch fuhr ich gleiche Triebe,
Nur du fliehst mein Gesicht,
Beweg ihr Herz, o Liebe,
Nur straf Ismenen nicht I
2. Wie oft hast du geschworen,
Du liebtest mich allein.
k.
191
Sonst sollt* dein Witz verloren,
Dein Anblick schrecklich sein.
Aus Liebe zn Narcissen
Vergesst du Schwur und Pflicht.
O rühre sie, Gewissen,
Nur straf Ismenen nicht!
3. Dort unter jener Buchen
Qabst du mir Blum' und Band.
Dort kamst du mich zu suchen.
Hier gabst du mir die Hand.
Dort gabst du mit Erröthen
Den Ring. Der Untreu bricht —
Gedanken, die mich tödten.
Straft nur Ismenen nicht I
4. Du grubst in diese Linde
Mit eignen Händen ein:
Wer untreu wird, der finde
Hier seinen Leichenstein.
Schont, Götter, schont Ismenen,
Die selbst ihr Urtheil spricht I
Mein Grab soll euch versöhnen.
Nur straft Ismenen nicht I
Liebeslie.d.
1. ,So küss* ich dich oft in Gedanken
Und bete deine Schönheit an.
Mein Herz verehrt dich ohne Wanken,
Ob ich dich gleich nicht sehen kann.
Mit dir vertreib' ich mir die Zeit
Wol in der stillen Einsamkeit
2. Was ich nur rede oder denke,
Ist einzig und allein von dir.
Wohin ich meine Sinnen lenke.
Da steir ich mir dein Bildniss für.
Ja, es geht keine Stunde hin,
Wo ich im Geist nicht bei dir bin.
3. Man wird auf meinem Grabstein lesen,
Dass der in diesem Sande ruht.
Bis an das End getreu gewesen.
Ja dass vor einer Liebesglut
Die Asche glimmt, ja selbst die Treu
Steht bereits aus mündlicher Überlieferung in meinen Schles. Volkslie-
dern Nr. 161, 6 Strophen lang; die letzte, die hier unvollständig und verwor-
ren, lautet dort:
192
Und ob du gleich nicht willst erkennen
Die Treue meiner Redlichkeit,
So soll doch meine Liebe brennen
Bis an das Ende dieser Zeit,
Ja selbst auf meinem Leichenstein
Soll meine Treu zu lesen sein.
Gretchen und der Junker.
1. Höre, Gretchen, nur zwei Worte,
Stille meine Neubegier I
Gehörst du nicht an diesen Orte?
Wohnet nicht dein Vater hier?
Nur dein Blick macht mir bekannt,
Du verstellest deinen Stand,
Schönstes Kind, eil ja nicht forti
Schönstes Kind, hör nur ein Wort,
hör nur ein WortI
2. 6a he doch man syne strate!
br&d' he my nich al to vel!
kam ik den hemast to spade,
kryg ik jo den bessenstel.
r&t he den nich wer ik ben?
in dit dorp da hör ik hen.
ne, dat is man niks, ne, ne!
ik mut YÖrl to hüs, adjel
na hüs, adjdl
und so noch 13 Strophen, immer die eine hochdeutsch, die andere niederdeutsch.
IX.
SECHS UNGEDRÜCKTE BRIEFE
VON
MARTIN OPITZ.
VERÖFFENTLICHT
VON
FRIEDRICH W. EBELING.
Nachfolgende Briefe des Vaters der deutseben Kunstpoesie,
deren Originale kürzlich im Anhaltinischen Gesammt- Haus-
archiv aufgefunden, sind zweifelsohne schon ihres Verfassers
wegen jedem Freunde deutscher Litteratur kostbare Reliquien,
und sie der Öffentlichkeit länger vorzuenthalten, darf sicher
einem Raube gleichen, begangen an Dem, was der deutschen
Nation zur Stunde höchsten und alleinigen Stolz ausmacht.
Ihr an und für sich hohes Interesse gewinnt aber noch
dadurch, dass sie Opitz in seiner Eigenschaft als Mitglied der
^fruchtbringenden Gesellschaft'^ an den Fürsten Ludwig von
Anhalt schrieb, und gerade sein Verhältniss zu diesem in der
Geschichte jenes für unsere Sprache gar wohl bedeutenden
Vereins bis jetzt ziemlich ungewiss geblieben, durch die neueste
Geschichte der ftiichtbringenden Gesellschaft von F. W. Bart-
hold indessen noch problematischer geworden ist. Seit langer
Zeit ist mir kein Buch begegnet, das wie dieses mit burschi-
koser Keckheit völlige Werthlosigkeit verbindet und verbinden
musste, wenn man sich dabin, wo die gewichtigsten Materialien
von vornherein zu suchen, erst dann begiebt, nachdem das
geschlossene Manuscript bereits unter die Presse gewandert.
fTeimar, Jh. U. y^
194
Zwar hat Herr Barthold durch einen Anhang Manches gut zu
machen gesucht; allein auch dieser Anhang zeugt dem, der die
Originalactenstücke des ältesten Erzschreins jener Gesellschaft,
allerdings nicht mehr im Zusammenhange vorhanden, kennt,
von der Leichtfertigkeit, mit welcher das ganze Buch gearbeitet
ist. Bald wird sich Gelegenheit bieten, diesen Vorwurf, die
stellenweis beispiellose und unverzeihliche Salopperie thatsäch-
lich und umständlich nachzuweisen.
Martin Opitz wurde aber durch Vermittelung des rühm-
lichst bekannten, an positivem Wissen ihm weit überlegenen
Freundes August Buchner, „Professor Poeseos'' zu Wittenberg,
wie Dietrichs von dem Werder, Übersetzer von Ariosts ra-
sendem Boland, im Juli 1629 als der „Gekrönte, mit den brei-
ten Blättern des Lorbeerbaums'* in die am 24. August 1617
hauptsächlich zum Zweck der Erhaltung, Ausbildung und Ver-
breitung der hochdeutschen Sprache und Litteratur gegenüber
dem frech um sich greifenden Fremdwesen gestifteten frucht-
bringenden Gesellschaft aufgenommen, und hat seitdem, wie
aus Mittheilungen anderer Gesellschafter hervorgeht, in unun-
terbrochen freundlichem Briefwechsel mit Ludwig von Anhalt
gestanden, das will sagen während eines Decenniums. Aus
dieser ganzen Zeit jedoch haben sich bloß acht Briefe erhalten.
Durch die Wirren und Verwüstungen des dreißigjährigen Kriegs
wie durch gewissenlose Verwaltung des Archivs mag Vieles
vernichtet. Einiges wol, durch tausend Hände gewandert, end-
lich noch erhalten, doch da aufbewahrt sein, wo bloß ein selbst-
süchtiges antiquarisches Interesse sicli an ihm erfreut. Von .
diesen acht Briefen sind zwei an „Herrn von Schilling** ge-
richtet, und bis auf eine Stelle, welche in den Anmerkungen
citiert, unerheblich, eigentlich nur Zettel mit wenigen Zeilen.
Deshalb hielt ich ihren Abdruck unnütz, obgleich jetzt Mode
ist, alle Winkel der Häuser berühmter Dichter zu durchstöbern
und jeden Papierschnitzel feierlichst in die Welt zu senden.
Keineswegs überflüssig schien mir dagegen, das von Robertus
Kobertinus verfasste Schreiben, weil es über die letzten Tage
des Altyaters deutscher Dichtkunst authentische Nachricht bringt.
Und so möge denn das äußerlich so Gerinfügige und doch
wiederum Einzige mit der Liebe aufgenommen und gehegt wer-
den, die es sattsamen Maßes verdient. Diese sechs Briefe sind
Perlen, die man nicht jeden Tag aus der Verborgenheit fordert.
195
1.
Durchlauchter, Hochgeborner, Gnädiger Fürst vndt
Herr, Herr,
Ew. Fürstl. Gn. seindt nebenst wundtschung gueter gesundt-
heidt, ruhigen Zuestandes vndt aller Fürstlichen wolfarth
meine Vnterthänige dienste bevor, vndt habe von Dero-
selbigen annoch gnädiger Zueneigung gegen meiner wenigen
person ich auß des von Schilling *) schreiben hiebevor
mitt firewden vernommen, wündtsche nur daß ich einige
wege erdencken könne, wordurch ich mich solcher hohen
gnade ferner möge fähig machen. Anietzo vbersende ich
meinen psalter: darff keine außführung darvon thun, weil
£. F. G. vrtheil so herrlich, daß sie von einem vndt dem
andern die entscheidung selbst am besten machen können.
Ich hoffe der hiesige buchhändler wirdt nach Hamburg
einen antheil der exemplarien richten, domit sie mögen
Zertheilet vndt vntergebracht werden. Meine weltliche ge-
tichte erwarte ich verfertigt auff Ostern : Deren erster theü
mitt E. F. G. hochlöblichen Namen, als vor auch geschehen,
außgeZiehret; der andere dem edlen Vielgekörnten •) Zue-
geschrieben ist. Auch habe ich des Herrn von Sidney
Arcadie vbersehen, vndt alle getichte vndt lieder Darinnen
nach der gehörigen Reimkunst gesetzet: wirdt erinentlich
von Merian schon mitt seinen schönen kupferstücken her-
außgegeben sein. Nunmehr bin ich vber dem Lateinischen
wercke Dacia Antiqua, hoffe es vor dem Frülinge auß Zue
arbeiten, doferrne nicht der leidige krieg sich nach diesen
orten einsetzt, wie es wol ein sehr gefehrliches außsehen
hatt Doch der Höchste wirdt alles Zum besten schicken,
deßen gnädiger obsicht Ew. Fürstl. Gn. ich Von Hertzen
1) Friedrich Yon Schilling, anhaltischer Geheimrath, 1586 — 1631,
Mitglied der fr. 6. unter dem Namen der „Langsame^.
2) Dietrich von dem Werder, Hessen - Casselscher Geheimrath
Ober - Hofmarschall, von 1631 — 35 unter Gustav Adolf Oberst eines Regiments
zu Fuß, dann Landschafts - Director in Anhalt, endlich Churbrandenburgscher
Geheimrath und Amtshauptmann zu Alten - Gadersleben. £r starb 1657, und
stiftete sich ein bleibendes Gedächtniss durch seine Übersetzung des befreiten
Jerusalems, anderer poetischer Erzeugnisse hier nicht zu gedenken.
13*
196
befehle mitt angeben. E. F. Gn. gerube mir ferner mit
Dero wolgewogenbeidt gnädig beygetban Zue Verbleiben.
Danzig den 27. tag des Wintermonats im 1637. Jhar.
E. Fürstl. Gnaden
Vntertbäniger trewer knecfat
M. Opitz.
2.
Durchlaucbter, Hocbgeborner, gnädiger Fürst Vndt Herr, Herr,
Daß E. Fürstl. 6n. die stralen ihrer gütigkeit auch hirher
in diesen Mittemächtiscben Seehafen strecken, vndt mich dero
alten Diener ihres gnädigen handtbrieffleins würdigen wollen,
bievor habe ich mich in aller demut Zue bedancken, werde
auch mehrmals mitt meinen gehorsamben schreiben anbefohlener
wege nach auff Zue warten ingedenck sein* Auch weiß ich
nicht genugsamb mitt werten Zue sagen, wie trewlich ich er-
kenne die gnade, so E. Fürstl. Gn. mir hiebeyor, als ich mich
in heyrath Zue begeben gesonnen gewesen, erZeigen wollen,
vndt daß sie solches auff solchen fall Zue thun noch femer
geneiget ist >). Der Höchste wirdt es hoffentlich ehist glück-
seliger als damals fügen, vndt ich werde vmb solche hohe gnade
femer mich vnterthänig an Zue geben wißen. Der blinde Cu-
pido ^) ist mitt sehenden äugen geschrieben, vndt verdient nicht
nur allein von meiner Wenigkeit gelesen Zue werden. Des vor-
kommenden *) antwort habe ich allbereit vor 3. wochen von
hier fortgefertigt; hoffe sie werde Zue recht anlangen. Ich
vermeine diese Feyertage bey ihm ab Zue treten. Meine ver-
3) Wie sich diese Heirath zerschlagen, schreibt er selbst am 18. Oct. 1637
an Friedrich von Schilling also: „Ich schrieb vor 8 tagen von meyner hey-
rath; sehe aber daß es Gott nicht also schicken wil, angesehen ein Bürgers-
sohn alhier vermeinet einsprach Zue thun, weil er, seinem vorgeben vndt ihrer
xiioht großen Verleugnung nach) Zuesage vndt ring vorhin ehe ich erlanget.
Ohngeaohtet loh nun die sache wol Zue erhalten verhoffte, bedenck« ich doch,
daß bei solcher ehe Gottes segen vndt gueter außgang nicht alzeit Zue aeyn
pflegt«
4) Von dem „Nährenden'', dem Fürsten Ludwig von Anhalt.
ö) Ein Herr von Börsin.
197
besserte Getichte, wann mich anders die Buchhändler nicht vn-
recht berichten, solten E. FürstL Gn. diesen Ostennarkt Zue
kommen. Die Arcadia des Ritters Sidney hatt Merian gewiß
verfertigt. Mein Psalter wirdt glückselig sein durch E. F. Gn.
yberlesung, vndt ich noch mehr, wann Dieselbte mir dero gnä-
diges vrtheil Dorvoii ertheilen wirdt. Der Druck auff die klei-
nere art ist in etwas geendert, weil des werkes *)
mich das erste mal nicht alles hatt vherlegen laßen. Doch
wirdt auch darinnen noch in dem stoppel was nach Zue lesen
sein; wie dann im 39. Psalm im 5, Satze, der schalcksnar-
ren ferner sey, vndt im 7: Gewiß; der mensch ist ei-
tel k ei t Zue setzen ist. Der Höchste wolle E. F. Gn. gesundt-
heit, langes leben, friede, gliickliche regierung Vndt allen
Fürstlichen wolstandt verleihen; wie ich dann Ihn von hertzen
darumb ersuche, E. Fürstl. Gn. aber, daß sie in der gnädig-
sten Zueneigung gegen mir also fortsetzen möge, als ich bin,
Gnädigster Fürst Vndt Herr, E. Fürstl. Gn.
Danzig, den 2. Aprilstag, 1638.
trew gehorsambster knecht
Der Vnwürdige Gekrönte.
3.
Des Nehrenden gnädige Zwei schreiben sind dem Gekrön-
ten nach seiner Zuerückkunffb von der Königlichen Polnischen
hoffstat wol worden, vndt bedanckt sich dieser mitt gehöriger
ehrerbietung sowol für das vnverschuldete lob als für die de-
mütige errinnerung des einem vnd dem andern. Die Psalmen
belangendt wirdt er nichdt allein Das jenige weßen der Keh-
rende allorts erwehnt in acht nemen; (wiewol dem hochteut-
schen beydes ein grimmer vndt ein grimmiger mensch etc.
gemein ist, vndt vieleicht so wol ein harter Sonnenschein?
als eine harte kälte kau gesagt werden,) sondern es ihm auch
für eine sonderbare gnade Zue schätzen wißen, doferrn er das
vrtheil von anderen mehr orten vndt dem gantzen wercke nach
vndt nach erhalten wirdt. Das so in kleinerer gestalt dem
Hocherlauchten Durchdringenden •) vndt dem edlen Vielge-
*) VdUig unleserlich.
6) Johann Casimir von Anhalt.
198
körnten ynlängst Zuekommen, moclite an vielen stellen gebeßert
sein; ohn daß im 11. stellen des 44. Psalmens Zue lesen ist:
Soll Gott es laßen vngespürt,
Der sieht was man im scfailde führt,
Dem eigentlich bewußt vndt kundt
Des Herzen bahn vndt tieffster grundt?
Doch sindt auch der Druckfehler, wie Zue geschehen pflegt,
nicht wenig vorhanden. Die Arcadie ist auß meiner Durch-
sehung. Meine getichte aber hatt ein Lübecker buchhandler
von den vorigen hinter meinem wißen nachgedruckt: vndt
sollen die neweren, wie ich auß Franckfurt am Main vertröstet
werde, auff den Michaelsmarkt hervorkommen. Des liedes von
dem Leiden vnseres Erlösers wirdt Ihm dem Höchsten Zue
danck vndt dem Nehrenden Zue gehorsamben willen der Ge-
krönte ehist nach vermögen im druck sein; welcher seine Zeit
auch beßer nicht Zue besteten weiß, sintemal es ihm an fug
vndt befreyung von anderen sorgen anietzo nicht mangelt. Der
Vorkommende, mitt dem ich mich Zum offtern sehe, hatt wegen
der begehrten wappen Zwar noch nichts erhalten: er verhoffk
sie aber ehist Zue erlangen vndt ein Zue schicken; befiehlt
sich in deßen Zue beharrlicher gnädigster Zuneigung, als ich
in demut auch thue, den Allmächtigen beyncbenst hertzlich bit-
tend, den Nährenden mitt gesundtheit, langem leben, vndt allem
Fürstlichen wolstande reichlich Zue besegnen. Vndt ich verbleibe
E. Fürstl. Gn.
Danzig, den 25. des Brachmonats,
im 1638. Jhar.
trewlich gehorsamber knecht
Der Vnwiirdig Gekrönte
4.
Des Nehrenden gnädiges handtbriefflein, so den 28. Augst-
monats gefertigt, ist Zwar schon allhier ankommen, hatt aber
vom Gekrönten, der abwesendt sich beiunden, nicht eher als
ietzt in vnterthänigkeit können beantwortet werden. Dieser
nimpt die errinnerungen des Psalters wegen, mitt gebührender
ohrerbietung an; wil auch bey künfftiger heraußgebung eines
199
vndt anders in acht Zue nemen nicht vnterlaßen: wiewol er,
doch ohn maßgeben, vermeinet, es können die in Latein ge-
nannten Dactili, wann sie nicht Zue hart lauffen, bißweilen wol
standt haben; aber hergegen sich bedüncken leßt, daß die Wör-
ter augapfel -^ v^v^ , ohrdrummel— v^ v^ , vndt dergleichen, wel-
cher sich etzliche hochansehnliche herren Gesellschafilcr Zue
gebrauchen pflegen, so reine vndt helle Dactili sindt, daß sie
genawen obren baldt Zue mercken sindt.
Das liedt von dem Leiden vnseres Erlösers soll, do er
selbst gnade dar Zue leihet, sich ehist einstellen. Indessen
habe ich den Weihenacht Gesang: A Solis ortus cardine bey-
gefuget, so guet er mir gerahten, vermeine ihn mitt meinen
Lateinischen auffmerckungen gegen den feyertagen drucken Zue
laßen. Anietzo ist ein buch Griechischer vndt Lateinischer
Epigrammatum allhier vnter der presse, welche ich auß den
besten alten vndt newen Scribenten Zuesammen gelesen, vndt,
die glückseligkeit vnserer spräche durch gegenhalt desto beßer
Zue erweisen, deutsch gegeben habe. Daß der höchste dem
Nährenden in diesem seinem alter ein Fiirstliches Söhnlein auß
gnade beschert hatt, ist dem Gekrönten eine hertzliche frewde,
der einig wundschet, daß der herr Vater an dem liebsten kinde
eine stete frewde vndt augenlust, die vnterthanen vndt Diener,
darunter sich der Gekrönte auch demütig Zehlet, an dem her-
.ren Vater lange Zeit schütz vndt trost haben mögen.
Des gnädig Nährenden
Danzig den f^ Wintermonats,
im 1638. Jhar.
gehorsambst trewer knecht
Der Gekrönte.
1. Von Morgen da die Sonn^ ansteht.
Biß wo der erden gräntze geht,
Singt Christum an durch süßen thon
Marien der jungfrawen Sohn.
2. Der stiffter dieser newen Zeit
Legt an ein sterblichs knechte -kleidt,
Wird fleisch an vnsers fleisches stat,
Befreyt die er geschaffen hatt.
200
3. Des himmels gnad^ yndt reicher schein
Zeucht in die frome Muter ein:
Ihr leib tregt ein gehcimbes pfandt
Das ihrem hertzen ynbekanndt.
4. Es wirdt das hauß der keuschen brüst
Ein Gotteshauß, sie Gottes lust;
Nimpt seinen Sohn Zue ihrem an,
Auf Gottes wort, vndt sonder mann.
5. Sie bringet den die reine magdt
Der Gabriel ihr vorgesagt;
Vndt den Johannes frolich spürt
Eh ihn die muter noch gebiert
6. Er leßt sich legen au£f das hew,
Tregt für den krippen keine schew,
Wirdt mitt geringer milch ernährt,
Der allen vögeln kost beschert.
7. Darob frewt sich der himmel Ziehr,
Die Engel singen Gott darfür;
Er wirdt den hirten dargestellt
Der hirt vndt schopffer aUer weit.
8. Dir sey lob ehr vndt danck gesagt
Du kiiidt der vnbefleckten Magdt,
Der Vater vndt der heiFgo Geist
Auch ewiglicli mitt dir gepreist.
5.
Daß auff des Nährenden schon vor etzliehen wochen ein-
geliefertos gnädiges Schreiben der Gekrönte nicht alsobaldt
wie ihm gebühren wollen geantwortet, ist theiis seiner abwe-
senheit, theils dem gehorsamben wiUen Zue Zue schreiben, daß
er Zuegleich dem leutseligen beehren wegen anschlioßung des
geistlichen liedes auff diese Fasten Zeit ein genügen Zue thun
Vorhabens gewesen. Nunmehr er aber vber seinen fursatz noch
daran gehindert worden, auch morgendes tages auff ein par
Wochen verreisen muß, als hatt ihm obgelegen, dem Nähren-
den Zum wenigsten mitt vnterthänigem schreiben auff Zue war-
201
ten, biß er auch das vbrige mit Göttlicher Verleihung gelei-
sten möge. Seine Epigrammata sollen mitt ehister abschifiimg
der Hamburger auß diesem bafen folgen; sampt einem schönen
geticht so ein deutscher Poet von 500. jbaren vndt drüber Zue
gedechtniß des Colinischen Ertzbi8cho£Fs Anno auffgesetzt, bey
welchem der Nährende viel worter der alten Francken, Sach-
sen vndt in gemein gantz Deutschlands erkläret auß solchen
schrifilen vndt gedechtnissen , die in das gemein nicht bekandt,
auch theils niemals noch an das liecht kommen sindt. Yndt
wirdt hoffentlich der Nährende es sonderlich mitt gnädigen
äugen ansehen, alldieweil Ihm die art vndt lebhafftigkeidt welche
in der Vorfahren büchem Zue finden, iedesmal gefallen vndt
beliebet hatt. Des Geistreichen Buches von Job ist er der
Gekrönte auch gewärtig, vndt wirdt solches mitt vmbsichtig-
keit vndt ehrerbietung durchlesen; wie er dann hofiet, daß er
allgemach beßere rhue allß bißhero durch die Göttliche Ver«
leihung vndt Königliche gnade erlangen wirdt. Dem Nähren-
den wündtschet er auch vom Höchsten glück das seinem stände
gleich sey vndt so langes geruhiges leben, als seine hohe er-
lauchte tugenden verdienen; wie er dann in des Nährenden
beharrliche gnädige Zueneigung sieh ingleichen hertzlich be-
fiehlet als
Deßelben
Das buch der fruchtbringenden
GesellschafiR; hatt der Gekrönte
nur biß auff sein eigenes werck
vndt fpruch: dafeme es weiter
gefertigt ist, bittet er vmb den
vbrigen theil; ingleichen auch vmb
die eigenen Namen aller gesell-
schaffter, wann der Nährende
solche bey seiner Cantzelley oder
sonst ab Zue schreiben gnädig be-
fehlen wil.
Danzig den 10. Mertzenstag
des 1639. Jbars.
trew gehorsambster knecht
Der Vnwürdig Gekrönte.
202
6.
Des Nährenden leutseliges schreiben vom 4. Maytage ist
mir ehegestern, wie auch ohngefehr vor 5. oder 6. wochen das
so dem Hiob bey gefugt gewesen, Zue banden gebracht wor-
den. Auff voriges hatte ich lengst gehorsambe antwort, wie
auch das begehrte guetachten einschicken wollen: wann ich
nicht durch eine reise an die Schlesische gräntze, daselbst ich
meinen lieben Vätern besucht, verhindert worden. Wolle es
also der Nährende in gnaden Vermercken, vndt des wolge-
meinten vrtheils auff erwehntes buch, auch ietzt vbersendete
nützliche Sprachlehre, (für welche ich, als auch wegen der
h. Gesellschaffiter Tauschnamen, demütig dancke) ehist gewer-
tig sein. Vndt damitt jch bey offterer gelegenheit mich des
glückes Zue schreiben gebrauchen könne, als ersuche den Näh-
renden jch vnterthänig, mir iemanden namhafft Zue machen,
an den ich solches in Hamburg alle mal vbersenden könne;
weil ietziger beschaffenheit nach des weges vber Breßlaw vndt
Leipzig sich nicht wol Zue gebrauchen. Vom Sallust des h.
Lohaufens''^ hatt ich ieder Zeit eben dergleichen vrtheil ge-
habt: hoffe der Nährende werde sein neweres buch, den ver-
folgten David, 80 er außm Welschen®) deutsch gegeben, in-
gleichen gesehen haben, darbey er gar feine auffmerckungen
gefuget vndt sich in gebung vieler schweren wörter gar wol
gebeßert hatt. Die Epigrammata so viel deren noch Zur Zeit
gedruckt (wie es dann auch vermutlich darbey verbleiben wirdt)
sindt allhier beygefugt, ingleichen der Reim von Ertzbischoff
Annen; bey dem der Nährende ihm die Außlegung hoffentlich
darumb wirdt gnädiglich gefallen laßen, daß viel wörter der
alten muterfprache auß schriffben herfurgesucht worden, so
entweder vnbekandt, oder auch noch vngedruckt sindt. In
Holland vndt Britannien sindt etzliche gelehrte leute, von de-
nen ich die hoffnung geschopffb, daß sie noch ältere vndt
7) Der Titel dieses Buches ist: „Von Cattilinarischer Rottirung vnd Ju-
gurthischem Kriege. Bremen 1629." Der Vf. oder vielmehr Übersetzer ist
Wilhelm von Kalchum, genannt Lohausen, Generalkriegscommissar, in der fr.
Ges. unter dem Namen der „Feste" bekannt.
8) Nach dem italienischen il Davide perseguitato von Virgilio Malvezzi.
Die 2. verbesserte Auflage erschien zu Cöthen 1643.
203
mehr wichtige bücher an das tageliecht bringen werden. In
stifiten vndt libereyen ist hin vndt wieder viel dergleichen Zue
finden, vndt Zweiffeie ich nicht, der Nährende kondte bey den
h. Gesellschafftcrn, die sich allerseits in Deutschland befinden,
durch sein ansehen vndt begehren hierinnen alles thun, wann
es seine höhere sorgen Zueließen. Der Vorkommende giebt
einen gueten wirth, iß mitt der emdte geschäfftig; ich wil ihn
aber dieser tage aufiin lande besuchen, vndt ncbenst vermel-
dung des gnedigen grußes der wappen halber errinnern.
Im vbrigen sey der Nährende dem Allerhöchsten Zue sol-
chem glück vndt wolfarth, wie es sein hoher standt vndt noch
höhere tugenden verdienen hertzlich befohlen. In Danzig den
7. Augstmonats, im 1639. Jhar.
Des Nährenden
gehorsambst trewer Diener
Der Gekrönte.
Dies ist der letzte Brief, den Martin Opitz an Fürst Lud-
wig von Anhalt geschrieben. Wenige Tage darauf sollte er
als Opfer jener Seuche fallen, die damals ganz Deutschland
verheerte. Sein hoher Gönner selbst erhielt erst am 31. Sep-
tember authentische Nachricht von dem am 20. August erfolg-
ten Ableben des Dichters, sammt nachstehendem, bisher noch
ungedrucktem Schreiben an „Christian Herdesianus von Har-
dersheimb , Churfurstlichen Brandenburgischen wolbestallten
Secretarius% das dieser dem Fürsten übermittelte.
Hochgünstiger herr Herdesian vndt wehrter Freundt, bey-
liegend hatt der herr Zu empfahen waß mir annoch Zur
Zeit h. Opitzen seL parentation betreffend Zu banden kom-
men, Wil der herr ein exemplar deß jenigen waß herr
Dach auf herrn Weyers neuliche hochzeit geschrieben,
darinner Er mit guter art gedacht wirdt, Jr. Fürstl. Gn.
Zuschicken, stehet in Deßelben belieben. Opitius sei. ge-
denckt sonst in seinem letzlich an tag gegebenen Rhythmus
de S. Annone einer Fürstlichen person die etwas in seinem
Pfalter erinnert, welches Ihr Fürstl. Gn. Fürst Ludwig
seyn, dem er mir vber ander matery mündlich gedacht, sonst
habe ich von Andreas Hünefeldt deß buchführers dieses;
den 15. Augusti ist Er (herr Opitz sei.) noch vber 2 stun-
204
den gegen Abend bey meiner haußfrawen in der bnde ge-
seßen etc. den folgenden Dienstag Zu Abend ist Er beym
herrn Nigrino Zu gast gewesen, aber wenig genossen,
den Mitwoch bat Er an Vnser Konigl. Mayt noch briefe
geschrieben, den Donnerstag hatt er sich gelegt, vnd weil
selben tag die Hamburger Post reiset hatt ihme D* Olha-
fius ein schreiben gebracht, welches Er ihme folte mit
fortsenden, der siebet vnd befindet daß eß Pest ist vnd
den folgenden Freytag erfuhren wir erst, (weil wir vnge-
wohnt daß Er in so viel tagen nicht bey vnß wahr,) wie
eß mit ihm beschaffen, bald ist meine haußfraw Zu ihm
gegangen, findet ihn allein Zu bette liegend vnd von allen
menschen verlaßen, hatt geklaget er hätte eß vnß nicht
dürfen ansagen laßen, wir haben aber alßbaldt alles was
miiglich auch nötig gewesen vorsehen, auch denselben tag
noch Communiciret , welches herr Nidassius veirichtet,
welchem er auch seines Lebens Lauf erzehlet, vnter an-
dern gesagt er sehe vnd mercke wol daß Er diese weit
ietzo verlaßen müßte, hoffete aber noch biß künftigen
Montag Zuleben, aber den Montag lag er albereit in der
Erde. Den folgenden Sonnabendt hatt ihm meine haußfraw
noch ein Hechtlein Zurichten laßen, wovon Er lust Zu
eßen gehabt, aber Mittag hora 1. ist Er im Herrn ent-
schlafen. Alß wir ihn den Montag Zur Erde bestateten,
hatt das gesindlein welches sonst dazu deputirt daß sie
die Sterbheußer versiegeln sollen, alle seine Kisten vnd
Kasten geöffnet, mit gewalt entzwey geschlagen vnd spo-
liiret^). Es hatt aber ein gut Freundt den Abend dem
Oecouomi zu Marienburg Zu wißen getahn, der solches
der Obrigkeit hochvermeldet, worauf gedachter Kerl mit
seinem Weibe eingesteckt, sein Hauß mit Musquelierern
besezt, auch alles waß drinnen versiegelt. ,Biß hieher Hü-
nefeldt Herr Agricola gedachte mir sonst nähermalß noch
etwas weitern Verlaufs seiner Sache halber, hatt mir auch
Zugesagt sein curriculum vitae wie solches obbesagter herr
Nidassius verfaßet Zu communiciren. Vnser herr Dach
9) Sollte auf die^e Weise das Manuscript der Daria Anttqna verloren
gegangen sein?
205
ist auch willens gewesen ihme mit mehreren Zu parentiren,
ich hoffe er werde eß auch tuhn , wo nicht in andere wege
iedoch bey seiner antretenden profession in Oracione inau-
gurali.
Befehle mich Zu meines günstigen Herrn diensten alß
deßelben
stets geflißenste
Aufwärter vnd Freundt
Robertus Robertinus JC.
Secret. Reg. Pol.
X.
DIE
DEUTSCHEN SPRACHVERDERBER.
NACHTRAG
ZUM JAHRBUCH I. Bd. S. 296.
VON
LUDWIG ERK.
Die koD. Bibliothek zu Berlin besitzt zwei Klagelieder des
deutschen Michels über die Sprachverderberei , wie sie
zur Zeit des dreißigjährigen Krieges in allen Ständen im
Schwange war.
1. Das erste, Fl. Bl. in S^., 4 Blätter, hat den Titel:
,^in new Klaglied, Teutsche Michel genannt, wider alle Sprach-
verderber, welche die alte Teutsche Muttersprach, mit allerley
frembden Wörtern vermischen, daß solche kaum halber kan
erkant werden. Im Thon: Wo kompt es here, daß zeitlich
Ehre, u. s. w. (folgt Holzschnitt: ein Wappen, worin der
Name Hans Heinrich von Ostein) Zu Augspurg, bey Johann
Schultes.«
Es ist 51 Strophen lang. Da Str. 6 und alle übrigen nur
die damals üblichen fremden Wörter enthalten, so scheint
mir nur der Anfang mittheilenswerth.
Ich teutscher Michel versteh schier nichil
In meinem Vaterland, es ist ein Schand!
Man thut jetzt reden als wie die Schweden
In meinem Vaterland, pfui dich der Schand!
207
Fast jeder Schneider will jetzund leider
Der Sprach erfahren sein und redt Latein,
Welsch und Franzosisch, halb Japonesisch,
Wann er ist voll, der grobe Knoll.
Der Knecht Matthies spricht bona dies,
Wenn er gut Morgen sagt und grüßt die Magd.
Sie wendt den Kragen, thut ihm danksagen.
Spricht Deo gratiasy Herr Hippocrasl
Ihr fromme Teutschen, man sollt euch beutschen,
Dass ihr die Muttersprach so wenig acht!
Ihr liebe Herren, das heißt nicht mehren,
Die Sprach verkehren und zerstören.
Ihr thut Alls mischen mit faulen Fischen
Und macht ein Mischgemäsch*), ein wüste Wasch,
Ein faulen Hafenkäs, ein wunderseltsams Gfräß,
Ein ganzes ABC ich nicht versteh.
2. Das zweite Lied, 4 Blätter in 4<'., ist mit Musikno-
ten begleitet. Es hat den Titel:
„Wehe -Klag, Deß alten Teutschen Michels, Vber die Al-
lamodische Sprachverderber , ä 3. Voci : Senza Violino.
Doi Tenori, 6 Soprani, e Basso. Con-Basso Continuo.
Componirt, Durch Michael Teutschen -Hold, Musices Cul-
torem. Tenore Primo. (die übrigen Stimmen fehlen) Ge-
druckt zu Franckfurt, bey Matth. Kämpffern, In Verle-
gung Johann Hüttners, Buchhändlers. M. DC. XLVIH."
Nur die 12 ersten Strophen, welche den „Vortrab des Teut-
schen Michels^ bilden, mögen hier eine Stelle finden.
Ein gutes Jahr, die alte Sprach
Dem Teutschen ich verehre.
Mein lieber Landsmann nicht verschmach.
Die Muttersprach begehre.
O Teutsches Gschlecht, bedenk dich recht,
Wer deine Eltern gwesen.
*)6emä8ch, Gemeusch, Gemengsei, vgl. Schmeller baier. Wb.
2, 641.
208
Wie sie geredt ak sie gelebt,
Die jetzt im Grab verwesen.
Ihr seid Schabab und liegt im Grab
Mit Sprach und Teutschen Sitten,
Von eurem Gschlecht habt ihr unrecht
Ein solche Schand erlitten.
Die Jungen wollen gscheiter .sein,
Ich darTf nicht Löffel nennen:
Das Ei der Mutter redet ein,
Ist gatzger als die Hennen.
WannU zwei, drei Wort hie oder dort
Französisch gatzen mögen,
Du schwürest beid bei einem Eid,
Sie würden Eier legen.
Ein jeder dicht, die Sprach vernicht.
Viel Fremdes hört man pladem,
Viel Gmisch und Gmäsch, viel seltsams Gwäsch
In allen Gassen sohnadem.
Noch Fleisch noch Fisch, noch gsund noch irisch
Ist jetzt die Sprach der Teutschen,
Noch kalt noch warm ist der Zwiedarm,
Man sollt ihn hinaus peitschen.
Gleich wie ein armer Lumpenmann
Alls in den Sack einschiebet:
Also der Teutsch fein stückleinsweis
Die fremden Worter übet.
Dass Mäuskoth will im Pfeffer sein,
Wem dieser Pfeffer fuget.
Der weiß sioh drum recht grad und krumm,
Der Krämer ihn betrüget»
Aus Roth und Grün, aus Gelb und Weiß
Bekleiden sich die Lappen,
209
Aus aller Sprach mit allem Fleiß
Macht ihm einr ein Narrenkappen.
Mit Spieglgcfecht und fadenrecht
Fährst fort die Sprachen z'mischen.
Geh heim, Schnauzhahn, du Brillenmann,
Mit deinen faulen Fischen!
Dieses mit Schmerz, mein teutsches Herz,
Thu ich dir sagn und singen.
Wann^s das nicht thut, muss aus Unmuth
Mit Fußen darein springen.
fTHmtir. Jb iL
14
XI.
FINDLINGE
vo«
H. V. F.
Findlinge nennt der Bienenzüchter diejenigen Schwärme, wel-
che Jemandem abhanden gekommen sind und im Walde von
einem Anderen gefunden und als herrenloses Gut eingefangen
werden.
Die deutsche Litteratur ist ein großer Wald, in dessen
Unterholze und Gestrüppe — den Zeitungen und Zeitschriften
— mancher Schwärm verloren geht. Nicht eben den ganzen
Schwärm, aber Etwas von ihm, was ein bleibenderes Interesse
hat, in litterarischer Beziehung belehrend, berichtigend, ergän-
zend ist, wieder zu finden und ans Tageslicht zu ziehen, darf
in einer Zeit nicht unverdienstlich erscheinen, welche sich be-
strebt, über den Entwickelungsgang unserer Ijitteratur zu grö-
ßerer Klarheit zu gelangen und es wagt, sich über die über-
lieferten Einseitigkeiten, welche unsere Litterarhistoriker oft
eher vermehren als zu beseitigen suchen, zu erheben.
Nicht allein aber aus selten gewordenen oder sehr um-
fangreichen Zeitschriften sollen dergleichen l^^ndlinge hier ein
Unterkommen finden, sondern auch aus Handschriften und ge-
druckten Seltenheiten, so wie aus Briefsammlungen öffent-
licher Bibliotheken und im Privatbesitze.
Beiträge der Art werden uns sehr willkommen sein.
211
1. Dietrich von dem Werder
(geb. 1584 f 1657), einer der ersten Mitglieder der fruchtbrin-
genden Gesellschaft, der erste Übersetzer von Tasso^s befreitem
Jerusalem (1626) und Aristo^s rasendem Roland (1632), verlor
im J. 1625 seine Frau, Dorothea Catharina, geb. von Waldau.
Das gab ihm Anlass zu einem Gedichte: „Selbst eigene Gott-
selige Thränen Dietrichs von dem Werder, Die Er — Zu
Ihrem Lobe von Hertzen nachgesandt hat" (Halle 1625. 4®.
7 Blätter). Obschon der Schmerz fast überall die Poesie be-
wältigt und sich allerlei Härten erlaubt hat, so finden sich doch
folgende Zeilen darin:
^ Wie that Ihr doch so viel der Müh und Fleiß anlegen,
Dass oft mir unbewusst Ihr mein wol möchtet pflegen?
Wie habt mein WiUen Ihr, mein Natzen, meine Lust
Und mein Bcguügimg doch zu suchen so gewusst!
Ihr naiint mich Euer Herz, Kur Haupt, und Eure Sonne,
Kur Liebe, Euern Trost, Eur Freude, Krön und Wonne.
Ach, wie betrübt Ihr Euch, wann ich verreisen sollt!
Wie bat ihr, dass ich doch die Reis einstellen wollt!
Wann ich dann Eurer Bitt nit folgen könnt ohn Schaden,
So ficngt Eur Backen Ihr mit Thränen an zu baden,
Mit Seufzen, mit Gebet, mit Küss, mit Weinen heiß
That Ihr dann segnen mich mit Gott auf meine Reis.
Wann ich dann wiederkam, so sprangt Ihr unterwegen
Entzündet im Gesicht für Freuden mir entgegen.
Wo ich mich nur hinwandt, ich las, stund oder gieng
Im Hause, Garten, Feld, und was ich nur anfieng.
Da wäret allezeit Ihr bei mir an der Seiten,
Ihr könnt nicht lassen mich an alle Ort zu gleiten.
Wie ofte sagt Ihr mir: ach liebster Engel mein,^
Geht doch nicht ohne mich, ach lasst mich bei Euch sein!
Wer weiß, wie lang Ihr mich noch bei Euch habt auf Erden I
Wer weiß, wie lang wir noch beisammen bleiben werden!
Wie ofte bat Ihr Gott, wann unser ehlich Band
Zerrissen werden sollt einst durch des Todes Haind,
Dass er mich dann so lang ja lebend woUt bewahren,
Bis Ihr aus dieser Welt zuerst wärt abgefahren!
(Ach leider, leider mir zu gar früh wahre Wort!
Wort, die ich tausendmal aus Eurem Mund gehört.)
Dann folgt nun freilich wieder:
In Summa, Niemand kann die Treu lan recht erschallen;
Ja mitten im Gesang würd ihm die Stimm entfallen.
Kein Zitter, Orgel, Geig, kein Flöt, kein Instrument
Kann Eure Tugend all herspielen auf ein End.
212
Kein Bass und kein Discant so tief und hoch kann streichen,
Der Eures Ruhmes Höh und Tiefe könnt erreichen.
Hier würd nichts richten aus Marons Poeterei,
Orpheus fehlte hier in seiner Melodei. •
2. Friedrich von Log an.
Er schrieb einem seiner Verwandten ins Stammbuch (jetzt in
der kon. Bibl. zu Berlin):
^Deus ducit ut conducit.
Nachdem es Gott schicket.
Nachdem es gelücket.
Ich weiß jetzt, wie mir's geht; wie mir's noch gehen werde,
Weiß der, der mich gewusst, eh Himmel war und Erde.
Nach seinem geht mein Weg und nicht nach meinen Sinnen,
Mir gnüget redlich hier, dort selig leben können.
Spero meliora.
Melius cras forsan habebit.
Herrscht der Teufel heut auf Erden,
Morgen wird Gott Meister werden.
Als ein Zeichen u. s. w. Herrn Ludwig v. Logau
F. V. Logau mppia. 11. Oct. 1639.*
.3. Ein Jahr vor diesen Stammbuch versen gab Logau unter
dem Namen Salomon von Golau seine ersten Sinngedichte
heraus. Lessing hatte ein Exemplar davon in der Magdalenen-
Bibliothek zu Breslau gefunden und Ramler^n mitgetheilt» Dies
Exemplar ging bei der Zurücksendung verloren, s. Lessings
Leben von seinem Bruder 1. Th. S. 242. Das verloren ge-
gangene Exemplar galt lange Zeit für das einzige in der Welt.
In neuerer Zeit sind jedoch mir allein 3 Exemplare bekannt
geworden, eins in der kon. und Univ. -Bibliothek zu Breslau:
,^rstes (und Anderes) Hundert Teutscher Keimen - Sprüche
Salomons von Golaw. In Verlegung David Müllers Buchhendl:
seel: Erben in Breßlaw. M. DC. XXXVIII.« 57 Blätter in 12^
4. Logau besuchte vom J. 1614 — 1625, also bis zu seinem
21. Jahre das Brieger Gymnasium. Weinschenk, Brieger Gym-
213
nasium S. 33. bemerkt darüber Folgendes: ^r wurde hier
den 13. Oct. 1614 eingeschrieben, 1623 zum Judice erwählet
und verließ das Gymnasium 1625. Wie wohl und rühmlich er
diese Zeit allhier zugebracht, solches erhellet aus dem Wunsche,
womit ihn der Kector Laubanus in der Matricul bei seinem
Abschiede begleitet hat, woselbst es heißet: die 26. lunii pu-
blice valedixit ill. Gymnasio Fr. a Logan, optimae notae
muitorum annorum discipulus, cujus studiis merito fausta et
salutaria precamur omnes Gymnasii Professores.^
5. Elisabeth, Markgrafin von Baden.
Elisabeth, Tochter des Markgrafen Georg Friedrich von
Baden - Durlach, geb. 1620, unvermählt gestorben 1692.
Über sie und ihre Schwester Anna (geb. 1617. f 1672.)
sagt Karl Zell Folgendes, s. Die Fürstentochter des Hau-
ses Baden (Karlsruhe 1843. 4«.) S. 47—49.
„Von den drei Töchtern des Markgrafen Georg Friedrich aus
seiner zweiten Ehe starb die älteste als Kind; die beiden an-
dern, Anna und Elisabeth, waren sehr ausgezeichnete Prin-
zessinnen und sowol durch ähnliche geistige Vorzüge als Le-
bensschicksale ein sehr interessantes Schwesternpaar. Der
größere Theil ihres Lebens fiel in die Stürme des dreißigjäh-
rigen Krieges. Sie verloren in der frühesten Kindheit ihre
Mutter; ihr Vater war während derselben Zeit mitten in den
Stürmen dieses Krieges, so dass er Jahre lang seine Kinder
nicht sah, und später aus seinem Lande vertrieben. Auch diese
Tochter wurden durch die Bedrängnisse der Zeit aus der Hei-
math vertrieben und wohnten viele Jahre zu Basel. Beide
blieben unvermählt. Ihre Talente und geistige Beschäftigungen
und in späterer Zeit auch die Theilnahme an den jungem
Sprosslingen der fürstlichen Familie trösteten und verschönten
ihr Leben in dieser traurigen und unruhvollen Zeit.^
„Die älteste Schwester Anna war wohlbewandert in Spra-
chen, auch des Lateinischen kundig; sie liebte die Leetüre und
war besonders Freundin und Kennerin der Poesie. Noch ist
ein Heft eigenhändig von der fürstlichen Verfasserin geschrie-
bener Gedichte vorhanden, welche, wie auch der Geschmack
und die Formen der deutschen Poesie sich seitdem geändert
haben mögen, doch unverkennbar das Talent, den edeln Geist
und das gefühlvolle Herz der Prinzessin beweisen.^
214
„Ihre jüngere Schwester Elisabeth hatte erst in ihrem
achten Jahre ihren Vater kennen gelernt; so verhängni ssvoll
war jene Zeit. Sie liebte nicht bloß die Poesie, sondern sie
übte sie auch bis in ihr spätestes Alter. Sie gehört auf diesem
Gebiete zu der Zahl der fürstlichen Schriftstellerinnen. Sie
brachte nämlich eine Auswahl der gehaltvollsten, für das sitt-
liche und religiöse Leben besonders anregenden Denksprüche,
welche sie aus der heiligen und profanen Litteratur gesammelt
hatte, in deutsche Verse, welche zu Durlach (1685) gedruckt
erschien. Sie berücksichtigte dabei, wie sie in dem Vorworte
bemerkt, besonders die geistigen Bedürfnisse und die Verhält-
nisse ihres Geschlechtes. Man muss anerkennen, dass nicht
bloß die Auswahl der Sentenzen der Gesinnung und dem Ver-
stände der fürstlichen Dichterin Ehre macht, sondern dass auch
die Form der meisten derselben durch gedankenreiche Kürze
und kräftige Haltung anzieht. So haben also die Sprüche für
uns ein vaterländisches, wie ein litterarisches Interesse, und es
war daher in doppelter Beziehung preiswürdig und dankens-
werth, als Ihre Kön. Hoheit die Frau Großherzogin Sophie
vor einigen Jahren einen neuen Abdruck des seltenen Buches
zu befehlen und den Ertrag einem wohlthätigen Zwecke mit
fiirstlicher Huld zuzuwenden geruhten. Überdies aber hat sich
von der Prinzessin Elisabeth noch eine kleine handschriftliche
Sammlung von Gedichten erhalten. Diese Gedichte bestehen
aus poetischen Umschreibungen von Psalmen, aus einigen Sinn<-
gedichten und andern kleinern Gedichten, zum größten Theile
aber aus Gelegenheitsgedichten. Unter den letztern ist ein
allegorisch - dramatisches Gedicht, nach der damals üblichen
Bezeichnung ein Ballet, zur Feier des westphälischen Friedens.
Es treten darin auf Mercurius, Mars, Concordia, dann Ueprä-
sentanten der bisher unter sich kriegführenden Nationen, von
welchen Personen jede nach ihrer Weise über das wichtige und
erfreuliche Ereigniss sich ausspricht. Aber auch lustige Hei-
terkeit fehlt nicht in dem Festspiel: es treten nämlich nachein-
ander noch auf ein Jurist, ein Liebender, ein Trinker und ein
Bauer, von welclien jeder die wohlthätigen Folgen des Friedens
anschaulich machen soll. Die übrigen Gelegenheitsgedichte be-
ziehen sich all(' auf Veriinlassungon aus dem Familienleben,
Geburtsfestc, Namenstage und Todesfälle; darunter ein (ledicht
auf den Tod der geliebten Schwester, und ein Gedicht auf den
215
Namenstag des regierenden Markgrafen Friedrich Magnus, des-
sen Großtante die Prinzessin Elisabeth war, geschrieben in dem
zwei und siebzigsten Lebensjahre der Prinzessin. Diese poe-
tischen Erzeugnisse zeigen wie naturlich den Geschmack jener
Zeit unmittelbar nach dem dreißigjährigen Kriege, welche be-
kanntlich eine der ungünstigsten Perioden der deutschen Poesie
ist. Aber auch durch diese veraltete Form nimmt man die
Spuren edler Gesinnungen und eines empfmdungsvollen Her-
zens wahr. Elisabetha überlebte ihre fürstliche Schwester
zwanzig Jahre, und war in ihrem höhern Alter bei dem mord-
brennerischen Einfalle der Heere Ludwigs XIV. aufs neue ge-
nöthigt, an ihren frühern Zufluchtsort nach Basel zurückzukeh-
ren (1685). Dort blieb sie bis zu ihrem Tode (1692), geliebt
imd gepflegt von ihren jungem fürstlichen Verwandten, na-
mentlich von der vortrefflichen Prinzessin Katharina Barbara,
der Tochter ihres Neffen, des Markgrafen Friedrich VI. Sie
überlebte ihre Eltern, siebenzehn Geschwister, so viele andere
Verwandte, und sah in ihrem Hause eine zahlreiche Jugend
bis in die vierte Generation heranblühen.*^
„Dies war das Leben Elisabetha^'s von Baden, welches uns
mitten in den Drangsalen und Stürmen jener kriegerfüllten Zeit
als ein freundliches Bild der Frömmigkeit, Milde und eines
durch nützliche und schöne Thätigkeit veredelten und verschon-
ten Daseins so wohlthuend anspricht. Ein franzosischer Schrifl-
steller jener Zeit, welchem es vergönnt war, die beiden fürst-
lichen Schwestern persönlich kennen zu lernen, giebt uns von
ihrem Charakter und Leben folgende Schilderung*): „Diese
beiden Prinzessinnen sind würdige Erben der Frönunigkeit und
der Tugenden Georg Friedrichs. Sie sind sehr unterrichtet
und sprechen das Französische wie man es im Louvre spricht,
mit vollkommener Richtigkeit und Feinheit, was mich anfangs
überraschte, als sie mich ihrer Unterhaltung würdigten. Sie
sind gütig, freundlich und wirken mit aller Sorgfalt fiir die
gute Erziehung ihrer jungen Nichten, welche sie auf das zärt-
lichste lieben. Sie erzeigten mir die Ehre, mich in ihrem Apar-
tement zu empfangen, wo sie mir wunderschöne Arbeiten der
jungem Prinzessinnen zeigten, so wohl erfunden und so schön
•) Chappu^cau, Allemagne Protestante p. 90.
216
ausgeführt, dass man nichts Schöneres sehen kann. Die bei«
den Prinzessinnen selbst verbinden mit ihren Kenntnissen und
geistigen Talenten zugleich eine bewunderungswürdige Geschick-*
lichkeit in weiblichen Arbeiten.^
Von dem seltenen Buche der Denksprüche der Markgrafin
Elisabeth ist noch ein Originaldruck in der Hofbibliothek
zu Carlsruhe Torhanden. Es war mir vergönnt, denselben ein-
zusehen. Einige Auszüge *) daraus scheinen mir des Mitthei-
lens wol werth. Das Buch hat den Titel:
„Tausendt Merckwürdige GEdenck - SPrüch Auß Vnter-
schiedlichen Authoren zusammen gezogen Und In Teutsche
Verse übersetzt. Durlach, Druckts Martin Müller, 1685.** 4<>*
104 SS. und 3 Bl. Vorst. Die Vorrede ist unterzeichnet:
£. M. z. B. (Elisabeth, Markgräfin zu Baden).
Die Tugend hat die Art des Palmbaums angenommen:
Je mehr sie wird gedruckt, je höher wird sie kommen*
Wer niemals leiden will, kann auch nicht überwinden,
Weil anders nicht der Sieg als nach dem Kampf zu finden.
Verflucht ist der die Blüth der Jahr dem Teufel schenket,
Des Alters Hefen Gott zü geben erst gedenket.
Bei manchem hat gar oft der Adel des Geblüts
Verändert und verderbt den Adel des Gemüths«
Die Seele lasset sich zu keinem Glauben zwingen;
Der Grund der Wahrheit muss nur dies zuwegen bringen.
Die grausame Gewalt kann nicht gar lang bestehen.
Wie eine trübe Wölk pflegt sie vorbei zu gehen.
So viel dir mogUch ist, halt Fried mit aUen Leuten,
Hingegen sei beherzt, die Laster zu bestreiten.
Was in der Sterblichkeit wir Menschen Leben nennen,
Ist mehr vor einen Tod als Leben zu erkennen.
*) Unabhängig von den Auszügen, die bereit« Zell in seinem Buche S. 61
bis 67 gegeben hat.
217
Wer fromm und redlich lebt, der hat zu allen Zeiten
Mit Teufel, Sund und Welt zu fechten und zu streiten.
O wie viel Eitelkeit findt sich in denen Sachen,
Darum die Menschen sich viel Müh und Arbeit machen I
Ein König oder Fürst, der Lande soll regieren,
Muss durch sein Beispiel selbst das Volk zur Tugend führen.
Wie in des Menschen Leib, also im Haus und Staat,
Die Krankheit von dem Haupt die meiste Ursach hat«
Das beste Gut der Welt wird einem nicht viel nützen,
Wenn er dasselbe sollt ohn einen Freund besitzen.
Die Ding, so irdisch sein, darnach wir uns so sehnen.
Die müssen ihre Kraft von ewigen entlehnen.
Der wenig Grut besitzt, wird man zwar arm erkennen,
Der immer mehr begehrt, ist ärmer doch zu nennen*
Um keines Menschen Gunst sollt du dich unterstehen,
Ein frevelböse That muthwillig zu begehen.
Betrachte stetigs wohl drei Ding die schon vergangen:
Dass du dein Leben lang viel Böses angefangen.
Viel Gutes oft versäumt durch Miissiggang bewegt,
Auch viel verliehne Zeit gar übel angelegt.
Die rechte Weisheit ist, die hohen Glaubenssachen
Verwundernd anzusehn und nicht viel Grübelns machen*
Wir pflegen zwar ungleich in diese Welt zu konunen,
Wir werden aber gleich vom Tod hinweg genommen.
Das Glück ist ungewiss und kann sich leicht verwenden:
Drum lass dich weder Ehr noch Reichthum nicht verblenden.
Wenn du ohn Eigenlieb dich selbsten wirst betrachten.
So lobst du dich nicht selbst, wirst andre nicht verachten.
Gleich wie der Schatten pflegt dem Leib stets nachzugehen.
So folgt der Tod uns auch, wir gehen oder stehen.
218
Von UI18 selbst ist nichts Guts in unserm Thun zu spüren:
Was Gott gefallen kann, muss von ilun selbst herrühren.
Wie nach dem Kegen oft die Sonne pflegt zu scheinen,
So sammlet man mit Freud, was man gesät mit Weinen.
Es ist in dieser Welt kein vöUigs Gut zu hoften:
Kein Mensch hat je gelebt, den Unglück nicht betroffen.
Das Sicherst ist sich GOTT zu Diensten nur ergeben,
Weil Alles sonst Betrug in unserm ganzen Leben.
Unglücklich ist der Fürst und würdig zu beklagen.
Dem einmal keiner darf die Wahrheit kühnlich sagen.
Die rechte Tapferkeit lässt sich darinnen sehen.
Wenn sie den Lasteren wird allzeit widerstehen, *)
Was dir das Glück beschehrt, das schätze als gelieben,
Dieweil es sein Geschenk kann wieder bald entziehen.
Was die Natur ertheilt, das kann nicht lang bestehen,
Weil endlich die Natur muss Selbsten untergehen.
Was in der Welt der Mensch durch Tugendruhm erwirbet.
Dasselbe hat Bestand, weil Tugend nimmer stirbet.
Lern leiden, wenn du willt auch endlich überwinden;
Lern sterben, wenn du willt das rechte Leben finden.
Wer unter Domen wohnt, der muss gestiefelt gehen;
Wer unter Falschen ist, der hat sich vorzusehen.
Viel eher soll der Mensch gar ohn Geschäfte leben,
Als dass er willig sich wollt bösem Thun ergeben.
Das Leben dieser Welt ist mit dem Tod umgeben,
Und der in Christo stirbt, fiudt erst das rechte Leben.
Die größt Unwissenheit ist billig die zu nennen.
Wenn sich der Mensch nicht mehr will als ein Mensch erkennen.
") Oder wie spater; Die %>'«lirc Tapferkeit lässt sich durinn(>n tfcheti.
Dasä »in den Lastern wird allzeit entgegen tftehen.
•219
6. Herder.
^Sonntagsthee bei Herder. — Nichts iu der Welt war
amüs&uter als ein Sonntagsthee bei Herder hinter St. Peter
und Pauls Kirchhof in der Superintendentur. So gemischt?
zahlreich und bunt war hier oft die Gesellschaft, die man bei-
sammen traf, dass man zuweilen nicht wusste, wo man mit
dem Gespräch anfangen, und wo man aufboren sollte, ohne
bei Jemand anzustoßen. Der ehrwürdige Senior des deutschen
Parnasses Wieland aus Osmanstädt, der vortreffliche Mou-
nier aus Belvedere, und ein paarmal zum Besuch kommend
sogar Schlegel aus Jena, der damals an dem Shakespeare über-
setzte, und Tieck, der bei ihm im Hause wohnte, und seine Geno-
veva und sein poetisches Journal ausarbeitete, außerdem der Ober-
consistorialrath Böttiger aus Weimar, Dr. Merkel, Prof.
Meyer, Falk, Jean Paul: kurz man kann sagen, dass Him-
mel und Hölle, Freimüthiger und Elegante, Elysium und Tar-
tarus, mit einem Worte, alle . Parteien des Parnasses, aUe
Elemente, die seitdem am Horizont der deutschen schönen Lit-
teratur die Kreuz und Queer geblitzt und gedonnert haben, hier
noch friedlich sich um eine Theemaschine versammelt hatten.
Der Thee kochte — und bei Vielen kochte es auch:
Denn wes das Gefäß ist gefüllt,
Davon es sprudelt und überschwillt.
Dass es nicht völlig überkochte, daiur sorgte Herders Uni-
versalität, die Allen gerecht war. Jedem wenigstens zu einer
oder der andern angenehmen Sensation sich anpaßte.
Er glich, so zu sagen, als Wirth dieses Thees dem uni-
versellen Geber des Weltalls, der bei dem allgemeinen Gast-
mal der Dinge, im Ideenbild des Menschen, auch die verschie-
densten feindlichsten Creaturen um einen Tisch versanmielt und
Paar für Paar an Couverten neben einander sitzend, zum
Speisen, Essen und Trinken nöthigt; wo es denn freilich nicht
darohne abgeht, dass die diversen Masken einander nicht auch
diverse Gesichter schneiden sollten; aber es unterbleiben doch
wenigstens die groben Excesse*
Dadurch ist nun zwar die Verlegenheit der Unterhaltung
in diesen Abendthees einigermaßen verringert, aber keineswc-
ges aufgehoben worden. Wovon sollte man auch sprechen?
Etwa von den Fehlgriffen und Mängeln der ersten französi-
•220
sehen Nationalversammlung? Behüte! Das hätte unser
Mounier aus Belvedere mit Recht übel genommen: oder
von den Schönheiten der gottlichen Gönoveva? Da hatte der
in solchen ädthetischen Punkten unerbittliche Doctor Merkel,
der als Kritiker die Hirschkuh für seinen Tod nicht ausste-
hen konnte, gewiss bedenklich den Kopf geschüttelt: oder Von
dem Athenäum? Das wäre unhöflich gegen den humanen
Wirth und zugleich gegen den ehrwürdigen Wicland gewe-
sen: oder vom Prinzen Zerbino? Nein, da hätte Falk; oder
vom gestiefelten Kater: da hätte Böttiger protestiert
Man konnte in diesen Abendgesellschaften über Alles sprechen
ohne anzustoßen, nur nicht über Politik, oder über Poesie
oder über Philosophie oder über die neue Ästhetik. Dies
erinnert an die beriihmte Vergünstigung einer deutschen Re-
gierung, die von derselben einem geschickten Ingenieur ertheilt
wurde. Man erlaubte ihm nämlich Landkarten, im . . . sehen
Territorio aufzunehmen, bloß mit der kleinen Bedingung: dass
alle Berge, alle Wälder, alle Flüsse, alle Städte und alle Dör-
fer daraus wegbleiben sollten. So sehr durchkreuzten sich da-
mals die Meinungen am deutschen Pamass, dass wenn ich
Montagsabend in meinem Logis auf dem Markt am Fenster
stand und das wöchentliche Leipziger Paket gegenüber in der
Buchhandlung ankommen sah, ich auch immer ganz sicher dar-
auf rechnen konnte , dass ein kleines Cadeau für mich oder ei-
nen andern Herrn aus der AbendgeseUschaft mit dabei war.^
Falkos Elysium und der Tartarus 1806. S. 266. 267.
„Von einem Freunde des Verewigten** d. i. von Falk selbst,
wie schon aus dem Schlüsse hervorgeht: Falk wohnte beim
Kaufmann Horny am Markte, der W. Hoffmannschcn Buch-
handlung schräg gegenüber.
7. Bürger.
Seit dem J. 1779 bis zum J. 1794 gab Bürger den Göttingi-
schen Musenalmanach heraus. Obschon zu gleicher Zeit mehrere
Musenalmanache erschienen: der Vossisohe , der Ch. H. Sclmiid-
sche, der Leipziger und Wiener, so war doch der Göttinger
als der ältere immer noch der beliebtere; jüngere Dichter wen-
deten sich lieber an ihn als anderswohin, besonders seitdem
ein so gefeierter Name wie Bürger das Unternehmen in die
Hand genommen hatte. Bürger erfuhr bald, welch eine große
221
Last er sich aufgebürdet: es wurden ihm die wunderlichsten Zu-
mutbungen gemacht und er cntschloss sich endlich zu dner
Erklärung, die im Musenalmanach J. 1782 S. 184 — 192 als
„Notligedrungene Nachrede^ steht. Sie lautet also:
„Neben den Beiträgen zu dieser poetischen Blumenlese*)
werde ich mit vielen zum Theil sehr gutherzigen, freundlichen
und schmeichelhaften Briefen beehret, die* ich, so leid mir da«
auch tbut, unmöglich beantworten kann. Es sei mir erlaubt,
dies öffentlich zu sagen und bei dieser Gelegenheit auf eins und
das andre zu antworten, damit mir mein Stillschweigen nicht
ferner, wie schon geschehen ist, von Diesem und Jenem übel
ausgelegt werde, welcher vielleicht gewähnt hat, er sei der
Einzige, den ich also zu vernachlässigen scheine. Mein Herz,
so weit ich es kenne, weder von Grobheit, Trotz, Hochmuth
imd Diinkel angesteckt, noch guter Empfindungen für gute
Menschen beraubt, vernachlässiget im Grunde Niemand; und
fühlt sich immer wohlwollend und dankbar gegen Alle, die mir
und dieser Sammlung wohlwollen, wenn gleich ich und diese
Sammlung dadurch nichts gewinnen sollten.^
,^s sendet nicht leicht ein junger Dichter Beiträge ein,
der nicht zugleich um Kritiken und Belehrungen, besonders
aber auf den Fall der Verwerfung um rationes dubitandi et
decidendi bittet. Wenn ich diese Bitten erföllen wollte, so
musste ich schlechterdings kein andres Geschäft auf Erden ha^
ben, als Be$pQn$a poetica zu ertheilen. Ein allgemeines Ur^
theil wiirde dem Anfänger wenig helfen, bergegen ins Detail zu
gehen und über ein Lied von wenigen Strophen vielleicht einen
ganzen Bogen yoU zu kunstrichtern, wie öfters, weim es von
Nutzen sein sollte, geschehen müsste, wann fände sich dazu
die Zeit? Überhaupt muss ich frei bekennen, dass ich wegen
eines mir natürlichen und täglich sich mehrenden Misstrauens
in meine Fähigkeiten und Einsichten, zum Recensieren ganz
ungeschickt bin« Ich kann mich daher auoh rühmen, in mei-
nem ganzen Ziehen noch keine Zeile recensiert zu haben^ mit»
hin von allen ojBentlichen kritischen Sünden so rein als m
neugebomes Kind zn sein. Und wenn man sich einmal so
lange vor Si^nden gehütet hat, so hütet man sich auch ferner.^
ii 11 1 •* •
*) 8o hieß der Musenalmanach für jene Lander, wo der Kalender-
stenpel galt and der sonst beigefügte Kalender wegfeilen mnsste.
222
),MBnche Coiitribuenten erlassen mir ein schriflHches Ur-
theil und wollen sich allein die Aufnahme oder Auslassung ih-
rer Gedichte zum Zeichen meiner Billigung oder Verdammung
dienen lassen. Allein diese können in beiden Fällen sich be«
triegen. Ich billige eben so wenig alles was eingerückt wird,
als ich dasjenige schlechterdings missbillige was zurückbleibt.
Überdem folgt ja keinesweges, dass dasjenige, was meiner We-
nigkeit nicht gefallt, auch andern Leuten nicht gefalle oder
gar ausgemacht schlecht sei , so wie im Gegentheil mein Wohl-
gefallen an einem Gedicht eine sehr unsichere Bürgschaft fiir
dessen Güte und Unsterblichkeit sein kann. Manches Gedicht
athmet meiner Meinung nach wahren poetischen Geist, allein
die darein verwebten allzusehr auffallenden Flecken der Sprache,
des Ausdrucks und der Versification, die ich wegzuwischen
gerade nicht Zeit noch Lust habe, verhindern seine Aufnahme.
Dagegen läuft manches höchst mittelmäßige Alltagsding, inso-
fern nur Sprache und Versification einigermaßen richtig sind,
ganz frei mit durch; nicht zu gedenken, dass noch so manche
und manche andere Ursache als Werth zur Aufnahme eines
Stücks nothigen kann. Ich kann bei dieser Gelegenheit mei-
nen lebhaften Verdruss darüber nicht bergen, dass viele, und
darunter manche die es vielleicht wozu bringen konnten, so
unbeschreiblich liederlich in Ansehung der Sprache
und Versification verfahren. Mein Gott! sperren denn
die Herren gar die Augen nicht auf, um wahrzunehmen, wie
unsre rechtlichen Schriftsteller, sowol in Prosa als Versen
schreiben? Bemerken sie denn gar keinen Unterschied? Ist
denn cacatum und pictum in ihren Augen immer und ewig ei-
nerlei? — Ist denn: Keime dich, oder ich fresse dichl
im ganzen Ernst eine Kunstregel? — Dass Jemand, der gleich-
wol Verse für einen Musenalmanach liefert, ein mittelmäßiger
oder schlechter Poet ist, das ist allenfalls noch begreiflich und
verzeihlich; aDein Grammatik und Prosodie nicht einmal zu
verstehen und dennoch sich gedruckt sehen zu wollen, das ist
so unbegreiflich als unverzeihlich , weil sieh so was doch hätte
lernen lassen müssen, wenn man nur fein fleißig in die Schule
gegangen wäre. Selbst ehrliche Philister, ob sie gleich nur
durch die Schule gelaufen sind, würden die Hände über dem
Kopfe zusammen schlagen, wenn ich von diesem Greuel, den
sich gewiss Niemand arg genug vorstellt, Proben vorlegen
22H
wollte. Die Lippen mochte man sich vor Unmutb wund beißen,
wenn die den sogenannten schönen Geistern leider! so oft mit
Kecht vorgeworfene Ignoranz in andern Wissenschaften, sich
selbst bis auf das Abc derjenigen Wissenschaft erstreckt, wozu
sie sich doch selbst bekennen. Kein Wunder wäre es, wenn
auf die Art die wahre Dichterei, so edel und vortrefflich sie
an und für sich selber ist, vor Priester und Laien verächtlich
würde.**
„Manche Contribuenten sind auf den freilich von ihnen
nicht befürchteten, dennoch leider! möglichen Fall, dass ihre
Beiträge nicht aufgenommen werden sollten, fast allzu ängst-
lich um schleunige und sichere Zurucksendung bekiimmert,
pflegen auch wol gar peremtorische Termine desfalls anzusetzen.
Liebe Herren, warum denn gleich zuriicksenden? Beim ersten
Durchlesen lässt es sich oft nicht gleich bestimmen, was ge-
wählt werden soll oder nicht. Man beherzigt ja wol von Zeit
zu Zeit ein Ding mehr als einmal, und wozu man sich in die-
sem Jahre noch nicht entschließen konnte, dazu entschließt
man sich vielleicht noch im kiinftigen. ' Wozu iiberall die Be-
schwerde des Zurücksendens ? Etwa weil der Verfasser nur
dies eine Exemplar verfertigt hätte? Lieber Gott! Wo wäre
wol der Einfaltspinsel, welcher glaubte, dass ein Poet, und
vollends ein schlechter Poet, so wenig um die Erhaltung seiner
Verse besorgt sein könne? Nein! disseits der Presse gehet auf
die Art nicht leicht ein noch so zerbrechliches Werk unter;
aber jenseits derselben, wo der Herr Verfasser aller Gefahr
entronnen zu sein glaubt, da sind erst die tausend und aber-
mal tausend gefährlichen Klippen und Strudel, die ein Exem-
plar nach dem andern bis auf das letzte verschlingen. Ver-
langte aber Jemand seine Beiträge um deswillen zurück, damit
sie nicht im Schofelarchiv herumtreiben möchten, der könnte
ja lieber wie mancher andre, den ich darum noch einmal so
lieb und werth habe, Befehl zum Verbrennen geben, welcher
allemal um so lieber befolgt werden soll, als man der Kosten
eines eigenen zu Aufbewahrung des Schofels sonst nöthigen
Hauses und der Bestellung eines eigenen Schofel -Registrators
vor der Hand gern noch eriibrigt sein möchte. Denn des Zeugs
wird nach und nach so viel, dass es in Einem Stückfasse nicht
mehr Raum hat.^
224
^Übriga:i8 kann ioh nicht bergen, dasg es unangepehm sei,
wenn man eingesandte Beiträge, die etwa für dies Jahr wegen
Mangel des Raums nicht haben abgedruckt werden können,
kurz darnach in andern Vers- und Prosasammlungen erschei-
nen siebet. Zwar kann sich diese Blumenlese des Verlustes
halber wol trösten; indessen laufe doch ich, der ich kaum die
zehnte solcher Sammlungen zu Gesicht bekomme und lese, dar-
über Gefahr, bereits gedruckte Sachen hier noch einmal ab*-
drucken zu lassen, da es doch vielleicht noch zweifelhaft schien,
ob sie nur einmal verdienten gedruckt zu werden."
„Schließlich wiinschte ich von Herzen, dass es manchem
gefallen m&chte, die so oft in Prosa und Versen herumgehM*
delte Liebe auf eine Zeit lang wieder zu Athem kommen %n
lassen, und dagegen zur Veränderung sich an andern Gegen-
ständen zu versuchen, damit man doch sähe, wie die Herren
znrecht kämen, wenn dieser graduH ad Pama$8um sie nioht
mehr mit seiner reichen Phraseologie versähe. Um das Lie*
beslied ist es in der That eine delicate Sache« Ich wurde es
lieber zu den Arbeiten des Meisters als des Lehrlings rechnen^
Denn man muss einen Inhalt für Geist und Herz hineioziilegeo
wissen, welche es auch denen schmackhaft macht die selbst
nicht verliebt sind. Keineswegs ist es damit gethan, dass mw
bloß über das Thema: ich liebe dich! allerlei süße Phrasen isih
sammenstoppelt, woran es bei einem so oft besungenen Gegen**
stande auch dem armseligsten Stümper nicht fehlen ki^m* '^
Nichts vor ungut, meine Herren! —
sagt Meister Wunderlich in der Gomodie*
Geschrieben im August 1781. Bürg^r,^
Was wiirde wol Bürger heutiges Tages sagen mÜsfWf
wenn er einen Musenalmanach herauszugeben hätte?
8. Schiller.
„Schillers Urtheil über Tiecks Minnelieden Schiller haiUe
mitunter sehr sarkastische Einfälle. So wurde einst, bei Ge*»
legenheit der neuen Ausgabe der Minnelleder von Tieok, ub^
das sämmthche Mobiliar dn-selben, ein witziges Xnventariupi
aufgenommen. Als Resultat ergab sich; dass weder Tisch npoh
Stuhl, noch Bett, noch irgend sonst ein löbliches Gerätbet
was man nicht gern im Leben entbehren mag, in ihnen anw^
treffen sei. An einen ordentlichen und echt poetischen Haus-
225
halt war demnach unter diesen Umstanden gar nicht zu den-
ken. Wenn die Sperlinge auf dem Dach, sagte Schiller, je
auf den Einfall kommen sollten zu schreiben, oder einen Al-
manach für Liebe und Freundschaft herauszugeben, so
lässt sich zehn gegen eins wetten, er würde ungefähr eben so
beschaffen sein. Welch eine Armuth von Ideen, die diesen
MinneKedern zum Orunde liegt! Ein Garten, ein Baum, eine
Hecke, ein Wald, und ein Liebchen, ganz Recht! das sind un-
gefähr die Gegenstände alle, die in dem Kopfe eines Sperlings
Platz haben! Und die Blumen, die duften, und die Fruchte
die reifen, und ein Zweig, worauf ein Vogel im Sonnenschein
sitzt und singt, und der Frühling der kommt, und der Winter
der geht, und nichts was dableibt — als die Langeweile.^ Joh.
Falkos Elysium und der Tartarus (Weimar) 1806. S. 3. Bis-
her kannte man diese Äußerungen Schiller^s meist nur aus Jör-
dens, Lexikon 3. Bd. S. 610, wo sie ohne Angabe der Quelle
mitgetheilt werden. Schon damals (1806) fand man dieselben
doch zu arg und W. K. (wol Wilhelm Körte) entgegnete dar-
auf in derselben Zeitschrift S. 96: „Schillers Urtheil über Tiecks
Minnelieder ist doch wahrhaftig unendlich armselig. Hinunel,
welch ein trivialer Spaß mit dem Mobiliar der Minnelieder,
mit dem Sperlinge! Beleuchten Sie dies Alles nur eine Minute,
mit künstlerischer Fackel, und sagen Sie, was man von solcher
B^tik, von solchem Kunsturtheil sagen soll? Schiller,
dMl^i(j^ ich schworen, bat an diesem Urtheil, so wie es da-
steht, heilig und gewiss keinen Antheil.^ — Zu diesem letz-
ten Satze macht Falk die einfache Bemerkung: „Doch! es ist
wörtlich aus seinem Munde.^
9. Ein Brief Schillers an die österreichische Gräfin Purgstall,
der in Schloss Hainfeld aufbewahrt wird, ward von der Ost-
deutschen Post veröffentlicht. Er lautet:
„Die gute Aufnahme meiner Gedichte, gnädige Gräfin!
hat mich lebhaft erfireut, so sehr die Umstände, unter welchen
sie von Ihnen gelesen wurden, mich betriibten. Den Verlust
der theuem Person, den Sie damals beförchteten, fühle ich
mit Ihnen; gewiss muss es eine wiirdige, trejBfliche Mutter sein,
die ein so rührendes, schönes Zeugniss des Herzens von Ihnen
verdienen konnte. Aber ich hoffe, der Himmel hat sie Ihnen
Weimar, Jh. IL 15
226
wieder geschenkt und ich darf Ihnen 2u dieser Freude Glück
wünschen.
Sie wünschen in Ihrem Briefe, dass ich auf dem poeti-
schen Pfade, den ich betreten, fortfahren möchte. Warum
sollte ich nicht, wenn Sie es der Mühe werth halten, mich
dazu aufzumuntern? Ich gebe auch bloß dem freiwilligen Zuge
meines Herzens nach, indem ich Ihren Rath befolge. Von je-
her war Poesie die höchste Angelegenheit meiner Seele, und
ich trennte mich eine Zeitlang bloß von ihr, um reicher und
würdiger zu ihr zurückzukehren. In der Poesie endigen alle
Bahnen des menschlichen Geistes, und desto schlimmer für ihn,
wenn er sie nicht bis zu diesem Ziele zu fuhren den Muth hat.
Die höchste Philosophie endigt in einer poetischen Idee,
so die höchste Moralität, die höchste Politik. Der dichterische
Geist ist es, der aUen Dreien das Ideal vorzeichnet, welchem
sie anzunähern ihre höchste Vollkommenheit ist.
Möchte Ihnen die Elegie, die in dem zehnten Hefte der
„Horen^ abgedruckt ist, die Gefühle zu überliefern im Stande
sein, die mich erfüllten, als ich sie niederschrieb. Ich fühlte
mich glücklich in ihrer Verfertigung, aber der Buchstabe kann
das Herz nie erreichen.
In wenigen Wochen habe ich die Freude, Ihnen meinen
Musenalmanach zu übersenden, der die Früchte einiger fröh-
lichen Stunden enthält Wie wünschte ich, dass er auch Ih-
nen einige gewähren möchte. Lassen Sie, vortreffliche GräfinI
mein Andenken unter Ihnen leben. Das Ihrige begleitet mich,
wie ein schöner Genius, und erheitert mein Leben.
Jena, den 4. November 1795. Schiller.**
Die O. D. P. bemerkt dazu: „Die Dame, an welche der
Dichter einen so verehrungsvollen Brief schrieb, lebte mit den
edelsten Geistern ihrer Zeit in persönlichem, später brieflichem
Verkehre. Sie war es unter Anderm, die den Genius Walter
Scott erkannte und seine erste poetische Arbeit: die Ueber-
setzung von Bürgers „Lenore^ zur Ueberraschung des damals
erst siebzehnjährigen Dichters drucken ließ. Namen und Scbloss
vererbte sie, die Letzte des Stammes, in Bewunderung und
Freundschaft dem berühmten Orientalisten Joseph von Ham-
mer, seit ihrem Tode Hammer -PurgstalL^
10. Kotzebue.
„August von Kotzebue. Portrait. A. v. K., geb. zu Weimar
227
im J. 1761. Als Dichter mehr ein Dichter der Schonen —
als des Schonen; mehr ein Dichter aller Nationen, als irgend
einer Nation. Kein Mann von großem Genie, aber ein Mann
von großem Talent. Weniger hervorstechend durch die Origi-
nalität seiner Ideen, als durch Witz, Reichthum und seltene
Productionskraft. Nicht ungeübt im Colorit; kein Neuling in
Farben; ein Meister in der Situation; unübertroffen im Dialog,
aber ohne Richtigkeit und Verdienst in der Zeichnung; ohne
echt idealen Aufflug in Charakteren; ohne Natur und Kraft in
ihrer Haltung; ohne Naivität in der Darstellung. — In der
Philosophie ein Dilettant; in der Kunst ein Räsonneur; in der
Kritik unter aller Kritik."
Falk's Elysium und der Tartarus 1806. S. 60. mit einer
Abbildung: ein Eselskopf der einem Menschenkopfe als Mütze
dient; der Menschenkopf hat eine Feder hinter dem Ohre und
zwei Pinsel am Hals und Kinn, welche, wenn man das Ganze
umdreht, zu Eselsohren werden.
Zehn Jahre später war man kürzer und grober: Kotze,
deutscher , B o u e , franzosischer, Kotzebue litterarischer Dreck!
11. Franz von Sonnenberg.
„Sonnenbergs Tod. Voll das Herz von heiliger Dichterglut
wie Klopstock, von Gott und Vaterland, stürzte sich dieser
junge, feurige Jüngling, nach den ewig beweinenswerthen Vor-
fällen bei Ulm in einem Anfall schwermüthigen Tiefsinnes, der
bis zu einer völligen Geisteszerrüttung bei ihm gestiegen war,
zu Jena aus dem Fenster. In jeder andern Zeit — wer zwei-
felte daran — der Sonnenbergs Auferstehungstag
Deutschlands gelesen hat? — hätte sich dieser neue, muth-
athmende Tyrtäus kiihn und unerschrocken in die Schwerter
der Feinde gestürzt, die er jetzt mit stolzem Gesänge schlug:
— aber als Sonnenberg geboren wurde, hatten wir Deutsche
kein Vaterland mehr. Und doch
Glüht mein Herz dir, o Vaterland!
Dich läugnet.laut und ernst zwar der Mitwelt Geist,
Du aber warst und bist, und wirst sein,
Vaterland Hermanns!
So sang Sonnenberg. Sein Lied ist verklungen: sein Lied ist
unter uns.
15*
228
Das Voglein oder Sonnenbergs Schwanengesang.
Es fliegt ein Vöglein über Tyrol;
Man sieht es nicht, doch hört man^s wol,
Es singt, das gefaUt mir nicht aUzuwol:
Tempi passatil
Es fliegt ein Voglein über die Schweiz,
Das singt mit allverlockendem Keiz:
Lieben Eidgenossen allerseits!
Tempi passatil
Die Jäger in Schweiz und in Tyrol,
Sie trafen das Voglein nicht allzuwol.
Sagt, ^n braven Jäger, wt) find^ ich ihn wol?
Tempi passatil
Da ging ich zu Bernhard in Sachsenland:
Herr Bernhard, ist dir kein Jäger bekannt?
Ich frug ihn — doch hat er mir keinen genannt.
Tempi passati!
Und soll mein Suchen verloren denn sein,
So nimm mich in deine Gruft mit ein.
So mag ich auch länger am Leben nicht sein!
Tempi passati!^
Falkos Elysium und der Tartarus 1806. S. 129. —
Nach Falkos Mittheilung könnte man fhst glauben, dass
Sonnenberg unmittelbar nach der Kunde von den traurigen
Vorfallen bei Ulm sich das Leben genommen habe. Allerdings
hatte der Fall Ulm^s großen Eindruck auf ihn gemacht. Gru-
ber, der innige Freund des Dichters, in seinem Buche: „Et-
was über Franz von Sonnenbergs Leben und Charakter^
(Halle 1807) deutet auch darauf hin. S. 180 sagt er:
„Deutschland trat in Kampf gegen Frankreich auf. Da ent-
glühte alle seine Sturmliebe zum Vaterland heftiger, er schwelgte
in dem Gedanken, der letzte Deutsche zu sein. Ulm nun!
— Deutschland gab er nun verloren! Er bat mich, ihm keine
Zeitung mehr zu zeigen, ihm nichts daraus zu erzählen.* —
Der FaU Ulm's war aber den 17. October und erst den 22. No-
vember 1805 starb Sonnenberg. Was seinem Tode kurz vor-
herging, berichtet Gruber S. 181. also: „Eines Morgens ganz
irüh trat er in mein Zinuner und zog mich vom Schreibtisch
in die Hohe, mir hinauswinkend. Welch ein Anblick! Sein
Auge starr, sein ganzes Gesicht entstellt!* Freund — sagte
K^-
229
er — , ich kann nicht mich, nur ßie uüd die Ihrigen retten.
Nur Ein Glaube macht selig 1** — Lieber, guter Sonnenberg,
antwortete ich, Sie wissen, ich bin Protestant! Unwillig ent-
fernte er sich. Ich folgte ihm; bald stieg sein Fieber zur höch-
sten Wuth; aUe Schrecken seiner Kindheit, alles Furchtbare
seiner Religion standen grässlich um das Lager des Leidenden
her, und herzzerreißend war sein Zustand, der den ganzen
Tag über dauerte. In der Natur war ein Aufruhr wie in sei-
nem Innern, es war ein schrecklicher Tag, dem eine noch
schrecklichere Nacht folgte. Ihm brachte sie Kuhel In der
neunten Stunde zu Abend den 22. November 1805 endigte er
sein Leben,**
12. Karl Immermann.
(Brief von Immermann, wahrscheinlich vom J. 1828. Aus ei-
ner Autographensammlung im Rheingau.)
,A Monsieur Boumer poiir Mr. M(ejer) Beer do Berlin
(Postzeichen Düsseldorf 27. Juli) a Spaa.
Platens Gedichte habe ich durchgelesen. Dieser Dichter hat
das Eigenthümliche , dass er ohne eigentlichen Inhalt, die Sehn-
sucht nach der Schönheit poetisch zu behandeln weiß. In den
bedeutenderen Sachen klingt fast nur * der Wunsch nach Idea-
lität des Daseyns, und das Bewusstseyn, dieser Idealität wür-
dig zu seyn, hervor. Ich halte sehr viel von Platen, nur muss
er sich nach meiner Ansicht, vor einem zu großen Gefallen
an besonders künstlichen Formen in Acht nehmen. Unter den
Ghaselen sind offenbar viele, wo der Vers und das Reimge-
setz dem Dichter die Hauptsache war.
Haben Sie Lenzens Schriften herausgegeben von Tieck
und begleitet von einer langen, langen Vorrede gelesen? Die
letztre ist in mehrerem Betracht merkwürdig, ich mache Sie
drauf aufmerksam. Sie behandelt Goethe, seine Zeit, und sei-
nen Einfluss auf die Literatur. Der ganze Tieck mit allen sei-
nen Tugenden und Sünden steckt in dieser Vorrede. Ich habe
sie mit dem größten Interesse gelesen.
Nun, mein Lieber, wünsche ich Ihnen, dass Sie Pouhon-
und Geronstere- Quell nicht gar zu sehr stärken mögen, denn
wo sollte es dann mit aUer Ihrer Gesundheit hin? Da kriegte
unser alter August Wilhelm am Ende zu viel Stoff zu scUech-
230
ten Epigrammen. Bis ich^s Ihnen mündlich sage, auf dem Pa-
piere von Herzen
Ihr Immermann
Philister par excellence.*
13. Heinrich Heine.
Die Litterarhistoriker haben sich oft vergeblich bemüht, der
Charakteristik der Werke großer Männer des 18. Jahrhunderts
zugleich eine ihrer Persönlichkeit hinzuzufügen. Den Bearbei-
tern der Litteraturgeschichte der Gegenwart wird das leichter
werden, es öffnet sich ihnen sogar manche amtliche Quelle.
Im April imd August des Jahres 1844 ward Heinrich Heine
in einem deutschen Bundesstaate steckbrieflich verfolgt, ohne
jedoch signalisiert zu sein. Erst im Januar des folg. Jahres
war es gelungen, ein Signalement aus Paris nachträglich mit-
zutheilen; es lautet:
Heine honmie de lettres, 50 ans, taille moyenne, nez et men-
ton pointus, type israelite marque, c^est un debauch^, dont
le Corps affaisse denote Tepulsement.
XU.
DIE
ÄLTESTE RÄTHSELSAMMLÜNG.
Von H. V. F.
Die Räthsel sind ein Theil unserer Volkslitteratur. Von frühen
Zeiten her hat das deutsche Volk sein besonderes Wohlgefallen
daran gehabt und ergötzt sich noch heute daran. Bei allen
Gesellschaften, wo man sich der Fröhlichkeit überlassen durfte,
mischten sich in die Scherze und Schwanke der Unterhaltung
auch die Räthsel. Bei den Hochzeitschmäusen im 17. Jahr-
hundert war es noch stehender Brauch, gegen Ende der Tafel
die lustige Stimmung der Gäste durch Räthsel zu erhöhen, wo-
bei denn freilich oft die Grenzen des Anstandes überschritten
wurden, wie davon allerlei zu dergleichen Festlichkeiten beson-
ders verfasste Gelegenheitsgedichte Zeugniss geben. Wo man
scherzt und lacht, pflegt man auch heute noch Räthsel in die
Unterhaltung zu streuen. Im zweiten Jahrzebent unseres Jahr-
hunderts gehörte es sogar zum guten Tone, Räthsel und Cha-
raden in Gesellschaften sich aufzugeben, und es sind noch viele
handschriftliche und gedruckte Sammlungen vorhanden, die je-
ner Zeit ihre Entstehung verdanken.
Die Räthsel sind in Deutschland so alt wie ihre Benennung.
Alle Jahrhunderte seit dem neunten kommt das Wort vor, frei-
lich in sehr verschiedenen Formen.
Im Althochdeutschen ist die gewöhnliche Form diu rä-
tissa, rätussa, daneben auch wol rätisca, rätiski, sehr
selten jedoch nur rätinisca, r&tnissida, rätnussa (rätisli
wird gefolgert aus einer einzigen Glosse radislen, worin für
1 vielleicht c zu lesen). Im 12. und 13. Jahrhundert findet sich
232
rStische, raetische, raetsche, raetelnisse, rsedilse, und
im 15. Jahrhundert retsche, redersch. Im 16. bleibt das
letzte, wird aber meist rettersche, redtersche geschrieben,
daneben gibt es auch ein räterle. Im 17. Jahrh. kommt
noch rätersch vor. Unsere jetzige Form: Räthsel machte
sich bald geltend und wiurde endlich allgemein. Schon die Vo-
cabularien des 15. Jahrh. haben ratsal, retzel. Dazu stimmt
denn auch das mittelniederländische raetsel, gheraeisel und
das angelsächsische rädels, rädelse.
Alle diese Benennungen sind Beweise genug, dass die Sache
alle Jahrhunderte hindurch vorhanden war *). Trotzdem sind
unsere Räthsel noch nicht in den Kreis wissenschaftlicher For-
schung gezogen worden. Man hat sich begnügt, aus alten
Handschriften und allerlei Büchern Räthsel mitzutheilen *). Aber
schon aus diesem kleinen Vorrathe ergibt sich, dass die mei-
sten Räthsel sich von Jahrhunderten her, oft; sogar in derselben
Fassung, fortpflanzten und manche sogar noch im Munde des
Volkes fortleben ").
1) Hone bemerkt sehr richtig (Anzeiger 8, 232):
^Der Beichthum der Formen, ihre Verbreitung durch alle deutschen Mundar-
ten, ihr Alter und fortwährender Qebrauch beweist ohne Widersprach den
deutschen Ursprung des Wortes ; dass auch seine Bedeutung uns eigenthiimtich
ist, geht daraus herror, dass unser eines Wort für so manche lateinische Be-
gaffe ausreichen musste und dass es in seinem öigentUchen Sinne von aXv^fftm
grundverschieden ist, da dieses von alvog herkommt, in den Begriff der Fa*
bei und bildlichen Rede zurückgeht, während im Worte Räthsel der
Begriff einer Aufgabe und Auflosung liegt. Der alvog sagt etwas Bild-
liches und meint etwas Wirkliches, das Räthsel enthält nur die wirklichen
Bigenschaften eines Dinges, ohne Bildlichkeit. Dem griechischen Wort und
Begriff sind die Römer gefolgt und von diesen ist das Wort lenigma tu allen
romanischen Völkern gekommen. Hätten die Deutschen dafür nichts Ei^en*
thümliches gehabt, so würden sie w^ol auch die römische Benennung angenom*
men haben, wie sie das für andere Gegenstände gethan, die sie erst durch die
Römer kennen lernten wie Kreuz von cruz, segnen von signare, Mauer von
murus, Ziegel von tegula und hundert andere. Die deutsche Benennung ist
auch darin eigenthümlich, dass die Formen rätisea, ratiscon, rätische, rättcbe,
rätersche durch die Ableitung — isc ein persönliches Wesen Rath vor-
aussetzen, gleichsam eine persotM divinairiXj was in der griechischen Vor-
stellung nicht liegt.^
2) Mone Anzeiger 7. Jahrg. Sp. 258—268; 371—582. 8. Jahrg. Sp. 317
bis 320; femer Maßmann (mit vielen Druekfehlem, wie bei ihm gewöhnlich)
2. Jahrg. Sp. 236—240.
3) MeinerVs Fylgie 8. 284 ff.
233
Erst zu Anfange de« 16. Jahrb. fing man an, die Käthsel
zu sammeln und gleich unter gewisse Rubriken zu bringen.
Die älteste bisher bekannte Sammlung ist die unter folgendem
Titel erschienene:
Welchem an Kurtzweil thet zerrinnen.
Mag wol dis Bfichlin durchgr&nde.
Er findt darin vil kluger ler.
vö retersch gedieht vnd vil nuwer mer.
Straßburg ohne Drucker 1519. 24 Blatter in 4». So bei Ebert.
Bibliogr. Lexikon Nr. 24026. — Eine andere Ausgabe Straßb-
o. J., nur 22 Blätter stark, befand sich in einer Klosterbiblio-
thek, s. Helmschrott, Typographische Incunabeln der BibL des
Stifts St. Mang in Fueßen 2. Th. (1790) S. 70.
Dies Büchlein wnrde die Hauptquelle fiir alle übrigen
Räthselsammlungen. Leider hat selten jemand alle noch vor-
handenen Exemplare beisammen, um ermitteln zu können,
in welchem Verhältnisse die spätem Drucke zu diesem ersten
stehen. Das steht jedoch vorläufig fest: diese Sammlung von
1519 wurde fleißig nachgedruckt. Der älteste mir vorge-
kommene Nachdruck ist der von mir bereits früher besprochene
im Aufsess-Moneschen Anzeiger 1833. Sp. 310 — 312. y^Das
Reterbüchlein ff. Getruckt zu Franckfiirt am Mayn, Durch Ni-
colaum Basse, vnnd Sigmund Feyrabend, im Jar M. D. LXU.^
8^. Ein gldichzeitiger ist der in Wolfenbüttel befindliche Köl-
ner, 332 Bäthselfiragen enthaltend:
Das Reter-
büchlein.
Welchem an kurtzweil thut zerrinnen,
Mag wol dis Büchlein durch gründe
* Er find darinnen viel kluger lehr.
Von Reter gedieht vnd newer mehr.
Jetzt von newem in Track
verfertigt.
(Holzschnitt)
Gedrückt zu Collen vor Sanct Lupus.
«ö. 40 bez. Blätter.
1. Rath. Ich sähe drei Starker, waren groß,
Ihr Arbeit was ohn Unterlaß.
232
rätische, raetische, raetsche, raetelnisse, raedilse, und
im 15. Jahrhundert retsche, redersch. Im 16. bleibt das
letzte, wird aber meist rettersche, redtersche geschrieben,
daneben gibt es auch ein räterle. Im 17. Jahrh. kommt
noch ratersch vor. Unsere jetzige Form: Räthsel machte
sich bald geltend und wurde endlich allgemein. Schon die Vo-
cabularien des 15. Jahrh. haben ratsal, retzel. Dazu stimmt
denn auch das mittelniederländische raetsel, gheraeisel und
das angelsächsische rädels, rädelse.
Alle diese Benennungen sind Beweise genug, dass die Sache
alle Jahrhunderte hindurch vorhanden war *). Trotzdem sind
unsere Räthsel noch nicht in den Kreis wissenschaftlicher For-
schung gezogen worden. Man hat sich begnügt, aus alten
Handschriften und allerlei Büchern Räthsel mitzutheilen ^). Aber
schon aus diesem kleinen Vorrathe ergibt sich, dass die mei-
sten Räthsel sich von Jahrhunderten her, oft sogar in derselben
Fassung, fortpflanzten und manche sogar noch im Munde des
Volkes fortleben ").
1) Mono bemerkt sehr richtig (Anzeiger 8, 232):
«Der Beichthum der Formen, ihre Verbreitang durch alle deutschen Mundar-
ten, ihr Alter und fortwährender Qebrauch beweist ohne Widerspruch den
deutschen Ursprung des Wortes ; dass auch seine Bedeutung uns eigenthümlioh
ist, geht daraus hervor, dass unser eines Wort für so manche lateinische Be-
griffe ausreichen musste und dass es in seinem 6igentlicheii Sinne von atytffta
grundverschieden ist, da dieses von alyog herkommt, in den Begriff der Fa«
bel und bildlichen Rede zurückgeht, während im Worte Räthsel der
Begriff einer Aufgabe und Auflosung liegt. Der ajyog sagt etwas Bild-
liches und meint etwas Wirkliches, das Räthsel enthält nur die wirklichen
Bigenschaften eines Dinges, ohne Bildlichkeit. Dem griechischen Wort und
Begriff sind die Römer gefolgt und von diesen ist das Wort lenigma ra allea
romanischen Völkern gekommen. Hätten die Deutschen dafür nichts £i^e»-
thümliches gehabt, so würden sie wol auch die römische Benennung angenom-
men haben, wie sie das für andere Gegenstände gethan, die sie erst durch die
Römer kennen lernten wie Kreuz von crux, segnen von signare, Mauer von
murus, Ziegel von teg^a und hundert andere. Die deutsche Benennung ist
auch darin eigenthümlich, dass die Formen rätisea, ratiscon, rätiache, rätiohe,
rätersche durch die Ableitung — isc ein persönliohei Wesen Rath vor-
aussetzen, gleichsam eine persona divinairiXj was in der griechischen Vor-
stellung nicht liegt.^
2) Mone Anzeiger 7. Jahrg. Sp. 258—268; 371—382. 8. Jahrg. Sp. 317
bis 320; femer Maßmann (mit vielen Druekfehlem, wie bei ihm gewöhnlich)
2. Jahrg. Sp. 235—240.
3) Meinert 8 Fylgie 8. 284 ff.
233
Erst zu Anfange de« 16. Jahrb. fing man an, die Käthsel
zu sammeln und gleich unter gewisse Rubriken zu bringen.
Die älteste bisher bekannte Sammlung ist die unter folgendem
Titel erschienene:
Welchem an Kurtzweil thet zerrinnen.
Mag wol dis Bfichlin durchgr&nde.
£r findt darin vil kluger 1er.
v5 retersch gedieht vnd vil nuwer mer.
Straßburg ohne Drucker 1519. 24 Blatter in 4». So bei Ebert.
Bibliogr. Lexikon Nr. 24026. — Eine andere Ausgabe Straßb*
o. J., nur 22 Blätter stark, befand sich in einer Klosterbiblio-
thek, s. Helmschrott, Typographische Incunabeln der BibL des
Stifts St. Mang in Fueßen 2. TL (1790) S. 70.
Dies Büchlein wurde die Hauptquelle für alle übrigen
Räthselsammlungen. Leider hat selten jemand alU noch vor-
handenen Exemplare beisammen, um ermitteln zu können,
in welchem Verhältnisse die spätem Drucke zu diesem ersten
stehen. Das steht jedoch vorläufig fest: diese Sammlung von
1519 wurde fleißig nachgedruckt. Der älteste mir vorge-
kommene Nachdruck ist der von mir bereits früher besprochene
im Aufsess-Moneschen Anzeiger 1833. Sp. 310 — 312. y^Das
Reterbüchlein ff. Getruckt zu Franckiurt am Mayn, Durch Ni-
colaum Basse, vnnd Sigmund Feyrabend, im Jar M. D. LXU.^
80. Ein gldichzeitiger ist der in Wolfenbüttel befindliche Kol-
ner, 332 Bäthselfiragen enthaltend:
Das Reter-
büchlein.
Welchem an kurtzweil thut zerrinnen,
Mag wol dis Büchlein durch gründe
* Er find darinnen viel kluger lehr.
Von Reter gedieht vnd newer mehr.
Jetzt von newem in Track
verfertigt.
(Holzschnitt)
Gedrückt zu C611en vor Sanct Lupus.
««. 40 bez. Blätter.
1. Rath. Ich sähe drei Starker, waren groß,
Ihr Arbeit was obn Unterlaß.
234
Der ein sprach: ich wollt dass es Nacht war!
Der ander: des Tages ich begehr.
Der dritt: es sei Nacht oder Tag,
Kein Ruh ich haben mag.
Antwort. Die Sonn, der Mond und der Wind.
2. Rath. Von wann gehet jedes Ding und wohin gehet es?
Antwort. Aus der Jugend in das Alter.
2.*" Es schickt ein Ritter über Rhein
Der liebsten Frauen sein
Guten Wein ohn Glas
Und ohn alle ander Trinkfass:
Rath, worein der Wein was?
Antwort. Er schickt ihr Trauben, darein hätt sie den Wein.
3. Rath. Etwas ist nichts und nichts ist etwas; so nu nichts
etwas ist, muss etwas nichts sein.
Antwort. Der Schatten von der Sonnen oder eines Lichtes ist
ein Schein eines Dinges und ist doch an ihm selbs
nichts.
4. Rath. Was hat seinen Busen voll Stein
Und wird gefunden selten allein,
Hat auch ein rothes Röcklein an,
Thät mannichem nichts, ließ man es stan?
Antwort Dotlen oder Hiefen (Hagebutten, Frucht der wilden
Rose).
5. Rath. Seit das p gehet iiir das g.
Und das u für Jas t.
So hat das u und das p solche Macht,
Dass man weder g noch t acht
Antwort. Das p bedeutet den Pfenning, das g Gott, das u
Untreu, das t Treu.
6. Rath. Was ist das, es gehet Alles darein?
Antwort. Das Alter.
7. Rath. So du es siebest, so lässt du es liegen;
siebest du es nicht, so hebst du es auf.
Antwort. Das Loch an einer Haselnuss.
235
8. Ein Frag. Welches Handwerk am wenigsten vergebens
arbeit?
Antwort. Die Maler: so er einen Engel verderbt, macht er
einen Teufel aus demselbigen.
9. Rath. Der es macht, der bedarfs nicht;
der es kauft, der will^s nicht, und
der es braucht, der weiß es nicht.
Antwort. Eine Todtenbahre (oder vielmehr: der Sarg).
10. Ein Frag. Warum die Störche nicht auf die Mühle nisten?
Antwort. Sie furchten, die Müller stehlen ihnen die Eier.
11. Rath. Ein Baum hat zwölf Äst,
Und jeglicher Ast hat vier Nest,
Und in jeglichem Nest sieben Junge,
Der hat jeglicher seinen Namen besunder.
Antwort. Das Jahr hat 12 Monat, die Monat vier Wochen,
die Wochen ihre Tage.
12. Rath. In welchem Land kein Pferd sind?
Antwort. In Schwabenland, da sind Ross.
13. Rath. Welches die stärksten Buchstaben sind?
Antwort. Das O und das E: mjt dem O hält einer Wagen
und Pferd, das E bindt zwei Menschen zusammen,
dieweil sie leben.
Über andere Räthselsammlungen künftig einmal.
XIII.
EIN LIEBESBRIEF.
MITGKTHEILT
VOM
H. V. F.
Im 13. Jahrhundert pflegte man Liebesbriefe anf langen schma-
len Pergamentstreifen zu schreiben, die dann zusammengerollt
und wahrscheinlich mit einem seidenen Fädchen zugebunden
abgeschickt wurden. Zu Boten derselben dienten diejenige,
die um das Liebesgebeimniss wussten, wie noch heutiges Ta*
ges. Der Liebende war auch wol selbst Überbringen H ad-
le üb schlich als Pilger verkleidet seiner Geliebten nach, die
eben aus der Frühmette kam, und heftete ihr vermittelst eines
Häkchens einen solchen Brief verstohlen an ihr Gewand. Er
erzählt das selbst in einem seiner Lieder, in dem ersten der
sogen. Manessischen Sammlung (bei Bodmer 2, 185).
Ach mir was lange nach ir s6 we gesln,
da von dähte ich vil ange, dag ir dag wurde schln.
ich nam ir ahte in gewande als ein pUgerin,
so ich heinlichste mähte, dö si gienc von mettin.
dö hate ich von sender klag
einen brief, dar an ein angel was,
den hienc ich an si, dag was vor tage,
dag si niht wisse dag.
Auch im 14. und 15. Jahrhundert erhielt sich dieselbe Sitte.
Ein langes Pergamentstreifchen mit einem Liebesbriefe um 1360
ist (von Docen) mitgctheilt und erläutert im Morgenblatt 1815.
237
S. 665. 666. (später von Maßmann urkundlich im Aufsess. An-
zeiger 1833. Sp. 39. 40.) Dass man zu der poetischsten An-
gelegenheit des Lebens sich der Poesie bediente, yersteht sich
von selbst. Auch ijn 15. Jahrhundert sind die Liebesbriefe,
die sich erhalten haben, gereimt oder doch wenigstens assonie-
rend: man sehe den vom J. 1463 im Morgenblatt 1819, S. 239;
einen andern, nicht jungem aus dem Konigsberger Archive in
den Beitragen zur Kunde Preußens 5. Bd. (Konigsb. 1822) S.
182 ff; femer die beiden einer Papierhandschrift aus dem Auf.
des 16. Jahrh. in Mone^s Anzeiger 7, 552.
Wenn wir alle diese Briefe vergleichen, so finden wir in
Worten und Oedanken viele Übereinstimmung. Es lag also
allen wol ein im ganzen Volke traditionell erhaltenes Brief-
muster zum Grunde, wenigstens waren gewisse Bilder und Ge-
danken so stet geworden, dass sie immer wieder verwendet
wurden. Der Art sind die gelegentlichen Aufzeichnungen, wie
sie in Handschriften und auf Vorsetzblättern vorkommen:
Ich wünschen dir ein gäte nacht,
von rosen ein dach,
von gilgen ein bett,
von musgat ein tür,
von neglein ein rigel darfiir.*)
Got geb euch ein gute nacht,
von rosen ein dach,
von lilgen ein bett,
von veiel ein deck,
von muscat ein tür,
von negelein ein rigelein darfuri
got geb euch ein korblein mit rosen,
ich ein halbe nacht mit euch zu kosen, **)
In dem „puelbrief' (Pp. Hs. aus dem Anfange des 16. Jahrh.
Mone Anzeiger 7, 552) lauten diese Zeilen also:
dan geb dir got ein gute nacht
und von lilgen ein dach,
*) Mone Anzeiger 3, 290.
**) Anfsess Anzeiger 1S33, Sp. 74.
238
und von baisam ein wolgeschmach,
und von cypressen ein kemmerlein,
und von neglein ein betstatt darein,
und von lilien ein bett, * •
und von wolgeniut ein deck
und mit roten rosen wol umbsteckt.
Wie die alten Briefe unter einander übereinstimmen, so
auch nun Tviederum mit jenen die neuen, nämlich jene volks-
thümlichen, wie sie noch vor zwanzig Jahren „gedruckt in die-
sem Jahr^ auf allen Jahrmärkten und Kirchweihen feilgeboten
wurden. Um dies noch anschaulicher zu zeigen, möge hier ein
alter Buhlbrief aus der zuletzt erwähnten Handschrift folgen:
Gruß in grüß verschlossen,
mit steter lieb umbgossen,
var hin du edles briefclein,
gr&ß mir die allerliebsten mein
und gr&ß mirs nit von mund allein,*)
sunder von herzen schon und sag
ir vil guter tausent jar und tag,
ich hoff sie vernem meines herzen große klag.
wann euer roter munt
der tut mir liebe kunt,
eur lieplich angesicht
mich tag und nacht anficht,
und gr&ß euch got als oft und dick,
als maniger stem aus dem himel erblickt,
und als manigs blüemel entsprießen mag
von Ostern bis auf sant Jacobs tag,
und laß euch got als lange leben
und bis auf einem mülstein wachsen Weinreben,
und must als lang mein steter bul sein
bis dieselbigen reben tragen wein,
nun gr&ß dich got durch einen seiden faden
mich und dich in einem finstern gaden. **)
ach got daß ich es euch nit als verschreiben mag,
*) In der Hs. and groß mirs nit von sanden — ^^ in der Ha. für ga-
den garn.
239
das ist meines herzen große klag.
nit me dan spar euch got gesunt,
bis daß ein has fecht einen hunt.
datum gegeben an dem tag nach seinem abent
von mir ungenant, ich ho£P ich sei euch wol bekant*).
Von den neuern Liebesbriefen gibt es gewiss viele Fas-
sungen. Zwei Texte sind gedruckt im Wunderhom 2, 52 —
56, ohne Angabe der Quelle, nur bei dem ersten das ungenü-
gende ,^us Franken;^ ein älterer vom J. 1603 in Büsching^s
wöchentl. Nachrichten. 1, 86. 87. (wiederholt bei Erlach 3,
40 — 42), und ein ganz kurzer in Bragur 1, 283. (bei Erlach
Der folgende ist ein halber Bogen in 4^. mit der Aufschrift:
iasasasasBSHsasEBasasBsasasBSBSB
Dieses kleine
Briefele
kommt an die
Herzallerliebste mein
^ In dem anderen Liebesbriefe derselben Handschrift laatet der Schlass also :
and gr&ß dich got als oft und dick
als maniger stem ans dem himel blickt,
und als maniges blüemel entsprießen mag
von Ostern bis auf sant Jacobs tag.
und grhQ dich got durch ein hant toI seiden:
ich wil alle frischen freien herzen
Yon deiner wegen meiden.
grfiß dich got durch ein hant vol gerstenkom:
sag mir herzlieb sein mein dienst angelegt
oder sein sie gar verlorn?
und gr&ß dich got durch ein seiden faden
mich und dich in einem finstem gaden.
und bist du als frum und als bider,
schick mir herzigs herz ein fruntlichen
grüß herwider.
nit mer dan spar dich got gesimt
bis ein has gilt hundert pfunt.
Die ersten Zeilen haben Ähnlichkeit mit der 16 — 18. Strophe in: Es stond
eine Lind' im tiefen Thal, Nr. 22 meiner Schles. Volkslieder.
240
Der ^Zensur -Stempel des K. P. Polizei -Präsid. zu Cöln*
weist auf die Heimath des Druckes hin.
Der Wohlbekannten, Herzliebgenannten,
Der Schonen und Feinen, der Zarten und Keinen,
Der Wohlgestalten und Frommen
soll dieser Brief zu Ehren kommen.
Wenn es ihr geht noch glücklich und wol,
So ist mein Herz ganz freudenvoll.
Nun schwing dich, Feder, Dinten und Papier
Und schreibe nach meines Herzens Begier,
Schreib mir ein kleines Briefelein
Zu der Herzallerliebsten mein.
Verkündige ihr einen freundlichen Gruß
Vom Haupte an bis auf den Fuß.
Sage ihr auch mündlich dabei,
Dass sie mir nächst Gott die Liebste sei.
Ja grüß sie mir so oft und dick
So mancher Stern am Himmel blickt.
So manches Blümlein wachsen mag
Von Ostern bis Michaelistag,
So viel als Gras wird abgemäht.
So viel als Korn wird ausgesä%
So viel als Blüh herfür thut schießen.
Noch viel mehr thu mir sie begrüßen.
Griiß sie nicht nur mit dem Mund,
Sondern aus rechtem Herzensgrund.
Nun will ich von dem abelahn
Und will was anders fangen an.
Ach Hinunel, was müssen die doch leiden
Die sich lieb haben und müssen von einander bleiben,
Und dürfens doch niemand klagen
Was sie für Leid in ihrem Herzen tragen!
O Roselein roth, o Blümelein weiß.
Du bist meines Herzens Paradeis.
Fürwahr, ich lieb dich aus der Maßen,
Und darf es doch nicht merken lassen.
(Denn gottesfurchtig, keusch und züchtig dabei
Ist auch den Jungfern die schönste Livrei.
Auch Kochen, Waschen, Stricken und Nähn
Thut den Mädchen sehr wohl anstehn.)
241
Mein Herz hat dich mir auserkoren
Für andre Jungfrauen hochgeboren,
Denn keine ist auf dieser Welt,
Die meinem Herzen sonst gefallt.
Du liegst mir in mein Herz begraben.
Geschrieben mit sechs goldnen Buchstaben:
Die erste heißt lieb, die zweite zart,
Die dritte liebgeboren hat.
Die vierte ist ganz silberschön,
Ach könnte ich dich täglich sehn!
Die fünfte ist von Perlen fein.
Ach könnt' ich immer bei dir sein!
Die sechste ist von Samjuet und Seiden:
Du musst andre Junggesellen meiden
Und mein' Herzallerliebste bleiben!
Willst du denn mein Herz erkennen,
So werd ich meinen Schatz dich nennen.
So sollst du denn mein Liebste bleiben,
Bis ein Wagen das fUd thut treiben,
Bis ein Krebs Baumwolle spinnt.
Bis ein Licht den Schnee anzündt.
Bis ein Low im Kasten fliegt.
Bis ein Muck ein Fuder Wein wegzieht.
Bis der Hahn auf der Kirchen lebet.
Und der Thurm zu Straßburg in den Lüften schwebet,
Bis dass mein Herz findt Honigseim,
Und aus den Felsen springt der Wein,
Bis Weintrauben auf den Disteln stehn
Und die Kieselsteine vergehn.
Bis dass ein Mühlstein schwimmt über den Rhein:
So lang sollst du mein Liebste sein.
So wünsch' ich dir indessen so viel gute Zeit,
Als Sandkörner am Meere sein.
Von Gold bald ein Kränzelein,
Von Sammet ein Bettelein,
Von Silber eine Thür,
Von Muscaten eine Riegel dafür.
Von Edelgestein eine Schwell,
Und mich zu deinem Schlafgesell.
Meine Lieb soll nicht weichen ab.
242
Bis man mich legt in das Grab.
Niemand soll mich von dir scheiden mit großer Noth,
Bis uns scheidet der bittre Tod,
Denn ohne dich kann mir auf Erden
Nie ein frohes Leben werden.
Du, o Freundin, nur allein
Sollst mein Wunsch und Alles sein.
Hiemit schließt ich mein Gedicht,
Ich hoflF, du wirsts verachten nicht.
Ich will mich nicht mit Namen nennen,
Ich glaub, du wirst mich doch wol kennen.
Fahr hin, du kleines Briefelein,
Grüß mir die Herzallerliebste mein.
Verkündige ihr noch einen freundlichen Gruß.
Welcher geschrieben steht auf einem Nachtigallsfiiß
Und auf einem jeden Klauen
Stunden viele tausend Jungfrauen,
Unter diesen allen hat mir sonst keine gefallen
Als der ich das Briefelein hab zugeschrieben
Die thu ich aus Grund des Herzens lieben
Und will sie mein Lebtag nicht betrüben.
Nun Briefelein eile dich geschwind und sei behende,
Lass dich empfangen schneeweiße Hände,
Fahr nicht zu hoch und nicht zu nieder!
Bring mir eine fröhliche Botschaft wieder!
Mit rechter Treu und Glauben fein
Sollst du von mir besiegelt sein.
Geschrieben im Jahr
Da ich losledig war.
DER TABAK
IN DER DEUTSCHEN LITTERATUR.
Von H, V. F.
Der Tabak hat eine weltgeschichtliche Bedeutung.*) Jeder
muss ihm das zuerkennen, ganz einerlei, ob er ihn für gesund
oder schädlich hält, ihn liebt oder verabscheut.
Der Tabak hat bald nach seinem Bekanntwerden auch in
Deutschland eine große Bedeutung erlangt: seit länger als 200
Jahren ist er ein Lieblingsgenuss der Jünglinge und Männer,
eine nothwendige Zugabe aller Gesellschaften, ein eigener Zweig
des Erwerbs und Handels, ein Gegenstand polizeilicher Be-
rücksichtigung, ja sogar eine Finanzquelle.
Wie alle neuen Erfindungen und Entdeckungen mehr oder
minder auf das materielle und geistige Leben eines Volkes ein-
wirken, so finden wir auch, dass der Tabak in Deutschland als
ein wichtiges Ereigniss nach allen Seiten hin sich geltend
machte und auch auf unsere geistigen Bestrebungen und Lei-
stungen von sichtlichem und nachihaltigem Einflüsse war. Es
gibt einen Zeitraum in unserer schönen Litteratur, etwa von
1690 bis 1730, wo jedes Blatt nach Tabak riecht.
Um dies in der Kürze darzutbun, scheint mir nicht nothig,
die ganze Geschichte des Tabaks, wie er sich allmälig in Eu-
ropa verbreitet hat, herzuerzahlen. Darüber sind Abhandlungen
und Bücher genug geschrieben. Da ich mich auf Deutschland
überhaupt nur beschränke, so darf genügen, das Bekanntwerden
' des Tabaks und die allmälige Verbreitung des Tabakrauchens
kurz zu berichten.
*) So dachte anch ;9chlözer, BrieiVechsel 3. Th. S, 153.
WeinuNT, Jb, IL lg
244
Adolf Occo, Stadtphysicus zu Augsburg (f 1606) erhielt
Tabakspflanzen und Blätter. Diese schickte ohne Namen und
Beschreibung ein Menuninger Arzt, Johann Funck, an seinen
Schwager, den berühmten Conrad Gesner in Zürich. Gesner
erkannte sie für Tabak und schrieb darüber im November 1565
an seine Freunde.
Das Tab^rauchen wurde erst später in Deutschland be-
kannt. Wahrscheinlich ward es durch die englischen Soldaten,
welche 1620 dem Pfalzgrafen Friedrich zu Hülfe geschickt wur-
den, in Deutschland bekannt und verbreitet.
Diese 2000 Mann kamen im Juli 1620 in die Lausitz und
brachten das Tabakrauchen mit. *) Sie hatten ihren Weg durch
Holland genommen und scheinen dort NachahmPi- ihrer Rauch-
kunst gefunden zu haben. Zu Anfange der zwanziger Jahre
des 17. Jahrhunderts sang man in den Niederlanden bereits ein
Lied auf den Tabak. Der Anfang desselben steht zur Bezeich-
nung der Melodie in einem Liederbuche von 1626.**) Es ist
das älteste Tabakslied und lautet nach einem Liederbuche von
1635 abo:
1. Is ^er iemand uit Oostindien gekomen
die 'er wat van weet?
heeft hy daer niet van den toebak vemomen?
geeft my bescheedl
is hy wel goed voor 's menschen bloed?
of hy deugd doet? zegt het my vroedl
2. AI de vroukens zyn 'er zeer vileinig
tegen den toebak,
en zy achten zyn deugd zeer weinig,
geven hem een lak:
zy zeggen 'er van, dat daardoor de man
verdroogen kan — is daer iet van?
3« Zou de toebak kunnen doen verdooven
der mannen vuer?
d' Indiaensche vroukens hem wel gedoogen
dag ende uer.
*) J. B. CarpzoYÜ Analecta fastonun Zittayiensinm 1. Th. 8. MS«
**) Nederlandtsche Gedenck - clanck. Door Adrianum Yalerinm. Tot
Haerlem 16S6. 4«. bL 164.
245
al even koen haer mans daer doen
avond en noen 't vrouwensermoen.
4. Toebak drinken is een goed medecyne:
stelt u te vree!
d^ asschen is goed voor de tandepyne,
wryft ze daer mee!
ZOO is den rook voor den man ook,
al is ^t maer smook, beter dan look.
5. Alle dingen doet in goede malen
naer 's wyfs bevell
al te veel waer' zeker gelaien,
dat weten wy wel.
ZOO drinkt dan hier naer uw pleizier
een pyp of vier by wyn of bierl
9 1, 6. yroed zeggen, kundthun — 2, 1. vi lein ig, garstig, aufgebracht,
da« frz. Tilain — 2, 4. lak gereii, eins anhängen — 3, !• verdooven,
dampfen, schwächen — 3, 2. gedoogen, erlauben — 4. 1. toebak drin-
ken, so auch bei uns früher und noch jetzt in vielen Gegenden des Südens,
im baier. Gebirge (Schmeller Wb. 1, 493), im badischen Oberlande (Heber»
allemann. Gedichte). Wie wir jetzt rauchen und schmauchen sagen , so
die Holländer rooken en smooken — 4, 3. tandepyn, Zahnschmerz —
4, 4. wrjTen, reiben.
Der churpfalzische Rath und Abgesandte im Haag, Job.
Joachim von Rusdorff (geb, 1589. f 1640), mochte in Hol-
land zuerst das Tabakrauchen kennen gelernt haben. In seiner
„Metamorphosis Europae^ vom J. 1627 beschreibt er es also:*)
*Ich kann nicht umhin mit einigen Worten jene neue er-
staunliche und vor wenigen Jahren aus America nach unserm
Europa eingeführte Mode zu tadeln, welche man eine Sau-
ferei des Nebels nennen kann, die alle alte und neue Trink-
leidenschaft übertriflft. Wüste Menschen pflegen nämlich den
*) 8. seine gesammelten Schriften : Consilia et negotia politica p. 284.
Habent siphuncnlos canaliculatos, ex argilla Candida dactos, qni ea parte, qua
immittuntor ori, in conum desinont, in altera eztremitate orificium est nucis
avellanae magnitudine, in quod plantae nicotianae folia siccata, minutim con-
cisa, vel suffriata inferciont et stipant, deinde carbone vel qaolibet igniario
fomite et siifflatn accendunt, siphunculum primoribus labris accipiunt, et dnctim
sorbillando et pitissando nebulas intra dentes et bnccas attrahunt, quas his ad
tnmorem naqne repletis per os et per nares itemm emittunt, et tanquam sae-
yam foetore cuncta replentem mephitim ezhalant.
16*
246
Rauch von einer Pflanze, die sie Nicotiana oder Tabak nen-
nen, mit unglaublicher Begierde und unerloschlichem Eifer
zu trinken und einzuschlürfen, was sie folgendermaßen thun:
Sie haben hohle Rohrlein von weißem Thon, die an dem
Theile, wo sie in den Mund gesteckt werden, spitz zulaufen;
an dem anderen Ende ist ein Ansatz im Umfange einer Wall-
nuss, worein sie die gedörrten Blätter der Pflanze Nicotiana
klein geschnitten oder zerkrümelt stopfen, dann mit einer
Kohle oder irgend einem brennenden Zunder und Daraufbla-
sen anstecken, das Rohrlein vorn zwischen die Lippen neh-
men und zugweise mit Schlurfen und Spucken den Rauch
zwischen Zähne und Backen einziehen, und wenn letztere bis
zum Strotzen davon voll sind, ihn wiederum durch Mund
und Nase von sich geben und gleichsam eine gräuliche Pest,
die Alles mit Gestank erfüllt, aushauchen.'
Wir wollen nun sehen, wie deutsche Dichter und Prosaisten
diese neue unerhörte Mode auffassten und besprachen und wie
allmälig das was sie nicht genug zu verachten und zu be-
spötteln wussten, endlich selbst ein Lieblingsgegenstand poe-
tischer Behandlung wurde. Die Aussprüche unserer Dichter
und Prosaisten haben einen doppelten Werth: sie dürfen zu-
gleich als Zeugnisse für die Geschichte des Tabaks in Deutsch-
land betrachtet werden.
Zuerst tritt Wenzel Scherffer auf: in seinem Grobianus
1640. S. 215 berichtet er, was ihm ein guter Freund erzählt haL
Nun hat der Geier jetzt ein neu Getränk erwählet.
Davon ein guter Freund mir unlängst dies erzählet.
Viel hundert Jahr (er sprach) hat Deutschland seinen Durst
Mit Wein und Bier gelescht, und niemands hat gethurst
Ein ander Weis^ und Art des Trinkens mehr zu finden.
Bis Mars der Praler kam und sich wollt unterwindeo
Was anders einzuführn. Denn als mit Raub und Brand
Er anfing anzufalln das schöne Böhmerland, .
Da war in seinem Heer ein fremdes Volk vorhanden.
Das brachte mit sich aus den Menschenfressers -Landen
Den stinkenden Tabak, zusammen hübsch gerollt,
Dem war es mehr als fast dem Brote selber hold.
Sprach jemand ihme zu binn seinen Zelt- und Hütten,
So konnt^ es keinem nicht ein höher Ehr^ anbitten
' U7
Als eine Pip Tabue. Da musste man mit Dank
Und großer Höflichkeit annehmen den Gestank.
Ohn diesen keiner sich begab' in sein Gefieder,
Und kam auch aus dem Pocht'*) ohn diesen keiner wieder.
Tabac war Brandtewein, und durch den ganzen Tag
War Abendszeit und früh sein bester Trank Tabac.
Im Felde nicht allein, bei seinem Winterlager
Und wo es immerdar gab einen Leuteplager,
Da musste sein Tabac. So war' es nicht zu faul
Und fuhrt' im Zuge selbst die Pipe bei dem Maul
Und blies den Rauch zur Höh. Auch bei dem Wachefeuer
Gebraucht'' es immerzu dies seltzam Afientheuer.
Dass das Tabakrauchen erst um diese Zeit üblich ward,
bestätigt auch ferner folgendes Verbot desselben von Seiten des
Magistrats zu Budissin v. J. 1651. (Neue Laus. Monatsschrift
1801. II. Th. S. 252—254):
'Wir Bürgermeister und Rathmanne der Stadt Budissin fü-
gen hiermit zu wissen männiglich, Demnach bei dem unseligen
Kriegswesen, womit unser geliebtes Vaterland deutscher Na-
tion so viele lange Jahre her heimgesuchet worden, nebenst
allerhand eingerissenen Missbräuchen und Unordnungen auch
der schädliche Gebrauch des Tabaks aufkommen und in Schwang
gebracht worden, welcher aber nicht nur der Gesundheit des
Menschen sehr nachtheilig, sondern auch (nebenst dem, dass
demjenigen, die bei und unter dergleichen Tabakssäufern sitzen
sollen, von dem garstigen Schmauch und Rauch, schändlichem
Spritzein und Auswerfen, und heftigem Niesen und Schneuzen,
und was dergleichen mit Verlaub zu gedenken, Unflats mehr
ist, nur allerhand Verdrießlichkeit, Unlust, Beschwer und
Grauen zugezogen wird, zu geschweigen wie deren Kleidung
von dessen übelm Gestank durchzogen, die Losament hässlich
verunsaubert und Tisch und Bänke schädlich verunglänzet wer-
den) sonsten allerlei Ungelegenheit, Gefahr und Schaden, wie
es die Erfahrung leider an manchen Orten bezeuget, verur-
sachet hat, und also großes Unheil davon entstanden ist, da
doch dergleichen üppiges Tabaktrinken vor 30, 40 und mehr
3
*) Pocht, Bocht, noch jetzt schlesisch iur Bette, vgl. Orimm Wb.
, 301.
248
Jahren und bei unsrer Voreltern Zeiten ganz unbekannt gewe-
sen, und sie dennoch bei dem Trunk ihre Lust und zulässige
Ergotzlichkeit ohne denselben gar wol haben können, auch zu
Erhaltung ihrer Gesundheit dieses unnutzbaren Mittels nicht
ersten bedurft und dahero auch ohne dessen Gebrauch gesund
geblieben, ja alt und grau werden können, Uns aber als or-
dentlicher Obrigkeit zufbrderst nach dem wiedererlangten Frie-
den (dafür Gott dem Allerhöchsten Lob und Dank gesaget
seil) obliegen und gebüren will, was dergleichen Schändliches
und Schädliches etwan eingerissen, gleich in der Nachbarschaft
allbereit auch geschehen*), ernstlich abzuschaffen, als gebieten
und befehlen wir allen und jedem unsern Bürgern, Inwohnern,
Schutzverwandten, Eingesessenen und Unterthanen, sonderlich
auch denen Biereigen**), Gasthaltern, Wirthen auf der Hand-
werker Herbergen, zugelassenen Brand Weinschenken, und bei
welchen etwa sonsten allhier dergleichen unnöthiges Tabak-
trinken bishero in Gebrauch gewesen sein mag, dass sie ins-
gesammt und besonders nicht allein vor sich und die Ihrigen,
sondern auch ihre einkommende Gäste, wer Der und Die auch
sein möchten, sich allhier des Tabakgebrauchs, es sei an Rauch-
oder Schnupftabak, gänzlichen enthalten sollen , mit diesem aus-
driicklichen Andeuten, dass der oder dieselbe, welche sich sol-
chen Tabaks fuhrohin wider dieses unser Verbot gebrauchen
würden. Fünf Thaler verfallen, auch derjenige Wirth, bei
welchem das Licht, Funken oder Kohlen und also das Feuer
darzu hergegeben und aufgetragen werden wird, gleichfalls Fünf
Thal er zur Strafe erlegen, und von beiden toties quoties un-
nachbleiblich abgefordert werden sollen, gestalt wir uns daeu
einen Jedweden aller schuldigen und gehorsamen Folge und
Bezeigung hierauf zuverlässig versehen. Decretum in Consessu
Senfttus den 18. Aprilis Anno 1651 und urkundlich mit Unserm
und gemeiner Stadt Insiegel besiegelt.'
So oft sich aber auch dergleichen Verbote* wiederholten,
so viel auch die Aerzte schrieben und die Geistlichen predig-
*) Im benachbarten Churfurstenthnm Sachsen; hi«r wurde n&mlioh in Be-
zug auf frühere Verbote abermals am 25. Mai 1653 aller Gebrauch and
Verkauf des Tabaks, sogar in den Apotheken, bei 10 Thlr, Strafe verboten.
Dies Verbot steht im Codex Augnsteus von Lonig (1724.) Sp. 1548.
*) Biereigen, der Brauberechtigte , vgl. Grimm Wb. 1, 1823,
««>
249
.>
ten, wie schädlich der Tabak für Leib und Seele sei, nur der
Teufel könne so etwas erfinden, nur Teufel in der Holle konn-
ten sich an solchem Tranke laben — half Alles nichts.
Selbst der Helmstädter Professor der Medicin , Jacob Tap-
pius, der 1653 bei Niederlegung seines Prorectorats eine so
gründliche Rede gegen das Tabakrauchen hielt, und die aka-
demischen Jünglinge himmelhoch beschwor, sich dieses Lasters
zu enthalten, musste doch gestehen: 'Nichts destoweniger gibfs
heutiges Tages keine Gegend, keine Stadt, kein Haus, kein
Gässchen in unserm Europa, in Amerika und fast mochte ich
sagen, auf dem ganzen Erdkreise, wo nicht ohne Unterschied
jedes Alter, jedes Geschlecht mit dem Dichter zu reden je-
nes staubige Nass trinke und trunken vom trockenen Weine
taumele*).*
Alle Ermahnungen, alle Warnungen waren umsonst, und
die Verbote von Seiten der Behörden blieben gewöhnlidi niu:
kurze Zeit in Kraft, da die Vollstrecker der Gesetze selbst das
Rauchen nicht lassen konnten. Nur in Bern erhielt sich bis in
die Mitte des 18. Jahrhunderts ein Tabaksgericht, die soge-
nannte Chambre du tabac. Ihre Wirksamkeit begann mit
dem Jahre 1661. In der damaligen Polizeiordnung, die nach
den zehn Geboten abgetheilt ist, steht das Verbot Tabak
zu rauchen imter der Rubrik: du sollt nicht ehebrechen. Im
Jahre 1675 wurde dies Verbot erneuert und Thurm-, Pranger-
und Geldstrafe den Uebertretern in Aussicht gestellt.
Kurz vor seinem Tode 1660 schrieb Martin Zeiler**):
'Das Tabaktrinken ist durch die Soldaten vor 30 oder mehr
Jahren, also in unserm Schwabenland eingeführt worden, dass,
ob es wol an manchem Ort verboten, doch zugleich verboten
und ungehalten verbleiben wird. Es muss der Tabak eine Pa-
nacea, ein Heil -all -Welt, oder Heil -all -Krankheit sein. Ja,
*) Von dieser Oratio de Tabaoo ^usque hodiemo abasa kabe ich die
dritte Auflage vor mir: Helmstadii 1689 4^. Nihilomiaus tarnen hodie non
eei Ulla provincia, non civitas, non domus, aut angiportos in Europa noatra,
in Aaepoa et toto propemodum dixerim orbe terramoi , in quo non sine dis-
crimine oomis aetae, omnii »exua pulverenm illad hauriat flumen et
sicco titnbet aero, nt Poetae verbis ntar.
^ Herrn Martin Zeülers Centoria Epistolarom MisoeUanaaraa (Ulm 1668.
S».) S. 672.
250
man trinkt ihn nicht oder am wenigsten wider die Krankhei-
ten des Leibes und zu Erhaltung der Gesundheit, sondern er
muss auch fast yor Hunger und Durst dienen. Ist einem die
Weile lang, er hat nichts zu thun, so trinkt er Tabak. Ist er
unlustig, zornig, und gehet ihm was Widerwärtiges im Kopf
um, so nimmt er die Pfeifen in's Maul und schlotzet ein Weil
daran. Koldert*), marret**) und zanket das Weib, zo lau-
fet der Mann seiner Tabakpfeifen zu und gibt ihr vor ihr Maul
voll Wort ein Maul voll Rauch, und so fort an.'
Hans Jacob Christoffel von Grimmeishausen (oder
wie er sich vor seinem Simplicissimus nennt: Samuel Greifen-
son vom Hirschfeld) beschreibt im andern Theile seines Satyri-
schen Pilgrams***) vom Jahr 1666 alles mögliche Gute und Böse
vom Tabak, wie er^s in seinem Vaterlande kennen gelernt hatte.
Da dies Buch zu den Seltenheiten und er selbst zu den merk-
würdigsten Prosaisten des 17. Jahrhunderts gehört, so wollen
wir den Abschnitt vom Tabak, (IL Th. S. 47 — 61.) soweit
er etwas Neues enthält oder das Frühere bestätigt, daraus ent-
lehnen:
*
'Im verwichenen deutschen Krieg aber (30j.) haben es der
Holländer Seefahrer nach Haus, und die Hispanier, Irr- und
Engländer in Deutschland gebracht, von welcher Zeit an sich
die Gewohnheit, Tabak zu trinken dermaßen ausgebreitet,
dass allerdings keine Nation in der Welt mehr zu finden, die
sich dessen nicht gebraucht, und kein Baurenhaus in Deutsdi-
land, darinnen sich nicht etwan eine Pfeife findet. Theils sau-
fen den Tabak, andere fressen ihn, und von etlichen wird er
geschnupft, also dass mich wundert, warum sidi noch keiner
geftinden, der ihn auch in die Ohren steckt. Zwar hab ich ihn,
*) Koldern, kollern, zankend lärmen, Schmeller Wb. 2, 293.
**) marren, die Zähne fletschen und knnrren wie die Hunde.
•♦•) „Satyrischer Pilgram, Das ist: Kalt und Warm, Weiß und Schwartz,
Lob und Schand etc. vieler St&ndt und Ding der Sichtbam und TJnsichtbam
der Zeitlichen und Ewigen Welt. Beydes lustig und nützlich suleien, von
Neuem zusammen getragen durch Samuel Greifnson, vom EUrfcbfeld.
Daselbst druckts Hieronymus Grisenius, und in Leipzig Bey Georg Heinrich
Frommannen Buchhändlern zu finden, Anno 1667* 12<*. zwei Theile" Er
starb als Amtschultheiß zu Renchen 17. August 1676. S. mehr über ihn
W. A. Passow in den Blättern für litter. Unterhaltung 1843. Nr. 859^^
264. 1844. Nr. 119. 1847. Nr. 273.
251
ob er aswar etwan das heilige Kraut geheißen wird, wol an ein
ander Ort sehen reiben, es geschähe aber, um denen, so gar
zu heftig darauf verpicht gewesen, denselbigen zu puffen.^
'loh hab ihn essen, trinken und schnupfen sehen durch
aQe Stande, vom Fürsten an bis auf den Bettler, vom Bischof
bis auf den Bader beides eingeschlossen; und weiß ein jedwe-
derer zu sagen, wovor er ihn gebrauche und worzu er ihm
wohl bekomme: dem einen erläutert er die Augen, dem andern
zeucht er die Fluss aus dem Hirn, dem dritten lindert er das
Zahnwehe, dem vierten vertreibt er das Sausen und Brausen
in Ohren, dem fünften bringt er den Schlaf, dem sechsten löscht
er den Durst, dem siebenten zeucht er die Schädlichkeiten des
eingesoffenen Wassers wieder aus dem Leibe, dem achten ist
er gut vor bösem Luft, dem neunten taugt er die Zeit zu ver-
treiben und dem zehenten Gesellschaft halber mit zu machen.
Und findet man keine Brüderschaft in der Welt, die einander
so getreulich mitgetheilet, als die Tabakbrüder einander spen-
dieren, also dass darvor zu halten, der Tabak stifte Freund-
schaft und Einigkeit zwischen den Menschen, ff. Und lässt sich
ansehen, dass diejenige, so den Tabak für ein unnütz Ding
halten, kein gut Judicium haben; denn er nutzt ja dem Bauren
der ihn zielet, demjenigen der ihn spinnet, dem Fuhrmann der
ihn über Land bringt und dem Kaufherrn oder Krämer der da-
mit schachert. Und hab ich nicht weit vom Rheinstrom eine
Mühle gesehen, die nur den Schnupftabak darauf zu mahlen
erbauet worden, allwo man denn auch eine Invention erfunden,
mit dem Tabak die Tücher zu färben. So haben sich nicht
weniger die Hafner seiner auch zu erfi'euen als welche Pfeifen
darzu machen und ihr gut Geld draus lösen. Und ist mir zu
Sinn, wann der Tabak nicht ein so edel und köstlich Ding
wäre, dass er von der jetzigen spitzfundigen und klugen Welt
in so kurzer Zeit nicht so eifrig würde allenthalben angenom-
men worden sein; taugt ihm auch zu nicht geringer Ehre, dass
in einem großen Sterben zu London in England die schädliche
Contagion kein Haus berührt, darinnen man denselben gespon-
nen und verarbeitet; und scheinet gleichsam, als wenn aus son-
derer Vorsehung Gottes in diesen letzten Zeiten dem schwachen
menschlichen Geschlecht, welches allem Ansehen nach auf der
Neige geht, zum Besten der edel Tabak offenbaret worden
wäre, dessen hinfällige matte Kräften damit zu stärken und
252
den zufälligen widerwärtigen neuen Krankbeiten damit za be-
gegnen; dahero etliche Fürsten, die ihn ihren Unterthanen bei
hoher Strafe verboten, bishero noch wenig ausrichten mögen,
wird auch schwerlich mehr wiederum aus Deutschland gebannet
werden können.'
'Gegensatz.
Der Tabak ist bei etlichen so verhasst, dass ihm auch
Philander von Sittenwald*) einen eigenen Teufel in der HöUe
zugibt, der ihm vorstehe und die furwitzige Menschen darzu
anreize, maßen in seinen Visionen zu ersehen, dass derselbige
Tabakteufel einen immerwährenden Rauch aus Maul und Na-
sen gehen lasse, damit er gleichsam ohne Unterlass spiele wie
die Wallfischc mit dem Meerwasser, wenn sie ein Ungewitter
merken; und wenn man die Wahrheit bekennen wollte, so konn-
ten die Menschen schier keine ärgere Thorheit erdenken, als
diese, sich den Teufeln in der Hollen ähnlicher zu erzeigen.
Man sehe mir doch um Gottes Willen nur so einen Kerl an,
wie er dort stehet mit dem Feuer in der Hand und der Ta-
bakpfeif im Maul; wie begierig er den stinkenden Bauch an
sich zeucht, und wie schnell er ihn wieder von sich bläst! Wie
er die Lfuft mit Gestank erfüllet und die Erde mit Unflat be-
schmeißt! Was wiirde doch einer, der sonst nichts von dieser
Thorheit wüsste oder niemaln keinen Tabak hätte saufen sehn,
von einem solchen närrischen Aufzug halten? Wenn er nicht
gedächte, er wäre ein Gaukler oder Marktschreier, der Werg
firisst und Feuer ausspeiet, so wiirde er ihn nothwendig gar
vor einen Narren , oder (wer weiß) wol gar vor einen jungen
Grasteufel halten. Wie idi noch ein junger Soldat war, fragte
mich mein Wirth, welcher den Tabak schrecklich hasste, ob
ich auch wiisste, warum die Soldaten vor andern Leuten dem
Tabaksaufen so sehr ergeben wären? Da ich nun antwortet)
weil sie vielerlei Wasser trinken müssten, sagte er, nein, dies
ist die Ursache nicht, sondern sie thun^s darum, damit sie
nach und nach des Feuers, Rauchs und Gestanks gewohnen,
auf dass, wann sie kiinftig in Nobiskrug (Hölle) müssten Schwe-
fel und Pech saufen, sie solches nicht so sauer ankäme.'
*£s ist nichts auf der Welt, dass einer den andern so
gern lernet als das Tabaksaufen, und die Lehrjungen begrei«
*) Geeichte 1. Tb. (Aug. voa 1660) S. StS.
253
fen auch nichts behenders als eben diese Thorheit, wiewol sie
gleich in den Lehrjahren Hosen und Wammes davon pflegen
voll zu machen. Wann es ein Phantast begreift und ein we-
nig übt, so kommt er in eine Gewohnheit und kann dessen
die Tag seines Lebens ninuner mehr müßig stehen und sollte
er anstatt Tabaks dorre Hutzlen (Holzbirnen) oder faul Heu
einfüllen; davon stinken sie dann immerhin so abscheulich aus
dem Maul heraus, wie ein abgebranntes Dorf , also dass andere
* Leute nicht um sie bleiben können, ff.'
'Wiewol ich nun hiervon gemeldet habe, dass sich hoch-
und niederes Standes Personen des Tabaks gebrauchen, so thun^s
jedoch am allermeisten die Soldaten, Landfahrer und Bettler,
nach denselben aber auch Bürger, Handwerksleute, Bauren
und Taglöhner, deren theils so hart darauf verbeißt sein, dass
ihnen der Tabak nimmermehr vom Maul kommt, und meinet
mancher, er seie kein rechter Soldat oder sonst ein genügsamer
praver Kerl, wenn er nicht waidlich Tabak saufen könne, ff.*
'Oberzählte Tabakbrüder, sonderlich diejenige so ihre eigne
Haushaltungen und ihre Nahrung mit ihrer Handarbeit zu ge-
winnen haben, verlieren und verderben durch diese schleunige
Zech viel von der edlen unwiederbringlichen Zeit, in welcher
sie wol nützlichers, bessers und eintraglicheres verrichten könn-
ten; ja es ist allbereit so weit kommen, dass sich kaum einer
unter zehen Taglöhnern findet, der nicht, wenn es ihn ankommt,
aus der Arbeit gehet, Feuer schlägt, Tabak schneidet, einfüllt,
und des besten Muths daher sauft, als wenn er^s verdingt hätte,
Gott geb oder Gott griißl derjenige der ihn angestellt und be-
lohnet, mag sauer oder süß darzu sehen, ff.'
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verstanden sich die Poe-
ten noch nicht dazu, das Tabakrauchen, diesen neuen Lebens-
genuss der Deutschen, zu verherrlichen. Einer Flugschrift die
ich besitze: „Herrn D. Laurembergs Bericht von Taback, woher
er komme u. s. w.^ Amsterdam 1678. A^,*) ist ein Gedicht an-
gehängt, worin dem Rauchen noch der Stab gebrochen wird.
Der große Jupiter ward einsmals angebunden
Von dreien Göttinnen, die sehr wohl bei ihm stunden.
*) Steht auch in den Aaserlesenen Ergötzlichkeiten vom Tabac 1715.
S. 57 mit der Veberschrift: „Ascanii de Oliva Historie Vom Ursprange des
Tabac - Rauchens. Aas dem Niederländischen übersetzet
254
Die Ceres schickt ihm zu drei Fass Hamburger Bier,
Das sie gebrauet hat auf himmlische Manier.
Diana gab dazu ein Schwein und vierzehn Hasen,
Es musste Pan vorher mit einer Pfeifen blasen.
Die Venus trug hernach von ihrem Haar ein Band,
Das fugte sie verliebt ihm selbst an seine Hand.
Es kunnte Jupiter den Possen leicht verstehen,
Dass dies auf einen Schmaus hinaus nur wiirde gehen.
Er macht' ein groß Banket, lud alle Gotter ein,
Sie stellten sich auch dar und wollten lustig sein.
Als man nun Tafel hielt und hatte wol gegessen.
Da ward der Salus drauf mit Humpen ausgemessen.
Des starken Malzes Kraft nahm ihre Häupter ein,
Sie jauchzten allesamt, die Geigen gingen drein.
Vulcanus als ein Gott des Rauches und der Funken
Fing an sein eigne Lust, dieweil die andern trunken.
Das Bier, sprach er, schmeckt nicht! und griff iiif seinen Sack,
Bracht' eine Pfeif hervor und stinkenden Tabak.
Die Götter sahen zu. Mit einer Feuerkohlen
Kunnt' aus dem Schmochtabak heraus gar häufig holen
Den Kauch, der sich ergoss auch bis an's Himmels Band.
Cupido dacht', es war der Himmel angebrannt.
Die Sternen leschten aus, die Wolken wurden dicke.
Der Mond verhiillte sich, zog auch den Schein zurücke.
Der Götter klar Gesicht und schön als goldgelb Haar
Von diesem Bauche ward benebelt ganz und gar.
Die Schönsten sahen aus wie sonst gemalte Götzen
Der Russen, die sie hoch an ihre Stuben setzen:
So voller Rauch und Dampf, so hässlich und so geel
Wurd ihre Stirn, die sonst so weiß als Weizenmehl.
Der kiihne Hercules sprach: was soll dieser Posse?
Neptunus ging hinaus, den Musen es verdrösse,
Die keuschen Gratien verhüllten ihr Gesicht,
Als die an Stirn und Mund kein Trübes leiden nicht
Auch der Venus fallt der Dampf auf ihre zarte Brust und
sie fragt; wer macht den Dampf? bist du es nicht, Vulcan?
Ja, ja! das dacht' ich wol — ach, pfui, du grober Mann!
— Vulcan erzählt nun, wie er dazu gekommen sei. Ein jun-
ges Teuflichen aus Plutos Reich habe ihm auf seines Herrn
255
Befehl die Pfeife gebracht, er mochte draus trinken; weil er
nun wie Pluto auch ein Rauch- und Feuergott sei, so trinke
er auf diese Manier d. h. rauche Tabak. Die Gotter wurden
alle unwillig darüber und wollten fortgehen.
Ohol sprach Jupiter, Vulcan, ich sage dir,
Mach einen Unterschied auch zwischen Hol! und hier!
So dir belüsten wird noch mehr Tabak zu trinken.
So geh in Plutons Reich, da höher gilt dein Stinken;
Hier bei der Gotter Schaar ich dies nicht leiden mag:
Zum Himmel wirf hinaus die Pfeifen und Tabak I
Sonst wird es dir mein Blitz von deiner Nasen treiben. —
Vulcanus höret auf und ließ das Stänkern bleiben.
Gedachte: soll mir so der Trunk gesegnet sein,
So steck ich alsobald die Pfeife wieder ein.
Mercurius der nahm mit zornigen Geberden
Den Plunder und warf ihn hinunter auf die Erden.
Er fiel ins Mohrenland, da wurd er hochgeehrt,
Als wie ein großer Schatz vom Jupiter verehrt.
Allda ging erst recht an das vielbeliebte Schmauchen,
Die Nasen sähe man wie Feuermauern rauchen.
Sie pflanzten dieses £j:aut, zu sehen ob es sich
Vermehren wollt: es wuchs wie Unkraut mildiglich.
Drum wolltens auch nicht so die Morianen sparen.
Vom Rauch und Stanke sie wie junge Teufel waren.
Der Spanier sah an den Indianer -Rauch,
Bald seine Nas und Mund entzündeten sich auch.
Bei denen blieb es nicht. Der butte Niederlander
Sprach: Wel, wel, ik moet ook zoo smooken als een ander.
Der zarte Contreman in Schott- und Engeland
Hat jetzt in dieser Kunst den Ruhm und Oberhand.
Der Teutschen Africa, das sehr viel AiEen heget,
Thuts auch den Volkern nach: ein jeder sieh fast traget
Mit Pfeifen und Tabak und stänkern wol so sehr
Als wenns der Feuergott Vulcanus selber war.
Je nun so schmauchet doch und stänkert allzusammen
So lang als ihr nur wollt und haltets mit den Flammen!
Ich halt es mit dem Bier und mit dem klaren Wein
Und lasse Rauchtabak euch zum Getränke sein.
256
Zu Ende des 17. Jahrhunderts verbeitete sich das Tabak-
rauchen und der Tabaksbau in gleichem Verhältnisse zu einan-
der immer mehr. Wenn früher nur Soldaten, Handwerksleute,
Tagelöhner und Bauern geraucht hatten, so fingen nun audi
die Studenten und Professoren an. Schon Marcus Zuerius
Boxhom war ein so leidenschaftlicher Raucher, dass er sich
ein Loch in seinen Hut geschnitten hatte und dadurch die
brennende Pfeife steckte, um nicht am Lesen und Schreiben
gehindert zu werden. Die Gelehrten waren bemüht, sich wegen
dieser neuen ergötzlichen Gewohnheit zu entschuldigen und zu
rechtfertigen: sie schrieben allerlei lateinische und deutsche
Tractatlein vom guten Nutzen dieses heilsamen Krautes u. s. w.
Schon 1647 sagte Henricus Barnstein, geschworner Leib- und
Wundarzt zu Erftirt, in seiner „Kurtzen Beschreibung Deß Ta-
backs^: 'Der Tabak ist sehr gut den Studenten und andern so
den Kopf brauchen müssen.' Bald gehorte es auf Universitäten
mit zum Comment, sein Pfeifchen zu rauchen, und Bruder
Studio, der im 16. Jahrh. nur von Liebe, Wein und Lauten-
schlagen zu singen wusste, sang nun eben so begeistert vom
Tabak.
So ging gewiss aus der Mitte tabaksbegeisterter Studenten
ein Büchlein hervor, das eine reiche Blumenlese damals üblicher
Tabakslieder enthält. Es hat den Titel:
„Auserlesene Ergotzlichkeiten Vom TABAC u. s. w. Allen
seinen Liebhabern zur Vergnügung mitgetheilet von einem
beständigen Tabacs-Freunde. Leipzig, Auf Kosten der Com-
pagnie. 1715.« 8». 96 Seiten.
„Johann Rauchwohls Sinnreiches Lob des Tabaks« ist sehr
überschwänglich und ohne Ende — es sind 101 sechszeiUge
Strophen. Es beginnt:
Kommet, ihr Krämer! erscheinet, ihr Bräuer I
Stehet, ihr Gießer der Pfeifen uns beil
Strafet die Feinde mit blitzendem Feuer,
Welche mit giftigem Hundesgeschrei
Euere Nahrung und unsere Pfeifen
Alle zusammen verwegen angreifen.
Der Dichter kennt keinen würdigeren Gegenstand der Poesie
als den Tabak:
257
Gegen die Pfeifen verstummen und schweigen
Herrliche Lieder, die Saiten und Geigen.
Trotzdem hat dies Lied kein Glück gemacht, andere dieser
Sammlung erhielten sich länger, sie finden sich auch noch
sonstwo vor. Z. B.
Was ist doch in der Welt,
Das uns kann recht ergötzen?
Sind^s Jungfern oder Geld?
Sind^s Hunde, Pferde, Bier, Musik?
Sind's Degen, Bucher, Friede, Krieg?
Herr Schwager, weit gefehlt!
Isk's etwan rheinscher Wein?
Sind^s Leipziger Mesdames?
Auch dieses kann nicht sein!
Wenn ich die Sache nennen soll.
Alsdann verändert sich der Pol:
Es ist gewiss Tabac. U. s. w. *)
Femer:
Rosen und Violen mögen Kinder holen,
Eander dieser Zeit;
Das was meinen Sinn erfreut,
Und in meiner Pfeifen brennet,
Wird Tabac genennet
Drum soll mich nichts treiben.
Von dir weg zu bleiben,
Wenn der Pobel sagt,.
Dass mir Rauch und Dampf behagt,
Bis mein Geld und meine Tasche
Wird zu Rauch und Asche, ff.**)
Ein anderes von 17 Strophen beginnt:
Jammer, ich hab^ eine Frau, au, au, aul
Die nichts kann als beißen, keifen.
^ Hier ans einer Mensebachschen Hb.
**) Auch in Hoffmannswaldan Gedichten 1. Th. S. 393. mit der Lesart:
Kr, Bein 6^1d nnd seine Taschen
Wird sn Rauch nnd Aschen.
258
Unser meiste Streit und Zwist kommt und ist
Bloß von der Tabakespfeifen.
Pfeifchen, was hast du gethan? Sag es an!
Dass sie dich nicht kann vertragen,
Dass sie dich wo sie dich findt auch geschwind
Pflegt in kleine Stück zu schlagen? ff.
Pfeifchen und ein Fidibus soll und muss
Mit mir stets zu Bette gehen
Und das edle Kraut Tabac soll und mag
Allzeit mir zu Dienste stehen, ff.
Die Loblieder auf den Tabak wurden immer häufiger, im-
mer länger und langweiliger. So dichtete Johann Christian
Günther zu Anfange seiner akademischen Studien, etwa um
1715, „ein Lob des Knaster-Tabacks'*. Obschon das Lied zwei-
undzwanzig Strophen hat, so blieb doch der Poet pathetisch
genug bis an den Schluss, der also lautet:
Wollt ihr Ländern rathen,
So verpflügt die Saaten,
Haut die Wälder aus,
Macht uns ein Tabaksfeld draus.
Und umzäunt es mit den Reben,
Die uns Freude geben.
Topp, es leben alle.
Die bei diesem Falle
Der Tabak ergetzt!
Drum ihr Brüder raucht und netzt.
Bis der Blick vom andern Tage
Uns zu Bette jage.
Junge, schneide Knaster!
Dieses Lebens -Pflaster
Ist ein Polychrest.
Dem der uns nicht rauchen lässt,
Soll anstatt der Nerv und Flachsen
Ein Tabaksstrunk wachsen!
Keiner aber hat mit mehr Liebe und Begeisterung den
Tabak besungen, als Günthers Landsmann, der Hirschberger
259
Conrector Daniel Stoppe*). In einem ' Sendschreiben an sei-
nen ehemaligen HauS'- oder Stiibe&barschea trämqit er sich in
sein ehemaliges Leipz%er Studenteoleben (1719 — 1722) zur&ck
und gedenkt unter ihren mancherlei Ergot^ungen m^ch der Ta-
baksfreude folgendermaßen (1. Samml. S. 113):
Will auch nach dieser Lust der Schlaf sich noch nicht finden,
Uns durch sein sanftes Band die Augen zu verbinden,
So stehn wir wieder auf und tappen hin und her,
Bis dass das Feuerzeug, doch nicht von ohngefahr.
Uns in die Hände lauft. Denn hat es gute Wege,
Der Feuerstein kriegt Kirms, die wiederholten Schläge
Erbetteln endlich noch die Funken von dem St^hl,
Und wenn dieselbigen in der gehörigen Z^
Den leichten Zunderschwamm nach Wunsche glimmend machen,
So hört man schon voraus die Tobakspfeifen luchen.
Das ausgelöschte^ Licht wird wieder angesteckt»
Indem man seine Hand gleich nach der Dose streckt.
Und das gelehrte Kraut fest in die Pfeifen dr&cket.
Das, wenn der Fidibus sich zu dem Brennen schicket.
Den schönsten Rauchaltar durch D^n^f und ^Nebel zeigt,
Der uns mit Appetit in Mund und Nase steigti
Wie fein erholen sich durch solcherlei Geschäfte
In der sonst todten Nacht die schlaffen Lebenskräfte!
Nur Schade, dass uns nicht, wie Wunsch, und Sinn begehrt.
Ein angesteckter Pfiff zwei ganze Stunden währt;
Wir miissen allzuoft, von neuem einzustopfen.
Das Caput mortuum aus der Retorte klopfen.
Doch diese kleine Mjih verdreußt uns niemals nicht.
Die allzuschöne Lust verdoppelt diese Pflicht,
Erleichtert und versüßt die missvergniigten Stunden.
Er ist so ganz ein Tabakspoet und gesteht offenherzig
(1. Samml. S. 41):
Meine Muse flieht die Leier,
Wenn nicht auch die Pfeife glimmt.
Weil sie stets von diesem Feuer
Zunder zu dem Dichten nimmt
*) S. über ihn meine Spenden znr deutschen Litteratargeschichte 2.
Bindchen (Lpz. 1844) S. 179 — 192.
fFHmmr» /*. H. 27
260
Wort üüd Reime wollea wanken,
Weim sie nicht 4er Knaster stützt,
. I>ess6ü Räuehwerk die Gedanken,
Wie dafii Fleisc^^ tor Fauhing schützt*
Am kräftigsten aber nimmt er sich seines Freundes an in der
^tobacks-Arie«* (2. Samml. S. 55):
1. Knai9ter ist mein Element!
Dieses kann bei trüben Tagen
Alle Feinde niederschlagen,
Die man Gram und Saiden nennt.
2i Khaflter ist mein Freudenpferd,.
Das mit meinen Kummersteinen,
Wenn die leeren Hände weinen.
Eilends ans dem Wege fährt
3. EInaster ist mein Morgenstern,
Der mich aus den Federn treibet,
' Und mein Frühgerichte bleibet:
Nüchtern rauch' idi gar XU gem.
i> E^nAster ist mein Abendliohtl
Sind die Lebensgeister müde,
So erhalten sie den Friede,
Wenn der Dampf die Augen bricht
5. 'foiäster ist mein liebster Schatz,
Der hält mir beständig stille.
Kein Verdammter Widerwille
Hat m unsrer Eintracht Platz.
6t Knaster ist Itiein Espagnol,
Der müde meinen Reimideen
HuHig in die Nase gehen,
Wenn ich Verse machen soll.
7. Elnaster ist mein MedicusI u. s. w.
\.Ci
So wurde noch eine Zeit lang fortgedichtet, bis denn end-
lich die Poesie sich wiedel^ mdär und mehr aus dem Alltags-
leben erhob und sich bedingeiiswertheren Gegenständen zu-
wandte.
XV.
ZUR
GESCHICHTE DES WÜNDERHORNS.
Von H. V. F.
Als Deutschland nach den unglücklichen Kriegen mit Napo-
leon in seiner tiefsten politischen Erniedrigung lag, da suchten
die edelsten Gemüther durch das Schönste, was übrig geblie-
ben war, durch die deutsche Sprache und Poesie sich zu trösten
und sich und das Vaterland aufzurichten. Mit einer reineren
Liebe, mit einem höheren Eifer als jemals zuvor erfasste man
das eigenthümliche geistige Leben unseres Volkes in allen sei-
nen Erscheinungen; es begann ein gründlicheres und vielsei-
tigeres Studium unserer Sprache und aller ihrer Denkmäler der
Vergangenheit und Gegenwart.
Die Jahre 18Q5 und 1806, die uns in politischer Beziehung
nur die allörtraungsten Erinnerungen zurückließen, nichts als
Niederlagen zu verkünden wissen, müssen wir begrüßen als
Siegesjahre für die Belebung des vaterländischen Sinnes und
die Beinerhaltung und Entwickelung unserer Volksthümlichkeit.
Nach allen Seiten hin war große Thätigkeit, alle Regungen des
deutschen Geistes zu verfolgen, die Denkmäler der Sprache und
Kunst zu retten, zu erhalten, dem Studium und Genüsse zu-
gänglich zu machen, und die betrübten Gemüther damit zu
trösten, daran aufzurichten und zu volksthümlichen Erzeugnissen
in Kunst und Wissenschaft anzuregen.
So entstand denn endlich das, was wir heute mit Kecht
deutsche Philologie nennen können, dieser Inbegriff der man-
nigfaltigsten Bestrebungen und Forschungen, das geistige Le-
ben onsers Volkes, insofern es sich durch Sprache und Litte-
ratur kundgiebt, darzustellen.
17*
262
Mit Dank müssen wir die Männer nennen, die uns hiezu
die Bahn öfiheten und später wirkten, ja noch jetzt zum Theil
mit dem herrlichsten Erfolg wirken: Bernhard Jos. Docen, Ja-
cob und Wilhelm Grimm, v. d. Hagen, Büsching, Gorres, Be-
necke u. a.
An sie schlössen sich damals an Achim v. Arnim und Cle-
mens Brentano, die Herausgeber des Wunderhorns. Ihr
großes Unternehmen, die deutschen Volkslieder der Vergangen-
heit und Gegen v^art zu sammeln, kündigten sie folgendenaa-
ßen an im Intelligenzblatt der Jen. Allg. Lit. - Zeit. 1805.
Nr. 106. Sp. 891. 892.
„Zur Leipziger Michaelis -Messe d. J. erscheint:
Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesam-
melt von A. T. Arnim und Clemens Brentano, gr. 8^.
Frankfurt a. M., bey J. C. B. Mohr und Heidelberg, bey
Mohr und Zimmer.
Wir zeigen die erste größere Sammlung älterer deutscher
Lieder an, wie sie die Neueren unter den Namen : Romanzen
und Balladen begreifen, wie die Vorzeit sie im Gesänge er-
fand und überlieferte, wie sie von uns aus dem Munde
des Volks, aus Büchern und Handschriften gesammelt, ge-
ordnet und ergänzt sind. — Der Reichthum dieses natio-
nalen Gesanges wird der allgemeinen Aufmerksamkeit nicht
entgehen, es wird Viele überraschen, manche Bemühung
unserer Zeit ergänzen oder aufheben. Wir erwarten sehr
viel von der festen, freudigen Lebensweise dieser Lieder^
einen mannichfaltigen volleren Ton in der Poesie, einen An-
klang von bestimmten, echteigenen Gedanken; in Anderen
eine Anregung mancher halbvergessenen Jugenderinnerung;
sie werden nicht bloß gelesen, sie werden behalten und nach-
gesungen werden; sie umschließen ihrem Inhalte und ihrer
Empfindung nach vielleicht den größten Theil deutscher Poesie,
sie werden dadurch manches unbestimmte Verlangen befreien,
was sich im Viellesen unberuhigt fiihlt, sie werden dem
deutschen Gemüthe wie eine schöne Geschichte erscheinen,
die zugleich wahr ist, dem fVemden sind sie eine wunder-
bare hohe, vielleicht schon untergegangene, Bildungsstufe.
A. (Achim v. Arnim)^
263
Im J. 1806 erschien der erste Band:
„Des Knaben Wunderhom. Alte deutsche Lieder L. Achim
von Arnim. Clemens Brentano. Heidelberg, Mohr und
Zimmer.^
Im J. 1808 folgten der zweite und dritte.
Das große Publicum zeigte die größte Theilnahme und
Anerkennung, die Gelehrten aber waren darüber getheilter Mei-
nung. Während die einen das Werk als ganz vortrefflich an-
priesen, suchten die anderen dies Lob zu beschränken, wussten
nicht genug daran zu mäkeln und verschiedene Mängel und
Gebrechen herauszustellen.
Außerordentlich gunstig wirkte Göthes Beurtheilung.
Jenaische Allg. Litteratur- Zeitung 1806. Nr. 18. 19.
„Die S[ritik dürfte sich vorerst nach unserem Dafürhalten mit
dieser Sammlung nicht befassen. Die Herausgeber haben solche
mit so viel Neigung, Fleiß, Geschmack, Zartheit zusammenge-
bracht und behandelt, dass ihre Landsleute dieser liebevollen
Mühe nun wohl erst mit gutem Willen, Theilnahme und Mit-
genuss zu danken hätten. Von Rechtswegen sollte dieses Büch-
lein in jedem Hause, wo frische Menschen wohnen, am Fenster
unterm Spiegel, oder wo sonst Gesang- und Kochbücher zu
liegen pflegen, zu finden seyn, um aufgeschlagen zu werden in
jedem Augenblicke der Stimmung oder Unstimmung, wo man
denn immer etwas Gleichtonendes oder Anregendes fände, wenn
man auch allenfalls das Blatt ein paarmal umschlagen müsste.'^
„Am besten aber läge doch dieser Band auf dem Ciavier
des Liebhabers oder Meisters der Tonkunst, um den darin ent-
haltenen Liedern entweder mit bekannten hergebrachten Melo-
dien ganz ihr Recht widerfahren zu lassen, oder ihnen schick-
liche Weisen anzuschmiegen, oder, wenn Gott wollte, neue be-
deutende Melodien durch sie hervorzulocken.^
„Wiirden dann diese Lieder, nach und nach, in ihrem
eigenen Ton- und Klangelement von Ohr zu Ohr, von Mund
zu Mund getragen, kehrten sie, allmälig, belebt und verherr-
licht, zum Volke zurück, von dem sie zum Theil gewisser-
maßen ansg^angen: so konnte man sagen, das Büchlein habe
seine Bestimmung erfüllt, und könne nun wieder, als geschrie-
ben und gedruckt, verloren gehen, weil es in lieben und Bil-
dung de^ Natipn übergegangen.^
264
„Weil nun aber in der neueren Zeit, besonders in Deutsch«-
land, nichts zu existieren und zu wirken scheint, wenn
nicht darüber geschrieben und wieder geschrieben
und geurtheilt und gestritten wird: so mag denn auch
über diese Samml. hier einige Betrachtung stehen, die, wenn
sie den Genuss auch nicht erhöht und verbreitet, doch wenig-
stens ihm nicht entgegen wirken soll."
„Was man entschieden zu Lob und Ehren dieser Samml.
sagen kann, ist, dass die Theile derselben durchaus mannich-
faltig charakteristisch sind. Sie enthält über zweihundert Ge-
dichte aus den drei letzten Jahrhunderten, s'ammtlich dem Sinne
der Empfindung, dem Tone, der Art und Weise nach derge-
stalt von einander unterschieden, dass man keins dem andern
vollkommen gleichstellen kann. Wir unternehmen das unter-
haltende Geschäft, sie alle der Reihe nach, so wie es uns der
Augenblick eingiebt, zu charakterisieren."
Diese Charakterisierung füllt 8J Spalten. So anerkennend
und lobend sich Göthe über das ganze Unternehmen ausspricht,
so war er doch viel zu besonnen, als dass er die Art und Weise,
wie die Herausgeber verfahren waren, nicht hätte durchschauen
sollen; er fügt deshalb seine Wünsche und Bedenken schließ-
lich hinzu:
„Mochten die Herausgeber aufgemuntert werden, aus dem
reichen Vorrath ihrer Sammlungen, so wie aus allen vorliegen-
den schon gedruckten, bald noch einen Band folgen zu lassen,
wobei wir denn freilich wünschen, dass sie sich vor dem
Singsang der Minnesinger, vor der bänkelsängeri-
schen Gemeinheit und vor der Plattheit der Meister-
sänger, so wie vor allem Pfäffischen und Pedantischen
hochlich hüten mögen."
„Haben wir gleich zu Anfang die Competenz der Kritik,
selbst im höheren Sinn, auf diese Arbeit gewissermaßen be-
zweifelt: so finden wir noch mehr Ursache, eine sondernde
Untersuchung, in wiefern das alles, was uns hier gebracht ist,
völlig acht, oder mehr und weniger restauriert sei, von diesen
Blättern abzulehnen."
„Die Herausgeber sind im Sinne des Erfordernisses so sehr,
als man es in späterer Zeit sein kann, und das hie und da
seltsam Restaurierte, aus fremdartigen Theilen verbundene, ja
das Untergeschobene, ist mit Dank anzunehmen. Wer weiß
265
nicht, was ein I^ed auszustehen hat, wenn es durch den Mu]a4
de» Volkes, und nicht «twa nur des uagebüdetfOEi, eine Weile
durchgeht! Warum soll der, der es in letsit^ Instant av^
zeichnet, mit anderen zusammenstellt, nicht auch ein gewisses
Recht daran haben? Besitzen wir doch aus früherer Zeitkiun
poetisches und kein heiliges Buch, als insofern es dem Auf-
und Abschreiber solches zu überliefern gelang oder beliebte.^
„Wenn wir in diesem Sinne die vor uns liegende gedrueJMe
Sammlung dankbar und lässlich behandeln, so legen wir dw
Herausgebern desto ernstlicher ans Herz, ihr poetisches ArcbiiT
rein, streng und ordentlich zu halten. Es ist nicht nütze, dass
Alles gedruckt werde; aber sie werden sich ein Verdienst um
die Nation erwerben, wenn sie mitwirken, dass wir eine Ger
schichte unserer Poesie und poetischen Cultur, worauf es denn
doch nunmehr nach und nach hinausgehen muss, gründlich,
aufrichtig und geistreich erhalten. ^^
Sehr beifällig begrüßte auch ein anderer Recensent dtp
Wunderhoms (Heidelberger Jahrbücher 2. Jahrg. 1809. 1. 64*
S. 231.) das Unternehmen.
„Die meisten, eigentlichen Volkslieder stammen aus jener
früheren Zeit. Unsere Tage, die nur im politischen Enthusias-
mus etwas Tüchtiges, allgemein Einschneidendes gewirkt, haben
äüch nur Einen tüchtigen Gassenhauer, den Marseiller Miarsch,
hervorgebracht, der die Franzosen zu Schlacht und Siegbef-
geisterte, während die Deutschen ihr Freut euch des Leb^as
girrten, und damit aus der Ferne schon die Genussras«rei fae^
grüßten, die b^d sax die Stelle der kurzen Anstrengung treten
sollte. Mit den Kleidermoden drang auch die individuelle FoiSr
sie der hohlen Stände zum Volk herab, und Op^marien, i^ifCk-
ralien, Almanachslieder schwimmen im bunten Gemische di^ofa
einander, und es ist nichts Nationelles und Charakteristiscbes
mehr im Volksgesange, außer jenen alten Überresten, za luit-
terscheiden.^^
„Darum haben die Herausgeber des Wunderhoms die
Burgerkrone verdient um ihr Volk^ dass 9if r.^t%ß%^n
wof^ 4<Bm Untergänge, was sich nooli retten l^^ß,^^
Awb ¥9ik 49^ seiner damals erst gegrüiadeten ^tsetu^:
Eljnuwi und ia^ Tiurtarus, W^ar 1806. Nr. 3. und 4. lobjke
das Unteraehm^n, wenn auch nicht Alles daran. HauptoäcU^
missfiel ihm aber eigentlich nur Amim^s Sprache in d^ 44^
266
handlung „von Volksliedern^. „Aber das Merkwürdigste, sagt
F., von diesem Anhange ist, dass derjenige, der sich darin für
Volkspoesie ereifert, selbst die verschrobenste, überkünstelte
Sprache führt^ Letzteres veranlasst Falk, „Akten aus der
großen Gerichtsstube des Tartarus. In Sachen contra Achim
V. Arnim, zu Berlin im Viereck Nr. 4^ folgen zu lassen, worin
Lessing, Ramler und Herder als Richter auftreten. Es han-
delt sich lim Arnim^s Stil. Nur Lessing schweift etwas ab und
meint, dass Manches im Buche selbst am besten ungelesen
bliebe. Nach der Abstimmung erfolgt die Sentenz:
„Achim von Arnim, angeklagt wegen Mangels an Ge-
schmack, üppigen Colorits, Vernachlässigung des Stils, der
Sprache und der Zeichnung; auch deshalb, wie aus den Acten
zu. ersehen ist, schuldig erfunden: wegen höhern Verdienstes
aber, als genialer Kopf, als Sammler altdeutscher Volksgedichte
und des echten Dichtergefühls , das ihn bei diesem schweren
Geschäft geleitet hat, freigesprochen und mit einem doppelten
Ehrenkranz nach Elysiiun entlassen.^^
Minder günstig spricht sich der Rec. darüber auä in der
(Hallischen) Allgemeinen Litteratur - Zeitung 1807. Nr. 42.
(1. Bd. Sp. 329—335.)
y^lhr Unternehmen ist lobenswerth und wäre es noch mehr,
wenn sie erstens von festeren Begriffen über das, was sie woll-
ten, ausgegangen wären, und sodann ihr ganzes Geschäft mit
etwas mehr Nüchternheit betrieben hätten.^^
„Unter diesem Mancherlei der Dichtungen nun, die unter
dem Namen Volkslieder umherirren, bedarf es gewiss einer
großen Vorsicht und sorgfältigen Sichtung des Spreues vom
Korne, da man so manches unter dem Volke singen hört, was
entweder nicht eigentliche Volkspoesie ist, oder bei weitem nicht
zur besseren gehört; manches, von Schmutz und Unsauberkeit
überladen, jedem besseren Gefühle widersteht, einiges verdor-
ben durch fremde Zusätze, verstümmelt durch die Zeit — da-
her ohne S[ritik eine solche Sammlung nicht wohl unternommen
werden kann — wahren Unsinn enthält, einiges ursprünglich
schon leerphantastisch ist, und nichts als eiteln Klingklang in
sich fasst, nur wenige oft durch echte Naivität, Herzlichkeit,
Fülle der Phantasie auch einem gebildeteren Geschmacke ge*
nfijgen.^^
267
,,Rec. hat sich diese Ergießung als Epilogus hauptsächlich
darum erlaubt, weil unter den Einflüssen des Zeitgeistes, wo
nüchterne, besonnene Einsicht so gern für gemeine gescholten
wird, so viele jetzt alles Heil in der Volkspoesie, ohne oft
recht zu wissen, was für ein Begriff mit dem Worte zu ver-
binden sei, suchen, und weil es ihm schien, als ob wirklich
auch die Herausgeber dieser sonst in vieler Rücksicht schätz-
baren Sanunlung theils keine ganz bestimmte Idee von ihrem
Unternehmen, theils zu abenteuerliche Begriffe von der Volks-
poesie selbst, wie wenigstens die A mimische «angehängte ganz
dithyrambische Abhandlung bezeugen mochte, gehabt hätten.^
Der Recensent in der Neuen Leipziger Litteraturzeitung
1807. 103 Stück ist dagegen gar nicht befriedigt durch das,
was die Herausgeber geleistet haben. „Ein Kranz, sagt er,
blieb noch inuner zu erringen übrig, der Kranz von Eichen-
zweigen, welchen das Vaterland demjenigen seiner Söhne schuldig
sein würde, dem es gelänge, die schönsten Blüten altdeutscher
Volkspoesie aus ihrer Asche wieder ins Leben zu rufen, und
nach Befinden, zugleich mit den Blumen neuerer deutscher Dich-
ter von gleichem Duft und Glanz, zu Ehren deutscher Nation,
der Nachwelt aufzubewahren. — Ob aber Hr. von Arnim und
Hr. Clemens Brentano auf jenen £[ranz Anspruch machen kön-
nen? ob sie ein so ehrenwerthes Ziel erreicht, oder auch nur
mit Bewusstsein und möglichster Anstrengung darnach gerun-
gen haben? darüber urtheile der unbefangene Leser selbst, wenn
er sich aus dem Folgenden überzeugt hat, was von ihnen ge-
leistet oder nicht geleistet worden ist.^^ Einer Sammlung wie
der vorliegenden, meint Rec, könnten nur zweierlei Absichten
zum Grunde liegen : entweder müsste sie eine Vorlese des
Tre£Bichsten, einzig Aufbewahrungswerthen sein, oder eine der-
gleidien Auswahl selbst. Letztere sei von den Herausgebern
beabsichtigt worden und könne von mehreren Seiten aus be-
trachtet werden. Rec. führt folgende auf: die eigentlich
musikalische, die wissenschaftliche in Hinsicht auf
Sprachkunde, die politisch -historische und die rein
poetische. Er geht sie alle durch und findet, dass in keiner
Hinsicht das Wunderhom befriedige. „Zwar ist nicht zu ver-
kennen, dass die Herausgeber uns manches der Erhaltung Wür-
diges, kräftig und lieblich Anziehendes zum erstenmal in einer
gedruckten Sammlung dargeboten haben; allein wenn sie da-
268
g«gen 80 mancherlei Schmackloses, Gemeines und Plattes, was
den Kenner deutscher Volkspoesie unmöglich freuen, noch dem
Fremdling einen vortheilhaften Begriff von deutscher Art und
Kunst beibringen kann, der verdienten Vergessenheit zu ent-
reißen suchten, so können sie sich deshalb gewiss nicht auf
den uneingeschränkten Dank des Freundes vaterländischer Lit-
teratur Rechnung machen.^
Ueberall hatte man wenigstens dem Unternehmen Gerech-
tigkeit widerfahren lassen. Nun aber fand sich im folgenden
Jahre, 1808, ein Gegner ein^ der an Allem nicht ein gutes
Haar ließ.
J. H. Voss beginnt seinen „Beitrag zum Wunderhom^
(Morgenblatt 1808. Nr. 283. 284.) mit folgenden Worten : J>ie
bei Mohr und Zimmer, unter dem Titel des Knaben Wun^-
derhorn, im J. 1806 erschienene Sammlung alter Volkslieder,
deren geheuchelte Einfaltsmiene eine zu nachsichtige Aufinun-
terung erschlich, ist seitdem, was der edle AufSmuntei-er nicht
argwöhnte, als ein zusammengeschaufelter Wust, voll muthwil-
liger Verfälschungen, sogar mit untergeschobenem Machwerk,
gerügt worden*). Ohne sich gegen die schmähliche Beschuldi-
gung zu verantworten, haben die rüstigen Schaufeler ihren
Wust in der letzten Messe mit zwei ansehnlichen Haufen ver-
mehrt.^ Diesem Eingange fügt er folgende Anmerkung hinsu:
„*) Eine verständliche Andeutung dieser forgery gaben
die Herren Büsching und von der Hagen bei ihrer Sammlang
deutscher Volkslieder, Berlin 1807, wo S. VIIL gesagt wird:
„Noch weniger haben wir diese Lieder durch Auslassungen,
Zusätze, Ueberarbeitung und Umbildung versetzen, Fragmente
ex^änzen, oder gar ganz eignes Machwerk dabei einBcfawärsen
wollen; dies ist, aufs gelindeste, eine poetische Falschmünierei,
wofür die Historie keinen Dank weiß.^ Grade heraus werden
die Sammler des Wunderhorns von Fr. Schlegel in den
Heidelb. Jahrbüchern der Literatur 1808. I. Heft S. 135 » als
solche Schmuggeler genannt. „Wenn nur,^ heißt es von ihrer
Sammlung, „auch die Sorgfalt der Behandlung und der — Aus-
wahl einigermaßen entspräche! wenn nur nicht so manches
Schlechte mit angenommen, so manches Eigne undFremi-
artige eingemischt wäre, und die bei einigen Liedern sicht-
bare willkürliche Veränderung nicht bei dem
.y
269
Th«Oe der Leser ein gerechtes Misstrauen auch gegen die
übxigen einflößen müsstel^
Voss war nicht mehr der sanfte und stille Jüngling von
1773; er war alt geworden, sehr reizbar und mitunter sehr
grämKch. Seine classischen Studien hatten ihn n&chtern, seine
gelehrten Streitigkeiten derb und heftig gemacht. Erstarrt in
seinen geistigen Richtungen und sittlichen Grundsätzen war cir
schonungslos und misstrauisch gegen Alles was seinem Wesen
entgegentrat oder nur entgegen zu treten schien; die neuere Rich-
tung der Poesie und Philosophie misshagte ihm, er witterte
Pietismus, Mysticismus, Unsinn aller Art, Untergang des gu-
ten Geschmacks, Geistesbarbarei. Was ihm früher lieb und
werth, war ihm jetzt nicht allein fremd, sondern konnte ihta
widerwärtig und verhasst werden. IVüher hätte er das Wun->
derhom, wie es nun einmal war, gewiss anders willkommen
heißen! Von Gottingen aus schrieb er 24. Febr. 1773 an sei-
nen Freund Brückner: „Man hat im Englischen so vortreffHohe
alte Balladen aus dem 15. Jahrhundert. Sollten in Mecklen-
burg nicht noch einige von unsem alten sich erhalten haben?
Wo ich nicht irre, haV ich bbweilen solche alte Abentheuer
absingen hören. Bemühe Dich doch ja um alle Gassen-
hacier, und wenn Du was Gutes findest, so theil^s mit;^ und
abermals von dort aus den 13. Juni desselben Jahrs an den-
selben: ^ber, lieber Brückner, ja alte Gassenlieder mit Ge-
schichten gesammelt! Einzelner Stellen entsinne ich mich z. B.
eine Zauberin flieht vor einem Zauberer, und nift dabei: Hhine
my Nacht, un vor my Dag, dat keen Minsch my seen magl
Der Zauberer eilt mit Stiefeln hinter ihr her, worin jeglieker
Schritt sieben Meilen ist."
Vossens Angriff ist von seinem Standpunkte aus wol zu
entadiuldigen, aber nicht 2u rechtfertigen: er hatte nicht allein
das Wunderhorn schlecht gemacht, sondern auch die Heraos-
geber zu verdächtigen gesucht.
Arnim vertheidigte sich von Cassdi aus 8. December 1808
im Intelligenzblatt der Jen. A. L. Z. 1809. Sp. 22—24. Er
nennt die heimliche Einführimg eigener Arbeit erlogen, in-
dem er sich auf seine Ankündigung des 1. Bandes bezieht
(worin es heißt „Von uns gesammelt, geordnet imd ergänzt^ *^
*) In dem Titel (t. vjotü S. ^62) stellt übrigent oor „geesmmelt« !
270
und glaubt somit „hinlänglich allen Vorwurf der Heimlichkeit
in diesen Ergänzungsversuchen schöner Fragmente zu yeroich-
ten^ u. 8. w. Schließlich droht er, gegen Voss die Gerichte
in Anspruch zu nehmen! „Doch jetzt ein ganz ernsthaftes Wort
an Sie; sowol wegen jener Beschimpfimgen, als auch wegen
der Beschuldigung einer von mir erschlichenen Recension in der
Jenaer Zeitung, vorüber Sie Sich mit Hrn. Hofrath Eich-
städt verständigen mögen, verlange ich binnen sechs
Wochen öffentliche Abbitte, wenigstens ein öffentliches
Bekenntniss, dass Sie Sich geirrt haben; sollten Sie diesen
Termin versäumen, so werde ich Sie als einen boshaften Ver-
läumder gerichtlich in Heidelberg und außergerichtlich durch
Abdruck Ihres ganzen Wörterbuchs von Schimpfreden bestra-
fen, womit Sie allerlei Männer, unter denen ich der unbedeu-
tendste bin, seit dem Anfange ihrer litterarischen Laufbahn ge-
schändet und unschuldige Leute genug zum Nachsprechen ver-
fuhrt haben.^
Voss antwortete gleich darauf in demselben Blatte S. 31. 32.,
und meinte zu der Entgegnung: „Warum in einer verlornen
Anzeige? warum nicht auf dem Titel des Buchs? warum nicht
wenigstens über den willkürlich ergänzten Fragmenten
selbst? Dann erst wären die Ergänzungen entschuldigt.*^
Voss blieb im Ganzen bei seiner Behauptung, was schon die
Worte, womit er seine Antwort schließt, darthun: „Der wahr-
hafte und unverfängliche Titel des Buchs wäre dieser:
Alte deutsche Lieder und Schnurren, auf Glauben
zusammengerafft, umgearbeitet und ausgeflickt; su-
gleich mit neuen Liedern, auch eigenen, untermengt,
von N. N.«
Arnim blieb keine Antwort schuldig. Von Berlin aus
20. Januar 1809 richtet er seine Entgegnung im InteUigens-
blatt der Jen. A. L. Z. 1809. S. 103. 104., nicht eben sehr
zart und schließt mit den Worten:
„Sie sprechen am Schlüsse noch einmal von eigenem Mach-
werke und willkürlichen Aenderungen, also ganz können Sie
Ihr Unrecht noch nicht einsehen; nun wolan, so fordere ich
Sie auf, mir ein Lied anzuzeigen, dem kein älteres
Fragment oder Sage zum Grunde liegt, oder eine Aen-
derung, für die ich keinen Grund anzugeben wüsste,
aus höherer Kritik oder allgemeiner Verständlich-
271
keit. -*- Gestehen Sie nur, wer mit ruhiger Ueberzeugong
so etwas fodern kann, der ist noch nicht zum Verstummen
gebracht^
Die Sache selbst hatte durch dies litterarische Intermezzo
mehr verloren als gewonnen, denn Gewinn kann man das nicht
nennen, dass die Herausgeber selbst ihre Ergänzungen schöner
Bruchstücke eingestanden , die Litteraten konnten das ohnedem
wissen und ftkr'^s große Publikum kann es auch jetzt noch gleich-
gültig sein; dagegen ist der Nachtheil ersichtlich: die Heraus-
geber scheinen nämlich durch die Vossischen Angriffe ihrem
unternehmen entfremdet worden zu sein, denn von alle dem
was sie für das Wunderhorn noch in Ausführung
bringen wollten, ist nie etwas ins Leben getreten.
In Bezug auf das Wunderhorn und seine Fortsetzung er-
schienen noch von Seiten der Herausgeber die beiden folgen-
den Anzeigen, die erste bloß von Brentano, die andere von
beiden Herausgebern unterzeichnet. Intelligenzblatt der Jen.
A. L. Z. 1809 vom 8. März Sp. 147.
„Anzeige betreffend die alt -deutsche Lieder -Sammlung: des
Knaben Wunderhorn. 3. Bände.^
„Da die Absicht, aus welcher deutschliebenden Lesern die
nun mit dem 2ten und 3ten Bande und den Kinderliedem ge-
schlossene Sammlung mannigfacher alter und immer sich er-
neuernder Lieder und Volkslieder, unter dem Namen: Wun-
derhorn, mit nicht geringer Mühe und großer Liebe zu-
'sammengestellt worden, hie und da, theils aus gutmeinender
Eoitik, theils irrigem üebelverständniss , gänzlich, doch kei-
neswegs mir unerwartet, misdeutet wurde: so finde ich f&t
nothig, hier voraus anzuzeigen, was ich ohne das zu leisten
entschlossen war, nämlich, nach meinen Kräften und mit der
Beihülfe einiger Freunde, welche während unserer Sammlung
dahin arbeiteten, eine gedrängte Geschichte der Volkslie-
der, mit möglicher Zeitbestimmung, wie auch eine Kritik
der ächten und zweifelhaften Stücke unserer Sammlung nach
einiger Zeit folgen zu lassen, um auch das litterarische Be-
dürfiiiss zu befriedigen. Es war durchaus unmöglich, eigene
Liebe, das verschiedenste lebendige Interesse und das bloß
gelehrte zugleich zu befriedigen; und ich hoffe, durch we-
nige Bogen jedem Bedürinisse zu zeigen, was ihm in dem
großen Umfang der Sammlung taugen kann, indem ich zu-
272
gleich nicht in Abrede sein kann, dass ich allen Gesinnun-
gen gerne wenigstens Etwas geleistet hätte.
C. Brentano.*
Intelligenzblatt der Jenaischen A. L. Z. 10. März 1810. Sp. 166.
«An die Leser des Wunderhorns.*)
Vielen schriftlichen und mündlichen Auffoderungen zur Fort-
setzung des Wunderhorns glauben wir die öffentliche Anzeige
schuldig, dass diese Fortsetzung zwar nicht in der nächsten
Messe, aber doch gewiss in den nächsten Jahren erscheinen
wird. Beiträge sind uns willkommen; wir bitten, sie durch
Buchhändlergelegenbeit an die hiesige Realschulbuchhandlung
gelangen zu lassen. Ein Anfang dieses künftigen vierten Ban-
des wird Berichtigungen und Zusätze zu den erschienenen drei
Bänden enthalten; auch wollen wir, was bisher ausser
unserem Plane lag, litterarische Anmerkungen zur
Geschichte des Volksliedes und unserer Sammlung
den Littcratoren zu gefallen hinzufügen, wobei wir
uns die Hülfe unserer Freunde Grimm in Cassel ver-
sprechen, deren gründliche Kenntniss bisher so erquicklich
zur Anregung lebendiger Ansicht der älteren deutschen Lit-
teratur gewirkt hat Was uns durch Recensenten an gutem
Rath und Berichtigung geworden ist, soll benutzt werden;
aber freilich ist diese Ausbeute bei den späteren beiden Bänden
nicht groß. Die Recension im Morgenblatte (1808. Nr. 283.
284.) enthielt außer der widrigsten Verdrehtheit und Unwis-
senheit durchaus nichts als Schimpfreden; eine andere in den
Heidelberger Jahrbüchern (2. Jahrg, 1809. 1. Bd. S. 222—237.),
die uns vollkommen zu verstehen schien und manches Lehr-
reiche hoffen ließ, ist mit der Einleitung abgebrochen worden
und unbeendigt geblieben; eine andere in der Hallischen Zeitung
(1807, Nr. 42. 1. Bd. Sp. 329 — 335.) ist beim gänzlichen Man-
gel an Volkssinn und Kenntniss so urtheilslos, unveränderte alte
Lieder für neu, und halbergänzte für alt zu erklären; das
ernstliche Bemühen des Recensenten vom zweiten Bande in der
Jenaer Zeitung (1810. Nr. 35 — 38), sich in das Litterarische
hineinzuarbeiten, verdient alles Lob, ein paar Nachweisungen
über den früheren Abdruck von Liedern sind uns lieb; wenn
*) Die NachweUangen in Klammern habe ich hinaugefugt. H. y. F.
278
et (v. d. Hageti) sioh noch ein pftar Jahre fleißig knit dem Ge-
gengtaiide beschäftigt^ wird er vielleicht anders daräber urihei-
leü; tfX einet Sa,tbm\nhg in unserer Gesinnong gehört überhaupt
mehr, als er 2a ahnden scheint, wovon aber der Jenaer Re*
censent des ersten Bandes (1806. Nr. 18. 19. Gothe) sehr wohl
unterrichtet war. Haben die beiden später erschienenen B&nde
manche eigenthütnliche Freude gewährt, die dem ersten fdilte:
so danken es die Leser hauptsächlich den Erinnerungen jenes
Recetisenten des ersten Bandes, der mit Weisheit das Lit-
terarische und Kritische von unserem Unternehmen sonderte,
und uns immer aufinerksamer machte auf charakteristische In^
dividualitäten in den älteren Liedern , die wir durch Emenemng
und durch Zusammenstellung mit einigen neueren Liedern' noch
mehr herauszuheben trachteten. Wir bedauern, dass die Samm-
lungen, die der erste Theil des Wunderhoms veranlasste, wir
meinen die von Seckendorf, Docen, Hagen und Bü-
sching herausgegebenen, sobald aufgehört haben; Secken-
dorf hat ein fr&her Tod hinweggerafft, ihm schien Glftck und
Gelegenheit besonders günstig. Wenige Jahre ändern in un-
serer Zdt sehr viel, — mit Bedauern müssen wir bemer-
ken, dass jetzt ein breites litterarisches Geschwätz,
das in Überflüssigen Citaten stolziert, die erwachte
tiieh^ £U älterer deutschen Litteratur allmählich
wieder unterdrückt und lebendigere Menschen da-
von zurückschreckt!
Berlin den 1. März 1810.
L. Achim von Arnim. Clemens Brentano.^
Nachdem einmiU über das Wunderhom ein so heftiger Streit
ausgebrochen war, hatte Goethe keine Lust, sich weiter mit
einer Beurtheilung der beiden letzten Bände zu befassen. Diese
übernahm nun von der Hagen. Er fühlte es nicht gerathen,
„die einzelnen Lieder mit sicheren und treffenden Zügen nach
ihrer inneren Bedeutung geistreich und kunstreich'' zu würdi-
gen, t^ „hoffi; sich am besten aus der Sache zu ziehen, wenn
er hier seilie Betrachtung besonders auf die andere bis dahin
Aoch übersehene Seite, die litterarische und instorisohe, und
zwar diesmal besonders in Beziehung auf den 2. Band richtet.''
Das hat denn von der Hagen mit großer Weitläufigkeit ge«-
than, auf 88 Spähen, Jenaische Allg. Lit- Zeitung 1810. Nr. 35
274
— 38. Auf den Vossesohen Streit will er sich nicht weiter ein-
lassen; er betrachtet den Vorwurf der Interpolation', den Voss
den. Herausgebern machte, durch ihre Erklärung im Intelligenz-
Blatte der Jen. Allg. LZ. 1805. S. 891 und 1809. S. 23. besei-
tigt^ darüber könne nun kein Streit mehr obwalten. „Dieser,
fährt er dann fort, besteht freilich noch über die andere Frage:
ob die Herausgeber hier nicht auch ganz eigene Poesieen mit
einfließen lassen? Die Nach Weisung derselben, zu welcher sie
(S. 104. des Vorjahr. Intell.- Blattes) aufgefordert haben, mochte
auf jeden Fall sehr schwierig sein. Da diese Aufforderung
noch keine gerade Ableugnung enthält, so darf Rec. wol sa-
gen, dass er seiner Seits allerdings geneigt ist, an die Ein-
mischung von dergleichen Liedern zu glauben, und diese nicht
eben für die schlechtesten der Sammlung zu halten. Rec. hätte
auch eben so wenig etwas dagegen, als gegen die eingestan-
dene Interpolation, wenn die in beiden, so wie in der Auf-
nahme ganz neuer bekannter Lieder und der eigenmächtigea
Behandlung der wirklich alten sich ausdrückende Absicht voll-
ständig durchgeführt wäre. Es war nämlich gar kein geringes
Unternehmen, den großen Kreis des nationalen Lebens, seiner
Sitten, Gebräuche, Denkweise, Empfindungen, Fabeln, Sageu
und Geschichten, in allgemein verständlichen, wahrhaft volks-
mäßigen Liedern zusammen zu stellen, ohne alle Rücksicht auf
Alt oder Neu oder sonstige gelehrte Beziehung, sondern gaiis
in der Art, wie einige bekannte Goethe^sche Lieder, von
denen vielleicht Niemand mehr weiß, ob sie oder wie viel von
ihnen dem Volke oder ihm angehören. Etwas dem Aehnliches
hat den Herausgebern gewiss vorgeschwebt. Aber so wie ihre
Beiugniss und Fähigkeit dazu noch dahin gestellt bleibt, so ist
auch ihr Werk gar nicht in diesem Geiste vollendet. Einmal
ist die Auswahl des Gesammelten gar nicht dadurch bestimmt|
sondern sehr vieles hat nur ein antiquarisches oder historisches
Interesse, z. B. so manche von den historischen Liedern und
Gedichten. Sodann stellt sich die ganze Sammlung durch die
jedesmalige Hinweisung auf ihre Quellen, wie es auch um ei-
nige derselben, besonders um das so häufige: Mündlich, und:
altes Manuscript, stehen mag — unwiderruflich vor die
zwar eben nicht geachtete (vgL Bd. L S. 457) Kritik, und gibt
ihr selber den Maßstab in die Hand, die Hinweisungen zu prü-
fen, die Quellen so weit als möglich auflEUSuchen und zu ver^
275
gleichen. Die Herausgeber können sich darüber um so we-
niger beschweren, als kürzlich auch einer von ihnen (Bren-
tano, im vorjähr. Intell.-Bl. S. 147 — ) ähnliche Anmerkungen
über ihre Sammlung angekündigt hat.^
Da das Wunderhom eine so bedeutende Stelle in der Ge-
schichte der deutschen Volkspoesie einnimmt, so. mögen nun
noch einige Ansichten und Meinungen jener Zeit folgen.
Docen, Miscellaneen 1. Bd. S. 252. „so ist es ebenfalls
zu wünschen, dass die ursprüngliche Form und Integrität un-
srer alten Volkslieder erhalten werde; wobei es aber thoricht
wäre, aus dieser bloßen Rücksicht*) die Herausgeber des Wun-
derhoms zu tadeln.^
Docen, Zusätze zu den Miscellaneen 1809. S. 6.
„Manchem Tadel über jene willkürliche Behandlungsart die-
ser Lieder, wodurch der Werth des Wunderhoms in einen
sehr zweideutigen Ruf gebracht worden, würden die Heraus-
geber leicht vorgebeugt haben, wenn sie gleich anfänglich sich
vernehmlich über den von ihnen gewählten Zweck erklärt hät-
ten, mit der beruhigenden Versicherung für Alle, die dem Mo-
dernisieren abgeneigt sind, dass für die Aufbewahrung der Ori-
ginale ihrer Sammlung hinlänglich gesorgt sei, und dass sie
selbst einer andern Benutzung derselben nicht hinderlich sein
würden, sobald durch ihre Bemühungen die Stimmung des
Publikums für den schönen Sinn dieser Lieder hinlänglich ge-
weckt wäre. Unterdessen hat Hr. Cl. Brentano neulich einen
kritischen Anhang zum Wunderhom versprochen, um auch den
Gesinnungen jener Uufreunde des Modernisierens zu genügen;
da er aber dieses in wenigen Bogen zu leisten sich vorgesetzt
hat, so kann dabei an eine vollständige Variantensammlung
wohl nicht gedacht sein, die wir — wie so etwas denn schon
an sich eine beschwerliche Leserei sein würde — von den Her-
ausgebern auch nicht einmal zu fordern berechtigt sind. —
Uebrigens ist der bedeutendste Vorwurf, der dem Wunderhom
gemacht werden kann, grade noch am wenigsten beachtet wor-
*) »So geht es oft: statt es jemandem Dank zu wissen, für eine gute, un-
billig vergessene Sache auf irgend eine Art mitgewirkt zu haben, beäugelt
der müssige Tadel das Wie, und vergisst, dass, wenn es auf ihn ange-
kommen wäre , das Ganze unberührt und unbekannt noch hundert Jahre hätte
fortmhen können.^ Docen.
fTeimmr. Jk U. lg
276
den. Dass die Herausgeber mehrere wenig genießbare Stücke
durch Umformen unsrer Liebe werth gemacht, bei andern ent-
behrliche oder störende Strophen unterdrückt , und in sehr vie-
len Liedern einzelne matte oder unklare Zeilen geändert haben,
— wer wollte alles dieses , eingedenk des Zwecks der Samm-
lung, nicht mit Beifall und Dank erwiedem? Allein dadurch,
dass sie oft ganz disparate Elemente und Glieder als Ein Gan-
zes darbieten, haben sie offenbar der Poesie geschadet;
denn was könnte für die lyrische Gattung misslicher sein, als
ein solches Mengen und Aneinanderleimen verschiedenartiger
Theile?«
Briefe eines reisenden Nordländers. Geschrieben in den
Jahren 1807 bis 1809. Herausgegeben von J. F. Reichardt.
Neue Aufl. (Leipz. und Altenb., Brockh. 1816. 8^.) Seite 156:
„Es ist eine Schwester (Bettina) des herum schwirrenden^
lustigen, witzigen Dichters Brentano aus Frankfurt am
Mayn, mit dem ein Herr von Arnim Volkslieder in Wun-
derhörner sammelt, die nur den Einen Fehler haben, dass
sie fast alles, was hineingeschüttet wird, verwandeln, sonst wär^
es ein gar erfreuliches und rühmliches Unternehmen.^
Ergänzungsblätter zur (Hall.) Allg. Litteratur-Zeitung 1809.
Nr. 57. Sp. 449—456.
Des Knaben Wunderhorn 2. und 3. Band.
„Nach einer zweijährigen Pause erscheinen die Herausge-
ber dieser Sammlung mit der längst angekündigten Fortsetzung
wieder vor dem Publicum, und zwar mit zwei, und, wenn wir
den Anhang der Kinderlieder dazu rechnen, mit drei Lieferun-
gen zu gleicher Zeit. Konnte man der ersten 1806 erschiene-
nen und von uns bereits (A. L. Z. 1807. Nr. 42) angezeigten
den Vorwurf mit Recht machen, sie trage die Spuren der Eil-
fertigkeit mit der sie zusammengerafit worden zu sichtbar an
sich; vermisste nicht nur Rec, sondern der größte Theil der
unbefangenen Lesewelt Strenge der Wahl und Sonderung mit
Genauigkeit in Anordnung und Behandlung des Gesammdten;
so war zu erwarten, die Unternehmer des an sich gewiss lo-
benswürdigen Instituts würden die für ein solches Geschäft
nicht unbeträchtliche Zwischenzeit dazu benutzt haben, den ge-
rechten Forderungen des Publicums bei dieser Fortsetzung mehr
zu genügen, um der deutschen Litteratur ein Werk zu sehen-
277
ken, das dem gepriesenen von Percy und dem noch nicht ge-
nug gekannten ebenfalls trefflichen (Minstrelly of the Scottish
Border, in three Volumes. Edinburgh 1803) an die Seite ge-
setzt zu werden verdiente. Allein leiderl sind unsere Hoffnun-
gen nur kärglich erfüllt worden. Es ist nicht zu leugnen, dass
die Herausgeber uns manches sehr gute, theils schon bekannte,
theils unbekannte, geliefert haben, und dafür sei ihnen auch
unser voller Dank gebracht, allein wir würden dies Gute mehr
schätzen, wenn es nicht unter so vielem Trivialen und Schlech-
ten stände.^
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. LH. Jahrg. (1810)
9. Heft S. 50-^52.
^ben darum aber, weil diese Poesie keine Historie hat,
und darum auch nicht historisch behandelt werden kann, moch-
ten wir die Herausgeber dieser Sammlung in Schutz nehmen
gegen die Beschuldigung, dass sie zu. wenig die historische
Treue in der Anordnung und Behandlung des Buches geachtet
hätten. Sie haben besonders im ersten Bande eimcelne Ge-
didite eingelegt, andere mannigfaltig restauriert, und durch
Zusammenschieben fragmentarisch geschiedener Theüe ^e zu
einem zusammenhangenden Ganzen gefugt, und rieh also bei-
nahe alle die Freiheiten genommen, die wir eben als störend
die eigentliche Geschichte dieser Gattung angeführt. Die Her-
ausgeber wollten nicht eine Chronik deutscheu Volksgesanges
geben , das würde bei dem unmäßigen Umfange dieser Gattung
und bei dem vielen Schlechten, das sie au%€nommen, eine un-
erschwingliche und undankbare Unternehmung gewesNi sein;
sie wollten vielmehr in Einen Brennpunkt die, durch das Volk
zerstreuten Strahlen sammeln, um im engsten Räume einge-
schlossen, was über die Weite unscheinbar auseinander gelau-
fen, der Anschauung vorzuführen. Oft genug musste der Fall
eintreten, dass von guten Gedichten nur ein Haufen Trümmer
sich erhalten hatte. Der Witz gefiel sich darin, diese Frag-
mente so zu ordnen, dass aus fremdartigen Gliedern verschie-
dener Gattungen doch ein Bild erwuchs, das nichts Wider-
sprechendes in seiner Zusammensetzung zdgte. Ein solches
Spiel, in der Plastik kaum auszufuhren, muss in der Poesie
als ein Erlaubtes zugegeben werden, öfter noch musste ei-
niges Gute Schlechtem oder Mittelmäßigem eingesprengt er-
18^
280
Noth oder aus Missverständniss, vorgenommen. Die Quellen-
angabe ist oft mit Absicht oder aus Nachlässigkeit verschwie-
gen oder sehr ungenügend gelassen worden: so ist das vieldeu-
tige „mündlich" auch da beigefugt, wo alte Texte zu Grunde
liegen oder namhafte Verfasser allgemein bekannt waren (Gott
grüß euch, Alter 1 mündlich). Die Ueberschriften, so treffend
sie oft ausgefallen , sind doch mitunter nicht allein dunkel, son-
dern auch albern. Neben den wirklich schonen geistlichen Lie-
dern sind bei weitem mehr höchst geschmacklose und läppi-
sche Stücklein aufgenommen; die Capuziner- und Jesuitenver-
selei und die süßliche protestantische Pietistenpoesie sind über-
haupt mit besonderer Vorliebe vertreten.
Trotz dem und alledem ist und bleibt das Wnnderbom ein
Werk, dessen wir uns immer freuen dürfen und mit Liebe und
Dank gedenken müssen. Es war von nachhaltiger guter Wir-
kung, zunächst auf unsere lyrische Poesie, dann auch auf die
Musik und die zeichnenden Künste; es hat das deutsche Ele-
ment mit wieder zu Ehren gebracht; es hat den Sinn für das
Volksthümliche geweckt und genährt; es hat das Studium des
Volksliedes angebahnt und Manchen zum Sanuneln und For^
sehen ermuntert, so dass nach und nach der Schatz unserer
alten Lieder aus seltenen Büchern und Handschriften ans Licht
getreten ist und die noch im Volke vorhandenen vom allmäli-
gen zwar, aber doch sichern Untergange gerettet sind. Dms
Wunderhorn hat seine Sendung erfüllt.
Erst nach dem Tode beider Herausgeber erschien eine neae
Ausgabe des Wunderhorns: „1. Bd. Charlottenburg, Egbert
Bauer 1845. 2. und 3. Bd. Berlin 1846. Expedition des v. Ar-
nimschen Verlags.^
Auf dem gestochenen Titel des 1. Bandes steht: „Neu
herausgegeben und vermehrt nach Achim^s von Arnim hinter-
lassenen Vorarbeiten."
Das „vermehrt" ist so unbedeutend, dass es ß^lich hatte
wegbleiben können. Im 1. Bande sind nur elf Lieder (S. 226*
259. 310. 320. 338. 347. 349. 351. 352. 359. 378) hinzugekom-
men, im 2. Bande nur ftinf (S. 53. 104. 160. 201. 213) und im
3. nur die Anmerkung zu Pfeffers Gott grüß euch, Alter!
Der neue unbekannte Herausgeber verstand seine Aufgabe
nicht und war derselben auch nicht gewachsen, er hätte Bonet
281
wol mehr gethan als nur hie und da bessere Texte aufzuneh-
men, einige Quellen anzugeben und einige Lieder hinzuzufügen.
Im J. 1854 erfolgte zu dieser neuen Ausgabe ein vierter
Band von 370 Seiten (mit 200 und einigen Liedern): ,,Nach
A. V. Arnim's handschriftlichem Nachlass herausgegeben von
Ludwig Erk." Die Texte sind alle urkundlich bis auf die
Schreibung mitgetheilt, die meisten aus alten gedruckten
Liederbüchern und fliegenden Blättern und neueren gedruck-
ten Sammlungen; doch auch die mit „mündlich^^ bezeichneten
sind größtentheils schon gedruckt vorhanden. Es muss be-
fremden, dass trotzdem Arnim's handschriftlicher Nach-
lass dabei überhaupt erwähnt werden konnte, denn nur ein
einziges Mal (S. 193) ist ein „Handschriftlich in v. Arnim's
Sammlung" als Quelle angegeben, und ich wüsste auch nicht
wo es überhaupt noch vorkommen könnte, denn die nicht nä-
her bezeichneten Lieder wurden nach Arnim's Tode oder doch
ohne Bezug auf ihn von Andern gesammelt (man vgl. die von
mir mitgetheilten und andere schon in meinen Schlesischen
Volksliedern befindliche!)
Der neue Band ist eine für sich bestehende werthvolle
Sammlung, die sich nur in Einer Beziehung an die früheren
Bände anschließt. Wie dort, so ist auch hier Volkslied, volks-
thümliches Lied und Kunstlied aus alter und neuer Zeit ver-
treten: der alte Hildebrand, die Frau von Weißenburg, der
Tanhäuser, der edle Moringer, Eppele von Geilingen, Raum-
sattel, Lindenschmid; Insbruck, ich muss dich lassen; O Straß-
burg, o Straßburg; Beigerad, du schöne Stadt; Opitzens Ach
Liebste, lass uns eilen; Rist's Daphnis ging vor wenig Tagen;
Tscherning's Wer ungereget die Sinnen traget; Vulpius' Der
Lenz ist angekommen ; Heiners Es fiel ein Reif in der Winter-
nacht; Feuchtersleben^s Es ist bestimmt in Gottes Rath und
Häring's Fridericus Rex, unser König und Herr. Auch einige
Schnitterhüpfel kommen vor, und sogar Lieder, die keine Lie-
der sind, wie die drei Liebesbriefe S. 117 — 125; dagegen fehlt
das eigentliche Meisterlied.
Erk hat sich noch einer sehr dankenswerthen Miihe un-
terzogen: er hat den 4 Bänden Register zugefögt und bei den
drei ersten auf die alte Ausgabe verwiesen. Ein Register über
alle vier Bände wäre noch besser gewesen; friiher durfte man
nur dreimal, jetzt muss man viermal nachsehen.
282
So sonderbar es mir und andern vorkommen muss, dass
einem ein Buch, was man eigentlich selbst gemacht hat, ge-
widmet wird, so schließe ich mich doch gern der Widmung
dieses vierten Bandes an:
„Dem um Deutschlands Volkslieder hochverdienten Lud-
„wig Erk ertöne dankend in Widmung seines vierten
„Bandes
das Wunderhorn."
XFI.
DANIEL VON CZEPKO.
Von a V. F.
Ziu seinen Lebzeiten sind von Czepko außer einigen Gelegen-
heitsgedichten nur folgende etwas umfangreichere Gedichte ge-
druckt:
Trophaeum Bibranum De Face Imperatoriae Domus Austr.
VratisL 1635. 4^. 15 Blätter.
Dan. Cepconis Pierie. A. C. cIo loc XXXVL 4o. 23 Blätter.
Triumph Bogen Ferdinand dem Dritten. Breßhtw M. DC*
XLI. fol. 12 Blätter.
Nach seinem Tode erschienen:
Dan. von Czepko Rede auß seinem Grabe. Breßlau 1660.
fol. 4 Blätter.
Sieben «Gestirne Königlicher Busse. Zum Brieg 1671. 8^.
31 Blätter.
Das ist allerdings wenig und dies Wenige ist noch dazu sehr
selten. Kein Wunder, dass daher Czepko von unseren Litte-
rarhistorikern gar nicht erwähnt wurde und dass erst Gervinus
seiner gedenkt, ihn aber sehr kurz abfertigt (4. Aufl. 3. Bd.
S. 246), nachdem erst August Kahlert durch einen besonderen
Aufsatz in Prutz, Litterar. Taschenbuch 1844. S. 133 — 152 mit
Recht auf ihn aufmerksam gemacht hatte.
Der Litterarhistoriker kann allerdings in den Zeiten nach
Erfindung der Buchdruckerei sich nur an das halten, was wirk-
lich gedruckt ist. Es fragt sich aber, ob bei Beurtheilung
der Dichter dies allein maßgebend sein darf. Schwerlich.
Was einer an und für sich als Dichter war, darf eben so gut
die Aufgabe der Litteraturgeschichte sein, als was er seinen Zeit-
284
genossen gewesen ist. Manche Dichter waren zu ihrer Lebzeit
nichts und wurden noch heute unbekannt sein, wenn sie nicht
gewissermaßen erst wieder entdeckt wären, wie Andreas Scul-
tetus; manche haben erst lange nach ihrem Tode eine bessere
Würdigung gefunden. In einer Zeit, bei der es fast zu ver-
wundem ist, dass überhaupt noch ein Buch gedruckt wurde,
müssen wir auch zu den Handschriften unsere Zuflucht neh-
men, und von Czepko sind noch Handschriften genug vorhan-
den, *) nach denen wir für ihn eine größere litterarische Be-
deutung in Anspruch nehmen können.
Czepko war als Dichter fruchtbar und vielseitig und wusste
die metrischen Formen so wie die Sprache gut zu handhaben,
wenn er auch wie seine dichtenden Landsleute nicht frei von
Silesismen ist. Er hatte ein tiefes Gemüth, das zwar sich gern
den übersinnlichen Dingen zuwendete, aber doch auch für die
Freuden der Welt empfänglich blieb : einige seiner Liebes- und
Scherzgedichte dürfen seinen ernsteren an die Seite gestellt wer-
den. Freilich sind ein sittlicher Ernst, eine männliche Würde
und ein tiefes religiöses Gefühl diejenigen Eigenschaften, die
ihn vor seinen dichtenden Zeitgenossen auszeichnen, ßr ist,
wie ich schon früher gesagt habe (s. Politische Gedichte aus der
deutschen Vorzeit, Leipzig 1843. S. 259) einer der gesinnungs-
reicheren und edleren Charaktere des traurigen 17. Jahriinn-
derts. Er ließ sich durch keine kaiserlichen Ehren- und Ghia-
denbezeigungen abwendig machen vom Glauben seiner Väter
und blieb eifrig bemüht, für seine unterdrückten Glaubens-
genossen in den schlesischen Erbfürstenthümem Jauer und
Schweidnitz größere Freiheit in Ausübung der evangelischen
Religion zu erwirken.
Ln J. 1645 that er der kais. Majestät ganz freim&ihig dar
in einem „unverfänglichen Bedenken^% dass trotz der gewalt-
samen Reformation (seit 1629) doch niemand katholisch ge-
worden sei als solche, die dadurch zu einem Amte gelangen
oder einer weltlichen wohlverdienten Strafe hätten entgÄien
wollen; überhaupt gäbe es in den Städten außer den Rathsbe-
amten beinahe gar keinen Katholiken.
*) Sie werden in der Rehdigersehen Bibliothek zu Breslau aufbewahrt
und sind Abschriften von der Hand des um die schles. Litteratur sehr ver*
dienten Sammlers Ezechiel.
285
Ich hatte früher einmal die Absicht, Czepko ausführlicher
zu behandeln. Durch andere Arbeiten bin ich darin unterbro-
chen worden. Aus meinen Sammlungen will ich jedoch Einiges
mittheilen, wonach Czepko doch etwas bedeutender scheinen
wird als aus den Proben bei Kahlert.
Aus einem Gedichte an Donath.
Wresin 20. April 1632.
Wo Freiheit ist und Recht, da ist das Vaterland.
Dies ist uns aber nun und wir ihm unbekannt.
Es streite wer da will! Es ist dahin gekommen,
Der falsche Frieden hat das Land nun eingenommen,
Die Faulheit aber uns. Doch wüthe dar und hier!
Auch aus der Asche wirft die Freiheit Flammen für,
Die kein Blut nicht verloscht. Lass alle Kirchen schließen
Und jage Gott selbst aus. Er kommt in die Gewissen.
Wo nicht vor das Vaterland, jedoch mit dem
Vaterlande.
Über eines treuen Landmanns Abschied.
Nachdem des Himmels Räch in grimmen Schlachten glüht,
Und niemand keine Treu in deutschen Herzen sieht;
Nachdem ein jeder lasst das allgemeine Wesen,
Aus dessen Fall er ihm sein eignes weiß zu lesen;
Nachdem wir die Gesetz und aUes Recht verloren
Und alle müssen thun was Einer auserkoren;
Nachdem man hat den Hut der Freiheit abgezogen.
Und das verfluchte Joch um ihren Hals gebogen;
Nachdem der Pobel sich zu fremden Gottern seilt
Und nichts von Ehrbarkeit und guter Aufsicht hält;
Nachdem der deutsche Muth von großen Häusern komimen.
Die Furcht und Heuchelei indessen eingenommen;
Nachdem das Band der Welt, der Glauben abgethan.
Und Misstreu Frieden heißt, der Alles stürzen kann;
Nachdem das Vaterland zu Sturm und Grund gegangen
Und seine letzte Hülf und Ölung hat empfangen;
Nachdem der Schatten selbst des ersten Standes fleucht.
Und mit der Leichen sich in ihre Gruft verkreucht —
Stirbst du, o theurer Mann. Wollt ihr es recht verstehen:
Er will zu Grabe hin mit unserm Lande gehen.
284
genossen gewesen ist. Manche Dichter waren zu ihrer Lebzeit
nichts und würden noch heute unbekannt sein, wenn sie nicht
gewissermaßen erst wieder entdeckt wären, wie Andreas Scul-
tetus; manche haben erst lange nach ihrem Tode eine bessere
Würdigung gefunden. In einer Zeit, bei der es fast zu ver-
wundern ist, dass überhaupt noch ein Buch gedruckt wiurde,
müssen wir auch zu den Handschriften unsere Zuflucht neh-
men, und von Czepko sind noch Handschriften genug vorhan-
den, *) nach denen wir für ihn eine größere litterarische Be-
deutung in Anspruch nehmen können.
Czepko war als Dichter fruchtbar und vielseitig und wusste
die metrischen Formen so wie die Sprache gut zu handhaben,
wenn er auch wie seine dichtenden Landsleute nicht frei von
Silesismen ist. Er hatte ein tiefes Gemüth, das zwar sich gern
den übersinnlichen Dingen zuwendete, aber doch auch für die
Freuden der Welt empfänglich blieb: einige seiner Liebes* und
Scherzgedichte dürfen seinen ernsteren an die Seite gestellt wer-
den. Freilich sind ein sittlicher Ernst, eine männliche Würde
und ein tiefes religiöses Gefühl diejenigen Eigenschaften, die
ihn vor seinen dichtenden Zeitgenossen auszeichnen, ßr ist,
wie ich schon früher gesagt habe (s. Politische Gedichte aus der
deutschen Vorzeit, Leipzig 1843. S. 259) einer der gesinnungs-
reicheren und edleren Charaktere des traurigen 17. Jahriinn-
derts. Er ließ sich durch keine kaiserlichen Ehren- und Ghia-
denbezeigungen abwendig machen vom Glauben seiner Väter
und blieb eifrig bemüht, für seine unterdrückten Glaubens-
genossen in den schlesischen Erbfürstentbümem Jauer und
Schweidnitz größere Freiheit in Ausübung der evangelischen
Religion zu erwirken.
Im J. 1645 that er der kais. Majestät ganz freim&thig dar
in einem „unverfänglichen Bedenken^% dass trotz der gewalt-
samen Reformation (seit 1629) doch niemand katholisch ge-
worden sei als solche, die dadurch zu einem Amte gelangen
oder einer weltlichen wohlverdienten Strafe hätten entg^eü
wollen; überhaupt gäbe es in den Städten außer den Rathsbe-
amten beinahe gar keinen Katholiken.
*) Sie werden in der Rehdigerschen Bibliothek zu Breslau aufbewahrt
und sind Abschriften von der Hand des um die schles. Litteratur sehr ver*
dienten Sammlers Ezechiel.
285
Ich hatte früher einmal die Absicht, Czepko ausführlicher
zu behandeln. Durch andere Arbeiten bin ich darin unterbro-
chen worden. Aus meinen Sammlungen will ich jedoch Einiges
mittheilen, wonach Czepko doch etwas bedeutender scheinen
wird als aus den Proben bei Kahlert.
Aus einem Gedichte an Donath.
Wresin 20. April 1632.
Wo Freiheit ist und Recht, da ist das Vaterland.
Dies ist uns aber nun und wir ihm unbekannt.
Es streite wer da will! Es ist dahin gekommen,
Der falsche Frieden hat das Land nun eingenommen,
Die Faulheit aber uns. Doch wüthe dar und hier!
Auch aus der Asche wirft die Freiheit Flammen für,
Die kein Blut nicht verlöscht. Lass alle Kirchen schließen
Und jage Gott selbst aus. Er kommt in die Gewissen.
Wo nicht vor das Vaterland, jedoch mit dem
Vaterlande.
Über eines treuen Landmanns Abschied.
Nachdem des Himmels Räch in grimmen Schlachten glüht,
Und niemand keine Treu in deutschen Herzen sieht;
Nachdem ein jeder lasst das allgemeine Wesen,
Aus dessen Fall er ihm sein eignes weiß zu lesen;
Nachdem wir die Gesetz und alles Recht verloren
Und alle müssen thun was Einer auserkoren;
Nachdem man hat den Hut der Freiheit abgezogen,
Und das verfluchte Joch um ihren Hals gebogen;
Nachdem der Pobel sich zu fremden Göttern seilt
Und nichts von Ehrbarkeit und guter Aufsicht hält;
Nachdem der deutsche Muth von großen Häusern konmien,
Die Furcht und Heuchelei indessen eingenommen;
Nachdem das Band der Welt, der Glauben abgethan,
Und Misstreu Frieden heißt, der Alles stürzen kann;
Nachdem das Vaterland zu Sturm und Grund gegangen
Und seine letzte Hülf und Ölung hat empfangen;
Nachdem der Schatten selbst des ersten Standes fleucht,
Und mit der Leichen sich in ihre Gruft verkreucht —
Stirbst du, o theurer Mann. Wollt ihr es recht verstehen:
Er will zu Grabe hin mit unserm Lande gehen.
286 .
So gut sie gerathen.
Ad seine Freunde.
Wann ich vom Felde komm^ und etwan einem Hasen
Das durch beschwitzte Fell durch meinen Wind gezwagt,
Wann ich dem grimmen Wolf ein Schäflein abgejagt,
So dicht' ich ofte Vers\ indem ich soll Verblasen.
Oft, (es ist mein Gebrauch,) wenn meine Leute dreschen,
Muss mit dem Schieferbuch ein Junge bei mir stehn.
Wenn ich den Schäfer schelt' und heiß ihn von mir gehn,
So muss den Zorn in mir ein Epigramma loschen.
Gefall' ich euch, ihr Freund', und lobt ihr meine Sachen,
So glaub' ich, dass ich nicht der letzte Dichter sei.
Wo nicht, betrüg' ich mich. Jedoch bedenkt dabei,
Ob man es besser auch könnt' untern Bauern machen. *)
Alles hin, bis auf das Gemuthe.
Seiner Feder Begräbniss.
Nur aus, o Buch! das Dorf vom Merzen das ist Graus,
Der schöne Meierhof zu Kletschkau wüste worden,
Das Striegen Vorwerk fort; das viert' in diesem Orden
Will auch mein Berggut sein — darum, o Buch, nur ausi
Die Güter nehmen ab, die Schätzung aber zu.
Das Haus wird leer an Geld und voll an Krieges -Knechten.
Kehr' ich mich hundertmal zur Linken oder Rechten,
So hab' ich Tag und Nacht bei keinem keine Ruh.
Ich will hier unterm Kalk und meiner Güter Staub
Die Feder, meine Lust mit ihrem Thun begraben.
So lange wir bei uns die Schwedschen Krieger haben,
Ist sie der Motten zwar, wir ihrer Hände Raub.
Nicht ohne Wunderwerke.
Von dem durchlauchtigen Hause von Österreich.
Seht, unser Österreich steht über den Gestirnen,
Es grünt und blüht je mehr, je mehr es Feinde hat.
*) Czepko lebte viel auf seinen Gütern; außer Merzendorf bei Schweid«
nitz besaß er noch drei Vorwerke.
287
Was machst du hier, o Welt? Es wird sich früh und spat
Die ganze Welt zu Tod an diesem Hause zürnen.
Mit der Säule, das Gebäude.
An Deutschland.
Ich sag^ es, Deutschland, dir: Soll Österreich ja fallen,
(Wie jedem seinen Fall der Himmel auserkiest)
Du fällst mit ihm. Ich hör\ ich höre Häuser fallen,
Denn mit der Säulen fällt was drauf gebauet ist.
Ehrsucht, nächster Todtengräber.
Wallensteinischer Tod.
Der alles wusst allein, was er durch andre that,
Und zwar von Friedland kam, doch Krieg und Streit erhaben,
Liegt ohne Titel dar. Fragst du, wer ihn begraben?
Deutsch weiß ich's nicht, sonst heißt es: la raison d^Etat.
Alte Zeit bringt Leid.
An seinen eingerissenen Meierhof.
Ich lieg^ und schaue hier den Ackerleuten zu,
Klag^ über meine Feind^ und die verstörte Ruh.
Ich muss das Feld vor mir, und hinter mir die Mauern,
Weil jenes ohne Saat, ohn Zimmer die, bedauern.
Das Feld, ach, dass ich dran gedenken soll und darf!
Wo Wellen weit und breit das Meer der Ähren warf,
Wird vor der Äser Schaar nicht mehr im Felde funden.
Weil hier nichts als Gezelf anstatt der Mandeln stunden.
Das Haus ist aus, in dem der kranke Herzog lag
Und Torstenson viel Rath mit seinen Helden pflag.
Wo ich die Pferde sah auf den bedüngten Hüben
An ihren Pflügen gehn bei Tisch in meiner Stuben.
Ihr Schafe, die kein Wirth so gut wird treffen an,
Ihr Kühe, die so gut kein Schweizer melken kann,
Ihr Stuten, die ihr war^t in Friesland auferzogen:
Die Ställe, die sind euch, den Ställen ihr entflogen.
Ihr Ställ^ auch und dann du der Scheuern schöne Bahn,
Wo durch das Jahr nie ward ein Flegel abgethan,
288
Und du gemauerter Stock — was habet ihr begangen,
Dass der Verwüster euch ließ keine Gnad^ erlangen?
Kann auf zweitausend Schritt allhier nichts sicher sein,
So trägt die Weichbilds - Stadt nichts unserm Landwirth ein.
Das heißt dem Jüngsten Tag aus Freundschaft vorgegriffen.
Wie wird dafür das Fett von dem Zerstörer triefen!
Todesgedanken. Ao. 1660. 2. Aug.
In meinem Siechbettlein.
Wenn Krankheit, Weh und Schmerzen
Des Todes Boten sind,
So nehm' ich recht zu Herzen,
Was Gott mit mir beginnt
Ich lieg' in seinem Willen,
(Sein Willen der ist gut,)
Weil meine Pein zu stillen
Kein Arznei etwas thut.
Und was ist unser Leben?
Was ist's? Ein Sommertag.
Es kann sich viel begeben,
Als wie es heute pflag.
Schon heimlich war der Morgen,
Des heißen Donners Macht
Setzt Mittags uns in Sorgen;
Der Abend bringt die Nacht.
Was wir verstehn und sehen,
Nicht sehn und nicht verstehn,
Ist lauter Angst und Flehen
Und heißt uns untergehn.
Der Krieg, das wilde Wesen,
Der unser Land verheert,
Macht, dass ihm zu genesen
Kein Christensiim begehrt
Ich höre täglich läuten:
Frag' ich, so sagt man mir
•) Mit Weglassnng von vier Strophen.
289
Von nichts als Todesbeuten,
Die trägt man außen für.
Die Glocken, wann sie klingen.
So rufen sie mir zu:
So wird man morgen bringen
Vielleicht auch dich zur Ruh.
Die Bücher, meine Liebe,
Die um mein Bette stehn,
Wie sehr ich mich betrübe.
Doch schreien sie, ich soll gehn.
Die, so sie konnten schreiben.
Sind mehrentheils dahin.
Wo soll dann ich verbleiben.
Der ich noch schlechter bin?
Die Schnitter, so itzt hauen,
Ertheilen den Bericht:
So ist der Tod zu schauen,
Kein Halm bleibt vor ihm nicht.
Des Weizens Kolben sinken.
Des Habers Rispen fliehn —
So, wann er pflegt zu winken,
Muss der und ich entfliehn.
Rechn^ ich mich nach den Jahren
Halb hab' ich ausgelebt.
Viel sind zu Gott gefahren,
Die nicht dies Ziel erhebt.
Der Krankheit langes Wesen,
So mich mein Bürdlein heißt
Anitzt zusammen lesen.
Erfreuet meinen Geist.
Drum fleuch aus dieser Holen,
Aus diesem Neste hin.
Du Geist von meiner Seelen!
Der Tod ist dein Gewinn.
Halt dich in wahrem Glauben
Aus fester Zuversicht;
Das kann dir Niemand rauben.
Was Jesus dir verspricht.
290
Schleuß dich in seine Wunden,
Und forsche weit und breit,
Bis du das Kind gefunden
Der Lehns - Gerechtigkeit.
Siehst du den Titul blinken,
So sprich: der Erden Pracht,
Ihr Reich, ihr Purpur stinken!
Ihr Freunde, Gute Nacht!
SGHILLER'S ERSTE LITTERARISCHE FMS)fi
UND DIE
HERAUSGABE DER ANTHOLOGIE.
VON
EDUARD BOAS.
(Das hier abgedruckte „Fragment ist aus dem hinterlassenen Werke „Fi^ie"-
drich l^ctiiller, ölne Lebensbeschreibung'^ von meinem vörttorbt^.
nen Freunde E du ard^ Boas. Die Vollendung, dieser Tortrefniehen- Unter-
nehmung — von dem Verfasser mit der größten Sorgfalt und Mufa^ behati>*
delt — hat er leider durch sein frühes Scheiden, nicht ausführen dürfen. Der
Entstehung und Bearbeitung, des Werkes ist der Unterzeichnete mit inniger
Theilnahme von Abschnitt' zu Abschnitt gefolgt und hat oft die Freude' ge-
habt Beiträge oder N^hWei^ungen hierzu mittheilen zu können'. 'Vfie anb-
führlich der Plan dtv Ganzen angelegt war, beweiset dass das ausgidlnrbeitisfe'
Manuscript — bis zu Schillers Aufenthalt in Dresden — über 800 Seiten um-
fasst, und da dieses schon ein für sich selbständiges Werk bildet, des sich
nicht allein durch neue Forschungen und Berichtigungen als auch durch eine
blühende kräftige Schilderung auszeichnet: wird der Unterzeichnete diOseltie
jetzt füi* den Dtuck vorbereiten.
Berlin. W. von Maltzahn.)
Zur Zeit, als Schiller die Carlsakademie verlassen hatte, wai^
die Sucht nach Musenahnanachen in Deutschland epidemisch
geworden« Jede Stadt, jede Landschaft, die nur noch irgend
im Reiche des guten Geschmacks mitzählen wallte, musste all-
jährlich ihre poetische Blumenlese aufzeigen können, und die
Metropole des sangberühmten Schwabens durfte natürlich nicht
zurückstehn. Aber es fehlte der Choraget, um dessen berühm-
ten Namen sich die Keihen der Dichter schaaren konnten, und
in Ermangelung eines solchen, pflanzte Gotthold Friedrich
Stäudlin sein Banner auf. Derselbe, 1758 zu Stuttgart ge-
boren, war dort als Kanzlciadvokat angestellt und hatte 1780
das Gedicht „Albrecht von Haller ,^^ dann „Proben einer deut-
schen Aeneis , nebst lyrischen Gedichten ," herausgegeben.
fTeimar. Jh. iL 19
292
Zwar besaß er wenig Talent zur Poesie, doch wusste er die-
sen Mangel vor ungeübten Blicken durch Reimfertigkeit und
Dreistigkeit zu verstecken. Er gründete also die „Schwä-
bische Blumenlese^^ und als er 1781 den ersten Jahr-
gang vorbereitete, da fand sich, wie arm das einst so lie-
derreiche Schwaben geworden sei. Wieland lebte fem,
Schubert saß auf dem Asperg. Stäudlin konnte nur mit
Noth ein Dutzend Poeten zusammenbringen, und diese glichen
großentheils dem Grase, das der Herr auf dürren Bergen wach-
sen lässt. Lauter farblose Namen begegnen uns, und da die
Lebenden nicht ausreichten, wurde aus dem Nachlass zweier
Todten noch eine poetische Beisteuer citirt Hierzu gesellte
sich Schiller mit seinen Freunden Hang und Conz. Hang lie-
ferte muntere Epigramme und einige Lyrika, Conz gab schwär-
merische Dichtungen ä la Klopstock , Schiller stiftete eine
Lauraode für den Almanach: „die Entzückung an Laura.'^')
Man glaubte sonst, der ganze Cyklus von Lauragedichten sei
zuerst in der Anthologie an*8 Licht getreten, bis meine Nach-
träge (HL 10.) auf jenen früheren Abdruck hinwiesen. Zwar
ging die Ode bald nachher in Schiller^s eigene Blumenlesc über,
allein sie zeigt sich dort so bedeutend verändert, dass eine Zu-
sammenhaltuug beider Formen wohl von Interesse ist.
Wir sehen, dass zwischen Schiller und Stäudlin zur Zeit
ein gutes Vernehmen waltete, aber schon in kurzer Frist fin-
det sich dasselbe vollständig zerstört. Was den Bruch herbei-
geführt hat, darüber würde uns jede Auskunft fehlen, wenn
nicht eine Epistel an „Herrn Professor S-[chott] in Er-
lang. >) welche Stäudlin 1782 niederschrieb, die Ursache
mit ziemlicher Klarheit andeutete. Darin schildert er seine
Plagen als Redakteur des Musenkalenders, und entwirft ein er*
schreckendes Bild von den Beiträgen, die ihm zugeschickt
worden :
„Ich brech' ein zweites Siegel auf — und hu!
Ein Odensturm — wie tobt er auf mich zul
Gehäufter Unsinn überall
Und ungeheurer Worterschwall —
>) Schwäbischer Musenalmanach, 1782, S. 140.
«) Schwäbischer Musenalmanach, 1783, S. 186 f.
293
Ha! welch ein Flug! — Das tont mir allzu lyrisch I
Mich dünkt, ich lese gar sibirisch! ^)
Es wirbelt strudelt donnert braußt
In jeder Zeile so wie in des Dichters Hirne.
Die eine Stelle sagt: Hier schlug sich mit der Faust
Der Autor an die spröde Stime!
Die andre: Hier hat er in Fieberglut geträumt!
Die dritte: statt zu denken, fad gereimt!
Was soll ich thun! — die arme Leserwelt
Tyrannisch auf des Unsinns Folter spannen ?
Nein! lieber das Gedicht verbannen,
So sehr mein Pindar auch für Meisterstück es hält!^^
Man kann nicht zweifeln, dieser Angriff war auf Schiller
und seine Lauraoden gemünzt, von denen er muthmaßlich noch
mehrere für den Almauach eingesendet hatte. Staudlin aber
— mag der Aulass nur Eifersucht oder wirklicher Unverstand
gewesen sein — nahm nur „die Entzückung^^ auf, und ließ
vielleicht noch eigenmächtig die zwei Strophen wegfallen, um
welche wir das Gedicht in der Anthologie (Nr. 4) vergrößert
finden. Maßlose Selbstüberschätzung auf der einen Seite und
gerechter Stolz auf der andern waren also, wie es scheint, die
Haupthebel jener raschen Trennung zwischen Schiller und
dem Almanachsredakteur. So rollen die Jahre und so ändert
sich die Zeit. Damals dünkte sich Staudlin ein erhabner Mei-
ster gegen Schiller, und heute nennen wir seinen Namen nur
deshalb, weil er doch in einer, wenn auch feindseligen Bezie-
hung zu unserm Oichter stand.
Solcher Zwist trübte übrigens Schiller^s kritische Unpar-
teilichkeit nicht, und als er für das Wirtembergische Reper-
torium eine Recension des Almauachs schrieb, tadelte er zwar
was er tadeln musste, lobte Staudlin indess, wo derselbe
irgend Lob verdiente. Die^ Beurtheilung des Büchleins lau-
tet dort:
„Bei der gegenwärtigen Mode , Kalender zu machen
(Seuche darf ich sie doch nicht nennen, denn man streitet.
>) Als Staadlin die Epistel in seinen Gedichten (Stuttgart 1791, Bd. 2.
S. 324) wieder abdrucken ließ, tilgte er diese zwei Zeilen.
19*
294
ob Elrankheitcn aufkommen, die die Alten nicht schon gehabt
haben, und Musenalmanache hatten sie doch wohl nicht), bei
der so empfindsamen .^Witterung im ganzen Deutschland, ist
eine Wirtembergische Blumenlese kein Phänomen mehr. Man
beschuldigt sonsten die Schwaben, dass sie erst anfangen, wenn
ihre Nachbarn Feierabend machen, und in dieser Hinsicht —
Gesegnet sei die endliche prophetische Ankunft des schwäbi-
schen Musenalmanachs!^^
„Bücher dieser Art lassen sich nur von drei Seiten anse-
hen. Entweder sie sind die Freistatt angehender schüchterner
Schriftsteller, die hinter dieser Tapete Ruf oder Abschreckung
vom Publikum erwarten. Man billigt sie in dieser Rücksicht,
nur muss Letzterer Gehorsam geleistet, und jener — nicht vor-
ausgesetzt werden. (Doch auch hiebei die unmaßgebliche
Frage I Sind denn unser Klopstock und seines gleichen wie-
derum neuerdings begierig worden, das Maß ihres Genies zu
wissen, dass ich auch sie in der Gesellschaft finde, und lassen
sie sich, gleich alten Grenadieren, im hohen Alter noch mes-
sen, um zu erfahren, um wie viel sie zurückschlugen?) — Oder
ein Almanach ist der unflätige Kanal, der die Indigestionen
der Musen durch die Nasen des Publikums flößet? Pftii ihm!
wenn er das wäre — vielleicht die Bude verlegener Waaren^
und da lobte ich mir unsere pfiffigen Schöngeister, die ihren
abgestumpften Witz gelegentlich bei dieser letzten Instanz noch
umtreiben, gleichwie man veraltete Meubles und abgetragene
Kleider nach Auktionen schickt, um ihrer mit Vortheil nooh
los zu werden? — Oder endlich will man dem schönen G^e-
schlecht ein Präsent damit machen? Unnöthiger Aufwand;
eben das thut ein Bischen Seife, in Wasser au%elöst, hübsch
durch ein Strohhälmchen drein geblasen, treibt Bläschen anf^
blau, grün, roth, violett, und — ei, da fi'euen sich die Kinder I^
„Doch daran mag izo wahr sein, was wolle! gegenwärtiger
Almanach ist immerhin nicht der schlechteste in Deutschland.
Mir sind schon Kameraden von ihm zu Gesicht gekonunen,
die nur die Namen großer Dichter bei sich führten, unfirucht-
bar und arm, wie sie etwa auf ihren Grabmälern stehen dürf-
ten. Wenn also ein Musenalmanach der Maßstab der Provin-
zialkultur ist, so mag Schwaben sich immerhin getrost an die
Sachsen und Rheinländer anreihen — aber der Heerführer der
schwäbischen Musen, Hr. Stäudlin, gürtet sein Schwert um,
295
dem ganzen unschwäbischeu Deutschland ein Generaltreffen zu
liefern, und dieses soll kein Haar weniger, als das Genie der
Provinz entscheiden. Audaees fortuna juvat! Mag sich der
Ausländer verschanzen, so gut er kann — heißkopfige Nord-
länder sind gefährliche Leute. — Es beliebt dem Herausgeber,
seine eigene heroische Person einem Gärtner zu vergleichen,
der einen Versuch in seinem nordischen Klima wagt, ob die
herrliche Pflanze des Genies nicht auch hier ge-
deihe? Wahr ist's, viel thut hiebei die Milde der Zone
— viel, sehr viel Begießen und Sonne — viel ein wohlan-
gebrachter Schnitt — Aber der Gärtner muss die Ananas
von keinem — Holzapfelkern erwarten!"
„Davon genug. Unter dem Schwall von Mittelmäßigkeit,
dem Froschgequäke der Reimer hört man noch hie und da ei-
nen wahren Saitenklang der Melpomene. Die mehrsten Ge-
dichte von Hrn. Thill , die Schwermuth vom Herausgeber selbst,
Laura vom V. der Räuber, einige Arbeiten von Reinhard und
Conz, einige Epigramme von . . . g, O, und Armbruster ver-
dienen den besten ihrer Art an der Seite zu stehen. . . . g
ist ftir das Sinngedicht gemacht, und sollte diese Anlage nicht
versäumen. Armbruster ist ganz ohne Bildung, aber er ver-
diente gebildet zu werden. Reinhardts Poesien verrathen die
zärtlichste Empfindung und den liebenswürdigsten Charakter
ihres Verfassers (er hat sich auch an eine Uebersetzung des
TibuU gemacht, und wird zuverlässig darin gliicklich sein).
Conz hat den Klopstock studiert und hat einen kühnern, männ-
lichem Ton. Die Uebrigen machen die Masse."
„Dem Almanach ist ein Titelkupfer vorgesetzt, und stellt
den Aufgang der Sonne über^m Schwabenland vor«
Pozl was wir Zeitgenossen des ITSgsten Jahrzehends nicht er-
leben! Der Stäudlinische Almanach die Epoche des Vater-
lands! — Wenn diese Erscheinung nicht zum Unstern ein Nord-
licht ist, das, wie die Wetterverständigen behaupten. Kälte
prophezeiht — so sehe doch der Epochmacher zu, dass ihr
rother feuriger Morgenstrahl ihm die Augen nicht verblende,
und er — in der Finstemiss taumelnd — an den Schwert-
spitzen der Kritik sich spieße."
Trotz aller Mäßigung, war durch den Streit Schiller ^s
Kampflust rege geworden. Wie später in den Xenien, so er-
294
ob Elrankheitcn aufkommen, die die Alten nicht schon gehabt
haben, und Musenalmanache hatten sie doch wohl nicht), bei
der so empfindsamen ..Witterung im ganzen Deutschland, ist
eine Wirtembergische Blumenlese kein Phänomen mehr. Man
beschuldigt sonsten die Schwaben, dass sie erst anfangen, wenn
ihre Nachbarn Feierabend machen, und in dieser Hinsicht —
Gesegnet sei die endliche prophetische Ankunft des schwäbi-
schen Musenalmanachs!^'
„Bücher dieser Art lassen sich nur von drei Seiten anse-
hen. Entweder sie sind die Freistatt angehender schüchterner
Schriftsteller, die hinter dieser Tapete Ruf oder Abschreckung
vom Publikum erwarten. Man billigt sie in dieser Rücksicht,
nur muss Letzterer Gehorsam geleistet, und jener — nicht vor-
ausgesetzt werden. (Doch auch hiebei die unmaßgebliche
Frage I Sind denn unser Klopstock und seines gleichen wie-
derum neuerdings begierig worden, das Maß ihres Genies zu
wissen, dass ich auch sie in der Gesellschaft finde, und lassen
sie sich, gleich alten Grenadieren, im hohen Alter noch mes-
sen, um zu erfahren, um wie viel sie ziu*ückschlugen?} — Oder
ein Almanach ist der unflätige Kanal, der die Indigestionen
der Musen durch die Nasen des Publikums flößet? Pftii ihml
wenn er das wäre — vielleicht die Bude verlegener Waaren,
und da lobte ich mir unsere pfiffigen Schöngeister, die ihren
abgestumpften Witz gelegentlich bei dieser letzten Instanz noch
umtreiben, gleichwie man veraltete Meubles und abgetragene
Kleider nach Auktionen schickt, um ihrer mit Vortheil noch
los zu werden? — Oder endlich will man dem schönen G^e-
schlecht ein Präsent damit machen ? Unnothiger Aufwand;
eben das thut ein Bischen Seife, in Wasser au%elöst, hübsch
durch ein Strohhälmchen drein geblasen, treibt Bläschen anf^
blau, grün, roth, violett, und — ei, da freuen sich dieKinderl^
„Doch daran mag izo wahr sein, was wolle 1 gegenwärtiger
Almanach ist immerhin nicht der schlechteste in Deutschland.
Mir sind schon Kameraden von ihm zu Gesicht gekonunen^
die nur die Namen großer Dichter bei sich führten, unfirucht-
bar und arm, wie sie etwa auf ihren Grabmälern stehen dürf-
ten. Wenn also ein Musenalmanach der Maßstab der Provin-
zialkultur ist, so mag Schwaben sich immerhin getrost an die
Sachsen und Rheinländer anreihen — aber der Heerführer der
schwäbischen Musen, Hr. Stäudlin, gürtet sein Schwert um,
295
dem ganzen unschwäbischeu Deutschland ein Generaltreffen zu
liefern, und dieses soll kein Haar weniger, als das Genie der
Provinz entscheiden. Audaces fortuna juvat! Mag sich der
Ausländer verschanzen, so gut er kann — heißköpfige Nord-
länder sind gefährliche Leute. — Es beliebt dem Herausgeber,
seine eigene heroische Person einem Gärtner zu vergleichen,
der einen Versuch in seinem nordischen Klima wagt, ob die
herrliche Pflanze des Genies nicht auch hier ge-
deihe? Wahr ist's, viel thut hiebei die Milde der Zone
— viel, sehr viel Begießen und Sonne — viel ein wohlan-
gebrachter Schnitt — Aber der Gärtner muss die Ananas
von keinem — Holzapfelkern erwarten!"
„Davon genug. Unter dem Schwall von Mittelmäßigkeit,
dem Froschgequäke der Keimer hört man noch hie und da ei-
nen wahren Saitenklang der Melpomene. Die mehrsten Ge-
dichte von Hrn. Thill , die Schwermuth vom Herausgeber selbst,
Laura vom V. der Räuber, einige Arbeiten von Reinhard und
Conz, einige Epigramme von . . . g, O, und Armbruster ver-
dienen den besten ihrer Art an der Seite zu stehen. • • • g
ist für das Sinngedicht gemacht, und sollte diese Anlage nicht
versäumen. Armbruster ist ganz ohne Bildung, aber er ver-
diente gebildet zu werden. Reinhardts Poesien verrathen die
zärtlichste Empfindung und den liebenswürdigsten Charakter
ihres Verfassers (er hat sich auch an eine Uebersetzung des
TibuU gemacht, und wird zuverlässig darin gliicklich sein).
Conz hat den Klopstock studiert und hat einen kühnern, männ-
lichem Ton. Die Uebrigen machen die Masse."
„Dem Almanach ist ein Titelkupfer vorgesetzt, und stellt
den Aufgang der Sonne über'm Schwabenland vor«
Pozl was wir Zeitgenossen des 178gsten Jahrzehends nicht er-
leben! Der Stäudlinische Almanach die Epoche des Vater-
lands! — Wenn diese Erscheinung nicht zum Unstern ein Nord-
licht ist, das, wie die Wetterverständigen behaupten. Kälte
prophexeiht — so sehe doch der Epochmacher zu, dass ihr
rother feuriger Morgenstrahl ihm die Augen nicht verblende,
und er — in der Finstemiss taumelnd — an den Schwert-
spitzen der Kritik sich spieße.^
Trotz aller Mäßigung, war durch den Streit Schiller ^s
Kampflust rege geworden. Wie später in den Xenien, so er-
296
klärte er auch jetzt seinem Gegner oflfnen Krieg; nicht rivali-
siren wollte er mit Stau dl in, sondern dessen mittelmäßigen
Musenalmanach ,,zermalmen."') Er sammelte nun wieder ein-
mal die dichtenden Jugendgenossen um sich, und sie brachten
Beiträge dar , welche großentheils noch auf der Akademie ent-
standen waren. Petersen wurde zunächst in^s Vertrauen ge-
zogen, er musste bei der ganzen Angelegenheit behülflich sein;
Scharffenstein und Hang lieferten gewiss gern, was sie
von kleiner poetischer Münze eben vorräthig hatten, und aus-
serdem werden uns noch zwei andere Mitarbeiter genannt:
F. F. Pfeiffer, und ein Graf Zuccato.«)
Ferdinand Friedrich Pfeiffer, geboren 1759, ein Sohn
des Bürgermeisters von PAillingen , gehörte zu den talentvollsten
und fleißigsten Eleven der Akademie. Er hatte Kameral Wissen-
schaften studiert, wurde gleichzeitig mit Schiller als Amts-
Kammer- Secretarius entlassen, und erhielt 1782, neben seinem
Amt, eine Lehrerstelle in der Anstalt, deren Schüler er noch
vor kurzem war. Pfeiffer übersetzte 1781: „Nanine, eine
Comödie von Voltaire" und seine Vorrede suchte darzn-
thun: dies sei das einzige Lustspiel in seiner Art, wozu Götz
von Berlichingen und die Räuber Beweise liefern sollten. Schil-
ler sagte darüber im Wirtemb. Repertorium (I, 192):
„Uebrigens ist die Uebersetzung so gar schlecht nicht, als die
Vorrede schließen lässt. Der üebersetzer ist ein — Kamera-
list, und findet sich verpflichtet — den vaterländischen Han-
delsmann mit Makulatur zu versehen." Da diese Recension
bald nach der Anthologie erschien , so wird man zugeben, dass
Schiller seinen Mitarbeiter, wenn es Pfeiflfer wirklich war, aus
Kameraderie nicht eben geschont hat.
Georg Johann, Graf von Zuccato, aus Parenzo im
venetianischcn Antheil von Dalmatien, trat 1773 in die Aka-
demie. Er zählte damals zwölf Jahre , war katholisch, und sein
Vater wird in den Listen als „Herr auf seinen Gütern* be-
') Scharffenstein im Morgenblatt 1837, Nr. 58.
*) Döring, nach einer Mittheilung des Hauptmann Ton Schau-
rodt, der auf der Karlsakademie Schüler's Zeitgenosse gewesen war, und
als hochbejahrter Greis noch 1841 in Jena lebte.
297
zeichnet. Erst im Frühjahr 1783 verließ er die Karlsschule
und wurde Lieutenant im herzoglichen Jägerkorps.
Hierzu kommt noch der Verfasser des Gedichts: „Gefühl
am ersten October*^ (Anthologie, Nr. 83). Dieser war kein
junger Akademiker, denn er sagt selbst, dass „Silberlocken seine
Schläfe umwallten^, und außerdem muss es schon ein hochge-
stellter Mann gewesen sein, der den mächtigen General Rie-
ger ö£Pentlich „Freund^ nennen durfte. Ich möchte deshalb an
Friedrich Eberhard von Gemmingen denken, geb. 1726;
seit 1767 Geheimer Rath und Regierungspräsident zu Stuttgart,
wo er 1791 starb. Derselbe war als Dichter bekannt, und
Schiller kam vielleicht durch dessen Bruder Otto Heinrich
von Gemmingen (s. o. S. 413)') mit ihm in Verbindung.
Der einzige Mitarbeiter, den wir mit voller Sicherheit be-
zeichnen können, ist Hoven, zur Zeit Arzt am Militär -Wai-
senhause in Ludwigsburg. Schiller schrieb ihm : ^) „Lieber
Freund! Petersen wird Dir von meinem vorhabenden Almanach,
oder besser Anthologie, schon gesagt haben. Du hast ihm eine
Romanze geschickt, die ich schlechterdings nicht brauchen kann,
weil sie die theologische Censur nicht passirt und das ganze
Institut hintertreiben könnte. Sei also so gut und verfertige
etwas anders, das wider die Intolefanz unserer Censur nicht
so schnurgerade anrennt. Schick mir auch Deinen Ossianischen
Sonnengesang und gute Epigramme, auch überhaupt lass Deine
komische Muse für uns nicht verloren gehen. Ich leg es Dir
nahe. Lieber, weil ich es für einen wahren Verlust rechnen
würde, wenn Du nicht bei uns entrirtest. Vier Bogen sind
schon gedruckt, und zwar sehr schön, mit dem schönsten Pa-
pier. Komm überhaupt dieser Tage hieher und dann das
weitere.**
Wir haben nun, so gut es gehen wollte, den kleinen Kreis
von Schiller's Hülfstruppen gemustert; übrigens sagt Scharffen-
stein ausdrücklich: „Die meisten Gedichte in der Anthologie
1) Im Manuskript, t. M.
2) HoTen*6 Biographie, S. 378. Da das Schreiben ohne Datum ist, so
ließen die Herausgeber es auf ein anderes v. 25. Mai 1782 folgen, doch müsste
es diesem unbedingt voranstehen, denn es wurde mehrere Monate früher ab-
gefasst. Döring hat in der Compilation „Beiträge zur Charakteristik
Schiller's, Altenburg 1845« hinzugefügt: „Stuttgart, den 17. Oc-
tober 1781,« aber dies ist nichts, als eine müssige Erfindung.
298
sSM von Schiller, deun seine Fahne hatte etwas Ujiheiwlioh^s^
Energisches, das sentimentale, weichliche poetische Eelputo^i
eher abschreckte als anzogt >)
Man wusste auch damals in der litterarischea Welt, ebe
die Blumenlese noch ans Licht kam, dass »e großentheils
Schiller''s eigenes Werk sei. Die Berliner LitterMtur- «n^
Theaterzeitung (herausgegeben von Bertram), machte 4UH 16.
Februar 1782 folgende Mittheilung: „Der V^itsser des fichau-
Spiels die Räuber, welches nächstens zu Mftnnheim, auf Ver-
langen der dortigen Bühne, bei Schwan ganz umgearbeiiet er*
scheinen wird, ist der Regimentsdoktor Schiller zu Stuttgwnt
der eine neue Anthologie herausgeben wird, woria die niei-
sten Gedichte von ihm selbst und von einem Feuer sein soUeii,
wie man es von dem Dichter der Räuber erwarten darf.^'
Mit diesen Zeugnissen kontrastirt es freilich, dass uns in
der Anthologie vier und zwanzig verschiedene Chiffren begeg-
nen, aber der Widerspruch ist nur scheinbar. Eben weil ee
ihm an Mitarbeitern fehlte, sah Schiller sich gienöthigt, sdbet
unter recht vielerlei Gestalten aufzutreten, um dadurch der
Sanunlung das Ansehen größerer Mannigfaltigkeit zu gebe«.
Leider besitzen wir keine authentische Urkunde über SofaiUer^B
Beiträge zur Anthologie, und wir müssen daher in ihren dun-
keln Schacht hinabsteigen, um dort aufmerksame UBtersuchiui-
gen anzustellen. Sie ist ein Album der Karlsakademie, in wal-f
ches die poetischen Zöglinge sich eingezeichnet haben, und sie
bildet, mit ihren Zügellosigkoiten aller Art, ein merkwürdigee
Dokiunent für Schiller's Jugendleben. Jener geistige Benif^
den er nachmals so groß und schön erfüllt hat, trieb ihn svr
Herausgabe: der Beruf, die farblose, entnervende Mittelmäftig*
keit, die zugleich Kunst und Geschmack verdirbt, aus ihrem
weichen Polsterstuhl aufzujagen. Wenn ihm jetzt auch noch
nicht die volle dichterische Thatkraft gegeben war, so besaß er
doch schon den ganzen Thatendrang; in der Anthologie sehen
wir den Jüngling sich zum Epigrammendichter vorbereiten, und
als solcher hat er denn auch später, in den Xenien und Votiv-
tafeln, eine bewundernswerthe Höhe erreicht.
„Stäudlin hat für einen Bogen seiner Verse einen
Dukaten bekommen, ^^ schrieb Schiller 1781 an Petersen«
1) Morgenblatt 1837, Nr. 58.
299
£!r BeihBt w,9X ^oht so glücklich, sondern musste die Antholo-
gie ftuf leigieae Kosten «drucken käsen, wodnrch die Sofaiilden
sieb ^ergroßerien, mit deaen ihn der Verlag seiner Räuber be«
kstet bstte. Dennoch wurde das Buch sehr gut ausgestattet,
und Sdijtter iräblie statt des winzigen Foimats, das sonst für
MusieAAteiaiwshe beliebt war, ein s(^ankes Octav. Als Vig-
nette nwsBte die Anthologie ein sauber gestocfaeoes Apollo-
brustbild ^»chimcken ; Köcher und Pfeile f iifart der Didiergott,
und in leiueiu BJUtte 4es Lforibeers, welcher ihn umkränzt, hat
der Kupferstecher seinen Namen angebracht Für uobewaffiiete
Augen ist derselbe betnahe «nsichtbar, aber durch cKe Loupe
liest mw: £. Verbalst^). Der Titel lautet: „Anthologie
auf das J^hr 1782. Gedrukt in der Buchdrukerei
zu Tobolsko^^ (271 Seiten.) Dieser fingirte Dnickort und
die sibirisicbs Maske überhaupt, waren eine Parodie auf Staud-
lin^s Keilender, denn dessen Titelkupfer zeigte die Sonne der
Poesie, über dem Schwabenlande aufgehend, und im Vorwort
hieß es: mau möge nur sagen, ob denn die armen Schwaben
wirklich unter einem so bootischeB Himmel wohnten, dass die
herrliche Pflanze des Genies hier nicht gedeihen können? —
Wir haben bereits erfahren, dass Schiller diese Stelle in seiner
Kritik, bespöttelte, und dass er von dem Bilde meinte: die Er-
scheinung möchte statt der Sonne, wohl gar ein Kälte -brin-
gendes Nordlicht sein.
Die Anthologie kam frühe in Vergessenheit, wozu der un-
vollkommene Titel das seinige beitrug, da derselbe weder Her-
ausgeber, noch Druckort, noch Verleger nannte. Schon nach
zehn Jahren war das Buch gewissermaßen eine litterarische
Seltenheit geworden, obgleich in Stuttgart noch Exemplare ge-
nug lagerten. Am 11. Mai 1793 schrieb Körner an Schiller:
„Leider habe ich Deine Anthologie nicht mehr. Mein letztes
Exemplar hat Huber auf kurze Zeit von mir verlangt, und ich
habe es nicht wiederbekommen. Um ein anderes zu bekonunen,
habe ich schon allerwärts aufgestellt, aber ohne Erfolg.^^
Nun giebt es noch eine Edition der Anthologie, welche
bisher von keinem Biographen oder Bibliographen erwähnt
worden ist; sie erschien 1798, als Schiller's Ruhm bereits voll-
1) £gydia8 Verhelst (geb. 1742) war Kupferstecher in Mannheim,
und hat 1787 ein schönes Titelbild zum Don Carlos geliefert.
300
ständig begründet war. Diese Ausgabe war aber nur dne neae
Titelausgabe, wodurch die Buchhandlung ihre noch vorhandenen
Exemplare unterzubringen hoffte. Der veränderte Titel lautet:
„Anthologie auf das Jahr 1782. Herausgegeben von
Friedrich Schiller. Stuttgart, bei Johann Benedikt
Metzler."') Einen besondern litterarischen Werth erhält das
Buch durch folgenden, vom Verleger hinzugefügten Vorbericht:
„Schiller, dessen Namen der Deutsche, wie die Namen
Klopstock, Göthe und Wieland, mit patriotischem Stolz^ und Ehr-
erbietung ausspricht, gründete seinen Kuhm schnell und auf im-
mer. Nächstens erhalten wir an seinem Wallenstein ein neues
Meisterwerk. Wenn nun auch die frühsten Geistes -Produkte
an sich und besonders in so fem stets merkwürdig bleiben, als
die Leser schon in den frühesten Jünglings - Versuchen das „os
magna sonaturum" erkennen und nur desto mehr staunen müs-
sen, wie rasch und zu welcher Hohe sich sein Genius auf-
schwang; so hoft der Verleger der Schillerischen Anthologie
auf das Jahr 1782. den Dank des Publikum zu verdienen, wenn
er sie unter ihrer wahren Firma in den Buchhandel bringt, und
so die vielen Liebhaber des langen Fragens und Suchens von
diesem Buch, das wegen des verschwiegenen Namens des Her-
ausgebers und des erdichteten Drukorts nicht allgemc^jn be^
kannt worden ist, mit Einemmal^ überhebt. Vorzüglich die
mit M. P. Wd. und Y. bezeichneten Gedichte sind von Schil-
ler. Vielleicht findet der Herr Verfasser mehrere derselben
der Aufnahme in eine künftige Sammlung seiner Werke nicht
unwürdig. Ostermesse 1798."^)
Das Zeugniss, welches hier ein Mann ablegt, der dem
Buche seit seinem Ursprung nahe gewesen, ist uns von großer
Wichtigkeit. Wir erfahren daraus, was ich auch schon früher
vermuthet und ausgesprochen hatte, dass Schiller sich gewisser
Chiffren bediente, und dass alle Gedichte, unter denen sich
diese Chiffren wiederfinden, für sein Eigenthum anzuerkennen
sind. Jene Vorrede erschien aber noch beim Leben des Dich-
ters und seiner nächsten Jugendfreunde; sie konnte ihnen nicht
1) Diese Mittheilung empfing Boas von mir. v. M.
2) Schwab muss diese Vorrede wohl gekannt haben; vergl. desaen
Schiller's Leben^" S. 90.
301
fremd bleiben, und ohne Zweifel würde irgend einer widerspro-
chen haben, wenn sie etwas Falsches enthalten hätte.
Der fernere Text beider Ausgaben ist durchaus gleichlau-
tend. Wir treffen zunächst auf eine gar seltsame Dedikation,
worin Schiller das Buch „seinem Prinzipal, dem Tod^^
zugeeignet hat. Dieselbe beginnt: „Großmächtigster Czar
alles Fleisches, Allezeit Vermindrer des Reichs, Un-
ergründlicher Nimmersatt in der ganzen Natur! Mit
unterthänigstem Hautschauem unterfange ich mich deiner ge-
fräßigen Majestät klappernde Phalanges zu küssen, und dieses
Büchlein vor deinem dürren Kalkaneus in Demut niederzulegen.
Meine Vorgänger haben inuner die Weise gehabt, ihre Säch-
lein und Päklein, dir gleichsam recht vorsezlich zum Ärger,
hart an deiner Nase vorbei, ins Archiv der Ewigkeit transpor-
tiren zu lassen, und nicht gedacht, dass sie dir eben dadurch
um so mehr das Maul darnach wässern machten, denn auch
an dir wird das Sprüchwort nicht ziun Lügner : Gestohlen Brod
schmeckt gut. Nein! dediziren will ich dir^s lieber, so bin ich
doch gewiss, dass du's — weit weglegen werdest. Doch Spaß
beiseite! — Ich denke, wir zween kennen uns genauer, denn
nur vom Hörensagen. Einverleibt dem äskulapischen Orden,
dem Erstgebornen aus der Büchse der Pandora, der so alt ist
als der Sündenfall, bin ich gestanden an deinem Altare, habe,
wie der Sohn Hamilkars den sieben Hügeln, geschworen un-
sterbliche Fehde deiner Erbfeindin Natur, sie zu belagern mit
Medikamenten Heereskraft, eine Wagenburg zu schlagen um
die Stahlische Seele ^), aus dem Feld zu schlagen mit Sturm
die Trozige die deine Sportein schmälert, und deine Finanzen
schwächt, und auf dem Wahlplaz des Archaeus hoch zu bäu-
men deine mitternächtliche Kreuzstandarte. — Dafür nun (denn
eine Ehre ist werth der andern) wirst du mir auswürken den
kostlichen Talisman, der mich mit heiler Haut und ganzer
Wolle an Galgen und Rad vorübergeleitef* u. s. w.
Nun steigert sich der Ton bis zum ungemessenen Aus-
druck der Räuber; ein gewisses Fümet von der Anatomie hat
1) Georg Ernst Stahl, ein berühmter Arzt usd Naturforscher (geb.
1660, gest. 1734) suchte die versumpfte Wissenschaft der Medizin auf ratio-
nelle Grundsätze zurückzuführen, besonders in seinem Buche „Theoria me-
dica Vera. Halle 1737.'' B.
302
sich auch darin erhalten, und nur ein junger Mediziner konnte
solche Zueignung niederschreiben. Auf dieselbe folgt dann ein
frischeres Vorwort, um die sibirische Fiktion weiter fortzu-
spinnen:
Tobolsko den 2. Februar.
— Tum primum radüs gelidi incaluere Triones, — *)
„Blumen in Sibirien? — Dahinter stekt eine Schel-
merey, oder die Sonne muss Front gegen Mittemacht machen.
— „Und doch — wenn ihr euch auf den Kopf stelltetl Es ist
nicht anders; — Wir haben lange genug Zobel gefangen, laast^s
uns einmal auch mit Blumen versuchen. Sind nicht sdum
Europäer genug zu uns Stiefsöhnen der Sonne gekommen und
durch unsern hundertjährigen Schnee gewatet, irgend ein be-
scheidenes Blümchen zu pflücken? Schande unsern Ahnen —
wir wollen sie selbst sammeln, und einen ganzen Korb toU
nach Europa frankiren. — Zertretet sie nicht, ihr Söhne des
milderen Himmels!^
„Aber im Ernst zu reden — das eiserne Gewicht des wid-
rigen Vorurtheils, das schwer über dem Norden brütet, von
der Stelle zu räumen, federte einen stärkeren Hebel, als den
Enthusiasmus einiger wenigen, und auch ein festeres Hypo-
mochlion, als die Schultern von zween oder drey Patfioten.
Doch wenn schon auch diese Anthologie euch lekerhafte Eu-
ropäer so wenig, als — wenn ich den Fall seze — Unser Mvi«*
senalmanach, den wir — wenn ich ja den Fall sezen wollte —
hätten können geschrieben haben, mit uns Schneemännern ver»
söhnen wird, so bleibt ihr doch mindestens das Verdienst^
Hand in Hand mit ihren Kameradinnen im weitentlegenen
Teutschland dem ausröchelnden Geschmack den G^nikfiuig
geben zu helfen, wie wir Tobolskianer zu sprechen belieben«^
„Wenn eure Homere im Schlaf reden und eure Herkules
Müken mit ihren Keulen erschlagen — Wenn jeder, der sei«-
nen bezahlten Schmerz in Leichenalexandriner auszutropfen ver-
steht, das für eine Vokazion auf den Helikon auslegt — wird
man uns Nordländern verdenken , mitunter auch in den Leyer-
klang der Musen zu klimpern? — Eure Matadore wollen Silber-
geld gemünzt haben, wenn sie ihr Brustbild auf elendes Mes-
sing prägten; — und zu Tobolsko werden die Falschmünzer
1) Ovid. Metam. U. 171.
303
aufgehangen. Zwar möcbt ihr oft auch bei uns Papiergeld statt
russischen Rubels finden, aber Krieg und theure Zeit entschul-
digen alles.^
„So geh dann hin, Sibirische Anthologie — Geh — du
wirst manchen Süßling beseeligen,, wirst von ihm auf den Nacht-
tisch seiner Herzeinzigen gelegt werden, und zirni Dank ^ire
alabasterne Lilienschneehand seinem zärtlichen Kuss
verrathen. — Geh — du wirst in den Ajssembk^i und Stadt-
visiten manchen gähnenden Schlund der Langeweile ausfüllen,
und vielleicht eine Circassienne ablosen, die sich im Plazregen
der Lästerung müde gestanden hat. — Geh — du wirst die
Küche mancher Kritiker berathen; sie werden dein Licht fliehen,
und sich gleich dem Käuzlein in deinen Schatten zurückziehen,
— Hu hu hu! — Schon hör ich das ohv&erfezende Geheule
im unwirthbaren Forst, und hülle mii^b; angstvoll in. meinen
ZobeL« 0
Jetzt wenden wir uns. ^u dem poetisoben. Inhalt- de r An-
thologie. Die Entstehungszeit der einzelnen Beitrage »vonSchifler
lä^st sich nicht genau angeben, deoo die Jahrzahl* 17Sr2,, wielbha
er ihnen in seiner Godicfats^mmlung' beifügte^ kann atßh mir^
auf den ersten Abdruck; beziehen, da die VoTcede der Aotho^
logie vom 2, Februar 1762 d^tirt iat. Der „Leichienpkanr
tasie^ hat Schiller das Dicbtungsjahr 178Q vorangeselzt; die
„Elegie auf dea Tod einee Jünglinga^^ und ,,Die s>elir
gen A.ugenblicMß'^ wurden schütn.' 1781. gedruckt, undtdies^
Jahrzahl findet sich i^uch über- dem EnofiTnungsgedicbte: n^Die
Journalisten und.Minos.^ Einzelne Stücke mögen wohl
noch von der Akademe hßii^toxamen^.abei! die meisten entstan-
den gewiss im Jahre 1781, Um: eine überaiditUche Vergib
chong der Poesien zu erleichtern, werde ich sie, nach ihren
Chiffiren, gruppenweise zusammenstellen.
1) Die Dedikation und das Vorwort sind T. unterzeichnet, v. Hf.
Xfnm.
HEINRICH MÜHLPFORTH.
VON
AUGUST KAHLERT.
Die Gelegenheitsdichterei ist in Schlesien seit mehr als zwei
Jahrhunderten vollkommen heimisch, und Opitzens Bemerknng,
„dass in seinem Vaterlande keine Hochzeit, kein Begräbniss,
ohne Verse sein können ,^^ bestätigt sich bis auf die neueste
Zeit vollkommen. Opitz selbst hatte den Ton angegeben, der
so lange in den Poesien seiner Landsleute nachhallte, indem er
eben mit seinen Gelegenheitsgedichten vorzugsweise den Großen
huldigte; denn aus den höheren Kreisen und aus den Studier^
Stuben verbreitete sich jene poetische Complimentierwuth über
den Bürgerstand und ward dadurch friihzeitig einzelnen küm-
merlich besoldeten Gelehrten eine keineswegs schimpfliche Er-
werbsquelle. Vergleichen wir die neuern schlesischen Gelegen-
heitsgedichte mit den altern, so finden wir natürlich den Fort-
schritt der Sprache und des poetischen Geschmacks darin
erkennbar ausgedrückt, die Gesinnung aber nicht wesentlich
verändert. Eine behäbige, leicht zur Weitschweifigkeit verfüh-
rende Darstellungsweise, wohlwollende Theilnahme an fremder
Lust und Unlust, Gefühl, das aber mehr in die Breite als in
die Tiefe gebt, sprechen sich in leicht hinfließenden Strophen
behaglich aus. Den Reimen hängt bis auf die neueste Zeit die
gänzlich fehlerhafte Aussprache der Vocale an, die das schle-
sische sprachliche Idiom charakterisiert. Die Consonanten
werden dafür schon in den ältesten schlesischen Gedichten
richtiger, als z. B. in sächsischen gewürdigt. Der Schlesier
reimt leicht: Freud und Leid, Liebe und trübe, Seele und Höhle,
aber schwerlich: geneigt und leicht, laden und rathen u. s. w.
— Hat sich solchergestalt das nationelle Prinzip schon in den
305
ältesten Denkmälern nicht verläugnet, so ist doch davon vieles
zu trennen, was, dem Zeitgeschmacke angeborig, in jenen uns
häufig, ja bis zum Ueberdrusse begegnet. Der ganze antike
mythologische Staat, den erst Klopstock vertrieb und selbst
Schiller^s Vorliebe nicht auf die Länge wieder in Aufnahme
brachte, gehörte der Litteratur des siebzehnten Jahrhunderts
zu sehr an, als dass auch das harmloseste Gelegenheitsgedicht
darauf hätte verzichten sollen. Das Missverständniss des an-
tiken Geistes ward insbesondere durch die Franzosen befördert.
Die Deutschen haben dieselben leider lange über das Zeitalter
Ludwig des vierzehnten hinaus, worin jene den europäischen
Geschmack repräsentierten, nachgeahmt; und unter den Deut-
schen wieder waren es damals besonders die Schlesier, die für
dichterische Production geschaffen schienen, was auch von der
Welt laut anerkannt wurde. Wenn vrir also in den schlesi-
schen Hochzeits- und Begräbnissgedichten des siebzehnten
Jahrhunderts die Bekanntschaft des ganzen Olymps machen,
so haben wir uns darüber nicht zu wimdern, sondern uns zu
freuen, dass die Würde des deutschen Volksthums später den-
noch gerettet worden ist.
Geschichtlieh merkwürdig wird es immer bleiben, dass das
Gelegenheitsgedicht über ein Jahrhundert lang den Thron der
Poesie behauptet hat, und eine Vorliebe, welche vielleicht aus
der schlesiscfaen Nationalität sich erklären lässt, auch in den
andern deutschen Provinzen so lange, ohne zum Spotte zu
werden, gepflegt werden mochte. Es gibt keine andere Erläu-
terung für diese Erscheinung, als dass das vom dreißigjährigen
Kriege verwüstete und zerrissene Deutschland kein Boden für
Poesie war. Der Poesie fehlte würdiger Inhalt, die Form aber
hatte sich ausgebildet; als Stoff war also die erste beste Ge-
legenheit zu reimen willkommen. Wenn wir denn versucht
sind, die wohlbeleibten Sammlungen jener Ergüsse auf den
Bücherbrettern in Ruhe zu lassen, so laden wir, so scheint es,
dadurch eben keinen Vorwurf auf uns; — hat doch die geistige
Entwickelung unserer Tage Ansprüche an den Litteraturforscher
zu machen, welche ihn dringend auffordern, sich von dem für
spätere Geschlechter werthlosen Ballast, den vorübergehende
Zustände aufhäuften, nicht erdrücken zu lassen. Gar zu un-
wichtig aber sind jene Gelegenheitsgedichte für Kenntniss man-
nigfacher Lebensrichtungen nicht, als viele, durch die Form
B06
Abgeschreckte voreilig meinen. Müssen wir die auigehäuftett
Brocken von Gelehrsamkeit auch in den meisten Fidlen für
nutzlos und für eine Frucht der Eitelkeit nicht überstromendiei*
Weisheit erklären, so bleibt ihnen, wo der äsiihetüsche' Werfli
abgeht) oH noch der practische, dass sie zur Biographief merk-
würdiger Personen einzelne, anderswo vergeblich gesuchte No-
tizen beibringen.
Dieses Alle» verdient einige Erwägung, wenn man die Be-
kanntschaft eines Gelegenheitsdichters — denn diesen Namen
verdient er vor Vielen — machen will, der zu den ftnchtbarsteiij
und man darf sagen, späteren Andenkens würdigsten des sieb'
zehnten Jahrhunderts gehört. Mit Recht ist auf H^inridi
Mühlpforth um mancher gelungenen Lieder und sinnvollto*
Einfälle willen bereits von Wachler*) aufmerksam gemaobt
worden. Genauer auf den wenig bekannten Mann ist Ftwaz
Hörn**) eingegangen, dessen Urtheil über ihn richtig, wenn
auch nicht erschöpfend scheint; weder letzterer jedoch, nodi'
andere deutsche Litteraturhistoriker theilen über des Diditers
Lebensumstände, die nur aus altern, zum TheU trüben Quellen*
zu schöpfen sind, etwas Genügendes mit Eine Darstelltuig'
seines Seins und Wirkens zu versuchen, werden wir unt^ die-
sen Umständen hinlänglich aufgefordert.
Heinrich Mühlpforth ward am 10. Juli 1639 zu Bres-
lau geboren, woselbst sein Vater, wie es scheint, sebr ange-
sehen, als Kaufmannsältester lebte. Die ganze FamiKe des Na-
mens zählte mehrere ausgezeichnete, selbst litterarisch gerühmte'
Männer. So wird noch ein Heinrich Mühlpforth, Arst nr
Oels und Vorfahre unseres Dichters, wegen der Gleichbeit dtr
Vornamen leicht mit diesem verwechselt, von Gunradus in des--
sen : Silesia togata als Dichter gepriesen. Einen größeren Bnf
als solcher erwarb er weiter nicht. Unser Heinrich nun hatte
das Unglück, seinen Vater zu verlieren, da er erst 12 Jahre
alt, noch sehr hülfsbedürftig war. Wer sich zunächst seiiMr
angenommen, ist nicht zu ermitteln; wohl aber erfahren' wirj
dass in dem talentvollen aufgeweckten Knaben die Lust zur'
*) Vorlesungen über deutsche National-Litteratur. Frankfurt, 1818. Bd.
II. S. 47.
**) Die Poesie und Beredsamkeit der Deutschen von Luther's Zeit bis xiir
Oej?onwart. Berlin, 1823. Bd. II. S. 85.
307
Malerei frühzeitig erwachte und dass er behufs weiterer Aus-
bildung einem gewissen Ezechiel Paritius, polnischem Hofmaler,
damals zu Breslau wohnhaft, als Schüler anvertraut wurde.
Die Fortschritte entsprachen nicht den Erwartungen, und Ver-
wandte bestinunten ihn, die Apothekerkunst zu erlernen. In
gelehrtem Wissen wurde er nebenher von dem später als Leh-
rer am Magdalenäum verstorbenen Karl Rhenisius unterrichtet,
mit solchem Erfolge, dass die gelehrte Laufbahn des Knaben
zu fördern beschlossen ward. Dem Magdalenäum als Schüler
übergeben, ward er durch sein unruhiges Temperament bald
aber in Misshelligkeiten versetzt^ die ihn 1656 an das Elisa-
bethan überzugehen bestimmten. Wahrscheinlich hatte seine
später noch mehr hervortretende Neigung zum Witz Schuld
daran, denn als er an dem letztirenannten Gymnasium zum er-
stenmale in die Classe trat, empfing ihn seinTuer Lehrer Jo-
hann Gebhard mit den Worten: es patri similis, nee possum
dicere plura, eine Bemerkung, welche darin ihre Erklärung fin-
det, dass Heinrich^s Gesichtsziige einen fortdauernden satyri-
schen Ausdruck trugen. EUer schon machte er zwei Gedichte,
die vielen Beifall erhielten, uns aber nicht aufbehalten sind.
Die Gymnasialzeit war vollendet; den fast mittellosen, mit gu-
ten Zeugnissen ausgestatteten Jüngling unterstützte die Bres-
lauische Kaufmanns -Innung durch Stipendien, so dass er 1658
die Universität zu Leipzig beziehen konnte. Hieselbst studierte
er die Arzneiwissenschaft, erlangte auch die Gunst ausgezeich-
neter Professoren und würde vielleicht in dieser Laufbahn aus-
gehalten haben, hätte ein neues Ereigniss seine ganzen Lebens-
verhältnisse nicht umgeschafifen. Er fasste zu einer jungen Frau,
Wittwe des Doctors B erlitt, von Geburt Zabel, eine so ent-
schiedene Neigung, dass er, der jugendlich rasch entschlossene
Student, sie heirathete, ein Schritt, den er im Stillen oft bereut
haben mag, weil die Liebenswürdigkeit der jungen Frau spä-
terhin einem unleidlichen zanksüchtigen Wesen Kaum gab. Auch
in Leipzig missbilligte man den übereilten Schritt, bis es end-
lich dahin kam, dass Mühlpforth den Ort und zugleich sein
bisheriges Studium verließ; er ging 1660 nach Wittenberg und
studierte nun mit Eifer die Rechte. Hier dichtete er auch, wie
es scheint, wenig; mindestens sind uns von dem Leipziger Auf-
enthalte mehr Gedichte übrig, als von dem zu Wittenberg.
Dafür schrieb er hier eine Dissertation de iure sepulturae, wo-
fTeitmmr. H, II, 20
306
Abgeschreckte voreilig meinen. Müssen wir die aufgehäuftett
Blöcken von Gelehrsamkeit auch in den meisten Fidlen ffir
nutzlos und für eine Frucht der Eitelkeit nicht überströmeüdiei*
Weisheit erklären, so bleibt ihnen, wo der ästhetische' Werfli
abgeht, oft noch der practische, dass sie zur Biographie' merk-
würdiger Personen einzelne, anderswo vergeblich gesuchte No-
tizen beibringen.
Dieses Alles verdient einige Erwägung, wenn man die Be-
kanntschaft eines Gelegenheitsdichters — denn diesen Namen
verdient er vor Vielen — machen will, der zu den ftnchtbarstenj
und man darf sagen, späteren Andenkens wiirdigsten des sieb'
zehnten Jahrhunderts gehört. Mit Recht ist auf H^inridi
Mühlpforth um mancher gelungenen Lieder und sinnvoll^ti-
Einfälle willen bereits von Wachler*) aufmerksam gemaobt
worden. Genauer auf den wenig bekannten Mann ist Ftuns
Hörn**) eingegangen, dessen Urtheil über ihn richtig, wenn
auch nicht erschöpfend scheint; weder letzterer jedoch, nodi'
andere deutsche Litteraturhistoriker theilen über des Diditers
Lebensumstände, die nur aus altern, zum Theil trüben Quellen*
zu schöpfen sind, etwas Genügendes mit Eine Darstellong'
seines Seins und Wirkens zu versuchen, werden wir unter die-
sen Umständen hinlänglich aufgefordert.
Heinrich Mühlpforth ward am 10. Juli 1639 zu Bres-
lau geboren, woselbst sein Vater, wie es scheint, sehr ange-
sehen, als Kaufmannsältester lebte. Die ganze Familie des Na-
mens zählte mehrere ausgezeichnete, selbst litterarisch gerühmte'
Männer. So wird noeh ein Heinrich Mühlpforth, Arst £U'
Oels und Vorfahre unseres Dichters, wegen der Gleicfabeit der
Vornamen leicht mit diesem verwechselt, von Cunradus in des-^
sen: Silesia togata als Dichter gepriesen. Einen größeren BoP
als solcher erwarb er weiter nicht. Unser Heinrich nun hatte
das Unglück, seinen Vater zu verlieren, da er erst 12 Jahre
alt, noch sehr hülfsbedürftig war. Wer sich zunächst seiner
angenommen, ist nicht zu ermitteln; wohl aber erfahren' wir^
dass in dem talentvollen aufgeweckten Knaben die Lust zur-
*) Vorlesungen über deutsche National-Litteratur. Frankfurt, 1818. Bd.
II. S. 47.
•*) Dio Poesie und Beredsamkeit der Deutschen von Luther's Zeit bis »ur
Gej?enwart. Berlin, 1823. Bd. II. S. 8ö.
307
Malerei frühzeitig erwachte und dass er behufs weiterer Aus-
bildung einem gewissen Ezechiel Paritius, polnischem Hofmaler,
damals zu Breslau wohnhaft, als Schüler anvertraut wurde.
Die Fortschritte entsprachen nicht den Erwartungen, und Ver-
wandte bestimmten ihn, die Apothekerkunst zu erlernen. In
gelehrtem Wissen wurde er nebenher von dem später als Leh-
rer am Magdalenäum verstorbenen Karl Rhenisius unterrichtet,
mit solchem Erfolge, dass die gelehrte Laufbahn des Knaben
zu fördern beschlossen ward. Dem Magdalenäum als Schiller
übergeben, ward er durch sein unruhiges Temperament bald
aber in Misshelligkeiten versetzt^ die ihn 1656 an das Elisa-
bethan überzugehen bestimmten. Wahrscheinlich hatte seine
später noch mehr hervortretende Neigung zum Witz Schuld
daran, denn als er an dem letztgenannten Gymnasium zum er-
stenmale in die Classe trat, empfing ihn sein neuer Lehrer Jo-
hann Gebhard mit den Worten: es patri similis, nee possum
dicere plura, eine Bemerkung, welche darin ihre Erklärung fin-
det, dass Heinrich^s Gesichtsziige einen fortdauernden satyri-
schen Ausdruck trugen. Euer schon machte er zwei Gedichte,
die vielen Beifall erhielten, uns aber nicht aufbehalten sind.
Die Gymnasialzeit war vollendet; den fast mittellosen, mit gu-
ten Zeugnissen ausgestatteten Jüngling unterstützte die Bres-
lauische Kaufmanns -Innung durch Stipendien, so dass er 1658
die Universität zu Leipzig beziehen konnte. Hieselbst studierte
er die Arzneiwissenschaft, erlangte auch die Gunst ausgezeich-
neter Professoren und würde vielleicht in dieser Laufbahn aus-
gehalten haben, hätte ein neues Ereigniss seine ganzen Lebens-
verhältnisse nicht umgeschafifen. Er fasste zu einer jungen Frau,
Wittwe des Doctors Berlitt, von Geburt Zabel, eine so ent-
schiedene Neigung, dass er, der jugendlich rasch entschlossene
Student, sie heirathete, ein Schritt, den er im Stillen oft bereut
haben mag, weil die Liebenswürdigkeit der jungen Frau spä-
terhin einem unleidlichen zanksüchtigen Wesen Kaum gab. Auch
in Leipzig missbilligte man den übereilten Schritt, bis es end-
lich dahin kam, dass Mühlpforth den Ort und zugleich sein
bisheriges Studium verließ; er ging 1660 nach Wittenberg und
studierte nun mit Eifer die Rechte. Hier dichtete er auch, wie
es scheint, wenig; mindestens sind uns von dem Leipziger Auf-
enthalte mehr Gedichte übrig, als von dem zu Wittenberg.
Dafür schrieb er hier eine Dissertation de iure sepulturae, wo-
308
durch er die Würde eines Doctors beider Rechte erwarb. Eben
jetzt starb in Breslau ein gewisser Machner, Notarius bei
dem Consistorial- und Vormundschaftsgericht, mit dem beson-
dern Titel ab expeditionibus latinis, was eine Beschäftigung mit
Secretariatsgeschäften zu bedeuten scheint. Es gelang Mühl-
pforth's Freunden, ihm dieses Amt zu verschaffen, welches
Mühlpforth, mit Weib und Kind schleunig zurückkehrend, an-
trat und bis an seinen Tod bekleidet hat. Er wird übrigens
an einigen Orten, namentlich in einem Leichengedichte, womit
die Breslauische Rathskanzellei sein Andenken feierte, nicht mehr
Notarius, sondern Kegistrator genannt, und für den Zeitge-
schmack witzig genug, von ihm gesagt:
Jetzt machest Lieder Du zu loben Deinen Gott
und registrierest, was kein Auge hat gesehen.
Der Umfang seines Amtes scheint mit einem Worte nicht klein
gewesen zu sein *) , denn er beklagt sich mehrmals über Last
der Amtsgeschäfte. Er bekleidete es über zwanzig Jahre hin-
durch, nicht allein durch seine Pflichterfüllung, sondern auoh
durch andere Umstände geistig bedrückt, doch nicht gebengt.
Seine Frau wird als eine zweite Xantippe geschildert Da-
zu war sein Körper seit dem zwanzigsten Lebensjahre krank-
lich; Nervenzufälle und Gichtschmerzen quälten ihn abwech-
selnd. Von sechs Kindern überlebte ihn nur eine Tochter.
Aber sein Geist blieb ungetrübt, heiter und erfinderisch in
launenvoUcn und witzigen Scherzen, die die Würze auigeränm-
ter geselliger Kreise ausmachten, ihm aber auch viele Femde
zuzogen. Dazu war er dichtend unermüdlich thätig. Wahr^
scheinlich mussten bei gesteigertem Lebensbedarf die Gelegen-
heitsgedichte ihm Erwerbsquellen werden, denn die Sammhing
seiner Gedichte enthält allein gegen zweihundert Leichengesange
und eine ganze Schaar von Hochzeits- und Glückwünschnngs-
gedichten auf die verschiedenartigsten Personen. Dass das Ge-
legenheitsgedicht in weit höherem Ansehn als heute zu jenen
Zeiten stand, ist bekannt, und so rechneten, wie aus vielen
Zeugnissen ersehen wird, Mühlpforth^s Zeitgenossen ihm diese
durch die vielseitigste Nothigung abgedrungenen, unglaublidh
schnell hingeworfenen Arbeiten zum hohen Ruhme an. Ab
Gönner zeigte sich ihm namentlich der damals im höchsten
*) Schulmann, wie Franz Hom behauptet, ist Mühlpforth nie gewesen.
309
Ansehn stehende Hoffmann von Uoffmannswaldau, ein
Breslauischer Patrizier, dessen frivole Verse noch ein halbes
Jahrhundert später sehr gerühmt wurden, und der jetzt noch
oft, doch fast nur zum Spotte genannt wird. Wenn es daher
wahr ist, dass das auf Mühlpforth bei dessen Lebzeiten ver-
fertigte Epigramm:
Neun Wörter und nicht mehr soll dieser Grabstein haben,
Hier nnter diesem Stein liegt Gicht und Durst begraben —
von Hoffmannswaldau herrührt, so ist es wahrscheinlich nur
in einer übermüthigen augenblicklichen L^une entstanden und
nicht so böse gemeint gewesen. Die kunstvollen lateinischen
Gedichte, welche Mühlpforth auf Ho£Pmannswaldau^s Ueber-
nahmc der Rathspräsidentenstelle und dessen Tod verfertigt
hat, — Hoffmannswaldau starb zwei Jahre vor Mühlpforth —
zeugen von aufrichtiger Ergebenheit, wenn wir die darin ent-
haltenen Schmeicheleien auch sehr übertrieben nennen müssen.
Auch scheint des hohen Gönners wegen M. oft beneidet wor-
den zu sein. Neben amtlicher und dichterischer Thätigkeit,
geselligem Verkehr und häuslichen und körperlichen Leiden las
Miihlpfoi*th fortwährend die alten Classiker mit Lust und Leich-
tigkeit; dass wir gerade besonders den Claudian und Statius
hervorgehoben finden, könnte befremden, wenn dies aus dem
Geschmacke des siebzehnten Jahrhunderts nicht erklärlich würde.
Die Leichtigkeit in Ueberwinduug metrischer Schwierigkeiten,
welche er besonders in lateinischen Gedichten bewährt, verräth
eine nicht gewöhnliche classische Bildung. Das alcäische Maß,
der scazontische Vers, der Hexameter wird von ihm mit Frei-
heit behandelt. Ferner liebte und übte er die Musik, deren
Preise er ein eignes Sonett widmet, sang und spielte die
Laute. — Gegen das Ende seines Lebens wuchsen die körper-
lichen Leiden des Dichters; ob zum Theü durch Neigung zu
geistigen Reizmitteln, worauf Hoffmannswaldau^s Epigramm hin-
deutet, lassen wir dahingestellt. Er sah dem Tode, wie meh-
rere Gedichte verrathen, gefasst entgegen, bis der vielfach ge-
peinigte Mann denn endlich am 1. Juli 1681 durch einen
Schlagfluss von jahrelanger Qual befreit wurde. Es ist ein
schönes Zeugniss, welches in dem erwähnten Nachruf seines
Amtscollegen ihm in den Worten ertheilt wird:
20
310
Dn hast hier oft gezeigt, dass ein gesetzter Muth
Auch auf der Folterbank der Glieder könne lachen.
Gott war zuvorderst dir, dann auch ein Freund dein Gut,
Das dich vergnügete und konnte lustig machen.
Du hast bei manchem Grab dein Grabelied gemacht,
Bei deiner Gliederqual vorlängest lernen sterben
Und hast die Ewigkeit in dieser Zeit bedacht«
Weit übertriebener wird er in einem von Christian Knorr
verfassten Gedichte gerühmt, sogar mit den Dichtem des Al-
terthums gepaart; und endlich ist von ihm gesagt:
Hat dich Bernini gleich in Marmel nicht gehauen,
Rauchmnller's kluge Faust in Helfenbein geätzt,
So wird die Nachwelt doch die Pyramiden schauen,
Die du dir aus Papier hast selber aufgesetzt.
Die werden sicherlich weit mehr als jene dauern:
Kein Moder langer Zeit, kein Schimmel greift sie an u. s. w.,
Diese letztere Prophezeihung hat sich nicht ganz erfüllt, wie
die in den Bibliotheken weniger Litteraturfreunde aufbewahrten
Exemplare der Mühlpforth^schen Gedichte augenscheinlich leh-
ren. Indessen ist das Gedicht zwanzig Jahre später noch iu
den „schlesischen Helikon^, jene zu ihrer Zeit sehr gerühmte
Anthologie von Stie£P übergegangen. Auch war von den Mühl-
pforth^schen Gedichten bei Lebzeiten des Dichters wenig oder
nichts gedruckt; nach seinem Tode aber entstand so starke
Nachfrage danach, dass endlich im Jahre 1686 eine sehr im-
sehnliche Auswahl, nach Zeitsitte geordnet, bei dem Buch-
händler Johann Georg Steckh erscheinen konnte. Wer die
Ausgabe besorgte, ist nicht bekannt. Sowohl die deutschen,
als die lateinischen Gedichte bilden besondere, jede mit eignem
Titel versehene Sammlungen. Die deutschen erhielten im fol-
genden Jahre noch einen zweiten Theil. Wieder aufgelegt hat
man sie später nicht. Aber ihr Ruf erhielt sich lange, zu des-
sen Begründung das Lob HofPmannswaldau^s, der ihn mit dem
Königsberger Titius von seinen Zeitgenossen fast aUein als
namhaften deutschen Dichter in der Vorrede zu seinen eigenen
Gedichten hervorhebt, nicht wenig beigetragen haben mag. In-
dessen ist jene Sammlung nicht vollständig. Mühlpforth, der,
wie einer sdner Panegyriker mittheilt, „an Schnelligkeit dem
Naso glich, ^ producierte zu unaufhaltsam und war dabei zu
bescheiden in Selbstbeurtheilung , als dass er eine Gesammt-
311
ausgäbe vorzubereiten Lust gehabt hätte. Es wird namentlich
ein größeres Gedicht: ^Hiob^, wovon uns Bruchstücke auf-
bewahrt sind, und worin er seiner eigenen Leiden dichteri-
schen Ausdiniük versucht haben mag, von gelehrten Zeitgenos-
sen vermisst.
Fragen wir nun nach dem schriftstellerischen Charakter
eines Mannes, der unter nicht eben begeisternden Umständen
sehr fruchtbar war, so ist an das, was über Gelegenheits-
poesie jener Tage im Allgemeinen einleitend gesagt worden,
zuvorderst zu erinnern. Von den Fehlern jener epidemischen
Poeterei, welche das siebzehnte Jahrhundert, als das der Un-
natur und des 'undeutschen Wesens hinreichend documentiert,
ist Mühlpforth nicht frei, durch Keichthum an Kenntnissen,
durch ehrenwerthe Gesinnung und durch sichtbares Ringen mit
den Fesseln des Jahrhunderts vor vielen Zeitgenossen ausge-
zeichnet. Er bewegt sich in der Opitz^schen Richtung und
steht dieser wirklich näher als Ho£fmannswaldau, der damals
von aller Welt bewunderte vornehme Dichter, in dessen un-
mittelbarer und beschützender Nähe doch Mühlpforth gerade
lebte, ohne von ihr augesteckt zu werden. Wir finden bei ihm
nur wenige Spuren von jener Schlüpfrigkeit, jener aus den
schlechtem italienischen Vorbildern entliehenen Unzüchtigkeit
der Schilderungen, die Hofimannswaldau zum Lieblingsschrift-
steller der kraftlosen deutschen Welt fiir lange Zeit gemacht
hat. Weitschweifig sind sie freilich alle beide; aber Mühlpforth
ist selbst in Gelegenheitsgedichten gedankenreicher. Die latei-
nische Verskunst besitzt und übt er mit großer Leichtigkeit,
oft mit Eleganz; die deutsche nicht minder, wenn ihm auch
schlesische Provinzialismen oft entschlüpfen und dann und wann,
in Folge der schnellen Production, die Quantität der Sylben
minder streng als in Opitzens spätem Sachen beachtet ist.
Unter den lateinischen Gedichten darf man ein großes
Lobgedicht auf die Stadt Breslau, die von allen dichtenden
Schlesiem damals außerordentlich gepriesen wurde, „Vratis-
lavia, urbs Augusta Silesiae^ hervorheben. Er nennt die Stadt:
Unio terranun, vicinoramque Smaragdus,
certa domus Musis, perfecta meta nitoris.
Femer sind ein Dankgedicht auf Warmbrunn, dessen Heil-
quelle des Dichters Gichtschmerzen gelindert hatte, „Thermae
312
Hirschbergenses^ betitelt, das Epicedium auf Hoffmannswaldau
und ein Lobgedicht auf den Frühling alles Lobes werth. Wich-
tiger freilich sind uns die deutschen Gedichte. Diese zerfallen
in der Gesammt - Ausgabe in verschiedene, zum Theil chrono-
logisch geordnete Rubriken. Der erste Theil enthält: Glück-
wünschungs-, Hochzeit-, Leichengedichte;, dann vermischte
Gedichte, geistliche Lieder; der zweite Theil eine Nachlese zu
den Gelegenheitssachen, religiöse Gedichte, Uebersetzungen,
geistliche Lieder, Sonette und sogenannte: „Verliebte Gedan-
ken." Was die Gelegenheitsgedichte zuvörderst betrifft, so ist
bei ihrer großen Zahl — es sind ihrer zusammen gegen ein
halbes Tausend! — die Mannigfaltigkeit der Behandlung ewig
wiederkehrender Stoffe bewundernswürdig. Sehr geschickt weiß
Mühlpforth den einzelnen Gedichten durch Benutzung gegebe-
ner Verhältnisse ein gewisses individuelles Gepräge zu geben.
Er nimmt sich gewöhnlich ein allgemeines Thema, das er dann
ausfuhrt, indem er es dem speciellen Fall gewandt anpasst.
Da heißt ein Leichengedicht: „Unverblühte Lilie," ein andres:
„die Fremdlinge allhier," oder „Triumphirende Gedult" u. s. w.
Nicht selten wendet er in Hochzeitsgedichten dramatische Form
an, wobei denn antike Gottheiten gewöhnlich figurieren müs-
sen. Auch die von Hoffmannswaldau eingeführte Form der
Heroide benutzt er. In den Versmaßen ist ebenfalls Abwech-
selung. Die leidigen Alexandriner, welche alle Poeten jener
Tage zur Weitschweifigkeit verführten, wendet freilich auch
unser Dichter am meisten an, doch oft mit zweckmäßiger Ab-
wechselung des Einschnitts; die kürzeren Versmaße aber ge-
rathen ihm sehr wohl. Wie schön z. B. sind folgende Stro-
phen aus einem Hochzeitsgedichte vom lOten September 1676.
Ferle keuscher Zucht und Tugend,
Bild der angenehmen Jugend,
Schöne Braut, was soll es sein,
Dass sie ihrer Freiheit Schätze
Liefert in des Ehstands Netze,
Und stellt sich gefangen ein?
Oder will sie nach den Zeiten
Ihre klugen Sinnen leiten.
Weil sich jetzt verjüngt das Jahr,
Und fangt alles an zu blühen,
WiU sie dies zum Beispiel ziehen.
Wenn sich schnäbelt Paar und Paar?
313
Mass die Schoß der reichen Erden
Jetzt des Himmels Braut nicht werden,
Wenn sie sich mit Blumen schmückt?
Wenn er mit den goldnen Strahlen
Pfleget ihre Brust zu mahlen,
Und viel tausend Farben schickt?
Wenn jetzt in den bunten Lenzen
Tulpen und Narcissen glänzen,
Und der Gärten Reichthum prangt?
Wenn der Baum in seinem Glänze
Als wie in schneeweißer Seide,
Die vollkommne Zier erlangt?
Sollte da der Mensch nicht leben.
Da die Gotter selbsten schweben
In erwünschter Fröhlichkeit?
Sollte dann der Mensch nicht lieben,
Dem schon in das Blut geschrieben:
Paart euch dass ihr fruchtbar seid?
Reich an erhabenen Gedanken finden wir folgendes Lei-
chengedicht vom 17. September 1679, dessen tiefer Ernst er-
greifend ist:
Die Zeit will durch Minuten sterben,
Sie fleucht und folgt ihr selber nach.
Wie eine Fackel ja verderben
Muss durch ihr Scheinen allgemach:
So lauft der Zirkel aller Zeiten,
Der gar nicht zu verändern ist.
Die Alten wollten dies andeuten.
Wenn der Saturn die Kinder frisst.
Ihr Schlund verzehret Tag und Stunden,
Sie wächst und stirbet in der Flucht.
Der Tag hat kaum den Monat funden.
Der Monat ein Jahr aufgesucht;
Es schleust sich kaum der Ring vom Jahre,
So fängt sich schon ein neues an.
Dies stürzt ein anders auf die Bahre
Und wird auch wieder abgethan.
Jahr, Monat, Tag und Stunden fliehen.
Was weg, bleibt ewig weggeschwenunt.
Kein Rad kann was zurücke ziehen.
Mit Ketten wird hier nichts gehemmt.
3U
Der Adler mag sich nicht so schwingen
Mit Pfeil -geschwinder Hurtigkeit,
Als unsre Tage sich verdringen,
Und sich verlauft der Kreis der Zeit.
Egypten indenk es zu machen.
Mahlt einen tief- und finstern Grund,
Der stets bewahrt von einem Drachen,
Und der mit aufgesperrtem Schlund
Den eignen Schwanz ihm abgefressen
Und unersättlich dran genagt.
Wer wollte nicht hieraus ermessen,
Es sei uns von der Zeit gesagt?
So ists demnach so hoch zu schätzen:
Wenn sich die Lebens -Frist verlängt.
Wer was den Jahren bei kann setzen,
Dass der so großes Gut empfängt?
Was hilfts mit flüchtigem Gewebe
Das kurze Garn zu unterziehn?
Und dass man wohl beschneiet lebe,
Sich mit viel Seufzern zu bemühn?
Ein Kind das in der Wieg erbleichet,
Und der gebückt von hinnen fährt,
Die haben gleiches Ziel erreichet,
Und eine Zeit hat sie verzehrt.
Die Wenigkeit der kurzen Tage,
Die hohen Staffeln vieler Jahr,
Erwogen auf gerechter Wage,
Sind unterschieden nicht ein Haar.
Der Mensch bleibt nur der Zeiten Beute,
Auch Elemente tauren nicht.
Wer wollte nun nicht lieber heute,
Gesegnen dieser Sonnen Licht,
Als dass bei Martern und bei Quälen
Und aller Schmerzen Ueberfluss
Er mög' ein tiefes Alter zählen,
Besaamt mit Ekel und Verdruss.
Flieht nun die Zeit, verschwindt die Stunde,
Raubt alles die Vergessenheit,
Gehn Erd und Himmel selbst zu Grunde,
Was soll der Mensch, ein Spiel der Zeit?
Sich in der Welt so sehr vergaffen,
Und dieser Meinung fallen bei,
Wie dass er bloß allein erschaffen
Um hier nur wohl lu leben sei?
315
Nein, aus des Monden Vorbild lernet
Ihr Sterblichen den wahren Zweck:
Je mehr der Sonnen er entfernet,
Und von den Strahlen kommet weg,
So wird er zwar dem Kreis der Erden
Gewähren seinen hellen Schein,
Doch himmelwärts mehr dunkel werden.
Weil er muss ohne Sonne sein.
So gehts : je mehr wir uns entziehen
Der Sonne der Gerechtigkeit
Und denken vor der Welt zu blühen,
Dass unser Ruhm sich weit und breit
Vergrößern mag mit neuen Strahlen,
So scheint es prächtig, schön und groß;
Kömmts die Schuld der Natur zu zahlen,
So stehn wir nackend, arm und bloß.
Wir sind verfinstert am Verstände,
Und kennen nicht das höchste Licht
Wir irren weit vom Vaterlande.
Gesetzt, der äußre Mensch zerbricht.
So wird er innerlich verneuret.
Zu unermessner Herrlichkeit.
Wohl dem der Gott die Seele steuret
Durch seine ganze Lebenszeit!
Man sieht in diesen Gedichten die größte Leichtigkeit in
der Behandlung der Sprache, und muss zugeben, dass unsere
heutigen Gelegenheitsdichter vor jenen zum Theil nur eingebil-
dete Vorzüge haben. Vieles kommt nach unserm Schicklich-
keitsgefiihl uns hart und verwerflich vor was damals allgemein
üblich; viele Worte hatten einen ganz andern Sinn, der all-
mählich durch milder klingende Worte ausgedruckt wurde.
So hieß damals „geiP nicht viel mehr als »begierig;'^ für
„Brunst*^ sagen wir „Glut,*^ für „Wollust" bloß „Lust" Sind
ferner die Mühlpforthschen Epicedien und Epithalamien mit
gelehrten Anspielungen nach unserer Meinung zu reich ver-
ziert, so muss man erwägen, dass im siebzehnten Jahrhundert
Gelehrsamkeit bei dem Dichter, der freilich deshalb auch eine
allgemeine Achtung genoss, vorausgesetzt wurde. Was dort
zu viel gegeben war, jener Schmuck von zum Theil fern lie-
genden Gleichnissen und Zierrathen, erhalten wir vielleicht
heute zu wenig. Bei uns gilt Seichtigkeit und plattiertes Ge-
fühl eben das was damals jene, lästige Putzsucht galt, Perücke
318
gen scheint, verletzt. Dasjenige, was ihn auszeichnet vor vie-
len Zeitgenossen, wird gerade von diesen am wenigsten erkannt,
nämlich die Achtung vor dem Unvergänglichen in der mensch-
lichen Natur, während er seines uns eben nicht mehr zusagen-
den Witzes wegen von jenen am Meisten gepriesen wird. Die
übrig gebliebenen einzelnen Kapitel seines größeren Gedichtes
„Hiob" lassen den Verlust des ganzen, den wir schon erwähn-
ten, bedauern. Endlich hat Mühlpforth uns noch einige sehr
freie üebertragungen von Stücken des Horaz, Martial, Ovid,
Seneca hinterlassen, die freilich durchaus kein genügendes Bild
der Originale liefern.
Dies ist in kurzer Uebersicht der litterarische Nachlass
eines für seine Zeit nicht unbedeutenden Dichters, der Tau-
sende der mit ihm Lebenden durch sein Talent reichlich erfreut
hat. Es schließen die wenigen mitgetheilten Proben seiner
Leistungen wohl am würdigsten mit einigen Strophen, die er
schmerzbedrückt im Vorgefühle des Todes verfertigte:
Verlangen nach dem Tode.
Ich freue mich der letzten Stunde,
Die sonst dem Menschen Schmerzen macht.
Geht Erd und Himmel selbst zu Grunde,
Was bin denn ich, ein Wurm, bedacht.
Mein laimen Haus , die irdnen Wände
Zu schätzen ewig ohne Ende!
Die Hand so mich zuerst erbauet.
Die reißt mich, ihr Geschöpf auch ein.
Wem vor des Todes Pfeilen grauet,
Der kann kein Ueberwinder sein.
Lass Fleisch und Blut das Leben lieben.
Die Seele muss sich anders üben.
Ich seh > dass jeden Tag was stirbet ;
Ja, dass der Leib ein Siechhaus heißt;
Wenn da bald Hand bald Fuß verdirbet.
Und das veralte Kleid zerschleißt:
So sucht der Geist sich frei zu machen
Und wird der mürben Fessel lachen.
Drum komm, o Tod, denn meine Seele
Erschrickt ob deiner Ankunft nicht.
Zeuch sie aus dieses Körpers Hole
Zu jenem unumschriebnen Licht.
319
Komm, süßer Gast, mein heiß Verlangen
Ist schon bestellt dich zu empfangen.
Ich bilde mir nicht dürre Knochen
Und wie man dich sonst malet ein.
Wenn meine Augen sind gebrochen,
So wirds ein sanfter Schlaf nur sein.
Ein Thor der mag dich hässlich nennen,
Ich aber muss dich schön bekennen.
Das Grab , das auch die Alten fliehen,
Nenn ich des Himmels Vorgemach.
Der Kittel, den man an muss ziehen,
Scheint heller als der Sternen Dach.
Der Schlaf ist kurz, die Nacht ist enge.
Zu jenes großen Tages Länge.
Ein Dichter , der mit solchen Gesinnungen aus einem Leben,
das ihm so viele Qualen bot, scheiden konnte, hat gewiss ge*-
rechten Anspruch auf wohlwollendes Andenken der Nachwelt.
Nachweisung der benutzten Quellen«
Heinrich Mühlpforths Teutsche Gedichte. Breßlau, Ver-
legts Johann Georg Stcckh, Buchhändler. Franckfurth am
Mayn Druckts Johann Philipp Andrea. 1686. 8®. (Die Seiten-
zahlen laufen nicht durch^s ganze Buch, sondern beginnen
bei jeder Rubrik nach alter Sitte von Neuem.)
H. Mijhlpforths Poetischer Gedichte. Ander Theil. Eben
daselbst. 1687. S^.
Heinrici Mühlpforti Poemata. Ibidem 1686. 8®.
Erdmann Neumeister, Dissertatio de poetis Germanicis
seculi decimi septimi. (Zuerst Leipzig 1695, dann Witten-
berg 1708, mit dem Druckfehler 1808.) 4». p. 71.
J. Sigmundi Johnii Parnassi Silesiaci centuriae duae. Wra-
tislaviae. 1729. L p. 149.
Leuschner's Spicilegia (zu Cunradi Silesia togata). Hirsch-
berg. Spicileg. IX. Daselbst 1753. 4^. (Die Mittheilungen
Leuschner^s sind, wie fast in allen Fällen, so auch hier auf
sorgfältige Forschung gegründet).
Mangelhaft ist, was Witten im Diarium biographicum und
Mencken im Gelehrten - Lexikon über Mühlpforth mittheilen.
Unter den Neueren hat ihn Franz Hörn a. a. O. noch am Aus-
fuhrlichsten besprochen.
LIEDERBUCH
PAULS VON DER AELST
VOM JAHKE 1602.
IN DER GROSSHERZ. BIBLIOTHEK ZU WEIMAR.
Von H. V. F.
X aul von der Aelst war Buchdrucker in Deventer, der Haupt-
stadt Overijssels. Er besaß eine höhere Bildung als sie heu-
tiges Tages bei seinen Staudesgenossen vorzukommen pflegt.
Damals galt die Buchdruckerei noch für eine freie Kunst, und
die sich damit befassten, hielten sich für mehr als bloße Hand-
werker. Paul schriftstellerte und dichtete sogar. Wenn auch
seine Gedichte nicht eben ausgezeichnet zu nennen sind, so
sind sie doch nicht schlechter als viele seiner dichtenden Zeit-
genossen. Er liebte eine Deventerin;
allhie ist sie geboren
in dieser löblich Stadt.
Er liebte sie um ihrer Zucht und Ehre willen und sang ihr
ein langes Lied (Nr. 127),*) worin er am Schlüsse den An-
fangsbuchstaben ihres Namens: E. A. D. den seinigen ebenso
hinzufugte: P. von der Ae.
Ob sein Werben glücklich war, darüber gibt dies Lied
keine Auskunft, es lässt sich eher das Gegentheil annehmen,
denn gleich in der ersten Strophe heißt es:
ein Jungfrau hübsch und zart
die ich begehret hab,
die man mir thut abschlagen,
das kränket mich gar hart.
*) Kommt abermals vor unter Nr. 163.
321
Wahrscheinlich war er unbemittelt und seine Geliebte ireich:
in einem Liede, worin jede Strophe mit einem Buchstaben Bei-
nes Namens beginnt, singt er:
es ist wol mehr gesehen
ein Heirath so ungleich,
und wenns nicht sollt geschehen,
dieweil ich nicht bin reich,
mein junges Herz, merk eben,
würd sich dem Tod ergeben
und wie ein Turteltaubelein
enden sein junges Leben.
Nach einem andern Liede dagegen an dieselbe (Nr. 125)
sollte man glauben, er sei doch noch gliicklich in seiner Liebe
gewesen, denn er schließt:
Der dies Lied hat gesungen,
groß Lieb hat ihn bezwungen,
ihm ist es noch gelungen
bei seiner Liebsten fein.
Später muss ihm sein Wunsch erfüllt sein, wenn der An-
fang seines Scherzgedichtes (des letzten seiner Sammlung): wie
die Männer ihren Frauen gütlich thun sollen, „um sie schön zu
behalten^ nicht auch ein bloßer Scherz ist:
Als ich für meinen Leib
nahm ein schön junges Weib ff.
Dass sein Lied nur Scherz war, lehrt die Schlussstrophe:
Ich habs aus Kurzweil gdicht,
keinr Mann muss halten nicht,
ich thus auch keinem rathen,
es kost gar viel Ducaten,
die findt man auf keinem Felse,
das sagt Paul von der Aelste.
Seine Dichterei beschränkte er nicht auf Liebe , er ver-
wendete sie auch zur Verherrlichung seines Berufes , der Buch-
druckerei, dieser edelen freien Kunst und der damit verbun-
322
denen Schriftstellerei. Sein langes Lobgedicht besobliefit er
also:
Soll ich alls melden mit Fug
was Nutz die Druckrei bringt,
ein Ries Papier war nit gnug,
was Guts daraus entspringt, ff.
Dies Liedlein ist gedichtet
der Druckerei zu Ehm,
zu Lob und Preis gerichtet
denen die sich mit nahm.
Thu es mein Gsellen schenken,
fleußt her von einem Fels,
wollet im besten gdenken
des Pauli von der Aelst.
Wie er mit einem langen Lobe seiner Kunst seine Samm-
lung beschließt, so beginnt er sie mit einem langen Lobe der
„Feder^^ oder der „Schreiber^^ d. h. aller derjenigen die lesen
und schreiben können und dadurch zu höheren Ehren, Ämtern
und Würden gelangen.
Dieser gesangliebende, dichtereiübende Buchdrucker yeran-
staltete zu Deventer im J. 1602 eine Liedersammlung, die nn-*
ter folgendem Titel erschien:
Blum vnd Außbund Allerhandt Außerlesener Weltlicher, Züch-
tiger Lieder vnd Rheymen, Welche bey allen Ehrlichen Ge-
seUschafiPten können gesungen, vnd auff allen Instrumenten
gespiellt werden Zu dienstlichem wollgefallen vnd ergetzung
allen Ehrliebeuden jungen Gesellen, Frawen vnd Jungfrawen,
so wol auß Frantzösischen, als Hoch- vnd Nider Teutschen
Gesang- vnd Liederbüchlein zusamen gezogen, vnd in Truck
verfertigt (Holzschnitt) Gedruckt zu Deuenter, im jähr
M. DG. JJ.
Kl. quer 8^. 8. BI. Vorstücke, 190 pag. Seiten. Auf dem Titel 4 Zei-
len schwarz, 5 rothgedruckt. Der Holzschnitt ein Herz, rechts TOn
einem Schwerte, links von einem Pfeile durchstochen und bis sur
Mitte von einer Säge durchsägt.
In der Vorrede spricht sich der Sammler also über sein
Buch aus:
323
^Vorrede an den gutherzigen Leser. Es ist, giinstiger Her
ber Leser, ohne Zweifel allen Mensehen wol bewusst, wie dass
die alten Poeten eine sonder Liebe und Neigung gehabt im Tich-
ten und derowegen viel schöner und herrlichen Getichte, Reime
und Lieder hinter sich verlassen, und solche Kunst bei ihnen
auch in hohen Ehren gehalten worden. Weil aber heutigs
Tags auch noch vi^l Liebhaber unter den Menschenkindern
gefunden werden, welche auch etwas begehren zu lernen und
zu erfahren, und doch diemenschliche Natur gar ungleich, also
dass der eine zu dieser, der ander zu jener Kunst eine Lust
oder Begierde geschopfet, gleich wie einer etwan ein Stück
Fleisch in einer sauren, der ander in einer süßen Brüh, oder
der eine gesotten, der ander gebraten haben will: Ebener-
maßen finden sich auch jetzigei* Zeit viel Menschen hohen und
niedriges Stands, jung und alt, welche eine sonderliche Lust
in der Musik oder Singkunst haben, und ihre Gemüther, (welche
jetzt mit dieser, bald einer andern Fan tasei beladen) mit einem
schonen Liedlein erfrischen. Dieweil aber einem jeden die
Notengesäng nicht bekannt, seind derhalben für dieser Zeit an
vielen unterschiedlichen Orten etliche teutsche Liederbüchlein
getruckt worden, welche zwar mit vielen unverschämten, un-
züchtigen und nichtswürdigen Liedern erfüllet, an welchen nie-
mand Lust noch Wohlgefallen zu lesen, viel weniger zu sin-
gen, wie es dann auch sich nit gebühren will, denn durch
solche unzüchtige Lieder wird die Jugend zur Leichtfertigkeit
bewegt und verfuhrt: derohalben ich nicht unterlassen können,
jedoch auf freundliches Begehren und Anhalten etlicher ehr-
liebenden Gesellen und tugendsamen Jungfrauen, ein neues
Liederbüchlein ins Werk zu richten und in Truck zu verfer-
tigen, damit die Jugend sich in fröhlichen Conviviis oder ehr-
lichen Gesellschaften möge in aller Ehrbarkeit erlustieren und
sich ihres Gemüths ergetzen und ein jeder ein schönes Lied-
lein singen oder auf einem Instrument spielen, damit alle un-
züchtige und nichtswürdige Gesang vermieden und hintan ge-
setzt und andere züchtige und zierliche an deren Statt können
gebraucht werden. Hab mir derowegen furgenommen, sowol
aus französischen als hoch- und niederteutschen Gesang- und Lie-
derbüchlein die furnehmste, schönste, lieblichste und züchtigste*)
*) Dies nun weniger: es sind einige Lieder darin enthalten, die selbst
fFeimmr, Jk Jl- 21
324
Liedlein, welche nach poetischer Kunst und nach Art der wel-
schen und franzosischen Canzonetten, als gut ich die zusam-
men bringen können, bei einander zu fugen. Obwol ich deren
mehr hätte beieinander bringen können, hab ichs doch hiebei
bleiben lassen, dieweil zu End eines jeden Liedleins etliche
schone Reime hinzugesetzt, auch damit dies Büchlein nicht su
groß würde und um ein geringes Geld konnte verkaufet wer-
den. Obwol mir wol wissend, dass mir etliche neidische und
heimtückische Missgonner solches zum ärgsten werden deuten
und auslegen, hab ich mich dessen leichtlich zu trösten, die-
weil noch viel mehr gutherziger Leut gefunden, welche ihrer
Vernunft zu viel zugeben und erkennen können, dass ich hie-
mit die junge Gesellen und Jungfrauen etlichermaßen von La-
stern und Untugenden abziehen, zur Tugend aber und Ehrbar-
keit allgemach imd mit Glimpf anhalten wollen. — Bitt der-
halbcn einen jedwedem, wes Standes und Wesens er auchseie^
wolle dieses mein geringschätzige Arbeit in keinem Weg mir
verargen, tadlen oder schmähen, denn ichs aus gutem Herzen
hab gethan. Solches um einen jeglichen zu verschulden, bin
ich jederzeit willig und bereit. Thu mich und die meinigen
samt E. L. jetzt und künftiglich dem Allmächtigen in seinen
Schutz befehlen. Datum den 20. Novemb. im Jahr M. DC. JJ*
E. L. Dienstwilliger P. V. D. AE.'
Diese Vorrede gibt uns wie schon der Titel Aufschluss ge-
nug über das Verfahren des Sammlers. Er hat aus gedruck-
ten Liederbüchern aufgenommen was ihn eben ansprach. So
machten es damals die Drucker solcher Bücher überhaupt, nur
dass Aelst eher etwas geändert und auch wol selbst mehrere
Lieder erweitert hat: zu beiden Dingen hielt er sich als Dich-
ter befähigt Was übrigens anderen Druckern zu b^egnen
pflegte, begegnete auch ihm: er hat mehrere Lieder zweimal
aufgenommen, sogar sein eigenes (Nr. 127. 153)1 Wie die
Sanmiler mehr oder minder dem Zeitgeschmacke dienstbar sind
und um ihres Gewinns willen sein müssen, so auch Paul von
der Aelst. Sein Buch fällt gerade in die Zeit, als das Fremde
auch in der Poesie anfing sich geltend zu machen. Die ein-
nach den damaligen BegriAen von Sittlichkeit durchaus nicht r.üchtig, ge-
schweige denn züchtigst genannt werden dürfen.
325
fachen deutschen Volkslieder gefielen nicht mehr, man liebte
dafür die künstlichen welschen Liedesformen und allerlei Spie-
lereien. So hat denn auch Aelst Übersetzungen und Nachah-
mungen solcher welschen Canzonetten, Madrigalien, Villanellen,
Galliarden und wie das Zeug alles heißt*), ferner Namenlieder
(Acrosticha) , Echos und dergleichen. Doch ganz huldigt er
dieser neuen Richtung nicht: er kann sich vom deutschen Volks-
gesange nicht trennen, er liebt die uralten Weisen und fugt
sie neueren Texten hinzu, und was sein größtes Verdienst ist,
er gibt uns mehrere schöne alte deutsche Volkslieder, einige
sogar, die sich anderswo nicht mehr finden.
Ebendeshalb ist denn oftmals der Wunsch von vielen Sei-
ten laut geworden, das ganze sehr seltene Büchlein durch ei-
nen buchstäblichen Abdruck zu vervielfältigen und so jedem
Forscher und Liebhaber unserer Liederdichtung zugänglicher
zu machen. Ich muss die Zweckmäßigkeit eines solchen Ab-
drucks entschieden in Abrede stellen. Die große Masse unbe-
deutender, oft sogar schlechter Liebeslieder verdient gar nicht
weiter gedruckt zu werden; das Bessere und Beste ist bereits
wieder gedruckt, imd das was sonst noch für die Poesie und
die Geschichte derselben einigen Werth hat, lässt sich auf we-
nigen Seiten abmachen, wie ich es hier in der alphabetischen
trbersicht des ganzen Inhalts versuchen will. Wer zu einzelnen
Liedern, wo ihm die anderswo vorhandenen Texte nicht genü-
gen, den Paul von der Aelst vergleichen möchte, mag sich
selbst an die Quelle wenden, das Buch ist jedem zugänglich.
Bei dieser Gelegenheit muss ich mich über das Wiederab-
drucken einiger seltenen Bücher aus dem Gebiete der poeti-
schen Litteratur des 16. und 17. Jahrhunderts aussprechen.
Ich halte es nur dann für gerechtfertigt, wenn das Werk selbst
in poetischer oder sprachlicher oder litterarhistorischer Bezie-
hung bedeutenden Werth hat. Die Masse des Stoffs ist be-
reits für Liebhaber und Forsober so groß geworden , dass jene
eher abgeschreckt als gewonnen werden, und diese mehr und
mehr verflachen, indem sie bei den vielen Seiten, welche
das deutschphilologische Studium darbietet, sich mitbetheiligen
wollen und auf eine leichte Weise auch können. Die For-
*) S. meine Vorrede zu meinen- Qesellschaftsliedem S. IX.
21*
326
scher sollten sich nachgerade darauf beschränken, den ange-
häuften Stoff zu sichten und sich dadurch einen schöneren Dank
verdienen, dass sie mit Kritik und Geschmack das Bessere in
reiner Form und mit Erläuterungen versehen hinsteUen, damit
endlich das Schone der Vergangenheit ein bleibendes Eigen-
thum jeder Gegenwart unsers Volkes werden könne.
Im Frühlinge 1842 war es mir in Jena vergönnt, den Paul
von der Aelst zu benutzen. Meine damaligen Auszüge habe
ich jetzt erweitert und gebe sie in einer alphabetischen Über-
sicht des ganzen Inhalts. Das Original hat zwar keine ge-
druckten Nummern; da aber dieselben mit Bleifeder hinzuge-
fügt sind und bis jetzt kein Exemplar *) weiter bekannt ist, so
darf diese Ergänzung als lu'sprünglich betrachtet werden.
Der Kürze wegen sind die Sammlungen, worauf ich mich
beziehe, durch Abkürzungen angegeben.
Uhland = Uhland^s Alte hoch- und niederdeutsche Volks-
Ueder 1845.
Frkf. LB. = Lieder-Büchlein 1582. Abdruck des litter. Ver-
eins zu Stuttgart: Das Ambraser Liederbuch vom J. 1582.
Herausg. von Jos. Bergmann.
GL. = meine „deutschen GeseUschaftslieder des 16. und
17. Jahrhunderts^ Leipzig 1844.
127. Im Ton: Wo soll ich mich hinkehren etc.
Ach dass ich könnt erleben
die freudenreiche Zeit ff. 14 Str. von Aelste.
abermals Nr. 153 mit dem Anfange: Ach Gott, mocht ich
erleben ff.
153. Im Ton: Wo soll ich mich hinkehren etc.
Ach Gott, mocht ich erleben ff. 14 Str.
ganz wie Nr. 127. Ach dass ich könnt erleben ff.
50. Im Ton: Ich armes Mägdlein etc.
Ach Gott, wie ist so gut und fein
geliebt werden und frei sein ff. 5 Str.
179. Im Tont Reich Gott wem soll ichs etc.
Ach Gott, wie mag es konmien,
dass ich so voll Leidens bin ff. 16 Str.
*) Ob Eschenburg eins besaß, habe ich nicht ermitteln können, es ist
möglich, vgl. Wunderhorn 3, 48. Das Weimar, stammt aus Gottsched's Bibl.
327
140. In seinem eigen Ton.
Ach herzige Herz, mit Schmerz
erkennen thu ff. 7 Str.
Namenlied ANNA
21. In seinem eigen Ton.
Ach, ich kann euch nicht gwähren ff. 4 Str.
17. Im Ton: Ich hoff der Zeit, welch jetzt etc.
Ach Jungfrau zart und mild,
erzeig dich nicht so wild ff. 3 Str.
183. In seiner eigenen Melodei.
Ach Lieb mit Leid ff. 3 Str.
Frkf. LB. Nr. 6.
71. Ein anders, im Ton: Es kam ein Gans aus Sachsen.
Ach Mägdlein, willt du mit mir gähn? ff. 8 Str.
175. Ein Lied von den edlen Studenten. In seinem eigen Ton.
Ach Mutter, liebste Mutter mein ff. 10 Str.
Frkf. LB. Nr. 65. GL. Nr. 148.
5. Ein anders in gleicher Melodei (wie Nr. 4.)
Ach Unglück, wie hast du mich so hart verwundt ff. 3 Str.
29. Ein ander schön Lied in seinem eigen Ton.
Ach was für Klag führ ich all Tag ff. 9 Str.
Namenlied ANNA MARIA
3.* In seinem eigen Ton.
Ach weh mir ist durchschossen
das junge Herze mein,
und liegt darin verschlossen
ein schön Jungfräuelein.
Cupido blind, seht zu wie gschwind
hat mich gebracht in Pein.
9 Str. Ein Lied gleiches Anfangs, aber ganz verschieden
GL. Nr. 44.
13. In seinem eigen Ton.
Ach wie, mein herzigs Schätzlein fein ff. 4 Str.
100. Ein jämmerliche Klag, die ein Liebhaber seiner Aller-
liebsten hat zugeschickt u. s. w.
328
Ach wie wollt ich so gern sein todt,
als dass ich leid so große Noth £f.
Kein Lied.
104. Im Ton: Muss ich armes Mägdelein etc.
Adieu und ich muss scheiden ff. 7 Str.
Frkf. LB. Nr. 169.
134. Im Ton: Wie möcht ich fröhlich singen etc.
Alle mein jung Leben ff. 4 Str.
Frkf. LB. Nr. 247.
194. Im Ton: Venus du und dein Kind etc.
Als ich für meinen Leib
nahm ein schön junges Weib ff. 29 Str.
Von Paul von der Aelst.
49. Im Ton: Venus du und dein etc.
Amor, würd deine Freud ff. 4 Str.
106. In seiner eigenen Melodei.
Aus argem Wahn so heb ichs an,
ein Fräulein zu beklagen ff. 5 Str.
Frkf. LB. Nr. 162.
107. Im Ton: Wie sollt ich fröhlich singen etc.
Beschaffnes Glück ist unversaumt ff. 3 Str.
Frkfc LB. Nr. 197.
161. In seiner eigenen Melodei.
Bessers ist nicht auf dieser Erd ff. 4 Str.
36. Im Ton: Hilf Gott, dass mir gelinge etc.
Billig soll man euch loben,
schöns zartes Jungfräulein ff. 7 Str.
Namenlied BARBARA
7. Ein Tanzliedlein.
Bitt, wollt mir ein Tänzlein klein
machen nach dem Willen mein ff. 2 Str.
124. Ein anders.
Brauns Mägdlein, zieh dein Hemdlein ab ff. 3 Str.
329
149. Im Ton: Gedenk Herzlieb des Anfangs etc.
Brinnende Lieb, du heiße Flamm £f. 7 Str.
Frkf. LB. Nr. 110.
Namenlied BARBARA
147. Im Ton: Gott wolle euch gesegenen etc.
Dass du von meinetwegen
gesetzet bist in Pein S. 4 Str.
146. In seinem eigen Ton.
Dass ihr euch gegen mir
so freundlich thut erweisen £f. 4 Str.
151. In seinem eigen Ton.
Dein Gsundheit ist mir lieb, mein einger Trost £f. 10 Str.
57. In seiner eignen Melodei.
Den lieben langen Tag führ ich mein Klag,
noch ists alles umsunste, hab gar kein Gunste,
drum ich nicht leben mag.
Ich fühl im Leibe mein viel tausend Pein,
ich fühl in meinem Herzen viel tausend Schmerzen:
wann wird es doch gnug sein?
Amor so mich verhaft, solchs bei mir schafft,
lässt mich der Lieb nit gnießen, thut mich verdrießen,
nimmt mir des Lebens Kraft.
Meim Herzen Freud gebrist, ohn Hoffnung ist,
wozu soll mir das Leben, weil dich freut eben
mein Schmerz zu aller Frist?
Herzlieb, du Tausendschön, thu mich verstehn!
wann ich an dich thu denken, thust mein Herz kränken,
ach lass dein Grimm vergehn!
53. Ein anders auf das vorige (Kein besser Lieb auf Erd) im
vorigen Ton.
Den lieben langen Tag
führ ich ein stete Klag,
und wann ich dann soll schlafen,
so gibt mirs noch zu schaffen.
Solch große Schmerz und Peine
gibt mir die Liebste meine.
330
Du edle Jungfrau rein,
von Herzen ich dich mein,
du bist wol werth der Ehre,
dass dich ein Fürst und Herre
so herziglichen liebe,
als ich mich gen dir übe.
Gedenk der Seuüzen groß,
die mich ohn Unterlass
an Leib und Herz krank machen.
Vielleicht du thust drum lachen,
wann ich so streng thu klagen,
dass ich kein Wort kann sagen.
Doch lass ich drum nicht ab
von dir, dich stets lieb hab
als den Trost meines Herzen,
so mir benimmt mein Schmerzen;
hoff, wirst mich noch in Ehren
meinr Bitt zuletzt gewähren.
32.* Ein anders.
Der süße Schlaf, der sonst alls stillet wol ff. 4 Str.
GL. Nr. 56.
108. In seinem eigen Ton.
Der Tag wol durch die Wolken drang ff. 7 Str.
Frkf. LB. Nr. 179.
109. Im Ton: Nachtigall, du kleines Vöglein etc.
Der Wächter der blies an den Tag ff. 7 Str.
Frkf. LB. Nr. 155.
101. Im Ton: Der Sommer jetzt andringet etc.
Der Winter fährt von hinnen,
die traurig kalte Zeit,
vor Freud mein Herz thut brinnen,
vergisst jetzt alles Leid;
der Sonuner jetzt erfreuet
die Erd mit seiner Gab,
all. Ding sich jetzt vemeuet,
freu ich mich junger Knab. 7 Str.
Bis auf die letzte Str. wie Nr. 118. Winter, fahr du
von hinnen ff.
329
149. Im Ton: Gedenk Herzlieb des Anfangs etc.
Brinnende Lieb, du heiße Flamm S. 7 Str.
Frkf. LB. Nr. 110.
Namenlied BARBARA
147. Im Ton: Gott wolle euch gesegenen etc.
Dass du von meinetwegen
gesetzet bist in Pein ff. 4 Str.
146. In seinem eigen Ton.
Dass ihr euch gegen mir
so freundlich thut erweisen ff. 4 Str.
151. In seinem eigen Ton.
Dein Gsundheit ist mir lieb, mein einger Trost ff. 10 Str.
57. In seiner eignen MelodeL
Den lieben langen Tag führ ich mein Klag,
noch ists alles umsunste, hab gar kein Gunste,
drum ich nicht leben mag.
Ich fühl im Leibe mein viel tausend Pein,
ich fühl in meinem Herzen viel tausend Schmerzen:
wann wird es doch gnug sein?
Amor so mich verhaft, solchs bei mir schafft,
lässt mich der Lieb nit gnießen, thut mich verdrießen,
nimmt mir des Lebens Kraft.
Meim Herzen Freud gebrist, ohn Hoffnung ist,
wozu soll mir das Leben, weil dich freut eben
mein Schmerz zu aller Frist?
Herzlieb, du Tausendschön, thu mich verstehn!
wann ich an dich thu denken, thust mein Herz kränken,
ach lass dein Grimm vergehn!
53. Ein anders auf das vorige (Kein besser Lieb auf Erd) im
vorigen Ton.
Den lieben langen Tag
führ ich ein stete Klag,
und wann ich dann soll schlafen,
so gibt mirs noch zu schaffen.
Solch große Schmerz und Peine
gibt mir die Liebste meine.
332
nießen oder nit. Darauf ihm dann alsbald die im Felsen
wohnende Echo ein trostUche Antwort gibt.
Dies traurig und verborgen Ort,
da man nichts sieht und hört kein Wort £f.
54. Ein Liebhaberin befragt sich gegen einer Echo u. s. w.
Echo, ich bitt, verziehe mir £f.
111. Im Ton: Es ist auf Erden kein etc.
Ein Kraut Jelängerjelieber heißt ff. 9 Str.
Namenlied ELISABETH
113. Im Ton: Ach Mündlein roth etc.
Ein Mägdlein fein ist bei mir gsein S. 3 Str.
Frkf. LB. Nr. 157.
143. In seiner eigenen Melodei.
Ein süßer Traum mich thät ff. 4 Str. GL. Nr. 8.
37. Im Ton: Ich will nach Frankfurt ziehen etc.
Ein Tochter hätt ihr Ehr verscherzt ff. 4 Str.
114. Ein anders.
Ein weiblich Bild mein Herz bezwungen hat ff. 11 Str.
Frkf. LB. Nr. 198.
70. Ein anders.
Eins m als ich sanft entschlief,
ein süßen Traum ich hätt ff. 8 Str.
46. In des Krämers Ton.
Einsmals in einem tiefen Thal
der Kuckuck und die Nachtigall ff. 6 Str. GL. Nr. 178.
66. In seiner eigenen Melodei.
Eilend, Jammer und groß Unruh ff. 7 Str.
dasselbe Lied, welches beginnt: Groß Eilend ff. Nr. 59.
168. Ein anders.
Entlaubt ist uns der Walde ff. 12 Str.
Vgl. Uhland Nr. 68 und GL. Nr. 4. 3 Str.
75. Im Ton: Mein Herz mit Lieb eto.
Ergeben hab ich mich zu dienen fein ff. 6 Str.
331
186. In seinem eigen Ton.
Des Spielens ich gar kein Glück nicht han S. 3 Str.
170. Im Ton: Wo soll ich hin, wo etc.
Die höchste Freud, die ich gewann £f. 9 Str.
Die vorletzte Str.
Schons Lieb, was hat dir der Rocken gethan,
dass du nimmer magst spinnen? £f.
▼gl. dazu ühland Nr. 194.
64t. In seinem eigen Ton.
Die Nacht ganz ungeheure S. 7 Str.
180. Im Ton: Venus du und dein Kind.
Die schon Atlanta kam
von königlichem Stamm S. 4 Str.
122. In seiner eignen Melodei. .
Die schöne Sommerzeit £f. 8 Str.
Namenlied DOROTHEA
8. Ein anders (Tanzliedlein).
Dies Fräulein zart gefallt wol jedermann,
weil sie von Art recht höflich tanzen kann.
Drum schaut nur zu alls was ich thu,
lass ich ihr jetzt kein Ruh,
tapfer rum spring, sie umher schwing,
weil sie macht so ring,
• dass ich vermein, ich tanz allein.
Frisch auf, macht mir eins drein!
Billig bhält sie das Lob jetzund für allen,
weil sie eben die so jedem thut gfallen:
ganz adelich, züchtig, freundlich
weiß sie zu stellen sich,
im Drehen gschwind gleich wie der Wind,
ihrs Gleichen man nit findt,
dass ich vermein, ich tanz allein.
Frisch auf, macht mir eins drein!
12. Reimen darin sich ein Amant beklagt und befraget sich
gegen einem Felsen, ob er seiner Liebsten noch würd ge-
334
Schlussstrophe :
Der uns zwei scheidt das ist der Tod,
er scheidet gar manches Mündlein roth,
er scheidet die Knaben und die Diren,
er scheidt das Kind aus der Wiegen.
22. Im Ton : Venus die Gottin etc. von einer Nymphen einem
Liebhaber zu Trost gesungen.
Fortunio, Fortunio,
erfreue dich nun und bis froh S. 4 Str.
20. In seinem eigen Ton.
Fräulein, ich bitt, verarg mir^s nit £f. 4 Str.
141. In seinem eigen Ton.
Freud und Muth ist gar dahin S. 4 Str.
Frkf. LB. Nr. 182. 3 Str.
45.* Ein anders.
Freundlicher Art du hast mich hart
mit deiner Lieb besessen £f. 3 Str.
68. Im Ton: Herzliebste mein, ich sag etc.
Fröhlich bin ich aus Herzengrund £f. 12 Str.
Frkf. LB. Nr. 81.
174. Im Ton: Könnt ich von Herzen singen etc.
Fröhlich so will ich singen
mit Lust ein Tageweis S. 26 Str.
Wächterlied.
105. Im Ton: Venus bringt mir groß Schmerzen etc.
Fröhlich wollen wir singen,
kein Traurigkeit mehr pflegen £f. 5 Str.
Frkf. LB. Nr. 210.
128. In seinem eigen Ton.
Ganz sehr betrübt ist mir mein Herz ff. 11 Str.
72. In seinem eigen Ton.
Gar lieblich ist spazieren gähn ff. 8 Str.
Frkf. LB. Nr. 108. etwas abweichend.
92. Im Ton: Venus du und dein etc.
Gehabt hab ich groß Glück ff. 7 Str.
335
61. Im Ton: Ach Mägdlein, willt du etc.
Gestern kam ich hieher
und fand von ungefähr
ein schone Schäferinne ff. 6 Str.
192. In seiner eigenen Melodei oder im Ton: Mon Verlee.
Gleich wie der weiße Schwane
stirbt und singt ein traurig Lied ff. 8 Str.
Aus dem Niederl.
62. Im Ton: Ich habs gewagt mit mancher etc.
Gott bhüte dich, desgleichen mich ff. 4 Str.
51. Ein anders im Ton: Venus du und dein etc.
Groß Ehr hat Müh und Pein,
lass dirs nicht seltsam sein ff. 6 Str.
59. Im Ton: Freundliches Herz etc.
Groß Eilend, Jammer und Unruh ff. 7 Str.
Die vorletzte Strophe:
Ach Magdalen, du grimme Magd,
wann bin ich doch von dir gnug gplagt?
du bist viel grimmer als ein Bare.
Mein Lieb und Freundschaft, Treu und Gut
dir alls zumal missfallen thut,
mein gflissen Dienst sind dir unmäre (unlieb).
Dasselbe Lied später nochmals Nr. 66: Eilend, Jammer
und groß Unruh ff.
177. Im Ton: Groß Lieb hat mich umfangen
zu dienen« eim etc.
Groß Lieb hat mich umfangen
gen einem Junglein gut ff. 4 Str.
123. Im Ton: Mit Lieb bin ich umfangen etc.
Groß Lieb hat mich umfangen,
zu dienen eim Fräulein fein ff. 5 Str.
Frkf. LB. Nr. 200.
148. Ein anders.
Gut GseU, gut Gsell, du machst dein IQagen ff. 4 Str.
39. Die sieben Wünsch.
Hätt ich sieben Wünsch in meiner Gwalt ff. 7 Str.
Uhland Nr. 15. A.
334
ScUussstrophe :
Der uns zwei scheidt das ist der Tod,
er scheidet gar manches Mündlein roth,
er scheidet die Knaben und die Diren,
er scheidt das Kind aus der Wiegen.
22. Im Ton : Venus die Göttin etc. von einer Nymphen einem
Liebhaber zu Trost gesungen.
Fortunio, Fortunio,
erfreue dich nun und bis froh £f. 4 Str.
20. In seinem eigen Ton.
Fräulein, ich bitt, verarg mir^s nit £f. 4 Str.
141. In seinem eigen Ton.
Freud und Muth ist gar dahin £f. 4 Str.
Frk£ LB. Nr. 182. 3 Str.
45.* Ein anders.
Freundlicher Art du hast mich hart
mit deiner Lieb besessen £f. 3 Str.
68. Im Ton: Herzliebste mein, ich sag etc.
Fröhlich bin ich aus Herzengrund ff. 12 Str.
Frkf. LB. Nr. 81.
174. Im Ton: Könnt ich von Herzen singen etc.
Fröhlich so will ich singen
mit Lust ein Tageweis ff. 26 Str.
Wächterlied.
105. Im Ton: Venus bringt mir groß Schmerzen etc.
Fröhlich wollen wir singen,
kein Traurigkeit mehr pflegen ff. 5 Str.
Frkf. LB. Nr. 210.
128. In seinem eigen Ton.
Ganz sehr betrübt ist mir mein Herz ff. 11 Str.
72. In seinem eigen Ton.
Gar lieblich ist spazieren gähn ff. 8 Str.
Frkf. LB. Nr. 108. etwas abweichend.
92. Im Ton: Venus du und dein etc.
Gehabt hab ich groß Glück ff. 7 Str.
335
61. Im Ton: Ach Mägdlein, willt du etc.
Gestern kam ich bieher
und fand von ungefähr
ein schone Schäferinne £E1 6 Str.
192. In seiner eigenen Melodei oder im Ton: Mon Verlee.
Gleich wie der weiße Schwane
stirbt und singt ein traurig Lied £f. 8 Str.
Aus dem Niederl.
62. Im Ton: Ich habs gewagt mit mancher etc.
Gott bhüte dich, desgleichen mich ff. 4 Str.
51. Ein anders im Ton: Venus du und dein etc.
Groß Ehr hat Müh und Pein,
lass dirs nicht seltsam sein ff. 6 Str.
59. Im Ton: Freundliches Herz etc.
Groß Eilend, Jammer und Unruh ff. 7 Str.
Die vorletzte Strophe:
Ach Magdalen, du grimme Magd,
wann bin ich doch von dir gnug gplagt?
du bist viel grimmer als ein Bare.
Mein Lieb und Freundschaft, Treu und Gut
dir alls zumal missfallen thut,
mein gflissen Dienst sind dir unmäre (unlieb).
Dasselbe Lied später nochmals Nn 66: Eilend, Jammer
und groß Unruh ff.
177. Im Ton: Groß Lieb hat mich umfangen
zu dienen« eim etc.
Groß Lieb hat mich umfangen
gen einem Junglein gut ff. 4 Str.
123. Im Ton: Mit Lieb bin ich umfangen etc.
Groß Lieb hat mich umfangen,
zu dienen eim Fräulein fein ff. 5 Str.
Frkf. LB. Nr. 200.
148. Ein anders.
Gut GseU, gut Gsell, du machst dein IQagen ff. 4 Str.
39. Die sieben Wünsch.
Hätt ich sieben Wünsch in meiner Gwalt ff. 7 Str.
Uhland Nr. 15. A.
336
28. Im Ton: Siebet wie ich so etc.
HElft mir aus Pein, zarts Jungfräulein ff. 3 Str.
Namenlied HE LE NA
165. Ein hübsch Tanzliedlein.
Herbei, ihr Gspielen all
zu diesem Tanz und mir nach singt
mit freudenreichem Schall!
Als ich noch ward ein Mägdlein zart,
lehrt mich die Mutter mein,
ich sollt nicht müssig sein,
und wo man tanzet, hüpft und springt,
mich mischen auch darein.
Solcher Lehr folget ich
und hätt solch groß Gefallen dran,
dass sonst nichts freuet mich.
Mein Gmüth und Herz nach Schimpf und Scherz,
nach Freud und Kurzweil gut -^
nur allzeit streben thut.
Freud so mit Ehm geschehen kann,
erfrischt mir meinen Muth.
Mein Mutter lehret mich
singen manch schönes Liedelein:
derselben folget ich.
Drum singet all fröhlich mit Schall
ein Liedlein wolgethan,
welchs also fahet an:
konmi, komm, herzliejbster Buhle mein,
und bring mir einen MannI
Mein Gspielen allzumal
folgten mir und lehrten gemach
Springen und Singen wol,
trieben so lang den Sprung und Gsang
' bis sie mit höchster Freud
gnossen der Süßigkeit,
so die Lieb endlich bringen thut
nach Hoffnung recht zur Zeit.
337
155. Im Ton: Ich hört die Vögelcin singen etc.
Herzlich thät mich erfreuen
die lieblich Sommerzeit £f. 7 Str.
Frkf. LB. Nr. 20. ühland Nr. 57. GL. Nr. 95. (nur 5 Str.)
25. Im Ton: Gott weiß, dass ich mich etc.
Herzlieb, betracht und nicht gring acht £f. 4 Str.
120. Im Ton: Fröhlich in allen Ehren etc.
Herzlieb, ich muss dir klagen ff. 10 Str.
34. Im Ton: Wo soll ich hinaus etc.
Herzliebstes Jungfräulein,
kunnt es auch möglich sein ff. 6 Str.
157. In seiner eignen Melodei.
Herz lieb, je mehr ich liebe dich ff. 5 Str.
' GL. Nr. 17. nur 3 Strophen.
103. In seinem eigen Ton.
Hör zu, mein Schatz und einiger Trost ff. 9 Str.
Vgl. Nr. 80. Wach auf, wach auf, meins Herzen ein Krön ff.
47. In seinem eigen Ton.
Hört Wunder über Wunder,
was gschehen ist jetzunder
zu Collen in der Stadt,
da maus gesehen hat!
da ist zu Tisch gesessen
einer der hat vergessen
ein Glas mit Wein in Händen sein,
er suchts mit Schmerz und Pein.
Er sah bald hin und wieder,
bald über sich, bald nieder:
ach liebe Gsellen mein,
wer nimmt mir doch mein Wein?
Wie ers nun nicht kunnt finden,
da ward er erstlich innen
das Glas mit Wein in Händen sein,
des lacht die ganz Gemein.
Und noch eine Str.
338
187. In seinem eigen Ton und ist auch ein Tanzlied vom
Ehstand.
Hort zu, ihr Junggesellen gemein K 7 Str.
130. Im Ton: Aus hartem Weh klagt sich ein Held etc.
Ich armes Mägdlein klag mich sehr £f. 4 Str.
Vgl. Frkf. LB. Nr. 7 und Uhland Nr. 71.
16. Im Ton: Weil du mir nicht etc.
Ich armes Mägdlein klag mich sehr S. 4 Str. Ein Lied glei«
ches Anfangs, sonst ganz verschieden Uhland Nr. 71.
87. Ein anders.
Ich erfreue mich aus Herzengrund,
dass du, schons Lieb, bist frisch und gsund ff. 12 Str.
137. In seinem eigen Ton.
Ich ging mir nachten Abend heraus ff. 6 Str.
Frkf. LB. Nr. 153.
74. Im Ton: Es ist auf Erden kein schwerer etc.
Ich hab dich lieb, wie du wol weißt,
Gott weiß, wie du mit Namen heißt ff. 11 Str.
189. Im Ton: Venus du und dein Kind etc.
Ich hab ein lange Zeit,
Mägdlein, um dich gefreit ff. 4 Str.
193. Im Ton: Ich weiß ein Weib, heißt selten etc.
Ich hab ein Mann, der gar nichts kann
als essen, trinken, schlafen,
ist Nachts ein Block, bei Tag ein Stock,
er dient wol in Schlauraffen.
Hätt er ein Gwerb, fürwahr er stürb,
all Arbeit thut er fliehen.
Oft filz ich ihn, doch ohn Gewinn,
kann nichts aus ihm erziehen.
Wann er aufsteht, kommt erst vom Bett,
darf Vormittag nicht gschehen,
so blitzet er und geht daher,
als künnt er noch nicht sehen.
Doch bald so fragt er meine Magd,
ob fertig sei das Essen.
339
Er bat nur Sorg, durch lange Borg
möcht man der Speis vergessen.
Nach dem Frühmabl nichts überall
thut er den Tag anfahen;
furcht, geh er aus von seinem Haus,
der Blitz mocht ihn erscblaben,
bleibt nur daheim und thut in gheim
sich hintern Ofen legen,
da liegt er still bis zum Nachtziel,
thät sich nicht einmal regen.
Um fünf Uhr hin so kratzen ihn
die Hühner in dem Magen
mit großem Grimm, drum muss man ihm
das Essen bald auftragen.
Sobald er hat sich gfressen satt,
kein Stund kann er aufbleiben,
läuft stracks zum Bett, das treibt er stet,
kein Mensch kann ihn draus treiben.
182. In seinem* eigen Ton.
Ich hatt ein stetigs Minniken ff, 7 Str.
Aus dem Niederl., s. Weimar. Hs. 8®. 146. Nr. 1.
132. Im Ton: Ein Jungfrau hat mic)i etc.
Ich hab zwar alle Zeit gehofft ff. 5 Str.
10. Ein ausbündig artig neu Lied zu Ehrn und Wolgefallen
Der Feder Prob und ehrlich Lob
Der Schreiber Gunst und ihrer Kunst.
Im Ton: Viel Untreu ist auf Erden, oder:
Mit Lieb bin ich umfangen.
Ich kann und mag mit nichten
vor großer Huld und Gunst
untrlassen jetzt zu dichten
so viel vermag mein Kunst,
das Federlein zu preisen,
es ist sein gar wol werth,
das darf nicht viel Beweisens,
sein Werk das selbst erklärt.
ITeimsr. Jb. IL 22
340
19 Str. von Paul von der Aelst.
Letzte Strophe:
Dies Liedlein ist gedichtet
der Federen zu Ehrn,
zu Lob und Preis zugrichtet
denen die sich mit nahm;
thu ihn dies Liedlein schenken,
fleußt her von einem Fels,
wollt im besten gedenken
des Paul von der Aelst.
35. Im Ton: Ich kann ohn dich nicht länger.
Ich kann und mag nicht fröhlich sein,
wann ich nit seh die Liebste mein ff. 8 Str.
67. Ein schon neu Lied, wie man um den Kranz singt.
In seinem eigen Ton.
Ich komm aus fremden Landen her
und bring euch viel der neuen Mahr ff.
Etwas ausführlicher als bei Uhland Nr. 3 und hie und da
abweichend. Der Uhlandsche Text nach einem Fl. Bl. mit
dem Zeichen: T. B. S. (Thiebolt Berger, Straßburg, um
1570). Nach einem andern Fl. Bl. „Gedruckt zu Nürn-
berg, durch Valentin Newber" im 4. Bande des Wunder-
horns S. 265 — 271, stimmt ganz mit Uhland, nur dass
hier der von U. weggelassene Schluss, 4 Fragen und Ant-
worten, die auch bei v. d. Aelst, mitabgedruckt ist,
4. Ein anders in seinem eigen Ton.
Ich steh allhie und klag gar heimelich mein Leid ff.
8 lange Str.
83. In seinem eigen Ton.
Ich wein und seufze Nacht und Tag ff. 4 Str.
135. Ein anders.
Ich weiß mir ein Mägdlein ist hübsch und fein ff. 5 Str.
Frkf. LB. Nr. 99.
191. Im Ton: In Lieb ist sie gegen etc.
Ihrs gleiclien lebt auf Erden nicht,
der icli mich hab mit liieb verpflicht.
341
In Ehren und mit Zucht die edel Frucht
ist sie gekrönt auf Erden^
die mir hoff ich soll werden.
Ihrs gleichen ist noch nicht gebom,
so ich mir jetzt hab auserkom:
gottsfürchtig, frumm, in einer Summ
thut Gott sie hoch begaben
und für andre erhaben.
Ihrs gleichen wird nicht mehr auf Erd,
sie ist all Lobs und Ehren werth,
bis in mein Grab-lass ich nicht ab,
sie loben, preisen und ehren,
kein Mensch soll mirs nicht wehren,
Ihrs gleichen, sag ich noch ein mal,
find ich weder zu Berg noch Thal,
wünscht mir nit mehr, noch nichts begehr
dann nur dass ich, merk eben,
bei ihr in Ehm sollt leben.
33. In seinem eigen Ton.
Jetzund will ich erst lustig sein
und irohlich allzeit singen,
weil ich nun ledig bin der Pein,
so die Lieb mit thut bringen.
Amor mit Macht ich ganz veracht:
darum mein Herz stets lacht.
Mit Tanzen und auch mit Springen
will ich mein Zeit vertreiben;
ich hoff es soll mir noch glingen,
will auch darbei verbleiben,
denn was soll Freud so nur allzeit
bringt viel der Traurigkeit?
Die Lieb die ist ja nur ein Strick,
damit mancher wird gfangen;
sie bringet Pein all Augenblick
und schmerzliches Verlangen,
drum ich nicht will mehr sein im Spiel
wie man dem sonst findt vieL
22
342
Kein Vogel willens kommt ins Schlag/,
kein Wild lässt sich gern hetzen;
zum Buhlcr ich wol sagen mag,
er thut sich selbst verletzen,
wann er so blind mit Venuskind
sich also stark verbindt.
Diese Strophen, nur etwas verschieden, in Nr. 58. Warum
sollt ich nicht fröhlich sein ff. Die letzte lautet dort:
Kein Vogel wissend fleugt ins Schlag,
kein Wild lässt sich gern hetzen,
drum ich zum Buhler sagen mag:
willt du so gring dich schätzen?
Der Jungfraun Lieb ein Vogelhaus:
wer drein kommt, kommt so leicht nit raus —
thu dich nicht selbst verletzen!
77. Ein anders.
Jungfräulein, sollt ich mit euch gähn
in euern Rosengarten ff. 9 Str.
Frkf. LB. Nr. 111. 10 Str. vgl. daselbst Nr. 77. Uhland
Nr. 52. GL. Nr. 31.
98. Im Ton: Nun sehet zu dem Spott etc.
Jungfrau, eur scharpfe Augen ff. 5 Str.
95. Im Ton: Jungfrau, eur scharpfe Augen otc.
Jungfrau, eur Wankelmuth
ist mir zu Ohren kommen ff. 4 Str.
52. Im Ton: Groß Ehr hat Müh und etc.
Kein besser Lieb auf Erd
glaub ich gefimden werd ff. 6 Str.
164. In seiner eigenen Melodei.
Kein großer Pein auf dieser Welt
glaub ich wird nicht gefunden ff. 4 Str.
156. Im Ton: O Glück, bist du mir beschert otc.
Kein Lieb ohn Leid wird iunden ff. 6 Str.
144. Im Ton: Kein besser Freud auf dieser etc.
Kein Lust hab ich, des freu ich mich
zu keiner sonst auf Erden ff. 4 Str.
Frkf, LB. Nr. 160 und 212.
343
142. Im Ton: Venus du und dein etc.
Kein Stund, kein Tag nicht ist ff. 4 Str.
166. Im Ton: Es wohnet Lieb bei etc.
Könnt ich von Herzen singen
ein schöne Tageweis ff. 19 Str.
Frkf. LB. Nr. 253.
31. Im Ton: Lieb und freundlich müssen etc.
Mach mir ein Gsang, doch nit zu lang ff. 3 Str.
2. In seinem eigen Ton.
Man acht das Gsang so hoch und theur ff. 3 Str. Schluss:
und sprechen all vernünftig Leut:
Gesang, Wein und Weiber machen Freud
allweg und zu jeder Zeit.
1. In seiner eignen Melodei.
Man findt in vielen Gschichten
vom Fisch Delphin genannt,
wie man solchen mit nichten
könn bringen an das Land;
allein durch lieblichs Singen
thut man denselben zwingen,
dass er kommt an das Land.
5 Str. Namengedicht: MARIA
65. Ein schön neu Lied von dem Mai und von dem Herbst,
wie sie mit einander turnieren um das Kleinod. Im Ton,
wie man den alten Hildenbrand singt oder von dem Gra-
fen von Rom.
Merkt auf, ihr Herrn gemeine,
was ich euch singen will,
ein schönes Liedeleine,
ob ich nur triff das Ziel!
so will ichs fröhlich singen
und darzu heben an,
ich hoff mir soll gelingen,
der gut Wein soll mir beistan. 54 Str.
Könnte ganz hübsch sein, wenn es vollendeter in der Form
und nicht gar zu lang wäre; es lässt keine Vergleichung
zu mit dem Kampf des Sommers und Winters bei Uhland
Nr. 8. . -.
344
Vom Mai heißt es:
Die Speer die er thnt fuhren
die ist sehr groß und lang,
das sollt du glauben mire,
gemacht von Vogelgsang.
Sein Ross das ist die Heide,
das sollt du glauben mir,
darauf er nun thut reiten,
fürwahr das sag ich dir.
38. Ein anders.
Man schreibt und thut viel singen
von jungfräulicher Art ff. 4 Str.
26. In seiner eigenen Melodei.
Mein Buhl thut mich aufgeben gar ff. 6 Str.
NamenUed MARTHA
79. Im Ton: Wie mocht mir bass etc.
Mein Herz mit Lieb verwundet ist
und hat kein Ruh zu aller Frist ff. 4 Str.
27. In seinem eigenen Ton.
Meins Herzen eine Krön ff. 5 Str.
Namenlied MARIA
78. Im Ton: Wie sein wir jetzt so lustig etc.
Mir ist ein feins brauns Mägdelein
gefalln in meinen Sinn ff. 5 Str.
Frkf, LB. Nr. 24.
8L In seinem eigen Ton.
Mir ist verkündt meins Herzen Krön ff. 7 Str.
Wächterlied.
152. Im Ton: Ein freundlichs Aug etc.
Mit freundlichen Augen winken ff. 7 Str.
Frkf. LB. Nr. 156 auch 7 Str., aber sehr verschieden.
9. In seiner eigener Melodei.
Mit Herz und Mund zu aller Stund
seu£s^ ich ohn Unterlassen ff. 4 Str.
345
76. In seinem eigen Ton.
Mit Lieb bin ich umfangen,
Herzallerliebste mein S, 8 Str.
Frkf. LB. Nr. 88. 7 Str.
154. Im Ton: Mit Lieb bin ich umfangen etc.
Mit Lieb bin ich umgeben ff. 5 Str.
Namenlied MARIA
48. Ein artigs und lüstigs Lied gesprächsweise, im Ton die^
ser folgenden Melodeien: Im Maien wenn alle die Vöge-
lein singen — Vom Lindenschmid — In dich hab ich ge-
hoffet, Herr — Von Konig Christian von Dänemark —
Vom Storzenbecker.
Acrostichis Alterna.
Mit Lust und Freud ich zieh dahin 31 Str.
Namenlied MATTHAEVS SPONSVS
KATHARINA SPONSA
138. Im Ton: Mit freundlichen' Augen etc.
Mo cht ich, feins Mägdlein, stets bei dir sein ff. 4 Str.
91. In seiner eigenen Melodei.
Muss dann mein Treu so ganz verloren sein ff. 8 Str.
171, Im Ton: Paris du bist etc.
Nach Willen dein mich dir allein
in Treuen will erzeigen ff. 8 Str.
Frkf. LB. Nr. 3 nur die ersten 3 Strophen.
30. In seinem eigen Ton.
Nichts Bessers ist auf dieser Erd ff. 4 Str.
173. Im Ton: Ich stund an einem Morgen etc.
Nimm wahr, mein Morgensterne ff. 7 Str.
86. Ein Liebhaber fraget ein Echo u. s. w.
Nun bin ich doch ein armer Mann ff.
163. Im Ton: Zart schon etc.
O Venus dein Art ff. 3 Str.
Frkf. LB. Nr. 211.
346
167. Im Ton: Schöns Mägdelein beut etc.
Ob ich schon arm und eilend bin ff. 20 Str.
Vgl. Uhland Nr. 72. 5 Str.
126. Ein anders.
Ob sc hon Amor übt seine Tück
gen mir und lässt mir gar kein Glück ff. 3 Str.
63. In seinem eigen Ton.
Ob schon mein Munde singet,
so weinet doch mein Herz ff. 12 Str.
178. Ein ausbündig und artig neu Lied zu Ehrn und Wolge-
fallen der edler Kunst Buchdruckerei. Im Ton: Mit Lieb
bin ich umfangen.
Papiers Natiu* ist rauschen
und rauschen will es viel ff. 17 Str.
Von Paul von der Aelst. Die beiden ersten Strophen ent-
lehnt aus einem altern Licde, Uhland Nr. 263.
15. In seinem eigen Ton.
Pein, Eilend und Schmerzen
empfind ich alle Stund ü\ 17 Str.
Namenlied PAVLVS VON DER AELST
159. In seinem eigen Ton.
Reich Gott, wie mag das wesen ff. 16 Str.
Aus dem Niederländischen.
44.* In seinem eigen Ton.
Rosina, wo war dein Gestalt
bei König Paris Leben ff. 3 Str.
Frkf. LB. Nr. 174.
18. In seinem eigen Ton.
ROsinfarb recht schön zart
ist dies Röslein von Art,
so ich hiemit verehr
euch Jungfäulein ohn Bschwer
aus Grund des Herzen mein.
Ach was für Schmerz und Pein
leidt iur und für mein junges Herz
347
um euch mit soviel tausend Schmerz.
Ach es ist mir kein Scherz!
Sicher und gwiss thut sein,
zart schönes Jungfräulein,
wofern ihr solchs veracht
und dies nicht wol betracht,
da SS zuletzt eur Schönheit,
darauf ihr euch allzeit
verlasst, wird endlich also gleich
werden wie dieses Roslein weich,
wann solchs verdorrt bei euch.
NAtürlich ist nun dis,
drum wollts halten für gwiss,
auch nehmen ab darbei,
dass ich eur Diener sei,
so euch liebt also sehre,
je länger je mehre,
auch wie ich es hiemit vermein,
obschon das Gschenk ist schlecht und klein,
seh an den Willen mein!
96. Im Ton: Fröhlich in allen Ehren etc.
Schöns Lieb, dir muss ich klagen,
dass ich durch Liebesfeur ff. 10 Str.
99. Im Ton: Wie möcht mir bass geschehen etc.
Schons Lieb, es will das Herz in mir
vor Schmerzen gar zerspringen ff. 8 Str.
24. Im Ton: Ach mein Herr, dir ich allein etc.
Schöns Lieb, lasst euch abwenden nit ff. 8 Str.
185. Im Ton: Herzlieb, vergönn mir ein etc.
Schwer langweilig ist mir die Zeit ff. 3 Str.
Frkf. LB. Nr. 22. GL. Nr. 69.
125. Im Ton: Wie möcht ich fröhlich singen etc.
So fah ich an von Herzen ff. 10 Str.
94. Ein anders.
So wünsch ich ihr ein gute Nacht
348
zu hundert tausend Stunden ff. 3 Str.
Frkf. LB. Nr. 11.
136. Im Ton: Kein hab ich, des freu etc.
Sonst kein ohn dich erfreuet mich ff. 5 Str.
119. Im Ton: Mit Lieb bin ich umfangen etc. wenn zwei
Gesätz zusammen gethan werden.
Steh ich allhie verborgen
die finster lange Nacht
so gar in großen Sorgen
ganz blind und unbedacht. 16 Str.
Frkf. LB. Nr. 114. 16 Str. und etwas verschieden.
131. In seinem eigen Ton.
Tanz, Mägdlein, tanz und lass dich nicht gereuen ff. 13 Str.
184. Ein anders.
. Tröstlicher Lieb ich mich stets üb ff. 3 Str.
Frkf. LB. Nr. 44.
85. In seinem eigen Ton«
Venus du und dein Kind
seid aUe beide blind
und pflegt auch zu verblenden,
die sich zu euch thun wenden,
wie ichs wol hab erfahren
in meinen jungen Jahren. 11 Str.
GL. Nr. 32 nur 4 Str.
56. Ein anders.
Vergangen ist mir Schmerz und Mutli ff. 5 Str.
19. Im Ton: Weil ich dich feins etc.
Vertrauter GseU, mir kommt zu Ohren tL 4 Str.
84. In seiner eignen Melodei.
Von deinetwegen bin ich hie ff. 8 Str.
Frkf. LB. Nr. 56. vgl. Görres S. 91. S.
129. Im Ton, wie man den Grafen von Serin singet etc.
Vor Zeiten war ich lieb und werth
349
die ich mir hatt auserkoren fp. 5 Str.
Frkf. LB. Nr. 28. Görres S. 67.
150. Im Ton: Brinnende Lieb etc.
Wach auf, mein Hort, vemimm mein Wort flf. 9 Str.
Frkf. LB. Nr. 202. vgl. daselbst Nr. 23.
115. In seinem eigen Ton.
Wach auf, wach auf! mein Herz das brinnt, :|:
mein feines Lieb hat mirs angezündt. :|:
Schenk ein, schenk ein ein volles^ Glas!
trink aus, fein Lieb! was schadt dir das?
Es schadt mir nichts, es sclmieckt mir wol,
ich weiß wol eine die es zahlen soU.
Die es zahlen soll, die ist nicht hier.
Ist sie nicht hier, so kommt sie schier.
Kommt sie dann nicht zu rechter Zeit,
nimm ich, feins Lieb, ein ander Weib.
Nimmst du ein Weib, so nimm ich ein Mann,
liegt mir, feins Lieb, nicht viel daran.
Fahr hin, fahr hin, du freier Held!
mach du es wol wie dirs gefällt.
Gefallt dirs nicht, fahr immer hin!
ich will wol bleiben der ich bin.
Und wer ich bin, man kennt mich wol,
ich weiß noch einen ders werden soll.
Ders werden soll, der ist nicht weit,
er wird wol kommen zu rechter Zeit.
Auf rechte Zeit, zu guter Stund —
der liebe Gott spar ihn gesund!
Mein Herz ist frisch und wolgemuth,
es tracht nicht sehr nach großem Grut.
Allein nach Ehr und Tugend schon (lies: gut)
mein junges Herz nur ringen thut.
Bringt uns der Mai den grünen E^lee,
scheiden von seinem Lieb und das thut weh.
Wer ist der uns dies Liedlein sang?
ein gut Gsell bleibt sein Leben lang.
350
Er singt uns das und noch wol mehr:
Gott behüt allen Jungfräulein ihr Ehr!
80. Im Ton: Wach auf in Gottes etc.
Wach auf, wach auf meins Herzen ein Krön ff, 9 Str.
Abermals Nr. 103. Hör zu mein Schatz und einiger Trost,
nur die beiden ersten Strophen verschieden; diese beiden
hat Uhland Nr. 56. weggelassen, vgl. Uhland S. 1003. Hei-
deröslein.
90. In seinem eigen Ton.
War ich ein wilder Falke,
ich wollt mich schwingen aus,
ich wollt mich niederlassen
für eines reichen Kaufmanns Haus. 14 Str.
Wunderh. 3, 25. ohne Angabe der Quelle, mit Weglass.
der letzten Strophe:
Die eine heißt Margareta,
die ander heißt Annalein,
die dritte ich nicht nennen will,
die soll mein eigen sein.
43. Im Ton: Venus du und dein Kind etc.
Wann ich den ganzen Tag
gefiihret hab mein Klag,
so gibt mirs doch zu schaffen
des Nachts , wenn ich soll schlafen :
ein Traum mit großem Schrecken
thät mich gar oft aufwecken. 5 Str.
6. Ein ander schöns Lied.
Wann ich der Zeit,
darin ich hätt groß Freud,
täglich bei mir bedenke ff. 4 Str.
Dasselbe Lied mit der Überschrift:
In seinem eigen Ton. Nr. 169.
55. In seinem eigen Ton.
Wann sich mein Unfall gnug ließ klagen ff. 5 Str.
58. In seinem eigen Ton.
Warum sollt ich nicht fröhlich sein ff. 5 Str.
Vgl. Nr. 33. Jetzund will ich erst lustig sein ff.
351
CO. Ein anders.
Warum thust du, mein kaltes Herz ff. 18 Str.
93. Im Ton: Fröblich in allen Ehren etc.
Warum willt du wegziehen,
o du mein höchster Trost? ff. 13 Str.
181. Ein ander schöns Lied.
Was mich erfreut ist weit ff. 7 Str.
Namenlied WALBVRG
176. Im Ton: Wie ist die Welt so bös gestellt etc.
Was wird es doch des Wunders noch ff. 9 Str.
Die letzte Strophe:
Man lauft, man rennt, man reiht, man springt,
uachm Geld stehn all ihr Sinnen,
in Regen und Schnee, auf Land und See,
wie man nur Geld mög gwinnen,
man lässt nicht ab bis in das Grab,
Geld, Geld ist nur ihr Leben,
Geld ist ihr Gott frühe und spat,
wie kanns doch ärger werden!
Im Frkf. LB. Nr. 21 nur die ersten drei Strophen.
160. In seiner eigenen Melodei.
Wer sehen will zween truckne Brunnen ff. 3 Str.
190. Ein anders im gleichen Ton (Venus du und dein Kind).
Wer wird dann trösten mich,
wann ich verliere dich ff. 4 Str.
162.* Ein schönes Lied gesprächsweis , in seinem eigen Ton.
Wes soU ich mich ernähren!
ich bin gehalten sehr hart ff. 8 Str.
110. Im Ton: Ach Banden hart etc.
Wie gern woUt ich nur fröhlich sein,
wenn es sich nur wollt schicken ff. 7 Str.
11. In seinem eigen Ton.
Wie möcht ich fröhlich singen,
weil mir nicht will gelingen ff. 7 Str.
352
102. Ein anders.
Wie schon blüht uns der Maie ff. 5 Str.
Frkf. LB. Nr. 30. Uhland Nr. 58, in beiden 4 Str.
139. Im Ton des Admirant von Spanien, oder: Rosina, wo
war dein Gestalt, oder vom alten Tanhäuser, oder: Freut
euch, freut mich zu dieser Zeit, so zwei Gesätz zusam-
men gethan werden.
Wie steh ich wilder Eichbaum hie
so gar auf trucknen Auen,
darum mich auch kein Mensche nie
für fruchtbar thät anschauen. 31 Str.
69. In seinem eigen Ton.
Wie wird mir dann geschehen ff. 9 Str.
GL. Nr. 13. 12 Str.
— Bei Aelst fehlen 3 Strophen und 3 sind anders.
118. Im Ton: Nun fahr hinweg du kleines etc.
Winter, fahr du von hinnen,
du traurige kalte Zeit ff. 6 Str.
Ganz wie Nr. 101. Der Winter fahrt von hinnen ff., nur
dort die letzte Str. mehr.
23. In seinem eigen Ton.
Wo ichs vor ließ, fang ichs jetzt an ff. 5 Str.
40.* Im Ton: Jungfraulein seind wie ich etc.
Wo lauf, Gelück, dich zu mir kehrl
mein Trauern will mir wenden ff. 7 Str.
172. Im Ton: Nun höret zu mit Schalle, ihr etc.
Wo lauf, ihr Studenten alle,
gegen diese Sommerzeit ff. 5 Str.
97. In seinem eigen Ton.
Wo lauf, mein junges Herz,
dir bringt jetzt großen Schmerz ff. 10 Str.
41. In seiner eignen Melodei.
Zart schön Jungfrau, gedenk und schau ff. 3 Str.
Frkf. LB. Nr. 2.
353
88. Im Ton: Wie schön blüht uns der Maie.
Zart schone Jungfraue,
du edle Creatur ff. 8 Str.
158. In seinem eigen Ton.
Zu aller Stund von Herzengrund
seufz ich ohn Unterlassen ff. 4 Str.
14. In seinem eigen Ton, oder: Wie du mich hast etc.
Zwei Ding wünsch iclx auf Erden
von ganzem Herzen mein:
ich hoff, sie soll mir werden
und stetig bei mir sein
das ganze Leben mein. 15 Str.
Die 12. Strophe:
Dein Fuß seind weiß wie Kreiden,
dein Ermlein Helfenbein,
dein ganzer Leib ist Seiden,
dein Brüst wie Marmelstein
glatt, zart, gelind und rein.
Den einzelnen Liedern sind in größerer Schrift noch
Sprüche hinzugefiigt, meist auf das Lied bezüglich und von
vier Zeilen. Zur Probe mögen folgende genügen :
Obschon du, schöns Lieb, bist von mir weit,
bleibt doch mein Herz bei dir allzeit,
soll auch von dir nicht lassen ab,
weil ich ein Blutstropf in mir hab.
Gedenk an mich wie ich an dich,
sonst mehrers nichts begehren ich.
Schein mir, du klarer Sonnenschein,
erleucht die Herzallerliebste mein,
dass sie trag gleiche Lieb zu mir,
wie ich allzeit gethan zu ihr.
Ach herzigs Herz, mein Hab und Gut,
mein treues Gmüth und junges Blut
gab ich für dich in Angst und Noth,
eh ich verließ dein Mündlein roth.
354
Ach Koslem roth, ach Blümlein weiß,
du bist meins Herzen Paradeis I ♦
Dich hab ich gwisslich auserkoren
über all Jungfraun hochgeboren.
Im J. 1602 gab Paul von der Aelst auch noch eine Kunst
zu lieben heraus. Da mir mein eigenes Exemplar nicht zur
Hand ist, so war Herr Ludwig Erk so gütig mir über das
der kön. Bibliothek zu Berlin nähere Nachricht zu ertheilen.
^jDe Arte Amandi: Das ist. Von Kunst der Lieb. In
' Latein beschrieben durch Ouidium Nasonem den Sinnrei-
chen vnd Hochverstendigen Poeten, der vor Zeiten vnter
dem Keyser Augusto zu Rom florieret hat. Mit vielen
lustigen Reimen vnd Liedern gezieret vnd gebessert. Al-
les zu einer ehrlichen Ergetzung den jungen Leuten zuge-
fallen zum ersten mahl in Druck verfertigt. Non Dvlce
Amare, (Holzschnitt) Sed Redamari. Erstlich gedruckt
zu Deuenter, Im Jahr 1602.« 8«.
188 Seiten. Dann noch ein Schlussblatt mit demselben Holz-
schnitte wie vorn, darunter: „Frolich in Ehren, Kan niemand
wehren. FINIS." Am Schluss der Vorrede „P. V. D. Ae.**
Diese Buchstaben kommen auch noch S. 11. 109 u. 111 vor.
Im J. 1629 erschien davon ein Nachdruck.
^De Arte Amandi: Das ist, Von Kunst der Lieb. flf.
Erstlich gedruckt zu Leipzig, Anno 1629." 8®.
189 Seiten. Am Ende: „Zu finden in Franckfurt am Mayn
bey Jacob de Zetter. ^ Bis auf wenige Auslassungen und Zu-
sätze ganz gleich der Ausgabe von 1602, ein verschlechterter
Abdruck. (Auch in der kön. Bibl. zu Berlin),
Die hie und da zerstreuten Lieder (die meisten stehen
S. 112 ff. unter der Überschrift: „Folgen etliche schone Lied-
lein") finden sich bis auf eins alle wieder in Aelst's Lieder-
buche, es sind die in der alphab. Übersicht mit einem Stern
bezeichneten. Das eine dort fehlende, vielleicht von P. von
der Aelst selbst verfasstc, lautet also:
Gut Ding muss haben Weil:
Drum gut Gesell nicht eil,
denn was bald soll verderben,
ist leichtlich zu erwerben:
355
dies wirst du noch erfahren,
eh du kömmst zu den Jahren.
Gut Ding muss haben Weil,
drum, gut Gesell nicht eil,
und lass dich nicht erschrecken,
wenn es sich schon thut strecken:
das wirst du noch erfahren,
eh du kommst zu dein Jahren.
Gut Ding muss haben Weil:
drum, gut Gesell, nicht eil,
denn es wird oft erlanget
damit man lang hat gpranget:
das wirst du noch erfahren,
eh du kommst zu dein Jahren.
Gut Ding muss haben Weil:
darum du auch nicht eil,
denn was dir ist bescheret,
des wirst du wol gewähret,
und gwisslich noch erfahren,
eh du kömmst zu dein Jahren.
Außer einzelnen Sprüchlein, „lustigen Reimen'^^ wie sie das
Liederbuch in Menge enthält, enthält die Ars amandi noch
zwei 'lustige Buhlenbriefe.' Der zweite ist aus einem nieder-
ländischen übersetzt, wenigstens nachgebildet, der erste, ob-
schon mit P. A. unterzeichnet, ist ganz volksthümlich und ge-
hört zu den im Jahrb. 2, 236 ff. besprochenen:
Ach Gott, was müssen die leiden
Die sich lieben und niüssen meiden
Und dürfens auch niemands sagen
Was Leids sie im Herzen tragen I
Ach Rose roth, ach Blümlein weiß,
Du bist meins Herzen Paradeis!
Meiü Herz das hat dich auserkoren
Über alle Jungfiraun hochgeboren.
Euch hab ich mir nun auserwählt,
Kein schöner mir im Herzen gefällt.
Ihr seid mein ällerschönstes Lieb,
fTehrnrnr, Jb. 17. 23
356
Darum schreib ich Euch diesen Brief.
Von Euch zu wissen ich begehr,
Ob ich bei Euch der Liebste war.
Wenn Ihr mich nicht von Herzen meinten,
Herzlieb, wollt mir den wiedersenden;
So will ich gehen meiner Straßen
Und mich auf Euch nicht mehr verlassen.
Gleich wie ein Turteltäublein thut,
Wenn es sein Part verloren hat
Und traurig auf ein Zweig sich setzt
So lang bis es auch stirbt zuletzt.
Mein jungen Leib würd ich Verliesen,
Wenn ich ein ander für Euch sollt kiesen.
Ach Gott, sollt mir mein Herz nicht brechen.
Euch lieb haben und nimmer sprechen?
Möcht ich erlangen Euer Gütigkeit,
Das war meim Herzen ein große FreudI
Es würd auch nimmer traurig sein.
Wenn ich bei dir mocht sein allein.
In Zucht und Ehr wollt mit dir scherzen.
Erfreuen unser beider Herzen.
Nun fahre du hin, mein Briefelein,
Wol zu der Allerliebsten meini
Mit rechter Treu und Glauben rein
Sollt du von mir besiegelt sein.
Eil dich geschwind und bis (sei) behend I
Dich empfangen schneeweiße Hand.
Thue bald aufschwingen dein Gefieder,
Ein freundlich Botschaft bring mir wieder.
Anzeig mir ob mein Liebst mich thut
Lieben aus rechter Herzenglutl
Hiemit bewahr sie der liebe Gott
Herzliche Liebe treibt kein Spott.
Treu, Glauben muss man halten fein.
Vergissnichtmein lass der Siegel seinl
Euer Allerliebst und Ungenannter,
Euerm Herzen aber Wohlbekannter.
Aus Furcht darf ich mich nicht nennen,
Damit die Kläffer mich nicht kennen.
PROPHETINNEN und ZAUBERINNEN
MIT BEZIEHUNG
AUF DAS DEUTSCHE ALTERTHUM.
VON
SELIG GASSE L.
Im Winter des Jahres 1853 — 54 war zum Besten des Gothe- Schil-
ler - Wielanddenkmals in Weimar ein Cyclas populär - wissenschaft-
licher Vorlesungen in Erfurt veranstaltet worden, an welchem sich die gebil-
dete Einwohnerschaft der Stadt mit rühmlichen Interesse betheiligte. Das
Comit^ für dieselben hatte aus den Herrn Oberregierungsrath t. Tettaa,
Director Seh 5 1er, Prof. Weißenborn und dem Unterzeichneten bestan-
den. Denselben hatten sich mehrere andere Herren in Erfurt, so wie die Herren
Hofräthe Sauppe und SchöU in Weimar und Prol Schieiden in Jena ange-
schlossen.
Nachstehender Aufsatz ist ein Vortrag, der am 19. November 1853 in
diesem Cyclus gelesen ward. Er ist auf Wunsch wörtlich so belassen wor-
den, als er gehalten wurde und sind nur wenige Abänderungen vorgenommen
worden. Die Anmerkungen bringen einige Belege und nähere Ausführungen.
Es ist natürlich, dass von Lesern und Leserinnen eine noch größere Nach-
sicht gehofit wird, als sie schon von den Zuhörern erbeten werden musste.
Erfurt 12. Februar 1856. S. C.
„Junger Mann! die Frauen kennen
Ist Dir nützlich; dieses Wissen
Uebersteiget jedes Andre :
Doch zu weithin forsche nicht.*"
Herder : Cid.
$. 1. Was das menschliche Leben im Yerhältniss ^um
Himmel ist, ist die Sage zu dem, was wir Geschichte nennen*
Unser Leben auf dieser Erde ist gewiss kein Himmel; das Wort
des ewigen Seins ist nur unvollkommen verkörpert; wir wissen
es Alle, wie die unsterbliche Glückseligkeit noch nirgends ihre
Zelte unter uns aufgerichtet hat — aber ihr Schein ist über
23*
358
die Menschheit aufgegaDgen; ihr Wort und Wesen ist erkenn-
bar aus aller Sterblichkeit und Unvollkommenheit; aus aller
Bruchstücklichkeit und Dürftigkeit geht in mächtigen Zügen
die wahrhaftige Gewalt einer Vorsehung hervor. Also steht
die Sage zur Geschichte. Es ist vielleicht nichts geschehen,
wie es die Sage erzählt; es hat oft nirgends gelebt, von dessen
Ruhm und Thaten sie berichtet; es hat das Leben niemals den
Glanz und die bunte Herrlichkeit besessen, wie es die wan-
delnde Phantasie des Rhapsoden uns überliefert — gleichwohl
spiegelt sich in allem dem die wahrhafte Begebenheit, die wirk-
liche Menschennatur, wie mit seinen Wolken und Nebeln der
Horizont im Meeresgrunde abfärbt; gleichwohl ist die Sage die
wunderbare Chronik, in welche die Menschen aller Zeiten die
Mysterien ihres innersten Gemüths und Gedankenlebens einge-
tragen haben. Was der Dichter sagt:
„Was sich nie und nirgends hat begeben,
Nur das ist ewig wahr''
gilt eben von der Sage; in ihr flüstern sich die Zeiten und Ge-
schlechter zu, was man aus dem Ernste historischer Bücher
verdrängt oder was in denselben den Schmelz des irischen Em-
pfindens verloren hatte. Und die alte historische Sage ist voll
von den Geschicken, die von der wunderbaren Macht der
Frauen zeugen; von den Katastrophen, an denen sie Schuld
und Ursache gewesen; an ihren Zauber knüpft die Sage jeg-
liche Erschütterung der menschlichen Gesellschaft. Starke
Vesten, große Königreiche sind, so singt die Sage, um ihret-
willen gebrochen; ganze Völker, um einer Frau willen, in
Knechtschaft und Leiden gestürzt worden ; der Tod auf Schlacht-
feldern und bei vergifteten Festmählern ftihrt auf die Frauen-
reize und Frauenmächte als Quell zurück. — Was die Sage
erzählt, ist sicherlich der Abdruck einer großen Wahrheit und
wie tief auch die Dichter in die Phantasie eingetaucht haben
mögen, wenn es sich auch nie und nirgends hat begeben, noch
die beglaubigte Geschichte späterer Zeiten zeigt, wie ewig wahr
ihre Lieder gewesen sind.^) Wir schweigen von dem Trojani-
>) Wenigstens hat 'die neue Zeit und die Gegenwart die schöne Wahrheit
des Sophocleischen Chores in der Antigene : ^'ß^ütg Mxart ^a^aw noch nir-
gends verleugnet. Hierdurch ennuthigt gestatten wir uns gegen die Autorität
359
sehen Kriege, in dem ragende Fürsten und Schlösser fielen um
eines schönen Weibes willen, von dem tragischen Ende des
römischen Königthums, in welchem ein greiser König um der
Siinde des lüsternen Sohnes in ein trübes Exil getrieben wird;
es ist ja keine Nation, welche in ihren Annalen nicht große
Erinnerungen und Thaten ausgelöscht und yermscht findet von
den Thranen einer Frau und umschrieben von dem Blute Tau-
sender, die als Opfer der LeideMchaft fielen. Die Dynastie
des Ju in China' ging in den Schandthaten der schönen Meihi
eines hochverehrten Mannes eine Lesart in ihm zu vertheidigen , welche die-
ser in seiner Uebersetzang der Antigene angefochten hat (Sophokles An-
tigene. 2. Au6. Berlin 1842. p. 26. not) Statt wie die Handschriften ge-
ben, zn lesen
"Bqiag ayixaif /ua^ny^
"BQODfy og iy xrif^ectf* mnrttg etc.
soll ein nij/uturt vorgezogen werden and übersetzt sein
„O Eros, allsiegender Held,
Der du die Unglücklichen anfällst.*^
Freilich hatte er ein Recht gegen die Uebersetzang von xri/dara darch
^Heerden' und „Reichthümer'' zu protestiren; es ist von Personen die Rede,
welche ihre Zustande nicht gegen den allsiegenden Eros schützen. Eros, so
singt der Dichter, lässt niemanden sich entrinnen; es hilft dem Magdlein
nichts, dass es schläft: durch ihre Träume und Phantasien fliegt er ihr in*s
Herz; wir entrinnen ihm nicht, wenn wir aufs Meer fliehen, wie ihm der ein-
fache Landmann im Stillleben seines Dorfes nicht entgeht; kein unsterblicher
Gott kann ihm enteilen, ihn schützt nicht diese Unsterblichkeit, wie den Men-
schen auch nicht seine Eintäglichkeit und Lebenskürze ror ihm bewahrt Nicht
passend würde in dieser Zusammenstellung ron Unglücklichen gesprochen
sein. Kein Gegensatz von „Glücklichen'^ ist dafür vorhanden, wo nur von
äusseren Lebenszuständen die Rede ist. Auch psychologisch passt es nicht
Entweder der Unglückliche ist wirklich gegen Liebe verschlossen , — oder er
ist nicht mehr unglücklich, wenn ihn Eros besiegt- Aber wie nicht der Schlum-
mer, nicht die Reise, nicht das Stillleben, so singt der Dichter, schützt euch
nicht die Unfreiheit vor ihr. Auch wer schon die Fesseln der Knecht-
schaft Anderer trägt, ist von Eros nicht befreit; wer selber im Besitz
eines Herren ist und von ihm gleichwohl besessen; auch die Unfreien,
die nicht über ihren Willen verfügen, unterwirft er. Denn als Unfreie,
Sklaven, wie noch oft, sind hier xtifAotct zu fassen. Man darf sich mit
Recht wundem, dass man trotz den zahlreichen Conjectaren , die man um diese
Stelle machte (Vgl. Brunck zu diesem Verse) diese Bedeutung, die ihr eine
so schöne Erweiterung verleiht, übersehen hat In der Römischen Sklaveroi
364
bekommert, so halte Dich frei von Anmaßung, suche ihn nidit
KU yemacblässigen und gestatte Deinem Herzen nicht, im Wi-
derspruch mit ihm zu sein. Hüte Dich, dass du nirgends Ver-
TAÜk an ihm begehst, dass Du keinem andern einen Genuss ge-
währst, denn dies ist in eine Grube ohne Boden faHen, aus
der keine Rettung ist. Nach den Gebräuchen der Welt wird
man, wenn es bekannt wird, Dich tödten, auf die Straße wer-
fen, dass dein Kopf zermalmt und auf den Boden geschleift
werde. Aber Flecken und Unehre werden die Vorfahren tref-
fen und ihren Ruhm durch die Unreinheit Deiner Sünde ver-
dunkeln. Man wird von Dir sagen , daß Du im Staube Deiner
Sünden begraben wiu'dest^ **^). Wie nirgends vieUeicht, bie-
tet nach der sagenhaften chinesischen Geschichte jenes uner-
messliche Land wunderbare Beispiele der dämonischen Ge-
walt der Frauen über Zeiten uud Männer. Während grauen-
voUe Ungeheuer wie Tanki den Kaiser Tsheu, Pao den Jeu,
Liuheu den Hiaoeiti, Hu den Wuti, Wuheu den Kaotsong be-
herrschten und das Land mit Mord, Unzucht und Tücke er-
füllten, geben andere chinesische Frauen die edelsten und ruh--
rendsten Beispiele von Besonnenheit, Treue und Aufopferung.
Die Gemahlin des Suen, welche den Irrweg erkannte, auf dem
der Kaiser sich befand, verließ ihren geliebten Gemahl: denn
sagte sie, sie wollte lieber seine Liebe entbehren, ab dass er
aus Liebe zu ihr Thron und Ehre verliere. Als der Frau des
Tschingti einst von ihrem kaiserlichen Gatten angeboten ward,
sich in seinen Staatswagen bei öffentlichem Aufzuge zu setzen,
erwiederte sie, einem Kaiser gezieme, sich mit Weisen zu um-
geben. Schon die Maler zeichneten einen schlechten
Fürsten in Gesellschaft von Frauen. Die persische Sage stellt
die tückische Sudabe, welche aus Rache über verschmähte
Liebe ihren Stiefsohn, den edelen Sijawusch, wie Potiphars Weib
den Joseph verfolgte, aus Reich und Heimath trieb und dem
Meuchelmorde seiner Urfeinde in die Hände lieferte, der edel
weiblichen Ferengis entgegen, die mit Sijawusch, obschon ihr
Vater es war, der ihn ermorden ließ, in Ejraft duldete und in
Treue verharrte.
10) Aus Sahagun: historia de nueva Espana lib. 6. cap. 19 bei Preteoli
Gesch. T. Mexico 2. 467.
365
Wer kennt nicht Medea, die wunderbare Frau, dämonisoh
in ihrer Liebe, fürchterlich in ihrer Rachel Ehre des Vater-
landes, Liebe der Verwandten opferte sie, um dem Manne ihres
Herzens, Jason, zu folgen; als sie in ihrem Herzen yerrathen
wurd, ist des Oräuels kein Ende, welchen sie süßer Rache yoU
begeht. Die eigenen Kinder fallen ihrer mütterlichen Liebe
zum Opfer, dass sie dem verrätherischen Vater ohne sie nicht
zur Freude yerbleiben. Gewiss sagt sie von sich mit Recht:
„Ein Weib, wie zag sonst und von Furcht erfüllt,
Zu sanft, den Kampf, des Schwertes Blitz zu sehn,
Ist, wird das Herz von rauher Hand verletzt,
Blutdürstiger als je ein andrer Sinn.^ ^>)
Eine andere Medea, aber idealischen Zweckes und eines Dich-
ters würdig, ist Aretaphila aus Cyrene, ein Weib von der Sage
umsponnen, obschon sie nicht im mythischen Zeitalter lebte.
Nicoer ates, ein Tyrann, hatte zu ihrer Zeit sich der Stadt be-
mächtigt und brachte seiner grausamen Willkür Recht und
Pflicht zum Opfer. Er tödtete die reichen Bürger, er achtete
die Heiligthümer der Götter nicht. Den Gemahl der Areta-
phila tödtete er und nahm sie, schön und geistreich, wie sie
war, zur Gemahlin. Aretaphila benutzte die Herrschaft^ die sie
über ihn gewann, bald zu Plänen für die Befreiung ihrer Va-
terstadt . von einem so unwürdigen Herrscher. Sie beschloss,
ihn zu vergiften. Aber schon die Vorbereitungen dazu wurden
verrathen. Calbia, die Mutter des Tyrannen, ein fanatisches
Weib, rieth dem Sohne, die gefährliche Frau zu tödten. Aber
der Tyrann, welcher sie foltern ließ, von der Mutter ge-
drängt, in Qualen, die sie lächelnd überstand, hatte nicht das
Herz, die Geliebte zu tödten, ließ sich leicht von ihr überre-
den, es sei nicht Gift, sondern ein Liebestrank gewesen, wel-
chen sie gebraut hatte, und räumte ihr die frühere Herrschaft
wieder ein. Aretaphila ließ nicht ab, ihre Pläne zu verfolgen.
Ihre Tochter, schön wie die Mutter, lehrte sie den Bruder des
Tyrannen durch kokette Reize zu umstricken, und als er ganz
in ihren Händen war, gegen den eigenen Bruder zu stacheln.
Dieser ließ wirklich den Bruder ermorden. Statt sich damit
zu begnügen, wie man erwartete, äußerte Aretaphila, sie habe
11) Euripidis Medea t. 263 etc.
866
ja in ihrem Schwiegersohn keinen Brudermörder, sondern einen
Tyrannenmörder sehen wollen, er aber setze ja die Tyrannei
fort, und so .brachte sie es denn auch zur Empörung gegen
diesen ihren Schwiegersohn und zur Freiheit der Stadt. Die
dankbaren Bürger boten ihr an, Theil an der Regierung der
Stadt zu nehmen; sie aber zog sich in das Stillleben die Ein-
samkeit zurück, vielleicht bedenkend, was der Dichter die Me-
dea sagen lässt:
qVon Natar sind wir zu Gutem oft zu schwach,
Aber des Grauenvollen sind wir größte Meister. *"' *)
Aber besonders die deutsche Sage ist reich an diesen mäch-
tigen Frauengestalten, in denen eine unheimliche Gewalt die
Fessel der Gewöhnlichkeit durchbricht und die Tugend zur
Leidenschaft umschafiend sanfte Pflichtgefühle mit der Dolch-
spitze einer unstillbaren Rache versieht. In der That ist es
bei deutschen Frauen, wie bei Aretaphila kein unheilig Feuer,
welches Zäune und Schranken weiblicher Milde verzehrt; viel-
mehr ist es die tiefste Tugend, die am feinsten Lebensnerv
ihres Herzens betroffen, sich auflehnt gegen die Gesetze dieser
Welt und zu den Waffen greift, welche ihr der verhängnissvoll
erweckte Dämon weiblicher Natur verleiht. Ihnen ist dann,
nach dem, was sie betroffen, gleichgiiltig, was geschieht, ob das
Theuerste, ob sie selbst mit untergehn, sie achtens nicht, auf
aller Leben steht als Sinnvers das Wort der Antigone:
^Denn wer so viel von Leid umzingelt lebt
Als ich, wie fände dieser nicht am Tod Gewinn.''
Sie achten dann nicht die Flammen, die über ihre Häupter
zusammenschlagen und Haus und Vaterland verzehren. Die
deutsche Sage kann nicht satt werden an der Darstellung sol-
cher Fraucnbilder. Brunhild, wie sie in der Edda im dritten
Lied von Sigurd vorkömmt *■), war ein edles Weib „an der
Keinen (heißt es) war nichts zu rügen, kein Fehl zu finden,
12) Eurip. Med. 407 — 9. Die Geschichte der AreUphila wird von Plu-
tarch in den Virtutes muliernm n. 19. erzahlt.
13) Vgl. Lieder der altern Edda, herausg. von den Brüdern Grimm.
Berlin 1815. 1. 243 etc. Die angefahrten Stellen sind nach Simrock p. 177 etc.
367
noch auszuforschen.^ Aber sie gewann den Sigurd lieb, der
der Gudrun angehörte. Und in ihrem Sinne ward der Dämon
mächtig. ,,Allein (sagt das Lied) saß sie außen, wenn der
Abend kam; laut zu sprechen mit sich begann sie: Sterben
will ich oder Sigurd hegen den alljungen Mann in meinem
Arm.^ Und die Treue und Liebe Sigurds zu seiner Gudrun
reizte sie zum Mord. Sie gewann ihren Gemahl, den tapfem
Sigurd im Schlummer an Gudruns Seite zu todten. Mit gel-
lendem Lachen begrüßte sie den entsetzlichen Wehschrei der
erwachenden Gudrun, die ihren Gemahl im Blute erblickte.
Ihr eigener Mann erschüttert ruft ihr zu: „schlage kein Ge-
lächter auf. Schadenfrohe, heiter in der Holle, als brächt es
Dir HeiL Wie hast Du die lautere Farbe verloren, Verderben-
stifterin, die nun selbst verdirbt.^ Aber sie wollte nicht leben
nach Sigurd^s Tod. „Wollt Einen lieben, ruft sie aus, nicht
mehr als Einen, nicht wankelmüthigen Sinns war die Maid!^^
Sich zu todten ließ sie sich nicht abhalten, weder von Bitten,
noch vom Zureden der Verwandten und Freunde. Als diese
den Högni befragen, wie sie vom Tode abzuhalten sei, ant-
wortet er: „Verleid^ ihr Niemand den langen Gang und werde
sie nimmer wieder geboren; sie kam schon krank vor die Knie
der Mutter; zu allem Bösen ist sie geboren; manchem Manne
zu trübem Muth.^ So starb sie; selbst ein böses Riesenweib,
das die Höhle bewohnte, durch welche sie zur Unterwelt ftdir,
rief sie tadelnd an: „Fort, erfrech Dich nicht zu fahren durch
meine steingestützten Häuser; besser ziemt Dir Borten zu wir-
ken, als des Gatten begehren der Andern.^ Sie aber antwor-
tete ihr verächtlich : „zum Unheil werden noch allzulange Män-
ner und Weiber zur Welt geboren; aber wir beide jetzt bleiben
zusammen. Ich und Sigurd.^ Und dieselbe Gudr\in, deren Ge-
mahl gemordet war, die vor dem unglücklichen Schmerze „nicht
schluchzte, noch schlug sie die Hände, brach nicht in Klagen
aus, wie Brauch ist der Frauen^ . . . kein Trost und keine
Thräne nahte ihr. Vor Zorn, sagte die Edda, konnte sie nicht
weinen und vor Gram, der sie* füllte um des Fürsten Mord.
Erst als sie das bleiche Haupt des Gatten wieder ansah, das
Haar verharscht vom Blut, die leuchtenden Augen erloschen,
da ward ihre Wange roth, ein Regenschauer rann in den
Schooß. Auf die grässliche That folgte auch grausiges Ge-
schick: das Geschlecht der Niflungen ging unter.
368
Andere Farbe trägt das ähnliche Drama Tom Tode
frieds und Rache Chriemhildens erst in der Wilkina und Nif-
lunga saga, denn in unserm Nationalepos der Nibelungen. Hier
rächt sich Brunhild wegen der Anspielung auf ihre yermeintlich
verletzte Keuschheit und des Spottes, den Siegfried mit ihr
ohne ihr Wissen getrieben. Es ist ein Kampf der Eitelkeit
und des Hochmuths, der sich zweier edler Weiber bemächtigt,
dessen Leidenschaft alle Schranken überfluthet, und zwar in
Blut und Jammer. Den schnellen Siegfried meuchelmordet Ha-
gen und Brunhild befiehlt, seinen Leichnam zu Chriemhilden
in ihr Schlafgemach zu bringen; „sie schläft, ruft sie aus, um-
arme sie nun den Todten; er hat, was er verdient, sie des-
gleichen.^
Der Schmerz unglücklicher Liebe, welchen die Edda in
das tragische Motiv Brunhilden^s eingemischt, ist scheinbar auf-
gegeben und nur die Wuth über verletzte Ehrliebe tritt hervor;
genaue Aufmerksamkeit wird jedoch die alten Spuren einer
versteckten Liebe Brunhildens zu Siegfried auch in den mit-
telhochdeutschen Liedern nicht vermissen. Es brechen ihre
Mannen wirklich der Kammer Thüre auf und werfen der schlum-
mernden Gattin die kalte Leiche in die Arme. Und so er-
wachte die unglückliche Frau. Nach den Nibelungen, die schon
christliche Färbung tragen, legen die Männer den Leichnam
vor Chriemhildens Thür, damit sie ihn finden sollte, wenn sie
zur Frühmesse, die die firomme Frau nie versäumte, eilen würde.
Und die milde liebe Königin, die firomme Frau, deren Herz
schier brach unter dem Schmerze, war besonnener Rache voll;
sie warnte ihren Schwiegervater und ihre Mannen vor übereil-
tem Kampfe, der nicht zu gutem Ende führen konnte und
sprach: „lasst es sein bis es sich besser fügt; dann wollen wir
ihn gebührend rächen; jetzt bleibet und duldet mit mir, Gott
möge ihnen vergelten, was sie an uns gethan haben«^ Aber
sie erwartete nicht länger als sieben Jahre Gottes Vergeltung;
so lange hatte die zärtliche Gattin ihm Liebe und Rache selbst
als Gemahlin eines Andern gehegt. Und nach dieser Zeit en-
dete diese Vergeltung in einem grauenvollen Kampfe, den das
dämonische Weib gegen ihre Brüder und Gäste entspann, durch
den sie das Haus ihres schwachen Gemahls zu einer Mörder^
grübe machte, endlich auf den Leichenhügeln tausend Tapferer
selber getodtet ward und nichts als Klagen und Jammer, Rui-
869
nen und Untergang zurückließ. So blieb ihr Name durch dä-
monischen Haas und Liebe gleich berühmt, dass von ihr der
Vers des alten Dichters gilt:
„Durch Hass den Feinden und durch Huld den
Freunden
Wird Menschenleben ruhmesvolL" i*)
§. 2. Nach den allgemeinen Vorführungen wird es ge-
stattet sein , auf den Mittelpunkt unserer Erläuterungen vorzu-
gehen.
Indem Jacob Grimm i^) in seiner Mythologie von den
prophetischen Frauen der deutschen und nordischen Sage zu
berichten anfangen will, wirft er die interessante Frage au^
warum es bloß „ein bedeutsamer Zug^ des altdeutschen Hei-
denthums sei, besonders prophetischen Frauen als einer Art
Halbgotter zu begegnen, während die jüdische und christliche
Ansicht einen Gegensatz bildet; denn hier sind es zumeist Pro-
pheten, Engel und Heilige, auf welche die verkündende Kraft
im Auftrage Gottes zu reden, niedergelegt ist. Es wäre also
die Frage zuerst zu erledigen, worauf die besondere Stellung
der Frauen als Zauberinnen und Prophetinnen im deutschen
Alterthume beruht.
Die Frage erledigt sich wirklich und gründlich nur durch
die Erkenntniss des Gegensatzes, den das Heidenthum in seiner
Auffassung im Allgemeinen zur Offenbarungslehre einnimmt.
Das Heidenthum ist großentheils nichts Anderes als eine
Religion der Sprache^*). Die Sprache fesselt ursprünglich
Gedanken in feste Formen, oder sie combiniert diese festen For-
men durch neue Gedanken zu constanten Reihen. Die spre-
chende Nachwelt agiert mit Worten und Sätzen wie mit Ver-
steinerungen aus verschiedenen Schichten der Vorwelt. Die
Sprachforschung versucht aus der Erstarrung das ursprüngliche
lebendige Wesen zu entwickeln.
14) Enripld. med. 809. 10.
16) Cap. XVI: Weise Frauen p. 369.
16) VgL darüber eines weiteren meine Abhandlung: Die Wissenschaft
und die Akademien in der Denkschrift der Erf, Akademie der Wissenschaften
vom 19. Joli 1854. Abschnitt I. §. 4. p. XII etc«
370
Das Heidenthum in seiner Totalität, ob Germanen, Gelten
oder Griechen angehörig, besteht in derselben Action wie die
Sprache und durch dieselbe. Die menschliche Erkenntniss, Er-
fahrung, Erinnerung und Beobachtung nach den unzahligen
Seiten, welche das Leben der Völker, jedes für sich bietet,
jedes nach seiner Eigenthümlichkeit produciert, jedes im Laufe
der Zeiten steigend und wandelnd gefunden und erhalten, also
der Mensch mit seinem menschlichen, aber nichts als mensch-
lichen Intelligenz vermögen — das ist der Inhalt allen Heiden-
thums, wo auch immer seine Heimath, welches auch immer sein
Name sei.
Der Begriff ward zum Wort, das Wort zum constanten
Wesen und zum verkörperten Genius; die psychologische .Er-
fahrung versteinert sich zum Wort und erhebt sich in den
Himmel als verehrte Gottheit. Das Heidenthum ist die Reli-
gion der Sprache. Sein Himmel ist überall mit Worten, fest-
gewordenen Gefäßen eines flüssigen Gedankens bevölkert, die
durch die künstlerische Phantasie menschliche Formen, Häup-
ter und Leiber erhielten.
Menschen aus Ton zu kneten oder aus Elfenbein zu bil-
den haben die Menschen, wie Pygmalion ohne die Götter nie
gekonnt. Aber die Götter selbst haben sich die Menschen
künstlerisch geschaffen. Sie gössen den Gedanken in die Form
der Sprache und schufen daraus das beliebige Bild, welches
in der Seele bewahrt blieb. Das Griechische Heidenthum ging
einen Schritt weiter. Seine Kunst goss diese Götterbilder uiid
Statuen der Seele in Erz, schuf sie zu Marmor und übte an
ihnen tausend wunderbare Künste. Sie malten und entwarfen
aus ihrer Seele, wo es lebte, das Götter- oder Genienbild und
es lebte nicht bloß in der Seele des Künstlers so, sondern im
Geiste des Volkes, dem es Genius war. Der Geist des Volks
war der Vorkünstler gewesen, welcher aus dem Wort und Be-
griff, wie aus einem kalten Steine die vielfachen Gestalten er-
habener, übermenschlicher, vorzeitlicher Gottheiten erschuf.
Die Griechen haben außer ihrer Mythologie eine Kunst-
wissenschaft. Die erste ist die Wissenschaft der starrgewor-
denen menschlichen Gedanken, Reflexionen und Erinnerungen;
die zweite die Wissenschaft der in Stein und Erz und Elfen-
bein abgezeichneten und wiedergegebenen Versteinerungen der
Seele. Letztere haben bloß Völker, wie Griechen und Römer
371
in besonderem außerordentlichem Maße. Erstere hat das Hei-
denthum aUer Völker nach seinen variierenden Standpunkten.
Das Heidenthum niuss daher Polytheismus sein, Vielgöt-
terei, denn es entspricht eben der Sprache, die auch in ihren
einfachsten Elementen nicht aus einem Worte besteht. Was
der Mensch schafil und denkt ist immer mannigfaltig, weil ver-
einzelt; nur was Gott ihn gelehrt ist ein einzig umfassend Sym-
bol : es ist der Name des ewigen Gottes selber.
Das altdeutsche Heidenthum — das neudeutsche liegt au-
ßerhalb des Kreises unserer Betrachtung — und die Stellung
der Frauen darin bieten dazu auch in den skizzenhaften No-
tizen, die ich anführe, hinreichende Belege. Fast alle ihre Er-
fahrung, Beobachtung , Verehrung der Frauen nach den ein-
zelnen Zügen, welche das Leben hervorruft und diesem
Mannigfaltigkeit in Reiz und Anmuth geben, haben sie zu
lebendigen Phantasiegestalten aus dem Worte, dessen sie sich
bedienten, herausgemeißelt. Wie durch magische Hand eines
Schwarzkünstlers aus irdenen Geräthen plötzlich Blumen sprie-
ßen und Vöglein emporsteigen — so fliegen aus den schlichten
Worten, welche den einzelnen Empfindungen ihren Ausdruck
geben, Genien gen Himmel, begabt mit den idealischen Kräf-
ten, von denen jene Empfindungen redeten. Aus der Fiille
jener göttlich gewordenen menschlichen Erkenntnisse, wie sie
das deutsche Alterthum bietet, erkennen wir anderseitig wieder
die Feinheit und Zartheit, wie die tiefe Kenntniss des ganzen
weiblichen Wesens, welche die Alten gegen die Frauen be-
obachteten. Meist ist uns sogar die ideale Eigenschaft des
zur Göttin gewordenen Wortes deutlicher überliefert, als das
Wort, aus welchem sie ward — wegen des urgrauen Alter-
thums, in welchem die Metamorphose vorgegangen ist« Darum
ist auch nicht bloß das Heidenthum die Religion der Sprache,
sondern jedes etymologisch forschende Sprachstudium ist auch
eine Wissenschaft des Heidenthums.
Schon an einigen Zügen, wie sie uns die jüngere Edda von
den Asinnen, den weiblichen Göttinnen berichtet mögen wir
diese Weise der Schöpfting erkennen. Freia hat einen sterb-
lichen Menschen zum Gemahl, Odur, Othr, Othar genannt
Dieser zog in fremde ferne Wege: die treue Frau weint ihm
nach und fahrt zu allen Völkern, um den Gemahl zu suchen.
Daher sie verschiedene Namen trägt Es ist das ein dunkler
fFeimmr. Jk Ih 24
368
Andere Farbe trägt das ähnliche Drama vom Tode
frieds und Rache Chriemhildens erst in der Wilkina und Nif-
lunga saga, denn in unserm Nationalepos der Nibelungen. Hier
rächt sich Brunhild wegen der Anspielung auf ihre vermeintlich
verletzte Keuschheit und des Spottes, den Siegfried mit ihr
ohne ihr Wissen getrieben. Es ist ein Kampf der Eitelkeit
und des Hochmuths, der sich zweier edler Weiber bemächtigt,
dessen Leidenschaft alle Schranken iiberfluthet, und zwar in
Blut und Jammer. Den schnellen Siegfried meuchelmordet Ha-
gen und Brunhild befiehlt, seinen Leichnam zu Chriemhilden
in ihr Schlafgemach zu bringen; ,,sie schläft, ruft sie aus, um-
arme sie nun den Todten; er hat, was er verdient, sie des-
gleichen.^
Der Schmerz unglücklicher Liebe, welchen die Edda in
das tragische Motiv Brunhilden^s eingemischt, ist scheinbar auf-
gegeben und nur die Wuth über verletzte Ehrliebe tritt hervor;
genaue Aufmerksamkeit wird jedoch die alten Spuren einer
versteckten Liebe Brunhildens zu Siegfried auch in den mit-
telhochdeutschen Liedern nicht vermissen. Es brechen ihre
Mannen wirklich der Kammer Thüre auf und werfen der schlum-
mernden Gattin die kalte Leiche in die Arme. Und so er-
wachte die unglückliche Frau. Nach den Nibelungen, die schon
christliche Färbung tragen, legen die Männer den Leichnam
vor Chriemhildens Thür, damit sie ihn finden sollte, wenn sie
zur Frühmesse, die die fromme Frau nie versäumte, eilen würde.
Und die milde liebe Königin, die fromme Frau, deren Herz
schier brach unter dem Schmerze, war besonnener Rache voll;
sie warnte ihren Schwiegervater und ihre Mannen vor übereil-
tem Kampfe, der nicht zu gutem Ende führen konnte und
sprach: „lasst es sein bis es sich besser fügt; dann wollen wir
ihn gebührend rächen; jetzt bleibet und duldet mit mir, 6ott
möge ihnen vergelten, was sie an uns gethan haben.^ Aber
sie erwartete nicht länger als sieben Jahre Gottes Vergeltung;
so lange hatte die zärtliche Gattin ihm Liebe und Rache selbst
als Gemahlin eines Andern gehegt. Und nach dieser Zeit en-
dete diese Vergeltung in einem grauenvollen Kampfe, den das
dämonische Weib gegen ihre Brüder und Gäste entspann, durch
den sie das Haus ihres schwachen Gemahls zu einer Morder-
grube machte, endlich auf den Leichenhügeln tausend Tapferer
selber getodtet ward und nichts als Klagen und Janmier, Rui-
369
nen und Untergang zurückließ. So blieb ihr Name durch dä-
monischen Haas und Liebe gleich berühmt, dass von ihr der
Vers des alten Dichters gilt:
„Durch Hass den Feinden und durch Huld den
Freunden
Wird Menschenleben ruhmesvoll." i*)
§. 2. Nach den allgemeinen Vorführungen wird es ge-
stattet sein , auf den Mittelpunkt unserer Erläuterungen vorzu-
gehen.
Indem Jacob Grimm *•) in seiner Mythologie von den
prophetischen Frauen der deutschen und nordischen Sage zu
berichten anfangen will, wirft er die interessante Frage au^
warum es bloß „ein bedeutsamer Zug" des altdeutschen Hei-
denthums sei, besonders prophetischen Frauen als einer Art
Halbgotter zu begegnen, während die jüdische und christliche
Ansicht einen Gegensatz bildet; denn hier sind es zumeist Pro-
pheten, Engel und Heilige, auf welche die verkündende Kraft
im Auftrage Gottes zu reden, niedergelegt ist. Es wäre also
die Frage zuerst zu erledigen, worauf die besondere Stellung
der Frauen als Zauberinnen und Prophetinnen im deutschen
Alterthume beruht.
Die Frage erledigt sich wirklich und gründlich nur durch
die Erkenntniss des Gegensatzes, den das Heidenthum in seiner
Auffassung im Allgemeinen zur Offenbarungslehre einnimmt.
Das Heidenthum ist großentheils nichts Anderes als eine
Religion der Sprache^*). Die Sprache fesselt ursprünglich
Gedanken in feste Formen, oder sie combiniert diese festen For-
men durch neue Gedanken zu constanten Reihen. Die spre-
chende Nachwelt agiert mit Worten und Sätzen wie mit Ver-
steinerungen aus verschiedenen Schichten der Vorwelt. Die
Sprachforschung versucht aus der Erstarrung das ursprüngliche
lebendige Wesen zu entwickeln.
U) Euripid. med. 809. 10.
16) Cap. XVI: Weise Frauen p. 369.
16) VgL darüber eines weiteren meine Abhandlung: Die Wissenschaft
und die Akademien in der Denkschrift der Erf, Akademie der Wissenschaften
vom 19. Juli 1854. Abschnitt I. §. 4. p. XII etc«
370
Das Heidenthum in seiner Totalität, ob Germanen, Gelten
oder Griechen angehörig, besteht in derselben Action wie die
Sprache und durch dieselbe. Die menschliche Erkenntniss, Er-
fahrung, Erinnerung und Beobachtung nach den unzahligen
Seiten, welche das Leben der Völker, jedes für sich bietet,
jedes nach seiner Eigenthümlichkeit produciert, jedes im Laufe
der Zeiten steigend und wandelnd gefunden und erhalten, also
der Mensch mit seinem menschlichen, aber nichts als mensch-
lichen Intelligenzvermögen — das ist der Inhalt allen Heiden-
thums, wo auch immer seine Heimath, welches auch immer sein
Name sei.
Der Begriff ward zum Wort, das Wort zum constanten
Wesen und zum verkörperten Genius; die psychologische .Er-
fahrung versteinert sich zum Wort und erhebt sich in den
Himmel als verehrte Gottheit. Das Heidenthum ist die Reli-
gion der Sprache. Sein Himmel ist überall mit Worten, fest-
gewordenen Gefäßen eines flüssigen Gedankens bevölkert, die
durch die künstlerische Phantasie menschliche Formen, Häup-
ter und Leiber erhielten.
Menschen aus Ton zu kneten oder aus Elfenbein zu bil-
den haben die Menschen, wie Pygmalion ohne die Götter nie
gekonnt. Aber die Götter selbst haben sich die Menschen
künstlerisch geschaffen. Sie gössen den Gedanken in die Form
der Sprache und schufen daraus das beliebige Bild, welches
in der Seele bewahrt blieb. Das Griechische Heidenthum ging
einen Schritt weiter. Seine Kunst goss diese Götterbilder und
Statuen der Seele in Erz, schuf sie zu Marmor und übte an
ihnen tausend wunderbare Künste. Sie malten und entwarfen
aus ihrer Seele, wo es lebte, das Götter- oder Genienbüd und
es lebte nicht bloß in der Seele des Künstlers so, sondern im
Geiste des Volkes, dem es Genius war. Der Geist des Volks
war der Vorkünstler gewesen, welcher aus dem Wort und Be-
griff, wie aus einem kalten Steine die vielfachen Gestalten er-
habener, übermenschlicher, vorzeitlicher Gottheiten er8chu£
Die Griechen haben außer ihrer Mythologie eine Kunst-
wissenschaft. Die erste ist die Wissenschaft der starrgewor-
denen menschlichen Gedanken, Reflexionen und Erinnerungen;
die zweite die Wissenschaft der in Stein und Erz und Elfen-
bein abgezeichneten und wiedergegebenen Versteinerungen der
Seele. Letztere haben bloß Völker, wie Griechen und Romer
371
in besonderem außerordentlichem Maße. Erstere hat das Hei-
denthum aller Völker nach seinen variierenden Standpunkten.
Das Heidenthum nmss daher Polytheismus sein, Vielgöt-
terei, denn es entspricht eben der Sprache, die auch in ihren
einfachsten Elementen nicht aus einem Worte besteht. Was
der Mensch schafft und denkt ist immer mannigfaltig, weil ver-
einzelt; nur was Gott ihn gelehrt ist ein einzig umfassend Sym-
bol: es ist der Name des ewigen Gottes selber.
Das altdeutsche Heidenthum — das neudeutsche liegt au-
ßerhalb des Ki*eises unserer Betrachtung — imd die Stellung
der Frauen darin bieten dazu auch in den skizzenhaften No-
tizen, die ich anführe, hinreichende Belege. Fast alle ihre Er-
fahrung",'Beobachtung, Verehrung der Frauen nach den ein-
zelnen Zügen, welche das Leben hervorruft und diesem
Mannig<igkeit in Reiz und Anmuth geben, haben sie zu
lebendigen Phantasiegestalten aus dem Worte, dessen sie sich
bedienten, herausgemeißelt. Wie durch magische Hand eines
Schwarzkünstlers aus irdenen Geräthen plötzlich Blumen sprie-
ßen und Vöglein emporsteigen — so fliegen aus den schlichten
Worten, welche den einzelnen Empfindungen ihren Ausdruck
geben, Genien gen Himmel, begabt mit den idealischen Kräf-
ten, von denen jene Empfindungen redeten. Aus der Fülle
jener göttlich gewordenen menschlichen Erkenntnisse, wie sie
das deutsche Alterthum bietet, erkennen wir anderseitig wieder
die Feinheit und Zartheit, wie die tiefe Kenntniss des ganzen
weiblichen Wesens, welche die Alten gegen die Frauen be-
obachteten. Meist ist uns sogar die ideale Eigenschaft des
zur Göttin gewordenen Wortes deutlicher überliefert, als das
Wort, aus welchem sie ward — wegen des urgrauen Alter-
thums, in welchem die Metamorphose vorgegangen ist« Darum
ist auch nicht bloß das Heidenthum die Religion der Sprache,
sondern jedes etymologisch forschende Sprachstudium ist auch
eine Wissenschaft des Heidenthums.
Schon an einigen Zügen, wie sie uns die jüngere Edda von
den Asinnen, den weiblichen Göttinnen berichtet mögen wir
diese Weise der Schöpfung erkennen. Freia hat einen sterb-
lichen Menschen zum Gemahl, Odur, Othr, Othar genannt.
Dieser zog in fremde ferne Wege: die treue Frau weint ihm
nach und fahrt zu allen Völkern, um den Gemahl zu suchen.
Daher sie verschiedene Namen trägt. Es ist das ein dunkler
Weimmr. J* Ih 24
372
Mythus, der offenbar ZusammenhaDge mit dem der Isis, der
weiblichen Gottheit Ägyptens bat, die den Osiris, den verlor-
nen ebenfalls durch alle Welt sucht. > ^) Es ist auch die Namen-
verwandtschafl beider Männer ofienbar. Freia ist aber das
Bild der Frau, denn dieses bedeutet ihr Name und aus diesem
Namen sind die schönsten Bilder ihrer Mythen entstanden,
nicht, wie man zu meinen pflegt, aus der Freia der Name
Frau. Wie hier den Schmerz der Trennung, schildert im
Lied der alten Edda die Freude des unerwarteten Wieder-
sehens treuer Liebenden. Swipdagr, der Verlobte Menglod^s,
ist durch das Geschick lang von ihr ferngehalten.
„Des Geschickes Willen, sagt er, widersteht Niemand, wie
leichtsinnig es auch schalte.^ Unerkannt kommt er, um die
Geliebte zu überraschen und stellt er den Wächtern des Pa-
lastes verfängliche Fragen, um sich von der Treue der Braot
zu überzeugen. Er erfährt deren treues Herz und eilt zur Ge-
liebten. Diese empfängt ihn mit den Worten:
„'Willkommen seist Du! mein Wunsch erfüllt sich.
Den Gruß begleite der Kussl
Unversehenes Schauen beseligt doppelt,
Wo rechte Liebe verlangt.
Lange saß ich auf liebem Berge
Nach Dir schauend Tag und Nacht:
Nun geschieht was ich hoffte,
Da Du heimgekehrt bist,
Süßer Freund, zu meinem Saal.'*
17) Schon in den Wissenschaftlichen Berichten I, 2, p. 118 not. habe ich
darauf hingedeutet. Ohne die verschiedenen Gedanken, welche die mythischen
Personen Othr und Freya, wie Osiris und Isis außerdem umkleiden, hier
auflösen zu wollen, dünkt doch der Gegensatz von Mann und Frau, Herr und
Herrin in beiden erkannt zu werden. In Othr möchte allerdings ein Zusam-
menhang mit Osiris, Sanscrit ^ira, aramäisch aser, lat. herus innerlich klarer
sein, als die von Grimm (Myth. 858) aufgestellte Yermuthung. Isis habe ich
an angeführtem Orte durch das hebr. ischa , Frau , von isch , der Mann, ge-
deutet; diese Deutung unterstützt die Bemerkung Horapollo*s I, 3. yyiytavroy
d§ ßovlo/Lifyot (ftiX(3(Xat l<nyf rovrictt yvyatxa ^tayQtufovct, r^ cfi ailr^
xal r^y S-idy crj/naiyovffiM Dass diese Deutungen manchen andern in alter
Zeit gegebenen widersprechen , ist bekannt. Aber diese Zufalls - Erklärungen,
wie die Plutarchs von Isis als nalte", weil as alt heiße, sind wenig geeignet,
große Autorität zu verdienen. Von Frau in der Bedeutung domina, ähnlich
wie das griech. yvyrj so oft verwandt wird, hat Grimm überzeugend gehan-
delt (Myth. 276).
873
Menglod ist ifarem Namen und Wesen nach das Symbol der
Jungfräulichkeit.
Die losende Kraft der rauhen und starren Herzen in Män-
nern und Frauen ist die Liebe; siafhi heißt sie in uralter
Sprache; drum gibt es auch eine andere Asin mit Namen
Siöfn^*); sie sucht, sagt die Edda, die Gemüther der Men-
schen zärtlich zu stimmen. An Hindernissen, welche Liebenden
in den Weg gelegt werden, hat es nie gefehlt; eine erhabene
Kraft ist es, welche sie beseitigend die Verbindung erlaubt.
Daher eine andere Gottin Lofn, deren Name noch in unserem
Urlaub, Erlauben erkennbar ist. Aber Männer und Frauen
sind nicht immer so treu, wie sie sollten und die Eide, die sie
sich schworen, brechen schneller wie Glas. Da ist die Asin'
Wara, welche diese wahrnimmt und an den Sündern rächt.
Die schätzende Asin heißt Syn , denn syn > ^) ist Bewahrhei-
tung und Vertheidigung; die aufrecht erhaltende ist Hlin, denn
18) Bei Grimm Myth. 286 (Vgl. Dieffenbach goth. Lex. 2. 203) findet man
die bekannten altnordischen Wortformen verzeichnet, die noch zn diesem Na-
men gehören, sift amicus, (amasins) sift Verwandter, wozu dann das goth.
sibja, althoehd. sippa, angels. sibb und si^an etc. zn stellen sind. Grimm lei-
tet davon sif, die Gemahlin des Thor, ab. Sprachvergleichend wichtig ist;
dass man in siafini, sibja ](ein anderes Wort zu erkennen hat, als die semi-
tischen Sprachen in ahab, verstärkt ahabhab, arabisch und chaldäisch mit dem
Spiritus asper ehab, vgl. bebr. chabab besitzen. Die germanischen Sprachen
haben den Anlaut zum s verschärft in ähnlichem Verhältniss, wie das lat
Septem, sieben, zu Inrä^ simplex zu aTtXovg sich verhält. Eine Abwandlung
von ahab ist agab, was zn dyenata gestellt ist. Daraus geht hervor, dass die
Vermuthung von Benfey (griech. Lex. 1, 542) der dyanan als ein dya-ffnämy
dya^ndCofiat denkt, noch nicht ganz sicher ist, aber in aifTtaCo/nat ist aller-
dings dieser s-Laut, der in sibja erscheint, schon vorhanden. Wie überall,
folgen wir in den Anfuhrungen aus der altern und jungem Edda der schonen
Übersetzung Simrocks. Die obige Stelle steht p. 263. Vom Texte der jün-
geren Edda ist mir leider im Augenblicke nur der des Resenius (Havniae
1665.) zur Hand. cf. Fab. 30.
19) Syn ist die bewahrheitende Genie, die dadurch, dass sie als wahr
bestätigt, was die Menschen sagen, sie schützt. Dies erg.bt sich sehr schon
ans dem Gebrauche in der Gothischen Bibelübersetzung, wo sunis, sunja das
hebräische emeth trefflich wiedergeben. Es ist daher mit sinnigem Verständ-
niss statt des Griechischen dtiuuovyj dnoXoyia wiedergegeben worden. So Lu-
cas 7, 35: 99x0} idtnatt^ 17 ifoqfia<*f wo man zu übersetzen pflegt: „und es
wurde gerechtfertigt", wo es richtiger dem Sinne nach heißt: „und es wurde
für wahr befunden.^ So auch 2. Corinther 7, 11, wo sunjons viel tiefer als
apologia greift
24»
374
hleinir ist anlehnen. Die Edda gibt vielfach Zeugniss von der
genauen Erfahrung, welche die alten nordischen Volker von
dem dämonischen Zauber der Frauen gemacht haben. »Ver-
derben stiften (singt ein Alter) einem Krieger sah ich Übeln Wei-
bes Wort; die giftige Zunge gab ihm den Tod, nicht seine
eigene Schuld." ^^) Ein Anderer ruft: „Mädchenreden vertraue
kein Mann, noch der Weiber Worten. Auf geschwungenem
Rad ward ihr Herz geschaflFen, trug es in der Brust verbor-
gen." **) „Du warst die schädlichste Zauberin (redet ein An-
derer eine mythische Dame an) aber bei Allvater allvermogend;
man sah die Erhabnen Alle sich raufen, verwünschtes Weib,
um Deinetwillen." **) Dem Sigurd wird folgender Rath ge-
geben: „Muntere Augen braucht ein Menschensohn, wo es kommt
zum heißen Kampf. Böse Weiber sitzen oft am Wege, die
Schwerdt und Sinn betäuben." „Wo Du schöne Frauen sitzen
siehst auf Bänken, lass Weiberschonheit Dir den Schlaf nioht
rauben."**) Sie haben deshalb diesen dämonischen Zauber
symbolisiert, in Gestalt übersetzt und Zauberinnen für ihre Gei-
sterwelt, nicht bloß für diese Welt geschaffen. Eine solche
alte Zauberin heißt dann Volva, Völe (Vala) *♦) von dem alt-
nordischen v6], Kunst, Zauber, woher sich auch der Name des
aken nordischen Künstlers Wieland herschreibt, was Künst-
ler, Zauberer bedeutet. Eine Wole ist es, von der das älteste
und dunkelste Stück der alten Edda handelt, Voluspa genannt
und von der es darin heißt: „wohin sie kam, wusste sie Zau-
ber; Sudkunst (Zauberkunst) konnte sie, übte sie; stets war
sie die Wonne übler Weiber." ••) Dem Gotte Odin wird vor-
geworfen, „von Haus zu Haus als Wöla vermummter Zauberer
trügst Du das Menschenvolk, das dünkt mich eines Argen
20) In Loddfafhirs Lied, bei Simrock p. 89, Edda Saemandar hina Üroda
ed. Rask p. 25.
21) Im Havamal ibid. p. 85. Rask p. 20. n. 85.
22) Im ersten Liede von Helgi dem Hundingstodter Strophe 38, antnl
amatlig at alfaudr beißt sie; statt „Terwettert*' hatten die Brüder Grimm
„svevis kona** mit „trugweise** wiedergegeben. Lieder der alten Edda p. 74.
23) Einer der Rathschläge, den die Waikyrie Signrdrifa dem Sigord
selbst gibt Str. 27. 28. bei Simrock p. 172.
24) Über die Formen von .viel*" cf. Grimm Myth. 350 und Wissensohaft-
liche Berichte I, 1, p. 43.
25) Strophe 26 bei Simrock p. 6. Edda Saem. Rask p. 4. n. 25.
375
Art.^*^) Solche Zauberweiber getodtet zu haben, rühmt sich
der stärkste der Götter Thor zum Ruhme au. Aber die Weise
des Zaubers, welchen sie übten, ist der Gegenstand der tief-
sten Beobachtung. Sie zaubern mit dem Blick, mit dem Lä-
cheln des Mundes. Wenn eine reizende Jungfrau lacht, *^)
heißt es in alten Sagen und Liedern, zaubert sie Rosen in
ihre Schürze, **) die von ihren Lippen fallen, eine Zauberei,
die auch in schonen Versen in der neuen Dichtung von Louise
V. Plonnies. Mariken v. Nymwegen wiedergegeben ist. *•) Sie
zaubern mit dem Kuss. Ein Kuss macht Alles vergessen oder
schenkt die Erinnerung wieder. Er ist der Zaubertrank, wel-
chen weibliche Genien den Menschen geben, die sie lieben.
Sie zaubern durch die Pflege, die sie den Männern zu Theil
werden lassen, und die sie im Zubereiten von Speisen wie in
der Mischung von Salben für den wunden Korper bekunden.
Aber mehr als durch Alles zaubern sie durch die Sprache:
Beredtsamkeit ist, wie die Sage zeigt, ein uraltes Erbtheil der
Frauen, dem in ihren Erfolgen und Einflüssen gewiss der größte
26) Loki wirft es ihm vor in dem merkwürdigen Oegisdrecka bei Sim-
rock p. 55. Loka-Glepsa ed. Rask p. 63. n. 24.
27) Im Harbardslied ib. p. 42. 43. ed. Rask p. 78.
28) Grimm Mythol. 1054. 55.
29) Gesang 6. p. 98 (Berlin 1853):
„Und wenn sie lächelt — o wanderbar!
Da zittern Lichter im goldnen Haar,
Da blitzen Strahlen im feuchten Aug*,
Vom süßen Munde strömt Rosenhauch,
Und in der Wange erhöhtem Schein
Da zieht als Sieger die Liebe eini
Und wo ihr Lächeln so sonnig glüht,
Ist eine Rose voll Glanz erblüht.
Die Rose ringt sich vom Frühling los
Und fallt der Schönsten wohl in den Schooß.'
Während der h. Angelas predigte, fielen ihm Rosen und Lilien aus dem Munde.
Schon von Radowitz notirt in der Iconographie der Heiligen Ges. Schriften 1. 22.
Der Biancabella im zweiten Märchen des Straparola (übers. ▼. Schmidt
p. 29. cf. p. 283) fallen Perlen und Edelsteine vom Haupt; aus ihren weißen
Händen gehen Rosen und Veilchen und Wohlgerüche hervor. Ahnliches er-
eignet den ausgesetzten Kindern des Königs Lancelpt (16. p. 51). In der Er-
zählung in Gobarts Collection of populär stories 2. 5, die ich nur aus Stra-
parola kenne, fallen die Edelsteine und Blumen dem Mädchen aus dem Munde«
376
Theil beizumessen ist. Mit ihr, heißt es, überreden sie, schmei-
cheln sie, bestechen sie das gern glaubende Herz, veriheidigen
sie und verwunden sie bis zum Tode. Zu sprechen ist in grauen
Zeiten eine große Kunst gewesen und als solche betrachtet
worden. Als die Zustande der Gesellschaft noch so geordnet
waren, dass die Männer einer mehr nach außen gerichteten
Thätigkeit, Streit und Waffenübung oblagen, als der nach innen
zu waltenden Arbeit des Denkens und Schreibens, war auch
das Kedenkönnen eine wunderbare Ej-aft, eine große Tugend.
Es waren noch nicht alle äußerlichen Kedeformen so geläufig,
dass man hätte reden können, ohne zu denken; wer sprach,
musste denken und reden zugleich, denken und verständlich
sein in einem Zuge, und das ist in allen Zeiten nicht leicht ge-
wesen. Aber den Frauen, wenn sie eine innere Bewegung
trieb, floss zu allen Zeiten die Rede vom Munde; wie aus der
Tiefe eines Brunnens die silberne Quelle, so strömten ans dem
leidenschaftlich erregten Herzen der Frau die erfolgreichen
Worte. Je höher das Redenkönnen im Werthe stand, desto
mehr erschien diese Beredtsamkeit der Frauen ein denkwürdig
Zeichen weiblichen Elementes, ein deutlich Zeiehen weiblichen
Zaubers. Denn Erfolg sichert den Zauber. Und gewiss gab
es nur seltene Fälle, in denen die Kraft der Frauenrede ohne
Erfolg gewesen wäre. Die Zauberin Wöle wird daher in der
Edda die „wohlredende^ genannt. Die bösen Frauen betrugen
die Männer nach der Sage mit der Zunge. „Einem redenden
Weibe soll man so wenig trauen, wie einem lachenden Himmel,
einem lustigen Herrn und einem trauernden Kleid." • ®) Aber
auch ein cdeles wissendes Weib ward geschildert mit den Wor-
ten: „Sie wird Runen lehren alle die Menschen, die wissen
möchten, dazu in allen Zungen reden und heilende Salben ken-
nen.** 3') Denn Reden ist der alten Anschauung so viel wie
wissen, denn nur wer weiß, ist der Sprache mächtig. Dies
gilt aber besonders von dem Wissen, welches in einem tie-
fen Blick, dessen sich kein anderes Alterthum in dem Maße
rühmen kann, das deutsche Alterthum den Frauen übertragen.
Es ist das Wissen, welches ein Vorherwissen, ein Schauen,
ein Ahnen, Verkünden bedeutet. Die Beredtsamkeit der Frauen
30) Im Havamal Strophe 86. p. 85, 86. ed. Rask p. 21,
31) In Gripirs WeUsagung p. 150. str. 17. ed. lUsk p. 174.
377
ist an und für eich immer als ein wunderbares, unerklärliches
Wesen, der innersten Natur angehörig und entsprossen be-
trachtet worden. Sie ist kein eigentlich Resultat des Reflec-
tierens und Nachdenkens, der gelehrten Meditation; sie spricht
aus dem geheimnissvollen Quell innerer Erregung und f&hlt
und trifft die individuelle Eigenthümlichkeit, welche ihr gegen-
über steht. Es verbindet sich damit ein anderer wundetbarer
psychologischer Zug des Frauenwesens, es ist der eines ah-
nungsvollen Wesens, das selbst unbewusst auf den Gebieten,
wo ihre Seele erregt ist, sieht und erkennt, ohne die Er-
kenntniss deuten und erläufern zu können. Wie von einem
Genius zugeflüstert, erkennt der Frauen Sinn, da wo ihre ganze
Natur in Wallung ist, was in andern Herzen vorgeht, durch-
bricht in blitzähnlicher Ahnung Formen und Schranken; sie
wissen, ohne zu wissen, woher und warum, sie entscheiden von
einem innem Geiste getrieben, sie vernehmen, wie Göthe^s
Iphigenie sagt, „die Stimme der Götter, die durch ihr Herz
reden.^^ Es offenbart sich dieser Zug in aller Vielheit durch
die tausend Verbältnisse, in denen ein Mädchen, eine Frau,
eine Mutter, von innerer Bewegung ergriffen, hoffit und fürchtet,
kämpft und sorgt. Von dem dämonischen Wesen, das die
erfasst, wenn sie von den Geschicken in die wallende Fluth
der Leidenschaften geschleudert werden, ist dies nur ein Theil.
Die dunkle Ahnung, welche ihnen aus der Seele steigt, treibt^
sie zum herrUchen Opfer, zum bewunderungsvollen Kampf, aber
auch zur grauenvollen unsäglichen That. Diesem Dämon ihrer
Seele sind sie unterworfen; ihm folgen sie mit blinder Hast —
dann dringt, wie Thoas sagt, „vergebens treu und mächtig
der Überredung goldne Zunge auf sie los.^^ Das firiedliche
Abbild dieses innem Gesichtes in den eingedämmten Verhält-
nissen unseres Lebens ist der Takt, der Frauen schönste
Zierde, von dem die Prinzessin in Göthe^s Tasso mit Recht
verlangt, „dass man bei edlen Frauen anfragen solle, was sich
ziemt^^ Das ganze Frauenleben ruht auf der Concentration
ihres Wesens in dem, was ihr Herz besitzt oder verlangt;
aus dieser, wie aus aller Concentration dringt auch ohbö Be-
lege und Beweise ein sehender Blick und eine ahnungsvolle
Überzeugung heraus. Aber eben da besonders, wo die Seele
der Frau in einer besonderen Wallung, Aufregung, edlem odef
unedlem Rausch der Leidenschaft sich befindet, bricht das Di-»
378
monische, welches iu allen Frauenherzen schlummert, durch;
dann zuckt die Sprache wie eine züngelnde Flamme dahin
und wie Funken springen aus ihr die seherhaft in das Unbe-
kannte treffende Pfeile, welche die entfesselte Anmuth hinaus-
sendet. Es ist diese Seelenerregung, dieses Außersichselbstsein
oder Werden, welches nach den verschiedenen Individualitäten
die Frauen zu Seherinnen macht und welche das Alterthum
als besondere Erscheinung menschlicher Divination und Vor-
hersagekunst aufgefasst hat. Die Griechen stellten diese, aus
einem besondem Seelenzustande hervorgehende Sehergabe der
aus vernünftiger Ueberzeugung sjtrechenden Erfahrung gegen-
über. So lehrt ein sonst dunkler Mythus vom Wettkampfe
des Sohnes der Manto "^) mit dem Kalchas. Manto, eine
Seherin, hat ihren Namen, wie mantis, der Seher, von dem
griech. mainomai, was diesen Zustand des Außersichseins , des
leidenschaftlichen Erregtseins, des Rasens bedeutet. Ihr Sohn
steht dem Kalchas, dem besonnenen Manne gegenüber, der sei-
nen Namen von dem griech. kalchaino hat, was in der Brust
überlegen, bedenken, sorgen bedeutet '3) Aber der Manie
Spross besiegt den Kalchas, der wilde Enthusiasmus den sin-
nenden Verstand. Manto wird als die Tochter des Teiresias
ausgegeben, von dem die Sage geht, er habe, nachdem er blind
geworden war, die Weissagungsfahigkeit erhalten. Aus der
Blindheit die Weissagung ist eben diese aus der Seele ihr
selbst unbewusst brechende Rede, in welcher die Alten die
32) Dieser Sohn der Manto ist Mopsiis; sein Vater soll Apollo oder
Rhanius gewesen sein. Die alten Sagen erwähnen noch einen andern Mopsns,
aber auch dieser war ein großer Seher. Die Heimath seines Wesens ist, wie
alle Spuren ausweisen, Kleinasien. Seinen Namen aus dem Griechischen
zu deuten, möchte daher vergeblich sein. Aber in die Augen springend ist
der Vergleich mit dem hebr. mopeth (mofez), das Wunder, Zeichen; An-
sehe mopeth sind Leute, die Zeichen schauen, Auguren, teratoscopi. Dies
ist um so wahrscheinlicher, als Teiresias, sein Großyater, wohl mit tigttsy was
griechisch dasselbe heißt, verbunden werden kann. Dieses tt(itts vergleicht
man mit Recht zu tttQogy Stern, Licht und auch mopeth hat Gesenius ähnlich
zu entwickeln versucht. Das Wunder ist ein sichtbares, allen gläniend er-
kenntliches Zeichen. Den Sohn der Manto, der Seherin, als das Wunder
zu denken, ist gewiss ein sinniger Mythus.
33) Hesychius hat: ^jXctX^aiyu^ ragattttHy no^vQHy <niyttj if>QomiCih
äx^fTM^^ etc. Die Ableitung des Kalchas von diesem Worte schon beim
Eustatins.
379
DiTUiatioii symbolisierten und constant festhielten. Dem blin-
den Teiresias steht der Ausdruck 9, der Seh er ^, wie ihn die
Bibel überliefert, treffend entgegen. '^)
Die altdeutsche Anschauung hat mit tiefem Zuge dies fast
nur auf Frauen übertragen. Ihre weisen prophetischen Frauen
nennt sie sp&konor d. h. sprechende Frauen, von einem Stamme
der noch ganz deutlich im Englischen speak vorhanden ist. **)
So hat auch die biblische Debora von Dabar, reden ihren Na-
men, s^) Das lateinische vates ist das griechische phates, der
34) 1. Sam. 9. 9. heißt es: „Denn den man jetzt Nabi nannte, hieß man
damals den Seher*', den Mann, der Gesichte hatte. In Nabi allerdings scheint
sprachlich dem Begriffe des /uayrtg näher getreten, wie der Gebrauch meh-
rerer Stellen, so namentlich Jerem. 29. 26. zeigt. Aber ich halte naba far
dasselbe semitisch gestaltete Wort wie inny. Für den Kundigen ist gewiss,
dass das semitische n oft mit i und e am Anfange wechselt (Jazab, nazab;
naah, jaah) oder mit dem Vocal umgeschoben wird. Wie intty nur Dichter,
das begeisterte Reden und die Rede überhaupt bezeichnet, so auch naba und
nabi. Nabi war nicht bloß der begeisterte Weissager, sondern überhaupt
der Ausleger und Redner, der die Sprache in seiner Gewalt hatte, um zu ver-
iLÜnden, was er in der Tiefe seiner Seele von Gott oder von Anderen erfah-
ren. Hiedurch wird besonders Exod. 7. 1. deutlich, wo Gott die Stellung
Mosis zu Pharao mit der vergleicht, welche Er sonst zur Welt einnimmt.
Sonst ist Moses der Yerkünder Gottes. Hier dem Pharao gegenüber soll
Moses gleichsam Gott sein, d. h. der die Gedanken mittheilt, Aharon aber
der Verkünder, Ausleger und Redner.
Diese Erläuterung von der Identität des prophetischen Wissens oder
Dichtens und Redens in naba wie in Itthk hilft die folgende Note einleiten.
35) späkonor kommt von altnord. späkr, weise, alth. spahi , was man mit
Unrecht, wie auch Massmann, Grimm folgend, bei Graff, Althochd« Sprach-
schatz 6. 32. Anm. thut, zu spähen , speculari stellt. Es sind die Spruch
sprechenden Frauen, die Weisen. Noch Angelsächs. heißt sprechen spre-
can und specan, alth. spehhan und sprehan. Volksthümlich ist bei Schmeller
spacht, spächten; cf. Graff 6. 369 und vieles andere bei Dieffenbach Goth*
Lex, 1. 325. Möglich, daß man bei diesen Modulationen euphonischen Rück-
sichten gefolgt ist. Aber die Spruchsprechenden waren eben die weisen und
klugen Frauen. Daher aus sprechend der Begriff kundig ward, so dass alth.
ein redospähi, rvdekundig, vorkommt.
36) Diese Ableitung ist offenbar sinngemäßer als die von „Biene**, die
man gewöhnlich annimmt. Damit ist nicht gesagt, dass ein Frauenname im
Sinne von melitta nicht annehmbar gewesen wäre, aber die Wichtigkeit des
«Biene^ der melitta für das Orakelwesen ist überall aus der sprachlichen
Deutung ihres Namens (melos) abzuleiten. Benfey (gr. Lex. 2. 63* unten)
nimmt vates zu einem Sanskritstamme katha für vatha, der sagen heiße. Das
würde in der Sache dasselbe sein*
380
Redende, d. h. der Verkündende. In der strömenden Macht
der Rede fand man die Kraft einer tiefen Überzengang imd
Wahrheit. Denn nicht bloß die schmeichlerisch überredende
Kraft ist von dämonischer Wirkung der Zauberei; auch die
dunkele aus dunkeler Unklarheit auf besondere Erregung her*
vorbrechende Spruchweisheit. Zauberinnen sind es daher, wel-
che mit dunkelen Sprüchen besprechen, wie Prophetumen
und Orakel in dunkelen Sätzen verkünden. Diese dunkelen
Gedanken erscheinen in poetischer Form, denn die Poesie ist
die Sprache dieser Begeisterung, dieses Seelenenthusiasmus, der
mächtiger als der bewusste Wille zum Leben drängt. Der
Poet ist der Verkünder, die wissende Frau die Zauberin. Da-
her nennen die Alten, was wir besprechen nennen, besingen
aeidein, incantare, althochdeutsch galstar'^); daher vriedenim
die älteste Poesie, reden, epein, das Gedicht ein Epos; daher
die alte romische Verkünderin Carmenta von Carmen, das Lied.
Daher finden sich auch in den Vorstellungen der alten Deut-
schen von den dämonischen Frauen, in welchen sie das dämo-
nische Wesen des weiblichen Geschlechts symbolisiert haben,
alles dies zusammen. Die Schicksalsgöttinnen '*) der Alten,
37) Grimm Myth. 1173.
38) Grimm Mythol. 376 sagt: ..Norn (parca) hat sich bisher in keinem
andern Dialekt aufgefunden, gehört jedoch ohne Zweifel echtdentscher Wnrael
an.* Nichtsdestominder erlauben wir uns daran zu zweifeln and nom (nor-n
wie dor~n) für das griechische /aoTIq« zu halten. Der Übergang von m in
n ist bekannt genug. So erklärt sich, woran man bisher Zweifel zu haben
schien, althochd. nunna, angels. nunne, die Nonne, aus dem griech. fUr^ff
/uoyfiy fAovkog, Denn ich glaube nicht, dass die Anfahrungen bei Da Gange,
wonach nonnus und nonna im mittelalterlichen Latein ein Aasdrnek der Ehr-
furcht sind, im hohem Sinn wie Vater und Mutter, der sich in der Borna-
nischen Sprache als ital. nonno bewahrt hat, dazu veranlassen können, einer
andern Meinung zu huldigen. Denn das Wort erscheint erst in der christ-
lichen Zeit und ist nur durch christliche Anwendung bekannt. Die iltetto
Erwähnung des Wortes bei Hieronymus, wo es heißt: „quia maritornm ez-
pertiD dominatum viduitatis praeferunt libertatcm, castae yocantar et aoa-
nae' deutet Yielmehr schon darauf hin, dass der Ansdrnck der Bhrftircht,
welchen das Volk hineingelegt, in der religiösen Bewunderung Tor denen,
welche das Gelübde der Jungfräulichkeit oder Keuschheit in den ersten Jahr-
hunderten des Christenthums abgelegt hatten, seine Warzel hat. Das Wesen
einer Mönchin imponierte, wie das eines Einsiedlers und ihre NauMn worden
der Begriff von Ehrwürdigkeit, wie man in späteren Zeiten ^Bruder nnd
Schwester^ verwandte. Dem Volke war dieser Übergang von m in n ge*
381
die Nomen, sind aach poetische Frauen und haben den Bei-
namen quidr, redend; wie fatum von fari reden; denn nach
dem UrbegrifF des Redens ist Wort und Wahrheit dasselbe.
Was gesprochen ist, ist wahr; daher sind die Redenden die
Wahrheit verkündenden und die, welche das Schicksal ewig in
Händen halten und beschließen, werden durch Redende be-
sieichnet. Aus diesem Ghrunde ist der Nome der Zukunft in
der alten Sage ein Brunnen beigelegt Ein solcher ist der Be<*
sits derer, die in die Zukunft sehen. '') Wie aus dunkler Tiefe
des Brunnens der Quell, so sprudelt dem Kundigen das Wort aus
der verborgenen Zukunft. Der weise Mimer, der nichts ist,
als das personificierte Gedächtniss (memoria), hat einen Brunnen
des Wissens; bei ihm hat Odin, der höchste der Gotter, für
einen Trank daraus sein Auge, d. i. die Sonne, die sich wie-
derspiegelt, versetzt. Der alles wissende Wieland wird darum
wohnlich. So sagt Diez (Etym. Wörterb. der Roman. Spr. p. 237), indem
er das roman. nespola nespera, nefle vom lat. mespilam mispel richtig ab-
leitet, wozu auch althochd. nespil gehöre, ,,e8 sei durch den gemein-
romanischen Übergang" des m in n geschehen. Als solche Volkswaodelungen
erklären sich auch die von Salmasius (Exercit. Plinianae 824. b) beigebrachten
Beispiele von /unoin^oy and ytToirnoy etc. In einer Stelle des Talmuds, die
anderswo näher zu erläutern ist, steht ein bisher unerklärtes Wort nucli bes-
ser uncli. Es ist nichts als das lateinische amiculum; n steht für m.
Ebenso habe ich bereits (Mag. Alterth. p. 268) nachgewiesen, dass kimmeria
im Talmud, also im Volksausdrucke der Zeit kineria genannt ward. Arabisch
heißt onphak, was griechisch S/uq-ajucy genannt ist. In den Wissenschaftl.
Berichten I (2. 3. p. 213. Anm.) ist gothisch hnasqvus zu griechisch fudaxog
gestellt. Von sprachlicher Seite kann also keine Schwierigkeit dagegen
erhoben werden, dass in nor-n das griechische moira vorhanden sei. Eine
andere aber gibt es nicht. Denn die ganze Ausbildung der drei Nomen,
wie es drei Mören gibt, ruht auf ähnlichen Gedanken, was sich selbst in Ein-
/.elnheiten nicht verleugnet. Auch die Mören, wie die Hymne an Merkur zeigt,
sind weissagende Jungfrauen. Wie die deutschen Mährchen die früheren Kör-
nen in den «Tod'' verwandeln, so sind auch die Mören der dahinraffende Tod,
wie Hesiod sie schildert und wie man ihren Namen selbst zu /ue^ec und mors
gestellt hat (vgL PreUer Mythol. 1. 330). Wie die Nomen und Walkyrien in
einander nach der nordischen Sage übergehen, so sind auch die Mören Kriegs-
jungfranen. Sie streiten auf den Schlachtfeldern mit den Keren um die Ge-
fallenen (Hesiod, Schild des Hercules v. 258), außerdem nahmen sie, wie Apol-
lodor 1. 6. 2. berichtet, Theil am Kampfe der Giganten and erschlagen den
Tbeon. Dass die Sage von der Fackel des Meleager auch im deutschen Al-
terthume vorhanden ist, hat schon Grimm (Myth. 386).
39) Grimm Myth. 379. not. Wissenschaftl. Berichte 1. 1. p. 44. not.
382
der Besitzer eines Brunnens genannt. In dem Pholesbrnnno,
welches vorkommt, ist ein Apollobrunnen ^^) zu erkennen, denn
Apollo ist der Gott der Weissagekunst. So erzählt auchPau-
sanias von weissagenden Brunnen des Apollo in Lycien. Noch
in späterer Zeit sind Vorstellungen davon vorhanden. Darum
werden die Nomen ferner spakonur, Redende, wie die weisen
Frauen und völvur, Zauberinnen, genannt. Auch die Feen sind
ursprünglich fata, nämlich parcen, mehrere Fatums, welche
über das irdische Leben zu beschUeßen und zu zaubern Macht
haben. Anderseitig sind dann Völen Zauberinnen, prophetische
Frauen; ähnlich wie Saul die Hexe von Endor aufsucht, eilt
Odin unter dem angenommenen Namen Wegtam, Wanderer,
in die Unterwelt, wie es in der Edda heißt, „wo er der Wola
Hügel wusste, das Wecklied begann er der Weisen zu singen,
schüttelte Stäbe nach Norden schauend, sprach die Beschwö-
40) Im Phol einen Apollo zu erkennen , habe ich schon WissenschaftL
II. 2. 3. p. 157 angedeutet; Koberstein hat in diesem Jahrbuch p. 57 die
Mersebnrger Sprüche noch einmal abdrucken lassen, was mich veranlasst,
einige Bemerkungen hinzuzufügen , weil sie mir gewissermaßen für jenes be-
stätigend scheinen. Phol und Wodan kann ich mir nicht als Brüder den-
ken , auch nicht Sinthgund und Sunna — wie Frua und Volla als je zwei
Personen. Sinthgund übersetze ich (von alto. sinna curare, heilen, observare)
und gund Wunde) die wundheilende. Die Sunna, Sonne, wird, weil sie
im Deutschen als Frau gedacht ist, hier als die Schwester des Lichtgottes
Phol (Apollo) betrachtet. Dann sehe ich in Frua Vollä die jungfräuliche
Frau, die mit Artemis als Selene correspondiert. Dass Frua zu Artemis ge-
stellt werden (in der Yoluspa heißen Sonne und Mond Geselle) können,
hat Grimm selbst anerkannt. Volla, Fulla wird in der Edda wie Geflon »Is
keusche Jungfrau dargestellt. Sonne und Mond sind also Schwestern
des Phol. Den Sinn des Spruches würde ich dann so fassen:
„Phol und Wodan fuhren ins Holz,
Da ward dem Balders Fohlen sein Fuß verrenkt:
Da besprach ihn die wundheilende Sonne, seine Schwester, (ira = sna)
Da besprach ihn die jungfräuliche (Selene) Frau, seine Schwester."
Als es aber die heilende Sonne, noch der Mond, welchem bekanntlich sau-
berkräftiger Einfluss auf Wunden zugeschrieben ward, nicht konnten, — da
erst war dies die Kunst Wodan^s im Stande. Die NaturheUnng wich der
Kunstheilung. Sollten nicht durch diese Deutungen Grimms Zweifel bei Hanpt
2. 189. und in der Myth. zu verscheuchen begonnen sein. Anch war es
Grimm, der (Myth. 285) Fulla als Vollmond für möglich hielt, was dies
Bild als Schwester der Sonne und ihre jungfräuliche Eigenschaft fast rar
Gewissheit erhebt.
383
rung und heischte Bescheid, bis gezwungen sie aufstand, Un-
heil verkünd^id.^ Wola spricht: „Welcher der Männer bringt
mir Beschwer, stört mir die Ruh? Schnee beschneite mich,
Regen beschlug mich, Thau beträufte mich, todt war ich lange.^
Und so erklärt sich denn auch die Stelle des Tacitus, in wel-
cher er von der Veleda erzählt: „diese Jungfrau (sagt er)
herrschte weit iiber die Bructerer, nach alter Sitte bei den
Deutschen, nach welchen sie meist alle Frauen für prophetisch
und bei steigendem Aberglauben für Gottinnen halten/^ Nicht
jedem war der Zutritt zu ihr gestattet. Man wurde von ihrem
Anblick abgehalten, sagt der Romer, um die Verehrung zu
wahren. Sie befand sich in einem Thurme. Eine ausgewählte
Umgebung vermittelte Frage und Antwort Es ist kein Zwei-
fel, dass in diesem Namen der der Völe, der wissenden Zau-
berin, enthalten ist. Tacitus berichtet femer: „Aber auch die
Aurinia und mehrere Andere haben sie einst verehrt, aber nicht
in Abgotterei und nicht, dass sie sie zu Gottinnen machten/^
Für Aurinia hat man vieUeicht statt der bisherigen Vermu-
thungen Naurinia oder Norinia^') zu lesen und darin die
Nome zu finden. In späteren Zeiten wird einer ähnlichen Frau
mit Namen Ganna erwähnt. Noch König Gunthram befragte
eine Frau im Jahre 527 um ihren prophetischen Rath. Dem
romischen Feldherm Drusus, als er sich der Elbe näherte, trat
eine übermenschlich scheinende Frau entg^en, die ihm vorzu-
dringen wehrte, und sein nahes Ende prophezeite.
Wer selbst begeistert ist, kvnn auch begeistern, wer hin-
gerissen ist, reißt hin; in dessen Seele ein dämonisches Wal-
ten mächtig ist, ergreift auch die Nahestehenden mit fortstür-
mender Gewalt. Die Frauen begeistern, reißen hin, erwecken
zu Wetteifer und Tapferkeit, machen den schlummernden Ehr-
geiz lebendig, vor ihren Augen will Niemand schwach und
feige sein.
Der Deutschen Ruhm und Ehre, Thätigkeit und Wirkungs-
kreis war besonders der Krieg; die Begeisterung zum Kriege
daher der Frauen edles Amt, und sie erhoheten den Muth zum
Kampfe durch den Werth ihrer Personen, durch ihre Gegen-
wart, durch ihre begeisternde Rede.
41) Germania 8. Die Vermathung ist keinesfalls kühner, als die, durch
welche man bisher statt Aurinia, Aliruna la^.
384
Dieses Verhältniss der deutschen Frau zum Manne ist
ebenfalls zu edlem Bilde aus der Sprache aufgestiegen und hat
die Walkyrien, die Schlachtjungfrauen der Sage geschaffen. In
ihnen ist die Sehnsucht nach Sieg und Kampf ausgedrückt;
sie entscheiden über denselben, sie ermuthigen, sie beleben den
Krieg. Wal, woher der Name, heißt Streit, Kampf.
Die tiefsinnige Anschauung der altdeutschen Sage vom
Frauenwesen fasst jede Seite desselben auf, ohne über die Ein-
heit desselben, in welchem sich alle verschiedenen Eigenthfim-
lichkeiten wieder zusammenfinden, zu verlieren.
Daher finden wir die Walkyrien, die Schlachtjungfirauen
einmal als liebende Frauen. Die edelsten Helden der Eldda
haben treue Gemahlinnen an Walkyrien. Zu Sigurd sagt die
Walkyre Sigurdrifa: „Dich liebe ich und keinen Andern, hätte
ich auch zu wählen unter allen Männern.^ Dieselben werden
dann als weissagend vorgestellt. Die Walkyrienfrauen helfen
ihren Männern nicht bloß durch ihre begeisternde Kraft, son-
dern auch durch ihre voraussehende Weisheit. Dieselbe 8v^
gurdrifa^ welche ein Gelübde gethan hatte, sich keinem Manne
zu vermählen, der sich fürchten könne, die aber ihm mit Math
und Minnetrank bewirthete, wird von ihm gebeten, ihm Weis-
heit zu lehren, „da sie alle Geschichten aus der ganzen Welt
wisse.^
Dieselben Walkyrien werden darum auch nicht von den
Nomen, den Schicksalsgöttinnen, ganz geschieden. Die jüngste
der Nomen, Skuld, d. h. die Zukunft, wird auch eine Wal-
kyre genannt. In tiefsinnigster Weise, denn die Zukunft ist
für alle Welt noch die Zeit des Kampfes, ist selber die Ge-
nie, welche zum Kampf und Sieg aufibrdert Nur eine Aas-
legung dieser Identität ist es, wenn ein alter Held in der Sage
durch einen Felsenspalt singende Frauen mit Spinnen beschäf-
tigt sieht, die sich als Walkyren bezeichnen, während sonst
doch die Nomen, die Schicksalsgöttinnen, so gedacht werden.
Bei ihrem Gewebe haben sie Menschenhäupter lEum Gewicht,
Därme zu Garn, Schwerdter zur Spule, Pfeile zum Kamm.
Die Zukunft voller Kampf, Tod und Sieg webt ihr Riesenge-
webe mit Menschenköpfen und Schwertern.
Aus Begriffen, Erfahrungen, Empfindungen, nationalen Ei-
genthümlichkeiten, so weit sie die Frauen angingen, ist die
Idealisierung und Syuibolisierung der Frauennatur entstanden.
385
Die alte reUgioae Anachauung achaffit wie der Künatler und
Diohter ; aie erhebt daa Sterbliche in daa Ideale, loat die Makel
ab, und eracha£ßb ihre Genien aua den Erkenntniaaen dea Le«
bena, nur in dem Maße potenziert und erhoben, ala die Poeaie
nöthig findet für den Grad der Verehrung, der Bewunderung
und Furcht. Daher iat eben daa Heidenthum die Religion der
Sprache, der Poeaie. Denn reden und dichten fallt im Urbe-
griff einer Nation zuaammen. Daa Bilden der Worte iat eine
poetiache Schöpfung; daa erate Wort, daa erate poetiache
Werk. Mit dem letzten Menschen zieht der letzte Dichter
hinaua.
Dieae kurzen Anführungen konnten ala Belege^*) an die-
aem Orte genügen. Die berühmte Stelle dea Tacitua, wo er
von den deutachen Frauen handelt, kann ala daa treffendate
Zeugniaa nicht übergangen werden. Er sagt: „den Deutachen
in der Schlacht sind die Frauen die ehrwürdigsten Zeugen, die
höchsten Lobertheilenden. Zu den Müttern, zu den Frauen
bringen aie ihre Wunden, und ea acheuen aich jene nicht, nach
den Verletzungen zu aehen und aie zu unterauchen, und brin-*
gen sie den Streitenden Nahrung und Ermunterung. Ja, man
erzählt, ea seien schon erschütterte und wankende Schlacht-
ordnungen von Frauen wieder hergestellt worden durch die
Unablässigkeit ihres Zuredens, und dadurch, dass sie ihr
eigenes Leben oder ihre Freiheit in Gefahr brachten; denn die
Gefangen achaft ihrer Frauen trugen sie bei weitem unwilliger,
ala die eigene, so dass die Gesinnungen der Genossenschaften
(civitatum) wirksamer verpflichtet werden, denen unter den Gei-
ßeln auch edele Jungfrauen zu stellen angegeben wird. Denn
ihrer Ansicht nach ist in ihnen etwas Heiliges und Prophetisches
(sanctum aliquid et providum) und darum verschmähen sie we-
42) Von den Maunuiem enuUilt Procop in den Vandalifchen Merkwür-
digkeiten 3. 8. Folgendes: ,^a der Zeit, als man die Verrnnthung hatte, es
werde die kaiserliche Flotte nach Libyen kommen, fürchteten die Maunuier,
dass sie dadurch Verluste erleiden würden und bedienten sich darum der
Wahrsagekünste der Weiber. Denn nach ihren religiösen Begriffon
darf bei diesem Volke keine Person die Wahrsageknnst treiben, sondern
Weiber, welche in Folge eines feierlichen gottesdienstUchen Aktes in Begei-
sterung gerathen, sagen die künftigen Begebenheiten, wie früher die Orakel
voraus."
386
der ihre Rathschläge, noch verachten sie ihre Bescheide."**)
In diesen wenigen Sätzen ist die ganze Anschauung enthalten,
mit welcher die Mythe der alten Deutschen ihre Halbgottinnen,
Prophetinnen, Priesterinnen, Nornen, Volen und Walkyrien
bald nach den besonderen Eigenschaften, bald nach dem con*
centrierten Wesen der Frauen geschaffen hatten. Es sind die
Frauen, welche den Krieger ermuthigen und anstacheln und
den Lorbeerkranz aus weißer Hand reichen; sie pflegen nüd
heilen den Wunden; für sie geht seine Ritterlichkeit auch in
das verlorne Treffen zurück. Endlich glauben sie in allen
Frauen etwas Heiliges und Prophetisches. Dieser letzte Zog,
den der große Geschichtschreiber aus ihrem Leben richtig er-
kannt hat, bezeugt deutlich die Richtigkeit unserer Auffassung,
dass der Quell des Gedankens der germanischen Volen und
Walkyrien, Zauberinnen und wissender Nornen im germani-
schen Leben enthalten ist. Dem Heidcnthume ist das Leben
der Volker der Maßstab für das Leben der Gotter und Ge-
nien. Die tiefe und sinnige Stellung der Frauen bei den Ger-
manen gab die Basis zu den wunderbaren Vorstellungen des
mythologischen Frauenwesens. Und wiederum geben uns die
vorhandenen Kunden aus alter Göttersage des Heidenthums
und des Germauenthums insbesondere Zeugniss von dem ur-
alten Leben der Völker auf dieser Erde.
Darum hat auch Tacitus Recht, wenn er die Erscheinung
weiblichen Einflusses auf das Leben der Männer, ganz beson-
ders der Deutschen, mit denen hier zum Theil die celtische^*)
Sitte übereinkommen mochte, zuschrieb. Denn nur bei ihnen
43) German. 7. 8. „numerare piagas'' habe ich nicht geglaubt, einÜMsh
„die Wunden zählen'' übersetzen zu können. Es drückt doch wohl mehr
die Thätigkeit der Frau aus, welche den Körper des Verwundeten näher un-
tersucht, wie sehr und an welchen Theilen das Geschoss des Feindes
ihn getroffen. ^Die Wunden zählen'' konnte auch einen Sinn auszudrücken schei-
nen, der wenigstens nur zum Theil von dem Geschieh tschreiber angedeutet ist.
44) Plutarch über die Tugenden der Frauen cap. G. erzählt, dast unter
den Gelten einst ein arger Zwiespalt ausgebrochen sei. Damals hätten nun
die Frauen diesen Streit so weise geschlichtet, dass daraus die innigste Bin-
tracht gefolgt sei. Daher ist in späterer Zeit von den Gelten die Sitte be-
wahrt worden, dass sie bei ihren Berathungen über Krieg und Frieden die
Frauen zuzogen und die Streitigkeiten mit ihren Bundesgenossen doroh ihre
Hülfe beilegten. (Moralia II. 14. Wyttenbach).
387
hat das Leben immer die Harmonie offenbart mit der Auffas-
sung der Sage und Religion. Das Leben enthielt zu aller Zeit
noch die Elemente, aus welchen jene mythischen Gestalten her-
vorgingen und wären sie noch nicht geschafiPen, neugeschaffen
werden konnten. Noch immer trägt im germanischen Leben
die Frauennatur eine dämonische Kraft für Verhältnisse des
Privat- und öffentlichen Lebens. Aus allen Ereignissen seiner
Geschichte tritt mit den Thaten der Männer immer auch ein
großes dämonisches Heldenweib mit wallendem Hauptschmuck
hervor. Nach dieser Seite hin zeichnet sich die germanische
Sitte allerdings nicht bloß nach dem Orient hin, sondern auch
von der Griechensage nicht unwesentlich ab. Der griechischen
Mythologie sind Zauberinnen und Prophetinnen, welche grie-
chischer Heimath entstammten, bei weitem nicht in dem Maße
eigenthümlich ; sie konnten es auch nicht sein, weil das griechi-
sche Familienleben, so weit es die historische Zeit erkennen lässt,
minder geeignete Grundlage zu dieser dämonischen Idealisierung
gab, und das Verhältniss des griechischen Mannes zur grie-
chischen Frau nie den zarten Schmelz erreichte, den das deut-
sche Leben immer getragen hat. Außerdem ist eine Betrach-
tung der griechischen Mythologie, so weit sie zur Comparation
mit dem griechischen Leben auffordert, immer eine noch mehf
schwierige, als dies überhaupt bei solchen uralten Kunden der
Fall ist. Denn in ihr ist zum großen Theil nicht bloß das
Glauben und Anschauen von Crriechenland allein, sondern der
damaligen bekannten Welt zusammengeflossen. Kunst, Dich-
tung, Menschenkunde haben für den griechischen Sagenkreis
alles zusammengetragen und centralisiert, was im Horizonte da-
maliger griechischer Kenntniss lag; das griechische Heiden-
thum ist daher j\i seinen Ursprüngen viel schwerer als irgend
ein anderes zu sondieren, je verschiedener die Elemente, je
mannigfaltiger die Schichten der Bildung und je weiter auf
einem entwickelten geistigen Leben der Gedanke, die Person,
die Phantasie ihre Arme ausstreckt, um zu schaffen, zu verbin-
den, zu wetteifern. Das zeigt sich in der Sage, so weit sie
Frauen angeht, recht deutlich. Nicht als ob die eigentliche
Ursage von Hellas arm wäre an großen, dämonisch bedeutsam
men Frauen — daran ist keine Nation arm, wie wir oben be-
reits bemerkten — aber bezeichnend ist, dass diejenigen weib-
lichen Gestalten, welche die griechische Mythe als Zauberinnen
fTHrnrnr. J». //. 25
388
und zum Theil auch als Prophetinnen bezeugt, aus der Fremde
und aus Gegenden, und Sprachen stammen, die zuweilen an
Germanische oder Celtische Einflüsse erinnern. Hecate, die
Zauberin der Nacht, wie Circe wohlbekannt in allen Misch-
und Zaubertränken, die Männer in Thiergestalten verwandelte,
stammen aus dem fernen Colchis. Medea, die dämonische Frau
ist eben daher; Jason, als er über ihr Wesen erschrickt, ruft
beim Euripidas aus: „Kein griechisch Weib wahrhaftig
hätte dies je gethan.''**) Nach dem Scythischen Tauris wird
Iphigenia versetzt, der Diana zu dienen; der Dienst besteht,
wie es beim alten Dichter heißt, „zu opfern jeden, denn so ist
alte Sitte dieser Stadt, wer je aus Griechenland hieher ver-
schlagen ist;^ Iphigenia freilich weihet die Opfer nur als Frie-
sterin, den Mord überlässt sie Andern, aber deutlich erinnert
dies an die grauen barfiißen Priesterinnen der Cimbem, die im
weißen Gewände die Gefangenen schlachten und aus dem im
Kessel siedenden Blute prophezeien; was aber besonders merk-
würdig sein muss und viele Irrthümer früherer Zeit aufhellt,
ist, dass der Name der berühmtesten Weissagerin des klassi-
schen Alterthums, der Sibylle, deutschen Ursprungs scheint.
Spill on heißt gothisch verkünden und wird für evangelizes-
thai, das Evangelium verkünden, wiedergegeben. Spill heißt so
viel als Mythos. In anderen Dialecten spell, spiall. Rede, Fa-
bel, Zauberlied, spello, reden, voraussagen, daher im Althoch-
deutschen wärspello, ein Prophet von Ezechiel gebraucht, gud-
spiaU, das Evangelium, woher das englische gospel. Beim Be-
sprechen ist der Zauberspruch ags. spell, goth. spill, wie spell
noch heute englisch auch für Zauberei, Besprechung gebraucht
wird. *•) Wie auch ein alter Autor berichtet, „man habe eine
Zauberin Sibylle genannt, da sibyllainein so viel sei als begei-
45) Medea 1340. y^Ovx Mcxw ijrig jovj* av 'BlXfivig yvyii frlti 7ro^*<<«
46) Von welchem Interesse diese Ableitung ist, wenn sie, wie ich gern
hoffe, angenommen wird, beweist schon, dass Dieffenbach, ein Qelehrter, der
in etymologischen Dingen um verwandte Stamme selten verlegen ist, für dM
goth. spill keine exotischen Verwandten findet und dass Benfey für Sibylle
nichts als die alte unhaltbare Verwandtschaft von ßovXi^ beizubringen weiß.
Wenn es später gelingen sollte, meine Untersuchungen über Hecate, Circe und
Sibylle zusammenzustellen, so soll diesem Gegenstande erneuerte Untenuohuog
gewidmet sein.
389
Stert werden." *^) Diese Abstammung ist für die Zusammen-
hänge deutschen Lebens mit den Griechen and Römern bereits
im zweiten Jahrhundert vor Chr. Geburt, von Interesse und
gibt einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Herkunft der
Sibylle und ihrer Orakel, welche noch jetzt aufbewahrt für
die Bewegungen auf dem Gebiete christlicher Lehre iiv den er-
sten Jahrhunderten bedeutungsvoll sind.
§. 3. Fassen wir das Resultat des Angeführten zusammen,
so nehmen Frauengestalten als Priesterinnen und Zauberinnen
die Stelle im deutschen Alterthume aus dem Grunde ein, weil
wie die heidnische Mythe immer nur ein ideell erhabener Abriss
des menschlichen Lebens und Wesens war, das Verhältniss der
Frauen im deutschen Alterthume als ein besonders eigenthüm-
liches, tiefes und edles ebenfalls zu einer besondern Eigenthüm-
lichkeit im mythischen Himmel gelangte. Es war, wie das Hei-
denthum in sich die Mannichfaltigkeit des Lebens der Volker
erkennen lässt, der besondere Character der Frauenstellung im
deutschen Leben auch in dem mythischen Zauberspiegel beson-
ders niianciert.
Wir haben die Frage zu beantworten, weshalb im Juden-
und Christenthum Propheten, Engel, Heilige prävalieren. Dies
möge durch folgendes geschehen.
Das Heidenthum war die Religion der Sprache; die Bibel
lehrte Gott deu Unaussprechlichen; das Heidenthum wurzelt in
der Mannigfaltigkeit, die Bibel lehrt den Einen, Allgemeinen,
jenes göttliche Bruchstücke, diese ein unendliches untheilbares
Ganze.
Jenes beruht auf der menschlichen Natur und Geschichte,
war also mit Menschen zu aller Zeit und iiberall vorhanden ;
der biblische Gott, den Menschen aus ihrer Contemplation nicht
fassten, offenbarte sich der einzelnen Nation, aus der er auf
den Stufen der erleuchteten Zeit in die Erkenntniss der Men-
schen stieg.
Das Menschenthum , welches aus dem, was menschlich an
ihm ist, Gestalten construiert, die mehr als Menschen sein sol-
len und deshalb Heidenthum ist^ entbehrt nicht den ewigen
47) Diodor. Sicul. 4. 66: „to yäq i^S-tdCity naträ yXtSiray vnaqx^iv tf»-
25
♦
390
Gott, aber es weiQ ihn nicht; es wird von ihm geleitet, aber
weil es ihn nicht sieht, schafft es sich Gestalten aus eigenem
menschlichen Thon.
Es ist wie die Nacht; die Sonne ist nicht untergegangen,
ihr heilsames Licht nährt noch den Erdball. Aber sie sieht
sie nich^ durch die Ordnung der Ewigkeit, wie das Heiden-
thum Gott nicht sah durch den Willen der Vorsehung. Es ist
wie ein Mensch, dem das Leben ein Gefäß ist voll sinnlicher
Lust und Triebe. Es fehlt ihm nicht die Seele, die in ihm
schafft und erhält, aber er weiß nichts von ihr und aus eige-
nem StofP macht er sich ein trübes Lebensziel zurecht.
Das Heidenthum ist das irdische Wesen, nicht ohne Gott^
aber in Unwissenheit von Gott, in der Abkehr, in der Selbst-
schaffimg ohne Gott.
Alles, was auf ihm steht, baut und schafft daher aus sterb-
lichem mit Endlichem, mit Natürlichem d. h. mit sichtbaren
Erscheinungen der Natur, bruchstücklichen Erinneningen und
individuellen oder nationalen Erfahrungen des Menschen nnd
Volkslebens.
Weil dies der Fall ist, so hat das Heidenthum keinen Be-
griff wirklicher Unendlichkeit. Jupiter und Odin fangen an
und gehen unter. Denn wer auf menschliche Erinnerungen, und
wären es tausende von Millionen Jahren sich stützt , hat eine
Vergangenheit, die anfängt; wer sie hat, dem fehlt auch der
Blick in die Zukunft. Nur wer ewig ist, kann immer ein Pro-
phet sein. Nur im Ewigen fallt Vergangenheit und Zukunft
wie ein Moment zusammen, und darum gibt es nur eine ge-
wisse Prophetie, die des ewigen Gottes, in dem was ist und
wird und war ein Punkt ist, und vor dessen Einheit alles was
geschieht als das Eine, als das Gleichzeitige, als das Gleich-
örtliche wie auf einer Hand ausgebreitet liegt.
Die Orakel, die Weissagungen des Heidenthums, sind Er-
zeugnisse des menschlichen und natürlichen Waltens; sie bre-
chen oft unbewusst aus dem mysteriösen Bau der menschlichen
Natur heraus; sie werden aus dem unbewussten Zusammen-
hang mit Gott als Ahnung, als dunkeles Schauen erzeugt. Sie
geben, wie Blumen der Nacht ohne Sonne, obschon der Erd-
ball ihrer nicht entbehrt, so ohne Gott, in nächtigem Schatten
aus der Seele auf. Deshalb ist der Traum ein besonderes Merk-
mal heidnischer Weissagung, weil er eben sich im Menschen
389
Stert werden/^ 4^) Diese Abstammung ist für die Zusammen-
hänge deutschen Lebens mit den Griechen and Römern bereits
im zweiten Jahrhundert vor Chr. Geburt, von Interesse und
gibt einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Herkunft der
Sibylle und ihrer Orakel, welche noch jetzt aufbewahrt für
die Bewegungen auf dem Gebiete christlicher Lehre iiv den er-
sten Jahrhunderten bedeutungsvoll sind.
§. 3. Fassen wir das Resultat des Angeführten zusammen,
so nehmen Frauengestalten als Priesterinnen und Zauberinnen
die Stelle im deutschen Alterthume aus dem Grunde ein, weil
wie die heidnische Mythe immer nur ein ideell erhabener Abriss
des menschlichen Lebens und Wesens war, das Verhältniss der
Frauen im deutschen Alterthume als ein besonders eigenthüm-
liches, tiefes und edles ebenfalls zu einer besondern Eigenthüm-
lichkeit im mythischen Himmel gelangte. Es war, wie das Hei-
denthum in sich die Mannichfaitigkeit des Lebens der Volker
erkennen lässt, der besondere Character der Frauenstellung im
deutschen Leben auch in dem mythischen Zauberspiegel beson-
ders nuanciert.
Wir haben die Frage zu beantworten, weshalb im Juden-
und Christenthum Propheten, Engel, Heilige prävalieren. Dies
möge durch folgendes geschehen.
Das Heidenthum war die Religion der Sprache; die Bibel
lehrte Gott deu Unaussprechlichen; das Heidenthum wiurzelt in
der Mannigfaltigkeit, die Bibel lehrt den Einen, Allgemeinen,
jenes göttliche Bruchstücke, diese ein unendliches untheilbares
Ganze.
Jenes beruht auf der menschlichen Natur und Geschichte,
war also mit Menschen zu aller Zeit und überall vorhanden ;
der biblische Gott, den Menschen aus ihrer Contemplation nicht
fassten, offenbarte sich der einzelnen Nation, aus der er auf
den Stufen der erleuchteten Zeit in die Erkenntniss der Men-
schen stieg.
Das Menschenthum , welches aus dem, was menschlich an
ihm ist, Gestalten construiert, die mehr als Menschen sein sol-
len und deshalb Heidenthum ist, entbehrt nicht den ewigen
47) Diodor. Sicul. 4. 66: „to yäq iyd-taCf^y xarSt yAaJiT«!' vnuQX^iy tf»-
25
♦
392
als Sonnengott, Helios, der Alles hell sieht, sondern vielmehr
im Gegentheil als Dichtergott, als das Symbol poetischer Ent-
zückung, die aus dem inneru Drang hervorstürzt in freierem
Schwünge als dem des sinnenden und entwickelten Gedanken.
Denn seine Sprüche sind eben dunkel poetischer • •) Natur,
aus dem verzückten Rausch der Priesterin herausgeschleudert,
und dem Gefühl wie Verstandniss der Anderen wie eine Dithy-
rambe anheimgegeben. Daher auch die Pythia Lorbeerkränze
trug, das Orakelgewolbe lorbeerbehängt war, auf dem Al-
tar Raucher werk von Lorbeer brannte. Der Dunst, der aus ei-
nem Erdschlund , also aus der Erde aufstieg , soll die Priesterin
zu dunklem prophetisch - dichterischem Enthusiasmus verzückt
haben, aus dem die bewussten Ausleger deuteten.**)
Auf dem Gebiete des Heidenthums konnte ein Orakel das
andere nur mit Unrecht verleugnen; auch jedes Volk jedes
Orakel als wahrhaftig anerkennen; der Synkretismus, d. h. die
Verschmelzung der Heidenthümer, den man bei den Alten so
auffallend findet, ist ganz natürlich, da es doch immer diesel-
ben Grundelemente sind und anerkannt werden , welche die An-
sicht des Einen , wie des andern Volkes trägt Es ist ganz in
der Ordnung, wenn lydische und persische Könige griechische
Orakel, wenn Romer asiatische Sibyllenbücher oder das del-
phische Orakel befragen; der dunkele Kern, aus dem des Hei-
denthums Weissagung entsprang, ist ja bei Allen derselbe, nur
die Auslegung wird und ist eine verschiedene.
Eine andere Stellung nimmt dazu die biblische Lehre ein.
Sie kann dem Götzendienst nicht duldsam zusehen, denn das
wiirde die eigene Wahrheit verkennen heißen. Sie muss die
Götter von den Altären stürzen , denn es sind eben keine Got-
ter, sondern sterbliche Wesen nach Entstehung und Gestalt.
Ebensowenig kann sie die heidnische Weissagung und Zauberei
dulden. Denn es gibt keine Weissagung außer im ewigen
Gott, und die Anerkennung einer solchen gleicht der Leugnung
der Einheit und Unendlichkeit des offenbarten Gottes.
53) Socrates sagt in der Apologie des Plato cap. 22 : ^jfyrtity o^y »al
nfQt T(oy 7¥otfiT(oy iy SXiyip rovroy ort ov <ro(f'i^ noioUy a notoUyy ^JiXd iptifit
jtyi xal iyS-otüia^oyjfSy t5<fn(Q oi d-to/LtttyjHgf xtd ol x^ti<f/nttdoL^^
54) Vgl. Preller Mythologie 1. 178»
398
Jede Aufrichtung eines Götzenbildes ist kein anderer Pro-
zess als die Errichtung eines Orakels, welches den Menschen
das Unbekannte nach Wunsch verkündet.
Das Heidenthum sagten wir, entbehrte nicht den Gott,
aber es wusste ihn nicht ^^) Es lag der dunkele Trieb in ihm,
der Gott sucht; aber es^ suchte in Abkehr von der Gottheit,
im Menschenwesen selber. Durch die Gestaltung, welche diese
dunkele Sehnsucht von der Menschennatur erhielt, wurde sie
so mannigfaltig als das Menschenleben selber, ein Abbild der
Menschennatur selbst d. h. gab es so viele Götter als Gedan-
ken der Menschen über sich und jedes Götzenbild war der
festgewordene menschUche Commentar des dunkelen, instinctiv
waltenden Dranges nach Oben. Die biblische Lehre stürzt das
Götzenbild, nicht weil sie den dunkelen Trieb als ungöttlich
erkennt, sondern weil sie die Gestaltung, welche ihm gegeben
war, als menschlich, als die dürre, sterblich vereinzelnde mensch-
liche Willkür, als unwahr erkennt, weil sie dieser Gestaltung
nicht mehr bedarf, da das Dunkele hell, die Nacht zu Tag,
die Sehnsucht nach oben nicht mehr unklar ist, wen sie suchen
und wo sie zu finden hat.
So beruht auch die heidnische Weissagung auf der Nacht
der Ahnung, auf den dunkeln Schauern einer geheimnissvollen
Natur in uns, auf einem unbewussten Walten der Phantasie,
einem unbekannten Verhältniss der Nerven und des Bluts; und
dieses Mysterium des Lebens entbehrt nicht eine unausgespro-
chene Wahrheit, aber es kennt sie nicht und darum wird sie
zur Unwahrheit und zum Aberglauben, so bald sie ausgespro-
chen und ausgelegt wird.
Denn die Auslegung ist wieder der Mensch und zwar nicht
in dem Stadium der dunkelen Bebauung, sondern dem der
Selbstbetrachtung und Selbsterinnerung. Es empfangt hierdurch
die Vielfachheit und Vereinzelung der Auslegung, welche der
Mensch sich nach seinem Wesen gestaltet, dadurch eben die
Unwahrheit und Ungöttlichkeit. Die Furcht ist eine Gewalt
im Menschen, die von derselben Natur ist, eine instinctive Ge-
55) Sehr merkwürdig ist der Aussprach Heraklit's von der SibyUe: fitu-
vofiivf^ <n6f4ftT& dyiXaüja xal axalitonKfra x<d tt/uvQKfra qfd'tyyo/uiyii ;|f*AiQiv
irtSy l|*xy|*To* Tg (fatytjf (fax toy &(6y^^ Vgl Schleiermscher: Heraklit der
Dunkele in seinen Philosoph« Schriften, Werke 2. p. 14.
394
burt unseres vitalen Lebens , ein Erzeugniss der Nachtseite der
Seele — wie wir von der Furcht ergriffen sind, gestalten wir
Alles nach den Formen , welche unsere menschliche Individua-
litat uns fürchterlich vorstellt, wir bilden aus unserer Einbil-
dungskraft tausend Gestalten, die unserm gewohnlichen Lebens-
kreise entsprossen sind, und die wir wirklich sehen. Der Trieb
der Furcht ist hier keine Unwahrheit, sondern die Schöpfun-
gen sind es, welche wir erzeugten. Das böse Gewissen geht
mit uns ähnlich zu Werke. Es zaubert uns vor die Seele all
die Geister in lebendiger , sichtbarer, vereinzelter Gestalt, welche
uns, um unserer Vergehen halber nahen und verfolgen. Wir
sehen, was wir nicht sehen, wir gestalten, was nie gestalts-
mäßig und möglich ist.
Man kann insofern auch nicht sagen, dass der Trieb des
Heidenthums zum Orakel ungöttlich war, aber die Auslegung
des Orakels war abergläubisch und ungöttlich. Denn es war
ja der Mensch, welcher gläubig oder ungläubig, ehrlich oder
in der Täuschung das geheimnissvolle Dunkel nach sterblichem,
augenblicklichen Bedürfhiss und Leben, auslegte.
Die biblische Lehre muss diese Weissagerei verwerfen,
denn es ist keine außer m Gott. Seine Erkenntniss ging auf^
wie die Sonne; vor ihm verschwinden alle Nachtgesichte. Die
Auslegungen dieser dunkele^i Schauung sind nichts besseres als
Götzenbilder; sie fixieren nav^h endlich -räumlicher und zeitlicher
Weise und mit menschlicher Willkür und fordern für dieselbe
den Glauben, der nur der Ewigl^eit gebührt.
Als das Orakel in Delphi d^.e Autorität verlor, befragte
man es nicht über Staatsangelegenheiten, aber über private
Dinge, über Sclavenkauf, Heirathen, Feldbau und Geschäfte
aller Art. Den Alten war aber der Gegenstand der Frage der
Maßstab der Bedeutung. Darin zeigt sich der heidnische Lr-
thum am meisten. Denn sie begränzten die Kraft der Weis-
sagung selbst durch die Enge der menschlichen Verhältnisse,
aus denen die Frage kam, während es für das Orakel eben so
schwer war, zu wissen, in welchem Jahre ein Mädchen ihren
Geliebten heirathen werde , als ob der König Krösus über den
Grenzfluss gehen solle. Vielmehr wurden diese Gesellschafts-
und Familienfragen, wie mau sie in neuerer Zeit an drei und
vierbeinige Orakel zu stellen pflegte, der Auslegung der privi-.
legierten Deuter immer schwer, weil der Kreiß der Deutung oder
395
yielmehr der Vieldeatung, immer enger ward. Aber diese Auf-
fassung musste dem Heidenthum eigen sein, denn das heidni-
sche Orakel weiß nichts, als was die .Menschen fra-
gen und auslegen; sein Wissen erscheint daher je weiter
und größer, je ausgedehnter die Kreise, die politischen und
geographischen Gränzen sind, aus denen die Fragen kommen.
Denn einen Begriff von einer Ewigkeit, welche sich nicht blos auf
ein einfach Vor- und Rückwärts beschränkte, in welcher nicht
blos alles Hintereinander, sondern auch jedes Nebeneinander
in einen Brennpunkt zusammenfiel, in der also die einzelne Be-
gebenheit ebenso fern und nahe lag, als die dunkele Zukunft
und die dunkele Vergangenheit, hatte das Heidenthum eben
nicht.
Die biblische Lehre verwirft alle Wahrsager, Geisterbe-
schworer, Todtenbeschwörer , wie Götzendiener, sie verkünden
im Namen falscher Götter; denn Gott ist es ni^ht, der um der
Neugier und der gewöhnlichen Fragelust der Menschen, in die
Hände einiger Ausleger das Verborgene gegeben hat. „Diese
Völker, die du vertreibst (sprach wörtlich Moses zum Volke)
hören auf Wolkendeuter und Wahrsager, — Dir aber verkün-
det nicht so der ewige Gott. Einen Propheten wie mich wird
der Ewige dein Gott aus deinen Brüdern erwecken, und auf
den sollst du hören. '^ (Vgl. Evangel. Matthäi 17. 5, Lu-
cae 9. 36. wo die Erfüllung dieser Verkündung in Christo of-
fenbart wird.) Die Prophetie des Moses ist hier, wie eine Art
Norm für aUe Prophetie im Namen des ewigen Gottes hinge-
stellt. Und wie ist denn diese Prophetie beschaffen! Sie un-
terscheidet sich von dem Orakel wie Gott von Apollo sich ab-
zeichnet. Ihr Maßstab und Norm ist eben nie etwas Anderes
als die ewige Lehre, der allgegenwärtige Gott. Ihr Zweck ist
nie ein anderer, als für die sittlichen Wirkungen und Folgen
der Lehre des Herrn. Die Gränzen der Prophetie sind nicht
die Gegenwart, darum beschränkt sich auch nicht ihr Wort
auf ein bestii|;^ntes Verhältniss und eine bestimmte Zeit. Sie
nimmt ihren Ausgang nicht von dem einzelnen Menschen, son-
dern immer vom allgemeinen Gedanken. Sie wartet darum
nicht bis sie gefragt wird, sie redet von den Gesetzen der
Welt auch gegen den Willen und gegen die Mode der Zeit.
Sie sieht, wie Elia über dem Sturm, dem Donner, den brau-
senden Elementen den stUlen waltenden Geist der Ewigkeit,
396
sie zeigt, wo Alles dürr und erstarrt ist, auf den Flecken am
Himmel wie eine Hand groß, den noch Niemand sieht, das«
von ihm herunterstrome das Geschick der Zukunft; sie lehrt
die Völker, mit denen sie lebt, an den ewigen Gesetsen
Gottes und der Wahrheit ihr Leben und ihren Vortheil mes-
sen , und darum sind ihre Verkündungen , auch wenn die
Personen zu denen sie spricht, wechseln, immer noch dieselben;
ihre Aufgabe ist nicht, das was den Menschen Ter-
borgen bleiben muss zu enthüllen, sondern das, was ih-
nen kund werden muss zu erklären: die kleinen GelCtsie
menschlicher Neugier erfüllt sie nie;^^) wenn sie dem Ein-
zelnen antwortet, den ein individuelles Schicksal drückt, bo
geschieht dies nur mit Hinweisung auf die Norm des ewigen
Geschicks und zur Deutung der unendlichen Sittlichkeit, die in
jedem Herzen als Richter, wie als Zeuge sitzt. Wenn der Mat-
ter des Abia, eines königlichen Prinzen über die Krankheit
desselben ein Bescheid gegeben wird,*^) so geschieht es nnr
um der Sünde ihres Gemahls einen Sittenspiegel vorzuhalten.
Dagegen nähert sich ein anderer Prophet dem armen Weib,**)
die ihr Kind verloren glaubt, mit heilender Kraft, denn sie glaubte,
dass er ihrer Sünden wegen nahe und ihr die Schuld an der
Kjrankheit ihres Lieblings deuten werde. „Lehrer der Umkehr^
werden sie daher treffend von Gregorius v. Nyssa genannt.**)
Die Prophetie im Namen des Ewigen bedarf daher keiner Ver-
zückung und dunkeler Begeisterung. Sie legt vielmehr den
hellen Tag in die Seele des Menschen, in dem er sieht, was
durch lokale und zeitliche Hindernisse von Andern nicht ge-
56) Tief und trefflich heißt es daher in einem Briefe der heiligen Hilde»
gard, worin sie einem Petenten aus Coblenz ablehnt seine Fragen über die
Zukunft zu beantworten! „de salute autem animarum magis loqnor, quam de
casibus hominnm et ideo multotiens de his sileo, quia Spiritus sanctns non sf-
fiidit manifestationem in confusione criminum popnlorum sed jostom Jodieiam*
Epp. var. n. 27. bei Martene et Durand Vett ss. et monn. junplis. coUeotlo
2. p. : 1047. 48. Auch der h« SeTerinus antwortet dem fragenden König der
Rugier : Du hättest mich vielmehr über das ewige Leben fragen BoUea.
^Disce insidias cavere, non ponere et in lectulo quippe tuo pacifico fine traof-
ibis." Acta sanct. Surii Jan. p. 160.
57) 1 Kon. 15. 7. 8.
68) 1 Kön. 17. 17.
59) Vgl. Suicer. thef. eccles, 2, 871.
397
sehen wird, indem ihm der Moment wie ein Tropfen, worin
sich der ewige Gedanke reiner oder trüber abspiegelt, und
vorglanzt sein eigener Geist, erhoben über die Beengtheit
des individuellen Naturells, die Sprache findet, in welcher er
redend dieses Gesicht wie in ein GeHLß verbirgt, um ewig
den Menschen zu verbleiben. Sehr fein drückt sich darüber
d. h. Basilius aus : „wie kann denn der sinnlos verzückt
werden, welcher von Gottes Allgegenwart ergriffen wird^
wie denn der seinen Verstand verlieren, der in der Seele die
göttlichen Lehren bewegt, der seine eigenen Reden nicht ver-
stehen, der Andern hierdurch Verstandniss bringt.^ Es liegt
ja das bereits in den Worten des Moses, die Prophetie werde
auf einen Mann, wie er übertragen sein — mit dem Gott nie
in Räthseln sprach, und der selbst nicht einmal mit dem ge-
wöhnlichen Namen „Prophet^ sondern Mann Gottes genannt wird.
Die Prophetie beruht auch nur auf einem ganz von Glau-
ben und Lehre erfüllten Wesen — dies ist unwiderstehliche
Bedingung. Daher erklärt sich, wie mit der Vorschrift, die
Zauberer zu vertreiben, das Gebet verbunden war, „denn du
sollst ganz sein mit dem ewigen Gotf •®) Nichts in der Seele
soll andern Instincten und Neigungen folgen. Der ganze Mensch
soll ein Spiegel ewiger Reinheit werden. Es ist daher ein tie-
fer Satz, wenn Theophylactus sagt „Jeder Gläubige ist eine
Art Prophet; denn er sieht, was er nicht sieht, er hört, was
er nicht hört." Wenn es im Leben des heiligen Gregor von
Nazianz heißt „reine Naturen haben für die Erkenntniss der
Dinge einen wunderbaren Blick.**)
Der Prophet selbst ist daher auch kein Maßstab für die
Prophetie Gottes. Der Prophet ist ein Mensch durch dessen
Individualität das Licht mehr oder weniger scheinen kann.**)
60) Denteronomium 18. 13.
61) Vgl. meine Aasführimg des 4. Makarismus in der Bergpredigt Christi
bei Matthäus 5. n^^liS sind die reines Herzens sind, denn sie werden Gott
schaaen*' in*. Irene, eine sprachlich - exegetische Skizze von Selig Cassel-
Erfurt 1855. p. 29 — 32.
62) Vgl. die schönen Worte des Papstes Gregor darüber Acta Sanctor.
Sur. Mart. p. 369. «prophetiae spiritns prophetamm mentes non semper irra-
diät«" etc.
398
Dies ist der Sinn, wenn es iu der Schrift heißt: man werde
einen Maßstab für die Wahrheit des Propheten haben, dass
das Wort, welches er sprach, sich bestätige; bestätigt sich es
nicht, so hat es Gott nicht geredet. Es ist hier nicht die
Rede von einem Factum, einer bestimmten Angelegenheit, etwa
wie viele Jahre man leben werde, welche als Maßstab gemeint
wird ; eine solche Prüfling würde ja vom Volke in vielen
Fällen gar nicht anzuwenden sein; sondern immer nur Ton
den Grundsätzen, den geistigen Normen welche der Prophet
vorschlägt, und die daher sich gründen müssen auf die ewige
Lehre, Anwendung erleiden in nächster Nähe und größter Feme,
engster Besonderheit und größter Allgemeinheit. Der Pro-
phet hat dann mit Leichtsinn prophezeit, sagt die Schrift,
wenn er mehr sein besonderes Ich, seine eigene Natur, sein
menschliches Verhältniss, menschliche Rücksichten als den all-
gemeinen über alle Besonderheit des Menschen schwebenden
Standpunkt ewigen Rechts eingenommen. Indem er dies nicht
that, so irrt er.
Darum auch prävalieren für die heilige Lehre
nicht Frauen, sondern Männer als Träger der Prophetie.
Was Frauen für die heidnische Weissagung als besonders ge-
eignet erscheinen ließ, ließ sie im Lichte der ewigen Lehre
minder tüchtig erscheinen.
Die Frauen sind eben Trägerinnen jener instinctiven dun-
kelen Schauung, besonders begabt mit der nervösen Reizbar-
keit, welche wechselnde Stimmungen, Verzückungen begünstigt,
auf der ein besonderer Trieb zur Hellsehung d. h. zum dunke-
len Greifen nach Ahnungen und Sympathien ruht.
Die Concentration des Frauenwesens auf das Herz gibt
ihnen die Natur eines begeisterungsvollen Wortes, mit dem
sie oft unbewusst in die Ferne und das Geheimniss treffen;
aber dieselbe bannt auch Alles, was sie betrifft oder berührt,
in den Kreis ihrer Individualität; sie können sich von dieser
niemals befrein und losmachen; es ist die ganze Welt nur der
Umlauf um dieses ihr concentriertes Wesen im Herzen; nur das
in der Welt ist vorhanden, wohin ein Strahl ihres Herzens,
welches Inhalts auch, ausläuft.
Diese Natur macht sie für das, was das Heidenthum Weis-
sagung nennt, vollkommen geeignet, das verlangt ja blos Ein-
zelnes, für einen gewissen Lebenskreis Beschränktes, auf be-
399
stimmte Interessen Abgegränztes; dies verlangt ja auch ein
dunkeles Begeistertsein um wie aus Wolken, mit den Augen
dieser beschränkten Neigungen und individueller Verhältnisse
zu lesen. Es handelte sich um Thatsachen, eine Schlacht, ei-
nen Entschluss, ein Opfer; nicht um Grundsätze, die ewig
gelten, um Allgemeinheiten, die für alle Welt ein Spiegel
sein sollen. Die schwache Natur der Frau ist ihre starke
Natur. Das was sie nach der Seite ihrer besonderen Na-
tur bewundernswerth und gewaltig macht, lässt sie in Be-
ziehung auf den Geist allgemeinen Lebens als unbefähigt und
schwach erscheinen. Ihre dämonische Natur beruht auch nur
auf der Kraft des Individuellen, auf ihrem Einfluss im Einzelnen
und auf das Einzelne. Auf ihnen kann aber kein Gedanke
ruhn, der losgelöst vom Individuum, abstreifend aUe Beruhrun-
gen persönlicher Theilnahme und Rücksichten, getragen wird
zur Wahrheit aller Zeiten und zum Eindruck auf das Ganze
und Dauernde.
Auf diesem innern, gewaltigen, reizenden Zusammenhange
mit dem Augenblicke, mit der Person, mit dem bestimmten
Verhältniss, ruht der Ruhm, die Macht, der Einfluss der Frauen
in aller Zeit. Aber auf dem Mangel, der in dieser Natur sich
offenbart, begründet sich auch die Entfernung, welche die Lehre
der Dauer und Allgemeinheit von ihr einnimmt. Auch die Vor-
urtheile mancher Zeiten und extremen Secten beruhen auf die-
ser Erkenntniss des Mangels in ihnen. Es ist ganz natürlich,
dass die Ketzersecten des Marcion und Manes, welche allen
Prophetismus für einen schlechten hielten, den Frauen beson-
ders unhold waren und ihr ganzes Geschlecht für ein Werk
des Teufels hielten; wozu ein wackerer Mann im vorigen
Jahrhundert in seiner naiven Weise bemerkte:*') „Sie dachten
nicht, dass sie selber davon herkommen und meistentheils ihr
Wesen haben und sich also am meisten damit schimpfeten. Weil
sie aber Christen sein wollten, so ist es ihnen und allen, die
noch dieses edle Geschöpf Gottes so vernichten, destoweniger
zu verzeihen.^ Und nicht blos im 6. Jahrhundert hat ein Bi-
schof die ungalante Behauptung aufgestellt, Frauen seien keine
63) Eberti's Eröffbetes Cabinet des gelehrten Frauenzimmers Frkf. und
Leipzig 1706. Vorrede.
400
Menschen, sondern noch im 16. Jahrhundert wurde dies ver-
theidigt, so dass die Schrift von einem Merseburger Superin-
tendenten für ketzerisch erklärt und von den Theologischen
Facultäten zu Leipzig und Wittenberg den Studenten verboten
worden ist, was gewiss sehr nothwendig war.**)
Die biblische Lehre verbannt außer den Zauberern und
Wolkendeutern ausfuhrlich die Zauberinnen. Konig Saul hatte,
als er noch im Lichte des Gesetzes regierte, alle Zaubereien
aus dem Lande geschafft; als er aber abgefallen war, als ihm
Gottes Stimme in seiner Zerwürfniss wie es heißt, sowohl in
Träumen, als in Propheten schwieg — da wandte er sich zu
den Meistern der Nachtgesichte und suchte die Hexe von £n-
dor auf. Wer abfiel vom hellen Tag des ewigen Glaubens
kehrt sich zu den kundigen nächtigen Zaubereien. Wer inner-
lich zerrissen die reine Stimme der Allgegenwart Gottes nicht
mehr hört, sucht die Befriedigung im mystischen Kitzel dun-
keler Naturkräfte. Diesen Gegensatz hat das Christenthnm
iibernommen und wie die biblische Lehre ihn gegen den Aber-
glauben der Urbewohner des heiligen Landes festzuhalten hatte,
so das Christenthum gegen all die Fiille heidnischer Sitten und
Gedanken, denen es auf dem ganzen Umkreis seiner Verbrei-
tung begegnete.
Nirgends mehr als in Deutschland hatte es die Meinung
und die heidnische Ansicht von übernatürlichen Kräften der
Frauen zu bekämpfen.
Das Christenthum hat viel reizende Poesie und liebliche
Sage in Deutschland zerstört, aber der Sonnenstrahl zerstreut
so auch die bunten und malerischen Träume der Nacht, die
phantasiereichen Hoffnungen des Morgenschlummers, der mit
Flügeln über Hindemiss von Raum und Zeit hinwegÄhrt
Sollte es seine Lehre wahrhaftig ausbreiten, musste es den
fremden Göttern, welche man ehrte, feindlich begegnen; sollte
es den Völkern in aller Majestät erscheinen, musste es dem
Aberglauben die glänzenden Kleider ausziehn, die er trug;
sollte das Licht der neuen Lehre von einem ewigen Gotte aitf-
gehen, musste in die Nacht zurück alles, was dem widersprach
oder von ihm abwich. Und so verkehrt es aU den Glanz und
64) Eberti ibid. Vorrede not. 4. aus Titios Lit. bist. Art. 9. cap. S. p. 196.
401
Reiz des alten Glaubens in Hasslichkeit und nächtiges Wesen;
sein Heil wird zum Schaden , sein Trost zum Gift. Der Schmet-
terling ward zur hässlichen Raupe. Die Götter werden zu
Gespenstern; die halbcbristliche Heimskringla stellt Odin nur
noch als Zauberer und Erzähler dar. Die holde Freia wird
zum wüthenden Nachtgespenst, die als Frau Holle gefurch-
tet und grausig ist. Die edlen Ausdrücke des Wissens, Kun-
digseins verwandeln sich in die Bedeutung vo n böser Zauberei.
Die Namen spamaedr und spakona, Bezeichnungen der weisen
Frauen, fiölkunnigr, das Yielkönnen wird das schlimme Wis-
sen unrechter Dinge; die holden Frauen werden unholde Teu-
felinnen. Hans Sachs wechselt noch mit Bezeichnungen wie
weise Frau und alte Unhuld ab. Denn statt der ewig jungen
Göttinnen werden lauter alte Hexen.«*) Das reizend verfüh-
rerische Auge wird roth und triefend; noch in späten Jahr-
hunderten hielt man ein rothtriefendes Auge für das Merkmal
einer Hexe. Das Lächeln wird zum Grinsen, der Kuss zu
Gift. Es erinnert dies Alles an uralte Schöpftingen. • Nicht
blos der böse Blick ist iiberall hin als gegnerischer Aberglau-
ben verbreitet. Bezeichnend ist was vom Kuss die Iranische
Sage meldet. Er, welcher das Zeichen von Huld und Treue
ausdrückt, wird aus dem Munde des bösen Geistes Ahriman
eine grause Strafe. Als der listige Teufel den Zohak auf die
Schultern küsst, springen Schlangen hervor, die unvertilgbar
sind und mit Menschenbein gefuttert werden müssen. Die Erin-
nyen und Medusen haben Schlangen statt lockender Locken
vom Haupte herunter rieseln. So wird auch dann die heilsame
Pflege mit Speisen und Salben zur Hexenküche. Die Walky-
rien, welche als Frauen edler Männer den Beruf der Liebe
und des überirdischen Wandels zugleich erfüllen, werden zu
bösen Weibern, welche in der Nacht ihren Mann verlassen
und in die Hexenversammlung eilen.««) Die Schwanfrauen
mit dem Schwanenhemde, die durch Luft und Himmel fliegen.
65) Vgl. Grimm Mythol. p. 987. etc.
66) Von Hermogenes v. Klazomenae wird bekanntlich berichtet, dass
seine Seele bei Nachtzeit den Leib veriassen konnte, dass aber einst seine
Frau den seelenlosen Leib verbrennen ließ, während er fort war und die
Seele daher nicht zurückkehren konnte. Plini us histor. nat. 7« 58. Vgl. He-
gel Gesch. der Philosophie 1. 346.
402
werden alte Weiber, die auf Besen durch die Wolken reiten.
Es ist hier unmöglich den ganzen Kreis des Sagenschatzes auch
nur annähernd zu berühren; aber überall ist der Gegensats
festgehalten zum Schonen, Jungen, Edelen, zum Natürlichen
und Vernünftigen. Die Schilderung des Treibens auf dem
Blocksberge, viel bekannt, ist der Gegensatz alles anmnthigen
Wesens durch Ekel und Garstigkeit, der Gegensatz jedes Ge-
nusses durch Dürftigkeit und Abscheu. Denn nicht etwas or-
dentliches zu essen und zu trinken bekamen die armen Hexen.
So erzeugte der Gegensatz des Christenthums zur alten Sage
den Gegensatz in ihr selber. Wie aus der edelen Phantasie
der vorchristlichen Zeit die schönen Gestalten der Gottinnen
und Feen, so aus der verdorbenen, der antichristlichen Zeit die
Karrikaturen der Hexen und bösen Weiber; das Christenthum
bekämpfte die heidnischen Ueberreste durch sich selber, wie
man die phantastischen Lockungen sinnlichen Rausches durch
die malerische Darstellung der reuevollen Nüchternheit zer-
stört. Dieser Gegensatz war aber im Volksbewusstsein nur
instinctweise vorhanden. Sonst würde man diesen Krieg ge-
gen das Heidenthum im Ueberreste seiner Traditionen nicht
auch mit solchen leiblichen Waffen geführt haben, wie dies in
den Hexenverbrennungen leider geschehen ist. Es sind diese
eine trübe Erfahrung der christlichen Völker, die weit in die
neuere Zeit hineinreicht, die aber erklärt und durch diese Br-
klärung lehrreich werden kann.
Seitdem die biblische Lehre der Erkenntniss des Menschen
geschenkt worden ist, ist Alles, was aus dem Irdischen und
Menschlichen allein hervorgehend zu Übermenschlichem sich
gestalten will, was dunkele Geheimnisse des irdischen Men-
schen nach Willkür und besonderem Interesse, kraft eigener
Einsicht zur Wahrheit und gegen das Gesetz der göttlichen
Verborgenheit, auslegen will, was mit den Schauem der Nacht
und der irdischen Elemente auf das Herz zu wirken unter-
nimmt, für verwerflich, abgöttisch und sündig betrachtet worden.
Frühzeitig ist nun auch der umgekehrte Schluss gang-
bar geworden, dass auch bereits, was in Geheimniss gehüllt
erscheint, was nicht Allen verständlich, was den Meisten uner-
klärlich schien, was sich verborgen hielt — als unchristlich
betrachtet werden müsse und könne und dem dunkelen Treiben
des zauberischen Heidenthums angehöre.
408
Daher erklärt man sich nicht bloß manche wunderbare
Erzählungen von großen Gelehrten des Mittelalters, sondern
auch die seltsamen Vorwürfe, welche man den von der Kir-
chenlehre abweichenden Secten der Albigenser, Waldenser und
Hugenotten machte.
Durch das Umsichgreifen dieser Secten war die Praxis
der Kirchenlehre eine energische und strenge geworden. Indem
man das Ketzerwesen mit dem Hexenwesen auf eine Linie
stellte, wurde diese energische Strenge auch gegen die über-
tragen, welche man im Besitze dunkeler Künste, also im Ab-
fall von der Lehre der Kirche betrachtete.
Dies datiert ungefähr seit dem 13. Jahrhundert. Vorher
war die Praxis eine mildere gewesen. Nur diese, die Strafe,
der Prozessact, sind später gegen sie war eine andere voll grö-
ßerem Schrecken und Grauen geworden. Die Ansicht über
ihre Verwerflichkeit brauchte keine andere zu werden.
Das Verfahren gegen sie bewies nur durch seine Härte
und Furchtbarkeit den festgewurzelten Glauben an das Vor-
handensein solcher heidnischer Kräfte, an die Wahrheit der
Geständnisse, welche die Folter den Hexen abzwang.
Es zeigt dieser Glaube nur die Mangelhaftigkeit der Vor-
stellung, nicht bloß von dem Wesen und der Schöpfung des
Heidenthums selbst, sondern auch von dem ganzen geistigen
Prozesse, durch welche an die Stelle der Nornen und Walky-
ren Hexen und Zauberinnen getreten sind. Man stand also
nicht außerhalb der Atmosphäre, in der man jenes gestalten
sah, sondern innerhalb der Wolken, in welche der Kampf ge-
hüllt war. Dadurch erhielt der Aberglaube selbst eine Berech-
tigung, weil man nicht verstand, seinen Quell und seine Ge-
schichte zu erkennen, und in seinem Walten das natürliche
dauernd Menschliche und das unnatürlich heidnische Endliche
zu unterscheiden.
Man darf sich dabei nicht auf die heilige Schrift berufen,
dass doch die Hexe von Endor allerdings auch im Stande ge-
wesen sei zu zaubern und die Wahrheit zu treffen. Hierbei soll
eben nur gelehrt werden, dass die Wahrheit, die dem sündigen
Saul mitgctheilt werden soll, nicht mehr von ihm verdient war
durch das Organ der ächten Prophetie zu vernehmen; sie wird
ihm durch die Zauberin mitgetheilt, die selber eine lebendige
Mahnung ist an die Zeit, in welcher man dem Gesetz gehor-
fFeimar. Jb. lt. 26
404
sam lebte und alle Zauberinnen vertrieb. Man kann auch nickt
sagen, dass das mosaische Gesetz ihren Tod befohlen. Es steht
nicht, wie sonst, „Du sollst eine Zauberin todten", sondern
nur, du sollst eine solche nicht existieren lassen,*^) d. h. nicht
als Zauberin mit offener Verhöhnung der ewigen Lehre ihr
Gewerbe treiben und das Volk verführen lassen. Daher 68
auch von Saul nur heißt, dass er sie aus dem Lande verbannt
habe.*®) Der Grund des Gesetzes liegt in der tiefen Er-
kenntniss der menschlichen Natur, die sich eben nach Jahr-
hunderten noch bestätigt. Sie soll das Volk nicht verfCdiren,
an magische Kräfte zu glauben, die entweder nicht da sind,
oder wenn sie da sind, nicht durch menschlichen Witz und
personliche Willkür ausgelegt, sondern allein an dem ewigen
Gott gemessen und von ihm durchleuchtet werden sollen. Eis
ist daher für alle Zeiten lehrreich, sich immer den historischen
Entstehungsprozess des Heidenthums vorzustellen und zwischen
seinen Elementen und den daraus entstandenen Producten zu
unterscheiden. Man täuscht sich wohl nicht, wenn man dies
gerade in unserer Zeit für wichtig hält.
Denn heidnische Anschauung ist jeder Glaube an die Mög-
lichkeit einer Zauberei; richtig aber ist die Anerkennung einer
dunkelen Macht im menschlichen Leben, die in tausend Ge-
stalten und Formen auf unser Herz losstürmt, die durch wun-
derbare Träume, Sympathien, Ahnungen unsere Phantasie axif-
regt und beflügelt, die wie ein feuriger Drache uns bald zu
Furcht erschreckt, wie eine glatte Schlange zu Abwegen führt,
wie ein wackelnder Tisch zu heidnischem Spiele verleitet —
aber dieser Anerkennung geht voran die Pflicht, den Glauben
an den ewigen Gott durchdringen zu lassen den ganzen Men-
schen und die ganze Seele, dass das Leben von ihm erfüllt
werde, wie ein Leuchte vom Licht, dass er durchschimmere
auch durch den dunkelen Traum, dass er Maß werde auch für
das Unerforschte und Unerforsehliche. Denn wie ein alter
Kirchenlehrer sagte: „ein Gläubiger ist ein Prophet." Und ein
Prophet will und darf nicht wissen wollen, was verborgen blei-
67) Kxodiis 22. 18. Damit steht Loviticus 20. 27 nicht im Widersprach.
68) 1. Sam. 28. 9. In der That ist dieses Capitel der Schrift eines dffr
dnnkelstcn, zwar nicht dem Wortlaute, aber dem Geiste nach.
405
ben muss, und nur verkünden und erklären, was offenbar wer-
den soll.
Wenn aber auch durch diese Stellung der Prophetie auf
dem Grunde der Ewigkeit und Allgemeinheit für das Juden-
und Christenthum, Männer als Träger derselben prävalieren
mussten, so hat es doch nicht an wunderbaren Frauen gefehlt,
welche der Geist erfüllt hat und bei denen der enthusiastische
Drang wie eine Perle in der Schale erhabenen Gottesbewusst-
seins lag. Debora, die Prophetin, erträgt nicht länger die
Schmach ihres Volks unter dem Kananiterkönig: sie ruft auf
die Muthigen des Volks. Aber auch der Muthigste antwortet:
Ziehst Du mit, so ziehen wir; wenn nicht, so bleiben wir.
Und sie zog mit; ihre That und ihr Gesang sind für alle Zeit
verblieben. Wie eine Dithyrambe aber in Sonne getaucht,
wie ein Bardinnenruf, aber mit heilig hallendem ^Echo, wie ein
bacchantischer Päan, aber auf ewigem Psalter tönt ihr Lied:
„Untergehen werden alle deine Feinde, Ewiger; deine Freunde
aufgehen, wie die Morgensonne in Herrlichkeit.^
Eine Prophetin war die Chulda, welche dem frommen Kö-
nige Josias, dem Reformator der alten Lehre über das Geschick
der Zukunft in düsterer Rede weissagte. Ihr Auge sah in die
Ferne und ihre Verhängnisse; auch ihr Name erinnert an diese
Kraft.
Die heilige Geschichte des Christenthums ist reich an ede-
len Frauen, in deren Auge und Seele ein Spiegel des unend-
lichen Glaubens, tiefsinniger Gedanken und heiliger Begei-
sterung war.
Die Martyrerlegenden heiliger Frauen und Jungfrauen bil-
den die rührendsten Episoden in der Geschichte der Duldungen
für die christliche Lehre. Aber auch die besondere Gabe der
Prophetie besaßen nicht wenige. Bereits unter den Montani-
sten, einer Sekte des zweiten Jahrhunderts, in welcher Ver-
geistigung des Menschen, Lossagung vom Irdischen, ekstati-
sches Entsagen edles Streben war, treten schwärmerische
Frauen auf, Maximilla und Priscilla, welche Gesichte vom Him-
mel und dem tausendjährigen Reiche hatten.
Aber besonders in der rechtgläubigen, namentlich deut-
schen Kirche zeichnen sich Frauen durch wundersame Seher-
kraft, wie die Heiligengeschichte mitthcilt, aus. Der heiligen
Brigitta von Kildare, der Patronin von Irland, werden dunkel
26*
406
prophetische Bucher zugeschrieben, die sie in Offenbarung ver-
fasst liat. Darauf beziehen sich die Symbole, welche ihr auf
Bildern gegeben werden: sie hat eine Lampe in der Hand,
Feuerflammen leuchten um ihr Haupt. Einen deutschen Na-
men trägt die heilige Godoleva, ®^) welche unter allen Leiden
die sie ihrem Manne verdankte, verkündete, einst berühmter
wie alle Frauen Flanderns zu werden.
Die h. Lidwina aus Schiedam'''^) sah in die Herzen und
Fernen und ihr Katb half dem Frommen auf den Grundsätzen
seiner Lehre auszuharren. Ein Seefahrer, der auf ihren Rath
nicht am Festtage in die See stechen wollte, rettete dadurch
Theben und Freiheit.
Die h. Gertrud von Oesten'") verkündete die Zukunft,
aber sie verweigerte Bescheid, bis or ihr im Geiste verkündet
ward.
Die h. Adelheid wurde zu unerwarteter Hellseherei in ge-
lehrten Dingen entzückt. Berühmter als alle war aber die h.
Hildegard, Aebtissin bei Bingen am Khein, die Verfasserin
mehrerer durch Erleuchtung empfangener Werke. In der Vor-
rede eines dieser Bücher, Scivias genannt, sagt sie: Als ich
42 Jahre 7 Monate alt war, kam ein feurig Licht von blen-
dendem Strahle vom Plimmel, durchgoss mit ganzes Gehirn,
das ganze Herz und Brust wie eine Flamme, nicht verzehrend,
sondern wärmend, und entzündete mich so, wie die Sonne alles
erwärmt, auf welches sie ihre Strahlen sendet. Und so ver-
stand ich plötzlich den Sinn der Auslegung des Neuen und
Alten Testaments; ich hatte aber weder eine Uebersetzung
ihrer Texte, noch verstand ich ihre grammatische Form.**^*)
Ihr Symbol in bildlicher Darstellung ist daher ein Buch.
Aber es bedarf weder der Aufzählung der Zauberinnen der
Sage, noch der Prophetinnen der Legende, lun die große Welt-
wandlung zu erkennen, welche seit dem Erscheinen der Sonne,
seit dem Aufgange des Morgenlichts in der Wahrheit der hei-
ligen Lehre mit der Stellung der Frauen vorgegangen ist.
69) Acta Sanct. Sur. Jiil. p. 111.
70) Act. Sanct. Sur. Apr. 745. 4G.
71) Act. Sanct. Jan. p. 9. 10.
72) Act. Sanct. Sur. Sept. 346.
407
Freilich die Natur derselben hat sich nicht verändert. Sie
tragen noch dieselben Zauberm'achte in sich, aus welchen einst
die Genien emporstiegen; noch immer waltet in ihnen die dä-
monische Gewalt, welche das Herz der Männer beherrscht und
fesselt; noch immer gliihn die Feuer, aus welchen die sdiön-
sten wie die heftigsten Leidenschaften lavaähnlich über das
Leben dahinrollen.
Nicht untergegangen ist der Reiz, welcher mit magneti-
scher Wunderkraft die Liebe ausstreut hinweg über die natür-
lichen und unnatürlichen Schranken dieser Welt. Noch lebt
die süße Heimlichkeit, welche die treue Häuslichkeit der züch-
tigen Hausfrau um den thätigen, sorgen- und kampfgeübten
Mann webt.
Noch waltet die magische Kraft der Mutterliebe, bereit
zur entzückenden Hingebung. Noch begegnet mau außerge-
wöhnlichen Gewalten in den Seelen der Frauen, mit unwider-
stehlicher Sehnsucht drängend zu freier Bewegung des Geistes
und mit Adlerschwingen deckend *ein sanftes, mildes Herz; es
sind noch alle die Eigenschaften da, welchen die menschliche
Poesie die Gestalten von Wölen und Hexen, die Schwanjung-
frauen und Walkyrien entlockten — das dämonische Gelüste
der Sinne rauscht noch heute gespensterhaft wie Frau Holle
durch die Gemüther. — Aber alle diese Gaben und Elemente
sind nicht mehr allein. Ueber ihnen steht die goldne Scheibe
sonniger Erkenntniss. Ueber ihnen leuchtet der lächelnde
Mond verzeihender, duldender, gottlicher Liebe.
Medea^s fanatischer llachegeist schmilzt von dem Anblick
ewiger Milde.
Aretaphila kann nicht mehr die irdische Freiheit eines
Volkes erkaufen wollen durch die diabolische Knechtschaft
menschlicher Listen und Gräuel.
Brunhild kann nicht mehr in ihrer verzehrenden Leiden-
schaft Genugthuung finden für die dämonische That gegen den
Geliebten.
Chriemhildens Ruhm ist untergegangen, welcher groß wurde
durch den Rachemord gegen sündige Briider und Verwandte.
Die ewige Liebe ist als Bändiger der Leidenschaft er-
schienen. Der allgegenwärtige Dulder unseres Wesens als der
fesselnde Zeuge unserer losbrechenden Schmerzen. Die dämo-
nische Macht der Frauen, die sich auflehnt gegen die Gesetze
408
der Welt, und die dunkelen Schatten der Nacht uicht scheut
herauszufordern für ihre Sehnsucht und Lust, ist zur ange-
lischen geworden, welche ihre überirdische Macht beweiset
durch ein hinreißendes, bewältigendes Dulden.
Den Frauen ist eine neue Zauberkraft geworden, starker
denn alles, was sie bisher besessen, gewaltiger wie die entfes-
selnde Leidenschaft, die kein Mittel scheut, die bannlose Lust,
die mit der eigenen Natur die Zerstörung anfangt — es ist
eben die engelgleiclie Bewältigung des Dämons durch Liebe
und Duldung in und vor Gott.
Wahrhaft bewundernswerth ist der Wahlspruch, den die
h. Theresa sich gewählt hat; er überragt an beschattender Wahr-
heit alles, was die weise Edda enthält. Aut pati aut mori
schrieb das fromme Mädchen: entweder dulden oder sterben.
Dulden, d. h. lieben und Segen verbreiten in Gott, ist
leben. Ohne dies ist nächtiger Schatten des Todes.
Dulden ist die Kraft, welche in den Augen, der Geberde,
den Worten des Weibes ausspannt die siegreiche Fessel um
Alles, was da lebt.
Für die größte Frau der größeste Ehrgeiz, das herrlichste
Ziel, die siegreichste Schlacht ist dulden.
Deutsche Frauen begreifen die unendliche Tiefe dieses dul-
denden Lebens bis zu beseligender Wirkung. Noch immer
herrscht in ihnen, wie zu Tacitus Zeit, „etwas Heiliges und
Yoraussichtiges^ ihnen und ihrer Duldung galt auch mein ein-
faches Wort von dem Sterblichen und dem Ewigen, von der
Schwäche der Gewalt und dem unendlichen Anfang.
Vorm Werden war das Wort; aus ihm entquoll die Zeit.
So ist die Liebe worden die Mutter der Ewigkeit.
Vorm Werden war das Wort; die Pforte ist der Geist,
Doch Liebe ist der Schlüssel, der in das Dunkle weist.
Das Wort, ein weites Meer, drei Perlen schwimmen drin,
Poesie, ein Frauenherz, ein gottesgläubger Sinn.
ZUR
MAKARONISCHEN POESIE
von
D^ OSKAR SCHADE.
Unter makaronischer Poesie hat man oft fälschlich entweder
jede Vermengung verschiedener Sprachen oder Mundarten im
Verse zu komischem wie nicht komischem Zwecke verstanden,
oder die Einmischung fremder Worter, Phrasen, Satz- und
Versglieder in die Nationalsprache. Sonach fiele also jede
Mischpoesie und Sprachmengung ins Bereich des Makaroni-
schen, also z. B. jene halb lateinischen, halb altdeutschen Verse,
wie die des Leichs auf die Versöhnung Ottos I. mit seinem
Bruder aus der Mitte des 10. Jhdts.:
Nunc almus allis filius thero ewigero thicrnün,
benignus fautor mihi, thag ig ig cdlan muogi
de quodam duce, themo heron Heinriche,
qui cum dignitate thero Beiaro riebe bewarodu u. s. w.
oder Lieder des 12. Jhdts, wie
Virgo qutedam nobilis
diu gic ze bolze umbe ris u. f. w.
Floret iiWa undique :
nach mime gefellen ill mir we u. f. w.
oder das spätere Kirchenlied:
In dulci jubilo
nun finget und feit fro!
alle unfer wunne
leit in profepio. u. f. w.
uo
ferner :
Puer natus ift uns gar fchon n. f. w.
Vinum qu» pars — verftehlla das? u. s. w.
oder Vermengung des Nordfranzosischen und Deutschen, wie:
dag was Erec fils li roy Lac —
oder jene Verse des Dante:
Ahi fsLulx ris per qe trai haves
Oculos meos et quid tibi feci,
Che fatto m*hai cos! fpietata fraade —
in denen Provenzaliscb , Lateinisch und Italiänisch abwechseln,
oder wenn ein provenzalischer Dichter, Rambaldo di Vacchera,
in eine Canzone der Reihe der Strofen nach fünf verschiedene
Sprachen oder Mundarten einflocht, Provenzalisch, Italiänisch,
Franzosisch, Gascognisch und Spanisch, — das alles wiirde
dann makaronische Poesie, wenigstens würden es makaronische
Verse sein. Der beste makaronische Dichter der Welt wäre
dann wol ein Deutscher, Oswald von Wolkenstein, der ein Ge-
dicht aus Wortern von sieben Sprachen gebildet hat, aus dem
Hochdeutschen, Flämischen, Italiänischen, Franzosischen, Ungri-
schen. Lateinischen und Slavischen *). Doch dem ist nicht so:
*) Die erste Strofe dieses Qedichtes lautet:
Do fraig amors,
adjnva me!
ma lot, min ors
na moi ferce
rent mit gedank,
frau, pur a ti.
ek lop, ek llap
vel quo vado,
we fegg, min krapp,
ne dirs dobro
ju gAaf c frank
raerfchi vois gri.
Deutfch vrelifch mach,
iranzoifch wacli,
ungrifchen lach,
prot windifch pach,
floming fo krach,
latcin die libcud fpraoh!
411
jene Oefinitioneu beruhen auf Irrtümern. Die makaronische
Poesie hat vielmehr zur Grundlage ihres sprachlichen Materials
immer das Lateinische, das dann mit nachgemachtem Latein
aus den Wörtern einer andern Sprache (je nach der Nationa-
lität des Dichters) versetzt wird: an diese Worter werden la-
teinische Endungen gehängt und sie werden dann wie latei-
nische decliniert und conjugiert, man beobachtet möglichst die
lateinischen Constructionen und selbst die Gesetze der latei-
nischen Metrik, sofern es thunlicli, wenigstens scheinbar. Der
makaronische Stil hat es also allemal nur mit zwei Sprachen
zu thun, der lateinischen und einer beliebigen andern latini-
sierten in organischer Verbindung, wenn man so sagen darf.
Der italiänisch-makaronische Dichter verbindet also das Latein
mit latinisiertem Italiänisch, z. B.:
Poßqaam Falcbettnm fniftra cercaverat ante
Nee valuere Tai crebro chiamando gridores
Perdideratque vise dudum veftigia rectas,
Snpra depictam diverfo flore piazzam
Improvifus adell, ubi dulcis Yen tu las afflat,
In cujus medio vivi fontanula faxi
PerHrepit undiculas teneram fundendo per herbani.
(Merl. Coc. Mac. XVI, ed. Amßel. 1692 p. 242.)
oder:
Non dux, non princeps, non rex, non dcnique papa
Mangiat, ni tavol« ßet fibi Mosca comes.
Immo reprefentant vix coram rege piatum,
Credenzam regi Mosca galanta facit.
(Merl. Coc. Mosch. 43.)
Die Worte selber brauchen auch nicht gut toskanische zu sein :
es sind mundartliche aller Art erlaubt. So bringt Teofilo Fo-
leugo viele lombardische Ausdrücke an, ja nach seiner Heimat
speziell mantuanische. Der Provenzale verbindet das Latein
mit latinisierten provenzalischen Wörtern: •
Non facias totiens nobis mutare banaßas,
Argentum coAat de trahinare foras.
Ipfe meos libros jam carregiare per orbem
Feci et cum bonibus milleque mille vices.
Facherias grandes ftudiantes fiepe repaffant
Matando libros bagagiumque fuuni.
(Anton, de Arena.)
412
Der Deutsche macht aus Wörtern seiner Sprache lateinische,
es mögen nun niederdeutsche sein, wie einige in
U 1 0 f i t e (([Uiefo) mihi ! mihi glofite (quae fo) , fodales !
Stepius expertus r e d o hoc , cum \V o 1 k i b u s altis
Deleuchtunt Sternse et fchinit Mane undique lechte
Et fuadent Slapum vollbringere tempora finftra,
Solum verhindrunt tardiim fwarta agmina Slapum.
oder hochdeutsche, wie in
Afchä vermifchta Biero et hinc inde gcßreuta
Per Tifchos quidam ceperunt reihere Zäh dos
£t rurfus klaro fibi Biero ausfpülere Mundum.
Diese Beispiele mögen vor der Hand genügen, um das bei
Bildung makaronischer Verse in Anwendung kommende Gesetz
zu veranschaulichen. Dasselbe gilt fürs Spanische, Englische,
Holländische: denn auch Dichter dieser Sprachen haben sich
in solchen Versen versucht.
Die makaronische Poesie ist ein Kind des italiänischen
Witzes. In Italien ward sie geboren, hier erhielt sie ihre voUe
Ausbildung, von da erst wanderte sie zu den übrigen stamm-
verwandten Romanen und den germanischen Volkern. Auch
ihr Name schmeckt nach der italischen Heimat. Sie ist be-
nannt nach den Maccaroni, jener bekannten Leibspeise der
Italiäner und ganz besonders der Landleute. Ob deshalb, weil
auch in ihr verschiedenerlei Ingredienzien gleichsam in einen
Teig verknetet sind (wie Lessing in den CoUectaneen zur Li-
teratur will) bezweifle ich; wahrscheinlicher ist, dass man sie
durch diesen Namen als acht italiänische derbe nationale Kost
(vielleicht nicht ohne Rücksicht auf die Derbheit des in ihr
waltenden Humors) von vorn herein hat kennzeichnen wollen,
gerade im Gegensätze zu den Pedanten, die ihre Verse in der
Muttersprache mit allerhand gelehrten Zuthaten zu versetsen
trachteten. *)
*) Ars poetica maearonica a macaronibns derivata, qui macarones Amt
quoddam pulmentum farina cafeo botiro compaginatum, groflam mde et rufti-
canum : idco macaronices nil niii gralTedinom ruditatem et vocabulazzos debet
in fe conttncrc.' Merlini Cocaii Apologetica in Tai excufationem, in der Aus-
gabe Vunetiis ap. Bevilacquam 1613 pag. 10 fg. — Le Poesie, le quali Teo-
iilo (IUI efemplarmente ritratta, ß chiamano maccaroniche o maccharoniche
413
Was gab nun aber den Anlass zur Entstehung dieser Dicb-
tuugsart und wann kam sie auf?
Bei den Dichtern des 15. Jahrhunderts finden sich mehr-
fach Einmischungen lateinischer Flexionen ins Italiänische , ab-
sichtlich als gelehrter Zierrat hinein gebracht. In dieser Ab-
geschmacktheit zeichnete sich besonders Bettino Tricio
(gegen Ende dieses Jahrhunderts) aus, der in seiner Letilogia
Verse machte wie:
Sythari el fano cum Aßriani,
Amazoni Medomm ac Perfarum
Kt tntti Athenicnli et Micenaruni,
Indiani Longobardi et Egyptiaui,
Macedoiii Corinthi et Argivorum
Lacedemonii Lydi cum Judey,
Laurent! et d'Israhel et Glamorey,
Cretenß cum Albani et Latinorum etc. *)
per la paßa groITa della locuzione burlefca e barbara, nella quäle föne a bello
Audio compoße, dicendoli maccaroni in Lombardia e gnocchi in Roma quel
cibo dl palla leflata, che e condito dl cafcio e butiro. Fontanini, Biblio-
teca dell* eloquenza Italiana, Venezia 1753 tom. 1 pag. 304. — Poema Fo-
lengus tanquam rüde et ruAicum Macaroneum appelavit: macarones enim Ita-
lis bucellie funt ex rudi farina ovis et cafeo trito, quie inter menfie delicias
agrellibus habentur. Tomafini £logia pag. 73. — Eine andere Herleitung
des Namens von den sogenannten Macronen oder Macaronen, einem groß-
und dickköpfigen Yolksstumm am schwarzen Meere (Rhodiginus erzählt
von ihnen in den Lectt. antiq.), nach denen man dann stumpfsinnige, bäurische
Menschen überhaupt benannt habe, kann nur als gelehrte Deutelei betrachtet
werden.
*) Nicht viel anders haben es manche deutsche Dichter desselben Jahr-
hunderts gemacht, vgl. z. B« :
Durch Barbarei, Arabia,
durch Hermani in Perßa,
durch Tartari in Suria,
durch Romani in Turgia,
Ibernia
der fprüng hab ich vergeßen.
Oswald V. Wolkenstein, Beda Webers Ausg. S. 31 fg.
Es feua dort her von orient
der wint, levant iß er genent.
durch India er wol erkent,
in Suria ift er behent.
cbendas. S. 111.
414
Aber Camillo Scrofti (in der Mitte des 16. Jahrhdts)
inacbte von dieser Sprachmischung absichtlichen Gebrauch und
bildete die aus gelehrter Lüderlichkeit stammende Manier zu
einer ganz besondern Gattung Poesie aus. Er veröffentlichte
seine Gedichte unter dem Titel Cantici di Fidenzio Glottocri-
lio Ludimagiftro , und nach dem Namen Fidenzio ward die
ganze G attung die f i d e n z i a n i f c h e genannt, neben dorn frühe-
ren Spottnamen pcdantefca. Vgl. Crescembeni, Tiftoria della
volgar Poeßa, Ven. 1731. 1. Bd. S. 366. 242 und 73, wo ein
schönes Sonett Scrofas als Probe mitgeteilt ist.
Als Tochter nun jener pedantischen Sprachmengerei des
15. Jhdts, die später zur Poefia pcdantefca ausgebildet ward,
bezeichnen die Italiäner die makaronische Poesie. Cre-
fcembeni 1, S. 367.*)
Si tcmpft die ganzen mulica
mit großer refonanz,
diu recht menfur appoilta,
all noten hol und ganz
hit n crzittren durch ir kel.
ebendas. S. 222.
•) Bestimmungen über die Bildung makaronischer Wörter und ihre Quan-
tität fürs Italiänische finden sich in einer unter des Merlinus Cocajus Namen
gehender Apologie dieser Gattung von Poesie, die in einigen Ausgaben der
Werke dieses Dichters, z. B. Venet. ap. Bevilacquam 1613 Seite 19 feg.
Amßel. Someren 1692 sich findet:
Normula macaronica de sillabis.
Normula iillabarum macaronicarum hfec cH. Ut quielibet vocabula mlgaritcr
latinizata fcribi debent in forma vulgari, ücut orecchia, occhius, rozzus, raxsa
et innumerabilia. latina vero vocabula fuam obferrant quantitatem, ut caballus,
focus, accensdo etc.
Qua^libet dictio macaronica cujus prima fülaba duas habet confonantes
non hserentes fequenti ßllabae, Amt ad placitum, ut gridare, sbraiare, tracag>
num, tamen non fuccendente vocali, quia tunc brcvis oflet, ut brioITus.
Quielibet dictio qua» literam i et u claudit iuter duas vocales latino fit
longa, ut Maja; Ted macaronice fit ad placitum, ut taiarc, sbraiare etc. qua»-
libet adverbia terminantia in a aut in e aut in o latine funt longa, quamvis
multa in e exctpiuntur, Ted macaronice funt ad placitum, ut valde longe retro
ultra erga et cet. reli([ua vera latinitatis aut vulgaritatis orthographiam fer-
vant, verbi gratia, li hoc nomen aqua non poteA latiniter aptari verfibusi
fcribe vulgariter aoquu, tunc de brevi fit longa fillaba. denique ficut Vergi-
liuR ac (-{eteri vates in arte poetica potucrunt altcrarc lillabas autoritate fua,
415
Der erste bekannte makaronische Dichter in Italien (und
deshalb vielleicht zu schnell als Erfinder dieser Gattung Poe-
sie gepriesen) ist Typhis Odaxius, zu Padua geboren und da-
selbst auch im Jahre 1488 gestorben. Er verfasste Carmen
macaronicum de Patavinis quibusdam arte magica delusis, das
trotz seinem Gebote auf dem Sterbebette, es zu verbrennen,
doch gedruckt und hinter einander mehr als zehnmal wieder
aufgelegt wurde. Es war seiner Zeit eine Lieblingslectiire für
ganz Italien und es wird ihm eine solche Komik nachgerühmt,
dass es die Leser vor Lachen fast platzen gemacht hatte.*)
verbi gratia, reliquias: ita macaroniciis poeta non minus hanc auctoritatem
poHidet circa fcientiam et doctrinam propriam, ut catare et cattare, quamvis
rarirrime. item mäcaronice potes duas vocales colUdere in medium dictionis,
ut curiofus trißUabum facere potes , nt flare pollit carmen.
Item licut plarima vocabula differunt a derivatis fuis quantum ad fillabas,
ut fedes babet priraam longam et fedile brevem, fiagrum et flagellum: ita mä-
caronice dicemus fratcr et fradcllus, cagna et cagnola, et multa alia. tarnen
de principio ad finem libri reperies me latin^ poeiiie et regiilje famma cum di-
ligentia adlijerere. Reliqna vero non beii«3 ubi quadruntia »quo animo feras
et haec baAabilia funt quantum ad iillabarum macaronicarnm regulam.
*) Bernardini Scardconii Canonici Patavini de antiquitate nrbis
Patavii et claris civibus Patavinis libri tres in qnindecim clafles distincti.
BafiU Nicol. Kpiscop. jun. 1560. Lib. II clafs. X pag. 238 fq: Addamus le-
pidilTimum poetam Typhim Odaxinm, ajtatis protecto fu» urbis et orbis
magnas delicias, qui vel ob hoc ipfum celebratiHim^e famie fuit, quod novo^
et ridiculse admodum poefeos auctor fuerit. Adinvenit enim primus ridicn*
lum carminis genus, nunquam prius a qnopiam excogitatum, quod macaro-
nenm nuncupavit, multis farcitum falibus et fatirica mordacitate reiperfum,
«luo facetiam de quibusdam Patavinis magica arte delulis, tanto cum joco
effmxit, ut legentes cachinnos et rifu pene rumpantur. Hunc deinde minus fe-
liciter fecuti funt pleriqne viri doctiHimi, qui inani laborc tentanint hoc ridi-
oulum gcnus aflcqui ac etiam eiTmgere doctius: nemo tarnen eo carminis ge-
nere omnium judicio lepidins ufus eil neque qui profundiores cachinnos ex-
cutiat quam Typhis: vel quod exprellius ftultorum hominum Ingenium ap-
tioribus ad id verbis efFingat habita eleganter perfonarum rationc ac etiam
materiie, cui ejusmodi verfus maxime conveniant. Quam frequenter au-
tem tunc eo ieculo ii verfus in ore omnium femper faerint etiam doctüTimo-
rum, vix credi poteft. Merito ergo (fi conferre exemplum liceat) tantum huie
noftro oivi Macaron^um carmen debet, quantum heroicnm Virgilio et Danti
aut Petrarchse vernaculum. In ipfo etenim joco aliquid nbique probi ingeuii
femper elucet et eo magis quo res qusepiam feria eo loco lepide occulitur.
Verum enimvero et ft fciam quosdam efle qui ludicra iAa parum probent,
non propterea hwc a me tacenda hoc locu cenfui , ne laude tarn praeftantis in-
41G
Doch ist 08 später nicht wieder gedruckt und gehört zu den
großen literarischen Seltenheiten; es gieng mit dem Interesse,
das man an einem speciellen Vorfalle nahm, mit der Stimmung
und den Anforderungen seiner Zeit zu Grabe. Und wie hätte
es auch lebendig bleiben können neben den Werken Folengos,
die bald Italien in Staunen setzen sollten?
Dieser Teophilo Folengo war es, der die makaro-
nische Poesie zur fertigen, ausgebildeten Kunstgattung erhob
und sie in Epopöe und Idylle den großen poetischen Leistun-
gen seiner Landsleute ebenbürtig an die Seite stellte. Er war
zu Mantua, am 8. Novbr. 1491 geboren aus einem alten Pa-
triziergeschlechte, das Besitzungen unweit seiner Geburtsstadt
hatte, bei Cipada, dessen er in seinen Gedichten mehrfach ge-
denkt.*) Die Eltern gaben ihm in der Taufe den Namen Gi-
rolamo, den er spater bei seinem Eintritte ins Kloster mit Teo-
filo vertauschte. Als Dichter nannte er sich Merlinus Co-
cajus.**) Im sechszehnten Jahre, 1507, trat er in ein Bene-
dictinerkloster und that nach bestandner Probezeit am 24. Juni
genii Odaxius oninino fraudnretur , quuin is in hoc carminum genere antiqaas
fatiras non infeliciter fucrit imitatus, qufe a priscis illis poctis de quornndam
iniproboruiu civium moribiis licentcr vu!go publice palamqiie cdebantur. Id
quoqiie taeendam non putavi , qiiod ipfemct Typhis in morte cavit, no nn-
quam volumen ilhid publice in vulgus legcnduni traderctur, Ted igni potinB
comburendum. Nihil tarnen ea cautione provifiiin eil, quin libellus plasqaam
decies imprefTus in tota Italia ab onmibus haberetur et magna cum volnptate
legeretur. Das Zuviel des Lobes muss man auf Rechnung des Patriotiflmns
schreiben.
•) Z. B. Baldus, Phantas. 5. Edit. Amllelod. a. Iß02 pag. 1)8:
Credc mihi, non eft tcllns lequanda Cipadie.
Taiat abundanter frumentum lignaque bofchi,
Mungit abundanter vaccas, facit inde ricottas.
Sunt^jue Cipadcnfes aptl ftudiarc terenum:
Alter habet Tantum melius foHata cavare,
Alter arat boITumque tenct fubarando gumcrum,
Alter feit melius vignte podarc maderoH,
Alter feit putridis Ilallam net«zare boazzis
Pingnificoque ruto campos implero Ilrinatos.
Nomine Merlinus dicor, de fanguine Mantus,
K(l mihi cognomcn Cocains Maccaronenlis.
Bnldu8, phant. XX, edit. AmOet. 1693 pag. a09.
••>
417
1509 Profess. Die klosterliehe Einsamkeit scheint ihm aber
nicht sonderlich behagt zu haben: der Mensch und der Dich-
ter regten sich in ihm stärker als es mit der Ordensregel ver-
träglich war und nach einigen Jahren floh er aus dem Kloster
einem schonen Weibe und der Poesie nach, für die er schon
früher unläugbaren Beruf gezeigt hatte. Im Jahre 1517 er-
schien sein großes komisches Heldengedicht in 17 Phantasien,
das eine Masse von Auflagen erlebte und dem er erst später
noch 7 Phantasien hinzufugte. Er soll zuerst ein umfassendes
lateinisches Heldengedicht ganz oder teilweise (die Angaben
sind verschieden) gearbeitet und den Ehrgeiz gehabt haben,
den Virgil zu übertreflen. Da er aber nach dem Urteile geist-
reicher Freunde jenem gefeierten Sänger den Lorbeer nicht ent-
rissen, habe er sein Gedicht verbrannt und sich auf die maka-
ronische Dichtung geworfen, um so großer Nebenbuhlerschaft
ein fiir alle Male enthoben zu sein. Er führte nach seiner Ent-
weichung aus dem Kloster ein irres, umherschweifendes, recht
makaroiiisches Leben, durchzog Italien, auch als Soldat, die
Kreuz und Quere, dabei immer der Poesie nachhängend und
mit Kuhm überschüttet, bis er müde der Irrfahrten und gesät-
tigt von Kuhm und Lebensgenuss , Kulie ersehnend , im Sß. Jahre
seines Alters, 1527, in die Heimlichkeit seines Klosters zurück-
kehrte. Er beschrieb seine Verirrungen selber im Chaos de
Triperuno und verbesserte seine Gedichte, suchte Anstößiges
zu entfernen und übergab sie dann 1530 seinem Bruder zur
Herausgabe. Reuevoll über seine zu beißende Satire schrieb
er das Epigramm:
Cum mihi prseteriti fubeant infomnia Baldig
Tum pudet ut pndeat non puduilTe fatis.
Infelix tarnen ipfe minus fortalTe viderer,
Lunnem varios A ßne deute. modos.
Seine komische makaronische Muse war verstummt, er wandte
sich der geistlichen Poesie zu, ein Feld wohin ihm der Beifall
nicht folgte. So schrieb er 1536 auf 37 ein italiänisches Ge-
dicht in Ottaverimen La humanita del figliulo di Dio entweder
zu Brescia oder bei Caprä. Dann begab er sich nach Sicilien,
wo sein Gönner Ferrante de Gonzaga Vicekonig war, und
stand einem Kloster unweit Palermo in reizender Gegend ein
418
Jahr lang vor. Beim Abschiede schrieb er an die Wand seiner
Zelle folgende schöne Distichen:
Dulce foluni patria'que instar, mea cura, Ciambrc,
Accipe .snprcmnin (oogor abire) vale!
Vos rupcs atqiie antra, cari gratiquc recelTus,
Quodquc horrore neinus, iilva virore places,
Vos vitrei Ibntes et amoris confcia nostri
Murmura perpetuo vere cadentis aquie,
Tufpie mei tellata gravem vix longa laborcnif
Tuque olim fancto, ccllula, culta feni,
Si vcUri curam gcin quidquamve pcrcgi,
Quo facti aiiotorem fas Ut amare boni, —
Mantoum aetemis niemorate Teophilon aunis
Sitque mcn^ vobis caufa fcpulta fuga^ !
Er musste in eine Abtei nach Palermo übersiedeln und schrieb
hier unter anderm auch ein Myßerium, das in einer Kirche
gespielt wurde und die Schöpfung und Menschwerdung behan-
delte. Weiter schrieb er einige Tragödien und auch ein latei-
nisches Gedicht, Uagiomachia, das die Kämpfe der Märtyrer
feierte. Im Jahre 1543 verließ er Sicilien undgieng ins Kloster
Santa Cruce di Campefc bei Baffano, wo er bald, am 9. De-
zember 1544, sein Leben beschloss und in der Klosterkirche
begraben ward. Vgl. Theophilus Folengus in Jacobi Philippi
Tomaflni Patavini Elogia, Patav. Seball. Sardi 1644 pag. 72
fqq. BibUoteca dell^ eloquenza Italiana di Giußo Fontaniui
con le aunot. del Sign. Apoftolo Zeno Venez. 1753 tom. 1. p,
301 fqq. Genthes Gefchichte der macaronifchen Poefie S. 99 fgg.
Das Hauptwerk Folengos ist ein großes komisches erzah-
lendes Gedicht, die Phantafia; Macaronic« (es hat deren
fiuif und zwanzig), das die Thaten und Fahrten des Baldus
von Cipada besclireibt,*) eines zweiten Ilector und Orlando-
**) Den ungefähren Inhalt des Baldus gibt der Dichter selbst am Knde
der ersten Phantasie an durch die prophetische Stimme die er über seinen
neugeborenen Helden ausgehen lässt:
Nafccre, parve puer, cui coelum terramque fretumquo
Ac elementa dabuut tot cafus totque malaunos !
Ne dubita, quoniam gaiarditer omnia vinces!
Tn profone diu Aabis fub rege CiaioflTo,
Sub qua non unquam fperabis cernere luconi.
Noa tibi mancahunt aftut» Cingaris artes.
419
quo non hectorior, quo non orlandior alter — , nach dem Vor-
bilde der Aeneide des Virgil gearbeitet, dieses durchs ganze
Mittelalter hindurch bis auf jene Zeit hinab gefeiertesten Dich-
ters. Sein Trachten gieng dahin, die Palme, die Virgil im ern-
sten Epos erhalten, fürs komische zu erringen.**) Die Einlei-
tung des Werkes beginnt
Phantafia mihi quaddam phantaftica venit,
Hiftoriam Baldi grollis cantare CamflBnis,
Altifonam cujus famam nomenque gaiardum
Terra tremit baratrumque metu fe cagat adoITam. etc.
Nach ihr hebt das eigentliche Gedicht so an:
Eft locus in Franza montagn» Accus in alto
Culmine, quem caprsd celeres appena falirent:
Hunc Montalbanum Franzefa brigata dimandat.
Non urbs nee villa eft, verum fortillima rocca,
QnsB faxo vivo tribus eß obcincta murajis,
Dam bombardarum Aimmans batimenta fonantum,
Pro quibus exibis tenebrofum carceris antrum.
Sed non ilhid erit fortnn» munus iniqu»,
Namque valenter enim dum t^cum Cingare folo
Urbs alTaltabit ßipantibus SBtera lancis.
Cuncta fracalTabis victorque fcapabis ab urbe.
Non terrte Tat erit tantas ruperalTe fadigas,
Verum quam citius pelagum tentare parabis.
Cunctus ab undofis montagnis nulla yidcbis
Aetera, Ted pluvias patlere, tonitrua, ventos,
Fulmina corfaros ac tandem mille diablos.
Aft ubi Araccatus faiüs exibis ab undis,
Sasva tibi rapiet carum MuTelina Lonardum.
Invenies patrem confectum tempore , quem tu
Et vivum puncto mortumquc yidebis eodem.
Poll coelum terram pelagumque lubibis Avernum:
Ac ita, parve puer, venturus nafcere foelix!
**) Magna luo yeniat Merlino parva Cipada
Atque Cocaiorum furgat cafa balTa meorum.
Mantua Yirgilio gaudet, Verona Catuilo,
Dante fuo florens urbs^Tusca, Cipada Cocaio.
Dicor ego fuperans alios levitate poetas
Ut Maro medeßmos fuperat gravitate poetas.
Baldus, Phant. 3 fin. Edit. Am^l. 1692 pag. 79.
fFeimur. Jb IL *^'^
420
Quam ftimant afini rnnscas bufatique tavanos;
Quam famosus homo quondam ferus ille Rinaldns
(Si cantant verum Turpini fcripta) tenebat,
Et feptem ceutos proprio fub jure ladrones
Banditos habuit, tres fratres atque forellam.
Ipüus a razza poll longum tempus et annos
Exiit armipotens vir magnns nomine Guido,
Maturus placidus fapiens generofus et armis
Deditus et regi Francorum gratior altris,
Miecenasque alter claros erat intra barones.
Pro cujus nimia forma nimioque vigore
Unica capta fuit FranzeA filia regis,
Quam Baldovinam proprio rex ore vocarat.
HflBc erat in toto formoüor orbe puellis,
Unica nata patris, patriae regina futura:
Quam non mortali credebant ftirpe creatam,
Sed magis angelicam jurabant elTe figaram.
Altera Pallas erat fensu , Venus altera vultu,
Cui formte fummam laudem jungebat Honeftas,
Ingeniofa, gravis, frontis mentisque pudica,
Relig^ofa magis quam fecli tradita pompis,
Sed tamen arcta fuit tanto Guidonis amore,
Quod nunquam potuit quicquam reperire quietis. etc.
Wie man an einen Goldfaden Perlen reiht, so hat der
Dichter an die wunderlichen Schicksale seines Helden Episoden
geknüpft, in denen er Gelegenheit findet, sich über Bräuche und
Einrichtungen seiner Zeit auszulassen, über Sitten und Laster
der verschiedenen Stande und Geschlechter. Er geißelt eine
Reihe damals berühmter und berüchtigter Persönlichkeiten und
tnSt mit nicht der geringsten Härte seine Feinde. Auch über
Kunst und Wissenschaften verbreitet er sich, — und das Alles
mit so feiner Beobachtungsgabe, so ausgebreiteter Welt- und
Menschenkenntnis, so klarer Einsicht in alle bestehenden Ver-
hältnisse, mit so unauslöschlicher Laune, in so anmutiger, ge-
wandter Sprache, entsprechender Feinheit der poetischen Form,
dass man in ihm ohne Frage einen der ersten Dichter seiner
Zeit, den ersten komischen Dichter bewundem muss.*)
*) Tomafini Elogia p. 73 fq: Nimirnm omnia hie falfe, opipare con-
dita omnia, quibus nemo fatis ezTatiabitur , cognofcet qui vel femel ea dega-
ßaverit. Amoeniora literarum Iludia ß quis defiderat, nihil hie defiderabit: d
fevera, fub joeofis amicorum nominibus ea lic latent, ut nihil calamo exciderit
unde non aliquid utile jucundis facetiis inflnnetur. Quanta artificio fuperbos
421
Ein anderes komisches makaronisches Gedicht Folengos ist
die Moschaea, in elegischen Distichen, das in äußerst anmu-
tiger Sprache und mit vielem Humor den Krieg der Mücken
und Ameisen behandelt. Anfang:
Grandia Moscarum Formicanimque farentum
Prselia, desdegnos, fata cruenta cano.
Tunc et alhora fuos abscondit Apollo cavallos,
Cum mere armatos vidit in arma dnces.
Cuncta per intomum tellus qualTata tremebat,
Poca fuper coelos nee cagarella fait.
Gens ceratana Unat vecchias cantare batajas,
Squarzet Yirgilios turba pedanta Ihos.
Magna fuit (confelTo quidem) ruinatio Trojte,
Quanda cavallazzo credidit illa bufo.
Fare parangonem Ted quisqnis vojat ad ipfam,
Dictns ab cgregia gente bachiocchus erit
Maxima materies ilhi eil quam fprezzat Homems,
Sit nifi macronicas dignus habere deas.
Non eß Clionis, non eil imprefa Polyn»,
Hanc melius fomam Togna gajarda ferat. etc.
Das idyllische Gedicht Zanitonella hat die Liebe des
Schäfers Tonellus zur Schäferin Zauina zum Gegenstande. Es
besteht aus sieben Eclogen, die teils in Hexametern, teils in
sapphischer Strofe abgefasst sind, wozu noch 13 sogenannte
Sonologien in elegischen Distichen kommen und am Schlüsse
dieser eine Strambotolegia in gleichem Maße. Zauberisch ist
hier die Wirkung die der Dichter übt, wenn er mit dem zar-
ten Schmelze seiner Sprache das antike Odenmaß umgibt:
titulos heronm taxat! quos non mores hominum sub diverfis tegnmentis de-
pingitl quam bene lentas inertium moras, quam vere curiofa nimis mortalium
pudla commemorat! quil non adverfus ventri deditos tela Itringit! quam fe-
vere alienie virtuti cavidentes impetiti Yirtutis oblectamenta quam divine pro-
fequitur! quam docte fna cuique regioni, quie mirantur naturse imperiti, red-
dit! Nulla certe artium documenta prsBtermifit. Quin omnium ludorum, ar-
gutiarum et certaminum apparatus, ritus, ceremonias, athletas, arma, currus,
balnea, popinas, tabemas miro ordine propofuit. Sed quid exactius quam
vitia in medium proferre et ea fine offenüone mordere? — Über Folengos
Sprache urteilt Eichllädt De poeü Macaronica Jen» 1831 p. 9: Erat in
eo inexhaullus fons facetiarum, Ungute latin» accurata fcientia, parsimonia
quiedam in verbis mifcendis, callitas in jocis ferendis, mira in verübus fun-
dendis et facilitas et elegantia, coijuncta iUa cum recto ufu artis profodiaca»
et metriefe, quam mohi hujus generis poet» fusque deque habuemnt.
27*
422
Ayme, qno dulcis properas Zanina?
Ayme, cur fchenam traditora voltas?
Ayme, fta meo (precor) et hunc bellum
Accipe pomumi
Barbaros yincis feritate, Moros,
BiAones, Turcos, Sguiceros, Todescos,
Belhas omues, animas diabli
Belzebuelis.
Curfe planinum, tibi faxa mangiant
Cmda fcarparum, fparamenta folas,
Cancar ortighis yeniat qnod ipße
Crura cruentant.
Deh quid indamnm fequor hanc ribaldam?
Beb quid uuius fub amore ladrsB
Ducor ad forcam? mihi jamque lazzum
Boia parayit. u. s. w.
Diesen großem Werken Folengos aus der Gattung der
komischen makaronischen Poesie schließen sich in den gewöhn-
lichen Ausgaben noch mehrere kleinere Stücke an, so drei
Episteln (1. Merlini epißola colerica adPolaflum, in quem mul-
tas depingit laudes. 2. Epißola fecunda faceta ad Falchettum
familiärem fuum. 3. Epillola tertia de StorneUis et Gala ad
Baldum) und sieben Epigramme.
Von Folengos Nachfolgern in Italien, deren keiner ihm
aber gleichgekommen ist weder an Genialität in der Concep-
tion noch an Feinheit der Ausfuhrung noch an Fruchtbarkeit,
werden genannt Guarini Capeila in den zwanziger Jahren
des 16. Jahrhunderts, Egidio Berzetti, ein AuguAiner,
Giovanni Ariane um 1560, Bartolomäus Bolla etwas
später (der meist in Deutschland, besonders zu Heidelberg
lebte), und außer andern besonders Cefare Orsini um die
Mitte des 17. Jhdts, der unter dem Namen Magifter Stop-
pinus schrieb und unter allen am meisten gerühmt wird. Vgl.
Crefcembeni IV p. 149. Leflings CoUectaneen zur Literatur
hrsg. y. Efchenburg fub lit. M. Macaron. P. Genthes Geschichte
der macaron. Poesie S. 139 fgg.
Die Anfange der makaronischen Poesie in Italien fallen
also in die zweite Qälfte., vielleicht noch in die Mitte des fünf-
zehnten, ihre Blüte in die erste Hälfte des sechszehnten Jahr-
hunderts; doch noch das siebzehnte hindurch ward sie geübt.
Natürlich musste diese komische Dichtungsart, die in Ita-
lien so ungeheures Aufsehen machte und so aUgemeine Beliebt-
423
heit errang, sich bald über die Grenzen dieses Landes hinaus
verbreiten. £s geschah mit reißender Schnelligkeit: denn we-*
nige Jahre nach dem ersten £k'scheinen von Folengos Gedich-
ten (wahrscheinlich schon vor Anfange der zwanziger Jahre)
finden wir sie in Südfrankreich und einen Provenzalen
damit beschäftigt, das Idiom seiner Heimat zu ihr zu verwen-
den. Es war Antonius Arena, auch Sablon oder de la
Sable genannt, aus Soliers in der Diocese Toulon, der unter
Alciatus die Rechtswissenschaften studierte und als Richter zu
St. Remi 1544, dem Todesjahre Folengos, starb. Er wird als
gewandter Jurist gerühmt, der auch als solcher schriftstellerisch
thätig war. Berühmter jedoch machten ihn seine makaronischen
Gedichte , von denen das eine wenigstens noch auf der Univer-
sität zu Avignon gefertigt sein wird. Es wurde dies zuerst in
Südfrankreich, später auch mehrere Male in Paris gedruckt
und gehört zu den grollen literarischen Seltenheiten. Es han-
delt von der Tanzkunst, verbreitet sich aber vorher noch über
allerhand andre ergötzliche Stoffe. Der Titel ist
Antonius de Arena Provenealis de bragardilTima
viUa de Soleriis ad fuos compagnones, qui funt
de perfona friantes, balTas danfas et branlos
practicantes, novellas de guerra Romana, Neapo-
litana et Genuenfi mandat. Una cum epißola ad .
fallotülimam fuam garfam lanam Rofaeam pro
paffando tempus.
Ein anderes noch seltneres makaronisches Gedicht Arenas
behandelt humoristisch den Feldzug Karls Y. in Frankreich vom
Jahre 1536. Es erschien zuerst zu Avignon 1537, soU aber
bald aus Staatsrücksichten von der französischen Regierung un-
terdrückt worden sein.
Das ist gewis dass sich Arena, so groß immer sein Ruf
seiner Zeit in Frankreich war, weder in Wahl, Anlage und
Behandlung des Stoffes , noch in Feinheit der Sprache und des
Versbaues, noch seiner ganzen poetischen Intention überhaupt
nach, nur im Entferntesten mit Folengo messen kann. Doch
scheint er der einzige zu sein, der die makaronische Poesie in
Südfrankreich und im Idiome seiner Heimat mit größerem Bei-
falle geübt hat und dem wol ohne Zweifel die Ehre der Über-
424
mitteluug dieser von Italien empfangenen Gattung an Nord-
f rankreich gebührt. Rabelais (geb. 1483 zu Chinon in
Touraine, -j- 1553 zu Paris) hat hier etwa zehn Jahre nach
dem ersten Erscheinen des Hauptwerks von Antonius Arena
im ersten Buche seines Gargantua sich der makaronischen
Schreibart für seinen komischen prosaischen Stil mehrfach be-
dient, so besonders im 19. Capitel in der Rede des Meisters
Janotus vonBragmardo, durch die er die breite Genüglichkeit und
das unwissende Behagen schulfuchsiger Professoren geißelt.
Nicht als ob er den makaronischen Stil erst vom Antonius Arena
gelernt, denn bei seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit und Kennt-
nis von Sprachen und Literaturen mufle er ja auch in der ita-
liänischen bewandert sein, zumal diese seit anderthalb Jahr-
hunderten die grösten Geißer die ihrigen nannte: und er be-
kundet auch vielfach seine Bekanntschaft mit Folengos Werken
und seine Achtung vor diesem Dichter. Aber die größere Zahl
der Gebildeten, denen die Werke des großen Italiäners min-
der zugänglich und minder verständlich waren, haben sicher
erst durch Arena von der neu aufgekommenen Gattung komi-
scher Poesie Notiz genommen und sind mit ihr vertraut gewor-
den. Bald fanden sich auch andere französische Dichter, die
sie zu humoristischen Zwecken verwandten. So Remy Bel-
leau (geb. um 1523, f 1577), der 'Dictamen metrificum de
hello Hugenotico et Reistrorum Pigliamine ad Sodales^ ver-
fasste; ferner Etienne Taburot (-j- 1590) und Andere, auch
Ungenannte, und der noch ins folgende Jahrhundert hinüber-
reichende (er starb 1631) Janus Cäcilius Frey, ein Deut-
scher von Geburt aus Kaiserstul am Rheine, der erst Philo-
soph, dann Mediziner, auch der makaronischen Muse im 'Be-
citus veritabilis fuper terribili Esmeuta Payfanorum de Ruello*
seinen Tribut entrichtete. Im dritten Viertel des siebzehnten
Jahrhunderts ward sie endlich auch in die Komödie einge-
führt und zwar vom ersten französischen Komödiendichter sel-
ber, von Molifere (geb. 1620, f 1673): er verwandte sie äu-
ßerst passend im Malade imaginaire am Schlüsse zur Schilderung
des Doctorexamens und der Promotion des Bacalaureus Argan,
jenes Stückes, das eine ebenso derbe als witzige Satire auf die
Jünger Aesculaps ist. Es beginnt
Savantidimi doctores,
mcdiciiiie profeiTores,
425
qui hie alTemblati eftis,
et Y08, alti meüiores,
rententianun facultatis
fideles executores,
chirurgiani et apothicari
atque tota compagnia auili,
faluB hooor et argentum
atque bonum appetitoml n. s. w.
Die weitere Geschichte der makaronischen Poesie in Frank-
reich, ob und in wie weit sie im vorigen Jahrhunderte geübt
ward, ob man sich ihrer noch jetzt vielleicht zu komischen Ge-
legenheitsgedichten bedient, darüber sind wir außer Stande
Aufschluss zu geben.
In Frankreich sehen wir also die makaronische Muse zu-
meist im sechszehnten Jahrhundert (vom zweiten Viertel des-
selben an), dann auch noch im siebzehnten im Dienste einzel-
ner, auch begabter Dichter, aber mehr als Kind augenblick-
licher komischer Laune, als zu höheren, weitgehenderen poe-
tischen Absichten verwandt. Kein einziger Dichter, der sicti
nui' einiger Maßen an Begabung mit jenem Folengo messen
könnte, hat sein Streben, auch nur teilweise, aber mit Ernst
ihr gewidmet.
Wir lassen die Beteiligung der Literaturen anderer Völker
an dieser Kunstgattung, der Spanier und Portugiesen, ferner
der Engländer und Holländer, für diesmal außer Acht xmd
wenden uns sogleich zu den Deutschen.
Hier finden wir makaronische Verse erst im zweiten Vier-
tel des sechszehnten Jahrhunderts. Denn jene Haushaltungs-
regeln aus dem Anfange des fünfzehnten
Sage körn Aegidii, haveren gerften Benedict! a. s. w.
(vgl. W. Wackem. Gesch. des deutschen Hexameters S. 12 fgg.)
und der fast eben so alte versifizierte Vocabular (ebend. S. 15
fg.) mit Versen wie
Pawus vel pabo phaw, cignus tibi fwan eft,
NiTos ein IJ^erber, accipiter habicht tibi fignat u. dergL
beides ist nicht makaronisch, denn die deutschen Worte sind
ohne Veränderung den lateinischen angereiht, ohne durch Flexio-
nen latinisiert zu sein. So nahe es auch solcher Sprachmi«
426
schung lag, diesen kleinen Schritt weiter zu gehen, er ist selb-
ständig nicht gethan worden und erst der Impuls von außen
hat ihn bewirkt. Aber woher? Von Frankreich? Wol eher di-
rect von Italien, der Wiege des Humanismus, mit der Deutsch-
land in ununterbrochenem geistigen Verkehre, in näherem als
mit Frankreich stand. Nicht bloß die Werke der Humanisten
verbreiteten sich ja rasch über Deutschland, auch einzelne der
italiänischen Literatur fanden hier schnellen £ingang und Ach-
tung: schon in den siebziger Jahren des fünfzehnten Jahrhun-
derts übersetzte man den Boccaccio ins Deutsche, der seitdem
unzählige Auflagen und Bearbeitungen erlebte. Obwol wir keine
beweisende Stellen dafür beibringen können, müssen wir es
fast für mehr als wahrscheinlich halten, dass der Name Folen-
gos nicht nur, auch einige seiner Werke oder doch Stücke da-
von frühzeitig in Deutschland bekannt wurden, wenn wir bei-
des betrachten, die Berühmtheit dieses Dichters in Italien und
die Schonungslosigkeit seiner Satire, auch gegen die Geist-
lichkeit, die in diesem satirisch gestimmten, polemischen Zeit-
alter ganz besonders ansprechen musste.
Das älteste Stück makaronischer Poesie in Deutschland,
das uns bekannt geworden, ist ein Pasquill aus der zweiten
Hälfle der vierziger Jahre des 16. Jhdts. Es lautet:
Pasquillus
auf den protestierenden krieg seit 1546«
Heitz ein, Landgrafil gieß an, Sachs! Schertle, befchers wol!
Reibs auß, Carle pater! folvite, ReichßettitesI
Reichftettites narri, quos ciphus et amphora duxit
Saxonica ins fchweißbad, ferre quod hi nequeunt.
Gallia nunc vobis, Kuemaul, nunc Marcus et seger
Conülii Danus, Anglia verba dedit.
Nee qui gotswortum veftrum befchirmere vellet,
Turcüs erit, ho ho, perfida gfelliditas!
Spes erat in bauris auflaufos machere doctis,
Protulit ad fpießos ruIHca turba fero.
Witz habuit Nürmberg, achslä tragavit utr&que,
Ratfchlägiis veftris fensit inefl*e metum.
Eia agite in witzis fervando Ca^fari glauben,
Ne Senecse badum wermere conveniat!
Aus einem Foliobande des frankfurtiflchen Stadtarchivs mitget. durch Fr.
Böhmer in Haupts Zeitschrift 6, 538.
427
Einige Jahre später finden wir makaronische Stellen bei
Hans Sachs und zwar in Poesien, die er in den Jahren 1552,
1554 und 1556 geschrieben hat.
Zuerst in einem Fasnachtspiele Der geftolen bachen,
das Hans Sachs nach seiner eigenen Angabe am 6. Dezem-
ber 1552 vollendet hat (Nürnberger Ausg. der Werke H. S.
durch Leonhard Heusler 1589. 3 Buch 3 Teil fol. 40 fgg.).
Einem geizigen Bauern wird von einem Nachbar aus Schaber-
nack eine Speckseite gestolen. Der Bestolne wendet sich an
den Pfarrer mit der Bitte, durch seine schwarze Kunst den
Dieb zur Rückgabe zu zwingen. Der Pfarrer (der mit dem
Diebe unter einer Decke steckt) entgegnet, das könne er zwar
nicht, doch wolle er ihm wenigstens den Bachendieb anzeigen.
Er lässt sich im voraus fünf Batzen geben und tri£% seine Zu-
richtungen zum Zauber. Er nimmt drei Stückchen verzucker-
ten Ingwer (für sich, den Dieb und einen andern Nachbar)
und noch ein viertes Stück, das auch von außen verzuckert ist,
aber innen aus Aloe und Hundsdreck besteht: das soll dem
Bestolnen zugeschanzt werden. Wer seinen Ingwer essen kann,
der ist vom Verdachte frei; wer ihn aber nicht hinunterbringt?
ist der Dich. Der Pfarrer spricht nun die Beschwörungsformel :
Nun hört mir zu den ßarken fegen I
In narribus phantaßibus
Nequaquam et in diebibus,
Hanges in galgare fane
Rabique nagare pame.
Nun fezt euch all znfamen nider!
Da nembt nach einander ein ieder
Ein ingwer zehn, ir liebe kint!
Welcher fein keuet und verfchlint^
Der iß unfchuldig an dem bachen:
Welicher aber in fein rächen
Den grün ingwer nit bringen kan,
Derfelb den diebßal hat gethan.
Nun dife kunll frei zu probiern,
Wil ich zum erften mich purgiern.
Er nimmt sogleich seinen Ingwer und verspeist ihn ohne
den Mund zu verziehen , ebenso die beiden Nachbarn nach
einander. Unerschrocken und im Gefühle seiner Unschuld greift
428
der Kläger auch zum seinigen und steckt ihn in den Muud,
muBS aber sogleieh alles ausspeien und schreit:
Er hat mir smaul fo gar verbittert:
Mein ganzer leib bidmet und zittert
Und that mir swaßr zun augn außtreiben.
Solt ich ein dieb mein lebtag bleiben,
So wils nit nein, es muß als wek :
Es fchmecket gleich wie ein hundsdreck.
Es wil mir gleich zum herzen Ilechen:
Hab forg, ich muß mich kotzn und brechen.
Da stellen sich die Nachbarn empört über seine ruchlose
Anklage, faUen über ihn her und drohen, seiner Frau zu sa-
gen, er habe die Speckseite selber ausgetragen und sie der
Strigel Christe gegeben. Er bittet, nur das nicht zu thun und
ihm keine böse Ehe zu machen. Da verlangt der Pfarrer als
Buße einen Gulden zum gemeinsamen Vertrinken und zwanzig
Bratwürste. Der Bestolne verspricht lieber zwei Gulden zu
geben : nur solle man ihm die Würste erlassen , die er vor sei-
ner Frau nicht anrühren dürfe. Der Pfarrer beschließt:
Alfo muß man fchucheu die äffen
Und die filzingen geizhels Arafen,
Die wimmer muß man mit keihi klieben:
Ir lebtag ü Ainfl wimmer blibeii.
Die fchanz ift uns nur wol geraten.
Nun kompt! fo wöl wir fiedn und braten
Und von dem kargen pauren zechen.
Weft ers, im mocht fein herz zerbrechen.
Nun wöl wir trinken guten wein
Und mit einander frölich fein
Im pfarrhof biß es heint wil tagen,
Den Herman laßn an knochen nagen,
Weil er feins guts felb nit geneußt
Und es vergrebet und befchloußt.
So hat er uns das gelt eingraben.
Ein Sparer muß ein zerer haben.
Daß der geltfack zu groß nit wachs
Bei kargen leuten , wünTcht Hans Sachs.
In dem Fasnachtspiele Die wunderlichen mänder
und unheuslichen weiber gefchlacht und heuslich zu
machen (Nürnb. Ausg. 1589. 4 Buch 3. Teil fol. 31 v. fgg.),
das am 24. April 1554 geschrieben ist, tritt eme junge Prau
429
ein altes Weib (eine Unhulde, die von Wahrsagerei und Zau-
berei aller Art lebt) mit der Bitte an, durch ihre Kunst ihren
wunderlichdn groben Mann geschlacht und sanftmütig zu ma-
chen. Die Alte fragt nach den Gewohnheiten des Mannes und
es stellt sich bald heraus, dass es ein ganz solider ordentlicher
Mensch ist und dass daher die Schuld der Unverträglichkeit
auf die Frau fallen muss. Sie gibt ihr daher den Kat, bei ei-
ner Gottin selber Hilfe zu erfragen:
Ir müBt hin auf die wegfcheid gehn
Da der groß holzöpfelbaom ftebt
Morgen firu e die fonn aufgeht.
Nembt mit euch drei neu thaler fein
Und drei klein rote bentelein!
Werft den erden gen occident
Und den andern gen Orient
Und den dritten gen mitternacht t
Zu iedem wurf fprecht mit andacht
DiTen heiligen krefting fegen
Und neiget euch darzu allwegen;
Trutz eigenfinn und klaffibus,
Widerpellen und muffibus
Venit brügel und faudibus
Sub capite et lendibus.
Auf den fegen fo I^recht hernach
Mit lauter Stimm in teutfcker fprach:
Göttin Airann , ich ruf dich an :
Hilf tugendhaft machen mein man !
Beim dritten Male werde die Gottin Antwort geben: die
solle fie wol merken und darnach thun, zum Opfer aber die Tha-
ler liegen lassen. Am andern Morgen steckt sich die Alte in
jenen Holzapfelbaum, um die RoUe der Göttin zu übernehmen.
Die Frau kommt auch wirklich bald, wirft den ersten Thaler
gegen Orient und spricht:
Truts eigenfinn und klaffibus,
Widerpellen und muffibus
Yenit brügel und fauftibns
Sub capite et lendibus.
Darauf sagt sie auch die deutschen Worte und thut solch Wer-
fen und Segnen zum andern und zum dritten Male, — da
schreit die alte Unhuld aus dem Baume:
430
Weib, merk mit fleiß drei Mck mit nami
Erlllich fei deinem man ghorfam!
Zam andern , fchickt dein man dich auß,
So kom bald widerumb zu haus!
Zum dritten fchweig, wenn zomt dein mont
So kombft nngerchlagen darvon.
Stillschweigend entfernt sich da die junge Frau , geht heim und
gelobt ihrem Manne Besserung und die drei Ratschläge treu-
lich zu halten.
Noch ein anderes Fasnachtspiel ist für uns ausgibig, Der
los man mit dem munketen weib (ebendas. fol. 35 v. fgg.)?
dem Hans Sachs als Geburtstag den 24. Mai 1554 beigesetzt
hat. Ein munket (d. i. eigensinnig, trotzig) Weib hat einen
losen, lüderlichen Mann, der mehr in den Wirtshäusern als in
der Werkstatt sitzt, das Geld verthut und sich um seine Fa-
milie nicht kümmert. Auch jetzt geht er wieder zum Zechen:
vergebens erinnert ihn sein Weib an die lünder, die barfuß
laufen, an den Hauszins, der fällig ist. Während das Weib
traurig dasitzt, kommt ihre Mutter, hört die Klage der Toch-
ter an und ermahnt sie, durch Sanftmut ihren Mann zu bes-
sern und an Häuslichkeit zu gewohnen, ihr launisches, mucki-
ges, trotziges Wesen abzulegen und so das Unglück abzuweh-
ren. Zu Nacht kommt der Mann voll heim und bringt noch
einen Zechgesellen mit, den Schlaflrunk mit ihm zu trinken.
Die Frau sieht sie und nimmt sich vor, zum Ärger nicht ein
einziges Wort zu sprechen. Ihr Mann und sein ZechgeseU
bieten ihr guten Abend, der Mann heißt sie ein Maß Wein
holen, einen Rettig, — sie schweigt; er fragt nach ihrem Be-
finden, — keine Antwort. Da meinte der ZechgeseU , sie schiene
die Munksucht zu haben.
Der man
Ei rat , wie helf wir ir denn ab ?
Der zechgefell
Meinr muttr iß oft die fprach verlegen:
So het mein vatr ein krefting fegen,
Den fprach denn über fie mein mum
Und das fchwarz kirfchenwaßer num
Und beßrich ir bruß, rück und lend,
Hals, beide fchultem füß und hend.
Zu hand kam ir die fprach denn wider:
Das hats allmal geholfen iider.
431
Der man
Wo fol Ich hin? es ift zu fpat:
Die apotek man zugfperrt hat.
Wie fol ich widerbringn ir fprach?
Der zechgefell
Hinder deim haus da ßeht gar nach
Ein fchwarcer hoher kirfchenbaum :
Za dem lanf hin und dich nit fanm
Und hau ein brügel dir darvon,
Weil du nit kirfchenwaßr magft hon.
Weil die kirfchen anß difes faft
Zeucht auß dem holz fo große kraft,
Glaub ich, das holz die kraft auch han.
Der man
Was muH ich aber darmit than?
Der zechgefell
Wenn du dein weib darmit thetft falben
Umb die fchulter wol allenthalben.
So glaub ich warhaftiglich ie,
So bald würd wider reden iie.
Sie gehen hinaus, den Kirschenprügel zu holen; das Weib aber
nimmt sich vor, weiter auf ihrem Schweigen zu verharren. Bald
tritt der Mann mit seinem Gesellen wieder ein, hat einen Prü-
gel in der Hand und spricht:
Mein weib, dir ift dein fprach verlegen.
Ich wU dir fprechn ein krelting fegen,
Darvon dein fprach komb widerumb,
Daß du nit allzeit bleibll ein Ilumb.
Mala beßia in fpelunkis,
Habes kümaul que ^t munkis,
Bengelque fub fchulter et lendes
Facit dein rüffel hie loquentes.
Dabei schlägt er sie mit dem Stecken drei Mal über die Lende.
Auf der SteUe gewinnt sie die Sprache und läßt ihren Schimpf-
reden freien Lauf Als der Mann weiter auf sie einschlagen
will, geht sie zornig ab. Zuletzt tritt die Schwiegermutter auf,
redet zur Güte und Versöhnung und ladet die Eheleute zu
Gaste.
Endlich müssen wir eines Schwankes Erwähnung thun
Das unhulden bannen, der am 10. Januar 1556 gedichtet
ist (Ausg. von 1590. Nürnbg. 2 Buch 4 Teil fol. 48 v. fg.>
432
Ein abergläubischer schwäbischer Bauer schrieb alles Unglück,
das ihm widerfuhr, wenn ihm ein Pferd oder eine Kuh krank
wurde, den Truten zu. Er wollte sich deshalb an ihnen rä-
chen und wünschte sie kennen zu lernen. Einst kommt ein
fahrender Schüler zu ihm; der verspricht ihm seinen Wunsch
zu stillen und lehrt, wie er es anfangen müsse.
Er fprach "fo nimb zu dir swen man
und geh mit in nauß für den walt
da im feld ftoht ein eichen alt
gleich bei der dreifachen wegfcheid.
da folt du haben und fie beid
iedes in der band ein bloß fchwert.
und machet ein kreiß an der erd
etwan auf dreißig klafber weit
umb dife eichen groß und breit
nach dem fo fchürt ein großes feur
in dem kreiß zu der abenteur
und lauft darum drei mal ringwerts
und werft ins fener ein kalbs herz,
das neulich hall geftochen du.
fprich difen fegen auch darzu:
▼ enite, ir unhuldibusi
bringt pengel her uns ßnltibus,
die femper mit uns fpentibus
fub capite et lendibus!
fchau wenn ir das habt drei mal gi]prochen,
fo kommen auß dem wald mit pochen
die unhuldn umb den kreiß mmb rennen,
daß ir fie mögt perfonlich kennen.
denn fprecht den fegen widerumb,
daß kein ungwitter übr euch kumb.
doch wo ir feiet an dem ort
an dem fegen ein einigs wort,
fo Wirt der teufel unverholn
zu euch werfen feurige koln
und die unhulden wem on fcheuch
ein ungwitter machn über euch
und euch vor angflen machen heiß.
doch bleibet all drei in dem kreiß!
wo fich einer darauß wirt geben,
fo wirt es koßen im fein leben.'
Froh versprach der Bauer um Mittemacht mit zweien andern
zu konunen. Der fahrende Schüler aber gieng des Abends in
die Rockenstube, gewann neun rüstige Bursche, hieß sie Frauen-
433
kleider anlegen wie alte Unhulden, gehörige Prügel mitnehmen
und machte sich hinaus mit ihnen in den Wald. Sie versteck-
ten sich da und der Schüler kletterte auf* die benannte Eiche.
Um Mitternacht erschien der Bauer mit zweien Nachbarn und
that Alles wie ihm geheißen. Als die Bursche das Feuer sahen,
kamen sie aus ihrem Verstecke und tanzten mit Gabeln, Besen
und Schaufeln in ungestümem Geschrei herum. Die Bauern
erschraken und vergaßen ihren Segen. Da warf der Schüler
vom Baume herab Kohlen unter sie, — da meinten sie gar,
das habe der Teufel selber gethan und werde sie alle holen.
Die Truten rückten immer näher ihnen auf den Leib, warfen
sie mit den Prügeln und trafen sie an Kopf und Lenden, dass
sie sich wie Topfe umdrehten, — und doch wagte sich keiner
aus dem Kreiße heraus. Als die Unhulden ihre Prügel ver-
worfen, liefen sie wieder in den Wald. Da aihmeten die Bauern
endlich auf, traten aus dem Kreiße und schlichen hinkend und
voll Beulen nach Hause. Der Schüler erhielt den bedungenen
Lohn und zog am andern Morgen weiter. Die Bursche aber
plauderten das Abenteuer aus und so mussten die drei zum
Schaden noch die Schande haben.
Diese makaronischen Brocken (denn mehr ist es nicht)
bei Hans Sachs haben sonst weiter keine Bedeutung, als dass
sie die Bekanntschaft des Dichters mit dieser Gattung des ko-
mischan Stiles verraten. Er verwendet sie nur zu Segen and
Zaubersprüchen und trägt noch ein parodisches Moment mehr
hinein durch absichtliche Entstellung der latinisierenden Fle-
xionen (*ir unhuldibus* für *ir unhuldae*) zum Zwecke der Ver-
spottung jener Segen, die betrügerische Ignoranz Abergläubi-
schen als wirkliche Zaubersprüche aufband.
Einzelne makaronische und zahlreicher noch makaronisie-
rende Stellen finden sich dann bei Johann Fischart. Dieser
fabelhaft belesene Schriftsteller kannte auch den Folengo, wie
aus einer Stelle im ersten Capitel der Geschichtsklitterung (die
erste Ausgabe davon erschien 1575) hervorgeht:
Schreibet doch Merlin Cocai in seinen Nuttelverfen:
plus Roma parit quam Francia Gallos, nemlich in illo tem-
pore da man bald hernach die Sicilianisch Vesper hat ge-
spielet.*
Mit Nuttelverfe, d. i. Nudelverfe, übersetzt er richtig:
Versus maccaronici, die von den Maccaroni, den be-
434
kannten italiänischen Nudeln, ihren Namen haben. Ein maka-
ronischer Pentannter findet sich im 8. Capitel, der Trunkenen
Litanei (Ausg. v. 1608 L 5 v.):*)
*Ich hab auch des Krauts RauTch wider Baufch. Laß
mich machen, ich hab Haar im A . . . Hui hui dem Ofen
zu, zur Stub hinaus I Hie liegt er im Treck in aller Sau
Namen. En jacet in Treckis, qui modo palger
erat: wie ein gefchlachtes Bürslein.'
Femer makaronische Stellen in Prosa im 22. Capitel, von der
schonen Glockenoration (dem 19. bei Kabelais, das wir oben
erwähnten), so S 7 r. Ausg. v. 1608:
'Herr Domine, wann ihr bei mir zu Nacht eßen wollt in
Camera, bei dem Sackerr auf Krifam, charitatis nos facie-
mus bonum Cherubin et Gefchirrium. Ego occidi unum
porcum, ego habet bonum vino et tria oves. Aber von
gutem Wein kan man nit reden bös Latein. Et ego fol-
vam Zecham. Videto wolan de parte Dei, bei Gott umb
Gottes Willen date nobis Glockas noftras, noßra Tiatina,
Tiatina. S 7 v: Vultis etiam Pardonos et Ablaß?
Per Diem apud Deum vos habebitis et nihil payabitis noch
zaletis. O Herr Domine, glockedonaminor nobis 1
S 8 r: Ich wils euch ßattlich be wären, daß irs uns
geben folt. Ego fic argumentor, Jungherr, refpondens:
Omnis glocka glockabilis in glockerio glockando glockans
glockative glockare facit glockabiliter glockantes. ParifiuB
habet glockas, ergo glüch. Ha ha hal das heißt narriertl
das heißt parliertP
Und weitere Verse im 24. Capitel *Von des Stroßengurgels
beftem ßudieren'' Ausg. von 1608 T 7 r:
'Hei wie fauber KJüppelvers für die Jugend:
Nicht hindere Brunzen, nicht notige heftiglich ArfumI
*) Makaronisierende Stellen: L. VI v. Nun iü bibendom, nun pede libero
zu trappelen tellus und zu lappelen häl ns; wie man fchreibt in tabemacolii
ruHicorum, im Lande zu Sachfen, ubique in altiquo mure mit weißen
Holen : Sauf dich voll und leg dich nider I Steh früh auf und fäll dich
wider 1 So vertreibt ein Füll die ander, — fchreibt der fromme Prießer Ars»
lexander. M III y. Ja ja Tityre du Platzars, reck den Schwans fnb tegmine,
KühTchwanz! Ille ego qui quondam, Kannen vinumque cano. u. f. w.
435
Mit efelen farois ftreite, fic non eges arzis!
Vier ding auß winden veniunt, fo venire verfchwinden.
Vinum fanre klinglitum farit in aure.
Rüben helfen fiomachum, wißen zu fordern wintum,
forderen urinam, fchädigen auch zano ruinam.^ u. f. w.
Diese Beispiele ans Fifchart mögen genügen, um seine Be-
kanntschaft mit dem makaronischen Stile zu bezeugen und die
Art, wie er ihn handhabte. Er wendet ihn nur stellenweise
an, allerdings in komischer Absicht, aber ohne höhere und wei-
tere Intention.
Der Zeit nach folgt nun das erste wirkliche makaronische
deutsche Gedicht, das im Jahre 1593 zuerst gedruckt erschien
und von Niederdeutschland im niederdeutschen Idiome aus-
gieng. Wir lassen es hier aber einstweilen bei Seite liegen
und erwähneif es erst später, da wir eine hundert Jahr spätere
hochdeutsche Bearbeitung mitteilen werden.
Im Jahre 1627 erschien ein Gedicht folgendes Titels:
DELINEATIO
Summorum Capitum
LUSTIDÜDI-
NIS STUDEN-
TICAE
in
nonnuUis Academijs ufitatae.
Epigr.
Catoni Cenforio.
Hoc Studioforum convivia Carmen adumbrat,
Nee tam quid deceat, fed foleat fierL
V. V. V.
Anno M. DC. XXVII.
Es ist auch in die Faceti» facetiarum, Pattopoli 1657 S. 7 fgg.
aufgenonmien und neuerdings bei Genthe a. a. O. S. 323 ge-
druckt. Der Titel besagt schon seinen Inhalt. Es beginnt:
Ha viva fratres, vival precor effe corafli,
nam vos ex animo laetor adelTe meo.
Efte coralfi hodie, mihi milTa pecunia prsefens
trillitiamque tulit, laatitiamque dedit.
Et fi non eflet mihi mißa pecunia, quid tum
poflem hodie nihilo la^tior efle minus?
fFHmmr. Jh. IL 28
436
Graßina non lux eß mihi cur», dummodo Sluckopf
in bona cum Biero dat mihi vina fidem.
Ha falala falalal Spehnanni, brummite in unum
et mußcdß fpecimen promite dulcifonael
Yos famuli Kannis Bacchum demergite tiefis
et date Rhenano pocula plena merol
In Glafis etiam longis cereviüa fpumet,
fervet et alternas potio jufta vices. u. I. w.
Dieses Gedicht ist übrigens nur stellenweis makaronisch, meist
lateinisch und hie und da makaronisierend.
Wir wenden uns nun zu jenem bereits erwähnten ersten,
dem bekanntesten und (wenn man so sagen darf) berühmtesten
deutschen makaronischen Gedichte, das einen eben nicht zu
delikaten Stoff mit meist gutem, wenn auch derbem und mit-
unter niedrigem Witze behandelt, der Floia. Sie ist von einem
ungenannten Niederdeutschen in Hamburg (wie der Schluss
besagt) geschrieben worden. Die älteste bekannte Ausgabe ist
vom Jahre 1593. Lessing (Collectaneen zur Literatur 2, 102)
gibt den vollständigen Titel so an: Floia, cortum verficale,
de flois, fchwartibus illis deiriculis, quse omnes fere
Minfchos, Nonnas, Weibras, Jungfras etc. behuppere,
et fpitzibus fuis fchnaflis ßeckere et bitere folent,
autore Gripholdo Knickknackio ex Floilandia« In
Quart. Er führt femer noch eine andere Ausgabe von 1614
an mit (wie er meint) einer hübschen Vignette, wo sich eine
ganze Familie bis auf den Hund flöht. Es gibt außerdem
noch eine ganze Reihe von Ausgaben; auch ist das Gedicht in
verschiedene Sammlungen komischer Stücke aufgenonmien wor-
den, so in die Nugse venales, den Thefaurus ridendi et jo-
candi, die Facetiae facetiarum. Noch in neuerer Zeit wieder
hat man seine Herausgabe nicht verschmäht und ein bedeuten-
der Name hat sich mit ihm verbunden, Aeander d. i. Karl Im-
mermann (Münster 1822, 8^. mit einer Epißola laudatoria).
Zuletzt ist es gedruckt in Genthes Gesch. der macaron. Poesie
S. 333 fgg. Gleich wol können wir uns nicht entschlagen, es
hier mitzuteilen und zwar nach einer, wie es scheint, bis jetzt
noch ganz unbekannten Version, einer Übertragung ins Hoch-
deutsche, die stellenweise sich zu selbständiger Behandlung
437
herbeilässt. Unser alter Druck ist vom Jahre 1689, 4 Blätter
in 4, und sein Yollstandiger Titel lautet:
FLOCHIA
feu
GEDICHTUM VERSICALE
DE FLOCHIS,
Schwartzis illis Thiericulis, qui omnes fere
Menfchos, Hannos, Weibras, Jungfras, Kindros, etc.
behupfere, fpitzibus fuis Schnablis
ßechere et beiffere folent.
AUCTORE
Greisholdo knickknackio Fiochlando.
[Holzfchnitt- Seitenverzierungen, in der Mitte
ein Kranz, worin ßeht: Der kurtzweilige Floch.]
ANNO 1689.
Wir geben einen gereinigten Text und teilen am Schlüsse die
den alten Druck entstellenden Fehler für Liebhaber solcher
Curiosen mit.
Gedichtum versicale
de Flochis.
Angla Flochosque canam qui wachsunt pulvere fchwarzo
£ Waßroque ümul fließente et Schweißide warmo,
Multipedes Thieri qui poflunt hupfere longe
Non aliter quam fi Flüglos natura dedisset, —
5 Ulis funt equidem, funt (inquam) corpora kleina,
Sed mille erregunt MenTchis Martrasque Plagasque,
Cum fteckunt Schnablum in Leibum Blutumque rubentem
Exfaugunt: homines fic vexierere poflunt, —
Et qu» tandem illis pro üintä Lonia reftent
10 Vexeritate et quem nemant per vulnera Todum.
Sunt variae Martrse quibus ob fua Sünda fuamque
Ob Mutwillitiam Menfchos abßrafit acerbe
nie deus , coelum et Sternos qui fecit et Erdam.
Hunc ftichit Schlangus, laufit Dollhundus in illum,
15 Beißit et in Leibum ut cogatur reddere Geiftum*
Alt alium WoUus frißit Bärusve zureißit.
Hie habet innumeros Laufes et tempore nullo
Freudam habet: hi laufunt per Kleidros et male beißunt.
28*
438
Aß reliquos inter Thieros non boefior ulla eft
20 Nee magis infeßat Menfchos illisque molefias
Erregit Martras quam peffima turba Flochorum.
Non Ulis fatis efl; finftri fub tempore Nachti
Siechere et e fanfto Mägdas aufweckere Schlafo,
Sed quoque fub Tago durchkriechunt undique Kleidros,
25 Nunc huc nunc illuc fpringentes, fpitzibus aegre
Beißentes Schnablis, üc ut de corpore Blntus
Saepe fluat Fleckique rubri cernantur in Hauto.
Glaubite (quaefo) mihi! mihi glaubite (quaefo), fodalesi
Saepius expertus redo hoc. Cum Wolkibus altis
30 Sterni deleuchtunt et fcheinit ab Himmlide Mondus
Et fuadent Schlafe fe tradere tempora finftra,
Solum yerhindrunt tardum fchwarza agmina Schlafum.
Nunc eft Luftus iis per weichum fpringere Beddum,
Nunc vero auflleigunt Beinos, Beinisque relictis
35 In medio fitzunt Baucho prope Nablia runda,
Nunc quoque per Bartumkriechunt: dant vulnera Menfchis,
Vulnera quae fchmerzunt, Augos Nafosque geheiunt.
Deinde juvat rurfus warmo fe tradere ßeddo
Et Schultros Armosque Handosque invilere; quin et
40 SaBpe infra wandrunt corpus, lluckumque befuchunt
Et rundos Lendos, treibentes undique lufirum.
Non fecus atque folet dicko Morderus in Holzo
Wandere 9 non tantum ut longum vertreibere tempus
Detur, at fchlagat, verwundat, denique tcedat,
45 Si qui begegnunt Leuti qui Beutila Geldo
Plena geruht Kleidrosque bonos in corpore tragunt:
Sic quoque nigrorum damnanda caterva Flochorum
In Beddo late fchleichit Kleidrosque befuchit
Non propter longum, quoniam fed quasrit in ipfis
50 Gliederibus Blutum, fchonum quoque merkitat Hautum«
Protinus ut findit, veluti Morderus adhupfit,
Ausfieckit Schnablum, fub quo fcharpfiflima femper
Angla latent, zartum quae tiefe fteckit in Hautum.
Ausfaugit Blutum nefcitque aufhorere, donec
55 Se fuße füllat Safto plenusque recedat
Nee faugit tantum, verwundit et undique Leibum,
Ut Schlangus ftichit, furiofus beißit ut Hundus
Et poft fe multos Fleckes Mahlosque relinquit
489
RotigenoB. Schlafens hasc quando fühlit, in andrum
60 Se wirfit Seitum nofere, wegßoßit et Handis
Deckbeddum, fchanit Näglis Schadumque beffUilit,
Sed quando Martram Gliedo vertreibfit ab uno,
Mox Flochus ex Stundo weghupfit et alta behendus
Vulnera dat; fi nee Stetto quoque tutus in illo eft,
65 Rurfum alio fpringit proqne nno vulnere ftichit
Plurima, ut ille, femel Schlafe qui aufwachuit alto,
Non itemm poIHt müdos zufchließere ocellos:
Se walkit mifere, ruckit flnchitque rufitque
Infequiturque Flochos fühlitque in corpore, verum
70 Greifere cum tentat, Blutum fibi greifit in Hautum.
Ssepe igitur totos fine Schlafe ducere Nachtos
Cogitur et multas leidit Martrasque Plagasque.
Nee faltem haec fiunt, Beddo cum ligimus alto,
Sed quoque cum lefimus, cum fchreibimus, eßimus, imo
75 Betere cum volumus, male plagitur undique corpus.
Praßcipue Beinos intra zartisque fub Armis,
Summis in Kragiis, hlc hlc funt regna Flochorum.
Hlc grüblunt, ftechunt, beifiunt, kizluntque fubinde, ut
Ssepe pati nequeas et fcharras NägUbus Hautum.
80 Et (quod yerwundrunt omnes) non ullus in Erdft
Lebet Thiericulus, non ullus in aere fchwebit
Qui tarn magnanimus, tam fit quoque künus ut unus
Exiguusque Flochus: non forchtitat ille potentes
Kerlos, non Pabßi Kronä verfcfarickit ab ipfiL:
85 Buchum perkriechit fanctum laufitque behende,
Donec berührat bloßum cum Schnablide Leibum.
Cogitur hinc Pablhis Buchum Kreuzumque facratum
Werfere de manibus Thierumque fiigare bidentem.
Non förchtit Keifros, nee reges, nee patriarchas
90 Cardineosque patres, Hutos qui margine breite
Tragunt in Kopfis. Verum nihil achtit hie Hutos
Nee Stabes Golde decoratos: fliehit in Hautum,
Hutus ut Kopfis et fallat Stabus ab Handis.
Nee Flochus, an doctor fis, quaerit, five magifl^r:
95 Ipfe vel ad Backum vel fe cito fetzit ad Halfum
Atque anglum feharpfum per dünnum druckitat Hautum,
Ut Fedrus exfallat dexträ laev&que Papyrus.
432
Ein abergläubischer schwäbischer Bauer schrieb alles Unglück,
das ihm widerfuhr, wenn ihm ein Pferd oder eine Kuh krank
wurde, den Truten zu. Er wollte sich deshalb an ihnen rä-
chen und wünschte sie kennen zu lernen. Einst kommt ein
fahrender Schüler zu ihm; der verspricht ihm seinen Wunsch
zu stillen und lehrt, wie er es anfangen müsse.
Er fprach 'fo nimb zu dir zwen man
und geh mit in nauß far den walt
da im feld ftoht ein eichen alt
gleich bei der dreifachen wegfcheid.
da folt du haben und fie beid
iedes in der hand ein bloß fchwert.
und machet ein kreiß an der erd
etwan auf dreißig klafter weit
umb dife eichen groß und breit.
nach dem fo fchnrt ein großes feur
in dem kreiß zu der abenteur
und lauft darum drei mal ringwerts
und werft ins feuer ein kalbs herz,
das neulich haft geftochen du.
fprich difen fegen auch darzu:
Tcnite, ir unhuldibusi
bringt pengel her uns ßnltibns,
die femper mit uns fpentibns
fub capite et lendibus!
fchau wenn ir das habt drei mal gi]prochen,
fo kommen auß dem wald mit pochen
die unhuldn umb den kreiß mmb rennen,
daß ir iie mögt perfSnlich kennen.
denn fprecht den fegen widerumb,
daß kein ungwitter übr euch kumb.
doch wo ir feiet an dem ort
an dem fegen ein einigs wort,
fo Wirt der teufel unverholn
zu euch werfen feurige koln
und die unhulden wem on fcheuch
ein ungwitter machn über euch
und euch vor angllen machen heiß.
doch bleibet all drei in dem kreiß!
wo fich einer darauß wirt geben,
fo wirt es kollen im fein leben.'
Froh versprach der Bauer um Mittemacht mit zweien andern
zu konunen. Der fahrende Schüler aber gieng des Abends in
die Rockenstube, gewann neun rüstige Bursche, hieß sie Frauen-
433
kleider anlegen wie alte Unhulden, gehörige Prügel mitnehmen
und machte sich hinaus mit ihnen in den Wald. Sie versteck-
ten sich da und der Schüler kletterte auf' die benannte Eiche.
Um Mitternacht erschien der Bauer mit zweien Nachbarn und
that Alles wie ihm geheißen. Als die Bursche das Feuer sahen,
kamen sie aus ihrem Verstecke und tanzten mit Gabeln, Besen
und Schaufeln in ungestümem Geschrei herum. Die Bauern
erschraken und vergaßen ihren Segen. Da warf der Schüler
vom Baume herab Kohlen unter sie, — da meinten sie gar,
das habe der Teufel selber gethan und werde sie alle holen.
Die Truten rückten immer näher ihnen auf den Leib, warfen
sie mit den Prügeln und trafen sie an Kopf und Lenden, dass
sie sich wie Topfe umdrehten, — und doch wagte sich keiner
aus dem Kreiße heraus. Als die Unhulden ihre Prügel ver-
worfen, liefen sie wieder in den Wald. Da aihmeten die Bauern
endlich auf, traten aus dem Kreiße und schlichen hinkend und
voll Beulen nach Hause. Der Schüler erhielt den bedungenen
Lohn und zog am andern Morgen weiter. Die Bursche aber
plauderten das Abenteuer aus und so mussten die drei zum
Schaden noch die Schande haben.
Diese makaronischen Brocken (denn mehr ist es nicht)
bei Hans Sachs haben sonst weiter keine Bedeutung, als dass
sie die Bekanntschaft des Dichters mit dieser Gattung des ko-
mischan Stiles verraten. Er verwendet sie nur zu Segen and
Zaubersprüchen und trägt noch ein parodisches Moment mehr
hinein durch absichtliche Entstellung der latinisierenden Fle-
xionen (*ir unhuldibus* für *ir unhuldae*) ziun Zwecke der Ver-
spottung jener Segen, die betrügerische Ignoranz Abergläubi-
schen als wirkliche Zaubersprüche aufband.
Einzelne makaronische und zahlreicher noch makaronisie-
rende Stellen finden sich dann bei Johann Fischart. Dieser
fabelhaft belesene Schriftsteller kannte auch den Folengo, wie
aus einer Stelle im ersten Capitel der Geschichtsklitterung (die
erste Ausgabe davon erschien 1575) hervorgeht:
Schreibet doch Merlin Cocai in seinen Nuttelverfen:
plus Roma parit quam Francia Gallos, nemlich in illo tem-
pore da man bald hernach die Sicilianisch Vesper hat ge-
spielet.'
Mit Nuttelverfe, d. i. Nudelverfe, übersetzt er richtig:
Versus maccaronici, die von den Maccaroni, den be-
442
Quid fagam? Miris pulices qusBruntur in Ortis.
175 Vidi illas Rockumque aufdeckere et undique Strimpfbs
Nunc bio nunc illic befuchere, ftreichere Fußes:
Namque fciunt Weibrae quod Strimpfos gerne bewonant.
Et quando Wollam femel infprinxere, weg ire
Non facile poflunt. Ergo quam magna Flochomm
180 Agmina fanguntur per wtdleos undique Strimpfos,
Flochere cum incipiunt Weibrael Tunc bella videres:
Tunc angftum magnum treibit captiva Flochorum
Turba atque arbeitit toto cum corpore, Schnkblum
Ausitreckit, Beinos ad faltus fetzit: at hangit
185 In Woll& mifere. Tunc fangunt undique Weibrae
Nigrantes Schelmes et toUunt Bankio in barto
Delleroque. Hlc hlc mordunt, Handisque tremendis
Vertilgunt, fetzunt Näglos in corpora fchwarza
Et Knickknack fpielunt, ut circum Blutus in Erd&
190 Fließat, nee prius aufbörunt, nifi tota caterva
Tradita fit Todo. Tunc ligunt agmina tanta,
Vitam qui laßuere fuam, ut wegraffere polBs
Fingris: Ted Befmis auskehrunt faepeque füllunt
Ingentem Meßum Schauflumve et flumine mergunt»
195 Unde folent reliqui fchwarzos antragere Kleidros,
Alter ut alterius poflint beweinere Todum.
Quid memorem Jungfras Mägdasque? Schonuntne nigellis
Thiericulis? fchenkunt vitam? Non fchenkere fas eft
Ajunt: nam quando debent haB fpinnere, quando
200 Ad Stubas kommunt, fcharpfis ut nägere Nadlis
Pofllnt, nulla illis Freuda eß: niger infidet Hauto,
Hauto moUiculo Flochus et fe fanguine Magd»
Füllit, repletus per EJeidros fpringit et hupfit
Vexieritque adeo ut Jungfrau faepe absque pudore
205 Aufdeckant fefe et Beinos Bauchumque beguckant
Et kratzant, donec paulum Wehtagia cedant.
Saepe etiam Kragia aufinachunt et Düttita runda
Defendunt fcheichuntque Flochos, ne Maulide laodant
Et Blutum ausfaugant. Fieri fi denique poflüet,
210 Tam böfos pulices omnes ad tartara nigra
Projicerent. Vidi quasdam qui Morgene früho,
Si quando vaccas Herdo nachtreibere veUent,
448
Solo Hembdo indut» poterant non cemere Freudam:
Nunc Hando in Rackum greifebant, nunc fua Naglis
215 Düttita fcharrebant, nunc Lenda, Beina Knigosque
Nee fcio quid reliquum, cementes fcheliter ad rem.
HaBC ideo Yobis, o Brüdri, fchicko fideles,
Saepe üt denkatis gutum et liebatis amicum.
Et qüoties beißunt vos fchwarzi Schnablide Thieri,
220 Et quoties Händig veftris ingreifitis Hofos,
Fangere nempe Flochos, tales effbndite Wortos:
'Jam Flöchus, Hamburgä quem fchickuit urbe politus
Altus Bekanntns, bloßum me flichit in Hautom,
Scilicet ut denkamque fui denkamque jocorum
225 BoITorumque fimul: denkam ergo. Cedito.rurfus,
Parve Floche, et noßrum mifere quoque plage bekanntum
Freundum, ut fit memor et nullis vergeßat in annis
Noßri! Sic durat Freundfchaftia.* Nun hat es ein End.
Der alte Druck gibt Zeile 7 (lekant. 8 Ezfugant. 10 nemmsnt. 11
martide. 12 O für Ob. 17 Hinc habet. 18 bieffunt 23 Tclafo.
30 delenchtnng. 31 fchlaTo. 32 fchwatza. 37 fehmirtzuiit
41 Et tnndos. 44 verwunda. tsdat. 47 Si quoqne. 61
moBderus adhupffit. 63 lutent 66 fäerfo. 66 Ne fagit.
60 feiternm. 66 quoque uno vulnere lleckit. 69 fulitqne.
77 hie einmal. 91 a. h. nutos. 100 nodia. 107 lafo. 108
moBftum nimmo. 110 tröfcheri fielide korum. 111 martrnnt.
113 fchweinhardos. 116 diebusque. 118 dictisqne. 120
mifer ipfius anh. 122 berübram. 143 liggit 147 nemmens.
147 wegfregit. 164 corrido budigofma tarandula. 160 Flocbn.
163 Splendeete. 164 nehere« 172 floccos; n. fcharror elendos.
191 tunc lefunt a. 197 memerem. 203 Fühlit. 216 Düttia.
Die Yorgtehende hochdeutsche Bearbeitung der Flochia wird
wol schwerlich viel älter sein als der Druck: sie bezeugt aber
die andauernde Beliebtheit des Gedichtes, das, nachdem es ein
ganzes Jahrhundert umgegangen war, noch dieser Veränderung
wert gehalten ward.
Wir gehen zu zwei anderen bisher unbekannten makaro-
nischen Gedichten über, Erzeugnissen studentischer Muse, die
ihren Stoff aus dem Universitätstreiben genommen haben. Sie
werden in dieselbe Zeit, wie die vorige Bearbeitung, ins Ende
des siebzehnten Jahrhunderts gehören.
Das erste findet sich in einem alten Drucke vom Jahre
1689, 2 Blätter in 4. Die Titelseite gibt:
iU
CERTAMEN
STÜDIOSORÜM
cum
VIGILIBUS NOCTÜRNIS.
LECTORI
Integra nee celebris Lector tibi quaere Maronis
Carmina, Ted duro pollice fcripta lege.
Nam quia de Benglis nunc fermo grobibus inßat,
Sit quoque conveniens grobica metra dare.
Nil igitur numerus Lector te turbet ineptu?^
Sponte requifitus claudicet ordo metri.
Ecce, vide fpice, fchau, Gug, Botz Veite videte.
Typis et impenfis
BURSTAE Studentorum qui tempore finftere noctis,
Wächtrisque boren den Efel ab oren.
1689.
Es behandelt einen nächtlichen Straßenkampf zwischen Stu-
denten und Nachtwächtern , in dem die ersteren sich tapfer
wehren und endlich als Sieger das Feld behaupten. Es gehört
nicht zu den besten Gedichten dieser Art, da das makaronisohe
Gesetz, möglichst alle einheimischen Worte durch Flexion zu
latinisieren, hier vielfach verletzt ist. Es lautet:
Certamen ßudioforum cum vigilibus nocturnis.
Burfa Studentorum cum tempore finßere noctis
Cum Cytharis Gigisque gaßatim laufen et Harpfis
Inque Steines hauen, thut Feuer ausfpringen ab ipfis:
Non aliter rabidi vigiles quam reißende Wolfi
5 Accurmnt celeres cum Prüglis, Penglis et Heblis,
Hisque Studiofos antaßen illico verbis:
'Ite domum, Schelmi! fonuit jam zwölfen ab Uns.'
At contra ßudiofa cohors in talia trutzig
Verba mit Wächtrisque boren den Efel ab Oren:
10 'Trutz tibi! Trutz aliisl Ju huil Trutz omnibus iftisr
Ac iterando magis 'Ju huiT clamoribus altis
Cuncta movent Degorumque citant ftridore vicinos.
Tum jubet Elberger Spermundos hielten ut ipfi,
Knopfuis ac alsbalde fuas lieh butzten ad aßdes:
15 Sin minus et Wegium zeigurum fefe per haftas
Üb
Machurumque pedes per Prüglen, Penglen et HeUen.
Hi vero haud quidqnam moti Ju £chreieii et usque
Wirmifche Scharganten cum Juchaibus atque gezucktis
EuübtiB, hos bochiunt et trutzige dicta reponunt
20 Scharfeque mox fpadios ac fpitzige ziehen heraußer
Lußiglich et Steinos fiiriofi kratzen et hauen,
Liechtige quo Funki de faxis fpringen et hupfen.
Hisque fuos Wächtros rabidas entzünden ad iras
Atque fibi magnas addunt ßudentirche mentes.
25 His ita commoti Scharganten roßige Spießos
Umkeriunt tremuli, moxque uno turbine promptam
Anfallunt Bursam minitantes £seva Studentum.
Sed leider ac mifere klopfuntur Deifelin arme.
Nam licet et Rilpis fit turba munitaque Fleglis,
30 Et licet henkeriis bene fit circumdata Pruglis,
Diebifcbe fint banzris Harnißis undique cincta
Pectora, fit tectus Beckel groß Kopfius Hauben:
Attamen ut primiun es geht ans leidige Treffen,
Stant adeo firmi, daß weder förder noch hinder
35 Ulterius polfit vel Fußum tendere rurfum,
Sic etiam citterant ut naßus Kalbius unquam
Et quafi Scharganteis animus cecidifi'et in Hofos.
Poß ubi Wächtrorum redivivurn leidige Gfchwadrum
Luftige Burfa videt, fpadiis mox impigre verfis
40 Umwicklen brachiis tutantia Mantlia pronis,
Quo ficherer poifint Spießorum eludere Streidios.
Trutziglich interea cuncti fe ft;ellen in d^Ordnung,
Enfibus et fpitzigis fe mox engiflime jungunt,
Unus ut auxilio focio beifpringat amico,
45 Neve wie die Schelmen junctos anfaUere poifint.
His ita dispofitis animati praelia miscent
Fortiter et ftrictis invadunt enfibus hoftem.
Pars fahret an lezten jam prope timore peremptos
Wächtren et horrendis mox zeichnen Wundibus ipfos.
50 Pars fahret in medios: fpadiis braviterque fireitando
Laufige Wächtrorum certrennunt Schare fulorum.
Alter et interea focium *ne define, fraterl*
Alloquitur, 'potius nunc protege jura Studentum!
Gnaviter infracUxs Fleglorum frangito Grindes T
446
55 Frater et ad focium fic fatur *Jura tuebor:
Vel horum reprimam Henkorum bochige mentes,
Vel hlc ftudentifch victus generofe peribo.
Hau, Petre, beiß, kratz, flieh, ftupf, quomodocunque zu-
kommeflir
His ita prsefatis Soarmizlio faevius inftant
60 Ac animis denuo Gfellio monitore beherztis
Invadunt Wächtros et mifere butzen inertes.
Exoritur fubito Wachtrorum traurige clamor.
Hie icbreiet ad focium *Gerg hilf!' Hans damat et alter
*Hilf tul Weh nobis! nam funera certa cademus.*
65 Qui ferat auxilium nee läßt lieh blicken et hören.
Poft ubi terrarum miferi jam Deifelin errent,
Ignorant penitus; vor Not vor Angflque Studentos
Protinus anrufunt, Himlosque deosque deasque
Ergo rogant: 'Domini, Gnad, Gnad conferre mifellis
70 QuaefumusI ah armis noßris miferemini Kindrisl
Publice vos Meißros nofliros profitemur et Heros I*
Afl; hi ganz witige fternunt per compita Wächtros
Et rapiunt tremulis iuriofi Prüglen et haßas
Es fchlagiunt ipfis umb d** Ohren faepe herumber.
75 Mox etiam varios wie d** Hund fic fchlagen auf Erden.
Hoc ubi confpiciunt reliqui, de Staubiis alsbald
Se machiunt, trepidi currunt, was gibllu, was haftu,
Atque finunt fefe non blicken, fehen et hören.
EUque replent onmes Vu hui' clamando plateas,
80 Enfibus eliciunt ex Steinis allezeit ignes.
Ergo ftudiofi großmächtige Herren et Hänfen
Sunt ubi gaßatim per compita cuncta geloffen,
Tecta fecura petnnt cum Prüglis, Penglis et Heblis,
Quos prius abjagerant den faulen Wächtren ßreitando.
85 Denique fic jochomant, daß ßickete wickete pleni
Sint omnes nullusque fuum pene findere lectum
Poffit et in Kamris wütigi rumbtrimlen et hasplen.
Zeile 1 gibt der alte Druck Burfta. 2. Cum Cytharisque Gigis
gafsatum d. a. Dr. Vielleicht gafratiin umlaufen 3. hawen thout
f. d. a. Dr. 6. Beßer makaronifch wäre antaftunt, wie Z. 3 haunnt
und (wenn der Vers es erlaubte) Z. 2 laufunt 9. Beßer wäre borunt
d« E. ab Oris. Und fo öftere Verilöße in diefem Stucke gegen das feinere
makaronifche Gefetz. 13 Spermundis. 17 hautq. d. Dr. 27 Bur-
dam d« Dr. 32 Pectora Tic tectus bekell gros d. Dr. 36 citerant
447
89 Bnrftft d. Dr. vern. 42 in die o. 60 prsTiterque. 60 Gfelio
d. Dr. 82 gafffttum d. Dr. 84 Wächtre d. Dr.
Das andere studentische makaronische Gedicht findet sich
in einer komischen Dissertation folgendes Titels: Curiofe
Inaugural-Disputation von demRecht^Privilegiisund
Prserogativen der athenienfifchen Profefforen-Pur-
fchen wider die Bürger-Purfche und Communitäter,
welche unter dem Praefidio des durch und durch ge-
lahrten, und erfchrecklich geßudirten Herrn Horri-
bilii Pruftii Renomifti, Profefforen-Purforum p. t.
Vicarii etc. etc. pro gradu Profefforen -Purfchico,
Privilegiisque in hac Dignitate rite capeffendis in
CoUegio fubterraneo i. e. Studenten-Keller, horis an-
teet pomeridianis zur öffentlichen Ventilation dar-
geftellet Coecius Tappius Schlingfchlangfchlorum.
Athen, gedruckt Sub Prelo auff Koften der Profeffo-
ren-Purlche. In Diebus Canicularibus. 5 Bogen in 4.
Der erste Teil der Dissertation (Seite 3 — 17) handelt
'Von dem Recht der Athenienfifchen ProfelToren-Purfchen.' Zu-
erft ift die Definition von *Profefforenpurfche' gegeben im All-
gemeinen, dann von den Beftandteilen aus dem das Wort zu-
sammengesetzt ist, also von Professor (mit Etymologia, Syno-
nymia und Homonymia) und Pursche (wiederum mit Etymo-
logia,*) Synon. und Homon.); weiter werden die übrigen Teile
*) 'Zu wissen ist, dass Parfche eigentlich ein franzSsisch Wort and auf
Teutsch so viel heißt als ein Beutel: nicht zwar einen solchen Beutel, wie
man in Mahlen hat , welcher von Haaren gemacht ist, dadurch das Mehl ge-
beutelt wird, daher die Mühlknappen sagen, sie wollten den Mägden, wenn
sie mahlen, einen groben Beutel vorhängen; sondern einen Oeld-Beatel.
Fragt man nun, warum man denn einen Studenten einen Beutel nenne, so sind
zwar einige Autores, z. E. Beyerus de jare Opificum etc. in den Gedanken,
dass es darum geschehen, weil an einem Studenten nichts mehr und höher
als der Beutel »ftimiret werde, denn wenn ein Purfch bray Geld zu verzeh-
ren hat, ift er allenthalben lieb und werth, und wird von jedermann gleich-
fam auf den Händen getragen; hat er aber nichts mehr im Beutel, fo gehet
ihm keine Magd quer über den Weg. Secundum illud
Quand ma bourfe fait bim bim bim,
Tout le monde eft mon Coufin:
Mais quand eile fait da da da,
Tont le monde dit: Tu t*en val
448
der Definition näher beleuchtet und besonders die Vorzüge der
Professorenbursche vor den übrigen Studenten herausgehoben.
Diese sind: sie können sich Hoffiiung auf späteren höheren
Rang machen, da sie, als viel um den Professor, diesem seine
Manieren absehen und manches erschnappen 'das man nicht
auf die Catheder bringt und einem jeden auf die Nafe klebt';
sie haben in allen Kirchen auf dem Studentenchore die Oberstelle,
ebenso bei Disputationen und sonstigen Feierlichkeiten immer
den nächsten Platz am Catheder, wie sie im Colleg beim Tische
sitzen, die andern auf Bänken; sie allein dürfen beim Univer-
sitätsfechtmeister das Fechten erlernen ; ihre Dissertationen kön-
nen in Folio gedruckt werden; auf dem Keller haben sie ihren
eigenen Tisch; ihre Hunde dürfen sie mit in die Kirche und
die KoUegia nehmen; die Frauenzimmer sind gegen sie galan-
ter, erwiedern auch ihren Gruß mit 'fchönen Dank', die der
übrigen nur mit 'großen Dank'; vor ihnen müssen die Kom-
Welches fioh alles wohl hören läHet, einem accnraten Nahmensforrcher aber
keine Oenüge thnt Besser hat es wohl meines Erachtens der französiaohe
Autor des Tractats de TOrigine des Academies FranpoiTes getroffen, welcher
es ex antiquitate auf eine solche Manier deduciret, die einer, der ein wenig
nachdenken will, wenn er gleich nicht mit Simsons Kalbe gepflüget, leicht
errathen sollte : Es wäre nehmlich der Name, daß man die Studenten Purfche
nennet, zu Paris ohngefahr ums Jahr 1320 mit einer lacherlichen Oceafion
aufgekommen, indem die Studenten - Mägde daselbst, samt andern definentibns
in X e. g. netrix, lotrix etc. an den Studenten, welche sie mit dem gemeinen
Weibemahmen Tafchen geheißen, sich revangiret, und die Studenten wiederum
auf französisch Burfe d. i. Beutel (a fcroto quod in inguine gerunt) ge-
nennt, damit sie einander nichts schuldig blieben, welches zu derselbigen Zeit
da die Leute noch nicht so empfindlich gewesen wie heutiges Tages, Ton den
Studenten nicht übel aufgenommen worden, sondern als ein Nomen Generis
masculini in Gebrauch kommen, indem es so viel heißet als ein Kerl oder
ein Mannsbild. Ja es hat nicht lange gewährt, so hat man die Studenten
CoUegia auch Burfas (auf teutsch Börsen) genennet. Daher die Regentes
Burfie so viel als Infpectores Collegii sind. Warum aber der Purschen Nähme
auf andere Nationes kommen und fort gepflantzet worden, der Tafchen Nähme
aber den Jungfern nicht ßcher mehr darf gegeben werden, überlalTen wir
den hochgelehrten Criticis zu examiniren, und meritiret diese Materie eine
eigene Disputation. Und so viel de Etymologia des Wortes Pursche, welches
bißher unter tausenden nicht einer gewusst hat. Denn wenn die Herren Stu-
denten gewusst hätten, was ich weiß, sie hätten den Nahmen längst abge-
schafft. Man wird sehen, ob es nicht bald wird in Deoadence kommen, nach-
dem wir sein Stamm - Register gefunden.* Seite 5fgg.
449
munitater auf der Straße den Hut ziehen, ancb wenn ihnen
darauf nicht gedankt wird; sie dürfen zum Rector magnificofi
mit dem Degen gehen; alle, auch die lächerlichsten Moden. sind
bei ihnen wol anständig; bei Hochzeiten, wenn sie den Großr
vater holen, auch beim Tanze sonst haben sie immer den Vor-
rang; wenn sie den Kammertopf zum Fenster hinausgießen wol-
len, brauchen sie nur einmal 'Kopf weg^ zu rufen, während die
andern es wiederholen müssen; sie werden von den Betteljun-
gen 'Ihre Gnaden' tituliert; sie brauchen keine Thür zuzu*
machen und keinem aus dem Wege zu gehen; sie haben das
Privilegium ihre Miethen hoher zu bezahlen ; sie haben besseren
Credit als die übrigen Studenten; auch ihre 'Jungens* haben
am Rechte ihrer Herren Anteil und gehen den Jungen der
übrigen vor.
Der andere Teil der DüTertation handelt Von der recht-
liehen Verteidigung des Profeflbren - Purfchen - Rechts. Das
erfte Fundament desfelben befteht auf dem Unterfchied menfch-
lieber Stände; das andere ift gegründet auf die philofophifche
Regel : non omnium poteft reddi ratio ; das dritte auf die Kost*
barkeit der Profeflbrentifche und folglich auf den Reichtum
der Profeflbrenburfche; das vierte beruht auf der Gewohnheit
'die nicht einmal mit der Mißgabel ausgerottet wei*den kann,
gefchweige denn mit der Feder'; das fünfte kommt ex ratione
ßatus, da die Profeflbrenburfche viel drauf gehen laflen; das
fechße gründet fich auf die Autorität*), das fiebente Funda-
*) 'Denn gefetzt, daß alle Torige Grunde nicht gültig wären, £o muß uns
im Gegentheil leicbtlich recht gehen, weil man ja aus allen Dingen genug
ßehet, daß die ProfelTores Athenienfes denen alliirten Bürger - Purfchen und
Convictoriften nicht beilegen, fondem allwege uns den Rücken halten und
unfern Vorzug defendiren. Denn fo fich die Communitater oder Bürger-
Purfche untergehen auf der Profeiforen -Purfchen Porkirche zu treten und
wir es ihnen fub poBua Ohrfeigen unterfagen, fo wird es ihnen (wenn lie es
Magiftratui Academico klagen) gleichfalls vom Rectore Magnifico verboten,
und wenn fie Ach daran nicht kehren, werden fie mit der Relegation bedrohet«
Wer kann auch die Herren Profelfores darum verdenken, daß &q uns in un-
ferem Rechte überhelfen und uns dabei fchützen? Denn wenn ihr Tifch kei-
nen Vorzug vor andern hatte, würden die Purfche gewis an einem andern
Orte, da fie vor ein geringeres Geld eben fo g^t fpeifen und ihren Willen
beßer als bei Profeiforen haben, den Tifch erwehlen und möchte alfo der
Frau Profelforin fehr in die Küche regnen.* Seite 20 fg.
450
ment ift genommen ab abfurdo, denn weil alle Dinge in der
Welt eingeteilt find, wäre es ungereimt, wenn die Burfche nur
einerlei fein Tollten. *Alfo haben wir nun (fährt der Autorder
Düfertation fort) das Profefforen-Purfchen- Recht auf fieben
unbewegliche Säulen gegründet, wiewol wir das große halbe
Mandel leichtlich hätten voll machen können, wenn wir nicht
die fiebente als eine heilige Zahl für kräftiger gehalten: und
müße ein großer Simfon fein, wer diefe fieben Säulen umrei-
ßen follte.'
Weiter folgen die Widerlegungen der Einwurfe, die man
gegen das in Rede flehende Recht machen konnte. Sie find im
hergebrachten DilTertationsftile flireng gehalten und mit viel ge-
fundem Humor gefchrieben. Wir bedauern auf diefe Stücke
acht komifcher Laune hier nicht näher eingehen zu können.
Es folgt 'Corollaria oder Zugabe': 17 Thefen, die zur nähe-
ren Erörterung au%eßellt werden, z. B. Ob die Fundatoren der
Univerfitäten oder der heilige Pabß als aller Univerfitäten und
Studenten Großvater den Unterfchied der ProfelToren-Purfche
und Communitäter etc. intendiert gehabt; — oder: Ob ein
ProfefToren - Purfchen - Floh weitere Sprünge mache als ein
Bürger -Purfchen- Floh; — oder: Wenn ein Purfch eine Jung«
fer im Dunkeln herzt, ob fie merken könne, daß es ein Pro-
fefToren-Purfch oder ein gemeiner Purfch fei; — oder: Ob die
ProfefToren -Purfchlichkeit und Pennal -Putzerei einander näber
verwandt als Gefchwifter Hurkinder? u. f. w.
Nun kommt ein Lied in 21 Strophen: Eines partheiifchen
Poeten nagelneues Traumlied über dem Athenienfifchen Profef-
foren-Purfchen etc. Unterfcheids. Anfang:
Hort ihr Herrn und laßt euch üigen,
Was die Mnsen zu beklagen,
Daß Athen in Grund verdirbet
Und warom fein Rohm faft ßirbet«
Diefes ift der Unterfcheid.
Thorheitl Thorheitl
Darauf folgt das triumphierende Profit, das wir als Stück
makaronifcher Poefie fogleich mitteilen werden und zum Schlüsse
Epiflola gratulatoria Martis fummi locum tenentis^ apud In-
*) Oberftlieutenant.
451
fanteriam et Cayalleriam i. e. apud Dragones five Hennäjphro-
ditos militares et Prsefecti Duellantium.
Unfere komifche DilTertation, die unter dem Scheine der
Verteidigung die ProfelTorenburfchen - Wirtfchaft verfpottet
ftammt hocbft wabrfcheinlicb aus Leipzig und aus dem Ende
des 17. oder ganz aus dem Anfange des 18. Jhdts.
Triumphierendes Prosit
so den Herren Professoren-Purfchen*), als sie ihr
Recht in einer folennen Disp« erhalten,
zurufet
BACCHUS
Collegii subterranei Director et p. t. Decanus.
Hem Profefforenbursi, nunc rufite juch hei!
Luftigeosque fimul multos anftimmite LiedrosI
Schmaufite et in tiefam fub Schmaußs faufite Nachtami
Non etenim yobis unquam bona Bieria fefalunt:
*) UnTere komifche DilTertation gibt von diefem Worte folgende Defini-
tion: *£in Profefforen - Porfche ift ein Studiofas, welcher bei einem
ProfeiFore und ewar an feinem Tifche und in delfen Gegenwart eine gewilTe
Zeit fpeifet nnd daher einen Vorzug in allen Dingen vor denen Convictoriften
und Bürger - Purfchen hat oder von Rechts wegen haben foll.* Seite 3. Und
weiter Seite 8 fg. *Wenn wir aber beide Worte (nemlich ProfeiForen und Pur*
fche) in fenfu proprio anfehen, fo find es Correlata, wie Speck und fauer
Kraut, deren keins ohne das andre fein kann. Zum andern, ratione mixti,
müifen wir uns nicht einbilden als wäre ein ProfeiForen - Pnrfch fo zu fagen
ein Hermaphrodit, auf teutfch ein Zwitter, und gleichfam von zweien contra-
riis, als ProfeiForen nnd Purfche, zufammen gefetzt, wie der Cardinal Porto-
carrero auf einer Seite wie ein Pfaff, auf der andern wie ein Cayalier gemalet
wird, daß es fo yiel hieße als ein Purfch der in andern Abfehen ein Pro-
feiFor wäre oder der Collegia active et paiffire hielte, oder ein ProfelFor der
bei andern ProfeiForen noch die Collegia beAichte und fich hoc rel^ectu nur
als einen Purfchen auffuhretej oder, wie gar oft zu Athen und Paris gefchicht
ein ProfelFor, der mit feinen Haus- und Tifch -Purfchen fchmaufet, da er die
Paruque abgelegt und die Tobac- Pfeife im Maule hat, oder gar in einem
Tumult feine eigene FenAer hilft einfchmeißen (ut in Actis publicis pluribus
yid.), Jungfern Ständgen bringt, zu gewilFen Zeiten mit feinen Haus -Ehren
draußen auf der Mühle fein Kälbgen wichtig auslädt, vermasquiert mit ihnen
auf den Dörfern tanzt, fich alle Jahrmärkte mit der MelFe ein nicht geringes
Anfehen macht, alfo daß er der befte Hahn im Korbe, daß man ihn unter
den Purfchen Tor keinen ProfeiForen, fondem auch vor einen Purfchen an-
fiehet: — fondern nach der Regel der alten Kirchenlehrer Prisciani und Do-
fTeitmmr, Jb, U. 29
452
5 Namque Halberstadicam Breihanam, Gratia, DuchAein
Et Zerbfterbierium in Menga femper babetis.
Adfunt et langse Pfeif» et Bremenfe Tabacum
nati (wenn zwei SubftantiTS zufammen kommen, fo ftehet das hinterfte im
Genitivo; wenn aber eines das ander erkläret, ftehen ße in gleichem CaTu)
flehet man , daß es fich wol zufammen fchickt. Dergleichen Wörter man auch
im Tentfchen viel obfervieret, als ein Kriegs -Mann, ein Dorf-Ochfe, eine
Staats - Penique etc. etc. Auf diefe Manier heißet das Wort Profeflbren-
Purfche fo viel als der Profefforen ihre Purfche, da die ProfeiTores als Wirthe
oder SpeifemeiAer , die Purfche aber als Gäfte oder Tifchgänger betrachtet
werden.* Weiter S. lOfgg. heißt es: 'Indem des Profefforis gedacht
wird, werden dadurch ausgefchlolfen alle Communitater, item alle Purfche fo
bei Bürgern oder auf ihren Stuben oder auf den Garküchen, in den Löchern,
in Gafthöfen, auf Wein- und Bierkellem oder fonften fpeifen; item die men-
fam ambulatoriam haben oder, wenn ihre Eltern nicht weit von Athen woh-
nen, fich das Elfen von Haufe ausfchicken lafTen; item die fich felbfi bekö-
fiigen, jezuweilen ein Schweingen kaufen, folches (wie auch Gänfe, Hüner und
Tauben) in ihren Kammern aufziehen, fchlachten, kochen und braten, wie e.
g. die Ungarn, Sclavonier und Hottentotten, die allhier fiudieren, öfters zu
thun pflegen; ingleichen die, wenn fie nichts haben, mit Elia bei den Ra-
ben zu Tifche gehen, fich unter den Wacholderbanm legen und den Bauern
die Gänfe und Enten wegbüchfen und bei der Wäfcherin folche kochen und
braten lassen: acquirendi modi enim funt varii, und weiß weder Plato noch
AriAoteles, wovon ein jedweder fatt wird. Doch ifi zu merken, daß alle
jetztgedacbte modi zu fpeifen in den modum Profeflbren - Purfchicum können
verwandelt werden et contra. Das Subjectum muß an des Profefforis Tifche
fpeifen*. denn es ift nicht genug daß einer in eines ProfefiV>ris Haufe oben
auf feiner Stuben oder als ein Famulus mit den Mägden in der Küche fpeifet
etc., dieweil auf folche Art der Hund, der unter der Profeflbris Tifche l^Ubt,
noch näher wäre und auch das Recht des Profefibren - Purfche genöflSs, id
quod efi*et abfurdum. Hier ifi wol zu merken, daß es nichts prfsjudi-
ciret, wenn der Profeflbr gleich den hölzernen Tifch geborget oder gemiethet
hat, gnug daß er vor feinen Tlfch, fo lange er daran fpeifet, gerechnet wird,
wie im Gegentbeil derjenige vor keinen Profefforen - Tifch paffiret werden
kann, den ein Profeflbr einem Bürger geliehen hat: denn die Purfche, fo
daran fpeifen, die fpeifen nicht Profeflbren-purfchice, fondem vulgariter. —
Femer muffen fie in des Profeflbris Gegenwart fpeifen, alfo daß der Pro-
feflbr felbß mit am Tifche fitzt und mit ihnen fpeifet Es muß eine
gewifie oder geraume Zeit gefchehen, indem einer nicht gleich vor einen Pro-
feiforen - Purfchen zu achten, wenn ihn ein Profefibr einmal oder awei lu
Gälte gehabt, hernach aber nicht wieder kommen darf, fondem (jpeifen mnß
wo er lange gefpeifet : Ja es kann einer davor patfiren, wann er nur
bezeugen kann daß er fich bei einem Profeflbre an Tifche verdinget, wenn er
gleich noch nie dafelbß gefpeifet hätte. Sie muffen endlich vor ihr Geld
fpeifen, damit die fo beim Profeflbre menfam gratuitam haben, die man fonH
453
Cum Cranzo. Vobis vero fi Geldria defnnt,
Ne modo forgatis, nam fcitia vivere Credit:
10 Optimus hie semper veftmm Curator et Hfllfa.
Ergo (preoor) tiefam Studiorum binl^te Sorgami
Quisque suo Freundo zufprechat eumque befchmaufatl
Trinkite cum ganzis et ne quid bleibat in Humpis,
In Naglum Daumi poßreman gießite guttami
15 Si bene fcbmauMis, tandem galTatim eatisl
Hauite in Steinos ut Feurum fpringat ab illisl
Rufite juch juch hei! cum Degis kritzite fiz faz,
Donec frühmorgens tandem post Betta gebatisl
Sic ergo vobis commendo Lusticitatem,
20 Freiheitas vestras dum differtatio praefens
Juraque defendit Quare brauchatis eisdem
Porroque subjectos habeatis ConvictoriliasI
At tibi, Refpondens, tantos glückwunfcho profectus
Inque tuam florixios nunc trinkat quisque Salutemi
Bei weitem die besten deutschen makaronischen Gedichte
sind nächst der Floia (und vielleicht übertre£Pen sie diese noch)
ein paar Hochzeitscarmina, Rhapsodien zur Braut-
suppe, wie sie sich nennen, von einem unbekannten Verfasser,
der sich auf dem Titel als 'Scholae Petri Dresdensis
Alumnus' bezeichnet, d. h. nicht etwa Schüler der Peters-
schule, sondern Schüler und Nachahmer des Stiles vom Pe-
trus Dresden Tis, jenem Dichter aus dem Ende des 14. und
Anfange des 15. Jahrhunderts, dem die Kirchenlieder In dulci
jubilo und Puer natus in Bethlehem zugeschrieben werden.
Wie er sich aber Nachfolger des Petrus Dresdenfis nennt,
preist er die makaronische zugleich als Verbesserung jener
Mischpoesie, die sich in den eben angeführten Liedern zeigt:
Ipfe etenim tantum Sprachamm Wörtra duamm
In bmos ftudait Zeilorum einfcbließere Reimos*.
No8 binas Sprachas in Wortnm einbringimus anum.
Beide Rhapsodien sind von einem und demselben Dichter:
er erwähnt beim Beginne der zweiten die erste als durchaus
Freifrefler nennet, item der Herr Informator, oder der Herr Famulus exclu-
dirt fein , indem die baare Bezahlung vomemlich hier den Unterfchied macht,
ohne welche einer mit einem^ geringen Tractament muß yor lieb nehmen.'
29
454
von ihm geschrieben. Sie scheinen erst im achtzehnten Jahr-
hunderte verfasst und zwar in den ersten Jahren desselben (vgl.
novi fecli I, 367), denn an hundert Jahre früher kann nicht ge-
dacht werden, da das Tabakrauchen (I, 104 fgg.) damals in
Deutschland noch unbekannt war und erst in der Mitte des
17. Jahrhdts« in die Gegend eingebracht ward, der diese Stücke
zugehoren. Sie stammen höchst wahrscheinlich aus Leipzig,
kaum wol aus einer andern sächsischen Stadt: nach Sachsen
weisen einige Provinzialismen und dass die Gesundheit des
Königs getrunken wird, d. h. des Churfürsten von Sachsen
als Königs von Polen.
Beide Gedichte sind ohne Ort und Jahr in 4 gedruckt:
Das erste hat 6, das zweite 14 Blätter. Wir geben hier nur
das erße, da der Raum uns nicht mehr gestattet und behalten
das zweite für eine spätere Mitteilung.
RHAPSODIA
verfu heroico macaronico
ad
BRAÜTSUPPAM
in nuptiis
Butfchckio-Denickianis
prsefentata
a
fcholae Dresdenfis Petri
alumno.
Lobibus Ehftandum quis non erheberet hochis
Himmlorum Sternis glänzentium ad usque Gewolbos?
Scilicet illo Menfchorum mediante Gefchlechtum
Vermehrere elt licitum totamque erhaltere Weltam
5 PoITumus; atque andres huic Zwecke ergreifere Mittlos
Omnibus in Rechtis verbietitur atque Gefetzis.
Alt andri ehlofum malunt erwählere Standum,
Hangere ne femper Weibo zwingantur ab uno,
Haltere Gefiudum multosque ernehrere Kindros,
10 Plageutes variis fe Sorgis atque Befchwerdis:
Pro freiis potius wünfchunt laborare Gefellis.
Cumque fuas nequeant Lüfias Fleifchique Begierdas
Zahmere, Mätrefsas haltunt, abdanka«^ femper
455
Quas poilint frifchamque fibi zulegere Dimam.
15 Omnibus in Treppis jungas anpackere Menfchras
Sucbunt, qu8B Frauis nachtretere, trägere Poßas
Atque Officieros Schreibrosve beßellere doct»,
Interea haud faul» fibimet quoque fuohere Gimplum.
20 At bonus hie Grumpus verhangnum fchießere amoris
Non prohibet Züglum, fireium fed laßere laufiun
Haud dubitat, donec geilse fe erweifere fchoenus
Incipiat Liebae fructus fchwellatque puellae
Schwängratse Bauchus, Stadtrichterusque refcifcat
25 Atque citet Vetlam, cupiens mox wißere verum
Hurkindi Vatrum, fubito quem Vetla bekennit,
Et petit herbringi feinum hunc jungumque Gefellum,
Antrauique illum fibi zugebique maritum.
Ad Klagam einftellens Tefe excipiensque beklagtus
30 Se negat elTe Vatrum, nunquamque id poffe beweifi.
Setzere fe Fallum, quod poflit Vatrus haberi,
Nebmere nequaquam tarnen hanc fe velle Caroingam,
Cui nil geßeherit, cui nil zufagerit unquam,
Se nee ad boe ullis verbindi poffe Gesetzis
35 Cumque fuä Bitta hane abweifere poftulat Huram.
Klägra, quia eß arma Hura, fibi nequit baltere theuros
Juriftas, hane qui könnant ausfuhrere Saeham.
Zwingitur interea multis annehmere Bittis
Elendum Stimprum, qui fefe einlaßere non vult,
40 Erbietens fefe ad Gütam, quam ergreifere poftquam
CepiflTet, rotfehavit eo tandem fua Sacha,
Ut Klägra; zahlat eertum pro more Beklagtus
Ziehgeldum fehwangrse, fi vivum kriegere Kindum
Contigerit, Bürgos fetzat Kranzumque bezahlat.
45 Annuit ad Klägrae Vorfehlagas hasee Beklagtus,
Dum fefe a Plagä modo liberet ißius Hexae.
Tune Stadtriehterus Parteiae herlefit utrique
Verdientum derbum fitque hartum de jure Capitlum
Verbreehumque jubet brava verbüßere Strafa,
50 Ipfis ut pofljjt geilum hune vertreibere KitzlunL
Armus at hie Teuflus pergroßis non fine Sehmerzis
Hunc potuit feufzens unerhörtum trägere Sehimpfimi.
456
Per compagnias railjatur in omnibus Ortis
Iftos ob Poflbs, ut faepe gerathat in Händlos.
55 Ocüupat hie Kummrus ganzum Sinnum atque Gemüthum,
Augos ut nequeat per ganzas fchließere Nachtas.
Propterea fpielendo juvat vertreibere Sorgas,
QuaB tarnen inde magis wachfunt, omnem quia Geldum
Non ceffavit quin Sitzo verfpielerit uno.
60 Hicque mens Matzus fedet et fe kratzit in Heupto:
Non effet Wundrum, fieret fi toUius inde.
Gläubigen ankommunt Schuldasque mahnare per omnes
Anfangunt Winklos, quo fe verfteckerat, atque
Nullas zulaßunt Fridas cupiuntque bezabli.
65 Interea ipfe fuos beitos quos norat et altos
Erfuchit Freundos, ipfi qui aushelfere guto
Se Geldi Stücko pronos facilesque befindunt.
Quo fe a Schuldis auswicklat penitusque befreiat
A tarn verftocktis unverfchämtisque Gefpenftris,
70 Armis qui Lentis Leibum Selamque befitzunt
Et nifi per Geldum non fefe austreibere laßunt.
Heiliga Kircha folet Manißas nennere Kezros
Non absque Urfachä: nam in großum bringere Schadum
Sa;pe folent manchos verlaßnos atque betrübtos
75 Herzos et multos bankrottos machere ubique.
Nefcio num plane Pietillis ßnt grobiores,
Qui plagunt etiam multos fchreckuntque Gewißnos
Atque nimis fchwarzum pflegunt abmahlere Teuflom
(Quem tarnen Aethiopes weißum blondumque bebauptunt),
80 Cumque fuis qui verbietunt fe ergötzere gutis
Duzbrüdris aut cum galantis fcherzere Damis.
Nofter homo genus hoc Kezrorum haßebat utrumque
Atque fuo Geldo wenige, a Freundisque geborgte,
Quantum pro liello fibi laßavere Gefpenftri,
85 Cum Compagnonis kleinum fibi trinkere Tummlum
Vult in Bierfchenkis et fic verfaufere Grillos.
Ut primum ingreditur Schenkfiubam, ex more begrüßit
Praefentes Gäftos ibi praßcipueque Gefattros,
Poft andres gutes Camerados atque Bekantos,
90 Quorum quisque illi vollam zureichit Hubatgam,
Ex quibus ipfe bonum Zugum et blindum facit hauftum.
457
Hio videas andros leeros einfchenkere GlaOros,
Contra andros claro vollos auslaufere Biero.
All andrus Bierum fodrens aufklopfit Hubatgä.
95 Hi eingießunt nimium et GlaTum überlaufere maohunt,
EU magnum fadunt nebengießendo Geflezum,
Ut de Tifcho etiam Diehlas ablaufat ad usque,
Quod furkommeret, hoc aliquis ni aufleokeret Hundus.
Hie unus duplumque videns multumque berauTchtaa
100 Sandfeigrum in Fenfiro, eredens fe einfobenkere GlaAim,
£x alto aufgießit Bierummagnäque Gewalt&
De Fenßri Lehnä ruptum dejecit in Erdam.
Andros confectum videas tractare Studentüm:
Pars fupra Bretlos Tabacum fcbneidere kleinum,
105 Pars ex Papiere fibi wicklere Fidibus alto,
Pars etiam ex Holzo dunnos fibi fchnitzlere Spänlos,
Pars ßoppare Pipas illasque anßeckere Feuro.
Illice tunc cernas dickum fe erhebere Neblum
Et ganzum impleri Kaucho ftinkente Gemachum,
110 Ut vix Nachbarus Nachbarum erkennere pollit
Atque fatis videas dunklos erfcheinere Lichtros.
Afchä vermifchta Biero et hinc inde gelfareuta
Per Tifchos quidam coeperunt reibere Zähnos
Et rurfus claro fibi Biero auslpielere Mundum:
115 Namque ferunt, Zähnis hoc conciliare nitorem.
Hie hoeras quosdam fchönos herfingere Liedros,
Andros elatis immenfum juchzere Stimmis.
Hie Bierfiedleri, BalTum bene reißere docti,
Braviter aufllreichunt animantque ad gaudia Gäßos.
120 Et jungi danzunt Purfchi cum Mägdibus ELaufi:
Hi foli könnunt ipfis ausfchwenkere Rockos.
Sicque hoc in Zimmro tractat fua quisque Gefchäfta,
Quodlibet in motu eft, trägumque haud videris ullum.
Heroi noßro, quo non purfchaliter alter
125 Talibus in Dingis, Moda perplacet ifia lebendL
Propterea in folchis einfindit fe öftrior Oriis,
Omnia mitmachens qu» Compagnia jubebat.
Quodque patrant argum focii, patrat ärgius ipfe,
Et fic in ßäto fallebat tempora Ludro,
130 Tandem gleichgeltens quodvis Laftrum fiiit illL
458
Accidit ut fefe in Zechhaufo aliquando befindens
Zngegnis tunc cum Soldatis trinkeret, atque
Cum quidam illorum Diebßahlum zeiheret ipfi,
Quodque fuam quam fupra Tifchum aufzäblerat örtam
135 Abstulerit, perbibens , Herri ipfum Geldra teuere
Effeque Soldatum, in magnos geratheret Hähdlos.
Nam quoniam ad Kriegum fchlechtam fcheinebat habere
Lußam, fe Füßis atque Händis wehrere coepit,
Multas Ohrfeigas edit recipitque vicillim.
146 All hasc lucta parum tam tapfro profuit Heldo,
Namque ipfum mifere tractatum Prüglibus atque
Erdä projectum abripiunt fchleppuntque per Haaros
In Cordegardam Schmocho Dampfoque repletam.
Hlc ipfi faciunt Carefsas more Tragonüm,
145 Queis Hugenottas afficiunt illosque bekehrunt.
Tamque diu kitzlunt, donec verfprecheret ipfis,
Se fore Soldatum et Kalbfello folgere velle:
Quo Werbri fe vergnügunt et mitius illum
Jam tractant, trauunt tarnen haud nimis ipfi,
150 Hütentes illum probe, ne entlaufere pofEt.
Jamque novam fuchens Lillam et fichrum fugiendi
Mittlum, forte videt pendentem e pariete Tafcham.
Runda venit: cuncti nauslaufiint atque Gewehrum
Praefentant: jam fe advertens verbleibere folum,
155 Ex Tafch4 entwendit furtim ter quinque Patronas,
Illas ausleerit Pulvro leerasque reponit
Hülfas in Tafcham: Pulfrum poft colligit omnem
In Tüchlum, tamque id caute, ne merkeret ullus
Egrelforum, prasfertim quia valde befoffhi
160 Wißebant ipfi vix quid facerent fieretve.
Namque ipfis dederat Schmaufum tanquam Camerada
Neuus pro acceflu, mifchens ipfis aquavitam
In Bierum, ut citius poflint fibi faufere Raufchum.
Hicque diarrhoeam fibi forte ankommere fingens,
165 Obtinet, ausgehere ut liceat. Comitatur euntem
Ex Wach4 quidam, ex Refpectu ad limina Thür»
Wartens aufmerkensque, ipfis ne entlaufere poflit
N öfter ibi poft Thüram alleinum fe efle befindens
Eligit ex Holzi Stoßo diokum atque bequemum
170 Zerfpaltnum Scheitum et tanti cum dexteritate
459
In Spaltam Tüohlum cum Pulfro einftopfere novit,
Exterius nullum ut Zeichnum inde erfcheineret unquam.
Hoc Scheitum fumit Lfochumque anlähnit ad Ofhi.
Poft fefe in Stubam rurfus confert et in Erdam
1T5 Se ad Ofiii Fußum legit quafi fdilafere vdlet.
Interei^ quosdam Scheitos calefactor in Ofiram
Cumque andris etiam prsedictnm anlegit abitque.
Tum focii in Stnb& fchlafentem aufweckere tentant
Et forfchire ipfum, furgat faciatque Befcheidum.
180 Dumque ita circumftant ipfum et fua Gläfra propinant,
Pulfirum terribili Knallo displodit et Ofnum
Cum Stubse Deckä et Dacho quoque disfilidre
In plus quam centum Stückos, Feurumque per omnes
Disjectum Winklos Windo blafente Gewaltam
185 Continuo rchnellam nullo lefcbente gewinnit
Soldati erßaununt vivumque putant ibi Teuflum,
Illius et diram penitus loswerdere Muttram.
Nee minus et Nacht» Schlafe atque quiete ftnentes
Hoc Bombo erweckti zulauftint undique Bürgri
190 Et Cordegart» cernunt jam brennere Dacbum
Atque mali Urfacham tanti frufira petere aufi
Schildwacham, quia erat Soldatis voUior andris,
Intrant et findunt bleffatos undique, quosdam
Blasphemis multos Wortis ausfohüttere Flüchos,
195 Andros halbtodtos vix poITe bewegere Leibros,
Andros ob Schmerzum magnum formare Gefchreium:
Quos omnes miferati austragunt atque reponunt
In ireiam Luftam, Feldfchererique befehlunt
Heilendos curae et wartendos. Nofter at heros
200 Horrendum brullit (quamvis nil laefus, in Erda
Cum fiierit fichrus fatis a discrimine Pulfri),
Verleztum quoque fe ftellens, ne fuspicionem
Incurrat Flucht« pro tempore fuscipiendae:
Hinc asgre in Füßos recipit fe et machere Schrittos
205 Hinkendo kurzos fatagit, Stecknisque duobus
Subnixus ftarkis fic fe fortfchleichere velle
Ad Feldfchereri perhibet curam et medicinam.
At fimul atque datum eft poft Eckam anlangere Gäßli
Engi, continuo Stecknos wegwerfit et inter
210 Se Pöblum mifcens zulaufentemque Getümmlum,
460
In medÜB Nacht» tenebris ankommit ad Haufum
Vertrauti Freundi, cujus verfichrere Treu»
Se poterat freiusque a cunctis elTe Gefahris.
Incepit Morgnu8 finftram vertreibere Nacbtani
215 Et Tambourierus Drommlä toccare Reveillam,
Cum fefe Officieri ausforfchere facta befleißnnt
Vergangn» Nacht» ganzamque verhorere Waoham.
Inter bloITatos noßer Yermillitur Heldua
Non fine Verdaohto quod Feurum aoßeckerit ißud.
220 Unde apud ejus vertrautes gutosque Bekantos
Suchitur, at frulira: nam dudum entwifcherat atque
Per Bürgerthorum Tago anbrechente receffum
Sumferat e Statta, velut iftum Wacha Borichtum
In Thoro Bürgrorum ertheilerat; et quia nullam
225 Ipfum obfervarunt Iiibereiam trägere et Handlus
Cum Soldatis haud ad eorum kommerit Ohras,
Non ullo potuere modo muthmaßere, quod fit
Soldatus nee ei merito verfagore Paffum.
Omnibus ergo illum in Straßis ausforfchere laßunt
230 Atque Herrum findunt Urianum, illumque reductum
Ceu Deferteurum Mordbrennerumque bewachunt.
Coram Kriegsrechto vorßellitur atque befragtur:
Pulfrum nuper an in Wachftubie anlegerit Ofiio?
Antwortit: quod non: atque id fe erhärtere velle
235 Eidum per theurum. Quare ergo enüauferit? inftant.
Non propter malefactum aliquod fe, ait, arripaifle
Fluchtam, fed fraudos verfluchtas infidiasque
Werbronim ut tanto melius vermeidere pollit:
Nauique andres (pioque durante entlaufilTe tumultu
240 Se(]ue per Anzuchtam rupto faWafle Gegittro.
Forlitan hi Pulfrum poterant anlegere tanquam
Freu, quois Ortus femper patet omnibus ifte.
Contra iuifle arreflatum fefe atque gefangnum.
Urgent ulterius: tarnen haud fe leugnere pofle,
245 Quod priua e Stub& ausgeherit, quam fpringeret Ofoas.
Ipfo nt Durchlaufum fe tunc habuifle reponit,
Quodc|ue ox Ilauptwaoha ipfum aliquis begleiterit atque
Cxnw uiAgnii AuflichtA haud ex Augis laßerit, ex quo
Ouuiia quo pacto fuerint, er£ahrere poffeut.
461
250 Egreflbs sndros pofl; fe folosque ftuffe
Absque ull& WachA neque quisquam angeberit illos,
Se potius femper quodyis modo trübere Waßrum:
Saliern Officieros hoc erfundiffe Gedichtum,
Quod gutum Geldi fortafle ausproITere St&ckum
Ex ipfo könnant, veluti moliis quoque guiis
255 Ehrlichis Kerlis permagn& non fine Schande
Saepius hoc facerent: quia vero fpiokere Beutlum
Hac vice non poITeiit, quod eorum entwifchere Klauis
Contigerit, zumant et fic fe rächere quaurant.
260 Judicium contra erleuchtum haud Weifis fiigere uUis
Quaeftus, quos fuchunt verfluchtos atque Gewinftos.
Propterea fe omni quo könnat bittere Fleifio,
Ut yelit in freium rurfus fe ftellere Fußum,
Contra tam ergrimmtos wildosque befcbützere Bäros,
265 Unrechtam hanc iinerhörtam magnamque Gewaltam
Jußis verdientis atque hartis ahndere Strafis,
Utque omncs Schädnos atque Unkollas liquidandas
Erßattant ipfi, fub certä auflegere Bußft.
Hisce illum abfuhrunt, cum ejusFreundi atque propinqui
270 Verwanti pro illo Vorbittam einlegere tentant,
Ausfagam einbringunt Zeugnorum judicialem
Juratamque, in qua teftes uno ore bezeug^nt,
GuarnifonsB in werbende procedere iniqunm,
Prefluram et Zwangum enormem contra omnia Rechta:
275 Soldatos pro Geldo altos abdankere, neuos
Par Force au£fahere, ut fibi pollint fchmelz^re Geldum:
In fpecie et Schlagas Graufamkeitasque verubtas
Contra inquifitum, Cordegartseque ruinam
Cunctis cum Umftändis, inter quos profuit ipfi,
280 Lefchentes Bürgros Feurum invenifle Patronas
In Tafchä leeras Pulfro: nam contra Befitzrum
Tafchae anfangerunt mox hagere fuspicionem,
Quod fuerit Thätrus tantaeque Urlacha Gefahrae.
Jam taceo Ausredas andras, queis fchützere feie
285 Noftro inqui/ito placuit, nam ergreifere quosyis
Quos poterat Mittlos, adeo ut beftecheret ipfos
Judicii Gliedros Geldo, properayit, ut iftä
Ex fchlimmi 8ach& fe aaswickleret atque Befdiwerdi.
462
Et licet ipfe armus fiierit, tarnen haud dubitavit
290 Quin Lügnis, Spielis, Diebftahlis atque Betrugis
Supplere in Mangio Zufagamque baltere konnat.
Inquifitores in eo videre Gemüthum
Ad quosvis Ränkos habilem fatis atque gefchicktum.
Nam fi wahrus in hoc Thätrus fit crimine,. Chartas
295 Tarn dextre ifthoc in Spiele vermifchere fcivit,
Ut ipfum Thatae haud queat überweifere quisquam,
Ex quo conßat, eum fatis ad Kriegum fore nützum.
Hinc fefe entfchließunt ipfum zulaßere ad Eidum,
Ad quod fefe obtulerat, tarnen hac fub conditione
300 ExprelTa, ut fiat Soldatus qua velit ipfe
In Gompagniä. Si vere conditionem
Hanc non annehmat, fe machere polfe gefaßtum
Ad fcharfam Fragam. Non fe Inquifitus in engä
Hac PrelTa Schraubaque diu multumque befinnit,
305 Sed potius Martram fibi wählere fpiritualem
Tanquam Soldatus, quam Martram in corpore tanquam
Hundsnafus cupit. Ad fchwerendum fe ergo refolvit,
Sefe Wachlhibae in Ofnum non impofuilTe
Pulfrum illud, per quod fe Feurum entzunderit ilhid,
310 Nee juffiire illud andres imponere in Ofnunu
Atque illud falvo fe fchwerere poffe Gewißno,
Non dubitavit: nam Pulfirum fefe impofuilTe
In Scheitum faltem, fe fcire quidem, fed in Ofnum
Haud uUis propriis factis ullove Geheißo:
315 Sicque animo haud magnam gaudet fe leidere Foltram.
Ultra nee renuit Soldatus werdere, donec
Ad Fluchtam crblickat Zeitam fibi commodiorem.
Heldus at hie nofter Maufchlo gotüofior omni
In Lugnis, cautis Diebftahlis atque Betrugis,
320 In falfchis Miinzis, Handbriefis atque figillis
Dextre formandis quo non verwegnior ullus,
Quas non Intrigas Iliftit? quas non ibi Tuckas
Contra Ofiicieros obrosque untrosque beweifit?
Queis non erdichtis angebit apud Generalem
325 Multos Auflagis, ut vix fe non fine magn&
Expenfä e tantis poüint auswicklere tricis?
Queis non erlognis Verlaufis atque Oefchichtis?
46S
Unum contra andrum yerbetzit, disfidiorum üt
Inter eos magnorum ausftreuat femina Daepe
330 Usque adeo, ut toties impenfe reueret ipfos,
Unquam quod fuerit Soldatus eorum ope factus.
Sed nos in Stando quo lebit laßimus illmn,
Incerti quis adbuc erwartat Galgnus eundem,
Aut cigus Diebshankri aliquando. geratbat in Händas.
335 Ebftandi manet bicce Haßores atque Veräcbtros
Ausgangus meritoque quidem plerosque malignus.
Nam faulos pflegunt ante omnia liebere Tagos,
Lebnum, quod beßrum vix dixeris loblicbiusve
Quam noftri berois Lebnum fupraque gedacbtae
340 Vetlse, nam ad minimum bonus eß Anfangus ad illud.
Ite, o jungi nunc erwacbsnique, ite, Gefellil
Tte et verftorbnä traurentes conjuge Wittbril
Ite, o Jungfrauae et Wittb» jungse atque betrübt»
Lerniteque Ebllandum moniti baud verwerfere fanctum!
345 In quo non manglent Freud» vobis zugelaßnae
Atque licebit guto unverletztoque Gewißno
Pflegere cum veftro Liebse idque impune Gemahlo
Et fic ex eigno fitientes trinkere Brunno.
Schläfere feu libeat, feu wacbere, utrumque licebit
350 Cum yeßro Ebgatto, atque Ehpflanzlos zeugere feinos,
Qui Yobis poterunt mancbam quoque macbere Lußam,
Sive patri foleant et ßreichlere et herzere Backos,
Sive Alis zartis Bartum ipfi flockere Patfcblis,
Sive afierre Hitfcbam Muttrae fodrendo Gebühram,
355 Sive Eltris quocunque modo vertreibere Weilam.
Quod fi jam cunctas Ehitandi erzeblere vellem
Delitias, peterem mihi te, mea Mufa, Gehülfam.
Sed juvat, hanc andrse Arbeitam überlaßere Zeit».
Sufficit hoc Yobis, quod Monfieur Butzfchckius unum
360 Giebit Beifpielum fimul et fua Brauta geliebta
Jungfra Denickia ad Ehßandi noftrumque Behufiim:
Horum verliebtos cum keufchse entzünderit Herzos
Lieb» flamma, baud Ehftandum erwehlilTe yideres,
Ni illum tam magnis baltilTent femper in Ebris.
365 Auguror Ehßandum hunc vollum Segno atque Gelücko,
Ut queat in yielos longe fe erftreckere Jahros,
464
Imo noYi ganzam per Zeitam ausdaurere fecli
Et Leibi baud paucas aliquando zeblere Frücbtas,
Eltros quae yideant Hocbzeitam machere Jabros
370 Verlaufhos denuo poft quinquaginta gefundam
Et tandem omni Woblfartbä Glückoque redundet.
Atque erfolgat ut boc, ex ganzis wünfcbimus Herzisl
Quod fupereft, Glafum magnum Weinoque gefulltum
Rbenano laeti in fponfique faaeque falutem
375 Brautie ausßecbamus! De Tifcbo furgite, Pfeifril
Blaßte Trompetas et Keßli fcblagite PaukasI
Der alte Druck gibt Zeile 6 Terbittitur. 11 wuntfcbunt. 17 Of-
ficiros. aOfchisfere. 80 verbittunt. 216 officiri. 237 li-
bere. 330 reweret. 341 junghi. 343 jnnghie. 358 banc
fehlt. 372 wnntfchimiis.
FINDLINGE.
Von H. V. P.
Zweite Gabe. Mit Beiträgen von August Kahlert, August Ko-
berstein, Franz Ludwig Mittler und August Spieß.
1) L es sing an Rudolf Erich Raspe. Mitgetheilt von Franz
Ludwig Mittler.*)
Hocbedelgebohmer Herr,
Hochzuverehrender Herr Rath,
Hr. Andrea in Hannover hat mir Dero Anmerkungen vnder Klo-
tzen zugeschickt, und ich kann nicht umhin , Ihnen meinen ver-
bindlichen Dank dafür abizustatten. Wenn es möglich ist, dass
der Mann sich schämen, und in sich gehen kann: so dürfte es
vielleicht nun geschehen, wenn er sieht, dass ich es nicht allein
bin, der ihn in dem Fache der Kunst und des Alterthums för
einen unwissenden Prahler erkläret. Denn mich glaubt er von
Nikolai bestochen und bildet sich ein, dass Ich die allgemeine
Bibliothek rächen wollen , in die ich noch zur Zeit keine Sylbe
gearbeitet habe. Mit diesem Verwände hat er alle Fehler, die
ich ihm gewiesen, den Lesern seiner deutschen Bibliothek als
elende Kleinigkeiten und boshafte Zudringlichkeiten angekün-
diget; und ich muss mir es schon vors erste gefallen lassen.
*) Herr Mittler wird aus dem Easpesohen Briefvireohsel in der Landes -
bibiiothek zu Cassel das litterarhistorisch Bedeutendere theils Yollständig , theils
auszüglich in den folgenden Heften des Jahrbuchs mittheilen und zwar zu-
nächst Briefe von Gleim, Herder, Höpfner und Boie, und in einem Vorworte
Rudolf Erich Raspe*s litterarisches und sonstiges Thun und Treiben be-
sprechen. H. V. F.
466
von seinen Bewunderern für einen Sophisten, und ich weis
nicht noch wofür, gehalten zu werden. Vors erste, sage ich:
denn wenn nach und nach sich noch mehr solche Stimmen, als
die Ihrige, mit meiner verbinden, so denke ich doch wohl,
dass das leichtgläubige deutsche Publicum ein wenig misstraui-
scher gegen ihn werden wird.
Sie müssen itzt mit allen Hülfsmitteln zu dem Studio des
Alterthums versehen seyn. Ich erinnere mich vor einigen Jah-
ren das Cabinet, welches Sie unter Ihrer Aufsicht haben, mit
einigen flüchtigen Blicken durchlaufen zu haben. Ich wünsche
sehr es näher kennen zu lernen, und wäre nicht ungeneigt, ehe
ich die hiesigen Gegenden verlasse (da ich ohne dem noch
nach Hannover und Göttingen will), auch nach Cassel auf ein
acht oder vierzehn Tage zu kommen, wenn ich auf Ihren freund-
schaftlichen Vorschub, das Merkwürdigste daselbst mit Muße
sehen zu können, Rechnung machen dürfte. Doch warum sollte
ich das nicht dürfen? Nur diejenigen sind mit den Schätzen,
die sie unter ihrer Verwahrung haben, zurückhaltend und nei-
disch, die sie selbst nicht zu brauchen wissen. Dazu habe ich
mich auch inuner, als einen Ihrer alten Freunde betrachtet, gegen
den man immer ein wenig gefälliger ist, als gegen eitien Fremden.
Ehe ich von hier wegreise, lasse ich einen Theil meiner
Bücher verauctionieren. Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen ei-
nen Catalogum davon zuzuschicken; nicht zwar, als ob ich
glaubte, dass Sie etwas für Sich darin finden wiirden, sondern
weil Sie vielleicht sonst einen Liebhaber wissen mochten, dem
einiges daraus anständig wäre; In diesem Falle würde unser
Freund Hr. Meyer die Commission gern übernehmen.
Ich bin mit vollkommener Hochachtung
Dero
ganz ergebenster Fr. u. D.
Lessing.
Hamburg d. 30. December 1768.
2) Merck an Raspe. Mitgetheilt von F. L. Mittler.
Darmstadt den 2. Jan. 1772 (wahrsoh. 1773.)
Wohlgebohrner Herr,
Hochzuverehrender Herr Rath,
Schon zu Anfang des vorigen Jahrs, als ich durch Hr.
Deinet erfuhr, dass Ew. Wohlgebohren an der Frf. Gelehrten-
467
Zeitung Antheil zu nehmen geneigt wären, hatte ich an iMe-
selben geschrieben, um Ihnen meine wahre Hochachtung, und
Dan'kbarkeit deswegen zu bezeigen. Hr. HfR. Deinet schickte
mir aber den Brief zurück, mit der Bitte, ohne sein Vorwissen
nicht an Ew. Wohlgebohren insbesondre zu schreiben, weil
er leicht dadurch (nach seinem eignen Ausdruck) zum Liigner
werden konnte. In wie fem er es durch mich geworden wäre,
will ich nun nicht untersuchen, allein das thut mir leyd, dass
mich der Yerdruss über ihn, gehindert, das zu thun, was
mir mein Herz längst vor dem unseeligen ¥rt. Institut, einge-
geben hatte. Es ist nun Gottlob alles glücklich mit diesem
Jahre zu Ende, und weder Herder, noch ich, oder meine an-
dere BVeunde die imbekannt seyn wollen, werden den gering-
sten Antheil mehr an dieser Rauferey haben. Ich nehme mir
die Freiheit hier einige Kleinigkeiten beyzulegen, die durch
meine nähere oder entferntere Veranstaltung an das Licht ge-
treten sind.
Ich erinnere mich , dass Ew. Wohlgebohren an den HfR.
Deinet im vorigen Jahre erwähnten, dass Sie unter andern mit
dem Critical Review versehen wären. Dürfte ich wol die Frei-
heit nehmen, Dieselben zu ersuchen, mir den Jahrgang von
1772 höchstens auf einen Monat anzuvertrauen, und ihn dem
Prof. Hoepffner nach Gießen zu übersenden, wo ich ihn sicher
bekomme. Dieselben würden mich dadurch ungemein verbin-
den, und ich verspreche aufs heiligste, ihn ohne die geringste
Beschädigung sogleich nach verflossener Frist wieder zu über-
senden.
Ich bin mit der vollkommensten Verehrung
Ew. Wohlgebohren
ergebenster Diener
Joh. Heinr. Merck
3) Merck an Wieland. Mitgetheilt von A. Koberstein.
Von einem Freunde, der Autographa sammelt, ist mir ein
bisher noch nicht gedruckter Brief von Merck anvertraut und
zugleich erlaubt worden, ihn, wo sich die Gelegenheit dazu
fände, abdrucken zu lassen. Eine solche bietet sich mir in
dem Jahrbuch, und ich darf bei den Freunden der vaterlän-
dischen Litteratur wohl so viel Interesse an allem, was von
Mercks Hand herrührt, voraussetzen, dass ihnen auch dieser
468
kleine Beitrag zur Vervollständigung der von K. Wagner her-
ausgegebenen Briefsamnilungen willkommen sein werde. Dass
dieser Brief an Wieland gerichtet ist und sicli zwischen die
von diesem an Merck unter d. 8. Jimi und d. 11. Juli 1781
geschriebenen (Briefe an J. H. Merck etc. herausg. von K. Wag-
ner. Darmstadt 1835. 8. S. 289 ff. S. 299 ff.) so einfugt, dass
er die Antwort auf den ersten von beiden, der zweite aber
wieder die Antwort auf ihn ist, ergibt sich aufs allergewisseste
aus ihrem Inhalt. Schon dadurch würde die Echtheit des
merckschen Schreibens gesichert sein; es kommt indess noch
hinzu, dass die Hand und die Unterschrift darin mit dem Fac-
simile genau stimmt, das K. Wagner hinter den ^Briefen an
und von Merck.^ Darmstadt 1838. 8. zu S. 62 mitgetheilt hat
— Ich habe es für angemessen gehalten, im Druck die Wort-
schreibung Mercks treu wiederzugeben.
Lieber Bruder, ich size nun wieder hier seit 4 Wochen,
ganz vergnügt und gesund in meinem Hause, habe Katuns die
Fülle, Luft von allen Seiten, und finde dass auch dieses auf
die Gesundheit meiner Kinder einen großen Einfluss hat. Nur
habe ich seit meiner Ankunft ein solches Verwirr von allerley
Arten von Geschäften vorgefunden, dass ich an noch nichts
Kluges habe denken können. Ich schike Dir daher auch nur
einen kleinen Versuch meiner mineralogischen Excursion und
Beobachtungen in Cassel, die aber doch alle neue Dinge ent-
halten, und daher den Kennern nicht unangenehm seyn wer-
den. Nächstens will ich fleißiger seyn, und Du wirst Proben
davon sehen. Für Deinen letzten außerordentlich gutmüthi-
gen Brief danke ich von Herzen, und ich denke es wird wol
dabey bleiben, dass wir mit Einander aushalten biß an der
Welt Ende. Von den Ausfallen des Hrn. Geh. K. Jac.*) habe
*") „Über Recht und Gewalt oder philosophische Brwägnng eines Auf-
satzes von dem Herrn Hofrath Wieland, über das gottliche Recht der Obrig-
keit im deutschen Merkur, November 1777.'' Von Fr. H. Jacobi, im deut-
schen Museum 1781. 1, S. 522 ff. u. 2, S. 95 f. Wieland musste wohl
schon diesen Aufsatz von Jacobi selbst gelesen haben, als er am 8. Juni
darüber an Merck schrieb (S. 292). Merck dagegen scheint, nach dem Nächst-
folgende!) in seinem Briefe zu schließen, das S r. unterzeichnete „Schreiben
über dat< Heclit des Starkem* , in d. Mus. 1 , H. 70 ff. im Sinne gehabt zu
haben.
469
ich durch dpn Hr. CPris. v. Kajib gehört. Du irrst Dich aber,
wenn Du glaubst, dass das alles seye. Dies erste Anlauffen i^t
nur von Einem seiner unbekannten JuQger und wird bald der
zweyte, aber ernsthafte Angriff folgen, von Sr. Hoebwürden
selbst. Ich lese nichts dergl. Dichter n. Also kan ich auch nicht sa-
gen, wie mirs gefallen hat. Mir ist überhaupt von den schö-
nen Produkten der lezten Messe noch nichts vorgekommen.
Habe doch die Güte, und schike mir meinen Merkurius von
diesem Jahre, damit ich einmal sehe, was geschehen ist. Dein
vorlezter Brief ist auf Verlangen an den Herzog abgegangen,
der so viel davon gehört hatte, und ihn selbst speisen wollte.
Ich hoffe aber er wird mir ihn zurückschiken, mit so viel an-
dern guten Dingen, die Er von mir hat. Gieb mir doch Nach-
richt, ob die Zeichnung des Jungen Kamberg von Cassel bey
der Herzogin angelangt ist Die Frl. Jöcbhausen hätte mir
wenigstens für meinen guten Willen die Ankunft davon mel-
den sollen.
Nicolai wird nächstens bey uns hier eintreffen, so wie der
alte Tischbein, der jezo in Warthausen bey dem Grafen Sta-
dion sizt.
Sag doch, was an dem Mährchen von Göthes Gesundheit
ist. K. und Sekendorf haben mir allerley davon gesagt, das
mich ernsthaft niederschlägt. Ich mag mit keinem Menschen
laut darüber reden. Auch Kayser der bey uns durchgegan-
gen ist, sprach bedenklich davon. Wenn es nur nicht Miss-
muth an der Welt ist oder an dem was ihn umgiebt, das an
seinem Innern nagt. Ich bin gewohnt alle Hoffnungen aufzu-
geben, so sehr ich mich alle 14 Tage auch mit einem neuen
Projektchen wiege. Glücklicherweise ist^s schon aus dem Kopfe,
ehe es würklich zu Grunde ist, und die Vergessenheit ist wie
der Schlaf, alles was uns die Götter noch gelassen haben.
Von Müllern in Cassel kan ich Dir nichts sagen, weil ich
ihn nicht habe kennen lernen. Mir schien er ein großer Pe-
dante zu seyn, und sogar kam er Gatterem so vor, der warr-
lich es weniger ist als Er, so alt auch die Perüke, oder so
schief der Rok sein mag.
Ich danke Dir, dass du den Gift gegen die Poeten hast
ausschütten wollen.*) Da wo es offne Schäden getroffen hat.
*) Mercks Schreiben „An den Herausgeber des d. Merkur betreffend die
ao*
470
mag es geazt haben, ob ich gleich im Publiko keinen Menschen
wahrgenommen habe, der es nur seiner Aufmerksamkeit im
Guten oder Bösen gewürdigt hätte.
Vielleicht hörst Du noch zu Ende dieser Woche etwas
von mir, wenn das Glük gut ist. Ich habe etwas auf dem
Korn, das ich ausführen will, und ich denke es soll gut gehen.
Adio hab mich ferner lieb mit allen meinen Häuten, und
Vorhäuten, Mängel und Gebrechen, die ich alle einsehe, ohne
sie weder abzulegen, noch abzustreifen.
Wir haben hier am Rhein ein Jahr, wie es in 50 Jahren
keins war; Weins die Fülle, und wahrscheinlich herrlicher als
75, und 79. Alle Juden und Wucherer werden zu Gnmde
gehen, und Ihr alle werdet künftig um 10 pC. wohlfeiler po-
culiren.
D. 2. Jul. 1781.
J. H. M.
4. Lessings Werther. Von A. Koberstein.
In der Anzeige einer jämmerlichen Umarbeitung von Les-
sings Emilia Galotti, die unter dem Titel: „Bianka. Ein tra-
gisches Gemähide in fünf Aufzügen^ zu Leipzig 1800. 8. er-
schien, bemerkt Langer — Lessings Nachfolger in der Bi-
bliothekarstelle zu Wolfenbüttel — in der neuen allgem. d. Bi-
blioth. 54, S. 56: „Nur ein Paar Monate vor Lessings Tode
war, wie Rec. weiß, der unvergessliche Mann mit Ausarbeitung
eines Drama beschäftigt, das den lange genährten und in son-
derbarer Lage endlich ausgeführten Entschluss eines Selbstmör-
mörders zur Katastrophe hatte. Lessings Lebensbeschreiber
haben dieser Arbeit nicht gedacht.^
Sollte mit diesem Drama nicht „Werther, der bessere^
gemeint sein, von dem uns der Inhalt der ersten Scene erhal-
ten, und in Lachmanns Ausgabe 2, S. 576 abgedruckt ist?
5) Lessings Faust. Von A. Koberstein.
In „J. H F. Müllers Abschied von d^ k. k. Hof- und
National Schaubühne. Mit einer kurzen Biographie seines Le-
bens und einer gedrängten Geschichte des hiesigen Hoftheaters.^
Zweckmäßigkeit der Errichtung eines Poetenstifts; gedruckt im d. Merk. 1781.
2, S. 139 ff.
471
Wien 1802. 8. heißt es u. A. auch, wo er über seinen Aufent-
halt in Berlin berichtet, S. 127 (vgl. die neue allg. d. Biblioth.
87, S. 392): „Engel erzählte dem Verfasser, dass Lessing
seinen Faust sicher herausgeben würde, sobald G(othe) mit
dem seinigen erschienen; und dass Lessing gesagt habe: mei-
nen Faust holt der Teufel; aber ich will — G — s seinen holenl^
6. Der Chor in der Tr^odie. Von A. Koberstein.
Als nach dem Erscheinen von Schillers Braut von Messina
in öffentlichen Blättern viel über die Statthaftigkeit oder Un-
statthaftigkeit des Chors in der neuern Tragödie gestritten
wurde, erschien in der von G. Merkel herausgegeben^i Z^eit«
Schrift „Ernst und Scherz** 1803. Nr. 44, 8. 176 folgender,
den Gegenstand des Streites ironisierender, mit E — d. unter-
zeichneter Vorschlag.
„Schillers glänzender Versuch, den Chor auch auf die neuere
Bühne einzufuhren, wird ohne Zweifel bald sehr viel Nachah-
mer finden. Nur ein Paar Schwierigkeiten scheinen vielen
noch unüberwindlich; nämlich: wie macht man bei einem Stoffe
aus der neuern Geschichte seine Gegenwart wahrscheinlich?
Und wie verschafft man ihm das religiöse Interesse, das er ur-
sprünglich auf der griechischen Bühne hatte? — Ich bin so
glücklich, diese Schwierigkeiten heben zu können, und ich halte
mich verpflichtet, meine Gedanken zur Vervollkonunnung der
tragischen Poesie beizutragen.
Wie konnte man es doch so lang übersehen, dass der
Chor der Alten selbst in unserm bürgerlichen Leben noch ganz
so da ist, als man ihn zum Behuf der Tragödie braucht?
Fast in allen deutschen Städten existiert noch aus uralten
Zeiten die Einrichtung, dass sogenannte Current- Schüler unter
Anführung ihres Cantors oder eines Vorsängers herumziehen.
Gefiele es den Dichtern, ihnen die Rolle des tragischen Chors
zu ertheilen, so wären alle Schwierigkeiten gehoben. Ihre Er-
scheinung wäre natiirlich: denn da die Knaben unaufhörlich
auf den Gassen sind, wie sollten sie sich nicht überall einfin-
den, wo es etwas zu sehen gibt, z. B. wo ein Bruder den an-
dern ermordet hat, oder eine Prinzessin vergiftet werden soll?
— Während der Handlung selbst würden sie, ihrer Jungen-
Natur gemäß, ohne Theilnahme mit offnem Munde dastehen
und so die Pflicht des antiken Chors, auch ohne Anweisung,
472
erfüllen, — eben so natürlieli aber, sobald die Bühne leer wird,
auch wieder ihre lyrischen Betrachtungen — anstimmen, umi
derenwillen sie herumziehen."
7. Schiller und Fräulein von Imhoff.
„Auszüge aus Briefen Schiller's an eine junge Dichterin" in der
Zeitung für Emsiedler 19 Stück 4. Juny (Sp. 149—152) mit-
getheilt mit folgender Anmerkung: „Wir geben diese Auszüge
nicht um mit einem berühmten Namen zu prangen, sondern
um ein belehrendes Beyspiel zu geben, was Critik seyn kann,
wenn sie ein frommes Geheimniss zwischen zween, keine feile
Öffentlichkeit ist. Einsiedler."
Von dieser Zeitung erschienen nur vier Monate, April bis
Juli in dem unglücklichen Jahre 1806. Sie bekam nachher den
Gesamttitel: „Trost £)insamkeit. Herausgegeben von Ludwig
Achim von Arnim. Heidelberg 1808." 4*^. Sie ist so selten
geworden, dass die Berliner Bibliothek das aus der Meusebach-
schen Bibl. stanimende Exemplar nicht ausleiht. Nach diesem
Exemplare lernte ich die nachfolgenden Auszüge kennen und
Herr Freih. W. v. Maltzahn war so gütig, mir nach seinem
Exemplare eine Abschrift zu besorgen.
Schade, dass die Briefe nicht vollständig abgedruckt sind!
Die junge Dichterin, an welche sie Schiller richtete, ist Fräu-
lein von Imhoff, nachherige Fr^u von Helwig. Sie war damals
kaum zwanzig Jahre alt. Ihr Nachlass ist in Dresden.
1.
„ Mit vielem Vergnügen les' ich Ihre Gedichte. Ich
entdeckte darin denselben Geist der Contemplation , der allem
aufgedrückt ist, was Sie dichten. Ihre Phantasie liebt zu sym-
bolisiren , und alles, was sich ihr darstellt, als einen Ausdruck
von Ideen zu behandeln. Es ist dies überhaupt der herrschende
Charakterzug des deutschen poetischen Geistes, wovon iins
Klopstock das erste und auffallendste Muster gegeben, und den
wir alle, der eine mehr, der andre weniger, nicht sowohl nach-
ahmen, als durch unsre nordisch - philosophirende Natur ge-
drungen folgen. Weil leider unser Himmel und unsre Erde,
der eine so trüb, die andre so mager ist, so müssen wir sie
mit unsern Ideen bevölkern und aufschmücken, und uns an den
Geist halten, weil uns der Körper so wenig fesselt Deswegen
473
[)liilo8ophiren alle deutschen Dichter, einige ausgenommen, wel-
che Sie 80 gut kennen, als ich. — Ich habe mir die Freyheit
genommen, und in Ihren Gedichten einiges .angestrichen, wo-
gegen ein strenger Aristarch etwas einwenden mochte. Sie
finden vielleicht Zeit und Lust, diese Kleinigkeit zu andern.
Das beschreibende Gedicht hat besonders meinen Beyfall, nur
find ich es um ein merkliches zu lang. Auch dieses ist ein
Fehler, den wir alle mit Ihnen theilen, und den ich um so
weniger Bedenken trage zu rügen, da ich ihn mir selbst Tor-
zuwerfen habe.
Allen den jetzt iiberschickten Gedichten haben Sie dea
Geist der Melancholie aufgedrückt. Nun wünschte ich auch
einige zu lesen, die eine frölige Stimmung und einen Geist der
Lustigkeit athmen. Leben Sie recht wohl und nehmen meine
Bemerkungen so freundschaftlich auf, als ich sie niedergeschrie-
ben habe. Jena den 18. Jan. 1795."
2.
„Die Mühe, welche Sie auf Verbesserung Ihrer Gedichte
verwendet haben, ist durch einen sehr glücklichen Erfolg be-
lohnt. Klarheit, Leichtigkeit und (was bey Produkten der
weiblichen Muse ein so seltenes Verdienst ist) Correctheit
zeichnen solche sehr vorzüglich aus. Ihre Vorliebe für jenes
beschreibende Gedicht ist sehr gerecht, denn ^as in den übri-
gen Gedichten einzeln zerstreut ist, Geist, Empfindung, poe-
tische Mahlerey und fließende Sprache ist in diesem vereinigt.
Was die Abkürzung dieses Gedichtes betrifil, so war meine
Meinung nicht, eine Auswahl unter den einzelnen Stanzen zu
treffen, sondern aus einem Gedicht deren zwey zu machen, weil
ich zwey verschiedene Töne der Empfindung darin zu bemer-
ken glaubte, und mir gegen die Einheit des Geistes gefehlt
schien. Nach einem zweyten Lesen fallt mir aber dieser Um-
stand weit weniger auf, und so wie es ist, bin ich jetzt auch
vollkommen damit zufrieden.^
3.
„Ihre Briefe sind recht interessant zu lesen und mit vielem
poetischen Feuer geschrieben, sie machen mich auf das Ganze
sehr begierig, und ich zweifle gar nicht , dass sie das Interesse
474
des Publikums erregen werden. Einzelne kurze Stellen würd
ich zu mildern rathen.^
4.
,^n Ihren Gedichten finde ich sehr viel Schönes in Absicht
auf den Inhalt sowohl, als auf den Ausdruck. Gegen die Er-
zählung in Prosa habe ich erhebliche Einwendungen, und wollte
Ihnen nicht dazu rathen, vor der Hand einen Gebrauch davon
zu machen. Lassen Sie das Manuscript noch einige Monate
liegen, es wird Ihnen fremde werden, und Sie werden sich dann
gewiss selber sagen, was ich oder ein andrer Ihnen jetzt dar-
über sagen würde. Die Charactere sind zu wenig bestinunt^
die Maximen, nach denen gehandelt wird, wollen sich nicht
ganz billigen lassen, die Erzählung geht einen zu schleppenden
Gang, an einzelnen Schönheiten fehlt es nicht, und kann bey
einer Arbeit Ihres Geistes auch niemals fehlen.^
5.
„Sie haben mich mit den ersten Briefen Ihres Romans
gestern und heute recht angenehm überrascht, ich finde darin
einen so schnellen und großen Fortschritt, den Ihr Darstel-
lungstalent zu einer höhern Vollkommenheit gethan hat, dass
ich Ihnen recht von Herzen dazu Glück wünsche. Diese Briefe
sind mit einer sehr angenehmen Leichtigkeit und schönen Sim-
plicität geschrieben, es ist sichtbar, wie sehr Sie Ihres Stoffes
sind mächtig geworden, und wie Sie sich durch eine glückliche
Oultur vor manchen Fehlem, mit denen das noch nicht ausge«
bildete Talent gewöhnlich anfängt, und oft lang genug zvt
kämpfen hat, zu befreyen gewusst haben. Ich kann Ihnen nichts
wünschen, meine vortreffliche Freundin, als auf diesem Wege
fortzufahren, in den Sie jetzt so glücklich eingetreten sind.^
6.
„Der Fall, von dem Sie schreiben, ist das Schicksal so
vieler, die Ihr Talent zu einer hohem Thätigkeit bestinmite,
und manche vorzügliche Fähigkeit geht dadurch für das Beste
der Kunst und Wissenschaft verloren. Aber glauben Sie mir,
dass wenn es möglich ist, sich aus einer solchen Lage zu reis-
sen, dieses nur durch strenge Beharrlichkeit auf dem guten
Wege und durch keine Abweichung von demselben, durch keine
475
Nadigiebigkeit gegen den fehlerhaften Geschmack geschehen
kann. Man glaubt oft mit der Quantität weiter xu kommen,
als mit der Qualität, aber außerdem, dass man nur durch letz-
tere sich selbst genug zu thun im Stande ist, so ist auch nur
von dem Guten und nicht von dem Vielen ^n wahrer äußerer
Vortheil zu erwarten« Ich gestehe, dass ich für Sie fürchtete,
sobald ich von dem vorhabenden Journale erfuhr. Eine solche
Unternehmung schien mir nachtheilig für Sie, und ich konnte
auch keinen äußern Vortheil davon für Sie erwarten, der Ih-
nen eine andre Art schriftstellerischer Beschäftigung, wobey Sie
mit Muße und Liebe beharrten, nicht in einem viel höhern
und fiir Sie selbst unendlich beiriedigcnderm Grade gewährte:
Sie haben keine Ursache zu zweifeln, Arbeiten die auf diese
Art entstanden, und ausgeführet worden, auch in demjenigen
Sinne zu nutzen, wie jeder Schriftsteller jetzt die seinigen nutast
Auch Ihre Wahl ist gar nidit begrenzt, da Sie außer Ueber-
setzungen, welche die leeren Stunden füllen können. Zu die«
sen Arbeiten stehen Ihnen mehrere Journale offen. Wieland
wird Beyträge von Ihnen mit Vergnügen in den Merkur auf-
nehmen. Die Flora, eine Zeitschift für das Frauenzimmer, wird
Sie gern zur Mitarbeiterin haben, und was Sie mir für die
Hören anbiethen, werde ich eben so bereitwillig auftiehmen.
Der Vortheil von diesen verschiedenen Journalen ist zwar nicht
gleich, aber es ist auch nicht nöthig, dass die Arbeiten gleich
sind. Den 23. Dec. 1795.**
8. Garve's letzter Brief an Kant. Mitgetheilt von Dr.
August Kahlert.
Vorbemerkung.
Im elften Bande der Rosenkranz - Schubert^schen Ausgabe
von Kantus sämmtlichen Werken kommt im Verlaufe der ge-
nauen und anziehenden Darstellung, die Schubert von Kantus
Lebensschicksalen giebt, auch das Verhältniss dieses Philoso-
phen zu Garve zur Sprache. Insbesondere ist dort nach einem
noch vorhandenen Originale ein in Garve^s letztes Lebensjahr
fallender Brief desselben an Kant, welcher sich auf des Erstem,
Kant dedicierte Abhandlung über die Moralsysteme bezieht,
und eine frühere zwischen beiden Männern obschwebende Span-
nung zu beseitigen wünscht, mitgetheilt. Allein der Zufall ließ
mich einen andern, sehr inhaltsreichen, wahrscheinlich noch
476
einige Wochen später als jener geschriebenen Briefe Garve^s
an Kant entdecken, der, da Garve am 1. Dezember 1798 starb,
und das Werk, welches er an Kant überschickt, zur Michaelis-
messe desselben Jahres herausgekommen, wohl als sein Ab-
schiedswort zu betrachten ist. Im Maihefte des „Morgenblatts
für gebildete Stände^ (Jahrgang 1811) macht nämlich Mor-
genstern, Professor in Dorpat, (gestorben daselbst als russi-
scher Staatsrath 15. Sept. 1852) die Mittheilung, dass in Kant's
Nachlasse sich mehre Briefe Garve^s vorgefunden hätten, ans
verschiedenen Jahren, darunter der hier folgende ohne Datum,
den Morgenstern aber, dem Inhalte nach, mit voUem Rechte
in den Herbst 1798 setzt, lieber die Zersplitterung der von
Kant nachgelassenen Papiere hat Schubert (im Bd. XI Abthei-
lung I S. 218) berichtet, und sich dabei auch auf einen Brief
Morgensternes vom 22. Febr. 1838 berufen. Letzterer mochte
wohl seine 27 Jahr früher an das Stuttgarter Journal gemachte
Mittheilung damals längst vergessen haben. Der Garve^sche
Brief schien mir aber, seines Inhalts wegen voUkommen wür-
dig, dem Untergange entrissen zu werden. A. K.
Theuerster Freund!
Ich habe Alles, was sich auf die Schrifl, welche ich Ihnen
widme imd mit diesem Briefe überschicke, bezieht, und das,
was meine Gesinnungen gegen Sie betrifft, in der Zueigunngs-
schrift selbst so vollständig gesagt, dass ich hier nichts hinzu-
zusetzen habe. Ich werde Sie immer als einen unsrer größten
Denker, und der mich selbst zur Zeit als ich nur noch Lehr-
ling und Anfänger war, als Meister der Kunst zu denken,
darin übte, hochachten. Ich bin von der andern Seite über-
zeugt, dass Sie auch von mir, so weit man einen Mann blos
aus seinen Schriften kennen lernen kann, nicht ungünstig ur-
theilen und selbst eine Neigung zur Freundschaft fiir mich
fühlen.
Diese verborgene und stillschweigende Verbindung, welche
schon lange unter uns vorhanden ist, gegen das Ende unsres
I^bens noch fester zu knüpfen, dazu ist diese Zueignung be-
stimmt. Kann ich auch keinen großen oder langen Genuas
mehr davon hoffen, so wird doch auch dies mich freuen, wenn
ich es noch erlebe, Ihr Urtheil über diese kleine Schrift, welche
die Resultate vieler meiner Meditationen zusammengedrängt ent-
477
hält, erfahre, und wenn ich zugleich von Ihren freundschaft-'
liehen Gesinnungen versichert werde.
Ich wünschte zwar auch Ihr Urtheil über die neuesten
Fortschritte, welche einige ihrer Schüler, besonders Fichte,
glauben in der Philosophie seit der Erscheinung der. Kritik
gemacht zu haben, zu wissen. Aber Sie können billige Ur-
sachen haben, warum Sie weder öffentlich noch in Privatbrie-
fen ein entscheidendes Urtheil darüber fällen wollen. Ich selbst
bin nur sehr oberflächlich davon unterrichtet; ich habe die
Schwierigkeiten der Kritik überwunden, und ich bin im Ganzen
dafür belohnt worden. Aber ich habe nicht das Herz noch
die Kraft mich den noch weit größeren Schwierigkeiten zu un-
terziehen, welche mir die Lektüre der Wisseuschaftslehre ma-
chen würde. Jetzt macht meine täglich wachsende Krankheit
mir solche überfeine Spekulationen ohnedies unmöglich. Ich
wiirdc Ihnen hier meinen Zustand schildern, der gewissermaßen
eben so merkwürdig und sonderbar als kläglich ist. Aber eine
genaue Beschreibung desselben würde ein weitläufiges Werk
sein, wozu es mir an Kräften gebricht, und — ohne Genauig-
keit, wozu kann eine solche Schilderung dienen? Ein äußerer
Schaden, der vor ungefähr dreizehn Jahren sehr unschuldig
scheinend, am rechten Nasenflügel, nicht weit vom Augenwin-
kel entstand *), — der eigentlich nicht Krebs nach allen Symp-
tomen, aber darin vollkommen krebsartig ist, dass er sich nicht
blos nach der Oberfläche, sondern in kubischem Verhältnisse
erweitert, und eben so tief aushöhlt, als sich weiter ausbreitet,
und der endlich darin allen Heilmitteln widerstand, zu welchen
freilich der Nachbarschaft des Auges wegen keine ätzenden
Mittel, vielleicht die wirksamsten in solchen Fällen, gebraucht
werden konnten. Dieser Schaden hat nunmehr das ganze rechte
Auge und einen Theil der rechten Wange verzehrt, hat eine
eben so große Höhle in den Kopf gebohrt, und Zerstönmgen einer
seltenen Art angerichtet. Es scheint unmöglich, dass ein Mensch
dabei leben könne, es scheint noch unmöglicher, dass er dabei
denken und selbst mit einem gewissen Scharfsinn und einer ESxal-
tation des Gemüthes denken könne: und doch ist Beides wahr!
•) Manso, der Garve's vieljähriger Hausfreund war, behauptete, dass man
die Entstehung der Krankheit einer messingnen Brille, welche Grünspan an-
gesetzt, und Ton der Garve sich nicht habe trennen wollen, beimessen müsse.
478
Dieser unwahrscheiDliche aber glückliche Umstand hat ^^9 ^^^^
ich von Schwäche und Schmerz wechselsweise geplagt und von
der menschlichen Gesellschaft entfernt bin, die vorzüglichste
Erleichterung und den Trost meines Lebens verschafft. Nie
habe ich die Schönheit eines Verses, die Bündigkeit eines Rä-
sonnements und die Annehmlichkeit einer Erzählung deutlicher
wahrgenommen und mit mehr Vergnügen empfunden.
Aber wie klein bleibt bei Allem diesem der Ersatz für die
Leiden, welche ich von Zeit zu Zeit auszustehen habe, und wie
lange werde ich diesen Kampf noch kämpfen müssen I Sie ha-
ben von der Macht des Gemüthes über den Schmerz und selbst
über Krankheiten in Ihrem Briefe an Hufeland geredet. Ich
bin vollkommen darüber mit Ihnen einig, und weiß es aus
eigener Erfahrung, dass das Denken eine Heilkraft habe, aber
dieses Mittel lässt sich nicht bei Allen auf gleiche Weise an-
wenden. Einige, zu welchen Sie gehören, helfen ihrem Uebel
dadurch ab, dass sie ihre Aufmerksamkeit davon abwenden.
Ich habe dem meinigen z. B. Zahnschmerzen, dadurch am Be-
sten abhelfen können, indem ich meine Aufinerksamkeit darauf
concentrirt und an nichts als an meinen Schmerz gedacht habe.
Aber solche äußere Uebel, wie das, an welchem ich jetzt leide,
sind der Macht des Gemüths am Wenigsten unterworfen und,
wie es scheint, ganz mechanisch und körperlich. Doch sie sind
der Macht der Vorsehung und des Weltr^erers unterworfen.
Diese erhalte Ihnen die Gesundheit und die Kräfte, deren Sie
bisher in Ihrem hohen Alter genossen haben. Er bringe mich
mit erträglichen Schmerzen zum Ziele meines Lebens, da eine
Befreiung von denselben unmöglich ist. Ich bin mit dem auf-
richtigsten Herzen
Ihr ergebener Freund
Garve.
9. Zwei Briefe von Jung Stilling. Von August Spieß.
Es gibt gewiss wenige deutsche Schriftsteller, welche eine
so ausgedehnte Correspondenz geführt haben, als Jung Stilling,
und noch wenigere, bei denen dieselbe mit EUntansetzung alles
persönlichen Interesses so sehr nur allgemeinen Zwecken ge-
dient hat, als bei ihm. Der Dualismus der Thätigkeit, der sich
bei Stilling schon in seiner Jugend zeigt, so dass er nothge-
drungen manchmal die Nadel wieder ergreifen musste, wenn es
479
mit dem Unterrichten nicht mehr gehen wollte, gestaltete tioh
in seinen späteren Jahren ra einer neben einander lanfenden
zwiefachen Thätigkeit, die ihn sogar Ton sich sagen ließ, er
habe zwei ,3^^^^^^^^^!^% deren jede hinreiche, das Leben eines
Mannes ansznfüUen. Seine Hand f&hrte nun die Staarnadel
mit großem Erfolg nnd gab mehr als zweitausend Menschen
das Augenlicht wieder; aber auch die Lebrthatigkeit hatte sich
in großartigem Maßstabe erweitert und erhöht; der von Ju-
gend auf in Stilling lebendige Drang, für das Christenthum zu
wirken, erhielt seine yolle Befriedigung in litterarischer Thä-
tigkeit, zumal nachdem er vom Kurfürsten von Baden „als re-
ligiöser Schriflsteller^ angestellt worden war. Beide ,3^^^^*
arten^ gingen jedoch vielfach Hand in Hand, besonders brach-
ten Stilling die für die damalige Zeit außerordentlichen Beisen,
welche er wegen Augenkuren nach der Schweiz, nach Bremen,
Schlesien etc. unternahm, in die mannichfachsten Beziehungen
zu Gesinnungs- und Glaubensgenossen, und trugen wesentlidi
dazu bei, seiner litterarischen Wirksamkeit auch durch den
Verkehr mit den Einzelnen noch größere Ausdehnung und tie-
fere Bedeutung zu geben. Schon in Marburg hatte sich seine
Corrcspondenz dermaßen gehäuft, dass er nach der Rückkehr
von einer Reise nach Bremen sagt, Consultationen wegen Au-
genkrankheiten und Briefe religiösen Inhalts seien posttäglicfa
in solcher Menge angekommen, dass er sie mit aller Mühe habe
kaum beantworten können. Diese enorme Correspondenz, vor-
nehmlich religiösen Inhalts, deren Postgeld zu bezahlen „die
Honorarien bei weitem nicht zureichten^, mag denn allerdings
ihres Gleichen suchen. Dass es übrigens Jung Stilling bei
derselben nicht bloß, wie man ihm wohl nachgesagt hat, darum
zu thun war, mit Fürsten und Grafen in Verbindung zu
stehen, sondern dass er „für das Reich des Herrn zu wir-
ken^ überall für seinen Beruf ansah, und bereitwillig auch Un-
bekannten und Niedrigen mit Rath und That beigestanden hat,
davon geben uns auch die beiden Briefe Zeugniss, die wir un-
ten mittheilen. Sie stammen aus der Zeit, wo er in Carlsruhe
lebte, und sind an einen Juden zu Herborn im Nassauisohen
gerichtet. Dieser war aus Bingen am Rhein gebürtig, hatte
unter Napoleon gedient und sich später in Herboni als Wein-
händler niedergelassen. Schon frühe hatte er den Entschluss
gefasst, zum Christenthum überzutreten, wenn seine alten El-
480
tern gestorben waren. Die Lectürc der Stilling'scLen Schriften
bestärkte ihn in seinem Entschlüsse, und veranlasste ihn, sich
personlich an den Verfasser zu wenden. Durch die Professo-
ren Grimm und Fuchs in Herborn wurde er an denselben em-
pfohlen. Im Jahre 1812, in demselben Jahre, aus dem die
Briefe herrühren, trat er im Pfarrhaus zu Herbom in Gegen-
wart dieser beiden Männer und zweier Freunde zum Cbristen-
thum über. Die Zahl der Briefe, welche er von Jung Stilling
empfangen habe, gab er, wohl übertrieben, auf ungefähr drei-
ßig an. Sie waren ihm jedoch alle bis auf die beiden folgen-
den abhanden gekommen. Er hatte dieselben vor Zeiten einer
eifrigen Anhängerin Stillings gegeben, sie jedoch von dieser
nicht wieder zurückerhalten. Auch mir ist es trotz aller Be-
mühungen nicht gelungen, dieselben aus den Händen der lei-
denschaftlichen Verehrerin zu erlangen. Unterdessen ist sie
sowohl wie der rechtmäßige Besitzer der Briefe gestorben und
ein nochmaliger Versuch, mir dieselben zu verschaffen, hat bis
jetzt noch nicht gemacht werden können.
(Folgen die Briefe.)
Carlsruhc den 7. Januar 1812.
Mein theurer und herzlich geliebter Freund!
Ihr lieber Brief vom 3ten dieses hat mir wahre Freude
gemacht; und Sie können ganz gewiss meiner Verschwiegen-
heit versichert seyn; darauf verlassen Sie sich vest. Dass Sie
bey Ihrer jezzigen Seelenlage und bey Ihrem Vorhaben keine
irrdiscben Absichten haben, davon bin ich überzeugt; der Geist
aus dem Ihr Brief geflossen ist versichert mir das. Seyen Sie
nur ganz ruhig und folgen Sie meinem Kath: gehen Sie in Ihr
Kämmerlein, schließen Sie die Thür hinter sich zu, damit Sie
niemand überraschen kann. Dann fallen Sie nieder auf die
Knie, oder aufs Angesicht, und bäten ungefehr folgender Ge-
stalt: Jesus Christus! Siehe hier kommt ein verlohrenes
Schaaf vom Hauß Israel, einer Deiner Brüder nach der mensch-
lieben Natur, und sucht Trost, Kath und Hülfe bej Dir. Als
meine Urväter die Söhne meines Stanmivaters Jakob, in Egyp*
ten ihren verkauften und mishandelten Bruder Joseph wieder-
fanden, da sie in der Angst ihres Herzens vor Ihm knieten und
flehten, so offenbarte er sich ihnen und sagte: ich bin Joseph
eui^r Bruder! Acli, so sprich doch auch zu meiner tiefgebeug-
481
teu und Ruhe sucheiideu Seele: Ich bin Jesus dein MesaUa,
deiu Heyland und Erlöser; erbarme Dich über oiich und über
Dein armes verlasenes Judenvolk, über Dein altes Israel, das
sich so sehr an Dir versündigt hat; auf djiese und auf äbnliohe
Weise bäten Sie täglich und lesen Sie dann fleißig das Neue
Testament, so wird Ihnen auch das alte Testament, Ihre Bibel,
immer klärer und deutlicher werden, und Sie werden nach und
nach überzeugt werden, dass der Gott Jehovah der Gott des
alten Israels, kein anderer gewesen ist, als Jesus Messias selbst,
der vor 1812 Jahren in Palästina Mensch wurde, um sein Volk,
und die gesammte Menschheit, so viele ihrer Ihn im Glauben
annehmen würden, von ihren Sünden zu erlösen und selig zu
machen. Wer also Jesum Christum anbätet, der bätet den
Gott Israels an, und wer den n^n^ ^^HH anbätet, der bätet
Jesum Christum an, ohne dass ers weiß, und dies ist der Fall
bei den Juden. Dann müssen Sie sich auch ganz an die Füh-
rung Seines heiligen Geistes übergeben und beständig im An-
denken an Ihn zu bleiben suchen, und dabey innerlich in Ihrem
Herzen seufzen, ohne ein Wort zu sagen: Herr Jesus erbarme
Dich meiner! Wenn Sie darinnen treu bleiben, so werden Sie
bald ein anderer Mensch werden und Sie werden in Ihrem In-
nersten eine Ruhe und einen Frieden empfinden, wovon Sie
vorher keinen Begrif gehabt haben. Dies Alles aber thun Sie
für sich allein, ohne nur einem Menschen das geringste davon
zu sagen, und trennen Sie sich noch zur Zeit von der Juden-
gemeine nicht, gehen Sie in ihre Synagoge, nehmen Sie aber
keinen Antheil au irgend etwas, das zur Verläugnung oder zum
Nachtheil Christi vorgenommen wird. Beobachten Sie noch
mit andern Juden die Gebräuche und das Gesetz Mosis, und
verhalten Sie sich ruhig und lasen Sie sich nicht merken; denn
wenn Sie dem Herrn Christus treu bleiben, so wird Er Ihnen
den rechten Zeitpunkt anzeigen, wenn Sie zur christlichen Ge-
meine übergehen sollen; so lang aber müssen Sie auch mit dem
Heuratben warten; denn wenn Sie eine Israelitische Frau und
Kinder hätten, so würde Ihnen der Uebergang schwerer, und
jetzt als Jude heurathet Sie keine Christin. Ich werde Ihnen
hinführo mit Rath und That beystehen; schreiben Sie mir also,
so oft Sie^s nöthig halten und bekümmern Sie sich um meinen
Titel nicht, so wie Sie ihn geschrieben haben, so ist er ganz
recht. £s wird auch gut soyn, wenn Sie des Christliclieu Men-
482
schenfVeunds biblische Erzähingen lesen , es sind 5 Heft dayon
heraus, und ich schreibe jest am sechsten. Sie können sie in
Franckfurth in der Joh. Christian Hermannischen Buchhand-
lung, sowie alle meine Schriften bekommen.
Sie sind nicht der einzige Jude der sich nach Christo sehnt,
ich weiß dass viele tausend Juden heimliche Christen sind, die
alle mit einander heimlich verbunden sind, und nur so lang
warten, bis ihrer genug sind, um den Bann der Rabbinen nicht
mehr zu fürchten. Wissen Sie auch dass viele Familien aus
Polen, Litthauen und Rusland schon nach Palästina und Jeru-
salem ziehen? Verwichenen Sommer sind allein aus Litthauen
60 Familien dahingezogen. Sie erwarten in 8 Jahren den Mes-
sias. Er wird auch kommen, und sich ihrer erbarmen. Er
sey auch mit Ihnen, lieber Bruder in Christo!
Jung Stilling.
•
Carlsruhe 16 März 1812.
Mein theuerster und herzlich geliebter Freund I
Im Drang meiner Geschäfte kann ich Ihnen heut nur wenige
Zeilen schreiben: bringen Sie Einliegendes dem Herrn Profes-
sor Grimm, der wird thun was möglich ist, um Ihnen zu Ihrem
Zweck zu verhelfen. Allein dazu ist fest erforderlich, dass Sie
in der Religion Jesu gegriindet werden, eilen Sie daher auch
nicht gar zu sehr, und bekümmern Sie sich um das Räsonniren
der Christen und Juden nicht. Ich erinnere mich nicht mehr
was ich Ihnen versprochen habe, haben Sie doch die GKite,
mich wieder daran zu erinnern. Ich will Ihnen von Herzen
gerne zu Willen seyn, wo ich kann. Der Herr Jesus Christus
schenke Ihnen seinen heiligen Geist, der Sie in alle Wahrheit
führen, und Sie heiligen und seegnen wird zum ewigen Leben.
Ich grüße Sie herzlich als Ihr
wahrer Freund
Jung Stilling.
10. Jacob Grimm über den Adel in der deutschen
Litteratur.
In der 52. Sitzung der Frankftirter Nationalversammlung
(1. August 1848) war unter den Rednern für und wider den
Adel auch Jacob Grimm. Er sprach nach den Stenographi-
schen Berichten Nr. 53. (2. Bd. S. 1810. 1311) also:
483
^Audi mir leuchtet ein, dass der Adel als beTorrechteter
Stand aufhören müsse, denn so hat schon der Zeitgeist seit
ein paar Generationen geurtheilt, so bat er im Stillen geur-
theilt, jetzt darf er ein lautes Zeugniss dafür abgeben. Der
Adel ist eine Blume, die ihren Geruch verloren hat, vielleicbt
auch ihre Farbe. Wir wollen die Freiheit als das Höohste
au&teUen, wie ist es dann möglich, dass wir ihr noch etwas
Höheres hinzugeben? Also schon aus diesem Ghrunde, weil di^
Freiheit unser Mittelpunkt ist, darf nicht neben ihr noch etwas
anderes Höheres bestehen. Die Freiheit war in unserer Mittet,
so lange deutsche Geschichte steht, die Freiheit ist der Grund
aUer unserer Rechte von jeher gewesen; so schon in der älte-
sten Zeit. Aber neben der Freiheit hob sich eine Knechtschaft^
eine Unfreiheit auf der einen und auf der anderen Seite eine
Erhöhung der Freiheit selbst. In dieser Gliederung scheint
mir ein Beweis gegen den Adel zu liegen. Als die härtere Un-
freiheit sich in eine mildere auflöste und neben der härteren
bestand, da entsprang auch eine Erhöhung der Freiheit in den
Adel und des Adels in die fürstliche Wiirde. Nachdem diese
Erhöhung der Unfreiheit aufgehört hat, muss auch die des
Adels faUen. Meine Herren, ich will den Adel, ich kann ihn
nicht so schwarz malen, wie Redner vor mir gethan haben;
ich will vielmehr von seinem Preise ausgehen und hemaoh
einige milde Schatten werfen. In unserer ältesten Geschichte
glänzt der Adel in vielen Lichtpunkten. Wir wissen zwar oft
nicht in den Geschichtschreibern zu unterscheiden, ob freie
oder adelige Männer gemeint seien; es wird aber in den alten
Volksrechten zwischen beiden Ständen, wenigstens bei vielen
Stämmen, wenn auch nicht bei aUen, untersdiieden. Ich will,
was Sie mir gewiss erlauben werden, weil es mir am nächsten
liegt, herausheben, wie der Adel in unserer Litteratur
geglänzt hat, und das ist doch ein Zeugniss für die geistige
Befähigung der Völker gewesen. Im 13. Jahrhundert blühte
die deutsche Poesie auf, wie nie vorher. Unter 200 oder mehr
als 200 Dichtern ist die überwiegende Mehrheit dem Adel zu-
gehörig gewesen, unser größter deutscher Dichter des 18. Jahr-
hunderts war Wolfram von Eschenbach und nur ein anderer
vermag ihm etwa das Gleichgewicht zu halten, Gottfried von
Straßburg, der kein Adeliger war, sondern aus einer deutschen
Stadt, die jetzt nicht mehr zu uns gehören will. Dies Ver-
484
hältniss der Stande blieb noch ein paar Jahrhunderte. Nach-
her trat ein großer Wandel ein: als mit Wiedererweckung der
classischen Litteratur, mit der Erfindung der Bnchdmckerei die
ganze Wissenschaft neu geschaffen wurde, konnte die Befähi-
gung des Adels nicht mehr als ausschließliche erscheinen. Die
Buohdruckerei ging gerade so der Freiheit im Glauben voraus,
wie heutzutage die Erfindung des Dampfes der Freiheit der
Völker yorausgegangen ist. Beide sind Vorboten einer Frei-
heit, die nichts aufhalten konnte. Seit Erfindung der Bnch-
dmckerei wich die Wissenschaft aus den Klöstern und Perga-
menten und ging über in die gedruckten Bücher, die dem gan-
zen Volke zugänglich waren, und siehe da, von jetzt an war
die Wissenschaft überwiegend in den Händen der sogenannten
Bürgerlichen und nicht mehr der Adeligen. Der größte deut-
sche Mann, der unsere Glaubensfreiheit bewirkte, Luther, war
aus geringem Stande, und so ist es von nun an in allen fol-
genden Jahrhunderten. Sie werden immer sehen, dass die
Mehrzahl der erweckten großen Geister dem Bürgerstande an-
gehörte, obgleich auch noch treffliche Männer unter dem Adel
auftraten, wie vorhin schon Hütten genannt worden ist. Aus
den neueren Zeiten erinnere ich an Lessing, Winkelmann, Klop-
stock, Göthe, Schiller, lauter Unadelige, und es war ein Raub
am Bürgerthum, dass man den beiden letzten ein „von^ an
ihren Namen klebte. (Bravo auf der Linken und im Centrum.)
Dadurch hat man sie um kein Haar größer gemacht. Da ich
doch einmal auf dieses Wörtchen „von^ zu sprechen gekommen
bin, das in den letzten Jahrhunderten Manchem den Kopf ver-
rückt hat, so sei es mir vergönnt, einen Augenblick dabei zu
verweilen. Es ist nichts als eine Präposition*), d. h. in der
*) So gpricht sich auch Tileman Dothias Wiarda über das von aus in
seinem Buche „Über deutsche Vornamen und Geschlechtsnamen (Berlin 1800)**
S. 146: „Jeder neue Edelmann, wenn er nicht bei Erhöhung in den Adel-
stand mit einem neuen oder veränderten Namen begnadiget wird , nimmt das
Prädicat t o n an, um sich von seinen nnadlichen Geachwistem and Verwand-
ten SU unterscheiden, und die äußere Gestalt seiner bürgerlichen Herkiuiftbei
späterer Nachkommenschaft zu vertuschen. Dass übrigens diese Partikel an
sich unbedeutend ist, indem sie nach der Reichshofräthlichen Taxrolle mit 30
Gulden erworben werden kann (Hommel Rhaps. Obs. 503. n. 14), und den
Adel nur scheinbar machet, durchaus aber nicht bewähret, wird nicht bettritten
werden können. <* H. ▼ F.
485
Grammatik ein Wort, das einen Casus regiert (Beifall). Es
rnnss also von diesem Worte ein Casus abgehangen haben,
sonst würde es sinnlos sein. Immer ist es mir erschienen, dass,
was in der Sprache albern und sinnlos scheint, es auch im Le-
ben ist. Es fordert also inuner einen Besitzer oder Herrn des
Guts, worauf e» sich bezieht. Ein Heinrich von Kronberg,
ein Heinrich von Weißenstein, das hat Sinn; aber es klingt
unsinnig: ein Herr von Göthe, ein Herr von Schiller, ein Herr
von Müller, denn Müller, Göthe und Schiller sind niemals Orte
gewesen. (Beifall.)''
11. Friedrich Christoph Schlosser über Göthe und
Schiller.
(Schlosser, Geschichte des 19. Jahrb. 7. Bd. 2. Abth. S. 58.)
„Schiller stand dem Volke und der Jugend näher, Göthe war
mehr für die aristokratischen Kreise und für das classisch ge-
bildete Publicum. Schiller war und blieb in seinen Gedichten
feierlich und gemüthlich, Göthe war unter Frankfurter vorneh-
men Leuten geboren, ward Hofmann und Minister, seine Poesie
ward vornehm mit ihm, er sah die Moral tief unter der Ge-
nialität, er gebrauchte gleich den Diplomaten die Welt^ wozu
sie ihm gut war. Er fühlte sich der Welt überlegen, wie Bo-
naparte, nur in anderer Weise, und jeder, der ihn antasten
wollte, würde gewiss des Zoilus Schicksal haben; wir tadeln
daher auch nicht, sondern deuten nur an, was unseres Berufes
ist, wie Schiller, der als Genie weit unter ihm stand, dem ge-
selligen und häuslichen Leben des gesanmiten Volks sehr viel
mehr nutzte als Göthe. Dieser folgte ganz aUein der gött-
lichen Inspiration, die ihn fähig machte, ohne Mühe zu schaf-
fen ; er schuf auf diese Weise eine bezaubernde Schöpfung nach
der andern, immer leichter und leichter, bis er die Menschen
verachtend mit ihnen sein Spiel trieb, Altes für Neues gab,
ganz verschiedenartige Stücke zusanmienstückelte und flickte
und Kunstwerke hervorzauberte, die durch Sprache, Styl und
leichte Unterhaltung entzückten, bei näherer Betrachtung jedoch
Nebel und Dunst, aber keine solide Belehrung gewähren, weil
sie keinen festen Körper haben, den der Verstand oder das
Gedächtniss festhalten kann. Schiller ist feierlicher und ob-
gleich er keinem System huldigt, positiver Philosophie zuge-
wendeter als Göthe und eher geneigt, den deutschen Geschmack,
31»
486
einfache Sätze pomphaft auszudrucken und den Vortrag etwas
auf Stelzen zi> stellen, zu befriedigen. Er kleidete das Resultat
seiner Philosophie in eine poetische Form und machte gewisse
Sprüche und Sätze durch den Vers behaltbar, er ward also
unmittelbar Lehrer der Nation, da hing^en Göthe immer nur
mittelbar lehrt^
12. Was Herr Dr. Zamcke von Andern verlangt!
Im Literar. Centralblatt 1851. Nr. 15. Sp. 244. sagt er bei
Besprechung der Bibl. des litt. Vereins in Stuttgart bei Bd.
XXI. Meister Altswert. Herausg. von W. Holland u. A. Kel-
ler (Stuttg. 1850).
^Die Herausgeber haben die Orthographie „gelegentlich"
vereinfacht, und glauben „eine weitere und durchgreifende kri-
tische Textbehandlung werde bei diesen Denkmalen ihnen kaum
jemand zumuthen." Uns dünkt es aber eine sehr gerechte Zu-
muthung, dass Herausgeber nicht Texte, die oft bis zu gänz-
licher Sinnlosigkeit entstellt sind, in aller Verderbniss mit Haut
und Haar wiederholen."
Sp. 245. bei Bd. XXIII: Der Ring von Heinrich Wit-
tenweiler. Herausg. von Ludw. Bechstein (Stuttg. 1851.)
„Dieses bisher unbekannte Gedicht aus dem 15. Jahrh.
erinnert durch den Kreis seines Inhaltes an das ältere Gedicht
von Meier Betzen Hochzeit: es ist eben so ungeschlacht im
Ton, in der Sprache verwilderter, aber von größerem Umfange,
viel mannigfaltiger und merkwürdig genug, dass seine Bekannt-
machung Dank verdient. Noch größer würde dieser Dank
sein, wenn auch hier mehr Mühe an die Verbesserung des
schmählich verderbten Textes gewandt wäre. Aber alle Fehler
des Schreibers, die erheblichsten Sinnstorungen und kleine Ver-
sehen in Menge, die man freilich aus dem Stegreif verbessern
kann, sind getreulich wiederholt, und die Anmerkungen, welche
die Vorrede nachträgt, helfen nur einem geringen Theile der
Verbrechen ab."
Centralblatt 1851. Sp. 863. in der Rec. von: Reinfilt von
Braunschweig. Von Karl Gödeke (Hanover 1851).
„Wem die ersten Anfangsgründe der mittelhochdeutschen
Grammatik noch nicht geläufig sind, der sollte bescheidener
sein und lieber alle Fehler und Ungenauigkeiten einer wenn
487
aach schlechten Hs. abdrucken lassen, als kritischen Gelüsten
nadihängen.^
13. Scherenberg und sein alter Lobebärl Mitgetbeilt
von Gustaf Eschmann.
Durch Herrn Scberenberg, den Poeten von Waterloo, ist un»
serer Sprache eine kostbare Bereicherung zu Theil geworden.
In seinem Gedichte ^Leuthen^ (Berlin 1852) steht S. 2i zu
lesen:
Der Würtemberg, der Brannschweig , der Anhalt - Dessan , der
Nie aas der Richtung konnte, wie sein alter Lobebär ff.
Auf diese Stelle und ihr wahrscheinliches Verhältniss zur er-
sten Strophe des Nibelungenliedes machte schon ein Recen-
sent im ^Archiv fiir das Studium der neueren Sprachen^ auf-
merksam; ich führe eine ähnliche desselben Verfassers an, die
das Kunstblatt (1854. Nr. 28 ^in Album'O ohne irgend wel-
chen Anstoß zu nahmen unbefangen abdruckt.
Aasgriff der Rath znnächst in alle Weisen,
Das alte Schicksal aller Rathesherm,
Verstieg sich in die rauhen Reckenzeiten
Und derben Spaße dieser Lobebär' n.
^Die sind zn grob!^ brummt Solms, selbst bärenbeißig . . . .
Das letzte Wort erhebt zur Gewissbeit, dass Herr Seh. im
mhd. Adjectiv lobebsere (Müller Mittelhochd. Wörterbuch 1,
1020) unser nhd. Bär erkennt. Abgesehen von dem überaus
Lächerlichen einer solchen Sprachschnitzerei — welche Vor-
stellung von unserem Epos, dem zur Charakteristik seines edel-
sten Helden (denn jene bekannte Stelle, deren sich vermuthlich
Hr. Seh. erinnert, hat doch wol zunächst und vor Allen Sieg-
fried im Auge!) kein besserer Vergleich als mit dem ungefüg-
sten aller Vierfiißler zu Gebote stünde!
Wenn Scherenberg auch zu loben war,
Nie wäre zu loben sein Lobebär.
*
14. Der Bischof von Leitmeritz und die deutsche
Litteratur.
In einem Rundschreiben des Bischofs von Leitmeritz zu An-
fange dieses Jahres heißt es unter anderm: ,,Es lässt sich von
488
einer weisen Regierung sicher erwarten, dass das Prinoipder
Christianisierung an den katholischen Gymnasien Oester*
reichs auch in den deutschen Lehrbüchern gebührende
Geltung erhalten werde, und dass aus dem reichen Schatze der
vorzüglichsten katholischen Schriftsteller auch reichhaltige Pro-
ben Torzugsweise werden geboten werden; es lässt sich erwar-
ten, dass auch die ergreifenden, erhabenen, wunderbaren Kir-
chenhymnen einen vorzüglichen Platz in dergleichen Sammlun-
gen finden. — Was von den Dichtern gilt, gilt auch von den
Prosaikern. Mit den vortrefBichen katholischen Geschichts-
schreibern, z. B. Stolberg, Jarke, Phillips etc., soll unsere ka-
tholische studierende Jugend vertraut gemacht werden, weil
sie da eine echt christianisierte Geschichte nach der Wahr-
heit erhält. — — Man möge sich nicht tauschen I Die
protestantische deutsche Litteratur hat im Allgemeinen einen
kirchlich -religiösfeindlichen Character schon seit längerer Zeit
angenommen. Wieland^s Werke, Göthe^s Romane und die mei-
sten seiner Dramen, Lessing'^s Nathan u. A. werden von kri-
nem Gymnasialschüler ohne Nachtheil gelesen werden. Bei
diesem Stande der Sachen ergeben sich für die Lehrer der
deutschen Litteratur die wichtigsten Pflichten. Sie müssen im
Allgemeinen die ganze Litteratur mit katholischem Auge
und in katholischem Geiste ansehen und prüfen, müssen be-
züglich jedes Schriftstellers und Werkes sich die Frage steUen:
was würde die heilige Kirche hierüber urtheilen?*
DcQck der Hof- Buchdrücke rei in Weimar.
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